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1/2019
Sonntagsblatt s
Eine deutsche Zeitschrift aus ungarn
Leitartikel s Unter welchen Umständen wollen und müssen wir unsere deut-
sche Identität bewahren?
Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Landsleute! -Deutsche Gottesdienste in den Gemeinden gibt es kaum.
25 Jahre sind, auch wenn man nur das eigene Leben -Die deutschen Selbstverwaltungen sind zwar überall präsent,
betrachtet, nicht wenig. Die Jakob-Bleyer-Gemeinschaft e. V. ist erledigen jedoch fast nur kommunale und Verwaltungsarbeiten,
25 Jahre alt geworden. Es stellt sich die Frage, was dieser Verein in den meisten Fällen einsprachig ungarisch.
in dieser Zeit erreicht bzw. bewirkt hat und was er in der Zukunft
für das Ungarndeutschtum tun kann? -In den Medien in Ungarn erscheinen die Nationalitäten an der
Peripherie. Die Minderheitenmedien nähern sich der totalen
Die JBG ist ein Kulturverein der Deutschen in Ungarn oder eben Bedeutungslosigkeit.
der Ungarndeutschen. Im Statut des Vereins steht: „Hauptziel
des Vereins ist die Bewahrung bzw. Förderung der Mutterspra- -Unsere Mutterländer haben relativ wenig für die Bewahrung
che und der Identität des ungarländischen Deutschtums.” unserer Identität übrig. In denen spielt die Elite „Globalisierung”,
d.h. die wichtigste Sprache ist Englisch. Die eigene deutsche
Gründer, Seele und Schlüsselfigur des Vereins war und ist bis Sprache wird in der Wissenschaft, in der Politik und sogar in der
heute Georg Krix, heute Ehrenvorsitzender des Vereins. Wirtschaft durch die englische Sprache verdrängt. Es ist nicht
überraschend, wenn die Schulkinder nicht mehr Deutsch lernen
Ich selbst bin erst seit Mitte der neunziger Jahre in diesem Verein wollen.
und als Vorsitzender ab 2000 tätig. Über Entstehung und Ge-
-Die Assimilation schreitet unbehindert voran. Die ungarische
schichte werden Sie bald extra hören. Ich möchte hier nur so viel
Politik hat uns mit einer großzügigen Geste ein Minderheiten-
verraten, dass ich 1994-95 Herrn Krix zufällig getroffen habe. In
gesetz geschenkt, und so entstanden die Minderheitenselbst-
ihm fand ich einen Landsmann, der kompromisslos die Fahne
verwaltungen. Zunächst schien das etwas Fortschrittliches in
der deutschen Sprache sowie die unserer Volksgruppe hoch-
der Nationalitätenpolitik zu sein. In der Wirklichkeit stellte sich
hielt. Mit ihm kann man bis heute über alles, was unsere Volks- heraus, dass dieser gesetzliche Rahmen überhaupt keine anti-
gruppe betrifft, reden. Schade, dass er jetzt nicht unter uns ist. assimilatorische Wirkungskraft aufweisen kann. Man verwaltet
in diesem Rahmen den assimilierten Zustand und die Prozesse
Vielleicht ist es hier, an dieser Stelle nicht uninteressant, wie der Assimilierung selbst, was notwendigerweise eine weitere
ich dazukam mich für die eigene Volksgruppe zu interessieren. Beschleunigung der Assimilation bedeutet.
Deutsch habe ich in den Schulen kaum gelernt. In der Grund-
schule in Deutschbohl/Bóly hatten wir nach dem Krieg zwei Stun- Was kann man unter diesen Umständen noch tun?
den pro Woche Deutsch, sogenannte Zusatzsunden zweimal in
der Woche von 7 bis 8 Uhr in der Früh. In der Fachmittelschule 1. Eine möglichst breite Nationalitätenintelligenz müsste aufge-
für Maschinenbau in Fünfkirchen/Pécs wurde nur Russisch un- baut werden, die die Sprache souverän beherrscht und bereit ist
terrichet. An der TU Budapest konnte man auch nicht viel dazu- sich im Interesse der Volksgruppe einzusetzen. Diese Intelligenz
lernen. Ich wuchs in diesem Lande auf, und als ich von Bohl kann nur in wirklich deutschen Nationalitätenschulen ausgebildet
wegkam, habe ich gemerkt, dass ich doch nicht ganz so einer bin und erzogen werden.
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2. Die Möglichkeit muss dazu geschaffen werden, dass die Na- Rede Emmerich Ritters in München
tionalität ihre eigene Sprache in der Schule erlernen kann.
anlässlich des Gedenktages der
3. Das Nationalitätengesetz soll verbessert werden, da formelle Verschleppung und Vertreibung der
Lösungen uns nirgendwo hinführen. Ungarndeutschen
4. Den eigenen Werten treu bleiben!
Nicht den breiten Weg der Assimilation gehen!
Zum Schluss ein Zitat von Ingomar Senz: „Schwob, vergiss dei
Red net!”
Aktuelles s
Emmerich Ritter (rechts) in München
Großer Schritt für die Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Bernd Fabritius,
Zweisprachigkeit in Ungarn! sehr geehrte Frau Sylvia Stierstorfer,
sehr geehrter Herr Prof. Andreas Otto Weber,
Von Patrik Schwarcz-Kiefer sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Landsleute,
Das Motiv für heute ist: die Gedenkveranstaltung für die vertrie-
benen Ungarndeutschen.
Der Titel meiner Rede klingt trotzdem: das kulturelle Leben und
die Bildungsangelegenheiten der deutschen Nationalität in Un-
garn.
Und diesen Titel soll ich noch verengen: „Mögen auch unsere
Nachkommen die deutsche Muttersprache unserer Vorfahren
Der Bahnhof von Werischwar kennenlernen.”
Sowohl die Deutsche Nationalitätenselbstverwaltung als auch Meiner Meinung nach ist für die kommenden 10-15 Jahre die
die Stadtverordnetenversammlung von Werischwar/Pilisvörös- Erfüllung des Inhalts dieses kurzen Satzes die erstrangige und
vár unterstützen die Initiative der Jakob Bleyer Gemeinschaft dringendste Aufgabe für uns, für die Ungarndeutschen.
um nach slowakischem Muster die Ortsbezeichnungen im Bahn-
verkehr auch in der Minderheitensprache auszuschildern, wenn Es ist eine Tatsache, dass es kein zweites Land in Europa gibt,
die Minderheit über eine gewissen Anteil in der Bevölkerung der dessen nationale Minderheiten in einem solchen Ausmaß ihre
Gemeinde verfügt. Nach der Sitzung der Werischwarer Stadtver- Identität und ihre Muttersprache verloren haben wie in Ungarn.
ordnetenversammlung wurde Bürgermeister Stefan Gromon mit Die Heimsuchungen der nahezu hundert Jahre körperlichen und
der Kontaktaufnahme mit den Ungarischen Staatsbahnen (MÁV) seelischen Zwangs, der Vertreibung und Verschleppung der Un-
beauftragt. Er hat diese Aufgabe an den Initiator JBG übertragen. garndeutschen, hatten ihre negativen Folgen.
Die JBG hat als Vorbereitung die MÁV bereits vor Monaten kon- Während sich 1941 1 Million 60 Tausend Personen zur deut-
taktiert, um deren Standpunkt in dieser Frage kennen zu lernen. schen Minderheit bekannten, waren es 2011 nur 186 Tausend,
Obwohl die MÁV solche Maßnahmen nicht finanzieren möchte, kaum 17,5% davon. Noch schwerwiegender ist der Rückgang
ist sie bereit darüber zu verhandeln. bei denen, deren Muttersprache Deutsch ist, so waren dies im
Jahre 1941 fast 500 Tausend Personen, während es 2011 ledig-
Die JBG hofft auf ein positives Ergebnis und freut sich bereits lich weniger als 40 Tausend waren. Das sind im Vergleich zum
über weitere ungarndeutsche Gemeinden, die sich dieser Initia- Ergebnis von 1941 nur mehr 8%.
tive anschließen.
Und wenn wir die altersmäßige Verteilung dieser Ergebnisse
begutachten würden, würden wir zu einem noch tragischeren
Zukunft durch Ergebnis gelangen, was die Kinder und Jugendlichen betrifft.
Heutzutage gibt es sehr wenige Kinder, welche mit Deutsch als
Muttersprache aufwachsen. Gerade deshalb ist es erstrangig,
Darüber hinaus empfehlen die beiden Familienväter anderen Nach dem Tode Stalins wurde Nagy 1953 überraschend Minister-
Ungarndeutschen, die ihre Kinder ein- oder zweisprachig erzie-
präsident und begann eine durchgreifende Reformpolitik in Gang
hen wollen, nicht aufzugeben: „Es wäre oft einfacher den Kin-
zu setzen. Einige Punkte konnte er verwirklichen, bevor sich das
dern etwas auf Ungarisch zu erklären, aber man muss sehr, sehr
politische Klima erneut änderte. Nagy, der mit seiner Idee eines
konsequent bleiben. Die Sprache ist ein großer Schatz, geben
„nationalen und menschlichen Sozialismus“ zum Hoffnungsträ-
wir sie weiter!“ Sie raten ferner, Kinder bewusst und spielerisch
zu fördern. Auch der Fünfkirchener Familienvater zeigt sich über- ger vieler wurde, wurde 1955 von seinen Ämtern enthoben und
zeugt: „Es gibt unterschiedliche Meinungen, wer sein Kind in der aus der Partei ausgeschlossen. Erst als sich im Oktober 1956
eigenen (auch wenn schwächeren) (Mutter)Sprache erziehen der Volksaufstand zuspitzte, wurde der beim Volk beliebte Nagy
soll, ich bin aber fest davon überzeugt, wenn man den Mut und als Ministerpräsident reaktiviert, um die Situation zu beruhigen.
die Ausdauer hat, sollte man unbedingt versuchen die Sprache
der Ahnen weiterzugeben, das soll auch heißen, dass man sich Doch entgegen der Hoffnung der kommunistischen Hardliner
Mühe gibt und bereit erklärt, seine eigenen sprachlichen Schwä- stellte sich dieser auf die Seite der Aufständischen. Er forderte
chen aus dem Weg zu schaffen. Es gibt ja dafür heutzutage un- den Abzug der Roten Armee, kündigte ein Mehrparteiensystem
zählige Möglichkeiten. Eine (zweite, dritte…) Sprache seinem an und sprach sich für die parlamentarische Demokratie aus.
Kind schenken zu können, kann wohl kaum überboten werden!“ Doch schon drei Tage nachdem Nagy Anfang November die
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Mitgliedschaft Ungarns im Warschauer Pakt aufgekündigt hatte, gestimmt hatte und die Pläne für den Platz auch schon davor
rückten sowjetische Panzerverbände in Ungarn ein und walzten bekannt waren, formte sich handfester Widerstand erst nach-
den Aufstand blutig nieder. Nagy, der sich zunächst in die Jugos- dem am 28. Dezember Tatsachen geschaffen worden waren.
lawische Botschaft flüchten konnte, wurde gefangen genommen Einem Aufruf der Demokratischen Koalition (DK) zu einer Pro-
und wegen Landesverrates zum Tode verurteilt. Am 16. Juni testveranstaltung noch am selben Abend folgten knapp tausend
1958 wurde er 62-jährig im Hof des Budapester Zentralgefäng- Menschen. Dort sprach unter anderem auch die Enkelin des
nisses gehängt und anschließend in einem anonymen Massen- Revolutionshelden, Katalin Jánosi, die ebenso wie die Imre-Na-
grab verscharrt. gy-Gesellschaft den Abbau der Statue scharf verurteilte. Viele
stellten darüber hinaus am vorerst leeren Vértanúk tér Kerzen
Verhältnis des Fidesz zu Nagy gespalten auf.
Erst nach der politischen Wende wurde Nagy offiziell rehabilitiert Was den Verbleib des Denkmals angeht, so befindet es sich laut
und feierlich neubestattet. Mit dabei: der junge Studentenführer Tamás Wachsler, dem verantwortlichen Projektleiter, derzeit in
Viktor Orbán. Der heutige Ministerpräsident feierte hier seine Restauration. Mitte des Jahres soll der Ministerpräsident der Re-
erste große Stunde auf der politischen Bühne. In einer bis heute volution dann seinen neuen Platz auf dem nahe der Margareten-
unvergessenen, flammenden Rede verneigte Orbán sein Haupt brücke gelegenen Jászai Mari tér finden. Bis dahin werde auch
nicht nur vor den Reformkommunisten, sondern bezeichnete das anhand von zeitgenössischen Fotografien und Dokumenten
Nagy sogar als „letzten verantwortungsvollen Ministerpräsiden- authentisch rekonstruierte Denkmal für die Opfer des Roten Ter-
ten Ungarns“. Nagy war damals eine der wenigen positiven his- rors fertiggestellt sein.
torischen Figuren des 20. Jahrhunderts auf die sich beide politi-
schen Seiten einigen konnten. In der Septemberausgabe des Sonntagsblattes (3/2018) ist
unter dem Titel „Zieht Imre Nagy um?” bereits ein Meinungs-
Heute stellen viele von Orbáns Parteigenossen, darunter auch artikel von Patrik Schwarcz-Kiefer zum Thema erschienen.
Parlamentspräsident László Kövér, jedoch die Rolle von Imre
Nagy als demokratischen Volkshelden infrage. Der konservati-
ve Historiker und Fidesz-Bezirksabgeordnete Gábor Sebes be-
zeichnet Nagy gar als einen „opportunistischen Kommunisten,
der erkannt habe, dass ein Seitenwechsel und die Unterstützung
der Revolutionäre in seinem besten Interesse sind“. Auch das
Fidesz-nahe Onlineportal Pesti Srácok schreibt: „Man hätte Nagy Sloweniendeutsche: VLÖ weist die
seine Sünden nie vergeben sollen. Damit bietet man Raum für Äußerungen des slowenischen
die Annahme, dass es auch anständige Kommunisten gegeben
hätte.“ Das Portal begrüßt die Umsetzung des Denkmals.
Außenministers zurück
Opposition vermutet Geschichtsumdeutung Von Ing. Norbert Kapeller
Ganz anders sehen es die unabhängigen und oppositionellen Die offizielle Anerkennung der deutschen altösterreichischen
Medien. Das Nachrichtenportal index.hu wirft der Orbán-Regie- Minderheit in Slowenien ist für den VLÖ unumgänglich
rung vor, die „Geschichte ausradieren zu wollen“. Die Argumen-
tation, dass man nur den ursprünglichen Zustand des Platzes „Natürlich können wir solche Aussagen nicht unkommentiert
wiederherstellen wolle, lässt es nicht gelten und vermutet, dass stehen lassen“, sind sich die Verbandsvertreter des VLÖ, allen
nicht nur der Platz, sondern mit ihm auch unser Geschichtsbild voran VLÖ-Präsident Dipl.-Ing. Rudolf Reimann und VLÖ-Ge-
restauriert werden sollen. So versuche man das Horthy-Regime neralsekretär Ing. Norbert Kapeller, einig und weisen die jüngs-
zunehmend zu rehabilitieren. Eine Zeit, die, wie Index schreibt, ten Äußerungen des slowenischen Außenministers Miro Cerar
vom „wachsenden Judenhass, der Einschränkung der Freiheits- zurück, wonach dieser am Wochenende das „Nein“ Sloweniens
rechte und von einer immer engeren Bindung an das faschisti- zur Anerkennung der „deutschsprachigen Minderheit“ bekräftigte
sche Naziregime geprägt war.“ Dem stimmt auch Péter Krekó, und es dafür auch keine rechtliche Grundlage gebe. „Die Presse“
Politanalyst und Leiter des ungarischen Thinktanks Political Ca- berichtete darüber in Ihrer Online-Ausgabe am Samstag. (01. 12.
pital, zu, der in einem Statement gegenüber der New York Times 2018, Red.)
von dem Versuch spricht, „die rechte, autoritäre Vergangenheit
Ungarns wiederzubeleben“. „Diese Aussagen des slowenischen Außenministers sind natür-
lich ein Schlag ins Gesicht für all jene, die sich ehrlich und inter-
Der ungarische Historiker Krisztián Ungváry sieht in der Umplat- essiert für die Belange der deutschen altösterreichischen Volks-
zierung des Denkmals ebenfalls „ein schlechtes Zeichen für die gruppe in Slowenien einsetzen, deren langjährige Forderung im
Zukunft“. „Es gibt wenige Denkmäler, die künstlerisch so gut um- Sinne der offiziellen Anerkennung als autochthone Minderheit
gesetzt sind und dabei der Realität des 20. Jahrhunderts in ihrer unterstützen und somit auch den nachhaltigen Fortbestand die-
Komplexität derart gerecht werden, wie das von Tamás Varga ser sichern wollen“, führt Generalsekretär Kapeller weiter an.
geschaffene Denkmal Imre Nagys“, so Ungváry. Der Historiker
weist dabei auch auf das Wechselspiel zwischen Installation und „Man fragt sich natürlich schon, was Außenminister Cerar mit
Standort hin: „Nagys Blick richtet sich bewusst auf das Parla- seinen Worten bezwecken will, indem er sagt, dass Slowenien
ment, es ist Teil der Botschaft. Dies würde an einem anderen die deutsche Volksgruppe zwar in der Erhaltung der Identität
Standort verfälscht.“ Der Kritik einiger Politiker und Publizisten, unterstützen will, dieser aber gleichzeitig einen offiziellen Min-
die Nagy seine kommunistische Vergangenheit ankreiden, ent- derheitenstatus verwehren möchte“, ortet Kapeller Widersprüch-
gegnet Ungváry: „Als Christ denke ich, dass das Schicksal eines lichkeit bei Außenminister Cerar und fragt sich darüber hinaus,
Mannes, der seine Sünden bereut hat, dafür sogar sein Leben wie man in Laibach die rechtlichen Grundlagen im Sinne der An-
ließ, viel mehr über Menschlichkeit aussagt.“ Ungvárys Ansicht erkennung der deutschen Volksgruppe derartig negieren könne.
nach sollte man das Erbe des Reformkommunisten abseits von
Parteipolitik würdigen: „Nagy ist nicht nur ein Held für die Linke, Die Aussage Cerars, dass es auch „keine Veranlassung dazu
sondern für alle Ungarn.“ gebe, der ethnischen Gruppe einen Sonderstatus zu verleihen“,
lässt die VLÖ-Verantwortlichen ebenfalls irritiert zurück. „Die
Obwohl der ungarische Ausschuss für Gedenkstätten bereits An- deutsche altösterreichische Volksgruppe in Slowenien will kei-
fang Dezember endgültig dem Abbau des Nagy-Denkmals zu- (Fortsetzung auf Seite 8)
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nen ‚Sonderstatus’, sondern bloß die gleiche Form der offiziellen politik so üben, indem wir im Bewusstsein unserer Geschichte
Anerkennung, wie sie auch die Italiener und die Ungarn in Slo- mit einem verständnisvollen, aber auch selbstbewussten Ansatz
wenien genießen – nicht mehr und nicht weniger“, so Kapeller handeln“, so die Außenministerin, die am Beispiel Slowenien
weiter. auch ihre Bemühungen hinsichtlich der dortigen verfassungs-
rechtlichen Anerkennung der deutschsprachigen Minderheit
„Dies dürfte doch eigentlich für ein Land, das seit 2004 in der abermals unterstrich. „Wir freuen uns wirklich sehr, dass Bundes-
EU ist, Ende 2018 kein Problem mehr sein und Slowenien sollte ministerin Dr. Karin Kneissl Zeit gefunden hat, diese VLÖ-Aus-
gerade in diesem Bereich seinen eigenen ehrlichen – und von zeichnung persönlich im Kulturzentrum „Haus der Heimat“ in
Ressentiments befreiten – Teil zu einem Europa der Menschen- Empfang zu nehmen, sind wir uns doch der vielen Terminver-
rechte, der kulturellen Identität und sprachlichen Vielfalt beitra- pflichtungen unserer Außenministerin bewusst. Wir bedanken
gen“, so der VLÖ-Generalsekretär abschließend. uns außerordentlich für die wertschätzenden und anerkennen-
den Worte, die sie unserem Verband gegenüber ausgesprochen
hat“, so VLÖ-Generalsekretär Kapeller abschließend.
