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ERFINDLING

I

Ding- und Gedankenprosa

Erstes Halbjahr 2017


























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I Sermo temporalis de tempore

Vorläufige Mitteilungen zu einem Jahresende




Man könnte auch von einem mitternächtlichen Nachglühen
sprechen.

Die Genesis und den Anfang des Johannis-Evangeliums
darfst du nur in Sprachen lesen, die du nicht kennst; wenn
du sie verstehen willst.

Jedes Verstehen bricht ein Stück aus der Welt, als ob sie
ein Mosaik wäre. Und beweist damit nur, dass sie keines
ist.

Warum versteht die Menschheit, seit sie zu verstehen
glaubt, unter Verstehen kaum auch nur das, was du von

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der Sonne noch siehst, wenn du die Augen geschlossen
hast? -

Es ist kein Trost, dass der Tod uns nur das anhaben kann,
was er uns nimmt.

Es ist schwer denkbar, eine Kerze so ganz geräuschlos zum
Erlöschen zu bringen. Freilich, unmöglich ist es nicht.

Das weltliche System der Gratifikationen scheint nur dazu
da zu sein, die Blicke abzulenken; von der Welt.

Für Schreiber- und Spätlinge: So lange nach Samuel Be-
ckett muss man vor Beckett zurückgehen. Dazu muss man
aber durch ihn hindurch.

Die vielen Menschen, denen du im Traum begegnest, sind
obendrein Mischwesen. Sie haben tausend Köpfe in einem
und zweitausend Augen in zweien.

Solange du nur Zerspaltenes siehst, siehst du die Welt (in-
clusive Kosmos) durch die Augen des Teufels. Sei damit zu-
frieden. Das ist ein individueller Teufelsbeweis. Das schafft
Sicherheit. Und ist bequem.

Es werde Licht! – Das war ein verblüffender Befehl, wenn
es einer war. Wusste Gott, was er da verlangte? Welches
Modell hatte er vor seinen inneren, noch dunklen Augen?

„..ante creationem universi, non magis fuit Deus hic, ubi est
modo universum, quam extra universam, ubi nil est...“
(Duns Scotus)

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Nur ein gedachtes Klarinettenduo ist wirklich schön. Das
ist wenigstens meine Erfahrung. Erklärung, to whom it may
concern: Weil es entmaterialisiert ist, und deshalb deut-
licher zu hören. Zum Beispiel ohne Klappenklappern oder
begleitende Zischgeräusche.

Prinzipiell ist alles sinnlich Hörbare nur in Ansätzen wahr.
Das zwingt euer inneres Ohr zum Multitasking. – Über-
haupt ist alle Materie nur ein Appetit-Macher. – Ratet, wo-
rauf! Und bedenkt dabei, dass man von eurer Antwort auf
euren wahren Intelligenz-Quotienten schließen kann. – Da
kann Schweigen mal hilfreich sein.

Spätestens seit Descartes sind die Denker wie Dombau-
meister, die nur noch ihre Handwerkszeuge betrachten
und bewundern; und sagen: Schaut euch das doch einmal
an! Wie toll!

Denn auch auf überfüllten Plätzen, wie der Welt, ist es das
Schwierigste, den Weg durch sich selbst zu bahnen.

Wir wissen es schon lange, aber warum ist der Kosmos ein
Paradox? – Weil er ein Meister der Emergenz ist? Weil er
uns tatsächlich jeweils vor vollendete Tatsachen stellt?
Weil er sein Werden verbirgt? Weil er im Grunde nichts
preisgibt?

Die Tage sind das Material, aus dem wir den Tod aufbauen.
Wir hoffen, dass er die Höhe des Turms von Babel erreicht.

Exegese ist der Tod des Sinns, der aus einem Text strahlt.

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Wie kamen wir dazu, Erkenntnis nur das zu nennen, was
abgedunkelt und mit einem bösen Blick inspiziert wurde?
Die Bienen sehen da klarer. Gotischer.

Weil Wahrheit Form ist, ist sie keine Frage der Form. Es ist
vielleicht unmöglich, eine Tautologie in Frage zu ziehen.
Aber sie in dieser Dimension zu formulieren, das ist – lo-
benswert.

Leben bleibt spielerisches Verstrickt-Sein in höchst zwei-
felhafte Abhängigkeiten. Dubios sind sie ihrem Wesen
nach, nicht weil daran etwas zu zweifeln wäre.

Ergo: Wenn es den Kosmos nicht gäbe, müsste man ihn
nicht erfinden. (Ja, das stammt fast ganz von Balzac)

Nur die Sprache macht die Welt anschaulich. Ihr Geheim-
nis ist die Reihung.

Wenn jemand sagt, die Sprache ist die Signatur der Welt,
erklärt er die Welt zum Ineffabile.

Aber immer, wenn jemand sagt: Da haben wirs! oder Da ist
es wieder! ist das Ineffabile, biblisch gesagt, mitten unter
uns. Und wir in ihm.

In Paris sagte einmal einer, dass Adjektive klirren müssen.
- Um das gläserne Zerbrechen der Welt hörbarer zu ma-
chen?

Kompost-Fakten. Je mehr wir den Evidenzen verfallen, de-
sto weiter entfernen wir uns von der Wahrheit, wie wir sie
auch definieren mögen. Dieser Prozess zementiert, gleich-

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sam, den Verzicht auf Veränderung. Was bedeutet die fa-
shionable Rede vom Postfaktischen anderes als die Kapi-
tulation vor der Evidenz an sich; selbst vor der vermeint-
lichen. –

Das unumkehrbare Vergessen der Tatsache, dass Evidenz
nur eine Deckvorstellung im Denken sein kann; wie die
Bilder der Träume, die Freud beschreibt. Wenn du etwas
für evident hältst, gehst du dem hinterlistigsten Mechani-
smus deines Denkens auf den Leim. Evidenzen sind die
gefährlichsten Traumbilder der Welt. Strukturell gesehen:
die Lügen- und Sagengestalt der auf dem Laufsteg der Ima-
gination Revue passierenden Wahrheiten. Ich rede von der
ganzen Welt Das heißt, man muss dem Buddhismus zu-
stimmen. Aber andere Konsequenzen ziehen.

„Jucket ihnen das Ohr?“ (Luther) Kann man mit den Ohren
umarmen? Die Schönheit und Bedeutungslosigkeit des
Vogelgezwitschers; dies nicht nur zum Beispiel – Sound
scape der Hoffnung. - Wie wenn du an einer Pfeffermühle
drehst. Oder eine Landschaft in die Arme nimmst. Man
kann mit den Ohren auch umgarnen.

Wenn, wie Wittgenstein einmal sagt, Verstehen eine Frage
des Gebrauchs ist, dann versteht die Menschheit sich nicht.

Was übrig bleibt, ist der Kosmos als Kokon. Eben umspon-
nenes Nichts.

Wie wäre es damit: Die Zeit ist auch die Selbstauflösung
des Nichtvergangenen. Und das Vergessen die Selbstauflö-
sung des Noch-Erinnerten. Das würde erklären, warum
Vergessen und Zeit als solche nicht wirklich existieren.

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Das menschliche Weiterschaffen am Kosmos ist letztlich
nur ein Rückbau seiner Möglichkeiten, ein Raubbau, den
der Mensch sich obendrein und köstlich verschämt als Hy-
bris deutet. Die Selbstkritik hat eben „viel für sich“ (W.
Busch). Als Dünger des Selbstwertgefühls. Sie ist die
menschliche Variante der creatio ex nihilo. Wenn nicht gar
ex excremento.

Als hätte der Mensch am siebten Tag der Schöpfung begon-
nen, mit Gott zu ruhen und zu feiern. Seither dauert der
Feierabend der Weltenschöpfung. Der Cusaner hätte darin
den rasenden Leerlauf der Zeit sehen können. Das rückge-
wandte Gähnen des Endes.

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Das Relief von Maitani am Dom von Orvieto, das die Schaf-
fung der Eva zeigt, versucht uns zu beweisen, dass reine
Sinnlichkeit, im ganzen Doppelsinn, möglich ist. Ja mehr: Je
reiner sie ist, desto geistiger. Der Stein kann die Haut über-
trumpfen. Nur der Stein kann die Körper zum Schweben
und zum Gelassen-Sein, zu einem Eingelassen-Sein des
einen in den anderen, bringen. Und den Po des Schöpfers
in seine Schöpfung lächeln lassen. Aber das soll der Mythos
von der Schaffung Evas ja wohl auch zeigen: Dass eine
absolute Versöhnung, eine conciliatio von Geist und Ma-
terie trotz allem denkbar geblieben ist.




Sollte die Erfindung der Musik sich aber doch einer Über-
kompensation der Langeweile verdanken? Und könnte die
so gerne beschworene Macht der Musik nur das Surplus
jener Kompensation anzeigen? – Die Meister von Orvieto
hatten anscheinend eine erstaunliche Einsicht in den träu-
menden Sinn Gottes. Und waren nicht überrascht, darin
auch die Langeweile zu finden.

„Forma fit esse“. Die Welt, das Leben und die Sprache sind,
seit Eden, selbst-regulierende Zeichen und Bedeutungsma-

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schinen. Daher sind sie so schwer zugänglich. Du musst sie
durch den Bediensteteneingang betreten.



Wenn die Menschen im Kosmos doch wenigstens soviel
Sinn machten wie Weiße Termiten in Sandelholz.

Vieles perlt von ihm ab. Aber nichts in der Form von Per-
len.

Einem genauen Blick verliert sich der Unterschied zwi-
schen Mimose, Thutmose und Phimose. – Immer will die
Sprache von der Einfalt der Wirklichkeit ablenken. Dabei
leugnet sie deren hypertrophe Vielfalt nicht. Versteht aber
leider nicht, dass sie nichts bedeutet. Das limbische System
der Sprache ist überaus sensibel; aber nicht an Wahrheit
interessiert. Die Sprache ist bereit, alles zu sagen. Weil sie,
mit Verlaub, promiscue ist. Sie lebt vom Unterschied, liebt
aber unterschiedslos. Die Sprache ist eine Osmologin mit
schlechter Nase. Deswegen erwehrt sie sich auch ihrer vie-
len Verehrer nicht.

Smell scape. Der archetypische Duftkreis der Sprache ist
ein Ringelspiel, ein Kreislauf der Wurstigkeit. Daher ist es
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ihr unangenehm, durchschaut zu werden. Sie zielt auf
Riechrezeptoren, die faul sind.

Die Menschen haben die Welt entzaubert, um sie nicht
mehr deuten zu müssen. Sie haben sich die Arbeit erleich-
tert und das Glück, um mit Heinrich von Kleist zu spre-
chen, inwendig verriegelt.

Der Speculator X kam schließlich dahin zu sagen, dass die
Eschatologie nichts anderes sei als ein ungeregeltes Durch-
probieren ( - „Mir fällt kein angemesseneres Wort dafür
ein“ - ) von Formmöglichkeiten, bis zu einem Punkt, an
dem das System sich selbst als erschöpft diagnostiziert.
Der Name Jüngstes Gericht bedeutet also nichts anderes
als die ultimative Selbstdiagnose des Kosmos.

„Mayonnaise mit Lachs“ 1 . Mit diesem Beispiel meinte
Freud, sagte X, jegliche Art von Sinn; als ein Aggregat der
Ablenkung, Man könnte auch von einer Stockung des nicht
Fasslichen sprechen. - „Der Erfolg der Behandlung kann
nicht vorausgesagt werden.“ (Freud)

Unsere lustvoll praktizierte Angst vor der Erkenntnis ist
eine Art Pferdephobie; wie die des Kleinen Hans, später Di-
rigent..

Gerade ohne unsere Symptome wären wir (Menschen) exi-
stenz-unfähig. Wenn wir das akzeptierten und bedächten,
würden wir uns selbst und die anderen lieben.


1 »Ein Verarmter hat sich von einem wohlhabenden Bekannten unter vielen Beteu-

erungen seiner Notlage 25 fl. geborgt. Am selben Tage noch trifft ihn der Gönner im Re-

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Die größten Fehler begehen wir (Menschen), weil wir sie –
nicht uns - für korrigierbar halten.

Sich gegen die fatale Geste der Ablehnung auflehnen. Die
seither endgültig gebliebene Definition von Tragik.

Nach Mahlers Tod hat Freud bei dessen Nachlassverwalter
für eine „mehrstündige Konsultation“ 300 Kronen Honorar
angefordert.

Mentalanalytische Ambulatorien werden die Universitäten
ersetzen müssen. Sonst Gnade uns - - - ja wer oder was?

Gedankenlehre muss zur Mythologie der Zukunft werden.
Spätestens jetzt. Da die Trieblehre sich erledigt hat.

Verbannung kann ein Glücksgefühl sein, wenn sie dich
jeder Verantwortung entledigt.

So, wie das Leben ein Glück sein kann; solange dich keiner
fragt: Bist du daran schuld?

Entlarvend, nicht für die Wissenschaft, aber für die
Menschheit, dass sie besserwissend nickt, wenn ein Planck
die Wahrheiten eines Freud – auf gediegene Erfahrung po-
chend – leugnet. – „Das Unbewusste? – Doch nicht bei uns!“

Wenn überhaupt, macht das Wort die Wahrheit sensibel.

Mit jedem Gedanken, sagte X, versuche ich, einen überbe-
völkerten Trampelpfad ohne Ziel zu verlassen. Nie konnte
er auf eine Doppeldeutigkeit, die sich anbot, verzichten. Er
griff immerzu zu.

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Wenn ein kleiner Mensch, das wissen wir seit Alfred Adler,
zum Feldherrn werden möchte, ist es normal. Bei einem
großen Menschen aber müssen wir auf eine perverse Nei-
gung schließen. Eine Krankheit.

„Der Spielraum der Kraft“ (Jean Paul). Ein Buch musst du
aufschlagen. Deiner Hoffnungen solltest du dich entschla-
gen. - Aber wenn ein Gott Dir die Hand bietet, schlag ein!

Er berichtet von seinen Gesprächen als gehörte er zum Es-
cort Service der Heiligen Drei Könige.

Verlorene Handschuhe, auf Bänken und an vergleichbaren
Orten, wie auf Pfosten oder Drähten in einer Winterland-
schaft, sagen dir, wo es langgeht. Sagen es Dir mit ihren
erschöpften Zeigefingern. - Du hast schon viele davon ge-
sehen. Kalt. Brüchig. Mit Eisresten. Aber unverbrüchlicher
Zeige-Funktion. Und wer könnte das auch besser als ein im
Winter verloren gegangener vergessener Handschuh. Ein
Fehde-Handschuh des Seins. – Wer den auf- und annimmt,
ist selbst aufgehoben. In der Schutz-Hülle der allgemeinen
und unaufhebbaren Verlorenheit.

Gesegnet der Mensch, der jedes zufällige Klatschen in sei-
ner Umgebung, auf sich selbst bezieht und sich verneigt;
wenigstens vor sich selbst.

Er sagt, dass er über seine Notizen nicht glücklich ist. Und
hofft auf den Tag, an dem sie nicht mehr gelten.

II Je freier desto erfundener

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- Gedanken-Späne -

Nachträglich Mitteilungen zu einem Jahresanfang


Du hast die Dinge nicht im Griff. Es hilft aber, nicht zuge-
hörig zu sein. Versuch es!

Der metaphysische Reiz des Glücks liegt in seiner Ablen-
kungsfunktion.

Freilich kannst du auf die Suche nach Sinn verzichten;
dann bist du aber nur zeitgemäß.

Zu leben heißt, in Bezug auf die Wahrheit befangen zu sein.

Dabei ist die Wahrheit ja nur die Tarnkappe der Lüge.

Die Vertreibung aus dem Paradies diente ursprünglich
dem Zweck, die Kleinfamilie zu legitimieren. Es war nicht
geplant, dass sich die Menschheit von diesem legalen Ideal
abwendet. Als Prozessier-Form der Eschatologie.

Eva war hilflos, weil der Teufel ihr den Apfel als elegant
gekleideter Handelsvertreter, als wär er ein Dandy von
Profession, darreichte. Da konnte Adam nur sprachlos zu-
schauen und, wie betäubt, mit-zubeißen. – Das hat sich als
ungut erwiesen. Wie er, Adam, bald nach dem Biss – der ja,
wie wir jetzt wissen, zum Begreifen dieser Tatsache nötig
war – begriff. Und mit diesem Begreifen hatte er Eden end-
lich hinter sich.

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Und er saß mit Eva, als postlapsale Kleinfamilie, wie später
ihr Nachfahre Münchhausen auf der Kanonenkugel, auf
dem Pfeil der Zeit. Und sie wunderten sich sehr. Und die-
ses Gefühl der G’wundrigkeit haben sie uns vererbt. Wir
sehen, dass der Begriff der Erb-Sünde nicht ganz hinhaut.
Sich notorisch wundern, das ist doch eher eine Erb-Krank-
heit. Und der Po der auf dem Pfeil der Zeit zwangsreiten-
den Menschheit reibt und reibt sich wunder und wunder.

Dem Großen verweigert sich der, der nicht zum Kleinen
gezwungen werden will. (Talleyrand?)

Das Original ist immer eine abgeworfene Schlangenhaut.

Die Theologie geht mit Gott um, als wäre er ein Integra-
tionsbeauftragter seiner selbst. Und fragt sich, welche Rol-
le sein Sohn dabei spielt, den er verlassen hat.

„Das Ich und das Soziale sind die beiden Götzen“ (Simone
Weil)

„Dein Schatten gehet vor dir, fall nicht über deinen Schat-
ten! Wer fällt, fällt in seinen Schatten, und nicht alle stehen
wieder auf.“ (Wilhelm Raabe)

Die messianische Aufgabe der Sprache ist es, mit dir das
Unnennbare zu teilen; seine logische Form. Das kristallene
Skelett der Wahrheit.

: Das sich im Hauch verliert. Daher gibt es kein Sprechen.
Du musst also gar nicht schweigen. Wenn du es doch tust,
schweigst du zu spät. Dann schweigst du dem genuin Un-
aussprechbaren nur nach.

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Das nichtmessianische Sprechen, das einzige, das es gibt,
verbohrt sich, gleichsam, im Unwahren. Bis es auch dieses
ausgehöhlt hat.

Man könnte behaupten, die Menschheit hat sich ihres Gotts
entledigt, weil sie seine Aufträge nicht erfüllen kann. Sie
begreift nicht, dass deren Unerfüllbarkeit den Witz ihres
Gottes verkörpert.

Dass der Menschheit so wenig an ihrer Selbst-Erlösung ge-
legen ist, ist unermesslich seltsam. Dass sie nach schlech-
ten Entschuldigungen fischt, ebenso.

Die Selbst-Ermächtigung des Menschen, so sehr sie auch
Blumenberg, als einer von sehr vielen, gefeiert hat, bedeu-
tet letztlich nur eines: Den Verzicht auf das Erbe Gottes,
die Erlösung.

Das Traurigste an der Trostlosigkeit der Menschheitsge-
schichte ist genau diese selbstinduzierte Unerlösbarkeit,
Die Menschen haben, mutwillig, die Kurbel der Eschatolo-
gie abgebrochen.

Oder müssen wir annehmen, vastata est gratia. dass der
Auftrag Macht euch die Erde untertan! nichts anderes be-
deutete als Vermasselt und verpatzt eure Selbsterlösung! - ?
– Das wäre Gott in seiner Güte zuzutrauen.

Kannst du dir ernsthaft einen vorurteilslosen Vogel vor-
stellen? Oder gar einen vogelfreien?

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Auch wenn es viele glauben, sagte er, das Denken ist keine
Zurechtzupfen von Gedanken, die wir haben. Die Sache ist
umso unerbittlicher, sagt er, je veriformer sie wird. Den-
ken ist ein, so muss es heißen, Zerschellen an den Gedan-
ken, die wir sind. – Wirkliches Denken ist, mit anderen
Worten, der alltägliche Vollzug des Weltgerichts. Auch vice
versa.

Er sagte, vielleicht zu unrecht, die Hoffnung musst du
aufgeben, wenn du überleben willst. Die Hoffnung stirbt
nur deswegen zuletzt, weil sie zur Spezies der Lebensver-
sicherungen gehört. Und eine Lebensversicherung über-
lebt dich immer, wenn du sie dir nicht auszahlen lässt.

Wie übertölpelt fühlte sich Freud, die Zigarre in der Hand
oder im kranken Mund, wenn er noch leben würde! – Ich,
sagte X, würde ihn an einer Hand führen bei unseren
nächtlichen Ausflügen durch die Friedhöfe. Über kein Grab
würde er stolpern, Ich würde ihn tragen. Nach der verlo-
renen Art der Engel. Meinen heiseren Gesang, freilich, wür-
de ich ihm ersparen. Ich schätze sein Ohr, so spät es auch
ist, zu hoch.

Götter helft uns zu sein! – Versuchsweise.

Postkonfuzianische Soziallehre, in nuce. - Nähe ist immer
schmerzlich; wenn sich die Häute aneinander entzünden.
Sich gegenseitig, menschlich, zu wärmen, das wäre doch
genug. Oder?

Postsolipsistische Anthropologie, in nuce. - Die Sprachlo-
sigkeit im Angesicht der Lebenswelt; nur das macht heute
noch das Genie aus.

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„ . . . trieb, atmete, strich herum, schlenderte für mich hin,
dahin, dorthin, dachte nichts, war wie gedankenlos stre-
bendes Gewächs . . . “ (Robert Walser)























„The heaves lie thick upon the way / Of memories.“ (Joyce)


III Poröse Definitionen und Determinationen
- und vorsichtig Kursives.

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Wer immer das Fundament / Siquis habet fundare domum,
Eines Hauses legt, / non currit ad actum
Tu es nicht mit schneller, / Impetosa manus:
Unbedachter Hand, / intrinseca linea cordis
Die inneren Linien des Herzens / Praemetitur opus,
Nehm er zum Maß des Werks../ seriemque sub ordine certo
Des Menschen inneres Sein / Inferior praescribit homo,
Bestimme Ordnung und Folge. / totamque figurat
Die Hand des Herzens zeichne zuerst, / Ante manus cordis quam corporis;
Dann erst die des Körpers. / et status ejus.
Das Sinnliche gehorche / Est prius archetypus quam sensilis.
Dem frühern inneren Modell. / Ipsa poesis
Und die Dichtung sehe in diesem Spiegel. / Spectet in hoc speculo
Das Gesetz, das dem Dichter er gibt. / quae lex sit danda poetis.

Geoffroy de Vinsauf, Poetria nova (43-49)


Tota figura. Herz und Körper Hand in Hand, mit einer
Hand; der innere Spiegel und der Text: ein Gesetz.

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A: Anwesenheit ist die brutalste Seite der Abwesenheit.
O: So? - Mir scheint, es ist umgekehrt.

Lösungen, genau besehen: Ein Verfliegen von Lösungsmög-
lickeiten (eigentlich: Lösungsversprechen, von Engeln in
die Welten-Luft posaunt).

Die Welt: Eine Pilgerherberge ohne sanitäre Anlagen und
ohne Hygiene-Vorschriften. – Der anfängliche und ultima-
tive Abenteuer-Urlaub.

Die Leere ist ein Imaginat ( - ein Wort, bei dem ich bleibe,
obgleich es mein Computer moniert - ), das sich erst durch
Skandalisierung, wodurch, kalauernd gesagt, das Vakuum
aus dem Vagen tritt, zeigt oder zu erkennen gibt. Als eine
Deponie durchtriebener Träume und zweifelsfreier For-
men und der Trivialität des Tatsächlichen, der schönen Er-
scheinung.

Autophanie: Die Schönheit einer Medusa, die etwa tötet,
ohne dabei eines Blicks zu bedürfen.

Das „holde Bescheiden“ (Mörike) des Wirklichen: Das, was
„in der Mitten“ liegt. Das Wirkliche enttäuscht, weil nur
das Wirkliche unspektakulär ist. Wirklichkeit ist, ihrem so
genannten Wesen nach, nicht mehr als eine Mischung, ver-
dadera mezcla real, eine Zungenspitze und eine Schwelle.

Begreifen: Zu den Dingen sagen: Einverstanden! – Im bes-
ten Falle ein mit einem Handschlag besiegelter Pakt.

Der Geist: Ein Blick, den nur das Wirkliche trunken macht,
woher es auch kommen und wohin es auch gehen mag.

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Sterblichkeit: Sterben kann nur, was weiß, dass es sterben
kann.

Insatietas qua necessitas: Metaphern sind ihrer Unersättl-
ichkeit wegen unverzichtbar. Dabei erhalten sie sich nur
selbst. Wie Geißeltierchen. – Das ist keine Metapher. Son-
dern eine Zuordnung nach Familienähnlichkeit.

Das Leben macht nicht klug genug, um darauf verzichten
zu wollen.

Manque de bol. Zu denken bedeutet, sich mild und ironisch
am Sein dafür zu rächen, dass es einen nicht will. Du wirst
zum Denker, wenn du das Sein darin imitierst, dass – und
auch wie – es dich ablehnt. Jeder, der zu denken anfängt,
muss das so machen. Denn das Denken beginnt immer als
eine Art Künstlerpech.

Petit malheur; nécessaire. - Ein Denker lehnt das Glück ge-
nau auf die Weise ab, in der das Sein ihn ablehnt. – Ein
Denker ist ein Imitator seiner selbst, als einer, und also einer,
der nicht sein kann.

Nur insofern ist das Denken auch ein Versuch, Steine em-
pfindsam zu machen. – Und heißt es nicht auch, dass auf
diese Weise der Funke erfunden wurde, der zum Welten-
brand führen wird?

Es ist ja auch nicht wenig verlangt, just das Fehlen einer
Grenze zu sich selbst, zum einzig Ausschlag gebenden Krite-
rion2 zu machen. Oder?

2 „Gerichtshof; Rechtssache; Richtmaß“

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Wenigstens das ist doch ein wirklich genialer Gedanke: Ei-
ne Wolke, die in eine Mause-Falle gegangen ist. – Wohlge-
merkt: gegangen. – Nubibus muscipulam! -

Wann darf man ein Flickwerk vollkommen nennen?

Bäume: „Stehend erwarten sie das Alter, den Holzfäller
und den Blitz.“ (Caillois)

Der Mensch: Der unverbesserliche Taumel-Lolch. Unverbes-
serlich, weil er unschuldig war und blieb. Er taumelte aus
Eden. Er tat nur einen Fehl-Tritt; blind. Und er war draußen.
Und damit verschwand Eden. Der Mensch verschwendete,
gleichsam, Eden auf Schritt und Fehl-Tritt. – Wer keinen
Schritt tat, werfe den ersten Stein, den Eden-Stein, den post-
lapsarischen, nach Adam und Eva, den Taumelnden. – Es ist,
indes, genug, solang man nur jüdisch und christlich denkt,
abzuwarten. Ganz ohne Ranküne. Denn mit einem Taumel-
schritt begann es und mit einem Taumelkelch wird es enden.
So sagen, zumindest, die Propheten: „Dies ist die Last, das
Wort des Herrn über Israel: Es spricht der Herr, der den
Himmel ausspannt und die Erde gründet und den Geist des
Menschen in seinem Inneren bildet: Siehe, ich mache Jeru-
salem zum Taumelkelch für alle Völker ringsum, und auch
über Juda wird es kommen bei der Belagerung Jerusalems.
Und es soll geschehen an jenem Tag, dass ich Jerusalem zum
Laststein für alle Völker machen werde; alle, die ihn heben
wollen, werden sich gewisslich daran wund reissen; und alle
Heidenvölker der Erde werden sich gegen es versam-
meln.“ (Sacharja 12:1-3).



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Schatullen und Futterale bringen auf sehr verschiedene
Weise zum Verlöschen. Und das Harte erstickt anders als
das Weiche.

Dennoch bleibt Gottes Odem ein unhörbares Zischen mit
Methode. – Vergleichbar dem Zischeln der Ahnen in Mallar-
més Igitur. Daher der enorme Schreck, wenn es dir plötz-
lich, in einem stillen Raum, von nirgendwo her, pfeifend
und metallisch in die Ohren zischt.

Denken, das ist, wenn es hochkommt:, die Rekonstruktion
eines primordialen Repertoires, der universalen Lumpen-
sammlung vor der Schaffung der Welt.

A: Kannst du das Gegenteil von Transzendenz definieren?
O: Definieren kann ich es nicht, aber ich kann es benennen:
es ist unsere sublunare Mattigkeit.

Fake hues. Die Schatten, die eidola, in der Unterwelt sollen
keine Schatten werfen. Sie leuchten, sagt man, als phan-
tasmata, Spiegelbilder ihrer selbst, heller als ihre Umge-
bung. – Sich in den Schatten eines andern zu stellen be-
deutete, womöglich nur hier, den Austausch und die ge-
genseitige Steigerung von Glanz. - Und das im Hades!

Dinge: Die kultivierten Formen der Gedanken. Oder, ge-
nauer: Ein Ding ist die frisierte Variante eines Gedankens,
um dessen Wildheit betrogen.

Der Gedanke - „seht ihr’s Freunde?“ - verkümmert in ein
Ding. – Das, so scheint es mir nicht nur, ist die Tragik He-
gels. Da half es ihm auch nichts, in seiner Logik die Gedan-
ken Gottes vor der Schöpfung der Welt zu rekonstruieren,

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zu revitalisieren oder überhaupt erst, somit gleichsam als
erster, zu denken.

Marx’isch gesagt (nicht gedacht!): Das Ding ist die ent-
fremdete Gestalt des Gedankens, umso eindeutiger je mehr
es ihm entspricht.

Weltgeschichte = Entfremdungsgeschichte = Verdingli-
chungsgeschichte. - Das ist in dieser Form bekannt. Aber es
ist angemessener, es so zu sagen: Weltgeschichte oder:
Vom Gähnen des Chaos bis zum Erbrechen nach dem Letz-
ten Gericht (Last Dinner and Supper for the Only One). –

Dabei hatte der omnipotente Kreator so viele Chancen und
eschatologische Ostereier versteckt. Seine anfängliche Idee
war, dass die Schöpfung der Tod sein könnte, aus dem er
auferstehen würde. Das wurde aber durch eine zweite Idee
konterkariert; nämlich der, dass der freie Wille der von
ihm kreierten Menschen ihm dabei helfen würden.

Vielleicht werden Systeme ja tatsächlich durch ein Zuge-
selltsein ihrer Elemente zusammengehalten. Aber was soll
dieser Begriff hier heißen?

