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Im Goldenen Hecht.

Über Konstruktivismus und Geschichte


Ein Gespräch zwischen Heinz von Foerster, Albert Müller und Karl H. Müller *

Heinz von Foerster: Sie kommen mit Fra- HvF: Ihre Behauptung ist, Geschichte ba-
gen, oder wie ist das. Oder machen wir siert auf Objektivität?
ein Gespräch? AM: Geschichtswissenschaft ist eine der
Albert Müller: Das wird sich ergeben. Disziplinen, die noch an Objektivität
HvF: Das wird sich ergeben, gut. So, also glauben.
ich bin bereit. HvF: Na was, ist das wirklich so?
AM: Wir haben uns überlegt, wir fangen AM: Ja.
so an: Geschichte ist neben der Soziolo- HvF: Hat sich das entwickelt oder hat man
gie das letzte Fach, in dem Objektivität das schon immer geglaubt?
noch eine Rolle spielt, ja geradezu etwas AM: Es gibt da schon eine antike Tra-
besonders Wichtiges ist. Wir hoffen aller- dition, in der Objektivität als Ausgleich
dings, daß dies nach unserem Gespräch von Parteilichkeit erscheint. Im Hinblick
nicht mehr so sein wird. auf die moderne wissenschaftliche Ge-
schichtsschreibung war es im wesentlichen
Ranke, der dieses Interesse an Objekti-

vität auf den Punkt brachte, indem er
Heinz v. Foerster ist Professor emeritus der
sagte, er wolle zeigen wie es eigentlich
University of Illinois und Gründer und ehe- ”
gewesen“.
maliger Leiter des Biological Computer La-
boratory, Urbana. Wichtige Veröffentlichun- HvF: Wie es eigentlich gewesen ist, ja.
gen: Das Gedächtnis. Eine quantenmecha- AM: Die Frage, die sich nun im Lich-
nische Untersuchung, Wien 1948; Cyberne- te neuerer Debatten und gerade auch Ih-
tics of Cybernetics, 1974, 2. Aufl., Minneapo- rer Beiträge dazu stellt, lautet: Entspricht
lis 1995; Oberserving Systems, Seaside 1982; dieser berühmte Halbsatz nicht geradezu
Sicht und Einsicht. Versuch einer operati- einem Jahrhundertirrtum?
ven Erkenntnistheorie, Braunschweig 1985;
HvF: Ich bin einmal, das paßt vielleicht zu
KybernEthik, Berlin 1993; Wissen und Ge-
wissen. Versuch einer Brücke, Frankfurt am
diesem Thema, eingeladen worden, in ei-
Main 1993. Albert Müller arbeitet am Lud- ner Journalistenschule zu sprechen. Und
wig Boltzmann-Institut für Historische Sozi- dort stand das Credo dieser Schule einge-
alwissenschaft, Wien, Karl H. Müller am In- meißelt über dem Eingangstor: Sage es,

stitut für Höhere Studien, Wien. Das Ge- wie es ist!“ Ich bin dort hingekommen,
spräch fand im März 1996 in Heidelberg statt.

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habe das gelesen und habe dann behaup- muß der Beobachter alle seine persönli-
tet: Es ist, wie ihr es sagt!“ Also müßt chen Eigenschaften abstreifen und muß

ihr auch sehr aufpassen mit dem, was ihr ganz objektiv – locus observandi! – sehen,
da erzählt. Denn das einzige, was wir ha- wie es ist. Und diese Annahme enthält
ben, ist das, was gesagt ist. Wie es war, schon fürchterliche Fehler. Denn wenn der
ist für immer gegangen. Nicht wiederhol- Beobachter alle seine Eigenschaften ab-
bar. Nicht rekonstruierbar. Es ist gegan- streift, nämlich die Sprache – Griechisch,
gen. So ist die einzige Methode, wie wir Lateinisch, Türkisch, was immer –, wenn
glauben können, wie und was gewesen ist, er seine kulturellen Brillen weglegt und
es zu sagen. Es ist, wie du es sagst, und damit blind und stumm ist, dann kann
nicht: sage es, wie es ist. Denn wenn man er ja nicht ein Beobachter sein, und er
hören würde, wie die Leute sagen, wie es kann auch überhaupt nichts erzählen. Die
ist und wie es war, ist fast jede Aussage Voraussetzungen seines Erzählens sind
eine andere. Sie geht durch den Sprachfil- weggenommen. Auf den locus observan-
ter, sie geht durch den Perzeptionsfilter, di hinaufzusteigen, heißt: Lege alle deine
sie geht durch den Kulturfilter. Alle die- persönlichen Eigenschaften ab, inklusive
se Filter formulieren dann das, was einer des Sehens, inklusive des Sprechens, in-
glaubt, oder weiß, was einer gesehen hat. klusive der Kultur, inklusive der Kinder-
Nicht glaubt, sondern weiß! Das kann ich stube, und jetzt berichte uns etwas. Na,
sagen dazu, wie es ist und wie es war. was soll der berichten? Das kann der ja
AM: Wenn nur das ist, was man sagt, nicht.
dann ist ein Historiker oder ein Journa- Also wenn man Objektivität und Sub-
list ein Sprecher. Von mir aus sogar ein jektivität in die Diskussion wirft, hat man
kompetenter Sprecher in diesem Choms- die Diskussion im Grunde schon untermi-
ky’schen Sinn ... niert und zerstört. Könnte man nicht die-
HvF: ... ja ... se Dichotomie Objektivität vs. Subjekti-
AM: ... weil er ja über diese Ressource vität weglassen und überhaupt nie diese
Sprache verfügt. Er ist allerdings – gewis- Kategorien erscheinen lassen.
sermaßen ist das eine Voraussetzung –, Manchmal taucht die Frage auf: Sagen
nicht nur Sprecher, sondern er ist auch sie, sie sprechen doch von Fakten, ja? Von
Beobachter. facts, von Fakten. Und ich sage dann, wo-
HvF: Wenn er etwas erzählt, dann muß her kommt das Wort? Von facere, von
er etwas beobachtet haben, oder er kann Machen. Ein Faktum ist also eine gemach-
auch bloß glauben, daß er etwas beob- te Affaire, eine erfundene Affaire. Und
achtet hat. Die ganze Idee der Objekti- was ist dann der Unterschied zu Fiktion?
vität halte ich für einen stumbling-block, Das kommt von fingere, das heißt ja auch
eine Fußfalle, einen semantischen Trick, aufbauen, konstruieren. Was ist nun der
um die Sprecher und die Hörer und die Unterschied zwischen einer Fiktion und
gesamte Diskussion zu verwirren, von An- einem Faktum? Wenn ich von einem Fak-
fang an. Denn die Objektivität verlangt tum berichte, bin ich eingeladen, es zu be-
ja, soweit ich die Helmholtzsche Formulie- zweifeln. Wenn ich aber von einer Fikti-
rung verstehe, den locus observandi. Dort on spreche: Der Zweifel taucht nie auf. Es

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wird doch niemand fragen, hat der Faust AM: Ja. Wie kann ich diese Dynamik jetzt
wirklich gesagt: Habe nun, ach, durchaus aber sehen?

