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VON
Berlin, %
IM VERLAGE VON G. REIMER.
1837.
MEINER UNVERGESSLICHEN MÜTTER
ANNA GERTRUDA
GEWIDMET.
ZUEIGNUNG.
Verklärte! die Du heiter und getrost auf der Stufenleiter der Schöpfung in
die verheifsene Hehnath vorangingst, während ich bei weiten Wanderungen
auf classischem Boden zusammengelesene Trümmer der Alten, der Verges-
senheit zu entreifsen, in vorliegendem Werke vereinigte, Du riefst dem ent-
fernten Sohne mit Ertheilung Deines Segens das letzte Lebewohl zu, das ich
nicht mehr zu erwiedern vermochte. Endlose Sehnsucht ist mir geblieben.
Stets ruht Dein liebes Bild, das von mir selbst gemalte, vor meiner Seele.
In dem Genufs der Leiden erwuchs süfse Befriedigung; Trost und Hoffnung
blieben am Rande des bittern Schmerzenskelches kleben. Was die Künste
und Wissenschaften, was die mannigfaltigen alten und neuen Sprachen Schö-
nes und Grofses lehren, in Deinen Kindern zu erwecken, war Dein liebstes
Bestreben. Jedes Jahr, wenn im Norden der erste milde Sonnenblick den
Nebel theilt, die starre Eis- und Schneedecke schmilzt, bringt im Süden die
wiederauflebende Natur an Deinem Geburtstage, am 27sten Februar alten Styls,
die letzte festliche Fülle und Pracht der Wiesenblumen, der Anemonen, her-
vor, die in allen Abstufungen des farbigen Lichtes gekleidet erscheinen, aber
schnell im Winde verwehen, und von denen bunte Schmetterlinge, wie flie-
gende Blumen, in den Himmel aufschweben. Einem Echo gleich klang Dein
letzter Wunsch von allen Gräbern der Hellenen in dem Xougs mir entgegen und
entlockte meinen Augen häufige Thränenspenden, welche auf diese Blätter
fielen und sie Dir weihten.
So empfange hiermit die Frucht meiner Wanderung und Forschung,
deren Anblick im Leben Dir hienieden Freude gewährte; als ein Beweis mei-
nes liebevollen Andenkens lege ich sie in Deine stille Grabkapelle auf Dei-
nem Sarge nieder! Xa^g.
Einleitung.
Alle Wege der Forschung, welche über den Ursprung sittlicher und religiöser Gebräuche bei verschie-
denen Völkern des Alterthums, zumal bei den Griechen, Aufschluss bieten, finden einen gemeinschaftli-
chen Vereinigungs - und Anfangspunkt in der Stiftung der Gräber. An der Gränze völliger Rohheit und
Wildheit des Urzustandes der Menschen bezeichnen diese in der Erde ausgehöhlten Ruhestätten Verstor-
bener die ersten Fusstapfen der annahenden Sittigung und Religion. Die über Leichen aufgeworfenen
Hügel sind die ersten Altäre, bei denen ihr Schmerzgeschrei ein Gebet an die Gottheit wurde. Noch
stehen ihre ältesten Ueberreste auf der grossen Völker- und Culturstrasse, von Osten und Süden bis
nach Westen und Norden hin, als hohe pyramidale Erd - und Steinhügel emporgethürmt, und die vollkom-
mene Gleichmässigkeit ihrer Form in verschiedenen Ländern und Zeiten bekundet einen verwandten
Ursprung ihrer Stiftung. Der Tumulus des trojischen Helden unterscheidet sich kaum von dem Tumulus
des barbarischen Scythen und dem Riesenhügel des Scandinaviers 5 so kommen ganz verschiedene und
entlegene Volksstämme überein in dem Bau ihrer Gräber. Umschwebt von den Schauern einer dunklen
Zukunft, begabt mit der wundertätigen Eigenschaft, durch Anklänge der Erinnerung und Wehmuth die
verborgensten, stärksten Saiten der Seele zu bewegen, den Mächtigen und Uebermüthigen durch das Bild
der Vergänglichkeit zu bezwingen und zu zähmen, den Grossen, Stolzen durch die Aussicht einer künf-
tigen Gleichheit zu demüthigen, den Unglücklichen, Gebeugten durch das sicher bevorstehende Ende seiner
Leiden zu trösten und zu erheben, äusserten sie von jeher die entschiedenste Rückwirkung in die Tiefen
des Lebens. Stets war der Tod der erste Lehrer und Erzieher des Menschengeschlechts. In der reich-
bepabten heiteren Welt unter dem südlichen Himmelsstrich musste der Naturmensch, welcher seiner rohen
Kraft allein vertrauend, das Glück seines Daseyns genoss, beim Anblick des allereilenden, allbesiegenden
Todes durch die schmerzliche Dissonanz in der Schöpfung aus seiner Dumpfheit erweckt und zur Ahnung
eines höheren Wesens geführt werden. In Form pyramidaler Grabhügel entstehen die ersten Erdaltäre,
die der Sterbliche zu Ehren der Gottheit errichtet, an welchen er sein Gebet zu der unsichtbaren Welt-
macht hinaufschreit, auf welchen er anfangs im blinden Missverständniss und Eifer der Verehrung seinen
liebsten Mitmenschen dem zum Opfer bringt, der das Leben den Geschöpfen giebt und nimmt. So
erscheint noch heute auf dem Gipfel des lykaeischen Berges in Arcadien der von Lykaon erbaute, mit Men-
schenknochen und Asche nebst eingestreuten Münzen noch in der Folgezeit erhöhte, conische Erdaltar des
Zeus Lykaeos und ein ähnlicher auf der dem Gotte geweihten Spitze des Berges Aenos in Kephalenien.
Die Sage von den in Berge verwandelten Erdsöhnen, den übermüthigen Giganten, in welcher die Betrach-
tung der Natur- und Lebensumwälzungen zu einem belehrenden Bilde verschmolz, giebt dem Erdgebornen die
früheste Weisung über das allen bevorstehende Schicksal, vom kühlen Erdmantel des Grabhügels bedeckt,
in den Schooss der Mutter zurückzukehren. Daher waren auch die strengen, furchtbaren Mächte der dunk-
len Tiefe, die Erdgottheiten, die frühesten von ihm verehrten, und seine Erkenntniss stieg erst später zu
einer überirdischen Welt und zu den Himmelsgöttern empor, wovon der Charakter der alten Tempelbaukunst
in den Fortschritten von dem düstern Ernst zur Heiterkeit noch das Gepräge trägt. Altäre, Tempel, Opfer,
Orakel, heilige Spiele, Kampfübungen, Kriegsgebräuche, die meisten Staatsinstitute gründen sich auf Gräber
und Todtenfeier. Die Erfindung und Obhut derselben wurde von den Griechen dem Hermes, dem Weltver-
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stand, dem Erdgott (Chthonios), dem Seelenführer (Psychopompos), welcher die Schatten hinabgeleitet und
manche Götter in die Welt und in den Olympos bringt, dem Götterboten beigelegt, Durch die Gräber,
welche der Lebenden Liebstes und Theuerstes für immer umschliessen, befestigt sich erst der Landesbesitz
der in verschiedene Gegenden einwandernden Völker, entsteht erst das Vaterland, die heilige Liebe und der
erhabene Kampf für dasselbe, schwingt sich des Menschen Geist zu den sie begleitenden Tugenden empor.
Die aufsprossende Jugend strebt dem Beispiel der verstorbenen Väter nach ; Hermes Agonios, der Gott
heiliger Kampfspiele, leitet ihre Erziehung, und spornt sie zu edlem Wetteifer an, indem er den Gymnasien,
den Palästren, dem Stadion und Circus vorsteht, wo die Meten oder Ziele der Wettrenner Grabsteinen
nachgebildet waren, um welche den Todten zur Ehre die ersten Kampfspiele gefeiert wurden, daher bei den
Schranken am Ende des Stadions zu Olympia Endymions Grab stand. Wie mit der Zeit die Zahl der Gräber
sich vermehret, wächst durch den Ruhm der Abgeschiedenen der Ruhm des Landes, und die Ruhestätten
der Todten werden seine liebsten, seine geehrtesten Heiligthümer. Ueber diesen schliessen daher die Völker
ihre ersten Verträge und wählen als Zeichen derselben die auf Gräber gesetzten Steine und Bäume. Die
Pflanzung des lichtnährenden Oelbaumes in der Burg von Athen deutete auf den Vertrag wegen des Besitz-
tums der Attika zwischen Poseidon und Athene, und so mochten auch die Bucheiche des Zeus mit essbaren
Eicheln {ßaXaVoi), der ersten Menschen Nahrung, zu Dodona, der Lorbeer des Apollo mit prophetischer
Kraft der Blätter zu Delphi, die Siegcspaline der Latona zu Delos, die Rebe des Dionysos, das Silphium
der Dioskuren u. a. m. eine ähnliche Bewandniss haben. Hermes Spondios und Kerykios, der Gott der
heiligen Spenden und der Herolde, ist Anordner der Verträge und stellt die Grundpfeiler des Staates fest.
Gebietsbestimmungen wurden zwischen Nachbarvölkern, wie zwischen den Megalopolitanern und Lacedämo-
niern *), durch beiderseitige Stiftung von Hermen an den Gränzen geheiligt und gesichert. Die Hermeshügel
(Hermaei Tumuli) von vorüberziehenden Wanderern als Opfer dem Weggott Hermes Agyieus und den Laren
oder Weggeistern allmählig zusammengehäuft, waren die ersten Gränz- und Wegzeichen und ihre Gestalt
war die Urform der Grabmäler, welche man an den Wegen zu errichten pflegte. Des Hermes und der
Aphrodite Sohn Hermaphrodit, der beide Geschlechter vereinte, war ein Symbol des Ehebundes und Vertra-
ges, daher die Witwen zu Athen ihm ihre abgelegten Kränze und Gewänder weihen mussten. Auf den Her-
messtelen oder Hermespfeilern, welche den Grabpfeilern glichen, standen die ersten Gesetze und Erfindun-
gen eingegraben. Hermes (Merkurius) selbst, gleich Terminus, hat seinen Namen von dem gesetzten Merk-
stein oder der Gränzmark der Felder und Gräberstätten, und wie überhaupt die ältesten Bilder aller im Anfang
noch unbenamten Götter rohe Steine waren s), so war vor allen sein erstes Bild ein roher Stein. Zwar formte
man späterhin mit Beibehaltung des Grundgedankens den Stein zu einem viereckigen, in ein Menschenhaupt
ausgehenden Pfeiler, gab endlich allen Werken dieser Art den Namen Hermen, wie denn Aphrodite - Arte-
mis-Pans-Hermen, Hermathenen, Hermherakien, Hermeroten und Bildnisshermen entstanden, und errich-
tete sie auch auf Gräbern, jedoch schon der blosse Gränz- und Grabstein, an Eigenthum und Recht erinnernd,
genügte, den Stifter und Erhalter dieses ersten und heiligsten agrarischen Gesetzes zu bezeichnen3).
Mit der Idee der Todtcn-Bestattung und Pflege aufs engste verknüpft, begann zugleich die Cultur
des Bodens, und es entwickelte sich unter den Menschen allmählig die Humanität. Von den Gräueln der
Anthropophagie im frühesten Zustande der Rohheit und Wildheit werden sie durch Einführung cerealischer
Nahrungsmittel abgewendet, und es entsteht der Uebergangvom Jagd- und Kriegsleben zur Viehzucht und zum
Ackerbau, mit dem sich die Staatsordnung begründet.
der Erclschätze verlobt worden, weil er von allen Unsterblichen allein ehelos in der Tiefe lebte. Ihre
Gespielinnen, die zaubernden und einschläfernden Sirenen, Bestricherinnen, welche den Raub nicht ver-
hindert, sondern spätes, eiteles Wehegeschrei erhebend, sich Flügel zum Nacheilen gewünscht hatten,
empfingen als personificirte Todtenhlagen die Vogel- oder Manengestalt von den Göttern, oder zur Strafe
von Demeter selbst, und flohen auf öde, lautumrauschte Meeresklippen, wo sie vorbeifahrende Schiffer
durch ihre sanften Klage- und Thränenlieder anlockten, fesselten und in Wehmuth und Heimweh allmählig
verschmachten liessen, so dass von gebleichten Menschengerippen und zerfallenen Gebeinen die Klippen
weiss erschienen. Dort weilten sie zur Zeit der Argofahrt, den Heros Butes, Rinderhirt verlockend,
welchen aber Aphrodite rettete, und zur Zeit der Irrfahrt des Odysseus, bis bei ersterer Orpheus, der
Lehrer der bacchischen Weihen und der Unsterblichkeit, mit Leierspiel und Gesang ihre Klagelieder über-
tönend, sich nebst seinen Gefährten unhörbar gemacht, und bei zweiter Odysseus durch Klugheit und List
ihrem Zauber widerstanden hatte; da sie denn in Verzweiflung über die Unwirksamkeit desselben sich ins
brausende Meer stürzten und von endlosen sehnsüchtigen Wogen fortgezogen oder in die grabstelenför-
migen, Sireneninseln genannten Klippen bei Parthenope (Neapel) verwandelt wurden. Dennoch versicherte
man in späten Zeiten J), dass sie in Indien noch vorhanden wären und durch schmeichelnden Gesang die
Menschen einschläferten, um sie zu zerreissen. Die bekümmerte Demeter entschliesst sich endlich nach
langem vergeblichen Wandern und Suchen der verlorenen Kora, in Eleusis, dem Ankunftsorte, zu rasten.
Da sie bei Celeus gastliche Aufnahme findet, so erbietet sie sich zu Dank derselben, seinem jüngsten Sohne
Demophon oder Deiphontes Wärterinstelle zu vertreten, und will insgeheim mit läuternden Flammen der
Fackeln ihrem Pflegling Unsterblichkeit verleihen. Aber Neugier und Schreck der Eltern überrascht und
stört sie in Ausführung ihres Vorhabens; in Folge der Störung stirbt der Knabe bei der weihenden Feuer-
taufe, und sie kann ihn nur zur Heroenwürde erheben, welche fortan jedem Todten zu Theil wird, sobald
der flammende Scheiterhaufen die Schlacken der Materie weggebrannt. Nachdem die Göttin bei diesem
Ereigniss sich selbst den Menschen offenbart, erfährt sie von ihnen den im Lande befindlichen Ort der
Hinabfahrt ihrer Tochter, aus dem sie ihren verborgenen Aufenthalt erräth. Nun sinnt sie auf andern
Lohn für ihre Bewirther wie für die gesammten Erdbewohner, und weiss ihn mit Erreichung ihres müt-
terlichen Wunsches und Zweckes zu vereinigen. Hatte sie zuvor insgeheim das ewige Heil der Sterblichen
bereitet, so schafft sie jetzt öffentlich das zeitliche Heil derselben. Sie lehrt die Menschen das Getreide
kennen und bauen, bringt als Thesmophoros ihnen die ersten agrarischen Satzungen, zu denen die Bestat-
tung der Todten und unter dem Bilde der zusammengejochten Ackerrinder das Ehebündniss gehört, und
sichert also Recht und Besitz im Leben und Tode. Sie gründet ihren Geheimdienst im Lande, indem sie
den Mann des Werdens, Phytalos, in der Zucht des Feigenbaums unterweist, dessen süsse weichliche
Frucht, ein weibliches Geschlechtssinnbild, ihr als Erdmutter, als weiblichem Naturprincip, geweiht ist.
Insbesondere schenkt sie ihr Vertrauen des Celeus ältestem Sohne, dem Dreifurcher Triptolemos, der drei-
mal das Feld beackert, reicht ihm Waizenkörner und sendet ihn auf einem Flügelwagen als Sämann durch
die Welt umher, mit der Aussicht, die Wiederkunft ihres Kindes zu bewirken. So heitre Gedanken
belebten und verjüngten die Gestalt der Mutter; Demeter erscheint als Chloe, die Grünende, und auch als
Anesidora die Gabenemporsenderin. Bald keimen die gesegneten Gefilde, bald schwellen sie von Fülle
gelber Aehren, das spriessende Saatkorn drängt sich wieder hervor, und die Göttin erfreut sich des An-
blicks ihrer Tochter wieder. Aber nicht lange währt der Aufenthalt des geliebten Kindes im Mutterhause.
Denn die Wiedergewonnene hatte heimlich in der Unterwelt ein Korn von der vielkörnigen Granate, dem
Nach dem Bilde des Ackerstiers gestaltete sich das erste von den Himmelszeichen 5 an der Stirn
des Stiers glänzen die Plejaden, mit deren Auf- und Niedergange die Arbeit des Feldes begann und
endete, deren Erscheinen den Anfang des Jahres bestimmte. Der Landbau, welcher sich nach den Ge-
stirnen richten musste, gewöhnte «11c Menschen an die Beobachtung des Himmels, führte zu dem Glauben
an den Einfluss und die Lenkung der Gestirne, welche dem Schoosse der dunklen Erde und der Nacht
entsteigen und den Himmel bevölkern. Finsterniss und Licht trat vor den Geist des Menschen in ein
gleiches Verhältniss mit Unter- und Oberwelt5 daher die nächtlichen Blitze dem Hades Pluto oder Zeus
Chthonios zugeschrieben wurden. Das verbindende Princip zwischen Ober - und Unterwelt ist nun des Zeus
und der Plejade Maja Sohn, der Seelenführer und Erdgott Hermes, der den Heroldsstab trägt mit dem Friedens-
knoten aus Liebe verbundener Schlangen, dem Knotenschloss des Schattenreichs. Diese Schlangen am
Heroldsstabe oder Kerykion waren nach einer Sage die Gottheiten Zeus und Demeter selbst, die in solcher
Verwandlung sich umarmten und die Persephone erzeugten. Hermes ist der Beisitzer und Ministrant der De-
meter. Hatte der Landbau den Menschen an Hoffnung und Vertrauen zu der geheimen Wirksamkeit lenkender
Wesen in der Natur gewöhnt, so flösste das Wiederaufleben in derselben ihm bei der Todtenbestattung die
Ahnung und den Glauben an Unsterblichkeit ein. Bei diesem, wie bei jenem Geschäft birgt er seinen theuren
Besitz in den Boden und sieht seine Hoffnungen mit dem Wechsel der Zeitverhältnisse vielfach belohnt wieder
amfpehen. So erscheint ihm der Todtenacker, den er wie das Feld zu bestellen gelernt hat, als ein Saatfeld
in höherem Sinn, wie das deutsche Wort besagt, als ein Gottesacker. Hermes, der Gott der Gräber und
Feldmark, geleitet nun das vorsprossende Saatkorn, Kora Proserpina, bald hinauf in den Kreis der Himm-
lischen und bald wieder hinab in das verborgene Reich, wo Hades Pluto, der Stifter der Grabgebräuche, mit
dem Getreidemaass, dem Sinnbild des Maasses und Rechtes, gekrönt, seinen Sitz hat5 und ebenso geleitet
Frucht kosten, sind nun den Denkmälern Verstorbener, als ein ständiges Wahrzeichen der Fortdauer
nach dem Tode geweiht. Dagegen pflegte man die dem Hades Pluto geweihte Cypresse, welche die Erde
durch Verwandlung aus Leidtragenden entspriessen Hess, wegen des Baumes schnellen Absterbens als
Leichenzeichen vor die Thüren der Verstorbenen zu stellen, eben desswegen auch die Weisstanne (pinus)
als einen Todtenbaum zu betrachten, Zweige davon auf Scheiterhaufen zu legen, und der aus Lycien stam-
mende schattige Platanus, der erste nach Italien übergeführte ausländische Baum, wurde zu dem Grabe
des Diomedes bestimmt und auf der Diomedesinsel gegenüber der Apulischen Küste eingepflanzt *).
Bei den verschiedenen örtlichen, Naturansichten gemäss im Verkehr der Völker ausgebildeten,
religiösen Vorstellungen, welche die Vielgötterei entstehen Hessen, fehlt den Hauptgöttern niemals die
Ausdehnung ihrer Verwaltung über das Untere und Obere eines Naturganzen, die Gegensätze vereinigen
sich in ihnen und die herrschenden Begriffe von den höhern Wesen fliessen in einander. So behauptet
sich bei der Mannigfaltigkeit immer eine innere Einheit derselben und nicht nur die Erd- auch die Him-
melsgottheiten, wie schon im Dionysos erhellt, haben eine ursprüngliche Beziehung auf Cultur des Bodens,
Gräber und Todtenreich. Das durch die Finsterniss blickende Licht der eulenäugigen Weisheitsgöttin
und Heldenführerin, der Jungfrau Athene, (Tritogeneia, Tritonis, vom tritonischen See, und Göttin der
Dreizahl) welche von der Naturgöttin Neith-Isis hergeleitet, in Attika den ersten flammennährenden Oelbaum
pflanzte, und welche den Leuchter als Sinnbild besitzt, den im Sohn des Feuergottes und Metallkünstlers
Hephästos personificirten Lyehnos, strahlt auch dureh die Tiefe der Gräber. Als Kleiduchos hält sie nicht
allein die Schlüssel der Burg von Athen sondern auch die der Unterwelt. Auf ihrer Aegis trägt sie das
Gorgonenhaupt, Bild des finstern Neumonds und Schreckenszeichen der Erstarrung im Todtenreich der
Proserpina. Nach dem Gezisch der Schlangen am Haupte der sterbenden Gorgo Medusa erfindet sie die
bei der Bestattungsfeier gebräuchliche Flöte, welche sie hierauf als ein sie entstellendes Tonwerkzeug
wegwarf, welche aber fortschwimmend die wahrsagenden Gewässer mit Tönen erfüllte und von dem
bacchischen Chorführer Silen aufgenommen wurde. Ihren Pflegling den Feuer- und Erdsohn Erichthonius
oder Erechtheus, den schlangengestaltigen, im Verlangen nach ihr von Hephästos erzeugten Autochthon,
den ersten Menschen, übergiebt sie der Agraulos, Herse und Pandrosos, dem Felde, dem Thau und
der Nässe, zu geheimnissvoller Bewahrung in einer cerealisch-mystischen Kiste, und als Athene Sito
wie Demeter Sitoo bei den Siciliern8) verleiht sie die ersten Feldfrüchte. Sie lehrt dem Buzyges Rinder
an den Pflug Jochen und als Chalinites dem Belerophon das Ross zäumen, erfindet als Ergane, Werkmei-
sterin, die Schiffe oder sogenannten Rosse des Meeres, und leitet der Städte und Burgen Erbauung.
Von den ihr als Weberin dargebrachten beiden panathenäischen Feyergew ändern, auf denen sie, die
Titanen oder Erdkinder bändigend, eingewirkt war, diente das zweite zum Segel ihres festlichen Schiffes.
So gehörte auch der Isis Pharia und der Aphrodite Euplöa das Segel3). In einem alten Schnitzbilde der
Athene zu Erythrä von Endöos, der auch den Athenern ein Bild ihrer Göttin in der Burg verfertigte,
erschien sie mit dem Polos, Himmelsgewölbe, auf dem Haupte und zwei Spinnrocken als Parze in den
Händen auf einem Thronos sitzend4) gleich der Aphrodite5 hinwieder trägt die im Telesterion zu Eleusis
gefundene Colossalstatue der Fruchtkorb-gekrönten Demeter im brittischen Museum, wie die nächst dem
bärtigen Dionysos gefundenen Kanephoren, Korbträgerinnen in Villa Albani, das Athenen gehörige Symbol
des Gorgoneions auf der Brust. Die aus Uranos, des entmannten Schöpfers, Kraft entsprosste Fortpflanzung
i) Plin. L. 16.
2) Athenäi 1. III. c. IS.
3) s. unten Taf. XXVIII.
4) Pausan. VII. 5. 4.
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in der Zeitlichkeit, die Meerentstiegene Liebesgöttin Aphrodite Kytherea, des Hephästos Gattin, welche
unter drei Namen, die Himmlische, die Allgemeine und die Abwendende, Urania, Pandemos, Apostrophia
erscheint und die älteste Parze heisst, spinnt mit dem Rochen in Hermengestalt den Faden des Lebens 5 die
Liebe für Lebende und Sterbende theilend, Ambologeras, Alteraufhaltende, in Sparta zubenamt und von
Hypnos Schlaf, und Thanatos, Tod, begleitet, zündet sie die beiden Fackeln in der Genien Händen, die der
Hochzeit- wie der Todesfeyer, des Hymen und Thanatos, und waltet als Thymborychos, Todtengräberin,
und Epithymbia, Grabgöttin, über die Gräber. Sie wurde auch Melaena die Schwarze benamt. Ihre
Myrte kränzt die Bräute, die Eingeweihten der Kora und die seligen Verstorbenen. Sie, die Mutter des
mit Hermes gezeugten Eros, des Triebes, wirft als Eris den Liebes- und Zankapfel unter die Götter und
Menschen, und tritt bewaffnet auf. In Sicyon, wo Demeter den ersten Mohn ((Mrjiuav) entdecktet), war
sie den Polos auf dem Haupte, Mohnkopf und Apfel in den Händen tragend dargestellt. Ihr glich
Tyche, die Glücksgöttin, der Gottheiten höchste und in der Liebe wirksamste, Okeanos Tochter, welche
nebst dem Polos das Hörn der Amalthea oder des Ueberflusses zu Smyrna und Pherae trug, zu Aegira
den geflügelten Eros an ihrer Seite hatte8), und von Pindar die mächtigste der Parzen und Pherepolis,
Stadtträgerin, genannt wurde. Ihr glich ebenfalls die andere Okeanide Nemesis, die Vergelterin, die
wegen ihrer, bei Liebenden vorzüglich offenbarten, Allgewalt geflügelt zu Smyrna und zu Rhamnos 3) mit
hoher, von Himmelshirschen und marathonischen Siegesgöttinnen umgebener Krone auf dem Haupte,
Apfelzweig in den Händen und Opferschaale, wo die gerechten Aethiopen oder Okeanos-Nil-Anwohner
abgebildet standen, als Geliebte des Zeus und Matter der verhängnissvollen Helena vorkam. Die Himmels-
königin, die farrenäugige Here Zygia, Teleia, die jochende, weihende Ehestifterln, oder Here Aphrodite,
und Ilithyia, Geburtshelferin, Gemahlin des Zeus, und Mutter des von ihr allein gezeugten, dem Dunst-
kreis entfallnen Feuers Hephaestos, die Göttin, welche dreifach, als Jungfrau, als Erwachsene oder Ver-
mählte und als trauernde Wittwe verehrt wurde, trug zu Argos den Granatapfel der Proserpina, zu
Koronea die tödtenden Sirenen derselben auf der Hand, war zu Argos mit einem von Grazien, Huldinnen, und
Hören, Jahreszeiten, verziertem Diadem, in Laconien und Samos mit dem Pyleon der Cybele gekrönt, bei
den Etruskern als Caprotina mit dem Ziegenfell Aegis bekleidet und bewaffnet, gleichwie sie bei den Lace-
daemoniern als Aegophagos, Ziegenesserin, Opfer dieser Thiere bekam*). Der älteste Zeus, der Olympische
und Chthonische, Dis, der Lebens- und Todesgott, der neben Dione oder Venus Proserpina, Mutter der
Aphrodite, in Thesprotien thronte, der in Jupiter, Neptun und Pluto begriffen, drei Elemente: Luft,
Wasser und Erde umfasste und im Schnitzbilde des Priamus mit drei Augen dargestellt, die drei Formen
der Zeit und des Raumes als Wächter und Richter beherrschte, hat ebenfalls eine solche allumfassende
Beziehung. Hekate, welche wie Athene die Schlüssel trägt, als Despoina oder Herrin der Arkadier eine
Tochter der Demeter und des Poseidon war und mit der Artemis völlig übereinstimmte, herrscht in drei-
facher Gestalt über das Weltall, Mond und Kornmaass auf dem Haupte, Schlangen und Fackeln in den
Händen.
Den Kindern des Zeus und der Leto, Latona oder der verborgenen Nacht, der Artemis und dem
Apollon, welche mit Halbmond und Sonnenscheibe oder Lichtglanz am Haupte bezeichnet, Jungfrauen und
Jünglingen, Vermählungen und Geburten vorstanden, wie den Kindern der Theia, der Selene und dem
Helios oder Mond und Sonne, pflegte man jeden plötzlichen Tod zuzuschreiben und Schnellverstorbene
1) Etym. Magn.
S) Pausan. IV, 30. 4. und VII, 26. 4.
3) Pausan. I, 23.
4) Pausan. III, iö.
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Artemido- und Apollonoblethen, oder Seleno- und Helioblethen zu nennen. Auf den Tempelgiebeln der
Artemis, welche zu Pherae in Hermengestalt erschien, ragten zu Stymphalos die menschenfressenden stym-
phalischen Vögel und die bezaubernden Sirenen empor ; im Hyperoon oder Oberraum des alten delphischen
Apollotempels standen goldene Sängerinnen, Keledonen, vermuthlich die Sirenen, über der innern Säulen-
halle, und der Musenführende Gott wurde zugleich als Parzenführer, Moeragetes, verehrt. Da man vor
Sonnenaufgang die Scheiterhaufen anzündete, so hiess es, die flüchtige Morgenröthe Eos raube die nur
kurze Zeit blühende Jugend und so entstand der Mythos von der Liebe der Eos zu Kephalos und von der
Entführung desselben. Jede Localgottheit erscheint Anfangs schon als ein Pantheum, zu dem sie erst
zuletzt beim Verfall der Vielgötterei wirklich gebildet wurde.
Erst nach und nach schieden und spalteten sich die religiösen Begriffe, begann die Theilung der
Aemter und die Rangordnung unter den höheren Wesen. Die Vielgötterei befördernd, gab diess zu man-
nigfaltigen Personificationen der Naturkräfte und Erscheinungen Anlass. Die ihrer Frömmigkeit wegen
gepriesenen Athener waren sorgsam sie alle aufzunehmen; damit keine von den Gottheiten ausgelassen
werde, errichteten sie dem unbekannten Gotte einen Altar, und aus Scheu vor den verderblichen, furcht-
baren Wesen, pflegten sie diesen schmeichelnde, euphemistische Namen, wie den strafenden Zorngöttinnen,
den Erynnien, den Namen Eumeniden, Gerechtzürnende, beizulegen.
Nächst den Todtengottheiten bildete die früheste Zeit auch den Tod selbst und zwar unter zwei
verschiedenen Gestalten, einmal als eine thätige handelnde, ein andermal als eine ruhende unthätige Macht,
indem sie einen bewegten und einen ruhigen Zustand, Todeswirkung und Todeszustand, unterschied. Die
erste ist die mit Thierzähnen und Klauen bewaffnete Ker, das abmähende Todesgeschick, die Göttin,
welche von Sisyphus bezwungen und gefesselt, von dem Mars aber wieder befreit wurde, und ihrem ver-
wegenen Gegner das Leben nahm; die zweite ist des Schlafes oder Hypnos Bruder Thanatos, der Tod,
der ewige Schlaf, der sich nie aufrichtet, daher als Missgeburt mit verdrehten Füssen am Kasten des
Cypselus gebildet, neben seinem Bruder im Schoosse der Nacht ruhte, und auch durch schwarze Farbe,
im Gegensatze zu der weissen Farbe des Schlafs *), sich unterschied.
Obgleich nun in der Göttin Ker Schicksal und Tod zugleich personificirt wurde, und wegen dieser
überall wirksamen Macht auch mehrere tödtende Keren oder verschiedene Todesgeschicke, wie auf dem
hesiodischen Schilde, vorkommen, so erscheint doch als eine gesonderte Göttin die ihr ähnliche, den Lebens-
faden abschneidende Parze, die unabwendbare Atropos, die Todesbestimmung, die dem Todesschlag vor-
gehen muss; und von den Parzen, welche das Schicksal der Sterblichen spinnen, unterschied man wiederum
Aesa, das grosse Weltschicksal, und Pepromene, das Weltverhängniss, denen die Götter selbst gehorchen
mussten. Als die späteste Darstellung des Todes ist der Genius mit der umgestürzten Fackel zu betrach-
ten, ein Bild des auslöschenden Lebens, welches der Römerzeit angehört. Statt dessen steht auf atheni-
schen Gräbern öfters eine der leyerspielenden und singenden Sirenen, Töchter der Erde oder der tragischen
Muse Melpomene und des Flusses Achelous, des Wehegeströms, Begleiterinnen der entführten Kora, der
Königin der Unterwelt, Musen der Threnodien oder Klage- und Sterbegesänge. Als solche standen auf
dein Scheiterhaufen Hephaestions, des Lieblings Alexanders des Grossen, ihre ehernen Statuen mit drinnen
verborgenen, Klagelieder vortragenden Sängerinnen, und ebenso stellt das Giebelrelief einer in Athen an
einem Privathause eingemauerten Grabstele eine zur Leyer singende Sirene zwischen zwei knieenden, wei-
nenden und sich das Haar ausraufenden Klageweibern dar. In ihrer aus Jungfrauen und Truthennen oder
indischen Vögeln s), Meleagriden, zusammengesetzten Gestalt, liegt derselbe Sinn wie in dem Mythos der
1) Pausan. V, 18.
