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Essay:

Reduktionen als Grenzwall


Hatten die Jesuitenreduktionen eine politische Funktion?

vorgelegt von
Sven Golob, B.A.
deutsch-französischer Masterstudiengang Politikwissenschaft

Matrikel-Nr.: 333 939

Sommersemester 2010

KU Eichstätt-Ingolstadt

Kurs: „Lateinamerikanische Geschichte im Film“


Dozent: Sven Schuster

Eichstätt, den 5. Juli 2010


Zwischen Fiktion und Historie

Der Film „The Mission“ des britischen Regisseurs Roland Joffé aus dem Jahr 1986
thematisiert ein Kapitel der lateinamerikanischen Geschichte, das entscheidend sein
sollte für die weitere Entwicklung der Staaten auf dem südamerikanischen Kontinent.
Die Jesuitenreduktionen, die zwischen dem 16. und dem 18. Jahrhundert in den
spanischen Siedlungsgebieten entstanden, werden hier kurz vor ihrer Auflösung
gezeigt – als Horte eines Paradieses auf Erden, einer Wirklichkeit gewordenen Utopie
von der „sanften“ Kolonialisierung und dem Heldentum einiger Priester, die sich dem
Ränkespiel der Großmächte Portugal, Spanien und Vatikan entgegenstellen und
dafür nicht nur mit ihrem Leben, aber auch und vor allem mit ihrem Lebenswerk
bezahlen müssen.
Es stellt sich jedoch die Frage, inwieweit die Reduktionen der Jesuiten und ihre
interne Organisation tatsächlich ausschließlich von christlicher Nächstenliebe und
einem vor–sozialistischen Menschen- und Gesellschaftsideal geprägt waren.
Vielmehr stellten sie eine politische Machtdemonstration dar, die auch ihren
Niedergang – analog zum Niedergang der Societas Iesu – zur Folge hatte.

Ad maiorem Dei gloriam – Krieger Gottes?

Der von Ignacio de Loyola (1491-1556) im Jahr 1530


gegründete Jesuitenorden sollte sich nach dem Willen
seines Gründers von anderen Orden durch eine strikte
Disziplin, einen besonderen Schwerpunkt auf der Bildung
und eine direkte Unterstellung unter den Heiligen Stuhl
von anderen Orden unterscheiden. Bereits 1540 wurde die
Societas Iesu (kurz SJ) offizielle vom Vatikan bestätigt.
Insbesondere durch ein autoritäres System der
Ignacio de Loyola, systematischen Berichterstattung auf allen Ebenen und der
Gründer der SJ.
©Stefan Bernd. Überwachung ihrer Mitglieder sicherte die SJ in den
folgenden Jahrzehnten ihren inneren Zusammenhalt und
schuf ein bis dato ungekanntes gemeischaftliches Auftreten.
Endziel des Ordens war laut Motto die „größere“ Ehre Gottes auf Erden: „ad maiorem
Dei gloriam“. Zur Erreichung seiner geistlichen und weltlichen Ziele erlaubte der
Orden seinen Mitgliedern eine gewisse Flexibilität; so gab es keine offiziellen
Ordensgewänder und das vierte Gelübde, das die Jesuiten allein der direkten
Weisung des Papstes unterstellte, hatte zur Folge, dass der Orden keine Einreihung
in die kirchliche, bzw. bischöfliche organisationelle Struktur fand. Dies und der
unbedingte interne Gehorsam erlaubten es den Jesuiten, einen wichtigen Beitrag zur
Conquista der Neuen Welt zu leisten und sich an der Missionierung der Indígenas
Lateinamerikas zu beteiligen. Bereits 1616 zählte der Orden 13.000 Mitglieder und
war an Schulen, Hochschulen und Akademien tätig; später stellten die Jesuiten
häufig auch politische Berater der christlichen Fürsten und waren neben
Dominikanern und Franziskanern der dritte an der Missionierung Lateinamerikas
beteiligter Orden.
Bereits 1549 landen die ersten sechs Jesuiten in Brasilien mit der Genehmigung
durch Portugiesen und beginnen damit, erste Erfahrungen in der Indianermission zu
sammeln. Philipp II. von Spanien wollte zu dieser Zeit lediglich die traditionellen
Orden (Franziskaner, Benediktiner, etc.) mit der Missionierung der Neuen Welt
beauftragen, aber der Beitritt zur SJ einiger Statthalter lateinamerikanischer
Provinzen (insbesondere Francisco de Borja, dritter General des Ordens (1565-1572))
beschleunigt die Teilnahme der Jesuiten an der Mission. So erfolgte 1566 die
Zulassung der Jesuitenmission durch die Spanier. Nachdem 1573 die bewaffnete
Conquista verboten wurde, trieben beide Königshäuser die conquista espiritual durch
Missionare voran, wovon die Jesuiten durch ihre wachsende Professionalisierung der
Indianermission profitieren konnten.