studiert“ etc., hat er vielleicht was ande- HvF: Indem dem Geschichtsprofessor,
res gesagt. Das bezweifelt niemand, son- dem Geschichtelehrer, dem Historiker un-
dern so war es. Faust hat gesagt: Habe unterbrochen Hölzer zwischen die Beine

nun, ach, durchaus studiert“ etc. Wenn geworfen werden. Indem ich sage: So war
aber nun jemand sagt, der Faust hat in es ja gar nicht, denn ich habe ... Und jetzt
der Sowieso-Gasse in Frankfurt gewohnt, kommt ein Gegenspiel, und der andere
dann sagt ein anderer: Paß mal auf, wis- kann dann sagen: Aber so war es ja auch
sen sie das wirklich, wo der gewohnt hat? nicht. Und indem jetzt etwas abrollt, eine
Sie haben zwar die Dokumente studiert, Diskussion, wird Geschichte eine Diskus-
aber ich habe ein anderes Dokument! sion zwischen Menschen, die Geschichte
Jetzt darf ich Ihrer Frage gleich vor- in verschiedener Weise sehen wollen.
greifen: Ist die Geschichte nun fact oder
fiction? Sie ist fiction, Fiktion. Deswegen
lese ich sie gerne. Ich will sie ja gar nicht
bezweifeln. (lacht)
AM: Dann hätten wir es hier ja mit einem
Scheinproblem zu tun.
HvF: Wo sehen Sie das Scheinproblem?
AM: Wenn wir die Geschichte von vorn-
herein auf die Fiktionsebene verlagern,
brauchen wir nach Beobachterproblemen
nicht mehr lange zu fragen.
HvF: Wenn wir das tun, dann ist es doch
kein Problem, auch kein Scheinproblem,
dann ist es kein Problem. Aber gut, jetzt
steige ich von meinem Fiktionspostulat
herunter, und jetzt sage ich, wollen wir
die Geschichte als Faktum bezeichnen. Ist
das okay, wenn wir das jetzt tun?
AM: Probieren wir’s.
HvF: Angenommen, es sind Fakten. Was
der Historiker sagt, ist eine Akkumulati-
Heinz von Foerster an seinem 85. Geburtstag
on von Fakten. Dann werde ich ständig im Wittgensteinhaus, Wien.
eingeladen, sie zu bezweifeln. Das heißt,
die Geschichte ist ununterbrochen in einer AM: Sie haben irgendwo geschrieben:
evolutionären Entwicklung. Die Geschich- Das Problem waren nicht die Dinge, es

te rollt und ist verschieden, verschieden, war Sehen.“
verschieden und verschieden. Dann ist die HvF: Ja, genau.
Geschichte etwas Dynamisches. AM: Aber das heißt auch, das Sehen war

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ein Problem, zu sehen ist demnach pro- den natürlich auch ein Ausgleich geschaf-
blematisch. fen wird. Am Ende der wunderbaren Ge-
HvF: Natürlich. Es ist aber nicht nur das schichte, wie der Hamlet eigentlich sein
Sehen, es ist auch das Erzählen. Geschich- sollte, entsteht eine Spannung, die für den
te ist doch story-telling, Erzählen, Spre- Leser dieser Tripel-Geschichte vom Ham-
chen. Und es gibt ja ganze Kulturen, let einfach faszinierend ist.
wo ununterbrochen verlangt wird, daß je- Karl H. Müller: Dieses Geschichte als

mand die Geschichten erzählt. In afrika- story-telling ist ja etwas, das das Selbst-
nischen Stämmen gibt’s einen Menschen, verständnis vieler Historiker nicht treffen
der ist der Erzähler, von dem verlangt würde. Die sagen, wir sind ja keine Ge-
man, daß er erzählen soll. Mir fällt gerade schichtenerzähler, sondern wir sind ern-
ein: Da gab es eine junge Anthropologin, ste Wissenschaftler. Sie sagen: Wir ma-
die war bei irgendeinem Stamm – waren chen zum Beispiel Wirtschaftsgeschichte,
es die Ibos oder die Ibibos, das weiß ich wir untersuchen zum Beispiel lange Wirt-
jetzt nicht –, um die Erzähler zu studie- schaftszyklen, und wir versuchen, diese zu
ren. Sie hat diese Geschichten notiert und verstehen, und wir bemühen uns, sozial-
aufgeschrieben und wollte eine Disserta- wissenschaftlich zu sein etc. Was würdest
tion über professionelle Erzähler schrei- Du nun denen sagen?
ben. Das haben die gewußt, und irgend- HvF: Denen würde ich sagen: Auch ihr
wann haben sie gesagt: Paß mal auf, du erzählt mir doch eine Geschichte! Das und
sitzt hier und hörst dir unsere Erzählun- das ist passiert, und ihr wollt das in diese
gen alle an, jetzt erzähl du uns doch ein- oder jene Theorie hineinbauen, ihr nehmt
mal was. Gib uns deine Geschichte. Ja, diese und jene Modelle. Aber gerade die
sagt sie, das kann ich gerne machen, und Idee eines Modells gehört ja schon zu ei-
sie erzählt die Geschichte von Hamlet. Sie nem kontextuellen Apparat, an den ich
fängt also an, die Hamlet-Geschichte zu meine Geschichte anhängen kann. Wenn
erzählen und erzählt, wie der Geist des ich, wie Du sagst, das Wort Zyklus neh-
Vaters erscheint. Und da sagen die Fach- me, bin ich schon gefangen von der Not-
leute dieses Stammes: Halt! Das ist kei- wendigkeit, in Zyklen zu denken. Sobald
ne gute Geschichte. Nein, nein, nein, so ich Zyklen denken kann, erzähle ich mei-
kannst du gar nicht anfangen. Also die ne Geschichte in Zyklen. Also, wenn Zy-
Sache mit dem Geist, die wollen wir gar klus nicht vorhanden ist, muß ich die Ge-
nicht nehmen. Wenn du schon einen Geist schichte ja als etwas anderes auffassen. Es
hast, dann muß er viel später kommen, sieht nur so aus, bei der theoretischen Be-
doch nicht gleich am Anfang. Und das ist handlung. Es gibt ja keine Fundamental-
so weiter gegangen. Ununterbrochen ha- gesetze der Geschichte, sowas wie Gravi-
ben ihr diese Leute erklärt, wie der Ham- tation, Anziehung/Abstoßung etc. Diese
let eigentlich erzählt werden müßte, wenn Sachen haben wir ja nicht. Was passiert,
er in ihrer Kultur erzählt werden würde. wenn nun die Zyklen auftauchen: Es ist

Das alles fand ich als ein gutes Beispiel für eine geschichtliche Tatsache, daß sich die
Geschichte als dynamischer Dialog zwi- Sachen wiederholen...“ Ich sage, die Ge-
schen verschiedenen Perspektiven, durch schichte wiederholt sich nie, nur die Hi-

