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der so gefundenen Elemente und der Art ihres Seins. Der "Wert muss
geprüft werden sowohl durch reine Überlegung als auch durch die Brauch-
barkeit des Gefundenen und die Aussicht auf Fortsetzung der hier be-
gonnenen Reihe neuer mathematischer und philosophischer Betrachtungen.
Charlottenburg. K. Geissler.
Baensch, Otto, Dr. Johann Heinrich Lamberts Philoso-
phie und seine Stellung zu Kant. Tübingen, J. C. B. Mohr, 1902.
(103 S.\
I)ie Schrift ist die Lösung einer von der philosophischen Fakultät
der Kaiser-Wilhelms-Universität zu Strassburg i. E. im Mai 1900 ausge-
schriebenen Preisaufgabe. Ich habe bei ihrer Bearbeitung die gründliche
und wenn angängig endgültig^ Aufklärung der Stellung Lamberts zu Kant
als Hauptzweck ins Auge getasst. Um dies Ziel zu erreichen, musste ich
jedoch zunächst danach trachten, Lamberts philosophischen Theorieen
ein möglichst objektives Bild zu gewinnen. Die beiden oisher erschienenen
Monographieen über ihn von Zimmermann (Wien 1879) und von Lepsius
(München 1881) bieten ein solches nicht: in dem Bestreben, Lamberts
Lehren als ahnungsvolle Antecipationen Kantischer Gedanken hinzustellen,
verfallen die Verfasser, wie meine genaue Nachprüfung ihrer Schriften
zeigt (S. 71—74, 77—80 meines Werks), beide, wenn auch jeder auf andere
Art, in den gleichen Fehler, gewissermassen eine petitio principii zu be-
gehen und von vom herein Lamberts Ausführungen überall unter Gesichts-
punkte zu rücken, die der Kantischen Philosophie entlehnt und Lambert
selbst ursprünglich fremd sind. Ich durfte aber nur auf Grund einer vor-
urteilslosen und durch keinen äusserlichen Zweckgesichtspunkt in sich be-
stimmten Anschauung des Ganzen von Lamberts Lehre hoffen, die bei der
Beurteilung; seines Verhältnisses zu Kant in Betracht kommenden Einzel-
heiten in das rechte Licht setzen zu können. Infolge dessen war ich ge-
zwungen, von neuem in Angriff zu nehmen, was jenen beiden misälungen
war, und ich habe mich nun vor allem erst bemüht, Lamberts Philosophie
einmal rein für sich nach ihrem inneren systematischen Zusammenhange
aufzurollen, ohne nach rechts und nach links zu blicken, mich bloss an
das gegebene Material haltend, das ich im grössten Umfang herangezogen
habe. lEine neue Darstellung von Lamberts Philosophie bildet demgemäss
den ersten Teil meiner Arbeit (S. 5—69). Im zweiten folgt dann die Be-
sprechung seiner Beziehungen zu Kant (S. 70—103). — Der erste Teil ist
seiner ganzen Anlage nach eine selbständige Abhandlung für sich und
nicht allein um des zweiten willen von Interesse; denn Lamberts Lehre
hat, auch abgesehen von der Frage nach ihrem unmittelbaren Einfluss auf
den Werdegang des Kriticismus, Anspruch, beachtet zu werden, als ein
Denkmal der Gedankenbewegung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts:
sie zeigt uns, wie sich die Welt der philosophischen Begriffe in dem
Kopfe eines sehr begabten Mannes malte, der ein Zeitgenosse des jungen
Kant war und über den gleichen Bildungsinhalt verfügte, wie dieser; und so
dient ihre Widergabe zur Vervollständigung der Kenntnis des historischen
Untergrundes, aus dem die Transscendentalphilosophie hervorgewachsen
ist. Aus meiner Untersuchung ergiebt sich als wichtigstes Resultat, dass
in Lamberts Schriften der langsam verklingende Grundton des Rationalis-
mus, der Gedanke der Universalmathematik, gleichsam mit einer seiner
letzten Schwebungen hörbar wird, Lamberts philosophisches Bemühen ist
vornehmlich auf <fie durchgängige Anwendung der von ihm sehr eigenartig
aufgefassten mathematischen Methode auf alle Disziplinen der Metaphysik
gerichtet. Doch tritt dieser alte Gedanke bei ihm nur noch mit sehr
schüchternen Füssen auf, weil Lambert die Grenzen des mit rein apriori-
