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2 Management einzelner

Automotive-Projekte („Single-PM“)

Projektmanagement in der Automobilindustrie basiert in erster Linie auf einer Vielzahl


von Projekten und Programmen, die professionell geführt werden wollen. Erst auf
dieser Grundlage lassen sich weitere Überlegungen in Richtung Multiprojekt-
management (Kap. 3) und Management von unternehmensübergreifenden Projekten
(Kap. 4) anstellen.

In der Automobilindustrie und auch innerhalb der Unternehmen der Branche herr-
schen relativ unterschiedliche Vorstellungen über Projekte. Vielfach werden Aufga-
benstellungen zum Projekt erklärt, um sie für die Verantwortlichen und Beteiligten
interessanter zu machen. Deshalb werden zu Anfang dieses Kapitels einige grundle-
gende Begriffe in Kurzform geklärt, soweit dies für das Verständnis erforderlich ist.
Generelle Projektmanagement-Grundlagen und Methoden werden allerdings nur im
Zusammenhang mit den Besonderheiten von Automotive-Projekten erläutert. Insbe-
sondere wird auf Projektmanagement-Vorgehensweisen und Methoden eingegangen,
die bei Automotive-Projekten verbreitet sind oder denen aufgrund der Erfahrung der
Autoren und der Erkenntnisse aus einschlägigen Untersuchungen29 besondere Bedeu-
tung zukommt.

Nach DIN 69901-5 ist ein Projekt ein Vorhaben, das gekennzeichnet ist durch:30

 Einmaligkeit
 Zielvorgabe (Kosten, Termin, Qualität)
 Zeitliche, finanzielle und personelle Begrenzungen
 Abgrenzung gegenüber anderen Vorhaben (Rahmenbedingungen)
 Projektspezifische Organisation (Team...)
Durch die oben genannten Projektkriterien ergeben sich zwangsläufig besondere An-
forderungen an die Führung und das Management eines solchen Vorhabens, das ei-
gentliche „Projektmanagement“.

29 vgl. Bullinger/Kiss-Preußinger/Spath (2003) S.26ff


30 DIN (2009b) S. 11

23
© Springer Fachmedien Wiesbaden 2017
G. Hab und R. Wagner, Projektmanagement in der
Automobilindustrie, DOI 10.1007/978-3-658-10472-6_2
Management einzelner Automotive-Projekte („Single-PM“)
2
Projekte sind keine Routinevorgänge, sondern zeichnen sich durch eine gewisse Ein-
maligkeit aus. Das heißt, dass Anforderung und Aufgabenstellung in aller Regel unter-
schiedlich sind. Das bedeutet aber nicht, dass Strukturen und Methoden unterschied-
lich sein müssen. In der Automobilindustrie geht es auf Herstellerseite immer um
gesamte Fahrzeuge und bestimmte Komponenten. Die Zulieferer haben sich oft auf
bestimmte Produkte, Komponenten, Baugruppen oder Systeme spezialisiert. Dadurch
sind die Strukturen von Projekt zu Projekt relativ ähnlich, auch wenn durch ständige
Innovation immer neue Anforderungen und Erkenntnisse in die Projekte einfließen.
Damit lassen sich zumindest die Projektmanagement-Prozesse und Methoden zum
großen Teil standardisieren.

Wir wollen uns in den folgenden Ausführungen auf die klassischen Projektarten in der
automobilen Wertschöpfungskette konzentrieren, das sind im Wesentlichen die Fahr-
zeugentwicklungs- und Betriebsmittel-Projekte. Diese Projektarten sind typisch für die
Automobilindustrie und bringen auch die „automotive-spezifischen“ Anforderungen
mit sich. Sie finden sich im Modell des VDA wieder.31

Abbildung 2-1: Aufgabenfelder im Projektablauf der Automobilindustrie

Aufgabenfelder (nach VDA 6)


Konzeption
Produktentwicklung und Verifizierung
Planung und Verifizierung d. Produktionsprozesse
Produktabnahme aus Kundensicht
Beschaffung der Produktionsressourcen
P D
Produktion
A C
Kontinuierlicher Verbesserungsprozess (APQP)
A B C D E F G
Projekt- Freigabe Freigabe Freigabe zur Freigabe Freigabe Abschluß
auftrag/ zur Grob- zur Detail- Detailplanung Beschaffung zur Serien-
-anfrage entwicklung entwicklung Produktions- u. Herstellg. produktion
Produkt und Produkt prozess Produktions-
Prozess ressourcen

Meilensteine (Quality Gates)

31 vgl. VDA (2003b), S.13ff

24
Management einzelnerAutomotive-Projekte („Single-PM“)
2
Automotive-Projekte dauern in vielen Fällen länger als ursprünglich geplant, sprengen
den Kostenrahmen und benötigen mehr Ressourcen als vorgesehen. Wichtige Termine
und entscheidende Arbeitsergebnisse werden nicht systematisch vorbereitet und
„wandern“ deshalb auf der Zeitachse. Abhängigkeiten der verschiedenen Aktivitäten
untereinander werden zu spät oder gar nicht erkannt. Meist werden aber durchaus
hohe Erwartungen mit der Aufgabenstellung verbunden und Auftraggeber wollen
konkrete Ergebnisse sehen. Dadurch entstehen Frustration und Konflikte bei allen
Beteiligten.32

Systematisches Projektmanagement kann hier Abhilfe schaffen. Der Prozess, nach dem
Projekte ablaufen, ist vielschichtig und komplex. Alle Aktivitäten beeinflussen sich
gegenseitig und bauen aufeinander auf. Die Frage ist, auf welchem Weg und wie
schnell ein Projektleiter zu einem fundierten Projektplan und so zu einer erfolgreichen
Realisierung des Projekts kommen kann. Dieses Thema steht im Mittelpunkt dieses
Kapitels.

Nach DIN 69901-5 bildet Projektmanagement die Gesamtheit aller Führungsaufgaben,


-organisation, -techniken und -mittel für die Abwicklung eines Projekts.33 Abbildung
2-2 verdeutlicht diesen Sachverhalt.

Abbildung 2-2: Projektmanagement als ganzheitliches Führungssystem für Projekte 34

Management Führung
(Sache) (Mensch)
Systematik Ziele Rollenverteilung
und Strukturen Teamarbeit
Planung Kommunikation
Methodik Analyse Moderation
Steuerung Zielvereinbarungen

Formulare Organigramm
Checklisten Funktionsdiagramm
Hilfsmittel DV-Tools Spielregeln
und Vorlagen- und Besprechungen
Standards Präsentationstechn.
Werkzeuge

32 vgl. Bullinger/Kiss-Preußinger/Spath (2003), S.27f


33 DIN (2009b) S. 14
34 Wolf/Mlekusch/Hab (2006), S. 21

25
Management einzelner Automotive-Projekte („Single-PM“)
2
Projektmanagement ist eine Vorgehensweise zur ergebnisorientierten Planung und
Steuerung. Damit steht die Frage nach der „Effektivität“ (die „richtigen“ Dinge tun)
im Vordergrund. Denn was nützt es dem Projektleiter, wenn er mit viel Aufwand und
Engagement ein perfektes Produkt entwickelt hat, die Anforderungen des Kunden
aber nicht ausreichend berücksichtigt sind? In zweiter Linie wird natürlich auch die
„Effizienz“ der Projektarbeit gesteigert, indem bewährte Methoden und Tools (Check-
listen, Vorlagen etc.) zur Anwendung kommen, die das Vorankommen erleichtern.
Diese ergebnisorientierte Sichtweise wird im folgenden Kapitel erläutert.

2.1 PM-Erklärungsmodell und Einordnung in


Prozesse der Automobilindustrie
Um den gesamten Prozess der Fahrzeugentwicklung und Produktion mit seinen un-
terschiedlichen Kompetenzschwerpunkten bestmöglich zu koordinieren, ist ein detail-
lierter Projektmanagement-Prozess erforderlich. Er soll alle Entwicklungsphasen be-
gleiten, alle Abläufe abbilden und steuern, um den hohen Ansprüchen an Qualität,
Kosten und Termine gerecht zu werden. Produktdatenmanagement, kontinuierliche
Kollisionskontrolle über Digital-Mock-Up (DMU) und Fehlervermeidung durch
FMEA (Fehlermöglichkeits- und Einflussanalyse), Änderungs-, Toleranz- und Schnitt-
stellenmanagement sowie Reifegrad-Controlling sind Elemente des technischen Ent-
wicklungsprozesses, die es durch das Projektmanagement zu koordinieren gilt.

Die Anforderungen an das Automotive-Projektmanagement und die Art der Vorge-


hensweise bzw. Systematik lassen sich unabhängig von Projektgröße und Laufzeit auf
einen gemeinsamen Nenner bringen. Die korrespondierenden Entwicklungsprozesse
laufen unabhängig vom jeweiligen Hersteller und Systemlieferanten nach gewissen
einheitlichen Gesetzmäßigkeiten ab, durch die sich vergleichbare Phasen und Meilen-
steine mit entsprechenden Zwischenergebnissen / Reifegraden ergeben.

Damit entsteht die Möglichkeit einen „Projektmanagement-Prozess“ als Standard-


Erklärungsmodell zu definieren. Jedes Projekt lässt sich in die generellen Phasen Defi-
nition, Planung, Steuerung/Realisierung mit Änderungen und Abschluss unterglie-
dern. Abbildung 2-3 zeigt diesen Zusammenhang schematisch auf.

26
PM-Erklärungsmodell und Einordnung in Prozesse der Automobilindustrie
2.1
Abbildung 2-3: Erklärungsmodell zum Automotive Projektmanagement-Prozess

Projektmanagement-Prozess
Projektorganisation
Qualitätsmanagement-System

Kommunikation + Teamarbeit

Steuerung+
Definition Planung Änderung Abschluss

Standard-Automotive Geschäftsprozesse

Parallel zu diesen methodischen „Projektmanagement-Phasen“ laufen Führungspro-


zesse wie Projektorganisation, Kommunikation und Teamarbeit. 35 Sie entscheiden oft
mehr über den Erfolg der Projekte als in der technisch dominierten „Automotive-
Projektwelt“ vermutet wird. Viele Überschneidungen gibt es mit dem Qualitätsma-
nagement. Durch Vorgaben der Automobilhersteller, wie z.B. VDA 6, QS 9000 mit
APQP und PPAP sowie ISO/TS 16949, sind viele Projektmanagement-Methoden und
Aufgaben über die „Qualitätsschiene“ bei den Unternehmen der Automobilindustrie
eingeführt worden. Hier war oft der Zertifizierungsdruck der maßgebliche Treiber.
Eine klare Abgrenzung ist deshalb schwierig aber sinnvoll. Generell betrachten die
Qualitätsmanagement-Systeme aber alle Unternehmensprozesse und bilden deshalb
eher eine Klammer um alle Prozesse. In den meisten Automotive-Unternehmen wird
deshalb auch das Projektmanagement als eigener Prozess mit eigener Verfahrensan-
weisung im gesamten QM-System geführt.

Im Kerngeschäft der Automobilindustrie plant und steuert das Projektmanagement


die operative Umsetzung des Fahrzeugentwicklungsprozesses in Richtung der ge-
wünschten Projektziele unter Berücksichtigung der gegebenen Ressourcen und im
Rahmen der vorgegebenen Kosten- und Terminziele. Abbildung 2-4 zeigt den Zu-
sammenhang zwischen dem generell gültigen „Projektmanagement-Prozess“ und
dem „Technik-Prozess“ der Fahrzeugentwicklung.

35 vgl. Wolf/Mlekusch/Hab (2006), S. 6

27
Management einzelner Automotive-Projekte („Single-PM“)
2
Im Projektmanagement-Prozess werden alle Themen behandelt, die Planung und
Steuerung des Projekts betreffen (Managementaufgaben). Hier werden folgende Fra-
gen beantwortet: Wer? Macht was? Bis wann? Und damit wird der terminliche Fort-
schritt gewährleistet. Der fachliche Inhalt, die eigentliche „Arbeit“, wird im „Fahr-
zeugentwicklungs-Prozess“ geleistet. Hier stellt sich die Frage nach dem Wie.

Abbildung 2-4: Projektmanagement-Prozess und Fahrzeugentwicklungs-Prozess in An-


lehnung an VDA 36

Projektorganisation

Kommunikation + Teamarbeit

Steuerung+
Definition Planung Änderung Abschluss

Konzeption
Produktentwicklung und Verifizierung

Planung und Verifizierung d. Produktionsprozesse


Produktabnahme aus Kundensicht
Beschaffung der Produktionsressourcen

Serienanlauf
Serienproduktion

A B C D E F G
Projekt- Freigabe Freigabe Freigabe z. Freigabe Freigabe Ab-
auftrag/ zur Grob- zur Detail- Detailplanung Beschaffung u. zur Serien- schluß
-anfrage entwicklung entwicklung Produktions- Herstellung Produktion (Kamm
Prod. + Proz. Produkt prozess Produktions- (SOP/Job#1) -linie)
mittel

Meilensteine (Quality gates)

Der Fahrzeugentwicklungsprozess nach VDA gliedert sich in Aufgabenfelder und


definiert den technischen Ablauf. Das Projektmanagement plant und steuert diesen
Prozess bezogen auf ein konkretes Projekt und erfordert deshalb vor- bzw. nachgela-
gerte Aktivitäten im Sinne der Definitions- und Abschlussphase.

36 vgl. VDA (2003b)

28
PM-Erklärungsmodell und Einordnung in Prozesse der Automobilindustrie
2.1
Wesentliche Voraussetzung für ein funktionierendes Projektmanagement in der Fahr-
zeugentwicklung sind stabile technische Prozesse. In den meisten Unternehmen der
Automobilindustrie sind diese auch mehr oder weniger standardisiert vorhanden.
Problematisch ist, dass die Prozesse bei manchen Automobilzulieferern nur zu „Zerti-
fizierungszwecken“ eingeführt wurden und nicht richtig „gelebt“ werden. Damit wird
auch das Projektmanagement erschwert.

Besondere Komplexität für das Projektmanagement ergibt sich aus dem Sachverhalt,
dass in Fahrzeugentwicklungsprojekten in der Regel parallel am Produkt und an der
Produktionsanlage entwickelt wird. Abbildung 2-5 zeigt am Beispiel eines Fahrzeug-
herstellers den Zusammenhang nochmals deutlich auf.

Abbildung 2-5: Parallelität von Produkt- und Produktionsanlagenentwicklung 37

Produktentwicklung

Design
Konstruktion Freigabe PVS O-S SOP

Vor-Prototypen Prototypen
Optimierung Abnahme

Produktionsanlagenentwicklung

SET PVS O-S SOP


Planung
Vergabe
Konstruktion
Realisierung

Für die Koordination der parallel laufenden Prozesse spielen Meilensteine und Syn-
chronisationspunkte eine wesentliche Rolle. Im Kapitel 2.4 wird auf dieses Thema im
Detail eingegangen. Wichtige „Top-Meilensteine“, die sogenannten „Quality Gates“
(nach VDA 6 und QS 9000) und die wesentlichen Prozesse in der Gesamtfahrzeugent-
wicklung zeigt das folgende Beispiel (Abbildung 2-6).

37 Quelle: Volkswagen AG

29
Management einzelner Automotive-Projekte („Single-PM“)
2
Abbildung 2-6: Gesamtfahrzeugentwicklungsprozess 38

Wie bereits erwähnt, bilden Standard-Entwicklungsprozesse eine wichtige Basis für


ein professionelles Automotive-Projektmanagement. Sie regeln die logische Abfolge
der Entwicklungs-Aktivitäten und definieren damit einen Großteil der Arbeitspakete
von der ersten Anfrage/Idee bis zur laufenden Serienproduktion. Damit liefern sie
unabhängig vom einzelnen Projekt die Eingangsinformationen für einen Standard-
Projektplan. Die Projektstruktur muss nicht mehr neu erfunden werden, sondern ist
durch den Standardprozess größtenteils vorgegeben. Es geht im einzelnen Projekt
dann um die konkrete Klärung der Ziele, Organisation, Termine, Kosten, Ressourcen
und geforderten Ergebnisse.

Die große Bedeutung der Meilensteine für ein erfolgreiches Projektmanagement in der
Automobilindustrie ist hinreichend bekannt. Besonders wichtig erscheinen uns die
Meilensteine in den frühen Phasen eines Projektes. Gerade die strategischen Meilen-
stein-Entscheidungen in der Angebotsphase wie Anfrageselektion, Angebotsfreigabe
und Projektfreigabe werden bei den Automobilzulieferern noch vielfach vernachläs-
sigt. Auf die praktische Umsetzung der Meilensteinplanung im Projekt wird in Kapitel
2.4 vertiefend eingegangen.

38 Quelle: Bertrandt

30
PM-Erklärungsmodell und Einordnung in Prozesse der Automobilindustrie
2.1
In der folgenden modellhaften Darstellung des Projektmanagement-Prozess sind die
Methoden und Ereignisse zusammengefasst, mit denen der Projektmanager sein Au-
tomotive-Projekt planen und steuern kann. Sie lassen sich auf eine Vielzahl von Pro-
jektarten und -ebenen anwenden und sind wie die „Tasten eines Klaviers, auf dem der
Projektleiter spielt“. Wie bereits am Anfang des Kapitels erwähnt, lässt sich der PM-
Prozess in die Phasen Definition, Planung, Steuerung und Abschluss gliedern. Diesen
Phasen können dann die entsprechenden Methoden und Ereignisse zugeordnet wer-
den. Damit entsteht ein Modell, das wie ein Baukasten aufgebaut ist und analog zum
Entwicklungsprozess als Standard für bestimmte Projektarten im Unternehmen ver-
einbart werden kann. Ganzheitlich betrachtet fehlt in dieser sachorientierten Darstel-
lung allerdings noch der Faktor „Mensch“. Nachdem empirisch nachgewiesen ist, dass
die „weichen Faktoren“ der Führung, Kommunikation, Beziehungen und Zusammen-
arbeit zu mehr als 50% über den Erfolg von Projekten entscheiden, wurde dieser As-
pekt in Abbildung 2-7 besonders hervorgehoben.

Abbildung 2-7: Wesentliche Methoden und Ereignisse im Projektmanagement-Prozess

Projektmanagement-Prozess

Projektorganisation

Kommunikation + Teamarbeit

Steuerung+
Definition Planung Änderung Abschluss

• Projektübergabe • Teamentwicklung • Abnahme


• Machbarkeitsanalyse • Projektstruktur • Nachkalkulation
• Projektorganisation • Arbeitspakete • Teambesprechungen (Jour Fixe) • Projektabschluß-
• Funktionsdiagramm • Ablauf- und Terminplan • Termin- und Fortschrittskontrolle gespräch
• Regelkommunikation • Kapazitätsplanung • Kostenkontrolle und Mitkalkulation • Projektabschluss-
• Kalk./Wirtschaftlichkeit • Kostenplanung • Risikocontrolling bericht (lessons
• Lastenheftprüfung und • Risikoanalyse • Reifegradcontrolling learned)
Zieldefinition • APQP- • Abweichungsanalysen • Archivierung
• Vertragsprüfung Qualitätsvorausplanung • Prognosen und Trendaussagen Projektdokumentation
• Produkt-/Anlagenstrukt. • Pflichtenhefterstellung • Steuerungsmaßnahmen + • Übergabe an
• Meilensteinplan • Planungsklausur Problemlösungen (8D, PDC A) Serienbetreuung bzw.
• Projektablage • Projekt-Statusbesprechungen -produktion
• A (LOP) • Projektreporting
• Projektauftrag • Meilenstein-Reviews und Freigaben
• Kick-Off-Meeting • Änderungs- und Claimmanagement

31
Management einzelner Automotive-Projekte („Single-PM“)
2
Der „PM-Prozess“ stellt die PM-Methoden und Ereignisse, die in den einzelnen Pha-
sen der Fahrzeugprojekte zur Anwendung kommen im Überblick dar. Werden die hier
aufgeführten Methoden konsequent angewandt, so können besonders in der kritischen
Anlaufphase von Fahrzeugprojekten die Früchte geerntet werden. Der Nutzen der
Investition in professionelles Projektmanagement äußert sich dann in reduzierten
Änderungsschleifen, geringerem „Troubleshooting“ und höherer Produktqualität zum
Serienbeginn. Faktoren, die gerade in der aktuellen Situation der Automobilindustrie
besonders wichtig sind. Abbildung 2-8 visualisiert diesen Zusammenhang.

Abbildung 2-8: Weniger Probleme zum Serienstart durch Projektmanagement 39

Planungs-/
Koordinations- Projektabwicklung ohne PM Eskalation der Probleme
aufwand Projektabwicklung mit PM

Maßnahmen zur Problemlösung

Problem-
erkennung

Endtermin Zeit

Die richtige Projektorganisation, das Durchsetzungsvermögen des Projektleiters sowie


eine projekt-freundliche Kultur im Unternehmen spielen bei all diesen Überlegungen
eine zentrale Rolle.

39 Wolf/Mlekusch/Hab (2006), S. 7

32
Organisation im Automotive-Projekt
2.2
2.2 Organisation im Automotive-Projekt

2.2.1 Projektleitung als zentrale Führungsfunktion


„Der Chef, das ist nicht der, der etwas tut, sondern der, der das Verlangen weckt, etwas zu
tun.“ Edgard Pisani, französischer Politiker

Die Person des Projektleiters spielt erfahrungsgemäß eine zentrale Rolle in Projekten.
In Automotive-Projekten scheinen die Anforderungen besonders hoch zu sein, weil sie
durch ihren technologischen Anspruch Projektleiter erfordern, die zum einen gute
Manager sind und zum anderen ein Gesamtverständnis für die Prozesse und Techno-
logien der Fahrzeugentwicklung und -produktion besitzen. Damit ist der Automotive-
Projektleiter eher ein Generalist. Abbildung 2-9 zeigt schematisch die Abgrenzung des
Kompetenzprofils zu klassischen Fach- bzw. Führungskräften.

Abbildung 2-9: Projektleiter-Kompetenzprofil

Fachkompetenz
_

_
Methodenkompetenz
Sozialkompetenz

Fachmann ---
Führungskraft ........
_

_
_

Projektleiter ____

_
Persönlichkeitskompetenz

Als Projektleiter sehen wir hier nicht nur die Stars, die auf oberster Ebene eines Fahr-
zeugprogramms als Gesamtprojektleiter agieren. Den gleichen Anforderungen, wenn
auch mit eingeschränktem Verantwortungsbereich, unterliegen auch Projektleiter und
Arbeitspaketverantwortliche auf den darunter liegenden Ebenen eines Gesamtpro-
jekts, sei es beim OEM oder bei Zulieferern und Entwicklungsdienstleistern.

33
Management einzelner Automotive-Projekte („Single-PM“)
2
Das organisatorische Zusammenwirken der verschiedenen Projektebenen und Hierar-
chien, auf denen Projektleiter agieren, wird im folgenden Abschnitt unter „Projektor-
ganisation“ erläutert. Die folgende Auflistung (Abbildung 2-10) zeigt eine unvollstän-
dige Auswahl von Projektleiter-Positionen in der Automobilindustrie, die sowohl auf
Hersteller- als auch auf Zuliefererseite relevant sind.

Abbildung 2-10: Projektleitungs-Positionen in der Automobilindustrie

Beispiele für Projektleitungs-Positionen bei OEMs und Zulieferern

 Fahrzeug-/Baureihen-Programm Manager
 Gesamtfahrzeugprojektleiter/-manager
 Entwicklungs-Projektleiter/-manager
 Betriebsmittel-/Produktionsanlagen-Projektleiter/-manager
 Bereichsprojektleiter
 Funktionsgruppen-Sprecher / Modul-Teamleiter
 Teilprojektleiter Bereich xy
 SE-Teamsprecher, etc.
 Arbeitspaketverantwortliche

Abhängig von der jeweiligen Projektleiter-Rolle, Ebene der Projekthierarchie und vom
Unternehmensumfeld sollte für jeden Projektleiter eine klare Funktionsbeschreibung
vorliegen. Sie definiert Aufgaben, Befugnisse/Kompetenzen, Verantwortlichkeiten und
notwendige Fähigkeiten. In Unternehmen der Automobilindustrie mit einer reifen
Projektmanagement-Organisation gibt es Standard-Funktionsbeschreibungen für
verschiedene Führungsfunktionen im Projekt. Durch den unternehmensspezifischen
Standard muss nicht von Projekt zu Projekt neu ausgehandelt werden, was der Pro-
jektleiter darf oder nicht. Abbildung 2-11 zeigt beispielhaft eine Auswahl wesentlicher
Funktions-Kriterien für Projektleiter in der Automobilindustrie. Sie kann als Checkliste
für die Entwicklung eines unternehmensspezifischen Standards verwendet werden.
Dabei liegt die schwierigste Aufgabe darin, für die Projektleiter ausreichende Befug-
nisse bzw. Kompetenzen durchzusetzen. Die Aufgaben und die Verantwortung sind
meist schnell definiert. Widerstände gibt es bei der „Machtfrage“, weil größere Befug-
nisse der Projektleiter meist zu Lasten des etablierten Linienmanagements gehen.

Eine der wichtigsten Aufgaben der Projektleitung ist die Regelung der „Mannschafts-
aufstellung“ im Projekt. Begrifflich wird dies oft als Projektorganisation und teilweise
fälschlich auch als Projektstruktur bezeichnet. Wir verwenden hier den Begriff Projek-
torganigramm, als Synonym für Darstellung und Inhalt der Projektorganisationsstruk-
tur.

34
Organisation im Automotive-Projekt
2.2
Abbildung 2-11: Beispiel: Projektleiter – Funktionsbeschreibung

Befugnisse / Kompetenzen:

 Handlungsvollmacht (Unterschrift: i.V.) für projektbezogenen Verhandlungen gegenüber


Kunden und Lieferanten bis zu einer Größenordnung von x-tausend Euro
 Freigabe von Kalkulationen für Verhandlungen mit Kunden
 Verfügungsrecht über das Projektbudget im Rahmen der betrieblichen Erfordernisse
 Vergabeentscheidung bei Fremdvergaben
 Projekt aus wichtigem Grund anhalten
 Fachliche Weisungsbefugnis (Leistungs- und Zielvereinbarung) gegenüber Projektbeteiligten
 Ressourcenunterstützung bei administrativen Aufgaben
 Vorschlagsrecht und Mitsprache bei der Teambesetzung
 Mitsprache bei der Entwicklungs-/Versuchsplanung bzw. Fertigungs-/Betriebsmittelplanung
 Recht alle projektbezogenen Informationen von allen Stellen einzufordern
 Einflussnahme auf die betrieblichen Abläufe in Absprache mit Projekt-Steuerkreis
 Recht auf persönliche Qualifizierungsmaßnahmen, Coaching
Verantwortung:

 Termin-, Kosten-, Qualitäts- und Leistungsziele (Lastenheft) einhalten


 Transparenz über Reifegrad / Konfiguration des Produktes sicherstellen
 Kundenzufriedenheit sicherstellen
 Wirtschaftlichkeit des Projektmanagement sicherstellen (Effizienz)
 Gewinnerzielung im Rahmen der vereinbarten Ziele
Aufgaben:

 Termine, Kosten, Qualität, Leistungen und Reifegrade planen, überwachen + steuern


 Strategische und technische Entscheidungen koordinieren und frühzeitig herbeiführen
 Kundenbeziehung pro-aktiv pflegen
 Informationsfluss hausintern und mit Partnern organisieren und optimieren
 Alle Vereinbarungen / Festlegungen schriftlich dokumentieren (Lebenslauf, LOP)
 Team- / Projektorganisation und Zusammenarbeit regeln und optimieren
 Prioritäten zwischen den Projekten absprechen und kooperieren
 Änderungsverwaltung mit Kalkulation
 Reviews und Freigaben mit Projektbeteiligten und Lieferanten durchführen
 Projektberichterstattung an Auftraggeber und Projektgremien (Steuerkreis)
Fähigkeiten:

 Präsentationsgeschick, Humor
 Fachliche Kompetenz
 DV-Hilfsmittel anwenden können, Organisationstalent
 „Rückgrat“ intern und gegenüber Kunden

35
Management einzelner Automotive-Projekte („Single-PM“)
2
2.2.2 Projektorganigramm als Instrument der Rollen-
klärung
„Die richtigen Leute einzustellen ist das Beste, was ein Manager tun kann.ʺ Lee Iacocca, US-
amerikanischer Industriemanager

Das Projektorganigramm trägt in Automotive-Projekten wesentlich zur Klärung von


Schnittstellen, Aufgabenstellung und zur Verantwortungsabgrenzung bei. Dadurch
werden Konflikte minimiert und die Erledigung anfallender Aufgaben sichergestellt.

