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edes Wochenende das gleiche Bild: mit sich selbst strenge Verhaftung in der protestanti-
Schlapp und müde hängen Sie in den • Ungenügende Bewältigungs- schen Ethik auswirken, indem Lebens-
Seilen. Zwei Tage Freizeit mit nur strategien bei Überforderungen sinn und Daseinsberechtigung über-
wenig Aktivitäten reichen gerade aus, im Beruf, in der Freizeit oder in wiegend von der Arbeit bestimmt wer-
um wieder Kraft für die nächste Arbeits- der Partnerschaft. den.
woche zu tanken. Eine Situation, die fast Als Beispiel dafür kann die rasante
jeder von uns schon erlebt hat — viele Die Massenmedien gaukeln schein- Ausbreitung von Funktelefonen ange-
auch öfter. Wenn dieses Gefühl der Mü- bar nachahmenswerte Verhaltensmu- führt werden. Sie weist manchmal auf
digkeit und Kraftlosigkeit für Ihren Le- ster und Rollenklischees als Idealbilder das versteckte Bedürfnis des Besitzers
bensalltag kennzeichnend ist, dann vor: die aufopferungsvolle Hausfrau hin, seine eigene Bedeutung symbo-
kann man von den typischen Sympto- und Mutter mit überzogenem Sauber- lisch nach außen zu demonstrieren:
men des sogenannten Burnouts spre- keitsmaßstab, die erfolgsverwöhnte Man ist allzeit bereit und immer erreich-
chen. Karrierefrau, die sich selbst 150 Prozent bar: Eine Einstellung, die den Weg in
Der Begriff Burnout trat erstmals in Leistung abverlangt oder der ehrgeizige den Burnoutprozeß beschleunigt. Zu-
den 30er Jahren im Zusammenhang mit Manager, der regelmäßig Arbeit mit weilen kann auch eine starke Diskre-
Überlastungsphänomenen bei Profi- nach Hause nimmt. panz zwischen Fremd- und Selbstbild
sportlern und Künstlern auf. Heute be- Das kann zu tragischen Fällen führen der Grund für die Flucht vor sich selbst
schreibt er aufopferungsvolle, pflicht- wie der Fall des engagierten Notarztes, sein. Die Illusion der eigenen Grandio-
bewußte und engagierte Personen, die der übermüdet im Einsatz selbst einen sität muß um jeden Preis aufrechterhal-
sich geistig und körperlich erschöpfen Unfall verursacht, oder der für seine ten werden, um nicht zu erkennen, daß
und deren Persönlichkeit sich in der Fol- Schäfchen immer Zeit habende Pastor, man nur ein winziges Rädchen im Ge-
ge davon nachhaltig verändert. der andere Ehen meisterlich kittet, des- triebe der Welt ist. Diese Erfahrung kann
sen eigene aber zerbricht. direkt zum psychischen Zusammen-
W e r i s t b e s o n d e r s g e f ä h r- Regelmäßig fordern über 800 Zeit- bruch führen, statt dessen wird das
det? schriften — mit entsprechenden modi- Durchleiden eines möglichen Burnout-
Forschungsarbeiten offenbaren, daß die schen Vorbildern — vor allem von Frau- prozesses in Kauf genommen.