Die Rumäniendeutschen seien mit Das Jahresende wird in der Mehrheit der europäischen Kulturen
der Minderheitenpolitik des Staates und Länder von riesengroßen Feiern begleitet und nicht anders
war es auch in diesem Jahr. Die Menschen in ganz Europa re-
zufrieden, behauptet der Vorsitzende kapitulieren das vergangene Jahr und lassen die Feuerwerke
des DFDR los, um in das neue Jahr mit einer guten Laune reinzurutschen.
Auch die Junge Aktion folgt dieser Tradition und organisiert für
Erschienen auf transindex.ro, 19. 01. 2019,
deutsche Übersetzung: R. Guth ihre Mitglieder jedes Jahr eine Silvesterbegegnung. Die diesjäh-
rige Silvesterbegegnung hob sich allerdings wesentlich von allen
Die rumäniendeutsche Gemeinschaft sei mit der Minderheiten- vorherigen ab, weil sie weder in Tschechien noch in Deutschland
politik des Staates zufrieden, Autonomie sei kein Thema für sie, stattfand, was die Länder sind, in denen sie normalerweise aus-
betonte der Vorsitzende des Demokratischen Forums der Deut- gerichtet wird; dieses Jahr wurde die Silvesterbegegnung näm-
schen in Rumänien (DFDR), Dr. Paul-Jürgen Porr, am Samstag lich in der ungarischen Hauptstadt Budapest veranstaltet.
in Mediasch.
Die Idee, eine Silvesterbegegnung in Budapest zu organisieren,
kam schon vor zwei Jahren auf den Tisch, und nach zwei Jah-
„Für die deutsche Gemeinschaft ist die Autonomie kein Thema,
ren – voll von Vorbereitungen und Verabredungen mit den Bu-
wir distanzieren uns jederzeit von derartigen Tendenzen. Wir sind dapester Organisationen – wurde die Idee endlich umgesetzt.
zufrieden mit der Minderheitenpolitik des rumänischen Staates, Neben der finanziellen Förderung war für die Verwirklichung un-
die Bildungs- und Schulpolitik inbegriffen”, sagte Porr. erlässlich, einen Partnerverein in Budapest zu finden, der an der
Ausrichtung mitwirken würde. Des Weiteren galt es auch Räume
Der Vorsitzende des DFDR betonte, dass es in Rumänien bereits zu finden, in denen das Programm realisiert werden könnte; für
vor 1989 Klassen mit deutscher Unterrichtssprache gab, was als die beiden zu erledigenden Dinge wurde eine Lösung gefunden.
Privileg galt im Vergleich zu der Praxis in anderen südosteuro- Da die Junge Aktion eine katholische Gemeinschaft ist, fand sie
päischen Ländern. Neben den Schulen gibt es mehrere Universi- Unterstützung beim Jesuitenkolleg St. Ignatius (Szent Ignác) in
täten, an denen man in deutscher Sprache studieren kann, zum Budapest, in dem beinahe alle Programme stattfinden konnten.
Beispiel in den Fachbereichen und -richtungen Wirtschaftswis- Die Rolle des ungarischen Partners übernahm dann die GJU
senschaften, Journalismus, Physik, Chemie oder Biologie. „Das (Gemeinschaft Junger Ungarndeutscher).
ist mustergültig in Europa”, ergänzte Porr.
Die Veranstaltung fing am 28.12.2018 an und dauerte bis zum
Jahresende, wobei 40 Leute daran teilnahmen, einschließlich
Dr. Paul-Jürgen Porr wies auf einem Symposium in Mediasch
des Organisationsteams. Das Programm war tatsächlich vielfäl-
darauf hin, dass die von ihm geleitete Organisation in den letzten (Fortsetzung auf Seite 10)
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tig, deswegen konnte man erwarten, dass die Teilnehmer von nung die letzte Veranstaltung als EVS darstellte: Folglich von mir.
ihm begeistert sein würden, was wirklich geschah. Am ersten Tag Am ersten Tag des Jahres wurde lediglich die Evaluation durch-
kamen allerdings „lediglich“ Kennenlernspiele zu Stande. Es war geführt und am Nachmittag fingen alle an, den Weg in Richtung
aber kein Wunder, weil die Mehrzahl der Teilnehmer eine stun- Heimat einzuschlagen. Alle Teilnehmenden der Silvesterbe-
denlange Reise hinter sich hatte; während der Kennenlernspiele gegnung rutschten ins Neue Jahr mit einer guten und positiven
erfuhren wir, dass einige Teilnehmer knapp 11 Stunden gereist Laune, und es muss keinen gegeben haben, der mit der Ver-
waren. anstaltung unzufrieden gewesen war. Das Programm war viel-
fältig, aufschlussreich und unterhaltsam, und bot auch genug
Der erste Tag war folglich eher ruhigerer Prägung, dafür war Zeit, die Stadt zu genießen und ihre Atmosphäre vollkommen
am nächsten Tag programmtechnisch volle Pulle angesagt. Die einzusaugen. Ich kann mir schwerlich eine andere Veranstaltung
Mitglieder der GJU bereiteten für die Teilnehmenden eine tolle vorstellen, wo ich mich von meinem EVS sowie von dem ganzen
Stadtbesichtigung vor, in deren Rahmen sowohl die bekanntes- Jahr besser hätte verabschieden können. Das ganze Jahr war
ten Orte als auch die geheimnisvollen Gässchen und Ecken der unglaublich toll – das beste Jahr meines Lebens – und die Be-
Stadt besucht wurden. Die Orte wie die evangelische Kirche, die gegnung hat es perfekt abgerundet.
Markthalle, die Kettenbrücke und die Burg wurden selbstredend
auch nicht ausgelassen und die TeilnehmerInnen hatten auch die
Möglichkeit, die Stadt auf eigene Faust zu entdecken.
14 SoNNTAGSBLATT
Was kommt nach der
„Bühnenkultur”?
Zeitgeschehen-Geschichte s
Eine Ankündigung, die viele Fragen aufwirft
Im Oktober 1918 zerbrach die österreichisch-ungarische Hälf- Noch am selben Tag rief Suchard - sich beziehend auf das Wil-
te der italienischen Front, und die Monarchie unterzeichnete son’sche Selbstbestimmungsrecht der Völker - „das freie deut-
Anfang November in Padua den Waffenstillstand mit Italien. In sche Heinzenland” aus. Es war eigentlich eine provisorische
Budapest führten die Ereignisse zur sogenannten Asternrevo- Lösung von ihm: „Bei Ungarn wolln ma net bleiben. Nach Öster-
lution, und die Fraktionsbildung begann natürlich auch im Krei- reich lasst ma uns net. Na, dann ham ma halt a eigene Republik
se der Elite der Deutschen in Ungarn. Jakob Bleyer vertrat den gmacht“, wie er später erklärte. Die Republik Heinzenland sollte
madjaronen Standpunkt samt kultureller Autonomie und Staats- solange existieren, bis Österreich selbst das Land annektiert. Zur
treue, der sächsische Rudolf Brandsch vertrat die Gegenposition Republik gehörten theoretisch alle deutschsprachigen Ortschaf-
(siehe Mediascher Anschlusserklärung 1919). Wie das ganze ten Westungarns.
Ungarndeutschtum, so stellten sich die Westungarndeutschen
ihre politische Zukunft unterschiedlich vor. In den unstabilen Die Mattersdorfer stellten eine sogenannte „Volkswehr” auf, wel-
Oktobertagen setzte sich Wollinger für das freie Selbstbestim- che nur 300 Männer zählte - eine Rekrutierung unter der dortigen
mungsrecht der westungarischen Bevölkerung erneut ein, was deutschen Bevölkerung war auch nicht möglich, weil die Dörfer
bei ihm eindeutig die Anschlusslösung bedeutete. So formulierte über das Vorhaben der Separatisten nicht informiert wurden. Die
die von Wollinger gegründete Zeitung „Deutsche Freiheit”, die fehlende Munition erschwerte die militärische Situation Suchards
16 SoNNTAGSBLATT
noch weiter, da die Waffentransporte von ungarischen Soldaten Dies war für ihn ein ganz besonderes Erlebnis, da das rumpfun-
gestoppt wurden. Unter diesen Umständen mussten die hean- garländische Deutschtum zufolge der verhängnisvollen ungari-
zischen und österreichischen Volkswehr-Soldaten weitere Ort- schen Nationalitätenpolitik an einem totalen Mangel von volksbe-
schaften besetzen. Am Abend traf eine österreichische Truppe wußten deutschen Lehrern litt. Schmidt versprach sich vom Geist
in Mattersdorf ein, mit frischen Männern und Munition. Suchard und von den Erfahrungen dieser Lehrerschaft sozusagen eine
entschloss sich, einen Angriff auf Ödenburg (die auserwählte willkommene „Blutauffrischung“ für die Ungarndeutschen, die
Haupstadt der Republik Heinzenland) vorzunehmen, aber erst sich nach dem Wiener Abkommen vom August 1940 zum Schutz
am nächsten Tag. In der Nacht wurde aber das ungarische Militär der deutschen Volksgruppe in Ungarn gerade anschickten, ein
in Ödenburg mobilisiert und im Morgengrauen des 7. Dezember eigenständiges deutsches Schulwesen aufzubauen.
umzingelten diese Soldaten die Aufständischen in Mattersdorf:
Ein Widerstand gegen die viel besser ausgerüsteten Ungarn Schon in seiner Jugendzeit und bis heute war er immer und über-
(Madjaren) schien aussichtslos zu sein, also wurden die Sepa- all dort zu finden, wo es galt, für die Erhaltung des ungarländi-
ratisten ohne einen einzigen Flintenschuss entwaffnet. Wegen schen Deutschtums tätig zu werden. Er wurde am 7. März 1915
Hochverrat wurde Suchard verhaftet und in Ödenburg eingeker- als sechstes Kind einer Heidebauernfamilie in Sanktpeter/Komi-
kert. Der ungarische Gerichtshof verurteilte ihn zum Tod, aber er tat Wieselburg, im ehemaligen Gouvernement Deutsch-West-
wurde zu Weihnachten gleich begnadigt. Damit endete die west- ungarn, geboren. Schon als junger Student knüpfte er enge
ungarndeutsche „Eintagsrepublik”, die Republik Heinzenland, Beziehungen zur Bewegung Jakob Bleyers, dem Erwecker des
die nach Suchards Erzählungen 22 Stunden existierte. ungarländischen Deutschtums. Josef Schmidt gehört zu den we-
nigen noch lebenden Teilnehmern an Jakob Bleyers Begräbnis
Die Zeitdauer gilt als ein Rekord auch in der Weltgeschichte unter in Budapest 1933.
solchen ein- oder zweitägigen kurzlebigen Staaten. Der Plan für
die Errichtung eines Staates scheiterte, aber die Republik Hein- Nach Absolvierung der Lehrerbildungsanstalt in Sárospatak 1936
zenland war eine wichtige Station auf dem Weg zur Gründung studierte Josef Schmidt bis 1941 Germanistik und Geschichte an
des Burgenlandes: Ein spektakulärer, fast beispielloser Vorfall, der Hochschule in Segedin. Dort war auch der Germanist Prof.
wodurch der internationalen Öffentlichkeit die Bedeutung der Dr. Heinrich Schmidt, der bewährte wissenschaftliche Mitstreiter
deutschwestungarischen Frage klar wurde. von Prof. Jakob Bleyer, sein Lehrer, der sich über die Suevia-
ner, die sich um den Jubilar sammelten, freute und sie mit be-
sonderer Aufmerksamkeit in die Volkskunde und Mundarten der
deutschen Siedlergruppen in Ungarn einführte. Drei Semester
verbrachte Schmidt an den Universitäten in Graz und Tübingen.
Gleich nach Abschluss seiner Studien wurde er am 1. Juli 1941
vom Volksgruppenführer Dr. Franz Basch mit der Leitung des
Für ein ungarndeutsches Landesschulamtes der deutschen Volksgruppe in Ungarn beauf-
Landesschulamt tragt. Erstmals in der Jahrhunderte alten Geschichte der Deut-
schen in Ungarn gab es mit dieser offiziellen Amtsbesetzung eine
Die Übergabe von Schulen an örtliche Nationalitäten- für die gesamte Volksgruppe in allen ihren Siedlungsgebieten für
selbstverwaltungen ist schön, gut und stärkt die lokalen die Selbstverwaltung des eigenständigen Schulwesens zustän-
Selbstverwaltungsrechte. Aber: Wäre es dennoch nicht dige Einrichtung, deren Aufgabe es war, für Aufbau, Erhaltung
und Unterrichtsgestaltung in einer deutschen Schulautonomie zu
angebracht, ein ungarndeutsches Landesschulamt einzu-
sorgen. Schmidt erhielt mit diesem Amt einen Aufgabenbereich
richten?! Denn es gäbe sehr viel zu tun (allein, was die
der deutschen Kultur- und Volkstumsarbeit zugeteilt, der zu den
Unterrichtssprache betrifft, überwiegt in den meisten eige- wichtigsten institutionellen und geistigen Instrumentarien der
nen Schulen die fünfstündige Form, die oft auch noch als Riege des ererbten Volkstums und lebendigen Identitätsbewußt-
Fremdsprachenunterricht verstanden wird), was ein pä- seins für Volksgruppen in andersnationalen Staaten gehörte.
dagogisches Institut nicht leisten kann. Die Baptisten, die
vor einigen Jahren landesweit 30 Schulen übernommen Die rund zwei Millionen Deutschen des damaligen Ungarn hat-
haben, haben es vorgemacht, wie es geht. In der Vergan- ten zum Zeitpunkt des nationalen Erwachens nach dem Ersten
genheit gab es kurzzeitig ein Landesschulamt für die un- Weltkrieg nur mehr 14 deutschsprachige Schulen. Der totale
garländischen deutschen Schulen. Sein Leiter war Josef Mangel an volkseigenen Mittelschulen und höheren Schulen hat
dem Deutschtum in Ungarn naturnotwendig die volksverbunde-
Schmidt, der vor zwanzig Jahren starb.
ne intelligente Oberschicht und Führungsschicht genommen, die
ZUR ERINNERUNG (zur Verfügung gestellt von Georg Krix) unzulängliche volksfremde Volksschule aber hat ganze Gene-
rationen und Schichten seiner Angehörigen in ein namenloses
Vor 20 Jahren, am 21. November 1998 hat uns Landsmann JO- völkisch-kulturelles Elend gestoßen.
