Nonkognitivismus
2
Klassische nonkognitivistische Konzeptionen finden sich bei A.J. Ayer (1981)
Kapitel 6; Charles L. Stevenson (1937), sowie (1944) und Richard M. Hare (1952).
Eine Revitalisierung des nonkognitivistischen Programms bieten Simon Black-
burn (1984), Kapitel 6, (1993) und (1998) sowie Allan Gibbard (1990).
der Sprecher motiviert ist, die jeweils ins Auge gefassten Handlungen zu
wählen. Wer aufrichtig ein moralisches Verpflichtungsurteil äußert, der
sei notwendigerweise motiviert, die als richtig, geboten oder gesollt be-
zeichnete Handlung auszuführen. Die These, dass aufrichtiges morali-
sches Urteilen notwendigerweise mit einer Motivation oder Intention
zum Handeln einhergeht, sei hier als motivationaler Internalismus be-
zeichnet.3 Alle Nonkognitivisten bekennen sich zum motivationalen In-
ternalismus und charakterisieren den normativen Charakter des mo-
ralischen Diskurses durch seine praktische Funktion.4 Nun weisen
Überzeugungen jedenfalls gemäß der gewöhnlichen Sicht der Dinge in
der philosophischen Psychologie keinen solchen inneren und not-
wendigen Zusammenhang mit einer Motivation zum Handeln auf, wie
er durch den motivationalen Internalismus behauptet wird. Daher spre-
che, so die Überlegung von Nonkognitivisten, der normative und prakti-
sche Charakter des moralischen Urteilens dagegen, moralische Urteile als
kognitive Urteile zu begreifen. Der Normativität des moralischen Dis-
kurses könne hingegen angemessen Rechnung getragen werden, indem
moralische Urteile als Ausdruck konativer mentaler Zustände verstanden
werden, wie es Intentionen, Wünsche oder Wünschen ähnliche Zustände
3
Stephen Darwall spricht hier in Abgrenzung von anderen Varianten des Interna-
lismus vom „morality/motives ‚judgement internalism‘“ (vgl. 1996, 509). Die
Bezeichnung „judgment internalism“ etablierte Darwall bereits in (1983), 54.
4
Die Explikation der Normativität des moralischen Diskurses mit Rückgriff auf den
motivationalen Internalismus wird etwa bei Richard M. Hare deutlich, der im
Sinne einer Definition des präskriptiven Sprachgebrauchs schreibt (Hare 1981,
21):
„We say something prescriptive if and only if, for some act A, some situation S
and some person P, if P were to assent (orally) to what we say, and not, in S,
do A, he logically must be assenting insincerely“.
Vgl. ähnlich auch Richard M. Hare (1991), 458:
„A speech act is prescriptive if to subscribe to it is to be committed, on pain of
being accused of insincerity, to doing the action specified in the speech act, or,
if it requires someone else to do it, to willing that he do it“.
Zeugnis für das Votum zugunsten des motivationalen Internalismus geben ferner
etwa Charles L. Stevenson, (1937, 13); Simon Blackburn, (1984, 188) und Allan
Gibbard, (1990, 56, 76).
sind. Auf diese Weise werde der enge Zusammenhang zwischen dem mo-
ralischem Urteilen und dem Handeln erklärlich.
Nonkognitivisten konstatieren also ein unauflösliches Spannungs-
verhältnis zwischen der kognitivistischen These und der These vom
normativen Charakter moralischer Urteile. Dabei ist es (neben einer
weit verbreiteten Auffassung über die Natur von Überzeugungen einer-
seits und konativen mentalen Zuständen andererseits) die spezielle sub-
jektivistische, an nonkognitive Einstellungen gebundene Konzeption der
Normativität, auf der die Überzeugungskraft des geschilderten Argu-
ments beruht. Diese Konzeption assoziiert Normativität mit motivatio-
nalen mentalen Zuständen von Urteilenden. Stützte sich der Einwand
gegen die kognitivistische These allein auf die Plausibilität der non-
kognitivistischen Konzeption der Normativität, so käme er einer petitio
gefährlich nahe. Es ist also zu fragen, ob es unabhängige Argumente zu-
gunsten der an motivationale Einstellungen gebundenen Konzeption der
Normativität gibt oder Argumente, die gegen rivalisierende Kon-
zeptionen sprechen. Auf welche argumentativen Ressourcen könnten
Nonkognitivisten zurückgreifen, um ihre Behauptung zu stützen, dass
die nonkognitivistische Konzeption der Normativität adäquat ist? War-
um sollten wir nicht annehmen, dass moralische Urteile normative Ur-
teile sind, welche Propositionen mit genuin normativem Gehalt aus-
drücken?
