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Die Wandlung zum

Text Hans Witschurke

Metamuseum

Altes Museum 1823–1830 Neues Museum 1843–1859 Alte Nationalgalerie 1868–1876 Bode-Museum 1898–1904

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Vor vier Jahren erschien ein Buch Mit der Fertigstellung der James-Simon-Galerie
stellt sich die Museumsinsel als ein faszinieren-
zur umfangreichen Entwicklungs- des und vielschichtiges Metamuseum dar, an dem
die gesellschaftliche Entwicklung der letzten
geschichte der Ideen, Planungen zweihundert Jahre ebenso abgelesen werden

und Bauten für die Berliner Muse- kann, wie die Evolution des Gebäudetyps.
Die einzigartige Verknüpfung von Stadt, Topo-
umsinsel. Mal mutig, mal vorsich- grafie, Sammlungen und Architektur ist Ergeb­-
nis eines langsamen Wachstumsprozesses. Jede
tig ergab sich in vielen einzelnen neue Generation hat den Ausbau unter wech-

Schritten ein Gebäudeensemble, selnden Vorzeichen weitergetragen. Mit ihren in-


einander verwobenen Museumsgebäuden zeigt

das nun mit der James-Simon-Gale- sich die Insel im doppelten Sinne als Geschichte:
als Ergebnis historischer Schichtung und als
rie abgeschlossen wurde. unterschiedliche Kapitel einer großen Erzählung.
Sammlungswachstum, technischer, wissen-
schaftlicher Fortschritt sowie gesellschaftliche
Veränderungen gaben immer wieder neue Im-
pulse. Die sechs Gebäude zeigen einen vielfälti-
gen Formenreichtum und wenden sich auf sehr
unterschiedliche Weise der Stadt zu.
Das Planen und Bauen von Museumsgebäu-
den folgt einer über lange Zeiträume wirken­-
den gesellschaftlichen Kraft. Die Entwicklung der
Museumsinsel mit der über fünf weltanschau­
liche Systeme zurückreichenden Planungsge-
schichte ist ein eindrückliches Beispiel für einen
durch diese Kraft getragenen Planungsprozess.
Pergamonmuseum 1907–1930 1945, Teilweise Zerstörung Wechselnde Verantwortliche mit differierenden

Links: Perspektivische An-


sicht und Lageplan eines
Entwurfs für den nördlichen
Teil der Insel mit dem Mu­
seum für Nachklassische
Kunst; Bernhard Sehring,
Gewinner des Schinkelwett-
bewerbs 1882. Der Entwurf
sah auch lange Kolonnaden
am Kupfergraben vor.
Rechts: Neues Museum mit
dem Direktionsgebäude
des Packhofs von Schinkel,
das 1935 abgerissen wur­de.
Dort steht heute die James-
Simon-Galerie.
Abbildung links: Architektur­
museum TU Berlin; Foto:
Brandenburgisches Landes­
amt für Denkmalpflege,
Messbildarchiv

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1. Preis, 1993, Giorgio Grassi,
Mailand. Vor dem Neuen
Museum steht ein niedriger,
nahezu geschlossener
Baukörper.

2. Preis, David Chipperfield,


London. Geplant war ein
bewusst modern zu erken-
nender Bau mit der Nofre­
tete im eigenen Glaskubus.

4. Preis, Frank O. Gehry, San-


ta Monica. Vier aufgestän-
derte Bauformen und als Er-
gänzung eine Überbauung
des Pergamonhofs