schen Mitteln Erreichbaren sehr eng zieht und deswegen auf die Be-
nutzung und selbstständige Ausbildung der Empirie ebenfalls grossen Wert
legt. ~Die nähere Beschreibung seiner Vorstellungen von dem Wesen, der
apriorischen und dem der aposteriorischen Erkenntnis ist in den beiden
mittleren Abschnitten des ersten Teils meiner Schrift enthalten (S. 16—44,
46—63). Ihnen geht in einem ersten Abschnitt die Darstellung der Logik
voraus, die Lambert als die Lehre von der Form der Erkenntnis behandelt
(S. 6—16), ihnen folgt in einem vierten die Darstellung der Phaenomeno-
logie, d. h. der Lehre von den Irrwegen des Denkens (S. 63—69). — Der
zweite Teil meiner Schrift zerfällt in zwei Unterabteilungen. In der
ersten (S. 70—80) gebe ich eine eingehende, vorwiegend negative Kritik
der wichtigsten Urteile, die bisher über Lamberts Bedeutung für die Ge-
schichte des transscendentalen Idealismus gefällt worden sind und die von
Barthobness, Eucken, Riehl, Windelband und den Verfassern der beiden
vorhin erwähnten Monographieen Zimmermann und Lepsius herrühren;
zugleich erledige ich einige besondere Fragen, die den Unterschied und
die Ähnlichkeit der Auffassungen Lamberts und Kants hinsichtlich ein-
zelner Begriffe, wie Apriorität, Form der Erkenntnis etc. betreffen. In
der zweiten Abteilung (S. 80—103) schildere ich dann ausführlich und nach
dem historischen Verlauf die persönlichen Beziehungen, in denen die
beiden Philosophen zu einander gestanden haben. Ich analysiere genau
ihren kurzen wissenschaftlichen Briefwechsel aus den Jahren 1765—1770
und bespreche alle Äusserungen des einen über den anderen, die mir vor
Augen gekommen sind. Dabei wird deutlich, dass sich Kants gerade da-
mals von Stufe zu Stufe gewaltig fortschreitende Gedankenentwickelung
in allen wesentlichen Punkten durchaus unabhängig von Lamberts Ein-
wirkungen vollzogen hat. Als Kant Lamberts erste Zuschriften erhielt,
in denen dieser ihm seine Lieblingsidee, die Verbesserung der Metaphysik
nach mathematischem Vorbilde des längeren auseinandersetzte, hatte er
bereits einen Standort erreicht, von dem aus derartige Versuche als ver-
gebliche Anstrengungen erscheinen mussten. Lamberts Denken andrerseits
war schon damals innerlich erstarrt und bewegte sich nur noch ma-
schinenmässig immer in denselben Geleisen; so war er nicht einmal mehr
imstande, Kants Spuren zu folgen, geschweige denn, ihm auf neuen
Wegen voranzugehen. Bei Gelegenheit seiner Beurteilung der Inaugural-
dissertation tritt dieses'sein Unvermögen schliesslich in aller Klarheit zu
Tage. — Lamberts Richtung wies in. die Vergangenheit zurück; Kants
Bahn ging vorwärts, er stand, wie er selbst gesagt hat, in keiner Mit-
bewerbung mit diesem Manne.
Berlin. ., Otto Baensch.
Palagyi, Melchior. Kant und Bolzano. Eine kritische Pa-
rallele. Halle a. S., Niemeyer, 1902. (XI u. 124 S.)
Bolzano ist ein bedeutender, wenn auch wenig gekannter und ge-
würdigter Logiker (aus der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts),
der in unseren Tagen einen stets wachsenden Einfluss auf die Ausbildung
einer modernen Erkenntnislehre gewinnt. Man entlehnt seine Gedanken,
ohne sich mit ihm auseinanderzusetzen. In geschichtlichen Handbüchern
wird er zumeist entweder ignoriert oder in flüchtiger Weise als Halb-
kantianer bezeichnet. Er ist jedoch ein durchaus selbständiger und ori-
gineller Logiker, und als solcher ein entschiedener Widersacher Kants und
der nachkantischen spekulativen Philosophie. Seine Denkart steht wohl
derjenigen Leibnizens am nächsten, so dass er füglich auch ein Neuleib-
nizianer genannt werden könnte: einLeibnizredivivus, der da kommt, um
die Kantische Erkenntniskritik in eindringlichster Weise zu befehden.
