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Die Novemberrevolution –

Lehren für die revolutionäre


Organisierung
Als vor hundert Jahren am 9. November die Revolution in Deutschland ausbrach und
damit das imperialistische Blutvergießen des Ersten Weltkriegs beendete, geschah dies
nicht aus dem Nichts. Der deutsche Imperialismus hatte es trotz einiger Anfangserfolge
und massiver Gebietsgewinne im Osten nicht geschafft, sich global neue Einflusssphären
und Kolonialgebiete zu sichern. Nach Jahren von Abnutzungskrieg an der Westfront in
Frankreich und Belgien betrat nun der US-Imperialismus die Bühne in Europa, um
seinerseits Ansprüche auf die Gestaltung der Nachkriegsordnung in Europa anzumelden.
Der Kriegseintritt der USA bedeutete den Todesstoß für die deutschen Armeen auf
militärischem Gebiet. Daran konnte auch die Eroberung neuer Gebiete in Folge des Brest-
Litowsk-Vertrages mit der jungen, aber noch sehr geschwächten Sowjetunion nichts
ändern.
Im Inneren hatte der Krieg seinen Teil dazu beigetragen, einen Zersetzungsprozess
in Gang zu setzen, der ständig durch sinnlose Opfer an der Front, steigende Armut und
Kriegsmüdigkeit aber auch die neue Perspektive befeuert wurde, die die Oktoberrevolution
in Russland erzeugt hatte.
Doch nach einer Revolution hatte es in Deutschland lange nicht ausgesehen.
Zunächst hatte das Kaiserreich es geschafft, jegliche Opposition zum Krieg durch
Verhaftungen und Strafversetzungen zu besonders gefährlichen Militäreinsätzen an der
Front klein zu halten. Die Kriegspropaganda des Kaisers hatte auch in weiten Teilen der
Arbeiterklasse Fuß gefasst, nicht zuletzt, weil die SPD, die damals größte Arbeiterpartei
der Welt, den Marxismus und die sozialistische Revolution bestenfalls noch in
Sonntagsreden zelebrierte, ihre Alltagspraxis sich jedoch mit dem kapitalistischen Status
Quo abgefunden hatte. Reichskanzler Bismarck, der Deutschland auf administrativem
Gebiet in einen modernen Nationalstaat verwandelt hatte, war sich der Gefahr der
revolutionären Arbeiterbewegung bewusst. Er hatte daher 1883/4 eine erste
Sozialgesetzgebung eingeführt, um den revolutionären Tendenzen innerhalb der künftigen
SPD das Wasser abzugraben.

Von der revolutionären zur reformistischen Sozialdemokratie


Die industrielle Revolution hatte das deutsche Reich in eine imperialistische
Wirtschaftsmacht verwandelt, das auf ökonomischem Gebiet nun selbst dem britischen
Imperialismus seine Märkte streitig machte. Bereits 1913 machte das deutsche Reich
wirtschaftlich Britannien, der damals vorherrschenden imperialistischen Macht, auf
Weltebene Konkurrenz. Paul Kennedy beschrieb, dass neben der Anwendung industrieller
Methoden in der Landwirtschaft und der raschen Verdrängung des Analphabetentums
Deutschlands „Kohleproduktion von nur 89 Millionen Tonnen 1890 auf 277 Millionen
Tonnen 1914 anstieg, kurz hinter Britanniens 292 Millionen und Österreich-Ungarns 47
Millionen, Frankreichs 40 Millionen und Russlands 36 Millionen. Im Stahlsektor war das
Wachstum sogar noch spektakulärer, und Deutschlands Ausstoß 1914 von 17,6 Millionen
Tonnen war größer als der Britanniens, Frankreichs und Russlands zusammengenommen.
Noch beeindruckender war die deutsche Leistung in neueren Industrien des
Zwanzigsten Jahrhunderts wie der Elektrik, Optik und Chemie. Riesenfirmen wie Siemens
und AEG, die unter sich 142.000 Leute beschäftigten, dominierten die europäische
Elektroindustrie. Deutsche Chemiefirmen, geführt von Bayer und Hoechst, produzierten 90
Prozent der globalen industriellen Färbemittel. Diese Erfolgsgeschichte spiegelte sich
natürlich in Deutschlands Außenhandelszahlen wider, mit sich verdreifachenden Exporten
zwischen 1890 und 1913, die das Land nahe an Britannien als den führenden
Weltexporteur brachten; nicht überraschend expandierte auch seine Handelsmarine zur
zweitgrößten der Welt am Vorabend des Krieges. Zu diesem Zeitpunkt war sein Anteil an
der globalen Industrieproduktion (14,8 Prozent) höher als der Britanniens (13.6 Prozent)
und zweieinhalb mal so hoch wie der Frankreichs (6.1 Prozent).“ (Paul Kennedy, The Rise
and Fall of the Great Powers, 1988, S.210f) Auf politisch-administrativem Gebiet blieb
Deutschland eine Monarchie. Der Versuch einer bürgerlichen Revolution war 1848
gescheitert, als das Bürgertum aus Angst vor dem erstarkenden Proletariat ein Bündnis
mit der Monarchie gegen die Arbeiterklasse schloss, um so die Gefahr eines Übergangs
von einer bürgerlichen in eine proletarische Revolution zu verhindern. Diese Perspektive
vertraten Marx und Engels bereits in ihrer Ansprache der Zentralbehörde an den Bund
vom März 1850. Demnach stuften sie Deutschland bereits damals als reif für eine
sozialistische Revolution ein, insbesondere in Koordination mit Revolutionen in anderen
entwickelten Industrienationen. Im Zuge der Industrialisierung, die Arbeiter massenhaft in
Großbetriebe zusammenfasste, hatte sich in Deutschland mit der SPD eine marxistische
Partei gebildet, die schnell zu einer Massenorganisation heranreifte und der Arbeiterklasse
nicht nur als politische Kampfpartei, sondern auch als allumfassende Kultureinrichtung
diente. International galt die SPD Marxisten in anderen Ländern als leuchtendes Vorbild.
Dennoch hatte es die deutsche Bourgeoisie verstanden, die stetig wachsenden
Sozialdemokraten durch eine Kombination aus staatlicher Repression, den sogenannten
Sozialistengesetzen, und einigen sozialstaatlichen Maßnahmen in Schach zu halten.
Bereits 1891 bemerkte Friedrich Engels unter Verweis auf die Aufgaben für Revolutionäre
in Deutschland, dass bereits das Erfurter Programm der SPD opportunistische Züge trug,
die aus Bismarcks Politik von Zuckerbrot und Peitsche herrührten:
„Aus Furcht vor einer Erneuerung des Sozialistengesetzes, aus Erinnerung an allerlei
unter der Herrschaft jenes Gesetzes gefallenen voreiligen Äußerungen soll jetzt auf
einmal der gegenwärtige gesetzliche Zustand in Deutschland der Partei genügen
können, alle ihre Forderungen auf friedlichem Weg durchzuführen. Man redet sich und
der Partei vor, „die heutige Gesellschaft wachse in den Sozialismus hinein“, ohne zu
fragen, ob sie nicht damit ebenso notwendig aus ihrer alten Gesellschaftsverfassung
hinauswachse und diese alte Hülle gewaltsam sprengen müsse, wie der Krebs die
seine, als ob sie in Deutschland nicht außerdem die Fesseln der noch halb
absolutistischen und obendrein namenlos verworrenen politischen Ordnung zu
sprengen habe.“
–Friedrich Engels, Zur Kritik des sozialdemokratischen Programmentwurfs 1891, 18.
und 19. Juli 1891, MEW, Band 22, S.234
Die wirtschaftliche Entwicklung des aufstrebenden deutschen Imperialismus führte
zur Herausbildung privilegierter Schichten im Proletariat, deren Lebensperspektive nicht
länger auf das reine Existenzminimum reduziert war und einige Annehmlichkeiten mit sich
brachte. Diese Erfahrung führte zur Herausbildung konservativeren Denkens unter einigen
dieser Bessergestellten. Es dauerte nicht lange, bis diese Entwicklung sich auch in der
Theoriebildung führender Denker der SPD herauskristallisierte. Die sozialistische
Revolution, für deren Agitation man seinerzeit schnell im Gefängnis landen konnte, war
Teilen der privilegierten Schichten der Arbeiter zu ungemütlich geworden. Nur wenige
Jahre nach Engels' Tod fanden diejenigen, die von der sozialistischen Revolution Abstand
nehmen wollten, ihren ersten Vertreter in Eduard Bernstein. Bernstein entwickelte in den
späten 1890er Jahren die Theorie, derzufolge die ständige Expansion des Kapitalismus
die Grundlage für den Sozialismus erzeugen würde. Es könne daher lediglich darum
gehen, die Regierungsform auf politischem Gebiet zu reformieren, statt den Kapitalismus
als sozioökonomisches System durch Revolution zu beseitigen. Anfangs regte sich gegen
diese allzu offene Revision des marxistischen Programms Widerstand in weiten Teilen der
Partei. Karl Kautsky, der als der hervorragendste Marxinterpret in der SPD gesehen
wurde, widersprach Bernstein. Aber auch die große deutsche Revolutionärin Rosa
Luxemburg, die zu diesem Zeitpunkt noch kaum von sich Reden gemacht hatte, hielt
Bernstein entgegen:
„Der heutige Staat ist eben keine „Gesellschaft“ im Sinne der „aufstrebenden
Arbeiterklasse“, sondern Vertreter der kapitalistischen Gesellschaft, d.h., Klassenstaat.
Deshalb ist auch die von ihm gehandhabte Sozialreform nicht eine Bestätigung der
„gesellschaftlichen Kontrolle“, d.h., der Kontrolle der freien arbeitenden Gesellschaft
über den eigenen Produktionsprozeß, sondern eine Kontrolle der Klassenorganisation
des Kapitals über den Produktionsprozeß des Kapitals. Darin, d.h. in den Interessen
des Kapitals findet denn auch die Sozialreform ihre natürlichen Schranken.“
–Rosa Luxemburg, Sozialreform oder Revolution, Gesammelte Schriften, Bd. 1/1,
S.392
Ironischerweise berufen sich heutzutage diverse Strömungen wie die Sozialistische
Alternative (SAV) und die deutschen Anhänger Tony Cliffs, Marx21, die in der Linkspartei
arbeiten, und selbst Teile der Partei Die Linke auf Rosa Luxemburg, bei gleichzeitiger
Verwerfung ihrer Ansichten bezüglich des Zusammenhangs von kapitalistischem
Produktionsprozess und bürgerlichem Staat. Die britische Schwesterorganisation der SAV
vertreibt immer noch eine Broschüre aus ihrer Zeit in der Labour-Partei als The Militant, in
der sie schrieb:
„Wenn die nächste Labour-Regierung im Parlament ein Ermächtigungsgesetz erlässt,
um die 200 Monopole, Banken und Versicherungsunternehmen zu verstaatlichen, die
80 bis 85 Prozent der Wirtschaft kontrollieren, würde den 196 Direktoren dieser Firmen
ein entscheidender Schlag versetzt, die die wirkliche Regierung Britanniens sind.
Durch die wirtschaftliche Macht, die sie ausüben, diktieren sie den Kurs, dem sowohl
Tory- als auch Labour-Regierungen folgen müssen. Sie würden für die Verstaatlichung
ihres Vermögens auf Grundlage 'nachgewiesenem Bedarfs' kompensiert werden. Solch
ein Schritt, unterstützt durch die Macht der Arbeiterbewegung außerhalb des
Parlaments, würde die Einführung eines sozialistischen und demokratischen
Produktionsplans gestatten, ausgearbeitet und implementiert durch Gewerkschafts-
komitees, Betriebsräte, Hausfrauen und kleine Geschäftsleute.“
–The state: a warning to the labour movement, 1983, socialistparty.org.uk/
pamphlets/state/

Der bürgerliche Staat gilt ihnen als Kampfarena, die nur durch eine
transformatorisch ausgerichtete sozialistische Partei übernommen werden muss. Das
Programm der Partei Die Linke bekräftigt seit der Parteigründung zu jedem Zeitpunkt,
keine Revolution, sondern lediglich Reformen durch das Parlament erwirken zu wollen.
Luxemburg war nicht gegen Reformen, schrieb aber in Vorwegnahme von Trotzkis
Übergangsprogramm, wie diese als Schritt zur Revolution dienen müssten:
„Für die Sozialdemokratie bildet der alltägliche praktische Kampf um soziale Reformen,
um die Besserung der Lage des arbeitenden Volkes noch auf dem Boden des
Bestehenden, um die demokratischen Einrichtungen vielmehr den einzigen Weg,
den proletarischen Klassenkampf zu leiten und auf das Endziel, auf die Ergreifung
der politischen Macht und die Aufhebung des Lohnsystems, hinzuarbeiten. Für die
Sozialdemokratie besteht zwischen der Sozialreform und der sozialen Revolution ein
unzertrennlicher Zusammenhang, indem ihr der Kampf um die Sozialreform das
Mittel, die soziale Umwälzung aber der Zweck ist.“
–ebenda., S.369