2) Ovid. Metamorph, und Plin. Hist. nat. 1. X,
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Memnoniden, heilige Vögel, Falken, Meleagriden, Truthähne, und Diomedien, Stösser, fremden Vogel-
arten, von denen behauptet wurde, dass sie nach dem Tode ihrer Namenshelden sich zuerst gezeigt, ihnen
Wasserspenden auf den Gräbern gebracht, Wertkämpfe angestellt hätten, und "von den Gefährten derselben
die Geister oder Manen wären. Wie schon der Gesammtname Sirenen, Bestrickerinnen, die Eigennamen
Telxiepia Zaubersprecherin, Molpe, Sängerin, Ligea, Weheschreiende u. f. nebst den Attributen der
vielsaitip-en Nabla oder Tiereckigen Leyer und der Trauerflöte Gingras oder der Tibien anzeigen, wissen
sie durch rührenden Zauber, unwiderstehliche Macht des Gesangs und Spiels die Menschen zu fesseln,
in sanfte Schwermuth, süssen Genuss des Weinens, Sehnsucht nach den Verstorbenen, Ueberdruss und
Vergessenheit des Lebens, Schlummer und Tod zu versenken. Alles Rührende, Hinreissende in Rede
und Gesang und Gedichten hiess Sirene. Es konnte daher einem Tragiker oder Jünger der Melpomene
kein schicklicherer und stärkerer Beifall bezeugt werden, als, zufolge einer Traumeingebung, mit dem
Beinamen der neuen Sirene dem Sophokles zu Athen ertheilt ward. Ueber Gräbern erscheinen die Sirenen
als Todesmusen; gemeiniglich kommen sie zu drei, aber auch in geringerer und grösserer Zahl vor; sie
stehen ihren Halbschwestern, den drei Töchtern der Erde, Gaea, und des Himmels, Uranos, oder der
Redeerfinderin Mnemosyne, Gedächtniss, und des Zeus, des Lebens, den Mnemoniden, Erinnerungstöchtern,
ältesten Lebensmusen: Melete, Ahnung, Mneme, Erinnerung, Aoede, Gesangdichtung, entgegen, wie auch
den jüngeren neun Dichtungsmusen oder personificirten Dichtungsarten, deren Amme Eupheme, guter Ruf
oder Ruhm, war. In dem mit diesen begonnenen Wettstreite, einem Gegenstand der Sarkophagreliefs,
wurden die Todesmusen überwunden, an den Flügeln berupft und ihrer Zauberkraft beraubt5 aus ihren
Schwungfedern bereiteten sich die Musen Stirnbinden, durch welche sie den Zauber derselben sich zueig-
neten, aber ihn zugleich unschädlich machten. Nach Plato's Lehre waren die Sirenen endlich zu acht,
der vollständigen Tonleiter gemäss, in die Himmelssphären oder Planeten und Sonne versetzt, die Sphä-
renmusik und Weltharmonie bildend. Da Wehmuth und Sehnsucht stets die ersten und stärksten Trieb-
federn zu Gesang und Dichtung sind, so sehen wir in den Todtenklagen auf Gräbern den Ursprung der
Musik und Poesie, wie in dem Schatten- und Seelenführer Hermes den Erfinder der Lyra oder des ersten
Tonwerkzeugs und beim Tode der Gorgo Medusa in der Göttin Athene die Erfinderin der Trauerflöte.
Ausser der Personification des Todes trifft man auch die der endlichen Auflösung, der Verwesung,
bei den Alten an. Das furchtbare Bild derselben war seit früher Zeit schon mit dem Hüter des Thores
der Unterwelt, mit dem dreiköpfigen Haushund des Hades als eine symbolische Thiergestalt yorhanden,
und der Name des gefrässigen Kerberos *), dessen drei Häupter auf Vergangenheit, Gegenwart und Zu-
kunft oder Luftkreis, Erden- und Unterwelt bezogen wurden, so wie seine eigenthümliche Tücke, zwar
mit wedelndem Schweife zu empfangen, aber keinen, der hinauswill, unzerfleischt zu lassen, deutet auf
naive Weise den Gedanken an. Dennoch trat später diese allzerstörende Naturmacht unter dem euphe-
mistischen Namen Eurynomos, der Weitgebietende, als ein Dämon Sarkophagos oder Leichenfresser, der
die Todten bis auf die Knochen verzehrt, in göttlicher Bildung, genauer bezeichnet, grösser und grässli-
cher auf. Polygnot brachte den Eurynomos bei einer Darstellung der Unterwelt in der Lesche zu Delphi
an und malte diesen Dämon, von dein die Dichter keine Erwähnung thun, und den er vermuthlich als ein
Eingeweihter aus der Geheimlehre kannte, in Gestalt eines Mannes, dessen Hautfarbe blau und schwarz,
gleich dem Leibe der Schmeissfliegen, schillert, und der, die Zähne fletschend, auf dem untergebreiteten Fell
eines Aasgeyers sitzt. Einen gleichbedeutenden Zunamen EurymedonS) führte der wie Hermes gerüstete
1) uigßsQOS statt nrßßoQos, (von xs/ow, «eQ(a und ßogog wahrscheinlicher, als von xqsccs Fleisch, oder xsuq, «iJQ, Herz) stimmt mit dem
Sinne des nachfolgenden Wortes Sarkophagos überein.
2) Apollon. IV. v. 1314.
3•
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argolische Winterheld Perseus mit des Hades Nachthelm, mit dem geflügelten Raubstahl Harpe oder Sichel
der Zeit, und mit dem erstarrenden Gorgonenhaupt.
Nach der Geheimlehre ereignen sich die Veränderungen, welche am Ziel des Lebens den Menschen
treffen, theils im Reich der Demeter, theils im Reich der Persephone. Tod und Verwesung gehört dem
Reiche der ersten, Vergeistigung und Verklärung dem Reiche der zweiten an, die mit der dunklen Tiefe
der Unterwelt zugleich den nächtlichen Mond beherrscht und seinen Einfluss auf Geschöpfe und Gewächse
leitet. Sowohl durch die Macht des Todes, als durch die der Verwesung, welche im Bilde des gefrässigen
Haushundes den Eintritt in die Unterwelt gestattet, wurde der Uebergang zu einein andern Daseyn, wovon
auch der naturverehrenden Vorwelt die Ahnung und der Glaube nicht fehlte, bewirbt. Diesem zwiefachen
Aufhören gemäss, erscheint auch jenes Daseyn von doppelter Art. Die Lebensflamme, durch die gesenkte
Fackel in des Todesgenius Hand bezeichnet, erlischt, Nacht umfängt das Auge des Sterbenden; mit dem
letzten Hauch fliegt die leichte Seele in die höhere Luftregion, die von geflügelten Wesen, von den Vögeln,
bewohnt wird, und lässt den erkalteten Leichnam zurück; sie beklagt ihr Geschick, das sie von Jugend
und Manneskraft scheidet; sie bricht aber wie ein Schmetterling aus der Verpuppung, wie eine Motte, die
sich nach dem Lichte sehnt, daher diese Thiere ihren Namen Psyche trugen und ihr Sinnbild abgaben.
Indem nun ferner die Gestalt der Verstorbenen den Angehörigen in der Erinnerung und Einbildung vor-
schwebt und sich ihnen in Träumen und Erscheinungen darstellt, dachten die Alten, dass auch ein Schatten,
Ebenbild des Ausgerungenen (sldwkov uayLOVTmV) oder lebendiges Ebenbild des Lebens (£(5ov aiwvog
sldcaXor)1) von ihm übrig bleibe und sein selbständiges Daseyn beginne; sie meinten, dass der Schöpfer
auch die Form seiner künstlichen Werke erhalte, daher Polygnot sogar die Schattenfische in dem Acheron
malte und der Schatten des Hercules in der Unterwelt mit gespanntem Bogen dastehend, der Schatten des
Theseus ewig dasitzend, geschildert wird. Sobald der Verstorbene den unterirdischen Göttern geweiht,
der Verwesung in der Erde oder der beschleunigenden Auflösung im Feuer übergeben worden, sobald
der Soros oder Sarkophag den Leichnam, die Urne die Asche empfangen, und das Grab sie bedeckt hat,
ist auch der Schatten aus dem Leichnam hervorgedrungen und in das unterirdische Reich hinabgestiegen,
welches Hades, das Verborgene genannt wird, weil die Leichen in die Erde verborgen werden. Unten
harrt seiner der personificirte Uebergang in das neue Daseyn, der Fährmann Charon, der alle Merkmale
der Hinfälligkeit des Lebens an sich trägt, ein Greis mit schwachen Knien, zitternd vor Leichenkälte.
Sein Name Charon, der Freudige, selbst erinnert an den letzten Abschiedsruf bei der Bestattung, an das
letzte Lebewohl! das %aiQe oder freue dich! Heil dir! mit welchem der Verstorbene einer ungewissen
Zukunft entgegenzieht. Bevor die Bestattung vollzogen, kann er nicht in der Fähre Charons übersetzen
und in das Plutonische Haus einwandern; so lange muss er an dem Thore weilen, oder unstät umher-
irren, von den andern Schatten zurück gedrängt3), und durch seine Erscheinung die Lebenden schrecken,
denn den unterirdischen Wesen muss ihr Recht geschehen seyn, Charon seinen Fährlohn dyavXov) die
sogenannte Danake, eine kleine Münze, welche den Todten in den Mund gelegt wurde, bekommen haben,
damit der Schatten in Frieden ziehen könne und aus der Unterwelt nicht mehr wiederkehre. Ebendaher
findet man in den Grüften Bleitäfelchen (jioXvßdiVa, iXda^aTa), auf welchen nebst einem Anruf der
unterirdischen Gottheiten die Versicherung der Todtenbestattung im Momente ihrer Vollziehung flüchtig
eingegraben steht, und des Verstorbenen als eines ihnen zugesendeten Opfergeschenks ausdrücklich gedacht
wird. Auch war bei den Griechen alle Sorge der Angehörigen auf eilige Bestattung und Beschleunigung
der Auflösung des Körpers gerichtet. Das Gemälde des Eurynomos sollte diejenigen schrecken, welche
diese Pflicht versäumten. Den Sarkophagstein, dem man die Eigenschaft beilegte, die Leichen schnell zu
verzehren, hielt man für den geeignetsten zu Todtenkisten. Durch die Verbrennung, zu welcher das Vor-
bild der Demeter, der Semele und des Herakles Anlass gaben, entzog man den Todten ganz der furcht-
baren Macht des Eurynomos, läuterte ihn von den Schlacken der Materie und ertheilte ihm eine zwiefache
Bestattungsfeier, indem der Verbrennung des Leichnams die Beerdigung der Asche folgte. Indess fand
sowohl der eine als der andere von beiden Gebräuchen seit den frühesten Zeiten bei den Griechen statt.
Die Aegypter, welche, um die langsame Verwesung zu verhüten, ein völlig entgegengesetztes Mittel
ergriffen, weil sie das Feuer als ein gefrässiges Element betrachteten und einem Thiere, welches mit
seiner Nahrung selbst stirbt, verglichen1), suchten durch künstliche Erhaltung der Leichname denselben
Zweck zu erreichen.
Auch nach dem Hinabgang an den Ort ihrer Bestimmung erschien der Zustand der Schatten immer
gleich trauervoll und beklagenswerth. Zu ihrem Wohnsitz, die Unterwelt, Hades oder Ai'des, führten,
dem Volksglauben gemäss, in verschiedenen Gegenden Griechenlands und Italiens finstere Höhlengänge
hinab, von denen einer der vornehmsten beim Tänarischen Vorgebirge an der äussersten Spitze des Pelo-
ponnes sich befand, wo Herakles den Kerberos heraufgeholt hatte. Dort unten wohnte die einsame Nacht,
die sich über die Augen der Sterbenden niederlegt, nebst ihren allein gezeugten Kindern, dem Schlafe mit
bleiernen Flügeln und dem Tode mit eisernem Herzen, zu denen Virgil auch die unter den Blättern einer
Ulme sitzenden, eitlen Träume, Kinder der Erde, und die fabelhaften Wundergestalten der Centauren, Scyllen,
der Hydra u. a. im Vorraum der Unterwelt hinzudichtete; jedoch schon im Homer lässt Zeus durch Schlaf
und Traum den Leichnam des Sarpedon in dessen Vaterland Lycien bringen. Hermes, der Weltverstand,
Schatten- und Seelenführer, war zugleich Traumführer (ayrJTcoQ oVslQmv) und Geber des Schlafes (vtzvo-
doTtjo), daher sein Bild an Bettpfosten dargestellt wurde und diese Herminen (eq^Zi/eq) Messen; der
Schlaf, als Lebenserhalter dem Tode entgegenstehend, theilte mit seinem Bruder die Eigenschaft der Vor-
ahnung und gesellte sich in Trözen zu den drei ardalischen, vom Flötenbläser Ardalos eingeführten Musen
als ein Beförderer derselben. Ferner stöhnte in der Unterwelt der Acheron, das Wehegeström, seufzte
der mit ihm sich vereinigende Kokytos, der Fluss des Weinens und Schluchzens, Schmerzensergüsse,
welche die Hinscheidenden begleiten, daher die Schatten in Charons Nachen hinüberschiffen müssen. Der
Volksglaube versetzte diese Flüsse zugleich an Epirus und Thesprotiens Gränzen in das Reich des Königs
Aidoneus hin, sammt dem modernden schilfigen Todtensee Acherousia, den die Römer in dem vogellosen
Avernus bei Cumä, über welchen Vögel nicht fliegen können ohne hineinzufallen, wiedererblicken. Dort
an den schwarzen Ufern des Wehe- und Thränenstroms versammelten sich sowohl die Schatten der Ge-
rechten, als auch die der Frevler; in einzelnen Gruppen malte sie noch Polygnot an demselben Orte bei-
sammen, indem er durch Lebens- und Todesumstände jedweden bezeichnete, und die Notwendigkeit der
Einweihung in die Mysterien hervorhob; einige dem Leyerspiel des Lehrers der bacchischen Weihen, des
Orpheus, zuhörend, dabei aber als Gegensatz den erblindeten Sänger Thamyris, über seine beim Wettstreit
mit den Musen zertrümmerte Leyer in ewige Trauer versenkt, Ungeweihte, von denen Plato im Gorgias
die Strafe, Wasser mit einem Siebe in ein durchlöchertes Fass zu schöpfen, erwähnt, den Danaiden ver-
gleichbar, Wasser in Scherben herbeitragend und andere der Pein ihrer verschiedenen Strafen hingegeben.
Von höherer Belohnung der Schatten fand sich keine Spur in dem Bilde, auch macht das Schicksal des
Tiresias die einzige Ausnahme.
Ausser dem Hades gab es noch einen Tartaros, der oft mit jenem verwechselt wurde, jedoch war
er ein Strafort gefallener Götter, ein Götterkerker (ßea^imtiqQiOV) und dem gemäss in der Tiefe eben so weit,
wie der Himmel in der Höhe, von der Erde entfernt. Da öfters bei dem Kampf der Elemente die Natur-
wesen in Hader und Streit zu gerathen schienen, so dichteten die Alten selbst für ihre Götter, die auf
den lichten Gipfeln des Olympos oder über den Wolken wohnten, diesen Ort der gerechten Vergeltung,
einen grauenhaften finstern Abgrund, wo die aufrührerischen Titanen hinverstossen und diejenigen der
Unsterblichen, welche den Göttereid gebrochen, eingesperrt wurden. Sie dachten sich denselben als die
Wohnung des Sohnes des Aethers und der Erde, des Tartaros, Frostschauers oder personificirten Frostes,
welcher die Natur selbst erstarren macht, darum die gefangenen Naturwesen dort, gleichsam einen Götter-
tod erleidend, neun Jahre betäubt und athemlos dalagen und neun andere Jahre, sich allmählig erholend,,
bis zur Wiederkehr in den Olympos, zubrachten. Die Götter oder unsterblichen Ordner, &eol aftavwvoi,
waren nicht ewig5 durch den Genuss der Ambrosia, eines jedem Unsterblichkeit verleihenden und beför-
dernden Mittels, sey's als Speise, Trank oder Salbe gebraucht, mussten sie ihr göttliches Leben erhalten,
machten sie den Tantalos, der hinwieder für seine Jugendgenossen davon stahl, und den Aristacos unver-
gänglich (aqi&iTos) *).
Eherne Mauern hatten die einäugigen Cyclopen rings um den Strafort gezogen, die hundertarmigen
Riesen, Hekatonchiren, hielten Wache, und von hohen Felsen stürzend stäubte das tödtliche Gewässer
des Göttereides herab j die eiskalte Quelle des Abscheus, oder der furchtbaren Styx, deren Vorbild in
Arkadien als ein den Felsen schwarz färbender Wasserfall (jetzt Mavronerö) dem Volke vor Augen stand,
und welche ihren verhassten Namen hauptsächlich wegen ihrer Kälte trug, als ein Gegenstand des Ab-
scheus für die Naturgötter gleich dem Gedanken der Todtenkälte für die Menschen, übrigens aber als ein
starkes Gift verrufen war und noch jetzt für krankheitbringend gilt.
Nur die Seelen, nur die der Auserwählten, wie Menelaos als Eidam des Zeus, gelangten nach dem
Tode sogleich an einen Belohnungsort, zu einem Sitz der ewigen Freude. Dieses Paradies, das Elysion
Homers oder der Erlösungsort, wo des Kronos Beisitzer, der gerechte Rhadamanthys wohnt, lag am
äussersten Ende der Erdoberfläche oder im erdumgürtenden Fluss Okeanos auf den Inseln der Seligen,
auf welchen des Kronos Burg stand, den Gegensatz zu dem Hause des Hades bildend, die Burg des
uralten Zeitgottes, welcher Anfang und Ende umfasst und die Seelen der Gerechtesten bei sich aufnimmt.
Virgil setzte das Elysion als einen Ort des Lohns zur Rechten von dem Hause des Pluto in die Unterwelt,
wie den Tartaros als einen Ort der Strafe zur Linken. Immer blieb es nur ein fruchtbares Gefilde von
linder, heiterer Luft umweht, eine Wiese von Asphodelos blühend, der Proserpinen geweihten, wunder-
kräftigen, vor dem Zauber der Hekate bewahrenden Blume der Gräber, ein Ruhesitz, wo die Seelen der
Eingeweihten in Myrtenhainen sich aufhielten, wo die Seligen sich in Gastgelagen, dem Beispiel der Götter
gemäss, erfreuten, und wo endlich wiederum eine Quelle strömte: Lethe, die Quelle der Vergessenheit
des vielbewegten schmerzvollen Lebens, welche die Lebadeer nächst Mnemosynen, der Erinnerungsquelle,
in ihrem Stadtbezirk zu besitzen wähnten.
So erschien die zukünftige Welt dem Menschen, dessen Vorstellungen von sinnlichen Wahrnehmungen
bedingt sind, jederzeit als ein Abglanz der jetzigen. Wenn jene Anfangs an die äussersten Enden der
Erde, der Göttersitz auf die Gipfel derselben versetzt wurde, nachmals zu den Wolken, zu dem Sternen-
himmel und zu dem Aether oder der feurigen Gasregion überging, so spiegelte der Himmel selbst doch immer
nur die Erde wieder, und sogar das Meer der Ewigkeit trägt in seinem Grunde Berge, Thäler, Flüsse und
Quellen wie andere Meere. Das Chfistenthüm allein hat eine künftige Welt der Andacht, als des höch-
sten Aufschwungs der Seelej in einem geistig farblosen, durchsichtigen, eintönigen Himmel begründet,
und seitdem berichteten kühne Luftschiffer und Bergwanderer, dass der Himmel, in der äussersteri Men-
schen erreichbaren Höhe gesehen, seiner Reize beraubt verlösche und schwarz, wie eine Todtendecke, über
die vergängliche Erdenwelt sich ausbreite. Reich an Erfindung verschiedener Strafen der Gottlosen und
Bösen zeigten sich sowohl die Alten, als die Neuern, sinniger die ersten, welche diese Strafen in unge-
stillten Wünschen und unaufhörlichen Bestrebungen und Mühen setzten, und statt des hienieden anspor-
nenden Reizes der Freude, Zwang des Schmerzes zur Triebfeder fortdauernder Lebensthätigkeit machten ;
aber der letzte, höchste Lohn der Edlen und Guten beschränkte sich immer auf die Erlangung des
ewigen Friedens, welche bei den ersten Christen den kurzen rührenden Inhalt der Grabschriften ausmacht.
In den düsteren Schatten tritt die Idee von dem Verlust des süssen Lebens^ dessen Liebe und
Erhaltung die Gottheit allen Geschöpfen tief eingeprägt hat, dessen Besitz den genussreichen Naturver-
ehrern im schönen Süden das höchste Gut zu seyn dünkte, mit ihrer ganzen Bitterkeit und Härte hervor,
einen künftigen Zustand schaviriger Vernichtung, ewiger Trauer und vergeblicher Sehnsucht nach entschwun-
dener Körperkraft und entrissenem Erdenglück feststellend. Zitternd folgt daher der Schatten dem Zwange
des Schicksals welches ihn dem Lichte entführt und zu dem verhassten Daseyn in einem finstern Aufenthalt
hinabzieht. Den contrastirenden schwermüthigen Zug, welchen eine solche Vorstellung in dem heitern
Glauben der Alten bildet, verstärkt nebenher noch das Unsichere, Schwankende und Dunkle des Begriffs,
der den Schein gewinnt und verbreitet, als ob die Seele sich nicht von dem Schatten trenne. Zwar sollte
nur der Wahrsager Tiresias allein von Persephone erlangt haben, dass sein Geist oder Denkvermögen
(tyovs) mit seinem Schatten vereinigt bleibe *), aber schon dieses Beispiel der Möglichkeit einer solchen
Vereinigung gestattete den volkstliümlichen Ansichten eine weitere Ausdehnung und verschiedenen Meinungen
einen freieren Spielraum, zumal da Dichter, wie Homer, Pindar u. a. 3), neben der genauen Unterscheidung
von Seele und Schatten, oftmals beide verwechselten und der ersten beilegten, was der zweiten gebührt;
Zwiefach erschien das innere geistige Leben des Menschen, als ein bewusstes und unbewusstes;
zwei Quellen seines ErkenntnissVermögens hatte man wahrgenommen j von denen die eine in der Helle
des Verstandes, die andere im Dunkel unerklärlicher Vorgefühle und Wissenskräfte entspringt; jene gehörte
der Seele, diese dem Schatten an. Ausser den vorkommenden Traumerscheinungen und Gesichten von
Verstorbenen, führte vermuthlich die Bemerkung, dass schon der Keim jedes organischen Körpers das
ganze Wesen als ein Ideal im Kleinen vollendet enthalte, auf den Begriff von den Schatten. Wie der
Quell als Urbild des Stroms erscheint, so ist der Schatten oder Idolon das Urbild des Menschen, welches,
mit gestaltender Naturkraft begabt, die Formen entwickelnd im Körper verbreitet liegt und Trauni
und Ahnung seinen göttlichen Ursprung bekundet, aber mit der Auflösung des aus Erde geschaffenen
Menschen zu den Erdgottheiten wieder zurückkehren muss. In diesem Sinne sang Pindar:
Selig Loos erwartet alle
Wenn sie von Noth das End' erlöset:
Zwar folgt der Leib Jedwedes der zwingenden Macht
Des Todes; doch lebendig bleibt zurück
Des Lebens Ebenbild, denn dieses allein entstammt von Gott,
Und schläft, indess Müh' duldet der Leib;
Mit dem religiös und philosophisch festgestellten und anerkannten Daseyn des Schattenreichs hatte
man seit frühester Zeit schon den Grund zu allem Glauben an Gespenster und Geister gelegt, dessen der
Mensch sich niemals ganz erwehren kann, und zu dem er sogar in erleuchteten Zeiten bei ganz veränderten
Ansichten sich immer wieder zurück neigt, obgleich das Verstandesurtheil das Daseyn solcher Wesen für
Blendwerk der Sinne erklärt. Unter einem Volke von der lebhaften Phantasie und der grossen Reizbarkeit,
wie die Griechen, musste die manchen Menschen eigene Fähigkeit zu Gesichten und Erscheinungen
häufiger vorkommen, und so lebten die Alten seit den homerischen Helden grossentheils in der festen
Ueberzeugung, dass die Abgeschiedenen beständig mit den Lebenden verkehrten. Indem die letzten Lebens-
zustände den entscheidendsten und dauerndsten Eindruck hinterlassen, so findet man die Schatten, Lebenden
gleich, entweder mit dem Anzug, den sie zuletzt getragen, oder in Verhüllung mit dem langen Todten-
gewande, dem Tapheion, dargestellt t). Von den Schatten verschieden sind die Seelen (^v%aT) der
Verstorbenen und der Zustand derselben ist es gleichfalls, wie auch öfters die in dieser Hinsicht verbrei-
teten Begriffe sich nähern und zusammenfliessen. Nächst dem Symbol der Seele, dem aus der Verpuppung
auffliegenden Schmetterling oder der lichtstrebenden Motte, schufen die Griechen eine Personification der
Seele, die mit Mottenflügeln versehene, bekleidete Psyche. Die Geister oder Manen (^coeg) der Verstor-
benen wurden als luftfarbene kleine Flügelwesen in nackter Geniengestalt8), oder auch geradezu, wie in
der Sage yon den Memnoniden, Meleagriden, Diomediern, als Vögel 3) dargestellt, weil diese Geschöpfe
den Göttern näher wohnen, und von ihnen getrieben, im Fluge und in Stimmen die Erkenntniss der Zukunft
ertheilen, ein Glaube, auf welchen die Vogelschau sich gründete, welches die Perser veranlasste, die Vögel
Dolmetscher des Himmels zu nennen, und welches mit dem vermeinten Ahnungsvermögen der Verstorbenen
übereinstimmte. Als Geistersymbol galt ferner die sich häutende und wieder verjüngende Schlange, welche
die Sage aus dem Menschenkörper entstehen4), das Ohr, das Auge der Schlafenden aufhellen und sie zur
Vogelschau bilden lässt; darum kommen Schlangen an Hausaltären vor und werden den Heroen oder
Schutzgeistern des Hauses geweihte Thiere genannt 5) 5 ja man trug sich sogar mit dem Gerücht, dass sie,
als Geister der Vorfahren, den Müttern grosser Männer, wie des Aristomenes, Aratos, Alexander des
Grossen beigewohnt hätten.
Indess der Schatten des Herakles, Achilleus, Arislogiton und Harmodius u. A. in dem Hades
weilet, hat die Seele des ersten im Olympus, die der andern in den Inseln der Seligen ihren Sitz. Wie
der neblige dunkle Schatten, von der Leiche geschieden, von der Erde in die Unterwelt hinabsteigt und in
das Plutonische Haus eingeht, so steigt die in die Luft gehauchte Seele, ipvyj], Athem, Hauch, in
höhere Regionen empor und gelangt allmählig in den leuchtenden Mond oder die himmlische Erde, Gaea
Olympia, wo der Geist von der Seele geschieden wird. Verklärt als feuriger Aether tritt jener hervor, daher
die dort waltende Göttin Persephone den Zunamen Däira trug und die ihr Geweihten Dairiten hiessen.
Demgemäss verkündeten auch die begeisterten Sibyllen den Uebergang ihrer Seelen in den Mond, ihrer
Körper aber in Gewächse und in Eingeweide der Thiere, die von wahrsagenden Kräften erfüllt würden.
Diese aus der Lehre von der Seelenwanderung verbreitete, in die Geheimlehre übertragene Ansicht eröff-
nete den Menschen einen stufenweise läuternden und verklärenden Weg durch die Gestirne zur Quelle des
Lichtes hinauf. Mit den Wanderungen und zwölf Arbeiten des Herakles und Theseus, welche man auf
1) s. in Millin's descript. des Tombeaux de Canosse, Tab. VII. die auf einer Vase gemalten Schatten des Aeetes mit der Ueberschrift:
eldalov 'AirjTov.
2) s. T. XLVIH.
5) s. T. IV. N. 3.
4) Plutarcli. Vit. Agis et Cleomenes in fine.
5) Athenaeus VI, 18.
18
die Zodiakalzeichen in der Sonnenbahn bezog, war das Vorbild von der Seelen Schicksal schon gegeben,
und besonders war Herakles, der die Todtenverbrennung einführte und zuletzt, sich lebendig den Flammen
übergebend, den olympischen Götter sitz errang, das Muster der nach dem Lichtquell strebenden Seele.
Konnte nun der Schatten selbst bei seinem Rücksehnen nach dem Lebensquell keine vollkommene Ruhe
erlangen, so harrte der Seele, zufolge jener Ansicht, nicht nur keine Ruhe, sondern eine gesteigerte
Thätigkeit bis an das ferne Ziel, wie schon ihre Perfectibilität und ihre selbst im Schlafe sich äussernde
Regsamkeit und Rastlosigkeit, zumal nach Ablegung der hemmenden Körperbürde, voraussetzen Hessen.
Dennoch neigten sich schon die Alten zu der gewöhnlichen Vorstellung von dem zukünftigen Daseyn, als
einem ewigen Ausruhen nach des Lebens Mühen, eine Vorstellung, welche nur durch lebensmüdes Alter,
Todesschlaf, Erstarrung und Einsargung der Todten veranlasst wird, und bei welcher die unendliche Dauer
der Ruhe und Müsse ausser Verhältniss steht mit der eine Ewigkeit nicht einmal ermessenden Thätigkeit
der kurzen Lebensfrist. Hinwieder vermochte die Seele nach der volksthümlichen Ansicht der Alten, sich
niemals ganz von dem Grabe zu trennen. Wenn bei den Aegyptern die Meinung herrschte, dass die Seele
sechstausend Jahre in dem einbalsamirten Körper zubringen müsse, so glaubten die Griechen, dass ihr
aus der vormaligen Verbindung mit dem Körper noch eine Neigung zu den irdischen Ueberresten und zu
den Blutsverwandten, eine Theilnahme für die Angelegenheiten des Hauses und Staates bleibe, dass sie
einen Hang zu der Heimat behalte und bei ihrem Grabe sich niederlasse; daher man ferner Gräber und
Grabdenkmale als heilige Häuser und ewige Wohnungen zu betrachten und wie kleine Tempel {vdtdva)
und unterirdische Gemächer {jisya^d) der Erdgötter, insbesondere der Demeter und des Dionysos, zu
gestalten, Verschollene oder in der Fremde Umgekommene in leere Grabmäler, Kenotaphe, pleichsam in
vorbereitete Wohnungen, laut zurückzurufen und Speise nebst Getränk auf Gräber hinzustellen pflegte.
An dem vor Theben errichteten gemeinsamen Grabe des Eteokles und Polynices, welche Antigone's
schwesterliche Liebe nach dem Tode zu vereinigen gestrebt, sollte sich die alte, unversöhnliche Sinnesart
der feindlichen Brüder noch bei der jährlichen Todtenfeyer bewähren, indem ein Hass in den Opferflam-
men, eine plötzliche Trennung der Feuer- und Rauchsäule in zwei gesonderte Theile sich jedesmal zeigte *).
Auf dem Grabe des Sehers Pionis in Mysien glaubte man bei Darbringung des Todtenopfers das Wunder
des von selbst aus der Erde aufsteigenden Rauches zu schauen s). So entstanden an den Ruhestätten der
Abgeschiedenen berühmte Orakel, in welchen ihre Geister als verborgene Wissenskräfte, als unterirdische
Rathgeber sich dem Volke offenbarten und durch Zeichen oder durch Erscheinungen und Träume den Be-
fragern aus allen Gegenden erwiederten, wie beim Höhlen - Orakel des Trophonios zu Lebadea, beim
Traumorakel des von der Erde verschlungenen, vergötterten Sehers Amphiaraos unweit Orope, bei
den Gräbern des Amphilochos zu Mallo in Cilicien 3), und des Aristomenes zu Messene 4). Das älteste
Orakel zu Delphi gehörte der Erde an; der Hüter desselben war das Geistersymbol, die Schlange, mit
Namen Python oder Delphyne, welche Apollo bei Besitznahme des Orakels erschoss. Die Gaea, Demeter
und Persephone hatten neben einem gemeinschaftlichen Tempel bei Patrae eine wahrsagende Quelle, durch
welche den Kranken über ihren Zustand untrügliche Orakel ertheilt wurden &). Die aus der Erde vor-
schlüpfende, hautwechselnde, sich verjüngende, ahnungsvolle Schlange war zugleich ein Bild der Genesung,
ein Attribut der Gesundheit Hygiea und des Heilungsgottes Asklepios-Aesculap selbst, der öfters in
solcher Thiergestalt verwandelt erschien, und an ihren Aufenthaltsorten wuchsen gemeiniglich die der
Demeter Cabiria zugeschriebenen Heilungskräuter. Das ärztliche Heilungsverfahren bestand in leisen Be-
sprechungen, Liedern und auch in Todtenbeschwörungen. Man beachtete den In sl In et der Thiere und die
Begehrungen der Kranken. Aus Todtenorakeln ging die Heilkunde hervor, welche sich durch den sanften
lebenbefördernden Schlaf mit dem Beinamen Epidotes (Begaber), und durch in Träumen verordnete Heil-
mittel offenbarte. So geschah es am Grabe des Amphiaraos (Ringshelfcr), dessen Altar, in fünf Theile
gesondert, heilkundigen Göttern und Halbgöttern, Heroen und Heroinen, Heilquellen und Flüssen gewidmet
war *) 5 so auch im Asklepieon zu Epidauros, wo die besuchenden Kranken, um zu genesen, schlafen mussten,
und zu Sicyon, wo der Schlafgott Hypnos, einen Löwen einschläfernd, neben dem ahnungsvollen Traum-
gott Oneiros vorkam. Der Todtenerweckende Gott der Aerzte, Asklepios selbst, Sohn des pestver-
breitenden und pestentziehenden, ärztlichen Apollo, ward auf dem Scheiterhaufen der getödteten Mutter
Koronis aus ihrem Leichnam durch den Seelenführer Hermes, Lehrer der Arzeneikunde, gerettet, ausge-
setzt, von einer Ziege gesäugt, und von einem Hunde, dem Zeichen der Gestirne, bewacht, und an dem
Lichtschein seines Hauptes erkannt. Sein Lehrer war der erste Wundarzt, der halbthierische Chiron,
seine Gattin Epione, die Linderung, und seine Töchter Hygiea, die Gesundheit, und Iaso, Heilung. Auf
des Hades Klape über seine Wissenschaft und Erweckung der Todten, wurde er ton Zeus mit dem Blitz
erschlagen uud musste endlich selbst den Tod erleiden.