Es empfiehlt sich die Verantwortungsbereiche im Organigramm grafisch darzustellen,


mit eindeutigen Beziehungen untereinander, so dass Weisungsbefugnisse, Kommuni-
kations- und Informationswege sowie Berichtspflichten klar erkennbar sind. Hierar-
chien sind zwar aus der Mode gekommen, doch ohne eine klare Rollenverteilung wird
im Projekt nur Chaos erzeugt. Deshalb sind Projektorganigramme vielfach hierar-
chisch aufgebaut, wie in Abbildung 2-12 schematisch dargestellt ist.

Abbildung 2-12: Projektteam-Struktur auf 2 Ebenen, schematische Darstellung

Projektleiter (PL) PL

Kernteam /
Teilprojekt- TPL TPL TPL TPL TPL
Leiter (TPL)

Erweitertes
ooo
Team / APV APV APV APV APV
Arbeitspaket-
Verantwortliche
(APV)

Typisch sind die Ebenen „Projektleiter, „Kernteam/Teilprojektleiter“ als Spre-


cher/Leiter/Vertreter der verschiedenen Bereiche/Module/Funktionsgruppen und
„Erweitertes Projektteam/Arbeitspaket-Verantwortliche“ als ausführende Teamleiter/
Gruppenleiter auf der operativen Ebene, sprich in den Fachabteilungen der Linienor-
ganisation oder bei Lieferanten.

36
Organisation im Automotive-Projekt
2.2
Das Ganze kann natürlich beliebig um übergeordnete Lenkungsgremien wie den Pro-
jekt-Steuerkreis, Auftraggeber, Partner im Projekt bzw. Lieferanten und sonstige pro-
jektrelevante Fach-Experten erweitert werden. Das folgende Beispiel (Abbildung 2-13)
zeigt die Teamorganisation eines Systemlieferanten.

Abbildung 2-13: Beispiel: Projektrahmenorganisation Systemlieferant 40

Projektrahmenorganisation

Product Decision Committee (PDC) Lenkungskreise (LK)

Review-Team Projekt-Pate Projekt-Büro (PB)

Kunde Projekteinzelorganisation
PL
Contr.
Q AV
PMA
Vertrieb
PMA L
PMA
AV Werk
Kernteam
Fachteam
Entwicklung PI PMA PMA
Ein-
kauf
PMA ...
PMA Q
Lieferanten

Die Aufteilung der Verantwortungsbereiche hängt immer von der Art des Projektes ab.
Bei Fahrzeugentwicklungsprojekten kann das Kernteam folgende Funktionen bein-
halten:

 Gesamtprojektleiter/Programm Manager
 Teilprojektleiter Entwicklung/Design
 Teilprojektleiter Einkauf/Beschaffung
 Teilprojektleiter Produktionsvorbereitung/Betriebsmittel
 Qualitätsmanager
 Projektcontroller/-supporter
40 Quelle: Webasto

37
Management einzelner Automotive-Projekte („Single-PM“)
2
Das erweiterte Team erfordert neben den klassischen Arbeitspaket-Verantwortlichen
bei Fahrzeugentwicklungsprojekten z.B. Vertreter folgender Funktionen:

 Vertrieb
 Logistik
 Lieferanten
 Produktion
 Serienbetreuung/Service
 Fabrikplanung/Arbeitsvorbereitung
Abbildung 2-14 zeigt das Projektorganigramm einer Gesamtfahrzeugentwicklung aus
Sicht des Entwicklungsdienstleisters, der in diesem Fall als Integrationspartner des
Automobilherstellers auftritt.

Abbildung 2-14: Beispiel: Projektorganigramm Gesamtfahrzeugentwicklung 41

41 Quelle: Bertrandt

38
Organisation im Automotive-Projekt
2.2
Abbildung 2-15 zeigt das Projektorganigramm für eine neue Fahrzeug-Baureihe eines
Automobilherstellers.

Abbildung 2-15: Beispiel: Projektorganigramm Automobilhersteller 42

Strategischer
Projektunterstützer
Projektleiter

Vertrieb Produktion Produktion Material-


Controlling Design After Sales Entwicklung Qualität
Fahrzeug Aggregate einkauf

Funktionsgruppen mit Teileverantwortung Gesamtfahrzeugintegration Querschnitt,


Mandate
Rohbau, Ausstattung, Elektrik/ Sonder- Packaging, Ergonomie Ökologie
Fahrwerk Triebstrang
Exterieur Interieur Elektronik fahrzeuge Dokumentation
Änderungsmanagement Qualität
Rohbau Innen- Vernetzung, Vorderachse Motor- und Einsatz- Verbrauchsmanagement,
ausstattung Bordnetz Getriebe- Prozess
fahrzeuge, Zertifizierung
Rückwandtüren Hinterachse kühlung Sonderschutz Aufbau Prototypen
Sitzanlage Regelsysteme Service/Parts
Oberfläche Bremsen Kraftstoff- Taxi
Designo Absicherung Gesamtfahrzeug Beschaffung
Cockpit Leitungssätze anlage
Front-, Federung,
Heckend, Klima, Wischer MMI Dämpfung, Abgasanlage Passive Sicherheit, Crash, Produktions-
Teilprojekte Betriebsfestigkeit konzept
Anbauteile, Räder
Türen Rückhalte- Motoren AMG Aktive Sicherheit, Fahrdynamik,
system Lenkanlage Aerodynamik Produkt-
Zubehör architektur
Einglasung Triebstrang, Allrad Design
Getriebe

Auf der Ebene der Teilprojekte innerhalb eines Gesamtfahrzeugprojekts spielt der
Bereich Produktionsanlagen eine besondere Rolle. Aufgrund der Komplexität dieses
Projektumfangs und der unterschiedlichen Aufgabenstellung im Gegensatz zur klassi-
schen Entwicklung sehen die Verantwortungsbereiche im Projektorganigramm etwas
anders aus. Es findet sich häufig folgende Aufteilung:

 Projektleiter
 Projektkaufmann/-controller
 Teilprojektleiter Engineering
 Teilprojektleiter Mechanik
 Teilprojektleiter Elektrik
 Einkäufer
 Baustellenleiter
Abbildung 2-16 zeigt das fiktive Beispiel für ein Anlagenprojekt.

42 Quelle: Daimler

39
Management einzelner Automotive-Projekte („Single-PM“)
2
Abbildung 2-16: Beispiel: Projektorganigramm Produktionsanlagen (fiktiv)

Projektorganigramm: AAF-Roboterzelle mit Laser


Lenkungsausschuß Kernteam Verantwortung/Aufgaben Erweitertes Team Verantwortung/Aufgaben
Hubert Helle (Vorstand)
Oliver Ohne (Vertrieb) Martin Mechanik Teilprojektleiter Mechanik Franz Gscheid Vertrieb
Gesamtverantwortung bis Abnahme Albert Dratig Projektierung
Reiner Konsenz Konstruktion Mechanik
Max Kontroller Konstruktion Elektrik
Erich Elektrik Teilprojektleiter Elektrik Elmar Spürer Logistik, Einkauf
Gesamtverantwortung bis Abnahme Ute Schuler Dokumentation
Hermann Fräser Produktion
Wilhelm Montes Montage
Heini Zackig Teilprojektleiter Engineering Rudi Neu Inbetriebnahme
Konzeption, Schnittstellen, Gesamtsystem ...

Projektleiter
Franz Fleissig Maria Fein Einkauf Fremdumfänge und Großteile
Ass.: Helga Gut Lieferantenkoordination

Bruno Hurtig Baustellenleiter

Elsa Lieb Projektcontrolling


stv. Projektleitung Terminpläne, Mitkalkulation, Verträge

NN Qualitätsmanagement

Generell gilt, dass ein Projektorganigramm immer durch Personen definiert ist und
deshalb diese auch namentlich dort dokumentiert sein müssen. Eigentlich selbstver-
ständlich, aber die Erfahrung hat uns gelehrt, dies explizit zu fordern. Für jeden Pro-
jektleiter und Teilprojektleiter ist eine verbindliche Stellvertreterregelung zu treffen,
die auch namentlich im Organigramm dokumentiert sein muss. Damit wird Klarheit
geschaffen, Verfügbarkeit sichergestellt (zumindest auf dem Papier) und Mehrfachbe-
lastung von Mitarbeitern offenbar.

Das Kernteam sollte nicht mehr als 7 Personen umfassen (Effizienz, Kommunikation
und Zusammenarbeit), d.h. bei größeren Projekten muss aus Gründen der Effizienz
mehr Verantwortung in Form von Arbeitspaketen delegiert werden. Bei kleineren
Projekten müssen mehrere Verantwortungsbereiche von einer Person abgedeckt wer-
den bzw. bestimmte Funktionen in der Linienorganisation durch Arbeitspakete abge-
wickelt werden.

Der Projektleiter erstellt und pflegt das Organigramm. Die Besetzung der einzelnen
Verantwortungsbereiche wird im Regelfall im Vorfeld des Projektstarts bzw. des Pro-
jektübergabegesprächs mit dem Linienmanagement abgestimmt. Die Art und Weise,
wie diese Abstimmung erfolgt und welchen Einfluss das Linienmanagement auf das
Projektgeschehen hat, hängt von der generellen Einbindung des Projekts in die Unter-
nehmensorganisation ab.

40
Organisation im Automotive-Projekt
2.2
2.2.3 Einbindung in die Unternehmensorganisation
Automobil-Unternehmen stehen in wachsendem Maße vor dem Problem, dass die
gegebene Organisationsstruktur nicht den Anforderungen innovativer Produktent-
wicklungsprojekte gerecht wird. Als Folge wird eine Projektorganisation als zusätzli-
che Dimension zur Koordination der Produktentwicklung eingeführt. Dadurch steigt
natürlich die Komplexität der Gesamtorganisation.

Auf die verschiedenen Organisationsformen zur Einbindung des Projektmanagement


wird hier nicht im Detail eingegangen. Die einschlägige Literatur zu Projektmanage-
ment-Grundlagen43 gibt darüber erschöpfend Auskunft. Generell werden folgende
Möglichkeiten unterschieden:

 Reine Projektorganisation (Unternehmen im Unternehmen)


 Matrixorganisation (internes Auftraggeber-/Auftragnehmer-Verhältnis)
 Stabsorganisation (Einfluss-Projektmanagement)
 Projekte aus der Linienorganisation (Projektmanagement als „Nebenberuf“)
 Poolorganisation
In der Automobilindustrie ist aufgrund der technischen Komplexität und strategischen
Wichtigkeit der Projekte die Matrixorganisation am häufigsten anzutreffen und auch
am besten geeignet. Sie vereint eine starke Know-how-Bündelung mit einer gewissen
unternehmerischen Weisungsbefugnis. Natürlich abhängig von der jeweiligen Unter-
nehmenskultur. Nur die strategischen Projektleiter bei den Fahrzeugherstellern kom-
men im Regelfall in den Genuss einer reinen Projektorganisation mit disziplinarischer
Weisungsbefugnis gegenüber ihren unmittelbaren Teammitgliedern.

Abbildung 2-17 zeigt das Schema einer Matrixorganisation mit den funktionalen Lini-
enbereichen (vertikal) und den Projekten als Querschnittsfunktion (horizontal). Die
interne Auftraggeber-Auftragnehmer-Beziehung zwischen Projekt und Linie wird
durch die symbolisch dargestellten Arbeitspaket-Aufträge verdeutlicht.

Das Projektmanagement und der PM-Prozess stellen im Regelfall eine zusätzliche


(virtuelle) Organisationsform zur klassischen Linienorganisation im Unternehmen
dar. Im Sinne dieser Matrix-Struktur werden die Projekte bereichsübergreifend abge-
wickelt. Der Projektleiter berichtet im Regelfall direkt an die Unternehmensleitung. In
immer mehr Unternehmen unterstützt ein PM-Office (siehe 3.3) die Projektleiter zent-
ral bei administrativen Aufgaben und bei der Anwendung der PM-Methoden. Die
operative Zusammenarbeit zwischen Projekt- und Linienorganisation erfolgt über die
sogenannten Arbeitspakete. Im Sinne eines Kunden/Lieferantenverhältnisses beauf-
tragt der Projektleiter (als Kunde) die Linienabteilungen (als interne Lieferanten) und
externe Partner mit Hilfe der definierten Arbeitspakete (siehe 2.5).

43 vgl. Wolf/Mlekusch/Hab (2006), S. 36f

41
Management einzelner Automotive-Projekte („Single-PM“)
2
Abbildung 2-17: Projektorientierte Matrixorganisation, schematisch

Unternehmensleitung

Vertrieb Muster- Entwick- Konstruk Produk-


bau + lung -tion tion
Versuch

Projekt ..
A .. .. .. .
. . .

Projekt
.. ..
B . . ..
..
. .

Abbildung 2-18 zeigt auf 2 Ebenen das Beispiel der Matrixorganisation eines Gesamt-
fahrzeugentwicklers mit Produktionsanlagensparte. Bereichsübergreifend werden
Gesamtfahrzeugprojekte abgewickelt und die Projektleiter berichten direkt an den
Vorstand. Bereichsintern werden Dienstleistungs- und Anlagenprojekte abgewickelt.

Die Matrixorganisation, wie sie hier dargestellt ist, soll eine Klammerfunktion darstel-
len, zwischen der Linienorganisation einerseits und der Projektorganisation ander-
seits. Bedingt durch die unterschiedlichen Zielsetzungen beider Organisationsformen
(Linie = fachorientiert; Projekt = ergebnisorientiert), die beide berechtigt und notwen-
dig sind, ergeben sich zwangsläufig Konfliktpotenziale. Diese sollen mit Hilfe von
klaren Rollenverteilungen und Spielregeln minimiert werden. Details dazu erläutern
wir in Kapitel 3.4.

Zur administrativen Unterstützung und zur besseren Umsetzung von Projektma-


nagement gehen immer mehr Unternehmen dazu über, zentrale Supportfunktionen
als PM-Offices bzw. Projektcontrolling-Abteilungen zu etablieren. Die obige Darstel-
lung zeigt eine mögliche Anordnung dieser Funktion im Organigramm. Details wer-
den in Kapitel 3.3 erläutert.

42
Organisation im Automotive-Projekt
2.2
Abbildung 2-18: Beispiel: Matrixorganisation eines Gesamtfahrzeugentwicklers 44

PM: Projektmanager

Vorstand LA: Lenkungsausschuss


TE: Entwicklung + Versuch
MP: Modell + Prototypenbau
BM: Betriebsmittelkonstruktion

PM AB: Anlagenbau

Office PMO: PM-Offices dezentral

Fachbereiche Partnerfirmen

TE MP BM AB
PMO PMO PMO PMO PMO PMO
Int. NL´s

LA
PM

LA
PM

Bezogen auf den Fahrzeugentwicklungsprozess, der den Projektablauf in Automotive-


Projekten im Wesentlichen bestimmt, sind aber noch weitere Regelungen zu treffen,
um Effektivität zu gewährleisten und Konflikte zu vermeiden. Das wichtigste Instru-
ment in diesem Zusammenhang ist das Funktionendiagramm zur Regelung der Auf-
gaben, Kompetenzen (im Sinne von Befugnissen) und Verantwortlichkeiten (AKV) der
beteiligten Personen und Fachabteilungen im Projektverlauf.

44 Quelle: EDAG

43
Management einzelner Automotive-Projekte („Single-PM“)
2
2.2.4 Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten
der Projektbeteiligten
Wesentliche Effizienzverluste in der Projektarbeit entstehen vor allem durch Unklar-
heit bei Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortungsbereichen. Deshalb ist ein klares
Rollenkonzept bezogen auf die Aufgabenpakete und Meilensteine im Projekt unab-
dingbar. Auf dieser Basis kann ein ebenso einfaches wie wirkungsvolles Instrument
zur klaren Abgrenzung von Aufgaben und Verantwortungsbereichen eingesetzt wer-
den, das sogenannte Funktionendiagramm. Mit Hilfe einer Matrix werden die Zu-
ständigkeiten der Aufbauorganisation mit den Prozessschritten und Aktivitäten der
Ablauforganisation abgestimmt. Doppelarbeit und Verantwortungsvakuum werden
durch dieses Instrument vermieden. Es ist einfach in der Handhabung und stärkt das
Verständnis für das Zusammenwirken von verschiedenen Beteiligten im Rahmen
eines Projekts. Abbildung 2-19 zeigt das Schema.

Abbildung 2-19: Funktionendiagramm, schematische Darstellung

Aufbauorganisation / Struktur

X = Verantwortlich
Projektsteuerkreis
Projektcontroller
o = Mitwirkung
Linienmanager
Teammitglied
Projektleiter

Grundaufgaben
Vollständige Zielsetzung o o X
Ablauforganisation / Prozess

Projektstruktur / -Plan X o
Ressourcenplan / -Antrag X o
Ressourcen- / Gesamtfreigabe o X
Erarbeiten Detaillösungen X o
Stimmigkeit Gesamtlösung o o X
Istwerterfassung (Projektstatus) o o X
Bewertung Projektstatus X o
Vorschlag Korrekturen X o
Projektsteuer-Entscheidungen o X
Projektberichtswesen X o

44
Organisation im Automotive-Projekt
2.2
Durch eine frühzeitige Erarbeitung des Funktionendiagramms (schon während der
Angebotsphase) und entsprechende Diskussionen im Vorfeld eines Projektes wird die
Identifikation des einzelnen Mitarbeiters mit seiner Aufgabe gestärkt und Konflikte
vermieden. Abbildung 2-20 zeigt das Beispiel eines Funktionendiagramms für ein
„Key 1“-Projekt.

Abbildung 2-20: Beispiel eines Funktionendiagramms 45

»Key-1« - Projekt Technische

Teilprojekt-

Teilprojekt-

Verwaltung
Infor-

männische
Geschäfts-

(Konstruktion) mations-
Gesamt-

lieferant

Leitung
leiter 1

leiter 2
leitung

Kunde
Office/
führer

transfer

Back-
Kauf-
Sub-
Aufgabenbereich / Aufgaben

1. Konstruktion gesamt I E,P I Eg 1x / Woche

1.1 Technische Entwicklung K P I I P 1x / Woche

1.2 Fertigungsplanung K I P I P 1x / Woche

Sonderprojekte / Mehrleist.
1.3 K I I P P 1x / Woche
(Fuktionsm ., RPS, PDM,DMU)
Schnittstellenbetreuung
2. E,P I I I Eg 1x / Woche
(Datentransfer ...)

3. Techn. Berichtwesen gesamt I E,P M M M I A I 1x / Monat

3.1 Intern E,P M M M I A I 1x / Monat

3.2 Extern E,P I 1x / Monat

4. Kalkulation / Preisgestaltung E, P M M bei Bedarf

5. Angebotserstellung I K P A bei Bedarf

6. CAD- / EDV- Organisation E P M M I

7. Personal / Ressourceneinsatz E M M M P

8. Projektcontrolling, Konsequenzen I E,P M A 1x / Monat

9. Projekteinkauf (< 50.000 €) E P P I I A

10. Projekteinkauf (> 50.000 €) E K P A

P: Prozessverantw., E: Entscheidung, M: Mitsprache, A: Ausführung, I: Information, K: Kontrolle

Konflikte zwischen Entwicklungsbereichen wie Planung, Fertigung, Qualitätswesen


usw. können ebenfalls durch Funktionendiagramme geregelt werden. Die Aufgaben
sollten so definiert sein, dass alle beteiligten Fakultäten frühzeitig in eine gemeinsame
Verantwortung „gezwungen“ werden.

45 vgl. Kurek/Schindler (2002), S. 105

45
Management einzelner Automotive-Projekte („Single-PM“)
2
Das in der Praxis immer wieder auftretende Phänomen, dass nachgelagerte Prozess-
funktionen Informationen für vorgelagerte Prozessfunktionen bewusst nicht zur Ver-
fügung stellen, um sich am Ende als „Retter des Projektes“ feiern zu lassen, wird da-
durch vermieden. Auch „Kompetenzgerangel“ zwischen Linie und Projekt kann
mittels Funktionendiagrammen unterbunden werden.46 Im englischsprachigen Raum
hat sich der Begriff „RASIC“-Chart durchgesetzt, wobei die Buchstaben jeweils für
„Responsible, Approve, Support, Inform, Consult“ stehen.

Ein wesentliches Führungsinstrument im Zusammenspiel zwischen Projekt- und Lini-


enorganisation stellen sogenannte Projektsteuergremien dar. Den Autoren ist kein
Fahrzeugprojekt bekannt, bei dem diese Gremien nicht eine entscheidende Rolle spie-
len. In Kapitel 3.3 wird auf diese Gremien näher eingegangen.

2.3 Teamarbeit und Kommunikation als


Erfolgsfaktoren im Projekt
In den Projekten der Automobilindustrie wird interdisziplinär, meist in sogenannten
„SE-Teams“ (SE steht dabei für Simultaneous Engineering) gearbeitet.47 Die wichtige
Rolle der Teamarbeit und die Schritte, die zu einem erfolgreichen Team führen, wer-
den in diesem Kapitel erläutert. Darüber hinaus spielen Kommunikationsmittel und
-wege wie auch der professionelle Informationsfluss eine wesentliche Rolle für eine
erfolgreiche Zusammenarbeit.

Abbildung 2-21 auf der nächsten Seite zeigt das Beispiel einer SE-Team-Struktur in der
Fahrzeugentwicklung. Im SE-Hauptteam werden Vorgaben, Lösungen und Entschei-
dungen abgestimmt, die das gesamte Fahrzeug bzw. die Schnittstellen zwischen den
Modulen oder Haupt-Funktionsgruppen betreffen. Dies ist die Ebene des technischen
Projektmanagements. Innerhalb der Module gibt es je nach Komplexität des Moduls
noch eine Unterstruktur, die wieder ein entsprechendes Team erforderlich macht. Für
den Entwicklungsprozess eines jeden Submoduls oder einer jeden Funktionsgruppe
arbeiten dann die einzelnen Fachabteilungen prozessorientiert zusammen. Deren
Koordination erfolgt in einem interdisziplinären, prozessorientierten SE-Team mit je
einem Vertreter aus jeder Abteilung.

46 vgl. Bullinger/Kiss-Preußinger/Spath (2003), S. 37


47 vgl. Dixius (1998), S. 10ff

46
Teamarbeit und Kommunikation als Erfolgsfaktoren im Projekt
2.3
Abbildung 2-21: Beispiel: SE-Teamstruktur Gesamtfahrzeugentwicklung 48

Interieur

Elektrik Exterieur

SE-Hauptteam
Fachliche Abstimmung

Gesamtfahrzeuge

BIW HOP ...

Dichtungen Klappen

Türen Modulorientierung
Entwicklung Prozessorientierung
Montageein-
Elektrik Modulteam / richtungen
Funktionsgruppe (Serie)
Presswerk-
CAE
zeuge
(Serie)
Versuch
Prototypen Rohbau-
anlagen (Serie)

2.3.1 Zusammenarbeit im Team fördern


„Wer Menschen führen will, muss hinter ihnen gehen.“ Laotse, chinesischer Philosoph

Projektarbeit ist in den meisten Fällen Teamarbeit. Vielfach sind die Beteiligten aber
noch kein Team, weil ihnen das Bewusstsein dafür fehlt oder sie mehr oder weniger
wegen der „Verfügbarkeit“ oder „Anordnung von oben“ zusammenarbeiten. Zwi-
schenmenschliche Probleme und Konflikte sind dann vorprogrammiert.

Aus der Erfahrung vieler schwieriger oder gescheiterter Projekte haben sich einige
Erfolgsfaktoren für Teamarbeit herauskristallisiert (siehe Abbildung 2-22).

48 Quelle: EDAG

47
Management einzelner Automotive-Projekte („Single-PM“)
2
Abbildung 2-22: Erfolgsfaktoren von Projektteams

Ein erfolgreiches Projektteam zeichnet sich im Wesentlichen durch folgende Kriterien aus:

1. Sorgfältige Auswahl und richtige Zusammensetzung der Teammitglieder

2. Eindeutiger Auftrag und klare Zielvorstellung

3. Geklärte Beziehungen, gegenseitige Akzeptanz und Kooperation

4. Klare Abgrenzung der Verantwortungsbereiche und Rollenverteilung

5. Vereinbarte und akzeptierte Spielregeln und Abläufe

Je nach Größe und Zusammensetzung (Teammitglieder kennen sich bereits bzw. arbei-
ten zum ersten Mal zusammen) eines Projektteams ist eine aktive Teamentwick-
lungsmaßnahme Voraussetzung dafür, dass ein Team optimal zusammenarbeitet. Der
Faktor „Mensch“, also die Fähigkeit zur Kommunikation und Zusammenarbeit, ent-
scheidet zu über 50% über den Erfolg / Misserfolg eines Projektes. Somit ist eine
Zeitinvestition in die Teamentwicklung ratsam. Damit die Phasen zügig durchlaufen
werden, kann die Teamentwicklung „aktiv“ durch einen professionell moderierten
Workshop gefördert werden.

Der Weg einer Teamentwicklung läuft im Wesentlichen in vier Phasen ab:

1. Statik/Entstehung/Forming (Kennenlernen, „Abwarten“ und Zurückhaltung, feh-


lende Planungs- und Steuerungsinstrumente)

2. Aufbruch/Storming (Auseinandersetzungen, „Teeniealter“, „Hinterfragen“ von


Zielen, Werten und Abläufen, persönliche Konflikte  konstruktive Konfliktbe-
wältigung)

3. Ordnung/Norming (Richtlinien entwickeln, Konfliktlösung, Kommunikationsre-


geln, regelmäßige Besprechungen)

4. Leistung/Performing (Übereinstimmung bezüglich Ziele, Rollen, Spielregeln. Ei-


geninitiative und Verantwortungsbereitschaft)

Die Realität zeigt, dass die einzelnen Phasen nicht übersprungen werden können,
ohne dass sich dies negativ auf das Leistungsniveau des Teams auswirkt. Es gibt je-
doch viele Teams, die in den Phasen 1 oder 2 „stecken bleiben“ und in der Folge rela-
tiv schlecht zusammenarbeiten und keine Effizienz zeigen. Am Ende der Teamarbeit
kann dann auch noch eine Phase des Abschieds/Adjourning durchlaufen werden. Hier
heißt es voneinander Abschied nehmen, Anerkennung zeigen für das gemeinsam
Geleistete sowie Lernen für zukünftige Projekte.

48
Teamarbeit und Kommunikation als Erfolgsfaktoren im Projekt
2.3
In immer mehr Automotive-Projekten kommen „virtuelle Teams“ zum Einsatz, die
nicht an einem Standort zusammenarbeiten, sich nur temporär persönlich sehen und
intensiv über elektronische Medien kooperieren. Bei dieser Art von Teamarbeit sind
die Entwicklungsphasen besonders deutlich und müssen aufgrund der räumlichen
Distanz bewusst gestaltet werden. Ein tragfähiges Wir-Gefühl, das effiziente Hochleis-
tungsteams charakterisiert, kann ohne das Durchlaufen dieser Phasen nicht entstehen.