Er befreit die Leibnizsche Logik aus ihrer Abhängigkeit von der Meta-
physik, entwickelt sie auf Grundlage eingehender historisch-kritischer
Forschungen zu einem neuartigen logischen Systeme, verstärkt sie mit
Elementen, die er dem Kriticismus entlehnt, macht sich namentlich —
wenn auch in modifizierter Weise — die Unterscheidung von synthetischen
und analytischen Urteilen zu eigen, jedoch nur in der Absicht, die Kan-
tische Vernunftkritik desto sicherer entwurzeln zu können. So gewinnt
man während des Studiums der vierbändigen — leider allzu weitschichtigen
— Wissenschaftslehre Bolzanos den Eindruck, als ob man Leibniz und Kant
in ein kaum endenwollendes logisches Duell verwickelt sehen würde.
alle jene Probleme über das Verhältnis der Logik zur Psychologie und
Sprachwissenschaft auf, welche den Kern des modernen, erkenntnistheo-
retischen Forschens bilden.
Ich liefere in meiner Arbeit eine ausführliche Kritik der Bolzano-
schen Begriffefassungen. Wenn ich meinen Standpunkt hier kurz; andeuten
darf, so möchte ich nur hervorheben, dass sowohl die Kantische als auch
die Bolzanosche Erkenntnislehre zu einem unheilbaren Zwiespalt im Reiche
der Wahrheit führt. Blaublütige Wahrheiten, die der hohen Vernunft
entstammen, stehen plebejischen Wahrheiten gegenüber, die sich ihrer
sinnlichen Abkunft schier zu schämen scheinen. (Erkenntnisse a priori
und a posteriori; Ve"rit& de raison und V&dtes de fait.) Von der Überwindung
dieses Gegensatzes hängt meines Erachtens die Weiterentwickelung
der Erkenntnislehre ab. Wir brauchen eine Logik, die keinen Zwiespalt
zwischen Thatsachen- und Vernunftwahrheiten duldet, und den strengen
Beweis führt, dass den ThateachenWahrheiten derselbe einheitliche logische
Geist innewohnt, wie den Wahrheiten a priori- In einer historisch-kri-
tischen Schrift, wie es die vorliegende ist, durfte ich meine diesbezüglichen
Auffassungen nicht einmal andeuten, hoffe jedoch dieselben in meiner
nächsten Arbeit („Die Krisis in der Logik") darlegen zn können.
Budapest. Dr. Melchior PalägyL
Mitteilungen.
Das Collin'gche Kantrelief.
(Vgl. die Abbildung im vorigen Hefte.)
Das vorige Heft der KSt. veröffentlichte ein unzweifelhaft sehr
schönes Kantrelief aus dem Besitze von Prof. Brütt-Berlin, resp. Prof.
Schillbach-Potsdam. Die Veröffentlichung dieses Kantbildnisses hat nun
das erfreuliche Resultat gehabt, dass die Herkunft des Bildnisses unzwei-
deutig hat festgestellt werden können. Tch verdanke speziell Herrn Amts-
richter War da in Schippenbeil den Hinweis darauf, dass das Schillbach-
Brütt'sche Kantrelief identisch ist mit der sog. Collin'schen Paste.
Über Paul Heinrich (Henry) Collin berichtet Borowski
(„Darstellung des Lebens und Charakters I. Kants", 1804, S. 96 u. 177),
auf dessen Angaben das von Minden Mitgeteilte beruht („Über Porträts
und Abbildungen L Kants", 1868, S. 10). Von Borowski, der den Künstler
offenbar persönlich gekannt hat, erfahren wir, dass dieser von Kant sehr
hoch geschätzt wurde und übrigens auch dessen „sonntäglicher Mitgesell-
schafter an Motherby's Tische war". Nach B.s Urteil ist Kant auf C.s
Paste „am besten getroffen" (177). Eine weitere Quelle sind die Briefe
von Hamann („Schriften", ed. Eoth, VI, 295 u. 305), die neben Borowski
die Unterlage für Schubert bildeten (Kants Werke, ed. Rosenkranz und
Schubert, XI, 2, 204 f.; die Jahreszahl 1773, die daselbst an zwei Stellen
den Hamannflchen Briefen gegeben wird, ist allerdings irrtümlich, worauf
mich Warda aufmerksam macht: nach Schuberts eigener Angabe ist die
Paste im Oktober 1782 angefertigt worden, und aus demselben Jahre
stammen auch die betr. Briefe). Hamann hielt das Relief anfangs für
misslungen, erkannte aber in einem späteren Brief „viel Ähnlichkeit" da-
rin an; doch sei „ich weiss nicht was verfeinertes im Ausdrucke". Aus
einem von Roth nicht mitgeteilten, aber von Gildemeister („J. G. Ha-
manns Leben und Schriften", 1857, U, 399) benutzten Briefe an H^rtknoch
erfahren wir, dass der Preis der „ , l'anglaise", d. h. in Wedgwood ausge-
führten Paste 2 Rthlr. betrug. Diese Manier hatte Collin, wie Gildemeister
bemerkt, in England kennen .gelernt, wo sie damals gerade aufkam.