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Mit ihren ineinander verwo-
benen Museumsgebäu­-
den zeigt sich die Museums-
insel im doppelten Sinne
als Geschichte: Als Ergeb-
nis historischer Schich-
tung und als unterschiedli-
che Kapitel einer großen
Erzählung
Entwurf von David Chipper-
field Architects von 2001.
Fotomontage des Blicks von
der Schlossbrücke
Abbildungen: BBR
umsinsel gelegt, war jedoch nicht für ihren nach- des Preußischen Finanzministeriums von 1939
folgenden Ausbau geplant. In dem Schinkels sieht hier zwei Pfeilerhallen vor, eine an der
Solitär den Lustgarten von den unansehnlichen Bodestraße gelegene als erster Anlaufpunkt und
Hafen- und Lagerarealen des Packhofs auf Kasse sowie eine weitere zwischen Neuem Mu­
dem nordwestlichen Inselareal räumlich abriegel- seum und Pergamonmuseum zur Bewirtung. Die
te, erzeugte er ein Grundproblem, mit dem alle NS-Zeit hinterließ die Museumsinsel – nach gi-
nachfolgenden Projekte umzugehen hatten. Stü- gantomanischen Plänen zu ihrem Ausbau – mit
lers Freistättenprojekt für den Nordosten der verheerenden Zerstörungen.
Insel basierte auf einem Kolonnadenhof, der über Bereits während des Wiederaufbaus in sozia-
eine Achse vom Schloss mit dem Lustgarten in listischer Zeit brachte der Bauleiter der Staatli-
Beziehung gesetzt war. chen Museen Friedhelm Seiler jenen zukunftswei-
August Orths Initiativentwurf von 1875 folgte senden Gedanken in den Planungsdiskurs ein,
der Erkenntnis, dass die künftigen Museen auf der den Ausbau der Museumsinsel bis in das 21.
dem ehemaligen Packhofareal im Nordwesten der Jahrhundert hinein prägte: eine neuartige Ver-
Aufgaben und Blickwinkeln haben die aufeinan- Insel hingegen von dem zentralen Bereich am knüpfung der teilzerstörten historischen Gebäude
derfolgenden Museumsprojekte vorangebracht. Lustgarten schwer aufzufinden sein würden. Sein bei ihrer gleichzeitigen Ergänzung mit zusätz­
Viele, teils widersprüchliche Anforderungen, die Projekt zur Erweiterung der Museen in Berlin lichen Serviceangeboten. Seilers Gedanken wir-
von staatlichen Repräsentanten, Museumsdi- wollte dem Problem mit einem prägnanten Ein- ken in die Planungen zum Wiederaufbau des
rektoren, Archäologen, Sammlern, Denkmalpfle- gangsgebäude am Kupfergraben begegnen. Ein Neuen Museums vor und nach dem Mauerfall hin-
gern, Kuratoren und öffentlicher Kritik vorge- Säulenportikus mit einer Freitreppe sollte einen ein. Noch 1993 verknüpfte die Auslobung des
tragen wurden, bereicherten die Entwürfe. Dabei von der Schlossbrücke gut wahrnehmbaren Zu- Wettbewerbs zur Wiederherstellung des Neuen
kehren ortsspezifische Motive, programmati- gang für den erweiterten Ausstellungskomplex Museums und zur Errichtung von Ergänzungs-
sche Überlegungen und architektonische The- stiften. und Verbindungsbauten auf der Museumsinsel
men in stets veränderter Form wieder. Die ste­ 1882 und 1884 entwickelten zwei vielbeachtete für Ausstellungs- und Servicezwecke mit der
tige Beschäftigung mit der stadträumlichen In- Wettbewerbe Szenarien für die Erweiterung des Einrichtung eines Kurzrundgangs zu den Haupt-
szenierung der Uferbebauung, der funktionalen Museumsquartiers, die ebenso unberücksichtigt exponaten.
Ergänzung des Bestands und der Verwendung ar- blieben wie Alfred Messels Plan von 1907, das Die sehr unterschiedlichen Ansätze der Preis-
chitektonischer Würdezeichen wie Säulenhalle, Pergamonmuseum mit den im Neuen Museum be- träger machten die Differenzen sichtbar, die sei-
Sockel und Freitreppe lässt den Planungsprozess heimateten Sammlungen zu vernetzen und ei- nerzeit im Hinblick auf den Umgang mit dem En-
als Dialog erscheinen, der sowohl über die Pla- nen Eingang an der heutigen Bodestraße herzu- semble bestanden, und führten zu einer mehr-
ner verschiedener Generationen greift, als auch stellen. jährigen Kontroverse um die künftige Gestalt. Im
innerhalb einer Zeitebene wirksam ist. Mit der Eröffnung des 1930 unvollendet fertig- Kern der Auseinandersetzung stand die Frage,
Die Planungsvorgeschichte der James-Simon- gestellten Pergamonmuseums trat neben der ob der Museumsarchitektur des 19. Jahrhunderts
Galerie beginnt in den 1870er Jahren als das Zugangsproblematik auch die Erfordernis zusätz- und den Spuren ihrer Geschichte eine eigene
1841 durch Friedrich August Stüler erarbeitete Pro- licher Serviceeinrichtungen zutage. Zugleich Würde zuzumessen sei oder ob sie modernen Ge-
jekt für die von König Friedrich Wilhelm IV. initi- wurde der Ruf nach einem städtebaulichen Ab- staltungsabsichten unterworfen werden kann.
ierte Freistätte für Kunst und Wissenschaft vor schluss laut, „der vielleicht als Fortführung Giorgio Grassis erstplatzierter Beitrag erwies den
seiner Vollendung stand und Gedanken für die der Säulenhallen gedacht ist, die Neues Museum bestehenden Museumsgebäuden großen Res-
Verlegung des Packhofs nach Moabit die Pers- und Nationalgalerie einschließen und binden“. pekt und skizzierte wichtige Hauptlinien der spä-
pektive für eine Bebauung der gesamten nörd­ Der Abbruch des Direktionsgebäudes des teren Realisierung vor. Er wahrte nicht nur das
lichen Spreeinsel für Museumszwecke öffneten. Packhofs im Jahr 1935 rückte das Kupfergraben- historische Erscheinungsbild des Ensembles, son-
Der Bau von Karl Friedrich Schinkels Altem grundstück erneut in das Blickfeld der Muse- dern bezog auch dessen Geschichte in die mu-
Museum 1830 hatte den Grundstein für die Muse- umsplaner. Der Entwurf der Hochbauabteilung seale Inszenierung mit ein.

