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Vorwort

Vor mehr als 25 Jahren erschien die erste Auflage der Pädagogischen Psy-
chologie. Mit dem Vorliegen der 5. und 6. Auflage hat der Autor allen Anlaß,
sich bei jenen zu bedanken, die diesem Werk über ein Vierteljahrhundert hin-
weg ihr Interesse entgegengebracht haben. Als die Pädagogische Psychologie
im Jahre 1973 erschien, gehörten die Schriften behavioristisch orientierter Au-
toren wie Burrhus Skinner, Robert Gagné und Robert Mager zur Stand-
ardlektüre in der Lehrerausbildung. Sie bewirkten zur damaligen Zeit erheb-
liche Veränderungen in den Vorstellungen, wie ein ,,guter“ Unterricht auszu-
sehen habe. Viel gelesen wurden auch Werke wie Heinrich Roths Pädagogi-
sche Psychologie des Lehrens und Lernens sowie Reinhard und Anne-Marie
Tauschs Erziehungspsychologie. Diese Autoren stimmten insoweit mit den Be-
havioristen überein, als auch sie meinten, man könne durch bestmögliche Ge-
staltung des Lernmaterials und einer entsprechenden Darbietung optimale För-
derungen der Lernenden erreichen. Zusätzlich nahm man die Person des Leh-
rers und das Klassenklima in den Blick. Wenn man eindeutige Lernziele for-
muliert, zu lernendes Material vom einfachsten zu allmählich komplexerem
schrittweise aufbaut, geeignete Beispiele darbietet, für Klarheit sorgt, einen
sozial-integrativen Unterrichtsstil schafft usw., dann werde der Schüler schon
das Gewünschte lernen, solange man sein Vorwissen und seine Lernfähigkeit
angemessen berücksichtigt. Dieser ,,Prozeß-Produkt-Ansatz“ war derartig ein-
flußreich, daß noch heute, sicherlich nicht ausschließlich, wohl aber doch wei-
testgehend nach den damals erarbeiteten Grundsätzen unterrichtet wird.

Die Prozeß-Produkt-Forschung ist von einem passiven Lernenden ausgegan-


gen. Unter dem Einfluß des Konstruktivismus ist diese Betrachtungsweise zu-
nächst zaghaft, seit den 1980er Jahren aber mit zunehmend besser fundierten
Argumenten als einseitig kritisiert worden. Der Lernende, so wird hervorge-
hoben, sei keineswegs passiv, sondern in dem, was er in Unterrichtssituationen
beachtet, auswählt und vor dem Hintergrund des bereits Bekannten verarbeitet,
vielmehr aktiv. Der Lehrer, der erfolgreich unterrichten wolle, müsse zunächst
die Lernvoraussetzungen des Schülers kennenlernen, bevor er Aussichten habe,
,,diskrepante“ Unterrichtsinhalte erfolgreich in seine Wissens- und Verständ-
nisstruktur integrieren zu können. An die Stelle einer Psychologie des Lehrens
und Lernens müsse eine Psychologie des Lernens und Lehrens treten. Die
Erkenntnisse der Prozeß-Produkt-Forschung würden dadurch keineswegs über-
flüssig, ihre Anwender müßten aber den Besonderheiten jedes einzelnen Ler-
nenden Rechnung tragen. Das Ziel des vorliegenden Buches ist es, über rele-
XVI Vorwort

vante Ergebnisse der Prozeß-Produkt-Forschung gründlich zu informieren,


aber ebenso Erkenntnisse darzustellen, die unter konstruktivistischer Orientie-
rung entstanden sind. Das Zusammenführen der Erkenntnisse aus beiden Sicht-
weisen zu einer umfassenderen Konzeption könnte in nicht allzu ferner Zu-
kunft sehr wohl gelingen.