Doch die Mehrheit in der SPD entfernte sich zusehends von dieser Perspektive.
Stattdessen nahmen nun auch diejenigen Führer wie Karl Kautsky schrittweise Positionen
an, die den Schwerpunkt auf parlamentarischen Wahlkampf statt auf Klassenkampf in den
Betrieben legten. Die Ursache für diese neue Schwerpunktlegung, die keineswegs mehr
ökonomische Tageskämpfe mit dem Kampf um die Aufhebung des Lohnsystems
verbinden wollte, bestand in der Angst vor staatlicher Repression. Die Annehmlichkeiten
parlamentarischer und gewerkschaftlicher Posten und Führungsfunktionen schufen eine
immer tiefere Kluft zwischen dem meist jungen Flügel der SPD, der immer noch am
revolutionären Endziel festhielt auf der einen Seite und dem, der dieses Ziel bestenfalls
noch gelegentlich rhetorisch verwendete, sich aber tatsächlich im Bestehenden
eingerichtet hatte. Die SPD wurde bei den Reichstagswahlen am 12. Januar 1912 größte
Partei und formte eine Koalition mit der bürgerlich-liberalen Fortschrittlichen Volkspartei.
Die SPD-Mehrheit fühlte sich in diesem Sieg in ihrer Ansicht bekräftigt, auf dem
Durchmarsch zur politischen Macht zu sein, hielt aber formell noch an revolutionärer
Rhetorik fest. Sebastian Haffner fasste die Situation in der Partei treffend zusammen:
„Die „Revisionisten“ in der SPD, die in den ersten Jahren des Jahrhunderts die
Revolution aus dem Parteiprogramm streichen und zu einer reinen sozialen
Reformpolitik übergehen wollten, spürten ganz richtig, wie der Wind wehte. Sie
wurden niedergestimmt. Auf Parteitagen und Kundgebungen fuhr die Partei fort, unter
roten Fahnen wie eh und je die kommende Revolution zu proklamieren. Aber
zwischen Worten und Gesinnungen klaffte jetzt eine immer breitere Lücke. Heimlich
dachte das „marxistische Zentrum“ der Partei dasselbe, was die Revisionisten offen
sagten; die Parteilinke, die immer noch an die Revolution glaubte, war eine Minderheit
geworden.“
–Sebastian Haffner, Die Deutsche Revolution 1918/19, S.16

Luxemburg hatte die Zeichen der Zeit erkannt und hatte neben den Revisionisten
auch den hochgeachteten wichtigsten Parteitheoretiker Karl Kautsky in der Debatte zum
Kampf für das Wahlrecht kritisiert. Auf einen Bruch mit der SPD-Mehrheit drängte die
revolutionäre Parteilinke jedoch noch nicht. Schließlich nahm die Partei nach wie vor
wohlklingende Resolutionen gegen den drohenden imperialistischen Krieg an und als der
Staat 1914 Luxemburg Repressionen aufgrund ihrer konsequenten Antikriegsagitation
androhte, half ihr der SPD-Apparat aus, obwohl er in seiner Mehrheit längst nicht mehr
Luxemburgs Positionen teilte. Dieser verworrene Degenerationsprozess, der die SPD
soziologisch betrachtet als Arbeiterpartei fortexistieren ließ, die jedoch zunehmend
programmatisch verbürgerlichte, kulminierte schließlich in der Bewilligung der
Kriegskredite 1914 durch die SPD-Reichstagsmehrheit.

Die revolutionäre Partei: Massenkampf und programmatische Klarheit


Anders als die russischen Bolschewiki, dem russischen revolutionären Flügel der
Sozialdemokratie, hatten Luxemburg und auch Liebknecht es verpasst, organisatorische
Konsequenzen aus dem fortschreitenden Verfall ihrer Partei zu ziehen und für eine
Spaltung und die Formierung einer revolutionären Avantgardepartei zu werben. Als
Luxemburg 1904 in die Organisationsdebatte der russischen Sozialdemokratie eingriff,
attackierte sie das von Lenin angestrebte Modell einer revolutionären Avantgardepartei.
Während Lenin eine programmatisch gefestigte und disziplinierte Partei mit klar
revolutionärem Programm vorschwebte, die sich unabhängig von den reformistischen
Sozialdemokraten organisieren müsse, schrieb Luxemburg in Übereinstimmung mit dem
damaligen Parteikonzept der SPD:
„Die Vereinigung der großen Volksmasse mit einem über die ganze Ordnung
hinausgehenden Ziele, des allgemeinen Kampfes mit der revolutionären Umwälzung,
das ist der dialektische Widerspruch der sozialdemokratischen Bewegung, die sich
auch folgerichtig auf dem ganzen Entwicklungsgang zwischen den beiden Klippen:
zwischen dem Preisgeben des Massencharakters und dem Aufgeben des Endziels,
zwischen dem Rückfall in die Sekte und dem Umfall in die bürgerliche
Reformbewegung vorwärtsarbeiten muß. Es ist eben deshalb eine ganz unhistorische
Illusion, zu denken, die sozialdemoktratische Taktik im revolutionären Sinne könne vor
opportunistischen Seitensprüngen ein für allemal bewahrt werden. Zwar liefert die
Marxsche Lehre vernichtende Waffen gegen alle Grundtypen des opportunistischen
Gedankens. Da aber die sozialdemokratische Bewegung eben eine Massenbewegung
und die ihr drohenden Klippen nicht aus menschlichen Köpfen, sondern aus
gesellschaftlichen Bedingungen entspringen, so können die opportunistischen Verir-
rungen nicht von vornherein verhütet werden, sie müssen erst, nachdem sie in der
Praxis greifbare Gestalt angenommen haben, durch die Bewegung selbst – allerdings
mit Hilfe der vom Marxismus gelieferten Waffen – überwunden werden.“
–Rosa Luxemburg, Organisationsfragen der russischen Sozialdemokratie, 1904,
Gesammelte Schriften, Bd.1/2, S.442f

Aus diesen Zeilen klingt Luxemburgs Betonung der Spontaneität der Arbeiterklasse
als revolutionäres Moment gegenüber dem bürokratischen Konservatismus des SPD-
Apparates durch, der von einem sich linear vollziehenden Wachstum des Proletariats im
Kapitalismus in den Sozialismus hinein ausging. Obgleich sie einen scharfen politischen
Kampf gegen den Opportunismus in der SPD führte, trübten Luxemburg und ihre
Genossen durch ihren Verbleib in der Sozialdemokratie diejenige programmatische
Trennschärfe, die eine rasche Herausbildung einer genuin revolutionären Partei schon vor
dem Krieg hätte befördern können. Trotzki verstand, dass Luxemburgs Verehrung der
Spontaneität im Kontext der deutschen Arbeiterbewegung zum damaligen Zeitpunkt
revolutionär war und stellte ihre von Lenin zu unterscheidende Herangehensweise
folgendermaßen heraus:
„Im Gegensatz zu Parvus war Rosa Luxemburg bestrebt, den revolutionären Flügel im
Proletariat im voraus zu erziehen und – soweit möglich – organisatorisch zu erfassen.
In Polen hat sie eine sehr straffe selbständige Organisation aufgebaut. Man könnte
höchstens sagen, daß bei Rosa in ihrer geschichtsphilosophischen Einschätzung der
Arbeiterbewegung die vorbereitende Auslese der Avantgarde im Vergleich zu den
erwartenden Massenaktionen zu kurz gekommen ist, während Lenin – ohne sich mit
den künftigen Aktionswundern zu trösten – stets und unermüdlich die fortgeschrittenen
Arbeiter legal und illegal, in Massenorganisationen und im Versteck, vermittels eines
scharf umrissenen Programms zu festen Zellen zusammenschweißte.“
–Leo Trotzki, Rosa Luxemburg und die IV. Internationale, 24. Juni 1935, Schriften über
Deutschland, Bd. II, S. 687

Die Kritik Lenins und Trotzkis an Luxemburg bestand primär darin, dass sie zwar
den programmatischen Kampf durchaus für wichtig hielt und insbesondere in der
polnischen Sozialdemokratie schärfer verfocht als in Deutschland, aber die Frage der
politischen Degeneration der SPD primär vom Gesichtspunkt der bürokratischen Lähmung
der Arbeiterklasse und ihrer Kämpfe betrachtete. Programmatische Differenzen waren
Luxemburg zum damaligen Zeitpunkt zwar wichtig, aber der Frage von Massenkämpfen
untergeordnet, auch wenn diese im Rahmen und unter widerwilliger Führung der offiziellen
Sozialdemokratie stattfanden. Lenin legte dagegen den Schwerpunkt auf ein klares,
revolutionäres Programm, das auch organisatorischen Ausdruck durch die Formierung
einer programmatisch geeinten revolutionären Partei Ausdruck finden sollte. Nach
Ausbruch des Ersten Weltkriegs hatte Lenin nach den Ursachen des Niedergangs der
Zweiten Internationale gesucht und diese im imperialistischen Charakter derjenigen
Länder ausgemacht, in denen sich die bedeutendsten Sektionen der Zweiten
Internationale befanden. Anders als die Parteilinke der deutschen Sozialdemokratie hatten
die Bolschewiki in Russland auf die Trennung von den reformistischen Menschewiki
hingewirkt. In Abgrenzung zu Luxemburgs Parteikonzept schrieb Lenin 1916:
„Der verhältnismäßig "friedliche" Charakter der Epoche 1874 bis 1914 nährte den Oppor-
tunismus anfangs als Stimmung, dann als Richtung, schließlich als Gruppe oder Schicht
der Arbeiterbürokratie und der kleinbürgerlichen Mitläufer. Diese Elemente konnten die Ar-
beiterbewegung nur beherrschen, indem sie in Worten die revolutionären Ziele und die
revolutionäre Taktik anerkannten. Sie konnten das Vertrauen der Massen erringen, weil sie
schworen, daß die ganze "friedliche" Arbeit nur eine Vorbereitung der proletarischen Revo-
lution sei. Dieser Widerspruch war eine Geschwulst, die einmal bersten mußte; und sie ist
geborsten. Die ganze Frage besteht darin, ob man wie Kautsky & Co. den Eiter zurück in
den Organismus hineinzupressen sucht wegen "Einigkeit" (mit dem Eiter) oder ob man den
Eiter recht schnell und sauber beseitigen soll, trotz des momentanen akuten Schmerzes,
den dies verursacht, um dem Organismus der Arbeiterbewegung zur völligen Gesundheit
zu verhelfen.(…) Der politische Inhalt des Opportunismus und des Sozialchauvinismus ist
derselbe: Zusammenarbeit der Klassen, Verzicht auf die Diktatur des Proletariats, Verzicht
nur die revolutionäre Aktion, rücksichtslose Anerkennung der bürgerlichen Legalität,
Mißtrauen dem Proletariat, Vertrauen der Bourgeoisie gegenüber. Der Sozialchauvinismus
ist die direkte Weiterführung und Vollendung der englischen liberalen Arbeiterpolitik, des
Millerandismus und Bernsteinismus.“
–Wladimir Iljitsch Lenin, Der Opportunismus und der Zusammenbruch der II.Internationale,
1916, Gesammelte Werke, Bd. 22, S.110ff

Die Klarsicht, die Lenin in Bezug auf die russischen Menschewiki bewiesen hatte,
fehlte ihm jedoch mit Blick auf die deutsche Partei. Das „marxistische Zentrum“ um
Kautsky galt Lenin zunächst als die deutsche Form des Bolschewismus. Die oben zitierte
Erkenntnis Lenins ist direktes Resultat seines Schocks über Kautskys pazifistische
Bemäntelung der deutschen imperialistischen Kriegspolitik:
„Lenin hält es für nötig, Ende 1914 einem seiner (zu jener Zeit) nächsten Mitarbeiter zu
erklären, daß er “jetzt“, heute, zum Unterschied von früher, Kautsky „haßt und
verachtet“. Die Schärfe des Ausdrucks beweist untrüglich, in welchem Maße Kautsky
die Erwartungen Lenins enttäuscht hatte. Nicht weniger klar ist die andere Aussage
„Rosa Luxemburg hatte recht, als sie bereits vor langer Zeit schrieb, Kautsky sei die
'Servilität des Theoretikers' eigen“. Lenin bemüht sich hier, anzuerkennen, was er
vordem nicht gesehen und doch nicht ganz erkannt hatte: daß Luxemburg recht gehabt
hatte.“
–Leo Trotzki, Hände weg von Rosa Luxemburg!, 28. Juni 1932, Schriften über
Deutschland, Bd.1, S. 326