Gerieth das Vaterland in Noth und Gefahr, so nahm man zu den Geistern der Helden die Zuflucht,
oder diese übernahmen selbst noch ihrer frühern Gewohnheit gemäss die Vertheidigung desselben, stiegen
aus den Gräbern, fochten in den Reihen der Krieger und vertrieben den Feind durch Schrecken und
Grauen, wie Echetlaeos und Theseus bei der Marathonischen, Kichreus in Drachengestalt bei der Salami-
nischen Schlacht, Neoptolemos und Andere beim Angriff der Gallier auf Delphi. Gern räumten die Alten
daher den Vorfahren, von denen Glück und Reichthum der Familien ausgegangen war, die Grabstätte in
dem Innern der Wohnhäuser selbst ein, brachten die Gebeine der Stammhäupter des Volkes in die Städte,
wie des Theseus Gebeine nach Athen, des Arkas nach Mantinea, des Orest nach Sparta, und glaubten
»ich und ihren Nachkommen Schutz und Segen dauernd zu versichern, indem sie die Reste der früheren
Verwalter des Haus - und Staatswesens in ihren Mauern bewahrten. Uebereinstimmend ist der Sinn des
Wortes, womit sie die Geister der Verstorbenen, die Manen, bezeichneten, des Wortes <!mwes Heroen,
welches wie ■ficutaQQ?, Selige, geltend, Herren, Schutzherren des Hauses und Landes bedeutet *).
Doch haben die Geister auch das Vermögen zu schaden, leicht sind sie zu reizen und schwer zu
versöhnen. Sie rächen den Unglimpf des Hauses oder die Verletzung und Vernachlässigung ihrer Rechte
durch plötzliche Unfälle und Schrecken; man kann sie mittelst Zauberkünste zum Dienste zwingen und
durch Beschwörungen heraufrufen. Geräusch, welches die Luft erschüttert, widersteht ihnen als Luft-
wesen und erregt ihren Zorn. Darum beobachtete eine ehrfurchtsvolle Stille, fühlte eine heilige Scheu,
wer die Grabstätten betrat, und Wanderer hüteten sich, auf den an Landstrassen stehenden Gräbern einzu-
schlummern. Durch den reinen Klang des Erzes wurden die bösen Geister, welche unstät umherirrten,
vertrieben. Daher stammt der Gebrauch eherner Stangen in den Kirchen wie bei den ersten Christen so
bei den heutigen Griechen, und die Einführung der Glocken, welche zuerst im mystischen Weihetempel
oder Telesterion der Demeter vorkamen.
Aber die Geister können auch lange Zeit die Plage eines Landes bleiben, wie das Gespenst oder
der Schatten, Idolon, des Aktaeon bei Orchomenos, welcher durch Fesselung seines eigenen Bildes
i) Pausan. I, 34. 2.
2) Crtsuzers Symb. und Mythol. Th. III. S. 19 sq.
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gebannt wurde, der rachübende Geist eines Gefährten des Ulysses zu Temessa *), der Jungfrauen zum
Opfer erhielt, bis ihn der Athlet Enthymos endlich im Kampfe bezwang".
Ebendesswegen mussten die Chier die höchsten Heroenehren, Tempel und Opfer, dem verworfenen
Sklaven und Räuberhäuptling Drimakos stiften, der im Gefühl des herannahenden Alters von der Hand
seines Lieblings sich hatte entleiben lassen, damit keinem andern der auf sein Haupt gesetzte Preis zu
Theil werde; und nunmehr nannte das Volk ihn den guten, edlen Heros und meinte, dass sein Geist
erscheine, die Umtriebe der Sklaven den Herren zu verrathen 3). Die bösen Geister unterschied man auch
durch schwarze Hautfarbe in Gemälden, wie bei erwähnter Vorstellung des Heros von Temessa und bei
den gemalten Hypogaeenfriesen von Tarquinii. Um überhaupt die Geister der Verstorbenen zu beschwich-
tigen und für sich zu gewinnen, pflegte ein regelmässiger Todtendienst, in Spenden, Opfer und Gebet
bestehend, auf den Gräbern stattzufinden; auch waren in ihrer Nähe eigene Heiligthümer zur Verehrung
der Manen oder Heroen eingerichtet. So sieht man noch bei der Gräberstätte des erst vor wenig Jahren
ausgegrabenen Acrae, jetzt Palazola, in Sicilien eine halbrunde Felsengrotte, in welcher ein mehrfach
abgetheilter langer Opferheerd oder Altar von der Wand vortritt; die an demselben eingehauenen Ver-
tiefungen oder Nischen enthielten bei der Findung Relieftafeln mit der Vorstellung der an Tischen gela-
gerten Manen oder Heroen, und unter den Vertiefungen sind meistens die Worte HPQU ATAQOU oder
auch HP&Z! allein und der blosse Buchstabe TI eingegraben. Nicht ungewöhnlich ist auch diese eben-
erwähnte Bildung der Geister oder Manen Verstorbener, in welcher Schatten und Seele wieder vereinigt
erscheint und meistens nur die riesenmässige Erhöhung der Menschengestalt sie von den Lebenden unter-
scheidet. Dann sind sie aber auch immer als Zecher dargestellt, mit grossen Trinkhörnern oder Rhyten
in den Händen, wie Athenaeus Lib. XI. c. 2 bemerkt, in Rücksicht der Heftigkeit und Plötzlichkeit
ihrer Erscheinungen, oder einfacher, in Rücksicht des charakteristischen Durstes der Schatten und der
ebendeswegen den Verstorbenen zukommenden Wein- und Blutspenden. Familienbegräbnisse, wo die
Aschenurnen reihenweis übereinander in Nischen aufgestellt standen, wie ein wohlerhaltenes zu Patrae in
Achaja noch vorhanden ist, hatten bei den Römern, in Bezug auf die Königin der vogelgestaltigen Manen
Venus - Proserpina oder Pherphatta, die Taubenträgerin, mit der Taube anf der Hand, den Namen
Columbarien, Taubenschläge.
Mit zunehmender Zeitferne wächst und steigt die Verehrung der Verstorbenen; die Männer der
grauen Vorzeit stellen sich der Phantasie in vergrösserter Gestalt und mit erhöhten Gaben dar; zufällig
ausgegrabene riesenmässige Gebeine, wie die des Pelops, des Ajax, die sieben Ellen langen für des Orest
gehaltenen Ueb erbleib sei, bestärkten das Volk in diesem Glauben 3). Grossthaten der Vorfahren erregen
die Bewunderung der Nachkommen; Göttliches wird im Menschen erkannt; es tritt die Apotheose, Ver-
götterung der Helden ein, und allmählig vermischen sich die Begriffe von den wohlthätigen seligen Stamm-
herrn mit denen von den Göttern selbst.
Die heilige Sage, welche über die Natur einen mit Sinnbildern reich durchwirkten Schleier webt
und in geheimnissvollen Gestalten das Leben der Vorwelt, religiöse Ansichten und Philosopheme zu
lebendiger Anschauung bringt, verknüpft die Naturgeschöpfe mit den Naturgöttern, lässt diese in Verkör-
perung sich zu Menschen gesellen und verschiedene Gestalten annehmend, hochbegabten Menschen das
Leben geben. Nach einem Satze der bacchischen Geheimlehre beschaut sich der Schöpfer selbst in der
Natur wie in einen Spiegel und durch den Sinnenreiz angezogen tritt er in die sichtliche Formenwelt.
Das Wort Heroen (ijQwes) bezeichnet eine Art zwischen Göttern und Menschen stehender Mittelwesen.
Die Heldenseelen gehen in Sterne über und erfüllen den Himmel, wo sie als leuchtende Puncte neben
den Tag - und Nachtwechselnden grossen Lichtern glänzen. Indem die Gestirne die Zeiteintheilung
bestimmen, Einfluss auf Landbau, Schiffahrt, überhaupt auf die Geschäfte der Menschen ausüben, behalten
die in den Himmel erhobenen Helden oder die ersten Acherleute, Gesetzgeber, Krieger und Schiffahrer
eine Rückwirkung auf die Erde, die ihre Leiber verbirgt, und wie sie einst im Haus - und Staatswesen
als Lenker des Gedeihens und der Wohlfahrt erschienen, so erscheinen sie wiederum im grossen Natur-
walten. Mit der vor schreitenden Vielgötterei befestigt die Sage die schwankenden Wesen der Phantasie
an das Geschichtliche und Wirkliche. Hier begegnet der Idealismus dem Euhemerismus und lässt der
Grundlage dieses Systems, insofern es Götter mit vergötterten Menschen verknüpft, Anerkennung wieder-
fahren, erweist aber die Verkehrtheit desselben in der irrigen Ableitung ersterer von letztern. Der Heros
Hipposthenes (Rossmacht) ist eine Verkörperung des Poseidon Hippios, des Reisigen 5 wer in Sparta seine
Grabstätte, den Tempel des Gottes, zu betreten wagt, dem springt er als Woge entgegen1), deren Sinn-
bild das Ross ist, wie noch heut das dafür gebräuchlich« italiänische Wort Cavallone bezeichnet. Tro-
phonius der Ernährer und Erzieher, der unter dem Beinamen Eubulos, Wohlberather »), in einem Erdge-
mache Orakel ertheilt, gilt für den Erdgeist Hermes selbst; der König der Könige, Agamemnon, wird zu
einem Zeus Agamemnon, die in einen Hirsch verwandelte Priesterin Iphigenia zu einer Venus Nemesis.
Tempel und Altäre erheben sich über die Gräber der Verstorbenen oder ihre Gebeine werden in Tempeln
und Altären der Götter bestattet 5 wie In christlichen Zeiten die Leichname und Reliquien der Märtyrer
und Heiligen häufig die Erbauung von Kirchen und Kapellen veranlassten. Ueber die nach Athen gebrachten
Reste des Theseus wurde von Kimon ihm der noch erhaltene Tempel gestiftet, Amphiaraos Grab und
Orakel war in Tempelform erbaut3), über Kastors Grabmal in Sparta stand ein ihm erbautes Heilig-
thum 4), Pyrrhos lag im Tempel der Ceres zu Argos ä), der Arkadische Stammheld Arkas beim Altar im
Tempel der Juno zu Mantinea begraben 6) 5 die Reste des Hyazinthos lagen im altarförmigen Fussgestell
der Statue des Amykläischen Apollon. Grabmäler sind nun Tempel der Verstorbenen, Tempel Grabmäler
der Götter. Ueber dem Grabhügel der Kallisto, welche, im Vergleich der Sage von ihrer Verwandlung
in eine Bärin mit dem Dianenfest Arkteia und mit der Benennung Arktos, Bärin, für eine der Göttin
geweihte Braut, wahrscheinlich als eine Dianenincarnation angesehen wurde, war der Tempel der Diana
Kailiste errichtet 7) 3 die von lichtweissen Augenbrauen benannte Leukophryne war zu Magnesia im Tempel
der gleichbenannten Artemis Leukophryne, die der ephesischen Göttin ähnlich gebildet auf Münzen 8) vor-
kommt, bestattet 9). Bacchus selbst hatte nächst dem Helden Neoptolemos im Heiligthum zu Delphi, Osiris
im Tempel der Isis zu Sais seine Grabstätte. Man betrachtete die Gräber überhaupt als geweihte Heilig-
thümer10), ihre Berührung, die Solon durch strenge Strafgesetze verbot n), galt für Frevel gegen das
Göttliche. Da sie aus so manchen Gründen und Anlässen als Unterpfand der Wohlfahrt eines Landes
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den Alten erschienen, so gedachten sie ihrer, wo es auf das theuerste Besitzthum eines Volkes ankam,
stets neben den Tempeln, und für sie focht die wehrhafte Jugend wie für den Boden und die Götter.
Aus dieser Ansicht von den Gräbern und dem Zustande der Seelen nach dem Tode, welche bei
den meisten Völkern der alten Welt sich vorfindet und noch bei einigen Völkern Hinterasiens und Ame-
rika's fortbesteht, entstand im Zusammenhang mit dem Begriff einer Göttin der Geburt und des Todes,
einer Vorsteherin der Hochzeit- und Todtenfeyer, der Gebrauch, wie bei Vermählungen den Bräuten, so
bei Bestattungen den Verstorbenen, eine Mitgift zu geben. Alles, was ihnen im Leben lieb und werth
gewesen, was zum Bedürfniss und zur Zierde der Lebenden gehört, ja manchmal sogar ein Schatz von
Münzen, von Gold und Edelsteinen, wurde ihnen beigesetzt Der sinnige, kunsterfahrenc Grieche Hess
auch die Todten nicht ohne die gewohnte Umgebung von anmuthigen, belebten Gegenständen 5 er legte
Bildnisse der Geliebten, Opfergeschenke in die Gräber, und jede den Verstorbenen geweihte Gabe musste
durch Kunst Dauer und Zierde empfangen 5 er wählte selbst die heitersten und bewegtesten Scenen zum
Schmuck ihrer Grüfte, Särge und Aschenkrüge, und strebte also für den erlittenen Verlust ihnen den voll-
ständigsten Ersatz zu reichen. Auf ihren Grabsteinen liess er sie noch die Vorübergehenden in kurzen
Gedichten anreden oder legte dem Leser einen freudigen Abschiedsgruss in den Mund, Gefühle erweckend,
die wohl und wehe thun, und die man so gern von Gräbern mit sich nimmt. Eigene Kränze winderinnen,
wie die Glykera des Malers Pausias zu Corinth, beschäftigten sich fortwährend mit Verfertigung von
Braut- und Todtenkränzen, welche als Liebesgaben Eroten hiessen. Im Innern der stillen Todtenbehau-
sungen, die lange Gräberstrassen bilden, sich bis zu ganzen Todtenstädten oder Nekropolen erweitern,
wie in Sicilien. die sogenannte Cava d'Tspica, spricht nnpJi Allee von ihrem ehemaligem s;nnen ,mJ Treiben
von ihren Sitten und religiösen Gebräuchen, bezeugt uns Alles, wie sich die geistige Fortdauer der Ver-
storbenen in der Seele der Angehörigen reflectirte, und aus Bild und Wort drängt sich ihr vergangenes
Leben in unsre Gegenwart. Der Forscher findet hier die Abschattung einer untergegangenen Welt, einer
jugendlichen Welt des Schönen, einer poetischen glücklicheren Bildungsstufe der Menschheit, und gewinnt
durch die wirkliche Anschauung mehr, als die Findung antiker Handschriften ihm gewähren könnte. Mit
glücklichem Zufall aus Gräbern zusammengelesene Scherben und Bruchstücke haben oft schon helfen
müssen, mangelhafte Nachrichten der Alten zu ergänzen. Manches Geheimniss, welches in der Vorwelt
nicht ausgesprochen werden durfte, kam durch die stumme Sprache der symbolisirenden Kunst aus Grä-
bern der Todten zum Vorschein. Hier erhielten sich Beispiele der ältesten Malerei und Bildnerei, wie
auch Nachbildungen verlorener berühmter Werke. Kunstbestrebungen verschiedener Epochen, verschie-
dener Schulen liegen hier vor Augen und setzen uns in den Stand, ihre Eigentümlichkeit aufzufassen,
sie zu unterscheiden und zu beurtheilen. Zu solchen Betrachtungen veranlasst schon allein die Menge der
schön geformten, bemalten Vasen, der Lampen und Thonbilder, welche sich neben verzierten Geräth-
schaften aus Metall, Bildern und Waffen aller Art in Gräbern befinden, durch Reichthum, Mannigfaltigkeit
der dargestellten Gegenstände sich auszeichnen, und in beigefügten Inschriften der Wissenschaft unschätz-
bare Aufschlüsse bieten. Diese Werke gehören einem eigenen Zweige der Plastik an, welcher bei der
Bestattung und beim Todtendienst erwuchs, und bloss aus vorhandenen Namens aufs chriften kennen wir
eine ganze Reihe von Künstlern, deren Thätigkeit im Formen und Bemalen derselben bestand. Da sie
bei der Hinfälligkeit des Lebens immerfort in Anspruch genommen wurde, so lässt sich ihr bedeutender
Einfluss auf die Kunst der Erfindung, Zusammenstellung und Zeichnung ermessen, und die Vollkommenheit,
zu welcher diese Art Werke gediehen, erklären. Auf den in Flammen gezeugten Gott Dionysos, welcher
zuerst die Ariadne in einem thönernen Sarge begrub, wurde die Einführung der gebrannten Erde zu
Begräbnissgegenständen bezogen; der Sohn ihrer Verbindung hiess Keramos, Ziegler, von dem der Platz
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Keramikos zu Athen den Namen trug. Einige *) schrieben den Athenern die Erfindung der Kerameen
oder irdenen Gefässe, Andere s) den Korinthern zu, welche bis zu Mummius Zerstörung Ton Korinth im
Nymphäon die ersten, vermuthlich ans Hydrien, Wasser - und Graburnen, bestehenden Proben der Töpfer-
kunst aufbewahrten. Die Mitglieder der Töpferinnung zu Athen nannten sich nach dem Fcuerbringer
Prometheus, der den ersten Menschen aus Lehm bildete, und von dessen Altar in der Academie die
Lampadodroniien oder Fackel- und Lebens - Wettläufe begannen, Prometheenj die Korinther legten dem
einheimischen Töpfer Dibutades die Erfindung der Zeichnung und die der Formung von Thonbildern bei.
Schon Homer kannte die Töpferscheibe 3), und die Verfertigung der gebrannten Thonarbeit reicht in ein
hohes Alter hinauf. Diodor und Pausanias nennen den Sohn oder Neffen des Daedalos Talos, Theophrast
den Hyperbos von Korinth als Erfinder des Töpferrades. Diejenigen Orte, wo die ausgezeichnetsten
Vasen verfertigt wurden, befanden sich nicht zufällig in der Nachbarschaft der Aphrodite - Tempel wie
zu Kolias bei Athen, wo Suidas zokiddws aegaf^se als die berühmtesten erwähnt, zu Korinth, zu Gnidos,
zu Akra in Sicilien, wo beim Venustempel eine ganze Niederlage von kleinen Thonbildern und Köpfen
nebst den Formen, in welchen man sie abgedruckt hatte, gefunden wurden. Auch führte die Erdgöttin
Demeter den Beinamen Poteriophoros, Becherträgerin. Berühmt war Athen wegen der Töpferarbeit über-
haupt, Gnidos insbesondere der Amphoren, Sicilien der Schüsseln und Megara der Krüge wegen.
Die von der Natur selbst in Schatten und Abspiegelung begründete Idee der Malerkunst, welche
anfangs ihren beiden Schwestern, Bild- und Baukunst, dienend vereint war und zuerst in Korinth oder
Sikyon und Aegypten selbstständig erschien bei Nachahmung eines menschlichen Schattenbildnisses, nicht
Umrisses, zierte mit ihren Incimabeln, den schwarzen Monochromen auf röthlichem Thongrunde, die
ältesten Vasen, wie auch die Wände der Grabkammern. Nächstdem hatte aber auch die Architektur ein
eigenes Gebiet zu gefälligen Leistungen bei den Gräbern, und was diese uns hiervon aufbewahrt haben,
ist ebenfalls höchst belehrend. Eine Wechselwirkung zwischen Gräber- und Tempelbau lässt sich darin
nicht verkennen, und selbst der Ursprung mancher an Tempeln angebrachter Zierden auf Heiligthümer der
Todten zurückführen: alles Pflanzen werk gehört ihnen recht eigentlich an, gewinnt auf Gräbern erst seine
volle Bedeutsamkeit, und was unter der Benennung korinthisch begriffen wird, stand an Grabstelen gebildet,
ehe Kallimachos das Motiv zur Veränderung des Blätterkapitals von dem Akanthos, der Todtenpflanze, auf
dem Grabe zu Korinth entlehnte und eine neue Säulenordnung aufstellte. Durch die symbolischen Sagen
von den Verwandlungen und Uebergängen Sterbender und Bestatteter in Pflanzen und Thiere, war längst
der Grund zu solchen Zusammenstellungen vorhanden, und die Ausführung auf Grabgegenständen, nament-
lich auf Vasen, angebracht, bevor die Arabeske einwanderte. Schon die Alten erkannten den Kunstwerth
der griechischen Grabdenkmäler, schon bei ihnen erlangten sie einen besonderen Ruhm: mit den Nekro-
korinthien füllten die den Boden Griechenlands umwühlenden Römer ihre Prunksäle und gaben Summen
Goldes dafür hin5 doch erst den Neuern war es vorbehalten, die Wichtigkeit derselben ganz einsehen zu
lernen. Nachdem Heiligthümer jeder Art, berühmte Meisterwerke der drei bildenden Künste im Sturm
der Zeit und des Lebens versunken oder ganz vom Erdboden verschwunden waren, die Kenntnisse der
Vorwelt sich verdunkelt oder verloren hatten, zeigte sich in der Tiefe der stillen Grüfte ein immer noch
unerschöpfter Schatz von jenen Werken, unter denen oft sogar die zerbrechlichsten unversehrt geblieben.
Ihre Erhaltung verdanken wir theils der Ehrfurcht und Sorge, evüeßsw, der Alten für die Verstorbenen,
einem Zuge ihrer Humanität, in welchem sie die Neuern weit übertrafen, theils dem Schoosse der Erde,
1) Atlienacus I, 22.
2) Plm. Hist. nat. XXXV.
3) II. XVIII, v. 300.
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der es gelang, so manches vor den zerstörenden und wieder umschaffenden Menschen zu verbergen. Die
Bestimmung der Pflichten, welche die Ueb erleb enden gegen die Entschlafenen zu beobachten hatten,
machte einen wesentlichen Theil der ältesten Gesetzgebung aus; hieran knüpften sich Verwandtschafts-
grade, Erbschaftsrechte und die Vernachlässigung des regelmässigen Todtendienstes konnte den Verlust
derselben bewirken *). Sichtlich waltete aber auch ein eignes Geschick über die alten Gräber. Die Mitgift
der Todten sollte erst ihre volle Bestimmung erreichen, indem sie als eine Verlassenschaft derselben auf
die Nachwelt kam, und dieser die Fähigkeit lieh, mit Sehergeist die umdunkelte Vergangenheit zu lichten,
wie die Vorwelt die Zukunft gelichtet. Das Geheimniss der Denkmäler fing an sich der Welt aufzu-
schliessen. Die Fesseln der Altklugheit und pedantischer Wortklauberei begannen vor der überzeugenden
Wirklichkeit und der tieferen Einsicht zu weichen, und eine grossartige poetische Auffassung trat an die
Stelle der kleinlichen Schriftgelahrtheit, die über das Einzelne das Ganze zu beachten vergass. Auf den
Resten des Alterthums wurde eine eigene Wissenschaft gegründet, welche sich der Erdkunde und Geschichte
anschliesst; der classische Boden eröffnete unerwartete, ergiebige Fundgruben, nährte immer neuen Eifer
und Thätigkeit mit der Hoffnung, dass die Lücken der Kenntniss sich ausfüllen lassen. Und so ging in
der neuesten Zeit wieder ein wohlthätiger Einfluss auf den Ideenkreis der Menschen von den Gräbern der
Alten aus.
Das blühende, glückliche Italien, welches die Meisterwerke der Vorwelt in sich verschlungen,
darauf, was die alten Römer versäumt, selbstständig in der Kunst des Mittelalters geleistet, und seitdem
der Kunst und Wissenschaft einen allversammelnden und allerwärmenden Heerd bereitet hatte, lenkte
zuerst das Augenmerk auf seine unterirdischen Schätze ; hier begünstigte herrschender Sinn und Geschmack
die Nachgrabungen in Etrurien, Grossgriechenland und Sicilien, und längst bevor das von Barbaren über-
schwemmte, verwilderte Griechenland untersucht werden konnte, lieferten die Gräber in jenen alten Wohn-
sitzen griechischer Pflanzer und Auswanderer hinlänglichen Vorrath von Kunstwerken, um ganze Museen
zu errichten. Besondere Aufmersamkeit erregten die bemalten Vasen, deren mannigfaltige, öfters unge-
wöhnliche Bilder zum Nachsinnen reizten. Aus einer Masse >on Coiijecluren entwickelte sich im Ganzen
zwar ein klares Verständniss der vorkommenden Gegenstände, jedoch hinsichtlich ihres verschiedenen
Kunstwerthes und Kunststyls hat sich noch kein gehöriges, sicheres Urtheil festgestellt. Obgleich die
Römer den Neuern nur die Nachlese in den Gräbern der Alten gelassen haben, so stieg doch bei diesen,
wie einst bei den Römern, indem sich die Mode mit einmengte, die Bewunderung und Schätzung der
Grabalterthümer bis zur blinden Leidenschaft. Gelehrte vernachlässigten über den antiquarischen Gesichts-
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punct den artistischen, ertheilten oft aus Vorliebe für Seltenheiten geringen Werken ein übermässiges oder
ungebührendes Lob, wovon die meisten bekannten Schriften Beispiele enthalten. Diess hatte die Folge,
dass der Eifer sehr bald sich in Lauheit verwandelte. Oefters vermengte man auch die verschiedenen
Kunstschulen und Kunstepochen untereinander. Der Unterschied zwischen dem Etruskischen und Alt-
griechischen ist noch immer unbestimmt geblieben; vorzugsweise in Italien werden beide verwechselt;
lange Zeit galten die bemalten Vasen überhaupt für etruskische Kunsterzeugnisse, und jetzt noch lassen
die Italiener, Engländer und Franzosen, theils aus Gewohnheit, theils aus Nationalliebe, ihnen die Be-
nennung, obgleich die von Winkelmann längst geahndete griechische Kunst mancher derselben aner-
kannt worden.
Die neuesten Findungen von Vasen mit etruskischen Inschriften und mit Bildern von geschmackloser
1) Die Uebereinstimmung der indischen mit den altattischen Gesetzen der solonischen Zeit hat Bimsen (de jure hereditario Athcnien-
sium disquisitio philologica. Gotting. 1813. p. 98 sq.) nachgewiesen.
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barbarischer Zeichnung haben den Unterschied derselben deutlich gezeigt und gestatten keine Verwechslung
und keinen Missbrauch des Namens mehr1). Durch diese kennen wir den etruskischen Malerstyl der späteren,
wie aus den kurz zuvor aufgegrabenen Wandgemälden in den Hypogaeen zu Tarquinii bei Corneto den der
früheren Zeit, welcher bei Nachahmung der griechisch hieratischen Kunst entstanden ist. Eine Gattung
Vasen mit schwarzen Figuren heisst gewöhnlich bei den Kunsthändlern in Italien Sicilisch, obschon sie
nicht ausschliesslich Sicilien angehört, eine andere, die öfters mit Thierbildern verziert ist, heisst mit
noch wenigerem Grunde Aegyptischj die in E. Dodwells Reisewerk herausgegebenen beiden corinthischen
Vasen hätten diesen Irrthum schon enthüllen können, der um so merkbarer wird, da Vasen aus der
Zeit des in Italien herrschenden ägyptischen Götterdienstes vorkommen, und einzelne acht ägyptische Alter-
thümer aus den dortigen Gräbern hervorgezogen wurden. Neuerdings sind nun auch in Italien gebildete
Sammlungen, wie die von Millingen herausgegebene, welche zwar antiquarisches Interesse haben, aber
fast ganz aus Werken von schlechter Zeichnung bestehen, unter dem Titel griechischer Vasen erschie-
nen $ die Ungenauigkeit dieser Benennung giebt Anlass zu neuen Irrthümern, besonders weil manche
dafür den Ausdruck italisch-griechische Vasen gebrauchten, und den in Griechenland gefundenen jenen
bezeichnenden Gesammtnamen Hessen. Zu wünschen wäre, dass man die Benennung der Denkmäler nach
ihren Fundorten wie öfters mit den Vasen aus Nola, Canossa, Basilicata u. a. geschehen, sich ange-
wöhnte. Ueberhaupt hätte man manchen Missgriffen vorbeugen können, wenn nur nicht bei Nachgrabungen
und zufälligen Findungen die wichtigen Aufschlüsse, welche Ort, Stellung und Nebenumstände geben, so
häufig unbeachtet blieben und verloren gingen. Durch gehöriges Sondern und Zusammenstellen der
bemalten Vasen und Bildwerke in Rücksicht auf ihre Fundorte und ihren eigenthümlichen Kunstcharacter
würde eine klarere Einsicht der vielen Abstufungen, welche Styl und Manier, mehr und minder Geschick-
lichkeit in verschiedenen Gegenden und zu verschiedenen Zeiten bewirkten, erlangt werden5 es würde
sich erweisen, dass wir in den vorhandenen Beispielen den Fortschritten der alten Kunst vom Anfang bis
zum Verfalle nachfolgen können, und dass unter den einander ähnlichen und verwandten Vasen Griechische,
Sicilische, Grossgriechische, Etruskische und Römische im Allgemeinen, aber auch im Einzelnen die meh-
reren Städten angehörenden zu unterscheiden sind, wie denn schon aus dein blossen Technischen der
Vasengemälde das geübte Auge einiger Kunsthändler in Italien die Fundorte zu erkennen vermag.
Einen andern erheblichen Uebelstand bewirkt die noch fortdauernde Unbestimmtheit der Vasennamen,
von denen nur eine geringe Anzahl sicher zu erweisen oder aus Aufschriften zu bestimmen ist, und die
übrigen durch gemeinschaftliche Erwägung und Uebereinkunft zwischen den Gelehrten allmählig festgestellt
werden müssten, indem man die alten Vasenverzeichnisse und Beschreibungen mit den ausgegrabenen Gegen-
ständen vergliche8). Italienische Kunsthändler und Kunstfreunde behalfen sich in solchen Fällen, ihrer
Verständigung wegen, mit selbstgeschaffenen Beinamen, wie z. B. vasi a campana, a colonnette u. s. f.
Wegen der Seltenheit der Grabalterthümer, insbesondere aber der Vasen aus Griechenland, in den
Sammlungen des Auslandes blieben diese bisher wenig beachtet. Erst in den letzten zwei Jahrzehnten
wurden mehrere Nachforschungen in den Gräbern von Griechenland unternommen; die Ausbeute, welche
sie gewährten, war karg an vorzüglichen Kunstwerken, es erwies sich in dem Lande selbst, inson-
derheit bei Corinth, dass, wahrscheinlich in Folge der zur Römerzeit gemachten Nachgrabungen, treffliche
gemalte Vasen nur sehr selten sich finden, dass aber diese an Zierlichkeit und Reinheit der Zeichnung
alle in Italien gefundenen übertreffen, und uns einen Begriff von den bei den Römern so hochgeschätzten geben.
1) Siehe Prof. E. Gerhard, Rapporto intorno i vasi Volcente und Monum. del. Instit. archeol. (1834) Vol. II. Tav. 8. 9.
2) Einen Beitrag hierzu siehe in Recherches sur les vcritables noms des vases grecs par Th. Panofka.
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Indess kamen über die Gränzen Griechenlands erst in den letzten Jahren einige Grabalterthümer,
die in Londner nnd Pariser Privatsammlungen übergingen. Abbildungen von jenen der vorzüglichsten
Gattung fehlen noch ganz. Ueberhaupt erschienen nur einzelne vollständige Grabgefässe, Bruchstücke und
einzelne Thonbilder aus Griechenland, die in Italisch - Griechischen Vasensammlungen und in Reisewerken
verstreut liegen 5 doch hätten sie schon von dem wahren Ursprünge mancher der sogenannten etruskischen
Vasen überzeugen können. Um einem für die Alterthumskunde so fühlbaren Mangel und den eben daher
fortbestehenden Zweifeln und Irrthümern zu begegnen, liefert vorliegendes Werk unter dem Titel: die
Gräber der Hellenen, Grabalterthümer aus Griechenland und zur Vergleichung bei den bemalten Vasen
einen kleinen Anhang von charakteristischen Vasenbildern aus Italien.
Indem diese Sammlung mit Rücksicht auf die verschiedenen Gattungen von Kunstgebilden, auf ihre
Zeitfolge und auf ihre Bedeutung angelegt und geordnet wurde, verbindet sie zugleich den Zweck, durch
eine möglichst vollständige Reihe von Beispielen einen Ueberblick der in griechischen Gräbern vorkom-
menden Gegenstände zu gewähren; jedoch mussten manche freie Darstellungen, welche der Naturcultus
bei den Alten veranlasste, besonders auf den flammennährenden Lampen als eine Reihe von erotischen
Gegenständen vorkommend, ausgeschieden werden, wie es denn mit einem seltenen Lampenrelief aus Athen,
die Umarmung des in ein Ross verwandelten Kronos und der Philyra vorstellend, mit den Thonfiguren
eines bemalten den Kantharos haltenden Priapos und einer niederkauernden, das Kykeongefäss tragenden
Baubo auch geschehen ist.
