Buddhismus
beginnen
Mit Buddhismus beginnen
Erstkontakt .................................................................................................................................... 5
Kommentarliteratur lesen............................................................................................................. 9
Literaturverzeichnis..................................................................................................................... 11
Erstkontakt
Mein Erstkontakt mit dem Buddhismus war, als ich für eine Strafarbeit über Venedig in der
Bibliothek recherchierte. Neben den Venedig-Büchern nahm ich noch eins über Buddhismus mit. Der
Erstkontakt ist vielfältig und individuell: irgendein Buch, YouTube-Video oder eine Veranstaltung usw.
Möchte man nach diesem Erstkontakt mehr über Buddhismus erfahren, dann stellen sich einem
mehrere Fragen über das Wie und Wo?
„Ein authentisches Wort oder gar eine ganze Lehrrede aus dem
Mund des Buddha wird uns also, historisch gesehen, niemals
zugänglich sein. Während sich bei vielen Lehrreden des älteren
Buddhismus aber vermuten lässt, dass sie wenigstens im Kern auf
die Zeit des Buddha zurückgehen könnten, ist dies für die
1
So wird zum Beispiel im Artikel 10 Great Buddhist Books, Recommended by 10 Buddhist Teachers in
(Lion's Roar, 07.04.2019) keinmal ein Lehrreden-Text empfohlen. Zwei Bücher haben zumindest
frühbuddhistische Literatur als Grundlage.
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https://suttacentral.net/an2.118-129/de/nyanatiloka
3 (pamokkha, 2018, S. 5): „Mit dem Begriff ‚Buddhologe‘ bezeichne ich einen Akademiker, der sich
Demnach ist es sinnvoll, dem Buddha mittels der frühbuddhistischen Literatur begegnen zu
wollen. Ich vergleiche den ursprünglichen Buddhismus und Frühbuddhismus 5 mit dem GPS (Global
Positioning System). Vor dem Jahr 2000 hatte die kommerzielle Nutzung von GPS eine künstliche
Signalverschlechterung – sprich die Genauigkeit der Ortung wurde verschlechtert. Der
Frühbuddhismus steht hier für das GPS mit eingeschalteter Signalverschlechterung und der
ursprüngliche Buddhismus für das, was abgebildet wird. Leider ist im gegenwärtigen Buddhismus die
Signalverschlechterung nicht künstlich, sondern systembedingt. Der Frühbuddhismus taugt zur
Navigierung und Verortung, ist aber limitiert.
• Bodhi (2005): In the Buddha’s Words: an Anthology of Discourses from the Pāli Canon,
Wisdom Publications (hier käuflich erwerben)
• Bodhi (2008): In den Worten des Buddha, Verlag Beyerlein & Steinschulte (hier käuflich
erwerben)
• Pamokkha (2019): In the Buddha’s Words: Sujato edition (wird nachgereicht). Diese
Version basiert auf der freien Übersetzung der Lehrreden vom Ehrwürdigen Sujato.
Die Sprache ist aber schon komisch, oder? Ja, in der Tat. Möchte man sich jedoch ernsthaft mit
einer 2500 Jahre alten indischen Religion beschäftigen, dann ist es erforderlich, das eigene
Convenience-Denken aufzugeben. ‚So bequem und schnell wie möglich‘ mag beim Essen gerade noch
gehen, nicht aber bei einer fremden Religion und dem eigenen Leben. Eine der wichtigsten
4
(Hartmann, 2011 (1), S. 34)
5
Siehe (pamokkha, 2018).
Eigenschaften, die es gilt im Buddhismus zu kultivieren, ist Geduld. Wer schon an einer etwas
schwierigeren Sprache scheitert, scheitert dann wahrscheinlich auch den Rest des Weges.
Treffen sich ein Tibeter und der Papst in einer Bar: der Tibeter erzählt von sich, wie er seit
mittlerweile 25 Jahren Christ ist und wie toll er alles findet. Auf die Frage des Papstes, welches seine
Lieblingsstelle in der Bibel ist, sagt er: ‚Bibel? Habe ich nicht gelesen‘. Dies geht dann noch zweimal hin
und her: Neues Testament? – nein; Evangelien? – nein. Gelesen hat der tibetische Christ einen
mittelalterlichen Scholastiker, viel Anselm Grün und ähnliches. Weil die Bibel-Sprache so komisch ist.
Wäre das nicht merkwürdig?
Dies allein ist schon sehr viel wert, und ein notwendiger Schritt in die ebenfalls notwendige
Selbständigkeit. Aber warum nicht gleich auf Verständnis lesen?
Ich habe mehrfach die Erfahrung gemacht, dass ich beim Lesen eines Fachbuchs über eine
schwer zu verstehende Beweisführung gestolpert bin. Nach längerem und erfolglosem Nachdenken
habe ich dann weitergelesen, nur um zu sehen, dass der Autor ein paar Seiten später sein Argument
noch einmal von einer anderen Perspektive und mit weiteren Informationen aufgreift. Und jetzt war
es leicht zu verstehen. Dies ist sicherlich eine Erfahrung, die man beim Lesen der Lehrreden machen
wird. Die Hauptnikāya folgen keinem pädagogischen Aufbau.
