Unveränderte Studienausgabe
Mohr Siebeck
Die Theologen-Handbücher im Verlag Mohr Siebeck werden herausgegeben von
Albrecht Beutel
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außer-
halb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig
und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen
und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Das Buch wurde von Selignow Verlagsservice in Berlin aus der Minion Pro und der Syntax gesetzt,
von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und gebunden.
Den Umschlag gestaltete Uli Gleis in Tübingen unter Verwendung des Augustin darstellenden
Freskos aus dem »Scala Santa«-Komplex, Rom, mit freundlicher Genehmigung der Musei Vaticani.
Vorwort
Die Fertigstellung des vorliegenden Buches ist mir Anlaß zu vielfältigem Dank. Zuerst
danke ich dem Herausgeber der Reihe »Theologen Handbücher«, Prof. Dr. Albrecht
Beutel, der sich nicht gescheut hat, dem damaligen Privatdozenten den Band zu Augu--
stin anzuvertrauen. Dem Lektor des Mohr Siebeck Verlages, Dr. Henning Ziebritzki,
danke ich für das Vertrauen, viele konstruktive (und tröstliche) Gespräche wäh--
rend der Entstehung des Buches und auch einige Geduld in der Endphase der Redak-
tionsarbeit. Daß der Verlag Mohr Siebeck Projekte wie das vorliegende ermöglicht,
ist in meinen Augen ein Zeichen besonderer Wissenschaftsförderung, die, auch inter--
national gesehen, ihresgleichen sucht. Den Mitarbeitenden des Verlages, besonders
Ilse König, und der Satzfirma Selignow gebührt besonderer Dank für die technische
Realisierung des Buches.
Dank gilt sodann den Kolleginnen und Kollegen aus dem In- und Ausland, die sich
zur Mitarbeit bereit gefunden haben. Ihre Artikel und die darin zum Ausdruck kom--
mende Vielfalt der Perspektiven und Fragestellungen haben mich in den letzten Jahren
begleitet und geprägt. Für die ganz überwiegend außergewöhnlich konstruktive Mit--
arbeit bin ich sehr dankbar. Nun hoffe ich, daß die Autorinnen und Autoren mit dem
Resultat auch insgesamt halbwegs zufrieden sind (auch dort, wo formale Richtlinien
und andere Vorgaben von eigenen Vorstellungen vielleicht abweichen mögen).
Was mir als Privatdozent bei Übernahme des Projekts nicht so deutlich vor Augen
stand, ist die Tatsache, daß das Buch ohne die tatkräftige und über Monate, ja Jahre
hinweg chronische Einspannung einer Lehrstuhlmannschaft gar nicht realisierbar
gewesen wäre. Hier gilt in erster Linie mein Dank meiner Assistentin Margitta Berg--
haus, die mehrfach in inhaltlicher wie formaler Hinsicht Korrektur gelesen hat, eine
Unzahl von Einzelproblemen überhaupt erst entdeckt und in einer Vielzahl von lucu--
brationes Problemlösungen erarbeitet hat. Die Vereinheitlichungen, Korrekturen, Ver--
besserungsvorschläge, Anfragen und Detaillösungen der letzten drei Jahre gehen in die
zig-Tausende. Auf sie geht maßgeblich das Quellenverzeichnis für Autoren aus Antike
und Spätantike zurück. Ohne sie wäre das Handbuch in ganz vielen Hinsichten gar
nicht das, was es jetzt ist. Miriam Jetter hat von Beginn der Redaktionsarbeit an bis zu
den letzten Korrekturfahnen wahre Heldentaten vollbracht und – aufs Ganze gesehen –
gemeinsam mit Frau Berghaus den größten Teil der Arbeitslast getragen. Sie hat das
Buch durch Dinge wie die eigenständig erstellte Aufstellung auf S. 45–47 bereichert,
und auf sie geht ganz wesentlich das Quellenverzeichnis für Mittelalter und Neuzeit
zurück. Frau Berghaus und Frau Jetter haben sich schließlich auch durch Tausende
von Stellen gekämpft und das Stellenregister erarbeitet. Die Verwaltung und Zusam--
menführung der Manuskripte, die Vereinheitlichung der (alten) Rechtschreibung,
die Grundformatierung und etliches andere hat meine Sekretärin Sonja di Girolamo
geleistet, über Monate hinweg. Janina Aichele hat, gemeinsam mit Frau Jetter, Zitate
aufgesucht sowie ganze Festmeter von Sekundärliteratur beschafft und überprüft, um
nur zwei größere Projektabschnitte zu nennen. Wiebke Nehuis hat gerade in der End--
phase der Korrekturfahnen und bei den Registerarbeiten, besonders bei Bibelstellen
VI Vorwort
A. Orientierung
I. Handschriften-Tradition und Ausgaben (Dorothea Weber) . . . . . . . . . . 2
1. Die handschriftliche Überlieferung: Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . 2
2. Die handschriftliche Überlieferung bis ins 15. Jahrhundert . . . . . . . . 3
3. Der Textbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
4. Frühdrucke, Opera omnia sowie laufende Editions-
und Übersetzungsprojekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
II. Hilfsmittel und Forschungsinstitutionen (Andreas E. J. Grote) . . . . . . . 8
1. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
2. Lexika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
3. Elektronische /digitale Hilfsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
4. Bibliographische Hilfsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
4.1. Abgeschlossene Bibliographien
(in absteigender chronologischer Ordnung) . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
4.2. Laufende Bibliographien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
5. Augustin-Forschungsinstitute und Augustin-Zeitschriften . . . . . . . . 12
III. Zum Stand der Augustinforschung (Volker Henning Drecoll) . . . . . . . . . 13
B. Person
I. Biographisches Umfeld und Vita . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
1. Die nordafrikanischen Provinzen des Imperium Romanum
(Konrad Vössing) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
1.1. Africa als Teil des spätantiken Römischen Reiches . . . . . . . . . . . 20
1.2. Das spätantike Christentum in Africa – die Strukturen . . . . . . . 22
1.3. Hippo Regius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
2. Rom und Mailand in den Jahren 383–388 (Martin Wallraff) . . . . . . 27
2.1. Rom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
2.2. Mailand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
2.3. Ostia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
3. Vita: wichtigste lebensgeschichtliche Daten
(Jochen Rexer / Volker Henning Drecoll) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
3.1. Kindheit, Jugend und Ausbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
3.2. Berufliche Laufbahn und Bekehrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
3.3. Von der Taufe bis zur Priesterweihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40
3.4. Die Zeit als Priester bis zur Bischofsweihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
3.5. Bischöfliche Wirksamkeit und letzte Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
VIII Inhaltsverzeichnis
II. Traditionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
1. Klassische lateinische Literatur und Rhetorik (Wolfgang Hübner) . . 49
1.1. Cicero . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
1.2. Vergil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
1.3. Varro . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
1.4. Terenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
1.5. Sallust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
1.6. Kaiserzeitliche Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59
2. Die akademische Skepsis (Therese Fuhrer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
2.1. Die akademische Skepsis und ihre Rezeption . . . . . . . . . . . . . . . . 60
2.2. Die akademisch-skeptische Wahrnehmungstheorie . . . . . . . . . . 61
2.3. Augustins Adaptation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62
2.4. Die Intention der antiskeptischen Argumentation . . . . . . . . . . . 63
2.5. Augustins eigener Skeptizismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
2.6. Das augustinische ›Cogito‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64
3. Lateinischer Mittelplatonismus (Volker Henning Drecoll) . . . . . . . . . 66
4. Neuplatonismus (Volker Henning Drecoll) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72
5. Manichäismus um 375 in Nordafrika und Italien (Gregor Wurst) . . 85
5.1. Mani und seine Schriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
5.2. Manis Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86
5.3. Der lateinische Manichäismus im 4. Jahrhundert
in Nordafrika und Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90
6. Theologische Traditionen Nordafrikas vor Augustin
(Tertullian, Cyprian) (Katharina Greschat) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92
7. Das Donatistische Schisma bis 390 n. Chr. (Pamela Bright) . . . . . . . . 98
8. Askese im Westen des Imperium Romanum im 4. Jahrhundert
(Katharina Greschat) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
9. Der lateinische Bibeltext im 4. Jahrhundert (Eva Schulz-Flügel) . . . . 109
9.1. Die Entstehung und Entwicklung der lateinischen Bibel
bis 383 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
9.2. Kritik an der Vielfalt der Bibeltexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110
9.3. Die Neuerungen des Hieronymus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112
10. Paulusexegese: Victorinus, Ambrosiaster (Eva Schulz-Flügel) . . . . . . 115
10.1. Marius Victorinus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116
10.2. Der sogenannte Ambrosiaster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117
11. Der Trinitarische Streit im Westen bis Ambrosius
(Hanns Christof Brennecke) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
12. Ambrosius als Taufvater Augustins und der ›Mailänder Kreis‹
(Volker Henning Drecoll) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127
12.1. Ambrosius’ Bedeutung als Bischof . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
12.2. Die Schriftexegese des Ambrosius und der ›Mailänder Kreis‹ . . 136
III. Entwicklungen, Frontstellungen und Aufgabenbereiche . . . . . . . . . . . . . 144
1. Augustin als Rhetor vor 386 (Jörg Trelenberg) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144
2. Augustin als ›Manichäer‹ (Gregor Wurst) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148
Inhaltsverzeichnis IX
C. Werk
I. Werke in Auswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250
1. Zur Chronologie der Werke (Volker Henning Drecoll) . . . . . . . . . . . . 250
Übersicht über die Werke Augustins und die Datierung
auf der Grundlage der retr. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253
2. Frühschriften (Therese Fuhrer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261
2.1. Die Bedeutung der Frühschriften im augustinischen
Gesamtkorpus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261
2.2. Contra Academicos (Gegen die Akademiker) . . . . . . . . . . . . . . . . 263
2.3. De beata uita (Über das glückliche Leben) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264
2.4. De ordine (Über die Ordnung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265
2.5. Soliloquia (Selbstgespräche) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267
2.6. De magistro (Über den Lehrer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268
2.7. De libero arbitrio (Über die freie Entscheidungsinstanz) . . . . . . 270
2.8. De uera religione (Über die wahre Religion) . . . . . . . . . . . . . . . . . 272
3. Die Genesisauslegungen (Dorothea Weber) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275
3.1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275
3.2. De Genesi contra Manichaeos (Über die Genesis
gegen die Manichäer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276
3.3. De Genesi ad litteram liber imperfectus (Unvollendetes Buch
über die Genesis dem Buchstaben nach) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277
3.4. De Genesi ad litteram (Über die Genesis
dem Buchstaben nach) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277
4. Die frühe Paulusexegese (Paula Frederiksen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
4.1. Der ›manichäische‹ Paulus und die Bedeutung von Paulus
für die Bekehrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
4.2. Erneute Pauluslektüre in Afrika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282
4.3. Expositio quarundam propositionum ex epistula apostoli ad
Romanos (Auslegung einiger vorgelegter Fragen aus
dem Brief des Apostels an die Römer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284
4.4. Expositio epistulae ad Galatas (Auslegung des Galaterbriefes) 286
4.5. Epistulae ad Romanos inchoata expositio
(Begonnene Auslegung des Römerbriefes) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287
4.6. Die Anthropologie in De libero arbitrio (Über die freie
Entscheidungsinstanz) 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288
Inhaltsverzeichnis XI
3. Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 585
4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 587
VI. Sentenzenwerk des Petrus Lombardus (Reinhold Rieger) . . . . . . . . . . . . 587
VII. Augustin an den Universitäten des 13. Jahrhunderts (Ulrich Köpf) . . . . 592
1. Der bildungsgeschichtliche Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 592
2. Die Hochschätzung Augustins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 594
3. Der Umgang mit Augustin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 596
4. Der ›Kampf zwischen Augustinismus und Aristotelismus‹ . . . . . . . . 598
VIII. Augustinismus im Spätmittelalter: Heinrich von Gent, Duns Scotus
und Wilhelm von Ockham (Volker Leppin) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 600
1. Neuplatonische Erkenntnistheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 601
2. Glaubenstheologische Theologiebegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 603
3. Immediatisierung des Gott-Mensch-Verhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . 605
IX. Aspekte des spätmittelalterlichen Augustinismus (Ulrich Köpf) . . . . . . . 608
1. Augustin in der Universitätstheologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 608
2. Augustin im spätmittelalterlichen Humanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . 613
X. Luther (Albrecht Beutel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 615
Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 647
Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 649
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 699
Register
– Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 735
– Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 783
– Orte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 790
– Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 792
Hinweise zur Benutzung
Das Augustin Handbuch soll einen Zugang zur weit gefächerten Augustinforschung
und darüber hinaus zu Augustin selbst ermöglichen, und zwar sowohl den Fach--
leuten, Doktoranden und Studierenden aus den Bereichen etwa der Theologie, Phi--
losophie, Philologie oder Geschichtswissenschaft als auch dem interessierten Laien.
Wegen der Komplexität und Vielfalt der Augustinforschung erscheint ein Sammel--
band angezeigt, an dem verschiedene Autoren verschiedener Fachrichtungen jeweils
aus ihrer Perspektive einen bestimmten Aspekt des Lebens, des Umfeldes, der Theo--
logie Augustins und seines Werkes erläutern. Dafür wurde in Kauf genommen, daß
die verschiedenen Beiträge nicht in allen Einzelheiten und Bewertungen eine völ--
lig einheitliche Position wiedergeben. Auch tauchen bestimmte Fragestellungen
und erst recht Werke Augustins an mehreren Stellen auf. Die Benutzer sind daher
gebeten, zu einer bestimmten Fragestellung neben dem Inhaltsverzeichnis auch die
Register zu benutzen und sich einer Fragestellung möglichst von mehreren Beiträ--
gen her zu nähern.
Der Aufbau des Bandes folgt im wesentlichen dem ersten in der Reihe Theologen-
Handbücher erschienenen Band, dem Luther Handbuch. In einer einleitenden Orien--
tierung (Teil A.) werden Hinweise zur Editions- und Forschungslage und zu wichti--
gen Hilfsmitteln gegeben. Teil B. nähert sich dann der Person Augustins, indem das
Umfeld Augustins, die Traditionen, die auf ihn eingewirkt haben, und seine eigene
Vita dargestellt werden. Zu letzterem gehört eine Fülle von Entwicklungen, Front--
stellungen und Auseinandersetzungen, die in B.III. zur Sprache kommen. Auch die
verschiedenen Tätigkeitsfelder Augustins werden hier besprochen.
Teil C. versucht dann, in einem doppelten Zugriff den Zugang zum Werk und
der Theologie Augustins zu ermöglichen. Zunächst werden ausgewählte Werke bzw.
Werkgruppen dargestellt. Vollständigkeit ist hier selbstredend nicht versucht wor--
den, manche Werkgruppen, etwa die Predigten, können nur exemplarisch darge--
stellt werden. Ein zweiter Teil geht auf wichtige Themen augustinischer Theologie
ein. Diese Abschnitte sind auf dem Hintergrund der weitgehend historisch angeleg--
ten Teile B. und C.I. zu verstehen und bauen auf diesen auf.
Die Wirkungsgeschichte Augustins in vollem Umfang zu beschreiben, ist wegen
des besonderen Ausmaßes der Wirkung, die Augustin gehabt hat, im Rahmen des
vorliegenden Handbuches nicht möglich. Trotzdem sollte sie nicht völlig unbear--
beitet bleiben. So entstand die Idee, in einem Teil D. Aspekte der Wirkungsgeschichte
Augustins zu bieten, der an besonders prominenten Beispielen Grundtendenzen der
Augustinrezeption benennt. Auch unter diesem Vorbehalt war jedoch eine Eingren--
zung notwendig, die Abschnitte dieses Teils beschränken sich daher auf die Zeit bis
zur Auseinandersetzung um Jansenius in der Mitte des 17. Jahrhunderts.
Daß das Augustin Handbuch auch den Zugang zu den Werken Augustins selbst
ebnen soll, hat nicht zuletzt darin seinen Niederschlag gefunden, daß Wörter und
Textauszüge Augustins sowie anderer Autoren und Texte in der Originalsprache wie--
dergegeben werden. Dabei ist so verfahren worden, daß der lateinische Wortlaut in
XVI Hinweise zur Benutzung
der Regel voransteht und sich anschließend eine deutsche Übersetzung findet. Die
lateinischen (und weiteren fremdsprachlichen) Begriffe und Zitate werden in den
jeweiligen Unterabschnitten nur bei ihrem ersten Auftauchen übersetzt und dann
bei der Wiederholung ohne nochmalige Übersetzung geboten. Wer die Übersetzung
nicht benötigt, ist gebeten, sie einfach zu übersehen und die Störung im Lesefluß
in dem Bewußtsein in Kauf zu nehmen, daß das Buch auch für Leser mit geringen
Lateinkenntnissen benutzbar sein soll. Über die Frage, wie die Werktitel und Zitate
am besten zu übersetzen sind, läßt sich bekanntlich trefflich streiten; in der Regel
sollen die hier gebotenen Übersetzungen zum Verständnis des lateinischen Textes
gerade in seiner syntaktischen Struktur behilflich sein; tendenziell wurde also das
Bemühen um Wörtlichkeit etwas stärker gewichtet als die Flüssigkeit und Eleganz der
Übersetzung; auch sollten Sperrigkeiten und Auffälligkeiten im Lateinischen nicht
einfach durch eine elegante Übersetzung ›wegübersetzt‹ werden.
Die Orthographie des Lateinischen folgt den beiden wichtigsten Quellenausga--
ben der Werke Augustins (dem Corpus Christianorum. Series Latina und – zumin--
dest zum Teil – dem Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum, A.I.) sowie
dem wichtigsten Referenzwerk der Augustinforschung, dem Augustinus-Lexikon,
und ist nur in zwei Hinsichten vereinheitlicht worden, nämlich in der (innerhalb
dieser Reihen nicht einheitlichen) Zeichensetzung sowie in der Bevorzugung der
assimilierten Formen. Wichtigste orthographische Besonderheit ist die Beibehal--
tung des lateinischen Alphabets, wie es bis weit in das 17. Jahrhundert hinein üblich
war. Dem ungeübten Leser wird dabei besonders auffallen, daß es kein ›v‹ als Klein--
buchstaben gibt, sondern nur einen Buchstaben ›u‹, der das eine Mal vokalisch (etwa
in natura / Natur, Wesen), das andere Mal aber konsonantisch, d. h. wie ein späte--
res ›v‹ zu lesen ist (etwa in uita / Leben). Der Großbuchstabe zu diesem einen Buch--
stabenzeichen ›u‹ schreibt sich dann ›V‹ (also nicht nur Victorinus, sondern auch
Vrbs / die Stadt). Ganz entsprechend wird auch zwischen vokalischem ›i‹ (etwa in
episcopus / Bischof) und konsonantischem ›i‹ (etwa in iustitia / Gerechtigkeit) gra--
phisch nicht unterschieden. Demjenigen, der in der Lektüre klassischer Textausga--
ben wenig Übung hat, sei empfohlen, die lateinischen Zitate laut zu lesen, meistens
ergibt sich die Aussprache dabei recht automatisch. Durch die Beibehaltung dieser
klassischen lateinischen Orthographie soll die Benutzbarkeit der klassischen Quel--
lenausgaben eingeübt werden. Da das heute übliche Alphabet ansonsten dem latei--
nischen Alphabet weitgehend entspricht, scheint diese eine orthographische Beson--
derheit vertretbar. Die Unterscheidung von Anfangsbuchstaben und Buchstaben im
Inneren eines Wortes, wie sie etwa im 16. Jahrhundert üblich war, wurde nicht über--
nommen, Zitate aus der WA und dem Wittenberger Urkundenbuch wurden in ihrer
vertrauen Orthographie belassen.
Werke Augustins werden abgekürzt und unübersetzt zitiert oder genannt. Wo sich
ein abgekürzter Werktitel findet, verweist er also auf Augustin und ist im Quellenver-
zeichnis. I. Augustin nachschlagbar. Die Abkürzungen und die Zitierweise der Werke
Augustins entsprechen dem Standard des Augustinus-Lexikons (A.II.). Kleinere
Unstimmigkeiten (etwa Gn. litt. inp. = De Genesi ad litteram liber imperfectus oder
Hinweise zur Benutzung XVII
Gn. adu. Man. = De Genesi contra Manichaeos) wurden dabei in Kauf genommen.
Bei der Angabe der Stelle ist dabei, dem Augustinus-Lexikon folgend, die wichtig--
ste Besonderheit, daß die Kapiteleinteilungen, die in den Editionen mit römischen
Ziffern bezeichnet sind, in der Regel weggelassen sind, also nicht: conf. 8,12,29, son--
dern conf. 8,29. Buchangaben werden ebenfalls durch arabische Ziffern angegeben,
also nicht doctr. chr. III 33,46, sondern doctr. chr. 3,46. Die Werktitel anderer Auto--
ren werden im Unterschied zu Augustin ausgeschrieben und bei ihrem ersten Auf--
tauchen in einem Abschnitt übersetzt. Auch hier gilt: Wer die Übersetzung des Titels
für selbstverständlich hält, ist gebeten, einfach darüber hinwegzusehen. Die Stellen--
angaben beziehen sich auf das Quellenverzeichnis II. Autoren der Antike und der Spät-
antike und das Quellenverzeichnis III. Autoren des Mittelalters und der Neuzeit. Zif--
fern hinter einem Semikolon bezeichnen entweder weitere gleichartige Stellenanga--
ben oder verweisen auf die Seite der zugrundegelegten Edition, Ziffern hinter einem
Schrägstrich sind stets Zeilenangaben.
Das Quellen- und Literaturverzeichnis beansprucht keineswegs Vollständigkeit
oder auch nur Repräsentativität für die Augustinforschung, für die es hervorragende
bibliographische Hilfsmittel gibt (A.II.). Es soll lediglich das Auffinden zitierter
Quellen oder Literatur erleichtern (über Nachschlagen des Verfassernamens und
gegebenenfalls des Kurztitels). Alle Literatur, die zitiert wird, ist im Literaturver--
zeichnis verzeichnet. Zusätzlich und unabhängig davon stehen am Ende eines jeden
Abschnitts wenige ausgewählte Literaturtips, die zu einer ausführlicheren Beschäf--
tigung mit dem entsprechenden Thema anleiten sollen. Titel, die hier nicht aufge--
führt, in einem Abschnitt aber zitiert werden, sind entsprechend nur im Literatur--
verzeichnis auffindbar. Einschlägige Artikel des Augustinus-Lexikons seien auch dort
zur Lektüre empfohlen, wo sie nicht ausdrücklich genannt sind.
Abkürzungsverzeichnis
ACO Acta Conciliorum Oecumenicorum (Quellenverzeichnis II.)
AL Augustinus-Lexikon (A.II.)
BSRK Bekenntnisschriften der Reformierten Kirche (Quellenverzeichnis III. unter
›Remonstrantenstreit‹)
CAG Corpus Augustinianum Gissense (A.II.)
CChr.SL Corpus Christianorum. Series Latina (Quellenverzeichnis II. unter den ein--
zelnen Autoren bzw. unter ›Concilia‹)
CChr.Cont.Med. Corpus Christianorum. Continuatio Mediaevalis (Quellenverzeichnis II.
unter den einzelnen Autoren)
CMC Codex Manichaicus Coloniensis / Kölner Mani-Kodex (Quellenverzeichnis
II. unter ›Manichaica‹)
CPG Clavis Patrum Graecorum qua optimae quaeque scriptorum patrum Graeco--
rum recensiones a primaevis saeculis usque ad octauum commode recluduntur,
volumen I. Patres Antenicaeni, cura et studio Maurits Geerard, Turnhout 1983;
volumen II. Ab Athanasio ad Chrysostomum, cura et studio Maurits Geerard,
Turnhout 1974; volumen III. A Cyrillo Alexandrino ad Iohannem Damasce--
num, cura et studio Maurits Geerard, editio secunda, anastatica, addendis locu--
pleta a Jacques Noret, Turnhout 2003; volumen IIIA. A Cyrillo Alexandrino
ad Iohannem Damascenum. Addenda volumini III a Jacques Noret, Turnhout
2003; volumen IV. Concilia. Catenae, cura et studio Maurits Geerard, Turn--
hout 1980; volumen V. Indices. Initia. Concordantiae, cura et studio Maurits
Geerard, Turnhout 1987.
CR Corpus Reformatorum (Quellenverzeichnis III. unter den einzelnen Auto--
ren)
CSEL Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum (Quellenverzeichnis II. unter
den einzelnen Autoren bzw. Titeln)
DH Denzinger, Heinrich / Hünermann, Peter (Hgg.): Kompendium der Glaubens--
bekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen, verbesserte, erweiterte, ins
Deutsche übertragene und unter Mitarbeit von Helmut Hoping herausgege--
bene, 40. Auflage Freiburg 2005.
EOMIA Ecclesiae Occidentalis Monumenta Iuris Antiquissima (Quellenverzeichnis
II. unter ›Concilia‹)
PL Patrologia Latina (Quellenverzeichnis II. und III. unter den jeweiligen Auto--
ren)
SC Sources Chrétiennes (Quellenverzeichnis II. unter den jeweiligen Autoren)
WA Weimarer Ausgabe (Quellenverzeichnis III. unter ›Luther‹)
A. Orientierung
A. Orientierung
maeus Carusi, Bischof von Urbino, Zeugnis für das Bestreben ab, einen kompletten
Überblick über Augustins Schriften zu ermöglichen. Schließlich führten im 15. Jahr--
hundert theologische (D. IX.) und kirchenpolitische Entwicklungen dazu, daß für
die Ausbildung des Klerus erneut verstärkt auf die Patristik als normative Epoche
zurückgegriffen wurde; diese Phase intensiver Handschriftenproduktion fällt zeit--
lich mit den ersten gedruckten Augustineditionen zusammen.
. Der Textbestand
Durch retr. sowie das Indiculum stand immer schon eine bis auf wenige Ausnahmen
(C. I. 1.) komplette Werkliste zur Verfügung, so daß sich v. a. in den dort summa--
risch behandelten Genera der Briefe und Predigten Fehlzuschreibungen behaup--
ten konnten (vgl. Blumenkranz, Survie; Weber, Bibliotheken; Dies., Commen--
daciones). Dies erklärt, warum die Zahl der pseudo-augustinischen Predigten – sie
sind z. T. irrtümlich unter Augustins Patronanz gelangt, z. T. wurden sie auf seinen
Namen gefälscht (z. B. eine Gruppe hochmittelalterlicher Predigten, die die Priori--
tät der Augustinereremiten gegenüber den Kanonikern erweisen sollte: sermones ad
fratres in eremo / Predigten an die Brüder in der Wüste; PL 40, 1235–1358) – jene der
durch philologische Kriterien als echt erwiesenen sogar übersteigt und wieso eine
Anzahl unechter Briefe in die Briefcorpora Eingang fand. Für einzelne Werke ist die
Diskussion bezüglich ihrer Echtheit noch im Gange. Zum anderen eröffneten die
genannten Verzeichnisse die Möglichkeit, gezielt nach Handschriften der fehlenden
Werke zu suchen; unter diesen Voraussetzungen wurden als letzte gest. Pel. (Erst--
druck 1611) und c. Iul. imp. (Erstdruck Buch 1–2: 1617; Buch 1–6: 1654) gefunden. Im
Kontrast dazu haben im ausgehenden 20. Jahrhundert zwei spektakuläre Neufunde
den unbezweifelt echten Textbestand erweitert: 1981 publizierte Johannes Divjak aus
zwei französischen Handschriften (Paris, Bibliothèque Nationale, Codex Latinus nr.
16861, 12. Jahrhundert; Marseille, Bibliothèque Municipale, Codex nr. 209, 15. Jahr--
hundert) 28 bis dahin völlig unbekannte, jedoch aufgrund inhaltlicher wie sprach--
licher Kriterien zweifelsfrei echte Briefe Augustins (CSEL 88; Neubearbeitung BA
46 B, Paris 1987; zu dieser Sammlung gehören ferner zwei Briefe des Consentius,
ep. 11* und ep. 12*, sowie ein Brief des Hieronymus, ep. 27*); ihr Weg ins Mittelalter
liegt ebenso im Dunkeln wie jener der 26 Predigten, die François Dolbeau im Codex
I 9 der Mainzer Stadtbibliothek (15. Jahrhundert) fand und zunächst einzeln, später
gemeinsam veröffentlichte (Paris 1996). Weitere Neuentdeckungen sind am ehesten
in diesem Genus möglich.
punktion überarbeitet, weitere Bibelstellen identifiziert und den Maurinern nicht be--
kannte Varianten aus Handschriften und Frühdrucken nachgetragen wurden (vgl.
Folliet, Éditions; Kukula). Darüber hinaus druckte Migne die in der Zwischen--
zeit gefundenen (nur z. T. echten) Predigten nach der Textgestaltung der jeweiligen
Ersteditionen (s. Mai, s. Caillau etc.) in Form eines Supplements ab.
Für einige Werke Augustins ist der Leser noch immer auf die Patrologia Latina
angewiesen, da die modernen Editionsreihen noch weit von einem Abschluß ent--
fernt sind. Dies liegt daran, daß die von der Klassischen Philologie des 19. Jahrhun--
derts entwickelte editorische Methodik (auf Kosten der Produktionsgeschwindig--
keit) enorm verfeinert wurde: Da das Alter eines Codex nicht unbedingt Aussagen
über den Grad seiner Übereinstimmung mit dem Originaltext erlaubt, ist ein mög--
lichst vollständiger Überblick über die handschriftliche Überlieferung nur die erste
Stufe der editorischen Arbeit. Um diese zu erleichtern, wird seit 1969 die Reihe Die
handschriftliche Überlieferung der Werke des Heiligen Augustinus in
Wien herausgegeben. Es wird darüber hinaus versucht, die Handschriften unter
Einbeziehung der Möglichkeiten von Kontamination sowie von Konjekturen durch
einen Schreiber in einen Stammbaum, dem Stemma, einzuordnen, der sich aus ihren
Ähnlichkeiten untereinander sowie aus ihrer jeweiligen textlichen Qualität ergibt.
Für die Beurteilung der Qualität haben unter anderem Textlinguistik und Literatur--
wissenschaft neue Sichtweisen eröffnet: Es gilt, die Sprach- und Argumentationsge--
wohnheiten des jeweiligen Autors, seine literarischen Ansprüche, die Eigenheiten
des Epochenstils und die Spezifika des literarischen Genus zu kennen, Werkstil und
Werkstruktur sowie verschiedene Wirkweisen der Intertextualität zu berücksich--
tigen. Schließlich ist die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, daß an der einen oder
anderen Stelle der richtige Wortlaut in keiner einzigen Handschrift erhalten ist, son--
dern erst durch Konjektur des überlieferten Textes hergestellt werden muß. All dies
macht jede Edition zu einem mehrjährigen Projekt.
Gegründet 1864, sollte das Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum (Kor--
pus der Lateinischen Kirchenschriftsteller, Abk. CSEL) durch kritische Ausgaben aller
lateinischen Texte der christlichen Spätantike für das Unternehmen eines umfassen--
den Lexikons der lateinischen Sprache (Thesaurus Linguae Latinae / Schatz der latei--
nischen Sprache) eine zuverlässige Textgrundlage liefern (vgl. Zelzer, CSEL). Par--
allel zu und meist in Absprache mit dem CSEL publiziert seit 1953 das Corpus Chri--
stianorum. Series Latina (Korpus der Christen. Lateinische Serie, Abk. CChr.SL, vgl.
Bossier; Leemans) mit zunehmend wissenschaftlichem Anspruch Editionen der
lateinischen Kirchenväter. Bis dato liegen in diesen beiden Reihen insgesamt ca.
zwei Drittel des augustinischen Œuvres vor. Weitere Editionen sind in Vorbereitung.
Zuletzt erschienen im CSEL Editionen von Gn. adu. Man., c. s. Arrian., corrept., c. Iul.
imp. und mehrere Teilbände von en. Ps., an weiteren wird gearbeitet (von Gori in
Urbino und Hildegard Müller und Weidmann in Wien); in Bearbeitung sind ferner
Editionen zu weiteren Schriften zur Gnadenlehre (für c. Iul. durch Weber in Wien,
für gr. et lib. arb. und praed. sanct. / perseu. durch Drecoll und Greschat in Tübingen),
hinzu kommt die Edition von mus. (durch Jacobsson) und eine Reihe von Neube--
I. Handschriften-Tradition und Ausgaben
arbeitungen älterer Bände (besonders von CSEL 53 und 63). Im CChr.SL liegen die
Schwerpunkte auf Editionen zu den s. (durch Partoens in Leuven) und in der Fort--
führung der Neuedition der Briefe (durch Daur in Hamburg) für das CChr.SL (vgl.
zum aktuellen Stand der Editionsprojekte: http://www.oeaw.ac.at/kvk/edenda/).
Abgesehen von diesen umfassenden Editionsreihen widmen sich mehrere Pro--
jekte zweisprachigen Ausgaben: Die Bände der Pariser Reihe Bibliothèque Augu--
stinienne (Augustinische Bibliothek, Abk. BA) seit 1939 bzw. der Nouvelle Biblio--
thèque Augustinienne (Neue Augustinische Bibliothek) seit 1992 umfassen den kri--
tisch edierten lateinischen Text (für jene Werke Augustins, welche nicht in einer
zuverlässigen Ausgabe vorliegen, wird ein solcher erstellt), eine französische Über--
setzung sowie eine ausführliche Einleitung, Anmerkungen und weiter ausgreifende
kommentierende Appendices. Vergleichbar konzipiert, wendet sich die Reihe Augu--
stinus. Opera – Werke (erster Band 2002) an Leser im deutschsprachigen Raum. Im
Unterschied dazu beschränkt sich die Nuova Biblioteca Agostiniana (Neue Augu--
stinische Bibliothek, Abk. NBA) seit 1965 auf den Abdruck der Migne-Edition; der
Text ist von einer Einleitung, einer italienischen Übersetzung sowie einem schma--
len Anmerkungsapparat begleitet. In ihrer Konzentration ausschließlich auf Augu--
stin heben sich die zuletzt genannten Unternehmungen von jenen ab, die auf die
gesamte Patristik ausgerichtet sind und daher in einzelnen Bänden auch Augustin-
Texte enthalten: Die Sources Chrétiennes (Christliche Quellen, Abk. SC), 1942 auf die
Initiative führender französischer Theologen in Lyon und Paris eben dort gegründet,
sowie im deutschen Sprachgebiet seit 1990 die Fontes Christiani (Christliche Quel--
len, Abk. FChr), nicht nur in ihrem Namen ein Pendant zu den SC. Aus den Augu--
stinbänden dieser Reihe ging die von Geerlings begründete zweisprachige Gesamt--
ausgabe Augustinus. Opera – Werke (Abk. AOW) hervor. Für ein breiteres Publikum
ist die seit 1944 erschienene Biblioteca de autores cristianos (Bibliothek der christli--
chen Autoren, Abk. BAC) gedacht: Dem lateinischen Text (nach PL) sind eine spa--
nische Übersetzung und nur die nötigsten Anmerkungen zur Seite gestellt. Dem
generellen Rückgang der Lateinkenntnisse tragen in besonderem Maß die amerika--
nischen Reihen The Fathers of the Church (Kirchenväter, Abk. FaCh) seit 1963 bzw.
die auf Augustin spezialisierten The Works of St. Augustine. A translation for the 21st
Century (Die Werke des heiligen Augustin. Eine Übersetzung für das 21. Jahrhun--
dert) seit 1990 Rechnung.
Bouhot, Jean-Paul: La transmission d’Hippone à Rome des œuvres de saint Augustin, in: Neb--
biai-Dalla Guarda, Donatella / Genest, Jean-François (Hgg.): Du copiste au collectionneur.
Mélanges d’histoire des textes et des bibliothèques en l’honneur d’André Vernet, Bibliolo--
gia 18, Turnhout 1998, 23–33.
Gorman, Michael M.: The Manuscript Traditions of the Works of St. Augustine, Firenze 2001.
Institut des Études Augustiniennes (anstelle eines Hg.s): Troisième centenaire de l’édition
Mauriste de saint Augustin. Communications présentées au colloque des 19 et 20 avril 1990,
Collection des Études Augustiniennes. Série Antiquité 127, Paris 1990.
Dorothea Weber
A. Orientierung
1. Vorbemerkung
Augustins außerordentliche Bedeutung führt dazu, daß er Gegenstand der For--
schung verschiedener Fächer ist, unter anderem der Theologie (besonders der Patri--
stik), Philosophie, Klassischen Philologie, Alten Geschichte, Pädagogik. Hier sollen
nur die Hilfsmittel thematisiert werden, die eigens für die Beschäftigung mit Augu--
stin konzipiert wurden, ihn jedoch in einem umfassenden bzw. allgemeinen Sinne
erfassen wollen.
. Lexika
Als Einstieg in jegliche Augustin betreffende Thematik eignet sich häufig das Augu--
stinus-Lexikon (Abk. AL). Ab 1986 von Mayer in Verbindung mit einem interdiszi--
plinär und international besetzten Herausgebergremium publiziert, will es sowohl
über die Fächergrenzen hinweg einen übersichtlichen und fundierten Zugang zu
Augustin schaffen als auch der zunehmenden Zersplitterung in der Forschung begeg--
nen. Dieses Begriffs- und Reallexikon wird nach seiner Fertigstellung mittels ca. 1100
Lemmata zu Augustin, seinem Leben und Denken, seinen Werken, den Personen
seines Umkreises und seinem zeitgeschichtlichen Kontext (Orte, Sachen und Sach--
verhalte von gesellschaftlicher, politischer, kultischer sowie kultureller Bedeutung)
zuverlässige Auskunft geben. Die für Augustins Denken charakteristischen Begriffe
werden unter Berücksichtigung sowohl der christlichen wie der heidnisch-antiken
Tradition dargestellt. Um ein möglichst hohes Maß an Authentizität zu gewährlei--
sten, stammen die Stichwörter des AL fast ausnahmslos aus Augustins Œuvre, sind
also lateinisch (z. B. baptisterium [Taufe], ecclesia [Kirche] oder haeresis [Häresie]).
Bisher sind zwei Bände des AL sowie die Hälfte des dritten Bandes erschienen, d. h.
die Lemmata von ›Aaron‹ bis ›Institutio, institutum‹. Jeder Artikel ist mit einer aus--
führlichen Bibliographie versehen – bei Werkartikeln wird auch versucht, alle wich--
tigen Editionen sowie wissenschaftlichen Übersetzungen aufzuführen. Das AL ent--
hält am Anfang von Band 2 zudem ein detailliertes Gesamtverzeichnis des augusti--
nischen Œuvres, das die beste kritische Edition eines jeden Werkes (sogar für jeden
einzelnen Brief oder Sermo) nennt.
Viel kleiner konzipiert, dafür mit Ausblicken auf die Rezeptionsgeschichte Augu--
stins, die vom AL bewußt ausgeklammert wird, ist das von Fitzgerald 1999 her--
ausgegebene einbändige Lexikon Augustine through the Ages. An Encyclopedia. Seine
Autoren, wie auch der zunächst angesprochene Leserkreis, stammen vor allem aus
dem angelsächsischen Raum, was sich insbesondere in der zuweilen ungleichmäßi--
gen Aufarbeitung der Forschung sowie bei den Literaturhinweisen zu den einzel--
nen Lemmata zeigt.
Ein rein philologisch ausgerichtetes Lexikonunternehmen sind die Specimina
eines Lexicon Augustinianum von Hensellek / Schilling in Form einer Loseblatt--
II. Hilfsmittel und Forschungsinstitutionen
. Elektronische /d
igitale Hilfsmittel
Ursprünglich nur als Hilfsmittel für das AL geplant, hat sich die elektronische Res--
source Corpus Augustinianum Gissense a C. Mayer editum (Abk. CAG) auf CD-ROM
mittlerweile wie das AL zu einem der wichtigsten Instrumente der Augustinforschung
entwickelt. Es besteht aus zwei Teilen: 1) dem gesamten lateinischen Text Augustins
in lemmatisierter Form, 2) einer Sekundärliteraturdatenbank. In seiner neuesten
Version (CAG 2 aus dem Jahr 2004) bietet es die beste kritische Augustin-Gesamt--
ausgabe, da jedem Werk des Kirchenvaters die derzeit philologisch beste gedruckte
Edition zugrunde liegt, deren Text seiten- und zeilengetreu dargestellt wird. Das
gesamte, über 5 Millionen Wörter umfassende Œuvre Augustins ist lemmatisiert,
d. h. jeder Wortform ist eine Grundform zugewiesen, was die Recherche außeror--
dentlich erleichtert. Die Suche kann mittels direkter Eingabe des Begriffs oder über
Indices (auch als Kombinationssuche sowie mit ›Jokern‹ und ›logischen Operato--
ren‹) im Gesamtwerk, in Werkgruppen oder in Einzelwerken erfolgen. Zugleich las--
sen sich Zitate – nach verschiedenen Kategorien gegliedert (z. B. Bibelstellen, andere
Autoren, Selbstzitate Augustins) – suchen. Der zweite Teil des CAG, die Literaturda--
tenbank (A. II. 4.2.), enthält ca. 30.000 Einträge, die nach den Lemmata und Unter--
stichwörtern des AL verschlagwortet sind. Gleichfalls einen Volltext Augustins, vor
allem auf der Basis der Editionen des Corpus Christianorum. Series Latina, enthält
die aus dem Jahr 2005 stammende CLCLT-6 (Abk. für CETEDOC Library of Chri--
stian Latin Texts 6) des Centre ›Traditio Litterarum Occidentalium‹, die jedoch nicht
lemmatisiert ist.
Hinsichtlich der diversen Angebote im Internet sollen folgende vier Portale her--
vorgehoben werden, von denen aus leicht der Zugriff auf etliche andere Homepa--
ges erfolgen kann:
http://www.augustinus.de: Dieses deutschsprachige Portal, zugleich Homepage
des Würzburger Zentrums für Augustinus-Forschung (A. II. 5.), enthält insbeson--
dere die Literaturdatenbanken DBAS und DBAL (A. II. 4.2.). Daneben stellt es das
10 A. Orientierung
. Bibliographische Hilfsmittel
Literatur ist thematisch gegliedert; Vollständigkeit wurde für diesen Zeitraum vor
allem bei Dissertationen angestrebt.
Trapè, Agostino: S. Agostino, in: Quasten, Johannes / di Berardino, Angelo
(Hgg.): Patrologia, Bd. 3, Turin 1978, 325–434: Jeweils am Ende der einzelnen Ab-
schnitte wird die relevante Literatur genannt.
Lorenz, Rudolf: Augustinliteratur seit dem Jubiläum von 1954, Theologische
Rundschau 25 (1959), 1–75; Ders., Zwölf Jahre Augustinusforschung (1959–1970),
Theologische Rundschau 38 (1974), 292–333; 39 (1974), 95–138.253–286.331–364; 40
(1975), 1–41.97–149.227–261.
Andresen, Carl: Bibliographia augustiniana, 2. Auflage Darmstadt 1973: Die
Sekundärliteratur ist in Hauptabschnitte zu Organen der Augustinforschung, Einfüh--
rungen / Gesamtdarstellungen, Augustin als Mensch / sein Leben, Augustin als Den--
ker / Philosoph, Augustin als Theologe und Nachwirken Augustins gegliedert.
Institut des Études Augustiniennes (anstelle eines Hg.s): Fichier Augustinien,
Paris, Auteurs 1–2. Matières 1–2. Supplément 1, Boston (Massachusetts) 1972–1981
(vollständig im CAG aufgegangen).
Van Bavel, Tarsicius / van der Zande, F. (Hgg.): Répertoire bibliographique de
saint Augustin 1950–1960, Steenbrugge / Den Haag 1963.
eine wichtige Ergänzung zum oben genannten Bulletin der Revue darstellt, da sie
nicht systematisch von diesem ausgewertet wird.
Die unten genannten Augustin-Zeitschriften (A. II. 5.) publizieren gleichfalls
regelmäßig bibliographische Hinweise.
wichtigeren Aufsätze beschränken wollte. Die unter A. II. genannten Hilfsmittel sind
daher unumgänglich. Insgesamt läßt sich aber feststellen, daß in den letzten zwan--
zig Jahren das Interesse an Augustin eher zu- als abgenommen hat. Dies zeigt sich
an der relativ hohen Zahl von verschieden ausgerichteten Augustinkongressen seit
1982. Die Ursachen hierfür sind vielfältig. Ältere Arbeiten scheinen veraltet oder
überholt zu sein, das Interesse an der Spätantike wächst insgesamt und wirkt sich
auch auf die Augustinforschung aus, Grabungsergebnisse werden auch außerhalb
der Archäologie intensiver und neu rezipiert. Eine Besonderheit, die speziell für die
Augustinforschung gilt, ist die Entdeckung neuen Textmaterials, nämlich der Epi--
stulae Divjak (= ep.*) und der Sermones Dolbeau (A. I.). Diese Textentdeckungen
haben der Augustinforschung wichtige Impulse gegeben, die auch über das neu ent--
deckte Material hinaus zu neuen Fragestellungen geführt haben. Im folgenden soll
versucht werden, einige Schwerpunkte herauszugreifen, die bei diesen Spezialkon--
ferenzen zu Augustin in den letzten gut zwanzig Jahren zu beobachten sind.
Zu den Epistulae Divjak gab es bereits 1982 ein Kolloquium, dessen Akten ein
Jahr später publiziert wurden. Dieses Kolloquium hat für die Augustinforschung eine
fundamentale Bedeutung. Es richtete den Blick nämlich zum einen auf die Eigen--
art augustinischer Handschriften und der in ihnen enthaltenen Sammlungen augu--
stinischer Werke, zum anderen auf eine Reihe von realgeschichtlichen Fragestellun--
gen. Nicht nur für die Prosopographie und einige geographische Angaben sind die
neu gefundenen Briefe aufschlußreich, sondern auch für die Chronologie augustini--
scher Werke, weil ep. 23* von der Reihenfolge der retr. abweicht (C. I. 1.). Auf ver--
schiedene Fragen, etwa Augustins Kenntnisse über den Priscillianismus (vgl. ep. 11*),
werfen die Briefe neues Licht. Der Briefwechsel mit Consentius, ep. 205.119 f, wurde
um zwei Briefe erweitert, nämlich um ep. 11* und ep. 12*. Aus ep. 4* ergibt sich, daß
Augustins Versuche, die Akten der Verhandlungen von Diospolis von Johannes von
Jerusalem zu erhalten (B. III. 7.2.), erfolglos waren und es nach dem Tod von Johan--
nes von Jerusalem Kyrill von Alexandria war, der die Akten im Jahr 417 nach Nord--
afrika schickte. Die Affäre um Antoninus von Fussala (B. III. 11.) wurde ebenso klar
ins Licht gerückt wie andere rechtliche Fragen, etwa die Frage nach der elterlichen
Vollmacht, der Sklaverei und die Ausübung der audientia episcopalis (bischöflichen
Audienz; vgl. ep. 24*). Insgesamt wurde die Aufmerksamkeit der Forschung durch die
Divjakbriefe gerade auf die Tatsache gelenkt, daß eine sorgfältige Analyse der histo--
rischen und realgeschichtlichen Zusammenhänge aufgrund des Werks Augustins zu
einem wesentlich differenzierteren Bild der Spätantike beitragen kann.
Auf welchen Forschungsstand diese neuen Impulse trafen, zeigt der größte inter--
nationale Augustinkongreß der letzten zwanzig Jahre, der Congresso Internazio--
nale su s. Agostino nel XVI centenario della conversione (Roma, 15–20 settembre
1986) (Internationaler Kongreß über den Heiligen Augustin zum 1600. Jahrestag der
Bekehrung, Rom 15.–20. September 1986). Die vom Istituto Patristico ›Augustinia--
num‹ organisierte, durch ein Grußwort von Papst Johannes Paul II. eröffnete Ver--
anstaltung schließt hinsichtlich Umfang und Gewicht an den berühmten Kongreß
von Paris 1954 (Augustinus Magister /Augustin als Lehrer, Kongreßakten in 3 Bän--
III. Zum Stand der Augustinforschung 15
den) an. Die Hauptvorlesungen im Plenum zeigen dabei ein breites Spektrum: Ein
Schwerpunkt liegt auf der Bekehrung Augustins, gefolgt von einzelnen Vorträgen
zum Problem des Bösen, von Freiheit und Gnade, zum Gottesbegriff, gefolgt schließ--
lich von wirkungsgeschichtlichen Vorträgen und Vorträgen, die wichtige Arbeits--
mittel vorstellen (zu einer Zeit, in der der Einsatz von Computern in den Geistes--
wissenschaften sich erst ganz allmählich zu entwickeln begann und die wenigsten
Professoren wie Studierenden bereits mit Computern arbeiteten). Dieses Spektrum
schlägt sich dann auch in den Spezialsektionen nieder, die es zu den Bereichen Phi--
lologie und Geschichtswissenschaften, Bekehrung und conf., Theologie, Philoso--
phie, Ethik und Wirkungsgeschichte gab. Von den großen Hauptwerken Augustins
stehen die conf. nach wie vor im Vordergrund, trin., ciu. oder doctr. chr. tauchen
eher verstreut hier und da auf. Dasselbe gilt für die Schriften der Gnadenlehre, die
in verschiedenen Sektionen auftauchen, die historischen Untersuchungsfelder zum
Pelagianischen oder Donatistischen Streit sind eher Randthemen, Untersuchungen
zum Manichäismus fehlen fast ganz. Damit sind zugleich die wichtigsten Bereiche
genannt, in denen die Augustinforschung seit 1986 zu neuen Perspektiven und For--
schungsstrategien gekommen ist.
Einen wichtigen Schritt bildete dafür das von den Herausgebern des Augustinus-
Lexikons unter der Leitung von Cornelius Mayer geplante Symposion (Internationa--
les Symposion über den Stand der Augustinus-Forschung vom 12. bis 16. April 1987
im Schloß Rauischholzhausen der Justus-Liebig-Universität Gießen), auf dem in elf
Vorträgen das Feld der Augustinforschung gesichtet und Perspektiven für die Wei--
terarbeit skizziert wurden. Neben den Begründern des Projekts ›Augustinus-Lexi--
kon‹ (A. II.), Cornelius Mayer, Goulven Madec, Alfred Schindler, Erich Feldmann,
Serge Lancel, Otto Wermelinger, Wilhelm Geerlings, wurden mit Jean Doignon, Fran-
çois Decret, Ilsetraut Hadot und Claude Lepelley weitere Spezialisten hinzugezogen.
Madec und Feldmann beschäftigten sich mit der Bekehrung und den Confessiones,
Doignon ergänzte dies um einen Blick auf die Frühdialoge und Decret durch seinen
Blick auf den Manichäismus. Den Bezug zur Bildungsgeschichte stellte I. Hadot her,
den zur althistorischen Forschung Lepelley. Der Donatismus wurde von Schindler
und Lancel bearbeitet (wobei letzterer insbesondere auf die collatio / Konferenz von
411 und ihre Folgen einging, die er zur Edition vorbereitete), der Pelagianismus von
Wermelinger. Als theologisches Thema wurde die Christologie herausgegriffen, zu
der Geerlings referierte, schließlich setzte sich Mayer mit der Augustinsicht einer
1980 erschienenen ›Einführung in sein Denken‹ von Kurt Flasch auseinander. Die
Notwendigkeit der Kombination der verschiedenen Fachperspektiven wurde auf die--
sem Symposion ebenso deutlich wie der Bedarf, einige Forschungsfelder noch inten--
siver zu bearbeiten, etwa den nordafrikanischen Manichäismus, die einzelnen Schrif--
ten des Pelagianischen und des Donatistischen Streits, die althistorische Sicht auf die
Provinzen Nordafrikas und die dort gegebenen Lebensbedingungen.
Hieran knüpfte der knapp zehn Jahre später, 1996 einberufene Kongreß zu den
neu aufgefundenen Sermones Dolbeau an. Die Beiträge wurden 1998 unter dem Titel
›Augustin Prédicateur‹ veröffentlicht. Dieser Kongreß lenkte die Aufmerksamkeit
1 A. Orientierung
naturgemäß auf die Predigttätigkeit und verdeutlichte, daß in der Bearbeitung der
Predigtwerke Augustins (B. III. 15. und C. I. 12.) noch erhebliche Arbeit zu leisten ist.
Zugleich traten Fragen des liturgischen Kontextes von Augustins Denken bis hin zu
liturgiegeschichtlichen Einzelfragen in den Vordergrund (C. III. 12.). Weitere Vor--
träge betrafen gerade die Verortung der Kirche, die Augustin vor Augen hat, in das
gesellschaftliche Umfeld, sowohl, was sozialgeschichtliche Fragen angeht, als auch,
was das Verhältnis zum Heidentum angeht. In letzterer Hinsicht ist s. Dolbeau 26
gleichsam eine Art Grundsatzpredigt zum Verhältnis zum Heidentum (C. III. 8.).
Die Bedeutung Augustins für die Manichäismusforschung wurde in einem eige--
nen Kongreß bearbeitet (Beiträge veröffentlicht 2001 unter dem Titel ›Augustine
and the Manichaeism in the Latin West‹). Dieser Kongreß bündelte die verschie--
denen Ansätze, Augustin auf dem Hintergrund des Manichäismus neu zu betrach--
ten. Hintergrund ist ein insgesamt neues Bild des Manichäismus, das nicht nur auf
den antihäretischen Schriften und Referaten kirchlicher Schriftsteller beruht, son--
dern verstärkt auf Originalquellen zurückgreift und dabei die christliche Prägung
gerade des nordafrikanischen Manichäismus hervorhebt (auch hier ging ein wichti--
ger Impuls von der Neuauffindung eines Textes aus, nämlich dem Codex Manichai--
cus Coloniensis / Kölner Mani-Codex, B. II. 5.). Von hier aus wurden die antima--
nichäischen Schriften Augustins neu als Auseinandersetzung mit der eigenen Ver--
gangenheit gelesen und Augustin als eine wichtige Quelle für den nordafrikanischen
Manichäismus neu ausgewertet (gerade auch im Hinblick auf die verschiedenen
Jesusfiguren, den Bezug auf die Schöpfungslehre und den Streit um die Genesis).
Der Kongreß stellte einen wichtigen Impuls dar, weil in seinem Gefolge die Bedeu--
tung des Manichäismus für Augustin insgesamt neu ins Bewußtsein gelangte. Dies
schlägt sich etwa darin nieder, daß auch die conf. in antimanichäischem Sinne ver--
standen werden (nach Feldmann, Einfluß, auch Drecoll, Gnadenlehre und beson--
ders pointiert Kotzé).
Die Hauptwerke Augustins fanden in den letzten Jahren erneute Aufmerksam--
keit, neben den conf. besonders trin. Während zu den conf. eine Reihe von ›Sam--
melkommentaren‹ erschien (in der Reihe der Fondazione Lorenzo Valla [ohne Hg.]
und in einem Sammelband von Fischer / Mayer), veranstaltete Brachtendorf 1998
ein Kolloquium zu trin. (die Beiträge wurden 2000 unter dem Titel ›Gott und sein
Bild‹ veröffentlicht). Hier zeigte sich besonders, daß die verschiedenen methodi--
schen Zugänge (philosophischer, geschichtlicher, theologischer, philologischer Art)
zusammenarbeiten müssen, um ein differenziertes Bild der Hauptwerke Augustins
zu gewinnen. Zugleich zeigte sich, daß auch für ein so oft besprochenes Werk wie
trin. immer noch viele Fragen zu klären sind (etwa der geschichtlichen Einordnung
der z. T. hypothetisch zu rekonstruierenden Entstehungsgeschichte von trin.). Seit--
dem haben sich gleich mehrere wichtige Arbeiten mit trin. beschäftigt (Brach--
tendorf, Gott; Studer, De trinitate; Kany). In vergleichbarer Weise hat auch
doctr. chr. erneute Aufmerksamkeit gefunden (vgl. Pollmann, Untersuchungen;
Bochet, Firmament), der Bezug zur antiken Rhetorik und dem Zusammenhang
von grundsätzlicher Hermeneutik und der konkret geleisteten exegetischen Arbeit
III. Zum Stand der Augustinforschung 1
Augustins rückt so verstärkt ins Zentrum. Neben den Hauptwerken hat vor allem
die Gnadenlehre Augustins Aufmerksamkeit gefunden (Flasch, Augustin; Lössl,
Intellectus; Hombert, Gloria Gratiae; Drecoll, Gnadenlehre; Lettieri, Agostino).
Hierbei hat sich die Notwendigkeit eines geschichtlichen Ansatzes besonders deut--
lich gezeigt. Die Aussagen Augustins sind nur angemessen verständlich, wenn sie
in ihrem jeweiligen historischen Kontext untersucht werden und der Kontext ent--
sprechend berücksichtigt wird.
Diese methodische Tendenz zieht letztlich die Konsequenz aus dem Neuansatz
der Augustinforschung Ende des 19. /Anfang des 20. Jahrhunderts, in dem nach der
geistigen Entwicklung Augustins im Umfeld seiner Bekehrung gefragt wurde, und
zwar insofern, als die Frage nach den Konstanten und Entwicklungen in Augustins
Denken und nach dem historischen Kontext seines Denkens auf alle Bereiche sei--
nes Werkes angewandt wird. Diese methodische Einsicht führt dazu, Augustin nicht
unhistorisch als singulär-isolierte Einzelperson (in Abwehr falscher Häresien und
als Entwickler großartiger Gedankensysteme) zu betrachten, sondern ihn einzu--
ordnen in die verschiedenen Diskursfelder seiner Zeit. Augustinforschung wird so
mehr und mehr zu einer Beschäftigung mit der nordafrikanischen Kirche Ende des
4. und Anfang des 5. Jahrhunderts, deren Bedeutung für die Entwicklung der latei--
nischen Christenheit immens ist. Dies schlägt sich auch in dem jüngsten Augustin--
kolloquium nieder, dem 2006 in Freiburg von Therese Fuhrer einberufenen Kollo--
quium zum Thema ›Die christlich-philosophischen Diskurse der Spätantike: Texte,
Personen und Institutionen‹ (der Titel verrät nicht, daß es nur um den Westen des
Imperium Romanum und fast ausschließlich um Augustin geht; die Veröffentlichung
der Beiträge ist in der Reihe ›Philosophie der Antike‹ für 2007 vorgesehen). Auf die--
sem Kolloquium wurde deutlich, daß die Grenze zwischen ›Christentum‹ und ›Hei--
dentum‹ an bestimmten Stellen eminent wichtig war, an vielen anderen aber (gerade
im Hinblick auf die Philosophie, die Kultur, teilweise auch die Sozialgeschichte) eine
klare Trennung gar nicht bestand. Zudem zeigte sich, daß der Umfang von Augustins
Werk es in einmaliger Weise ermöglicht, ein Bild der Gesellschaft und der aufstreben--
den Kirche und der damit verbundenen Diskurse zu zeichnen. Damit wird Augustin--
forschung zu einem wichtigen ›Schlüssel‹ für die Untersuchung der Spätantike über--
haupt. Daß diese Ansätze, gerade auch auf der Basis der in neuer Intensität entste--
henden kritischen Texteditionen Augustins, fortgesetzt werden, bleibt zu hoffen.
Brachtendorf, Johannes (Hg.): Gott und sein Bild. Augustins De trinitate im Spiegel gegenwär--
tiger Forschung, Paderborn u. a. 2000.
Istituto Patristico »Augustinianum« (anstelle eines Hg.s): Atti. Congresso Internazionale
su s. Agostino nel XVI centenario della conversione, Roma, 15–20 settembre 1986, 3 Bd.e,
Rom 1987.
Lepelley, Claude (Hg.): Les Lettres de saint Augustin découvertes par Johannes Divjak. Com--
munications présentées au colloque des 20 et 21 septembre 1982, Études Augustiniennes,
Paris 1983.
Madec, Goulven (Hg.): Augustin prédicateur (395–411). Actes du Colloque International de
Chantilly, 5–7 septembre 1996, Collection des Études Augustiniennes. Série Antiquité 159,
Paris 1998.
1 A. Orientierung
Mayer, Cornelius P. / Chelius, Karl H. (Hgg.): Internationales Symposion über den Stand der
Augustinus-Forschung vom 12. bis 16. April 1987 im Schloß Rauischholzhausen der Justus-
Liebig-Universität Gießen, Cassiciacum 39 / 1, Res et signa. Gießener Augustinus-Studien 1,
Würzburg 1989.
van Oort, Johannes / Wermelinger, Otto / Wurst, Gregor (Hgg.): Augustine and Manichaeism
in the Latin West. Proceedings of the Fribourg-Utrecht Symposium of the International Asso--
ciation of Manichaean Studies (IAMS), Nag Hammadi and Manichaean Studies 49, Leiden
u. a. 2001.
Volker Henning Drecoll
B. Person
0 B. Person
Augustin hat, von wenigen Jahren in Italien abgesehen, sein Leben in Africa verbracht.
Mit Africa konnte zu seiner Zeit der Erdteil, sein an Mittelmeer und Atlantik gren--
zender Nordteil (von der Großen Syrte im Osten bis zur Südwestspitze Marokkos,
gegenüber den Kanarischen Inseln) oder die Provinz Africa Proconsularis gemeint
sein. Wenn Augustin von Africa und seinen Bewohnern, den Afri (zu denen er sich
selber zählt), spricht, steht meist die zweite (provinzübergreifende) Bedeutung im
Hintergrund (vgl. z. B. ep. Io. tr. 2,3; ep. 17,2; doctr. chr. 4,24; s. 46,37–41; daß Mau--
retanien dabei eine gewisse Eigenständigkeit in Anspruch nahm, zeigt ep. 93,24).
Der Zusammenhalt dieses nordafrikanischen Provinzialgebietes beruhte auf typi--
schen Traditionen (besonders denen der ursprünglichen Berber-Bevölkerung und
der punischen Kolonisatoren, vgl. hierzu Jongeling / Kerr), auf der gemeinsamen
lateinischen Sprache (östlich der Großen Syrte, in der Kyrenaika und in Ägypten
sprach man dagegen Griechisch) und auf gemeinsamen Verwaltungsstrukturen: In
der Regierungszeit Konstantins (306–337) tauchen erstmals eine afrikanische dioe--
cesis (Diözese), deren Vorsteher (uicarius Africae / Statthalter für Afrika) von Kar--
thago aus die afrikanischen Provinzen beaufsichtigte, und eine ›gesamtafrikanische‹
Finanzverwaltung (unter einem rationalis Africae / Rechnungsführer von Afrika) auf;
es gab auch eine entsprechende Organisation der Getreide- und Ölexporte nach
Rom (unter einem praefectus annonae Africae / Präfekt für das Getreide von Afrika)
und ein übergreifendes militärisches Kommando (getrennt von der Zivilverwal--
tung) unter einem comes Africae (General von Afrika). Im kirchlichen Bereich hat
diese Zusammengehörigkeit des heutigen Maghreb schon früher strukturelle Folgen
gehabt (B. I. 1.2.). Zur Zeit Augustins war dieses Africa lange Jahre politisch ziem--
lich unabhängig, als nämlich der comes Africae Gildo (385–398), im Bewußtsein der
römischen Abhängigkeit von afrikanischen Kornlieferungen, die kaiserliche Auto--
rität nur nominell anerkannte.
Die Verwaltungsreform Kaiser Diokletians (284–305) hatte alle Provinzen des
Reiches erheblich verkleinert. In Africa folgte nun – von Ost nach West, an der Gro--
ßen Syrte beginnend – auf die Tripolitana (den Nordwestteil des heutigen Libyen)
zunächst die von Hadrumetum / Sousse aus verwaltete Byzacena, d. h. der Mittelteil des
heutigen Tunesiens, von der Dorsale bis herunter zum Nordufer des Chott el Djerit
und zur Kleinen Syrte. Nördlich der Byzacena lag die Provinz Africa Proconsularis,
mit der Hauptstadt Karthago als dem Zentrum von Africa. Ihre Westgrenze begann
im Norden ca. 30 Kilometer westlich der Hafenstadt Hippo Regius (heute Annaba;
B. I. 1.3.) und verlief dann zunächst ziemlich genau nach Süden (Karte S. 23); jen--
seits davon schlossen sich die Provinzen Numidia (Hauptstadt Constantina) und wei--
ter westlich Mauretania Sitifensis (Hauptstadt Sitifis / Sétif) an, beide ganz im heutigen
I. Biographisches Umfeld und Vita 1
auf die spätere vandalische Eroberung (429–439) zeigt. Da die städtische Bevölke--
rung militärischer Verteidigung völlig entwöhnt war und die römischen Truppen
gerade einmal zur Abwehr einzelner Nomadeneinfälle ausreichten, konnten nur
starke Befestigungen wie in Hippo (die in Africa aber selten waren) die Germanen
eine Zeitlang aufhalten.
Der Bischofssitz von Karthago war schon im 3. Jahrhundert das Zentrum der gesam--
ten (bei enger Verbindung zu Rom doch sehr selbstbewußten) ›afrikanischen‹ katho--
lischen Kirche, und spätestens seit Cyprian (B. II. 6.) ist der dortige Bischof der Pri--
mas von ganz Africa.
Die diokletianischen Reformen (B. I. 1.1.) haben auch die Kirchenverfassung
von Africa beeinflußt. Es entwickelten sich nun (im 4. Jahrhundert) Kirchenprovin--
zen, die im großen und ganzen den ›staatlichen‹ Provinzen entsprachen, allerdings
nicht immer deckungsgleich waren. So war die Kirchenprovinz Africa Proconsula--
ris deutlich kleiner als ihr weltliches Pendant; sie endete ungefähr an der tunesisch-
algerischen Grenze. Westlich davon begann die Kirchenprovinz Numidien, wozu
auch Hippo Regius gehörte. Von der staatlichen Provinz her gehörte Augustins Bis--
tum also zum westlichen, ›numidischen‹ Teil der Africa Proconsularis, von der kirch--
lichen Provinz her gehörte es zu Numidien.
Die Vorrangstellung Karthagos blieb gewahrt. Während in den anderen Kirchen--
provinzen von Africa das Anciennitätsprinzip galt, es also keine festen ›Metropoli--
tansitze‹ gab, sondern jeweils der dienstälteste Bischof von seiner Bischofsstadt aus
den Vorsitz führte, war der Bischof Karthagos immer auch der Metropolit der Pro--
vinz Proconsularis und zugleich der erste Bischof von Africa. Die Zahl der von ihm
seit dem 3. Jahrhundert nach Karthago zusammengerufenen gesamtafrikanischen
Konzilien ist beträchtlich (vgl. die Aufstellung bei Mandouze 1318–1320). Die Auf--
gaben der Metropoliten in den verschiedenen Provinzen waren dagegen die Einbe--
rufung und Leitung von provinzialen Konzilien, die Aufsicht über die Kirchendiszi--
plin in der Provinz und der Vorsitz bei der Ordination neuer Bischöfe.
Dem Betrachter der kirchlichen Strukturen von Africa fällt die hohe Zahl von
Bischofssitzen auf. Für Augustins Zeiten rechnet man mit mindestens 600 (katho--
lischen und donatistischen) Bistümern (vgl. Lancel, Actes I, 118–123). Die im Ver--
gleich zu anderen westlichen Kirchen exzeptionell hohe Zahl geht auf mehrere Ursa--
chen zurück: auf die Dynamik der Christianisierung, die Konkurrenzsituation zwi--
schen Katholiken und Donatisten (besonders im ersten Jahrzehnt des 5. Jahrhunderts)
sowie auf den Städtereichtum von Africa. Allerdings dürfen ciuitas (Stadt) und Bis--
tum (auch hierfür wurde, wie im weltlichen Bereich, der Begriff dio[e]cesis verwen--
det, daneben aber auch ecclesia und parochia, vgl. Lancel, Cathedra) nicht gleichge--
setzt werden; denn in einer Reihe afrikanischer Städte gab es offenbar keinen eigenen
Bischof, während umgekehrt verschiedene ›Landbischöfe‹ bekannt sind, deren Sitz
beispielsweise die Wohnsiedlung von Landarbeitern eines Gutes sein konnte; diese
I. Biographisches Umfeld und Vita
Bistümer sind teilweise namentlich bekannt, jedoch meist nicht lokalisierbar, weil
ohne Urbanisation kaum Inschriften überliefert sind. In Numidien und Mauretanien
gab es schließlich auch einige Bistümer für seßhaft gewordene Nomadenstämme.
Wegen dieser Variationsbreite läßt sich keine typische Größe eines afrikanischen
Bistums angeben. Die großen – wie Karthago, Hippo Regius (B. I. 1.3.), Hadrume--
tum (in Tunesien), Sitifis, Mileve / Mila, Constantina und Caesarea (alle in Algerien) –
verfügten über zahlreiches Personal und über Kleriker verschiedener Stufen (Lekto--
ren, Subdiakone, Diakone, Priester), während in kleinen der Bischof fast allein stand.
Die Ordination von Klerikern im engeren Sinn (also von Diakonen und Priestern)
wurde oft dadurch erschwert, daß Kandidaten aus dem städtischen Bürgertum aus
den steuerlichen Verpflichtungen ihrer Heimatstadt gegenüber nur dann entlassen
wurden, wenn sie für Ersatz sorgten; es gab folglich erheblichen Priestermangel (vgl.
ep. 22*,2–5; vgl. Registri Ecclesiae Carthaginensis Excerpta / Exzerpte aus dem Register
der Kirche von Karthago 56,45–51; CChr.SL 149, 194 /419–195 /430), dem allerdings
durch die Rekrutierung in Klöstern (vgl. Gavigan) etwas entgegengewirkt wurde.
Daß die Bistümer sich häufig gezwungen sahen, ihre Interessen vor Gericht zu ver--
treten, läßt sich an einem 407 auf Bitten eines afrikanischen Konzils (vgl. Registri
Ecclesiae Carthaginensis Excerpta 97; CChr.SL 149, 215 / 1147–1157) geschaffenen Amt
ablesen: das des defensor (eines Advokaten der Kirche). Eine afrikanische Besonder--
heit scheinen die – letztlich vielleicht auf die entsprechenden jüdischen Gremien
zurückgehenden – seniores ecclesiae oder seniores laici (Ältestenräte) zu sein, die aus
Laien bestanden, dennoch aber Mitsprache- und sogar Aufsichtsrechte in der Diö--
zese hatten (vgl. Shaw II und X).
B. Person
Die Ruinen des antiken Hippo Regius liegen ca. zwei Kilometer südwestlich von der
modernen Siedlung Annaba (früher Bône) entfernt. Der natürliche Hafen in der Nähe
der Mündung des Ubus (Oued Seybouse) war die Keimzelle der Stadt. Der Beiname
Regius (königlich) stammt aus der Zeit (bis 46 v. Chr.), als sie zum numidischen König--
reich gehörte. Die Römer gewährten ihr bald Stadtrechte, spätestens unter Trajan
wurde sie colonia (Stadt römischer Bürger, vgl. Lepelley, Cités II, 113 f). Der Grund
für diesen Aufstieg liegt in ihrer wirtschaftlichen und strategischen Bedeutung. Über
Hippo liefen die Getreidetransporte aus dem fruchtbaren Hinterland und der Umge--
bung von Calama / Guelma und Thagaste / Souk Ahras nach Rom; auch endete hier
seit flavischer Zeit die große Nord-Süd-Straße, die den Garnisonsort Theveste / Té--
bessa mit dem Meer verband und dessen Versorgung sicherstellte.
Hippo Regius war also eine der wichtigsten Städte der Africa Proconsularis (wenn
auch mit deutlichem Abstand zur Kapitale Karthago), wie sich auch an der Einrich--
tung einer dioecesis Hipponensis (B. I. 1.1.) zeigt. Ihr Territorium war (trotz seiner
Höhenlage; heute Djebel Edough) fruchtbar und außergewöhnlich groß; es erstreckte
sich von Ost nach West über 80 Kilometer. Die Stadt leistete sich eine eindrucksvolle
Forumsanlage (ohne die Peristyle 76 x 42 Meter), ein luxuriöses Theater (1. Jahrhun--
dert) und mehrere Thermen (2. und 3. Jahrhundert).
Seit dem 4. Jahrhundert kamen dann christliche Bauten dazu. Hippo gehörte, wie
auch die Bistümer Calama, Thagaste, Madaura und Theveste, zur numidischen Kir--
chenprovinz (vgl. Lancel, Africa 205 f), in der die diokletianische Christenverfol--
gung zahlreiche Opfer gefordert hatte; in Hippo wurde später wohl eine Gruppe von
zwanzig Märtyrern dieser Zeit mit ihrem Bischof Fidentius verehrt (vgl. z. B. ciu. 22,8;
s. 148; 325,1). Der Namenspatron und Gründer der Leontius-Basilika (vgl. s. 262,2),
ein früherer Bischof der Stadt, war dagegen wohl kein Märtyrer.
Generell war in Hippo bis zur Zeit Augustins (wie in Numidien überhaupt) der
Donatismus so stark, daß die Katholiken nur eine Minderheit darstellten. Augustins
donatistischer Rivale war zunächst Proculeianus, dann bis 412 Macrobius; sein direk--
ter Vorgänger auf der katholischen cathedra (dem Bischofsstuhl) war der Grieche
Valerius (vgl. Mandouze 662 f und 1139–1141). Dieser machte 391 Augustin zum Prie--
ster und übertrug ihm bereits als Priester die Predigt (vgl. s. 355,2; B. I. 3.; B. III. 15.).
Ca. 395 wurde er nominell coadiutor (›Mitgehilfe‹, Stellvertreter) und nach dem Tod
des Valerius, 395, 396 oder spätestens Anfang 397, Bischof der Stadt, was er bis zu
seinem Tode blieb.
Zentrum des Wirkens Augustins war seine bei der Hauptbasilika gelegene domus
episcopi (Bischofshaus oder episcopium / bischöfliches Anwesen; vgl. Real). Als Prie--
ster hatte er in einem von ihm auf einem kirchlichen Gartengrundstück gegründeten
Männerkloster gewohnt (vgl. s. 355,2; Marec 230); nach seiner Bischofsweihe verließ
er es, gründete aber auch in seiner Bischofsresidenz wieder eine klösterliche Gemein--
schaft, ein monasterium clericorum (Klerikerkloster). Von hier aus entfaltete er, unter--
stützt von kirchlichen Schreibern und Stenographen, seine umfangreiche Korrespon--
I. Biographisches Umfeld und Vita 5
denz und Predigttätigkeit, die sein Bistum zum heute am besten bekannten Bistum
von Africa gemacht haben. Es war ungewöhnlich groß (wie ja auch das städtische
Territorium, mit dem es allerdings nicht deckungsgleich war, vgl. Lancel, Études)
und umfaßte ausgedehnte ländliche Gebiete, in denen zum Teil nur punisch gespro--
chen wurde (vgl. Vössing 239–252). Eine berühmte Affäre um Antoninus von Fussala
verdeutlicht Augustins nicht immer erfolgreiche Bemühungen, geeignete punisch--
sprachige Kleriker zu finden (vgl. ep. 20*). Jedenfalls war Hippo am Ende seines Epi--
skopats zu einer weitgehend christlichen Stadt geworden (vgl. s. 196,4; 302,19), in der
die Katholiken spätestens seit 411 die Oberhand hatten. Zudem war es das geistige
Zentrum des christlichen Africa, was auch dadurch gefördert wurde, daß Augustin
mit Bischof Aurelius von Karthago eine neidfreie Freundschaft verband. 393 n. Chr.
fand in Hippo das erste Konzil der gesamten afrikanischen Kirche statt (vgl. retr. 1,17;
Concilium Hipponense 8. Octobris 393 / Konzil von Hippo am 8. Oktober 393; CChr.
SL 149, 20–53), 427 das letzte (Concilium Hipponense 24. Septembris 427 / Konzil von
Hippo am 24. September 427; CChr.SL 149, 248–253).
Die letzten sicheren Nachrichten über die antike Stadt betreffen die vierzehnmo--
natige Belagerung durch die Vandalen, in deren Verlauf Augustin starb. Die Van--
dalen bemächtigten sich der Stadt (daß sie zerstört wurde, ist unwahrscheinlich,
zumal da Augustins Bibliothek erhalten blieb, vgl. Pizzica), wurden von Ravenna
de facto in ihrem Besitz anerkannt und machten Hippo für wenige Jahre – bis sie
439 Karthago in ihre Gewalt brachten – zur Hauptstadt ihres Staates. Der Hagiogra--
phie zufolge nahmen nach Sardinien verbannte katholische Bischöfe der Vandalen--
zeit Augustins Leichnam mit sich. Belisar konnte 533 /534 im Zuge der byzantinischen
Reconquista ohne Gegenwehr in die Stadt einziehen, wo er die Schätze Gelimers, des
letzten vandalischen Königs, fand (vgl. Prokop, De bello Vandalico / Über den Van--
dalenkrieg 2,4,26). Wann genau die Byzantiner die Kontrolle über Hippo verloren,
wissen wir nicht. Der Bischofssitz scheint bis ca. 900 n. Chr. besetzt gewesen zu sein.
Erst danach verlagerte sich die Ansiedlung in das heutige Annaba.
Was die kirchlichen Gebäude angeht, dürfen wir nicht nur mit Basiliken, Bapti--
sterien und Kapellen rechnen. Im Laufe des 4. Jahrhunderts waren der Kirche kari--
tative Aufgaben und damit ökonomische Potenzen zugewachsen, die Auswirkun--
gen auf die sachliche und personelle Ausstattung aller größeren Bischofssitze hat--
ten. Um die Hauptbasilika gruppierte sich häufig ein (heute schwer entwirrbarer)
›Kranz‹ von mehreren Gebäuden: neben dem Bischofshaus (und im Falle von Hippo
einem monasterium / Kloster) etwa eine matricula pauperum (wörtlich: Armenliste,
dann auch Bezeichnung für das Armenhaus), ein xenodochium (Gästehaus) und ein
secretarium (Sitzungsraum) (vgl. Duval, L’évêque).
In Hippo ist davon allerdings archäologisch nichts identifizierbar. Nur aus litera--
rischen Quellen erfahren wir von einem praepositus domus ecclesiae (Vorsteher des
Hauses der Kirche) als dem ›Kassenwart‹ des Bistums und einem calculator nota--
rius, offensichtlich Buchhalter und Kanzlei-Stenograph in einer Person (vgl. ep. 10*,6;
Possidius, Vita Augustini / Lebensbeschreibung Augustins 24.31). Wie alle großen
Bischofssitze verfügte auch Hippo über eine eigene (wegen der Interessen Augustins
B. Person
Westen, am äußeren Rand oder außerhalb der Stadt lag (vgl. Deichmann), sondern
ziemlich zentral (in ca. 200 Meter Entfernung vom westlich gelegenen Forum); im
Osten grenzte das Gebiet an ein Villenviertel der Oberschicht. Warum es den Chri--
sten hier gelang, sich von Anfang an nahe dem städtischen Zentrum (und nicht nur
an den Ausfallstraßen mit ihren Grabbezirken) festzusetzen, ist schwer zu sagen; der
Grund ist vielleicht in den Besitzverhältnissen des Viertels zu suchen.
Duval, Noël: Art. Hippo Regius, Reallexikon für Antike und Christentum 15 (1991), 442–466.
Gui, Isabelle u. a.: Basiliques chrétiennes d’Afrique du Nord (Inventaire et Typologie), 1. Inven--
taire des monuments de l’Algérie, 2 Bd.e, Collection des Études Augustiniennes. Série Anti--
quité 129–130, Paris 1992.
Lancel, Serge: Art. Africa. B. Organisation ecclésiastique, Augustinus-Lexikon 1 (1986–1994),
205–216.
Lepelley, Claude: Art. Africa. A. Présentation générale, Augustinus-Lexikon 1 (1986–1994),
180–205.
— Aspects de l’Afrique romaine. Les cités, la vie rurale, le christianisme, Munera 15, Bari 2001.
— Les cités de l’Afrique romaine au Bas-Empire, tome I. La permanence d’une civilisation muni--
cipale, Collection des Études Augustiniennes. Série Antiquité 80, Paris 1979; tome II. Notices
d’histoire municipale, Collection des Études Augustiniennes. Série Antiquité 81, Paris 1981.
Konrad Vössing
.1. Rom
Im Jahr 383 ging Augustin von Nordafrika nach Rom (vgl. conf. 5,15). Er war noch
keine 30 Jahre alt, hochbegabt, ehrgeizig und lebenslustig: Was für eine Stadt erwar--
tete ihn? Moderne Historiker könnten ein Bild des Niedergangs malen (und haben es
oft getan): hohle Pracht, Dekadenz und Luxus in politisch prekärer Situation, Verfall
des altrömischen Ethos und der Religion. Weniger als hundert Jahre sollte es noch
dauern, bis der endgültige Tiefpunkt erreicht sein würde: die Abdankung des letz--
ten römischen Kaisers im Jahr 476. An Krisensymptomen mangelte es auch Ende
des 4. Jahrhunderts nicht, doch hätte im Rom dieser Zeit sicher keiner der Zeitge--
nossen ein derart negatives Bild gezeichnet. Selbst noch der späte Augustin, der allen
Grund hätte, sich von der römischen Kultur seiner Jugendzeit kritisch zu distan--
zieren, tut dies nicht, sondern fragt umgekehrt ausführlich nach der Grundlage für
Roms Größe (vgl. ciu. 5, praefatio). Man darf das nicht als Symptome der Kurzsich--
tigkeit und Verblendung deuten; vielmehr wäre einem modernen Historiker man--
gelnde Kompetenz vorzuwerfen, wenn er nur von hoher Warte die großen Linien der
Entwicklung aus der Distanz vieler Jahrhunderte sähe und nicht die Mikrohistorie,
die gelebte Geschichte der Kultur und des Alltags, in der die kleinen Indizien für die
langfristigen Umwälzungen nur eine untergeordnete Rolle spielen.
Rom war eine florierende und pulsierende Stadt; nach der großen Reichskrise
des 3. Jahrhunderts hatte sie demographisch und ökonomisch wieder einen beacht--
B. Person
lichen Aufschwung genommen: Größer und schöner war sie nun als je zuvor (vgl.
Krautheimer, Rom 43–71). Handel und Wandel blühten, und als kulturelles Zen--
trum suchte sie ihresgleichen, jedenfalls im Westen des Reiches. Allerdings lag der
letzte große Boom in baulich-monumentaler Hinsicht schon mehr als ein halbes Jahr--
hundert zurück. Kaiser Konstantin hatte das Stadtbild durch aufwendige Repräsen--
tationsbauten geprägt. Dazu gehörte nicht nur die Vollendung der gewaltigen Audi--
enzhalle am Forum, des bis heute monumentalsten antiken Baus in diesem Teil der
Stadt, sondern auch eine Reihe von christlichen Kirchen (vgl. Brandenburg, Kirchen
16–109): allen voran die Bischofskirche der Stadt auf dem Grundstück der Laterani,
eine riesige Parzelle mit einem monumentalen Bau darauf, doch ganz am Rand der
Stadt gelegen, direkt neben der Stadtmauer (heute San Giovanni in Laterano; bereits
im 4. Jahrhundert verbunden mit einem eigenen Baptisterium). Der gewählte Bautyp,
die Basilika, sollte gleichwohl wegweisend für die Geschichte des christlichen Kirch--
baus werden. Im Stadtgebiet gab es außerdem mehrere sogenannte tituli (wörtlich:
Inschriften, Titel, Rechtstitel; es handelt sich um Gemeinde- bzw. Seelsorgezentren,
die die kirchliche Versorgung der Bevölkerung gewährleisten sollten), die teilweise
schon länger bestanden, doch im 4. Jahrhundert meist noch nicht mit monumenta--
len Kirchbauten ausgestattet waren. Einen Sonderfall stellte die Basilica Sessoriana
(Basilika am Sessorianum) dar, ein Memorialbau zur Verehrung des Heiligen Kreu--
zes, der in eine bereits bestehende Palastanlage eingebaut wurde (von Haus aus eine
Palastaula im Sessorianum, heute Santa Croce in Gerusalemme).
Die meisten christlichen Monumentalbauten fanden sich außerhalb der Stadt,
meist an großen Ausfallstraßen im Bereich der Nekropolen oder in Villengegen--
den, teilweise entfernt von den Stadtmauern. Einige prominente Mitglieder der
Familie Konstantins hatten sich dort in der Nähe christlicher Märtyrergräber Mau--
soleen errichten lassen, etwa Konstantins Mutter Helena (heute Tor Pignatarra,
wohl ursprünglich für Konstantin selbst vorgesehen, verbunden mit der Basilika für
die Heiligen Marcellinus und Petrus) oder seine Tochter Constantina (heute Santa
Costanza, verbunden mit einer Basilika für die Heilige Agnes). Die mit den Mauso--
leen verbundenen Basiliken sind jeweils sogenannte ›Umgangsbasiliken‹, die auch
ihrerseits dicht mit Gräbern besetzt waren (vier weitere Basiliken dieses Typs sind aus
konstantinischer Zeit nachgewiesen, die basilica apostolorum /Apostelbasilika, heute
San Sebastiano, die Basilika bei der heutigen Kirche San Lorenzo fuori le mura, die--
jenige bei Tor de’ Schiavi sowie die jüngst entdeckte an der Via Ardeatina bei den
Katakomben südlich der Stadt). Als bedeutendstes Märtyrergrab ist der Ort zu nen--
nen, an dem spätestens ab dem 3. Jahrhundert das Grab des Petrus vermutet und
entsprechend verehrt wurde. Hier ließ Konstantin eine monumentale, fünfschiffige
Basilika anlegen, für die wegen des Gefälles des Geländes aufwendige Substruktio--
nen erforderlich waren, damit der Hauptaltar direkt über der als Petrusgrab verehr--
ten Stelle liegen konnte (Ausgrabungen zwischen 1940 und 1949 haben die Vereh--
rung dieses Ortes als Petrusgrab spätestens ab dem 3. Jahrhundert nachweisen kön--
nen; Reliquien der Apostel Petrus und Paulus wurden im 3. Jahrhundert zeitweise in
der basilica apostolorum, im Feld der Katakomben südlich der Stadt, verehrt). Etwas
I. Biographisches Umfeld und Vita
später kam dann eine Märtyrerbasilika für Paulus hinzu (heute San Paolo fuori le
mura), die aber erst Ende des 4. Jahrhunderts aufwendig gestaltet wurde (vgl. Bran--
denburg, Architektur; Filippi) Das Bewußtsein, mit Petrus und Paulus gleich zwei
bedeutende Apostel- und Märtyrergräber aufweisen zu können, hat die Identität der
römischen Gemeinde stark geprägt. Was hat Augustin von all dieser Pracht des christ--
lichen Rom gesehen? Wir wissen es nicht. Möglicherweise allerdings nicht viel, denn
man mußte es sehen wollen, diese Orte der Verehrung gezielt aufsuchen. Im Zen--
trum, an den Hauptorten des öffentlichen Lebens, hatte sich das Christentum noch
kaum ins Weichbild der Stadt eingezeichnet. Es ist gut denkbar, daß der junge Rhe--
torikprofessor manichäischer Prägung keinen Grund sah, sich für diese Orte beson--
ders zu interessieren – Orte, die ihm später, als er zum christlichen Bischof gewor--
den war, so viel bedeuteten (vgl. s. 296).
Konstantin und seine Nachfolger hätten vielleicht, wären sie in Rom geblieben,
die Stadt nach und nach zu einer christlichen Hauptstadt umgeformt. Das war jedoch
noch nicht geschehen. Seit Konstantin auch Herrscher des Ostreiches war, galt sein
Interesse fast ausschließlich der neu begründeten Hauptstadt am Bosporus, und seine
Nachfolger im Westen tasteten Roms Würde formal nicht an, bauten aber Mailand
zum politischen Zentrum aus, das damit faktisch zur Hauptstadt wurde. So blieb auch
die Christianisierungspolitik, die Konstantin betrieben hatte, Episode. Gewiß, die
Kirche wuchs weiter wie in anderen Teilen des Reiches auch, gewiß hingen immer
mehr Menschen der neuen Lehre an, aber nirgends blieb die Elite der Gesellschaft so
›heidnisch‹ wie in Rom (vgl. Fraschetti). Die Stadt war nach wie vor Sitz des Senates
und damit Repräsentationszentrum des ganzen Reiches. Man war sich des Gewich--
tes dieser Tradition bewußt, und man versuchte, sich ihrer würdig zu erweisen. Die
hoch gebildeten Aristokraten dieser Zeit, allen voran die vermögenden Familien der
Praetextati und der Symmachi, setzten sich für klassische Bildung und Werte ein; auf
höchstem Niveau und mit weit gespannten Verbindungen über das ganze damalige
Reich betrieben sie ihre Politik der Konsolidierung und Restauration.
Dabei waren sie weder ›religiös unmusikalisch‹ noch im eigentlichen Sinne anti--
christlich gesonnen, ganz im Gegenteil. Wie sehr die Zeit und insbesondere die römi--
sche Bildungselite permanent von religiösen Fragen durchdrungen war, wie sehr sie
diese Fragen als Teil auch ihres politischen Auftrags verstand, wird exemplarisch
deutlich an dem Grabstein des Vettius Agorius Praetextatus (gestorben 384), römi--
scher Stadtpräfekt von 365 bis 367. Er ließ auf seinem Grab all die Kulte auflisten, in
denen er eingeweiht war, eine Art cursus honorum (Durchlaufen der verschiedenen
Ämter bzw. Ränge) im religiösen Bereich: Kaum ein bekannter Kult der Spätantike
fehlt in dem Verzeichnis (vgl. Corpus Inscriptionum Latinarum / Korpus [d. h. Ver--
zeichnis] lateinischer Inschriften 6, 1779 a) – außer dem Christentum. Dieses Fehlen
ist aber weniger in der Ablehnung durch den Bestatteten begründet als vielmehr in
einer Eigenart des Christentums. Die pagane Bildungselite war aufgrund ihrer römi--
schen Tradition an der möglichst umfassenden Integration aller religiösen Strömun--
gen interessiert, gewiß auch des Christentums. Schon Konstantin hatte das versucht
und war dabei letztlich gescheitert; noch im 5. Jahrhundert gibt ein paganer Brief--
I. Biographisches Umfeld und Vita 1
.. Mailand
Danach brachen in der Gemeinde von neuem Flügelkämpfe aus, als deren Resul--
tat man sich auf einen neutralen Kandidaten einigte: den Statthalter der Provinz
Aemilia et Liguria, der sich in seiner politischen Rolle großen Ansehens erfreute
und den Vorzug bot, keiner der beiden Parteien anzugehören, weil er bislang über--
haupt nicht Christ war (vgl. McLynn 44–52). Ambrosius empfing innerhalb weniger
Tage die Taufe und alle erforderlichen Weihen. Doch wer auf eine religionspolitisch
neutrale oder zumindest vorsichtige Amtsführung gehofft hatte, sah sich getäuscht.
Von Anfang an vertrat Ambrosius klar die theologische Linie, die damals auch im
Osten erstarkte und alsbald überall die vorherrschende werden sollte – eine Linie,
die mit einem modernen Begriff als Neunizänismus bezeichnet zu werden pflegt
(B. II. 11.–12.).
Vor allem aber gelang es ihm, im Gegenüber zu dem relativ schwachen Kaiser
Gratian und sicherlich auch auf dem Hintergrund seiner vorausgehenden staatlichen
Karriere, seine Rolle in Mailand (und damit im Reich) zu stärken. Den Versuch der
Kaiserin Iustina, nach Gratians Tod erneut den früheren anti-nizänischen Kurs durch--
zusetzen, konnte er auf äußerst publikumswirksame Weise verhindern. Gestärkt aus
diesem Konflikt hervorgegangen, war er ohne Zweifel die tonangebende Gestalt in
Mailand, als Augustin von Rom dorthin kam. Ohnehin muß Augustin im Vergleich
wahrgenommen haben, daß die christliche Kirche hier eine viel stärkere Position als
in Rom hatte. Eine nennenswerte pagane Opposition gab es nicht.
In viel massiverer Weise als in Rom verschaffte sich dieser Sachverhalt auch bau--
lichen Ausdruck (vgl. Krautheimer, Capitals 69–92). Innerhalb der Stadtmau--
ern entstand möglicherweise in jenen Jahren eine neue, repräsentative Basilika (die
sogenannte basilica maior / Größere Basilika, identisch mit Sancta Thecla, vielleicht
auch schon vor-ambrosianisch, neben der älteren basilica minor / Kleineren Basilika
unter dem heutigen Dom), doch vor allem direkt vor den Toren entwickelte sich eine
regelrechte christliche Kultlandschaft. Nicht nur durch geschickt angebrachte und
wirkungsvoll gestaltete Inschriften wie bei Damasus von Rom, sondern durch ein
eigenes Bauprogramm wurde die Tradition der Märtyrer in den Dienst der neuen,
gesellschaftlich etablierten Amtskirche genommen. Zum ersten Mal kamen christ--
liche Heilige buchstäblich zur Ehre der Altäre. Die 386 aufgefundenen Gebeine der
lokalen Märtyrer Gervasius und Protasius wurden in die neu errichtete basilica mar--
tyrum (Märtyrerbasilika) verbracht; sie ist heute nach Ambrosius benannt, denn spä--
ter ließ sich der große Bischof am gleichen Ort selbst bestatten (vgl. Rossignani 116).
Die Reliquien unter dem Altar stellen den unmittelbaren Bezug zwischen der gegen--
wärtigen Eucharistiefeier der Gemeinde und den Glaubenszeugen der Verfolgungs--
zeit her, durch sein eigenes Grab stellt sich Ambrosius als Bischof schließlich auch
selbst in diese gleiche Achse.
