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ISBN 978-3-652-00445-9

Das Magazin für Geschichte

VÖLKERWANDERUNG

D e u t s c h l a n d € 1 0 , 0 0 * S ch w e iz 18,60 sfr • Ö s te r r e ic h € 11,40


B e n e lu x € 1 1 .8 0 • F in n la n d € 1 5 , 5 0 * F ra n k re ic h € 1 3 , 5 0 • Ita lie n € 1 3 , 5 0 * S p a n ie n € 1 3 ,5 0
» D ie S tim m e s to c k t, und

S c h lu c h z e r u n te r b r e c h e n d ie W o r te

b e im D ik tie r e n . E ro b e rt

ist d ie S ta d t, d ie d en g a n z e n

E rd k re is e r o b e r t hat.«

D e r katholische K irchenlehrer H ieronym us

nach der Plünderung Roms durch die Goten 410 n . Chr.


Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser

W n einem Jahr, in dem rund eine Million Flüchtlinge nach


I Deutschland gekommen sind und in den Nachrichten
I Bilder zu sehen waren von Frauen, Männern und Kin-
■M, dern, die sich in langen Schlangen durch das Grenzland
diverser Balkanländer kämpfen, erschien es uns naheliegend,
auf eine Massenmigration ganz anderer Art zurückzublicken
- nämlich jene, die zwischen dem 4. und 6. Jahrhundert n. Chr.
Europa prägte und am Ende die Landkarte des Abendlands Dennoch haben wir uns entschlossen, in diesem H eft
ganz entscheidend veränderte: die Völkerwanderung. (nach der Präzisierung des Begriffs hier im Editorial) von
Es geht in diesem Heft um die knapp 200 Jahre zwischen der „Völkerwanderung“ zu sprechen, denn die heutzutage von
376 n. Chr. und 568 n. Chr., in denen sich immer wieder ger­ Wissenschaftlern bevorzugten Begriffe wie „Transformations­
manische Scharen aus den Weiten jenseits des Römischen zeit“ oder „Migration Period“ hätten vermutlich mehr zu einer
Reiches in Richtung des Imperiums aufmachten. Getrieben Verwirrung als zu einer Aufklärung beigetragen. Ich hoffe, Sie
wurden sie - so wie die Menschen heute auch - von der Not können unsere Entscheidung nachvollziehen.
in ihrer Heimat und der Hoffnung auf ein besseres Leben. *
W ir erzählen unter anderem die Geschichte der Goten,
Vandalen und Langobarden, die zum Teil jahrzehntelang kreuz Parallel zu diesem Heft erscheint die erste Ausgabe von GEO-
und quer durch Europa (und manche bis nach Nordafrika) EPOCHE KOLLEKTION. Viermal im Jahr werden wir in
zogen, die während dieser Zeit mitunter sogar eigene Reiche dieser neuen Heftreihe künftig die unserer Meinung nach
errichteten. Und deren Angriffe auf das Imperium mit dazu besten Beiträge aus früheren Ausgaben von GEOEPOCIIE,
beitrugen, dass das Weströmische Reich unterging. G E O EPOCHE E D IT IO N und
Allerdings muss ich an dieser Stelle den Begriff „Völker­ GEO EPOCHE PANORAMA noch
wanderung“ ein wenig präzisieren. Denn weder waren cs „Völ­ einmal aufbereiten.
ker“, die damals durch Europa zogen. Noch waren sie auf einer W ir präsentieren Ihnen in der
„Wanderung“. neuen Reihe die interessantesten
Vielmehr handelte es sich bei diesen Scharen um Ver­ und spannendsten Geschichten zum
bände Tausender Kämpfer, die auf ihrem Weg ihre Frauen und Wiederlesen, hier und da behutsam
Kinder mitnahmen (vermutlich, um sie nicht ungeschützt zu­ aktualisiert, in einem neuen Layout
rückzulassen) und denen sich im Laufe der Zeit ganz unter­ und mit besonders hochwertiger
schiedliche Menschen anschlossen, darunter Krieger anderer Ausstattung (siehe auch Seite 160).
germanischer Stämme, aber auch römische Abenteurer, Bauern W ir haben uns zu diesem
und Sklaven, sodass bei keiner dieser zahllosen Gruppen mehr Schritt entschlossen, weil wir an der
von einem „Volk“ gesprochen werden kann. Nachfrage nach älteren Ausgaben N eue Reihe
Und von einer „Wanderung“ kann schon deshalb keine von GEO EPOCHE erkennen konn­ GEOEPOCHE
Rede sein, weil keiner dieser Züge gewaltfrei ablief, sondern es ten, dass auch im 17. Jahr unseres KO LLEKTIO N
immer wieder zu Schlachten mit Tausenden von Toten kam. Bestehens noch großes Interesse an
Beiträgen besteht, die vor längerer
Zeit veröffentlicht wurden.
Darüber hinaus gibt uns die Reihe die Möglichkeit, be­
stimmte Thcmcnhcftc neu zusammcnzustellcn. Oder mit einem
Magazin auf ein besonderes Jubiläum zu reagieren. Oder auch
andere Schwerpunkte zu setzen.
Schreiben Sie uns doch, wie Ihnen GEO EPOCHE
KOLLEKTION gefallt. Sie erreichen uns über Facebook oder
www.geo-epoche.de. W ir sind gespannt auf Ihre Kommentare.

Herzlich Ihr

P ro d u ktio n ste a m jll^JUkcL &<i[


An dieser Ausgabe entscheidend beteiligt (v. I.): Insa Bethke (H e ft­
konzept), O laf Mischer (Verifikation), Stefanie Peters (Kartographie),
Christian Gargerle (Bildredaktion), Eva Mitschke (A rt Direction),
Dirk Krömer (Schlussredaktion). Matthias Friedrich (Fachberatung) Michael Schaper

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung 3


*1*
h

/ '

G E IS S E L G O T T E S Wie eine Naturgewalt


brechen die Hunnen über Europa herein,
treiben germanische Stämme vor sich her -
und lösen so die Völkerwanderung aus.

A U F B R U C H Die ersten gotischen B R IT A N N IE N Nach 400 ziehen die Römer im Chaos der Völkerwanderung ihre Legionen
Krieger kommen als Flüchtlinge: von der Insel ab und überlassen die dortigen Provinzen ihrem Schicksal. Angelsächsische
Sie retten sich vor den Hunnen ins Invasoren (oben ein Fürstenhelm) nutzen das M achtvakuum : In blutigen W irren dehnen sie
römische Imperium. ihr Herrschaftsgebiet im m er w eiter aus - und führen Britannien zu neuem Glanz.

K A M P F Vergebens versucht Rom. seine A L E M A N N E N Nicht alle Teile Europas S C H M A C H Das Reich wankt, die Stadt
Grenzen zu verteidigen: Germanische erschüttert die Völkerwanderung: A u f der Rom aber gilt als unbezwingbar. Bis ein
Krieger fügen dem Reich Niederlagen zu, Schwäbischen Alb lebt ein Fürst unbehelligt Gotenkönig die Metropole überfällt, ihre
die es an den Rand seiner Existenz bringen. von den Umstürzen seiner Zeit. Tempel plündert und Geiseln nimmt.

4 GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


IN H ALT

Z E IT E N W E N D E D A S E N D E D E R A N T IK E UM 4 5 0 A T T IL A
Die Ara der Völkerwanderung ist eine Zeit gewaltiger Umbrüche: M it der Vertreibung der G oten durch die Hunnen hat die Völker­
Germanen bestürmen das geschwächte römische Weltreich - und wanderung im Jahr 376 begonnen. U nter König A ttila dringen die
werden schließlich zu dessen Erben 6 Steppenkäm pfer schließlich tie f in den Westen Europas vor 86

3 7 6 - 5 6 8 N. CHR. S T U R M Ü B E R E U R O P A M Y T H O S D A S N IB E L U N G E N L IE D
Viele Jahrhunderte lang ist Rom das mächtigste Imperium Wie keine andere deutsche Sage kündet das im Mittelalter
seiner Zeit. Doch dann bricht eine beispiellose Katastrophe entstandene Epos von zentralen Ereignissen und Herrschern
über seine Zivilisation herein 8 der Völkerwanderungszeit 101

376 V O L K A U F D E R F L U C H T 4 0 0 - 6 0 0 Z E IT D E R F IN S T E R N IS
Von Hunnen bedrängt, suchen Zehntausende Goten Schutz im Warum bricht die römische Zivilisation in Britannien zusammen?
Imperium. Bald kommt es aber zum Streit m it Rom - und zu einer Und wie gelangen die Angelsachsen an die Macht? Noch immer
Schlacht, die für das Reich verheerende Folgen haben wird 28 suchen Forscher nach Antworten auf diese Fragen 104

4 1 0 T R IU M P H D E R B A R B A R E N 5 6 8 -7 7 4 DER Z U G DER L A N G O B A R D E N
Treu hat der Germanenkönig Alarich dem Imperium als Heer­ 200 Jahre nach dem Beginn der Völkerwanderung erscheint noch
führer gedient. Dann aber fühlt er sich betrogen und zieht gegen einmal ein germanischer Stamm südlich der Alpen: Die aus Ungarn
Rom: Die Ewige Stadt fällt in die Hände der Westgoten 42 kommenden „Langbärte" erobern große Teile Italiens 116

2 9 1 -5 1 1 D E R A U F S T IE G D E R F R A N K E N 4 9 3 D A S ERBE R O M S
Nach dem Ende des Weströmischen Reiches ringen Warlords um Klanglos geht das Weströmische Reich unter. Zwei Männer ringen
die Macht in Gallien. Bis sich der Merowinger Chlodwig durchsetzt anschließend um die Nachfolge seiner Herrscher: der Skire
und die Franken um 500 zur europäischen Großmacht macht 58 Odoaker und der Ostgote Theoderich ....................................... 118

UM 4 5 0 A L L T A G A U F D E R S C H W Ä B IS C H E N A L B 6 0 0 - 8 0 0 D IE U N R U H E N A C H D E M S T U R M
Der Sitz eines Alemannenfürsten liefert unschätzbare Einsichten M it der Völkerwanderung ist Europa ins Chaos gestürzt, erlebt
in das Leben, die Riten und die Bräuche der Germanen - fernab Rückschritt und Zerstörung. Eine neue O rdnung entsteht erst, als
der Wirren der Völkerwanderung 60 sich der Franke Karl der G roße 800 zum Kaiser krönen lässt 142

4 0 0 - 5 3 4 BIS A N S E N D E D E R W E L T ZEITLEISTE D A T E N , F A K T E N , K A R T E N 144


Die Vandalen sind zeitweilig so erfolgreich wie kein anderer
germanischer Stamm: Sie ziehen durch Gallien und Spanien, Impressum/Bildquellen 141
setzen über das Mittelmeer und erobern Nordafrika 72 Die Welt von G E O ..........................................................................162

4 0 7 - 5 3 4 D A S R E IC H D E R B U R G U N D E R V O R SC H AU
Aus ihrer Heimat an der Oder gelangen die Burgunder bis in die G EO EPO CHE K O LLE K TIO N „Das M ittelalter“ 160
heutige Schweiz, übernehmen die Kultur Roms - und fühlen sich G EO EPO CHE „Europa nach dem Zweiten Weltkrieg“ 164
noch nach dem Fall des Imperiums als dessen Untertanen 84 G E O EPOCHE P A N O R A M A „Hamburg“ ............................ 165

D ie A b b i l d u n g e n in d ie s e r A u s g a b e illu s tr ie r e n d ie L e b e n s w e lt d e r S p ä ta n tik e . Da es a b e r kau m z e itg e n ö s s is c h e D a r s te llu n g e n aus d e n J a h r h u n d e r te n d e r V ö lk e r ­


w a n d e ru n g g ib t, h a t sich d ie R e d a k tio n e n ts c h lo s s e n , m e h re re G e s c h ic h te n m it e ig e n s a n g e f e r t ig t e n Illu s tr a tio n e n zu b e b ild e r n u n d a u c h solche D a rs te llu n g e n
zu d ru c k e n , d ie z u m T h e m a des H e fte s passen, o h n e e x a k t d ie b e s c h rie b e n e Szene zu ze ig e n . In den K a rte n sind z u d e m d ie v e rs c h lu n g e n e n , o f t n ic h t g e n a u d o k u ­
m e n t ie r te n W a n d e r u n g e n d e r G e r m a n e n s tä m m e v e r e in fa c h t d a r g e s te llt. T i t e l b i l d : „G e rm a n e n a u f d e r W a n d e r u n g ( d i g it a l b e a r b e it e t e r H o lz s tic h na ch ein e r Z e ic h ­
n u n g v o n O t t o K n iIle, 1 8 9 0 ). A lle F a k te n , D a te n u n d K a rte n in d ie s e r A u s g a b e sind v o m G E O E P O C H E - V e r if ik a t io n s t e a m a u f ih re R ic h tig k e it ü b e r p r ü f t w o rd e n .
K ü rz u n g e n in Z i t a t e n sind n ic h t k e n n tlic h g e m a c h t. R e d a k tio n s s c h lu s s : 27. N o v e m b e r 2015

Sie e rre ic h e n d ie G E O E P O C H E - R e d a k t i o n o n lin e a u f F a c e b o o k o d e r u n te r w w w . g e o - e p o c h e . d e

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung 5


Das Ende der Antike

ie Völkerwanderung ist eine brechen auf und verlassen ihre Heimat und gieren nach Beute, die es in den

D der tiefgreifendsten Umwäl­ nördlich der Donau. Und bald machen


zungen in der Geschichte sich auch andere Völker auf den Weg.
Europas. Zwar ist sie alles
andere als eine plötzliche Revolution
der Umbruch dauert Eist 200
Jahre. Dafür hat sie umso gewal­
Die „Barbaren“, wie diese germa­
nischen- Völker von römischen Chronis-
wohlhabenden Provinzen der Kaiser
reichlich gibt. Und weil das Imperium
Romanum zerrissen ist von inneren Aus­
einandersetzungen und Bürgerkriegen,
können immer wieder Scharen
aus dem Norden die Grenzen
tigere Folgen: In der Zeit zwi­ überschreiten.
schen 376 und 568 n. Chr. dringen M anche G ruppen dieser
viele germanische Scharen auf E indringlinge verschwinden
römisches Territorium vor, und rasch wieder aus der Geschichte
das - durch Kämpfe im Inneren und hinterlassen kaum Spuren,
geschwächte - mächtigste Impe­ andere jedoch werden noch lange
rium der Antike zerbricht. durch das Imperium wandern.
Rom, einst das Haupt der R ö m i s c h e s R e i c h So wie die Goten, deren
Welt, fällt. Ein gut tausendjäh­ Flucht vor den Hunnen am An­
riges Zeitalter mündet in Chaos, fang der Völkerwanderung steht.
Krieg und Verwüstung. Im Jahr 376 überqueren Zehn­
Und erst lange nach dem I tausende Männer, Frauen und
Ende der großen Trecks wird sich Kinder die Donau - mit Einver­
eine neue politische Ordnung auf ständnis des Kaisers.
dem Kontinent verfestigen. Um das Jahr 370 gebieten die Römer über Weil sie sich jedoch um das
Die Zeitenwende beginnt ein Imperium, das sich über drei Kontinente versprochene Land betrogen füh­
mit einer Massenflucht. Im spä­ erstreckt. Doch de facto ist es bereits in len und die Römer die Ankömm­
ten 4. Jahrhundert überfallen die zwei Teile geteilt, Ost- und Westrom, denen linge schlecht versorgen und be­
Hunnen, Reiterkrieger aus den jeweils ein Kaiser vorsteht handeln, wählen die Goten den
Steppen Zentralasiens, wie aus Kam pf- und bringen den Legio­
dem Nichts heraus Osteuropa. nen des Imperiums eine verhee­
Jeder W iderstand erscheint vergebens; ten genannt werden, wenden sich nach rende Niederlage bei.
ein Volk nach dem anderen wird brutal Westen und Süden —auf das Gebiet des Wieder und wieder stellen sich go­
niedergeworfen. Imperium Romanum. tische Krieger nun gegen die kaiserlichen
D er unaufhaltsame Vorstoß der Viele dieser Germanen suchen den Armeen. Jahre später plündern Goten
Hunnen setzt eine folgenreiche Wande­ Schutz des Reichs. Sic wollen Teil der Rom, gründen vom 5. Jahrhundert an
rungsbewegung in Gang. Kleine Krie­ von ihnen bewunderten Zivilisation wer­ sogar Reiche im heutigen Frankreich,
gerverbände, Dorfgemeinschaften, aber den, erhoffen sich fruchtbares Siedlungs­ Spanien und Italien.
auch ganze Stämme mitsamt ihren Fa­ land oder militärische Karrieren. Andere Oder die Vandalen. Niemand weiß,
milien und all ihrer beweglichen Habe wiederum kommen schlicht als Räuber warum sie um das Jahr 400 ihre Heimat

6 GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


Als im Jahr 376 n. Chr. germanische Goten auf der Suche nach
sicherem Siedlungsland in das Römische Reich drängen, erfasst ein gewaltiger
Umbruch den mächtigsten Staat der Antike. Denn bald schon folgen
weitere entwurzelte Scharen. Fast 200 Jahre lang wird diese Völkerwanderung
andauern, die Europa grundlegend verändert -------- von frank otto

an den Karpaten aufgeben: Ist mögli­ durch Nordafrika, wo sie 439 Karthago Kraft, sich diesen Angreifern zu wider­
cherweise auch zu ihnen die Nachricht erobern. Später greifen sie auch Rom an. setzen.
vom Hunnensturm gedrungen, vor dem Die Vandalen sind nach den Goten D er Zug der Langobarden nach
sic sich nun vorsorglich in Sicherheit bereits der zweite Germanenstamm, Italien im Jahr 568 ist die letzte Wande­
bringen wollen? der die Ewige Stadt plündert; längst rung auf dem Territorium des einstigen
hat die Agonie im Wes­
ten des seit 395 endgültig
.W
geteilten Imperiums be­
A n ge l­
gonnen. Und es wird ein s achse n
Heerführer germanischer
Abstammung sein, der Franken­
reich
476 den letzten weströmi­
schen Kaiser kurzerhand
absetzt (während das un­ W estgoten- vkz
Langobarden-« O s t r ö m i s c h e s Reich
gleich stabilere Oströmi­ reich
sche Reich noch weitere
977 Jahre bestehen wird).
Oder die Langobar­
den: eine germanische
Gruppe, die zu Beginn
der christlichen Zeitrech­
Während der Völkerwanderung von 376 nung am Unterlauf der A m Ende der Völkerwanderung 568 sind
bis 568 n. Chr. verlassen etliche germanische Elbe siedelt, dann wohl auf dem G ebiet des einstigen Weströmischen
Volksgruppen ihre H eim at östlich von Elbe, im Lauf der folgenden Reiches neue Staaten entstanden: die K önig­
Rhein und Donau, um im Römischen Reich eine Jahrhunderte immer wei­ reiche der W estgoten in Spanien, der Franken in
Z u ku n ft zu finden - zur N o t m it G ewalt ter nach Südosten zieht. Frankreich und der Langobarden in Italien
Im 6. Jahrhundert
tauchen die Langobarden
Jedenfalls begeben sie sich auf eine - inzwischen eine Gruppe von etwa Imperium Romanum. Die Karte Europas
der erstaunlichsten Wanderungen, die 100 000 Menschen, unter denen sich ist neu gezeichnet worden.
es je gegeben hat: Wenige Jahre nach auch Bulgaren sowie Sachsen und Gepi- Dort, wo früher römische Kaiser
dem Aufbruch überqueren die Vandalen den (aus dem heutigen Ungarn) befin­ herrschten, gebieten nun die Nachfahren
gemeinsam mit verbündeten Stämmen den - in Italien auf. der germanischen Eindringlinge. Sie sind
den Rhein, marschieren über Tausende Und nach dem Ende des Weströ­ die Erben der Cäsaren, f
Kilometer durch Gallien, die Iberische mischen Reiches und den endlosen Krie­
Halbinsel und - nachdem sie die Straße gen und Verwüstungen hat keine Macht D r. F rank O tto ,/g . 1967, ist der Geschäfts­
von G ibraltar überwunden haben - auf der Apenninen-Halbinsel mehr die führende Redakteur von G E O EPO CH E.

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung 7


••
Ein halbes J a h r t a u s e n d lang b e h e r rs c h e n die R ö m e r w e ite
Teile Europas - bis ab 376 n. C h r. eine b e is p ie llo s e K a t a s t r o p h e ü b e r das
W e l t r e i c h h e r e i n b r i c h t . B e d r ä n g t von den a sia tis c h e n H u n n e n und
a n g e l o c k t von den V e r h e i ß u n g e n de r r ö m is c h e n Z i v i l i s a t i o n , ü b e r w i n d e n
g e r m a n is c h e V ö lk e r die G re n z e n an Rhein un d D o n a u . A u f de r Suche
nach Land un d B e u te zie h e n sie s c h e in b a r u n a u f h a l t s a m d u r c h die
P r o v in z e n , p l ü n d e r n sog a r die Ewige S t a d t - un d g r ü n d e n s c h lie ß lic h
in den T r ü m m e r n des I m p e r i u m s ih r e e ig e n e n Reiche
---------- Texte: JOACHIM TELGENBÜSCHER

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung 9


So kö n n te er ausgesehen haben: A ttila , den
m ä ch tig ste n K ö n ig der S te p p e n krie g e r, beschrei
ben die C h ro n iste n als einen kle in e n M ann m it
dickem K o p f, schm alen A u g e n und e iner p la tte n
Nase (hunnische M aske aus N o rd ch in a )

I GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


DIE H U N N E N
KOMMEN!

Sturm über Europa


D ie g ro ß e U m w ä lz u n g , die spätere H is t o r ik e r

»V ölkerw anderung« nennen werden, n im m t ihren A n fa n g

in d e n S t e p p e n A s i e n s . V o n d o r t b r e c h e n die

H u n n e n n a c h 3 70 zu e i n e m d r a m a t i s c h e n E r o b e r u n g s z u g

d u r c h E u r o p a auf. I h r e M a c h t v e r g e h t z w a r b i n n e n

w e n i g e r G e n e r a t i o n e n , d o c h das C h a o s , in das sie d en

K o n tin e n t g e s tü rz t haben, w ü te t weiter

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung 11


DUELL AN
DER DONAU

I m J a h r 376 e r l a u b t R o m d e n v o r d e n H u n n e n g e f l o h e n e n G o t e n , d ie

D o n a u zu ü b e r q u e r e n u n d i m R e ic h zu s i e d e l n . D o c h s c h o n b a l d k o m m t

es z u m S t r e i t ; d i e F r e m d e n b e s i e g e n d i e T r u p p e n des I m p e r i u m s u n d

ziehen p lü n d e r n d d urch s Land. Rom hat die K o n t r o lle ve rlo re n

N ic h t n u r an D ona u und R hein bedrängen germ anische


K rie g e r d ie Römer, auch in B rita n n ie n , w o h e r dieser
Kessel sta m m t, lassen sich fre m d e V ö lk e rg ru p p e n nieder.
U m das J a h r 4 0 0 b ric h t die röm ische Z iv ilis a tio n
a u f der Insel v ö llig zusam men

12 GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


Sturm über Europa
M esser aus einem G rä b e r­
fe ld in Z e n tra lfra n k re ic h : D er
B esitzer dieses W erkzeugs war
v e rm u tlic h ein germ anischer
Söldner, der im 4. J a h rh u n d e rt
in der röm ischen A rm e e d ie n te
- w ie Z e h n ta u se n d e seiner
Stam m esgenossen auch

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


GEKOMMEN, UM
ZU B L E I B E N

D i e g e w a l t i g e n V e r b ä n d e aus K r i e g e r n

u n d F r a u e n , G r e i s e n u n d K i n d e r n , d i e im

5. J a h r h u n d e r t das I m p e r i u m d u r c h ­

s t r e i f e n , w o l l e n das R e ic h n i c h t z e r s t ö r e n .

I m G e g e n t e i l : Sie s e h n e n sich nach

e i n e m P l a t z in d e r r ö m i s c h e n G e s e l l s c h a f t ,

nach Land und W o h ls ta n d . A lle in : Die

K a is e r , d i e w i e alle R ö m e r d ie F r e m d e n als

» B a r b a r e n « s c h m ä h e n , s i n d nie h t in d e r

L a g e , sie f r i e d l i c h zu i n t e g r i e r e n

Sturm über Europa

A us den bis zu einem M e te r langen H örnern


des A u e rochsen fe rtig e n die G erm anen p rä chtig e
Trinkgefäß e. Bei ritu e lle n Festen stoßen sie m it
den Bechern a u f ihre G ö tte r an o d e r b e k rä ftig e n
fe ie rlic h e Eide m it einem Schluck H o nigw ein

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung 15


D e r Sohn G o tte s in d e r E ngelsglorie: D e r langobardische
K ö n ig Ratchis, der dieses A lta rre lie f w o h l um 745 s tifte t, ist
ein fro m m e r H errscher. In seinem n o rd ita lie n isch e n Reich
lässt er sich als » K n e ch t C h ris ti« h u ld ig e n - und nach seiner
A b d a n k u n g z ie h t er sich als M ö n ch in ein K lo s te r zurück

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


J e m e h r d ie G e r m a n e n m i t d e m G l a n z

des I m p e r i u m s k o n f r o n t i e r t w e r d e n ,

Sturm über Europa


sei es als S ö l d n e r , S i e d l e r o d e r H ä n d l e r ,

d e s t o s t ä r k e r f a s z i n i e r t sie a u c h das

C h r i s t e n t u m . S c h l i e ß l i c h b e k e n n e n sich

g a n z e S t a m m e s v e r b ä n d e - e t w a d ie

W e s tg o te n , B u rg u n d e r o d e r Franken -

z u m k a t h o l i s c h e n G l a u b e n . U n d so f e i e r n

d i e R ö m e r d o c h n o c h e i n e n S ie g : A n d e r s

als i h r W e l t r e i c h w i r d i h r e R e l i g i o n die

Epoche der Bedrängnis überdauern

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


STURM AUF DIE
EWIGE STADT

Es i s t e i n e K a t a s t r o p h e , d i e e i n e m W e l t u n t e r g a n g

g l e i c h t : I m A u g u s t 410 p l ü n d e r n d ie W e s t g o t e n u n t e r i h r e m

K ö n i g A l a r i c h d ie b e d e u t e n d s t e M e t r o p o l e des I m p e r i u m

R o m a n u m - zum ersten M a l seit 8 0 0 J a h re n m a rs c h ie rt w ie d e r

e in f e i n d l i c h e s H e e r in R o m e in . Ein M e n s c h e n a l t e r

s p ä t e r w i r d das K a i s e r t u m im W e s t e n g a n z v e r s c h w i n d e n

u n d ein G e r m a n e in I t a l i e n h e r r s c h e n

*■ %
‘ V v

18 GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


Ihren A u fs tie g verdanken die germ anischen H e e rfü h re r o ft
genug der röm ischen A rm e e : So d ie n t etw a der Skire O doaker,
der sp ä te r einen Im p e ra to r stürzen w ird , als ju n g e r M ann
eine Z e it lang dem Kaiser als O ffiz ie r (v e rg o ld e te r H e lm aus
dem G rab eines alem annischen K riegers, um 6 0 0 )

Sturm über Europa

R öm er v o r allem je n se its d e r G renzen. Bald kä m p fe n d e ra rt


vie le G erm anen in den Legionen, dass in entscheidenden
G e fe c h te n o ft Barbaren gegen Barbaren k ä m p fe n (S chw ert
m it G o ld g r iff aus dem 5. J a h rh u n d e rt)

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung 19


V ie r fauchende P an th e r aus
Bronze stü tze n den T h ro n , der
an g e b lich e in st dem Franken­
k ö n ig D a g o b e rt I. g e h ö rte - einem
Spross je n e r germ anischen D y n ­
astie, d ie im 5. J a h rh u n d e rt ein
eigenes Reich in G a llie n e rric h te t.
D ie Form des M ö b e ls e rin n e rt
an die p ru n k v o lle n Faltsitze rö m i­
scher Beam ter: S ym bole von
M a c h t, R echt und G esetz

20 GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


DIE E R B E N
DER CÄSAREN

Sturm über Europa


In d e n e h e m a l s w e s t r ö m i s c h e n P r o v i n z e n

g r ü n d e n d i e g e r m a n i s c h e n I n v a s o r e n n ac h u n d

n a c h e i g e n e R e i c h e : D i e W e s t g o t e n lassen

sich in S p a n i e n n i e d e r , d i e V a n d a l e n u n t e r w e r f e n

N o r d a f r i k a , u n d d i e F r a n k e n m a c h e n sich

G a llie n u n te r ta n . Ihre H e rrs c h e r tra g e n zwar

n u r d e n K ö n i g s t i t e l - d e n n o c h e i f e r n sie d e m

P o m p u n d d e r P r a c h t d e r K a i s e r n ac h

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung 21


IM Z E I C H E N
DES KREUZES

Von B ü ro kra tie und staatlicher V e rw a ltu n g verstehen

d ie E r o b e r e r w e n i g , d e n n o c h s i n d i h r e R e i c h e ü b e r r a s c h e n d

stabil, m anche ü b e rd a u e rn sogar J a h rh u n d e rte . D enn

d ie n e u e n H e r r e n s t ü t z e n sich a u f e i n e e t a b l i e r t e M a c h t : d ie

Kirche. D ank der H ilfe von Bischöfen und fro m m e n

G e l e h r t e n k ö n n e n sie e r f o l g r e i c h r e g i e r e n

22 GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


0 fHiO«*

Sturm über Europa

A ls Z eichen ih re r F rö m m ig k e it und
D e m u t s tifte n die w e stg o tisch e n K ö n ig e der
ka th o lisch e n K irch e e tlic h e W e ih e kro n e n
w ie diese. A n g o ld e n e n K e tte n w erden die
p ru n k v o lle n S chm uckstücke über dem
A lta r a u fg e h ä n g t; bisw eilen ve rb e rg e n sich
in ihnen auch kostbare R eliquien, etwa
K n o c h e n s p litte r c h ris tlic h e r H e ilig e r

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


m ,l w

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GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


Lne g ro is te n o e w i n n e r d e r V ö lk e r w a n d e r u n g s in d die

g e rm a n is c h e n Franken: U n t e r ih re m K ö nig C h lo d w ig , Sohn

e i n e s H e e r f ü h r e r s in r ö m i s c h e n D i e n s t e n , e r o b e r n sie

e in e r

Tv£

Sturm über Europa

W ie die R öm er b e tte n auch d ie Franken


besonders ve re h rte Tote in m a rm o rn e S arko­
phage. D ie R eliefs a u f diesem Sarg aus dem
7. J a h rh u n d e rt v e rb in d e n das A lte m it dem
N euen Testam ent: A u f dem D eckel p ra n g t das
C h ristu sm o n o g ra m m , d a ru n te r ist der biblische
P ro p h e t D aniel zu sehen, in d e r Löw engrube

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


M it dem M arsch der L a n g o b a rd e n von U n ga rn

n ach I t a l i e n e n d e t u m das J a h r 568 d ie E p o c h e d e r V ö l k e r ­


w a n d e r u n g . A u s d e n T r ü m m e r n des W e s t r ö m i s c h e n

R e ic h e s e r w ä c h s t n u n e in e n e u e W e l t , d ie f a s t 1 0 0 0 J a h r e

a u e r n wi

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


A u g e in A u g e m it dem K ö n ig : A u f d e r S tirn p la tte
dieses H elm s aus dem 6. J a h rh u n d e rt th ro n t der lango
bardische M o n a rch A g ilu lf, fla n k ie rt von K riegern
und Siegesengeln. Sein V o lk b e h e rrsch t bis 774 w e ite
Teile Italiens, dann muss es sich e iner stärkeren
M a c h t beugen: den Franken f

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


Die Goten - 3 7 6 n. Chr.