Zweifelsohne führte die Bewilligung der Kriegskredite durch die absolute Mehrheit
der SPD-Reichstagsfraktion gerade deswegen zu einem derartigen Schock bei Lenin, weil
er bis dahin im SPD-Flügel um Kautsky das deutsche Pendant des Bolschewismus
verkörpert sah. Die Losung der internationalen Sozialdemokratie, innerimperialistische
Kriege durch einen internationalen Generalstreik verhindern zu wollen, wozu sich die SPD
seit 1907 bekannt hatte, war am 4. August 1914 dem politischen Kniefall vor dem eigenen
Bürgertum und dem Kaiser gewichen. Tatsächlich gab es nur wenige Parteien in der
Zweiten Internationale, die an einer Antikriegsposition festhielten. Statt den Hauptfeind in
der eigenen Bourgeoisie zu sehen, beschwor die SPD-Führung das Bild der drohenden
Gefahr des russischen Autokratismus, gegen den sich die deutsche Zivilisation zu
verteidigen habe. Die Genossen an der Basis sollten nicht länger die Arbeit niederlegen,
um den Krieg zu verhindern, sondern sich stattdessen mit den Klassenbrüdern in anderen
Ländern für die Interessen des eigenen Imperialismus auf dem Schlachtfeld opfern.
Spaltung der SPD – Klarheit oder nur Opposition?
Zu Kriegsbeginn gab es bereits Massendemonstrationen, die sich gegen den Krieg
richteten. Allerdings hatte die Kriegspropaganda des Kaisers, die auch durch sämtliche
Parteien kolportiert wurde, auch die SPD-Basis erfasst. Aber das tägliche Massensterben
und die Verkrüppelungen an der Front verdrängten den nationalistischen Taumel schnell.
An der Heimatfront verteuerten sich die Lebensmittelpreise drastisch. Der schlechte Sold
führte dazu, dass Frauen nun massenhaft in die Rüstungsindustrie gezogen wurden, wo
12-stündige Wechselschichten keine Seltenheit waren. Die Durchhalteparolen und leeren
Versprechungen baldiger Besserungen, die die Gewerkschaftsbürokratie und SPD-Spitzen
anfangs im Gleichklang mit den Bürgerlichen und Monarchisten gedroschen hatten,
steigerten nur den Unmut. Die Unzufriedenheit zwang nun auch die
Gewerkschaftsführung, behutsame Kämpfe für Verbesserungen der in den Betrieben
Arbeitenden zu unterstützen.
Die verbrecherische Rolle der SPD-Führung und der Gewerkschaftsspitzen, die auf
die Aufrechterhaltung des Burgfriedens abzielte, beförderte 1916 erste
Spaltungsabsichten. Schon am 4. August 1914 hatte Luxemburg Mitstreiter für die relativ
lose Gruppe Internationale gewonnen, die die Bewilligung der Kriegskredite als Verrat
brandmarkte. Allerdings glaubte die Gruppe nach wie vor, dass eine Reformierung der
SPD möglich sei, da sie den Willen der SPD-Leitung zu völliger Unterwerfung unter die
Gebote des Kaisers unterschätzte und daher mit einem baldigen Betätigungsverbot der
SPD rechnete. Die Gruppe Internationale ging davon aus, dass die angenommene
staatliche Repression die SPD wachrütteln und zur Rückkehr zu revolutionären
Grundsätzen zwingen würde. Rosa Luxemburg formulierte die am 1.Januar 1916
veröffentlichten Junius-Thesen, denen zufolge eine neue Internationale zu gründen sei.
Noch am 20.September 1916 stützte sie sich auf die Hoffnung eines revolutionären
Spontaneismus der Parteibasis, der die Einheit der SPD bewahren könne:
„Immer und immer wieder muß den Genossen gesagt werden: Erwartet nirgends Heil
als von euch selbst. Nur wenn ihr endlich wagt, in kühnen Massenaktionen von
steigender Wucht, ohne Gefahren zu fürchten und Opfer zu zählen, eure ganze Macht
zu entfalten, nur dann wird es gelingen, die Partei gegen Ebert-Scheidemann zu retten,
den Frieden und die Freiheit aus dem Chaos der imperialistischen Bestialität zu
erringen.“
–Rosa Luxemburg, Der Rhodus, Gesammelte Werke, Bd. IV, S.214

Lenin kritisierte, dass ihre Thesen hinter Otto Rühles Artikel im Vorwärts, der
Zeitung der SPD, zurückfielen. Rühle hatte in dem Artikel zum Ausdruck gebracht, dass
eine Spaltung der SPD aufgrund des Verrats der offiziellen Führung unvermeidlich sei.
Karl Radek, der in Bremen aktiv war, griff dieses Problem in einer Artikelreihe im Juli und
August wieder auf:
„Wir brauchen nicht zu beweisen, dass die Partei in praktisch zwei Lager
zerklüftet ist und dass die Opposition in der Partei mit jedem Tage wächst. In
Russland sind die Bolschewiks tätig. Diese Sachlage bedeutet: sachlich be-
steht schon heute die Spaltung, im internationalen, wie im nationalen Maß-
stabe. Was kann die radikale russische Sozialdemokratie oder die italienische
Partei gemeinsam mit dem deutschen oder französischen Parteivorstand unter-
nehmen? Nichts. Sie treiben entgegengesetzte Politik. Die einen kämpfen ge-
gen ihre Regierungen, die anderen bilden deren politische Stütze. Und ebenso
ist es in den einzelnen Parteien, in denen die Politik der „Opposition" im strikten
Gegensatz zu denen der offiziellen Instanzen steht. Diese Tatsache wird verhüllt
dadurch, dass die Menschen noch nicht überall und nicht mit genügender
Schärfe die Sprache der Tatsachen verstehen. (…) Wir halten die Spaltung (im
nationalen wie internationalen Maßstabe) nicht nur für unvermeidlich, sondern
für eine Vorbedingung des wirklichen Wiederaufbaues der Internationale, des
Wiederaufwachens der proletarischen Arbeiterbewegung. Wir halten die Vorent-
haltung dieser unserer tiefen Überzeugung den Arbeitermassen gegenüber für
unzulässig und schädlich.“
–Karl Radek, Einheit oder Spaltung der Partei, Arbeiterpolitik, I. Jahrgang, Nr. 4,
5, 6, 7, 8, 10, vom 15., 22., 29. Juli, 5., 12. und 26. August 1916
Obwohl die Gruppe Internationale, die sich ab Anfang 1916 in Spartakusbund
umbenannte, zu diesem Zeitpunkt noch nicht die Spaltung vollzog, arbeitete sie praktisch
gegen die Burgfriedenspolitik der SPD. Zugleich kam es zum ersten sichtbaren Bruch
innerhalb der SPD, als einige Führer des zentristischen Flügels im Dezember 1915 in
einer Reichstagssitzung die Bewilligung des Staatsetats, inklusive der Kriegskredite
ablehnten, was zur offenen Konfrontation zwischen Kriegsgegnern und der SPD-Mehrheit
im Reichstag führte. Die SPD-Mehrheit schloss daraufhin die Opposition aus ihrer
Reichstagsfraktion aus. Das Zentralorgan der SPD, der Vorwärts, dessen Herausgeber
diverse Oppositionelle enthielt, druckte daraufhin die Stellungnahme der Opposition. Das
wiederum führte nicht nur dazu, dass die bürgerliche Presse sich über den Zerfall der
Sozialdemokratie öffentlich amüsierte, sondern auch dazu, dass die Parteimehrheit nun
mit allen Mitteln die Kontrolle über alle Veröffentlichungen im Vorwärts an sich riss. Dabei
schreckte sie auch nicht davor zurück, die staatliche Militärbehörde direkt gegen die
Opposition einzusetzen. Damit setzte sie jedoch einen Klärungsprozess in Gang, da nun
auch bislang desinteressierte Parteimitglieder Seite beziehen mussten.
Es waren jedoch nicht die Oppositionellen in der SPD, die die letztliche Spaltung
von der Mehrheits-SPD herbeiführten. Das bloße Abhalten einer Konferenz der oppo-
sitionellen Arbeitsgemeinschaft Anfang 1917 reichte der SPD-Spitze aus, um weitere
Repressionen gegen innerparteiliche Kritiker durchzuführen. Der Spartakusbund hatte zu
einem Bruch mit der SPD und den moderateren Oppositionellen aufgerufen. Mit dieser
Forderung hatte er jedoch auf der Konferenz der Opposition keine Mehrheit gewinnen
können. Dennoch weigerten sich nun die Bremer und Stuttgarter Ortsgruppen, auf
Weisung des Spartakusbundes, weiterhin Mitgliedsbeiträge an die SPD abzuführen. Die
SPD-Führung machte nun ihrerseits Nägel mit Köpfen. Sie schloss alle Ortsgruppen
komplett aus, in denen die Opposition die Mehrheit hatte – insgesamt 92 – sowie alle
Oppositionsanhänger derjenigen Ortsgruppen, in denen die SPD-Mehrheit die Kontrolle
behielt. Daraufhin hielten der Spartakusbund und die moderatere Opposition im Frühjahr
1917 in Gotha einen Kongress ab, auf dem die Unabhängige SPD (USPD) gegründet
wurde. Trotz der Antikriegshaltung der USPD versammelten sich in ihr viele Genossen, die
keineswegs revolutionär, sondern bestenfalls vage pazifistisch eingestellt waren und
gleichzeitig dem Druck ihrer militanteren Basis nachgeben mussten. Dazu zählten
führende Köpfe der offenen Revisionisten wie Bernstein und Zentristen wie Kautsky, die
maßgeblichen Einfluss auf die politischen Positionen der Organisation ausübten. Dennoch
arbeitete der Spartakusbund weiterhin in der USPD, zumal sich in ihr auch zahlreiche
subjektiv revolutionäre Arbeiter befanden – unter anderem die Revolutionären Obleute,
unter ihnen auch spätere führende Persönlichkeiten des deutschen Trotzkismus wie
Werner Scholem und Anton Grylewicz. Die Einschätzung der USPD ruft selbst heute noch
Konfusion im linksreformistischen Spektrum hervor, das sich aus Tradition bevorzugt auf
den Spartakusbund bezieht. Sascha Stanicic, einer der führenden Theoretiker der SAV,
kritisiert beispielsweise den Vergleich von USPD mit der LINKEn und dem derzeit
praktizierten tiefen “Entrismus“ der SAV in die LINKE:
„Die USPD war eine neue Massenpartei der deutschen Arbeiterklasse, ohne klare
marxistische Programmatik, Strategie und Taktik, aber mit der Möglichkeit für
revolutionäre Strömungen offen zu agieren und mit einer sich radikalisierenden
Entwicklungsdynamik. Als Massenabspaltung aus der traditionellen Arbeiterpartei SPD
hatte sie von Beginn an eine breite Massenbasis und tiefe Verankerung in der
Arbeiterklasse. Manche Kräfte in der heutigen Partei DIE LINKE ziehen schon einmal
den Vergleich mit der USPD. Doch damit würde man der LINKEn zu viel der Ehre
antun. Bei allem Wankelmut ihrer Führer – Zentrismus definiert sich als ‚revolutionär in
Worten, reformistisch in Taten‘ – war die USPD doch von ihrem Selbstverständnis eine
klar sozialistische Partei, die für die Sozialisierung (Verstaatlichung) der großen Indu-
strien und Banken und für die Machtergreifung durch die Arbeiterklasse eintrat. Und sie
hatte eine tiefe Verankerung unter betrieblichen und gewerkschaftlichen AktivistInnen.
DIE LINKE hat noch einen weiten Weg vor sich, um das zu erreichen und die
dominierenden Teile ihrer Führung verteidigen die Marktwirtschaft und orientieren die
Partei in eine andere Richtung. “
– sozialismus.info/2018/11/vor-100-jahren-revolution-in-deutschland-2/

Dieses Zitat ist deswegen bemerkenswert, weil Stanicic der USPD damit etwas
unterstellt, was der Spartakusbund nie in ihr sah: eine Massenpartei mit „einer sich
radikalisierenden Entwicklungsdynamik“. Darüber hinaus unterstellt er der USPD, dass sie
für „die Machtergreifung der Arbeiterklasse eintrat“. Das kann nur damit erklärt werden,
dass Stanicic trotz formalem Bekenntnis zum Spartakusbund die USPD im Grunde als
hinreichende politische Formation für die Machtergreifung der Arbeiterklasse betrachtet.
Nimmt man diese Einschätzung ernst, so war das Wirken des Spartakusbundes völlig
überflüssig. Darüber hinaus ist diese Positionierung deswegen kurios, weil Stanicic damit
offen eingesteht, dass die LINKE ein klares Bekenntnis zur Marktwirtschaft hat. Zugleich
deutet seine Einschätzung, dass DIE LINKE „noch einen weiten Weg vor sich [hat], um
das zu erreichen“, darauf hin, dass die SAV die LINKE durch ihre Intervention in eine
zentristische Partei verwandeln möchte, wenn vielleicht auch nur als vermeintliche
Übergangsetappe. Darüber kann auch Stanicics formelles Bekenntnis in dem selben
Artikel nicht hinwegtäuschen, dass die unabhängige Organisierung des Spartakusbundes
richtig gewesen sei. Stanicics Sichtweise der USPD deckt sich indes kein Stück mit
Liebknechts Orientierung zur USPD, die im Grunde Trotzkis Entrismus-Perspektive
vorwegnahm und auf die Abspaltung der revolutionären Elemente abzielte. Auf dem
Gründungskongress der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD), in die sich der
Spartakusbund Ende 1918 umbenannte, fasste Liebknecht die Gründe für den Verbleib
des Spartakusbundes in der USPD folgendermaßen zusammen:
„Wir haben der USP angehört, um herauszuschlagen,was herausgeschlagen werden
kann, um die wertvollen Elemente der USP voranzutreiben, um sie zu radikalisieren,
um auf diese schließlich bei dem Zersetzungsprozeß, bei weiterem Fortgang des Zer-
setzungsprozeßes zu erreichen, daß möglichst starke revolutionäre Kräfte gewonnen
werden könnten für die Zusammenfassung in einer geschlossenen, einheitlichen,
revolutionären proletarischen Partei.“
–Protokoll des Gründungsparteitags der Kommunistischen Partei Deutschlands 1918,
S.75
Kurioserweise kommt Ursel Beck, ebenfalls SAV-Mitglied, in ihrer
Zusammenfassung des Wirkens des Spartakusbundes in der USPD zu einer ganz
anderen Schlussfolgerung als Stanicic. Sie schreibt:
„Rosa Luxemburg betrachtete die USPD als schützendes Dach in der sie die illegale
Arbeit fortsetzen und die Massen gewinnen könnten. Aber wie sollte dies ohne eigene
Organisation geschehen? Wie sollte den Anhängern der USPD ohne Organisation der
Unterschied zur zentristischen Politik der USPD-Führer aufgezeigt werden?
Durch die unorganisierte Mitarbeit in der USPD wurde der Unterschied zwischen
MarxistInnen und Zentristen verwischt. Die Popularität von Karl Liebknecht und Rosa
Luxemburg erhöhte unter diesen Umständen das Ansehen der USPD und ihrer
zentristischen Führer.“
– sozialismus.info/2017/04/uspd-keine-revolutionsmachende-partei/
Zweifelsohne weist die Genossin hier auf die Schritte hin, die die Entwicklung einer
revolutionären Partei in Deutschland vorantreiben konnten: die unabhängige Organisie-
rung der Revolutionäre, um der ArbeiterInnenklasse die Notwendigkeit der Bildung einer
revolutionären Partei vor Augen zu führen. Der Spartakusbund hatte sich schon 1916
formiert, auch wenn er zahlenmäßig schwach war. Er besaß ein eigenes Gesicht und
verhielt sich der USPD gegenüber keineswegs unkritisch. Beispielsweise rief er unab-
hängig von der USPD-Führung zum Generalstreik im Januar 1918 auf, dem die USPD-
Spitze schließlich Folge leistete. Aufgrund seiner numerischen Schwäche und der
Tatsache, dass sich in der USPD zahlreiche subjektive Revolutionäre befanden, war die
Entrismus-Taktik des Spartakusbundes durchaus sinnvoll. Pierre Broué erwähnt in seinem
The German Revolution 1917 – 1923, dass die USPD zum Zeitpunkt ihrer Spaltung von
der SPD 120.000 Mitglieder mitnahm, während die SPD nur noch 170.000 zählen konnte.
In Anbetracht dieser Tatsache muss sich Beck allerdings fragen, wie sie die Mitgliedschaft
der SAV in der LINKEn rechtfertigen kann. Die LINKE stellt sich im Zweifelsfall gegen
Kämpfe und die SAV kann kaum für sich in Anspruch nehmen, als sichtbar unabhängig-
kämpferischer Pol in der LINKEn aufzutreten.Viele USPD-Mitglieder beteiligten sich aktiv
an Klassenkämpfen und lösten diese manchmal sogar aus, was man von Mitgliedern der
LINKEn mit wenigen Ausnahmen nicht sagen kann.