Hierin liegt jedoch häufig das Problem: Nicht selten wird gerade die “unangenehme“
Aufbruchsphase umschifft oder ihr Durchleben unterdrückt bzw. kontraproduktiv
abgekürzt, obwohl gerade in dieser Phase die Grundlage erfolgreicher Teamarbeit
geschaffen wird. Die Distanz bei virtuellen Teams „lädt“ förmlich dazu ein, Mei-
nungsverschiedenheiten, Akzeptanzprobleme und Reibungspunkte zu verdrängen
und das bewusste Durchleben dieser Phase zu vernachlässigen. Das äußert sich dann
in Leistungsabfall, erkennbar u.a. durch folgende Signale: Termine werden nur noch
bedingt eingehalten oder geschoben; das Projekt nimmt in der „Prioritätenliste“ der
Teammitglieder eine zunehmend nachrangige Position ein; Team-Mitglieder springen
ab; Missverständnisse häufen sich; die Anzahl von Absprachen aufgrund wider-
sprüchlicher Wahrnehmungen steigt...

Im Rahmen der Teamentwicklung müssen wichtige Kernelemente der Teamarbeit so


erarbeitet werden, dass sie eine tragfähige Basis bilden:

 Spielregeln
 Teampositionen und -rollen
 ein klarer Arbeits-, Ablauf- und Kommunikationsplan
 echtes Commitment der Teammitglieder zur Rollenverteilung, Aufgabenstellung
und Vorgehensweise

 Vertrautheit und gute Beziehungen zwischen den Mitgliedern


Die Teamentwicklung ist eine wesentliche Führungsaufgabe des Projektleiters. Im
Mittelpunkt steht gute Kommunikation und Information sowie ein funktionierendes
Konfliktmanagement. Ein Moderator bzw. Coach kann dabei sinnvoll unterstützen.
Teamentwicklung ist ein kontinuierlicher Prozess, der im Rahmen der Projektdefiniti-
on angestoßen werden soll. Dies erfolgt am besten mit Hilfe eines „Teambildungs-
Workshops“. Bei lokalen Teams müssen, je nachdem, wie gut sich die Beteiligten be-
reits kennen und wie groß die Gruppe ist, etwa ½ bis zu einem ganzen Tag für diese
Veranstaltung eingeplant werden. Bei standortübergreifenden oder sogar internationa-
len Teams ist der Zeitaufwand für die Teambildung und -entwicklung bedeutend
höher. Allerdings ist diese Maßnahme dann auch existenziell notwendig (siehe Kap.
2.3.3). Im Teamentwicklungsworkshop werden unter Anleitung eines Moderators die
wesentlichen Kriterien erfolgreicher Teamarbeit erarbeitet und die Grundlagen für
eine kooperative Zusammenarbeit und den notwendigen „Teamgeist“ gelegt. Abbil-
dung 2-23 zeigt eine mögliche Tagesordnung.

49
Management einzelner Automotive-Projekte („Single-PM“)
2
Abbildung 2-23: Beispiel: Agenda Teamentwicklungs-Workshop

Nr. TOP Verantwortlich Dauer

1. Grundlagen Teamarbeit Coach 60 min


2. Persönlichkeit und Verhalten (z.B. mit DISG) Coach/ Teil- 90 min
nehmer
3. Strategien zur Verbesserung der Zusammenarbeit Teilnehmer 60 min
und Kommunikation
4. Spielregeln und Abläufe vereinbaren Teilnehmer 90 min
5. Rollen- und Aufgabenverteilung, Organisation Teilnehmer 60 min
6. Nächste Schritte und Maßnahmen Teilnehmer 30 min

Die weiteren Schritte der Teamentwicklung erfolgen automatisch im Rahmen der


regelmäßigen Teambesprechungen bzw. gezielt durch gemeinsame Freizeitaktivitäten.
Die Abbildungen 2-24 und 2-25 zeigen ein Beispiel für Spielregeln, die zu Beginn des
Projekts im Rahmen eines Team-Workshops vereinbart werden können.

Abbildung 2-24: Beispiel: Spielregeln im Projektteam Teil 1

Spielregeln für die Zusammenarbeit im Projektteam

Informationsfluss zwischen Projektteam und Kunde

 Alle vertragsrelevanten Informationen werden parallel an alle Kernteammitglieder gegeben


 E-Mail-Kommunikation: „Projekt AAF...“ als erstes Wort vor den Betreff setzen
Terminplanung und -steuerung

 Es wird ein verbindlicher Grobterminplan für das gesamte Projekt erstellt und gepflegt
 Die Abstimmung der Arbeitspakete erfolgt auf Basis der Detailtermine, die zwischen den
Teilprojektleitern und der Linie vereinbart wurden.
Projektorganisation und Verantwortlichkeiten

 Die Verantwortungsbereiche sind aus dem Organigramm ersichtlich.


 Für PL und Kernteam werden Rechte und Pflichten in Funktionsbeschreibungen definiert
Berichterstattung an die Bereichsleitung

 Es wird ein monatlicher Statusbericht für die Geschäftsleitung erstellt.


 Inhalte sind: Grobterminplan (Soll/Ist), Fortschritt an Aktivitäten (Status der Umsetzung, ge-
plante Installationen), aktuelle Risiken, Kostensituation (Soll/Ist) und Abrechnung

50
Teamarbeit und Kommunikation als Erfolgsfaktoren im Projekt
2.3
Abbildung 2-25: Beispiel: Spielregeln im Projektteam Teil 2

Projektdokumentation und Ablage

 Die Ablagestruktur wird im Intranet einheitlich entsprechend der Projektorganisation geregelt


 Die Bezeichnung der Dateinamen wird ebenfalls einheitlich geregelt
Führungsverantwortung im Kernteam

 Es gilt das Motto "Unternehmer im Unternehmen"


 Themenbezogene Problemlösung und Aktivitäten erfolgen selbständig
 Die Statusbesprechung wird mit themenbezogenen Problemlösungen nicht belastet.
Projektkultur

 Wir investieren Vertrauen und reden „mit einander“ und nicht „über einander“
 Konflikte werde offen und sofort angesprochen und gemeinsam gelöst
Statusbesprechungen im Kernteam

 Für Kernteammitglieder ist die Teilnahme an Statusbesprechungen Pflicht (evtl. Vertreter).


 Unentschuldigtes Fehlen oder Zuspätkommen kostet pro Minute Euro 1,-- in die Projektkasse
 Handys bleiben während Besprechungen ausgeschaltet (jedes Klingeln Euro 5,--).
Aktivitätenliste und Abarbeitung

 Wenn eine Aktivität mit Verantwortlichkeit und Termin vereinbart wurde, so kümmert sich der
Verantwortliche selbständig und eigenverantwortlich um die Abarbeitung.
 Eine Verfolgung der gleichen Aktivität durch mehrere Kernteammitglieder ist nicht effektiv und
nur in Ausnahmefällen (nach Abstimmung im Kernteam) möglich.

Bei virtuellen Teams, deren Mitglieder an verschiedenen Standorten – oft weltweit


verteilt – arbeiten, ist bedeutend mehr Aufwand nötig. Die wesentlichen Merkmale
von leistungsstarken, virtuellen Teams sind:

 Den Teammitgliedern ist Ziel, Sinn und Zweck des Projektes klar; die einzelnen
Personen können sich mit der Aufgabe identifizieren und sehen einen echten per-
sönlichen Sinn in der Mitarbeit – das Verhältnis zwischen individuellen Interessen
und den Möglichkeiten, sich in das Projekt einzubringen, sind geklärt.

 Der Vorgehensplan des Projektes ist von den Teammitgliedern gemeinsam erar-
beitet und verabschiedet worden.

 Die Regeln der Zusammenarbeit sind festgelegt und akzeptiert.


 Alle Teammitglieder haben ihren „Platz“, ihre Rolle gefunden und können sich mit
derselben identifizieren; allen Mitgliedern ist jedoch bewusst, dass eine Verschie-
bung der Herausforderungen oder der Rahmenbedingungen eine Rollenverände-
rung oder -verschiebung nach sich ziehen kann.

51
Management einzelner Automotive-Projekte („Single-PM“)
2
 Das Verhältnis der Teammitglieder zueinander kann mit „funktionaler Vertraut-
heit“ umschrieben werden. Jedes Mitglied hat zu den anderen Teammitgliedern so
weit Vertrauen, dass es sich auf die anderen tatsächlich verlässt oder mögliche
Probleme aufgrund einer tragfähigen Beziehung sofort ansprechen kann.

 Sämtliche Teammitglieder verfügen über ein notwendiges technisches Equipment


(Internetanschluss, E-Mail, Mobiltelefon etc.), um standort-unabhängig kom-
munizieren zu können, und nutzen dieses optimal.

 Kommunikationskanäle sind eingerichtet, deren Einsatz ist eindeutig und für alle
Teammitglieder klar definiert. Alle halten sich an die getroffenen Vereinbarungen.

Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, sind einige Anstrengungen erforder-


lich. Am besten wird ein systematischer Teamentwicklungsprozess mit professioneller
Unterstützung aufgesetzt. Das folgende Schema (Abbildung 2-26) zeigt einen solchen
Prozess in 3 Phasen.

Abbildung 2-26: Entwicklungsprozess für virtuelle Teams, Vorgehensmodell

Phase I Phase II Phase III


Initialisierung Produktivarbeit
Abschluss
und Kick-off und follow-up

Zielsetzung Zielsetzung Zielsetzung


• sämtliche Teammitglieder bekennen • Teammitglieder arbeiten an • gemeinsamer Abschluss
sich zu den Zielen des Projektes ihren Aufgabenstellungen des Projektes mit
• die Teammitglieder kennen sich, • fallweise und periodische gemeinsamer Vorbereitung
wissen in der ersten Phase um ihre Abstimmung über Internet, der Präsentation
Stärken und Schwächen – funktionale Videokonferenzen, Telefon etc. • Planung des weiteren
Vertrautheit ist gegeben • Follow-up-Veranstaltung – Vorgehens
• Art und Qualität der Zusammenarbeit Lessons-learned-Workshop • Lessons-learned-Summary
sind festgelegt und lebbar ist erarbeitet

Vorgehen Vorgehen Vorgehen


Outdoor-Teambuilding mit sämtlichen (1) Produktivarbeit der (1) Gemeinsame Planung des
Teammitgliedern Teammitglieder Abschlusses (frühzeitig) –
Elemente: Teamarbeit, Rollenverteilung, (2) Abstimmung entsprechend den Telefonkonferenz,
Einzelarbeit mit konkreter getroffenen Spielregeln Videokonferenz
Zielvorgabe; Simulation von (3) „Distanzabstimmung“ (2) Abschlussworkshop mit
Spielregeln; bewusst die (4) Follow-up-Veranstaltung Event
gemeinsame Teambrille aufsetzen; Lessons-learned-Workshop (1-
organisatorische Abläufe im Projekt 4 mal abhängig von der Dauer
erarbeiten etc.; Medien und des Projektes)
Maßnahmen der Kommunikation und
des Konfliktmanagements erarbeiten

52
Teamarbeit und Kommunikation als Erfolgsfaktoren im Projekt
2.3
2.3.2 Kommunikation im Projekt regeln
Ein Großteil der fehlgeschlagenen Projekte scheitert nicht an der Technik, Organisation
oder fehlenden Teamfähigkeit, sondern schlichtweg an der Kommunikation. Damit ist
die Kommunikation zu einem der größten Risikofaktoren in der Projektarbeit gewor-
den. Wird berücksichtigt, dass für Projekte heute immer weniger Zeit zur Verfügung
steht und auch das Budget stark begrenzt ist, wird die Bedeutung einer optimalen
Kommunikation schnell deutlich.

Auf Feinheiten der zwischenmenschlichen Kommunikation wird an dieser Stelle nicht


näher eingegangen. Hier verweisen wir auf die einschlägige Literatur bzw. Grundla-
genwerke zum Projektmanagement.49 Für Automotive-Projekte wird allerdings das
Thema der Kommunikation im internationalen und multikulturellen Umfeld immer
wichtiger, deshalb wird darauf noch gesondert eingegangen. Einen Überblick über die
verschiedenen Kommunikationsmöglichkeiten im Projekt, geordnet nach Raum und
Zeit, liefert Abbildung 2-27.

Abbildung 2-27: Kommunikationsmöglichkeiten nach Raum und Zeit

Zeit

elektronische
Postsysteme

spez. Datenbanken
versetzt
spez. Planungssysteme

Groupware

synchron Video-, Telefon-,


Desktopkonferenzen
Sitzungen,
Besprechungen

Raum
zusammen entfernt

49 vgl. Wolf/Mlekusch/Hab (2006), Schulz von Thun (1983) und Mayershofer (1999)

53
Management einzelner Automotive-Projekte („Single-PM“)
2
Technisch gesehen lässt sich Kommunikation im Projekt unterscheiden nach:

 Sprachkommunikation
 Textkommunikation
 Bildkommunikation
Bei der Sprachkommunikation spielen die klassische persönliche Besprechung und
das Telefon sicher noch die größte Rolle. Erfahrungsgemäß wird dies so bleiben, weil
gerade im Projektmanagement nicht nur reine Sachinformationen ausgetauscht wer-
den, sondern viele Führungs- und Steuerungsinformationen auf der „nonverbalen“
und „emotionalen“ Ebene fließen. Dafür sind gute Beziehungen und persönliche Be-
gegnungen erforderlich. Ohne diese würde die Arbeit auch wenig Spaß machen.

Abbildung 2-28 zeigt die wichtigsten persönlichen Kommunikationsformen im Projekt


geordnet nach der Qualität für das Projektmanagement und dem Ressourcenbedarf.

Abbildung 2-28: Persönliche Kommunikationsformen im Projekt 50

Projektmanagement
Qualität

hoch Projekt-
workshop

mittel Projekt-
sitzung

Einzel-
niedrig gespräche

Ressourcen-
niedrig mittel hoch bedarf

50 vgl. Gareis (2000)

54
Teamarbeit und Kommunikation als Erfolgsfaktoren im Projekt
2.3
Damit diese persönlichen Begegnungen auch bei räumlich verteilten Projektteams und
trotz des hohen Drucks des Tagesgeschäfts verbindlich stattfinden, braucht es klare
Regeltermine, die über einen langen Zeitraum von allen Beteiligten im Terminkalender
„geblockt“ werden. Der Aufwand, einen Besprechungstermin ad hoc zu vereinbaren,
ist um ein vielfaches höher, als einmal einen Regeltermin abzusagen. Das sollten alle
erfahrenen Projektleiter wissen. Abbildung 2-29 zeigt Regeltermine mit entsprechen-
der Frequenz bei einem Automobilhersteller.

Abbildung 2-29: Regelbesprechungen im Projekt 51

Steuerungsebenen Besprechungstyp Inhalt Termine

Projekt- Projektleiter-Besprechung 1) Infos aus der monatlich


Projektleiter Projektleitung
Leitung
Gesamtfunktions- 2) Berichterstattung der
1 GFG-Sprecher zum
gruppen-Sprecher
Gesamt- Kostenteam-Sprecher Projektstand
funktions- Terminteam-Sprecher 3) Maßnahmenfestlegung
gruppen
Sprecher
Geamtfunktionsgruppen- 1) Koordination der 14-tägig
2 Besprechung FG Arbeit
Funktions Funktionsgruppen-Sprecher 2) Vorbereiten der
gruppen und Vertreter Aktivitäten der
Steuerungsebene 1

Funktionsgruppen-Besprechung 1) Koordination der nach Bedarf,


3 Funktionsgruppen-Mitglieder laufenden Arbeit wöchentlich
Funktions- 2) Vorbereiten der
gruppen Aktivitäten der
Steuerungsebene 2
Team-Besprechung
Projektleiter 1) Infos aus der viermal
Funktionsgruppen-Sprecher Projektleitung pro Jahr
Kostenteam-Sprecher 2) Berichterstattung der
Terminteam-Sprecher Funktionsgruppen-
Sprecher zum Projektstand
3) Maßnahmenfestlegung

Die digitalen Medien spielen durch die zunehmende Internationalisierung und stand-
ortübergreifendes Arbeiten eine immer größere Rolle. Die Internet-Technologie bietet
hier sinnvolle Möglichkeiten.

51 Quelle: Daimler

55
Management einzelner Automotive-Projekte („Single-PM“)
2
Nach der Offenheit bzw. Sicherheit für die Nutzer lassen sich drei Anwendungsberei-
che unterscheiden:

 Das Intranet steht einer begrenzten geschlossenen Gruppe zur Verfügung, z.B.
einem Unternehmen oder auch nur einer Projektgruppe.

 Im Extranet wird dieser Kreis bereits erweitert, so wird z.B. ein externer Projekt-
partner oder Kunde in das interne Intranet mit einbezogen.

 Das Internet stellt die Möglichkeit einer völligen Öffnung dar, also zur weltweiten
Kommunikation und einem entsprechenden Informationsaustausch.

Als gängige Kommunikationsform für Text und Bild im Projekt gilt die E-Mail. Das
Versenden von „elektronischer Post“ ist heute sicherlich eine der am meisten verbrei-
teten Kommunikationsmöglichkeiten. Neben der eigentlichen Textnachricht lassen
sich Dokumente aller Art als sogenannte „attachments“ anhängen und elektronisch
versenden. In der Projektarbeit wird dies insbesondere für den Austausch von elektro-
nischen Formularen und Vorlagen zwischen den Projektmitgliedern genutzt. Auch im
Bereich Terminplanung bietet sich dieses Medium an. So lassen sich z.B. zur Projekt-
organisation die Termine der Teammitglieder per Rückmeldung mittels E-Mail koor-
dinieren. Über die Zusammenstellung von Gruppen lassen sich für bestimmte The-
menbereiche die Empfänger festlegen. Die Auswahl der Gruppe hat dann eine Ver-
teilerfunktion. Der Vorteil dabei ist, dass auch wirklich nur die relevanten Empfänger
Nachrichten erhalten.

Für die Kommunikation von Sprache und Bild auf analoge oder digitale Weise bieten
sich Video- oder Webkonferenzen an. Videokonferenzen setzen auf beiden Seiten
aufwändige Technik voraus, deshalb setzen sich immer mehr die kostengünstigen
Webkonferenzen durch, die ähnliche Funktionalitäten zu geringeren Kosten bieten.
Jedoch ist eine ausreichende Übertragungskapazität Grundvoraussetzung für diese
Form der Kommunikation. Nur mit entsprechenden Bandbreiten lässt sich eine an-
sprechende Qualität hinsichtlich Bild, Daten und Sprache erreichen.

Ein innovativer Ansatz für die verteilte Kommunikation im Projektmanagement stellt


die Nutzung virtueller Projekträume dar. Ursprünglich für Weiterbildungsmaßnah-
men im Bereich E-Learning entwickelt, lassen sich diese auch sehr gut in der Projekt-
arbeit, insbesondere bei virtuellen Projektteams, einsetzen. Von der Funktionalität
bietet ein virtueller Projektraum die Möglichkeit, eine reale Besprechung nachzubil-
den. Diese muss allerdings gut vorbereitet, professionell moderiert und diszipliniert
durchgeführt werden. Die zuletzt genannten Kommunikationsformen setzen aber von
Zeit zu Zeit ein reales Treffen der Projektbeteiligten voraus, da sonst das für Teamar-
beit nötige Vertrauen fehlt.

Projektportale im Internet sind ebenfalls auf die Unterstützung der Teamarbeit ausge-
richtet. Für die Kommunikation im Projekt stehen verschiedene Funktionselemente
zur Verfügung:

56
Teamarbeit und Kommunikation als Erfolgsfaktoren im Projekt
2.3
 Messaging, Calendaring und Scheduling (also gemeinsame Nachrichten und Pla-
nungsräume), gemeinsamer „Projektnachrichten-Eingang“;

 Diskussionsforen (frei oder moderiert), Blogs und synchrone Chat-Räume;


 E-Conference, E-Learning, News-Bulletins, etc.
Aber die komfortable Kommunikationstechnik hat auch ihre Schattenseiten. Durch die
einfache Anwendung wird oftmals zu viel Information an einen zu großen Kreis ver-
teilt. Wer kennt z.B. nicht das Problem einer mit nicht relevanten Daten überlaufenden
Mailbox. Eine solche unnötige Informationsflut ist Ressourcenverschwendung und
lähmt die Kommunikation. Die Verwendung von unterschiedlichen Formaten und
Anwendungen oder auch die Nichterreichbarkeit des Kommunikationspartners führt
oft zu Aggressionen, Frust und Konflikten. Das Fehlen des persönlichen Kontakts
zwischen den Beteiligten kann ebenfalls durchaus mit Nachteilen verbunden sein. Da
die modernen Kommunikationskanäle immer nur einen Ausschnitt der gesamten
Kommunikation abbilden, können leicht Irritationen oder Fehlinterpretationen entste-
hen, die im direkten Gespräch gar nicht erst auftreten bzw. wesentlich leichter ausge-
räumt werden können.

2.3.3 Kommunikation in internationalen Teams als


Herausforderung
Sind Projektteam und Aufgaben auf verschiedene internationale Standorte verteilt,
steht das Projektmanagement vor einer besonderen Herausforderung: Viele Fragestel-
lungen, die in nationalen, standortbezogenen Projekten durch direkte Kommunikation
auf dem ʺkleinen Dienstwegʺ gelöst werden können, schaffen in internationalen Pro-
jektteams große Probleme. Schwierigkeiten bereiten z.B. folgende Punkte:

 kulturelle Unterschiede sowie andere Arbeits- und Vorgehensweisen, zum Beispiel


das unterschiedliche Meeting-Verhalten verschiedener Nationalitäten;

 Schwierigkeiten in der Teamkommunikation aufgrund unterschiedlicher Zeitzo-


nen und Sprachfähigkeiten, oft verstärkt durch Probleme mit den verschiedenen
Sprachversionen von Software;

 großer Abstimmungsaufwand zwischen den Standorten, etwa bei der Terminkoor-


dination für übergreifende Statusmeetings und Workshops;

 die unterschiedliche organisatorische Ausgestaltung der verschiedenen beteiligten


Standorte. Damit verbunden ist das Problem, dass der Projektleiter die richtigen
Ansprechpartner nur schwer identifizieren kann, da diese an verschiedenen Stellen
der lokalen Organisation angesiedelt sein können.

57
Management einzelner Automotive-Projekte („Single-PM“)
2
Wer mit Menschen aus fremden Kulturen zusammenarbeitet, muss deren Sitten und
Gebräuche, Gefühle und Befindlichkeiten kennen und respektieren. Und er muss
umgekehrt auch dazu fähig sein, seinen Partnern aus anderen Kulturkreisen die eige-
nen Verhaltensweisen verständlich zu machen. Nur wer Unterschiede bewusst wahr-
nimmt, vermeidet Kosten, Zeitverluste, „Fettnäpfchen“ und Konflikte. Und er kann
die Synergieeffekte multikultureller Zusammenarbeit besser nutzen.

ʺInterkulturelle Kompetenzʺ heißt das Schlüsselwort im Zusammenhang mit multikul-


turellen Projekten. Das ist keine neuartige Qualifikation oder Fähigkeit, sondern eine
Kombination sozialer, kognitiver und kommunikativer Kompetenzen, gepaart mit
Wissen über die eigene Kultur und Partnerkulturen.52

Wie sollte ein Projektmanager oder Projektmitarbeiter mit kulturellen Unterschieden


umgehen?

 Der Projektmanager muss sich der kulturellen Unterschiede in der sozialen Etiket-
te (Begrüßungsrituale, Tischrituale, Sitzordnungen...) bewusst sein.

 Er sollte soziale Störungen registrieren und ihre Ursachen erforschen.


 Standards für soziales Verhalten sind abhängig von persönlichen und kulturellen
Orientierungen. Die Teilnehmer multikultureller Meetings sollten deshalb voreilige
persönliche Urteile vermeiden und genau beobachten, was vor sich geht.

 Der Projektmanager muss verstehen, was andere Projektteilnehmer erwarten, da-


mit sie sich während eines Meetings wohl fühlen können. Und er sollte wissen,
was sie in ihrem Umfeld brauchen, um die sozialen Verpflichtungen zu erfüllen,
mit denen sie in diesem Meeting konfrontiert werden.

 Alle Projektteilnehmer sollten das Projekt dazu nutzen, ihr Repertoire an sozialen
Verhaltensweisen im Arbeitsumfeld auszubauen.

Die Fähigkeit, in multikulturellen Projekten zu arbeiten, kann sich optimal entfalten,


wenn die Mitarbeiter sich für kulturelle Unterschiede interessieren und die gemein-
same Suche nach der besten Lösung von allen Projektteilnehmern unterstützt und als
gemeinsames Ziel angenommen wird.

Kulturelle Unterschiede können die Dynamik von Projektteams außerordentlich berei-


chern. Sie stellen ein kreatives Potenzial für die gemeinsame Entwicklung innovativer
Ideen dar. Andererseits können sie aber auch Missverständnisse, Verärgerung und
Misstrauen auslösen und so die Zusammenarbeit erheblich belasten.

Der bewusste Umgang kulturell kompetenter Projektmitarbeiter mit diesen Unter-


schieden ist ein wichtiger Erfolgsfaktor. Multikulturelle Zusammenarbeit kann nur
mit gegenseitigem Respekt und Interesse an anderen Meinungen, Sichtweisen und
Sitten funktionieren.

52 vgl. Becker/Gora/Wagner (2015)

58
Teamarbeit und Kommunikation als Erfolgsfaktoren im Projekt
2.3
Die vielleicht wichtigste Herausforderung internationaler oder interkulturell besetzter
Projekte besteht darin, kulturelle Unterschiede nicht nur zu integrieren, sondern als
echten Produktivfaktor im Projekt zu verankern. Gerade die Kreativität und Vielfalt
im Vorgehen unterscheiden internationale Projektteams positiv von rein nationalen
Teams. So kann z.B. die in Deutschland weit verbreitete Fokussierung auf qualitativ
hochwertige Produkte und technische Perfektion mit der in Frankreich eher vorherr-
schenden Orientierung an den Bedürfnissen des Kunden durchaus eine glückliche
Konstellation ergeben.

Ob es so weit kommt, hängt letztendlich von den Projektleitern und den Entscheidern
im Top-Management ab. Entscheidend ist deren Bereitschaft, internationale Projekt-
teams angemessen zu unterstützen und ihnen – auch über die unmittelbaren operati-
ven Erfordernisse hinaus – Freiraum zur Verfügung zu stellen. Dabei geht es etwa um
die Schaffung von Transparenz über die Ziele des Projekts, aber auch um das Aushan-
deln gemeinsamer Regeln der Zusammenarbeit sowie die Einigung auf Vorgehens-
weisen und Tools im Projektmanagement.

Hinzu kommt der Faktor Vertrauen, auf den international arbeitende Teams aufgrund
der geographischen Entfernung und der schwierigen Kommunikationsbedingungen
weitaus stärker angewiesen sind als herkömmliche Projektteams. Wird in der Definiti-
onsphase gezielt in dieses Vertrauen investiert, ist in späteren Phasen mit erheblichen
Kosteneinsparungen aufgrund von gesteigerter Produktivität zu rechnen. In der Pra-
xis hat es sich bewährt, Start-Workshops mit dem gesamten Kernteam und mit Unter-
stützung von (internen oder externen) Prozessbegleitern durchzuführen. Während
solcher Start-Workshops lernen sich die Teilnehmer persönlich kennen und klären ihre
Erwartungen, Ziele, die Kommunikationswege und -medien sowie die Rollen einzel-
ner Teammitglieder im Projekt (siehe 2.3.1).