Ein Volk auf


der Flucht
28 GEO EPOCHE Die Völkerwanderung
Lange Zeit haben die germanischen Goten am Schwarzen
Meer gelebt. Doch um 375 dringen hunnische Reiterkrieger
in ihr Gebiet ein, plündern die Dörfer, brennen Häuser
nieder. Die Angegriffenen ziehen in gewaltigen Trecks nach
Süden - in Richtung des Imperium Romanum

Im Jahr 376 n. Chr. übertreten auf dem Balkan Zehntausende Männer, Frauen und
Kinder die Grenze zum Imperium Romanum. Es sind Goten auf der Flucht vor hunni­
schen Kriegern - und dies ist der Beginn der Völkerwanderung. Zwar nimmt der
oströmische Kaiser einen Teil der Ankömmlinge auf. Doch als sie gedemütigt werden,
hungern und frieren, greifen sie zu den Waffen. Schließlich ziehen die Goten
gegen die Römer in den Krieg -------- Text: reymer klüver; Illustrationen: timo zett

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


n kleinen Gruppen setzen die gotischen
Familien im Jahr 376 über die Donau. Es sind
aber schon bald derart viele, dass Grenz­
kontrollen und Versorgung unter dem Strom
der Flüchtlinge zusammenbrechen

fast unüberwindbare Fes­ Aus dem Schutz der Wagenburg


tung aus Rädern, Latten hinaus kann Fritigern genau beobach­
und Deichseln. ten, wie die Legionäre und Hillstruppen
Nur seine Reiter hält in der Ebene Aufstellung nehmen, wie
Fritigern noch zurück. Sie sich die gefürchtete imperiale Militär­
sind in der umliegenden maschine formiert.
Hügellandschaft unter­ Es sind mehr als ein Dutzend rö­
wegs, um an den Bächen mische Legionen, jede etwa 1000 Mann
und auf den grünen Hän­ stark. Schild an Schild rücken die Sol­
gen Thrakiens ihre Pferde daten des Kaisers und die Hilfstrup­
zu tränken und zu stärken pen vor. Ihre Helme, Rüstungen und
für diesen Tag. Den 9. Au­ Waffen blitzen in der Sonne. An den
gust des Jahres 378. Flügeln zieht Kavallerie auf, wohl 6000
Heute wird sich wei­ Reiter.
sen, ob sie dem Kaiser die Insgesamt haben die Goten rund
Stirn bieten können. Ob 25 000 M ann gegen sich; sie selbst stel­
die Goten eine Zukunft len annähernd gleich viele Kämpfer.
haben im Imperium Ro- Der Kaiser persönlich fuhrt die Le­
manum. Denn auf dem gionäre an: Valens, der mächtigste Mann
Alles ist bereit für die Schlacht mit den Territorium des Reiches wollen sie nun im Ostteil des Römischen Reiches.
Römern. Fritigern, der Heerführer der siedeln, fernab ihrer Heimat im Norden Waffengeklirr dringt an die Ohren
Goten, hat für seine Krieger auf einem und Nordwesten des Schwarzen Meeres, von Fritigerns Männern in der Wagen­
Hügel fast 250 Kilometer nordwestlich wo sie lebten, bevor wilde Reiterhorden burg, die nun zu brüllen beginnen. Sie
von Konstantinopel eine mächtige Wa­ sie vertrieben und an die Grenze des schreien Preislieder auf ihre Ahnen hin­
genburg errichten lassen. mächtigsten Imperiums der antiken Welt aus, wie sie es vor jeder Schlacht tun.
Mehrere Tausend Holzgefährte, je­ gedrückt haben: an die Grenze Roms. Auch in den Reihen der Römer
des zwei Meter lang, sind in einem Kreis Und das Imperium hieß sie anfangs erhebt sich Gesang, schwillt nach und
dicht an dicht gestellt, gesichert durch willkommen. Doch das hat sich nun ge­ nach an. Ein erstes Kräftemessen. Mehr
eine zusätzliche Verteidigungslinie - eine ändert. Schrecklich geändert. aber geschieht nicht. Vorerst zumindest.

30 GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


Goten
Denn Fritigern ist ein klug kalku­ Hilfstruppen die Kehlen aus. Zudem hat Römer haben seiner Friedensofferte kei­
lierender Heerführer, so wird es später Fritigern auch noch Feuer entzünden ne Beachtung geschenkt.
ein römischer Geschichtsschreiber schil­ lassen. Der W ind treibt den Qualm des Jetzt schickt Fritigern erneut einen
dern. Der Gote lässt sich Zeit. Und er ist brennenden Buschwerks in Richtung der Friedensboten hinüber. Das gibt ihm
furchtlos - mag sein Gegenüber auch ein Römer. Die Schwaden erschweren ihnen Zeit, bis seine Reiter da sind. Und wer
Kaiser der Römer sein und dessen weiß? Vielleicht zucken die Römer
Armee aus kampferprobten Vete­ in letzter Sekunde noch zurück.
ranen bestehen. Tatsächlich reagiert der Kai­
Der Führer der Goten ist ser nun anders als am Vorabend.
im Vorteil, und er weiß es. Seine
Krieger sind ausgeruht, hinter den
DER FÜRST Offenbar sind Valens und seine
Generäle überrascht von der Zahl
Legionären liegen dagegen acht der Gegner. Von nur 10 000 Goten
Stunden Marsch über Hügel und FORDERT hatten ihre Späher berichtet, keine
Hänge. Bereits im Morgengrauen ernst zu nehmende Gefahr für die
sind sie nahe dem etwa 17 Kilome­ Legionäre. Aber nun ist zu erken­
ter entfernten Adrianopel (heute SIEDLUNGSLAND nen, dass vor und in der kilome­
Edirne in der Türkei) aufgebro­ terbreiten Wagenburg annähernd
chen. Die befestigte Stadt liegt an doppelt so viele Krieger stehen.
der Straße, die von Konstantinopel Und so hört Valens die Unter­
hinauf über den Balkan bis zum händler des Gotenfiirsten immer­
heutigen Belgrad führt. die Sicht, beißen in den Augen, machen hin an. Fritigerns Ziel ist es, Siedlungs­
Jetzt am frühen Nachmittag stehen jeden Atemzug zur Qual. land für sich und sein Volk in Thrakien
die römischen Kämpfer in glühender Dabei ist Krieg für Fritigern gar zu gewinnen. Zum Dank würde er seine
Hitze auf der Ebene, durstig, hungrig, nicht die erste Option. Eigentlich will er Krieger in den Dienst Roms stellen.
erschöpft. Der Gotenfürst hat dagegen verhandeln. Schon am Vortag hat er ei­ Valens zögert, scheint bereit zu ver­
Wasser und Vorräte in seiner Wagenburg. nen Emissär ins gegnerische Feldlager handeln. Dann aber reitet die römische
Staub, aufgewirbelt von Zehntau­ entsandt, einen christlichen Geistlichen, Kavallerie, die von ihm weit entfernt auf
senden Soldaten und den Hufen Tausen­ als Zeichen seines guten Willens. Denn dem linken Flügel seiner Truppen steht,
der Pferde, trocknet den Legionären und auch Kaiser Valens ist Christ. Doch die plötzlich eine Attacke gegen die Goten:

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung 31


Schnell verschlechtern sich die Beziehungen
zwischen den Einwanderern und den Römern.
Nach erbitterten Auseinandersetzungen
wählen beide Gruppen den Kampf. Am 9. August
378 erwarten die Goten (die von Frauen und
Kindern begleitet werden) die heranziehenden
Legionen (Bildm itte) zur Schlacht

Sie scheint eine Schwachstelle in der


Bastion entdeckt zu haben.
Die Reiter werden zwar schnell in
die Flucht geschlagen, aber nun rücken
Bogenschützen und Infanterie vor -
ebenfalls ohne Befehl des Kaisers und
ohne Koordination mit dem Rest des
I leeres. Es ist, als hätten die Legionäre
die Anspannung und Ungewissheit in
der Hitze nicht mehr ertragen. Tatsäch­
lich dringen sie bis zur Wagenburg vor.
Da tauchen plötzlich Fritigerns
Reiter auf. Völlig überraschend für die
Römer preschen etwa 4500 Krieger auf
ihren Pferden von den Hängen gegen die
Legionäre, greifen den linken Flügel der
kaiserlichen Truppen von der Seite an
und gelangen kurz darauf in den Rücken
der römischen Schlachtreihe.
Ihre Gegner wissen bald nicht
mehr, in welche Richtung sie sich vor
den feindlichen Reitern schützen müs­
sen. Die Goten sind überall und beschie­
ßen die Flüchtenden mit Pfeilsalven.
Nun stürmen die Kämpfer aus der
Wagenburg hervor. Die W ucht ihres
Ansturms lässt die Speere der Römer
zerbersten. Verzweifelt versuchen die Le­
gionäre, sich mit Schwerthieben gegen
die Attacken zu wehren, doch haben die
Germanen* sie derart weit zusammen­
gedrängt, dass die Soldaten kaum mehr
mit ihren Armen ausholen können.
Bald liegen Tausende Männer tot
am Boden. Die um ihr Leben Kämpfen-

D e r hier u n d in w e iteren Texten des H e fte s v e rw e n ­


d e te B e g riff d e r „G e rm a n e n " f o lg t einem in d e r W is ­
senschaft ü b lich e n G e b ra u ch : Er d ie n t heute als Sam­
m e lb e ze ich n u n g fü r je n e V ö lke rscha ften M it t e l- und
O ste uro pa s, d ie germ anische Id io m e sprachen. D er
N a m e w u rd e ursp rü n g lich durch die Röm er ge prägt:
U m die Z e ite n w e n d e fassten C h ro n is te n d a ru n te r all
jene S täm m e zusam m en, d ie in den G e b ie te n östlich
des Rheins zu Hause waren. Ein G em einschaftsbew usst­
sein aber ve rb a n d d ie d o r t lebenden Scharen nicht. Sie
be ze ich n e te n sich selbst auch nie als G erm anen.

32 GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


den stolpern über Leiber, gleiten auf dem Die Zeit der „Völkerwanderung“ - Nomaden über fest abgesteckte Weide­
blutdurchtränkten Boden aus, Pferde­ wie spätere Historiker die etwa 200 Jahre gründe, die sie mit Gewalt gegen Ein­
kadaver versperren ihnen den Weg. Fri- währende Epoche im Übergang von der dringlinge verteidigen.
tigerns Krieger setzen ihnen nach. Antike zum M ittelalter nennen wer­ Die Terwingen, die „Waldbewoh-
Es ist nun später Nachmittag. Und den - hat begonnen.* An ihrem Ende ncr“, lassen sich weiter westlich nieder,
das Blutvergießen nimmt kein Ende. wird die Weltordnung eine andere sein. im heutigen Rumänien und Moldawien,
zwischen dem Dnjestr und der römi­
schen Donaugrenze.
Die Herkunft der Goten liegt im Dun­ Anders als die Greutungen sind die
keln. Noch um die Zeitenwende haben Terwingen ein Bauernvolk, das aus einer
einige ihrer Vorfahren wohl an der unte­ Vielzahl von Kleinstämmen besteht. Sie
ren Weichsel im heutigen Polen gelebt. leben in Dörfern, die Anführer herrschen
Jahrhunderte später werden ihre Nach­ von befestigten Anwesen aus.
kommen sich erzählen, dass sie u r­ Nach einer Niederlage gegen die
sprünglich noch von viel weiter her ge­ Römer im Jahr 332 schließen sie mehrere
kommen sind, aus dem hohen Norden. Verträge mit dem mächtigen Nachbarn
Doch archäologische Hinweise auf eine im Süden ab. Gegen jährliche Geldzah­
skandinavische Herkunft gibt es nicht. lungen stellen die Terwingen dem Impe­
Vermutlich seit dem Ende des rium Soldaten für dessen Kriegszüge,
Die Römer haben die G oten unter­ 2. Jahrhunderts siedeln die Goten in den und an mehreren Grenzorten dürfen sie
schätzt. Sie haben die N ot und E nt­ Steppen nördlich des Schwarzen Mee­ fortan Handel treiben.
schlossenheit der Krieger verkannt, die res (siehe Karte Seite 40). Warum sie aus Echter Frieden aber herrscht offen­
zu Zehntausenden gekommen sind, mit ihrer Heimat an der Weichsel dorthin bar nie. Kaiser Valens, seit 364 Herrscher
Frauen und Kindern, mit Wagen, im Ostteil des Imperiums, lässt
um zu bleiben. Niemand kann sie bereits kurz nach seinem Amtsan­
aufhalten, niemand die W ande­ tritt an der Donau Festungen und
rung der verzweifelten Massen Kartelle instand setzen und eine

Goten
stoppen, die wenige Jahre zuvor
nördlich des Schwarzen Meeres
WAS WOLLEN mächtige Flotte den Strom bewa­
chen. Dennoch greifen die Goten
begonnen hat. das Imperium an. Daraufhin führt
Die Schlacht in Thrakien ist DIE REITERKRIEGER Valens 367 eine Strafexpedition ge­
der mörderische Auftakt zu einem gen die unbotmäßigen Goten an.
Ringen, das Europa von Grund Einen entscheidenden Sieg
auf verändern wird. Denn die G o­ AUS DER STEPPE? kann er zwar nicht erringen. Aber
ten werden nicht die Einzigen die militärisch unterlegenen Bar­
bleiben, die aus ihrer Heimat jen­ baren unterzeichnen einen weite­
seits der Grenzen des römischen ren Friedensvertrag. Das Überein­
Imperiums aufbrechen, weil noch kommen soll das Nebeneinander
kriegerischere Scharen sie bedrängen, ausgewandert sind, ist nicht bekannt. neu regeln. Die Römer lassen die Goten
Hunger sie dazu zwingt oder der Wohl­ Überliefert aber ist, dass sie bereits um fortan in Ruhe, und die respektieren da­
stand des Imperiums sie anlockt. das Jahr 250 zu Raubzügen ins Römische für die Donau als Grenze. Jährliche Zah­
Reich aufbrechcn. Sic überfallen Städte lungen der Römer gibt es nun nicht mehr
an den Schwarzmeerküsten, plündern in und der Handel wird eingeschränkt.
* D e r bis heute g e b rä u ch lich e E p o c h e n b e g riff „Völker­ Thrakien und wagen sich mit Booten in Doch der Pakt ist bald hinfällig.
w a n d e ru n g “ w u rd e im 19. J a h rh u n d e rt in D e u tsch la n d
die Ägäis vor. Erst nach mehreren römi­ Nicht weil ihn Römer oder Goten bre­
g e p rä g t, als H isto rike r noch davon ausgingen, dass vom
schen Angriffen stellen sie um 270 ihre chen. Sondern weil ein rätselhaftes Kric-
späten 4. J a h rh u n d e rt an ganze V ö lke r ihre U rh e im a t
verlassen h ä tte n , geschlossen in u n d durch das R ö m i­
Vorstöße ein. gervolk aus den Weiten Asiens alle Ab­
sche Reich g e w a n d e rt w ären. Tatsächlich a b e r h a n ­ In den folgenden Jahrzehnten sprachen zunichte macht: die Hunnen.
d e lte es sich in den m eisten Fällen n ic h t um ethnisch spalten sich die Goten wohl infolge der Keiner weiß genau, woher die Rei­
h o m o g e n e V ölkerscharen, son de rn um a llm ä h lich an ­ Niederlage gegen die Römer in zwei terhorden stammen, die um das Jahr 375
w achsende G e m e in sch a fte n von K rie g e rn u n d deren große Gruppen. Die Greutungen („Be­ plündernd und mordend in das Land der
A n g e h ö rig e n , denen sich nach u n d nach ganz u n te r­
wohner der Steppen“) leben fortan unter Goten einfallen. Wahrscheinlich kom­
schie dliche M en sche n anschlossen - A n g e h ö rig e an ­
d e re r S täm m e, rö m isch e A b e n te u re r und Sklaven. Eine
der Führung eines Königs in den weiten men die Hunnen aus der zentralasiati­
gem einsam e Id e n titä t - e tw a als W e s tg o te n - e n t­
Ebenen zwischen Dnjestr und Don in schen Steppe.
w icke lte n diese Scharen m e ist erst, na ch d e m sie auf der heutigen Ukraine und Südrussland. Was sic nun mehr als 3500 Kilome­
rö m isch e m B oden eigene Reiche g e g rü n d e t hatten. Sie sind ein Reitervolk und ziehen als ter nach Westen getrieben haben könnte,

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung 33


ist ungewiss. War es Hunger oder die hunnischer Reiter, geben etliche Greu- die Terwingen nun nutzen. Sie sehen nur
Suche nach neuen Weidegründen für ihr tungen ihre Weidegründe auf und wen­ einen Ausweg, den Hunnen zu entgehen:
Vieh? Jedenfalls tauchen die Hunnen den sich Richtung Westen. die Flucht nach Süden über die Donau,
urplötzlich nördlich des Schwarzen Nun attackieren die Hunnen die ins Imperium Romanum.
Meeres auf, unterwerfen die dortigen Terwingen. Die Reiterkrieger sind indes Im Sommer 376 treffen die Flücht­
Stämme und treiben viele Krieger mit weniger Eroberer als Räuber: Sie pliin- linge am Nordufer der Donau ein: gut
ihren Familien zur Flucht. 90 000 Menschen; Männer, Frau­
Denn sie sind gefürchtete en, Kinder, das Hab und G ut auf
Kämpfer, Meister im Gebrauch ihren Holzwagen verstaut.
einer verheerenden Waffe: Ihre Fritigern und Alaviv schicken
Pfeile treffen Ziele selbst auf meh­ eine Delegation zum Kaiser. Sie
rere Hundert Meter und durch­ DIE GERMANEN bitten um Asyl im Römischen
schlagen auf kurze Distanz auch Reich. Dafür bieten sic Valens an,
stärkere Panzerungen.
Als Erstes fallen ihnen die
FORDERN RACHE FÜR ihm Truppen zu stellen.
Tatsächlich kann der Kaiser
Alanen, die am Don leben, zum Soldaten gut gebrauchen. Valens
Opfer. Sie werden unterworfen DEN VERRAT plant einen Krieg gegen die Per­
und gezwungen, mit ihren neuen ser weit im Osten des Reiches. Er
Herren nach Westen zu ziehen. gibt der Bitte der Gotenfürsten
Anschließend greifen die statt. Die Terwingen dürfen in
Hunnen die Grcutungen westlich Thrakien siedeln.
des Don an. Anfangs versucht deren Kö­ dern das Land der Goten aus und ver­
nig Ermanarich noch, Widerstand gegen nichten die Ernte. Der Anführer der Ter­
die Reiter zu organisieren. Dann wählt wingen muss nach einem Machtkampf Ganze Völkerscharen aufzunehmen, das
er den Suizid - vermutlich opfert er sich, zwei anderen das Feld überlassen: Alaviv ist nichts Neues für das Imperium. Seit
um die G ötter freundlich zu stimmen - und Fritigern. Von ihm erhoffen sich Jahrhunderten haben die Römer immer
und so sein Volk zu retten. viele Terwingen die Rettung aus der Not. wieder Fremde einreisen lassen, die bei
Vergebens. Die H unnen rücken Denn Fritigerns Gefolgschaft sie­ ihnen Schutz oder einfach ihr Glück
weiter vor. Ermanarichs Nachfolger fällt delt an der Donau, seine Kontakte zu den suchten, manchmal auch in großer Zahl.
im Kampf. Weil sic sich nun nicht mehr Römern sind daher enger als die der an­ Schon unter Kaiser Nero haben um 60
sicher fühlen können vor den Angriffen deren Goten. Diese Beziehungen wollen n. Chr. 100000 Menschen mit Billigung
D ie römische Kavallerie beginnt m it
einer plötzlichen A ttacke auf die G oten
die Schlacht vom 9. A ugust 378

waffnen und mögliche Unruhen gar


nicht erst aufkommen zu lassen.
Auch im Sommer 376 soll es so
ablaufen. Zur Kontrolle der gotischen
Masseneinwanderung ist die römische
Donauflotte im Einsatz, die Truppen in
den rund 50 befestigten Garnisonen ent­
lang des Flusses sind in Bereitschaft. Der
Statthalter von Thrakien• • hat seine Feld-
Soldaten herbeigerufen. Uber strategische
Reserven allerdings —also Kämpfer, die
er schnell alarmieren kann, sollte die
Situation eskalieren - verfügt er nicht.
Anfangs hindert Hochwasser die
des Herrschers über die Donau gesetzt. bände sollten sich offenbar auflösen, die Flüchtlinge daran, überzusetzen. Auf der
Und 334 hat Kaiser Konstantin noch weit einzelnen Einwanderer sich rasch inte­ römischen Seite nutzen die Vertreter des
mehr Sarmaten, iranischsprachige Rei­ grieren. Die Zugezogenen hatten als freie Kaisers die Zeit, um Vorräte für die Ver­
terkrieger, ins Reich ziehen lassen. Bauern Steuern zu zahlen, und die jun­ sorgung der Menschenmassen heran­
Das alles verlief meist nach dem gen Männer mussten sich in der Armee zuschaffen. Die Lebensmittel lagern in
gleichen Muster. Den Neuankömmlin­ verpflichten. Für die Römer ein zwei­ unzähligen Forts an der Grenze, in den
gen wurde Land zugewiesen, allerdings facher Gewinn, denn es gab zusätzliche befestigten Städten und an wichtigen

Goten
meist nicht in einem zusammenhängen­ Staatseinnahmen - und neue Rekruten. bewachten Straßenkreuzungen und Brü­
den Siedlungsgebiet, sondern in kleinen Und immer waren Kampftruppen cken. Das wird sich als fatal erweisen.
Gruppen auf schmalen Parzellen, weit an den Grenzpunkten stationiert, um die Im frühen Herbst richten die Rö­
verteilt im Imperium. Die Stammesver­ Neuankömmlinge gegebenenfalls zu ent­ mer endlich einen Fährdienst ein. Alles

A n einer m ächtigen W agenburg


stellen sich die gotischen Krieger
dem Kaiser und dessen Heer in
der Nähe der oströmischen Stadt
A drianopel entgegen
kontrollieren sie. Die gotischen Männer Neige. Und die Versorgung durch die Richtung Marcianopolis (im heutigen
sollen ihre Waffen abgeben, ihre Bogen, Römer funktioniert nicht. Bulgarien), der größten Stadt der Region
Schwerter, Speere, auch die meisten Pfer­ Es ist die Stunde der Geschäfte­ und deren militärischem Hauptquar­
de. Einige Legionäre und Offiziere lassen macher. Nur wer besticht, erhält Ware. tier - als Zeichen, dass es doch voran­
sich möglicherweise bestechen und neh­ Die verfügbaren Lebensmittel werden zu geht. Von dort aus sollen sie dann weiter
men es mit der Entwaffnung nicht ganz Höchstpreisen auf dem Schwarzmarkt verteilt werden.
so genau, jedenfalls gelingt es etlichen verkauft, und der Statthalter von Thra­ Langsam schleppt sich der Treck
Terwingen, ihre Waffen zu behalten. kien verdient daran. der Flüchtlinge voran, bewacht von römi­
In kleinen Gruppen setzen die Fa­ Die meisten Goten hungern, und schen Soldaten. Die hat der Statthalter
milien über den Strom. bald kommt der Winter. Sie müssen im dafür von der Donau abgezogen.
Freien kampieren, bei Temperaturen, Ein gewaltiger Fehler.
die nun selbst tagsüber kaum über den Denn die Römer haben ihren Pakt
Gefrierpunkt klettern. nur mit den Terwingen geschlossen, mit
Römische Offiziere machen Jagd Fritigerns und Alavivs Schar.
auf junge Frauen und Knaben. Manche Inzwischen aber sind die vor den
Familien überlassen ihre Kinder H änd­ Hunnen geflohenen Greutungen (denen
lern als Sklaven und erhalten dafür ledig­ sich auch einzelne hunnische und däni­
lich Hundefleisch. sche Kampfverbände angeschlossen ha­
Die anfängliche Freude über die ben) an der Donau cingctroffcn, ebenfalls
geglückte Flussquerung ist längst ver­ Zehntausende Menschen stark.
flogen. In den Winterlagern der Terwin­ Sie lagern etwas weiter östlich am
gen treffen immer mehr Menschen ein. Nordufer des Grenzflusses, harren aus in
Die Stimmung kippt. Kälte und Matsch.
Spätestens nun merken die Terwingen, Die Ankömmlinge wollen endlich Bis zu diesem Zeitpunkt haben sie
dass sie den Römern fortan auf Gedeih weiter, zu ihren Siedlungsgebieten in den Strom wegen der ständig patrouil­
und Verderb ausgeliefert sind. Sie werden Thrakien, wie sie es mit dem Kaiser ver­ lierenden Donauflotte nicht passieren
in Lagern untergebracht. Ihre Vorräte, einbart haben. können. Doch nun fahren die Schiffe
die sic von der letzten Ernte in aller Eile Schließlich schickt der römische nicht mehr den Flusslauf ab, und keiner
zusammengeklaubt haben, gehen zur Statthalter einen Teil der Menschen in hindert sie, mit Flößen überzusetzen.

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


Kaum haben die Römer angegriffen,
da stürmen gotische Reiter heran. Das
Schlachtenglück wendet sich: Einge­
kreist und unfähig zu manövrieren, sind
die Legionäre des Kaisers den germa­
nischen Kriegern hilflos ausgeliefert

In dieser Situation lädt der römi­ marschiert auf das Gotenlager - gerade­ Südosten des Balkans, räumen Speicher o
sche Statthalter Alaviv, Fritigern und zu ins Verderben. und Lagerräume, brennen G üter und ~
einige ihrer Gefolgsleute zu einem Mahl Fritigerns Kämpfer schlagen die Siedlungen nieder.
ein. Doch die Einladung ist eine Falle. Legionäre vernichtend und erbeuten die Sie erschlagen Männer und Kinder,
die Frauen schleppen sie als leben­
de Kriegstrophäen in ihrem Tross
Schon früher haben sich Römer mit sich. Jungen im wehrfähigen
einer List wie dieser bedient. H a­ Alter pressen sie in den Dienst.
ben die Anführer ihrer Gegner Verkohlte Balken und Leichen
umgarnt, Gastfreundschaft vorge­ AUS DEM NICHTS markieren den Weg der Goten.
täuscht und ihren Besuch einfach Die römischen Provinzbeam­
entführt oder gar ermordet. Bei
dem Mahl mit den Goten erschla­
STÖSST DIE ten geraten in Panik. Aus den
Bittstellern jenseits der Donau
gen Soldaten des Statthalters die sind auf einmal gefährliche Inva­
Begleiter der Anführer und wohl KAVA L L ERI E VOR soren geworden. Eilends versuchen
auch Alaviv. Fritigern aber gelingt sie noch, eine gotische Truppen­
mit knapper Not die Flucht. formation, die aus schon vor län­
Die Terwingen sind von den gerer Zeit rekrutierten Terwingen
Römern ausgebeutet, missachtet besteht und die über den W inter
und nun auch noch verraten worden. römischen Waffen. Neben dem Statthal­ in Adrianopel stationiert ist, nach Klein­
Jetzt werden sie sich wehren. Schon am ter können nur wenige Römer entkom­ asien zu verlegen. Doch die Soldaten
Morgen nach dem Gastmahl kommt es men. Das Imperium hat nun kein beweg­ meutern, als sie überstürzt und ohne aus­
unter der Führung Fritigerns zu einem liches Heer mehr in der Region, das sich reichend Proviant aufbrechen sollen, und
Aufstand im Gotenlager, keine 15 Kilo­ den Goten entgegenstellen könnte. laufen zu ihren Stammesbrüdern über.
meter vor Marcianopolis. Aufgebrachte Jetzt rächen sich die Terwingen für Alle befestigten Garnisonen und
Terwingen überwältigen die Wachmann­ die schlechte Behandlung an der Grenze. Städte lassen die Goten auf Weisung
schaften, plündern die Güter der Um­ Sklaven und thrakische Bergarbeiter aus Fritigerns in Ruhe - denn sie wissen
gebung. Der Statthalter zieht nun alle den Erzgruben schließen sich ihnen an. nicht, wie man Städte belagert und er­
verfügbaren Soldaten zusammen und Plündernd ziehen die Goten durch den stürmt. Abgesehen davon aber befindet

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung 37


sich im Frühjahr 377 bereits der gesamte gemacht auf dem Schlachtfeld, als Skla­ Unglaubliche Erfolge hat er schon
Südosten der Balkanhalbinsel in der ven verkauft, in den Heeresdienst ge­ errungen. Aber Fritigern dürfte klar sein,
Hand der Goten. presst oder als todgeweihte Gefangene dass es so nicht weitergehen kann: Auf
für die Spiele in den Zirkusarenen. Dauer sind die Raubzüge nicht durch-
Das Imperium wird Zurückschlagen. zuhalten. So wird er für sein Volk nie
Den Terwingen kommt dabei zweifellos Und tatsächlich: Jetzt handelt Va­ eine neue Heimat schaffen.
gelegen, dass der Kaiser weit entfernt lens. Er schließt einen hastigen Kompro­ Zudem wird der Landstrich, durch
vom Geschehen residiert, in Antiochia missfrieden mit den Persern im Osten den sie nun schon im zweiten Jahr zie­
nahe der syrischen Mittelmeerküste. Von und beordert alle verfügbaren Einheiten hen, sie bald nicht mehr ernähren kön­
dort aus bereitet Valens gerade seinen aus Mesopotamien und dem Kaukasus nen, etliche Vorräte sind geplündert,
Feldzug gegen die Perser vor. nach Konstantinopel. Ende Mai 378 trifft viele Felder unbestellt geblieben.
A uf die Berichte vom Vormarsch er selbst dort ein. M it Gratian, seinem Strategisch haben die Goten keine
der Goten hin kommandiert er Wahl: Sie können nicht nach Nor­
ein paar Einheiten aus Armenien den zurück, jenseits der Donau
ab und bittet den weströmischen wüten noch immer die militärisch
Herrscher Gratian um Truppen. überlegenen Hunnen, darüber hin­
Den eintreffenden Soldaten aus kontrolliert die römische Do­
gelingt es zunächst tatsächlich, die AUCH DER KAISER nauflotte inzwischen wieder den
Terwingen wieder nach Norden Strom. Den Abnutzungskrieg ge­
bis an die Donau zu treiben. Nahe
der Flussmündung kommt es bei
KO M M T IN gen die Römer kann ihr zusam­
mengewürfelter Haufen von in­
Ad Salices im Spätsommer 377 zwischen fast 200 000 Menschen
zum Kampf zwischen Goten und DEM K A M PF UM - darunter höchstens 35 000 Män­
Römern. Er endet in einem Blut­ ner im wehrfähigen Alter - nicht
bad - ohne eindeutigen Sieger. mehr lange führen.
Schon das aber ist ein Erfolg M indestens 70 M illionen
für die Germanen. Die Legionen Menschen leben im Römischen
ziehen sich vorläufig zurück. Mitkaiser im Westen, hat er vereinbart, Reich: Wenn es sein muss, kann es also
Fritigern nutzt die Ruhepause und dass der persönlich an der Spitze eines Hunderttausende Soldaten aufbieten.
organisiert Ersatz für seine dezimierten Heeres die Donau hinabzieht und ihm Nur ein Verhandlungsfrieden mit
Truppen: Er kann die Reiter der Greu- über das Balkangebirge zu Hilfe kommt. den Römern wird den Goten Sicherheit
tungen für sich gewinnen; auch einige Vereint wollen sie die Goten schlagen. bringen. Fragt sich nur, wann dafür der
Alanen und hunnische Kampfgruppen Valens bricht mit seinem Heer nach günstigste Zeitpunkt ist: vor oder nach
schließen sich ihm an. Als Spione den Thrakien auf. Südlich von Adrianopcl der Schlacht mit Valens. Oder will der
Römern das Barbaren-Biindnis melden, wartet er auf Gratians Truppen. Doch Römer vielleicht gar nicht kämpfen?
lassen die Offiziere ihre Legionäre Rich­ deren Ankunft verzögert sich. Am Abend des 8. August 378 wagt
tung Kleinasien abrücken, wohl um Zeit Fritigern einen diplomatischen Vorstoß.
zu gewinnen, bis Verstärkung eintrifft. Er schickt einen Friedensboten ins kai­
Die Goten folgen ihnen, marschie­ serliche Feldlager bei Adrianopel. Die
ren erneut durch den Südosten des Bal­ Römer verstehen seine Avancen aber
kans, tauchen sogar kurz vor den Mauern offenbar als Zeichen der Schwäche. Der
und den hastig geschlossenen Toren Emissär kehrt ohne Ergebnis zurück.
Konstantinopels, der H auptstadt des Die I litzköpfe unter den römischen
Ostens, auf. Doch weil sie nach wie vor Generälen drängen Valens unterdessen
nicht wissen, wie sie solche Befestigun­ zum Zuschlägen. Warum soll nicht er
gen überwinden können, ziehen sie ab. allein den Ruhm für den Sieg über die
Der Kaiser mit seinem Heer ist fern, nie­ Barbaren beanspruchen, über den es kei­
mand hindert sie, durchs Land zu ziehen. nen Zweifel geben kann? Warum soll er
Aber Fritigern weiß, dass die Rö­ ihn mit Gratian teilen?
mer seine Provokationen nicht lange Fast zwei Monate vergehen. Zeit, die Der Kaiser gibt die Marschorder.
hinnehmen werden. Wie anderen wider­ Fritigern nutzt, um sich auf die Schlacht
spenstigen Barbarenvölkern wird das vorzubereiten. Der Gotenflirst zieht seine
Imperium auch ihm und seinen Goten Hauptkräfte und mehrere kleine Trupps Am Nachmittag des 9. August 378 hallen
eine Lektion erteilen wollen. Damit sie zusammen, die unabhängig voneinander die Schreie der Getroffenen über das
enden wie alle, die es vor ihnen gewagt durch die Region streifen, und marschiert Schlachtfeld. Die Goten massakrieren
hatten, dlepax romana zu stören: nieder­ von Norden her auf Adrianopel zu. die Truppen der Weltmacht Rom.

38 GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


Das Ende der Schlacht: D er Kaiser und
wohl zwei D ritte l seiner Soldaten sind tot.
Die G oten haben gezeigt, dass Rom zu
bezwingen ist. Bald schon werden sie bis
ins Herz des Reiches Vordringen

Goten

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung 39


AUFBRUCH DER GOTEN (375-382 N. CHR.)

H u n n en a n g riff 375/376 H u n n en ü b erfall


G o ten sch lach t g e g e n CHE-Karte
O stg o te n g elin g t teilw eise die Flucht
R öm isches Reich
W estgoten d rä n g e n ins R öm ische Reich

P lü n d e ru n g sz u g d e r W estgoten im
R öm ischen Reich, u n te rstü tz t von O stgoten
W estg o ten zu g n a c h 380 575 H unn en üb erfälle
O stg o ten zu g n a c h 380

Pannonien
380
verm utliches

377 Z usa m m e n­
N ach 582 schluss d e r G o te n
Friedensschluss 576
D o na u-
querung
Ad Salices

5 8 0 O s tg o te n trennen
sich von W estgoten

Naissus Marcianopolis
Thrakien
r • Kabyle
378 S chlacht b e i A d ria n o p e l

Konstantinopel
Thessaloniki Pontus

Makedonien

Asiana <5uellen: Großer Historischer Weltatlas, BSV; Heather, P.. Der ntergang
des Römischen Weltreichs, Klott-Ootta, u.a.