Zu den Hauptrücksichten bei Anlage dieser Sammlung gehörte ebenfalls die Beschränkung derselben
auf unedirte Denkmäler, womit nicht, wie jetzt häufig geschieht, bloss unerkannte, sondern unbekannte
gemeint sind. Ein mehrjähriger Aufenthalt in Griechenland und Italien bot mir Zeit und Gelegenheit dar,
die hier vereinten Denkmäler an ihrer Quelle zu schöpfen und mit eigener Hand abzubilden, indem ich
von allen dort vorhandenen die merkwürdigsten und schönsten als Studien der Kunst und des Alterthums
hervorzog. Der bei weitem grössere Theil derselben befand sich zu Athen bei dem französischen Consul
Fauvel und dem Maler Lusieri, welche in Folge vieljähriger Nachsuchungen eine bedeutende Anzahl von
Grabalterthümern besassen, mehrere wurden von englischen Reisenden Lord Guilford, Lord Sondes, Herrn
Graham, Legh, Burqon, C. R. Cockerell, Foster, wie auch von meinen Reisegefährten Freiherrn Haller
von Hallerstein, J. Linkh, P. 0. Bröndstet, und von den Herrn von Palin, von Bosset und G. Gropius,
theils in meiner Anwesenheit zu Athen ausgegraben, theils in Ithaka und in andern Gegenden gefunden
oder durch Ankauf erlangt5 mehrere traf ich auf meinen Reisen noch an Ort und Stelle. Für die gefällige
Mittheilung, durch welche die genannten Kunstfreunde mich in den Stand setzten, diese Sammlung zu
bilden und zu vervollständigen, sey mein Dank hier öffentlich ausgesprochen.
Eine Reihe von Jahren ist vorübergegangen, seitdem ich die Zeichnungen zu vorliegendem Werke
entwarf. Manche Umstände, Reisen, Krankheiten, neue meine Thätigkeit in Anspruch nehmende Arbeiten,
Schwierigkeiten und Bedenklichkeiten der Verleger haben die beabsichtigte aber bisher nicht öffentlich
von mir angekündigte Herausgabe desselben verspätet, obgleich ich die Kupfertafeln zugleich mit andern,
in zweien schon erschienenen Werken enthaltenen, bereits in den Jahren 1817 bis 1820 auf eigene Kosten
zu Rom ausfuhren Hess und einen Theil des begleitenden Textes niederschrieb. Gelehrten, Künstlern und
Kunstfreunden suchte ich unterdessen den Mangel der öffentlichen Verbreitung des Werkes durch Vor-
zeigen und Erklären der Kupfertafeln so gut als möglich zu ersetzen, daher denn auch diese längst vor
ihrer Erscheinung in einigen Schriften citirt wurden. Viele der abgebildeten Denkmäler sind im Verlauf
jener Zeit aus Griechenland nach England, Frankreich und Deutschland versendet und theils öffentlichen,
theils Privatsammlungen einverleibt worden, jedoch nur mit einzelnen wenigen sind Andere mir in der
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Bekanntmachung zuvorgekommen, namentlich gab Herr Millingen zwei Vasengemälde s. Taf. XXXII., T.
XXXVIII., Herr t. Bosset die kleine Bronzefigur s. T. LXXIIL, Herr Donalison meine eigene Restau-
ration von dem Giebel eines sicyonischen Grabmales T. IV. heraus 5 auch erschienen der mittlere Grabstein
derselben Tafel, die beiden Grabsteine T. II, i. 2. und das Vasengemälde T. XVIII. Wegen der merk-
lichen Verschiedenheit ihrer Behandlung haben sie in diesem Werke ihren Platz behalten.
Nachdem der Standpunct, von welchem die Gräber der Hellenen zu betrachten sind, mit wenigen
Grundzügen vorläufig bemerkt worden, scheint es am zweckmässigsten, in der Reihe der vorgefundenen
Alterthümer zuerst die äusseren Grabgegenstände, und darauf die inneren zu untersuchen. Im Ganzen
zerfällt unsere Sammlung in drei Haupttheile, von denen der erste Grabmale und Todtenbehältnisse, der
zweite Vasen und Lampen, der dritte Bildwerke nnd Todtenschmuck umfasst.
Bei Erklärung der einzelnen Denkmäler bietet die vorhandene genaue Kenntniss ihres Fundorts und
der Nebenumstände ihrer Findung den wesentlichen Vortheil dar, dass einheimischer Gultus und gangbare
Volksideen als Richtschnur dienen können, um ihre Bestimmung und ihren bildlichen Sinn zu ergründen.
In diesem Bezüge ist besonders der Umstand für günstig und wichtig zu erachten, dass die Mehrzahl
derselben aus Athen herstammt, weil von den dortigen Einrichtungen und Gebräuchen uns die Alten noch
die meisten Nachrichten hinterlassen haben und, weil diese Stadt, welche ihres Alters, ihres frommen
Eifers, ihrer Bildung und Kunst wegen in der Vorzeit weit berühmt war, sowohl andern Städten das
Beispiel gab, als auch von andern aufnahm, alles Religiöse achtend und bewahrend.
Anzeige
der Kupferstecher, welche die im Werke über die Gräber der Hellenen enthaltenen Platten verfertigt
haben und auf denselben zu bemerken sind:
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Erklärung
der Rupfer -Tafeln
Titelbild.
Hüne antike Gräberstätte mit der Darstellung von Denksteinen verschiedener Form, wie sie bald als blosse
oben abgerundete Pfeiler und geweihte Giebelpfeiler (Stelen), bald als Säulen (Kiones) oder runde Altäre,
bald als geheiligte Häuser oder ewige Wohnungen (Aedicula, Naiidia) mit erhobenem Bildwerk geziert
vorkommen. Halb verschüttet und versunken ragen diese Grabübersätze oder Epithemen neben blühendem
Asphodelos, jener Trauerpflanze der Abgeschiedenen im Elysium, aus steinigem Boden hervor, dessen
Beschaffenheit, nächst der Gestalt des unfern aufsteigenden Berges Hymettos und der Klarheit des über-
gebreiteten ionischen Himmels, eine Gegend in Attika zu erkennen giebt. Im Vorgrunde liegt umgestürzt
eine zu Delphi gefundene, mit Akanthosblättern und Schnörkeln geschmückte Grabstele, auf welcher die
Inschrift: Aiauida %alQ6 (Aiakides lebe wohl!) den Molosserfürsten dieses Namens, den nach der Pythia
Verheissung im dritten Jahr der Ol. CXVEH (306 v. Chr.) zu Delphi verstorbenen Vater des Königs
Pyrrhos von Epirus bezeichnet (siehe Pausan. L. I, c. XIII, 8.). So bestimmt der Name die Kunstepoche
des Denkmals und veranlasst den Vergleich des darin herrschenden gesunkenen Geschmacks mit dem
reinem, der in nebenstehenden frühern Werken erkennbar ist. Uebrigens liegt in den beiden Anfangs-
buchstaben des Namens, wie im Namen Aias, der Wehelaut at, den die Alten in Strichen auf den Blät-
tern des Blüthenkelchs des erwähnten Asphodelos, der Hyacinthe oder des Kosmosandalon, und des Ritter-
sporns oder der Aiasblume, wo man deutlich die vier Buchstaben XIX* findet, bemerkten; daher sie
diese Pflanzen für Trauer- und Todtenpflanzen hielten und insbesondere die Entstehung der Hyacinthe
aus des vom Diskos des Apoll getroffenen Hyakinthos, die der Aiasblume aus des selbstentleibten Aias
Telamonios Blute herleiteten. Der letzte Abschiedsgruss %alQE, der gemeiniglich auf Grabsteinen steht, und
zugleich die beim Wegtragen des Verstorbenen, Auslöschen des Scheiterhaufens und Vergraben der Reste
des Todten ausgesprochene Bestattungsformel war, hat eine sinnige, tiefe Beziehung auf die Trennung des
Todes und den Uebergang der Seele zu einem höheren Leben, zu dem der Verstorbene, in Charons (des
Freudigen) Nachen eintretend, gelangt. Eine andere über dieses Denkmal vorragende Stele aus Ampelacki
bei Athen, ein Giebelpfeiler ohne Inschrift, enthält eine Darstellung des Abschiedsgrusses zwischen zwei
vermuthlich zugleich gestorbenen Freunden in erhobenem Bildwerk, und der neben jedem von beiden
angebrachte Wasserkrug, Hydria, deutet auf Ihre Läuterung und Einweihung in die Mysterien; darum auf
der zu Dium dem Orpheus gesetzten Grabsäule das Sinnbild der blossen Hydria aus Stein, welche seine
Gebeine umschloss, den Lehrer der geheimen Weihen selbst zu bezeugen genügte.
Ein ähnliches Gefäss, nur in grösserem Maasstabe, kommt auf dem Relief der mittleren Stele vor;
da diese keine Schrift und kein näheres Abzeichen der Person, der sie gewidmet war, zeigt, so scheint
sie dem Grabe einer Jungfrau anzugehören, und der Wasserkrug im besonderen Sinne der bräutlichen
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Weihe angebracht zu seyn. Denn den unvermählten Mädchen pflegte man ihn aufs Grab zu stellen zum
Zeichen, dass sie das Brautbad nicht eher empfangen, als bis sie im Sterben dem Erdgott geweiht, und
gleichsam eine Todtenbraut geworden. Ueber der Mündung des Gefässes erhebt sich eine Sirene, die
Lygea, in Frauengestalt bis zu den Knieen, mit Vogel-Beinen und Schweif, die Flügel ausbreitend und
die Sidonische viereckige Leyer, jene süsstönende, zehnsaitige Nabla oder den Nablas mit dem Plektron
spielend, wie auf der Grabstele des Isohrates, insbesondere die hinreissende Gewalt seiner Beredtsamkeit
anzudeuten, dargestellt war ; hier aber steht sie vermuthlich als allgemeines Sinnbild der süssen Wehmuth
und Sehnsucht, welche die geliebten Abgeschiedenen hinterlassen, und waltet als Todesmuse, Muse der
Threnodie oder Todtenklage, über der Grabstätte.
An eben erwähnte Stele lehnt sich ein herabgesunkenes Säulenstück, das oben mit einem Weihe-
kranz von roher Wolle umgeben, und mit dem Bilde eines verstorbenen Tempel-Dieners und Pförtners,
des unter einer Bogenhalle stehenden, chiton-bekleideten Jünglings, verziert ist. Die Bogenwölbung
beweiset die Errichtung des Denkmals in später Römerzeit und auch die geringe Höhe desselben stimmt
damit überein, weil seit einer Verordnung des Demetrios Phalereus, wegen Einschränkung des Luxus in
Attica, Grabsteine nicht die Höhe von drei Palmen übersteigen durften. Die zwei nebenstehenden Epi-
themen von Gräbern sind architektonisch mit einer Bedachung, Stirnziegeln, Gesimsen und Eckpfeilern
ausgeschmückt, als Symbole der ewigen Wohnung der Verstorbenen, wie auf vorerwähntem Giebelpfeiler
der Giebel oder Adler als Tempelsymbol der verklärten Heroen oder Manen, Geister derselben, vorkommt.
Auf dem ersten halbverschütteten Epithema liest man nur noch den Namen des attischen Gaues Myrrhinos,
aus welchem die Abgeschiedene, mit Namen Nikarete, Tochter des Myrrhinusiers Telesiphron, wie die
noch vorhandene Inschrift: NIKXfeTGTexe$Ic()pONO?MYffINOYSIOY besagt, herstammte;
auf dem zweiten, hochemporragenden Epithema ist in erhobenem Relief das idealisirte Bildniss eines ver-
storbenen bärtigen Richters, sitzend auf dem Sessel und den Stab in der Hand haltend, dargestellt.
Zur Einfassung des Titelbildes wurde von einem athenischen Vasengemälde die Verzierung von
Lotosblumen, dem Symbol der Hoffnung des Wiederauflebens und der Unsterblichkeit, hier angebracht.
Titelvignette,
Das letzte Lebewohl, in flachem Bildwerk an einer Hydria von der vorhin angezeigten Form, auf
einer Marmorstele aus Athen dargestellt, welche die Grabschrift: X|>X[.hJI<0$Aj>XF.hvII<OY (Archi-
dikos, Sohn des Archidikos) trägt, und zu der Sammlung des Consul Fauvel gehörte.
Der Jüngling Archidikos, welcher aus der Mitte seiner Eltern auf immer scheidet, reicht seinem
gleichbenamten alten Vater die von ihm geforderte Hand zum letzten Mal, indem er sich von seiner tief
bekümmerten Mutter wegwendet. An ihrem Haupte sind die Locken abgeschnitten und geweiht zum
bevorstehenden Todtenopfer; sie stützt den Ellenbogen mit der linken, in seinem Anblick verloren, und
scheint durch Bewegung der rechten Hand und durch die Geberde des Gesichts ihm weinend den letzten
Abschiedsgruss: %aiQE, Freue dich! Lebe wohl! zuzurufen.
Beide männliche Figuren sind bloss mit dem grossen Mantel, Pharos, die weibliche Figur ist aber
mit einem langen Untergewand, Chiton poderes, und drüber geworfenem Peplon angethan, von dem ein
Theil, der bei Verschleierung über das Haupt gezogen werden konnte, hinten herabfällt; alle drei tragen
Fussbekleidungen, welche vermuthlich durch die fehlende Zuthat von Farben deutlicher bezeichnet waren.
1
x.
.<*,„/-,.,■//,?,;,, ,/,/. ROMSOSAIOA- ■
Erster llaupfflieil.
Grabmale und Todtenbehältnisse
1) Wie die an einem andern Denkmale zu Athen in solchen Kränzen vorkommenden Aufschriften der Kampfstellcr: H-BOTAH der
Rath MEAOMTTAAI die Medomtiden, und____HPEE2 Rest eines verstümmelten Namens, bezeugen.
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in Betracht des flüchtig gearbeiteten öffentlichen Denkmals dem Verfertiger unverdiente, zugleich ausser-
ordentliche Ehre gestattet worden seyn. Die auf Gräbern gebräuchliche Form der Inschrift entscheidet 5
die angeführte Erklärung lässt sich daher nicht bestreiten. Fundort und Bildwerk der Proedra selbst und
ähnliche zu Athen und anderswo in Griechenland vorhandene oder erwähnte Marmorsessel, mit und ohne
Zueignungs - Inschriften oder Bildwerken, beweisen, dass man verstorbenen hohen Magistratspersonen in
öffentlichen Gebäuden, an Volksplätzen und auf ihren Gräbern solche Denkmäler als Sinnbilder des Richter-
und Regentenamtes stiftete, ja sogar in kleinem Maasstabe in den Sarg beisetzte. Zu näherer Anzeige
der landesobrigkeitlichen Bedeutung stehen an manchen dieser Marmorsessel in Athen und überhaupt in
Attika Minerveneulen, Zeichen der Göttin und Wappen der ihr geweihten Stadt, wie auf Münzen derselben,
und verzieren vorn das Fussgestell, woraus sich schliessen lässt, dass solche in Gemässheit der Leonto-
poden, Glaukopoden hiessen. Höchst selten sind die mit Inschrift versehenen, der hier dargestellte Sessel
ist unter mehreren, gerade in der Lage des Prytaneums befindlichen der einzige dieser Art und der
ausgezeichnetste. Das bedeutende Gewicht der Masse desselben musste seine Fortschaffung erschweren,
und zu seiner Erhaltung beitragen. Verschiedene zusammentreffende Umstände berechtigen uns, ihn noch
genauer zu bestimmen und für das Denkmal eines verstorbenen Prytanen Namens Boethos, eines aus dem
Rath der Fünfhundert zu Athen erwählten Mitgliedes der Fünfzig, welche, jedesmal einer gleichen Phyle,
Gemeinde, angehörend, über einen Monat lang Vorsitz und Vortrag in der Volksversammlung hatten, zu erklären.
Ihrer ausgezeichneten Würde wegen gebrauchten Dichter öfters diesen Titel statt König und Regent. Sie
pflegten in dem beim Prytaneum, Gerichtshof der Fünfhundert, gelegenen Rundgebäude, Tholos, zu opfern
und zu essen, worin wahrscheinlich die andern in dieser Gegend befindlichen, von grossen Marmorblöcken
gehauenen, einfachen Doppelsitze an einander gereiht standen, denn als Segmente eines grossen Kreises
geformt, sind sie vollkommen dazu geeignet. Dort umher waren Weihe-Bilder und Tempel mit Beziehung
auf des Freistaats Wohl und Ruhm errichtet, wie die Statuen der eponymischen oder Namens-Helden der
Volksstämme oder Phylen von Athen, worunter auch Erechtheus als Retter des Staats im eleusinischen
Kriege, die Friedensgöttin Irene mit dem Reichthum, dem Plutoslinaben im Arme, des Kriegsgottes und
zweier Liebesgöttinnen im Tempel des Ares, der Weisheitsgöttin Athene und der Kriegswuth Enyo, des
ionischen Stammgottes Apollo mit der Siegesbinde, des Halbgottes Herakles und Theseus des National-
helden 5 ferner der beiden Friedensstifter mit den Persern Namens Lykurg und Kallias, des Vaterlands-
liebenden Redners Demosthenes, des athenischen Gesetzschreibers Kalades, des Lobsängers von Athen
Pindar, der Staatsbefreier Harmodius und Aristogiton u. s. f. So hatten die Statuen der an dem Marmor-
sessel abgebildeten patriotischen Helden auch am Platze des Prytaneums ihre gebührende Stelle, jedoch
erschien Erechtheus dort den Immarados, nicht dessen Sühnopfer, die Chthonia, tödtend.
Merkwürdig sind die vorliegenden beiden Darstellungen schon wegen ihrer Seltenheit, die haupt-
sächlich von dem beschränkten geschichtlichen und localen Interesse der Gegenstände herrührt. Obgleich
beide gerade in der musterhaften Kunstepoche zu Athen durch Dichter und Bildner behandelt, der erste
in der berühmten Tragödie Erechtheus von Euripides, der zweite in beliebten Volksliedern besungen (s. in
Brunk's Analect. T. I. p. 155 das Scolion Callistrati) und von Praxiteles Meisterhand in einer ehernen
Statuengruppe verherrlicht worden, so vermochten gelehrte Forscher unter allen vorhandenen Ueberresten
des Alterthums bisher keine einzige bildliche Darstellung derselben zu entdecken, ihrem Scharfsinn entgingen
gegenwärtige Beispiele und diesem Werke blieb die erste Erklärung und Bekanntmachung überlassen.
Hinsichtlich der gedachten Gruppe des Harmodius und Aristogiton giebt die mitten in der Vignette
angebrachte, in Originalgrösse gestochene Silbermünze, eine Pentedrachme von Athen aus meiner eigenen
Sammlung, näheren Aufschluss.
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An der Vorseite der Münze steht das Haupt der Athene Parthenos des Phidias rechts gewendet,
bedeckt mit der Tryphaleia, einem Helme, der oben mit einem dreifachen Busche von Rosshaar, vorn
mit einer Reihe Rossköpfe, an der Seite mit dem Pegasos und einer Pflanze verziert ist; an der Kehrseite
steht in einem Olivenkranz die Eule auf der panathenaischen Preisvase oder dem Oelkrug, Amphora
panathenaica, zu beiden Seiten im Felde die Inschrift: agemen . . . M02XIQN, welche ergänzt a©e
NAinNMENTnpMOSXinN heisst, den Namen des Volks der Athener nebst Eigennamen zweier Münzvor-
steher Mentor und Moschion erwähnend, und rechts dieselbe Gruppe des Harmodius und Aristogiton
verkleinert von der linken Seite gesehen.
In einer bedeutenden Menge vorhandener athenischer Pentedrachmen derselben Art, welche mannig-
faltige Nehenzeichen tragen, findet sich nur eine der vorliegenden ähnliche Münze, mit dem vollständig
erhaltenen Namen Mentor, nämlich im Museum Hunterianum Tab. IX. fig. 14. und in Mionnett Descript.
des medailles Tome II. erster Ausg. und Tome III. Supplement Attique, jedoch mit dem Unter-
schied, dass auf der Amphora ein a, unter derselben An, am Helm der Athene statt des Pegasos und
der Pflanze ein Greif vorkommt. Hieraus erhellt die gleichzeitige Verfertigung und Ausprägung verschie-
dener Stempel zu derselben Münze. Die Richtigkeit der von Mionnet geäusserten Vermuthung gegen die
gewöhnliche Annahme von Archontennamen auf Münzen bewährt sich hier, indem das Verzeichnifs atheni-
scher Archonten (s. H. Clinton Fasti Hellen, ed. Krüger) keinen einzigen des Namens Mentor oder
Moschion enthält; aber falsch und unpassend erklärt derselbe die auch auf jener Münze vorhandene Gruppe
des Harmodius und Aristogiton für Gladiatoren, welche zwar bei den Römern, aber niemals bei den
feinfühlenden Griechen Beifall fanden und ganz anders vorgestellt wurden.
Da im Vergleich des Münzzeichens mit dem Bildwerk am Sessel der nämliche Gegenstand von zwei
entgegengesetzten Ansichten sich darbietet, so folgt, dass beiden ein vollrundes Werk zum Vorbild diente.
Dieses konnte wohl kein anderes, als das berühmte Muster der Vorstellung des Harmodius und Aristo-
giton, die eherne Statuengruppe des Künstlers Antenor gewesen seyn, welche die Athener am
meisten hochschätzten und bei grossen Schicksals-Ereignissen als Schutz und Unterpfand ihrer Freiheit zu
betrachten pflegten. Xerxes hatte bei Besitznahme von Athen im Jahre vor der salaminischen Seeschlacht,
(Ol. 75, % v. Chr. 479.) diese in der Nähe des Prytaneums, beim Metroum aufgestellte Gruppe als Beute
in sein Königreich fortschleppen lassen; nach dem sieghaften Ausgang der Schlacht und der Flucht des
Xerxes musste Praxiteles an die Stelle derselben Gruppe eine ähnliche, veramthlich ein Nachbild ver-
fertigen, welche Pausanias noch zur Zeit der Antonine beim Prytaneum stehen sah, aber Alexander der
Grosse Hess nach der Einnahme von Babylon, auf die Bitte einer besondern Gesandtschaft der Athe-
ner, ihnen die entführte Gruppe, wahrscheinlich Ol. 114, 1. oder im Jahr 324 v. Chr., durch Antiochus,
des Seleucus Sohn, wiedererstatten (vergl. Paus. 1. I, c. 8. 5. und die Anmerkungen von Siebeiis). Zu
selbiger Zeit scheint daher wegen des Andenkens ihrer Rückkehr in die Stadt ein Abbild der Gruppe
auf die athenische Münze geprägt worden zu seyn, und damit stimmt auch die Kunstepoche der Verfer-
tigung des Marmorsessels überein.
Taf. I.
No. 1. Schild an der zertrümmerten Marmorherme oder am Brustbildnisse, Protome, einer Ver-
storbenen, zu Aegina gefunden und im Besitz des Herrn Fauvel.
Von schmaler viereckiger Randeinfassung umgeben, erscheint hier eine kleine Gruppe des Eros und
Anteros oder der Liebe und Gegenliebe, in erhabener Arbeit, vorn über dem faltigen Busengewande des
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bescdädigten Frauenbildnisses angebracht, und ersetzt, als sprechendes Symbol der Stiftung des Denkmals,
die gebührende Ueberschrift:
Letzter Dienst wetteifernder Gegenliebe,
Der Gegenstand des Denkmals: eine junge Freundin hatte der Tod plötzlich dem Freund entrafft, welcher
ihre geliebten Züge durch Kunst ihm wiederum abgewann und an die Gegenwart fesselte; der Wettstreit
gegenseitiger Neigung endigte zwar mit ihrem Leben, aber die Neigung nicht; den errungenen Siegespreis,
den Hochzeitskranz nebst der heiligen Binde liess sie zurück, und diese wurden zum Todtenschmuck auf
ihrem Grabe. Darum schmiegt sich Anteros, der wie Eros in Kindergestalt mit der Siegerbinde, Taenia,
am Arme geschmückt ist, nach vollbrachtem Wettkampf wehmüthig an seinen erschöpften Gespielen, die
Flügel ausbreitend, bemüht ihn mit beiden Händen zu stützen und aufrecht zu erhalten, während dieser
den Myrtenkranz und Bogen fallen läfst und ohnmächtig an seine Brust zurücksinkt. Durch treffliche
Auffassung und innigen Ausdruck zeichnet sich das kleine, skizzenhafte Bildwerk aus.
No. 2. Grosses Grab-Epithema aus pentelischem Marmor, in Hochrelief den pflichtmässigen Besuch
beim Heiligthume der Abgeschiedenen darstellend, vor dem Thor Dipylon an der heiligen Strasse bei
Athen, wo die angesehensten Grabmale standen, von dem Arzt Romano im Jahr 1819 ausgegraben.
Als Einfassung und Hintergrund des gesammten Kunstwerks angeordnet, zeigt sich hier im Bilde die
Vorderansicht eines tempeiförmigen dorischen Heroon's der Verstorbenen, mit dem Schmuck des Götter-
geweihten Giebels, Actos, nebst den Eckziegeln, Akroterien, und mit der Namensaufschrift Phrasikleia im
Architrav. Am Eingang sitzt diese, die verklärte selbst, in vergrösserter Gestalt auf einem Sessel ohne
Lehne, Diphros, die mit Sandalen versehenen Füsse auf den Schemel, Thranion, das Zeichen ihres
hohen Ranges, stützend. Gekleidet in ein feines jonisches Untergewand, Chiton poderes, welches Spangen
an den xlrmen verknüpfen, und in den weiten Mantelumwurf, Peplon, geschmückt mit einem Ringe am
rechten Unterarme, das Haupt dreifach mit einem Bande umfasst und vom kurzen Hochzeitsschleier,
Kalyptra, bedeckt, erhebt sie diesen mit der Linken, indem sie in der Rechten eine Rolle, den Ehe-
vertrag, oder die Empfehlung an die unterirdischen Götter hält, und wehmüthig sinnend die Augen zur
Seite wendet.
An das Knie derselben lehnt sich, mit naiver Neugier die Rolle betrachtend, ein kleines Mädchen,
ihre Tochter, deren Haar von einer Schleuderbinde, Opisthosphendone, umfasst ist, und neben ihr steht des
Mädchens Begleiterin, die, in ein langes Aermelkleid, Chiton cheiridotos, gehüllt, mit der Netzhaube,
Kekryphalos, und mit hochbesohlten Schuhen bekleidet, ein Opferkästchen trägt und den Deckel eröffnet,
um der Verklärten die darin enthaltenen frommen Todtengaben zu weihen.
Einzelne mangelnde Nebendinge, wie die Sandalenbinden und das Netzwerk der Haube, beweisen,
dass man Farben zur Vollendung und Ausschmückung des Hochreliefs angewandt hatte. Nach dem edlen
Charakter der Bildarbeit und der Schriftzüge zu urtheilen, stammt es aus der Blüthenzeit attischer Kunst.
In meiner Sammlung befindet sich der aus Athen übersandte Gypsabguss von einem der Phrasikleia
ähnlichen, nur durch die Neigung nach der andern Seite und durch wellenförmiges, krauses Haar unter-
schiedenen, lebensgrossen Kopfe, welcher zu einem ähnlichen Grabepithema gehört, und aus welchem
der hohe Schwung der Kunst des Phidias lebendig hervorblickt.
No. 3. Bruchstück eines Grabepithema aus pentelischem Marmor bei dem alten Acharnes, jetzt
Menidi, in Attika von Fr. North gefunden.
In Hochrelief ohne Hintergrund bietet sich hier die Seitenansicht des lebensgrossen, idealen Bildnisses
einer Verstorbenen dar, welche auf weichgepolstertem, mit hoher Rücklehne und Greifen-getragenen
Armlehnen versehenem Thronos sanft hingegossen ruht. Vom faltigen Mantel, Pharos, und über das enge
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Haarnetz liegenden Schleier, den sie vor die Wange zieht, ganz umhüllt, sammelt sie den ernsten, tiefen
Blich in die endlose Ferne der Zukunft und gleicht in dieser nachsinnenden Stellung auf ihrer eigenen
Gruft dem personifieirten Grabgedanken selbst.
Die seltene Erscheinung eines Reliefs mit weggelassenem Hintergrund ist nicht beispiellos im Alter-
thum, wie sich auch unten erweisen wird, und rührt wahrscheinlich von der Beschaffenheit seines bestimmten
Standortes oder von einem ehemaligen Ueberbau des Denkmals her. Zur Vollendung des Bildwerks muss
auch hier die Farbe gedient haben. In dem grossartigen Styl, in der hohen Schönheit der Gesichtszüge,
der Körperform und des Faltenwurfs trägt es das Gepräge der Zeit des Phidias.
Taf. IL
No. 1. Marmornes Grabepithema eines gefallenen Reiters vom Schlachtfelde bei Leuctra in Böotien,
jetzt zu Eremokastro an der Stätte des alten Thespiä. Das beschädigte Denkmal, wie meine beigefügte
Ergänzung zeigt, bestand aus einer breiten, unten mit einem Sockel versehenen, oben in einem stumpfen
Winkel mit einer Kehlleiste eingefassten Reliefplatte, die aufrecht über dem Grabe gestellt war und deren
Höhe 3*4 Fuss, deren Breite 4 Fuss 1 Zoll beträgt.
Der im Relief derselben abgebildete Reiter, mit einem über den kurzen Aermel - Chiton auf der
Schulter gehefteten Kriegermantel, Chlamys, bekleidet, sitzt ohne Sattel oder Decke zu Ross und ist in
dem Moment aufgefasst, wo er, das Thier an den Zügeln verhaltend, und mit der Gerte antreibend, rasch
im Galopp fortsprengt, so dass sein Mantel weit zurückfliegt. Der fehlende Zaum war, wie aus vorhan-
denen Merkmalen erhellt, von Bronze angesetzt, und es scheint, dass der harmonischen Wirkung wegen
auch in mehreren Theilen dieses Bildwerks von edlem Styl Farben angebracht waren.
No. 2. Marmorne, von einfacher Randeinfassung umgebene Giebelstele aus demselben Orte und
derselben Zeit, wie das vorige Denkmal, herstammend, mit dem Reliefbilde eines verstorbenen Athleten
geziert, welcher zum Zeichen seiner Lebensbeschäftigung nackt, eine Strigilis oder Schaberz der Ringer
in der Rechten haltend, mit der Linken einen neben ihm sitzenden Windhund, seinen Jagdgefährten, an
sich lockt. Eine goldene Strigilis pflegte in öffentlichen Spielen auch als Kampfpreis, Athlon, Siegern
ertheilt zu werden [Xenophon L. I. Exped. Cyri].
Höchst lehrreich ist diese Grabstele durch den Umstand, dass sie in einer gemalten, wenig verän-
derten Nachbildung auf der Kehrseite der bekannten, vielbehandelten grossgriechischen Vase des Prinzen
Poniatowsky vorkommt, und ein Missverständniss hebt, welches die Nachbildung erzeugt hat, indem diese
manche gelehrte Forscher zu tiefsinnigen aber irrigen Deutungen verleitete. Dort steht auf der reicher
verzierten Grabstele genau dieselbe Reliefgruppe, nur mit dem Unterschiede, dass der Verstorbene eine
Binde ums Haar, einen Stab statt der Strigilis trägt, und dass am Hintergrunde des Reliefs eine Taenia
hängt 5 dort ist die Stele von Todtenopfern umgeben in einem Gemälde der Bestattungsfeyer angebracht,
welche das Gegenstück zu dem auf der Vorseite derselben Vase dargestellten mythischen Gemälde von
der Einführung der Aussaat, als zusammenhängenden Lehren der Göttin Demeter, bildet. Vorliegendes
Marmordenkmal beweist den Irrthum der Annahme jener Stele für einen offenen Tempeleingang, wogegen
schon die erwähnte Taenia zeugt, und widerlegt die vom Hrn. Geheimerath Fr. Creuzer [s. Abbildungen
zur Symb. u. Mythol. Tab. 14. Erklärung 76. Seite 47.] gegebene mystische Erklärung des Gemäldes als
der Rückkehr der Seele zum Hause der Götter, oder Heros Iasion mit dem Wanderstabe in der Thüre
des Göttertempels neben dem Hunde, dem Wächter desselben im Steinbock, umgeben von verehrenden
Priesterinnen mit Mysterienkästchen und von Neophyten. Gemeiniglich sind tempeiförmige Bauwerke auf
der Kehrseite der Vasengemälde mit darin vorgestellten Figuren nicht, wie bisher auch andere Archäologen
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glaubten, für Tempel, sondern für Grabepithemen und Stelen mit Reliefbildcrn, welche die Verstorbenen
betreffen, zu halten. Dcmgemäss lassen sich die Vasengemälde in demselben Werke Tab. XI. u. XLIII.
[s. Erklärung 75 u. 75, Seite 47 u. 43 ff.] ohne Schwierigkeit befriedigend deuten.