Klassenkämpfe während des Kriegs


Die Gruppe um Liebknecht organisierte bereits im Frühjahr 1915 erste Demonstrationen
gegen den Krieg, deren Teilnehmerzahl von ein paar Hundert auf mehrere Tausend an-
wuchs.
Als der Spartakusbund am 1.Mai 1916 in Berlin zu einer Antikriegsdemonstration
aufrief, folgten dem Aufruf mehrere Tausend. Die Demonstration endete in der Verhaftung
Liebknechts, der im Anschluss zweieinhalb Jahre Gefängnisstrafe erhielt. Allerdings sahen
weitere Kreise der Berliner Arbeiterklasse in der Verhaftung Liebknechts zurecht die
nackte Repression ihrer eigenen Wünsche nach dem Ende des Krieges. Die Revolu-
tionären Obleute, ein Untergrundnetzwerk, das primär in den Berliner Metallarbeiter-
gewerkschaften aktiv war, organisierte insgeheim den ersten politischen Massenstreik
während des Ersten Weltkriegs in Deutschland. Die Revolutionären Obleute hatten
politisch ein weniger klar formuliertes Programm, obwohl Teile ihrer Führung sich als
Kommunisten verstanden, aber meist SPD- und nach deren Spaltung USPD-Mitglieder
waren. Die Revolutionären Obleute standen dem Spartakusbund kritisch gegenüber, dem
sie vorhielten, sich zu oft propagandistisch ultrarevolutionär zu verhalten, ohne ein Gespür
dafür zu entwickeln, die eigenen Forderungen effektiv in die Arbeiterklasse zu tragen. Sie
hatten ein gewerkschaftliches Untergrundnetzwerk errichtet, das in den gewerkschaftlich
organisierten Betrieben alternative Machtstrukturen zur reformistischen Gewerkschafts-
führung etablierte. Die Obleute mobilisierten ihr Netzwerk effektiv im Anschluss an die
Verhaftung Liebknechts in Folge seiner Aussprache gegen den Krieg und konnten dabei
auf die weit verbreitete Solidarität des Berliner Proletariats mit Liebknecht zurückgreifen.
Am 28.Juni, am Tag des Gerichtstermins Liebknechts, brachten die Belegschaften der
Berliner Großbetriebe die Rüstungsindustrie zum Stillstand. 55.000 Arbeiter folgten dem
Aufruf zum Streik, der einen weiteren Tag andauerte, aber letztlich in einer Niederlage
endete. Dennoch war die Militärbehörde sichtlich aufgeschreckt, verbot der Presse, über
den Streik zu berichten und forderte die Unternehmer auf, vermeintlich Verantwortliche zu
denunzieren. An der Denunziationskampagne beteiligten sich auch die reformistischen
Gewerkschaftsführer. Viele der Denunzierten wurden zwangsweise zum Militärdienst ein-
gezogen. Auch Rosa Luxemburg als die zentrale Führerin des Spartakusbundes wurde
Opfer der Repression – der kaiserliche Staat nahm sie von Anfang Juni 1916 bis zum
Ausbruch der Revolution in Schutzhaft und versetzte damit dem Spartakusbund einen
schweren Schlag.
Aber selbst solche Repressionsmaßnahmen konnten weitere Massenstreiks nicht
verhindern. Im Laufe des Jahres 1917 kam es durch eine dramatische Verknappung von
Lebensmitteln, hervorgerufen durch eine Missernte im Vorjahr, bis in den Herbst hinein zu
Streiks in Berlin, Leipzig und Braunschweig. Diesmal konnte die Gewerkschaftsbürokratie
durch geschickte Manöver die Streikwelle ersticken, zumal eine der zentralen
Führungspersönlichkeiten der Revolutionären Obleute, Richard Müller, im Vorfeld verhaftet
worden war.
Die nächsten Kämpfe ließen nicht lange auf sich warten. Bereits im Januar 1918
formierte sich eine neue Streikbewegung, die entschlossener war als zuvor, ihre
Forderungen diesmal durchzusetzen. Am 28. Januar trafen sich die Delegierten der
Streikbewegung. Richard Müller präsentierte ihnen das Programm, das er mittels des
Streiks durchzusetzen gedachte: Frieden ohne Annexionen und Entschädigungen auf
Grundlage des Rechts der Völker auf Selbstbestimmung, wie es die Bolschewiki in Brest-
Litowsk vom deutschen Generalstab gefordert hatten, Arbeiterrepräsentation bei den
Friedensverhandlungen, Verbesserungen in der Lebensmittelversorgung, Aufhebung des
Belagerungszustandes, Wiederherstellung der freien Meinungsäußerung und Versamm-
lungsfreiheit, Gesetze zur Beschränkung von Kinder- und Frauenarbeit, Ende der
militärischen Kontrolle über die Fabriken, Befreiung der politischen Gefangenen und
Demokratisierung des Staats auf allen Ebenen, beginnend mit gleichberechtigtem und
allgemeinem Wahlrecht aller Menschen ab 20 Jahren. Das Programm wurde von den
Streikenden angenommen. Auf Drängen des Spartakusbundes hin wurde nun auch die
SPD zur Teilnahme am Streik eingeladen, trotz der unzweideutig pro-kaiserlichen Haltung
der SPD-Führung. Ebert, Scheidemann und Braun vertraten die SPD. Nach nur wenigen
Tagen forderte Ebert bei einer Demonstration am Treptower Park, den Streik zu beenden,
da an der Front Waffen benötigt würden. Trotz der Tatsache, dass nunmehr 500.000
Arbeiter in den Streik getreten waren, riefen letztlich USPD und SPD dazu auf, den Streik
zu beenden, nachdem die Regierung den Belagerungszustand über die beteiligten
Fabriken verhängt hatte. Der Spartakusbund versuchte dem entgegenzuwirken, indem er
zur Ausweitung des Streiks aufrief, in der Hoffnung, dass eine Expansion der Aktionen
letztlich zum bewaffneten Aufstand führen würde. Allerdings gab es keine Anzeichen einer
Verbrüderung zwischen Soldaten und Arbeitern und der Streik fand trotz Ausbreitung in
andere Städte nicht die gleiche Resonanz wie in Berlin. Letztlich sah sich die
Streikführung unter Leitung der Revolutionären Obleute gezwungen, den Streik
abzubrechen.
Obwohl die Repression dem kaiserlichen Staatsapparat eine Atempause an der
Heimatfront verschaffen konnte, wurde es an der militärischen Front zunehmend eng.
Trotz des Vordringens deutscher Truppen tief ins geschwächte Sowjetrussland, dessen
bolschewistische Regierung sich gezwungen sah, Gebiete an Deutschland abzutreten,
stand die Westfront des deutschen Imperialismus kurz vor dem Zusammenbruch. Am 27.
September erklärte Bulgarien den Waffenstillstand und die österreichische K und K-
Monarchie brach zusammen. Daraufhin dachte Kaiser Wilhelm II. am 30.September
erstmals öffentlich über seinen Rücktritt als Kaiser nach, wollte aber weiterhin König
Preußens bleiben. Er übergab die Regierungsgeschäfte Prinz Max von Baden, der sich
neben dem Militärapparat nun auf die SPD stützen musste. Angesichts der Militanz des
Proletariats und der bevorstehenden militärischen Niederlage waren sich die Groß-
industriellen sicher, dass nur die Arbeiteraristokratie um SPD und Gewerkschaftsbürokratie
den Niedergang der Monarchie als auch den Auftrieb sozialistischer Bestrebungen
aufhalten konnte. Anfang Oktober begann das Kaiserreich mit ersten Versuchen, einen
Waffenstillstand zu erwirken. Die Alliierten forderten als Gewährleistung die Auslieferung
der deutschen Seeflotte, worauf sich die Oberste Heeresleitung (OHL) nicht einlassen
wollte. In einem Versuch monarchistischer Ehrenrettung gab die OHL daraufhin der Flotte
den Befehl, auszulaufen und der britischen Marine eine letzte Seeschlacht zu liefern, die
nur in kollektivem Selbstmord der Mannschaften enden konnte.