SEF (Sepp) SCHMIDT für immer verlassen. Ein Kämpfer für das
Ungarndeutschtum, dessen wir uns ehrwürdig erinnern wollen. Es wurde nur ein stufenweiser Aufbau des deutschen Schulwe-
Josef Schmidt wurde am 7. März 1915 in Sanktpeter (Heidebo- sens in Angriff genommen. Zunächst beantragte der Volksbund
den, Westungarn) geboren und starb am 21. November 1998 in die Errichtung einiger wichtiger höherer deutscher Schulen und
Stuttgart-Bad Cannstatt. Die Urne mit seiner Asche wurde in sei- eigener Volksschulen in Gemeinden, in denen schulisch und
nem Heimatfriedhof Sanktpeter beigesetzt. volklich eine bedrohliche Situation bestand. Der auch mit diesem
übernommenen schulischen Erbe noch längst nicht ausreichen-
Für sein Leben und Wirken stehe hier ein Artikel von Josef Volk- de schulische Bestand wurde getragen von drei eigenständigen
mar Senz aus früheren Jahren: schulerhaltenden Körperschaften: 1. dem Volksbund der Deut-
schen in Ungarn, 2. der Schulstiftung der Deutschen Volksgrup-
Josef Schmidt war im Sommer 1941 der sowohl an Lebens- als pe in Ungarn und 3. dem Deutsch-Evangelischen Generaldeka-
auch an Dienstjahren jüngste Landesschulamtsleiter der dama- nat in Siebenbürgen.
ligen südosteuropäischen deutschen Volksgruppen. Er war von
Budapest in das Schulungsgut der Volksgruppe in Schloß Futok Das innere Urübel der deutschen Schulfrage war der Mangel an
gekommen, um die dort versammelten Lehrer des eben nach volksbewussten Lehrkräften, der nicht von heute auf morgen ge-
deckt werden konnte. Alle Anstrengungen wurden deshalb auf
Ungarn zurückgegliederten Batscherlandes zu begrüßen.
die Heranbildung eines erforderlichen deutschen Lehrernach-
(Fortsetzung auf Seite 18)
SoNNTAGSBLATT 17
wuchses gelegt. Diese Maßnahme erforderte bei nur zwei eige- Geburtstag alle seine Freunde und Bekannten, die donauschwä-
nen Lehrerbildungsanstalten mehrere Jahre, weshalb auch die bischen Lehrer und ungarndeutschen Landsleute, und danken
Gesamtlösung der Schulfrage und der schulischen Selbstverwal- ihm für seine bewahrende und anregende Lebensleistung im
tung bis auf die Zeit nach dem Krieg verschoben werden musste. Dienst unseres Volkes. Sie wünschen ihm weiterhin den Segen
Nach Kriegsende finden wir Josef Schmidt in Wien, wo er sich des Allmächtigen in seinem Leben und Tun.
infolge des Elends und der Not seiner evakuierten Landsleute als
Mann der ersten Stunde um die Betreuung und Vertretung der
Belange der ungarländischen Deutschen in Österreich bemüh-
te. Mit Vertretern anderer Vertriebenengruppen aus den Südost-
staaten gründete er bereits 1945 das Zentralkomitee der Volks-
deutschen in Österreich, in dem er auch mit Dr. Sebastian Werni
aus dem Batscherland zusammenarbeitete. Als Hauptschrift- Geschehen vor 70 Jahren: „Wir
leiter übernahm er ab 1946 die Wochenschrift „Wegwarte“, das mussten unser Zuhause in ein
Organ des Zentralkomitees. Als die Überparteilichkeit der „Weg-
warte“ nicht mehr gewährleistet war, legte er die Hauptschrift-
Bündel packen”
leitung nieder. 1950 übersiedelte Josef Schmidt nach Deutsch- (70 éve történt: „Egy batyuba kellett pakolnunk az otthonunkat”)
land. Auch da trat er für die Gleichberechtigung der Deutschen
Von Rebeka Csóti. Erstmalig erschienen am 19. Januar 2018
aus Ungarn ein. In der Heimatauskunftsstelle für Ungarn, die auf dem Internetportal „index.hu”. Veröffentlichung mit freund-
im Innenministerium Baden-Württembergs in Stuttgart errichtet licher Genehmigung der aus Kirne stammenden Autorin.
wurde, übernahm er als Stellvertreter und später als Nachfolger Deutsche Übersetzung: Richard Guth
des Leiters Max Albert das Referat „Dokumentation“, das sich
um die Erfassung der Daten und Unterlagen der Vertriebenen __________________________________________
aus Ungarn zu bemühen hatte. Er setzte sich mit ganzer Kraft Die Einführung zu den Zeitzeugenerinnerungen enthält
für seine Landsleute in ihren jetzigen Aufnahmegebieten ein und noch einige Ungenauigkeiten, interessant und wertvoll sind
erfüllte diese verantwortungsvolle Aufgabe in engster Zusam- hingegen die Berichte der Zeitzeugen.
menarbeit mit den zuständigen Stellen der Staatsverwaltung, der ___________________________________________
Landsmannschaft, des Rates der Südostdeutschen und anderen
zuständigen Gremien. „Eines Tages kamen dann die Polizisten, mit der Nachricht, dass
wir gehen müssen. Wohin ich nur schaute, überall Menschen
1974 schied er infolge angeschlagener Gesundheit aus dem mit Tränen in den Augen. Wir Kinder genossen es ja sehr. Wer
Dienst aus. Doch auch im Ruhestand ließ ihn die Sorge um die konnte damals auf einem Laster sitzen?! Danach durften wir so-
Wahrung der Belange und Zukunft der Deutschen aus Ungarn gar Zug fahren, wir dachten, Gott wüsste, wie es sein wird. Wir
nicht zur Ruhe kommen. Als engagierter Journalist bezog er waren fast zwei Monate unterwegs. Wir hielten alle vier Tage an,
mit volkspolitischen und zeitgeschichtlichen Kolumnen und Bei- dann konnten wir den Zug verlassen um unsere Notdurft zu ver-
trägen Stellung zu aktuellen Fragen der Deutschen aus und im richten, die verdreckten Eimer wurden ausgeschüttet.” Mit dem
heutigen Ungarn. Die Geschichte des Kampfes um die deutsche ersten „Schwabenzug” begann am 19. Januar 1946 die gewalt-
Schule und die mannigfaltigen politischen Schwierigkeiten der same Vertreibung der Deutschen aus Ungarn. Behördenwillkür,
damaligen ungarischen Nationalitätenpolitik, die er als Landes- zwanzig Kilo schweres Bündel, Raufereien, Tränen und Beispie-
schulamtsleiter von 1941 bis 1944 maßgebend gestaltet hat, le menschlicher Hilfeleistung: Zeitzeugen, die die Tragödie in Kir-
sind bisher nur in gelegentlichen Bruchstücken da und dort dar- ne/Környe als Kind erlebt haben, gedenken den Geschehnissen
gestellt worden, so in der Schrift „Volksdeutsche Schulerziehung vor 70 Jahren.
in Ungarn“ aus „der Arbeit des Volksdeutschen Schulwesens und Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden für die von den Nazis be-
der Deutschen Erzieherschaft des Volksbundes der Deutschen gangenen Verbrechen die deutschen Minderheiten kollektiv ver-
in Ungarn“, herausgegeben vom Landesschulamt des Volksbun- antwortlich gemacht. Auf sowjetische Initiative hin haben die
des der Deutschen in Ungarn, Zusammenstellung von Josef V. Alliierten auf der Potsdamer Konferenz abgesegnet, dass ein
Senz. Neusatz 1943,135 Text- und 15 Bildseiten mit 1 Karte“ (er- Teil der in Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn lebenden
schienen in der Amtszeit von Josef Schmidt). Deutschen nach Deutschland umgesiedelt werden muss. Inner-
halb von zwei Jahren wurden in Ungarn über 200.000 Männer
Die in der AG Donauschwäbischer Lehrer vor Jahren bereits in und Frauen, Alte und Kinder dazu gezwungen ihr Zuhause zu
Angriff genommene Aufarbeitung konnte bis heute noch nicht verlassen und mit einem Bündel ins unbekannte Deutschland
zum Abschluss gebracht werden. Eine solche Aufarbeitung hätte aufzubrechen.
eine praktische politische Bedeutung, weil die darin dargestell-
ten Erfahrungen mit großem Nutzen in die derzeit in Ungarn und Anfangs wurden diejenigen Menschen deutscher Volkszugehö-
Deutschland aufgenommenen Bemühungen um den Aufbau rigkeit, die Mitglied in einer Hitlerschen Organisation waren be-
eines neuen deutschen Schulwesens in Ungarn herangezogen ziehungsweise freiwillig solches in der SS wurden, mit der Kon-
werden könnten, wie das Josef Schmidt in seinen Kolumnen im fiszierung ihres Hab und Gutes bestraft. Diejenigen, bei denen
„Donauschwaben“ immer wieder fordert. man eine solche Mitgliedschaft als erwiesen ansah, wurden
interniert. In ihre Häuser wurden Neusiedler („telepesek”) aus
Im Rückblick auf seine kulturelle und politische Arbeit stellt er ärmeren Komitaten eingewiesen. Die Familienangehörigen der
dann auch fest: „Wir sind heute die letzten spärlichen Reste Internierten wurden bei anderen schwäbischen Familien unter-
eines solchen schöpferischen Volkes, ohne dessen historische gebracht oder in ganz andere Ortschaften gebracht. Schlussend-
Leistungen auf allen Gebieten eine abendländische Kultur bei lich legte die am 19. Dezember 1945 veröffentlichte Verordnung
den Völkern der südosteuropäischen Länder überhaupt nicht fest, dass all diejenigen Bürger deutscher Volkszugehörigkeit,
aufgekommen wäre. Es war die größte noch immer nicht über- die sich bei der Volkszählung von 1941 zur deutschen Volkszu-
wundene Enttäuschung meines Lebens, dass unser Opfergang gehörigkeit oder Muttersprache bekannt haben, Mitglieder des
um die Erhaltung des ungarländischen Deutschtums vom ‚Vater- Volksbunds oder der SS waren beziehungsweise ihre madjari-
land‘ durch die Vertreibung geächtet und vom ‚Mutterland‘ nicht sierten Namen wieder germanisieren ließen, nach Deutschland
beachtet, geschweige denn geachtet wurde.“ umsiedeln müssen. Der erste Zug startete am 19. Januar 1946
in Wudersch, der letzte verließ im September 1948 das Land. In
In herzlicher Verbundenheit grüßen den Jubilar zu seinem 75. zwei Jahren mussten 200.000 – 250.000 Menschen ihre Heimat
18 SoNNTAGSBLATT
verlassen, viele Familien wurden dabei getrennt. Von dem Polizisten haben wir bereits am Bahnhof wieder unsere
Schlüssel erhalten, so konnten wir sofort ins Haus.
Kirne gehörte zu den schwäbischen Dörfern, in den die Depor-
tation der Deutschen angeordnet wurde. Die Mehrheit der Be- Besitzlos, aber wir konnten zurückkehren. Meine Eltern hatten
völkerung in der im Komitat Komorn-Gran gelegenen Gemeinde Haus und drei Morgen Besitz, aber diese wurden uns ohne ein
war schwäbisch. Ihre Vorfahren wurden nach dem Ende der Os- Wort weggenommen. Man hat diejenigen weggebracht, die noch
manenherrschaft ins Land gerufen. Die meisten Dorfbewohner etwas besaßen. Die Eisenbahnwaggons standen noch einige
waren deutscher Muttersprache, viele der Alten konnten nicht Tage bei Weinhield/Bánhida, dorthin brachten wir dem Bruder
oder kaum Ungarisch. meines Vaters und dessen Familie Honig und dies und jenes.
Den Kontakt zu ihnen brach nicht ab, wir haben viel per Brief kor-
Die Vertreibung traf die Gemeinde unerwartet. Am 27. August respondiert. Wir haben in den Umschlag rote Paprika gesteckt,
1947 wurde das gesamte Gemeindegebiet abgesperrt, am nach einer gewissen Zeit war es erlaubt Pakete zu schicken.
Dorfrand standen überall Gendarmen. Die Soldaten klopften Nach 1956 wurde dann alles einfacher.”
mit Listen in der Hand einzeln an den Haustüren und riefen die
Bewohner auf, binnen zwei Stunden zu packen. Am Vorabend Bella Fegyveres
ahnte noch keiner, was ihn am nächsten Tag erwartet. Die Er-
wachsenen durften 20 kg pro Kopf mitnehmen, sie packten meist „Ich wurde in Kirne geboren, meine Eltern haben 1942 oder 1944
Lebensmittel in ihr Bündel. Von der Kleidung zogen sie so viel ein Haus im Ortsteil Patar gekauft. Mich konnten sie nicht dazu
wie möglich an, damit dies nicht zum Gewicht des Bündels dazu- bewegen umzuziehen, deswegen blieb ich in Kirne bei meinen
gezählt wurde. Binnen eines Tages wurden 101 Familien nach Großeltern und meiner Urgroßmutter. Ich wohnte gerne dort, weil
Deutschland umgesiedelt. alles in der Nähe war, die Schule und die Kirche. Am Tag der
Vertreibung klopfte man bei uns nicht, denn mein Opa war An-
All dies hat die Familie meines Großvaters durchlebt. Meine zwei hänger der Kleinlandwirtepartei und erhielt von István Dobi eine
Urgroßeltern mit den fünf Kindern standen auf der Liste der Ver- Befreiung.
triebenen, lediglich weil die Züge voll waren, blieben sie hier. Zu-
erst erfuhr ich aus den Erzählungen meines Großvaters über die Allerdings tauchten am Abend zwei Männer auf, die meinen
Vertreibung der Schwaben, danach habe ich angefangen mehre- Großvater baten, den Befreiungsschein zu überreichen. Er woll-
re Dorfbewohner, die davon betroffen waren, aufzusuchen. te es natürlich nicht, deswegen riss man ihm das Blatt aus der
Hand, und sie sagten, dass die Papiere ungültig seien und wir
Anna Haffner packen müssten, weil man uns mitnehmen werde. Wir hatten Be-
such aus Pest, er hat uns die Flucht ermöglicht, während mein
Großvater und die Seinen an der Tür verhandelten. Der Bekann-
„Mein Vater war Mitglied beim Volksbund, so haben wir damit
te brachte uns zu einem Verwandten. Ich erinnere mich gut, dass
gerechnet, dass man uns 1945 unseres Hauses verweisen wird.
ich über das Tor klettern musste, damit ich rein konnte. An die-
Eines Tages kamen dann die Polizisten, mit der Nachricht, dass
sem Abend wurden vier Familien auf den Wagen geladen, unter
wir gehen müssen. Zuvor haben wir einige unserer Möbelstücke
ihnen meine Großeltern, zusammen mit meiner Urgroßmutter
in ein anderes Haus gebracht, von dem wir annahmen, dass es
und der Familie des Bruders/der Schwester meiner Mutter. Sie
von der Vertreibung nicht betroffen wird, aber die dortigen Be-
alle wurden dem Kirner Zug hinterhergefahren. Meine Mutter
wohner wurden 1947 nach Deutschland gebracht, so ging all
brach nach Szob auf, um den Verwandten, die im Zug saßen,
unser Vermögen, das wir zu retten versuchten, für immer ver-
warme Sachen zu bringen. Ich zog nach Patar zu meinen Eltern
loren. Ich habe mich beim Schleppen sogar geschlagen. Es kam
und ging von dort in die Schule. Ich hatte kaum Kleidung, das
ein Mann, der den Sparherd mitnehmen wollte, aber ich zog ihn
meiste blieb im Haus meiner Großeltern.
zurück, damit dieser im Haus bleibt. In unser Haus zog eine Neu-
siedlerin mit drei Kindern. Sie erlaubte uns, eine Weile zu blei-
Nach der Vertreibung hat das Leben meiner Familie ein Partisa-
ben, aber dennoch mussten wir rasch gehen. Zuerst vertrieben
ne, der 1945 aus dem ehemaligen Oberungarn kam, zur Hölle
sie uns, danach wir sie. Unsere Freunde halfen dabei, sie haben
gemacht. Er versprach meiner Mutter, dass er die Familie Hoffart
die Flügel von einigen Hühnern gebrochen, dann die Füße von
nicht nur materiell, sondern auch seelisch (im ungarischen Origi-
Hasen, danach machte sich die Frau derartige Sorgen um ihr
nal: nervlich) kaputtmachen werde. Es kam auch so. Mein Vater
verbliebenes Schwein, dass sie es in das hintere Zimmer ver-
kam nach einem Schauprozess für ein Jahr ins Gefängnis, er
frachtete, damit diesem nichts zustößt.
wurde schlussendlich vom Raaber Volksgericht freigesprochen.
Die Anklage lautete, dass er eine Volksbund-Zeitung lese. Wir
Wir mussten fünfmal umziehen. Zuerst zogen wir zum zweiten, wurden bei der Verstaatlichung aus unserem Haus in Patar raus-
dann zum dritten Nachbarn, in die Mitte des Dorfes zu einer Fa- geschmissen und nach Kirne zur Kellerreihe geschickt, um dort
milie, danach zogen wir in den Kindergarten, dessen Fenster mit eine Wohnstelle zu errichten. Währenddessen versuchten mei-
Papier verdeckt waren. Damals lebten wir in großer Armut. Mein ne Eltern mehrfach nach Deutschland zu fahren, aber erhielten
Vater war interniert, meine Mutter ging auf Märkte, damit wir uns nie eine Genehmigung. Ich konnte 1963 dorthin fahren, aber ein
von etwas ernähren konnten, mein Bruder in Tarian, ich fast allei- Wiedersehen mit den Großeltern war nicht mehr möglich.”
ne im Kindergarten bei den Ráczs.