Mer peu probable. Die Faszination des Chaos und auch der
Anarchie liegt nur darin, dass ihre Wahrscheinlichkeiten
noch nicht festgestellt sind. Das amüsiert und macht die
beobachtenden Menschen zu Ideologen, die sich jetzt zu
sprechen und zu handeln wagen. Mutwillig und, sachlich,
infantil. – Sie stochern ja nur im Meer des Unwahrschein-
lichen, oder auf der Suche nach einem Korn im blinden
Auge des Chaos, - wenn ich das so sagen darf.

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Die Tragik der Eschatologie liegt auch darin, dass Ordnung
– in praxi – immer die Zu-Ordnung von Elementen ist, die
derselben Dimension angehören; das heißt, letztlich, ver-
gleichbar klein sind. Was aus einem System herausragt,
gehört – in concreto – nicht zum System. So einfach läuft es
mit dem Verderben.

Eine Tücke der Seins-Ökonomie, die freilich auch das Alt-
ägyptische entzifferbar machte. – Nur das Voynich-Manu-
skript scheint sich dieser Ökonomie zu verweigern. – Her-
metik ist dann wohl eine Frage der Zeichen-Ökonomie;
Hermeneutik auch.

Dennoch müssen wir uns aber auch die Frage stellen, ob
die Alphabete, gewiss nicht nur sie, die Welt nicht zu klein
gemacht haben. Mit einer Welt, die in Alphabeten oder
auch einer Schrift wie der chinesischen darstellbar ist,
könnte es vielleicht nicht so weit her sein.

So wie Satelliten erst richtig und ungestört arbeiten kön-
nen, wenn sie in einem Friedhofsorbit kreisen.

Es ist falsch zu sagen: Du bist mir Vorbild und Rivale. Es ist
auch falsch zu sagen: Du bist mein Rivale und daher mein
Vorbild. - Richtig ist zu sagen: Du bist mein Vorbild, du
Rivale! Oder: Du bist mein Rivale, du Vorbild! – Es lebe die
bedeutungsschaffende Differenz! – Aber das braucht nicht
gesagt zu werden. Dann was lebte denn sonst!

Consacré à la métaphore. – Es wäre gut, wenn man das so
auf Deutsch sagen könnte. - Aber ach! Es würde in einen
anderen Schacht gleiten. Und in Hegels ominöser und doch

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so vielbesuchter Pyramide3 wieder auftauchen. – Schade,
dass Goethe, zum Beispiel, es nicht schaffen konnte zu
schreiben: „Der Metapher verschworen gefällt mir die
Welt.“ – Und Nietzsche hat, das ist denkbar, gedacht:
„Glaubt Ihr echt, Ihr allerletzten Menschen, dass ich das
Euch so klar und wie für Narren geeicht sage?“ – Aber man
soll sich in das von anderen nicht Gesagte oder Verschwie-
gene nicht einmischen.

Die stärksten Beziehungen, in der Quantenphysik, in der
Liebe, zwischen den Buchstaben, sind immer die Diffuse-
sten. Das wenigstens kann ich sagen. – Deutlichkeit lockert
und entfernt. - Für Teilchenteile gilt das sowieso.

Daher stiftet Nebel Nähe. Am entschiedensten in der Kolli-
sion.

In alia manu: Durch das, was du abwerfen möchtest, musst
du hindurch. Verachten darfst du nur das, dem du unend-
lich vertraut warst; für die Länge eines kleinen Todes, wie
die Leute das nennen; - nicht länger als ein Plausch mit
Charon.

Am Biertisch streichelte einer, wie es schien, seinen Hund.
Es war aber sein eigenes Knie. – Man sollte diese Beobach-
tung nicht weiter – denken.


3 Ihr kennt das ja: „Das Zeichen ist irgendeine unmittelbare Anschauung, die einen ganz

anderen Inhalt vorstellt, als den sie für sich hat; – die Pyramide, in welche eine fremde
Seele versetzt und aufbewahrt ist. Das Zeichen ist vom Symbol verschieden, einer An-
schauung, deren eigene Bestimmtheit ihrem Wesen und Begriffe nach mehr oder we-
niger der Inhalt ist, den sie als Symbol ausdrückt; beim Zeichen als solchem hingegen
geht der eigene Inhalt der Anschauung und der, dessen Zeichen sie ist, einander nichts
an. Als bezeichnend beweist daher die Intelligenz eine freiere Willkür und Herrschaft im
Gebrauch der Anschauung denn als symbolisierend.“ (Enzyklopädie, § 458)

25
Es bedarf der Nachtsicht, ohne Gerät.

The Definite Brave New World: Das Exo-Skelett, das die
Menschen sich, auf apokalyptischen Pump, – es wurde
zweifellos Zeit - verpasst haben. - Jahrtausende von Selbst-
Verfehlung haben sie endlich klug gemacht. Aber was für
eine Idee! – Sich von einem nach außen verlagerten Modell
des Innern, dessen Natur man verraten hat, tragen und be-
wegen zu lassen. - Als ließe man das natürliche innere Ske-
lett, quasi den Geist, willentlich, verrotten, um sich von sei-
nem pervers veräußerlichten Imitat – wie von einem un-
willigen Pfleger-Golem – durch die letzten Tage manövrie-
ren zu lassen. – Dazu hat Karl Krausens Phantasie bei wie-
tem noch nicht ausgereicht. In einem gewissen Sinne hat er
Glück gehabt. Schon zu Hitler fiel im ja nichts ein.





„Ut rerum omnium, sic linguarum instabilis conditio.“ (du
Fresne, De causis corruptae latinitas)



Etwas sprach: Es werde Licht!
Und es ward Stein und Duft.
Es ward selbst klingendes Moos.
Doch ward kein Stab, der Wolken bricht.
Und Merkur, Gott und Schuft?
Merkur – ließ seinen nicht los.

26













IV Hingeworfene und hinlängliche Seitenblicke


27

„Eine Spinne verrichtet Operationen, die denen des Webers ähneln, und
eine Biene beschämt durch den Bau ihrer Wachszellen manchen mensch-
lichen Baumeister. Was aber von vornherein den schlechtesten Baumeister
vor der besten Biene auszeichnet, ist, daß er die Zelle in seinem Kopf ge-
baut hat, bevor er sie in Wachs baut. Am Ende des Arbeitsprozesses kommt
ein Resultat heraus, das beim Beginn desselben schon in der Vorstellung
des Arbeiters, also schon ideell vorhanden war.“ (Karl Marx)




Heute fragte jemand: „Warum wurde er so lange in Frei-
heit gehalten?“

Und gestern wurde der Weltraumtourismus erst richtig
möglich. Durch die – geldsparende - Wiederverwendung
von Raketen. – Nur recycling garantiert noch die Zukunft.
Das scheint mir für alles zu gelten.

„Mit Werten ab 25 Grad sprechen die Meteorologen von ei-
nem Sommertag.“ – Wann und unter welchen Bedingungen
aber darf eine Sommernacht lächeln?

„Mehr Sonne als Wolken.“ – Das ist wie: „Meist mehr Licht-
geschwindigkeit als Dunkelkammern.“ Etc. ad infinitum.

Wenn Denker und Dichter und Relativitätstheoretiker ih-
ren mythologischen Ton aufgeben, sind sie gescheitert.

Ins Eigene einzudringen, ist ein normaler Einbruch. Wenn
du es tust, bist du ein Dieb. Freilich einer, der sich in der
Adresse geirrt hat. Und ein Langfinger, der mit leeren Hän-
den heimkehrt.

28


„Ich aber bin entstellt von Ähnlichkeit mit allem, was hier
um mich ist.“ (Walter Benjamin)

A: Warum muss das alles so sein?
O: Weil es anders nicht wäre.

Vielleicht ist ja alle Rede „transzendente Ventriloquenz,
wodurch mancher glauben gemacht wird, etwas das auf
Erden gesprochen ist, käme vom Himmel.“ (Lichtenberg) –
Weil wir das wissen, stimmen wir mit unserer Bauchred-
nerei jubelnd ein. Ventriloquenz ist eine Art der Inkarna-
tion; sogar eine ausgesprochen geübte, ja eine virtuose.

Ob es ein gleichsam selbstkritischer Zug sein soll, dass poi-
esis, Machen, ein so indifferenter Begriff ist? – Er lässt sich
so hauchdünn schlagen wie Blattgold.

Und Autopoiesis. - Das klingt wie eine Wunderkerze in der
Unterwelt.

Skurril ist auch, dass der Held unserer Tage, der Macher,
fast genauso genannt wird wie die Lachfigur unserer Epo-
che, der Weltnarr, der Poet. - Der Abstand zwischen den
Beiden ist nur der Abstand zweier Sprachen. Durch den

29
regen Regenbogen der Etymologie miteinander verschwä-
gert und verschwängert4.

Jedes Spiel beginnt mit einem Paradox – und endet in sei-
ner Verdoppelung. – Nur durch das Wegwischen der Spiel-
figuren vom Brett, dem einzig triumphalen und ultima-
tiven Reinigungs-Akt und -Gestus, wäre das zu vermeiden.

Aber dem steht, wer weiß das nicht, die vertigo- oder mal-
stromhafte Magie des Spiels – in den bekannten Cail-
lois’schen Erscheinungsformen – im Wege. – Das ist ja ge-
rade die entlastende Faszination des Spiels: Es gibt kein
Entkommen; in den Sinn. - Aber Geldgewinne und Tro-
phäen. Die stehen da, zum Beispiel, wie am Ende einer Ehe
die Scheidung. Ein Spiel-Ende ohne Gratifikationen wäre
so gesehen höchstens ein Zerwürfnis.

Galaktische Blähungen und Pusteblumen. - Es ist gut und
richtig, den Kosmos selbst für ein Spielkasino zu halten.
Aber eben nur den. - Seine Derivate sind zwergenhafte re-
entries jener weltraumgreifenden Sinnzersetzung, die auf
der Agenda des Universums – also auf dem Spiel - steht.
Die Wissenschaft spricht da auch von Expansion. - Die Al-
ten Inder umkosen die Sache noch mit einem liebevolleren
Wort Lila, in dem – semantisch - mitspielt, dass es die Göt-
ter belustigt. Wenigstens die.

Oder noch einmal; anders: Das Glück ist der Sprung in ei-
ner Rauch- oder Mückensäule. Oder: Wenn dich eine Eis-
scholle 1. butterweich empfängt. Und 2. so tut, als hätte sie
auf dich gewartet. -


4 Es gibt kein besseres Wort dafür, auch wenn es unverständlich bleibt.

30
Ilinx. Aber keinem anderen Ding schwindelt es so gern wie
der Leere.- Hält sie sich denn für einen Uterus? – Für einen,
der sich selbst verwertet?

Wenn der König sich in eine überaus einsame Oase zurück-
gezogen hat und – mit geläufiger Tücke – von einer uner-
warteten Definition erwischt wird - und sich fühlt wie ein
Rumpelstilzchen, das gelogen hat. – Ich möchte dann erst
recht mit keinem König so wenig tauschen wie mit diesem.

Warum will Fausts „trockner Schleicher“, der Famulus
Wagner, „alles wissen“? – Weil er nichts haben kann.

Unverbrüchliche Wahrnehmung beginnt mit Zweien, zwi-
schen denen eine Mauer steht.

Es ist nicht falsch, Marxens Lehre als eine Alchemie des
Wertes zu beschreiben. Benennbar ist aber nur die Mo-
mentaufnahme eines Wertes. Und die ist wertlos.

Wert und Anti-Wert. Es gibt keinen arretierten Wert; auch
wenn er als solcher immer wieder ins Thema gehoben
wird.. – So wie es – ich weiß um die Fadheit dieser Verglei-
che! – keinen arretierten Kreislauf und, sozusagen, weni-
ger noch einen arretierten Leerlauf geben kann. – Deswe-
gen kann auch eine Beschreibung der sogenannten Wert-
schöpfungskette nicht gelingen. Marx wusste das und war
so klug, dass er aus Verlegenheit sein Argument hegelisiert
hat: Nur die Stellen im Kapital sind überzeugend, in denen
er methodologisch, eine dialektische Tarnkappe auf dem
Gedankenhaupt, argumentiert (Einleitung!). In der An-
wendung aber verwahrlost die Methode des Scharfsinni-
gen und -züngigen; und zerflattert in Seg-, ja Fragmente. -

31
Indem er Hegel auf die Füße stellt, wie ihr sein Verfahren
beschreibt, verliert er den Boden unter seinen eigenen.

Wert ist die Gestalt des Wertes qua Metabole; in ihrem
Doppelsinn. Der Austausch von Um-Schlägen. Rasender
Stoff-Wechsel. Um sich das vorstellen zu können, brauchte
man ein Drittes Auge, mit einem archimedischen blinden
Fleck. Oder Sätze wie faustgroße Schwarze Löcher.

Der universale think tank. Aber was würde geschehen,
wenn das Denken weltidentisch würde? – Würden die
Menschen zu Göttern? Oder wäre es noch schlimmer?




















32
V In dem, was nichts hergibt, muss man schwelgen

oder

Beobachtungen im Kukurbit



Mein Denken ist seinem Wesen nach, insofern dem Denken
ein Wesen zugemutet werden kann, physiokratisch. Somit
anachronistisch. Die Welt überholt mich jeden Tag aufs
Neue so, wie die Industrialisierung vor über zweihundert
Jahren das physiokratische Denken überholt hat. Überholt
zu werden bedeutet aber nicht, falsch zu liegen. Dass die
Menschheit es nicht gelernt hat, die Schöpfung zu berei-
chern, das braucht nicht bewiesen zu werden.

Dem sollte eine verschämte Metapher folgen: Eine jede
Wertvorstellung muss unter den gegebenen Verhältnissen
eine Hülse sein. Sie schießt um den Mangel an - wie eine
künstliche Perle.

Sprache wird nur, aber warum sollte sie, als Bruchstück
kristallin. Und nur dann, wenn sie als Ganze aus sich he-
rausgebrochen, wenn sie, sozusagen, rundum Wunde ist,
33
Zeugnis ihrer vollkommenen Selbstverlorenheit, ist sie
auch ganz Kristall. Inbegriff des kristallhaft Schneidigen;
wenn nicht gar einer Heiligen. Außer Dienst.

Wir reden von Wert-Schöpfung, weil wir uns gezwungen
fühlen zu glauben, dass eine Schöpfung aus dem Nichts
möglich ist. Auf dem Umweg zu dieser Überzeugung ge-
sellte sich ein - das Urbild des Fahrenden Scholasten - Gott
zu uns.

On change des la soupe en mousseline. (Jean-Baptiste Say,
Traité d’’economie) Alle affirmativen Theoretiker der
Menschheit müssen von der Hypothese ausgehen, dass
Herstellung und Zerstörung dasselbe sind. – Nein, auch
dieses Bild ist falsch; denn sie dürfen diese Hypothese
nicht hinter sich lassen. Aber sie brauchen sie auch gar
nicht zu beachten. Denn sie sind nicht nur mit ihr verklebt,
sie sind mit ihr verwachsen. – Anders könnten sie das
eschatologische Alltagstreiben nicht kommentieren.

Die menschliche Idee der Wert-Schöpfung erreichte ihre
Vollendung, als Moses mit der Zerstörung des Goldenen
Kalbs die Alchimie erfand – und ihr gleichzeitig eine un-
lösbare Aufgabe stellt. „Wann wir nun dasjenige Feuer
hätten, womit Moses das goldene Kalb verbrannt, und es auf
das Wasser stäubte, und dem Volk Israel zu trinken gab,
Exod. 33 Cap., lass mir solches ein alchemistisches Stücklein
sein von Mose dem Mann Gottes!“ – etc.

Das Karma der Dinge. - Warum liebt der Letzte Mensch, der
„blinzelnde“ (Nietzsche), die Flohmärkte so? - Weil er im
Abfall, den Dingen, die dem karmischen Werte-Kreislauf
entgangen oder entsprungen sind, im Erlöschen ihres

34
Werts, gleichsam im Verpuffen ihrer vertrauten Assimila-
tions-Aura – oder im Selbst-Verzehr ihres Nutz-Werts –
endlich eine Spur von Seins-Würde wahrzunehmen glau-
ben: dignitas entis. – Wer hat dies traurige Liedlein er-
dacht? – Und wozu? –

Wozu? – Zum Zweck der Erschöpfung, da, wo Geschöpf
und Schöpfung sich fanden, zwei symbiotische Schmaro-
tzer, einverstanden. – Dann wäre also die Weltgeschichte
der Prozess, in dem creatio und creatur lernen, sich aufei-
nander zu reimen. – Wäre die Bibel somit eine Art Reim-
Lexikon, in welcher Sprache auch immer; resp. jenseits
ihrer Sprache?

Alle Sinne folgen dem Modell des Mundes. Jede Wahrneh-
mung ist eine Art Nahrungsaufnahme, um den Vorgang
nach seiner nettesten Seite zu benennen. Auch das Denken
muss man, nach der Art des Buddhismus, dazurechnen.
Unser subtilstes Brot, unser Engelsbrot, das sind die Ge-
danken. Aber wir zahlen es ihnen nicht heim, dass wir sie
zerkauen. – Das geht allen Hostien so.

Und die Poren sind die gefräßigen Münder der Haut. Sie
hat ja keine anderen.

Die Idee des Gedankenblitzes ist philosophisch gesehen
seltsam; wenn man bedenkt, dass die Faszination des Blit-
zes wohl darin besteht, dass er, anders als das Feuer, kei-
ner Nahrung zu bedürfen scheint: Der Blitz, so scheint es,
blitzt, zwar kurz, aber ex nihilo. Davon möchte der Ge-
danke profitieren. Wenn die Elemente und Atome Wurzeln
(rizas, Heraklit) der Dinge sind, dann hat der Blitz sie, zu-

35
mindest zum Schein (also um zu scheinen), gekappt. Und
das überwältigt.

„The quantity of fire in a flame
burning steadily apears to remain the same,
the flame seems to be what we call a „thing.“
And yet the substance of it is continually changing.
It is always passing away in smoke,
and ist place is always been taken
by fresh matter from the fuel that feeds it.“

„La quantité de feu, dans une flamme
qui brûle tranquillement,
parait rester la même;
la flamme semble être ce
que nous appelons une „chose“.
Et pourtant la substance
dont elle et faite change continuellement.
Elle se transforme toujours en fumée,
et sa place est toujours prise
par l’afflux du combustible qui la nourrit.“

(John Burnet)

Er saß – kann man das glauben? – in einer alten Kirche.
Und dachte so vor sich hin. Da fiel sein Blick – was nicht
leicht vorzustellen ist – auf die steinerne Wendeltreppe,
die zur Empore führt – wie man sagt. Und er staunte, wie
durchgetreten – so sagt man das ja – die Steinstufen dieser
Wendeltreppe waren. Schwer zu sagen, wie viele Füße
nötig waren, das zu bewerkstelligen. Und er erinnerte sich
daran, dass man sagt, auch Stein ist zusammengesetzt. Wie
Wasser. Stein ist nur weniger flüssig als Wasser. Was war
es also, was diese vielen Füße geschafft haben? Vor allem:
Sie haben Atome freigesetzt. Dass sie auffliegen konnten,
in die Transzendenz; dass sie heimkehren konnten. Alles in
allem: Keine geringe Leistung. Dabei hatten die Füße nicht
einmal geahnt, dass die Steinatome der Wendeltreppe hier
36
heraus wollten. Es gefiel den Steinatomen nicht, in einer
Kirche eingesperrt zu sein, sagt ihr Sprecher. Selbst die
Deckenfresken waren ihnen zu bewölkt. Und ihre Farben
zu schwer. Sie wollten frei sein, für die Transzendenz. Sie
wollten tun, was sie als steinerne Wendeltreppe nur sym-
bolisieren sollten. Da nahmen sie in Kauf, Staub werden zu
müssen, bei ihrem Dreisprung ins Jenseits.

Monolog eines Schöpfers. War denn mir der Bruch in der
Konstruktion nicht aufgefallen? Oder vertraute ich, in
meiner naiven Unfehlbarkeit, etwa dem Begriff der Pass-
genauigkeit?

Ressemblaces ètranges. Immer wenn ich mich frage, und
das geschieht oft, warum ich mich praktisch mit nichts in
der Menschenwelt mehr identifizieren kann, mich in kei-
nem der zehntausend Spiegel wiederfinde, glaube ich, Gott
zu verstehen.

Rückwärts sein Leben aufzufädeln, das geht nicht. Vor al-
lem, wenn es vorwärts auch nicht gegangen ist. Leben
heißt, die Landschaft zu verlieren, die man im Blick hat.
Man endet immer auf einer Nadelspitz. – „Der Zug endet
hier.“

Wahrscheinlich liebe ich die Psychoanalyse so sehr, weil
ich sie für völlig unmöglich halte. Ihre Therapien setzen ei-
nen Bezug des Menschen zu sich selbst voraus, den es
nicht gibt. Daher ihr Heilerfolg, bisweilen. In beliebigen
Kulturkreisen. Daher auch die Aura von Vollkommenheit.

Vom Univoken. Verhalten sein und enthaltsam sein: hier
haben wir den Inbegriff des Luxus, den des einzig denkba-

37
ren. Solcher Luxus ist ehrlich, wie die Farbe Grau (Celan).
So ehrlich wie das Lallen: Stetiger Aderlass, wie ein gleich-
förmig rinnendes Rinnsal aus zwei Quellen: Ein feind-
licher Dialog, von zweien, die für sich nicht und nichts sind.
Man möchte sie nicht einmal mehr nennen. Ihr letzter Ehr-
geiz ist, vielleicht hatten sie nie einen anderen, sich ge-
genseitig mit und in ihrer Hässlichkeit zu übertrumpfen:
So hässlich wie ich kannst du nicht sein, sagt das Schwei-
gen. Ja, weil ich viel, viel hässlicher bin, schweigt das Re-
den zurück. – Wie merkwürdig, dass es ein ästhetischer
Agon sein muss. – Blanchot sah das noch positiver und hat
es deshalb auch eleganter beschrieben.

Es gibt keinen Tausch. Es gibt nur den Wechsel von erset-
ztem Verlust und verlorenem Ersatz. Das leere Rückgrat
des Rhythmus. Das Hinreißende des Tanzes.

Der Zyklon, der Malstrom, jeder Gedanke, sie brauchen ei-
ne Leere, um die sie wirbeln.

Computer können jetzt (Frühjahr 2017) beim Pokern ge-
gen Menschen gewinnen. Die Künstliche Intelligenz kann
endlich Blöffen und Lügen. Sie ist menschlich geworden.

Der Kapitalismus ist das eigentliche Ebenbild Gottes. So-
lange ihm seine Ressourcen unendlich dünken.

Das, was er Schöpfung nennt, ist das Preisgegebene, wovon
sich die Parasiten der Schöpfung schamlos nähren.

(Scham ist eine komplizierte Form des Respekts. Aber wo-
von nährt sich die Scham der Schamhaften?)

38
Das Leben ist die Inkarnation des Verzehrs; und Inkarnier-
tes ist schwer. Die Vögel imitieren mit der Hilfe ihrer Flü-
gel, also mithilfe bewegten Inkarnats, die Schwerelosigkeit.
Aber den Engeln gelingt es nicht einmal, Schwere vorzu-
täuschen. - Es schien ihm absurd, dass sie darunter leiden.

Nur in Ausdrücken wie „Er hat sich wieder einmal produ-
ziert“ liegt noch die wahre Bedeutung von Produktion: Was
vorgeführt wird, das ist eben das nihil selbst. Nur echt – ex
nihilo.

Wir müssen die Argumente – nach so viel Ideengeschichte
– wieder entzeitlichen, um ihnen eine gleichsam ewig kur-
rente Bedeutung zu geben.

Die Forderung Zurück zu den Sachen! ist die denkbar un-
verhohlenste Ranküne derer, die nicht erkennen wollen.

Wir müssen, was zwischen Ding und Gedanke geschieht,
richtig benennen lernen. – Etwa: Ding und Gedanke fixie-
ren einander. – Dann neu anfangen.

(Aber vergessen wir nicht: Wirklich neu anzufangen be-
deutet, die notwendige Auflösung, die uns hierher geführt
hat, bis zu den erwartungsfrohen Resultaten verzehrender
Wahrnehmung, der einzig möglichen, rückgängig zu ma-
chen.)

Unendlich erschien ihm nur das Maß der Verletzlichkeit. –
Nein, er sagte: Vulnerabilität. – Es sollte in den Ohren der
anderen affektiert klingen. –

39
Survival Kit. – Zu den überlebensnotwendigen Irrtümern
gehört - in erster Linie - der, dass es ein Zurückfinden ge-
ben könnte. Aus Selbstliebe leugnen wir sogar das Wenige,
das wir über die Zeit wissen.

Vita activa. Der Ehrgeiz des Drucks ist es, die Druckplatte
zu verzehren.

Das sachlich Fremde an der Identität ist, dass du sie nicht
loswerden kannst. Es ist ihr Auftrag, dich im Griff zu ha-
ben.

Dia-Gnosis. Wenn die Imagination aggressiv wird, steht die
Epoche am Rand ihrer Leistungsfähigkeit.

Es ist falsch zu sagen, die Zeit stresst die Menschen. – Es
verhält sich umgekehrt.

Ein Satz ist gut, wenn er als Schaufensterscheibe die Welt
in die Nähe entfernt.

Dem Schicksal begegnen als wolltest du es überraschen. –
Freilich gibt es alternative Häresien.

Ein Attribut kann nie mehr sein als die Attitüde, die für die
Zuschreibung des Attributs verantwortlich ist.

Aber für die Götter, das ist längst bekannt, ist das Glück
kein Argument. Es wird freilich zu selten gesagt, dass sie
sich auch die Hände nicht waschen. Vielleicht hätten sie es
nötig. Aber sie kommen nicht auf die Idee. Es fehlt ihnen,
mithin, das Motiv.

40
Es ist legitim zu glauben, dass die Liebe aus Mitleid mit den
Göttern entstanden ist.

(Gut, dass du mich aufmerksam machst. – „Gott“ – das ist
bei mir immer ein Deckname. Ich sehe in den Göttern
informelle Mitarbeiter der Schöpfung. – Ob es bei der Stasi
einen „Jahwe“ gab? – Denkbar.)

(„Schöpfung“ ist auch so ein Deckname. – Was sonst!)

Was die Jetztzeit verbittert, ist, dass auch der geregelte
Verzicht geahndet wird. Existentiell.

Ich hatte mich sehr jung entschieden, Geld zu sparen, da-
mit, eines Tages, mein Leichnam von einem Helikopter in
den Ätna gestürzt werden kann. Ich habe versäumt, damit
anzufangen. – Nicht aus Feigheit. –

Der Teufel hat, erstens, den Schnaps, aber auch die Schön-
heit gemacht; um unseren Geschmack zu verderben. Damit
unser Gaumen und unsere Augen für Eden nicht mehr
taugen. Und unsere Zungen, veritable sekundäre Analpha-
beten, nicht mehr adamitisch buchstabieren können. –
Tragisch für einen Gott, von dem es heißt, dass er am
Anfang das Wort war.

Dann wäre der Teufel, zweitens, - sehe ich das richtig? -,
der eschatologische Logopäde. – Ein retrograder Logopäde
mit einem eigentümlichen Berufsethos. – Aber in der
Durchführung, das muss ihm der Neid lassen, genial.

(Er näherte sich, sehr langsam, dem Satz, den er schreiben
sollte. Als säße er in einem Bus. Als sei sein Leben ein road

41
movie auf der Suche. Nach einer Kamera. - Aber den Ver-
zweifelten ist nicht zu helfen. Sie kommen einmal in einer
Stunde, klapprig auf klapprigen Fahrrädern, an Biergärten
vorbei, lehnen sich an den Zaun, schauen uns ratlos an,
und fahren weiter. Unterwegs gewinnen ihre Glatzen an
Format. Auch die ihrer Seelen.)

Und wenn man, drittens, den Teufel als animierte Meta-
pher bemüht, um uns den kurrenten Zustand der Welt, wie
es heißt, plastisch vor Augen zu stellen, kommt man nicht
umhin, ihm Respekt zu zollen. Sein Einfall, das Bewusst-
sein der Menschen, auch in außerchristlichen Kulturräu-
men, an die wesenlosen Bruchstücke der Schöpfung zu
heften oder festzunageln, hat ihn unbesiegbar gemacht.
Zur Indignation Gottes.

„Ich kenne keinen Gaumen-, nur Gehirn-Kitzel.“ (Jean Paul)

Er sagte einmal, leise, um sich nicht lächerlich zu machen:
Natürlich gibt es viele Wahrheiten, sogar viele, deren Ent-
decker ich beneide, aber nicht bewundere. Leider fehlt
diesen Wahrheiten die metaphysische Pointe. – Weil die
Denker unter den Menschen ihre anscheinend einzige Den-
ker-Freude daran finden, ihren Wahrheiten die Pointen
auszureißen, auszuzupfen, wie Federn. – Nach einer sol-
chen Prozedur stehen selbst Engel gerupft und sozusagen
weltfremd da.

Als Theologe, auch das sagte er leise, muss ich zugeben,
dass man die Situation, in der man einen Anfang finden
könnte, nie beschrieben werden kann; und dass die Escha-
tologie sich noch immer seltsame Methoden zur auto-ex-
termination ausdenkt. Kapitalismus. Neoliberalismus. Kul-

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turindustrie. Esoterik. Soziale Netzwerke. – Dann ergänzte
er noch einer närrische Allegorie: Wie wenn du einen wei-
ßen, schwarz-gesprenkelten Hund nachhaltig schwarz ein-
färbst, um ihn zu definieren – oder gar auf seinen Punkt zu
bringen. – Immerhin lässt der Zusammenhang ahnen, wel-
che Bedeutung dieser eingefärbte Hund für die Deutung
der Weltgeschichte haben konnte.

Wenn er einmal gut gelaunt war, sagte er gerne: Das Ende
von Eden hat die Schöpfung zu einer Fall-Studie gemacht.
Von Anfang an stürzt sie ihrem Ende zu, imitiert also ihren
Anfang. Mehr nicht. Dem Gedanken der Entropie muss
noch ein Richtungs-Sinn gegeben werden.

