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ZQP-REPORT

Gewaltprävention
in der Pflege
ZQP-REPORT

Gewaltprävention
in der Pflege
Herausgeber
Zentrum für Qualität in der Pflege
Reinhardtstr. 45
10117 Berlin
V. i. S. d. P. : Dr. Ralf Suhr

Redaktion – in alphabethischer Reihenfolge –


Simon Eggert, Zentrum für Qualität in der Pflege
Katharina Lux, Zentrum für Qualität in der Pflege
Daniela Sulmann, Zentrum für Qualität in der Pflege
Daniela Väthjunker, Zentrum für Qualität in der Pflege

Fotos
S. 5, 38, Portrait Dr. Ralf Suhr, Laurence Chaperon
S. 12, Portrait Prof. Dr. Thomas Görgen, Deutsche Hochschule der Polizei
S. 24, 29, Portrait Simon Eggert, Laurence Chaperon
S. 24, Portrait Dr. Patrick Schnapp, Laurence Chaperon
S. 24, 29, Portrait Daniela Sulmann, Laurence Chaperon
S. 29, Portrait Dr. Katharina Jung, Laurence Chaperon
S. 34, Portrait Jens Abraham, UKH/Zentrale Fotostelle
S. 34, Portrait Prof. Dr. Gabriele Meyer, privat
S. 43, Portrait Anke Buhl, privat
S. 49, Portrait Prof. Dr. Dr. Rolf D. Hirsch, Christoph Müller
S. 52, Portrait Gerda Graf, privat
S. 56, Portrait Karola Miowsky-Jenensch, Andreas Kirsch
S. 67, Portrait Prof. Dr. Dagmar Brosey, privat
S. 74, Portrait Uwe Brucker, privat

Grafik und Satz


zwoplus, Berlin

Druck
Das Druckteam Berlin

Alle Rechte vorbehalten


Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Herausgebers.
© Zentrum für Qualität in der Pflege

Stand der Informationen


Juli 2017. Trotz sorgfältiger Recherche und Prüfung übernimmt der Herausgeber keine Gewähr für Aktualität,
Richtigkeit und Vollständigkeit der bereitgestellten Informationen. Bei den Inhalten handelt es sich um
unverbindliche Informationen.

2. überarbeitete Auflage, Berlin 2017


ISSN 2198-865X, ISBN 978-3-945508-21-3
I N H A L T 3

Inhaltsverzeichnis
Vorwort, Dr. Ralf Suhr, Vorstandsvorsitzender des ZQP.........................................................................................5

Analyse................................................................................................................................................................................................. 7
Wissen über das Phänomen Gewalt in der Pflege, Thomas Görgen............................................................8
ZQP-Analyse: Gewalt in der stationären Langzeitpflege,
Simon Eggert, Patrick Schnapp und Daniela Sulmann.....................................................................................13
ZQP-Analyse: Wahrnehmung der Bevölkerung von Gewalt in der Pflege,
Simon Eggert, Katharina Jung und Daniela Sulmann........................................................................................25
Initiativen zur Prävention von Gewalt in der Pflege, Jens Abraham und Gabriele Meyer...........30
Zur Bedeutung sexualisierter Gewalt in der Pflege, Ralf Suhr.......................................................................35

Akteure..............................................................................................................................................................................................39
„Familiäre Pflege muss gelernt werden“, Anke Buhl............................................................................................40
„Zu Hause kann es größte Zuwendung geben, aber auch vielschichtige Formen von Gewalt“,
Rolf D. Hirsch................................................................................................................................................................................44
„Es gibt keine Rechtfertigungen für freiheitsentziehende Maßnahmen“, Gerda Graf....................50
„Auf das Wissen um Handlungsalternativen und die Haltung kommt es an“,
Karola Miowsky­-Jenensch....................................................................................................................................................53

Impulse..............................................................................................................................................................................................57
Gewalt durch Wissen vorbeugen: Onlineportal Gewaltprävention in der Pflege............................58
Freiheitseinschränkende Maßnahmen in der Altenpflege begrenzen: Leitlinie FEM.....................59
Gewalt erkennen und richtig dokumentieren: Online-Hilfe „Befund: Gewalt“....................................60
Freiheitsentziehende Maßnahmen vermeiden: Der verfahrensrechtliche Ansatz
Werdenfelser Weg.....................................................................................................................................................................61
Beschäftigte unterstützen und Gewalt vorbeugen: Gesundheitsdienstportal
der Unfallkasse NRW...............................................................................................................................................................62

Reflexion..........................................................................................................................................................................................63
Der besondere Unterstützungsbedarf von Menschen mit rechtlicher Betreuung,
Dagmar Brosey...........................................................................................................................................................................64
Die Rolle von Medikamenten als freiheitsentziehende Maßnahme, Uwe Brucker..........................68
Ausblick: Aktuelle Studien des ZQP...............................................................................................................................75

Service................................................................................................................................................................................................77
Zusammengefasst: Informationen und praktische Hinweise........................................................................78
Hilfsangebote..............................................................................................................................................................................84

Weitere kostenlose Produkte des ZQP.........................................................................................................................88


4

Über die Stiftung Zentrum für Qualität in der Pflege

Das Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP) ist eine bundesweit tätige, operative und gemeinnützige Stiftung
mit Sitz in Berlin. Das ZQP wurde vom Verband der Privaten Krankenversicherung e. V. errichtet. Ziel ist die wis-
senschaftsbasierte Weiterentwicklung der Pflegequalität. Als Wissensinstitut für die Pflege richtet die Stiftung
ihre Arbeit auf Forschung, Wissensmanagement und den Theorie-Praxis-Transfer aus. Das ZQP unterstützt mit
seinem Wissen vier Hauptzielgruppen: Pflegende, Wissenschaftler, politische Akteure und Journalisten. Dies
soll pflegebedürftigen Menschen dienen; sie stehen im Fokus der Stiftungsarbeit.

Dafür trägt die Stiftung zu einer kritischen Bestandsaufnahme der Pflegequalität in Deutschland bei und ent-
wickelt praxistaugliche Konzepte für eine qualitativ hochwertige, an den individuellen Bedürfnissen pflege-
bedürftiger Menschen ausgerichtete Versorgung. Thematische Schwerpunkte sind dabei: Patientensicherheit
und Gewaltprävention | Prävention und Rehabilitation im Kontext Pflege | Stärkung von Pflegekompetenz
und Pflegewissen | Qualitätsentwicklung und -darstellung | Pflegeberatung.

Die ZQP-Schriftenreihe, zu der auch der vorliegende Report gehört, und die Online-Produkte sind zentrale
Instrumente der Stiftung zum Theorie-Praxis-Transfer. Hierdurch wird das Wissen aus den Projekten und
Forschungsarbeiten kostenfrei unter anderem an pflegende Angehörige und professionell Pflegende aber
auch an Meinungsbildner und Entscheider vermittelt.

In die gesamte Stiftungsarbeit bindet das ZQP ausgewiesene Wissenschaftler sowie Vertreter von Verbrau-
cher- und Selbsthilfeorganisationen, Leistungsträgern und Leistungserbringern sowie Berufsverbänden und
Politik ein.
V O R W O R T 5

Vorwort
Dr. Ralf Suhr, Vorstandsvorsitzender
des Zentrums für Qualität in der Pflege

Sehr geehrte Leserinnen, sehr geehrte Leser,

in fast allen Bereichen des Lebens können


problematische Situationen bis hin zu Gewalt Mit diesem Report wollen wir einen Beitrag
vorkommen – dies gilt auch für die Pflege. hierzu leisten. Er bietet Daten und Fakten zum
aktuellen Wissensstand sowie Empfehlungen
Gewalt gegen Kinder, Frauen oder Menschen zur Prävention und zum Umgang mit Gewalt
mit Migrationshintergrund sind längst im in der Pflege.
gesellschaftlichen Problembewusstsein
verankert. Über Gewalt in Pflegebeziehun- Im Namen der Stiftung ZQP möchte ich
gen hingegen wird noch weitestgehend mich ausdrücklich bei den Expertinnen und
geschwiegen. Erfolgreiche Maßnahmen Experten für die Mitwirkung an dieser Schrift
zur Gewaltprävention erfordern jedoch ein bedanken: Jens Abraham (Martin-Luther-Uni-
Problembewusstsein, nicht nur seitens der versität Halle-Wittenberg), Uwe Brucker
beteiligten Akteure und der relevanten Ent- (Medizinischer Dienst der Spitzenverbände
scheidungsträger, sondern auch auf gesell- der Krankenkassen e. V.), Prof. Dr. Dagmar Bro-
schaftlicher Ebene. sey (Technische Hochschule Köln), Anke Buhl
(PflegeNotTelefon Schleswig-Holstein), Prof.
Das Zentrum für Qualität in der Pflege vertritt Dr. Thomas Görgen (Deutsche Hochschule der
die Überzeugung, dass sachliche Aufklärung Polizei), Gerda Graf (Deutscher Hospiz- und
über Gewalt in der Pflege einen zentralen Palliativ-Verband), Prof. Dr. Dr. Rolf D. Hirsch
Beitrag zur Prävention leistet. (Forum Altern ohne Gewalt), Prof. Dr. Gabriele
Meyer (Martin-Luther-Universität Halle-Wit-
Zudem liegt es aus Sicht des ZQP in der Ver- tenberg), Karola Miowsky-Jenensch (Pflege-
antwortung unserer Gesellschaft – gerade bei station Meyer und Kratzsch, Berlin).
so schwierigen Themen wie Aggression und
Gewalt – Pflegenden und Pflegebedürftigen Zudem bedanke ich mich beim Bundesmi-
die Unterstützung bereitzustellen, die sie für nisterium für Familie, Senioren, Frauen und
eine gute Pflege brauchen. Hierfür gilt es, ein Jugend für die Förderung der ersten Auflage
Klima für einen offenen Austausch zu schaffen, dieser Schrift, die nun in zweiter, überarbeite-
um dem Thema transparent und dennoch ter Auflage vorliegt.
kritisch begegnen zu können. Nur so können
Präventionsmaßnahmen wirksam dort anset- Ihr
zen, wo sie notwendig sind.
Ralf Suhr
6
E I N L E I T U N G 7

Analyse
Diese Rubrik gibt einen Einblick in den Forschungsstand zum Vorkommen und zur Präven-
tion von Gewalt in der Pflege.

Zudem geben die Ergebnisse von zwei ZQP-Analysen Hinweise darauf, welche Rahmen-
bedingungen zur Prävention von Gewalt in stationären Einrichtungen als wichtig erachtet
werden und wie das Thema in der Bevölkerung wahrgenommen wird.
8 A N A L Y S E

Wissen über das Phänomen Gewalt in der Pflege


Thomas Görgen

Begriff auch verbal aggressives und demütigendes


Verhalten, pflegerische Vernachlässigung
Die Formulierung „Gewalt in der Pflege“ bringt und oft auch psychosoziale Formen der
zwei Begriffe zusammen, die ein auf den ers- Vernachlässigung, Eigentums- und Vermö-
ten Blick antagonistisch erscheinendes Paar gensdelikte gegenüber älteren Menschen.
bilden. So ist „Pflege“ prosozial ausgerichtet Gewalt umfasst somit aktives Tun ebenso wie
und soll Menschen trotz das Unterlassen von Hand-
bedeutsamer Einschrän- lungen, die im Interesse der
International ist meist
kungen ihrer Gesundheit pflegebedürftigen Person
nicht von „Gewalt in
und Alltagskompetenz ein eigentlich geboten wären.
Leben in Würde und mit
der Pflege“, sondern
einem unter den gegebe- von „elder abuse and International ist meist
nen Umständen möglichst neglect“ oder „elder nicht von „Gewalt in der
hohen Maß an Lebens- mistreatment“ die Rede. Pflege älterer Menschen“,
qualität ermöglichen. Der sondern von „elder abuse
Begriff „Gewalt“ hingegen and neglect“ oder auch
ist hierzu konträr: Wer Gewalt ausübt, zwingt „elder mistreatment“ die Rede. Am weites-
einer anderen Person den eigenen Willen auf, ten verbreitet und von der Weltgesund-
verletzt ihre physische und psychische Integ- heitsorganisation (WHO) übernommen ist
rität, bricht soziale und strafrechtliche Normen eine Definition der britischen Organisation
und setzt sich damit der sozialen Ächtung Action on Elder Abuse (AEA). Diese definiert
und der Strafverfolgung aus. Nun ist „Gewalt elder abuse als einmalige oder wiederholte
und Pflege“ nicht das einzige in diesem Sinne Handlung, beispielsweise Unterlassung einer
ungewöhnliche Begriffspaar. Wir sprechen von angemessenen Handlung, die sich in einer
Gewalt in Intimpartnerschaften oder Gewalt Beziehung ereignet, in der eine Vertrauens-
in der Erziehung seitens der Eltern – auch dies erwartung besteht, und die dem älteren
sind Konstellationen, die nicht grundsätzlich Menschen Schaden zufügt oder Leiden ver-
auf „Gewalt“ ausgerichtet sind. Eine weitere ursacht (AEA, 1995; WHO, 2008).
Gemeinsamkeit besteht darin, dass Menschen
sich in der Pflege – ebenso wie in der Partner- Als wesentliche Formen von elder abuse
schaft oder der Erziehung – sehr nahekommen. werden in der Regel benannt:

■■ körperliche Misshandlungen
Wenn von Gewalt in der Pflege die Rede ist, ist
ferner festzustellen, dass „Gewalt“ dabei in der ■■ psychische Misshandlung/verbale
Regel in einem recht weiten Sinne gebraucht Aggression
wird. In diesem Zusammenhang meint der ■■ pflegerische Vernachlässigung
Begriff nicht nur körperlichen Zwang, sondern
A N A L Y S E 9

■■ emotionale/psychosoziale Vernachlässi- viele pflegebedürftige ältere Menschen von


gung Misshandlung und Vernachlässigung betrof-
■■ finanzielle Ausbeutung fen sind, kann es nicht geben – es sind aber
immerhin Annäherungen möglich.
■■ vermeidbare Einschränkungen der Frei-
heit, Handlungs- und Entscheidungsauto-
Einschlägige Forschungen weisen insgesamt
nomie.
darauf hin, dass Pflegebedürftige
in beträchtlichem Maß Gewalt in
Verbreitung Forschungsergebnisse dem bereits genannten weiten
weisen darauf hin, Sinn erfahren.
Gewalt in Pflegebezie- dass Pflegebedürftige
hungen ist ein Phäno- in beträchtlichem Maß So gaben in einer Studie von
men, das weitgehend Gewalt erfahren. Thoma, Schacke und Zank
im Verborgenen bleibt, (2004) 20,9 Prozent der befrag-
und dessen Verbreitung ten pflegenden Angehörigen
sich nicht ohne weiteres durch einen Blick in von Demenzkranken an, gegenüber den
Statistiken von Polizei, Justiz oder anderen Ins- Pflegebedürftigen oft oder sehr oft „lauter zu
titutionen ermitteln lässt. Außer über amtliche werden“. 2,5 Prozent berichteten von häufi-
Statistiken sind Gewalt- und Kriminalitätsphä- gen Drohungen oder Einschüchterungen.
nomene grundsätzlich auch über sogenannte Ein  Prozent der Befragten gab an, den Pfle-
Opferwerdungsbefragungen zugänglich. gebedürftigen oft beziehungsweise sehr oft
Dabei werden repräsentative Stichproben der „härter anzufassen“.
Bevölkerung nach ihren Erfahrungen befragt,
und die Interviewten berichten dann auch
von Vorkommnissen, die in offiziellen Daten Pflegende Angehörige von Demenzkranken
in Deutschland geben an, …
keinen Niederschlag gefunden haben. Dieser
Weg stößt allerdings in Bezug auf Fragen der ~ 21 % gegenüber den Pflegebedürfti-
Misshandlung und Vernachlässigung schnell gen oft/sehr oft lauter zu werden
an seine Grenzen. Menschen mit Pflegebedarf 9,5 % voll Groll zu sein, was der

– und unter ihnen insbesondere die große Angehörige einem zumutet
Gruppe der demenziell Erkrankten – sind 2,5 % häufiger Drohungen/Einschüch-
durch Fragebogenstudien oder Interviews terungen auszusprechen
nur stark eingeschränkt erreichbar. 1 % den Pflegebedürftigen oft/sehr
oft härter anzufassen
Daten zu Misshandlung und Vernachläs- Thoma et al., 2004
sigung in der Pflege stammen daher in der
Regel nicht von den Betroffenen selbst,
sondern zum Beispiel aus Befragungen von In einer Befragung von Mitarbeitern ambulan-
Pflegekräften, pflegenden Angehörigen, von ter Pflegedienste fanden Rabold und Görgen
einschlägigen Institutionen wie der Heimauf- (2007), dass 39,7 Prozent der Befragten von
sicht oder den Medizinischen Diensten. Eine mindestens einer Form eigenen problemati-
abschließende Antwort auf die Frage, wie schen Verhaltens gegenüber Pflegebedürfti-
10 A N A L Y S E

gen berichteten, die im Zeitraum der letzten häufig von aggressivem Verhalten von Mitbe-
zwölf Monate stattgefunden hatte. wohnern betroffen sind (Görgen, 2017); für die
Pflegeeinrichtungen wie für die dort Tätigen
Am weitesten verbreitet waren in dieser erwachsen daraus Herausforderungen, auch
Studie die Angabe des Anwendens verbaler hier für den Schutz der Bewohner zu sorgen.
Aggression und Formen psychischer Miss-
handlung (21,4 Prozent der Befragten) sowie Entstehungsbedingungen
pflegerische Vernachlässigung (18,8 Prozent).
Mit dem Begriff „Gewalt in der Pflege“ ist
8,5 Prozent der Interviewten berichteten auch häufig die Vorstellung assoziiert, dass es sich
von mindestens einem Fall physischer Gewalt. dabei um ein Phänomen handelt, das aus
In einer Zusammenschau von Forschungser- Belastung oder Überlastung erwächst. Sicher-
gebnissen aus verschiedenen lich ist Pflege eine verant-
Ländern kommen Cooper, wortungsvolle, fordernde
Selwood und Livingston (2008) Risikofaktoren für das und bisweilen belastende
zu dem Schluss, dass etwa ein Entstehen von Gewalt Aufgabe. Überlastung
Drittel der pflegenden Ange- in der Pflege sind kann ein Grund für pro-
hörigen und ein Sechstel der vielgestaltig. blematisches bis hin zu
professionellen Pflegekräfte in gewalttätigem Verhalten
bedeutsame Formen von Miss- sein. Doch zeigt die For-
handlung verstrickt sein könnte, von denen schung, dass die Risikofaktoren für das Ent-
nur ein kleiner Teil einschlägigen Institutionen stehen von „Gewalt in der Pflege“ vielgestaltig
bekannt wird. sind.

In der Befragung von Rabold und Görgen


503 Pflegekräfte ambulanter Pflegedienste (2007) stellte sich das Risiko schwerwiegen-
in Deutschland berichten … den oder häufigen Problemverhaltens gegen-
über Pflegebedürftigen als erhöht dar, wenn
~ 40 % von problematischem Verhal­-
ten (> 1 Mal) in den letzten die Pflegekräfte
12 Monaten gegenüber
■■ häufig Übergriffen (psychischer, physischer
Pflegebedürftigen
oder sexueller Art) durch Pflegebedürftige
21 % von physischer und verbaler
Misshandlung
ausgesetzt waren,

19 % von pflegerischer ■■ Alkohol als Mittel zur Bewältigung beruf-


Vernachlässigung lich bedingter Belastungen einsetzten,
9 % von physischer Gewalt ■■ regelmäßig eine hohe Anzahl von
Rabold & Görgen, 2007 Demenzkranken zu versorgen hatten und
■■ die insgesamt von ihrem Pflegedienst
erbrachte Qualität pflegerischer Leistun-
In jüngster Zeit wird verstärkt auch der
gen kritisch einschätzten.
Umstand wahrgenommen, dass in stationä-
ren Einrichtungen lebende Pflegebedürftige
A N A LY S E 11

In einer qualitativen Interviewstudie in 90 Finanzen, Wohnung, aber auch auf emotio-


häuslichen Pflegearrangements (Nägele et al., naler Ebene) als bedeutsame Risikofaktoren
2010) wurde außerdem angesehen werden müssen.
herausgearbeitet, dass
sich für die pflegebedürf- Misshandlung und Ver­ Es bedarf weiterer For-
tige Person riskante Kons- nachlässigung können schung, um die Bedeutung
tellationen vielfach durch nicht ausschließlich vor anderer Risikofaktoren bes-
folgende Bedingungen dem Hintergrund pflege­ ser bemessen zu können.
auszeichneten: induzierter Belastung Dazu gehören etwa gesell-
und Überlastung ver­ schaftliche Einstellungen zu
■■ Die Qualität der standen werden. Gewalt und Zwang sowie
Beziehung wurde vor allgemein zum Alter ebenso
Pflegeübernahme als wie die sozialen und ökono-
schlecht beschrieben. mischen Bedingungen, unter denen Pflege
stattfindet.
■■ Die Beziehung zwischen der pflegenden

und der pflegebedürftigen Person war


Zusammenfassung
stark hierarchisch geprägt.
■■ Die Pflegeperson sah sich mit aggressivem Wenn es um Pflege geht, hat das Wort„Gewalt“
und schwierigem Verhalten des Pflegebe- das Potenzial, Aufmerksamkeit zu wecken. Die
dürftigen konfrontiert. Vielzahl der Phänomene, die damit üblicher-
■■ Der pflegende Angehörige war selbst in weise bezeichnet werden, wird aber durch
schlechter physischer und psychischer eine Formulierung wie „Misshandlung und
Verfassung. Vernachlässigung“ besser abgebildet.

■■ Der pflegende Angehörige neigte zu Subs-


Misshandlung und Vernachlässigung sind
tanzmissbrauch.
für die Forschung schwer zugängliche Tatbe-
■■ Es mangelte den Angehörigen an Wissen stände, weil sie sich in offiziellen Statistiken
um Krankheitssymptome und -verläufe. kaum niederschlagen und die potenziell
■■ Die wirtschaftliche Lage des Haushalts war Betroffenen für Befragungen nur bedingt
prekär. erreichbar und auskunftsfähig sind. Vorlie-
gende Befunde weisen jedoch darauf hin,
■■ Es gab Hinweise auf eine primär finanzi-
dass Misshandlung und Vernachlässigung in
elle Motivation zur Aufrechterhaltung der
der professionellen wie der familialen Pflege
Pflege.
weit verbreitet sind.
Ein Bericht der WHO (Sethi et al., 2011) kommt
zu dem Schluss, dass vor dem Hintergrund Misshandlung und Vernachlässigung können
existierender Untersuchungen unter anderem nicht ausschließlich vor dem Hintergrund
demenzielle Erkrankungen, die soziale Isola- pflegeinduzierter Belastung und Überlastung
tion des Opfers, psychische Störungen und verstanden werden. Forschungsergebnisse
Alkoholmissbrauch aufseiten des Täters sowie weisen darauf hin, dass auch Merkmale des
Abhängigkeit zwischen beiden (in Bezug auf Opfers (wie Demenz oder eine schwache
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soziale Einbindung), des Gewalt Ausübenden zwischen Pflegenden und Gepflegten sowie
(wie Alkoholkonsum, schlechte physische der finanzielle Kontext, in dem die Pflege
oder psychische Verfassung), die Beziehung stattfindet, von Bedeutung sind.

Literatur

Action on Elder Abuse (AEA) (1995). Action on Elder Gewalterfahrungen im Leben alter Menschen. Verlag
Abuse’s definition of elder abuse. für Polizeiwissenschaft, 208-480.

Cooper, C., Selwood, A. & Livingston, G. (2008). The Rabold, S. & Görgen, T. (2007). Misshandlung und Ver-
prevalence of elder abuse and neglect: A systematic nachlässigung älterer Menschen durch ambulante
review. Age Ageing, 37, 151-160. Pflegekräfte: Ergebnisse einer Befragung von Mitar-
beiterinnen und Mitarbeitern ambulanter Dienste. Z
Görgen, T. (2017). Sichere Zuflucht Pflegeheim? Gerontol Geriatr, 40, 366-374.
Aggression und Gewalt unter Bewohnerinnen und
Bewohnern stationärer Altenhilfeeinrichtungen: Sethi, D., Wood, S., Mitis, F., Bellis, M., Penhale, B.,
Bestandsaufnahme eines sich entwickelnden For- Iborra, I., Lowenstein, A., Manthorpe, G. & Kärki, F. U.
schungsfeldes. DHPol. (2011) (Hrsg.). European report on preventing elder
maltreatment. WHO/Europe.
Nägele, B., Kotlenga, S., Görgen, T. & Leykum, B. (2010).
Ambivalente Nähe: eine qualitative Interviewstudie Thoma, J., Schacke, C. & Zank, S. (2004). Gewalt gegen
zur Viktimisierung Pflegebedürftiger in häuslichen demenziell Erkrankte in der Familie. Z Gerontol Geri-
Pflegearrangements. In T. Görgen (Hrsg.), „Sicherer atr, 37(5), 349-350.
Hafen“ oder „gefahrvolle Zone“? Kriminalitäts- und
World Health Organization (WHO) (2008). A global
response to elder abuse and neglect.