No. 3. Zu Krissa, jetzt Krissö bei Delphi, vorhandene, marmorne Relicfplatte vom Grabmale eines
Athlothctcn oder Agonothctcn, Kampfrichters der pythischen Spiele. Ihn stellt das flache Bildwerk, dessen
beschädigte Theile durch Puncte ergänzt sind, mit nacktem Oberleib, halb von einem Mantel umhüllt und
beschuht auf einem Feldstuhl, Diphros okladias, Zeichen des Vorsteheramtes^ sitzend und in einer Schrift-
rolle, die er mit beiden Händen öffnet, lesend dar. Wie aus dieser Rolle, aus der neben ihm stehenden
fünfzehnsaitigen Kithara, die zu zwei Achtklängen oder zum doppelten Diapason eingerichtet ist, und aus
den, oben an der Wand des Hintergrundes aufgehängten Gegenständen, namentlich einer netzumgebenen
Sphaera, einer Strigilis nebst einem Amphoridion oder Oelfläschchen und einem pythischen Lorbeerkranz
zu ersehen ist, hat derselbe die Anordnung und Ertheilung des Preises in verschiedenen zu Delphi
gebräuchlichen Wettkämpfen, besonders in den der Dichtung und des Gesangs, der Musik, des Ballspiels
und des Ringens verwaltet.
No. 4. Idealisirtes Reliefbildniss auf einer oben beschädigten und ergänzten marmornen Grabstele
aus Athen, einen nackten Epheben vorstellend, der mit über die Schulter gehängtem, shawlähnlichen
Gewände, Chlanidion, sich an einen [Baumstamm, das Zeichen eines Kepotaphs oder Pflanzungsgrabes, lehnt
und eine Taube bei den Flügeln hält, als Verehrer und Diener der Manenkönigin Persephone Phercphatta,
der Taubenträgerin, oder Aphrodite Epithymbia, Libitina.
Taf. III.
No. 1. Marmorstele aus Athen, an welcher eine grosse, üppig mit Blätter- und Perlenzier ge-
schmückte und mit breitem Deckel geschlossene Hydria oder Wassergefäss in Relief gebildet ist, vermuthlich
nach dem schon gedachten attischen Gebrauch, Unvermählten das Gefäss mit dem Brautbade, Namens
Kalpis, aufs Grab zu setzen, als Zeichen einer Jungfrauengruft.
No. 2. Eine bei Megara ausgegrabene, vom Dr. Mac Michael angekaufte und nach England gesendete
Marmorstele, welche oben mit einem Sockel versehen ist, und das Bildniss eines verstorbenen Kriegers in
erhabener Arbeit vom Styl der Zeit des Kaisers Hadrian, darstellt. Die kräftige Mannesgestalt mit
schönem, bärtigem Antlitz schreitet barfuss vor, gekleidet in einen laconischen, kurzen, halb offenen Chiton
Heteromaschalon, welches ein schmaler Gürtel umfasst, trägt ein am Riemen, Telamon, quer über die
Brust gehängtes, kurzes Schwerdt, Xiphos, den leichten Gewandüberwurf, Chlanis, über die Schulter, den
runden argolischen Schild am Arm, zugleich vermuthlich eine Streitaxt in der Linken und in der Rechten
einen zusammengelegten Pilos tholoeides oder kupp eiförmigen, laconischen Hut, der die Freigeborenen
von den Heloten unterschied, und giebt sich durch diese Tracht als einen Spartaner zu erkennen.
No. 3. Grabepithema aus Athen, in Form einer grossen, massiv von Marmor gemachten Hydria,
wie mehrere in Attika besonders bei Marathon gefunden worden und jetzt in den königlichen Sammlungen
zu Paris, London und München vorhanden sind. Gewöhnlich steht auf der Vorseite solcher Marmorgefässe
in flachem Relief eine Abschiedsscene, wo oftmals die scheidende Hauptperson männlich erscheint und
das Gefäss auf ihre mystische Weihe bezogen werden muss. Das vorliegende Gefäss, dessen Beschädi-
gungen Ich nach den angeführten Beispielen ergänzt habe, enthält gleichfalls eine Abschiedsscene, da in
dieser jedoch eine mit Myrten bekränzte Eingeweihte, mit langem Chiton und Peplon bekleidet, ihrem
Vater, einem bärtigen, mantelumhüllten Greise, Welcher als Magistratsperson auf einem Lehnstuhl,
Klismos, mit Fuss-Schemel sitzt und einen Stab hält, die Hand zum letzten Abschied reicht, so hat
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dasselbe die schon vorhin erwähnte Bedeutung und bezeichnet hier das Grab einer unvermählten und
zugleich in die Mysterien eingeweihten Jungfrau.
No. 4. Stirnziegeln ähnlicher Zierrath über dem Gesimse einer steinernen Grabstele vom Schlacht-
felde bei Chaeronea, bestehend in einer architektonisch-symmetrischen Anordnung von grossen Blättern
einer idealen Wucherpflanze und zwei schneckenförmig gewundenen Sprossen, aus denen lange, schmale
Blüthenblätter vorschiessen, und in der Mitte eine kleine Blume sich emporschlingt. Die trockene, steife
Behandlung dieser erhobenen Arbeit bezeugt, dass das Denkmal aus der Zeit des Kunstverfalls herstammt.
Die Grundfläche des Bildwerks ist nischenförmig eingebogen.
No. 5. Dreigipfliger Zierrath an einer athenischen Grabstele von pentelischem Marmor, wo über
dem Kranzgesimse in flachem Bildwerk zierlich und ungezwungen aus breiten, eingezackten Wasserblättern
zwei gewundene Sprossen zu beiden Seiten sich hinaufbeugen und zwei eben solche in der Mitte zusam-
mentreten, Reihen länglicher Blüthenblätter nebst zwei Lotosknospen tragend. Oben füllt ein geschmückter
Nagelkopf den Zwischenraum. In dem Ganzen thut sich die Zeit des edlen und vollkommenen Ge-
schmackes kund.
No. 6. Stirnziegeln ähnlicher Zierrath über dem Kranzgesimse einer steinernen Grabstele vom
Schlachtfelde bei Leuktra. Aus nischenartiger Vertiefung tritt in dem ungewöhnlich grossen Bildwerk,
dessen Höhe ehemals gegen 4 Fuss betragen hat, die bis 4 Z. erhobene Arbeit von Akanthosblättern und
Sprossen mit vier schneckenförmigen Auswüchsen, oben eine Reihe Blüthenblätter entfaltend, kräftig
hervor. Der Standort der Grabstele selbst lässt die Zeit ihrer Errichtung im Jahre der leuktrischen
Schlacht [Ol. Cn, 2. v. Chr. 571] vermuthen.
Taf. IV.
No. 1. Marmorstele aus des Consuls Fauvel Sammlung in Athen, einem Dekelier oder von der
attischen Stadt Dekelia am Parnes stammenden Verstorbenen Namens Philippos, Sohn des Euxenides,
gewidmet, wie die angezeigte Inschrift besagt, unter welcher übrigens zwei umgestürzte, mit concentri-
schen Kreisen geschmückte Opferschaalen in Bezug auf die Todtenspende abgebildet sind. Der Stirnziegeln
ähnliche Zierath über der Stele besteht in einer neuen, reichen und höchst anmuthigen Zusammenstellung
von ausgezackten Akanthos- und einfachen langen Lilienblättern nebst gewundenen Auswüchsen, welche,
inspesammt einer Akanthoswurzel entspriesend, in vier Zweige sich theilen und in entgegengesetzten Rich-
tungen symmetrisch den Raum ausfüllen. Zwischen ihnen sind mehrere Nagelköpfe zum Schmuck und
zwei kleine Fläschchen oder Aryballen in Beutelform, mit Bezug auf die Salbung des Grabsteins beim
Todtendienst, angebracht.
No. 2. Aufriss eines, nach Pausanias Angabe [II, 7. 4.] von mir erkannten und wiederherge-
stellten, sicyonischen Grabdenkmals, dessen blosser Marmorgiebel, beschädigt, in der Nähe von Epidaurus
(Pidavro) beim Heiligthume des Aesculap (jetzt Jerö) noch vorhanden und für einen Sarkophagdeckel, trotz
seiner bedeutenden Grösse, ausgegeben worden ist5 (siehe auf gegenwärtiger Kupfertafel unten No. 3. die
Abbildung desselben mit beigefügten Ergänzungen). Der durch diess Grabmal an jenem Orte Geehrte
mUss, aus Sicyon stammend, als einer der vielen wallfahrenden Kranken und Curgäste des ärztlichen
Gottes geendet haben. Gerade die Errichtung eines solchen abgesonderten massiven Tempelgiebels war
das Wesentliche bei dem Gräberbau der Sicyonier. Ihr einfaches Verfahren bestand darin, dass über dem
beerdigten Leichnam zuerst ein Fussgestell oder eine Krepis, darauf Säulen, Kiones, und endlich der
Aetos, Adler, benannte Giebel gesetzt wurde, welcher als ein eigenthümliches heiliges Zeichen der Götter-
häuser galt und diese von Wohnungen der Menschen unterschied. Mit Absicht deutet der fromme Heide
10
Pausanias nur darauf hin und verschweigt den Beweggrund zu der häufigen Anbringung des Giebels auf
Gräbern, der in der Apotheose oder Vergötterung der Todten besteht. Die Gestalt solcher Denkmale
lässt sich offenen Triumphthoren vergleichen, sie sollte die Gräber als heilige Pforten der Unsterblichheit,
Eingänge zu den Götterhäusern und dem höheren Leben, symbolisch bezeichnen; denn dahin gelangten,
der Metempsychose und der Mysterienlehre gemäss, die geläuterten Seelen der Abgeschiedenen, und dazu
schickte sich trefflich die gebräuchliche kurze Aufschrift des gehaltvollen Wortes %uIqe -, Freue dich!
neben dem Namen des Verstorbenen. Die Darstellung einer bald geschlossenen, bald etwas geöffneten
Pforte, als des Hausthores des Hades, kommt auf manchem Todtendenkmale vor.
No. 3. Ebenerwähnter Marmorgiebel vom sicyonischen Grabmal im Heiligthum bei Epidaurus, aus
einem Standpuncte aufgenommen, wo sich zugleich Vor -, Unter-und Seitenansicht wahrnehmen lassen, welche
zur Beurtheilung des Ganzen gnügen, indem die Rückseite eine blosse glatte Fläche darbietet. Die Ein-
fassung des Giebels besteht in einem anmuthig geschlungenen architektonischen Zierrath von flach erhabener
Arbeit, welcher, sich an der Giebelspitze theilend, in der Mitte des Giebelfeldes einen besonderen Schmuck
von schmalen Leisten bildet und, unten am Rande fortlaufend, an den Giebelfenstera wieder in sich
selbst zurückkehrt. Gleich freistehenden Ziegelköpfen des Giebels, rings behauen, und an die hintere
Marmorplatte anstossend, ragen oben aus dem Zierrath Palmetten, von denen die mittelste und die äusser-
sten durch Grösse sich unterscheiden, und Lotosblumen, die an gesenkten Stengeln zwischen ihnen blühen,
hervor. Auf diesen Stengeln sitzt rechts und links ein Vogel oder Manensinnbild, um des Denkmals
Bestimmung zu bezeugen, und hin und wieder füllen Rosen und Doppellilien die Ecken und leeren
Zwischenräume. Das Ganze erscheint, wie bei kleinen Denkmalen geziemend ist, als ein festliches, regel-
freies und anmuthiges Spiel der Phantasie des griechischen Baukünstlers.
No. 4. Stirnziegeln ähnlicher Zierrath über einer marmornen Grabstele vom böotischen Orchomenos,
in Hochrelief auf eingebogener Grundfläche zwei, aus einem Busch von Akanthosblättern vorspriessende,
Stengel nebst gewundenen Auswüchsen darstellend, welche symmetrisch zusammentreten, doppelte Reihen
von Blüthenblättern entfalten und oben in Fächerform gleich einer Palmette sich vereinigen. Von der
Anbringung solcher doppelter Palmetten ist dieses das erste und einzige Beispiel.
Taf. V.
No. 1. Dreieckiger Gipfelzierath einer Grabstele aus Athen von weissem pentelischem Marmor,
mit eingegrabenen Umrissen, Farbenanstrich und Vergoldung. Auf der weissen Grundfläche desselben
spriessen aus verschlossenen, vielleicht grünbemalten, Akanthosblättern zwei gewundene, goldene Stengel
empor, an welchen goldene Blätterstiele, halb rothe, halb blaue Blumen tragend, zu beiden Seitenecken
sich herab schlingen, und zwischen diesen Stengeln erhebt sich eine goldene, in der Mitte roth eingefasste
Palmette zu der oberen Ecke. In dem untenstehenden Kranzgesimse erblickt man unter einer weissen
Binde einen abwechselnd roth und blau gefärbten, mit goldenen Einfassungen und Pfeilspitzen versehenen
Eierstab.
No. 2. Gemälde Randverzierung eines thönernen Sargziegels aus Athen, ehemals in des Consuls
Fauvel Sammlung. Ueber der in der Mitte auf bellgelbem Grunde angebrachten, breiten Binde von grossen,
schwarzen Palmetten und Lotosblumen, die mit einzelnen rothen Kanten geschmückt sind, steht hier ein
schwarzer, auf schmalem, rothem Streif gemalter Mäander; unter derselben Binde aber ein schwarzer auf
gelbem Grunde, mit einzelnen rothen Kanten geschmückter Mäander als Einfassung, Solche Sargziegel
haben, wie aus mehreren Beispielen deutlich erhellt, früher au Tempeln zur Bedachung gedient.
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T&f. VL ■*
No. 1. Gemalte Randverzierung an einem eben solchen Sargziegel, wie der vorerwähnte, aus
Athen, bemerkenswerth als Nachbildung des im Pronaos des äginetischen Minerventempels entdeckten
bemalten Frieses. Auf blassgelbem Grunde wechseln hier doppelte blaue Sehn ecken-Windungen, deren
Mittelpuncte purpurne und weisse Rosetten bilden und welche in kleine Schnörkel ausgehen, mit bald
herauf, bald herunter gewendeten blau- und grünblättrigen Blumen. In einzelnen Lücken stehen weisse
Rosetten und mit weissen Umrissen ist die ganze Verzierung umzogen.
No. 2. 3. 4- 5. Stirnziegeln ähnlicher, bemalter Gipfelzierath einer zu Athen vorhandenen weiss-
marmornen Grabstele von hohem Alterthum. In eingegrabenen Umrissen erblickt man auf rothem Minium-
grunde zwei lange, herabhängende, weisse Lilienblätter, zwischen denen, durch ein blau und weisses Band
zusammengeknüpft, eine blau- und rothblättrige Palmette mit blauem Stiel und weissen Rändern emporragt.
Hierneben No. 3. bietet sich die Vorderansicht der ganzen, nach oben verjüngten Stele, wie auch
No. 4. die Profilansicht und No. 5. die uralte Inschrift derselben dar; letztere enthält des Verstorbenen
Namen Theron mit der Genitivendung und, nach der Boustrophedon benannten Schreibart, von der Rechten
zur Linken geschrieben.
In der häufig an geweihten Gebäuden der Griechen, wie bei Aegyptern und Indern, vorkommenden
Zuthat der erwähnten beiden Farben zu der weissen Grundfarbe als der dritten, scheint ein religiöser
Beweggrund zu liegen, welcher von ihrer, bei jenen Völkern anerkannten, Heiligkeit und von der Bedeu-
tung des Weiss als des Lichtes, des Blau als der Luft, und des Roth als der Urerde oder der prome-
theischen Thonerde Farbe, welche bei Panopea zu sehen ist [Pausan. X, 14.], herrühren mag.
Taf. VII.
No. 4. Ansicht eines Ziegelsarges (negdf^eog Ooqoq) der, aus verschiedenen Lagen von gebogenen,
gebrannten Ziegeln errichtet, zu Athen mit mehreren andern dieser Gattung ausgegraben worden und
späteren Zeiten angehört.
No. 2. Durchschnitt desselben Sarges, in welchem zur deutlichen Einsicht seines Baues vor allen
eine untere Lage von gebogenen Ziegeln nebst den darauf ruhenden Resten des Verstorbenen, ferner eine
doppelte Ziegellage zu beiden Seiten und endlich eine einzelne Ziegellage oben auf der Höhe bemerkt ist;
übrigens deckten das Kopf- und Fussende zwei stehende Ziegel, wie in voriger Ansicht.
No. 3. Ziegelsarg oder keramischer Soros der ältesten Gattung, aus flachen Platten von gebrannter
Erde in Form eines Daches zusammengefügt. Bei den Athenern besonders wird die Bestattung in solchen
Särgen als vaterländischer Gebrauch erwähnt$ und sie folgten hierin dem erwähnten Beispiel der vom Gotte
Dionysos also begrabenen Ariadne, welche mit ihm den athenischen Heros Keramos (Ziegler) gezeugt hatte.
Seit frühester Zeit pflegte man daher gebrannten Thonarbeiten überhaupt den Vorzug bei allen Grabge-
genständen zu geben.
No. 4. 5. 6. 7. Vor- und Profilseite zweier bemalter, mit und ohne Löwenköpfe verzierter Rand-
ziegel, welche nebst andern ähnlichen in Gräbern zu Athen sich befanden, und hier als Beweise stehen,
dass solche Ziegel von Tempeldächern, weil sie sichtbar zur Ableitung des Regenwassers bestimmt waren,
entlehnt und zur Errichtung der Särge aus frommen, religiösen Gründen verwendet worden sind. Diesem
Gebrauche zufolge galt daher Pyrrhos, der epirotische König, als er zufällig von einein Dachziegel
getroffen starb, für einen von der Erd- und Gräbergöttin Demeter Getödteten und erhielt sein Begräbniss
in ihrem Tempel zu Argos.
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No. 8. 9. 10. 11. 12. 13. Innere Ansicht eines zu Same in Kephalenien durch C. Bn. Haller v.
Hallerstein geöffneten Ziegelsarges von der in No. 3. angezeigten Form, mit den wohlerhaltenen Gebeinen
einer in die bacchischen Mysterien Eingeweihten und der Todtenaussteuer derselben. Bei dem auf vier
Ziegelplatten ruhenden Gerippe erblickt man an der rechten Seite zwei kleine Fläschchen von ungebranntem
Thon, sogenannte Lacrimatorien oder Thränengefässe später Zeit^ in der rechten Hand eine Art gehen-
kelten Weinbecher, Kylix, aus feinem Erz, zur Darbringung des Trankopfers an den unterirdischen
Dionysos und dessen Gattin, und gleich daneben liegend den irdenen, ungehenkelten Spendekrug, Prochoos,
ferner zwischen den Schienbeinen eine alabasterne, runde Schmuckbüchse mit Deckel oder Kylichne, zur
Aufbewahrung des Geschmeides; auf dem rechten Fusse einen bacchischen Deckelspiegel, das mystische
Symbol der Sinnenwelt, und endlich zwischen den Backenzähnen die Danake oder das Fährgeld des
Charon, eine kleine Silbermünze von Corinth.
In umstehenden Abbildungen sind die vorzüglichsten dieser Gegenstände, deren Geschmack die
Errichtung des Grabes zu der üppigen Zeit der Nachfolger Alexanders des Grossen vermuthen lässt, deut-
licher und genauer dargestellt, wie in
No. 9. Profilansicht nebst Durchschnitt des schönausgeführten ehernen Deckelspiegels, wo die
Spiegelfläche durch eine starke Linie angedeutet ist,
No. 10. Vorderseite desselben, mit einem erhaben gearbeiteten, epheu-bekränzten Bacchushaupte
und mit Flechtwerk gezierten Spiegels nebst seinen Handhaben.
No. 11. Die runde, mit einem Deckel geschlossene Schmuckbüchse von Alabaster,
No. 12. Vor- und Kehrseite der corinthischen Silbermünze mit dem Gepräge des geflügelten Pegasos
und des Dreizacks oder der Triaena des Poseidon, in Originalgrösse gestochen,
No. 13. Der zierliche kylix-ähnliche Weinbecher von Erz mit schön geschwungenen, oben in ein
Epheublatt ausgehenden Doppelhenkeln.
Taf. VIII.
Irdene, mit schwarzem Firniss bemalte und oben mit rothem Rande geschmückte Todtenkiste eines
Kindes nebst beiliegendem Deckel und innen regelmässig geordneten Gebeinen, bemalten Thongefässen
und Thonbildern, vor dem Acharnischen Thor an der Landstrasse im Jahr 1813 von mir ausgegraben und
bei der Eröffnung gezeichnet. Ihrer elliptischen Form nach gleicht sie einer Badewanne^ daher eine solche
meistens hölzerne Todtenkiste öqoLwi hiess; in ihrer Stellung zwischen Osten und Westen zeigte sich der
den Athenern vorgeschriebene Gebrauch [s. Plutarch. Vit. Solon. 10.], das Antlitz des Verstorbenen nach
Morgen, der Gegend der Götter, zu wenden, wodurch sie sich von den umgekehrt verfahrenden Megarern
und Phöniciern unterschieden, nicht beobachtet, wie denn mehrere Abweichungen von der Regel, auch
südliche und nördliche Stellungen in attischen Gräbern vorkommen, das Antlitz der Todten blickte nach
Abend, der Gegend der Seeligen. Alle in der Kiste enthaltene Gegenstände waren sorgfältig mit Erde
verpackt, die den ganzen innern Raum bis an den eingesenkten Deckel erfüllte, weil die Berührung des
Elements wesentlich zu des Todten vollkommener Bestattung und Ruhe im Grabe gehörte; aber es fehlten
die meisten und selbst die dauerhaftesten Theile des Gerippes. Zu beiden Seiten des unvollständigen
Schädels lagen über den Knochen der Oberarme zwei bemalte hieratische Thonbilder der thronenden,
versehleierten Manenkönigin Gaea Olympia oder der himmlischen Erde mit herabgekehrten Häuptern und
auf den Schenkelknochen zwei eben solche mit aufgerichteten Häuptern, so dass dieselbe Göttin hier
Aach der Zahl der Elemente und der Himmelsgegenden viermal vorkommt. An der Stelle der Brust und
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des Unterleibes, wo sich keine Spur vom Rippenkasten, Rückgrat und Becken fand, waren zu beiden
Seiten ein schwarz auf gelbem Grund bemalter Lekythos mit der Mündung- nach dem Haupte, und mitten
in einer Reihenfolge zwei Kotylen und eine Diota mit der Mündung nach den Füssen hingelegt. Die
Knochen der Unterarme und der Hände fehlten gleichfalls5 aber an der Stelle der Linken, ihr mit dem
Henkel zugewendet, befand sich ein schrägliegender Lekythos, vermuthlich das Trankopfer für die den
Todten empfangenden Erdgottheiten enthaltend. Zwischen den Knieen stand eine Phiale oder ungehen-
kelte flache Schaale und darinnen eine Lampe 5 an diese stiess ein nach den Füssen zugekehrter Kotylos,
bedeckt mit einer flachen Tasse und voll von einer dicken, klebrigen Masse, welche wohl der, als Sühn-
opfer der Manen und Erdgötter gebräuchliche, läuternde und besänftigende Honig seyn mochte; darauf
folgte ebenso und in derselben Reihe zwischen den Schienbein- und Fussknochen geordnet, ein Kotyliskos
in einer aufrechtstellenden, inwendig bemalten, grossen Schaale, vielleicht das Sphageion oder Gefäss mit
Opferblut, das den Todten beigesetzt zu werden pflegte zur Labung seines durstenden Schattens, und
zuletzt am untern Ende der Kiste dem Haupt zugewendet, ein grosser Kotylos. Ausser diesen Geräthen,
von denen manche die übriggebliebenen Reste des Todtenmahls nach üblichem Bestattungsgebrauch
enthalten mochten, befand sich noch neben den Schienbeinknochen rechts von denselben ein herabgekehrter
Lekythos und. links Kinderspielwerk, in zwei kleinen irdenen Vasen bestehend.
Bei der selten so vollkommenen Erhaltung der Todtenmitgabe und ihrer bisher nirgends anderswo
bemerkten symmetrischen Anordnung muss die Unvollständigkeit der Gebeine auffallen, besonders da
schwächere, wie an den Füssen, trotz der mangelnden starken Hüftknochen, Schulterblätter und Rücken-
wirbel geblieben sind, und zu der Vermuthung führen, dass dieselbe schon vor der Beerdigung stattfand
und dass man hier zusammengelesenen Ueberresten eines Verunglückten die letzte fromme Pflicht erzeigt
habe. Damit stimmt auch die östliche Lage des Hauptes und folglich die Richtung des Antlitzes nach
Westen überein, als eine übliche Abweichung von der Regel der Athener, denn Aelian [Var. Hist. L. Vn,
c. 19 u. L. V.] erwähnt ausdrücklich dieser bei gewaltsam Umgekommenen beobachteten Lage.
Das Maas der Todtenkiste, von der unten die Profilansicht in Umrissen sich darbietet, beträgt
2 F. 11 Z. in der Länge, 1 F. % Z. in der Breite und 514 Z. in der Höhe.
• Schlussvignette
des ersten Haupttheils.
Stirnziegeln ähnlicher Gipfelzierrath oder Akroterion einer marmornen attischen Grabstele, ver-
muthlich aus der Zeit der Ptolemäer, geschmückt mit Akanthosblättern nebst zwei schneckenartig gewun-
denen Akanthos - Sprossen, die in Rosetten endigen und über welche das halbe Schattenbild oder Eidolon
einer verschleierten Abgeschiedenen, in nachdenkender Stellung ihr Haupt auf die Rechte stützend,
hervorwächst, und zugleich lange schmale Blüthenblätter palmetten - förmig um sie her sich ausbreiten.
Der Abgeschiedenen beschädigtes Angesicht erscheint in vorliegender Darstellung mit punctirten Umrissen
ergänzt. Der symbolische Sinn dieses Hochreliefs deutet auf das Wiederaufleben der in Gräbern Ruhen-
den, auf ihre Verwandlung, ihr den üppigen Gräbergewächsen ähnliches Gedeihen und die Entfaltung
ihrer Blüthe, der Unsterblichkeit.
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In gleicher Bedeutung sehen wir das als Agrippina bekannte schöne Brustbild von einem antiken
Grabdenkmal aus einer Fülle von Wasserblättern hervorragen, und ein zu Alexandrien in Aegypten gefun-
denes Meines Thonbild meiner Sammlung, die den Horus säugende Manenkönigin Isis mit dem Kopfputz
von Federn, Mondscheibe und Rosenblättern darstellen, wie sie aus einem Akanthosknauf erst zur Hälfte
wieder aufgesprossen ist.
Aus solchen Brustblildern oder Protomen auf Hermen und Grabstelen, wo sie Bedeutung und
Zusammenhang hatten, entstanden die geschmacklos zugestutzten, abgehauenen Köpfen gleichenden Büsten.
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Zweiter Haupttheil.
Vasen und Lampen.
Vignette über dem zweiten Haupttheil.
Verzierung von einer Mumiendecke, zum Vergleich mit dem auf T. XVIII. vorkommenden Vasen-
ornament aus Athen.
Bei der von den Alten selbst bemerkten Uebereinstimmung des archaischen Styls der Griechen
und Hetrusker mit dem der Aegypter, welche in alten Götterbildern und selbst in den ältesten bemalten
Vasen sich bewährt und auf einen verwandten Ursprung hindeutet, kann es nicht befremden, ein Vorbild
zu dem beliebten, immer wiederholten sogenannten Lotos- und Palmetten-Zierath der Griechen auf
einem altägyptischen Denkmal zu finden, wie denn der Grundzug des ebenso häufigen griechischen
Mäander -Zieraths schon als ein gewöhnliches Zeichen in der Hieroglyphenschrift vorkommt. In vor-
liegender ägyptischer Verzierung, von der das Original mit mehreren Farben gemalt und als eine
Zusammensetzung von abgeschnittenen Blumen behandelt ist, wechselt zwischen den Lotosblumen die
Palmette, bald in ihrer Entfaltung, bald in ihrer Knospe erscheinend, und über Fruchtkörner und Ro-
setten sich erhebend, statt deren die Griechen Schnörkel und Schlingungen zur Verbindung des Ganzen
mit Geschmack anbrachten und dem Zierath das Ansehen der natürlichen Entwickelung bei Beobach-
tung strenger Symmetrie und Harmonie gaben.
Durch die Eigenschaft der Lotospflanze, sich beim Aufgang der Sonne aus dem Wasser zu heben,
bei ihrem Steigen sich allmählig zu öifnen, mit ihrem Sinken die Blätter zusammenzulegen, unterzu-
tauchen und im Wasser zu weilen, bis sie wieder aufgeht, galt sie für das Bild der Schöpfung aus
den Wassern, für das Bild des Heils und des Lebens. Götter und Göttinnen stiegen in Aegypten aus
ihrem Blumenkelch im Nil-Okeanos-Flusse empor. Sie bezeichnete die Wiedergeburt, die Unsterblich-
keit und schmückte als Sinnbild derselben den Knauf des Scepters ägyptischer und griechischer Gott-
heiten. Aus Lotos bestand der Kranz der Isis, eine Lotosblume oder Wasserlilie hielt Aphrodite als
Symbol in der Hand, und ebenso die Göttin Elpis, die Hoffnung. Aber auch auf alle Nilschilfarten
wurde der Name Lotos bezogen *), daher wohl seine manchmal verschiedene Gestaltung.
Vasengemälde
mit schwarzen Figuren auf hellem Grunde, Monochromen und Trichromen*
Taf. IX.
Darstellung dreier Gefässe der ältesten Gattung, die in Griechenland, namentlich zu Athen und
Korinth, gefunden wird, und sowohl durch die blass-röthliche Thonmasse, als durch eigenthümliche,
Taf. X.
1. Drei abweichende Formen von Oelfläschchen, Lekythen, die bei den Todten in Gräber und
auf Scheiterhaufen gelegt und ihnen besonders gewidmet wurden, sind hier nach der Zeitfolge neben
einander gestellt. Ihr wesentlicher Unterschied besteht in der allmählig zunehmenden Schlankheit der
Form, dem gemäss auch in den darauf vorkommenden Gemälden der Uebergang von der Strenge und
Sorgfalt des archaischen und äginetischen Styls zur flüchtigen Nachahmung des Alterthümlichen und
zu ganz nachlässigen Skizzen erkennbar ist; daher denn der Spott des Aristophanes mit Recht die
Lekythenmaler trifft und ihre Ausartung schon in dem Zeitalter griechischer Kunstblüthe bezeugt.
Zugleich liefert gegenwärtige Tafel vier verschiedene Gemälde solcher Gefässe, die am Fusse
des Hügels Musäon zu Athen gefunden wurden und der Sammlung des Consuls Fauvel angehörten.
2. Rüstung und Bewaffnung troischer Helden zum Angriff der belagernden Hellenen, Gemälde
in ächt-äginetischem Styl, wo die Hautfarbe der Frauen, das blonde Haar der einen und die Schild-
embleme mit weisser, einzelne Theile und Zierden der Tracht mit purpurrother Farbe gemalt
sind. — Vor Allem lässt der dem Mars gehörige Scorpion auf dem Schilde der ersten, behelmten und
mit Knemiden versehenen Männergestalt, als ein öfter vorkommendes Sinnbild kriegerischen Geistes *),
den Haupthelden Hcktor erkennen; er empfängt die Lanze aus der Hand seiner Gattin Andromache,
die, mit langem Chiton, rothem Diploidion und rother Kinde geschmückt, ihm entgegentritt. Neben diesen
ist Creusa, einen übergeschlagenen Mantel und eine eben solche rothe Kopf binde, wie Andromache,
tragend, mit beiden Händen beschäftigt, ihrem schon vollständig gerüsteten, forteilenden Gatten Aeneas
noch das Visir des Helms vor das Gesicht herab zu lassen. Ihm nähert sich Paris in der Tracht eines
troischen Bogenschützen, wie Homer ihn einführt, nämlich mit der phrygischen Mütze und den Anaxy-
riden oder langen Lederhosen bekleidet, mit dem Bogen in der Hand und dem Kocher an der Seite,
indem er der Helena den Rücken kehrt, welche, in einen grossen Mantel gehüllt, mit herab wallendem,
durch weisse Farbe bezeichnetem, blonden Haupthaar, allein dasteht, einen Stab haltend, vermuthlich
die mangelhafte Lanze des hinter ihr dargestellten Deiphobos, Bruders des Paris, der nach dessen Tode
ihr Gemahl ward, als der, nächst Hektor, tapferste der Priamiden. Schon gerüstet mit Helm, Panzer
und Beinschienen, stemmt dieser den linken Fuss auf eine Bank, im Begriff, die eine der Beinschienen
zu befestigen, während sein Schild mit dem Zeichen eines Epheukranzes neben ihm angelehnt liegt,
und sein Schwert sammt dem Riemen desselben noch oben an der Wand hängt.
3. Zweikampf des Echemos und Hyllos wegen Entscheidung des Schicksals der Herakliden;
in Gemässheit der bei den Alten Öfter befolgten Sitte, die Streitigkeiten der Völker zur Ersparung des
Blutver«iessens durch Zweikämpfe der Anführer entscheiden zu lassen. Denn, nachdem Hyllos, der
älteste Sohn des Herakles, den Eurystheus im Kriege getödtet und die verbannten Nachkommen seines
Vaters in den Peloponnes eingeführt, aber auf Befehl des Orakels das Land wiederum mit ihnen ver-
lassen hatte, verleitete ihn ein zweiter, missverstandener Orakelsprach, nach drei Jahren zurückzu-
kehren und den Echemos, Sohn des Aeropos und König von Tegea, zu einem solchen Einzelkampf her-
auszufordern, dessen unglücklicher Ausgang seinen Tod und eine fünfzigjährige Verzögerung der Rück-
kehr der Herakliden veranlasste. Das Denkmal des Hyllos stand bei Megara, wo er bestattet war **).