Die Revolution und die Arbeiterparteien


Die Admiralität war sich der Gefahr von Meutereien auf den Schiffen bewusst und wollte
daher den Befehl den Mannschaften gegenüber unter Verschluss halten. Stattdessen
behauptete sie während der Vorbereitungen, es handele sich lediglich um eine
Flottenübung. Die Unmengen von Munition, mit denen die Schiffe beladen wurden,
sprachen jedoch eine andere Sprache. Die Mannschaften der SMS Helgoland und SMS
Thüringen begannen daraufhin mit der Befehlsverweigerung, woraufhin die Admiralität mit
der Versenkung der beiden Schiffe drohte. Als die Schiffe in Kiel einliefen und nun
vermeintliche Rädelsführer in Festungshaft genommen werden sollten, breitete sich unter
den Besatzungen der anderen Schiffe ebenfalls Unzufriedenheit aus. Beunruhigte
Matrosen marschierten zum Kieler Gewerkschaftshaus. Schon während der Januarstreiks
war es zu Verbrüderungen zwischen Matrosen und Werft- und Metallarbeitern gekommen,
bei denen insbesondere die USPD eine zentrale Rolle spielte. Dass die Matrosen unter
allen Heeresgattungen zu den entschlosseneren Revolutionären gehörten, lässt sich
darauf zurückführen, dass sie für ihr Handwerk auf den Kriegsschiffen oft zahlreiche
Kenntnisse haben mussten, die der Schwerindustrie entlehnt waren. Folglich rekrutierte
sich ein bedeutender Teil der Matrosen aus dem Industrieproletariat, was der Verbrüde-
rung mit dem Kieler Proletariat zuträglich war. Sie planten nun weitere Proteste und
Sabotageakte mit Hilfe der örtlichen Arbeiterbewegung. Als Matrosen und Arbeiter am 3.
November mittels einer Großdemonstration versuchten, die Rädelsführer der Meuterei zu
befreien, ließ die Polizei auf die Demonstration schießen und tötete sieben Demon-
stranten. Die brutale Zerschlagung des Demonstrationszuges verurteilte nun sämtliche
Versuche der Admiralität und Heeresführung zum Scheitern, die Situation unter Kontrolle
zu bringen. Der Versuch der Mobilisierung nahegelegener Truppeneinheiten scheiterte
dadurch, dass Matrosen und Soldaten Befehle verweigerten und sich den aufständischen
Arbeitern und Matrosen anschlossen. Derweil traten die Metall- und Werftarbeiter in einen
Massenstreik. Arbeiter, Matrosen und Soldaten bildeten nun Arbeiter- und Soldatenräte.
Die Forderungen in Kiel ähnelten sehr stark denen, die während des Januarstreiks seitens
der Arbeiter Berlins aufgestellt worden waren. Dieser beschränkte Forderungskatalog
deutete an, wie unklar das Bewusstsein der revolutionären Arbeiter und Soldaten zu
Beginn der Revolution war. Am 5. November griffen die Demonstrationen dann auch auf
Hamburg über. Am 7. und 8. November hatte sich die Bewegung nach Dresden, Leipzig,
Chemnitz, Magdeburg, Braunschweig, Hannover, Frankfurt, Köln, Düsseldorf, Nürnberg
und Stuttgart ausgebreitet. Die Bewegung trug in der Formierung von Arbeiter- und
Soldatenräten die Kennzeichen einer proletarischen Revolution, auch wenn sie kein
eindeutiges Programm hatte. Einerseits trug sie die Forderungen des Januarstreiks vor
sich her, andererseits nahmen die Arbeiter und Soldaten nun auch positiven Bezug auf die
Russische Revolution, die unter der Führung von Lenins und Trotzkis Bolschewiki ein
gutes Jahr zuvor das Zarenregime gestürzt und den ersten Arbeiterstaat der
Menschheitsgeschichte errichtet hatte. Die Bolschewiki hatten ihrerseits auf die
Ausbreitung der Revolution auf weiter entwickeltere Länder gehofft. Am Vorabend der
Novemberrevolution hob Lenin die Bedeutung sozialistischer Revolutionen in
entwickelteren Ländern für den Aufbau des internationalen Kommunismus und die Rettung
der jungen und geschwächten Sowjetunion hervor. Im Gegensatz zu Stalinisten, die
behaupten, die Russische Revolution sei mit dem „Sozialismus in einem Land“ in sich
abgeschlossen gewesen und habe zum Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft geführt,
unterstrich Lenin am 8. November 1918 in einer Rede auf dem VI. Allrussischen
Außerordentlichen Kongress der Arbeiter-, Bauern-, Kosaken und Rotarmistendeputierten
die Bedeutung der Novemberrevolution folgendermaßen:
„Genossen, mit Beginn der Oktoberrevolution ist die Frage der Außenpolitik und der
internationalen Beziehungen für uns die allerwichtigste Frage geworden, nicht nur
deshalb, weil der Imperialismus nunmehr die starke und feste Verkettung aller Staaten
der Welt zu einem einzigen System – um nicht zu sagen, zu einem schmutzigen bluti-
gen Knäuel – bedeutet, sondern, weil der volle Sieg der sozialistischen Revolution in
einem Lande undenkbar ist, weil er die aktivste Zusammenarbeit mindestens einiger
fortgeschrittener Länder erfordert, zu denen wir Russland nicht zählen können. Eben
deshalb ist die Frage, inwieweit wir auch in anderen Ländern eine Ausdehnung der
Revolution erreichen werden und inwieweit es uns gelingen wird, dem Imperialismus
bis dahin Widerstand zu leisten, zu einer der Hauptfragen der Revolution geworden.“
–W. I. Lenin, Rede über die internationale Lage, 8.November 1918, Lenin-Werke Band
23, S.331
Laut Lenin kam der deutschen Revolution dabei eine besonders wichtige Aufgabe
zu. Er unterstrich diesen Gedanken, indem er am 22. Oktober 1918 in dem Bericht in der
gemeinsamen Sitzung des allrussischen Zentralexekutivkomitees des Moskauer Sowjets,
der Betriebskomitees und der Gewerkschaften über Deutschland hervorhob, dass „vom
Standpunkt der internationalen, der Weltrevolution“ „das Hauptglied dieser Kette das
deutsche Kettenglied ist, denn die deutsche Revolution ist schon reif und der Erfolg der
Weltrevolution hängt vor allem von ihr ab.“ Dieser Aufgabe war sich die deutsche
Arbeiterklasse zumindest in Ansätzen bewusst. Beispielsweise hieß es in einem Artikel
aus dem Hamburger Echo, einer sozialdemokratischen Zeitung, vom 7. November:
„Unseren Dank den Matrosen und Feldgrauen, die mutig kämpften auf den Straßen
Hamburgs; unseren innigen Dank den blutigen Opfern auf der Walstatt. Wie alle
Freiheitskämpfer der Vergangenheit sind auch sie eingeschreint in dem großen Herzen
der Arbeiterklasse, und ihr russischen Brüder, die ihr zuerst durch den ehernen Mund
die Völker zur Freiheit aufrieft, die ihr unter den furchtbarsten Schwierigkeiten und
Bedrängnissen, die je eine Revolution zu ertragen hatte, mutig ausgehalten habt, Euch
rufen wir fröhlich zu: wir kommen, wir kommen! … Kühnheit und festes Vertrauen, Ihr
Kämpfer all! Die Vorgänge der ersten Oktoberwoche sind keine Putsche. Die
Geschichte ist ein ehernes Muß! Es ist der Anfang der deutschen Revolution, der
Weltrevolution! Glückauf zur gewaltigsten Tat der Weltgeschichte. Es lebe der Sozia-
lismus! Es lebe die deutsche Arbeiterrepublik! Es lebe der Weltbolschewismus!“
–Hamburger Echo, 7. November 1918, zitiert nach: Richard Müller, Eine Geschichte
der Novemberrevolution, S.144
Die Tatsache, dass in einem sozialdemokratischen Blatt eine Lobesrede auf die
Russische Revolution abgedruckt werden konnte, deutet an, wie ungleichmäßig sich das
Bewusstsein der Arbeiter und Soldaten entwickelte. Die SPD-Spitze hatte zu diesem
Zeitpunkt selbst für die moderaten Forderungen des Januarstreiks, die lediglich die
Herstellung eines demokratisch-parlamentarischen Systems forderten, nichts übrig. Ihr
war laut ihrem Führer Philipp Scheidemann peinlich, die Frage nach der Abdankung des
Kaisers zu stellen. In anderen Worten: die Marxisten von gestern wollten zu diesem
Zeitpunkt nicht einmal die Einführung eines rein bürgerlichen Systems fordern. Als Max
von Baden Friedrich Ebert am 7. November gegenüber kundtat, dass er vorhabe, den
Kaiser zur Abdankung aufzufordern, antwortete Ebert zustimmend:
„Wenn der Kaiser nicht abdankt, dann ist die soziale Revolution unvermeidlich. Ich
aber will sie nicht, ja, ich hasse sie wie die Sünde.“
–Sebastian Haffner, Der Verrat, S.57

Ebert wurde von den verbliebenen Resten des monarchistischen Staatsapparats


zum Reichskanzler ernannt. Er rief umgehend einen Aktionsausschuss ein, der die in
Berlin stationierten Truppen in Berlin zur Aufrechterhaltung der brüchigen Ordnung
einsetzen wollte, bis eine Nationalversammlung über die politische Zukunft Deutschlands
entschieden habe. Zugleich schickte die SPD Otto Wels in die Berliner Kasernen, um zu
verhindern, dass die Offiziere einen Militärputsch gegen die SPD arrangieren konnten.
Wels gelang es, die Soldaten für sich zu gewinnen, was der SPD in Folge zugute kommen
sollte.
In der Zwischenzeit war der Druck durch den Spartakusbund und die Regungen
sowohl unter Soldaten als auch Arbeitern immer stärker geworden. Sie forderten die
Amnestie der politischen Gefangenen, insbesondere Karl Liebknechts, und riefen überall
zur Bildung von Arbeiter- und Soldatenräten auf. Die USPD versuchte umgehend, aus
dem Ansehen Liebknechts Kapital zu schlagen. Sie trat an Liebknecht heran und forderte
ihn auf, der USPD-Führung beizutreten. Liebknecht entgegnete den Zentristen der USPD
daraufhin, dass er der USPD nur dann beitreten könne, wenn ihre Führung einen
Kongress einberiefe, auf dem der Spartakusbund sich an die gesamte Mitgliedschaft der
USPD richten könnte. Liebknecht hoffte darauf, dort das schwankende Verhalten der
USPD-Führung angreifen zu können und die aktivistischen Elemente für sich zu gewinnen.
Darauf wollte sich die USPD-Führung nicht einlassen, denn sie fürchtete um ihre Kontrolle
über diejenigen Parteimitglieder, die eine Revolution unterstützten, potentiell auch eine
nach bolschewistischem Modell.
Der rechte Flügel der USPD war der bestehenden Ordnung ebenso wie die SPD
verpflichtet. Ihr Haupttheoretiker Karl Kautsky war primär bestrebt, dem linken Parteiflügel
seine Befürwortung für die Diktatur des Proletariats mit explizitem Negativverweis auf die
Russische Revolution auszutreiben. Kautsky war dabei klar, dass er sich in Worten positiv
auf die soziale Revolution zu beziehen hatte, wenn er diese seinen Anhängern in der
Praxis austreiben wollte. In seiner 1918 geschriebenen Broschüre Demokratie oder
Diktatur betonte er:
„Der Gegensatz zwischen Demokratie und Diktatur fand in Russland seinen
auffallendsten Ausdruck in der Frage der Konstituente, in der Frage, ob es
richtig sei, alle politische Macht in die Hände einer nach allgemeinem, gleichem,
direktem und geheimem Wahlrecht erwählten Volksvertretung zu legen, wie Engels es
noch 1891 forderte, oder ob wir an Stelle dieser Nationalversammlung eine
Versammlung setzen sollen, die nach indirektem, öffentlichem, ungleichem,
ständischem, beschränktem Wahlrecht von einigen privilegierten Schichten von
Arbeitern, Soldaten und Bauern gewählt ist.“
–Karl Kautsky, Demokratie oder Diktatur, August 1918,

In einer Situation, in der Arbeiter und Soldaten erstmals das Standrecht durch
Befehlsverweigerung im Heer und den Belagerungszustand in den Fabriken durch die
Bildung von aktionsfähigen Arbeiter- und Soldatenräten unterbanden, bezeichnete Kautsky
die Beteiligten bereits als die „privilegierten Schichten“, die die Bildung einer National-
versammlung – die in diesem Moment die Bildung einer bürgerlich-parlamentarischen
Ordnung unter Ebert bedeutete – durch diktatorische Mittel verhindern wollten. Zweifels-
ohne spekulierte Kautsky auf die mangelnde politische Bildung der USPD-Anhänger, wenn
er sich für seine Ergüsse auf Marx berufen wollte, denn dieser hatte sich positiv auf die
Erfahrungen der Pariser Kommune berufen und schrieb in der Kritik des Gothaer
Programms:
„Zwischen der kapitalistischen und der kommunistischen Gesellschaft liegt eine
Periode der revolutionären Umwandlung der einen in die andere. Der entspricht auch
eine politische Übergangsperiode, deren Staat nichts andres sein kann als die revolu-
tionäre Diktatur des Proletariats.“
–Karl Marx, Kritik des Gothaer Programms, 5. Mai 1875, MEW, Band 19, S.28
Kautskys Angriff auf die vermeintlich undemokratischen Arbeiter-, und Bauernräte
Sowjetrusslands nur wenige Monate, bevor sich diese auch im deutschen Reich
ausbreiteten, bestimmte die Orientierung der USPD-Führung von November 1918 an.
Damit war ihre Haltung identisch mit der Scheidemanns, der äußerte:
„Ich habe die feste Überzeugung, daß die dauernde Einrichtung der Arbeiter- und
Soldatenräte bedeuten würde – ich spreche dies nach reiflicher Überzeugung aus –
den absoluten Untergang des Reiches.“
–Sebastian Haffner, ebenda, S.101

Noch am 9. November plante die OHL die sich anbahnende Revolution in Berlin im
Blut zu ersticken. Sie fand allerdings nicht die notwendigen Kräfte, die noch gewillt waren,
die Arbeiter niederzuschießen, die sich seit dem Morgen zu riesigen Demonstrationszügen
aus den Fabriken in die Stadt begaben. Die Soldaten, auf deren Drecksarbeit die OHL
gehofft hatte, schlossen sich den Demonstrationen der Arbeiter an. Liebknecht kam gegen
16 Uhr auf einem Kraftwagen an und hielt eine Ansprache, die die Massen darauf hinwies,
dass die Revolution noch keinesfalls gesiegt habe, und sie zum Kampf aufrief:
„Wenn auch das Alte niedergerissen ist, dürfen wir doch nicht glauben, daß unsere
Aufgabe getan sei. Wir müssen alle Kräfte anspannen, um die Regierung der Arbeiter
und Soldaten aufzubauen, um eine neue staatliche Ordnung des Proletariats zu schaf-
fen, eine Ordnung des Friedens, des Glücks und der Freiheit unserer deutschen
Brüder und unserer Brüder in der ganzen Welt. Wir reichen ihnen die Hände und rufen
sie zur Vollendung der Weltrevolution auf. Wer von euch die freie sozialistische Repu-
blik Deutschland und die Weltrevolution erfüllt sehen will, hebe die Hand zum Schwur!“
–Richard Müller, ebenda, S.243