Als erster G otenstam m ziehen - m it Einwilligung des oströmischen Kaisers - die Terwingen (oder W estgoten)
unter ihrem A n fü h re r Fritigern auf der Flucht vor den Hunnen 376 über die Donau. Als es auf dem römischen Territorium
nach Versorgungsschwierigkeiten und einer Intrige zum K am pf zwischen Terwingen und Römern kom m t, überstehen
die A nköm m linge zwei Schlachten und verbünden sich anschließend m it den G reutungen (oder O stgoten), die inzwischen
ebenfalls ins Reich eingedrungen sind. Nach der siegreichen Schlacht von A drianopel ziehen die G oten gemeinsam
plündernd durch Thrakien und das heutige Serbien. 380 trennen sie sich wieder. Die G reutungen einigen sich m it dem
Imperium und dürfen sich im heutigen Ungarn niederlassen, die Terwingen ziehen noch bis 382 durch Makedonien,
Thessalien und Thrakien. Schließlich erhalten auch sie südlich der Donau ein Siedlungsgebiet. D ort
behalten sie ihre eigenen A n fü h re r - wohl auch eine Folge ihrer militärischen Stärke

Es ist ein schrecklicher Totentanz. Doch es ist zu spät. Mit Schwertern Furcht der Soldaten angesichts der über
Fritigern beobachtet wohl von seiner und Streitäxten stürzen sich die Goten, sie gekommenen wilden Horden, die Re­
Wagenburg aus, wie die zuvor so un­ die Brust durch Panzer geschützt, auf die servetruppen sind längst geflohen.
durchdringlich scheinende Phalanx der Fliehenden. Auch Valens überlebt die Schlacht
Schilde der römischen Infanterie kolla­ Valens bemüht sich offenbar noch, nicht. Er soll, von einem Pfeilschuss
biert, wie sich die Reihen des Gegners vom rechten Flügel aus die Verteidigung schwer verwundet, in ein befestigtes
lichten, die Ordnung zusammenbricht. zu ordnen und Reservetruppen zu mo­ Landhaus gebracht worden sein. Das
Die Reiter fliehen, und die Legio­ bilisieren, die hinter dem Heer die Stel­ aber wird sehr schnell von den Goten
näre versuchen kehrtzumachen, zurück lung halten sollten. Vergebens. Zu groß umzingelt und in Brand gesetzt. So zu­
dorthin, woher sie gekommen sind. sind die Verluste, zu mächtig ist die mindest ist es überliefert.

40 GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


Doch vielleicht wird er wie so viele Gratian den Greutungen, in Pannonien te: Sie dürfen in Thrakien und Dakien
seiner Soldaten einfach niedergemacht, im heutigen Ungarn zu siedeln. direkt südlich der Donau siedeln, dort als
und sein Leichnam bleibt im blutigen Die Terwingen aber wandern wei­ freie Bauern Ackerland bewirtschaften.
Gewirr von menschlichen Körpern und ter nach Süden. Sie fallen in die reichen Im Gegenzug verpflichten sie sich,
Pferdekadavern zurück. römischen Provinzen Makedonien und Kriegsdienst zu leisten. Ganze Einheiten
Erst die hereinbrechende Nacht Thessalien im Norden Griechenlands im römischen I leer bestehen bald fast
beendet die Schlacht, die in die Ge­ ein. Als Gratian ihnen 381 Elitetruppen ausschließlich aus gotischen Rekruten,
schichte eingehen wird als die größte entgegensendet, flüchten sie zurück nach manchmal unter dem Befehl gotischer
Schmach des Imperiums seit Cannae, Thrakien. Anführer - wenn auch das Oberkom­
jener vernichtenden Niederlage gegen Seit der Schlacht bei Adrianopel mando ein römischer General hat.
den karthagischen Feldherrn Hannibal haben die G oten keine bedeutenden Zwar werden sie nicht gleichbe­
ein halbes Jahrtausend zuvor. Erfolge mehr errungen. Trotz ihres Tri- rechtigte Bürger des Römischen Reiches
Eine gewaltige Katastrophe oder bekommen gar ein eigenstän­
für die Römer: der Imperator tot diges Königtum auf römischem
sowie ein Großteil seiner Offiziere Staatsgebiet (wie es Fritigern vor­
und etwa zwei Drittel der Solda­ geschwebt haben mag, als er seine
ten. Das beste Heer im Osten des Unterhändler ins Feldlager der
Imperiums: vernichtet.
ROMS NIEDERLAGE Römer bei Adrianopel schickte).
D er weströmische Kaiser Aber die Goten bleiben als
Gratian steht mit seiner Armee WIRD eigenständige Gruppe erhalten,
noch mehr als 250 Kilometer mit eigenen politischen Führern.
nordwestlich in den Bergen. Als Das ist neu: Ein kleines Volk
ihn die Nachricht von der Nieder­ FOLGEN HABEN auf Wanderschaft hat die Welt­
lage erreicht, stoppt er das Heer. macht zu Zugeständnissen ge­
Die triumphierenden Goten bracht, zu denen sich die Römer
aber ziehen weiter, marschieren in ihrer langen Geschichte noch
schon am nächsten Tag auf Adria­ nie genötigt sahen - und die um­
nopel zu und, als sie an den Festungs­ umphs über Valens haben sie nichts ge­ stürzende Folgen haben werden.
mauern scheitern, weiter in Richtung des wonnen, kein Territorium, keine Heimat, Denn der Frieden zwischen Ter­
großen Konstantinopel. keinen Frieden. wingen und Römern 382 setzt keines­
Und so lassen jetzt auch sie sich auf wegs einen Schlusspunkt. Was in Adria­
Gespräche ein. Aufseiten der Römer ver­ nopel geschehen ist, werden die Goten
Doch der Siegestaumel währt nicht lan­ handelt ein Abgesandter im Namen von nicht vergessen - und auch die anderen
ge. Bald muss Fritigern seine Grenzen Kaiser Theodosius I., den Gratian 379 Stämme jenseits der Grenzen nicht.
erkennen. In einer offenen Feldschlacht zum Nachfolger des gefallenen Valens Sie alle haben gesehen: Das Römi­
mag er die Römer bezwingen. Deren berufen hatte. Wer für die Goten spricht, sche Reich kann besiegt werden. Und so
befestigte Garnisonen und Städte - wie ist nicht überliefert. wird das Kräftemessen zwischen Bar­
Konstantinopcl - aber kann er nach wie Fritigern ist es nicht. Auch was mit baren und Römern weitergehen, wird
vor nicht nehmen. ihm in der Zwischenzeit geschehen ist, das Imperium schließlich im Osten wie
Die Goten streifen nun durch die bleibt unerwähnt in den Berichten der im Westen, im Norden wie im Süden
Region. Seuchen machen ihnen zu schaf­ römischen Geschichtsschreiber. Viel­ unter dem Ansturm fremder Heerscha­
fen, erneut müssen sic hungern, weil der leicht ist er gefallen, vielleicht spielt er ren erzittern. £
ausgeplünderte Landstrich nicht mehr keine bedeutende Rolle mehr, denn die
genug hergibt, um sie zu ernähren. Des­ Terwingen sind inzwischen wieder in R eym er K lüver,/g. 1960, ist Redakteur der
halb ziehen sie weiter nach Nordwesten Einzelgefolgschaften zerfallen, haben „Süddeutschen Z eitu n g “. T im o Z e tt, Jg. 1985,
über die Berge in das heutige Serbien. keinen obersten Anführer mehr. Friti- lebt als Illustrator in Hamburg.
Im Jahr 380 schließlich trennen sich gerns Name zumindest taucht nirgendwo
die Terwingen von den Greutungen, mehr auf.
Hunnen und Alanen; vermutlich ist es Am 3. Oktober 382 jedenfalls feiert LITERATUREMPFEHLUNGEN: Peter
zu schwierig, eine so große Gruppe von das Römische Reich offiziell den Frie­ Heather, „Der Untergang des römischen
Menschen zu versorgen. Die Greutungen densschluss mit den Goten. Abertausen­ Weltreichs", Klett Cotta: enthält auch eine
wenden sich donauaufwärts Richtung de Menschen sind umgekommen, unzäh­ anschauliche Beschreibung des Kampfes
Norden. Doch stellen sich ihnen bald lige Häuser und Weiler niedergebrannt, der Römer gegen die Einwanderer. Herwig
Gratians Truppen entgegen. ganze Landstriche verwüstet. Doch unter Wolfram, „Die Goten“. C. H. Beck: kenntnis­
Offenbar suchen beide Parteien nun Theodosius erhalten sic nun endlich das, reiche Gesamtdarstellung der Geschichte
eine gütliche Einigung. Jedenfalls erlaubt was ihnen bereits Valens zugesichert hat­ dieses Volkes.

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung 41


Goten in Rom - 410 n. Chr.

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K ö n ig A la ric h m it Tausenden K rie g e rn v o r die M a u e rn Roms.
A m 24. A u g u s t 410 g e s c h ie h t das erm ane
fa lle n in die E w ige S ta d t ein Von MATHIAS MESENHOLLER

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


A ia ric n bei einem o e ia g e j w ird um s /u
an der D onau g eboren und s te ig t be reits m it
25 Jahren zum röm ischen G eneral auf

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


der Zivilisation nicht vor wilden Völkern
geschützt werden kann - wie soll dann
das Imperium selbst überleben? Jenes
Reich, von dem manche behaupten, es
sei das letzte der Menschheitsgeschichte,
auf dessen Ende die Apokalypse folgt.
Mancher freilich hat es kommen
sehen. Seit die Goten rund 30 Jahre zu­
vor bei Adrianopel eine römische Armee
vernichtet haben, flammt der Krieg im­
mer wieder auf, haben die Eindringlinge
den Balkan verheert, Griechenland ge­
plündert, sind nach Italien vorgedrungen.
Allzu lange schon schwächen Un­
einigkeit und Selbstsucht das Reich. Las­
sen Heer und Kaiser sich mit den Bar­
baren ein, hofieren sic fremde Offiziere.
Zeichnet sich Roms Untergang ab.
Nur: Ist es Mord - oder Suizid?

Während des 4. Jahrhunderts teilen sich


im Imperium Romanum gewöhnlich
zwei Kaiser die Macht, weil einer allein
das gewaltige Reich nicht mehr zu regie­
Es ist, als ob die Welt zerbirst. „Die Geborene müsse sterben, antwortet Au­ ren vermag. Statt in Rom residieren sie
Stimme stockt, und Schluchzer unter­ gustinus; den zur Auferstehung Be­ nun zumeist näher an den bedrängten
brechen die Worte beim Diktieren“, ruft stimmten könne der Tod nichts anhaben. Grenzen: der eine unweit des Rheins in
ein Kleriker aus: „Erobert ist die Stadt, Die Feinde hätten selbst Jungfrauen Trier (und später in Mailand nahe den
die den ganzen Erdkreis erobert hat.“ geschändet? Keuschheit sei ein geisti­ Alpenpässen), der andere in der jungen,
Das „strahlendste Licht aller Län­ ges Gut, das durch Missbrauch keinen glänzenden Metropole Konstantinopel,
der“: ausgelöscht. Das Haupt des Römi­ Schaden nehme. die den Weg zwischen der Donau und
schen Reiches: abgeschlagen. Doch all das sind nur theologische dem Euphrat beherrscht und bereits als
M it dieser Stadt sei der ganze Erd­ Ausflüchte, aus deren Kaltschnäuzigkeit neues Rom gilt.
kreis zugrunde gegangen, so der Kirchen­ im Grunde hilflose Verzweiflung spricht. Die römischen Kaiser gleichen
mann. „Es ist das Ende der Welt.“ Zu groß scheint die Katastrophe. Göttern. Wer vor ihnen erscheint, wirft
Das Undenkbare geschieht am Zum ersten Mal seit 800 Jahren haben sich zu Boden; es ist ein Privileg, den
24. August des Jahres 410. Wohl durch Barbaren Rom eingenommen. Was soll Saum ihres Rocks küssen zu dürfen. Sic
ein Stadttor im Nordosten dringen an nun noch bestehen? Wenn das Sinnbild sprechen Recht, geben die Gesetze, wei­
diesem Tag Krieger des Gotenführers sen Ämter zu, Ehren und Reichtiimer.
Alarich in Rom ein. Sie setzen Häuser in Und doch ist ihre Allmacht eine
Brand, morden, vergewaltigen, plündern Illusion, die mit jeder Meile Abstand von
Paläste und Wohnblöcke. ihrem H of verblasst. In den römischen
Die Ewige Stadt ist gefallen. DAS Provinzen werden kaiserliche Befehle oft
In der nordafrikanischen Stadt unterlaufen oder schlicht ignoriert. O h­
Hippo Rcgius sicht sich der berühmte nehin manipulieren örtliche Aristokraten
Bischof Augustinus daraufhin genötigt, IMPERIUM IST und Amtsträger, was den Herrschern
Gott selbst zu rechtfertigen. Zwar stim­ überhaupt zu Ohren kommt.
me es: „Die Barbaren haben gewütet,
gemordet, Feuer gelegt!“ Doch züchtige
GESPALTEN Zudem trennen die Alpen und Py­
renäen sowie breite Ströme, öde Hoch­
nicht ein Vater gerade die Kinder, die er plateaus, ausgedehnte Sümpfe und Wäl­
liebe? Rom sei ausgeplündert? - UND der die Bewohner des europäischen
Statt weltlicher Schätze, so predigt Reichsteils voneinander. Jede Provinz hat
Augustinus, hätten die Herren Roms
besser Ansehen im Himmel gesammelt.
TAUMELT ihre eigene Kapitale, eigene Märkte,
gesonderte Interessen. De facto ist das
Christen seien erschlagen worden? Jeder scheinbar so fest gefügte Imperium eine

44 GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


DER WEG DER WESTGOTEN (395-418 N. CHR.)

G e b ie te d es W eström ischen
u n d O strö m isch en R eiches 395
Mainz
Trier» w ich tig e Z ü g e v o n A larich
w ich tig e Z ü g e v o n A thaulf
Paris Worms Main

westgotisches
Siedlungsgebiet
418
Mailand

•Toulouse ivenna
Narbonne

24.8.410
Plünderung Adrianopel •
Konstantinopel

Cosenza
* -}- Ende 410
Tod von Alarich

Goten in Rom
S iz ilie n

Q uellen: G ro ß er H istorischer W eltatlas, BSV:

D ie W estgoten verlassen unter A larich um 395 jene G ebiete im heutigen Bulgarien, die ihnen Rom 13 Jahre zuvor überlassen
hat. Sie m arodieren auf dem Balkan und fallen 408 in Italien ein, das zur westlichen H älfte des m ittlerw eile geteilten Imperiums
gehört. Nach der Plünderung Roms zieht der Verband in den Süden der Halbinsel, von wo aus Athaulf, der N achfolger
des inzwischen gestorbenen Alarich, ihn nach Gallien führt: D o rt erst wird der Stamm 418 wieder sesshaft

Föderation miteinander konkurrierender Für die Völkerschaften jenseits der Umgekehrt bedeutet, Römer zu
Regionen und Machthaber. Grenzen haben sic nur mitleidige Ver­ sein, zivilisiert zu sein: Ein Bürger, so
Zusammengehalten wird es von achtung übrig. Diese „Barbaren“ gelten das Ideal, tritt gesittet auf, hat sich unter
militärischer Macht - und von der Loya­ den Römern nicht einmal als vollwertige Kontrolle, folgt seinem Verstand und den
lität seiner Bewohner. Wer einmal in den Menschen. Chronisten stellen sie als wild Gesetzen, erkennt - theoretisch - die
Bann von Roms Zivilisation geraten ist, und unbeherrscht dar, zugleich aufbrau­ kaiserliche Autorität an.
der will die Thermen und Aquädukte, die send und schnell verzagt, primitiv und Hingegen spielen äußerliche Merk­
Wagenrennen und Zirkusspiele, die Auf­ listig, vor allem aber als unfähig, nach male kaum eine Rolle; zu vielfältig sind
stiegschancen und den Wohlstand des Recht und Gesetz zu leben. H aut- und Haarfarben, Gesichtszüge
Reichs nicht mehr missen. Im Krieg ist es den römischen Le­ und Körperbau innerhalb des Imperiums.
Rom hat die Eroberten nicht nur gionären ausdrücklich erlaubt, die Dörfer Römer kann folglich jeder werden, unge­
bezwungen - sondern sie gewonnen. Und der Fremden samt Frauen und Kindern achtet seiner Herkunft.
seit im Jahr 212 n. Chr. jeder freie Ein­ auszurotten. Ein angemessener Tod für Die Kaiser lassen denn auch seit
wohner des Imperiums das Bürgerrecht gefangene Barbaren ist es, sie im Zirkus Jahrhunderten Siedler aus den Gebieten
erhielt, sind viele Gallier, Iberer, Briten, den wilden Tieren vorzuwerfen - ihres­ jenseits des Rheins und der Donau ins
Germanen erst recht überzeugte Römer. gleichen sozusagen. Land. A uf diese Weise versuchen sie die

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung 45


Stämme zu schwächen, eigenes Land Daher wirbt die Armee zunehmend zierend „barbarisch“. Das Obergewand
urbar zu machen sowie Steuerzahler zu junge Männer direkt unter den Germa­ tragen sie kurz und darunter Hosen wie
gewinnen - und Soldaten. nen an, um sie zu Legionären zu drillen. die Germanen, als Ehrenzeichen Ringe
Denn während Roms Armee stetig Der Soldatenberuf wird zur Sache um den Hals, über dem Kettenhemd zu­
wächst, schicken Grundbesitzer ihre Ar­ ehrgeiziger Aufsteiger und Einwanderer. weilen einen struppigen Pelz. Sic lassen
beiter nur noch ungern zu den Waffen, Zu einer eigenen, geschlossenen Welt. sich Bärte stehen und die Haare wach­
sind nicht wenige Bürger sich inzwischen sen, fügen ihrem Arsenal lange Hieb­
zu schade für den Wehrdienst. Gebildete schwerter und Streitäxte hinzu.
und Aristokraten bevorzugen eine Kar­ Stolz darauf bedacht, sich von der zivilen M anche Einheiten nennen sich
riere in der ausufernden, vom Militär Elite abzusetzen, geben sich Offiziere nach barbarischen Stämmen „Kimbern“,
unabhängigen Verwaltung. und Mannschaften mit der Zeit provo­ „Franken“ oder „Goten“ - vor allem des

Germanische Krieger überqueren einen Fluss. Immer stärker sind Roms Herrscher darauf angewiesen, dass ihnen barbarische
Stämme Hilfstruppen stellen: Militärische Macht hält das gewaltige Imperium zusammen, doch viele Römer meiden den Heeresdienst,
bevorzugen etwa eine Karriere in der Verwaltung. So gelingt Männern wie Alarich der Aufstieg in die Armeespitze

l
grausigen Klangs wegen. Germanen, die dieser wilden Männer unerträglich. Ei­
in hohe Ränge aufsteigen, nehmen nicht fersüchtig schmähen sie die Waffenträger
wie früher lateinische Namen an, son­ des Reichs allesamt als Barbaren - wie
dern lassen sich weiterhin Merobaudes, groß die Zahl regulärer Soldaten mit
Bauto oder Arbogast rufen. germanischer, keltischer, hunnischer oder
Als „Heermeister“ (eine Art Gene­ iranischer M uttersprache tatsächlich GENERAL
ral) zählen diese Emporkömmlinge zur auch sein mag (der Anteil ist unklar).
Offizierselite des Imperiums, sie üben
politischen Einfluss aus - werden gar zu
Die Loyalität der Legionen zu Rom
indes steht außer Frage. Ebenso, dass LENKT
Kaisermachern. Denn kein I Ierrscher sie den meisten Gegnern weit überlegen
kann gegen die Armee regieren; immer sind: sowohl der Zahl als auch ihrer Aus­
wieder verhilft sie Putschisten und rüstung nach, zu der schwere Stein- und
Thronräubern zur Macht. Pfeilkatapulte zählen, vor allem aber
Für manche Zivilisten sind der Ein­ dank einer eisern exerzierten Disziplin. KAISER
fluss und die trotzige Selbststilisierung Umso schwerer lassen sich die ge­
fallenen Legionäre nach einer Katastro­
phe wie der von Adrianopcl ersetzen.
Auch deshalb verpflichten die Kaiser Kaiser, beharrt auf dem Recht, seinen
schon seit Langem geschlossene Einhei­ neuen M itherrscher selber auszuwäh­
ten von Stammeskriegern als Hilfstrup­ len - und sammelt ein mächtiges Heer,
pen: Sie sind rasch und in großer Zahl um Eugenius zu stürzen.
zu haben, ihre Verluste zu verschmerzen. Ostrom stellt sich gegen Westrom.
Da sich die Legionen des oströmi­
schen Kaisers auch anderthalb Jahr­
zehnte nach der Niederlage bei Adria­
nopel noch nicht vollends erholt haben,

Goten in Rom
besteht die Streitmacht von Theodosius
zu einem erheblichen Teil aus hunni­
schen und germanischen Hilfstruppen.
Auch etliche Goten, die seit einigen
Jahren in den oströmischen Balkanpro­
vinzen siedeln, marschieren mit.
Einer ihrer Anführer ist ein junger,
aber bereits erfahrener, sehr ehrgeiziger
Soldat namens Alarich.
Diesem Verband stellen sich die
besten Kämpfer des Westens entgegen -
Adrianopcl aber bleibt eine Ausnahme. schlachtcrprobtc Legionen, die Eugenius
Die blutigsten Schlachten schlagen und Arbogast unter anderem aus Britan­
Roms Armeen nicht mit barbarischen nien und vom Rhein abgezogen haben,
Invasoren - sondern untereinander. ergänzt um fränkische und alemannische
Denn die römische Zivilisation ist Söldner.
zwar raffiniert, aber nicht friedlich. M it In ihrem Stab dient mindestens ein
aller Härte streiten Kaiser, Adelige und Vertreter der vornehmsten Männer des
Militärs um Einfluss, Titel, Prestige, um Reiches - der römischen Senatoren, die
Vorteile für sich selbst, die eigene Fami­ zum großen Teil Eugenius unterstützen.
lie. Um Macht und Ruhm. Immer wieder Denn Rom mag zwar als Sitz der
eskaliert diese Gier nach Geltung bis Kaiser abgelöst worden sein, es bleibt
zum Bürgerkrieg. die größte Stadt und der symbolische
Im Jahr 392 ist cs erneut so weit. Mittelpunkt des Imperiums.
Nachdem der im Westen herrschende Die Dichter überbieten sich in
Kaiser gestorben ist, lässt dessen fränki­ hymnischen T iteln: „Ewige S tadt“,
scher Heermeister Arbogast eigenmäch­ „Haupt des Erdkreises“, „Haus der G öt­
tig einen Nachfolger ausrufen, den Hof­ ter“, „Tempel der ganzen Welt“.
beamten Eugenius. Doch Thcodosius, Die M etropole ist überreich an
der zweite, in Konstantinopel regierende Prachtbauten, Monumenten, Tempeln

47
und Kirchen, öffentlichen Bädern, Are­ viele Jahre trainierten Einheiten, zudem zurück in ihre Siedlungsgebiete auf dem
nen, Theatern, Märkten, Luxus jeder Art. erfahrene Offiziere und Ausbilder. Balkan. Ein Teil der Einheiten wird von
Ihre Armen werden auf Staatskosten Es ist eine Selbstverstümmelung, einem Goten geführt, der die Schlächte­
gespeist, die meist adeligen Reichen sind von der Rom sich nicht erholen wird. rei am Frigidus überlebt hat: Alarich.
vermögender als irgendwo sonst. Zunächst jedoch zieht Theodosius
Diese Schicht wohlhabender Aris­ im Triumph nach Italien. Erstmals seit
tokraten, deren Landbesitz überall im Jahrzehnten ist das Reich wieder in einer
Imperium zu finden ist, sieht sich nicht Hand geeint. Der Kaiser sucht den Senat
einfach nur als eine privilegierte Elite - in Rom auf, spricht vor den hohen H er­
sondern als „besseren Teil der Mensch­ ren gegen das Heidentum. Die Besiegten
heit“, so einer aus ihren Reihen. werden nicht bestraft, müssen aber den
Von klein auf geschult an den klas­ alten Göttern abschwören.
sischen Schriftstellern, im literarischen Dann begibt sich Theodosius nach
Latein und präzisen Denken, in Selbst­ Mailand - und erliegt dort Anfang 395
beherrschung und Etikette, führen diese mit knapp 50 Jahren überraschend einem
Adeligen ein Leben zwischen Staats­ Herzversagen.
dienst und kultivierter Muße. Der unerwartete Tod des Kaisers ist
Den Aufstieg Konstantinopels ver­ für das geschwächte, kaum befriedete
folgen sie mit Widerwillen. Und so, wie Imperium eine Katastrophe. Denn Theo­
sie immer noch zu feierlichen Anlässen dosius hinterlässt zwar zwei bereits zu Seine Herkunft ist dunkel. Vermutlich
das traditionelle römische Gewand tra­ Mitherrschern berufene Söhne, Arcadius wird er um 370 an der Donau geboren,
gen, die Toga, hängen viele dieser kon­ in Konstantinopel und Honorius in Mai­ vielleicht in eine edle Familie. Wohl mit
servativen Aristokraten hartnäckig den land. Doch der eine ist wohl gerade erst den Goten, die 376 ins Römische Reich
alten Göttern an, während die Kaiser seit 17, der andere zehn Jahre alt. fliehen, gelangt er als Kind auf den Bo­
Langem das Christentum als Staatsreli­ Noch auf dem Totenbett trifft der den des Imperiums; da ihm ein Zichvater
gion propagieren. Vor allem Theodosius sterbende Kaiser daher eine folgen­ das Kämpfen beigebracht haben soll, ist
ist ein besonders aggressiver Verfechter schwere Entscheidung. Er setzt einen er vermutlich früh verwaist. Bald tut der
des neuen Glaubens. Vormund für den kleinen Honorius ein: junge Krieger sich unter Banditen und
Eugenius hingegen achtet die G öt­ seinen Heermeister und langjährigen Rebellen hervor, die marodierend durch
ter der Ahnen: A uf seinen Standarten Vertrauten Flavius Stilicho - so jeden­ Thrakien ziehen. Später unterstellt er
prangt das Bild des Herkules, über sei­ falls stellt Stilicho es anschließend dar. sich Theodosius und führt eine eigene
nem Feldlager thront eine Jupiterstatue Schon der Name schillert. Den Truppe, als er mit dessen Armee nach
m it einem goldenen Blitz. So ist der römischen Beinamen „Flavius“ führen Westen aufbricht.
Kampf um die M acht und den Vorrang viele Ncubürger sowie Aufsteiger unter Nun aber ist er verbittert. Er hat
zwischen Westen und Osten auch ein den kaiserlichen Offizieren; „Stilicho“ ist loyal gedient, seine M änner haben am
Kampf um die Ideologie des Reiches. germanisch. Dennoch: Der Sohn eines ersten Tag der Schlacht einen enormen
Am 5. September 394 treffen die römischen Offiziers vandalischer A b­ Blutzoll entrichtet. Dafür hat er auf
Heere an einem Pass beim Fluss Frigidus kunft und einer Römerin ist selbst Rö­ Anerkennung gehofft: einen hohen offi­
im heutigen Slowenien aufeinander. mer durch und durch. Seine Treue gilt ziellen Rang, wertvolle Geschenke oder
dem Imperium, sein Gott ist die Macht.
Stilicho unterbreitet den Höflingen
Die Schlacht dauert zwei Tage. Am und eben besiegten Aristokraten des
ersten lässt Theodosius vor allem seine Westens ein verführerisches Angebot. Da
Goten in vorderster Reihe kämpfen; sie üblicherweise der ältere Kaiser Vorrang ROM
erleiden fürchterliche Verluste. vor dem jüngeren genießt, läge die grö­
Am zweiten jedoch bringt der ßere Autorität bei Arcadius und damit
Legende nach ein Wunder die Wende: in Konstantinopel. Behauptet jedoch WIRD ZUM
Ein starker W ind weht angeblich dem Stilicho einen Regentschaftsanspruch für
Heer des Westens entgegen, verkürzt die
Reichweite der Spccrc und Pfeile. Brutal
beide Söhne, rangiert der westliche H of
zumindest gleichauf.
FAUST­
machen die Kämpfer aus dem Osten die Indem er ihr also einen Vorteil ge­
Legionen aus dem Westen nieder, auch genüber der Konkurrenz im Osten ver­ PFAND DER
Eugenius wird getötet, Arbogast bringt heißt, gewinnt der Heermeister die west­
sich selbst um. Ähnlich wie zuvor das
Ostheer bei Adrianopel verliert nun die
römische Elite für sich.
Zudem entlässt Stilicho die nicht
GOTEN
weströmische Armee ihre besten, über mehr benötigten gotischen Hilfstruppen

48 GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


Im 5. Jahrhundert entgleitet den weströmischen Kaisern die M acht im m er mehr. Die Herrscher verlassen sich meist auf ihre Berater,

Goten in Rom
werden gelenkt von hohen M ilitärs. A uch Honorius (o. I.), der 395 im A lte r von zehn Jahren auf den Thron gelangt, regiert nicht selbst:
Lange steht er unter der Vorm undschaft seines O berbefehlhabers Flavius Stilicho, dem Sohn eines Germ anen und einer Römerin

Landzuweisungen. Offenbar hat er nichts Heermeisters wollen sie nichts wissen; Einfall Alarichs nach Italien im Frühjahr
davon bekommen. dessen Marsch auf den Balkan verstehen 402 zurückzuschlagen.
Also beschließt er, sich seinen Lohn sie als Versuch, diese Provinzen unter die Die Hintergründe für die Invasion
mit Gewalt zu nehmen. Als die Einhei­ Oberhoheit des Westens zu bringen. der Goten sind unklar, doch vermutlich
ten den Balkan erreichen, rebellieren sie M ehr noch: Um das Gebiet zu si­ hat Alarich nach blutigen Hofintrigen in
und fallen plündernd über die römischen chern, verleiht Arcadius nun dem Meu­ Konstantinopel seinen Rang wieder ver­
Provinzen Thessalien und Makedonien terer Alarich den Rang eines Generals. loren und versucht nun, der Mailänder
her. Bald schließen sich ihnen beutegie­ Die Goten erhalten zudem Land zur Regierung einen Ersatz abzupressen. Der
rige Unzufriedene aller A rt an. Nutzung, Unterhalt und Ausrüstung. im Reich aufgewachsene Barbarenfüh­
Um den Aufruhr niederzuschlagen, rer will eine machtvolle Rolle in diesem
eilt Stilicho mit der Armee aus Italien Imperium spielen. W ie Stilicho.
herbei. Doch dann muss er auf Geheiß Inzwischen regiert Stilicho im Westen Anders als Stilicho aber kann oder
des Kaisers Arcadius in Konstantinopel ebenso machtbewusst wie tüchtig. Ihm will Alarich auf der regulären Laufbahn
die oströmischen Kämpfer in seinen Rei­ gelingt der schwierige Balanceakt, zu­ nicht zum Erfolg kommen. Stattdessen
hen an den Bosporus ziehen lassen, weil gleich führende römische Senatoren und sucht er sein Ziel als Führer einer eigen­
die dortigen Provinzen von den Hunnen den christlichen Klerus für sich zu ge­ ständigen Gefolgschaft mit Gewalt zu
bedroht werden (siehe Seite 86). winnen. Geschickt lenkt er den heran- ertrotzen. Dreimal treffen die Kämpfer
Mit den Resten des Westheers aber wachsenden Honorius in seinem Sinne, der beiden aufeinander. Zumindest ein­
kann Stilicho keine Schlacht wagen. Er verheiratet ihn mit einer seiner Töchter. mal bringt Stilicho die Rebellen vermut­
zieht sich daher zurück und reist an den Vor allem aber sichert er sich die Befehl­ lich an den Rand der Vernichtung - und
Rhein, um dort unter Germanen Irische gewalt über die Armee. lässt sie entkommen: entweder weil seine
Hilfstruppen zu werben. Noch nie verfügte ein Offizier über eigenen Verluste zu groß sind oder weil
Vermutlich sabotieren der Ostkaiser eine solch kaisergleiche Macht. er erkennt, dass Alarich ihm durchaus
Arcadius und seine Berater Stilichos Stilicho nutzt sie, um die Kastelle von Nutzen sein kann.
Feldzug mit voller Absicht. Denn von am Rhein zu erneuern, eine Revolte in Denn er drängt die Invasoren zwar
einem Vormundschaftsanspruch des Nordafrika zu unterdrücken - und einen in die Region zwischen Alpen und mitt-

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung 49


lerer Donau zurück, doch fällt er kurz Zudem hofft Stilicho möglicher­ Derweil haben die unablässigen
darauf eine überraschende Entscheidung: weise, Honorius hier leichter kontrollie­ Kämpfe mit den Gegnern Westroms
Er nimmt Alarich als Heermeister in ren zu können als im zentral gelegenen kostbare Einheiten vernichtet. Eine sys­
seinen Dienst auf Mailand. Denn obwohl der Kaiser inzwi­ tematische Ausbildung regulärer Rekru­
schen ein junger Mann ist, zeigt Stilicho ten ist unter diesen Umständen kaum
nicht an, dass er nun bereit ist, die Macht noch möglich, immer wichtiger werden
Nach diesen Wirren zieht der weströmi­ mit seinem Schützling zu teilen: De facto die Hilfstruppen.
sche H of von Mailand nach Ravenna. ist sein Vorgehen ein schleichender Mili­ Vielleicht noch schwerer wiegt, dass
Die Stadt liegt inmitten von Sümpfen, tärputsch. M it dem Einfluss des Heer­ Rom die Stämme jenseits der Grenzen
ist nur über Dämme oder von See her zu meisters aber nimmt auch die Zahl seiner mittlerweile sich selbst überlässt. Zuvor
erreichen und damit kaum einnehmbar. Feinde am H of zu. haben die Kaiser stets Geld und Güter

Anfang 407 fallen Abertausende Vandalen. Sueben und Alanen über den Rhein nach Gallien ein; in weiten Teilen der Region
kommt es zu erbitterten Kämpfen zwischen den Invasoren und römischen Legionären. Der Heermeister Stilicho wird der Lage nicht Herr.
Zwar ist er zu diesem Zeitpunkt m it dem Gotenkönig Alarich verbündet, doch dessen Truppen stehen weit entfernt auf dem Balkan

ir-

l
an Parteigänger unter den Germanen
jenseits des Limes geliefert, barbarische
Rivalen gegeneinander aufgehetzt und
sie manipuliert, zuweilen Feldzüge ge­
führt, um zu verhindern, dass im Germa­
nenland gefährliche Allianzen entstehen.
Nun aber haben die zunehmend mit sich
selbst beschäftigten Herrschenden des
Imperiums genau das zugelassen.
Und liefern den Westen des Reichs
einem beispiellosen Inferno aus.
Um das Jahr 403 bildet sich nörd­
lich der Donau ein Bündnis von germa­
nischen Vandalen und Sueben, unter­
stützt von Alanen, die aus den Weiten

G etrieben von der Furcht. Stilicho könnte zu m ächtig werden, lässt Honorius
seinen Heermeister (3. v. r.; bei seiner H ochzeit m it einer N ichte des römischen
Kaisers Theodosius) 408 hinrichten. Nun aber wird ihm Alarich gefährlich

der südrussischen Steppe kommen und Gallien vor. Am Rhein siedelnde germa­
mit den Hunnen (oder auf der Flucht vor nische Hilfstruppen schlagen sich ver­
ihnen) nach Mitteleuropa gezogen sind. zweifelt, werden aber von den Angreifern
Vielleicht sind es 30 000 Krieger und überrannt.