Wenn Groddeck recht hat, ist Sehen wie Schreiben und
Denken: „Der Sehakt [enthält] in sich nicht bloß das Sehen
des Sichtbaren [...], sondern ebenso das Nichtsehenwollen
von Sichtbarem, das Verdrängen dessen, was gesehen
werden könnte.“ – Der Denkakt enthält in sich nicht bloß
das Denken des Denkbaren, sondern ebenso das Nichtden-
kenwollen von Denkbarem, das Verdrängen dessen, was
gedacht werden könnte... – Aber gilt das nicht für alles,
auch das Leben und jede Art von Glauben?! – Und der Va-
ter aller Dinge, sozusagen, wäre ein ermöglichender De-
fekt. Ein Defekt, der mit einer formschaffenden Kraft be-
gabt ist, einer virtus formativa, wie bei Albertus Magnus
auch ein Ort, locus, zum Beispiel.

43

Der Blick des Menschen bricht, wenn er zum ersten Mal in
die Welt blickt. - Sein erster Blick schon in einen Spiegel
kann nur ein gebrochener sein. –

Du musst denken, als würdest du verstehen, dass du so
nicht denken kannst. – Aber die Leistungen des Denkens
beweisen, dass der Selbstzweifel ihm nicht gelingt.

Ohne es zu merken, denken wir uns, wo und wann es auch
sei, einen Kontext hinzu; lange bevor wir überhaupt zu
denken beginnen können. Ein dunkles Verfahren, Refe-
renzen zu ermöglichen, ein Verfahren, das nie wieder
mehr so präsent sein wird wie als es unbemerkt begann.

Als wäre das Denken die Form der Rücknahme, das Ver-
gessen seiner Ermöglichung. Seine Evidenz-Formen sind
seine Residual-Formen. Die Dinge verhalten sich also prä-
zise so, wie wir sie hervorrufen aber nicht haben wollen.
Und wir verklären sie doch im Namen der Evidenz und der
Macht des Faktischen. In der Politik heiligen wir sie verbal
als Katastrophen. Als etwas, an das unsere Verantwortung,
ach, nicht heranreichen kann.

Bulbus olfactoris. Unsere Gedanken kommunizieren mit
der Welt fast wie der Riechkolben. – Denkt darüber nach,
was dieses fast bedeutet. Es weist auf den Unterschied zwi-
schen Duft und Ding.

Eli, Eli, lama asabtani? Das Leben hat auf seine Bedeutung
verzichtet. Jesus sagt (nur hier): Ich kam zu früh und habe
zu leise geredet. Und: Es ist, Vater, eine furchtbare Not-

44
wendigkeit, ein Leben geistig zu vertun, um die Fragen
stellen zu können, mit denen es hätte beginnen sollen.

Das Leben ist das Verdrängen seiner Möglichkeiten. Zwar
ist dies Merkwürdige nicht in ihm angelegt; aber es befällt
das Leben, in dem Augenblick, in dem es beginnt. Es wirkt
wie ein leitendes oder lenkendes Regulativ, das mit einem
Auge sich anschielt.

Denken ist: Wie an beiden Ohren gepackt über einen spei-
enden Vulkan gehalten zu werden, damit die Ohren ein
wenig geschützt sind.

Heirate das Weib, nicht die Gestalt! – Das soll ein altes deut-
sches Sprichwort sein. Dahinter, scheint mir, steckte noch
ein großer epistemischer Optimismus.

Das Ideal eines Wellness-Hotels wäre eine Metallkugel, an
Stahlseilen über den Krater eines „tätigen“ Vulkans ge-
hängt.

Der Wettstreit dunkler Worte scheint darin zu bestehen,
sich gegenseitig in den Schatten zu stellen.

A: Da staunst du, was! – O: Nein, ich frag mich nur.

Dass dein Fuß nicht an einen Stein stoße. - So getragen zu
werden bedeutet freilich und zwangsläufig auch, keinen fe-
sten Boden finden zu können.

„Sie gebären rittlings über dem Grabe: der Tag erglänzt ei-
nen Augenblick und dann, von Neuem - die Nacht.” (Be-
ckett)

45

Epitom und Exempar. Fülle, wenn du sie genau besiehst, ist
ein Futteral; oder auch ein zugenähter Sack, in dem ein
aparter Gebärneid rumort: Inbegriff und Muster des Neids
auf sich selbst. – Und wer es nie gekannt, der stehle, wie-
nend, sich.

X meinte dazu: „Das ist kein Wunder. Wie könnte einer, der
ehrlich ist oder gar kreativ, sich gerecht werden. Er müsste
sich von sich unterscheiden und zugleich so identisch sein
wie kein anderer. Dass er da im zugenähten Sack rumort,
das ist echt kein Wunder.“

Aqua valens. Und immer ist die Erinnerung, eine Wölfin im
Schafspelz. – Und das Vergessen, ein Schaf im Bauch der
Wölfin, rettungslos amalgamiert. – Dem ist kein Scheide-
und kein Königswasser gewachsen.

Stapelia discolor. – Wenn Gedanken keine viel- und fehl-
farbigen Ekelblumen sind, geraten sie in Gefahr zum Dekor
veredelt zu werden.

Ihr wollt wissen, was ich tue? Fragte X. Und antwortete: Ich
suche in einem unendlich großen Haus, das, wie ich weiß
und alle glauben, nur einen Eingang hat, nach Hintertüren.

46


Was immer ist, ist dadurch bestimmt, dass es zu nah - und
zu eng beieinander ist. Die Städte, das Auge, das Haar.

Wenn plötzlich, auf der flachen Erde, Rebstöcke stehen
und dich das Vergessene verleugnet, dann will die Zeit dir
wohltun. Dann räumt sie in ihren Taschen auf. Dann regen
sich die Uhren und die Metronome wie verträumt.

Die Wahrheit ist; aber außer Rand und Band.

Die Welt kannst du dir nur noch einbilden. Das wird deine
Vorstellungen übertreffen.

Statt Ticken süßer Staub (oder etwas Vergleichbares).

„Wie mir Deine Beine abgehen!“ – Sagte der Dichter, der
sich die Zeit als eine beschuhte Schönheit imaginierte.

„Die überlangen Finger, die der Mensch im Spiel der Schö-
pfung hat, sind immer schmutzig, - Wie kann das sein? –

47
Das ist seltsam und wirklich nicht selbstverständlich.“ (Lu-
cifer)

Lust ist die kurze Präsenz geklärten Begehrens. Unter der
Bedingung zustande gekommen, dass Klärung, sachlich
betrachtet, eine Art von Aus- und Leerräumen ist. Ein
Platzschaffen. – Die Präsenz des Glücks ist eine Präsenz
der Destruktion.

In diesem Sinne meinte es wohl X, als er sagte: „Das leere
Blatt fängt an zu singen, wenn, getroffen, Mallarmés un-
leugbares Pathos von ihm5 abgeglitten ist; diese lang schon
schlotternde Culotte.“

Midas: Das Modell für die Rache des Eigenwerts. (X: Was
soll denn das heißen?)

Die betörende Hübschheit verlassener alter Alleen. – We-
nigstens so weit muss die Menschheit noch kommen.

666 plus Alpha: - Also sprach X: Die Perversität deines
schein-klassizistischen Tons ist ekelhaft. - Y: Ich sehe, sie
spricht Dich an. Sie ist die letzte Milchstraßen-Hure. Nur
sie erfüllt noch das babylonische Format.

Welch flachen, ja modesten und zeitgemäßen Begriff er
von der Wahrheit hatte, zeigte sich immer, wenn er auf die
Frage Was ist ein Gobelin? In eines entsprechend ausgestat-
teten Museen irgendwo in Frankreich ging, mit seiner Pin-
zette einen Faden aus einem der legendären Wandbehänge
zog oder zupfte und nach seiner Rückkehr, dem Frage-


5 - dem Blatt

48
steller jenen Faden vor die Augen haltend, sagte: Das hier
ist ein Gobelin.

Auf Schildern, die, zum Beispiel, zum Eintreten verlocken
sollen, sehen Herzen manchmal wie rote Zähne aus, die
gezogen werden sollen.

Wenn es überhaupt eine Himmelsleiter gibt, ist es das
Leben, das uns träumt und uns dem Jüngsten und Letzten
zuführt; uns gleichsam ans Ende verfüttert.

Leben bedeutet freilich auch ein Knirschen, von Kieseln,
Atmen und Lärm, aber auch, in einen Hautsack, einem ge-
schlossenen Sammelgebiet, durch sehr weite Landschaften
zu laufen.

„Du gehst um die Dinge herum.“ – sagt ihr? – Ja, das seht
ihr richtig, ihr lieben Mit-Geblendeten. Ich möchte ihnen
nahe kommen. Wie es schon andere wollten. So oder so.



Wenn du die Stacheln der Zeit spürst, dann ist sie dir haut-
nah gekommen. Dann kannst du dich an sie schmiegen.
Aber tu ihr nicht weh.

49
A: Vorboten sind verblüht, wenn es losgeht. – O: Und Mis-
teln6 sind immergrüne Halb-Parasiten. - A: Auch Heil- und
Wunderpflanzen. – O: Oft als Götter-Geschenke ästimiert
und verehrt. – A: Ein Netz von Himmelsleitern. O: Könnte
man sagen. Zumal wenn man deine Phantasie und deine
schlechten Augen hat.












VI Kleiner Nachtrag für Pierre Klossowski

1


6 auch Donnerbesen, Druidenfuß, Hexenbesen, Hexenkraut, Wintergrün, Bocksbutter, Albranken,
Vogelkraut, Kreuzholz genannt

50
Das ist nun mal so: Wenn die Transzendenz erscheinen
will, muss sie sich deine Imagination ausleihen. Nur wenn
du ihr erlaubst, sich deiner zu bedienen, gibst du ihr eine
Chance.

2
Die Menschen gehen ins Theater, weil ihnen die Wolken zu
viel zu denken geben.

3
Daher kommt der Verdacht, dass viele gekränkte Wolken
gerne incognito die Logen bevölkern. Man erkennt sie, sagt
man, an den großen Ohren; die sich ihrer Konturen unsi-
cher zu sein scheinen.

4
Auch Wolken können mit ihrem Verdruss nicht maßgeb-
lich umgehen. – Aber, was trag ich da wieder Eulen nach
Athen!? –

5
Seine Gedanken verursachen einer etwaigen Seele Migrä-
ne, weil sie nicht zu verstehen geben, wie sie zu verstehen
sind.

6
Seine Gedanken wirken grobschlächtig, weil sie nur eines
zu sagen scheinen: Denke anders – oder gar nicht! Und
keine Antwort geben auf die Frage: Wie soll ich dann in
dieser Welt überleben. – So einfach kann man das formu-
lieren, was die Aufgabe eines Messias wäre.

7
51
Wir trauen der Transzendenz nicht, weil sie sich nur sehen
kann, wenn wir uns ihr als Spiegel anbiedern.

8
Transzendenz ist nur, wenn sie uns als Zuhälter anerkennt.
(Sie wird in dem Bild, das ich mir von ihr mache. Ich bin ihr
Schöpfer. Aber nur von ihren Gnaden.)

9
Bevorrechtet sein. – Was für ein rätselhaftes Wort. - Wenn
es ein Vorrecht gibt, hat es den epistemischen Status eines
versehentlichen Wunders. Eines appetitlichen und wün-
schenswerten Mirakels.

10
Ins Lot bringen. Wir sind die Moorsoldaten.

11
Ein von wem oder wie auch immer verfügbares Wunder –
ist nie Diebesgut und kann uns gestohlen bleiben.

12
Gibt es das Wort Spiegel-Masken? – Eine drollige Vorstel-
lung: Masken, die nach vorn und hinten spiegeln. Und da-
zwischen raumlos sind; wie ein Punkt (sein soll).

13
Hinterhöfe. Das Problem ist das Zustandekommen. Nicht
die Funktion des Zustandegekommenen. Wir Menschen al-
ler Couleur (die vor allem!), haben uns längst entschlossen,
nur über die Funktion des Zustandegekommenen noch
nachzudenken. Ich bezweifle, dass das Sinn macht. – Es
macht keinen Sinn. (X)

52

14
Cosa rara. Warum ist das Zustandegekommene für uns ein
Problem? – Weil die Schöpfung (im Sinne George Lemaî-
tres oder auch nicht) an nichts anderem als ihrem Zustan-
degekommensein gescheitert ist.

15
Aber die Viskosität der Götter kennt kein Geschlecht.

16
In Leda macht sich Zeus als Schwan zum Mann. Bei Offen-
bach tut er es in Eurydike als Insekt.

17
„Existentiell gesehen ist die Frau für den Mann der karrie-
refreie Zugang (zum Mannsein) par excellence.“ (X)

18
Gleichgeschlechtlich Liebende täuschen sich erfolgreich in
allem. Das ist ihr Glück. Und macht sie beneidenswert. –
Aber das scheint ihnen nicht klar zu sein. – Ob Täuschung
oder nicht: Ins Normale verschmockte Jenseitigkeit – be-
leidigt die Engel.

19
Wir reden
von den Dingen
falsch
aber gehorsam


20

53
„Die Sprache ist der feinste Linienteiler der Unendlichkeit,
das Scheidewasser des Chaos, und die Wichtigkeit dieser
Zerfällung zeigen die Wilden, bei denen oft ein Wort einen
ganzen Satz enthält.“ (Jean Paul)






.




VII limis oculis aspiciens
sich bei den Dingen aufhalten -

54
immer schon unterwegs zur letzten Brücke7

- mit Gebrauchsanweisungen –












Wie halten sich Schmetterlinge bei den Dingen auf? – Fast
schwerelos. Das heißt doch, dass ihr Aufenthalt ziemlich


7 Mit einem Dank an den Vollzugsgehilfen und –beamten Heidegger!

55
haltlos ist. Zur Strafe spießen die Sammler sie dann nach-
haltig auf.




Etwas ins eigene Wesen freilassen. – Das sei, meint Hei-
degger die eigentliche Bedeutung von retten. Das macht in
der Tat Hölderlins da wächst das Rettende auch plausibel.
Für fixierte Schmetterlinge scheint das nicht mehr zu gel-
ten.

Was hält sich wo auf und bei wem? - Es gibt keine ur-
sprünglichen Attribute. Sonst könntest du sagen: Die Seele
ist ein Attribut des Körpers. Oder auch: Der Körper ist ein
Attribut der Seele. Aber so zu reden wäre sinnlos.

Jedes ursprünglich Mitgegebene ist kein Attribut. Ein Attri-
but kann nur ein Hinzugekommenes sein. Ein Mantel, Ein
Hut. Eine Brille. – Augenschwäche kann und sollte biswei-
len als ein Attribut gedeutet werden.

Allein Liebende können, zwangsläufig und im besten Fall,
einander Attribute sein. Dieses Einander-Sein und Beiein-
ander-Aufhalten rettet das Attribut-Sein; im Sinne Heideg-
gers.

56
Es ist dann, wie wenn sich nachträglich herausstellt, dass
etwas ursprünglich ist, etwa eine Identität. Oder ein Hass.
Oder auch eine Heiterkeit. Die Idee der Erb-Sünde chan-
giert: Die Erb-Sünde ist ein Attribut und auch wieder nicht.
- Alles, das es nicht gibt, muss sich durch die Geschichte la-
vieren.

Etwas in den Wind schlagen oder sich dadurch bestürzen
lassen. – Eine von Heidegger verbürgte Fundamental-Alter-
native. Und der Mensch ist (nur) der Bezug der Entspre-
chung.

A: Die Krawatte bleibt ein Attribut. Die Sprache auch.
Adam hat anscheinend doch versagt. Und versagt immer
noch. Secundum non datur. - Warum nur? – O: Eden war
eine Retorte, vergessen wir das nicht. Dann brauchen wir
uns auch nicht so viele Fragen zu stellen. Und unser Unver-
ständnis fliegt auf wie Goethes mutwillige Sommervögel
(Schmetterlinge!) es tun.

Die Art unserer Wissenschaft ist es, im Sand zu stochern.
Das Stochern ist nicht das Problem. Hermes tat es, wie wir
wissen, auch. Aber er - stocherte in Wolken.

Identität. Brückenloses Zusammengehören.

Etwas, das das Gepräge zwiefältiger, ja gegenstrebiger In-
ständigkeit hätte, könnte uns, wenn wir nicht auf der Hut
wären, zu der Hoffnung verführen, dass man in ipso mome-
nto auf zwei tektonischen Platten zu balancieren vermag.

57
Wir sollten das nicht für unmöglich halten, für das uns kei-
ne Sprache einfällt. Jede Sprache kann möglich werden. Ihr
Geburtskanal hat zwar einen infernalischen Zuschnitt.

A: Wenn du jemanden existentiell diffamieren möchtest,
mit einfachen Mittel, dann sag zu ihm, als äußertest du
eine Grußformel: Ich schäme mich für dich. –
B: Und einen ärgerlichen Nachbarn, das ist keine Anwei-
sung sondern ein Geheimtipp, mache zu einem Däumling;
dann hast du leichtes Spiel.

Der blinde Fleck ist eine logische Notwendigkeit. Er darf
aber nicht flächendeckend werden. Ideale Hirten- oder
Treib-Hunde müssen ihn von allen Seiten behüten und be–
drängen, damit er sich auf sich besinnt. Nur ein besonne-
ner und zugleich modester blinder Fleck ist ein guter blin-
der Fleck. Vielleicht kannst du auch sagen: Nur sein Fast-
nicht-Sein macht seine Vollkommenheit und Brauchbar-
keit aus; es macht ihn aus.

A: Wofür ist ein blinder Fleck durchlässig, wenn er durch-
lässig ist? – B: Aber vielleicht ist das ja in der Tat zu viel
verlangt. Und zu viel gefragt.

Hast du - nicht auch - den Eindruck gewonnen, dass der
Mensch ein Beugungsanhängsel, wie einige Grammatiker
das einmal nannten, der Schöpfung ist?

A: Der Astralleib, um endlich einmal einen esoterischen
Begriff zu verwenden, ist krank. Ich beschreibe ihn aus
verschiedenen Blickwinkeln, bis in seine Geheimfächer,
car: ce corps est bourré des compartiments secrets, nicht,
um seinen Zustand zu beklagen. Das wäre albern und zu

58
spät. Ich versuche vielmehr, als könnte man seine astrale
DNA, besser noch seinen metaphysischen genetischen Fin-
gerabruck, ermitteln, zu erkennen, woran und warum er
erkrankt ist. – Wie ich mit dieser Erkenntnis umgehen
werde, das weiß ich nicht.

59
O: - Und warum er sich dennoch, erschöpft von der Schö-
pfung, als Hülsen-Kreatur, die ihre Kreativität mit reser-
vierter Lust missbraucht und achtlos spermatisch vertan
hat, rastlos durch das Licht schleppt? Je schneller, desto
schwerer, wie die Physik behauptet. –
A: Wenn man das so, quasi im Jargon der Wut-Denker8
sagt, trifft es seinen Zustand ziemlich genau.

A und O: Ein in sich Erloschenes., gegen das ein jedes Nir-
wana immun ist.

Jargon der Eigentlichkeit: Eigentlich keine kritische Quali-
fizierung - Besagt es doch: Hier haben wir es mit einer ei-
gentümlichen Sprache zu tun; die aber keine Privatsprache
ist. Also eine mögliche Sprache, die Überraschungen heckt.
– Und das ist drum eben lobenswert; weil sie Unmögliches
begehrt (Goethe).

A: What is it men in women do require? / The lineaments of
Gratified Desire. / What is it women do in men require? /
The lineaments of Gratified Desire.” (Blake) – Wie die Iden-
tität sich zum Gehäuse des anderen zerbricht und so bei
sich unterkommt. - Signifikant und entscheidend ist mithin
der Umgang mit dem Objekt. Wenn es existentiell ernst
wird, spielt das Begehren und spielt auch die Lust des
Subjekts keine Rolle mehr. Es zeigt sich statt dessen ein
zweites Begehren, welches das erste überlagert und an-
nihiliert. Es ist das Begehren, die jouissance ins Objekt zu
verlagern und zu beobachten. Vielleicht meinten Pierre
Klossowski und William Blake etwas Ähnliches: the linea-
ments of gratified desire. – das klingt verführerisch ver-

8 Die wurde zu einer Zeit (2017) geschrieben, als die Spezies der -Bürger“ sich die

Zukunft anmaßen wollte..


60
gleichbar, ist es aber, denk ich, nicht. – O: Denn es geht um
einen mehr als radikalen Austausch, eine, sagen wir: Per-
version im Quadrat: Wenn die eigene Lust zurückkehrt,
nachdem der/die/das Andere sie unüberbietbar assimi-
liert hat; und dem Subjekt, sag ruhig: dem Täter zuwirft,
wie einen monströsen und missbrauchten Küchenlappen
aus der Haut des Herrn de Sades. - So müssen die ultimati-
ve Lust der Dialektik und die welt-gerichtliche Dialektik
der Lust aussehen. Wenn sie schon gewesen sein wollen. –
A: Damit eine Schöpfung sein kann, musst du, denkt Gott,
damit anfangen; ohne Rücksicht auf dich selbst.

Auch Archimedes sagte nichts Blödes, u,a,: Es ist wie der Un-
terschied zwischen hingezählter und verzählter Musik.
Dazwischen liegen Welten, die zu explorieren interessant
und seinsförderlich ist. Denn es gibt diese zu einem Hauch-
Punkt zusammengeschnurrten und –gezurrten Welten, in
denen nur ich mich zuhause fühle.

O: Er hatte sich immer gefragt, warum die Engel auf einer
Nadelspitze tanzen? – Jetzt wusste er es: Weil sie wegen
engelischer Myopie vermeinen, es sei ein archimedischer
Punkt. - A: Er hatte sich auch lange die Frage gestellt, ob
die Früchte des Denkens Früchte der Passion, oder ob die
Früchte der Passion Früchte de Denkens sind. – Bis er be-
griff, wie unsinnig es ist, sich diese Alternative auch nur zu
denken.

A und O: „Aber vielleicht will der Mensch denken, und
kann es doch nicht.“ (Heidegger)

Die Angst ist nicht umschiffbar. Sie steuert ja das Schiff. –
Man müsste, wie Nietzsche, umsteigen.

61

Wie Welt wird alles das gewesen sein, was der Fall sein
sollte. – Der Motivation dafür auf die Spur zu kommen, ist
vielleicht unmöglich. Es sei denn, du schafftest es zuvor,
dich zu transzendieren; dieses Wort in einem runderneu-
erten Sinn genommen. –

- Das hat einen einfachen Grund. Du darfst nicht Teil der
Fälle sein, die gewesen sein sollen. Teil des Geschehens zu
sein bedeutet, anfänglich und letztlich, eine ultimative
sinnliche Stumpfheit. Wahrnehmen ist und meint hingegen
transzendieren, in unserem Sinne. Transzendieren meint
und ist hier: Alle Sinne zum Denken bringen, die ganze
Haut der Seele. - Und wenn die Seele dann rundum hap-
tisch ist, kann sie sich in die Transzendenz stürzen, in den
Krater, die Wunde, in diese Unendlichkeitspore und -pose.

A: Ah, daher die Rede von der Runderneuerung als promi-
nenter und empfehlenswerter Form der Transzendierung.
O: Du siehst, solange deine Methode welt-immanent bleibt,
denkst du wie eine konditionierte Maus. Oder wie die Ver-
suchsleiter, gen. experimenters. - A: Warum sagt man denn
nicht Transzendation – nach dem Muster von Oxidation? -
O: „Die Sprachpolitik der Engel ist flatter-, gar rätselhaft.“ –
Das hast du mir einmal gesagt, wenn ich mich richtig erin-
nere. A: Oh. -

„Um es ins Jenseits zu versuchen, brauchst zu eben einen
Steigbügel oder eine Himmelsleiter, auch manchmal Tu-
gendleiter genannt.“ (Jakob, apogryph) – A: Was freilich für
nichts eine Garantie ist. Aber als Orientierung für Wahr-
heitssucher bleiben solche Helfer unverzichtbar. O: Nach
Gebrauch kannst du sie – wie es bekanntermaßen Wittgen-

62
stein empfiehlt – ins Sublunare – oder auch noch tiefer –
zurückschicken. -



„Das Amt der Philosophie ist der leibhafte Moses.“ (Ha-
mann) – A: Aber wer klettert schon unablässig und Tag für
Tag, als alttestamentarischer Siyphos, auf einen zumindest
partiell außerweltlichen Sinai - ?! - O: Obendrein ist es
leichter, immer wieder einen Stein, wenn auch ächzend,
auf einen Berg zu rollen, mit der Absicht ein leeres Grab
damit zu versiegeln oder nur einen Auftrag erfüllen,, als
steinerne Gesetzestafeln heil einen Berg hinunterzutragen,
und sie dann, vor lauter Zorn über eine auserwählte Bande
von Götzen-Anbetern, mit Nachdruck fallen zu lassen. Nur,
um diesen Akt pädagogischer Zerstörungswut, im aurati-
schen Umfeld eines Goldenen Kalbs, eine Weltgeschichte
lang bereuen zu müssen. – A: Immerhin imitiert man damit
ja das Schicksal des Schöpfers.

Altwerden bedeutet, auf die schönen und sinnlosen Ablen-
kungen keinen Wert mehr legen zu können.



63

„Nach oben verworfen, zutage, überquer, so /
liegen auch wir“

(Celan)



























64
VIII Tour de voir
oder
Aquarium mirationis stuporisque


Je vois la suite !
Ma sagesse est aussi
dédaignée que le chaos.
Qu'est mon néant, auprès
de la stupeur qui vous attend ?

Rimbaud


Quod accipit auget. Durch das, was du abwerfen möchtest,
musst du zunächst hindurch. Denn verachten darfst du nur
das, dem du unendlich vertraut warst, was du gesteigert
hast, für die Länge eines kleinen Tods, wie die Leute das
nennen; oder eines Toasts auf den Heiligen Geist.

(A: Vertraut sein? Was meinst du damit?
O: Nähe.
A: Und was ist das?
O: Totale Konfrontation.)

O: Triff mich in der Maske. Es gibt Formen, von denen die
Signifikanz abgleitet und abfällt. Wenn die Hülle der Be-
deutung zu groß ist. Das meint auch der Volksmund, wenn
er einen Charakter als zu glatt denunziert. Glätte in seinem
Sinn, lässt keine Deutung zu. Und bleibt somit insignifi-
kant. Das gilt auch für die von den Modejournalen propa-
gierte Schönheit. A: Aber die jahreszeitliche changieren-
den Kreationen der Haute Couture sollen ja auch nicht an
den Körpern der models haften und hängen bleiben. Das
wäre zwar köstlich; aber absurd. Promotet werden kann
65
nur, was auch imstande ist den Ort zu wechseln. – Markt-
gängige und handelsübliche Schönheit der vorherrschen-
den Art bietet oder erlaubt dem Attribut, wenn es hoch
kommt, nur einen one night stand. Lieber aber hat sie ei-
nen Quickie. In einer Umkleidekabine oder einem Schmink-
raum. –



Denn die Hermeneutik kennt nur Schleichwege. Wenn sie
das Fliegen nicht vorzieht.

Disgressions inutiles. Aber prêt-à-porter. – Insofern unter-
schieden sich Aphorismen und ein polierter life style nicht
sehr und nicht mehr voneinander.

Das einzige Modell, das einem Satiriker als postfaktisch-
regulative Idee noch vorschweben, und die er den Nasen
seiner Nachbarn – denen mit den verbrannten Augen und

66
den verdampften Seelen - noch auf- und draufsetzen kann,
- das ist die Spaß-Brille.

„Des Weibes Leib ist ein Gedicht, / Das Gott der Herr ge-
schrieben / Ins große Stammbuch der Natur, / Als ihn der
Geist getrieben.“ – Dass hier grade bei Heinrich Heine eine
abendländische Tradition eine quasi überpatriarchalische
Pointe findet, das finde ich seltsam. Bei Horaz, zumindest
in der Deutung des Conrad von Hirsau, ist der Körper der
Frau noch das Modell vollkommener literarischer Schön-
heit überhaupt. Auch wenn diese Form von ihrem eigenen
Geist getrieben und hervorgetrieben ist. – Die greifbar ge-
wordene Idee ihrer selbst, pseudohegelsch gesagt. – Con-
rad schreibt, dass Horaz das Ideale Gedicht im Bild einer
schönen Frau (Poetria oder Poetrida) verkörpert sah, die
für ihn den Inbegriff literarischer Vollkommenheit dar-
stellte: „ipsum operis sui principium quasi mulierem su-
perne formosam premonstrat, per quam ipsam materiam
vult intelligi, in qua vel ex qua sententiae sund vel proce-
dunt, quae corpus totius operis congrua rationum dispo-
sitione perficiunt.“ (Dialogus super auctores sive Didasca-
lon, um1130)

(O: (beim Wein) Wheels within wheels. Alle, wirklich alle,
scheint mir, reden vom All-Zusammenhang der Dinge, der
Zeichen. Die Welt ist als ein Knäuel aus Knäueln und als
Gewölle erkannt und anerkannt, aber nicht durchschaut. –
A: (beim Pfeifenstopfen) Doch nimmt es, konsequenter-
weise, niemand ernst. Denn sonst würden sie ja anders
handeln und denken müssen. Und das kann keiner von
sich verlangen. O: (stimmt trinkend, mit geschlossenem
Mund, zu ))

67
Als K. Lagerfeld einmal für eine Kampagne eine Japanerin
ausgewählt hatte, was auf Verwunderung stieß, sagte er:
Ich brauche ein Mondgesicht, ein Gesicht, das nichts aus-
drückt, um damit etwas ausdrücken zu können. Fellini hat-
te die Besetzung seines Casanova mit fast denselben Wor-
ten begründet. – Damit bewiesen zwei Praktiker, dass
Theoretiker nicht selten mehr wissen.

Überhaupt lebt die Haute Couture nur von der Unmöglich-
keit ihres Unterfangens, wie die ganz hohe Couture, die
Schöpfung auch; freilich als deren merkantile Karikatur. –
Aber ich wiederhole hier nur Weltwissen.

Wenn dein Bewusstsein kein Kuriositätenkabinett wäre,
brauchtest du eine Therapie.

Über ihr Elend lachen, mit der gottgegebenen Stehträne im
Auge, können nur die Betroffenen. Die Verantwortlichen
haken es ab. - Daran wird auch das Letzte Gericht keinen
Faden abbeißen.

Gedanken, die dir zu Gebote stehen, vergiss! - Oder lass sie
verrotten.

Ein französischer Autobauer warb mit der Selbstbezeich-
nung „Créateur d’automobiles“; und machte sich damit et-
was besser als den „unbewegten Beweger“ des Aristoteles,
zum Schöpfer des Selbstbeweglichen.