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storiker wiederholen sich. Es kommt dar- talgesetze, die den Kepler erklären mit ei-
auf an, wie man das anschaut. Nie wieder- nem Gravitationsgesetz? Wüßtest Du et-
holt sich die Geschichte, es ist unmöglich. was, das die Historiker, die mit Zyklen ar-
Es kann nicht wiederkommen, was einmal beiten, sagen läßt, Zyklen müssen deswe-
da war. Es ist ausgeschlossen. Anyway. gen entstehen, weil ... Und danach kommt
KHM: Wenn man das nun weiter zuspitzt, ein Gesetz, nach dem sich menschliches
und wenn wir beim Beispiel dieser langen Verhalten so entwickeln muß, daß es aus
Zyklen bleiben: Da gibt es eine Denkschu- irgendwelchen Gründen, die ich jetzt ein-
le, die behauptet, es gibt ca. 50jährige mal als mystisch bezeichne, weil ich hier
Wellen, die wir in den letzten 200 Jahren ja kein r 2 habe, wieder in den ursprüng-
beobachten können, eine zweite Gruppe lichen Zustand zurückkommt?
bestreitet ihre Existenz. Eine dritte Posi- KHM: Eine nicht-mystische Erzählung
tion sagt, es gibt so etwas wie lange Zy- wäre zum Beispiel die über Innovatio-
klen, nur das, was normalerweise als Pro- nen und Imitationsverhalten. Wir haben
sperität bezeichnet wird, ist eine Depres- zum Beispiel viele Firmen, die selbständig
sion und umgekehrt. Gehört das jetzt zu agieren, und ich habe irgendwo in diesem
einem Bereich, der entscheidbar ist, oder Bereich eine Innovation, die sich als sehr
sind das unentscheidbare Fragen? profitabel herausstellt.
HvF: Unentscheidbar, völlig unentscheid- HvF: Ja.
bar. Und deswegen haben diese Leute die KHM: Dann ist es – ohne mystisch zu
Freiheit, das alles zu erfinden. Zu den Zy- werden – eine angemessene Beschreibung,
klen sage ich noch etwas: Diese Situati- wenn man sagt, daß diese Innovation imi-
on ist vielleicht die Kepler-Situation. Dem tiert wird.
Kepler ist es gelungen zu zeigen, daß die HvF: Ja.
Planetenbahnen Ellipsen sind, sie haben KHM: Wenn diese Innovationen nun sehr
eine Kegelschnittform. Das ist eine Ki- große Innovationen sind, wie zum Beispiel
nematik. Kepler sieht das, aber er kann die Eisenbahn oder Flugzeuge, dann ge-
nicht sagen, warum, was steckt dahinter. ben sie eine Art Rhythmus vor. Dann gibt
Da kommt der Newton und sagt: 1/r 2 . es zum Beispiel 20 Jahre, in denen Schie-
Da, plötzlich, wird aus einer Beobachtung nen gelegt werden müssen. Dann sind die
ein Gesetz. Zuerst haben wir eine Be- Eisenbahnen da, es gibt eine Expansi-
schreibung: Die Planeten bewegen sich so on, die aber irgendwann an ihre Grenzen
und so, und ein anderer sagt, sie müssen stößt.
es tun, weil: 1/r 2 , weil die Anziehungs- HvF: Geht man dann auf Flugzeuge über?
kraft schwindet mit dem Quadrat der Ist das Flugzeug eine Imitation oder eine
Entfernung. In der Geschichte ist die Be- Wiederholung der Geschichte?
hauptung von Zyklen wahrscheinlich ei- KHM: Nein, nein. Es gibt dieses histo-
ne Keplersche Beobachtung. Die Histori- risch einmalige Phänomen der Eisenbahn.
ker geben uns kein Naturgesetz, kein Ge- Aber es gibt darüber hinaus so etwas wie
schichtsgesetz, das die Geschichte zwingt, Basisinnovationen, die eine Wirtschaft
sich so und so zu verhalten. Das sage ich ganz zentral betreffen, ...
als Ignorant. Oder gibt es da Fundamen- HvF: ... ein einmaliges Ereignis ...

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KHM: ... und die immer wiederkehren. keine da ist. Professor X, das ist der Rück-
HvF: In welcher Form, wo kommt’s wie- kopplungsprofessor, kommt und sagt: Sie
der? sehen ja einfach nicht die Rückkopplung,
KHM: Nehmen wir die Eisenbahnen. die ich ja da drinnen sehe, und die ja da
HvF: Nehmen wir die Eisenbahnen. sein muß, weil ja die Eisenbahn die Che-
KHM: Über 20 Jahre haben sie sich sehr mie verbessert etc. etc. I concede. Wenn
kräftig ausgebreitet, dann schwächer, in er die Rückkopplung sehen kann, dann
50 Jahren treten dann in ganz anderen bin ich zufrieden, dann hat er ein Ge-
Bereichen, im elektrischen Bereich, im setz etabliert, dann hat er Newton ge-
chemischen Bereich, neue Produkte auf. spielt. Er sagt, okay, es ist nicht nur die
HvF: I see, in einem ganz anderen Bereich. Kinematik der Explosion, er gibt mir so-
KHM: Und jetzt haben wir wieder eine gar einen Grund, warum eine Innovation
Phase der schnellen Ausbreitung usf. in einem Gebiet rückkoppelnd, faszilitie-
AM: Die Folgen einer Innovation sind ver- rend, erleichternd, katalytisch für die Ex-
gleichbar. plosion einer anderen Innovation auftritt.
KHM: Natürlich sind es immer wieder hi- KHM: Noch einmal zu entscheidbar ver-
storisch einmalige Ereignisse, es gibt aber sus nicht-entscheidbar. Das ist ja auch
eine Ebene der Beschreibung: Basisinno- etwas, das Geschichte hat. Im 15. Jahr-
vation – Imitationsverhalten. Und dann hundert wäre 1/r 2 , nachdem es nicht in
kann ich behaupten, es kommt zu Inno- Sicht war, eine nicht-entscheidbare Fra-
vationszyklen. ge gewesen. Du hast das ja zugespitzt auf
HvF: Das verstehe ich jetzt. Wenn ich es die Frage, solange man Dir die Rückkopp-
aber wäre, der das beschreibt, würde ich lung nicht zeigt, solange ist sie eine mysti-
das nicht einen Zyklus nennen. Ich würde sche Sache. Wenn wir sie Dir aber zeigen
folgendes sagen: Wenn eine Innovation ir- könnten, würde das doch von einer un-
gendwo auftaucht, dann hat sie folgen- entscheidbaren Frage zu einer entscheid-
de Prozesse als mögliche Konsequenz und baren werden.
diese Prozesse sind: Explosion, Habituati- HvF: Ja natürlich, wenn Du den Rah-
on, Re-Habituation etc. etc. Wann das al- men für Entscheidbarkeit einmal etabliert
lerdings passiert, das hat keinen zeitlichen hast. Dieser Rahmen selbst ist aber eine
Zusammenhang. Wenn die eine Sache ex- unentscheidbare Sache. Die meisten glau-
plodiert, muß noch nicht die andere Sache ben, in der Mathematik habe ich ent-
explodieren. Das wären Prozesse, die Zy- scheidbare Fragen, da habe ich dieses
klen erzeugen können. Zyklen entstehen Problem, dann diesen Algorithmus, um
aber durch Rückkopplung. Es kommt eine das Problem zu lösen, also sind das al-
Sache, wird zurückgekoppelt, es kommt les entscheidbare Fragen. Wer hat ihnen
die nächste Sache, wird zurückgekoppelt, die Struktur der Mathematik gegeben?
es kommt die nächste Sache etc. Ich aber Was sind die Axiome, die ich doch frei
sehe in der Innovationsphänomenologie bin zu wählen? Denkt an die euklidische
die Rückkopplung nicht. Aber man könn- Geometrie. Lobatschewski hat gesagt: Ich
te sagen, Heinz, weil du die Rückkopp- erfinde jetzt eine nicht-euklidische Geo-
lung nicht siehst, das heißt ja nicht, daß metrie, denn die Struktur, die ich wähle,