Goten in Rom
70 000 Angehörige, die sich nun auf den Stadt um Stadt fällt, auf dem Land
Weg nach Westen machen. gehen die Gutshäuser mit ihren mosaik­
verzierten Böden, Baderäumen und fei­
nen Speisezimmern, den eleganten Gär­
ten und Säulengängen in Flammen auf.
Die Invasoren treiben das Vieh fort,
plündern die Speicher, machen reiche
Beute an Gold und Geld, raffen edle
Kleider und Schmuck an sich.
Zu Tausenden werden römische
Bürger erschlagen, selbst in den Kirchen
niedergemacht, als Sklaven verschleppt.
„Ganz Gallien“, stöhnt ein Zeit­
zeuge auf, „war wie vom Rauch eines
einzigen Scheiterhaufens erfüllt.“
Und ein anderer: „Mit Schwert,
Geißel, I Iunger, Ketten, Kälte und Hitze
Wohl in der Neujahrsnacht 407 überque­ - auf tausend Arten - reißt ein einziger
ren die Ersten den Rhein. Manchen His­ Tod die elende Menschheit fort.“
torikern zufolge ist der Fluss zugefroren Schon lange fühlen sich die im
und erleichtert den Einmarsch; starke Nordwesten verbliebenen Armeen von
Gruppen mögen auch die große Stein­ Ravenna missachtet; angesichts der In­
brücke bei M ainz stürmen, an unge­ vasion rebellieren sie nun gegen ihren
schützten Stellen Boote und Flöße nut­ Kaiser. Die Soldaten rufen einen Offizier
zen. Vermutlich dauert es Wochen, die zum Gegenkaiser aus und greifen die
gigantische Streitmacht über den Strom Eindringlinge auf eigene Faust an. Bin­
zu setzen (siehe Seite 72). nen Kurzem sammelt sich das römische
Rasch erobern und plündern die Gallien um den Usurpator.
Eindringlinge Mainz, Worms und Trier, Und Stilicho? Der Heermcistcr
dann marschieren sie weiter in das reiche wagt mitten in der Krise ein atemrauben-

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung 51


des Manöver: Er setzt Alarich darauf an,
Konstantinopel große Teile der Balkan­
provinzen zu entreißen. Unterschätzt
Stilicho die Apokalypse im Norden, be­
sessen von der Rivalität mit Ostrom?
Oder bewahrt er einfach die Ner­ EWIGE STADT
ven? Die Provinzen auf der zerklüfteten
Balkanhalbinsel gehören zu den wenigen
Regionen, die noch reichlich Rekruten IST IN
stellen. Wenn Alarich sie für den Westen
gewinnt, kann Stilicho ihm dort gutes
Land überlassen, selbst aber tüchtige
GROSSER
M änner anwerben - und die anschlie­
ßend in den Krieg um Gallien schicken. GEFAHR
Alarich gibt seiner Gefolgschaft
den Marschbefehl.

dem bereits begonnen, ihn ihren rex zu


nennen, ihren König.
In den Ohren der Römer ist das ein
schmutziges Wort, seit sie in grauer Vor­
zeit ihren letzten Rex verjagt haben.
Spielt Alarich bewusst mit der
Barbarenmode des römischen Militärs?
Macht er sich eine in den Hilfstruppen
überlieferte Erinnerung an frühere ger­
manische Heerkönige zunutze? Oder hat
er einfach improvisiert, um auch ohne
offiziellen Rang stets über einen respekt­
einflößenden Titel zu verfugen?
Klar ist jedenfalls, dass sich über
Bis heute ist umstritten, wer Alarichs die Jahre der Unruhe, die seine Goten
Krieger sind, was sie eint. Sie werden durchleben, der Charakter des Verbandes
„Goten“ genannt; viele gehören zu dem ändert. Er wird mehr als eine militärische
Stamm derTerwingen (spätere Histori­ Einheit, eine engere Gemeinschaft, äh­
ker werden von „Westgoten“ sprechen; nelt immer stärker einem Volksstamm.
siehe auch Seite 28). Doch im Laufe der Umso gefährlicher muss Stilichos
Zeit haben sich ihnen Kämpfer ganz Politik erscheinen. Im Sommer 408 ge­
unterschiedlicher Herkunft und Mutter­ lingt es seinen Feinden unter den west­
sprache angeschlossen. römischen Höflingen, den inzwischen
Krieger sind gefallen und andere erwachsenen Honorius davon zu über­
hinzugestoßen. Alte Veteranen kämpfen zeugen, dass der Heermeister nach dem
neben jungen Neuankömmlingen - und oströmischen T hron zu greifen ver­
wohl bereits neben den ersten Söhnen suche - und damit bald mächtiger wäre leicht, weil er auf eine Gnadenzusage
der Truppe selbst: W ie in anderen als Honorius selbst. vertraut; anderen Einschätzungen zu­
Armeen ziehen ihre Familien mit den Heimlich hetzen die Verschwörer folge erweist er sich ein letztes Mal als
Soldaten mit. Ein gewaltiger Tross von die Armee gegen ihren Führer auf. Eine überzeugter Diener des Imperiums und
Wagen begleitet den Heerhaufen, voller erste Meuterei kann Stilicho noch unter­ will keinen weiteren Bürgerkrieg ver­
Gepäck, Hausrat, nicht zuletzt Beute; drücken, indem er droht, nach altem antworten.
die Feldlager müssen eher einer riesigen, Brauch jeden zehnten M ann töten zu
quirligen Zeltstadt gleichen als militäri­ lassen. Doch dann überfallen die Ver­
schen Stützpunkten. schwörer seine Gardisten und bringen sie Am 22. August 408 wird Stilicho auf
Zudem strahlt Alarich offensicht­ um. Der Heermeister muss in Ravenna kaiserlichen Befehl enthauptet. Anschlie­
lich ein besonderes Charisma aus, das Schutz in einer Kirche suchen. ßend ermorden die Sieger seine Familie
seine Anhänger auch nach Niederlagen Schließlich ergibt er sich in sein und Tausende seiner über die Standorte
zusammenhält. Vermutlich haben sie zu- Schicksal und verlässt das Asyl. Viel­ verteilten, unvorbereiteten Gefolgsleute.

52 GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


Bald nach Stilichos Tod zieht Alarich m it seinen gotischen Kämpfern vor die Mauern Roms und lässt die Stadt belagern:
Obwohl die Machthaber des Imperiums inzwischen in Ravenna residieren, ist die Metropole - überreich an Prachtbauten, Tempeln und
Monumenten - noch immer der symbolische M ittelpunkt des Reiches (Thomas Cole, »Die Vollendung des Imperiums«)

Andere Kämpfer, die sich retten überschreitet die Alpen. Weil eine Bela­ die Kais besetzen, Straßen abriegeln.
können, fliehen zu Alarichs Goten. Der gerung Ravennas aussichtslos ist, wählt Und abermals schwillt seine Truppe an:
aber wird von den neuen Herren in Ra­ er ein anderes Ziel: Ende des Jahres Tausende Sklaven, in der Mehrheit wohl
venna nun gleichfalls zum feindlichen erscheinen die Armee und ihr Tross aus germanische Kriegsgefangene, fliehen aus
Barbaren erklärt. Seine Vereinbarungen Frauen und Kindern vor Rom. der belagerten Stadt zu seinem Heer.
mit Stilicho gelten nicht mehr. Anders als Ravenna liegt die Ewige Schon nach wenigen Wochen bleibt
Da entschließt sich Alarich im Stadt im Binnenland und wird vom Ha­ den hungernden Römern nichts, als sich
Herbst 408 zu einem Erpressungsver­ fen Portus aus versorgt. Alarich schneidet freizukaufen: Sie bringen ein Löscgcld
such. Er sammelt seine Verbände und diese Versorgung ab, lässt seine Männer von 5000 Pfund Gold und 30 000 Pfund

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung 53


Silber auf, dazu große Mengen Luxus­ periumsjährlich eine erhebliche Menge folgsleuten des Gotenführers ehrenvolle
güter, Pfeffer, seidene Gewänder, purpur­ Getreide und Gold - und das Amt eines Ämter. Glaubt Alarich wirklich, ein
gefärbtes Pergament. Zudem erklärt sich obersten Heermeisters, wie es Stilicho Herrscher von seinen Gnaden könne sich
der Senat bereit, eine Delegation nach bekleidet hat. gegen den legitimen Kaiser durchset­
Ravenna zu entsenden, um Kaiser Hono- Das sind unerfüllbare Forderungen. zen? Oder will er lediglich den Druck auf
rius zu einem Abkommen zu bewegen. Der H of lehnt ab. Ravenna erhöhen?
Im Gegenzug nimmt Alarich sein Heer Er hebt die Sperren auf, zieht wie­
zurück und lässt Getreide in die Stadt. der Richtung Alpen, besetzt eine Reihe
Angesichts der Stärke der Invasoren Daraufhin kehrt Alarich zurück nach norditalienischer Städte und schließt
und der andauernden Bedrohung durch Rom, nimmt Ende des Jahres die Bela­ Honorius in Ravenna ein. Der jedoch
den Aufstand in Gallien willigt Honorius gerung wieder auf und nötigt den Senat wendet nun jene Waffe gegen den Re­
in Verhandlungen ein. Im April reitet der Stadt zu einem radikalen Schritt: bellen, die zuvor Alarich gegen Rom
Alarich mit einer ausgewählten Schar Die Aristokraten müssen einen der ihren eingesetzt hat: Hunger. Honorius be­
von Kämpfern über das Apennin-Ge­ zum Gegenkaiser küren, den erfahrenen fiehlt seinem Statthalter in Nordafrika,
birge nach Rimini und erklärt dem kai­ und hoch angesehenen Römer Priscus kein Korn mehr nach Italien zu verschif­
serlichen Unterhändler, was er verlangt: Attalus. fen. Auf dieses Getreide aber sind nicht
sicheres Siedlungsland in strategisch Attalus verleiht Alarich nun die nur die Bewohner Roms angewiesen.
zentralen Provinzen des römischen Im­ Heermeisterwürde - und wichtigen Ge­ Sondern auch die Goten vor den Toren.

Im A ugust 410 g ib t Alarich das Signal zur Plünderung Roms. Drei Tage lang wüten die G oten zwischen
Trium phbögen, Villen und Tempeln, raffen G eld und G old. Schmuck und kostbares G eschirr zusammen. D och ihr König
erlegt ihnen angeblich eine gewisse M äßigung auf: C hristliche Kirchen zum indest verschonen die A ngreifer

I
Seit anderthalb Jahren lagern viele sein, über 381 W ehrtürme verfügen -
Soldaten Alarichs sowie deren Frauen doch da nur wenige Soldaten die Stadt
und Kinder in Roms Vororten und Um­
land. Die Reserven sind aufgezehrt, auch
beschützen, ist sie leicht zu erobern.
Das aber wäre ein Schritt, der alle
»ES IST
weiter entfernte Landstriche ausgeplün­ Pläne Alarichs auslöschtc: der ihn zum
dert. Vielerorts verstecken Bauern das politischen Paria, zum Inbegriff eines DAS ENDE
wenige, das ihnen geblieben ist, bestellen Barbaren machte - und als Verhandlungs­
partner unmöglich. Es wäre das Einge­
in ihrer Verzweiflung die Felder nicht
mehr, lassen Bewässerungsgräben verfal­ ständnis des Scheiterns. Sein Heer würde DER WELT«,
len, die dünne Krume ausdörren. das Zentrum jenes Glanzes zerstören, an
M it dem Sommer legt sich eine
drückende Schwüle auf das Land. Vom
dem er um jeden Preis teilhaben will.
Wohl erst in der Nacht auf den 24.
KLAGT EIN
sumpfigen Ufer des Tiber her breiten August 410 entscheidet der Gotenführer,
sich Stechmücken aus und übertragen dass er keine andere Option mehr hat. GEISTLICHER
Malaria. Längst umgeben Abfälle, der Er gibt Rom zur Plünderung frei.
Unrat der kampierenden Menschen und D er Schrecken, den dieser Satz
ihrer Tiere die Feldlager der Goten. birgt, wird von den Quellen kaum wie­
Krankheiten, Hunger, Untätigkeit - mit dergegeben. Das Geschrei der in Panik Die Berichte der meist christlichen
jedem Tag wächst die Gefahr einer Meu­ fliehenden Menschen und das W im ­ Chronisten erzählen es nicht, deuten nur
terei gegen den erfolglosen Anführer. mern jener, die eingeholt und ermordet an. Stattdessen fassen sie die Skrupel des
Im Juli 410 setzt Alarich den Ge­ oder erschlagen werden. Das Flehen der gleichfalls getauften Alarich in Bilder.
genkaiser Attalus kurzerhand ab, um Frauen, das Krachen eingetretener Tü­ N icht mit Gewalt seien dessen
erneut mit Honorius zu verhandeln. Er ren, aufbrechender Truhen, umgerisse­ Männer in die Stadt eingedrungen, son­
ist sogar bereit, nach Ravenna zu ziehen ner Gestelle, das Scheppern berstender dern eine Adelige habe die Tore geöffnet,
wie ein Bittsteller. Immer noch vertraut Amphoren. um die hungernde Stadtbevölkerung zu
er auf sein Faustpfand Rom. Die vielen Tausend Soldatenschuhe erlösen. Die Kirchen, vor allem die bei­

Goten in Rom
Doch entweder ist Honorius das und Hufe auf dem Straßenpflaster. Die den großen Basiliken St. Peter auf dem
Schicksal Roms gleichgültig - oder er hat scharfen Kommandos der Eindringlinge vatikanischen Hügel und St. Paul an der
seine Offiziere nicht im Griff. Jedenfalls und ihre höhnischen Rufe gegen die Un­ Straße nach Ostia, sowie jeder, der in
überfallen römische Truppen die Goten. terlegenen. Das Prasseln von Flammen, ihnen Zuflucht suchte, seien geschont
das Husten der im Rauch halb Erstick­ worden. Angeblich hätten barmherzige
ten, das Knacken mächtiger Dachbalken. Barbaren fromme Jungfrauen persönlich
Das Zetern der Menschen, selbst ausge­ in diese Asyle geleitet.
hungert, denen das letzte Scheffel Korn Goldene Kelche, Monstranzen und
geraubt wird; das Quieken der verblie­ andere im G ottesdienst verwendete
benen Schweine unter dem Messer, Flat­ Schätze seien nicht geraubt, sondern un­
tern geköpfter Hühner, Schlabbern sau­ ter dem Schutz gotischer Schwerter in
fender Pferde an den Marmorbrunnen. die Sicherheit St. Peters gebracht wor­
Die Gesänge in den Tavernen und den. M ehr noch: Die Fremden hätten
das Schluchzen in den ausgeraubten sich den Prozessionen angeschlossen.
Villen. Der Triumph und die Lust der Der wahre Kern dieser (zweifellos
Eroberer angesichts der unvergleichli­ beschönigenden) Schilderungen besteht
chen Schätze, die sie in der Hauptstadt wohl darin, dass Alarich seinen Truppen
der Welt finden, ihr wütender Streit in eine gewisse Mäßigung auferlegt.
fremden Zungen oder dem Vulgärlatein Sie sollen sich zwar schadlos halten,
Die Angreifer sind schwach, Alarichs der Truppe um ein Amulett, ein Prunk­ dürfen in Tempeln und Herrenhäusern,
Verluste gering. Doch er hat nun jede schwert, ein gefärbtes Gewand, eine Frau. einfachen I laushalten und Werkstätten
Hoffnung auf Verhandlungen verloren. Die erstaunten Rufe der Angreifer alles Geld und Gold, Schmuck, erlesenes
Zunächst bleibt ihm nichts, als zurück vor den Arenen und Staatsbauten, die Geschirr, wertvolles Gerät zusammenraf­
an den Tiber zu ziehen. Erneut hat er alles übertreffen, was Alarichs Soldaten fen, schwelgen und kujonieren - nicht
keine Zugeständnisse erreicht. Irgend­ zuvor gesehen haben, vor den hoch auf­ aber dem blinden Brand- und Blutrausch
etwas aber muss er seinen Leuten anbie­ ragenden Mietskasernen und Triumph­ erliegen, der siegreichen Heerhaufen
ten, will er sie Zusammenhalten. Allein, säulen, deren opulente Reliefs Roms eigentlich zusteht.
er hat nichts. Außer Rom. Siege über die Barbaren verherrlichen: Nach drei Tagen befiehlt Alarich
Die Mauern der Ewigen Stadt mö­ Erkennen sic in jenen ihresgleichen - den Abzug. Denn das immer noch abge­
gen vier Meter dick und 15 Meter hoch oder in den gerüsteten Siegern? schnürte Rom hat zwar Luxusgüter jeder

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung 55


Art zu bieten - aber wenig Essbares. Im selbst ernannten Gotenkönig zum Ver­ gen, mit seinen Leuten nach Afrika über­
Tross führt das Heer eine besondere wandten der herrschenden Dynastie ma­ zusetzen und dort die Truppen Westroms
Beute: Galla Placidia, die Halbschwester chen. Vor allem aber: Seine Leute haben zu schlagen, würde er die Versorgung
des Kaisers. überhaupt keine Alternative. Außer dem Italiens mit Getreide kontrollieren.
••
Setzt Alarich immer noch auf einen Untergang. Doch bereits die Überfahrt nach
Ausgleich mit Honorius, auf eine Z u­ Das Gotenheer wendet sich nun Sizilien scheitert; vermutlich zerschlägt
kunft innerhalb des Imperiums? Das nach Süden. Denn dort gibt es noch ein Sturm die wenigen Schiffe, die sich
könnte die Zurückhaltung erklären. Nahrung - und eine Chance, die geschei­ zusammenbringen lassen. Verzweifelt
Auch die Entführung Galla Placidias terte Erpressung in größerem Maßstab wendet Alarich sich wieder nach Norden.
spricht dafür; eine Ehe mit ihr würde den zu wiederholen. Sollte es Alarich gelin­ Da ereilt ihn auf dem Marsch durch
Kalabrien ein Fieber. Und kurz darauf
stirbt er unweit des heutigen Cosenza,
Bevor Alarich den Abzug aus Rom befiehlt, nehmen die Goten die Halbschwester
••
seinen großen Zielen ferner denn je.
des Kaisers als Geisel. Obwohl sich die Schäden des Überfalls insgesamt in Grenzen Ein antiker Historiker behauptet
halten, hat die Ewige Stadt nun ihre Aura der Unbezwingbarkeit verloren später, Alarichs Gefolgsleute hätten ihn
im Bett des nahen Busento bestattet,
den Fluss dafür umgeleitet, dann zurück­
strömen lassen - und anschließend die
Arbeiter niedergemacht. Denn niemals
sollten Räuber das Grab ihres Königs
finden und schänden können.

Etwa um die gleiche Zeit hält in der


afrikanischen Hafenmetropole Hippo
Regius Bischof Augustinus seine flam­
menden Predigten, wie Gott den Fall der
Ewigen Stadt zulassen konnte.
Denn Hippo ist voller entsetzter
und wütender Flüchtlinge. Die Christen
unter ihnen verstehen ihren G ott nicht
mehr. Und die wohlgeborenen, gebil­
deten Heiden sehen sich bestätigt: 800
Jahre lang, klagen sie, habe kein Feind
Rom erobert - nun aber, kaum dass der
neue G ott die alten Schutzmächte ver­
drängt habe, sei die Stadt den Barbaren
zum Opfer gefallen!
Der Streit um die Staatsideologie
flammt noch einmal auf. Die berühm­
teste Schuldzuweisung aber richtet sich
gegen Llonorius. Der Legende nach
bricht der Kaiser auf die Nachricht vom
Ende Roms hin schmerzerfüllt zusam­
men - bis er erfährt, dass nicht sein Lieb­
lingshahn namens Roma gemeint ist,
sondern die Stadt; danach habe der när­
rische Herrscher erleichtert aufgeatmet.
Diese hämische Anekdote ist mit
Sicherheit erfunden. Doch sie enthält
eine Wahrheit: Nachdem er das heilige
Rom nicht schützen konnte, ist das An­
sehen des Kaisers ruiniert. Sein Versuch
zu regieren ist katastrophal gescheitert.
Noch 410 überträgt Honorius das
Regiment wieder einem Heermeister. Es
ist ein Abschied von der Macht füir im­ am I Iof für sich, Land für seine Leute.
■ü
mer: Bis zur Absetzung des letzten Kai­ Und er hat ein kostbares Pfand: Galla
sers im Westen (siehe Seite 118) im Jahr Placidia, die aus Rom geraubte H alb­ ‘
d- v.i
476 werden vor allem Militärs die Ge­ schwester des Kaisers.
schicke des römischen Staats bestim­ Zu Beginn des Jahres 414 demons­
men - auch wenn sie zumeist den Thron triert er seinen Ehrgeiz in einer spek­
selbst den dynastischen Erben, später takulären Aktion und heiratet Galla
minderen Würdenträgern überlassen. Placidia in Narbonne nahe der M ittel­
Der neue Heerführer heißt Flavius meerküste. Die pompöse Zeremonie
Constantius - ein überlebender Partei­ findet nach römischem Ritus statt, die
gänger Stilichos. Machtbewusst, ein fä­ Braut trägt einen prunkvollen kaiser­
higer Offizier, politisch geschickt. Ent­ lichen Ornat, Athaulf die Uniform eines
schlossen geht er zunächst die Krise römischen Feldherrn. Nicht Rebell, son­
westlich des Rheins an, die inzwischen dern Verwandter des Kaisers will er sein.
auch die Iberische Halbinsel erfasst hat. So viel Hochm ut kann Flavius • *•
% \
In Gallien ist neben den ursprüng­ Constantius nicht hinnehmen. Er riegelt
lichen Usurpator ein zweiter getreten. Narbonne ab, hungert die Goten aus.
Und statt die über den Rhein gedrun­ Zwar gelingt den Belagerten die Flucht,
genen Sueben, Vandalen und Alanen zu doch wächst ihr Unmut: Die M änner A larich (hier bei einem Trium phzug)
bekämpfen, setzen die Thronprätenden­ wollen keinen großen Herrn, wie Athaulf stirb t Ende 410 nach dem Versuch, von
ten diese Invasoren gegeneinander und einer zu werden versucht, sondern end­ Süditalien aus Nordafrika zu erobern
gegen Ilonorius ein, überlassen ihnen lich ein Abkommen mit Rom.
im Gegenzug weite Landstriche zur Im Sommer 415 sticht einer von
Plünderung. ihnen Athaulf mit dem Dolch nieder. als Erben des Imperiums. An dessen
Bis zum Spätsommer 413 kann Dam it ist der Weg zum Frieden Stelle tritt ein Gefüge römisch-barbari­
Constantius die Rebellen bezwingen; die offen. Athaulfs Nachfolger liefert Galla scher Reiche (siehe Seite 142) - das früh­
Köpfe ihrer wichtigsten Anführer schickt Placidia an den Kaiser aus - und ist mittelalterliche Europa.
er, auf Pfähle gespießt, nach Ravenna. bereit, Rom auch ohne hohen Rang zu Eine Welt ist zerborsten. „Erobert
Damit sind die regulären Einheiten dienen. Daraufhin weist Flavius Con­ ist die Stadt, die den ganzen Erdkreis
des Weströmischen Reichs wieder unter stantius den Goten endlich das begehrte erobert hat“: Alarichs Verzweiflungstat
einem Kommando vereint. Land zu, im südwestlichen Gallien. hat Rom entzaubert. Eine Generation
Nun erst wendet sich der Heer­ Nach Jahrzehnten der W ander­ nach seinen Goten nimmt 455 abermals
meister den Barbaren zu. Zunächst aber schaft scheinen sie endlich angekommen. ein barbarisches Heer die Stadt ein, die
nicht den nach Hispanien weitergezoge­ Flavius Constantius kann bis zu Vandalen unter ihrem König Geiserich.
nen Sueben, Alanen und Vandalen. seinem Tod im Jahr 421 das Weströmi­ Diesmal ohne Scheu, die Eroberten zu
Sondern den Goten. sche Reich weiter stabilisieren, mit Hilfe sengen, wie es Siegern ansteht.
der Goten und anderer Truppen einen Das Imperium ist gefallen. Und
Teil der nach Hispanien vorgedrungenen zwar durch die eigene Hand. £
Barbaren vernichten.
D er rücksichtslose K am pf um D r. M ath ias M esen h ö ller,/g . 1969, ist
M acht aber endet nicht. Keiner der regelmäßiger G E O EPO CU E-Autor.
nachfolgenden Hccrmcistcr kann sich in
den internen Kämpfen ohne Blutvergie­
ßen durchsetzen. Diesen Preis sind die LITERATUREMPFEHLUNGEN: Henning
ehrgeizigen Offiziere bereit zu zahlen, Börm. „Westrom. Von Honorius bis Justinian“,
auch wenn darüber Provinzen verloren Kohlhammer: knappe, fundierte Einführung
gehen - an Armeeführer, die immer zur krisenbehafteten Spätzeit des Imperiums.
öfter Alarichs aus der Not geborene Idee Guy Halsall, „Barbarian Migrations and tbe
kopieren: die Idee eines Heerkönigs. Roman West", Cambridge University Press:
Bis schließlich das westliche Rom faszinierende, umfassende Studie m it neue­
zerfällt. Weil die regionalen Sonderinter­ rer Deutung des Geschehens. Mischa Meier,
Alarichs Nachfolger Athaulf hat seine essen überwiegen, Ravenna mit jedem Steffen Patzold, „August 410 - ein Kampf um
Leute in der Zwischenzeit von Italien abtrünnigen Landstrich weiter an Steu­ Rom", Klett-Cotta: weniger zum Ereignis
ebenfalls nach Gallien geführt. Denn erquellen, Zugang zu Rekruten, Auto­ selbst als zu den Reaktionen, Erinnerungen
seine Ziele sind die gleichen wie die sei­ rität verliert. Örtliche Potentaten unter­ und Deutungen - packender Einblick, wie
nes Vorgängers: eine ehrenvolle Position schiedlicher I Ierkunft inszenieren sich Geschichte „gemacht" wird.

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung 57


Die Franken - 3. bis 6.Jh. n. Chr.