Zum Autor
Prof. Dr. Thomas Görgen ist Professor für Kriminologie und Lei-
ter des Fachgebiets „Kriminologie und interdisziplinäre Krimi-
nalprävention“ an der Deutschen Hochschule der Polizei. Sein
Forschungsschwerpunkt ist Gewalt gegen ältere Menschen.
A N A LY S E 13

ZQP-Analyse: Gewalt in der stationären


Langzeitpflege
Simon Eggert, Patrick Schnapp und Daniela Sulmann
- in alphabetischer Reihenfolge -

I. Hintergrund der Befragung gungen, die das Zentrum für Qualität in der
Pflege (ZQP) 2012 und 2014 durchgeführt
Ende 2015 gab es in Deutschland 2,9 Millio- hat (Zentrum für Qualität in der Pflege, 2012,
nen Menschen, die pflegebedürftig im Sinne 2014).
der Pflegeversicherung waren. Von ihnen
wurden knapp drei Viertel zu Hause versorgt International findet man wenige Studien, die
und gut ein Viertel in stationären Einrichtun- spezifisch Gewalt in der Pflege thematisieren.
gen (Statistisches Bundesamt, 2017). Ende Vielmehr taucht das Thema als Sonderfall
2007 waren es noch weniger als 2,3 Millionen der Forschung zur Gewalt gegen Ältere auf
(Statistisches Bundesamt, 2008). Diese Ent- („elder abuse and neglect“ oder „elder malt-
wicklung wird sich in Zukunft fortsetzen. Eine reatment“). Die Weltgesundheitsorganisation
Prognose geht davon aus, dass es 2030 knapp definiert Gewalt gegen Ältere („elder maltre-
3,5 Millionen, 2040 schon knapp vier Millio- atment“) als „eine einmalige oder wiederholte
nen Pflegebedürftige geben wird – wobei Handlung oder das Unterlassen einer ange-
steigende Zahlen aufgrund der Einführung messenen Reaktion, die im Rahmen einer
des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs noch Vertrauensbeziehung stattfindet und wor-
nicht berücksichtigt sind (Rothgang et al., durch einer älteren Person Schaden oder Leid
2016,). zugefügt wird“ (Sethi et al., 2011, S. 1, eigene
Übersetzung).
Pflegebedürftige sind von Gewalt vermutlich
stärker betroffen als ältere Menschen, die Gewalt fängt also nicht erst beim Schlagen
nicht pflegebedürftig sind. Denn Charakteris- an. Vernachlässigung, Demütigung oder
tika, die mit Pflegebedürftigkeit einhergehen schlechte Pflege sind auch Formen von
– kognitive Einschränkungen, körperliche Gewalt. Dabei muss sie nicht immer von
Einschränkungen oder anderweitig schlechte einer Person ausgehen, sondern kann auch
Gesundheit – sind in der internationalen For- in Strukturen begründet sein, zum Beispiel
schung als Risikofaktoren identifiziert worden, starre Tagesabläufe in Pflegeeinrichtungen,
Gewalt zu erleben (Lachs & Pillemer, 2015; die es nicht erlauben, auf individuelle Wün-
Lindert et al., 2013). sche eines Bewohners einzugehen. Auch der
Eingriff in die Selbstbestimmung des Pflege-
Dennoch spielt das Thema Gewalt gegen bedürftigen ist Gewalt, ebenso psychische
Pflegebedürftige im Bewusstsein der Bevöl- wie körperliche Misshandlung (auch in Form
kerung eine eher untergeordnete Rolle. Dies sexuellen Missbrauchs), missbräuchliche
zeigen zum Beispiel zwei Bevölkerungsbefra- Gabe von Medikamenten und finanzielle
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Ausbeutung (Görgen, 2015; Schnapp, 2016; erhöhtes Risiko haben Pflegende, die Men-
Suhr, 2015). Eine besondere Form der Gewalt schen mit kognitiven Einschränkungen oder
stellen freiheitsentziehende Maßnahmen dar. Verhaltensstörungen betreuen.
Das bedeutet, eine Person wird gegen ihren
Willen durch Vorrichtungen, Gegenstände Es gibt international auch einige Arbeiten,
oder Medikamente in ihrer Fortbewegungs- die Aggressionen zwischen Bewohnern
freiheit beeinträchtigt. Dazu gehören mecha- von stationären Einrichtungen untersuchen
nische Fixierungen, wie Bettgitter, Gurte, (zusammenfassend: Ferrah et al., 2015). Das
Stecktische, das Absperren eines Zimmers erste Projekt dazu in Deutschland wird zurzeit
und ruhigstellende Medikamente, wie Schlaf- gemeinsam vom ZQP und der Deutschen
mittel oder Psychopharmaka. Häufig wird Hochschule der Polizei durchgeführt und
die Anwendung von freiheitsentziehenden vom Bundesministerium für Familie, Senioren,
Maßnahmen damit begründet, Stürze und Frauen und Jugend gefördert.
Verletzungen bei Pflegebedürftigen vermei-
den zu wollen. Jedoch kann die Anwendung Wie häufig Gewalt gegen Pflegebedürftige
sogar zu einer Zunahme von Stürzen und in Deutschland vorkommt, ist nicht genau
Verletzungen führen, da die Bewegungs- bekannt (Görgen, 2015; Schnapp, 2016;
fähigkeit nachlässt. Freiheitsentziehende Suhr, 2015). Der Grund: Alle methodischen
Maßnahmen werden auch bei Menschen Zugänge, die zur Erforschung von Gewalt-
mit Demenz mit der Absicht eingesetzt, vorkommnissen in den Sozialwissenschaften
Unruhe und Umherirren zu reduzieren. Die üblicherweise eingesetzt werden, haben
Einschränkung der Bewegungsfreiheit kann Schwächen und Grenzen – und diese treten
aber gerade bei ihnen erhöhte Unruhe und bei der Erforschung von Gewalt gegen Pflege-
Aggressivität bewirken (Köpke et al., 2015). bedürftige besonders deutlich hervor.
Weil freiheitsentziehende Maßnahmen
schwerwiegende psychische und physische Untersuchungen, bei denen Teilnehmer
Folgen mit sich bringen können, dürfen sie gefragt werden, ob sie in letzter Zeit Gewalt
nur eingesetzt werden, wenn die betreffende erfahren haben, sind hier kaum geeignet.
Person schriftlich zustimmt oder um Lebens- Diese Befragungen setzen unter anderem
gefahr oder erhebliche Gesundheitsschädi- voraus, dass ein in Frage stehendes Verhalten
gungen abzuwenden. Bei Personen, die nicht überhaupt wahrgenommen und als berich-
einwilligungsfähig sind, ist die Zustimmung tenswert verstanden wird. Körperliche und
des gesetzlichen Betreuers erforderlich, kognitive Einschränkungen können dazu
zusätzlich muss immer eine richterliche führen, dass Ereignisse kaum oder nicht wahr-
Genehmigung eingeholt werden. genommen werden. Zudem kann es sein, dass
Gewalt nicht als solche erkannt oder benannt
Pflegende können also verschiedene Formen wird, zum Beispiel aus Angst aufgrund beste-
von Gewalt gegen Pflegebedürftige anwen- hender Abhängigkeiten. Aus diesen Gründen
den – sie können aber auch selbst Gewalt dürfte die Häufigkeit von Opferwerdungen
erfahren (Franz et al., 2010; Schablon et al., bei Befragungen Pflegebedürftiger deutlicher
2012), zum Beispiel indem sie beschimpft, unterschätzt werden als bei Befragungen der
gekniffen oder sexuell belästigt werden. Ein meisten anderen Bevölkerungsgruppen. Es
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kommt hinzu, dass insbesondere Menschen Statistiken Pflegebedürftige als Opfer nicht
mit Demenz nur sehr eingeschränkt aus- gesondert ausweisen.
kunftsfähig sind (ähnlich Görgen, 2015; Lachs
& Pillemer, 2015). Das heißt keineswegs, dass es unmöglich ist,
Aussagen zur Gewalt gegen Pflegebedürftige
Geeigneter scheinen Untersuchungsdesigns, in Deutschland zu treffen. In der Zusam-
bei denen die Teilnehmer nach Gewalt menschau und Bewertung verschiedener
gefragt werden, die sie selbst ausgeübt Quellen lassen sich näherungsweise Angaben
haben. Hierbei muss jedoch darauf gesetzt machen.
werden, dass diese über ihr eigenes Handeln
wahrheitsgemäß Auskunft geben. Dass bei Für eine Befragung zum Thema Vernachlässi-
solch heiklen Themen wie Gewalt manche gung und Misshandlung ambulant versorgter
Befragte unwahre Antworten geben, um Pflegebedürftiger durch Pflegekräfte wurden
ein übermäßig positives Bild von sich zu 2005 alle Mitarbeiter ambulanter Dienste in
zeichnen, ist in der Befragungsforschung Hannover angeschrieben und gebeten, über
unter dem Stichwort „sozial erwünschtes ihr eigenes Verhalten in den letzten zwölf
Antwortverhalten“ bekannt (zusammenfas- Monaten Auskunft zu geben. Dabei gaben
send Krumpal, 2013; Tourangeau & Yan, 2007). 40 Prozent der Teilnehmer mindestens eine
Außerdem kann es auch hier zu fehlerhaften Verhaltensweise zu, die von den Studienauto-
Angaben kommen, weil Verhaltensweisen, ren als Misshandlung oder Vernachlässigung
die als Gewalt definiert sind, nicht als solche eingestuft wurde. Die Werte waren 21 Prozent
verstanden werden.1 Beide Phänomene füh- für psychische Misshandlung, 19  Prozent für
ren auch hier zu einer Unterschätzung von pflegerische Vernachlässigung, 16 Prozent
solchen Vorkommnissen. für psychosoziale Vernachlässigung, neun
Prozent für physische Misshandlung und zehn
Sozialwissenschaftler, die strafrechtlich rele- beziehungsweise vier Prozent für mecha-
vante Aspekte von Gewalt in der Pflege unter- nische beziehungsweise medikamentöse
suchen wollen, ziehen dafür häufig polizeili- Freiheitseinschränkung; sexuelle Übergriffe
che Kriminalstatistiken heran. Eine bekannte wurden nicht berichtet (Rabold & Görgen,
Schwäche dieser Datenquelle ist, dass sie nur 2007).
solche Fälle abbildet, die der Polizei bekannt
werden – was in aller Regel aufgrund einer Die internationale Forschung zeigt, dass das
Anzeige geschieht. Die hieraus resultierende Risiko von Pflegebedürftigen in stationären
Diskrepanz zwischen tatsächlichen und in der Einrichtungen Gewalt zu erfahren, eher höher
Statistik abgebildeten Vorkommnissen dürfte ist als das von ambulant versorgten Personen
bei Gewalt gegen Pflegebedürftige beson- (Castle, Ferguson-Rome & Tedesi, 2015). Dieser
ders groß sein. Hinzu kommt, dass solche Schluss liegt auch nahe, wenn man die eben
dargestellten Ergebnisse aus dem ambulan-

1  Deshalb wird in Befragungen meist nach möglichst konkreten Verhaltensweisen gefragt. Jedoch muss hier häufig ein Kompromiss
gefunden werden zwischen dem Ziel der möglichst konkreten Beschreibung von Vorkommnissen und dem Ziel, den Fragebogen
möglichst kurz zu halten.
16 A N A L Y S E

ten Sektor vergleicht mit denen einer ähnlich hende Maßnahmen in Form nicht indizierter
aufgebauten Befragung von Pflegekräften in Medikation ein nennenswertes Phänomen
stationären Einrichtungen in Hessen2. Hier darstellen. In einer Überblicksarbeit zur
berichteten 72 Prozent der Befragten, in den Anwendung von Psychopharmaka bei Pfle-
vergangenen zwölf Monaten mindestens ein- gebedürftigen stellt Thürmann (2017) fest,
mal ein Verhalten gezeigt zu haben, das von dass häufig Psychopharmaka verordnet wer-
den Autoren als Misshandlung oder Vernach- den, die auf der PRISCUS-Liste stehen. Diese
lässigung eingestuft wurde. Am häufigsten Liste verzeichnet Medikamente, die man „bei
berichteten die Befragten von psychischer älteren Menschen möglichst nicht anwen-
Misshandlung und pflegerischer Vernachläs- den sollte oder deren Dosierung angepasst
sigung (je 54 Prozent); die Werte waren 30 werden muss“ (Holt, Schmiedl & Thürmann,
Prozent für psychosoziale Vernachlässigung, 2010, S. 544), weil ihre Einnahme für ältere
24 Prozent für physische Misshandlung und Patienten ein erhöhtes Risiko darstellt. Die
28 beziehungsweise sechs Prozent für mecha- Autorin kommt zu dem Schluss: „Es existiert
nische beziehungsweise unangemessene eine Diskrepanz zwischen den restriktiven
medikamentöse Freiheitsbeschränkung; Anwendungsempfehlungen dieser Medika-
sexueller Missbrauch wurde nicht berichtet mente und der tatsächlichen Verordnungs-
(Görgen, 2009). prävalenz“ (Thürmann, 2017, S. 119). Die
Münchner Heimaufsicht hat die Verwendung
Zu freiheitsentziehenden Maßnahmen kön- sogenannter „Bedarfs-Psychopharmaka“
nen die Zahlen aus dem Qualitätsbericht des untersucht. Dies sind Psychopharmaka, die
Medizinischen Dienstes des Spitzenverban- zusätzlich zu fest verordneten Medikamen-
des Bund der Krankenkassen (MDS) herange- ten bei Bedarf gegeben werden. Pflegekräfte
zogen werden. Danach wurden 2013 am Tag dürfen diese Medikamente in solchen Situati-
der unangekündigten Überprüfung bei zwölf onen verabreichen, für die der behandelnde
Prozent der Bewohner freiheitsentziehende Arzt eine entsprechende Indikation formu-
Maßnahmen festgestellt; bei acht Prozent liert hat. Die häufigsten Indikationen waren
von diesen lagen die juristisch erforderlichen in dieser Untersuchung Schlafstörungen und
Einwilligungen oder Genehmigungen nicht Unruhe; die Medikamente wurden zu zwei
vor (MDS, 2014). In Studien zeigen sich große Dritteln nachts gegeben (Landeshauptstadt
Unterschiede zwischen Einrichtungen: So lag München, 2013). Die Autoren werten dies als
in einer Untersuchung von 30 Heimen der Hinweis darauf, „dass fehlende strukturelle
Anteil der Bewohner, die freiheitsentziehen- und personelle Konzepte kompensiert wer-
den Maßnahmen ausgesetzt waren, zwischen den. Gerade zu den Abend- und Nachtstun-
vier und 59 Prozent (Köpke & Meyer, 2008). den wird mit knappen Personalkapazitäten
gearbeitet“ (Landeshauptstadt München,
Pharmakologisch ausgerichtete Studien 2013, S. 31).
legen den Schluss nahe, dass freiheitsentzie-

2  Jedoch waren die verwendeten Fragebögen nur ähnlich, nicht etwa genau analog aufgebaut. In der Studie in stationären Einrichtun-
gen wurde nach 46 verschiedenen Verhaltensweisen gefragt, die dann als Missbrauch oder Vernachlässigung eingestuft wurden, in der
Studie im ambulanten Sektor nur 33 (Rabold & Görgen, 2007, Görgen, T., persönliche Kommunikation, 1. Juni 2017). Daher wären etwas
höhere Zahlen für den ambulanten Sektor auch dann zu erwarten, wenn die tatsächlichen Raten gleich wären. Außerdem fanden die
Untersuchungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten in unterschiedlichen Städten statt.
A N A LY S E 17

Die bisherige Forschung zeigt also, dass Abstände zwischen „nie“ und „selten“, „selten“
Gewalt gegen ältere, speziell auch pflegebe- und „gelegentlich“ sowie „gelegentlich“ und
dürftige Menschen ein nennenswertes Phä- „oft“ von Befragten als etwa gleich groß wahr-
nomen ist. Laut der Prüfergebnisse des MDS genommen werden (Rohrmann, 1978).
kommen auch freiheitsentziehende Maßnah-
men oft vor. Pharmakologische Studien legen Die Studie wurde als computergestützte Tele-
den Schluss nahe, dass zu diesem Zweck fonbefragung (CATI) durchgeführt. Befragt
häufig auch Medikamente eingesetzt werden. wurden Pflegedienstleitungen und Quali-
tätsbeauftragte in stationären Einrichtungen.
Mit der hier vorgelegten Analyse leistet das Die Stichprobe umfasst 250 Befragte aus 250
ZQP einen weiteren Beitrag zur Bearbeitung verschiedenen Einrichtungen. Die Dienste
des Themas, indem untersucht wird, welche und Einrichtungen wurden aus einer Liste der
Instrumente zur Prävention von Gewalt in Grundgesamtheit per Zufallsauswahl selek-
stationären Einrichtungen vorhanden sind tiert. Die Befragung wurde vom 26. April bis
und welche Rahmenbedingungen als wichtig 18. Mai 2017 durchgeführt.
erachtet werden. Hierfür wurden Pflege-
dienstleitungen und Qualitätsbeauftragte Um Abweichungen von der Grundgesamt-
dazu befragt. Darüber hinaus wurden sie heit auszugleichen, die durch differenzielle
um ihre Einschätzungen zur Häufigkeit von Nichtteilnahme entstehen, wurde die Stich-
Gewaltvorkommnissen in der Pflege gebeten. probe nach Kombination von Trägerschaft
(privat; freigemeinnützig/öffentlich) und
II. Methoden und Vorgehensweise Anzahl der betreuten Pflegebedürftigen
(bis 50; 51–100; über 100) gewichtet. Hierfür
Bei der Entwicklung des Fragebogens für wurde die Pflegestatistik 2015 (Statistisches
die Studie stellte die Frage zu Gewaltvor- Bundesamt, 2017) herangezogen. Die Werte
kommnissen in der Pflege eine besondere der Gewichte reichen von 0,70 bis 2,35. Die
Herausforderung dar. Theoretisch denkbar statistische Fehlertoleranz der Untersuchung
wäre es gewesen, die Befragten nach Gewal- in der Gesamtstichprobe liegt bei +/- sechs
tereignissen in ihrer Einrichtung zu fragen. Prozentpunkten.
Dies schien jedoch wenig sinnvoll, da zu
erwarten stand, dass viele Befragte Probleme III. Ergebnisse
gehabt hätten, hierzu zutreffende Aussagen
zu machen. Stattdessen wurden die Befragten Wichtigkeit des Themas und Schätzungen
gebeten, im Sinne eines Experteninterviews der Häufigkeit
einzuschätzen, wie häufig verschiedene
Gewaltformen „insgesamt in der stationären ■■ Knapp die Hälfte der Befragten (47  Pro-
Pflege“ vorkommen. zent) sagt, dass Konflikte, Aggression und
Gewalt in der Pflege stationäre Einrichtun-
Als Antwortmöglichkeiten angeboten gen vor ganz besondere Herausforderun-
wurden die verbalen Häufigkeitsbeschrei- gen stellen.
bungen „nie“, „selten“, „gelegentlich“ und „oft“.
Empirische Studien haben gezeigt, dass die
18 A N A L Y S E

■■ Den Befragten zufolge sind die häufigsten Hilfe vorenthalten, also zum Beispiel Inkonti-
Gewaltformen verbale Aggressivität, Ver- nenz-Material nicht wechseln, obwohl dies nötig
nachlässigung und körperliche Gewalt. wäre?“
■■ Die Häufigkeit von Gewaltanwendung
wird in der Befragung eher unterschätzt. Körperliche Gewalt: „Und wie ist es mit körper-
licher Gewalt von professionellen Pflegekräften
Für die Befragung wurden gezielt Pflege- gegenüber Pflegebedürftigen, also zum Beispiel
dienstleitungen und Qualitätsbeauftragte durch Schubsen, hart Anfassen oder Schlagen?“
angesprochen.
Freiheitsentziehende Maßnahmen: „Und wie
47 Prozent der Befragten gaben an, dass sie ist es damit, dass professionelle Pflegekräfte
„Konflikte, Aggression und Gewalt in der die Pflegebedürftigen gegen ihren Willen in
Pflege“ für ein Thema halten, das stationäre der Bewegungsfreiheit einschränken, also zum
Pflegeeinrichtungen „in der heutigen Zeit vor Beispiel durch Festbinden, Einschließen oder die
ganz besondere Herausforderungen“ stellt. Gabe von nicht angezeigten Medikamenten?“

Weiter wurde gefragt, wie häufig verschie- Finanzieller Missbrauch: „Wie ist es damit, dass
dene Formen der Gewalt „insgesamt in der professionelle Pflegekräfte die Hilflosigkeit der
stationären Pflege“ vorkommen. Es wurde Pflegebedürftigen ausnutzen, um sich selbst
darauf geachtet, dass die Frage nicht zu abs- finanziell zu bereichern, also zum Beispiel Unter-
trakt, sondern anschaulich und kurz formuliert schriften unter Verträge erzwingen oder Geldge-
war, gleichzeitig aber ein breites Verhaltens- schenke einfordern?“
spektrum abdeckte. So lautete zum Beispiel
die Frage zur verbalen Aggressivität: Die Ergebnisse sind in Abbildung 1 dargestellt.

„Und wie ist es mit verbaler Aggressivität von Dass in der Einschätzung der Befragten
professionellen Pflegekräften gegenüber Pflege- verbale Aggressivität und Vernachlässigung
bedürftigen, also zum Beispiel durch Anschreien in der Pflege häufiger vorkommen als die
oder herabsetzende Bemerkungen? anderen Missbrauchsformen, deckt sich mit
den Erkenntnissen der Forschung zu Gewalt
Kommt das Ihrer Meinung nach insgesamt in der in der stationären Pflege in Deutschland. Die
stationären Pflege ‚nie‘ vor – ‚selten‘ – ‚gelegent- Ergebnisse sind dennoch sehr überraschend.
lich‘ – oder ‚oft‘?“ Denn zwischen 20 und 79 Prozent der Befrag-
ten geben an, dass das in Frage stehende Ver-
In ähnlicher Weise wurde auch nach verbaler halten „insgesamt in der stationären Pflege“
Vernachlässigung, körperlicher Gewalt, frei- „nie“ vorkommt. Diese Angaben stehen nicht
heitsentziehenden Maßnahmen und finanzi- in Einklang mit dem aktuellen Wissensstand
ellem Missbrauch gefragt. Diese wurden wie über Gewalt gegen Pflegebedürftige und der
folgt eingeführt: konsentierten Experteneinschätzung, dass
alle im Fragebogen zur Auswahl gestellten
Vernachlässigung: „Und wie ist es damit, dass Gewaltformen in der Pflege vorkommen.
professionelle Pflegekräfte den Pflegebedürftigen Mehr noch: Selbst wer den Fachdiskurs zum
A N A LY S E 19

Abbildung 1: Einschätzungen zur Häufigkeit verschiedener Gewaltformen in der Pflege insgesamt


n = 250; Angaben in Prozent.

verbale Aggressivität 20 55 23 2
Vernachlässigung 42 39 17 2
körperliche Gewalt 54 38 7 1
freiheitsentziehende Maßnahmen 67 25 5 4
finanzieller Missbrauch 79 18 3

 nie  selten  gelegentlich  oft   weiß nicht /keine Angabe

Thema nicht verfolgt, dürfte aus Medienbe- Maßnahmen zum Umgang mit Aggressio-
richten wissen, dass es in deutschen statio- nen und Gewalt
nären Einrichtungen alle Formen der Gewalt
gibt. ■■ Strukturen, die bei der Eindämmung
von und dem Umgang mit aggressiven
Die für die Analyse erhobenen Zahlen zur Situationen helfen könnten, sind in vielen
Häufigkeit von Gewaltanwendung professi- Einrichtungen offenbar deutlich verbesse-
oneller Pflegekräfte gegen Pflegebedürftige rungsfähig.
stellen nach Einschätzung des ZQP eine ■■ In fast der Hälfte der Einrichtungen (46 Pro-
tendenzielle Unterschätzung des Problems zent) gibt es kein Personal, das speziell für
dar. Vielmehr ist mit einer noch höheren den Umgang mit Konflikten, Aggression
Auftrittshäufigkeit von Gewalthandlungen und Gewalt geschult ist.
zu rechnen. Viele Faktoren könnten zu einer
■■ In einem Fünftel der Einrichtungen
solchen Unterschätzung beitragen: Sozial
(20 Prozent) ist das Thema nicht expliziter
erwünschtes Antwortverhalten, wie es bei als
Bestandteil des Qualitätsmanagements,
heikel empfundenen Themen (insbesondere
in über einem Viertel (28 Prozent) wird es
bei telefonischen Befragungen) nicht unge-
nicht in einem Fehlerberichtssystem dar-
wöhnlich ist (Toureangeau & Yan, 2007), ein
gestellt.
Missverständnis der Fragen dahingehend,
dass nur von der eigenen Einrichtung die Verschiedene Strukturmerkmale könnten
Rede sei, Tabuisierung und mangelnder Wille, dabei helfen, aggressiven Situationen in der
sich mit dem Thema auseinanderzusetzen stationären Pflege vorzubeugen und/oder
sowie fehlendes Problembewusstsein können mit entstandenen Situationen umzugehen.
Gründe sein. Dies weist auf die Notwendigkeit Daher wurden die Teilnehmer gefragt, welche
hin, auf seriöse Weise mehr Aufmerksamkeit Strukturen dieser Art es in den Einrichtungen
für das Thema zu erzeugen. gibt beziehungsweise wo diesbezügliche Ver-
besserungsbedarfe vorhanden sein könnten.
20 A N A L Y S E

Abbildung 2: Anteil der stationären Einrichtungen, in denen eine Form des Umgangs mit aggressiven
Situationen nicht institutionalisiert ist
n = 250; Mehrfachantworten möglich.

kein speziell weitergebildetes Personal %


Umgang mit dem Thema ist nicht Teil
des Leitbildes %
wird nicht in einem Fehlerberichtssystem
%
dargestellt
Umgang mit dem Thema ist nicht %
Bestandteil des Qualitätsmanagements