Ebenfalls zum ersten Mal trat das Christentum durch solche monumentalen Bau--
ten hervor, die in ihrer Gestalt nur symbolisch-theologisch zu verstehen sind und
offensichtlich auch schon zeitgenössisch so verstanden wurden: Architektur aus Theo--
logie abgeleitet (und nicht umgekehrt). Anders als die monumentalen konstantini--
schen Kirchen Roms, die im wesentlichen den Formgesetzen imperialer Repräsen--
B. Person
.. Ostia
Die letzte Station in Augustins italienischer Lebensphase war wiederum Rom, genauer
Ostia. Von dort wollte er sich mit seiner Mutter nach Africa einschiffen, und dort
ist seine Mutter schließlich gestorben. Die genauen Orte, an denen sich die in conf.
9,17–37 geschilderten Ereignisse in Ostia abspielten, sind nicht bekannt, aber man
kann es sich vorstellen: wie Mutter und Sohn in einer der Agenturen auf dem (heute
so benannten) Piazzale delle Corporazioni vor dem Theater die Fahrausweise für
die Überfahrt besorgten, wie sie durch die dicht bevölkerten Gassen gingen und
das bunte Gemisch der Bevölkerung erlebten, mit welchem Unbehagen sie als über--
zeugte Christen den munteren Wirrwarr aller bekannten religiösen Kulte der Antike
sahen. Tatsächlich wird Ostia in jenen Jahren ein eindrucksvolles Bild kultureller
Vielfalt geboten haben. Griechisch, Armenisch, Syrisch und Ägyptisch hörte man
auf den Straßen mindestens so oft wie Latein, und bis heute ist in kaum einer römi--
schen Stadt ein so dichtes Netz von Kultorten aller denkbaren religiösen Strömun--
gen erkennbar wie in Ostia (vgl. Rieger, Heiligtümer). Dabei war Ostia gar nicht
mehr im engen Sinne Hafenstadt, denn schon mehr als drei Jahrhunderte vorher
hatte der Hafen wegen Versandung nach Norden verlegt werden müssen. Doch die
wenigen Kilometer nach Portus (dem [neuen] Hafen) waren auf der Via Seueriana
schnell zurückzulegen, und in Ostia blieben die Agenturen und Firmen mit ihrer
Verwaltung, außerdem die immer herrschaftlicheren Wohnsitze derer, die im Laufe
der Zeit durch den Handel zur See reich geworden waren.
Es kann als sicher gelten, daß das Christentum in einer solchen Stadt schon sehr
früh Fuß gefaßt hat, auch wenn archäologisch von den Anfängen nichts nachweis--
bar ist (vgl. Brenk). Immerhin wurde vor wenigen Jahren die Kathedrale der Stadt
I. Biographisches Umfeld und Vita 5
Brandenburg, Hugo: Die frühchristlichen Kirchen Roms vom 4. bis zum 7. Jahrhundert. Der
Beginn der abendländischen Kirchenbaukunst, Regensburg 2004.
Curran, John R.: Pagan City and Christian Capital. Rome in the Fourth Century, Oxford Clas--
sical Monographs, Oxford 2000.
Descœudres, Jean-Paul (Hg.): Ostia. Port et porte de la Rome antique, Chêne-Bourg / Genf
2001.
Krautheimer, Richard: Rom. Schicksal einer Stadt. 312–1308, 2. Auflage Darmstadt 1996.
— Three Christian Capitals. Topography and Politics, Berkeley u. a. 1983.
Della Peruta, Franco (Hg.): Milano antica e medievale, vol. 1, Storia illustrata di Milano, Mai--
land 1992.
Piétri, Charles: Roma christiana. Recherches sur l’Église de Rome, son organisation, sa politi--
que, son idéologie de Miltiade à Sixte III (311–440), 2 Bd.e, Bibliothèque des Écoles Françai--
ses d’Athènes et de Rome 224 /1–2, Paris 1976.
Rieger, Anna-Katharina: Heiligtümer in Ostia, Studien zur antiken Stadt 8, München 2004.
Martin Wallraff
Die Biographie Augustins ist, verglichen mit anderen Persönlichkeiten der Antike,
außergewöhnlich gut bekannt. Neben zahlreichen Schriften und Predigten bietet ins--
besondere das Briefkorpus wertvolle Informationen. Zu den ersten gut dreißig Jah--
ren seines Lebens bieten auch die conf. manche wertvolle Information, in den retr.
gibt Augustin Rechenschaft über sein literarisches Werk. Sein Schüler und Freund
Possidius widmete ihm zwei Jahre nach seinem Tod die Vita Augustini (Lebensbe--
schreibung Augustins).
Geboren wurde Augustin am 13. November 354 (vgl. beata u. 6; Possidius, Vita Augu--
stini 31,1) in Thagaste in der Provinz Numidien, dem heutigen Souk Ahras in Algerien.
Das Praenomen Aurelius bezeugt erst Orosius, Liber apologeticus (Rechtfertigungs--
schrift) 1,4, danach begegnet es auch bei anderen Schriftstellern (vgl. Prosper, Epitoma
Chronicon / Zusammenfassung der Chroniken 1; 473 /1302 f; Claudianus Mamertus,
De statu animae / Über den Zustand der Seele 2,9) und ist in einigen Handschriften
belegt; Zweifel, ob es sich dabei um eine irrtümliche Angabe (aufgrund einer Ver--
wechslung mit Aurelius von Karthago) handelt, lassen sich nicht ausräumen (vgl.
La Bonnardière, Aurelius Augustinus). Augustins Vater Patricius war Mitglied der
städtischen curia (Ratsmitglied; vgl. Possidius, Vita Augustini 1,1), jedoch beschei--
den begütert (vgl. conf. 2,5; ep. 126,7: paucis agellulis paternis contemptis / nachdem die
wenigen Äckerchen aus väterlichem Besitz verachtet worden waren; s. 356,13). Den--
noch war er sehr interessiert an einer den römischen Idealen entsprechenden Aus--
bildung und Karriere für seinen begabten Sohn. Als Augustin bereits 16 Jahre alt war
(vgl. conf. 2,6), wurde Patricius Katechumene, starb aber schon ein Jahr später (vgl.
conf. 3,7). Die bei Augustins Geburt dreiundzwanzigjährige Mutter Monnica stammte
I. Biographisches Umfeld und Vita
aus einem christlichen Haus (vgl. conf. 9,17). Sie erzog ihre nicht getauften Kinder
christlich und übte einen prägenden Einfluß auf Augustin aus. Auch bei Augustin
wurde die Praxis des Taufaufschubs eingesetzt, die versuchte, die Taufe erst sehr spät
oder kurz vor dem Tod zu spenden, weil dann die Gefahr, durch weitere Sünden die
Taufgnade zu verwirken, gering war. Bei einer schweren Krankheit wäre Augustin
beinahe getauft worden, doch wurde die Taufe wegen der raschen Gesundung dann
doch wieder aufgeschoben (vgl. conf. 1,17). Augustin hatte mindestens einen Bruder,
Navigius (vgl. beata u. 6), und eine Schwester mit heute unbekanntem Namen, die
verwitwet ein Frauenkloster leitete (vgl. Possidius, Vita Augustini 26,1).
In Thagaste erhielt Augustin zunächst Elementarunterricht bei den primi magi--
stri (Elementarlehrern), dann den ersten Unterricht bei den grammatici (Grammati--
kern, die insbesondere durch die Lektüre der klassischen Schulautoren Vergil, Homer
und Terenz den Sprachstil verfeinerten). Neben Cicero gehörte auch Griechischun--
terricht zum Lehrplan (vgl. conf. 1,20), zur Weiterbildung in der litteratura atque ora--
toria (Literatur und Rhetorik) wurde Augustin dann für ein Jahr in das nahe gele--
gene Madaura geschickt (vgl. conf. 2,5), wo er vielleicht bei dem heidnischen Gram--
matiker Maximus, dem Adressaten von ep. 16, lernte. In seinem 16. Lebensjahr mußte
Augustin wegen Geldmangels wiederum ungefähr für ein Jahr ohne Unterricht nach
Hause zurück, bevor er 370 nach Karthago gehen konnte (vgl. conf. 3,1), um mit Erfolg
Rhetorik zu studieren (vgl. conf. 3,6). Dort genoß er die Freiheiten eines sorglosen
Studentendaseins, ging häufig ins Theater, aber auch in die Kirche (vgl. conf. 3,1–5).
Er las die Werke Ciceros und begegnete dessen heute nur fragmentarisch erhalte--
ner protreptischer Schrift Hortensius (Hortensius). Sie löste in Augustin eine Kehrt--
wende aus und erweckte die Liebe zur Weisheit (vgl. conf. 3,7 f; beata u. 4; sol. 1,17)
Augustin bedauerte quod nomen Christi non erat ibi (daß der Name ›Christus‹ sich
dort nicht fand), den er schon mit der Muttermilch aufgesogen hatte (vgl. conf. 3,8).
So beschloß er, sich mit der Bibel zu beschäftigen, hatte jedoch Schwierigkeiten mit
ihrem sprachlichen Stil (vgl. conf. 3,9). Enttäuscht stieß Augustin auf die Manichäer
(vgl. conf. 3,10), die auf seine ungelöste Frage nach dem Ursprung des Bösen antwor--
teten und das Alte Testament kritisierten (vgl. conf. 3,12). In den neun Jahren (vgl.
conf. 3,20), in denen er sich den Manichäern als auditor (Hörer) zugehörig fühlte (ca.
373 /374–382 / 383, vgl. conf. 4,1), faszinierte ihn insbesondere der Rationalitätsanspruch
ihrer Theologie (vgl. util. cred. 2). Zugleich ließ sich die Zugehörigkeit zum Manichä--
ismus gut mit der Hoffnung auf eine spätere Karriere und seinem Konkubinat ver--
binden, das er bereits als Student in Karthago eingegangen war; aus dieser Bezie--
hung stammte ein zunächst unerwünschter, dann innig geliebter Sohn (vgl. conf. 4,2;
die Datierung in die Studentenzeit ergibt sich aus der Angabe, daß sein Sohn Adeo-
datus am Anfang des Jahres 387 bereits 15 Jahre alt war, vgl. conf. 9,14, also 371 /372
geboren sein muß; der Name ›Adeodatus‹, d. h. ›Von Gott gegeben‹, verweist nicht
auf eine bestimmte Religiosität Augustins oder seiner Konkubine, sondern ist das
lateinische Pendant zu einem relativ häufigen punischen Namen; vgl. Madec, Adeo-
datus). Seine Mutter verbot Augustin wegen dessen Zugehörigkeit zum Manichä--
ismus zeitweise das Haus (vgl. conf. 3,19). In dieser Zeit emanzipierte sich Augustin
B. Person
religiös von der kirchlichen Tradition und intellektuell von seinen Lehrern in Kar--
thago. Neben dem Rhetorikunterricht vertiefte er seine philosophische Bildung, las
mit 20 Jahren selbständig die Kategorienschrift des Aristoteles (vermutlich in einer
lateinischen Übersetzung) (vgl. conf. 4,28) und beherrschte schließlich alle Bereiche
der artes liberales (der freien Künste; vgl. conf. 4,30).
3.2. Berufliche Laufbahn und Bekehrung
Nach dem Abschluß seiner Studien kehrte Augustin um 375 nach Thagaste zurück
und unterrichtete Grammatik (vgl. Possidius, Vita Augustini 1,2) und Rhetorik (vgl.
conf. 4,7). Durch den Tod eines ungenannten Freundes veranlaßt, ging Augustin
kurze Zeit später wieder nach Karthago (vgl. conf. 4,12). Dort verfaßte der Rheto--
riklehrer um 380 /381 die Schrift De pulchro et apto (B. II. 1.). Er widmete sie dem
bekannten römischen Rhetor Hierius in der Absicht, die eigene Karriere zu för--
dern (vgl. conf. 4,20–27). Mit 28 Jahren begegnete Augustin dem Manichäerbischof
Faustus (vgl. conf. 5,3). Lange hatte er in Karthago auf ihn gewartet und ihm seine
kritischen Anfragen an den Manichäismus vorlegen wollen (vgl. conf. 5,3–10). Ent--
täuscht über dessen Antworten, die für Augustin von Unwissenheit und Mangel an
Bildung zeugten, weniger über dessen Person und Erscheinung, entstanden deutli--
che Zweifel am Manichäismus, ohne daß es zu einem förmlichen Bruch gekommen
wäre (vgl. conf. 5,10–13).
Um 383 entschloß sich Augustin, nach Rom aufzubrechen. Als Grund nennt er
das Benehmen der karthagischen Studenten (vgl. conf. 5,14). Heimlich in der Nacht
schiffte er sich ein und ließ seine Mutter zurück, die zuvor nach Karthago gekommen
war und ihn von seinem Plan abhalten oder mit ihm mitkommen wollte (vgl. conf.
5,15). In Rom erkrankte Augustin schwer, konnte sich aber erholen (vgl. conf. 5,16).
Obwohl er zunächst noch mit einigen electi (Erwählten) der Manichäer in Verbin--
dung stand (vgl. conf. 5,18), hatte der Manichäismus für ihn an Überzeugungskraft
bereits deutlich verloren. Daher beschäftigte er sich mit den Gedanken der Acade--
mici (Skeptiker; B. II. 2.; vgl. conf. 5,19).
Als Rhetoriklehrer wurde Augustin auch in Rom unterdessen nicht glücklich
(B. III. 1.). Daher folgte er im Herbst 384 aufgrund einer Empfehlung nach einem
Probevortrag vor dem berühmten Redner Symmachus gerne dem Ruf als Rhetorik--
lehrer nach Mailand. Zu seinen Aufgaben gehörte unter anderem das Halten von pan--
egyrischen Festreden etwa zum Konsulat von Bauto (vgl. c. litt. Pet. 3,30) oder auch
für den in Mailand residierenden Kaiser Valentinian II. (vgl. conf. 6,9). Sein Schüler
und Freund Alypius begleitete ihn (vgl. conf. 6,11–16), ebenso sein Sohn Adeodatus
und seine Konkubine. In Mailand stieß noch Nebridius aus Karthago dazu (vgl. conf.
6,17). Dort lernte Augustin die eindrucksvolle Persönlichkeit des Bischofs Ambro--
sius kennen und kam dem christlichen Glauben näher (vgl. conf. 5,23). Zunächst aus
beruflichem Interesse hörte Augustin die Predigten des Ambrosius und schätzte des--
sen geistige Auslegung des Alten Testaments, die ihm die von den Manichäern auf--
gezeigten Schwächen auflöste (vgl. conf. 5,24; 6,5 f). Daraufhin beschloß er, tamdiu
I. Biographisches Umfeld und Vita
später um einige Wochen Urlaub, um sich durch intensives Bibelstudium auf seinen
kirchlichen Dienst vorzubereiten (vgl. ep. 21; Possidius, Vita Augustini 4). Ob Vale--
rius dieser Bitte nachkam, ist nicht bekannt.
.. Die Zeit als Priester bis zur Bischofsweihe
In der Fastenzeit 391 begann Augustin seine priesterliche Tätigkeit und unterrich--
tete Taufkandidaten (vgl. s. 216,1). Valerius beauftragte ihn mit dem Predigtamt ( B.
III. 15.). Früh erkannte auch Bischof Aurelius von Karthago Augustins herausra--
gende Fähigkeiten (vgl. ep. 22). Schon am 3. Dezember 393 legte Augustin als einfa--
cher Priester vor den versammelten Bischöfen der afrikanischen Generalsynode in
Hippo das Glaubensbekenntnis aus, was als f. et. symb. publiziert wurde (vgl. retr.
1,17). Neben ersten Kontakten mit dem Donatismus (vgl. ps. c. Don. und c. ep. Don.;
vgl. retr. 1,20 f) bekämpfte Augustin vor allem den Manichäismus: 391 /392 verfaßte
er die drei Traktate util. cred., duab. an. und c. Fort. (vgl. retr. 1,14–16), etwas später
kommentierte er die Genesis in Gn. litt. inp. (vgl. retr. 1,18), vollendete seinen Kom--
mentar zur Bergpredigt s. dom. m. (vgl. retr. 1,19) und schrieb c. Adim. (vgl. retr. 1,22).
Um die manichäischen Argumente wirkungsvoller zu bekämpfen, vertiefte Augustin
sein Bibelstudium, aus dem 394 / 395 die Pauluskommentare zum Römer- und Gala--
terbrief entstanden (vgl. retr. 1,23–25). Während dieser Zeit konnte Augustin seine
monastische Lebensform fortführen. Denn Bischof Valerius hatte ihm einen hortus
(Garten) nahe der katholischen Basilika überlassen, um dort ein Kloster zu errich--
ten (vgl. s. 355,2).
Valerius war daran gelegen, noch zu seinen Lebzeiten Augustin als Mitbischof ein--
zusetzen (vgl. ep. 31,4). Denn er befürchtete, daß sein begabter Presbyter schon zur
nächsten Sedisvakanz irgendwo in Afrika gerufen werden könnte. So wurde Augu--
stin wahrscheinlich Mitte 395 zum Bischof von Hippo Regius geweiht, um Valerius
zu entlasten (vgl. ep. 32,2; Possidius, Vita Augustini 8). Als Valerius kurz darauf starb,
übernahm Augustin die Diözesenleitung. Gegen die Bischofsweihe Augustins gab
es erheblichen Widerstand, nicht nur von Seiten der Donatisten, die auch in Hippo
eine starke Position einnahmen, ja unter ihrem Bischof Proculeianus (vgl. ep. 33) viel--
leicht sogar die Mehrheit stellten, sondern auch aus der eigenen Kirche (etwa Bischof
Megalius von Calama), in der viele den raschen Aufstieg des eben noch als Manichäer
bekannten Rhetors zu verhindern suchten. Augustin konnte sich aber durchsetzen.
Wann seine Bischofsweihe erfolgte, ist unsicher. Sie dürfte nach Mai 395 erfolgt sein,
jedenfalls wenn ep. 29 tatsächlich auf das Leontiusfest am 4. Mai 395 und Augustins
Versuch, Ausschreitungen bei diesem Fest und damit zusammenhängende Gewalt--
aktionen der Circumcellionen zu unterbinden, zurückschaut. Sie dürfte andererseits
vor dem Konzil von Karthago 397 erfolgt sein (doch fehlt hier die Unterschriftenli--
ste oder ein entsprechender Protokollauszug, aus dem hervorgeht, daß Augustin teil--
nahm). Später erkannte Augustin, daß seine Bischofsweihe dem Canon 8 von Nizäa
widersprach, weil dieser Canon die Regelung der Bischofssukzession schon zu Leb--
zeiten des Vorgängers implizit untersagte (ut non uideantur in ciuitate duo episcopi
esse / so daß nicht zwei Bischöfe in einer Stadt zu sein scheinen; canon 8 concilii Nicae-
B. Person
ni /Canon 8 des Konzils von Nizäa; EOMIA 1,2; 124 f /27–33). Deshalb achtete er dar--
auf, daß sein designierter Nachfolger Eraclius erst nach seinem Tod zum Bischof
ordiniert wurde (vgl. ep. 213,4).
3.5. Bischöfliche Wirksamkeit und letzte Jahre
Über dreißig Jahre lang war Augustin Bischof von Hippo. In dieser Zeit hat er ein
enormes literarisches Werk verfaßt, sich in fast allen Kontroversen seiner Zeit enga--
giert und alle Pflichten des Bischofsamts auf sich genommen (vgl. Possidius, Vita
Augustini 19,2–5). Er leitete die Liturgie, predigte und spendete Sakramente, nahm
die vielfältigen Aufgaben als Seelsorger seiner Kirche wahr, unterrichtete Katechu--
menen, war karitativ tätig, verwaltete das Kirchenvermögen und schlichtete im Rah--
men der audientia episcopalis (der bischöflichen Audienz, B. III. 11.) zivilrechtliche
Klagen oder beurkundete als Notar. Als Bischof von Hippo mußte er das Gartenklo--
ster verlassen und in der domus episcopi (dem Bischofshaus) wohnen (vgl. s. 355,2),
erreichte aber, daß seine Kleriker auf ihren Besitz verzichteten und mit ihm ein
gemeinsames monastisches Leben führten (vgl. s. 355 f). Zudem nahm er an vielen
Konzilien der afrikanischen Kirche teil und wurde neben Aurelius, 391–430 Bischof
von Karthago, einer ihrer wichtigsten Wortführer. Deshalb hielt er sich oft meh--
rere Monate in Karthago auf, predigte und besuchte die dortigen gut ausgestatteten
Bibliotheken. Die zahlreichen, in den verschiedenen Handschriften genannten Kir--
chen von Karthago können den archäologisch nachgewiesenen allerdings größten--
teils nur hypothetisch oder gar nicht zugeordnet werden. Folgende Reisen sind gesi--
chert oder lassen sich mit hoher Plausibilität vermuten (im letzten Fall mit Frage-
zeichen gekennzeichnet):
397 Karthago und Teilnahme am Konzil?
399 Karthago (vgl. ep. 51,1)
Rückweg über Bulla Regia, vgl. s. Denis 17?
400 Cirta (vgl. ep. 53,2 f; c. litt. Pet. 1,1; 2,118)
401 Karthago (vgl. Registri Ecclesiae Carthaginensis Excerpta / Exzerpte aus dem
Register der Kirche von Karthago 78; CChr.SL 149, 203 / 716)
402 Mileve und Teilnahme am Konzil? (vgl. eventuell ep. 63)
403 Karthago (vgl. Registri Ecclesiae Carthaginensis Excerpta 90; CChr.SL 149,
209 /919)
404 Karthago und Teilnahme am Konzil?
405 Karthago (vgl. ep. 80)?
406 Karthago (vgl. ciu. 5,23)?
407 Karthago und Teilnahme am Konzil (vgl. die Mitgliedschaft in einer Kommis-
sion Registri Ecclesiae Carthaginensis Excerpta 99; CChr.SL 149, 217 / 1216)
408 Calama (vgl. ep. 91)
410 Karthago und Rückweg über Hippo Diarrhytus (vgl. s. Denis 23.21.24)
411 Karthago und Teilnahme an der collatio (Konferenz; B. III. 6.), Rückweg
eventuell über Hippo Diarrhytus (vgl. s. 359)?
I. Biographisches Umfeld und Vita
In den Reisen schlägt sich das enorme kirchenpolitische Engagement Augustins nie--
der. Zahlreiche seiner Predigten sind für Karthago belegt, so daß er auch hier kein
Unbekannter war. Seine bald wachsende Berühmtheit beruht aber vor allem auf sei--
nen literarischen Werken. Es hat sich eingebürgert, hierbei drei Phasen zu unter--
scheiden, eine antimanichäische, die in die Zeit als Priester zurückreicht und bis
ca. 400 dauert, eine antidonatistische, die mit der collatio (Konferenz) im Jahr 411
(B. III. 6.) ihren Höhepunkt erreichte, und eine antipelagianische ab 411. Eine sol--
che Schematisierung ist natürlich nur eine sehr grobe Orientierung, denn Augustin
hat auch bereits vor 400 und auch noch nach 411 gegen den Donatismus Stellung
genommen. Richtig an dieser schematischen Einteilung ist jedoch, daß Augustins
Interesse sich nach 411 von der Bekämpfung der Donatisten auf die der Pelagianer
verschob. Nach dem Werk gegen den Manichäerbischof Faustus (c. Faust.; vgl. retr.
2,7) disputierte Augustin 404 noch öffentlich mit dem Manichäer Felix (c. Fel.; retr.
2,8), danach wurde die Auseinandersetzung mit den Manichäern nicht mehr Gegen--
stand eigener Schriften. Gleichzeitig hat Augustin in der Zeit, in der er sich mit den
Manichäern auseinandergesetzt hat, auch noch ganz andere Schriften verfaßt oder
begonnen. Direkt nach seiner Bischofsweihe beantwortete er verschiedene exegeti--
sche Fragen von Simplician, der 397 Nachfolger des Ambrosius als Bischof in Mai--
land werden sollte. Die Schrift Simpl. ist für die Gnadenlehre und die Entwicklung
in Augustins Denken entscheidend geworden. Etwa zu derselben Zeit verfaßte er
B. Person
I. Biographisches Umfeld und Vita 5
C Basilica Maiorum (gest. Pel. 25; *s. 165; *s. 294; *s. Denis basilica Maiorum
20; *s. Morin 12; Victor de Vita, Historia persecutionis (Mcidfa), Nr. 14?
Africanae prouinciae 1,9) Vgl. Divjak /
basilica perpetua restituta (Concilium Carthaginense anno 390 Wischmeyer.
[CChr.SL 149, 12])
D Basilica nouarum (breuic. 3,25; *s. 14; *s. 37; *s. Guelf. 30; Basilika Damous el
Victor de Vita, Historia persecutionis Africanae prouinciae Karita, Nr. 11?
1,25)
F Mensa Cypriani (en. Ps. 80,23; s. 310; *s. Morin 15) Bir Ftouha, Nr.15?
domus sancti Cypriani (*en. Ps. 32,2,1 [vgl. Miscellanea Agostiniana
1, 665]; *en. Ps. 32,2,2); mensa sancti Cypriani (*en. Ps. 38; *en. Ps.
83 [vgl. Primmer 184]; *s. 13; *s. 49; *s. 114; *s. 305; s. Frangip. 1);
mensa beati martyris (en. Ps. 80,4); mensa sancti martyris Cypriani
(*s. 131; *s. 154; *s. 169); mensa beati martyris Cypriani (*s. 309
[vgl. Miscellanea Agostiniana 1, 666]; *s. Denis 14); mensa martyris
Cypriani (*s. Frangip. 5); duas egregias et amplas sancti martyris
Cypriani, unam ubi sanguinem fudit (Victor de Vita, Historia
persecutionis Africanae prouinciae 1,16)
G Basilica Fausti (*s. 23; *s. 101; s. 111; *s. 134 [vgl. Miscellanea Basilika Damous el
Agostiniana 1, 665]; *s. 261; Concilium Carthaginense Karita, Nr. 11?
1. Maii 418 [CChr.SL 149, 69.220]; Concilium Carthaginense
25. Maii 419 [CChr.SL 149, 89]; Concilium Carthaginense
13. Iunii 421 [secundum codicem Veronensem LX, vgl.
CChr.SL 149, XXXIV]; episcopi Africani, ad Ioannem II.
papam epistula [Collectio Auellana, Epistula 85; CSEL 35/1,
328]; Martyrologium Romanum 15. Iulii, Nr. 4; Victor de Vita,
Historia persecutionis Africanae prouinciae 1,25; 2,48)
basilica sanctae Faustae (Martyrologium Hieronymianum 15. Iulii);
Fausti ecclesia (Victor de Vita, Historia persecutionis Africanae
prouinciae 2,18; 3,34)
M Basilica Celerinae (*en. Ps. 99; *s. 48; *s. 174) Kapelle
basilica sanctorum martyrum Scil(l)itanorum (*s. 155); basilica »Gauckler«, Nr. 17?
Celerinae uel Scillitanorum (Victor de Vita, Historia persecutionis
Africanae prouinciae 1,9); basilica quae dicitur Celerina (Anonymus,
Passio septem monachorum 16 [CSEL 7, 114])
* nur im titulus der Predigt bzw. Schrift, meist nur in einem Teil der Handschriften bezeugt
B. Person
die ersten Bücher doctr. chr. (genauer doctr. chr. 1,1–3,35; vgl. retr. 2,4), in denen er
die hermeneutischen Prinzipien seiner Bibelexegese entfaltete, und seine conf. (vgl.
retr. 2,6). In der Folge begann er seine großen exegetischen Arbeiten und trin. (vgl.
retr. 2,15).
Ab 400 schob sich die Auseinandersetzung mit dem Donatismus zunehmend
in den Vordergrund. Augustin nahm an fast allen karthagischen Generalsynoden
teil, die den Donatisten erst Disputation und Rückkehr anboten, dann die staatli--
che Gewalt um Hilfe baten. In diesen Jahren verfaßte Augustin zahlreiche antido--
natistische Schriften. In seinem eigenen Ort war er nur einer von zwei Bischöfen,
und der donatistische Bischof (zuerst Proculeianus, dann Macrobius) war keines--
wegs Vorsteher einer kleinen Minderheit. Vielmehr mußte Augustin (wie viele sei--
ner Kollegen) die große Hauptkirche, die man erst ca. 407 hatte übernehmen kön--
nen, 410 noch an die Donatisten zurückgeben (vgl. ep. 108,14). Als Ende 403 eine
donatistische Gruppe Possidius attackierte, wies Augustin zusammen mit ihm auf
das theodosische Gesetz von 392 hin (Codex Theodosianus / Gesetzessammlung des
Theodosius 16,5,21; vgl. Cresc. 3,50). Obwohl Augustin lange darauf gesetzt hatte, die
Donatisten friedlich und durch Mittel der Überzeugung zur Einheit zurückführen
zu können, begann er ab ca. 404 /405, die staatlichen Maßnahmen gegen die Donati--
sten zu befürworten (vgl. hierzu ep. 93 und ep. 185). Im Juni 404 bat das karthagische
Konzil offiziell um den Schutz der staatlichen Gewalt (vgl. Registri Ecclesiae Cartha--
ginensis Excerpta 93; CChr.SL 149, 211 /997–214 /1088). Nach erfolglosen Anstrengun--
gen fiel auf der collatio von 411 die Entscheidung unter dem Vorsitz des kaiserlichen
Beauftragten Marcellinus zugunsten der Katholiken. Den donatistischen Einspruch
wies der Kaiser am 30. Januar 412 mit harter Strafandrohung ab (vgl. Codex Theo--
dosianus 16,5,52). In Hippo Regius konnte Augustin die bisher donatistische Haupt--
kirche wieder übernehmen, Macrobius wurde der Aufenthalt in der Stadt untersagt
(vgl. ep. 139,2). Eine der letzten antidonatistischen Schriften ist c. Gaud. (vgl. retr.
2,59, um das Jahr 420 anzusetzen).
Am 24. August 410 fiel Rom in die Hand der Westgoten. Diese als Katastrophe
erlebte Einnahme Roms war der Auslöser für eines der größten Werke Augustins: ciu.,
in dem sich Augustin mit der paganen Bildung, Religion und Philosophie genauso
auseinandersetzte wie er eine eigene umfassende Vorstellung der Heilsgeschichte
entwickelte (vgl. retr. 2,43). Ab 411 beschäftigte sich Augustin dann zunächst mit
dem, was man später Pelagianismus nennen sollte. Bis 414 setzte er sich dabei nur
mit bestimmten Informationen aus Karthago auseinander, die auch die 411 erfolgte
Anklage des Pelagiusschülers Caelestius betrafen. Erst nach 414 nahm Augustin defi--
nitiv Stellung gegen Pelagius (nach der Lektüre von dessen Werk De natura / Über die
Natur, das Augustin in nat. et gr. widerlegte, vgl. retr. 2,42). Nach dem Freispruch
des Pelagius auf der Synode von Diospolis war Augustin einer der Protagonisten
in dem Bemühen, diese Entscheidung zu revidieren und eine Übernahme dieser
Entscheidung durch den Bischof von Rom zu verhindern. 416 setzten sich die Kon--
zilien von Karthago und Mileve (ep. 175 f) massiv dafür ein, daß die pelagianische
Theologie zu verwerfen sei. Dem folgte im April 418 die entsprechende Entschei--
II. Traditionen – 1. Klassische lateinische Literatur
dung durch den kaiserlichen Hof in Ravenna und am 1. Mai 418 das Generalkonzil
von Karthago (B. III. 7.3.). Nur wenige Bischöfe widersetzten sich dieser Entschei--
dung, der wichtigste unter ihnen war Julian von Aeclanum, mit dem Augustin bis
zu seinem eigenen Tod eine literarische Auseinandersetzung führte.
Erst spät wurde Augustin mit der theologischen Strömung konfrontiert, die er
(darin der Polemik des Ambrosius und anderer folgend) als ›Arianismus‹ disqua--
lifizierte, das Homöertum (B. III. 9.), das er zuletzt noch in der Schrift c. Max.
bekämpfte.
Am 28. August 430 starb Augustin in Hippo (das Datum belegt der chronolo--
gisch nicht immer zuverlässige Prosper, Epitoma Chronicon 1; 473 /1302 f), während
die Stadt von Vandalen belagert wurde (vgl. Possidius, Vita Augustini 28,4–13). Kurz
nach seinem Tod traf die kaiserliche Einladung zum Konzil von Ephesus ein (vgl.
Liberatus, Breuiarium causae Nestorianorum et Eutychianorum / Kurzfassung des Falls
der Nestorianer und Eutychianer 4; ACO 2,5; 103 /2–7).
Bonner, Gerald: Art. Augustinus (uita), Augustinus-Lexikon 1 (1986–1994), 519–550.
Brown, Peter: Augustine of Hippo. A Biography, Berkeley / Los Angeles 1967; deutsche Über--
setzung: Ders.: Augustinus von Hippo. Eine Biographie, aus dem Englischen von Johan--
nes Bernard und Walter Kumpmann, Frankfurt am Main 1973, erweiterte Neuausgabe Mün--
chen 2000.
Lancel, Serge: Saint Augustin, Paris 1999.
Madec, Goulven: Introduction aux »Révisions« et à la lecture des œuvres de saint Augustin, Col-
lection des Études Augustiniennes. Série Antiquité 150, Paris 1996.
Schindler, Alfred: Art. Augustin /Augustinismus, Theologische Realenzyklopädie 4 (1979), 645–
698.
Jochen Rexer / Volker Henning Drecoll
II. Traditionen
1. Klassische lateinische Literatur und Rhetorik
Im 4. Jahrhundert gelangte die antike Bildung noch einmal zu neuer Blüte. Dabei
hatte sich das erstarkende Christentum um so mehr mit ihr auseinanderzusetzen,
als die grammatische und rhetorische Ausbildung weiter in den alten Bahnen ver--
lief. Schon Tertullian, Minucius Felix, Novatian, Laktanz, Cyprian und Arnobius grei--
fen immer wieder auf heidnische Autoren, vor allem die ihnen vertrauten Schulauto--
ren, zurück.
Für Augustin hat alle Forschung von dem großen Sammelwerk von Harald Ha-
gendahl, ›Augustine and the Latin Classics‹ auszugehen. Dieser zeigt, daß Augu--
stin infolge seiner Ausbildung die heidnischen Autoren in seinen Frühschriften
häufig herangezogen und dann besonders für sein großes apologetisches Werk ciu.
erneut gelesen hat. Wegen der antiken Zitierpraxis sind wörtliche Übernahmen,
Anspielungen und Reminiszenzen oft nur schwer gegen Augustins eigenen Text ab--
50 B. Person
zugrenzen, zumal Augustin Namen und Werke der heidnischen Autoren – beson--
ders in späterer Zeit – absichtlich verschweigt oder umschreibt. Es kommt auch vor,
daß Augustin den zitierten Autor falsch versteht. Grundsätzlich sind bei den Zita--
ten zwei Funktionen zu unterscheiden: Entweder haben sie – besonders solche von
Dichtern – ornamentale bzw. affirmative Funktion, oder Augustin setzt sich phi--
losophisch-theologisch mit der heidnischen Lehre auseinander. Für etliche verlo--
rene Werke nichtchristlicher lateinischer Literatur ist Augustin heute die wichtigste
Quelle, und selbst in den auch sonst erhaltenen Werken benutzt er manchmal einen
besseren Text, als ihn unsere Handschriften bieten.
Gegen griechische Autoren empfand Augustin in seiner Jugend eine Abneigung
(vgl. conf. 1,13 f), im Gefolge Ciceros bemängelt er die sophistische Spitzfindigkeit. Die
neuplatonischen Werke scheint er in lateinischen Übersetzungen gelesen zu haben
(vgl. conf. 7,13). Wenn seine Sprachkompetenz im Griechischen in jungen Jahren auch
gering war, so hat er doch seit seiner Weihe zum Presbyter und dem daraus folgen--
den zunehmenden Bibelstudium gründlichere Kenntnisse insbesondere der grie--
chischen Bibel erworben (B. III. 14.), die ihn sogar befähigten, unter Bezugnahme
auf die Septuaginta (wörtlich: ›Siebzig‹) textkritische Emendationen des lateinischen
Bibeltextes vorzunehmen (vgl. z. B. qu. 3,50; 4,28.39).
Mit den lateinischen Autoren hatte sich Augustin schon früh als Schüler, dann als
Grammatik- und Rhetoriklehrer zu beschäftigen. Die Schulausbildung stützte sich
zu seiner Zeit vor allem auf vier römische Autoren: zwei Dichter, Terenz und Vergil,
sowie zwei Prosaschriftsteller, Sallust und besonders Cicero. Alle anderen Schriftstel--
ler spielen eine weit geringere Rolle. Für das systematische Lehrbuchwissen kommt
bei Augustin besonders Varro hinzu.
1.1. Cicero
Der wichtigste Autor ist Cicero. Im Rahmen der rhetorischen Lehre studierte Augu--
stin zunächst die Werke De inuentione (Über die Stoffindung), De oratore (Über
den Redner), Orator (Der Redner) sowie die Musterreden. Der Name Tullius dient
ihm als Beispiel für die o-Deklination (vgl. gramm. 2,8). Für alles Sprachliche und
überhaupt für akustische Reize überaus empfänglich, lobt er immer wieder Cice--
ros Redegewalt. Nur Minucius Felix, Laktanz und Ambrosius zeigen sich in ähnli--
chem Maße von Cicero beeinflußt. Augustin schreibt in ciceronischem Stil am ehe--
sten in den Frühdialogen. In ihnen kombiniert er ganz wie Cicero die platonische
Form des Dialogs mit Textformen, wie sie besonders in aristotelischer Philosophie
benutzt wurden (so besonders in Proömien und zusammenhängenden Lehrvorträ--
gen). Unter dem Einfluß der Bibel entfernt er sich von ihm, um sich dann in ciu. sei--
nem sprachlichen Vorbild wieder anzunähern.
Erst während des Studiums in Karthago beeindruckte ihn Cicero auch inhaltlich
zutiefst. In den conf. berichtet er, wie er im 19. Lebensjahr im Rahmen des Lehrplans
auf den verlorenen Protreptikos Hortensius cuiusdam Ciceronis (die Schrift ›Hor--
tensius‹ eines gewissen Cicero; conf. 3,7) gestoßen sei, in dem Cicero, damals selbst
II. Traditionen – 1. Klassische lateinische Literatur 51
in einer persönlichen Krise, den Leser über die Rhetorik und Politik hinaus zu den
wahren Werten der Philosophie geleitet: Mutauit affectum meum (Er gab meiner Pas--
sion eine andere Richtung; conf. 3,7). Die Lektüre befreite ihn von der Unbeständig--
keit seines bisherigen geistigen und sittlichen Lebens und führte ihn zu seiner früh--
kindlichen christlichen Erziehung zurück (vgl. Testard 27–32). Allerdings vermißt
er bei dem Heiden noch den Namen Christi und muß zugleich feststellen, daß der
Stil der Bibel gegen den ciceronischen weit abfällt (vgl. conf. 3,8 f). Augustins Wahr--
heitssuche wurde also angeregt, doch ohne daß sie bei dem Skeptiker Cicero ein
festes Ziel hätte finden können. So gelangte er zunächst zu den Manichäern, bevor
ihm dann in Mailand der Ciceronianer Ambrosius den Weg über den Neuplatonis--
mus zum Christentum ebnete. Neben der Neuplatonismusrezeption, wie sie etwa
in Ambrosius’ Schrift De Isaac et anima (Über Isaak und die Seele) festzustellen ist
(B. II. 12.), dürften dabei Ciceros Schriften De natura deorum (Über das Wesen der
Götter) und Tusculanae disputationes (Gespräche in Tusculum) eine Rolle gespielt
haben; auch der ausgeprägte Sprachstil des Ambrosius, in dem dieser sich an Cicero
anlehnte, dürfte Augustin beeindruckt haben. Nach seiner Bekehrung empfiehlt er
seinen jungen Freunden in Cassiciacum die Lektüre des Hortensius, der dann mit
seiner exhortatio (Ermahnung) zur Wahrheitssuche in beträchtlichem Maße zum
protreptischen Charakter der conf. beigetragen hat. In seinem großen dogmatischen
Werk trin. kommt er besonders in den Büchern 13 und 14 wieder auf den Hortensius
zurück (vgl. trin. 13,7–11.25; 14,12–26).
Wie Cicero in seiner zweiten Periode des Philosophierens nach dem Hortensius
in den Academici libri (Akademische Bücher) seinen skeptischen Standpunkt darlegt,
so schreibt auch Augustin, der mehrfach Anwandlungen des Skeptizismus widerstan--
den hatte, als erstes Werk nach der Bekehrung den Dialog Acad.; das Gespräch geht
von einem Satz aus dem Hortensius aus: Beati certe esse uolumus (Sicherlich verlan--
gen wir danach, glücklich zu sein; Acad. 1,5; vgl. Cicero, Hortensius fragmentum 58
Grilli; trin. 13,6–8 u. ö.). Augustin lehnt Ciceros Skeptizismus ab, doch nimmt er ihn
mit einem traditionellen Argument in Schutz: Cicero habe nur ein taktisches Ver--
steckspiel treiben wollen und leite am Ende der Neuen Akademie schon zum Neu--
platonismus Plotins über (B. II. 2.).
Es sind die philosophischen Schriften Ciceros, durch die Augustin die griechi--
sche Philosophie kennenlernte, er zitiert besonders aus De natura deorum, den Tus--
culanae disputationes, aus De finibus bonorum et malorum (Über das höchste Gut
und das größte Übel) und De officiis (Über die Pflichten), im Zusammenhang mit
der Schicksalsproblematik auch aus De diuinatione (Über die Weissagung) und De
fato (Über das Schicksal).
Nachdem seine persönliche Krise auch eine gewaltige schriftstellerische Pro--
duktivität in Gang gesetzt hatte, faßte Augustin nach seinem Erstlingswerk pulch.
(B. III. 1.) den Plan, auf der Grundlage von Varros verlorenen Disciplinae (Lehrfä--
cher) die gesamten artes liberales (die freien Künste) enzyklopädisch zu behandeln,
doch hat er diesen Plan nur im Ansatz ausgeführt. Statt dessen entwickelt er in doctr.
chr. auf höherer Ebene eine christliche Bildungslehre. Obwohl dort Ciceros Name
5 B. Person
nicht mehr genannt wird, übernimmt Augustin das Begriffsgerüst aus den rhetori--
schen Werken, besonders dem Orator; aus diesem Werk könnte schon die anfängliche
Formulierung stammen, daß es sich um ein magnum et arduum opus (ein umfang--
reiches und schwieriges Unterfangen) handele (so ciu. 1, praefatio und eine Vari--
ante in doctr. chr. 1,1, hier neben der Lesart magnum et arduum onus /eine große und
schwere Last; vgl. Cicero, Orator 33: magnum opus omnino et arduum). Im traditio--
nellen Lehrbuchstil übernimmt er die strengen Begriffsraster der Rhetorik: die drei
genera dicendi (Redeweisen), für die er nun aber Paulus, Cyprian und Ambrosius
als Beispiele anführt, sowie die drei officia (Aufgaben) des Redners, docere (beleh--
ren; in Erörterungen der Trinitätslehre) – delectare (erfreuen; beim Lobpreis Got--
tes) – flectere (bewegen; für die Bekehrung der Ungläubigen; vgl. insgesamt Kur--
sawe). Vor allem aber übernimmt er von Cicero (ausgehend vom Beginn von dessen
Schrift De inuentione) das umfassende Bildungsideal. Augustin bietet einen Rah--
men, wie man mit der ciceronischen Tradition umzugehen habe, und gestaltet die
Lehren für die christliche Priestererziehung um: Er übernimmt, was sich mit dem
Christentum verbinden läßt, und zieht anstelle von traditionellen paganen Beispie--
len Bibelstellen heran, um ciceronische Kategorien zu erklären. Doch im Gegensatz
zu Cicero funktionalisiert und finalisiert er die Rhetorik (vgl. Pollmann, Untersu--
chungen 237 u. ö.): Der Primat verschiebt sich vom mouere (bewegen) zum docere
(belehren), denn es geht um das persuadere (überzeugen).
Das späte Werk ciu. enthält besonders viele Zitate paganer Autoren. Augustin
richtet es gegen das philosophische Hauptwerk der frühen philosophischen Schaf--
fensperiode Ciceros, De re publica (Über den Staat). Er entwickelt einige Leitgedan--
ken auf der Grundlage dieses Werkes, das seinerseits auf Platons Politeia (Der Staat)
basiert. Im Zentrum steht der Begriff der iustitia (Gerechtigkeit), um den es in dem
besonders fragmentarisch überlieferten dritten Buch von Ciceros De re publica geht.
Bereits Laktanz hatte im fünften Buch seiner Diuinae Institutiones (Gott betreffende
Unterweisungen) die beiden kontroversen Reden des Furius Philus (nach Karneades
gegen die Gerechtigkeit) und die Replik des Laelius (für die Gerechtigkeit) ausführ--
lich kommentiert (vgl. die Fragmente aus Cicero, De re publica bei Laktanz, Diui--
nae Institutiones 5,14–16). Augustin greift Ciceros Klagen über den moralischen Ver--
fall des römischen Staates auf. So ist etwa ein Symptom des Sittenverfalls bereits für
Cicero das Theater, besonders die Tragödie. Im Gefolge der allgemeinen christlichen
Verurteilung der heidnischen pompa diaboli (des Prunks des Teufels; vgl. Tertullian,
De spectaculis / Über die Schauspiele 24,2 u. ö.; vgl. dazu Jürgens) konnte Augustin
an Ciceros Modifizierung der platonischen Dichterkritik anknüpfen. Er schlägt das
Heidentum mit seinen eigenen Waffen: Man braucht Cicero nur konsequent zu Ende
zu denken, um zum Christentum zu gelangen. Doch während Cicero die Vorstellung
von der res publica (dem Staat) im allgemeinen am Modell des römischen Staates
entwickelt und daraus die Legitimation der römischen Herrschaft ableitet, kommt
Augustin zu der Erkenntnis, daß der römische Staat kein wahrer Staat sei, sofern
man Platons idealen Gerechtigkeitsbegriff zugrunde legt (vgl. ciu. 2,21). Allerdings
basiert selbst seine ciuitas caelestis (der zum Himmel gehörende Staat bzw. das zum
II. Traditionen – 1. Klassische lateinische Literatur 5
1.. Vergil
Nach Cicero ist für Augustin der wichtigste heidnische Autor Vergil, dessen Einflüsse
auf die lateinischen Kirchenschriftsteller gerade in der letzten Zeit genauer erforscht
wurden (vgl. Freund). An eine innere Entwicklung von einer anfänglichen Begeiste--
rung für Vergil bis zu Ablehnung und Resignation (so Schelkle) glaubt man heute
nicht mehr (vgl. Müller, Formen). Vergil wurde unter den Vätern zunächst von Ter--
tullian und Commodian abgelehnt, von Minucius Felix langsam angeeignet und spä--
ter voll anerkannt (vgl. Heck, Geringschätzung). Während Vergil bei Cyprian und
Arnobius kaum eine Rolle spielt, setzt sich Laktanz inhaltlich mit ihm auseinander.
Großen Einfluß übt der Dichter schließlich auf die suauiloquentia, den geschmeidi--
gen Stil des Ambrosius aus.
Augustin lernte den Dichter Vergil schon früh im Grammatikunterricht ken--
nen: Er hatte ihn auswendig aufzusagen oder Reden der Aeneis (Aeneis) in Prosa
umzusetzen. In dem schulmäßigen Gespräch mit seinem Sohn Adeodatus, mag.,
in doctr. chr. oder den loc. demonstriert er anhand von Vergilversen grammatische
oder metrische Regeln. In mus. dient der erste Vers der Aeneis immer wieder als Bei--
spiel. In der Schrift gegen den Manichäer Faustus nimmt Augustin den Latinae lin--
guae doctissimum auctorem (den hochgelehrten Meister der lateinischen Sprache; c.
Faust. 22,25) gegen überzogene Kritik in Schutz. Er erklärt Bibelstellen mit vergili--
schem Sprachgebrauch und erkennt in manchen Vergilversen sogar Worte der hei--
ligen Schrift. Einmal geht er so weit zu behaupten, Vergil habe die heilige Schrift
geradezu imitiert (vgl. ciu. 15,19).
5 B. Person
ten Buches der errores), conf. 10 sei dann das »Hafenbuch« (so Pfligersdorffer 179
nach der reichen Metaphorik am Anfang von beata u.), bevor dann in den iliadischen
Büchern conf. 11–13 im Sinne eines maior ordo, d. h. auf höherer Ebene, die geistigen
Kämpfe um die Sicherung der neuen Glaubenslehre ausgefochten werden.
Im Zuge der traditionellen Dichter- und Mythenkritik wendet sich Augustin
gegen die Fiktionen (figmenta) der Götterlehre und stellt auch Unstimmigkeiten
zwischen einzelnen Vergilstellen fest. Er spürt einen Zwiespalt zwischen der elegan--
ten Form der Verse und ihrem nichtigen Inhalt. Wie schon Tertullian im Apologe--
ticum (Verteidigungsschrift) 25,16 verdammt auch Augustin in den ersten Büchern
von ciu. jene Kernsätze, mit denen Vergil das römische Herrschaftsstreben zusam--
menfaßt: parcere subiectis et debellare superbos (die Unterworfenen schonen und die
Hochmütigen niederkämpfen; Vergil, Aeneis 6,853) sowie die Worte imperium sine
fine dedi (Ein Reich ohne Ende verlieh ich; Vergil, Aeneis 1,279), mit denen Iuppiter
sein ewiges Reich ankündigt. Diesen letzten Vers bezieht Augustin dann in christ--
licher Umdeutung auf den Gegenentwurf seines Gottesstaates (vgl. ciu. 2,29). So
läßt Augustin auch die christliche Deutung der vierten Ekloge zu oder nimmt sie in
den Briefen selbst vor (Vergil, Eclogae / Hirtengedichte 4,13 f wird von Augustin auf--
genommen in ep. 104,11; 137,12; 258,5; ciu. 10,27). Genüßlich kostet Augustin immer
wieder den Widerspruch aus, daß Rom nach Ansicht der Kritiker am Christentum
eben von denjenigen heidnischen Göttern hätte beschützt werden müssen, die sich
einst nach dem Bericht der vergilischen Iliupersis (Zerstörung Trojas) schon von der
Urheimat Troja abgewandt haben (vgl. Vergil, Aeneis 2,608–623).
Auch ohne wörtliche Zitate hat die weiche und geistreiche Art vergilischer Dik--
tion (vgl. das Urteil über Vergil in Horaz, Satura / Satire 1,10,40: molle atque face--
tum / weich und geistreich) auf Augustins Stil insgesamt einen gewaltigen Einfluß
ausgeübt. Wenn Augustin Vergilverse auch häufiger wörtlich zitiert als Ambrosius,
so haben seine Formulierungen mit denen des Ambrosius dennoch eine oft gewagte
Wortakrobatik gemeinsam und den sanften Schleier vergilischer Melancholie. Als
Beispiel mögen etwa die vergilischen Metaphern im zehnten Buch von conf. die--
nen, mit denen Augustin sein Inneres als aula memoriae (Halle der Erinnerung)
bzw. praetoria memoriae (Palast der Erinnerung) beschreibt (vgl. conf. 10,12.14; vgl.
Schmidt-Dengler; Hübner, Praetoria 250.256 f). Bezeichnend ist der Unterschied
zu jenen Vergilzitaten, die Augustin in c. Iul. imp. aus dem Werk seines Gegners
referiert: Während dieser gekünstelt sein Wissen zur Schau stellt und der beliebten
Mode der Centonenbildung (also der Zusammenstellung von verschiedenen Text--
stellen zu einem Flickenteppich) frönt (vgl. c. Iul. imp. 4,38), steht Augustin in einer
lebendigen Tradition der Vergilnachfolge, die auf einem innigen Verhältnis zu die--
sem Autor beruht (erkennbar z. B. an der Bezeichnung Vergils als poeta noster / un--
ser Dichter in Acad. 3,9).
5 B. Person
1.. Varro
Petrarcas Dictum über Varro, er sei »il terzo gran lume romano« (das dritte große
römische Licht; Francesco Petrarca, I trionfi, Trionfo della Fama 3,38), entspricht
ganz der Bedeutung, die dieser Autor für Augustin hat. Mag schon Laktanz hin und
wieder auf Varro zurückgegriffen haben, so hat doch kein Kirchenvater Varro so oft
zitiert wie Augustin. Der Name kommt nicht weniger als 117 Mal in Augustins Wer--
ken vor, meistens in ciu., wo er dem Lob Varros ein ganzes Kapitel einräumt (vgl.
ciu. 6,2). Sein Urteil ist von dem Ciceros und des Terentianus Maurus beeinflußt:
Augustin schätzt weniger den Stil, den er an Stellen, wo er ihn nicht wörtlich zitiert,
sogar rhythmisch glättet (Hagendahl), sondern die profunde Gelehrsamkeit und
die schematische Organisation (distributio ac distinctio / Einteilung in Abschnitte und
Ausdifferenzierung) gewaltiger Wissensmengen in einer für seine Zeit autoritativen
Form. Seit Cicero taucht hier neben dem Prädikat doctus (gelehrt) immer wieder
der Begriff der curiositas (der theoretischen Neugier) auf.
Ausdrücklich nennt Augustin die weitgehend verlorenen Schriften der Antiqui--
tates rerum humanarum et diuinarum (Altertümer der Menschen und Götter), De
gente populi Romani (Über die Herkunft des römischen Volks), Curio de cultu deorum
(Curio über die Verehrung der Götter) und De philosophia (Über die Philosophie).
Nicht genannt werden die Disciplinae (Lehrfächer), eine Enzyklopädie der nach Varro
neun Grundwissenschaften (zusätzlich zu den sieben später als Trivium und Quadri--
vium bezeichneten Wissenschaften die Architektur und die Medizin; vgl. Hübner,
Musae), die Augustin von der Schulzeit an vertraut waren, von ihm in der Regel als
disciplinae liberales (Wissensfächer des freien Mannes) bezeichnet wurden und die in
der Spätantike, besonders seit Martianus Capella und Cassiodor, eine gewaltige Wir--
kung entfalten sollten. Von seiner geplanten Enzyklopädie der freien Künste (d. h. der
Darstellung von Grammatik, Dialektik, Rhetorik, die in den Scholia Vindobonensia ad
Horatii Artem poeticam / Wiener Scholien zur Ars poetica des Horaz 307 erstmals zum
triuium / zur Dreiergruppe [wörtlich: ›Weggabelung‹] zusammengefaßt werden, sowie
Musik, Arithmetik, Geometrie und Astrologie /Astronomie, in Boethius, De institu--
tione arithmetica / Über die Unterweisung in der Arithmetik 1,1 erstmalig als quadruui--
um / Vierergruppe [wörtlich: ›Wegkreuzung‹] bezeichnet) sind bis auf mus. nur Ansätze
erhalten (gramm., dial., rhet.; mus. ist nur zur Hälfte verwirklicht; C. I. 2.); dieses Vor--
haben ist ohne das Vorbild Varros undenkbar. Augustin kommt auf die disciplinae libe--
rales außerdem in ord. 2,35–43 zu sprechen, dem frühesten schriftlichen Beleg für den
Kanon der sieben Künste überhaupt – mag auch der Aufstieg der Seele in bedächtigen
Einzelschritten vom Körperlichen zum Intelligiblen auf einer neuplatonischen Inan--
spruchnahme der varronischen Lehre beruhen: Die von Varro in Antiquitates rerum
humanarum et diuinarum fragmentum 212 vorgenommene und auch auf Mosaiken
dargestellte geometrische Anordnung der Künste nach dem Quadrat der neun Musen,
deren Entstehungslegende Augustin auch in doctr. chr. 2,27 referiert, widerstrebt nicht
nur einem linearen Aufstieg des Geistes, sondern auch der Einsträngigkeit literarischer
Darstellung überhaupt (vgl. Hübner, Musae 230–237).
II. Traditionen – 1. Klassische lateinische Literatur 5
Besonders in seinen frühen Schriften übernimmt Augustin von Varro die sto--
isch gefärbte Sprachphilosophie, darunter so manche der von Varro geschätzten
Etymologien (vgl. mag. 12; conf. 9,5; 10,18; vgl. Knauer 122 f). Auch in doctr. chr. läßt
sich varronischer Einfluß nachweisen, wie etwa in dem berühmten Gegensatz von
uti (gebrauchen) und frui (genießen; zur Diskussion um den varronischen Hinter--
grund des Begriffspaares vgl. Chadwick, Frui 72 Anm. 8) oder der akustischen Drei--
teilung der Laute in uocalia (tönende; entsprechend φωνήεντα), semiuocalia (halb--
tönende; entsprechend ἡμίφωνα) und muta (stimmlose; entsprechend ἄφωνα; vgl.
ord. 2,36), die wohl auch für seine Psalmenpredigten vorauszusetzen ist (vgl. Hüb--
ner, Cantare). Seine neue, vom Ziel her einheitlich bestimmte christliche Bildung
übernimmt aus den varronischen Systemen, was ihr nützlich erscheint, läßt indes--
sen anderes weg oder modifiziert es.
Für ciu. hat Augustin die Schriften Varros erneut studiert (ca. 92 % aller Varrozi--
tate finden sich in ciu.). Augustin verdankt ihm, dem Polyhistor, (neben dem Juri--
sten M. Antistius Labeo in der Dämonologie) die genauen Kenntnisse der römischen
Götterlehre und der Kultorganisation. Er referiert detailliert die schematische Dis--
position von Varros doppeltem Hauptwerk, den Antiquitates rerum humanarum et
diuinarum, wobei er die Problematik dieser Dichotomie durchaus erkennt: Augu--
stin vermißt das ewige Leben und kritisiert die Priorität der menschlichen Dinge
(vgl. ciu. 6,4). Die menschliche und die göttliche Sphäre sollten strenger voneinan--
der geschieden werden. Naturgemäß interessiert ihn vor allem der zweite Werkteil
über die Götter: In ciu. 4 entfaltet er polemisch die abstruse Lehre von den zahllosen
›Sondergöttern‹ oder ›Augenblicksgöttern‹, besonders ausführlich und sarkastisch
von den di nuptiales (den Hochzeitsgöttern) im Zusammenhang der Hochzeitszere--
monie, in ciu. 6 f zwar weniger scharf, aber dafür ausführlich die theologia tripartita
(die dreigeteilte Götterlehre). In ciu. 7 schöpft er außerdem aus dem Werk Curio de
cultu deorum, in ciu. 18 vergleicht er anhand ausgedehnter Zitate aus De gente populi
Romani die Universalgeschichte der terrena ciuitas (des irdischen Gemeinwesens)
mit seiner ciuitas dei (dem zu Gott gehörenden Gemeinwesen). Ciu. 19 ist die ein--
zige Quelle für die Schrift De philosophia, in der Varro, frühere Skeptiker überbie--
tend, nicht weniger als 288 denkbare Definitionen des höchsten Gutes durchgespielt
hat. Augustin lehnt den materiellen immanenten Allgott der Stoiker ab (vgl. ciu. 8,5)
und neigt eher dem transzendenten Gott der Neuplatoniker, ihrem Dualismus und
der Lehre von der Weltseele zu (vgl. ciu. 7,5 f). Einen Hinweis auf das ewige Leben
sucht Augustin bei Varro vergebens. Wenn Varro die absurden, allzu menschlichen
Göttergeschichten beschreibt und klassifiziert, ist sein Scharfsinn fehlgeleitet, weil er
noch nicht sancto Spiritu liber (durch den Heiligen Geist frei; vgl. ciu. 6,2) geworden,
sondern noch in den alten Gesetzen und Kulten seines Staates befangen ist.
1.. Terenz
Während Augustin die älteren Dichter Naevius, Ennius, Pacuvius, Caecilius oder
Plautus nur okkasionell und selbst dann nur indirekt über Cicero oder Varro nennt,
5 B. Person
zitiert er den Schulautor Terenz häufig: Meistens handelt es sich um gültig formu--
lierte allgemeine Lebensweisheiten in ornamentaler Funktion. Die Mehrzahl der
Zitate findet sich in den Dialogen, Briefen und in ciu.
In den Zitaten von besonderer Aussagekraft geht es um die Jugend und deren
Erziehung. Mehrfach zieht Augustin jene Stelle aus dem Eunuchus (Der Kastrat)
heran, an der ein Liebhaber angesichts eines Gemäldes, auf dem sich Iuppiter als
Goldregen in den Schoß der Danae ergießt, sein eigenes Liebesabenteuer legitimiert
sieht: Der Seitensprung des höchsten Gottes dient ihm als exemplum stupri (Modell
der Unzucht; conf. 1,26). Augustin läßt das liberale Erziehungsideal der Adelphoe (Die
Brüder) zwar grundsätzlich gelten, doch aufgrund seiner Vorstellung von Kirchen--
zucht und Strenge gibt er dem timor (der Furcht) den Vorrang vor dem reinen amor
(der Liebe) und verkehrt die Terenzworte in ihr Gegenteil, um daraus nach teren--
zischer Art eine eigene Maxime zu bilden.
Eine andere Terenzstelle dient der Exposition von ord.: Wie sich eine Maus in
dunkler Novembernacht durch ihr Pfeifen verrät (vgl. Terenz, Eunuchus 1024), so
hat auch der junge Licentius verraten, daß er nicht schläft (vgl. ord. 1,9) – auch das
eine Art des ›zitathaften Lebens‹ –, doch kehrt Augustin die Fortsetzung des Verses
hodie perii (heute bin ich verloren) ebenfalls um, denn das Pfeifen verspricht, daß sich
Licentius wie die Maus in ihr Loch, d. h. in seinen wahren Schlupfwinkel, zurückzieht,
um in philosophischer Geborgenheit bei sich zu ruhen: Noua nunc religio istaec in te
incessit (Eine neuartige Gläubigkeit ist nun in dich gedrungen; Terenz, Andria / Das
Mädchen aus Andros 730, zitiert in ord. 1,20; vgl. Hübner, Ordo).
1.5. Sallust
Augustins erste erhaltene Schrift, Acad. (C. I. 2.), ist eine Auseinandersetzung mit
erkenntnistheoretischen Thesen, die seit dem Anfang des 3. Jahrhunderts v. Chr.
bis ins erste vorchristliche Jahrhundert in der Athener Akademie – von Arkesilaos,
Karneades, Philo von Larissa – gelehrt wurden. Gemäß dem Tenor dieser Lehre ist
es dem Menschen nicht möglich, Objekte und Sachverhalte zuverlässig wahrzuneh--
men, wie es in der stoischen Wahrnehmungstheorie behauptet wird, und als Folge
ergibt sich das Gebot der ›Zurückhaltung des Urteils‹ (ἐποχή). Diese skeptische Aus--
richtung, mit der sich die ›Mittlere‹ und / oder ›Neue‹ Akademie von der ›Alten‹ –
platonischen – abgrenzte, fand in Cicero ihren letzten prominenten Vertreter. Die
skeptische Lehre wurde außerhalb der Akademie von Pyrrhon von Elis (3. Jahrhun--
dert v. Chr.; zur Zeit Ciceros von Ainesidemos) vertreten und von Sextus Empiri--
cus (Ende 2. Jahrhundert n. Chr.) weitertradiert (vgl. dazu Ricken). Grundlage für
die Auseinandersetzung mit den skeptischen Thesen blieb im lateinischen Westen
jedoch bis in die Frühe Neuzeit Ciceros Abhandlung in den Academici libri (Aka--
demischen Büchern), weshalb der Skeptizismus als Lehre der Mittleren oder Neuen
Akademie verstanden bzw. der Begriff Academicus (im Gegensatz zu Platonicus)
in der Literatur gleichbedeutend mit ›Skeptiker‹ verwendet wurde. In der Schule
der Akademie wurde die skeptische Position allerdings nicht mehr vertreten, doch
II. Traditionen – . Akademische Skepsis 1
wurden die These der eingeschränkten Erkenntnisfähigkeit des Menschen und das
Gebot der Urteilsenthaltung weiterhin rezipiert und diskutiert. Augustin hat diese
Lehre denn auch kaum nur durch die Lektüre der Academici libri kennen gelernt (so
Testard), sondern wohl auch durch die Diskussionen in den zeitgenössischen gebil--
deten Kreisen oder durch andere schriftliche Quellen (Doxographien; Sammlun--
gen skeptischer Tropen usw.). Ciceros Academici libri boten wohl die Hauptgrund--
lage für die Polemik der lateinischen Kirchenschriftsteller gegen die ›akademischen‹
Thesen, denen die christlichen Autoren die Erkennbarkeit Gottes (Minucius Felix,
Octauius /Octavius 17,4–11), die Zuverlässigkeit der Sinneswahrnehmung (Tertullian,
De anima / Über die Seele 17,11.13), den durch Christus garantierten Heilsweg (Arno--
bius, Aduersus nationes /Gegen die Heiden 2,9) und die Möglichkeit der Erkenntnis
von alltäglichen Dingen (Laktanz, Diuinae Institutiones /Gott betreffende Unterwei--
sungen 3,5 f) entgegenhielten bzw. auf deren Grundlage Laktanz dem Menschen die
Erkenntnisfähigkeit der überirdischen Dinge absprach und die Notwendigkeit der
göttlichen Offenbarung proklamierte.
Sowohl in Ciceros Academici libri wie auch in Augustins Acad. werden die Thesen
der akademisch-skeptischen Wahrnehmungstheorie zugrunde gelegt, die sich in der
Auseinandersetzung der skeptischen Akademie mit der Stoa herausentwickelt hat--
ten: Nihil percipi /sciri potest (Nichts kann erfaßt /gewußt werden), und deshalb müsse
der Weise sein Urteil zurückhalten (Sapiens nulli rei assentitur / Der Weise stimmt
keiner Sache zu), um keinem Irrtum und keinen falschen Meinungen zu erliegen.
Die Stoiker vertreten seit Zenon die Position, daß die menschliche Sinneswahrneh--
mung zuverlässig sei, daß ein Sinneseindruck bzw. eine ›Erscheinung‹ (φαντασία,
lat. uisum), wenn sie ›kataleptisch‹ (erfassend) sei, auch ›wahr‹ sei, d. h. das zugrun--
deliegende Objekt oder den Sachverhalt zuverlässig abbilde, so daß ihr das Zentral--
organ der Seele ›zustimmen‹ könne (συγκατατίθεσθαι, lat. assentiri /approbare; ›Zu-
stimmung‹ = συγκατάθεσις bzw. lat. assensio). Die ›kataleptische Erscheinung‹ gilt
den Stoikern als ›Kriterium der Wahrheit‹. Die Akademiker setzen dem entgegen,
daß die menschliche Sinneswahrnehmung trügerisch sei, daß der Mensch bzw. das
Zentralorgan der menschlichen Seele eine kataleptische Erscheinung nicht von einer
nicht-kataleptischen unterscheiden könne, da Erscheinungen bis zur Verwechselbar--
keit ähnlich sein könnten; deshalb müsse der Skeptiker in jedem Fall seine ›Zustim--
mung‹ zurückhalten (ἐπέχειν /sich [scil. eines Urteils] enthalten, lat. nulli rei assenti--
ri / keiner Sache zustimmen). Der Skeptiker will sich also in seinem Urteil nicht fest--
legen und bestreitet, über ein Wissen zu verfügen, kann aber dennoch Vermutungen
anstellen, die er als probabilia (wörtlich: wahrscheinlich, annehmbar) bzw. ueri simi--
lia (wörtlich: dem Wahren ähnlich, hier etwa: annehmbar) bezeichnet.
B. Person
Vielmehr fällt auf, daß Augustin in seiner Argumentation gegen die akademischen
Thesen selbst oft eine skeptische Haltung einnimmt, sich in seinem Urteil nicht fest--
legen will, indem er bestreitet, über ein Wissen zu verfügen, und seine eigenen The--
sen nur als probabilia vertritt: Immer wieder stellt er klar, daß er selbst durchaus noch
auf der Suche sei. Den Unterschied dieser Zurückhaltung zur skeptischen Aporie
B. Person
macht er allerdings öfter deutlich: Seine Thesen über die menschliche Erkenntnis--
fähigkeit sind grundsätzlich optimistisch, und seinem Aufruf zur Suche liegt die –
für die Frühschriften charakteristische – Gewißheit zugrunde, daß das Ziel erreicht
werden könne und das Suchen im Finden enden werde. Der fundamentale Unter--
schied zur skeptischen Position besteht nicht zuletzt darin, daß Augustin als Christ
›glaubt‹, daß die erstrebte Wahrheit mit Christus bzw. Gott identisch ist, daß er also
die Wahrheitserkenntnis, die er als höchstes Ziel vor Augen hat, auf der Grundlage
der Christi auctoritas (der Autorität Christi) erstrebt und somit ›glauben‹ kann, daß
seinen rationalen Bemühungen Erfolg beschieden sein wird.
In der Reihe der antiskeptischen Argumente, die Augustin in Acad. anwendet, ist auch
das sogenannte augustinische ›Cogito‹ zu finden: Gegen die These nihil percipi / sciri
potest (nichts kann erfaßt / gewußt werden) macht Augustin geltend, daß wenigstens
der weise Mensch doch sicher etwas wahrnehmen und auch wissen könne, nämlich
warum, wie und ob er überhaupt ›lebe‹, und schließlich doch die Weisheit selbst
(vgl. Acad. 3,19); dies seien Dinge, die untrüglich wahr seien, es sei keine Verwechs--
lung möglich, also könne man ihnen ›zustimmen‹ und folglich könne man Wissen
erlangen. Damit erachtet er die skeptische These schon einmal als prinzipiell wider--
legt. Die Aussage ›daß ich lebe‹ ist zwar keine objektive, allgemeingültige und über--
haupt keine philosophisch relevante, sondern eine subjektive Wahrheit; sie besteht
jedoch unabhängig von der fehleranfälligen Sinneswahrnehmung, weil der mensch--
liche Geist sie durch sich selbst erfaßt, und damit muß sie selbst dem skeptischen
Wahrheitskriterium genügen. Mit dem Wissen der Selbstexistenz argumentiert Augu--
stin auch später noch gegen den akademischen Skeptizismus; berühmt ist die Stelle
in ciu. 11,26 (vgl. ench. 20; trin. 15,21): Nam et sumus et nos esse nouimus et id esse ac
nosse diligimus. [...] Nulla in his ueris Academicorum argumenta formido dicentium:
Quid si falleris? Si enim fallor, sum. Nam qui non est, utique nec falli potest; ac per hoc
sum, si fallor (Denn wir sind, wissen, daß wir sind, und lieben dieses Sein und Wis--
sen. [...] Bei diesen Wahrheiten fürchte ich die Argumente der Akademiker nicht, die
sagen: ›Was ist, wenn du dich täuschen solltest?‹. Denn wenn ich mich täusche, bin
ich. Wer nämlich nicht ist, kann sich jedenfalls nicht täuschen; so bin ich also, wenn
ich mich täusche). Dieses Argument benutzt Augustin aber nicht nur zur Wider--
legung des skeptischen Zweifels, sondern auch in einem weiteren Zusammenhang:
Das Wissen von der Selbstexistenz ist unerschütterlich und besteht unabhängig von
den Täuschungen durch die Außenwelt und die sinnliche Wahrnehmung, weil der
menschliche Geist es nicht durch die Sinne, sondern durch sich selbst erlangt (vgl.
beata u. 7; sol. 2,1; lib. arb. 1,16 f; 2,7; duab. an. 13; conf. 7,5; trin. 10,13–16). Augustin
stellt damit die platonische Wendung nach innen (zum Selbst) für den im diesseiti--
gen Körper gefangenen Menschen als einzigen Weg dar, um untrügliches, von Täu--
schung unangefochtenes Wissen zu erlangen.
Diese subjektivistische Argumentation ist immer wieder mit dem cartesischen
II. Traditionen – . Akademische Skepsis 5
Cogito, ergo sum (Ich denke, also bin ich) verglichen worden (vgl. René Descartes,
Discours de la méthode / Methodeneröterung 4,1) und man hat Augustin deshalb als
Vorläufer von René Descartes bezeichnet, der ebenfalls die menschliche Seinsge--
wißheit als unerschütterliches Fundament der grundsätzlichen Skepsis gegenüber--
gestellt hat. In einer später erschienenen Schrift hat Descartes das Fundament aller
Erkenntnis gerade auf das Zweifeln gegründet und kommt damit Augustin noch
näher (vgl. René Descartes, Meditationes de prima philosophia / Betrachtungen über
die erste Philosophie 2; 24 /14–28 /22). Man weiß auch, daß Descartes wiederholt
darauf hingewiesen wurde, daß eine gewisse Ähnlichkeit in Ausdruck und Gedan--
ken zwischen ihm und Augustin bestehe. Nach eigenen Aussagen hat zwar Des--
cartes Augustin vor der Formulierung der entsprechenden Passagen nicht gelesen
(dies habe er erst getan, als er auf die Ähnlichkeiten hingewiesen wurde; vgl. Lett--
re / Brief 219; III, 247 f), immerhin hatte er aber durch seine Lehrer an der Jesuiten--
schule von La Flèche Kenntnis vom Gedankengut des christlichen Neuplatonis--
mus und (nur indirekt?) wohl auch von Augustins Gedankengut. Doch trotz aller
Nähe der augustinischen und der cartesischen Argumentation bestehen grundle--
gende Unterschiede in Aussage und Absicht der beiden Argumentationsstrategien:
Für Augustin ist diese Seinsgewißheit nicht wie für Descartes von fundamenta--
ler Bedeutung für das Menschenbild (Descartes selbst beschrieb den Unterschied
dahingehend, er habe, anders als Augustin, nicht nur die Gewißheit der Existenz,
sondern die Gewißheit einer immateriellen res cogitans [einer denkenden Sache im
Gegensatz zur res extensa / räumlich ausgedehnten Sache] im Menschen erwiesen;
vgl. Lettre 219; III, 247 f); vielmehr will er zeigen, daß der Mensch prinzipiell Wissen
erlangen kann, indem er sich von der Sinnen- oder Außenwelt ab- und nach innen
wendet. Das Wissen von der Selbstexistenz ist bloß eine von mehreren Arten von
Wissen und steht auf einer tieferen Qualitätsstufe als das Wissen, um das es letzt--
lich geht: das Wissen von Gott.
Man hat Augustin öfter vorwerfen wollen, daß er durch seine Konzeption einer
welt- und materielosen Innerlichkeit und seinen – wenn auch vielleicht nur indi--
rekten – Einfluß auf Descartes für das ›Verhängnis der Neuzeit‹ verantwortlich sei:
für die Verselbständigung des Ichs, das als unabhängig von der Außenwelt verstan--
den wird (vgl. Taylor 127–142, besonders 127: »On the way from Plato to Descar--
tes stands Augustine«). Doch hat Augustin nicht das ›Ich‹, das menschliche Denken
oder den menschlichen Geist als absolute Größe gesetzt, wie dies Descartes getan
hat; in seinem Menschenbild ist der ›innere Mensch‹, wo sich das ›Cogito‹ gleich--
sam vollzieht, bloß der ›Ort‹ im Menschen, von dem aus die menschliche Seele sich
selbst transzendieren kann und muß, um zum Wissen der absoluten Wahrheit, der
Gotteserkenntnis, zu gelangen (vgl. dazu Horn, Cogito).
Baltes, Matthias: Art. Academia, Augustinus-Lexikon 1 (1986–1994), 40–45.
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Therese Fuhrer
. Lateinischer Mittelplatonismus
Die Unterscheidung eines Mittel- von einem Neuplatonismus ist eine neuzeitli--
che Schematisierung, die die Bedeutung von Plotin für den Platonismus besonders
herausstellt. Mittelplatonismus ist demnach der Platonismus in seiner Gestalt ›vor
Plotin‹ (selbst in dem Fall, daß er chronologisch nach Plotin anzusetzen ist), neu--
platonisch ist alles, was von Plotin abhängig ist. Zu Zeiten Augustins hat man die--
sen Unterschied nicht gemacht. Plotin galt schlichtweg als ein besonders wichtiger
Vertreter des Platonismus: Platonem ceteris excellentius intellexisse laudatur (Man
sagt lobend [scil. über Plotin], daß er Platon viel besser als die übrigen verstanden
habe; ciu. 9,10). Plotin selbst hat sich immer wieder auf Platon zurückbezogen und
seine Philosophie als authentische Deutung der platonischen Philosophie verstan--
den (vgl. Szlezák). Insofern ist es notwendig, für die Platonismusrezeption Augu--
stins nicht nur auf Plotin und Porphyrius zu rekurrieren, sondern auch danach zu
fragen, welche platonische Tradition im lateinischen Sprachraum schon unabhän--
gig von Plotin bestand.
Ein wichtiger Bezugspunkt ist hierfür zweifelsohne Cicero, besonders dessen
Übertragung von Platons Timaios (Timaios). Die Bedeutung dieser Schrift für den
Platonismus kann kaum überschätzt werden, wurde doch in der platonischen Phi--
losophie der Timaios als Buch de mundi constitutione (über die Weltschöpfung; ciu.
8,11) interpretiert.
Für die Zeit nach Cicero ist die Quellenlage äußerst dürftig. Aus der Zeit vor
dem 4. Jahrhundert, aus dem auch in lateinischer Sprache einige Texte erhalten sind,
die von einer intensiven Beschäftigung mit Plotin zeugen (B. II. 4.; B. II. 12.), sind
in lateinischer Sprache nur sehr wenige philosophische Werke erhalten, vor allem
Apuleius sowie eine gemeinsam mit Apuleiuswerken überlieferte Schrift namens
Asclepius (Asklepius).
Von Apuleius sind neben den romanhaften Metamorphosen besonders die phi--
losophischen Werke zu nennen, Augustin nennt zum einen die Schrift De deo Socra--
II. Traditionen – . Mittelplatonismus
tis (Über den Gott des Sokrates; der Titel wird in ciu. 8,14 genannt), zum anderen
die Rechtfertigung des Apuleius gegen die Anklage der Zauberei (vgl. ciu. 8,19, ohne
Nennung des Titels).
Ob Augustin auch die Schrift De Platone et eius dogmate (Über Platon und seine
Lehre) gekannt hat, ist unsicher, aber nicht unmöglich. Diese Schrift ist eine Art
Handbuch für den Mittelplatonismus, vergleichbar dem Didaskalikos (Lehrbuch)
des Alkinoos (früher Albinus genannt) im griechischen Bereich. Für die Philoso--
phie des Mittelplatonismus im lateinischen Sprachraum ist diese Schrift des Apu--
leius die wichtigste Quelle.
Tragendes Grundgerüst des Mittelplatonismus ist die sogenannte Dreiprinzipi--
enlehre, genannt nach den Prinzipien bzw. initia (Anfängen / Grundlagen) der Welt:
Gott, die Materie und die Ideen, verstanden als die Formen. Gott ist dabei unkör--
perlich, einer, der beste von allem, unsichtbar, unergründlich in seiner Natur (vgl.
Platon, Timaios 28c). Die Materie als zweites Grundprinzip wird als ewig vorgestellt
(es gibt also keine Schöpfung aus dem Nichts), ist aber selbst völlig ohne Struk--
tur und Form, ohne jegliche Grenze, insofern infinita (unbegrenzt bzw. unendlich)
(vgl. Apuleius, De Platone et eius dogmate 1,5). Die Ideen sind nicht körperlich, sie
sind simplices et aeternae (einfach bzw. schlechthinnig und ewig) und geben für alle
Dinge die Form vor, sind also selbst exempla (Vorbilder) der Dinge, die entsprechend
ihrerseits die Ideen als imagines (Bilder) wiedergeben (vgl. De Platone et eius dog--
mate 1,6), die Materie wird impressione formarum (durch den ›Eindruck‹ der For--
men) geprägt (vgl. De Platone et eius dogmate 1,7). Unter den Dingen, die man als
essentiae bzw. οὐσίαι (Substanzen) bezeichnet, ist die Differenz zwischen sinnlich
wahrnehmbaren und intelligiblen entscheidend. Gott, die Ideen und schließlich die
Seele gehören zu letzterem, alles, was geformt und geprägt wird, zu ersterem (vgl.
De Platone et eius dogmate 1,6). Gott stellt vermittelst der Ideen die Ordnung und
Schönheit in der Welt her, und zwar ohne Anfang und ohne Ende. Also ist die Welt
ewig (vgl. De Platone et eius dogmate 1,8). Ähnlich wie im Menschen wird auch die
Welt durch eine Seele, die caelestis anima optima et sapientissima (die allerbeste und
sehr weise Himmelsseele), belebt und strukturiert, und zwar durch Zahlenrelatio--
nen und Gedanken (vgl. De Platone et eius dogmate 1,9); von der prouidentia (Für--
sorge, Vorsehung) des höchsten Gottes hängen nachgeordnete prouidentiae ab, die
zusammen das fatum (Schicksal) ausmachen (vgl. De Platone et eius dogmate 1,10).
Die Seele ist, platonischer Seelenlehre folgend, dreigeteilt und besteht aus einer ratio--
nabilis pars (einem vernunftbegabten Teil), einer excandescentia uel irritabilitas (dem
Jähzorn bzw. überhaupt der Fähigkeit zum Zorn) und dem appetitus (dem Streben
bzw. der Begierde) (vgl. De Platone et eius dogmate 1,18). Die Ethik (entfaltet in De
Platone et eius dogmate 2, nachdem das 1. Buch nach De Platone et eius dogmate 1,18
abbricht) wird als Tugendlehre konzipiert, Tugend sei ein habitus mentis optime et
nobiliter figuratus (eine sehr gut und edel geformte Geisteshaltung), wobei die mens
(der Geist) in sich ruht (vgl. De Platone et eius dogmate 2,5).
Die Schrift basiert auf einer Dreiteilung der Philosophie, von der die naturalis phi--
losophia (vgl. De Platone et eius dogmate 1,4) und die moralis philosophia (vgl. De Pla--
B. Person
tone et eius dogmate 2,1) ausgeführt werden (die philosophia rationalis, d. h. die Dia--
lektik, wird einem eigenen Werk vorbehalten, das vielleicht in Περὶ ἑρμηνείας / Über
die Deutungsart erhalten ist; die Verfasserschaft des Apuleius ist nicht unumstritten).
Augustin kennt diese Dreiteilung der Philosophie in physica (= philosophia naturalis,
Philosophie über die Natur der Dinge inklusive der Lehre über Gott und die Welt),
ethica (= philosophia moralis, Moralphilosophie bzw. Ethik) und logica (= philosophia
rationalis, Dialektik bzw. Logik) im Rahmen seines Überblicks über die Geschichte
der platonischen Philosophie (vgl. ciu. 8,6–8).
Nach dem Referat kurzen Handbuchwissens über die vorsokratische Philosophie
(vgl. ciu. 8,2; ungeklärt ist die Frage, ob Augustin eine Quelle benutzt oder eigene
Exzerpte zusammengefügt hat) geht Augustin auf Sokrates (vgl. ciu. 8,3), dann auf
Platon ein, dem er die genannte Einteilung der Philosophie zuschreibt (vgl. ciu. 8,4).
Die Dreiteilung stehe keineswegs im Widerspruch zu der Unterscheidung einer pars
actiua (dem mit dem Handeln zusammenhängenden Teil [scil. der Philosophie],
den besonders Sokrates vertreten hatte) von einer pars contemplatiua (dem mit der
Betrachtung zusammenhängenden Teil [scil. der Philosophie], den Pythagoras beson-
ders entwickelt hatte), die Disputationstechnik sei Grundlage für die Ethik und die
Physik. Als entscheidende Grundaussage von Platons Philosophie wird dann näher--
hin geltend gemacht, daß in Gott gefunden wird et causa subsistendi et ratio intelle--
gendi et ordo uiuendi (sowohl der Grund der Existenz als auch die Vernunft für das
Verstehen als auch die Ordnung des Lebens; ciu. 8,4). Diese Abfolge ›Sein – Ver--
stehen – Leben‹ ist wohl nicht zufällig eine Trias, die sich mit der Trinität bruchlos
verbinden läßt. Dies zeigt auch die Art und Weise, wie Augustin die Trias erläutert:
Ohne Gott nulla natura subsistit, nulla doctrina instruit, nullus usus expedit (existiert
keine Natur, unterweist einen keine Lehre, steht einem kein Gebrauch frei; ciu. 8,4).
Diese Beschreibung des Gottesbegriffes wird Augustin zum Kriterium gegenüber
anders gelagerten philosophischen Ansätzen, etwa der Epikureer oder der Stoiker,
gerade im Hinblick auf die Geistigkeit des Gottesbegriffes (vgl. ciu. 8,5). Die innere
Nähe dessen, was Augustin über Platons Philosophie sagt, zum eigenen Gottesbegriff
erklärt den besonderen Rang, den Augustin Platon zuschreibt. Dabei hat er nicht
so sehr einzelne Passagen der platonischen Dialoge und ihrer Dialektik vor Augen,
als vielmehr ein relativ unscharfes Bild von ›platonischer Philosophie‹, für das mit--
telplatonisches Handbuchwissen verantwortlich sein dürfte. Neben dem Gedanken
der Seelenwanderung bzw. dem Gedanken eines ewigen Lebens ist besonders der
Gedanke der (abgestuften) Vielzahl von Göttern im Platonismus der entscheidende
Differenzpunkt zum Platonismus.
Diese Frage wurde bereits im Mittelplatonismus thematisiert, Augustin greift
daher in ciu. 8 insbesondere auf die Schrift des Apuleius zurück, die die Frage der
Unterschiede zwischen den Göttern bespricht. Der Topos, in dem dies geschieht, ist
die Dämonenlehre. In der Schrift De deo Socratis skizziert Apuleius eine Dämonolo--
gie, die er Platon zuschreibt. Augustin kennt diese Schrift und bespricht ihre Dämo--
nologie in ciu. 9,16. Ausgangspunkt ist die Unterscheidung der Götter in solche, die
noch sichtbar sind (besonders die Gestirne), und die, die sich der sinnlichen Wahr--
II. Traditionen – . Mittelplatonismus
nehmung entziehen und nur acie mentis (mit einem scharfen Verstand) betrachtet
werden, insbesondere die klassischen römischen Götter wie Iuppiter, Iuno usw. (vgl.
De deo Socratis 1 f). Letztere sind von jeglichem Zusammenhang mit dem Körper--
lichen frei; dies gilt erst recht für ihren parens (Vater), qui omnium rerum domina--
tor atque auctor est (der der Herrscher über alle Dinge und ihr Urheber ist; De deo
Socratis 3). Die Feststellung nullus deus miscetur hominibus (Kein Gott vermischt
sich mit Menschen; De deo Socratis 4; vgl. ciu. 8,18) stellt die Frage danach, ob denn
dann nicht jegliche Verehrung, Gelübde und Gebete vergeblich sind (vgl. De deo
Socratis 5). Die Antwort lautet, daß zum einen die Götter nicht so sehr von den Men--
schen getrennt sind, daß die menschlichen Gelübde sie nicht erreichen, daß es zum
anderen quaedam diuinae mediae potestates (gewisse göttliche mittlere Mächte) gibt,
die auf griechisch Dämonen heißen (vgl. De deo Socratis 6). Daemones sunt genere
animalia, ingenio rationabilia, anima passiua, corpore aeria, tempore aeterna (Die
Dämonen sind aufgrund ihrer Art beseelt, in ihrer Veranlagung vernunftbegabt,
in der Seele zu Leidenschaften fähig, in ihrem Körper luftartig, in der Zeit ewig;
De deo Socratis 13). Die ersten drei Eigenschaften teilen sie mit den Menschen, die
luftartige Konsistenz ist ihnen eigentümlich, die Unsterblichkeit verbindet sie mit
den Göttern (vgl. De deo Socratis 13). Von der Etymologie wird abgeleitet, daß die--
jenigen jeweils ein beatus bzw. εὐδαίμων (glücklich) sind, quorum daemon bonus,
id est animus uirtute perfectus est (die einen guten Dämon, d. h. einen an Tugend
vollkommenen Geist haben; De deo Socratis 15). Neben dieser Bedeutung von dae--
mon als der guten Ergänzung eines tugendhaften Menschen sind insbesondere die
Totenseelen als solche zu bezeichnen, die sich um die Nachfahren kümmern (insofern
sind sie mit den lemures / Totenseelen identisch). Dabei sind die guten Dämonen als
lares (Schutzgottheiten) von den bösen, den laruae (bösen Geistern) zu unterschei--
den (wohingegen die Bezeichnung manes / Geister, Totenseelen neutral ist). Sokrates
wird entsprechend als Vorbild hingestellt, der, gerade, weil er selbst sapiens (weise)
ist, diesen seinen Gott kannte und verehrte (vgl. De deo Socratis 17), darin vorbild--
haft auch für die Leser (vgl. De deo Socratis 21).
Augustins Kritik an der klassisch platonischen Dämonenlehre setzt bei der Zwi--
schenstellung der Dämonen zwischen Göttern und Menschen an. Er bestreitet vor
allem, daß die Dämonen höher einzustufen sind als die Menschen. Diese Zwischen--
stellung soll sicherstellen, daß kein Gott sich mit einem Menschen mischt, sondern
eben der Vermittlung über Dämonen bedarf, die sich einerseits mit Göttern, ande--
rerseits mit Menschen zusammentun können (vgl. ciu. 8,18.20). Die Dämonologie
stellt also die Frage nach der Möglichkeit eines Kontakts zwischen Gott bzw. den Göt--
tern und den Menschen. Für Augustin wird hiermit die Möglichkeit der Inkarnation
bestritten. Die Bestreitung der Dämonologie bereitet Augustins Betonung der Inkar--
nationslehre vor, derzufolge der Kontakt zwischen Gott und den Menschen gerade
durch die Menschwerdung Gottes möglich geworden ist.
Daß die Dämonen höher einzustufen sind als die Menschen, ist somit der neural--
gische Punkt, an dem Augustin ansetzt. Gegen diese Einstufung der Dämonen zwi--
schen Göttern und Menschen sprechen Augustin zufolge folgende Punkte:
0 B. Person
Die Unterscheidung von Göttern und Dämonen wird nicht konsequent durch--
gehalten. So hätte z. B. der Titel von Apuleius’ Schrift gar nicht De deo Socratis, son--
dern De daemone Socratis heißen müssen. Dies hätte jedoch suggeriert, Sokrates sei
krank bzw. besessen (vgl. ciu. 8,14).
Daß der Körper der Dämonen besser ist, spricht überhaupt nicht dafür, daß sie
insgesamt besser als die Menschen sind. Denn in einzelnen Hinsichten haben auch
viele Tiere körperliche Eigenschaften, in denen sie den Menschen bei weitem über--
treffen, der Mensch ist aber ratiocinando et intellegendo (im Denken und Verstehen)
besser (vgl. ciu. 8,15). Ähnliches gilt für die These, die Dämonen seien deswegen bes--
ser als die Menschen, da sie sich in aere (in der Luft) aufhielten, Luft ist eben auch
nur ein Element – ganz wie die Erde, auf der die Menschen leben (vgl. ciu. 8,15).
Die fünf von Apuleius genannten Charakteristika der Dämonen, nämlich daß sie
genere animalia, animo passiua, mente rationalia, corpore aeria, tempore aeterna (auf--
grund der Art beseelt, im Geist mit Leidenschaften versehen, im Verstand mit Ver--
nunft ausgestattet, vom Körper her luftartig und in der Zeit ewig) seien, sind nicht
geeignet, den Vorzug der Dämonen zu begründen, denn quod genere sunt animalia,
non est magnum, quia hoc sunt et pecora; quod mente rationalia, non est supra nos,
quia sumus et nos; quod tempore aeterna, quid boni est, si non beata? [...] Quod animo
passiua, quo modo supra nos est, quando et nos hoc sumus, nec ita esset, nisi miseri
essemus? Quod corpore aeria, quanti aestimandum est, cum omni corpori praefera--
tur animae qualiscumque natura? (Daß sie aufgrund der Art beseelt sind, ist nichts
Besonderes, da dies auch die Tiere sind; daß sie im Verstand vernunftbegabt sind,
ist nichts, was sie uns voraushaben, da wir es ja auch sind; daß sie in der Zeit ewig
sind, was ist daran Gutes, wenn sie nicht selig sind? [...] Daß sie im Geist mit Lei--
denschaften versehen sind, wie haben sie uns das voraus, wenn auch wir das sind,
und es nicht so wäre, wenn wir nicht unselig wären? Daß sie vom Körper her luftar--
tig sind, wie hoch einzuschätzen ist das, wenn jedem Körper die Natur einer belie--
bigen Seele vorgezogen wird?; ciu. 8,16).
Schließlich verweist Augustin auf die Problematik der artes magicae (der Zau--
berkünste), die nicht erst durch christliche Herrscher, sondern bereits vorher ver--
boten worden seien. Damit spricht Augustin nun gerade im Hinblick auf Apuleius
einen neuralgischen Punkt an, denn Apuleius selbst wurde wegen Zauberei ange--
klagt und verurteilt. Ansatzpunkt für den Vorwurf der Zauberei gegen Apuleius
waren bestimmte Wunder (vgl. ep. 102,32; 137,13) und die Erzählung der Metamor--
phosen, in denen Apuleius eine Verwandlung von sich selbst in einen Esel aut indi--
cauit aut finxit (entweder berichtete oder erfand; ciu. 18,18). Unter dem Namen des
Apuleius ist eine wahrscheinlich authentische Verteidigungsrede des Apuleius, De
magia (Über die Magie), bekannt, die auch Augustin gekannt hat (vgl. ep. 137,13).