Der „Jesuitenstaat“ in Paraguay

Ihren vollen Einfluss auf die Missionierung im spanischen Einflussgebiet entfaltete


die Societas Iesu erst durch die Gründung der so genannten Reduktionen, bzw. dem,
was ihre Gegner als den „Jesuitenstaat“ zu diffamieren suchten.
Am Anfang der Geschichte der Reduktionen steht die Ausweitung der Ordensprovinz
Lima auf gesamtes spanisches Lateinamerika bis zum Jahre 1607, danach kamen
noch die heutigen Staatsgebiete Perus und Boliviens hinzu. Somit vergrößerte sich
die Einflusssphäre der Jesuiten um ein Vielfaches. Die Gemeinschaft der ersten 5
Jesuiten in Lima 1568 war bis 1616 bereits auf 370 Missionare angewachsen. Bereits
1585 wurden die ersten Missionare nach Santiago de Estero ausgesandt, um
außerhalb der Siedlungen Indígenas zu missionieren. 1588 markierte dann den
Beginn der Paraguaymission in Asunción und ab 1607 sind die Gründungen der
ersten Missionen in Paraguay dokumentiert: 1609 die Misiones Guaraníes; 1683 die
Misiones del Chaco und 1692 Misión de Chiquitos.
1610 wurde die erste Indianerreduktion gegründet. Diese basierte auf den
Vorschlägen des spanischen Kolonialisierungskritikers und Franziskanermönches
Bartolomé de las Casas, wie er sie in seiner Schrift „Brevísima Relación de la
destruyción de las Indias“ (1541/42) darlegte: so sollte eine räumliche Abtrennung
der Indianer von spanischen den Conquistadoren und Siedlern dem Schutz vor
Ausbeutung dienen.
1618 erreicht P. Diego de Torres von Philipp II. die Erlassung von der Arbeitspflicht
für die in den Reduktionen lebenden Indianer unter der Bedingung, dass eine
Kopfsteuer auf jeden Indio für 18 Jahre zu entrichten sei, jedoch die Reduktionen
eine Befreiung von Abgaben auf 10 Jahre erlangen.
Durch die strategische Vorbereitung und Durchführung der Missionstätigkeit
konnten sich die Jesuiten großer „Erfolge“ und eines schnellen Ausbaus der
Reduktionen erfreuen. Das wichtige Instrument in dieser Expansions- und
Installationsphase war der Briefverkehr der Missionare mit dem Ordenszentrum in
Rom, das auf diese Weise über sämtliche Entwicklungen in der Neuen Welt bestens
informiert war und die Kontrolle über die Missionen aufrecht erhalten konnte.
Das so entstandene System aus diversen Reduktionen entlang der spanischen
Siedlungsgrenze wurde eben als „Jesuitenstaat“ beschrieben, der aufgrund seiner
besonderen Befugnisse und Freiheiten einigen Argwohn bei den Kolonisatoren
weckte und sie so empfänglich für Diffamierungen empfänglich machte.

Militia Christi oder: Reduktionen zu Garnisonen

Unmittelbar nach der Errichtung der ersten Reduktionen im Gebiet der Guaraní um
1611 begannen ständige Auseinandersetzung mit portugisieischen Söldnern, den so
genannten Paulistas, die mit Hilfe von den Guaraní feindlich gesinnten Indios die
Bewohner der Reducciones zu versklaven.
Daher stellten die Reduktionen alsbald eigene paramilitärische Schutzgruppen auf,
vor allem mit Indio-Kriegern – vordergründig um sich gegen die Übergriffe wehren
zu können. Man kann nun aber aufgrund der geographischen Lage der Reduktionen
mutmaßen, dass die Jesuitenmissionen aufgrund ihrer strategisch wichtigen
Positionierung auch aus politischen Gründen eine gewisse Aufrüstung erfuhren.
Denn entlang der Linie, die die Reduktionen bildeten, verlief nach römischem Recht
ebenfalls die Grenze der spanischen Besitzungen. Somit waren die Reduktionen auch
ein politischer Spielball in den Händen der Großmächte Portugal und Spanien.
Während die Portugiesen versuchten, ihren Herrschaftsbereich gen Westen
auszudehnen, wollten die Spanier den Grenzverlauf auf der Basis der Verträge von
Tordesillas (1494) und Saragosa (1529) unbedingt sichern. Dabei waren die
Reduktionen den Spaniern ein nützliches Mittel, um ihren Einflussbereich mittels
oben genanntem Rechtsprinzip „uti possidetis, ita possideatis“ physisch geltend zu
machen. Mit den para-militärischen Einheiten innerhalb der Reduktionen standen
geschätzte 10.000 Mann unter Waffen entlang der Grenze zwischen dem
portugiesischen und dem spanischen Teil Lateinamerikas. Diese Tatsache weist auf
die militärische Bedeutung der Reduktionen hin. Oberstes Ziel der Portugiesen
musste es also sein, die Societas Iesu vor allem politisch zu diskreditieren und
gleichzeitig eine Revision der Verträge von Tordesillas und Saragosa zu erreichen.