„Manche Pflegeeinrichtungen und Pflegedienste werden können und insbesondere das Thema
richten bestimmte Maßnahmen ein, um aggres- nicht ausdrücklich Bestandteil des Qualitäts-
siven Situationen vorzubeugen oder damit managements ist, weist darauf hin, dass der
umzugehen, wenn sie doch einmal vorkommen. Prävention und dem Umgang mit Gewalt in
Andere Einrichtungen und Dienste machen dies Pflegeeinrichtungen häufiger nicht die Beach-
nicht. Bitte sagen Sie mir für jede der folgenden tung zukommt, die angesichts der Relevanz
Maßnahmen, ob es dies bei Ihnen gibt – oder für Pflegebedürftige notwendig scheint.  
nicht.“
Rahmenbedingungen zur Gewaltprävention
In der Abbildung 2 dargestellt sind die Anteile
der Einrichtungen, in denen es bestimmte ■■ Knapp drei Viertel der Befragten (74  Pro-
Strukturmerkmale nicht gibt. Hier zeigt sich, zent) sagen, eine konstruktive Fehlerkultur
dass die erfragten Maßnahmen/Merkmale in sei zur Verringerung von Gewalt von pro-
nennenswerten Anteilen der Einrichtungen fessionellen Pflegekräften gegen Pflegebe-
nicht vorhanden sind. dürftige „ganz besonders wichtig“.
■■ Die Hälfte (50 Prozent) hält mehr Pflege-
Beachtenswert scheint insbesondere das personal zur Gewaltprävention für „ganz
Ergebnis zu speziell für den Umgang mit besonders wichtig“.
Aggressionen geschultem Personal. In
■■ Auch die bessere fachliche Ausbildung zu
Deutschland werden von der Berufsgenos-
dem Thema wird von einem Großteil der
senschaft Gesundheitsdienst und Wohlfahrts-
Befragten (44 Prozent) als entsprechend
pflege Multiplikatorenschulungen angeboten.
relevant angesehen.
Evaluationen zeigen verbessertes Wissen und
positive Einschätzungen der Schulungen In einer weiteren Frage ging es allgemeiner
(Peller & Dauber, 2011; Richter, 2011). Dass 46 um Rahmenbedingungen in den Einrichtun-
Prozent der Einrichtungen kein speziell für den gen, die dabei helfen können, Gewalt durch
Umgang mit Aggressionen geschultes Per- professionelle Pflegekräfte gegenüber Pflege-
sonal haben, in vielen Einrichtungen Vorfälle bedürftigen in stationären Einrichtungen zu
nicht in einem Fehlerberichtssystem berichtet verringern. Hierfür wurde den Teilnehmern
A N A LY S E 21

Abbildung 3: Anteil der Befragten, die angeben, dass eine Rahmenbedingung „ganz besonders
wichtig“ ist
n = 250; Mehrfachantworten möglich.

eine konstruktive Atmosphäre im Betrieb, die es ermög- %


licht, Fehler offen und lösungsorientiert anzusprechen
mehr Pflegepersonal einsetzen %
allgemein eine bessere fachliche Ausbildung der Pflege-
kräfte zum Thema Konflikte, Aggression und Gewalt %
Unterstützungsprogramme für Pflegekräfte, die ihnen dabei
helfen, erfolgreicher mit beruflichen Belastungen umzugehen %
regelmäßige und verpflichtende Fortbildungen für
Pflegekräfte zum Thema „Wie erkennt man die Folgen von %
Gewaltanwendung gegen Pflegebedürftige?“
den Anteil von Pflegekräften am Personal vergrößern %

regelmäßige und verpflichtende Anti-Aggressions- und


Deeskalations-Trainings für Pflegekräfte %

eine Liste von Rahmenbedingungen vorge- Um das Problem ‚Gewalt beziehungsweise


legt, die sie danach bewerten sollten, wie Aggression von professionellen Pflegekräften
wichtig sie seien. gegenüber Pflegebedürftigen‘ in den Griff zu
bekommen: Wie wichtig ist ...?“
Die Erfahrung zeigt, dass bei Fragen dieser
Art häufig wenig aussagekräftige Ergebnisse Als bei weitem am wichtigsten eingeschätzt
entstehen, weil Befragte fast alle Antwort- wird eine konstruktive Fehlerkultur, also eine
möglichkeiten auswählen. Deshalb wurde Atmosphäre, „die es ermöglicht, Fehler offen
zusätzlich zu den beiden Antwortmöglich- und lösungsorientiert anzusprechen“ (Item-
keiten „nicht wichtig“ und „wichtig“ gezielt die formulierung). Dies ist eine Einflussgröße, die
Antwortmöglichkeit „ganz besonders wichtig“ durch entsprechende Managemententschei-
angeboten. Die Ergebnisse in Abbildung 3 dungen beeinflussbar ist.
zeigen, wie häufig diese gewählt wurde.
Als verhältnismäßig unwichtig angesehen
„Wenn es darum geht, Gewalt beziehungsweise werden Fortbildungen und Trainings. Dies
Aggression von professionellen Pflegekräften überrascht tendenziell, weil diese in der Fach-
gegenüber Pflegebedürftigen zu verringern – literatur als besonders hilfreich beschrieben
was würde da helfen? Ich nenne Ihnen jetzt werden, um Handlungssicherheit zur Vorbeu-
sieben mögliche Maßnahmen. Sagen Sie mir gung von und zum Umgang mit Gewalt zu
bitte jeweils, ob dies Ihrer Meinung nach ‚nicht erlangen (Köpke et al., 2012).
wichtig‘ ist – ‚wichtig‘ – oder sogar ‚ganz beson-
ders wichtig‘, um das Problem in den Griff zu
bekommen.
22 A N A L Y S E

Zusammenfassung Prozent oft; sieben Prozent gelegentlich; 38


Prozent selten).
Die vorliegende Arbeit erweitert das Wissen
über Gewalt in der Pflege. Hierfür wurden Geeignete Maßnahmen und Strukturen kön-
von Pflegedienstleitungen und Qualitäts- nen dabei helfen, Gewalt vorzubeugen und
beauftragten in der stationären Pflege erfolgte Gewaltereignisse so zu verarbeiten,
Einschätzungen zum Thema erfragt. Inhalte dass ihre Häufigkeit in Zukunft verringert wird.
der Befragung waren unter anderem die Häu- In vielen Einrichtungen sind solche Bedingun-
figkeit von Gewalt gegen Pflegebedürftige gen offenbar deutlich verbesserungsfähig.
durch professionelle Pflegekräfte, strukturelle So beschäftigt knapp die Hälfte der Einrich-
Merkmale der Einrichtung des Befragten, die tungen kein speziell für das Thema fortge-
bei der Eindämmung von Gewalt helfen kön- bildetes Personal (46 Prozent), in über einem
nen, und Rahmenbedingungen, die Einfluss Viertel können Gewaltvorkommnisse nicht
auf Gewalt gegen Pflegebedürftige haben. in einem Fehlerberichtssystem dargestellt
Per computergestütztem Telefoninterview werden (28  Prozent) und in einem Fünftel
wurden hierfür 250 zufällig ausgewählte Pfle- ist der Umgang mit dem Thema nicht expli-
gedienstleitungen und Qualitätsbeauftragte ziter Bestandteil des Qualitätsmanagements
von stationären Einrichtungen befragt. Die (20 Prozent).
Ergebnisse wurden nach Trägerschaft und
Größe nachgewichtet. Die Stichprobe ist Um Gewalt gegen Pflegebedürftige durch
repräsentativ für die stationären Einrichtun- Pflegekräfte zu verringern, ist nach Meinung
gen in Deutschland. der Befragten eine gute Fehlerkultur ganz
besonders wichtig – dies geben fast drei
Knapp die Hälfte der Befragten (47 Prozent) Viertel von ihnen an (74 Prozent). Der Einsatz
sagt, dass Konflikte, Aggression und Gewalt in von mehr Pflegepersonal (50 Prozent), bes-
der Pflege stationäre Einrichtungen vor ganz sere Unterstützung für überlastetes Personal
besondere Herausforderungen stellen. (44 Prozent) und eine bessere Ausbildung zum
Thema „Konflikte, Aggression und Gewalt“ (44
Die Teilnehmer wurden außerdem danach Prozent) werden auch von vielen Befragten als
gefragt, wie oft Gewalt von professionellen ganz besonders wichtig angesehen.
Pflegekräften gegen Pflegebedürftige in
stationären Einrichtungen ausgeübt wird. Die für die Analyse erhobenen Häufigkeiten
Diese Frage bezog sich nicht auf die befragte von Gewaltanwendung professioneller
Einrichtung selbst, sondern insgesamt auf Pflegekräfte gegen Pflegebedürftige stellen
die stationäre Pflege. Demnach ist die als am nach Einschätzung des ZQP aufgrund des
häufigsten beschriebene Gewaltform verbale aktuellen internationalen Forschungsstands
Aggressivität: Zwei Prozent der Befragten eine tendenzielle Unterschätzung des Prob-
sagen, dies komme oft vor, 23 Prozent gele- lems dar. Es ist daher mit einer noch höheren
gentlich, 55 Prozent selten. Die nächsthäufi- Auftrittshäufigkeit von Gewalthandlungen zu
gen Gewaltformen sind Vernachlässigung rechnen.
(zwei Prozent oft; 17 Prozent gelegentlich; 39
Prozent selten) und körperliche Gewalt (ein
A N A LY S E 23

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landergebnisse. völkerungsbefragung „Aggression und Gewalt in der
Pflege“.

Zu den Autoren
Simon Eggert ist Geistes-
und Sozialwissenschaft-
ler und Bereichsleiter im
ZQP.
Dr. Patrick Schnapp ist
Soziologe und Projektlei-
ter im ZQP.
Daniela Sulmann ist Dipl.-Pflegewirtin und examinierte Krankenschwester. Sie ist Bereichslei-
terin im ZQP.
A N A LY S E 25

ZQP-Analyse: Wahrnehmung der Bevölkerung


von Gewalt in der Pflege
Simon Eggert, Katharina Jung und Daniela Sulmann
- in alphabetischer Reihenfolge -

Das gesellschaftliche Problembewusstsein für In dieser anonymen Umfrage wurden mittels


Aggression und Gewalt in der Pflege ist noch einer repräsentativen Stichprobe Einstellun­
wenig ausgeprägt. Ein öffentlicher Diskurs gen der Bevölkerung zu dem Themenbereich
zum Thema entstand erst in den 1990er-Jah- „Aggression und Gewalt in der Pflege“ erfragt.
ren, entwickelte sich eher schlep­pend und Befragt wurden 2.521 Personen über 18 Jah­re.1
flackerte meist nur punktuell und im Zuge
skandalisierender Medienberichterstattung Einstellungen zu Gewalt im Kontext
auf. Um aktuelle Erkenntnisse darüber zu der Pflege
gewinnen, wie Gewalt in der Pflege in der
Bevölkerung wahrgenommen wird, hat das Der Schutz vor Gewalt, sowohl des Einzel-
Zentrum für Qualität in der Pflege im April nen als auch spezifischer Gruppen in der
2014 eine bevölkerungsrepräsentative Studie Gesellschaft, gehört in Deutschland zu den
durchgeführt. zentralen Aufgaben des Staates. In diesem
Zusammenhang wurden die Befragten gebe-

Abbildung 1: „Gewalt kann sich gegen unterschiedliche Gruppen richten: Aufgabe des Staates ist es
unter anderem, die Gefährdeten durch vorbeugende Maßnahmen zur Verhinderung von Gewalt zu
schützen. In welchen der folgenden Bereiche wird dabei Ihrer Meinung nach zu wenig getan? Wo
besteht also aus Ihrer Sicht noch dringend Handlungsbedarf?“ Gesamtheit, n = 2.521; Mehrfachantwor-
ten möglich.

keiner davon, es wird ausreichend getan %


Vermeidung von Gewalt gegen Demenzkranke %
Vermeidung von Gewalt gegen Homosexuelle %
Vermeidung von Gewalt gegen Behinderte %
Vermeidung von Gewalt gegen Migranten %
Vermeidung von Gewalt gegen Tiere %
Vermeidung von Gewalt gegen alte Menschen %
Vermeidung von Gewalt gegen Frauen %
Vermeidung von Gewalt gegen Kinder %

1  Befragung mittels „forsa.omninet“. Als Erhebungsmethode kam die In-Home-Befragung per PC beziehungsweise Set-Top-Box am
TV-Bildschirm zum Einsatz. Anschließend wurde die Personenstichprobe nach Region, Alter, Geschlecht und Bildung ausgewertet. Die
statistische Fehlertoleranz der Untersuchung in der Gesamtstichprobe lag bei +/− zwei Prozentpunkten.
26 A N A L Y S E

ten, bis zu drei Gruppen zu benennen, für die sich bringen. Versuche, diese Verhaltenswei-
sie einen dringenden staatlichen Handlungs- sen zu begrenzen, können für die betroffenen
bedarf zur Vermeidung von Gewalt sehen. Men­schen das Risiko darstellen, Opfer proble-
matischen oder gar gewalttätigen Verhaltens
Die meisten Befragten (70 Prozent) sahen mit zu werden.
Abstand den größten Handlungsbedarf in der
Vermeidung von Gewalt gegenüber Kindern. Nach ihrer Einschätzung zu geeigneten
Hingegen wurde lediglich von einem Drittel Maßnahmen speziell in der Versorgung
(34 Prozent) die Vermeidung von Gewalt ruheloser und verwirrter hilfebedürftiger
gegen ältere Menschen genannt. Die Vermei­ Menschen gefragt, gab die deutliche Mehr­
dung von Gewalt gegenüber Demenzkranken heit (70 Prozent) an, den Einsatz von Gurten
nannte sogar nur ein Zehntel der Befragten. zur Bewegungseinschränkung abzulehnen.
Auch Medikamenten oder anderen Maß­
Des Weiteren wurden Einschätzungen zu nahmen, die die Bewegungsfreiheit der
Ver­besserungspotenzialen der Versorgungs- Personen einschränken, stehen die Befragten
situation älterer pflegebedürftiger Menschen eher ablehnend gegenüber. Hingegen zeigte
erhoben (Abbildung 1). Hier sah nur knapp sich eine relativ hohe Akzeptanz gegenüber
ein Fünftel (18 Prozent) der Befragten das technischen Hilfsmitteln zur Überwachung
Thema „Schutz vor Gewalt und Aggression“ (84 Prozent befürworten beispielsweise den
in der Versorgung pflegebe­dürftiger Men- Einsatz von Alarmsensoren).
schen als relevant an. Die „Ver­meidung von
freiheitsentziehenden Maßnah­men“ nannten Persönliche Pflegeerfahrungen und
nur 19 Prozent. Hingegen erfuhren Aspekte Belastung
der bedürfnis­orientierten Versorgung, wie
„mehr Zeit für persönliche Zuwendung und Insgesamt ein Fünftel der Befragten gab an,
Kommunikation“ (69 Prozent) oder „Berück­ eigene Erfahrungen mit der Pflege eines
sichtigung der Individualität“ (43 Prozent), nahestehenden Menschen zu haben, wobei
weitaus mehr Zustimmung. der Anteil der Frauen mit Pflegeerfahrung
höher lag. Um Einschätzungen zur persönli­
Bestimmte Krankheitsbilder, zum Beispiel chen Belastungssituation zu erhalten, wurden
Demenz, können starke Unruhe, Rastlosigkeit, Personen mit eigener Pflegeerfahrung zu ihrer
Stürze und die Gefahr des Weglaufens mit Pflegetätigkeit befragt. Die überwiegende

Abbildung 2: „Als wie belastend empfinden beziehungsweise empfanden Sie es, einen Menschen zu
pflegen?“ Nur Personen mit eigener Pflegeerfahrung, n = 503.

überhaupt nicht belastend %


eher wenig belastend %
eher belastend %
sehr belastend %
A N A LY S E 27

Mehrheit (72 Prozent) dieser Gruppe gab an, Des Weiteren wurden Personen mit persönli­
die Pflege als belastend zu empfinden (Abbil- cher Pflegeerfahrung um ihre Einschätzun-
dung 2). gen zu konkreten Maßnahmen der Unterstüt-
zung pflegender Angehöriger gebeten. Als
Vor dem Hintergrund der Prävention von mit Abstand wichtigsten Aspekt nannten die
Gewalt in der Pflege sind neben Angaben Befragten hierbei die Unterstützung durch
zur Belastungssituation auch Einschätzungen professionelle medizinisch-pflegerische Hilfe
zu Entlastungsmöglichkeiten von besonde­ (76 Prozent). Danach folgten verschiedene
rem Interesse. Speziell der Kontakt zu einer Angebote zur vorübergehenden Übernahme
vertrauten Person spielt hierbei für Pflegende der Pflegetätigkeit, wie beispielsweise Verhin-
eine wichtige Rolle bei der seelischen Entlas­ derungspflege (64 Prozent). Auch Angebote
tung; eine solche Möglichkeit sich auszu- der Beratung und Schulung stellen eine
sprechen wird auch von der überwiegen­den wirk­same Unterstützung dar – so nannten 29
Mehrheit (79 Prozent) genutzt. Dennoch Pro­zent der Befragten „Kurse zur Pflege“ sowie
bleibt ein relevanter Anteil (8 Prozent), dem 25 Prozent „Angebote der Pflegeberatung“ als
dieser Kontakt fehlt. bedeutsame Hilfen (Abbildung 3).

Abbildung 3: „Welche der folgenden Aspekte sind Ihrer Meinung nach am wichtigsten, um pflegen-
de Angehörige zu entlasten?“ Nur Personen mit eigener Pflegeerfahrung, n = 503; Mehrfachantworten
möglich.

professionelle medizinisch-pflegerische Hilfen %


(z. B. ambulanter Dienst, Hausarzt)
Verhinderungspflege = Vertretung bei der Pflege durch eine %
Ersatzpflege im eigenen Zuhause für max. 4 Wochen/Jahr
Kurzzeitpflege = Pflege in einer stationären %
Einrichtung für max. 4 Wochen/Jahr
Familie %
Tages- und Nachtpflegeangebote = zeitweise Betreuung %
im Tagesverlauf in einer Pflegeeinrichtung
Entlastung am Arbeitsplatz durch den Arbeitgeber %

Schulung und Kurse zu Pflege %

Angebote der Pflegeberatung %

ehrenamtliche Hilfen %

Angehörigengruppe/Selbsthilfegruppe/Gesprächsgruppe %

Freunde/Kollegen %
psychologische/seelsorgerliche Beratung %
z. B. über anonyme Notfalltelefone
Informationsmaterialien und -broschüren %

religiöse Gemeinde %

weiß nicht %
28 A N A L Y S E

Erfahrungen mit unangemessenem Unangemessenes Verhalten kommt nicht nur


Verhalten und Gewalt gegenüber pflegebedürftigen Menschen vor.
Die Befragung zeigt auch, dass zwei Fünftel
Die Befragten wurden auch zu ihren per­ (40 Prozent) der Befragten sich unangemes­
sönlichen Erfahrungen mit Aggression und sen von einer pflegebedürftigen Person
Gewalt in der Pflege befragt. Es wurde vorab behandelt fühlten, acht Prozent einmal und
nicht definiert, was unter „unangemessenem 32 Prozent mehrmals (Abbildung 5).
Verhal­ten“ zu verstehen ist. Somit sind die
Ergebnisse also auch durch die jeweilige Eine ausführliche Darstellung der Befragungs-
persönliche Einschät­ z ung der Befragten ergebnisse ist auf der Webseite des ZQP zu
beeinflusst. 35 Prozent der Personen mit finden: www.zqp.de/portfolio/meinungs-
Pflegeerfahrung gaben an, sich schon min- bild-gewalt-in-der-pflege-aus-bevoelke-
destens einmal unangemessen bei der Pflege rungssicht-2014/.
verhalten zu haben (Abbildung 4).

Von sechs Prozent der Befragten wurden


hierbei körperliche Aggressionen genannt,
79 Pro­zent gaben an, unangemessene Dinge
gesagt zu haben. 26 Prozent berichteten
davon, schon einmal erforderliche Hilfen oder
Auf­merksamkeit entzogen zu haben.

Abbildung 4: „Und kam es schon einmal vor, dass Sie sich selbst in einer Belastungssituation unan-
gemessen verhalten haben, als Sie eine Person gepflegt haben beziehungsweise bei Ihrer jetzigen
Pflege?“ Nur Personen mit eigener Pflegeerfahrung, n = 503.

Nein, noch nie %


Ja, mehrmals %
Ja, einmal %

Abbildung 5: „Und in welcher Weise haben Sie sich aus Ihrer Sicht problematisch verhalten?“
Nur Personen die angaben, sich mindestens einmal im Kontext der Pflege unangemessen verhalten zu
haben. n = 177; Mehrfachantworten möglich.

Ich habe unangemessene Dinge gesagt %


Ich habe erforderliche Hilfen oder Aufmerksamkeit entzogen %
Ich bin körperlich aggressiv geworden %
spontan: laut/wütend/aufgeregt geworden, geschimpft %
spontan: ungeduldig geworden %
A N A LY S E 29

Zu den Autoren
Simon Eggert ist Geistes-
und Sozialwissenschaftler
und Bereichsleiter im ZQP.
Dr. Katharina Jung ist
Biowissenschaftlerin. Sie
war Projektleiterin im
ZQP.
Daniela Sulmann ist Dipl.-Pflegewirtin und examinierte Krankenschwester. Sie ist Bereichslei-
terin im ZQP.
30 A N A L Y S E

Initiativen zur Prävention von Gewalt in der


Pflege
Jens Abraham und Gabriele Meyer

Das genaue Ausmaß von Gewalt in der Pflege sichts der hohen Relevanz dieser Thematik
in Deutschland ist nicht bekannt. Sicher ist ernüchternd, wie auch andere aktuelle sys-
jedoch, dass im Kontext von Pflegebeziehun- tematische Literaturanalysen schlussfolgern
gen eine erhöhte Gefahr für aggressive bis (Baker, Francis, Hairi, Othman & Choo, 2016;
hin zu gewalttätigen Situationen besteht. Dong, 2015; Pillemer, Burnes, Riffin & Lachs,
Alle an der Pflege beteiligten Personen kön- 2016). Die Recherche ergab lediglich zwei
nen betroffen sein. Doch welche Maßnah- kontrollierte Studien, in der eine konkrete
men und Ansätze gibt es, um Gewalt in der Intervention zur Gewaltprävention unter-
Pflege wirksam und nachhaltig sucht wurde.
vorzubeugen?
Die Ergebnisse der So hatte ein Team aus
Zum Stand der Forschung hat Literaturrecherche Taiwan die Wirksamkeit
unsere Arbeitsgruppe im Jahr sind weiterhin und eines Gruppenschu-
2013 eine systematische Lite- gerade angesichts der lungsprogramms zur
raturrecherche nach internati- Reduzierung psychi-
hohen Relevanz des
onalen, kontrollierten Studien scher Misshandlungen
Themas ernüchternd.
und systematischen Übersichts- durch Pflegende im
arbeiten (ab dem Jahr 2008) in Pflegeheim untersucht
verschiedenen Fachdatenbanken durchge- (Hsieh, Wang, Yen & Liu, 2009). Obwohl die
führt. Außerdem erfolgte eine umfassende Ergebnisse darauf hinweisen, dass gewalttä-
Online-Recherche nach nationalen Initiativen tiges Verhalten verringert werden kann, ist
und wissenschaftlich evaluierten Projekten. aufgrund methodischer Einschränkungen
Beauftragt wurde das Projekt von der Stiftung kein zuverlässiger Schluss über die Wirksam-
ZQP. Die Recherche wurde für den vorlie- keit dieser Intervention möglich. Zudem ist
genden Report im März 2017 aktualisiert. Im die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf die
Forschungsüberblick lag das Augenmerk auf deutschen Gegebenheiten auch im Hinblick
Arbeiten, die sich mit der Thematik „Gewalt auf die soziokulturellen Unterschiede fraglich.
gegen pflegebedürftige Menschen“ befasst
haben. In einer methodisch angemessenen Studie
aus Großbritannien wurde die Wirksamkeit
Internationale Studienlage zur eines individuellen Therapieprogramms
Gewaltprävention in der Pflege zur Stärkung der mentalen Gesundheit
pflegender Angehöriger von Menschen mit
Die Ergebnisse der internationalen Literatur- Demenz untersucht (Cooper, Barber, Griffin,
recherche sind weiterhin und gerade ange- Rapaport & Livingston, 2015). Das Programm
A N A LY S E 31

führte jedoch nicht zu einer Verringerung von Umgang damit geschult (Zank & Schacke,
gewalttätigem Verhalten. 2012).