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als solche ist frei. Wenn ich im euklidi- gen: Observing Systems. Man weiß nun
schen Raum bin, kann ich keine Gerade nicht, redet er von Beobachtetem oder ist
durch drei beliebige Punkte ziehen, son- es er, der beobachtet. Dieses Wortspiel
dern eben nur durch zwei. Aber wenn ich halte ich für besonders aufschlußreich im
nun eine nicht-euklidische Geometrie fin- Zusammenhang mit dem Problem der
de, dann kann ich das durchaus, dann Mehrdeutigkeit. Es verweist uns wieder
kann aus einer Geraden auch ein Kreis darauf, welche Bedeutung die Sprache für
werden etc. etc. Solange ich mich also eine Beschreibung hat, um einen Sachver-
um den Rahmen kümmere, bin ich un- halt, ob er nun paradox oder doppeldeu-
entscheidbar. Wenn ich aber den Rahmen tig oder mehrdeutig ist, wiederzugeben.
gewählt habe, dann läuft alles entscheid- Sachverhalte selbst sind ja in den mei-
bar ab. Doch sogar dann nicht immer: sten Fällen mehr- oder vieldeutig. Und
Denn die Rahmen können so sein, daß sie es sieht ja nur durch unsere Kombinati-
auch Lücken in ihrem Netz haben. Das on, unsere Kette von Worten so aus, als
ist die berühmte Geschichte mit Gödel: ob alles eindeutig wäre. Die Vieldeutig-
Russel und Whitehead haben ein Netz ge- keit sitzt dennoch immer drunter. Wenn
macht, von dem sie glaubten, es wäre voll- es mir gelänge, ununterbrochen vieldeutig
kommen undurchlässig. Und Gödel hat zu bleiben, dann wäre ich ganz glücklich.
gesagt, da ist ein Loch, da können die Fi- Aber leider bin ich dafür ein zu schlech-
sche durch. ter Sprecher. Aber ich wünschte mir, ich
KHM: Geschichte wäre aber doch rah- wäre so ein Sprecher, daß Vieldeutigkeit
menfähig in irgendeiner Form. und die Einladung zur Vieldeutigkeit er-
HvF: Ja, absolut. Das glaub ich schon. halten blieben. Ich würde gerne so spre-
AM: In Ihren Büchern, soweit ich sie ver- chen können, daß mein Zuhörer eingela-
standen habe, erscheint mir der Beobach- den wird, was ich sage, so und so und
ter als ein Souverän. so zu sehen. Daß der Reichtum des Sat-
HvF: Erscheint er so? Na gut, spielen wir zes wächst in dem Hörer, der ihn hört.
das einmal durch. Heute habe ich Ernst von Glasersfeld ge-
AM: Wir könnten nun die Frage nach der troffen, der auch hier in Heidelberg auf
Souveränität des Beobachters konfrontie- dieser Konferenz Die Schule neu erfin-

ren mit der Frage nach der Souveränität den“ ist. Ernst von Glasersfeld hat heu-
des Beobachteten. Wir könnten auch die te mehr und mehr betont, deutlicher und
Frage nach dem Risiko des Beobachters deutlicher gemacht: Du kannst als Lehrer
stellen. Orpheus, der sich umdreht, um sagen, was du willst, es ist der Schüler,
zu beobachten, muß allein bleiben. Die- der es verstehen soll, in irgend einer Wei-
se Doppel- oder Mehrdeutigkeit des Be- se. Ich habe ihm vor ein paar Monaten,
obachtens ist für mich etwas sehr interes- als er mich besuchte, folgendes gesagt.
santes, für mich hat das auch viel mit der Mein hermeneutisches Fundamentalprin-
Frage nach dem Beobachten in der Ge- zip ist: Der Hörer, nicht der Sprecher,

schichte zu tun. bestimmt die Bedeutung einer Aussage.“
HvF: Sehr interessant. Also, im Engli- Und er meinte: Um Himmels willen, das

schen kann ich mit einem Wortspiel sa- ist doch völliger Wahnsinn.“ Ich war still,

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ich streite nicht. Heute sagt er genau das- weniger über die Geschichte als über die
selbe (lacht). Historiker. Man könnte das nun genau
Ich möchte das noch einmal wiederho- nehmen und fragen: Was sagt denn das
len: Ich hätte gern eine Kunst des Spre- Produkt des Historikers im einzelnen über
chens, die dem Hörer viele Möglichkeiten ihn aus?
der Ausdeutung gibt. Und dann kann er HvF: Wenn jemand auf prinzipiell un-
mich immer fragen: Meinst Du das? Und entscheidbare Fragen eine Antwort gibt,
ich frage, ja, was meinst denn Du? dann sagt er mir immer nur etwas über
AM: Sie haben ja einmal die Schulen, und sich, statt über die Frage. Besonders gut
dazu zählen ja auch die Universitäten, als sieht man das, wenn man Leute fragt, wie
die großen Trivialisierungsmaschinen be- das Weltall entstanden sei, eine unent-
schrieben. Trivialisierungsmaschinen ha- scheidbare Frage. Jeder aber weiß, wie das
ben nun nicht die Absicht, Mehrdeutig- war. Jeder erzählt einem eine Geschichte,
keit zu erzielen, sondern Eindeutigkeit. das war doch so und so. Ich kann dann sa-
HvF: Ja, ganz genau. gen: Danke, ich weiß jetzt, wer du bist.“