Interessant, wie und dass in der Rhetorik, die ja – ur-
sprünglich - keine Philosophie sein will, sondern eine Hilfe
für die schwachen oder auch verlogenen Auftraggeber; die
vor Gericht Recht behalten wollen. Interessant, dass die

68
Rhetorik, das moniert, was im Durchschnitt zur Wahrheit
führen könnte: unpassende Verortung (positio), unpas-
sende Abweichung (disgressio), Kürze (wenn und weil
obskur, brevitas), Wechsel (des Tons, mutatio), Variation
(des Inhalts, variatio); Unvollkommenheit (des Ganzen,
imperfectio). – Man stelle sich den Mangel diese Mängel
vor. – Was bleibt dann noch? – Zitternder Hörnerklang, Al-
so etwas kaum Denkbares.

Wenn es dir darum geht: Ich habe gehört, es gibt Atome
der Erinnerung. Du brauchst sie nur zu entdecken; und
dich darin zu verankern. Damit wäre das Wesentliche erle-
digt.

Das Genügen ist ein Kristall, das eine Märchenfigur, zusam-
men mit ihrer Spindel, in einen Brunnen hat fallen lassen.

Lyrik ist Prosa. Durch den Fleischwolf der Figuration ge-
zwängt und gezwungen. Du darfst also sagen: Lyrik ist
verklärte Prosa; insofern sie das Produkt einer Transfigu-
ration ist. – Freilich muss klargestellt werden, was die prä-
zise Rolle des dekarnierenden Fleischwolfs – als Gerät –
ist. Der Fleischwolf, hachoir, fungiert hier als Metapher des
Transzendierens, als Fleisch-Verzehrer. Nicht als das, was
er in der Regel ist: Polysymbolos, ein Gerät, das tausend-
undeinerlei Fleisch zu eine Ekel-Paste universalisiert. - Das
wird oft verwechselt, aber Leberkäs ist tatsächlich das Ge-
genteil von Transzendenz. Deswegen ziehen da viele den
Leberkäs vor.

Wie suchte Jesus nach einem, der ihn versteht. Er fand
keines. Was könnte einem Messias Bittereres geschehen?
Dagegen war der Kreuzestod eine Lappalie

69
Vielleicht ist es hingegen wirklich eine Lust, rettungslos in
die Knie gehen zu dürfen.

Der jardin des délices kann nur ein wiedergefundenes Para-
dies sein, die doppelt unwahrscheinliche Variante eines
Paradieses: Die reizvollste Idee, die erfunden wurde, um
die Begehrens-Ökonomie mit dem Absoluten zu konfron-
tieren. Dass sie daran zerschellt.

70
IX subrisus paschalis domesticus
(anno domini MMXVII)
oder auch
Das gemeine Osterlächeln
(im Jahr des Herrn 2017)

Gemurmel am Rande eines Dreielender-Ecks

I (0-50)


lepus tute es
et pilpamentum quaeris


0 „Versteh’ ich dich richtig? - Schrecklich fröhliche Wissen-
schaft für die Kammerdiener ohne Moral - ? – Was kommst
du so spät? – Was kommst du überhaupt noch? – Die Epo-
chen lärmender Perfidien sind doch längst vorbei.“

1 Wenn du etwas sagst, zitiere dich so, dass du erinnerbar
wirst. Auch für dich selbst.

2 Wenn du heute sagst Ich mag Tee und morgen Ich mag
Kaffee, dann sagst du damit Erst übermorgen bin ich ein
wieder anderer. – Wie kommst du dazu, so haarsträubend
zu lügen?

3 Wenn du sprichst, verdankt die Sprache ihren zentrifu-
galen Impuls dem Atem. Der inneren Sprache fehlt der Im-
puls des Atems.

4 Digital art. Er sagt: Künstlerinnen und Künstler solltest
du nur die Leute nennen, die, bevor sie anfangen, Gott
beim Kneten der Hohlform des big bang auf die Finger ge-
71
schaut haben. – Nota bene: Er hält das für eine exigence mi-
nimale. Von den anderen redet er nicht.

5 Unmarked space: So heißt das grandioseste Nebenpro-
dukt der Schöpfung; ihre retrospektive Basis. Der Garant
für die Zulässigkeit des Exnihilo und seiner Konsorten.

6 Grundlage und Ausbund. Wer sich die Zeit als Selbst-Kon-
tainer vorstellen kann, braucht sie vom Raum nicht mehr
zu unterscheiden. Muss sie uns aber als ein epitome de tor-
tuosité plausibel machen können. – Darauf müssen wir be-
stehen, - bei allem Respekt -, denn wir wollen die Weltge-
schichte ja verstehen.

7 „...zunächst kommt ihm das mhd. überbunt... , wofür man
auch den namen schaufalt hatte, d. h. das vom kaufmann zur
schau gelegte, aufgefaltete vordere ende eines stückes tuch,
das immer das beste zu sein pflegt und zuletzt verkauft wird;
man nannte es auch überbund oder ausbund, das überge-
bundne, herausgebundne. Marja aller megede ein über-
bunt.“– „werthes bibelbuch, du ausbund aller schriften“ –
(Grimm)



8 Gerade du musst dich, einmal dort angekommen, in der
Himmels- oder Höllen-Hierarchie der Gedanken um eine
Etage weiter schleichen. – Sonst hat dir deine eigene Pre-
72
digt vielleicht zwar, wie den Fischen – „Sie schlagen mit den
Schwänzen, im Sonnenschein glänzen“ - , g’fallen, aber du
bleibest wie Allen! - - Ce qui n'aurait pas dû se faire: –

9 Es gilt, vielmehr, das überbevölkerte Spiegelkabinett zu
verlassen und zu fliehen! Über das weite Feld hinaus. –
Und zu vergessen, dass unser Denken uns sagt: Spiegelka-
binette haben und brauchen keinen Ausgang, „Spieglein,
Spieglein an der Wand, hier bleiben wir die Schönsten im
ganzen Land“. – Die Gedankenspiegelkabinette sind wie
Wittgensteins Fliegen-Glas. Aber ohne dessen schönen
Aus- und Fernblick. – Schon die Idee eines Ausblicks oder
Ausgangs widerspricht ja dem Spiegelkabinett. Das Spie-
gelkabinett ist auch ein Inbegriff der Ökonomie. Ein punk-
tuelles Labyrinth. Eingekerkerte Unendlichkeit.

10 „Was und welcher kam zuerst? Der kognitive oder der
erotische Wiederholungszwang?“ – Es ist nicht mehr zu
ermitteln, wer das als Erster fragte. Die Hase oder der Igel?
– Die Beiden hätten es sich selbst merken sollen.

11 Diese Geste, wenn die Faust in den Strumpf fährt. Und
diese Dehnbarkeit des Strumpfs, wenn sie sich wieder zu-
rückzieht. – So müssen Gedanke und Ding sich wieder be-
gegnen (lernen).

12 Elegante Antworten auf wenig elegante Fragen sind
verdächtig. Sie sollten nicht genossen werden. Nicht ein-
mal mit Vorsicht.

13 Die Leute, die mir sagen: Deine Sätze überfordern mich,
denken offensichtlich nicht daran, wie es mir damit geht
und ergeht. – Jeder Satz ist das Opfer, also ein Restposten,

73
einer surdemande und ist nichts anderes als deren na-
türlicher Ausdruck. Ihre selbst-darstellende Geste. Inso-
fern sind gelungene Sätze erkennbar an ihrem Blick, wel-
cher der einer gescheiterten Schöpfung ist, über die wir
schon oft und ganz und gar einverständig sprachen.

14 Es gibt einen Purismus der Mischung, der schwieriger
zu treffen ist als der Purismus des Ungemischten. Und nä-
her an der Wahrheit ist er auch. Vielleicht ist Wahrheit
überhaupt nur das richtige Maß eines Mischungsverhält-
nisses. Dann hätte sie eine ganz andere Dimension als bis-
her von uns angenommen. Das weiterzuführen wäre ge-
fährlich. Für die Welt. Dann wäre das Denken nicht länger
dem postlapsarischen Stricken an einer universellen
Schlafmütze vergleichbar. Das wäre zwar schön und er-
freulich; aber eben, wie gesagt, gefährlich. Da tut man doch
lieber das, was man nicht für gefährlich hält.

15 Wir werden nicht von Schönheit oder einem Verspre-
chen oder einen Teufel verführt, sondern vom Haltlosen.
Oder manchmal auch von dem, das uns einen bequemen
Sturz erwarten lässt. Die Verführung liegt schon in der Be-
wegung, die wir nicht verlassen können. Brechts Lasst euch
nicht verführen! ist naiv, weil es zu spät kommt; nicht nur
seit es Menschen gibt. – Aber mehr, sagte er, könne er
bisher noch nicht darüber sagen. Dazu seien die Zeitver-
hältnisse des Raums und Raumverhältnisse der Zeit noch
zu vertrackt. Aber das gäbe sich sicher noch, nach und
nach. Manchmal habe er, nachts, im Dunkel seiner Kam-
mer, eine Art Halluzination. Dann sei es ihm, als übe eine
neue Sonne aufzugehen. Das merke er an dem überdrehten
Schwarz, das sie anzukündigen scheint. Dies müsse man

74
so, im Indikativ, sagen; auch wenn die neue Sonne noch
nicht geboren und aufgegangen sei.

16 Die Menschen auf der Erde, nur über die können wir
bislang reden, leben und handeln so, als wollten sie die
Sünde nicht verärgern.

17 Erst die postmetphysische Situation ist ein gieriger
Wurzelgrund für Transzendenz. Wir tun aber nichts dafür,
das zu bemerken. Und das Säen und das Pflanzen, das sei
zugegeben, gehören auch nicht mehr zu unseren Alltags-
beschäftigungen. - Und doch: Nur im Alltag könnte das ge-
deihen, was nicht dazu gehört.

18 Der Optionen-Horizont, sagte er, ist der menschlichste
Horizont, den ich mir denken kann. Mit jedem Schritt, den
wir in seine Richtung zu tun glauben, entfernt er sich von
uns. Wie sollen wir das nennen? Einen Fluch? Oder ein
Wunder? Jedenfalls ein völlig unverständliches Phänomen;
eines, das nicht sein sollte. Das den Menschen nicht hätte
passieren dürfen. Ist es doch ein Zeichen ihrer Vernich-
tung.

19 Du glaubst, dass jede Geste, die du tust, auf der Höhe
der Zeit ist. – Schau dich am nächsten Tag noch einmal um!

20 Dem Gebot der Stunde zu folgen, heißt eben nicht auf
der Höhe der Zeit zu sein.

21 Eine Stunde ist nie auf der Höhe der Zeit.

75
22 Stund um Stund. Metaphysisch gesehen, spannen die
Menschen sich über dem Gipfel der Bequemlichkeit eine
Hängematte aus Spinnenfäden auf. So vergesslich sind sie.

23 Die Aporie ist nichts anderes als die Pointe der Porio-
manie; vorwärts und rückwärts.

24 Er dachte, es ist doch ein seltsames Gesetz, dass Men-
schen, die über sich – als Menschen - hinaus zu denken
versuchen, in ihrer angestammten Gemeinschaft nicht ge-
duldet werden. Aus dem Hohn der anderen müssen sie ih-
re Himmelsleiter bauen oder sich wenigstens einen Strick
drehen. Darin unterscheiden sich die Jahrhunderte nicht.

25 Wie wird der Wecker am Morgen des Jüngsten Gerichts
klingen?

26 Er war. – In Gedanken.

27 Ein Übriges tun. – Ein geniales Motto.

28 Hoffnung. – Sammelbegriff für die – zurecht - blauen
Flecken, die sich die Seele bei den Kollisionen mit den hei-
teren Kanten des Lebens holt.

29 Der Mensch und der ganze Rest. - Und die Erfahrungen
legen sich wie Schnee auf die Seele. Nur für den Beobach-
ter ist das ein romantischer Aspekt. Die Seele selbst wird
die Notwendigkeit bis zu ihrem Kältetod nicht begreifen.
Wobei dieses quälende Nichtbegreifen ihr einziger Schutz
gewesen sein wird.

76
30 Warum versuchen es so viele, es sich in einer Welt be-
quem zu machen, von der sie wissen, dass sie so nicht sein
soll?

31 Sie leben wie hoffnungsfrohe Kastanienblätter, gerade
geschlüpft, zukunftserwartungshellgrün, bevor die Kasta-
nienminiermotte sie überfällt.

32 Was macht, mittendrin, die Qualität eines Denkens aus?
– Es muss sich zusammensetzen aus Akzeptanz und Ab-
rechnung.

33 Er hatte eine seltsam liebenswürdige Art, Menschen zu
trösten. Er sagte ihnen nämlich: Ach, alles nicht so wahr.

34 Manchmal fällt mir mehr ein, als mir lieb ist, und das
Hinken, sagte der Teufel einmal, ist eine Gabe Gottes, die
ich ihm nicht verzeihen kann.

35 A: „Vonnöten wäre ein Aufstand gegen die herrschen-
den künstlichen Formationen des Wissens, gegen jenen
unerbittlichen Komplex aus Macht, Interesse und Ranküne,
in dem sich die legitime Angst verdichtet, entlarvt und
durchschaut und abgeschafft zu werden. - Aber wie könnte
der Aufstand gegen ein solches Motiv und seine verstei-
nerte Attitüde aussehen?“ O: „Habe Geduld. Und sei gewiss:
Blinde Selbsterhaltung führt notwendig zur Selbstvernich-
tung. Der Untergang ist hier eine Frage des Datums; und
die letzte Figur des amour propre. - Aber du brauchst dazu
Geduld, schmerzhafte Geduld. Gott wird stolz auf dich sein.
– Ich weiß, das ist ein geringer Trost.“

77
36 Die Neuverzauberung der Welt darf keine Wiederver-
zauberung sein. Erschlag’ das scholastische Denken, zum
Beispiel, mit dem der Neuen Wissenschaften; und umge-
kehrt, zum Beispiel! – Wenn schon ein Wiederbelebungs-
versuch, dann den an dem mit dem Bad Eden ausgegosse-
nen Kind.

37 Die Hölle, das ist der Rhythmus des menschlichen Al-
leingangs.

38 Das, was man für Glück hält, unter den gegebenen Um-
ständen, ist ein Mangel an Einsicht.

39 Einsicht ist, prinzipiell gesehen, ein Horror. Deswegen
wird die gemieden.

40 Irrtum. – Angst essen nicht; Angst fressen. Und Seele ist
nur ihre Vorspeise.

41 Blaupause? - Das ist die Auszeit, die das Universum sich
gerne nehmen würde.

42 Wie ein Biertrinker, der nach jedem Schluck den Bier-
deckel auf sein Glas zurücklegt. – Warum tut er das? – Um
– etwas - zu ersticken? – Um – sich selbst - zu entrücken? –
Denn Fliegen, die in sein Bier fallen könnten, gibt es hier ja
keine. Er will also nur die Situation überleben. Als Kosmo-
Politiker, offensichtlich, den man an seinem gekrümmten
Rücken erkennt. – Er darf sich ja nicht recken.

43 Musterbrief. „Lieber Herr...! – Sie unterwerfen sich einer
falschen Welt. – Sie unterwerfen sich mit einem unsäglich
anmaßenden Antlitz. Die Welt, der sie sich unterwerfen,

78
wird sich an Ihnen rächen. Sie wird Zynismus mit Zy-
nismus heimzahlen. Eine Fingerspitze Asche werden Sie
sein. – Und die Welt? – Eine Aschenunendlichkeit. Ein Zir-
kus endloser Verwesung. Und doch wird sie Sie als Asche
in die Knie zwingen. – Wie könnte auch die Eitelkeit eines
Einzelnen der Eitelkeit des Ganzen gewachsen sein! – Die
Eitelkeit einer Sekunde der Eitelkeit der Ewigkeit? – Der
Eitelkeit eines Stipendiaten der Eitelkeit eines Schwarzen
Lochs? –

44 Die sehr großen und die sehr kleinen Dinge können
zueinander nicht kommen, weil sie zu gleich sind, - Dem
scharfen Blick gehen die Unterschiede verloren. Königs-
kinder.“

45 Der Alltag bietet keinen Raum; nicht einmal für Wun-
der.

46 Oder das vor der Trauer Legitimierte.

47 Simple Attraktivität bringt dich nicht in die Nähe ir-
gendeines Seins. – Im Gegenteil: Sie verschreibt dich der
duftlosen Idiotie. – Deine Ansprüche versanden in der Wü-
ste; oder einem anderen Aperitif.

48 Die vergilbte Zeitlosigkeit eines Nachhausewegs. – Mu-
sil, mach das mal nach!

49 A: Das Gewimmel des Man. O: Und das Nachdenken
bringt keine Lösung.

50 Was für eine Welt! – Man will nichts von ihr. Und kann
sich doch nicht vor ihr hüten.

79



















80








lepusculus
plebs invalida
quae conlocat
in petra
cubile suum

Proverbia









81
IX.II (51- 107)



51 A: Existential-Rekreation. - O: Ja, das wär’s!



52 Das Wichtigste aber ist die Methode, nicht die Harmonie.
Gute Sicht auf die Finsternis, allerdings, muss gewährlei-
stet bleiben. – Ist doch der Blick auf eine Sonnen-Finster-
nis die Fundamental-Metapher für das Sehen- und Erken-
nen-Wollen. Die geschwärzte Scheibe vor dem Auge meint
das notwendige konstruktive Medium, ohne das weder
Sonne noch Finsternis in den Blick geraten könnten. Das
bedeutet: Die Methode schützt das Auge vor dem Gese-
henen, um es sichtbar zu machen. Und damit das Erblickte
nicht blendet. – Die Mania der Platonischen Künstler
scheint wohl keine Methode gewesen zu sein. - Sehe ich
das richtig?

82
53 Wenn du etwas feststellst, denk dir nichts dabei. Und
auch nichts dazu.

54 A: Bedeutungslosigkeit mit Sein anfüllen. Oder die
Seinslosigkeit mit Bedeutung. Das ist wohl dasselbe, - O:
Wenn die Seele gekränkt ist, beginnt die Suche. Und mit ihr
der Verzicht. – A: Wieder so ein Rätselspruch! – Meinst du
nicht einfach nur, dass eine gekränkte Seele, âme affaibli
par des camouflets et vexations, nichts finden kann? - O: Ja,
aber nur ungefähr. Denn wenn es so einfach wäre, wäre es
anders.

55 A: Die Dinge in eine Räkelform bringen; wenn das auch
einmal Ekelform meint. Denn da kommen sie zu sich und
erlangen metaphysisches Gewicht. – Ein paar Gramm. – O:
Aber immerhion wägbar. Auf und mit einer Seelen-Waage.

56 Die unverzichtbare Prise Hegel, auch in diesem, wie in
jedem Zusammenhang, lautet: Alles Einzelne muss unter-
gehen in der Freiheit zu sein. Das Einzelne zu bewahren,
nimmt dem Ganzen die Freiheit zu werden, was es war, als
es das Einzelne, fürsorglich, bei der Hand nahm und her-
vorrief und –brachte. – Wobei, das muss ich zugeben, He-
gels Freiheitsbegriff mich melancholisch macht. Aber, was
Hegel sagt, dem kann ich nicht widersprechen. – Ein Schalk
oder ein Einstein, der mir daraus einen Strick oder eine
Doppelhelix dreht! -

57 Die Zeit, sagt Gott, schuf ich nur, um die Eitelkeit des Je-
weiligen ein wenig einzudämmen. Ich dachte mir nämlich,
Seins-Eitelkeit ziemt dem Erschaffenen nicht.

83
58 Aber können die Gedanken frei sein, wenn es dabei
bleibet?

59 Wahrheitshaltiger Kalauer: - Es gibt befreiende Gal-
genlieder, nämlich die, die mit dem Blick auf den Morgen-
stern gesungen werden. Die Geburt der Andacht aus dem
Geist der Utopie. Retrospektion aus dem Morgigen. Kos-
misch zirkulierende Meditation, im mixolydischen Modus9.
Durchgegangenes, durchgedrehtes Ringelspiel. Nabelschau
der erhabenen Superlative. Die autopoetische runde Wun-
de. - Etc. -

60 Kreis und Wunde. Nur die Kreise können sich schließen,
die sich wieder schließen können; nachdem sie einmal
geöffnet worden sind. Das ist eine triviale Wahrheit, weist
aber auf eine Bedingung, die zumeist nicht registriert wird.
Mit bedenklichen Folgen. Zumal auch die Kreise, die nicht
einmal geöffnet oder gar gesprengt wurden, als Teufels-
Kreise das Denken bleibend irritieren, - Was freilich auch
seine guten Seiten haben dürfte.

61 Eindeutigkeit beginnt mit der Doppelbödigkeit. Aber:
Die Doppelbödigkeit ist immer nur der Anfang der Ein-
deutigkeit. Es gibt auch einen mehrfachen Welt-Sinn. Und
der liegt noch über dem so genannten Vierfachen Schrift-
Sinn.

62 Wenn du dich von einem Stuhl erhebst und ein paar
Schritte gehst, kannst du die Erfahrung machen, wie du in
einem Zeitraum von, sagen wir, zwei Metern um etwa fünf-
zig Zentimeter wächst. –


9 - charakterisiert durch die erniedrigte Septime und einen kolossalen Spannungsmangel

84
63 Die praktische Seite der Relativitätstheorie ist noch im-
mer nicht angemessen, nicht mit dem geforderten Stil,
durchgespielt. – Galaktische Eleganz ist im Alltag noch un-
erprobt. Es müsste einen geistigen Massensport geben.
Und eine entsprechende Förderung – durch die öffentliche
Hand. - Das wäre eine der humansten Arten der Selbstbe-
friedigung.

64 Auch ein Anhalter sollte es nicht verabsäumen, stilbil-
dend zu wirken.

65 Pulp fiction. O: Das Ideal wäre die unbedenkliche Prä-
senz des Ganzen: Als würden 1. alle Liturgien der Weltge-
schichte 2. in einen wahrlich einzigen Moment, 3. zu einer
solchen Dichte der Verschiedenheit zusammen-gestopft,
dass sich 4. ihre innere absolute Gespaltenheit 5. als eine
unüberbietbare Singularität 6. in ihrem eigenen Ange-
sicht10 ereignete. - A: Aber das ist unmöglich. Deshalb gibt
es ja kein Ideal. - O: Und doch besteht das Universum nur
aus einem unabzählbaren Pulsieren solcher Momente.
Nennen wir diese die puncta salientes des unmöglichen
Werdens und Wesens. – A: Also die Momente der Zeit, die
nur soviel werden (und wesen), dass sie mit ihren Zähnen
die Nüsse, nuces temporis, zerbeißen und zermalmen und
zermahlen können, die sie selbst sind; und die sich selber
sind Das heißt: gerade so lange, eben, wie das Zu- und Zer-
beißen dauert. – O: Wieder ein hübscher Gedanke: die Zeit
als die Nussknackerin, Nucifrangibula, ihrer selbst. Dann
müssen wir uns auch die Sphärenharmonie schon wieder
anders, naja: denken. – A: Ja, dann sag mir, wie klingt die-
ses in einem doch wohl rätselhaft zeit-immunen Tempo –
aber hat es denn überhaupt ein Tempo ? – salvenartig, je-

10 - dem der Dichte der Verschiedenheit

85
doch – denknotwendig ! – absolut senza interruzioni –
weltmühlenhaft klappernde Gebiss der Nussknackerin
Zeit? – O: - „Weltmühlenhaft“ – Ja, das macht es
vernehmlicher. - Doch was geschieht mit dem Nussmehl?
Und der Pulpe?

66 O: Hab ich’s mir doch gedacht! - A: Und warum - um
alles in der Welt! - hast du es nicht gesagt?

67 „Das Sein ist das Unglaubliche als Dauerzustand. (Cio-
ran) – Präziser kannst auch du nicht sein.

68 Verdunkelungs-Hoffnung. Das Denken sollte Ermutigung
sein, ohne sagen zu müssen, wozu. Auch wenn die Gefahr,
dass es am machtgeschützten Eingefahrenen zerschellt
oder verblutet, wächst.

69 Um zurückzuschauen musst du mindestens deinen Kopf
umdrehen. Das bedeutet nicht wenig. Unter der Bedingung
einer gewissen „Zugabe von Strenge.“ (Kafka)

70 Was nie aufhört, sagte er, ist das Sehenlernen, das Den-
kenlernen, das Sterbenlernen. Fast alles andere kriegst du
irgendwie hin. Das Leben. Das Sprechen. Selbst das Lieben.
- Irgendwie. Kriegst und machst du’s hin.

71 Was kann das bloß sein, sagte er, das wahre Gesicht?
Doch nie mehr als das Gesicht, das du dem Mond gibst. -
Oder die gläserne verspiegelte Maske, die du dir selbst auf-
setzt, ohne böse Absicht, schlichtweg nur, weil du gesehen
werden willst. Denn, um ehrlich zu sein, weder der Mond,
noch wir haben ein Gesicht. Nur das ist die Wahrheit. Und
das macht, im verschmitzten Gegenzug, ein jedes Gesicht

86
wahr ist, das du siehst oder sehen lässt. Wenn du nichts
sehen lässt, keinen Schleier, der den Mangel deines
Gesichts verbirgt, einsetzt, kannst du nicht sagen: Schaut
her, ich bin’s!

72 Solange wir keinen Gebrauch vom Wunder des Mangels
machen, braucht sich der Teufel keine Sorgen um unserer
Seelen zu machen. Er kann sie ohne Pakt und Plage weg-
paschen; wenn die Zeit kommt.

73 Der Mensch ist ein Janus mit nur einem – oder, wenn du
willst, gleich drei Profilen. Er ist sich gänzlich gleich. Aber,
wie vorgesehen, doch ganz anders. Darin besteht noch im-
mer die Identität, die du von ihm erwartest. Aber nicht
hilft. Alles Nähere liegt in der Luft, wo du es erfragen
magst, und wartet auf eine Zu- und Hinzuteilung. Um von
der Abschaffung, die als abgemacht gilt, erlöst zu werden.
Immer, jedoch, lässt sich auf den Mangel von Entschlos-
senheit hoffen. Aber dass du es überhaupt für möglich
hältst, dass eine Identität, die nur die, wie ein Bett oder ein
Tisch geteilte, Schnittstelle ihres Andersseins ist, in Verle-
genheit bringen zu können (ich weiß, das tun die anderen
auch), ist ein epistemischer Skandal.

74 Früher, sagt er, hat man viel Most getrunken. Wenn
möglich, mehr als Wasser. – Weil der Saft so viel sauberer
war als Wasser. –

75 Zankäpfel zu pressen ist aber keine gute Tradition; das
sagte er, ohne Rücksicht darauf, dass man ihn für naiv
halten könnte. Dass er es war, naiv und ein immaculatus,
wie Adam vor dem Apfel-Verzehr, und es auch sein wollte,
das wusste er ja. – Aber nicht nur deswegen ergänzte er,

87
politisch nicht ganz korrekt: Freilich, die Klugheit des Apfel
darfst du nicht unterschätzen. Immerhin hat er die Schwer-
kraft erfunden. Ein Apfel fällt nie weit vom Stamm aber
schnurstracks, wie ein Senkblei, zurück. Ihr wisst, wohin.




76 Ein hermeneutisches Netz ist immer schon ein dark
net.

77 Jeder Sinn ist ein Surplus und nur dadurch Sinn, dass er
(jeder Falle) entgeht. Es ist seine Lust, eine höhere ist wohl
undenkbar, in kein Netz gehen zu können. Denn es gibt au-
ßer den hermeneutischen Lungenflügeln des Sinns kein
Netz.

78 Stainless smoke. Wie makellos dichter Rauch umgibt
dich hier das Denken. Darum bleiben auch die Hände, die
nach dir greifen, unsichtbar. Nicht anders wie die Hoffnung
und der Trost. – Das alles musst du so sehen, wie ein Blin-
der die Welt sieht: strahlender als es je sein kann. (Notiz,
April 2015)

88

79 Manche Ratschläge sind zeitlos. Nicht zuletzt die, die
niemand beherzigt. (Notiz, April 2017)

89 Nimm keine Rücksicht auf dich selbst, - Denn du wärest
der Einzige. – Und das würde dich doch noch einsamer ma-
chen. – Kannst du das wollen?

90 Der Zufall bleibt der Grund- und Eck- und Stolperstein
systemischen Sinns. Denn Wahrheit besteht primär in der
Blockierung der Unwahrheit. Aber Blockade und Absorp-
tion unterscheiden sich nur im Profil. – Und Unterschiede
auf Physiognomik zu gründen, das kann halsbrecherisch
sein.

91 Daraus ergibt sich zwangs-läufig, auch wenn es in un-
serer Denk-Epoche niemand glauben will, dass Narration
an die Wahrheit nicht heranreichen kann. Lügen haben
kurze Beine. Narrationen aber haben kurze Arme. Und die
Literaturhäuser leben heute von der inflationären Hof-
fnung, dass die Arme Erwachsener noch wachsen können.

92 Heutzutage, daher, haben Prothesen Konjunktur, die
etwa Arme deutlich größer erscheinen lassen. Darin steckt
immerhin eine zeitgemäße ökonomische Logik.

93 Falls ich, sagte er, doch einmal eine wissenschaftliche
Disziplin begründen werde, auch wenn das ein Verrat an
meinen Erkenntnissen wäre, würde ich sie Aleitho-Gnomik,
zumindest aber so ähnlich, nennen. – Freilich nur nach
Absprache mit einem Gräzisten.

89
94 „Reime, dummer Peter, reime!“ (Hauff, Das kalte Herz)
– Dann wird es gläserne Pfeifchen nur so regnen. Und das
Glasgewitter ubiquitär sein.

95 Nietzsche sagte noch, dass unsere Autorität auf dem
Nichtverstandenwerden fuße. Heute fußt die Autorität der
Anderen auf dem Nichtverstehen. – Sie fußt, somit, auf un-
vergleichlich größerem Fuße.

96 Trambahnen sind nicht geringfügig. Sie machen etwas
her. Die kleinen, traurigen Wagenlenker haben aber nichts
davon. Sie verschwinden darin wie in überdimensionier-
ten Badzimmern. – In denen auch Mordopfer nur unter
größtem Aufwand gefunden werden. So wie ich, in meinen
Sprüchen.