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Hochbauabteilung des Preuß. Finanzministeriums, M. Woldt, TU Dresden, Entwurf Funktions- Büro für Investitionen, SMB, Peter Flierl,
Entwurf Funktionsgebäude, 1939 gebäude, 1965 Entwurf Rekonstruk­t ion Neues Museum, 1982

Aufbauleitung SMB, F. Kalusche u.a. Eingangs­ Giorgio Grassi, Wettbewerb Neues Museum und David Chipperfield, Wettbewerb Neues Museum
gebäude Neues Museum, 1990 Ergänzungsbauten, 1. Preis, 1993 und Ergänzungsbauten, 2. Preis, 1993

Frank O. Gehry, Wettbewerb Neues Museum und Hans Kollhoff, Wettbewerb Neues Museum und O.M. Ungers, Wettbewerb Neues Museum und
Ergänzungsbauten, 4. Preis, 1993 Ergänzungsbauten, 1993 Ergänzungsbauten, 1993

Die Abfolge der Entwurfs-


pläne verdeutlicht die
Vielzahl der Ansätze seit
1939, die teilweise heftig dis-
kutiert wurden.
Abbildungen: Hans Wit­
David Chipperfield, Eingangsgebäude, 2001 David Chipperfield, Überarbeitung Eingangs­ schurke
gebäude, 2007

Hans Witschurke
Dr.-Ing., studierte Architektur in Berlin und in Rom. Seit 1994 ist er als Architekt tätig, u.a. beim Umbau der Alten National-
galerie auf der Museumsinsel. 1997 gründete er sein Büro in Berlin. Vor 2001 bis 2018 unterrichtete er an der TU Dres­-
den als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl Öffentliche Bauten von Prof. Ivan Reimann sowie als Vertretungs-
professor am Institut für Gebäudelehre und Entwerfen. 2017 und 2018 war er Gastdozent am IAUV in Venedig. 2012 pro­
movierte er über die Architektur der Museumsinsel. Sein Buch Museum der Museen erschien 2015. Ihm liegt ein Tafelwerk
auf CD bei, das die architektonische Entwicklung der Museumsinsel mit Planreproduktionen, Umzeichnungen und
Erläuterungen in grundlegender Weise dokumentiert.

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Der Interessenkonflikt zwi-
schen Museen und Denk­
malpflege, der mit dem Wett-
bewerb von 1993 zu Tage
getreten war, wurde erst
nach einem internen Gut-
achterverfahren 1997 und Museum der Museen
Die Berliner Museumsinsel als Entwicklungsgeschichte
weiterer öffentlicher Kon­ des deutschen Kunstmuseums

troverse gelöst. Von Hans Witschurke


356 Seiten mit 500 Abbildungen und CD-ROM, 69 Euro
Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz und
Geymüller, Verlag für Architektur, Aachen – Berlin, 2015
ISBN 978-3-943164-13-8