Paula Steger
Am Ende nahm uns die Familie meiner Patentante auf, dort
wohnten wir, als man 1947 an unserer Tür klopfte, damit wir pa- „Morgens mussten wir auch packen, die Eltern durften pro Per-
cken, weil man uns zum Bahnhof bringen wollte. Mein Vater war son lediglich zwanzig Kilo mitnehmen. Wir hatten etwas Gold und
unten im Bergwerk, er wurde benachrichtigt, dass er sich nach US-Dollar, die hat meine Mutter in den Rock eingenäht, deshalb
Hause begeben soll, da die Vertreibung begann. Wir haben alles musste ich mit soldatischer Disziplin sitzen, damit aus meiner
in einem Bündel verstaut, ich habe dabei sogar fünf Röcke an- Kleidung nichts runterrutscht. Wir wurden mit einem Laster zum
gezogen, damit deren Gewicht nicht zum Bündel dazugerechnet Bahnhof gebracht. Wir Kinder genossen es ja sehr. Wer konnte
wird. Als wir unten ankamen, waren die Wagen bereits voll, wir damals auf einem Laster sitzen?! Danach durften wir sogar Zug
konnten nicht mehr zusteigen. Wir wurden an die Seite gestellt fahren, wir dachten, Gott wüsste, wie schön es sein wird.
und nach einer gewissen Zeit entlassen. Auf dem Nachhause-
weg hat mein Buhler, der später mein Mann wurde, einen Neu- Wir wurden vom Bahnhof weggeschickt, weil wir nicht auf der
siedlerburschen angehalten. Er hat diesen verjagt und das Pferd Liste standen. Mein Großvater hatte eine Befreiung für die ganze
mit unserem Bündel bepackt und zu uns nach Hause gebracht. (Fortsetzung auf Seite 20)
SoNNTAGSBLATT 19
Familie, deswegen durften wir wieder heim. Mein Vater vertraute de, um zu packen. Sie hielten sich im Haus auf, bis wir mit dem
aber nicht darauf, dass wir lange bleiben dürfen, deswegen ha- Packen begonnen haben. Meine Mutter hat in einen Strohsack
ben wir auch nicht wieder unsere Sachen ausgepackt. Am Abend vier Laib Brot, was sie am Vortrag gebacken hat, drei Liter Fett,
hat man uns wieder abgeholt, um Punkt Mitternacht. Zuerst hat Marmelade, Salz, Speck und Obst aus dem Garten gelegt. Klei-
man uns in die Totiser Kolonie gebracht, aber da wir den Zug dungsstücke hätten gar nicht in das Bündel gepasst. Ein ver-
nicht mehr einholen konnten, liefen wir bis Szob. Dort nahm man schließbares Glas haben wir mit Wasser gefüllt, unsere Mutter
uns alles, was wir hatten, ab, Schinken, Salami, alles. Erst im hat noch Schmalzbrot geschmiert, sollten wir unterwegs Hunger
Nachhinein durften wir es zurückkaufen, gegen Geld. Wir waren bekommen.
fast zwei Monate unterwegs. Wir hielten alle vier Tage an, dann
konnten wir den Zug verlassen um unsere Notdurft zu verrichten, Bevor wir unser Haus verlassen haben, brachten wir unsere
die verdreckten Eimer wurden ausgeschüttet. Im Zug hat man Dokumente zu meinem ältesten Bruder. Die Säcke und Truhen
hin und wieder gekocht, aber meist aßen wir was Kaltes. aus unserer Straße wurden auf einen Pferdewagen geladen.
Ein Familienmitglied musste dem Wagen hinterherlaufen, damit
Wir hielten zuerst in Pirna, dann in Zöblitz, dort konnten wir zum man wusste, welches Gepäck wem gehört. Die anderen liefen
ersten Mal den Zug verlassen. Wir wurden in einer Turnhalle auch zu Fuß zum Bahnhof. Als wir an der Schranke ankamen,
untergebracht. Jeder hat eine Blechdose erhalten, aus der wir waren wir bereits eine richtige Menschenmasse. Dort hielt ein
essen konnten. Die Erwachsenen haben einen, die Kinder einen Polizist eine Liste in der Hand und ließ nur diejenigen durch, die
halben Esslöffel Essen bekommen. Aus Zöblitz fuhren wir nach auf der Liste standen. Unser Bündel wurde in die Ecke eines
Olbernhau weiter, wo wir bei einer netten Familie untergebracht leeren Waggons gelegt, der noch mit zwanzig weiteren Bündeln
wurden. Wir haben von ihnen Geschirr, Holz und alles Mögliche, beladen wurde. Während dessen brachte man immer mehr Men-
was wir benötigten, erhalten. Meine Großeltern haben zwei Häu- schen beziehungsweise kamen immer mehr Dorfbewohner um
ser weiter gewohnt, aber sie fanden bei einem Dreckskerl Unter- Abschied zu nehmen. Ich erinnere mich, dass es einen Mann
schlupf. Er pflegte stets zu sagen, dass wir ungarische Zigeuner gab, der drei Hüte anhatte.
seien und dorthin zurückkehren sollen, wo wir herkommen. Als
unser Hausherr davon erfuhr, bot er an, dass unsere Großeltern Gegen Mittag kursierte das Gerücht, dass die Bergleute, wenn
das restliche Zimmer beziehen, so konnten wir zusammen woh- sie ihre Dokumente vorzeigen können, nach Hause gehen könn-
nen. So war es halt. In Ungarn waren wir Deutsche, in Deutsch- ten. Da alle meine drei Brüder im Bergwerk arbeiteten, sind
land ungarische Zigeuner. wir sofort aktiv geworden. Auf der anderen Seite der Schranke
stand mein damaliger Buhler, der aufs Fahrrad sprang und un-
Winter 1947 sind mein Vater und meine Mutter nach West- sere Dokumente holte. Als meine Brüder diese Dokumente der
deutschland, nach Regensburg geflüchtet. Meine Mutter kam Dreierkommission am Teichrand zeigten, wurden wir entlassen.
zurück, um die beiden Kinder zu holen und zeigte meiner Oma Bis unser Bündel hervorgeholt wurde, ging die Sonne unter. Die
den Weg und holte im Sommer meine Urgroßmutter und Groß- Kirner Turmuhr hat Mitternacht geschlagen, als unser Pferdewa-
gen daran vorbeifuhr. Die Gendarmen haben die Tür des Hauses
mutter rüber. Meine Urgroßmutter musste sie auf dem Rücken
versiegelt und den Schlüssel beim Gemeindeamt abgegeben, so
über die Grenze bringen, weil sie ein offenes Bein hatte und nicht
dass meine Mutter ihn erst am Morgen abholen konnte. In dieser
laufen konnte. In Regensburg wohnten wir wieder in einem Auf-
Nacht haben wir draußen an der Türschwelle geschlafen. Wir
nahmelager, in einer alten Schule. Daheim durften wir frei auf der
haben drei Tage gewartet, bis wir mit dem Auspacken begannen,
Straße herumlaufen, im Lager waren wir eingesperrt. Wir waren da im Dorf das Gerücht herumging, dass man diejenigen, die
zu 16 in einem Zimmer, schliefen auf Stockbetten. Das Problem man entlassen hat, wieder abholen würde. Zum Glück geschah
bestand darin, dass wir alles auf Karte kriegten, den Zucker, das es nicht, und wir konnten zu Hause bleiben. Später wurden auch
Fett, das Mehl. Die Pfanne hat man nie ausgewaschen, es blieb in Kirne Madjaren aus dem ehemaligen Oberungarn angesiedelt.
immer ein wenig Fett drin. Bei uns wohnte im hinteren Zimmer eine Weile ein junges Ehe-
paar.”
Nachdem mein Vater eine Anstellung in der Ziegelfabrik erhielt,
ging es mit uns bergauf. Die Fabrik hatte eine Kantine, die später Anna Fábián
von meinem Vater erworben wurde. Zum damaligen Zeitpunkt
konnte auch meine Mutter bereits arbeiten. Dann wurde das La- „Damals habe ich in Obergalla gedient, Häuser geputzt und Kin-
ger geräumt und wir haben eine Dreizimmerwohnung in einem der gehütet. An einem Donnerstag kam die jüngere Schwester
Plattenneubau erhalten. Die Kantine musste man aufgeben, eines Dienstmädchens aus unserem Dorf, mit der Nachricht,
aber zum Glück konnte mein Vater an den Blockhäusern ein Ge- dass wir schleunigst nach Hause kommen sollen, weil die Ver-
schäftslokal mieten. treibung begann. Wir liefen als Abkürzung über die Weingärten,
aber die Kirner Dorfflur wurde bereits am Morgen gesperrt. Viele
Während dessen habe ich - sowohl in Ost- als auch in West- fuhren im Morgengrauen nach Totis/Tata um einzukaufen, aber
deutschland - die Schule besucht. Es war nicht einfach, weil man zurück ließ man sie nicht mehr. Leidiglich an der Kellerreihe
an beiden Orten unterschiedlich spricht, so dass ich die jewei- standen keine Gendarmen, dort konnten wir ins Dorf gelangen.
lige Sprache des Volkes neu erlernen musste. Vier Jahrgänge Als ich zu Hause ankam, waren meine Mutter und die anderen
lernten zusammen, zum einen die von 1 bis 4, zum anderen die bereits mit dem Packen beschäftigt. Es wurden bereits viele Fa-
von 5 bis 8. Ich konnte auch eine weiterführende Schule besu- milien weggebracht.
chen und habe zwei Berufe erlernt, den eines Filialleiters und
den eines Koches. Ich habe meinen Mann kennengelernt, mit Ich habe gesehen, dass die Nachbarsfrau ihre Töchter anzog,
dem ich mehrfach versucht habe, ein Haus zu erwerben. Nach während diese weinten, weil sie die viele Kleidung nicht mehr
seinem Tod habe ich in Kätschka/Kecskéd ein altes Bauernhaus tragen konnten. Ich war schon immer neugierig und lief deshalb
erworben und zog mit meiner Mutter um. Ironie des Schicksals bis zur Dorfmitte um mich umzuschauen. Ich werde einen älteren
ist, dass, bis es soweit war, dass die Renovierungsarbeiten ab- Mann nie vergessen, der mit seinem Bündel am Tor stand und
geschlossen waren, unser altes Haus in Kirne zum Verkauf an- heftig weinte. Überall sah ich Menschen mit Tränen in den Au-
geboten wurde, das ich ursprünglich kaufen wollte.” gen. Wir wurden nicht weggebracht, weil die Familien der Berg-
leute bleiben konnten, so mussten wir, nachdem wir nachweisen
Magdalene Pammer konnten, dass Opa dort arbeitet, nicht zum Bahnhof.
„Unser Haus war das erste im Dorf, wo die Gendarmen geklopft Es gab Familien, denen die Polizisten halfen, um hier zu blei-
haben. Die beiden Männer mittleren Alters gaben uns eine Stun- ben. Meinem Schwiegervater beispielsweise – als sie ihren
20 SoNNTAGSBLATT
s
Familiennamen hörten, verstanden diese es gar nicht, warum
sie überhaupt auf der Liste standen. Sie meinten, Fábián wäre Mikrokosmos Ost- und Mitteleuropa
ein madjarischer Name, warum sollten sie umsiedeln?! Mein
Schwiegervater erwiderte, dass der Name womöglich ein madja- Deutsche Volksgruppen
rischer sei, aber wir Schwaben seien. Jedes Mal, als der Wagen
sie abholen wollte, schickte ihn der Gendarm weg, unter dem
Vorwand, sie würden noch Brot backen oder mit dem Packen
beschäftigt sein. Er konnte es bis zum Nachmittag hinauszögern, Ohne Sprachgebrauch
da mussten sie zum Bahnhof. Ehe sie den Bahnhof erreichen keine Identität
konnten, hat man sie unterwegs zurückgeschickt, da die Wagen
bereits voll waren. Der Zug startete erst am Abend. Interview mit Dr. Zsuzsanna Lampl-Mészáros, Leiterin der
Sektion Demografische und Soziologische Studien des
Die Eisenbahnschienen verliefen nah an unserem Grundstück, Fórum-Instituts Sommerein/Šamorín und wissenschaftliche
und es ertönte die Stimme der wartenden Schwaben. Ich kann Mitarbeiterin an der Konstantin-Universität Neutra/Nitra
mich noch recht gut an das Lied, was sie sangen, erinnern:
SB: Frau Dr. Lampl, in den letzten Monaten konnte man auch
Burschen, wir gehen weg, im Ausland viel über innenpolitische Ereignisse in der Slo-
Wir können dieses kleine Dorf nie wieder sehen. wakei lesen. Helfen Sie uns, was passiert bzw. was ist in der
Wir können das Gittertor nie wieder sehen, Slowakei passiert?
Sagt dem, der heimkommt,
Dass ich im fremden Boden ruhe.” ZSL: Februar vergangenen Jahres wurden ein Journalist und
seine Frau ermordet. Sowas ist in der Slowakei noch nie vor-
Franz Rácz gekommen. Die Medien meinten bereits am Tag des Mordes
zu wissen, dass das eine Tat der italienischen Mafia gewesen
„Die Familie meines Onkels / meiner Tante mütterlicherseits ha- wäre, die eng mit der Regierung verwoben wäre. Wenige Stun-
ben die Neusiedler („telepesek”) aus ihrem Haus geschmissen, den nach der Bekanntgabe des Mordes begannen im Facebook
deswegen zogen sie zu uns. Als man uns 1947 vertreiben wollte, die Vorbereitungen auf die Antiregierungsdemos, diejenigen
lebten sie bereits bei uns, sie haben das vordere Zimmer des Kundgebungen, von denen wir später und seitdem überall lesen
Hauses erhalten. Wir standen auch auf der Liste und mussten konnten, dass sie spontan zustande gekommen wären, unter der
an dem besagten Tag auch packen. Wir durften nur ein Bündel Führung von lediglich einigen unabhängigen Studenten im Hin-
zusammenstellen, alles andere mussten wir zurücklassen. Rund tergrund. Aufgrund des großen Drucks dankte nach einiger Zeit
ums Haus lebten viele Tiere, da mein Vater als Fleischer arbeite- der Innenminister, dann der Ministerpräsident ab, die Regierung
te. Seine Nutztiere blieben auch hier, umsonst hat er sie aufge- wurde aber nicht gestürzt. Die Ermittlungen wurden von Anfang
zogen. Aber nicht nur die Tiere, Möbelstücke, Kleidungsstücke, an misstrauisch beobachtet, die Medien und die Opposition woll-
alles. ten sofort Ergebnisse haben, während sie daran zweifelten, dass
die slowakischen Behörden sowas überhaupt vollbringen kön-
Nachmittags gegen zwei-drei ging die Vertreibung zu Ende, die nen. Seitdem wurden die Täter des Doppelmordes gestellt, einer
Eisenbahnwaggons waren voll. Diejenigen, die bislang nicht der möglichen Drahtzieher wurde verhaftet, der ein bekannter
weggebracht wurden, durften bleiben, so wie wir. Es gab sehr slowakischer Unternehmer ist, aber der Fall ist nicht abgeschlos-
viele leere Häuser in Kirne, wo Madjaren aus dem ehemaligen sen. Ich halte jeden Mord für furchtbar und intolerabel und auch
Oberungarn einquartiert wurden. Sie durften all ihre Besitztümer die Liquidierung dieser zwei jungen Menschen ist inakzeptabel
mitnehmen, Schränke, Kleidung, Möbel, alles, was sie tragen wie auch die von anderen Journalisten in der Welt vor und nach
konnten. Inzwischen kamen auch aus den südlichen Komitaten dieser Tat. Aber für mich ging es bei diesen Ereignissen vorder-
Neusiedler. Sie gingen von Haus zu Haus und was ihnen gefiel, gründig um die Macht der Medien und die Manipulation durch
nahmen sie mit und zogen in das Haus ein, was sie angespro- die Medien. Die Stimmungsmache, der zügellose Hass ohne Be-
chen hat. Oft schlugen sich die Menschen, um zu entscheiden, weise und der „Hyänismus”, die ich erlebt habe, waren erschre-
wer in dem jeweiligen Haus wohnen darf. ckend.
Im Jahre 1949, bei der Verstaatlichung, gelangte alles in staat- SB: Eine Besonderheit der diesjährigen Präsidentschafts-
liche Hände, und man wollte auch unser Zuhause wegnehmen. wahlen ist, dass es zwei slowakeimadjarische Kandidaten
Ich war Maurer von Beruf, aber musste im Bergwerk arbeiten, gibt: Einer tritt als Kandidat der Partei der Madjarischen Ko-
damit ich Geld für die Ablösung des Hauses hatte. Auch so konn- (Fortsetzung auf Seite 22)
te ich nur das Gebäude kreditfinanziert bezahlen, den Garten
kaufte später die Familie meiner Tochter zurück. Es gab welche, WIR WENDEN UNS AN UNSERE LANDSLEUTE IN UNGARN,
die ihr Grundstück nicht kaufen konnten, so hat man es ihnen
weggenommen. Die Fleischerei meines Vaters musste geschlos- LASSEN SIE DAS 1 % IHRER STEUER UNSEREM VEREIN
sen werden, da es nicht erlaubt war, privaten Kleinhandel zu be-
treiben. Er arbeitete eine Zeit lang am Bahnhof als Nachtwäch-
ZUKOMMEN.
ter, danach habe ich meine Eltern zusammen mit meiner Frau
unterstützt, da sie keine Rente erhielten.”
Unsere Steuernummer: 18044830-1-13
Gehe nun im Leide
Wie im Festtagskleide,
Hast mit Küssen, Liebster,
WIR DANKEN FÜR IHRE HILFSBEREITSCHAFT!
Mich so reich geschmückt.
Will mit deinen Klagen
Dir nur eines sagen, jakob bleyer
Ewig leiden müssen, GEMEINSCHAFT e.V.
Ist, was mich beglückt.
SoNNTAGSBLATT 21
alition (MKP), der andere als der von Brücke (Most-Híd) an. tion mit 4%, der natürliche Rückgang mit 26% und die Assimilie-
Wie nahm die slowakeimadjarische und slowakische Öffent- rung mit 60% dem Rückgang der Zahl der Madjaren bei. Grund
lichkeit diese doppelte Nominierung auf (das Interview wur- Nummer 1 für den Rückgang ist die Assimilierung.
de vor den slowakischen Präsidentschaftswahlen im März
geführt, R. G.)? SB: In Ungarn ist die Zahl der Mischehen in jeder Minderhei-
tengemeinschaft hoch. Wie charakteristisch ist sie im Krei-
ZSL: In der Tat, es gibt zwei madjarische Kandidaten, noch dazu se der Slowakeimadjaren und welche Konsequenzen hat sie
zwei Parteivorsitzende. Seitens der MKP geht József Meny- hinsichtlich der Identität der Kinder, die in solchen Bezie-
hárt, der mitterweie zurückgetreten ist (R.G.) seitens Most-Híd hungen aufwachsen?