Hauptgruppen von Burnoutbetroffenen en, ewig jung, schlank und erfolgreich
aus Helferberufen (40%), Lehrern (30%) zu sein. Für manche Männer gilt auch Die zweite Ursache für Burnout liegt
und Mitarbeitern in der Verwaltung heute noch das gesellschaftliche Ideal, in der Angst vor der Auseinanderset-
(10%) bestehen. Man findet aber auch jeden Samstag das Auto zu waschen zung mit sich selbst . Sie zeigt sich bei-
Anwälte, Polizisten, Manager und Se- und den Rasen auf Wimbledon-Höhe spielsweise in einer Flucht in die Arbeit
kretärinnen darunter. Letztlich ist kein zu halten. Die Familie bleibt dabei oft (workaholics) oder durch exzessiven
Berufsfeld und keine Person davor ge- auf der Strecke. Konsum der Freizeitdrogen Radio, Fern-
feit. Der Glaube, daß sich der Wert als sehen, Kino. Jede Möglichkeit, mit sich
Drei Grundursachen können unter- Mensch alleine aus Besitz und Leistung in Kontakt zu kommen, wird sorgfältig
schieden werden, die zu einem Burnout ergeben, führt in einen Teufelskreis. vermieden — die Leichen bleiben im
führen: Wie ein Hamster im Laufrad gefangen, Keller. Aufkommende Sehnsucht nach
• Übernahme von Erwartungen mit starrem Blick auf perfekte Ergebnis- intensivem Erleben wird zunehmend
seitens der Eltern, der Gesell- se fixiert, strampelt man zielstrebig dem durch extremes Freizeitverhalten (Bun-
schaft oder des Berufsalltags Burnout entgegen. gee-Springen, Free-Climbing,
• Angst vor Auseinandersetzung Ungünstig kann sich auch eine allzu ohrenbetäubende Musik, Abenteuerur-
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stende Gedanken, die ständig an der En-
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ergie zehren, zum Burnout führen kön-
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Eine Reduktion der Gedankenflut
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Lebenssinn
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kann auf verschiedenen Wegen erfol-
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gen:
Identität
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• die pessimistische Grundhal-
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tung erkennen und Lebenssitua- Glaubenssystem
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tionen aus verschiedenen Blick-
Wissen
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winkeln betrachten lernen
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• Lösungswege suchen, finden Verhalten
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und danach handeln
Umfeld
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• delegierbare Aufgaben abgeben
• Strategien für Notfälle ent- Achtsamkeit
wickeln
• Unwichtiges auf Eis legen
scheiden?“ Denn unklare Lebenskon- — bisher habe ich s ja auch immer
• sich eine begrenzte Sorgenzeit
zepte erzeugen Konfusion. Prüfen Sie geschafft.
einrichten, in der man bewußt
Ihre Entscheidungen, ob sie Ihrem eige-
den Sorgen nachgeht; ansonsten
nen Wunsch entsprechen, oder ob Auf- Achten Sie auf die Wirkung dieser in
sind Sorgen tabu
träge der Eltern bzw. ein gesellschaftli- die Überforderung treibenden Stim-
• sich ausmalen, was im schlimm-
ches Muß dahinterstecken. men. Sie haben es dann leichter, mutig
sten Fall passieren könnte und
Fassen Sie wieder Mut, eigene Wert- Aufgaben delegieren und einem ande-
sich darauf vorbereiten; die stän-
vorstellungen zu empfinden und mögli- ren eine Chance zu geben.
digen Befürchtungen sind damit
che Freiheitsspielräume zurückzuer- Sich vorbehaltlos mit allen Stärken
aufgehoben
obern. und Schwächen zu akzeptieren, ohne
• soziales Netzwerk aufbauen,
Wenn Ihnen das Argument „habe sich ständig aufgrund eines Perfektions-
das auffängt und unterstützt.
keine Zeit“ in den Sinn kommt, emp- zwangs unter Druck zu setzen, ist ein
fiehlt es sich als erstes, auf den Informa- wesentlicher Einflußfaktor. Auf dem
Äußere Kommunikation:
tionskonsum zu achten und ihn gegebe- Weg zum eigenen Potential sollte auch
Schließlich trägt die Verbesserung der
nenfalls zu reduzieren. ein überzogener Narzißmus auf ein ge-
Kommunikation nach außen zur Linde-
Die Frage nach der eigenen Identität sundes Maß zurückgeschraubt werden.
rung und Vorbeugung von Burnout bei.
ist eng damit verknüpft: Einstellungen und
Hilfreich sind beispielsweise Rhethorik-
„Wer bin ich?“ und „wohin will ich Glaubenssysteme, die sich von Kindheit
kurse, Kommunikationstraining und
langfristig?“ sind in diesem Zusammen- an aufgebaut und fest in unser Bewußt-
Selbsterfahrungsgruppen.
hang entscheidende Fragen. Seminare, sein eingeprägt haben, blockieren oft
Die graphische Darstellung (vgl.
bei denen es um das klare Setzen von jeden Versuch, aus dem selbstgebauten
Dilts: Logische Ebenen) bietet eine
Zielen und um die Suche nach Visionen Gefängnis auszubrechen. Mit der Ein-
ganzheitliche Sichtweise für Lösungs-
geht und in denen man sich Zeit zum stellung „weil mir zu diesem Zeitpunkt
ansätze. Je höher die Ebene, auf der die
Reflektieren nimmt, können wertvolle dieses und jenes passierte, bin ich nun
Intervention ansetzt, desto stärker die
Impulse bringen. so und kann nichts ändern“, nimmt man
Wirkung.