Internationale Projektarbeit ist Projektarbeit unter erschwerten Bedingungen – mit der


Chance auf erhöhten Gewinn für alle Beteiligten. Erfolgreiche internationale Projekte
leisten oft einen herausragenden Beitrag zum Zusammenwachsen global orientierter
Unternehmen in der Automobilindustrie. Voraussetzung ist jedoch, dass den besonde-
ren Umständen im Projekt Rechnung getragen wird. Insbesondere die Projektdefiniti-
onsphase gilt als wichtige Weichenstellung für einen späteren Erfolg. Daneben spielen,
wie bereits erwähnt, der Informationsfluss und die entsprechenden technischen Mög-
lichkeiten eine wichtige Rolle.

59
Management einzelner Automotive-Projekte („Single-PM“)
2
2.3.4 Informationsfluss im Projekt gestalten
Das klassische Informationsmanagement in den Unternehmen der Automobilindustrie
ist häufig noch nicht optimal auf die Projektarbeit ausgerichtet. Bei der Entwicklung
der IT-Infrastruktur und Installation entsprechender Software haben in der Vergan-
genheit die Anforderungen kommerzieller (ERP-System) und technischer Prozesse
(CAD, Simulation, DMU) klar dominiert. Über das weit verbreitete „Office-Paket“ sind
viele Unternehmen nicht hinausgekommen. Dementsprechend unübersichtlich sind
die Ablagen und elektronischen Verzeichnisse der Projektteams. Das Ablegen und
Wiederfinden von Dokumenten in der aktuell gültigen Version bereitet Projektleitern
und -mitarbeitern immer wieder „Kopfzerbrechen“.

Damit alle Projektbeteiligten auf dem aktuellen Informationsstand sind, sollte das
Projektmanagement einige Punkte beherzigen: 53

 Sorgen Sie dafür, dass die strategische Ausrichtung des Projekts (Vision, Ziele,
Planung) dokumentiert und für jeden Mitarbeiter zugänglich ist, zum Beispiel auf
einer Projekt-Homepage im Intranet.

 Legen Sie sich im Voraus auf die Dokumentationsform der Arbeitsergebnisse fest,
die im Projekt erzeugt werden sollen. Orientieren Sie sich dabei an den Projektpro-
zessen. Verwenden Sie standardisierte Dokumentvorlagen.

 Arbeitsergebnisse sollten anhand eindeutiger Kriterien identifizierbar sein: Versi-


on, Status, Erstellungsdatum, letztes Änderungsdatum, verantwortlicher Bearbei-
ter.

 Führen Sie eine Übersicht der Arbeitsergebnisse, um jederzeit beurteilen zu kön-


nen, ob ein ausgedrucktes Dokument noch aktuell ist. Dabei unterstützen Sie Do-
kumentenmanagement- und Konfigurationsmanagementsysteme oder – im ein-
fachsten Fall – ein Programm zur Tabellenkalkulation.

 Erstellen Sie eine Übersicht Ihrer Werkzeuglandschaft und bilden Sie Ihren Infor-
mationsbedarf darauf ab.

 Legen Sie Verteilerkreise für die verschiedenen Ergebnistypen fest. Orientieren Sie
sich an diesen, wenn Sie zu Besprechungen einladen. Verteilerkreise können Sie
z.B. in einem Groupware-Server einrichten.

 Einigen Sie sich auf eine Ablagestruktur und ordnen Sie die Ergebnistypen festen
Ablageorten zu. Diese Ordnung erleichtert es speziell Mitarbeitern ohne Detailwis-
sen, Informationen zu finden.

53 vgl. Rohr, J. in: Projektmagazin 4/2004

60
Teamarbeit und Kommunikation als Erfolgsfaktoren im Projekt
2.3
 Erstellen Sie eine Übersicht der Daten, die für die Steuerung nötig sind. Prüfen Sie
dann, in welchen Werkzeugen diese Daten vorgehalten werden. Ergänzen Sie die
Funktionen der Werkzeuge. Die meisten lassen sich flexibel konfigurieren.

 Nutzen Sie grafische Auswertungen, um einen schnellen Überblick zu bekommen.


 Lassen Sie sich periodische Berichte automatisch erzeugen.
 Archivieren Sie Informationen, die Sie nicht mehr brauchen.
Einen wesentlichen Beitrag zu einem effizienten Informationsmanagement im Projekt
spielt die zentrale Ablage aller Projektinformationen, auch „zentrale Projektakte“
genannt. Mit Hilfe einer Datenbank lassen sich die Projektdaten zentral ablegen, so
dass jeder Projektbeteiligte auf die gleichen Informationen zugreift. Moderne Systeme
basieren mittlerweile vollständig auf der Internet-Technologie. Die Anwender benöti-
gen als Client lediglich einen aktuellen Browser.

Über Intra- oder Internet können damit alle Projektbeteiligten immer die aktuellen,
verbindlichen Dokumente, Schriftverkehr, Zeit- und Kostenpläne abrufen. So vermei-
det die Projektleitung Konflikte zwischen unterschiedlichen lokalen Versionen von
Dokumenten. Bearbeitet ein Projektmanager gerade sein Projekt, so ist es in der Da-
tenbank für Änderungen durch andere gesperrt.

Diese Datenbank-gestützte Verwaltung der Projektinformationen bewirkt zugleich


eine starke Formalisierung des Projektmanagements, da sie ein verbindliches und
einheitliches Schema für die Projektdokumentation erzwingt. Als Vorteile ergeben sich
daraus:

 Die Projektbeteiligten brauchen die Daten nur noch einmal einzugeben.


 Jeder – auch neue – Mitarbeiter findet sich in der Dokumentation schnell zurecht.
 Der Projektablauf ist systematisch dokumentiert.
Nachteil dieser Herangehensweise ist die Festlegung auf die vorgegebenen Informati-
onsstrukturen. Zwischenzeitlich gibt es am Markt auch eine ganze Reihe leistungsfä-
higer Software-Tools, die das Informationsmanagement im Projekt erleichtern. Sicher
ließe sich noch vieles zu diesem Thema sagen, allerdings sind die Informationsarchi-
tekturen und -standards in den Unternehmen doch recht unterschiedlich, so dass es
über die aufgeführten Punkte hinaus wenig generell gültige Regeln gibt. Eine zentrale
Projektakte in Form einer datenbankgestützten Ablage aller Projektinformationen ist
aber auf jeden Fall empfehlenswert.

61
Management einzelner Automotive-Projekte („Single-PM“)
2
2.4 Definitionsphase als strategische Investition
im Automotive-Projekt
Der richtige Start eines Projekts hat wesentlichen Einfluss auf den Erfolg. Der Spruch
„Sag mir, wie dein Projekt startet, und ich sag dir, wie es endet!“ ist ja in der Projekt-
management-Welt hinreichend bekannt. Die Aktivitäten zum Start im Rahmen der
Definitionsphase behandelt dieses Kapitel. Besonders in der Zusammenarbeit zwi-
schen Auto-Hersteller und Zulieferer gibt es da viele Hürden zu überwinden. Von der
Initiierung über die Klärung der Ziele und Anforderungen (Lastenheft) bis zum Kick-
Off werden die wesentlichen Methoden, die Automotive-Projekten zum Erfolg verhel-
fen, erläutert.

2.4.1 Einführung und Überblick zur Definitionsphase


Die Erfahrung in vielen Unternehmen zeigt, dass der kritischste Zeitpunkt eines Pro-
jektes am Anfang desselben ist. Die ersten Wochen entscheiden darüber, ob ein Projekt
planvoll und zielgerichtet abgewickelt wird, oder ob Krisen, Konflikte und Chaos die
Abwicklung beherrschen. In den meisten Fällen können Versäumnisse, die am Anfang
des Projekts gemacht werden, nur mit großem Aufwand wieder gutgemacht werden.
Deshalb ist eine systematische Projektdefinitionsphase ein wesentlicher Erfolgsfaktor
für jedes Projekt.

Die Projektdefinition beinhaltet die Klärung der Ziele (Lastenheft), Strategien, Struktu-
ren, Verantwortlichkeiten und Zusammenarbeit im Projekt. Die klare Zieldefinition
bzgl. Produktergebnissen, Qualität, Termine und Kosten hilft allen Beteiligten „zielge-
richtet“ zu arbeiten und sich nicht mit Nebensächlichkeiten zu beschäftigen oder sich
zu verzetteln. Eine Projektstrategie, die über die Ziele des Unternehmens informiert,
hilft alle Projektmitarbeiter durch „Informationen über den Sinn und Zweck des Pro-
jekts“ zu motivieren. Strukturen wie ein Meilensteinplan und eine Produkt- oder An-
lagenstruktur bringen Transparenz und Übersichtlichkeit. Die Klärung von Verant-
wortlichkeiten und Informationsflüssen mit Hilfe von Organigrammen, Funktionen-
diagrammen und Spielregeln liefern die Grundlage für eine reibungsarme, effiziente
Zusammenarbeit.

In vielen Fällen fehlt vor allem den Zulieferern eine klare Systematik für den Start von
Fahrzeugentwicklungsprojekten. Handlungsorientierung bestimmt das Geschäft. D.h.,
wenn vom Auftraggeber „grünes Licht“ erteilt wurde, wird sofort mit der Arbeit be-
gonnen. Für die Erarbeitung einer gemeinsamen Strategie und eines entsprechenden
Projektplanes haben die Beteiligten vermeintlich „zu wenig Zeit“. Da sie eh zu spät
dran sind, darf also „keine Minute verloren werden“. Das führt zu operativer Hektik
und Plan- bzw. Ziellosigkeit, das Gegenteil von Effektivität.

62
Definitionsphase als strategische Investition im Automotive-Projekt
2.4
Eine Situation, mit der viele Unternehmen der Branche zu kämpfen haben. Spätestens
zum Serienanlauf eskalieren dann Probleme, die bei frühzeitiger Klärung gar nicht erst
aufgetreten wären. Abbildung 2-30 verdeutlicht diesen Negativ-Kreislauf.

Abbildung 2-30: Negativ-Kreislauf der „operativen Hektik“ in der Projektdefinitionsphase

Reklamationen
vom Kunden

Ressourcen für
Eskalation von Brandbekämpfung
Problemen im gebunden
Serienanlauf

Notlösungen Anfrage/Auftrag
und Improvisation vom Kunden

Nur „Brennendes“ Machbarkeits-


wird erledigt prüfung
Projekt-
Reviews + planung
Freigaben Lastenheft-
prüfung und
Ressourcen- -freigabe Nicht ausgereifte
engpässe Projekt-
selektion Technologien

Für einen professionellen Projektstart ist in erster Linie die Projektleitung verantwort-
lich. Sie muss sich um die notwendigen Ressourcen kümmern (Kernteam) und voll-
ständige Informationen und Unterlagen vom Auftraggeber (Management, Vertrieb,...)
einfordern. Gerade beim „Stapellauf“ des Projekts kann ein interner oder externer
Projektcoach wertvolle Unterstützung leisten. Die verschiedenen Aktivitäten des Pro-
jektstarts lassen sich am besten im Team erledigen. Damit steigt die Akzeptanz und
Transparenz für alle Teammitglieder. Hierfür werden verschiedene Gespräche und
Workshops organisiert. Das hat gleichzeitig den Vorteil, dass die Planungsarbeit, die ja
oft von dringlichem Tagesgeschäft verdrängt wird, einen festen Platz hat. Planungsge-
spräche und Workshops mit zielgerichteter Moderation erzeugen brauchbare Ergeb-
nisse und Entscheidungen in kurzer Zeit. Es ist wichtig, diesen Zeitaufwand zu inves-
tieren, damit alle Projektbeteiligten die gleiche Sprache sprechen und den gleichen
Informationsstand bekommen. Generell gilt, dass der Umfang der Aktivitäten zum
Projektstart stark von der Projektgröße und Komplexität abhängt.

63
Management einzelner Automotive-Projekte („Single-PM“)
2
Bei kleinen Projekten lassen sich viele Dinge zusammenfassen und werden evtl. vom
Projektleiter alleine erledigt. Abbildung 2-31 zeigt den systematischen Prozess der
Projektdefinition im Überblick. Hierbei ist insbesondere der Unterschied zwischen
dem „Start-up“ oder Start-Workshop und dem später stattfindenden Kick-Off zu be-
achten. Im Start-up trifft sich der Projektleiter mit einem Kernteam aus 3–5 wichtigen
Personen, die das Projekt „aufsetzen“ und wesentliche Vorarbeiten leisten. Im Kick-
Off kommen dann alle Projektteammitglieder zusammen, um Einblicke in das Projekt,
die Planung und die jeweiligen Rollen zu gewinnen. Hierbei steht das „Commitment“
der Projektteammitglieder im Vordergrund, Aufgaben, Kompetenzen und Verantwort-
lichkeiten verstanden zu haben und auch damit einverstanden zu sein.

Abbildung 2-31: Projektdefinition als Prozess

Auftragsklärung

Einlader: Auftraggeber
Projektübergabe- Teilnehmer: Projektleiter +
gespräch Linienmanagement
Moderation: PM-Coach
Projektdefinitionsphase

Start-
workshop

Einlader: PL
„Team- Teilnehmer: PL + Team
entwicklung“ Moderation: PM-Coach

Einlader: PL
Auftakt Teilnehmer: PL + Teams der
Workshop Vertragspartner
Moderation: PM-Coach

Einlader: PL
Teilnehmer: PL + Team + betroffene
Kick-Off-Meeting Mitarbeiter / Abteilungen
Moderation: PM-Coach

Meilenstein „Projektfreigabe“

Einen Überblick über die Ereignisse, PM-Methoden und -Unterlagen, die im Rahmen
der Projektdefinition zur Anwendung kommen können, zeigt beispielhaft die Check-
liste in Abbildung 2-32. Checklisten dieser Art helfen dabei, Aktivitäten nicht zu ver-
gessen und innerhalb eines Unternehmens eine einheitliche Vorgehensweise zu haben.

64
Definitionsphase als strategische Investition im Automotive-Projekt
2.4
Abbildung 2-32: Beispiel: Checkliste Projektdefinitionsphase

Checkliste Projektdefinition
Legende : AG = Auftraggeber, PL = Projektleiter, KT = Kernteam, PC = Projektcoach, VT = Vertrieb

47 . . . . . . .
(Projekt-Nr.) (Kunde) (Projektbezeichnung)

Wer Erledigt
1. Auftragsklärung
- kommerziell / Konditionen AG, VT
- technisch / Mengengerüst, Lastenheft (Ergebnisse)
- Generelle Anforderungen und Randbedingungen

2. Projektsteckbrief PL

3. Projektübergabegespräch AG, PL (+ KT), PC


- Termine / Kapazitätsbedarf / Ablauf + betroffene
- Teamzusammensetzung / Projektorganisation Linienmanager
- Vollständigkeitsprüfung der Projektunterlagen
- Chancen und Risiken bewerten
- Projektleiter-Beauftragung (Kompetenzen)

4. Start Workshop PL + KT, PC


- Projektziele / Abnahmekriterien, Lastenheftvorgaben
- Projektorganigramm
- Projektergebnisstruktur (Produkt / Anlage)
- Phasen-/Meilensteinplan
- Ablauf für Änderungs- und Claimmangement
- Büro- / Arbeitsmittel
- Projektablage + Infofluss

5. Teamentwicklung PL + KT, PC
- Rollenverteilung und Persönliche Stärken
- Verantwortung / Aufgaben / Funktionen
- Information / Kommunikation
- Entscheidungsordnung
- Zusammenarbeit / Spielregeln

6. Auftaktworkshop PL + KT + Kunde
- Vorstellung der Projektorganisation und Aufgabenzuordnung + ggfs.
- Abstimmung der Grob-Meilensteinplanung Vertragspartner
- Abstimmung der Lastenheftvorgaben + Rahmenbedingungen PC

7. Projektauftrag int. Auftraggeber+PL

8. Vertragsprüfung / Auftragsbestätigung PL

9. Kick-Off Meeting PL + KT+


betr. Abteilungen

65
Management einzelner Automotive-Projekte („Single-PM“)
2
2.4.2 Frontloading als Projektmanagement-Strategie
Generell beklagen viele Zulieferer eine zu späte und oft nicht klar geregelte Einbin-
dung in die frühen Entwicklungsphasen. In vielen Fällen dominieren noch Ausschrei-
bungen und Vergabeprozeduren wie Wettbewerbe das Verhältnis zwischen Hersteller
und Zulieferer. Eine frühzeitige Partnerschaft im Sinne einer gemeinsamen Optimie-
rung des Projektstarts und der Projektplanung ist dadurch nicht möglich. So werden
auch Innovationen verhindert. Besonders die Regelung der Aufgaben, Kompetenzen
und Verantwortlichkeiten wird vernachlässigt und führt später zu Schnittstellenprob-
lemen, Fehlern und Konflikten zwischen den Beteiligten. Aus Angst, eine genaue Fest-
legung könne zu Forderungen der Gegenseite führen, verzichten viele OEMs und
Systemlieferanten auf dieses Instrument. Es fehlt die Verbindlichkeit in der Projektab-
wicklung. Doppelarbeit und Fehler bzw. Versäumnisse sind vorprogrammiert.54

Ohne gezieltes „Projektmanagement-Frontloading“ im Sinne von angewandter Pro-


jektmanagement-Methodik in der Projektdefinitionsphase lassen sich Projekte nicht
strategisch und effektiv einsteuern. Abbildung 2-33 zeigt die Philosophie des „Front-
loading“.

Abbildung 2-33: Frontloading als Projektmanagement-Strategie 55

100%
Kostenverantwortung

Produktwissen
Erweiterung des
Produktwissens durch
Stärkung der frühen Phase

Freiheitsgrad
für Entscheidungen
Fertigungs-
vorbereitung
Konzept Entwurf Ausarbeitung ...
0%
Projektvorbereitung Serienentwicklung Serienlauf

54 vgl. Bullinger/Kiss-Preußinger/Spath (2003), S.71


55 vgl. Gessner (2001), S. 17

66
Definitionsphase als strategische Investition im Automotive-Projekt
2.4
Ein modifizierter Fahrzeugentwicklungsprozess mit stärkerer Gewichtung der frühen
Phasen reduziert das Planungsrisiko durch eine starke Verkürzung der Entwicklungs-
zeit.56 Dies wird durch die weitgehende Parallelisierung der Entwicklungsprozesse
und den (fast) gleichzeitigen Start aller produktdefinierenden Teilprozesse zu Beginn
der Projektvorbereitung erreicht.

Dieser Denkansatz gilt auch für das Projektmanagement. Untersuchungen in der


Elektroindustrie haben gezeigt, dass die Parallelisierung von Entwicklungsprozessen
besonders erfolgreich ist, wenn es gelingt, frühzeitig die dem Entwicklungsprozess
eigene Unsicherheit zu reduzieren. Ziel des parallelisierten Produktentstehungspro-
zesses ist daher, bereits in der frühen Phase möglichst großes Produktwissen zu schaf-
fen und gleichzeitig die Entscheidungszeitpunkte so spät wie möglich im Prozess –
nahe an den Serienanlauf – zu legen. Dieser Ansatz wird in der Automobilindustrie
unter dem Begriff „Frontloading“ diskutiert. Zur Erhöhung der Entscheidungsbasis in
der frühen Phase sollten so viele alternative Lösungsvorschläge wie möglich unter-
sucht werden (Simulation und virtuelle Absicherung). Dies führt zu fundierteren Ent-
scheidungen, da die Auswirkungen einer Entscheidung auf das Gesamtkonzept besser
untersucht und abgeschätzt werden können. Damit reduziert sich auch die Anzahl der
notwendigen Änderungsschleifen.

Aus Projektmanagement-Sicht müssen zu Beginn des Fahrzeug-Projekts in einer kon-


zentrierten Klausur (Start- und Auftaktworkshop bzw. Kick-Off) die wesentlichen
Prämissen, Strukturen und Umfänge eines Projekts mit allen Beteiligten geklärt und
verabschiedet werden. Ein wichtiger Tagesordnungspunkt ist dabei die Vereinbarung
eines Organigramms und Funktionendiagramms für das Projekt, in dem die Aufgaben,
Kompetenzen und Verantwortlichkeiten der einzelnen Partner festgelegt werden.
Dadurch sprechen alle „eine Sprache“ und können dann pro-aktiv und selbstständig
loslegen. Ständige Rückfragen beim Projektleiter und Frust durch „Unwissenheit“
erübrigen sich.

In einer Planungsklausur, die bei einzelnen Systemlieferanten bereits vorbildlich prak-


tiziert wird, können Projektleiter und -team dann die Projektplanung verfeinern. Veri-
fizierung der Projektziele, Meilensteinpläne, Projektstrukturen, Termin- und Kosten-
planung sowie Risikoanalyse sind die „hard facts“ auf der Tagesordnung. Diese
Vorgehensweise wird in den folgenden Abschnitten im Detail erläutert. Die „soft
facts“ lassen sich durch parallel mitlaufende Teamentwicklungsaktivitäten unterstüt-
zen. Wichtige Themen sind: Spielregeln für die Zusammenarbeit und Klärung von
Rollen und Beziehungen. Abgesehen von gezielten Maßnahmen passiert im Rahmen
einer „Klausur“ mit dem Projektteam ohnehin sehr viel auf der zwischenmenschlichen
Ebene. Wenn die Kollegen mal für ein bis mehrere Tage „eingesperrt“ werden, kom-
men sie sich ganz automatisch nahe. Damit wird eine wesentliche Grundlage für gute
Beziehungen und damit kooperative Teamarbeit gelegt.

56 vgl. Gessner (2001), S. 17

67
Management einzelner Automotive-Projekte („Single-PM“)
2
2.4.3 Auftragsklärung und Projektumfeldanalyse
ʺWenn über das Grundsätzliche keine Einigkeit besteht, ist es sinnlos, miteinander Pläne zu
schmieden.ʺ Konfuzius, chinesischer Philosoph

Eine fundierte Auftragsklärung hilft unnötige Risiken und Doppelarbeit zu vermeiden.


Je besser die Informationen und Anforderungen des Auftraggebers aufbereitet sind,
desto effektiver kann das Projekt gestartet werden. Wenn es sich um Auftragsprojekte
handelt, so wird die Auftragsklärung oft schon im Rahmen der Angebotserstellung
erfolgen. Ohne Klarheit über die Kundenanforderungen und Eckdaten eines Projekts
kann kein qualifiziertes Angebot abgegeben werden. Bei internen Projekten wird diese
Aufgabe oft vernachlässigt und damit sind Missverständnisse und Enttäuschungen
vorprogrammiert. Abbildung 2-34 zeigt einen Fragenkatalog zur Auftragsklärung.

Abbildung 2-34: Fragenkatalog zur Auftragsklärung bei der Projektdefinition

Folgende Fragen helfen bei der Auftragsklärung:

 Was wollen / sollen wir erreichen und wozu?


 Mit welchem Nutzen?
 Wie lautet das Ziel des Projektes?
 Wozu leistet das Projekt fachlich einen Beitrag?
 Wie beeinflusst es Geschäftsziele des Kunden?
 Welches Problem, welche Frage steht im Mittelpunkt der Projektaufgabe?
 Wozu leistet das Projekt einen wirtschaftlichen Beitrag?
 Wie genau soll das gewünschte Ergebnis aussehen?
 Was soll hinterher neu / da / anders sein?
 Welche Produkte sollen entstehen?
 Woran erkennen wir, dass wir unsere Ziele erreicht haben (Messkriterien)?
 Sind bestimmte Vorstudien, Informationen für das Projekt vorhanden?
 Was brauchen wir noch, um loslegen zu können?
 Welche Randbedingungen und Einflüsse kennen wir, die das Projekt einschränken und be-
hindern, aber auch fördern könnten?

Besonders bei komplexen und strategischen Projekten, die viele externe und interne
Schnittstellen haben, liefert das Instrument der Projektumfeldanalyse wichtige Infor-
mationen zur Auftragsklärung. Darüber hinaus bilden die daraus gewonnenen Er-
kenntnisse auch eine wichtige Grundlage für die Zielklärung, spätere Risikoanalysen
und die Informationspolitik im Rahmen der Projektsteuerung.

68
Definitionsphase als strategische Investition im Automotive-Projekt
2.4
Nicht wenige Projekte sind schon an der Missachtung des politischen und sozialen
Umfeldes gescheitert oder haben zumindest vermeidbare Störungen und Behinderun-
gen dadurch erlebt.

In der Literatur wird in diesem Zusammenhang häufig von der „Stakeholder-


Analyse“ gesprochen. Stakeholder eines Projektes sind alle Personen, Personengrup-
pen und Institutionen, die ein Interesse am Projekt haben oder vom Projekt in irgend-
einer Weise betroffen sind.57 Damit überdecken sich Stakeholder- und Umfeldanalyse
weitgehend, abgesehen von gesellschaftlichen, rechtlichen, technischen und weiteren
projekt-relevanten Randbedingungen. Abbildung 2-35 gibt dazu eine Übersicht.

Abbildung 2-35: Einflussgrößen der Projektumfeldanalyse

Kunden Wettbewerber

Politik Lieferanten
Vertrieb Produktion

Projekt ...
Personal Fachabt.
Technik
Finanzen ...
Partner
Unternehmen
Wissenschaft
Kapitalgeber
Gesellschaft

Wichtige Fragen der Projektumfeldanalyse sind u.a.:

 Welche Erwartungen haben die Stakeholder an das Projekt?


 Stehen Sie dem Projekt positiv oder negativ gegenüber?
 Welchen Einfluss haben die Stakeholder auf das Projekt?
 Welche Maßnahmen sind zu ergreifen?
Sind die grundsätzlichen Fragen der Auftragsklärung soweit behandelt, sollte jetzt der
Projektleiter offiziell den Stab übergeben bekommen. Mit der Projektübergabe geht
nicht nur die formale Verantwortung auf die Projektleitung über, sondern sie wird
auch richtig emotional „inthronisiert“, was für Begeisterung und Einsatzbereitschaft
eine große Rolle spielt.

57 Quelle: ISO 10006

69
Management einzelner Automotive-Projekte („Single-PM“)
2
2.4.4 Projektübergabe
Das Projektübergabegespräch58 soll einen schnellen und erfolgreichen Projektstart
sicherstellen, indem es frühzeitig zur Klärung fehlender Informationen und Entschei-
dungen beiträgt. Außerdem dient es dazu, langfristig die Disziplin im Vertrieb und die
Qualität der Angebotserstellung zu verbessern, weil unvollständige Unterlagen und
ungeklärte bzw. ungenaue Vertragsverhältnisse frühzeitig offenbar werden. Für den
Projektleiter bietet es die wichtigsten Informationen über das Projekt und seinen Sta-
tus. Es ist eine Besprechung im kleinen Kreis zwischen dem internen Auftraggeber des
Projekts (z.B. Geschäftsleitung bzw. Vertrieb), dem Projektleiter und betroffenen Res-
sourcenverantwortlichen aus der Linie. Im Fokus steht die Informationsweitergabe
und den Stabwechsel von der vorgelagerten Phase (z.B. Vorstudie, Vorentwicklung,
Akquisition, Vertrieb, Angebotserstellung) zum Projektleiter für die Serienentwick-
lung, Produktionsanlage oder Auftragsabwicklung. Der Ablauf ist aus folgender
Agenda ersichtlich (Abbildung 2-36).