Béla Bugár ins Rennen. Die MKP hatte in der Person von Gyula
Bárdos früher bereits einen Kandidaten, der 2014 5% erreich- ZSL: Das trifft auch auf die Slowakeimadjaren zu. Der Anteil der
te. Bezüglich der Nominierungen gab es seitens der Madjaren Mischehen steigt von Generation zu Generation und wie alle so-
unterschiedliche Reaktionen. Einige sagen, dass man einen ge- ziologischen Untersuchungen der vergangenen 20-25 Jahre zei-
meinsamen Kandidaten hätte nominieren sollen, um zu zeigen, gen, ist die Mehrheit der Kinder, die in einer madjarisch-slowaki-
dass es wenigstens in einer Sache eine Art Zusammenschluss schen Familie geboren wurden, slowakischer Nationalität. Da ich
zwischen beiden Parten gibt. Natürlich haben beide Kandidaten über Slowakeimadjaren forsche, kann ich keine Angaben dazu
Sympathisanten und Gegner, aber keiner glaubt wirklich daran, machen, wie sich die nationale Identität der Menschen slowaki-
dass die Slowakei einen madjarischen Präsidenten bekommt, scher Nationalität entwickelt. Jedoch hat der Zustand der natio-
obwohl es bereits einen Nationalitätenpräsidenten gab, denn nalen Identität vier Schlüsselfaktoren, und wie sich die nationale
Rudolf Schuster entstammt angeblich der karpatendeutschen Identität entwickeln wird, hängt vordergründig davon ab, welche
Gemeinschaft (aber Herkunft und Nationalität sind zwei Paar Entscheidungen auf diesen Gebieten jeweils getroffen werden
Schuhe und Schuster ist offiziell slowakischer Nationalität). Ein und wie sich die daraus ergebenden Lebenssituationen kombi-
interessantes Zwischenspiel stellte eine Wortmeldung von Pál nieren.
Csáky MdEP dar, der sagte, dass ein anständiger Madjare nicht
für Bugár stimmen könne. Im Übrigen würde nach einer Janu- Der erste Faktor ist die Herkunft. Die Entscheidungsfragen hier-
ar-Umfrage Bugár 10,5%, Menyhárt 1,5% bekommen. Unter den bei lauten, welcher Nationalität das Kind wird, ob es die Nationa-
16 Kandidaten stünde demnach Bugár auf Platz 5, Menyhárt lität der Eltern weiterträgt beziehungsweise - wenn es sich um
Kopf an Kopf mit einem anderen Kandidaten auf Platz 11. Eltern unterschiedlicher Nationalität handelt - wessen Nationali-
tät es annimmt.
SB: Als Forscherin beschäftigen Sie sich in erster Linie mit
der Soziologie der Slowakeimadjaren. Die Volkszählungen Der zweite Faktor ist die Unterrichtssprache in der Grundschule.
nach der Wende zeigen, dass die Madjaren kontinuierlich an Wenn das Kind in einer slowakischen Grundschule eingeschrie-
Terrain verlieren: Die Zahl der Madjaren betrug 1991 567.000, ben wird, stärkt das die slowakische Identität. Wohlgemerkt wer-
zwanzig Jahre später gut 100 000 weniger. Welche Gründe den die Kinder slowakischer Nationalität auf slowakische Schu-
und Tendenzen stehen hinter den nackten Zahlen? len geschickt, auch dann, wenn ein Elternteil Madjare ist; es gibt
sogar madjarische Paare, deren madjarische Kinder die slowa-
ZSL: Der Rückgang ist durch das Zusammenwirken von vier kische Schule besuchen. Dadurch wird die madjarische Identität
Faktoren zu erklären. Diese sind die unbekannte Nationalität, der des madjarischen Kindes geschwächt und noch mehr, so Unter-
natürliche Bevölkerungsrückgang, die verdeckte Migration und suchungsergebnisse, auch die madjarische Identität der Eltern
die Assimilierung. Es gab 2011 382 493 Menschen unbekann- und oft der Großeltern wird schwächer, da das Kind, das eine
ter Nationalität, also Bürger, die aus unterschiedlichen Grün- slowakische Schule besucht, oft auch zu Hause nicht mehr bereit
den ihre Nationalität nicht angegeben haben, das entspricht 7% ist, ungarisch zu sprechen und die ganze Familie passt sich ihm
der Bevölkerung. Wahrscheinlich gibt es auch Madjaren unter an, wodurch auf Generationen zurück die madjarische Identität
ihnen, jedoch ist das Verschweigen der Nationalität nicht mad- geschwächt wird.
jarenspezifisch, denn demografische Kalkulationen zeigen, je
mehr Madjaren in einer Gemeinde leben, desto kleiner ist die Denn der dritte Faktor ist die Muttersprache. „In ihrer Sprache
Zahl der Menschen unbekannter Nationalität. Bei der verdeckten lebt die Nation” scheint eine Phrase zu sein, aber entspricht auch
Migration geht es um Menschen, die slowakische Staatsbürger
der Realität. Die Sprache und im Zusammenhang damit die Iden-
unterschiedlicher Nationalität sind und aus welchem Grund auch
tität können nur dann existieren, wenn man die Sprache verwen-
immer kürzere oder längere Zeit im Ausland verbringen; aber
det und zwar zu Hause, in der Schule, in der Öffentlichkeit, im
da ihre Staatsangehörigkeit nicht aufgegeben wird, hat ihr Aus-
Wort und virtuell.
landsaufenthalt statistisch keine Spuren. Laut des Slowakischen
Landesamtes für Statistik arbeiteten im dritten Quartal von 2018
Der vierte Faktor ist die Nationalität des Ehepartners/Lebensge-
139 000 slowakische Staatsbürger im Ausland, aber wir wissen
fährten. Wie schon erwähnt beeinflusst der Umstand, ob jemand
nicht, wer unter ihnen madjarischer Nationalität ist. Von einem
in einer ethnisch homogenen oder in einer Mischbeziehung lebt,
natürlichen Bevölkerungsrückgang sprechen wir dann, wenn
in besonderem Maße die Entwicklung der nationalen und Natio-
es weniger Geburten als Sterbefälle gibt. Dies betrifft die Slo-
nalitätenidentität des erwarteten Kindes und der ganzen Familie.
wakeimadjaren im besonderen Maße, da die Reproduktion um
Und so sind wir zum Anfang des Prozesses zurückgekehrt.
15-20 % unter dem Landesdurchschnitt liegt. Das liegt an der ge-
ringen Geburtenrate. Die Slowakeimadjaren können sich weder
Als interessantes Detail möchte ich einige Daten aus der jüngs-
biologisch noch ethnisch in genügendem Maße reproduzieren.
ten repräsentativen Umfrage des Fórum-Insituts, die Sommer
Bei der biologischen Reproduktion geht es darum, dass eine ma-
2018 im Kreise von 800 slowakeimadjarischen Erwachsenen
djarische Mutter ein Kind bekommt. Bei der ethnischen, dass sie
durchgeführt wurde, nennen: 73% der Befragten halten es für
ein madjarisches Kind bekommt. Keine ist ausreichend. Und so
wichtig, dass man Madjare bleibt, 72%, dass es in einer madja-
sind wir beim letzten Faktor angekommen, bei der Assimilierung,
risch bewohnten Gemeinde eine ungarische Schule gibt, 69%,
deren Prozess sich kaum von der Vergangenheit trennen lässt,
dass auch ihre Kinder Madjaren bleiben, 63%, dass ihre Kinder
nur in deren Kontext zu verstehen ist, in dessen Folge sich ein
die madjarische Grundschule besuchen. Im Gegenzug halten es
Teil der Menschen madjarischer Nationalität veranlasst fühlt, zu-
lediglich 39% für sehr wichtig, dass die madjarischen Jugend-
erst den Slowaken zu ähneln und dann zunehmend slowakisch
lichen madjarische Partner haben.
zu werden. Nach Berechnung des Demografen László Gyurgyík
tragen die unbekannte Nationalität mit 10%, die verdeckte Migra-
22 SoNNTAGSBLATT
SB: Seit einigen Jahren verbringe ich das letzte Juniwo- reichsten Menschen, Kommunalvertretern, dem Führungsper-
chenende auf einem Pressburger Festival zusammen mit sonal in den Firmen, den Kollegen und Geschäftspartnern sinkt
einem Freundeskreis. Dessen Mitglieder stammen aus dem der Anteil der Madjaren auf unter 50%. Das überwiegend slowa-
Landkreis Schelle/Šaľa/Vágsellye, Slowaken und Madjaren kische oder ganz slowakische Umfeld beschränkt sich auf die
gleichermaßen. Was mich überrascht hat, ist der Umstand, Welt der Arbeit, auch hier allen voran auf die Geschäftspartner,
dass jeder von ihnen mehr oder weniger ungarisch spricht. unter denen jeder Vierte überwiegend slowakisch, zu 8,5 slowa-
Inwiefern spiegelt es heutzutage die Realität wider und wel- kisch ist. Ein Drittel der Chefs sind eher Slowaken oder Slowaken
che Tendenzen lassen sich auf dem Gebiet der Mehrspra- und dies gilt für fast ein Viertel der Kollegen. Und wie ist dieses
chigkeit beobachten? Zusammenleben? Seitens der Madjaren: 7% erachten dies als
schlecht, die anderen finden das Verhältnis gut. Das kann man
ZSL: Die Mischehen haben meiner Meinung nach zwei Typen. auch daran ablesen, dass sich die Mehrzahl der slowakischen
Der eine ist die klassische Mischehe, worunter ich eine slowa- Neuzugezogenen in den madjarischen Gebieten sehr schnell
kisch-madjarisch oder madjarisch-slowakische Ehe verstehe, in heimisch fühlt.
der der slowakische Partner keine madjarischen Vorfahren hat,
wir könnten sagen, ein Urslowake. Diese Slowaken sprechen in SB: Beim Erhalt der Identität spielt die Schule eine Schlüs-
der Regel kein Ungarisch. Den anderen Typ von Mischehe nen- selrolle, wie Sie in Ihrem Buch „A szlovákiai magyarok szo-
ne ich mehrfache Mischehe. In diesem Fall hat der slowakische ciológiája” (Soziologie der Madjaren in der Slowakei) auch
Partner madjarische Vorfahren. Er selbst ist auch in einer Misch- betonen. Welche Veränderungen gab es seit der Wende im
ehe geboren – womöglich im klassischen Sinne oder in dem der slowakeimadjarischen Bildungssystem?
mehrfachen Mischehe –, aber nicht selten sind beide Eltern Ma-
djaren. Ein Teil dieser Slowaken kann mehr oder weniger Unga- ZSL: Ein slowakeimadjarisches Bildungssystem im Sinne eines
risch und ist bereit in bestimmten Situationen auch ungarisch zu eigenständigen Systems innerhalb des slowakischen Bildungs-
sprechen. Das habe ich mehrfach erfahren, zuletzt im Sommer, systems gibt es nicht. Die Experten sprechen eher von madja-
auf einer organisierten Reise in Sizilien. Wir waren etwa 20 Per- rischen/ungarischen Bildungs- und Erziehungsanstalten in der
sonen. Nur mein Mann und ich sprachen ungarisch, aber als wir Slowakei. Unter diesen versteht man Institutionen teilweise oder
uns etwas nähergekommen sind, fing die Hälfte der Reisegrup- ganz ungarischer Unterrichtssprache vom Kindergarten bis zur
pe an, ungarisch zu sprechen. Wenn nicht anders, dann in der Universität. Ich bin keine Bildungsfachfrau, deswegen kann ich
Gestalt, dass sie ein-zwei Wörter auf Ungarisch gesagt haben, auf die Frage nicht ausreichend antworten, deswegen versuche
gleich hinzufügend, dass sie mit der Oma noch ungarisch ge- ich es gar nicht. Aber ich will erneut betonen, dass es ohne unga-
sprochen haben, aber dass es lange her sei und sie sich nur an rische Grundschulen keine madjarische Identität gibt. Aus den
diese Wörter erinnern würden. Und das waren nicht nur Men- Umfragen ging hervor, dass es nicht gleichgültig ist, ob in einer
schen aus der Südslowakei! Es gibt also sowas, aber ich würde Mischehe der madjarische Part eine ungarische oder slowaki-
es nicht Mehrsprachigkeit nennen, weil es unwahrscheinlich ist, sche Schule besucht hat, denn wenn er eine ungarische Schule
dass diese Menschen in jeder Situation bereit wären, ungarisch besucht hat, dann ist die Chance größer, dass das Kind vielleicht
zu sprechen, weil es eine Art Gemeinschaft mit den Madjaren be- Madjare wird. Wenn einer der Partner in einer homogen madjari-
deuten könnte; ich habe auch solche getroffen, die sich schäm- schen Familie allerdings eine slowakischen Schule besucht hat,
ten, dass sie nur schlecht oder nur auf Küchensprachniveau steigt die Wahrscheinlichkeit, dass das Kind in die slowakische
ungarisch sprachen. Im Übrigen sind auch die Madjaren nicht Richtung gelenkt wird. Damit ist sich übrigens die Mehrheit der
jederzeit bereit ungarisch zu sprechen: 20% der Befragten der Eltern im Klaren.
genannten Umfrage sind der Meinung, dass man nur dann zum
Madjarentum stehen sollte, wenn man sich nicht bedroht fühlt, Trotzdem – oder gerade deswegen – gibt es madjarische El-
7% nur dann, wenn es einem gerade passe, 1% lediglich dann, tern, die für ihr Kind eine slowakische Grundschule wählen und
wenn daraus Vorteile erwachsen. Aber ungarisch zu sprechen so sinkt von Generation zu Generation der Anteil der Kinder,
ist ein Zeichen dafür, dass man sich offen zum Madjarentum be- die in ungarischen Schulen eingeschrieben werden. Dies wird
kennt. von den Eltern damit begründet, dass die Kinder in den unga-
rischen Schulen das Slowakische nicht erlernen und deswegen
SB: Der Fall Malina sorgte in Ungarn für viel Wirbel und später nicht zurechtkommen würden - dies, obwohl im Grunde
scheint immer noch nicht zu einem Ruhepunkt gelangt zu genommen Aufgabe der Grundschulen in erster Linie nicht die
sein. Wie würden Sie das slowakisch-madjarische Zusam- Sprachvermittlung ist, sondern die Übergabe eines Geistes, ei-
menleben charakterisieren in der Slowakei des Jahres 2019? ner kulturellen Tradition, einer Kultur. Zu Letzterem gehört natür-
lich auch die Sprache. Also diejenigen Eltern, die ihr Kind auf
ZSL: Endlich wurde dieser Ruhepunkt erreicht, denn Oktober eine ungarische Schule schicken, tun das nicht deshalb, damit
2018 hat die Staatsanwaltschaft in Raab das Verfahren einge- das Kind das Slowakische nicht erlernt und später nicht zurecht-
stellt, denn anhand der Indizien sind sie dazu gekommen, dass kommt, sondern weil sie es als wichtig erachten, dass es in ihrer
Hedvig Malina keine Straftat begangen hat. Das slowakisch-ma- Muttersprache lernt – was, um Comenius zu zitieren, die beste
djarische Zusammenleben hat mehrere Ebenen. Wenn ich auf Alternative ist –, sich der ungarischen Kultur zugehörig fühlt und
meine bisherige Forschungstätigkeit zurückblicke, dann stellte hinsichtlich Nationalität und Kultur nicht wurzellos wird. Gleich-
es sich stets heraus, dass die Mehrheit der Madjaren dieses Zu- zeitig wünschen sie sich auch, dass das Kind auch das Slowa-
sammenleben in ihrem persönlichen Lebensumfeld für unproble- kische erlernt. In der slowakischen Schule hingegen eignet es
matisch hält und je höher man kommt, desto problematischer wird sich neben der slowakischen Sprache auch den slowakischen
dieses Zusammenleben eingeschätzt. Zurzeit werden die madja- Geist sowie Kultur und – leider - zum Teil eine gewisse Mad-
rischen Interessen auf höchster Ebene vertreten, denn die Partei jarenfeindlichkeit an, in deren Folge es in der Regel auch kein
Most-Híd ist Koalitionspartei in der slowakischen Regierung. Ein Madjare bleiben will. Die ungarische Grundschule erzieht nach
Teil der Madjaren findet es gut, ein Teil nicht bzw. ein Teil ist der meinen Erfahrungen nicht zur Slowakenfeindlichkeit und bringt
Meinung, dass Híd kein richtiges Interessensvertretungsorgan Slowakisch auf einem gewissen Niveau bei beziehungsweise
ist, denn sie sei keine madjarische, sondern eine Mischpartei. könnte es noch besser vermitteln, wenn die madjarischen Kinder
Jedoch wird von den Menschen das slowakisch-madjarische Zu- das Slowakische von Grund auf lernen würden - genauso, wie
sammenleben vordergründig in ihrem Lebensumfeld, am Wohn- sie und auch die slowakischen Kinder Englisch und Deutsch ler-
ort, in den ethnisch gemischten Städten und Dörfern der Slowa- nen. Deshalb bitten madjarische Lehrer, Bildungsexperten und
kei erfahren. Laut Umfrage ist etwa die Hälfte der beliebtesten Eltern schon lange darum, dass man in den ungarischen Schu-
Personen, Freunde und Nachbarn Madjare. Unter den einfluss- (Fortsetzung auf Seite 24)
SoNNTAGSBLATT 23
len Slowakisch als Fremdsprache lernt, was deren Position als schen Nation – im Sinne einer Staatsnation. Deswegen beklagen
Amtssprache nicht gefährden würde. Denn gegenwärtig beginnt sich viele darüber, dass die slowakische Verfassung nicht klar
man auf einem Niveau, als würden die Kinder Slowakisch bereits und deutlich ausspricht, dass die Nationalitäten Teil der slowa-
können. Es ist so, als würde man einem Kleinkind ohne Deutsch- kischen Nation sind. Die Slowakeimadjaren, da sie Slowakisch
kenntnisse Deutsch beibringen wollen, als wäre es Deutscher. sprechen, werden nicht daran gehindert, den slowakischen Me-
dien und der Kultur zu folgen und diese zu kennen. Sie interes-
SB: In den letzten Monaten war ich mehrfach im ostslowa- sieren sich in erster Linie für ihre eigene Situation, was völlig nor-
kischen Kaschau. Einer meiner Gesprächspartner, eine Leh- mal ist. Zuletzt interessierten sich 60% der Befragten für Fragen
rerin slowakischer Nationalität, hat darüber berichtet, dass rund um die Slowakeimadjaren, 48% für Fragen rund um die Slo-
man in der Kaschauer Innenstadt die Kunden noch in den wakei und 40% für die, die Ungarn betreffen. Gleichzeitig ist es
1980er Jahren eher auf Ungarisch angesprochen habe. Ist interessant zu beobachten, dass ein Teil der Slowakeimadjaren
der ungarische Sprachgebrauch in den vergangenen drei- Minderwertigkeitskomplexe gegenüber den Madjaren/Ungarn in
ßig-vierzig Jahren weniger geworden und wenn, wie stark Ungarn haben, was sich dadurch offenbart, dass es zwar sehr
war dieser Rückgang (oder gibt es neue Schauplätze des viele erfolgreiche Slowakeimadjaren - sogar international erfolg-
Sprachgebrauchs) bzw. kann man regionale Unterschiede reiche - gibt, aber diese betrachten sie nicht als mit den erfolgrei-
feststellen? chen Madjaren/Ungarn in Ungarn gleichwertig. Als ob wir selbst
auch nur „zweitrangige” Madjaren wären! Das zeigt sich auch in
ZSL: Die statistischen Daten zeigen, dass in den von Madjaren den Umfragen. Die Slowakeimadjaren bewerten die Madjaren/
bewohnten Landkreisen und Gemeinden in der Südslowakei Ungarn in Ungarn viel positiver als sich selbst und das ist nicht
der Anteil der Slowaken kontinuerlich steigt. Dessen Folge ist nur ein Zeichen von Bescheidenheit. Deswegen hebe ich auf al-
das Zurückgehen des ungarischen Sprachgebrauchs. Nicht nur len Foren die erfolgreichen Madjaren hervor. Neuerdings halte
deshalb, weil die zugezogenen Slowaken slowakisch sprechen, ich Grundschülern Vorträge darüber, wie sie auch als Madjaren
sondern weil sich ein Teil der alteingesessenen Madjaren ihnen erfolgreich und wertvoll sein können.