Die Attraktivität einer behavioristischen Orientierung besteht darin, daß der


Lehrer in (idealisierter) Zielsetzung die volle Kontrolle über sämtliche Lehr-
und Lernprozesse behält. Aus konstruktivistischer Sicht bedarf es demgegen-
über der Anerkennung, daß beim Lernenden stets ein hohes Maß an Kontrolle
verbleiben wird. Im ersten Kapitel wird u. a. auf kognitive Prozesse verwiesen,
die die Akzeptanz einer konstruktivistischen Sichtweise beim Leser nicht un-
erheblich erschweren dürften. Dem Lernenden muß danach nämlich ein hohes
Maß an Selbstverantwortung übertragen werden! Kann man aber die Entwick-
lung einer solchen Selbstverantwortung überhaupt erwarten, wenn in einigen
Bundesländern, wie etwa auch in jenem, in dem das vorliegende Buch ent-
standen ist, angehende Lehrerstudenten zwar ausnahmslos Erziehungswissen-
schaften studieren, aber durch gültige Studien- und Prüfungsordnungen einen
Studienweg wählen können, der sie niemals mit der Psychologie und schon
gar nicht mit einer Pädagogischen Psychologie des Lernens und Lehrens in
Berührung kommen läßt? Ist eine Bereitschaft für eine Verantwortungsüber-
tragung im Rahmen der Schule überhaupt von einer Bevölkerung zu erwarten,
die es gewohnt ist, sich ,,von der Wiege bis zum Tod“ in bedenklicher Weise
vom Staat versorgen zu lassen? Auch die Beantwortung dieser Frage wird erst
die Zukunft bringen können.

Es ist unmöglich, alle Namen derjenigen zu nennen, die durch ihre Diskus-
sionsbereitschaft sowie durch kritische, ergänzende Stellungnahmen an diesem
Buch direkt und indirekt mitgearbeitet haben. Zu besonderem Dank bin ich
Herrn Dr. Bernd Kern, Frau Dr. Eva Pegels und Herrn Dipl.-Psych. Bernhard
Fleer (alle Duisburg) verpflichtet. Ihre kritischen Anmerkungen waren sowohl
in fachlicher als auch in sprachlicher Hinsicht von großem Wert. Ebenso ver-
danke ich Herrn PD Dr. Hans-Peter Musahl zahlreiche Anregungen zur Ver-
besserung einiger Textpassagen in mehreren Kapiteln. Eine Hilfe, die eine
ganz besondere Hervorhebung verdient, hat der Wissenschaftsjournalist Herr
Axel Bach (Köln) dadurch erbracht, daß er in unermüdlich erscheinendem
Einsatz jeden Satz unter die Lupe genommen hat, um erforderlichenfalls Hin-
weise zur Verbesserung seiner Stilistik und Verständlichkeit zu geben. Aner-
kennend hervorheben möchte ich auch die abschließende Durchsicht des Ma-
nuskriptes, die Frau Dipl.-Psych. Susanne Weidinger (Hogrefe, Göttingen) und
meine Frau, Hannelore Mietzel, geleistet haben. Dadurch konnten verbliebe-
ne, besonders ,,zählebige“ Tippfehler aufgespürt werden. Bei meinem Sohn
Thorsten bedanke ich mich für die Herstellung fast sämtlicher Grafiken. Die
zeitaufwendigen Arbeiten, die mit der Beschaffung der Literatur einhergingen,
wurden in anerkannter Weise durch meine Hilfskräfte Markus Heckers (Gartz-
ke), Sandra Müller und Frank Kalfhues geleistet.
Vorwort XVII

Die unverzichtbare Voraussetzung für das Schreiben von Lehrbüchern ist die
Verfügung über aktuelle Literatur. Die in letzter Zeit erfolgte Umverteilung
der bereitgestellten Mittel nach leistungs- und erfolgsbezogenen Parametern
benachteiligt das Schreiben von Lehrbüchern in derartig starkem Maße, daß
die Fortsetzung dieser Arbeiten zukünftig möglicherweise nur noch erfolgen
kann, wenn unakzeptable Minderungen in der Qualität des zu erstellenden
Werkes in Kauf genommen würden. Mit der Fertigstellung einer weiteren Auf-
lage dieses Lehrbuches verbindet sich die Befürchtung des Autors, daß er
damit nunmehr die letzte Neubarbeitung vorlegen konnte, denn Drittmittel,
aus denen sich notwendige Voraussetzungen für das Schreiben von Lehrbü-
chern finanzieren ließen, scheint es in Deutschland nicht zu geben.
Als kritische Leser der 5. Auflage haben sich Christian Lauterbach, Christian
Beß (beide Erlangen) und André Bürkle (Erlensee) erwiesen, denn sie haben
wertvolle Hinweise zur Beseitigung von Schwächen gegeben. Der Autor er-
muntert auch die Leser der 6. Auflage dieses Werkes, ihm alles mitzuteilen,
was bewahrt und verbessert werden sollte.
Gerd Mietzel
Gerhard-Mercator-Universität
D-47048 Duisburg
e-mail: Mietzel@uni-duisburg.de

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