David Chipperfields zweitplatziertes Konzept aus vier ineinander verschränkten, abstrakten


entsprach mit einem kontrastreichen Wechsel- Kuben wollte mit opaker Gebäudehülle der stei-
spiel zwischen einem rekonstruierten Neuen Mu- nernen Schwere der historischen Museumsge-
seum und einer High-Tech-Architektur briti- bäude entsprechen und zugleich ein modernes
scher Prägung sowohl dem in Teilen der Berliner Zugangssignal in die umgebende Stadt aussen-
Bürgerschaft gehegten Wunsch nach einer den (Abbildung Seite 31). Nach fünfjähriger Pla-
vollständigen Rekonstruktion des historischen nungspause wurde der Entwurf aufgrund der Kri-
Museumsgebäudes als auch dem von Auslo­ tik verschiedener Seiten erneut überarbeitet.
berin und Teilen der Architektenschaft getrage- Das Kolonnadenmotiv, das Chipperfield bereits
nen Bedürfnis nach einem explizit zeitgenössi- während der Vorplanungen um das Jahr 2000
schen Ausdruck auf der Museumsinsel. in Betracht gezogen hatte, kehrte in filigranen
Der von den Museen favorisierte, mit dem vier- Proportionen wieder zurück.
ten Preis prämierte Vorschlag Frank O. Gehrys Heute stiftet die James-Simon-Galerie mit ih-
entwickelte eine spektakuläre, in dekonstrukti- ren modernen Kolonnaden eine neue Adresse.
vistischer Sprache verfasste Gebäudekompo­ Mit einer schlanken Pfeilerhalle mittleren Maß-
sition entlang des Kupfergrabens bis in die erste stabs – zwischen der Säulenhalle Schinkels
Reihe am Lustgarten und ließ die Museumsge- und den Kolonnaden Stülers – tritt das Bauwerk
bäude in die zweite Reihe rücken. in Maßstab und Gestus vor den benachbarten
Der Interessenkonflikt zwischen Museen und Museumsgebäuden zurück, während seine gro-
Denkmalpflege, der mit diesem Wettbewerb zu ße Freitreppe und sein portalartiger Eingang
Tage getreten war, wurde erst nach einem inter- ein klares Zugangssignal an die Stadt senden.
nen Gutachterverfahren 1997 und weiterer öf- Die neue Konzeption für den Ausbau der Mu­
fentlicher Kontroverse um den Umgang mit dem seumsinsel integriert eine Vielzahl von Überlegun-
Gebäude gelöst. Nach mehrfacher Überarbei- gen und Vorschlägen, die bis ins 19. Jahrhun-
tung durch die beteiligten Architekten wurde ent- dert zurückreichen. Der Wiederbaubau des Neu-
schieden, den Wiederaufbau des Neuen Muse- en Museums führt mit der Thematisierung der
ums in die Hände von David Chipperfield zu legen. Museums- und der Zerstörungsgeschichte in der
Darüber hinaus entwickelten Vertreter der Mu- Architektur- und Ausstellungskonzeption ihre
seen und der Denkmalpflege sowie die sogenann- Erzählung in die jüngere Geschichte des Ortes.
te Planungsgruppe Museumsinsel aus den Ar- Der laufende Umbau des Pergamonmuseums
chitekten, die mit den Planungsaufgaben an den wird einen Kurzrundgang durch die Highlights er-
historischen Museumsgebäuden beauftragt möglichen. Als komplementärer Baustein etab-
waren, ein gemeinsames Konzept, den „Master- liert die James-Simon-Galerie den hierfür nötigen
plan Museumsinsel“. Der 2000 vorgestellte Plan Zugang und ergänzt das Museumsensemble
klärte den Sachverhalt mit einem neuen Erschlie- entsprechend der gewachsenen Anforderungen.
ßungskonzept. Es beinhaltete eine teils auf der Mit der in ihrem Sockel geplanten Ausstellung
Ebene der Sockelgeschosse in den Museen, teils zur Geschichte des Ortes und den Ausblicken
unterirdisch geführte Verbindung der Gebäude aus der hochstehenden Pfeilerhalle auf zwei
mit Ausnahme der Alten Nationalgalerie und ein an Jahrhunderte Museumsbaugeschichte insze-
strategischer Stelle in Verlängerung des Lust- niert sie Ort und Architektur auf neuartige Weise
gartens am Kupfergraben gelegenes neues Ein- und ebnet den Weg zu einer neuen Beschäfti-
gangsgebäude. Der hierfür 2001 von Chipper- gung mit Veränderungen im Selbstverständnis
field vorgelegte Entwurf mit einer Komposition unserer Gesellschaft.

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