Nationale Projekte zur Gewaltpräven­ „Safer Care – Gewalt gegen Ältere erkennen
tion in der Pflege und vermeiden“

Auf nationaler Ebene gibt es zahlreiche Prä- Ziel des Projekts war es, Pflegende für die
ventionsbestrebungen zum Thema „Gewalt in Gefahr familiärer Gewalt im häuslichen
der Pflege“. Im Rahmen der Recherche wur- Umfeld zu sensibilisieren und gleichzeitig
den verschiedene wissenschaftlich begleitete durch gezielte Aufklärung deren Hand-
Projekte identifiziert, die im Folgenden kurz lungssicherheit zu stärken. Dabei sollten
vorgestellt werden. Ein Großteil der Projekte Handlungsempfehlungen auf Grundlage des
stellt hierbei Maßnahmen zur Gewaltprä- aktuellen Wissensstands aufgezeigt und in
vention im häuslichen Umfeld in den Fokus, der Praxis verankert werden.
einige Projekte betrachten die Thematik
sowohl im ambulanten als auch im stationä- „Sicher leben im Alter“ (SiliA)
ren Pflegekontext.
Im Rahmen dieses Projekts wurden verschie-
„Abbau von Stress und Aggression in dene Handlungsansätze zur Gewaltpräven-
der häuslichen Pflege von Menschen mit tion für ambulante Pflegedienste erprobt.
Demenz“ (AStrA) Hierzu zählten beispielsweise interne Fallbe-
sprechungen im Rahmen von Schulungen
Das Praxisprojekt der Deutschen Hochschule und Maßnahmen zur Organisationsent-
der Polizei aus dem Jahr 2013 fokussierte wicklung. Zudem wurde ein Instrument zur
auf Maßnahmen zur Prävention von Gewalt Einschätzung von Gewalt im Rahmen der
in der familialen Pflege von Menschen mit häuslichen Pflege (VIMA – Verdachts-Index
Demenz. Das Ziel war hierbei die Entwick- Misshandlung im Alter) entwickelt (Görgen
lung eines Aggressions- und Stress-Reduk- et al., 2012).
tions-Programms („Aktion Stress-Abbau“) für
pflegende Angehörige. „Prävention von Gewalt in der Pflege durch
interdisziplinäre Sensibilisierung und
„Potenziale und Risiken in der familialen Intervention von stationären und ambulan-
Pflege alter Menschen“ (PURFAM) ten Pflegeeinrichtungen“

Im Mittelpunkt dieses Projekts stand die Das Projektziel war die Entwicklung eines
Gewaltprävention in familialen Pflegesettings praxistauglichen Konzepts einschließlich kon-
durch konkrete Maßnahmen zur Früherken- kreter Verfahren und Instrumente zur Gewalt-
nung vorhandener Gewaltpotenziale. Hierzu prävention in stationären und ambulanten
wurde unter anderem ein entsprechendes Pflegeeinrichtungen (Gahr & Ritz-Timme, 2013).
Bewertungsinstrument entwickelt und Mit-
arbeiter von ambulanten Pflegediensten im
32 A N A L Y S E

„Monitoring in Long-Term-Care – Pilot Evidenzbasierte Praxisleitlinie zur


Project on Elder Abuse“ (MILCEA) Vermeidung von freiheitseinschränkenden
Maßnahmen in der beruflichen Altenpflege
Gegenstand des länderübergreifenden
Projekts war die Entwicklung eines über- Spricht man über problematisches Verhalten
geordneten Systems zur Erkennung und in der Pflege, so wird auch die Anwendung
Erfassung von Gewalt in der professionellen freiheitseinschränkender beziehungsweise
beziehungsweise familialen häuslichen sowie freiheitsentziehender Maßnahmen (FEM)
stationären Langzeitpflege (MDS, 2013). wie Bettgitter oder Fixiergurte immer wieder
kontrovers diskutiert.
Das Nachfolgeprojekt „Gewalt- Unsere Arbeitsgruppe
freie Pflege – Prevention of Auf Grundlage der hat in diesem Zusam-
Elder Abuse“ startete im Jahr Leitlinie FEM wurde menhang im Jahr 2009
2013 auf nationaler Ebene. ein Programm eine wissenschaftsba-
Ziel war die Entwicklung und entwickelt, das zur sierte Praxisleitlinie zur
Umsetzung eines systemati- Verringerung von Vermeidung solcher
schen Ansatzes zur Gewalt- freiheitsentziehenden Maßnahmen in der beruf-
prävention in der ambulanten Maßnahmen in Pflege­ lichen Altenpflege entwi-
und stationären Pflege auf ckelt (Köpke et al., 2009).
heimen beitragen soll.
kommunaler Ebene. Dazu zählt Darin werden auf Basis
unter anderem die Schaffung des verfügbaren Wissens
einheitlicher kommunaler Strukturen, die von einer multidisziplinären Expertengruppe
bei Gewaltfällen nachhaltig greifen können Empfehlungen zur Vermeidung von freiheits-
(MDS, 2014). entziehenden Maßnahmen getroffen. Auf
Grundlage dieser Leitlinie wurde zudem ein
Gewaltprävention in stationären Pflegeein- Programm entwickelt, das zur Verringerung
richtungen als Aufgabe der Pflegekassen von freiheitsentziehenden Maßnahmen in
Pflegeheimen beitragen soll.
Prävention von Gewalt gegenüber pflegebe-
dürftigen Menschen ist eines von fünf Hand- Dazu zählen unter anderem Schulungen
lungsfeldern des im August 2016 veröffent- aller Pflegenden und sogenannter FEM-Be-
lichten Leitfadens „Prävention in stationären auftragten oder auch die Bereitstellung von
Pflegeeinrichtungen nach § 5 SGB XI“ des Informationsbroschüren für alle Beteiligten.
GKV-Spitzenverbandes. Welche konkreten Die praktische Wirksamkeit des Programms
Präventionsleistungen erbracht werden, wurde hierzu in einer kontrollierten Studie
ist bisher nicht bekannt. In dem Leitfaden mit 36 Pflegeheimen überprüft. Es konnte
werden beispielsweise die Entwicklung und gezeigt werden, dass die Zahl der Anwendun-
Umsetzung von einrichtungsinternen Hand- gen von freiheitseinziehenden Maßnahmen
lungsleitlinien und Konzepten zur Prävention innerhalb von sechs Monaten in der Interven-
von Gewalt empfohlen. tionsgruppe deutlich zurückgingen, während
sie in der Kontrollgruppe nahezu unverändert
blieben. Negative Effekte, wie die oftmals
A N A LY S E 33

diskutierte Zunahme von Stürzen oder die nachhaltig erreicht, kann zu diesem Zeitpunkt
vermehrte Verordnung von Psychopharmaka, kaum getroffen werden. Dringend benötigt
blieben aus (Köpke et al., 2012). Aktuell wer- werden also aussagekräftige Studien zu
den im Rahmen einer größeren Studie mit sorgfältig vorbereiteten Programmen der
insgesamt 120 Pflegeheimen Wirksamkeit, Gewaltprävention in der Pflege. Sollte sich
Sicherheit sowie Kosteneffektivität des leit- ein Programm als wirksam, sicher, akzeptiert
liniengestützten Interventionsprogramms und erschwinglich herausstellen, darf der
untersucht. Die Ergebnisse werden aller Vor- nachhaltigen Verankerung in die Pflegepraxis
aussicht nach im Herbst 2017 vorliegen. nichts im Wege stehen.

Fazit Für den Bereich der Vermeidung freiheitsein-


schränkender Maßnahmen hingegen liegen
Auch wenn das Thema Gewalt in der Pflege bereits evaluierte Interventionsprogramme
zunehmend in die fachöffentliche und gesell- vor, die auch in die Pflegepraxis eingebracht
schaftliche Diskussion gerückt ist, besteht ein werden.
grundsätzlicher Forschungsbedarf zu wirk-
samen Maßnahmen der Gewaltprävention Es ist eine erfreuliche Entwicklung, dass
sowohl im häuslichen Umfeld als auch in der die Prävention von Gewalt in stationären
stationären Langzeitpflege. In Deutschland Pflegeeinrichtungen Teil des in Umsetzung
existieren zwar zahlreiche Initiativen und befindlichen Präventionsgesetzes ist. Welche
Projekte zu diesem Thema, nichtsdestotrotz konkreten Handlungen aus dem Gesetz und
können aktuell keine zuverlässigen Rück- dem korrespondierenden Leitfaden erwach-
schlüsse auf deren Wirksamkeit, Sicherheit sen, bleibt abzuwarten.
und Nachhaltigkeit gezogen werden. Eine
Aussage dazu, welches Präventionskonzept
letztendlich die gewünschte Wirkung auch

Literatur

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Randomized Controlled Trial. JAMA, 307, 2177–2184. 27.06.2017]

Zu den Autoren
Jens Abraham, M.Sc., ist Gesundheits-
und Pflegewissenschaftler. Er arbeitet als
wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut
für Gesundheits- und Pflegewissenschaft
der Martin-Luther-Universität Halle-
Wittenberg und ist an verschiedenen
Forschungsprojekten zu freiheitsentzie-
hende Maßnahmen beteiligt.
Prof. Dr. Gabriele Meyer ist Professorin für Gesundheits- und Pflegewissenschaften und Direk-
torin des Instituts für Gesundheits- und Pflegewissenschaft an der Medizinischen Fakultät der
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Sie war verantwortlich für die Entwicklung der
evidenzbasierten „Leitlinie FEM“. Sie ist Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der
Entwicklung im Gesundheitswesen.
A N A LY S E 35

Zur Bedeutung sexualisierter Gewalt


in der Pflege
Ralf Suhr

Definition und Vorkommen auf sexuelle Attraktivität zurückgehe und


Menschen im höheren Lebensalter kaum
Sexueller Missbrauch stellt die wohl versteck- Zielgruppe sexuellen Antriebs seien. Aller-
teste und am stärksten tabuisierte Form von dings ist sexueller Missbrauch unabhängig
Gewalt gegen ältere Personen dar. Denn von der sexuellen Motivation immer auch
während das Thema „Gewalt gegen ältere eine Form der Macht- und Gewaltaus-
Menschen“ in der öffentlichen Wahrnehmung übung.
zunehmende Aufmerksamkeit erfährt, bleibt
selbst in Fachkreisen weiterhin nahezu unbe- Sexualisierte Gewalt trifft also unter ande-
achtet, dass ältere Menschen auch Opfer sexu- rem auch ältere Personen. Und gerade
eller Übergriffe werden können. hilfe- und pflegebedürftige Menschen
stellen hierbei durch die speziellen
Sexueller Missbrauch bezeichnet einen nicht Abhängigkeitsverhältnisse und die oftmals
einvernehmlichen Kontakt jeglicher Art, der starken körperlichen und kognitiven Ein-
sich des Sexuellen bemächtigt. Dazu gehört schränkungen einen besonders vulnerab-
auch der sexualisierte Kontakt len Personenkreis dar.
mit einer nicht einwilligungs-
fähigen Person. Zu seinen Sexueller Missbrauch Die exakte Angabe der
Formen zählen unter ande- stellt die wohl Häufigkeit von sexua-
rem sexuelle Nötigung und versteckteste und am lisierter Gewalt gegen
Vergewaltigung, erzwungene stärksten tabuisierte ältere und pflegebedürf-
Nacktheit und Exhibitionis- Form von Gewalt gegen tige Menschen ist auf
mus aber auch unerwünschte ältere Personen dar. Grundlage vorhandener
Berührung, Bedrängung, Forschungserkenntnisse
das Benutzen sexualisierter nur mit Einschränkun-
Fäkalsprache sowie das unfreiwillige, sexuell gen möglich. Dies liegt unter anderem
explizite Fotografieren einer Person oder das an der fehlenden einheitlichen Definition,
erzwungene Anschauen pornografischen was sexualisierte Gewalt ist, sowie an
Materials (Teaster & Roberto, 2004). weiteren methodischen Schwierigkeiten,
beispielsweise aufgrund uneinheitlicher
Mögliche Gründe für die fehlende öffentli- Erhebungsinstrumente. Auch aufgrund
che Wahrnehmung können sowohl in der unterschiedlicher primärer Datenquellen
verbreiteten Auffassung gesehen werden, beziehungsweise verschiedener Zugänge
dass das höhere Lebensalter eine asexuelle zur Zielgruppe sind die ohnehin wenigen
Lebensphase sei. Ebenso besteht die Vorstel- vorhandenen Studien zum Thema nur
lung, dass sexueller Missbrauch grundsätzlich eingeschränkt vergleichbar.
36 A N A L Y S E

Zudem ist die Dunkelziffer sexueller Miss- lich. Es kann sich dabei um den Ehe- oder
brauchsfälle hoch, und die Scham der Opfer Lebenspartner, Verwandte oder Bekannte,
sexueller Gewalt ist im Vergleich zu anderen eine fremde Person oder auch Mitarbei-
Gewaltdelikten besonders ausgeprägt. Dies ter professioneller Institutionen, wie zum
trifft in besonderer Weise für ältere Menschen Beispiel eine Pflegekraft, sowie demenziell
zu. Anzunehmen ist, dass Erziehung und erkrankte oder psychisch gestörte Mitbe-
Sozialisation ursächlich für deren Schweigen wohner handeln.
sind. Zum Beispiel gibt es Hinweise darauf,
dass ältere Menschen sexuelle Gewalter- In ihrem „European Report on Preventing
fahrungen in der Ehe anders bewerten als Elder Maltreatment“ (WHO, 2011) schätzte
jüngere und weniger Möglichkeiten sehen, die Weltgesundheitsorganisation die Präva-
gewaltgeprägte Partnerschaften zu verän- lenz des sexuellen Missbrauchs von Men-
dern. schen über dem sechzigsten
Lebensjahr auf 0,7 Prozent.
Eine Befragung unter Mit- Die meisten Opfer Ähnliche Zahlen (0,6 Pro-
arbeitern von Institutionen sexueller Gewalt in zent) liegen aus den USA vor
der Opferschutzhilfe ergab Pflegeeinrichtungen (Acierno et al., 2010). Einer
hierzu beispielsweise, dass zeigen deutlichen regionalen Erhebung aus
nach deren Einschätzungen Hilfe- und Unter­ Schweden zufolge berichten
von 100 Opfern sexueller stützungsbedarf. 2,2 Prozent der befragten
Gewalt circa 26 Prozent der Frauen und 1,2  Prozent der
20- bis 40-jährigen Frauen Männer über 65 Jahre davon,
Anzeige erstatteten, wohingegen dies nur für Opfer sexueller Gewalt geworden zu sein
sieben Prozent der über 60-Jährigen angege- (Kristensen & Lindell, 2013). Es gibt auch Hin-
ben wurde (Görgen und Nägele, 2006) weise darauf, dass ältere Männer als Opfer
sexuellen Missbrauchs in Prävalenzschätzun-
Auch die Angst davor, keinen Glauben gen deutlich unterrepräsentiert und einem
geschenkt zu bekommen oder sogar auf- ähnlichen Risiko wie Frauen ausgesetzt sind
grund der verbreiteten Ignoranz gegenüber (WHO, 2002; Teaster et al., 2007).
sexuellem Missbrauch von älteren Menschen
diskreditiert zu werden, kann Grund dafür Die meisten Opfer sexueller Gewalt in Pflege-
sein, dass ältere Opfer ihre Erlebnisse für sich einrichtungen zeigen deutlichen Hilfe- und
behalten. Nicht zuletzt nimmt die Fähigkeit, Unterstützungsbedarf. Sie sind hochgradig
externe Hilfe zu holen, mit zunehmendem kognitiv oder funktionell eingeschränkt –
Alter aufgrund körperlicher Gebrechlichkeit durch eine Demenz, eine psychische Erkran-
oder geistiger Einschränkungen ab. kung oder körperliche Gebrechlichkeit.
Studien weisen darauf hin, dass vor allem
Sexualisierte Gewalt gegen ältere Menschen hochaltrige Pflegebedürftige (79- bis 99-Jäh-
kann sowohl Frauen als auch Männer treffen. rige) Opfer sexualisierter Gewalt werden
Hauptsächlich wird in der wissenschaftlichen (Malmedal et al., 2015).
Literatur von Gewalt gegen ältere Frauen
berichtet. Die Täter sind fast immer männ-
A N A LY S E 37

Ausblick: Prävention braucht mit schweren kognitiven Einschränkungen


Bewusstsein würden keine Beeinträchtigung durch
sexuelle Gewalt erfahren (Ramsey-Klawsnik
Eine der Grundvoraussetzungen, um sexua- et al., 2007). Andererseits bedarf es speziell
lisierter Gewalt gegen ältere Menschen wirk- geschulten Personals, nicht zuletzt mit Blick
sam vorbeugen zu können, besteht zunächst auf eine zeitnahe und sorgfältige medizi-
in der Enttabuisierung des Phänomens. nisch-pflegerische Befunderhebung bei
Hierzu gehört eine gesamtgesellschaftliche vermuteten Vorfällen sexualisierter Gewalt.
Sensibilisierung. Es muss ein Bewusstsein
dafür geschaffen werden, dass auch ältere Hierbei kommt auch der stärkeren Ver-
pflegebedürftige Menschen Opfer sexueller netzung der verschiedenen Akteure eine
Übergriffe werden können. Denn gerade besondere Rolle zu. Eine Maßnahme zur
dieser besonders ver- Prävention kann darin
wundbare Personen- gesehen werden, das
kreis, mit zunehmend Im Hinblick auf die Barrie­ Thema ältere Menschen
eingeschränkten Fähig- ren für Opfer sexualisierter verstärkt bei Institutionen
keiten, sich zu äußern Gewalt, Hilfe in Anspruch zur Unterstützung von
und Hilfen zu holen, ist zu nehmen, müssen beson­ Gewalt­ o pfern zu veran-
auf ein sensibilisiertes, ders niedrigschwellige kern sowie im Gegenzug
aufmerksames und Unterstützungsangebote den Aspekt der sexualisier-
engagiertes Umfeld aufgebaut werden. ten Gewalt im Bereich der
angewiesen. professionellen Altenhilfe
und Pflege zu etablieren.
Daneben hat die Aufklärung der Fachkreise
und eine weitere Qualifikation von Fachkräf- Im Hinblick auf die Barrieren für Opfer
ten zentrale Bedeutung. sexualisierter Gewalt, Hilfe in Anspruch zu
nehmen und von dem Erlebten zu berich-
Wissensvermittlung schafft Handlungssi- ten, müssen besonders niedrigschwellige
cherheit, nicht nur bei ärztlichem und pfle- Unterstützungsangebote aufgebaut werden.
gerischem Fachpersonal, sondern auch bei Nicht zuletzt bedarf es hierzu dringend mehr
Polizei- und Justizbediensteten oder bei Pfle- Forschung, um auf Grundlage valider Daten
geberatern. Hierbei müssen einerseits fatale derartige Angebote und Interventionen
Fehlannahmen revidiert werden, die auch bei entwickeln und ihre Wirksamkeit überprüfen
Fachkräften bestehen – beispielsweise die zu können.
teilweise vorhandene Vorstellung, Menschen

Literatur

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332–339.

Zum Autor
Dr. Ralf Suhr ist Vorstandsvorsitzender der Stiftung Zentrum
für Qualität in der Pflege sowie der Stiftung Gesundheitswis-
sen. Es ist Arzt und Wissenschaftler mit dem Schwerpunkt
Gewalt in der Pflege und elder abuse.
A N A LY S E 39

Akteure
In dieser Rubrik bieten Experten aus der professionellen Pflegepraxis einen Einblick in ihre
Erfahrungen mit Gewalt in der Pflege. Sie zeigen Ansätze auf, um Gewalt in der Pflege
vorzubeugen und zu begegnen.
40 A K T E U R E

„Familiäre Pflege muss gelernt werden“


Interview mit Anke Buhl, Beratungsstelle PflegeNotTelefon
Schleswig-Holstein

Viele Menschen zögern, Hilfe in Anspruch zu ren, wenn die Pflege durch die Profis nicht so
nehmen, wenn Sie Probleme bei der Pflege läuft wie sie es sich vorstellen.
eines Angehörigen haben. Wie ist Ihre Erfah-
rung? Wann wenden sich Menschen an Sie? Sie rufen aus Verzweiflung an, weil sie nicht
wissen, wie sie die Situation besser meistern
Ja, diese Erfahrung machen wir auch. Bei können – Tür abschließen, um das Weglau-
dem Eingeständnis „Ich brauche Hilfe bei fen zu verhindern? Medikamente geben, um
der Pflege“ wird häufig befürchtet, dass der eine Nacht mal wieder schlafen zu können?
Partner oder der pflegebedürftige Elternteil Eine Windel oder Vorlage benutzen, um nicht
vielleicht daran zweifeln könnte, dass die immer wieder das Bad sauber machen zu
Pflege gern übernommen wird, dass die müssen? Zum Essen und Trinken zwingen,
Unterstützung durch Dritte auch als Zurück- auch wenn der Appetit vielleicht nicht mehr
weisung empfunden werden könnte. Viele da ist?
der pflegenden Angehörigen übernehmen
die Pflege mehr oder weniger freiwillig, und Seit Jahren bieten Sie telefonische Beratung
sie sind oft fest davon überzeugt, dass sie für Pflegebedürftige, Angehörige, rechtli-
es schaffen werden. Wenn es dann doch che Betreuer, Nachbarn, Pflegekräfte und
schwieriger wird als gedacht, länger dauert andere in die Pflege involvierte Menschen in
als angenommen oder die körperliche und Notsituationen an. Wer wendet sich haupt-
psychische Erschöpfung doch größer ist sächlich an Sie und welche Themen stehen
als vermutet, dann ist Hilfe im Vordergrund?
anzunehmen ein großer und
nicht immer leichter Schritt. An uns wenden sich die An uns wenden sich
Und es gibt tatsächlich nicht Menschen mit konkre­ hauptsächlich pflegende
immer eine echte Option. ten Fragen nach Entlas­ Angehörige, überwie-
Die nächtliche Betreuung tungsangeboten aber gend Töchter. In den
und Unterstützung, die sehr auch wegen verfahrener letzten Jahren registrie-
kräftezehrend sein kann, Familiensituationen ren wir eine Zunahme
ist in der häuslichen Pflege oder, um sich über von Gesprächen mit
immer noch ein Problem. professionelle Pflege zu pflegenden Söhnen oder
An uns wenden sich die beschweren. auch Enkelkindern. Pfle-
Menschen sowohl mit ganz gebedürftige Menschen
konkreten Fragen nach Ent- selber wenden sich nur
lastungsangeboten, aber auch mit der Bitte selten an uns. Pflegekräfte schildern uns
um Gespräche, um verfahrene Familiensitu- auch immer wieder ihre Arbeitssituationen,
ationen zu klären oder um sich zu beschwe- andere Personengruppen rufen seltener an,
AKTEURE41

kommen aber regelmäßig zu bei höchstens 20 Prozent


unseren regionalen Veran- Letztendlich entschei­ der Anrufer eine weiterge-
staltungsreihen. Dort greifen den doch die Anrufer hende Maßnahme einge-
wir die Themen auf, die wir selbst darüber, welche leitet werden soll.
aus der Erfahrung mit den weiteren Maßnahmen
Anrufen heraus als beson- getroffen werden. Wenden sich Menschen
ders bedeutsam eingestuft an Sie, die aufgrund von
haben: „Das geschieht zu Überlastung Grenzen
Ihrem eigenen Schutz? Freiheitsentziehende überschreiten und Auswege suchen? Wel-
Maßnahmen in der Pflege“, „Bloß keine künst- che Faktoren sind das dann, die das Fass
liche Lebensverlängerung – Vorsorgevoll- zum Überlaufen bringen?
machten in der Diskussion“, „Gleich nehm` ich
ihr die Klingel weg – Gewalt in der Pflege“, Ja, auch wir erleben, dass Pflegesituationen
„Lieber tot als pflegebedürftig – Suizid im Menschen an ihre persönlichen Grenzen
Alter“, um nur einige Themen zu nennen. bringen. Allerdings nehmen wir deutliche
Unterschiede in den Pflegebeziehungen
Können Sie abschätzen, in wie viel Prozent wahr. Die Pflege eines Ehepartners gestaltet
der bei Ihnen eingehenden Anrufe weiter- sich anders als die Pflege eines Elternteils.
gehende Maßnahmen eingeleitet werden, Neben familiären Konflikten und Streitereien,
oder ob der Anruf und die Ansprache bereits die als zusätzliche Belastung empfunden
genügen? werden – zum Beispiel die Frage: „Geht es
noch zu Hause oder sollte Mutter nicht schon
Auch wenn nach unserer Auffassung der längst in ein Heim?“ –, sind es häufig man-
Anruf und die Ansprache nicht immer ausrei- gelnde, tatsächliche Unterstützungsleistun-
chend sind, so entscheiden doch die Anrufer gen durch andere Familienmitglieder, was
selber darüber, welche weiteren Maßnah- eine tiefe Enttäuschung wachsen lässt, und
men getroffen werden. Die Angst, dass bei damit das Alleingelassensein nicht nur ein
weiteren Maßnahmen die Gefühl von Überforderung
Repressalien wachsen, die ist, sondern tatsächliche
schwierige Pflegesituation Die gute Analyse der Realität widerspiegelt.
eventuell eskaliert oder viel- familiären Strukturen Die Pflegesituation wird
leicht konkrete Entscheidun- und Wirkmechanismen innerfamiliär sehr häufig
gen zur Beendigung einer ist ein wichtiger als „unfair und ungerecht
bestimmten Pflegekons- Schlüssel für präven­ aufgeteilt“ wahrgenom-
tellation getroffen werden tive Angebote. men. Wenn wir solche
müssen, halten viele Anrufer Äußerungen am Telefon
davon ab, weiteren Maßnah- hören, sind wir immer
men tatsächlich zuzustimmen. Manchmal hellwach, die Enttäuschung kann schnell
rufen die Menschen nach längerer Zeit wie- zu Wut werden. Die Perspektive, dass die
der an, und erst dann sind sie bereit, gemein- Situation aussichtslos ist, kann nach unserer
sam mit uns nach weitergehenden Lösungen Erfahrung ein Auslöser für den Versuch sein,
zu suchen. Wir machen die Erfahrung, dass die Lösung durch gewalttätiges Handeln her-
42 A K T E U R E

beizuführen. Damit ist die gute Analyse der Das Dilemma verstehen wir und verurteilen
familiären Strukturen und Wirkmechanismen niemanden, der so eine Entscheidung getrof-
ein wichtiger Schlüssel für fen hat. Aber die Anrufe
präventive Angebote. machen deutlich, dass
Ein frühzeitiger und offe­ dies häufig keine wirk-
Durch Ihre Arbeit haben Sie ner familiärer Austausch liche Lösung ist, und
auch Einblick in die familiale über die Erwartungen an durch das Einschließen
Pflege. Welche Rolle spielen eine Pflegesituation kann oder andere Maßnah-
dort freiheitsentziehende helfen, falsche Vorstel­ men auch viel Kummer
Maßnahmen? Können Sie lungen auszuräumen. und Sorgen entstehen
einige Beispiele nennen? können.