Abbildung 2-36: Beispiel: Agenda Projektübergabegespräch

Top Uhrzeit Min. Thema Sprecher

1 9:30 30 Informationen zum Kundenauftrag/Projekt Vertrieb


Vertragsumfang (grob)
Terminsituation/Kapazitätsbedarf/Ablauf
3 10:00 30 Teamzusammensetzung festlegen PL, Int. Auf-
Kernteammitglieder (Projektorganisation) traggeber +
Linien-
Arbeitspaketverantwortliche in der Linie management.
2 10.30 60 Stellungnahme und Klärungen zum Kun- Projektleiter/
denauftrag alle
Risiken, offene/unklare Punkte
4 11.30 30 Beauftragung Projektleiter Interner Auf-
traggeber
3 12:00 30 Offene Punkte und fehlende Unterlagen Projektleiter/
gemäß Checkliste alle
4 12:30 15 Terminvereinbarung: alle
 Workshop Projektstart
 Workshop Teamentwicklung
 Kick-Off-Meeting

58 vgl. Wolf/Mlekusch/Hab (2006), S. 29f

70
Definitionsphase als strategische Investition im Automotive-Projekt
2.4
Eine Checkliste zur Projektübergabe ist ein wesentliches Führungsinstrument für den
Projektleiter. Mit ihr wird geklärt, welche Informationen für den Start des Projekts
vorhanden sind und welche noch fehlen. Abbildung 2-37 zeigt ein Beispiel.

Abbildung 2-37: Beispiel: Checkliste zur Projektübergabe

Checkliste Projektübergabe
Kunde/Auftraggeber:
Projekt/Kundenauftrag:
Projektleiter:
übergeben erstellen/überarbeiten
Stand E Ü verantwortlich Termin
Angebotsunterlagen
• Anfragespezifikation
• Angebot mit Anlagen
• Angebotsschriftverkehr
• Angebotskalkulation
• Grobterminplan
• Projektsteckbrief

Verhandlungsergebnisse
• Auftragssumme + Währung
• Zahlungsvereinbarungen/Finanzierung
• Ein- und Ausfuhrbestimmungen
• Garantievereinbarungen
• Verhandelte Stundensätze
• Ecktermine, Meilensteine
• Standorte
• zus. techn. Vereinbarungen
• zus. kaufm. Vereinbarungen (z.B. local content)
• Projektorganisation vom Kunden, Ansprechpartner
• Auftragsnummer des Kunden
• letter of intent
• Verhandlungsprotokolle

Liefer- und Leistungsumfang:
• Verzeichnis und Beschreibungen
• Spezifikation/Lasten- und Pflichtenheft
• Fremdumfänge mit Angeboten
• Projektmanagement
• Beistellumfänge vom Kunden
• Ersatzteile
• Service/Wartung

Nachdem der Projektleiter jetzt in „Amt und Würden“ ist, muss er eine Projektstrate-
gie erarbeiten, die Mannschaft aufstellen und auf das Projekt einschwören. Dies ge-
schieht am besten in einer konzentrierten Teamklausur.

71
Management einzelner Automotive-Projekte („Single-PM“)
2
2.4.5 Projektstartklausur/-workshop
Um wichtige Projekte professionell einsteuern zu können, brauchen Projektleitung
und (Kern-)Team eine Phase der Kreativität und Konzentration frei vom Tagesge-
schäft. Eine je nach Projektgröße und Komplexität konzipierte Startklausur kann da
wahre Wunder bewirken. In diesem Rahmen wird alles geklärt und erarbeitet, was für
eine professionelle Projektdefinitionsphase erforderlich ist. Nicht nur Ziele, Struktu-
ren, Methoden und Strategien, sondern auch die Zusammenarbeit im Team spielen
dabei eine wichtige Rolle. Am Ende steht eine Präsentation vor dem internen Auftrag-
geber des Projekts, dem Projektsteuerkreis und/oder der Geschäftsleitung.

Der Startworkshop dient in erster Linie dazu, das Projekt zielgerichtet „in Fahrt zu
bringen“. Er informiert alle (Kern-)Teammitglieder über die Inhalte und Organisation
sowie die Ziele des Projekts und trägt somit zum systematischen, zielgerichteten Start
bei. Versäumnisse in der Definitionsphase des Projekts können später nur mit unver-
hältnismäßig großem Aufwand wieder kompensiert werden. Deshalb ist der systema-
tische Projektstart ein Erfolgsfaktor für jedes Projekt.

Im Rahmen des Startworkshops sollen mindestens die folgenden Inhalte vorgestellt


und vom Kernteam überprüft / ergänzt werden:

 Organigramm (Verantwortlichkeiten)
 Projektziele (Strategische-, Sach-, Termin- und Kostenziele)
 Liefer- und Leistungsumfang/ Projektergebnisstruktur
 Meilensteine / Mastertiming
 Projektinfrastruktur, -ablage
 Ablauf Änderungsmanagement
Mit der guten Vorbereitung durch den Projektleiter, ggf. unterstützt durch einen Mo-
derator, steht und fällt die ganze Veranstaltung. Je mehr Standards in einem Unter-
nehmen schon vorhanden sind, desto weniger Vorarbeit ist natürlich zu leisten. Gene-
rell gilt, dass der Umfang der Aktivitäten zur Projektdefinition stark von der Projekt-
größe abhängt. Bei kleinen Projekten lassen sich viele Dinge zusammenfassen und
werden evtl. vom Projektleiter alleine erledigt. Bei größeren Projekten ist eine Vorbe-
reitung des Workshops in einem größeren Team erforderlich.

Abbildung 2-38 zeigt anhand einer Agenda, wie eine Startklausur ablaufen kann.

72
Definitionsphase als strategische Investition im Automotive-Projekt
2.4
Abbildung 2-38: Beispiel: Agenda für Projektstartklausur/-workshop

Top Min. Thema Sprecher

1 15 Begrüßung und Organisatorisches Moderator


2 60 Vorstellung der Teilnehmer (Rolle im Projekt, Erwartungen an Alle
den Workshop ...)
3 120 Diskussion Teamarbeit, Klärung der Rollen und Stärken der Alle
Teammitglieder, Verabschiedung der Projektorganisation
4 120 Definitionen der Funktionen und Verantwortungsbereiche im Alle
Detail (Funktionendiagramm) und Vereinbarung von Spielre-
geln und Abläufen im Projekt
5 180 Gemeinsames Lastenheft-Review, Projektziele ergänzen und Projektleiter /
vereinbaren Alle
6 ? Gemeinsame Teamaktivität am Abend zur Förderung der Alle
guten Beziehungen und Kommunikation
7 120 Projektergebnisstruktur definieren und offene Punkte bzgl. Alle
Pflichtenheft sammeln
8 60 Ecktermine und Vorgaben des Kunden mit internen Prozessen Projektleiter /
abstimmen und mit Standard-Terminplan abgleichen. Maß- Alle
nahmen zur Verkürzung der Zeitachse definieren
9 60 Wirtschaftlichkeitsrechnung des Projekts diskutieren, aktuali- Projektleiter
sieren und Maßnahmen zur Kostenminimierung definieren
10 60 Reporting, Reviews und Regelungen zum Projektcontrolling Alle
vereinbaren. Arbeitspakete für die erste Projektphase definie-
ren und abstimmen
11 60 Änderungsablauf, Projektinfrastruktur, -ablage vorstellen und Projektleiter
ergänzen
12 30 Vorbereitung der nächsten Statusbesprechung/ Kick-Off mit Alle
dem Kunden und intern
13 60 Präsentation der Workshopergebnisse vor dem internen Auf- Projektteam +
traggeber / Steuerkreis mit Entscheidungsvorlage und Emp- Steuerkreis
fehlungen
14 30 Abschluss und nächste Termine (Kick-Off, Jour Fixes etc.) Moderator

Verschiedene Automobilhersteller und Systemlieferanten haben für komplexe Fahr-


zeugentwicklungsprojekte eigene Workshop-Konzepte als Standardprozesse festge-
legt, um die Professionalität in der Startphase von Projekten zu steigern.

73
Management einzelner Automotive-Projekte („Single-PM“)
2
Abbildung 2-39 zeigt das Workshop-Konzept eines Systemlieferanten. „PACT“ steht
für „Project Acceleration by Coaching and Teamwork“. Es geht also um eine Beschleu-
nigung des Projektes durch gezielten Einsatz von Coaching und Teamarbeit. In mehre-
ren aufeinander aufbauenden, moderierten Workshops werden die wesentlichen stra-
tegischen und für das Projektmanagement relevanten Pläne erarbeitet und Entschei-
dungen vorbereitet. Als Zusammenfassung erfolgt dann eine Präsentation vor dem
Topmanagement, um deren Zustimmung für das Projekt zu gewinnen und sie für die
Übernahme einer aktiven Rolle im Projekt zu überzeugen.

Abbildung 2-39: Beispiel: Workshop-Konzept eines Systemlieferanten 59

Die einzelnen PM-Methoden und Vorgehensweisen, die in den Startworkshops kon-


zentriert zur Anwendung kommen, werden im Folgenden erläutert.

59 Quelle: Siemens

74
Definitionsphase als strategische Investition im Automotive-Projekt
2.4
2.4.6 Zielklärung und Lastenheft
„Für ein Schiff, das seinen Hafen nicht kennt, weht kein Wind günstig.“ Seneca, römischer
Politiker, Redner, Philosoph und Schriftsteller

Bei Expertengesprächen mit Systemlieferanten, die die Autoren im Rahmen einer Stu-
die60 geführt haben, hat sich der Eindruck verfestigt, dass Anforderungen an Auftrag-
nehmer in Fahrzeugprojekten seitens einzelner OEMs bewusst spät oder gar nicht
festgelegt werden, damit jederzeit „ein Hintertürchen offen bleibt“ und potentielle
Nachforderungen vermieden werden. Damit wird beim Entwicklungspartner eine
Haltung des „Abwartens“ erzeugt, die dazu führt, dass das Projekt dort zu spät einge-
steuert wird. Kaum ein Auftragnehmer fängt zu arbeiten an, wenn die Gefahr besteht,
dass ein Großteil der Ergebnisse für den Papierkorb ist. Es leidet die Qualität der Pla-
nung und Entwicklung, weil erst zu einem relativ späten Zeitpunkt in großer Hektik
Ergebnisse erzielt werden müssen. Wenn trotz fehlender Spezifikationen und Lasten-
hefte mit der Entwicklungsarbeit begonnen wird, sind unnötige Änderungsschleifen
vorprogrammiert. Dies kostet Zeit und Geld. Es belastet die Effizienz des Entwick-
lungsprojekts. Die Aussage eines Systemlieferanten war in diesem Zusammenhang:
„Ein professionelles Requirements-Management seitens der OEMs ist ein zentrales
Problem! Lastenhefte des OEM sind oft lückenhaft bzw. gar nicht vorhanden, weil das
Wissen fehlt bzw. mit Unschärfe nicht umgegangen werden kann.“

Die folgende Abbildung verdeutlicht den Zusammenhang zwischen frühzeitiger Klä-


rung der Produktanforderungen und dem Änderungsaufwand im Serienanlauf.

Abbildung 2-40: Frühzeitige Lastenheftabsicherung und reduzierter Änderungsaufwand 61

Lastenheft SOP
100% Kenntnisstand
Produkteigenschaften
Änderung
Realisierung Fehlerbeseitigung
Produkt

Test/
Konzept Definition Entwicklung Produktion
Integration
= Bestrebungen zur frühzeitigen Absicherung von Entwicklungsergebnissen

60 vgl. Bullinger/Kiss-Preußinger/Spath (2003), S.42ff


61 Quelle: Fraunhofer IAO

75
Management einzelner Automotive-Projekte („Single-PM“)
2
Die Kette der Erfolgsfaktoren für eine frühzeitige Absicherung von Entwicklungser-
gebnissen in Fahrzeugprojekten stellt sich wie folgt dar:

 Das Lastenheft ist zu Beginn der Entwicklungsphase vorhanden, geprüft und aus-
reichend detailliert.

 Es findet eine frühzeitige Erprobung mit ausgereiften Entwicklungsergebnissen


statt.

 Fehler werden im Rahmen der Erprobung systematisch erkannt sowie geeignete


Maßnahmen abgeleitet und umgesetzt.

 Zum Serienanlauf hat das Produkt einen hohen Reifegrad.


Zwingend notwendig ist auch eine frühzeitige Festlegung und Vereinbarung eines
Lastenhefts zwischen den Partnern im Entwicklungsprojekt. Dabei müssen im Zweifel
Annahmen getroffen und eine gewisse „Unschärfe“ in Kauf genommen werden. Legt
der Auftraggeber sich nicht fest, sollte der Auftragnehmer im Eigeninteresse ein Las-
tenheft erstellen, das er als Grundlage heranzieht. Eine Projektdefinitionsphase ohne
Lastenheft ist jedenfalls höchst uneffektiv und belastet die Beziehung der Entwick-
lungspartner. Spezifikationen, die ohne Einbindung des Lieferanten allein vom Auf-
traggeber erarbeitet werden, sollten der Vergangenheit angehören. Der Know-how-
Schwerpunkt hat sich in der Automobilindustrie ohnehin schon sehr stark auf die
Lieferanten verlagert. Einige Systemlieferanten würden sogar gerne die Initiative für
die Erarbeitung OEM-übergreifender Komponenten-Standards ergreifen. Weil sie im
Regelfall für mehrere OEMs arbeiten, haben sie auch den Überblick und sehen hier
große Einsparpotentiale bei den Entwicklungskosten.62

Alle Beteiligten sollen in die gleiche Richtung arbeiten, deshalb ist neben dem Lasten-
heft eine Konkretisierung weiterer Anforderungen in Form von Projektzielen zu Be-
ginn des Projekts unerlässlich. Die Erfahrung zeigt, dass fehlende Zielklarheit zu Rei-
bungsverlusten, Konflikten und mangelnder Effektivität in der Projektabwicklung
führt. Ein Projektziel ist ein nachzuweisendes Ergebnis und/oder eine vorgegebene
Realisierungsbedingung der Gesamtaufgabe eines Projektes.63 Es werden Maßstäbe
für den Erfolg des Projektes definiert. Wir sprechen von sogenannten Sachzielen oder
Ergebniszielen in den Bereichen Produkt und Prozess (Abnahmekriterien des Auftrag-
gebers), Abwicklungszielen (Kosten, Termine, Organisation), strategischen Zielen
(Anforderungen des Managements) und Rahmenbedingungen (unumstößliche Gege-
benheiten) bzw. Einflüssen des Projektumfeldes.64 Die folgende Abbildung zeigt die
verschiedenen Zielkategorien.

62 vgl. Bullinger/Kiss-Preußinger/Spath (2003), S.53


63 vgl. ISO 10006
64 vgl. Wolf/Mlekusch/Hab (2006), S. 43f

76
Definitionsphase als strategische Investition im Automotive-Projekt
2.4
Abbildung 2-41: Zielkategorien im Projekt

 Rendite
 Markt/Kunde
 Technologie
Strategische  Unternehmensentwicklung
Ziele /
Firmenziele

 Qualitäts- und
Sach- / Ergebnisziele Leistungsdaten
 Abnahmekriterien
 Ressourcen
(Eigen/Fremd)
Abwicklungs- / Durchführungsziele  Termine, Kosten
 Ablauforganisation
 Normen
Rahmenbedingungen / Projektumfeldeinflüsse
 Gesetze
 Standort
 Kultur/Sprache

Die professionelle Formulierung der Ziele ist nicht trivial und hat schon manches
Projektteam zum Schwitzen gebracht. Die folgende Abbildung verdeutlicht die Krite-
rien, die dabei berücksichtigt werden sollten.

Abbildung 2-42: Anforderung an die Formulierung von Projektzielen

 lösungsneutral
 überprüfbar
 vollständig
 konkret S pezifisch
 verständlich M essbar
 widerspruchsfrei A bgestimmt
 attraktiv R ealistisch
 realistisch T erminiert
 akzeptiert
 schriftlich fixiert
 priorisiert

77
Management einzelner Automotive-Projekte („Single-PM“)
2
Die Ziele sollten gemeinsam von Projektleiter und Kernteam im Rahmen der Aktivitä-
ten zur Projektdefinition (Startworkshop) erarbeitet werden. Brainstorming, Mind-
maps und Metaplantechnik bieten sich als hilfreiche Methoden an. Die Ziele werden
vom internen Auftraggeber freigegeben. Zum Aufstellen der strategischen Ziele (aus
Sicht der Unternehmensleitung) helfen folgende Fragen weiter:

 Welchen Beitrag zum Unternehmensergebnis soll das Projekt leisten?


 Welche Ziele sollen im Hinblick auf Kundenzufriedenheit erreicht werden?
 Welche strategischen/technologischen Ziele sind erstrebenswert?
 Wie stellt sich die Geschäftsstrategie gegenüber dem Kunden/Wettbewerb dar?
Im Gegensatz zu den strategischen Zielen, sind die operativen Ziele sehr konkret zu
fassen und zu definieren. Sie leiten sich vielfach aus den technischen und ökonomi-
schen Voruntersuchungen bzw. dem Lastenheft ab. Wir unterscheiden dabei soge-
nannte Sachziele bzw. Systemziele, die Anforderungen an das Produkt bzw. die Anla-
ge definieren und sogenannte Abwicklungsziele bzw. Durchführungsziele, die
Anforderungen an die Projektabwicklung darstellen.65

Abbildung 2-43: Beispiele für operative Zielkriterien in der Fahrzeugentwicklung 66

Sach-/Systemziele:

 Gewicht (kg)
 Herstellkosten p. Teil/Fahrzeug, Stückkosten (Euro)
 Anforderungen an Prüfmittel
 Qualitätskriterien und Kennzahlen (cpk..) pro Teil
 Prototypen/Musterteile (Anzahl, Funktion, Qualitätsstand)
 Dokumentation, Datenqualität...
Abwicklungs-/Durchführungsziele:

 Entwicklungskosten (Euro)
 Invest-, Anlagen-, Werkzeugkosten (Euro)
 Ecktermine für Reviews
 Anforderungen an Kommunikation (Regeltermine)
 Anforderungen an Entscheidungsprozesse (Gremien, Reporting, Eskalation)
 Anforderungen an den Infofluss (Medien, Datenaustausch, Turnus)
 Methodeneinsatz (FMEA, QFD, FEM, Simulation, DMU...)
 Systemeinsatz (CAD, Test, Termincontrolling)

65 vgl. Wolf/Mlekusch/Hab (2006), S. 43f


66 vgl. Schuh (2000), S. 96

78
Definitionsphase als strategische Investition im Automotive-Projekt
2.4
Bei der Definition der Sachziele (Abnahmekriterien, abgeleitet aus dem Lastenheft des
Kunden) helfen folgende Fragen weiter:

 Welche Kernanforderungen sind an das Werkzeug/ die Anlage gestellt? (Nach


welchen Kriterien nimmt der Kunde den Liefer- und Leistungsumfang ab?)

 Welche Leistungen sollen erbracht werden?


 Welche Herstellkostenziele sollen erreicht werden?
 Welche Qualitätsanforderungen werden gestellt?
 Welche Technologie ist gefragt?
 Welche Anforderungen werden konzeptionell gestellt?
 Welche Anforderungen werden an die Prozesstechnik gestellt?

Die Abwicklungsziele umfassen die Themen:

 Ecktermine (Abnahme, Freigaben)?


 Organisationsanforderungen?
 Wie kann das Projekt optimal und kostengünstig abgewickelt werden?
 Welche Ressourcen sollen eingesetzt werden (Make or Buy)?

Fragen zur Klärung der Rahmenbedingungen:

 Welche Normen sollen eingehalten werden?


 Muss auf bestehende Anlagen Rücksicht genommen werden? (Patente, etc.)
 In welcher Sprache und in welchem Umfang soll die Dokumentation erstellt wer-
den?

 Gibt es Sondervereinbarungen (Local Content)?


 An welchen Standorten soll das Projekt abgewickelt werden?
 Welche kulturellen Randbedingungen sind zu berücksichtigen?

Generell muss auf eine ergebnisorientierte Formulierung der Ziele (mess- und über-
prüfbar) geachtet werden. Sind die Ziele nicht messbar formuliert, kann der Erfolg in
Form der Zielerreichung auch nicht nachgewiesen werden. Projektleiter und -team
können dann auch nicht „erfolgreich“ Ziele erreichen.

Die folgende Abbildung zeigt ein Beispiel für einen Zielkatalog.

79
Management einzelner Automotive-Projekte („Single-PM“)
2
Abbildung 2-44: Beispiel: Zielkatalog eines Betriebsmittelprojekts (fiktiv)

Projektziele AAF, Roboterzelle mit Laser

1. Strategische Ziele:

 5% Gewinn unter Berücksichtigung aller Änderungen und Nachträge erreichen


 Komplettvergabe der Vorrichtungen an die ostdeutsche Tochter
 Marktanteil in Automobil-Dachfertigung auf 30% steigern
 Erfahrungen aus der Zusammenarbeit mit AAF für weitere Projekte nutzen
 Pilotprojekt für neuen Projektmanagement-Prozess

2. Produkt- und Prozessziele:

 Leistungsmerkmale nach Lastenheft wie z.B.:


 Audit-Note 1,5
 Maßhaltigkeit 0,1
 Qualitativ bessere Oberfläche als beim Vorgängermodell
 Verfügbarkeit 99%
 Taktzeit 5 min.
 Abnahmekriterien nach AAF Vorschrift

3. Abwicklungsziele:

 Bei Auslieferung: Komplett vormontierte und funktionsgeprüfte Einheiten


 Komplettvergabe von Vorrichtungen an die ausländische Tochter
 Erfahrungen und Einsparpotentiale aus dem Vorgängerprojekt nutzen
 Konstruktion zu 100% in CATIA
 Konstruktionsfreigabe: 30.6.
 Lieferung Pilotanlage: 30.9.
 Probebetrieb Produktionsanlage: 31.12.
 Abnahme: 31.3.
 Budget für Grundauftrag (HK): 9 Mio. Euro

4. Rahmenbedingungen:

 Schwäbische Zoll- und Einfuhrbestimmungen


 Dokumentation in Bayrisch
 AAF-Werknormen
 Es gilt nur das geschriebene Wort
 Kulturelle Barrieren
 Sicherheitsvorschriften der Autoindustrie

80
Definitionsphase als strategische Investition im Automotive-Projekt
2.4
In komplexen Fahrzeugentwicklungsprojekten ist es mit einer globalen Zieldefinition
nicht getan. Hier müssen die technischen Ziele und Anforderungen auf die einzelnen
Komponenten und Funktionen des Produktes heruntergebrochen werden. Aus der
Produktentwicklungsmethodik und dem Qualitätsmanagement gibt es einschlägige
Methoden und Vorgehensweisen, die im Folgenden beispielhaft behandelt werden.
Abbildung 2-45 zeigt eine Auswahl relevanter Methoden in Fahrzeugentwicklungs-
prozessen im Überblick

Abbildung 2-45: Methodeneinsatz in der Prozesskette der Fahrzeugentwicklung 67

Produktanforde- Produkt
rungen ermitteln entwerfen

Prozessanforde- Prozess
rungen ermitteln entwerfen
• QFD (Quality function
Deployment)
• Target costing

• Requirement Analyse •Requirement Management


• Lead-User-Analyse • Produkt-FMEA
• Beschwerde- (Fehlermöglichkeits- • Prozess-FMEA
Management und Einflussanalyse) • ABC-Analyse
• Nutzwertanalyse • System-FMEA • Prozesskostenrechnung
• Benchmarking • DFA (Design for Assembly) • Netzplantechnik
• DFM (Design for manufacturing)

Die Detaillierung der technischen Projektziele/Sachziele kann auf verschiedene Weise


erfolgen. Eine systematische Vorgehensweise liefert die Methode des Quality Function
Deployment (QFD).68 Dabei legen die produktdefinierenden Bereiche die Projektziele
in einem zweiphasigen Prozess fest. Zunächst werden im Zielfindungsprozess die
Ziele identifiziert. Im nachfolgenden Zielvereinbarungsprozess erfolgt die Erstellung
des Projektzielkatalogs, der die Ziele in technische Anforderungen übersetzt und
quantifiziert. Anzustreben ist immer eine Konsensentscheidung, da nur so Einigkeit
aller Fachbereiche über verbindliche Projektziele besteht. In der ersten Phase (Pro-
duktplanung) steht die Erstellung eines „House of Quality“ im Mittelpunkt. Das
„House of Quality“ ist ein System von hierarchischen Listen, Tabellen und Matrizen,
das im folgenden Schema (Abbildung 2-46) dargestellt ist.

67 Quelle: Fraunhofer IAO


68 vgl. Gessner (2001), S. 18 ff und Gausemeier (2001), S. 65 ff

81
Management einzelner Automotive-Projekte („Single-PM“)
2
Abbildung 2-46: House of Quality, schematische Darstellung 69

In der horizontalen Marktschiene werden in der hierarchischen Liste kundenrelevante


Produktmerkmale abgelegt (1), denen relative Bedeutungen zugeordnet werden (2). In
der Wettbewerbs-Tabelle (3) werden diese Kundenmerkmale mit den Wettbewerbern
verglichen. In der vertikalen Technikschiene werden in eine hierarchische Liste techni-
sche Produktmerkmale eingetragen (4). Konflikte zwischen den technischen Merkma-
len lassen sich in der Kopfmatrix darstellen (6). In der Hauptmatrix erfolgt die Ver-
knüpfung der Kundenwünsche mit den technischen Anforderungen (5). Dabei wird
ermittelt, wie stark die gewichteten Kundenwünsche die technischen Produktmerkma-
le beeinflussen. In der Technik-Tabelle (7) kommt es zum Abgleich der technischen
Zielwerte in einem technischen Wettbewerbsvergleich. Dies beschreibt den Zielfin-
dungsprozess.

Der anschließende Zielvereinbarungsprozess komplettiert den Projektzielkatalog und


legt die Zielwerte für die weitere Prozesskette verbindlich fest. Bei der Erstellung des
„House of Quality“ sind die Merkmale und Ziele in geeigneter Granularität zu wäh-
len, da die Datenmenge mit jeder Phase der QFD quasi exponentiell ansteigt und die
Gefahr besteht, dass das System am Ende nicht mehr handhabbar ist. Die Detaillie-
rung im Projektzielkatalog kann auch als Basis für eine mögliche Fehlermöglichkeits-
und Einflussanalyse (FMEA) herangezogen werden. Die Kundenwünsche des „House
of Quality“ sind jedoch zu relativieren, da der Kunde nicht alle Wünsche explizit ver-
balisiert. So unterscheidet man Basisanforderungen, die der Kunde unausgesprochen
als Selbstverständlichkeit annimmt und deren Fehlen automatisch zum Nichtkauf
führt (Fahrfähigkeit, gesetzliche Zulassung etc.).

69 vgl. Gessner (2001), S. 18ff

82
Definitionsphase als strategische Investition im Automotive-Projekt
2.4
Leistungsanforderungen verbalisiert und erwartet der Kunde als Leistung. Das Fehlen
empfindet er als negativ (Airbags, Radio etc.). Begeisterungsanforderungen stellen für
den Kunden eine unerwartete, aber angenehme Überraschung dar. Diese definieren
die Alleinstellungsmerkmale des Produkts. Basis für den Zielvereinbarungsprozess ist
die Identifikation der Produktanforderungen im Zielfindungsprozess. Dies erfolgt
beispielsweise im Rahmen einer QFD, deren Ergebnis in der ersten Phase die Erstel-
lung der nach Kundenrelevanz gewichteten Produktmerkmale ist. Im konventionellen
Fahrzeugentwicklungsprozess wird hieraus ein Projektzielkatalog entsprechend der
Unternehmensstrategie abgeleitet. Der Projektzielkatalog stellt aber einen Kompro-
miss dar, weil aufgrund von Zielkonflikten nicht alle Kundenwünsche gleichermaßen
berücksichtigt werden können. Abbildung 2-47 zeigt die hierarchische Gliederung des
Zielvereinbarungsprozesses.