AM: Auch ich habe schon im ersten Seme- Ich weiß jetzt, wer der Sprecher ist. Wenn
ster Geschichte gelernt, ich muß eindeuti- man das einmal grundsätzlich verstanden
ge Sätze formulieren. hat, kann man die Leute auch fragen: Wie
HvF: Ja genau. Mein Geschichteunterricht war das mit Alexander dem Großen? Und
im Gymnasium war wunderschön. Der die Antwort darauf sagt mir etwas über
Lehrer fragte uns: Was waren die Grie- den Historiker und nicht unbedingt über

chen für ein Volk?“ Ich weiß nicht, ob heu- Alexander den Großen, ich weiß, wie der
te jemand die Prüfung bestehen würde. Historiker die Geschichte sieht: Das war
Die Prüfung wurde nämlich bestanden, ein wüster Kerl, der hat alles umgebracht,
wenn man sagte: Ein heiteres Volk!“ Das der ist mit seiner Heerschar da runter ge-

war die Antwort auf die Frage: Was wa- zogen, war ein Bub mit zwanzig Jahren,

ren die Griechen für ein Volk?“ Da hat- blablabla, oder: ein unerhört weitsichtiger
te ich verstanden, was Geschichte ist: Ich Feldherr blablabla. In beiden Fällen weiß
mußte herausfinden, welche Antwort der ich etwas über den Historiker.
Lehrer erwartet, wenn er fragt, was die KHM: Was aber weiß ich genau über den
Griechen für ein Volk waren. Wenn ich Historiker? Nehmen wir den Ausbruch
gesagt hätte, ein gescheites, ein philoso- des Zweiten Weltkriegs als Beispiel. Ein
phisches, ein künstlerisches, das wäre al- Historiker konzentriert sich auf die Ak-
les falsch gewesen. Das war mein Unter- tivitäten in Berlin, beschäftigt sich mit
richt in der Geschichte, und so habe ich der Nazi-Elite und macht das personen-
verstanden, um was es sich bei der Ge- bezogen. Ein zweiter Historiker sagt, der
schichte handelt. Kriegsausbruch läßt sich aus einer Art Ei-
KHM: Ich möchte noch einmal zum Beob- gendynamik der forcierten Rüstungspro-
achterproblem zurückkommen. Da gibt es duktion seit 1933 erklären. Dann habe
den schönen Satz: Geschichte ist das, was ich einen dritten, vierten, fünften, sech-
Historiker tun. Das ist ausbaubar in die sten, siebenten Historiker, die mir alle ei-
Richtung: Das, was Historiker tun, sagt ne andere Erklärung anbieten. Was erfah-

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ren wir nun genau über diese Historiker, diert. Wenn man hier Theorien machen
wenn sie sich solcher unterschiedlicher Er- will, würde ich sowas anschauen.
klärungsansätze bedienen? KHM: Du glaubst also, es gibt so etwas
HvF: Alles, was die sagen. Ich bin mehr wie eine legitime Vielfalt an Interpreta-
vertraut mit der Vielfalt der Antworten tionen, so wie wir dieses Zimmer hier
zur Frage nach der Entstehung des Ersten aus verschiedenen Perspektiven anschau-
Weltkrieges. Das ist auch schon ein we- en könnten.
nig gefroren, nicht mehr so stark von po- HvF: Ich würde hier gern den Begriff
litischen Haltungen determiniert. Wenn der Komplementarität einführen. Kom-
wir uns das ansehen, ist es ganz unglaub- plementär zu irgendeiner offiziellen Versi-
lich, wie viele verschiedene Erklärungen on einer Geschichte über einen Kriegsaus-
für die Entstehung des Ersten Weltkriegs bruch kann ein Historiker kommen und
wir haben. Und wahrscheinlich sind al- diese Geschichte beispielsweise an den be-
le stichhaltig. Denn, zugrunde liegt eine teiligten Personen aufhängen. Ich gebe
Komplexität, die auf verschiedene Art be- ein Beispiel. Einer meiner Schwager ist an
leuchtet werden kann. Für meinen Va- Geschichte sehr interessiert. Wie ich mit
ter bestand die Ursache für den Krieg meinen Buben nach Amerika gekommen
darin, daß die Serben den Franz Ferdi- bin, haben die dort zunächst überhaupt
nand erschossen und nur darauf gewar- keinen Geschichtsunterricht bekommen,
tet hätten, bis die Habsburgermonarchie sie waren gerade so zehn, zwölf Jahre
zerfällt. Wenn ich einen Franzosen gefragt alt. Da sagte ich zu meinem Schwager:
hätte, hätte der gesagt, das alles ist pas- Würdest du den Geschichtsunterricht in
siert, weil Deutschland auf die Russen los- meinem Haus übernehmen, die Kinder
gehen wollte etc. etc. Tatsächlich hatten wachsen ja auf wie die Wilden! Und er
wir 1914 eine angespannte Atmosphäre in hat Geschichte dann rein vom Schlafzim-
Europa, in der eine kleine Ursache eine mer aus behandelt: Wer schläft mit wem,
große Wirkung zeitigen konnte. Nun ist wer hat uneheliche Kinder mit wem? Al-
die Geschichte mit Franz Ferdinand zwar so meine Kinder haben sich wahnsin-
keine ganz kleine Ursache, aber im Ver- nig gefreut, endlich hatte die Geschich-
gleich zur darauf einsetzenden plötzlichen te einen Sinn. Und ich dachte mir, das
Explosion ist sie nicht sehr bedeutsam. ist doch eine sehr schöne Methode, um
Die Chaostheorie könnte uns hier weiter- Geschichte zu lehren. Auch das ist eine
helfen. Es handelte sich um ein dynami- Form einer komplementären Geschichte.
sches System. Wenn in ihm eine kleine Ich selbst liebe die Geschichte, die sich an
Störung auftritt, dann: ZAPP, geht das Personen, an Menschen, orientiert. Meine
alles in eine andere Struktur über. Die In- persönliche Version der Wissenschaftsge-
stabilität von Systemen, die durch Rekur- schichte ist immer an den Menschen ori-
sivität eine bestimmte Stabilität erreicht entiert. Der Wiener Kreis ist nicht ein
hatten – so könnte man das Vorkriegs- Wiener Kreis, sondern er besteht aus ei-
europa beschreiben –, bewirkte, daß ganz nem Schlick, aus einem Carnap etc., und
kleine Störungen ungeheure Konsequen- das waren Leute, die haben diese und jene
zen hatten: PAFF, und das ganze explo- Witze gemacht, die haben diese und jene

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Schwächen gehabt, und die haben so und Überschneidungen, einmal so herum, ein-
so miteinander kommuniziert. Für mich mal so herum. So wie ich den Begriff
ist das so, für andere ist es ganz und gar Komplementarität gebrauchen möchte,
nicht so. Die rein beschreibende Geschich- geht es um eine Bereicherung. Sie produ-
te, wie sie in den Geschichtslehrbüchern ziert Fußnoten zu einem Text, und Fuß-
zu lesen ist, die spricht nicht zu mir und noten zu den Fußnoten. Zuletzt wird un-
die vergesse ich auch ganz schnell. scharf, wer eine Fußnote zu wem ist. Ist
AM: Sie haben den Begriff des Komple- A die Fußnote zu B oder B zu A oder
mentären verwendet. Wenn wir jetzt noch C zu B etc. Ich spiele hier ein bißchen
einmal zum Beispiel des Ausbruchs des das deconstructivism-Spiel. Da sage ich
Ersten Weltkriegs kommen, so möchte ich meine Geschichte und unten mache ich
an die sogenannte Fischer-Kontroverse er- die Fußnote. Derrida spielt dieses Spiel
innern. In den 60er Jahren hat der deut- bis zur Perfektion, da weiß man nicht,
sche Historiker Fritz Fischer eine dieser ist die Geschichte in der Fußnote oder
komplementären Sichtweisen angeboten. ist die Geschichte oben (lacht). So se-
Er hat behauptet, daß es im Deutschen he ich das etwa. Nun noch einmal die
Reich infolge der Dynamik der Rüstungs- Frage, ob Komplementarität der richti-
industrie, des Schlachtflottenbaus etc., ge Ausdruck ist für jenen Bereich, wo ei-
durch innen- und nicht außenpolitische ne Geschichte über die Geschichte erzählt
Momente, zu einer eigenen aggressiven, wird. Ich könnte mir tatsächlich eine Ge-
imperialistischen Entwicklung gekommen schichte der Geschichte sehr gut vorstel-
sei, die für den Krieg verantwortlich ge- len, zum Beispiel, daß man über die Ent-
macht werden kann, daß es also weniger wicklung, wie über Geschichte gesprochen
um Einzelereignisse wie Thronfolgermor- wird, spricht. Das ändert sich ja auch
de etc. geht. Mit dieser Interpretation hat im Zeitverlauf. Eine Zeitlang sagt man
sich Fritz Fischer in Deutschland in die vielleicht Die Griechen sind ein heite-