Erhoben wurde die Anklage von den Verwandten der von Apuleius geehelichten
Pudentilla, die Apuleius vorwarfen, sich die Zustimmung Pudentillas erzaubert zu
haben, das eigentliche Motiv der Ehe sei Habgier. Apuleius konnte sich zwar in die--
sem Prozeß, der einzigen erhaltenen lateinischen Prozeßrede nach Cicero, erfolg--
reich verteidigen, doch blieb sein Name fortan mit dem Vorwurf der Zauberei ver--
II. Traditionen – . Mittelplatonismus 1
bunden. Dies bestätigt nicht zuletzt die Art und Weise, in der Augustin über ihn
spricht (vgl. ep. 138,18 f; 137,13; ciu. 8,19).
Gemeinsam mit dem Werk des Apuleius ist ohne Verfasserangabe der sogenannte
Asclepius überliefert, ein Dialog des Enkels des Aeskulap, des Erfinders der Medi--
zin, mit Hermes Trismegistus. Augustin hat die lateinische Bearbeitung des nur in
Fragmenten erhaltenen griechischen Originals wahrscheinlich schon in der Verbin--
dung mit Apuleius vor sich gehabt, denn er zitiert ihn in unmittelbarem Kontext mit
Apuleius in ciu. 8,23–27. Für ihn ist der Asclepius aus zwei Gründen interessant. Zum
einen spricht die Götterlehre des Asclepius seiner Meinung nach ganz deutlich gegen
die Zwischenstellung der Dämonen zwischen Göttern und Menschen, weil Apuleius
bei den Göttern zwischen denen, die vom höchsten Gott, und denen, die von Men--
schen gemacht worden sind, unterscheidet. Hinter letzterem verbirgt sich die mit
Zitaten belegte Vorstellung, daß die Menschen Götterbildnisse machen, die dann
quasi zur Wohnstätte eingeladener Gottheiten werden (vgl. ciu. 8,23). Anzunehmen,
daß diese, quasi von Menschen erfundenen Götter besser als Mittler zwischen dem
höchsten Gott und den Menschen sind als die Schöpfer dieser Gottheiten, die Men--
schen selbst, ist für Augustin eine besonders absurde Annahme (vgl. ciu. 8,24).
Zum anderen ist die Bewertung dieser, von Menschen gebildeten Gottheiten für
den Asclepius ambivalent: Er scheint eine Zeit vorherzusagen, in der die Verehrung
dieser Gottheiten aufhört und Ägypten eine terra (ein Land) ist, die sepulcrorum
erit mortuorumque plenissima (äußerst angefüllt mit Gräbern und Toten sein wird;
Asclepius 24; 65 /18). Diese Vorhersage wird im Asclepius mit einem gewissen Bedau--
ern vorgetragen, obwohl der begrenzte Wert der von den Menschen gebildeten Göt--
tergestalten klar erkannt wird. Augustin selbst bezieht die Vorhersage auf den Sieg
des Christentums, auf das Ende der Verehrung der klassischen ägyptischen Götter
(vgl. ciu. 8,26) und die Rede davon, daß Ägypten von Gräbern und Toten voll sein
wird, auf die hohe Zahl der Märtyrergräber. Die Gräber der Märtyrer werden zwar
auch verehrt: Honoramus sane memorias eorum (Wir ehren gewiß ihre Gedenkstät--
ten), doch: tamquam sanctorum hominum dei (als [scil. die Gedenkstätten] von hei--
ligen Männern Gottes). Ihnen werden eben keine Opfer dargebracht, sie werden
eben nicht mit göttlichen Ehren verehrt, sondern sind Vorbilder für die Nachah--
mung (vgl. ciu. 8,27).
Die Auseinandersetzung mit dem Asclepius setzt die mit Apuleius fort und berei--
tet die Auseinandersetzung mit Porphyrius in ciu. 10 vor. Zentrales Thema ist die
Frage einer Vermittlung zwischen Gott und den Menschen. Inwiefern Augustin die
Werke des Apuleius und der Asclepius bereits vor der Abfassung von ciu. 8 vertraut
gewesen sind, ist ungewiß. Immerhin handelt es sich bei Apuleius aber um einen
Denker aus Madaura, dem Ort, wo Augustin zeitweise zur Schule ging. Von daher
ist die Annahme nicht unwahrscheinlich, daß Augustin eine gewisse Kenntnis über
Apuleius bereits als junger Mann hatte, die er dann für die Auseinandersetzung in
ciu. noch vertieft hat. Apuleius gehört jedenfalls zu dem geistigen Milieu, das es vor
Augustin in Nordafrika bereits gab.
Nicht gekannt haben dürfte Augustin den Timaioskommentar, der unter dem
B. Person
Namen Calcidius überliefert ist. Die Frage, ob dieser Autor nach 400 oder doch vor
400, um 380 in der Nähe von Mailand oder sogar noch früher geschrieben hat, kann
daher hier außer Betracht bleiben.
Harrison, Stephen J.: Apuleius. A Latin Sophist, Oxford 2000.
Moreschini, Claudio: Apuleio e il platonismo, Accademia Toscana di scienze e lettere »La Colom--
baria«. Studi 51, Florenz 1978.
Redaktion (anstelle eines Verfassers): Art. Apuleius, Augustinus-Lexikon 1 (1986–1994), 423–
425.
Regen, Frank: Zu Augustins Darstellung des Platonismus am Anfang des 8. Buches der Civi--
tas Dei, in: Blume, Horst-Dieter / Mann, Friedhelm (Hgg.): Platonismus und Christentum.
Festschrift für Heinrich Dörrie, Jahrbuch für Antike und Christentum. Ergänzungsband 10,
Münster 1983, 208–227.
Sallmann, Klaus / Schmidt, Peter L.: § 457. L. Apuleius (Marcellus?), in: Sallmann, Klaus (Hg.):
Die Literatur des Umbruchs. Von der römischen zur christlichen Literatur 117–284 n. Chr.,
Handbuch der Altertumswissenschaft, Abteilung 8. Handbuch der lateinischen Literatur der
Antike, Bd. 4, München 1997, 292–318.
Tasinato, Maria: La curiosità. Apuleio e Agostino, Biblioteca Medievale. Saggi 5, Mailand
2000.
Volker Henning Drecoll
. Neuplatonismus
Als Augustin nach Rom kam, war Plotin schon vor mehr als 100 Jahren aus Rom weg--
gegangen. Die mit der Ermordung des Kaisers Gallienus verbundenen Unruhen in
Rom hatten dazu geführt, daß sich die wirkmächtigste Philosophenschule der Prin--
zipatszeit auflöste. Plotin war auf ein Landgut gegangen und dort wenig später, im
Jahr 270, gestorben. Nach dem Weggang Plotins aus Rom zerstreute sich sein Schü--
lerkreis (Porphyrius, Iamblich, Amelius und weitere), den er seit 244 in Rom als
freier Lehrer um sich gesammelt hatte. Porphyrius schrieb die Vita Plotini (Lebens--
beschreibung Plotins), in der er Plotin als ganz vergeistigten Philosophen schil--
dert, der viermal die höchste Einheit mit dem Göttlichen erreicht habe, und in der
er zugleich über seine eigene Edition der Werke Plotins Rechenschaft ablegte. Ver--
schieden lange Traktate, im Grunde eher Konzeptpapiere für den Unterricht, hatte
Porphyrius in sechs Neunergruppen, sogenannte Enneaden, zusammengestellt und
herausgegeben. Gleichzeitig teilte er mit, in welcher Reihenfolge diese Traktate ent--
standen sind (dementsprechend ist die chronologische Reihenfolge von der syste--
matischen Ordnung in den Enneaden zu unterscheiden). Diese Plotinausgabe des
Porphyrius wurde der eigentliche Bezugspunkt, auf dem die Wirkungsgeschichte
des Neuplatonismus beruhte.
Auch Christen haben früh diese Texte wahrgenommen, Eusebius von Cäsarea
zitiert in der Praeparatio euangelica (Vorbereitung des Evangeliums) ausführlich
Enneaden 4,7 und 5,1 (wobei in der Forschung umstritten ist, ob die Porphyriusaus--
gabe auch im Osten des Imperium Romanum verbreitet war). Es ist vielleicht kein
Zufall, daß damit ausgerechnet zwei relativ frühe Enneaden genannt sind, die eine
klare, relativ leicht zugängliche Philosophie entwickeln. Die Rezeption Plotins dürfte
II. Traditionen – . Neuplatonismus
sich in starkem Maße gerade auf die frühen Enneaden beziehen. Dies paßt zu dem
Bild, das man anhand von Augustin gewinnt. Bereits mit dem Verweis auf wenige,
in der Regel frühe Enneaden läßt sich das meiste dessen, was man in den Gedanken--
gängen Augustins als ›neuplatonisch‹ kennzeichnen mag, bereits erklären.
Augustin hat Werke Plotins gelesen (vgl. beata u. 4, wobei es allerdings die abwei--
chende Lesart Platonis gibt, die jedoch nicht vorzuziehen ist), und zwar in lateini--
scher Übersetzung. Ob es neben der durch conf. 8,3 bezeugten Übersetzung des
Marius Victorinus noch weitere Übersetzungen bzw. Übertragungen und Adaptio--
nen gegeben hat und in welchem Ausmaß, ist unbekannt. Leider ist davon nichts
erhalten, so daß ganz ungewiß bleibt, ob es sich wirklich um eine wörtliche Überset--
zung, eine sinngemäße Übertragung oder eine für den Schulbetrieb gedachte Kom--
pilation bzw. Paraphrase gehandelt hat (in ciu. 9,17 wird eine Kombination von ver--
schiedenen Wendungen aus den Enneaden 1,6 und 2,3 als Zitat angeführt, doch las--
sen sich hieraus keine weitergehenden Schlüsse ziehen). Es könnten auch durchaus
mehrere, verschiedene Schriften sein, immerhin spricht Augustin in conf. 7,13.26 von
Platonicorum libri (Bücher der Platoniker) in der Mehrzahl, doch wird man sich den
Umfang der Schriften nicht zu groß vorstellen dürfen. In beata u. 4 spricht Augu--
stin von paucissimi libri (sehr wenigen Schriften), gemeint sein könnte also auch eine
kleine Auswahl an Enneaden.
Inhaltlich dürfte der Ansatzpunkt, von dem aus Augustin sich mit Plotin beschäf--
tigt hat, die in den Predigten des Ambrosius gewonnene Erkenntnis gewesen sein,
daß unter Gott und der Seele nichts Körperliches zu verstehen ist, sondern beide zu
einer eigenen, eben der geistig-intelligiblen Natur gehören, obwohl sie auf die Kör--
perwelt Einfluß nehmen. Dieser Gedanke findet sich auch bei Plotin. So lehnt dieser
es in Enneade 3,1 (chronologische Reihenfolge: 3) ab, alles auf Körper (Atome oder
Elemente) zurückzuführen, da deren ungeordnete Bewegung nicht in der Lage ist,
τάξις (Ordnung) und Vernunft sowie die leitende Seele hervorzubringen (vgl. Enneade
3,1,3). Ebensowenig ist ein Hinweis auf eine durch alles hindurchgehende Seele (vgl.
Enneade 3,1,4) oder die Sterne (vgl. Enneade 3,1,5) geeignet, das Schicksal des Alls zu
erklären. Vielmehr muß man als Prinzip eine Seele annehmen, die als ganz anders--
artige zu verstehen ist. Die Seele ohne Körper ist gänzlich frei; erst wenn sie in einen
Körper hineingebracht wird, verliert sie diese Freiheit. Plotin bezieht diese Aussa--
gen sowohl auf die Weltseele als auch auf die Individualseele (vgl. Enneade 3,1,8). Die
Ablehnung einer materialistischen Gottesvorstellung, verbunden mit der Ablehnung
der stoischen Annahme einer alles durchdringenden Seele und der Ablehnung der
Astrologie, entspricht genau dem, was Augustin in conf. 7,1–8 berichtet (B. III. 3.).
Diese grundlegende Unterscheidung von Sinnlich-Wahrnehmbarem bzw. Mate--
riellem und Geistig-Intelligiblem verbindet sich bei Plotin mit der Vorstellung eines
Aufstiegs, eines geistigen Abstraktions- und Vervollkommnungsprozesses. Dies skiz--
ziert Plotin bereits in Enneade 1,6 (chronologische Reihenfolge: 1). Ob Augustin die
intensive Verwendung dieser Enneade durch Ambrosius in dessen Schrift De Isaac et
anima (Über Isaak und die Seele; B. II. 12.) gekannt hat, ist allerdings unsicher, eher
zweifelhaft. In dieser Enneade wird der Betrachter angeleitet, immer höheres Schönes
B. Person
Der νοῦς steht nun über der Seele, weil er alles gedanklich umfaßt, und zwar in ewi--
ger Gleichheit und Ruhe. Insofern ›ist‹ der Geist im eigentlichen Sinne des Wortes,
für ihn gibt es kein Werden oder Vergehen. Sein Denken verleiht dem Gedachten
eigentlich erst das Sein, insofern ist die Gesamtheit πᾶς νοῦς καὶ πᾶν ὄν (Gesamt--
vernunft und Gesamtseiendes) (vgl. Enneade 5,1,4).
Zugleich zeigt sich, daß der νοῦς selbst durch ein anderes begründet wird, welches
somit zugleich auch alles Seiende begründet. Der νοῦς impliziert nämlich durch sein
Denken eine gewisse Verschiedenheit, eine gewisse ἑτερότης (›Andersheit‹), bein--
haltet also in sich Vielheit. Insofern muß der νοῦς bei seinem Denken zum Einen
schauen, das über ihm liegt und durch seine Einheit gleichsam die Zweiheit begrenzt
und formt (vgl. Enneade 5,1,5).
Nachdem Plotin auf diese Weise im Sinne eines Aufstiegs die drei Grundprinzi--
pien (die im Text selbst nirgends als τρεῖς ἀρχικαὶ ὑποστάσεις / drei Hypostasen im
Prinzipienrang bezeichnet werden) entwickelt hat, kehrt er jetzt quasi die Gedan--
kenrichtung um und fragt danach, wie sich aus dem Einen die Gesamtheit und Viel--
heit entwickelt hat. Das Eine hat nichts, wonach es streben könnte, daher bewegt es
sich nicht, hat keine Neigung und keinen Willen, sondern steht gleichsam unbewegt
über allem, vor allem aber über dem νοῦς, der nach ihm das Höchste ist. Das Eine
ist selbst nur eine δύναμις πάντων (Potentialität von allem), es ist selbst oberhalb
des Seienden und des Denkens, begründet aber durch seine Einheit das Denken des
νοῦς (vgl. Enneade 5,1,6 f). Anschließend weist Plotin nach, daß diese drei Grund--
prinzipien auch bei vielen anderen Denkern, besonders aber bei Platon belegt sind.
Für Platon greift Plotin auf die (pseudoplatonische) Epistula (Brief) 2 zurück, aus
der er folgende Aussage (in leichter Abweichung und Kürzung gegenüber dem Text
von Pseudo-Platon, Epistula 2) wiedergibt: Πάντα περὶ τὸν πάντων βασιλέα – φησὶ
γὰρ πρῶτα – καὶ δεύτερον περὶ τὰ δεύτερα καὶ περὶ τὰ τρίτα τρίτον (Alles ist um den
König von allem herum, er meint nämlich das Erste, ein zweites um das Zweite und
ein drittes um das Dritte; nach Enneade 5,1,8), genau die Stelle, die auch schon Cle--
mens von Alexandria als Beleg dafür benutzt hatte, daß Platon die Trinität gekannt
habe (vgl. Stromateis / Teppiche 5,103,1).
Schließlich kehrt Plotin zum Ausgangspunkt seiner Überlegung zurück und über--
trägt die Entwicklung der drei Grundprinzipien auf den Menschen. Genauso wie
man die Relation von Einem, νοῦς und Seele in der Welt annehmen muß, genauso
muß man es auch im Menschen annehmen, und zwar insofern, als auch der Mensch
›außerhalb‹ des Sinnlich-Wahrnehmbaren, also transzendent ist. In dem Menschen
ist die Seele etwas Göttliches, gelangt aber nur zu ihrer Vollendung, wenn sie sich an
den νοῦς in ihr hält (vgl. Enneade 5,1,10). Das Denkende in der Seele braucht für sein
Denken kein Organ, sondern ist mit dem Leib unvermischt. Das bedeutet, daß das
Denken seine Funktion nur in Losgelöstheit vom Körperlichen erfüllen kann. Die
menschliche Seele kommt dieser Funktion des Denkens nur zeitweise nach, daher
muß der νοῦς, der das Denken immer hat, über dem menschlichen Intellekt liegen
und im menschlichen νοῦς wirken. Orientiert sich der Mensch mit seiner Seele ent--
sprechend nach innen, wird er den νοῦς und das vor dem νοῦς Liegende wahrneh--
II. Traditionen – . Neuplatonismus
men (vgl. Enneade 5,1,11 f), damit ist das in Enneade 5,1,1 genannte Ziel der Rückfüh--
rung der Seele zu ihrem Grund und ihrer Würde erreicht.
Zwei mit dieser Konzeption zusammenhängende Problembereiche, die Plotin
in weiteren Enneaden entfaltet, seien hinzugefügt: Zum einen wird für das Eine
die höchstmögliche Transzendenz, zum anderen für die Seele die Unsterblichkeit
behauptet.
Der Frage, inwiefern das höchste Prinzip eines ist, geht Plotin insbesondere in
Enneade 6,9 (chronologische Reihenfolge: 9) nach. Hier prüft Plotin zunächst, ob
die Seele oder der νοῦς als eines zu bezeichnen sind. In beiden Fällen ist die Ant--
wort negativ: Zwar muß die Seele (und das von ihr Belebte) in gewisser Weise auch
als Einheit verstanden werden, doch beinhaltet die Seele in sich zugleich eine große
Vielfalt an Gedanken, Wahrnehmungen und Bestrebungen (vgl. Enneade 6,9,1). Der
νοῦς erfüllt seine Aufgabe dann auf beste Weise, wenn er sich auf sich konzentriert
und sich selbst denkt. Selbst dann aber, wenn er sich von allem Äußeren entfernt,
ist er Denkendes und Gedachtes zugleich, also zweifach. Daher ist er nicht das Eine.
Umgekehrt kann das Eine nicht Alles sein, weil es dann ebenfalls eine Vielheit in
sich beinhalten würde (vgl. Enneade 6,9,2).
Daher führt die richtige, vom Materiellen losgelöste Betrachtung dessen, was vor
dem νοῦς liegt, zu der Annahme, daß das Eine nicht einmal mehr etwas Seiendes
ist, weder Qualität noch Quantität noch νοῦς noch Seele, weder bewegt noch still--
stehend, nicht in Raum und Zeit, vor jeder Form (vgl. Enneade 6,9,3). Entsprechend
kann man das Eine nicht mit den Mitteln begrifflicher Wissenschaft erfassen, son--
dern nur κατὰ παρουσίαν ἐπιστήμης κρείττονα (im Sinne einer Gegenwart, die besser
als die Wissenschaft ist; Enneade 6,9,4). Reden und schreiben läßt sich darüber nur
im indirekten Sinne, quasi als Hinweis und Platzhalter für die eigentliche Betrach--
tung, die dann als Einswerden vom Schauenden und dem Geschauten zu verstehen
ist (vgl. Enneade 6,9,10 f). Das Eine ist jenseits des νοῦς und jenseits des Seins (vgl.
Enneade 5,1,8). Die θέα (Schau) führt daher über den Bereich des Seins und des Den--
kens hinaus. Im Moment der Schau hebt sich die Schau als Betrachtung eines distink--
ten Objekts auf, der Schauende ist nicht mehr von dem Einen unterschieden, nicht
mehr er selbst, sondern mit dem Einen eins – ganz wie zwei Kreismittelpunkte zur
Kongruenz gebracht werden (vgl. Enneade 6,9,10). Diese Schau, selbst dann, wenn
sie nur punktuell erlebt wird, verleiht dem, der diese Schau erreicht hat, ein neues
Leben, er trägt ein Bild davon in sich (vgl. Enneade 6,9,11).
In dieser Schau des Einen ist die Individualität des einzelnen aufgehoben, jegli--
che Distanz und Unterschiedenheit beseitigt. Insofern läßt sich für dieses Konzept
der Schau durchaus von einer neuplatonischen Mystik sprechen. Hier zeigt sich im
Vergleich mit dem, was Augustin als Aufstiegserfahrungen in conf. 7 und conf. 9
schildert, insofern eine tiefgreifende Differenz, als Augustin als Zielpunkt der Schau
gerade nicht die Aufhebung der Differenz, sondern das Gewahrwerden der eigenen
Geschöpflichkeit ansetzt. Nicht Aufhebung der Individualität ist bei Augustin das Ziel
gedanklichen Aufsteigens, sondern die Haltung als Geschöpf, alles von Gott her zu
haben. Gleichwohl hat Plotins Philosophie Augustin tief geprägt. Hier dürfte Augu--
B. Person
stin einen Denkansatz gefunden haben, der ihm gerade die Unkörperlichkeit von
Gott und Seele verdeutlichen konnte. Durch die Beschreibung des Guten als eigent--
lichem Sein und der damit verknüpften Qualifikation allen Übels als nicht-seiend
wurde ihm zugleich die Frage unde malum (Woher stammt das Böse?) lösbar.
Die Geistigkeit der Seele führt Augustin zu intensiver Auseinandersetzung mit
der Seelenlehre, wie sie Plotin besonders in Enneade 4,7 (chronologische Reihen--
folge: 2) entwickelt hat. Die intensive Rezeption dieser Enneade (sei es direkt, sei es
als Florileg oder Kompilation) ist in imm. an. recht wahrscheinlich. Allerdings ste--
hen die Argumente Plotins für die Unsterblichkeit der Seele in Enneade 4,7 ihrer--
seits auf einem relativ breiten platonischen Hintergrund.
In Enneade 4,7 setzt sich Plotin zunächst ausführlich mit der Vorstellung aus--
einander, die Seele sei etwas Körperliches. Grundlegend ist die Unterscheidung der
Seele vom Körper. Letzterer ist zusammengesetzt und vergänglich, erstere macht den
Menschen selbst aus (sei es, daß die Seele den Körper wie ein ὄργανον / Werkzeug
gebraucht, sei es, daß der Körper von der Seele seine Form erhält) (vgl. Enneade
4,7,1). Die Annahme, die Seele sei selbst wiederum auch Körper, ist abzulehnen,
weil die Seele selbst notwendigerweise Leben in sich haben muß, als Körper aber
nur die klassischen vier Elemente Feuer, Luft, Wasser und Erde in Frage kommen,
diese vier Elemente aber selbst kein Leben in sich haben. Die in sich leblosen Ele--
mente können aber auch durch eine κρᾶσις (Mischung) nicht plötzlich Leben hervor--
bringen oder das darstellen, was dem Körper die Form verleiht (vgl. Enneade 4,7,2).
Um die Besonderheit der Seele neben den Körpern herauszustellen, reicht es auch
nicht, sie als Hauch, und zwar als πως ἔχον πνεῦμα (als Hauch, der sich in bestimm--
ter Weise verhält) zu bezeichnen. Denn entweder wird dadurch die Seele letztlich
doch als bloßer Körper bestimmt, oder es geht um eine von Körpern verschiedene
Form bzw. einen Vernunftzustand, der dann eben eine unkörperliche Natur sein
muß (vgl. Enneade 4,7,4).
Eine Reihe weiterer Argumente zeigt, daß die Seele unkörperlich sein muß, da sie
im Gegensatz zum Körper als Einheit aufzufassen ist. Dieses anzunehmen, ist letzt--
lich notwendig, um die Identität einer Person zu behaupten. Dies gilt schon für das
Wachstum, das in gesteuerter Weise endet, erst recht aber für die Prozesse der sinn--
lichen Wahrnehmung und des Schmerzes, die nur Teile des Menschen erfassen wür--
den, wenn nicht eine Instanz überall gleichmäßig im Körper vorhanden wäre, und
zwar auf eine untrennbare und unteilbare Weise (vgl. Enneade 4,7,5–7). Dies führt
zu dem eigentlich entscheidenden Argument, daß nämlich in ganz ähnlicher Weise
auch das Denken nicht möglich wäre, wenn die Seele ein Körper wäre. Denn das
Denken kann gerade auch Dinge ohne Größe und Unkörperliches denken, etwa das
Gute und das Gerechte, und muß sich dafür beim Denken vom Körperlichen tren--
nen, anders wären auch Tugenden gar nicht möglich (vgl. Enneade 4,7,8).
Nachdem sich Plotin mit der Vorstellung, die Seele sei etwas Körperliches, aus--
einandergesetzt hat, bespricht er noch zwei weitere Modelle, nämlich zum einen die
von ihm als pythagoreisch gekennzeichnete Auffassung der Seele als ἁρμονία (Har--
monie), ganz analog zur Anspannung von Saiten bei einem Musikinstrument, zum
II. Traditionen – . Neuplatonismus
anderen die auf Aristoteles zurückgehende Meinung, die Seele sei als ἐντελέχεια
(Entelechie, d. h. ein Formprinzip, auf das hin sich etwas gestaltet) zu begreifen.
Gegen die Auffassung als Harmonie, quasi als Proportionsverhältnis, spreche, daß
im Körper ganz verschiedene Proportionen bestünden, so daß man von einer Viel--
zahl von Seelen ausgehen müsse (und damit stellen sich hinsichtlich der Einheit der
Seele und der Identität des Menschen ganz ähnliche Probleme wie bei einer Auffas--
sung der Seele als Körper) (vgl. Enneade 4,7,84). In ganz ähnlicher Weise ist die Ente--
lechie als Formprinzip derartig mit dem Körper verbunden, daß sie sich nicht von
diesem trennen läßt, auch damit stellen sich dann aber wieder die gleichen Probleme
wie bei der Auffassung der Seele als Körper (vgl. Enneade 4,7,85).
Entsprechend bleibt nur übrig, der Seele eine eigene, geistige Wesenheit zuzu--
schreiben. Als solche hat die Seele ein Sein, das weder entstanden ist noch verge--
hen wird. Die Seele ist selbst Ursprung der Bewegung und verleiht dem Körper das
Leben, ist also selbst unvergänglich und unsterblich (vgl. Enneade 4,7,9). Unter die--
ser Voraussetzung ist nun für die menschliche Seele festzuhalten, daß sie dann, wenn
sie sich möglichst weit vom Leib entfernt, dem Guten und Göttlichen am nächsten
kommt. In der Distanz zum und der Reinigung vom Leiblich-Körperlichen kommt sie
zu sich selbst und entdeckt in sich das Beste. Genauer ist die Seele dann in der Lage,
das Reine und Geistige zu schauen; durch die Reinigung der Seele analog zur Aus--
läuterung des Goldes aus der Schlacke werden auch die ἐπιστῆμαι (Wissenschaften,
das wahre Wissen) offenbar (vgl. Enneade 4,7,10). Dieser Grundcharakter der Seele,
der dann zum Tragen kommt, wenn die Seele sich in der geistigen, transzendenten
Welt aufhält, bleibt auch erhalten, wenn die Seele sich, sei es als Allseele, sei es als
individuelle Seele, mit dem Körperlichen verbindet. Auch dann bleibt sie unsterb--
lich und behält die Möglichkeit, bei entsprechender Reinigung und entsprechender
Trennung vom Leib wieder zu dem Zustand zurückzukehren, zu dem sie von ihrem
Wesen her gehört (vgl. Enneade 4,7,13 f).
Deutlich wird, daß für Plotins Denken eine werthafte Stufung in der Welt anzu--
nehmen ist, in der das Geistig-Intelligible über dem Sinnlich-Wahrnehmbaren und
Körperlichen steht. Zugleich gibt es schon in den frühen Enneaden Hinweise darauf,
daß nur das Geistig-Intelligible letztlich als im vollen Sinne des Wortes seiend ange--
sehen wird und als solches als nicht vergänglich gilt (vgl. Enneade 4,7,9). Da diese
Form der Ontologie zugleich mit der platonischen Vorstellung verbunden wird, daß
das höchste Prinzip gut ist, ergibt sich umgekehrt, daß dem Bösen kein eigentliches
Sein zukommt. Dies hat Plotin dazu geführt, das Böse als nicht-seiend einzustufen.
Nicht-Sein ist dabei gleichbedeutend mit ἀμετρία (der Eigenschaft, kein Maß zu
haben), mit Grenz- und Formlosigkeit, vollkommenem Mangel (vgl. Enneade 1,8,3).
In diesem Sinne ist vor allem die Materie als das Schlechte anzusehen, denn sie hat,
für sich betrachtet, d. h. unter Absehung aller Form und aller Gestalt, eben nicht an
dem teil, was sich als seiend und gut bezeichnen läßt (vgl. Enneade 1,8,4). Neben
diesem Bösen im eigentlichen Sinn gibt es das abgeleitete, quasi ›zweite‹ Böse, das
dadurch entsteht, daß jemand oder etwas dem eigentlichen Bösen ähnlich wird und
so an der Grenz- und Formlosigkeit teilhat (vgl. Enneade 1,8,8).
0 B. Person
Auch an dieser Argumentation ist auffällig, daß Plotins Überlegungen zur Onto--
logie des Bösen letztlich auf die Orientierung der Seele zielen. Orientiert sich die
Seele an dem, was ihr Wesen ausmacht, gelangt sie zum Geistigen und Guten, dul--
det sie hingegen die Anwesenheit, das Geprägtwerden durch etwas, was ihr wesens--
fremd ist, wird sie selbst schlecht (vgl. Enneade 1,8,14). Die Orientierung ist dabei als
willentliche Neigung zu verstehen. Plotin ist in dieser Hinsicht letztlich Optimist. So
wenig die Seele ihre Zugehörigkeit zum unsterblichen Bereich verliert, so sehr kann
der Mensch sich richtig orientieren.
Dieser Optimismus wird auch nicht durch die Beobachtung beeinträchtigt, daß
in dem letzten entscheidenden Moment des Aufstiegs, der Schau des Einen, jegliche
Aktivität des Aufsteigenden versiegt und das Eine sich selbst zeigt bzw. erscheint.
Dies ist für die Frage relevant, ob es eine ›plotinische Gnadenlehre‹ dergestalt gege--
ben hat, daß bereits bei Plotin der mit Augustin vergleichbare Gedanke auftaucht,
daß der Mensch die Einheit mit dem höchsten Prinzip nicht selbst erreichen kann.
Ansatzpunkt für die Frage nach einer ›plotinischen Gnadenlehre‹ sind Stellen,
in denen für den Moment der Schau des Einen Aussagen auftauchen, an denen
letztlich das Eine aktiv zu sein scheint. So wird etwa der Übergang zur Schau des
Einen auch als Erleuchtung und quasi als Kommen des Einen beschrieben (vgl.
Enneade 5,3,17), als plötzliches Aufscheinen (vgl. Enneade 6,7,34), das sogar erst
das Verstehen und das weitere Leben und Gestalten ermöglicht, und zwar durch
χάριτες (Gnadengaben) (vgl. Enneade 6,7,36). Plotin sagt sogar ausdrücklich, daß
man die Schau des Einen nicht explizit verfolgen kann, vielmehr sich vorbereiten
muß, dann aber nur stillstehen kann, bis das Eine kommt, und zwar ἦλθεν ὡς οὐκ
ἐλθών (es kommt, als käme es nicht; Enneade 5,5,8). Doch sind diese Aussagen auf
dem Hintergrund der Konzeption der Einung zu verstehen: In dem Moment, wo
derjenige, der sich richtig vorbereitet hat und nun über die Betrachtung des νοῦς
hinausgelangt ist, im Moment der Schau und Einung mit dem Einen, ist nicht mehr
fragbar, wer Subjekt und wer Objekt ist. Das Eine führt nicht von sich aus han--
delnd bestimmte Seelen bzw. Menschen zur Einung, sondern gewährt denen, die
von sich aus den richtigen Weg eingeschlagen haben und sich weit genug gerei--
nigt und vorbereitet haben, gleichsam natürlich und automatisch das Erreichen
des Einen, in dem die Individualität des Betrachters ebenso verschwindet wie der
Gegensatz von Handeln und Erleiden. Von einer ›plotinischen Gnadenlehre‹ ist
daher nicht auszugehen, vielmehr von einem grundsätzlichen Optimismus, dem--
zufolge der Mensch, orientiert er sich an dem, was in ihm das Beste ist, den Auf--
stieg zum Guten erreichen kann. Gerade diese Eigenverantwortlichkeit des Men--
schen zusammen mit den Überlegungen zur Ontologie des Bösen und den Argu--
menten für die geistige unsterbliche Seele dürften Augustin in Mailand 385 /386
tief geprägt und beeindruckt haben.
Ob für die Mailänder Zeit Augustins allerdings bereits davon auszugehen ist,
daß Augustin auch intensiv Porphyrius rezipiert hat, ist in der Forschung umstrit--
ten (B. III. 3.). Unstrittig ist, daß Augustin sich nach 410 intensiv mit Porphyrius
auseinandergesetzt hat, denn er zitiert ihn ausführlich in ciu. 10. Die dort enthalte--
II. Traditionen – . Neuplatonismus 1
nen Zitate und Referate sind die einzige Quelle für eine sonst verlorengegangene
Porphyriusschrift, deren Titel Augustin mit De regressu animae (Über die Rückkehr
der Seele) wiedergibt (vgl. ciu. 10,29.32; Porphyrius, fragmentum 283 a.b). Daneben
zitiert er auch die Epistula ad Anebontem (Brief an Anebo) (vgl. ciu. 10,11) und in
ciu. 19,23 aus der Schrift ’Εκ λογίων φιλοσοφίας (Aus den Orakelworten der Philo--
sophie), deren Titel er auf griechisch wiedergibt (so interessanterweise auch Firmi--
cus Maternus, De errore profanarum religionum / Über den Irrtum der heidnischen
Religionen 13,4 f = Porphyrius, fragmentum 306; der lateinische Titel Philosophia ex
oraculis haurienda /Aus den Orakelworten zu erhebende Philosophie, ist bei Augustin
nicht belegt), dann aber explizit den Wortlaut einer lateinischen Übersetzung zitiert
(Porphyrius, fragmenta 343 f.345 a; für letzteres Fragment ist der griechische Text bei
Eusebius, Demonstratio euangelica / Darlegung des Evangeliums bezeugt = Porphy--
rius, fragmentum 345). Auch für De regressu animae und die Epistula ad Anebon--
tem dürften Augustin lateinische Übersetzungen vorgelegen haben, doch ist unklar,
wer diese Übersetzungen angefertigt haben könnte. Nicht gekannt hat Augustin das
Werk des Porphyrius Κατὰ Χριστιανῶν (Gegen die Christen), denn in retr. 2,31 hält
er es für zweifelhaft, die Anfragen, die er in ep. 102 bespricht, Porphyrius zuzuschrei--
ben. Augustin kennt eine besondere Wertschätzung des Porphyrius in nichtchrist--
lichen Kreisen, in retr. 2,31 spricht er von einer celeberrima fama (einer sehr großen
Berühmtheit), in ciu. 22,3 nennt er ihn den nobilissimus philosophus paganorum (den
edelsten Philosophen der Heiden).
In De regressu animae hat Porphyrius ein präziseres Bild zu entwickeln versucht,
inwiefern theurgische Praktiken für den Neuplatoniker relevant sind. Er schränkt
insgesamt die Bedeutung der Theurgie ein, gibt sie aber nicht ganz auf. Gerade diese
ambivalente Haltung hebt Augustin in ciu. 10 immer wieder als innere Inkonsistenz
im Denken des Porphyrius hervor (vgl. beispielsweise in ciu. 10,11.23). Porphyrius
scheint sich dabei auf oracula diuina (von Gott stammende Orakelsprüche) beru--
fen zu haben, denenzufolge teletae (theurgische Riten), die mit Sonne und Mond
zusammenhängen, nicht die eigentliche Reinigung vollbringen können, diese Reini--
gung bleibt den principia (Prinzipien) vorbehalten (vgl. ciu. 10,23; Porphyrius, frag--
mentum 284; neben der Kapitelangabe bei Augustin wird im folgenden jeweils auch
die Zählung der Fragmentensammlung von Smith angegeben). Dabei ist genauer--
hin die Reinigung der anima intellectualis (intelligiblen Seele) gemeint, die sich auf
die Wahrheit der intelligiblen Welt bezieht, nicht die Reinigung der anima spiritalis
(der hauchartig-geistigen Seele), die die Bilder der sinnlich-wahrnehmbaren Welt
enthält. Nur auf letztere können die teletae einwirken (vgl. ciu. 10,9; Porphyrius, frag--
menta 290.290 b.c.287).
Die theurgischen Praktiken dienen dabei der Vorbereitung der niederen anima
spiritalis für die Aufnahme von spiritus (Geistern), angeli (Engeln) und di (Göttern)
(vgl. ciu. 10,9; Porphyrius, fragmentum 290). Damit sind die positiven Geistkräfte
gemeint, die im höheren Bereich wohnen, in den (scil. loca) aetheria uel empyria (im
ätherischen bzw. feuerartigen Bereich), von denen die daemones in den darunterlie--
genden loca aeria (im luftartigen Bereich) zu unterscheiden sind (vgl. ciu. 10,9; Por--
B. Person
phyrius, fragmentum 293). Immerhin haben die theurgischen Praktiken auf diesem
niedrigeren Niveau durchaus eine positive Funktion, da die Engel den Theurgikern
Göttliches verkünden und die Höhe und Tiefe des Vaters kundtun (vgl. ciu. 10,26;
Porphyrius, fragmentum 285). Die theurgia wirkt positiv auf die Götter ein und kann
daher sogar als conciliatrix angelorum deorumque (Fürsprecherin bei Engeln und Göt--
tern) empfohlen werden (vgl. ciu. 10,9; Porphyrius, fragmentum 294). Es handelt sich
dabei um ein wichtiges Wissen, eine ars (Kunst), deren Gebrauch durchaus irrefüh--
rend und gefährlich sein kann (vgl. ciu. 10,27 f; Porphyrius, fragmenta 289.289 a.b).
Natürlich versäumt es Augustin nicht, die Stellen anzuführen und entsprechend zu
besprechen, aus denen hervorgeht, daß die Götter durch die Theurgie selbst etwas
erleiden, im Grunde sogar gezwungen werden (vgl. ciu. 10,9 f; Porphyrius, fragmenta
294 f). So trägt die Theurgie zwar in einem gewissen Maße zur Besserung des nie--
deren Seelenvermögens bei, vermag aber die entscheidende Reinigung für den rich--
tigen Philosophen nicht zu leisten (weswegen sie für ihn auch nicht notwendig ist;
vgl. ciu. 10,27; Porphyrius, fragmentum 287).
Die eigentliche purgatio (Reinigung) kann nur von den principia geleistet werden,
hierunter ist Augustin zufolge Gott gemeint. Augustin weist darauf hin, daß Porphy--
rius den deus pater (Gott Vater) nennt (das entspricht platonischer Tradition [vgl.
Platon, Timaios / Timaios 28c]), außerdem den paternus intellectus (den zum Vater
gehörenden Verstand) bzw. die paterna mens (den zum Vater gehörenden Geist) (vgl.
ciu. 10,23; Porphyrius, fragmentum 284), wobei anzunehmen ist, daß der Wechsel von
intellectus und mens in dem griechischen Original nicht vorhanden war und dort
durchgehend vom πατρικὸς νοῦς (zum Vater gehörenden Verstand) die Rede war
(der griechische Begriff fällt ciu. 10,28; Porphyrius, fragmentum 291). Augustin fragt
zusätzlich danach, ob Porphyrius auch (ähnlich wie Plotin bei seiner Heranziehung
von Pseudo-Platon, Epistula 2; vgl. oben) eine dritte Instanz, somit ein Pendant für
den Heiligen Geist kennt. Dies sei bei Porphyrius, wenn überhaupt, unklar ausge--
drückt, immerhin spricht Porphyrius von einem medium horum (etwas, was zwi--
schen diesen [scil. dem deus pater und dem πατρικὸς νοῦς] ist) (vgl. ciu. 10,23.29;
Porphyrius, fragmenta 284.284 a).
Nur dieser zum Vater gehörende Verstand ermöglicht jedenfalls die Reinigung der
anima intellectualis (vgl. ciu. 10,28; Porphyrius, fragmentum 291), was darin begrün--
det ist, daß die anima intellectualis mit dem zum Vater gehörenden Verstand consub--
stantialis (wesensgleich) ist (vgl. ciu. 10,29; Porphyrius, fragmentum 297). Erst durch
die Einwirkung des πατρικὸς νοῦς wird die Rückkehr der Seele (vgl. den Titel der
Schrift De regressu animae) möglich. Dabei kennt Porphyrius durchaus die plato--
nische Vorstellung, daß die Seele wiedereingekörpert wird, schränkt dies jedoch in
zweifacher Weise ein, daß nämlich die Seelen, die schon in Menschen waren, nicht in
Tierkörper gelangen (vgl. ciu. 10,30; Porphyrius, fragmentum 300) und daß die See--
len, die in äußerster Reinheit zum Vater gelangt sind, dort bleiben und nicht erneut
in den schlechten Bereich der Welt zurückkehren (vgl. ciu. 10,30; 22,27 f; Porphy--
rius, fragmenta 298.298 c.d).
Wichtigste Voraussetzung für den Menschen, um die Einheit mit dem zum Vater
II. Traditionen – . Neuplatonismus
gehörenden Verstand zu erreichen, ist das eigene Bemühen, sich so weit wie möglich
von der als schlecht qualifizierten Körperwelt zu distanzieren. Dies gipfelt in dem
von Augustin immer wieder zitierten Satz corpus omne esse fugiendum (daß jeder
Körper zu fliehen ist; vgl. ciu. 10,29; 22,26; retr. 1,4; s. 241,7; Porphyrius, fragmenta
297.297 a.b.c.). Der Vater hat der Seele die Welt gerade zu diesem Zweck gegeben,
damit die Seele die materiae mala (die Übel der Materie) versteht und dann, wenn
sie zum Vater zurückgekehrt ist, nicht mehr die Verschmutzung erleiden muß (vgl.
ciu. 10,30; Porphyrius, fragmentum 298). Dabei gesteht Porphyrius durchaus zu, daß
kein Mensch in diesem Leben ad perfectionem sapientiae peruenire (zur Vollendung
der Weisheit gelangen) kann und daß es nur wenigen Menschen zugestanden ist,
ad deum per uirtutem intellegentiae peruenire (durch die Tugend des Verstehens zu
Gott zu gelangen), nimmt aber an, daß das, was an der Vollendung fehlt, denen, die
secundum intellectum (in Entsprechung zum Verstand) leben, durch Gottes Fürsorge
erfüllt und ergänzt wird; Augustin wertet dies als Eingeständnis der gratia (Gnade),
besonders die passivische Ausdrucksweise esse concessum (daß es zugestanden ist)
(vgl. ciu. 10,29; Porphyrius, fragmentum 297). Zugleich sagt Porphyrius, daß die uni--
uersalis uia (der allgemein allen offenstehende Weg), die uerissima philosophia (die
allerwahrste Philosophie) umzusetzen und zu leben, ihm noch nicht bekannt ist
(vgl. ciu. 10,32; Porphyrius, fragmenta 203.302 a.b), was Augustin als Hinweis darauf
wertet, daß Porphyrius’ eigene Erkenntnis diesem selbst noch als unzureichend vor
Augen gestanden habe. Es lasse außerdem das Christentum gerade als die Möglich--
keit erscheinen, einen Weg ›zurück zum Vater‹ nicht nur für wenige Neuplatoniker,
denen die Reinigung des oberen Seelenteils gelingt, sondern für die breiten Massen
zu ebnen (vgl. ciu. 10,32).
Betrachtet man die Auseinandersetzung Augustins mit Porphyrius in ciu., fällt
auf, daß die Auseinandersetzung um die Frage der Theurgie kreist. Auch die damit
zusammenhängenden Fragen, etwa die Deutung des πατρικὸς νοῦς, bleiben relativ
eng auf die Frage nach dem Sinn theurgischer Praktiken bezogen. Das Thema, inwie--
fern man Zwischeninstanzen benutzen muß, um zu Gott zu gelangen, taucht bereits
in conf. 10,67 auf, vielleicht ist auch hier bereits Porphyrius im Blick (vgl. Drecoll,
Gnadenlehre 333–337). Das würde bedeuten, daß Augustin sich ab 400 mit Porphy--
rius auseinandergesetzt hat.
Darüber hinaus ist in der Forschung ein weiter reichender Einfluß auf den frü--
hen Augustin behauptet worden. Diese These (B. III. 3.) steht allerdings vor dem
doppelten Problem, daß sie zum einen keine explizite Nennung bei Augustin selbst
geltend machen kann, zum anderen nicht auf Werke zurückgreifen kann, die unter
dem Namen des Porphyrius überliefert sind. Ersteres wird als taktisches Verschwei--
gen gedeutet (wobei dann die Frage ist, wieso Augustin andere Einflüsse wie Plo--
tin, die Manichäer oder Cicero sehr wohl nennt), letzteres auf den fragmentarischen
Erhaltungszustand der Werke des Porphyrius zurückgeführt (die Werke des Porphy--
rius sind wegen dessen antichristlicher Invektive häufig nicht abgeschrieben worden
und daher nur in geringem Umfang oder fragmentarisch überliefert). Besonders der
Neuplatonismusforscher Theiler hatte die These aufgestellt, daß jedes Lehrstück,
B. Person
das bei einem nachplotinischen Neuplatoniker erscheint und sich mit einem Gedan--
ken bei Augustin vergleichen läßt, aber nicht oder nicht so bei Plotin belegt ist, auf
Porphyrius zurückzuführen ist. Porphyrius ist danach also der entscheidende Weg--
bereiter für die Differenzen zwischen Plotin und dem späteren Neuplatonismus im
Westen (vgl. Theiler, Porphyrios). Im Konkreten wurde diese These etwa von Dör--
rie und Pépin aufgegriffen (vgl. Dörrie, Platonica Minora; Pépin, Ex Platonicorum
Persona). Dementsprechend wurde, unter Heranziehung sehr verschiedener Zitate
aus späteren Neuplatonikern und ihrem mehr oder weniger vagen Vergleich mit
Stellen bei Augustin (häufig unter Absehung eines direkten Vergleiches mit Plotin),
ein massiver Einfluß des Porphyrius auf den jungen Augustin behauptet. Dies gelte
besonders für uera rel. und imm. an. Geht man den Hinweisen bei Pépin und Dörrie
jedoch im einzelnen nach, ergibt sich zum einen eine recht große Nähe zu Plotin (es
handelt sich also ganz überwiegend um Punkte, in denen Porphyrius gerade nicht
von Plotin abweicht), zum anderen um Gedanken, die so mit Augustin nur begrenzt
vergleichbar sind (vgl. Drecoll, Gnadenlehre 67–69.113–120). Die Annahme einer
massiven Beeinflussung des jungen Augustin durch Porphyrius ist somit durch den
in vieler Hinsicht hypothetischen Charakter der zugrundeliegenden Voraussetzun--
gen insgesamt schon als sehr fraglich zu bewerten. Dies wird durch die Heranzie--
hung von weiteren, selbst wiederum nur hypothetisch Porphyrius zuschreibbaren
Werken (etwa des anonymen Parmenideskommentars oder bestimmter Passagen
bei Marius Victorinus; B. III. 3.) noch verstärkt. Demgegenüber bleibt festzuhalten,
daß das, was an neuplatonischem Material beim jungen Augustin auftaucht, bereits
durch wenige Enneaden Plotins gut und einfach erklärbar ist. Für die Auseinander--
setzung mit Porphyrius sind dann besonders conf. 10 und ciu. 10 zu nennen, wich--
tigstes Thema ist hier die Theurgie.
In dieser Frage hat Porphyrius selbst eine Auseinandersetzung mit Iamblich ge--
führt, der die Bedeutung der Theurgie höher als Porphyrius eingeschätzt hat. Iamblich
nennt Augustin jedoch nur an einer Stelle im Rahmen einer Auflistung berühmter
nichtchristlicher Philosophen (vgl. ciu. 8,12). Eine eigenständige Auseinanderset--
zung mit ihm führt Augustin nicht, der Einfluß des Iamblich auf den lateinischen
Sprachraum dürfte Ende des 4. bzw. Anfang des 5. Jahrhunderts insgesamt eher ge--
ring gewesen sein.
Theiler, Willy: Porphyrios und Augustin, Schriften der Königsberger Gelehrten Gesellschaft 1,
Halle 1933.
Volker Henning Drecoll
Der Manichäismus ist eine spätantike gnostische Weltreligion, die nach ihrem aus
dem Zweistromland stammenden Stifter Mani (geboren am 14. April 216, gestor--
ben 276 /277) benannt ist und die sich im Verlauf ihrer Geschichte vom römischen
Nordafrika bis nach China hin ausgebreitet hat. Hauptquellen für das Leben Manis
sind der in griechischer Sprache überlieferte Codex Manichaicus Coloniensis (der
Kölner Mani-Codex, abgekürzt: CMC) sowie die in koptischer und in verschiede--
nen zentralasiatischen Sprachen überlieferten historiographischen Homilien (aus--
gewertet von Sundermann; zusammenfassend vgl. Böhlig, Manichäismus 21–27;
Gardner / Lieu 3–8). Aufgewachsen im Kreis der Täufersekte der Elkesaiten, wurde
Mani seit früher Kindheit von judenchristlichen, enkratitischen und gnostischen
Traditionen geprägt. Im Alter von zwölf und von 24 Jahren empfing er zwei Offen--
barungen seines ›Syzygos‹, seines himmlischen ›Zwillings‹, den er mit dem von
Jesus verheißenen Parakleten (vgl. Joh 14,17.26) identifizierte. Nachdem sein Ver--
such, die Täufersekte zu reformieren, gescheitert war, unternahm er mehrere Mis--
sionsreisen im persischen Reich, die ihn bis in den Westen Indiens führten und auf
denen er die religiösen Traditionen des Zoroastrismus und des Buddhismus kennen--
lernte. Unter Schapur I. (240–273) sowie seinem Nachfolger Hormizd I. (273–274)
geduldet, konnte Mani seine Religion im persischen Reich verkündigen, seine Kir--
che organisieren und schon zu seinen Lebzeiten Missionare nach Westen ins römi--
sche Reich und nach Osten aussenden. Unter Bahram I. (274–276 /277) fiel er jedoch
beim König in Ungnade, und es wurde ihm auf Betreiben der zoroastrischen Prie--
sterklasse, der ›Magier‹, der Prozeß gemacht. Nach sechsundzwanzigtägiger schwe--
rer Kerkerhaft starb Mani an einem Montag, wobei es sich um den 14. Februar 276
oder den 26. Februar 277 handelt.
Entsprechend der johanneischen Verheißung, daß der Paraklet in die ganze Wahr--
heit einführen werde (vgl. Joh 16,13), verstand Mani die ihm zuteil gewordenen Offen--
barungen als Beauftragung zum universalen Propheten. So schreibt er in einem Frag--
ment seines Lebendigen Evangeliums, daß die Gabe seines Vaters genüge, πλουτίσαι
αὐτοὺς καὶ αὐταρκὴ καταστῆσαι τὴν σοφίαν σύμπαντι τῷ κόσμῳ (sie [scil. alle Men--
schen] reich zu machen und die Weisheit als für die ganze Welt ausreichend hin--
zustellen; CMC 69 /5–8). Er betrachtete sich selbst als letzten und abschließenden
Propheten, der in einer Reihe mit Seth, Enosch, Enoch, Sem, Buddha, dem Apostel
des Ostens, Zarathustra, dem Apostel Persiens, und Jesus Christus, dem ›Sohn der
Größe‹, stehe (vgl. Kephalaia / Hauptstücke 12 /9–20; 16 /19–31; vgl. Böhlig, Manichä-
ismus 83.86). Im Unterschied zu all seinen Vorgängern habe er seine Lehre jedoch
B. Person
selbst schriftlich niedergelegt, weshalb seine Religion in zehn Punkten viel besser
als die anderen Religionen sei (so nach dem mittelpersischen Fragment M 5794 I,
in: Böhlig, Manichäismus 80 f).
Manis Schriften wurden schon bald nach seinem Tod von seinen Anhängern zu
einem etwa sieben Werke umfassenden Kanon zusammengestellt, der im gesam--
ten Verbreitungsgebiet des Manichäismus weitgehend einheitlich überliefert ist.
Er umfaßt folgende Werke: 1. das Lebendige Evangelium, 2. den Schatz des Lebens,
3. das Buch der Briefe, 4. das Buch der Mysterien, 5. das Buch Pragmateia (Abhand--
lung), 6. das Buch der Giganten sowie 7. Psalmen und Gebete (vgl. die Zusammenstel--
lung der verschiedenen Traditionen bei Wurst, Canon 242). Die Werke 4–6 schei--
nen dabei eine inhaltliche – nicht mehr näher zu bestimmende – Einheit gebildet zu
haben, weshalb in koptischen und lateinischen Originalquellen auch von fünf heili--
gen Schriften die Rede sein kann (so z. B. Felix bei Augustin, c. Fel. 1,14: scriptura[e]
Manichaei, quinque auctores / Schriften Manis, fünf Werke; vgl. Manichäisches Psal--
menbuch 139 /20). Neben diesen sieben in einem Dialekt des Ostaramäischen ver--
faßten Werken hat Mani seine Lehre noch in mittelpersischer Sprache in einer Scha--
pur I. gewidmeten Schrift, dem Shâbuhragân niederlegt, die jedoch nur im östlichen
Manichäismus bekannt war und offenbar auch nicht als kanonisch galt.
Von diesem umfangreichen literarischen Œuvre sind nur noch wenige Frag--
mente in Zitaten manichäischer wie antimanichäischer Autoren erhalten, die sich
nicht immer einem der genannten Werke zuordnen lassen. Dies gilt auch für die im
lateinischen Manichäismus weit verbreitete Epistula fundamenti (Grundlagenbrief)
Manis, die heute meist als Bestandteil des Briefkorpus angesehen wird (zum manichä-
ischen Kanon vgl. Wurst, Canon; eine deutsche Übersetzung der den einzelnen Wer--
ken Manis eindeutig zuzuordnenden Fragmente bei Böhlig, Manichäismus 221–239;
Adam 2–35; Gardner / Lieu 151–175; zur Epistula fundamenti vgl. Feldmann, Epi--
stula; zu den lateinischen Manichaica vgl. insgesamt Stein, Manichaica 1–3).
Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts waren Manis Lehre und Theologie nur durch
Referate entweder von Philosophen und Kirchenvätern (besonders: Alexander von
Lykopolis, Contra sententias Manichaeorum / Gegen die Lehrmeinungen der Mani--
chäer; Hegemonius, Acta Archelai /Akten des Archelaus, in griechischer Sprache nur
fragmentarisch erhalten, eine lateinische Übersetzung dürfte auf das 4. Jahrhundert
zurückgehen; Titus von Bostra, Contra Manichaeos / Gegen die Manichäer, in griechi--
scher Sprache ist nur die erste Hälfte erhalten, eine syrische Übersetzung ist jedoch
vollständig, sowie das Referat bei Epiphanius von Salamis, Panarion omnium haere--
sium /Arzneikästlein gegen alle Häresien) oder islamischer Theologen bzw. Enzyklo--
pädisten (besonders dem sogenannten Fihrist von al-Nadim) bekannt. Durch den
Fund manichäischer Originalquellen in Zentralasien, vor allem in Turfan, in Ägyp--
ten und in Nordafrika, hat sich dieses Bild in den vergangenen 100 Jahren jedoch
grundlegend geändert. Während die manichäischen Originalquellen aus Turfan nur
II. Traditionen – 5. Manichäismus
stark fragmentarisch erhalten sind, wurde in Ägypten – neben dem schon erwähn--
ten griechischen CMC – die manichäisch-koptische Bibliothek von Medinet Madi
entdeckt, die insbesondere Werke aus dem Bereich der katechetischen und homi--
letischen Literatur sowie der religiösen Dichtung enthält, und zwar die Kephalaia,
einen Codex mit Manichäischen Homilien und ein Psalmenbuch (zur Fund- und For--
schungsgeschichte vgl. Böhlig, Manichäismus 6–12; Dubois, Redécouverte; Gard--
ner / Lieu 25–45; die Edition der koptischen Quellen aus Medinet Madi, die Carl
Schmidt [»Koptenschmidt«] begonnen hatte, wird durch Wolf Peter Funk, Nils Arne
Pedersen, Siegfried Richter und Gregor Wurst fortgesetzt).
An einer fragmentarischen Stelle im CMC charakterisiert Mani seine Botschaft
als τὴν διάστασιν [τῶν δύο] φύσεων [καὶ τὰ περὶ ἀρχ]ῆς καὶ με[σότητος καὶ] τέλους
(die Trennung [der beiden] Naturen [und die Lehre (?) von Anfang, Mitte] und
Ende; CMC 132 /11–15; vgl. Stein, Manichaica 2, 63 [test. 14]). Seine Lehre ist dem--
nach einerseits durch einen strikten Dualismus gekennzeichnet, geht also von der
Annahme zweier sich von Ewigkeit her entgegenstehender Prinzipien aus, die als Gott
und ›Hyle‹ (Materie) bzw. als ›Königreiche‹ des Lichts und der Finsternis bezeichnet
werden (so z. B. Faustus bei Augustins, c. Faust. 20,3: qui bonis omnibus principium
fateor deum, contrariis uero hylen / der ich Gott als den Ursprung für alles Gute, für
das Entgegengesetzte aber die Materie bekenne). Andererseits beschreibt der Mythos
das Verhältnis dieser beiden Urprinzipen zueinander und gliedert sich in die drei
Zeiten ihrer ursprünglichen Trennung (Anfang), derzeitigen Vermischung (Mitte)
und der wiederhergestellten Trennung am Ende (so z. B. in der Doxologie des kopti--
schen Bema-Psalms 223, die ›unseren Herrn Manichäus‹ preist, ›der uns den Anfang,
die Mitte und das Ende offenbarte‹; vgl. Wurst, Drei-Zeiten-Formel 117).
Die wichtigste Quelle zur manichäischen Kosmogonie ist das Referat des syri--
schen Theologen Theodor bar Kônî (ca. 790), der Exzerpte aus einem der kano--
nischen Werke Manis in syrischer Sprache überliefert (deutsche Übersetzung bei
Adam 15–23; Böhlig, Manichäismus 103–108); außerdem ist noch die 123. Kate--
chetische Homilie des Severus von Antiochia (nur in syrischer Übersetzung erhal--
ten; 6. Jahrhundert) zu nennen; einen knappen Überblick über den Mythos in poe--
tischer Form liefert Bema-Psalm 223 (vgl. Böhlig, Manichäismus 118–121; für kon--
zise Darstellungen des Systems vgl. Polotsky; Böhlig, Manichäismus 27–36; Ders.,
Manichäismus [TRE] 31–33).
Kosmos, Welt und Mensch haben ihren Ursprung in der mittleren Zeit der
durchaus materiell gedachten Vermischung der beiden Urprinzipien, die das
Resultat eines vorzeitlichen Angriffs der Finsternis auf das Lichtreich ist. Zur
Abwehr gibt das gute Prinzip einen Teil seiner lichten Substanz preis – in der
mythologischen Sprache ›Urmensch‹ genannt –, dessen die Finsternis sich zwar
zunächst bemächtigen kann, wodurch sie aber gleichzeitig und ohne ihr Wissen
an diese lichte Substanz gebunden wird. Der Mythos beschreibt sodann ausführ--
lich, wie Gott durch verschiedene, aus ihm hervorgehende Mächte aus der mit
der Lichtsubstanz vermischten bösen Materie den Kosmos als eine Maschine--
rie zu deren Befreiung erschaffen läßt, während die Materie, die Hyle als Gegen--
B. Person
Wesens die Pflicht, an der Befreiung der Lichtsubstanz aktiv mitzuwirken, so erge--
ben sich daraus rigorose ethische Konsequenzen. Es besteht nicht nur die Forde--
rung, durch sexuelle Askese die Fortpflanzung zu unterbinden, sondern ein Mani--
chäer muß sich auch jeder Tätigkeit enthalten, die das in der Schöpfung gebundene
Licht schädigen, quälen oder seiner Sammlung entgegenstehen könnte. Dazu zäh--
len nicht nur die Jagd bzw. jedwede Form von Tötung eines Lebewesens, sondern
beispielsweise auch der Ackerbau, ja letztlich jede Form von handwerklicher Betä--
tigung oder Arbeit und damit auch Besitz, denn in der gesamten Schöpfung sei das
gebundene Licht ›gekreuzigt‹ und leide. Darüber hinaus hat der Mensch sich auch
tierischer Nahrung und alkoholischer Getränke zu enthalten, die ihn nur noch stär--
ker an die Materie binden. Statt dessen soll er sich von besonders lichthaltigen Früch--
ten ernähren, als welche den Manichäern insbesondere Gurken und Melonen gal--
ten, um so durch seine Verdauung möglichst viel der Lichtsubstanz zu befreien (vgl.
Kephalaia 192 /6–13; vgl. Böhlig, Manichäismus 192).
In der gesamten manichäischen Literatur ist als Zusammenfassung dieser ethi--
schen Forderungen die Formel der signacula oris et manuum et sinus (Siegel des Mun--
des, der Hände und des Schoßes; vgl. mor. 2,19) belegt, mit denen Augustin sich in
mor. 2,20–66 ausführlich auseinandergesetzt hat. Das Siegel des Mundes steht dabei
für die Nahrungsaskese sowie für die Gebote, nicht zu lügen, nicht zu zürnen etc.,
das Siegel der Hände für die Unterlassung jedweder das Licht schädigenden Tätigkeit
und das des Schoßes für die Jungfräulichkeit bzw. sexuelle Enthaltsamkeit. Daneben
finden sich auch andere Formulierungen dieser Gebote (in Bema-Psalm 235,6,3–7
z. B. formuliert als die fünf Gebote: nicht lügen, nicht töten, kein Fleisch essen, sich
sexuell rein halten sowie in Armut leben).
Diese rigorosen ethischen Forderungen galten jedoch nur für die electi, die sich
folglich jeder körperlichen Arbeit enthielten, besitzlos lebten und sich ganz den
kirchlichen Aufgaben der Verkündigung und Unterweisung der Gläubigen widme--
ten. Gehörten sie als Presbyter oder Bischof einer höheren Stufe der Hierarchie an,
wirkten sie als Vorsteher der Gemeinden oder zogen als Wanderlehrer durchs Land.
Für die auditores hingegen galten andere Standards: Ihnen war eine normale bür--
gerliche Existenz gestattet, sie konnten heiraten, Kinder zeugen, einem Beruf nach--
gehen und Besitz haben. Für sie galten, neben allgemeinen, dem Dekalog vergleich--
baren Geboten, vor allem die drei Gebote des Fastens, Betens und Almosengebens.
Das Fastengebot bezieht sich dabei auf das typisch manichäische Sonntagsfasten,
und das Gebot zu beten ermahnt dazu, die täglichen Gebetszeiten einzuhalten und
sich beim Gebet zur Sonne und zum Mond hinzuwenden. Das Almosen schließlich
hat im Manichäismus den sehr spezifischen Sinn, daß die auditores für die vegeta--
rische Kost der electi aufkommen müssen, in einem weiteren Sinne auch für deren
Unterkunft (vgl. Kephalaia 192 /29–193 /22; Böhlig, Manichäismus 192 f). Der Preis,
den die auditores für diese laxere Form der Ethik zu zahlen hatten, war die Wieder--
geburt, die jedoch mit der Hoffnung verbunden war, das kommende Leben als elec--
tus führen zu dürfen (zur manichäischen Ethik insgesamt vgl. Böhlig, Manichä--
ismus 36–42).
0 B. Person
Wie mit dem zuletzt Gesagten schon angedeutet wurde, lassen sich im Manichä-
ismus bereits im 4. Jahrhundert Ansätze zur Ausbildung eines Kirchenjahres fest--
stellen, das aus festen wöchentlichen Fasttagen für die auditores (Sonntag) und die
electi (Montag) und darüber hinaus aus einigen jährlichen Festtagen (den sogenann--
ten Vigilien) bestand. Als Höhepunkt im Kirchenjahr begingen die Manichäer im
Frühjahr das sogenannte Bêmafest als Gedenktag des Todes ihres Apostels. Im Kon--
text solcher wöchentlichen und jährlichen Feiertage ist die umfangreiche Psalmen--
dichtung zu sehen, die vor allem durch das Manichäische Psalmenbuch dokumentiert
ist (zu manichäischen Festen und Fastenzeiten vgl. Wurst, Bêmafest 19–33; Feld--
mann, Christus-Frömmigkeit; Puech).
stantielle Zitate aus der Epistula fundamenti Manis überliefert hat (in c. ep. Man.),
sondern uns auch mit vier prominenten Gestalten des lateinischen Manichäismus
seiner Zeit bekannt macht: mit dem manichäischen Presbyter Fortunatus, den Augu--
stin schon seit Beginn seiner manichäischen Zeit in Karthago (373) kannte und der
Anfang der neunziger Jahre der manichäischen Gemeinde in Hippo vorstand, wo
er sich 392 eine öffentliche disputatio (ein Streitgespräch) mit Augustin geliefert hat
(vgl. c. Fort.; C. I. 6.), sodann mit dem Nachfolger des Fortunatus in der Gemein--
deleitung in Hippo, Felix, mit dem Augustin sich im Dezember 404 öffentlich aus--
einandersetzte (vgl. c. Fel.), mit dem manichäischen auditor Secundinus, der brief--
lich mit Augustin in Kontakt getreten ist und dessen Epistula (Brief) direkt vor c. Sec.
überliefert ist, und schließlich mit dem Bischof Faustus von Mileve, mit dem Augu--
stin zwischen Ende 382 und Sommer 383 in Karthago zusammengetroffen ist und
von dem er sich die Zerstreuung seiner intellektuellen Zweifel am manichäischen
System erhofft hat (vgl. conf. 5,12). Mit Faustus setzt Augustin sich auch in seinem
umfangreichen Werk c. Faust. ausführlich auseinander, wobei er ein weiteres Ori--
ginalwerk des lateinischen Manichäismus, die Capitula (Hauptstücke) des Faustus,
wohl vollständig überliefert hat (C. I. 6.; zu Faustus, Felix, Fortunatus vgl. Decret,
Faustus; Ders., Felix; Ders., Fortunatus; zu weiteren nordafrikanischen Manichä--
ern vgl. Decret, L’Afrique manichéenne I, 353–377).
Wie sich aus den Nachrichten Augustins über seine manichäische Zeit ergibt, bot
der nordafrikanische Manichäismus ein dem oben vor allem auf der Grundlage kop--
tischer Quellen gezeichneten Bild ganz paralleles Erscheinungsbild, Augustin hat als
auditor am Leben einer offenbar typischen manichäischen Gemeinde seiner Zeit teil--
genommen (B. III. 2.). Darüber hinaus lassen sich insbesondere aus den stenogra--
phierten Diskussionsbeiträgen des Fortunatus sowie aus den Capitula des Faustus
einige Züge gut herausarbeiten, die das öffentliche Bild des lateinischen Manichä--
ismus dieser Zeit stark geprägt haben.
Zunächst ist hier der Umstand zu nennen, daß der nordafrikanische Manichä--
ismus vehement mit dem Anspruch auftrat, das wahre Christentum zu repräsen--
tieren. So bezeichnet Faustus die Katholiken als semichristiani (Halbchristen) bzw.
semiiudaei (Halbjuden; vgl. c. Faust. 1,2; 33,3), sie gelten ihm als die größte Gruppie--
rung unter den christlichen Häresien (vgl. c. Faust. 16,7). Von sich selbst spricht er
hingegen wie selbstverständlich als von einem Christen: ego [...] et christianus omnis
(ich [...] und jeder Christ; c. Faust. 10,1), und entsprechend gilt ihm die manichä--
ische Kirche als die eigentliche Braut Christi (ecclesia nostra, sponsa Christi / unsere
Kirche, die Braut Christi; c. Faust. 15,1). So verwundert es auch nicht, daß Faustus in
einem seiner Capitula ein Glaubensbekenntnis vorlegt, das vordergründig eine trini--
tarische Struktur aufweist und von einer geistgewirkten Empfängnis eines als patibi--
lis (leidensfähig) charakterisierten Jesus spricht, der Leben und Heil der Menschheit
sei und an jedem Holze hänge (vgl. c. Faust. 20,2; für ein vergleichbares Bekenntnis
des Fortunatus C. I. 6.1.). Bei näherem Hinsehen erweist sich eine solche Redeweise
jedoch als Allegorisierung der Passionsgeschichte auf die durch die Vermischung mit
der Materie in der Welt ›gekreuzigte‹ Lichtsubstanz hin, das ›Lichtkreuz‹ (vgl. Kepha--
B. Person
laia 192 /10 f; vgl. Böhlig, Manichäismus 192; für die weitere, teils kontroverse Deu--
tung des sogenannten Iesus patibilis vgl. die unterschiedlichen Interpretationen bei
Decret, Essais 241–267; Wurst, Glaubensbekenntnis).
Zweitens ist darauf hinzuweisen, daß die nordafrikanischen Manichäer ihren
Glauben und ihre Frömmigkeit als rational ansprechend darzustellen wußten. So
betrachtet Faustus sich etwa, unter Aufnahme popular-philosophischer Topoi, als
rationabile dei templum (als vernunftbegabten Tempel Gottes), das mit dem Gött--
lichen nur durch Gebete kommuniziere, die er auf dem Altar seines Geistes dar--
bringe (vgl. c. Faust. 20,3). Darüber hinaus bot die dualistische Grundposition, die
Lehre von den zwei Prinzipien, eine Möglichkeit, die Existenz des Bösen in der Welt
zu erklären, wovon ein Text wie c. Faust. 21,1 einen guten Eindruck vermittelt. Und
schließlich bot der manichäische Mythos, wenn er die Mondphasen als Aufnahme
der befreiten Lichtelemente aus dieser Welt und Weiterleitung an die Sonne erklärte,
eine (pseudo-)rationale Erklärung von Naturphänomenen.
Die beiden genannten Aspekte gelten keineswegs ausschließlich für den nordafri--
kanischen Manichäismus, treten hier aber in Quellen aus dem Bereich der Ausein--
andersetzung zwischen Manichäern und Katholiken besonders hervor. Ein dritter
Punkt, der demgegenüber in der sonstigen manichäischen Überlieferung in den Hin--
tergrund tritt, ist die Anwendung einer klaren Hermeneutik und einer daraus folgen--
den rationalen Kritik der biblischen Überlieferung. Somit konnte Faustus es für sich
in Anspruch nehmen, den Aussagen der christlichen Bibel nur nach kritischer Prü--
fung sein Ohr zu schenken (zu diesem [pseudo-]rationalen Anspruch des Manichä--
ismus vgl. Feldmann, Einfluß 591–599; Hoffmann, Einsehen; zur manichäischen
Bibelkritik vgl. Hoffmann, Augustins Schrift 68–79; C. I. 6.2.).
Böhlig, Alexander: Art. Manichäismus, Theologische Realenzyklopädie 22 (1992), 25–45.
— Der Manichäismus, unter Mitwirkung von Jes Peter Asmussen eingeleitet, übersetzt und erläu--
tert von Alexander Böhlig, Die Gnosis. Dritter Band, Zürich / München 1980.
Decret, François: L’Afrique manichéenne (IVe–Ve siècles). Étude historique et doctrinale, tome I.
Texte; tome II. Notes, Études Augustiniennes, Paris 1978.
Lieu, Samuel N. C.: Manichaeism in the Later Roman Empire and Medieval China, Wissenschaft--
liche Untersuchungen zum Neuen Testament 63, 2. , durchgesehene und erweiterte Auflage
Tübingen 1992.
Gregor Wurst
hunderts aus den einflußreichen jüdischen Gemeinschaften des Landes heraus ent--
wickelt hätte (vgl. Frend, Martyrdom 361; Quispel; kritisch hingegen Barnes, Ter--
tullian 273–275). Die nordafrikanischen Christen standen in auffällig engem Kon--
takt zu ihren Glaubensgenossen in Kleinasien, was sich nicht nur an der kirchlichen
Organisation, sondern auch an der Liturgie ablesen läßt (vgl. Faversham; Barnes,
Tertullian 276). Als ältestes literarisches Zeugnis der nordafrikanischen Christen gilt
der Bericht einer Gruppe lateinisch sprechender Märtyrer, die aus der kleinen Ort--
schaft Scilli stammte und im Jahr 180 für ihren Glauben starb: die Acta Sanctorum
Scillitanorum (Prozeßakten der Heiligen aus Scilli), deren Verlesung in der Eucharistie-
feier am Gedenktag (17. Juli) auch Augustin mehrfach bezeugt (vgl. s. 37; s. Denis 16;
s. Guelf. 30 f; s. Lambot 9; vgl. Klöckener, Festa 1294; in Karthago gab es auch eine
Kirche, die nach ihnen hieß, vgl. s. 155). Demnach hatte das Christentum zu dieser
Zeit bereits das städtische Umland und wohl auch nahezu alle gesellschaftlichen
Schichten erreicht. Es dürfte keine Übertreibung sein, wenn Quintus Septimus Flo--
rens Tertullianus (um 200) dem römischen Statthalter Scapula zu bedenken gab, daß
jedermann in irgendeinem Gefangenen einen Verwandten oder Freund erkennen
werde und daß es unter den Christen durchaus auch hochstehende Persönlichkeiten
gebe (vgl. Ad Scapulam /An Scapula 5,2; vgl. Schöllgen, Ecclesia sordida? 155–224).
Diese Aussage wird durch das Martyrium der vermutlich dem Dekurionenstand ent--
stammenden Perpetua bestätigt, die gemeinsam mit anderen Christen im Jahre 203
dazu verurteilt wurde, in der Arena von Karthago im Tierkampf zu sterben (Passio
Sanctarum Perpetuae et Felicitatis / Leidensbericht der heiligen Perpetua und Felici--
tas, vgl. Salisbury). In diesem, auch Augustin bekannten (vgl. s. 280–282) Martyri--
umsbericht spiegeln sich die zeitgenössischen Diskussionen darüber, ob die Amts--
träger oder aber die confessores (Bekenner), die für ihren Glauben gelitten haben,
die Führungsrolle innerhalb der Gemeinden übernehmen sollten. In einer der pro--
phetischen Visionen der genannten Passio wird geschildert, wie die streitenden Kir--
chenleiter von den zukünftig verherrlichten Märtyrern Perpetua und Saturus, dem
Lehrer der Gruppe, eine Reihe von Weisungen erhalten, um die Gemeinden zu lei--
ten (vgl. Passio Sanctarum Perpetuae et Felicitatis 11,1–13,8).
Von der Standfestigkeit dieser Märtyrer zeigte sich auch Tertullian beeindruckt
(vgl. Tertullian, De anima / Über die Seele 55,4). Gegenüber den heidnischen Vorwür--
fen, die Christen seien als gesellschaftliche Außenseiter letztlich für alle Arten von
Schwierigkeiten verantwortlich (vgl. Tertullian, Apologeticum / Verteidigungsschrift
40,2), stellte er seine Mitchristen aufgrund ihrer höheren Ethik und Moral als die bes--
seren Bewohner des Reiches dar, die aus diesem Grunde auch keinerlei Verachtung
oder Verfolgung verdienten. Dementsprechend mahnte er denn auch seine Glau--
bensgenossen nachdrücklich, diesen hohen Anforderungen an die eigene Lebens--
führung tatsächlich zu entsprechen, sich von der heidnischen Welt möglichst weit
abzugrenzen und sich insbesondere von allem, was mit dem allgegenwärtigen Göt--
zendienst zu tun habe, unbedingt fernzuhalten (so Tertullian besonders deutlich in
seiner Schrift De idololatria / Über die Götzenverehrung). Dazu gehörte nicht nur, sich
dem auf dem Götterkult basierenden öffentlichen Leben zu entziehen, sondern etwa
B. Person
mehr zunächst allein dem Petrus und später auch den anderen Aposteln übertragen
worden. Somit können weder die confessores (vgl. Tertullian, De pudicitia 22) noch
die Bischöfe Todsünden vergeben. Allein die Kirche des Geistes, nicht aber die Kir--
che als numerus episcoporum (als eine Zahl von Bischöfen; De pudicitia 21,17) sei
im Besitz der Macht, Sünden zu vergeben (vgl. Campenhausen 251–254). In dieser
Geistkirche übte man rigorose Kirchenzucht und suchte sich noch deutlicher von
der heidnischen Umwelt abzusetzen (vgl. Braun). Angesichts des nahen Endes for--
derte Tertullian nun auch das Standhalten in der Verfolgung und sprach sich dage--
gen aus, eventuell sich bietende Möglichkeiten zur Flucht zu nutzen (so besonders
in seiner Schrift De fuga in persecutione / Über die Flucht während der Verfolgung).
Tertullians Streben nach einer möglichst reinen und allein vom Geist getrage--
nen christlichen Gemeinschaft war auf Dauer kein Erfolg beschieden. Schon in der
Mitte des 3. Jahrhunderts sah die Wirklichkeit anders aus, zumal Zahl und Macht der
nordafrikanischen Bischöfe stetig wuchsen. Der 248 gewählte Caecilius Cyprianus
von Karthago (ca. 200–258) konnte sein Amt bereits analog zu dem eines Provinz--
gouverneurs beschreiben (vgl. Hoffmann, Kirchliche Strukturen). Kurz nach sei--
nem Amtsantritt wurde er mit dem Problem konfrontiert, daß die Mehrheit sei--
ner Gemeinde eine Todsünde beging und vom Glauben abfiel, als Kaiser Decius
(250 /251) angesichts der insgesamt schwierigen Lage des Römischen Reiches ver--
fügte, daß alle Einwohner sich ein Opfer für die römischen Götter bescheinigen las--
sen mußten, um die gefährdete pax deorum (den Frieden [scil. der Menschen] mit
den Göttern) wiederherzustellen (vgl. Rives, Decree). Viele Christen hielten die--
sem Druck nicht stand und vollzogen das Opfer, andere bestachen die Beamten, um
die geforderte Bescheinigung zu erhalten. Nach dem Ende der Maßnahmen wollte
der Großteil dieser Christen wieder zur Gemeinde gehören und bat die Bekenner,
ihnen gemäß alter Tradition einen libellus pacis (ein Versöhnungszertifikat) auszu--
stellen. Dieser Praxis mußte Cyprian aufgrund seiner Autorität als Bischof, die für
ihn mehr bedeutete als lediglich über die rechte Lehre und Moral seiner Gemein--
deglieder zu wachen, entschieden widersprechen (vgl. Fitschen 69–74). Er selbst
hatte sich während der Verfolgung verborgen (vgl. Cyprian, Epistula / Brief 20) und
durch zahlreiche Briefe versucht, seinen Einfluß auf die Gemeinde aufrecht zu erhal--
ten. Nach seiner Rückkehr gelang es ihm, seine Position zum Problem der Abgefal--
lenen, wie er sie in der Schrift De lapsis (Über die Abgefallenen) formuliert hatte,
gegenüber Kritikern zu verteidigen, indem er sich die Unterstützung des afrikani--
schen Klerus sicherte. Allenfalls auf dem Totenbett sollten die Abgefallenen wieder
in die kirchliche Gemeinschaft aufgenommen werden können.
Die von Cyprian einberufene karthagische Synode hielt im Jahre 251 fest, daß die
sogenannten libellatici (diejenigen, die sich lediglich eine Opferbescheinigung ver--
schafft hatten) nach einer entsprechenden Bußzeit wieder zur vollen Kirchengemein--
schaft zugelassen wurden (vgl. Cyprian, Epistula 55,17,3). Im folgenden Jahr wurde
diese Möglichkeit schließlich allen Abgefallenen eröffnet (vgl. Cyprian, Epistula
57,2,1 f). Diese Vorgehensweise beschwor jedoch den Widerstand einer Partei herauf,
die die alten Traditionen gefährdet sah und einen Gegenbischof wählte (vgl. Cyprian,
B. Person
Epistulae 41–43). Während das Schisma in Karthago lediglich eine Episode blieb, ver--
festigte sich in Rom die Spaltung zwischen den Nachgiebigeren und den rigoroseren
Anhängern des ehemaligen Presbyters Novatian (vgl. dazu Vogt; Gülzow).
Auf diesem Hintergrund ist Cyprians Schrift De ecclesiae catholicae unitate (Über
die Einheit der katholischen Kirche) zu lesen (vgl. Bobertz). Mit Nachdruck betont
Cyprian hierin die Einheit der Kirche als alleinige Repräsentantin und Wächterin der
Wahrheit. Jede Trennung von ihr bedeute zugleich die Trennung von der Wahrheit
und damit auch eine Trennung vom Heil (vgl. Wickert; Simonis). Insofern versteht
Cyprian den Grundsatz salus extra ecclesiam non est (Es gibt außerhalb der Kirche
kein Heil; Cyprian, Epistula 73,21,2; vgl. Adolph 153–160). Dabei garantiert allein
der Bischof, der nach Cyprian dafür zuständig ist, die Gefallenen wieder aufzuneh--
men (vgl. Cyprian, Epistulae 15,1,2; 16,2,3), die Einheit der Gemeinde (vgl. Cyprian,
De ecclesiae catholicae unitate 5; Epistulae 43,5,2.4), ebenso wie die Gemeinschaft der
Bischöfe für die Einheit der christlichen Gesamtkirche insgesamt steht. Diese her--
vorgehobene Stellung hat der Bischof als Stellvertreter Christi und als Nachfolger
der Apostel inne, weshalb seine Einsetzung auch nicht durch Menschenhand, son--
dern durch Gott selbst erfolgt (vgl. Cyprian, Epistula 59,5,1; 66,1,1 f). Die Gemein--
schaft mit dem Bischof ist deshalb gleichbedeutend mit der Gemeinschaft mit der
Kirche und dem Anteil am Heil: Vnde scire debes episcopum in ecclesia et ecclesiam
in episcopo et si qui cum episcopo non sit in ecclesia non esse (Daher mußt du wissen,
daß der Bischof in der Kirche ist und die Kirche beim Bischof und daß, wenn einer
nicht mit dem Bischof ist, er auch nicht in der Kirche ist; Cyprian, Epistula 66,8,3).
Selbstverständlich wurde von allen Amtsträgern der Kirche, insbesondere aber von
den Bischöfen, unbedingte persönliche Heiligkeit in der Lebensführung verlangt
(vgl. Cyprian, Epistulae 66,2,2; 67,9,1–3; 72,2,2).
Wohl zu Beginn des Jahres 255 mußte sich Cyprian dazu äußern, wie man mit
Novatianern verfahren solle, die mit ihm in Kirchengemeinschaft treten wollten.
Dabei stellte sich die Frage, ob die durch Schismatiker gespendete Taufe als gültiges
Sakrament anzusehen sei, oder ob man Menschen, die in der schismatischen Gemein-
schaft getauft worden waren, noch einmal taufen müsse (vgl. Merdinger 43–49).
Für Cyprian gab es keinen Zweifel daran, daß nur die eine wahre Kirche gültig taufen
könne, denn nur sie sei im Besitz des Heiligen Geistes und somit in der Lage, Sünden
zu vergeben. Jede außerhalb der Kirche gespendete Taufe sei demnach keine wahre
Taufe (vgl. Cyprian, De ecclesiae catholicae unitate 11; Epistulae 69; 70,2,1–3; 70,3,1–
3). Cyprian wußte sich hierin mit vielen afrikanischen und einer Reihe kleinasiati--
scher Bischöfe einig und berief sich darauf, der Tradition zu folgen (vgl. Cyprian,
Epistulae 71,1,1; 73,1,1 f; 73,3,1). In Rom stieß seine Ansicht jedoch auf Widerstand.
Dort nahm Bischof Stephan (254–257) schismatisch oder häretisch Getaufte mit
einer einfachen Handauflegung wieder in die eigene Gemeinschaft auf und berief
sich dafür ebenfalls auf die Tradition (vgl. Cyprian, Epistula 74,1,2). Dieser Konflikt
verschärfte sich zusätzlich, als Stephan von Rom unter Berufung auf die petrinische
Sukzession (vgl. Firmilian von Cäsarea in Cyprian, Epistula 75,17 f) nicht nur die
Kirchengemeinschaft mit den nordafrikanischen, sondern auch mit den kleinasiati-
II. Traditionen – . Tertullian, Cyprian
schen Gemeinden aufkündigte, die Cyprians Auffassungen teilten (vgl. Firmilian von
Cäsarea in Cyprian, Epistula 75,25,1). Ein von Cyprian einberufenes und geleitetes
Konzil bestätigte 256 die Notwendigkeit einer Wiedertaufe von Häretikern (die Stel--
lungnahmen aller beteiligten Bischöfe sind erhalten in den Sententiae episcoporum
numero LXXXVII de haereticis baptizandis / Stellungnahmen der Bischöfe, 87 an der
Zahl, über die Frage der zu taufenden Häretiker). Eine Wiederherstellung des Kir--
chenfriedens wurde durch die valerianische Verfolgung verhindert; Stephan erlitt im
März 257 den Märtyrertod, Cyprian folgte ihm hierin am 14. September 258.
Mit der Vita et passio Cypriani (Lebensbeschreibung und Leidensbericht Cypri--
ans) trug sein Diakon Pontius dazu bei, Cyprian zum idealen Märtyrerbischof zu
machen, auf den die nordafrikanische Kirche mit Stolz und Verehrung zurückblickte
(vgl. Leppin, Bischofsmartyrium). In der Nähe seines Grabes ließen sich zahlreiche
Christen bestatten; Augustin nennt für Karthago insgesamt zwei Kultorte: die mensa
Cypriani (wörtlich: den Tisch Cyprians, die Hinrichtungsstätte Cyprians, vgl. s. 310,2
u. ö.) und die basilica martyris Cypriani (Kirche des Märtyrers Cyprian), auch Map--
palia (Mappalia) genannt (vgl. s. 330, s. Denis 11.22 u. ö.), die wohl in der Nähe der
in conf. 5,15 erwähnten memoria beati Cypriani (Gedächtnisort des seligen Cyprian)
liegt (vgl. s. Dolbeau 2,5) (vgl. Lapointe 157 f; Lancel, Carthago 769 f). Die immense
Verehrung Cyprians durch Augustin geht aus vielen Predigten hervor, die Kenntnis
fast aller heute überlieferten Schriften ist aufgrund der Aufzählung in s. Guelf. 26,2
sicher (vgl. Dassmann, Cyprianus 199–203).
Zu Augustins Zeit verstanden sich insbesondere die schismatischen Donatisten
als die wahren Sachwalter Cyprians und reklamierten sein Kirchen- und Sakraments--
verständnis für sich (vgl. Kriegbaum 44–54). Nachdem sich bereits Optatus von
Mileve mit der donatistischen Auffassung von Kirche und Taufe auseinandergesetzt
hatte (vgl. Simonis 43–49; B. II. 7.), konnte Augustin den Donatisten insbesondere
in seiner Schrift bapt. die Berufung auf Cyprian und sein Werk streitig machen. Im
Laufe des Pelagianischen Streites griff Augustin vermehrt auch auf Cyprian zurück
(so in s. 294; vgl. Dassmann 208 f). Die Hermeneutik des Donatisten Tyconius griff
Augustin in doctr. chr. auf (C. I. 11.).
Schaut man auf die theologische Tradition, die Augustin aus seiner Heimat kannte,
ergibt sich ein Bild, in dem die Vorstellung einer wahren, weil reinen Kirche, die auch
in den Verfolgungen diesen Charakter und damit den Heiligen Geist bewahrt hat,
besonders wichtig war. Hieran hingen nicht nur ekklesiologische Vorstellungen, son--
dern auch sakramentstheologische (besonders im Hinblick auf Taufe und Weihen)
und solche, die mit der Frömmigkeit zusammenhängen (z. B. Märtyrerverehrung).
Rives, James B.: Religion and Authority in Roman Carthage from Augustus to Constantine,
Oxford 1995, 273–310.
Katharina Greschat
schen einer primitiven Märtyrerkirche und der konstantinischen Kirche oder zwi--
schen einem afrikanischen und einem ›überseeischen‹ Modell von Kirche deuten
wollte. Die Auswertung der Quellen jener Zeit offenbart die donatistische Kirche kei--
neswegs als rückständig, sondern als durchaus theologisch versiert, sprachfähig und
bereit, die Vorteile zu nutzen, die sich aus sich wandelnden politischen und gesell--
schaftlichen Rahmenbedingungen ergaben. Zum Verständnis der an der Entstehung
und Verstärkung der Spaltung beteiligten Faktoren bis ca. 390 müssen die theolo--
gischen, politischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen angemessen berück--
sichtigt werden. Das Jahr 390 markiert ein wichtiges Datum in der Geschichte des
Schismas, nicht so sehr wegen der Ereignisse dieses Jahres – der katholische Primas
Genethlius leitete wieder einmal eine wirkungslose Synode für die kirchliche Ein--
heit –, sondern wegen Ereignissen, die gerade zurücklagen, wie dem Tod des gro--
ßen donatistischen Anführers und Bischofs von Karthago, Parmenian, bzw. unmit--
telbar folgten, so insbesondere die Wahl des Aurelius zum katholischen Gegenbi--
schof und die Weihe Augustins zum Priester (und wenige Jahre später zum Bischof)
der Gemeinde von Hippo.
Zwischen der Wahl der karthagischen Bischöfe Caecilian und Maiorinus im Jahr
311 (oder Anfang 312) in Karthago und dem Tod des hochbetagten Bischofs und dona--
tistischen Primas Parmenian im Jahre 390 lassen sich drei Phasen des Schismas aus--
machen: 1. die Errichtung der abweichenden Kirche unter Bischof Donatus, 2. abge--
brochene Versuche der Wiedervereinigung in den vierziger Jahren des 4. Jahrhunderts
– denkwürdigerweise unter kaiserlichem Druck durch die berüchtigten ›Friedens--
stifter‹ Paul und Macarius – und 3., Anfang der sechziger Jahre unter Kaiser Julian,
die Rückkehr von Donatisten aus dem Exil mit nachfolgenden Gewaltausbrüchen
zwischen den beiden kirchlichen Gemeinschaften. Faktisch hatte in diesem dritten
Stadium die donatistische Kirche in den siebziger und achtziger Jahren die Vorherr--
schaft in der afrikanischen Provinz inne.
Die erste Phase des Schismas, die sich über drei Jahrzehnte erstreckte, begann
mit der unruhigen Zeit der zweifachen Bischofswahl nach dem Tod des karthagi--
schen Bischofs Mensurius im Jahr 311. Caecilian, der unter Mensurius als Diakon
tätig gewesen war, hatte den Zorn bestimmter Gemeindemitglieder, unter anderem
der wohlhabenden und einflußreichen Lucilla, auf sich gezogen, weil er von einer
als unangemessen eingeschätzten Verehrung von Märtyrerreliquien abgeraten hatte.
Seine Wahl wurde angefochten und ein anderer Kandidat vorgeschlagen: Diakon
Maiorinus, ein Mitglied der weitläufigen Hausgemeinschaft der Lucilla (vgl. Opta--
tus, Contra Parmenianum Donatistam 1,16.19). Nach seiner Ankunft in Karthago im
Jahr 312 leitete der numidische Bischofsälteste Secundus von Tigisis eine mit sieb--
zig, mehrheitlich numidischen Bischöfen besetzte Synode, welche die Gültigkeit
von Caecilians Wahl verneinte – nicht so sehr wegen eines möglicherweise unge--
bührlich übereilten Wahlablaufs, sondern vor allem wegen der Anwesenheit des als
Traditor verdächtigten Felix von Apthugni im Kreise der weihenden Bischöfe (vgl.
Maier nr. 10). Erst im Februar 315 wurde Felix unter dem in Numidien regieren--
den Zenophilus entlastet, als die Untersuchung von Beweismaterial seine Unschuld
100 B. Person
ans Licht brachte und zugleich ergab, daß die gegen Caecilian eingestellten Bischöfe
selbst in den Skandal des Auslieferns von Schriften verstrickt waren (vgl. Acta purga--
tionis Felicis episcopi Autumnitani /Akten zur Rechtfertigung [wörtlich: Reinigung]
des Bischofs Felix von Abthugni, vgl Maier nr. 22, gemeinsam überliefert mit den
Gesta apud Zenophilum / Verhandlungen vor Zenophilus 25–32). Die Zeit für eine
objektive Meinungsbildung war zu diesem Zeitpunkt allerdings längst vorbei. Eine
Atmosphäre gegenseitigen Mißtrauens beherrschte zunehmend die beiden Gemein--
schaften. Erinnerungen waren zu Gründungsmythen geworden, und die Donatisten
erhoben den Anspruch, die reine Märtyrerkirche Afrikas zu sein, die dem inzwi--
schen fünfzig Jahre alten Erbe des Märtyrers Cyprian treu geblieben sei und so zur
Begegnung mit der neuen Generation von Christenverfolgern bereit sei, dem stets
gegenwärtigen, der Kirche feindlich gesinnten Bösen, vor dem die biblischen Pro--
pheten gewarnt hätten.
Während der Ursprung der Spaltung auf Parteistreitigkeiten in Karthago selbst
zurückzuführen sein mag, stellten die Spannungen, die sich im Blick auf die Vereh--
rung von Märtyrern und Bekennern ergaben, ein in den afrikanischen Provinzen
verbreitetes Phänomen dar und wiesen auf eine spannungsreiche Vorgeschichte zur
Zeit Cyprians unter der Verfolgung durch Decius (249–251) und Valerian (257–258).