Abbildung 2-47: Hierarchische Gliederung der spezifischen Projektziele 70

70 ebenda, S. 59ff

83
Management einzelner Automotive-Projekte („Single-PM“)
2
Das Projektmanagement organisiert und moderiert diesen Zielfindungs- bzw. -ver-
einbarungsprozess. Im Projektzielkatalog werden auch wesentliche Meilensteine, wie
der Markteinführungstermin, festgelegt. Auf Basis der Produktspezifikationen und
den festgelegten Zeitpunkten erstellt das Projektteam dann später den Projektablauf-
plan, der neben der Bestimmung aller notwendigen Arbeitspakete auch einen detail-
lierten Zeitplan mit allen Meilensteinen sowie eine Ressourcenplanung enthält. Bei der
Definition der Rahmenbedingungen für das jeweilige Projekt spielen vor allem die
einschlägigen Normen und Vorschriften der Automobilhersteller und die gesetzlichen
Vorgaben eine große Rolle. Die folgende Abbildung zeigt ein Beispiel für kundenspe-
zifische Forderungen der Marke Mercedes.

Abbildung 2-48: Beispiel Rahmenbedingungen eines OEM 71

1. Verträge • LOI (Letters of Intent)


• Entwicklungs- und Produktionsvertrag
• Einkaufsbedingungen
• Grundsatz-QSV (Qualitätssicherungsvereinbarung)
• ppm Vereinbarung
2. Design • Lastenheft
• Zeichnungen, CAD-Daten
• Spezifikationen DBL, Mercedes-Normen MBN
• Grundmuster für Interieurmaterialien
• Grundmuster für Lackierungen
• Meilensteinplan entsprechend MDS
3. Produktion • Mercedes-Benz Special Terms
(Logistik, PPF-Verfahren, Umwelt, FMEA)
• Odette Logistikanforderungen (VDA Band 17)
• vereinbarte Grenzmuster
• Abruf (Liefertermine, -mengen, Verpackung)
• Zusatz QSV auf Produktmerkmalsebene
4. Qualitätsmanagement • zu berücksichtigen als mitgeltende Unterlagen VDA-Bände
(1, 2, 3.1, 3.2, 4.1, 4.2, 4.3, 6, 6.1, 6.2, 6.3, 6.4, 6.5, 7, 10, 19)
• Daimler Chrysler Prozessaudit DCPA
5. Kommunikation • Global Supplier News Journal
• Foren mit Zulieferern
• Workshops mit Zulieferern

Die weitere Konkretisierung der Anforderungen an Projektergebnisse, sei es Fahrzeug


(-komponente) oder Produktionsanlage, erfolgt mit Hilfe der Projektergebnisstruktur.

71 Quelle: Daimler

84
Definitionsphase als strategische Investition im Automotive-Projekt
2.4
2.4.7 Projektergebnisstruktur (Produkt- bzw. Anlagen-
struktur)
Für eine effektive Projektabwicklung ist es unabdingbar, dass sich das Projektteam
bereits beim Start auf die wesentlichen, vom Auftraggeber geforderten Projektergeb-
nisse fokussiert. Dieser Ansatz entspricht dem Denken der klassischen Wertanalyse,
wo die Frage nach den Funktionen eines Produkts, die auch wirklich vom Kunden
wahrgenommen und bezahlt werden, im Vordergrund steht. Die Projektergeb-
nisstruktur72 stellt den Liefer- und Leistungsumfang des Projekts zum Zeitpunkt der
Übergabe (oder Abnahme) an den Auftraggeber graphisch dar. Wir sprechen deshalb
je nach Projektart von der Produktstruktur (Entwicklungsprojekt) bzw. Anlagenstruk-
tur (Produktionsanlagen- bzw. Betriebsmittelprojekt). Die Projektergebnisstruktur
definiert alle Liefergegenstände (Objekte), die dem Kunden bis zum letzten Meilen-
stein des Projekts übergeben wurden und Leistungen, die dann noch zu erbringen
sind (z.B. Service, Produktionsbetreuung). Für das Projektteam schafft diese Vorge-
hensweise Transparenz und sie hilft bei der Klärung der Auftragsinhalte mit dem
Auftraggeber. Des Weiteren bildet die Projektergebnisstruktur die Basis für die nächs-
ten systematischen Planungsschritte. Abbildung 2-49 zeigt den Zusammenhang auf.

Abbildung 2-49: Von den Zielen zur Projektergebnisstruktur 73

OEM: Lieferant:

Ziele und Vorgaben Projektergebnisse

• Fahrzeugkonzept (Rahmenheft) • Modulkonzept und -struktur

• Designvorgaben des OEM • Bauraum und Spezifikation für


(Außenhaut, geometrische Komponenten (Pflichtenheft)
Vorgaben)
• Produktions- und
• funktionale Anforderungen Logistikprozess
(Lastenheft incl. Vorschriften)
• Dokumentation
• Produkt-/Projektziele
• Musterteile

Die Darstellung der Projektergebnisse erfolgt hier in einer Baumstruktur. Diese ist in
mehreren Ebenen gegliedert, wobei jede Ebene aus in sich logisch abgeschlossenen
Teilumfängen besteht. Die erste Ebene ist die Grobgliederung des gesamten Produkts
(Fahrzeug, Modul...) oder der Anlage.

72 vgl. Wolf/Mlekusch/Hab (2006), S. 49ff


73 vgl. Schuh (2000), S. 126

85
Management einzelner Automotive-Projekte („Single-PM“)
2
In Summe ergeben alle Teilumfänge das gesamte Projektergebnis. Jede weitere, tiefer-
gestufte Ebene ist eine Detaillierung des entsprechenden Teilumfangs. Abbildung 2-50
zeigt das Beispiel eines Systemlieferanten für ein komplettes Fahrzeugmodul.

Abbildung 2-50: Beispiel: Projektergebnisstruktur eines Systemlieferanten

Ergebnisstruktur Frontend

Stoßfänger-Modul Montageträger-Modul Kühler-Modul Scheinwerfer

 Stoßleiste  Montageträger  Kühlerhutze  Scheinwerfer li


 Zusatzscheinwerfer  Luftleitteil li/re  Wasserkühler  Scheinwerfer re
 Luftführungselemente  Schlosszug - Kühlerlager oben  Stellmotor
 Kunststoffabdeckung  Anschlagpuffer - Kühlerlager unten
 Kühlergitter  Dichtung Frontklappe - Kühlwasserschlauch
 Markenzeichen  Abdeckung  Klima-Kondensator
 Signalhorn  Elektro-Lüfter
 Schriftzug
 Kabelbaum - Lüfter
 Blickleuchte li/re Prozesse
 Aufnahme Motor- - Lüfterstern
 Defo-Element vorn li/re
abschirmung - Unterdruckdose
 Zugstrebe  Frontklappenstange  Ladeluftkühler
 Halteleisten li/re/mitte  Verbindungsteil - Ladeluftkühler Muster + Prototypen
 Spoilerlippe Längs-/ Querträger - Ladeluftrohr
 Luftführungskanal  Temperaturfühler - Halter
 Stoßfängeraufnahme - Dichtung Dokumentation

Die Projektergebnisstruktur wird vom Projektleiter mit dem Projektteam gemeinsam


im Projektstart-Workshop gegliedert. Dadurch haben alle Beteiligten das gleiche Ver-
ständnis für das Projekt und die geforderten Ergebnisse. Auf Basis der vorliegenden
Informationen (u.a. Angebot, Referenzprojekte, Vorstudien, Lastenheft) und unter
Berücksichtigung der Projektziele bzw. der Vertragsinhalte werden zunächst alle we-
sentlichen Elemente aus denen das Produkt bzw. die Anlage besteht gesammelt.

Hierbei sind Methoden wie das Brainstorming oder Mindmapping sehr hilfreich. Die
Strukturierung erfolgt zunächst am besten Top Down an der Pinnwand mit Karten-
technik. Es geht nicht um den Detaillierungsgrad einer Stückliste bis auf die letzte
Schraube, sondern um die wesentlichen Elemente aus Management-Perspektive.

Für die weitere Dokumentation kann das Ergebnis als Baumstruktur dann elektro-
nisch mit Hilfe von Software-Tools festgehalten werden. Abbildung 2-51 zeigt als
Beispiel die Produktstruktur einer Gesamtfahrzeugentwicklung.

86
Definitionsphase als strategische Investition im Automotive-Projekt
2.4
Abbildung 2-51: Produktstruktur Gesamtfahrzeugentwicklung

Entwicklung
Derivat-Fahrzeug

Dokumentation Rohbau Türen + Klappen Exterieur Ges. Fahrzeug

Qualitäts-
CAD-Daten Surfaces ICEM Surfaces ICEM Surfaces ICEM
dokumentation

Änderungs- Freigabefähigkeit Freigabefähigkeit Lieferanten- Meilenstein-


doku Konstruktions- Konstruktions- liste dokumentation
daten Prototyp daten Prototyp
Geom.
Stücklisten Statusberichte
Simulation
Freigabefähigkeit Freigabefähigkeit
Konstruktions- Konstruktions- Toleranzen für Meßpläne Produkt
Spezifikationen daten Serie daten Serie Bauteile u. Prozess BIW...

Spann + Spann + Toleranz-


Protokolle Lieferantenliste
Fixierkonzept Fixierkonzept studien

...
Toleranzen für
Bauteile
Toleranzen für
Bauteile ... 1 Cubing
Aussen

1 Cubing
Toleranzstudien Toleranzstudien
Innen

... ... ...

Der große Vorteil dieser, zugegebenermaßen etwas aufwändigen, Strukturierungsme-


thode besteht darin, dass allen Beteiligten der Auftragsumfang klar wird und sie einen
Blick für das Gesamte bekommen. Dadurch wird es später bedeutend leichter, die
Schnittstellen und die Rollenverteilung im Team zu klären. Insbesondere bei heteroge-
nen Projektteams mit ein oder mehreren „Neulingen“ hilft die Projektergebnisstruk-
tur, die „inneren Bilder“ abzugleichen und Klarheit zu schaffen. Wir haben im Rah-
men von Startworkshops vielfach schon sehr fruchtbare und intensive Diskussionen
an dieser Stelle erlebt.

Je nach Projektart sieht die Projektergebnisstruktur völlig unterschiedlich aus. Am


stärksten kommt dieser Unterschied zwischen Produktentwicklung und Produktions-
anlage zum Tragen. Abbildung 2-52 zeigt das fiktive Beispiel der Projektergebnisstruk-
tur einer Produktionsanlage.

87
Management einzelner Automotive-Projekte („Single-PM“)
2
Abbildung 2-52: Beispiel Projektergebnisstruktur Produktionsanlage

AAF, Roboterzelle mit


Laser (Anlagenstruktur)

Vorrichtungen und
Roboter Laser Zellen-Steuerung Bauteile Dokumentation
Infrastruktur

Betriebs-
Mechanik Greifer Strahlquelle Steuerschrank Pilotteile
anleitung

Installation + Wartungsan-
Steuerschrank Konsolen Steuerschrank Probeteile
Kabel leitung

Layout und
Sensorik Gestelle Software Software i.O. Bauteile
Pläne

Installation + Justier- Energie- Sicherheits- Stücklisten und


Kabel einrichtungen versorgung technik Zeichnungen

Sicherheits-
Software Strahlführung Schaltpläne
technik

Software-Doku

Ist das Ergebnis klar definiert und damit eine Vision auf das Projekt-Ende hin geschaf-
fen, kann das Projektteam damit beginnen den Weg dorthin – mit seinen Etappen –
grob zu planen.

2.4.8 Phasen- und Meilensteinplan


Der Phasen- und Meilensteinplan stellt die Gliederung eines Projekts in einzelne
„Etappen“ dar. Eine Phase bezeichnet in diesem Zusammenhang den Zeitabschnitt
vor einem Meilenstein. Der Meilenstein ist das eigentliche Etappenziel zu dem eine
Phase abgeschlossen ist. Die gesamte Projektdauer wird hierbei in logische Abschnitte
eingeteilt, die aus dem Standard-Fahrzeugentwicklungsprozess im jeweiligen Unter-
nehmen abgeleitet werden. Projektspezifisch lassen sich beliebig viele Meilensteine
ergänzen, sofern sie für das Projektmanagement hilfreich sind. Den einzelnen Meilen-
steinen sind Zwischenergebnisse zugeordnet, die bis zum jeweiligen Zeitpunkt er-
reicht werden müssen. Im englischsprachigen Raum spricht man auch vom „Stage
Gate“-Prozess.74

Projekte in der Automobilindustrie können heute nicht mehr als serielle Prozessketten
angesehen werden, sondern haben aufgrund von Überlappungen und Parallelprozes-
sen vielmehr den Charakter von Prozessnetzen.

74 vgl. Kerzner (2003), S. 59f

88
Definitionsphase als strategische Investition im Automotive-Projekt
2.4
Die Endpunkte der Prozessschritte sind als Meilensteine in einem Entwicklungszyklus
zu sehen und geben Auskunft über die Erreichung eines gewünschten Zustandes bzw.
eines vorgegebenen Ziels. Sie stellen die Übergabepunkte einer Vorleistung zu einer
Nachfolgeleistung dar. Wenn sich also ein Meilenstein verschiebt, hat dies direkte
Auswirkungen auf den Gesamterfolg, den Projektabschluss. Die Auswirkungen einer
Meilensteinverschiebung sind bei dieser Sichtweise umfassender zu sehen als bei einer
seriellen Prozesskette. Es verschieben sich zum einen Nachfolgeprozesse, zum ande-
ren aber auch parallele und überlappende Prozesse und haben somit Auswirkungen
auf das gesamte Netzwerk. Durch den harten Wettbewerb in der Automobilindustrie
müssen Entwicklungszeiten immer mehr verkürzt werden, so dass Pufferzeiten meist
gänzlich entfallen und immer mehr Prozessschritte parallel ablaufen. Die Verschie-
bung eines einzigen Meilensteins kann daher die Überschreitung von Lieferterminen
oder die Verzögerung von Folgeaufträgen nach sich ziehen, was im Extremfall direkte
Konsequenzen für die wirtschaftliche Existenz des Unternehmens haben kann. Um
frühzeitig auf negative Entwicklungen reagieren zu können, ist es nötig, Meilensteine
systematisch zu planen und konsequent zu kontrollieren. Im Produktentwicklungs-
prozess (PEP) spielen sogenannte Quality Gates und Synchronisationspunkte dabei
eine zentrale Rolle. Abbildung 2-53 zeigt den Zusammenhang.

Abbildung 2-53: Quality Gates und Synchronisationspunkte im


Produktentwicklungsprozess (PEP) 75

Quality Gates Synchronisationspunkte


A B C Prozess- Prozess-
abschnitt abschnitt
Voraussetzung 1 Voraussetzung 1

Messgröße 1 Messgröße 1 RP

Messgröße ... Messgröße ...


Prozess- Prozess-
Voraussetzung ... Voraussetzung ... abschnitt abschnitt

Messgröße ... Messgröße ...

Quality Gates teilen den PEP in Phasen, an Synchronisationspunkte unterstützen die


deren Ende der Projektfortschritt und der Koordination zwischen Herstellern,
Reifegrad festgestellt wird. Zulieferern und Entwicklungspartnern.
Hierzu werden Voraussetzungen und Zu festgelegten Zeitpunkten werden
Messgrößen definiert, die die Anforderungen Entwicklungsstände bewertet, erforderliche
an das Durchschreiten eines Quality Gates Abstimmungen durchgeführt und
beschreiben. Entscheidungen getroffen.

75 Quelle: Fraunhofer IAO

89
Management einzelner Automotive-Projekte („Single-PM“)
2
Ausgehend vom Standard-Produktentwicklungsprozess des Unternehmens müssen
die jeweiligen Meilensteine für die Projekte sauber definiert werden. Abbildung 2-54
zeigt schematisch den Zusammenhang auf.

Abbildung 2-54: Meilensteindefinition auf Basis der Phasen des Produktentwicklungs-


prozesses

Zwischen-Gate-Review

1 2 Abschluss-Gate-Review
Absicherung Qualität
Prototypen
3

4
Zeit
5
Kosten
6

7 8 9

Auftrag SOP

Der Phasen- und Meilensteinplan ist ein wesentliches Hilfsmittel für eine koordinierte
und systematische Projektdurchführung. Insbesondere bei komplexen Projekten ist es
sehr hilfreich, wenn die Beteiligten auf definierte Zwischenergebnisse mit bestimmten
Realisierungsterminen hinarbeiten, anstatt nur das komplexe Endprodukt „im Visier“
zu haben. Damit steigt die Motivation und Leistungsbereitschaft aller Projektbeteilig-
ten.

Weiterhin dient der Meilensteinplan zum besseren Projektcontrolling, da die Messgrö-


ßen in Form von erreichten Ergebnissen am Ende jeder Projektphase durch den Mei-
lensteinplan vorgegeben sind. Grundlage für den Phasen- und Meilensteinplan sind
die vertraglichen Vereinbarungen mit dem Auftraggeber, die Abwicklungsziele und
die daraus resultierenden Ecktermine.

Es ist darauf zu achten, dass der Phasen- und Meilensteinplan zu den definierten Mei-
lensteinen konkrete Etappenziele in Form von messbaren und überprüfbaren Ergeb-
nissen enthält, keine Aktivitäten! Diese sind im Terminplan enthalten. Insbesondere

90
Definitionsphase als strategische Investition im Automotive-Projekt
2.4
für längere Realisierungsphasen ist es sinnvoll, eine Unterteilung in mehrere Unter-
phasen/Meilensteine vorzunehmen.

Meilensteine in einem Fahrzeugprojekt sinnvoll zu definieren, so dass sie auch ihren


Zweck erfüllen, ist nicht so einfach. Neben den obligatorischen Phasenendpunkten
gibt es auch existenziell wichtige Zeitpunkte innerhalb von Phasen, zu denen der
Reifegrad des Projektes anhand von Zwischenergebnissen überprüft werden sollte. Im
Regelfall ist das am Ende eines Prozessschrittes der Fall (z.B. A, B, C-Muster, Anlagen-
konzeptfreigabe). Abbildung 2-55 zeigt das Beispiel eines Standard-Phasen- und Mei-
lensteinplanes für einen Systemlieferanten auf Basis der VDA-Anforderungen.

Abbildung 2-55: Phasengliederung eines Systemlieferanten 76

Kammlinie/
Beschaffungs- Interne End of
Projekt-
Projektstart Projektauftrag Projektfreigabe Planungsfreigabe freigabe Serienfreigabe Production
abschluss

Phase 1:
Initiierung

Phase 2:
Konzeption

Phase 3:
Applikationsentwicklung
Phase 4:
Produktionsvorbereitung

Phase 5:
Serienanlauf

Phase 6:
Absicherung
Bestätigung Serie
C - Muster &
B-Muster &
Grob- Fein- Entwicklung Vorbereitung
Entwicklung
konzeption konzeption B-Muster Erstbemusterung
C - Muster
durch Kunden
(A - Muster) Design freeze Entwicklungsfreeze D - Muster
(B - Muster)

Die modellhafte Darstellung allein schafft natürlich noch keine Klarheit über die Ziele,
Detail-Meilensteine und Inhalte einer jeden Phase. Diese Informationen sind in der
folgenden Tabelle dargestellt (Tabelle 2-1). Im Sinne eines Standard-„Phasen- und
Meilensteinschemas“ lässt sich damit eine gute Informationsgrundlage für den Pro-
jektmanagement-Prozess im Automobilunternehmen legen.

76 in Anlehnung an VDA (2003b), S.14ff

91
Management einzelner Automotive-Projekte („Single-PM“)
2
Tabelle 2-1: Ziele, Meilensteine und Inhalte des Phasenkonzepts eines Systemlieferanten

Applikations- Produktions-
Phase: Initiierung Konzeption Serienanlauf
entwicklung vorbereitung

Grobkonzept Feinkonzept und Abgesicherte Freigegebene Erreichen der


und Einschät- geprüftes Lasten- Entwicklungsergeb- Serienteile, lieferbe- geforderten Produk-
zung der heft als Basis für nisse als Basis für reite Produktionslo- tionsstückzahl
Phasen- Machbarkeit Umsetzungs- Produktionsplanung gistik, qualifiziertes (Kammlinie) und
ziele und Wirtschaft- strategie (Pflich- und Komponenten- Personal und systematischer
lichkeit als tenheft) und beschaffung zuverlässig laufende Projektabschluss und
Basis für ein Projektplanung. Produktionsanlagen Übergabe an die
Angebot. Letter of intent Serie

Projektstart Kick-Off Projekt- Entwurfs Review Funktionsfreigabe SOP Intern


team

Kick-Off Konzept Review Planungsfreigabe SWZ-fallende Serienfreigabe


Konzeptteam Zukaufteile Kunde
Detail-
Lastenheft- A – Muster Design Review C – Muster SOP OEM
Meilen-
Freigabe
steine
Angebotsabga- Pflichtenheft- B – Muster Prozessfreigabe Kammlinie
be Freigabe

Projektauftrag Projektfreigabe Beschaffungs- Interne Serienfreiga- Projektabschluss


freigabe be

Machbarkeits- Pflichtenheft- Detailentwicklung Änderungen des Serienstart intern und


analyse, Abstimmung nach Lastenheft Kunden im Ent- beim OEM , Anlauf-
Lastenheft- intern und mit zum Prototyp wicklungsablauf betreuung und
Abstimmung Kunde, Konstruk- (Design freeze) umsetzen und Optimierung Produk-
und Verhand- tions- bzw. dokumentieren tionsprozess
lung mit Kunde System-FMEA

Bewertung der Projektteam Detailentwicklung Aufbau und Inbe- Prozesskontrolle und


Projektanfrage, bilden und wird vom Kunden triebnahme der Prozessfähigkeitsun-
Wesent- entwickeln, akzeptiert (Entwick- Produktionsanlagen, tersuchung
liche externe Partner lungs – freeze) Probebetrieb
Phasen- einbinden
inhalte
nach APQP Projektziele, Projekt planen Planung Produkti- Planung Logistik und Produktionskontroll-
Wirtschaftlich- und einsteuern onsprozess und Instandhaltung plan und Prüfvor-
keit Produktionsmittel, schriften, PPAP
Prozess-FMEA

Klärung Prototypenteile Herstellung und Qualifizierung der Projektabschluss und


Projektorgani- und –werkzeuge Lieferung Prototypen Lieferanten und des Übergabe an die
sation und anfragen Produktionsperso- Serie
Ressourcen, nals
externe Partner

Phasen- Interner Interne Projekt- Beschaffungs- Interne Serien-


Projektabschluss
ergebnis Projektauftrag freigabe freigabe freigabe

Damit die Meilensteine auch als effektives Hilfsmittel zur Fortschrittskontrolle dienen,
müssen klare Messgrößen pro Meilenstein festgelegt werden, die sogenannten „De-
liverables“. Sie definieren mess- und überprüfbare Sachergebnisse, die zum jeweiligen
Meilenstein vorliegen müssen und wie bei einer Abnahme „abgehakt“ werden kön-
nen. Abbildung 2-56 zeigt Beispiele von Meilensteinergebnissen.

92
Definitionsphase als strategische Investition im Automotive-Projekt
2.4
Abbildung 2-56: Mögliche Meilensteinergebnisse in Fahrzeugentwicklungsprojekten

Produktergebnisse
• Konstruktionszeichnungen / -daten
• Designmodelle, Berechnungen
Meilenstein • Prototypen, Funktionsmuster
Produktionsprozessergebnisse
• Anlagenlayout
• Anlagenspezifikation
• Produktionsfreigaben
Ergebnisse: Testergebnisse
• Materialprüfung
• Erprobung im Kundenfahrzeug
• Werkzeugfreigabe
• Nullserienfreigabe
projektbezogene Ergebnisse
• Projektkalkulation
• Projektterminplan
• Projektberichte

Aus Sicht der Autoren ist hier „weniger“ oft „mehr“. Um den Reifegrad eines Fahr-
zeugentwicklungsprojektes zu beurteilen, sollten pro Meilenstein nur die wesentlichs-
ten Kriterien abgefragt werden. Komplexe „Quality-Gate-Systematiken“, die dann
auch noch eigener Software-Tools bedürfen, sollten vermieden werden.

Der Phasen- und Meilensteinplan wird vom Projektleiter und -team erstellt. Er muss
mit den Linienverantwortlichen abgestimmt werden. Die gemeinsame Abstimmung
und Klärung der Etappenziele ist ein wesentlicher Motivationsfaktor im Projekt. Ab-
bildung 2-57 zeigt das Beispiel eines Meilenstein-Schemas für ein Produktionsanlagen-
projekt.

93
Management einzelner Automotive-Projekte („Single-PM“)
2
Abbildung 2-57: Beispiel: Meilensteinplan Projekt „Roboterzelle mit Laser“(fiktiv)

Meilenstein mess- und überprüfbare Ergebnisse

Projektübergabe o Projektsteckbrief
00
o Technische und kommerzielle Vorgaben
o Projektleiter ist benannt
o Projektteam ist benannt

Projekt Kick-Off o Projektziele und -strategie


0
o Projektorganisation
o interner Projektauftrag
o Projektergebnisstruktur
o Meilensteinplan

Start Realisierung o Projektstruktur


1
o Grob-Termin- und Kapazitätsplan
o Kostenplan/Kalkulation
o Risikoanalyse
o techn. Konzept + Layoutentwurf

Start Konstruktion o Abgesichertes Layout


2
o Konstruktionsrichtlinie
o Konstrutionsentwürfe
o Steuerungskonzept
o Vorkalkulation
o Feinterminplan Konstruktion
o Lieferanten- und Kaufteilliste

Start Fertigung/Beschaffung o Bestellung Langlaufteile


3
o Fertigungszeichnungen
o Schaltpläne
o Stücklisten Mechanik und Elektrik
o Feinterminplan Fertigung-Montage
o Rahmenverträge mit Lieferanten

Start Montage/Inbetriebnahme o Komponenten am Montageort


4
o Montageplan + Richtlinie
o Software-Entwürfe

5 Pilotanlage betriebsbereit o Lauffähige Anlage


o Softwaredokumentation
o Bauteile für Probebetrieb
o Funktionsabnahme (Protokoll)

Abschluss Probebetrieb o Dokumentation Probebetrieb (Protokoll)


6
o Optimierte Anlage
o Pilotteile
o Produktionsabnahme (Protokoll)

7 Abnahme o komplette Dokumentation


o Endabnahme d. Kunde (Protokoll)

Projektabschluss o Nachkalkulation
8
o Übergabe an Service
o Projektreview und -bericht
o Projektorganisation aufgelöst

94
Definitionsphase als strategische Investition im Automotive-Projekt
2.4
In Gesamtfahrzeug-Entwicklungsprojekten ist die Welt noch etwas komplexer, als in
den oben dargestellten Grafiken erkennbar ist. Innerhalb einer Phase gibt es hier eine
Vielzahl von funktionalen Meilensteinen, zu denen Aussagen über den Reifegrad des
Produktes und den Entwicklungsfortschritt gemacht werden müssen. Darüber hinaus
spielen die sogenannten Synchronisationspunkte zur Abstimmung der unterschiedli-
chen Module, Komponenten und Funktionen eine wesentliche Rolle. Abbildung 2-58
zeigt einen Ausschnitt aus einer Gesamtfahrzeug-Entwicklung.