AUFSTIEG EINER
GROSSMACHT
Im 5. Jahrhundert herrscht im römischen Gallien Chaos. Armeeführer ringen um Einfluss - bis
ein fränkischer König alle Macht an sich reißt: Chlodwig aus der Dynastie der Merowinger begründet
ein Reich, das sich bald von der Nordsee bis zu den Pyrenäen erstreckt
Text: SIMONE BERNARD; Karte: CHRISTIAN KUHLMANN

ahrhundertelang siedeln jene der anderen an die germanischen Inva­ tierenden Überreste der dortigen Verwal­

J
Stämme, die römische Autoren soren verloren geht, machen einige von tung übernommen - und an der Spitze
ab 291 n. Chr. unter dem Namen ihnen Karriere: Franken steigen in Gal­ der übrig gebliebenen Strukturen stehen
„Franken“ zusammenfassen und lien zu Armeeführern auf. De facto sind in fast allen Städten katholische Bischö­
die am Ende der Völkerwande­ sic nun selbstständige Warlords; die Re­ fe, auf deren Loyalität sich ein christ­
rungszeit das Abendland dominieren gierung in Ravenna erkennt sie oft als licher Herrscher eher verlassen kann.
werden, östlich des Niederrheins (im heu­ Machthaber über ihre Regionen an. Zudem sind die meisten Untertanen
tigen Nordrhein-Westfalen und in Teilen Einer dieser Militärführer ist der Chlodwigs Christen; die Taufe des Kö­
der Niederlande). Um 250 queren ihre Salierkönig Childerich, der - formal im nigs erhöht also dessen Legitimität.
Krieger erstmals den Rhein und fallen in Namen Roms —von Tournai im heuti­ 507 erobert er den Norden des
die westlich des Flusses gelegene römi­ gen Belgien aus den Nordosten Galliens Westgotenreichs, von der Loire bis zur
sche Provinz Gallien ein. Legionäre drän­ regiert. Seine Beziehungen zu den römi­ Garonne; angeblich erschlägt er selber
gen die Eindringlinge zurück, doch die schen Heermeistern im Südwesten der dessen König. Die Westgoten ziehen sich
fränkischen Überfälle häufen sich nun. Region sind gut. Mehrmals unterstützt in Richtung des heutigen Spanien zu­
Gegen 350 machen sich die Salier er sie im Kampf gegen westgotische und rück. Chlodwig macht Paris zu seiner
dann nach Gallien auf, ein fränkischer sächsische Krieger. neuen Residenz; er ist nun König aller
Stammesverband, dem sich weitere Teil- Sein Sohn Chlodwig erbt wohl 481 fränkischen Stämme und Herrscher über
gruppen anschließen. Auch sic werden den Thron und beginnt bald, den Macht­ einen Großteil des heutigen Frankreich.
von den Römern besiegt, dürfen aber bereich seiner Familie, der Merowinger, Den entstehenden Staat sichert er
nach 358 zwischen Maas und Schelde zu vergrößern: Er unterwirft nun andere mit einer geschickten Heiratspolitik ge­
siedeln. Im Gegenzug schützen sie dort fränkische Könige sowie das Reich eines gen Ansprüche anderer Machthaber ab:
fortan die Grenze des Reichs. römischen Warlords in Nordwestgallicn. Er selbst vermählt sich mit der Tochter
G ut drei Jahrzehnte später über­ Um das Jahr 496 marschiert er nach des burgundischen Königs, seine Schwes­
fallen die Rheinfranken, ein weiterer Süden und besiegt bei Zülpich aleman­ ter gibt er dem in Italien herrschenden
Stamm, römische Siedlungen und Hee­ nische Truppen, die den Rhein über­ Ostgotenkönig Theoderich zur Frau.
reslager in der Gegend von Köln. Um schritten haben (siche Seite 60). Im Jahr 511 stirbt Chlodwig. Seine
390 plündern sie die Stadt und verwüsten Die „Hilfe Gottes“ bei diesem Sieg Nachfolger werden in den folgenden
deren Umland. Bis zur Mitte des 5. Jahr­ soll den heidnischen König zum Chris­ Jahrhunderten die Burgunder, Thüringer,
hunderts erobern die Franken ein Terri­ tentum bekehrt haben. Gegen 500 lässt Alemannen, Bajuwaren, Sachsen und
torium, das von Köln im Norden bis nach er sich mit einigen Gefolgsleuten nach Langobarden unterwerfen und das Fran­
Trier und Mainz im Süden reicht. katholischem Ritus taufen. kenreich zum mächtigsten Imperium des
Salier und Rheinfranken dienen W ahrscheinlich aber beugt sich Kontinents machen.
bereits seit einiger Zeit im römischen Chlodwig schlicht den Verhältnissen in Und einer von ihnen wird sich am
Heer. Und im Chaos jener Jahre, als in seinem Reich: Nach dem Zusammen­ Weihnachtstag des Jahres 800 in Rom
permanenten Kriegen im Westteil des bruch des römischen Imperiums im zum Erben der römischen Cäsaren krö­
Römischen Reiches eine Provinz nach Westen haben die Franken die noch exis­ nen lassen: Karl der Große. £

58 GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


DE R E R F O L G DE R F R A N K E N

ursprüngliches
Siedlungsgebiet

Aachen

fränkisches Gebiet
um 480

fränkischer Einfli
bereich ab 496/497

Eroberungen unter
Chlodwig I.
zwischen 481 und 511

Clermont-
Ferrand

Bordeaux

GEOEPOCHE-Karte

A b 350 n. Chr. siedeln jene Stämme, die römische Chronisten »Franken« nennen und die in den heutigen Niederlanden und dem
westlichen Deutschland beheim atet sind, nach und nach auch in Gallien. Ende des 5. Jahrhunderts, als die zuvor von Rom beherrschte
Region im Chaos versinkt, unterw irft König C hlodw ig vom Stamm der Salier, die im Nordosten Galliens regieren, alle anderen frän­
kischen Anführer. Dann g re ift er nach Süden aus. D er Herrscher zieht gegen die Alem annen am M itte lrh e in zu Felde, erobert 507 den
nördlichen Teil des W estgotenreichs, von der Loire bis zur Garonne - und begründet so ein neues Reich: das der Franken

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung 59


Die Alemannen - um 450 n. Chr.

mmm

Der

ge Häuser, ein
paar Pferde und etwa
100 Menschen: Die
von einer Holzmauer
umschlossene Siedlung
auf der Anhöhe, die
später den Namen
»Runder Berg« erhalten
wird, ist klein - aber
dennoch ein alemanni­
sches Machtzentrum

60 GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


Europa w ird von der Völkerw anderung e rsch ü tte rt - doch n icht überall: A u f
der Schwäbischen A lb d u rch le b t ein alem annischer Fürst m it seinem G e fo lg e diese
Z e it w eitgehend ungestört. A bseits der großen W irre n , Züge und Schlachten*
folgen diese Germ anen um 4 5 0 n. Chr. ihrer gew ohnten Lebensweise, .pflegen
*'* JkH - ** ... - -4 * *,}; £v jj; r<* I **f •’ß ' ; i • V - * 'Jl !
Handwerk, beachten die tra d itio n e lle n Riten. U nd das Im perium s c h e in t/fe rn -
. v ■\i v ‘"s :"vi " f*5*aL
-------- Text: SEBASTIAN KRETZ und INSA BETHKE; lll.ustrationeo: TIM WEHRMANN ,'Ä V & “***•

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I k b J L A , M l 1

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung 61


Das Land der Alemannen aber, das Kombiniert man ihre Erkenntnisse
sich etwa zwischen Main, Rhein und mit denen anderer Forschungsprojekte,
Donau erstreckt, scheint von diesen E r­ fügen sich diese Informationen zu dem
eignissen merkwürdig unberührt. Wäh­ Porträt einer Gesellschaft, die die römi­
rend sich andere Stämme Jahrzehnte sche Zivilisation zwar schätzte - ihren
zuvor in das Imperium aufgemacht und Verlockungen aber nie vollständig erlag.
sich die römische Kultur angeeignet
haben, sind die Alemannen vielen Bräu­
chen ihrer germanischen Vorfahren treu Einst war jene Region, in der sich der
geblieben. Runde Berg erhebt, Teil des römischen
Die von ihnen hinterlassenen Spu­ Imperiums. Die Kaiser hatten den süd­
W ie der Kegel eines Vulkans ragt der ren bieten einzigartige Einblicke in das westlichen Zipfel Germaniens, das De-
Berg aus dem Tal der Erms empor, germanische Leben in der Ära der Völ­ kumatenland, um 70 n. Chr. erobert und
dichter Wald steht auf seinen I längen, kerwanderung. Denn mögen antike His­ durch eine neue Limesanlage gesichert.
dahinter zeichnet sich die Silhouette der toriker auch entscheidende Schlachten Knapp 200 Jahre später jedoch, als
Schwäbischen Alb ab. Ein entlegener der Zeit beschrieben, die Namen bedeu­ Bürgerkriege das Reich schwächten und
Flecken Erde, von der Ebene aus nur tender barbarischer Heerführer überlie­ die persischen Sassanidcn es von außen
mühsam zu erreichen und doch schon fert haben - über den Alltag der Germa­ bedrohten, sahen sich Roms Herrscher
lange von einer Aura der Macht umge­ nen schreiben sie so gut wie nichts. gezwungen, den G riff um die Gebiete
ben: Immer wieder haben Menschen Auch über das Schicksal jener nördlich der Alpen zu lockern.
die Anhöhe erklommen, um darauf Sied­ Gruppe, die M itte des 5. Jahrhunderts Sie zogen ihre Truppen hinter die
lungen und Wehranlagen zu errichten - Flüsse Rhein und Donau zurück und
darunter Kelten, Germanen, Römer. gaben diesen Abschnitt des Limes sowie
Der rund 250 M eter hohe Berg das gesamte Dekumatenland dem Verfall
ist nur über einen schmalen Grat mit preis (siche Karte Seite 70). Aus Furcht
der Hochebene der Alb verbunden und vor Überfällen verließen viele Bauern
bietet schon•• in früheren Zeiten idealen und Handwerker die hügelige Region, in
Schutz vor Überfällen. Wer hier residiert, der sie nun niemand mehr schützte.
erspäht Angreifer, lange bevor sie sich Häuser und Ställe verwaisten, Felder ver­
die steilen, unwegsamen Flanken hinauf­ wilderten, Wasserleitungen verfielen.
gekämpft haben. Und wer den Berg be­ aoldetes Schwert Immer häufiger drangen nun I lor-
herrscht, gebietet auch über die Bevölke­ den aus dem Norden Germaniens in den
rung der umliegenden Flussniederungen: Schwarzwald, den Odenwald und auf
Denn dies ist ein Ort, der die Menschen die Schwäbische Alb vor, um die letz­
aufschauen lässt, der Ehrfurcht schürt. auf dem „Runden Berg“ nahe der heu­ ten Gutshöfe auszuplündern, die noch
Um das Jahr 450 n. Chr. erhebt sich tigen Stadt Reutlingen lebt, berichtet bewirtschaftet wurden.
auf dem Plateau eine hölzerne Mauer, kein Chronist; nicht einmal der Name Die Angreifer, selten mehr als ein
dahinter ein paar gedrungene Häuser, des Fürsten, der von hier aus über das paar Plündert Mann, gehörten verschie­
über denen ständig dunkler Rauch hängt, Umland herrscht, ist bekannt. denen Stämmen an, die in jener Zeit
dazu Werkstätten und Speicher, zwischen Wie weit mag seine Macht gereicht zwischen Ostsee und dem heutigen Böh­
denen Pferde umherstreunen. Es ist der haben? Wann genau mögen seine Vor­ men siedelten - darunter die Semnonen
Sitz eines alemannischen Fürsten, der gänger die Anhöhe in Besitz genommen und Juthungen.
hier mit seinem Gefolge, mit Kriegern haben? Unter welchen Umständen? Doch es gab Gemeinsamkeiten
und Handwerkern, Frauen und Kindern, All dies ist unbekannt. zwischen diesen Germanen. Sie sprachen
den Stürmen der Zeit trotzt. Und doch erzählt dieser Herrensitz verwandte Sprachen, trugen ähnliche
Goten, Vandalen und andere Stäm­ mehr über die Germanen jener Zeit als Waffen und bestatteten ihre Toten auf
me aus dem Nordosten des europäischen jede andere ihrer Siedlungen. Denn vergleichbare Weise. Und offenbar waren
Kontinents sind zu dieser Zeit bereits kaum eine andere Stätte haben W is­ sie äußerst brutal: Mancherorts, darauf
weit in das Imperium Romanum ein- senschaftler so intensiv erforscht: Seit deuten archäologische Spuren hin, skal­
gedrungen und ringen den Kaisern des Archäologen dort vor fast 100 Jahren pierten sie die Bewohner, erschlugen
zerbrechenden Reiches immer mehr erstmals gegraben haben, konnten sie selbst Kinder und zerstückelten die
Land und Macht ab. Germanen ziehen Hunderte von Siedlungsspuren sichern Leichname ihrer Opfer.
mordend und plündernd durch die Pro­ - darunter Geschirrfragmente, Schmuck Da die nordischen Verbände ihre
vinzen, ihre Fürsten haben sich vielerorts und Waffenteile sowie in den Fels gehau­ Überfälle bald auch auf das Gebiet des
über die römische Bevölkerung erhoben, ene Vertiefungen, die einst die Pfosten Imperium Romanum ausdehnten und
sogar eigene Reiche gegründet. der alemannischen Häuser hielten. über die Grenzflüsse nach Gallien und

62 GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


sogar bis nach Italien einfielen, mussten ten: Die Kämpfer ließen sich im ehema­ Im Jahr 289 n. Chr. bezeichnet ein
die Kaiser in Rom handeln. ligen Dekumatenland nieder. römischer Redner die vielleicht 120000
Sie schickten Truppen aus, die den Und vielleicht bezog der eine oder Bewohner zwischen Rhein und Donau
Angreifern schwere Niederlagen bei­ andere Einwanderer nun eines der groß­ erstmals als alamanni - in ihrer eigenen
brachten, banden einige von ihnen aber zügigen Landgüter, die seit dem Rück­ Sprache bedeutet der Name vermut­
auch durch Verträge an sich: Manche zug der Römer verlassen lagen. Andere lich „alle M änner“. Da sie selbst keine
Anführer der Räubertrupps wurden als bauten mit ihren Sippen dagegen neue Schriftquellen hinterlassen haben, ist
Offiziere in die römische Armee aufge­ Hofstellen und Weiler auf. allerdings ungewiss, ob die Germanen in
nommen und verpflichteten sich, mit Viele der niedriger gestellten Krie­ dieser Region sich selbst so nennen, ob
ihren Kriegern künftig die Grenzen des ger lebten jetzt als Bauern und Hand­ sie sich überhaupt einer solchen Groß­
Imperiums zu verteidigen. werker. Die Verbindungen in ihre alte gruppe zugehörig fühlen.
Einige dieser M änner befehligten Heimat ließen sie jedoch nie abreißen. Sicher ist jedoch, dass diese G er­
möglicherweise Hilfstruppen in jener Beständig wanderten wohl neue Grup­ manenstämme auch unter ihrem neuen
Region, die sie zuvor selbst verheert hat­ pen aus der Elbregion ein. Namen zersplittert bleiben. Die Macht
zwischen Rhein und Donau teilen sich
mehrere Fürsten, die wohl oft über meh­
rere Hundert Quadratkilometer große
Die alemannischen Handwerker sind äußerst geschickt. Feinschmiede etwa Gebiete samt ihren Einwohnern gebieten.
verzieren die G riffe von Schwertern m it hauchfeinem Goldblech und gießen - Manche jener alemannischen Heer­
wie hier - kunstvolle Gewandspangen aus geschmolzenem Silber führer, die weiterhin Beutezüge gegen
Rom unternehmen, siedeln dort vermut­
lich auch mit ihren Kriegsgefangenen,
die sie zur Feldarbeit zwingen.
Ab etwa dem Jahr 350 lassen sich
viele dieser lokalen M achthaber mit
ihren Sippen auf den Kämmen des

Alemannen
Schwarzwaldes und des Odenwaldes, auf
der Schwäbischen und der Fränkischen
Alb nieder. Die Anwesen, die sich über
die Höfe in den Tälern erheben, bieten
ihnen nicht nur Schutz vor feindlichen
Angriffen, sondern sind auch ein Sinn­
bild ihrer Macht.
W ie Archäologen hcrausgefunden
haben, betreibt mancher Fürst dafür ei­
nen enormen Aufwand: Am Südwest­
rand des Schwarzwaldes, in der Nähe der
römischen Rheingrenze, lässt ein Alc-
manne vermutlich eine ganze Bergkuppe
abtragen, um auf dem so geschaffenen
Plateau seine Residenz anzulegen.
Hunderttausende Kubikmeter Fels
haben seinem königlichen M achtan­
spruch zu weichen - ein gigantisches
Werk, das er wohl nicht allein mit seinen
Untertanen vollbracht haben kann: Viel­
leicht dient der Anführer als G renz­
offizier der römischen Armee und kann
daher auf Hilfe aus dem nahe gelegenen
Gallien zurückgreifen. Oder es erleich­
tert ihm und seinen Mannen die Arbeit,
dass die Römer einst Bergbau in der Re­
gion betrieben und dort bereits Terrassen
angelegt hatten.
Auch die flache Kuppe des Runden
Berges nahe dem heutigen Reutlingen
64 GEO EPOCHE Die Völkerwanderung
Das Anwesen auf dem 250 M e te r hohen Bergkegel ist schwer einzunehmen, vor allem im
W inter, wenn die kahlen Bäume A ngreifern weniger Sichtschutz bieten und die Hänge vereist
sind. Bauern aus dem Tal müssen auf dem W eg zu ihrem Herrn gewundenen Pfaden folgen

Alemannen

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung 65


wird in jenen Jahren erstmals von einem Im W inter, wenn die Hänge der Vielleicht kann es sich der Fürst
alemannischen Kleinkönig und seinen Schwäbischen Alb zuschneien und die sogar leisten, einen eigenen Instrumen­
engsten Getreuen in Besitz genommen: Trampelpfade auf den Runden Berg im tenbauer zu beschäftigen: Nur wenige
Bis zur Mitte des 5. Jahrhunderts wächst Frost erstarren, wärmen die Bewohner Meister beherrschen die Kunst, das Ei­
dort ein Anwesen heran, in dem rund sich mit Hirschfellen, die in der verruß­ chenholz für den flachen Schallkasten so
100 Menschen zu Hause sind. ten Plalle ausliegen. gekonnt auszuhöhlen, dass die Saiten
Lädt der Fürst zu einem Festmahl, einen vollen Klang erzeugen.
dringt wohl der Duft von geschmortem Die Feste dienen dem Herrscher
Rind aus dem großen Bronzekessel, lässt dazu, sich sein Gefolge gewogen zu hal­
er auch gebratene Gänse aultragen, eine ten. Mehrere H undert Krieger folgen
erst durch die Römer nördlich der Alpen ihm, viele von ihnen Fußsoldaten, an
verbreitete Haustierart. deren G ürtel ein sax hängt, das ein­
Dazu reichen Dienerinnen Linsen, schneidige Kurzschwert.
Kohl oder Rüben, im Sommer auch fri­ Wohl nur hochrangige Krieger ver­
schen Mangold, gewürzt mit Dill und fügen über ein Pferd. Sie kämpfen mit
Petersilie, Koriander und Bohnenkraut, der spatha, einem zweischneidigen, knapp
wie Funde aus anderen alemannischen einen M eter langen Schwert, das eine
Der Fürst des Runden Berges lässt das Siedlungen vermuten lassen. enorm widerstandsfähige Klinge hat und
Hochplateau aufwendig sichern: Seine Die Männer und Frauen speisen aus auch in den Arsenalen der römischen
Männer schlagen zwei Reihen von Lö­ Keramikschalen, greifen von Tontellern Armee lagert.
chern in den steinernen Grund, rammen Feigen oder Weintrauben, schenken sich Die begehrtesten dieser Waffen ha­
Pfosten hinein, verbinden sie mit 1Iolz- Wasser und Bier aus perfekt modellier­ ben eine Damaszenerklinge. W ill der
planken und schütten den Zwischenraum ten Krügen ein: Anders als das grobe, Schmied auf dem Runden Berg, in des­
mit Geröll auf. handgetöpferte Geschirr, aus dem die sen rauchverhangener Kate auch Sensen,
Das übermannshohe Bollwerk um­ Menschen im Tal ihren Gemüseeintopf
schließt nun, um das Jahr 450, etwa oder Getreidebrei löffeln, stammt die
ein Dutzend Gebäude unterschiedlicher Tischware ihres Anführers aus römischen
Größe. Zwar sind keine Spuren des Bau­ Werkstätten oder wurde nach römischer
materials mehr erhalten, doch haben Art in Töpfereien nahe dem Runden
Archäologen rekonstruiert, dass die Häu­ Berg auf schnell rotierenden Drehschei­
ser wohl aus hölzernem Fachwerk ge­ ben produziert.
zimmert sind. Die Wände bestehen aus Auch wenn das einst von Rom an­
geflochtenen Zweigen, die mit einer gelegte Wegenetz inzwischen wohl ver­
Mischung aus Lehm und Stroh bestri­ fallen ist, und auch wenn es keine Stadt,
chen sind, Holzschindeln oder Stroh keinen größeren M arktplatz mehr in
verschließen die Dächer bis auf eine klei-
••
der Region zwischen Rhein und Donau
ne Öffnung, durch die Rauch abziehen gibt, gelangen aus dem Imperium Luxus­
und Licht cindringen kann. artikel wie Gläser, Bronzegeschirr und
Ein rund zehn Meter langes Wohn­ Gewürze in die Hallen der alemanni­
haus mit einem mächtigen Walmdach schen Fürsten.
überragt alle übrigen Gebäude: der Sitz Manches davon mag Raubgut sein,
der fürstlichen Familie. Auch das Innere doch sind etliche Stücke wohl auf fried­
dieses I Iauses, eine lang gestreckte Halle lichem Wege in die Siedlungen gelangt
ohne Fenster, zeugt von Reichtum und - und zwar durch Tauschhandel.
Macht. Der Herrscher umgibt sich mit Denn eigenes Geld prägen die ger­
römischer Importware und den feinsten manischen Machthaber nicht: Römische
Erzeugnissen der alemannischen Hand­ Münzen, die Archäologen später in den
werkskunst. Überresten alemannischer Anwesen fin­
Schreiner haben aus kunstvoll ge­ den, dienen wohl als Schmuck oder als
drechselten Stäben Betten, Tische und Rohmaterial für Schmiedearbeiten.
Stühle gefertigt. Kerzen in hohen Leuch­ Nach einem so üppigen M ahl er­
tern verströmen den Duft von Bienen­ klingt in der Halle sicher Musik, dröhnt
wachs, in der M itte des Raumes lodert der Gesang der Betrunkenen. Ein belieb­
ein Herdfeuer, in der Ecke liegen Spiel­ tes Instrument der Alemannen ist die
steine, mit denen der Herrscher und sei­ sechstönigc Leier, auf der sich eingängige
ne Familie sich die Zeit vertreiben. Melodien spielen lassen.

66
Axtblätter und Scheren hergestellt wer­ Klumpen. Ist der abgekühlt, reinigen die
den, ein solches Schwert formen, muss Noch folgen Männer das Rohmetall durch weiteres
er verschiedene Stähle zusammenfügen. Erhitzen und sorgfältige Hammerschläge
weitgehend von verbliebenen Fremd-
Zunächst erhitzt ein Gehilfe ge­
bündelte Platten aus unterschiedlich sic ihren alten stoffen. Wieder und wieder falten sic das
hartem Stahl, wieder und wieder hält er Material nun, lassen ihr Werkzeug darauf
das Material in die Glut. Anschließend
schallt der Klang des Schmiedehammers Göttern niedergehen, um das Metall zu verdich­
ten und den darin enthaltenen Kohlen­
durch die Siedlung: M it gekonnten stoff gleichmäßig zu verteilen. So ent­
Schlägen verbindet der Meister die ein­ steht Stahl, den sie dem Schmied zur
zelnen Teile, streckt und verwindet sie. Runden Berg oder irgendwo in der Nähe Weiterverarbeitung überreichen.
Wochen dauert es, bis auf diese Weise haben Handwerker daher vermutlich aus Besonders hochgestellte Kämpfer
aus mehreren Kilogramm M etall ein Fclsbrockcn und Lehm einen trichter­ lassen den Griff ihres Schwertes vergol­
neues Schwert entsteht. förmigen, fast mannshohen Ofen errich­ den - eine Aufgabe für den Feinschmied:
Das für den Stahl nötige Eisen stel­ tet, der sich auf rund 1300 Grad Celsius In seiner W erkstatt auf dem Runden
len die Alemannen selbst her; die Schwä­ aufheizen lässt. Berg liegen Feilen, Meißel und Keramik­
bische Alb birgt mehrere Erzvorkom­ Bei dieser Temperatur löst sich das tiegel sowie Gießformen aus Ton bereit,
men. Um jene Hitze zu erzeugen, die das Gestein aus dem im Ofen aufgeschich­ mit denen er unter anderem Gewand­
Metall vom Gestein scheidet, reicht ein teten Erz und fließt durch eine Öffnung nadeln und Schnallen für die Ledergür­
gewöhnliches Feuer nicht aus. Auf dem ab. Das Eisen bildet am Boden einen tel der Männer fertigt und verziert.
Um genügend Gold etwa für das
Dekor einer Gewandnadel zusammen­
zubekommen, besorgt er sich wohl eine
Im größ ten Gebäude lebt die fürstliche Familie zwischen W änden aus Fachwerk, Lehm und der seltenen römischen Goldmünzen und
Stroh, gewärm t von einem steinumfassten Feuer in der M itte des einzigen Raumes und aus­ bringt sic in einem Tiegel zum Schmel­
liegenden Tierfellen. Kerzen spenden Licht und den angenehmen D u ft von Bienenwachs zen. Durch die Zugabe von Quecksilber

Alemannen
(das er später durch Verdampfen über
dem Feuer wieder entfernt) wird die
Masse derart zähflüssig, dass sie sich mit
einem Pinsel aufbringen lässt.

Ein paar M eter entfernt liegt die Werk­


statt, in der die Weberinnen Stoffe ferti­
gen. Hier ist es kalt, und es riecht muffig,
denn die Frauen arbeiten in einem in die
Erde eingelassenen Grubenhaus.
Die beständig feuchte Luft verhin­
dert, dass die Leinenfaden, welche die
Frauen auf einen mannshohen Rahmen
gespannt und mit tönernen Gewichten
gestrafft haben, austrocknen und reißen.
Mit der Hand ziehen sie die Schuss­
k j Im m - /i k , , ■
faden ein, erzeugen so nach und nach
lange Stoffbahnen. Auch Schafwolle,
Ziegenhaar und Hanfgarn verarbeiten sie
zu Tuchen mit kunstvollen Webmustern.
Aus den Stoffen schneidern sie
Kleider für die Bewohner der Siedlung.
•1Ect f rv Die Männer tragen Hosen, dazu ein lan­
w1m
. Aj

\ 1 f € ges Oberhemd, um das sich ein Gürtel


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•? J mit metallener Schnalle windet. Die
Frauen kleiden sich in Tuniken - eine
M ode, die im römischen Imperium
schon lange üblich ist und sich erst jetzt
auch nordöstlich der Reichsgrenze gegen
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Brauch, den die A le m a n n e n w o h l ab etwa 4 5 0 p fle g e n . (E in e solche Begräbni
im Jahr 1999 n ic h t w e it von der Residenz des alem annischen Fürsten nahe de

68 GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


Alemannen

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung 69


DIE PLÜNDERER VON DER ELBE (UM 2 6 0 -5 0 0 N. CHR.)
das traditionelle ärmellose Gewand der
Germaninnen durchsetzt. Je nach W it­
terung legen sie sich noch einen Woll- im 3. J a h r h u n d e r t a u f g e g e b e n e r L im es

umhang um. H e rk u n fts ra u m v o n G e r m a n e n g ru p p e n


d ie s p ä te r d ie A le m a n n e n b ild e n
Besonders vornehm kleidet sich die
Gemahlin des Fürsten. Eine mit Gold
verzierte Silberspange hält ihren Mantel
zusammen, und vielleicht trägt sie, wie
andere germanische Herrscherinnen, bei
besonderen Anlässen noch prachtvoller
ausgestattete Kleider: Aus einem Grab
bergen Archäologen später einen Seiden­
mantel mit goldbestickten Manschetten
und Schließen aus Granat, den einst eine
fränkische Fürstin getragen hat.
Edle Stoffe lässt der Herrscher des
Runden Berges vermutlich auf den
M ärkten römischer Provinzstädte be­
schaffen, etwa im gut 100 Kilometer
entfernten Augusta Vindelicum, dem
Worms
heutigen Augsburg. Möglicherweise
bringen seine M änner von dort sogar
eine Probe jenes besonders weichen
Tuchs mit, das aus dem fernen Orient > Runder' •
Straßburg« .r
importiert und zu hohen Preisen im Im­
perium verkauft wird: Baumwolle.

Der G ott der Römer aber ist den Men­ Bregenz


schen auf dem Runden Berg fremd GEOEPOCHE-Karte
geblieben. Mögen sich Stämme wie die
Goten und Vandalen längst dem Chris­
tentum verschrieben haben, mögen in D ie Alem annen gehören unterschiedlichen Stämmen an, die ursprünglich
Städten wie Trier, Köln und Worms um Elbe und O d e r siedeln. Als die Römer sich wegen innenpolitischer Probleme
schon im 4. Jahrhundert katholische Bi­ um 260 n. Chr. hinter ihre alte Reichsgrenze zurückziehen, wandern Teile dieser
schöfe residieren: Die rechts des Rheins Verbände in die Region von Schwarzwald und Schwäbischer A lb ein - zunächst, um
siedelnden Alemannen folgen noch im­ zu plündern, doch bald auch, um sich dauerhaft niederzulassen. W ohl weil
mer jenen Kulten, die seit Langem in sie sich kulturell ähneln, nennen die Römer diese Germanen bald a la m a n n i. Manche
Mitteleuropa praktiziert werden. ihrer Fürsten übernehmen militärische A ufgaben für das römische Imperium,
Archäologische Funde und schrift­ andere rauben weiter. Um das Jahr 500 beginnen die benachbarten Franken von
liche Hinweise liefern zwar nur ein vages Nordwesten her, die G egend gewaltsam ihrem Reich einzugliedern - und
Bild davon, wie diese Glaubenswelt aus­ nennen die Provinz später nach deren Bewohnern: »Alamannia«
sieht. Vermutlich aber verehren der Fürst
und seine Krieger höhere Wesen wie
Freyr, den Gott der Fruchtbarkeit, dessen
Wagen von einem Eber gezogen wird.
Oder sie versammeln sich an See­ Reittier, das ihm zu Lebzeiten ein treuer aber auf jeden Fall geben die Siedler dem
ufern und Flussniederungen, um Wotan Gefährte war, soll ihn nun in die jensei­ Verstorbenen reiche Beigaben mit auf
Waffen oder metallene Tierstatuen zu tige Schattenwelt tragen. den Weg ins Jenseits: Geschirr, Schmuck,
opfern - auf dass der Götterfürst und Stirbt ein Bewohner des Runden Schwert und Schild, einen Kamm, viel­
Heiler von Menschen und Tieren ihnen Berges, zieht die Gemeinschaft mit dem leicht Speisen und Getränke.
wohlgesinnt sein möge. Leichnam wahrscheinlich hinab ins Tal Kaum etwas aber dürfte den Reich-
Fällt ein Kämpfer, so töten seine der Erms und setzt den Toten auf ihrem tümern gleichkommen, die die Aleman­
Gefolgsleute mitunter auch sein Pferd dortigen Friedhof in einem Erdgrab bei. nen ihren Fürsten ins Grab legen. In
und begraben es - aufgezäumt und ge­ Es gibt keine Hinweise darauf, welche einem Grab am östlichen Rand des
sattelt - neben dem Verstorbenen. Das Zeremonien die Bestattung begleiten, Schwarzwalds finden Archäologen später

70 GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


eine Spatha mit goldenem Griff, einen um jenseits der Grenzen römische Kost­ werden? Oder ist es vielleicht ganz an­
kostbar verzierten Helm, eine Wurfaxt, barkeiten zu rauben, doch im Kampf um ders? Gibt der Fürst seinen imposanten
eine Lanze und eine mit Edelsteinen das Erbe Roms spielen sie keine Rolle Sitz freiwillig auf, weil er schlicht keine
verzierte Tasche: eine Ausrüstung, wie sie - wohl auch deshalb, weil sie nie ihre Macht mehr besitzt?
nur ein Krieger von ähnlicher Stellung Kräfte bündeln, nie einen gemeinsamen Niemand weiß es. Sicher ist nur,
wie der Herrscher vom Runden Berg König wählen, ihre zersplitterten Gebiete dass das Anwesen auf dem Runden Berg
besessen haben kann. nie zu einem Reich vereinen. um das Jahr 500 binnen kurzer Zeit
Kaum ein Chronist des 5. Jahrhun­ verödet - wie wohl auch alle anderen
derts erwähnt die Alemannen. Und selbst alemannischen Höhensiedlungen.
dem gallo-römischen Bischof Avitus Gefolgsleute des fränkischen Kö­
von Vienne, der um 500 mit den Mäch­ nigs herrschen nun über das Gebiet, das
tigen seiner Zeit korrespondiert, sind sie zur fränkischen Provinz Alamannia
sie offenbar keine Zeile wert: Nicht zusammenfassen.
ein einziger seiner 86 erhaltenen Briefe D er Runde Berg indes verliert
ist an einen alemannischen Machthaber nichts von seiner Anziehungskraft. Ir­
gerichtet. gendwann nach 650 entdeckt ein anderer
Und so bleiben die Siedler auf den germanischer Clan die Vorzüge seiner
entlegenen Höhen der Schwäbischen steilen Flanken und errichtet auf dem
An manchen Tagen satteln der Fürst von Alb wohl lange von den Unruhen der Plateau einen Hof. Und in späteren Jahr­
der Schwäbischen Alb und seine Krieger Zeit verschont - bis ihre Heim at ins hunderten erhebt sich über dem Tal der
ihre Pferde, reiten durch das große Tor Blickfeld eines germanischen Herrschers Erms eine turmbewehrte Burganlage mit
im Nordwesten der Siedlung und bre­ gerät, der einige H undert Kilometer mächtigen Mauern.
chen unter schwerer Bewaffnung gen nordwestlich des Runden Berges im gal­ Wohl erst im 16. Jahrhundert ver­
Rhein oder Donau auf: Vermutlich über­ lischen Tournai residiert: der fränkische lassen schließlich die letzten Bewohner
fallen sie die römischen Kastelle an den König Chlodwig (siche Seite 58). die Anhöhe - aus welchem Grund, kann
Flussufern, dringen mitunter sogar ins Bereits um das Jahr 487 hat der heute keiner mehr sagen. Die hölzernen
Hinterland vor und rauben dort Guts­ M achthaber den größten Teil N ord­ Häuser der Alemannen aber sind längst • •

höfe oder ganze Ortschaften aus. galliens unter seine Herrschaft gebracht, verfallen, Erdrutsche haben ihre Über­
Zwar mögen Vorgänger des Herr­ hat den letzten römischen Statthalter in reste mitgerissen, zurückgelassene Gegen­
schers auf dem Runden Berg, wie auch der Region besiegt und sich die Gebiete stände unter Geröllschichten begraben.
andere alemannische Fürsten, Verbünde­ anderer fränkischer Kleinkönige unter­ So kommt es, dass rund 1500 Jahre
te Roms gewesen sein - mit dem kaiser­ worfen. Nun wendet er sich südwärts. später, als Wissenschaftler die Siedlung
lichen Auftrag, das nordöstliche Vorfeld Vielleicht treibt ihn schierer Expan­ erforschen, nur noch ein paar Tonscher­
des Reiches zu sichern. sionswille, vielleicht aber setzt er sich ben, Schmuckteile und Löcher im Fels
Doch Schriftquellen deuten darauf auch gegen alemannische Truppen zur davon zeugen, dass auf diesem Berg in
hin, dass es ab der Mitte des 5. Jahrhun­ Wehr, die über den Rhein in das entste­ der Schwäbischen Alb eine germanische
derts vermehrt zu Überfällen durch ale­ hende fränkische Reich vorgedrungen Sippe einst mehr als ein Jahrhundert lang
mannische Gruppen kommt: Der gallo- sind. A uf jeden Fall schlägt Chlodwig die W irren der Völkerwanderung über­
römische Beamte Sidonius Apollinaris um 496 ein alemannisches Heer nahe der dauert hat. £
berichtet um 457 beispielsweise, römische heutigen Stadt Zülpich.
Einheiten hätten südöstlich der Schwä­ Und er siegt auch in weiteren Sebastian K retz, Jg. 1982, ist Autor
bischen Alb eine Truppe von 900 Ale­ Schlachten: Um 507 kontrolliert Chlod­ in Berlin. In sa B e th k e ,/g . 1977, hat diese
mannen zurückgeschlagen. wig vermutlich Teile des alemannischen Ausgabe redaktionell betreut. T im W ehr­
Sicher ist, dass die westliche Hälfte Machtbereichs. Bis 537 bringen seine m ann, Jg. 1974, fe r tig t schon seit vielen
des seit 395 geteilten Römischen Reiches Nachfolger schließlich sogar das gesamte Jahren Illustrationen f ü r G E O E PO CHE.
in jenen Jahren kollabiert: bedrängt Land zwischen Rhein, Donau und Main
durch die H unnen und germanische unter ihre Herrschaft.
Stämme, zermürbt durch innere Kämpfe. Welches Schicksal den Menschen LITERATUREMPFEHLUNGEN: Karlheinz
Die wahre Macht halten nicht mehr auf dem Runden Berg in dieser Zeit Fuchs et al. (Hg.), „Die Alamannen", Theiss:
die Kaiser, sondern deren oberste Offi­ widerfahrt, ist ungewiss. umfangreicher Ausstellungskatalog zu allen
ziere, die Heermeister - bis schließlich Kommt es dort zu Kämpfen mit Aspekten der in Südwestdeutschland sie­
476 ein germanischer Heerführer den fränkischen Soldaten, wie manche W is­ delnden Germanen. Helmut Bernhard et al.,
letzten weströmischen Imperator absetzt senschaftler vermuten? Zerschlagen Er­ „Der Runde Berg bei Urach", Theiss: etwas
••

(siehe Seite 118). oberer all jene Gefäße und Gläser, deren älter, aber immer noch das beste Uberblicks­
Manche Anführer der alemanni­ Überreste die Archäologen viele Jahr­ werk, das sich konkret mit den Funden auf
schen Verbände nutzen das Chaos also, hunderte später auf dem Plateau bergen der Anhöhe der Schwäbischen Alb befasst.