Hüten Sie sich vor der „Besser-ich- sich alle Kraft für neue Möglichkeiten.
mach s-selbst-Falle“. Selbst tiefverwurzelte Überzeugun-
Lebensphilosophie und Le- Da sie außer dem überhöhten Ar- gen, die sich in gern benutzten Sprich-
benssinn beitsaufwand und dem dabei erzeugten wörtern und Redewendungen aus-
Rollenübernahme, Erwartungs- und falschen Selbstbild viele Vorteile hat, ist drücken („Schuster bleib bei Deinen
Leistungsdruck können mit der Frage es nicht leicht, dieser Falle zu entrinnen: Leisten; wer rastet, der rostet“), geben
„Was ist wichtig für mich?“, „Was versu- — dann bin ich wenigstens mit da- Hinweise auf einschränkende Glau-
che ich zu vermeiden?“ angegangen bei und kann mitreden benssysteme.
werden. „Wo will ich in meinem Leben — dann wird es auch ordentlich er- Ein Weg, diese Blockaden zu lösen,
bewußt Prioritäten setzen und mich für ledigt liegt darin, entweder die Prägungssitua-
meinen individuellen Lebensweg ent- — keiner kniet sich so rein wie ich tion aufzufinden und mit kreativen Lö-
sungen noch einmal zu durchleben wahrscheinlicher macht. xis umgesetzt werden. Seine Arbeit
oder sich häufiger an erfolgreich gelöste Erfolgreiches Handeln motiviert und macht ihm wieder Spaß, er ist effektiver
Situationen in der Vergangenheit zu er- katapultiert Sie automatisch auf eine in seinen Unternehmungen und ge-
innern. wirkungsvollere Denk- und Verhaltens- winnt damit mehr freie Zeit.
Im Buch von Cora Besser-Siegmund schiene. Schließlich kann der Burnoutprozeß
mit dem Titel „Du mußt nicht so blei- Aus dem Burnout-Teufelskreis ent- über mehr Wissen günstig beeinflußt
ben, wie du bist“ finden Sie dazu prakti- wickelt sich eine spiralförmige Distan- werden, wobei zuviel des Guten auch
sche Anleitungen. Statt sich ständig in zierungsbewegung zu einer besseren notwendige Aktionen verhindern kann:
den Sumpf der alten Enttäuschungen zu Qualität. Aggression und Wut können Bücher, Zeitschriften, Fortbildungen,
verkriechen, werden kreative Ideen und den Brennstoff für diese Wende nach Zeitmanagement, Know-how über Un-
Energien freigesetzt. außen liefern, statt sie gegen sich selbst ternehmensphilosophie und Möglich-
Ohne persönliche Aktion keine Än- negativ wirken zu lassen. keiten der Streßbewältigung sind nur ei-
derung. Daher sind auf der nächsten So hat z.B. ein Rechtsanwalt auf- nige interessante Ideen. Sie fallen aber
Ebene Handlungen gefordert: An erster grund seiner Kenntnisse über den Burn- nur auf fruchtbaren Boden, wenn die
Stelle steht die Reduktion von Drogen outverlauf seine Kanzlei wie folgt umor- damit verbundene Lebensphilosophie
aller Art (Alkohol, Tabletten, Kaffee, Ni- ganisiert: dazu paßt. Ein Mensch, der beispiels-
kotin, TV, Bücher, Dauertelefonate, Be- Übergabe von kleineren Aufträgen weise unbeirrt daran festhält, niemals
ziehungssucht etc.), die Klarheit verhin- an einen Junior-Partner, Fortbildung für ein guter Redner zu werden, wird eine
dern. Überzeugende Lösungsversuche Mitarbeiter, Anschaffung neuer Com- Vielzahl von Rhethorikkursen ohne
mit konkreten Schritten aus dem Burn- puter und das absolute Freihalten des spürbaren Erfolg besuchen.