Abbildung 2-58: Detail-Meilensteine im Fahrzeugentwicklungsprojekt 77

Strategiephase Technologiephase Fahrzeugphase


Development ofTechnlogy & Concepts Planning & Development of Product & Process Testing Product &
Process

Gate 1 Gate 2 Gate 3 Gate 4 Gate 5 Gate 6 Gate 7


Project Management
Prel. MSS/ Final Final Final
VTS/MTS MSS VTS/MTS MMSTS

Programm Specification
Clay
Freeze structure
Freeze SF UDR ext/int VDR ext/int DKM
relevant items

Styling Process

Product Engineering Process


Package Freeze SC (DMU) IC (DMU) VCT (DMU)
Concept Defin.
Concept Development / Package DMU
Rel. SC Rel. IC Tooling Release
Start EndFlange Freeze Start End Start End

SC Design IC Design Serial Design Design Improv


SC virt. IC virt. VCT virt.

CAE
Concept Appr.
Component Development Testing
KPC RPS / MT CT MP

DIM Updating & cont. Improvements


FCC FMC FSC FIC

Prototyping

Aufgrund der Komplexität und des hohen Abstimmungsbedarfs der parallel laufen-
den Prozesse und Entwicklungsaktivitäten in Fahrzeugprojekten ist die Planung und
Koordination der Meilensteinketten und Synchronisationspunkte sinnvoll nur mit
entsprechenden Software-Tools zu leisten. Leider sind nur wenige Systeme am Markt
verfügbar, die an dieser Stelle eine entsprechende Funktionalität aufweisen. Hier ver-
weisen wir auf die entsprechenden Marktübersichten für PM-Software.78 Abbildung 2-
59 zeigt die Bildschirmdarstellung von Synchronisationsverbindungen im Terminplan
eines Fahrzeugentwicklungsprojekts.

77 Quelle: EDAG
78 http://barc.de/news/software-fur-das-projektmanagement-im-vergleich

95
Management einzelner Automotive-Projekte („Single-PM“)
2
Abbildung 2-59: Synchronisationspunkte im Fahrzeugprojekt, Screenshot79
a e a age

Synchronisations
-Verbindungen

Teilprojekt-
leiter

Externer
Engineering-
dienstleister

2.4.9 Businessplan, Wirtschaftlichkeit und Angebots-


kalkulation
Neben den Zielen, Ergebnissen und Eckterminen im Sinne der Meilensteine muss zum
Start des Automotive-Projekts auch die Wirtschaftlichkeit geklärt werden. Nur wenige,
strategische Projekte müssen nicht über diese Hürde springen. Am Anfang steht die
Kostenermittlung bzw. Schätzkalkulation. Dies betrifft zum einen die Produkt- bzw.
Stückkosten, d.h. die aus der Entwicklung resultierenden Herstellkosten des Fahr-
zeugmoduls oder der jeweiligen Komponente. Zum anderen werden auch die Projekt-
kosten, d. h. die Aufwendungen, die im Rahmen der Entwicklung anfallen, festgelegt.
Diese Aufteilung der Kostenziele in Herstell- und Entwicklungskostenziele findet sich
zudem in den Anforderungen vieler Automobilhersteller wieder, die auch im abzuge-
benden Angebot einen Preissplit fordern.

79 Quelle: Actano

96
Definitionsphase als strategische Investition im Automotive-Projekt
2.4
Bei der Kostenfestlegung kann auf das Konzept des Target Costing zurückgegriffen
werden. Der Grundgedanke dabei ist, die Kosten an den Kundenerwartungen zu
orientieren, so dass marktseitig erfolgreiche Preise realisiert werden können. Im Rah-
men einer Fahrzeugentwicklung legt der Automobilhersteller die Modul- und Kom-
ponentenpreise und damit verbunden die Herstellkosten grob fest und entscheidet
auch über die Höhe des zur Verfügung stehenden Entwicklungsbudgets.

Die Vorgehensweise der Kostenzielermittlung kann vereinfacht in zwei Phasen unter-


gliedert werden. In der ersten Phase werden die Entwicklungs- und Herstellkosten für
das System ʺbottom-upʺ abgeschätzt. Neben einer Abschätzung der Entwicklungskos-
ten und der Herstellkosten muss ein Systemlieferant zusätzlich die Kosten abschätzen,
die aus den koordinierenden Projektmanagementaufgaben bei ihm anfallen. Ist der
Systemlieferant zugleich für die Entwicklung und Produktion einer Komponente
verantwortlich, so muss er auch die sich hieraus ergebenden Kosten, sprich Investitio-
nen abschätzen. Abbildung 2-60 zeigt das Vorgehensmodell in zwei Phasen.

Abbildung 2-60: Kostenermittlung bei der Fahrzeugentwicklung in zwei Phasen 80

1. Phase Abgleich des


Angebots 2. Phase
Ermittlung des Ziel-
Ermittlung der
Preises/-budgets Detail-Kostenziele
des Angebots

Aggregation des
Auftraggeber
(OEM, Tier1) Festlegung des Gesamt-
Angebots
Zielpreises/-budgets
Abschätzung der
Ableitung der
Herstellkosten
Entwicklungskostenziele
Abschätzung der
Entwicklungs- Ableitung der
kosten Herstellkostenziele

Kostencontrolling
Lieferant + Änderungs-
Lieferant
(Tier1, Tier2) management

Ankündigung Anfrage Angebot Vertrag

Wenn die Kostenabschätzungen für einzelne Komponenten vorliegen, ist es Aufgabe


des Systemlieferanten, die Kosteninformationen zu einem aussagekräftigen Angebot
für das Modul zu aggregieren.

80 vgl. Schuh (2000), S. 99

97
Management einzelner Automotive-Projekte („Single-PM“)
2
Damit diese Aggregation leicht fällt, sollte bereits die Kostenabschätzung mit Hilfe
eines entsprechend standardisierten Vorkalkulationsblattes erfolgen. Auf Basis der
aggregierten Gesamtentwicklungs- und Gesamtherstellkosten für das Modul/System
werden nun erste Zielpreise und Entwicklungsbudgets berechnet und dem Automo-
bilhersteller angeboten. Mit diesem Schritt ist die erste Phase der Kostenzielermittlung
abgeschlossen. Wenn der Auftraggeber das Angebot generell akzeptiert, wird ein
Abgleich der Preisvorstellungen zwischen Hersteller und Modullieferant in intensiven
Verhandlungsrunden erfolgen. Bei positivem Abschluss ist das Ergebnis ein gemein-
sam definiertes, neues Entwicklungsbudget sowie ein neuer Zielpreis, der in der Regel
unter dem ersten Angebotszielpreis liegen wird. Beide Kostenziele müssen nun top-
down auf die einzelnen Komponenten bzw. Arbeitspakete heruntergebrochen werden.
Eine einfache Vorgehensweise, die hierzu angewendet werden kann, zeigt Abbil-
dung 2-61.

Abbildung 2-61: Schema zur Kostenermittlung und -verteilung

Bottom-Up

HK/St* EK* %HK/St %EK/St


• Ermittlung der Herstellkosten
M 100 100.000 10% 10%

K1 300 500.000 50% • Ermittlung der Entwicklungskosten


30%

K2 150 10.000 15% 1% • Ableitung der prozentualen


K3 450 390.000 49% 39% Kostenstruktur

 Gesamt 1.000 1.000.000 100% 100%


* in Euro

Angebot Abgleich der Bottom-Up Entwicklungs-


Kostenfestlegung
1.000 Euro HK/St ermittelten Entwicklungs- kostenziele
900 Euro HK/St
1.000.000 Euro EK und Herstellkosten mit dem 850.000 Euro EK
Auftraggeber

Top-Down

HK/ST* EK* %HK/ST %EK/ST


• Kostenlücke entsprechend der
prozentualen Kostenstruktur verteilen M 90 85.000 10% 10%
• Herstellkosten K1 425.000
270 30% 50%
• Entwicklungskosten
Legende: K2 135 8.500 15% 1%
HK = Herstellkosten
EK = Entwicklungskosten K3 405 331.500 49% 39%
Herstellkosten-
M = Modul
K = Komponente ziele  Gesamt 900 850.000 100% 100%
* in Euro

98
Definitionsphase als strategische Investition im Automotive-Projekt
2.4
Aufbauend auf den Ergebnissen der bottom-up-Abschätzung der Herstell- und Ent-
wicklungskosten wird zunächst die Kostenstruktur des Angebotes, d. h. die prozentu-
ale Zusammensetzung der Herstell- und Entwicklungskosten, ermittelt. Die Kostenlü-
cken, die aufgrund des Abgleichs mit dem Hersteller entstanden sind, werden
anschließend gemäß der Kostenstruktur verteilt. Problematisch bei dieser Vorgehens-
weise ist, dass kein Unterschied zwischen Bereichen bzw. Komponenten mit hohen
und niedrigen Kosteneinsparungspotentialen gemacht wird („Gießkannenprinzip“).
Eine weniger systematische, dafür aber genauere Vorgehensweise zur komponenten-
spezifischen Kostenzielermittlung kann unter Zuhilfenahme der Erfahrungswerte aus
vergleichbaren Projekten oder von Einkaufs-Know-how realisiert werden. Abhängig
von den realisierbaren Einsparpotentialen im Rahmen des Entwicklungs- und Verga-
beprozesses werden die Zielpreisreduzierungen unterschiedlich stark vorgenommen.

Basis für fundierte Schätzpreise ist eine gut strukturierte Kostenkalkulation. Für Fahr-
zeugentwicklungsprojekte bedeutet dies, dass die Stückzahlen, die Produktstruktur
sowie die relevanten Meilensteine des Entwicklungsprozesses bekannt sind. Das Las-
tenheft und die vorangegangenen PM-Aktivitäten in der Projektdefinitionsphase soll-
ten alle notwendigen Informationen liefern. Das Kalkulationsblatt wird mit einer Zeit-
achse und einer Kostenachse als Tabelle aufgebaut. Wichtig ist dabei, dass abhängig
von der Projektphase Serienentwicklung oder -produktion verschiedene Zeitskalen
verwendet werden. Abbildung 2-62 zeigt ein Schema.

Abbildung 2-62: Prinzipieller Aufbau eines Kalkulationsschemas

(Entwicklungsprozess) (Serienproduktion) t

t1 1 3 ... t2
2

Perioden
Projektmeilensteine
(laufende Produktion)
Entwicklungskosten 
• Entwicklung
• Konstruktion
• Versuch
• Sim ulation
• Musterbau Entwicklungskosten (EK)
• Beschaffung
• .......

Herstellkosten  EK
• Material /Kaufteile
• Prod.Personal
• Qualitätswesen
Herstellkosten (HK)
• Logistik
• Abschreibungen
• ....... øHK

99
Management einzelner Automotive-Projekte („Single-PM“)
2
In der Entwicklungsphase werden die vorgegebenen Meilensteine zur Skalierung
genutzt. Die Produktionsphase wird hingegen durch feste Perioden gegliedert. Ähnli-
ches gilt auch für die Gliederung der Kosten. Auch hier werden abhängig von der
betrachteten Projektphase spezifische Gliederungen der Kostenarten gewählt. Für die
Entwicklungsphase wird eine ressourcenorientierte Kostengliederung verwendet
(Entwicklung, Versuch, Material, ...). Die Herstellkosten werden klassisch nach dem
Produktionsablauf (Fertigungskostenstellen) und dem eingesetzten Material bzw.
Kaufteilvolumen gegliedert. Die zwei Kalkulationsbereiche (Entwicklungs-, Herstell-
kosten) können im Detail folgendermaßen gegliedert werden:

Entwicklungskosten

 Personalkosten für Entwicklung, Musterbau, Versuch, Serienvorbereitung, PM


 Arbeits- und Betriebsmittel bzw. Investitionen wie z.B. Vorrichtungen, Werkzeuge,
Lehren und Messgeräte sowie technische DV-Einrichtungen

 Materialkosten, Kaufteile für z.B. Versuchsaufbauten, Musterteile, Prototypen


 Flächen und Gebäudekosten wie z.B. Mieten, Infrastruktur
Auf der Zeitachse werden pro Meilenstein die jeweiligen Kosten als Schätzgröße ins
Kalkulationsblatt eingetragen. Das Schema in Abbildung 2-63 zeigt die Struktur.

Abbildung 2-63: Struktur des Entwicklungskosten-Kalkulationsblattes 81

Zeitachse

KA PH DM/MU
Entwicklungskosten h l €/h Euro h €/h Euro h €/h
ressourcenorientiert

Personal
Kostengliederung

Material
Arbeits- und Betriebsmittel
Flächen und Gebäude

Nutzungsdauer der Ressource = Meilenstein


Stundensatz der Ressource KA = Konzeptabgabe
Investitionen und PH = Pflichtenheft
ressourcenspezifische Kosten DM/MU = Datenmodell/ Muster

81 vgl. Schuh (2000), S. 106

100
Definitionsphase als strategische Investition im Automotive-Projekt
2.4
Herstellkosten

 Fertigungskosten mit Fertigungseinzelkosten (FEK), im Wesentlichen Löhne bzw.


Maschinenstundensätze, Fertigungsgemeinkosten (FGK) wie Hilfslöhne, Hilfsma-
terial, Energiekosten sowie kalkulatorische Abschreibungen und Zinsen, Lizenz-
kosten etc. und Sondereinzelkosten (SdF), wie fertigungsspezifische Werkzeuge
und Betriebsmittel, die nicht in den Entwicklungskosten enthalten sind.

 Materialkosten als Materialeinzelkosten (MEK) für Rohmaterial, Kaufteile, Hilfs-


und Betriebsstoffe und Materialgemeinkosten (MGK), in denen Lager-, Logistik-
und Personalkosten der Beschaffung und Qualitätssicherung verborgen sind.

 Verwaltungskosten für das Verwaltungspersonal, Beleuchtung, Miete etc. werden


nur anteilig auf das Projekt verrechnet.

 Vertriebskosten sind alle für den Vertrieb der jeweiligen Business-Unit anfallen-
den Kosten für Vertriebspersonal, Akquisition, Werbung, Marketing.

 Umlagen für die dem Produkt bzw. Produktionsprozess nicht direkt zuordenbaren
Kosten für z.B. Serienbetreuung und -verbesserung, Service, Ersatzteilverwaltung
während der Serienproduktion...

Anders als bei der Entwicklungsphase wird die Zeitachse der Serienproduktion nicht
durch Meilensteine untergliedert, sondern in Perioden (jährlich oder monatlich) unter-
teilt. Die Abschätzung der einzelnen Kostenblöcke muss dementsprechend periodisch
gemäß der vom Kunden angegebenen Stückzahlen pro Periode ermittelt werden.
Abbildung 2-64 zeigt das Schema.

Abbildung 2-64: Struktur des Herstellkosten-Kalkulationsblattes 82

Zeitachse

Periode 1 Periode 2 Periode 3 ...


Herstellkosten Euro Euro Euro
Fertigungskosten
Fertigungseinzelkosten
Kostengliederung

Fertigungsgemeinkosten
Sondereinzelkosten
Materialkosten
Materialeinzelkosten
Materialgemeinkosten
Verwaltungskosten
Vertriebskosten
Umlagen

82 ebenda, S. 108

101
Management einzelner Automotive-Projekte („Single-PM“)
2
Im nächsten Schritt müssen die Kalkulationsdaten für die Wirtschaftlichkeits-
berechnung zusammengefahren und aufbereitet werden. Aus dem Zielpreis des Kun-
den, der Stückzahl-Prognose und den Kalkulationsdaten lassen sich dann Margen,
Deckungsbeiträge, Amortisationszeiten, Break-Even-Points und weitere Wirtschaft-
lichkeits-Kennzahlen ermitteln. Für die Entscheidung zur Projektfreigabe bzw. An-
nahme eines Auftrags sind diese Informationen am besten in einem standardisierten
„Businessplan“ aufzubereiten. Einschlägige Tabellenkalkulationsprogramme leisten
hierzu im Regelfall gute Dienste. Die folgende Abbildung zeigt ein Beispiel.

Abbildung 2-65: Beispiel: Businessplan für ein Projekt beim Systemlieferanten

Wirtschaftlichkeit: VK, HK, Marge, Umsatz Investitionen, Entwicklungskosten, Musterkosten


Auftrag Ist Vorschau Auftrag Ist Vorschau
Stückzahl im 1. Jahr
300 250 200 Investitionen (T€)
(Tsd.)
VK € / St. Incl. Umlage
Entw./Invest OEM (1.J)
29,47 33,15 31,22 Invest gesamt 3.697 6.394 6.552
Umlage Entw./Invest Kostenübernahme
OEM pro Stück in €
0,00 0,00 0,00 Kunde (Einmalzahlung)
1.573 4.442 5.333
Umlagebasis:
Stückzahl (Tsd.)
0 0 0 Netto Invest 2.124 1.952 1.219

HK. € / St. o. Amort.


26,87 29,07 25,12 Entwicklungskostenosten (T€)
Kunde o. WA (1. J)
Bruttomarge in % Entwicklungskosten
(Durchschnitt)
-1,18% 2,31% 9,54% gesamt
2.055 2.548 2.650
Umsatz in T€ p.a. Kostenübernahme
(Durchschnitt)
25.050 25.691 24.196 Kunde (Einmalzahlung)
0 111 111
Netto
Gesamtkosten und Wirtschaftlichkeit 2.055 2.437 2.539
Entwicklungskosten
Einmalkosten ges.(T€): Summe Entw. + Invest
Invest, Entw, Muster
6.972 10.442 10.802 (o. Umlage Teilepreis)
4.179 4.389 3.758

Einmalkostenübernahme Netto Entw. + Invest


d. Kunde gesamt (T€)
2.402 5.453 6.444 (m. Umlage Teilepreis)
4.179 4.389 3.758
Netto Einmalkosten
4.570 4.989 4.358 Musterkosten (T€)
gesamt (T€)
Gesamtumsatz (inkl.
Produktivität) (T€)
141.456 159.120 149.856 Kalkuliert 1.220 1.500 1.600
Gesamtkosten (Einmal + Preis erzielt
HK - Produktivität) (T€)
133.546 144.525 124.934 (Übernahme Kunde)
829 900 1.000
Nettomarge in %
(Durchschnitt)
-4% -1% 7% Deckung -391 -600 -600

Produktivität, Jahresstückzahlen
Jahr 1. Jahr 2. Jahr 3. Jahr 4. Jahr 5. Jahr 6. Jahr Gesamt
Produktivitätssteigerung Kundenforderung (%) 0 3 2 2 0 0 7
Produktivitätssteigerung machbar (%) 0 2 2 0 0 0 4
Auftrags-Stückzahl (Tsd.) 300 1.000 1.000 1.100 800 600 4.800
Vorschau-Stückzahl (Tsd.) 200 600 1.100 1.200 1.000 700 4.800

Für das Management lassen sich die wesentlichen Kennzahlen grafisch aufbereiten.
Abbildung 2-66 zeigt ein Beispiel.

102
Definitionsphase als strategische Investition im Automotive-Projekt
2.4
Abbildung 2-66: Beispiel: Projektwirtschaftlichkeit grafisch

Kumulierter Deckungsbeitrag In Mio. €


10,0
Auftragsstand
Vorschau
8,0

6,0

4,0

2,0 Break Even Point

0,0
Start SOP 1. Jahr 2. Jahr 3. Jahr 4. Jahr

-2,0

-4,0

-6,0

Ist die Wirtschaftlichkeit gesichert und der Wille zur Zusammenarbeit bekundet (meist
durch einen LOI = Letter of Intent / Absichtserklärung), so sollten sich Auftraggeber
und Auftragnehmer im Fahrzeugprojekt an einen Tisch setzen und die wesentlichen
Informationen und Festlegungen aus der Projektdefinitionsphase abgleichen.

2.4.10 Auftaktworkshop/externer Kick-Off


Der Auftaktworkshop soll die Zusammenarbeit zwischen Auftraggeber und Auftrag-
nehmer bzw. zwischen den unterschiedlichen Vertragspartnern in Fahrzeugprojekten
verbessern und für eine fundierte Klärung von Auftragsinhalten, Schnittstellen und
Verantwortlichkeit sorgen.

Die intensive Beschäftigung mit dem Lastenheft, den Projektzielen, Spezifikationen


und Anforderungen des OEM wirft zumindest auf der Zuliefererseite immer ein gan-
zes Bündel an Fragen und Abstimmungsbedarf auf, das zeitnah und möglichst persön-
lich geklärt werden sollte. Durch das gegenseitige Kennenlernen der Projektteams in
einem Workshop und die gemeinsame Bearbeitung von Aufgaben wird die Basis für
eine kooperative und erfolgreiche Zusammenarbeit gelegt. Neben all den Sachthemen
steht dann auch die zwischenmenschliche Komponente im Mittelpunkt.

103
Management einzelner Automotive-Projekte („Single-PM“)
2
Ein Auftakt-Workshop dauert erfahrungsgemäß ein bis zwei Tage; bei internationalen
Projekten muss mit einem höheren Aufwand gerechnet werden. Die Veranstaltung
beinhaltet z.B. folgende Themen:

 Vorstellung der Teilnehmer


 Vorstellung der Projektorganisation der Beteiligten Firmen (Kunde, evtl. Partner)
 Präsentation der bisherigen Unterlagen zur Projektplanung (Lastenheft/Ziele,
Projektergebnisstruktur, Meilensteinplan)

 Brainstorming zu potentiellen Konflikten und Risiken im Projektverlauf


 Gruppenarbeiten und Ergebnispräsentationen zu
1. Konfliktmanagement

2. Terminplanung und -steuerung

3. Information und Kommunikation

4. Änderungs- und Claimmanagement

5. Qualitätsmanagement

 Gemeinsame Aktivitätenliste („to do“)


 Spielregeln + Vereinbarungen für die Zusammenarbeit
 Themenspeicher/offene Punkte
 Gemeinsame Freizeitaktivitäten
Die Einladung für den Auftakt-Workshop erfolgt durch den Projektleiter. Er ist dafür
verantwortlich, dass die Zusammenarbeit mit dem Kunden und den anderen Ver-
tragspartnern möglichst reibungsarm und erfolgreich funktioniert. Die Organisation
und Moderation des Workshops kann durch einen internen oder externen Moderator
bzw. PM-Coach erfolgen.

Sind die grundsätzlichen Themen und die strategischen Fragen im Projekt intern wie
extern geklärt, so sollte die Projektleitung darauf dringen, eine klare Zielvereinbarung
mit ihrem internen Auftraggeber – meist der Geschäftsleitung – zu treffen. Der Projekt-
auftrag dokumentiert diesen Vorgang und bildet die Basis für das weitere Agieren von
Projektleiter und -team.

104
Definitionsphase als strategische Investition im Automotive-Projekt
2.4
2.4.11 Interner Projektauftrag
Der Projektauftrag soll die Absprachen bezüglich Zielen, Aufgabenstellung, Projekter-
gebnissen, Eckterminen, Voraussetzungen und Projektorganisation zwischen dem
internen Auftraggeber und dem Projektleiter als schriftliche Vereinbarung eindeutig
dokumentieren. Damit stellt er eine Zielvereinbarung zwischen Auftraggeber und
Auftragnehmer (Projektleiter) des Projekts dar. Er dient als Freigabedokument für die
Bearbeitung des Projekts und stellt sicher, dass alle Projektbeteiligten und Linienabtei-
lungen darüber informiert sind.

Der Auftraggeber für Automotive-Projekte kann die Geschäfts- oder Bereichsleitung


sein, ein Gremium mit Entscheidungsmacht bezüglich Projekte oder ein Delegierter
dieses Gremiums. Der Auftraggeber ist ein wichtiges Bindeglied zwischen Top- und
Projektmanagement, beauftragt und entlastet den Projektmanager, klärt wesentliche
Parameter des Projektes im Auftrag, nimmt (Zwischen-) Ergebnisse ab und entscheidet
vorrangig operative Angelegenheiten des Projekts. Bei Bedarf kann der Auftraggeber
Entscheidungsbedarf an die nächsthöhere Instanz eskalieren und dort für zeitnahe
Entscheidung sorgen. Oft ist der Auftraggeber auch nötig, um Ressourcenbedarfe mit
der Linie abzustimmen, fachliche Themen in der Organisation zu klären und dem
Projektleiter generell „den Rücken freizuhalten“. Die Bedeutung der Auftraggeber-
Rolle wird in vielen Unternehmen der Automobilindustrie noch nicht richtig erkannt,
insofern hängen viele Projektleiter „in der Luft“. Im Rahmen der Beauftragung des
Projektes sollte der designierte Projektleiter die Rolle des Auftraggebers klären und
auch die eigenen Erwartungen äußern.

Der Projektauftrag fasst wichtige Eckdaten des Projekts, beteiligte Rollen (u.a. Steuer-
kreis), Projektziele und Rahmenbedingungen, Berichtspflichten und -rhythmus sowie
besondere Kompetenzen des Projektleiters in einem Dokument zusammen. Wichtiger
Bestandteil des Dokuments ist auch die Nennung der für die Umsetzung des Projekts
erforderlichen Teammitglieder und Ressourcen. Zusätzliche Informationen bzw. Un-
terlagen können dem Projektauftrag als Anlage beigefügt sein, u.a.:

 Projektzielkatalog
 Projektergebnisstruktur (Produkt/Anlage)
 Meilensteinplan
 Projekt-Organigramm
Für die Erstellung des Projektauftrags ist der Projektleiter verantwortlich. Die Freigabe
erfolgt durch den internen Auftraggeber. Abbildung 2-67 zeigt ein Beispiel.

105
Management einzelner Automotive-Projekte („Single-PM“)
2
Abbildung 2-67: Beispiel: Projektauftrag(fiktiv)

Datum Heute
Projektauftrag Aussteller Franz Fleissig

4711 AAF/Schwaben Roboterzelle mit Laser


(Auftrags -Nr.) (Kunde/Land) (P rojektbezeichnung)

Franz Fleissig Elsa Lieb

Steuerkreis: Hubert Helle (Vorstand) + Bereichsleiter

Monatlicher Statusbericht an: Oliver Ohne (Vertrieb), Klaus Kontroller (Controlling)

Sonstige Informationen: Regelmäßige Abstimmung mit Key Account Manager AAF

Projektziele: Liefertermin: 30.9., Abnahme 31.3.


Budget: 9 Mio Euro (Grundauftrag)
Strategisch: 5% Gewinn, Komplettvergabe Vorrichtungen an Tochterges. Ungarn
Marktposition Dachfertigung ausbauen, Pilotprojekt PM
Produkt Leistungsmerkmale nach Lastenheft, Auditnote 1,5
/Qualität: Verfügbarkeit 99%, Taktzeit 5 min., Abnahme nach AAF-Vorschrift
Rahmenbedingungen: AAF-Werksnorm, Sicherheitsvorschriften, Doku in Bayerisch

Projektspezifische, zusätzliche Handlungsvollmacht und Vergabeentscheidung bis 500.000 Euro


Kompetenzen, Aufgaben des Vertragsverhandlungen mit Kunden
Projektleiters: Weisungsbefugnis gegenüber Kernteammitgliedern
Budgethoheit und Freigabe aller Beschaffungsvorgänge

Projektteam: Mechanik Martin Mechanik Controlling Elsa Lieb


Elektrik Erich Elektrik Beschaffung
Engineering Heini Zackig ......................
Montage Bruno Hurtig ......................
Qualität NN ......................

Besondere Vereinbarungen: Die kukturellen Unterschiede und landesspezifischen


Besonderheiten sind besonders zu berücksichtigen

Mitgeltende Unterlagen o Lastenheft/Spezifikation des Kunden


(siehe Anlage): o Angebotsunterlagen
o Kalkulation
o Terminplan
Prüfung/Freigabe:

(Datum) (Geschäftsleitung) (Projektleiter/Stellvertreter)

Ist die Projektleitung offiziell bevollmächtigt worden, das Projekt im Unternehmen


abzuwickeln, so geht es im nächsten Schritt darum, alle betroffenen und beteiligten
Führungskräfte und Fachleute zu informieren und einzubinden. Internes Projektmar-
keting und Commitment mit Hilfe einer Kick-Off-Veranstaltung verleiht dem Projekt
die nötige Rückendeckung im Unternehmen.