allergrößten Schwierigkeiten gebracht ... res Volk“, aber im Lauf der Zeit wird
HvF: ... kann ich mir vorstellen ... die Rolle der Griechen für die europäische
AM: ... und er wurde von seinen Kolle- Entwicklung verschieden und verschieden
gen ganz massiv angegriffen und auch de- und verschieden gesehen. So könnte man
nunziert. Manche wollten ihm, zugespitzt allmählich zu einer Geschichte der Ge-
gesagt, das Sprechen verbieten. Hier ha- schichte gelangen.
ben wir es mit anderem als mit blo- KHM: Auch die Geschichte der Geschichte
ßer Komplementarität zu tun, mit mas- erlaubt wieder komplementäre Versionen,
sivem Streit, mit konkurrierenden, nicht das ließe sich ad infinitum fortsetzen.
komplementären Geschichten, mit politi- HvF: Ja genau, ad infinitum.
schem Streit um Geschichte. KHM: Dann können wir das Thema wech-
HvF: Da haben Sie recht, aber das ist viel- seln. Du hast einmal die Metapher vom
leicht ein Sonderfall. Komplementarität Gedächtnis ohne Speicher konzipiert. Es
erzeugt nicht nur Symmetrie, – was da wäre ja tatsächlich die falsche Intuition,
nicht ist, kommt dort vor, was da ist, wenn man sich das Gedächtnis als eine
kommt dort nicht vor –, sondern auch

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Art großen Kübel vorstellt, in den was daß gesellschaftliche Praktiken, wieder-
hinein- und herauskommt. kehrende Rituale etwa, von den Akteuren,
HvF: Es gibt doch diese berühmte Zahl oder auch von Kollektiven, gewisserma-
π , also das Verhältnis vom Umfang zum ßen verspeichert werden. Um zu wissen,
Durchmesser eines Kreises. Das ist eine was ich am Ersten Mai zu tun habe, brau-
Zahl, rechne ich sie aus, fängt sie mit 3 an, che ich kein Flugblatt zu lesen, sondern
3,1 3,14, 3,141, etc. etc. Diese Zahl π läßt ich habe es kulturell gespeichert, um den
sich nicht ausschreiben, denn sie hat un- Ersten Mai ordentlich feiern zu können
endlich viele Stellen. Niemand weiß also, oder auch Weihnachten. Ich weiß ganz
wie diese Zahl π ausschaut, dennoch ver- einfach, daß ich einen Christbaum brau-
wenden alle Leute die Zahl π , obwohl nie- che, weil ich das dem kulturellen Gedächt-
mand weiß, wie die Zahl ausschaut. Das nis, das natürlich für verschiedene sozia-
ist gegangen bis zum Wiener Kreis, bis zu le Gruppen ganz anders ausschauen kann,
Waismann etc. Dann erst konnte gesagt als einem Speicher entnehme. Bei der Un-
werden, das ist ja gar nicht das Problem. tersuchung kultureller und sozialer Prak-
Paß mal auf, es genügt, wenn du mir ein tiken wird die Figur des Speichers durch-
Rezept gibst, wie ich π ausrechnen wollte, aus bemüht, ohne daß dieser Speicher
wenn ich die Zeit habe, die Lust habe, die oder seine Struktur genauer beschrieben
Muße habe, π auszurechnen. Ich brauche werden könnten. Welche Vorteile haben
aber nicht π , ich brauche nur das Rezept. wir nun, wenn wir auf den Speicher ver-
Der nächste Schritt ist zu sagen, das Re- zichten?
zept ist eine Zahl. Jetzt kann ich die Sa- HvF: Die Vorteile sind gigantisch! Denn
chen nehmen, dividieren, multiplizieren, der Algorithmus, Weihnachten auszu-
quadrieren etc., aber ich brauche mich um rechnen, ist unglaublich viel kürzer als
π nicht mehr zu kümmern. Das ist eine das fertige Weihnachten. Wenn ich nicht
Metapher für Gedächtnis ohne Speicher. jeden Schritt vorschreiben muß, wie
Denn der Speicher müßte die Zahl π auf- Weihnachten stattzufinden hat, hat das
schreiben, und ich behaupte, das ist nicht enorme Vorteile. Wenn ich Leuten zuhöre,
der Fall, denn wir haben ja ein Rezept für wenn sie mir erzählen, was Weihnach-
π , eine Struktur, die da sitzt, und wenn ten ist, dann haben sie einen eingebau-
es ankommt, dann macht es π . Die Struk- ten Algorithmus, der mir jetzt erzählt,
tur selbst kann dafür verwendet werden, was Weihnachten ist. Nicht, weil es ge-
um das zu machen, was π gemacht hätte, speichert ist, sondern weil sie den Algo-
ohne π selber zu brauchen. Aber jetzt rithmus haben und somit wissen, was los
zurück von dieser Metapher. Dann könnte ist. Das heißt, der Speicher ist eine hoff-
ich mir vorstellen, daß die Geschichte ei- nungslose Affaire. Der Algorithmus ist
ner Geschichte eine generative Geschichte leicht, elegant und auch leicht modifizier-
ist, die mir die Geschichte erzeugt, wenn bar. Beim Speicher kann ja sein, daß ei-
ich daran denke. ne Störung auftritt, und dann ist alles ka-
AM: Diese Sache mit dem Speicher wird ja putt.
von einigen Kulturhistorikern etwas an- AM: Wo wird der Algorithmus aufgeho-
ders gesehen. Manche sagen zum Beispiel, ben?