Im Vergleich zu diesen früheren Verfolgungen hinterließ die diokletianische Verfol--
gung (303–305) noch tiefere Wunden in den Gemeinden. Die staatlichen Maßnahmen
unter Diokletian (Edikttexte nach Eusebius von Cäsarea und Laktanz im Vergleich
bei Maier nr. 1) waren unter anderem darauf ausgerichtet, insbesondere Mitglieder
des Klerus zur Apostasie zu ermutigen. Diejenigen, die öffentlich Schriften zur Ver--
brennung übergeben hatten, wurden als ›Traditoren‹ bekannt. Die Passio sanctorum
Datiui, Saturnini presbyteri et aliorum (Leidensbericht des heiligen Dativus, des hei--
ligen Priesters Saturninus und anderer) 2 (vgl. Maier nr. 4; 61 / 72–62 / 93) berichtet
von einer Anzeige von Traditoren durch christliche Bekenner aus dem tunesischen
Abitina. Das Identifizieren von Traditoren und das Ausfindigmachen von Bischö--
fen, deren Weihe durch die Anwesenheit von Traditoren besudelt sei, begleiteten das
Schisma fortwährend und führten zu unablässiger Sichtung staatlicher Verwaltungs--
akten und zugleich zu theologischen Fragen im Blick auf die Sakramente: Worin lag
deren Wirksamkeit – in der Person des Spenders oder in der sakramentalen Gegen--
wart Christi? Letztlich wurde der Konflikt so zu einer Auseinandersetzung über das
Wesen der Kirche und der Sakramente selbst.
Mit der Eingabe an Konstantin hatte die Partei des Maiorinus eine Reihe von Ereig--
nissen in Gang gesetzt, die letztlich die Einheit der Kirche in Afrika zerstörten. Gegen
Miltiades’ Urteil legten Maiorinus und seine nun um viele numidische Bischöfe ver--
stärkte Partei Beschwerde ein. Konstantin berief 314 eine Synode nach Arles ein, auf
der sich die versammelten Bischöfe erneut zugunsten Caecilians aussprachen (vgl.
Maier nr. 20). Zur Bekräftigung der bischöflichen Urteilssprüche und als weiterer
Versuch zur Beendigung der Auseinandersetzung ließ Konstantin alle beteiligten
Parteien nach Mailand kommen. Doch die durch die Synode von Arles erneut gegen
die abweichenden Bischöfe gerichteten Entscheidungen waren weit davon entfernt,
II. Traditionen – . Donatistisches Schisma 101
Frieden zu stiften, und steigerten nur die Entschlossenheit derer, die die Weihe Cae--
cilians als ungültig verwarfen. Nachdem Maiorinus auf der Rückreise von Mailand
gestorben war, fand eine stattliche Schar von vor allem numidischen Bischöfen ihren
neuen Anführer in Bischof Donatus, der schließlich dem Schisma seinen Namen gab.
Hundert Jahre später pries der donatistische Grammatiker Cresconius Donatus als
uir memoriae uenerabilis (einen in der Erinnerung verehrungswürdigen Mann), der
die Heiligkeit der Kirche behauptet und die Kirche von Karthago ab errore perfidiae
(vom Irrtum des Unglaubes) gerettet habe (vgl. Cresc. 3,62).
Die Entwicklung des Schismas in den folgenden fünf bis sechs Jahren läßt sich
gut am veränderten Tonfall von Konstantins Anordnungen und Ratschlägen an die
afrikanische Verwaltung und die katholischen Bischöfe ablesen. Bis 316 blieb er bei
seiner kategorischen Ablehnung des Schismas und erwog sogar einen persönlichen
Besuch in Afrika (vgl. Maier nr. 26; 195 /31 f). Im Jahr 321 gab er aber einen Duldungs--
erlaß zugunsten der Donatisten heraus (nicht erhalten, vgl. jedoch Gesta Collationis
Carthaginensis anno 411, Capitula 3,548; CChr.SL 149 A, 50 und Maier nr. 30), und
nach weiteren zehn Jahren mahnte er im Jahr 330 den katholischen Bischof der Stadt
Cirta (heute Constantine) zur Geduld, als die donatistische Gemeinde nach wie vor
die Basilika besetzt hielt, die Konstantin selbst für die Katholiken finanziert hatte. 336
leitete Donatus eine Synode von 270 Bischöfen (vgl. ep. 93,43; Maier nr. 35). Bischof
Donatus wurde 343 auf der Synode von Serdica von den Bischöfen des Ostens als
afrikanischer Primas anerkannt, von den westlichen Bischöfen auf deren getrenn--
ter Synodalzusammenkunft aber ignoriert (vgl. ep. 44,6; Cresc. 3,38; 4,52). Um 345
hielt Donatus die Zeit für reif, erneut die Entschlossenheit des Staates auf die Probe
zu stellen, und erklärte sich selbst zum alleinigen Bischof von Karthago (vgl. Opta--
tus, Contra Parmenianum Donatistam 3,3). Diese Provokation bildete das Ende der
ersten Phase des Schismas.
Die zweite Phase begann damit, daß Kaiser Constans, Konstantins Sohn, die
Gesandten Paul und Macarius nach Afrika schickte, vorgeblich um Almosen für
die Bedürftigen aus der Staatskasse anzubieten. Unmittelbar drängte sich die Frage
auf: Für welche bedürftige Gemeinde welcher Kirche, bzw. wo ist die wahre Kirche?
Dem entschiedenen Nein der Donatisten zu jeglichem Kompromiß mit den kaiser--
lichen ›Friedensstiftern‹ folgte ein Ausbruch von Gewalt, der Ruf nach Truppen zur
Eindämmung weiteren Blutvergießens und das Anschwellen der Reihen donatisti--
scher Märtyrer wie des heiligen Bischofs Marculus, von dem es in den Märtyrerak--
ten heißt, er sei olim praeelectus et praedestinatus (einst vorher erwählt und vorher--
bestimmt gewesen) sowie habebat in sermone euangelium, in cogitatione martyrium
(er hatte das Evangelium auf den Lippen, in Gedanken das Martyrium; Passio Mar--
culi / Leidensbericht des Marculus; Maier Nr. 37; 282 /181 f). Donatus und eine Reihe
seiner Mitbischöfe flohen ins gallische Exil (vgl. Optatus, Contra Parmenianum
Donatistam 3,3). 348 wandte sich eine vom katholischen Bischof Gratus von Kar--
thago geleitete Einheitssynode mit einer Reihe von Verwerfungen gegen den Dona--
tismus (vgl. Concilium Carthaginense sub Grato / Konzil von Karthago unter [der Lei--
tung des] Gratus; CChr.SL 149, 2–10).
10 B. Person
Die dritte Phase der Kirchenspaltung wurde durch einen politischen Umschwung
eingeläutet, der nicht auf Afrika beschränkt war. Zu der auf Spaltung und Schwä--
chung der Kirche angelegten kirchenpolitischen Strategie von Kaiser Julian (361–
363) gehörte es, Bischöfe im Exil, deren Bischofsstuhl umkämpft war, zur Rückkehr
in Bischofsstädte im ganzen Reich zu ermutigen (vgl. c. litt. Pet. 2,224; vgl. Maier
nr. 39). Auf diese Weise profitierten sowohl Athanasius von Alexandria als auch der
Nachfolger des 355 gestorbenen Donatus, Parmenian, von Julians Politik. Die Rück--
kehr des donatistischen Klerus nach Afrika im Jahr 362 war von erneuten Gewalttä--
tigkeiten in den Gemeinden gekennzeichnet. Die radikal-asketischen Gruppen der
sogenannten Circumcellionen (der Name ist wohl von circum cellas / ›um Mönchszel--
len herum‹ abgeleitet: hoc genus hominum [...] cellas circumiens rusticanas / diese Sorte
Menschen geht [scil. wohl prozessionshaft] um auf dem Lande gelegene Mönchsklau--
sen [bzw. Märtyrergräber] herum; c. Gaud. 1,32) verbreiteten als Unterstützergrup--
pen der Donatisten Angst und Schrecken in den Gemeinden, als die donatistischen
Bischöfe Anspruch auf Kirchen und Gemeinden erhoben, indem sie Gebäude und
Altäre erneut weihten, sogar Gelübde von Asketen abnahmen und vor allem ganze
Gemeinden erneut der Taufe unterzogen. Die Gewalt der sechziger Jahre nahm all--
mählich ab, als die Donatisten ihren Stand unter der charismatischen Führung Par--
menians gefestigt hatten, der einer Anspielung bei Optatus zufolge vielleicht aus Spa--
nien oder Gallien stammte (vgl. Optatus, Contra Parmenianum Donatistam 2,7).
Bischof Parmenian war nicht ohne Herausforderer innerhalb wie außerhalb der
donatistischen Kirche. Der donatistische Bischof Rogatus von Cartenna in Maure--
tanien wandte sich gegen die von seinen Bischofskollegen zugelassene Gewalt und
führte eine Gruppe Abgespaltener innerhalb der donatistischen Kirche bis zu deren
gewaltsamer Zurückdrängung in den frühen siebziger Jahren. Innerhalb der Dona--
tisten kam es also erneut zu einem Schisma zwischen Rogatianern und Parmenia--
nern.
Theologisch noch bedeutender war die Herausforderung durch den gebildeten,
nicht dem geistlichen Stand angehörenden Donatisten Tyconius, der durch seinen
Liber regularum (Buch der Auslegungsregeln) hervortrat, eine ausgefeilte Abhand--
lung über die sieben Regeln, die für das Verständnis der heiligen Schrift zu berück--
sichtigen sind, durch die der Heilige Geist das Geheimnis der Beziehung der Kirche
als Leib zu Christus als dessen Haupt offenbare. Tyconius verwandte seine Fähigkei--
ten als Exeget und Theologe gegen das Herzstück des donatistischen Verständnisses
vom Wesen und der Mitgliedschaft der Kirche, die in aller Eindeutigkeit als sancta
et immaculata (heilig und unbefleckt; vgl. Eph 5,27) oder, mit Worten des Hohenlie--
des, als hortus conclusus (umschlossener Garten; vgl. Hld 4,12) und fons signatus (ver--
siegelte Quelle, vgl. Hld 4,12) vorgestellt wurde. Tyconius sprach hingegen von einer
zweigeteilten Kirche, die vom Geheimnis des Bösen durchsetzt sei, einer heimtük--
kisch verborgenen Wirklichkeit ›inmitten‹ der Kirche (vgl. 2. Thess 2,7–12; vgl. Tycon--
ius, Liber regularum 7; 74 /23–29). Diese für die auf der unbefleckten Reinheit der Kir--
che bestehenden Donatisten schockierende Lehrabweichung wurde von Parmenian
in scharfen Worten zurückgewiesen. Augustin sollte sich mit der exegetischen Vor--
II. Traditionen – . Donatistisches Schisma 10
gehensweise und den theologischen Implikationen der Schriften des Tyconius noch
jahrelang beschäftigen (vgl. doctr. chr. 3,42), bis er schließlich eine modifizierte Fas--
sung von Tyconius’ Ekklesiologie übernahm, die gerade auch sein eigenes Verständ--
nis der Kirche als eines corpus permixtum (eines durchmischten Körpers) von Got--
tesfürchtigen und Gottlosen prägte. Zentral hierfür war das Gleichnis vom bis zum
Endgericht nebeneinander wachsenden Unkraut und Weizen (Mt 13,24–30), was für
Augustin ein Hauptargument gegen die Donatisten wurde, die auf einer zwingen--
den Absonderung von der verunreinigten Gemeinschaft und ihres Traditoren-Kle--
rus beharrten. Dieser widersetzten sie sich im Namen der einen, heiligen Kirche,
die die donatistische Gemeinschaft sei: heilig in ihren gläubigen Geistlichen, fest im
Glauben unter der Verfolgung, treu ihrem cyprianischen Erbe.
Die wichtigste Herausforderung Parmenians durch die katholischen Bischöfe bot
Optatus von Mileve, der Mitte der sechziger Jahre eine literarische Auseinander--
setzung mit der donatistischen Ekklesiologie in Angriff nahm und dazu die ersten
sechs Bücher seines Werkes Contra Parmenianum Donatistam verfaßte, dessen sieb--
tes und letztes Buch er zwanzig Jahre später hinzufügte. Wahrscheinlich übergingen
die Donatisten seine Argumente einfach, aber seine Schriften waren Wasser auf die
Mühlen späterer Auseinandersetzungen, als die Katholiken und unter ihnen vor allem
Augustin im letzten Jahrzehnt des 4. und im ersten Jahrzehnt des 5. Jahrhunderts
zum Gegenangriff übergingen. Während Parmenian schnell und entschieden gegen
Tyconius vorgegangen war, fehlt jeder Hinweis auf irgendeine direkte oder indirekte
Reaktion Parmenians auf den Katholiken Optatus. Optatus selbst räumt zu Beginn
seines Werks ein, daß er eine seltene Gelegenheit zur Auseinandersetzung mit den
Donatisten beim Schopfe ergreife. Die buchstäbliche Trennung zwischen den beiden
Kirchen war für die Donatisten ein Grundprinzip, das mit aller Kraft umzusetzen
war, soweit gesellschaftliche, wirtschaftliche und sogar familiäre Verpflichtungen es
erlaubten. Mangels einer starken und einheitlichen Führung erschien die katholische
Kirche – oder macarianische Kirche, wie ihre Gegner sie als Verkörperung des Gei--
stes des staatlichen ›Friedensstifters‹ Macarius nannten – beinahe als Schatten ihrer
selbst, eine niedergeschlagene Nachahmung von Kirche, wie es später gegen Ende
des Jahrhunderts der donatistische Bischof Petilian von Cirta vor seinen Mitgeistli--
chen in einer rhetorisch kraftvollen Ansprache zum Ausdruck brachte. Im Jahr 377
war sogar der kaiserliche Staatsbeamte Flavian ein vom Eifer ergriffener Donatist.
Natürlich lehnten die Donatisten selbst die Bezeichnung ›Donatist‹ ab, da sie ja die
eine, wahre, christliche Kirche von Afrika zu sein beanspruchten. In der Tat gedach--
ten sie zwar ehrfurchtsvoll Donatus’ des Großen, sahen sich selbst aber einfach als
Christen und Mitglieder der ecclesia catholica (der katholischen, allumfassenden Kir--
che) und legten damit ein schlichtes Sich-Rühmen in Christus und eine aufrichtige
Entschlossenheit an den Tag, sich des Evangeliums und Jesu, ihres zu Tode gemar--
terten Herrn, würdig zu erweisen. Die sieben Kirchen von Asien, Ephesus, Smyrna,
Pergamon, Thyatira, Sardis, Philadelphia und Laodicea aus Apk 2 f werden regelmä--
ßig als Schriftbeleg für die Gemeinschaft der Kirchen angeführt. Die Kirche sei ›sie--
benfaltig‹ in ihrer mystischen Einheit mit Christus, und wer immer ohne die sieben
10 B. Person
Kirchen sei, sei der wahren Kirche fremd. Donatisten wie Katholiken beriefen sich
auf das Erbe Cyprians und betonten dabei, wie wichtig diesem die Einheit als Merk--
mal der wahren Kirche war: Nolite ergo nobis auctoritatem obicere Cypriani ad bap--
tismi repetitionem, sed tenete nobiscum exemplum Cypriani ad unitatis conseruatio--
nem (Werft uns also nicht Cyprians Autorität zugunsten der Wiederholung der Taufe
vor, sondern haltet mit uns an Cyprians Vorbild im Bewahren der Einheit fest; bapt.
2,12). Trotz der Synoden zur kirchlichen Einheit, trotz wiederholter kaiserlicher Ein--
mischung, trotz der Zugänglichkeit staatlicher Archive seit Beginn des Jahrhunderts
waren es vor allem die an den innersten Kern kirchlichen Lebens rührenden Fragen,
die im 4. Jahrhundert und darüber hinaus beständig das Feuer des Streits der gespal--
tenen afrikanischen Christenheit nährten. Zugrunde lag die Frage, der sich Augu--
stin als Priester gleich zu Beginn stellen mußte: die Frage nach dem Verhältnis von
Ekklesiologie und sakramentalem Leben der Gemeinde.
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(Übersetzt von Frithjof Rittberger) Pamela Bright
dazu veranlaßt, ihren Dienst aufzugeben und nunmehr ein asketisches Leben zu
führen (vgl. conf. 8,14 f).
Dieser Abschnitt, den der zur Abfassungszeit der conf. selbst asketisch lebende
Bischof Augustin über zehn Jahre nach dem Geschehen verfaßte, sagt viel über die
Askese im Westen des Reiches im 4. Jahrhundert aus. Mit conuersio (vgl. conf. 9,6)
wird dabei nicht mehr nur die Bekehrung zum Christentum an sich bezeichnet,
sondern zugleich der Entschluß zu einer asketischen Lebensform, die an aristokra--
tisch-philosophische Modelle des secessus in uillam (Rückzugs von den städtischen
Verpflichtungen auf das eigene Landgut) anknüpfen konnte (vgl. Fontaine). Fast
ebenso großes Aufsehen wie Marius Victorinus erregte am Ende des Jahrhunderts
die Bekehrung des Paulinus von Nola, der aus seinem ländlichen Anwesen ein religi--
öses Zentrum zur Verehrung des heiligen Felix machte (vgl. Trout). Dort widmete
er sich der Schriftstellerei und pflegte intensiven Kontakt mit einem weiten Kreis
von Klienten und Freunden, so daß er auf diese Weise zu einem eifrigen Förderer
und Multiplikator des asketischen Ideals wurde (vgl. Mratschek).
Bereits im 2. und 3. Jahrhundert hatten christliche Frauen und Männer im Umkreis
der spätantiken Großstädte des Westens ein asketisches Leben geführt, das sie als
ihrem Glauben angemessen ansahen. Einzeln, in kleineren Gruppen oder auch inner--
halb der Familie bemühten sie sich darum, dem Ideal der christlichen Vollkommen--
heit mit ihrer Lebensführung näher zu kommen (vgl. Lorenz, Anfänge 3–26). In den
größeren Gemeinden gab es bisweilen einen eigenen Stand von Enthaltsamen und uir--
gines (Jungfrauen), die dem Bischof als ihrem Lehrer und Ratgeber unterstanden (vgl.
z. B. Cyprians Schrift De habitu uirginum / Über das Verhalten der Jungfrauen).
Seit der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts wurde die asketische Bewegung zuneh--
mend von östlichen Vorbildern geprägt, die aber durchaus eigenständig rezipiert
wurden (vgl. Lizzi). Als bestimmend erwiesen sich die Aufenthalte des alexandrini--
schen Bischofs Athanasius, der während seines zweiten Exils (339–346) Gallien und
das nördliche Italien, insbesondere Rom, Aquileia und Mailand bereiste (vgl. Rous--
seau 81). Athanasius, der von vielen im Westen als Garant der nizänischen Recht--
gläubigkeit angesehen wurde, trat für eine enge Verknüpfung zwischen dem Kampf
gegen die Personen, die er als Arianer beschimpfte (das waren ganz verschiedene
Gruppen, etwa Eunomianer, Homöer, Homöusianer), und der Askese ein, die er bei--
spielhaft mit seiner Vita Antonii sowie in den vermutlich authentischen Schreiben an
die Jungfrauen darstellte (vgl. Brakke). Eine nicht geringe Wirksamkeit entfaltete
auch der gallische Bischof Hilarius von Poitiers, den seine Erfahrungen im östlichen
Exil zu einem der führenden Theologen und Kirchenpolitiker des Westens werden
ließen (vgl. Brennecke, Hilarius). Nach seiner Rückkehr im Jahre 360 richtete sich
Hilarius nicht nur gemeinsam mit seinem Freund und Weggefährten Eusebius von
Vercelli gegen den von Constantius II. protegierten homöischen Bischof Auxentius
von Mailand und verfaßte dazu die Schrift Contra Auxentium (Gegen Auxentius;
vgl. Williams, Campaigns), sondern förderte ebenso wie Eusebius das Ideal eines
asketisch lebenden Klerus (vgl. Ambrosius, Epistula extra collectionem / Brief außer--
halb der Briefsammlung 14,66 [= alte Zählung: 63,66]). Als Nachfolger des Auxen--
10 B. Person
tius wandte sich auch der 374 gewählte Ambrosius von Mailand schon bald gegen
die Homöer, gründete als einflußreicher Asket klösterliche Gemeinschaften und
verteidigte das Ideal der Virginität, indem er auf Cyprians Schrift De habitu uirgi--
num und die Schriften des Athanasius zurückgriff (vgl. Duval, L’originalité). Noch
etwas früher, etwa zwischen 368 und 370, grenzte sich zudem Bischof Valerian von
Aquileia gegen die Homöer ab (vgl. Hieronymus, Epistula / Brief 7,6) und sammelte
einen Kreis von asketisch Gesinnten um sich, zu dem neben dem Priester Chroma--
tius insbesondere Rufin zählte, der unter anderem die asketischen Schriften des Basi--
lius von Cäsarea dem Westen vermittelte (vgl. Dunn 69–71).
Aquileia zog auch Rufins Freund Hieronymus an, der zu dem bekanntesten
Schriftsteller der asketisch-monastischen Bewegung im Westen werden sollte. Wie
kaum ein anderer nutzte dieser seinen eigenen Lebensweg und seine literarische Pro--
paganda zur Verbreitung des asketischen Ideals (vgl. Fürst, Hieronymus), insbeson--
dere durch seine Briefe, die zwar an Einzelpersonen adressiert, aber zur Veröffentli--
chung und Verbreitung bestimmt waren (vgl. Conring). In Trier hatte Hieronymus
seine Bekehrung erlebt (die Vermutung, daß er einer der beiden in conf. 8,15 genann--
ten Hofbeamten war, die sich dort unter dem Eindruck der Vita Antonii dem aske--
tischen Leben verschrieben, läßt sich weder erhärten noch entkräften), um 373 / 374
verließ Hieronymus Aquileia mit dem Ziel, sich in die Einsamkeit zurückzuziehen.
Er nahm zunächst einmal Unterkunft bei seinem Freund und Mentor Evagrius von
Antiochia, der die Vita Antonii ins Lateinische übersetzt hatte, und ließ sich erst
mehr als ein Jahr später in der Wüste von Chalkis südöstlich von Antiochia nieder
(vgl. Kelly 46–56). Vermutlich in dieser Zeit verfaßte Hieronymus die Vita Pauli
(Lebensbeschreibung des Paulus), die bekannteste seiner drei Mönchsviten (neben
der Vita Hilarionis / Lebensbeschreibung des Hilarion und der Vita Malchi / Lebens--
beschreibung des Malchus). In deutlicher Konkurrenz zu Athanasius’ Vita Antonii
schildert Hieronymus seinen Helden Paulus als den älteren und gegenüber Anto--
nius auch vollkommeneren Begründer dieser Lebensweise. Schon nach ungefähr
zwei Jahren kehrte Hieronymus wieder nach Antiochia zurück und schloß sich in
den kirchenpolitischen Wirren um die Interpretation des Nizänums dem antioche--
nischen Altnizäner Paulinus an, der ihn zum Kleriker weihte. Mit ihm ging er nach
Konstantinopel, doch konnte sich auf dem Konzil von 381 die altnizänische Richtung
nicht durchsetzen. So kam Hieronymus im Jahre 382 nach Rom. Hier wurde er zu
einem Parteigänger des Bischofs von Rom, Damasus, und zum spirituellen Ratgeber
und Lehrer einer Gruppe von begüterten Aristokraten und Aristokratinnen, die sich,
beeinflußt durch Athanasius’ Aufenthalt im Westen (vgl. Hieronymus, Epistula 127,5),
der asketischen Bewegung angeschlossen hatten. Zu ihnen gehörten auch die reiche
und gebildete Marcella, die Hieronymus in der wissenschaftlichen Beschäftigung
mit der Bibel unterwies (vgl. Letsch-Brunner), und die Witwe Paula gemeinsam
mit ihren beiden Töchtern Blesilla und Eustochium. Letzterer widmete Hieronymus
Epistula 22, ein programmatisches Schreiben, in dem er mit Bezug auf Ambrosius’
Virginitätsschrift seine Vorstellungen über die Askese darlegte. Derselben Familie
entstammte auch Melania die Ältere, die mit Paulinus von Nola verwandt war (vgl.
II. Traditionen – . Askese 10
Paulinus, Epistula 28,5) und gemeinsam mit dem bereits erwähnten Rufin im Jahre
381 ein Kloster auf dem Ölberg gegründet hatte.
Anderen erschien diese sich zunehmend ausbreitende asketische Bewegung hin--
gegen als verdächtige Neuerung. So kritisierte ein gewisser Helvidius die Behaup--
tung einer ewigen Jungfräulichkeit Mariens, die bereits Ambrosius zur Befürwor--
tung der Virginität ins Feld geführt hatte (vgl. Hunter, Helvidius). Der Mönch Jovi--
nian, der in Rom und nach seiner Verurteilung durch Bischof Siricius von Rom (vgl.
Siricius, Epistula ad diuersos episcopos / Brief an verschiedene Bischöfe) in Mailand
wirkte, bis auch Ambrosius gegen ihn vorging (vgl. Ambrosius, Epistula extra collec--
tionem 15,14 [= alte Zählung: 42,14]), vermutete bei einigen prominenten Vertretern
des asketischen Ideals nichts anderes als eine neue Variante der von Kaiser Theodo--
sius so intensiv bekämpften manichäischen Häresie (vgl. Hunter, Resistance; Lieu
145–147). Im Unterschied zur manichäischen Hochschätzung der asketischen Lebens--
führung betonte Jovinian die Grundlegung des Christseins durch die eine Taufe, die
nicht dazu geeignet sei, zwei unterschiedliche Klassen von Christen hervorzubrin--
gen, so daß folglich Asketen und Nichtasketen gleichberechtigt nebeneinander ste--
hen müßten. Hieronymus’ Entgegnung Aduersus Iouinianum (Gegen Jovinian), die
die Überordnung der Virginität über die Ehe erweisen sollte, wurde deshalb auch
von vielen als ein manichäischer Angriff auf die Ehe verstanden (vgl. Hieronymus,
Epistula 49,2). Selbst ein eifriger Asket wie der römische Aristokrat Pammachius,
Schwiegersohn der oben genannten Paula, war von dieser Schrift so irritiert, daß er
nach Kräften versuchte, ihre Verbreitung zu verhindern (vgl. Hieronymus, Epistula
48,2). Hieronymus’ Freund Domnio bat ihn um Erklärungen zu den schwierigsten
Abschnitten dieser Schrift, die dieser mit Epistula 50 vorlegte.
Dabei berichtete er auch von einem jungen Mönch und einflußreichen Leh--
rer asketischer Kreise in Rom, der weder mit den Ansichten des Jovinian noch mit
denen des Hieronymus übereinstimmte (vgl. Hieronymus, Epistula 50,2). Mit dieser
Beschreibung könnte Pelagius gemeint sein, der aus Britannien nach Rom gekom--
men war und sich dort sehr erfolgreich als spiritueller Lehrer betätigte. Pelagius ver--
teidigte die asketische Lebensweise, doch ging es ihm nicht um die Absonderung
einer asketischen Elite vom Rest der Gemeinde, sondern um die Verpflichtung aller
Christen auf das Ideal der Sündlosigkeit nach der Taufe, getragen von dem Optimis--
mus, daß ein solches Leben bei entsprechend gutem Willen auch gelingen könne. In
Rom konnte Pelagius, unterstützt von der asketisch orientierten römischen Aristo--
kratie und vor allem getragen von einflußreichen Gönnern aus dem Rufinkreis (vgl.
Brown, Patrons), gänzlich unangefochten lehren. Ganz anders erging es Hieronymus.
Nach dem Tod seines Patrons Damasus im Jahre 384 stellte sich heraus, daß seine
Förderer nicht über den gleichen Einfluß verfügten, so daß Hieronymus Rom nach
dem plötzlichen Tod der Blesilla verlassen mußte (vgl. Rebenich, Kreis 141–192). Er
wandte sich 386 gemeinsam mit Paula und Eustochium wiederum über Antiochia
nach Bethlehem und gründete dort ein Kloster, was ihn jedoch nicht daran hinderte,
sich auch weiterhin in der Kirchenpolitik des Westens zu engagieren.
Mit gewohnter Heftigkeit ging er in seiner Schrift Contra Vigilantium (Gegen Vigi--
10 B. Person
lantius) gegen den südgallischen Presbyter Vigilantius von Calagurris vor, dem er
ebenso wie schon dem Jovinian Unsittlichkeit und Völlerei vorwarf. Als ehemaliger
Klient des Paulinus von Nola kannte Vigilantius das Ideal des asketischen Bischofs
aus eigener Anschauung, verteidigte jetzt jedoch die Tradition, wonach ein Bischof
verheiratet sein sollte. Diese Vorstellung war nicht nur bei den Bischöfen im Süden
Galliens weit verbreitet, sondern wohl auch insgesamt vorherrschend (vgl. Hunter,
Vigilantius). Der eher an östlichen (vgl. Grote 74 f) als an oberitalischen Vorbildern
(vgl. Prinz 93 f) orientierte, asketisch lebende Mönchsbischof Martin von Tours (vgl.
Brunert 145–176), ein Schützling des Hilarius von Poitiers (vgl. Sulpicius Severus,
Vita Martini / Lebensbeschreibung des Martin [von Tours] 5,1–3), wirkte hier eher
wie ein Fremdkörper. Für Traditionalisten wie Vigilantius von Calagurris dürfte die--
ser asketisch lebende Bischof außerdem kaum von dem im Jahre 385 unter dem Ver--
dacht des Manichäismus in Trier hingerichteten Spanier Priscillian von Avila (vgl.
Chadwick, Priscillian 143 f) zu unterscheiden gewesen sein. Somit erscheint wenig
erstaunlich, daß das neuartige Modell eines asketisch lebenden Klerus auf erhebli--
chen Widerstand stieß. Diese Spannungen gewinnen in den von Sulpicius Severus
geschilderten Konflikten zwischen Martin und seinem Konkurrenten und Nachfol--
ger Brictius literarische Gestalt (vgl. Sulpicius Severus, Dialogi / Gespräche II [III],15).
Ein asketischer Bischof wie Martins Gefährte Victricius von Rouen (vgl. Sulpicius
Severus, Dialogi II [III],2,4), der sowohl mit Paulinus von Nola (vgl. Paulinus, Epi--
stula 18) als auch mit Ambrosius von Mailand, von dem er Reliquien erhalten hatte
(vgl. Victricius, De laude sanctorum / Über das Lob der Heiligen 2), eng verbunden
war, dürfte wohl noch die Ausnahme gewesen sein. Nicht zuletzt gegen Kleriker
wie Vigilantius verfaßte Sulpicius Severus, der sich nach seiner conuersio auf sei--
nen Besitz in Primuliacum zurückgezogen hatte, seine Martinsschriften (vgl. Stan--
cliffe 297–311) und berichtete mit einiger Genugtuung, daß Paulinus sein Werk in
Rom und Illyrien zu einem Bestseller gemacht habe (vgl. Sulpicius Severus, Dialogi
I,23,4) und daß inzwischen nicht wenige Aristokraten der martinischen Auffassung
vom Bischofsamt gefolgt seien (vgl. Sulpicius Severus, Vita Martini 10,8 f).
Bedenkt man, wie um 386, als Augustin sich zum asketischen Leben ›bekehrte‹,
das Ideal des asketischen Lebens im Westen verbreitet war, so wird man sich klar
machen müssen, daß die asketische Bewegung im Westen (besonders im Klerus und
unter den Bischöfen) Sache einer umstrittenen Minderheit war, der die Zeitgenos--
sen mit Skepsis, wenn nicht gar Abneigung und Widerstand begegneten, weil sich
diese über Traditionen hinwegsetzte und den häretischen Manichäern, die gleich--
falls enthaltsam lebten, zu ähnlich erschien (vgl. Lieu 185 f). So klagte etwa Hierony--
mus, daß etliche Einwohner Roms, wenn sie eine düster dreinblickende und blasse
Frau erblickten, argwöhnten, es müsse sich um eine Trauernde, eine Asketin oder
eine Manichäerin handeln (vgl. Hieronymus, Epistula 22,13,3). So erklärt sich, daß
der ehemalige Manichäer Augustin schon kurz nach seiner conuersio die dringende
Notwendigkeit sah, mit seiner Schrift mor. (vgl. Coyle) den Unterschied zwischen
manichäischer Askese und der Enthaltsamkeit in der katholischen Kirche hervorzu--
heben. Als Bischof, der selbst asketisch lebte und auch in seinem Bischofshaus ein
II. Traditionen – . Bibeltext 10
Klerikerkloster etabliert hatte (B. III. 13.), verteidigte er später in uirg. gegenüber
Vigilantius und Jovinian das asketische Ideal, ohne deswegen wie Hieronymus die
Ehe herabzusetzen. Diesem Thema widmete er vielmehr mit b. coniug. eine eigene
Abhandlung, die gegen Jovinian (vgl. retr. 2,22,1) sehr geschickt am bonum (Gut) der
Ehe festhielt, aber dennoch mit allem Nachdruck die sanctitas (Heiligkeit) der Jung--
fräulichkeit herausstellte.
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Rufin au tournant du siècle (391–405), Paris 1996; tome IV. Sulpice Sévère et Paulin de Nole
(393–409). Jérôme, homéliste et traducteur des »Pachomiana«, Paris 1997.
Katharina Greschat
.1. Die Entstehung und Entwicklung der lateinischen Bibel bis
Die christlichen Autoren des späten 4. Jahrhunderts konnten auf eine rund zweihun--
dertjährige Geschichte des lateinischen Bibeltextes zurückblicken. Dieser lag ihnen
nicht in einheitlicher Gestalt vor, sondern in einer Vielfalt von Versionen. Diese unter--
110 B. Person
Kritik an der sprachlichen Qualität und der übersetzerischen Ungenauigkeit der latei--
nischen Bibeltexte begleitete diese von Anfang an, wie das oben genannte Beispiel
Tertullians zeigt und wie es vor allem aus der Tatsache zu entnehmen ist, daß die
Texte einem ständigen Korrektur- und Bearbeitungsprozeß ausgesetzt waren. Kritik
an der dadurch entstandenen Vielzahl ist jedoch erst im 4. Jahrhundert laut gewor--
den; und es war wohl Hieronymus, der als erster im Jahr 383 daran Anstoß nahm. Im
Vorwort zur Vulgata der Evangelien klagt er: Tot sunt [scil. exemplaria] paene quot
codices (Es gibt beinahe ebenso viele [scil. Textformen] wie Codices [Handschrif--
II. Traditionen – . Bibeltext 111
ten in Buchform]); jedoch gäben selbst seine Feinde zu, uerum non esse quod uariat
(was vielfältig ist, sei nicht wahr; Hieronymus, Praefatio in Euangelio / Vorwort zum
Evangelium). Die Suche nach dem wahren Text im Dickicht der Versionen war das
auslösende Moment für ihn, eine Rezension der Evangelien vorzunehmen, und zwar
codicum graecorum emendata collatione, sed ueterum (durch Vergleich mit griechi--
schen, und zwar alten, Handschriften verbessert; Hieronymus, Praefatio in Euange--
lio). Entgegen der bisher vorherrschenden Meinung, der römische Bischof Damasus
habe Hieronymus mit dieser Arbeit beauftragt, ist die Initiative wohl eher von letz--
terem ausgegangen (vgl. Rebenich, Kreis 149 f), der durch die Begegnung mit dem
Werk des Origenes, besonders der Hexapla (wörtlich: ›Sechsfach‹), auf die mit dem
Bibeltext verbundenen Probleme aufmerksam geworden war. In der Hexapla hatte
Origenes den hebräischen Text, eine griechische Umschrift des hebräischen Klang--
bildes, eine eigene, auch ›hexaplarische Rezension‹ genannte Form der Septuaginta
sowie drei weitere Übersetzungen (Aquila, Symmachus, Theodotion) in Kolumnen
gegenübergestellt und so bewußtgemacht, daß erstens die Septuaginta und die hebrä--
ische Vorlage häufig voneinander abwichen, zum anderen, daß, wie im Lateinischen,
auch mehrere griechische Übersetzungen nebeneinander existierten. Diese Erkennt--
nisse mußten Hieronymus zu einer kritischen Sicht auch der vorhandenen lateini--
schen Übersetzungen führen. Als Augustin sich nach seiner Weihe zum Presbyter
391 die für dieses Amt notwendige genauere Bibelkenntnis aneignet, stößt er offen--
bar auch auf die Arbeiten des Hieronymus am Bibeltext. In seinem bald nach der
Bischofsweihe begonnenen Lehrbuch zum Umgang mit der heiligen Schrift, doctr.
chr., kritisiert er seinerseits die Vielfalt lateinischer Bibeltexte und zugleich deren
Qualität: Qui enim scripturas ex hebraea in graecam uerterunt, numerari possunt,
latini autem interpretes nullo modo. Vt enim cuique primis fidei temporibus in manus
uenit codex graecus et aliquantum facultatis sibi utriusque linguae habere uidebatur,
ausus est interpretari (Die, die Schriften aus dem Hebräischen ins Griechische über--
setzt haben, können nämlich gezählt werden, die lateinischen Übersetzer aber keines--
wegs. Jeder beliebige, dem in den ersten Zeiten des Glaubens ein griechischer Codex
in die Hände fiel und der sich einbildete, beide Sprachen einigermaßen zu beherr--
schen, wagte sich an die Übersetzung; doctr. chr. 2,16). Ebenso schreibt er Hierony--
mus, daß die latina ueritas in diuersis codicibus ita uaria est, ut tolerari uix possit, et
ita suspecta, ne in graeco aliud inueniatur, ut inde aliquid proferre aut probare dubi--
temus (die lateinische Version in den einzelnen Codices so verschieden ist, daß man
es kaum ertragen kann, und so sehr den Verdacht erregt, daß man im Griechischen
etwas anderes findet, daß wir zögern, daraus zu zitieren oder etwas als Beweis anzu--
führen; ep. 71,6). Die Urteile über die Vielzahl der Versionen enthalten sicher eine
rhetorische Übertreibung; von so vielen Versionen wie Codices kann man wohl nur
sprechen, wenn man die Schreiberversehen in den einzelnen Codices mitberücksich--
tigt. Aus dem erhaltenen Material zur Vetus Latina lassen sich zwei Hauptstränge
erschließen, der oben erwähnte afrikanische und der europäische, wobei ersterer
zwei Stufen aufweist und der europäische sich in maximal fünf bis sechs Texttypen
verzweigt. Allerdings besitzen diese Texttypen eine gewisse Bandbreite durch punk--
11 B. Person
tuell auftretende Varianten, so daß Anlaß genug war, die Frage nach dem ›wahren‹
Bibeltext wach werden zu lassen.
Spuren bzw. Prologe zu den Sprüchen, dem Prediger und den Chronikbüchern. Die
Intention dieser Rezension war, nach dem Vorbild des Origenes, den Text der Sep--
tuaginta, aber nun in lateinischer Gestalt, wiederherzustellen und dabei, wie jener
in der Spalte des Septuagintatextes, gegenüber dem hebräischen Text überschüssige
oder fehlende Passagen zu markieren. Bei der Übersetzung legte Hieronymus Wert
auf größtmögliche Genauigkeit und Einhaltung der Wortfolge – eine Methode, die
dem klassischen sensus ad sensum (›gemäß dem Sinn‹ [scil. der Quellensprache])
widersprach, jedoch vom Sonderfall der heiligen Schrift gefordert wurde (vgl. Hie--
ronymus, Epistula 57,5). Dieser Rezension sind eventuell auch die Prophetentexte
zuzurechnen, die er als iuxta Septuaginta (nach der Septuaginta) in seinen Kommen--
taren zu sämtlichen Propheten anführt. Augustin gegenüber, der ihn um die voll--
ständige Bearbeitung des Alten Testaments bat, behauptete er, ein Großteil sei ihm
durch Betrug abhanden gekommen (vgl. Hieronymus, Epistula 134,2). Es ist jedoch
auch möglich, daß er diese Arbeit aufgab bzw. nur noch zu seinem eigenen Gebrauch
ad hoc fortführte, da er inzwischen die Bedeutung der hebraica ueritas (des hebrä--
ischen Originals; so zuerst im Commentarius in Ecclesiasten / Kommentar zum Pre--
diger 8,13) erkannt hatte. Der Rückgriff auf den Urtext – für die heutige Forschung
selbstverständlich – war für die Zeitgenossen des Hieronymus eine unerhörte Neue--
rung. Neben Origenes, den er als Vorbild häufig erwähnt, war es auch die Kenntnis
jüdischer Sprachphilosophie und der darauf beruhenden Behandlung der heiligen
Schriften, die Hieronymus vom Gewicht des hebräischen Textes für das tiefere Ver--
ständnis der Bibel überzeugten. Wir wissen nicht viel über seine hebräischen Leh--
rer und Kollegen, jedoch ist zu vermuten, daß er über sie mit der Schule des Aqiba
bekannt wurde, die die Wichtigkeit jedes einzelnen Elements der Sprache und der
etymologischen Bedeutung des Einzelwortes betonte. Eine besondere Rolle nehmen
dabei die Eigennamen ein. So ist es kein Wunder, daß Hieronymus seine Arbeit am
hebräischen Bibeltext mit der Übersetzung und Bearbeitung von griechischen Ono--
mastika zu biblischen Eigennamen beginnt (Liber interpretationis hebraicorum nomi--
num / Übersetzungshandbuch der hebräischen Namen; De situ et nominibus locorum
hebraicorum / Über die Lage und die Namen der Orte im Hebräischen), nachdem er
im Commentarius in Ecclesiasten sowohl für die Übersetzung als auch für die Ausle--
gung bereits den hebräischen Text verwertet hatte. Wenn der Briefwechsel mit Dama--
sus nicht nur eine spätere Fiktion ist (vgl. Nautin), reicht die Beschäftigung mit der
Bedeutung hebräischer Wörter bis in die römische Zeit hinab. Vom Jahr 390 an über--
setzt der Mönch von Bethlehem das gesamte Alte Testament außer den deuterokano--
nischen Büchern und läßt die neue Version über seinen Freundeskreis verbreiten. Sie
erfährt aus unterschiedlichen Gründen heftige Ablehnung, besonders durch Rufin
und Augustin (B.III.14.). Obwohl Hieronymus betont, er habe, dem Beispiel des
Origenes folgend, die neue Version als wissenschaftliches Instrument und nicht als
Normtext für den gottesdienstlichen Gebrauch geschaffen und wolle den gewohn--
ten Septuagintatext nicht verdrängen (er betont das in fast allen Prologen zu den
biblischen Büchern), befürchten seine Gegner Unfrieden in den Gemeinden und
den Angriff auf die Autorität der Septuaginta. Der Vorfall in Oea, den Augustin als
11 B. Person
warnendes Beispiel anführt (vgl. ep. 71,5), zeigt, daß die Bedenken nicht grundlos
waren und die neue Übersetzung als Grundlage für den Gottesdienst mißverstan--
den werden konnte. In den Werken des Hieronymus selbst bestätigen sich jedoch
seine eigenen Aussagen: Die hebraica ueritas benutzt er, abgesehen von ganz wenigen
Ausnahmen, nur in den wissenschaftlichen Arbeiten, und zwar neben und als Ergän--
zung der Septuaginta. Trotzdem hat er die Vielfalt der lateinischen Bibeltexte an der
Wende zum 5. Jahrhundert noch vermehrt, und die neue Version wurde allmählich
zum allgemein benutzten Text, der später als Vulgata bezeichneten Version.
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Druck besorgt von Walter Matzkow und Kurt Aland, Berlin 1970; volumen III. Lucas-Evan--
gelium, durchgesehen und zum Druck besorgt von Walter Matzkow und Kurt Aland, Ber--
lin 1954, 2., verbesserte Auflage durchgesehen und zum Druck besorgt von Walter Matzkow
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Eva Schulz-Flügel
II. Traditionen – 10. Paulusexegese 115
Über die Biographie und den kulturellen Hintergrund des Victorinus sind wir durch
mehrere Quellen unterrichtet (vgl. z. B. conf. 8,2–5; Hieronymus, De uiris illustri--
bus / Über berühmte Männer 101). Seine genauen Lebensdaten sind nicht bekannt,
doch ist er 386 schon vor längerer Zeit gestorben (vgl. conf. 8,3). Da er bereits in
den fünfziger Jahren (ca. 356?) Christ geworden ist und dabei schon als senex (alter
Mann) galt (vgl. conf. 8,3), dürfte er um 300 geboren sein. Sicher sind eine noble
Herkunft, eine entsprechende Bildung und die Karriere als rhetor urbis (Rhetorik--
lehrer in Rom), seine Vertrautheit mit neuplatonischer Philosophie und sein hohes
Ansehen in der paganen Gesellschaft Roms, die ihm 354 eine Statue auf dem Tra--
jansforum widmete (vgl. conf. 8,3). Einige seiner rhetorischen und philosophischen
Werke, die er vor seiner Taufe schrieb, sind bekannt und zum Teil erhalten (insbe--
sondere ein Grammatiklehrbuch und ein Kommentar zu Cicero, De inuentione / Über
die Stoffindung). Die Arbeiten, die Victorinus als Christ veröffentlichte, setzen ein
mit der Bekämpfung einer als arianisch gebrandmarkten Theologie (wobei hierbei
anhomöische Theologen, Arius selbst und Theologen der Gegenwart, die wohl als
Homöer einzuordnen sind, im Blick sind; B.III.11.); folgerichtig steht im Zentrum
die Trinität: die drei Personen des dreieinigen Gottes, die Wesenseinheit des Soh--
nes mit dem Vater und das Verhältnis der drei Personen zueinander (vgl. Ad Candi--
dum /An Candidus, Aduersus Arium / Gegen Arius, De homoousio recipiendo / Über
das Akzeptieren des ›wesenseins‹). Damit ist auch das Generalthema des Victorinus
genannt, der in Fortführung seiner neuplatonisch geprägten Denkweise die christ--
liche Lehre von Gott philosophisch erfassen will. Die mit den Begriffen ὀντότης,
ζωότης, νόησις (lateinisch essentia bzw. essentitas / Sein bzw. Seinshaftigkeit, uita
bzw. uitalitas / Leben bzw. Lebendigkeit, intellegentia bzw. intellegendi uis / Erkennt--
nis bzw. Erkenntnisvermögen; vgl. Aduersus Arium 4,6) bezeichneten drei Hyposta--
sen stehen im Zentrum seines Interesses. Diese Hypostasen gehen aus einer οὐσία
bzw. substantia (einem Wesen) hervor. Dabei beschreibt Victorinus das Verhältnis
des Vaters zum Sohn als Potentialität, die realisiert wird; dies führt zugleich zur wei--
teren Differenzierung zwischen Sohn und Geist. Durch die Auseinandersetzung mit
arianischen Ideen werden diese trinitätstheologischen Fragen für Victorinus zuneh--
mend bedeutsamer.
Unter dieser Voraussetzung muß auch der Pauluskommentar (entstanden nach
363?) gesehen werden. Die oft bemerkten und kritisierten philosophischen Exkurse
(vgl. Hieronymus, De uiris illustribus 101), die in die Erklärung des paulinischen Tex--
tes eingestreut sind und manchmal scheinbar weit von diesem wegführen (die wich--
tigsten Stellen gesammelt bei Lohse, Beobachtungen 357–360), greifen jede Gelegen--
heit auf, in Anknüpfung an den Wortlaut der paulinischen Briefe die Themen Tri--
nität und antiarianische Theologie zur Geltung zu bringen. Wenn auch diese »nicht
als einzige Veranlassung für die Abfassung der Paulus-Exegese« (Lohse, Beobach--
tungen 365) angesehen werden können, so ist doch anzunehmen, daß es die Fragen
nach der Erkenntnis Gottes und nach Christus als wahrem Gott und Mensch waren,
II. Traditionen – 10. Paulusexegese 11
die Victorinus zu Paulus führten: Von Paulus als Lehrer der Christenheit und Missio--
nar der Heiden erwartete er endgültige Antworten. Daß ein philosophisch geprägter
Geist diese Antworten eher in den teilweise spekulativen Aussagen des Heidenapo--
stels als in den anderen Teilen des Neuen Testaments suchte, ist nicht zu verwun--
dern: Nicht den Wundertäter und ethischen Lehrer der Evangelien hoffte Victori--
nus zu finden, sondern Christus den Logos und ein rein geistiges Gottesbild. Aus
dem Christusbild, das sich für ihn aus den paulinischen Texten erschloß, ergab sich
auch die soteriologische Relevanz Christi, die Befreiung aus jüdischer Gesetzlich--
keit und die befreiende Wirkung des Glaubens. Die Bevorzugung der Vokabel libe--
rare (befreien, für das griechische σῴζειν / retten) betont diesen Aspekt. Die Bedeu--
tung der fides sola (des Glaubens allein; vgl. Commentarius in epistulam ad Ephe--
sios / Kommentar zum Epheserbrief 2,14 / 18; 6,13 / 7; Commentarius in epistulam ad
Galatas / Kommentar zum Galaterbrief 2,15 / 19; 3,21 / 22 u. ö.) erkannt zu haben, stellt
die eigentliche Wiederentdeckung des Paulus dar. Mit ihr verbindet sich auch der
Antijudaismus, den die Forschung Victorinus im allgemeinen zuschreibt, den man
jedoch eher als Antilegalismus bezeichnen sollte. Polemik gegen Juden findet sich
bei ihm nämlich nicht. In antiker Kommentartechnik bewandert, hält sich Victori--
nus für den größten Teil seiner Abhandlungen an die Erörterungen der historia (der
Geschichte), d. h. hier an den Wortsinn des Textes im Gegensatz zum übertragenen
Sinn, und dies mit allen philologischen Mitteln, die dem Hochgebildeten zur Ver--
fügung standen. Römischer Nüchternheit verpflichtet, sieht er offenbar keine Not--
wendigkeit für eine hinter dem Wortsinn gesuchte allegorische Bedeutung. Vor--
bild ist ihm nicht Origenes, sondern – insbesondere für das trinitarische Problem
– Plotin und Porphyrius. Die Verbindung paulinischer Theologie mit neuplatoni--
schen Ideen hat offenbar dazu beigetragen, daß die Pauluskommentare des Victo--
rinus keinen weitreichenden Einfluß ausgeübt haben. Ob und inwieweit Augustin
dem Werk des Victorinus und besonders seiner Wiederentdeckung des Glaubens--
begriffes verpflichtet ist, ist des öfteren untersucht worden; ein eindeutiger Beweis
konnte nicht erbracht werden, obwohl Augustin selbst bestätigt, daß er Victorinus
kennt (vgl. conf. 8,2–5). Auffällig ist jedenfalls, daß sich für beide offenbar der Weg
zu Christus über die Pauluslektüre eröffnete und diese intensive, nicht nur punktu--
elle Beschäftigung zur Erkenntnis der Bedeutung des Glaubens führte. Beide Auto--
ren verbindet auch die Neigung zur Askese und die Suche nach einem rein geisti--
gen Gottesbegriff.
des Argument für seine Erbsündenlehre anführt (vgl. c. ep. Pel. 4,7), wobei er den
Kommentar Hilarius zuschreibt. Allerdings wollte der Ambrosiaster diese Stelle
anders verstanden wissen: Die menschliche Seele ist nicht präexistent, sondern wird
von Gott jeweils neu geschaffen. Es ist daher nur der Körper, der, von Adam ver--
dorben, bei der Zeugung übertragen wird. Die Seele dagegen ist durch den Wil--
len zum Guten fähig, wird aber durch den Teufel und den Körper daran gehindert.
Auch der Glaube ist Sache des Wollens (vgl. Commentarius in epistulam ad Roma--
nos 4,4). Die paulinischen Gedanken zum Verhältnis von Gesetz und Evangelium
versteht und legt der anonyme Verfasser angemessen aus. Er sieht jedoch paulini--
sche Theologie auf dem Hintergrund eines spätantiken Monarchieverständnisses
und des römischen Rechts, Ideen, die sich besonders in seinen Ansichten zur Kir--
chenverfassung niederschlagen.
Der anonyme Kommentar wurde, durch die Verfasserangabe Ambrosius geschützt,
viel benutzt und überliefert, ebenso die Quaestiones Veteris et Noui Testamenti unter
dem Namen Augustins. Für die Paulusexegese wurde der Ambrosiaster besonders
einflußreich, da Pelagius ihn ausgiebig für sein Kommentarwerk verwandte.
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Eva Schulz-Flügel
des Christentums in Rom (vgl. Lampe), aber auch z. B. für die Anfänge des Chri--
stentums im südlichen Gallien und vielleicht in Nordafrika. Die griechischsprachi--
gen christlichen Gemeinden im Westen nehmen so die aus dem Osten kommenden
theologischen Diskurse auf und führen sie selbständig weiter. Vor allem das plurale
stadtrömische Christentum wird im 2. Jahrhundert zum Zentrum theologischer
Debatten im Westen. Die gnostischen Kreise in Rom versuchten, das Christentum
im pluralen religiösen Angebot der Zeit konkurrenzfähig zu machen. In der Aus--
einandersetzung um gnostische Modelle und den theologischen Entwurf Marcions
entstand in Rom im 2. Jahrhundert ein theologischer Diskurs, der die trinitarische
Fragestellung (allerdings ging es noch lange in erster Linie um die Frage nach dem
Verhältnis von Gott-Vater zu Christus als Gottes Sohn) von sehr unterschiedlichen
Seiten aufnahm. Deutlich ist, daß die Träger dieses römischen, bis ins 3. Jahrhundert
vor allem auf griechisch geführten Diskurses zunächst oft aus Kleinasien, dem wirt--
schaftlichen und intellektuellen Zentrum des Reiches im 2. Jahrhundert, stammten,
wo das Christentum inzwischen ziemlich verbreitet war.
Von Justin, der in Rom eine christlich-philosophische Schule leitete, wurde mit
der Übernahme des aus der Stoa kommenden und vom mittleren Platonismus aufge--
nommenen Logosbegriffes (vgl. Stead) theologisch eine Alternative zu gnostischen
Vorstellungen und Marcion entwickelt, die intellektuelle Ansprüche zu befriedigen
vermochte, mit der Betonung der hypostatischen Eigenexistenz des Logos neben
Gott und der daraus folgenden Subordination des Logos unter Gott, die auch als
latenter Ditheismus angesehen werden konnte, aber offensichtlich auch auf Wider--
spruch stieß (vgl. Justin, Apologia Maior / Größere Apologie 13,4; Apologia Minor / Klei--
nere Apologie 6,1–3). Allerdings bot die Logostheologie die Möglichkeit, gegen alle
gnostische Spekulation so am Monotheismus festzuhalten und Christus als Logos
Gottes und zweiten Gott zu sehen. Die Logostheologie stellte die christliche Theo--
logie in den zeitgenössischen (popular-)philosophischen Diskurs und ermöglichte
im Grunde auch (etwa gegen Marcion) das Festhalten der Christen an der heilsge--
schichtlichen Überlieferung Israels und damit an den heiligen Schriften des Juden--
tums. Justin und einige seiner Schüler starben in Rom den Märtyrertod; die Wir--
kungen seiner Logostheologie scheinen in Rom und überhaupt im Westen sehr
begrenzt gewesen zu sein.
Den wesentlich theologischen Beitrag zur Auseinandersetzung mit gnostischen
Auffassungen vor allem in Rom hat zweifellos der aus Kleinasien stammende Irenäus
von Lyon geleistet. Seine leider nur in Bruchteilen im griechischen Original auf uns
gekommene Schrift Aduersus haereses (Gegen die Häresien) sowie seine Korrespon--
denz (vgl. hierzu die Einzelangaben in CPG 1306–1317) zeigen seine engen Beziehun--
gen nach Rom. Als Stimme aus Gallien bleibt Irenäus in der Kaiserzeit noch eine Aus--
nahme. Trinitätstheologisch ist sein meist als heilsgeschichtlich bezeichneter theologi--
scher Entwurf nicht sehr akzentuiert. Vom Taufbefehl und der (meist) dreigliedrigen
regula fidei (wörtlich: Glaubensregel, d. h. der thetischen Zusammenstellung des Glau--
bensinhalts, oft in Abgrenzung von als häretisch angesehenen Sondermeinungen; bei
Irenäus findet sich fast immer das beinahe synonyme regula ueritatis / Wahrheitsre--
II. Traditionen – 11. Trinitarischer Streit im Westen 11
gel) her (vgl. Ritter, Dogma) kann Irenäus beinahe Gott-Vater und Christus mit--
einander identifizieren (vgl. Irenäus, Demonstratio praedicationis apostolicae / Darle--
gung der apostolischen Predigt 3.6 f.10; Aduersus haereses 4,13,4; 6,1–3).
In der Auseinandersetzung mit gnostischen Entwürfen, die den jüdisch-christ--
lichen Monotheismus in Frage stellten und in denen Christus in einem Erlösermy--
thos nahezu aufgelöst werden konnte, ist vor allem in Rom und dann auch sehr bald
in Karthago von sehr verschiedenen Seiten versucht worden, den Monotheismus zu
wahren – mit sehr unterschiedlichen Folgen für die Beschreibung des Verhältnis--
ses von Gott-Vater zu Gott-Sohn Christus. In Karthago hat in Tertullian christliche
Theologie ihren lateinischen Ausdruck gefunden.
Am Ausgang des 2. Jahrhunderts leitete ein ›Lederarbeiter‹ (σκυτεύς, vgl. Euse--
bius von Cäsarea, Historia ecclesiastica / Kirchengeschichte 5,28,9; bei Hippolyt, Refu--
tatio omnium haeresium / Widerlegung aller Häresien 7,35,1 f; 10,23,1 f als ›aus Byzanz‹
stammend bezeichnet) genannter Theodot aus Kleinasien in Rom eine Schule, in der
wohl vor allem Schriftauslegung geübt wurde. Unter Berufung auf biblische Zeug--
nisse lehrte er, daß Christus nur ein Mensch gewesen sei, der in der Taufe von Gott
den Geist verliehen bekommen habe. Theodot lehnte also jede Göttlichkeit Christi
und vor allem die Vorstellung einer Präexistenz des göttlichen Sohnes bzw. Logos ab:
Die Wahrung eines strikten Monotheismus (die ursprünglich antignostische Moti--
vation scheint im Referat des Hippolyt noch deutlich durch) geschieht durch eine
Christologie, die die Göttlichkeit Christi ablehnt (die übliche Einstufung als ›Adop--
tianismus‹ ist wenig glücklich). Ähnlich muß etwa zur selben Zeit ein sonst unbe--
kannter Artemon (vgl. Eusebius von Cäsarea, Historia ecclesiastica 5,28,1 f) in Rom
gelehrt haben, etwas anders akzentuiert dann Theodot der Bankier (vgl. Eusebius
von Cäsarea, Historia ecclesiastica 5,28,9). Sicher handelte es sich bei diesen Schul--
theologien nicht um schlichte Gemeindefrömmigkeit, sondern um eine exegetisch
argumentierende, intellektuelle Auseinandersetzung mit der Gnosis auf der einen
und der Logostheologie auf der anderen Seite. Eine Abhängigkeit von judenchrist--
lichen Vorstellungen, wie es altkirchliche Polemik behauptet, scheint eher unwahr--
scheinlich.
Unter Bischof Victor bildete sich vor 200 in Rom ein Monepiskopat aus, durch
den die pluralen theologischen Entwürfe zurückgedrängt wurden. Die Problematik
gnostischer Entwürfe scheint ihm allerdings nicht deutlich geworden zu sein, wie
Irenäus erkennen läßt. Auf der anderen Seite ist aber von ihm der sich offenbar breiter
Zustimmung erfreuende radikale Versuch des Theodot, den christlichen Monotheis--
mus zu wahren, aus der Kirche ausgeschlossen worden (vgl. Löhr, Theodotus). Als
theologische Alternative, der es ebenfalls darum ging, gegen gnostische und markio--
nitische Vorstellungen den Monotheismus zu wahren (vgl. Hübner, Der paradoxe
Eine) und so den Problemen einer Logostheologie zu entgehen, ist der sogenannte
modalistische Monarchianismus (vgl. Hübner, Der paradoxe Eine; Gerber) anzu--
sehen, der zur Wahrung des Monotheismus faktisch den göttlichen Christus mit
Gott identifizierte (diese Richtung ist daher nach dem Vorschlag von Abramow--
ski besser als Identifikationstheologie zu bezeichnen). Am Ende des 2. Jahrhunderts
1 B. Person
hatte der aus Smyrna stammende Noët (vgl. Hippolyt, Refutatio omnium haeresium
9,7,1–8,2; 10,27,1–4) in Rom eine theologisch-philosophische Schule geleitet, die län--
gere Zeit bestanden haben muß; als seine Nachfolger werden ein Epigonus und ein
Kleomenes zu Beginn des 3. Jahrhunderts genannt. Hippolyt, der letzte heute erhal--
tene christliche Autor, dessen in Rom entstandene Werke auf griechisch geschrieben
sind, wirft Noët polemisch vor, in Abhängigkeit von der heidnischen Philosophie
(insbesondere Heraklit) Gott mit Christus identifiziert zu haben. Die heftige Pole--
mik Hippolyts zeigt, daß die römische Kirche und besonders ihre Bischöfe diese ein--
deutige monotheistische Absage an gnostische Spekulationen und nicht die immer
im Verdacht eines Ditheismus stehende Logostheologie als eine Art kirchliche Nor--
maltheologie ansahen. Wenig später als Noët haben der Kleinasiate Praxeas (iden--
tisch mit Epigonus?) und der vielleicht aus Libyen stammende Sabellius (vgl. Bie--
nert) ähnlich gelehrt, ohne daß wir über den Zusammenhang mit der Schule Noëts
Sicheres aussagen können (ob Sabellius wirklich von Gott und Christus als ›Sohnva--
ter‹ [υἱωπάτωρ] gesprochen hat und die für antike Gottesvorstellung unerträgliche
Aussage pater passus est / der Vater hat gelitten, gemacht hat, oder ob es sich dabei um
polemische Schlußfolgerungen seiner Gegner handelt, bleibt unklar). Gegen diese
in Rom und damit im Westen kirchlich rezipierte Identifikationstheologie richtete
sich der Widerstand Hippolyts in Rom (vgl. Hippolyt, Refutatio omnium haeresium
9,6 f und die Formulierung seiner eigenen Theologie in 10,32,1–34,5) und Tertulli--
ans in Karthago von der Seite einer ebenfalls antignostischen Logostheologie, die
besonders gegen Noët, Praxeas und Sabellius an der hypostatischen Eigenexistenz
des göttlichen Logos festhielten.
Vor allem Tertullian, der sich in Karthago mit Anhängern des Praxeas konfron--
tiert sah, hat in seiner Schrift Aduersus Praxean (Gegen Praxeas) eine lateinische Tri--
nitätslehre (Tertullian, Aduersus Praxean 2,4 ist der älteste Beleg für trinitas / Trinität,
eventuell hat Tertullian diesen Begriff erst geprägt) von der Logostheologie her ent--
wickelt. Den Monotheismus unterstreicht Tertullian durch den Begriff der Substanz-
einheit, betont aber die Eigenexistenz der trinitarischen Personen (die Gegenüberstel-
lung von una substantia / ein einziges Wesen und tres personae / drei Personen ist bei
Tertullian nicht belegt, aber inhaltlich kommt Tertullian ihr bereits sehr nahe) und
hält dabei an einer subordinatianischen Vorstellung der Trinität fest. Die Logostheo--
logie eines Hippolyt oder Tertullian war im Westen insgesamt aber nicht weit ver--
breitet, beide waren theologisch eher Außenseiter (der spätere Sieg der Logostheo--
logie und ihre daher bessere Überlieferung verschleiern dies). Über die zeitgenössi--
sche Rezeption Tertullians ist nichts bekannt, Hippolyt wurde von Bischof Calixtus
wegen Ditheismus aus der römischen Kirche ausgeschlossen, ebenso Sabellius wegen
der Folgen seiner Identifikationstheologie. Indem Calixtus bei seiner theologischen
Lösung auf der einen Seite den Logosbegriff aufnahm, ihn aber völlig anders als die
Logostheologen von genuin stoischen Vorstellungen her interpretierte (Logos nicht
als Mittlerwesen, sondern als Gott selbst) und so auch für Vertreter der Identifika--
tionstheologie annehmbar machte, versuchte er eine Versöhnung beider strikt anti--
gnostischen theologischen Optionen (bei Ausschluß von ›Extremisten‹ wie Sabellius
II. Traditionen – 11. Trinitarischer Streit im Westen 1
und Hippolyt) und schuf eine wohl nicht nur in Rom überzeugende kirchliche Nor--
maltheologie (vgl. Gerber). Allerdings ist deutlich, daß hier vor allem das theologi--
sche Anliegen der Identifikationstheologie gewahrt blieb. Daneben erscheint wich--
tig, daß Calixtus hier eine Verkirchlichung der bisher durch verschiedene freie Schu--
len repräsentierten Theologie durchsetzen konnte. Theologie ist von nun an an das
kirchliche Amt, an das Amt des Bischofs gebunden. Diese Form einer trinitarischen
bzw. binitarischen Theologie scheint im Westen – wenn es denn überhaupt theo--
logische Debatten in der Folgezeit gab, von denen wir allerdings keine Kenntnisse
haben – weithin konsensfähig gewesen zu sein.
In der Mitte des 3. Jahrhunderts hat der römische Presbyter Novatian, ein theolo--
gisch von Tertullian und wohl vor allem von Hippolyt geprägter Vertreter der Logos--
theologie, der in der Vakanz nach dem Martyrium des Fabian in der decischen Ver--
folgung eine wichtige Rolle in der römischen Gemeinde spielte, aber wie Hippolyt
nicht Bischof wurde und sich von der römischen Kirche trennte, mit seiner Schrift
De trinitate (Über die Trinität; eine gegen jede Identifikationstheologie gerichtete
Auslegung der regula fidei) den ersten theologischen Beitrag aus Rom in lateinischer
Sprache geliefert, über dessen zeitgenössische Rezeption aber nichts bekannt ist.
Für die weitere Entwicklung des trinitätstheologischen Diskurses im Westen
erscheint wichtig, daß die Entfaltung der Logostheologie durch Origenes im Westen
nicht rezipiert wurde. Auch Novatian als Vertreter einer westlichen Logostheologie
zeigt keine Einflüsse des Origenes oder der die östliche Theologie dominierenden
Diskussion um ihn. Bischof Dionysius von Rom steht in seiner Auseinandersetzung
mit seinem origenistischen Namensvetter aus Alexandria in den sechziger Jahren des
3. Jahrhunderts ganz in der Tradition einer römischen kirchlichen Trinitätstheologie,
wie sie seit Calixtus offenbar in Rom und angesichts der Bedeutung Roms als sedes
apostolica (apostolischer Stuhl) des Westens überhaupt im Abendland verbreitet war
(vgl. Heil). So verurteilt Dionysius von Rom zwar Sabellius, lehnt aber gegen die
Vertreter einer Logostheologie jede hypostatische Teilung der Trinität ab.
Nach den wenigen und später in einer völlig neuen Situation überarbeiteten
Nachrichten über den sogenannten ›Streit der Dionyse‹ schweigen die Quellen über
einen trinitätstheologischen Diskurs im Westen für mehr als ein halbes Jahrhundert.
Erst in der Konfrontation mit dem Problem des arianischen Streites in dessen zwei--
ter Phase nach dem Tod Kaiser Konstantins (337) und aus eher politischen Grün--
den wird eine neue trinitätstheologische Debatte auch im Westen nötig, nun aller--
dings erzwungen durch die Vorgänge im Osten.
Das völlige Fehlen des Westens in den ersten zwanzig Jahren der Auseinanderset--
zung um die christliche Trinitätslehre, die später ›arianischer Streit‹ genannt wurde
und bei der es zunächst um eine Klärung innerhalb des Origenismus ging, erklärt sich
aus der Tatsache, daß die Trinitätslehre des Origenes im Westen keine Rolle gespielt
hatte. Ossius von Cordoba, der theologische Ratgeber Konstantins aus der lateini--
schen Kirche, leistete bei seinen verschiedenen Auftritten im Osten im Auftrag des
Kaisers keinen Beitrag zur Trinitätstheologie. Auf der Synode von Nizäa sind nur
sechs Teilnehmer aus dem Westen anwesend gewesen; eine Rezeption der theologi--
1 B. Person
schen Beschlüsse von Nizäa im Westen ist bis in die fünfziger Jahre des 4. Jahrhun--
derts nicht erkennbar (vgl. Brennecke, Hilarius; Ulrich). Falls das Bekenntnis von
Nizäa überhaupt irgendwo im Westen zur Kenntnis genommen worden ist, konnte
es in seiner Stoßrichtung gegen jede subordinatianische Mehrhypostasentheologie
als vollkommen in Übereinstimmung mit der bei Calixtus und Dionysius erkennba--
ren theologischen Tradition des Westens und speziell Roms angesehen werden. Ein
westlicher Einfluß auf die Formulierung des Nizänums, wie er in der älteren For--
schung häufig angenommen wurde, scheidet allerdings aus (das gilt vor allem auch
für die Aufnahme des Begriffes ὁμοούσιος / wesenseins in das Bekenntnis, der kaum
aus westlicher theologischer Tradition ableitbar sein dürfte).
Durch die Exilanten Athanasius und Markell von Ankyra wird der Westen nun
auch zu einer theologischen Stellungnahme in dem ihm bisher fremden Streit genö--
tigt. Unter der Führung von Julius von Rom (der allerdings als Theologe nicht faß--
bar wird) und Maximinus von Trier, dem Gastgeber des Athanasius in dessen erstem
Exil, rehabilitiert eine römische Synode im Jahr 340 nicht nur Athanasius, sondern
erklärt auch den wegen Häresie im Osten abgesetzten Markell für rechtgläubig. Die
theologische Rehabilitierung Markells, des profilierten Vertreters einer antiorigeni--
stischen Einhypostasentheologie, ist von der römischen Tradition einer Auffassung
der Trinität, wie sie bei Calixtus und Dionysius deutlich geworden war, her leicht
erklärlich und eigentlich selbstverständlich. Die in Rom versammelten Bischöfe halten
also Markell nicht für rechtgläubig, weil sie seine Position als in Übereinstimmung
mit den Beschlüssen von Nizäa ansehen, sondern weil sie mit der römischen Tradi--
tion seit Calixtus vereinbar war. Diese Option wurde noch dadurch verstärkt, daß
der Begriff substantia, die direkte Übersetzung des Begriffs ὑπόστασις, in der latei--
nischen Tradition (schon bei Tertullian) zur Bezeichnung der Einheit in der Trini--
tät benutzt wurde, was mancherlei Verwirrung stiftete. Auf der von Kaiser Constans
seinem Bruder Constantius II. nahezu abgepreßten Reichssynode von Serdica (343)
konnten daher die westlichen Teilnehmer auf ihrer Teilsynode eine von der Theo--
logie Markells her formulierte theologische Deklaration, die jede Mehrhypostasen--
theologie als arianisch verurteilte und sich als die wahre Interpretation von Nizäa
verstand (vgl. Ulrich), von ihrer Tradition her als orthodox anerkennen.
Die gescheiterte Synode von Serdica führte de facto zu einer Spaltung zwischen
den Kirchen des Ostens und des Westens, aber im kulturellen Überschneidungsge--
biet von griechischer und lateinischer Sprache in Illyrien und auch sonst gab es im
Westen Anhänger einer sich nun lateinisch definierenden Dreihypostasentheologie
in der Tradition des Eusebius von Nikomedien bzw. Konstantinopel, die allerdings
der Mehrzahl der westlichen Theologen und Kirchenmänner als ›arianisch‹ galt. Mit
der Ermordung Kaiser Constans’ im Jahr 350 und der Erlangung der Alleinherrschaft
durch Constantius II. im Jahr 353, der bisher im Osten die sogenannten ›Eusebia--
ner‹, also die Vertreter der origenistischen Dreihypostasentheologie, gestützt hatte,
mußte es zu neuen theologischen Konflikten kommen, die sich auch an der Person
des Athanasius entzündeten. Die überaus verwickelten Ereignisse der trinitarischen
Auseinandersetzungen auf dem Hintergrund der politischen Ereignisse der fünfzi--
II. Traditionen – 11. Trinitarischer Streit im Westen 15
ger und sechziger Jahre des 4. Jahrhunderts können hier nicht im einzelnen berich--
tet werden (vgl. Brennecke, Hilarius; Ulrich). Auf einer von westlichen Vertre--
tern der Dreihypostasentheologie beherrschten Synode in Sirmium versuchte Con--
stantius ein ganz von einer subordinatianischen Mehrhypostasentheologie geprägtes
Bekenntnis durchzusetzen, das übrigens in seinen Formulierungen auf die westli--
chen Logostheologen Tertullian und Novatian zurückgriff. An diesem Bekenntnis
(erhalten bei Hilarius, De synodis / Über die Synoden 11), das später von den Geg--
nern als scripta proxima apud Sirmium blasphemia (der sehr bald bei Sirmium auf--
geschriebenen Blasphemie; Hilarius, De synodis 10) gegeißelt wurde, schieden sich
fortan die Geister, was besonders den aus ihren westlichen Bischofssitzen in den
Osten verbannten Bischöfen, allen voran Hilarius von Poitiers, zu verdanken war,
der im östlichen Exil sich gründlich mit der dortigen trinitätstheologischen Debatte
vertraut gemacht hatte und darüber in den Westen, vor allem in seine gallische Hei--
mat, berichtete. Eine Reihe von Synoden der gallischen Provinzen, die damit erst--
mals seit Irenäus wieder in den theologischen Debatten eine Rolle spielten, haben
358 das Bekenntnis von Sirmium als arianische Häresie abgelehnt. In diesem Zusam--
menhang ist das Bekenntnis von Nizäa eigentlich erst im wesentlichen durch Hila--
rius im Westen bekannt geworden. Allerdings galt die Deklaration von Serdica wohl
für die Mehrheit der abendländischen Bischöfe als ihr Ausdruck des Glaubens von
Nizäa. Auf der Reichssynode der Abendländer von Rimini 359 hatten die Vertreter
einer lateinisch formulierten Mehrhypostasentheologie sich mit kaiserlicher Hilfe
noch einmal durchsetzen können. Mit dem Putsch Julians im Jahr 360 und dem Tod
Constantius’ II. ein Jahr später verloren sie ihre kirchenpolitische Basis im Westen
(vgl. Brennecke, Homöer).
Ab 360 wurden im Westen auf zahlreichen Synoden die Beschlüsse von Rimini
wieder rückgängig gemacht und die von Nizäa (wohl meist in der Form der Einhy--
postasentheologie von Serdica) angenommen. Die Kirchen des Abendlandes sahen
sich seit Beginn der sechziger Jahre in Übereinstimmung mit den Beschlüssen von
Nizäa. Die vorsichtigen Versuche des Hilarius von Poitiers, der mit seiner umfangrei--
chen Schrift De trinitate (Über die Trinität) auch östliche Positionen vorstellt, Kon--
takt zu den Homöusianern gesucht hatte und die Einhypostasentheologie des Mar--
kell, wie sie die theologische Deklaration von Serdica prägte, ablehnte, bleiben eine
von strikten Vertretern der Position von Serdica, wie z. B. Lucifer von Calaris, abge--
lehnte und als ›Arianismus‹ diffamierte Ausnahme. Weithin Konsens in den westli--
chen Kirchen war jedoch eine Ablehnung der homöischen Position der Dreihypo--
stasenlehre, wie sie etwa Valens von Mursa oder auch Auxentius von Mailand ver--
traten, als ›Arianismus‹, der aber vor allem in Illyrien durchaus verbreitet war. Erst
der ebenso hochgebildete wie machtbewußte Ambrosius, seit 374 Nachfolger des
›arianischen‹ Bischofs Auxentius in Mailand, hat in der Folge des Umschwunges der
Kirchenpolitik unter Theodosius im Osten massiv gegen die seit den Synoden von
Konstantinopel und Aquileia auch offiziell als Häretiker geltenden ›Arianer‹ vorge--
hen können, die von nun an eine Kirche in der Illegalität bildeten.
Die verschiedenen trinitätstheologischen Positionen der ersten Hälfte des 4. Jahr--
1 B. Person
hunderts hatten theologisch in eine Sackgasse geführt. In dem Schreiben einer Synode
von Alexandria im Jahre 362, dem Tomus ad Antiochenos (Schreiben an die Antio--
chener), erscheint ein Kompromiß, der einer für die Zukunft tragfähigen Lösung des
trinitarischen Problems die Bahn ebnete. Es wurde nämlich von seiten der Vertreter
der Einhypostasentheologie, die Vater, Sohn und Geist als eine οὐσία (ein Wesen)
und (damit synonym) eine ὑπόστασις (Existenz) bezeichneten, akzeptiert, daß man
auch von drei Hypostasen sprach, solange man das ὁμοούσιος (wesenseins) akzep--
tierte. Diese, von Athanasius konzipierte Öffnung des Sprachgebrauchs eröffnete
die später von Basilius entfaltete begriffliche Differenzierung zwischen οὐσία und
ὑπόστασις: Die Einheit Gottes in der Trinität wurde dann durch den Begriff οὐσία,
die Dreiheit durch den Begriff ὑπόστασις zum Ausdruck gebracht (die Formel μία
οὐσία – τρεῖς ὑποστάσεις ist erst ab 373 bei Basilius von Cäsarea belegt, vgl. Epistu--
la / Brief 125,1; 214,4; 236,6). Auf diese Weise konnte im Osten ein Ausgleich zwischen
einer Ein- und einer Mehrhypostasentheologie gefunden werden, dem sich natür--
lich auf allen Seiten auch einige verweigerten, z. B. die Gruppe der sogenannten Alt--
nizäner bzw. Eustathianer in Antiochia, die an der strikten Einhypostasentheologie
festhielten. Durch die demonstrative Kirchengemeinschaft mit diesen antiocheni--
schen Eustathianern verweigerte sich anfangs auch der Westen dieser Lösung, die
aber durch Eusebius von Vercelli, der an der alexandrinischen Synode teilgenommen
hatte, in den Westen gebracht wurde. Der Westen hatte zunächst Probleme, diese
neue (von der späteren Theologiegeschichte als ›neunizänisch‹ bezeichnete) Termi--
nologie ins Lateinische zu übersetzen (Marius Victorinus, Aduersus Arium / Gegen
Arius 2,4 übersetzte dann mit de una substantia tres subsistentias esse / daß es drei
Hypostasen aus einem Wesen gibt, wobei der Begriff subsistentia ein Kunstbegriff
war, um neben dem bereits gängigen Begriff substantia einen neuen Begriff für die
Wiedergabe von ὑπόστασις zu haben). Vor allem durch Eusebius von Vercelli ist eine
langsame Distanzierung des Westens von der theologischen Deklaration von Serdica
als der verbindlichen Interpretation des Nizänums durch den Westen zu beobach--
ten (vgl. Markschies, Neunizänismus), die dann vom römischen Bischof Damasus
auf mehreren Synoden der siebziger Jahre aufgenommen wurde. In engerer Anbin--
dung an die westliche Tradition und an den Sprachgebrauch Tertullians, der aber
hinsichtlich seines trinitarischen Subordinatianismus korrigiert wird, heißt es: una
substantia – tres personae, wobei persona mit ὑπόστασις identifiziert wird. Diese
Übernahme theologischer Anstöße aus dem Osten scheint einen breiteren Träger--
kreis in Oberitalien gehabt zu haben und wurde dann vor allem von Ambrosius in
seiner an Kaiser Gratian gerichteten Schrift De fide (Über den Glauben) theologisch
entfaltet (vgl. De fide 3,126: personarum distinctio et naturae unitas / Unterscheidung
der Personen und Einheit der Natur). Mit Damasus und Ambrosius kann sich die
lateinische ›neunizänische‹ Trinitätslehre seit den siebziger Jahren des 4. Jahrhun--
derts im Westen durchsetzen.
Der lateinische Neunizänismus ist die Grundlage, auf der Augustin etwas spä--
ter aufbauen konnte, nachdem im Westen seit der Synode von Aquileia im Jahr 381
die homöische Lösung einer Dreihypostasentheologie als ›Arianismus‹ ausgegrenzt
II. Traditionen – 1. Ambrosius 1
und infolgedessen zur häretischen Kirche in der Illegalität geworden war und die
Einhypostasentheologie, die die westliche trinitarische Diskussion seit der Synode
von Serdica beherrscht hatte, durch Bischof Damasus von Rom und vor allem durch
Ambrosius überwunden worden war und nur in schismatischen Zirkeln wie bei den
zur Sekte gewordenen Anhängern des Lucifer von Calaris noch eine Zeitlang eine
Rolle spielte.
Brennecke, Hanns Christof: Hilarius von Poitiers und die Bischofsopposition gegen Konstanti--
us II. Untersuchungen zur dritten Phase des arianischen Streites (337–361), Patristische Texte
und Studien 26, Berlin / New York 1984.
— Studien zur Geschichte der Homöer. Der Osten bis zum Ende der homöischen Reichskirche,
Beiträge zur Historischen Theologie 73, Tübingen 1988.
Gerber, Simon: Calixt von Rom und der monarchianische Streit, Zeitschrift für Antikes Chri--
stentum 5 (2001), 213–239.
Löhr, Winrich: Theodotus der Lederarbeiter und Theodotus der Bankier. Ein Beitrag zur römi--
schen Theologiegeschichte des zweiten und dritten Jahrhunderts, Zeitschrift für die neute--
stamentliche Wissenschaft 87 (1996), 101–125.
Markschies, Christoph: Ambrosius von Mailand und die Trinitätstheologie. Kirchen- und theolo-
giegeschichtliche Studien zu Antiarianismus und Neunizänismus bei Ambrosius und im latei--
nischen Westen (364–381 n. Chr.), Beiträge zur Historischen Theologie 90, Tübingen 1995.
— Was ist lateinischer ›Neunizänismus‹? Ein Vorschlag für eine Antwort, Zeitschrift für Anti--
kes Christentum 1 (1997), 73–95, wiederabgedruckt in: Ders.: Alta Trinità Beata. Gesammelte
Studien zur altkirchlichen Trinitätstheologie, Tübingen 2000, 238–264.
Ulrich, Jörg: Die Anfänge der abendländischen Rezeption des Nizänums, Patristische Texte und
Studien 39, Berlin / New York 1994.
Hanns Christof Brennecke
Dunkeln und scheinen – das lassen auch die Ambrosius betreffenden hochstilisier--
ten Ausführungen in den conf. erkennen – keineswegs unproblematisch und von
mancherlei Mißverständnis geprägt gewesen zu sein (B. II. 12.2.). Insgesamt dürfte
Ambrosius jedoch erheblichen Einfluß auf das Denken Augustins gehabt haben,
sowohl aufgrund seiner Stellung als gebildeter, eine Stadt wie Mailand lenkender
Bischof als auch in seiner Funktion als Theologe und Schriftexeget.
Einer der Faktoren, die einen starken Einfluß des Mailänder Bischofs auf den gerade
dreißigjährigen Augustin ermöglicht haben, ist sicherlich die soziale Stellung und
Herkunft des Ambrosius. Auch als Bischof von Mailand blieb Ambrosius ein Angehö--
riger der Führungsschicht des Imperium Romanum. Schon sein Vater war praefectus
praetorio Galliarum (Prätorianerpräfekt Galliens) gewesen, und so gehörte Ambro--
sius von Geburt an zu der sozialen Oberschicht, die Augustin durch seine berufli--
chen Fähigkeiten erst zu erreichen strebte. Ambrosius brachte einen entsprechend
hohen Bildungsstandard mit. Nach dem frühen Tod seines Vaters war die Familie
in Rom ansässig geworden. Auch wenn Einzelheiten über diese Zeit in Rom nicht
erkennbar sind (zeitlich käme sowohl ein Kontakt zu Marius Victorinus als auch zu
dem Grammatiker Donatus in Frage), so läßt doch das erhaltene literarische Werk
des Ambrosius eine gründliche Kenntnis nicht nur der klassischen lateinischen Auto--
ren (allen voran Cicero, Seneca und Vergil), sondern gerade auch des Griechischen
erkennen. Berufliche, besonders verwaltungstechnische Kenntnisse und Erfahrun--
gen hatte der junge Ambrosius sich dann beim Durchlaufen der Stufen seiner stei--
len Karriere angeeignet, namentlich als aduocatus (Justiziar) beim illyrischen Präto--
rianerpräfekten in Sirmium und dann (372 oder 374) als consularis (konsularischer
Statthalter) der Provinz Liguria Aemilia mit Sitz in der Kaiserresidenz Mailand. Er
selbst war zunächst nicht getauft, doch war seine Familie bereits christlich geprägt.
Seine Schwester hat schon früh (353 oder 354) das Gelübde als Nonne abgelegt (vgl.
Ambrosius, De uirginibus / Über die Jungfrauen 3,1–14), eine aufgeschlossene Hal--
tung gegenüber dem Christentum wird man grundsätzlich auch für Ambrosius ver--
muten dürfen.
Die kirchliche Situation in Mailand, die der neue Provinzstatthalter vorfand,
war alles andere als einfach. Gegen anfänglichen Widerstand nach seinem Amtsan--
tritt im Jahr 355 hatte sich Auxentius als Bischof etablieren und den Klerus in sei--
nem Sinne formen können. Er befürwortete offen die homöische Form des Chri--
stentums (B. II. 11.) und stand damit gegen eine beträchtliche Strömung im Episko--
pat Italiens, die vom Bischof von Rom angeführt wurde und sich auf die nizänische
Tradition (de facto war dies eher die Position der westlichen Teilsynode von Ser--
dica, 343) berief. Im Laufe seiner Amtszeit, besonders während der sechziger Jahre,
scheint sich Auxentius jedoch weiterentwickelt zu haben (gehörte er zu der Gruppe
von Homöern, die sich nach der Julianzeit derjenigen Richtung annäherte, die auch
das Nizänum akzeptieren konnte?), so daß die Konflikte innerhalb Mailands und
II. Traditionen – 1. Ambrosius 1
im Episkopat Italiens eher in den Hintergrund traten. Doch brachen diese Konflikte
erneut auf, als Auxentius im Jahr 374 verstarb. Seine Nachfolge gestaltete sich schwie--
rig. Eine Lösung wurde gefunden, als recht überraschend der neue Provinzstatthalter
Ambrosius als Bischof nominiert und gewählt wurde. Diese Wahl ist aus mehreren
Gründen bemerkenswert. Zunächst belegt sie, daß es ein Provinzstatthalter im aus--
gehenden 4. Jahrhundert keineswegs als Statusverlust empfand, zum Bischof einer
Stadt wie Mailand gewählt zu werden und diese Wahl auch anzunehmen. Ambro--
sius ist damit ein prominentes Beispiel dafür, daß die Führungsschicht des Imperium
Romanum die kirchliche Struktur zunehmend als eigenes Betätigungsfeld entdeckte.
Sodann wurde Ambrosius zum Bischof gewählt, obwohl er offenbar noch nicht getauft
war, geschweige denn eine Stellung im niederen Klerus innegehabt hatte. Dies scheint
(obwohl es durch canon 2 des Konzils von Nizäa; EOMIA 1,1,2; 182 / 1–12, und canon 8
des Konzils von Serdica; EOMIA 1,2,3; 472 / 1–474 / 26, explizit verboten worden war) für
die Wählenden und den Gewählten kein Hindernis dargestellt zu haben. Die Position
als Bischof wurde von vielen wohl auch als Leitungsamt angesehen, für das Ambro--
sius genügend Kompetenzen mitbrachte. Die geistliche Dimension des Amts scheint
demgegenüber zunächst eher im Hintergrund gestanden zu haben. Daß Ambrosius
vor der Wahl ein erkennbares theologisches Profil gehabt hat, wird man bezweifeln
müssen. Gerade daß er als Kompromißkandidat gewählt werden konnte, zeigt, daß
er sich theologisch und kirchenpolitisch (auch während seiner Zeit in Sirmium) noch
nicht eindeutig auf bestimmte Positionen festgelegt hatte.
Angesichts dieser Umstände der Wahl ist die Wirksamkeit des Ambrosius seit sei--
ner Weihe zum Bischof bis zu der Zeit, in der Augustin nach Mailand kam, erstaun--
lich. Ambrosius hat sich offenbar sehr schnell in die neue Funktion hineingefunden
und im Grunde aus dem Stand erfolgreich als Prediger und Seelsorger wirken kön--
nen. Das ist nur verständlich, wenn man eine Vertrautheit des neugewählten Bischofs
mit der Bibel sowie den kirchlichen und liturgischen Abläufen bereits für die Zeit
vor der Bischofsweihe voraussetzt, wenngleich Ambrosius sich insbesondere nach
seiner Wahl sicherlich intensiver mit theologischen Fragestellungen beschäftigt hat.
Hierbei könnte ihn insbesondere der Presbyter Simplician beeinflußt haben.
Augustin bezeichnet Simplician als patrem in accipienda gratia tunc episcopi
Ambrosii et quem uere ut patrem diligebat (einen Vater des Bischofs Ambrosius bei
dem Empfangen der Taufe seinerzeit und einen, den er wirklich wie einen Vater
liebte; conf. 8,3). Über die inhaltliche Ausrichtung Simplicians lassen sich nur auf--
grund dessen, was Augustin in conf. 8 sagt, einige Vermutungen anstellen, wobei
allerdings vorauszusetzen wäre, daß Simplician Ambrosius auf eine ähnliche Weise
beeinflußt hat wie Augustin zehn Jahre später.
Nach Augustins Bericht war Simplician mit den Platonicorum libri (den Büchern
der Platoniker) in der Übersetzung des Marius Victorinus vertraut und hatte bereits
bei der Taufe des Victorinus eine wesentliche Rolle gespielt (vgl. conf. 8,3–5; B. III. 3.).
Immerhin läßt Augustin erkennen, daß Simplician die Platonicorum libri positiv
bewertet (gratulatus est mihi quod non in aliorum philosophorum scripta incidis--
sem / er gratulierte mir, daß ich nicht auf die Schriften anderer Philosophen verfallen
10 B. Person
sei; conf. 8,3) und dafür den Grund geltend gemacht hat in istis omnibus modis insi--
nuari deum et eius uerbum (daß in ihnen auf alle Weisen Gott und sein Logos nahe--
gebracht werden; conf. 8,3). Mit dieser Hochschätzung der Platonicorum libri ver--
bindet sich in Augustins Bericht unmittelbar die Ermahnung zur Demut; die Taufe
des Victorinus als die Bereitschaft eines hochdekorierten Rhetorikers und Ange--
hörigen der heidnischen Führungsschicht, ein puer Christi (Kind Christi) zu wer--
den, zeige die angemessene humilitas (Demut). Dementsprechend berichtete Sim--
plician gegenüber Augustin von der Bekehrung des Victorinus, ut me exhortare--
tur ad humilitatem Christi sapientibus absconditam et reuelatam paruulis (damit er
mich zur Demut Christi ermahnte, die den Weisen verborgen und kleinen Kindern
offenbart ist; conf. 8,3).
Wenn auch über die Theologie des Simplician im einzelnen nichts bekannt ist,
so ist die Nennung von Gott und seinem Logos doch auffällig, denn damit ist der
Kern der Auseinandersetzung zwischen Nizänern und Homöern angesprochen. Sim--
plician dürfte nizänisch orientiert gewesen sein, und es könnte durchaus sein, daß
im Denken Simplicians die nizänische Ausrichtung mit der christlichen Neuplato--
nismusrezeption eng zusammenhing (immerhin begegnet die Verbindung von bei--
dem auch bei Marius Victorinus). Ambrosius hat jedenfalls schon wenig später einen
dezidiert neunizänischen Kurs eingeschlagen (B. II. 11.) und in diesem Zusammen--
hang wohl auch brieflichen Kontakt mit Basilius von Cäsarea gehabt (vgl. Basilius
Epistula / Brief 197,1; der zweite Teil dieses Briefes ist in seiner Authentizität umstrit--
ten), wobei er jedoch zugleich den Klerus seines Vorgängers weitgehend im Dienst
behielt. Welche Rolle Ambrosius für eine Synode in Illyrien (Sirmium?) gespielt hat,
die Theodoret noch vor dem Bericht über die Bischofsweihe des Ambrosius nennt
und die eindeutig eine nizänische Position bezogen haben soll (Zweifel sind beson--
ders hinsichtlich der von Theodoret von Kyros, Historia ecclesiastica / Kirchenge--
schichte 4,7,6–4,9,9 angeführten Dokumente angebracht; vgl. Markschies, Trinitäts--
theologie 115–124), ist unsicher. Nicht einmal die Teilnahme des Ambrosius ist sicher
belegt (vgl. Palladius, Apologia / Verteidigungsschrift, erhalten in den Scholia Arria--
na /Arianischen Scholien 83; CChr.SL 87, 190, redet nur die Bischöfe in Aquileia all--
gemein an, nicht speziell Ambrosius, den er vorher [etwa Scholia Arriana 81; CChr.
SL 87, 187] namentlich anspricht). Immerhin scheint Ambrosius aber einen wesent--
lichen Anteil daran gehabt zu haben, daß zum Nachfolger des homöischen Bischofs
der Kaiserresidenz Sirmium, Germinius, der Nizäner Anemius gewählt wurde (das
Datum dieser Bischofswahl ist unsicher; vgl. Markschies, Trinitätstheologie 111).
Daran zeigt sich, daß Ambrosius’ Aktionsradius deutlich über seine eigene Diözese
hinausreichte (und daß er in Sirmium auch auf die Verbindungen aus seiner Zeit
beim Prätorianerpräfekten zurückgreifen konnte).