106
Definitionsphase als strategische Investition im Automotive-Projekt
2.4
2.4.12 Kick-Off-Meeting intern
Umfassende Information über das Projekt (technisch oder organisatorisch) ist die
Voraussetzung dafür, dass alle „am gleichen Strang ziehen“ und Ideen und Kreativität
im Rahmen der Auftragsabwicklung einbringen. Das Kick-Off-Meeting ist eine „inter-
ne Marketingveranstaltung“ für das Projekt, mit dem Ziel, alle Beteiligten zu informie-
ren, für die Mitarbeit im Projekt zu begeistern und für Commitment zu sorgen.

Das Kick-Off-Meeting informiert die Linienabteilungen und Arbeitspaketverantwortli-


chen über die Inhalte, Ziele, Strukturen, Organisation, Terminplanung und Rahmen-
bedingungen des Projekts. Die wesentlichen Ergebnisse und Festlegungen aus der
Projektdefinitionsphase werden in konzentrierter Form präsentiert und diskutiert.
Verantwortlich für die Einladung, Durchführung und das Protokoll des Kick-Off-
Meetings ist der Projektleiter. Die Vorbereitung und Präsentation sollte allerdings
durch das Projektteam erfolgen und nicht als „One-Man-Show“.

Je nach Projektgröße und -umfang wird der Rahmen der Kick-Off-Veranstaltung (Zeit
und Örtlichkeit) so gewählt, dass die Projektbeteiligten im Sinne des internen Marke-
tings für das Projekt entsprechend begeistert werden können. Abbildung 2-68 zeigt
das Beispiel einer Agenda.

Abbildung 2-68: Beispiel: Agenda Kick-Off-Meeting intern

Agenda Kick-Of- Meeting


1. Begrüßung/Kundenauftrag/Organisation GL 20 min
2. Ziele/Lastenheft/Auftragsumfang PL 40 min
3. Technische Lösung. (Konzept) Team 40 min
4. Meilensteine, Grobterminplan Team 20 min
5. Kapazitätsbedarf Team 20 min
6. Kostensituation/Kalkulation Team 20 min
7. Änderungs-/Claimmanagement Team 20 min
8. Commitment der Teammitglieder Team 20 min
9. Anregungen, Abschlussdiskussion Alle

Mit dem Kick-Off-Meeting ist das Projekt offiziell in das Unternehmen eingesteuert
worden. Die Projektdefinition ist damit abgeschlossen. Im nächsten Schritt geht es um
die weitere Ausarbeitung der Projektplanung. Sie bildet die Grundlage für eine erfolg-
reiche Realisierung des Projekts.

107
Management einzelner Automotive-Projekte („Single-PM“)
2
2.5 Projektplanungsphase
„Man sollte mit Prophezeiungen und Vorhersagen, wenn sie die Zukunft betreffen, sehr vor-
sichtig sein!“ Hermann-Josef Abs, ehemaliger Vorstand Deutsche Bank AG

Im Rahmen der Projektplanung werden die Strukturen und Inhalte des Projekts fest-
gelegt und die Vorgaben bzgl. Kosten, Termin und Qualität detailliert. Der systemati-
sche Zusammenhang zwischen Projektstruktur, Ablaufplanung, Aufwandsschätzung
und Terminplan wird in diesem Kapitel erläutert. Der Projektplan bildet die Basis für
Projektsteuerung, Änderungs- und Claimmanagement.

Unrealistische Planung wird in der Studie „Automobilentwicklung in Deutschland“


von den befragten Unternehmen als eine der Hauptursachen für nicht erreichte Pro-
jektziele genannt.83 Abbildung 2-69 zeigt diesen Sachverhalt.

Abbildung 2-69: Wichtigste Gründe für das Nichterreichen von Projektzielen

Zeitplanung
unrealistisch

Produktkostenziele
unrealistisch

Mängel in der
Projektorganisation

Andere

technische Ziele
unrealistisch

Entwicklungskosten-
planung unrealistisch

Qualifikation der
Partner ungeeignet

0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70%

83 vgl. Bullinger/Kiss-Preußinger/Spath (2003), S. 53

108
Projektplanungsphase
2.5
Aufbauend auf unklaren Anforderungen zum Projektstart werden auch die Projekt-
pläne häufig nicht abgestimmt. Zum einen mangelt es an einheitlichen Vorstellungen
und Vorgaben zu den verwendeten PM-Methoden und Systemen, zum anderen wer-
den Ecktermine oft einseitig vom Auftraggeber vorgegeben, ohne dass die Lieferge-
genstände zu den jeweiligen Terminen klar abgestimmt wären. Der zeitliche Aufwand
für die Abstimmung von Projektstrukturen und Terminplänen wird vielfach gescheut.
Dadurch entstehen Schnittstellenprobleme und Blindleistung bei allen Beteiligten,
sowie unnötige Konflikte im Rahmen der Realisierung.

Mit Hilfe von Planungs-Workshops im Projektteam können Projektpläne frühzeitig


inhaltlich abgestimmt und gemeinsam optimiert werden. Gleichzeitig lernen sich die
Projektteammitglieder immer besser kennen. Besonders bei standortübergreifenden
Projekten, die in der Automobilindustrie immer häufiger werden, ist dies wichtig.
Unternehmensübergreifende Projektmanagement-Systeme mit einer internetbasierten
Kommunikation ermöglichen eine vernetzte Projektplanung mit allen Lieferanten und
Entwicklungspartnern im Projekt (siehe Kap. 4). Bei Änderungen und Abweichungen
wird allen Partnern der gleiche Informationsstand online zur Verfügung gestellt.
Dadurch stehen Termininformationen schnell zur Verfügung und der Pflegeaufwand
für Projektpläne reduziert sich bei den beteiligten Projektteams drastisch.

2.5.1 Einführung
„Der ʹrichtigeʹ Zeitplan ist der, dessen Einhaltung völlig unmöglich ist, dem man dies aber
nicht auf den ersten Blick ansieht.“ Tom DeMarco, Schriftsteller

Planung ist die gedankliche Vorwegnahme zukünftigen Handelns. Die wachsende


Komplexität von Projekten zwingt zu gezielter und systematischer Planung. Höherer
Planungsaufwand senkt den Realisierungsaufwand. Planung ohne Kontrolle ist sinn-
los – Kontrolle ohne Planung unmöglich. Die Qualität der Projektplanung hat ent-
scheidenden Einfluss auf den Projekterfolg. Ohne systematische Planung ist ein effek-
tives Projektmanagement nicht machbar. Die Projektplanung ist das Instrument, mit
Hilfe dessen die Beteiligten im Projekt (Kernteam, Linienabteilungen, Arbeitspaket-
verantwortliche und Lieferanten) die Vorgehensweise, Aufgabenstellung und Etap-
penziele/Zwischenergebnisse vereinbaren – also ein Führungsinstrument des Projekt-
leiters. Sie bildet auch die Basis für alle Projektsteuerungsaktivitäten und das
Änderungs-/Claimmanagement, da ohne Planung auch keine Abweichungen (Soll/
Ist-Vergleich) ermittelt werden können.84

84 vgl. Wagner/Grau (2013a)

109
Management einzelner Automotive-Projekte („Single-PM“)
2
Allerdings kann man auch über das Ziel hinausschießen. Deshalb ist es wichtig, den
Planungsaufwand auf das Nötigste zu beschränken, damit sich das Projekt durch die
Planung nicht in Selbsthemmung bringt, sondern den oben beschriebenen Nutzen
generiert. Abbildung 2-70 zeigt dieses Spannungsfeld auf. Bei agilen Ansätzen des
Projektmanagements wird z.B. der Planungshorizont auf wenige Wochen reduziert, da
sich die Vorgaben (insbesondere bei der Softwareentwicklung) relativ häufig ändern.

Abbildung 2-70: Spannungsfeld Planungstiefe

So detailliert wie nötig, So einfach wie möglich,


weil Projektplanung... weil Projektplanung...

 Komplexität reduziert  vom Handeln abhält

 Effizienz erhöht  Zeit kostet

 Chancen und Risiken aufdeckt  aufwändig ist

 Entscheidungssicherheit erhöht  Flexibilität einschränkt

 Transparenz schafft  zunehmend komplizierter wird

 Unsicherheit reduziert  Kreativität einschränkt

 vernetztes Arbeiten ermöglicht

Die Projektplanung liegt in der Verantwortung des Projektleiters. Aufbauend auf den
Ergebnissen der Projektdefinition, werden in der Planungsphase folgende Unterlagen
erstellt bzw. projektspezifisch aus vorhandenen Standards und Vorlagen angepasst
(siehe Abbildung 2-71 auf der nächsten Seite):

 Projektstruktur (5)
 Arbeitspakete und Aufwandsschätzung (6)
 Termin- und Kapazitätsplan (7)
 Detailterminplan und Standard-Durchlaufzeiten (8)
 Kostenplan / Kalkulation (9)
Den Ausgangspunkt für die Projektplanung bilden die Projektinformationen aus dem
Angebot und der Projektdefinition, wie z.B.

 Angebot, Wirtschaftlichkeit, Lastenheft, Umfeld-, Vertrags- und Risikoanalyse (1)


 Projektziele (2)
 Projektergebnisstruktur (3)
 Meilensteinplan (4)

110
Projektplanungsphase
2.5
Auf Basis dieser Informationen wird in einem Planungsworkshop die Projektstruktur
sowie Anzahl und Bezeichnung der Arbeitspakete erarbeitet. Der Schwerpunkt liegt
auf der Strukturierung der Aufgaben im Projekt, wodurch die Komplexität von Fahr-
zeugprojekten wesentlich reduziert wird. Im nächsten Schritt werden die Aufgaben
logisch und zeitlich zusammengefasst und als Arbeitspakete spezifiziert. Nach der
Abschätzung von Aufwänden und Vereinbarung mit den jeweiligen Arbeitspaket-
Verantwortlichen ergeben sich verbindliche Werte für die Ressourcen- und Kostenpla-
nung, sowie Dauern bzw. Durchlaufzeiten für den Terminplan. Abbildung 2-71 zeigt
den Zusammenhang der einzelnen Planungsschritte.

Abbildung 2-71: Planungssystematik 85

1 Startworkshop
Angebot
2
Wirtschaftlichk.
Projektziele Lastenheft
Umfeldanalyse
Vertrag/Risiko Projektergebnisstruktur
4 3
Meilensteine

Projektstruktur Planungsworkshop
6 5
Aufwands-
schätzung Standard
Durchlaufzeiten
8
6
Arbeits-
pakete Terminplan Detailterminplan
7
Kalkulation
Kapazitätsplan 8
9 7

Eine systematische Projektplanung ist die Basis für die erfolgreiche Steuerung von
Projekten. Die Erfahrung zeigt, dass der Wille zur Projektplanung vorhanden ist, je-
doch oftmals den aktuellen Anforderungen des Tagesgeschäfts und der „Machermen-
talität“ zum Opfer fällt.

85 vgl. Wolf/Mlekusch/Hab (2006), S. 95

111
Management einzelner Automotive-Projekte („Single-PM“)
2
„Holzhacken ist deshalb so beliebt, weil man bei dieser Tätigkeit den Erfolg sofort sieht.“
Albert Einstein, deutscher Physiker

Deshalb macht es Sinn, wenn das Projektteam für die Planungsarbeit „in Klausur“
geht. Wir bezeichnen diese Veranstaltung dann als Planungsworkshop.

2.5.2 Planungsworkshop
Die Durchführung eines Planungsworkshops ermöglicht die Projektplanung in kon-
zentrierter Form, so dass in kürzester Zeit die wesentlichen Planungsunterlagen er-
stellt werden können. Zusätzlich bietet der Planungsworkshop den Vorteil, dass das
Projektteam gemeinsam plant und somit ein gemeinsames Verständnis für das Projekt
entwickelt. Für die Unterstützung bei der PM-Methodik, sowie für die Moderation des
Planungsworkshops kann ein Coach eingebunden werden. Abbildung 2-72 zeigt mög-
liche Inhalte einer solchen Planungsklausur.

Abbildung 2-72: Inhalte und Ablauf einer Projektplanungsklausur

Tagesordnung Planungsklausur

 Projektstruktur auf Basis der Ergebnisstruktur sowie Phasen- und Meilensteinplans (Ergeb-
nisse des Startworkshops) aufstellen
 Arbeitspakete inhaltlich definieren bzw. Standard-Arbeitspakete anpassen
 Aufwand und Dauer der Arbeitspakete abschätzen
 Terminplan aufbauen bzw. Standard-Terminplan anpassen (Vorwärtsterminierung)
 Terminplan entsprechend der Meilensteinvorgaben optimieren
 Wirtschaftlichkeit bzw. Kostenplanung aktualisieren und optimieren
 Arbeitspaket-Termine, Budgets und Kapazitätsbedarf als Entwurfsvorlage für die Vereinba-
rung mit den Fachabteilungen zusammenfassen
 Risikoanalyse durchführen

2.5.3 Projektstrukturplan
Die Projektstruktur ist der Dreh- und Angelpunkt für Projektplanung und -steuerung
hinsichtlich Kosten, Terminen und Aufgaben. Sie dient dazu, das Projekt in über-
schaubare und abgrenzbare Einheiten zu zerlegen. Diese können dann zu Arbeitspa-
keten zusammengefasst und als solche innerhalb des Unternehmens oder extern dele-
giert werden. Erst dadurch wird eine erfolgreiche Abwicklung von großen und
komplexen Umfängen möglich.

112
Projektplanungsphase
2.5
Der Projektstrukturplan enthält alle Aktivitäten, die für die Durchführung eines Pro-
jekts notwendig sind. Das wesentliche Merkmal des Projektstrukturplans ist, dass er
im Gegensatz zur Projektergebnisstruktur sowie dem Phasen- und Meilensteinplan
keine Ziele/Ergebnisse enthält, sondern Aktivitäten. Er umfasst genau die Tätigkeiten,
die bezogen auf ein Element der Ergebnisstruktur, bis zu einem bestimmten Meilen-
stein durchgeführt werden müssen. Hierbei werden bestimmte Aktivitäten zu Ar-
beitspaketen zusammengefasst. Dadurch lässt sich der gesamte „Arbeitsberg“ in über-
sichtliche Einheiten gliedern. In Anlehnung an die Teilziele („Etappen“) des Phasen-
und Meilensteinplans erhält man somit eine strukturierte Planung der Aufgaben. Der
Projektstrukturplan wird gemeinsam durch das Projektteam im Rahmen eines Pla-
nungsworkshops erstellt. Mit Hilfe der Ergebnisstruktur sowie des Phasen- und Mei-
lensteinplans stellt man die Frage: „Was ist in zum Meilenstein X bzgl. des Elements Y
des Liefer- und Leistungsumfangs zu tun?“ Diese Frage wird für jedes Element der
Produkt-/Anlagenstruktur, bezogen auf jeden Meilenstein, gestellt. Die Produkt-
/Anlagenstruktur dient in diesem Fall als Checkliste. Bei zeitlicher Ausdehnung einer
Aktivität über mehrere Meilensteine, ist diese dem Meilenstein zuzuordnen, zu dem
sie abgeschlossen wird. Abbildung 2-73 zeigt schematisch die Matrix einer Projekt-
struktur auf Basis der Dimensionen Produktstruktur/Leistungsumfang (horizontal)
und Meilensteinplan (vertikal).

Abbildung 2-73: Projektstruktur als Matrix, schematisch

Gesamtmodul Montageträger Scheinwerfer Kühlermodul


Projekt-
freigabe • Grobkonzept erst. • Pflichtenheft erst. • Lastenheft erst. • Lastenheft erst.
• Pflichtenheft erst. • Kalkulation erst. • Lieferanten- • Lieferanten-
• System FMEA • Lieferanten- anfragen anfragen erst.
• Zielkosten- anfragen erst. erst.(Prototypen) (Prototypen)
engineering (Werkzeuge)
Planungs-
freigabe • Angebote prüfen
• Integrations-Tests • Detail- • Angebote prüfen
• Prototypenbau entwicklung • Vergabe durchf. • Vergabe durchf.
• Produktions- • Versuche • Entwicklungs- • Entwicklungs-
prozess planen • Prototypenbau ergebnisse prüfen ergebnisse prüfen
• Vergabe Anlage
Beschaffungs-
freigabe
• Prototypenlieferung • Detail- • Prototypen • Prototypen
• Aufbau entwicklung abnehmen abnehmen
Produktionsanlage • Versuche • Logistikplanung • Logistikplanung
• Probebetrieb • Prototypen- • Lieferanten- • Lieferanten-
lieferung qualifizierung qualifizierung
Interne
Serienfreigabe

113
Management einzelner Automotive-Projekte („Single-PM“)
2
Folgende Fragen helfen bei der Strukturierung:

 Lassen sich die Strukturelemente zu logischen, sachlichen und technologischen


Gruppen (zu Arbeitspaketen) zusammenfassen, die auch terminlich und bezüglich
der Verantwortung abgegrenzt werden können?

 Sind Dienstleistungen wie Dokumentation, Schulungen, FMEA, Untersuchungen


und Tests ausreichend berücksichtigt?

 Ist bei der Strukturierung auch die Kalkulation und Kostenverfolgung ausreichend
berücksichtigt worden?

 Ist eine problemlose Änderungsabwicklung möglich?


Grundsätzlich gilt: So viele Arbeitspakete wie nötig, so wenige wie möglich!

Ein Beispiel für eine Produktionsanlage zeigt Abbildung 2-74.

Abbildung 2-74: Beispiel: Projektstrukturplan Produktionsanlage (fiktiv)

AAF, Roboterzelle
mit Laser

Vorrichtungen + Zellen-
Roboter Laser
Infrastruktur Steuerung

Greifer- und Schweißversuc


Arbeitspaket Spannkonzept he durchführen
Start
Realisierung Layout Fügekonzept
MS1 optimieren erstellen

Angebote Konstruktions- Angebote Steuerungskon


verhandeln richtlinie erst. verhandeln zept erstellen
Start
Konstruktion Lieferanten Entwürfe Lieferanten Schnittstellen
MS2 festlegen erstellen festlegen definieren

Peripherie Detail- Aktivität


komponenten konstruktion Bestellung
bestellen
IR-Simulation Langläufer Lieferanten- Aktivität
durchführen bestellen überwachuung
Start Fertigung/
Beschaffung Simulation + Prozess- Aktivität
MS3 Ablaufplan versuche

Disposition +
MS4
Aktivität Beschaffung Aktivität

MS5
Aktivität Aktivität Aktivität
MS6

114
Projektplanungsphase
2.5
2.5.4 Arbeitspakete
Mit Hilfe von Arbeitspaketen lässt sich ein Fahrzeugprojekt auf der operativen Ebene
in überschaubare fachlich und inhaltlich abgrenzbare Einheiten (Ergebnis, Termin +
Kosten) mit eindeutiger Verantwortung gliedern. Auf dieser Ebene in der Projekthie-
rarchie befinden wir uns in der Regel in einem Teilprojekt bzw. Modul oder in einer
Funktionsgruppe. In der Zulieferer-Pyramide kann dies allerdings auch die Kompo-
nenten- oder Teilsystem-Ebene sein. Für die effiziente Planung und Steuerung sollte
eine Anzahl von 30–40 Arbeitspaketen pro Automotive-Teilprojekt nicht überschritten
werden. Der Projektleiter kann mit den Zielvereinbarungen für jedes Arbeitspaket
effektiv führen und Verantwortung delegieren. Die Auftragnehmer (der Arbeitspake-
te) haben definierte Aufträge, die eine Kapazitätsplanung bedeutend erleichtern und
Schnittstellenprobleme vermeiden helfen. Außerdem sind eindeutig abgegrenzte Ar-
beitspakete die Basis für das Projektcontrolling, weil die Arbeitspaket-Verant-
wortlichen potentielle Abweichungen über den Statusbericht frühzeitig melden kön-
nen und definierte Ergebnisse eine objektive Fortschrittskontrolle ermöglichen.

Ein Arbeitspaket beinhaltet eine Summe von logisch zusammenhängenden Aktivitäten


(minimal eine Aktivität) bzw. eine Summe von Aktivitäten, die in einem Verantwor-
tungsbereich ausgeführt werden. Im Sinne des internen Kunden/Lieferanten-Prinzips,
ist ein Arbeitspaket ein Auftrag, den der Projektleiter an einen Verantwortlichen einer
Fachabteilung (Linienorganisation), Niederlassung, Firma (internes Kunden / Liefe-
rantenverhältnis) oder einen externen Leistungserbringer/Lieferant erteilt. Jedes Ar-
beitspaket ist eingebunden in die „Projektstruktur“ und dadurch klar abgegrenzt
(Schnittstelle) von anderen Arbeitspaketen. Abbildung 2-75 zeigt die wesentlichen
Merkmale.

Abbildung 2-75: Die wesentlichen Merkmale eines Arbeitspakets


Kosten

Budget / Kostendruck

Arbeitspaket XY
Verantwortlich: N.N.
• Ergebnis Termindruck
• Inhalt / Aufgabenstellung
• Voraussetzungen
• Aufwand und Dauer
• Ressourcen
• Kosten /Budget
• Rahmenbedingungen /Schnittstellen Zeit

115
Management einzelner Automotive-Projekte („Single-PM“)
2
Externe Leistungserbringer/Lieferanten erhalten Arbeitspakete in Form von Beauftra-
gungen/Bestellungen. Die Summe aller Arbeitspakete ergibt das Gesamtprojekt. Ein
Arbeitspaket wird beschrieben durch ein mess- und überprüfbares Ergebnis, das zu
einem bestimmten Termin und Budget erbracht werden soll. Jedes Arbeitspaket hat
nur einen Verantwortlichen der als „Unternehmer“ den definierenden Leistungsum-
fang mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen (Fachabteilung) eigenverantwort-
lich abwickelt.

Die Verwaltung der Arbeitspakete erfolgt innerhalb des Projektstrukturplans und auch
im Terminplan durch über ein Nummernsystem, den sog. „PSP–Code“ (Projekt-
Struktur-Plan-Code). Der PSP-Code dient zur eindeutigen Bezeichnung eines Arbeits-
paketes und setzt sich zum Beispiel wie folgt zusammen:

PSP-Code: ppp:m.aa(.nn)

p: Projekt Wertebereich: p = 3 Zeichen

m: Meilenstein Wertebereich: 0m9

aa: Arbeitspaket Wertebereich: 00  a  99

Für die Definition der Arbeitspakete sind der Projektleiter und die Kernteammitglie-
der zuständig. Die Benennung der Arbeitspaket-Verantwortlichen erfolgt in der Regel
durch die Fachabteilung. Bei der Definition der Arbeitspakete müssen im ersten Schritt
die Randbedingungen und Zielgrößen für jedes Paket erstellt werden. Folgende Pla-
nungsunterlagen liefern hierzu Informationen:

 Projektstrukturplan (Anzahl und Gliederung der Arbeitspakete)


 Zielkatalog/Lastenheft (Ecktermine, Anforderungen des Kunden)
 Technische Spezifikationen (Budget, Leistungsumfang, Kapazitätsbedarf)
Der Projektleiter bzw. das Kernteam definiert mit Hilfe obiger Informationen das Ar-
beitspaket im Entwurf. Aufwand (Kapazitätsbedarf), Dauer (Durchlaufzeit) und Kos-
ten für Material und Fremdleistungen müssen anhand von Erfahrungswerten abge-
schätzt werden. Dabei können Nachkalkulationen abgeschlossener Projekte oder auch
die Meinung von Experten aus dem Unternehmen herangezogen werden. In vielen
Fällen gibt es eigene „Kalkulatoren“, die bereits im Angebotsstadium Werte ermittelt
haben. Diese Informationen müssen dann nur noch entsprechend der Projektstruktur
„um“-geschlüsselt werden.

Der Entwurf wird dann mit dem AP-Verantwortlichen abgestimmt (Zielvereinbarung),


ggf. korrigiert und ergänzt und dann von beiden Seiten unterschrieben (internes Ver-
tragsverhältnis). Je nach Komplexität und Umfang des Arbeitspaketes, erstellt der AP-
Verantwortliche zur besseren Planung und Steuerung einen „Arbeitspaket-
Terminplan“. Abbildung 2-76 zeigt ein Beispieldokument mit Inhalten.

116
Projektplanungsphase
2.5
Abbildung 2-76: Beispiel: Arbeitspaket in einem Produktionsanlagenprojekt (fiktiv)

Arbeitspaket
Projekt: Roboterzelle mit Laser
Projektleiter: Franz Fleissig Kunde: AAF, Augsburg
Arbeitspaket: Entwurfskonstruktion Mechanik
PSP-Code: 319.3.01 AP-Verantwortlich: Ernst Entwurf
Budget (Euro): 50.000 Ausführende Abteilung/NL: Konstruktion ME/Ulm
Kapazität (h): 600 Frühester Start-Termin: 15.2.
Dauer 20 AT Spätester End-Termin: 15.4.
Aufgabenstellung:
Auskonstruierte Entwürfe aller Sondervorrichtungen, Greifer und Spanntechnik erstellen.
Geometrien und Zugänglichkeit absichern. Layout-Auswirkungen berücksichtigen.
Schlüsselkomponenten und Langlaufteile spezifizieren. Mechan. Schnittstellen zu Roboter und
Transporttechnik definieren.
Konstruktionsrichtlinie für Detailkonstruktion erstellen. Stücklistenstruktur festlegen.

Voraussetzungen:
Zellen-Layout, Greiferkonzept, Spannkonzept, Fügekonzept, Bauteildatensätze

Ergebnisse (meß- und überprüfbar):


Entwurfszeichnungen aller Vorrichtungen, Greifer und Spanntechnik
Konstruktionsrichtlinie und Stücklistenstruktur
Spezifikationen von Schlüsselkomponenten und Langlaufteilen

Randbedingungen/Bemerkungen:
AAF-Vorschriften und Werksnormen, Landessprache (Schwäbisch), AAF-Lastenheft,
Fertigungsphilosophie und –Standards von AAF
Dokumente und Unterlagen zum Arbeitspaket (Anlagen):
AAF-Vorschriften und Werksnormen, AAF-Lastenheft, Greifer-, Spann-, und Fügekonzept,
Bauteildatensätze, Zellen-Layout
Freigabe:
30.1. 30.1.
Projektleiter: AP-Verantwortliche(r ):

Wie bei allen Unterlagen im Projektmanagement gilt auch hier: wenn im Unternehmen
für die Fahrzeugprojekte bestimmte Standard-Arbeitspakete und Vorlagen definiert
wurden, so müssen diese nur noch projektspezifisch angepasst und ergänzt werden.
Das gilt natürlich auch für den Terminplan, der dann im nächsten Schritt erstellt wird.

117
Management einzelner Automotive-Projekte („Single-PM“)
2
2.5.5 Terminplan
Die Terminplanung dient dazu, den Projektfortschritt transparent und überprüfbar zu
machen. Es werden kritische Pfade, miteinander kollidierende Vorgänge und zeitliche
Puffer sichtbar. Auswirkungen von Planabweichungen auf den Endtermin können
frühzeitig erkannt und Korrekturmaßnahmen eingeleitet werden.

Eine aktuelle Terminplanung ist die Voraussetzung für die Kapazitätsplanung. Aus
diesem Grund sollte eine grobe Terminplanung bereits in der Angebotsphase einset-
zen, um Wechselwirkungen mit laufenden Aufträgen schon frühzeitig zu erkennen.
Unter Terminplanung versteht man die auf der Projektstruktur basierende, projekt-
spezifische Planung von:

 Abfolge, Dauer und Abhängigkeiten der Arbeitspakete und Vorgänge bzw. intern
oder extern zu erbringende Leistungen

 Arbeitspaket-Code und Arbeitspaket-Verantwortliche(r)