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung 71


Der Zug der Vandalen —5. Jahrhundert

A u f Ochsenwagen, Pferden und auch zu Fuß brechen die Vandalen um 400 auf. Ihre gesamte Habe nehmen sie mit. Nach und nach schließen sich

72 GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


hnen Angehörige anderer Völker an, immer gewaltiger wird der Zug - bis schließlich Zehntausende die Grenze des Römischen Reiches bedrängen

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung 73


Ihre Sicht der Ereignisse ist, wie Flüchtlingsstrom vorstellen? Als Zug der
könnte es auch anders sein, parteiisch Elenden, die in kleinen Gruppen mal
und düster. Ihr Blick ist getrübt: Sie be­ hier über den Rhein gehen, mal dort un­
klagen die Taten, unter denen sie leiden bemerkt die Grenzposten an der Donau
müssen, aber sie wissen recht wenig über passieren, bis unter ihrer schieren Masse
die Täter. Wer sind die Angreifer, wo das Römische Reich kollabiert?
kommen sie her, was treibt sie an? Spät­ Oder sind dies entschlossene Sied­
antike Chronisten notieren zwar hin und ler, die, wie Jahrhunderte später die Pio­
wieder irgendwoher beschaffte Informa­ niere Amerikas, mit Frauen und Kindern,
tionen, doch eigentlich bleiben ihnen die mit I lab und G ut in ein gelobtes Land
Barbaren schrecklich rätselhaft. strömen, um es unter sich aufzuteilen?
Die „Völkerwanderung“ ist daher Und die dabei keine Rücksicht nehmen
ein Begriff, der längst vom Historischen auf jene Menschen, die dort schon leben?
Geschichte, so sagt man, wird von den ins Mythische hinübergeglitten ist. „Völ­ Oder sind es vielleicht germanische
Siegern geschrieben. Doch zur Zeit der kerwanderung“, das klingt grandios und Elitetruppen, vieltausendköpfige Heere,
Völkerwanderung ist es nicht so, zumin­ düster, das klingt nach Umbruch, Krieg, die mordend und plündernd ins Im pe­
dest nicht ganz. Eroberung, nach Ende und Anfang einer rium einfallcn und sich schließlich zu
Da sind es die Verlierer - die zivi­ Epoche. Doch wie hat sich all das, ir­ neuen Herren aufschwingen?
lisierten, Lateinisch und Griechisch spre­ gendwann um das Jahr 400, irgendwo Und schließlich: Wer eigentlich
chenden Römer, die von den Barbaren in Gallien oder Spanien, in Italien oder sind denn diese „Völker“? Sind das seit
überwältigten Bürger des untergehenden Nordafrika denn tatsächlich zugetragen? Generationen verschweißte Gruppen,
Imperiums -, die selber die Geschichte Wie sind diese Völker „gewandert“? N ationen gewissermaßen, eine jede
ihres Untergangs verfassen. Muss man sich das als jahrelangen durch Sprache, Herkunft und Religion

V T f. WA
* *k***
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verbunden? Oder eher lose Bündnisse ihren Funden ebenfalls nicht recht eine Schneise der Verwüstung quer durch
zahlloser kleiner Stämme? Oder ganz schlau. Wenn eine Stadt niedergebrannt das heutige Deutschland, durch Frank­
und gar ungeordnete Menschenmassen, worden ist - wann und von wem? reich, Belgien, Spanien und Portugal. Die
Freibeuter der Spätantike, Abenteurer Wenn auf dem einstigen Gebiet des Vandalen erobern die Küsten des M a­
aus allen Weltgegenden, die sich irgend­ Römischen Reiches ein Schwert neben ghreb, ihre Flotten suchen die Balearen
welchen Anführern anschließen und Sizilien, Sardinien und Kor­
und dabei nach und nach deren sika heim, ihr König plündert gar
Namen annehmen? Rom, die Ewige Stadt.
Die Angreifer selbst haben, S ie g la u b e n a n d e n Doch dann verlieren sie eine
zumindest während der ersten Schlacht, und das ganze Volk löst
Generationen, kaum eigene Texte
hinterlassen. Niemand hat ver­
G o t t ih re r F einde sich auf, als hätte es nie existiert.
Wer, also, sind die Vandalen?
zeichnet, wie und wann sich ein
Volk versammelt hat, warum es
losgezogen ist, was man im fremden, einem Skelett liegt - bedeutet das, dass D er römische G elehrte Plinius der
• •

reichen Imperium Romanum eigentlich hier ein barbarischer Angreifer bestattet Altere ist der Erste, der um 77 n. Chr.
erhoffte und wie es denn gewesen ist, worden ist, da die Römer ihren Toten in in einem Werk vandili erwähnt. Zu die­
durch dieses Reich zu ziehen. Vielleicht der Regel keine Grabbeigaben zukom­ ser Zeit leben die Vandalen - das legen
konnten sie nicht schreiben, vielleicht men ließen? Aus welchem Volk? Und
war ihnen die Literatur auch gleichgültig. war er ein durchziehender Krieger, der
Die Archäologen schließlich, die zufällig hier fiel? Oder ein neuer Herr,
sich heute über Grundmauern und ein­ der sich das Land, in dem sein Grab
gefallene Gräber beugen, werden aus liegt, bereits unterworfen hatte?
Oder liegt in jener Grube ein ger­
manischer Söldner, der im Auftrag der
Kaiser Rom geschützt hat? Also kein
Angreifer, sondern ein Verteidiger?

Vandalen
Oder haben gar jene Forscher recht,
die eine Unterscheidung in germanische
und römische Gräber generell für un­
möglich halten?
Wenig Genaues also weiß man über
die „Völker“ und deren „Wanderung“,
und wohl bei keinem Volk vermischen
sich Mythos und Unwissen, düsterer
Ruhm und beklagenswert unklare histo­
rische Überlieferung so sehr wie ausge­
rechnet beim scheinbar erfolgreichsten
jener Epoche: den Vandalen. Im Jahr 406 n. Chr. überqueren die
Dieses germanische Volk, das jahr­ Vandalen den Rhein, die Grenze zum
hundertelang in einer entlegenen Ecke römischen Im perium - und niemand hält
Europas lebt und lange von den meisten sie auf. Rom braucht seine Truppen an
antiken Chronisten ignoriert wird, ver­ anderen O rte n , in anderen Kämpfen
setzt wie aus dem Nichts dem stolzen
Imperium einen schweren, ja womöglich
den tödlichen Schlag. Es zieht innerhalb
weniger Jahrzehnte von den Karpaten archäologische Funde sowie einige spä­
nach Nordafrika und hinterlässt dabei tere antike Texte nahe - im heutigen
Mittel- und Südpolen. Wohl im 2. Jahr­
hundert n. Chr. verlagern sie ihren
Siedlungsschwerpunkt nach Süden, in
Verm utlich ist es nicht nur Richtung der Slowakei, an die Flüsse
Beutegier, die die Vandalen treibt: Theiß und Donau - und damit in die
W ie andere Germ anen vo r ihnen Nähe der imperialen Grenze. So nahe,
wollen sie den hohen Lebensstandard dass römische Ideen, Religionen, Spra­
im Römischen Reich genießen chen bis zu ihnen ausstrahlen.
Möglich, dass I ländler, I Iandwer- ist. Die Vandalen und ihre Verbündeten Wahrscheinlich legen sie es darauf
ker und Flüchtlinge sich von der Reichs­ verschwinden jedoch rasch wieder von an}foederati zu werden, „Verbündete“ des
grenze bis an den Karpatensaum wagen. der Donau und damit aus Roms Blick. Kaisers. In diesen Status sind ja bereits
Und sicher werden auch einzelne Van­ Im W inter 406 aber sammeln sie andere Germanenstämme erhoben wor­
dalen den umgekehrten Weg gehen, um sich plötzlich am östlichen Rheinufer - den: Sie haben sich in römischen Pro­
in Rom als Söldner ihr Glück zu suchen. und die Römer werden sie nun nie wie­ vinzen niederlassen dürfen und müssen
In der Slowakei wird jedenfalls spä­ der vergessen... die nun schützen. Dafür erhalten sie je
ter ein Grab entdeckt, das den materiel­ ein Drittel der Steuern, der sonstigen
len Einfluss des Imperiums beweist: Es Einnahmen und des Landes.
ist mit feinsten Gold- und Silberwaren Man muss sich düstere Anhöhen irgend­ Sehen sich die Vandalen also bereits
römischer Werkstätten gefüllt. wo am Mittel- oder Oberrhein vorstel­ am westlichen Rheinufer, als Herren über
Im Lauf der Jahrhunderte setzen len, dichte Wälder, womöglich kleine Städte mit Thermen und Theatern, als
sich vor allem zwei Unterstämme aus Felder, abgeerntet so spät im Jahr. Bewohner ländlicher Villen, die Rcich-
dem Volk der Vandalen durch, die Am Ufer stehen Reiterkrieger in tümer des Imperiums genießend?
Hasdingen und die Silingen. Wohl vom langen Hosen, die wollenen Umhänge
4. Jahrhundert an werden sie nach und zusammengehalten von verzierten Me-
nach zu Christen —allerdings hängen sic tallspangcn, bewaffnet mit Lanzen,
nicht der Rom beherrschenden katholi­ Schilden, Wurfäxten, langen Schwertern.
schen Kirche an, sondern der arianischen Bei ihnen Frauen und Kinder, vielleicht
Glaubensrichtung. Sie sprechen ein dem zu Fuß, vielleicht auf Ochsenkarren.
Gotischen nahes Idiom, obwohl, das legt
• •
Für das Jahr 429, also einen gut
zumindest die brüchige Überlieferung 20 Jahre später gelegenen Zeitpunkt,
nahe, die Goten von alters her Feinde der wird ein glaubwürdiger antiker Beobach­
Vandalen sind. ter die Vandalen auf 80 000 Köpfe schät­
Doch um 400 verschwinden die zen - was bedeutet, dass sic 15 000 bis
Vandalen aus ihrer Heimat an der Theiß. allerhöchstens 30 000 Kämpfer stellen.
Das ist, verglichen mit den römischen
Legionen zur Glanzzeit des Kaisertums,
nicht gerade ein beeindruckendes Heer.
Doch die Reiter sind schnell und
gut organisiert. Das ganze Volk ist ver­
mutlich in Tausendschaften aufgeteilt,
die jeweils einem Unterführer folgen.
Über allen steht ein König namens
Godegisel. Zum Gefolge des Herrschers
zählt auch ein Prinz, der königliche
Spross mit einer Sklavin, der allerdings
einen höchst stolzen Namen führt: Gci-
Was ist geschehen? Hat eine Hungersnot serich, „Herrschend mit der Lanze“.
sie fortgetrieben? Oder ist es die Angst Was erhoffen sich die Kämpfer,
vor den Hunnen, die bereits den Osten wenn sie von den Anhöhen auf den
Europas verheeren? W ill man sich in Rhein blicken? Wenn sic nur einen Raub­
Sicherheit bringen, bevor jener schreck­ zug planten, würden sie nicht ihre Fami­
liche Feind nahe ist? lien mitnehmen. Wollen sie mit 80000
Auf jeden Fall überschreiten Van­ Menschen wirklich das Imperium mit
dalen, so Chronisten, um das Jahr 400 seinen Millionen Bürgern unterwerfen?
die Grenze zur römischen Provinz Pan­
nonien im ungarischen Donauraum.
M it ihnen ziehen schon bald Sue­
ben, ein germanischer Stamm, sowie Zwei Jahre lang ziehen die Van­
Alanen, ein Steppenreitervolk, das bereits dalen scheinbar ziellos durch Gallien,
seit Jahrzehnten immer weiter nach Wes­ machen mal hier, mal dort Beute. Und
ten vordringt und eine iranische Sprache irgendwann sind sie so weit von ihrer
spricht. Eine seltsame Koalition hat sich Heimat entfernt, haben sich auf ihrem
da gefunden, und niemand kann heute Zug so viele Feinde gemacht, dass eine
mehr sagen, wie sie zustande gekommen Umkehr ausgeschlossen scheint

76 GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


Sicher ist Godegisel bekannt, dass M änner und ihre Verbündeten mehr sie und dann die Stadt im I landstreich
Rom die Grenztruppen am Rhein aus­ oder weniger widerstandslos den Rhein. nehmen. Nun sind sie im Imperium.
gedünnt hat, weil es andernorts heftige Eine spätere Legende zeichnet die Allein, das Imperium will sie nicht.
Kämpfe ausfechten muss. Aber sicher Vandalen als fellbehangene Barbaren, die Rom macht ihnen kein Bündnisan­
weiß er auch, dass das Imperium ihn und in eisiger Dunkelheit über den zugefro­ gebot (wie nach früheren Einfällen ger­
sein Volk nicht als Foederati eingela­ renen Strom kommen. manischer Stämme), überlässt ihnen kein
den hat. Doch wahrscheinlich ist es viel ein­ Land, keinen einzigen Denar der Steu­
Niemand in Rom denkt auch nur facher: Godegisel nutzt die Errungen­ erkasse. Die Hoffnung, die die Vandalen-
eine Sekunde daran, die Vandalen ins schaften Roms, um Rom anzugreifen. fuhrcr gehegt haben mögen - dass sie zu
Reich zu lassen: Sie müssen sich den Zu­ Denn die erste römische Stadt, die Föderaten des Imperiums werden -, zer­
gang also erzwingen. die Eindringlinge plündern und nieder­ schlägt sich wohl binnen Kurzem.
In der Silvesternacht 406, so über­ brennen, ist Mogontiacum, das heutige Was nun? Es ist Winter, und 80 000
liefert es der christliche Autor Prosper Mainz. Dort führt eine Brücke über den Menschen müssen ernährt werden. Und
von Aquitanien, überwinden Godegisels Rhein - gut möglich, dass die Invasoren so wandern die Vandalen weiter, plün-

Vandalen

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung 77


Auch die Pyrenäen überwinden die Vandalen, fallen im Jahr 409 in Spanien ein. Nun gibt Rom es auf,
die unaufhaltsam vorankommenden Eindringlinge zu bekämpfen. Das Imperium bietet ihnen Land an - und
tritt wahrscheinlich sogar ein Drittel der Steuereinnahmen in den iberischen Regionen an sie ab

dernd, raubend, gezogen von der Gier nen plötzlichen Richtungswechsel nahe­ war“, klagt der spätantike Theologe Sal-
nach immer neuen Schätzen, zugleich legt - sei es, dass berittene Kundschaf­ vian. „Nachdem dieses als Erstes das Ver­
auch getrieben von der schieren Not, ter möglicherweise eine Stadt als zum derben erreicht hatte, stand das Land der
denn wenn sie irgendwo länger bleiben, Plündern geeignet befinden, eine andere Belgier in Flammen, dann der Reichtum
dann müssen sie hungern. jedoch nicht. der verschwenderischen Aquitanier und
Bald steigt der Rauch niederge­ Vielleicht kommt es manchmal so­ dann das ganze Binnenland von Gallien.“
brannter Häuser über Speyer auf, dann gar vor, dass die Einheimischen selbst Und Orientius, ein gallischer Bi­
über Straßburg, M etz, Reims, schof aus ebenjenem finsteren
Amiens, Tournai. Immer tiefer Jahrhundert, resümiert lakonisch:
hinein nach Gallien geht der Zug, „Ganz Gallien rauchte als einziger
immer planloser auch scheint er G e rm a n e n kä m p fe n Scheiterhaufen.“
zu werden. Mal wenden sich die
Krieger hoch nach Norden bis ins
heutige Belgien, dann wüten sie
g e g e n Germanen Doch so wenig solche Berichte
im Zentrum Galliens, schließlich über die Strategie der Angreifer
wälzen sie sich gen Süden. verraten, so wenig weiß man auch
Wenn dahinter eine Strategie von den Vandalen den Weg zum nächsten über die Einzelheiten dieses Höllenzugs.
Godegisel steht, dann ist sie heute nicht N achbarort weisen, bloß um diese Vermutlich nutzen die Vandalen die
mehr bekannt. Jedenfalls sieht es in die­ schrecklichen Fremden fortzulocken. guten römischen Straßen. Der Tross mit
ser Phase nicht so aus, als würden sich Sicher ist nur, dass etliche römi­ all den Frauen und Kindern und der im­
die Angreifer planmäßig eine reiche, gut sche Provinzen unter den Angriffen der mer weiter anschwellenden Beute, dieser
zu verteidigende Region auf Dauer un­ Kämpfer Godegisels leiden: „Zuerst hat Lindwurm aus Menschen und Packtie­
terwerfen wollen. sich das Volk der Vandalen von seinem ren wird sich wohl kaum mehr als zehn
Vielmehr wirkt es, als treibe der Heimatland über das nahe gelegene Ger­ Kilometer am Tag bewegen - und wehe
Zufall sie voran: Sei cs, dass eine Kreu­ manien ergossen, das dem Namen nach dem Landgut oder dem Weiler, wo er
zung zweier Straßen ihnen vielleicht ei­ barbarisch, der Herrschaft nach römisch abends lagert.

78 GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


Die Reiter hingegen sind schneller, Stapelgeld in den Häfen, ein Drittel Ravenna dominiert, schickt der H err­
vielleicht schweifen sie in kleinen Trupps der Landgüter jener reichen südlichen scher ein anderes verbündetes Germa­
weit ins Umland aus und plündern Regionen an die Vandalen und deren nenvolk nach Spanien: die Westgoten,
Städte, die sich noch Stunden zuvor in Verbündete - kaum fünf Jahre nachdem die traditionellen Feinde der Vandalen.
Sicherheit wähnten. sic den Rhein überwunden haben. Ihr Auftrag: ebenjene Vandalen,
Weiter, immer weiter! Den Vanda­ Welch ein Triumph! mit denen Rom gerade ein Abkommen
len schließen sich neue Gefolgsleute an, Welch eine Illusion. geschlossen hat, zu vernichten. Die G o­
darunter Abenteurer und Entwurzelte ten lassen sich nicht zweimal bitten.
• »

sowie verzweifelte Menschen aus den Gemetzel, Überfälle, schreckliche


geplünderten römischen Siedlungen, die Blutbäder. Innerhalb von bloß zwei Jah­
keine andere Wahl haben, als mit den ren existieren die Silingen und die Ala­
Angreifern zu ziehen. nen praktisch nicht mehr. Die wenigen
Und vielleicht folgen auch oppor­ Überlebenden retten sich nach Galizien.
tunistische Beamte den Kriegern, die, da Dort beherrscht inzwischen Gunderich,
der Kaiser fern ist, nun ihre Dienste dem Geiserichs Halbbruder, die Hasdingen.
barbarischen König anbieten. Eigentlich sitzen die Vandalen in
Neben den vandalischen, suebi- einer Falle, und sie wissen es: Einge­
schen und alanischen Idiomen wird man klemmt zwischen Atlantik und Pyrenäen,
nun immer häufiger auch lateinische bleibt ihnen keine geordnete Flucht
Worte im Zug vernehmen, und vielleicht Denn so wenig, wie sich aus dem chao­ mehr vor den überlegenen Goten.
wird die Sprache Roms nun schon zu tischen Zug der Vandalen eine Strategie Da, wieder, ein heute schwer ver­
jener, in der sich alle in diesem wilden rekonstruieren lässt, so wenig lässt sich ständlicher Schwenk: Der Kaiser zieht
Haufen irgendwie verständigen können. eine Strategie am Kaiserhof erkennen. die Goten aus Spanien ab, beordert sie
Im Herbst 409 stehen die Vandalen 416, als eine neue Fraktion den H of zu ins südliche Gallien. Rettung! Warum
vor einer titanischen Schutzmauer: den
Pyrenäen. Doch sie überwinden einen
der Pässe und fallen in Spanien ein. Spä­

Vandalen
testens jetzt, Tausende Kilometer von der
Heimat entfernt sowie mehrere ausge­
plünderte römische Provinzen im Rü­
cken, ist klar, dass es kein Zurück gibt.
Kein Vandale könnte sich je mit
seiner Beute wieder bis über den Rhein
davonstehlen. Wer nicht sterben will, der
muss sich Land erkämpfen.
Und tatsächlich: Roms Machthaber
auf der Iberischen Halbinsel fugen sich,
zumindest für den Augenblick, ins U n­
vermeidliche. Den Angreifern wird 411
- endlich! - eigenes Land zugeteilt. Die
Hasdingen besetzen den Süden des heu­
tigen Galizien sowie Nordportugal, die
Sueben sichern sich den Norden Gali­
ziens und Asturien, die Silingen einen
großen Teil Südspaniens, die Alanen
holen sich den Rest Portugals und eine
Ecke Südostspaniens. (Betrachtet man
die Größe der zugeteilten Regionen,
dann müssen Alanen und Silingen die
wichtigsten Gruppen der Angreifer sein.)
Die Einzelheiten des Abkommens
zwischen den Eindringlingen und den
Römern sind nicht überliefert, doch
wahrscheinlich geht nun ein Drittel der Nur kurz währt der Frieden zwischen dem Imperium und den Vandalen. 416
Steuern auf Wein und Silberminen, jeder schickt Rom die m it ihm verbündeten Westgoten nach Spanien, um die Eindringlinge
dritte Denar an Brückengebühren oder zu vernichten. Die richten ihren Blick nun bald weiter gen Süden - nach Afrika

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung 79


tut er das? Vielleicht fürchtet man in Nun erst lässt sich eine Strategie bei er ein reiches Land unterwerfen. Dann
Ravenna, dass die Goten sich in Spanien den Vandalen erkennen - und was für würde er den schrecklichen Goten ent­
auf Dauer festsetzen könnten, und will eine großartige, tollkühne, grandiose: kommen. Und dann hätte er Westrom
sie rechtzeitig zurückholen. Die Vanda­ Geiserich nimmt Nordafrika ins Visier. im Würgegriff, denn es ist vor allem das
len jedenfalls hält man für erledigt. Die (damals sehr fruchtbaren) Pro­ Getreide Afrikas, das Italien ernährt.
Ein Irrtum, der Westrom um kost­ vinzen im Maghreb sind reich, sie liefern Zwischen 418 und 422 schlagen
bare Besitztümer bringen wird. dem Imperium Getreide, Wein und Oli­ sich die Vandalen - ganz wörtlich, denn
ven. Hier blühen Städte wie Karthago weiterhin toben Kämpfe gegen Sueben
und Hippo Rcgius. Und: Die Provinzen und gegen neu entsandte römische Trup­
dort sind noch nie geplündert worden. pen - von Galizien bis nach Südspanien
Denn all die Hunnen, Burgunder durch. Dort erobern sie systematisch die
und Goten, die das Imperium seit Jahr­ Hafenstädte.
zehnten erschüttern, sind Landkrieger Der Archäologe Philipp von Rum­
geblieben. Noch ist es keinem Volk ge­ mel, Generalsekretär des Deutschen Ar­
lungen, das Mittelmeer zu überqueren. chäologischen Instituts und unter ande­
Es fehlt an Schiffen und am seemänni­ rem Mitverfasser eines Standardwerks
schen Wissen, selbst für den nur wenige zur Völkerwanderung, vermutet, dass sie
Kilometer kurzen Sprung von Spaniens anschließend einheimische Kapitäne und
Spitze nach Nordafrika. Fischer zwingen, sie auf ihren Schif­
Als Gunderich, Herrscher über die Has- Sollte Geiserich als erstem Barba­ fen mitfahren zu lassen. Bald jedenfalls
dingen, 428 bei einem Kriegszug fällt, ren dieser Sprung gelingen, dann könnte segeln kleine Flotten der Vandalen auf
wird der inzwischen 40-jährige Geiserich
zum König.
„Er war ein M ann von mäßiger
Größe“, schreibt ein römischer Chronist.
„Er hinkte, weil er einmal vom Pferd
gefallen war. Er war ein gründlicher
Denker, doch alles andere als gesprächig;
Luxus galt ihm als verachtenswert, im
Zorn konnte er sehr wütend werden; er
war habgierig, voll Arglist, wenn es dar­
um ging, die Barbaren zu gewinnen, und
geschickt beim Säen von Zwietracht, um
Feindseligkeit zu erregen.“
Ein Machtmensch und geborener
Politiker: Geiserich wird sich als einer
der klügsten und brutalsten Anführer des
chaotischen 5. Jahrhunderts erweisen.
In Spanien, das weiß er, wird sein
dezimiertes Volk niemals in Sicherheit
sein. Wer garantiert ihm, dass nicht ir­
gendwann wieder ein Heer im kaiserli­
chen Auftrag über die Pyrenäen kommt,
um ihn zu jagen?
Zudem kommt es seit einiger Zeit,
aus Gründen, die heute niemand mehr
kennt, zwischen den Hasdingen und den
Sueben zu schweren Kämpfen.

Im Süden Spaniens erobern die Vandalen


mehrere Hafenstädte, zwingen wahrscheinlich
Fischer, sie auf ihren Schiffen mitzuneh­
men, und schaffen als einziges germanisches
Volk den Sprung über das Mittelmeer
VON DEN KARPATEN BIS NACH AFRIKA (UM 4 0 0 -4 5 5 N. CHR.)
Quellen: Badisches Landesm useum Karlsruhe (Hrsg.), Das Königreich
Tournai der Vandalen, Verlag Philipp von Zähem ; Heather, P., Der Untergang
Mainz des Römischen Weltreichs, Klett-Cotta, u.a.
V ®W
ipeyer ^

Atlantischer ^Straßburg Vandalen


um 400
Ozean

A lan en Konstantinopel •

O s t r ö m i s c

TarifaJ^AIgeciras
Tanger* *Ceuta • > , 'V

0 400 km
---1
W a n d eru n g a n die röm ische E ro b e ru n g s- u n d P lü n d e ru n g s­ GE0£P0CH£-Karte
R eich sg ren ze u m 400 n. Chr. zü g e in A frika u n d im M ittelm eer

Vandalen
Gallienzug ah 406 a b 429
Ib e rie n z u g a b 409 K e rn g e b ie t des K önigreichs
d e r V a n d a le n in A frika
411 G e b ie t d e r V an d alen , W est- u n d O ström isches
rxj A lan e n u n d S u e b e n im größte Ausdehnung des Vandalenreichs R eich z u B eginn d er
W eströ m isch en R eich V an d alen zü g e

Kein anderes germanisches Volk gelangt so weit, kein anderes erkämpft sich ein so prächtiges Reich: Um 4 0 0 n. Chr. verlassen die
Vandalen ihr Siedlungsgebiet im heutigen Ungarn und der Slowakei, überqueren 406 die Grenze zum W eströmischen Reich und beginnen
••

einen beispiellosen Raubzug. Uber Jahre hinweg plündern sie Stadt um Stadt, führen auch erbitterte Kämpfe gegen römische Truppen.
Vorübergehend schließt das Imperium sogar Frieden mit den Eindringlingen, überlässt ihnen auf der Iberischen Halbinsel große Territorien.
Doch dann schickt der Kaiser 416 die m it ihm verbündeten Westgoten gegen die Invasoren. Daraufhin ziehen sich die Vandalen in
den Süden Spaniens zurück, setzen 429 über die Straße von Gibraltar - und verheeren Nordafrika. 439 erobern sie Karthago, errichten
dort ein eigenes Königreich, greifen die Balearen, Korsika. Sardinien und Sizilien an. Und plündern 455 schließlich Rom

Plünderungs- und wohl auch Erkun­ bläulicher Strich über dem Horizont. Und das Imperium? Kein Legionär
dungsfahrten über das Meer. Waffenklirrende Krieger, Familien, Beute erwartet die Angreifer mit dem Schwert
Im Mai 429 wagt Gciscrich den und viele, viele Reitpferde stehen auf den in der Faust, niemand verteidigt den Zu­
Sprung auf den anderen Kontinent. Wie­ schwankenden Decks. tritt zur Kornkammer des Reiches.
der wüsste man gern Einzelheiten. Das Ziel? Wohl die Häfen von Tan­
Wahrscheinlich drängen sich die Vanda­ ger und Ceuta. Selbst ein langsames Se­
len in den Häfen Tarifa und Algcciras gelschiff, das bei Morgengrauen in Spa­ D enn der in Karthago residierende
und vielleicht auch in den Dörfern der nien ablegt, ist am Abend in Nordafrika. Befehlshaber Nordafrikas ist in einen
Umgebung zusammen. Handelsschiffe, Für 80 000 Menschen und den Tross Machtkampf verstrickt, sein Blick richtet
Fischerkähne, jeder schwimmbare Un­ wird Geiserich Hunderte Schiffe requi­ sich, zumindest zunächst, wohl eher nach
tersatz wird ihnen recht sein. rieren müssen. In weniger als einer Wo­ Ravenna als nach Westen. Zudem stehen
Es sind ja an der schmälsten Stelle che wird ihm das vermutlich gelungen seine Truppen weit östlich von Gcisc-
bloß 15 Kilometer, Afrikas Küste ist ein sein. Eine Meisterleistung. richs Landungsstelle. D er entlegene

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung 81


Von den Landungsstellen im heutigen Marokko
ziehen die Invasoren mehr als 2000 Kilometer
ostwärts, besiegen römische Truppen und erobern
•Sfo. ' ‘jk ;' <• . ' ' » .
ii ' . •{, 1#*r*Jiiii- 439 das reiche Karthago, eine der bedeutends­
[• 1
*<f ’ . ! ».
IJt. * • ^ {53 .......: ten Handelsstädte des Imperiums
M m y Wy K . *V ' ' ............................................. * u v ' v
* .. v f• •* ''

sie dominieren nun einen erheblichen


Teil des westlichen Mittelmeeres.
Für Rom hingegen kommt dies ei­
nem Todesstoß gleich: Im Mai 455 segelt
Geiserich nach Italien und plündert Rom
zwei Wochen lang systematisch aus.
Der Raubzug durch die Ewige
Stadt steht als mächtiges Symbol für den
Niedergang des Imperiums. Doch wich­
tiger noch ist Afrikas Getreide: Indem
Geiserich Italien das Brot sperren kann,
mischt er sich in die dortige Politik ein.
Er verheiratet sogar einen seiner Söhne
mit einer Kaisertochter.
Am Ende aber ist es ein anderer
germanischer Feldherr, der das Kaiser­
tum im Westen abschafft (siehe Seite 118)
und damit vielleicht einen Traum Geise-
richs zunichte macht: dass sein Sohn
einst den Purpur des Imperators tragen
wird. Doch der Verfall der kaiserlichen
Macht ist zumindest stark beschleunigt
worden, weil Geiserichs Königreich nun
die Lebensmittelversorgung Italiens kon­
trolliert und damit das Fundament einer
jeden Herrschaft in Italien unterminiert.

