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In binationalen Beziehungen ist einer oft der Depp

Bei Paaren aus verschiedenen Kulturen kommt es oft zu einem Machtgefälle, weil der eine sich zu Hause
fühlt und für den anderen noch vieles fremd ist

Partner aus verschiedenen Kulturen haben es nicht immer leicht. Manchmal ist es schon eine echte Hürde,
den anderen bei banalen Alltagsfragen zu verstehen. Dann hilft nachhaken und ausdiskutieren.

Partner aus zwei verschiedenen Kulturen müssen echte Kommunikationsexperten sein. Sonst drohen schnell
Missverständnisse. „Das, was man sagt, und das, was man meint, kann sehr unterschiedlich sein“, sagt
Nicole Basel.

Die Hamburgerin muss es wissen: Sie lebt selbst in einer bikulturellen Beziehung mit einem Dänen. „Auch,
wenn man auf der Sprachebene erst mal kein Problem hat: Es geht nicht nur um Vokabeln oder Grammatik.“
Erst recht nicht, wenn man gemeinsam mit dem Partner in dessen Heimat zieht.

Hiltrud Stöcker-Zafari sieht das ähnlich: „Im Deutschen haben wir ein Gefühl für die Konnotationen“, sagt
die Bundesgeschäftsführerin des Verbands binationaler Familien und Partnerschaften. Also die
Bedeutungen, die in einem Wort mitschwingen. In anderen Sprachen geht dieses Gefühl mitunter verloren.

Nuancen im Ausdruck

Vera Matt, Paartherapeutin in Berlin, drückt es noch drastischer aus: „Das ist wie ein Blindflug: Man weiß
nicht, was man anrichtet mit der Sprache.“ Deshalb sei es nötig, Kultur und Sprache des Partners
kennenzulernen.

„Dann merkt man, dass der andere aus seiner Sprache übersetzt“, ergänzt Stöcker-Zafari. Diese Erfahrungen
mit der anderen Kultur und das Wissen um die Sprache helfen, Nuancen im Ausdruck besser zu verstehen –
und Kommunikationsregeln anderer Kulturen zu lernen.

„In Japan zum Beispiel gibt es Regeln, wie lange man sprechen darf. Und man unterbricht nicht“, erklärt
Basel. Wer einfach weiterquatscht, weil ihn niemand unterbricht, gilt als unhöflich.

Kompromissbereitschaft ist gefragt

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Auch bei der Diskussion um einen gemeinsamen Wohnort ist Kompromissbereitschaft gefragt. Nicole Basel
ist mit ihrem Freund nach Kopenhagen gezogen. „Wenn man seine Heimat aufgibt, ist das ein großer
Verlust.“ Ihr Freund war in seinem Heimatland nun plötzlich der Experte. „Man hat sich auf Augenhöhe
kennengelernt, und dann gibt es eine Verschiebung in der Beziehung“, erzählt sie. „Man ist dann erst mal
ein Depp.“

Solange der Zugezogene die Sprache nicht spricht, existiert ein Machtgefälle, weil der eine sich zu Hause
fühlt und für den anderen noch vieles fremd ist. Natürlich kann der eine dem anderen helfen, aber dabei ist
Fingerspitzengefühl gefragt. „Ich muss ihn vor allem darin unterstützen, Fortschritte zu machen“, sagt
Stöcker-Zafari. Dazu gehört auch, auf Fragen wie „Kannst du mir dabei helfen?“ zu warten und dem Partner
nicht gleich alles abzunehmen.

Der Zugezogene braucht in der ersten Zeit vor allem Mut: „Der, der umzieht, muss sich aus der abhängigen
Position befreien – auch, wenn es mal schiefgeht“, weiß Basel aus Erfahrung. Erleichtern kann das Einleben
die eigene Community vor Ort. „Das können dann Deutsche mit weißen Söckchen in den Schuhen sein, mit
denen man sonst nie gesprochen hätte. Aber man freut sich darüber“, sagt Matt. Kulturzentren können in der
ersten Zeit Rat oder Hilfe bieten. Und ein neuer Freundeskreis.
Kontakte knüpfen

„Einheimische Freunde finden dauert wahnsinnig lange“, erzählt Basel. Wer nicht aktiv sucht, wird sie
vielleicht nie finden. „Im fremden Land hat niemand auf dich gewartet.“ Sportvereine und der Arbeitsplatz
können gute Startpunkte sein, um Kontakte zu knüpfen.

Den Freundeskreis des Partners könne der Zugezogene ebenfalls nutzen. Als einheimischer Partner dem
„Neuen“ vor Ort Freunde vorschlagen zu wollen, geht meistens schief. „Das passt dann oft nicht“, so Basel.
Der Beziehung tut es gut, wenn das Gefüge Einheimischer-Fremder manchmal aufgebrochen wird, zum
Beispiel im Urlaub: Wer Zeit in einem dritten Land verbringt, könne gemeinsam das Fremde erleben, sagt
Matt.

In der Praxis geht der Urlaub aber meist nicht in ein drittes Land, sondern ins Heimatland des Partners – und
zu seiner Familie. Die Eltern können wie in jeder Beziehung großen Einfluss ausüben.

Bei Partnern aus zwei Kulturen kann Religion zum Problem werden: „Oft zwischen den Familien, weniger
zwischen dem Paar“, hat Basel beobachtet. Manchmal ist es dann nötig, sich von der Meinung der Familie
zu emanzipieren. „Auch wenn das wahnsinnig schwierig ist.“

Verständnis-Problem können auch Vorteil sein

Zwischen dem Paar kommen unterschiedliche Ansichten häufig erst zum Vorschein, wenn Nachwuchs da
ist. „Dann erinnert man sich an seine eigene Kindheit und wünscht sich für sein Kind vielleicht Ähnliches“,
sagt Basel.

Die Vorstellungen, was gut für ein Kind ist, gehen dann unter Umständen weit auseinander. Dieser Konflikt
kann allerdings in jeder Beziehung vorkommen, nicht nur bei Partnern aus unterschiedlichen Ländern: Denn
jeder ist auch durch seine soziale Herkunft geprägt, nicht nur durch die Kultur.

Die Kompromisse, das viele Nachfragen und Erklären – letztlich macht die Liebe all das einfacher. „Die
Gefühle sind ein Motor, sich mit ganz vielen, auch widersprüchlichen Dingen auseinanderzusetzen“, sagt
Stöcker-Zafari.

Und Vera Matt fügt hinzu: „Das Interkulturelle ist Reichtum.“ Schließlich könne das Verständnis-Problem
auch zum Vorteil gegenüber anderen Beziehungen werden, findet Basel: Gerade weil die Partner
Missverständnisse erwarten, kommunizieren sie mehr.

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