Vorliegendes Gemälde äginetischen Styls seilt beide Helden im Handgemenge begriffen zwischen
zwei nebenstehenden Herolden dar, welche, von grossen, mit Purpurstreifen eingefassten Mänteln umhüllt,
mit purpurnen Kopfbinden geschmückt, Stäbe in den Händen halten und die Kämpfer beobachten. Diese
tragen beide herabgelassene Helme, Panzer, umgegürtete Schwerter, Schilde, Beinschienen und Speere;
sie stossen mit den Schilden gegen einander. Echemos trifft den schon auf's Knie gestürzten Hyllos mit
dem Speer in die Brust, während letzterer vergebens seine Waffe nach ihm gerichtet hat. Derselbe
Gegenstand war auf der steinernen Grabstele des Echemos zu Tegea in erhobener Arbeit ausgeführt ***)
und vielleicht das Vorbild von diesem Gemälde, von welchem schon Wiederholungen auf Grossgrie-
chischen Vasen gefunden wurden, die Behauptung widerlegend, dass solche niemals auf Vasen vor-
kämen. J. Millingen hat eine Wiederholung herausgegeben, aber sie für den Zweikampf des Eteokles
und Polynikes falsch erklärt, indem er zugleich die Herolde für Frauen ansah ****). Die Aehnlichkeit
der kämpfenden Gruppe mit dem am Kasten des Kypselos abgebildeten letztern Gegenstand mag ihn
dazu verleitet haben, aber dort stand hinter dem gesunkenen Polynikes die Göttin des Todesgeschicks,
*) Auf dem Schilde des Augustus, auf einem Schilde in der Mosaik von Palestrina, auf einem Schilde in Hamilton's Vasen T. IV.
Tah. 51-, auf einem Tropäon in Villa Albani, auf Wangenschienen einiger Helme (s. Winckelm. mon. ined.) u. f. kömmt dieses
Sinnbild vor.
«*) Pausan. I. 41, 2.
**») Pausan. VIII. 53, 5.
»***) Millingen, Peintures antiques de vases Grecs de la collect. Coghitt, pl. 35. N. 2 et 3. pag. 36.
Ker, allein. An eben demselben Denkmal kam bei dem Zweikampf des Ajax und Hektor eine Eris,
und bei dem des Achill und Memnon kamen ihre Mütter Thetis und Eos vor. Uebrigens waren zu
Olympia im Hain Altis mehrere andere Zweikämpfe in Statuengruppen von Myron vorhanden: Odysseus
gegen Helenos, Menelaos gegen Paris, Diomedes gegen Aeneas, Aeas Telamonios gegen Deiphobos fech-
tend; aber keiner von allen stimmt so vollkommen, wie der erwähnte zu der gegenwärtigen Vorstellung.
Der oben am Halse der Vase angebrachte Halm in streitfertiger Stellung bezieht sich auf den
Kampfvorsteher und Seelenführcr Hermes, und das herzförmige Eppich- oder Selinos-Blatt zu beiden
Seiten des Hahns deutet, nach dem sprüchwörtlichen, bei gefährlichen Kranken gebrauchten Ausdruck:
o-ehlvov hfreu (er bedarf des Eppichs), auf die Bestattung und den unterirdischen Dionysos hin.
4. Der satyrische Reigen Kordax. Drei nackte bäurische Männergestalten, im nachgeahmten
hieratischen Styl gemalt, erscheinen hier mit rothen Kopf binden geschmückt, muthwillige Sprünge und
komische Geberden machend, in bacchischer Ausgelassenheit. Sie vereinigen sich zu einem umher-
kreisenden Reigen, daher zwei von verschiedenen Seiten, und der mittlere, welcher ein Gewand auf
dem linken Arme trägt, vom Rücken gesehen wird. Tanz und Gesang gehorten hauptsächlich zu den
religiösen Handlungen im höchsten Alterthum, weil sie als Mittel betrachtet wurden, Herz und Seele
zu stimmen und bis zu der Vereinigung mit den Naturgöttern zu erheben, welche man kindlich durch
Frohsinn zu ehren meinte, wie eine Zeit des Jahres durch Trauer.
Am Halse des Gefässes bieten sich dieselben Symbole, wie bei dem vorigen, dar: der Kampf-
hahn und die beiden Epheublätter. Zu dem Erwähnten sei die Bemerkung hinzugefügt, dass der Hahn
seiner Streitlust wegen auch dem Ares und der Athene geweiht, als Stimme der Frühe der Sonne
heilig und ein Bild der Wachsamkeit und Gymnastik war, Hahnen-Gefechte pflegten schon die Alten
als öffentliche Belustigungen zu veranstalten. Ja Themistokles verordnete Hahnen-Gefechte an einem
besonderen jährlichen Feste, zum Andenken des Sieges über die Perser, weil man glaubte, dass dieser
Sieg durch das muthige Krähen der Hähne verkündet worden sei.
5. Der eleusinische Krieg, Gemälde im nachgeahmten hieratischen Styl. — Zwei Parteien,
welche durch Schild-Embleme, zwei Disken oder Sonnen- und Mondscheibe, und ein Keras oder
Trinkkorn sich unterscheiden, treffen im Kampfe zusammen. Da das Emblem der ersten Partei auf
Verehrung des Apollo Patroos und der Artemis Patroa, der athenischen Stammgötter, das der zweiten
auf Verehrung des Mysteriengottes Dionysos, des früh in Thracien herrschenden, hindeutet, so giebt
sich die Darstellung als Hauptscene des Streites zwischen dem König der Athener, Erechtheus, und
dem König der Thracier, Eumolpos, den die Eleusinier zu Hülfe gerufen, zu erkennen. Der ersten
Partei angehörend, ragt mitten im Handgemenge eine Quadriga hervor. Während der dem Gebrauch
gemäss lang bekleidete Kutscher auf derselben steht und die Rosse an den Zügeln zurückhält, schwingt
sich einer der beiden mit Disken bezeichneten Krieger, vermuthlich Butes, des Erechtheus Bruder,
hinten von dem Fuhrwerk herab. Ihm ist der andere, Erechtheus selbst, schon zuvorgeilt; dieser hat
einen der mit dem Keras bezeichneten Gegner, Immarados, des Eumolpos Sohn, auf den Boden nieder-
gestürzt und durchbohrt denselben mit der Lanze; doch rennt der zweite, der Vater Eumolpos, mit
erhobenem Speer auf den Erechtheus zu. Die neben stehenden Inschriften sind unlesbar.
Eben derselbe Gegenstand war in einer Statuengruppe von zwei Figuren noch einfacher auf
der Akropolis zu Athen behandelt *). Er veranlasste auch Euripides berühmte Tragödie: Erechtheus,
wovon noch ein Bruchstück erhalten ist **). Als Sühn-Opfer für den Tod des Immarados musste des
*) Pausan. I. 27.
*) Eurip. Fragm. ed. Beck. p. 422-
Erechtheus Tochter Chthonia nach dem Spruch des Orakels von der Hand des Vaters fallen, worauf
ihre Schwestern sich selbst das Leben nahmen. Durch einen feierlichen Vertrag wurde der Streit be-
endigt; Eumolpos und seine Nachkommen erhielten die Oberpriesterschaft der Demeter, der Persephone
und des Jacchos, Butes und seine Nachkommen die der Athene und des Poseidon *).
Taf. XL
Drei Gemälde in nachgeahmter hieratischer Manier auf drei Lekythen aus Athen.
1. Waffentausch des Glaukos und Diomedes, in des Consuls Fauvel Sammlung. Nachdem die
genannten beiden Helden, der Sohn des Hippolochos und der des Tydeus, bei ihrer Begegnung auf dem
Schlachtfelde vor Troja (s. Hom. Jl. VI. v. 206 ff.) sich der Gastverwandtschaft der Väter erinnert,
eilten sie auf einander zu, stützten sich auf die Lanzen, reichten sich die Hände zum Zeichen des
Treubundes und begannen gegenseitig ihre Waffen zu wechseln, wobei Diomedes für seine ehernen
goldene von Glaukos bekam, der nicht darauf achtete. Dieser steht hier mit hochbuschigem Helm,
Panzer, Schwerdt, Schild und Lanze, wie sein Gastfreund, gerüstet, im Begriff, den herabgestellten
Schild nebst dem Gewände ihm zu übergeben und die Lanze gegen die dargebotene des Diomedes
auszutauschen. Zu beiden Seiten ist ein hinweg eilender phrygischer Bogenschütz, beide mit Anaxy-
riden von gestreiftem Tigerfell und spitzen phrygischen Mützen bekleidet, Köcher an den Hüften,
stark gekrümmte Bogen und lange Pfeile in den Händen tragend, angebracht, um das Lokal und die
Begebenheit näher zu bestimmen.
% Dreimalige Wiederholung des Amphiaraos mit dem abgehauenen Haupte des Menalippos,
Vasengemälde, im Besitz des Herrn Burgon. Als Tydeus, einer der Sieben vor Theben, durch Mena-
lippos tödtlich getroffen war, und die Göttin Athene ihm den Trank der Unsterblichkeit zu ertheilen
eilte, verhinderte der Seher Amphiaraos die Ausführung ihres Vorhabens, indem er aus Rache, weil
Tydeus die Argier zu diesem unheilvollen Kriege gegen Theben verleitet hatte, das Haupt des Mena-
lippos abschlug und dem Sterbenden überbrachte, welcher beim Anblick des verhassten Feindes in so
heftigen Grimm, so thierische Wuth gerieth, dass er vom Gehirn desselben schlürfte, und die nahende
Göttin vor ihm entsetzt zurück weichen musste.
Der Versucher Amphiaraos erscheint hier bärtig, mit kurzem Chiton, Knemiden und hochbuschi-
gem Helm bekleidet, in eilig vorschreitender Bewegung, das blosse Schwert in der Rechten und das
ab°ehauene, behelmte Haupt am Helmbusch in der Linken empor haltend. Durch die dreifache Wie-
derholung des Gegenstandes ist ein verstärkter geheimnissvoller Eindruck desselben bezweckt worden.
Ausserdem enthält das Alterthum noch anderen, aber minder tiefsinnigen und berühmten Stoff zur Deu-
tung des gegenwärtigen Bildes, wie das Beispiel des Hyllos, Sohns des Herakles, der den Kopf des
Eurystheus an Alkmene überbrachte, des Agamemnon, der den Kopf des Hippolochos, des Diomedes,
der den Kopf des Dolon abhieb, und den Winckelmann auf einer Paste (s. Taf. LIV.) erkannte. Im
Hintergrunde schlingen sich hier drei Epheuranken zwischen den Figuren hin, um den Raum auf unge-
zwungene Weise zu füllen.
3. Ankunft des Adrast mit dem göttlichen Ross Arion auf Colonos Hippios, Vasengemälde, im
Besitz des Herrn Lusieri. Bei der Niederlage der sieben Helden vor Theben war Adrast der einzige,
welcher durch Hülfe seines schnellen Wunderrosses, des Arion, des vom Meergott Poseidon mit der
*) Pausan. I. 38.
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Erdgöttin Demeter erzeugten, dem Tode entkam und in dem Heiligthume des Poseidon auf dem soge-
nannten Rosshügel (nohoovos "iws) bei Athen von Theseus Aufnahme fand und durch ihn die Bestat-
tung der gefallenen Helden und Verbündeten erlangte. Man sieht ihn in der Mitte des Bildes, das
unruhige Boss beim Zügel geleitend, einen weissen Reisehut auf dem Haupte, eine Pelta oder einen
leichten halbmondförmigen Schild mit dem Zeichen zweier Disken am Arme und zwei Lanzen in der
Hand tragend, im kurzen Kriegermantel sich dem Theseus nahen, welcher, mit weisser Binde um das
Haupt, mit dem Scepter in der Hand und vom Gewandüberwurf umhüllt, auf einem Feldstuhl sitzt.
Diesem gegenüber, auf eben solchem Stuhle, ruht ein in bunt verziertem Mantel gehüllter Greis mit
langem weissen Bart und Haupthaar, sich auf einen Stab stützend, vermuthlich der Priester des Lokal-
gottes Poseidon, und hinter dem Theseus steht ein nackter, mit weisser Kopfbinde geschmückter Diener,
das Gesicht nach dem Ankömmling zurückgewandt, im Begriff, ihn zu den Wohnungen des Heiligthums
zu führen.
Taf. XII.
Gemälde auf fünf verschiedenen Lekythen aus Athen.
1. In des Consuls Fauvel Sammlung, von nachgeahmtem altem Styl. Wettrennen zweier lang
bekleideter und gegürteter Wagenlenker, von denen jeder ein Viergespann von Pferden mit der Gerte
antreibt, um die als Ziel ausgestellten und in einem Weinkessel, Lebes, aufbewahrten Ueberbleibsel
eines Todten her, welche, wenn das Feuer des Rogus niedergebrannt war, aus der Asche gesammelt
wurden {legere ossa). Sie feiern nach altem Gebrauch Leichenspiele zu Ehren des Verstorbenen auf
seinem Grabesplatze. Eben solche ehernen Gefässe, wie das hier abgebildete, mit Asche, Gebeinen und
Todtengaben angefüllt und mit Ringen als Handhaben versehen, werden noch heut zu Tage aus den
athenischen Gräbern hervor gezogen. Den Hintergrund des Bildes schmücken Epheuranken.
2. Gemälde derselben Sammlung und von demselben Styl. Wettrennen zwischen einem Wagen-
lenker auf einer Quadriga und einem schwer Bewaffneten oder Hopliten zu Fuss um die Grabesstele des
Verstorbenen. Der erste erscheint in langem weissen Kleide, der Tracht der eleusinischen Eingeweihten,
mit purpurrothem Gürtel und eben solcher Kopfbinde, eine Gerte in der Hand haltend; der zweite im
Panzer mit hochbuschigem Helm, Schild und Speer; beide haben das Ziel, die auf breiter Stufe ste-
hende, phallenförmige kurze Grabsäule von weissem Stein erreicht.
3. Krönung eines Nemeoniken, Gemälde in acht-archaischem Styl, im Nachlass des verstor-
benen Fr. North Lord Guilford. Die mittlere Hauptgruppe bildet ein epheubekränzter und mit purpur-
verbrämtem langen Mantel bekleideter bärtiger Agonothet oder Kampfrichter, welcher dem vor ihm
stehenden nackten Athleten Epheuranken, das Symbol der nemeischen Siege, um das Haupt windet.
Zugleich hält dieser in vorgebeugter Stellung fünf Epheuzweige, wahrscheinlich in Bezug auf den gewon-
nenen Fünfkampf, Pentathlon, wie weiterhin aus der Darstellung erhellt, in den Händen und trägt eine
purpurne Siegerbinde, Taenia, am Arm herab hängend. Ueber seinem Haupte steht der Name: ainio25
nebst dem Zusatz KAA02, der schöne Ainios *). Dieses Beiwort ist hier nicht bloss dem Sieger gegeben,
sondern auch seinen beiden Mitkämpfern, nackten Athleten, die links und rechts neben zwei epheu-
bekränzten, bärtigen Rabdouchen oder Stabträgern mit hohen Knotenstöcken und purpurverbrämten
langen Mänteln hervortreten, indem der eine, mit der Inschrift: -4-API2 KAA02, der schöne Charis oder
*) Der Name kommt schon Jlias XXI. v. 210. vor, wo er einem von Achill getödteten Päonier beigelegt ist.
Pilaris *), Sprunggewichte oder Halteren und drei Speere, der andere, mit verlöschtem Namen und
demselben Beiwort, eine Wurfscheibe oder Diskos und drei Speere in den Händen hält. Durch die
Werkzeuge hat der Künstler auf die verschiedenen Spiele hingedeutet, welche zum Pentathlon gehören.
Diese bestehen nächst dem Lauf, Dromos, und dem Ringen, Pale, die nicht bezeichnet werden konnten,
aus dem Speer- und Scheibenwerfen, Ripsis und Diskobolia, und dem Springen, Halma.
Von den beiden Rabdouchen ist der links angebrachte nur bis zur Hüfte hinauf noch übrig und
die vor ihm befindliche Inschrift mangelhaft; der andere ist ganz erhalten, und in der vollständigen
Inschrift der Spruch: AIIOA02 TO AIAMEPION (trage die Gebühr ab!) zu erkennen und auf den neben-
stehenden Sieger zu beziehen. Uebrigens schmückt ein Mäander den oberen und ein Blumenzierath
den unteren Rand des Gemäldes.
4. Dionysisch-theatralischer Feierzug unter dem Vorsitz einer Priesterin, Gemälde des nach-
geahmten hieratischen Styls, aus Fauvel's Sammlung. — In weitem Peplon und Chiton gekleidet, mit
rother Binde ums Haar, besteigt eine Frau, deren Hautfarbe weiss gemalt ist, und welche Ariadnen
vorstellt, einen vierspännigen Wagen, die Zügel fassend, während ein bärtiger, bekränzter Priester in
der Tracht des indischen Dionysos, mit langem weissen Chiton und dunklein Obergewande und mit
einem grossen Kantharos in der Hand, neben dem Wagen steht. Vor den Pferden sitzt auf einem
löwenfüssigen Feldsessel eine in einen weiten Mantel gehüllte Priesterin, deren Hautfarbe sich gleich-
falls durch Weiss unterscheidet. Im Hintergrunde Epheuranken.
5. Dionysisch-theatralischer Feierzug unter Anführung des Komos, in demselben Styl und in
derselben Sammlung, wie das vorige Bild. Eine als Ariadne mit rother Kopfbinde geschmückte,
mit Chiton und Peplon bekleidete Priesterin auf einem Wagen lenkt mit der Gerte das Viergespann,
neben welchem eine ähnlich gekleidete weibliche Gestalt mit einer Blume in der erhobenen Hand als
Aphrodite, und ihr zugewendet ein bekränzter, bärtiger, lang bekleideter Priester in der Tracht des
indischen Dionysos, ein grosses Trinkhorn, Keras, haltend, stehen. Voran schreitet ein bärtiger Satyr
mit Rossschweif, die Lyra spielend, als Chorage. Es ist Komos, die festliche Freude, wie derselbe in
der Ueberschrift auf einigen Vasen genannt wird. Auch hier schlingen sich Epheuranken durch den
Hintergrund.
Taf. XIII.
Zweihenklige Trinkschaale mit rundem Fuss, ein Kylix aus Athen in der Sammlung des
Consuls Fauvel. Neben den Henkeln sind auf beiden Seiten der Schaale zwei grosse Augen und Augen-
brauen, als Symbole des Richters und Wächters in der Ober- und Unterwelt, gemalt, und damit über-
einstimmend ist zwischen jenen Augen das Bild eines auf dem Richtstuhle sitzenden Richters, welcher,
in einen Mantel gehüllt, die Binde ums Haupt und den Stab in der Hand trägt und einen mit der
Kopfbinde geschmückten, nackt fort eilenden Boten absendet, wiederholt angebracht.
2. Hieneben, aus derselben Sammlung, eine Prochoe oder Libationskanne, auf welcher das
unter derselben dargestellte folgende Vasengemälde sich befindet.
3. Einführung des Herakles durch Pallas Athene in den Olympos. Eine Darstellung dieses Ge-
genstandes, den wir in gegenwärtigem Gemälde von archaischem Styl erkennen, kam am Thron des
Apollon von Amyklä vor (s. Paus. III. 18, 7.) und war nicht näher bezeichnet, als durch die blosse
*) Pharis ist der Name eines Sohnes des Hermes und der Philodamia, Tochter des Danaos. Pausan. IV, 30.
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Handlung des Führens und Geleitens der Göttin, wie das Seitenstück, die Einführung des Dionysos-
knaben in den Himmel, bloss durch das Tragen des Hermes. Herakles erscheint hier in vollständiger
Rüstung, aus dem Fell des cithäronischen oder nemeischen Löwen, dessen Kopf mit den weissen
Zähnen er als Helm, dessen Leib er als Panzer, dessen Schweif er als Gürtel trägt, mit einem
Schwerdt an der Seite, mit der aus Holz vom wilden Oelbaum geschnitzten Keule *) und dem daran
gehängten, fellbedeckten Köcher auf der Schulter. Nach einer religiösen Sage empfing er verschiedene
in seiner Tracht enthaltene Stücke als Geschenke von den Göttern, wie das Schwerdt von Hermes,
die Pfeile von Apollon, Keule und Panzer von Hephästos, das Untergewand, Chiton, von Athene. Diese
erst bei Verrichtung seiner zwölf Arbeiten zusammen gebrachten und gebrauchten Dinge deuten hier
auf die Vollbringung seiner Grossthaten, von der er eben zurückgekehrt ist. Die vor ihm stehende
Göttin und Heldenfreundin Pallas Athene, deren Hautfarbe durch Weiss angegeben, die mit einem
Chiton poeleres, darüber gelegtem Peplon, schlangcnbesetzter Aegis, hochbuschigem Helm und Speer
versehen ist, hat ihm zum Zeichen des Versprechens, dass er fortan stets mit den Göttern wohnen
solle, und zu seiner Einführung die Rechte geboten, Herakles dieselbe, alterthümlicher Sitte gemäss,
an der Handwurzel (xagroV *%: %«goV) gefasst. Durch das Händegeben pflegten schon die Alten freund-
schaftliche Aufnahme, Verbindung der Herzen auszudrücken. Zwischen beiden Figuren fügte der Vasen-
maler, hier gewiss nicht bloss in verzierender Absicht, einen mit der Spitze nach unten gekehrten
Speer, aus dem sich oben eine Palmette entfaltet, hinzu, vielleicht als ein Zeichen der vollendeten
Kampfaufgaben und des bestehenden Friedens des Herakles. Die auf der Bildfläche vorhandenen flüch-
tigen Schriftzüge sind unvollständig und gewähren keinen befriedigenden Sinn.
4. nnd 5. Diese zu beiden Seiten des eben gedachten Gemäldes stellen verschiedene Ornamente
vor, welche an Henkeln und Rändern von Vasen vorkommen.
6. Sieg der Pallas Athene über den Asterios, Gemälde in des Consuls Fauvel Sammlung.
Diesen, als eine einzelne Grossthat der Göttin aus der Gigantenschlacht hervorgehobenen und abgeson-
derten Gegenstand pflegte man in dem Peplon des kleinen Panathenäen-Festes, des älteren in Athen,
einzuweben, während die ganze Gigantomachie auf dem Peplon des grossen Panathenäen-Festes vorkam,
und vielleicht besitzen wir hier das Nachbild von einer solchen Darstellung auf dem bald rothen, bald
gelben Gewände der Göttin, welche den Beinamen Gigantenwürgerin trug.
Die Giganten in vorliegendem Gemälde entsprechen der bekannten früheren Vorstellungsweise,
wo sie nicht, wie in späteren Zeiten, als Schlangenfüssler mit schuppiger Haut, sondern als bewaffnete
grosse Männergestalten mit herabgelassenen buschigen Helmen, Panzern, Beinschienen, Schilden und
Speeren erschienen. Der Gigant Asterios liegt in der Mitte auf den Knien rückwärts niedergestürzt
und von einem Speer durchbohrt, üeber ihn beugt sich Pallas Athene, die mit Schlangen eingefasste
Aegis vorstreckend, im Peplon gekleidet und behelmt; sie stemmt den Fuss auf ihn und versetzt ihm
mit einem zweiten Speere den Todesstreich. Links schreitet ein anderer Gigant Speer-werfend auf
sie zu, und rechts wendet sich, erschrocken staunend, ein dritter von ihr hinweg.
T a f. XtV.
Fünf Lekythengemälde im nachgeahmten hieratischen Styl aus des Consuls Fauvel Sammlung
zu Athen.
*) ApoIIodor. 11. c. 5, 9.
**) In der angeführten Stelle des ApoIIodor, so wie in der Inschrift des bekannten Reliefs der Villa Albani mit der Vergötterung
und der Ruhe des Herakles, ist Torone ein Ortsname, nicht der eines Sohnes des Proteus. Toquvav ts ule, heisst es in
dem letzteren Denkmal, Holvyovov mi> Tr)Myovov anixtewe.
5
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Derselbe Gegenstand befand sich auf der Burg von Athen als ein Weihgeschenk des maratho-
nischen Demos aufgestellt. Man erzählte, dass Theseus den Stier zuletzt auf die Akropolis gebracht
und der Göttin Athene geopfert habe *).
4. Bacchus in Begleitung der Hören und des Hermes. — Mitten in einem von Epheuranken
und Epheufrüchten oder Korymben umwachsenen Orte erscheint der bärtige Gott des Weines, einen
Becher in der Hand haltend und gehüllt in einen weiss verbrämten Mantel, an welchem ein weisses
Gewandstück über den Rücken herabhängt. Vor und hinter demselben stehen mit ihm zugewendeten
Antlitz zwei Hören, deren weibliche lichte Hautfarbe ein weisser Anstrich bezeichnet. Sie sind be-
kleidet mit Chiton und Peplon, und jede hält etwas in den Händen, was, ihren bekannten alt-attischen
Namen, Thallo und Karpo**), entsprechend, Sprosse und Frucht seyn kann. Hinter der ersten folgt
Hermes, einen weissen Reisehut, weissen Chiton nebst dunkler Chlamis, und an den Füssen Sprung-
riemen tragend; hinter der zweiten Höre geht ein nackter, ithyphallischer Satyr mit einem Rossschweife,
einem weissen Kranz um den Hals, die Hände an die Seiten gestemmt, in tanzender Stellung einher.
Jene sind dem Bacchus als Pflegerinnen der Rebe, der Satyr in Bezug auf religiöse Lehre und fest-
liche Lust beigesellt
5. Bacchische Feier. — Auf einem mit Fell bedeckten Ruhebette (xX/v^) am Tische gelagert
und von weitem Gewände umhüllt, stützt sich Dionysos mit der Linken auf untergelegte Polster des
Bettes und hält in der Rechten eine zweihenklige Trinkschaale (Kylix) empor. Vor ihm steht eine
mantelbekleidete Frau, welche Doppelflöten bläst, und neben welcher eine Epheuranke herabhängt; zu
beiden Seiten des Ruhebettes ist eine Bacchantin, auf einem brünstigen Maulesel reitend, angebracht,
und nach der einen wendet der Gott sein Angesicht. Bei dem Lacedämonischen Feste Helenia pflegten,
der vergötterten Helena zu Ehren, Mädchen auf Mauleseln zu reiten; am Kasten des Kypselos waren
Nausikaa und ihre Magd ebenso zur Wäsche reitend dargestellt. Der dem Silen geweihte Esel gehörte
als ein brünstiges, weissagendes Thier, welches die Beschneidung der Reben veranlasst hatte, in den
bacchischen Kreis.
Taf. XV.
Folge dreier Seitengemälde eines athenischen, irdenen kleinen Dreifusses, rtfirovs, aus meiner
Sammlung, welcher mitten auf dieser Tafel dargestellt ist, und welchen ich dem Preussischen Consul
in Griechenland, Hrn. G. Gropius verdanke. Drei Scenen einer mystischen Einweihung lassen sich in
den Gegenständen der Gemälde erkennen.
1. Versammlung. — Paarweise stehen drei Frauen und drei Männer im Gespräch einander
zugewendet, mit weiss und roth bemalten, bunt gezierten Gewändern festlich geschmückt. Die ersten,
deren Hautfarbe durch weissen Anstrich sich unterscheidet, tragen Diploiden und über die Häupter
gelegte Schleiergewänder, die zweiten lange übergeworfene Mäntel, Helme (Kranea) ohne Helmbüsche
und Visire, und in den Händen Speere. Bedenkt man, dass die Feier der grossen Eleusinien mit einer
Versammlung begann, wovon der erste Tag dyv^Ss hiess, so erklärt sich der Sinn gegenwärtiger Scene.
2. Verschleierung. — Ebenso wie die vorigen gekleidet, erscheint hier eine Gruppe von
sieben Personen. In der Mitte eine Jungfrau, die von zwei Begleiterinnen unter einem weiten, über-
*) Pollux Onoui. IV, 100. — M. vgl. Creuzer Syinb. und Myth. Band IV. S. 511 u. f.
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Gemälde in einiger Hinsicht ab. Herakles, in die Löwenhaut gekleidet, rennt im Sturmschritt, mit ge-
schwungener Keule und ausgestreckter Hand drohend und Stillstand fordernd, auf Helios zu, der in
einem nachenförmigen Fahrzeug mit halben Flügelrossen emporsteigt und ihn anblickt. Sein bärtiges
Haupt ist mit einer Binde umgeben und oben von einem grossen Sonnendiskos überschwebt. In der
Hand führt Helios zwei Gerten. Zur Linken des Gottes, ihm den Rücken kehrend, steht des Herakles
Führerin, Athene, behelmt, mit Mantel und üntergewand bekleidet und sich ruhig auf ihre Lanze
stützend, ohne sichtbare Theilnahme an dem gegenwärtigen Vorgang. Im Hintergrunde sieht man Epheu-
ranken angebracht.
7. Rückführung des geraubten delphischen Dreifusses, Gemälde im nachgeahmten hieratischen
Styl auf einem Lekythos. — Pallas Athene, mit Helm, Aegis und gestirntem Peplon angethan, die
Lanze in der Rechten, besteigt ihren Wagen und lenkt an den Zügeln das Viergespann der Rosse,
zwischen welchen der angebundene Dreifuss hoch empor ragt. Voran schreitet Herakles und blickt
nach der Göttin zurück. Er ist in der vollständigsten Rüstung dargestellt; das Haupt mit dem Löwenkopf
bedeckt, der Leib mit einem Panzer angethan und mit einem Schwert an der Seite, den fellbedeckten Köcher
an der einen, die Keule an der andern Schulter tragend, die über dem linken Arm hängende Löwenhaut
als Schild vorstreckend und einen Bogen nebst zwei Pfeilen in der linken Hand haltend. Epheuranken
zieren den Hintergrund.
Von diesem Vorgange kommt auf Denkmälern sonst nirgends eine Darstellung vor.
Ueber das zur Seite desselben angebrachte athenische Gefäss, so wie die auf demselben befind-
liche merkwürdige Darstellung einer bärtigen, geflügelten, schlangenleibigen Gestalt, welcher ein Schwan
mit ausgebreiteten Fittigen sich nähert, behalte ich mir die nähere Erklärung noch vor.
T a f. XVI.
1. Opferzug, Gemälde auf einem athenischen Lekythos, im Besitz des Hrn. Th. Burgon. — Die
mit breiter Schallöffnung versehene Salpinx blasend, schreitet ein nackter Jüngling voran, welcher eine
leichte Chiana um die Schulter, eine lang herab hängende weisse Binde um den Kopf trägt und einen
Stab nebst daran befestigtem Epheuzweige in der Hand hält. Ihm folgt eine Kanephore oder Korb-
trägerin, welche in dem Korbe, xavovv, auf ihrem Haupte die zum Opfer gehörigen Dinge: Kuchen von
Mehl und Salz, Gerste, Kränze, Wollenbinden ff., mitbringt. Ihre Hautfarbe ist durch weissen Anstrich
bezeichnet, ihr Anzug besteht aus einem Chiton und darüber geworfenem Mantel, ihr Kopfputz aus
einer lang herab hängenden weissen Binde. Hinter ihr her geht ein Jüngling, in einen weissen Chiton
nebst dunklem Obergewand gehüllt, das Thymiaterion oder tragbaren Rauchaltar von Candelaberform,
auf welchem man Weihrauchopfer zündete, in den Händen tragend. Endlich kommt ein schwarz und
weiss geflecktes Opferrind, mit langen, an den Ohren befestigten Perlenschnüren geschmückt, und neben
dem Thiere wandelnd eine Oschophore oder eine Frau, welche Epheuzweige trägt und hier in ein
langes Gewand gekleidet und mit weisser Kopfbinde geschmückt ist.
Nach dem Opferthier und den Zweigen zu schliessen, gilt die Feierlichkeit den unterirdischen
Gottheiten: Demeter, Persephone und Dionysos. Der Aufzug beim Todtenfest der zu Platäa gegen die
Perser Gefallenen hatte mit dem hier dargestellten einige Aehnlichkeit.
2. Oedipus und die Sphinx, Gemälde auf einem Lekythos der Sammlung des Hrn. Lusieri zu
Athen. Das bei den Aegyptern aus Vereinigung der Himmelszeichen Löwe und Jungfrau im Zeitraum
der Nilüberschwemmung entstandene Symbol göttlicher Weisheit wurde bei den Griechen zu dem
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geflügelten jungfräulichen Ungeheuer, welches auf dem Sphinxberge bei Theben den Reisenden das
Räthsei vom Menschen aufgab und, die es nicht errathen konnten, hoch in die Luft erhob und fallen
Hess. Hier sitzt das Wunderwesen mit dem Löwenleib, die Flügel ausspannend und auf dem Jung-
frauenhaupt eine Haube tragend, nahe vor dem Oedipus und hiirt ihm aufmerksam zu, der, vom Reise-
mantel umhüllt, auf den Wanderstab gelehnt, seine Antwort ausspricht und schon durch diese Stellung
andeutet, dass er den letzten und schwierigsten Theil des bekannten Räthsels errathen hat.