Nur wenige Stunden zuvor hatte Philipp Scheidemann vom Reichstag aus die
Republik ausgerufen, sehr zum Missfallen Eberts. Der Kaiser hatte zwar noch nicht formell
abgedankt, flüchtete nun aber per Zug in die Niederlande, von wo aus er Anfang
Dezember zurücktrat. Das gleichzeitige Ausrufen einer bürgerlichen Republik durch
Scheidemann sowie der sozialistischen Republik durch Liebknecht illustrierte die
Tatsache, dass sich das Reich nun de facto in einer Doppelherrschaft befand. Darüber
hinaus hatten die Revolutionären Obleute unabhängig von der USPD-Führung am 9.
November den Reichstag besetzt und versuchten dort, ein revolutionäres Parlament zu
errichten. Die Bürgerlichen, vertreten durch die SPD, verfügten über keine stabile Ordnung
und mussten sich auf diejenigen Teile des alten Staatsapparats verlassen, die im Wesent-
lichen immer noch für die Monarchie eintraten, während die Arbeiterklasse zwar im
Spartakusbund eine revolutionäre Führung hatte, die aber noch nicht hatten feststellen
können, wie viel Unterstützung sie tatsächlich in weiten Schichten des Proletariats besaß.
Damit kam der USPD eine Schlüsselrolle zu, was die SPD-Führer verstanden. Die SPD
war sich darüber im Klaren, dass die Doppelherrschaft schnellstmöglich zugunsten des
Bürgertums zu beenden sei. Sie sah in einer Konstituierenden Versammlung den
Schlüssel zum Erfolg, denn diese musste weniger scharfsichtigen Schichten demokratisch
erscheinen und bot den Reformisten darüber hinaus den Vorteil, die Arbeiter- und
Soldatenräte mit demokratischen Mitteln kaltzustellen. Die SPD trat an die USPD heran
und forderte sie dazu auf, gemeinsam mit ihr eine Regierung zu bilden. Anfangs zierte sich
die USPD-Führung zwar, einigte sich dann aber auf eine Kompromisslösung, derzufolge
die Arbeiter- und Soldatenräte nun die Macht innehatten und die Frage der Konstitu-
ierenden Versammlung zu einem späteren Zeitpunkt diskutiert werden sollte. Damit
erkannten aber beide Parteien lediglich das augenblickliche Kräfteverhältnis an, das
insbesondere in den größeren Zentren klar zugunsten der Rätebewegung tendierte. Das
Bürgertum war gelähmt. Die Haltung der USPD mochte verwundern, doch Richard Müller,
zum damaligen Zeitpunkt selbst USPD-Mitglied, beschrieb den instabilen Zustand der
USPD treffend:
„Wenn die Führer der U.S.P.D. Ihre ersten Forderungen fallen ließen, um zu einem
Kompromiß mit den Rechtssozialisten zu kommen, so gaben sie damit keine revo-
lutionären Grundsätze preis, weil die Partei keine solche hatte. Die Partei war entstan-
den und wurde zusammengehalten durch den Willen, dem Kriege ein Ende zu
bereiten. Der Krieg war aus, damit waren für viele Mitglieder die Voraussetzungen für
ihre Mitgliedschaft in der U.S.P.D. gefallen. Jetzt stand die Frage: Demokratie oder
Diktatur des Proletariats. Und da hatte der theoretische Führer der U.S.P.D., Karl
Kautsky, soeben ein Buch gegen die russische Diktatur, und damit gegen die Diktatur
des Proletariats überhaupt geschrieben, und hinter dem stand eine ganze Anzahl der
prominentesten Vertreter der Partei. Die Partei hatte seit ihrer Gründung niemals Stel-
lung genommen zu Fragen, die ein Aufstand oder gar ein Umsturz auf die Tagesord-
nung stellen mussten. Dessen ungeachtet hatte es an Auseinandersetzungen mit dem
linken Flügel der Partei, dem Spartakusbund, nicht gefehlt. Dabei wurden wohl auch
grundsätzliche und taktische Fragen des revolutionären Marxismus berührt, aber was
nach der Eroberung der politischen Macht geschehen musste, das war ungeklärt
geblieben. Niemand konnte wissen, wo die Mehrheit der Partei stand, ob zur
Demokratie und damit bei den Rechtssozialisten oder zur Diktatur des Proletariats.“
–Richard Müller, ebenda, S.259

Damit ließ sich auch das künftige Verhalten der USPD-Führung, das manchmal im
klaren Widerspruch zu Teilen ihrer Basis stand, erklären. Am 10. November trat im Zirkus
Busch ein Kongress der Arbeiter- und Soldatenräte zusammen, auf dem SPD, USPD und
Spartakusbund vertreten waren. VertreterInnen von 3.000 Arbeiter- und Soldatenräten
waren anwesend, was die Macht der Rätebewegung zum damaligen Zeitpunkt
unterstreicht. Die SPD war indes nicht untätig geblieben und hatte in der Hoffnung, dass
die Soldaten ein geringeres Klassenbewusstsein als die Arbeiter hatten, massiv
Propaganda für die Einheit einer revolutionären Regierung betrieben. Sie hatte sich damit
zurecht erhofft, dass die Soldaten nicht nur durch ihre Bewaffnung, sondern auch durch
die persönliche Bindung, die durch Otto Wels' Intervention in den Berliner Kasernen
entstanden war, den Anwesenden vermitteln würden, dass die SPD die stärkste Kraft sei.
Der Ruf nach Einheit konnte unter diesen Voraussetzungen nur die Aushändigung der
Macht an die SPD bedeuten. Der Plan Eberts, Scheidemanns und Wels' ging auf. Als der
Rätekongress zusammentrat, wurden jegliche SPD-kritische Reden, insbesondere Lieb-
knechts, von Missfallensäußerungen der Soldaten begleitet. Als ein Aktionsausschuss
gebildet werden sollte, forderten die Soldaten im Einklang mit der SPD dessen paritätische
Besetzung durch SPD und USPD, von denen je drei Vertreter die provisorischen
Regierungsgeschäfte übernahmen. Der Spartakusbund war nicht vertreten. Zugleich
sollten auf aggressives Drängen der Soldaten und SPD nun auch Arbeiter und Soldaten je
50 Prozent Entscheidungsmacht haben. Auf Reichsebene setzte die SPD ihr schmutziges
Spiel weiter fort. Sie rief zum Boykott der Wahl zu den Räten auf. Wo der Boykott nicht
griff, verlangte sie – selbst wenn sie sich eindeutig in der Minderheit befand – eine
paritätische Besetzung. Die USPD spielte dabei der SPD in die Karten. Wo sie die
Mehrheit besaß, einigte sie sich mit der SPD auf eine paritätische Besetzung in den
Räten; wo sie in der Minderheit war, verlangte die USPD oft nicht einmal, dass sie
proportional vertreten sein sollte. Damit half sie der SPD unter der Bevölkerung den
Eindruck zu verschaffen, die SPD sei die legitime Mehrheit. Mancherorts übernahmen
aber auch eindeutige Revolutionäre die Macht, wie in Hamburg, Bremen, dem Ruhrgebiet
und Teilen Berlins. Dort trieben sie die bürgerlichen Institutionen auseinander, übernah-
men teils sogar die Staatsgeschäfte wie das Finanzwesen, die Nahrungsmittelversorgung
und erließen Gesetze, die drastische Lohnerhöhungen und Arbeitszeitverkürzungen
erwirkten. Beispielsweise wurden im Ruhrgebiet Rote Garden, bestehend aus bewaffneten
Arbeitern und aufständischen Soldaten gebildet, die sich dort, wo die USPD-Linke und der
Spartakusbund die Mehrheit hatten, daran machten, die örtlichen Polizeieinheiten zu
entwaffnen. In Berlin hatte sich die Volksmarinedivision gebildet, die neben revolutionären
Kieler Matrosen aus in Berlin ansässigen Matrosen bestand. Darüber hinaus waren Teile
der örtlichen Truppen zumindest vage für die Revolution eingestellt. Die SPD baute dage-
gen auf die noch bestehenden Reichswehreinheiten. Unter dem Druck der Ereignisse
Anfang November hatte sie sich formal für die Zusammenstellung Roter Garden
ausgesprochen. Am 13. November rief dann ein Treffen der Soldatenräte zur Beendigung
der Zusammenstellung Roter Garden auf, was die SPD-Vertretung im Vollzugsrat dankend
unterstützte.
Die SPD ging nun in die Offensive, denn die USPD war aufgrund der Tatsache
gelähmt, dass ihre rechte Führung sich politisch durch Nichts von der SPD unterschied,
während sich an ihrer Basis diverse Aktivisten befanden, die politisch dem Spartakusbund
nahestanden. Ihre Aktionen gestatteten es dem Bürgertum, sich neu zu organisieren und
sich oft schon nach wenigen Tagen in Teilen des Reiches außerhalb Berlins der Räte zu
entledigen. Auf der Versammlung des Vollzugsrats der Arbeiter- und Soldatenräte am 16.
November versuchte zunächst der USPD-Linke Ernst Däumig, eine Resolution durchzu-
bringen, die sich eindeutig gegen eine verfassungsgebende Versammlung richtete. Seine
Resolution traf jedoch auf den Widerstand der SPD, die eine solche Konstituierende
Versammlung anstrebte, um den Räten das Wasser abzugraben. Däumigs Resolution
wurde niedergestimmt und nach verwirrenden Verhandlungen eine Resolution mitunter
auch von Richard Müller, einem USPD-Linken und Vertreter der Revolutionären Obleute,
Resolution angenommen, die neben einigen revolutionären Formulierungen Däumigs auch
folgenden Passus enthielt:
„Die Delegiertenversammlung der Arbeiter- und Soldatenräte Deutschlands hat auf
Grund eines von ihr festzusetzenden Wahlsystems einen Zentralrat der deutschen
Arbeiter- und Soldatenräte zu wählen, der eine neue, den Grundsätzen der proleta-
rischen Demokratie entsprechende Verfassung zu entwerfen hat. Sie ist einer von ihm
zu berufenden konstituierenden Versammlung zur Beschlußfassung vorzulegen.“
–zitiert nach Richard Müller, ebenda, S. 309