anpasst und selbst auch eher slowakisch spricht, auch dort und
dann, wo und wann er auch ungarisch sprechen könnte, zum SB: In Ihrem Vorstellungsvideo aus den Jahren 2014/15, das
Beispiel im Geschäft, auf dem Amt oder sogar in der Familie. Ja,
man auf der Internetseite des Fórum-Instituts ansehen kann,
auch in den Familien, denn in diesem aufgeweichten Nationali-
sprechen Sie von dem schlechten Gesundheitszustand der
tätenmilieu ist die Wahrscheinlichkeit der Entstehung von (eth-
Slowakeimadjaren, als gewissermaßen ein nationalitätenbe-
nisch) gemischten Beziehungen größer und es kommt oft vor,
zogenes Spezifikum. Haben Sie in den vergangenen Jahren
dass in dem Moment, wenn ein Slowake auftaucht, die Madjaren
in diesem Themenbereich weitere Forschungen durchge-
sofort ins Slowakische wechseln, auch in dem Falle, wenn die-
führt?
ser Slowake Ungarisch versteht. Die Madjaren sind sehr tolerant:
81% von ihnen stört es gar nicht, wenn in der Familie jemand
eine andere Sprache spricht, 62% tolerieren es voll und ganz, ZSL: In der Tat zeigen die überregionalen Gesundheitsstatis-
wenn die Slowakeimadjaren slowakische Wörter beimischen. tiken, dass der Anteil der an Zivilisationskrankheiten verstor-
Dass es in der Südslowakei auf den öffentlichen Plätzen zwei- benen Frauen und Männer im erwerbsfähigen Alter in vielen
sprachige - slowakisch-ungarische - Aufschriften gibt, die wich- Landkreisen mit madjarischer Mehrheitsbevölkerung höher ist
tige Elemente des virtuellen Sprachgebrauchs sind, halten Drei- als der Landesdurchschnitt. Das haben slowakische Demo-
viertel von ihnen wichtig. grafen festgestellt. Natürlich kann man aus diesen Daten nicht
eindeutig den Schluss ziehen, dass dieser negative Trend den
SB: Für die ungarländischen Deutschen spielt Deutschland dort ansässigen Madjaren zu „verdanken” ist, aber ausschlie-
als Mutterland eine sehr geringe Rolle. Wie ist es im Falle ßen kann man das auch nicht. Eine Forschung, die sich auf die
der Slowakeimadjaren: Welche Rolle spielt Ungarn in (natio- Untersuchung dieses (möglichen) Zusammenhanges richtete,
nal)politischer, kultureller und wirtschaftlicher Hinsicht im konnte ich nicht durchführen, aber mit Lebensqualität und da-
Leben der Slowakeimadjaren? bei den gesundheitsschädigenden und -schützenden Faktoren
habe ich mich mehrfach beschäftigt. Die jüngsten Zahlen zeigen,
ZSL: In jeder Hinsicht eine große! Der Großteil der Slowakeima- dass 84% der Madjaren im Großen mit ihrem Leben zufrieden
djaren betrachtet sich als Teil der ungarischen Nation, ihre Na- sind. Subjektiv betrachten sich Dreiviertel als gesund, darunter
tionalität entspringt nach eigenem Empfinden der Muttersprache waren 31% schon seit längerem nicht mehr krank, 44% erkran-
und der eigenen Kultur, also in nationalpolitischer Hinsicht spielt ken ein-zweimal im Jahr; 8% sind öfters krank, aber haben keine
es eine sehr wichtige Rolle. Jedoch spüren es die Slowakeimad- schwerwiegenden Erkrankungen, 11% stehen unter ständiger
jaren auch, dass sie anders sind als die Madjaren im Mutterland Behandlung und 5% sind frühverrentet. Was schlecht ist: 30%
und die anderen Madjaren außerhalb der Landesgrenzen, was rauchen (EU-Durchschitt: 28%), unter ihnen 15% ständig oder
sich darin zeigt, dass sich 37% als Slowakeimadjaren, 27% als oft; im Übrigen rauchen die Madjaren häufiger und mehr als die
Oberlandmadjaren („felvidéki”, ehem. Oberungarn) und 31% als Slowaken. Nur 20% treiben regelmäßig Sport, d. h. täglich oder
Madjaren ohne jegliches Attribut betrachten. mehrmals in der Woche, so wie es die Weltgesundheitsorgani-
sation WHO empfiehlt; 80% bewegen sich nicht oder zu wenig.
Die ungarländische madjarische/ungarische Kultur ist Teil des
Lebens der Mehrheit der Slowakeimadjaren, denn sie verfolgen Im Übrigen könnten unsere schlechten statistischen Ergebnisse
das ungarische Fernsehen und andere Medien, lesen ungarisch- auch eine andere nationalitätenbezogene Facette haben. Unter
sprachige Zeitungen und Bücher, fahren auch aus kleineren Ort- den genannten Landkreisen gibt auch solche, in denen viele
schaften regelmäßig nach Ungarn ins Theater oder machen dort Roma leben und auch ihr Gesundheitszustand könnte zu den
einen Ausflug. Was den Bereich Wirtschaft anbelangt, habe ich negativen Trends beitragen. Und damit die Sache noch kompli-
neulich gelesen, dass in den vergangenen zwei Jahren 1521 Un- zierter wird, bekennt sich ein Teil der Roma zum Madjarentum.
ternehmer und 128 Kindergärten Finanzmittel aus ungarischen
Programmen erhielten, und daneben existieren ja noch andere SB: Wie erwähnt war ich vor kurzem in Kaschau, wo eini-
Fördermaßnahmen von unterschiedlichen kulturellen und Bil- ge vom kontinuerlichen Verschwinden des Mantakischen
dungsorganisationen, aber darüber kann ich wenig berichten, berichtet haben. Ich weiß nicht, inwiefern sie die Lage der
denn ich verfolge dieses Gebiet nicht. Karpatendeutschen, die ja zahlenmäßig eine viel kleinere
Minderheitengemeinschaft ist, beobachten.
Gleichzeitig fühlt sich ein Großteil der Slowakeimadjaren mit der
Slowakei eng verbunden und betrachtet sich als Teil der slowaki- ZSL: 2001 bekannten sich 5407 Menschen, 2011 4690 Men-
24 SoNNTAGSBLATT
schen zum Deutschtum. Die wichtigste Kulturorganisation der
Karpatendeutschen ist der „Karpatendeutsche Verein in der Slowakische Schule
Slowakei“, der sieben regionale Zentren hat. Seine einzige Zeit-
schrift ist das Monatsblatt „Karpatenblatt“. Sein Museum, das im madjarischen Dorf
„Karpatendeutsche Museum“, liegt unweit des Museums der Schulstreit in Rohovce/Nagyszarva offenbart Schicksals-
Kultur der Slowakeimadjaren (Szlovákiai Magyar Kultúra Múzeu- fragen der madjarischen Minderheit in der Slowakei
ma) in der Pressburger Altstadt. Er verfügt über zwei deutsch-
sprachige Kindergärten, der eine ist in Pressburg, der andere in Von Richard Guth
Käsmark. Es gibt sechs Ortschaften mit erweitertem Deutsch-
unterricht bzw. wo man Fächer in deutscher Sprache unterrich- Die Schnellstraße von Pressburg nach Niedermarkt (Dunajská
tet, falls Lehrkräfte zur Verfügung stehen. Unterricht in deutscher Streda/Dunaszerdahely) ist erst im Bau, aber die Konsequen-
Sprache erfolgt an der Deutschen Schule Pressburg (DSB) und zen spüren die Alteingesessenen der Großen Schüttinsel (Žitný
es gibt zwei bilinguale Gymnasien, das eine in Pressburg, das ostrov/Csallóköz) bereits jetzt. Denn die slowakischen Zuzügler
andere in Deutschendorf/Poprad. sind bereits da und stellen mittlerweile ein Fünftel der Bevölke-
rung der 1200 Seelen-Gemeinde. Im Mai sorgte eine Petition
Das Fórum-Institut beschäftigt sich primär zwar nicht mit der Er- von slowakischen Eltern für Diskussionen, die sich - es ging um
forschung der deutschen Minderheit, denn darauf konzentrieren zwei Familien, die von anderen slowakischen Familien der Um-
sich eher die bereits genannten Organisationen. Aber es ver- gebung unterstützt wurden - eine slowakische Schule wünsch-
sperrt sich dem auch nicht. Zum Beispiel hat das Fórum-Institut ten. Eine öffentliche Gemeinderatssitzung wurde einberufen, an
die Monografie „Nemci na Slovensku” (Deutsche in der Slowakei) deren Ende sich die Mitglieder des Gemeinderates einstimmig
von Magdaléna Horváthová herausgegeben. Der Historiker Attila gegen die Einrichtung slowakischer Klassen entschieden. Die
Simon hat sich mit den deutschen Parteien der Zwischenkriegs- slowakische Elterninitiative wies in einem Bericht auf dem Portal
zeit beschäftigt bzw. es finden Aufsätze, die sich der deutschen bumm.sk darauf hin, dass die nächstgelegene slowakische
Minderheit widmen - auch in unserer Zeitschrift „Fórum Kisebb- Grundschule in Sommerein/Šamorín aus Platzgründen keine
ségkutató Szemle”, die viermal im Jahr erscheint, ihren Platz. Schüler mehr aufnehmen könnte und die Schüler deswegen
nach Gabčikovo/Bős fahren müssten, was 45 Minuten entfernt
SB: Wie denkt man in der Slowakei über die Lage der ungar- liegt. Nach der Argumentation dieser Elterninitiative würden die
ländischen Slowaken? slowakischen Klassen die madjarischen Schulen stärken, die mit
Schülermangel kämpfen würden.
ZSL: Soviel ich weiß, beschäftigen sich die Menschen genau-
so wenig mit dieser Frage wie die Menschen in Ungarn mit der Wie das Portal korkep.sk in einem Bericht anmerkte, war sich
madjarischen Minderheit in der Slowakei. Es gibt sogar welche, wohl jeder sicher, dass die Geschichte damit nicht zu Ende
die gar nichts von unserer Existenz wissen. Diejenigen, die sich war. Denn die Stimme der Rohovcer Slowaken wurde auch in
irgendwie für die Lage der slowakischen Minderheit in Ungarn Pressburg erhört, Ministerpräsident Peter Pellegrini nahm sich
interessieren, setzen da an, dass es ja in der Slowakei so viele höchstpersönlich der Sache an. Im Dezember wurde von einem
Madjaren gäbe, während man die Slowaken in Ungarn madjari- Smer-Abgeordneten eine Gesetzesänderung eingebracht (Dass
siert hätte. Anträge von einem Wahlkreisabgeordneten eingebracht werden,
wird auch in Ungarn munter praktiziert, damit lassen sich Abstim-
SB: Lassen Sie uns zum Schluss in die Zukunft blicken: Wel- mungsrunden mit den Betroffenen vermeiden. In Deutschland ist
che Zukunft erwartet die Slowakeimadjaren? das weitgehend unüblich, im Bundesland Sachsen dürfen nur
Fraktionen oder mindestens sieben Abgeordnete einen Antrag
ZSL: Die Zukunft der Slowakeimadjaren ist in vielerlei Hinsicht einbringen.), die die slowakeimadjarische Presse kritisch bewer-
mit der der Slowakei verbunden, denn hier leben wir, es ist unser tet, obwohl einer der madjarischen Koalitionsabgeordneten von
Vaterland. Und was uns die Zukunft bringt? Kann ich nicht vo- der Partei Most-Híd, Péter Vörös, der übrigens für die Vorlage
raussagen. Eins ist klar: Trotz Klagen lebte es sich in der Slo- stimmte, diese als eine Chance für die madjarischen Zwerg-
wakei noch nie so gut wie gegenwärtig; dies gilt auch für die schulen sieht. In der Tat wurde die Mindestschülerzahl bei der
Madjaren, obwohl es ja, wie auch anderswo, regionale Unter- Einrichtung von Klassenzügen oder gar Gründung von Schulen
abgeschafft, dennoch ist man madjarischerseits der Meinung,
schiede gibt. Eine andere Frage ist, ob die Slowakeimadjaren
dass das nicht den ungarischen Schulen nützen werde. Das
eine Zukunft haben. In der besagten Studie sagten 95%, dass
modifizierte Bildungsgesetz schreibt die Gründung von Schulbe-
wir unser Madjarentum bewahren sollen. 87% meinten, dass der
zirken (die Trägerschaft von Schulen ist in der Slowakei Sache
Staat die nationalen Minderheiten darin unterstützen sollte, dass
der Kommunen) vor und sollten sich die betroffenen Kommunen
diese ihre nationale Identität bewahren.
nicht einigen können, dann würden Schulbezirke von den Be-
zirksregierungen festgelegt. Das größte slowakeimadjarische
Und auf wen kommt es beim Fortbestand der Madjaren in der
Presseorgan „Új Szó” spricht in diesem Zusammenhang von
Slowakei an? Nach den Befragten: auf den jeweiligen slowaki-
„slowakischer Schule auf Befehl”. Als problematisch sieht der
schen Staat (4,5%), die MKP (1,7%) und die Most-Híd (0,3%).
von „Új Szó” befragte Jurist János Fiala-Butora die Regelung an,
92% meinten, dass es auf die Madjaren selbst ankomme, d. h.
dass der Staat für die Unterhaltung neu einzurichtender Klassen
Schlüssel des Fortbestands ist das Individuum.
keine zusätzlichen Mittel bereitstellt. So könnte es laut diesem
Experten vorkommen, dass die Bezirksregierung die betroffene
Auf die Frage jedoch, was man zum Fortbestand der Slowakei-
Kommune zwingt, eine Klasse sogar mit vier Schülern zu eröff-
madjaren beitragen könnte, gab es viel verhaltenere Reaktionen:
nen, aber eben ohne zusätzliche Mittel. Ein befragter Schulleiter
43% sagten, dass sie in der Lage wären, einen Beitrag zu leis-
bestätigte, dass die Schulen in der Slowakei mit Klassenstärken
ten und zwar mit konkreten Dingen. Die Mehrheit jedoch äußerte
von mindestens zwanzig Schülern rentabel zu betreiben seien.
sich ziemlich unverbindlich - und das, obwohl ohne einen aktiven
Auch eine Vertreterin der oppositionellen Partei der Madjarischen
Beitrag der Betroffenen nichts funktionieren kann.
Koalition (MKP), Beáta Kiss, äußerte sich gegenüber dem Portal
parameter.sk kritisch und spricht von „staatlicher Arroganz”. Da-
SB: Frau Dr. Lampl, vielen Dank für das Interview!
rüber hinaus sagte Fiala-Butora, dass die Neuregelung gerade
solchen Gemeinschaften zugutekomme, die sich neu gebildet
Das Interview führte Richard Guth.
haben und über keine politische Vertretung in den kommunalen
(Fortsetzung auf Seite 26)
SoNNTAGSBLATT 25
Selbstverwaltungsorganen verfügten, aber schulpflichtige Kinder Unternehmen Frimo, das auch heute noch in Moor ansässig ist
hätten so wie die Eltern in Rohovce. Die Neuregelung, so der und 300 Mitarbeiter beschäftigt, und den Familienbetrieb im Be-
Jurist, bringe kaum Vorteile (eine Zusammenarbeit der Kommu- reich Gastgewerbe, der in den letzten Jahren eine enorme Ent-
nen im Bildungsmanagement sei auch vorher möglich gewesen), wicklung hinter sich gebracht hat. Seit dem Tod des Ehemannes
aber würde andere Probleme, wie das der Schulbusse weiterhin ist die Familie hauptsächlich in der Gastronomie tätig.
nicht lösen.