Freiheitsentziehende Maßnahmen spielen Welche Maßnahmen können helfen, Gewalt


durchaus eine große Rolle. Gerade wenn der in der familialen Pflege vorzubeugen?
unterstützende Personenkreis klein und die
Pflege zeitlich sehr anspruchsvoll ist oder Ein frühzeitiger, offener und guter familiärer
durch eine Demenz zusätzlich herausgefor- Austausch darüber, wie die Erwartungen
dert wird, dann wird häufiger über freiheits-in Pflegesituationen wechselseitig sind,
entziehende Maßnahmen nachgedacht. kann helfen, falsche Vorstellungen schon
Allerdings wird der Begriff nicht verwendet. vor Beginn einer oft langjährigen Pflege
Es geht oft um den Schutz des Pflegebedürf- auszuräumen. Die Pflege älterer Familienan-
tigen. gehöriger wird zukünftig immer stärker eine
Entwicklungsaufgabe kommender Genera-
Die Pflege von Menschen mit Demenz tionen werden. Diejenigen, die die Pflege
birgt besondere Herausforderungen, und übernehmen, müssen auf jeden Fall kontinu-
pflegende Angehörige können öfter in ein ierlich geschult und auch im pflegerischen
Dilemma geraten. Was raten Sie in solchen Alltag begleitet werden. Sie benötigen ausrei-
Situationen? Darf man zum Beispiel seinen chend Informationen über Entlastungs- und
Vater in der Wohnung Unterstützungs-
einschließen, um kurz möglichkeiten und
einkaufen zu gehen?
Damit die Menschen der Aufgabe in schwierigen Pfle-
gewachsen sind, werden mehr gesituationen auch
Wir geben in der Regel Angebote benötigt, um die pfle­ die Möglichkeit
keine Ratschläge, wir gerische Kompetenz zu steigern. einer kurzfristigen
versuchen, gemein- Auszeit und eines
sam die Situation Austauschs. Krisen-
zu verstehen und bieten in Kooperation telefone sollten rund um die Uhr erreichbar
mitanderen Beratungsstellen – zum Beispiel sein. Die familiäre Pflege muss gelernt wer-
der „AWO-Beratungsstelle für Pflege und den.
Demenz“ oder dem „Kompetenzzentrum
Demenz“ – auch Hausbesuche an, um die
gesamte Situation besser erfassen zu können.
AKTEURE43

Welche Unterstützung benötigen Ratsu- das kontinuierliche Gespräch anbieten


chende am dringendsten? können. Darüber hinaus wünschen wir uns
mehr soziale Aufmerksamkeit und Mut all
Es kommt darauf an … Auf jeden Fall Ange- derjenigen, die im Umfeld der konkreten
bote, um die pflegerische Kompetenz zu Pflegesituation schon frühzeitig etwas hät-
steigern, damit die Menschen der Aufgabe ten sagen oder ansprechen können – also
überhaupt gewachsen sind. Darüber hinaus auch in diesem Arbeitsfeld ist Zivilcourage
Ansprechpersonen, die sich in die Situation dringend erforderlich.
der Ratsuchenden hineinversetzen können,
und je nach Bedarf konkrete Entlastungs- Frau Buhl, wir danken Ihnen für das
angebote vermitteln, bei einer Beschwerde Gespräch!
unterstützen sowie Krisenintervention oder

Im Gespräch
Anke Buhl ist Diplom-Sozialpädagogin und Sozialarbeiterin.
Sie arbeitet als Referentin für Alten- und Pflegepolitik bei der
AWO Schleswig-Holstein gGmbH und ist Projektkoordinatorin
der Beratungsstelle PflegeNotTelefon beim AWO Landesver-
band Schleswig-Holstein e. V.
44 A K T E U R E

„Zu Hause kann es größte Zuwendung geben,


aber auch vielschichtige Formen von Gewalt“
Interview mit Rolf D. Hirsch, Initiative „Handeln statt Misshandeln – Forum
Altern ohne Gewalt“

Sie setzen sich seit Jahrzehnten gegen Verändert hat sich viel zum Positiven, auch
Gewalt in der Pflege ein. Woher kommt die- wenn mir das zu langsam geht. Die Institutio-
ses unermüdliche Engagement? nen sind zwar nicht mehr ganz so „total“, wie
Goffman sie beschrieben hat, doch bleibt
Gewalt hat meine Kindheit mitgeprägt. Es eine Art Totalität, die mir zu schaffen macht.
herrschte die „schwarze Pädagogik“. Ich habe Natürlich hat sich die Heimsituation völlig
nie verstanden, warum man ein Kind schla- verändert. Es kommen mehr Menschen mit
gen muss, damit es ein guter Mensch wird. Demenz und Hochaltrige in Einrichtungen.
Mit circa sechs Jahren, kurz vor Schuleintritt, Nicht Schritt gehalten haben die hierfür
habe ich am Münchner Hauptbahnhof erlebt, erforderlichen personellen, strukturellen und
wie ein Gefangener, obwohl an den Händen ökonomischen Mittel. In der „Schwärze“ der
gefesselt, den ihn begleitenden Polizisten Einrichtungen gibt es aber zunehmend mehr
entwischen wollte. Diese bunte Flecken. Doch das
verfolgten ihn über die grundsätzliche Umdenken
Gleise. Als sie ihn erreich- Ein grundsätzliches hat sich noch lange nicht
ten, verprügelten sie ihn Umdenken hat sich noch etabliert. Zu viele Inter-
auf barbarische Weise. lange nicht etabliert. essen unterschiedlicher
Verantwortlicher lassen
Meine Eltern sahen das gar sich häufig nicht mit einem
nicht. Diese Situation hat mich entsetzt. Ich würdevollen Menschenbild vereinbaren.
habe das aber in mich gefressen. Das wollte Viele Altenpflegeheime verkommen immer
ich ändern. Gewaltanwendung als Lösung mehr zu Siecheneinrichtungen. Entschei-
war und ist für mich unakzeptabel, auch dend ist für die Träger gleich welcher Rich-
wenn ich manche Fantasien dazu auch habe. tung meist Profit. Immer weniger Personal,
Auch gefesselte alte Menschen blicken einen weniger Fachkenntnis, Arbeitsmittelverringe-
oft auf eine Art und Weise an, sodass man rung und so weiter. Nur die Rede davon, dass
diese Prozedur nur barbarisch nennen, aber die Pflege nicht bezahlbar sei, fördert einen
auf keinen Fall als „pflegeerleichternd“ oder destruktiven Teufelskreis, der ohne klare
„therapeutisch“ akzeptieren kann. strukturelle Veränderungen nicht gestoppt
werden kann. Die Politik allein dafür verant-
Was hat sich in den letzten 30 Jahren im wortlich zu machen, ist unzureichend.
Umgang mit dem Thema Gewalt in der
Pflege geändert? Da die meisten Menschen mit Demenz zu
Hause gepflegt werden, kann sich beim
AKTEURE45

Thema Gewalt nicht nur auf Pflegeinstitu- bleme haben Sie zuletzt bei Ihrer Arbeit
tionen bezogen werden. Zu Hause kann es besonders beschäftigt?
die größte Liebe und Zuneigung geben, aber
auch die schlimmste Ausuferung von Gewalt. Der Umgang mit dem Betreuungsrecht:
Hierfür gibt es derzeit zu wenig Unterstüt- Eine Betreuung wird zu häufig eingerichtet,
zung für Angehörige und ambulante Pflege- Angehörige zum Teil zu wenig einbezogen
dienste. und Kontrolle besteht hierfür kaum. Als Kon-
sequenz fühlt sich der Betreute entmündigt.
Die wirklichen Themen und Herausforderun- Es wird nicht oft genug klargestellt, dass eine
gen haben sich in den letzten Jahren nicht Betreuung für den betroffenen Menschen
wesentlich verändert. Allerdings: In Heime eingerichtet werden soll, und nicht über oder
kommen vermehrt die schwierigsten und gegen ihn.
komplikationsreichsten Menschen. Man
kann fast von einem Getto sprechen. Auch Ein weiteres Thema sind die mangelnden
die Unterstützung des Pflegepersonals, ihre Fortbildungen für Pflegekräfte in den Berei-
Arbeit professionell und adäquat durch- chen Supervision, Balint-Gruppe, ethisches
führen zu können, zum Beispiel in Bezug Konsil, Runder Tisch, konfliktbezogene
auf Deeskalationstraining, Supervision, Fallbesprechung mit allen Beteiligten und
Arbeitsmittel, Dienstplan oder Bezugspflege, Umgang mit herausforderndem Verhalten
ist immer noch erheblich defizitär. Die Aus- – um nur einige zu nennen. Auch muss zu
bildungen haben sich verbessert, die Mög- dem Thema mehr Öffentlichkeitsarbeit in
lichkeiten, diese Erkenntnisse in die tägliche Gremien, Medien und auf Kongressen geleis-
Arbeit einbringen zu tet werden.
können, eher verschlech-
tert. Langsam beginnt Die alleinige Rede davon, Zudem stellen sich fol-
zumindest bei den frei- dass Pflege nicht bezahl­ gende Fragen: Wie kommt
heitsentziehenden Maß- bar sei, fördert einen es, dass Mitarbeiter verro-
nahmen ein Umdenken, destruk­tiven Teufelskreis. hen, gewalttätig werden
leider nicht durch die und dies als notwendig
Pflege, sondern durch empfinden; wieso werden
die Justiz mit dem „Werdenfelser Weg“ initi- Missstände in Institutionen immer wieder
iert. Verändert hat sich auch das Verhalten geleugnet und als Einzelfälle betrachtet und
vieler Pflegekräfte, die die Pflege mit den nicht als unakzeptabel verurteilt?
alten Menschen durchführen und ihre Arbeit
nicht mehr ausschließlich pragmatisch und Und nicht zuletzt ein ganz anderer Aspekt:
routinemäßig durchführen. Auch Heimleiter Wie kann man bei Mitarbeitern den Sinn für
sind vermehrt daran interessiert, ein positives Humor fördern, um in kritischen Situatio-
Milieu in ihrer Einrichtung zu entwickeln und nen eine humorvolle Lösung zu finden? Es
gemeindenah zu arbeiten. heißt oft „alternativlos“. Mit Humor könnten
öfter neue kreative Lösungen und Wege
Gewalt in der Pflege ist facettenreich und gefunden, die Neugier am alten Menschen
vielschichtig. Welche Themen oder Pro- geweckt und Konflikte deutlich verringert
46 A K T E U R E

werden. Mit Respekt, Anstand und Würde haben. Als Privatinitiative sind unsere Mög-
könnten auf heitere Weise das Milieu und die lichkeiten jedoch eingeschränkt.
Beziehungsarbeit verbessert werden.
Welche Hilfe können Sie anbieten und wel-
Was genau sind die Ziele und Aufgaben der chen Handlungsspielraum haben Sie, wenn
neuen Initiative „Handeln statt Misshandeln Ihnen problematische, gar gewalttätige
– Forum Altern ohne Gewalt“? Situationen zugetragen werden?

Die grundlegenden Da nur in der Altenarbeit


Anliegen des Forums sind, Mit Humor könnten erfahrene Ehrenamtliche
analog zu den Zielen des neue kreative Lösungen unterschiedlicher Professi-
aufgelösten Vereins „Han- und Wege gefunden, onen – zum Beispiel Ärzte,
deln statt Misshandeln die Neugier am alten Alten- und Krankenpfleger
– Bonner Initiative gegen Menschen geweckt und Juristen – diese Tätig-
Gewalt im Alter e. V.“, Alt- und Konflikte deutlich keiten ausüben, sind die
ersdiskriminierung, Gewalt verringert werden. personellen Ressourcen
und Misshandlung, wo eingeschränkt. Beim Tele-
immer sie auftritt, aktiv zu fonat wird geklärt, worum
bekämpfen und die gewaltfördernden Män- es sich handelt und wer involviert ist. Wir
gel der strukturellen Rahmenbedingungen motivieren dann, zu einem Besuch in der
in der Altenpflege, Gerontopsychiatrie und Beratungsstelle oder vor Ort, um weitere
Geriatrie zu thematisieren und zu analysie- Schritte besprechen zu können. Ziel ist es,
ren. Dies jedoch, ohne dabei zu skandalisie- lösungsorientiert zu arbeiten und nicht die
ren, sondern vielmehr die Öffentlichkeit zu Schuldfrage in den Fokus zu stellen – das ist
sensibilisieren. Die Charta der Rechte hilfe- meist der falsche Ansatz.
und pflegebedürftiger Menschen ist hierbei
handlungsleitend, und wir bemühen uns Kleine Schritte sind oft Erfolg versprechender
auch, diese zu verbreiten und ihr zu mehr als „große Entwürfe“. Und unsere Erfahrung
Geltung zu verhelfen. In unserer praktischen ist, dass sich kaum einer der Beteiligten
Arbeit versuchen wir, dem Verbesserungsprozess
präventiv tätig zu werden, verweigert. Manche Angehö-
indem wir unter anderem Die Schuldfrage in rige möchten auch nur eine
Angehörige und alle an der den Fokus zu stellen, telefonische Beratung, zum
Pflege Beteiligten unter- ist der falsche Ansatz. Beispiel zum Betreuungs-
stützen, relevante regionale recht, oder Adressen lokaler
Einrichtungen und Stellen Einrichtungen. Anfragen aus
vernetzen und insgesamt versuchen, eine anderen Teilen Deutschlands versuchen wir
Anlaufstelle für alte Menschen und deren entweder an entsprechende Krisentelefone
Angehörige in kritischen Situationen zu sein, weiterzureichen oder auf örtliche Unterstüt-
die zu Gewalt führen können oder in denen zungsangebote hinzuweisen, zum Beispiel
Gewalthandlungen schon stattgefunden Alzheimer-Gesellschaft, Selbsthilfegruppen,
AKTEURE47

Gesundheitsamt, Betreuungsbehörde, Weis- Wie können Menschen, für die eine rechtli-
ser Ring, Seelsorge, Heimaufsicht, MDK. che Betreuung besteht, geschützt werden?
Und wie sollte man vorgehen, wenn man
Was raten Sie Menschen, die in einer Pfle- den Eindruck hat, dass eine Betreuung miss-
geeinrichtung Zeuge von problematischen, bräuchlich erfolgt?
aggressiven Situationen oder Vernachlässi-
gungen werden? Wie sollte man vorgehen? Der Schutz ist in solchen Situationen sehr
schwierig, da Betreuung von vielen, auch
Zunächst hören wir aufmerksam zu, ohne Professionellen, mit Vormundschaft gleich-
gleich Ratschläge zu erteilen. Wir motivieren, gesetzt wird. Auf sein Recht zu beharren,
mit den Pflegekräften, der nützt wenig und ist meist
Heim- und Pflegedienstlei- kontraproduktiv. Die Ein-
tung oder auch dem Arzt zu Wichtig ist, den stellung, dass eine recht-
sprechen. Dabei sollte weni- Einzelfall vor Augen liche Betreuung für den
ger angesprochen werden, zu haben und eine Betreuten sein soll, und
wer Recht hat oder schuld ist, Vorverurteilung grund­ sein Wille so gut es geht
sondern wie diese Situation sätzlich zu vermeiden. bei Handlungen führend
behoben werden kann. In sein sollte, ist leider
einigen Fällen konnten wir immer noch nicht weit
mit dem Heim ein gemeinsames Gespräch verbreitet. Ist ein rechtlicher Berufsbetreuer
vereinbaren und im Rahmen einer Mediation tätig, bleibt des Öfteren die Familie bei Hand-
vermittelnd tätig sein – meist mit Erfolg. lungen ausgeschlossen. Manchmal besteht
Wichtig ist, den Einzelfall vor Augen zu haben auch eine „unheilige Allianz“ zwischen Arzt,
und eine Vorverurteilung grundsätzlich zu Richter, Pflegeheim und Betreuer. Diese zu
vermeiden. Gerade die „kleinen Grausamkei- lösen, gelingt kaum. Ein medizinisches Gut-
ten“ sind leider sowohl seitens der Instituti- achten hilft hier selten. Betreute können so
onen aber auch durch manche Angehörige leicht Opfer krimineller oder problematischer
fast an der Tagesordnung und bedürfen Situationen werden. Es herrscht eine Vielzahl
eines Sinneswandels der Einrichtung und an Möglichkeiten, das Betreuungsrecht
Person. Manche Angehörige sind selbst so zu missbrauchen. Das bedeutet auch, dass
verunsichert oder machen sich Vorwürfe, die jede Situation nur individuell angegangen
sie dem Pflegepersonal aufhalsen, sodass für werden kann. Häufig geht es hier um Geld,
sie ein psychoedukatives Gespräch oder eine insbesondere, wenn Angehörige streiten.
Psychotherapie sinnvoll Da ist es oft sehr schwer,
wäre. Bei allen Handlun- helfen zu können.
gen ist der Selbstschutz Wir versuchen, auf mensch­
zu beachten. Keine Miss- liche und liebevolle Weise Es ist wichtig, alle „Par-
handlung – sei sie auch mit den Betroffenen und teien“ zu hören, um dann
noch so gering – sollte auch den vermeint­lichen einen Lösungsweg zu
toleriert und mit Perso- „Tätern“ umzugehen, und finden. Vielfältige Schick-
nalmangel entschuldigt suchen das Gespräch. sale hängen daran.
werden. Beteiligte sind oftmals
48 A K T E U R E

verzweifelt und hadern mit dem Rechtsstaat. jeden Fall einen Altenpfleger und einen
Wir bemühen uns, auf menschliche und Sozialarbeiter beschäftigen und unabhängig
unterstützende Weise mit den Betroffenen sein.
und auch den vermeintlichen „Tätern“ umzu-
gehen, und suchen das Gespräch. Zudem Dies ist zumindest moralisch – wenn schon
versuchen wir, von zu vielen Anschreiben nicht gesetzlich vorgegeben – eine kom-
abzuraten – beispielsweise haben Schreiben munale Aufgabe, die bereits für alle anderen
an das Gericht meist Alters- oder Problemgrup-
eher eine negative Wir- pen angeboten werden,
kung. Sinnvoll ist es auch Viele Menschen werden nicht aber für alte Men-
mit der Betreuungsbe- immer noch nicht erreicht. schen und deren Angehö-
hörde zu sprechen, um Es bedarf einer kommu­ rige. Eine Notruf-Nummer
gemeinsam einen gang- nalen Anlaufstelle, in der sollte so in Bus, Straßen-
baren Weg zu finden. auch Professionelle tätig bahn beziehungsweise
Außerdem ist es wichtig, sind und die ohne Hürden Zeitung plakatiert sein,
mit den hilfesuchenden zu erreichen ist. dass sie für jeden Hilfe-
Personen entlastende suchenden sichtbar ist.
Gespräche zu führen. Ärzten kommt hierbei eine
Wir ermutigen die Menschen, an der Situa- besondere Aufgabe zu. Sie sollten solche
tion nicht zu verzweifeln, sondern vielmehr Hilfen auch vermitteln und über regionale
„kleine Lücken“, zum Beispiel Absprachen mit Einrichtungen ausreichend Bescheid wissen
dem Pflegepersonal, zu identifizieren, die die und vernetzt sein. Auch Selbsthilfegruppen
Möglichkeit bieten, die Situation im Interesse können unterstützend sehr hilfreich sein,
des Betreuten zu verbessern. wie zum Beispiel die Alzheimer-Gesellschaft.
Sie sollten jedem Angehörigen dringendst
Welche Hilfen benötigen Ratsuchende am empfohlen und nicht nur als mögliche
dringendsten? Option angesprochen werden. Ratsuchende
sind aber nicht nur Menschen mit Demenz
Ratsuchende erbitten in einer Notsituation oder deren Angehörige, sondern auch alte
Hilfe. Der Erstkontakt ist wichtig und dient Menschen ohne kognitive Störung, die sich
zunächst dem Aufbau einer vertrauensvollen in einer Krisensituation befinden. Hierfür gibt
Beziehung. Dann benötigen sie eine kom- es derzeit fast keine Anlaufstellen.
petente und weiterführende Unterstützung,
nicht nur Ratschläge oder gar ein „Ich bin Da auch die Anzahl der Pflegekräfte, die Rat
nicht zuständig“. Mögen Pflegestützpunkte, suchen, steigt, bedarf es hierfür ebenfalls
„Leuchttürme“ und ähnliche Einrichtungen einer kompetenten Anlaufstelle, die sich in
auch eine gute Hilfe sein, so werden viele die oben genannte Struktur integrieren lässt.
Menschen damit immer noch nicht erreicht. Auch andere Berufsgruppen melden sich
Es bedarf einer regionalen beziehungsweise vermehrt, doch ist deren Interesse an Unter-
kommunalen Anlaufstelle, in der auch Pro- stützung derzeit noch gering. Die Hemm-
fessionelle tätig sind und die ohne Hürden schwelle ist oft größer als das nachhaltige
zu erreichen ist. Eine solche Stelle sollte auf Interesse, etwas zu ändern.
AKTEURE49

Mit Carolin Emcke, der Trägerin des Frie- wirklich an der Gesellschaft, gerade wenn
denspreises des deutschen Buchhandels sie Konflikte haben oder auf Unterstützung
2016 bin ich der Meinung, dass es nicht angewiesen sind, real teilhaben zu lassen.
reicht, Gewalt zu verurteilen. Sie muss in
ihrer Funktionsweise betrachtet werden. Herr Professor Hirsch, wir danken Ihnen für
Unsere Aufgabe ist zu zeigen, wo etwas das Gespräch!
anderes möglich gewesen wäre, wo jemand
sich anders entscheiden hätte können, wo
jemand einschreiten hätte können und wo
jemand auch aussteigen hätte können! Es
ist an der Zeit alte Menschen endlich auch

Im Gespräch
Prof. Dr. Dr. Rolf D. Hirsch ist Psychiater und Psychologe mit
Schwerpunkt Gerontopsychiatrie. Er ist Gründungsmitglied
der Privatinitiative „Handeln statt Misshandeln – Forum Altern
ohne Gewalt“ und war Begründer der eingestellten Bonner
Initiative gegen Gewalt im Alter „Handeln statt Misshandeln“.
Er ist Träger des Verdienstkreuzes 1. Klasse der Bundesrepublik
Deutschland, 2009.
50 A K T E U R E

„Es gibt keine Rechtfertigungen für


freiheitsentziehende Maßnahmen“
Interview mit Gerda Graf, ehemalige Geschäftsführerin der Wohnanlage
Sophienhof

Wie sind Sie als Leiterin einer Pflegeeinrich- Perspektiven zu interpretieren und zu verste-
tung mit Aggression und Gewalt umgegan- hen, um zu einer gemeinsamen Situations-
gen? einschätzung zu gelangen und schließlich
angemessene Maßnahmen abzuleiten.
Wir haben offen über Aggression und Gewalt
in der Wohnanlage Sophienhof diskutiert – Ein Ethikkonsil ist ebenfalls eine Fallbespre-
und das auf mehreren chung, die in berufsüber-
Ebenen. In den Wohn- greifender Zusammenset-
bereichen haben wir bei Niemand darf seiner zung stattfindet. Hierbei
den täglichen Zusammen- Freiheit entzogen wird eine ethische Analyse
künften der Mitarbeiter, werden. Daran hat sich und Bewertung des Prob-
im Sinne einer ethischen auch eine Organisation lems vorgenommen. Auf
Reflexion, das Thema wie ein Pflegeheim zu dieser Grundlage wird
berührende Tagesabläufe orientieren. eine ethisch begründete
besprochen. Dabei sind und von den Beteiligten
auch Verhaltensauffällig- mitgetragene Empfehlung
keiten wie starke Unruhe oder Aggressivität erarbeitet. Bei Bedarf wird externe Beratung
zur Sprache gekommen. Auf der Leitungs­ hinzugezogen.
ebene ist die Reflexion bei jeder Morgenbe-
sprechung geschehen. Das gleiche galt für Wie ist die Entscheidung gefallen, keine
die Wochenrunde und die Monatsrunde. freiheitsentziehenden Maßnahmen einzu-
Wenn es die Situation erfordert hat, dann setzen? Und welche Vorbereitungen und
haben wir zusätzlich Haus- und Fachärzte Voraussetzungen waren für die Umsetzung
miteinbezogen, zum Beispiel im Rahmen nötig?
hermeneutischer Fallbesprechungen oder
ethischer Konsile. Die grundlegende Entscheidung war bereits
vor über zehn Jahren gefallen und basierte
Worum geht es bei hermeneutischen Fall- auf einem ganz einfachen Grundsatz.
besprechungen und ethischen Konsilen? Nämlich der Tatsache, dass niemand seiner
Freiheit entzogen werden will und darf.
Eine hermeneutische Fallbesprechung dient Daran hat sich auch eine Organisation wie
dazu, die Situation der betreffenden Person, ein Pflegeheim zu orientieren. Auch im Falle
zum Beispiel eines Bewohners mit heraus- bestimmter Krankheiten, wie beispielsweise
forderndem Verhalten, aus verschiedenen bei einer Demenz, gibt es keine Rechtferti-
AKTEURE51

gungen für freiheitsentziehende Maßnah- Welche Alternativen zu freiheitsentziehen-


men. den Maßnahmen gibt es?