Als Bischof der Residenzstadt und aufgrund seiner Verbindungen zur Führungs--
schicht des Imperium Romanum war Ambrosius auch für Kaiser Gratian kein Unbe--
kannter. Gratian, bereits 367 von seinem Vater Valentinian I. zum Augustus erho--
ben, war nach dessen Tod im Jahr 375 im Alter von sechzehn Jahren Alleinherrscher
im Westen geworden. Als sein Onkel Valens, der Augustus im Ostteil des Reichs,
II. Traditionen – 1. Ambrosius 11
im Jahr 378 versuchte, die Goten bei Adrianopel zu schlagen, ohne die Hilfstruppen
Gratians abzuwarten, kam es zur Katastrophe. Die römische Armee erlitt eine ver--
nichtende Niederlage, Valens selbst wurde getötet. Ab dieser Zeit war das Vordrin--
gen der Germanenvölker kaum noch aufzuhalten. Gratian war umgehend klar, daß
er das Imperium Romanum nicht allein würde regieren können, und ernannte sehr
bald den spanischen General Theodosius zum Augustus für den Osten.
In zeitlicher Nähe zu dieser Katastrophe hat sich Gratian an Ambrosius gewandt
und ihn um eine Darlegung des Glaubens gebeten. Der Hintergrund dieser Bitte
ist nicht mehr genau erkennbar, Gratian könnte schlichtweg ein persönliches
Interesse gehabt haben, oder Ambrosius könnte am Hof in Sirmium oder aus den
(homöischen) Kreisen in Mailand, die mit dem Kurs des neuen Bischofs nicht ein--
verstanden waren, angefeindet worden sein. Jedenfalls legte Ambrosius seiner als
Antwort konzipierten Schrift, den ersten beiden Büchern De fide (Über den Glau--
ben), das Nizänum als theologisches Fundament zugrunde, auf das er schon im
Prolog verweist (De fide 1, prologus 5 mit dem Hinweis auf die 318 Väter von Nizäa;
diese aus Gen 14,14–16 entlehnte Zahl wird explizit gedeutet: Wie Theodosius sei
auch Abraham einst mit Knechten ausgerückt, eben mit 318 Knechten, und habe
im Grunde aufgrund seiner Glaubensstärke dann auch die militärischen Erfolge
erreicht; De fide 1, prologus 3). Gleichwohl ist damit über die kirchenpolitische Hal--
tung Gratians vor 380 noch nichts gesagt. Gratian scheint eher einen gegenüber Nizä-
nern wie Homöern toleranten Kurs verfolgt zu haben (vgl. Sokrates Scholasticus,
Historia ecclesiastica / Kirchengeschichte 5,2,1; Sozomenus, Historia ecclesiastica / Kir--
chengeschichte 7,1,3). Seine Stiefmutter Iustina hing hingegen dem homöischen
Bekenntnis an und hatte einen entsprechenden Hofstaat um sich gesammelt. Als
Iustina ungefähr im Jahr 379 mit ihrem Hofstaat nach Mailand floh, ordnete Gra--
tian schlichtweg die Überlassung einer Basilika für die homöische Hofgemeinde an
(vgl. Ambrosius, De spiritu sancto / Über den Heiligen Geist 1,1,20 f). Ambrosius hat
nach De fide 1 f das Projekt, den Kaiser von der nizänischen Ausrichtung zu über--
zeugen, weiter verfolgt, wenig später seiner Schrift De fide die Bücher 3–5 (unge--
fähr 380 / 381) hinzugefügt und außerdem die Schrift De spiritu sancto an den Kai--
ser gerichtet. Die rasche Entstehung dieser Schriften erklärt sich, wenn man die
Arbeitsweise des Ambrosius bedenkt, der offenbar einschlägige Predigten aus Mai--
land benutzt hat (vgl. zur Bezugnahme des Ambrosius auf gottesdienstliche Lesun--
gen Markschies, Trinitätstheologie 94 f). Mit De fide hat Ambrosius zugleich auch
eine Klärung seiner eigenen Position gerade in begrifflicher Hinsicht erreicht, die
diese Schrift von den ersten Schriften unmittelbar nach der Bischofsweihe unter--
scheidet (zu den in ihren trinitätstheologischen Konsequenzen noch nicht abschlie--
ßend durchdachten Formulierungen in den frühen Schriften vgl. Markschies, Tri--
nitätstheologie 97–109). Ambrosius hat sich jetzt die Strategie des Athanasius ganz
zu eigen gemacht, all diejenigen als ›Arianer‹ zu bezeichnen und so zu disqualifi--
zieren, die nicht das Nizänum akzeptieren (vgl. Markschies, Einleitung 72–75;
ebd. 77 f.80–82 auch zu Hilarius und den Kappadokiern als weiteren Quellen des
Ambrosius). Die erheblichen theologischen Unterschiede zwischen Homöern und
1 B. Person
dürfte sie jedoch nicht erfolgt sein. 383 legte Gratian schließlich den bis dahin vom
römischen Kaiser verwendeten Titel des pontifex maximus (wörtlich: des obersten
Brückenbauers, d. h. die höchste Aufsicht über dem Kult) ab (vgl. Zosimus, Historia
noua / Neue Geschichte 4,36,5).
Daß die Position des Ambrosius nach 381 gefestigt und sicher war, zeigt sich nicht
zuletzt daran, daß er es war, der zum Usurpator Maximus geschickt wurde, nachdem
Gratian 383 bei seinem Versuch, militärisch gegen Maximus vorzugehen, geschei--
tert und ermordet worden war. Sein Erbe, Valentinian II., ein Sohn Iustinas, war
erst acht Jahre alt und hatte kaum eine Chance, sich gegen Maximus durchzusetzen,
der Großteile der Armee in Britannien und Gallien auf seiner Seite hatte. Die Ver--
handlungen des Ambrosius mit Maximus im Winter 383 / 384 führten jedoch dazu,
daß Maximus nicht unmittelbar seine militärische Überlegenheit ausspielte; in der
Zwischenzeit ergriff Theodosius Partei für Valentinian II. Dieser Zeitverzug ermög--
lichte es dem Heermeister des Mailänder Hofes, Bauto, die Alpenpässe abzuriegeln
und eine Verteidigungsposition aufzubauen, die, als Theodosius sich hinter Valen--
tinian stellte, Maximus auf Gallien, Spanien und Britannien begrenzte. Eine zweite
Mission des Ambrosius an den Hof des Maximus in Trier Ende 384 diente dazu, die
Freigabe des Leichnams Gratians für eine feierliche Beisetzung zu erbitten. Beide
Missionen waren für Ambrosius nicht gefahrlos, zeigen aber zugleich, daß Ambro--
sius in der ›großen Politik‹ eine nicht unerhebliche Rolle spielte.
In der Zeit dieser politischen Krise entbrannte der bereits lange schwelende Streit
um den Victoriaaltar erneut. Nach dem Tod Gratians hatte die heidnische Gruppe
im römischen Senat neue Anstrengungen unternommen, die Wiederaufrichtung
des Altars zu erreichen. Eine neue Gesandtschaft unter Symmachus, wurde an den
Kaiserhof in Mailand geschickt. Die für diesen Anlaß vorgesehene relatio (Eingabe)
ist erhalten (bei Ambrosius, Epistula 72 a [= alte Zählung: 17 a]). Symmachus fordert
hierin die Beibehaltung der alten Tradition und die Freiheit für die heidnische Reli--
gionsausübung: Repetimus igitur religionum statum qui rei publicae diu profuit (Wir
fordern also den Status der Religionen zurück, der dem Staat lange genutzt hat; Epi--
stula 72 a,3 [= alte Zählung: 17 a,3]). Ambrosius hat daraufhin versucht, die Argu--
mente des Symmachus durch ein eigenes Schreiben an Valentinian zu entkräften: Er
bittet um ein Exemplar der relatio des Symmachus, um diese ausführlich zu wider--
legen; vor allem aber erhebt er den Anspruch, daß in Religionsdingen nicht einfach
ein Ausgleich wie im Zivilrecht zu suchen, sondern der Bischof als oberste Autorität
zu konsultieren sei (vgl. Epistula 72,13 [= alte Zählung 17,13]). Nach Erhalt der erbe--
tenen relatio des Symmachus hat Ambrosius in einem weiteren Brief an den Kai--
ser eine detaillierte Widerlegung derselben vorgelegt (vgl. Epistula 73 [= alte Zäh--
lung 18]). Im Ergebnis wurde der Altar der Victoria nicht wieder aufgerichtet. Sym--
machus hatte gegen Ambrosius eine empfindliche Niederlage einstecken müssen;
ein Signal dafür, daß die Christianisierung des Imperium Romanum voranschritt
(bis hin zu den Gesetzen ab 393, die die heidnische Religionsausübung weitestge--
hend gänzlich verboten; vgl. Codex Theodosianus 16,10,10 f).
Wenig später sah sich Ambrosius mit der Forderung des Kaiserhofs konfron--
1 B. Person
sein Verhalten zu sanktionieren. Nach einer Vorahnung des Ambrosius wurden vor
der Stadt die Leichname der Märtyrer Protasius und Gervasius gefunden und fei--
erlich überführt. Nachdem sie zunächst in der (heute nicht mehr lokalisierbaren)
basilica Faustae (Basilika der Fausta) aufgebahrt wurden, wurden sie in die basilica
martyrum (Märtyrerbasilika; bereits von Augustin als basilica Ambrosiana /Ambro--
siusbasilika bezeichnet; conf. 9,16) überführt und hier beigesetzt. Augustin stellt
einen unmittelbaren Bezug zwischen dieser Auffindung der Märtyrergebeine und
der wenig früher erfolgten Zurechtweisung der Iustina her. Gott habe die Leichname
der beiden Märtyrer unversehrt im Verborgenen erhalten, unde opportune prome--
res ad cohercendam rabiem femineam, sed regiam (von woher du [scil. Gott] sie zum
geeigneten Zeitpunkt hervorgeholt hast, um die Raserei der Frau, allerdings der Kai--
serin, einzuschränken; conf. 9,16). Augustin berichtet davon, daß schon bei der Auf--
findung ein Wunder, genauer eine Blindenheilung, geschehen sei (vgl. conf. 9,16).
Ambrosius hat die Auffindung der Märtyrergebeine (die in den Berichten biswei--
len durchaus den Anschein erweckt, als sei sie bewußt inszeniert worden) bewußt
eingesetzt, um den Zusammenhalt der Gemeinde, aber auch die eigene Stellung in
der Stadt zu stärken.
Mit der Auffindung und Beisetzung der Märtyrergebeine verbindet sich ein mas--
sives Bauprogramm, das allerdings in seinen Einzelheiten kaum noch archäologisch
nachweisbar und eindeutig auf Ambrosius zurückführbar ist. Im Zentrum der Stadt
war neben der basilica uetus (der alten Basilika) und einem wahrscheinlich hierzu
gehörenden, auf den Namen des Stephanus geweihten Baptisterium eine basilica
noua bzw. maior (eine neue bzw. größere Basilika) gebaut worden – wobei nicht mehr
erkennbar ist, ob Ambrosius diesen Bau bereits vorgefunden oder selbst veranlaßt hat
– sowie das dazugehörige Baptisterium, das Johannes dem Täufer geweiht war und in
dem vermutlich auch Augustin getauft worden ist. Um die Stadt herum entstanden,
vermutlich in allen vier Himmelsrichtungen, große Basiliken: im Westen die bereits
erwähnte basilica martyrum, im Norden die basilica uirginum (Basilika der Jungfrauen;
später: San Simpliciano), im Süden die basilica Romana bzw. basilica apostolorum (die
römische bzw. die Apostelbasilika), in die etwas später die neu aufgefundenen Reli--
quien des Nazarius überführt wurden (daher dann die Bezeichnung San Nazaro; vgl.
Paulinus von Mailand, Vita Ambrosii / Lebensbeschreibung des Ambrosius 32). Ob im
Osten der Stadt bereits von Ambrosius eine Kirche als basilica saluatoris (Erlöserba--
silika) gebaut wurde, ist nicht ganz sicher; archäologische Erkenntnisse hierüber ste--
hen noch weitgehend aus. Zusammenfassend kann man jedoch sagen: Gemeinsam
mit einigen weiteren, kleineren Kultorten wies Mailand im ausgehenden 4. Jahrhun--
dert einen besonderen Grad der Christianisierung auf, dem Ambrosius durch seine
Bautätigkeit deutlichen Ausdruck verlieh und den er so noch verstärkte (B. I. 2.).
Als Augustin nach Mailand kam, erlebte er, wie Ambrosius als angesehener Bischof
in der Stadt etabliert war und auch Konflikte zu seinen Gunsten zu lösen vermochte.
Das dürfte Augustin tief beeindruckt haben. Die späteren Auseinandersetzungen des
Ambrosius mit Theodosius – insbesondere sein Eingreifen gegen den Wiederauf--
bau der in Callinicum zerstörten Synagoge (vgl. Ambrosius, Epistula extra collectio--
1 B. Person
nem 1 a [= alte Zählung: 40]) und der Konflikt mit Theodosius nach der Strafexpe--
dition, durch die nach der Ermordung eines kaiserlichen Generals unter der Bevöl--
kerung von Thessalonike ein Blutbad angerichtet worden war, woraufhin Ambrosius
Theodosius zur Kirchenbuße aufforderte und ihm andernfalls mit der Verweigerung
der Kirchengemeinschaft drohte (vgl. Ambrosius, Epistula extra collectionem 11 [=
alte Zählung: 54]; erwähnt in ciu. 5,26) – standen noch aus. Gleichwohl galt Ambro--
sius »längst als maßgebende und über den Bereich der eigenen Gemeinde hinaus
als eine bekannte und geachtete Persönlichkeit« (Dassmann, Ambrosius [AL] 271):
Et ueni Mediolanum ad Ambrosium episcopum, in optimis notum orbi terrae (Und
ich kam nach Mailand zum Bischof Ambrosius, der ganzen Welt bekannt als einer
unter den Besten; conf. 5,23).
Ambrosius hat Augustin aber nicht nur als Bischof und einflußreiche Persönlichkeit
beeindruckt, sondern auch in inhaltlich-theologischer Hinsicht. Dabei war Ambro--
sius’ Umgang mit der Bibel entscheidend. Augustin berichtet davon, daß er zunächst
gar nicht aus inhaltlichem, sondern aus beruflich-rhetorischem Interesse die Predig--
ten des Ambrosius besucht habe; er habe überprüfen wollen, ob dieser seinem Ruf
als Redner auch gerecht werde (vgl. conf. 5,24). Er, Augustin, sei dann tatsächlich
erfreut worden suauitate sermonis, quamquam eruditioris minus tamen hilarescentis
atque mulcentis, quam Fausti erat, quod attinet ad dicendi modum (durch die Gefäl--
ligkeit der Rede, die, obwohl sie ziemlich gebildet war, dennoch weniger humorvoll
und einschmeichelnd war, als es bei Faustus der Fall war, was die Art und Weise zu
reden angeht; conf. 5,23). Die Predigten haben Augustin dann aber zunehmend auch
inhaltlich beeindruckt (wobei Augustin, seiner bereits in mag. entwickelten Herme--
neutik folgend, betonte, daß bei den Reden des Ambrosius die Gedanken ueniebant
in animum meum simul cum uerbis, quae diligebam / zeitgleich mit den Worten, die
ich liebte, in meinen Sinn kamen; conf. 5,24). Der Umgang des Ambrosius besonders
mit dem Alten Testament schien ihm, der lange unter dem Einfluß des Manichä--
ismus gestanden hatte, geeignet, die Argumente der Manichäer zu entkräften maxime
audito uno atque altero et saepius aenigmate soluto de scriptis ueteribus (vor allem
nachdem das eine oder andere gehört worden war und dann immer häufiger ein
Rätsel aus den alten Schriften aufgelöst worden war; conf. 6,24). Es geht dabei um
ein geistliches Schriftverständnis (spiritaliter itaque plerisque illorum librorum locis
expositis / nachdem also auf geistliche Weise sehr viele Stellen jener Bücher ausgelegt
worden waren) im Gegensatz zu einem Schriftverständnis ad litteram (dem Buch--
staben nach; vgl. conf. 6,24); 2. Kor 3,6 (Littera occidit, spiritus autem uiuificat / Der
Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig) wurde geradezu zur Auslegungsre--
gel (vgl. conf. 6,6).
In der Tat ist auch in den überlieferten Schriften des Ambrosius die allegorische
Auslegung der entscheidende hermeneutische Zugriff des Mailänder Bischofs auf
das Alte Testament. Damit griff Ambrosius auf die Auslegungstradition Alexandrias
II. Traditionen – 1. Ambrosius 1
zurück, besonders auf Philo und Origenes. Ambrosius dürfte einer der wichtigsten
Vermittler von griechischer Theologie in die lateinische Theologie sein.
Die Philorezeption ist besonders deutlich in einer Reihe kleinerer Traktate, die auf
Predigten des Ambrosius zurückgehen und in den späteren siebziger Jahren entstan--
den sein dürften. Schon in dem Format seiner Schriften (kleineren Traktaten zu aus--
gewählten Figuren des Alten Testaments, die dann auf bestimmte Themen hin gedeu--
tet werden) folgte Ambrosius Philo. In seiner Schrift De paradiso (Über das Paradies)
greift Ambrosius explizit auf eine ältere Deutung zurück, die bereits die Schlange im
Paradies und das Nebeneinander von Adam und Eva gedeutet habe, wonach Adam
den rationalen Teil der Seele bedeute (entsprechend dem νοῦς / der Vernunft; im
Griechischen maskulin), Eva ihren sinnlichen Teil (entsprechend der αἴσθησις / der
sinnlichen Wahrnehmung; im Griechischen feminin; vgl. De paradiso 10). Est ergo
paradisus terra quaedam fertilis, hoc est anima fecunda, in Edem plantata, hoc est in
uoluptate quadam uel exercitata terra, in qua animae sit delectatio. Est enim νοῦς tam--
quam Adam, est et sensus tamquam Eua (Das Paradies ist also ein gewisses frucht--
bares Land, d. h. die fruchtbare Seele, gepflanzt in Eden, d. h. in einer gewissen Lust
und einem gut bestellten Land, an dem die Seele sich erfreuen kann. Denn es gibt
die Vernunft gleichsam als Adam, es gibt auch die Sinneswahrnehmung gleichsam
als Eva; De paradiso 12). In diese Situation gestellt muß die Seele sich richtig orien--
tieren, sie tut dies entweder, indem sie den Sinnen folgt, sich also im Grunde durch
die Schlange verführen läßt, oder indem sie sich durch die Quelle der vier Paradies--
flüsse bewässern läßt: Erat fons qui inrigaret paradisum. Qui fons nisi dominus Iesus
Christus fons uitae aeternae sicut pater? (Es gab auch eine Quelle, die das Paradies
bewässerte. Was für eine Quelle [soll das sein], wenn nicht der Herr Jesus Christus,
Quelle ewigen Lebens wie der Vater?; De paradiso 12). Die vier Paradiesflüsse lassen
sich dann gut als die vier Kardinaltugenden deuten (prudentia / Klugheit, temperan--
tia / Besonnenheit, fortitudo / Tapferkeit und iustitia / Gerechtigkeit).
Im weiteren Verlauf seiner Deutung von Gen 2 f setzt sich Ambrosius explizit mit
Einwänden gegen die Urgeschichte auseinander (Apelles wird genannt in De para--
diso 28). Diese Vorwürfe beziehen sich auf die Frage nach dem Tod des Menschen
und nach Gottes Vorherwissen von Adams Übertretung. Demgegenüber betont
Ambrosius, daß in der Mitte des Paradieses et uita erat et causa mortis (sowohl das
Leben war als auch die Ursache des Todes). Die Urgeschichte verweist gleichsam
schattenhaft auf das gegenwärtige Leben, auf die sündige Existenz im Schatten des
Todes oder auf die umbra uitae (den Schatten des Lebens), das in Christus verbor--
gene Leben (vgl. Kol 3,3; vgl. De paradiso 29). Den Einwand, Adam und Eva hätten
vor dem Genuß vom Baum der Erkenntnis gar nicht über Gut und Böse Bescheid
wissen können, weist Ambrosius zurück: Gerade durch den Genuß der verbotenen
Frucht wußte Eva, daß sie sündigte, und hat trotzdem die Frucht dem Mann darge--
boten: Dando ei quod ipsa gustauerat non uitauit, sed iterauit peccatum (Dadurch, daß
sie ihm gab, was sie selbst genossen hatte, vermied sie nicht, sondern wiederholte sie
die Sünde; De paradiso 33). Durch seine Übertretung zieht sich der Mensch selbst
die Strafe, d. h. den Tod zu: Quia mortis causa inoboedientia fuit, et ideo homo ipse
1 B. Person
sibi mortis est causa, non habens deum suae mortis auctorem (Da der Ungehorsam
der Grund für den Tod war, gerade deswegen ist der Mensch für sich selbst die Ursa--
che des Todes, ohne daß er Gott als Urheber seines Todes hat; De paradiso 35). Die
Anfrage, ob Gott nicht die Übertretung Adams vorhergewußt habe, führt Ambro--
sius ausdrücklich auf diejenigen zurück, qui uetus non recipiunt testamentum et has
inserunt quaestiones (die das Alte Testament nicht annehmen und diese Fragen ein--
führen; De paradiso 38). Diesen ist entgegenzuhalten, daß beide Testamente auf einen
auctor (Urheber) zurückgehen. Das Gebot bzw. Verbot ist nicht überflüssig, auch
wenn es jemandem auferlegt wird, der es übertreten wird. Die Erteilung eines Gebo--
tes ist keineswegs eine Beschädigung dessen, dem das Gebot auferlegt wird, denn es
besteht ja keine necessitas (Notwendigkeit), das Gebot zu übertreten: Si quod acce--
perat custodisset, a peccato potuit abstinere (Wenn er das, was er empfangen hatte,
gehalten hätte, hätte er sich von der Sünde fernhalten können; De paradiso 38). Die
Sünde bekommt ihren Sinn quasi vom Gegenteil her: Non enim consisteret peccatum
si interdictio non fuisset; non consistente autem peccato non solum malitia, sed etiam
uirtus fortasse non esset (Die Sünde würde nicht bestehen, wenn es kein Verbot gäbe;
wenn jedoch die Sünde nicht bestünde, würde vielleicht nicht nur die Schlechtigkeit,
sondern auch die Tugend nicht existieren; De paradiso 38). Die allegorische Ausle--
gung der Paradiesgeschichte wird somit bereits von Ambrosius direkt eingesetzt
gegen die Bestreitung des Alten Testaments, wie sie Augustin von den Manichäern
her vertraut war. Zugleich richtet sie das Augenmerk auf die Ausrichtung der ein--
zelnen Seele und ihre Orientierung an Christus.
Daß Ambrosius jedoch keineswegs ausschließlich allegorisierende Exegese betrieb,
zeigt die Auslegung der Schöpfungsgeschichte im Exaemeron (Sechstagewerk), in der
er sich stark an der entsprechenden Auslegung des Basilius von Cäsarea orientiert.
Basilius hatte in seinen Hexaemeronshomilien explizit versucht, die naturwissenschaft--
lichen Kenntnisse seiner Zeit zu verarbeiten (und Gregor von Nyssa war ihm hierin in
seiner Fortsetzung der Hexaemeronshomilien gefolgt, insbesondere hinsichtlich der
bei Basilius nur kurz gestreiften Erzählung von der Menschenschöpfung). Dies griff
Ambrosius nun auf. Auch wenn er immer wieder versuchte, eine moralische oder auch
allegorische Erweiterung der Auslegung hinzuzufügen (nicht mehr genau erkennbar
ist, was Ambrosius hier der Genesisauslegung des Origenes verdankt), ist seine Aus--
legung der Schöpfungsgeschichte doch vergleichsweise nüchtern und wörtlich und
versucht eher, zum Lob der Schöpfung anzuhalten und die Phänomene in der Schöp--
fung als Ausdruck des gütigen Handelns ihres Schöpfers zu deuten.
Die wichtigste Wirkung, die die Predigt des Ambrosius gerade über alttestament--
liche Texte (die Expositio euangelii secundum Lucam /Auslegung des Lukasevangeli--
ums ist vermutlich später zu datieren) auf Augustin gehabt hat, bestand darin, daß
dieser bemerkte, daß Ambrosius etwas Geistiges unter Gott verstand: Animaduerti
enim et saepe in sacerdotis nostri et aliquando in sermonibus tuis, cum de deo cogi--
taretur, nihil omnino corporis esse cogitandum, neque cum de anima (Ich bemerkte
nämlich auch oft bei den Reden unseres Priesters [scil. Ambrosius] und bisweilen bei
deinen [scil. Theodorus, dem Adressaten der Schrift], daß, wenn über Gott nachge--
II. Traditionen – 1. Ambrosius 1
dacht wurde, überhaupt nichts Körperliches gedacht werden darf, ebensowenig wenn
es um die Seele geht; beata u. 4; vgl. die Abgrenzung gegen eine körperliche Gottes--
vorstellung in conf. 7,1). Für diese Wirkung dürfte nicht zuletzt die Neuplatonismus--
rezeption des Ambrosius entscheidend gewesen sein. Diese findet sich zunehmend
ab der Mitte der achtziger Jahre, besonders deutlich in der Schrift De Isaac et anima
(Über Isaak und die Seele; der Titel De Isaac uel anima / Über Isaak oder die Seele ist
deutlich schlechter belegt; die Schrift ist ca. 386 / 387 entstanden).
Diese Schrift bündelt insofern verschiedene Perspektiven im Denken des Ambro--
sius, als dieser hier die Auslegung der Isaak-Rebekka-Geschichte aus Gen 24 mit
einer Auslegung ausgewählter Verse aus dem Hohelied verbindet und die Schrift mit
einer massiven Bezugnahme auf Plotin enden läßt. Isaak, der auf die Rückkehr des
Brautwerbers wartet, sieht Rebekka kommen (vgl. Gen 24,61–65). Die geschmückte
Rebekka ist dabei als ecclesia (Kirche) zu verstehen: Decora igitur ecclesia, quae ex
inimicis gentibus filios adquisiuit (Schön ist also die Kirche, die aus den feindlichen
Völkern Söhne gewonnen hat; De Isaac et anima 7). Sed potest hoc etiam ad animam
deputari, quae passiones corporis subigit et ad uirtutum officia conuertit repugnantes-
que motus sibi oboedientes efficit (Aber dies kann auch auf die Seele bezogen wer--
den, die die Leidenschaften des Körpers unterdrückt und [sie] auf die Pflichten der
Tugenden hin umwendet und die widerstreitenden Regungen sich gehorsam macht;
De Isaac et anima 7). Damit hat Ambrosius einen Schlüssel für das Verständnis des
Hohelieds gefunden, der in seinem Kern auf Origenes zurückgehen dürfte und bis
weit in das Mittelalter hinein einflußreich werden sollte: Die Liebes- bzw. Hoch--
zeitslieder des Hohelieds werden auf Christus als den Bräutigam und die ecclesia uel
anima (die Kirche oder die Seele) als die Braut, die erotischen Metaphern auf die
Vereinigung zwischen Christus und der Kirche bzw. der Seele bezogen. In diesem
Sinne interpretiert Ambrosius unmittelbar anschließend bereits den Kuß: Osculetur
me ab osculis oris sui (Er küsse mich mit Küssen seines Mundes; Hld 1,2) bezieht sich
auf die Sehnsucht nach oscula uerbi (Küssen des Wortes bzw. des Logos), d. h. dem
Wunsch ut illuminetur diuinae cognitionis lumine (daß sie [scil. die Seele] erleuchtet
werde durch das Licht göttlicher Erkenntnis; De Isaac et anima 8).
Ambrosius erkennt im Hohelied drei Bezugsebenen der Aussagen; über den
angenommenen Verfasser des Hohelieds, Salomo, ist zu sagen: de moralibus uel
naturalibus uel mysticis scripsit (Er schrieb über Ethik oder über die Dinge, die zur
Natur bzw. dem Wesen gehören, oder über die geheimnisvollen Dinge; De Isaac et
anima 23). So läßt sich etwa das gemeinsame Ruhen von Christus und der Kirche
(vgl. Hld 1,16 f) als Aussage de moralibus (über Ethik) verstehen und auf die guten
Werke beziehen. Das Sitzen der Braut im Schatten des Baumes, mit dem der Bräu--
tigam verglichen wird und dessen Frucht die Braut begehrt (vgl. Hld 2,3), meint als
Aussage de naturalibus (über das Wesentliche) die Verachtung des Weltlichen. Als
Beispiel für eine Aussage de mysticis (über geheimnisvolle Dinge) führt Ambrosius
die Aufforderung der Braut an, sie in das Haus des Weines zu führen (vgl. Hld 2,4),
die auf Christus als uitis aeterna (als ewigen Weinstock) zu beziehen ist, die die
Kirche bzw. die Seele mit Liebe umarmt (vgl. De Isaac et anima 27–29). Diese drei
10 B. Person
daß Ambrosius in dieser Hinsicht nicht allein stand. Courcelle hat besonders noch
auf Mallius Theodorus und Simplician hingewiesen, nennen ließen sich außerdem
noch der Freundeskreis, der Augustin nach Cassiciacum begleitete (Alypius, Licen--
tius, Trygetius, Verecundus, eventuell auch Evodius; B. III. 4.), sodann Celsinus
(vgl. Acad. 2,5), Hermogenianus (Empfänger von ep. 1), Zenobius (Empfänger von
ep. 2) und Nebridius (zum Briefwechsel zwischen Nebridius und Augustin gehören
ep. 3–14; vgl. insgesamt Courcelle, Recherches 93–174). Die Verortung des Calci--
dius, des Verfassers eines Timaioskommentars, nach Mailand (und damit zu dem
›Mailänder Kreis‹) scheidet wohl eher aus oder ist zumindest sehr unsicher (vgl.
Markschies, Trinitätstheologie 79 f Anm. 201). Zu nennen wäre schließlich noch
der namentlich nicht genannte Übermittler der Platonicorum libri in conf. 7,13, der
jedoch negativ qualifiziert wird und nicht näher identifizierbar ist (er wurde unter
anderem mit Celsinus identifiziert).
Diese, auf den ersten Blick recht umfangreiche Liste von möglichen Mitgliedern
eines ›Mailänder Kreises‹ schrumpft allerdings ziemlich umgehend zusammen, wenn
man näher untersucht, was über die inhaltliche Ausrichtung der genannten Perso--
nen im einzelnen erkennbar ist. Es »reduzieren sich die neuplatonischen ›Kreise‹
in den beiden Hauptstädten schnell auf sehr wenige Namen, im wesentlichen auf
Marius Victorinus in Rom und Simplicianus in Mailand« (Markschies, Trinitäts--
theologie 80).
Theodorus, später Konsul (vgl. ciu. 18,54) und mit anderen hohen Staatsämtern
betraut, wird von Augustin in beata u. 4 neben Ambrosius genannt, ihm ist beata
u. gewidmet. Zugleich sagt Augustin, daß Theodorus äußerst eifrig Plotini paucis--
simi libri (sehr wenige Bücher Plotins) las. Über eine christliche Ausrichtung des
Theodorus ist hingegen wenig bekannt. Später bezeichnet Augustin ihn in retr. 1,2
als doctus et christianus uir (als gelehrten und christlichen Mann); ob dies schon
für das Jahr 386 zutrifft, bleibt allerdings unklar. Immerhin könnte mit Theodorus
neben Ambrosius ein zweiter Denker namhaft machbar sein, der sich als Christ mit
neuplatonischen Gedanken beschäftigt hat. Ähnliches ist über Simplician zu sagen
(B. II. 12.1.). Über Simplician besteht immerhin auch eine biographische Verbin--
dung zwischen Marius Victorinus, der als Christ ebenfalls massiv neuplatonisches
Gedankenmaterial benutzt hat, und Ambrosius. Doch ist über das Denken Simpli--
cians über die Tatsache, daß er die Plotinlektüre Augustins positiv bewertete, hin--
aus im Grunde nichts sicher aussagbar.
Auch eine Zuordnung der übrigen genannten Männer zu einem ›Mailänder Kreis‹
ist sehr unsicher. Im Fall von Celsinus beruht diese Zuordnung im Grunde auf der
wackeligen Identifikation mit dem nicht namentlich genannten Plotinübermittler in
conf. 7,13. Im Fall von Hermogenianus ist zwar eine Beschäftigung mit den Akade--
mikern nachweisbar (vgl. ep. 1), doch eben kaum weiteres. Für Zenobius läßt sich,
abgesehen von den recht allgemeinen Hinweisen auf die von ihm vertretene uera
et diuina philosophia (die wahre und göttliche Philosophie) in ep. 2 und die Bemü--
hung um die Bildung in ord. 1,4.20.27 auch nichts Substantielles nennen. Immerhin
enthält der Briefwechsel zwischen Nebridius und Augustin einige Passagen, die auf
1 B. Person
wortet (vgl. ep. 54,3; 36,32), habe ihm schließlich für die Vorbereitung auf die Taufe
die Lektüre des Propheten Jesaja empfohlen, die Augustin jedoch nach ersten erfolg--
losen Versuchen abbrach (vgl. conf. 9,13). Letzteres könnte darauf hindeuten, daß der
Kontakt zwischen beiden nicht ungetrübt war, denn zu einer Aussprache über die ver--
suchte Jesajalektüre ist es nicht gekommen. Auch könnte Ambrosius dem jungen und
begabten, von den Manichäern geförderten und von Symmachus empfohlenen Red--
ner skeptisch oder mißtrauisch gegenübergestanden haben. Als Augustin sich ent--
schied, sich taufen zu lassen, teilte er dies Ambrosius lediglich schriftlich mit (vgl. conf.
9,13; dies könnte allerdings auch krankheitsbedingt oder schlichtweg auf die zeitliche
Belastung des Ambrosius zurückzuführen sein). Insgesamt gibt es jedenfalls keine
Hinweise darauf, daß auch Ambrosius seinerseits Augustin besonders aufmerksam
begleitet hätte (in diesem Sinne könnte auch die berühmte Wendung Augustins zu
verstehen sein, Ambrosius habe ihn satis episcopaliter / in einer ganz einem Bischof ent--
sprechenden Weise geliebt, d. h. trotz der Vorbehalte, die er eigentlich gegen ihn hätte
haben müssen und vielleicht auch gehabt hat; vgl. conf. 5,23). Das Verhältnis zwischen
Ambrosius und Augustin ist ein ungleiches. Während Ambrosius seinen berühmten
Täufling nirgends erwähnt, nennt Augustin Ambrosius nicht nur in den conf., son--
dern auch in anderen Werken häufig und regelmäßig, angefangen mit dem Zitat aus
dem ambrosianischen Hymnus in beata u. 35 bis hin zu den zahlreichen Zitaten im
Pelagianischen Streit (vgl. Dassmann, Ambrosius [AL] 275–277). Der inhaltliche Ein--
fluß des Ambrosius auf Augustin ist schwer zu ermessen, unter anderem fehlen hier
noch weitgehend einschlägige Forschungsbeiträge (vgl. Dassmann, Ambrosius [AL]
277–281). Fest steht aber, daß Ambrosius für Augustin ein leuchtendes Beispiel war,
als Bischof ebenso wie als Theologe. Nicht zufällig war es daher Augustin, der Pau--
linus von Mailand aufforderte, eine Vita Ambrosii (Lebensbeschreibung des Ambro--
sius) zu schreiben (vgl. Paulinus von Mailand, Vita Ambrosii 1).
Courcelle, Pierre: Recherches sur les Confessions de saint Augustin, Paris 1950, erweiterte und
illustrierte Neuausgabe Paris 1968.
Dassmann, Ernst: Ambrosius von Mailand. Leben und Werk, Stuttgart 2004.
— Art. Ambrosius, Augustinus-Lexikon 1 (1986–1994), 270–285.
Markschies, Christoph: Ambrosius von Mailand und die Trinitätstheologie. Kirchen- und theolo-
giegeschichtliche Studien zu Antiarianismus und Neunizänismus bei Ambrosius und im latei--
nischen Westen (364–381 n. Chr.), Beiträge zur Historischen Theologie 90, Tübingen 1995.
— Einleitung, in: Ambrosius von Mailand: De fide [ad Gratianum] – Über den Glauben [an
Gratian]. Erster Teilband, übersetzt und eingeleitet von Christoph Markschies, Fontes Chri--
stiani 47 / 1, Turnhout 2005, 9–133.
Volker Henning Drecoll
1 B. Person
Literatur (vgl. conf. 4,30 u. ö.) mag ausschlaggebend gewesen sein. Unter Umständen
zwingt ihn jedoch auch die finanzielle Situation dazu, auf die rechtswissenschaftli--
chen Zusatzkurse zu verzichten (so die These von Lepelley, Spes 336) und statt des--
sen baldmöglichst als immerhin schon Achtzehnjähriger für das Auskommen der
vaterlosen Familie zu sorgen (vgl. conf. 4,2).
Nach den ersten berufspraktischen Erfahrungen in der Heimatstadt erscheint die
Umsiedlung nach Karthago aus privater und vor allem beruflicher Sicht folgerichtig
und konsequent. Dorther stammt vermutlich die Mutter seines Kindes und deren
Familie, dort bestehen die Kontakte zu seinen ehemaligen Dozenten, dorthin, in das
intellektuelle Zentrum Afrikas und eine der größten Städte des gesamten Reiches,
strebt eine zum Teil zahlungskräftige Schülerschaft (vgl. Brown, Augustinus 55). Das
Erteilen von Rhetorikunterricht könnte sich bei entsprechender Reputation als ein
einträgliches Unternehmen erweisen. Diese zu erwerben, muß daher oberstes Ziel
sein. Die verschärfte Konkurrenzsituation scheint Augustin in dieser Phase geradezu
beflügelt zu haben: Eifrig hält er öffentliche Vorträge, z. B. im Theater (vgl. conf. 4,1),
nimmt an (Dichter-)Wettbewerben teil (vgl. conf. 4,3), ist in all diesen Dingen recht
erfolgreich. Er erhält eine Ehrung vom Prokonsul höchstpersönlich (vgl. conf. 4,5);
sein Ansehen wächst, und er ist in der glücklichen Lage, sich seine Schüler auch nach
moralischen Kriterien (vgl. conf. 4,2) bereits aussuchen zu können.
Angestachelt durch seine Erfolge schlägt der immer schon von der Familie und
dem gesamten sozialen Klima seiner Umgebung geschürte Ehrgeiz nun vollends
durch. Ihm wird deutlich, daß ein wichtiger Schlüssel zu einer gesteigerten Berühmt--
heit in der literarischen Tätigkeit liegt. Der Blick ist nicht mehr auf Afrika beschränkt,
sondern tastet sich bereits weiter in Richtung Italien vor. Der Adressat seines Erst--
lingswerkes mit dem Titel De pulchro et apto (Über das Schöne und das Angemes--
sene), welches er um das Jahr 381 verfaßt, ist in bezeichnender Weise ein gewisser
Rhetor Hierius in Rom. Von diesem damals in Fachkreisen berühmten Manne erhofft
sich Augustin offensichtlich viel; jedenfalls möchte er ihm bekannt werden und mit
einer geistreichen Schrift, die vor allem anderen seine große Gelehrsamkeit zur Schau
stellen soll (vgl. conf. 4,23), gleichsam seine ›Visitenkarte‹ übersenden.
Die einzigen Informationen über die schon zu Augustins Lebzeiten verlorene
Schrift pulch. entstammen einer Beschreibung durch den Autor selbst im 4. Buch
der conf. Demnach handelt es sich um eine in zwei oder drei Büchern – Augustin ist
zwei Jahrzehnte später nicht mehr alles erinnerlich – entwickelte Ästhetiklehre, die
vor religionsphilosophischem Hintergrund die Frage nach Ursache und Gestalt des
pulchrum (des Schönen) bzw. der pulchritudo (der Schönheit) stellt. Ausgangspunkt
ist die Beobachtung einer grundlegenden Dichotomie im Bereich des Ästhetischen
(vgl. conf. 4,20): Es gebe einerseits Dinge, die aus sich heraus schön seien, und zwar
dadurch, daß sie quasi totum (gleichsam eine Ganzheit) darstellten; anderes emp--
finde man als schön, quoniam apte accommodaretur alicui (weil es an irgendetwas
gut angepaßt sei). Diese zweifache Bestimmung des Schönen habe er zunächst an
einigen Beispielen im materiellen Bereich verifiziert, aber auch im geistigen Bereich
durchaus analoge Strukturen feststellen können (vgl. conf. 4,24). So sei auch dem
1 B. Person
tio (diesen Aberglauben; Acad. 1,3) gewinnen konnte, zählten sein Förderer Roma--
nianus (vgl. Acad. 1,3), in dessen Haus er zunächst Aufnahme gefunden hatte, als
er etwa im Jahr 374 Grammatik in Thagaste unterrichtete (vgl. Acad. 2,3), sowie
der in conf. 4,7 genannte Jugendfreund, dessen Name unbekannt ist. Sein plötzli--
cher Tod veranlaßte Augustin, nach Karthago zurückzukehren, wo er Rhetorik zu
unterrichten begann.
Hier gelang es ihm, seinen Schüler Alypius, den er schon aus dem Grammatik--
unterricht in Thagaste kannte, für die manichäische Lehre zu gewinnen (vgl. conf.
6,12). Sodann drängte er den gebildeten Heiden Honoratus, wohl einen Studien--
freund, sich näher damit auseinanderzusetzen (vgl. util. cred. 2), und er machte hier
die Bekanntschaft des Nebridius, eines weiteren gebildeten Heiden, der sich eben--
falls den Manichäern angeschlossen hatte (vgl. conf. 6,17), eines gewissen Corne--
lius, über den sonst kaum etwas bekannt ist (vgl. ep. 259,3), des späteren Presby--
ters Fortunatus (C. I. 6.1.) sowie eines weiteren Fortunatus und des Profuturus
(vgl. un. bapt. 29). Wie Augustin selbst mehrfach hervorhebt, hat er in öffentlichen
Diskussionen mit Anhängern der catholica die manichäische Position häufig und
mit Erfolg vertreten (vgl. duab. an. 11.18; perseu. 53; c. ep. Man. 3). Per [...] tempus
annorum nouem [...] seducebamur et seducebamus (Neun Jahre lang wurden wir
verführt und haben verführt; conf. 4,1; vgl. Decret, L’Afrique manichéenne I, 355 f
zu Alypius, 357 f zu Augustin, 360 zu Cornelius, 368 f zu Honoratus, 371 f zu Nebri--
dius und 373 f zu Romanianus).
In conf. 4,26 erwähnt Augustin ein instruktives Beispiel, wie er als manichäischer
auditor mit Katholiken disputiert hat: Cur ergo errat anima, quam fecit deus? (Warum
geht die Seele in die Irre, die Gott doch erschaffen hat?), fragte er seine Diskussions--
gegner herausfordernd, womit letztlich die Frage des unde malum? (Woher stammt
das Böse?) gestellt ist. Und man mag mit Bernhart (859 Anm. 27) vermuten, daß
er sich dabei auch jener Anfragen der Manichäer an die katholische Lehre bediente,
die er in conf. 3,12 und 6,7 referiert und die das anthropomorphe Gottesbild des
Alten Testaments, die moralisch zweifelhafte Lebensführung der alttestamentlichen
Patriarchen sowie die Autorität der christlichen Bibel schlechthin betreffen (vgl.
conf. 3,11–14).
Diese Punkte führen zu der Frage nach den Gründen, die den jungen Augustin
veranlaßt haben, sich dem Manichäismus zuzuwenden (vgl. dazu ausführlich Feld--
mann, Einfluß; eine gute Zusammenfassung dieser Studie in Ders., Sinn-Suche). Auf
der Grundlage des für diese Frage zentralen Textes conf. 3,7–10 läßt sich Augustins
intellektuelle Situation zu dieser Zeit wie folgt rekonstruieren: In dem betreffenden
Jahr seines Studiums stand die Lektüre von Ciceros Dialog Hortensius (Hortensius)
auf dem Lehrplan, bei der es sich um einen philosophischen Protreptikos handelt,
um eine ›Aufforderung‹ zu einem Leben, das durch ›Liebe zur Weisheit‹ gekenn--
zeichnet ist. Sed liber ille ipsius exhortationem continet ad philosophiam (Aber jenes
Buch eben dieses [scil. Cicero] enthält eine Aufforderung zur Philosophie; conf. 3,7).
Amor autem sapientiae nomen graecum habet philosophiam (Die Liebe zur Weis--
heit jedoch hat im Griechischen den Namen ›Philosophie‹; conf. 3,8). Diese Lektüre
150 B. Person
hatte einen nachhaltigen Einfluß auf Augustin: Delectabar in illa exhortatione, quod
non illam aut illam sectam, sed ipsam quaecumque esset sapientiam ut diligerem [...]
excitabar (Ich freute mich über diese Aufforderung, weil ich angeregt wurde, nicht
die eine oder andere [philosophische] Richtung zu verfolgen, sondern die Weis--
heit selbst, was immer sie auch sei, zu lieben; conf. 3,8). Er war hier auf das Ideal
des antiken Wissenschaftlers gestoßen, das nicht in der Erlangung weltlicher, zeitli--
cher Güter wie diuitiae (Reichtum), gloria (Ruhm) oder uoluptas (sinnlichem Ver--
gnügen) besteht, sondern in der Suche nach der Wahrheit, deren schließliche Schau
zum glückseligen Leben, zum Aufstieg der Seele zum Göttlichen führt (vgl. Feld--
mann, Sinn-Suche 104 f).
Unter dem Eindruck des Hortensius wendet sich Augustin dann jedoch nicht
einer vertieften philosophischen Lektüre zu, quod nomen Christi non erat ibi (weil
der Name Christi dort nicht stand; conf. 3,8); statt dessen greift er zur Bibel. Es gibt
heute keinen Grund mehr, dies als spätere Stilisierung des Verfassers der conf. zu
werten. Offensichtlich hat Augustin den Gedanken des Aufstiegs der Seele zu Gott
mit dem Glauben assoziiert, in dem er von seiner Mutter erzogen worden war. Dies
führte jedoch zu einer herben Enttäuschung, denn die christliche Bibel erschien ihm
unwürdig im Vergleich zur Tulliana dignitas (zur Würde der Schriften Ciceros; vgl.
conf. 3,9). Damit ist kaum, wie häufig vermutet worden ist, das stilistische Gefälle
zwischen der Kunstprosa Ciceros und der altlateinischen Bibelübersetzung gemeint
(so z. B. Perler, Les Voyages 129), sondern es handelt sich um das Aufeinandertref--
fen zweier ›Sprach- und Denkstrukturen‹, nämlich der philosophisch-rationalen des
Hortensius mit der narrativen der Bibel (vgl. Feldmann, Sinn-Suche 111): Wie sollte
eine ›Liebe zur Weisheit‹ im Sinne Ciceros mit den widersprüchlichen Stammbäu--
men Jesu, wie sie im Neuen Testament begegnen (vgl. s. 51,6; Courcelle, Recherches
60–64), oder eben mit den Erzählungen über die nach durchaus weltlichen Gütern
strebenden Patriarchen zusammengehen?
Vor diesem Hintergrund wird verständlich, was Augustin in diesem Moment sei--
nes Lebens suchte: ein im Sinne Ciceros rational zu verantwortendes und intellek--
tuell befriedigendes Christentum, das dem jungen Rhetor offenbar nur die Mani--
chäer liefern zu können schienen. In ihren Ausführungen fanden sich zum einen
syllaba[e] nominis tui et domini Iesu Christi et paracleti consolatoris nostri spiritus
sancti (die Silben deines Namens und des Herrn Jesus Christus und des Parakleten,
unseres Trösters, des Heiligen Geistes; conf. 3,10), zum anderen sprachen sie stän--
dig von ueritas (Wahrheit; vgl. conf. 3,10), präsentierten sich also als christlich und
als rational. Sie versprachen Erkenntnis Gottes und des Menschen und schienen
eine konsistente Antwort auf die Frage nach dem Ursprung des Bösen zu haben.
Sie erhoben den Anspruch non iugum credendi inponere (nicht das Joch des Glau--
bens aufzuerlegen; util. cred. 21), und ihre electi (Erwählten) führten augenschein--
lich das asketische Leben von an weltlichen Gütern nicht interessierten Weisen (vgl.
mor. 1,2: Vitae castae et memorabilis continentiae imaginem praeferunt / Sie tragen
den Anschein eines keuschen Lebens und einer bemerkenswerten Enthaltsamkeit
vor sich her). Es bedurfte einer längeren intellektuellen Reifung, bis Augustin zu der
III. Entwicklungen – . Augustin als Manichäer 151
Einsicht kam, daß eine, nach damaligen Maßstäben, rationale Welterklärung bei den
Manichäern nicht zu finden war.
Augustin berichtet nicht sehr ausführlich von seiner manichäischen Zeit. In ihrer
Summe zeigen seine verstreuten Anspielungen jedoch, daß er seinen Manichäismus
nicht nur intellektuell, was sich schon aus seiner oben dargestellten apologetisch-mis--
sionarischen Tätigkeit ergibt, sondern auch praktisch ernst genommen hat. Augu--
stin war lange Zeit von der sanctitas (der Heiligkeit) Manis beeindruckt und hat ihn
deshalb als Autorität anerkannt (vgl. conf. 5,9). Er hat daran geglaubt, daß sowohl
der Feigenbaum wie auch seine Frucht, einmal gepflückt, lacrimae lacteae (milchige
Tränen) aufgrund einer solchen Schädigung des Lichtelements in ihnen vergie--
ßen (vgl. conf. 3,18; vgl. dazu die Episoden über das blutende Gemüse und die spre--
chende Palme in CMC 6 / 2–10 / 15); ferner hat er geglaubt, daß die electi durch ihre
Verdauung das in dieser Feige angesammelte Licht erlösen können (vgl. conf. 3,18).
Er hat den manichäischen Mythos in einem wörtlichen Sinne angenommen, wie er
in conf. 3,11 hervorhebt: Volantem [...] Medeam etsi cantabam, non adserebam, etsi
cantari audiebam, non credebam: Illa autem credidi. (Auch wenn ich die fliegende
[...] Medea besang, so hielt ich es doch nicht für wahr; auch wenn ich hörte, daß sie
besungen wurde, glaubte ich es nicht. Jene Dinge [scil. die fünf Elemente der Fin--
sternis] aber habe ich geglaubt; conf. 3,11); und er war davon überzeugt, daß seine
Seele ein Teil des lichten Gottes sei: Mihi [...] putanti, quod tu, domine deus ueritas,
corpus esses lucidum et immensum et ego frustum de illo corpore (Ich glaubte, Herr,
Gott, Wahrheit, daß du ein lichter, unermeßlicher Körper seiest und ich ein Stück
von diesem Körper; conf. 4,31).
Des weiteren scheint Augustin sich an die für einen auditor geltenden Gebote
weitgehend gehalten zu haben, d. h. er hat an den manichäischen Gottesdiensten teil--
genommen (vgl. c. Fort. 1 f), die Hymnen gesungen (vgl. conf. 3,14; vgl. dazu Feld--
mann, Christus-Frömmigkeit 208 f) und er wird am Sonntag gefastet und sich im
Gebet zur Sonne oder zum Mond hingewandt haben (vgl. ep. 263,2). Das Gebot,
kein lebendiges Wesen zu töten, nahm er ernst genug, um die Offerte eines haru--
spex, eines Eingeweidebeschauers, auszuschlagen, seine Chancen in einem Dich--
terwettbewerb auszuloten. Denn der auditor wollte nicht muscam pro uictoria mea
necari (daß für meinen Sieg eine Fliege getötet wird; conf. 4,3). Statt dessen wandte
er sich an die mathematici (die Sterndeuter), die ihr Geschäft ja ohne Opfer prakti--
zierten, was jedoch, soweit wir es auf der Grundlage von Originalquellen beurteilen
können, bei den Manichäern ebenfalls nicht sehr hoch im Kurs stand (vgl. Mani-
chäische Homilien 30 /3).
Astronomie und Astrologie waren in der Antike bekanntlich nicht streng getrennt,
und so war es Augustins philosophische Bildung (Multa philosophorum legeram
memoriaeque mandata retinebam / Ich hatte viele Bücher von Philosophen gelesen
und ihre Empfehlungen im Gedächtnis behalten, conf. 5,3; neben den Categoriae / der
Kategorienschrift des Aristoteles [vgl. conf. 4,28] werden darunter jene Werke zu ver--
stehen sein, die im Rahmen eines Studiums der artes liberales / der freien Künste übli--
cherweise gelesen wurden), die ihn insbesondere an diesem Punkt an der manichä--
15 B. Person
ischen Welterklärung mit der Zeit zweifeln ließ. Er kannte die gängigen Theorien
zur Bewegung der Gestirne (vgl. conf. 5,4) und kam zu dem Ergebnis, daß sie mit
der manichäischen Interpretation der Mondphasen als Aufnahme und Abgabe des
aus der Welt befreiten Lichtes nicht vereinbar waren. Denn hier, in libris saecularis
sapientiae (in den Büchern der weltlichen Weisheit), fand er eine rationale, an der
Empirie ausgerichtete Methode (Occurebat mihi ratio per numeros et ordinem tem--
porum et uisibiles attestationes siderum / Es begegnete mir eine Wissenschaft auf der
Grundlage von Zahlen, Zeitenabfolge und sichtbaren Zeugnissen der Sterne), die er
in den dicta Manichaei (den Aussprüchen Manis) vermißte (vgl. conf. 5,6). Augustin
wurde sich an diesem Punkt der manichäischen Lehre also einer Diskrepanz bewußt,
die zwischen dem Anspruch auf Rationalität und dem Inhalt manichäischer Schrif--
ten klaffte: Libri quidem eorum pleni sunt longissimis fabulis de caelo et sideribus et
sole et luna (Ihre Bücher sind nämlich voll von weitschweifigen Geschichten über
Himmel, Sterne, Sonne und Mond; conf. 5,12 – ein Blick in das Inhaltsverzeichnis
der koptischen Kephalaia / Hauptstücke [Kephalaia I, XV–XXXII] illustriert gut, was
Augustin damit gemeint haben wird).
Weitere Zweifel, die Augustin und seine manichäischen Freunde schon in Kar--
thago hegten, auch wenn sie in den conf. erst an späterer Stelle erwähnt werden,
beziehen sich auf die manichäische Bibelkritik und auf die dualistische Grundkon--
zeption des Mythos. Etiam apud Carthaginem (schon in Karthago) hatten die Reden
des Elpidius Augustin beeindruckt, mit denen er der manichäischen These einer Ver--
fälschung der neutestamentlichen Schriften entgegentrat (vgl. conf. 5,21; C. I. 6.2.).
Insbesondere aber ist hier jener iam diu ab usque Carthaginem a Nebridio (schon
längst [noch] in der Karthago[zeit] von Nebridius) vorgebrachte Einwand zu erwäh--
nen, daß dem wahren, allmächtigen Gott, sofern er denn wirklich allmächtig ist,
ein Angriff nescio quae gentis tenebrarum (irgendeines Geschlechtes der Finster--
nis) gegen dessen Willen gar nichts hätte anhaben können (vgl. conf. 7,3; ausführ--
lich C. I. 6.1.). Dieses vor dem Hintergrund platonisch-philosophischer Gotteslehre
formulierte Argument gegen das manichäische Gottesbild verfehlte seine Wirkung
nicht: Omnes, qui audieramus, concussi sumus (Wir alle, die wir es gehört hatten,
waren darüber erschüttert; conf. 7,3).
Zur Lösung dieser Probleme, insbesondere der astronomischen, hatten Augu--
stins Glaubensbrüder ihn an den manichäischen Bischof Faustus von Mileve verwie--
sen (vgl. conf. 5,10), mit dem Augustin schließlich zwischen Ende 382 und Sommer
383 in Karthago zusammentraf. Die Begegnung führte jedoch zu einer nachhaltigen
Ernüchterung, da Faustus sich ihm als expers liberalium disciplinarum (unwissend
in den freien Wissenschaften) und als imperitus (ungebildet) präsentierte (vgl. conf.
5,11 f). Faustus gestand offen ein, daß er nicht in der Lage wäre, auf Augustins Fra--
gen bezüglich der Bewegung der Sterne eine befriedigende Antwort zu geben (vgl.
conf. 5,12) – womit Augustins Enthusiasmus für die Religion des Lichts zu schwin--
den begann (vgl. conf. 5,13).
Im Jahr 383 verließ Augustin Karthago und ging nach Rom, um dort weiterhin als
Rhetoriklehrer zu wirken. Freunde hatten ihm bessere Karrierechancen in Aussicht
III. Entwicklungen – . Die ›Bekehrung‹ 15
gestellt (vgl. conf. 5,14). Er unterhält weiterhin intensive Verbindungen mit Manichä-
ern, und zwar sowohl mit auditores als auch mit electi, und findet Aufnahme im
Haus eines römischen Hörers (vgl. conf. 5,18). Manichäische Freunde waren es auch,
die ihm die Tür bei Symmachus öffneten und ihm somit zur Berufung auf die Rhe--
torikprofessur in Mailand verhalfen (vgl. conf. 5,23). Augustin bleibt also in dieser
Zeit äußerlich noch Manichäer, si nihil melius reperirem (solange ich nichts Besse--
res fände; conf. 5,18). Intellektuell jedoch wandte er sich der Skepsis der neuen Aka--
demie zu (vgl. conf. 5,19; B. II. 2.; B. III. 4.).
Brown, Peter: Augustine of Hippo. A Biography, Berkeley / Los Angeles 1967; deutsche Über--
setzung: Ders.: Augustinus von Hippo. Eine Biographie, aus dem Englischen von Johannes
Bernard und Walter Kumpmann, Frankfurt am Main 1973, erweiterte Neuausgabe München
2000 [besonders 39–61].
Feldmann, Erich: Der Einfluß des Hortensius und des Manichäismus auf das Denken des jun--
gen Augustinus von 373, 2 Bd.e, Diss., Münster 1975.
— Sinn-Suche in der Konkurrenz der Angebote von Philosophien und Religionen. Exemplari--
sche Darstellung ihrer Problematik beim jungen Augustinus, in: Mayer, Cornelius P. (Hg.)
unter Mitwirkung von Karl Heinz Chelius: Homo spiritalis. Festgabe für Luc Verheijen zu
seinem 70. Geburtstag, Cassiciacum 38, Würzburg 1987, 100–117.
van Oort, Johannes: Jerusalem and Babylon. A Study into Augustine’s City of God and the Sour--
ces of his Doctrine of the Two Cities, Supplements to Vigiliae Christianae 14, Leiden u. a. 1991
[besonders 33–47].
Gregor Wurst
Die Schrift beata u. (C. I. 2.) geht auf einen Dialog zurück, der am 13.–15. Novem--
ber stattfand. Dieser Dialog ist (wohl noch 386) überarbeitet worden, vor allem durch
einen Vorspann erweitert worden. Dieser Vorspann vergleicht die Suche nach der
beata uita (dem seligen Leben) mit einer Seefahrt und das Finden der richtig ver--
standenen philosophia (Liebe zur Weisheit) mit der Ankunft in einem Hafen. Dabei
unterscheidet Augustin drei Arten von Leuten, die aufs Meer fahren: Die einen gelan--
gen relativ unproblematisch einfach mit Erreichen des entsprechenden Alters und
des damit verbundenen Vernunftgebrauchs in den Hafen, die anderen lassen sich
durch das weite Meer locken und fahren weit hinaus, vergessen sogar über lange Zei--
ten hinweg ihre Heimat, bis sie, durch Hindernisse irgendwelcher Art gestört, sich in
Bücher von weisen Männern vertiefen und so zum Hafen gelangen. Schließlich gibt
es drittens noch einige, die in der Jugend in die falsche Richtung segeln, dann aber
sich der Heimat erinnern und mehr oder weniger direkt zum Hafen gelangen (vgl.
beata u. 1). Vor dem Hafen steht als größtes Hindernis ein großer Berg, der den Vor--
beisegelnden verheißt, das eigentliche Ziel zu sein, übertragen ist es die Suche nach
Anerkennung und Ehre (vgl. beata u. 1). Augustin, der sich wohl zur dritten oder auch
zur zweiten Art rechnet, schließt hieran die Etappen seines eigenen Werdegangs an.
Nach der Entdeckung der Liebe zur Weisheit anhand von Ciceros Hortensius (Hor--
tensius), der Phase als Manichäer (B. II. 5. und B. III. 2.) und als Anhänger der akade-
mischen Skepsis (B. II. 2.) sei er nach Italien gekommen. Hier habe er drei Impulse
erhalten, die ihn zur Ankunft im Hafen der Philosophie getrieben hätten:
Zuerst habe er in den Predigten des Ambrosius und in Diskussionen mit dem
Adressaten von beata u., Theodorus, verstanden, daß weder unter Gott noch unter
der Seele etwas Körperliches zu verstehen sei. Sich der philosophia zuzuwenden,
wurde aber durch das Bestreben, sich zu verheiraten und Ehre zu erlangen, noch
verhindert.
Sodann habe er sich in Plotin vertieft und versucht, zwischen Plotins Gedanken
und der kirchlichen Lehre (etwa des Ambrosius; Acad. 2,5 belegt intensive Paulus--
lektüre) eine Synthese herzustellen. Jetzt hinderte ihn an der Zuwendung zur philo--
sophia noch die Meinung und Einschätzung anderer.
Schließlich habe dann ein pectoris dolor (ein Lungenleiden) dazu geführt, die Last
des Rhetorenberufs als unerträglich einzuschätzen – ein äußerer Anstoß, der end--
lich zur Ankunft im ruhigen Hafen der Philosophie geführt habe.
In dieser Darstellung ist die Krise einer Krankheit also der schließlich definitive
Punkt, der die schon seit längerem beabsichtigte Hinwendung zum neuen Lebensty--
pus herbeiführt, nicht eine wie auch immer geartete Bekehrungsszene.
Damit ist zugleich der wichtigste Unterschied zu der Darstellung in den conf.
genannt, denn hier schildert Augustin am Ende von conf. 8 eine Situation, in der sich
für ihn der feste Entschluß ergibt, einen neuen Lebenstypus zu wählen und umzuset--
zen, die berühmte Gartenszene. Auch diese Szene ist jedoch nicht isoliert zu betrach--
ten, sondern im Kontext besonders von conf. 7 f.
Dabei ist zunächst zu beachten, daß die conf. keine klassische Autobiographie
sind, da nur etwa die Hälfte des gesamten Textes (vgl. conf. 1–9) auf das eigene Leben
III. Entwicklungen – . Die ›Bekehrung‹ 155
Notwendigkeit für die Sendung eines Teils Gottes (gemeint sind die Berufungen im
Manichäismus, die mit der Inkarnation identifiziert wurden, B. II. 5.) (vgl. conf. 7,3).
Aufgrund dieser Ablehnung des Manichäismus stand für Augustin damals bereits
fest, daß Gott selbst incorruptibilis (einer, der nicht zugrundegerichtet bzw. verdor--
ben werden kann) sein muß (vgl. conf. 7,6). Quasi als Testfrage, ob eine Gottesvor--
stellung haltbar ist und dem Axiom incorruptibile corruptibili esse praeferendum (das
Unverderbbare ist dem Verderbbaren vorzuziehen; conf. 7,6) entspricht, stellte sich –
im Anschluß an das Nebridiusargument – die Frage unde malum? (Woher stammt
das Böse?; conf. 7,7) heraus. Die Frage ist also nicht primär ethisch motiviert, son--
dern soll sicherstellen, daß das Böse in der Welt nichts an der Unvergänglichkeit und
Unverderbbarkeit Gottes ändert, weil dieser sonst nicht in schlechthinnigem Sinne
gut ist (Vbi igitur uidebam incorruptibile corruptibili esse praeferendum, ibi te quaerere
debebam atque inde aduertere, ubi sit malum, id est unde sit ipsa corruptio qua uiolari
substantia tua nullo modo potest / Ich mußte dich also dort suchen, wo – wie ich sah –
das Unverderbbare dem Verderbbaren vorgezogen werden muß, und von dort her
wahrnehmen, wo das Böse ist, d. h. woraus das Verderben selbst entsteht, durch das
deine Substanz auf keine Weise gewaltsam angetastet werden kann; conf. 7,6).
Die zweite Konzeption, die Augustin bereits abgelehnt hatte, war die Astrologie. In
dieser Ablehnung, die ihm in Gesprächen mit zwei Freunden, nämlich Vindicianus
und Nebridius, klargeworden war, sah er sich bestätigt, als er mit einem weiteren
Freund, Firminus, ins Gespräch kam und dieser davon berichtete, daß seine Mutter
ihn zeitgleich mit einem Sklaven geboren habe, daß ihr Lebensweg und Geschick
aber ganz unterschiedlich verlaufen seien (vgl. conf. 7,8). Im Rückblick sieht Augustin
dies auch in dem Zwillingspaar Jakob und Esau belegt, die ebenfalls (fast) zeitgleich
geboren sind und trotzdem ein ganz unterschiedliches Schicksal erlitten haben (vgl.
conf. 7,9 f). In dieser Situation, als der Manichäismus und die Astrologie längst abge--
lehnt waren, die Gottesvorstellung noch materialistisch und die Frage unde malum
ungeklärt waren, gab ihm ein Bekannter gewisse Platonicorum libri (Bücher der Pla--
toniker; vgl. conf. 7,13).
Diese Aussage über die Platonicorum libri hat eine lebhafte und kontroverse For--
schungsdiskussion ausgelöst. Zunächst ist die Identität dieses Bekannten (eventuell
Theodorus, dem beata u. gewidmet war?) in der Forschung heftig umstritten, mit
dem Ergebnis, daß sie ungewiß bleibt.
Auch darüber, welche Schriften mit den Platonicorum libri gemeint sind, besteht
kein Konsens in der Forschung. Man wird wohl daran denken dürfen, daß es sich
um neuplatonische Schriften handelt, ziemlich wahrscheinlich ist Plotin (der ja auch
in beata u. 4 genannt wurde). Unsicher ist, inwiefern auch Werke des Porphyrius zu
den Platonicorum libri gehörten. Der Einschätzung durch Heinrich Dörrie und Jean
Pépin, daß Porphyrius im Grunde die eigentliche Hauptquelle für den von Augustin
rezipierten Neuplatonismus gewesen sei (vgl. Dörrie, Porphyrius als Mittler; PÉpin,
Ex Platonicorum Persona), ist in der Forschung widersprochen worden. Denn es ist
ja methodisch nicht nur danach zu fragen, welche Gedanken bei Augustin sich für
Porphyrius belegen oder (angesichts der eher schlechten Überlieferungslage bei Por--
III. Entwicklungen – . Die ›Bekehrung‹ 15
phyrius in der Mehrzahl der Fälle) vermuten lassen, sondern man wird zusätzlich
danach fragen müssen, welche Punkte sich nicht ebenso gut (oder besser) bei Plo--
tin finden lassen oder aus einer Plotinrezeption erklären lassen. Zu zeigen wären
also die spezifisch porphyrianischen Gedanken, nicht alle möglichen platonischen
Grundgedanken und die bei Plotin belegten Gedanken.
Die Forschungssituation wird dadurch noch verkompliziert, daß für die Erhe--
bung der Philosophie des Porphyrius nicht nur die sicher porphyrianischen Frag--
mente verwendet wurden, sondern zum Teil auch ein anonym überlieferter Kom--
mentar zu Platons Dialog Parmenides (Parmenides). Diesen (in einer Palimpsest--
handschrift in Turin erst Ende des 19. Jahrhunderts entdeckten) Kommentar hatte
Pierre Hadot (vor allem durch inhaltliche Vergleiche mit Schriften des Marius Vic--
torinus, in denen er ebenfalls Porphyrius als Hauptquelle vermutete) dem Porphy--
rius zugeschrieben (für Hadot stützen sich also die Zuschreibung des von Victorinus
verwandten neuplatonischen Materials und die Zuschreibung des anonymen Parme--
nideskommentars gegenseitig, vgl. Hadot, Porphyre). Doch bestehen in der jüngeren
Forschung zu dem anonymen Parmenideskommentar verstärkt wieder Zweifel daran,
ob er wirklich von Porphyrius stammt. Zugleich hat Michel Tardieu für das von Vic--
torinus verwandte Material eine überraschende Parallele entdeckt, und zwar in einem
Traktat aus Nag Hammadi (Nag Hammadi Codex VIII,1) mit dem Titel Zostrianus
(vgl. Tardieu, Recherches). Aufgrund der Datierung der Nag-Hammadi-Schriften
und der inhaltlichen Gegebenheiten der Parallele ist das von Victorinus verwandte
platonische Material nicht mehr so eindeutig als neuplatonisch (d. h. nachplotinisch)
einzustufen, sehr wohl in Frage kommt auch mittelplatonisches Material (oder sogar
die Benutzung der gnostischen Schrift Zostrianus durch Victorinus selbst).
Die Frage nach der Identität der Platonicorum libri ist also nicht abschließend
geklärt. Inhaltlich macht Augustin geltend, er habe in diesen Büchern nicht dem
Wortlaut nach, aber doch inhaltlich das gefunden, was der Johannesprolog ausdrückt
(jedoch ohne die Inkarnationsaussagen). Daraus folgte unter anderem die Erkennt--
nis, daß die hominis anima (die Seele des Menschen) nicht mit dem uerbum (dem
Wort bzw. dem Logos) identisch ist, das die Welt geschaffen hat und in dieser Welt
war (vgl. conf. 7,13).
Diese Beschäftigung mit dem Neuplatonismus ermöglichte Augustin jetzt einen
Reflexionsvorgang, der in seinem Inneren stattfindet, einen Prozeß der geistigen Kon-
templation, vorgenommen mit dem Seelenauge, der über dem eigenen Verstand das
unvergängliche, nichtmaterielle Licht wahrnimmt und versteht, daß zwischen diesem
Licht und dem Betrachtenden selbst ein unüberbrückbarer Unterschied ist. Ergeb--
nis der geistigen Kontemplation ist: Inueni longe me esse a te in regione dissimilitudi--
nis (Ich fand, daß ich weit entfernt war von dir in der Sphäre der Ungleichheit; conf.
7,16). Diese Entdeckung ist mit Liebe und Schrecken verbunden und führt zu einer
tiefen Sehnsucht nach Gott. Sie beinhaltet gleichzeitig die Einsicht, daß im eigentli--
chen Sinn nur Gott wahrhaft ist, während der Mensch nicht von gleicher ontologi--
scher Qualität ist (vgl. conf. 7,16).
Wenig später beschreibt Augustin einen ganz ähnlichen Prozeß der inneren Kon--
15 B. Person
von conf. 7 mit Wendungen aus Röm 7. Er sagt ausdrücklich, daß er sich erneut der
Bibel zuwandte und hierbei besonders Paulus las (nach der Bedeutung, die Paulus
für den Manichäismus hatte, wird man sagen müssen: erneut las). Die gemachte
Erkenntnis eines geistigen, nichtmateriellen Gottes- und Seelenbegriffs ermöglicht
ihm jetzt, die Widersprüche zwischen Altem und Neuem Testament aufzulösen, die
er zehn Jahre zuvor so massiv als störend empfunden hatte. Seinen eigenen Zustand
beschreibt er als einen Widerspruch in sich selbst: Im Menschen streitet gegen die
lex mentis (das Gesetz des Verstandes) die lex peccati (das Gesetz der Sünde), die
in seinen Gliedern ist (vgl. Röm 7,22 f). Aus diesem an sich selbst erlittenen Wider--
spruch befreit nur Gottes Gnade durch Jesus Christus, d. h. dessen Inkarnation und
Tod (vgl. Röm 7,24 f) (vgl. conf. 7,27). Eben diesen Widerspruch in sich selbst, zwi--
schen richtiger Erkenntnis und dem Defizit, das Erkannte nicht umsetzen und im
eigenen Leben realisieren zu können, schildert Augustin ausführlich in conf. 8.
Die Darstellung in conf. 8 berichtet im Grunde drei Situationen, nämlich den
Besuch bei Simplician, den Besuch des Pontician bei Augustin und Alypius und die
gemeinsam mit Alypius erlebte und dann der Mutter Monnica berichtete Garten--
szene. Die Darstellung wechselt dabei zwischen
a) äußerem Bericht der Szenen (in conf. 8,1, Anfang von conf. 8,3, zweite Hälfte
von conf. 8,13 und Anfang von conf. 8,14, Anfang von conf. 8,19 und Ende von conf.
8,27 bis conf. 8,30),
b) Wiedergabe des von Simplician und Pontician Erzählten (nicht in wörtlicher
Rede, sondern als indirekter Bericht) (in conf. 8,3–5 und conf. 8,14 f),
c) der Schilderung der eigenen Gefühle und Reflexionen, rückblickend auf das
Jahr 386 (in conf. 8,1 f, conf. 8,10–12, Anfang von conf. 8,13, conf. 8,16–20 sowie conf.
8,25–27), und
d) eigenen, im Grunde zeitlosen Reflexionen aus der Sicht der Abfassungszeit
der conf. (in conf. 8,6–9 und conf. 8,21–24).
Der äußere Ablauf bis zur Gartenszene wird nur knapp erzählt. Augustin geht zu
Simplician, den er für einen besonders vorbildlichen und geistig adäquaten Ratgeber
hält, dieser berichtet ihm dann von der Hinwendung des berühmten Rhetors Victori--
nus zum Christentum. Dann kommt einige Tage später Pontician zu Besuch, eigent--
lich wegen irgendeiner anderen Angelegenheit, doch entspinnt sich ein Gespräch, als
Pontician zufällig auf dem Tisch den Pauluscodex liegen sieht. In diesem Gespräch
berichtet Pontician von Antonius, von der Hinwendung zweier kaiserlicher Hofbe--
amter am Hof in Trier zum monastischen Leben und von dem Kloster bei Mailand.
Schließlich geht Augustin in einem Zustand innerer Aufgewühltheit in den Garten,
begleitet von Alypius.
Die Erzählung Simplicians über Marius Victorinus bietet für Augustin schon des--
wegen die besondere Möglichkeit der Identifikation mit einem wichtigen Vorbild,
weil Victorinus denselben Beruf hat wie er selbst, nämlich Rhetor. Der Erfolg des
Rhetors Victorinus wird in der Erzählung besonders hervorgehoben (vgl. conf. 8,3),
auch das Zögern des Victorinus, sich nur innerlich mit dem Christentum zu beschäf--
tigen, äußerlich aber weiterhin den Kontakt zu den nach wie vor weitgehend heid--
10 B. Person
nisch geprägten Kreisen des Senats in Rom zu halten, wird ausführlich geschildert.
Simplician gegenüber vergewisserte Victorinus immer wieder seine innere Verbun--
denheit mit dem Christentum; auf Simplicians Anregung, sich dann auch äußer--
lich und formal dem Christentum zuzuwenden, reagierte Victorinus mit der halb
scherzhaft gemeinten Frage: Ergo parietes faciunt Christianos? (Also machen einen
die Wände zu Christen?; conf. 8,4). Um so bedeutender ist dann die Tatsache zu
bewerten, daß Victorinus noch in hohem Alter sich zur Taufe angemeldet hat und
das Taufbekenntnis in aller Öffentlichkeit unter großem Jubel der Gemeinde vorge--
tragen hat (und nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, die man offen--
sichtlich hochgestellten Persönlichkeiten einzuräumen pflegte, das Taufbekenntnis
in einem Nebenraum abzulegen) (vgl. conf. 8,5).
Die Erzählung Ponticians berichtet zunächst von Antonius, dem Mönch in der
ägyptischen Wüste, dessen von Athanasius verfaßte, hagiographische Lebensbe--
schreibung zur Ausbreitung des Mönchtums im Osten wie im Westen (B. II. 8.)
wichtig wurde und von dem Augustin und Alypius vorher noch nicht gehört hatten
(vgl. conf. 8,14). Nicht nur ist dieses besondere Vorbild der Askese ein zeitlich rela--
tiv nahegelegenes Beispiel, Pontician verweist auch auf ein Kloster bei Mailand sub
Ambrosio nutritore (unter Ambrosius als Ernährer; conf. 8,15) und zeigt somit, daß
das asketische Leben keineswegs etwas Fernliegendes, im Grunde Exotisches ist, son--
dern eine Lebensform, die man auch in Mailand jetzt wählen kann (vgl. conf. 8,15).
Sodann berichtet er von zwei kaiserlichen Hofbeamten, die bei einem Spaziergang
bei Trier auf eine Asketengemeinschaft trafen und sich, zweifelnd an dem Sinn ihres
bisherigen Lebens, spontan zum asketischen Leben bekehrt haben. Der Vorschlag
des berühmten Confessiones-Forschers Pierre Courcelle, diese beiden Hofbeamten
mit Hieronymus und dessen Gefährten Bonosus zu identifizieren (vgl. Courcelle,
Recherches 183–187) bleibt unsicher, ist aber nicht unmöglich. Der Identifikations--
punkt für Augustin ist klar: Der Lebensform einer erfolgreichen Karriere steht der
freiwillige Verzicht auf die Karriere und die Wahl des asketischen Lebens gegen--
über. Ja, es wird sogar ausdrücklich erwähnt, daß beide Hofbeamten Bräute hatten,
die, nachdem sie vom Beschluß ihrer Partner zum asketischen Leben gehört hatten,
auch selbst das jungfräuliche Leben gelobten (vgl. conf. 8,15).
Diese Erzählungen treffen auf einen innerlich zerrissenen Augustin. Die Erkennt--
nis, die in conf. 7 geschildert worden war, steht ihm fest, und trotzdem vermag er
nicht, seine bisherige, gar nicht an Gott und der Kontemplation des Geistigen orien--
tierte Lebensform aufzugeben. Er möchte Victorinus nachahmen, fühlt sich jedoch
gefangen. Es entsteht in ihm eine uoluntas noua (ein neues Wollen), die jedoch noch
nicht geeignet war, die ältere zu überwinden (vgl. conf. 8,10). Gegen das neue Wol--
len kämpfte die consuetudo (die Gewohnheit); der innere Widerspruch zwischen
der lex mentis und der lex peccati (vgl. Röm 7,22 f) wird erneut genannt, ebenso, daß
nur die Gnade Gottes durch Jesus Christus davon befreien kann (vgl. Röm 7,24 f; vgl.
conf. 8,12 f). Als das, was ihn fesselt, nennt Augustin das desiderium concubitus (das
Verlangen nach dem Geschlechtsakt) und die saecularium negotiorum seruitus (die
Sklaverei weltlicher Geschäfte) (vgl. conf. 8,13). Ehe und Beruf als die beiden Haupt--
III. Entwicklungen – . Die ›Bekehrung‹ 11
säulen eines nach diesseitigen Maßstäben erfolgreichen Lebens hielten ihn ab, sich
um das eigentlich Wichtige zu kümmern, nämlich um Gott.
Das Auftauchen eines neuen Willens gibt den Anlaß dafür, den Gegensatz zweier
Willensrichtungen näher zu thematisieren. Dies tut Augustin in einem Abschnitt, in
dem er sich mit der Vorstellung von zwei uoluntates (Willensrichtungen) im Men--
schen auseinandersetzt. Das Nebeneinander von zwei Willensrichtungen ist nicht
so zu deuten, daß in dem Menschen zwei agierende mentes (›Verstände‹) bzw. zwei
Seelen agieren (was Augustin wohl als manichäische Lehre ansieht, auch wenn sich
dies für den Manichäismus so nicht nachweisen läßt; vgl. duab. an. 1). Vielmehr
entsteht in der einen Seele eine neue Willensrichtung, die jedoch noch nicht ganz
gewollt wird. Das unvollständige Wollen gibt somit entgegengesetzten Willensrich--
tungen Platz, und nur insofern kann man von zwei uoluntates (zwei ›Willen‹) spre--
chen (vgl. conf. 8,22–24).
Augustin blickt auf den Widerspruch in sich selbst im Jahr 386 zurück und schil--
dert, wie schmerzhaft diese innere Krise für ihn war. Am Anfang der Gartenszene
steht die Äußerung tiefer Verzweiflung gegenüber Alypius: Surgunt indocti et caelum
rapiunt, et nos cum doctrinis nostris sine corde ecce ubi uolutamur in carne et san--
guine! (Die Ungelehrten stehen auf und reißen den Himmel an sich, und wir mit
unseren Lehren ohne Herz – siehe, wo wir uns hin- und herwälzen in Fleisch und
Blut; conf. 8,19). Die Nichtigkeiten der Vergangenheit halten ihn immer noch fest
(vgl. conf. 8,26), so daß er den tatsächlichen Wechsel der Lebensform immer wieder
aufschieben möchte: Ecce modo fiat, modo fiat (Siehe, bald mag es geschehen, bald
mag es geschehen; conf. 8,25). Bei der Schilderung dessen, was ihn festhält, tritt in
der Gartenszene das Ringen um geschlechtliche Enthaltsamkeit in den Vordergrund.
Das Gefühl, für immer etwas aufzugeben, ohne das zu leben er sich kaum vorstel--
len kann (vgl. conf. 8,26), mischt sich mit dem Gefühl, selbst minderwertig zu sein,
weil er es eben nicht schafft, wie die Asketen einfach den Entschluß zur geschlecht--
lichen Enthaltsamkeit zu treffen; in einem inneren Dialog tritt die Enthaltsamkeit
selbst auf und spottet über Augustin (vgl. conf. 8,27).
In diesem Zustand der inneren Zerrissenheit und gleichzeitig der Scham läuft
Augustin, tränenüberströmt, in den Garten hinein, klagend wendet er sich mit der
Frage an Gott, wie lange dieses Aufschieben noch weitergehen soll (vgl. conf. 8,28).
Da hört er unerwarteterweise eine Stimme vom Nachbarhaus, einen Liedvers, der
immer wieder wiederholt wird: Tolle lege, tolle lege (Nimm und lies, nimm und lies).
Augustin sagt, daß er eine Stimme quasi pueri an puellae (gleichsam die eines Jun--
gen oder Mädchens) gehört habe. Augustin denkt nach, ob die Stimme Bestandteil
irgendeines Kinderspiels sein könnte, jedoch mit negativem Ergebnis. Daher interpre-
tiert er die Stimme als göttliche Aufforderung (nihil aliud interpretans diuinitus mihi
iuberi / wobei ich sie als nichts anderes interpretierte, als daß von göttlicher Seite aus
mir befohlen würde), den (Paulus-)Codex aufzuschlagen und die erste, dabei zufäl--
lig aufgefundene Stelle zu lesen. Vorbild ist dabei Antonius, den das zufällig gehörte
Zitat aus der Evangeliumslesung Mt 19,21 (Geh hin, verkauf alles, was du hast, gib
es den Armen und du wirst einen Schatz in den Himmeln haben) zum asketischen
1 B. Person
Leben geführt hat. Augustin geht zurück zu Alypius, schlägt den Codex so auf, daß
er Röm 13,13 f (nicht in Gelagen und Besäufnissen, nicht in Beilagern und Schamlo--
sigkeiten, nicht in Kampf und Eifer, sondern zieht an den Herrn Jesus Christus und
betreibt nicht die Fürsorge fürs Fleisch in Begierden) findet. Nec ultra uolui legere
nec opus erat. Statim quippe cum fine huiusce sententiae quasi luce securitatis infusa
cordi meo omnes dubitationis tenebrae diffugerunt (Und weder wollte ich weiterle--
sen noch war es nötig. Sofort freilich mit dem Ende dieses Satzes floh, als wäre das
Licht der Sicherheit in mein Herz eingeströmt, alle Finsternis des Zweifels dahin;
alle Zitate aus conf. 8,29).
Damit ist conf. 8 jedoch noch nicht vorbei, stumm reicht Augustin den Paulusco--
dex Alypius, der den folgenden Vers liest (Infirmum autem in fide recipite / Den Schwa--
chen aber nehmt auf im Glauben) und sich dem Beschluß zur Askese anschließt.
Beide berichten das Geschehene Monnica, die sich freut und Gott dankt, weil ihr
Traum, daß ihr Sohn sich dem richtigen Glauben zuwendet (im Bild: auf der regula
fidei / dem Richtstab des Glaubens steht), nun Wirklichkeit geworden war. Conuerti--
sti enim me ad te, ut nec uxorem quaererem nec aliquam spem saeculi huius (Du hast
mich nämlich zu dir hingewendet, so daß ich weder nach einer Gattin strebte noch
nach irgendeiner anderen Hoffnung dieser Welt; alle Zitate aus conf. 8,30).
In der Forschung sind vor allem zwei Fragen umstritten: a) Wie historisch ist der
Bericht von conf. 8? und b) wie theologisch durchgearbeitet ist der Bericht, vor allem
im Hinblick auf die Gnadenlehre?
Für die Frage nach der Historizität des Berichteten ist die Diskrepanz zu beata u. 4
der entscheidende Knackpunkt. Lassen sich die verschiedenen Phasen inhaltlicher
Art bis zum Erreichen der neuen Lebensform gut vergleichen (Cicero, Manichäismus,
Skepsis, Verkündigung des Ambrosius in Mailand, Neuplatonismus und erneute
Bibellektüre des Alten Testaments und besonders von Paulus) und wird auch der in
conf. 7 ausführlich geschilderte Hauptpunkt der Erkenntnis des Spätsommers 386
(Entdeckung des geistigen Gottesbegriffs) übereinstimmend benannt, ergibt sich
gerade an dem Punkt des Entschlusses zum neuen, asketisch geprägten Lebensstil
eine erhebliche Differenz: In beata u. 4 ist ein Lungenleiden entscheidend, das ihm
die Ausübung seines Berufes erschwerte bzw. sogar unmöglich machte, in conf. 8 ist
es die anhand eines Bibelwortes in einer tiefen Krise erlebte plötzliche Klarheit und
Sicherheit, jetzt das zu können, was er, Augustin, schon lange anstrebte (die Lungen--
krankheit wird nur im Nachhinein als offizielle Begründung genannt, die Augustin
bei seiner Kündigung angab, vgl. conf. 9,13).
Mit dem Hinweis darauf, daß beata u. 4 ungleich viel näher an dem geschilder--
ten Zeitraum ist und die Darstellung in conf. 8 sehr stilisiert ist (so nämlich, daß sie
auch in vielen Details den Bekehrungen entspricht, die Simplician und Pontician
erzählt haben), vertreten einige Forscher die Unhistorizität des Berichteten (so vor
allem Courcelle, Recherches). In der Forschung der letzten zwanzig Jahre überwie--
gen jedoch wieder die Stimmen, die dem Bericht trotz aller Stilisierung eine gewisse
Historizität beimessen. In der Tat erzählt Augustin de facto nichts, was als wunder--
same oder völlig unmögliche Begebenheit auf historische Zweifel stoßen müßte. Er
III. Entwicklungen – . Die ›Bekehrung‹ 1
behauptet lediglich, eine Kinderstimme gehört zu haben, die er selbst gedeutet hat.
Die Szenerie ist also im Grunde sehr realistisch, wenn auch sehr emotional beladen.
Zudem benennt Augustin einen Zeugen, der zur Zeit der conf. zu dem engeren Kreis
des gerade eben gewählten Bischofs gehört, nämlich Alypius. Dabei ist allerdings zu
beachten, daß Augustin gerade an dem entscheidenden Punkt, an dem er berichtet,
die Kinderstimme gehört zu haben, von Alypius entfernt ist, dann aber beim Auf--
schlagen des Pauluscodex wieder neben Alypius sitzt. Schließlich ist es durchaus
möglich, daß Augustin in den conf. die geschlechtliche Enthaltsamkeit in den Vor--
dergrund rückt und das Lungenleiden, das ihm seinen Beruf erschwert hat, bewußt
verschweigt, um nicht als Opportunist dazustehen und so der Wichtigkeit des inne--
ren Ringens um die neue Lebensform etwas zu nehmen.
Dann ergibt sich als wahrscheinlich: Augustin ist im Sommer 386 in Mailand nach
einer sehr fruchtbaren Beschäftigung mit Plotin und erneuter Bibellektüre in eine
tiefe Krise geraten. Der Einsicht, eigentlich eine neue Lebensform wählen zu sollen,
die der Einsicht in den geistigen Gottesbegriff entspricht (nämlich ein Leben, das
ganz auf die Beschäftigung mit dem Geistigen ausgerichtet ist), steht das bisherige
Streben um eine relativ erfolgreiche berufliche wie gesellschaftliche Existenz entge--
gen. Diese Krise wird durch verschiedene Vorbilder des Entschlusses zum asketischen
Leben (in Gesprächen mit Simplician und Pontician) und wohl auch durch gesund--
heitliche Probleme verschärft, schließlich in einer persönlichen Krise (gemeinsam
mit dem Freund Alypius) gelöst, und zwar unter Bezug auf den Römerbrief und in
dem Gefühl, zu diesem Entschluß durch Gott gelenkt zu sein.
Dieses Gefühl, durch Gott sein Leben lang gelenkt zu sein, ist für das Verständ--
nis des in conf. 8 Berichteten wesentlich. Augustin erzählt, wie Gott ihn Schritt um
Schritt zu dem Entschluß führt. Die Deutung der Gartenszene als eines eigenständi--
gen Wollens und bewußten Sich-Entscheidens trifft nicht zu. Denn Augustin schil--
dert ausführlich, wie ihn eine Serie von äußeren Eindrücken und Erzählungen und
von inneren Einfällen, Gefühlslagen und Überlegungen nach und nach zu dem Punkt
führt, in dem er nur noch den letzten Auslöser und Katalysator braucht, um den von
Gott gewollten Entschluß dann auch zu fassen. Die Stimme tolle lege ist dabei ein
äußerer Impuls, den Augustin selbst interpretiert, der aber zugleich so auffällig ist,
daß Augustin in der konkreten Situation gar nicht anders konnte, als die Stimme als
göttliche Aufforderung zu verstehen. Dieser Einfall ist genauso wenig eine bewußte,
selbständige Entscheidung Augustins wie das Finden von Röm 13,13 f. Die Darstel--
lung entspricht daher in starkem Maße der gnadentheologisch wichtigen Einsicht,
daß der Mensch nicht in seiner Macht hat, was ihm in den Sinn kommt. Nur so kann
Augustin das Geschehen zusammenfassen, indem er sagt: Conuertisti enim me ad te
(Du hast mich nämlich zu dir hingewendet; conf. 8,30).
Vor allem aber ist festzuhalten, daß das Geschehen von conf. 8,29 f kein singulärer
Moment ist, kein plötzlich hereinbrechendes Geschehen, das Augustins Leben schlag-
artig verändert. Die Gartenszene gehört zu einem langen, genau genommen lebens--
langen Prozeß, in dem Gott mit Augustin gehandelt hat und zur Abfassungszeit der
conf. immer noch handelt. Insofern gehört es gerade zur Intention, den Zusammen--
1 B. Person
hang der Entscheidung vom Spätsommer 386 mit dem gesamten Leben Augustins,
besonders aber den Jahren von der Geburt bis zum Herbst 386 aufzuweisen.
Brachtendorf, Johannes: Augustins »Confessiones«, Darmstadt 2005.
Courcelle, Pierre: Recherches sur les Confessions de saint Augustin, Paris 1950, erweiterte und
illustrierte Neuausgabe Paris 1968.
Drecoll, Volker Henning: Die Entstehung der Gnadenlehre Augustins, Beiträge zur Histori--
schen Theologie 109, Tübingen 1999.
Fischer, Norbert / Mayer, Cornelius P. (Hgg.): Die Confessiones des Augustinus von Hippo.
Einführung und Interpretation zu den dreizehn Büchern, Sonderausgabe Freiburg im Breis--
gau 2005.
Madec, Goulven: Libro settimo, in: Fondazione Lorenzo Valla (anstelle eines Hg.s.): Sant’
Agostino. Confessioni, testo criticamente riveduto e apparati scritturistici a cura di Manlio
Simonetti, traduzione di Gioachino Chiarini, vol. III (libri VII–IX), commento a cura di Goul--
ven Madec, Luigi F. Pizzolato, Mailand 1994, 163–227.
O’Donnell, James J.: Augustine. Confessions. vol. I. Introduction and Text; vol. II. Commentary
on books 1–7; vol. III. Commentary on books 8–13. Indexes, Oxford 1992.
Pizzolato, Luigi F.: Libro ottavo, in: Fondazione Lorenzo Valla (anstelle eines Hg.s.):
Sant’Agostino. Confessioni, testo criticamente riveduto e apparati scritturistici a cura di Man--
lio Simonetti, traduzione di Gioachino Chiarini, vol. III (libri VII–IX), commento a cura di
Goulven Madec, Luigi F. Pizzolato, Mailand 1994, 229–292.
Volker Henning Drecoll
. Die Cassiciacumszeit
.1. Datierung
Nach dem Bekehrungserlebnis im Mailänder Garten, das sich ungefähr auf den
1. August 386 datieren läßt, zog sich Augustin aus dem Rhetorenberuf zurück und
verließ Mailand. Gemäß den Ausführungen der conf. hatte er den Rückzug sorg--
fältig geplant, und obwohl er ein vorzeitiges Ausscheiden mit einem Brustleiden
hätte begründen können, wartete er bis zum Beginn der Herbstferien (der uindemi--
ales feriae, ab 23. August 386), um diesem Schritt alles Spektakuläre zu nehmen und
sich dem Vorwurf zu entziehen, sich damit hervortun zu wollen (vgl. conf. 9,3 f). Er
zog sich mit einem Kreis von Verwandten, Freunden und Schülern auf ein Landgut
zurück, das ihm ein Mailänder Freund, der grammaticus (Grammatiklehrer) Vere--
cundus, zur Verfügung stellte (vgl. conf. 9,5). Dort führte man in einem christianae
uitae otium (in der Muße eines christlichen Lebens) philosophische Gespräche (vgl.
retr. 1,1; conf. 9,7), die ihren Niederschlag in den vier ersten erhaltenen Schriften aus
Augustins Feder gefunden haben (Acad., beata u., ord., sol.; C. I. 2.). Dabei betrieb
Augustin auch eine explizit antimanichäische Psalmenlektüre (conf. 9,8–11). Der
Aufenthalt zog sich bis in den Frühling des nächsten Jahres hin. Erst nach Ablauf
der Ferien kündigte Augustin offiziell die Stelle in Mailand mit der Begründung, er
wolle nun Gott dienen und sei auch aus den genannten gesundheitlichen Gründen
seinem Amt nicht mehr gewachsen (vgl. conf. 9,13).