Gemeint war hier ein Programm der Regierung, Schüler aus Dör-
fern ohne eigene Schule in ferner gelegene Schulstandorte zu
transportieren. Das Pilotprojekt, das vor anderthalb Jahren ge-
startet wurde, wird von der Presse und der madjarischen Ge-
meinschaft ebenfalls kritisch begleitet. Der erste Bus, den unter
anderem Verkehrsminister Árpád Érsek (Most-Híd) übergab,
brachte Kinder aus den madjarischen Dörfern Dobrohošť/Do-
borgaz und Vojka nad Dunajom/Vajka in die slowakische Schu-
le von Karlburg/Rusovce, heute ein Ortsteil der slowakischen
Hauptstadt, während madjarische Schüler mit öffentlichen Ver-
kehrsmitteln die ungarische Schule in Gabčíkovo/Bős ansteuern
müssten. Das Portal „Körkép“ veröffentlichte den Meinungsartikel
einer slowakeimadjarischen Mutter, die auf die mögliche Trag-
weite der Eröffnung von slowakischen Schulen in überwiegend
von Madjaren bewohnten Ortschaften, in den es vorher nur eine
ungarischsprachige Schule gab, hin: „Es ist leider Gottes eine Elisabeth Möllmann
Erfahrung, dass wenn man zwischen der ungarischen und slo-
wakischen Schule wählen kann, nicht wenige madjarische Eltern Angefangen hat alles, als die Eheleute Möllmann ein herunter-
dem Spruch Glauben schenken, dass „das Kind mit der slowa- gekommenes Schwabenhaus in der ersten Straße, die in der An-
kischen besser fährt“.“ Auch andere Kommentatoren befürchten siedlungszeit besiedelt wurde, erwarben und originalgetreu reno-
gravierende Auswirkungen auf die madjarische Schullandschaft vieren ließen. Eigentlich wollten sie, so Elisabeth Möllmann, eine
und bringen konkrete Beispiele, bei denen die Eröffnung slowa- Wohnstätte für die Familie und Unterkunftsmöglichkeiten für die
kischer Klassenzüge auf Kosten der ungarischen geschehen sei. Geschäftspartner schaffen – aus den anfänglichen acht Zimmern
Die Vertreter der Elterninitiative in Rohovce begrüßten natürlich des Gasthofs zur Alten Weinpresse wurden im Laufe der Zeit 32,
die Neuregelung und betonen, dass es wichtig sei, dass jedes indem die Möllmanns nebenstehende Höfe aufkauften. Hinzuge-
Kind in seiner Muttersprache lernen kann. „Dass die Kinder slo- kommen ist ein Restaurant mit schwäbischen Spezialitäten: „Das
wakischer und madjarischer Natonalität in demselben Gebäude hat hier damals kein Mensch gemacht”, erinnert sich die Unter-
lernen werden, wird zur Entstehung guter Beziehungen beitra- nehmerin. 2000 wurde der Reiterhof mit Reithalle gegründet, mit
gen“, meinte Slávka Brontvajová, Mitglied der Elterninitiative. 30 Boxen, die man heute vermiete. Versorgt würden die Tiere mit
Futter, was auf den Feldern, die die Familie infolge der Wieder-
gutmachung zurückerstattet bekam bzw. erwerben konnte, an-
Sonntagsblatt und Wirtschaft s gebaut werde. Das Wellness Hotel „Hétkúti” eröffnete 2004 seine
Toren – ein besonderes Augenmerk möge der Besucher auf die
Wandmalerei der Außenfassade richten, so Möllmann, die als Er-
innerung an die ersten sieben Schwabenfamilien, die 1690 nach
Moor kamen, von der Familie in Auftrag gegeben wurde. Ein
Ungarndeutsche Unternehmen/r im Nachfahre dieser sieben Familien ist der im vergangenen Jahr
verstorbene Wendelin Schindele, der nach Worten von Elisabeth
Portrait: Elisabeth Möllmann Möllmann besondere Verdienste bei der Ansiedlung deutscher
Firmen nach der Wende erworben habe. Ein besonderes Unikat
Von Richard Guth des Familienunternehmens stellt die Galloway-Farm dar; die von
der Familie Möllmann nostrifizierten Galloway-Rinder leben auf
Elisabeth Möllmann, wohnhaft in Moor. Der Name, der mir im einem 60 Hektar großen Gelände in freier Wildbahn. Das ver-
Facebook zufällig begegnete, machte mich stutzig. Eine Bundes- arbeitete Fleisch der Tiere wird für das Restaurant bereitgestellt.
deutsche, die sich in Moor/Mór niedergelassen hat (zumal mir
der Familienname als Moorer Name nicht geläufig war)?! Oder Das Familienunternehmen beschäftigt mittlerweile 50-55 Mitar-
doch eine Schwäbin, die sich der „alten Gewohnheit” widersetzt beiter („wir sind groß geworden”) und erzielt einen Jahresumsatz
und in der Öffentlichkeit ihren deutschen Vornamen trägt (was von 400 Millionen Forint (1,25 Millionen Euro). Es gäbe für jedes
uns seit der Wende auch offiziell erlaubt ist)?! Ressort verantwortliche Mitarbeiter. Sorgen würden der Unter-
nehmerin der Arbeitskräftemangel und der Druck aufgrund des
Wie ich im Gespräch mit Elisabeth Möllmann erfahren habe, liegt deutlich höheren Lohnniveaus im westeuropäischen Ausland be-
die Wahrheit in der Mitte: Elisabeth Möllmann ist als Elisabeth reiten – die Arbeitnehmer würden sich an westeuropäischen Ge-
Stahl im nahe gelegenen Pußtawam/Pusztavám geboren und hältern orientieren, was sich nach Elisabeth Möllmann in Ungarn
wuchs bis zu ihrem 23. Lebensjahr in Ungarn auf. „Man nannte aufgrund der geringeren Kaufkraft immer noch kaum erwirtschaf-
mich schon in der Kindheit Elisabeth, wir sind ja Deutsche und ten ließe. Die Kundschaft sei zudem preissensibel, man feilsche
sprachen zu Hause in Pußtawam auch deutsch. In Deutschland oft um 500 Forint (1,50 Euro), so Möllmann. Als weitere Schwie-
nannte man mich ebenfalls Elisabeth”, so die Unternehmerin. Als rigkeit erweise sich die immer geringere Bereitschaft junger Leu-
Personalabteilungsmitarbeiterin bei der Firma Ikarus Pußtawam te, die im Gastgewerbe üblichen Einsatzzeiten zu akzeptieren.
hat sie ihren späteren Mann Günter aus Lotte bei Osnabrück Früher hätte es in Moor viele gegeben, die Deutsch sprachen,
kennen gelernt, der zusammen mit dem legendären Industrie- mittlerweile dominiere das Englische, Deutsch würden die Arbeit-
unternehmen Ikarus ein Gemeinschaftsunternehmen gründete. nehmer nur noch als Zweit- oder Drittsprache sprechen. Darüber
Es folgten 18 Jahre Deutschlandaufenthalt, ehe kurz nach der hinaus „sind sie schockiert, wenn man die Sprache verwenden
Wende die Familie teilweise nach Ungarn zog. Dabei hatte sie muss”. Nach Möllmann sollte man an den Schulen den Schwer-
nach Erzählungen der Unternehmerin mehrere Standbeine: Das punkt anstelle des Grammatikunterrichts auf die Kommunikation
26 SoNNTAGSBLATT
legen. Auch in der Kundschaft des Hotelbetriebs hätten sich in „Passt es wirklich in Ihr Blatt?”
den letzten Jahren, Jahrzehnten Veränderungen vollzogen: Heu-
te spricht man von einer gemischten Kundschaft, nicht zuletzt An Richard Guth war die Frage gerichtet, nachdem er mich ge-
aufgrund der veränderten Eignerstruktur der Moorer deutschen beten hat über das Thema „Ungarndeutschtum” zu schreiben.
Firmen, die globaler aufgestellt sind als noch vor 15-20 Jahren. (Grund dafür waren - während einer Studienreise - einige kri-
Auf die Kundenwünsche versuche man flexibel und schnell zu tische Bemerkungen zum Thema Muttersprache, Gründe des
reagieren, auch als Konsequenz veränderten Buchungsverhal- Sprachverlustes, Deutschunterricht etc. Auf seine Ja-Antwort
tens: „Früher erreichten uns in der Woche hundert Briefe, heute kommt jetzt eine etwas längere Erörterung. Eine durchschnitt-
tausende E-Mails und Anfragen. Wir sind natürlich auf allen Bu- liche Geschichte einer “Monarchiefamilie“ aus der Region des
chungsportalen präsent.” Im Falle der Konkurrenz, die Elisabeth Banats und der Werdegang einer „ungarndeutschen“ Familie aus
Möllmann „Mitstreiter” nennt, bemühe sie sich um gute Kontakte, dem heutigen Komitat Bekesch im 20. Jahrhundert - als Vorge-
so auch mit dem aus der Schweiz heimgekehrten Paul Molnár, schichte meiner eigenen.
der gerade einen 130 Hektar großen Weinbesitz aufbaut. „Das
ist die Rettung für den Moorer Weinbau”, so die Einschätzung Die mehrsprachigen Urgroßeltern
von Möllmann. Mit ihrer zweisprachig aufgewachsenen Tochter
Esther und ihrem Schwiegersohn Csaba, die gerade ein Kind Als vor Jahren die Esszimmergarnitur meiner Großmutter in
bekommen haben, scheint die Zukunft des Familienbetriebs ge- unserem Haus Platz fand, dachte ich nur an die Vorteile des
sichert zu sein. großen, praktischen Tisches. Für heute wurden mir diese Gar-
nitur und ein altdeutsches Sofa ein „symbolischer Rahmen” für
unsere Familiengeschichte. Das Esszimmer stammt nämlich aus
Elisabeth Möllmann engagiert sich aber nicht nur im unterneh- Nagybecskerek/Großbetschkerek/Zrenjanin im Banat/Vojvodina
merischen Sinne: Ihr liegt nach eigenem Bekunden sehr viel an (heute Serbien), wo die Wurzeln meiner Mutter - mütterlicher-
der Förderung der deutschen Sprache und Kultur im Landkreis seits - zu finden sind, das Sofa aus Elek (früher am Rande des
Moor: Sie hat in den vergangenen Jahren zahlreiche Program- Banats, heute Ungarn, Komitat Bekesch), woher mein Vater
me organisiert und alte Traditionen wiederbelebt: So auch den stammt. Auch zwei große Porträts ergänzen den Raum: von
Weiberfasching am 11. 11. (um 11:11), den viele von uns nur Wenzel Hruschka (geb. 1851, Horní Bucice/Oberbutschitz - Böh-
noch aus den rheinischen Karnevalshochburgen Düsseldorf, men) und Laura Wichtner (geb. 1853, Pétervárad/Peterwardein
Köln und Mainz kennen. Er war auch in der Moorer Gegend bei Neusatz, Vojvodina). In Großbetschkerek sprach die Familie
Tradition, wahrscheinlich brachten die Ahnen diese Fasnet-Tra- deutsch, aber der Vater Wenzel Hruschka – als Unternehmer und
dition aus der alten schwäbischen Heimat mit – denn an die- Mühlenbesitzer - beherrschte fünf Sprachen. Die Mutter, Lau-
sem Tag durften Frauen den Weinkeller betreten, was an den ra Wichtner, konnte nur Deutsch, Beweis dafür sind die an sie
restlichen Tagen nur Männern vorbehalten war. Darüber hinaus geschriebenen Briefe. Als Folge des Ersten Weltkrieges verlor
hat Elisabeth Möllmann die Veröffentlichung der Ortschronik von Wenzel Hruschka sein Vermögen, nach der Grenzziehung von
Alois Schwartz unterstützt und ist unter anderem als Vorsitzen- Trianon fiel seine Mühle auf die rumänische Seite. In den letzten
de des Deutschen Nationalitätenchores von Pußtawam tätig. Lebensjahren, Ende der 1930er Jahre, fand das Ehepaar bei der
Dabei beobachtet sie, wie schwierig es geworden sei, Leute zu jüngsten Tochter in Kétegyháza/Ungarn Obdach. Sie haben hier
mobilisieren und sie dazu zu motivieren Verantwortung zu über- auch ihre letzte Ruhestätte gefunden.
nehmen. Die Älteren wollten nicht mehr, unter den Jüngeren
gäbe es welche, die sich, zum Beispiel in der Pußtawamer Tanz- Die Geschichte der Vorfahren in Elek ist einbahnig: 1724 kamen
gruppe, engagierten und sagen würden: „Es wäre gut, wenn es die ersten Ansiedler - nach der 150-jährigen Türkenherrschaft
einen Ort gäbe, wo man nur deutsch sprechen würde.” Diese – hier, in einer verödeten Gegend an; viele aus Gerolzhofen/
Jugendlichen nennt Elisabeth Möllmann „Fackelträger”. Auf der Unterfranken, darunter die Ahnen der Großmutter meines Vaters
anderen Seite gebe es viele, die sich völlig abschotten würden (Theresia Zielbauer 1864-1948, Elek). Alle seine Vorfahren sind
und nichts mit dem Deutschtum zu tun haben wollten, obwohl aus der „Eleker Sippe“; hier geboren und gestorben.
ihre deutsche Herkunft mehr als deutlich ist. Erfreulich findet die
Unternehmerin, dass in ihrem Heimatort sowohl Kindergarten als Der größte Teil der Bewohner von Elek hat „ihre deutsche Mutter-
auch Grundschule von der örtlichen deutschen Selbstverwaltung sprache“ - besser gesagt ihren bayrisch-fränkischen Dialekt - bis
getragen werden: „Dort fängt es an”, resümiert sie. 1946 behalten. Da wurden 90% der Einwohner vertrieben. Mehr-
sprachigkeit war schon im 19. Jahrhundert in Elek vorhanden;
unter den Dienstpersonen waren nämlich viele Rumänen und
„Ich bin Ungarin mit einer - sowohl geographisch als auch his- Und wenn sich heutzutage die Großfamilie um den oben erwähn-
torisch und sprachlich – verzweigten Geschichte der Vorfahren. ten großen Esstisch versammelt, ist die für meine Urgroßeltern
Durch das Germanistikstudium, durch Verwandte und Freunde typische Mehrsprachigkeit in der vierten und fünften Generation
in beiden Teilen von Deutschland (vor der Wende), durch die wieder vorhanden. Deutsch ist dabei stark vertreten.
Tätigkeit als Reiseleiterin und Dolmetscherin in der Studenten-
zeit, durch eine vielseitige Arbeit als Deutschlehrerin, durch das Deutschkenntnisse der Nachkriegsgeneration, mein Werde-
Pflegen des väterlichen Nachlasses zum Thema „Eleker Deut- gang
sche“, durch das „Liebgewonnen“ der deutschen Sprache und
Kultur habe ich angefangen nach meinen Wurzeln zu suchen. Ich bin in Elek geboren, bis zum Abschließen des örtlichen Gym-
Dazu kommt jetzt auch eine Erinnerungs- und Forschungsarbeit nasiums hier zur Schule gegangen. Meine Tage/Jahre – beson-
in meinem Heimatort. Es ist jedenfalls keine einseitige, nur das ders als Kleinkind – vergingen in der Achse Elek-Kétegyháza,
Deutschtum betonende Identität, die ich „gefunden habe“. (Fortsetzung auf Seite 28)
SoNNTAGSBLATT 27
wo die Eltern meiner Mutter lebten und immer Zeit für uns Kinder Und ob es eine Doppelidentität gibt? Im Falle meiner Enkelkinder
hatten. Die väterlichen, also die Eleker Großeltern sind leider früh sicher schon: Sie leben im größten Teil des Jahres in Österreich,
verstorben. Sprachkenntnisse? Meine Eltern waren Lehrer, wir und wenn sie in Ungarn sind, möchten sie nicht deutsch spre-
haben zu Hause ungarisch gesprochen, die Sprache der Mutter. chen – jedenfalls nicht mit mir. Und ich bemühe mich jetzt ihnen
Deutsch ist aber auch in den Familien verschwunden, wo es bei- das Ungarische auch in Schrift beizubringen.
de Elternteile beherrschten. Zwischen 1944-46, in den 1950er,
60er Jahren mussten die Eleker Deutsche so viel Leid und De- Erinnerungs- und Forschungsarbeit in meinem Heimatort
mütigung erleiden, dass sie die Angst verstummen ließ. An einen
Spruch kann ich mich doch erinnern. Mit ca. drei Jahren wurde er Als ich angefangen habe den Nachlass von meinem Vater Ge-
mir „schwowisch“ beigebracht um dem Großvater Florian Mester/ org Mester/Mahler zu verarbeiten, habe zuerst nur an die Er-
Mahler zum Namenstag zu gratulieren: gänzung/Fortsetzung seiner Arbeit in der Ethnographie gedacht
bzw. Corpus zur Aufarbeitung des Eleker Dialekts gesammelt.
„Wintschi, wintschi, waz nid was, kreift nei säkala, ked mi was“ – Aber in den Unterlagen fand ich Dokumente, die helfen, die lan-
Ich habe wohl nicht gewusst, was es bedeutet. ge verschwiegenen Geschehnisse in den 1940er Jahren in Elek
an Tageslicht bringen zu können - im Zusammenhang der Ver-
Die zwei-drei Wochenstunden Deutsch im Gymnasium haben antwortung der Großmächte, der Landesregierung und der ört-
zum Erlernen der Sprache natürlich nicht gereicht; Brieffreund- lichen Amtsinhaber. Nun habe ich angefangen auch in Archiven
schaften, gegenseitige Besuche halfen viel und bedeuteten die zu recherchieren.