Eine erste Maßnahme war, den Begriff Zunächst einmal sollten Bewohner, bei
„Aggression“ durch den Begriff „Verhal- denen Verhaltensauffälligkeiten wie starke
tensauffälligkeit“ zu ersetzen. Dies ist auch Unruhe bis hin zu Umherirren bekannt ist,
Bestandteil des sogenannten HoLDe-Kon- neben der Versorgung durch den Hausarzt
zepts der Wohnanlage Sophienhof (Hospiz, immer auch neurologisch oder gerontopsy-
Lebenswelt und Demenz, Anmerkung chiatrisch behandelt werden. Die Fachärzte
der Redaktion), das nicht nur körperliche sollten regelmäßig zur Visite kommen und
Bedürfnisse berücksichtigt, sondern in glei- darüber hinaus auch ansprechbar sein,
chem Maße emotionale Unterstützung und wenn zwischenzeitlich Fragen oder Pro-
religiöse Begleitung umfasst. Eine weitere bleme aufkommen. Zudem sollten sie zu
wichtige Voraussetzung für die Realisierung Fallbesprechungen und ethischen Konsilen
einer fixierungsfreien Einrichtung war bei- hinzugezogen werden.
spielsweise eine konsequente Visitenkultur
durch Haus- und Fachärzte sowie regelmä- Um unruhige Bewohner zu betreuen, kön-
ßige Fort- und Weiterbildungen für unsere nen Alltagsbegleiter eingesetzt werden. Zur
Mitarbeiter. Sturzprophylaxe helfen Niedrigflurbetten
und Bewegungsmelder zeigen den Pflegen-
Wie haben die Mitarbeiter auf die Entschei- den an, ob eine Person, die stark sturzge-
dung reagiert, keine freiheitsentziehenden fährdet ist, sich gerade auf den Weg macht.
Maßnahmen anzuwenden? Und hatten Sie Zudem ist es hilfreich, mehrmals wöchent-
den Eindruck, dass die Teams dahinterste- lich Sturzprophylaxe und Rollatoren-Training
hen? durch Physiotherapeuten
anzubieten, um die Mobi-
Diese Frage lässt sich Wir hatten weniger lität und Sicherheit der
ganz kurz beantworten. schwer ­wiegende Stürze, Bewohner zu verbessern.
Die Entscheidung wurde und die Zahl der Kranken­ All das sind nur Beispiele –
von den Mitarbeitern hauseinweisungen ist in letztlich kommt es darauf
sehr positiv aufgenom- den letzten Jahren stetig an, alle Wahrnehmungen
men, da diese Maß- gesunken. zu evaluieren und entspre-
nahme ja auch den ganz chend bedürfnisorientiert
persönlichen Anspruch zu handeln.
auf Freiheit widerspiegelt. Die Teams haben
voll hinter dieser Haltung gestanden und Muss man keine haftungsrechtlichen Kon-
waren auch bei der Umsetzung kreativ und sequenzen befürchten, zum Beispiel wenn
engagiert. jemand stürzt, aus dem Bett fällt oder sich
verirrt? Wie kann man sich absichern?
Wie sollte man damit umgehen, wenn
Bewohner ständig umherirren und zum Bei- Im Sophienhof hatten wir eher weniger
spiel die Gefahr besteht, dass sie stürzen? schwerwiegende Stürze. Die Zahl der Kran-
52 A K T E U R E

kenhauseinweisungen ist in den letzten zehn Bewohner gesucht werden musste, ist in den
Jahren sogar stetig gesunken. letzten zehn Jahren allerdings nur zwei Mal
vorgekommen.
Haftungsrechtlichen Konsequenzen habe
ich nicht besonders befürchtet. Mir war Was raten Sie Führungskräften, die ebenfalls
immer bewusst, dass eine hundertprozen- auf freiheitsentziehende Maßnahmen ver-
tige Absicherung nicht möglich ist. Wichtig zichten wollen?
ist, dass wir fachlich gut
begründet handeln und Zeigen Sie Zivilcourage und
alle Mitarbeiter voll und Es ist wichtig und setzen Sie durch, woran Sie
ganz dahinterstehen kön- hilfreich, alle Mitar­ glauben!
nen. Zentral ist hier auch beiter einzubinden,
eine ganz ehrliche und um gemeinsam Ganz wichtig sind passgenaue
offene Kommunikation mit kreative Ideen zur Fortbildungsmaßnahmen für
den Angehörigen sowie Vermeidung von alle Mitarbeiter. Außerdem
Vorsorgebevollmächtigten Fixierungen zu ist es wichtig und vor allem
in jeder Hinsicht. Angehö- finden. auch hilfreich, alle Mitarbeiter
rige sollten beispielsweise einzubinden, um gemeinsam
über eine bestehende kreative Ideen zur Vermeidung
Sturzgefahr und die Vorkehrungen sowie von Fixierungen zu finden.
auch die Abwägungen zu Maßnahmen
genau informiert werden. Sie sollten in alle Frau Graf, wir danken Ihnen für das
Maßnahmen mit einbezogen – auch in die Gespräch!
Suche nach einer verirrten Person. Dass ein

Im Gespräch
Gerda Graf ist Dipl.-Pflegewirtin und war Geschäftsführerin
der Wohnanlage Sophienhof in Niederzier. Sie ist Ehrenvorsit-
zende des Deutschen Hospiz- und Palliativ- Verbands e. V. und
Trägerin des Verdienstkreuzes am Bande der Bundesrepublik
Deutschland, 2007.
AKTEURE53

„Auf das Wissen um Handlungsalternativen


und die Haltung kommt es an“
Interview mit Karola Miowsky­-Jenensch, Pflegestation Meyer und Kratzsch

Ambulante Pflegedienste versorgen heut- lante Pflegedienste gewährleistet werden.


zutage viele Menschen mit Demenz. Wie Kooperation und Netzwerkarbeit sind von
ist es möglich, dass sogar Menschen mit großer Bedeutung. Nur das Zusammenspiel
weit fortgeschrittener Demenz zu Hause von vielen Akteuren gewährleistet eine gute,
versorgt werden und den Bedürfnissen von
leben können, ohne Menschen mit Demenz
sich oder andere zu Nicht jeder Mensch mit entsprechende Pflege.
gefährden? einer Demenz gefährdet Hierzu gehören zum
sich automatisch selbst oder Beispiel Tagespflege-
Nicht jeder Mensch mit andere Personen in seinem stätten, Alltagsbegleiter,
einer Demenz gefähr- Umfeld. Viele können mit Angehörige und Nach-
det sich automatisch barschaftshilfen.
entsprechender Hilfe noch
selbst oder andere
lange zu Hause leben.
Personen in seinem Wenn allerdings eine
Umfeld. Viele können Selbst- oder Fremdge-
mit entsprechender fährdung vorliegt – zum
professioneller Hilfe noch lange zu Hause Beispiel jemand verlässt im Winter im Nacht-
leben. Ausschlaggebend ist hier die aus- hemd die Wohnung oder macht offenes
führliche Beratung zu Risikopotenzialen, Feuer im Wohnraum – sind die Grenzen
pflegerischen Angeboten und Hilfsmitteln erreicht.
sowie Wohnraumanpassungen. Die daraus
resultierenden Maßnahmen ermöglichen Wie gehen Sie in Ihrem ambulanten Dienst
diesen Menschen ein gefahrloseres Leben in mit problematischen familialen Pflegekon-
ihrer gewohnten Umgebung. stellationen um? Gibt es ein festgelegtes
Vorgehen?
Vor welchen Herausforderungen stehen
ambulante Dienste, um Menschen mit Problematische familiäre Pflegekonstellatio-
Demenz das Leben in der eigenen Woh- nen entstehen häufig durch Überforderung
nung zu ermöglichen? Und wo sind die mit der Pflegesituation, auch können alte
Grenzen dessen, was Konflikte plötzlich wie-
ein ambulanter Dienst der in den Vordergrund
leisten kann? Nur das Zusammenspiel von treten. Angehörige
vielen Akteuren gewähr­ verfügen nicht über eine
Das Leben zu Hause kann leistet eine gute Pflege. professionelle Distanz,
nicht allein durch ambu- auf der anderen Seite
54 A K T E U R E

kommt häufig ein schlechtes Gewissen auf, leisten – dies könne dann ihrer Meinung nach
weil die Pflege an „Fremde“ abgegeben wird. erreicht werden, indem beispielsweise Türen
abgeschlossen, Bettgitter hochgezogen wer-
Im Rahmen einer Verfahrensbeschreibung den und so weiter. Im Praxisalltag werden
zur Informationsweitergabe ist unseren diese Wünsche allerdings nur vereinzelt an
Mitarbeitern der Umgang mit schwierigen uns herangetragen.
Gegebenheiten bekannt. Die Pflegesituation
wird im Rahmen eines Hausbesuchs durch Wenn immer häufiger Weglauf- beziehungs-
die leitende Fachkraft und einen Sozialpäd- weise Hinlauftendenzen beobachtet werden,
agogen analysiert, woraufhin entsprechende muss die Frage gestellt werden, ob die beste-
Hilfsangebote für den Pflegealltag vorge- hende Wohnform für die betroffene Person
schlagen werden. Auch Hilfen zur Kontakt- noch angemessen ist. Möglicherweise
aufnahme zu anderen Institutionen werden haben sich die Bedürfnisse mit fortschrei-
seitens des Pflegedienstes unterstützt. tender Demenz verändert. Der Bezug zur
eigenen Häuslichkeit ist eventuell verloren
Werden Ihre Kollegen speziell zu Gewalt gegangen, oder auch der Wunsch nach Nähe
und Aggression geschult? Falls ja – was wird und Gemeinsamkeit kann Antrieb für diese
vermittelt? Tendenzen sein.

Das Thema „Herausforderndes Verhalten bei Wenden Ihre Mitarbeiter in bestimmten


Menschen mit Demenz“ wird bei uns jedes Situationen auch freiheitsentziehende Maß-
Jahr besonders im Fortbildungsprogramm nahmen an? Falls ja, können Sie ein Beispiel
berücksichtigt. Inhalte der Schulung fokus- geben? Wie war in diesem Fall der rechtliche
sieren Aspekte wie „Auslösendes Ereignis Hintergrund und welche organisationsbe-
verstehen“, „Betrachtung des tatsächlichen zogenen Regelungen bestanden?
Verhaltens“ sowie mögli-
che Maßnahmen wie Vali- Eine wichtige Rolle
dation, Besprechungen Eine wichtige Rolle spielt spielt hier die innere
mit Klienten, basale Stimu- die Haltung zu freiheits­ Haltung zum Thema.
lation und deeskalierende entziehenden Maßnahmen. Unsere Mitarbeiter
Strategien. sind angehalten, frei-
heitsentziehende Maß-
Wie und wie häufig sind ambulante Dienste nahmen zu vermeiden und Alternativen zu
mit freiheitsentziehenden Maßnahmen finden. Eine freiheitsentziehende Maßnahme
konfrontiert, zum Beispiel Einschließen oder wird nur in Betracht gezogen, wenn keine
Fixieren einer Person, die ständig weglaufen willkürlichen Bewegungen erkennbar sind
möchte? und es um die Sicherheit im Rahmen der
Sturzprophylaxe geht und auch keine weite-
Das Thema freiheitsentziehende Maßnah- ren Alternativen zur Verfügung stehen.
men kommt im ambulanten Bereich insofern
vor, als Angehörige den Wunsch äußern, Zum Beispiel im Fall von Frau W.: Sie lebt in
mehr Sicherheit für den Klienten zu gewähr- einer Wohngemeinschaft für Menschen mit
AKTEURE55

Demenz. Die Demenz ist weit fortgeschritten bereits so weit fortgeschritten, dass ihre Ori-
und eine verbale Kommunikation ist mit ihr entierung bezüglich Personen, Ort und Zeit
nicht mehr möglich. Auch in der Mobilität vollständig verloren gegangen war. Immer
gibt es starke Einschränkungen. Kleine Eigen- öfter versuchte sie aber dennoch, allein ihre
bewegungen und unwillkürliche Bewegun- Wohnung zu verlassen, um ihr altes Café
gen sind zu beobachten. Auf Wunsch der aufzusuchen. Ihre Tochter war deshalb sehr
Tochter – bestellt als rechtliche Betreuerin besorgt, konnte sie aber auch nicht in die
– werden zur Nachtruhe die Bettgitter im Konditorei begleiten, da sie selbst außerhalb
Rahmen der Sturzprophylaxe hochgezogen. wohnte und nicht die Möglichkeit hatte,
Der Bauchgurt am Rollstuhl wird nur benutzt, jedes Wochenende ihre Mutter zu besuchen.
wenn Frau W. sehr unru- Es kam immer häufiger
hig ist. Eine ablehnende zu belastenden Streiter-
Reaktion gegen diese Angehörige sind ein fester eien zwischen Mutter
Maßnahmen ist nicht zu Bestandteil im Pflegesystem und Tochter, bis die
erkennen. und erbringen täglich eine Tochter sich entschloss,
außergewöhnliche Leistung. den Pflegedienst auch
Beide Maßnahmen damit zu beauftragen,
werden in einem vor- ihre Mutter sonntags in
gegebenen Prozess dokumentiert und im die Konditorei zu begleiten. Der pflegerische
Rahmen der Pflegevisite regelmäßig nach Einsatz bei Frau A. wurde nun am Sonntag
vorgegebenen Zeitfenstern evaluiert. Die zeitlich so angepasst, dass der Konditoreibe-
Ausführung erfolgt erst nach schriftlicher such in Begleitung einer Pflegekraft ermög-
Zustimmung der Betreuerin – in diesem Fall licht wurde. Und die Tendenz, ihre Wohnung
der Tochter. verlassen zu wollen, ist nun nachweislich
zurückgegangen.
Welche Erfahrungen haben Sie in der
Zusammenarbeit mit pflegenden Angehö- Durch seelische und körperliche Erschöp-
rigen gemacht? Wenden sie sich an Sie, um fung, die sich der Angehörige oft nicht
Unterstützung in problematischen Pflegesi- eingestehen kann, kommt es auch zu unter-
tuationen zu erhalten? schiedlichen Sichtweisen der Pflegesituation.
Wir erleben häufig, dass zum Beispiel beim
Die Basis einer guten Zusammenarbeit ist Einzug in eine Wohngemeinschaft Ange-
Vertrauen. Besteht ein vertrauensvoller hörige anfänglich extrem anspruchsvoll
Kontakt zur Bezugspflegekraft, werden Sor- sind, was in der Regel aus ihrem schlechten
gen, Bedürfnisse und Probleme seitens der Gewissen resultiert, ihren Angehörigen „weg-
Betroffenen und ihrer Angehörigen schneller gegeben“ zu haben. Dieses Verhalten legt
angesprochen. sich meist, wenn die Betroffenen sich einge-
lebt haben und die Angehörigen erkennen,
Ein Beispiel: Als Frau A. noch mobil war, dass ihr Familienmitglied gut gepflegt und
gehörte der sonntägliche Besuch in einer betreut wird.
Konditorei zu ihren festen Ritualen. Bedau-
erlicherweise war ihre Demenz nun aber
56 A K T E U R E

Abschließend die Frage: Welche Hilfe und nissen ihres betroffenen Familienmitglieds
Unterstützung benötigen pflegende Ange- entsprechen. Viele Hilfs- und Entlastungsan-
hörige aus Ihrer Sicht am dringendsten? gebote sind Angehörigen nicht bekannt. Die
Informationen sollten an zentralen Stellen
Angehörige sind ein fester wie Hausarztpraxen und
Bestandteil im Pflegesystem Apotheken zugänglich sein.
und erbringen täglich eine Viele Hilfs- und
außergewöhnliche Leis- Entlastungsangebote Frau Miowsky-Jenensch,
tung. Sie benötigen eine sind Angehörigen wir danken Ihnen für das
umfassende kompetente nicht bekannt. Die Gespräch!
fachliche Beratung, um Informationen sollten
schnell die vielen Hilfsan- an zentralen Stellen
gebote und Hilfsmittel zu zugänglich sein.
finden, die den Bedürf-

Im Gespräch
Karola Miowsky-Jenensch ist Gesundheits- und Sozialökono-
min (VWA) und examinierte Krankenschwester. Sie arbeitet als
Qualitätsmanagement-Beauftragte in der Pflegestation Meyer
und Kratzsch, Berlin.
A N A LY S E 57

Impulse
In dieser Rubrik werden Projekte beziehungsweise Internetangebote vorgestellt, die über
Gewalt in der Pflege aufklären und beim Umgang damit unterstützen. Sie geben außerdem
Impulse für die Entwicklung weiterer Angebote.
58 I M P U L S E

Gewalt durch Wissen vorbeugen:


Onlineportal Gewaltprävention in der Pflege
Sachliche und einfach nachvollziehbare Hauptzielgruppe des Onlineportals sind Pfle-
Informationen für alle, die sich für pflegebe- gende und alle, die sich für pflegebedürftige
dürftige Menschen engagieren, sind wichtige Menschen engagieren. Aber auch Pflegebe-
Voraussetzungen, um Gewalt in der Pflege dürftige selbst sind angesprochen. Die Inhalte
vorzubeugen. basieren auf dem bestverfügbaren Wissen. Sie
sind allgemein verständlich und übersichtlich
Das ZQP bietet auf www.pflege-gewalt.de – gemäß der fundierten ZQP-Methode zur
Basiswissen und Praxishinweise zu den ver- Vermittlung pflegerelevanten Wissens – auf-
schiedenen Aspekten von Aggression und bereitet. Ein Teil der Informationen wird in
Gewalt im Kontext Pflege. Dazu gehören „Leichter Sprache“ angeboten.
Informationen über Erscheinungsformen,
Anzeichen und
Häufigkeit von
Gewalt sowie prak-
tische Hinweise,
wie Gewalt in der
Pflege vorgebeugt
oder damit umge-
gangen werden
kann.

Zudem bietet
das Onlineportal
eine Übersicht
über Krisen- und
Nottelefonen, die
in Problemsituati-
onen helfen. Eine
aktuell erreichbare
Nummer ist auf
den ersten Blick
auffindbar.

Weitere Informationen
o www.pflege-gewalt.de
IMPULSE59

Freiheitseinschränkende Maßnahmen in der


Altenpflege begrenzen: Leitlinie FEM
Zu einer Pflegepraxis beizutragen, die sich an und ein Praxisprogramm zur Umsetzung der
der Menschenwürde der Bewohner statio- Leitlinie in Pflegediensten und -einrichtungen
närer Pflegeeinrichtungen orientiert und die in Schleswig-Holstein vorgestellt.
deren Recht auf sichere Bewegung achtet,
ist das Kernziel der „Initiative zur Begrenzung Die Initiative ist ein Kooperationsprojekt der
freiheitseinschränkender Maßnahmen in der Universität zu Lübeck, der Universität Ham-
Altenpflege“. Um Wissen bereit zu stellen, die burg, der Martin-Luther-Universität Halle-Wit-
der professionellen Pflege helfen, möglichst tenberg und der Universität Witten/Herdecke.
ganz auf freiheitsentziehende Maßnahmen zu
verzichten, wurde daher bereits 2009 mithilfe Die Projekte wurden vom Bundesministerium
einer Expertengruppe die „Leitlinie FEM“ ent- für Bildung und Forschung sowie dem Bun-
wickelt und 2015 aktualisiert. desministerium für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend gefördert.
Zur Entwicklung der
Leitlinie wurde eine
Interventionsstudie
durchgeführt. Sie zeigte,
dass mit Umsetzung der
Leitlinie Freiheitsentzug
erfolgreich und ohne
negative Folgen für Pfle-
gebedürftige reduziert
werden kann.

Auf der Webseite der Ini-


tiative stehen unter ande-
rem die gesamte Leitlinie
sowie Broschüren, Flyer
und Poster mit Kurzinfor-
mationen bereit. Zudem
werden die Implemen-
tierungsstudie IMPRINT

Weitere Informationen
o www.leitlinie-fem.de
60 I M P U L S E

Gewalt erkennen und richtig dokumentieren:


Online-Hilfe „Befund: Gewalt“
Die Folgen von Gewalt von Symptomen Hinweise und Links zu Beratungsstellen sowie
anderer Erkrankungen zu unterschei- Informationen zur Rolle von Polizei und Justiz.
den, ist auch für medizinische Fachkräfte
nicht immer einfach. Das Onlineangebot Die Informationen und Empfehlungen sind
www.befund-gewalt.de soll Ärzten, professi- fundiert und praxisorientiert dargestellt.
onell Pflegenden und anderen Gesundheits-
fachkräften dabei helfen, Gewaltfolgen zu Das Onlineangebot ist ein Kooperationspro-
erkennen und gerichtsverwertbar zu doku- jekt des Public Health Institute der Hochschule
mentieren. Dazu werden unter anderem kon- Fulda und des Instituts für Rechtsmedizin des
krete Anzeichen körperlicher und psychischer Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf.
Gewalt beschrieben. Die Entwicklung der Webseite wurde mit Mit-
teln des Europäischen Sozialfonds und einer
Für die Dokumentation werden Vordrucke Kofinanzierung des Hessischen Ministeriums
bereitgestellt, auf denen die Befunde für ein für Soziales und Integration gefördert.
eventuelles späteres Gerichtsverfahren ver-
wertbar festgehalten wer-
den können – mit dem
Ziel, Ermittlungsverfahren
zu ermöglichen, die nicht
aufgrund mangelnder
Beweise eingestellt wer-
den müssen.

Außerdem werden die


Nutzer dabei unterstützt,
einen Verdacht anzuspre-
chen und Betroffenen
Unterstützung zu vermit-
teln. Sie erhalten neben
Formulierungshilfen für
das Gespräch mit Betrof-
fenen auch allgemeine

Weitere Informationen
o www.befund-gewalt.de
IMPULSE61

Freiheitsentziehende Maßnahmen vermeiden:


Der verfahrensrechtliche Ansatz Werdenfelser
Weg

Der Werdenfelser Weg ist ein verfahrensrecht- Zudem werden Materialen bereitgestellt, wie
licher Ansatz mit dem Ziel, Entscheidungs- Vortragsfolien, gerichtliche Entscheidungen
prozesse über die Notwendigkeit freiheits- oder Argumentationshilfen für Juristen in
entziehender Maßnahmen wie Bauchgurte, Bezug auf die Genehmigungspflicht von
Bettgitter und Vorsatztische zu verbessern. Bettgittern.
Damit sollen Fixierungen in stationären Ein-
richtungen der Altenpflege und für Menschen Entstanden ist die Initiative aus einem
mit Behinderungen sowie in somatischen und professionsübergreifenden Netzwerk in
psychiatrischen Krankenhäusern minimiert Garmisch-Partenkirchen mit Beteiligten aus
werden. Amtsgericht, Pflegeeinrichtungen und Kran-
kenkassen sowie Angehörigen und Betreu-
Dazu werden vom Gericht spezialisierte Ver- ungspersonen.
fahrenspfleger eingesetzt, die gemeinsam mit
der Pflegeeinrichtung und den
Angehörigen nach Alternativen
suchen. Sie verfügen über pfle-
gefachliches Wissen zur Vermei-
dung von FEM und juristisches
Wissen über deren rechtliche
Kriterien.

Die Webseite der Initiative bietet


ausführliche Informationen zu
Idee und Verbreitung des Wer-
denfelser Wegs. Pflegefachleute
und Einrichtungen erhalten
Informationen zu Schulungsan-
geboten beziehungsweise zur
Fortbildung zum Verfahrenspfle-
ger.

Weitere Informationen
o www.werdenfelser-weg-original.de
62 I M P U L S E

Beschäftigte unterstützen und Gewalt


vorbeugen: Gesundheitsdienstportal der
Unfallkasse NRW

Die Unfallkasse Nordrhein-Westfalen stellt mit Ein zentrales Thema ist das Konfliktma-
dem Onlineangebot „Gesundheitsdienstpor- nagement in Bezug auf Probleme zwischen
tal“ Beschäftigten im Gesundheitswesen und Patienten, Pflegebedürftigen, Angehörigen
pflegenden Angehörigen Informationen zum und Beschäftigten im Gesundheitswesen.
Arbeits- und Gesundheitsschutz bereit. Dies In einem interaktiven Programm werden
schließt auch Informationen und Praxishin- Hintergrundinformationen, Schulungsmaß-
weise zur Gewaltprävention in der Pflege ein. nahmen, Kommunikations- und Deeskalati-
onsstrategien sowie Nachsorgemaßnahmen
Die Materialien geben – sowohl auf der vorgestellt.
betrieblich-organisatorischen als auch der
individuellen Ebene – Hinweise, wie Aggres- Dieses Programm wurde in Zusammenarbeit
sionen und Gewalt vermieden, Beschäftigte mit mehreren Unfallkassen erstellt.
geschützt und bei der
Bewältigung problemati-
scher Situationen unter-
stützt werden können.

Als Handlungshilfen
können zum Beispiel
verschiedene Informa-
tionsblätter herunter-
geladen werden, wie
Gefährdungsbeur tei-
lungen, Checklisten mit
Risikofaktoren oder eine
Übersicht zu sicherheits-
gerechtem Verhalten
und zu Notrufmöglich-
keiten für alleinarbei-
tende Personen.