III. Entwicklungen – . Cassiciacumszeit 15
Der Ort wird in conf. 9,5 als rus Cassiciacum (ländlicher Ort Cassiciacum) bezeich--
net und befindet sich in Ligurien (vgl. an. quant. 62). Er kann nicht mit Sicherheit
identifiziert werden, muß jedoch in der Nähe von Mailand liegen, da Augustin zwei
der Teilnehmer an den philosophischen Gesprächen, seinen Freund Alypius und sei--
nen Bruder Navigius, dort zwischenzeitlich bestimmte Verpflichtungen wahrnehmen
läßt. Da die Reise gemäß Augustins Angaben nicht mehr als einen halben Tag dau--
ern konnte und im November, in den die Gespräche datiert werden, die Tage kurz
waren, kann die Distanz kaum mehr als 30–40 Kilometer betragen haben. Zwei Orte
haben die Identität mit Augustins Cassiciacum für sich beansprucht: Casciago ober--
halb des Vareser Sees (ca. 55 Kilometer nordwestlich von Mailand) und Cassago Bri--
anza (30–40 Kilometer nördlich von Mailand). Während für Casciago die gebirgige
Umgebung, die Augustin in conf. 9,5 mit Bezug auf Ps 67 LXX beschreibt, und das
engagierte Votum des italienischen Schriftstellers Alessandro Manzoni (1785–1873)
sprechen, kann für Cassago die geringere Distanz zu Mailand geltend gemacht wer--
den, die sich mit Augustins Aussagen besser vereinbaren läßt (zur Kontroverse vgl.
Perler, Les Voyages; O’Daly, Cassiciacum).
Die Anlage des Landhauses und die ländliche Umgebung werden in den drei ›sze--
nischen‹ Dialogen Acad., beata u. und ord. immer wieder in die Argumentation einbe--
zogen (in den sol. fehlt jegliche Szenerie): Die Gespräche finden bei schönem Wetter
auf einer Wiese unter einem Baum oder beim Hin- und Hergehen statt; bei schlech--
tem Wetter trifft man sich im Bad der Villa. In ord. diskutiert man nachts im Schlaf--
gemach und später am Morgen auf dem Weg zum Bad. Oft wird in der Argumenta--
tion selbst auf die Szenerie verwiesen, und manchmal wird sie zum Anlaß genom--
men für weitergreifende Reflexionen: So beobachtet man in ord. einen Hahnenkampf
und stellt Betrachtungen über die Schönheit und die Weltordnung an (vgl. ord. 1,25),
oder man läßt sich vom nächtlichen Rauschen des Wassers zu Überlegungen über
Ursprung und Kausalität eines jeden Ereignisses anregen (vgl. ord. 1,6 f).
Die Frage nach der Historizität der Szenerie und der Gespräche in den drei Dia--
logen ist in der Forschung lange Zeit kontrovers diskutiert worden (vgl. Madec,
Historicité; Doignon, État 53–55) und läßt sich, auch wenn in neuerer Zeit die Stand--
punkte sich einander angenähert haben, wohl nie eindeutig beantworten. Immerhin
kann man doch gewisse Fakten festhalten, die auch die Gegner der Historizität nicht
bestreiten (vgl. O’Meara, Historicity 177): Aus den autobiographischen Berichten
in conf. 9,7 und retr. 1,1 geht hervor, daß den drei Cassiciacum-Dialogen historische
Begebenheiten zugrunde liegen, d. h. daß sich die genannten Gesprächsteilnehmer
zur besagten Zeit auf dem Landgut des Verecundus in Cassiciacum befanden und
sich mit philosophischen Fragen beschäftigten, die sie in Diskussionen erörterten,
welche an verschiedenen Tagen geführt und aufgezeichnet wurden.
1 B. Person
Die Schilderungen der Szenerie enthalten allerdings deutliche Elemente der Stili--
sierung. Das Ambiente und die den Disputationen vorangehenden bzw. folgenden
Handlungen sind einerseits nach der Tradition der platonischen und ciceronischen
Dialoge gestaltet: Man spaziert zum gewohnten Ort oder trifft sich in der Villa,
man setzt sich nieder, man trennt sich, wenn die untergehende Sonne zum Abbruch
mahnt, in heiterer Stimmung. Die szenische Gestaltung und die ganze Atmosphäre –
eine ruhige Heiterkeit, eine asketische Lebensweise, gemeinsame Vergil-Lektüren –
weisen zudem eine idealisierende Tendenz auf. Man kann Augustins Ausgestaltung
der Szenerie deshalb umfassend deuten und die Darstellung des Lebens in Cassi--
ciacum als ein mit protreptischer Absicht gezeichnetes »Bild praktizierter Philoso--
phie« (Voss, Dialog 216 f) verstehen. Tatsächlich steht hinter dem ganzen Unterneh--
men ein bestimmter Plan, d. h. das – allerdings modifizierte – Konzept eines philo--
sophandi otium, das Augustin bereits in Mailand geplant hatte (vgl. conf. 6,24) und
in der Gemeinschaft von Cassiciacum verwirklicht sieht (vgl. Acad. 2,4).
Der Rückzug aus dem Rhetorenberuf wird sowohl in den Frühschriften wie auch
später in den conf. als Rückzug an einen Ort des otium (der Ruhe und Muße) darge--
stellt, wo man philosophische Gespräche führte (vgl. retr. 1,1; conf. 9,7). Damit stellt sich
Augustin in die Tradition Ciceros und anderer erfolgreicher römischer Politiker und
Schriftsteller, die ihr – freiwilliges oder unfreiwilliges – Ausscheiden aus dem öffent--
lichen Leben als otium bezeichneten, als kontemplatives Leben, das sie ihren Studien
und der literarischen Produktion widmen konnten. Wie Augustin in den conf. deut--
lich macht, war dies jedoch nur ein Durchgangsstadium, auf das der Entschluß zur
Klostergründung in Afrika folgte. Die Cassiciacumszeit wird denn auch vom Erzäh--
ler Augustin im Nachhinein abgewertet, die damals entstandenen Schriften als Zeug--
nisse der superbiae schola (Schule des Hochmuts) bezeichnet (vgl. conf. 9,7).
Die Idee des Rückzugs aus der Öffentlichkeit in die Abgeschiedenheit auf dem
Land war am Ende des 4. Jahrhunderts nichts Singuläres und orientierte sich oft auch
an pythagoreischen, hermetischen und neuplatonischen Vorbildern. Der berufliche
›Ausstieg‹ war sozial durchaus akzeptiert und wurde selbst von Persönlichkeiten
aus dem Hochadel wie Paulinus von Nola oder patrizischen Asketinnen praktiziert
(B. II. 8.). Mit dem Bezug auf den berühmten Rhetor Marius Victorinus und zwei
kaiserliche Beamte in Trier stellt Augustin in den conf. seine Konversion und seinen
Rückzug aus dem Rhetorenberuf in diese Tradition. Später, in seiner Heimatstadt
Thagaste und als Presbyter (Priester) und Bischof in Hippo, setzte er die Pläne fort,
allerdings nun im Sinn des christlichen Zönobiums, der an strengen Regeln orien--
tierten Gemeinschaft Gleichgesinnter (B. III. 13.).
III. Entwicklungen – . Cassiciacumszeit 1
Die Gesprächsrunde von Cassiciacum setzt sich zur Hauptsache aus vier Teilneh--
mern zusammen: Neben Augustin sind dies dessen Freund und Schüler Alypius sowie
die beiden jüngeren Schüler Licentius und Trygetius. Hinzu kommt eine Reihe von
›Nebenfiguren‹, die sich – zumindest nach der Darstellung der literarischen Dia--
loge – nur gelegentlich an den Diskussionen beteiligen: Augustins Mutter Monnica,
sein älterer Bruder Navigius, der allerdings nur selten zu Wort kommt und im Ver--
lauf der Diskussionen nach Mailand abreist, und seine beiden Neffen Rusticus und
Lartidianus (vgl. beata u. 6). Auch sein Sohn Adeodatus ist anwesend. Die Charaktere
der Sprecher werden sowohl in den nicht-dialogischen Teilen als auch im Gespräch
fein gezeichnet, und die einzelnen Persönlichkeiten erhalten durch ihre Äußerungen
und im Umgang miteinander ein klares Profil. Wie mit der Ausgestaltung der Sze--
nerie stellt sich Augustin auch damit in die Tradition der platonisch-ciceronischen
Dialoge, weshalb man sicherlich mit einer Stilisierung zu rechnen hat.
In allen drei szenischen Cassiciacum-Dialogen weist sich Augustin die Funktion
des Lehrers der beiden Jünglinge Licentius und Trygetius zu, die er zur dialogischen
Erörterung einer bestimmten Thematik im Sinn einer exercitatio animi (geistigen
Übung) motiviert. In den dialogischen Teilen zeichnet er sich selbst in der Rolle des
platonischen Sokrates, der sein Gegenüber im dialektisch-maieutischen Verfahren
dazu bringt, die eigene Meinung zu modifizieren. Diese Selbstcharakterisierung hat
zumindest darin ihren realen Hintergrund, daß Augustin wohl tatsächlich die Funk--
tion des Lehrers von Licentius und Trygetius zu erfüllen hatte.
Licentius war der Sohn von Augustins Landsmann Romanianus, dem er den
Dialog Acad. und später uera rel. widmete (C. I. 2.). Romanianus war ein Mitglied
der sozialen Oberschicht von Thagaste, der Augustins Ausbildung finanziell unter--
stützt hatte, den nun aber gewisse, nicht näher bestimmte (finanzielle?) Schwierigkei--
ten nach Mailand geführt hatten. Licentius war möglicherweise bereits in Karthago
Augustins Schüler gewesen und erscheint auch später noch im augustinischen Brief--
korpus in dieser Rolle (vgl. ep. 26 f.32). Als solchen gibt er sich auch selbst in einem
154 Verse umfassenden Gedicht an Augustin zu erkennen, das die Mauriner einem
Brief Augustins an Licentius beigefügt haben (vgl. ep. 26, Carmen Licentii / Lied des
Licentius Zeile 138 f; vgl. Shanzer, Licentius). In ihm erinnert er sich – nicht ohne
Dankesbezeugungen an seinen Lehrer – an den Aufenthalt und den Unterricht in
Cassiciacum und fordert Augustins Unterstützung seiner gegenwärtigen Studien,
die einer musiktheoretischen Schrift Varros gewidmet sind, weshalb er ihn um die
Zusendung des Traktats mus. bittet. Licentius scheint jedoch den von seinem Leh--
rer vorgezeichneten Weg eines bescheidenen und enthaltsamen Lebens nicht weiter
verfolgt und in Italien eine weltliche Karriere angestrebt zu haben.
Zur Person des Trygetius existieren nur die Zeugnisse in den Cassiciacum-Dia--
logen. Er wird in beata u. 6 neben Licentius von Augustin als Mitbürger und Schü--
ler bezeichnet, d. h. er stammte also ebenfalls aus Thagaste und dürfte etwa gleich--
alt wie Licentius gewesen sein.
1 B. Person
Von 388 an bis etwa um die Jahrhundertwende hat Augustin sich mit dem Manichä--
ismus intensiv literarisch auseinandergesetzt. Der Katalog seiner antimanichäischen
Werke umfaßt mindestens zwölf Einträge (vgl. z. B. Geerlings, Augustinus [AL],
doch sind auch andere Einteilungen gängig), und er bekämpft seine ehemaligen Glau--
bensbrüder darin an den unterschiedlichsten Fronten. Neben explizit kontrovers--
theologischen Schriften wie c. Faust. (C. I. 6.2.), c. Adim., c. Sec. oder c. ep. Man.,
in denen er sich mit konkreten Texten Manis oder manichäischer Autoren befaßt,
stehen Werke zu philosophisch-theologischen Fragestellungen wie der Glaubens--
begründung (util. cred.), der Seelenlehre (duab. an., wobei Augustins Darstellung,
der Manichäismus vertrete eine Vorstellung von zwei Seelen im Menschen analog
zu den beiden Reichen des Lichts und der Finsternis [vgl. haer. 46,19], wohl pole--
mische Verzeichnung ist) oder der Metaphysik (nat. b.; hier geht es vor allem um
die Frage der Substantialität des Bösen), exegetische Werke (Gn. adu. Man., Gn.
litt. inp.), eine moraltheologische Schrift (mor.) sowie zwei nachträglich publizierte
Protokolle von öffentlichen Disputationen (c. Fort. [C. I. 6.1.]; c. Fel.). Ein Teil die--
ser Werke ist an Freunde Augustins adressiert, die er aus seiner manichäischen Zeit
kennt, teils sogar selbst zur Religion des Lichts bekehrt hat, und die er nun für die
III. Entwicklungen – 5. Augustin gegen die Manichäer 1
ungeklärt ist, in welchem Verhältnis sie zu den kanonischen Schriften Manis steht,
so ist es nach den erhaltenen Fragmenten doch eindeutig, daß in ihr die manichä--
ische Lehre weitgehend enthalten war. Augustins Widerlegung bezieht sich jedoch
nur auf die ersten Kapitel der Epistula.
In c. Sec. antwortet Augustin auf den Brief des ihm persönlich unbekannten, wohl
römischen Manichäers Secundinus, der Kenntnis von Augustins antimanichäischen
Schriften hat und den ehemaligen auditor (Hörer) für den Manichäismus zurück--
gewinnen will (vgl. van Oort, Epistula). In seiner Rückschau betrachtet Augustin
dieses Werk als seine beste antimanichäische Schrift (vgl. retr. 2,10). C. Adim. rich--
tet sich gegen ein offenbar markionitische Gedanken aufnehmendes, verlorenes
Werk des Mani-Jüngers Addas (latinisiert Adimantus) und behandelt die Thema--
tik der Einheit von Altem und Neuem Testament (vgl. Decret, Contra Adiman--
tum). In allen diesen Schriften zitiert Augustin im Stil einer klassischen Refutations-
schrift zunächst die Textaussage des betreffenden Manichäers, die anschließend
widerlegt wird. Die Mittel der Polemik aus der klassischen Rhetorik kommen dabei
gekonnt zum Einsatz. Zugleich entwickelt Augustin aber umfassende Argumenta--
tionen, besonders hinsichtlich des inneren Zusammenhangs zwischen Altem und
Neuem Testament.
In seiner Schrift util. cred. behandelt Augustin das grundsätzliche, von den
Manichäern aufgeworfene Problem des Glaubensaktes. Sie ist an seinen Studien--
freund Honoratus gerichtet, der zur Zeit ihrer Abfassung noch Manichäer ist und
den Augustin durch seine Schrift von der katholischen Position überzeugen will.
Den Hauptpunkten der manichäischen Kritik folgend wird zunächst das exegeti--
sche Problem der Geltung des Alten Testaments behandelt, wobei Augustin verschie--
dene Auslegungsmethoden vorstellt (vgl. util. cred. 5–13); in einem zweiten Haupt--
teil argumentiert er sodann für die Notwendigkeit des vorgängigen Glaubensaktes
und der Unterordnung unter die Autorität der catholica (der katholischen [Groß--
kirche]; vgl. util. cred. 14–35; zum Verhältnis von ratio / Vernunft und auctoritas /Au--
torität C. II. 4.; vgl. Hoffmann, Einleitung).
Augustins öffentliche Diskussionen mit prominenten Manichäern aus seiner
Umgebung zeigen ihn in der aktuellen Auseinandersetzung mit seinen ehemaligen
Glaubensbrüdern (c. Fort. [392], c. Fel. [404]). In beiden erhaltenen Protokollen sol--
cher disputationes (öffentlichen Streitgespräche) erweist Augustin sich als seinen
Gesprächspartnern überlegen, der Manichäer Felix gibt sich am Ende sogar soweit
überzeugt, daß er zur catholica konvertiert (vgl. Decret, Felix; Ders., Contra Feli--
cem). Das Mittel der disputatio zeigt besonders, daß die Auseinandersetzung mit
dem Manichäismus auch öffentlich stattfand (obwohl der Manichäismus ja immer
wieder verboten worden war). Die Disputation mit Fortunatus fand in Thermen
statt und hatte wohl entsprechende Resonanz (C. I. 6.1.; vgl. Decret, Acta). Auf
Augustins Werk insgesamt bezogen ist auffällig, daß sich die Auseinandersetzung
mit dem Manichäismus weitgehend auf die Zeit bis ca. 405 beschränkt. Dies dürfte
kaum bedeuten, daß der Manichäismus in der Zeit nach 405 eine weniger wichtige
Rolle gespielt hat, sondern vielmehr, daß Augustin weniger Notwendigkeit sah, sich
III. Entwicklungen – . Augustin im Donatistischen Streit 11
mit dem Manichäismus auseinanderzusetzen. Dies dürfte nicht zuletzt darin begrün--
det sein, daß er, nachdem er noch bei seiner Bischofsweihe wohl auch wegen sei--
ner manichäischen Vergangenheit angefeindet wurde (und zwar wohl nicht nur von
Donatisten, sondern auch von Mitgliedern der Großkirche), sich zunehmend eta--
blieren konnte und nach einigen literarischen Auseinandersetzungen den Manichä--
ismus mehr und mehr auf sich beruhen lassen konnte. Die bedeutendste Beschäfti--
gung mit dem Manichäismus nach 410 stellt die Auseinandersetzung mit dem Vor--
wurf Julians dar, Augustin vertrete mit der Vorstellung des originale peccatum (der
Ursprungssünde) letztlich eine manichäische Theologie, wie sie sich auch in der Epi--
stula ad Menoch (Brief an Menoch) wiederfinde (B. III. 7.3.). Die in der Auseinan--
dersetzung mit dem Manichäismus gefundenen Grundpositionen in dem Gottes--
begriff, der Ontologie, der Schrifthermeneutik und der Ethik blieben für Augustins
Denken insgesamt allerdings bestimmend.
Coyle, John K.: Augustine’s ›De moribus ecclesiae catholicae‹. A Study of the Work, its Compo--
sition and its Sources, Paradosis 25, Fribourg 1978.
Decret, François: L’Afrique manichéenne (IVe–Ve siècles). Étude historique et doctrinale, tome I.
Texte; tome II. Notes, Études Augustiniennes, Paris 1978.
Feldmann, Erich: Die Epistula Fundamenti der nordafrikanischen Manichäer. Versuch einer
Rekonstruktion, Altenberge 1987.
Hoffmann, Andreas: Augustins Schrift ›De utilitate credendi‹. Eine Analyse, Münsterische Bei--
träge zur Theologie 58, Münster 1997.
Weber, Dorothea: Augustinus, De Genesi contra Manichaeos. Zu Augustins Darstellung und
Widerlegung der manichäischen Kritik am biblischen Schöpfungsbericht, in: van Oort,
Johannes / Wermelinger, Otto / Wurst, Gregor (Hgg.): Augustine and Manichaeism in the
Latin West. Proceedings of the Fribourg-Utrecht Symposium of the International Associa--
tion of Manichaean Studies (IAMS), Nag Hammadi and Manichaean Studies 49, Leiden u. a.
2001, 298–306.
Gregor Wurst
Gemeinschaften überzutreten und dabei das jeweilige eigene Amt behalten zu dürfen
(vgl. Breuiarium Hipponense / Zusammenfassung [des Konzils] von Hippo 37; CChr.SL
149, 44 / 216 f sowie Registri Ecclesiae Carthaginensis Excerpta / Exzerpte aus dem Regi--
ster der Kirche von Karthago 34; CChr.SL 149, 183 / 60–63). Auf einem Konzil 397 in
Karthago wird festgehalten, daß der Umstand, daß jemand bei den Donatisten getauft
wurde, kein Hindernis ist, in den katholischen Klerus aufgenommen zu werden (vgl.
Registri Ecclesiae Carthaginensis Excerpta 47; CChr.SL 149, 186 / 139–144). 401 erlaubte
ein weiteres Konzil in Karthago es jedem einzelnen Bischof, für sich zu entscheiden, ob
er donatistische Kleriker bei sich unter Beibehaltung ihres Ranges aufnehmen würde
oder nicht (vgl. Registri Ecclesiae Carthaginensis Excerpta 68; 200 / 607–615).
Dasselbe Konzil sah vor, daß man sich um eine friedliche Beilegung des Konflikts
bemühen wollte. Mit den Donatisten solle man leniter et pacifice (sanft und friedlich)
umgehen (vgl. Registri Ecclesiae Carthaginensis Excerpta 60; CChr.SL 149, 199 / 583).
Dem entspricht Augustins Haltung in dieser Zeit. Er lehnte den Einsatz staatlicher
Gewalt gegen die Donatisten zunächst ab (vgl. ep. 23,6 f; 93,17; 185,25 und retr. 2,5 zur
nicht überlieferten Schrift c. p. Don.). Die Donatisten werden von Augustin in der
frühen Zeit als Schismatiker noch von den Häretikern unterschieden, nur letztere
haben auch inhaltlich einen falschen Glauben, die Schismatiker sind jedoch prinzi--
piell rechtgläubig. Ihre Abtrennung hat oftmals historische Gründe, die keinen prin--
zipiellen Gegensatz begründen (vgl. f. et symb. 21; uera rel. 9). Diese Haltung vertrat
Augustin in der Hoffnung, durch eine Strategie der Deeskalation den Konflikt gütlich
beilegen zu können. Diese Hoffnung ging jedoch an der Realität vorbei, denn seit den
neunziger Jahren war der Konflikt eher eskaliert; mehrfach, besonders im Zusam--
menwirken mit den Circumcellionen (B. II. 7.), hatte sich der Konflikt gewaltsam
entladen (vgl. ep. 29,12; 66,1; Cresc. 3,50; Possidius, Vita Augustini / Lebensbeschrei--
bung Augustins 12,1 f). Seit Ende des 4. Jahrhunderts läßt sich eine Verhärtung der
Fronten beobachten, nachdem im Zuge des Aufstands unter dem Regionalherrscher
Gildo im Jahr 397 / 398 sich radikalere Vertreter der Donatisten wie der Kriegsbischof
Optatus von Thamugadi in gefährlichem Maße kompromittiert hatten.
Die katholische Seite schickte um 404 eine Delegation an den Kaiserhof und bat
um die Anwendung der Häretikergesetze gegen die Donatisten. Der Kaiserhof rea--
gierte mit den sogenannten Unionsgesetzen vom 12. Februar 405. Diese Unionsge--
setze verfügten die Einheit unter der katholischen Seite und die Enteignung dona--
tistischer Kirchen und Güter. Die Wiederholung der Taufe bzw. Neutaufe wurde als
ein Vergehen festgeschrieben, das einer Häresie gleichkam, so daß die bereits erlasse--
nen Häretikergesetze galten (vgl. Codex Theodosianus / Gesetzessammlung des Theo--
dosius 16,5,38; 16,6,3–5 und 16,11,2). Diese kaiserliche Parteinahme erschwerte eine
argumentative Auseinandersetzung.
Auf der einen Seite schlugen die Donatisten seit Anfang des 5. Jahrhunderts mit
der Forderung nach vollständiger Trennung von den ›Macarianern‹ (den von den
kaiserlichen ›Friedensstiftern‹ Paul und Macarius unterstützten Katholiken; B. II. 7.)
einen schärferen Ton an, auf der anderen Seite begann Augustin, den Einsatz staat--
licher Mittel gegen die Donatisten zu befürworten.
III. Entwicklungen – . Augustin im Donatistischen Streit 1
Erstmalig in c. ep. Parm., vermutlich also um 400 (oder etwas später), befürwortet
Augustin vorsichtig einen Einsatz staatlicher Gewalt, und zwar weil der Staat auch
das Recht, ja die Pflicht habe, de religione (hinsichtlich der Religion) zu urteilen und
Schlechtes zu unterbinden. Die donatistische Abspaltung stelle ein crimen (Verbre--
chen) dar und störe somit den von Gott eingesetzten ordo (die Ordnung). Daher sei
die staatliche Gewalt aufgerufen, tätig zu werden (vgl. c. ep. Parm. 1,15 f). Augustin
wehrt sich dabei besonders gegen den Vorwurf, erst die catholica (die katholische
[Großkirche]) habe den Einsatz staatlicher Mittel herbeigeführt. Augustin verweist
darauf, daß die Donatisten selbst bei der Bekämpfung eigener Subschismen die staat--
liche Gewalt auf den Plan gerufen hätten. Außerdem verweist er auf die Verbrechen
der Circumcellionen, für die er die Donatisten insgesamt verantwortlich macht (vgl.
c. ep. Parm. 1,16–19). Diese Rechtfertigung staatlicher Maßnahmen verstärkte Augu--
stin dann ab 407 / 409, die Differenzierung zwischen Schisma und Häresie wird auf--
gegeben. Hierüber geben verschiedene Briefe Auskunft (vor allem ep. 86–89; 93; 105).
Ep. 93 ist der erste Brief, der das coge intrare (zwing sie, einzutreten) befürwortet,
eine aus dem Gleichnis vom großen Gastmahl entlehnte Wendung (compelle intra--
re / dräng sie dazu, einzutreten [Lk 14,23]; vgl. ep. 93,5 f). In ep. 105,3–5 stellt Augustin
die kaiserlichen Gesetze als Schutz gegen die Circumcellionen hin.
Inhaltlich entwickelte Augustin in dieser Zeit seine antidonatistische Argumen--
tation (C. I. 7.). Die mit dem donatistischen Schisma verknüpften Fragen gingen
weit über Entscheidungen mit unmittelbarem Praxisbezug (z. B. über den legitimen
Eigentümer der Kirchengüter oder die wahren Inhaber des Bischofsamtes in einer
gespaltenen Ämterhierarchie) hinaus. Im Kern der Auseinandersetzung ging es um
das Geheimnis der geistlichen Kirchengemeinschaft, d. h. um die Fragen, in welcher
kirchlichen Gemeinschaft das kraft des Heiligen Geistes lebendige Wasser (Joh 3,8;
4,10) der Taufe zu finden sei, in welcher Kirche die Sakramente wirksam seien (vgl.
die donatistische Auseinandersetzung mit Ps 140,5 LXX: Oleum peccatoris non impin--
guet caput meum / Das Öl des Sünders salbe nicht mein Haupt) und anhand welcher
Kriterien der Authentizitätsanspruch zweier konkurrierender kirchlicher Gemein--
schaften zu entscheiden sei. Dem Schisma lagen also fundamentale Fragen der Ekkle--
siologie und Sakramentenlehre zugrunde.
Beide Kirchen beriefen sich zunächst auf die heilige Schrift. Man kommt den
wesentlichen biblischen Argumenten nicht mit einem feststehenden Kanon an
Schriftzeugnissen auf die Spur, sondern anhand von Textgruppen, die Aufschluß
über die Argumentation beider Seiten geben. Die Donatisten verwiesen auf die
wenigen Erretteten zur Zeit der Sintflut (vgl. Gen 8 f), desweiteren wurden die Weis--
heitsliteratur, insbesondere die Psalmen mit ihrer Klage über Sünde und Abfall, das
Hohelied und schließlich die prophetischen Gerichtsreden gegen die Verfolger der
Gottesfürchtigen in die Argumentation eingebaut. Für die Donatisten fand die ihrer
Meinung nach im Buch der Offenbarung angesprochene Märtyrerkirche ihren wah--
ren Ausdruck in der Märtyrerkirche von Afrika, die sich mit Jesus als Märtyrer iden--
tifizierte und nach wie vor von gottlosen Königen verfolgt werde, wie sie in der pro--
phetischen Literatur zuhauf charakterisiert seien.
1 B. Person
Die von den Katholiken favorisierten biblischen Themen beziehen sich auf das
Festhalten am Frieden und an der Einheit der Kirche wie in Eph 4,5 und Joh 14,27.
Verstärkend wurden Psalmzitate herangezogen (z. B. Ps 2,8; 49,1; 95,1–3; 113,3 LXX),
außerdem der weltweite Verkündigungsauftrag nach Mt 28,19. Unablässig wird Ein--
spruch erhoben gegen die Zerstörung der kirchlichen Einheit, gegen das Zurückwei--
sen der brüderlichen Liebe gemäß Joh 4,20 f oder gegen die Begrenzung der Kirche
auf einen Teil der Welt, nämlich Nordafrika.
Von besonderer Bedeutung für die Katholiken war die Heiligkeit der Kirche,
zugleich auch die andauernde Notwendigkeit der Reue und der geistlichen Reifung
ihrer Glieder. Der Donatist Tyconius (B. II. 7.) vertrat die Ansicht einer ›zweigeteil--
ten‹ Kirche, deren Doppelstruktur er biblisch bezeugt fand (vgl. Tyconius, Liber regu--
larum / Buch der Auslegungsregeln 2). Das Geheimnis, daß es inmitten der Gemein--
schaft Bosheit gibt (vgl. 2. Thess 2,7–12), erfordere einerseits unablässige Urteilskraft
seitens der Kirche, damit sie nicht von der Liebe, dem Kennzeichen des Heiligen Gei--
stes (vgl. Tyconius, Liber regularum 4), abfalle, andererseits aber auch die Einsicht,
daß die Scheidung zwischen Guten und Bösen erst im Endgericht und nicht in der
Zeit der Kirche erfolge (vgl. Mt 13,24–30). Auf katholischer Seite, gerade auch von
Augustin, wurden viele von Tyconius’ Ansichten übernommen und in die theologi--
sche Widerlegung der donatistischen Lehre eingebaut.
Über hundert Jahre bemühte man sich vergebens, die Wunden der Spaltung zu hei--
len und die Einheit der Kirche wiederherzustellen. Obwohl auch soziale und politische
Ursachen die gegenseitige Feindschaft vertieften, liegt der Hauptgrund für das Schei--
tern in der nach wie vor umstrittenen Antwort auf die Frage der Donatisten, wie sich
die Gegensätze überbrücken ließen. Petilian hatte auf 2. Kor 6,14 verwiesen: Quae enim
participatio iustitiae cum iniquitate? (Was hat die Gerechtigkeit mit der Ungerechtig--
keit zu schaffen?; c. litt. Pet. 2,95). Aus donatistischer Sicht ging es nicht um Versöh--
nung, sondern um ein Wiederempfangen des irrenden, verlorenen Sohnes, versehen
mit neuem Gewand und Ring (vgl. Lk 15,21–24). Nicht einfach Aufnahme der ande--
ren kam in Frage, sondern allein die Zulassung derer, die mit dem Wasser der wahren
Taufe in die eine wahre Kirche, die eine unbefleckte Braut Christi (Eph 5,27), wieder--
geboren waren. Tatsächlich stellte Getrenntheit, nicht Einheit, einen entscheidenden
Grundsatz donatistischer Ekklesiologie dar. Als einzige Möglichkeit zur Rückkehr in
die eine wahre Kirche waren die (erneute) Taufe oder Weihe vorgesehen, beziehungs--
weise, mit den Worten der Donatisten: die eine wahre Taufe anstelle einer von leeren
Formeln geprägten Handlung einer abgefallenen Gemeinschaft.
Der Grundsatz der Trennung hing für die Gemeinschaft der Donatisten an zwei
Mißständen: dem Ursprung und Quellgrund der Verunreinigung sowie ihren Folgen
für die Gemeinschaft. Ihr Ursprung lag in den befleckten Händen derer, die während
der diokletianischen Verfolgung die heiligen Schriften zur Vernichtung ausgeliefert
hatten, der traditores (wörtlich: Auslieferer [scil. der biblischen Bücher], gleichzei--
tig: Verräter), zu denen auch Bischöfe gehörten. Die Folgen für die Kirche bestanden
darin, daß die an die Wurzel des geistlichen Amtes reichende Verunreinigung das
sakramentale Leben der Gemeinschaft befleckt habe, wie Petilian es darlegt: Qui bap--
III. Entwicklungen – . Augustin im Donatistischen Streit 15
tizatur a mortuo non ei prodest lauatio eius. Non mortuum corpus exanime [...] adse--
ruit esse baptistam, sed dei non habentem spiritum [...]. A mortuo igitur baptizari hoc
est mortem sumpsisse, non uitam. Agendum nobis et dicendum est, quatenus traditor
uita mortuus habeatur. Mortuus est ille qui baptismo uero nasci non meruit, mortuus
est ille similiter qui iusto baptismo genitus mixtus est traditori. Ambo uitam baptismi
non habent (Wer von jemandem getauft wird, der tot ist, dem nützt seine Waschung
nichts [nach Sir 34,25]. Damit meint er nicht, daß der Taufende ein Leichnam, ein
lebloser Körper ist [...], sondern jemand, dem der Geist Gottes fehlt. [...] Von einem
Toten getauft worden zu sein bedeutet also, nicht das Leben, sondern den Tod emp--
fangen zu haben. Wir müssen bedenken und deutlich machen, wie sehr der Tradi--
tor, wiewohl lebendig, für tot zu gelten hat. Wer es jedoch nicht verdient hat, mit der
wahren Taufe wiedergeboren zu werden, ist tot; ebenso tot ist, wer nach der Wieder--
geburt mit der wahren Taufe mit einem Traditor zu tun hatte. Beide haben das Leben
der Taufe nicht; c. litt. Pet. 2,14). Hieraus folgte eine Theologie der Abtrennung derer,
die wirklich das Leben haben und nicht mit Traditoren in Gemeinschaft stehen oder
gestanden haben. Der Verweis auf die Vergangenheit war für die Donatisten somit
ein ganz entscheidendes Hindernis, in der Gegenwart den Gegensatz zu überwinden.
Für die Einheit war nicht nur eine theologische Einigung entscheidend, sondern die
Frage, wie man zur Taufe und zum Glauben gekommen ist, wobei nur die Zugehö--
rigkeit zur Gemeinschaft der reinen Kirche als geltend angesehen wurde.
Um angesichts der Folgen des Schismas für das Leben der Gemeinden argumen--
tativ stichhaltig vorgehen zu können, verschaffte sich Augustin urkundlich belegte
Kenntnis über die Traditoren und beschäftigte sich mit der Geschichte des Donati--
stischen Schismas und mit Parmenian. Er nahm sich unverzüglich der Grundprin--
zipien an, aus denen die Donatisten die Einheit verweigerten und deren Darlegung
über Generationen des Schismas hinweg präzise ausgearbeitet worden war, daß näm--
lich die als Traditoren tätigen Bischöfe die Quelle der Sakramente – nicht nur der
Taufe, auch der Bischofsweihe – verunreinigt und damit nicht etwa eine Trennung in
zwei Kirchenorganisationen bewirkt, sondern eine falsche Kirche geschaffen hätten.
Augustin verwies auf die der Argumentation zugrundeliegenden Ungereimtheiten,
z. B. den zweifelhaften Charakter der donatistischen Bischöfe selbst, die vor Mord
nicht zurückschreckten wie Purpurius von Limata zu Beginn des Schismas oder der
Kriegsbischof und Zeitgenosse Augustins Optatus von Thamugadi. Augustins ent--
scheidender Einwand aber war, wie man denn mit Sicherheit wissen könne, ob ein
Geistlicher, der tauft oder weiht, auch innerlich, im Verborgenen, ein reines Gewis--
sen hat. Von hier aus gelangt Augustin zu dem Standpunkt, daß die Sakramente
durch den geheiligt sind, dem sie gehören. Christus selbst ist demnach der Spender
der Sakramente, er heiligt, wäscht ab, reinigt (vgl. c. litt. Pet. 2,88; 3,59).
Die theologische Beschäftigung mit den Donatisten, die sich in einer Reihe anti--
donatistischer Schriften niederschlug (C. I. 7.), bildet den Hintergrund für Augu--
stins Beteiligung an der Konferenz von 411. Beide Seiten hatten Eingaben an den
Kaiserhof gerichtet, auf die hin am 14. Oktober 410 ein Reskript (vgl. Codex Theo--
dosianus 16,11,3) erging, das eine collatio, also eine Konferenz zwischen Donatisten
1 B. Person
und katholischer Seite, anordnete. Bis dahin wurde eine gewisse Toleranz verord--
net, die die Lage jedoch keineswegs beruhigte. In Hippo Regius mußte Augustin mit
ansehen, wie der donatistische Bischof Macrobius in Begleitung von Circumcellio--
nen unter Tumulten in die Stadt einzog und eine öffentliche Demonstration veran--
stalten wollte, indem der bisher katholische Subdiakon Rusticianus erneut getauft
und bei den Donatisten aufgenommen wurde. In zwei Briefen (ep. 106; 108) ver--
suchte Augustin, dies zu verhindern.
Die vom Staat verordnete Konferenz ist dann tatsächlich Anfang Juni 411 abgehal--
ten worden, die Collatio Carthaginensis (Konferenz von Karthago). An ihr war Augu--
stin nicht unmaßgeblich beteiligt. Die collatio dauerte vom 1.–8. Juni, bestand aus drei
geballten Sitzungstagen (1., 3. und 8. Juni) und fand unter der Aufsicht des staatlichen
Militärtribuns Flavius Marcellinus statt, zu dem Augustin freundschaftliche Kontakte
unterhielt. Die Akten sind erhalten und geben einen Einblick in das juristische Ver--
fahren. Die Verhandlungen wurden mitstenographiert, anschließend wurde jede ein--
zelne Äußerung durch Unterschrift bestätigt. Die Angelegenheit war juristisch gese--
hen eine Neuerung, so daß Marcellinus zwar in Anlehnung an normale Prozesse ver--
handeln konnte, sich aber im Grunde auf nicht geregeltem Rechtsboden befand. Von
den beiden Parteien waren jeweils sieben Bischöfe geladen, von Seiten der catholica
Aurelius von Karthago, Augustin, Alypius, Possidius und drei weitere, von den Donati--
sten Primian von Karthago, Petilian, Emeritus und Gaudentius sowie weitere drei. Zur
Vorbereitung und Unterstützung hatten beide Seiten aber alle erreichbaren Bischöfe
nach Karthago geholt. Am 30. Mai fertigten die catholici (die Vertreter der catholica)
ein mandatum (eine Eingabe) an, das die Grundlinien der katholischen Argumenta--
tion enthielt und mit einer umfangreichen Unterschriftenliste endete (vgl. Gesta Colla--
tionis Carthaginensis anno 411 / Protokoll der Konferenz von Karthago im Jahr 411 1,55;
CChr.SL 149 A, 78–88). Hier wird zunächst eine Aufstellung der Verheißungen gege--
ben, die die Kirche als etwas Universales meinen; dadurch wird begründet, daß dieje--
nige die eigentliche Kirche ist, die über die gesamte Welt verstreut ist. Demgegenüber
seien die Donatisten eine Abspaltung. Gegen die donatistische Argumentation wird
geltend gemacht, daß die causa ecclesiae (zu verhandelnde Angelegenheit der Kirche)
von den Disziplinarfragen einzelner zu trennen sei. Für die Kirche sei vorhergesagt,
daß sie permixti mali (beigemischte Schlechte) beinhalte, zizania (Unkraut), die dem
Getreide beigemischt sind, und daß eine Trennung erst am Ende der Welt geschehen
werde (vgl. Mt 13,36–43). Die Kirche müsse sich daher in Geduld üben und die unbe--
kannten wie die bekannten mali ertragen und, wo möglich, zurechtweisen. Vorbild ist
Christus selbst, der seinen Verräter, Judas, ertragen hat. Auch Paulus habe falsche Brü--
der um der Einheit in Christus willen ertragen. Der Vorwurf gegen die katholische Taufe
bzw. vielmehr den baptismus Christi quem habemus et ministramus (die Taufe Chri--
sti, die wir haben und darreichen; vgl. Gesta Collationis Carthaginensis anno 411 1,55;
CChr.SL 149 A, 85 / 274) wird zurückgewiesen. Die Taufe beruhe darauf, daß die Taufe
eine Gabe Christi ist, eine Gabe der Kirche, die auch bei Verbrechern gehabt werden
könne, die jedoch außerhalb der kirchlichen Gemeinschaft nichts nütze.
Nachdem am Anfang die Verfahrensfragen geklärt waren, wurden die bisher ein--
III. Entwicklungen – . Augustin im Donatistischen Streit 1
gegangenen Petitionen beider Seiten verlesen. Dann wurde das eben genannte man--
datum der katholischen Seite verlesen, das mit 266 Unterschriften ausgestattet war.
Hiergegen erhob Petilianus nun den Einwand, es handele sich bei den Unterzeich--
nern gar nicht immer um Bischöfe, sondern zum Teil lediglich um irgendwelche Kle--
riker (vgl. Gesta Collationis Carthaginensis anno 411 1,61; CChr.SL 149 A, 89). Man
solle also festhalten, wer überhaupt wo Bischof von welcher Fraktion war. Dies nahm
den 1. Juni in Anspruch und führte zu dem Ergebnis, daß 286 catholici 285 Donati--
sten gegenüberstanden (der entsprechende Teil in den Gesta Collationis Carthagi--
nensis anno 411 1,99–215; CChr.SL 149 A, 96–158 ist für die Spätantike wohl die voll--
ständigste Aufstellung von Bischöfen von gleich mehreren Provinzen).
Auf der zweiten Sitzung am 3. Juni wollten die Donatisten vor allem das Verfah--
ren hinauszögern, wahrscheinlich auch, um selbst ein entsprechendes mandatum ver--
fassen zu können. Die Sitzung wurde also ziemlich ergebnislos vertagt, und zwar auf
den 8. Juni. Tatsächlich hatten die Donatisten jetzt ein eigenes mandatum parat. Los
ging es am 8. Juni allerdings mit der causa Caeciliani (der zu verhandelnden Ange--
legenheit des Caecilian), womit man also auf die Entstehung des Schismas einging.
Augustin hatte wahrscheinlich intensiv an der Abfassung des katholischen manda--
tum mitgearbeitet, sich aber während der mündlichen Verhandlungen in der 1. und
2. Sitzung ziemlich im Hintergrund gehalten. Jetzt schaltete er sich ein und führte
in der Verhandlung den Nachweis, daß die gegen Caecilian erhobenen Anschuldi--
gungen unbegründet oder verkehrt waren. Nachdem die Caecilianangelegenheit im
Sinne der katholischen Seite entschieden war, wurde das mandatum der Donatisten
vorgelegt (vgl. Gesta Collationis Carthaginensis anno 411 3,258; CChr.SL 149 A, 243–
251). Erneut übernahm vor allem Augustin die Sprecherrolle der katholischen Seite
und verteidigte das eigene mandatum. Er betonte die Universalität der catholica und,
daß der Vorwurf, sie nehme überall einfach bedenkenlos traditores auf, unberechtigt
sei. Sodann verteidigte er den Gedanken, daß die Kirche Gute und Böse, Unkraut
und Weizen umfaßt (die Gesta Collationis Carthaginensis anno 411 brechen leider vor
Beendigung der Verhandlungen am 8. Juni ab, danach sind nur die Überschriften
der Kapitel, die capitula, erhalten). Die Entscheidung fiel am 8. Juni 411 zugunsten
der catholici (vgl. Gesta Collationis Carthaginensis anno 411, Capitula 3,585; CChr.SL
149 A, 52), ein entsprechendes Edikt vom 26. Juni zog daraus die rechtlichen Kon--
sequenzen (das entsprechende Edikt steht verkehrterweise zwischen dem 2. und 3.
Tag: Gesta Collationis Carthaginensis anno 411. Edictum Cognitoris / Protokoll der
Konferenz von Karthago im Jahr 411. Edikt des Untersuchers; CChr.SL 149 A, 177–
179). Marcellinus bestätigte die bisherige Gesetzgebung gegen die Donatisten. Augu--
stin setzte sich unmittelbar danach hin und schrieb eine Kurzzusammenfassung der
Verhandlungen und ihres Ergebnisses, breuic. Zwar beruhigte die Konferenz von 411
die Lage noch nicht endgültig, doch war jetzt hier von staatlicher Seite aus eine ein--
deutige Entscheidung gefallen, die die Donatisten mehr und mehr in die Defensive
drängte. Die Position des römischen Staates war nun klar, ein donatistischer Revisi--
onsantrag wurde Anfang 412 abgewiesen (vgl. Codex Theodosianus 16,5,52).
In einem langen Brief an den staatlichen Würdenträger Bonifatius, der später
1 B. Person
auch ein Herrschaftsgebiet in Afrika erhielt, (ep. 185; auch als Schrift mit dem Titel
De correctione Donatistarum bekannt) aus dem Jahr 417, faßt Augustin die Hauptthe--
men des lang währenden Schismas zusammen und erinnert Bonifatius daran, daß
die Donatisten sorgfältig von den sogenannten ›Arianern‹ (B. III. 9.) und ihren Leh--
ren zu unterscheiden seien. Im Kern der afrikanischen Auseinandersetzung gehe es
um die donatistische Ablehnung einer Wiedervereinigung (vgl. ep. 185,1). Während
sich Augustin auf seine eigene Zusammenfassung des Disputationsablaufes von 411
im breuic. bezieht, liegt ihm in ep. 185 vor allem an dem Geist, in dem die gesetzli--
chen Maßnahmen gegen die Donatisten in Kraft gesetzt werden sollten. Er dringt
auf Mäßigung und differenzierte Wahrnehmung, hält aber auch fest, daß die gesetz--
lichen Maßnahmen, die die Einheit herstellen sollen, gerechtfertigt sind: Proinde
ecclesia catholica sola corpus est Christi, cuius ille caput est saluator corporis sui. Extra
hoc corpus neminem uiuificat spiritus sanctus, quia, sicut ipse dicit apostolus, caritas
dei diffusa est in cordibus nostris per spiritum sanctum, qui datus est nobis. Non est
autem particeps diuinae caritatis, qui hostis est unitatis (Daher ist die katholische Kir--
che allein der Leib Christi, dessen Haupt jener ist, der Retter seines Leibes. Außer--
halb dieses Leibes macht der Heilige Geist niemanden lebendig, da ja, wie der Apo--
stel selbst es sagt, die Liebe Gottes in unseren Herzen durch den Heiligen Geist aus--
gegossen ist, der uns gegeben ist. Nicht ist aber derjenige ein Teilhaber an der Liebe
Gottes, der ein Feind der Einheit ist; ep. 185,50).
Nach 411 befanden sich die Donatisten insgesamt in der Defensive. In Hippo
mußte Augustins donatistischer Gegenspieler Macrobius das Feld räumen (vgl.
ep. 139,2). Gleichwohl kam es auch nach 411 immer wieder zu Auseinandersetzun--
gen mit Donatisten. Mit den Schriften c. Gaud. (vgl. zur Datierung ep. 23 A*,3) und
Emer. (vgl. zur Datierung Emer. 1 und retr. 2,51) griff Augustin noch 418 / 419 in die
Debatte ein, ohne hierbei jedoch neue Argumentationen zu entwickeln.
Lamirande, Emilien: La situation ecclésiologique des Donatistes d’après saint Augustin. Contri--
bution à l’histoire doctrinale de l’œcuménisme, Ottawa 1972.
Lancel, Serge: Actes de la Conférence de Carthage en 411, tome I. Introduction générale, Sour--
ces Chrétiennes 194, Paris 1972; tome II. Texte et traduction de la capitulation générale et des
actes de la première séance, Sources Chrétiennes 195, Paris 1972; tome III. Texte et traduction
des actes de la deuxième et de la troisième séance, Sources Chrétiennes 224, Paris 1975; tome
IV. Additamentum criticum, notices sur les sièges et les toponymes, notes complémentaires
et index, Sources Chrétiennes 373, Paris 1991.
Monceaux, Paul: Histoire littéraire de l’Afrique chrétienne, tome 4. Le Donatisme, Paris 1912;
tome 5. Saint Optat et les premiers écrivains donatistes, Paris 1920; tome. 7. Saint Augustin et
le Donatisme, Paris 1923.
Schindler, Alfred: Die Unterscheidung von Schisma und Häresie in Gesetzgebung und Polemik
gegen den Donatismus (mit einer Bemerkung zur Datierung von Augustins Schrift Contra
epistulam Parmeniani), in: Dassmann, Ernst / Frank, Karl Suso (Hgg.): Pietas. Festschrift
für Bernhard Kötting, Jahrbuch für Antike und Christentum. Ergänzungsband 8, Münster
1980, 228–236.
(Übersetzt von Frithjof Rittberger) Pamela Bright
III. Entwicklungen – . Der Pelagianische Streit 1
Der Pelagianische Streit beginnt als Streit um die Bedeutung der Kindertaufe und die
Adamssünde in Karthago. Erste sichere Belege stammen aus dem Jahr 411, und zwar
tagte im Herbst 411 in Karthago ein Konzil, das sich mit der Theologie des Pelagius--
schülers Caelestius beschäftigte und sechs Aussagen zum Thema Kindertaufe und
Adamssünde als häretisch einstufte. Der Versuch des Caelestius, in den Klerus von
Karthago aufgenommen zu werden (vgl. ep. 157,22), wurde damit abgewehrt. Ob die
Ankunft des Caelestius in Karthago die Diskussionen um Kindertaufe und Adams--
sünde erst ausgelöst hat, ist unsicher, es könnte sein, daß es auch vorher schon Dis--
kussionen gegeben hat. Jedenfalls weiß Augustin wenig später davon, daß in Kar--
thago mehrere Schriften zum Thema kursierten (vgl. pecc. mer. 1,63 f), unter denen
sich auch das Buch eines gewissen Rufin befunden haben könnte, den man zur Unter--
scheidung anderer Theologen desselben Namens auch ›den Syrer‹ nennt.
Von der Biographie dieses Rufin ist kaum etwas bekannt, um 400 muß er in
Rom gelehrt haben (vgl. Marius Mercator, Commonitorium lectori aduersum haere--
sim Pelagii et Caelestii uel etiam scripta Iuliani, prologus / Denkschrift für den Leser
gegen die Häresie des Pelagius und des Caelestius bzw. auch die Schriften Julians,
Vorrede; erhalten in der Collectio Palatina / der Sammlung der Bibliotheca Palatina
[aus Heidelberg; 1622 / 1623 nach Rom gebracht] 3; ACO 1,5,1; 5 / 28–7 / 27). Das Buch
De fide (Über den Glauben), das sehr wahrscheinlich von diesem Rufin stammt,
geht auch auf das Thema der Kindertaufe ein und entwickelt die Theorie, daß die
nicht getauften Kinder nicht automatisch mit dem ewigen Feuer bestraft werden
und daß sie die Taufe nicht wegen der etwa von Adam übertragenen Sünden erhal--
ten (vgl. Rufin, De fide 40 f). Das kommt der Idee eines neutralen Ortes zwischen
Himmel und Hölle, an den die Kinder gelangen, die vor der Taufe sterben, sehr
nahe. Damit ist zugleich ausgedrückt, daß der Mensch an sich neutral auf die Welt
kommt, weder gut noch böse. Die Taufe der Kinder ist gleichwohl von großem Nut--
zen, denn erst durch die Taufe können die Kinder in das Himmelreich gelangen,
abgesehen davon, daß der Mensch schon sehr früh anfängt, sich sündig zu ver--
halten, weswegen er dann auch die in der Taufe liegende Sündenvergebung benö--
tigt. Dieser neutrale Zustand des Menschen ist für Rufin den Syrer wichtig, weil er
glaubt, nur so die Eigenverantwortlichkeit des Menschen für sein Tun ausdrücken
zu können. Dies wiederum dient dem Zweck, jegliche gnostische oder auch manichä-
ische Vorstellung ausschließen zu können, derzufolge der Mensch sich bereits in
einer bestimmten Verfaßtheit und Bestimmtheit durch das Böse vorfindet und an
diesem, seinem Zustand nichts ändern kann. Entsprechend lehnt Rufin es ab, daß
die Adamssünde etwa durch die Fortpflanzung auf die Nachkommen Adams über--
gegangen sei (vgl. Rufin, De fide 39). Der Tod ist dementsprechend nicht als eine
Strafe für die Adamssünde zu verstehen, sondern gehört zur Existenz des Menschen
und war entsprechend schon bei Adam und Eva gegeben (vgl. Rufin, De fide 29).
10 B. Person
Wesentlich ist es, nicht dem ewigen Tod zu verfallen, was geschieht, wenn man in
Sünden verhaftet bleibt.
Nachdem Caelestius in Karthago sehr wahrscheinlich Aussagen vertreten hatte,
die dem Buch Rufins ähnelten, wurde er von einem Diakon namens Paulinus (einem
Diakon aus Mailand, der Afrika besuchte; vgl. Paredi) der Häresie bezichtigt, wes--
wegen sich ein Konzil mit der Frage befassen mußte. Die Akten dieses Konzils sind
nicht erhalten, wichtigste Quelle ist Augustin, der jedoch selbst nicht anwesend war.
Er zitiert in späteren Schriften zum einen sechs Aussagen, die auf einer späteren Syn--
ode (der von Diospolis) aufgegriffen und verworfen wurden (in gest. Pel. 23), zum
anderen Auszüge aus den Konzilsakten (in gr. et pecc. or. 2,3 f). Daraus ergibt sich,
daß der Diakon Paulinus die Rolle des Anklägers übernahm, Caelestius vorgeladen
wurde und von Aurelius, dem Bischof von Karthago, verhört wurde.
In dem Auszug des Verhörs, der sich bei Augustin findet, geht es um zwei Sätze,
die aus einer Anklageschrift verlesen werden, nämlich zum einen die Aussage, quod
peccatum Adae soli ipsi obfuerit et non generi humano (daß die Adamssünde nur ihm
selbst geschadet hat und nicht dem Menschengeschlecht), zum anderen die Aussage,
quod infantes qui nascuntur in eo statu sint, in quo fuit Adam ante transgressionem
(daß die Kinder, die geboren werden, in eben dem Status sind, in dem Adam vor der
Übertretung war). Zu dem ersten Satz hat, dem Aktenauszug zufolge, Caelestius sei--
nen Zweifel an der tradux peccati (der Sündenübertragung) ausgedrückt und darauf
verwiesen, daß es auch andere Priester in der katholischen Kirche gebe, die hieran
zweifelten. Als er von Paulinus aufgefordert wird, Namen zu sagen, vermag er nur
den Namen Rufins (des Syrers) zu sagen. Zu der zweiten Aussage gesteht Caelestius
zu, daß er das gesagt habe, möchte jedoch geklärt wissen, was unter dem Ausdruck
ante transgressionem (vor der Übertretung) zu verstehen sei. Als Paulinus eine Inter--
pretation verweigert und sich die Diskussion auf der Stelle bewegt, gibt Aurelius von
sich aus eine Präzisierung der Frage, die Frage sei doch, ob Adam erst durch die Über--
tretung vergänglich geworden sei. Daher sei mit der Frage des Paulinus gemeint, ob
die Kinder sich in diesem Ursprungszustand befänden oder die transgressionis culpa
(die Schuld der Übertretung) auf sich zögen. Hierauf erwidert Caelestius erneut, daß
er die Frage der tradux peccati als eine Frage ansehe, die unterschiedlich beantwor--
tet werde, die Sache sei eine quaestio (eine zu untersuchende Fragestellung), keine
haeresis (Häresie) (alle Zitate aus gr. et pecc. or. 2,3).
Der Aktenauszug läßt deutlich erkennen, daß Aurelius das Konzept der tradux
peccati in einer Form vertrat, die der von Augustin vertretenen nahekommt. Augu--
stin ist bei dem Konzil nicht anwesend. Aurelius begründet die Notwendigkeit der
Kindertaufe und damit einen wichtigen Bestandteil der kirchlichen Praxis und Fröm--
migkeit von sich aus mit den Folgen der Adamssünde und stößt dabei bei seinen
Kollegen offensichtlich nicht auf Widerstand.
Die sechs Verwerfungssätze dann finden sich einerseits bei Augustin (in gest. Pel.
23), andererseits bei Marius Mercator, einem Zeitgenossen Augustins, der unter ande--
rem in Rom und Konstantinopel gewirkt hat und vor 450 gestorben sein muß, und
zwar in dessen Exemplum commonitorii quod super nomine Caelestii graeco sermone
III. Entwicklungen – . Der Pelagianische Streit 11
a Mercatore datum est (Auszug aus der Denkschrift, die über den Namen des Cae--
lestius von Mercator in griechischer Sprache angefertigt ist; erhalten in der Collectio
Palatina 36; ACO 1,5,1; 65 / 34–70 / 11). In dem bereits erwähnten Prologus kennt Marius
Mercator außerdem noch zwei überschießende Sätze. In beiden Fällen weicht Marius
Mercator von der bei Augustin belegten Reihenfolge ab (Wermelinger, Rom 11 ver--
tritt die These, daß Marius Mercator die ursprüngliche Reihenfolge bewahrt hat, doch
ist das nicht sicher, der Aktenauszug in gr. et pecc. or. 2,3 f, auf den sich Wermelinger,
Rom 10 bezieht, überspringt zwischen der Verhandlung über These 2 und über These 5
eine nicht näher bestimmbare Menge Text, indem er sagt: et post aliqua alio loco / und
einiges später an anderer Stelle; gr. et pecc. or. 2,3 / 18). Die sechs Thesen lauten (Abwei--
chungen bei Marius Mercator, Exemplum commonitorii jeweils in Klammern):
1. Adam mortalem factum, qui siue peccaret siue non peccaret, moriturus esset
(Marius Mercator: fuisset) (daß Adam sterblich geschaffen worden ist, so daß er, sei
es, daß er gesündigt, sei es, daß er nicht gesündigt hätte, hätte sterben müssen);
2. quoniam peccatum Adae ipsum solum laeserit (Marius Mercator: laesit) et non
genus humanum (daß die Adamssünde ihn allein geschädigt hat und nicht das Men--
schengeschlecht; vgl. auch gr. et pecc. or. 2,3);
3. quoniam lex sic mittit ad regnum quemadmodum (Marius Mercator: ad regnum
caelorum quomodo et) euangelium (daß das Gesetz so zum Himmelreich führt wie
das Evangelium);
4. quoniam (Marius Mercator: quoniam et) ante aduentum Christi (Marius Mer--
cator: domini) fuerunt homines sine peccato (Marius Mercator: inpeccabiles, id est sine
peccato) (daß es vor der Ankunft Christi Menschen ohne Sünde gab);
5. quoniam infantes nuper nati (Marius Mercator: paruuli qui nascuntur) in illo
(Marius Mercator: in eo) statu sint (Marius Mercator: sunt), in quo Adam fuit ante
praeuaricationem (daß die neugeborenen Kinder in jenem Status sind, in dem Adam
vor der Übertretung war; vgl. auch gr. et pecc. or. 2,3);
6. quoniam neque per mortem uel praeuaricationem Adae omne genus hominum
moriatur neque per resurrectionem Christi omne genus hominum resurgat (daß weder
durch den Tod bzw. die Übertretung Adams das ganze Menschengeschlecht stirbt,
noch durch die Auferstehung Christi das ganze Menschengeschlecht aufersteht).
Caelestius hat sich nicht so deutlich von den Aussagen distanziert, daß er einer Ver--
urteilung (so gest. Pel. 62) oder zumindest Abweisung entgehen konnte (dies könnte
sich hinter einer Bemerkung des Zosimus, erhalten in der Collectio Auellana / Samm--
lung aus S. Croce in Fonte Avellana, Epistula / Brief 45,4; CSEL 35 / 1, 100 / 13–15 verber--
gen). Wenig später ist er aus Karthago Richtung Osten abgereist. Pelagius hat in den
Beginn des Streites überhaupt nicht eingegriffen. Er muß in zeitlicher Nähe zu Cae--
lestius nach Nordafrika gekommen sein und hat versucht, einen freundlichen Kon--
takt mit Augustin herzustellen (eine kurze, freundliche Erwiderung Augustins ist in
ep. 146 erhalten), doch kam es nicht zu einem Zusammentreffen der beiden oder zu
irgendwelchen Diskussionen. Wenig später reiste auch Pelagius nach Osten ab. Auch
ein Zusammenhang mit dem donatistischen Streit, der 411 durch die collatio (Konfe--
renz) einen gewissen Schlußpunkt erreicht hat (B. III. 6.), ist nicht erkennbar.
1 B. Person
Auch nach der Abreise von Caelestius gehen die Diskussionen weiter. Der füh--
rende staatliche Beamte Marcellinus wird von Anhängern der Theologie des Caele--
stius bedrängt, er selbst scheint in der Frage unsicher zu sein, hat aber im Zusam--
menhang der Verhandlungen mit den Donatisten Augustin als den führenden Theo--
logen der nordafrikanischen Kirche kennengelernt und bittet ihn daher, eine Reihe
von Fragen und Argumenten, die er ihm brieflich mitteilt, zu besprechen bzw. zu
widerlegen. Ergebnis ist die Schrift pecc. mer., in der Augustin nicht nur auf die von
Marcellinus gestellten Fragen eingeht, sondern auch zusätzlich Texte bespricht, die
in Karthago im Umlauf sind. Er spricht von einem libellus breuissimus (einem sehr
kurzen Büchlein) und fügt wenig später hinzu, er habe das widerlegt, was sich in
einem Buch ›von ihnen‹ finde (vgl. pecc. mer. 1,63 / 14 f; 1,64 / 22 f; es ist nicht eindeutig
gesagt, daß es sich um zwei verschiedene Schriften handelt, doch ist dies sehr wahr--
scheinlich). Marcellinus ist mit der Antwort, die Augustin ausgearbeitet hat (= Urfas--
sung von pecc. mer. 1 f), anscheinend zunächst nicht zufrieden und bittet Augustin
um eine Verbesserung (vgl. ep. 139). Die stellt dieser Anfang 413 auch her (= pecc.
mer. 1–3). Im Laufe des Jahres 413 kommt Augustin erneut nach Karthago und pre--
digt im Juni 413 in der Basilica Maior (der größeren Basilika).
Dabei ist eine Predigt am Geburtstag Johannes des Täufers Anlaß, die umfas--
sende Bedeutung von Christus als dem einen Mittler hervorzuheben. Durch Christus
wird die omnis generis humani massa (die Masse des ganzen Menschengeschlechts)
versöhnt. Biblischer Beleg ist 1. Kor 15,21: Wie in Adam alle sterben, so werden auch
in Christus alle lebendig gemacht werden. Von hier aus betont Augustin die beson--
dere Bedeutung der Taufe. Auch das kleine Kind braucht die Taufe und damit Jesus
als den saluator (Retter). Selbst Johannes der Täufer ist von dem Sündenzusammen--
hang, der durch Adam herbeigeführt worden ist, nicht ausgenommen. Eher beiläufig
verwendet Augustin als biblischen Beleg auch Röm 5,12: Ita in omnes homines per--
transiit, in quo omnes peccauerunt (So ging er [scil. der Tod als Sündenstrafe] auf alle
Menschen über, in dem [scil. dem einen Menschen, der den Tod verschuldet hat]
alle gesündigt haben) (alle Zitate aus s. 293).
Diese Predigt muß, knapp zwei Jahre nach der Verurteilung des Caelestius, immer
noch heftige Diskussionen ausgelöst haben. Denn Augustin fühlt sich wenig später,
am Gedenktag der Märtyrerin Guddenis, genötigt, nicht über die Märtyrerin zu spre--
chen, sondern über die Kindertaufe und die Adamssünde (vgl. s. 294). Ausgangspunkt
ist eine Diskussion mit Theologen, die Augustin der Neuerung, ja sogar der Häre--
sie beschuldigen, um die sich Augustin gleichwohl, nicht zuletzt mit dieser Predigt,
bemüht. Die Frage der Kindertaufe sei zu diskutieren, es handele sich um Brüder, die
permoti sunt profunditate quaestionis (bewegt sind durch die Tiefe der Frage; s. 294,2).
Augustin stellt fest, daß die Taufe auch für die Kinder der einzige Weg sei, ins Him--
melreich zu gelangen, einen medius locus (einen mittleren Ort) zwischen Himmel--
reich und Verwerfung gibt es nicht: Paruulus non baptizatus pergit in damnationem
(Der nicht getaufte Säugling gelangt zur Verdammung; s. 294,7). Augustin begründet
dies mit einer Auslegung von Joh 3, wobei er auf die entsprechende Argumentation
von pecc. mer. 1 zurückgreift (C. I. 8.1.). Augustin verwahrt sich dagegen, die natura
III. Entwicklungen – . Der Pelagianische Streit 1
(Natur) des Menschen und damit Gott als den Schöpfer anzuklagen, gleichwohl sei
durch Adam die Natur verletzt worden, und von diesem Zustand befreit nur Chri--
stus, eben durch die Taufe (vgl. s. 294,14). Für den Zusammenhang des Menschen mit
Adam greift Augustin dann (ebenfalls wie in pecc. mer. 1) auf Röm 5,12 zurück und
verteidigt die Übermittlung der Ursprungssünde durch die carnalis generatio (fleisch--
liche Fortpflanzung; s. 294,16). Bevor er am Ende der Predigt ein Cyprianzitat verle--
sen kann (mit dem er verdeutlichen will, daß seine Theologie keine Neuerung dar--
stellt), muß er seine Hörer um Ruhe bitten: Rogo uos, ut paululum acquiescatis (Ich
bitte euch, daß ihr euch ein wenig beruhigt; s. 294,19). Der Prediger reagiert damit
auf Unruhe, die während der Predigt entstanden sein muß. S. 294 ist somit ein wich--
tiger Beleg dafür, daß die Frage der Kindertaufe und der Adamssünde 413 in Kar--
thago nach wie vor umstritten war. In dieselbe Richtung weist auch die Tatsache, daß
Marcellinus nach dem Empfang der Endfassung von pecc. mer. 1–3 erneut an Augu--
stin schreibt und von ihm die Frage der Sündlosigkeit (die schon in pecc. mer. 2 zen--
tral war) erneut dargelegt haben möchte. Ergebnis ist spir. et litt. (C. I. 8.2.). Diese
erste Phase des Pelagianischen Streites endet, als die Theologie des Pelagius selbst
zum Mittelpunkt der Diskussion wird. Dies ist der Fall, als Augustin das Buch des
Pelagius mit dem Titel De natura (Über die Natur) übermittelt wird.
Bonner, Gerald: Art. Caelestius, Augustinus-Lexikon 1 (1986–1994), 693–698.
Delaroche, Bruno: Saint Augustin. Lecteur et interprète de saint Paul dans le De peccatorum
meritis et remissione (hiver 411–412), Collection des Études Augustiniennes. Série Antiquité
146, Paris 1996.
Drecoll, Volker Henning: Art. Gratia, Augustinus-Lexikon 3 (2004–2006), 182–242.
Honnay, Guido: Caelestius, discipulus Pelagii, Augustiniana 44 (1994), 271–302.
Wermelinger, Otto: Rom und Pelagius. Die theologische Position der römischen Bischöfe im
pelagianischen Streit in den Jahren 411–432, Päpste und Papsttum 7, Stuttgart 1975.
Volker Henning Drecoll
In den Jahren 411–413 hat Augustin gegenüber Pelagius ein weitgehend neutrales
Verhältnis. Als nach der Eroberung Roms durch Alarich am 24. August 410 eine
große Schar an Flüchtlingen (besonders aus der römischen Aristokratie) nach Kar--
thago kam, reiste auch Pelagius nach Nordafrika und suchte kurz Kontakt zu Augu--
stin, den er jedoch nicht persönlich traf. Augustin selbst bezeichnete den Römer--
briefkommentar des Pelagius als Pelagii quaedam scripta sancti uiri, ut audio, et non
paruo prouectu Christiani (gewisse Schriften des Pelagius, eines heiligen Mannes, wie
ich höre, und von nicht geringem Fortschritt als Christ; pecc. mer. 3,1). Entsprechend
reagierte er höflich brieflich auf die Kontaktaufnahme des Pelagius (erhalten in gest.
Pel. 52 und dann als ep. 146 in die Briefsammlung aufgenommen).
Diese abwartende Haltung gegenüber Pelagius änderte sich im Jahre 414 /415, als
1 B. Person
zwei ehemalige Schüler des Pelagius, Timasius und Jakobus (sie waren Mönche und
stammten vermutlich aus der römischen Aristokratie) Augustin einen Traktat des
Pelagius überreichten, mit der Bitte, diesen zu widerlegen. Der Traktat war anschei--
nend anonym, ein Titel ist nicht überliefert, gewöhnlich wird er De natura genannt.
Pelagius versucht in dieser Schrift zu zeigen, daß alle Menschen mit Hilfe der Gnade
Gottes die Möglichkeit bewahren, sündlos zu sein. Die Gnade Gottes wird von Pela--
gius mit der Wahlfreiheit des Menschen identifiziert, mit der Gott der Schöpfer jeden
Menschen in unverlierbarer Weise ausstattet (vgl. Löhr, De natura).
Im Frühjahr 415 ging Augustin daran, den Traktat des Pelagius in einer Gegen--
schrift zu widerlegen, nat. et. gr. Gleichzeitig beauftragte er den jungen spanischen
Priester Orosius, auf seiner Reise nach Palästina Pelagius einen Brief zu überbrin--
gen und ihn mündlich zu ermahnen (vgl. Löhr, De natura 237). Unterdessen bezog
in Palästina Hieronymus bereits gegen Pelagius Stellung (in seiner Epistula / Brief
133 und in der Schrift Dialogus aduersus Pelagianos / Dialog gegen die Pelagianer).
Wir wissen nicht, wie Pelagius die Ermahnung des Orosius aufgenommen hat.
Besonders erfolgreich dürfte er nicht gewesen sein, denn es war offenbar Orosius,
der Pelagius bei dem zuständigen Ortsbischof Johannes von Jerusalem anzeigte.
Johannes versammelte daraufhin Ende Juli 415 eine informelle Synode des lateini--
schen Klerus in Jerusalem. Orosius und Pelagius waren ebenfalls eingeladen. Oro--
sius wollte erreichen, daß Bischof Johannes durch Untersuchung feststellte, daß die
Position des Pelagius mit derjenigen des Caelestius identisch war, die 411 von der
Synode in Karthago rechtskräftig verurteilt worden war. Aber Johannes von Jeru--
salem wollte in eine eigenständige Untersuchung darüber eintreten, ob die Lehre
des Pelagius als Häresie zu beurteilen sei. In den Gesprächen scheint Orosius selbst
unter Druck gekommen zu sein. Schließlich einigte man sich darauf, die Angele--
genheit an Bischof Innozenz von Rom zu überweisen (Orosius schrieb daraufhin
einen Liber apologeticus / Rechtfertigungsschrift; vgl. Reuter 155–163; Wermelin--
ger, Rom 57–60). Der erste Versuch, Pelagius offiziell als Häretiker verurteilen zu
lassen, war damit gescheitert.
Doch Hieronymus gab nicht auf: Er bewog zwei abgesetzte gallische Bischöfe,
die sich in Palästina aufhielten, Lazarus von Aix und Heros von Arles, eine Ankla--
geschrift gegen Pelagius aufzusetzen und an den Bischof Eulogius von Cäsaraea zu
senden. Dieser libellus accusationis (Anklageschrift), der erste Versuch, die pelagia--
nische Position umfassend zu definieren, hatte folgende Struktur (vgl. die Rekon--
struktion bei Wermelinger, Rom 71–75):
1. sechs Exzerpte aus dem Liber testimoniorum (Buch mit Belegstellen) des Pela--
gius,
2. drei Exzerpte aus einem Liber ad uiduam (Brief an eine Witwe),
3. die sechs capitula (Aussagen), welche die Synode von Karthago als Lehre des Cae--
lestius verdammt hatte,
4. drei weitere Sätze des Pelagius, die aus einem Brief des Hilarius von Syrakus
an Augustin (= ep. 156) stammen (posse hominem sine peccato, si uelit, esse / Der
III. Entwicklungen – . Der Pelagianische Streit 15
Mensch kann, wenn er will, ohne Sünde sein; und infantes, etsi non baptizantur,
habere uitam aeternam /Auch die noch nicht getauften Kinder haben das ewige
Leben, sowie ein weiterer Satz; ep. 156, vgl. gest. Pel. 23),
5. ein weiteres Dictum des Pelagius (ecclesiam hic esse sine macula et ruga / Die Kir--
che ist hier ohne Makel und Falte [vgl. Eph 5,27]; gest. Pel. 27),
6. Exzerpte aus einer Schrift des Caelestius.
Die Struktur der Anklageschrift zeigt, daß Heros und Lazarus versuchten, die Lehre
des Pelagius mit der bereits verurteilten Position des Caelestius in Verbindung zu
bringen, um so eine Verurteilung des Pelagius zu erreichen (vgl. Wermelinger,
Rom 75–77).
Doch auch dieser Versuch schlug fehl. Auf der Provinzsynode, zu der sich am
20. Dezember 415 in Diospolis 14 Bischöfe trafen, gelang es Pelagius, in sorgfältiger
Diskussion die von Lazarus und Heros aufgelisteten Anklagepunkte zu entkräften: Er
distanzierte sich von einigen der aufgelisteten Sätze, andere erkannte er als authen--
tisch an und stellte ihren Sinn klar (Auszüge aus dem Verhandlungsprotokoll wer--
den von Augustin in gest. Pel. zitiert). Pelagius hielt an seiner prinzipiellen Vertei--
digung der Möglichkeit des Menschen, sündlos zu sein, fest; er zeigte sich aber fle--
xibel, was die Modalitäten dieser Möglichkeit anging. Die Synode akzeptierte dies
und gestand im Gegensatz zur Synode von Karthago auch zu, daß die Gerechten
des Alten Testaments (ohne die Gnade Christi) sündlos waren (vgl. gest. Pel. 26; vgl.
Wermelinger, Rom 81–87).
Den Freispruch der Synode von Diospolis hat Pelagius propagandistisch ausge--
nutzt, indem er ihn in einer Chartula defensionis (einer Verteidigungsschrift) publi--
zierte, die er an den römischen Bischof Innozenz schickte und auch Augustin zukom--
men ließ. Hieronymus seinerseits schickte seine Schrift Dialogus aduersus Pelagianos
sowohl zu Augustin als auch an den westlichen Kaiserhof in Ravenna.
Augustin ging nunmehr, im Frühjahr 416, zum offenen Angriff gegen Pelagius
über (vgl. Löhr, De natura 238–245): Er startete eine Briefkampagne, in der er den
Freispruch von Diospolis als einen Irrtum darstellte. Den Briefen legte er jeweils als
Beweisstück sowohl Pelagius’ Traktat De natura als auch seine eigene Widerlegung
nat. et gr. bei. Augustin glaubte, daß Pelagius in De natura seine wirkliche theolo--
gische Position offenbarte. Seine Strategie bestand nunmehr darin, den Freispruch
von Diospolis durch eine synodale Verdammung der theologischen Position von De
natura zu kompensieren und das Ergebnis von Diospolis als Mißverständnis hin--
zustellen. Da Pelagius laut De natura unter Gnade Gottes nur die Gnade des Schöp--
fers verstehe, den Menschen mit der Wahlfreiheit zwischen gut und böse zu verse--
hen, leugne er damit, so argumentierte Augustin, die helfende Gnade Christi, die der
Mensch von Tag zu Tag braucht. Damit erkläre er auch implizit sowohl das Gebet, das
um diese Gnade bittet, als auch den liturgischen Segen, der diese Gnade zuspricht,
für sinnlos. Außerdem leugne Pelagius den Nutzen des Todes Christi für die kleinen
Kinder, die bereits mit der Erbsünde behaftet sind. Pelagius habe, so Augustin, die
Bischöfe in Diospolis getäuscht (vgl. ep. 179 an Johannes von Jerusalem).
1 B. Person
Was in Palästina nicht gelungen war, erreichten Augustin und seine Freunde im
Mai / Juni 416 in Nordafrika: Zwei Provinzsynoden, eine in Karthago und eine in
Mileve, verurteilten die pelagianische Lehre (Schreiben der Synode von Karthago
für Africa Proconsularis = ep. 175, Schreiben der Synode von Mileve für Numidi--
en = ep. 176; Augustin war Mitunterzeichner, wahrscheinlich sogar Mitverfasser von
ep. 176). Beide Schreiben wurden an Bischof Innozenz von Rom geschickt, ergänzt
um das Schreiben einer Fünfergruppe (neben Aurelius von Karthago und Augustin
noch Alypius, Evodius und Possidius), das die theologischen Aussagen der beiden
Synodalschreiben noch ergänzte (= ep. 177). Entscheidend war, so lautete die Argu--
mentation, daß die pelagianische Auffassung der rettenden Gnade Christi keinen
Raum lasse sowie implizit den Nutzen von Kirchengebet, Segen und Kindertaufe
leugne. Damit werde das spezifisch Christliche aufgegeben (vgl. ep. 177,2). Pelagius
und Caelestius werden aufgefordert, dieser Lehre abzuschwören. Der Sendung an den
Bischof von Rom, der gebeten wird, sich dem nordafrikanischen Urteil anzuschlie--
ßen, wurden verschiedene Aktenstücke beigelegt (über die Synode von Karthago 411;
die Anklageschrift von Diospolis und weitere Schriften, nämlich De natura, die Char--
tula defensionis des Pelagius und nat. et gr.). Diese Initiative mußte den afrikanischen
Bischöfen um so gebotener erscheinen, als Pelagius offenbar in Rom Anhänger hatte,
die auch willens und fähig waren, Unruhe zu erzeugen (vgl. z. B. ep. 177,2).
Die afrikanische Initiative war erfolgreich: Am 27. Januar 417 publizierte Bischof
Innozenz von Rom drei Briefe (= ep. 181–183 im augustinischen Briefkorpus) als Ant--
wort auf die drei Briefe, die er aus Afrika erhalten hatte. Er exkommunizierte Pelagius,
Caelestius und deren Anhänger (vgl. ep. 182,2); Pelagius’ vermutlich tendenziöse Dar--
stellung der Synode von Diospolis wird als nicht überprüfbar zurückgewiesen (vgl.
ep. 183,3), seine Schrift De natura rundheraus verdammt (vgl. ep. 183,5), freilich wird
die Möglichkeit der Rehabilitierung in Aussicht gestellt (vgl. ep. 183,5; 175,4). Inno--
zenz bekräftigt, daß die Menschen täglich die Gnade Gottes benötigen, um geheilt
zu werden und ein besseres Leben führen zu können (vgl. ep. 181,5; 182,7). Um diese
tägliche Gnade sollen die Christen Gott bitten. Innozenz weist also die Position von
De natura zurück, derzufolge die Gnade Gottes ganz wesentlich in der Wahlfrei--
heit zwischen gut und böse besteht. Allerdings rezipiert Innozenz nicht durchweg
die afrikanische Position: Er akzeptiert nicht die Theorie der Erbsünde als Begrün--
dung für die Praxis der Kindertaufe. Seine Tauflehre ist ganz auf die positiven Wir--
kungen der Taufe konzentriert: Die Verheißung und Gabe des ewigen Lebens (vgl.
Wermelinger, Rom 116–133).
... Die Reaktion von Pelagius und Caelestius auf das römische Urteil
die Häresien des Arius und Sabellius; im zweiten Artikel erfolgt christologisch die
Abgrenzung gegen Photin auf der einen Seite und (mit stärkerem Akzent) Apollina--
ris auf der anderen Seite (vgl. Pelagius, Libellus fidei nr. 8–14). Die Kindertaufe wird
ausdrücklich gelehrt (vgl. Pelagius, Libellus fidei nr. 17); anders als Caelestius ver--
zichtet Pelagius auf eine explizite Verwerfung der Lehre von der Erbsünde. Im Hin--
blick auf den Ursprung der Seele vertritt Pelagius – wie z. B. auch Hieronymus – die
kreatianistische Auffassung, derzufolge die Seele jedes Menschen von Gott jeweils
neu geschaffen wird (vgl. Pelagius, Libellus fidei nr. 20). Pelagius wendet sich scharf
gegen diejenigen, die sagen, daß es für Individuen unmöglich sei, die Gebote Gottes
zu halten (vgl. Pelagius, Libellus fidei nr. 21). Zum Problem des freien Willens bean--
sprucht Pelagius wiederum den Mittelweg (vgl. Pelagius, Libellus fidei nr. 23): auf der
einen Seite gegenüber den Manichäern, die sagen, daß der Mensch die Sünde nicht
vermeiden könne, auf der anderen Seite gegenüber Jovinian, der sage, der Mensch
könne (nach der Taufe) gar nicht mehr sündigen. Pelagius hält dagegen an seiner
Position fest, daß der Mensch das posse (die Fähigkeit) sowohl zum Sündigen als
auch zum Nicht-Sündigen behält.
Pelagius fügte seinem Glaubensbekenntnis einen Brief an (Epistula purgatio--
nis / Rechtfertigungsschreiben [wörtlich: Reinigungsbrief]; Fragmente sind bei Augu--
stin in gr. et pecc. or. 1,32–40.45; 2,20–22 erhalten). Es gibt zwei Vorwürfe, so heißt
es dort, mit denen er verleumdet werde: Zum einen werde behauptet, er leugne die
Kindertaufe und meine, man könne das Himmelreich ohne die Heilstat Christi erlan--
gen, zum anderen, daß er so sehr auf den freien Willen vertraue, daß er die Hilfe
der Gnade zurückweise (vgl. gr. et pecc. or. 1,32). Den ersten Vorwurf hatte er bereits
mit seinem Glaubensbekenntnis zurückgewiesen. Im Hinblick auf den zweiten Vor--
wurf stellt er fest, daß jeder Mensch einen Willen habe, der frei sei, zu sündigen oder
nicht zu sündigen, und der bei seinen guten Werken immer durch die Hilfe Gottes
unterstützt werde. Diese Gnade werde aber nur den Christen zuteil. Vor allem aber
zitiert Pelagius aus seinen eigenen Briefen und Schriften Belege dafür, daß er immer
die Rolle der Gnade Gottes betont habe.
Nachdem die Antworten des Pelagius und des Caelestius in Rom eingetroffen
waren, führte der neue Bischof von Rom, Zosimus, in der Klemensbasilika in Rom im
Spätsommer 417 eine cognitio (ein Untersuchungsverfahren) durch, zu der Caelestius
persönlich erschienen war, Pelagius schriftlich Stellung genommen hatte. Im Ergebnis
kam es zu einem Freispruch von Caelestius und Pelagius: Zosimus betont die Gründ--
lichkeit seiner Untersuchung. Er stellt fest, daß die Synode von Karthago von 411 kein
klares Urteil gefällt habe; die Anklagen in Diospolis seien ohne Kenntnis aus erster
Hand formuliert, die Ankläger Heros und Lazarus von zweifelhaftem Charakter. Cae--
lestius, der von Zosimus bewogen worden war, der ep. 181 des Innozenz beizustim--
men, wurde von Zosimus rehabilitiert, ebenso Pelagius. Die afrikanischen Ankläger
der beiden werden eingeladen, binnen zweier Monate in Rom zu erscheinen und in
Gegenwart des Caelestius ihre Anklagen zu begründen (zwei Briefe des Zosimus vom
21. September 417, erhalten in der Collectio Auellana / Sammlung aus S. Croce in Fonte
Avellana als Epistulae / Briefe 45 f; CSEL 35 / 1, 99–108; vgl. Piétri 1213–1226).
1 B. Person
Der Freispruch für Pelagius und Caelestius war natürlich ein Rückschlag für die
afrikanischen Bischöfe; ab Herbst 417 setzten sie daher eine gut geplante Gegenaktion
ins Werk. Anfang November 417 tagte offenbar eine afrikanische Synode, die eine aus-
führliche Erwiderung in Sachen des Caelestius und des Pelagius nach Rom schickte.
Die Afrikaner akzeptierten die Freisprüche keineswegs; sie verteidigten ihr bisheri--
ges Verfahren und kritisierten die römische Prozeßführung; sie verlangten sowohl
von Caelestius als auch von Pelagius eine entschiedenere Distanzierung von häreti--
schen Positionen bezüglich der Kindertaufe. Pelagius – das wird aus einem Brief von
Augustin und Alypius an Paulinus von Nola, ep. 186, deutlich – wird immer noch ver--
dächtigt, seinen Freispruch in Diospolis nur durch eine Verschleierung seiner wah--
ren Ansichten erreicht zu haben; die neue Pelagiusschrift De libero arbitrio (Über
die freie Entscheidungsinstanz) dient nunmehr als wichtigster Beleg (vgl. Werme--
linger, Rom 154–163). Der römische Bischof Zosimus beharrte auf der Korrektheit
seines Verfahrens (Brief vom 21. März 418, erhalten in der Collectio Auellana als Epi--
stula 50; CSEL 35 / 1, 115–117; vgl. die differerierenden Einschätzungen dieses Schrei--
bens bei Wermelinger, Rom 163 f sowie Piétri 1229 f).
Die Afrikaner hatten sich nicht nur mit einem Brief an Zosimus begnügt, sondern
hatten außerdem den Kontakt zum westlichen Kaiserhof in Ravenna gesucht (vgl.
Piétri 1230–1233). Dort erreichten sie die Proskribierung der pelagianischen Häresie:
Mit Datum vom 30. April 418 adressierte Kaiser Honorius ein Edikt an seinen prae--
fectus praetorio (Prätorianerpräfekt) Palladius (erhalten in der Collectio Quesnellia--
na / Sammlung von Quesnel 14; PL 56, 490–492; vgl. Wermelinger, Rom 199–202).
Das Edikt verurteilt Pelagius und Caelestius als Häretiker, die das in Frage stellen,
was die apostolische und evangelische Disziplin bereits klar und eindeutig definiert
habe. Die grundsätzliche Schwierigkeit, die neue Häresie unter Bezug auf bestehende
Normen zu definieren (vgl. dazu Humfress) wird so gelöst, daß ein Verstoß gegen
den 1. Artikel des Glaubensbekenntnisses konstatiert wird: Unter Rückgriff auf den
ersten Satz des Anklagelibells des Paulinus von Mailand aus dem Jahr 411 konzen--
triert sich das kaiserliche Reskript theologisch auf die Leugnung der Erbsünde und
des Zusammenhangs zwischen Erbsünde und Tod. Der Kaiser argumentiert, daß
ein diesbezüglicher Irrtum zwangsläufig zur Annahme eines grausamen Schöpfer--
gottes führen müsse, der den eben erst erschaffenen Menschen von Anfang an dem
Todesschicksal unterworfen habe.
Das Edikt des Kaisers, das vermutlich nach Konsultation der afrikanischen Bi--
schöfe formuliert wurde, spielt auf Spaltungen in der römischen Kirche an. Jeder--
mann wird aufgefordert, die Anhänger der Häresie zu denunzieren; als Strafe droht
das Exil. Palladius begleitete seinerseits das kaiserliche Edikt mit einem flankieren--
den Ausführungsedikt (erhalten in der Collectio Quesnelliana 15; PL 56, 492 f); weitere
antipelagianische Gesetze sollten folgen (vgl. das Edikt des Constantius im Herbst
418, erhalten in der Collectio Quesnelliana 19; PL 56, 499 f, welches Unruhen in Rom
erwähnt und einen scharfen Ton gegen säumige Beamte anschlägt, sowie das dazu--
gehörige Ausführungsedikt des praefectus urbi / Stadtpräfekten Volusianus; sodann
ein Brief des Kaisers Honorius an Bischof Aurelius von Karthago vom 9. Juni 419,
III. Entwicklungen – . Der Pelagianische Streit 1
worin explizit auf das Nizänum als Glaubensnorm verwiesen wird und verlangt wird,
daß alle Bischöfe die neue Häresie schriftlich verurteilen, erhalten in der Collectio
Quesnelliana 16; PL 56, 493 f; schließlich das Gesetz Valentinians III vom 9. Juli 425,
erhalten in den Constitutiones Sirmondianae / Konstitutionen von Sirmond [scil. zu--
sammengestellt] 6; vgl. Wermelinger, Rom 202–204).
Nur einen Tag nach dem Reskript, am 1. Mai 418, trifft sich ein großes afrikani--
sches Konzil von 205 Bischöfen in Karthago. Auf diesem Konzil wird in neun Cano--
nes die afrikanische Position in der Sünden- und Gnadenlehre definiert (in meh--
reren Überlieferungssträngen erhalten: Concilium Carthaginense 1. Maii 418 / Konzil
von Karthago am 1. Mai 418 [zwei Überlieferungen]; CChr.SL 149, 67–77; vgl. außer--
dem die Aufnahme in die Registri Ecclesiae Carthaginensis Excerpta / Exzerpte aus
dem Register der Kirche von Karthago; CChr.SL 149, 220–224 und in die Collectio
Hispana / Spanische Sammlung; CChr.SL 149, 361–364).
Die Canones 1–3 beschäftigen sich mit der Interpretation von Röm 5,12: Canon 1
verurteilt die Lehre, derzufolge Adam von Natur aus, nicht aufgrund der Sünde,
sterblich war. Canon 2 bestimmt, daß die kleinen Kinder wegen der Ursünde Adams
getauft werden müssen. Canon 3 beschäftigt sich mit den ungetauft gestorbenen
Kleinkindern – sie erlangen keinen mittleren Ort, sondern verfallen dem ewigen
Feuer. Die Canones 4–6 kritisieren den pelagianischen Gnadenbegriff: Canon 4 ver--
wirft die Beschränkung der Gnade auf die Sündenvergebung; vielmehr hilft die Gnade
auch, künftig Sünden zu vermeiden. Canon 5 verwirft die Meinung, die Gnade helfe
nur zu einer besseren Kenntnis der Gebote, Canon 6 die Ansicht, daß der Mensch
durch die Gnade nur das leichter erfülle, was er auch ohne sie durch den eigenen
freien Willen tun könne. Die Canones 7 bis 9 richten sich gegen pelagianische Inter--
pretationen von 1. Joh 1,8 und Mt 6,12 und heben die Notwendigkeit der täglichen
Bitte um Sündenvergebung im Vaterunser hervor.
Die Struktur der Canones greift auf eine Art Drei-Punkte-Schema zurück, das
Augustin bereits in ep. 178 sowie in seiner Schrift perf. iust. 44 angewendet hatte:
Zunächst geht es um den universalen Schuldzusammenhang, dann um die Wirkung
der Gnade bzw. das Verhältnis von Natur und Gnade und schließlich um das Problem
der Gerechten und Heiligen (vgl. Wermelinger, Rom 180 f). Dabei beziehen sich
die Canones präzisierend z. T. auf das Anklagelibell des Paulinus aus dem Jahre 411
(besonders 1 f), z. T. auf Zitate von Caelestius und Pelagius. Kann der Einfluß Augu--
stins auf die Theologie der Canones nicht geleugnet werden, so fehlen doch die spe--
zifisch augustinischen Zuspitzungen der Erbsündenlehre und Prädestinationslehre
(vgl. Wermelinger, Rom 174 f.190).
Schließlich fand sich (vermutlich auch aufgrund der Haltung des Kaiserhofes)
auch Bischof Zosimus von Rom zu einer Verurteilung von Pelagius und Caelestius
bereit. In einem Rundschreiben an alle Bischöfe im Westen und Osten, der sogenann--
ten Epistula tractoria (Aufforderungsschreiben; nur fragmentarisch erhalten, vgl. die
Zusammenstellung bei Wermelinger, Rom 307 f) revidierte er seine negative Beur--
teilung der Prozesse gegen Caelestius und Pelagius; die von den beiden nach Rom
gesandten Rechtfertigungsschreiben werden verworfen. Weiterhin schließt Zosi--
10 B. Person
mus sich dem von Augustin in ep. 186 (an Paulinus von Nola) formulierten antipe--
lagianischen Libell, einer Zusammenstellung der wichtigsten Kernpunkte, die man
gegen den Pelagianismus festzuhalten habe (vgl. Wermelinger, Rom 300 f), an.
Einen Anhang bildete ein Dossier von Exzerpten aus mündlichen und schriftlichen
Äußerungen des Pelagius (auch aus seiner römischen Zeit, vgl. gr. et pecc. or. 2,24)
und Caelestius (vgl. Wermelinger, Rom 211–214; Ders., Pelagiusdossier). Die Epi--
stula tractoria lehrte, daß die Taufe den Schuldschein des Todes, der auf alle überge--
gangen ist, zerreiße; daß die menschliche Natur der göttlichen Hilfe nicht entbehren
könne und daß alles Gute im Menschen auf Gott allein zurückgehe. Zosimus wahrt
aber seine Eigenständigkeit sowohl gegenüber den afrikanischen Canones vom 1. Mai
418 als auch gegenüber den spezifisch augustinischen Zuspitzungen (vgl. Werme--
linger, Rom 214–218). Mit der dreifachen Verurteilung durch den Kaiser, das Kon--
zil von Karthago und den römischen Bischof Zosimus war die zweite Phase des Pela--
gianischen Streites abgeschlossen.
Löhr, Winrich: Pelagius’ Schrift De natura. Rekonstruktion und Analyse, Recherches Augusti--
niennes 31 (1999), 235–294.
Loofs, Friedrich: Art. Pelagius und der pelagianische Streit, Realencyklopädie für protestanti--
sche Theologie und Kirche 15 (3. Auflage 1904), 747–774.
Nuvolone, Flavio G.: Art. Pélage et Pélagianisme, Dictionnaire de Spiritualité ascétique et mysti--
que 12 / 2 (1986), 2889–2942.