Möglichkeit „die Welt kennen zu lernen“. Im Sommer 1966 hatte
ich zwei „große Reisen“: Mit der Mutter haben wir einen Monat 70 Jahre wurde nicht nur öffentlich, sondern auch in den meis-
in West-Deutschland bei den Cousins und Kusinen meines Va- ten Familien über die tragischen Geschehnisse dieser Zeit nicht
ters verbracht. Wegen seiner Teilnahme an den revolutionären gesprochen, die deutsche Herkunft wurde von vielen abgelehnt.
Geschehnissen in Elek hat er selbst die Genehmigung nicht Kein Wunder, dass im Ort nur wenig Leute noch Deutsch kön-
bekommen in den „Westen“ zu fahren. In die DDR / nach Ost- nen, noch schlimmer, wenn sich viele mit ihrer Familiengeschich-
deutschland durfte er doch eine Gruppe von Gymnasialschülern te überhaupt nicht auseinandersetzen wollen. Zum Anlass der
begleiten. An diesem Schüleraustausch nahm ich auch teil. Die Gedenkjahre der Verschleppung und Vertreibung wurden Inter-
Unterschiede im geteilten Deutschland sind mir bis heute in Erin- views gemacht – nicht nur von mir; SchülerÍnnnen des Deut-
nerung. Deutschkenntnisse brauchte ich um einen Studienplatz schen Nationalitätengymnasiums sind sogar aus Budapest mit
an der Universität in Segedin bekommen zu können. dem Ziel nach Elek gefahren, um Mitleidende der Verschleppung
und Vertreibung kennen zu lernen. Sie haben zum Beispiel einen
Auf die Frage „Was die Welt im Innersten zusammenhält…” (mit alten Herrn getroffen, der mit sieben Jahren mit den Großeltern
16-18 habe ich es mir natürlich anders formuliert) dachte ich in nach Deutschland vertrieben wurde, während seine Eltern in der
der Literatur eine Antwort zu bekommen, so wählte ich die Fä- Ukraine als Zwangsarbeiter schufteten.
cher Ungarisch-Deutsch. Das Germanistikstudium war am An-
fang eine Qual für mich. Mein Deutsch aufzubessern half ein Es ist auch erfreulich, dass immer mehr alte deutsche Bräuche
Stipendium; 1971 konnte ich zwei Monate in Berlin verbringen. in Elek wiederbelebt werden, dass viele an Studienreisen teil-
Natürlich im Osten, der andere Teil kam zu dieser Zeit gar nicht in nehmen können um andere Orte mit deutscher Vorgeschichte
Frage. Die Stadt (besonders seitdem es wieder vereint ist) mag kennen zu lernen. Nur durch positive Erlebnisse können die im-
ich bis heute. Humboldt-Universität – Staatsbibliotek, wo man im mer noch vorhandenen Vorurteile abgebaut werden, und für die
Lesesaal sogar Böll lesen konnte, Theater – Kinos – Faschings- Sprache / den Sprachunterricht ist es auch ein Gewinn. Durch
zeit - „Spar mit der Energie”-Verdunkelung, demzufolge ragte das interessante Programme, Vorträge, Bücher die Vergangenheit
voll beleuchtete Axel-Springer-Haus aus der Dunkelheit noch und die Gegenwart der Ungarndeutschen populär machen,
mehr heraus, grundsätzliche Jugenderlebnisse mit Freundscha- zum Deutschlernen motivieren – das ist meine Welt. Auch wenn
fen, die bis heute lebendig sind. Anschließend konnte ich einen Deutsch nicht meine Muttersprache ist.
Kurs als Reiseleiterin machen und weil ich parallel zum Studium
viel gearbeitet habe, nicht nur als Begleiterin von Reisegruppen,
s
sondern auch als Dolmetscherin, ist mein Deutsch fast akzentfrei
geworden, und ab dann hat auch das Studium Spaß gemacht. JBG-Nachrichten
Wegen der Nachfrage als Deutschlehrerin habe ich kaum Un-
garisch unterrichtet; dafür aber Deutsch auf allen Niveaustufen: Kranzniederlegung
vom Kindergarten- bis zum Rentneralter, in Sprachschulen, pri-
vat, aber hauptberuflich in einem renommierten Gymnasium in am Grabe Jakob Bleyers
Budapest. Und so konnte ich leider auch miterleben, wie Deutsch
als Fremdsprache immer mehr an die zweite Stelle nach dem Von Patrik Schwarz-Kiefer
Englischen gelangte. Parallel dazu kamen immer mehr Stipen-
diaten aus Deutschland mit der Erfahrung zurück, dass sie wäh-
rend ihres Aufenthalts mehr Englisch als Deutsch üben konnten.
Und an den Arbeitsplätzen ging/geht es ähnlich.
28 SoNNTAGSBLATT
Zahl der Teilnehmer war leider auch heuer klein, obwohl unter - Die Einnahmen betrugen insgesamt 5.250.590,- Ft (davon
anderen alle deutschen Selbstverwaltungen der Hauptstadt ein- 57 % Bewerbungsgelder) und die Ausgaben 5.224.977,- Ft. Die
geladen wurden. Bilanz des Jahres: ein Überschuss von 25.613,- Ft
Zu Beginn der Veranstaltung erklang die in diesem Jahr 100 Jah- Nach dem Bericht gab es Wortmeldungen. Diese bezogen sich
re alt gewordene Hymne der Ungarndeutschen, im Anschluss auf die Tätigkeit der Sonntagsblatt-Redaktion, die Lage der deut-
daran hat Vorstandsmitglied Patrik Schwarcz-Kiefer über Bleyers
schen Minderheit in Ungarn und die Zusammenarbeit mit der
Erbe und Vermächtnis gesprochen. Im Mittelpunkt seiner Rede
stand die Fragestellung, was Jakob Bleyer zur heutigen Situa- LdU. Nach einer Pause hat der Vorsitzende des Vereins über die
tion der deutschen Volksgruppe in Ungarn sagen würde. Es ist Pläne des Jahres 2019 gesprochen. Wir haben diesmal vier Be-
sicher, dass er damit nicht zufrieden wäre und es versteht sich werbungen beim Staatlichen Fondverwalter „Gábor Bethlen“ ein-
von selbst, dass er Hand in Hand mit jedem, der für das Wohl gereicht: für Betriebskosten, für das Sonntagsblatt, für Program-
des Ungarndeutschtums arbeiten will, alles für eine bessere und me und für ein SB-Magazin. Weiter sind für 2019 Lesertreffen u.
prosperierende Zukunft tun würde. a. in Baaje und Ödenburg, Tagungen und eine Studienfahrt nach
Siebenbürgen (Königsboden) geplant.
Am Ende wurden von der JBG, dem Deutschen Kulturverein Wu-
dersch und dem Kulturverein von Wetschesch Kränze niederge-
legt.
Die JBG bleibt den Bleyerschen Ideen weiterhin treu und tut alles
Nachruf s
für die Verbesserung der gegenwärtigen Situation der deutschen
Minderheit in Ungarn.
Ein Leben im Dienste Gottes,
der Kirche und des Volkes
Zum Gedenken an Pfr. Peter Zillich, Studiendirektor a. D.
Geistlicher Beirat im St. Gerhards-Werk Stuttgart
Vollversammlung der
Jakob Bleyer Gemeinschaft e. V. Nach langer Krankheit ist am 13. Februar 2019 Pfr. Peter Zil-
lich, Bischöflicher Beauftragter für die Heimatvertriebenen in der
Von Dr. Georg Kramm Diözese Regensburg, Sprecher der Priester und Gläubigen aus
der Volksgruppe der Donauschwaben, Geistlicher Beirat im St.
Die Jahreshautpversammlung der JBG für das Jahr 2018 fand Gerhards-Werk Stuttgart, im Herrn mit 61 Jahren entschlafen.
am 2. Februar 2019 im Heimatmuseum Wudersch/Budaörs statt.
Die Sitzung wurde von Prof. Nelu B. Ebinger geleitet. Nach der Als eine seiner wichtigsten Aufgabe war es den entwurzelten Do-
Begrüßung hörten die Anwesenden den Tätigkeits- und Finanz- nauschwaben eine geistige Heimat zu bieten.
bericht von Dr. - Ing. Georg Kramm, dem Vorsitzenden des Ver-
eins, an. Er berichtete über folgende Aktivitäten: Nach der Ankunft von Peter Zillich aus dem Banat/RO in
Deutschland nahm ihn der langjährige Vorsitzende des St. Ger-
1. Jubiläumsjahr 2018. Der Verein feierte am 22. 09. 2018 sein hards-Werk in Stuttgart, Franz Wesinger, in seine Obhut und be-
25. Jubiläum im Stadtarchiv der Hauptstadt Budapest im Rah- reitete ihm den Weg zusammen mit dem damaligen Kardinal Jo-
men einer Konferenz. sef Ratzinger in München zur Fortsetzung des Priesterstudiums
in Regensburg. Peter Zillich erhielt die Priesterweihe am 30. Juni
2. Sonntagsblatt. Das Vereinsblatt war im Jahr 2018 viermal er-
1984 durch Bischof Manfred Müller in Regensburg.
schienen.
Als Seelsorger der Donauschwaben, also der Deutschen aus
3. Sonntagsblatt-Lesertreffen. Um unsere Leser näher kennen
Ungarn, aus dem ehemaligen Jugoslawien und dem Banat/Ru-
zu lernen, haben wir erneut begonnen solche Lesertreffen zu or-
mänien, hat er bei Vertriebenen Wallfahrten in Altötting, Spai-
ganisieren: im vergangenen Jahr im Lenau-Haus in Fünfkirchen,
in Budapest (Josefstadt) und in Wudersch. chingen, Speyer/am Rhein, Ludwigshafen, am Schönenberg bei
Ellwangen, Maria Lourd, Maria Zell, Maria Radna, Vierzehnhei-
4. Reise nach Tscheb. Tscheb in Serbien ist der Geburtsort von ligen, Bad Niedernau, in Kanada, Amerika, aber auch in Entre
Jakob Bleyer. Im Rahmen einer dreitägigen Reise haben wir au- Rios Brasilien sowie bei vielen Klassentreffen, Heimattreffen und
ßer der Gemeinde Tscheb auch Neusatz, Sombor und Gakowo Kirchweihfesten mit Predigten, mit seinem Akkordeon, seinen
aufgesucht. Liedern, Gottesdiensten Menschen Mut zugesprochen und den
Glauben in ihren Herzen gefestigt. In den Sprachen Deutsch,
5. Kontakte zur LdU. Der Verein hat entschieden mit der Lan- Ungarisch, Rumänisch, Englisch und Latein mehrte er in uns,
desselbstverwaltung der Ungarndeutschen näher zusammen- Menschen den römisch-katholischen Glauben.
(Fortsetzung auf Seite 30)
arbeiten zu wollen. Diesbezüglich hat man die ersten Schritte,
durch Kontaktaufnahme zur neugewählten Vorsitzenden der
LdU, Olivia Schubert, getan.
Folgen Sie dem
6. Historikerkonferenz in Wudersch. Die JBG wirkte bei der
Organisation und Abwicklung mit. Sonntagsblatt und der
9. Aktivitäten im Internet. Schauplätze waren unter anderen die JBG auch auf Facebook:
Heimseite und das Facebook. Dabei erreicht unsere Plattform im
Facebook immer mehr Leser – und dadurch oft auch eine andere
Zielgruppe als das Printprodukt.
SoNNTAGSBLATT 29
Bei seinem 25-jährigem Priesterjubiläum im Juni 2009 sagte Pfr. Erni, Peter Ofenpest/Budapest 2.000,- Ft
Peter Zillich: „Verehrte Gäste, verehrte Freunde, ein herzliches
Dankeschön und Vergelts` Gott allen, die heute mit mir gedankt, Fuchs, Philipp Balatonfüred 3.000,- Ft
gebetet, gesungen, organisiert, dazu beigetragen haben, dass Frau Fetter/Fetter, Werischwar/
das Lob Gottes und die menschlichen Verbindungen zueinander 2.000,- Ft
Lőrincné Pilisvörösvár
gestärkt wurden!“
Folk, Georg Ofenpest/Budapest 5.000,- Ft
Papst Benedikt XVI. beschreibt unsere Würde so: „Jeder ist ge- Firle, Ernst Mutsching/Mucsi 3.500,- Ft
wollt, jeder ist geliebt, jeder ist gebraucht.“ Und L. Zenetti ermu-
Frühwirth, Michael Wetschesch/Vecsés 5.000,- Ft
tigt uns: „Menschen, die aus der Hoffnung leben, sehen weiter.
Menschen, die aus der Liebe leben, sehen tiefer. Menschen, die Großturwall/Török-
Gauland, Josef 1.500,- Ft
aus dem Glauben leben, sehen alles in einem anderen Licht. bálint
Leben wir grenzenloses Gottvertrauen!“ Hilcz, Adam Kokersch/Kakasd 3.000,- Ft
Im Juni 2019 wäre sein 35-jähriges Priesterjubiläum geworden. Hirling, Andreas Dr. Waitzen/Vác 3.000,- Ft
Hönig, Klara Fünfkirchen/Pécs 3.000,- Ft
Nicht nur durch Worte, sondern durch Taten und zuletzt durch
einen langen Leidensweg hat er uns ein Beispiel unerschütter- Hart, Stefan Ofenpest/Budapest 10.000,- Ft
lichen Glaubens und der Christusnachfolge gegeben. Was er in Simmartin/Sziget-
Hock, Rudolf 10.000,- Ft
seinem Leben geglaubt, gepredigt, ersehnt und erhofft hat, möge szentmárton
ihm in Gottes Herrlichkeit zuteilwerden. „In seinem Licht schauen Horváth, Sándor Dr. Fünfkirchen/Pécs 2.000,- Ft
wir das Licht“, dieses Bibelwort hat ihm den Zugang zum Glau-
ben, zur ewigen Freude und zum Frieden Gottes gewährt. Holdampf-Wagner,
Schitta/Süttő 5.000,- Ft
Mathilde
Im Namen der Banater Schwaben, der Deutschen aus Ungarn, Großnaarad/Nagy-
dem ehemaligen Jugoslawien und des St. Gerhards-Werkes Hein, Ernst 20.000,- Ft
nyárád
Stuttgart für Laien sowie auch im Auftrag des Vorsitzenden Erz-
bischof em. Dr. Robert Zollitsch mit dem gesamten Vorstand Frau Huszák/Huszák Simmartin/Sziget-
10.000,- Ft
und Mitgliedern möchte ich als Stellvertreter Gläubigen aus der Gézáné szentmárton
Volksgruppe der Donauschwaben, seinen Angehörigen, seinen Kalmar, Anna Baaje/Baja 1.500,- Ft
Freunden, Priestern und Landsleuten inniges Beileid ausspre-
chen und Gott dafür danken im Gebet, dass er uns ihn geschenkt Karsch, Manfred Hanselbeck/Érd 2.500,- Ft
hat. Kerner, Lorenz Fünfkirchen/Pécs 50.000,- Ft
Erzbischof em. Dr. Dipl.-Ing. Krach, Ernst Ofenpest/Budapest 2.000,- Ft
Robert Zollitsch Josef Lutz Kremer, Attila Paks 5.000,- Ft
(Vorsitzender (stellv. Vorsitz.
St. Gerhards-Werk Stuttgart) St. Gerhards-Werk Stuttgart) Kanter, Josef Sagetal/Szakadát 2.000,- Ft
Kövi, Michael Ofenpest/Budapest 4.500,- Ft
Spenden für das Sonntagsblatt
Werischwar/Pilisvö-
Krupp, Josef 5.000,- Ft
Spenden aus Ungarn rösvár
Kollar, Albin Dunakeszi 1.000,- Ft
vom 19.11.2018 bis 01.02.2019 Lipp, Josef Rossbrunn/Lókút 2.000,- Ft
Hasenfratz-Macher,
Saar/Szár 4.000,- Ft
Deutsche Unterzemming/Alsó- Maria
5.000,- Ft
Selbstverwaltung szölnök Mayer, Michael
Fünfkirchen/Pécs 8.000,- Ft
Deutsche Bischof em.
Döbrököz 10.000,- Ft
Selbstverwaltung Wiehall-Kleinturwall/
Mayer, Otto 2.000,- Ft
Deutsche Ofenpest/Budapest Biatorbágy
10.000,- Ft
Selbstverwaltung 13. Bezirk Mátéfi, Agnes Fünfkirchen/Pécs 3.000,- Ft
Deutsche Mühlmann, Klaus-Jo-
Baar/Bár 5.000,- Ft Ofenpest/Budapest 10.000,- Ft
Selbstverwaltung achim
Barlangi, Josef Tscholnok/ Csolnok 5.000,- Ft Neuperger, Blasius Deutschbohl/Bóly 5.000,- Ft
Balogh, Andreas Ofenpest/Budapest 5.000,- Ft Nadwar/
Oberst, Franz 2.000,- Ft
Sanktiwan b. O./ Nemesnádudvar
Brader, Theresia 5.000,- Ft
Pilisszentiván Pencz, Kornel Dr. Baaje/Baja 2.000,- Ft
Borsos, Maria Wudersch/Budaörs 2.000,- Ft Preusser, Tibor Dr. Ofenpest/Budapest 3.000,- Ft
Sanktiwan b. O./ Pillmann, Josef Gestitz/Várgesztes 10.000,- Ft
Brandhuber, Johann 2.000,- Ft
Pilisszentiván
Petz, Otto Kazincbarcika 2.000,- Ft
Frau Balaton/Balaton
Tschawa/Piliscsaba 3.000,- Ft Porsche, Peter Dr. Gran/Esztergom 5.000,- Ft
Gáborné
Bruszt, Matthias Tschep/Szigetcsép 2.000,- Ft Rauth, Josef Jink/Gyönk 5.000,- Ft
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BIC: HYVEDEMM483
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müssen nicht unbedingt mit der Meinung der Schriftleitung übereinstimmen. Verwendungszweck: Sonntagsblatt
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