97 Dieser Moment, wenn Gott sich fragt: Wie soll das wei-
tergehen? – Wem blickt er da in die Augen? - In einer Zeit,
die keine Zeit sein kann; und in der es noch immer keine
Gesichter gibt. – Wie denn auch? Und wo denn auch? – Und
Gott selbst sich nur in dieser Frage wahrnehmen kann. –
Hier versagen mir die Satzzeichen, -



98 Die Vergangenheit, sagt er, verdankt ihre Stabilität un-
serem Blick. Die Gegenwart verbietet uns diese Einmi-
schung.

90

99 „Mit dreißig muss man an sein Vermögen denken; mit
fünfzig ist es noch nicht gemacht; man baut im Alter; und
man stirbt, wenn die Maler und Glaser kommen.“ (La Bru-
yère) – Es scheint also auch im Einzelfall nach dem Modell
der Weltgeschichte zu verlaufen.

100 Frau Welt, Frô Welt, ist das Musterbeispiel einer frag-
würdigen Witwe, die lange, überlang über die Trauerzeit
hinaus Witwenkleidung trägt, weil ihr das Schwarz, das
Weiß und der Schnitt so gut stehen.
101 Der Ratschlag, im Augenblick zu leben, bedeutet nichts
anderes als: Lass alle – Ängste fahren! – Das ist ein kluger
Ratschlag, wohlgemerkt. – Muss ich das euch noch erklä-
ren? – Das, dass die Angst die Schwester des Tods ist? –
Nein, sie ist sein Arbeitslied, sein Gift und seine Schaufel.

102 O (zu sich selbst): Warum das wohl so sein muss, dass
die Weltgeschichte sich vom Eigensinn der Schafsgesichti-
gen geprägt gibt? – A (zu sich selbst): Es sieht nach einer
Konspiration von Konspirativen aus, die wirklich gar
nichts davon haben. Vielleicht ist die Schafsgesichtigkeit
doch ein Omen. –

103 Es ist übrigens nicht der schlechteste Ratschlag, sich
dem Jüngsten Gericht durch Schlaf in einem geweihten
Nachthemd zu entziehen.

104 Wir alle ersticken, in der Regel, an der Zeit. Wir
glauben, das Gewölle der Zeit durch Gurgeln bewältigen zu
können. Aber es bewältigt uns. Ganz unverdient. Aber not-
wendig. – Das heißt: Die Zeiten haben sich enorm geän-
dert. Aber die Alten behalten Recht.

91

105 Wenn Menschen nicht denken, kriegen sie Erlösungs-
Anfälle. – Und das ist vielleicht gut so.

106 Der Tod ist ein ??? (unleserlich) nur für die, die, wenn
sie ihm ins Auge schauen, das Dekor der Ewigkeit zu sehen
glauben.

107 Igitur. O: Kann jemand schreiben Ich bin zerstreut –
auch wenn er es ist? – A: Nein, das ist unmöglich. Also er-
wartbar.





















92
X Vierunddreißig abgestellte
aber nach Anlehnung
suchende Himmelsleitern

1. Produktions-Serie










und sihe, eine leiter stund auf erden,
die rüret mit der spitzen an den himmel,
und sihe, die engel gottes
stiegen dran auf und nieder.
1 Mos. 26, 12

ein alter Pantalon,

93
und eine seidne leiter,
bracht alles zwischen uns
gar bald ins reine.
(Wieland)


Notabene:

Die gottloß Rott
Kompt auch zu Gott

Und:

wer die leiter hält,
ist so schuld als der dieb.
(Sprichwort)


1 „Die Sorge des Hausvaters ist, dass sich beim Letzten Ge-
richt herausstellt: das Verfahren muss neu eröffnet wer-
den.“ (- spekuliert Odradek)

2 Stille ist das, was das Basisrauschen im Ohr in der Rich-
tung des Dochnichtseins unterläuft.



3 Wenn du zu verstehen glaubst, bedeutet das nur dass du
– mutwillig – deine Kriterien ausgewechselt oder – eher -
vertauscht hast.

94

4 Il faut cultiver la transcendance. - Der Doppelsinn des
Verbs „bestellen“ scheint mir metaphysisch belastbar. - Die
Suche nach der „Transzendenz“ ist immer ein Bestellen.
Wie man ein Feld bestellt; und - zur Erfrischung - dazu ei-
nen Walzenkrug voll des süßen Nektars.

5 Du kannst die Wahrheit erriechen; eben daran, dass sie
nicht nach etwas riecht. Nur von der Wahrheit kannst du
sagen: Sie riecht nicht nach... - Der Duft der Wahrheit ist
ihre Geruchslosigkeit.

6 – Solcherart Duft ist verwandt mit dem Still-Schweigen.
Wir müssen uns denken, dass das antike Donnern des Zeus
diesen Duft der Unhörbarkeit besaß. –

7 Insieme senza glutine. - Verwechselt das aber nicht mit
irgendeiner Synästhesie! Der Olymp kennt keine Unter-
schiede, die irgendein anderes Zusammen erfordern – oder
auch nur befürworten. Zur All-Wahrnehmung braucht der
Olymp nur ein Sinnesorgan.

8 Confort concentré. - Du musst dich wirklich und endlich
fragen, welche Wahrheit Techniken der Abschattung, der
reinen Konzentration überhaupt, generieren und vertra-
gen kann. Was ist denn eine Wahrheit noch wert, die all
der Gedanken entkleidet ist, die ihren Komfort stören
könnten?

9 A: Denken heißt doch, alle auffindbaren Störfaktoren
integrieren, ja kultivieren, welche die Wahrheit nicht zur
Ruhe kommen lassen. Das bedeutet nämlich, die Wahrheit
zu hegen. O: Hier wird nichts abgeschattet oder abgeschot-

95
tet. Hier wird eingeschlossen, nämlich alles, was der Wein-
krug an Tropfen hegen kann (Goethe). – A: Und draußen
bleibt, was Interessen hegt. – O: Und heckt.

10 Clare et distincte. A: Es ist leicht, die allfällige apokaly-
ptische Situation zu beschreiben: Die Menschen denken
und handeln so, als wäre es klar und eine abgemachte
Sache, was zu tun sei. – O: Aber klar und deutlich ist nur,
dass sie es untereinander so abgemacht haben. Auf Teufel
komm raus. – A: Die Entscheidung ist gefällt und gefallen.
Die Kuriere mit den „rettenden Gedanken“ zerschmettern
an den torlosen Mauern der gängigen und herrschenden
Verfahren. O: Wenigstens brauchen sie Kafkas Erfahrun-
gen nicht mehr zu machen.

11 „Das riecht nicht gut. Das macht einem traurige Gedan-
ken.“ (Nietzsche)

12 Petaurum mentis. Weder Wiederholung noch Präzisie-
rung bedeuten weiterdenken. - Du denkst nur das weiter,
das du wie ein Sprungbrett nutzt. Möglichst, um in des Hö-
he zu springen; nicht in die Tiefe (und sei es die eines Ge-
dankens).

13 Es gibt mehr als unzählige Einsamkeiten. Die furchtbar-
ste Einsamkeit aber ist die selbstverschuldete.

14 Das Denken selbst ist die absolute Lizenz zur Fehldiag-
nose. Denkbar, dass es sonst nie beginnen würde.

15 Ausbleiben. Auch so ein seltsames Wort. - „das fieber ist
zwei tage ausgeblieben; darumb musz auch der früregen

96
ausbleiben und kein spatregen komen. Jer. 3, 3“ (Grimm)11
– Das Leben bleibt zuletzt das immer Ausgebliebene. Aber
es ist schön und mehr als ein Privileg, wenn du danach wie
ein augenschwacher Hund Ausschau halten und – ad libi-
dinem – darüber sprechen darfst. - Und, übrigens, nicht die
Hoffnung, das ist nur ein dummer Spruch, die Erwartung
stirbt zuletzt. Falls du sie nicht gar (oder auch übergar,
wenn nicht gar als todtgares12 Roheisen) ins Ewige ver-
schleppst.



16 Sich geschlossenen Auges wundern. Ist: wie ein kleiner
Junge mit hilflos ausgebreiteten Armen und kaum angezo-
genen Schultern auf einer Friedhofsmauer zu stehen - und
dabei fotografiert zu werden.

17 „Miroir est tout corps, duquel la superficie est continue-
ment polie, sans division ou pores sensibles. Tous miroirs


11 „Luther schreibt aber auch auszen bleiben: die weissagung wird ja noch erfüllet

werden und nicht auszen bleiben. Habac. 2, 3; wenn ich einen tag zu lange auszen bliebe,
so würde seine seele betrübt. Tob. 9, 4; des frommen hofnung wird nicht auszen blei-
ben. Sir. 16, 13.“
12 „Übergar, wird das Kupfer beim Garmachen, wenn es zu lange od. bei zu star-

kem Winde geschmolzen wird, so daß sich wieder Oxydul in demselben erzeugt.“ - Pie-
rer, Universal-Lexikon, 1864. - „Die dunkelste Sorte bildet das schwarze oder übergare,
todtgare Roheisen, welches grauschwarz, sehr grobkörnig, weich und mürbe, wegen der
letzteren Eigenschaften nicht zu Gusswaren anwendbar ist, und daher nie absichtlich
erzeugt wird.“ - Hartmann, Vademecum für den praktischen Eisenhhüttenmann, 1855.

97
sont reguliers ou irreguliers...; les irreguliers sont infinis.“
(Vaulézard)

18 Heidegger, sagte er, hat sich falsch zitiert, als er sagte,
die Wissenschaft denkt nicht. - Sie darf nicht denken, sagte
er, wie so oft auf seine Weise gütig lächelnd, sonst fliegt sie
sich um die Ohren.

19 Wenn einer, sagte er, seine Gedanken aufzeichnet und
nummeriert, und im Jahr auf dreihundertundfünfundsech-
zig oder dreihundertundsechsundsechzig kommt, dann ist
das zu wenig. - Soviel, sagte er, ist klar.

20 Ergänzend, sagte er, müsse er noch sagen, dass ein Den-
ken gleichsam schon von seinem Ansatz, vom Ansatz sei-
nes ersten Haars her (hier lächelte er wieder), falsch sei,
das sich die Idee einer - denknotwendig immer nur so ge-
nannten - Idealstadt zum Vorbild nehme.

21 Freilich, das sagte er auch ergänzend und überdies bei-
fällig, bedeutet selbst zu denken in jedem Falle, sich mit
ungemein fremden Federn zu schmücken. – Dabei lächelte
er nicht.

22 Spem in alium. Du solltest dir aber genau überlegen, wo
du die fremden Federn rupfst.

23 - Apparence élégante. - Es passt zwar gerade und
genau nicht hierher, sagte er, aber Rameau ist der Einzige;
der sich erlaubt, uns Transzendenz als schlichte Eleganz zu
kredenzen, ja, im Wortsinn: vorzukosten; und uns beiläufig
und - allem Klang und Anschein nach - ungewollt beweist,
dass Transzendenz nichts anderes sein kann als Eleganz. –

98
Und was sollte – im Gegenzug - Eleganz auch anderes sein!
Dennoch sei auch im Fall der Transzendenz angeraten, nur
zuzugreifen und zuzubeißen, wenn der Vorkoster überlebt
hat. Les connaisseurs sages ne mangent que si le goûteur
a survécu. – So hätte Jean-Philippe, sagte er, es gesagt,

24 Das kannst du, sagte er, das musst du ganz einfach sa-
gen: Da tanzen die Sterne im Garten, da, wo einmal Evas
Apfelbaum stand. Und kümmern sich nicht darum. –

25 Die Sterne wissen eben, dass man nur unschuldig sein
kann, wenn man es nicht weiß, dass man es ist.

26 O: Ja, nur vertane Augenblicke haben die Chance, die
Zeit zu retten. – A: Unter welchen Bedingungen das gelingt,
liegt aber noch immer in den Knien der Götter. –

27 O: Insofern den Göttern nicht der Traum der Anderen
verloren gegangen und entfallen ist. Und ihre Knie nicht
leer und unfruchtbar sind. –

28 A: Aber den Göttern ist ja gerade der Traum der Ande-
ren abhanden gekommen. - Ihr letzter harmloser und quä-
lend verweilender Traum, der ihnen treu bleibt und auch
Traum bleibt, ist der Bau von Himmelsleitern. O: Ach, die
Götter! – Menuisiers célestes. - Josephs Berufswahl war also
doch nicht ganz zufällig.

28 Eine echte Apokalypse ist immer ein Medium der Ver-
jüngung. Zumindest ist jede Apokalypse so gemeint. Als ein
Gewitter- oder Feuersturm, als ein erfrischender Regen. –
„Siehe, Fraue, auch du brauchst Gewitterregen.“ (Alten-
berg/Berg)

99


29 A: Apokalypsen, sagt er, sind zudem und zu allem Über-
fluss Ironikerinnen. Sie kommen nie rechtzeitig. O: Vor al-
lem aber kommen sie nie zu Hilfe. Sie lieben aber, als wä-
ren sie darauf abgerichtet, Schnappschüsse ihrer selbst. A:
Könnte es sein, fragt er auch, und wieder ergänzend, dass
es daher keine eitleren Zeitgenossen geben kann als die
geschäftigen Vollzugsorgane des Untergangs? - O: Ja, er
nennt sie, wie du weißt, auf seine manieristische Art: Die
apokalyptische Rettungskohorte aus der harlekinäischen
Akademie. A: Zweifellos nicht seine gelungenste Formel. Da
braucht er noch Hilfe oder Dressur. O: Oder eine Nachhilfe-
stunde bei Ludwig Wittgenstein, hier: dem Leiternkundler.


100

30 Fein jung gebogn / Heist recht erzogn. - Auch wir sehen
in allem und überall fraktale Formen. Aber anders als die
Anderen fraktalen Formen des Geistes. Noch immer - und
immer mehr.

31 Das Blut im Schuh13 ist, höre ich, das vom Ursprung her
gediegene Barometer der Planmäßigkeit. Das Herz, er holt
dieses Wort aus seiner alten sonnenfadenscheinigen Wes-
tentasche, wie eine Taschenuhr, dieses Herz-Wort und
Wort-Herz steigt und hebt sich einem Himmel entgegen,
der es nicht ertragen kann. - Und es konsequenterweise
auch nicht einlässt. Allem Blut zum Trotz. – Aber vielleicht
hing dem Herzen der Himmel ja immer schon zu hoch. Wie
ein Braten überm Feuer.



32 Ekel, sagt er, ist trotz allem das süßeste Wort, dessen er
habhaft werden konnte. Und er hält es für sehr entgegen-
kommend von den Verantwortlichen, dass sie ihn, den
Ekel, wie Eis am Stiel vermarkten. –

13 - Audi toto corde: „ruckedigu“ - !

101

33 Nuditas miserablils admirabilisque. Von der das Herz
zerreißenden und versteinernden anfänglichen Nacktheit
der Dinge könnten wir nur noch träumen. – Wir berechnen
die Obertöne selbst des Unsichtbaren und versenken sie,
dass es nur so plumpst, in die Ewigkeit, den dépotoir der
Zeit.



34 Wer hat uns – und wann? - eingeredet, wir wüssten es,
wie Steine schlafen?

102
XI Vierunddreißig abgestellte
aber nach Anlehnung
suchende Himmelsleitern

2. Produktions-Serie

(Schmerzlich simple Sentenzen, vom 1. zum 2. Mai 2017)



1 Um zu überleben, müssen wir Dinge nehmen für etwas, was sie
nicht sind. Nebel über einem Wald, die so schön sind, dass wir
wietermachen wollen. Immer wieder neu. – Bis wir, zum Beispiel,
endlich den Mut haben, den akademischen Diskurs hinter uns zu
lassen, nach dem Vorbild, wieder, der Wittgensteinschen Leiter. -

2 Die Menschen verfügen über soviel elementaren Reichtum, so
arm sie sein mögen, dass sie nicht wissen, wer sie sind. Oder sich
lustvoll darüber täuschen. Daraus beziehen sie ihr Glückskapital.
Und darüber entscheidet auch der Erfolg einer Therapie; unab-
hängig von deren Provenienz. Ob Freud ob Adler ob Lacan. – Nur
Täuschung ist Gewinn. (Ihr wisst, ihr letzten Bildungsbürger, wo-
her das kommt.)

3 Subtilitäten spielen keine Rolle. Es ist der Ehrgeiz der Existenz,
darüber hinweg zu gehen und darüber hinweg zu spielen. Und da-
durch, dass sie, die Existenz, sich nicht danach umschaut, zu be-
weisen, dass sie nie waren, nie da waren. die Subtilitäten. –

103
4 Manchmal, eigentlich immer. ist die Grobheit des Daseins cha-
rakteristisch und beleidigend. – Wenn es seine Epiphanien, ohne
die es nicht wäre, nicht ernst nimmt.

5 „Weil nur das Ungreifbare uns motiviert, Und die Eruptionen der
Gegenwart unsere toten Seelen nicht mehr berühren. Sie kratzen
uns nicht mehr; wach. Wir hätten es so gerne, aber anders. Wir
haben darauf hin gearbeitet. Und hatten Erfolg. Die Welt existiert
nicht mehr. Wir sind die Sieger. Die erfolgreichen Createure des
Glasscherbenhaufens, der unseren Fußsohlen die letzten Gefühle
verpasst. Des Todes süßester Vorgeschmack (nach Nietzsche). Das
blutige Dessert des Nichtmehrseins. Alles wie geplant. Im escha-
tologischen Koma. Wie könnte man das einem Marsmenschen er-
klären. Er darf uns nicht finden. Never ever.“

6 Alles, was menschengemacht ist, scheint nicht für die Menschen
gemacht. Nach dem Modell der menschenfeindlichen Idealstädte
der Renaissance.

7 Je mehr die Verantwortung für sich selbst in die Hände des
Menschen glitt, desto konsequenter versagte er. Das ist so wahr,
wie – aus einer menschlichen Perspektive – unbegreiflich.

8 Der Zufall ist ein Avatar der Notwendigkeit. Aber nur, solange
man es genau betrachtet. Ein weniger genauer Blick ergibt etwas
anderes. Auch das ist ein Gebot der Notwendigkeit. Ja, der Zufall
ist ein Gebot der Notwendigkeit.

9 Die Tatsachen, selbst, können uns zu nichts überreden. Es sind
ihre Blicke. Manchmal heimliche Gesten.

10 So geht es wirklich zu: Wir tun so, als besprächen wir uns mit
den Dingen. Das können wir uns natürlich nur einbilden; aber es
fehlt jede andere Handhabe.

11 Es ist das zufällige Zucken der Dinge, das uns überzeugt. Und
nicht weiterhilft: keinem.

104
12 Im Schatten der Dinge verfliegen die Handlungen, von denen
wir sagen, es seien unsere.

13 Soviel zur Genese des Selbstmitleids: Was wir nicht können,
das muten wir dem Schicksal zu, lasten es ihm auf, um uns zu ent-
lasten und leiden zu dürfen.

14 Aber sollen wir es tragisch nennen, dass uns die Wahrheit auf-
geht? Auch wenn sie uns nur zum Selbstmitleid verführt?

15 Nein, die Wahrheit wäscht die Tragik auch vom Mitleid; selbst
von dem mit sich selbst. Und entschuldigt sogar die verquere Be-
ziehung zu den Dingen. Und tröstet die Tatsachen. Dann steht
auch in der Ecke ein Gott und lächelt. Endlich einmal. Und einmal
unendlich.

16 Die Dinge wollen sich ins Menschliche überhöhen. Die Men-
schen ins Dingliche. Ein seltsame Konstellation, scheint es, solange
du sie nicht näher ins Auge fasst. Dann gewinnt sie an Selbstver-
ständlichkeit. Und kosmischer Logik.

17 Wenn du das Jeweilige nicht mit kristallnem Gedanken, erlaub
es mir, das so zu sagen, durchschlägst, bleibst du dir fremd und
angenehm. Daher solltest du es nicht wollen.

18 Transcen-dance. Auf den glühenden Kohlen der Transzendenz
zu tanzen hat freilich auch etwas für sich. Der Schmerz verwan-
delt sich zwar nicht in Lust. Aber in Gedanken, auf der Zungen-
spitze deiner Seele. Wenn du das nicht spürst, ist es allerdings be-
denklich. Dann fehlt dir etwas.

19 Verfüge dich ins Dingliche, dann geht dir dessen andere Seite
auf. Wie ein Gedankenblitz. Verfüge dich ins Gedankliche, dann
geht es dir auf wie ein – aber das sei hier nicht verraten.

20 Die makellos glatten Asphaltflächen des Daseins zwingen dich
zum absichtlichen Stolpern. Kein Straucheln geht hier von selbst.

105
Und bewusstes Straucheln ist eine Kunst. Darin liegt ein großes
komisches Potential.

21 Vielleicht ist es der eigentlich Witz eines Spiegels, dass er uns
nur deswegen vor-spiegelt, so ganz in ihm zu sein, weil seine Un-
zugänglichkeit vollkommen ist.

22 Deswegen ist der Spiegel ein gutes, gleichsam vortreffliches
Bild für die Welt; für die Dinge, wie sie uns begegnen. Wir ver-
fügen über kein sichtbareres Paradox.

23 So einfach ist es: Das Leben erscheint uns als Leidensmasse,
weil es uns auf eine superb verwickelte Weise zweierlei in Einem
und als Eines vorgaukelt. Das Sein-als-Nicht-Sein als Nicht-Sein-
als-Sein. In diesem als lungert die Pointe. Derentwegen Narziss
sein Spiegel-Bild nicht loswird.

24 Deshalb wird über das Leben und über Narziss noch immer
und auch so verwunderlich viel geschrieben. Aber es ist auch das,
was Sinn macht.

25 Die vielen Rat-Geber, die uns raten, so oder so zu leben oder zu
denken, wollen den Spiegel, dessen Funktionieren wir sind, zu
Bruch bringen. Wir sollten das – ganz selbstsüchtig – nicht zulas-
sen.

26 Denn das Dasein ist nichts anderes als die Selbstsucht der Spie-
geloberfläche. Davon leben ja auch – in der Regel unbescholten
ohne sich zu schämen – alle Hotel-Architekten.

27 Diese Formel ist wahrscheinlich nicht zu toppen: die Welt
(samt Leben) ist das re-entry des Spiegels in den Spiegel. Narziss,
der sich aus dem Nichts ins Dasein schielt. – Ich wiederhole: So
einfach ist das. - Zu einfach für den Stolz der Menschen.

28 Wer das Funktionieren der Schöpfung, in ihrem Grunde, an-
ders beschreibt und erklärt, glaubt die Grube zu graben, in der er
doch zeitlos liegt. Wir aber hüten uns, aus ihr herauszufallen. Wir
106
sind die behaglichen Ladenhüter unserer selbst, lange bevor uns
unsere Schwestern und Brüder auf- oder einfallen.

29 Ding und Gedanke sind einander Missvergnügen, sonst könn-
ten sie sich gar nicht genügen. Schon prinzipiell nicht. Das hat La-
can zwar schon gesehen.



30 Du denkst zu wenig an die dritte Option eines Scheideweges,
mein lieber Herakles, nämlich die des Stehenbleibens. Und zwar
nicht nur um über die Alternativen nachzudenken.

31 „...mag sie sich immer ergänzen, eure brüchige Welt in sich!“
(Goethe). - Der Sinn, von dem du keinen Gebrauch machst, auch
der ist ein zerbrochener Schöpflöffel. –

107
32 - Das heißt: Schwing dich lieber auf den Moment wie,
sagen wir, ein taoistischer Weiser auf seine Wolke und genieße
den Absturz im Vollbesitz der Erkenntnis: - dass es noch zu früh
war. Das wird dann nichts gemacht haben. Sozusagen.

33 Denn ein Messias, dies ein Mangel, dem auch du nicht entgehen
kannst, ist immer (bisweilen viel) zu künftig. Du weißt ja, der Mo-
ment zwischen dem Nochnicht und dem Schonvorbei haben die
klugen Alten Griechen kairos genannt. „Warum trägst du [, Kairos,]
in deiner Hand ein spitzes Messer? Um die Menschen daran zu erin-
nern, dass ich spitzer bin als ein Messer.“ (Poseidippos von Pella) -
Der kairos sei gestauchte Zeit – also gestauchter chronos, sagt
Agamben. –

34 „Unsre Taten sind nur Würfe in des Zufalls blinde Nacht.“
(Grillparzer, 1817)



















108
XII Vierunddreißig abgestellte
aber nach Anlehnung
suchende Himmelsleitern

3. Produktions-Serie

Das Lächeln am Fuße der Galgenstickleiter und die
Körper-Dinge



(Fast östliche Modelle, oder Ouvertüren, 3. Mai 2017)


der auf erden an gott brüchig ist worden,
der wird nicht in himmel gelassen.

Paracelsus

0 Aus heuristischen Gründen wollen wir, bis wir es wi-
derrufen, davon ausgehen, dass über den abendländischen
Körper alles gesagt ist. Das wird uns nützlich sein.

1 Auch Füße, die in einem unglaublichen Winkel zueinan-
der stehen, können deutlich sein. Vielleicht nur die.

2 Hinterm Baum. Hinterm Baum. Verschwindet alles.

109

3 Das Ziel wäre ein Gedanke von unheimlicher Schönheit. –
Das klingt sehr altmodisch. – Ist es aber nicht. – Warum
nicht? – Weil die Beziehung zwischen dem Schönen und
dem Unheimlichen noch immer unbestimmt ist.

4 Es ist, heißt es, ausgemacht, dass Körper aus verschie-
denen beschreibbaren Teilen bestehen. Das ist sicher rich-
tig. Aber nicht selten übernimmt einer der Teile die Vor-
herrschaft. Manchmal zum Vorteil des gesamten Körpers.
Denn Harmonie geht doch immer von den Teilen aus.

5 Da schrie jemand: Aber das müsst ich doch wissen, wenn
ich leben würde! – Aus einem Bericht über eine Philo-
sophen-Tagung.

6 Je mehr wir über es hinweg sind, desto ausgelassener
haut das Leben auf die Pauke.

7 Draw, once again, a distinction. Leben, unter anderem:
Langsamer oder auch mal schneller Übergang zum Pfeifen;
aus dem letzten Loch. Seine letzten Triller, lieber Sankt
Martin, systemischer Mantel-Teiler, sind die eines nie
gehabten Beginns.

8 Tolle, lege. Lesungen aus der Blinden-Schrift unserer
toten Seelen. – Da gibt es im Grunde keine Ausnahmen.

9 Das Leben ist ein Thema, an dem wir, wie wir signifi-
kanter und pikanter Weise in der deutschen Sprache sa-
gen, vieles aufhängen können. Wie gut es dem, das wir da
aufhängen, bekommt, das steht auf einem anderen Blatt.

110
10 Es gibt nur ein Format, in dem für uns denkbare Wel-
ten bevölkert sein können: Körper. – Der menschliche Kör-
per macht da nur eine Art der Spezies aus.

11 O: Aus leicht nachvollzieh- und durchschaubaren Grün-
den, wird er – der Körper – als hypertrophe Imago zu ernst
genommen. A: Das muss so sein, geht aber – zum Beispiel –
heute an dem Hund Emil im Englischen Garten und seinem
sorgenvollen Blick vorbei.

12 Wenn Herz nicht ein so ausgeliefertes, soll ich sagen:
halbvermodertes Wort wäre, ich würde es nicht benutzen.

13 Wenn, hier und heute, Wissenschaft eindringt, wird es
halbwertig und bleibt halbseiden, wenn sie wieder geht. -
Halbseide, immerhin ein zur Hälfte edler Stoff.

14 Stell dir das nur vor: Wie eine einsame Seele, zur Reini-
gung, so vor sich hinkocht.



15 Gottvater zum Gottessohn: Aber weißt du, mein Lieber,
eigentlich ist alles ziemlich perfekt. Selbst du scheinst mir
mittlerweile präsentabel.

111
16 Das Herz ist ein einsamer Feger. Der Herr aller Fegefeu-
er. Und das Fegefeuer wurde nur erfunden, um Einsamkeit
zu generieren.

17 Ihrer Sündenblasen enteignet: Erst eine Seele im Purga-
torium verzweifelt am Dasein. Aus reinem Optimismus.

18 Wenn Hüte wenigstens nur das leisten könnten, was
man von ihnen erwartet.

19 Ich habe heute, im Park, eine präzise Ortsangabe, die
mich gefreut hat, gehört: „In der Nähe von Marokko“.

20 Das Eintreiben von Seins-Atomen. Als wärst du ein Hir-
tenhund. Du bist ganz nah dran, wenn es dich nicht mehr
will.

21 Auch das sei zur Idee des Kairos gesagt: „Ich hasse
dich!“ – Das ist gut. Wenn und solang du etwas davon hast.
Wenn du aber glaubst, dass es dir nichts mehr bringt,
dann hör auf damit. – Spätestens. Bevor du dich selbst
hasst.

22 Den Himmel mit Granaten erschrecken. Das wäre eine
feine Aufgabe. Weil sie sich von den meisten anderen nicht
unterscheidet.

23 Gott tut so, als hätte er einen Bauch. Damit er seine
Hände platzieren kann. So. Nach allem.

24 Denke dir: Durch nichts Geringeres als ein Wunder bist
du versetzt in ein einsames, schönes Haus in China, so vor
1200 Jahren. Du pflückst an der Ostseite des schönen Hau-

112
ses an der Bambus-Jalousie eine Chrysanthemenblüte.
Dann wendest du dich, langsam, sagen wir: nach rechts,
und siehst in deutlicher Ferne im Süden die Berge. – Ver-
giss nicht zu atmen. – Es wäre schade um dich und die Ber-
ge, im Süden, und die Chrysantheme. Und den Rest der
Welt. - Ja, was sag ich, zum ersten Mal wäre es schade da-
rum.

25 Wer glaubt, dass Probleme gelöst werden müssen,
muss sich das Denken als eine Säure vorstellen. Aber das
Denken ist keine Säure. Ist aber auch keine Lauge. - Das
muss zugegeben werden. Außerdem singen das die Vögel.
Wenn es ihnen nicht erlaubt ist, zu zwitschern. Aber das ist
oft so. Und die Vögel sind klügere Menschen, immer auf
das Schlimmste vorbereitet.