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HvF: Das ist eine Struktur, aber natürlich HvF: Das würde ich durchaus unterschrei-
ist immer irgendwo irgend etwas Stabile- ben. Das Nicht-Verständnis beruht dar-
res. Aber es ist kein Speicher in dem Sinn, auf, daß dieses kausale Denken derart Fuß
daß ich das hineingebe, was ich später gefaßt hat. Das ist ja eine fürchterliche
herausbekomme. Wenn ich etwas hinein- Trivialisation: Wenn ich A weiß, kommt
gebe, möchte ich dasselbe herausbekom- automatisch B raus, wegen dem ist das.
men. Wenn ich etwas anderes herausbe- Das hat sich so eingefressen in unsere
komme, beschwere ich mich bei dem Spei- Argumentation, besonders in Akademia
cherer, ich klage ihn an, du gibst mir ist das leider der modus argumenti ge-
was anderes. Der Algorithmus gibt mir ja worden. Ich muß immer sagen: weil. Ich
nicht den Algorithmus, sondern das Re- erzähle eine Geschichte aus unserem Bio-
sultat, der rechnet mir π aus, oder Weih- logical Computer Lab. Dort hatten wir
nachten, oder was immer. Warum ich al- für viele Jahre diesen wunderbaren engli-
so den Speicher nicht benützen will. Da schen Kybernetiker Ross Ashby. Der hat
wird immer angesprochen: dasselbe hin- ja zwei ganz herrliche Bücher geschrie-
ein, dasselbe heraus. Aber gerade im Fall ben: Design for a Brain und Introduc-
von Kultur oder dem Sozialen ist das tion to Cybernetics. Beides sind hervor-
überhaupt nicht so: dasselbe hinein, das- ragende Bücher, man liest sie wie ein
selbe heraus. Es geht etwas hinein, und et- Märchenbuch, so leicht. Heute schaue ich
was ganz anderes kommt heraus. Mein Al- sie mir noch an und denke: Mensch, der
gorithmus produziert einen Output, der Ashby hat das damals schon gesehen,
direkt nichts mit dem Input zu tun hat, und erzählt alles, (singt:) ululi, wie ei-
weil er eben eine Transformationsregel ist. ne Märchengeschichte, unglaublich. Ei-
KHM: Etwas anderes. Für Dich ist ja nes Tages gab es diesen ganz großen
wichtig die Unterscheidung zwischen tri- Stromausfall an der Ostküste. New York,
vialen und nicht-trivialen Maschinen, Connecticut, der ganze Atlantic seasho-
zwischen trivialen und nicht-trivialen Er- re war ohne Licht. Und der Ross ist
klärungen. Denken wir einmal an das strahlend herumgegangen und hat ge-
Jahr 1989. Damals und danach ist in ei- sagt: Paßt einmal auf, in ein paar Ta-

nem kettenreaktionsähnlichen Prozeß ei- gen werden wir eine Ursache für das fin-
ne ganze Reihe von politischen Systemen den. Eine Ursache! Wir brauchen doch ei-
gepurzelt. Seit Jahrzehnten gab es nun In- ne Ursache für diese Sache.“ In ein oder
stitute für Osteuropaprobleme, und ob- zwei Tagen ist er triumphierend mit ei-
wohl diese Tonnen von Papieren produ- ner New York Times gekommen, dort
ziert haben, konnte keines diese Situation war ein Bild von einer verbrannten Siche-
auch nur annähernd voraussagen. Heißt rung, und er sagt: Da ist es, da haben

das nun, daß wir – egal ob wir jetzt Histo- wir die Ursache. Diese Sicherung ist ab-
riker, Zeitgeschichtler oder Sozialwissen- gebrannt und die gesamte Ostküste hat
schaftler sind – unsere sozialen und poli- kein Licht mehr gehabt.“ Er hatte bereits
tischen Systeme in einem fundamentalen diese ganze Fixierung auf single-cause-
Sinn noch nicht verstehen, wenn derglei- Argumentationen vorausgesehen und hat-
chen möglich ist? te gewußt, die können nichts anderes ma-

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chen, als eine Ursache, eine abgebrann- und wissen Sie, was der uns unterrich-
te Sicherung, zu finden. Und dann ha- tet?“ Ich sage: Einführung in die Ky-

ben sie sie natürlich auch gefunden, man bernetik.“ Nein, Trivialitäten!“ Trivia-
” ”
mußte doch rechtfertigen, daß die ganze litäten?“ Ja, Trivialitäten, und deswe-

Ostküste ohne Licht ist. Er selbst hat sich gen wollen wir nicht mehr in seine Klas-
immer wieder mit Konnex und Verbin- se gehen.“ Ich sage: Beruhigt euch, er

dung beschäftigt, mit Netzwerken, Ursa- hält ja eine Einführung, das wird schon

chen gibts da gar nicht, es ist eine Dy- schwieriger werden.“ Und die Studenten
namik, die kooperiert. Die Frage ist, wie gingen wieder. Nach zehn Minuten kam
versteht man und beschreibt man solche Ashby in mein Büro und ich wußte be-
Dynamiken. Damals hat er schon die fi- reits genau, was passieren würde. Ich sa-
xed points-Idee entwickelt, oder was man ge, Ross, ein paar Studenten aus dei-

heute Chaos-Theorie nennt etc. Das hat ner Klasse waren jetzt hier, die haben
er damals schon in einer ganz anderen sich über dich beschwert.“ Ja, worüber

Sprache als der heute üblichen beschrie- denn?“ Du erzählst ihnen Trivialitäten.“

ben. Der Attraktor ist ja zum Beispiel ein Es hat mich zwanzig Jahre Nachdenken

schrecklicher Begriff, da glaubt man im- gekostet, diese schwierigen Dinge so vor-
mer, es wird etwas dorthin gezogen, in zutragen, daß sie erscheinen, als wären
diesen stabilen Zustand, nein, es wird hin- sie Trivialitäten!“ Ich finde es bemerkens-
geschoben! Die neue Sprache ist hier so wert, daß es jemandem gelingt, derart
galoppierend, daß die nicht einmal selber komplexe Dinge so darzustellen, daß die
bemerkt haben, welch üblen Samen sie anderen glauben konnten, es wären Tri-
damit ausgesät haben. Das führt zu Miß- vialitäten.
verständnissen, anyway. AM: Hier gibt es einen ganz starken Ge-
Ich erzähle noch eine zweite Geschich- nius loci. Wenn wir hier aus dem Fenster
te von Ross Ashby, die solltet ihr ken- sehen, werden wir daran erinnert. Auf der
nen. Ashby war, bevor ich ihm eine Stel- anderen Seite des Neckar ist das Haus, das
le an der University of Illinois anbieten Max Weber bewohnt hat.
konnte, der Leiter eines großen psychia- HvF: Ach nein, hier auf der anderen Seite?
trischen Spitals in England, wo er sich Sehr interessant.
schon jahrelang mit kybernetischen Pro- AM: Eines der vielen bedeutend gewor-
blemen befaßt hatte. Er kam damals An- denen Konzepte Webers war es, Sozio-
fang Winter und ich sagte: Ross, es logie als eine Wirklichkeitswissenschaft“
” ”
wäre wunderschön, wenn du einen Kurs zu beschreiben. Gibt es soetwas über-
Einführung in die Kybernetik machen haupt?

könntest.“ Nichts lieber als das.“ Das Se- HvF: Wenn er sagt, daß sie eine Wirklich-

mester fing an, und Ashby begann sei- keitswissenschaft ist, dann ist es Max We-
nen Kurs. Nach drei Wochen kommt eine bers Wirklichkeitswissenschaft.
Abordnung der Studenten in mein Büro, AM: Gibt es aber nun etwas über Max
die sagen: Wir wollen uns beschweren.“ Weber Hinausgehendes, das man als ei-