Dies gelang dann mit dem Vertrag von Madrid, der zwischen König Ferdinand VI.
von Spanien und König Johann V. von Portugal am 13. Januar 1750 geschlossen
wurde. Die Grenzen zwischen den Kolonien der beiden Monarchien in Südamerika
wurden in diesem Vertrag neu definiert und er ersetzte ältere Dokumente, mit denen
die Grenzen portugiesischer und spanischer Kolonialgebiete in Amerika abgegrenzt
worden waren, namentlich die päpstliche Bulle Inter caetera 1493, den Vertrag von
Tordesillas 1494, den Vertrag von Saragossa 1529, den provisorischen Vertrag von
Lissabon 1681 und den Frieden von Utrecht 1715.
Bis dato durften die portugiesischen Besitzungen nicht weiter als bis zum 46.
Meridian reichen, der Vertrag von Madrid erlaubte aber eine große Expansion
portugiesischer Territorien. Er beruhte auf dem bereits erwähnten Prinzip „uti
possidetis, ita possideatis“ (= demjenigen, der das Besitzrecht ausüben will, muss es
auch gehören).
Als Ergebnis des Vertrages übergab Portugal Spanien Colonia del Sacramento (Art.
XIII) und erhielt im Gegenzug die südlichen Territorien an der Quelle des Río Ibicuí,
die Missionen, das Grenzrecht am Rio Guaporé und überließ ihnen die westlichen
Territorien des Japurá-Flusses in der Amazonas-Region und die Flussschifffahrt auf
dem Río Içá (Art. XIV). Im Kriegsfall zwischen den beiden Staaten Spanien und
Portugal in Europa sollten die Kolonien in Südamerika im Frieden bleiben (Art. XXI).
Die Bewohner der Reducciones konnten sich entweder der portugiesischen Krone
unterwerfen oder in spanisches Gebiet umsiedeln, sollten aber in jedem Falle
jegliches Besitzrecht auf Güter in den Reduktionen verzichten.
Mit der Unterzeichnung des Vertrages und der Anerkennung des Dokuments durch
den Vatikan – was auch von Joffés Film thematisiert wurde – verloren die Jesuiten
letztlich sämtliche Güter im Bereich der Reduktionen und Spanien damit eine
wichtige Grenze zu den portugiesischen Konkurrenten.

Das Ende der Reduktionen nach 1750

Die politische Ausgrenzung, der sich die SJ im 18. Jahrhundert ausgesetzt sah, war
eine Folge der harschen Opposition innerhalb der Höfe Europas und auch im
Vatikan. Die nun mehr absolutistischen Herrscher Europas sahen durch die
Ausklammerung der Jesuiten aus den staatskirchlichen Organisationsstrukturen eine
Gefahr in der möglichen Einflußnahme durch den Vatikan. Dieser wiederum musste
sich dem wachsenden Druck durch die weltlichen Fürsten beugen und der internen,
durch andere Orden geäußerten Kritik nachgeben. Die Diskreditierung der Jesuiten
war demnach die einer politischen Macht durch andere politische Akteure vor dem
Hintergrund der Kolonialpolitik der Global Player Portugal und Spanien.

Der Untergang des jesuitischen


Reduktionssystems bedeutete gleichsam
den Verlust des Schutzes der Indígenas
durch die Reduktionen. Das
prosperierende Wirtschaftssystem der
Reduktionen und die schrittweise
Europäisierung der Ureinwohner fanden
ihr Ende in der Ausweisung der Jesuiten
aus Südamerika. Die Reduktionen
konnten nun nicht mehr als Garnisonen
Verlauf der Grenze zwischen spanischem
gegen die portugiesischen Gebietsansprüche und portugiesischem Gebiet nach 1750
(cc) wikimedia.org
gelten und so verschob sich die
Siedlungsgrenze zwischen spanischem und portugiesischem Einflussgebiet bis hin zu
den Anden und fand zum größten Teil bereits ihren heutigen Verlauf.

Die politische Funktion der Jesuitenreduktionen in Lateinamerika lässt sich damit


aus mehrerlei Sicht bestätigen:
1. Die Aufgabe, als Pufferzone zwischen Portugiesen und Spaniern zu dienen;
2.Die Erprobung eines neuen Modells der Kolonialisierung durch die Mönche;
3.Die Ausgliederung der Societas Iesu aus den staatskirchlichen Strukturen und die
somit entstandene Konkurrenz zu den portugiesischen und spanischen
Kolonialprojekten.
Es scheint eindeutig, dass die Jesuiten die politische Landkarte Lateinamerikas
nachhaltig prägten und als dritte politische Macht einen zeitlich knapp bemessenen
Einfluss auf die Entwicklung der Kolonialisierung hatten.
Bibliographie

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SAUER, Sabine (1992): „Gottes streitbare Diener für Amerika. Missionsreisen im


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SCHWENDEMANN, Wilhelm (1995): „Menschen – Mächte – Missionare:


Materialien und Arbeitshilfen zum Spielfilm "Mission" im Unterricht.“ Stuttgart.

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