Weitere Informationen
o www.gesundheitsdienstportal.de/gewaltpraevention
IMPULSE63

Reflexion
In dieser Rubrik beleuchten Experten spezielle Handlungsfelder im Kontext Gewaltpräven-
tion in der Pflege. Im Fokus stehen zum einen der Unterstützungsbedarf von Menschen mit
rechtlicher Betreuung und zum anderen der Einsatz von Medikamenten als freiheitsentzie-
hende Maßnahme. Darüber hinaus wird über zwei aktuelle Studien des ZQP zum Thema
Gewaltprävention in der Pflege informiert.
64 R E F L E X I O N

Der besondere Unterstützungsbedarf von


Menschen mit rechtlicher Betreuung
Dagmar Brosey

Grundlegendes zur Betreuung ständigkeit und ist an allen Entscheidungen


zu beteiligen, solange sie dies möchte und
Pflegebedürftige Menschen sind in beson- äußerungsfähig ist.
derem Maße auf Unterstützung angewiesen.
Dazu gehören auch die rechtlichen Ange- Die Kompetenzen und Fähigkeiten von
legenheiten, zum Beispiel Überweisungen Pflegebedürftigen werden – insbesondere
vorzunehmen, Verträge abzuschließen, Sozi- wenn eine Demenz vorliegt – viel zu häufig
alleistungen zu beantragen oder eine Ent- unterschätzt. Gleichzeitig werden Hand-
scheidung über ärztliche lungskompetenzen ihrer
Behandlungsmaßnahmen Vertreter überschätzt. Es
einzuholen. Der Unter- Die Kompetenzen kommt daher zum Beispiel
stützungsbedarf variiert und Fähigkeiten von gegenüber Ärzten oder
bei den pflegebedürftigen Pflegebedürftigen auch in finanziellen Fragen
Menschen naturgemäß werden – insbesondere häufig dazu, dass pflegebe-
sehr stark und ist immer wenn eine Demenz dürftige Menschen nicht
individuell zu bestimmen. vorliegt – viel zu mehr an Entscheidungen
Unterstützung gibt es in häufig unterschätzt. partizipieren und sogar in
verschiedenen Formen. ihrem Beisein übergangen
Das Recht sieht zwei werden. Eine Beteiligung an
Unterstützungsformen vor, die mit einer Entscheidungen ist für die Lebensqualität
Vertretungsbefugnis verbunden sind. Das jedoch sehr wichtig; und so ist der unter-
bedeutet, dass ein Stellvertreter für die pfle- lassene Einbezug des Menschen, um den es
gebedürftige Person handeln kann. Unter- geht, auch eine Form der Gewalt. Betreuer
stützung kann bedeuten, eine Entscheidung sowie Bevollmächtigte haben die Aufgabe,
für die Person umzusetzen (zum Beispiel Pflegebedürftige bei der Wahrnehmung
Kündigung der Tageszeitung). Sie kann aber ihrer Rechte zu unterstützen und dafür zu
auch bis zur Entscheidungsübernahme sorgen, dass ihre Wünsche, Fähigkeiten und
reichen, wenn die Person nicht mehr äuße- Interessen berücksichtigt werden. Vielfach
rungs- oder entscheidungsfähig ist. Beson- fehlt es anderen Personen an Kommunika-
ders wichtig ist, dass weder das Vorliegen tionsfähigkeiten, sich gegenüber Pflegebe-
einer Vorsorgevollmacht noch die gerichtli- dürftigen verständlich auszudrücken oder sie
che Entscheidung über die Bestellung eines zu verstehen. Betreuer und Bevollmächtigte
Betreuers Aussagen dazu machen, ob eine müssen aber dafür sorgen, dass die pflege-
Person selbst entscheiden kann oder nicht. bedürftigen Menschen in ihrem Informati-
Sie behält vielmehr ihre Entscheidungszu- onsbedarf und ihren Entscheidungsrechten
REFLEXION65

nicht übergangen werden (Artikel 12 der die Autonomie des betreuten Menschen;
Behindertenrechtskonvention der UN). erreicht werden soll eine Lebens- und Ver-
sorgungssituation, die den Vorstellungen
Einrichtung einer Betreuung und der Würde des pflegebedürftigen
Menschen entspricht. Dies ist bedeutsam bei
Eine rechtliche Betreuung erhält eine Person abnehmenden Kommunikationsfähigkeiten.
durch eine Entscheidung des Betreuungsge- Der Betreuer hat bei Entscheidungen immer
richts. Dazu kann sie selbst einen Antrag stel- Wünsche und Präferenzen des Betreuten zu
len oder Dritte (Angehörige, Sozialdienste) berücksichtigen. Daher ist es im Fall einer
können dem Gericht einen Hinweis erteilen. beginnenden Pflegebedürftigkeit sinnvoll,
Wünsche und Präferenzen
Voraussetzung für die zur Lebensgestaltung schon
Bestellung einer rechtli- Die rechtliche Betreu­ vorzeitig in einer Betreu-
chen Betreuung ist, dass ung ist damit auch ein ungs- oder Pflegeverfügung
jemand krankheits- oder Schutzinstrument. niederzulegen. Kann die
behinderungsbedingt seine Geschützt werden soll pflegebedürftige Person
Angelegenheiten nicht die Autonomie des nicht mehr an der Entschei-
besorgen kann und somit betreuten Menschen. dung mitwirken, muss der
Unterstützungsbedarf hat. Betreuer immer überlegen,
Das Betreuungsgericht welche Entscheidung die
prüft, ob die Voraussetzungen für eine pflegebedürftige Person treffen würde. Das
Bestellung eines Betreuers vorliegen. Dabei ist die Handlungsleitlinie. Bei schwierigen
wird auch begutachtet, ob soziale Hilfen Situationen ist für den Betreuer das Denken
ausreichen oder ob eine Vollmacht an eine in Alternativen wichtig; dazu können sie sich
Vertrauensperson erteilt werden kann. Das auch bei den Betreuungsvereinen beraten
Gericht hört die pflegebedürftige Person lassen.
selbst an, um ihre Fähigkeiten und Wünsche
in Erfahrung zu bringen. Außerdem werden Schutz im Rahmen einer Betreuung
die Betreuungsbehörde und ein ärztlicher
Sachverständiger mit einem Gutachten über Pflegebedürftige Menschen mit Unterstüt-
die pflegebedürftige Person beauftragt. Die zungsbedarf werden häufig Schwierigkeiten
Bestellung eines Betreuers gegen den Willen haben, die Personen, von denen sie gepflegt
der pflegebedürftigen Person kommt nur und betreut werden, zu überwachen. Es ist
ausnahmsweise in Betracht. Dazu darf der daher von überragender Bedeutung, dass der
Pflegebedürftige keinen freien Willen im Betreuer immer das Wohl des Betreuten im
Hinblick auf die Bestellung eines Betreuers Blick hat, dessen Wünsche, Rechte und Inter-
bilden können, das bedeutet, dass ein unab- essen berücksichtigt und diese auch gegen-
weisbarer Schutzbedarf besteht, den der über (Gewalt ausübenden) Pflegepersonen
Betroffene nicht erkennt. vertritt. Das Betreuungsgericht ist mit der
Überwachung des Betreuers beauftragt, der
Die rechtliche Betreuung ist damit auch ein dem Gericht regelmäßig zu berichten hat. Für
Schutzinstrument. Geschützt werden soll gravierende Entscheidungen, zum Beispiel
66 R E F L E X I O N

den Verkauf eines Hauses, die Kündigung Häufig sind Pflegende auch gleichzeitig die
einer Wohnung, im Falle risikoreicher medi- Betreuer oder Bevollmächtigten. Für den Fall
zinischer Behandlungen einer gewalthaften oder
oder bei Freiheitsentzie- missbräuchlichen Pflege-
hung, muss der Betreuer Die betreuende Person situation ist diese Kons-
immer die Genehmigung muss immer das Wohl der tellation nicht geeignet,
des Gerichts einholen, um betreuten Person im Blick die Schutzinteressen
handeln zu können. So haben und deren Wün­ von Pflegebedürftigen
kann das Gericht präven- sche, Rechte und Inte­ zu sichern. In anderen
tiv prüfen, ob der Betreuer ressen auch gegenüber Fällen sind die Betreuenr
pflichtgemäß handelt, Pflegepersonen vertreten. oder Bevollmächtigten
und kann eingreifen, womöglich nicht in der
wenn dies nicht so ist. Lage, die Interessen der
pflegebedürftigen Person zu vertreten, oder
Rechtlich betreute Menschen oder ihre Ver- es gibt noch gar keinen Betreuer oder keine
trauenspersonen können sich jederzeit an bevollmächtigte Person.
das Betreuungsgericht wenden, wenn sie sich
durch das Handeln des Betreuers schlecht Dies wird wegen der Komplexität einer der-
vertreten fühlen oder gar missbräuchliches artigen Situation häufig ein Berufsbetreuer
Handeln bemerken. Das Gericht muss bei sein. Diese Person hat wiederum zum Wohl
Pflichtwidrigkeiten des Betreuers einschrei- des pflegebedürftigen Menschen zu handeln
ten und kann ihn, wenn es notwendig ist, und dabei dessen Wünsche zu berücksich-
entlassen und eine andere Person bestellen. tigen. Für den Fall, dass die häusliche Pfle-
Das Gleiche gilt übrigens, wenn ein Bevoll- gesituation Gewalt und/oder schwere Ver-
mächtigter die Vollmacht missbraucht und nachlässigung aufweist, kann der Betreuer
zum Beispiel Geld veruntreut oder die Pflege eine anderweitige Unterbringung in einer
nicht ausreichend organisiert. Auch hier kann betreuten Wohnform organisieren. Häufig ist
das Betreuungsgericht einschreiten. dies in Notsituationen schnell zu veranlas-
sen, gegebenenfalls
Vorgehen in einer ist eine Behandlung
Gewaltsituation Rechtlich betreute Menschen in einem Kranken-
können sich jederzeit an haus erforderlich.
In einer Gewaltsituation das Betreuungsgericht Ein Betreuer kann
sollten Betreuungsbe- wenden, wenn sie sich durch mittels Aufenthalts-
hörde und Betreuungs- das Handeln des Betreuers bestimmungsrecht
gericht eingeschaltet wer- schlecht vertreten fühlen. oder Umgangsbe-
den, um eine Intervention stimmungsrecht die
zu veranlassen. In vielen Maßnahmen auch
Fällen wird eine neutrale Betreuungsper- gegenüber Dritten durchsetzen, die sich
son für den pflegebedürftigen Menschen zum Beispiel weigern, den pflegebedürftigen
bestellt, welche deren Schutzinteressen Menschen gehen zu lassen.
wahrnimmt.
REFLEXION67

Ein Umzug in ein Pflegeheim gegen den wenn eine erhebliche Lebens- oder Leibes-
Willen der pflegebedürftigen Person ist nicht gefahr akut vorliegt, darf ein Betreuer mit der
zulässig. Will der Betroffene in der Wohnung Genehmigung des Betreuungsgerichts eine
bleiben und gibt es die Möglichkeit, eine Unterbringung gegen den Willen in einer
ambulante Pflege zu organisieren, wäre geschlossenen Einrichtung veranlassen.
mithilfe von Polizei und Gericht der Verweis
der Gewalt ausübenden Person aus der Woh-
nung zu organisieren. Nur im Ausnahmefall,

Zur Autorin
Prof. Dr. Dagmar Brosey ist Professorin für Zivilrecht mit
Schwerpunkt Familien- und Jugendrecht und Direktorin des
Instituts für Soziales Recht (ISR) der Fakultät für Angewandte
Sozialwissenschaften an der Technischen Hochschule Köln. Zu
ihren Forschungsschwerpunkten zählen rechtliche Betreuung
und Gewalt in der Pflege.
68 R E F L E X I O N

Die Rolle von Medikamenten als


freiheitsentziehende Maßnahme
Uwe Brucker

In die Statistik der betreuungsgerichtlich Maßnahmen zurückgeführt wird. Bei der Art
genehmigten freiheitsentziehenden Maß- der Fixierung überwiegen nach wie vor die
nahmen (FEM) ist Bewegung gekommen. hochgestellten Bettseitenteile (Bettgitter),
Die Zahl der 2015 bundesweit durch die gefolgt von Steckbrettern an Rollstühlen und
Betreuungsgerichte neu Gurtfixierungen.
genehmigten (unterbrin-
gungsähnlichen) Maßnah- Es kann von einer hohen Allerdings: Ruhigstel-
men nach § 1906 Abs. 4 BGB Dunkelziffer von Pflege­ lungen von Heimbe-
ist mit 59.945 Genehmigun- bedürftigen ausgegangen wohnern mittels Medi-
gen zwar noch hoch, im werden, die medikamen­ kamenten werden in
Vergleich zu den Vorjahren tös ihrer Bewegungsfrei­ der Regel den Betreu-
jedoch deutlich rückläufig. heit beraubt werden. ungsgerichten nicht
So sind die bei Gericht zur Genehmigung
beantragten Maßnahmen vorgelegt. Es kann von
von 106.021 im Jahr 2010 auf 66.489 im Jahr einer hohen Dunkelziffer von Pflegebedürfti-
2015 um mehr als ein Drittel (37,3 Prozent) gen ausgegangen werden, die medikamen-
zurückgegangen. Die Gerichte werden auch tös ihrer Bewegungsfreiheit beraubt und
kritischer im Hinblick auf die Genehmigungs- vielfach ohne ärztliche Aufklärung über die
praxis: die Ablehnungsquote lag 2010 bei Wirkungen der Medikamente Opfer von ver-
7,45 Prozent und 2015 bei 9,84 Prozent. Vor ordneter und verabreichter Körperverletzung
dem Hintergrund, dass es in Deutschland werden.
rund 857.000 Plätze in Pflegeheimen gibt,
lag 2015 bei 59.945 gerichtlich genehmigten Genehmigungspflichtige Medika­
Anträgen eine Inzidenz von sieben Prozent mente nach § 1906 Abs. 4 BGB
vor. Diese Zahlen korrespondieren mit der
im 4. Pflege-Qualitätsbericht des MDS (2014) Die Gabe eines Medikaments kann freiheits-
berichteten rückläufigen Tendenz bei frei- entziehende Wirkung haben und damit der
heitsentziehenden Maßnahmen: Lag die betreuungsgerichtlichen Genehmigungs-
Prävalenz 2012 noch bei 20 Prozent, so ist sie pflicht unterliegen.
im Bericht von 2014 auf 12,5 Prozent gesun-
ken. Die Statistik des Bundesamts für Justiz Die Voraussetzungen beschreibt das Amts-
weist von 2010 bis 2015 einen Rückgang der gericht Garmisch-Partenkirchen:
richterlichen Genehmigungen um rund 38,9
Prozent aus, was auf die zahlreichen Initiati- 1. Die Verabreichung eines Medikaments
ven (redufix, Werdenfelser Weg, PEA e. V. u. a.) stellt eine freiheitsentziehende Maßnahme
zur Vermeidung von freiheitsentziehenden im Sinne des § 1906 Abs. 4 BGB dar, wenn
REFLEXION69

der Betroffene dadurch gezielt in seiner kör- führt zu einer Zunahme unerwünschter
perlichen Bewegungsfreiheit eingeschränkt Wechselwirkungen der Wirkstoffe. Besonders
werden soll. gefährdet sind Menschen mit Demenz. In
Deutschland hatten 2015 knapp 64 Prozent
2. Während die mechanische Freiheitsentzie- der Pflegeheimbewohner eine erheblich
hung sich nur auf die materiellen Freiheits- eingeschränkte Alltagskompetenz, viele
garantien des Art. 2 Abs. 2 GG allein bezieht, davon leiden an einer Demenz. Aufgrund
wird die medikamentöse Freiheitsentziehung typischer Symptome wie Unruhe, Störungen
in doppelter Hinsicht grundrechtsrelevant. des Nachtschlafes und des Tag-Nacht-Rhyth-
mus erhielten sie häufig psychotrope Medi-
3. Eine freiheitsentziehende Zielsetzung kamente, die hiergegen wirken sollen. 66
liegt nicht vor, wenn die Unterbindung des Prozent dieser Medikamente wurden nachts
Bewegungsbedürfnisses eine Nebenwirkung verabreicht (Landeshauptstadt München,
eines angstdämpfenden therapeutischen 2013).
Zweckes darstellt, weil ein subjektives Leiden
der Betroffenen gezielt unterbunden werden Dabei sollten psychotrope Medikamente wie
soll. Bei der Behandlung von Symptomen der Schlafmittel nur in Situationen angewendet
Ängstlichkeit steht der subjektive Leidens- werden, die durch Verhaltensempfehlungen
druck der Betroffenen im Vordergrund, eine und fachlich begründete Interventionen
Ruhigstellung ist nicht unmittelbar bezweckt, nicht ausreichend verbessert werden kön-
sondern allenfalls eine in Kauf genommene nen und die zu einer erheblichen Belastung
Nebenwirkung. des Betroffenen und der Pflegenden führen.
Denn die Wirkungen beziehungsweise
Problem: Anwendung psychotroper Nebenwirkungen und damit gesundheitli-
Medikamente che Risiken können beträchtlich sein: zum
Beispiel Benommenheit, Verschlechterung
Medikamente, die auf die Psyche wirken, der Kognition, Kreislaufprobleme und Stürze.
sogenannte psychotrope Medikamente, kön-
nen Erleben und Verhalten verändern. Hierzu Prävalenz
gehören Hypnotika, wie Benzodiazepine, die
unter anderem beruhigend, angstlösend, Laut dem jüngsten Qualitätsbericht der Mün-
schlaffördernd und muskelentspannend wir- chener Heimaufsicht bekommen 51 Prozent
ken. Psychotrop wirken außerdem Medika- der Bewohner in stationären Pflegeeinrich-
mente gegen Depressionen sowie Antipsy- tungen Psychopharmaka (ebd.).
chotika/Neuroleptika, die hauptsächlich bei
Halluzinationen und wahnhaften Störungen Richter et al. berichteten 2012 über Verord-
eingesetzt werden. nungsprävalenzen von psychotropen Medi-
kamenten für Bewohner von deutschen und
Mit fortschreitender Erkrankung beziehungs- österreichischen Pflegeheimen. Von 5.336
weise steigendem Alter werden häufig Heimbewohnern wiesen mehr als die Hälfte
mehrere verschiedene Wirkstoffe verordnet kognitive Einschränkungen auf. Das mittlere
und verabreicht (Polymedikation). Dies Alter betrug 85 Jahre, der Frauenanteil lag
70 R E F L E X I O N

bei 80 Prozent. Zwischen 52 und 77 Prozent Verhaltensstörungen bei Demenz (De Mau-
der Bewohner (je nach Kohorte) erhielten leon & Sourdet, 2014). Die Verordnungsdauer
ein Psychopharmakon, zwischen 15 und 30 steht im Widerspruch zu den Empfehlungen
Prozent ein sedierendes Medikament aus der der Deutschen Gesellschaft für Neurologie
Gruppe der Benzodiazepine. Antidepressiva und der Gesellschaft für Psychiatrie und Psy-
wurden zwischen 20 und 37 Prozent der chotherapie, Psychosomatik und Nervenheil-
Bewohner verordnet. Neuroleptika erhielten kunde (Deuschl & Maier et al., 2016). Die mit
zwischen 28 und 46 Prozent der Bewohner; dem längerfristigen Einsatz von Antipsycho-
dabei erhöhten unruhiges Verhalten und eine tika verbundenen Risiken sind unter ande-
höhere Pflegestufe die Wahrscheinlichkeit, rem motorische Unruhe, Gewichtszunahme,
ein Neuroleptikum verordnet zu bekommen. Herzversagen, Schlaganfälle, Verschlechte-
rung der Kognition und Stürze.
Bewohner von Pflegeheimen erhalten auch
sogenannte Bedarfspsychopharmaka. In der Ähnliche Verordnungszeiten beschreibt der
Frage 10.4. der Qualitätsprüfungs-Richtlinien Pflegereport 2017 (Jacobs et al., 2017). 49
des MDS und des GKV-Spitzenverbandes Prozent der Pflegebedürftigen mit verordne-
(Stand 4.10.2016) heißt es dazu: „Ist eine ten Anxiolytika und 56 Prozent mit Hypnotika
Bedarfsmedikation angeordnet, muss in der und Sedativa erhielten 2015 diese Medika-
Pflegedokumentation festgehalten sein, mente für mindestens ein Jahr. Leitlinien
bei welchen Symptomen welches Medika- von Fachgesellschaften empfehlen anderes:
ment in welcher Einzel- und bis zu welcher Die Arzneimittelkommission der Deutschen
Tageshöchstdosierung zu verabreichen ist, Ärzteschaft zu Angst- und Zwangsstörungen
sofern die Tageshöchstdosierung vom Arzt empfiehlt die Anxiolytika nicht länger als
jeweils festgelegt wurde.“ Vielfach wird die acht bis zwölf Wochen für die Behandlung
Dosierung dem Bedarf und somit den Pfle- (AKDAE, 2003). Auch die Hypnotika bei
genden überlassen. Nach einer Erhebung der Schlafstörungen sollten nur kurzfristig und
Münchner Heimaufsicht sind das nochmals vorübergehend, circa vier Wochen, genom-
zehn Prozent der Bewohner (Landeshaupt- men werden. Strenger sind die aktuellen
stadt München, 2013). In der stationären Beers-Kriterien der American Geriatrics Soci-
Altenhilfe werden demnach wenig medi- ety: Sowohl der Einsatz von Benzodiazepinen
zinische, pflegerische und betreuerische als auch von sogenannten Z-Substanzen
Strategien vor der Verabreichung von Psy- werden als generell ungeeignet bei älteren
chopharmaka angewendet. Medikamentöse Menschen eingestuft (American Geriatrics
Therapie wird nicht als letzter Schritt ange- Society, 2015).
sehen, sondern scheint die überwiegende
Vorgehensweise zu sein. Die Dauerverordnungsrate von Antidepres-
siva bei Pflegebedürftigen liegt laut Pflegere-
Anwendungsdauer port 2017 bei 56 Prozent (Jacobs et al., 2017).
Es wird vermutet, dass die Antidepressiva
59 Prozent der Pflegebedürftigen erhalten auch zur Behandlung von Hyperaktivität, zur
das verordnete Antipsychotikum (Neurolep- Schlafinduktion oder zur Verbesserung der
tikum) mindestens ein Jahr, meist wegen Schmerztherapie zum Einsatz kommen.
REFLEXION71

Verschiedene Untersuchungen zeigen, dass also auf die gewissenhafte und sorgfältige
in Deutschland alten Menschen – vor allem Behandlung nach den Regeln der ärztlichen
Demenzkranken – zu viele, zu hoch dosierte Kunst neuesten Wissensstandes. Der Patient
und zu lange psychotrope Medikamente muss in der Lage sein, Wesen, Bedeutung
gegeben werden. Wirkungen und Nebenwir- und Tragweite der beabsichtigten ärztlichen
kungen sind bereits im Vierten Altenbericht Maßnahmen erfassen zu können, also über
der Bundesregierung die erforderliche Ein-
2002 beschrieben, willigungsfähigkeit
zum Beispiel Unruhe, Zwischen dem, was der verfügen. Bei einem
Verwirrtheit, Kreislauf- Gesetzgeber von der ärztlichen einwilligungsunfä-
probleme, Bewusst- Aufklärung erwartet und higen Erwachsenen,
seinstrübung, Stürze dem, was in der Praxis eines der keine Einsichts-
(BMFSFJ, 2002). Pflegeheimalltags an Aufklä­ fähigkeit in die
rung über die Behandlung mit jeweilige Maßnahme
Laut Pflegereport sind Medikamenten stattfindet, besitzt (zum Beispiel
diese (Neben-)Wirkun- bestehen häufig Diskrepanzen. Bewusstlose, psy-
gen 54,4 Prozent der chisch Kranke oder
befragten Pflegenden altersbedingt stark
weitestgehend bekannt und vielfach zumin- kognitiv beeinträchtigte Patienten), muss
dest nicht unerwünscht (Jacobs et al., 2017). die Einwilligung durch einen Betreuer erteilt
werden, der vom Betreuungsgericht zu
Ärztliche Aufklärung und Einwilligung bestellen ist oder von einem wirksam einge-
von Pflegebedürftigen setzten Bevollmächtigten.

Grundsätzlich gilt: Der Patient beziehungs- Besteht die Gefahr einer längeren oder
weise Pflegebedürftige muss rechtzeitig wis- erheblichen Schädigung des Patienten durch
sen, was medizinisch mit ihm, mit welchen den Eingriff, bedarf der Betreuer oder Bevoll-
Mitteln und mit welchen Risiken und Folgen mächtigte der Zustimmung zur Einwilligung
geschehen soll. Zwischen dem, was der durch das Betreuungsgericht (§ 1904 BGB).
Gesetzgeber von der ärztlichen Aufklärung Laut Bundesamt für Justiz sind im Jahr 2015
erwartet und dem, was in der Praxis eines circa 1.600 Anträge gestellt worden, was
Pflegeheimalltags an Aufklärung über die angesichts der circa 1,3 Millionen Betreu-
Behandlung mit Medikamenten stattfindet, ungsverfahren wenig erscheint.
bestehen häufig Diskrepanzen.
Klärt der Arzt den Patienten nicht, falsch oder
Jeder ärztliche Heileingriff – dazu zählt auch unzureichend auf, kann er gegebenenfalls
die medikamentöse Therapie – erfüllt laut wegen fahrlässiger Körperverletzung oder
BGH den Tatbestand der Körperverletzung fahrlässiger Tötung bestraft werden – auch
(§§ 823 Abs.1 und 2 i. V. m. § 223ff StGB). wenn die Verschlimmerung des Leidens oder
Die Rechtswidrigkeit des Eingriffs entfällt, gar der Tod des Patienten als schicksalhaft
wenn der Patient einwilligt. Die Einwilligung eingestuft werden muss und kein ärztlicher
bezieht sich auf eine Behandlung lege artis, Behandlungsfehler begangen wurde.
72 R E F L E X I O N

Schnittstelle Pflege und ärztliche Jahr 2030 aus, was auch wachsende Anforde-
Versorgung rungen an die pflegerische Versorgung des
Personenkreises bedeutet (RKI, 2015). Die
Der Pflegereport 2017 verweist auf die professionelle Versorgung von Menschen mit
Schnittstellenfunktion von Pflegefachkräften Demenz ist eine komplexe und anspruchs-
zur ärztlichen Versorgung und damit auch zur volle pflegerische Tätigkeit und erfordert
medikamentösen Behandlung von herausfor- gerontopsychiatrische Kenntnisse. Denn
derndem oder anderem psychisch auffälligem es bedarf eines breiten fachlichen Wissens
Verhalten bei gerontopsychiatrisch geprägten um die Krankheitsbilder und deren medika-
Krankheitsbildern (Jacobs et al., 2017). mentöse und nicht-medikamentöse Thera-
pieformen. Doch verbindliche Vorgaben an
Bei der Befragung von 2.323 Pflegekräften eine gerontopsychiatrische Qualifikation
zeigte sich, dass vier von fünf Befragten des Pflegepersonals gibt es bislang nicht.
(84 Prozent) nach eigenen Angaben auf eine Eine normative Vorgabe zur Beschäftigung
ärztliche Verordnung von Psychopharmaka von Pflegefachkräften mit gerontopsychiat-
hinwirken. Die Angabe „selten/nie“ kam von rischer Weiterbildung besteht im deutschen
15,9 Prozent der Befragten. „Überraschend Pflegesystem nicht.
ist dabei, in welchem Umfang die Befragten
angaben, dass sie selbst eine Verordnung Weder die im Rahmen der Föderalismusre-
von Psychopharmaka veranlassen. 57 Prozent form in Länderzuständigkeit gekommenen
der Pflegefachkräfte wirken „gelegentlich“ Nachfolgegesetze des Heimgesetzes noch
auf eine Verordnung hin und jede Vierte (Rahmen-)Verträge zwischen Leistungser-
(27 Prozent) tut dies „regelmäßig“. Inwiefern bringern und Kostenträgern halten hierzu
hier die Indikationsstellung als ärztliche eine Regelung für geboten. Die Entschei-
Vorbehaltsaufgabe tangiert ist, bedürfte dungen des Gesetzgebers gehen in eine
genauerer Analyse. Jedenfalls der formale andere Richtung: Seit 1.1.2017 haben Pfle-
Verweis seitens auf Psychopharmakagaben gebedürftige in Pflegeheimen Anspruch
angesprochener Pflegefachkräfte auf die auf zusätzliche Betreuung und Aktivierung
Verantwortung des Arztes, der schon wisse, (§  43b SGB XI). Die Regelung löst § 87b
was ärztlich zu verordnen sei, erscheint vor SGB  XI ab. „Die regelhaft zu erbringenden
diesem Hintergrund als Schutzbehauptung, Leistungen der Betreuung nach §§ 41 bis
die der eigenen beruflichen Verantwortung 43 (bisher soziale Betreuung) bleiben von
nicht gerecht wird. § 43b unberührt und werden nicht auf die
zusätzlichen Betreuungskräfte verlagert“, so
Einflussfaktoren: Anzahl und Qualifi­ die amtliche Begründung des Pflegestär-
kation des Pflegepersonals kungsgesetzes II.1 Es handelt sich bei den
‚zusätzlichen‘ Betreuungskräften um gering-
Aktuelle Prognosen gehen von einem fügig qualifizierte Personen2, die in aller
Anstieg demenzieller Erkrankungen bis zum Regel keine Flankierung durch eine geron-