26 Die schönsten Gesichter sind die langweiligsten. Und
vice versa. – Sagt die Geschichte. – Dazu kommt dann noch
das verdammte Rätsel des Überlebenwollens.
27 Kein Wunder. – Wir könnten und sollten Menschen
denn auch vorbereitet sein? Und worauf? – Im Übrigen:
Eine tote Seele in einem Kinderwagen vor sich herzuschie-
ben, das geht an. – Aber im Rollstuhl, scheint mir, das passt
nicht.
28 O: Und wovor kannst du dich – kaum – schützen? – Vor
dem Verkommenen und der Selbstliebe (freilich immer
der Anderen). – Aber (zu deinem Trost): Sich nicht schü-
tzen zu können macht einen zu einem Paradieses-Kandida-
ten beim (A: - Nein, nicht schon wieder! - ) Jüngsten Ge-
richt.

113
29 A: Warum redet der denn so viel vom Jüngsten Gericht?
O: - Der Gedanke daran reizt und nervt mich. Ich bin
nämlich dafür verantwortlich. A: - Was soll denn das
heißen? – Wofür bist du verantwortlich? O: – Eben für das
Gericht. Und die Gedanken daran. – Wofür denn sonst!

30 Jesus raisoniert: Wie mein Vater durch die Welt rennt!
– Er hätte mir Golgatha nicht delegieren müssen, denk ich.
– Aber was soll man sagen? – Väter! – Vor allem die Na-
menlosen. Die sich nicht zeigen. –

31 Ich denke, das Denken wird noch was werden. Allein
schon vor Scham.

32 „Man vergisst das immer wieder!“ – Toller Satz, das.

33 Es ist die Stille, die das Gehör ruiniert.

34 „Ein Eisenhammer tanzt im Frühlingswind.“ – Sagt
einmal ein buddhistischer Weiser. – Im Osten hat sich, für
einen gewissen Augenblick, die Schöpfung also gelohnt. –













114
XIII Fortgesetzte Himmelsleitern

4 . Produktions-Serie,
diesmal 34 Ungezählte und nicht durch diakritische
Zeichen Gezähmte

„Hast du die Geisha, stört dich der Fächer“
(Tucholsky)

1 Pietà normale. Du bist verpflichtet, einen Menschen, oh-
ne Rücksicht auf die Person, mitleidvoll in die Arme zu
nehmen und nach allen Regeln der Kunst zu trösten, wenn
er sagt: Fußball ist mein Leben. Um dich als wirklich
menschlich zu erweisen, darf dir diese Geste obendrein
nicht schwerfallen.

Der Traum ist eine eigentümliche Versuchung; zur Pro-
blemlösung.

Er gilt als unnahbar. Ja, er gilt. Weil es niemand versuchen
will. Sie halten sich. Lieber fern.

Es gibt Dinge von wunderbarer Schönheit. So schmerzlich
wunderbar für die Opfer. So einfach wunderbar für die
Täter.

Ich bin zu geizig, viel zu geizig, Bedeutung zu spenden.

Anti-Narrativ. Wenn du dem Realen an den Kragen möch-
test, fährt die Hand immer ins Träumerische. Dass das
nicht so sein soll, das weißt du längst. Was das sein soll,
das weißt du nicht. Wunderst dich nur, dass Wahrheitssu-
che immer so abläuft. Die Parzen haben gelogen. Obgleich
das ihre Aufgabe nicht ist. Ob du daraus ablesen darfst,
dass die Parzen an deiner Hilflosigkeit die Schuld tragen,
115
das vermag ich nicht zu sagen. Der Verdacht, freilich, liegt
nahe. Viele Menschen nehmen das noch oder sogar zum
Anlass, Geschichten zu erzählen. Ich sehe darin keinen
Ausweg.

Ein Gedankenblitz ist etwas, von dem die Menschen reden,
wenn er ausgeblieben oder in sie gefahren ist. In beiden
Fällen gibt es für Sankt Florian nichts zu tun. Zudem aus
verschiedenen Gründen.

Le Bon Dieu dit: Trauer ist immer ein fliegendes Auge.
Restlos wirklich und wirklich schwer zu denken. Ein Auge
mit Flügeln aus Tränen. Die Bespannung von Flugmaschi-
nen sollte, das ist ihre Natur, was soll sie machen, immer
flach sein. Wenn nicht gar hauchdünn. Der Hauch im und
am Dünnen ist immer die letzte Spur von Geist.

Die Unhaltbarkeit der Lavaterschen Physiognomik ist wohl
schon seit Hegel erwiesen. Und doch ist sie noch immer ein
unverzichtbares und unverzeihliches Mittel der Erkennt-
nis. Wenn du sie auf die Gesichter der so genannten Per-
sonen der Zeitgeschichte anwendest, lässt sie dich nur
sehr selten im Stich.

Vom höh’ren Sagen. Eine Anmaßung. Hast du den Fächer;
mag die Geisha ruhig bleiben.

11 Es gibt, lieber Adorno, auch noch die Variante vom
listigen Leben im phallischen. Dazu musst du aber ein veri-
tabler Lacan-Kenner sein.

Gedanken haben heutzutage noch den Grad von Eigent-
lichkeit, der auch die dysfunktionalen Heuschober auf bay-

116
rischen Wiesen auszeichnet, die als auratisches Dekor pro-
pagieren, dass es sich hier um eine bayrische Wiese han-
delt. Dafür, für diesen trompe l’esprit, könnte man, freilich,
zahlreiche andere Beispiele anführen.

Gilt aber doch auch: Ein Gedanke ist zunächst ein visko-
tischer Klumpen. Den du zu dehnen beginnst; und immer
weiter und weiter dehnst, bis er, ungefähr wenn die äu-
ßerste Spannbreite deiner Arme erreicht ist, transparent
zu werden beginnt. Und nun kommt es darauf an, was du
siehst.

Ichimen no na no hana. Segen und Sagen der Kurzsichtig -
keit. Ja, den gibt’s noch immer. Für Feinschmecker. Löwen
zahn. Gelber Schnee auf den Wiesen. Von den Rapsfeldern
gar nicht zu reden. , ichmen no na no hana.

So wie es Augentäuschungen gibt, gibt es auch Leibtäu-
schungen. Bei hellstem Bewusstsein. So kann nur die Haut
lügen. Wenn und solang ihr das Bewusstsein assistiert.

Schlichtheit, in ihrer schlechten Form, zu verabscheuen,
das gerät leicht zur Selbstquälerei. Im Handeln, beim
Schreiben. Glücklicherweise kennen das nur wenige. Wie
ihm bestätigt wurde.

117

Eine Hängematte aus Sand hat den Nachteil, dass sich ihre
Tragfähigkeit nicht testen lässt. Ich wundere mich folglich
täglich über die große Zahl derer, die es dennoch versu-
chen.

Wie konnte es zu dieser Welt kommen? In der doch der
größte Fehler ist, seinen Fehler zu bekennen. Wenn Jesus
seinen Opfertod einen Fehler nennen würde, würden wir
es ihm nicht glauben. Aus Stolz. Auf unsere mörderische
Rolle in dieser Geschichte.

Wenn es keine Fiktionen gäbe, müssten wir dann nicht
wahr sein? Aber wie könnte das gehen? Und wie würden
wir uns dann, auch uns selbst gegenüber, glaubhaft ma-
chen?

Beim Blick auf die Rabatten voller montierter Stiefmütter-
chen in den Parks, reicht die angeborene Kurzsichtigkeit
indes oft nicht aus, um nicht doch zu leiden.

21 O: Wie lautet der unbestreitbar präziseste Name des
Teufels? A: Kenner der Materie. O: Und dein eigener? A:
Indianer der Transzendenz.

O: Das heißt: Der Teufel weiß, dass der Geist das Getriebe
der Materie ist. Und der Indianer versucht, dies Getriebe
zu schmieren. Kein Metaphern-Hof und -Komplex ist in
den Händen des Schöpfers besser aufgehoben als der der
Reparatur-Werkstatt. Wo sonst findet das Werk statt? Und
wo sonst kann es scheitern!

118
A: Das tief in sich gebogene Antlitz eines nachweislich Den-
kenden. Der intellektuelle Mops in Anbetung einer Mon-
stranz. Auch die klugen Jungfrauen waren nicht schöner
als die törichten.

O: Ein Zeigefinger, auf den noch nie ein Blick fiel. Mit dem
möchte selbst der Autist in dir nicht tauschen. Oder hat er
dir etwas anderes erzählt? – A: Ja. Er hat mit gesagt: Du
musst häufiger anhalten, aussteigen, dich mit ausgebrei-
teten Armen und ausgestreckten Fingern in ein Stoppelfeld
legen und dem Wind zurufen: Verweile doch und lass dich
sehn! Du Schoko-Schnute! Denn wer sich lieber in und auf
ein Stoppelfeld als auf ein Nagelbett legt, verdient zwar
den Namen eines Öko-Fakirs, aber nicht mehr. Auch kein
Mitleid.

Nietzsche nennt den einen Narren, der glaubt, erkannt zu
haben, dass Menschen nur dann sterben, wenn sie abge-
griffen sind. Ich kann nur ergänzen: So abwegig ist das
nicht. – Nichts gegen Nietzsche!

Die meisten Menschen gehen durch die Stadtlandschaft
mit einem Gesichtsausdruck als wollten sie sagen: Was ich
weiß, das kriegt ihr nicht von mir zu hören! Ich vermute,
das ist auch gut so.

A und O: Warum uns Hegel so gefällt? Er beschreibt die
Welt als eine Modulation vom Intelligiblen ins Sensible.

Das System Mensch kann seine Umwelt, den Kosmos, nur
stören. Und Luther sagt: Die Welt ist wie ein toter Bauer.
Ich sage: Geh hin und schau, warum?

119
Es ist gut, die Hüte nicht zu tragen, an denen du lange
Freude haben möchtest.

O: Brotzeit. Im Zeitengehöft. Auf dem Zeitenberg. Das muss
man sich vorstellen und zu verstehen versuchen.

31 A: „Einen Moment, bitte!“ – Das bleibt stets eine seltsa-
me Aufforderung. Luhmann spricht von einer zielvariablen
Tempo-Ideologie. Das kann man wohl nur theologisch ver-
stehen. O: Denn das Jüngste Gericht ist die auf ewige Dauer
gestellte Idee des Kairos.

Warum ist Abwesenheit also gut? Weil die Dinge davon
profitieren. Und wer und was profitierte denn nicht gerne!
Abwesenheit macht bedeutsam. Der Tod hat vielleicht ei-
nen ähnlichen Effekt.

Der Weg, selbst wenn er ein Ziel hätte, ist qualvoll lang. Zu-
nächst musst du schauen, wie die Leute sich dies und jenes
in den letzten Jahrtausenden gedacht haben. Dann musst
du es anders machen.

Es ist auch gut, wenn Vipern ineinander verknotet sind.
Dann haben sie genug mit sich selbst zu tun.

120


XIV Transfigurierte Himmelsleitern (I)

5. Produktions-Serie

Ohren-Sessel-Kanten-Schläge aus dem Off

Auch Fauteuils sind topologische Varianten der Himmelsleiter



wol her, wol her, wol her,
alles teufelisches heer
aus bechen und aus brüchich,
aus wiesen und aus rorich!


„Hast Du bemerkt,
daß ich die „kleinsten aller möglichen“ Ohren habe?
Vielleicht auch die schläuesten...“
(Nietzsche, Brief an von Seydlitz, 17. August 1886)


Eine Vorübung für das Denken von Transzendenz ist das
Grübeln über das Unheimliche. Es ist nützlich und angera-
ten, sagen die, die Erfahrung haben, dazu und dabei in ei-
121
nem geistigen Arm- oder (viel besser!) Ohrensessel zu sit-
zen. Denn die Gemütlichkeit, heißt es, gehört zum Unheim-
lichen wie das Prosit zur Gemütlichkeit. Die Entscheidung
zu einem Arm- oder (besser!) Ohrensessel ist hier gleich-
sam ein Akt der Pietät. Das wusste, wer anders, auch
Freud schon. Er hat es aber für sich behalten; resp. ka-
schiert. Und sein Stuhl, das müsst ihr zugeben, sieht doch
aus wie einer mit kupierten Ohren.



Confortable comme le fauteuil à oreilles du patron - oder:
wo und wie der Welt-Geist (gerne) sitzt. „Wir kamen um
10 Uhr nachts an. In Aachen sah ich den Dom zuerst, setzte
mich auf Kaiser Karls Stuhl; es sind zwei Marmorplatten
auf den Seiten, ebenso auf dem Rückensitz, glatt, 1 ½ Zoll
dick; sie waren aber mit Goldblech überzogen, das einge-
grabene Geschichten hatte, wovon noch einige Stücke auf-
bewahrt werden. Auf diesem Stuhl wurde 300 Jahr nach
seinem Tode Karl sitzend vom Kaiser Friedrich, glaube ich,
mit dem Kaiserornat angetan, die Krone auf dem Haupte,
Szepter in der einen, Reichsapfel in der andern Hand, ge-
funden, diese Sachen zu den Reichskleinodien getan und
seine Gebeine beigesetzt. Ich setzte mich auf diesen Stuhl,
auf dem 32 Kaiser gekrönt worden, wie der Küster versi-
cherte, so gut wie ein anderer, und die ganze Satisfaktion
ist, daß man darauf gesessen hat.“ (Hegel, Brief an seine
Frau, 3. Oktober 1822) - „Den andern Tag nach Aachen. Mit
Lichtern den Dom gesehen und auf Kaiser Karls Stuhl aber-

122
mals gesetzt, dann nach Köln.“ (Hegel, Brief an seine Frau,
12. Oktober 1827)


Karl Stuhl Georg Wilhelm Friedrich



„Qui a eu cette idée folle / Un jour d'inventer l'école / C'est ce Sacré Charle-
magne / Sacré Charlemagne / De nous laisser dans la vie / Que les diman-
ches, les jeudis / C'est ce Sacré Charlemagne / Sacré Charlemagne / Ce fils
de Pépin le Bref /Nous donne beaucoup d'ennuis / Et nous avons cent griefs
/ Contre, contre, contre lui / Qui a eu cette idée folle / Un jour d'inventer
l'école / C'est ce Sacré Charlemagne / Sacré Charlemagne...“ (France Gall,
1964)

4 Auch folgender Satz, so wird überzeugend kolportiert,
wurde auf in einem Ohrensessel geheckt: Wenn du zu phi-
losophieren anfängst und dabei an die Menschen denkst,
hat es, selbst wenn du ein Philanthrop und momentan
guter Laune bist, den gleichen Effekt, wie wenn du vorm
Einschlafen einen phänomenologisch orientierten Essay
über den Ekel liest.

Ein mögliches Ideal, hingegen, lässt sich so beschreiben:
Ein Aphorismus sollte, freilich in Aphorismen-typischer
Form, soviel Gedankensubstanz enthalten wie einer der
durchschnittlichen kunstphilosophischen Aufsätze über
den Isenheimer Altar, zum Beispiel. Oder über Dantes Un-
123
terwelt. Schon aus (raumzeitlich) ökonomischen Überle-
gungen.

Er glaubte jetzt zu wissen, warum Freud und seine Schüler
so vieles, über dieses und über jenes, mit einem bewun-
dernswert aufmerksamen Gespür für Stil und Zumutbar-
keit geschrieben haben. Sie wollten, das wusste er jetzt, da-
von ablenken, dass sie nicht begriffen und nicht wussten,
warum die Menschen einander, als täten sie ihre Pflicht,
terrorisieren. Ich kann mir denken, dass sich Freud seit Le-
ben lang sich für die Not-Lösung, die Erfindung des Todes-
Triebs, geschämt hat. Er konnte nicht anders. Er musste
erfinden. Und musste sich schämen.

Freilich ist es, in Zeiten perpetueller oder so genannt chro-
nischer Traurigkeit, immer eine Option, zu schlafen und zu
träumen, wenn man die Kunst des Einschlafens gleichsam
wohlfeil beherrscht. Man darf aber nicht vergessen, dass
Traum und Schlaf nur das wachende Bewusstsein stärken
wollen. Weil sie glauben, ihm damit wohlzutun. Wie sie
sich täuschen! Zu seinem14 Schaden. Es ist, bis an den Rand
des Wahnwitzes, schade, dass Schlaf und Traum, seit sie
erfunden worden sind, so naiv blieben, so gewissenlos.

O: Die Etymologie des Worts Mystik entlarvt die Ranküne,
die schon in dieser Benennung steckt. Sie will sagen: My-
stiker sind die, die zu dumm zum Sprechen sind. Daher
muss das Mystische sich „zeigen“. – A: Sozusagen empha-
tisch apophatisch. Die Offenbarung des Geheimnisses in
seiner ihm einzig möglichen Form, in der des Geheimnis-
ses. O: Ob Wittgenstein wusste, dass es daher kommt?


14 - des Wachbewusstseins

124
Noch einmal: Warum dichten die Dichter? Weil sie nicht
wissen, wohin mit den Worten.

Ossuarium mentis. Die Welt ist nur das Beinhaus der Ge-
danken. Daher hart, spröde und brüchig. Vor allem wort-,
vertrags- und ehebrüchig.

雲隠れ „Nur bisweilen schimmerte der abnehmende Mond
ein wenig durch die Wolken, wo sie am brüchigsten wa-
ren.“ (Hebel) – Als wäre Transluzenz eine Tochter der
Brüchigkeit,

Warum erzählt er, wenn überhaupt, fast nur alte Geschich-
ten? – Weil sie die späteren alle enthalten. Und wenn die
Späteren mal herauskommen, sind sie immer kleiner. Die
Geschichten schrumpfen sich nämlich, das ist drollig, dem
Weltenende entgegen. So kann es kein Gott mit seinen
Emanationen gemeint haben.

14 Es gibt verschiedene, sogar notwendige Arten der Re-
duktion. Gut sind aber nur die, die nicht reduktionistisch
sind. Also wenige.

Je ursprünglicher ein Ding, desto fruchtbarer. Am frucht-
barsten der Ursprung selbst, die springquellhafte Fülle:
fontalis plenitudo. Sagt auch Bonaventura.

Gott kann das anfängliche Wort nur gewesen sein als eines,
das sich, und nur sich, ausspricht. Diese Rückerinnerung,
pardon, ist notwendig.

Die Menschen können sich also nicht sehen, weil sie sich
nur sehen könnten im Spiegel des ursprünglichen Quells.

125
Und das genau können sie ja nicht. Die Konsequenz ist die
Kosmetik.

Contuitio. Solang Welt ist, ist sie das Murmeln Gottes. Das
Murmeln des ursprünglichen Springquells. Denn nur das
Murmeln dokumentiert jene einzige Fülle, die sich ihrer
gewiss ist. Die Welt ist Gewissheit. Rinn-Seligkeit. Meta-
physische.

In simplicitate veritas. Das Ewige ist noch immer das Ele-
ment, in dem die Zeit schwimmt, wie der Fisch im Wasser.
Auch diese Rückerinnerung ist notwendig.

Leiter, Quell und Rinnsal. „Contuebatur in pulchris Pul-
cherrimum et per impressa rebus vestigia prosequebatur
(cfr. Iob 23,11) ubique Dilectum, de omnibus sibi scalam
faciens, per quam conscenderet ad apprehendendum eum
qui est desiderabilis totus (cfr. Cant 5,16; Gen 28,12).
Inauditae namque devotionis affectu fontalem illam bo-
nitatem in creaturis singulis tamquam in rivulis degusta-
bat, et quasi caelestem concentum perciperet in consonan-
tia virtutum et actuum eis datorum a Deo, ipsas ad laudem
Domini (cfr. Ps 148,1) more prophetae David dulciter hor-
tabatur. “ (Bonaventura über den Heiligen Franziskus)

O: Nietzsche sagt auch:„Es giebt Wahrheiten, die nur „ins
Ohr gesagt“ werden dürfen: laut ausgesprochen, würden
sie nicht gehört.“ A: Es sind jetzt, lieber Nietzsche, andere
Wahrheiten, für die aber gilt noch immer, und mehr denn
je, was du uns in die Ohren, die geneigter und empfangs-
bereiter gar nicht sein könnten, mit bräutlicher Behut-
samkeit leise legst und sorgsam nistest. Denn ein Flüstern
ist es ja nicht. Und zu flüstern oder zu flügelrauschen

126
lehrst du auch nicht. Nicht einmal das, du liebevolle stille
kassandrische Sybille. –

O: (implorant:) - ? -




„so gebäret sie (die saure qualität)
traurigkeit, melancholei,
in dem wasser einen gestank,
rüricht und brüchicht.“
(Böhme aurora, in Grimm)

Vertraut oder hysterisch sein brauchst du nur für Momen-
te.

Die klügste Methode, die Welt zu überleben, ist, sie an dir
vorbeigehen oder dich von ihr überholen zu lassen. Es ist
wie auf den Autobahnen. Aber werden die Menschen das
so genannte autonome Auto verkraften? – Informiert mich!

24 Manchmal ist das Leben ein Glas Wasser, das jemand in
der Sonne hat stehen lassen, - oder vor seinen Augen ver-
gessen hat.

O: Zu leben heißt aber nur dann zu vergessen, wenn es er-
folgreich ist. – A: Ja. Wer es noch nicht weiß: Leben, in sei-
ner verbreiteten Art, ist eine körperlich Dummheit. - O:
Man denke nur an sein Verhältnis zur Zeit! – A: Wer klug
ist, lebt nicht. Wenigstens nicht so. Aber hab Acht, dass du

127
dich nicht in deinen Notizen verlierst. – O: Der Verlust
wäre viel zu groß.

Dennoch darfst du nur dem Denken trauen, das der Absenz
ein Bleiberecht zuspricht.

Du suchst, fragt er, fraglose Vollkommenheit? – Suche nach
vollkommener Fragwürdigkeit. –

Ideale überraschen immer. Daran erkennst du sie; zuletzt.

Problemlösung ist die Art der Auflösung des Denkens, die
verhindert werden muss. Um Gottes Willen; und auch des
Teufels.

Sichtbarkeit ist der Beleg der Unsichtbarkeit. Und jedes
Bewusstsein ist nichts anders als die Auslegung seiner Be-
dingungen, vielleicht seiner einzigen.



Es muss klar sein, sagt er, dass vor allem das Abstrakte des
Denkens in der Sprache konkret und – freilich im hegel-
schen Sinn – aufgehoben wird. Daher spricht auch Mallar-
mé vom Geschenk des Gedichts.

Ocotea foetens. Bedeutung ist ein Ehren-Kranz – aus Stink-
lorbeer.

128
„Eines schickt sich nicht für alle.“ (Hebel, Der fromme Pil-
ger)

34 „34. Da sprach Bileam zu dem Engel des HERRN: Ich ha-
be gesündigt, denn ich habs nicht gewußt, daß du mir ent-
gegen stündest im Wege. Und nun, so dirs nicht gefället,
will ich wieder umkehren.“






















129



XV Transfigurierte Himmelsleitern (II)

6. Produktions-Serie

Lid- und Rad-Schläge einer erfundenen Libelle



„35. Der Engel des Herrn sprach zu ihm: Zeuch hin mit den
Männern: aber nichts anders, denn was Ich zu dir sagen
werde, sollt du reden.“



Aber am Wort-Tropf eines Engels zu hängen, ist ein unge-
mein labiler Zustand. Keinem andern zum Verwechseln
ähnlich. Nur der Auftrag ist eindeutig.

130
Jetzt verstehst du die beliebten erkenntnistrübenden Ver-
kleidungen: den Traum, die Traumerzählung und derglei-
chen. Diese Verkleidungen sollen die Heuchelei verbergen
und zugleich und obendrein noch steigern.

4 O: Nur deswegen sagte er einmal, mein Engel hat mir ge-
sagt, dass die einschlägigen Philosophien und Theologien –
tutti quanti und bis dato - Reiseführer in und durch die
Transzendenz sind, allein geschrieben für die, die totsicher
keine Reisen unternehmen wollen und werden, weil sie
dazu zu faul sind - oder: jedenfalls das Reisefieber der Rei-
se vorziehen. – A: Mein ist die Rache! – sagt da die Trans-
zendenz. – O: Es bringt eben nicht immer zum Ziel, Ge-
nießer sein und bleiben zu wollen.

Notabene: Zu den unappetitlichsten Unworten der Gegen-
wart gehören zeitnah und zielführend. Darin ist der Ungeist
unserer Epoche gleich tonnenweise abgelegt.

Einmal war keinmal. – Ich denke, dass ich denke, ergo:
warum sollte ich sein? – Sorry!

A: Man muss es wohl so sagen: Das Brüchige ist – so-
zusagen an sich – das ermöglichende Moment. Die Ge-
danken sind die Bruchlinien und –Flächen, vielleicht auch
nur deren Glanz. O: Und was tut die Transzendenz? Sie
bedient sich der Transluzenz der Fraktur. Und verhuscht
sich ins Sublunare; an unseren Schmachtort. Warum sie
uns das antut, das bleibt ihr Geheimnis und uns ein Rätsel.

A: Wir müssen uns damit begnügen zu wissen, dass sie ei-
ne ganz besondere Wunde ist. Eine Wunde, die sich selbst
aus- und verströmt; als eine Art Blut, aber auch als eine Art

131
Duft, der indes nicht wahrnehmbar ist. – O: Kommt er doch
über das Duftartige nicht hinaus. Er bleibt bei sich selbst
stehen. - A: Daher die vielen, vielen Missverständnisse
über sie. – O: Die Transzendenz können nämlich nur die
wahrnehmen, denen eines jeden Kaisers neue Kleider He-
kuba sind - um wenigstes einmal den Shakespeare zitie-
renden Bismarck zu zitieren - : Sie hat es so gewollt. Und
muss es nun durchstehen.

Ich würde gerne, sagt er, statt Gelassenheit Herbstzeitlo-
sigkeit sagen. Ich gehe aber nicht so weit. – Obgleich ich,
stellt euch das einmal vor, bevor ich belehrt wurde, jene
die süddeutsche Landschaft skandierenden Marterln – ich
war mir dabei meiner Sache ganz sicher – Schmachterln
genannt. Die Schweizer sprechen von Helgenstöckli, wie
ihr wisst.

Immer wenn sie aufwachte, ging sie vor den Spiegel und
kämmte sich die Seele; dann erst die Haare.

Sie lebten noch in einer Zeit, in der sich die Gedanken zu-
zwinkerten, wenn sie aneinander vorbeigingen.

Was stellen sich unsere Zeitgenossen noch unter einer
Tochter aus Elysium vor? – Die möchte ich gerne einmal se-
hen.

Und was dachte sich der, der die Wendung Es geht die Sage
erdachte?

14 Wenn Gedanken sich auf sich selbst hinbiegen, ge-
schieht es (nicht nur) aus Nachsicht.

132
Couvaison obsessionelle. Es ist, wie wenn die Nacht in sich
selbst lungert.

A: Ob es wohl gut und angeraten ist, sich das Hirn wie ei-
nen Nistkäfig zu denken?

Sollte dich einmal ein Gedanke überraschen, dann lass es
dabei! – Let the matter rest!

Und Kairos? Wenn er aber kommt? – Lad ihn ein und lass
ihn rasten.

Gedankenrückstände. Der Glieder Lust und Schmerz.

Aber Staub wird ungesund und stört erst, wenn du ihn auf-
wirbelst. Darin liegt vielleicht das problematischste Mo-
ment des Jüngsten Gerichts.

O: Ein katastrophentheoretischer Ansatz lässt das Univer-
sum wie ein gewaltiges Laken erscheinen, das von unsicht-
baren Händen ausgeschüttelt wird. – Das ist schön anzu-
sehen.

A: Und die Zeit ist so etwas wie ein immaterieller Staub-
sauger, unermesslich gierig, der aber keines Staubbeutels
mehr bedarf. Denn sein Staubbeutel ist die unendliche
Nichtigkeit. Du kannst es auch so sehen, dass gerade darin
der Witz der Zeit besteht.

O: Und das will viel heißen und gibt der Zeit ihre Würde
zurück. Denn immer ist es nur der Witz, der Würde ver-
leiht und zurückgibt.

133
24 A: Das tut er15 auch mit der Ehre, allem voran mit der
verlorenen.

Title Drops. O meinte: Es würde eine lustige Geschichte
daraus, wenn du sie umschriebest. Wenn du aus der Ver-
lorenen Ehre eine Verlorene Boysen- oder Brombeere
machen würdest. Oder aus dem Verlorenen Sohne eine
Verlorene Bohne (das nur calaueris causa!). Oder aus dem
Verlorenen Paradies einen Verlorenen Paradeiser. Oder
aus der Verlorenen Zeit – sagen wir: - eine Verlorene
Sternfrucht. – Aber dazu müssest du so begabt sein wie Jo-
hann Peter Hebel. Oder einen Humor haben wie der Hans
im Glück.

Indicium Salomonis. Und A meinte: Man soll beim Denken,
wie bei jeder kriminalistischen Tätigkeit, immer der Linie
des Verdachts folgen. Ja, man muss es, denn für das Den-
ken ist der Verdacht das einzige verfügbare Indiz, das ein-
zig Triftige, sozusagen.

Und was ist ein Amor denn anderes als ein bewaffneter
Putto!? – Und ein Putto anderes als ein defunkter Amor? –
Die äußersten Symbole des menschlichen Daseins.


15 - der Witz

134
Der Überfluss kommt durch die Schleuse des Mangel.
Deswegen sieht er immer wie seine eigene Totenmaske
aus. Der Überfluss ist die Totenmaske des Mangels. – Diese
Vorstellung rührt mich.

Die Primärprozesse bleiben immer die Letzten. Sie lachen
aber nicht.

Er sagte, dass er sich nie getraut hat zu sagen, dass der Tot,
als Komplement des Lebens, vor allem ein Kompliment an
das Leben sei,

Das Ich, das liegt schon an seiner Schreibung, ist einer der
Eigenwerte des Nichts. Eine Folge davon ist das unglaub-
liche Maß, in dem wir uns nicht gewachsen sind.

Wenn du willst, dass die Sonne untergeht, zeig ihr dein Ge-
sicht.

Die Menschen, hier und da, verhalten sich neuerdings (?)
so, dass du sie um ihr Dasein nur bedauern kanns. – Was
hat sie dahin geführt?

34 Die Mitleidlosigkeit des Gradlinigen verwirrt die Sinne
der Ziellosen und Verbogenen.

135

XVI Transfigurierte Himmelsleitern (III)

7. Produktions-Serie

Es scheint nur so, dass das Leben auf praktische
Unbrauchbarkeit berechnet ist (Nachtrag zur Bergpredigt)



Jede Vorspiegelung ist eine Vorspiegelung falscher Tatsa-
chen. Darin liegt ihre Qualität und ihrer Wahrheit. - In fal-
situdine veritas, spekulär und spektakulär. – Da zeigt sie
sich. Wie sonst! Aber das ist nur philosophisch klar.