Piétri, Charles: Roma christiana. Recherches sur l’Église de Rome, son organisation, sa politi--
que, son idéologie de Miltiade à Sixte III (311–440), 2 Bd.e, Bibliothèque des Écoles Françai--
ses d’Athènes et de Rome 224 / 1–2, Paris 1976.
Wermelinger, Otto: Rom und Pelagius. Die theologische Position der römischen Bischöfe im
pelagianischen Streit in den Jahren 411–432, Päpste und Papsttum 7, Stuttgart 1975.
Winrich Löhr
Pelagius, der Laientheologe von der britischen Insel, und Augustin, der Bischof von
Hippo, haben nie eine längere theologische Unterredung miteinander gehabt. Pela--
gius, der wie eine ganze Anzahl römischer Aristokraten vor dem Gotenheer Alarichs
aus Rom geflohen war, erreichte gegen Ende des Jahres 410 nordafrikanischen Boden.
Von Sizilien kommend, wo er sich anscheinend auch eine gewisse Zeit aufgehalten
hatte, ging er in der Hafenstadt Hippo an Land. Den Ortsbischof von Hippo traf er
nicht an; Augustin hatte sich vermutlich aus gesundheitlichen Gründen eine Zeit--
lang aus Hippo entfernt (vgl. Perler, Les voyages 280–286). Pelagius informierte
Augustin brieflich über seine Ankunft. Dieser Brief ließ von einer kritischen Haltung
gegenüber Augustin und dessen Theologie nichts verlauten; im Gegenteil, Pelagius
sparte offenbar nicht mit überschwänglichen Komplimenten. Augustin seinerseits
beantwortete den Brief in einem überaus höflichen Billet, in ep. 146 – ein eindrucks--
volles Zeugnis für seine subtile Beherrschung der Regeln antiker Epistolographie.
Wäre Augustin vor Ort gewesen, so wäre es wahrscheinlich zu einer Unterredung
III. Entwicklungen – . Der Pelagianische Streit 11
kon Palatinus, einen Bürger Hippos, eine kurze Verteidigungsschrift, welche die Syn--
ode von Diospolis und ihren Freispruch aus seiner Sicht präsentiert (vgl. ep. 19*,2;
s. 348 A augm.,7 [weitere Testimonien im Apparat von Dolbeau, Sermon zu 57 / 95 f]).
Die eigentlichen Akten von Diospolis erhielt Augustin hingegen nicht. Unter Verlet--
zung der Etikette epistolarer Höflichkeit hatte Pelagius auf einen Begleitbrief verzich--
tet; Augustin hat das übel genommen und offenbar daraus geschlossen, daß Pelagius
auf einen Verkehr nach den Etiketten spätantiker Freundschaft keinen Wert mehr
legte. Augustin hat dann im Laufe des Jahres 416 noch zwei weitere Briefe an Pela--
gius geschrieben (vgl. ep. 19*,4; ep. 177,15): Hier verschärfte sich der Ton, den zwei--
ten Brief legte er dem Schreiben an den römischen Bischof Innozenz bei, das die--
sen über die Verurteilung der pelagianischen Lehren auf den Synoden von Mileve
und Karthago im Sommer 416 informierte. Innozenz sollte den Brief an Pelagius
weiterschicken. Augustin machte damit klar, daß die Ebene privater, freundschaft--
licher Ermahnung nunmehr verlassen worden war und die Kontroverse eine offizi--
öse Dimension angenommen hatte. Von einer Reaktion des Pelagius auf diesen letz--
ten Brief Augustins ist nichts bekannt.
Betrachtet man das Verhältnis zwischen Pelagius und Augustin von 410 bis zur
offiziellen Verurteilung des Pelagius acht Jahre später, so könnte es scheinen, daß
die Kontroverse höchst einseitig verlaufen ist. Augustin erscheint als derjenige, der –
zunächst noch ohne seinen Namen zu nennen – Pelagius angreift, der dann, in einer
zweiten Phase, die pelagianische Lehre wirkungsvoll als Häresie konstruiert (vgl.
Brown, Augustine 345), und der schließlich die wirkungsvolle Verdammung von
Lehre und Person des Pelagius auf mehreren Synoden organisiert und diese Ent--
scheidung auch in Rom durchsetzt.
Doch ist dieses Bild einer einseitigen Bekämpfung des Pelagius durch Augustin
selbst einseitig; dies erschließt sich erst, wenn auch die Zeit vor 410 in Betracht gezo--
gen wird. Viel ist über Pelagius aus dieser Zeit nicht bekannt. Wenige fragmentarische
Informationen müssen zu einem Bild zusammengesetzt werden. Schon die heftige
Reaktion des Pelagius auf das Confessioneszitat könnte darauf hindeuten, daß Pela--
gius Augustin bereits zu einer Zeit im Visier hatte, als dieser von ihm noch gar nicht
wußte. Diese Episode läßt sich vielleicht auf ca. 404 / 405 datieren. Es gibt jedenfalls
weitere Hinweise, die darauf hinzudeuten scheinen, daß just zu dieser Zeit Pelagius
begann, sich intensiv mit der Frage der göttlichen Gnade und auch mit der Position
Augustins zu beschäftigen.
Im Frühjahr 417 verfaßte Pelagius seine Epistula purgationis (Rechtfertigungs--
schreiben) an Bischof Innozenz von Rom (B. III. 7.2.), der – ohne daß Pelagius
dies wußte – kurz zuvor gestorben war. In diesem Brief verteidigt er sich gegen den
Vorwurf, daß seine Lehre die Rolle der göttlichen Gnade nicht genügend betone.
Er schreibt: Legant, inquit, illam epistulam, quam ad sanctum uirum Paulinum epi--
scopum ante duodecim fere annos scripsimus, quae trecentis forte uersibus nihil aliud
quam dei gratiam et auxilium confitetur (Sie mögen, heißt es, jenen Brief lesen, den
wir vor fast zwölf Jahren an den heiligen Mann, den Bischof Paulinus, geschrieben
haben, der in ungefähr 300 Versen nichts anderes bekennt als Gottes Gnade und
III. Entwicklungen – . Der Pelagianische Streit 1
Hilfe; gr. et pecc. or. 1,38). Der hier erwähnte Brief an Paulinus von Nola (mit dem
Pelagius im Austausch über theologische Fragen stand, vgl. Trout 228–235) ist lei--
der nicht überliefert; Augustin, der ihn gelesen hat, bemerkt kritisch, daß Pelagius
in diesem Brief die göttliche Gnade fast zur Gänze mit den Fähigkeiten der mensch--
lichen Natur identifiziere. Jedenfalls deutet dieses Zeugnis daraufhin, daß Pelagius
um 405, als er in Rom weilte, Position in Fragen der Gnadenlehre bezog.
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch eine Bemerkung, die der Pelagius-
gefährte Caelestius vor der karthagischen Synode machte, die ihn 411 verurteilte.
Caelestius behauptete dort, daß es im römischen Klerus verschiedene Ansichten
über die Fragen von Erbsünde und Kindertaufe gebe. Nach Namen gefragt, verwies
Caelestius auf einen gewissen Presbyter Rufinus (vgl. gr. et pecc. or. 2,3; B. III. 7.1.).
Pelagius wird in diesem Zusammenhang jedoch nicht erwähnt.
Vermutlich um 405 begann Pelagius mit der Arbeit an der Auslegung der Paulus--
briefe. Für seine Exegese zog er die vorhandene Literatur hinzu, unter anderem den
Ambrosiaster (B. II. 10.), den von Rufin von Aquileia übersetzten Römerbriefkom--
mentar des Origenes, den Galater-, Epheser- und Tituskommentar des Hieronymus
sowie exegetische Arbeiten Augustins, nämlich die exp. prop. Rm., ep. Rm. inch. und
Simpl. (vgl. Souter, Pelagius’s Expositions I, 185–188; Ders., Commentaries 225–229).
Pelagius nennt in seinem Paulinenkommentar Augustin an keiner Stelle mit Namen
und tritt – im Einklang mit seiner glossierenden Kommentierungsmethode – natür--
lich auch an keiner Stelle in eine längere polemische Auseinandersetzung mit dem
theologischen Kontrahenten ein. Dennoch werden implizite abgrenzende Bezugnah--
men auf augustinische Positionen sichtbar (vgl. Martinetto).
In seiner Auslegung von Röm 5,12 übernimmt Pelagius nicht die Auslegung Augu--
stins, sondern meint, daß Adam exemplo uel forma (durch das Beispiel bzw. die prä--
gende Form) den Tod über die Menschen brachte (vgl. Pelagius, Expositio in epistu--
lam ad Romanos /Auslegung zum Römerbrief 5,12; 45,11–15).
In seiner Auslegung zu Röm 5,15 führt Pelagius drei Argumente derjenigen an,
die gegen die tradux peccati (die Übertragung der Sünde [scil. Adams]) angehen:
1. Stimmt es, daß die Sünde Adams auch denjenigen schadet, die selbst gar nicht
gesündigt haben, so muß konsequenterweise auch die Gerechtigkeit Christi denen
nützen, die nicht glauben, wenn denn stimmt, was Röm 5,15 sagt. 2. Wie können zwei
getaufte Eltern, die durch die Taufe von dem antiquum delictum (dem althergebrach--
ten Vergehen) der Erbsünde gereinigt sind, diese an ihre Kinder übertragen? 3. Da die
Seele nicht von den Eltern auf die Kinder übertragen wird, sondern nur das Fleisch,
so ist nur das Fleisch mit der Erbsünde infiziert und unterliegt der Sündenstrafe. Die
anonymen Kritiker der Erbsündenlehre führen weiter aus, daß, da die Seele nicht ex
massa Adae (aus der Adamsmasse) ist, es ungerecht wäre, wenn Gott, der die jeweils
eigenen Sünden einer Person vergibt, jemandem fremde Sünden zurechnen würde
(vgl. Pelagius, Expositio in epistulam ad Romanos 5,15; 46,26–47,13).
Pelagius grenzt sich gegen die augustinische Prädestinationslehre ab: So versteht
er Röm 9,15 in Übereinstimmung mit dem Ambrosiaster so, daß Gott sich über den
erbarme, von dem er vorhersah, daß er dieser Barmherzigkeit würdig sein würde (vgl.
1 B. Person
Pelagius, Expositio in epistulam ad Romanos 9,15; 75,21–76,1). Zu Röm 9,6, für Augu--
stin eine Schlüsselstelle, erwägt Pelagius zwei Möglichkeiten: Entweder ist dies der
Einwand eines Juden in Form einer rhetorischen Frage, oder Paulus hat diese Stelle
allenfalls so gemeint, daß der menschliche Willensanteil durch göttliche Hilfe ergänzt
wird. Pelagius belegt das durch Zitation anderer paulinischer Stellen (Röm 2,4; 2. Tim
2,20 f; 4,7; 1. Kor 9,24; vgl. Pelagius, Expositio in epistulam ad Romanos 9,16; 76).
Um etwa dieselbe Zeit, als Pelagius seinen Paulinenkommentar schrieb, hat er
wohl auch seine Schrift De natura (Über die Natur) verfaßt (vgl. Duval, La date).
Zwei junge Römer, vielleicht Mönche aus aristokratischen Kreisen, Timasius und
Jakobus, hatten von Pelagius diese Schrift wohl besonders dazu erbeten, um eine
argumentative Hilfe in Fragen der gerade um diese Zeit diskutierten Gnadenlehre
zu haben.
Aus den bei Augustin bewahrten Fragmenten läßt sich vermutlich die Abfolge
der Argumentation noch rekonstruieren (vgl. Löhr, De natura). Die Schrift setzt mit
der Frage nach der Möglichkeit der Sündlosigkeit ein und will die Frage des posse
esse hominem sine peccato (daß der Mensch ohne Sünde sein kann) von der Frage,
ob dies auch Realität ist, strikt unterschieden wissen: De posse et non posse, non de
esse et non esse contendimus (Über das Können und Nicht-Können, nicht über das
Sein und Nicht-Sein setzen wir uns auseinander; nat. et gr. 8). Pelagius bejaht diese
Möglichkeit. Gerade die Tatsache, daß das Nicht-Sündigen durch die Gnade Got--
tes möglich ist, zeigt für ihn, daß das Nicht-Sündigen eine prinzipielle Möglichkeit
der menschlichen Natur ist (vgl. nat. et gr. 8.11). Für Pelagius greift das Gnaden--
wirken Gottes also gerade auf die festliegende Natur des Menschen zurück: Gott
hat den Menschen in unverlierbarer Weise mit der Möglichkeit, nicht zu sündigen,
ausgestattet, dabei handelt es sich um ein non nostrum (nichts, was in unserer Ver--
fügungsgewalt liegt), es liegt nicht in der Entscheidungsgewalt des Menschen (vgl.
nat. et gr. 53.56 f.59). Grenzte die stoische Philosophie und Seelsorge das, was der
Mensch jeweils in seiner Verfügung hat, vom Unverfügbaren ab, um so die innere
Freiheit des Menschen einzuschärfen, postuliert Pelagius, daß eben die Wahlfrei--
heit unverfügbar ist. Pelagius zeigt ausführlich, daß alle Argumente, die den Men--
schen in der einen oder anderen Weise davon überzeugen wollen, daß Sünde und
Sündigen unvermeidlich und notwendig seien, nicht gelten; das aber heißt, daß für
den Menschen keine Notwendigkeit und kein Zwang zur Sünde besteht und also
der Mensch die Möglichkeit der Sündlosigkeit hat. Sünde beruht für Pelagius ganz
wesentlich auf neglegentia (Nicht-Beachtung, Vernachlässigung; vgl. nat. et gr. 14.19)
bzw. besteht in der superbia (dem Hochmut; vgl. nat. et gr. 33), sie ist ein Akt, keine
substantia (Substanz) und kann als solcher die menschliche Natur nicht schwächen
(vgl. nat. et gr. 21). Auch die Sünde Adams hat seine Nachkommen nicht geschwächt,
und der Tod ist nicht als Sündenstrafe zu verstehen (vgl. nat. et gr. 23). Die Vorstel--
lung einer uindicta (Strafe), die zu neuen Sünden führt, lehnt Pelagius ab (vgl. nat.
et gr. 24). Umgekehrt bezeugt die Schrift gerade die Existenz von Menschen, die
heilig gelebt haben (vgl. nat. et gr. 42). Die Schriftbelege einer gegnerischen Posi--
tion, die die Sünde als allumfassend bei allen Menschen gegeben erweisen sollen,
III. Entwicklungen – . Der Pelagianische Streit 15
lehnt Pelagius ab, so bedeute etwa omnes (alle) in Röm 5,18 nicht einfach alle Men--
schen, sondern alle, die tatsächlich sündigen. Über die Möglichkeit des Nicht-Sün--
digens sei damit nichts gesagt (vgl. nat. et gr. 49). Mit der caro (dem Fleisch) bei
Paulus seien die opera carnis (die Werke des Fleisches) gemeint (vgl. nat. et gr. 63),
entsprechend sei Gal 5,17 zu verstehen, nicht als eine Aussage über die carnis sub--
stantia (die Substanz des Fleisches), sondern über ein bestimmtes, ›fleischliches‹
Verhalten (vgl. nat. et gr. 66).
Der Schrift De natura hatte Pelagius ein Dossier von Testimonien altkirchlicher
Theologen angefügt; neben Laktanz, Hilarius von Poitiers, Ambrosius und Hie--
ronymus zitierte er auch Augustin, und zwar lib. arb. 3,50 (vgl. nat. et gr. 80 f). Pela--
gius dürfte sich zur Zeit der Abfassung von De natura bereits bewußt gewesen sein,
daß Augustin seine Position inzwischen gegenüber derjenigen von lib. arb. gewan--
delt hatte. Man kann also das Augustinzitat in De natura als gezielte Provokation
beurteilen.
Der Ansatz der Theologie des Pelagius ist in seiner Erfahrung als Seelsorger und
spiritueller Berater römischer Aristokraten zu suchen (vgl. Brown, Pelagius and his
Supporters; Ders., Patrons). Duval hat jüngst den römischen Kontext dieser Theo--
logie weiter zu eruieren versucht: Ihm zufolge ist als Hintergrund auch die Debatte
um die Thesen des römischen Priesters Jovinian zu sehen (B. II. 9.). Jovinian hatte
unter anderem behauptet, daß nach der Taufe eine vollkommene Sündlosigkeit mög--
lich sei; Hieronymus hatte dagegen argumentiert (vgl. Duval, L’affaire Jovinien).
Die seelsorgerliche Dimension der Theologie des Pelagius wird z. B. in seiner
Schrift Epistula ad Demetriadem (Brief an Demetrias, zu datieren ungefähr auf 413)
deutlich, in der Pelagius einer jungen römischen Aristokratin Ratschläge für ein
Leben als asketische uirgo (Jungfrau) gibt. Pelagius charakterisiert seine eigene seel--
sorgerliche Methode dort so: Nequaquam enim uirtutum uiam ualemus ingredi, nisi
spe ducamur comite. Siquidem appetendi omnis conatus perit consequendi despera--
tione. Quem ego exhortationis ordinem, cum in aliis quoque opusculis tenuerim, tunc
hic maxime obseruandum puto: Vbi eo plenius naturae bonum declarari debet, quo
instituenda est uita perfectior, ne tanto remissior sit ad uirtutem animus ac tardior,
quanto minus se posse credat (Wir können niemals den Weg der Tugenden einschla--
gen, wenn wir nicht durch die Hoffnung als Begleiterin geführt werden. Denn dann
stirbt jeder Versuch, etwas zu erstreben, durch die Verzweiflung, es auch zu vollen--
den. Obwohl ich diese Methode der Ermahnung auch in anderen Werklein ange--
wandt habe, meine ich, sie hier nun besonders beachten zu müssen: Um so mehr
muß das Gute der Natur verkündet werden, je vollkommener die Lebensweise ist, die
gelehrt werden soll, damit nicht das Herz um so nachlässiger und träger zur Tugend
sei, je weniger es sich zutraut, etwas zu vermögen; Pelagius, Epistula ad Demetria--
dem 2; PL 30, 16CD; vgl. Löhr, De natura 285).
Die seelsorgerliche Methode des Pelagius besteht also darin, seine Klienten auf
jeder Stufe ihres Wegs zur Vollkommenheit durch Ermahnung konkret an die jeweils
gegebene Freiheit zu erinnern. Pelagius teilte die intellektualistische Grundvoraus--
setzung der antiken philosophischen Seelsorge, daß die rationale Vergegenwärti--
1 B. Person
gung des ethisch Richtigen unmittelbar auf die gelebte Moral durchschlägt. Ein Ziel
des wahren Lebens gibt Pelagius nicht an; seine Lehre zielt auf stetige Steigerung
und unermüdlichen Fortschritt. Würde der Klient ein Ziel gesetzt bekommen, so
bestünde die Gefahr, daß er dieses als Grenze mißverstehen könnte und somit an
einer bestimmten Stelle des Weges die auf stetige Steigerung hin angelegte Wahlfrei--
heit aufgehoben würde.
Der seelsorgerlichen Theologie des Pelagius entsprechen bestimmte Akzentuie--
rungen seiner Christologie. Diese bedarf allerdings noch einer gründlicheren Erfor--
schung (hier wären auch seine gegen die Christologie des Apollinaris von Laodicea
sowie diejenige der ›Arianer‹ gerichteten Präzisierungen zu beachten). Nach Pelagius
ermahnt Jesus Christus durch seine Lehre zum rechten Leben, und weil diese Lehre
eine mündliche ist und erst später zum Gedächtnis der Nachfahren verschriftlicht
wurde, war sie intensiver und wirksamer als das auf steinernen Tafeln geschriebene
Gesetz (vgl. Pelagius, Expositio in epistulam secundam ad Corinthios /Auslegung zum
2. Korintherbrief 3,3; 244 / 15–245 / 9). Darüber hinaus wird die Belehrung durch das
exemplum Christi (das Beispiel Christi) unterstützt, das die sündige consuetudo (die
Gewohnheit), die den ethischen Fortschritt behindert, überwinden kann. Natürlich
kann Pelagius auch den Heilstod Christi kommentieren (vgl. Pelagius, Expositio in
epistulam ad Colossenses / Auslegung zum Kolosserbrief 2,14; 460 / 8–19): Durch ihn
ist die memoria (das Gedächtnis) der Sünden vor Gott ausgelöscht, und die Sün--
den sind vergeben. Der Sieg Christi vollzieht sich nicht durch Töten, sondern durch
Sterben, nicht durch die Anwendung von Gewalt, sondern durch deren Ertragen; so
wird die superbia (der Hochmut) in für die Menschen beispielhafter Weise (exem--
plum – ein Zentralbegriff der Christologie des Pelagius, vgl. z. B. Pelagius, Exposi--
tio in epistulam ad Romanos 5,16; 47 / 20; Expositio in epistulam primam ad Corin--
thios /Auslegung zum 1. Korintherbrief 1,28; 136 / 5; 4,17; 149 / 19; Expositio in epistu--
lam ad Philippenses / Auslegung zum Philipperbrief 3,20; 410 / 11 u. ö.) überwunden.
Im Einklang mit altkirchlicher Tauftheologie stellt Pelagius fest, daß in der Taufe die
vorhergehenden Sünden vergeben werden (vgl. Thier 84–89). Zusammenfassend
kann er feststellen, daß das Volk, das unter dem alten Gesetz sündigte, ab hoc con--
suetudinis malo [...] liberandum esse per Christum, qui credentibus sibi primo omnia
per baptismum peccata dimittit, deinde imitatione sui ad perfectam incitat sancti--
tatem et uitiorum consuetudinem uirtutum uincit exemplo (von diesem Übel der
Gewohnheit [...] durch Christus befreit werden mußte, der denen, die an ihn glau--
ben, zunächst durch die Taufe alle Sünden vergibt, [scil. sie] dann durch die Nach--
ahmung seiner Person zu vollkommener Heiligkeit anspornt und [scil. schließlich]
die Gewohnheit der Laster durch das Vorbild der Tugenden besiegt; Pelagius, De
libero arbitrio / Über die freie Entscheidungsinstanz, erhalten in gr. et pecc. or. 1,43;
vgl. Greshake 112).
Nach Pelagius kommt es darauf an, die von Gott gegebene Möglichkeit (das pos--
se / Können) des Menschen zum Guten und zum ethischen Fortschritt durch (auch
psychologisch) wirksame Ermahnung so zu bewahren – oder besser: zu (re-)akti--
vieren –, daß die sündhafte consuetudo gebrochen und der Mensch somit frei wird.
III. Entwicklungen – . Der Pelagianische Streit 1
Das Gesetz, so meinen Pelagius und seine Schüler, wurde der überhandnehmenden
Gewohnheit der peccandi consuetudo (der Gewohnheit zu sündigen) schließlich nicht
mehr Herr; es mußte Christus kommen, der nicht durch Schüler, sondern als medi--
cus (Arzt) selbst die so furchtbare Krankheit heilte (vgl. gr. et pecc. or. 2,30). Pelagius
traut der von Gott dem Menschen unverlierbar gegebenen possibilitas (der Möglich--
keit) alles zu und glaubt, daß diese durch Christus, der durch seinen Tod die Sünden
vergibt und durch seine Predigt und seine Person lehrt und ermahnt, wiederherge--
stellt werden kann. Augustin hingegen sieht dieses ursprünglich gegebene posse als
verloren an; der menschliche Wille ist beschädigt, und es bedarf der Gnade Christi,
um gerechtgemacht zu werden (vgl. nat. et gr. 10). Durch die Gnade des Heiligen Gei--
stes wird es den Christen geschenkt, von Sünden frei zu sein; dies ist die Liebe, die
die Erfüllung des Gesetzes darstellt (vgl. spir. et litt. 28 mit Bezug auf Röm 5,5; 13,10).
Für Pelagius war Augustins Gnadenlehre demoralisierend und damit nicht geeig--
net, zum wahren christlichen Leben anzuleiten; umgekehrt kritisierte Augustin an
Pelagius, daß dessen Begriff der Gnade unterbestimmt sei und damit die wesentlich
heilende Wirkung der Gnade nicht erfasse (vgl. Drecoll, Imitatio 523 f).
Duval, Yves-Marie: La correspondance entre Augustin et Pélage, Revue des Études Augustini--
ennes 45 (1999), 363–384.
Greshake, Gisbert: Gnade als konkrete Freiheit. Eine Untersuchung zur Gnadenlehre des Pela--
gius, Mainz 1972.
Löhr, Winrich: Pelagius’ Schrift De natura. Rekonstruktion und Analyse, Recherches Augusti--
niennes 31 (1999), 235–294.
Martinetto, Giovanni: Les premières réactions antiaugustiniennes de Pélage, Revue des Étu--
des Augustiniennes 17 (1971), 83–117.
Nuvolone, Flavio G.: Art. Pélage et Pélagianisme, Dictionnaire de Spiritualité ascétique et mysti--
que 12 / 2 (1986), 2889–2942.
Rees, Brinley R.: Pelagius. A Reluctant Heretic, Woodbridge 1988.
Wermelinger, Otto: Rom und Pelagius. Die theologische Position der römischen Bischöfe im
pelagianischen Streit in den Jahren 411–432, Päpste und Papsttum 7, Stuttgart 1975.
Winrich Löhr
ans Familie war auch mit Paulinus von Nola bekannt, der ein Epithalamium (ein
Hochzeitsgedicht = Carmen / Lied 25) für Julian und seine Braut Titia verfaßte.
Titia war die Tochter des Aemilius, des Bischofs von Benevent, der mit den höch--
sten Adligen des Imperiums in Verbindung stand. Julians Mutter Juliana wird als
Dame hohen Adels gepriesen. Julian bewegte sich also in den Kreisen des christ--
lichen Hochadels Italiens und entwickelte ein entsprechendes Standesbewußtsein.
Eine seiner ersten Amtshandlungen als Bischof etwa soll eine Hilfsaktion in seiner
Diözese während einer Hungersnot gewesen sein. Dabei soll er auch einen Teil sei--
nes eigenen (vermutlich nicht gerade geringen) Vermögens eingesetzt haben (vgl.
Gennadius, De uiris illustribus / Über bedeutende Männer 46).
Zur Kontroverse um die Theologie und Persönlichkeiten des Caelestius und Pela--
gius (B. III. 7.1.–2.) äußerte sich Julian vor 418 nicht. Zwar wird er wie viele andere
Bischöfe Italiens Augustins Gnadenlehre schon seit geraumer Zeit mit einem gewis--
sen Mißtrauen zur Kenntnis genommen haben. Offen mit seiner Kritik wurde er
aber erst, als er sich im Sommer 418 aufgefordert fand, die Epistula tractoria (Auf--
forderungsschreiben) des römischen Bischofs Zosimus zu unterschreiben, mit der
dieser die im Frühjahr vorher von einem Konzil in Karthago ausgesprochene und
vom Kaiser in Ravenna bestätigte Verurteilung von Pelagius und Caelestius besie--
gelt haben wollte. Neben 18 weiteren Bischöfen in Italien weigerte sich Julian, die--
ses Schreiben zu unterzeichnen, und wurde daraufhin wohl noch im Herbst 418 als
Bischof abgesetzt (vgl. Wermelinger, Rom 226–248).
Schon im Sommer 418 hatte sich Julian in zwei (nicht mehr erhaltenen) Briefen
an Zosimus gewandt, um seine Haltung zu rechtfertigen. Aus etwa derselben Peri--
ode ist eine mündliche Äußerung von ihm überliefert. Er soll sie während einer
Debatte in Rom gemacht haben, vielleicht Ende Juni, als das Fest der Apostel Petrus
und Paulus wie jedes Jahr Bischöfe aus ganz Italien nach Rom lockte. Quid est pec--
catum, inquiens, malumne aliquid an bonum? Malum. [...] Deusne huius mali auctor
et opifex? Absit, absit [...] hoc nec impiissimus profiteri ausus est Manichaeus (›Was ist
die Sünde, ein Gut oder ein Übel?‹, fragte er. ›Ein Übel.‹ [...] – ›Ist dann etwa Gott
der Urheber und Schöpfer dieses Übels?‹ – ›Nein, auf keinen Fall; [...] das hat nicht
einmal der allergottloseste Mani zu behaupten gewagt‹). Richtig, schloß Julian, Gott
schaffe nur Substanzen, und außerdem gebe es keine natura (kein Wesen, keine
Natur), die Gott nicht geschaffen habe. Die Sünde habe keine Substanz, also könne
sie auch nicht vererbt werden: Male igitur et stulte traducianum ex Adam creditur
esse peccatum (Schlecht und dumm also ist die Annahme, daß die Sünde etwas sei,
was von Adam her herübergezogen wird; Julian von Aeclanum, Dicta in quadam
disputatione publica /Aussagen in einem öffentlichen Disput; CChr.SL 88, 336 / 3–22,
erhalten bei Marius Mercator, Commonitorium lectori aduersum haeresim Pelagii et
Caelestii uel etiam scripta Iuliani / Denkschrift für den Leser gegen die Häresie des
Pelagius und des Caelestius bzw. auch die Schriften Julians; erhalten in der Collectio
III. Entwicklungen – . Der Pelagianische Streit 1
Palatina / Sammlung der Bibliotheca Palatina [aus Heidelberg; 1622–1623 nach Rom
gebracht] 13; ACO 1,5,1; 13 / 25–39).
Dies war gegen Augustin und die nordafrikanische Erbsündenlehre gerichtet,
und es dauerte nicht lange, bis Augustin sich gezwungen sah, gegen Julian Stellung
zu beziehen. Dies erwies sich als um so dringlicher, als Julian nun auch diplomatisch
tätig wurde. Er trat mit einem hohen Beamten am Kaiserhof zu Ravenna namens
Valerius in Kontakt. Diesmal war sein Argument, daß Augustins Erbsündenlehre eine
Verteufelung von Ehe und Nachkommenschaft impliziere. Doch statt Julian zu fol--
gen, wandte sich Valerius nun offenbar in einem Brief an Augustin. Dieser verfaßte
daraufhin ein schmeichelhaftes Antwortschreiben, ep. 200, lobte Valerius als christ--
liches Vorbild ehelicher Keuschheit und versicherte ihm, daß auch er die Geschöpf--
lichkeit der Ehe, ja ihre fundamentale Gutheit und Heiligkeit bekenne. In nupt. et
conc. 1 erklärte er seine Position dann ausführlicher. Das Werk ist Valerius gewid--
met. Es erreichte ihn vermutlich im Frühjahr 419. Nicht lange danach bekam es auch
Julian in die Hände. Er reagierte umgehend. In einem Werk in vier Büchern, das er
an seinen Mitstreiter und ebenfalls als Bischof abgesetzten Turbantius adressierte
(Ad Turbantium /An Turbantius), präsentierte er eine detaillierte Widerlegung von
nupt. et conc. 1. Valerius ließ daraus exzerpieren und schickte die chartulae (Blätter)
an Augustin. Dieser schrieb daraufhin nupt. et conc. 2. Als ihm einige Monate spä--
ter Ad Turbantium als ganzes zugespielt wurde, widerlegte er es seinerseits in einer
in sechs Bücher gegliederten Schrift gegen Julian (c. Iul.). Sie erschien ca. 421.
Julian schrieb zusammen mit weiteren Bischöfen (vermutlich denen, die wie er
die Unterschrift unter die Epistula tractoria verweigert hatten) im Sommer 419 zwei
weitere Briefe, die nur durch Augustins Zitate in dessen Widerlegung fragmenta--
risch erhalten sind, die Epistula ad Romanos (Brief an [scil. den Klerus] von Rom)
und die Epistula ad Rufum (Brief an Rufus [von Thessalonike]). Auch diese bei--
den Schreiben widerlegte Augustin in einem eigens dafür abgefaßten Werk (c. ep.
Pel.). Der neue Bischof von Rom, Bonifatius, habe ihn darum gebeten, schrieb er in
der Einleitung dazu. Bonifatius war nach Zosimus’ Tod Ende 418 Bischof von Rom
geworden. Blutige Unruhen hatten seine Wahl begleitet. Er führte Zosimus’ Kurs in
Sachen Pelagius, Caelestius und ihrer Verteidiger fort. Julians Hoffnungen auf eine
schnelle Rehabilitation erfüllten sich nicht. Bald darauf verließ Julian Italien. Doch
noch 421 wußte selbst Augustin nicht, wohin er gegangen war (c. Iul. 2,34). Erst ab
423 ist sein Aufenthalt in Mopsuestia bezeugt.
In c. ep. Pel. konzentrierte sich Augustin darauf, Julians Vorwurf zurückzuweisen,
er vertrete eine Art Manichäismus. Positiv wollte er demgegenüber die Vernünftig--
keit, Biblizität und Traditionsgemäßheit seiner Erbsünden- und Gnadenlehre erwei--
sen. Es war Julian, der ihm das Traditionsargument aufzwang. Jetzt wandte Augu--
stin es gegen ihn. C. ep. Pel. ist nicht in erster Linie eine Polemik gegen Julian. Diese
Aufgabe war c. Iul. zugedacht. Zwar knüpfen die beiden ersten Bücher von c. Iul.
an das in c. ep. Pel. entwickelte Traditionsargument an, doch die Bücher 3–6 gehen
ausführlich auf die von Julian in Ad Turbantium entwickelten systematischen Argu--
mente ein. Die Lehre einer von Generation zu Generation weitervererbten Ursünde,
00 B. Person
so Augustin in c. Iul., werde nicht nur von der gesamten orthodoxen Tradition (Hila--
rius, Ambrosius, Johannes Chrysostomus, den Kappadokiern und vielen anderen)
geteilt, was ja kaum verwundern könne, da sie biblisch sei, nein, sie sei auch grund--
sätzlich vernünftig und aus sich selbst heraus klar einsehbar. Das Böse sei wirklich
und müsse in konkreten Schritten bekämpft werden. Die Taufe von Säuglingen sei
unumgänglich und werde auch von den meisten Christen gutgeheißen. Die Ver--
dammung vieler lasse sich nicht vermeiden, da die begrenzte Zahl derer, die geret--
tet würden, vorherbestimmt sei.
Julian erfuhr von c. Iul. und seinem Inhalt im Exil in Mopsuestia. Nachdem er Ita--
lien verlassen hatte, wurde er von Bischof Theodor dort aufgenommen. Zwischen
423 und 426, vielleicht sogar bis Theodors Tod 428, hielt er sich dort auf. Wie dieser
Kontakt zustande kam (vielleicht über die exegetischen Bemühungen beider?), ist
unklar, klar ist nur, daß Theodor offenbar keinen Grund sah, Julians Orthodoxie in
Zweifel zu ziehen. Marius Mercator berichtet zwar, Theodor habe ihn 426 auf einer
Regionalsynode verurteilt (vgl. Commonitorium lectori aduersum haeresim Pelagii
et Caelestii uel etiam scripta Iuliani; Collectio Palatina 15; ACO 1,5,1; 23 / 33 f), doch
ist dies sonst nirgends belegt. Noch Nestorius, der 428 als Patriarch von Antiochia
nach Konstantinopel ging, nahm Julian und seine Gefährten auf und schrieb nach
Rom (= Nestorius, Epistula prima et secunda ad Caelestinum / 1. und 2. Brief an Cae--
lestinus, erhalten in der Collectio Veronensis / Sammlung von Verona 3 f; ACO 1,2; 12–
14.14 f). Nach Nestorius’ Verurteilung auf dem Konzil von Ephesus 431 wurde dann
gerade diese Unterstützung als Beweis für die geistige Verwandtschaft zwischen
Julian, Theodor und Nestorius ins Spiel gebracht, und dies, obwohl sie in eklatan--
tem Widerspruch zur gleichzeitigen Behauptung stand, Theodor habe Julian schon
426 verurteilt. Julian wurde mit einigen anderen Verteidigern des Pelagius und Cae--
lestius 431 auf dem Konzil von Ephesus verurteilt (vgl. Synodi Relatio ad Caelesti--
num / Bericht der Synode an Caelestinus 13, erhalten in der Collectio Vaticana / der
Vatikanischen Sammlung 82; ACO 1,1,3; 9 / 14–18). Augustin war zu diesem Zeitpunkt
schon nicht mehr am Leben (B. I. 3.). Julian versuchte dann noch gegen Ende der
dreißiger Jahre, diesmal wieder im Westen, in Rom und in seiner Heimatregion sei--
nen Fall erneut vor Gericht zu bringen, doch ohne Erfolg (vgl. Prosper, Epitoma Chro--
nicon / Zusammenfassung der Chroniken 1336; 477 / 1–9). Für die Zeit ab 440 schwei--
gen die Quellen von ihm. Sein genaues Todesdatum kennen wir nicht. Den besten
Quellen nach zu urteilen soll es noch vor 455 liegen.
Es war einer von Julians Gefährten, ein gewisser Florus, gewesen, der Julian ein
Exemplar von nupt. et conc. 2 nach Mopsuestia geschickt hatte. Florus hielt sich, wie
es scheint, während dieser Zeit in Konstantinopel auf. An ihn adressierte Julian die
umgehend (zwischen 423 und 426) verfaßte Gegenschrift Ad Florum (An Florus)
gegen nupt. et conc. 2. Ihre acht Bücher wurden Julians bis dahin massivstes Werk.
Florus trat dadurch in die Fußstapfen des Turbantius, der Julian seit 422 nicht mehr
III. Entwicklungen – . Der Pelagianische Streit 01
unterstützte (vgl. ep. 10*,1). Diese Schrift muß Augustin spätestens 428 vollständig
vorgelegen haben. Augustin widerlegte sie im Detail und gelangte bis zu seinem
Tod im Jahre 430 bis Buch 6. Es war sein letztes größeres Werk und blieb unvollen--
det (c. Iul. imp.).
stellte sich auch Jesus Christus als ein sexuelles Wesen vor, für seine Zeit eine recht
gewagte Idee (vgl. c. Iul. imp. 4,54). Über Augustins Argument, daß der Mensch nach
dem Fall anders als Adam vor dem Fall seine Geschlechtsorgane nicht kontrollie--
ren könne, machte er sich lustig (vgl. c. Iul. 5,29). Ganz und gar nicht komisch fand
er hingegen die christologischen und soteriologischen Implikationen von Augustins
Lehre. Welche Art von Mensch ist Christus denn, so fragte er, wenn seine Gefühls--
welt so grundlegend verschieden von der aller übrigen Menschen ist und sein Erlö--
sungswerk sich nur auf die Erwählten erstreckt (vgl. c. Iul. imp. 2,97)? Und welche
Verantwortung hat der einzelne Mensch denn überhaupt noch für sein Schicksal,
wenn die Grundlage seiner ganzen Sündhaftigkeit lediglich darin besteht, zu einer
massa perditionis (Masse des Verderbens) zu gehören (vgl. c. Iul. imp. 3,38 f)? Dies
konnte Julian zufolge nur in Fatalismus enden (vgl. c. Iul. 3,65).
... Schluß
diese ohne direkte (kausale) Unterstützung durch Gottes Gnade nur zum Bösen fähig
war, worin bestand sie dann? Dennoch ist Julians Intervention vor dem Hintergrund
von Augustins gesamtem schriftlichen, intellektuellen und pastoralen Werk zu rela--
tivieren. Insgesamt läßt sie Augustins Denken plastischer erscheinen.
Brown, Peter: Die Keuschheit der Engel. Sexuelle Entsagung, Askese und Körperlichkeit im frü--
hen Christentum, München 1994.
Lamberigts, Mathijs: Art. Iulianus IV (Julianus von Aeclanum), Reallexikon für Antike und
Christentum 19 (1999), 483–505.
— Was Augustine a Mainchaean? The Assessment of Julian of Aeclanum, in: van Oort, Johan--
nes / Wermelinger, Otto / Wurst, Gregor (Hgg.): Augustine and Manichaeism in the Latin
West. Proceedings of the Fribourg-Utrecht-Symposium of the International Associaction of
Manichaean Studies, Nag Hammadi and Manichaean Studies 49, Leiden u. a. 2001, 113–136.
Lössl, Josef: Julian von Aeclanum. Studien zu seinem Leben, seinem Werk, seiner Lehre und ihrer
Überlieferung, Supplements to Vigiliae Christianae 60, Leiden u. a. 2001.
Wermelinger, Otto: Rom und Pelagius. Die theologische Position der römischen Bischöfe im
pelagianischen Streit in den Jahren 411–432, Päpste und Papsttum 7, Stuttgart 1975.
Josef Lössl
militärischer Mittel zur Verteidigung des Reiches behindere oder verbiete (vgl. ep. 136;
138; exc. urb. 3; s. 105; s. Denis 21,2 f; ciu. 1,1.3.7.9 f.35 f; 2,2; 4,1; retr. 2,43).
Augustin kannte die heidnische Kultpraxis aus erster Hand. Er erinnert daran, wie
er als junger Mann in Karthago aus freien Stücken Aufführungen und Spielen bei--
wohnte, bei denen heidnische Priester und Musiker in Ekstase Göttern und Göttin--
nen wie der Jungfrau Caelestis und der auch ›Mutter der Götter‹ genannten Kybele
oder Berecynthia die Ehre erwiesen (vgl. ciu. 2,4.26). Später beurteilt er diese Rituale
wegen ihres Inhalts als schändlich und stellt die Annahme vieler Heiden, ihre Gott--
heiten könnten zur sittlichen Erziehung der Gesellschaft beitragen, in Frage (vgl. ciu.
2,26). Jedoch umfaßte das kulturelle Spektrum, das katholische Bischöfe und Auto--
ren wie Augustin als ›heidnisch‹ identifizierten, nicht nur die religiöse Kultpraxis zur
Erlangung der Gunst der Götter, sondern auch Betätigungsfelder wie Kunst, Litera--
tur, Philosophie und Sport, auf die daher ebenfalls mit Verachtung gesehen wurde.
Allerdings verdankten die meisten Bischöfe, darunter Augustin, ihre Bildung dieser
›heidnischen‹ Welt. Augustin berichtet, daß seine mit achtzehn Jahren unternom--
mene Lektüre von Ciceros Hortensius (Hortensius) ihn veranlaßt habe, sein Leben
dem Streben nach der philosophischen Wahrheit zu widmen (vgl. conf. 3,7; B. I. 3.
und B. II. 1.), das ihn letzten Endes zur Taufe und einem von Askese und Studium
geprägten Leben geführt habe. Außerdem begegnete er im Jahr 384 während eines
Mailandaufenthalts den nicht näher bezeichneten Platonicorum libri (den Büchern
der Platoniker) in lateinischer Übersetzung, die sein lebenslanges Hingezogensein
zum Platonismus begründeten (B. III. 3.). Nicht nur von griechischer Philosophie,
auch von römischer Literatur war Augustin sein Leben lang fasziniert. Seine grund--
legende Kenntnis der freien Künste, der heidnischen Religion und Theologie und
der Geschichte des römischen Volkes bezog er von Varro, Gebrauch machte er von
Livius’ und Sallusts Geschichtsschreibung. Niemals verließ ihn seine ursprüngli--
che Liebe zum Werk und zur Sprache Vergils, obwohl er dessen heidnische Themen
ablehnte (B. II. 1.). Die ambivalente Haltung Augustins gegenüber Vergil ist viel--
leicht symptomatisch für das Verhältnis gegenüber seinen eigenen geistig-kulturel--
len Wurzeln. Wo immer möglich, versuchte er eine inhaltlich für Christen hilfreiche
›Bekehrung‹ dieses Erbes, indem er es mit christlicher Lehre harmonisierte (vgl. doctr.
chr. 2,29–63). Zusammen mit anderen kirchlichen Autoren verteidigte Augustin die
Assimilierung des ›heidnischen‹ kulturellen Erbes als eine von der göttlichen Vor--
sehung gewollte geschichtliche Entwicklung. Als Beleg dafür verwies er wie frühere
christliche Schriftsteller auf die Stellen Ex 3,22 und 12,35 f, nach denen die Hebräer
die Luxusgüter der Ägypter genießen (vgl. doctr. chr. 2,60–63; c. Faust. 22,91). Augu--
stin sah darin einen prophetischen Hinweis, daß Gott im Zeitalter des Christentums
die Übernahme solcher kultureller Güter und Lebensäußerungen – einschließlich
solcher Tätigkeiten wie der auf die Bibel angewandten Schriftauslegung – billige,
deren Erfindung sich den ›Heiden‹ früherer Zeiten verdanke (vgl. auch util. cred.
0 B. Person
13). Die gegenwärtigen Heiden, so Augustins Argumentation, hätten wie die Ägyp--
ter zur Zeit des Mose diese geistigen Güter zu schlechten Zwecken benutzt, so daß
die Güter nach Gottes Willen in die Hände der Christen gelangen sollten.
erheben) Postumius an, der aus Eingeweiden von Tieren gelesen haben soll, um
Lucius Cornelius Sulla in seinem Schlachtplan gegen die Armee des Gaius Marius im
ersten der Bürgerkriege (88–82 v. Chr.) zu bestärken, und der Sulla später angewie--
sen habe, noch von den Eingeweiden eines weiteren Opfers an Mars zu essen. Diese
Beispiele boten Augustin die Grundlage für den Vorwurf, daß die römischen Opfer
sich auf Götter bezögen, die in Wirklichkeit böse Dämonen seien. Ihre Macht der
Verblendung bestünde darin, römische Herrscher noch tiefer in ihren Drang zum
Selbstruhm zu verstricken, wie die Laufbahn des Sulla gezeigt habe (vgl. ciu. 2,24 f).
Dämonen würden somit mittels unerfüllbarer Versprechen zeitlicher und ewiger
Belohnung die Bevölkerungsmassen verführen, sie anzubeten (vgl. ciu. 2,10; 4,29).
Weitergehend war Augustins Vorwurf, daß diese falschen Götter, die in der Vergan--
genheit keine Sicherheit für Rom hätten gewährleisten können, dies auch nicht für das
römische Reich der Gegenwart leisten könnten. Damit versuchte er, die Anschuldi--
gung zu widerlegen, daß Christen durch ihr Verbot der heidnischen Götterverehrung
für den gegenwärtigen Mangel an Sicherheit des Reiches verantwortlich seien.
Weise verstanden werden. Aus diesen Beispielen römischer Heiden könnten Chri--
sten lernen, nicht stolz auf Leistungen zu sein, die gewöhnlich für heldenhaft gehal--
ten würden (vgl. ciu. 5,18). Wenn demnach Augustin häufig feststellt, daß viele Hei--
den gute Werke vollbringen, fügt er doch hinzu, daß man nach der zugrundelie--
genden Motivation ihres Handelns fragen müsse, bevor man dieses als in Wahrheit
tugendhaft beurteilt (vgl. spir. et. litt. 48; Io. eu. tr. 25,12).
Augustins antiheidnische Kritik hat folglich zwei Gründe: die Anbetung vieler
Gottheiten anstelle des dreieinigen Gottes und eine Form von Stolz, der darin bestehe,
daß Vernunft und Wille des Menschen über die göttliche Gnade und Tugendvermitt--
lung gestellt würden. Obwohl er das Christentum immer wieder ausdrücklich als den
einzig wahren Weg zum Heil herausstellt, räumt Augustin dennoch die Möglichkeit
ein, daß Nichtchristen gerettet werden können. Dieser Ansicht Augustins liegt die
vielen Christen gemeinsame Überzeugung zugrunde, daß Christus zahlreiche ein--
zelne Menschen gerechtfertigt und erlöst habe, die vor seiner Geburt, zur Zeit des
Alten Testaments, gelebt hätten, wie z. B. die Erzväter und Propheten Israels, aber
auch Nichthebräer wie Abel, Melchisedek und Hiob. Christus, so Augustin, habe
so gehandelt, weil er in diesen Menschen Glauben und Demut gefunden habe (vgl.
ep. 102,11 f; s. Mai 94,8; s. Dolbeau 23; 26,37 f; 25,19). In einer seiner deutlichsten Stel--
lungnahmen zu diesem Thema betont Augustin, daß niemand die Möglichkeit aus--
schließen dürfe, daß Christus sich als Retter derjenigen außerhalb der Kirche Ste--
henden offenbare, die Reinigung ihrer Seelen suchen, vorausgesetzt, sie vertrauen
dafür nicht auf ihre eigene Leistung und beteiligen sich nicht an der Verehrung fal--
scher Götter (vgl. s. Dolbeau 26,36). Dabei dachte Augustin auch an Anhänger einer
Art Mystik, die auf pythagoreischer Lehre beruhte und Neuplatonikern vertraut war.
In seinen Augen bestand zwischen bestimmten, seiner Ansicht nach nicht götzendie--
nerischen Ausprägungen neuplatonischer Mystik und mystischen Formen des Chri--
stentums eine Kontinuität (keine Identität). Seine Weigerung, die Möglichkeit aus--
zuschließen, daß Christus sich selbst als Erlöser bestimmter Menschen außerhalb
der formalen Kirchengrenzen offenbare, zeigt noch einmal die Durchlässigkeit der
Grenze, mit der er die Reiche des ›Christlichen‹ und des ›Heidnischen‹ trennte.
Dodaro, Robert: Christus sacerdos. Augustine’s Preaching against Pagan Priests in the Light of
s. Dolbeau 26 and 23, in: Madec, Goulven (Hg.): Augustin prédicateur (395–411). Actes du
Colloque International de Chantilly, 5–7 septembre 1996, Collection des Études Augustini--
ennes. Série Antiquité 159, Paris 1998, 377–393.
Markus, Robert A.: Saeculum. History and Society in the Theology of St. Augustine, 2. Auf--
lage Cambridge 1988.
(Übersetzt von Frithjof Rittberger) Robert Dodaro
Jahre ein eigenes Reich auf dem Boden des ehemals römischen Nordafrika bilde--
ten. Wie die meisten germanischen Völker hatten auch sie das Christentum in der
Form der homöischen Trinitätslehre der Bekenntnisse der Synoden von Rimini im
Jahr 359 und Konstantinopel im Jahr 360 angenommen, die von den Theologen, die
sich am Nizänum orientierten (allen voran Athanasius), in der Polemik seit Mitte
des 4. Jahrhunderts immer als ›Arianismus‹ bezeichnet wurde, aber mit der Theo--
logie des Arius eigentlich nur den trinitarischen Subordinatianismus teilt und den
Vorwurf des ›Arianismus‹ zurecht immer bestritten hat – selbstverständlich ohne
Erfolg (im Grunde bis in die moderne Forschung).
Im Reich der Vandalen in Nordafrika wurden nach dem Tod Augustins die römi--
schen Katholiken mit diesem ›arianischen‹ Christentum der Vandalen als einer Art
›Staatsreligion‹ konfrontiert, das seit der Herrschaft Theodosius’ I. und seit den Syn--
oden von Konstantinopel und Aquileia (beide im Jahr 381) als eine eigentlich über--
wundene Häresie und inzwischen für die Germanen typischer und eigentlich bar--
barischer Ausdruck des christlichen Glaubens galt, auch wenn es im Westen wie im
Osten durchaus noch ›Arianer‹, also Anhänger der homöischen Trinitätslehre, gab,
die inzwischen durch zahlreiche kaiserliche Edikte zu illegitimen Häretikern gewor--
den waren. Erst die Ausgrenzung dieser Theologie aus der Reichskirche hatte seit
381 zu eigenen ›arianischen‹ Kirchenbildungen geführt. Augustin war weder vor
noch während seines Episkopats intensiv mit dem ›Arianismus‹ oder mit ›ariani--
scher‹ Theologie in Verbindung gekommen, obwohl das ausgehende 4. und begin--
nende 5. Jahrhundert als eine gewisse Blütezeit der lateinischen homöischen Litera--
tur gelten muß. Die Auseinandersetzungen um die Trinitätslehre, der sogenannte
›arianische Streit‹, hatten in der afrikanischen Kirche, die während des 4. Jahrhun--
derts in erster Linie durch den Gegensatz zwischen Donatismus und Katholizismus
bestimmt war, nie eine wichtige Rolle gespielt, auch wenn die gemeinsame Opposi--
tion gegen die Kirchenpolitik Kaiser Constans’ auf der Synode von Serdica im Jahr
343 zu einem Bündnis zwischen ›Arianern‹ und Donatisten geführt hatte, und auch
afrikanische Bischöfe die Beschlüsse der Synoden von Rimini und Konstantinopel
zunächst anerkannt hatten (vgl. ep. 44; vgl. Zeiller; vgl. auch die Schrift des Atha--
nasius, Epistula ad Afros / Brief an die Afrikaner).
Als Augustin Mitte der achtziger Jahre des 4. Jahrhunderts in Mailand Ambro--
sius zur Zeit des für Mailand so wichtigen Konfliktes um die Basiliken zwischen
der ›arianischen‹ Kaisermutter Iustina und dem Bischof der Residenz kennenlernte,
hat diese Auseinandersetzung ihn nach dem Zeugnis von conf. 9,15 f erstaunlich
wenig bewegt (B. II. 11.). Bis in das zweite Jahrzehnt des 5. Jahrhunderts spielt der
›Arianismus‹ für den Bischof von Hippo keine Rolle. Gelegentliche Erwähnungen
der ›Arianer‹ als Häretiker sind eher topisch und lassen keine wirklichen Kennt--
nisse erkennen. Die theologischen Ergebnisse des trinitarischen Streites seit Ende
des 4. Jahrhunderts, die normative Bedeutung des Konzils von Nizäa, die neunizäni--
sche Trinitätslehre in ihrer abendländischen, lateinischen Form sind ihm selbstver--
ständlicher theologischer Besitz, der etwa in den ersten Büchern von trin. ziemlich
traditionell wiedergegeben wird. Hilarius von Poitiers, einer der wichtigen theologi--
10 B. Person
schen Gegner des homöischen ›Arianismus‹ im Westen, ist für Augustin nur grund--
sätzlich als Zeuge der rechtgläubigen Überlieferung der abendländischen Kirche
wichtig, nicht so sehr als Gegner des ›Arianismus‹. Selbst sein theologischer Mentor
Ambrosius, dessen Anliegen die Überwindung des ›Arianismus‹ und die Durchset--
zung der (neu)nizänischen Theologie im Westen war, ist in dieser Rolle für Augu--
stin nicht wirklich wichtig.
Erst nach 410 waren offenbar im Zusammenhang der nach dem Schock der Erobe-
rung Roms durch die Westgoten und der verschiedenen germanischen Reichsbil--
dungen auf dem Boden des weströmischen Reiches nach Afrika kommenden Flücht--
linge auch ›Arianer‹ (also Römer und nicht etwa Germanen) nach Afrika gekom--
men (vgl. Io. eu. tr. 40,7). Aber gerade die Traktate über das Johannesevangelium
aus dem zweiten Jahrzehnt des 5. Jahrhunderts zeigen, daß Augustin eigentlich nur
über oberflächliche Kenntnisse über diesen ›Arianismus‹ verfügt, der auch für ihn
eine im Prinzip überwundene und absterbende Häresie ist.
Der ebenfalls wohl erst nach 410 zu datierende Briefwechsel mit dem ›arianischen‹
staatlichen Beamten Pascentius (ep. 238–241; vgl. Possidius, Vita Augustini / Lebensbe--
schreibung Augustins 17,1–6) und ep. 242 an den ehemaligen ›Arianer‹ Elpidius zei--
gen im Grunde dasselbe Bild. Auffällig ist, wie stark inzwischen die Frage nach der
Gottheit und Homousie des Heiligen Geistes in den Vordergrund getreten ist und daß
Augustin die für die Homöer wichtigen biblischen Aussagen über eine Inferiorität
des Sohnes je auf die göttliche und menschliche Natur Christi bezieht und somit das
Problem verschiebt. Augustins Wissen über den homöischen ›Arianismus‹, beson--
ders seine theologischen Anliegen, wird man am besten als eine Art Handbuchwis--
sen bezeichnen können. Dies wird besonders in haer. 49.51 f.54 deutlich, einer Schrift,
in der Augustin am Ende seines Lebens, weithin Epiphanius folgend, wichtige Häre--
sien zusammengestellt hat und die gerade in den Kapiteln über den ›Arianismus‹
und verwandte Häresien inzwischen ziemlich anachronistisch war. Mit der theolo--
gischen Überlieferung des lateinischen homöischen ›Arianismus‹ hat Augustin sich
offenbar bis in das zweite Jahrzehnt des 5. Jahrhunderts nicht befaßt. Selbstverständ--
lich kennt Augustin die lateinische Kontroversliteratur des 4. Jahrhunderts, wie man
an seiner Kenntnis z. B. des Werkes des Hilarius von Poitiers sehen kann.
In trin. entfaltet Augustin seine Trinitätslehre in origineller und produktiver Wei--
terführung der abendländischen lateinischen Form der neunizänischen Trinitäts--
lehre, wie sie zuerst Ambrosius formuliert hatte, aber nicht mehr wie z. B. noch Hila--
rius von Poitiers ein halbes Jahrhundert früher in aktueller Auseinandersetzung mit
dem ›Arianismus‹ (allerdings könnte trin. 5 gegen ›arianische‹ Auffassungen gerich--
tet sein, die aber im Grunde nur als Folie, nicht als aktuelle theologische Herausfor--
derung erscheinen; vgl. Barnes, Arians).
Vielleicht durch Flüchtlinge taucht in der Provinz Africa etwa 418 ein kurzer
anonymer Traktat auf, der eindeutig die homöische theologische Position vertritt
und Augustin mit der Bitte um Stellungnahme zugeschickt wurde (vgl. ep. 23 A*,3;
retr. 2,52). Es handelt sich um einen kurzen Text, dessen literarische Gattung nicht
leicht zu bestimmen ist. Dieser Sermo Arrianorum (Rede der Arianer), der uns nur
III. Entwicklungen – . Auseinandersetzung mit ›Arianern‹ 11
dadurch überliefert ist, daß Augustin ihn seiner Erwiderung vorangestellt hat, ver--
tritt eine klassische subordinierende Trinitätslehre, die das Verhältnis von Vater und
Sohn in der Trinität vom Gegensatz zwischen ingenitus (ungezeugt) und genitus
(gezeugt) her, also nicht etwa wie Arius von der Geschöpflichkeit des Sohnes her zu
erfassen sucht. Die sehr strikte Subordination des Geistes spiegelt die theologische
Debatte des späten 4. Jahrhunderts wieder, ebenso die Aussagen über die Inkarna--
tion als Akt des Gehorsams des Sohnes gegenüber dem Vater. Allerdings macht der
Text auch deutlich, daß diese Homöer durch die Abdrängung in eine inzwischen
auch vom Staat verfolgte ›häretische‹ Gruppe die theologischen Entwicklungen seit--
her weithin verpaßt hatten. Es hat aber den Anschein, als ob die äußerst schlichte
Sprache dieses Textes, sein Biblizismus und der weitgehende Verzicht auf philoso--
phisches Vokabular in der afrikanischen Kirche durchaus auf Resonanz stießen. In
seiner Widerlegung c. s. Arrian. ist Augustin dem Text zeilenweise gefolgt. Darin,
daß er dem Sermo Arrianorum Positionen des Arius oder einer angeblich ›ariani--
schen‹ Christologie, nämlich die Leugnung einer anima humana (einer menschlichen
Seele) Christi unterstellt, die der Text gar nicht vertritt, wird der Handbuchcharak--
ter seiner theologischen Kenntnisse über den ›Arianismus‹ deutlich. Auch hier ver--
schiebt Augustin die Probleme einer subordinierenden Trinitätslehre auf die Chri--
stologie und wird damit dem theologischen Anliegen des Sermo Arrianorum nicht
wirklich gerecht. Leider wissen wir über die weitere Wirkung dieser Schrift und der
Antwort Augustins in der afrikanischen Kirche nichts.
Erst im letzten Lebensjahr Augustins kommt es zu einer auch persönlichen Begeg--
nung mit einem vermutlich der führenden Theologen des lateinischen ›Arianismus‹.
In Begleitung des kaiserlichen Beamten Sigisvult, der im kaiserlichen Auftrag gegen
den in Ungnade gefallenen Bonifatius vorgehen sollte, kam – wahrscheinlich als Mili--
tärbischof für die germanischen Soldaten von Sigisvult – ein ›arianischer‹ Bischof
Maximinus (vgl. Brennecke, Maximinus) nach Afrika (sicher kein Germane, son--
dern ein Römer) und hatte zuerst Kontakt zu Eraclius gesucht, der dem greisen Augu--
stin die Geschäfte führte (vgl. Possidius, Vita Augustini 17,7–9). Die unterschiedli--
chen theologischen Standorte führten zu einer öffentlichen Disputation zwischen
Maximinus und Augustin, die protokolliert wurde und im Originaltext erhalten ist
(conl. Max.; eine kritische Edition ist noch ein Desiderat).
Unter Berufung vor allem auf die Schrift und das Bekenntnis der Synode von
Rimini (wobei darauf verwiesen wird, daß in Rimini mehr Bischöfe als in Nizäa
anwesend gewesen seien) entfaltet Maximinus die traditionelle theologische Posi--
tion der homöischen Theologie (nach conl. Max. 3 zitierte er aber nicht das Bekennt--
nis von Rimini, sondern formuliert mit eigenen Worten eine regula fidei [Glaubens--
regel], eine kurze Zusammenstellung der wichtigsten Glaubensinhalte, wobei er vor
allem die Einheit der Substanz von Vater und Sohn ablehnt). Auch hier nimmt die
Frage nach der Stellung des Heiligen Geistes in der Trinität breiten Raum ein. Die
von Augustin und Maximinus unter Berufung auf zahlreiche Bibelstellen geführte
Diskussion leidet unter (offenbar durchaus gewollten) gegenseitigen Mißverständ--
nissen und endet absurderweise in einem langen Votum des Maximinus, das allein
1 B. Person
mehr als die Hälfte des gesamten Textes ausmacht. Augustin, der sich darüber beklagt
hat, daß er nicht mehr auf den langen Monolog des Maximinus hatte antworten kön--
nen, erscheint bei dieser Debatte nicht mehr ganz auf der Höhe seiner intellektuel--
len Kräfte und bleibt im Grunde – ganz anders als in seinen anderen theologischen
Debatten – weithin häresiologischen Klischees verhaftet. Mit der Schrift c. Max.
(auch hier fehlt bisher eine kritische Edition) hat er auf das lange Votum des Maxi--
minus bei der Disputation sehr ausführlich geantwortet.
Die Debatte zwischen dem greisen Bischof von Hippo und jenem Maximinus,
von dem wir wenig wissen, der aber zu den wichtigen Vertretern des lateinischen
Homöertums gehört haben muß, bricht ab. Wenig später – Augustin war inzwischen
verstorben – war seine afrikanische Kirche mit dem Problem des ›Arianismus‹ der
Vandalen ganz anders konfrontiert. Hier ging es nun nicht mehr um eine intellek--
tuelle Konfrontation, sondern um einen Konflikt, der für die afrikanischen Katho--
liken Unterdrückung und Verfolgung bedeutete. Augustin wurde in dieser Zeit für
sie zur Identifikationsfigur. Zu Beginn des 8. Jahrhunderts hat ausgerechnet ein lan--
gobardischer König, also ein Vertreter des germanischen Volkes, das als letztes erst
Anfang des 7. Jahrhunderts vom homöischen ›Arianismus‹, wie ihn Maximinus ver--
treten hatte, zum Katholizismus konvertiert war, die Gebeine Augustins in Pavia bei--
setzen lassen (B. I. 2.).
Folliet, Georges: L’épiscopat africain et la crise arienne au IVe siècle, Revue des Études Byzan--
tines 24 (1966), 196–223.
Gamble, Richard C.: Augustinus, Contra Maximinum. An Analysis of Augustine’s Anti-Arian
Writings, Ann Arbor 1985.
Gonzáles, Sergio: La preocupación arriana en la predicación de San Agustín, Valladolid 1989.
Meslin, Michel: Les Ariens d’Occident 335–430, Paris 1967.
van der Plaetse, Roland / Schindler, Alfred: Art. Conlatio cum Maximino Arrianorum epi--
scopo, Augustinus-Lexikon 1 (1986–1994), 1209–1218.
Hanns Christof Brennecke
rungen Augustins an dieser Stelle genauer, so wird deutlich, daß es hier eigentlich
gar nicht um das alttestamentlich-jüdische Gesetz geht, sondern um die Gerechtma--
chung und die Gnade Christi: Denn weder durch die Befolgung der einen noch der
anderen Art des Gesetzes kann der Mensch gerechtgemacht werden, sondern nur
durch den Glauben an Christus und die Gnade Gottes durch ihn. Non solum autem
illa opera legis [...] uerum etiam illud [...] non iustificat hominem, nisi per fidem Iesu
Christi et gratiam dei per Christum dominum nostrum (Nicht allein jene Werke des
Gesetzes aber [...], sondern auch jenes [scil. das Gesetz, verstanden als Aufforderung
Non concupisces / Du sollst nicht begehren] [...] macht den Menschen nicht gerecht,
es sei denn durch den Glauben an Jesus Christus und die Gnade Gottes durch unse--
ren Herrn Christus; ep. 196,3). Der Kirchenvater bezieht hier gegen pelagianische
und nicht originär jüdische oder judenchristliche Positionen Stellung, denn hier geht
es um Schlüsselbegriffe im Streit mit den Anhängern des Pelagius, um Gerechtma--
chung und Gnade. Explizit sagt Augustin, es gebe Leute, die sich Christen nennen,
jedoch die Gnade ablehnen und meinen, sie könnten die göttlichen Gebote allein
durch menschliche Kräfte erfüllen. Diese sind zwar nicht Juden dem Namen nach,
wohl aber durch ihre vom Irrtum gekennzeichnete Praxis. Jene aber haben Pelagius
und Caelestius als Anführer (vgl. ep. 196,7).
In seinen weiteren Ausführungen macht der Bischof dann deutlich, daß die Chri--
sten eigentlich im recht verstandenen Sinn des Wortes Juden seien, wobei die Gnade
Christi eben das proprium (das spezifische Merkmal) des spiritalis Iudaeus (des Juden
im geistlichen Sinne) ausmacht. Nicht die natürliche Nachkommenschaft, sondern
das richtige Verstehen des Alten Testaments und das Akzeptieren der Gnade ist kon--
stitutiv für das richtige ›Judesein‹, was in diesem Zusammenhang recht verstanden
das Christsein meint (vgl. ep. 196,9–12, besonders 11).
Wichtig im hier interessierenden Kontext ist nicht der pelagianische Konflikt,
sondern die Art und Weise, wie Augustin den Begriff Iudaeus (Jude) interpretiert:
Die Pelagianer sind in dem Sinn Juden, als sie in bezug auf die Gnade eine in christ--
lichen Augen falsche Ansicht haben und Praxis üben. Die Christen hingegen sind
in der Hinsicht in eigentlichem Sinn Juden, als sie das Alte Testament ›richtig‹ ver--
stehen. Was hier mit ›richtig verstehen‹ gemeint ist, deutet der Bischof dadurch an,
daß er einen Christen als mit dem Adjektiv spiritalis (geistlich) versehenen Juden
bezeichnet. Diese nähere Charakterisierung verweist einmal mehr auf das grund--
sätzliche Verständnis der Bibel bzw. des Alten Testaments mit Hilfe der Zeichen--
lehre. So unterscheidet sich der Jude von dem eigentlichen Juden, d. h. dem Chri--
sten dadurch, daß dieser die Schrift carnaliter (fleischlich) oder corporaliter (körper--
lich), also im vorliegenden Fall falsch versteht, jener sie spiritaliter (geistlich) bzw.
mit dem intellectus spiritualis (geistlichen Verständnis) richtig interpretiert (vgl.
Dubois, Jews 166 f; vergleichbar ist besonders die Interpretation der lex / des Geset--
zes in spir. et litt.; C. I. 8.2.).
In beiden Fällen wird deutlich, daß es, obwohl hier mehrmals der Begriff ›Jude‹
fällt, nicht um Juden im soziologisch-historischen Sinn geht, sondern die Bezeich--
nung ›Jude‹ für Personen steht, welche ein ganz spezielles Verständnis von der hei--
III. Entwicklungen – 10. Augustin und die Juden 15
ligen Schrift haben. Iudaeus kann also für den Bischof von Hippo quasi einen her--
meneutischen Status kennzeichnen. Es ist also immer auf den jeweiligen Kontext zu
achten, in dem der Kirchenvater mit dem Begriff Iudaeus umgeht. Allein das quan--
titative Vorkommen der hier interessierenden Bezeichnung kann also kein Indiz
dafür sein, daß sich Augustin sehr ausgiebig mit den Juden als soziologischer Größe
beschäftigt hat. Gleichwohl hat das Judentum Augustin durchaus interessiert. Dabei
war aber die theologisch-spekulative Ebene wohl der vorherrschende Hintergrund
seiner Beschäftigung.
Hierneben stellt sich die Frage nach den persönlichen Beziehungen Augustins zu
seinen eventuell jüdischen Landsleuten. Unbestreitbar ist, daß es zur Zeit Augustins
Juden in Nordafrika gab (vgl. etwa Hirschberg), und dem Bischof war dies auch
bewußt. So stellt er etwa in einer Predigt über die Situation in Hippo pauschal fest:
Duo genera hominum hic sunt, Christiani et Iudaei (Zwei Arten von Menschen leben
hier, Christen und Juden; s. 196,4; zur Situation in Karthago vgl. s. Denis 17,7, wonach
Karthago eine Stadt voll von Juden und Heiden ist). Auch hatte er einige Kenntnisse
über jüdische Lebens- und Kultgewohnheiten wie etwa den Rüsttag, den jüdischen
Gottesdienst, das Blasen der Posaune, das Laubhüttenfest usw. (vgl. Blumenkranz,
Judenpredigt 62–68; Alvarez, San Agustín 1967; Ders., San Augustín 1972).
Besonders auffällig war die jüdische Zeremonialpraxis, soweit sie in der Öffent--
lichkeit sichtbar wurde. Dies galt in der Antike vor allem für die Sabbatruhe, deren
Praxis z. T. auch unter Nichtjuden Anklang fand und von der auch der Kirchen--
vater verschiedentlich wohl aus eigener Anschauung und differenziert zu berich--
ten weiß (vgl. Raveaux, Augustinus). So ist Augustin bekannt, daß es an ver--
schiedenen Orten aufgrund der Anstoßnahme an der öffentlich sichtbaren Religi--
ons- und Kultausübung zu Ausschreitungen gegenüber den Juden gekommen ist
(vgl. s. 62,18; vgl. auch den Fall Callinicum bei Ambrosius, Epistula extra collectio--
nem / Brief außerhalb der Briefsammlung 1 a [= alte Zählung 40], dazu vgl. Bori
310; zu antijüdischen Ausschreitungen unter Kyrill von Alexandria vgl. Schrek--
kenberg 372 f). Für den Tätigkeitsbereich des Bischofs von Hippo ist kein derar--
tiger Vorgang bekannt, im Gegenteil: Unter anderem seinem Einfluß im weitesten
Sinn wird es zugeschrieben, daß in der im Januar 438 erlassenen 3. Novelle des Kai--
sers Theodosius II. schließlich die Duldung der jüdischen Religion und Kultaus--
übung festgeschrieben wurde (Nouellae Theodosiani / Theodosianische Novellen 3;
p. 7–11; vgl. Castritius).
Was nun die persönlichen Beziehungen Augustins zu Juden angeht, so ist die Quel--
lenbasis sehr schmal, was aber wohl darauf zurückzuführen ist, daß es einen direk--
ten persönlichen Kontakt in der Tat äußerst selten gegeben hat. In seiner Exegese zur
Bergpredigt erwähnt der Kirchenvater, daß er einen Hebraeus (Hebräer) wegen der
Übersetzung des Wortes racha konsultiert habe, welches es weder in der lateinischen
noch griechischen Sprache gebe (vgl. s. dom. m. 1,23). Die Praxis, jüdische Mitbür--
ger nach der Bedeutung hebräischer Begriffe in der Bibel zu befragen, war durchaus
nicht unüblich, wie etwa aus Informationen des Briefwechsels zwischen Augustin und
Hieronymus hervorgeht (vgl. ep. 71,4; 75,21). Doch scheint der Bischof nur selten so
1 B. Person
verfahren zu sein. Später hat er zumindest, wie aus dem Briefwechsel mit Hierony--
mus hervorgeht (vgl. ep. 82,35), eine Übersetzung alttestamentlicher Texte aus dem
Hebräischen abgelehnt, da er nicht etwas Neues einführen wollte, was eventuell im
Gegensatz zum Text der Septuaginta (wörtlich: ›Siebzig‹) stehen könnte. Auf jeden
Fall ist der geschilderte Vorgang ein Beleg für den persönlichen Kontakt Augustins
mit jüdischen Zeitgenossen. In ep. 8* berät Augustin seinen Bischofskollegen Vic--
tor, welcher mit einem Juden bezüglich einer Landbesitzfrage in Streit geraten war
(B. III. 11.). Insgesamt sind die Belege für einen unmittelbaren Kontakt jedoch so
wenige, daß man vermuten darf, daß der Kontakt kein sehr enger war.
Neben der Interpretation von Iudaeus als Kennzeichnung eines bestimmten
Schriftverständnisses und den wenigen Belegen, die die Juden als soziologische
Gruppe der Gegenwart betreffen, tauchen Iudaei natürlich in etlichen Bibelzitaten
auf (mit der Bedeutung der Bibelzitate speziell in adu. Iud. beschäftigt sich Bori).
So ist es nicht verwunderlich, daß in den frühen augustinischen Schriften, in denen
biblische Texte noch keine große Rolle spielen, auch die Juden nicht auftauchen.
Wohl erstmalig in mor. wird das Verhältnis Christen – Juden, wenn auch nur indi--
rekt, thematisiert. In mor. 1 wird nun insbesondere die Übereinstimmung von Altem
und Neuem Testament dargelegt (vgl. auch retr. 1,6). Zum ersten Mal wird hier auch
Joh 1,17 zitiert, um mit einem Text aus dem Neuen Testament die Verwiesenheit der
beiden Gruppen der heiligen Schrift aufeinander zu belegen (vgl. mor. 1,14). Diese
Relationstheorie zwischen Altem und Neuem Testament wird dann in c. Faust. wei--
ter ausgebaut (hierauf weist insbesondere Frederiksen hin, die den Grundgedan--
ken des Verhältnisses zwischen Judentum und Christentum bei Augustin durch die
Auffassung des Verhältnisses der beiden Testamente zueinander in c. Faust. begrün--
det sieht. Zeitlich gesehen ist der Ursprung dieses Gedankens bereits in mor. fest--
zustellen, vgl. Frederiksen, Justitia Dei). Sie mündet dann letztlich in der augusti--
nischen Auffassung von der heilsgeschichtlich-eschatologischen Verwiesenheit von
Juden und Christen aufeinander in seinem Geschichtsentwurf in ciu. (vgl. ciu. 7,32;
18,46 f u. ö.).
Ein besonders brisantes Thema ist die Frage nach der Schuld der Juden an der
Kreuzigung Christi und die eventuelle Auswirkung dieser Schuld auf das jeweils zeit--
genössische Judentum. Kurz zusammengefaßt sind in diesem Zusammenhang für
Augustin drei Punkte wichtig: a) Die Juden haben Christus getötet (vgl. etwa ciu.
3,15; 20,30; adu. Iud. 11; cath. fr. 10), sind aber keine deicidae (Gottesmörder) (Hier
widerspricht Augustin z. B. Justin und Johannes Chrysostomus), da sie Christus –
in seiner Eigenschaft als Gottessohn – nicht erkannt haben; wenn sie ihn erkannt
hätten, hätten sie ihn nicht getötet (vgl. en. Ps. 58,1,5; 65,5; s. 62). Sodann gibt Augu--
stin b) den zeitgenössischen Juden keinerlei Schuld oder Mitschuld, da er sehr wohl
zwischen ihnen und ihren parentes (Vorfahren; vgl. ciu. 20,30) zu unterscheiden ver--
mag. Schließlich vertritt Augustin c) die Auffassung von der eschatologischen Erlö--
sung der Juden, wobei er sich entweder auf Röm 11,26 stützt (vgl. ep. 149,19) oder auf
das Gleichnis vom verlorenen Sohn (vgl. qu. eu. 2,33.). In der Zwischenzeit sind die
Juden zwar über die Welt verstreut, der Sinn dieser Maßnahme liegt jedoch darin,
III. Entwicklungen – 10. Augustin und die Juden 1
daß sie so über ihre Schriften, das Alte Testament, zu Zeugen für die Wahrheit des
Christentums im positiven Sinn werden (vgl. etwa ciu. 18,46 f; adu. Iud. 9; s. 200,2;
201,3 u. ö.; Cohen will sechs Hauptthemen innerhalb dieser Zeugentheorie feststel--
len, welche bereits Blumenkranz, Judenpredigt 211 als den einzig originalen Beitrag
in Augustins Judenpolemik ausgemacht haben will). Einmal mehr werden in diesen
Aussagen die Grundauffassungen des Bischofs von der unauflöslichen Bezogenheit
der beiden Testamente aufeinander und der daraus sich ergebenden heilsgeschicht--
lichen Rolle der Juden in erster Linie positiv deutlich.
Von hier aus ist auch das einzuordnen, was Blumenkranz als »Bescheltungen
der Juden« (Blumenkranz, Judenpredigt 186–189) bezeichnet. So soll bei Augu--
stin allein die Vorstellung von den Juden bei diesem zu Beschimpfungen geführt
haben und umgekehrt die bloße Erwähnung eines ehrenrührigen Ausdrucks ihn
wiederum an die Juden denken lassen (vgl. Blumenkranz, Judenpredigt 189). Die
als Schimpfworte mißverstandenen Kennzeichnungen etwa als caecus (blind) oder
carnalis (fleischlich) verlieren sofort an Schärfe, wenn man sich klar macht, daß sie
kein moralisches Versagen bezeichnen, sondern einen Erkenntnisstatus innerhalb
der augustinischen Zeichenlehre zum Ausdruck bringen.
Schließlich gibt es auch durchaus positive Aussagen über die Juden, welche
schließlich den einen, allmächtigen Gott anbeten (vgl. uera rel. 9), eine für Augu--
stin wichtige Grundentscheidung. Außerdem stellt er die Juden seinen Zuhörern
manchmal sehr ernsthaft (etwa wenn es um Gelage in Tempeln [vgl. ep. 29,4] oder
um den Schauspielbesuch [vgl. s. Denis 17,9] geht), manchmal auch leicht ironisch
(etwa wenn es um die Spendenfreudigkeit seiner Gläubigen geht [vgl. en. Ps. 103,3,12;
146,17]), als Vorbild vor Augen.
Insgesamt ergibt sich der Eindruck: Das Verhältnis von Augustin zu den Juden
ist ganz überwiegend theologisch definiert. Es ist, bei aller Differenzierung (vgl.
Raveaux, Aduersus Judaeos 47–49), durch die grundsätzliche Überzeugung von
der heilsgeschichtlichen Verknüpfung zwischen Christen und Juden bestimmt, wie
sie in der besonderen Verbindung zwischen den beiden Testamenten deutlich wird.
Die Annahme eines wie immer gearteten Antisemitismus ist fehl am Platz (vgl. zu
diesem Thema Alvarez, Antisemitism; Ders., Antisemitismo), vielmehr wird man
den Ursprung dieser Überzeugung in den Auseinandersetzungen mit den Manichä--
ern suchen müssen.
Blumenkranz, Bernhard: Die Judenpredigt Augustins. Ein Beitrag zur Geschichte der jüdisch-
christlichen Beziehungen in den ersten Jahrhunderten, Basler Beiträge zur Geschichtswissen--
schaft 25, Basel 1964 (Nachdruck Paris 1973).
Castritius, Helmut: The Jews in North Africa at the Time of Augustine of Hippo – their Social
and Legal Position, in: (ohne Hg.): Proceedings of the Ninth World Congress of Jewish Stu--
dies, Jerusalem, August 4–12, 1985, Jerusalem 1986, 31–37.
Frederiksen, Paula: »Excaecati Occulta Justitia Dei«. Augustine on Jews and Judaism, Journal
of Early Christian Studies 3 (1995), 299–324.
Raveaux, Thomas: Aduersus Judaeos – Antisemitismus bei Augustinus?, in: Zumkeller, Adolar
(Hg.): Signum Pietatis. Festgabe für Cornelius Petrus Mayer OSA zum 60. Geburtstag, Cassi--
ciacum 40, Würzburg 1989, 37–51.
1 B. Person
Schreckenberg, Heinz: Die christlichen Adversus-Judaeos-Texte und ihr literarisches und histo--
risches Umfeld (1.–11. Jh.), Europäische Hochschulschriften 33 / 172, Frankfurt am Main 1982.
Thomas Raveaux
Besonders aus seinen Predigten und Briefen läßt sich Augustins Verständnis des
Bischofsamtes gut rekonstruieren. Mehrere Predigten, anläßlich der Jahresfeier seiner
Bischofsweihe (s. 339) sowie zur Weihe (s. Guelf. 32 = s. 340 A) oder zur Bestattung von
Kollegen (s. 396; s. Lambot 21), sind erhalten. Danach verfügen Bischöfe über eine ein--
zigartige auctoritas (Autorität, Kompetenz), nicht nur bei der Schriftauslegung, son--
dern gerade auch bei der Aufsicht über die Lebensführung sowohl der Geistlichen,
Mönche und Nonnen als auch der Laien. In dieser Verpflichtung zur Aufsicht, die
Augustin auch als sarcina (Last; vgl. s. 46) bezeichnete (vgl. s. 94; 137; 339–340 A), sah
Augustin den entscheidenden Unterschied zwischen einem Bischof und den ande--
ren Gemeindegliedern. Bischöfe seien den Laien nicht überlegen, sondern Mit-Jün--
ger Christi: Vobis enim sum episcopus, uobiscum sum christianus (Für euch nämlich
III. Entwicklungen – 11. Augustin als Bischof 1
bin ich Bischof, mit euch bin ich Christ; s. 340,1 = Caesarius, Sermo / Predigt 232,1;
die Verfasserschaft ist umstritten). Der wesentliche Unterschied zwischen der Ver--
antwortung eines Laien und der eines Bischofs bestehe darin, daß ersterer nur für
sich selbst vor Gott verantwortlich sei, letzterer hingegen sowohl für sich selbst als
auch für die anderen (vgl. s. 339,1).
Dies gilt in besonderer Weise dann für denjenigen Bischof, dem aufgrund seines
Sitzes oder Dienstalters eine besondere Verantwortung zukommt. Zwar gab es keine
förmliche Hierarchisierung des nordafrikanischen Episkopats, doch hatte (abgesehen
von Karthago in Africa Proconsularis, das als wichtigster Bischofssitz der gesamten
nordafrikanischen Diözese einen besonderen Rang einnahm; B. I. 1.) in den ein--
zelnen Kirchenprovinzen der jeweils dienstälteste Bischof die Leitungsfunktion als
episcopus primae sedis (Bischof vom ranghöchsten Stuhl) inne. Als Funktionen die--
ses Amtes hatten sich eingebürgert: Zusammenarbeit und gegenseitige Abstimmung
der Arbeit mit den Bischöfen der Nachbardiözesen in derselben Provinz, Einberu--
fung und Leitung der Synoden, Mitwirkung bei der Weihe neuer Bischöfe innerhalb
der Provinz, Vermittlung bei Streitigkeiten zwischen Bischöfen derselben Gegend
und bei der Bildung neuer Diözesen und Ausübung der Appellationsgerichtsbarkeit
bei bischöflichen Auseinandersetzungen, auch im Hinblick auf Disziplinarfragen der
kirchlichen Gutsverwaltung (vgl. Crespin). In Augustins kirchlicher Provinz Numi--
dia (für die die Besonderheit festzuhalten ist, daß sie nicht mit der staatlichen Provinz
deckungsgleich ist, B. I. 1.) wechselten diese Funktionen während Augustins Episko--
pat mehrfach, wobei auch unbedeutenden Bischofssitzen der Rang als dienstältester
Bischof zufiel: Zunächst war zwischen ca. 401 und 411 Sanctippus von Thagora dienst--
ältester Bischof, dann bis ca. 419 Silvanus Summensis und zwischen Mai 419 und ca.
422 Valentinus Vaianensis (nicht einmal die Lage der Bischofssitze von Silvanus und
Valentinus ist bekannt), danach könnte Alypius der dienstälteste Bischof gewesen sein,
doch ist dies nicht sicher. Augustin selbst war jedenfalls formal nicht mit der Leitung
einer kirchlichen Provinz betraut, doch war gleichzeitig Hippo mit Abstand die wich--
tigste Stadt in Numidien, so daß er de facto doch erheblichen Einfluß auf die gesamte
Provinz ausübte. Dies zeigt sich dann auch in einer Reihe von Disziplinarfragen, in
die Augustin eingegriffen hat, auch über die Grenzen seiner eigenen Diözese hin--
aus. Dies wurde noch dadurch unterstützt, daß Augustin mit dem Bischof von Kar--
thago, Aurelius, zeit seines Lebens (Aurelius war bereits Bischof, als Augustin Prie--
ster wurde [vgl. ep. 22] und starb vermutlich im Juli 430) eine außergewöhnlich enge
freundschaftliche Beziehung unterhielt. Drei Beispiele verdeutlichen die besondere
Funktion Augustins für den nordafrikanischen Episkopat (vgl. Merdinger):
Apiarius: Ein Fall betraf einen Presbyter, Apiarius, aus der Diözese von Sicca
Veneria in Africa Proconsularis, der von seinem Bischof Urbanus aus unbekann--
tem Grund verurteilt worden war. Apiarius entschied sich, an seinen afrikanischen
Vorgesetzen vorbei um Rechtshilfe aus Rom nachzusuchen. Der Bischof von Rom,
Zosimus, schickte im Spätsommer des Jahres 418 Vertreter zur Unterstützung nach
Afrika. Unterdessen starb Zosimus, der ihm nach Ostern 418 im Amt nachfolgende
Bonifatius erneuerte die Verfügung seines Vorgängers. Die römischen Gesandten
0 B. Person
hatten sich für ihren Standpunkt auf die canones (kirchlichen Rechtssatzungen) des
Konzils von Nizäa berufen, doch konnte Alypius die besagten canones in der ihm
vorliegenden Canones-Sammlung nicht finden und äußerte daher Zweifel, ob die
angeführten canones wirklich vom Konzil von Nizäa stammten. Auf einem Konzil im
Mai 419 schlug Alypius vor, daß der Bischof von Karthago Gesandte zu den Bischöfen
von Konstantinopel, Alexandria und Antiochia schicken solle, um eine unumstrit--
tene Abschrift der in Frage stehenden canones zu erhalten und ihre Richtigkeit veri--
fizieren zu können. Der ebenfalls anwesende Augustin unterstützte ihn darin (vgl.
Codex Apiarii causae, Concilium Carthaginense anni 419 / Codex zum Fall Apiarius,
Konzil von Karthago im Jahr 419; CChr.SL 149, 91 / 72–93 / 136; vgl. Epistula Concilii
Carthaginensis ad Bonifatium / Brief des Konzils von Karthago an Bonifatius; CChr.
SL 149 A, 156 / 1–161 / 130). In der Tat wurde die Vermutung der afrikanischen Bischöfe
bestätigt. Die fraglichen canones stammten von der Synode von Serdica (vgl. EOMIA
1,2,3; 460 / 1–462 / 27; 480 / 18–481 / 33).
Die Affäre wurde zum Anlaß genommen, eine Reihe von canones zu verabschie--
den, die einerseits den Umgang mit kirchlichem Vermögen und Grundlinien der
Lebensführung von Klerikern betrafen, andererseits aber auch für die Kirchenstruk--
tur Nordafrikas relevant waren (so wurde für die Mauretania Sitifensis ein eigener
primas / Vorsitzender des Episkopats eingerichtet, canon 17, die Reise von Bischöfen
nach Übersee von der Zustimmung des primae sedis episcopus abhängig gemacht,
canon 23; vgl. Canones in causa Apiarii / Kirchliche Rechtssatzungen im Fall Apiarius;
CChr.SL 149, 95–155). Apiarius wurde seines bisherigen Amtes in Sicca Veneria ent--
hoben, durfte aber Priester bleiben und ging in eine andere Gemeinde in Thabraca,
wo er, unglücklicherweise, im Jahr 424 oder 425 erneut für Probleme sorgte. Dieses
Mal war er in einen Sexskandal verwickelt und wurde für dieses Vergehen von sei--
nem Bischof exkommuniziert. Im erneuten Widerspruch zu dem, was 419 noch ein--
mal bekräftigt worden war, brachte Apiarius seinen Fall bis nach Rom und wurde von
dem Bischof von Rom Caelestin zur Kommunion zugelassen. Außerdem schickte
Caelestin den Gesandten Faustinus, der neben den afrikanischen Bischöfen über den
Priester zu Gericht sitzen sollte. Der Angeklagte gab hierbei seine Verfehlungen zu
und wurde sofort exkommuniziert. Die Bischöfe bestanden darauf, daß canon 5 von
Nizäa (vgl. EOMIA 1,1,2; 118 f / 1–6) respektiert werde, der die Aufhebung einer einmal
ausgesprochenen Exkommunikation durch einen anderen Bischof untersagte, und
erinnerten Bischof Caelestin von Rom in einem Brief (vgl. Codex Apiarii causae, epi--
stula Aureli episcopi ad sanctum Caelestinum urbis Romanae episcopum / Codex zum
Fall Apiarius, Brief des Bischofs Aurelius an den heiligen Caelestin, Bischof der Stadt
Rom; CChr.SL 149, 168–172) an die Vorgabe von Nizäa, nicht erneut jemanden zur
Kommunion zuzulassen, der anderswo ordnungsgemäß exkommuniziert wurde. Die
Bischöfe ließen es nicht an dem Hinweis an den Bischof von Rom fehlen, daß die
Gnade des Heiligen Geistes in allen Bischöfen wirksam sei, nisi forte quisquam est
qui credat unicuilibet posse deum nostrum examinis inspirare iustitiam et innumera--
bilibus congregatis in concilium sacerdotibus denegare (es sei denn, es sollte zufällig
jemanden geben, der glaubt, daß unser Gott nur einer beliebigen Person die Gerech--
III. Entwicklungen – 11. Augustin als Bischof 1
tigkeit bei der Prüfung einhauchen kann und den unzähligen zu einem Konzil ver--
sammelten Priestern vorenthält; Codex Apiarii causae, epistula Aureli episcopi ad
sanctum Caelestinum urbis Romanae episcopum; CChr.SL 149, 171). Augustin war in
dem Fall Apiarius nur als Vertreter Numidiens (neben Alypius) auf dem Konzil von
Karthago 419 beteiligt. Der Fall wirft aber ein wichtiges Licht auf die kirchenrecht--
lichen Zustände in den nordafrikanischen Provinzen und die Vorgehensweise des
Episkopats bei Verfehlungen von Klerikern.
Antoninus: Das vielleicht wichtigste Beispiel für die Funktion des Bischofs ist
der Fall des vom Bischof von Hippo überstürzt zum Bischof von Fussala geweihten
Antoninus. Augustin war so erregt über seine Entscheidung, die sich im nachhinein
recht bald als Fehlentscheidung herausstellte, daß er Bischof Caelestin von Rom in
einem Brief seinen eigenen Rücktritt anbot (vgl. ep. 209,10; 20*). Die 60 Kilometer
von Hippo entfernte Stadt Fussala war erst kurz zuvor aus dem Einfluß der Donati--
sten zurückgewonnen worden und brauchte nun einen eigenen Bischof vor Ort. Der
von Augustin bevorzugte Kandidat sagte in letzter Minute ab, und Augustin wählte
zum Ersatz den punisch sprechenden Lektor Antoninus aus seiner eigenen Gemeinde
(bei der Weihe hielt er s. Guelf. 32). Vor der Entdeckung der Divjak-Briefe gab es nur
aufgrund von ep. 209 spärliche historische Daten über die genauen Umstände dieses
Vorgangs. Erst durch ep. 20* ist der Fall deutlicher geworden. Daraus wird deutlich,
daß Antoninus seine Autorität mißbraucht und durch Erpressung, Betrug und Dro--
hungen Reichtümer für sich angehäuft hatte. Augustin hielt sich sehr damit zurück,
ersten Anschuldigungen Glauben zu schenken. Weitere Untersuchungen ergaben aber
ihre Richtigkeit. Er neigte dazu, den Kirchenmann solange zu stützen, bis seine Schuld
erwiesen war. Ihn in eine andere Diözese zu versetzen, kam wegen der Beschlüsse
von Nizäa nicht in Frage. Augustins Achtung vor dem Bischofsamt war immerhin
so groß, daß das entsprechende Konzil der Provinz Numidien ungefähr im Jahr 421
Antoninus, anstatt ihm seinen Rang (honor) abzuerkennen, nur durch Einschrän--
kung seiner Amtsbefugnis (potestas) maßregelte. Er sollte fortan also quasi ›Bischof
ohne Geschäftsbereich‹ sein. Antoninus legte hiergegen 422 über den episcopus pri--
mae sedis Valentinus Berufung beim Bischof von Rom ein. Entsprechend versuchte
Augustin selbst, seine Sicht in Rom bekannt zu machen, indem er ep. 209 an Caele--
stin von Rom schrieb. Bei dieser Gelegenheit erwähnt er die Fälle von drei weiteren
Bischöfen, die den Bischofstitel behalten, ihre Amtsbefugnis aber de facto abgeben
mußten: Priscus aus Mauretanien hatte den Rang als primas (Vorsitzender) abge--
ben müssen; Victor, einem weiteren Bischof derselben Provinz, erging es ähnlich wie
Priscus, darüber hinaus durfte er aber nur noch in seiner eigenen Diözese die Kom--
munion empfangen; und schließlich wurde ähnlich wie bei Antoninus der Amtsbe--
reich des Laurentius, eines dritten Bischofs dieser Provinz, begrenzt (vgl. ep. 209,8).