1  SGB XI PflegeVG Handbuch. KKF Verlag Altötting 2017. §43b SGB XI S. 107 f.
2  Orientierungspraktikum von 40 Stunden, 160 Stunden Qualifikation, zwei Wochen Praktikum.
REFLEXION73

topsychiatrische Fachpflegekraft erhalten. sioneller Zugang zu Demenzkranken besteht


Die ‚zusätzlichen‘ Betreuungskräfte in den aus fachlich reflektierter Kommunikation
Dienstplan der Grundpflege zu integrieren, und Beziehungsarbeit, die das Aufspüren
ist zwar ein Beitrag zur Flexibilisierung der der Bedürfnisse und Motivationslagen dieser
Fachkraftquote, doch wenn zum Beispiel die Menschen fokussieren. Diese Anforderungen
Essensgabe durch die Betreuungsassistenten sind nicht nur anspruchsvoll, sondern auch
von der Einrichtung zur „therapeutischen zeitintensiv. Die vielfach in der Pflege vor-
Nahrungsaufnahme“ umetikettiert wird, herrschenden Arbeitsbedingungen assoziie-
konterkariert das den Willen des Gesetzge- ren jedoch mit erheblichem Zeitdruck und
bers, wie diese Betreuungskräfte eingesetzt Stress beim Personal. Dies kann sich auch auf
werden sollen. „Anstatt die Pflegefachkräfte die Stimmungslage der Bewohner übertra-
in den Heimen tatsächlich zu entlasten, wird gen. Die Folgen werden dann als Unruhe,
die Versorgung auf immer mehr pflegerische herausforderndes, agitiertes, nicht selten
Laien übertragen“3. auch aggressives Verhalten beim Bewohner
beschrieben, mit dem das Personal umgehen
Für eine gelingende Pflege und Betreuung muss. Lösungsmöglichkeiten, diese belas-
von Menschen mit Demenz sind neben der tende Arbeitssituation beherrschbar gestal-
fachlichen Qualifikation auch eine wertschät- ten zu können, scheinen in der Ruhigstellung
zende und verstehende Grundhaltung sowie von Bewohnern gefunden zu werden: in der
eine Reihe von organisatorischen Rahmen- Verabreichung psychotroper Medikamente
bedingungen erforderlich. Als förderliche und in der Anwendung von körpernahen
Faktoren gelten kleine Betreuungsgruppen, Fixierungen.
Schaffung von Rückzugsmöglichkeiten bei
gleichzeitiger Öffnung zu Gemeinschafts- Folgender Schluss drängt sich auf: Es sind
räumen, die Schaffung einer Atmosphäre, zwar keine intendierten, aber hingenom-
die ein Sorge- und Geborgenheitsgefühl mene, notwendige Folgen der politischen
entstehen lässt und die Sicherstellung eines Ökonomie der Altenpflege. Die damit nicht
stimmigen personellen Umfelds (Bezugs- nur in Kauf genommene, sondern nicht
pflege, Kontinuität). Als hinderliche Elemente selten auch zielgerichtet herbeigeführte
gelten unvorhergesehene Neuigkeiten, Freiheitsberaubung in Verbindung mit der
Überraschungen, Fremde und wechselndes Körperverletzung von alten und pflegebe-
Personal (Bartholomeyczik & Halek, 2017). dürftigen Heimbewohnern stellen ganz und
gar keinen Gegensatz zu der ansonsten pro
Das Lehrbuchwissen, dass gerade Men- sozial besetzten Pflege alter Menschen dar,
schen mit Demenz personelle Kontinuität sondern werden zum unvermeidlichen Kolla-
brauchen, steht im Widerspruch zu dem teralschaden in einem nicht mehr hinterfrag-
gravierenden Anstieg geringfügiger Beschäf- baren Geschäftsmodell Altenpflege.
tigungsverhältnisse in der Pflege. Ein profes-

3  Johanna Knüppel vom Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe; In: Die Welt, 31.5.2015.
74 R E F L E X I O N

Literatur

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verordnungen in der Praxis. Therapieempfehlungen 2016. In: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.):
der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzte- Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurolo-
schaft. www.akdae.de/Arzneimitteltherapie/TE/A-Z/ gie. www.dgn.org/leitlinien. [Abruf 05.07.2017]
PDF/Angst.pdf [Abruf 05.07.2017]
Jacobs, K., Kuhlmey, A., Greß, S., Klauber, J. & Schwin-
American Geriatrics Society (2015). American Geria- ger, A. (Hrsg.). (2017). Pflege-Report 2017: Schwer-
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Greß, S., Klauber, J. & Schwinger, A. (Hrsg.): Pflegere- MDS (2014). 4. Pflege-Qualitätsbericht des MDS nach
port 2017. Stuttgart: Schattauer Verlag, S. 51-62. § 114a Absatz 6 SGB XI. S. 34f.

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und MDS & GKV (Hrsg.) (2016). Qualitätsprüfungs-Richt-
Jugend (BMFSFJ) (Hrsg.) (2002). Vierter Altenbericht linien. Transparenzvereinbarung. Grundlagen der
zur Lage der älteren Generation in der Bundesre- Qualitätsprüfungen nach den §§ 114 ff SGB XI. Teil 2
publik Deutschland: Risiken, Lebensqualität und – Stationäre Pflege.
Versorgung Hochaltriger – unter besonderer Berück-
Richter, T., Mann, E., Meyer, G., Haastert, B., & Köpke,
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De Mauleon, A., Sourdet, S. et al. (2014). Associated use among German and Austrian nursing home
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tional care in eight European countries: Results from Assoc, 13(2), 187-e7.
the Right Time Place Care study. J Am Med Dir Assoc,
RKI (2015). Gesundheit in Deutschland Gesundheits-
15(11), 812-8.
berichterstattung des Bundes. S. 442 ff.

Zum Autor
Uwe Brucker ist Senior Berater im Fachteam Pflege beim Medi-
zinischen Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkas-
sen e. V. (MDS) und Vertreter des MDS als Mitkoordinator im
Projekt MILCEA (Monitoring in Long-Term-Care – Pilot Project
on Elder Abuse).
REFLEXION75

Ausblick: Aktuelle Studien des ZQP


ZQP-STUDIE
Gewalt gegen Pflege­bedürftige – Prävention durch Hausärzte

Hintergrund: Bisher ist wenig darüber verschiedene Zielgruppen, zum Beispiel


bekannt, wie gut Hausärzte in der Lage sind deutsche Internisten und österreichische
zu erkennen, ob Gewalt gegen ihre pflegebe- Allgemeinmediziner, zugeschnitten werden
dürftigen Patienten ausgeübt wird und welche können.
Einstellungen sie zu ihrer Rolle beziehungs-
weise Verantwortlichkeit hierbei haben. Die Studie kann auch international dazu
beitragen, den Wissensstand zu erhöhen und
Ziel: Erstmals werden quantitative Daten zu damit die Situation pflegebedürftiger Men-
Wissen und Einstellungen von Hausärzten im schen zu verbessern. Die Ergebnisse werden
deutschsprachigen Raum in Bezug auf Gewalt Anfang 2018 veröffentlicht.
gegen pflegebedürftige Patienten erhoben.
Mithilfe der Ergebnisse sollen Maßnahmen Partner: Medizinische Universität Wien und
konzipiert werden, die auch spezifisch auf Kassenärztliche Bundesvereinigung

FORSCHUNGSPROJEK T VON DHPOL UND ZQP


Aggressives Handeln unter Bewohnerinnen und Bewohnern stationärer
Altenhilfeeinrichtungen als Herausforderung für die pflegerische Aus- und
Fortbildung

Hintergrund: Im Zusammenhang mit Gewalt der pflegerischen Arbeit durchgeführt. Dazu


und Aggression in der Pflege steht in der Regel werden unter anderem die Erfahrungen von
das Verhalten von Pflegenden – also Angehö- Pflegekräften und die Sicht von Bewohnern
rigen und Mitarbeitern ambulanter Dienste untersucht.
oder stationärer Einrichtungen – gegenüber
Pflegebedürftigen im Vordergrund. Zudem Auf Grundlage der Studie wird ein Schulungs-
wird in Forschung und Praxis auch Gewalt von konzept für die Aus- und Fortbildung in der
Pflegebedürftigen gegenüber Pflegenden Pflege entwickelt und zur Verfügung gestellt.
thematisiert. Erst seit wenigen Jahren wird Die Ergebnisse werden Anfang 2019 veröf-
Aggression unter Bewohnern stationärer fentlicht.
Pflegeeinrichtungen als Problemfeld wahrge-
nommen. Partner: Deutsche Hochschule der Polizei
(DHPol)
Ziel: Es wird eine bisher einmalige Analyse
des Phänomens Gewalt und Aggression unter Förderung: Bundesministerium für Familie,
Bewohnern von stationären Pflegeeinrichtun- Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ)
gen in Deutschland und seiner Bedeutung in
76
IMPULSE77

Service
In dieser Rubrik sind grundlegende Informationen zusammengefasst und Praxishinweise zur
Gewaltprävention in der Pflege dargestellt. Ergänzt wird der Serviceteil durch Informationen
über Hilfsangebote und Adressen von Einrichtungen, die – auch im Notfall – beraten und
unterstützen.
78 S E R V I C E

Zusammengefasst:
Informationen und praktische Hinweise

Grundlegendes

Was ist Gewalt in der Pflege?

■■ Unmittelbare körperliche Gewalt: Schlagen, Schütteln, Festhalten, mechanische


Fixierung
■■ Psychische Gewalt: Schreien, Drohen, Ignorieren, Beleidigen
■■ Medikamentenmissbrauch: nicht indizierte oder nicht ärztlich verordnete Medi-
kamentengabe
■■ Vernachlässigung: Unterlassen von notwendigen Hilfen, mangelnde Nahrungs-
oder Flüssigkeitsversorgung
■■ Finanzielle Ausbeutung: unbefugte Verfügung über Vermögen, Nötigung zu
Geschenken
■■ Sexueller Missbrauch: Missachtung der Intimsphäre, nicht einvernehmliche
Intimkontakte

Wie kann Gewalt gegen Pflegebedürftige konkret aussehen?

Beispiele
■■ Abfällige Bemerkungen machen, schimpfen
■■ Über den Kopf hinweg sprechen
■■ Radio oder Fernseher ungefragt ein- oder ausschalten
■■ Hilfsmittel wie Klingel, Brille, Prothese, Gehstock wegnehmen
■■ Bevormunden, z. B. Schlafenszeiten festlegen, zum Aufstehen oder Essen zwingen
■■ Lange auf Hilfe warten lassen
■■ Zu fest anfassen, rütteln, schubsen
SERVICE79

Welche Ursachen kann Gewalt in der Pflege haben?

Bei Pflegenden – Beispiele

■■ Mangelndes Wissen und Kompetenz, um das Verhalten des Pflegebedürftigen


richtig einzuschätzen und angemessen darauf zu reagieren
■■ Konflikte in der Partnerschaft, der Familie, im Pflegeteam
■■ Ständiger Druck, Überlastung, Überforderung
■■ Suchterkrankung
■■ Finanzielle Probleme
■■ Hohes Aggressionspotenzial
■■ Beengte Wohnverhältnisse

Bei Pflegebedürftigen – Beispiele

■■ Gefühle der Hilflosigkeit und Fremdbestimmung, Angst oder Verzweiflung


■■ Krankheitsbedingte Veränderungen im Gehirn, z. B. bei einer Demenz

Was sind Anzeichen für Gewalt?

Anzeichen für Gewalt sind nicht immer eindeutig. Manche Symptome können Folge
einer Erkrankung oder eines Sturzes sein. In jedem Fall aber sollten die Ursachen
geklärt und eine ärztliche Untersuchung veranlasst werden, zum Beispiel wenn...

■■ Hautabschürfungen, Platzwunden, blauen Flecken, Abdrücke an Hand- und Fuß-


gelenken oder Verletzungen im Intimbereich auftreten.
■■ der Pflegebedürftige schlecht ernährt ist.
■■ der Pflegebedürftige scheu, demütig, verängstigt, schreckhaft, teilnahmslos oder
aggressiv wirkt.
■■ der Pflegebedürftige in unterschiedlichen Einrichtungen behandelt wird, um
häufige Verletzungen zu verheimlichen.
■■ zwischen Verletzungszeit und Behandlung unverhältnismäßig lange Zeit vergeht.
■■ Geld oder Wertgegenstände verschwinden.
■■ der Pflegende gleichgültig, übermäßig angespannt oder überfürsorglich wirkt,
Nachfragen Abwehr auslösen oder Erklärungen widersprüchlich sind.
80 S E R V I C E

Praktische Hinweise

Was ist zu tun, wenn eine problematische Pflegesituation in


einer Familie beobachtet wird?

■■ In Pflegesituationen mit hohem Aggressionspotenzial und Gewaltrisiko sollte


Pflegebedürftigen und Pflegenden Beratung angeboten werden, wie sie entlas-
tet und bei der Pflege unterstützt werden können.
■■ Die Hilfe sollte immer wieder angeboten werden, auch wenn diese zunächst
abgelehnt wird.

Was ist zu tun, wenn professionell Pflegende sich problema-


tisch verhalten?

■■ Die Haus- oder Dienstleitung muss über das Fehlverhalten informiert werden.
■■ Dauern die Probleme dennoch an, sollte eine der folgenden Stellen informiert
werden: Pflegekasse/private Pflegeversicherung, Medizinischer Dienst der Kran-
kenversicherung (MDK)/Prüfdienst des Verbandes der privaten Krankenversiche-
rung e. V., Heimaufsicht oder auch kommunale Beschwerdestellen.

Wann sollte die Polizei verständigt werden?

Wenn es sich um schwerwiegende oder wiederkehrende Fälle von Gewalt handelt,


ist die Polizei zu informieren, zum Beispiel bei...

■■ körperlichen Verletzungen wie Quetschungen, Biss-, Kratz- oder Schnittwunden.


■■ Vernachlässigung, zum Beispiel Unterernährung, hygienische Verwahrlosung.
■■ eingeschüchtertem und verängstigtem Verhalten des Pflegebedürftigen.
■■ wiederkehrend problematischem Verhalten des Pflegenden trotz professioneller
Beratung und vorgeschlagener bzw. veranlasster Entlastungsangebote.
■■ Hinweisen auf Medikamentenmissbrauch, der auch nach Rücksprache mit den
Verantwortlichen nicht eingestellt wird.
SERVICE81

Welche Verantwortung haben professionell Pflegende, wenn


sie Gewalt beobachten?

Professionell Pflegende sind verpflichtet, Gegenmaßnahmen zu ergreifen, wenn


sie Vernachlässigung und andere Formen von Gewalt gegen Pflegebedürftige
wahrnehmen (Garantenpflicht).

■■ Die Haus- oder Pflegedienstleitung muss informiert werden; diese müssen unver-
züglich wirksame Maßnahmen zum Schutz des Pflegebedürftigen einleiten.
■■ Bei rechtlicher Betreuung müssen der Betreuer, die Betreuungsbehörde oder das
Betreuungsgericht informiert werden.
■■ Bei akuter Gefahr sind Pflegebedürftige zu schützen, ohne sich selbst in Gefahr
zu bringen; falls möglich, sollte Hilfe geholt werden, zum Beispiel Kollegen oder
Nachbarn – im Notfall auch die Polizei.
■■ Beobachtungen und Gewaltfolgen müssen dokumentiert werden, unter
anderem um juristische Schritte gegen die verursachende Person einleiten zu
können; Vordrucke für eine gerichtsverwertbare Dokumentation stehen auf
www.befund-gewalt.de zur Verfügung.

Welche besondere Verantwortung haben Führungskräfte in der


Pflege?

Führungskräfte in der Pflege müssen dafür sorgen, dass Pflegebedürftige vor


Gefahren für Körper und Seele geschützt werden.

■■ Über Aggression und Gewalt sollte offen, sachlich und lösungsorientiert gespro-
chen und so eine unterstützende Fehlerkultur in der Organisation geschaffen
werden.
■■ Alle Hinweise auf problematische Vorkommnisse sind ernst zu nehmen.
■■ Bei akuter Gefahr ist der Betroffene unverzüglich zu schützen.
■■ Der Pflegebedürftige sowie dessen Angehörige sollten unbedingt einbezogen
werden, um abzustimmen, wie nach einem problematischen Vorfall vorgangen
werden soll.
■■ Die Handlungssicherheit der Mitarbeiter sollte gestärkt werden. Dabei helfen zum
Beispiel einrichtungsinterne Richtlinien für den Umgang mit problematischen
Situationen sowie regelmäßige Fortbildungen, wie Trainings zur Deeskalation
oder Kommunikation.
82 S E R V I C E

Freiheitsentziehende Maßnahmen (FEM)

Was sind freiheitsentziehende Maßnahmen?

Wenn eine Person gegen ihren Willen durch Gegenstände oder Medikamente
in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigt wird und dies nicht ohne fremde
Hilfe überwunden werden kann, handelt es sich um eine freiheitsentziehende
Maßnahme (FEM). Dazu gehören:
■■ Mechanische Fixierungen, z. B. Bettgitter, Gurte, Stecktische
■■ Einsperren, z. B. durch komplizierte Schließmechanismen an Türen
■■ Sedierende Medikamente, z. B. Schlafmittel, Beruhigungsmittel
■■ Auch: Wegnahme von notwendigen Hilfsmitteln, z. B. Schuhe, Brille, Rollator

Warum sollten freiheitsentziehende Maßnahmen vermieden


werden?

FEM sind eine besondere Form der Gewalt. Sie können schwerwiegende psychi-
sche und physische Folgen haben:
■■ Häufig werden FEM damit begründet, Stürze und Verletzungen vermeiden zu
wollen. Jedoch können sie dies noch begünstigen, da Bewegungsfähigkeit und
Muskelkraft nachlassen.
■■ FEM werden auch bei Menschen mit Demenz eingesetzt, um Unruhe und
Umherirren zu reduzieren. Wenn jedoch die Bewegungsfreiheit eingeschränkt
wird, kann das erhöhte Unruhe und Aggressivität bewirken.
SERVICE83

Was ist bei freiheitsentziehenden Maßnahmen rechtlich zu


beachten?

■■ FEM dürfen nur eingesetzt werden, wenn die betreffende Person schriftlich
zustimmt oder um Lebensgefahr sowie erhebliche Gesundheitsschädigungen
abzuwenden.
■■ Bei Personen, die nicht einwilligungsfähig sind, ist die Zustimmung des gesetz-
lichen Betreuers erforderlich, der dafür eine richterliche Genehmigung einholen
muss.
■■ Für die Genehmigung ist ein ärztliches Attest erforderlich. Dazu gehören Informa-
tionen über den Gesundheitszustand der Person und darüber, warum, in welcher
Weise und wie lange die FEM voraussichtlich angewendet werden sollen und ob
Alternativen bereits versucht wurden oder fehlen.
■■ Bei jeder FEM muss der Pflegebedürftige zu seinem Schutz kontinuierlich beob-
achtet werden.
■■ Die Anwendung und Beobachtung muss sorgfältig und nachvollziehbar doku-
mentiert werden.
■■ Werden unterschiedliche Maßnahmen angewendet, ist jeweils eine gesonderte
gerichtliche Genehmigung erforderlich.

Wie lassen sich freiheitsentziehende Maßnahmen vermeiden?

■■ Alternativen zu FEM werden in Schulungen und Fortbildungen vermittelt. Maß-


gebliche Orientierung für Pflegefachkräfte bieten auch die Leitlinie „Vermeidung
von freiheitseinschränkenden Maßnahmen in der beruflichen Altenpflege“ (vgl.
Seite 59) und die „Empfehlungen zum Umgang mit freiheitsentziehenden Maß-
nahmen“ der Landeshauptstadt München (Link: goo.gl/MKismi).
■■ Beim „Werdenfelser Weg“ wird ein pflegefachlich geschulter Verfahrenspfleger in
das gerichtliche Genehmigungsverfahren einbezogen und nach Alternativen zu
FEM gesucht (vgl. Seite 61).
84 S E R V I C E

Hilfsangebote

Überlastung erkennen und Entlastungsangebote nutzen


Um problematische, ungesunde Pflegesi-
tuation zu vermeiden, ist es für Pflegende Warnsignale für Überlastung:
wichtig, Anzeichen von Überlastung zu
erkennen und Entlastungsangebote recht- ■■ Energiemangel, ständige Müdigkeit
zeitig in Anspruch zu nehmen. ■■ Nervosität, innere Unruhe
■■ Niedergeschlagenheit, Freudlosig-
Pflegende zögern oft zu lange, bevor sie keit, Hoffnungslosigkeit
Hilfe annehmen – mit negativen Folgen: ■■ Gereiztheit, Aggressivität
Viele leiden an gesundheitlichen Proble-
■■ Schuldgefühle oder -zuweisungen
men, zum Beispiel schmerzhaften Muskel-
verspannungen und Schlafstörungen. Nicht ■■ Allgemeine Angstgefühle
selten führt ständige Überlastung wiederum ■■ Gefühl, wertlos zu sein
zu ungeduldigem bis hin zu aggressivem ■■ Schlafstörungen
Verhalten. Ein Teufelskreis entsteht. ■■ Magen-Darm-Beschwerden
■■ Kopf- oder Rückenschmerzen
Um die Pflege gut zu bewältigen und pro-
■■ Herzrasen
blematischen Pflegesituationen vorzubeu-
gen, gibt es eine Reihe von Möglichkeiten
für pflegende Angehörige und professionell
Pflegende, mit denen Belastung und Entlastung in ein gesundes Verhältnis gebracht werden
können. Sie sollten zuerst vor allem eigene Grenzen und Bedürfnisse identifizieren und beach-
ten.

Pflegende Angehörige können zum Beispiel gezielte Auszeiten von der Pflege nehmen und
eigenen Interessen nachgehen. Solche Auszeiten werden stunden-, tage- oder wochenweise
von der Pflegeversicherung getragen. Zur Organisation der Pflege gibt es einen Anspruch auf
kostenlose professionelle Beratung. Die Pflegeberatung kann ganz entscheidend dazu beitra-
gen, dass die Pflegesituation für alle Beteiligten gut gestaltet wird.

Professionell Pflegende sollten das Gespräch mit Kollegen und Vorgesetzten suchen, um einen
Weg aus der Überforderung oder Überlastung zu finden.
SERVICE85

Hilfe gibt es unter anderem bei…

Beratungsstellen. Sie bieten kostenlose Beratung zur Pflege für Pflegebedürftige und ihre
Angehörigen an. Sie helfen auch in problematischen Pflegesituationen. Kontaktdaten sind
online zu finden unter www.zqp.de/beratungsdatenbank.

Nottelefonen. Die Experten haben viel Erfahrung mit konfliktreichen Situationen, hören genau
zu und unterstützen im akuten Notfall. Einige Telefonnummern sind auf den Seiten 85–86 gelistet.

Ärzten. Sie können Verletzungen behandeln und beraten, wie es weitergehen könnte, zum
Beispiel ob Anzeige bei der Polizei erstattet werden sollte. Ärzte unterliegen der Schweigepflicht.

Ausgewählte Hilfetelefone bei Gewalt in der Pflege


- in alphabetischer Reihenfolge -

Weitere Hilfetelefone sind auf www.pflege-gewalt.de sowie in der Datenbank zur Beratung in
der Pflege www.zqp.de/beratungsdatenbank zu finden.

Beratungs- und Hilfetelefon der Stadt Stuttgart zur häuslichen Pflege


Telefon: 0711/21 69 98 80
Erreichbarkeit: Mo, Mi und Fr 9 –12 Uhr, Do 16 –17 Uhr
www.stuttgart.de/item/show/535186/1/dept/159373

Beschwerdetelefon Pflege Hamburg


Telefon: 040/28 05 38 22
Erreichbarkeit: Mo, Di und Fr von 9 –12 Uhr, Do 14 –17 Uhr
E-Mail: beschwerdetelefon-pflege@hamburg-mitte.hamburg.de
www.hamburg.de/beschwerdetelefon-pflege

Handeln statt Misshandeln (HsM) Frankfurter Initiative gegen Gewalt im Alter e. V.
Telefon: 069/20 28 25 30
Erreichbarkeit: Mo – Fr 10 –12 Uhr
E-Mail: info@hsm-siegen.de
www.hsm-frankfurt.de

Handeln statt Misshandeln (HsM) Siegener Initiative gegen Gewalt im Alter e. V.
Telefon: 0271/66 09 78 7
Erreichbarkeit: Mo und Do 9 –12 Uhr
E-Mail: hsm-siegen@arcor.de
www.hsm-siegen.de
86 S E R V I C E

Help-Line für pflegende Angehörige und ältere Menschen Bremen


Telefon: 0421/79 48 49 8
Erreichbarkeit: Mo – Fr 14 –17 Uhr
E-Mail: helpline@sozialag.de
www.helpline-bremen.de

Notruftelefon für Fälle von Gewalt in der Pflege (Essen)


Telefon: 0201/88 500 88
Erreichbarkeit: Mo – Fr 8:30 –12:30 Uhr
E-Mail: seniorenreferat@essen.de
www.essen.de/leben/seniorinnen_und_senioren/lebenslage_senioren_1.de.html

Pflege in Not Berlin


Telefon: 030/69 59 89 89
Erreichbarkeit: Mo, Mi und Fr 10 –12 Uhr, Di 14-16 Uhr
E-Mail: pflege-in-not@diakonie-stadtmitte.de
www.pflege-in-not.de

Pflege in Not Brandenburg (PiN)


Telefon: 0180/26 55 56 6 *
Erreichbarkeit: Mo und Fr 9 –12 Uhr, Mi 14 –18 Uhr
E-Mail: pin@dwpotsdam.de
www.pflege-in-not-brandenburg.jimdo.com

Pflege-Notruftelefon des Sozialverbandes Niedersachsen e. V.


Telefon: 0180/20 00 87 2 *
Erreichbarkeit: Mo – Fr 9 –13 Uhr
www.sovd-nds.de/pflegenotruf.0.html

PflegeNotTelefon Schleswig-Holstein
Telefon: 01802/49 48 47 *
Erreichbarkeit: täglich 24 Stunden
E-Mail: post@pflege-not-telefon.de
www.pflege-not-telefon.de

Pflegetelefon des Bundesfamilienministeriums


Telefon: 030/20 17 91 31
Erreichbarkeit: Mo – Do 9 –18 Uhr
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