Venus Venerabilis. Jede Venus, die dich anspricht, weniger
mit Worten als mit ihrem Blick, fragt dich: Hilfst du mir
aus und weiter? – Und wenn du ihre antwortest: Ja, gerne!
– versenkst du sie in deiner Selbstliebe. Denn jede Venus
ist auch eine Venus Vulnerabilis.

Das entsonnene Spiel. Die Geschichte. Das Getu. Um die
Rückkehr.

4 Was macht das Denken inkomprehensibel? – So viele De-
tails. – Man sollte es, zum Beispiel, einmal versuchen mit

136
der absurden Aufforderung: Werdet bedeutend! – Der
Erfolg könnte nicht geringer sein als jeder andere auch.

Das Bezeichnete überlastet das Bezeichnende immer. –
Womit? – Mit der Aufgabe, ihm Bedeutung zu verleihen. S
ist das Gewicht der Bedeutung, die es dem Signifikat ver-
leiht, wie eine Medaille oder eine Medaillon, das den
Signifikanten überlastet. – Selbst dran schuld! Könnte man
sagen; aber so geht’s.

Das Signifizierte fällt dem Signifizierenden wie ein Stein –
ins Herz. Oder auf den Fuß. Eiskalt. – Ja, so geht’s!

Wir wissen vieles vom Strukturalismus; aber eben nicht
alles. Eben das nicht, was er selbst nicht weiß. Zum Bei-
spiel über sich selbst.

Racine de langue. Radix linguae. - Zungenwurzelsuche und
–behandlung: Wir Kenner, du und ich, wir wissen, dass ein
Satz, dass sei einfach einmal so aus der Luft gegriffen, die
kairotisch-historische Erscheinungsform eines Ahistori-
schen ist. Das zeitliche Gelalle einer überzeitlichen Zunge.
Aber, um ehrlich zu sein, schon das Überzeitliche war ein
Gelall. Und eine Lalie, eine Eulalie und ein Halali einer wo-
anders verwurzelten Glossa16; „... ne höhere Art von Ver-
sprechn“ (Arno Schmidt). Und, freilich, das Lispeln der
Transzendenz.

Du sollst, also, über das Klettern in Bäumen sprechen.
Auch wenn das nichts Tröstliches hat. Das Klettern in Bäu-
men – und das Sprechen darüber.


16 - auch: „die saugenden Mundteile der Schmetterlinge“

137
Die Welt kam darauf, sich unserer zu verweigern. Noch
bevor wir waren. Wer vermochte es, sie in ihrer Klugheit
zu imitieren; oder gar, ihr gleichzukommen?

Knickerisch ist, wer vergisst, dass er glücklich ist.17

Dass wir das Einzelne so unverhältnismäßig ernst nehmen,
ist der Rest von Transzendenz aus dem Schlund Gottes,
nachdem er erwürgt wurde. Gleichsam Residual-Transzen-
denz als metaphysischer Magen-Inhalt.

Du solltest nie versuchen, die Menschen nicht zu mögen.
Auch wenn du gute Gründe dafür zu haben glaubst. Es
wird sich massenhaft an dir rächen.

14 Öfter mal die Seiten zu wechseln, das lernt der Mensch
an der Mutterbrust. Und das prägt leider auch sein Ver-
ständnis von Alternativen.

Ein Satz sollte ein Brennglas der Welt sein. Auch wenn er
nicht zündet.



Du kannst nur versuchen, so wenig Typus zu sein als eben
möglich; oder nur soviel Kopie als eben nötig.

17 „KNICKERISCH, geizig, knickerhaft. Rädlein 550b u. a.: verschwenderisch im groszthun,

knickerisch im almosen. Pestalozzi 6, 226. kräftiger als knickerig.“ (Grimm)




138

Not mache erfinderisch, sagt man, aber Erfindung tut Not.
Ums Jeweilige, wie gesagt, brauchst du dir keine Sorgen zu
machen. Fürs Triviale findet sich immer ein Held. Oder
eine Heldin. Sich selbst zur Feier.

Leben ist Relativitätspraxis und viel schwieriger als Rela-
tivitätstheorie. Weil Praxis, im Grunde immer, wider alle
üblichen Missverständnisse, nur reflektierte Theorie ist.
Ehrgeizige Verdoppelung.

Theorie ist der einzige offene Durchgang, ein Korridor, der
die Praxis zu sich selber ermächtigt. Ohne Gesetz. – So we-
nig, wenigstens, zur blasphemischen Ranküne der selbst-
ernannten Praktiker.

Wenn es von jemandem heißt: Der hat Charakter! – be-
deutet das: Er hat Schlagseite oder aber verräterische Mar-
kierungen. Tattoos, die das Sein selbst gestochen hat.

Die seltene Rückkehr ins Bewusstsein. Jeder präsente Mo-
ment ist eine seltene Rückkehr ins Bewusstsein. – Aber
was kehrt da so selten zurück? Da helfen uns weder Platon
noch Proust. Ja. selbst Freud nicht.



Vertigo est vestigium. Nur eines wissen wir sicher, weil die
Sprache es uns bestätigt: Jede Spur (vestige) erzeugt einen
Schwindel (vertige). Und der ist die Spur.

139

L’abondance, le superflu. Man könnte von einer Überfluss-
Struktur sprechen, bei der das Überfließende nach unten
abfließt. Das ist sein einziger Sinn, seine Gravitation.

24 „La violence du corps n’arrive jusqu’à la page écrite qu’à
travers l’absence, par l’intermédiaire des documents que
l’historien a pu voir sur la plage d’où s’est retirée la pré-
sence qui les y a laissés, et par un murmure qui fait enten-
dre, mais de loin, l’immensité inconnue qui séduit et mena-
ce le savoir.“ (Michel de Certeau)

Die universale Erscheinungsform: Schemenhaftigkeit.

Welt und Gedankenwelt: patch work der Milieus.
Normalität: Zersplitterung. Heimkehr ins Konturenlose.

Gründung schielt immer vom einen Ende her.

Um was geht’s denen allen? – Sie haben sicher Gründe,
warum sie es nicht verraten.

Was meint ihr? – Mit euren Körpern. Warum habt ihr die
ursprüngliche Solidität des Nirwana verloren? Und die
Asche abgestreift?

Menschen! Die Luft ist stickig, wo ihr seid,

Der Peter hat vierundsechzig Jahre lang keinen Platz, den
er meint, auf der Welt gehabt. Und trotzdem, erst einmal,
bis jetzt überlebt.

140
34 Es wäre schön, wenn vor dem Weltuntergang jemand
noch ein paar grundsätzliche Dinge sagen würde.

























141
XVII Transfigurierte Himmelsleitern (IV)

8. Produktions-Serie

Über das retrograde Schnitzen von Himmelsleitern



Vorarbeiten in einem türkisgrünen Notizbuch
aus der eigenen Vorzeit

Denn „die Engel purzeln gerne von der Himmelsleiter“, wie
es mir im Jahr 1995, einem Notat zufolge, aufgegangen zu
sein scheint.

142
Das Problem, anders gefasst: Wie könntest du zu der Lüge
werden, zu der ein Gott dich gemacht hat?

Erinnerung an stille Augenblicke des Wartens. Mit dem
Blick auf den Regen draußen. Auf den Teller vor mir auf
dem Tisch. Auf das Glas, das ich anschaue, als könnte es
mir den Geschmack das Weins in meinem Mund verständ-
lich machen. Stille Augenblicke des Wartens auf meine Ge-
burt. Doch die blieb aus. Immer wieder, obwohl die Tür
aufging; obwohl manchmal ein Lächeln Geburtshilfe lei-
sten wollte.

4 O: Der Mythos ist die Philosophie, der eine Unterschrift
fehlt. – A: Also eine nicht ratifizierte Symbolische Form?

Es bleibt erstaunlich, dass der Tot Gottes die Exorzisten
nicht arbeitslos gemacht hat.

Dass diese Sätze geschrieben werden, ist nicht ungewöhn-
lich. Ungewöhnlich ist nur, dass er hier und jetzt geschrie-
ben werden. – Sie zwingen mich, sie sein zu lassen. So, wie
sie es wollen.

„Der Bezug zum Sein aber ist das Lassen. Daß alles Wollen
im Lassen gründen soll, befremdet den Verstand.“ (Heideg-
ger)

Das Schönste an der Lust ist zweifellos, dass sie hilflos
macht. Aber Hilflosigkeit bereitet keine Lust. Auch die, die
das Schreiben hinterlässt.

Psychologisch gesehen hat Augustinus recht mit seinem
„unruhig ist unser Herz, bis es ruht in Dir“. Die tranquilitas

143
conscientiae ist Voraussetzung eines lebenswerten Lebens.
Dass Augustinus sie ins Herz Gottes verlegt hat, bedeutet
für uns – Heutige – nur ihre Unerreichbarkeit.

„Ei, libe, sih mein hertze laechst! / Es ist genug: Hoehr, was
es innigst aechst.“ (Quirinius Kuhlmann)

Er aß mit Freuden den Kuchen des Nächsten und gönnte
ihm von Herzen das eigene wenige Brot.

„Fort und fort / Lacht sein Nam in meinem Munde.“ (Bach-
Kantate 171)

Draußen, im Reich des Lärms, gibt es keinen Zufall, Der Zu-
fall entsteht, wenn wir drinnen, in der Stille, den Lärm
nachmachen und uns fragen, warum es so und nicht an-
ders ist.

14 Was man nicht trennen kann, muss man gemeinsam be-
handeln. – Zum Beispiel ein Kalb mit zwei Köpfen, die
gleichzeitig Hauptweh haben.

Beim Aufwachen ist es nur wichtig, sich daran zu erinnern,
dass es einen Grund hat.

Der Ruf zerriss die Spinnweben; doch erst hatte er sie be-
wegt.

Wer barfuß geht, der hat mehr von der Erde.

Indiz. Was sich nicht schützt, glaubt noch an etwas.

144
Alles Lebendige, Bewusste versucht, mit der Zeit gleichzu-
ziehen. Das Leben ist der Schrecken der Zeit. Bei genau-
erem Hinblick: das Erschrecken der Zeit vor sich selbst.
Das Zittern und das Herzklopfen sind die Konkurrenz-
formen des Rhythmus. Ohne sie wäre kein Leben.

„Der Wind flaut ab, sofern er überhaupt noch auflebt.“
(Wetterbericht, Ö1)

Das Ergebnis eines Gedankengangs unterschiedet sich
kaum von einem Sündenbock.

Ein lässiger Starrkrampf. – Weißt du, was ich meine?

Leicht übersehene Identitäten. Spiegelbild und Feindbild.

24 Das ozeanische Gefühl der Dummheit ist so schön, dass
es zu dumm wäre, darauf Verzicht zu leisten.

Depression ist auch ein Zeichen für die mangelnde Fähig-
keit, sich selbst zu belügen.

„From the ruins of others / our pleasures we borrow.“
(Purcell, Dido)

Tradition soll ja nur ein anderer Name für schlechte Ge-
wohnheiten sein. Wahrscheinlich ist Tradition aber ein
anderer Name für die Bequemlichkeit derer, welche die
Macht haben, „innehaben“.

Seltsam, dass wir sagen: Es ist mir passiert. Es müsste
doch heißen: Es hat mich passiert. Oder: Ich habe es pas-
siert, wie eine Grenze.

145

Die Welt ist all das, was passager ist. Und es nicht merkt.
Das einzige Prinzip, dem du folgen solltest, lautet: Achte
darauf, dass alles offen bleibt; selbst als unerschütterliches
Ergebnis. Soviel Ähnlichkeit mit dem Tot sollte gewähr-
leistet bleiben.

Denn: Das dem Leben erreichbare höchste Ideal, das nann-
te man einmal so, ist ein winterlicher Exzess.

Tu immer so, als würdest du dran glauben. Dann musst du
nicht dran glauben. – Immerhin.

„...so daß dem Nichts nicht einmal mehr der es bestim-
mende färbende Charakter blieb.“ – „In bezug auf die
Sprache gehört es mit zu ihrer Schönheit, daß sie sich, wenn
sie versagt, wirksam zeigt, im Verstummen zu verstehen zu
geben fähig ist, sie sei da.“ (Robert Walser)

34 Es bleibt also wohl dabei: Alles verführt, nichts erfüllt. -
Der Rest ist Zeigen, das zu sagen versucht, es sei da.







146
XVIII Transfigurierte Himmelsleitern (V)

9. Produktions-Serie

Himmelsleitern-Fundbruchstücke



Mit geahnten sekundären Sollbruchstellen


Ich weiß nicht, haben die Himmelsleitern mehr Zeige- oder
Steige-Funktion? Mir mangelt der Grad der dazu not-
wendigen Unterscheidungsfähigkeit. Eva hat, nach allem,
doch nicht tief genug in den Apfel gebissen. Ein bleibendes
Malheur.




Was haben Zufälle und Menschen gemein? – Wir nennen
sie dumm, wenn sie uns nicht passen.
147

Wer sich als Kosmotherapeut geriert, hat Dreck am Ste-
cken.

4 Die Schwierigkeit besteht darin, den Aberwitz als Alle-
gorie zu gestalten.

Nur der Satz ist ein Geschenk, der etwas zu denken gibt.
Das ist nicht neu, müsste aber noch begriffen werden.




Autonomie gibt es nicht, wenn du glaubst, dass niemand
Herr/in der Kontingenz sein kann.

Und ein Fall kann nur eintreten, wenn ein anderer ihn ein-
lässt.

Die jeweils andere Möglichkeit ist die jeweils einzige Mög-
lichkeit.

Und das Dämmern der anderen Möglichkeit entscheidet
über Flucht oder Verharren.

Ein kluger Mann, sagte er, soll einmal, offensichtlich im
Alter, gesagt haben: Damals war ich noch aufgeklärt und à
148
la mode; und habe noch mit Lust Unsinn geredet. Dann
haben mich meine Götter schnöde18, ja schnödig verlassen.

Nein, ich kritisiere es nicht. Das steht mir auch nicht zu.
Und ich sehe es ja auch gerne. Zugegeben. Aber diese Frau-
en, die in der Sonne ihr Fahrrad vorbeischieben, mit bleich
gepudert-makellosem Gesicht, sichelscharfen raben-
schwarzen Augenbrauen und Wimpern, dass der schönste
Bambushain im japanischen Sommerwind neidisch wird,
mit wunderroten Lippen, nicht minder scharf geschnitten
als die Brauen, ihr Antlitz, also, ein vollkommenes Arran-
gement der Verführung, gleichsam eine Himmelsleiter im
Angebot, diese Frauen sind nichts für die, entschuldigt den
sozusagen biblisch jakobitischen Einwand, die pure Lein-
wand suchen hinter der Ikone; von der Ikone verlockt.



Das meint, indes, nicht eine Wahrheit oder Eigentlichkeit
etc. hinter dem Schein, nein, nur das Wunder der Leinwand,

18 „mnld. snode, nnld. snood, schlecht, böse, altnord. snauðr, entblöszt, armselig, dürftig,

gering, arm; vergl. sneyða, berauben. vielleicht bezieht sich das adj. ursprünglich auf be-
raubung und plünderung. auf einen alten starken verbaltypus (urgerman. Sneuðan) weist
schwäb. alem. beschnotten, abgemessen, knapp, spärlich (Schm. 2, 590), ... alt-
nord. snoðinn, kahl wird verglichen (Kluge etymol. wb.5 334a); mhd. snœde erscheint bis-
weilen im sinne von dünnhaarig, s. mhd. wb. und Lexer a. a. o.“
„SCHNÖDIG, adj., gleichbedeutend mit schnöde Steinbach 2, 482; im sinne von 'scharf,
heftig reizend' (vergl. schnöder wind): wären weder die stralen der sonnen, so ihme
gerad auff die gosche schienen, also klar und hitzig, noch auch der gesang der vögel ..
also scharff und schnödig gewesen, dasz sie ihn hätten an seinem tieffen schlaff
ermuntern können. Harnisch 111.“ (Grimm)

149
des Trägerelements, ohne das alle Sichel-Schärfe und –
Schwärze und das Wunderrote nicht sein könnten. – Dahin
verlockt aber auch, wenn die Schminke sich verläuft...

O; Ein ernster Nachtrag. Ein Bedenkenträger sagte einmal:
Die Selbstverständlichkeit, mit der die Heutigen auf den
Schein setzen, überrascht mich keineswegs mehr, ist und
bleibt aber sonderbar. Und erinnert mich an das verlegene
Krächzen von Sängerinnen und Sängern, die nach ihrer
verlorenen Stimme suchen. – A: Genau! – So wie Monsieur
Proust nach der Zeit!



14 O: Aber Eigentlichkeit einzufordern, das steht uns
schon lange nicht mehr zu Seele und Gesicht. – A: Richtig! –
Mindestens seit Rilke meinte, zu den Letzten zu gehören, ...
O: ... die noch wissen, ... A: ... was ein Apfel ist. – O: An Äpfel
habe ich zwar noch gewisse Erinnerungen, den Rilke glau-
be ich (A: - glauben wir! - ) aber auch zu verstehen.

150


Iudex mundi oder Klärgrube. Ein noch nagelfunkelnd neu-
er Gedanke. Vielleicht wurde das Jüngste Gericht – pro-
spektiv – nur deswegen erfunden, um doch auf eine In-
stanz hoffen zu können, die einmal alles klärt. Menschliche
Kommunikation kann das nämlich nicht leisten. Da muss
schon ein besserwissender Gott her; ein Jurist.



„Dann hat der eine Onkel noch gesagt ... dann war es ziem-
lich geil ... etc.“ (Originalton Welt, an einem Nachbartisch,
bei einem in diesem Augenblick jüngsten Gericht, 26. Mai
2017, 17h)


151

Wenn die Musik eine Kletterin im Fels ist, die nach einem
Halt sucht, so prekär er auch sein mag.

Wie Häschen in der Klärgrube ist zwar eine zu boshafte Me-
tapher, aber wenn du der Wahrheit die Ehre geben willst...

Wenn die Himmelsleitern tragfähig wären, könnten sie ih-
ren Zweck nicht erfüllen. Wollten es dann auch nicht mehr.

Könnte es sein, dass es zielführender ist, den Himmel zu er-
fliegen – statt zu ersteigen? Auch wenn es nur in Gedanken
ist?

Er sagte – „im Vertrauen“ -: „Es wäre grauenhaft, wenn die
Menschen merkten, wie konkret ich bin. Solang ihre Dia-
gnose anders lautet, bin und bleibe ich beruhigt. Da ist es
mir wirklich lieber - ich bin ja ein Philanthrop! - dass sie
mich für weltfremd oder auch nur verrückt halten. Ich sage
ihnen zwar nicht nur, was der Engel mir zu sagen aufgibt,
aber ich tue so, als käme alles von ihm. Das kann man am
Ton erkennen. Man kann es erkennen, aber nur schwer be-
schreiben. Handelt es sich doch um ein Engels-Imitat.“

Was und wer schwerelos ist, kann keine wirkliche Haltung
an- oder einnehmen. Das lässt Astronauten im „Raum“, sa-
gen wir es mit Nachsicht und Verständnis, wie verirrte
Spermien erscheinen. – Das heißt: So kann man sich, ohne
große Anstrengung der Einbildungskraft, den hilfs- und
weisungsbedürftigen Schwebezustand orientierungsloser
Spermien vorstellen.

152
24 Wenn es dir ernst ist damit, den Zustand eines im All
verlorenen Schraubenschlüssels nachzuempfinden, dann
beschreibe einfach so genau wie möglich deinen Alltag. Du
darfst dabei ruhig die Worte benutzen, die dir passend er-
scheinen. Das nähert dich strukturell einem Schrauben-
schlüssel an. Passgenauigkeit hat schon Universen zu Fall
gebracht.

Lehr-Lauf, Matrix und Karussell. Baudrillard bleibt ein
Vorbild, auch wenn er der Welt, tatsächlich, ein wenig zu
naiv gegenübersteht. Sein Begriff des Integralen unterläuft
mit seiner Sprödigkeit jede real-simulative Situation. Seine
Aporetik funktioniert wie ein Ringelspiel, welches das Bin
schon da! sich selber zuruft.

Denn Naivität verliert sich erst, wenn alles Formale aus-
getrieben ist. Und was ist das Formale? Masques mortuai-
res, préfabriqués, als Modeln der Wahrheit, wie sie sich ge-
hört.

19

Das herrschende Prinzip. Kontinuität. Den Zeigefinger vor


dem gespitzten Mund.


19
„L’inconnue de la Seine est, dit-on, la femme la plus embrassée du monde : son visage a été
donné au mannequin « Resusci Anne », qui est utilisé pour l’apprentissage des techniques de
secourisme depuis plus de cinquante ans.“ (http://hyperbate.fr/mort/2014/09/29/masques-mor-
tuaires)


153


Genaugenommen (was für ein Wort!) ist die Zeit Anarchie.
Die Anarchie des Formalen. Im Machtkampf mit sich selbst.

www. Aber ach, ein Schauspiel nur (Goethe), das war, im-
merhin, die Welt, bevor ihre Ränder implodierten.

Wäre es nicht doch ein Gottesbeweis, wenn die Schöpfung
ein work in progress wäre? Nach Hasenart.

Blendwerk und Tausendkünstler. Ein Zitat:
„In einem namhaften Ort am Rheinstrom kam ein Gaukler an, ein Tausendkuenstler, und bekam
die Erlaubnis, auf einer alten Heubuehne, die schon lange nicht mehr war gebraucht worden,
seine Kuenste zu zeigen, und zwar gleich zum letzten Mal. Fast die ganze Gemeinde versammelte
sich, und es war der Muehe wert. Dem Vernehmen nach--der Hausfreund war nicht dabei--
brachte der Tausendkuenstler zuerst zwei schwarze Katzen hervor, die hoerten einander das
grosse Einmaleins ab und rechneten verschiedene Exempel aus der verkehrten Regeldetri.
Nachdem schlupfte er durch einen metallenen Fingerring hindurch und kam auf der andern
Seite lebendig und ebenso dick wieder an, als er vorher war. Etwas an der Sache scheint
uebertrieben zu sein. Hierauf sagte er, das sei aber noch alles nichts. Jetzt wolle er sich mit
einem scharfen Schrotmesser den Bauch aufschneiden. Hernach wolle er ganz in den Bauch
hineinschlupfen, dass man gar nichts mehr von ihm sehe. Hernach wolle er sich wieder aus sich
selber herauswickeln, dass er wieder sichtbar werde. Ehe er aber das grosse Waegestueck
beginnen konnte, fing die Buehne an zu knacken. Es kracht links, es kracht rechts. Knack,
stuerzte der morsche Boden zusammen, und die ganze Zuschauerschaft waere in dem untern
Raume zusammengestuerzt, wenn nicht noch einer sich an einem schwebenden Balken erhalten
haette. Die andern lagen alle unten. Da entstand nun ein grosses, vierstimmiges Not- und
Zetergeschrei von Maennern, Weibern, Kindern und Saeuglingen. Es ist gar klug, wenn man
kleine Kinder zu so etwas mittraegt. Sie sehen alles gar gut, und wenn's an Musik fehlt, so
koennen sie machen. Alles schrie: "O mein Kopf, o mein Arm, o meine Rippen", so dass der oben
auf dem Balken genug zu troesten und zu ermahnen hatte. "Habt doch nur Geduld", sagte er,
"und seid verstaendig! Man muss sich ja schaemen vor dem fremden Mann: Merkt ihr denn
nicht, dass es nur Blendwerk ist? Euch Leuten", sagte er, "ist keine Ehre anzutun." Denn er hielt
das Unglueck fuer ein Blendwerk vom Kuenstler und meinte, unversehens wuerden wieder alle
an ihren Plaetzen sitzen.“ (Hebel)

Wie schwer es ist, klagte er einmal, so zu denken, dass man
dem Gegebenen nicht auf den Leim geht! Und wie unvers-

154
tändlich sind die, deren ganzer Ehrgeiz gerade auf diesen
Leim zielt und geht! – Büchners Ehrgeiz ging noch auf eine
bunte Jacke (nach Shakespeares Schnittvorlage). Genau die
sollten wir ihm streitig machen.

Grenzenlose Lust ist undenkbar, weil Lust das Glühen von
Grenzen ist. Oder ein eigentümlich begrenzter Schmelz-
prozess, ein Ineinander-Schmelzprozess; wie Schraffur auf
Ikonen.



Leben, die Ruhe vor dem Tode, so kam es ihm manchmal
vor; Waffenunruhe. Tiefenflug. Unlustmord. Tiefenangst.
(Notiert am
1. Februar 1995)

34 Welche Vorbilder aus den alten Glutenkisten könnte es
noch geben? Vielleicht solltest du versuchen, ein Kind aus
der Ehe einer Sirene mit einem Jongleur zu sein. Oder ein
Stiefbruder Igiturs. – „Weißt du was? – Nimm Gott zu Hilfe
und probiere es aus!“ (Hebel)

155



XIX Transfigurierte Himmelsleitern (VI)

Zehnte und letzte Serie dieser Produktion

Vom Lignin der Himmelsleitern (tastende Formeln)

Gebet, ideal. Konsultation höchster Ordnung.

Es ist nicht genug, zu sagen: ich weiß es nicht. Entschei-
dend ist, ob du nicht wissen willst.

Konsultation, ideal. Gebet höchster Ordnung. Überhaupt
erst Gebet.

4 Auch in die Wolke des Nichtwissens führt nur eine Him-
melsleiter. Selbst wenn jene Wolke dir an der Nase haftet.
Mystiker sind immer Pragmatiker. Das unterscheidet sie
von denen, die nicht wissen, was Alltag ist.

Falsche Übung macht aus der Seele Kleister. Das will nicht
einmal die Seele.

Das Problem, sagt man, ist, dass Körper und Seele eine
Emulsion ausmachen. Und das ist ein Verhältnis, das kei-
156
nes ist. Und eine Einheit bilden sie nur, wenn sie etwas
umschließt, wie ein Gefäß. Eine Zeit, ein Gott, ein Gemach
oder auch ein Ungemach. So denkt man sich das aber nicht
gern.

Eine verständliche Abwehrhaltung ist zum Beispiel, diese
Sätze nicht lesen zu wollen. Dieser Unwillen beruht auf
Sozialisation.

Sozialisierte Seelen befinden sich in einer Dauerum-
armung mit ihrem Albtraum.

Warum wir da nicht rauswollen? Das wäre, den Stickstoff
vergeuden, der wir sind.

Wir sind uns das Dämmer- und Zwielicht, das uns zu spät
aufgegangen ist.

Frösche, schien ihm, quaken gar nicht, sie gurgeln und
grollen; das Chaos und die Wut darüber.

Die Wut ballt die Faust, als könnte so Ordnung geschaffen
werden. Das Chaos sieht das und bleibt dabei, sich ins
Fäustchen zu lachen.

Die Sprache will uns glauben machen, sie sei ein wildes
Konglomerat aus Kathedralen. Und recht hat sie!

14 Er erinnert sich, dass die Sprache einmal einen Ton
hatte, der ihn verzehrte und zu ihrem Sinn machte. Es war
wie jene Revolution , die ihre Kinder frisst.

157
Obwohl es, wie bekannt, gleichsam nichts geben kann ohne
einen Anteil von Erinnerung. Aber die ist, genau besehen,
wenn überhaupt, nur eine Zutat. Eine Feier des Nur.

Gedanken sind cluster aus Seelen-Partikeln. Ihre Dichte
oder auch ihr Gerinnungsgrad entschiedet darüber, wie sie
empfunden werden.

Le livre qui livre. Die Welt, das Buch, das liefert - und aus-
liefert.

Aber wie, übrigens, sollte die Welt noch sein können, weit
ihr das Modell verlorengegangen ist!

Warum ist es, offensichtlich, noch immer so schwer zu be-
greifen, dass, wer nach Gegenwart sucht, nur aufmerken
muss; auf die Erinnerung? Es steht zu befürchten, vielmehr
zu hoffen, dass die Gegenwart bald nur noch Erinnerung
an eine gewesene Suche sein wird. Falls wir mit der Ge-
genwart nicht auch die Erinnerung verloren haben wer-
den.

Es gibt noch immer Dinge, die des hegelschen Aufhebens
nur nicht wert zu sein scheinen. Zerbrochene Muscheln am
Strand.

Souveniers-écrans. Die Verfahrensweise des Phantasmas
ist die des Massakers. Er massakriert die Erinnerungen bis
zu der Unkenntlichkeit, die wir Epiphanie nennen.

Die so genannte Weltgeschichte ist immer und an jeder
Stelle eine Epochen-Melange.

158
Schon aus Egoismus, sagte er, darf nichts von dem wahr-
werden, was ich will.

24 Ein Gedanke – schon wieder eine Definition! – ist ein
trauriger Zyklop.

Und nur eine Übermenge falscher Bilder bringt uns ihm
nah. Dem Zyklopen. Und zugleich seiner Traurigkeit.

Selbst jede Wahrnehmung, wie diese, ist eine Fiktion.
Wenigstens sie ist sicher gegründet auf dem Vergessen.

Auf der Suche nach der Zeit, überhaupt. Seltsame und zähl-
bare Abwesenheit der Dauer. – A: Verloren absolut? – O:
Oder absolut verloren?

Ein Spurengewebe. Und wir hecheln danach, als wären wir
Hunde. Spuren-Spürhunde. Und wenn wir das Gewebe
auch nur mit unsrer nadelspitzen Spürhundszunge berüh-
ren, ist es schon verzogen und seiner Gestalt entfremdet,
wie ein Kind.

O: Auf der Suche nach der Zeit, überhaupt. – Sah eine
schöne Inderin, die nur aus Augen und Haar zu bestehen
schien. Das heißt, sie schien nur darauf zu bestehen. –

A: Ein schöner Schatten: das Absolute, als Fragment. Oder
als Syllogismus: An schönen Sommermorgen scheinen die
Frauen sagen zu wollen: Wir haben schöne Beine, sonst
nichts. Wenigstens in den öffentlichen Parks versuchen sie,
ehrlich zu sein. – Auch das ist philogyn gemeint.

159
Die Aufgabe ist, jemandem in die Augen zu schauen und
absolut überzeugend zu sagen:

Ich bin nicht da! –

Weil es wahr, aber nicht zu verstehen ist.