Im Fall Antoninus ist leider nicht genau bekannt, wie die Sache letztlich ausging.
Ep. 20* belegt, daß Antoninus bei der reichen Römerin Fabiola Unterschlupf gefun--
den hatte, seine Sache also auch persönlich in Rom vertreten hat. Ob er jemals wie--
der nach Nordafrika zurückgekehrt ist, ist unsicher.
Honorius: In einem dritten Beispiel geht es um Honorius, einen ehrgeizigen
B. Person
Bischof, der seinen Sitz von einer kleinen Diözese bei Cartenna nach Caesarea (heute
Cherchel), einer größeren, prestigeträchtigeren Diözese, zu verlegen suchte und
dabei direkt canon 15 von Nizäa (vgl. EOMIA 1,1,2; 134 f / 1–15; vgl. auch canon 16 bzw.
in abweichender Zählung canones 14 f; ebd. 134 / 16–137 / 12) verletzte, der einen der--
artigen Wechsel untersagte (vgl. ep. 22*; 23*; 23 A*). Anders als im Fall des Apiarius
bemühten sich die afrikanischen Bischöfe diesmal um Hilfe aus Rom. Offenkundig
hatten sich der niedere Klerus und die Bevölkerung von Caesarea für Honorius aus--
gesprochen, dessen Vater bereits zuvor einen solchen Ortswechsel vollzogen hatte,
um Bischof von Caesarea zu werden. Die mauretanischen Bischöfe weigerten sich,
die Beschlüsse von Nizäa zu verletzen und die Wahl des Honorius zu bestätigen.
Unglücklicherweise kam es zum Aufruhr, als der niedere Klerus und die Bevölke--
rung gegen den Bischof ausgespielt wurden. Im Jahr 418 beauftragte Bischof Zosi--
mus von Rom drei afrikanische Bischöfe, Augustin, Alypius und Possidius, mit der
Untersuchung des Vorfalls, wozu Augustin nach Mauretanien reiste. Die genaue
Natur dieser Beauftragung bleibt unklar, jedenfalls beschloß Augustin schließlich,
die Sache doch wieder dem Urteil des Bischofs von Rom, Bonifatius, anzuvertrauen
(vgl. ep. 22*). Das genaue Ergebnis ist leider nicht bekannt.
Als Folge der Anerkennung durch Konstantin wurden den Bischöfen zunehmend in
bis dahin beispiellosem Maße Befugnisse in der Gerichtsbarkeit des römischen Rei--
ches eingeräumt. Im Jahr 318 erkannte Kaiser Konstantin den bischöflichen Schiedsge--
richten rechtsverbindlichen Rang zu (vgl. Codex Theodosianus/Gesetzessammlung des
Theodosius 1,27,1: audientia episcopalis bzw. episcopale iudicium/bischöfliches Gericht).
Dies erfuhr eine Bestätigung und genauere Ausformulierung in den Constitutiones Sir--
mondianae (Konstitutionen von Sirmond [scil. zusammengestellt]) im Jahr 333 (vgl.
Gaudemet; Munier; Lepelly, Liberté und Lamoreaux). Danach genossen sowohl
Kläger als auch Beklagter vor einem weltlichen Gericht das Recht, ihren Fall einem
bischöflichen Schiedsgericht zu übertragen, sogar dann, wenn ein Nichtchrist betei--
ligt oder eine der beiden Parteien gegen den Wechsel des zuständigen Gerichts war.
Die Bischöfe konnten über Zivil- oder Strafsachen urteilen; selbst über Fälle von Hei--
den konnte verhandelt werden. Die Urteile galten als endgültig, bindend und ließen
keine Revision zu. Bestimmte Fälle blieben sowieso der bischöflichen Gerichtsbar--
keit vorbehalten, nämlich sofern sie sich auf Lehre, Sakramente, kirchliche Ordnung
und Verwaltung sowie den Klerus bezogen. Die besten Gründe für die Beliebtheit der
bischöflichen Gerichtsbarkeit auch in anderen Bereichen dürften das schlanke, zielge--
richtete Verfahren, die Zeitverkürzung bis zur endgültigen Entscheidung infolge der
nicht zugelassenen Revision, die annehmbareren Kosten und die Wahrscheinlichkeit
eines unparteiischen Urteils gewesen sein (vgl. Lamoreaux). Die rasche und preis--
werte Urteilsfindung bischöflicher Gerichte war eindeutig attraktiver als die schlep--
pende, kostspielige und häufig korrupte weltliche Rechtsprechung. Die audientia epi--
scopalis wurde in nachkonstantinischer Zeit allerdings nach und nach eingeschränkt.
III. Entwicklungen – 11. Augustin als Bischof
Er war darauf vorbereitet, schwere Strafen zu verhängen, und ließ sogar körperli--
che Züchtigung, wie gelegentlich die Prügelstrafe, zu (vgl. ep. 133,2; 8*,2; 9*,2). Aller--
dings lehnte er generell schwere körperliche Strafen wie das Auspeitschen mittels
am Ende mit Blei besetzter Peitschenriemen ab (vgl. ep. 133,1; 134; 10*,3 f). Er war
deshalb gegen die Todesstrafe, weil diese der jeweiligen Person die Gelegenheit zur
Buße und Umkehr nahm. Oft plädierte er als Fürsprecher für mansuetudo (Milde)
und sprach sich für eine Verringerung des Strafmaßes aus. Er verurteilte die Anwen--
dung der Folter, um Beschuldigten Geständnisse abzupressen (vgl. ep. 91,9; 104,1; 133,2;
ciu. 19,6.). Für Augustin stand fest, daß ein Bischof vor allem für den Sinneswandel
und die Umkehr sündiger Menschen Verantwortung trug, nicht für Abschreckung
und Vergeltung. Gerade in dieser Verantwortung sah er eine wichtige Funktion sei--
nes bischöflichen Amtes.
Doyle, Daniel E.: The Bishop as Disciplinarian in the Letters of St. Augustine, Patristic Studies 4,
New York u. a. 2002.
Leppeley, Claude: Les cités de l’Afrique romaine au Bas-Empire, tome I. La permanence d’une
civilisation municipale, Paris 1979; tome II. Notices d’histoire municipale, Collection des Étu--
des Augustiniennes. Série Antiquité 80 f, Paris 1981.
Raikas, Kauko K.: Audientia episcopalis. Problematik zwischen Staat und Kirche bei Augustin,
Augustinianum 37 (1997), 459–481.
Rapp, Claudia: Holy Bishops in Late Antiquity. The Nature of Christian Leadership in an Age of
Transition, Berkeley u. a. 2005.
(Übersetzt von Frithjof Rittberger) Daniel Edward Doyle
Augustins Leben ist von Kindheit an von Liturgie geprägt gewesen. Bereits als Kind
wurde er Katechumene, und auch als Student hat er immer wieder Gottesdienste
besucht. In seiner Zeit als manichäischer auditor (Hörer) hat er sicherlich Kontakt zu
manichäischen Liturgien gehabt und ist mit manichäischen Psalmen vertraut gewe--
sen. In Mailand hat er, auch schon vor der Taufe, die Gottesdienste des Ambrosius
besucht, eigentlich wegen der Predigten. Ab der Taufe hat er sicherlich regelmäßig
am Gottesdienst teilgenommen, seit seiner Weihe zum Priester ca. 391 meistens in
liturgischer Funktion. Augustins Tätigkeit als Schriftsteller, Kirchenpolitiker oder als
derjenige, der die audientia episcopalis (Bischofsaudienz) und eine ausufernde Korre--
spondenz zu bewältigen hat, bewegt sich also immer ›zwischen den Gottesdiensten‹.
Der Umgang mit der Bibel, besonders den Psalmen, dürfte von der liturgischen Ver--
wendung dieser Texte in der Liturgie tief geprägt gewesen sein.
Einen Begriff, der dem entspricht, was man heute unter ›Liturgie‹ versteht, gibt es im
Lateinischen so nicht. Augustin kennt das griechische Fremdwort liturgia, ungefähr
synonym mit λατρεία (beides bedeutet eigentlich Dienst), und übersetzt es mit ministe--
III. Entwicklungen – 1. Liturgie bei Augustin 5
rium uel seruitium religionis (mit der Religion verbundener Dienst; vgl. en. Ps. 135,3),
doch benutzt er das Fremdwort fast nie. Wenn Augustin von dem spricht, was heute
›Liturgie‹ genannt wird, gebraucht er verschiedene Worte, insbesondere cultus, was
sowohl die liturgische Verehrung Gottes (oder auch die heidnische Verehrung von
Göttern) als auch die gesamte Lebenseinstellung Gott gegenüber bedeuten kann (vgl.
Klöckener, Cultus). Dieser Zusammenhang ist für das Denken Augustins insge--
samt wesentlich: In der Liturgie drückt sich die Frömmigkeit aus, die das ganze Leben
eines Christen prägen soll. An den Platonikern kritisiert Augustin dementsprechend,
daß ihr philosophisches Denken nicht mit der Art und Weise ihrer Religionsaus--
übung übereinstimmt (vgl. uera rel. 8 f). Für das liturgische Begehen von Festen und
Gottesdiensten verwendet Augustin besonders celebratio (Feier) oder celebrare (fei--
ern). Gegenstand sind die Feste und die damit verbundenen Heilsdinge, die Augu--
stin besonders sacramenta oder mysteria (beides wörtlich: [heilige] Geheimnisse)
nennt. Beide Begriffe, auch im Singular gebraucht, bezeichnen etwas Geheimnisvol--
les, das für das Heil relevant ist. Von diesem allgemeinen Gebrauch beider Begriffe,
die sich auf die Inkarnation oder das Kreuzesgeschehen genauso beziehen können
wie auf die Gerechtmachung der Gläubigen oder die Verleihung des Heiligen Gei--
stes, ist der spezifische Gebrauch von sacramentum zu unterscheiden, der mit der
Zeichenfunktion verbunden ist: Sacramentum est autem in aliqua celebratione, cum
rei gestae commemoratio ita fit, ut aliquid etiam significari intellegatur, quod sancte
accipiendum est (Ein Sakrament aber besteht in einer bestimmten Feier, wenn die
Erinnerung an eine geschehene Tatsache so geschieht, daß dem Verstehen nach auch
etwas anderes bezeichnet wird, was in frommer Haltung anzunehmen ist; ep. 55,2).
In diesem spezifischen Sinn kann Augustin auch das Osterfest, die Ölung oder das
Fasten als sacramenta bezeichnen. Im Hinblick auf die lokal verschiedenen Gewohn--
heiten unterscheidet Augustin zwischen den sacramenta, die durch die Bibel begrün--
det sind, und den non scripta sed tradita (nicht biblisch, sondern durch die Tradi--
tion begründeten ›Sakramenten‹). Unter den biblisch begründeten sacramenta ver--
steht Augustin in erster Linie die Taufe und die communicatio corporis et sanguinis
(die Teilhabe an Leib und Blut [scil. Christi]) (vgl. ep. 54,1). Bei den durch die Tradi--
tion begründeten unterscheidet er fernerhin zwischen den universal gebräuchlichen,
die durch die Apostel bzw. durch Plenarkonzilien begründet sind, etwa die Hauptfe--
ste des Kirchenjahres, und denjenigen Gewohnheiten, die regional unterschiedlich
sind, etwa Regelungen hinsichtlich der Fastenzeit (vgl. ep. 54,1 f). Die Betonung des
Zeichencharakters führt dazu, daß die Abstände bestimmter Feste im Kirchenjahr
als in sacramento (in einem ›Sakrament‹ bestehend) verstanden werden, wohinge--
gen die schlichte Wiederkehr des Tages der Geburt des Herrn (B. III. 12.4.) nur als
memoria (Gedächtnis) bezeichnet wird (vgl. ep. 55,2).
Augustin mißt den sacramenta eine fundamentale Bedeutung für die Gemein--
schaft der Kirche zu: In nullum autem nomen religionis, seu uerum, seu falsum, coagu--
lari homines possunt, nisi aliquo signaculorum uel sacramentorum uisibilium consortio
colligentur (Menschen können aber zu keiner religiösen Denomination, sei es, einer
richtigen, sei es, einer falschen, zusammengefügt werden, wenn sie nicht durch eine
B. Person
Aus verschiedenen, verstreuten Nachrichten ergibt sich ein Bild des Meßgottesdien--
stes, wie er insbesondere am Sonntag gefeiert worden ist. Grundstrukur ist die in
der Alten Kirche fast überall anzunehmende Zweiteilung des Gottesdienstes in einen
Wortgottesdienst, bei dem die Türen der Basiliken jedermann offenstanden: Chri--
sten ebenso wie Katechumenen oder auch Heiden, und den sakramentalen Teil, zu
dem die Türen geschlossen wurden, während Türhüter Eintretende abzuhalten hat--
ten, vielleicht indem sie sie daraufhin befragten, ob sie getauft seien. Nur die getauf--
ten Christen gingen zum Tisch des Herrn. Und nur die Getauften und die Täuflinge
erlebten in der Ostervigil (B. III. 12.3.) den Taufritus.
Beide Teile, Wort- und Sakramentsgottesdienst, wurden in der Regel vom Bischof
geleitet. Dieser zog am Anfang, begleitet von seinen Klerikern, in die Kirche ein und
nahm in der Mitte der Apsis auf der cathedra (dem Bischofsstuhl) Platz, links und
rechts umrahmt von den Priestern. Die Steinbänke, auf denen die Priester saßen,
und der Bischofsstuhl sind in vielen Kirchen Nordafrikas noch archäologisch nach--
weisbar. Eine Kanzel scheint es nicht gegeben zu haben (vgl. Duval, Commentaire
179–190). Diakone, Witwen und Jungfrauen hatten ihre eigenen Plätze, ob es eine
durchgängige Trennung der Geschlechter gegeben hat, ist nicht sicher, eher zweifel--
haft (vgl. Duval, Commentaire 190–193). Der Bischof war wie seine Kleriker nicht
besonders reich gekleidet, eine einfache weiße Tunika mit dem darüberliegenden
offenen Mantel war, jedenfalls bei Augustin, wohl die Regel. Er hatte bereits eine
morgendliche Audienz hinter sich, bevor er sich noch einmal zum Gebet und zur
Vorbereitung der Predigt zurückzog und dann in die Kirche einzog (vgl. ciu. 22,8;
826 / 435–448).
Die Gemeinde war an dem gottesdienstlichen Geschehen besonders durch Gesang
und Gebet beteiligt. Im Laufe des donatistischen Schismas hatten sich unterschied--
III. Entwicklungen – 1. Liturgie bei Augustin
(eventuell in einer kurzen schlichten Fassung) in der Liturgie ihren Platz, sicher ist
ein Gebet für die Verstorbenen und Gedenken der Märtyrer und herausragender Hei--
liger. Zur Austeilung wurden vielleicht Psalmen gesungen. Ausgeteilt wurden Brot
und Wein mit den Spendeworten corpus bzw. sanguis Christi (Leib bzw. Blut Chri--
sti) und der jeweiligen Antwort Amen (vgl. s. 272; c. Faust. 12,10). Danach ging der
Gottesdienst (vermutlich mit einem kurzen Dankgebet und sicherlich dem Segen)
rasch zuende (vgl. zum Ablauf des Herrenmahls insgesamt Klöckener, Hochge--
bet 482–493).
Ostern als der Tauftermin schlechthin war auch in Hippo der Höhepunkt des gesam--
ten Kirchenjahres. Wenn man ansieht, wie Augustin seine vielen Reisen geplant hat,
dann fällt auf, daß er zu Ostern meistens doch wieder in Hippo war. Davon gibt
es nur sehr wenige Ausnahmen. Der Grund hierfür dürfte darin liegen, daß der
Bischof die Person war, die die Aufnahme der Katechumenen in die volle Gemein--
schaft der Kirche zu vollziehen hatte. Zu Ostern war der Bischof am wenigsten ent--
behrlich. Dies galt nicht nur für die Taufe selbst, sondern auch für die Vorbereitung
der Taufbewerber, die auch als catechizandi (›zu Unterrichtende‹, also Katechume--
nen) bezeichnet wurden.
Am Beginn des Katechumenats wurde derjenige, der getauft werden wollte, mit
dem Kreuzeszeichen auf der Stirn versehen (vgl. Io. eu. tr. 11,3 f), später wurde er auf
die Liste der competentes (der Taufbewerber) gesetzt (vgl. s. 216,1), was vermutlich mit
einer Handauflegung (als Zeichen der Verleihung des Heiligen Geistes) verbunden
war. Die Zeit als competens (Taufbewerber) war geprägt von Fasten und Exorzismen.
Erst acht Tage vor der Taufe (vgl. s. 213,11) bekamen die Katechumenen die Unterwei--
sung in den zentralen Glaubensinhalten. Diese Phase wurde eingeleitet durch einen
Gottesdienst, in dem den Taufbewerbern das Glaubensbekenntnis übereignet wurde
(vgl. s. 212–215). In weiteren Gottesdiensten wurden ihnen das Vaterunser (vgl. s. 56–
59) und wohl auch der Taufritus erläutert (letzteres belegt zumindest s. Denis 6 [=
s. 229], wobei die Echtheit dieser Predigt umstritten ist). Glaubensbekenntnis und
Vaterunser haben die Taufbewerber dann, kurz vor der Taufe, ›zurückgegeben‹, also
vor der Gemeinde aufgesagt. Dies war vermutlich wiederum mit Exorzismen ver--
bunden (vgl. Klöckener, Exorcismus 1190 f).
Zu Ostern selbst wurde in der Nacht von Karsamstag auf Ostersonntag getauft (vgl.
van der Meer 379–397). Die Vigil, ein Gottesdienst zur Zeit der uigiliae (Nachtwa--
che), ist geprägt von langen Lesungen (unter anderem dem Anfang der Genesis, der
Exodusgeschichte, dem Mirjamlied usw.). Gegen Morgen folgte dann wahrscheinlich
eine letzte Absage an den Teufel (vgl. s. 215,1), dann das Hineinsteigen in das Tauf--
becken, die in drei Teile gegliederte Frage Credis in deum patrem ... (Glaubst Du an
Gott den Vater ...?), entsprechend für den Sohn und den Heiligen Geist, worauf der
Täufling jeweils antwortet: Credo (Ich glaube). Jeder Täufling wurde dreimal unter--
getaucht, wobei die Taufbecken einem stehenden Erwachsenen etwa bis zur Hüfte
III. Entwicklungen – 1. Liturgie bei Augustin
reichten. Auch kleine Kinder und Säuglinge, die noch nicht selbst antworten können,
wurden gebracht (vgl. s. 294,11 f). Danach folgten eine Salbung mit Öl und die Hand--
auflegung, verstanden als die eigentliche Geistverleihung. Unmittelbar am Ostersonn-
tag nahmen die Getauften erstmalig an dem Meßgottesdienst teil.
Ostern ist, auch durch die feierliche Taufe in der Osternacht, der Höhepunkt des
Kirchenjahres zu Augustins Zeiten. Zu ihm gehören die vierzigtägige Fastenzeit vor
und die fünfzigtägige Freudenzeit danach. In der Osterwoche haben der Gründon--
nerstag mit der Fußwaschung und dem Herrenmahl (analog zur Einsetzung am
Vorabend des Kreuzigungstages) und der Karfreitag herausragende Bedeutung. Mit
Ostersonntag beginnt die Osteroktav, die Woche von Ostersonntag bis zum nächsten
Sonntag, die besonders feierlich begangen wird. Christi Himmelfahrt und Pfingsten
schließen diese Zeit dann ab.
Die besondere Bedeutung des Osterfestes für Augustin erhellt daraus, daß er von
dem Fragenkatalog eines ansonsten unbekannten Ianuarius, der sich mit verschie--
denen liturgischen Fragen beschäftigte, die Frage nach dem Termin des Osterfestes
mit Abstand am ausführlichsten bespricht (vgl. ep. 55). Ostern ist, angelehnt an die
Bedeutung des hebräischen Wortes ( ֶפּסַחPassah), zu deuten als transitus (Übergang)
vom alten zum neuen Leben. Christus ist diesen Weg vorangegangen, die Christen
gehen ihn durch die Erneuerung des inneren Menschen nach. Von hier aus ergibt
sich eine symbolische Bedeutung des Zusammenhangs mit dem Mondzyklus, denn
dabei symbolisiert der abnehmende Mond das allmähliche Zurückdrängen des äuße--
ren, alten Menschen und der zunehmende Mond den Beginn des neuen Lebens. Die
Bindung des Ostertermins an die dritte Woche des Mondzyklus (zwischen dem 14.
und 21. Tag) symbolisiert durch die Kombination von Drei- und Siebenzahl eine
gewisse Vollkommenheit. Diese Beachtung des Mondzyklus darf Augustin zufolge
nicht als eine besondere, eventuell gar zu verehrende Dignität des Mondes verstan--
den werden, vielmehr ist der Mond – wie alle Bestandteile der Schöpfung – nur Ver--
weis auf eine dahinterliegende Bedeutungsebene. Entsprechend ist auch die Bindung
des Ostertermins an den Sonntag symbolisch zu verstehen. Sie hängt mit dem Sabbat
zwischen Karfreitag und Ostersonntag zusammen: Der Samstag als Sabbat symbo--
lisiert die requies (Ruhe), die Christus schon erreicht hat und die als Ziel des christ--
lichen Lebens aussteht. Die Grabesruhe wird somit zum Inbegriff eschatologischer
Erlösung. Der Sonntag ist als der achte Tag nach dem Sabbat zugleich der erste Tag
der neuen Woche, also Symbol des neuen Lebens. Die 40 Tage vor Ostern erhalten
auf diese Weise ebenso eine symbolische Bedeutung wie die 40 Tage bis Himmel--
fahrt und die 50 Tage zwischen Ostern und Pfingsten. Die 40 Tage verweisen auf die
Vierzahl, die in einer Fülle von Bezügen des diesseitigen Lebens wichtig ist. Sie wer--
den durch die 50 Tage der österlichen Freudenzeit überboten, die der Zeit zwischen
Exodus und der Gabe des Gesetzes am Sinai entsprechen. Innerhalb der 50 Tage
haben die ersten acht Tage besondere Bedeutung, an allen 50 Tagen wird das Alleluia
0 B. Person
Das liturgische Leben der Gemeinde von Hippo beschränkte sich natürlich nicht
auf die Gottesdienste und die großen Feste des Kirchenjahres. Hierneben gab es
eine Vielzahl weiterer liturgischer Begebenheiten, etwa eine Form von Tagzeitenge--
beten. Über die Einzelheiten der Rituale, die anläßlich einer christlichen Bestattung
gefeiert wurden, ist nur wenig Sicheres bekannt (vgl. Klöckener, Cura mortuorum
178 f). Das Hauptproblem scheint jedoch der traditionelle (auch in der heidnischen
Bevölkerung verbreitete) Brauch gewesen zu sein, an den Gräbern der Verstorbenen
Gedenkmähler zu feiern, die immer wieder auch in exzessive Feiern ausarteten. Die--
sem Mißstand wehrt Augustin verschiedene Male (vgl. Klöckener, Festa 1286 f).
Daß die Kirchen zugleich strikt zwischen der Beisetzung von Getauften und Unge--
tauften unterschieden, zeigt s. Dolbeau 7, wo Augustin, nachdem er die eigentlichen
Ausführungen seiner Predigt schon beendete hatte, in einem Nachtrag auf die For--
derung einer einflußreichen Familie seiner Gemeinde eingeht, ein jung verstorbe--
nes Mitglied ihrer Familie an einer christlichen Stätte zu bestatten (der junge Mann
III. Entwicklungen – 1. Liturgie bei Augustin 1
war schon Katechumene und war wohl unerwartet plötzlich gestorben). Die Aus--
grenzung der Nichtgetauften dauert also über den Tod hinaus. Umgekehrt wurde der
getauften Verstorbenen explizit im Gebet gedacht (vgl. s. Dolbeau 7,4; cura mort. 1),
unter anderem auch im Zusammenhang der Eucharistiefeier (vgl. cura mort. 3) (vgl.
Klöckener, Forschung 161–163).
Besonderes Gedenken wurde den Märtyrern zuteil. Eine große Fülle von Pre--
digten Augustins zeigt, daß fast in jedem Monat mehrere Märtyrerfeste begangen
wurden. Viele der Märtyrer gehörten ursprünglich gar nicht nach Hippo, sondern
nach Karthago oder andere Orte. Besondere Bedeutung hatten Perpetua und Feli--
citas, die Scillitaner und Cyprian (der einzige, bei dem auch der dies natalis gefeiert
wurde), gefolgt von den Lokalheiligen Theogenes und dem Bischof Leontius. Aber
auch etwa Vincentius aus Saragossa in Spanien oder Protasius und Gervasius aus
Mailand wurden verehrt (vgl. s. 274–277). Hinzu kamen die Heiligenfeste biblischer
Heiliger, etwa von Petrus und Paulus (29. Juni), Johannes dem Täufer (Geburt am
24. Juni, Enthauptung: 29. August) und Stephanus (26. Dezember). Klöckener stellt
den Heiligenkalender, der sich aus dem augustinischen Œuvre ergibt (teilweise nur
für Karthago belegt), wie folgt zusammen (vgl. Klöckener, Festa 1303):
Januar: 11. Salvius, 21. Agnes / Fructuosus, Augurus, Eulogius, 22. Vincentius,
25. Agilaeus, 25. / 26. Theogenes
Februar: 2. Carterienses, 12. (?) Abitinenses
März: 7. Perpetua und Felicitas
April: –
Mai: 4. Leontius, 6. Marianus und Iacobus, 22. Castus und Aemilius
Juni: 19. Protasius und Gervasius, 24. Johannes der Täufer (Geburtstag),
27. Guddenis, 29. Petrus und Paulus
Juli: 15. Catulinus, 17. Scillitani, 22. Märtyrer aus Maxula, 30. Märtyrer aus
Thuburbo
August: 1. Makkabäer, 6. Sixtus, Bischof von Rom, 10. Laurentius, 18. Märty--
rer aus Massa Candida, 21. Quadratus, 26. (?) Victor, 29. Restitutus und
Johannes der Täufer (Enthauptung)
September: 13. / 14. Cyprian
Oktober: 17. Volitani
November: 1. (?) Acht Märtyrer, 6. (?) Felix, 15. Zwanzig Märtyrer
Dezember: 5. Crispina, 10. Eulalia, 26. Stephanus.
Mißbrauch Augustin vorzugehen versuchte (vgl. ep. 22; vgl. Saxer 133–149), schließ--
lich auch vielfältige Formen der Reliquienverehrung, etwa der Bestattung möglichst
in der Nähe von Reliquien und Märtyrergräbern. Man wird sich vorstellen dürfen,
daß sich diese Formen der Volksfrömmigkeit mit einer weit verbreiteten Wunder--
gläubigkeit verbanden. Einen reichen Einblick in die Wunderfrömmigkeit seiner Zeit
gibt Augustin in ciu. 22,8 (vgl. Saxer 170–278). Insgesamt wird man jedoch sagen
müssen, daß Augustin solchen Vorkommnissen eine erbauliche Funktion zumes--
sen kann und sie auch als Bischof hier und da unterstützt (und zugleich kanalisiert)
hat, daß die Beschäftigung mit Wundern für ihn insgesamt aber eine eher unterge--
ordnete Bedeutung gehabt hat.
Klöckener, Martin: Die Bedeutung der neu entdeckten Augustinus-Predigten (Sermones Dol--
beau) für die liturgiegeschichtliche Forschung, in: Madec, Goulven (Hg.): Augustin prédi--
cateur (395–411). Actes du Colloque International de Chantilly, 5–7 septembre 1996, Collec--
tion des Études Augustiniennes. Série Antiquité 159, Paris 1998, 129–170.
— Das eucharistische Hochgebet bei Augustinus. Zu Stand und Aufgaben der Forschung, in:
Zumkeller, Adolar (Hg.): Signum Pietatis. Festgabe für Cornelius Petrus Mayer zum 60.
Geburtstag, Cassiciacum 40, Würzburg 1989, 461–495.
— Art. Festa sanctorum et martyrum, Augustinus-Lexikon 2 (1996–2002), 1281–1305.
van der Meer, Frederik: Augustinus der Seelsorger. Leben und Wirken eines Kirchenvaters,
3., verbesserte und ergänzte Auflage Köln 1958.
Volker Henning Drecoll
Vor seiner Taufe kannte Augustin bereits bestimmte, innerhalb und außerhalb
der katholischen Kirche praktizierte Formen der Askese. Seine neun Jahre (vgl. conf.
5,10) als manichäischer auditor (Hörer; vgl. c. Faust. 3) machten ihn mit der mani--
chäischen Askese bekannt, die in der Theorie von den electi (den Erwählten) stren--
ger eingehalten wurde. Zu diesen Praktiken zählten sexuelle Enthaltsamkeit und der
Verzicht auf die Ehe (vgl. c. Faust. 30,4), auf die Zeugung von Kindern, auf Besitz
(vgl. mor. 1,78), Wein und Fleisch (vgl. c. Faust. 16,31; 20,13; mor. 2,68) sowie ver--
schiedene Obst- und Gemüsesorten (vgl. c. Faust. 30,5). Die manichäischen Askese--
praktiken hatten ihren Ursprung in einer Anthropologie, die in einer streng dualisti--
schen Weltsicht wurzelte. Das eigentlich Wertvolle am Menschen war seine spiritu--
elle Seite, vorgestellt als Lichtelemente, die in der Materie und dem Körper gefesselt
waren und deren Gefangenschaft durch die Körperfunktionen wie Fortpflanzung,
Verdauung usw. prolongiert wurde. Enthaltsamkeit hinsichtlich des Geschlechts--
triebes zielte also darauf, nicht die Ausläuterung der Lichtelemente zu verhindern.
In ähnlicher Weise hatten die Manichäer die Vorstellung, daß Lebensmittel mit vie--
len Lichtelementen nicht oder nur so gering als nötig konsumiert werden sollten.
Manichäern, die zu den Erwählten zählten, war es verboten, Lebewesen (einschließ--
lich Pflanzen) zu töten und zu Lebensmitteln zu verarbeiten. Sie mußten siebenmal
am Tag beten und ungefähr ein Viertel des Jahres fasten. Die Hörer innerhalb der
Sekte hielten sich an weniger strenge Askeseregeln. Beispielsweise durften sie heira--
ten, obwohl sie zur Kinderlosigkeit angehalten wurden. Als Bischof bekämpfte Augu--
stin später die manichäischen Askeseregeln wie das Verbot der Ehe (vgl. mor. 2,65),
des Besitzes und das Verbot von Wein- oder Fleischgenuß (vgl. mor. 2,51 f), der in
seinem Bischofskloster erlaubt war (vgl. Possidius, Vita Augustini 22,2; er selbst ver--
zichtete allerdings auf beides). Zudem meinte er, daß übermäßiges Fasten vermieden
werden sollte (vgl. mor. 1,70 f; ep. 36,25), und kritisierte die manichäischen Erwähl--
ten, weil sie an Sonntagen fasteten (ep. 36,28 f; 236,2). Als Bischof verfaßte er sogar
einen Traktat über den Nutzen der Ehe, b. coniug. Indem diese Schrift sich vorgeblich
gegen Jovinians Verurteilung der geweihten Jungfräulichkeit wandte, kritisierte sie
implizit einige der strengeren Auffassungen der Ehe, die in christlichen und nicht--
christlichen Kreisen seiner Zeit kursierten und von denen manche sogar aus der
Feder von Hieronymus stammten (B. II. 8.).
Während seiner Zeit in Mailand, unmittelbar vor seiner Bekehrung und Taufe,
lernte Augustin eine Askese kennen, die mit einem christlich geprägten Platonis--
mus verknüpft war, wie er etwa von Marius Victorinus und Ambrosius vertreten
wurde. Mit diesem philosophischen Einfluß stimmt sein hierarchisches Verständ--
nis der Welt überein, nach dem das Ziel des Menschen ein rationaler, geregelter
Aufstieg vom materiellen ins geistliche Reich war. Er erkannte an, daß dieser idea--
lisierte, geistliche Aufstieg eine schrittweise Loslösung von der sichtbaren, materi--
ellen Wirklichkeit voraussetzte, begleitet von einer immer grenzenloseren Liebe zu
geistlicher Schönheit, die in Gott ihren Höhepunkt findet (vgl. ord. 1,27; an. quant.
70–77). Augustins Bewegung weg vom manichäischen Materialismus hin zum pla--
tonischen Idealismus ging einher mit einem Wechsel von körperlichen zu geistigen
B. Person
Formen asketischer Disziplin, einschließlich der Lektüre der heiligen Schrift (vgl.
beata u. 1–4; ep. 20,3; vgl. Stock 69–74.228; O’Connell, Art 10–27). Die Bedeutung,
die diese Philosophie dem Rückzug von sinnlicher Zerstreuung beimaß, in Verbin--
dung mit Zeiten der Einsamkeit und des inneren Schweigens (vgl. ord. 1,3), wurde
von ihm übernommen. Während des Aufenthalts in Cassiciacum in der Nähe von
Mailand wählten er und eine kleine Gruppe von Familienmitgliedern und Freunden
diesen Lebensstil (B. III. 4.). Später in Rom, auf seinem Weg zurück nach Afrika,
beobachtete Augustin diese Art der geistlichen Praxis bei Mönchen, die nach östli--
chem Vorbild lebten. Er kam zu dem Schluß, daß ihr innerer Friede nur von seelsor--
gerlichen Aufgaben bedroht wurde. Insgesamt hatte Augustin den Eindruck, daß sie
die Bedrohungen von Sünde und Versuchung überwunden hätten (vgl. mor. 1,65–
70; Lawless 39–41; Coyle 410 f).
Augustin fand im Platonismus nicht die völlige Verachtung des menschlichen
Körpers, der er im Manichäismus begegnet war (vgl. Markus, Conversion 18 f;
Armstrong). Seine frühe Position, z. B. in mor. 1,7, daß der menschliche Körper ein
Instrument der Seele sei, zeugt von den positiveren neuplatonischen Auffassungen,
wie er sie bei Plotin fand (vgl. Plotin, Enneaden 1,4,14.16; 2,9,5,1–16; 4,7,1; 5,1,2). Fast
dasselbe ließe sich über den Einfluß der stoischen Philosophie auf Augustin sagen.
Diese war zwar ambivalent gegenüber dem menschlichen Körper, sah aber die Ver--
bindung von Körper und Seele in bezug auf die Stellung des Menschen in der Welt
positiver als die Manichäer (vgl. Miles 46–51). In den ersten zehn Jahren nach sei--
ner Taufe wandte sich Augustin wieder dem Bibelstudium zu, vor allem den pauli--
nischen Briefen (vgl. Acad. 2,5). Bei seiner Rückkehr nach Afrika im Jahr 388 grün--
dete er auf seinem Familiensitz in Thagaste sein erstes Kloster, wo er mit Freunden,
ebenfalls Laien, und seinem Sohn gemeinsam betete und studierte (vgl. ep. 126,7;
157,39; Possidius, Vita Augustini 3,1 f; Lawless 45–58; Zumkeller, Möchtum 67;
Gavigan 34). Unterdessen machten ihm sein Bibelstudium und weiteres Nach--
denken über die platonischen Prinzipien die allmähliche Entwicklung eines asketi--
schen Systems möglich, in dem er seine früheren, rigideren und optimistischeren
manichäischen und neuplatonischen Ansichten modifizierte. Gegen den Manichä--
ismus vertrat er die Position, daß die Menschen nicht mehr die Freiheit des Willens
besäßen, die Adam vor dem Sündenfall gekannt hatte. Augustin argumentierte, die
menschliche Natur sei im Sündenfall verdorben worden, so daß der Mensch bereit--
willig schlechte Gewohnheiten angenommen habe, von denen er sich selbst nicht
vollständig befreien könne (vgl. c. Fort. 22). Er begann, sich auf die Macht der con--
cupiscentia carnalis (der fleischlichen Eigendynamik bzw. Begierde; vgl. lib. arb. 3,53:
vgl. Bonner, Concupiscentia [AL]) in der menschlichen Seele zu konzentrieren und
vertrat die Theorie, der Tod sei eine Strafe für die Sünde Adams und Evas, die alle
Menschen erleiden müßten (vgl. Gn. adu. Man. 2,32; c. Faust. 22,78). Darüber hin--
aus stützte sich seine Haltung zur Askese während dieser Zeit nach und nach stärker
auf eine neue und sehr persönliche Deutung der Bekehrung und der Schriften des
Apostels Paulus (vgl. Drecoll, Gnadenlehre 144–250). Diese verstärkte Bedeutung
der paulinischen Schriften schimmert in Augustins asketischem Denken durch, z. B.
III. Entwicklungen – 1. Augustin als Asket und Mönch 5
wenn er in mor. 1,71 1. Kor 6,13 und 1. Kor 8,8 zitiert, um die manichäischen Speise--
vorschriften zu widerlegen.
Der Einfluß dieses neuen asketischen Paradigmas zeigt sich jedoch besonders
deutlich in den dramatischen Berichten über seine eigene Bekehrung in conf. 7 f,
die sich zum großen Teil auf eine Reihe von Bibelstellen stützen, die dem Corpus
Paulinum entstammen oder von Paulus handelten (allen voran Röm 7,22–25; zu
Röm 13,13 f B. III. 3.; vgl. sodann Apg 9; Eph 4,22–24; Kol 3,9 f; Gal 5,17; 2. Tim 2,4;
vgl. Frederiksen, Conversion; Lods 4–15). Augustin sah seine eigene Bekehrung
nun vorgebildet in der Bekehrung des Paulus, die er auch im Licht seiner eigenen
andauernden Kämpfe mit Sünde und Versuchung interpretierte (vgl. Simpl. 1,2,22;
conf. 10,45; vgl. Frederiksen, Conversion). Von dieser Zeit an bis zum Ende seines
Lebens interpretiert Augustin seine inneren Kämpfe und die anderer Christen nach
diesem paulinischen Muster (vgl. perseu. 53; vgl. Berrouard, Rom 7,7–25). Augu--
stins neue Haltung zur Askese läßt sich auch auf einen weiteren Wandel in seinem
Verständnis der paulinischen Schriften zurückführen, der in Simpl. sichtbar wird.
In diesem Werk vertritt Augustin den Standpunkt, jede Neigung der menschlichen
Seele zum moralisch Guten und zur Heiligkeit sei ausschließlich die Folge einer vor--
ausgehenden göttlichen Initiative. Augustin radikalisiert sein Verständnis von 1. Kor
4,7. Die Gnade sei notwendig, um Sünde zu vermeiden und Tugend zu üben (vgl.
Simpl. 1,2,9; vgl. Hombert, Gloria gratiae).
Diese allmähliche Erosion des geistlichen Optimismus, der Augustins Schriften
vor 395 kennzeichnete, hatte Konsequenzen für seine Haltung zur Askese. Er glaubte
nicht mehr, auch nicht für eifrige Gläubige, an die Möglichkeit eines geregelten Fort--
schritts im geistlichen Leben, in dem schließlich die Freiheit von Sünde und Versu--
chung oder von ungeordneten Leidenschaften erreicht werden könnte. Seine Rat--
schläge für geweihte Jungfrauen in der Schrift uirg. zeigen, daß sich seine Erwartung,
wie innerer Friede zu erreichen sei, geändert hatte (vgl. uirg. 51) – verglichen mit dem,
was er 387 über die Mönche in Rom gedacht hatte (vgl. mor. 1,69). Er wandte sich von
dem starken moralischen Optimismus und dem Vertrauen in die Macht der mensch--
lichen Entscheidungsfreiheit bei der Wahl des moralisch Guten ab, das er von den
Platonikern übernommen hatte. Ebenso glaubte er nicht mehr an die Möglichkeit,
daß Menschen eine wirklich gerechte Sozialordnung errichten könnten (vgl. Brown,
Augustine 158–181; Markus, Conversion). Er nahm nun die Haltung ein, das ideale
christliche Leben sei als eine lebenslange Buße für Sünden zu verstehen, die nicht
gänzlich überwunden werden könnten (vgl. Rebillard 160–164). Als Folge dieser
neuen Betonung der völligen Abhängigkeit der Seele von der Gnade, um das mora--
lisch Gute zu vollbringen, hob Augustin die Notwendigkeit der Demut als der für die
Askese zentralen Tugend hervor (vgl. uirg. 51–57; ep. 211,6; op. mon. 33).
Als Valerius, der Bischof von Hippo, Augustin zum Presbyter ordinierte, erlaubte
er ihm, ein Kloster in einem kircheneigenen Garten zu errichten (vgl. s. 355,2; Possi--
dius, Vita Augustini 5,1). Mit Ausnahme Augustins waren die Mitglieder dieser klö--
sterlichen Gemeinschaft während ihres Aufenthalts dort Laien. Eventuell hat Augu--
stin für dieses Kloster den Text geschrieben, der als Praeceptum (Vorschrift) erhalten
B. Person
ist (= reg. 3; zu den Texten, die als Augustinregel bekannt sind, D. II.). Als Augu--
stin Bischof wurde und in das Bischofshaus umzog, gründete er dort ebenfalls ein
Kloster, dieses Mal für die Kleriker, die ihn bei den seelsorgerlichen Aufgaben in
seiner Diözese unterstützten (vgl. s. 355,2; vgl. Zumkeller, Mönchtum 83; Wuche--
rer-Huldenfeld 209 f). Nach Augustins Anordnung mußten alle Kleriker seiner
Diözese in diesem Kloster leben, sexuelle Enthaltsamkeit üben und ihren Besitz
miteinander teilen (vgl. s. 356,14; vgl. Grote 35 f; Lawless 62). Dem entsprach, daß
umgekehrt aus dem von ihm als Priester gegründeten Kloster immer wieder Mönche
auch zu Klerikern geweiht wurden (vgl. Possidius, Vita Augustini 11,1). Da er nicht
in jedem Fall den vollständigen Rückzug wollte (vgl. s. 339,4; c. Faust. 22,57), for--
derte er von seinen Mönchen apostolische Arbeit (vgl. op. mon. 33; vgl. Grote 36–
41; Zumkeller, Mönchtum 245). Später gründete er in Hippo das erste Frauenklo--
ster in Nordafrika, dem seine Schwester als Oberin vorstand (vgl. ep. 211,4; Possi--
dius, Vita Augustini 26,1; vgl. Gavigan 30.54 f), sowie zwei weitere Männerklöster
(vgl. s. 356,15; vgl. Lawless 62).
Augustins Klosterideal wies manche Parallelen zum Lebensstil der östlichen Mön--
che in Rom 388 / 389 auf (vgl. Grote 17–31). Gütergemeinschaft, Keuschheit und Hei--
ligung, die Geist und Herz auf Gott ausrichten sollen (vgl. mor. 1,67; op. mon. 37, vgl.
reg. 3 1), sind die Kennzeichen dieses Ideals, aber auch Gebet zu festen Tageszeiten,
das Lesen der Schrift, ernsthafte Gespräche über geistliche Themen und Bedeutung
der Hygiene (vgl. Lawless 40) stellen weitere Parallelen dar. Frauen wurden nur in
Begleitung empfangen, selbst im Bischofshaus; auch Haushälterinnen o. ä. durften
nicht in den Klöstern oder im selben Haus wie die Kleriker wohnen, schon um jeg--
lichen Verdacht auszuräumen (vgl. Possidius, Vita Augustini 26,1–3). Um das Jahr
400 schrieb Augustin op. mon., einen Traktat, in dem er das Verhalten einiger Wan--
dermönche in Karthago kritisierte, die an allen möglichen öffentlichen Orten bet--
telten, sich weigerten, für ihren Lebensunterhalt zu arbeiten und die Körperpflege
vernachlässigten. Dieser Traktat zeigt weitere Aspekte der asketischen Mäßigung
Augustins und sein Bekenntnis zur positiven Rolle körperlicher Arbeit im christli--
chen Leben.
Mit anderen Kirchenvätern bejahte Augustin die Bedeutung der traditionellen
Trias asketischer Praxis für das Leben aller Christen, ob ehelos oder verheiratet:
Gebet, Fasten und Almosengeben. Augustin unterstützte das Fasten aus verschiede-
nen Gründen, betonte aber vor allem seinen Nutzen für die Stärkung des Gläubi--
gen gegen Versuchung und unerlaubte Begierden (vgl. mor. 1,71; Io. eu. tr. 17,4; util.
ieiun. 3; vgl. Kennedy). Besonders forderte er das Fasten während der Passions--
zeit (vgl. s. 205–210). Nach seinem weitgefaßten Verständnis vom Almosengeben
zählten dazu: den Armen Güter oder Geld zu schenken, gute Werke zum Nutzen
anderer zu tun und anderen ihre Missetaten zu vergeben (vgl. s. 106,4). Er glaubte,
daß das Gebet das Verlangen nach Gott, der einzigen Quelle ewiger Glückseligkeit
(vgl. en. Ps. 37,14), wecke und stärke. Augustin nahm im wesentlichen eine gemä--
ßigte Position zu jeder dieser asketischen Praktiken ein (vgl. zum Fasten: quod raro
facimus / was wir selten tun; s. 125,7; vgl. ep. 36,3; s. 210,9; vgl. zum Almosengeben
III. Entwicklungen – 1. Beschäftigung mit dem Bibeltext
ep. 243,12; s. 85,5; vgl. zum Gebet ep. 130,20). Für ihn war jede Praxis ein Mittel, den
Christen zu tieferer geistlicher Übung zu ermutigen, besonders zur Versöhnung mit
Gott und dem Nächsten und zur Liebe zu ihnen (vgl. s. 205,3).
Die von ihm gegründeten oder beaufsichtigten Klöster machte Augustin schnell
zu einem Zentrum, aus dem eine Reihe von Bischöfen hervorgingen (Possidius, Vita
Augustini 11,2 f nennt sogar zehn Bischöfe, leider, ohne sie aufzuzählen). Daß theo--
logische Diskussion und Beschäftigung mit der Bibel zu Augustins Vorstellung von
klösterlichem Leben gehörten, zeigt schon der Umstand, daß die exp. prop. Rm. auf
im Kloster geführte Diskussionen zurückgehen. Dies war sicher auch an anderen
Orten der Fall (wie die Hadrumetumkontroverse zeigt, C. I. 8.5.–6.; vgl. Renatus
in ep. 23* und Petrus und Abraham in ep. 184 A). Augustin bemühte sich aber, in den
Klöstern seines Einflußbereiches einen besonders hohen Standard herzustellen. Dazu
sollte auch die Verbreitung guter Abschriften seiner Werke beitragen. Es ist daher
wohl kein Zufall, daß Possidius das Erbe Augustins beschreibt, indem er sagt: Cle--
rum sufficientissimum et monasteria uirorum ac feminarum continentibus cum suis
praepositis plena ecclesiae dimisit una cum bibliothecis libros et tractatus uel suos uel
aliorum sanctorum habentibus (Er hinterließ der Kirche einen außergewöhnlich star--
ken Klerus und volle Männer- und Frauenklöster mit ihren enthaltsamen Vorstehern,
zusammen mit den Bibliotheken, die Bücher und Predigten von ihm oder anderen
Heiligen enthielten; Possidius, Vita Augustini 31,7). Die Klöster Augustins waren ein
wesentlicher Multiplikator der augustinischen Vorstellungen über Askese.
Armstrong, Arthur H.: Neoplatonic Valuations of Nature, Body and Intellect. An Attempt to
Understand Some Ambiguities, Augustinian Studies 3 (1972), 35–59.
Cilleruelo, Lope: El monacato de San Agustín, Archivo Teológico Augustiniano 6, Vallado--
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Coyle, John K.: Augustine’s ›De moribus ecclesiae catholicae‹. A Study of the Work, its Compo--
sition and its Sources, Paradosis 25, Fribourg 1978.
Gavigan, John: De vita monastica in Africa septentrionali inde a temporibus sancti Augustini
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Grote, Andreas E. J.: Anachorese und Zönobium. Der Rekurs des frühen westlichen Mönchtums
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Lawless, George: Augustine of Hippo and his Monastic Rule, Oxford 1987.
Zumkeller, Adolar: Das Mönchtum des heiligen Augustinus, Cassiciacum 11, 2., neubearbei--
tete Auflage Würzburg 1968.
(Übersetzt von Elisabeth Steinweg-Fleckner) Robert Dodaro
den Arbeiten des Hieronymus am Bibeltext den Umgang mit der heiligen Schrift
nachdrücklich geprägt.
Wie Augustin selbst berichtet, nahm er lange Zeit Anstoß an Inhalt wie stilistischer
und sprachlicher Gestalt der Bibel, besonders des Alten Testaments (vgl. conf. 6,6).
Erst mit der Weihe zum Priester und Mitbischof und den daraus erwachsenden Auf--
gaben als Prediger und Seelsorger wurde ihm der Zustand des lateinischen Bibeltex--
tes und die Frage nach dem angemessenen Umgang mit ihm zum Problem, das eine
positive Sicht auf dessen Mängel und praktikable Lösungen forderte. Das Ergebnis der
Auseinandersetzung mit diesen Anforderungen ist die Schrift doctr. chr. (C. I. 11.),
in der er seine Erkenntnisse allen uolentibus et ualentibus (willigen und fähigen) Ver--
mittlern der Schrift, in erster Linie seinen Kollegen, an die Hand geben wollte. Wie
ein Blick auf die Chronologie des Briefwechsels mit Hieronymus (C. I. 13.) und die
Entstehung von doctr. chr. zeigt, ist ein großer Teil der Einsichten und Urteile Augu--
stins zum Thema Bibeltext, Textkritik und Übersetzung als negative und positive
Reaktion auf die Arbeiten des Kollegen im fernen Bethlehem anzusehen. Augustin
hatte den Kontakt mit ihm gesucht und 394 / 395 den Briefwechsel eröffnet. Die ersten
Übersetzungen des Hieronymus aus dem Hebräischen waren zu dieser Zeit bereits
erschienen und hatten die Besorgnis des Seelsorgers wie auch des Kirchenpolitikers
Augustin erregt, die ungewohnte Neuheit des Textes und die Beeinträchtigung der
Autorität des Septuagintatextes könnten Unruhe in den Gemeinden und eine Tren--
nung der westlichen Kirchen vom Osten verursachen (vgl. ep. 82,35; 71,4 f). Mit Nach--
druck lehnt er die Benutzung der hebraica ueritas (des hebräischen Urtextes) ab und
drängt – mit einer ironischen Replik auf Hieronymus’ Schlagwort – auf die Wieder--
herstellung der ueritas latina (der lateinischen Wahrheit), d. h. eines emendierten
lateinischen Textes, wie ihn Hieronymus in seiner Rezension nach der Hexapla bot,
verbessert mit Hilfe der griechischen Vorlage (vgl. ep. 71,6). Nahezu uneingeschränkt
lobt er die Rezension der Evangelien und bittet um den vollständigen Text der hexa--
plarischen Rezension des Alten Testaments (vgl. ep. 71,6; ep. 82,34). Dies ist ein Zei--
chen dafür, daß er die von ihm wie von Hieronymus beklagte Vielfalt der lateini--
schen Bibelversionen eingeschränkt und auf ihre Übereinstimmung mit dem grie--
chischen Original geprüft haben wollte.
Im zweiten Buch von doctr. chr. faßt Augustin zusammen, was er im Rahmen einer
angemessenen tractatio scripturarum (Behandlung der Schriften) an textkritischen
Arbeiten für notwendig hält. Diese sind jedoch nie philologischer Selbstzweck, son--
dern eingebettet in ein weitgespanntes System, das die von ihm geforderten Vorbe--
dingungen für jede Art Umgang mit der heiligen Schrift enthält. Was Augustin zum
Thema Textkritik im engeren Sinn zu sagen hat, ist in doctr. chr. 2,16–23 beschrieben,
III. Entwicklungen – 1. Beschäftigung mit dem Bibeltext
aber auch dieses nur als elementare, jedoch unabdingbare Voraussetzung zum Ver--
ständnis der Schrift. Textkritik, von Augustin mit der Vokabel emendatio (Verbesse--
rung) umrissen, dient dazu, die falsitas (die Fehlerhaftigkeit, gemeint sind die echten
Fehler der Übersetzer) auszuschließen, die durch Unkenntnis oder durch Mehrdeu--
tigkeit der Quellsprache entstanden sind. Diese sind zu korrigieren; allerdings zeigt
sich Augustin hier sehr zurückhaltend: Auf eine Korrektur kann verzichtet werden,
wenn der Kontext den Sinn erschließt. Nicht zu korrigieren sind auch stilistische
Mängel – Augustin nennt Barbarismen (falsche Wortform und / oder Rechtschrei--
bung) und Soloecismen (Fehler in der Syntax) – es sei denn, sie geben zu Mißver--
ständnissen oder Sinnentstellung Anlaß (vgl. doctr. chr. 2,19). Verstöße gegen den Stil,
so meint Augustin mit einem Seitenhieb auf Hieronymus, sind nur ärgerlich für die
Schwächeren im Glauben, die um so schwächer sind, je gelehrter sie sich vorkom--
men (vgl. doctr. chr. 2,20). Zur Erfassung des Schriftsinnes ist es die erste Voraus--
setzung, daß man nur emendierte Codices benutzt. Die Emendation gilt nur für die
Codices ex uno dumtaxat interpretationis genere uenientes (die aus einem Überset--
zungsstrang stammen; doctr. chr. 2,21), für heutige Textkritik eine Selbstverständlich--
keit, nicht aber für die Zeitgenossen Augustins. Er geht offenbar davon aus, daß diese
genera interpretationis (Übersetzungsstränge) auf unterschiedliche Übersetzungen
zurückgehen, und stellt fest, ut enim cuique primis fidei temporibus in manus uenit
codex Graecus et aliquantum facultatis sibi utriusque linguae habere uidebatur, ausus
est interpretari (daß nämlich jeder beliebige, dem in den ersten Zeiten des Glaubens
ein griechischer Codex in die Hände fiel und der sich einbildete, beide Sprachen eini--
germaßen zu beherrschen, sich an die Übersetzung wagte; doctr. chr. 2,16; B. II. 9.).
Als beste der interpretationes beurteilt er die, die er als Itala bezeichnet – wohl der
oberitalienische Text –, da sie sowohl uerborum tenacior (vergleichsweise wortge--
treu) als auch cum perspicuitate sententiae (mit Klarheit, was den Sinn angeht) ausge--
stattet sei (vgl. doctr. chr. 2,22). Aber welche lateinische Version man auch wählt, sie
muß mit griechischen Vorlagen verglichen werden, im Alten Testament mit Septua--
gintahandschriften, im Neuen Testament mit solchen Exemplaren, qui apud ecclesias
doctiores et diligentiores reperiuntur (die sich bei den gebildeteren und sorgfältigeren
Gemeinden finden; doctr. chr. 2,22), d. h. aus Gemeinden mit apostolischer Tradi--
tion. Nicht die philologische Qualität als solche macht den Wert einer Handschrift
aus, sondern ihre apostolische Autorität, wie auch die Septuagintaversion deswegen
den Vorrang vor dem hebräischen Original hat, weil sie durch ihre Entstehungsge--
schichte, d. h. die Inspiriertheit der Übersetzer, die damit zu uates (Propheten) wer--
den, zur unanfechtbaren Autorität für die Christen geworden ist.
Augustin sah die Predigt als einen wichtigen Bestandteil seiner Aufgaben als Bischof
an und stellte sie auch oft als Abtragung einer Schuld dar, die er bei der Gemeinde
hatte. Obgleich Augustin immer wieder betonte, wie schwer diese Verpflichtung auf
seinen bischöflichen Schultern lastete, genoß er durchaus seinen Erfolg als Prediger
(zur Predigt als Last und Genuß vgl. s. 339,1). Ihm war gleichwohl bewußt, daß in die--
sem Genuß stets die Gefahr des Hochmuts lauerte, uanitas (Eitelkeit) läßt den Predi--
ger schnell vergessen, daß der Erfolg seiner Rede völlig von Gottes Gnade abhängt.
Dementsprechend bittet Augustin seine Zuhörer in vielen Predigten, darum zu bit--
ten, daß Gott ihm sowohl die nötige Einsicht als auch die passenden Worte geben
möge (vgl. doctr. chr. 4,32). Schließlich sind es letztlich nicht die Worte eines Bischofs,
die die Zuhörer zur Einsicht bringen, sondern Gottes unsichtbares Wirken in ihrer
Seele. Augustin zitiert in diesem Zusammenhang gerne 1. Kor 3,7. Diese und ähnli--
che Gedanken entwickelt Augustin oft am Anfang seiner Predigten (als Beispiel vgl.
besonders s. 153,1). Sie fungieren dann zugleich auch als eine christliche Version des--
sen, was in der klassischen Rhetorik als Demutsbezeugung für die captatio beneuolen--
tiae (Gewinnung des Wohlwollens [scil. der Zuhörer]) üblich war.
Sowohl Possidius (vgl. Vita Augustini 7,3) als auch Augustin (vgl. en. Ps. 44,6; s. Fran--
gip. 5,6; s. 323,4) erwähnen Tachygraphen (Schnellschreiber), die die Predigten wäh--
rend des Vortrages aufzeichneten. Kopien dieser Notizen kamen größtenteils in die
Bischofsbibliothek von Hippo, wo sie zusammen mit Augustins anderen Werken her--
angezogen und kopiert werden konnten (vgl. Possidius, Vita Augustini 18,10). Eine
Anzahl von Predigten wurde von Augustin in größere Einheiten aufgenommen, die
ein Buch der Bibel zusammenhängend kommentieren (Io. eu. tr., ep. Io. tr. und en.
Ps.). Andere Predigten hat Augustin nicht zu einer größeren Einheit zusammenge--
faßt. Diese letzte Gruppe umfaßt auch Predigten, die wohl nie in der Bischofsbiblio--
thek von Hippo vorhanden waren.
Der Umfang des erhaltenen Materials entspricht dem Interesse, das Possi--
dius an der Predigt Augustins hat: Erhalten sind heute ungefähr 559 s. (oder 562
[C. I. 12. 3.1]), 54 (oder 51 [C. I. 12.2.1]) gepredigte Io. eu. tr., 10 ep. Io. tr. und 120
(oder 128 [C. I. 12.1.1]) gepredigte en. Ps. Alle diese Texte sind in der Zeit von Augu--
stins Priesterweihe bis zu seinem Tod entstanden und wurden an unterschiedlichen
Orten gehalten, vor allem in Hippo und Karthago. Manche Predigten können bis
auf das Jahr, den Monat oder sogar bis auf den Tag genau datiert werden, biswei--
len tragen sie (manchmal nur in einer Handschrift) sogar eine Überschrift, die Ort
und Gelegenheit der Predigt angibt (die Historizität dieser Angaben ist unterschied--
lich und im einzelnen häufig unklar). Einige neuere Publikationen betonen aller--
dings zu Recht, daß in der Vergangenheit viele Texte ohne stringente Argumenta--
tion und eher intuitiv datiert wurden. So zeigt Drobner, daß für jede zu den s. gehö--
B. Person
rende Predigt die Datierung rigoros überprüft werden muß und in chronologischen
Übersichten sichere Datierungen deutlich von hypothetischen unterschieden wer--
den müssen. Hierbei könnte sich laut Drobner herausstellen, daß die Chronologie
der s. insgesamt doch sehr unsicher ist. Diese These hat eine Diskussion ausgelöst,
die noch nicht abgeschlossen ist (zum Forschungsstand vgl. Drobner, Chronology
45–48). Die chronologische Übersicht, die Müller für die gepredigten en. Ps. aufge--
stellt hat, entspricht den durch Drobner entwickelten Kriterien (vgl. Müller, Enar--
rationes 809–829).
Den Predigten, die bei Eucharistiefeiern gehalten wurden, gingen gewöhnlich wohl
drei Lesungen voraus. Die erste stammte aus dem Alten Testament, aus der Apostel--
geschichte oder den Briefen des Neuen Testaments. Dann folgte ein meist als Respon--
sorium gesungener Psalm, den Augustin als vollwertige lectio (Lesung) ansah. Eine
Perikope aus den Evangelien schloß die Reihe der Lesungen ab. Während der Got--
tesdienste zu Ehren von Märtyrern wurde neben den biblischen Lesungen auch aus
den dazugehörigen Acta (Prozeßakten) bzw. der entsprechenden Passio (Leidensbe--
richt) oder den Libelli miraculorum (Wunderberichten) vorgelesen.
Augustin hat auch oft außerhalb von Eucharistiefeiern gepredigt. Man geht davon
aus, daß den Predigten, die bei solchen Wortgottesdiensten gehalten wurden, keine
Evangelienlesung vorausging. Als Lesungen sind für solche Gottesdienste Stücke aus
Märtyrerakten, Perikopen aus der Apostelgeschichte und vor allem Psalmen bezeugt.
Wahrscheinlich hat Augustin daneben auch Predigten außerhalb eines liturgischen
Kontextes gehalten (z. B. einen großen Teil der gepredigten Io. eu. tr.; vgl. Berrouard,
Introduction 103). Ob auch Werke zeitgenössischer Theologen, also auch etwa Augu--
stins selbst, bereits im Gottesdienst verlesen wurden (darauf könnte s. Dolbeau 10,15
hinweisen), ist in der Forschung nicht unumstritten.
Die Auswahl der Lesungen war Anfang des 5. Jahrhunderts für die hohen Fest--
tage des Kirchenjahres und die Tage bestimmter Märtyrer größtenteils festgelegt; an
anderen Tagen scheint der Prediger große Wahlfreiheit gehabt zu haben. Augustin
wählte in diesen Fällen oft Lesungen mit einer gemeinsamen Thematik aus. In sei--
ner Predigt konnte er dann jeden dieser Texte zur Sprache bringen, tat dies jedoch
keineswegs immer, sondern konzentrierte sich häufig auch auf einen der Texte oder
sogar nur einen Abschnitt aus ihnen. Daneben gab es die fortlaufende Lesung grö--
ßerer Textabschnitte über eine Reihe von Gottesdiensten hinweg. Einige wichtige
Reihen von Sermonen, die auf diese Praxis zurückgehen, sind Io. eu. tr. 1–16 und 17–
19.23–54, ep. Io. tr., en. Ps. 110–117 (?) und 119–133 sowie s. 153–156.
Augustin hielt seine Predigten meistens sitzend auf der cathedra (dem Bischofs--
thron), zentral in der erhöhten Apsis aufgestellt. Verschiedene Predigten hat er jedoch
auch stehend gehalten. Dies tat er wahrscheinlich vor allem, wenn er außerhalb Hip--
pos sprach und die betreffenden Gottesdienste nicht selbst leitete.
In den Handschriften werden viele s. und en. Ps. mit einem Segensgebet abgeschlos--
III. Entwicklungen – 15. Augustin als Prediger 5
sen, das mit den Worten conuersi ad Dominum (zum Herrn gewandt) beginnt und in
unterschiedlichen Versionen überliefert ist (vgl. Dolbeau, L’oraison). Dieses Gebet
wurde durch den Prediger gesprochen und bildete gleichsam den Abschluß der Predigt.
Eine Deutung dieser Wendung wie in s. Dolbeau 19,12 hat zu der Annahme geführt,
daß das Partizip conuersi nicht nur auf eine geistliche Hinwendung verweist, sondern
ein schlichtweg körperliches Sich-Umdrehen meint: Die Gemeinde soll sich zum Gebet
in Richtung der meist im Osten gelegenen Eingangsseite hindrehen und so die innere
Ausrichtung auch körperlich ausdrücken (vgl. Dolbeau, Vingt-six sermons 171–175;
Klöckener, Bedeutung 153 f; Zweifel äußert Duval, Commentaire 196–198).
Die Frage nach Größe und Zusammensetzung von Augustins Publikum läßt sich
lediglich für bestimmte Predigten mit einiger Sicherheit beantworten. Was die sozi--
ale Zusammensetzung des Publikums betrifft, vor dem der Bischof gewöhnlich pre--
digte, so gehen die Hypothesen auseinander. Laut MacMullen bestand es zum größ--
ten Teil aus Mitgliedern der begüterten Klassen, einzig zu besonderen Festtagen
seien alle Schichten der Bevölkerung in Augustins Publikum vertreten gewesen (vgl.
MacMullen 505.508–510). Andere Forscher betonen die soziale Homogenität von
Augustins gewöhnlichem Publikum (z. B. Pellegrino 85–87).
Augustin selbst verweist regelmäßig auf die intellektuelle und spirituelle Hete--
rogenität seines Publikums. Hierbei entschuldigt er sich oft gegenüber seinen ›fort--
geschrittenen‹ Zuhörern, weil er bei der Behandlung eines Themas auf diejenigen,
die keine oder nicht ausreichende Kenntnis davon haben, Rücksicht nehmen wird.
Trotzdem scheint ein Großteil der Predigten Augustins sowohl stilistisch als auch
inhaltlich die Auffassungsgabe eines recht gebildeten Publikums (Geistliche?) vor--
auszusetzen (was natürlich nicht ausschließt, daß sich auch in diesen Fällen weni--
ger Gebildete unter den Zuhörern befunden haben).
C. Mohrmann hat am Stil Augustins drei Dinge hervorgehoben: »en premier lieu
et avant tout la clarté, puis l’expressivité, et en troisième lieu la gravité« (an erster
Stelle und vor allem: die Klarheit, dann die Ausdruckskraft, und an dritter Stelle die
Erhabenheit; Mohrmann 396). Die von Mohrmann beschriebenen Effekte erzielte
Augustin durch die Anwendung einer Anzahl rhetorischer Verfahren. Die Klarheit
ist in erster Linie die Wirkung einer stilisierten Version der gesprochenen Sprache,
die durch einen relativ einfachen Wortschatz und eine ebenso klare Syntax gekenn--
zeichnet wird. Dasselbe Ziel verfolgen die vielen Beispiele aus dem täglichen Leben
sowie abwechselnde Fragen und Antworten zur Gliederung des Vortrags. Die Aus--
druckskraft erreichte Augustin, indem er sein Publikum wiederholt direkt ansprach,
indem er Dialoge mit fiktiven Gesprächspartnern (das ging von Häretikern bis zu Gott
selbst) einfügte und häufig Stilfiguren wie Parallelismus, Antithese, Reim, rhetori--
B. Person
15.. Die Bedeutung der Predigten für das Studium von Augustin insgesamt
Das Studium von Augustins Predigten ist eine notwendige Ergänzung seiner litera--
rischen Schriften. Die Predigten unterscheiden sich von letzteren durch ihre Inter--
aktion mit einem lebendigen Publikum. Sie zeigen, wie Augustin seine komplexen
theoretischen Auffassungen für das Volk übersetzte (auch wenn dieses ›Volk‹ im
Falle vieler Predigten recht gebildet sein mußte, wenn es Augustins Argumentation
folgen wollte), wie er die Glaubenserfahrung der nordafrikanischen Gemeinden zu
vertiefen und sie vor den vielen Gefahren zu schützen suchte, durch die sie seiner
Meinung nach bedroht waren (alte [heidnische] Gebräuche, Manichäismus, Dona--
tismus, Pelagianismus, die unzähligen ›Versuchungen des Fleisches‹ usw.). Augu--
III. Entwicklungen – 15. Augustin als Prediger
stins Predigten bilden zugleich eine wichtige Quelle für das Studium der Mentalität
seiner christlichen Zeitgenossen und bieten wertvolle Informationen bezüglich der
Position eines Bischofs innerhalb der städtischen Gemeinschaft seiner Zeit (hierzu
vgl. Markus, End).
Dolbeau, François: Augustin d’Hippone. Vingt-six sermons au peuple d’Afrique. Retrouvés à
Mayence, édités et commentés par François Dolbeau, Collection des Études Augustiniennes.
Série Antiquité 147, Paris 1996.
Drobner, Hubertus R.: The Chronology of Augustine’s Sermones ad populum [I], Augustinian
Studies 31 (2000), 211–218; II. Sermons 5 to 8, Augustinian Studies 34 (2003), 49–66; III. On
Christmas Day, Augustinian Studies 35 (2004), 43–53.
MacMullan, Ramsay: The Preacher’s Audience (AD 350–400), Journal of Theological Studies
N. S. 40 (1989), 503–511.
May, Gerhard / Hönscheid, Geesche (Hgg.): Die Mainzer Augustinus-Predigten. Studien zu einem
Jahrhundertfund, Veröffentlichungen des Instituts für europäische Geschichte Mainz. Abtei--
lung für abendländische Religionsgeschichte. Beiheft 59, Mainz 2003.
Mohrmann, Christine: Saint Augustin prédicateur, in: Dies.: Études sur le latin chrétiens, tome
I, Rom 1958, 391–402.
(Übersetzt von Christine de Vos) Gert Partoens
C. Werk
50 C. Werk
I. Werke in Auswahl
1. Zur Chronologie der Werke
Die chronologische Reihenfolge und die Authentizität der Werke Augustins ist zum
großen Teil gut rekonstruierbar. Grund dafür sind die retr., in denen Augustin seine
Werke in chronologischer Reihenfolge aufführt, kurz den Entstehungszusammenhang
nennt und die Stellen namhaft macht, die ihm bei der späteren kritischen Durch--
sicht verbesserungs- oder sogar korrekturbedürftig erschienen.
Neben den retr. und Querverweisen zwischen den einzelnen Schriften Augu--
stins ist für die Frage nach der Authentizität seiner Werke das Indiculum (Verzeich--
nis; andere Namensform: Indiculus, die einzige Nennung des Begriffs bei Augustin
spricht von in opusculorum meorum indiculo / in dem Verzeichnis meiner Werke; retr.
2,41) die wichtigste Quelle. Es handelt sich hierbei um eine listenartige Aufstellung
der Werke Augustins, geordnet nach den gegnerischen Richtungen, auf die die jewei--
ligen Werke bezogen sind. Die zehn Unterabteilungen lauten: I. Gegen die Heiden,
II. Gegen die Mathematiker (scil. die Astrologen), III. Gegen die Juden, IV. Gegen
die Manichäer, V. Gegen die Priscillianisten, VI. Gegen die Donatisten, VII. Gegen
die Pelagianer, VIII. Gegen die Arianer, IX. Gegen die Apollinaristen, X. Verschie--
dene Bücher und Predigten bzw. Briefe. In der Regel ist jede Abteilung aufgeteilt in
die Untergruppen libri (Bücher), epistulae (Briefe) und tractatus (hier: Predigten).
Diese Aufstellung liest sich wie ein Bibliotheksinventar und dürfte auch als solches
entstanden sein. Sie zeigt ein Ordnungssystem, mit dem sich schnell zu jeder aktu--
ellen Kontroverse eine entsprechend einschlägige Schrift, Predigt oder briefliche
Stellungnahme Augustins finden läßt. Bestimmte Unstimmigkeiten in der Zuord--
nung der Bücher scheinen darauf hinzuweisen, daß das Indiculum deutlich vor den
retr. entstanden ist und dann (bei Erscheinen weiterer Werke) nur noch nachträg--
lich (und unter Vernachlässigung der strikten Unterscheidung von Büchern, Pre--
digten und Briefen) ergänzt wurde. Das führt zu der Vermutung, daß das Indicu--
lum unter dem Einfluß Augustins selbst entstanden sein könnte. Dolbeau hat hier--
für die These aufgestellt, daß ein Sekretär Augustins diese Liste in Anlehnung an die
Bischofsbibliothek Augustins um ca. 420 erstellt hat, quasi als Vorarbeit für die retr.
(vgl. Dolbeau, La survie). Diese Liste sei dann von Possidius seiner Vita Augustini
(Lebensbeschreibung Augustins) mehr oder weniger leicht überarbeitet als Annex
angefügt worden. Ob die Anordnung der Schriften Augustins wirklich auf Augustin
zurückgeht und ob die heute erhaltene Schrift mit dem in retr. 2,41 genannten Ver--
zeichnis identisch ist oder zumindest auf dasselbe zurückgeht, läßt sich nicht mit letz--
ter Sicherheit klären, doch wird ein Zusammenhang des Indiculum mit der Biblio--
thek Augustins in der Forschung für sehr wahrscheinlich gehalten.
Die Entstehungszeit der retr. ist nicht genau fixierbar. Die retr. nennen als die drei
letzten Werke: Dulc. qu., gr. et lib. arb. sowie corrept. (C.I.8.5.). Das danach ent--
standene Werk De praedestinatione sanctorum et de dono perseuerantiae (C.I.8.6.)
wird nicht mehr erwähnt (genauso wenig die Werke conl. Max., c. Max., haer. und
I. Werke – 1. Chronologie 51
c. Iul. imp.). Vermutlich sind die retr. also vorher abgeschlossen und danach nicht
mehr aktualisiert worden. Die beiden letzten Schriften gr. et lib. arb. und corrept.
sind nicht ganz sicher datierbar, für Dulc. qu. ist ein Datum zwischen 424 und 428
möglich. Eine genauere Bestimmung der Entstehungszeit der retr. innerhalb dieses
Zeitraumes ist nicht möglich.
Über die Zielsetzung der retr. gibt das Vorwort Auskunft. Danach setzen die retr.
den schon länger gehegten Plan einer kritischen Durchsicht der Werke in die Tat
um. Gegenstand der Kritik ist quod me offendit (das, was bei mir Anstoß erregt; retr.
praefatio 1). Als Grund dafür, daß sich in Augustins Werken durchaus Dinge fin--
den, die, wenn nicht falsch, so doch non necessaria (nicht notwendig) sind, nennt
Augustin zwei Dinge: Zum einen habe er bereits als junger Mann das Predigtamt
übernommen, zum anderen habe er die ersten Schriften als adhuc saecularium lit--
terarum inflatus consuetudine (als noch durch die Vertrautheit mit weltlichen Wis--
senschaften aufgeblasener; retr. praefatio) verfaßt. Die retr. sind notwendig gewor--
den, weil auch diese Frühwerke bereits abgeschrieben, verbreitet und gelesen wur--
den. Gleichwohl ist Augustin der Ansicht, daß sie durchaus nützlich zu lesen sind
(Leguntur utiliter, si nonnullis ignoscatur / Sie werden mit Nutzen gelesen, wenn man
an einigen Stellen Nachsicht übt; retr. praefatio), aber man soll natürlich nicht den
irrenden Augustin nachahmen, sondern den Fortschritt seiner theologischen Pro--
duktion nachvollziehen (Non me imitentur errantem, sed in melius proficientem / Sie
sollen mich nicht als Irrenden nachahmen, sondern als einen, der sich laufend ver--
bessert; retr. praefatio). Zu diesem Zweck werden die Werke in chronologischer Rei--
henfolge vorgeführt und, falls nötig, kritisiert.
In diesem Vorwort spricht Augustin offen von errata (Fehlern) in manchen sei--
ner Schriften, andere Dinge empfindet er wohl eher als unglücklich (vgl. non neces--
saria). Sehr wohl ist er sich der Tatsache bewußt, daß seine frühen Schriften sich
sowohl im Stil als auch von der sprachlichen Gestaltung her von den späteren, stark
biblisch geprägten Schriften unterscheiden und eher mit den Werken weltlicher
Wissenschaft, also wohl vor allem der (heidnischen) Philosophie, vergleichbar sind.
Augustin spricht davon, daß er durch das Schreiben diesen Fortschritt geleistet hat
(quomodo scribendo profecerim / wie ich durch das Schreiben vorangekommen bin;
retr. praefatio). Seine Werke sind also nicht abgeklärte Destillate reiflicher Überle--
gungen, sondern in der jeweiligen Situation entstanden. Das ist bei der Heranzie--
hung einzelner Werke Augustins auch methodisch dergestalt zu berücksichtigen, daß
Aussagen aus einzelnen Werken nicht isoliert von ihrem historischen Kontext syste--
matisiert oder gedeutet werden sollten. Das bedeutet allerdings noch nicht, daß dem
alten, auf sein Œuvre zurückschauenden Augustin sein Werk in mehrere disparate
Teile zerfällt. Vielmehr empfindet Augustin seine Werke in gewisser Weise als eine
Einheit und wünscht sich ihre umfassende Lektüre und Verbreitung. Hierzu bieten
die retr. eine literaturgeschichtlich einmalige ›Lesehilfe‹, die die Augustinrezeption
befördern und gleichzeitig in eine bestimmte Richtung lenken wollen. Dies gilt nicht
nur für inhaltliche Fragen, sondern auch für das Bild, das Augustin von sich selbst
als Schriftsteller zeichnet. Der Demutsgestus und die Selbstkritik der retr. verstär--
5 C. Werk
ken den Eindruck, Augustin sei ein besonders vorbildlicher theologischer Lehrer,
der sogar die Größe hat, seine eigenen Werke zu korrigieren.
Mit den retr. wirbt Augustin allerdings nicht nur für sein literarisches Lebens--
werk, gleichzeitig haben auch die retr. einen historischen Ort. Denn mit ihnen ver--
teidigt sich Augustin gegen den Vorwurf, man könne in seinen Werken zu bestimm--
ten Fragen unterschiedliche Positionen lesen. In der Tat läßt sich nachweisen, daß
Gegner der Gnadenlehre Augustins gerade auch auf Augustins eigene frühere Werke
verwiesen hatten (vgl. praed. sanct. 7, wo Augustin hierin ausdrücklich einen Grund
für die Abfassung der retr. sieht; in perseu. 26–30 geht Augustin ausführlich auf die
Verwendung von lib. arb. 3,66 durch seine Gegner ein). Mit den retr. reagiert Augu--
stin also auch auf aktuelle Diskussionen, die sich an seiner Gnadenlehre entzündet
hatten. Hiermit hängt wahrscheinlich die Struktur der retr. zusammen: Buch 1 der
retr. umfaßt die Werke bis zur Bischofsweihe, Buch 2 die Werke ab der Bischofs--
weihe. Denn so bekommt die Schrift Simpl. als das erste Werk von retr. 2 eine her--
ausragende, zentrale Stellung. Daß Augustin dieser Schrift für die Entwicklung sei--
ner Gnadenlehre selbst eine entscheidende Rolle zugeschrieben hat, belegen Kapi--
tel 7 f in der fast zeitgleich mit den retr. entstandenen Schrift praed. sanct.
Für die Chronologie ergeben sich besonders dort Probleme, wo Werke eingeord--
net werden müssen, die über einen langen Zeitraum hinweg entstanden sind. In der
Regel verfährt Augustin dabei so, daß er sie dort einordnet, wo er sie begonnen hat.
Doch scheint er bisweilen von diesem Grundprinzip abzuweichen. Auch zeigt ep. 23*,
wo Augustin die literarische Produktion der letzten Zeit schildert, eine durchaus von
der Reihenfolge in den retr. abweichende Ordnung, so daß sich die Frage erhebt, wie
exakt die retr. im einzelnen jeweils sind.
Immerhin ergibt sich aus den retr. ein gewisses chronologisches Grundgerüst.
Aufgrund von Datierungsangaben und äußeren Hinweisen sind die folgenden Werke
mit hoher Sicherheit wie folgt zu datieren:
– De beata uita: 13.–15. November 386
– Acta contra Fortunatum Manichaeum: 28.–29. August 392
– De fide et symbolo (gehalten auf dem Konzil in Hippo): 8. Oktober 393
– Contra Felicem Manichaeum: 7. und 12. Dezember 404
– Gesta cum Emerito: 20. September 418
Die schon erwähnte ep. 23* nennt die Arbeit von c. s. Arrian., Buch 1 von an. et or.
sowie von Buch 2 von c. Gaud. für Herbst 419.
Für alle weiteren Datierungen von Werken Augustins gibt es die folgenden drei
Möglichkeiten: a) das Werk ist aufgrund der Reihenfolge der retr. in das oben aufge--
führte Grundgerüst einzuordnen, b) für das Werk gibt es (mehr oder weniger genaue)
äußere Hinweise, die zu einem bestimmten Zeitfenster für die Datierung führen, c)
das Werk läßt sich aufgrund innerer Hinweise einem bestimmten Kontext zuord--
nen. Für die letzte Möglichkeit ist in der Augustinforschung verschiedentlich der
Weg beschritten worden, aufgrund der Übereinstimmung bestimmter inhaltlicher
wie exegetischer Argumentationsmuster undatierte Werke mit anderen datierbaren
I. Werke – 1. Chronologie 5
Werken zu vergleichen und daraus auf eine ähnliche Entstehungszeit zu schließen (so
besonders ausführlich Hombert, Recherches). Dieses Vorgehen ist jedoch metho--
disch umstritten, denn es zeigt sich, daß Augustin bei der Exegese bestimmter Bibel--
stellen oder der Entwicklung anderer Argumente sehr flexibel sein kann.
Vor demselben Problem stehen alle Versuche, aufgrund von inhaltlichen Verglei--
chen Teilungshypothesen oder Umstellungen gegenüber der Reihenfolge der retr.
vorzunehmen. Dies betrifft vor allem die These von Lettieri, der die Entstehung von
doctr. chr. in Beziehung setzen möchte zu der Veränderung in Augustins Gnaden--
lehre, die durch die Schrift Simpl. gekennzeichnet ist. In den retr. wird doctr. chr. erst
nach Simpl. genannt, Lettieri möchte dies umgedreht wissen, um so eine inhaltlich
schlüssige Linie nachzeichnen zu können (vgl. Lettieri, Agostino).
Andere Umstellungen sind weniger umstritten (so muß wohl z. B. die Reihen--
folge von un. bapt. und pecc. mer. in retr. 2,33 f korrigiert werden), zeigen jedoch,
daß einige Unsicherheiten bleiben und auch die retr. nur mit Vorsicht als ein Hilfs--
mittel zur Datierung benutzt werden können.
Übersicht über die Werke Augustins und die Datierung auf der Grundlage der retr.
* = nicht erhalten
Abk. lateinischer Titel deutscher Titel gesicherte Daten erschlossene Daten retr.
Acad. Contra Gegen die November 386 1,1
Academicos Akademiker
beata u. De beata uita Über das 13.–15. November 1,2
glückliche Leben 386
ord. De ordine Über die Ende 386 1,3
Ordnung
sol. Soliloquia Selbstgespräche Winter 386 / 387, 1,4
vor dem 14. März
imm. an. De immortalitate Über die Unsterb-- Anfang 387, vor 1,5
animae lichkeit der Seele dem 25. April
Disciplinarum Bücher über die begonnen 1,6
libri Wissenschaften Anfang 387, vor
dem 25. April
dial. De dialectica Über die 1,6
Dialektik
gramm. De grammatica: Kurzgrammatik 1,6
Ars breuiata
gramm. De grammatica: Grammatikregeln 1,6
Regulae
rhet. De rhetorica Über die Rhetorik 1,6
geom. *De geometrica Über die 1,6
Geometrie
5 C. Werk
Abk. lateinischer Titel deutscher Titel gesicherte Daten erschlossene Daten retr.
arithm. *De arithmetica Über die 1,6
Arithmetik
phil. *De philosophia Über die 1,6
Philosophie
mor. De moribus eccle-- Über die Ethik 387 / 388 1,7
siae catholicae der katholischen
et de moribus Kirche und über
Manichaeorum die Ethik der
Manichäer
an. De animae Über die Größe 387 / 388 1,8
quant. quantitate der Seele
lib. arb. De libero arbitrio Über die freie lib. 1: Herbst 1,9
Entscheidungs- 387 / Herbst 388
instanz lib. 2–3: zwischen
391 und 395
Gn. adu. De Genesi contra Über die Genesis nach der Rückkehr 1,10
Man. (aduersus) gegen die Mani-- nach Africa Herbst
Manichaeos chäer 388, vor der
Priesterweihe 391
mus. De musica Über die Musik Herbst 388 / Ende 1,6;
390, Buch 6 überar-- 1,11
beitet um 408
mag. De magistro Über den Lehrer Herbst 388 / Ende 1,12
390
uera rel. De uera religione Über die wahre unmittelbar vor 1,13
Religion der Priesterweihe:
Ende 390
util. De utilitate Über den Nutzen 391 / 392 1,14
cred. credendi des Glaubens
duab. De duabus Über die zwei 391 / 392 1,15
an. animabus Seelen
c. Fort. Acta contra Akten der Ver-- 28.–29. August 1,16
Fortunatum handlung gegen 392
Manichaeum den Manichäer
Fortunatus
f. et De fide et Über den 8. Oktober 393 1,17
symb. symbolo Glauben und das
Bekenntnis
Gn. litt. De Genesi ad Unvollendetes 393 / 394 1,18
inp. litteram liber Buch über die
imperfectus Genesis dem
Buchstaben nach
s. dom. De sermone Über die Berg- 393 / 394 1,19
m. domini in monte predigt des Herrn
I. Werke – 1. Chronologie 55
Abk. lateinischer Titel deutscher Titel gesicherte Daten erschlossene Daten retr.
ps. c. Psalmus contra Psalm gegen die 393 / 394 1,20
Don. partem Donati Donatistenpartei
c. ep. *Contra epistu-- Gegen einen Brief 393 / 394 1,21
Don. lam Donati des Donatus
c. Adim. Contra Adiman-- Gegen Adimantus 393 / 394 1,22
tum
exp. Expositio Auslegung einiger 394 1,23
prop. quarundam vorgelegter
Rm. propositionum ex Fragen aus dem
epistula apostoli Brief des Apostels
ad Romanos an die Römer
exp. Gal. Expositio epistu-- Auslegung des 394 / 395 1,24
lae ad Galatas Galaterbriefs
ep. Rm. Epistulae ad Begonnene 394 / 395 1,25
inch. Romanos Auslegung des
inchoata expositio Römerbriefes
diu. qu. De diuersis Über dreiund-- ältere nach 388 1,26
quaestionibus achtzig verschie-- entstandene
octoginta tribus dene Fragen Vorarbeiten, vor
der Bischofsweihe
gesammelt
mend. De mendacio Über die Lüge 394 / 395, unmit-- 1,27
telbar vor der
Bischofsweihe
Simpl. Ad Simplicianum An Simplician 396 / Frühjahr 398 2,1
c. ep. Contra epistulam Gegen den kurz nach der 2,2
Man. Manichaei sogenannten Bischofsweihe
quam uocant Grundlagenbrief
fundamenti Manis
agon. De agone Über den christli-- kurz nach der 2,3
christiano chen Wettkampf Bischofsweihe
doctr. De doctrina Über die christ-- lib. 1-lib. 3,35: kurz 2,4
chr. christiana liche Wissens- nach der Bischofs--
aneignung und weihe, lib. 3,36-lib.
Lehre 4: zeitgleich mit
den retr.
c. p. *Contra partem Gegen die kurz nach der 2,5
Don. Donati Donatistenpartei Bischofsweihe
conf. Confessiones Bekenntnisse nach der Bischofs-- 2,6
weihe, ca. um 400
c. Faust. Contra Faustum Gegen den Mani-- nach der Bischofs-- 2,7
Manichaeum chäer Faustus weihe, ca. 400 / 404
c. Fel. Contra Felicem Gegen den 7. und 12. Dezem-- 2,8
Manichaeum Manichäer Felix ber 404
5 C. Werk
Abk. lateinischer Titel deutscher Titel gesicherte Daten erschlossene Daten retr.
nat. b. De natura boni Über die Natur um 400 2,9
des Guten
c. Sec. Contra Gegen den Mani-- um 400 2,10
Secundinum chäer Secundinus
Manichaeum
c. Hil. *Contra Hilarum Gegen Hilarus um 400 2,11
qu. eu. Quaestiones Fragen zu den um 400 2,12
euangeliorum Evangelien
adn. Iob Adnotationes Anmerkungen zu um 400 2,13
in Iob Hiob
cat. rud. De catechizandis Über den um 400 2,14
rudibus Unterricht für die
Neulinge
trin. De trinitate Über die ca. 399–422 / 426 2,15
Trinität
cons. eu. De consensu Über die Über-- um 400 2,16
euangelistarum einstimmung der
Evangelisten
c. ep. Contra epistulam Gegen einen Brief zu Beginn des 2,17
Parm. Parmeniani des Parmenianus Jahrzehnts nach
400
bapt. De baptismo Über die Taufe zu Beginn des 2,18
Jahrzehnts nach
400
c. Cent. *Contra quod Gegen das, was zu Beginn des 2,19
attulit Centurius Centurius von Jahrzehnts nach
a Donatistis den Donatisten 400
beigebracht hat
inq. Ian. Ad inquisitiones Zu den Anfragen zu Beginn des 2,20
Ianuarii des Ianuarius Jahrzehnts nach
(= ep. 54.55) 400
op. mon. De opere Über die Arbeit zu Beginn des 2,21
monachorum der Mönche Jahrzehnts nach
400
b. De bono coniugali Über das Gut der zu Beginn des 2,22
coniug. Ehe Jahrzehnts nach
400
uirg. De uirginitate Über die Jung-- zu Beginn des 2,23
fräulichkeit Jahrzehnts nach
400
I. Werke – 1. Chronologie 5
Abk. lateinischer Titel deutscher Titel gesicherte Daten erschlossene Daten retr.
Gn. litt. De Genesi ad Über die Genesis begonnen vor c. 2,24
litteram dem Buchstaben litt. Pet. und nach
nach trin., abgeschlossen
vor retr.: lib. 1–9
vor 410, lib. 10–12
um 412–415
c. litt. Contra litteras Gegen Briefe 400–404 vor den Unionsge-- 2,25
Pet. Petiliani Petilians setzen vom Febr.
405
Cresc. Contra Cresco-- Gegen Cresconius 405–406 nach den Unions-- 2,26
nium gesetzen vom Febr.
405, vor 411
prob. et *Probationes et Beweise und nach den Unions-- 2,27
test. testimonia contra Zeugnisse gegen gesetzen vom Febr.
Donatistas die Donatisten 405, vor 411
c. n. *Contra nescio Gegen ich weiß nach den Unions-- 2,28
Don. quem Donatistam nicht welchen gesetzen vom Febr.
Donatisten 405, vor 411
adm. *Admonitio Warnung der nach den Unions-- 2,29
Donatistarum de Donatisten vor gesetzen vom Febr.
Maximianistis den Maximiani-- 405, vor 411
sten
diuin. De diuinatione Über die um 407 / 408 2,30
daem. daemonum Sehergabe der
Dämonen
qu. c. Quaestiones Bearbeitung von um 408 / 409 2,31
pag. expositae contra sechs Fragen
paganos numero gegen die Heiden
sex (= ep. 102)
exp. Iac. *Expositio Auslegung des um 408 / 409 2,32
epistulae Iacobi Jakobusbriefes an
ad duodecim die zwölf Stämme
tribus
pecc. De peccatorum Über Folgen und 411–412 2,33
mer. meritis et Vergebung der
remissione et Sünden und über
de baptismo die Kindertaufe
paruulorum
un. bapt. De unico Über die eine 410–411 2,34
baptismo Taufe
Max. *De Maximi-- Über die Maximi-- 411 2,35
anistis contra anisten gegen die
Donatistas Donatisten
gr. t. De gratia Über die Gnade Anfang 412 2,36
nou. testamenti noui des Neuen Bundes
5 C. Werk
Abk. lateinischer Titel deutscher Titel gesicherte Daten erschlossene Daten retr.
spir. et De spiritu et Über den 412 oder 413 2,37
litt. littera Geist und den
Buchstaben
f. et op. De fide et Über den Glauben kurz nach spir. 2,38
operibus und die Werke et litt.
breuic. Breuiculus Kurzdarstellung Ende 411 2,39
conlationis cum der Konferenz mit
Donatistis den Donatisten
c. Don. Contra Gegen die Donati-- Ende 411 /Anfang 2,40
Donatistas post sten nach der 412
conlationem Konferenz
ep. 148 zwischen 410 und 2,41
413
uid. deo De uidendo deo Über das Sehen 413 2,41
(= ep. 147) Gottes
nat. et De natura et Über Natur und Ende 414 /Anfang 2,42
gr. gratia Gnade 415
ciu. De ciuitate dei Über die ab 412, vor den 2,43
Gottesstadt retr. fertig
c. Prisc. Contra Priscillia-- Gegen die ca. 415 2,44
nistas Priscillianisten
orig. an. De origine ani-- Über den 415 2,45
mae (= ep. 166) Ursprung der
Seele
sent. Iac. De sententia Über einen Satz 415 2,45
Iacobi (= ep. 167) des Jakobus
Emer. *Ad Emeritum An den nach 411 2,46
Don. episcopum Donatistenbischof (412–416?)
Donatistarum Emeritus nach der
post conlationem Konferenz
gest. Pel. De gestis Pelagii Über die 417 2,47
Prozeßakten des
Pelagius
correct. De correctione Über die Ende 416 /Anfang 2,48
Donatistarum Zurechtweisung 417
(= ep. 185) der Donatisten
praes. De praesentia dei Über die Gegen-- Sommer 417 2,49
dei (= ep. 187) wart Gottes
gr. et De gratia Christi Über die Gnade Mai / Juni 418 2,50
pecc. or. et de peccato Christi und über
originali die Ursünde
Emer. Gesta cum Akten über die 20. September 2,51
Emerito Verhandlung mit 418
Emeritus
I. Werke – 1. Chronologie 5
Abk. lateinischer Titel deutscher Titel gesicherte Daten erschlossene Daten retr.
c. s. Contra sermonem Gegen die Predigt Herbst 419 2,52
Arrian. Arrianorum der Arianer
nupt. et De nuptiis et Über Ehe und lib. 1: 418 / 419 2,53
conc. concupiscentia Begehrlichkeit lib. 2: 420 / 421
loc. Locutiones in Ausführungen ca. 419 / 421 2,54
heptateuchum zum Heptateuch
qu. Quaestiones in Fragen zum ca. 419 / 421 2,55
heptateuchum Heptateuch
an. et or. De anima et eius Über die Seele lib. 1: Herbst 419 lib. 2: Herbst / Win-- 2,56
origine und ihren ter 419, lib. 3 f:<