out sind gefragt. Hilfreich sind das Set- Samstagnachmittags und Sonntags für Auf der untersten Ebene steht der
zen von Prioritäten und Dringlichkeit, die Familie. Alle diese Entscheidungen Einflußbereich Umfeld, der von Burn-
da ständiges Hinausschieben von erfor- konnten innerhalb von kürzester Zeit outbetroffenen gerne übersehen wird:
derlichen Aktionen ihr Scheitern immer beschlossen und erfolgreich in die Pra- Die Möglichkeiten reichen vom
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externe Unterstützung signalisierte, die Auch zahlreiche Bücher, die in den
aber von den Mitarbeitern aufgrund von letzten Jahren zum Thema erschienen
Zeitdruck nicht diskutiert und beschlos- sind, können Anregungen geben.
sen wird. Erst massive Verdeutlichung
der Folgen durch eine Beratung führte Zum Schluß eine neue Ver-
zu regelmäßigen Teamsitzungen und sion eines Märchens, das
Abgabe von schwierigen Übersetzun- wieder Mut machen soll:
gen und Schreibarbeiten außer Haus. Nach vielen Jahren des Schlafes wacht
Selbstverständlich müssen organisa- Dornröschen auf, aber es ist niemand
torische Maßnahmen auch von Einstel-
Ein neues Syndrom hat
gekommen, um sie zu erlösen. So
lungsänderungen begleitet sein; sonst das Licht der Welt erblickt
schläft sie weiter. Jahre vergehen und
fällt der Betroffene wieder auf seiner Su- sie wacht wieder auf. Sie schaut nach und wird sich wahrschein-
che nach Perfektion und Unersetzlich- links, nach rechts, nach oben, nach un- lich schnell einen angesehe-
keit ins alte Überforderungsmuster. ten, aber wiederum ist niemand da, we- nen Platz im allgemeinen
der ein Prinz noch ein Gärtner. Und sie Sprachraum erobern.
In Familien mit Kindern sind folgen- schläft weiter. Schließlich wacht sie Gleichzeitig wird wahr-
de Anregungen hilfreich: zum dritten Mal auf. Sie öffnet ihre schö- scheinlich der Bedarf an
• regelmäßige Gespräche, um nen Augen und sieht wiederum nie- entsprechender Beratung
kein Thema zu tabuisieren manden. Da sagt sie zu sich selbst: „Jetzt stark zunehmen. Der Arti-
• leichte Aufgaben an Kinder dele- reicht s!“ Sie stand auf und war erlöst. kel von Dr. Elmar Hatzel-
gieren
mann bietet eine feinsinnige
• Verantwortungsbereiche ge- Literaturhinweise:
— Barth, A.-R.: Burnout bei Lehrern. Hogre-
Schilderung von Ursachen,
meinsam besprechen und über-
fe, Göttingen 1991. Phänomenen und Therapi-
tragen
— Besser-Siegmund, C.: Du mußt nicht so en des Burnout-Syndroms.
• Überfürsorge einschränken
bleiben, wie Du bist. Econ, Düsseldorf 1993.
• die übertragenen Wertvorstel- Vor allem die philosophi-
— Bronsberg, B. & Vestlund, N.: Ausge-
lungen und Glaubenssysteme brannt — die egoistische Aufopferung. Heyne, sche und kulturkritische
wahrnehmen und überdenken. München 1989. Betrachtung dieses Phäno-
— Burisch, M: Das Burnout-Syndrom. Sprin- mens erscheint mir sowohl
ger, Berlin 1989.
für das Verständnis als
— Dilts, R.: Identität, Glaubenssysteme und
Gesundheit. Junfermann, Paderborn 1992. auch für eine wirksame Be-
— Dowling, C.: Perfekte Frauen. Fischer, ratung notwendig zu sein.
Frankfurt 1989. Bitte schreiben Sie uns,
— Enzmann, D. & Kleiber, D.: Hefer-Leiden:
wenn das Thema – vor al-
Streß und Burnout in psychosozialen Berufen.
Asanger, Heidelberg 1989. lem im medizinischen Be-
— Freudenberger, H. & North, G.: Burn-out reich – Ihr Interesse findet.
bei Frauen. Krüger, Frankfurt 1992. Dr. med. Bernd Dyckhoff
— Hunt, D. & Hait, P.: Das Tao der Zeit.