Über was wollt ihr euch beschweren?“ ne Wirklichkeitswissenschaft bezeichnen

Wir sind in der Klasse von Ross Ashby, könnte? Oder müßte ein solches Konzept

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nicht fallen, beispielsweise im Lichte radi- Mensch weiß, wie sie funktionieren, aber
kalkonstruktivistischer Vorstellungen? alle verwenden sie –, weil sie einfach ein
HvF: Also mein Standpunkt oder meine Gespräch weiterlaufen lassen. Ihr erinnert
Haltung ist folgende: Wenn es mir ge- euch ja an das Gespräch zwischen Vater
lingt zu sprechen, ohne Wirklichkeit oder und Tochter. Die Tochter fragt: Daddy,

Realität anzurufen, ohne diese Worte zu what is an instinct?“ Und der Vater ant-
benutzen, wenn es mir gelingt, an ih- wortet: An explanatory principle.“ Die

nen vorbeizukommen, dann ist es gut. In Tochter weiter: What does it explain?“

verschiedenen Unterrichtssituationen, die und der Vater, Anything, anything you

wir geschaffen haben, haben wir zum Bei- want it to explain!“ Ashby hat einmal
spiel vereinbart: einer, der Realität sagt, über das Gedächtnis als explanatory prin-
muß 10 Dollar zahlen. Er darf es, er darf ciple gearbeitet.
über Wirklichkeit, über Realität reden, es AM: Auf die Frage, was die Geschichte ist,
kostet aber 10 Dollar. Wenn es ihm ge- könnten wir ja auch sagen: Die Geschichte
lingt, es zu vermeiden, kommt er ohne zu ist ein Erklärungsprinzip.
zahlen durch, ja? Sonst muß er aber Stra- HvF: Da bin ich nicht sicher, sie bean-
fe zahlen. sprucht ja nicht, sehr viel zu erklären,
KHM: Der den Befehl sagt, muß aber auch oder?
schon zahlen. AM: Wenn ich noch einmal Weber
HvF: Ja, ja natürlich (zahlt). Und jetzt bemühe: Dort lesen wir, daß es um die
geht es los, es wird sehr lustig, was jetzt Gründe des geschichtlichen So-und-nicht-
passiert. Wir haben das auch für viele an- anders-Gewordenseins der einzelnen Er-
dere Begriffe gemacht, nicht nur für Rea- scheinungen der uns umgebenden Wirk-
lität und Wirklichkeit (zahlt). Das waren lichkeit des Lebens ginge (zahlt).
Begriffe, die immer wieder vorkommen. HvF: Jetzt verstehe ich: Ja, hier ist
Kein Mensch weiß, was das ist, aber man auch die Geschichte ein Erklärungsprin-
verwendet es. Vielfach werden Wirklich- zip, anyway. Aber noch einmal zu den
keit und Realität unter Anführungszei- verbotenen Wörtern und zur Wirklichkeit
chen gesetzt (zahlt). Die sagen, wir wol- (zahlt). Jetzt geht’s los: Von was spre-

len jetzt über Realität“ sprechen (zahlt), chen sie, Herr Weber, von was wollen sie

und ich frage sie, warum machen sie die gerne reden?“ Ich will erzählen, wie ich

Anführungszeichen. Sie wollten doch über die OUAEIU sehe.“ Aha wunderbar, da-

Realität sprechen und nicht über Rea- von will ich auch sprechen.“ Nach einiger

lität“ (zahlt), das ist doch etwas ganz Ver- Zeit stellt sich heraus, daß diese beiden
schiedenes. Schon mit Hilfe der Gramma- eben nicht wissen, wovon sie sprechen.
tik kann man das ja machen, daß man un- Oder sie wissen, wovon sie sprechen, sie
terscheiden muß zwischen dem, worüber haben sich zusammengespielt, es hat sich
sie reden, und dem, worüber sie bloß Resonanz herausgebildet und sie können
glauben, daß sie reden. Man kann also nun über etwas sprechen. Ein Beobach-
sehr amüsante Gespräche führen, wenn ter, der dieses Gespräch nun verfolgt und
man thematisiert, was Bateson einmal das Wort Wirklichkeit kennt, würde nie-
explanatory principle genannt hat. Kein mals auf die Idee kommen, daß sie von

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Wirklichkeit sprechen (zahlt), sondern er HvF: Nein, das können wir schon brau-
würde sagen, sie haben wunderbar von chen, das ist nicht strafbar.
Relationen, von Beziehungen, von Erleb- KHM: Eine Anekdote: Im Wiener Kreis
nissen, von Gefühlen gesprochen. hat Otto Neurath einen Index verborum
KHM: Es gibt ja die Geschichte, daß man prohibitorum angelegt.
jemandem eine Universität zeigt, man HvF: Wirklich, dafür bin ich sehr dank-
führt ihn ins Hauptgebäude, zeigt ihm bar.
Hörsäle, Institute, all das. Und er findet KHM: Wirklichkeit war auf dem Index,
alles wunderbar und sagt schließlich, jetzt dann Sein und Bewußtsein, theologische
habe ich alles gesehen, sehr schön, aber und metaphysische Ausdrücke, aber wit-
jetzt möchte ich wissen, wo die Univer- zigerweise auch Kausalität.
sität ist. HvF: Das kann ich mir gut vorstellen,
HvF: Das ist gut. wunderbar, das gefällt mir gut. Jetzt ha-
KHM: Ist es nicht mit der Wirklichkeit ge- be ich eine Frage an Euch: Was macht Ihr
nau so (zahlt), hat dieser Ausdruck nicht mit diesem Gespräch?
einen ähnlichen Stellenwert? AM: Wir schreiben das Band ab.
HvF: Ja, das ist sehr ähnlich. HvF: Und dann? Schaut Ihr das an und
KHM: Das ist also ohne kognitiven Ver- fragt, was können wir davon verwenden?
lust streichbar. AM: Dann verbessern wir einmal die Feh-
HvF: Absolut, man braucht es ja gar ler, die wir beim Abschreiben gemacht ha-
nicht. Es ist eine Krücke, um in einem ben.
Gespräch einen anderen sehen zu lassen, HvF: Ja verbessert das. Ich muß sagen,
worüber ich gerne sprechen möchte; aber die Übersetzung meiner Sprache in die
eigentlich brauche ich das nicht. Wenn ich Schreibe ist etwas sehr Schwieriges. Meine
noch Zeit hätte und noch jünger wäre, Sprache springt so herum. Sie hat keinen
hätte ich Sprachen und Völker unter- Anfang, keine Mitte und kein Ende. Ihr
sucht, bei denen dieses Wort überhaupt werdet schon sehen, der Heinz ist nicht
nicht vorkommt. Und ich bin überzeugt, leicht zu transkribieren!
es kommt in vielen Sprachen gar nicht
vor. In manchen der nördlichen sibiri-
schen Stämme kommt es beispielsweise
nicht vor. Zum Beispiel ist dort das Ich
schon gar nicht da. Und wenn eine Spra-
che kein Ich hat, hat sie auch keine Wirk-
lichkeit (zahlt). Sie muß dann konsequent
mit Relationen arbeiten.
AM: Brauchen wir das Wort: das Ima-
ginäre?
HvF: Oder: das Virtuelle?
AM: Ja, brauchen wir das, oder gehört das
auch auf die Liste der verbotenen, straf-
baren Wörter?

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