Mit dieser Zielsetzung wurde nun plötzlich die konstituierende Versammlung zum
obersten Beschlussorgan gekürt, dem die Räte nur zuzuarbeiten hatten. Ebert rief prompt
einen Termin zur verfassungsgebenden Versammlung aus, den 16. Februar. Auf dem
Reichsrätekongress, der vom 16. bis zum 21. Dezember tagte, gelang der SPD-Dele-
gation eine Resolution durchzupeitschen, die die Stellung der verfassungsgebenden
Versammlung noch weiter in den Vordergrund schob. Von den 489 Delegierten waren nur
10 Spartakusbund-Mitglieder, was unterstrich, wie wenig Masseneinfluss der Spartakus-
bund zum damaligen Zeitpunkt hatte. Der Ausgang des Kongresses zugunsten der SPD
konnte somit keine Überraschung sein. Die USPD-Führung zeigte nun auch klarer ihre
Hand. Auf einer Außerordentlichen Verbandsgeneralversammlung Groß-Berlins am
Vorabend der Reichsrätekonferenz stimmte nur eine Minderheit für eine Resolution Rosa
Luxemburgs, in der sie die Abkehr von der verfassungsgebenden Versammlung, Anerken-
nung der Arbeiter- und Soldatenräte als einzig legitime Staatsmacht, die Entwaffnung der
Konterrevolution und den Austritt der USPD aus der Ebert-Regierung gefordert hatte.
Haase, einer der USPD-Führer, lehnte eine vom Spartakusbund geforderte landesweite
USPD-Konferenz mit der Begründung ab, dass die Massen hinter Ebert stünden. Diesen
Zustand müsse sich allerdings die USPD-Führung selbst anlasten lassen, entgegnete
Luxemburg. Eine Resolution Rudolf Hilferdings wurde mit eindeutiger Mehrheit angenom-
men, in der Hilferding die Organisierung der konstituierenden Versammlung als die
wichtigste politische Aufgabe bezeichnete. Der Ausgang der Konferenz führte beinahe zur
Spaltung der USPD, deren linker Flügel um Brass Curt Geyer und Wilhelm Koenen
zusammen mit den Revolutionären Obleuten nun eng mit dem Spartakusbund
zusammenarbeitete.
Neben den Versuchen der SPD, in den Räten und um die Räte herum ein
konterrevolutionäres Klima zu schaffen, hatten Militärs erstmalig am 6. Dezember
versucht, einen Militärputsch durchzuführen. Obwohl Truppen das Feuer auf Demon-
strationszüge des Spartakusbundes eröffnet und 16 Arbeiter ermordet hatten, fand eine
Demonstration von Soldaten statt, die Ebert zum Reichspräsidenten küren wollten. Ebert
lehnte ab. Außerdem verhaftete nun auf Befehl des Unteroffiziers Krebs, der seinen Plan
am 3. Dezember in Anwesenheit des SPDlers Wels ausgearbeitet hatte, eine Gruppe
Soldaten des Franzer-Regiments den Vollzugsrat der Arbeiter- und Soldatenräte. Emil
Barth, einer der drei Repräsentanten der USPD im Vollzugsrat, stiftete Verwirrung unter
den Soldaten, indem er sagte, dass es sich bei dem Befehl um einen Fehler gehandelt
haben musste. Er schaffte es, in kurzer Zeit Arbeiter und Teile der Volksmarinedivision zu
mobilisieren, die dem Putsch ein Ende machten.
Die Provokationen nahmen nun an Schärfe zu. In der Vorweihnachtswoche entzog
SPD-Stadtkommandant Otto Wels gezielt der Volksmarinedivision das Gehalt, die er als
„spartakistisch“ verdächtigte. Tatsächlich bezog sich die Volksmarinedivision lediglich posi-
tiv auf eine vage Vorstellung einer sozialistischen Republik und Aspekte des Erfurter
Programms der SPD, und forderte die Bestrafung Derjenigen, die den Krieg verursacht
hatten. Selbst einer konstituierenden Versammlung gegenüber waren sie nicht abgeneigt.
Aber sogar diese moderaten Ansichten waren für Wels zuviel, denn schließlich verkörperte
die Volksmarinedivision den militärischen Flügel der Rätebewegung, die die SPD
lahmlegen wollte. Trotzdem forderte Wels, die Volksmarinedivision habe ihr Quartier im
Berliner Schloss zu räumen und ihre Einheiten auf 600 Mann zu verkleinern, andernfalls
würde er ihr den Sold verweigern. Die Matrosen forderten als Bedingung der Räumung die
Zuweisung eines neuen Stabsquartiers. Am 23. Dezember wurden die Matrosen mürbe
und wollten Wels die Schlüssel zum Schloss auch ohne vorherige Zuweisung überreichen.
Wels weigerte sich dennoch, die Besoldung der Division auszuzahlen, als Vertreter der
Division ihm die Schlüssel in der Reichskanzlei überreichen wollten. Eine weitere Gruppe
der Volksmarinedivision ging zur Stadtkommandantur und forderte Einlass, der verweigert
wurde. Daraufhin kam es zu einer Auseinandersetzung, in der die Truppen der Komman-
dantur plötzlich mit Panzerwagen in die Menge schossen und drei Matrosen töteten. Für
die Matrosen gab es nun kein Halten mehr. Sie stürmten die Kommandantur, besetzten die
Kanzlei, verhafteten Wels und brachten ihn in den Marstall. Ebert schaffte es jedoch,
regierungstreue Truppen aus dem Berliner Umland Richtung Berlin in Bewegung setzen
zu lassen. Am Morgen des 24. Dezember eröffneten die weit besser bewaffneten Reichs-
wehrtruppen das Feuer auf den Marstall. Der Schlachtlärm führte schnell zur Mobilisierung
von Arbeitern, die zum Teil bewaffnet waren und eindeutig auf Seiten der Volksmarine-
division standen. Die Reichswehrtruppen wurden bald an den Rand der militärischen
Niederlage gedrängt und die Unterstützung der Arbeiter für die Matrosen sorgte darüber
hinaus für eine fortschreitende Demoralisierung unter den Truppen, auf die sich die SPD
nun auch nicht mehr mit Sicherheit verlassen konnte.
Anstatt den Vorfall propagandistisch für sich auszuschlachten, trat die USPD am 29.
Dezember aus der Regierung aus und überließ damit der SPD die Regierungsgeschäfte,
was deren Legitimierung in den Augen wankender Arbeiter nur zu Ungunsten der USPD
stärken musste. Sebastian Haffner fasste diese Episode sehr treffend zusammen:
„Haase, Dittmann und Barth, die USPD-Volksbeauftragten, schalteten sich
selber aus. Die Naivität ihrer politischen Taktik in der Auseinandersetzung über die
Ereignisse vom 23. und 24. Dezember ist nur zu erklären, wenn man annimmt, daß sie
bewußt oder unbewußt nichts anderes anstrebten, als der Regierungsverantwortung,
der sie sich nicht gewachsen gezeigt hatten, wieder zu entkommen. Nachdem sie sich
einen Tag lang mit ihren SPD-Kollegen über Recht und Unrecht des Schießbefehls
vom 24. Dezember gestritten hatten, riefen sie den Zentralrat, der ausschließlich mit
SPD-Vertretern besetzt war, zum Schiedsrichter an; und nachdem der Zentralrat, wie
zu erwarten, gegen sie entschieden hatte, traten sie aus der Regierung aus.“
–Sebastian Haffner, ebenda, S.121
Am selben Tag des USPD-Regierungsaustritts trat ein Treffen des Spartakusbundes
zusammen, das mit der Entscheidung endete, am nächsten Tag eine Kommunistische
Partei zu gründen und aus der USPD auszuscheiden. Am 30. Dezember begann der
Gründungskongress der Kommunistischen Partei Deutschlands, in die sich der Spartakus-
bund und die Internationalen Kommunisten Deutschlands (IKD), eine ultralinke
Gruppierung, die vorwiegend in Bremen, Hamburg und Berlin repräsentiert war, umbe-
nannten. Aufgrund der angespannten Lage innerhalb der USPD, die fast zum Bruch
zwischen linkem und rechtem Flügel geführt hatte, hatten Liebknecht und Luxemburg die
Hoffnung, die Umgruppierung auch mit weiten Teilen der USPD-Linken vollziehen zu
können. Sie hatten ihre Hoffnungen insbesondere in die Revolutionären Obleute gesetzt.
Der Gründungskongress nahm jedoch ein in Teilen ultralinkes Programm an. Während
sich Luxemburg dafür stark gemacht hatte, sich an den Wahlen zur konstituierenden
Versammlung zu beteiligen, um diese als Bühne für revolutionäre Propaganda zu nutzen,
stieß dies bei vielen IKDlern und Spartakisten auf Widerstand. Darüber hinaus tendierte
die Stimmung während der Debatte darüber, ob und wie man in den Gewerkschaften
arbeiten solle, dahin, die Gewerkschaften aufgrund ihrer konterrevolutionären Führungen
als ganze abzuschreiben. Eine endgültige Entscheidung wurde in der Gewerkschafts-
debatte nicht gefällt. Beide Positionen führten dazu, dass sich die Revolutionären Obleute
in ihrer Befürchtung bestärkt sahen, dass die KPD nicht ernsthaft in der Arbeiterklasse
arbeiten konnte, sondern sich stattdessen auf wilde Straßenagitation beschränken würde.
Die Obleute lehnten daraufhin ein Zusammengehen mit der KPD auf dem Gründungs-
parteitag ab, was sie aber nicht davon abhielt, nach wie vor mit der KPD eng
zusammenzuarbeiten. Wie auch der Spartakusbund war die KPD eine numerisch kleine
Organisation, die darüber hinaus nicht über die gleiche organisatorische Verbindlichkeit
und Disziplin verfügte, wie sie die Bolschewiki gehabt hatten, wodurch es ihr an Effektivität
mangelte. Paul Levi, der nach der Ermordung Liebknechts, Luxemburgs und Jogiches' die
Leitung der KPD übernahm, berichtete auf dem Vierten Parteikongress der KPD sogar,
dass es sich gerächt hatte, „daß wir einmal über die Geschicke unserer Partei entscheiden
ließen von Leuten, von denen sich herausstellte, daß sie keine Kommunisten waren und
nie das Spartakusprogramm gelesen hatten“ (Paul Levi, Die Weltlage und die deutsche
Revolution, 14. April 1920). Das änderte nichts an der Tatsache, dass die KPD-Führung
um Luxemburg und Liebknecht erfahren war, im Proletariat großes Ansehen genoss und in
ihren Zielsetzungen durchaus nicht unrealistisch war. Luxemburg unterstrich nun
insbesondere die Notwendigkeit des Kampfes für ein revolutionäres Programm in den
Räten:
„Auch dort, wo Arbeiter- und Soldatenräte bestehen, fehlt noch das Bewußtsein dafür,
wozu Arbeiter- und Soldatenräte berufen sind. … Wir müssen die Massen erst dahin
schulen, daß der Arbeiter- und Soldatenrat der Hebel der Staatsmaschinerie nach
allen Richtungen hin sein soll, daß er jede Gewalt übernehmen muß und sie alle in
dasselbe Fahrwasser der sozialistischen Umwälzung leiten muß. Davon sind auch
noch diejenigen Arbeitermassen, die schon in den Arbeiter- und Soldatenräten organi-
siert sind, meilenweit entfernt, ausgenommen natürlich einzelne kleinere Minderheiten
von Proletariern, die sich ihrer Aufgaben klar bewußt sind. Aber das ist nicht ein
Mangel, sondern gerade das normale. Die Masse muß, indem sie Macht ausübt,
lernen, Macht auszuüben. Es gibt kein anderes Mittel, ihr das beizubringen. (…) Der 9.
November war der Versuch, an der öffentlichen Gewalt, an der Klassenherrschaft zu
rütteln – ein schwächlicher, halber, unbewußter, chaotischer Versuch. Was jetzt zu
machen ist, ist mit vollem Bewußtsein die gesamte Kraft des Proletariats auf die
Grundfesten der kapitalistischen Gesellschaft zu richten. Unten, wo der einzelne Unter-
nehmer seinen Lohnsklaven gegenüber steht, unten wo sämtliche ausführenden
Organe der politischen Klassenherrschaft gegenüber den Objekten dieser Herrschaft,
den Massen, stehen, dort müssen wir Schritt um Schritt den Herrschenden ihre
Gewaltmittel entreißen und in unsere Hände bringen. Wenn ich es so schildere, nimmt
sich dieser Prozeß vielleicht etwas langwieriger aus, als man geneigt wäre, ihn sich im
ersten Moment vorzustellen. Ich glaube, es ist gesund für uns, wenn wir uns mit voller
Klarheit alle Schwierigkeiten und Komplikationen dieser Revolution vor Augen führen.“
–Rosa Luxemburg, Gründungsparteitag der Kommunistischen Partei Deutschlands
vom 30. Dezember 1918 bis 1. Januar 1919 in Berlin, Rosa Luxemburg Werke, Band
4, S.509f

Das Ende
Trotz der militärischen Niederlage gegen die Volksmarinedivision hatte die SPD weiterhin
Oberwasser. Nach den nur mäßig gelungenen Provokationen nahm die SPD nun den
Berliner Polizeipräsidenten Emil Eichhorn ins Visier, der der USPD angehörte. Losgetreten
wurde die Kampagne vom SPD-Blatt Vorwärts, das wie schon seit Beginn der Revolution
vor offensichtlichen Falschdarstellungen und Lügen keinen Halt machte. Der Vorwärts warf
Eichhorn vor, öffentliche Gelder veruntreut zu haben – ein Vorwurf, den SPD und
Bürgerliche den Arbeiter- und Soldatenräten ebenfalls anhafteten. Die Verunglimpfungen
zielten auf die Entmachtung Eichhorns ab. Eichhorn wandte sich an die USPD, die
gemeinsam mit den Revolutionären Obleuten und der KPD für den 5. Januar zu einer
Massendemonstration für die Verteidigung Eichhorns aufriefen. Dem Aufruf folgten
Hunderttausende. Allerdings hatten die Organisatoren keinen klaren Plan entworfen, wie
sich die Demonstration entwickeln sollte. Die KPD hatte sich zuvor darauf verständigt,
dass der Versuch des Aufstands in Berlin zum jetzigen Zeitpunkt zum Scheitern verurteilt
sein musste. Auf einem Treffen am 4. Januar wurden als Losungen lediglich die
Verteidigung Eichhorns als Polizeipräsident, die Entwaffnung konterrevolutionärer Truppen
sowie die Bewaffnung der Arbeiter diskutiert. Die Massen waren militanter als ihre Führer.
Eine Gruppe Bewaffneter zog los und besetzte das Redaktionsgebäudes des Vorwärts.
Laut Richard Müller kamen sowohl in Sprechchören als auch auf Plakaten Aufrufe zum
bewaffneten Kampf gegen die Regierung zum Ausdruck. Die Massen strömten zum
Polizeipräsidium, wo linke USPDler, Revolutionäre Obleute und KPDler Reden vom
Balkon hielten, ohne der Demonstration eine konkrete Stoßrichtung zu geben. Die Führer
berieten konsterniert darüber, was nun zu tun sei. Dorrenbach, Kommandant der
Volksmarinedivision war der Auffassung, das man nun unbedingt zum bewaffneten
Aufstand übergehen müsse. Er behauptete, dass die Berliner Garnisonen geschlossen
hinter einem Aufstand stünden. Liebknecht ließ sich zu dieser abenteuerlichen Position
gewinnen und sagte, wenn dem so sei, dann müsse man den Aufstand wagen. Selbst
zwei Vertreter der Berliner Garnisonen, die eine nüchternere Einschätzung der Lage
hatten, konnten die Anwesenden nicht umstimmen. Der USPD-Linke Däumig und der Kopf
der Revolutionären Obleute, Richard Müller, kritisierten die Idee scharf, schafften es aber
ebenfalls nicht, die anderen umzustimmen. Daraufhin wurde noch in derselben Nacht ein
Aufruf publiziert, der zum Kampf gegen die Regierung und zu einer erneuten
Demonstration am 6. Januar aufrief. Anders als der Revolutionsausschuss – so nannte
sich die Allianz aus USPDlern, KPDlern, Revolutionären Obleuten und Volksmarinedivision
jetzt – hatten die Bolschewiki anderthalb Jahre zuvor auf die Gefahr hin, die radikalsten
Teile der Arbeiterklasse zu verärgern, eine wütende Demonstration in friedlichen Bahnen
halten und so eine vorschnelle Konfrontation mit dem bürgerlichen Staatsapparat
vermeiden können. Leider waren die deutschen Führer angesichts der Euphorie und der
militanten Großdemonstration zu hitzköpfig und verstanden nicht, dass ein Aufstand zum
jetzigen Zeitpunkt in einer blutigen Niederlagen enden musste. Allerdings hätten die
Kräfteverhältnisse auf den vorherigen Rätekongressen wichtige Anhaltspunkte dafür
geben können. Bereits in der Nacht folgte die Besetzung weiterer Zeitungsgebäude. Auch
hier gaben die Führer keinerlei konkrete Losungen aus, so dass die Massen enttäuscht
nach Hause gingen und sich vereinzelte Scharmützel mit regierungstreuen Truppen
lieferten. In der Zwischenzeit hatten sich die ehemaligen Mitglieder des Vollzugsrats der
USPD angeboten, mit Ebert in Verhandlung zu treten. Ebert willigte gerne ein, denn er
wollte Zeit gewinnen; schließlich formierten sich vor den Toren Berlins diverse Freikorps-
Einheiten, die darauf brannten, ein Blutbad anzurichten. Die Ebert-Regierung erließ
daraufhin am 8. Januar eine Erklärung in der sie zur „Zertrümmerung“ der „sparta-
kistischen Schreckensherrschaft“ aufrief. Ebert war an wirklichen Verhandlungen nicht
interessiert und wollte die Revolution zerschlagen, wobei Gustav Noske die Schlüsselrolle
zukam. Die Kämpfe für die Ebert-Regierung führten offizielle regierungstreue Truppen
zwischen dem 9. und 12. Januar. Noch am 9. Januar riefen USPD, KPD und
Revolutionäre Obleute zum Generalstreik auf, um Eberts Pläne zu durchkreuzen. Dem
Aufruf folgten über 100.000 Arbeiter. Doch die Stimmung war gekippt. Die Arbeiter
forderten nun nicht nur den Rücktritt der Ebert-Regierung, sondern aller Verantwortlichen
für den „Brudermord“ unter den Arbeiterparteien, wozu sie ironischerweise auch
Liebknecht und den USPDler Ledebour rechneten. Die SPD ging nun in die Offensive. Am
11. Januar wurde das Gebäude des Vorwärts durch Regierungstruppen gestürmt. Fünf der
Besetzer, die unter weißer Fahne mit den Truppen verhandeln wollten, wurden brutal
misshandelt und anschließend erschossen. Am 12. Januar wurde dann das Polizei-
präsidium gestürmt. Revolutionäre waren von nun an vogelfrei und nicht nur Folterungen,
sondern auch der Erschießung durch die Truppen ausgesetzt, die sie geschlagen hatten.
Zugleich wurden wüste Hetztiraden zur Ermordung von Liebknecht und Luxemburg am 15.
Januar in die Praxis umgesetzt. Noskes Truppen fegten nun durch das gesamte
Reichsgebiet, um die noch vorhandenen Rätestrukturen zu zerschlagen und den Streiks
den Gar auszumachen, beispielsweise in der Münchener Räterepublik. Dort musste
Eugen Leviné sein Leben lassen. Im März ermordete die Regierung Leo Jogiches, der
neben Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht zu den erfahrensten Führern des deutschen
Kommunismus zählte. Für die Zerschlagung der Revolution setzte die Ebert-Regierung
Truppen ein, deren Führungspersonal später namhafte Nazis wurden. Manche waren
bereits 1919 erklärte Antisemiten und nicht wenige von ihnen hassten die Republik unter
Ebert fast genauso sehr, wie die proletarische Revolution.