Eine mögliche Ressource liegt hier sicherlich in der Verteidigung
einer radikalen empiristischen Theorie der kognitiven Bedeutung. Ein
Satz könne nur dann eine sinnvolle synthetische Proposition ausdrük-
ken, wenn er sich empirisch verifizieren lasse. Das Verifikationskriteri-
um spricht gegen eine kognitive Interpretation der Moral, insofern sich
moralische Urteile kaum auf diejenige unmittelbare Weise empirisch ve-
rifizieren lassen, welche die logischen Positivisten für theoretische Urtei-
le ins Auge gefasst hatten. Jedoch findet das empiristische Sinnkriterium
mittlerweile ganz grundsätzlich mit guten Gründen kaum noch Anhän-
ger. Aus der Sicht zeitgenössischer Expressivisten spricht vielmehr, so
lässt sich vermuten, eine andere Überlegung gegen die Rede von (mögli-
cherweise wahren) normativen Behauptungen und Propositionen.
Wahrheitswertfähige Sätze dienten der Übermittlung von Informationen
darüber, was der Fall und was nicht der Fall ist. Wahr seien sie, wenn die
Dinge so liegen, wie sie durch die Sätze repräsentiert werden; wahr seien
5
Die repräsentationalistische Charakterisierung wahrheitswertfähiger Sätze vertei-
digt ebenfalls Frank Jackson, vgl.(1998, 114).
6
Allan Gibbard, (1990, 7).
7
Vgl. Simon Blackburn (1984, 169).
8
Vgl. für eine Ausarbeitung dieser Grundidee T.M. Scanlon, (1998).
9
Vgl. in diesem Sinne stellvertretend für viele Julian Nida-Rümelin (2002, insbes.
14-15, 16-17); Stephen Darwall, Allan Gibbard und Peter Railton, (1997, 5); Ste-
phen Darwall, (1998, 75-76); Peter Railton, (1989, 163) sowie Crispin Wright
(1994, 10-11, 193).
10
Auf einen paradigmatischen Fall des Problems der expressivistischen Interpreta-
tion moralischer Ausdrücke in eingebetteten Kontexten machte Peter T. Geach
aufmerksam (vgl. P.T. Geach 1965, insbes. 461-464). Geach stellte dabei einen Be-
zug zu Überlegungen her, die Frege (1918/19) angestellt hatte. Daher wird das
Problem der expressivistischen Interpretation moralischer Ausdrücke in eingebet-
teten Kontexten meist als „Frege-Geach-Problem“ diskutiert. Simon Blackburn
(1984, 189-196; 1988, sowie 1998, 68-74) und Allan Gibbard (vgl. 1990, 92-102) ha-
ben verschiedene Antworten auf Geachs Herausforderung vorgelegt. Mir scheint,
dass das Frege-Geach-Problem bislang von expressivistischer Seite nicht zufrieden-
stellend gelöst wurde. Für kritische Einwände gegen Blackburns Vorschläge vgl.
etwa Bob Hale, (1986) und (1993) sowie Crispin Wright, (1988).
Normativer Realismus
Antirealistischer Kognitivismus
15
Vgl. Jonathan Dancy, (2000).
16
Beachtung verdient etwa der Versuch David Copps (2001), eine realistische Theo-
rie zu entwickeln, die wichtige Einsichten nonkognitivistischer Positionen zu ak-
kommodieren vermag. Ob es sich bei diesem Entwurf wirklich um eine Position
handelt, die realistisch genannt zu werden verdient, wäre ein Gegenstand einer ei-
genen Betrachtung.
17
Vgl. auch John Skorupski (1999, 438).
18
Vgl. Crispin Wright, (1994).
19
Vgl. Crispin Wright, (1994, 72).
Literatur
AYER, ALFRED J. Language, Truth and Logic [1936]. 2. Aufl. London: Gollancz,
1946. [Sprache, Wahrheit und Logik. Stuttgart: Reclam, 1981.]
BLACKBURN, SIMON. Spreading the Word: Groundings in the Philosophy of Language.
Oxford: Oxford University Press, 1984.
„Attitudes and Contents“. In: Ethics 98 (1988). 501-507. Wieder abgedruckt in:
Simon Blackburn. Essays in Quasi-Realism. 182-197.
Essays in Quasi-Realism. Oxford: Oxford University Press, 1993.
Ruling Passions: A Theory of Practical Reasoning. Oxford: Clarendon, 1998.
BOYD, RICHARD N. „How to Be a Moral Realist“. In: Essays on Moral Realism. Hg.
20
Vgl. Crispin Wright, Truth and Objectivity, 4.