Ein weiterer Grund, warum man nicht gleich auf Verständnis lesen sollte ist, dass man die
Lehrreden durch die Lehrreden verstehen sollte. Zuvorderst sollen sich die Lehrreden selbst erklären.
Nachdem man die erste Lehrrede gelesen hat, hat man in der Regel aber nur die eigenen Vorstellungen
für die Interpretation zur Hand. Mit seiner „Verblendung“ kann man die Worte Buddhas bzw. eine
fremde Religion nicht richtig interpretieren. Ich halte kritisches Denken für unabdingbar, deshalb habe
ich weiter oben auch schon von einer notwendigen Selbständigkeit geschrieben. Aber erst einmal muss
man die Lehrreden so verstehen, wie sie sich selbst verstehen (emische Perspektive) und als Teil einer
bestimmten Kultur-Zeit. Habe ich dies zumindest rudimentär getan, kann ich mich mittels kritischen
Denkens dazu positionieren (siehe dazu die zweite Bedingung für Erkenntnis weiter oben).
Wie damit umgehen? Angenommen man fühlt sich von der Bodhisattva-Praxis angesprochen,
dann kann man erst jetzt – dank des Grundlagenstudiums – eine Entscheidung treffen. Ohne das nötige
Wissen gibt es keine Entscheidung, sondern nur blinden Glauben. Durch das vertraut machen mit den
frühbuddhistischen Texten hat man sich einen Nullpunkt – oder besser bedingt durch die
Signalverschlechterung eine „Nullfläche“ – erarbeitet, um Aussagen zu verorten und zu bewerten.
Diese Informationen braucht man, um Entscheidungen zu treffen. Bewertet man die Distanz der
Bodhisattva-Praxis zum Nullpunkt als weniger wichtig als das, wofür diese Praxis steht, kann man eine
selbständige und kritische Entscheidung dafür treffen.
Das Textstudium der frühbuddhistischen Literatur dient also nicht unbedingt und ausschließlich
als Praxisanweisung, sondern auch als Orientierungspunkt, Navigation und Entscheidungshilfe.
Die Entscheidungskette bezüglich der Bodhisattva-Praxis ist hier aber noch nicht zu Ende: will
ich sie im Kontext des Theravada oder Mahayana ausüben usw.?
Kommentarliteratur lesen
Weiter oben schrieb ich, dass die Lehrreden sich selbst erklären sollten. Dies tun sie jedoch nicht
vollumfänglich und in manchen Punkten für den Lesern vielleicht auch nicht auf ideale Weise. Daher
ist das Lesen von klassischer und moderner Kommentarliteratur genau so wichtig, wie die Praxis unter
einem Lehrer. Man kommt auch ohne Kommentarliteratur und Lehrer aus, aber meistens – jedoch
nicht immer, Praxis ist immer individuell – geht man den Weg effizienter mit ihrer Hilfe. Kommt man
jedoch wie die Jungfrau zum Lehrer, ist man von ihm abhängig und Abhängigkeit ist das Gegenteil guter
buddhistischer Praxis.
Ist man mit seinen Gedanken über das Gelesene allein, dann besteht jedoch auch die Gefahr,
dass man sich selbst mit den eigenen Gedanken für zu wichtig nimmt. Kommentarliteratur und Lehrer
dienen hier als wichtiges Korrektiv im Sinne eines Checks-and-Balances System. Man sollte seine
Annahmen immer wieder hinterfragen und prüfen. Daher ist es empfehlenswert, im Laufe der Zeit
immer wieder Literatur zu lesen, die der eigenen Auffassung widerspricht. Gerade mittels solcher
Literatur kann man seine eigenen Gedanken schärfen.
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Siehe u.a. im Sumaṅgalavilāsinī, in (An, 2003).
Flügge werden
Textstudium – im Theravada pariyatti genannt – ist bereits Praxis und führt zur rechten Ansicht.
Die rechte Ansicht wiederum ist der Ausgangspunkt des edlen Achtpfades. Das Gehen des Achtpfades
ist nicht Denken, sondern Tun. Aber um den Achtpfad korrekt zu gehen – also nicht Stolpern oder
Verlaufen – muss er richtig verstanden worden sein.
Das eigenständige Lesen der frühbuddhistischen Literatur ist für mich zwingend für das Erlangen
der mir so wichtigen Unabhängigkeit im dhamma. Der Verzicht auf einen Mittler zwischen Buddhas
Lehre und Disziplin und einem selbst. Man kann diese Verantwortung auch an einen Ajahn, Lama, Rōshi
oder Sayadaw outsourcen, aber diese selbstgewählte Unfreiheit ist für mich der falsche Schritt, um mit
dem Buddhismus zu beginnen.
Literaturverzeichnis
An, Y.-G. (2003). The Buddha's Last Days: Buddhagosa's Commentary on the Mahāparinibbāna Sutta.
Oxford: Pali Text Society.
Hartmann, J.-U. (2011 (1)). Sensationeller Fund eines Mahayanasutras aus dem 1. Jahrhundert. Tibet
und Buddhismus, S. 30-34.