Die Lehren der Novemberrevolution


Marxisten stimmen Pierre Broué in seiner treffenden Zusammenfassung der Gründe für
die Niederlage der Revolution zu:
„Zu dem entscheidenden Problem von 'konstituierender Versammlung oder Räte'
übernahmen die Führer des rechten Flügels der USPD, Haase, Dittmann und so
weiter, mit wenigen feinen Unterschieden die Positionen der SPD. Die linken
Unabhängigen, separat organisiert, teilten im Allgemeinen das Konzept der führenden
Spartakisten. Die Spartakisten waren selbst geteilt zwischen dem führenden Kern, der
innerhalb der Perspektive arbeitete, dass es notwendig sei, die Massen zu gewinnen,
und den ungeduldigen Elementen, die die Tätigkeit des Überzeugens der Massen
aufgaben. Diese Konfusion und die Abwesenheit einer revolutionären Organisation,
einen konsistenten Kampf für die Gewinnung der Mehrheit in den Räten zu führen,
überließ das Feld den Gegnern der Räte, die in ihnen arbeiteten.“
–Pierre Broué, The German Revolution 1917 – 1923, 2005, S.167

Die Niederlage der deutschen Revolution zwischen 1918/19 bewies auf negative
Weise, dass Lenins Organisationskonzept, das auf scharfer Trennung der Revolutionäre
von den Reformisten fußte, dem Luxemburgs überlegen war. Völlig zurecht hatte Lenin
Luxemburg dafür kritisiert, selbst nach der Bewilligung der Kriegskredite sich nicht
unabhängig von der SPD organisieren zu wollen. Zugleich wies Trotzki aber auch darauf
hin, dass sich Luxemburgs Einsichten in die Rolle des politischen Programms zumindest
1918 weg von der Hoffnung in die bloße Spontaneität der Basis der USPD entwickelten:
„Indem sie sich manchmal gegen die Leninsche Arbeit des Aufbaus eines
revolutionären Apparats richtete, offenbarte die Theorie [die Spontaneitätstheorie
Rosas] – allerdings nur im Keime – reaktionäre Züge. Bei Rosa selbst geschah es nur
episodisch. Sie war viel zu realistisch im revolutionären Sinne, um aus den Elementen
der Spontaneitätstheorie eine vollendete Metaphysik zu konstruieren. Praktisch unter-
grub sie – wie gesagt – diese Theorie auf Schritt und Tritt. Nach der November-
revolution von 1918 begann sie leidenschaftliche Arbeit zur Zusammenfassung der
proletarischen Avantgarde. Trotz der von ihr im Gefängnis geschriebenen, aber nicht
veröffentlichten, theoretisch sehr schwachen Schrift über die Sowjetunion läßt die
nachfolgende Arbeit Rosas mit Sicherheit schließen, daß sie sich der Leninschen,
theoretisch genau ausgewogenen Auffassung von bewußter Leitung und Spontaneität
mit jedem Tag näherte.“
–Leo Trotzki, Rosa Luxemburg und die IV. Internationale, ebenda, S.687f

Die Tragik in Luxemburgs sich spät entwickelnder politischer Klarheit in dieser


Frage besteht darin, dass sie Rosa und Karl den Kopf kosten sollte. Luxemburg und
Liebknecht hatten damals bereits hinreichend hohes Ansehen, um möglicherweise eine
revolutionäre Partei zu organisieren, die die Massenorganisierung von Zentristen hätte
untergraben können. So konnte sich die USPD als zentristische Kraft etablieren, in der der
Spartakusbund nur als kleine und anfangs unverbindlich organisierte Kraft operierte. Eine
frühzeitigere Polarisierung der deutschen Arbeiterbewegung in einen reformistischen und
einen revolutionären Pol hätte die Pläne Hilferdings und Kautskys durchkreuzen können
und viele Arbeiter ohne den Umweg über den Zentrismus zur KPD gewinnen können.
Dieser Umweg erwies sich zur Jahreswende 1918/19 als tödlich und gestattete der
deutschen Bourgeoisie, die KPD zu enthaupten.1920 gelang der KPD schließlich mitunter
durch den Druck Moskaus die Spaltung der USPD, deren linker Flügel sich den
Kommunisten anschloss und die KPD damit zur Massenpartei machte. Stanicic von der
SAV versucht die Polarisierung der USPD jedoch zu bemänteln und schreibt, die USPD
sei eine Partei gewesen, die das Potenzial zur Entwicklung in Richtung Revolution hatte:
„Die KPD wurde zur Massenpartei, als im Oktober 1920 eine Mehrheit der Delegierten
des Parteitags der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei (USPD) mit 236 zu 156
Stimmen beschloss, der Kommunistischen Internationale beizutreten und sich dement-
sprechend mit der KPD zu vereinigen. Dieser Beschluss bedeutete, dass die KPD zu
einer Partei mit 450.000 Mitgliedern wurde, eine Mehrheit der USPD-Mitglieder diesen
Schritt aber nicht mitmachte, sondern sich wieder der alten, reformistischen Mehrheits-
SPD zuwandte. Dies illustriert den Charakter von zentristischen Parteien, wie es die
USPD war. Sie schwanken zwischen Reformismus und revolutionärer Politik, sind
revolutionär in Worten und reformistisch in der Praxis. Aber sie können auf der Basis
von Erfahrungen mit Klassenkämpfen und wenn Revolutionär*innen versuchen die
Mitglieder und Aktivisten durch Angebote zum gemeinsamen Kampf zu beeinflussen,
sich in eine revolutionäre Richtung entwickeln.“
– sozialismus.info/2018/11/vor-100-jahren-revolution-in-deutschland/

Die USPD entwickelte sich aber nie als ganze in eine revolutionäre Richtung,
sondern spaltete sich. Stanicic versucht mit dieser falschen Analyse die Rolle der SAV der
des Spartakusbundes gleichzusetzen. Im Unterschied zur SAV war sich der
Spartakusbund jedoch über den Charakter der USPD völlig im Klaren. Luxemburg schrieb
der USPD in der Praxis während der Kämpfe um das Zeitungsviertel eine
konterrevolutionäre Rolle zu:
„Die USP erwies sich hier wieder als rettender Engel der Gegenrevolution. Haase-
Dittmann sind von der Regierung Ebert zurückgetreten, aber sie setzen auf der Straße
dieselbe Politik der Feigenblatts der Scheidemänner fort. Und die Linke unterstützt und
macht diese Politik mit! (…) Man verlangt von dieser Seite als Preis für die Kapitulation
der Arbeiter unter anderem den Rücktritt der Personen Ebert, Scheidemann, Noske
und Landsberg von der Regierung. Als ob es sich hier um Personen, nicht um eine
bestimmte Politik handelte! Als ob es nicht auf eine bloße Verwirrung und Irreführung
der Massen hinausliefe, die typischen und berufenen Vertreter der infamen Politik der
Scheidemänner von der Vorderbühne wegzuschieben und durch irgendwelche farblose
Statisten zu ersetzen, die nur Strohmänner derselben Politik bleiben, während die
Ebert-Scheidemann hinter den Kulissen als Drahtzieher wirken und sich so dem Ge-
richt der Massen entziehen.“
–Rosa Luxemburg, Das Versagen der Führer, ebenda, S.524f

Dass Luxemburg in der Frage der Organisierung im Januar 1919 weiter war, als die
SAV hundert Jahre später demonstriert folgender Absatz aus dem zuvor zitierten Artikel
Stanicics, der die Frage der Zerschlagung des bürgerlichen Staatsapparats elegant
umschifft, um nicht so deutlich werden zu müssen, wie der internationale Führer des
Komitees für eine Arbeiterinternationale (KAI), Peter Taaffe, in oben zitierter Broschüre.
Stanicic schreibt,
„dass die Arbeiterklasse, den kapitalistischen Staatsapparat nicht einfach übernehmen
und sich nutzbar machen kann, sondern dass sie diesen durch einen eigenen
Staatsapparat ersetzen muss. Die demokratisch gewählten Arbeiter-, Soldaten- und
Bauernräte bildeten in Russland die Form dieses neuen Staates und hätten dies auch
in Deutschland tun können. Doch in den Räten setzte sich kein Bewusstsein für diese
historische Aufgabe durch, nicht zuletzt weil die revolutionären Kräfte, die dieses
Bewusstsein hatten und versuchten es zu verbreiten, schwach und schlecht organi-
siert waren.“
–Ebenda

Stanicic erklärt nur, dass der bürgerliche Staatsapparat durch einen proletarischen
ersetzt werden muss. Das Mittel, um den bürgerlichen Staatsapparat ersetzen zu können,
nennt Stanicic nicht – die proletarische Revolution. Wenn Richard Müller, der 1919 als
Vertreter der revolutionären Obleute noch die organisatorische Einheit mit der KPD
abgelehnt hatte und diese erst 1920 auf dem Spaltungskongress der USPD vollzog,
schrieb, dass die USPD „niemals Stellung genommen [hatte] zu Fragen, die ein Aufstand
oder gar ein Umsturz auf die Tagesordnung stellen mußten“, wird ersichtlich, dass die SAV
und ihre Internationale im wesentlichen der USPD weit mehr gleichen, als dem
Spartakusbund. Wenn wir die KAI in unserer Broschüre über ihre Tradition als
kautskyanische Karikatur des Trotzkismus bezeichneten, ist das also durchaus analytisch
gemeint. Aus der Geschichte zu lernen, was Stanicic in oben zitiertem Artikel wie wir als
notwendig erachtet, bedeutet auch, die Fehler, die Luxemburg und Liebknecht –
geschweige denn die USPD – machten, zu vermeiden. Die Novemberniederlage ver-
pflichtet all Diejenigen, die ein ernsthaftes Interesse daran haben, aus der Geschichte
lernen zu wollen, eine unabhängige revolutionäre Arbeiterpartei aufzubauen, die in allen
programmatischen Fragen – insbesondere der von Reform oder Revolution – unzwei-
deutig ist. Leider war es der KPD nicht mehr vergönnt, sich nach ihrer Enthauptung als
solide bolschewistische Partei zu etablieren.
Die Niederlage der KPD gestattet es heute nicht wenigen bürgerlichen Kommen-
tatoren, die Novemberrevolution als eine bloß auf eine bürgerlich-parlamentarische
Republik abzielende darzustellen. Damit soll nicht nur unter den Tisch gekehrt werden,
dass die guten Demokraten der SPD über Jahre hinweg brutale Mörder einsetzten, um der
deutschen Arbeiterklasse das Gespenst der kommunistischen Revolution auszutreiben.
Dass die Weimarer Republik sich wesentlich auf diejenigen Männer stützte, die später das
Rückgrat des Nationalsozialismus wurden, wird bei dieser Form der Geschichtsschreibung
geflissentlich ignoriert. Zugleich hilft es, dem deutschen Imperialismus, den Spartakus-
bund nicht im Detail diskutieren zu müssen. Die Auseinandersetzung mit einer genuin
kommunistischen Partei, trotz aller ihrer programmatischen Schwächen, untergräbt selbst-
verständlich die Behauptung bürgerlicher Kommentatoren, dass der Kommunismus immer
schon eine autoritäre Parteiendiktatur angestrebt habe. Die lebendigen Debatten des
Spartakusbundes und der jungen KPD zeichnen ein anderes Bild. Die Bedeutung der
Niederlage 1919 besteht nicht nur darin, dass sie dazu beitrug, den Nazi-Schlächtern im
Namen der Republik den Weg zu bereiten. Sie führte leider auch dazu, dass die
Sowjetunion als bis heute einziges Land mit erfolgreicher Arbeiterrevolution isoliert blieb,
und der stalinistischen Bürokratisierung der russischen Kommunistischen Partei den Weg
ebnete. Ein Sieg des deutschen Proletariats hätte mit ziemlicher Sicherheit dem Weg zum
Weltkommunismus ganz neue Impulse und Möglichkeiten gegeben. Die Autorität Lieb-
knechts und Luxemburgs in der internationalen Arbeiterbewegung hätten den stalinisti-
schen Personenkult zur Lächerlichkeit verdammt und ein kommunistisches hoch ent-
wickeltes Deutschland hätte der Menschheit eine kommunistische Zukunft eröffnen
können. Auch wenn diese Perspektive heute weiter entfernt von uns ist, als 1919, so ist sie
die einzige, die die Menschheit vor ihrem Untergang durch Weltkrieg, kapitalistische und
ökologische Krisen bewahren kann. Die Bolschewistische Tendenz kämpft für den Aufbau
einer internationalen Partei nach dem Vorbild der Bolschewiki und lädt all diejenigen ein,
mit uns zu diskutieren, die ernsthafte Lehren aus der Geschichte der Arbeiterklasse ziehen
wollen.

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