3. Innere Ansicht nebst Profil einer athenischen Opferschaale {Phiole) aus des Consuls Fauvel
Sammlung, ohne Henkel, aber mit zwei Oeffnungen oben am Rande versehen, die zum Aufhängen des
Gefösses dienten. Schon die Randeinfassung, welche in Epheu-Blättern und Früchten oder Korymben
besteht, lässt erwarten, dass das mitten angebrachte Gemälde eine bacchische Beziehung habe. Aus
dem Symbol eines Löwenhauptes ergiesst sich hier eine heilige Quelle, von welcher eine im Chiton
und Mantel gekleidete Frau mit staunender Geberde Wasser in ihre Opferkanne oder Prochoe schöpft,
während sie behutsam auf die wegen der Nässe des Bodens untergelegten Steine tritt. Vermuthlich
ist Amyraone im bacchischen Festort Lerna an der geweihten Quelle ihres Namens dargestellt, welche
Poseidon aus Felsen hervorschlug, als diese Tochter des Danaos, von ihrem Vater abgesandt, Wasser
zu holen, vor einem Satyr floh, und der Gott den Dreizack nach dem Verfolger warf, wodurch die
dürre Landschaft Argolis Quellwasser erhielt.
4. Die Sireneninseln, Gemälde eines Lekythos aus Athen in der Fauvel'schen Sammlung. —
Auf den Gipfeln zweier Felsen stehen zwei Sirenen, wie sie auch Homer in dieser Zahl erwähnt, als
Vögel mit Jungfrauköpfen und ausgebreiteten Flügeln gestaltet. Nur die eine von beiden, welche
Doppelflöten bläst, wahrscheinlich den Klagegesang ihrer Schwester begleitend, hat auch Menschen-
arme, weil sie der Finger zum Flötenspiel bedarf. Die Inseln gleichen vollkommen den für die Sirenen-
Inseln gehaltenen säulenförmigen Klippen, welche bei Capri aus dem Meere vorragen. Aehnlich sind
sie auch in einer herkulanischen Landschaft, welche die Fahrt des Odysseus durch die Sirenenfelsen
darstellt, abgebildet, und die Wunderwesen haben dort auch dieselbe Gestalt, jedoch kommt ihrer noch
eine dritte vor. Im Hintergrunde des gegenwärtigen Vasenbildes sieht man hohe Stangen mit Gehängen
von Epheu, als der Todtenpflanze, angebracht.
Ueber dem Rande des Gemäldes ragen zwei Epheubliitter und eine Palmette, welche den Hals
des Lekythos zieren, hervor.
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Vasengemälde
mit hellen Figuren auf schwarzem Grunde, Monochromen und Tetrachromen.
Taf, XVII.
X reisvasen, welche den Knaben in Kampfsclmlen (Palästren) ertheilt wurden, aus Herrn Fauvel's
Sammlung zu Athen. Auf solchen Gefässen sind ihrer Bestimmung gemäss die Gegenstände in eine
Kinderwelt übergetragen, daher Kindergestalten an der Stelle der Erwachsenen vorkommen, wie un-
ten bei dem Thyadentanz auf Taf. XXIV. 4. und auf einigen Sarkophagreliefs. Man pflegte den Kin-
dern kleine Altäre und Götterbilder zu geben, wie die Alten erwähnen. Die hier vorgestellten Ge-
fässe wurden in Kindergräbern gefunden. Mehrentheils ist die Freude der Kinder über die kleinen
Gefässe selbst einfach und kindlich dargestellt. Das Alter von 18 Jahren wurde, wie es scheint, als
Grenze zwischen Knabe und Mann betrachtet, wie Pausanias in Olympia als eine Ausnahme das
Beispiel eines Siegers von jenem Alter unter Männern angiebt.
1. Die Herrlichkeit des Kampfsieges. Chrysos, Nike und Plotos, allegorische Gemälde zu Ver-
herrlichung der Kampfspiele nebst den Namensinschriften. Auf der Bahn des Ruhms, welche ein em-
porsprossendes Lorbeerreis mit vergoldeten Früchten andeutet, lenkt Nike, die Siegesgöttin, ein Vier-
gespann von weissen Rossen mit goldenem Gezäum. Solche Rosse waren auch am Wagen der Ne-
reiden, am Kasten des Kypselos angebracht. Sie steht als ein kleines geflügeltes Mädchen gebildet,
weiss gemalt mit thonfarbigen Flügeln, einen goldenen Reif im braunen Haar, goldene Perlen, Ohrge-
gehänge und Armspangen tragend, die Gerte in der Hand, auf ihrem thonfarbigen Wagen die sprin-
genden Rosse an den Zügeln haltend, denn eben hat sie das Ziel erreicht, einen auf weissem Fuss-
gestell errichteten goldenen Dreifuss, des Apollon und des Bakchos Preisgefüss. Aus mehreren Spuren
erhellt, dass der grobe Anstrich dieser Hauptgruppe bloss als Untermalung betrachtet werden muss, und
dass die Ausführung fehlt, weil Zeit und Umstände die Farben zerstört haben. Schon ist Plotos (Plutos),
der Gott des Reichthums, ein nackter Knabe mit fliegendem Chlamidion und goldenem Reif ums Haupt,
der Nike entgegen geeilt und greift nach dem Dreifuss, um ihr denselben darzubringen. Plutos, der
Sohn der Demeter und des Jasion, entstand mit der Lehre des Ackerbaues, er lehrte die Vorsorge der
Lebensmittel, lehrte Schätze sammeln und verwahren, begründete Staaten und Bildung. Diod. Sic.
L. II. c. 49. Von ihm heisst es, er heile und stille alle Noth, wie sein Vater, der Heilmann. Es folgt
die Preisträgerin Nike, hier Chrysos (Gold) benannt, ein kleines Mädchen in bunt verziertem langem
Gewände, mit herabhängenden Locken und goldenem Reifen geschmückt, einen Skyphos in der Hand
haltend von der unten stehenden Form der Preisvase. Chrysos, das Gold, von der Sappho*) ein Sohn
des Zeus genannt, wurde wegen seiner Macht, die Gemüther der Sterblichen zu bilden, erwähnt; als
das Köstlichste und Lauterste scheint es hier den Preis (Athlon) selbst zu bezeichnen.
*) Pausan. B. 2. S. 260-
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Chrysophoren Messen diejenigen Frauen, welche im Wettstreit der Schönheit beim Feste Kal-
listeia bei den am Alpheus ansässigen Parrhasiern in dem Tempel der eleusinischen Demeter den Preis
davon trugen.*)
Den unteren Rand der Vase schmückt ein Eierstab, den oberen eine Epheuranke mit weissen
Stielen, thonfarbigen Blättern und goldenen Früchten oder Korymben von der Chrysokarpos benann-
ten Art Epheu.**)
Die Verzierung zu dem Dreifuss giebt die bacchische Beziehung zu erkennen.
2. Gestalt des kleinen Gefässes, auf welchem der eben erwähnte Gegenstand sich befindet.
3. Kleine Preisvase von ähnlicher Form mit der Darstellung eines Kindes, welches am Bo-
den liegend sich auf die Linke stützt und mit erhobener Rechten seine Bewunderung beim Anblick
des erlangten vor ihm stehenden Gefässes bezeigt.
4. Auf einer Vase von derselben Form das aus dem Leben gegriffene Bild eines Knaben,
der eine Binde ums Haupt trägt, in eine kurzgeärmelte Jacke gekleidet, sein Spielwerk, ein Wäge-
lein, mit sich führt und einen Kuchen in der Hand hält. Vor ihm steht ein Spitzhündchen, welches
den Duft des Gebackenen spürt, im Begriff aufzuspringen und danach zu schnappen.
5. Ein nacktes, am Boden kriechendes Bübchen betrachtet mit naiver Geberde die mit
Epheu bemalte Preisvase, auf welcher diese Vorstellung selbst sich befindet.
6. Neben einem niederen Altare, der wie ein jonisches Säulenstück mit Knauf und Plinte
versehen ist, breitet ein erwachsener nackter Knabe die Arme aus und springt empor im Ausbruch
der Lust und Freude über die gewonnene, vor ihm stehende Preisvase als ein Nachbild der gegen-
wärtigen.
7. Ruhig und behaglich am Boden sitzend und mit beiden Händen seine Füsse fassend, wei-
det sich ein kleiner, nackter, lockiger Knabe an dem Anblick der auf einer Plinte vor ihm auf-
gestellten Preisvase, welche, wie die vorige, an ihrer Form und dem darauf befindlichen Gemälde
kenntlich wird und zugleich die Bestimmung der Vase selbst anzeigt.
Taf. XVIII.
Gemälde einer Preisvase, welche vom Herrn Mac. Michael unfern des Thores Dipylon bei
Athen ausgegraben wurde, von grossartiger Auffassung im verschönerten hieratischen Styl. Jetzt wird
sie in England aufbewahrt.
1. Vorseite der Vase. Dankopfer für den erlangten Kampfpreis. Nike, die Siegesgöttin selbst,
deren Flügel nach alter Darstellungsart von der Brust ausgehen, Ohrgehänge und Bänder ums Haupt tra-
gend, und die mit einem feinen Schleppgewande (%it«v weWgw) und übergeworfenem Peplos bekleidet
ist, hat einen Prochoos und eine verzierte Filiale in den Händen und ist im Begriff, eine Spende am
flammenden Altare des Zeus auszugiessen, der mit Voluten oder Widderhörnern, dem ältesten Schmuck
der Altäre, an den vier Ecken, und einem Eierstab verziert ist. Vor diesem steht der Gott selbst.
Lang herab wallendes weisses Lockenhaar und ein weisser Bart umgeben sein Haupt; bis zu den
Füssen reicht der lange feine Chiton und grosse Mantelüberwurf; gestützt auf den mit Lotos verzier-
ten Scepter in der Linken, deutet er mit der Rechten an, dass ihm das Opfer angenehm ist. üeber
*) Athenäus XIII. c. 9.
*•) Plin. XVI. 34.
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den beiden Gottheiten sind ihre Namensinschriften, nach verschiedener, der Stellung der Figuren ent-
sprechender Richtung aufgezeichnet.
2. Form des Gewisses, eine Amphora, wie sie von gebrannter Erde, mit Oel gefüllt und mit
Bildern bemalt, bei den panathenäischen Wettspielen als Preis ertheilt wurden.*)
3. Palmetten und Lotoszierrath von höchst geschmackvoller Anordnung und Zeichnung am
Halse des Gefässes.
4. Kehrseite der Vase. Die Göttin Oere, einen ähnlichen Scepter mit Lotosknauf, wie ihr
Gemahl in voriger Darstellung, tragend, sendet eine forteilende Jungfrau, vermuthlich Iris, mit einer
Siegesbotschaft ab. Der Haarschmuck und Anzug beider Frauen gleicht dem vorerwähnten. Unter
den Gemälden ist eine Mäanderverzierung angebracht.
Taf. XIX.
Gemälde einer athenischen Preisvase, welche dem Herrn J. Linckh zu Stuttgart gehört und
Apoll nebst den Musen des Helikon in ihrer ältesten Form und Dreizahl darstellt, im attischen Styl.
Der lorbeerbekränzte Gott, halb von einem Mantel bedeckt, spielt die Lyra, in der Höhe sitzend,
ohne weitere Ortsbezeichnung, als aus dem unter ihm angebrachten Attribut des Gottes, einem lie-
genden gefleckten Hirschkalb,**) dem Bewohner der Waldberge, geschlossen werden kann. Die Be-
schädigung an der Lyra und der Hand desselben ist durch punctirte Umrisse angedeutet. Vor dem
Gotte steht Mneme (Gedächtniss) und singt zu seinem Leyerspiel aus einer Sehriftrolle, die sie in
beiden Händen geöffnet hält. Ihr Haar ist mit einer mäandergestickten Opisthosphendone geschmückt,
ihre Bekleidung eine dorische, an der Seite offene Diplois, wie die ihrer beiden Schwestern. Von
diesen steht Aöde (Gesang) hinter dem Gotte; die herabgesenkte Lyra in der Rechten haltend und
mit der erhobenen Linken den Takt angebend, wendet sie ihr mit einer Binde geschmücktes Haupt
der Melete (Uebung) zu, welche die Doppelflöten als Begleitung der vorigen bläst, indem sie den ei-
nen Fuss aufstemmt. Ihr Haarputz besteht aus einem Krobylos oder Lockenbusch auf dem Scheitel.
Ein Mäander ziert den Rand des Gemäldes.
Die unten abgebildete Form der dreihenkeligen Vase giebt sie als eine hydria corinthäaea
zu erkennen. Ein Seitenstück zu derselben im Museo Vivenzio zu Nola stellt den thyinbrisehen
Apollo mit phrygischer Mütze und Lorbeerkranz auf dem Kopfe die Leyer spielend dar, nebst zwei
Musen, von denen die erste eine Lyra, die zweite eine Rolle hält, und einer dritten hinter ihm ste-
henden Frauengestalt mit einem Lorbeerzweige, welche durch ihren Anzug sich von den andern un-
terscheidet und von Vivenzio für eine Priesterin erklärt wird.
Taf. XX.
Wettkampf in den Musikspielen, Gemälde auf einer athenischen Preisvase von der Form der
vorigen aus des Consuls Fauvel Sammlung im eleganten attischen Styl von schöner Zeichnung.
Ein Kitharöde, in feinem bis zu den Füssen reichenden Chiton und auf der Schulter mit einer
Schnalle geknüpftem Mantel gekleidet, das lockig herabfallende Haupthaar von einer Binde umgeben,
tritt im gemessenen Sängerschritt voll Begeisterung auf, singt den Eingang eines Gedichts zum Him-
mel blickend und greift in die Saiten einer Phorminx, welche er mit einer buntverzierten Binde an
Taf. XXI.
Gemälde von attischem Styl auf einer Amphora aus Athen, im Besitz des Herrn J. Foster zu
Liverpool.
1. An der Vorseite des Gcfässes die Erziehung des Dionysos. Hermes mit dem Petasos,
geflügelten Schnürstiefeln, im faltigen ümwurf des Reisemantels über einem kurzen Chiton, steht vor
Silenos, den einen Fuss aufstützend; bei ihm ist das auf seinen Armen ruhende Kind Dionysos,
welches, in ein Gewand gehüllt, sein Köpfchen nach ihm wendet und verwundert seinen künftigen Pfle-
oer und Erzieher ansieht. Dieser sitzt nackt und geschweift auf einem Felsen, die rechte Hand ans
Knie »elehnt, in der andern einen Thyrsos haltend, dessen Knauf Epheublättern gleicht, und senkt
nachdenkend sein Haupt mit plattnasigem Bocksgesicht, vorragendem Mund, zottigem weissem Ziegen-
haar und Ziegenbart.
Doch schon naht sich den angekommenen Gästen die künftige Amme und Wärterin des Kindes die
schöne Nymphe Nysa, welche, mit Haarbinden geschmückt, in langem üntergewande und über die
Schulter gelegter Nebris, dem bacchischen gefleckten Hirschfell, bekleidet ist und in den Händen
einen Kantharos des Dionysos nebst einer Opferkanne (Prochoe) trägt, um die Götter nach Gebühr
zu empfangen.
2. An der Kehrseite des Gefässes die Orgien, Mysterienweihe, des Dionysos. Ein bärtiger
nackter Satyr mit Schweif, Bocksgesicht und spitzen Ohren verfolgt die geweihte Lehrerin des Diony-
sos in den Mysterien, welche, von der Haube bedeckt, in langem üntergewande und Mantelüberwurf
*) Nem.
Nein. 1A.
IX.
•*) Brunk. Analect. T. IL p. 292.
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an ihm vorüberflieht, verächtlich zurückschaut und in bacchischer Begeisterung die Arme ausbreitet,
Fackel und Thyrsos in den Händen schwingend.
3. Rechts von diesem Gemälde ist die Form der Hydria, auf welcher die erwähnten Gegen-
stände vorkommen. Links ist ein anderes Gefäss der Art abgebildet, welches durch Veredelung jener
älteren Form entstanden zu seyn scheint.
Taf. XXII.
Gemälde von nachlässiger Zeichnung auf einer Hydria von der Form der vorigen; aus Athen
und ehemals in der dortigen Sammlung des Herrn Lusieri.
1. An der Vorseite der Vase. Waffentanz, Pyrrhiche, einer als Amazone verkleideten Frau
nach der Musikbegleitung einer Flötenspielerin. Erstere mit Stiefeln, Endromiden, in einer eng an-
liegenden Aermeljacke und mit engen ledernen Hosen, Anaxyriden, bekleidet, welche durch über die
Schultern gelegte, an einem Brustgürtel befestigte Tragschnüre gehalten werden, macht die kriegeri-
sche Stellung und Geberde der Verteidigung auf dem Rückzuge, indem sie sich umwendet, den run-
den gewölbten argolischen Schild vorstreckt und mit der Lanze ausholt. Unter dem buschigen Helm
auf ihrem Haupte wallen lange Locken herab. Die andere, in langem Mantel, darüber einen bunt
gefleckten Chiton und mit einer Haube auf dem Haupt, folgt, zu ihren taktmässigen Schritten die
Doppelflöte blasend.
Die Kampfübungen der Jünglinge pflegten mit einem solchen Tanz, wo sie nach dem Takt
eines Flötenspielers kriegerische Wendungen machten, beendigt zu werden. Nach Apulejes traten
bei den Lacedämoniern auch junge Frauen als Pyrrhichisten auf.
2. An der Kehrseite der Vase. Unterricht eines Epheben im Hornblasen. Ein Rhabduchos,
Aufseher der Gymnasien, lehnt sich auf seinen Stab, halb vom Mantel verhüllt und drückt durch die
Bewegung der Hand und Geberden des Gesichts ein lebhaftes Gespräch aus, welches er an den ihm
zuhörenden Epheben richtet, der, mit einem Mantel bekleidet, die Hand in die Seite stützt und im
Begriff steht, ein Hörn an den Mund zu setzen.
3. Die Form der Amphora ist am verzierten Rande des Gemäldes beigefügt.
Taf. XXIII.
Gemälde von feiner zierlicher Zeichnung auf einem Gefäss in Form eines Astragalos oder
Knöchels, welches zu Aegina von Herrn Cartwright angekauft worden und seitdem beim General-
consul Herrn Frere in London sich befindet.
1. Auf der Oberseite empfängt ein dem Silen ähnlicher bärtiger Greis, der bei nacktem Ober-
leib ein um seinen Untertheil als Schurz geschlagenes Gewand trägt, mit Ausruf und Geberden des
Erstaunens, seine Arme emporhebend, die drei herannahenden Hören oder Jahreszeiten, Irene, Euno-
mia und Dike, welche die Wolkenthore des Olympos bewachen, öffnen und verschliessen. Diese hal-
ten sich im Reigen an den Händen gefasst; ihre Kleidung besteht aus feinen Chitonen und auf der
Schulter gehefteten kurzen Mäntelchen; nur die mittlere hat eine Haube auf dem Kopfe. Nach Urnen
folgen in verschiedenen Richtungen an dem Gefässe umher vertheilt zehn in der Luft schwebende
tanzende Frauen, wahrscheinlich die Chöre der Hyaden und Plejaden, welche gleich den Hören Am-
men und Pflegerinnen des Dionysos waren und von Zeus in die den Ackerbau und die Schiffahrt lei-
tenden Gestirne an Stirn und Schulter des Stierzeichens versetzt wurden. Sie erscheinen in durch-
sichtige, verzierte Chitonen gekleidet, bis auf die letzte, die einen Mantel über dem Unterkleide
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hat, mit Haube, Schleuderbinde, Kopfbinde, oder blossem Haarputz geschmückt, und machen in ihrem
Tanze mannigfaltige Bewegungen und Wendungen, indem sie bald mit den Fingerspitzen den Saum
der Gewander emporhalten, bald die Hände in den weiten Aermeln verstecken und diese wie Flügel
ausbreiten.
2. Gleich unter der obigen Abbildung schweben an der Unterseite des Gefässes vier von den
eben erwähnten tanzenden Frauen, in welchen wir Hyaden erkennen, üeber die volle Zahl dieser
Töchter des Atlas und der Pleione, wie über die der Plejaden, ihrer Schwestern, giebt es verschie-
dene Berichte bei den Alten. Einige nennen ihrer sieben, Andere sechs und noch Andere nur fünf,
wie Arsinoe, Ambrosia, Bromia, Kisseis und Koronis. Die Epheuranke in der Hand einer der hier
vorkommenden könnte als eine Anspielung auf den Namen Kisseis gelten, wenn sie nicht im Allge-
meinen eine bacchische Beziehung andeuten soll. Sie sind die der Vegetation förderlichen Regenge-
stirne, daher Nährerinnen, Ammen des Dionysos, und die Sage verwandelt sie während des Weinens
um ihren todten Bruder Hyas in Sterne.
3. und 4. An der Hinterseite und an der rechten Seite des Gefässes bieten sich sechs von
den erwähnten Fraucngestalten dar, welche zu dreien im Tanze gesellt über einander schweben und
Plejaden vorstellen. Auch ihre Zahl und ihre Namen werden verschieden angegeben. Eigentlich sind
in der Sterngruppe sieben, wie man denn gemeiniglich ihrer auch sieben annimmt; doch dem Auge
sind nur sechs sichtbar, daher Einige nur so viele erwähnen und sie Maja, Kalypso, Alcyone, Merope,
Elektra und Celaeno nennen. Indess führen Andere statt Kalypso Taygete und als eine der sieben
nochSterope an, erzählen aber, dass Merope sich nicht in ihrem Chor zeige, weil sie sich ihrer Ver-
mählung mit Sisyphos, einem Sterblichen, schäme, während ihre Schwestern mit Göttern als Geliebte
vereint waren.
5. und 6. Zwei verschiedene Seitenansichten des als Astragalos geformten Gefässes. Bei Be-
trachtung desselben verdient sowohl die Sorgfalt und Treue der Nachbildung des Knöchels, als die
seltene Form des Denkmals bemerkt zu werden, von der bisher sich kein ähnliches gezeigt hat. Die
Wahl dieser Form zu einem Gefässe füllt auf; nach der Mündung zu schliessen, konnte es als Lampe
gedient haben. Als eine Art Würfelspiele der Jugend erwähnt schon Homer der Astragalen; auch
wird unter den Spielsachen des Dionysos Zagreus, deren geheimen Sinn die Eingeweihten kannten,
der Würfel angezeigt; so lässt sich in den Astragalen, die nach Anakreon und Apollonius als Spiel
des Eros und Ganymedes bekannt sind, auch eine bacchische Beziehung annehmen. Der beste Wurf
mit vier Astragalen auf der flachen Hand, wobei man den Werth der Seiten berechnete, hiess Aphrodite
Taf. XXIV.
1. und 2- Gemälde im attischen Styl auf einem Kantharos von gebrannter Erde aus des Con-
suls Fauvel Sammlung zu Athen. Die beiden Hauptzüge, welche die Bacchantinen bei der festlichen
Begeisterung darboten, und die dem Skopas und Praxiteles als Musterbilder dienten, finden wir hier an
der Vorder- und Kehrseite des Gefässes ausgedrückt. Sie bestanden bald in ausgelassener religiöser
Wuth und kriegerischer Raserei, bald in stiller Schwärmerei, Schwermuth und verhaltener Leiden-
schaftlichkeit. Der Vasenmaler hat dieses ausgedrückt, indem er hier an der Vorder- und Kehrseite
des Kantharos je eine Bacchantin darstellte; die erste in einer gegürteten, an der Seite oifenen Diplois,
eine heilige Binde ums Haupt, einen grossen Thyrsos mit epheuverhüllter Lanzenspitze (Strobilos) in
der Hand tragend; sie springt im Laufe forteilend und schaut sich zugleich um mit der Geberde des
Erstaunens und Sehreckens. Die andere steht, den gesenkten Blick auf die Seite gewendet, in ruhi-
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ger Stellung da, einen Thyrsosstab, wie die vorige, aber auch noch eine Fackel in den Händen hal-
tend, sonst mit dem nämlichen Anzug und mit einer hinten herabhangenden Kopfbinde geschmückt.
3. Form des Kantharos, des heiligen bacchischen Gefässes, welches als ein Abzeichen des
Gottes und Sinnbild seines Dienstes galt So findet man es auf einem Grabstein zu Acharnae, nahe
bei dem jetzigen Dorfe Menid, abgebildet, und so erzählt Plinius von C. Marcius, dass er stets
aus einem solchen Gefäss nach dem Beispiel des Bacchus getrunken habe. Das gegenwärtige Gefäss
zeichnet sich aus durch die anmuthige Schwingung der Henkel und durch ihre schöne Verbindung mit
dem Körper der Vase.
4. Bacchische Orgienfeier der Thyaden, gemalt auf einer darunter abgebildeten kleinen Vase
in Form einer mystischen Cista, welche von Herrn Graham zu Athen ausgegraben wurde und nach-
mals in der Sammlung des Prinzen Poniatowski zu Rom sich befand. Auf den unvollständigen Bruch-
stücken des Deckels der Vase war nur eine geflügelte weibliche Gestalt mit kurzem Chiton und eine
lang bekleidete Frau noch zu erkennen. Im Umkreis der Cista befindet sich die wohlerhaltene Vor-
stellung der Thyaden.
Unter diesem Namen begriff man eine jährlich auf die Höhe des Parnass wallfahrende und
bacchische Orgien feiernde Theoris oder festliche Gesandschaft von attischen und delphischen Jung-
frauen, welche von Thyia, der ersten Opferpriesterin des Dionysos, so benannt wurden und zwar in
ihrer Tracht, aber nicht in ihren Handlungen von den Mänaden sich unterschieden.*)
Sie erscheinen hier in feine umgürtete Chitonen gekleidet, mit Chlamidien und dem Peplos
versehen, im Schmuck von Perlen und Armbändern, die Haare theils mit einer Sphendone (Binde)
und einem Epheukranz umwunden, theils in aufgelösten wildfliegenden Locken. Das Local bezeichnet
am Boden rankender Epheu. In der Reihenfolge sind vier einander zugewendete Paare zu bemer-
ken, welche in verschiedenen Stellungen und Geberden verschiedene Momente des bacchischen Or-
giasmos, des Dranges und der Wuth ausdrücken, welche beim Anblick der heiligen Fackeln und beim
Klang der Krembaien entstehen. Durch Epheubekränzung vor den andern ausgezeichnet, läuft die
Koryphäa voran und schaut mit Entsetzen auf die Flammen der sie verfolgenden Daduchin oder
Fackelträgerin zurück. Die übrigen schwärmen und springen taktmässig, den Hals zurückbiegend,
die Arme ausbreitend und mit beiden Händen die aus Metallstäbchen bestehenden Krembaien oder
Klappern bewegend. In dem Tanze, welcher der italiänischen Tarantella, der Fussbewegung und
dem Geberdenspiel zufolge, gleicht, lässt sich der von Nonnus**) beschriebene und Ampelos genannte
antike Tanz nicht verkennen.
Bei der lebendigen Auffassung und schönen Zeichnung des Gemäldes fällt das Verhältniss und
der Gliederbau der Gestalten auf, welche hier als unerwachsene kleine Mädchen erscheinen. Der
Grund dieser Darstellungsart liegt, wie oben erwähnt ist, darin, dass die Vase als Geschenk einem
Kinde bestimmt war.
5. Bruchstück eines Vasengemäldes aus Athen in der Fauvel'schen Sammlung. Das personi-
ficirte Kampfspiel Agon oder Silen als Vorsteher der Kampfübungen darstellend; dieser Silen ist
epheubekränzt, bärtig und trägt Halteren oder bleierne Sprunggewichte in der Rechten, stemmt die
Linke in die Seite und sieht sich heiter lächelnd um. Zu seinen Füssen liegen ein Diskos oder Wurf-
scheibe mit dem Stempelbild der athenischen Eule und eine Hake (wcwdvy), Werkzeug der Winzer und
*) Pausan. L. X. c. XXXII, 5.
**) L. I. v. 241.
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der Athleten zum Aufgraben des Kampfplatzes. Aelmliche Halteren der älteren Form, oval und mit
einer mittleren Oeffnung versehen, durch welche man die Finger steckte, führt Pausanias*) bei der
Statue des Agon zu Olympia an, ohne weitere Kennzeichen derselben zu erwähnen; fügt aber hinzu,
dass sie neben einem Bacchos, Orpheus und Zeus als Weihgeschenke aufgestellt waren. Hier könnte
dem Agon in besonderem Bezug auf dionysische Kampfspiele die Gestalt des Silen gegeben seyn, weil
dieser als Anführer des bacchischen Heeres, als Erzieher des Dionysos und der Jugend überhaupt er-
scheint, daher manche Bilder der Preisvasen den Silen neben den beim bacchischen Feste zu Athen
eingekleideten Epheben als Aufseher und Wächter zeigen. Eben so wohl könnte man aber auch diesen
bacchischen Dämon selbst im gegenwärtigen Bilde als Vorsteher der Spiele der Jugend gedacht haben.
Die zu beiden Seiten angebrachten Inschriften geben keinen Aufschluss darüber.
6. Abbildung der oben erwähnten cistenförmigen Vase, einer zweihenkeligen Trinkschaale
und eines Lekythos, auf welchem das folgende Vasengemälde steht.
7. Eine begeisterte Baccha, im Lauf die Arme ausbreitend und zurückblickend, hebt den um-
gekehrten Thyrsos, dessen Knauf von Epheublättern eine Lanzenspitze verbirgt, muthig empor. Ihren
Körper umfliesst ein feiner ionischer Chiton, worüber die gefleckte llirschhaut, Nebris, das heilige
bacchische Kleid, auf die Schulter geknüpft ist, und ihr Haar umgiebt eine Binde.
Tat XXY.
1. und 2. Vor- und Kehrseite eines Rhyton oder Trinkhorns aus Athen, welches auf der ei-
nen Seite als Kopf eines Widders, des dem Zeus Ammon gewidmeten Thieres, und auf der andern als
Kopf des weissagenden Silenos-Esels gebildet ist und nach dem Gebrauch die Benennung vom Dop-
pelkopf, Onokrios hatte. An dem unteren Ende pflegten solche Gefässe mit einer kleinen Oeffnung
versehen zu seyn, aus welcher der Wein sich in einem feinen Strahl über die Zunge des Zechers
ergoss.
In Bezug auf die diesem bacchischen Getränk eigenthümliche Wirkung hat das Gefäss die
Form der erwähnten Thierköpfe erhalten.
Am Halse desselben steht das unten dargestellte Gemälde des Satyr- und Silenenscherzes.
3- Eine Art Thermopotis aus Athen, ein eiförmiges vierhenkliges Deckelgefäss mit breitem
Hals und hohem, nach unten sich erweiterndem, ausgehöhltem Fuss, daher auf einem zwiefachen
Boden ruhend.
Wie der Name des Gefässes selbst anzeigt, war es zur Bewahrung und Erhaltung warmer
Getränke bestimmt, daher an einer solchen Vase aus Aegina**) oben am hohlen Fusse kleine Oeff-
nungen beigefügt sind, um den untergelegten feurigen Kohlen einen Luftzug zu lassen. Bevor dieses
letztere Gefäss aufgefunden wurde, war das gegenwärtige das einzige der Art und auffallend durch
die Neuheit der Form bei der grossen Anzahl und Mannigfaltigkeit der aus dem Alterthum übrig ge-
bliebenen Vasen. Auf dem Bauch und dem Fusse dieses Gefässes stehen mehrere Figuren gemalt,
welche aber kein besonderes Interesse darbieten.
4. Komisches Gemälde auf vorerwähntem Rhyton. Ein Satyr, welcher, im Tanz begriffen, in
niederkauernder Stellung freudig springend sich fortbewegt und zugleich mit beiden Händen eine
Amphora vor sich hält, blickt, gierig nach dem leckeren Getränk, in die Mündung derselben, aber
*) L- V. 26. 3.
"e) Panofka Becberches sur les noms et us. des vas. gr. pl. V. 22, p. 13.
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drückt durch die Geberde des Erstaunens seine getäuschte Erwartung aus. Als Zuschauer sitzt ihm
gegenüber ein kahlköpfiger, bärtiger Silen, auf einem Felsenstück hockend und den Kopf mit beiden
Händen unterstützend. Hinter ihm steht, als wäre er nachgeschickt, bei einem Baumstamm ein eben
solcher Silen, weit vorwärts gebeugt, die Arme zwischen den geschlossenen Knieen herabzwängend,
das Kinn vorstreckend, und sieht aufmerksam mit verhaltener Lust und Schadenfreude dem Getäuschten
zu. Alle drei sind nackt, spitzohrig und geschweift dargestellt; dem gemäss tritt auch in ihrem ganzen
Wesen die charakteristische Eigenthümlichkeit roher Landleute hervor, wobei im possirlichen Beneh-
men ächter Humor sich zeigt. Fels und Baum deuten hier eine wilde Gegend an.
5. Preisvase aus Athen in Form einer Trinkschaale, Kylix, inwendig mit folgendem Randge-
mälde von der feinsten Zeichnung ausgeschmückt.
6. Die bekränzte und geflügelte Siegesgöttin Nike, durch die Namensbeischrift bezeugt, mit lan-
gem feinem Chiton und umgeworfenem Chlamidion angethan, trägt in den Händen die dem Sieger be-
stimmten Preisvasen und theilt sie mit huldvoller Miene bei den Wettspielen aus. Ein nackter bärti-
ger Athlet, dessen Haupt gekrönt ist, und der in der Linken ein Schabeisen, strigilis, nebst Zubehör,
als Zeichen gymnischer Kämpfe hält, empfängt zu der schon vor ihm stehenden flydria einen Lc-
bes oder ehernes Becken, nebst einer Lepaste oder niedrigen zweihenkeligen Trinkschaale, die an ih-
rem Finger herabhängt. Am Rande des Rundgemäldes befindet sich die Inschrift EriMErPA'FE, von
welcher die beiden letzten Buchstaben weggelassen sind; sie bezeugt, dass Hegias die Vase gemalt.