34 Genesis en cours. O: Et entre les vallées - in der Zwi-
schen-Zeit - ist das Wort. – A: Wem das gelänge! Prousts
Recherche umzuschreiben. Unter dem Titel Trouvailles re-
travaillées. – O: Aber ist nicht jedes Ding und jeder Gedan-
ke ein überarbeiteter Fund und Findling20? – Und sind sie
es nicht nur? – A: Ein jeder Gedanke und ein jedes Ding un
bloc erratique de qualité bizarre. – O: Genesis und Neme-
sis. Das Glück sitzt, sprungbereit, immer an der Nasenwur-
zel, der vergessenen Himmelsleiter. – A: Nah der sympa-
thisch verschollen Herkunft. - O: Und dem Schadenzauber,
der freundlichsten Form des Überall. – A: Genau so müssen
wir weitermachen!
.



20 Leider fehlen uns die Worte Erfund und Erfindling. Die brächten uns der Wahrheit

beträchtlich näher.
160
XX Crueltés actuelles (normales) , dans un dé à coudre


Die rettende Intensität der beiläufigen Geste. Dabei ist ge-
rade das die Welt, was nicht danach aussieht. Die nur ver-
mutete Träne. Die davon lebt, dass du zu spät kommst, um
sie abzuwischen. Sentimental ist hingegen nur das, was
nicht zu spät kommt. Die mutwillig ausgelöffelten Tränen.

Was abstürzt, ob der Untröstbarkeit, kann nicht sentimen-
tal sein. Es gibt, auch wenn ihr es nicht versteht, unendlich
aufgerissene Wunden. Zerrissene Augen. Hände, von de-
nen nicht zu sagen ist, was sie gerne leisten würden. Die
ihr nicht zulasst. Denn ihr wisst, dass Paraklets Auftritt eu-
er Ende wäre.

Transzendenz ist ja nie der Inhalt; sondern die Form des
Denkens. Wenn es hochkommt, nur sie.

Eine Art Pfingstbotschaft, für diesmal eine Woche zu früh.
Wenn die Grenzen des Denkens verschwimmen, sich frei
schwimmen, im Hirn Gottes. Zu im Hirn Gottes gewasche-
nen Gedanken. Und – Gott sei Dank! - nicht nur gewaschen
in den Wassern, über denen der Geist Gottes schwebt. Und
auch – erst recht - nicht in the rivers of Babylon. „Ist das
endlich klar!“ (sehr laut, Paraklet)
161

In summa: Wenn sich Gedanken, selbst, wie Nüsse auf-
schlagen, sind sie solide Alternativen zu jeder Art von Eso-
terik. Nur dergestalt selbstzerstörerische Gedanken sau-
gen die Transzendenz in sich auf, bis sie Moment gewinnt.

Aber die Menschen hängen noch immer an einem ver-
dammt altmodischen Sein, einem altmodischen Ver-
dammt-Sein, comme il faut. Geh einfach auf die Straßen,
und schau dir an, was du siehst!

Eine Aura ist nichts anderes als ein Index der Dimension,
in der ein Welt-Moment wahrgenommen werden will. Mei-
stens verfehlen wir ihn. Vielleicht müssen wir ihn verfeh-
len, um stolz auf unsere Selbst-Stilisierungen sein zu kön-
nen.

O: Das ist so, wie wenn an die Stelle der Authentizität die
Hagiographie der Entfremdung tritt. Das Transauthenti-
sche. – A: Die Süßigkeit. Suavitas entis oder dulcedo entis.
Schwer zu entscheiden. Dazwischen liegt, halt und eben,
ein liebenswürdiger sinnschaffender Abgrund. – O: Lie-
benswürdig dank seiner Vorhandenheit. – A: Das lässt sich
nicht von allem, was ist, sagen. Bei weitem! Nicht!

162
XXI In memoriam aller kommenden post truths
oder auch

Zwischenrufe
von der unsichtbarsten Sprosse einer Himmelsleiter

Der Zauber der Einbruchs eines Anderen in diese Welt ent-


stammt nicht seinem Anders-Sein. Sondern seiner Aura
absoluter Diesseitigkeit. Es ist der Zauber gelungener In-
karnation. In nichts und aus nichts anderem besteht ja
auch die Überzeugungskraft der Engel.

Die Überzeugungskraft wirkt nur auf der Seite des Ge-
spürs.

Das Gespürte ist immer nur die Überzeugungskraft. Um im
absurden Bild zu bleiben: ein Geschenk des Engels an sich
selbst.

Denn jede Inkarnation entstammt einem narzisstischen In-
zest. Oder, öfter, as it were, einer traumatischen Selbstver-
gewaltigung.

Wenn man bedenkt, dass auch die Schöpfung so begann,
ob kreativ oder evolutionär, versteht man die Psychody-
namik ihrer Probleme.

Social Media. Die Frage bleibt doch, ob es einen lyrischen
Tenor wirklich geben kann. Der Wahrheitswert der Aus-
sage: "Er ist ein lyrischer Tenor" ist höchstens nur annähe-
rnd bestimmbar. Die Identität eines lyrischen Tenors, das
wiederum scheint uns unbestreitbar, ist prekär.

163
Transzendenz ist die Aura eines Dings. Mit anderen Wor-
ten: seine Bedeutung. Fehlt dem Ding eine Aura, hat es
keine Bedeutung. Bedeutung repräsentiert, das ist ihre so
einzige wie aparte Funktion, die Präsenz von Transzen-
denz. Dank seiner auratischen Bedeutung ist das Ding In-
dex der Transzendenz, sein selbstreferentieller Zeigefin-
ger. Transzendenz zeigt sich; sonst nichts. Etc. pp.

Manchmal, wenn nicht gar maximal, sind Gedanken Toten-
gräber. Aber es ist dennoch traurig, dass sie nur dann voll-
kommen sind, wenn sie so sind, wie sie nicht sein sollten.
Wie auch die Dinge. Wie auch die Menschen.

Wenn die Welt, auf ihre Weise, aus Gedanken Gottes be-
steht, dann sind sie äußerst merkwürdig. Autopoetische
nods. Rundum eines Gottes würdig. Ihr Philosophen seid
da, sie aufzulösen. Aber bitte nicht gordisch. Ihr tut mir
leid.

Klingende Münze und conditor mundi. Polgars von Tor-
berg überlieferter, in einem Kaffeehaus geäußerter Satz
"Ich habe auch kein Pferd. Aber so kein Pferd wie der S. ha-
be ich nicht!" - war, scheint mir, auf jeden Schöpfungspro-
zess gemünzt.

Menschliche Kommunikation, wiederum, münzt Kontin-
genz in Kränkung um. Wenigstens aus Prinzip. Es bleibt ein
Jammer, dass Freud diesen fundamentalen Irrsinn nicht
analysiert hat. Oder habe ich das überlesen?

Cassirers kolossaler Irrtum, dass der Kulturprozess eine
Selbstbefreiung des Menschen bedeute. Aber der Mensch
hat ja nichts anderes. Das entschuldigt freilich Cassirer -

164
und den Menschen - , wenn er von Freiheit redet.

Andererseits bietet ja nur das Unvollkommene noch Chan-
cen. Und denen geben wir den Namen Freiheit. Das ent-
spricht unserem verzweifelten Trieb zu beschönigen. Der
Unterschied zwischen Infamie und Euphemie ist, existen-
tiell betrachtet, nicht groß.

...nix als Narren des Schicksals. (Nestroy) - Und wir glau-
ben an das Schicksal, weil wir seine Peitschenschläge für
eurythmisch halten.

Er meinte: "Irgendwie, dünkt mich und mir, wäre alles, al-
les gut, wenn ich mir den Schmerzens- und Weltenträger
Atlas als Schmetterling vorstellen könnte."

Ausdruck verfließender Güte. Du musst dich in dem Ver-
trauen üben, das Proust ins Sicht- und Dichtbare mensch-
licher Mienen hatte.

Er scheute sich vor der Liebe. Weil er die Liebe für das
despotischste Gefühl hielt, das man einem anderen zufü-
gen kann. Freilich wusste er auch, dass der Liebende ein
Despot aus Schwäche ist.

Die Achtlosigkeit, die du den Momenten der Kette, die ge-
meinhin Leben genannt wird, entgegenbringst, beweist
einen gewissen Respekt vor deren Reichtum. Vielleicht
überschätzt du diesen Reichtum aber auch nur.

Es hilft nicht viel, nie viel, über Beweggründe nachzuden-
ken. Wohin sie führen ist niemals abzusehen. Es ist ja
gerade die jeweilige charakteristische Ausführung, die

165
formt und verfälscht. Das Reale, wie gesagt, gibt es ja nicht.
(Erneut Lacan; and for ever)

Die Zeit, ihr Lieben, ist allein das Transzendentwerden des
Nichts im Sein. Das ist die Form, die sie gewählt hat, um
uns so klar vor Augen zu treten.

Heidegger bleibt einer von denen, die uns die Augen aus-
geputzt haben, dass wir sehen, was wir sehen. und verste-
hen, dass es das nicht ist.

Goethe meinte mit der Dichterhand, die Wasser ballt, den
Formungsprozess eines jeden Gedankens. Nur, wie kommt
die Hand darauf?

Wie kommt sie darauf; zu formen? Dass sie das vergessen
hat, ist die Katastrophe ihrer Produkte. Vide: Die von ihr
geschaffene Welt.

Quodlibet non. - Was ja, eigentlich, nicht zu beweisen war.

Merkwürdige Vorstellung: Die Hand, die sich aus der Hand
verloren hat. Das kannst du dir nicht denken? Vide: Die
Welt.

Das Herz, schreibt Proust, sei die letzte Dimension der
Intelligenz. Auch Proust, also, konnte sich Gefühle nur als
Gedanken denken. Das Herz als Taubenhaus der Gedanken.
Kein Missverständnis könnte wahrer sein.

Über den Wert von Gefühlen entscheidet ihre Klugheit. Ein
dummes Streicheln mit der Hand ist nichts wert.

166
Falsche Gedanken werden durch ihre Menschlichkeit ge-
adelt. - "Ja, genau!"

Man müsste die Marktdurchdringung des Infamen messen
können. Aber das würde die Infamie nur bereichern.

Klagende Münze.

"Wenn der Wanderer in der Dunkelheit singt, verleugnet
er seine Ängstlichkeit, aber er sieht darum um nichts hel-
ler." (Freud)

Das kurrente Denken, im pauschalsten Sinne, ist nur in
dem Umfang rettbar, in dem es sich zersetzt. Es scheint
ihm aber an sich selbst nichts gelegen zu sein; und es
versucht sich daher zu erhalten. Das bedeutet sein Ende.
Darin liegt eine gewisse Hoffnung für die Dinge. Vielleicht
auch für die Welt. Es wäre aufschlussreich zu sehen, wie
Wittgenstein im Blick auf diese Tatsache seine Werke und
Tage umschreiben würde. Und es ist eine bejammernswer-
te Tragik, dass dies nicht geschehen kann.

Nulla est conjectura qua ducat alio. Ich muss zugeben, dass
es mir unangenehm ist, zugeben zu müssen, dass alle die
recht haben, die behaupten, dass schon jetzt nur noch loss-
loss-Situationen denk- und erkennbar sind.

Es schmerzt mich sehr, dass die Notwendigkeit dieser of-
fensichtlich unumkehrbaren Entwicklung nicht erklärbar
ist. Ein Emergenz-Phänomen ohne Bedingungen, die ding-
fest zu machen wären. - Nicht zu reden von dem inferna-
lischen Neben-Effekt, dass die Menschen noch an Kausali-
täten, zudem benennbare, zu glauben vorgeben müssen.

167
Causa non datur.

Wie aus dem Lehrbuch. Der Rauch ist das allgemeine
Zeichen dafür, dass Dinge nur, indem sie verfliegen, auf
sich hinweisen und aufmerksam machen können. Nicht am
farbigen Abglanz, mein gutester Goethe, sondern am ver-
fliegenden Index haben wir, meist unvermerkt, Welt und
Leben.

Der allgemeine Referenzpunkt der Existenz ist endgültig
der so genannte Selfie Point. Wer den beschreibt, be-
schreibt, vollständig, die Produktionsbedingungen für den
homo domesticus universalis. Es bleibt aber höchst ver-
wunderlich, dass dieser Typus es uns so leicht macht, ihn
zu durchschauen und zu identifizieren. Als einen Eupho-
rion, der nicht werden möchte. Die Mattigkeit als Seins-
Ideal, auf Abermillionen von Pixeln verteilt.

Aber klar: Das muss man erst einmal verstehen, dass
Transzendenz nicht mehr und nichts anderes ist, als die
Bedeutung der Dinge. Das heißt: Alles, was die Dinge für
uns sein können. Also Obacht! Raubt und versagt euch
nicht mutwillig die Dinge!

Wenn ihr die Dinge nicht zu nehmen versteht, wie sie sind,
rieseln sie durch euch hindurch; nicht nur wie durch ein
Sieb.

Jede Annäherung ist schwierig. Warum halten wir das für
selbstverständlich?

Glück heißt Glück, weil wir ihm nicht trauen; aus guten es-
chatologischen Gründen.

168

Analogien gibt es nicht. Aber wir sehen sie. Sie zwingen
sich uns auf.

Wer auf kurrente Weise denkt, kann gar nicht anders; als
in einen Topf zu werfen. Das ist die geforderte Methode.
Eine gängige Variante des Kannibalismus.

Kanonisches Ensemble. Albtraum-Standard. Oder: in den
Augen eines gedachten Gottes ist jedes Trauma eine Labor-
Situation. Trotzdem wird Gott nicht gerne in seinem Ar-
beitskittel dargestellt. Warum eigentlich. Nicht?

Sprechen wäre ein Synonym für „zerschweigen“, wenn es
dieses Wort gäbe. Daher muss die Wahrheit ungesagt blei-
ben, die in einem Satz wie: „Das hat sie mir gestern zer-
schwiegen“ stecken könnte. Man kann für Sprache auch
leider nicht „Zerschweige“ sagen. Mancher Mangel ist ein
Jammer und bleibt ein Malheur. Und kann auch durch die-
sen Eintrag nicht behoben werden.












169
XXII Korkzellen I

Wir flüchten uns in Prousts verlorene Zeit, wie Proust
selbst sich in seine Korkzelle flüchtete und vergrub und
unwillkürlich erinnerte. Und schrieb. Und auch starb.

"Nur für den Denker und den Kranken kann das animali-
sche Leben alle seine berauschenden Reize entfachen."
(Proust)

"Die Wände trennten in sanfter Umarmung den Raum von
der übrigen Welt." (Proust)

4 Das Fragile greifbar machen. Aber wie könnte Zerbrech-
lichkeit, das Abstraktum selbstzerstörerischer Verweige-
rung, der Gipfel narzisstischer Zartheit, greifbar werden?

Eine Fontäne feinster Spiegelpartikel.

Azur. Zersägter Blütenfall. Wolkengehäuse. Bandagen aus
apokalyptischen Müll. Dem Gefälligsten unter dem Auffind-
baren. Gleichsam patmotisch. Als könnten sich Arme noch
ausbreiten. Das Trauma der Pinguine.

Wie bleibst du verständlich, wenn du nicht wiederholen
willst?

Das Denken, nicht erst unserer Zeit, gefällt sich darin, zu
glauben, dass das Denken durchschaubar sei, wenn man
seine Bedingungen beschreiben könne. Aber Denken
zeichnet sich dadurch aus, dass es seine Bedingungen ins
Monströse des Absoluten führt. Erkenntnis darfst du, sagt
uns Gott, hörst du, nur das nennen, das keinen keinen
170
Erdenrest mehr trägt. Nicht die Spur eines Rests seiner
Bedingungen. Seine Selbstproduktionsmethode erschöpft
sich im Abwerfen seiner Bedingungen, als Bedingung der
Fülle.

Chant adhésif et irrésistable. Der Charme der Sirenen ist,
ihr wisst es, ihr unwiderstehlicher Chant. Der Zauber, vor
dem Odysseus sich mit List und Fessel schützen musste,
war ihre Performanz. Oder, eben, ihre tödliche Aura. Das
legt uns nahe, Aura auch im Bild eines verschlingenden
Schlunds zu denken, der seine Stimme zur Verführung
nutzt. Die Aura des Rufs als Köder und Leimrute.

Die einzige Unendlichkeit, die Du in deinem Leben ver-
lieren kannst, ist die Zeit. Sagen die Leute doch gerne: Ich
habe unendlich viel Zeit verloren. (Hier und da.)

Ein Gedanke kann kein Gebet sein, weil er nicht weiß, was
er will. Wenn er sich aber erfüllt, überflügelt er jedes
Gebet.

Der Mensch, sagt er, ist ein armer Teufel, der mit illegi-
timen Mitteln sich zu bereichern versucht.

Geschehen, als solches, ist unwiderrufliche Verausgabung.

14 Wenn du etwas tust, beobachtest du, wie das Mögliche
ins Unmögliche umkippt.

Jeder Umschlag, hingegen, versucht, das Imitat eines Wun-
ders zu sein.

171
Eigentlich war er nicht witzig, aber fühlte sich einmal doch
dazu gezwungen zu sagen: Der Mensch ist ein Provokateur
von Wunder-Imitaten. Schaut ihn euch nur an!

In Bezug auf den Menschen, überhaupt, erhält die Quali-
fikation eines Rufers in der Wüste eine ganz neue Bedeu-
tung. Und verliert ihre alte.

O: Damals, als sie um das Goldene Kalb herum tanzten und
hüpften, riefen sie nur: Hallo! - A: Aber ist es denn nicht so
geblieben?

In einem gewissen Sinne war für Heidegger der Tod die
Zukunft einer Illusion. Oder auch in einem radikalen Sinne.

Was ist der Mensch? Noch einmal gefragt. Ein Etwas, groß-
ärschig hingebogen, so gegen den Himmel.

Als er merkte, dass er ans Gute im Menschen glaubte, wur-
de ihm speiübel. Das war unangenehm, weil ihm nicht zu
speien gelang. Jenes Gute blieb ihm im Halse stecken. Das,
scheint mir, ist sicher der Grund dafür, dass Proust be-
hauptet, beim Schreiben nicht ans Gute gedacht zu haben.
(Brief an Binet-Valmer)

Ist es nicht genau dies - und nichts anderes! -, was die Welt
so unwiderstehlich macht; sie ist kryptogam.

Jube, Domine, benedicere. Die Aufgabe eines jeden gerade
jetzt tätigen Dichters (gibt es dies Wort noch?) ist, alle
bisherigen Bildlichkeiten zurückzunehmen. Oder vielleicht
auch an den verdammt alt gewordenen Antichrist zu ver-

172
raten und zu verkaufen. Im Anhauch eines zum Schweigen
überredenden Befehls. In irgendwelcher Sprache.

24 Wortkrümel. Das Salz in der Schöpfungssuppe.

Heidenhoden und die Gelenkigkeit der Verzeihung. Rilke
meinte, dass sich die Liebenden ihr Geschick gegenseitig
zudecken; oder so ähnlich. Aber das ist nicht so. Sie ver-
bluten ineinander. Zwei Wunden, die sich gegenseitig auf-
lecken. Ein Geschehen, dessen Wert bemessen wird nach
dem Goldstandard der göttlichen Scham, in dem Augen-
blick, in dem er, Gott, sich umdreht, im Völlegefühl seines
Alleinseins.

Wie wenn sich, zum abermalsten Beispiel, ein Kristall in
den Stein einsenkt, der jetzt vorgibt, Butter oder Pudding
oder Götterspeise zu sein.

O: Ohne was gibt es keine Fremderkenntnis? - A: You are
kidding, my friend: Ohne Selbstverkennung. Das ist doch
klar. - Das ist ja die Basis jeder Erkenntnis. - O: Das klingt
süß wie eine Brezel aus Sternenmehl. - A: - Da hast du mal
recht. 1000 Erkenntnisse, die kein Engelsbrot sind, - O: -
gehen alle auf 1 Lot. - A: Und da haben sie noch Glück.

Ein Herz, das sich von sich abstößt, sagt er, ist mir lieber
als eines, das sich umarmt; sich selbst umarmt wie ein
verkappt inzestuöser Polyp. Wie einer, der, wie Proust, sei-
ne Neigung noch vor seiner Mutter verbergen möchte.

Es hat sich seit Platons Zeiten nichts geändert. Alles nur
verletzte Natur; die nicht heilen kann, - oder doch wohl
mehr: nicht will.

173

(Das alles ist von irgendwo aufgeschnappt. Und stilistisch
nicht geschönt. So wie dieses Caveat.)

O: Mein lieber Leonardo, vielleicht könntest du doch flie-
gen, nach Vogelart. A: Aber es wäre gefährlich, zu begrei-
fen, wo die Schwerkraft liegt. - L: Liegen Schwerkräfte
denn? - M: Shut up! - A: Du würdest in den Himmel stür-
zen. - L: Das wärs dann gewesen Himmelsleitern! - O: Und
dafür übernimmt keiner irgendeine Garantie.

Soweit kommt es, wenn man seinen Namen nicht mehr
begreift, sagte Petrus auf dem Weg zu Ölberg. Und Jesus
antwortete: Das hat Tiefe, mein Gutester!

Jenseits jeder Geschlechtlichkeit, auch wenn sie ihre
Sichtbarkeit vollkommen verliert, werden die geschlecht-
lich konnotierten Gesten bleiben. Sie werden am Ende
beweisen, dass es nie anderes gab. Als solche und andere
Gesten. Blumenverschmiert. Du musst, sagt er, lernen, dir
dafür zu danken, dass es dich gibt.

34 Wenn die Sonne verschwunden ist, nein, das ist nicht
mythologisch gemeint, wenn sie hinter einem Hochhaus
verschwunden ist, dann verschwindest auch du. Erinnerst
du dich an den Traum, in dem der Mond explodierte; und
du dich sehr verwundert umschautest. - Nach dem Mond
suchtest du nicht.




174
XXIII Korkzellen II

auch

Lauertechniken, in Raten


Wenn es eine Schuld gibt, ist es dann nicht die an der eige-
nen Hypersensibilität; wie die anderen es nennen?

Mein doch Proust, u.a., auch, dass nur das Böse den Kün-
stler sensibel und sublim macht.

Die Tiefe der Betrachtung ist ein Produkt des Stillstands.
Proust biss dabei, wie Reynaldo Hahn berichtet, in die Spi-
tzen seines Oberlippenbarts.

4 Es gibt Beobachtungen, denen wir nicht folgen. Obgleich
wir doch späte Ritter des Denkens, ohne Fehl und Tadel,
sein wollen. Ritter des Geistes - von der lauernden Gestalt.

Das Leben ist auch ein Dilemma ohne Größe.

Eine Philosophie oder auch nur eine Philosophiegeschichte
des Boléro, in der Ravel nur eine Randnotiz wäre, würde
uns weiterhelfen. Es fehlt leider an ergiebigen Vorarbeiten.

Wenn schon Leslie Stephen im neunzehnten Jahrhundert
schreibt, dass der Sonnenuntergang in den Alpen nach
dem Baedeker riecht, was bleibt uns da noch zu sagen? –

Warum wundern sich die, fragt er, die mit einem scheelen
Seelen-Dauerblick auf die anderen schauen, wenn sie nicht

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geliebt werden? Denn so schlicht ist bisweilen die Men-
schen-Psychologie.

„Ich weiß das besser als du es verstehen kannst.“ (A. Schni-
tzler)

Einmal ist keinmal, sagte auch Walter Benjamin. Das gilt
für nichts mehr als für das Vergessen. Außer aber für das
Erinnern.

Das Symptom ist Gesicht eines Unbekannten. Das kurrente
Denken schämt sich nicht mehr, das Symptom für die
Krankheit zu halten; und zu absolutieren. Das wird am
deutlichsten in der Politik. - Lieber Marx, Deine Tränen
wischt Dir keiner mehr ab.

Die These vom Ende der Geschichte gilt zumindest für das
Denken. Es scheint sich seiner Geschichte zu schämen. Und
versucht sie zu ignorieren, als wär sie ein Stalker.

Von den Geleisen zu springen, das ist keine Richtungskor-
rektur.

14 Scham, so soll Mencius gesagt haben, ist der Moment, in
dem der ganze Körper auf den Kollaps des moralischen Sy-
stems reagiert, dessen Teil der Einzelne ist, und dessen
Regeln ihm an- und eingeboren sind. In diesem Moment
sei der Einzelne außerstande, den Blick zu erheben. - Darf
man also sagen, dass der Blick auch so etwas wie der
Gesandt des Körper ist? Der in kritischen Momenten seine
Mission nicht erfüllen kann.

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Digging for examples. Die Scham ist eine Souffleuse. - So
genannte face cultures sind kontextsensitive Kulturen, in
denen moralische Scham die Regeln der Kommunikation
einflüstert. So wie Platons kleiner Dämon es einmal tat.

Psychopathy. Die Eroberung der Gipfel, welche nur die
Normalität erreichen kann.

Vor allem das Gefühl diskreter Verlegenheit zeigt uns, und
zwingt uns zu erkennen, dass wir in diese Welt, in dieses
Milieu, in diesen Moment nicht gehören.

In einem dazu irgendwie, also prägnant reziproken Mo-
ment geraten wir in die verlockende Gefahr, für die Trans-
zendenz empfänglich zu werden, nämlich wenn „man der
eigenen Stimme lauscht, als käme sie von einem anderen.“
(Proust)

Ich beginne, der Proust’schen Selbstverständlichkeit, wie
ich sie sehe, zu verfallen. – Wohl bekomms mir! –

Es könnte einer sagen: Ich trennte mich von mir und war
endlich und unendlich allein. – Selbstbesitz als unüberbiet-
barer Verlust-Status. Der ultimative Luxus, die letzte mo-
notheistische Rache an einer Milliardengesellschaft.

Tja, lieber Marcel, die mutmaßlichen Dimensionen des
Kosmos im Sinn, kann unsere Rache an der Genesis, in al-
len vorliegenden Varianten, nur mikroskopisch sein. Im-
merimmer hinhin, um Celan zu parodieren, wenn das mö-
glich ist. Wie würde Celan heute lachen. Er brauchte sich
von keiner Brücke mehr zu stürzen. Zöge mich aber mit.

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„Nach dem verheerenden – pardon! – verhinderten Terror-
anschlag in Brüssel...“ (Nachrichten BR 5, 21. Juni 2017,
12.15 Uhr)

Sie versuchen, sagte er, unser Denken zu erledigen, indem
sie es so beschreiben, wie es nicht ist. Dagegen gibt es
keine Werkzeuge. Denn nur die Macht, und es gibt nur Ge-
gen-Macht, kennt ihre Schliche. Daher muss sie mit uns
untergehen. Bleibt also keiner übrig, der sich freuen kann.
Auch keine. – Muss ich das erklären? Zeigt mir eine Macht,
die schöpferisch ist! Macht ist die Ranküne des Sterilen,
wenn sie, sagen wir es neutral, dem Schöpferischen begeg-
net. Vor diesem kann sie nur mörderisch in die Knie gehen
und brechen.

24 Wie können wir uns den oder das, das zuletzt lacht, vor-
stellen? Als Sturm, der über alles hinweggeht? Als traurig
lachenden Gottvater im Absinth-Rausch? Als Biene, die ih-
ren Rüssel einrollt? Oder vielleicht doch eher als einen
Touristen, der über die Abrechnung lacht? Und auf recht-
liche Mittel sinnt? Wenn man im Freien sitzt und auf ein
Gewitter wartet, scheint die letzte Alternative sympathisch
plausibel.

Erspart mir Beweise und Demonstrationen. Noch nie war
und fühlte sich das Hässliche so in Blüte wie heute. Steige-
rungen sind freilich nicht ausgeschlossen. Und werden
nicht ausgeschlossen gewesen sein. Das müssen die Spä-
teren, des Genossen Brechts „Nachgeborene“ entscheiden
müssen. Das wird aber nur gehen. Wenn sie es auch wol-
len. Und das scheint im Augenblick unwahrscheinlich.

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Er wollte aufgeben und schreien, als er bemerkte, dass er
begann, die Welt auf ihre Begriffe zu bringen.

Wie fühlte er sich da? Wie einer, der vom arktischen Kie-
fer, also dem aus Eis, eines Drachen gepackt wird. Nie
stößt, offensichtlich, ein Heiliger Georg tief genug. Dazu
reicht sine Neigung für rettungsbedürftige Jungfrauen und
auch andere Damen nicht aus. Und das müssen erkenntnis-
kritische Philosophen ausbaden. Das sei auch Siegfried ge-
klagt.

Die Stimme des anderen in dir wird gespenstisch, wenn du
bemerkst, dass sie, die Stimmer, dich dir zurecht ent-
fremdet. Und du das Gefühls hast, wie damals, im Traum,
dass es eine Welt geben könnte. Sie lag vor dir wie eine un-
gebrauchte Landschaft. Urobszön. Oder zumindest paläo-
zän. Dass du nicht zugegriffen hast, das rächt sich heute;
und immer wieder. Aber wer kann denn auch auf unge-
brauchte Landschaften zugreifen? Ich könnte es nicht ein-
mal jetzt. Das heißt: Jetzt könnte ich nicht mehr. Mir ver-
bietet es mittlerweile die Einsicht.

Es wäre schön, wenn die Welt, insgesamt, nach, frisch ge-
mähten, Heu röche. Das ist zu spät zu viel verlangt. – Ist
mir klar.

Das Leben, wenn es ist, greift immer zu kurz. Das ist das
schönste denkbare Wunder. Denn wenn es nicht ist, ihr
wisst es ja, greift es gar nicht. Und ihr fangt an, zum
Beispiel, Tennis zu spielen. Oder Schlimmeres.

Wenn du dich nur, das sag nicht ich, der jeweiligen Not
stellst, stellst du dich gar nicht.

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Wir wissen so viel über die soziale Bedingtheit unserer
Existenz, dass wir uns getrost und guten wissenschaftli-
chen Gewissens darüber hinwegsetzen dürfen. Wir müssen
uns sogar darüber hinwegsetzen, damit sich die Welt in
uns nicht zu klein macht.

Es gibt, sagte er, keine interessanten Frauen mehr, sonst
würden sie mich ansprechen.

34 Hunger ist kein wirklich schlechtes Gefühl. Es treibt ei-
nen an und es treibt Blüten.



















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XXIV Hinter der Sommersonnenwende:





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