Nordwestzipfel Afrikas wird traditionell ein kleines Volk in Polen, nach einer
kaum gedeckt. Und schließlich unter­ Wanderschaft von mehr als drei Jahr­
steht dieser Landstrich nicht einmal zehnten und Tausenden Kilometern zu
nominell dem Befehl des afrikanischen den Herren Nordafrikas aufgestiegen.
Feldherrn, sondern gehört zur Verwal- Geiserich gründet ein Reich, das
tungseinheit Spanien - die aber überwie­ große Teile des Maghreb umfasst, aber
gend in vandalischer I land ist. auch die Balearen, Sardinien, Korsika War dies das Bestreben der Vandalen, als
Geiserich jedenfalls führt sein Volk und Sizilien, denn in Karthago fallen sie zu Silvester des Jahres 406 den Rhein
nun mehr als 2000 Kilometer durch den ihm zahllose Schiffe in die Hände, die überquerten: ein Reich in Afrika? Der
Maghreb nach Osten. Die Truppen, die seine Kämpfer zu Eroberungen nutzen. Untergang Roms? Wohl kaum. Vermut­
sich ihm doch noch entgegenstellen, Den Vandalen gelingt es damit als lich erhofften sie sich bloß einen Flecken
schlägt er zurück. Er nimmt die reiche einer der ersten Gruppen der Völker­ Land in den Grenzen des Imperiums, wo
Stadt Hippo Regius und am 19. Oktober wanderung, ein stabiles und zudem sehr sie den Reichtum Roms genießen, aber
439 sogar die Metropole Karthago, eine wohlhabendes Reich zu gründen. Und auch Rom dienen durften.
der bedeutendsten Hafenstädte des M it­ sic sind die Einzigen, die darüber hinaus Anders gesagt: Sie wollten anfangs,
telmeeres. Damit sind die Vandalen, einst auch zur maritimen Macht werden, denn auf ihre A rt und ziemlich rücksichtslos,

82 GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


eigentlich bloß Römer werden. Als ihnen rungen, wandten sie sich nach Afrika und Wirren und Rivalitäten, die seine Dynas­
der Kaiser dies verwehrte, verheerten sie besiegelten das Schicksal Westroms. tie schwächen. Zudem bedrängen nun
den Westen des Reiches in einem eben­ Wüstenstämme die Vandalen.
so langen wie ziellosen Pliinderungszug. Doch schließlich ist es Ostrom, das
Und als sic schließlich in Spanien doch Doch genießen können die Vandalen 533 eine Armee nach Nordafrika entsen­
noch das ersehnte Land zugeteilt bekom­ ihren spektakulären Erfolg nicht sehr det. Die Vandalen, als Arianer und Ger­
men hatten, mussten sie feststellen, dass lange. Als der fast 90-jährige Geiserich manen im katholischen und romani-
sie auf Dauer zu schwach waren, um es 477 nach einem halben Jahrhundert sierten Land stets eine isolierte Elite
zu halten. Und so erst, nach vielen W ir­ Herrschaft stirbt, kommt es zu inneren geblieben, stellen sich zur Schlacht - und
verlieren 534 den Kampf und ihr Reich.
Nordafrika wird nun oströmische
Provinz. Die Vandalen hingegen ver­
schwinden aus der Geschichte.
Ihre Sprache, ihre Religion, alles
löst sich auf, als hätte es sie nie gegeben.
Allenfalls ein paar Mosaiken in nord­
afrikanischen Villen und Gräbern, die
bärtige, schwertschwingende Reiter ver­
herrlichen, zeugen vielleicht noch von
ihrer verwehten Macht.
Man kann nicht einmal sagen, dass
ein finsterer Mythos von ihnen bleibt -
den „Vandalismus“ als Schimpfwort
kennt man noch lange nicht. Erst durch
ein historisches Missverständnis kom­
men die Kämpfer aus dem Norden gut
1200 Jahre später zu postumem Schre­
cken: 1794 vernichten Jakobiner, die ra­
dikalsten Kämpfer der Französischen
Revolution, kirchliche und monarchische
Kunstschätze. Henri Baptiste Gregoire,
der Bischof von Blois, protestiert gegen
die Destruktionswut und schmäht sie als
vandalisme. H istorisch taucht dieser
Begriff ganz unvermittelt auf, und nur
der gute Bischof allein weiß, warum er
gerade jenes längst untergegangene Volk
zum Namenspatron für barbarische Zer­
störungswut erhebt.
Das Schmähwort aber bleibt und
verbreitet sich nach und nach weltweit.
Und so ist von den Vandalen bis heute
kaum eine echte Spur erhalten, wohl aber
eine bösartige Karikatur ihrer selbst. £

LITERATUREMPFEHLUNGEN: Konrad
Vössing, „Das Königreich der Vandalen". W is­
senschaftliche Buchgesellschaft: gute, über­
sichtliche Darstellung vom Volk und seiner
Geschichte, allerdings mit Schwerpunkt auf
der Reichsgründung in Afrika. „Das König­
reich der Vandalen", von Zabern: opulenter
Ausstellungskatalog, der in verschiedenen
Durch den Fall Karthagos erbeuten die Vandalen zahlreiche Schiffe, erobern die Beiträgen alle Aspekte vandalischer G e­
Balearen, Sardinien, Korsika und Sizilien und plündern im Juni 455 schließlich zwei Wochen schichte sowie die Lage in Westrom und
lang Rom (oben) - ein Schlag, von dem sich das Reich nicht mehr erholen wird Nordafrika beleuchtet.

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung 83


Die Burgunder - 1. bis 6. Jh. n. Chr.

EIN STAMM,
ZWEI REI CHE
Nachdem römische Truppen ihre Siedlungen am Rhein vernichtet haben, müssen die ursprünglich aus
dem heutigen Polen stammenden Burgunder um 443 an den Genfer See ziehen. Dort begründen sie ein
zweites Reich, das wie keine andere Germanenherrschaft von der Kultur Roms durchdrungen ist
-------------- Text: S I M O N E B E R N A R D : Karte: C H R I S T I A N K U H L M A N N

rsprünglich bewohnen die kursierende Legende, ihr Volk stamme der auch das Umland von Lyon ein und
Burgunder, ein Germanen­ in Wirklichkeit von den Römern ab. weiten ihr Gebiet schließlich bis Avi­
stamm, das Land zwischen Tatsächlich haben die Burgunder gnon im Süden und in die Region um
Oder und Weichsel; so je­ längst Gebräuche aus dem Imperium Dijon im Norden aus.
denfalls notiert es um 150 n. Chr. der übernommen, nutzen gleiches Geschirr Die Herrscher in Rom, durch Intri­
griechische Gelehrte Ptolemaios, der als und Werkzeug, tragen ähnliche Kleidung gen in Italien geschwächt, können diese
Erster die Lage ihrer Siedlungsgebiete und bekennen sich zum Gott der Chris­ Expansion nicht verhindern. Zudem ha­
beschreibt. In den folgenden Jahrzehnten ten. Geführt wird der Stamm vermutlich ben die Burgunder enormen Einfluss in
wandern die Burgunder von dort allmäh­ von mehreren Kleinkönigen, die dem der römischen Armee: Viele ihrer Ade­
lich nach Siidwcsten. Römischen Reich eng verbunden sind: ligen bekleiden hohe Heeresämter und
Möglicherweise wird die Schar von Mindestens einer der Adeligen dient als gebieten über Truppen, die das Reich in
benachbarten Germanen verdrängt: von Leibwächter in der kaiserlichen Residenz Gallien stationiert hat. Der spätere bur-
• rp •
den Gepiden, die in dieser Zeit ihren in Irier. gundische König Gundobad wird um 470
Machtbereich in Richtung der burgun- Im Jahr 407 setzt ein Teil der Bur­ sogar höchster Feldherr des Weströmi­
dischen Gebiete ausweiten. gunder über den Rhein. Bald darauf schen Reiches.
Um 260 stoßen Römer und Bur­ gründet der Stamm mit Einwilligung des Ab etwa 480 regiert Gundobad in
gunder erstmals aufeinander, als Krieger Kaisers auf römischem Boden am M it­ Lyon. An seinem H o f wird wohl meist
des Stammes von Norden her über die tellauf des Flusses ein eigenes Reich, Latein gesprochen, die Muttersprache
Donau in eine Grenzprovinz des Impe­ vermutlich in der Gegend um Worms. vieler seiner Berater. Auch die Höflinge
riums einfallen und Regionen im heuti­ Als die Neuankömmlinge 435 je­ sind mit der Kultur Roms vertraut. Die
gen Bayern und vielleicht auch in Vor­ doch beginnen, eigenmächtig ihr Gebiet Burgunder übernehmen viele der Ge­
arlberg plündern. Doch im direkten in Richtung Mosel auszudehnen, wirft setze des Imperiums und dessen Verwal­
Kampf sind sie Rom unterlegen: Am ihnen Rom Vertragsbruch vor und straft tung; manche Posten besetzen sie aus
Lech bringen Legionäre den Angreifern sie brutal ab: Aetius, mächtigster Feld­ Gründen der Gleichberechtigung dop­
um 278 eine schwere Niederlage bei. herr des Westreiches, löscht ihren Staat pelt, mit je einem Römer und einem
Etwa in dieser Zeit lassen sich die im Jahr darauf mithilfe hunnischer Krie­ Germanen.
Burgunder - inzwischen wohl ein Stamm ger aus. Spätere Dichter weben das E r­ Das Weströmische Reich indes ist
von mehreren Zehntausend Menschen eignis in eine grausame Geschichte ein, mittlerweile untergegangen. Nun steigen
- am mittleren Main nieder, wo sie in die nach dem Ende der Völkerwande­ die Franken zur neuen Vormacht in Gal­
einen jahrzehntelangen Konflikt mit rung in Mittel- und Nordeuropa kursiert: lien auf (siehe Seite 58); schließlich er­
den Alemannen verwickelt werden. Sie die Nibelungensage (siehe Seite 101). obert einer ihrer Könige 534 das Gebiet
kämpfen nun auch an der Seite Roms: Die überlebenden Burgunder sie­ der Burgunder. Aber das scheint für die­
Von 356 n. Chr. an schließen sie mit dem delt Aetius rund um den Genfer See an, ses Volk ohne Bedeutung: Bis etwa 600
Imperium mehrere Bündnisse gegen ihre wo sie nach 443 ein neues, nun durch und glauben viele Burgunder, so bezeugen es
alemannischen Nachbarn - und berufen durch römisch geprägtes Reich aufbauen. Grabinschriften, sic seien noch immer
sich dabei auf die offenbar schon länger Im Laufe der Zeit nehmen die Burgun­ Untertanen Roms. £

84 GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


DER W E G DE R B U R G U N D E R

ursprüngliches Siedlungsgebiet
zwischen Oder und Weichsel

allmähliche Wanderung
im 3. Jahrhundert

Rheinüber
querung 407
mutmaßliche Grenze des
ersten Burgunderreiches

Ansiedlung am
N U
Zwang isumsiedlung [
mittleren Main

ijm 443 r

i %

i t ,/ (
) i\

Region des Genfer Sees


als neues Siedlungsgebiet

Entstehung des Burgunderreiches


nach 443, das bis zur Eroberung
durch die Franken 534 existiert

GEOEPOCHE-Karte

Die Burgunder, die anfangs zwischen Weichsel und Oder und später am Main siedeln, gründen zwei Reiche auf römischem Boden. Das
erste entsteht ab 407 am Rhein, wird jedoch bald von Rom vernichtet. Das zweite erblüht ab 443 am Genfer See. Von dort expandieren
die Burgunder nach Nordwesten und gen Mittelmeer. 534 wird ihr Reich von den aus Gallien expandierenden Franken unterworfen

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung 85


Attila —um 450 n. Chr.

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M it ihren Angriffen auf die Goten hat um 375 n. Chr. die Völkerwanderung begonnen. Nun, gut
70 Jahre später, gebieten die Hunnen über ein eigenes Großreich - und attackieren das Imperium
Romanum in mehreren Feldzügen. Angeführt werden sie von einem König, den die Christenheit
schon bald als schrecklichsten aller Barbaren fürchtet, als Strafboten des Allmächtigen: Attila
--------------- Text: J O H A N N E S S T R E M P E L : Illustrationen: T H E C R E A T I V E A S S E M B L Y

86 GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


* v

Es ist vor allem die Kampfweise der Hunnen,


die Ä ngste schürt. M it jähen Richtungswechseln
stürmen die Reiterkrieger auf ihre Gegner zu und
schießen selbst in vollem Galopp ihre Pfeile ab

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


Was für ein Ende. Ein Mann, „dazu ge­ Zu seinen Füßen kauert die junge Als sich die Nachricht vom Ende
schaffen, die Welt zu erschüttern“, der Braut, Ildiko, eine burgundische Prinzes­ des Hunnenkönigs in den ersten Mona­
„Schrecken aller Länder“ und „Liebhaber sin. Sie hat ihr Haupt verhüllt und weint. ten des Jahres 453 im Imperium verbrei­
der Kriege“: Dieser Mann findet den Tod Seine Gefolgsleute bahren den Kör­ tet, wollen viele Menschen den Kurieren
im Bett, den Kopf zurückgelehnt in wei­ per Attilas mitten in einer Ebene auf, in kaum Glauben schenken.
che Kissen, neben sich ein Mädchen. Er einem seidenen Zelt. Aus Trauer raufen Denn innerhalb nur eines Jahr­
stirbt im Schlaf, vielleicht auch in halber sich die Krieger die Haare und zer­ zehnts ist Attila mehrmals über das Rö­
Bewusstlosigkeit nach zu viel Wein. schneiden sich die Wangen, auf dass ihr mische Reich im Westen und das im
Erstickt von Blut, das „sich ihm König mit Blut betrauert werde. Osten hergefallen. Seine Krieger standen
häufig aus der Nase ergoss“ und das „sich Bis zum Sonnenuntergang jagen vor den Mauern der Stadt Orleans in
den todbringenden Weg in den Iials die besten Reiter des Heeres auf ihren Gallien wie vor Konstantinopel. Er hat
bahnte“. So berichtet es der Chronist Pferden im Kreis um den Leichnam und Städte zerstört, Dörfer ausgelöscht, Un­
Jordanes im 6. Jahrhundert. verherrlichen Attilas Taten in Freuden­ schuldige versklavt.
Attila, Herrscher der Hunnen, stirbt gesängen und Totenklagen. In der Stille Und nun soll dieser grausige Spuk
tatsächlich an starkem Nasenbluten. der Nacht begraben sie ihren Herrn dann plötzlich vorüber sein? Gerade haben
Am Tag zuvor noch hat der König in einem dreifachen Sarkophag. Kundschafter berichtet, dass Attila zu
- Ehemann unzähliger Frauen und Vater Der erste Sarg aus Gold, der zweite neuen Feldzügen rüste - jetzt ist er tot?
so vieler Söhne, dass sic „fast ein ganzes aus Silber, der dritte aus Eisen. Gold und N ur einer ist nicht überrascht:
Volk bildeten“ —wieder einmal Hochzeit Silber stehen für die Tribute, die das Attilas Ende sei ihm bereits bekannt,
gefeiert. Als nun am späten Morgen Die­ Oströmische und das Weströmische lässt Flavius Marcianus, der Kaiser in
ner die Türen zum königlichen Gemach Reich diesem schrecklichsten ihrer Geg­ Konstantinopel, die Boten wissen. Denn
aufbrechen, beunruhigt von der Stille, ner zu entrichten sich gezwungen sahen. einige Nächte zuvor, als er aus Sorge um
finden sie ihren Herrn leblos ausgestreckt Das Eisen symbolisiert das Schwert, mit sein Reich nicht habe schlafen können,
auf dem Bett liegen. dem Attila zahlreiche Völker besiegte. sei ein Engel an sein Lager getreten, der

88 GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


in den ausgestreckten Händen einen zer­ in die europäische Geschichte eintreten, wurden nicht von Menschenblut gerötet?
brochenen, hunnischen Bogen hielt. und dem Ende ihres mächtigsten Anfüh­ Überall Trauer, überall Leid. Die römi­
Ein Zeichen. Gottes W ille also! rers Attila. Sie tauchen aus dem Nichts sche Welt stürzt zusammen.“
Der H err seihst hat Attila niederge­ auf, eine Gewitterwolke am Horizont der Wer sind diese barbarischsten unter
streckt und ihm dieses schmähliche Ende curasischen Steppe, und wie ein Wetter­ den Barbaren, fragen sich die Menschen,
bereitet. Ist die Zeit der Prüfungen vor­ phänomen verschwinden sie wieder, und woher kommen sie?
bei?, fragen sich die Gläubigen. Zeigt der wenige Jahre nach Attilas Tod. Einige Anhänger des gerade zur
Allmächtige endlich ein Einsehen? „Plötzlich warf sich auf die jenseits Staatsreligion erhobenen christlichen
Die Kirchgänger wissen ja, was viele der Donau wohnenden Völker ein Bar­ Glaubens sind davon überzeugt, Alexan­
Geistliche nicht müde werden zu predi­ barenstamm, der, zuvor unbekannt, da­ der der Große habe die I Iunnen einst im
gen: dass kein anderer als G ott es war, mals überraschend erschien. Man nannte fernen Kaukasusgebirge eingeschlossen,
der die Hunnen auf die Menschheit los- sie Hunnen“, schreibt ein Chronist. nun seien sie von Gott befreit und losge­
licß, zur Strafe für ihre Sünden. Dass ER Auch Hieronymus, Kirchenvater lassen, wie Satan aus dem Kerker.
die Reiterkrieger aus jahrhundertelanger und Verfasser der lateinischen Bibelüber­ Andere Autoren wissen von einer
Gefangenschaft am östlichen Ende der setzung, notiert im Jahr 396 in einem mythischen Hirschkuh zu berichten, die
Welt befreite, um sie wie eine Zuchtrute Bericht über die Stämme, die zu dieser den Kriegern den Weg über die Meer­
über die Christenheit sausen zu lassen. Zeit ins Römische Reich einfallen: „Wie enge von Kertsch auf die Krim gewiesen
Dass sie weiter und weiter nach viele ehrwürdige Frauen und G ott ge­ und sie so nach Europa geführt habe. Die
Westen drangen, bis sie zum Auslöser weihte Jungfrauen von vornehmer A b­ Goten wiederum sagen, die Hunnen
jenes Unglücks wurden, das seitdem das stammung und aus guter Familie waren seien die Nachkommen gotischer Hexen,
Römische Reich heimsucht. Des großen der Grausamkeit dieser wilden Tiere die sich mit unreinen Geistern der
Umbruchs, den Historiker später die preisgegeben? Bischöfe wurden gefangen Steppe gepaart hätten.
„Völkerwanderung“ nennen werden. gesetzt, Priester und Kleriker in den ver­ Jedenfalls nicht ganz menschlich
schiedensten Ämtern ermordet. Kirchen sind diese schrecklichen Geschöpfe aus
wurden zerstört, Altäre verwandelte man dem Osten: „Alle besitzen sie gedrun­
Kaum drei Generationen liegen zwi­ in Pferdekrippen, die Gebeine der M är­ gene und starke Glieder und einen mus­
schen den Jahren um 375, als die Hunnen tyrer grub man aus. W ie viele Klöster kulösen Nacken und sind so entsetzlich

Attila
mit ihren Angriffen auf gotische Stämme besetzten sie nicht? W ie viele Flüsse entstellt und gekrümmt, dass man sie für

Die Hunnen leben in ihrer Steppenheimat nicht in festen Behausungen und Siedlungen,
sondern in runden Zelten aus Schafshäuten und Filz, die sie schnell wieder abbauen können. Als
Nomaden versorgen sie sich durch ihre Weidetiere - und durch die Beute von Überfällen

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung 89


zweibeinige Bestien halten könnte“, no­ unter „grässlichem Geheul“ auf die Lager Fakten, die Ammianus wohl von goti­
tiert der Schriftsteller Ammianus M ar­ der Feinde zu. Dabei reichen ihre Pfeile schen Gewährsmännern erzählt wurden.
cellinus, der zum Ende des 4. Jahrhun­ so weit, dass sie den Gegner nieder­ Tatsächlich sind die Hunnen No­
derts als Erster die Hunnen beschreibt. reißen, bevor dieser die Angreifer über­ maden, die in enger Beziehung mit ihren
Bartlos wie Eunuchen, ritzen sie haupt gesehen hat. Pferden leben und als Rcitcrkricger mit
schon ihren Neugeborenen mit dem Das Einzige, was die Hunnen an­ Pfeil und Bogen Siedlungen plündern.
Messer tiefe Narben ins Gesicht, um treibe, so schließt Ammianus den Text, Tatsächlich vernarben sich die Männer
jeden späteren Haarwuchs aufzuhalten. sei eine „unmäßige Begierde nach Gold“. das Gesicht - aber nicht, um den Bart­
Sic hüllen sich in zusammengenähte wuchs aufzuhalten, sondern zum Zeichen
Pelze aus dem Fell von Waldmäusen und der Trauer (wie es nach Attilas Tod über­
tragen ihre Kleidung, bis sie ihnen in liefert ist).
schmutzigen Fetzen vom Leib fällt. Möglich auch, dass die Hunnen
„Wie Tiere, die keinen Verstand schmutzig wirken: Von anderen Steppen­
haben“, so Ammianus, kennen sie weder bewohnern ist bekannt, dass sie ihre
Ehre noch Religion, nicht Könige noch Kleidung selten waschen, um die Geister
feste Siedlungen. Ruhelos schweifen sie des Wassers nicht zu beleidigen. Und
umher und verbringen Tag und Nacht noch Jahrhunderte später wird man über
auf ihren „abgehärteten, doch unschönen das Volk der Tataren berichten, dass die
Pferden“. Dort essen und schlafen sie, Reiter ihren Vorrat an Fleisch unter den
beraten sich und erledigen gar „im Frau­ Sattel legen, um es durch die Bewegung
ensitz ihre natürlichen Bedürfnisse“. der Pferde zart zu machen.
Als Nahrung dient ihnen halbrohes Und doch bleibt bis heute vieles
Fleisch, das sie zwischen ihren Schenkeln Dieser Text, das wissen die Forscher heu­ an den Hunnen rätselhaft. Das beginnt
und dem Pferderücken etwas erwärmen. te, ist kein Augenzeugenbericht - der beim Namen - niemand weiß, wie sie
Die Weiber der Reiter hausen in Wagen, Verfasser hat selbst wohl nie in seinem sich selber nennen. Eine Schrift haben
wo sie sich mit den Männern paaren, ihre Leben einen Hunnen gesehen. sie wohl nicht gekannt, ihre Sprache ist
Kinder gebären und sie großziehen. Er ist vielmehr eine Montage: eine erloschen. Die Römer unterscheiden die
Im Kampf sind die Hunnen die Kombination aus den stereotypen Bil­ Hunnen zwar in vielen Berichten von
„furchtbarsten von allen Kriegern“. So dern, die schon seit dem antiken Ge­ den gotischen Stämmen, aber manchmal
schnell und wendig auf ihren Pferden, schichtsschreiber H erodot den grie­ bezeichnen sie alle zusammen auch als
dass sie kaum auszumachen sind, galop­ chisch-römischen Blick auf die Barbaren „Skythen“, ein Begriff, der auf Herodot
pieren sie in taktischer Formation und fremder Länder bestimmten, und jenen zurückgeht. Umgekehrt werden Völker
wie die Bulgaren, die Awaren und Mag­
yaren später als „Hunnen“ bezeichnet,
obwohl sie zu einem ganz anderen Zeit­
punkt in der Steppe leben.
„Das W o rt,Hunnen1“, schreibt ein
Wissenschaftler, „diente dazu, Völkern,
deren I Ierkunft man nicht kannte, einen
Namen zu geben.“

Vom 3. Jahrhundert v. Chr. bis zum


8. Jahrhundert n. Chr. durchstreifen viele
reiternomadische Gruppen die eurasische
Steppe. In den Sprachen etlicher Kultu­
ren, die an deren Rand siedeln, finden
sich Spuren des Wortstamms „Hunnen“:
im Lateinischen und Griechischen, im
Persischen, Chinesischen und Sanskrit.
Das bedeutet aber nicht, dass im­
mer das gleiche Volk gemeint ist. Der
Reiterstamm der „Xiongnu“, der im
Wer als Anführer nach Plünderungen wie hier besonders viel Beute zu verteilen 2. Jahrhundert v. Chr. das Chinesische
hat, kann die Zahl seine Anhänger vergrößern. Und so werden aus anfangs nur lose Reich so bedroht, dass die Machthaber
verbundenen Sippen immer größere Verbände unter wenigen Fürsten beginnen, die Große Mauer zu errichten,

90 GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


INVASION DER STEPPENKRIEGER (UM 4 4 0 -4 5 2 N. CHR.)

w ic h tig e H u n n e n fe ld z ü g e
u n te r Attila
■ > B alk an feld zü g e 4 4 1 -4 4 7
s & s jj '■- ■ G allien feld zu g 451
umai
■ Italien feld zu g 452

Mainz
West- u n d O ström isches
Reich zur Zeit Attilas
Worms
Metz Straßburg
Orleans Regensburg
451 S ch la ch t
d e n K atalaun o n aü
F eldern

Mailand

Ravenna

Konstantinopel

Attila
Quellen: Großer Historischer Weltatlas, BSV;
Stickler, T.( Die Hunnen, CH.Beck; Kelly, C.,
GEOEPOCHE-Karte Attila the Hun, Vintage Random H.

D ie wahrscheinlich aus Zentralasien stammenden Hunnen (siehe auch Karte Seite 146) erobern nach 375 im Kam pf gegen
zahlreiche germanische Stämme ein gewaltiges Steppengebiet, dessen Zentrum schließlich im heutigen Ungarn liegt. Unter
ihrem Herrscher A ttila sucht die neue G roß m acht ab 440 auch die aggressive K onfrontation m it den beiden römischen
Teilreichen: T ie f dringen die Reiterkäm pfer a u f Kriegszügen zum einen in den Balkan ein, stoßen zum anderen bis nach Gallien
und Italien vor. Ziel der A n g riffe sind jedoch nicht dauerhafte Eroberungen. Die Attacken sind vielm ehr groß angelegte
Raub- und Erpressungsunternehmen, die Beute einbringen und Tributzahlungen erzwingen sollen

hat nichts gemein mit den lateinischen Lebensweise und dem gleichen Lebens­ Hier leben Nomaden, die, statt Ackerbau
„Chunni“, den „Oünnoi“ der Griechen raum: Reiterkrieger aus der endlosen zu betreiben, mit ihren Herden auf der
oder den „Hunas“, die um 500 n. Chr. ins Weite der eurasischen Steppe - einer Suche nach Weideplätzen das Land
indische Gupta-Reich vorstoßen. Ebene von 7000 Kilometer Ausdehnung, durchstreifen. Weder Gebirgszüge noch
Xiongnu, Chunni, Hunas - alles die sich von der ungarischen Puszta im Meeresküsten versperren dabei den Weg,
Varianten des gleichen Namens: H un­ Westen bis zur Wüste Gobi und dem manche Sippen legen über 1000 Kilo­
nen. Ein Begriff, der, einmal aufgekom­ nördlichen China im Osten spannt. meter in einem Jahr zurück.
men, beibehalten und auf viele Völker Es ist eine baumlose Landschaft, in Jene Reiterkrieger, die im 4. Jahr­
übertragen wurde. Unabhängig von einer der W inde gehen, die einen ausgewach­ hundert nach Europa vorstoßen, stam­
Ethnie oder Stammeszugehörigkeit be­ senen Mann umstoßen können, und tro­ men wahrscheinlich aus dem Gebiet des
zeichnet er Gruppen mit der gleichen ckene Sommer auf harte W inter folgen. heutigen Kasachstan, nordöstlich des

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung 91


Kaspischen Meeres. Sie leben in Zelten Wer sich nicht unterwirft, flieht Völker über den Fluss ins Reich: Skiren,
aus Filz und Schafhäuten und ernähren über den Don. Am westlichen Ufer des Karpodaken, Greutungen - offenbar set­
sich von Schaf- und Pferdefleisch, Milch, Flusses beginnt das Einflussgebiet der zen die Hunnen jenseits der Grenzen des
Käse und der Jagd. gotischen Greutungen (oder Ostgoten). Imperiums ihre Eroberungen fort.
Zudem pflegen sie Kontakte mit Die Hunnenkrieger setzen ebenfalls über Statt gegen das Römische Reich
den sesshaften Völkern am Rand der den Don - und bald fällt auch das mäch­ ziehen die Krieger nun nördlich des
Steppe, tauschen mit den Bauern, den tige Greutungenreich, zum ungläubigen Limes westwärts. Von den Regionen
Handwerkern und Schmieden Waren, Entsetzen der Zeitgenossen. am Schwarzen Meer verschiebt sich ihr
die sic selbst nicht herstcllcn. Der König begeht Selbstmord, ein Machtzentrum allmählich in die Unga­
Doch längst nicht immer bleiben Teil seiner Untertanen unterwirft sich rische Tiefebene. Gleichzeitig rücken
die Begegnungen friedlich: Die Hunnen den Angreifern und gliedert sich in den weitere Stämme aus der alten Heimat
sind Krieger, die sich nehmen, was sie Heerzug ein, ein anderer Teil flieht. nach. Um 400 n. Chr. ist das gesamte
wollen. Je mehr Familien und Clans sich Die Rcitcrkriegcr aus der Steppe Gebiet nördlich der unteren Donau in
bei solchen Überfällen auf die Siedlun­ treiben jetzt immer mehr Flüchtlinge vor der I Iand der Hunnen.
gen zusammentun, desto erfolgreicher sich her: Um das Jahr 375 ziehen Tausen­ Das bedeutet aber nicht, dass sich
die Beutezüge. Und wer viele Schätze zu de aus dem Gebiet der heutigen Ukraine die Reiterkrieger nun sofort daran ma­
verteilen hat, dem schließen sich immer Richtung Süden, nach Rumänien. Dort chen würden, einen Staat zu gründen.
weitere Anhänger an. haben sich andere Goten angesiedelt, die Sie haben zwar unterschiedliche Anfüh­
Terwingen (Westgoten). Auch sie kön­ rer, aber zunächst keinen gemeinsamen
nen den Siegeszug der Hunnen nicht König, keine dauerhaften Siedlungen,
bremsen und müssen fliehen - über die verfolgen keine gemeinsame Politik.
Donau ins Römische Reich. Die unterworfenen Goten, die nicht
Die Nordostgrenze des Imperiums vor den Hunnen geflohen sind, können
erstreckt sich hier 2800 Kilometer den auf ihrem angestammten Land sogar
Fluss entlang, von Castra Regina (Re­ weiter nach ihren eigenen Gesetzen und
gensburg) bis an die M ündung am Traditionen leben - solange sie die Herr­
Schwarzen Meer, gesichert mit Kastellen, schaft der Eroberer anerkennen und
Wachtürmen und Garnisonen. ihnen Tribut entrichten.
Zehntausende Terwingen, Greu­ Dass die Clans der Hunnen keine
tungen, Alanen und viele andere kleinere Einheit bilden, noch kein König das ge­
Stämme drängen jetzt über die Donau, samte Gebiet kontrolliert, zeigt sich auch
die ersten noch mit Erlaubnis des Kai­ daran, dass besiegte Germanen aus dem
A uf diese Weise entstehen aus kleinen sers, die nachfolgenden ohne. Machtbereich der Reiterkrieger weiter­
Familienverbänden allmählich schlag­ Bald schon ziehen die Goten plün­ hin ungehindert ins Römische Reich
kräftige Einheiten, die sich einem ge­ dernd über den Balkan und treffen im ausbrechen können.
meinsamen Befehlshaber unterordnen. Jahr 378 bei Adrianopel in einer Schlacht Unter den Menschen, die sich auf
Weshalb diese Reiterheere ihre an­ auf die Römer (siehe Seite 28). Vermut­ den Weg machen, sind freilich auch
gestammten Gebiete verlassen und nach lich 16 000 Soldaten sterben an einem H unnen. Einzelne A nführer gehen
Westen ziehen, kann heute niemand einzigen Nachmittag, auch der oströmi­ Bündnisse mit jedem ein, der ihnen
mehr sagen. Möglicherweise wandelt sche Kaiser fällt. Das Imperium wird nun Beute verspricht. Wohl schon vom Jahr
sich das Klima, vielleicht vernichten nicht mehr zur Ruhe kommen. 384 an dienen hunnische Söldner in den
Dürren oder Frost die Weidegründe, wo­ Und die Hunnen? G roß ist die römischen Legionen, denn ihre Kampf­
möglich werden die Hunnen selbst von Furcht, sie könnten Roms Schwäche kraft wird geschätzt.
anderen Nomaden bedrängt. nach der Katastrophe von Adrianopel Um 400 tauchen zum ersten Mal
Jedenfalls erreichen mehrere Stäm­ ausnutzen und das Imperium angreifen. die Namen hunnischer Herrscher in den
me, denen sich auf ihrem Weg durchs Tatsächlich überfallen 395 hunni­
Grasland weitere Steppenclans in der sche Scharen Gebiete südlich der Donau.
Hoffnung auf Beute anschließen, um das Andere dringen über den Kaukasus ins
Jahr 370 das Gebiet westlich der Wolga: oströmische Kleinasien und in Syrien ein
ein großes Heer von Reiterkriegern, dem und verheeren auf ihren Plünderungs­ U m 445 steigt A ttila , Spross
ein Tross mit Frauen und Kindern in zügen weite Gebiete der reichen Provin­ einer angesehenen Familie, zum
Wagen und Fuhrwerken folgt. zen. Doch zu einem gezielten Angriff auf m ächtigsten Herrscher der H un­
Dort siedeln die zum iranischspra­ das Imperium kommt es nicht. nen a u f Er gebietet über einen
chigen Kulturkreis gehörenden Alanen, Vor allem aber spürt Rom indirekt Vielvölkerstaat: W er sich unter­
die in kurzer Zeit von den Fremden be­ die M acht der Hunnen. Denn nach wie ordnet und Abgaben zahlt, kann
siegt und geschlagen werden. vor strömen geschlagene und vertriebene relativ unbehelligt leben

92 GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


Attila

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung 93


Anfangs sind germanische
Dörfer wie dieses Ziele der
plündernden Steppenkrieger,
später römische Gebiete -
auch wenn die Hunnen mitun­
ter sogar helfen, die Grenzen
des Imperiums zu sichern

Quellen auf. Es sind regionale Fürsten,


denen an guten Kontakten mit dem
römischen Nachbarn gelegen ist.
Als etwa ein Rebellenführer aus
dem Oströmischen Reich in das Gebiet
nördlich der Donau flüchtet, lässt ihn ein
Hunnenführer gefangen nehmen, töten
und den abgetrennten Kopf als Gefällig­
keit an den Kaiser in Konstantinopel
senden. Der gleiche Fürst schickt auch
den Weströmern Hilfstruppen, als goti­
sche Krieger Italien angreifen. Doch es
bleibt eine fragile Beziehung.
Offenbar geht in diesen Jahren ein
Wandel durch die hunnischen Stämme.
Die Herrschaft in den eroberten Gebie­
ten scheint sich zu stabilisieren. Viel­
leicht werden die ersten Gruppen sess­
haft, einzelne Fürsten festigen ihre die Drohung aufrecht. Um einen Krieg Geboren irgendwann zwischen 395
M acht und vereinigen immer größere zu verhindern, treffen sich römische Un­ und 406, hat Attila seine Jugend als
Clans unter sich. Manche erreichen die terhändler bald darauf an der Donau mit Geisel am weströmischen Kaiserhof in
Bedeutung lokaler Könige. ihnen. Der ältere der Brüder heißt Bleda. Ravenna verbracht. Die Kinder Adeliger
Im Jahr 422 fällt ein mächtiger Der Name des jüngeren: Attila. als Bürgen auszuliefern ist zu jener Zeit
Herrscher namens Ruga, der einen gro­ bewährte Praxis: Sie gelten als Garant
ßen Teil der Hunnen anführt (während für die Einhaltung von Verträgen und
sein Bruder den anderen Teil befehligt), um Beziehungen zwischen den folgen­
in Roms Provinzen auf dem Balkan ein. den Generationen zu knüpfen. Auch die
Der Angriff schreckt den oströmi­ Römer schicken junge M änner zu den
schen Kaiser so sehr auf, dass der wenig I Iunnen. Attila ist mit den Gebräuchen
später einen Vertrag mit Ruga schließt: der römischen Zivilisation also vertraut.
Mit 350 Pfund Gold im Jahr erkauft sich Dass sich die beiden Brüder ihrer
Konstantinopcl den Frieden. Es ist das M acht bewusst sind, zeigt schon das
erste Mal, dass ein römischer Imperator Treffen an der Donau: Gegen deren W il­
den Hunnen Tribut bezahlt. len zwingen sie die römischen Unter­
Zunächst hält sich Ruga an das Ab­ händler, zu Pferd zu verhandeln, so wie
kommen. Dann aber rüstet er zu einem bei den Hunnen üblich. Zudem stellen
neuen Angriff auf den Balkan. Dies ist sie sehr viel weiter reichende Forderungen
vermutlich vor allem eine Drohgebärde: Klein von Gestalt und von dunkler als ihr Onkel. Attila hat schon im Vor­
Ruga will herausfmden, ob Ostrom Hautfarbe, mit breiten Schultern und feld darauf gedrungen, dass in Zukunft
die Ruhe an seiner Donaugrenze nicht einem dicken Kopf, schmalen Augen und alle Hunnen, die sich ins Reichsgebiet
inzwischen mehr Gold wert ist. einer platten Nase: So beschreibt ein absetzen, ausgeliefert werden sollen.
Zwar stirbt der Hunne 434 mitten Chronist das Äußere Attilas. Vielleicht, Tatsächlich übergeben die Gesand­
in den Verhandlungen. Doch zwei Brü­ so kann man heute nur vermuten, ist er ten zwei Flüchtlinge - junge Männer
der, die Neffen des Herrschers (die auch ugrischer oder mongolischer Abstam­ vornehmer Herkunft, die mit Attila und
ihren anderen verstorbenen Onkel beer­ mung. Jedenfalls kommen die Brüder aus Bleda sogar verwandt sind. Die Anführer
ben), nehmen seinen Platz ein und halten einer vornehmen Familie. lassen sie an O rt und Stelle pfählen.