Da die Athener sehr eifersüchtig auf eine solche Auszeichnung waren, so ist dieses das einzige bishe-
rige Beispiel dieser Art aus Athen geblieben, obgleich aus italischen Orten schon eine Reihe von
Künstlernamen durch Vasen bekannt geworden.
Taf. XXVI.
1. und 2. Komisehe Weiberscene in dem Sinn der Ekklesiazusen des Aristophanes auf einer
kleinen Schminkbüchse von der darunter abgebildeten Form % einer Art Kylichne, aus der Fauvel-
schen Sammlung zu Athen.
In der Mitte zweier, von Mänteln bis über den Kopf verhüllter alter wohlbeleibter Frauen, die,
auf Bänken ruhend, den Vorsitz in der gegenwärtigen Weiber-Versammlung zu behaupten scheinen
und wichtige Mienen machen, stellt eine Rednerin und hält mit Würde den Vortrag. Auch eine dritte,
ganz verhüllte Zuhörerin naht neugierig und horcht auf ihre Worte; zugleich versuchen zwei andere
Frauen zierliche Tanzstellungen und Geberden. Eine von den beiden Zuhörerinnen zeichnet sich da-
durch aus, dass ihr Antlitz von vorn gezeigt ist; ein seltener Fall auf den Vasenbildern.
Die Oertlichkeit eines inneren Gemaches, wo die dramatische Scene vorgeht, ist durch eine
Säule und durch an der Wand aufgehängte Gegenstände, wie Kopf binden, Tänien, Pantoffeln u. dgl,
bezeichnet.
3. und 4. Rundbild im Innern einer Trinkschaale, Kylix, von der nebenangezeigten Form aus
vorerwähnter Sammlung zu Athen.
Ein glattköpfiger, nackter Silen steht, den Körper vorbeugend und die Hände auf die Knie
stützend, mit eingebogenem Rücken und herabhangendem Schweif in possirlicher Stellung da, im Be-
griff ein eifriges Gespräch mit einem Knaben zu führen, der, von einem Mantel umhüllt, schalkhaft
über ihn lächelnd zuhört.
5. Eben solches Rundbild von einer Trinkschaale, wie die vorige, aus derselben Sammlung
zu Athen, nebst ergänzter Beschädigung.
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Zwei bis über den Hinterkopf in Mäntel verhüllte Mimen, welche dicht vor einander stehen
schauen sich scharf ins Gesicht und unterhalten sich schweigend durch blosse Geberden. Noch heute ist den
lebhaften Südländern diese Art der Mittheilung eigenthüinlich. — Eine Trinkschaale derselben Form
mit solchen verhüllten Gestalten wurde unter den Grundmauern des Bacchustheaters zu Athen aus-
gegraben.
6. Festmahl, Gemälde auf einer athenischen Vase, nebst ergänzter Beschädigung, aus dersel-
ben Sammlung.
Ein bärtiger Mann, der, halb vom Tischgewand umgeben, die Linke an ein Polster stützt und
in der Rechten eine Frucht zum Genüsse bereit hält, liegt behaglich auf einem Ruhebette; vor ihm,
mit untergelegten Polstern an seine Kniee gelehnt, ruht eine Kitharödin, ebenfalls bis zum Oberleib
in ein Tischgewand eingehüllt, und spielt die Leier. Auf dem neben hingestellten niedrigen Tische
bieten sich Gebackenes und Früchte dar; ein Kandelaber ragt am Fussende des Ruhebettes empor,
auf einem Schenktische stehen zwei bekränzte Weinkrüge, und ein dienender nackter Knabe tritt
herein, eine Schüssel mit Obst und Kuchen tragend, die, von Sesam, Weizen und Honig bereitet,
Pyramuntcn hiessen.
Taf. XXVII.
1. Deckelgemälde der unten abgebildeten Vase, welche vom Consul Fauvel zu Athen ausge-
graben wurde und jetzt in der Sammlung des Herrn Grafen Pourtales zu Paris sich befindet, mit der
Vorstellung der Feier des Eros und der Aphrodite in Bezug auf ein junges Brautpaar. Eros, welcher
hier zweimal vorkommt, unterscheidet sich als Hauptperson von monochromen Nebenfiguren durch
Ausführung mit verschiedenen Farbentönen, von denen nur die weisse Grundfarbe noch geblieben, das
Übrige verlöscht ist, Sein braunes Haar umgiebt ein goldener Reif, seine Flügel sind oben blau ge-
malt und unten vergoldet, wobei zu bemerken ist, dass alle vergoldeten Theile wegen der Lichtwir-
kung erhaben gearbeitet sind. Er, der Gott des Liebesverlangens, steht nackt mit aufgestütztem Fusse,
ein Weihrauchkästchen tragend, von dem er den Deckel aufgeschlagen hat, im Begriff eine Opfergabe
daraus zu ziehen, um die Liebenden zn empfehlen, vor Aphrodite, welche durch das neben ihr ange-
brachte Attribut einer blauen Taube kenntlich ist und, mit goldenen Armspangen, Perlen und einer
Sphendone geschmückt, halb entblösst, halb vom Gewand verhüllt, dasitzt. Sie sieht sich nach einer
bei ihr weilenden Grazie um, die, mit der Haube, Kekryphalos, bedeckt, in einen langen kreuz weis
über die Brust gegürteten Chiton gekleidet, die Linke in die Seite stemmt, in der Rechten einen
blau eingefassten Opferkorb hält und ein goldenes Thymiaterion oder Rauchgefäss neben sich stehen
hat. Hierauf folgt eine andere Scenc, wo die Grazie Pitho, üeberredung, der Liebeszauber der Braut,
mit einer Sphendone um das Haupt, mit Perlen und Ohrgehängen geschmückt, in einen langen umgür-
teten Chiton gekleidet, den Fuss aufstützt, vor dem sitzenden Eros steht und einen Korb mit goldenen
Früchten als Huldigung ihm darbringt, der freundlich eine von den Früchten ergreift. Neben ihm
zeigt sich die Gruppe des Brautpaars, von welchem der Bräutigam, geschmückt mit einem goldenen
Reifen ums Haupt, bloss den leichten Ueberwurf eines Chlamidion trägt und sich an einen Stab lehnt,
während die Braut, mit dem langen Chiton und der Sphendone angethan, die linke Hand in die Seite
stemmend, den rechten Arm auf seine Schulter legt. — Mitten im Deckel steckt ein eherner Knopf
und Ring als Handhabe. Durch Anmuth, Leichtigkeit und Sauberkeit der Zeichnung, Feinheit, Innig-
keit und Schönheit der Auffassung kündigt sich dies Gemälde als ein Werk aus der Zeit des vollen-
deten attischen Styls an.
12
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2. Form der Vase. Durch diese giebt sie sich als eine Art mit Deckel versehener Büchse
(*t#0 zu erkennen, welche nach den Berichten der Alten*) unter dem Namen Kylichne, Weihrauch
und andere Wohlgerüche enthaltend, hei den Aerzten im Gebrauch war, aber auch den Frauen zur
Aufbewahrung ihres Geschmeides diente; durch den Gegenstand des Deckelgemäldes wird ihre Be-
stimmung zu einem Hochzeitsgeschenk bezeichnet, welches der Bräutigam oder ein naher Verwandter
der Braut darzureichen pflegte.
Eine schön verschlungene Palmettenverzicrung bildet einen Gürtel um das Gefass, und Eier-
stäbe fassen die Ränder desselben ein. Auch in Marmor, Alabaster und Erz kommt diese, anfangs
aus Holz geschnitzte, Vasenform vor.
Taf. XXVIII.
1. Gemälde der auf der Mitte abgebildeten Vase aus Athen, in der Sammlung des Herrn
Lusieri, von trefflicher Zeichnung im schönen vollkommen attischen Styl. Der mystische Eros oder
Iacchos, nackt, einen Myrtenkranz der Eingeweihten ums Haupt, mit ausgebreiteten Flügeln, reitet
auf einem gefleckten Hirschkalb, Nebros, dem bacchischen geweihten Thier, in welches ibn Zeus ver-
wandelte, um ihn der Rache der Here zu entziehen. Das Fell dieses Thieres, IVebris genannt, galt
als Symbol des gestirnten Himmels und war das heilige Kleid des Gottes und seines Gefolges.**)
Aber auch dem Eros und der Aphrodite war dieses Thier, vermuthlich wegen seiner heftigen Begier
und Brunst, geweiht. (Oppian. Cyneget. L. II. v. 187.)
Mit fest angeschlossenen Schenkeln hält der göttliche Knabe das flüchtige Thier in den Zügeln,
welches in stürmischem Lauf und leichten Sprüngen sich fortbewegt.
2. Form des Gefässes.
Eine Flasche mit engem Hals und breitem bauchigem Untertheil, vermuthlich ein Arystichos,
welcher dem Prochoos und Aryballos verglichen wird, Vase in Form eines geschlossenen Beutels.
3. und 4 Palmetten- und Lotosverzierungen bei dem Henkel an der Kehrseite der eben er-
wähnten und der folgenden Vase.
5. Gemälde auf einer eben solchen Vase, wie die vorige, von Petros Makris am Hügel Mu-
seon zu Athen ausgegraben. — Aphrodite Euplöa, die Wohlschiffende, Geberin glücklicher Seefahrt,
welche, bei den Knidiern unter diesem Zunamen verehrt, von Praxiteles nackt in Gestalt und Stel-
lung wie die mediceische gebildet war, hatte als meergeborene Göttin auch die Herrschaft über das
Meer, beruhigte die streitenden Wogen und ertheilte sanfte, günstige Winde den Reisenden. Als
solche erscheint sie hier auf der Rückkehr von einem ihrer Geliebten, welcher, unbekleidet, mit einem
goldenen Diadem ums Haupt und einem Stabe in der Hand, auf einer untergelegten Chiana am Ufer
sitzend, der abfahrenden sehnsuchtsvoll nachschaut; vermuthlich ist dieser nicht Anchises, sondern der
schöne Sonnenheld Adonis, dessen Liebe und Besitz sie in der oberen, mit Persephone in der unteren
Himmelssphäre nach Zeus Beschluss theilt und zwei Drittheile des Jahres gemessen darf, weil diese
dann in ihr Recht tritt und sie ihn meiden muss. Sie fährt, auf einer Art Sessel ruhend, nackt ohne
Obergewand, ein aufgespanntes Segel mit beiden Händen und Füssen vor sich haltend und lenkend,
gleich der auf Münzen abgebildeten Isis Pharia, über die Wellen des Meeres, indem der Luftzug ihr
Taf. XXIX.
Huldigung der Aphrodite und des mystischen Eros, Gemälde einer darunter abgebildeten, der
vorigen ähnlichen Hochzeitsvase, welche von Herrn Lusieri am Museion zu Athen ausgegraben wor-
den und sowohl wegen des edlen Styls und der feinen zierlichen Ausführung der Zeichnung, als we-
gen der vorhandenen Namens-Inschriften der Figuren, zu den schätzbarsten Denkmälern gehört.
Die erste Gestalt, welche sich hier darbietet und, durch den Namen Kleopatra bezeichnet, von
den übrigen als die einzige Sterbliche sich unterscheidet, erinnert an die einheimische Stammsage von
Athen in welcher die Enkelin des Erechtheus, des daselbst angebeteten Boreas und der Orithyia Toch-
ter, diesen Namen führte, dieselbe, welche nachher dem thracischen König Phineus als Gattin zu Theil
ward. In eine an der Seite offene und auf die Schulter geheftete Diplois gekleidet und das Haar mit
Bändern geziert, tritt sie auf und bringt, eine Schüssel mit Früchten, worunter die Liebesäpfel, in der
einen Hand, und ein Halsband von goldenen Perlen in der andern haltend, als Braut ihre Weihegaben
den erwähnten Hochzeitsgöttern dar, welche, gegen die Mitte des Gemäldes auf einer Erderhöhung
sitzend, zwischen fruchttragenden Lorbeerbäumen und blühenden Blumen erscheinen. Diese Andeu-
tung der Oertliehkeit könnte wohl auf das Heiligthum in ihrem Mutterlande, der sogenannten Aphro-
dite in den Gärten (AQeplhn h xtiirots) zu Athen, sich beziehen, wo ein uralter Dienst der Göttin herrschte
und sie die älteste Parze hiess. Vor Kleopatra steht, in eine eben solche Diplois gekleidet, und das
hinten herabwallende Haar mit dem Diadem geschmückt, die bekannte Höre Eunomia, welche den
linken Arm traulich über die Schulter der Pädia, des personificirten Jugendscherzes, legt, sich an sie
schmiegt und ein goldenes Perlenhalsband, welches diese spielend in den Händen hält, wohlgefällig
mit ihr zugleich beschaut. Die Tracht der auch auf andern Vasenbildern vorkommenden Pädia besteht
in einem durchsichtigen umgürteten Chiton und in dem auf den Scheitel gebundenen Haarbusch Ko-
rvmbos. Beide Jungfrauen bilden neben einem schlanken Lorbeer am Fuss der Erhöhung eine anmu-
thige Gruppe zur Rechten der beiden Hauptgötter, von denen Aphrodite, bekleidet mit dünnem Chiton,
darüber geworfenem Peplos und geschnürten Sandalen, geschmückt mit einer Sphendone, Perlen, Arm-
spangen und Ohrgehängen, auf dem Hügel thront und zu dem, einem Vogel gleich, auf ihrer Schulter
sitzenden kleinen Flügelknaben freundlich hinaufsieht, welcher nackt, mit langem Lockenhaar erschei-
nend, die eine Hand um ihren Hals geschlagen, die andere in die Seite gestemmt hält und voll Innig-
keit ihrem Blicke begegnet. Dass der Künstler seines Namens Ueberschrift nicht angemerkt, ihn ab-
sichtlich verschwiegen hat, beweist hinlänglich die geheimnissvolle Bedeutung desselben; aber auch
das neben ihm aufgestellte Weihgeschenk, ein bacchischer Dreifuss ohne das Becken, Lebes, macht
ihn als den Dämon der Einweihung und Vermählung in den Mysterien, den Iacchos, kenntlich. Die
Grazie Pitho, Ueberredung, mit herabhangenden Locken und durchsichtigem umgürtetem Chiton geziert,
ist an der andern Seite der Hauptgötter beschäftigt, den Dreifuss mit jungen Myrtenreisern von der
Mysterienpflanze auszuschmücken, und die hinter ihr stehende Eudämonia, Glückseligkeit, in eine
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Diplois gekleidet, das Haupt mit der Schleuderbinde, Sphendone, umgürtet, pflückt von einem Lor-
beerbaum die Frucht ab, indem sie in ihrer Linken eine Obstschüssel trägt.
An der Kehrseite des Gefässes bei dem Henkel ist eine Palmetten- und Lotosverzierung, wie
auch eine Einfassung am oberen und unteren Rande angebracht.
Taf. XXX.
1. Abbildung eines rohen dreihenkeligen Schaugefässes aus Athen, in Form der Oelkrüge mit
langem schmalem Hals, breiter Mündung und breitem Fuss, nebst einer oberen Ansicht der trichter-
förmigen Mündung, welche schon durch ihre enge Oeffnung, wie überhaupt die innen fehlende Höh-
lung des Gefässes selbst, beweist, dass es nicht zur Aufnahme von Flüssigkeiten bestimmt war, son-
dern bloss zur feierlichen Ausstellung auf Schenktischen, vorzüglich an Bacchusfesten, diente.
2. Gemälde einer solchen athenischen Vase aus des Consuls Fauvel Sammlung. Aphrodite,
von Myrten bekränzt, mit nacktem, weissem, bemaltem Oberleib und über den Schoos geworfenem Ge-
wand, auf einem Klismos oder Lehnstuhl sitzend, beschäftigt sich mit der Bereitung eines Korbes aus
goldenen Zweigen, wobei ihr der eine von zwei sie umschwebenden geflügelten goldenen Liebesgöttern,
Pothos, die Sehnsucht, am Flechtwerk hilft, während der andere, Himeros, Genuss, eine goldene Per-
lenschnur um ihren Hals windet. Die neben ihr stehende Bank, über welcher eine heilige Binde
hängt, dient zum Hinstellen der Arbeit, welche sie in der Absicht, den Adonis darin zu verbergen,
verfertigt. Denn nachdem ihn der Baum, in den seine Mutter Myrrha verwandelt worden, geboren,
nahm sie, seine Schönheit bewundernd, den verlassenen Knaben, legte ihn in ein Behältniss oder eine
Kiste, damit ihn Niemand sehen möge, und vertraute ihn der Persephone an, welche bei seinem An-
blick aber sich gleichfalls in ihn verliebte und ihn nicht mehr wiedergeben wollte, bis er durch den
Rathspruch des Zeus abwechselnd beiden zu Theil ward. Bei den Adonien, dem Trauer- und Freu-
denfeste, welches besonders zu Athen ihm, als einem sterbenden und wieder auflebenden, von einem
Wendezirkel zum andern auf- und niedersteigenden Sonnengotte, gefeiert wurde, pflegte man irdene
Gefässe, oder silberne Körbe mit Erde und aufkeimenden Sämereien, sogenannte Adonisgärten, zu be-
reiten und nächst Baumfrüchten, Kuchen u. s. w. neben einem Bilde hinzustellen. Auf diese Feier
des Gottes beziehen sich die zu beiden Seiten der Mittelgruppe dargestellten Frauen, von denen die
erste, in eine Diplois gekleidet, zwei mystische Kästchen mit lang herabhangenden heiligen Binden in
den Händen trägt, die zweite, in Chiton und übergeworfenen weiten Mantel gehüllt, nur ein solches
Kästchen hält und mit den Fingern ihr Busengewand emporhebt.
Alle vergoldeten Theile an dem Gemälde sind erhaben gearbeitet und auf die Lichtwirkung
berechnet; der weisse Anstrich des Körpers der Aphrodite und ihr unvollendetes Gewand war ver-
muthlich mit Farben ausgeführt.
3. Abbildung eines ähnlichen bemalten Gefässes von schlanker, verschönerter Gestalt und
Form aus Athen.
Taf. XXXI.
1. Rundgemälde im Innern einer zweihenkeligen Trinkschaale mit hohem Fusse oder Kylix,
wie die daneben abgebildeten, aus der Fauvel'schen Sammlung zu Athen Entkleidung der Braut. In
einem Hochzeitsgemach, Thalamos, kniet der nackte mystische Eros, mit einer blätterverzierten
Stirnbinde festlich geschmückt, vor einer Braut, welche mit Binden um den Kopf, mit dem Chiton
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und übergeworfenem Peplos angethan, auf einem Lehnsessel ruht und zu ihm niederschaut, während er,
die Hände zu ihren Füssen herunter gestreckt hält, als hätte er so eben erst die Sandalen abgelöst
Denn vor der Vereinigung wurden die Bräute gesalbt, die Füsse gewaschen, und die Mutter band ih-
nen die Haare auf.
% Gemälde auf der Aussenseite derselben Trinkschaale, die Brautwerbung*) darstellend und
zweimal im Kreise des hier in natürlicher Grosse nebst den Henkelverzierungen abgebildeten Ge-
fässes mit wenigen Abänderungen wiederholt. Eros, nackt und ohne Haarschmuck, mit ausgebreite-
ten Flügeln, naht sich der Aphrodite und umfasst bittend die Kniee der Göttin, welche, von einem
Chiton, Peplos und Sphendone umhüllt, auf einem Lehnstuhl (Klismos) angelehnt in nachsinnender
Stellung sitzt und ihn anschaut, mit der einen Hand ihr Knie, mit der andern ihr Busengewand hal-
tend. Vor und hinter ihr steht eine von den zwei älteren Charitinnen Auxo und Hegemone, welche
sich durch Geberde und Ausdruck als Fürsprechcrinnen des Eros zu erkennen geben.
3- und 4. Zwei verschiedene Kylixformen der oben erwähnten Sammlung zu Athen.
Taf. XXXII.
1. Stiftung der Ehe in Attika, Gemälde in strengem Styl auf der unten abgebildeten Schmuck-
büchse, Kylichne, aus der Sammlung des Consuls Fauvel zu Athen.
Bei dem rohen Zustande der frühsten Bewohner von Attika herrschte die Gemeinschaft der
Weiber, als Cecrops, der erste König des Landes, einwanderte und ihnen das Beispiel und Gesetz
ehelicher Verbindung gab, indem er sich der Tochter des Aktäos Aglauros vermählte und deswegen
den Zunamen &<pui}?, der Doppelgeschlechtige, erhielt.**) Ihm, als Einführer der ersten Ehe, sieht
mau im gegenwärtigen Bilde die Auszeichnung gewährt, die nur denen, welche schon verheirathet
waren, gehörte, dass die Braut zu ihm geleitet wird, da gemeiniglich der Bräutigam sie selbst abho-
len inusste; so widerfährt ihm denn auch die seltene Gunst der Gegenwart der Hochzeitsgötter
0to) yeipmhun) Apollon und Artemis, denen man Haar und Gewand vor der Hochzeit weihte, und
die nur in ganz besonderen Fällen bei den Hochzeiten erscheinen.***) Sie geben den Fingerzeig zur
Erklärung des Gegenstandes; unter ihrer Leitung musste die erste Vermählung geschehen, und darum
trägt hier Apollon am Lorbeerstabe zu zwei Kränzen abgetheilte Zweige. Das Fest, an welchem die
Braut das Haus der Aeitern verliess, wurde ■ n^?%«^»iT>f^* (nach Andern ngo%ag«rojg;«) genannt, und
am Abend desselben die Hochzeit im Hause des Bräutigam» gefeiert. Wenn sie den Einzug nicht zu
Wägen, sondern zu Fuss hielt, so hiess sie %*]&«/*«*,****) wie hier Agraulos erscheint. Mit dem bräut-
lichen Schleier Kalyptra und einer Stephane geschmückt, mit dem ionischen Chiton und darüberge-
liiuigtcn Chlamydion umhüllt, geht sie im steifen festlichen Anzug, vor sich herabschauend, zögernden
Schrittes, ängstlich und blöde einher, während die ihr folgende Nympheutria oder Brautjungfer, in
Chiton und Peplos gekleidet, sie mit beiden Händen vor sich hinschiebt, und der mantelumgebene
Nymphagogos oder Brautführer sie an der Hand fortzieht. Apollon und Artemis, als Beschützer und
Vorsteher, weilen in dem Zuge, die Blicke nach ihr zurück wendend, jener mit der Chlamys umhüllt
*) Nach älterem Gebrauch mussten die Bräute der Venus opfern. (Homer Ilias V. v. 429.)
*) Athenaeus XIII, L
*) Mit Bedauern bemerken wir, dass Herr J. Millingen Peint. des Vases Gr. PL XLIV eine charakterlose Zeichnung von diesem
Vasengemälde bekannt gemacht und, ohne den Grund der Erscheinung der Götter zu beachten, für einen gewöhnlichen Braut-
zug erklärt hat.
*) Pollux Onomast. III. 3.
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und den Lorbeerstab tragend, diese im Chiton und Peplos, mit der Haube auf dem Haupte, dem Kocher
an der Schulter und dem Bogen in der Hand.
Als Anführerin des Zuges erscheint die Promnestria, Brautwerberin und Fürsprecherin des
Bräutigams, Schnippchen mit den Fingern schlagend zur Lockung und Aufmunterung, vor dem Cecrops,
der, an der Thüre seines Hauses stehend, in Gestalt eines vornehmen, bärtigen Archonten, mit langem
buntem Untergewand und übergeschlagenem weitem Pharos festlich ausgestattet, sich auf eine Lanze
stützt und die Braut erwartet.
2. Palmettenzierrath auf dem runden Deckel desselbigen Gefässes von einfacher und eigen-
thümlicher Bildung.
3. Gestalt der Schmuckbüchse oder Kylichne, welche zur Aufbewahrung des Geschmeides be-
stimmt war und schon durch das darauf angebrachte Gemälde sich selbst als ein Brautgeschenk bei
einer Heirath ankündigt
4. Verschränkte Doppelverzierung von anmuthiger, sinnreicher Zusammenstellung und Erfin-
dung
*e auf einer Vase aus Athen.
Taf. XXXIII.
Gemälde von vollendeter Ausführung und attischem Styl auf dem darunter dargestellten Becher,
der am Museion zu Athen ausgegraben wTurde und sich daselbst im Besitz des Herrn Lusieri befand.
Zwei künstliche Scenen aus dem Innern eines Frauengemaches bieten sich hier in einer un-
unterbrochenen Reihenfolge dem Auge dar. Im ersten Theil des Gemaches, welcher durch eine an
der Wand aufgehängte Binde bezeichnet ist, sitzt eine in Chiton und Peplos gekleidete und mit Bän-
dern geschmückte Frau auf einem Lehnsessel, Klismos, mit einem aufrechtstehenden Stickrahmen im
Schoosse, beschäftigt, ein buntes Gewebe zu bereiten. Hinter ihr steht eine in die Diplois gekleidete
und blättergezierte Dienerin, einen Korb, Kalathos, tragend, vor ihr eine im Schleiermantel über den
Chiton verhüllte und mit breiter Kopf binde umgebene Matronengestalt, welche ihrer Arbeit zusieht.
Im zweiten Theile des Gemaches, wo eine Flasche, eine Binde und andere Dinge aufgehängt sind, be-
merkt man eine ähnlich gekleidete, im Lehnstuhl ruhende Frau, welche aber eine breite Binde ums
Haupt trägt und vor einem im Profil gezeigten Handspiegel sich putzt, während ein vor ihr stehen-
des junges Mädchen, mit einer Diplois angethan, ein Alabastron oder Salbengefäss ihr hinreicht und
zugleich ein Nadelkissen hält Hinter ihrem Stuhle, in ungegürteten Chiton gekleidet und mit einer
bunten Haube bedeckt, wartet ihrer Befehle eine zweite Dienerin, welche ein feines Gewand auf
den Armen trägt. Man könnte bei diesem Gegenstand an Penelope denken, die einmal an dem Tod-
tengewand, Tapheion, des Mannes webt, und ein anderes Mal sich für die zudringlichen Freier
schmücken muss, wenn nicht die Idee einer einfachen Frauenscene mehr Wahrscheinlichkeit hätte.
Die Form des Bechers gleicht denen, die den Namen Kalathos führen und Aehnlichkeit mit
einem weiblichen Arbeitskorbe haben. Sie trägt das Gepräge der Zeit des reinen Geschmacks.
Taf. XXXIV.
1. Trauerfest, Gemälde auf dem unten abgebildeten irdenen Dreifuss, Tripus, aus der Fauvel-
schen Sammlung zu Athen.
In der Mitte zwischen Säulen der innern Halle des Hauses sitzt eine vornehme Frau in ei-
nem weiten ionischen Chiton und übergeworfenen Peplos, das Haupt mit Binden umwunden, auf ei-
nem Klismos, hält den einen Fuss auf dem Thranion, Schemel des Sessels, Zeichen der Würde,
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gestemmt und stützt die zusammengefafsten Hände auf das Knie mit dem Ausdruck stiller Schwer-
mut!! und hoffnungslosen Seelenleidens. Neben ihr hängt an der Wand ein Lekythos oder Opferfläsch-
chen der Todten und eine abgelegte Lyra, welche, mit Bezug auf den ansehenden und die Harmonie
bewirkenden Sonnengott mit zwei Augen symbolisch bezeichnet, ihr jetzt wegen des erheiternden
Klanges verhafst ist. Gegenüber derselben bei der Hausthüre, welche mit Erz beschlagen und mit
Schlofs und Handhaben versehen ist, ruht auf einem Stuhl angelehnt in ähnlichem Anzug, nur mit dem
Unterschiede, dafs sie ein Haarnetz, Kekryphalos, um das Haupt trägt, ihre Freundin, und, ein Salben-
gefäfs, Alabastron, ihr vorhaltend, fordert sie die Betrübte auf, ihre Sehnsucht zu befriedigen und den
Trost in der Salbung der Grabmäler und im Todtenopfer zu suchen. Denn schon ist hinter ihr eine
vom Chiton und umgeschlagenen Peplos bekleidete Dienerin aus der Thüre eingetreten und steht in
gebückter Stellung, begriffen, ein Opferkästchen niederzusetzen.
2. Gemälde auf einem Lekythos derselben Sammlung zu Athen, eine Ionierin darstellend,
welche mit der Haube auf dem Haupte, in langen Chiton und übergeworfenen Peplos gekleidet, sich
von der Rückseite zeigt und ein Alabastron, Salbenflasche, in der Hand hält.
3. Form des vorerwähnten Dreifufses nebst der oberen Ansicht des mit Lorbeer verzierten
Deckels und eines Lekythos aus derselben Sammlung zu Athen, auf welchem das folgende Bild ge-
malt ist.
4. Eine Spinnerin, von einer Haube bedeckt, in Chiton und Peplos gehüllt, hält einen Rocken
in der Linken und dreht mit der Rechten den Faden, den sie in einem danebenstehenden hoch angefüllten
Korb oder Kalathos fallen läfst. Es bleibt unentschieden, ob der Künstler in diesem Gegenstande
eine Möra oder Ilithyia, mit dem Beinamen Eulinos, die gute Spinnerin, gebildet habe.
Taf. XXXV.
1. Irdene bemalte Salbenflasche, Alabastron, auf welcher das darunter vorgestellte Bild 4.
steht, aus der Fauvelschen Sammlung zu Athen. Hinsichtlich seines Stoffes gehört dies Gefäfs zu
den Seltenheiten, weil es bisher das einzige von bemaltem Thon blieb und sonst nur in Alabaster
und Glas vorkommt.
2. Gemälde von geistreicher Auffassung auf dem Bruchstück einer athenischen Vase des Hrn.
Graham, nebst Ergänzung der fehlenden Theile.
Ein Wagenrenner in langem Kleide mit über die Brust gekreuzten Riemen steht auf einem
ehernen Diphros und lenkt ein Viergespann von feurigen Rossen, welche, mit dem Brustgeschirr um-
geben, in mannigfaltiger Bewegung sich hoch aufbäumen, während er sie an den Zügeln zurückzieht
und mit der Gerte antreibt.
3. Kleiner Kotylos oder zweihenklige Tasse, von Lord Sondes zu Athen ausgegraben, mit
dem darunter abgebildeten Gemälde 5. Wenn diese Art Gefäfse eine geringe Gröfse, wie die vorlie-
gende, hatten, so dienten sie zum Weinschöpfen aus dem Krater; daher waren sie besonders dem
Dionysos gewidmet.
4. Gemälde auf obigem Alabastron, ein mystisches Rauchopfer darstellend. Angethan mit dem
Unter- und Obergewand, das Haar von Bändern umwunden und in lang herabhängende Locken geord-
net, die Füfse mit Socken verhüllt, steht eine geweihte Priesterin vor dem vergoldeten Thymiaterion
oder Rauchaltare, das Opferkästchen mit aufgeschlagenem Deckel tragend, begriffen, den nach dem
Brauch in drei Fingern gefafsten W eihrauch auf das Kohlenbec ken des Altars zu streuen.*) 1 Vor ihr
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schwebt der geflügelte Mysteriengenius nackt, in hermaphroditischer Gestalt, mit dem Haarbusch
Skorpios auf dem Scheitel und Socken an den Füssen, und bringt ihr eine geweihte heilige Binde,
die mit goldenen Knöpfen verziert ist und magische Kräfte enthält.
5. Opfertanz, Gemälde auf dem obigen kleinen Kotylos 3. In einem Heiligthume, welches
durch zwei aufgehängte geweihte Binden symbolisch bezeichnet ist, steht vor einem flammenden klei-
nen Altare, dem mit ionischen Voluten oder Widderhörnern verzierten ßupöf svxsqaog, ein junges Mäd-
chen, mit Haube, Chiton und Peplos angethan, die Doppelflöte blasend und den Blick zum Himmel
richtend. Unterdessen schwebt ihr gegenüber im Tanze und beim Absingen eines Päans nach ihrer
Musik ein eben solches Mädchen, welches in ähnlicher Tracht erscheint, nur vom Peplos ganz ver-
hüllt, so dafs die Hände bedeckt sind. Während des Vortrags solcher Lieder pflegte man bei der
Strophe von Morgen nach Abend, bei der Antistrophe von Abend nach Morgen sich zu bewegen und
bei der Epode vor dem Altar stehen zu bleiben. Aus den hier angebrachten Kindergestalten erhellt,
dafs die kleine Vase selbst für Kinder bestimmt war.
Taf. XXXVI.
1. Alkmäon und Eriphyle, Gemälde auf dem darunter abgebildeten, mit Deckel versehenen,
kleinen Schmuckbüchschen, Kylichne, aus der Fauvelschen Sammlung zu Athen, Nachdem Eriphyle
bei dem ersten Kriege gegen Theben für das Halsband der Harmonia ihren Gemahl Amphiaraos ver-
rathen und seinen Tod verschuldet, bei dem zweiten oder Epigonenkriege für den Peplos der Harmo-
nia ihren Sohn Alkmäon zum Kriege überredet hatte, reifte in diesem der Racheplan, den sein Vater
ihm anbefohlen, und Apollon genehmigt hatte. So vollbrachte er den Muttermord. In Bezug hierauf
zeigt das gegenwärtige Bild den vom Mantel umhüllten Alkmäon, im stürmischen Lauf die Eriphyle
verfolgend und mit vorgestrecktem Arme beinahe schon die Fliehende erreichend, welche, vom Schistos
Chiton und Diploidion bekleidet, mit aufgelöstem Haar, die Arme ausbreitet und am Altar auf dem