94 GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


Clanführer ordnen sich nur demjenigen vermutlich prasseln Pfeile auf Legionäre
unter, der sie bezahlen kann. Wer ein und Zivilisten nieder.
Reich beherrschen will, braucht daher Hunnen! Kein W ort vermag die
immer mehr Beute, um die Stämme Menschen dieser Zeit in größeren Schre­
zufriedenzustellen. cken zu versetzen. Die Reiterkrieger
Zudem hat sich das Leben der greifen nicht in geschlossener Formation
Kämpfer dramatisch verändert: In der mit Lanzen an wie die Goten oder Rö­
kleinteiligeren, dicht besiedelten Unga­ mer, sondern in einem wilden Hin und
rischen Tiefebene haben sie ihr Noma­ Her, wie man es noch nie gesehen hat.
dendasein allmählich aufgegeben. Als Hölzerne Sättel geben ihnen auf
halb sesshafte Besatzungsmacht sind sie den Steppenpferden so stabilen Halt,
nun angewiesen auf die Erträge der un­ dass sie ihre Pfeile - bis zu zwölf pro Mi­
terworfenen gotischen Bauern. Und auf nute - selbst im Galopp abfeuern kön­
die römischen Tribute. nen. Die I Iunnen nutzen Bögen, die aus
Fortan sind die Brüder damit be­ mehreren Materialien hergestellt sind:
schäftigt, ihr neues Reich zu ordnen. Auf den Körper aus Holz sind Tierseh­
Bleda herrscht im Westen, Attila im Os­ nen und Hornteile geleimt, die Enden
ten. Bald werden sie in römischen Quel­ mit Knochenstücken versteift und ver­
len als multarum gentium reges bezeich­ längert. Ein solcher Bogen kann, obwohl
net - „Könige vieler Völker“. So hat man mit gut anderthalb Meter Länge kürzer
keinen Hunnen zuvor genannt. als ein römischer, weitaus mehr Energie
speichern und an den Pfeil abgeben als
ein gewöhnlicher aus Holz.
Constantia, an einem Sommertag im G ut 200 M eter weit fliegen die
Jahr 441. Die kleine Garnisonsstadt am Pfeile, deren dreiflügelige Spitzen aus
nördlichen Donauufer ist Teil der römi­ Eisen selbst Panzerrüstungen durch­
schen Grenzbefestigungen, doch seit schlagen. Die Herstellung eines solchen

Attila
dem Bündnis mit den Hunnen sind nur Bogens kann oft mehrere Jahre dauern,
Es ist ein deutliches Zeichen: Mit noch wenige Soldaten stationiert. Aber und als Waffe ist er den Hunnen sogar
der Abwanderung hunnischer und auch heute ist ein Markttag, und die Bauern zu kostbar, um ihn den gefallenen Krie­
anderer barbarischer Krieger über die aus der Umgebung drängen sich in den gern als Grabbeigabe zu überlassen.
Donau soll ein Ende sein. Von jetzt an Gassen, um ihre Waren zu verkaufen. In ihren Reitkünsten sind die
gilt es als Verbrechen, aus dem M acht­ Da zeichnet sich in der Ferne eine Kämpfer allen Völkern überlegen: Wenn
bereich der Hunnen ins Römische Reich Staubwolke ab. Dunkle Schatten berit­ sich ihnen Gegner nähern, lassen sie die
zu fliehen. Die Brüder wollen ein wirk­ tener Krieger lösen sich aus dem Dunst, ins Leere reiten, täuschen gar die Flucht
liches Reich mit wirklichen Untertanen.
Darüber hinaus trotzen die beiden
den Unterhändlern in einem Vertrag
einen verdoppelten Tribut für den Frie­
den ab: 700 Pfund Gold im Jahr.
Warum lässt sich der Kaiser in
Konstantinopel darauf ein? Zwar haben
die Hunnen eine furchterregende Streit­
macht, doch sind sie den Legionen so­
wohl an Zahl wie Disziplin unterlegen.
Aber Ostrom ist eben auch ein gro­
ßes Reich mit vielen Feinden. Eine si­
chere Donaugrenze und eine verlässliche
Ordnungsmacht am jenseitigen Ufer sind
dem Kaiser den Preis wert. Die Truppen,
die den Fluss bewachen, kann er gut in
anderen Reichsteilen gebrauchen.
Attila und Bleda wiederum benöti­
gen das Geld, um die Gefolgsleute ihres Auch große Städte fallen den Hunnen zum Opfer. Im Jahr 447 steht Attila vor
Onkels an sich zu binden. So funktio­ der oströmischen Kapitale Konstantinopel. Doch er sieht von dem entscheidenden
niert die Hierarchie der Hunnen: Die A ngriff ab - unter anderem, weil eine Epidemie seine Truppen schwächt

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung 95


vor, machen plötzlich kehrt und fallen te wie Singidunum (das heutige Belgrad) herrscht jetzt allein und vereint als König
über die Verfolger her. Bisweilen bringen und Serdica (Sofia), lässt unzählige Dör­ nun „das ganze Volk der Hunnen unter
sie ihre Kontrahenten mit der Peitsche fer in Rauch und Feuer untergehen. seinem Zepter“, wie Jordanes notiert.*)
oder einem Lasso zu Fall, im Nahkampf Nach Konstantinopel dringt Attila
benutzen sie Lang- und Kurzschwerter. aber nicht ein, wohl auch, weil eine Seu­
Ein hunnischer Überfall auf eine che unter den Kriegern ausbricht. W ie­
Siedlung ist schnell und kurz, zurück der folgen Friedensverhandlungen - und
bleiben Ruinen. wieder fordert er Tribut für den Abzug
Mit der Plünderung von Constantia seiner Truppen. Offenbar hat er kein In­
beginnt Attilas erster großer Feldzug. teresse daran, römisches Gebiet zu beset­
Der Angriff kommt für die Römer völlig zen oder sich im Reich anzusiedeln.
überraschend. Angeblich, so erklärt es Andere Stämme zur Zeit der Völ­
der Hunnenführer, will er Rache nehmen kerwanderung streben nach Integration,
für den Frevel eines römischen Bischofs möchten teilhaben an der römischen
im Grenzgebiet, der hunnische Königs­ Kultur und ihren Errungenschaften, dem
gräber geschändet haben soll. Wissen, der Technik und Struktur. Attila
Aber das ist wohl nur ein Vorwand: aber will den reichen Nachbarn auspres­
Ostrom vernachlässigt seit Jahren die Eine zweite Angriffswelle fünf Jahre spä­ sen, mit Tributen oder Überfällen.
Tributzahlungen, und die Hunnenherr­ ter ist noch verheerender: Attilas Krieger 2100 Pfund Gold pro Jahr muss
scher müssen Beute machen. dringen tief ins Gebiet des Imperiums Konstantinopel fortan an Attila bezah­
Neun Monate lang wütet ihr Heer vor, erobern Stadt um Stadt, schlagen gar len. Viele Untertanen kritisieren den
auf dem Balkan, plündert mächtige Städ- ein römisches I leer in offener Schlacht Kaiser für seine weiche Friedenspolitik.
und stehen schließlich 30 Kilometer vor Aber die Abgaben machen nur etwa drei
Konstantinopel.
Es ist vor allem dieser zweite Feld­ Diese Beschreibung bezieht sich auf die Hunnen,
zug, der Attila den Ruf der Unbesiegbar­ die bis ins heutige Ungarn vorstoßen, deren Macht­
bereich sich jedoch geographisch schwer eingrenzen
Die Schocktaktik der Hun­ keit verleiht. (Der Name seines Bruders lässt. Darüber hinaus gibt eszur Zeit Attilas vermutlich
nen besteht aus schnellen, taucht in den Berichten nicht mehr auf weiter imOsten noch anderehunnische Gruppen unter
infernalischen Vorstößen. - Attila hat ihn in der Zeit zwischen mehreren Anführern. Doch die spielen in den antiken
Was sie nicht direkt zerstö­ den beiden Kriegszügen ermordet. Er Quellen keine relevante Rolle.
ren, verheeren vielerorts
Brände, die sie bei ihren
••

Überfällen entfachen
Prozent der jährlichen Steuereinnahmen zügen zerstört wurde. Jetzt ist sie verlas­ Feldlager des Hunnenkönigs - eine Fülle
Ostroms aus. Ein Krieg mit den schreck­ sen. Nur in einem Spital dämmern ein dicht beieinanderstehender Zelte in einer
lichen Hunnen käme bedeutend teurer. paar Kranke, gepflegt von Mönchen. Das Ebene. Um Attilas Zelt stehen Krieger
Weitaus demütigender fiir Konstan- Ufer eines nahen Flusses ist voller ge­ Wache, der König erwartet den Besuch
tinopel ist Attilas zweite Forderung: die bleichter Knochen der Gefallenen. auf einem hölzernen Thron. Zunächst ist
Einrichtung einer Pufferzone südlich der Die M änner ziehen weiter über er freundlich, erwidert die Grüße und
Donau. Eines entmilitarisierten und ent­ Tage durch verwüstetes Gebiet, vorbei an guten Wünsche des Kaisers.
völkerten Streifen Lands zwischen bei­ verlassenen Dörfern und niedergebrann­ Doch als die Sprache auf die hun­
den Reichen, bis zu 150 Kilometer breit.
a•
ten Höfen, und erreichen schließlich nischen Flüchtlinge kommt und die Rö­
Der I lunne will sich so vor Über­ jenseits einer Schlucht die Ufer der Do­ mer sagen, sie hätten bereits alle ausge­
raschungsangriffen schützen, den Rö­ nau. Fährmänner setzen sie in Einbäu­ liefert, ergrimmt Attila in jähem Zorn.
mern nimmt er mit dem Fluss ihre seit men über den Strom. Dahinter beginnt Er lässt seinen Schreiber eine Liste
Jahrhunderten bewährte Grenze. das unbekannte Reich der Hunnen. mit Überläufern vorlesen, die sich an­
Die Gesandten reisen in heikler geblich noch bei den Römern befinden,
Mission, es sind krisenhafte Zeiten. und herrscht den Übersetzer der Gruppe
Durch diese Pufferzone reist im Sommer Schon viermal in diesem Jahr hat Attila auf Hunnisch an, er würde ihn am liebs­
449 ein junger Diplomat namens Priskos. Unterhändler nach Konstantinopel ge­ ten „den Geiern zum Fraß“ vorwerfen.
Er stammt aus Thrakien, hat Rhetorik schickt, weil noch immer nicht alle hun­ Dann aber beruhigt er sich wieder
und Philosophie studiert und ist Teil nischen Flüchtlinge an ihn ausgeliefert und lässt die Gesandten wissen, er wün­
einer oströmischen Gesandtschaft, die seien, wie er sagt. sche nun die Geschenke des oströmi­
Attila in seiner Residenz die Aufwartung Der König ist gereizt - und wann schen Kaisers zu begutachten.
machen soll. Später wird Priskos die E r­ immer er seine Forderungen nicht erfüllt Die Gespräche sollen in Attilas
innerungen an die Reise niederschreiben. sieht, droht er mit einem neuen Feldzug. Residenz fortgeführt werden, die eine
Es ist ein einmaliges Zeugnis: der Priskos beobachtet Kämpfer, die sich am Wochenreise entfernt liegt.
einzige erhaltene Bericht eines Augen­ Flussufer sammeln, „weil Attila auf rö­ Die Gesandten machen sich auf
zeugen über Attila und dessen Reich. misches Gebiet übertreten wollte, unter den Weg. Sie kommen durch eine weite
Am Beginn der Pufferzone schlägt dem Vorwand, dort zu jagen. In W irk­ Ebene aus Sümpfen und Marschland,
die Gruppe ihr Lager in Naissus auf lichkeit aber rüstete er zum Krieg.“ erhalten von den Bauern hartes Brot aus
(heute Nis in Serbien). Eine prächtige Nicht weit von der Donau entfernt, Gerste statt des gewohnten Weizens,
Stadt, bis sie von Attila auf seinen Feld­ erreicht die kleine Gesandtschaft das trinken M et statt Wein und manchmal
Bier, gebraut aus Hirse. Während eines Als die Gesandten ankommen, ist Die römischen Unterhändler lässt
Gewitters suchen sie Zuflucht in dem der O rt in freudiger Aufregung: Denn er dagegen warten. Sie werden zwar noch
D orf einer vornehmen Frau - wie sich auch Attila und seine Krieger sind gerade am selben Abend zu einem Festbankett
herausstellt eine Witwe von Attilas er­ eingetroffen. Ein Reigen von Mädchen in Attilas Halle eingeladen, sitzen dann
mordetem Bruder Blcda. Sic „schickte geht dem Herrscher unter ausgebreiteten aber zu weit entfernt, um mit ihm zu
uns Proviant und schöne M ädchen“, weißen Schleiern entgegen und singt sprechen.
schreibt Priskos, „mit denen wir der hunnische Lieder. Der Herrscher thront zu diesem
Liebe pflegen sollten“. Auf diese Weise Eine vornehme Frau tritt aus einem Anlass auf einem Bett in der M itte des
würden die Hunnen Gäste ehren. Haus, ihre Dienerinnen bringen Speisen Saales, links und rechts an den Wänden
und Wein, und Attilas Gefolgsleute hal­ stehen Stühle für die Gäste. Hinter ihm
ten einen silbernen Tisch in die Höhe, führen ein paar Stufen hinauf zu einem
damit der König vom Sattel aus höflich weiteren Ruhelager mit Leinentüchern
davon kosten kann. Dann zieht er sich in und bunten Decken, das Priskos an ein
seinen Palast zurück. I Iochzeitsbett Neuvermählter erinnert.
Die Besucher dürfen sich im Dorf Die Großen des Reichs haben sich
frei bewegen. Um eine weitere Audienz an diesem Abend in der Halle versam­
zu erhalten, übergibt Priskos Geschenke melt. Es sind nicht nur Hunnen —Attila
an Attilas Hauptgemahlin. In einem der herrscht über einen Vielvölkerstaat, sein
schönsten Häuser ruht sie auf einem wei­ H of ist der Treffpunkt einer internatio­
chen Lager. Wollene Teppiche sind auf nalen Aristokratie. Herkunft spielt im
dem Boden ausgebreitet, auf denen Die­ Verständnis der Hunnen, die ja selbst
nerinnen sitzen und kunstvolle Sticke­ eher die Lebensweise als die Abstam­
reien fertigen, die später die Kleider der mung eint, keine Rolle.
Attilas Residenz (die wohl irgendwo im Krieger zieren werden. Ostgoten, Gepiden und Skiren ge­
heutigen Ungarn liegt) ist auf der Anhö­ Dann hört der Römer draußen das hören zu Attilas engsten Vertrauens­
he oberhalb eines ausgedehnten Dorfes Rufen einer Menge und sieht plötzlich leuten, auch ein Römer ist darunter.
errichtet. Die Anlage ist von einem Zaun Attila. Ohne jede Leibwache oder ein Allesamt sind es Fürsten, die sich nach
mit Türmen und Palisaden umfriedet, Insigne der Macht tritt der Herrscher aus Attilas Tod in der barbarischen wie der
dahinter befindet sich ein großes Haupt­ dem Haus. Untertanen tragen ihre Streit­ römischen Sphäre zu behaupten wissen.
haus aus Balken und mit getäfelten Wän­ fälle vor und nehmen seine Schiedssprü­ Und niemand kann es zu diesem
den, an das sich hölzerne Säulenhallen che entgegen. Danach empfangt Attila Zeitpunkt ahnen, aber unter Attilas Ge­
und kleinere Gebäude anschließen. einige Gesandte barbarischer Stämme. folge sind drei Männer, deren Söhne
einmal nacheinander Italien beherrschen
werden: die Väter von Romulus, dem letz­
ten weströmischen Kaiser, von Odoaker
und von Theoderich.
Mundschenke bewirten die Gäste.
Vor den Gängen erheben sich die Fürs­
ten und leeren ihr Glas zu Ehren des
Königs. Alle Anwesenden essen erlesene
Speisen von silbernen Tellern und trin­
ken Wein aus goldenen und silbernen
Bechern. Nur Attilas Teller ist aus Holz
und lediglich mit Fleisch gefüllt.
„Schlicht war auch sein Gewand,
das nur durch fleckenlose Reinheit her­
vorstach“, schreibt Priskos. Anders als bei
den übrigen Hunnen waren „weder sein
Schwert noch die Bänder an den Sanda­
len mit Gold, Edelsteinen oder anderem
Zierrat geschmückt“.
Möglich, dass der König der Hun­
nen ein besonders maßvoller Herrscher
Für die meisten Siedlungen bedeutet ein A n g riff der Hunnen wie ist. Doch eher wahrscheinlich, dass er
hier das Verderben. W egen ihres Tempos, ihrer Schlagkraft und der Effizienz sich für seine römischen Besucher als
ihrer W affen gelten A ttilas Mannen vielen als unbesiegbar besonders bescheiden in Szene setzt.

98 GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


Als es dunkel wird, entzünden Die­ aus Konstantinopel zur Gattin verspro­ zum magister militum erhoben worden
ner Fackeln, und zwei Hunnen singen chen worden sei, die aber einen anderen sei, zum Heermeister - ein Titel, der ver­
Lieder, in denen Attilas Schlachten und geheiratet habe. Was der oströmische bunden ist mit einem üppigen Ehrensold.
seine Tapferkeit gefeiert werden. Kaiser in dieser Sache zu tun gedenke? Das müssen überaus erstaunliche
Dann tritt ein Narr auf, anschlie­ Priskos trifft in diesen Tagen auch Neuigkeiten für Priskos sein: Während
ßend ein verwachsener Maure, der mit eine G esandtschaft aus dem fernen Attila über den Osten des Reiches her­
seinem wirren Kauderwelsch aus Latein, Weströmischen Reich, die wegen einer fallt und ihn auspresst, verleiht ihm der
Hunnisch und Gotisch alle Gäste in Ge­ ähnlichen Banalität den weiten Weg an Westen Würden.
lächter ausbrechen lässt. Nur Attila sieht Attilas H of auf sich genommen hat. Da­ Die Quellen geben nicht viel preis,
mit unbewegter Miene zu. Erst als sein bei geht es um einen römischen Palast- aber tatsächlich scheint Attila in den

Attila
Als um 450 n. Chr. die Tribute aus
dem Osten ausbleiben, wendet sich
A ttila nach Westen. Und verbreitet
auch dort, bis ins Herz Galliens, beamten, der sich angeblich Goldgefäße 440er Jahren den Rang eines Ileermeis-
Schrecken und Zerstörung, um vom angeeignet habe, die Attila zustehen. Der ters erhalten zu haben - möglicherweise,
weströmischen Herrscher G eld H unne scheut sich nicht, den U nter­ weil er Westrom Hilfstruppen gegen
gegen Frieden zu erpressen händlern mit Krieg zu drohen, sollte der Barbaren in Gallien gesandt hat.
Schuldige nicht ausgeliefert werden. Wahrscheinlicher aber ist, dass sein
Was geht in Attila vor? Interessiert „Ehrensold“ in Wirklichkeit ein Tribut
er sich wirklich für jede Kleinigkeit in ist, um ihn vom Westen fernzuhalten.
seinem Reich? Will er den Römern seine
jüngster Sohn hereinkommt, blickt er Allmacht demonstrieren? Oder einen
zärtlich auf und streichelt seine Wange. Vorwand für einen neuen Krieg finden? Doch im Jahr 450 stirbt überraschend
Trotz der gastfreundlichen Aufnah­ Der weströmische Gesandte deutet der Kaiser von Ostrom, und sein Nach­
me durch die Hunnen können die Ge­ es Priskos so: Keinem anderen Herrscher folger macht ein Ende mit der Be­
sandten letzten Endes wenig erreichen. sei so schnell so viel gelungen. Sein schwichtigungspolitik gegenüber den
Als Attila die Besucher endlich ein Glück habe Attila „so hochmütig ge­ Hunnen: Er stellt alle Zahlungen ein.
weiteres Mal empfangt, ist keine Rede macht, dass er gerechten Vorstellungen Attila, der auf Gold für seine Vasal­
mehr von Flüchtlingen. Stattdessen er­ nicht mehr zugänglich ist“. len angewiesen ist, müsste nun Krieg
zählt er eine verworrene Geschichte von Der Gesandte erzählt Priskos auch, führen. Aber die Provinzen auf dem Bal­
seinem Sekretär, dem eine reiche Frau dass Attila vom weströmischen Kaiser kan sind ausgeblutet, und Konstantinopel

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung 99


In seiner Residenz auf dem G e b ie t des heutigen Ungarn em pfängt A ttila D iplom aten
bedeutender M ächte. Selbst den Abgesandten der römischen Kaiser tritt er äußerst selbstbewusst
entgegen (hier die Darstellung einer früheren hunnischen Herrscheraudienz)

scheint zu mächtig für einen Angriff. Da kommt das Gerücht auf, die aufwuchsen. Er hat die Verbindung zu
Beim letzten Mal ist ihm nicht entgan­ Schwester des Kaisers in Ravenna habe den Hunnen aufrechterhalten, viele ihrer
gen, wie stark die Stadt befestigt ist. dem Hunnenkönig heimlich die Ehe Kämpfer haben seine Legionen unter­
Also wendet er seinen Blick nach angetragen. Eine kaum zu glaubende stützt. Vielleicht war cs sogar Aetius, der
Westen. Geschichte, vielleicht von Attila selbst in Attila den Titel des Heermeisters ver­
die Welt gesetzt. Nun fordert er als schafft hat. Jetzt sind sie Gegner.
Brautgeld nicht weniger als die Hälfte Zu Beginn des Jahres 451 macht
des Reichs vom Kaiser. sich Attilas Heer auf den Weg. Unter­
Zeigt sich hier der Größenwahn, wegs schließen sich ihm weitere Stämme
von dem der weströmische Gesandte zu an, es sind wohl einige Zehntausend
Priskos sprach? Natürlich lehnt der Kai­ Krieger, die bald darauf den Rhein über­
ser ab - und Attila rüstet zum Feldzug. queren. Die H orden plündern Trier,
Die Entscheidung über das Schick­ Metz, Reims, Troyes, belagern Orleans.
sal des Weströmischen Reiches fällt nicht Es ist dieser Feldzug Attilas, der
in Italien, sondern in Gallien, wo der sich tief ins Gedächtnis des Abendlandes
heimliche Herrscher Roms, der Heerfüh­ eingräbt. Selbst der Papst soll in den
rer Aetius, mit seinen Truppen steht. H unnen die „Geißel Gottes“ erkannt
Denn, so Attilas vermutliches Kal­ haben: die Zuchtrute, mit welcher der
kül: Würde er zuerst Italien angreifen, Herr die sündige Menschheit peitscht.
Westrom ist ebenso wohlhabend wie der könnte Aetius ihm in den Rücken fallen. Aetius hat inzwischen ein Bündnis
Osten, aber geschwächt durch M acht­ Würde er Aetius aber in Gallien schla­ mit den Westgoten geschlossen. Diese
kämpfe sowie germanische Völker, die gen, dann hätte er in Italien leichtes Allianz stellt Attilas Heer im Juni 451 auf
inzwischen bis nach Spanien und Nord­ Spiel. Also sucht Attila die direkte Kon­ den Katalaunischen Feldern in der
afrika vorgedrungen sind. Attila muss nur frontation. Champagne. Es kommt zu einer wahren
noch einen Vorwand finden, um den Aetius gehörte in seiner Jugend zu Völkerschlacht: Unter dem Banner des
Bündnispartner mit Krieg zu überziehen. den Geiseln, die am H o f der I lunnen Aetius kämpfen Römer, W estgoten,

100 GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


Das zweite Leben Nachbarreich, und wirbt um Kriemhild. Doch Ilagen warnt
die Burgunder: Siegfried habe in einem fernen Reich die Söh­

des Attila ne des Königs Nibelung erschlagen und deren Schatz geraubt
sowie eine Tarnkappe, die unsichtbar mache und übermensch­
liche Kräfte verleihe. Zudem habe er einen Drachen erstochen
Das Lied der N ibelungen, eines der bedeutendsten und in dessen Blut gebadet, was seine Haut unverwundbar
W erke deutschsprachiger D ichtung, verw ebt die
machte (bis auf eine kleine Stelle zwischen den Schultern).
Begebenheiten der Völkerwanderung m it der W elt
Trotz der Warnungen Hägens wird Siegfried gastlich
der Sagen. So wird aus dem Hunnenherrscher aufgenommen. Doch bevor er Kriemhild heiraten darf, soll er
A ttila beispielsweise der König Etzel

eine deutsche Sage ist von den Dramen der Völker­

K wanderung stärker durchdrungen als das Nibelungen­


lied. M ehr als 600 Jahre später verfasst, kündet das
Epos wie ein ferner Spiegel von zentralen Ereignissen und
Figuren jener ruhelosen Ara.
Der Autor des Nibelungenliedes - vermutlich ein gebil­
deter Mann, der um 1200 am H of des Passauer Bischofs wirk­
te - erzählt in seiner Sage die Geschichte der Prinzessin
Kriemhild und ihres Bruders Günther, der mit zwei weiteren
Brüdern (Gernot und Giselher) sowie dem Berater Hagen von
Tronje über das Burgunderreich zu Worms am Rhein herrscht.
Eines Tages erscheint dort Siegfried, Königssohn aus einem

Attila
Nach dem Tod ihres G atten Siegfried heiratet die
Sagengestalt Kriem hild (im Bild links) den bekrönten

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Hunnenherrscher Etzel (Buchmalerei, 15. Jh.)
y jo p j-jrftK tr vcm f m W vv. H o A ^ u x tll
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k m r t n w n . m v y r t r « v wnfc b o r m <*
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n t allen la n K n mVtr
tu» y»xt; ni ^ - «mit*
nti f(K>nr «vt? ferner
Günther helfen, die isländische Königin Brünhild als Frau zu
vil 4u< fn»V .:U p. V p rt.U (tn V i W im
cM u« n d t öu m W tift w rnvr fcr
gewinnen, die über magische Kräfte verfugt, solange sie jung­
tvot*r \otabA . v n Vtfflhir frvuiimj'.w wcAidabapn.bvr«vwr ***1*r-Cm fräulich bleibt. Siegfried erfüllt dem Burgunderkönig diese
1h t - cne t o U r '.mttm m i r pflnje*» Cm raftm» « fa w M p m r iV* *>«c t r m vr
V i t w w ir fr MW 9 'm Vtv f i t e h o f e turi» rtm dfrbH i«. n n d i o t f
Bitte: Verborgen dank der Tarnkappe, ringt er Brünhild nieder,
v u h « i n . fr\wch in f tn « r m q tn b e 9 ftn r r civn n i 5 n wa sodass Günther ihr die Jungfräulichkeit nehmen kann.
T T n i w t m .trftr M i e+ cen » tu - k r .if r f ü *•*n m r f ttiK 'to r
( r W o i . ^ I I X 5rY£Mt«ta*-to « A i r u i t r f l v . r r . i t • W m tm .fc m H * Viele Jahre später verrät Kriemhild Brünhild, dass Gün­
#*r Ml t r : d « i U u r - S r N w « * . W fcnn »>'»«•<» w * " * m ir
n t t t m t r u * M tu Lmfc«n.*U(h rtrt* v u rttH ifr n u r W d i d i m n t u - w *
ther sie einst nur mit Siegfrieds Hilfe bezwungen hat. Brünhild
.1tr mbH ur. ftÄurfcro vnm ntc^ .frr von T-m frtm vm mr. fordert von Günther daraufhin den Tod des Drachentöters,
) , »rVn WwnKir mn«M Ufi^ f f j y r j n . w i v ü M unt «tUu.m «Mim
f m frn m m h **e b d k « w d * « . \ n m a n K n- fpC M pr und Hagen schreitet zur Tat: Er stößt seine Lanze in Siegfrieds
. •>ii«hvitr tnC cK trpfm O rttrn . ^ r r * ~ ^ 4 i uuä w i H j^ m r
Wi «vc)»fr bnifrftii t i w W r t '& f c . r f l r w n f lk m m » n w i i i . h f w n r einzige verwundbare Stelle - und versenkt den Nibelungen­
■ f ti.ty in ' 6c** » n «LU<nMtrA>gJKfr ***i Ä w
w n r & w td rfr* n -" rtie i« n * ifrc m v « f r w U t r \ y n
m ir j r i m m d U n M b r
4 tn W rr^ v n o lr
schatz im Rhein.
öiVr Wntn «iv.it» y U g m «*tf vT» fr « m . fr freier kuniojr -nan. Kriemhild sinnt nun auf Rache für den Tod ihres Mannes.
f, b ftro m v i i n u i - n n t tr r im t frrfirii f p m m c n n j u n l u n . B i i n h w i r r
fr* u u f « u r f d u U k .f * • ttifr* « . m tn m 13 Jahre lang muss sie machtlos am H of Günthers leben, che
m , fc w M r fr' »** fcwmc** « n w nM ? • cyi*. » riu*r wai
Etzel, der mächtige König der Hunnen, um ihre Hand bittet
und sie sein Werben erhört. Als sie weitere Jahre später ihre
Brüder an den Hunnenhof lädt, wittert Hagen eine Falle.
Dennoch ziehen die Könige samt Gefolge zum Palast
von Etzel. Fortan nennt der Dichter der Sage die Burgunder
„Nibelungen“: Der Schatz hat erst den Söhnen König Nibe-
lungs und dann Siegfried den Tod gebracht, und bald wird sein
Das Nibelungenlied wird um 1200 niedergeschrieben. Fluch auch Günther und seine Brüder treffen.
N ur wenige Jahre später entsteht diese H andschrift des Tatsächlich flammt an Etzels H of tödlicher Streit auf.
Textes. Es ist die älteste überlieferte Die Nibelungen fechten gegen die Hunnen sowie germani-

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung 101


sehe Gefolgsleute Etzels, darunter Dietrich von Bern. Kriem- Aus dem Namen Verona wird in der Nibelungensage durch
hild lässt, außer sich vor Rachsucht, ihren Bruder köpfen Lautverschiebung und -Verkürzung der Name „Bern“. Und aus
und erschlägt Hagen mit eigener Hand - ein so unerhörter Theoderich: „Dietrich“.
Akt, dass Dietrichs Waffenmeister wiederum Kriemhild Das Ostgotenreich überdauert sein Dahinscheiden nur
niederstreckt. um wenige Jahrzehnte, das Reich der Burgunder wird im
Am Ende sind alle Nibelungen gefallen, Kriemhild ist 6 . Jahrhundert von den Franken erobert, das Hunnenreich
tot, der Schatz für immer im Rhein verschwunden. zerfallt bald nach Attilas Tod: in allen drei Fällen gewaltige
Schlachten, Glanz, dann jähe Katastrophe und Erlöschen -
Eine finstere Geschichte - die aber trotz aller literarischen jedes Mal wiederholt sich das Muster.
Verfremdung in Teilen indirekt auf historischen Begebenhei­ Und so wird die Geschichte der drei untergegangenen
ten beruht. Denn der Autor hat für das Werk Sagen umge­ Reiche schon bald zu einer häufig erzählten Sage, werden
formt, die seit Jahrhunder­ die dramatischen Ereignisse
ten in E uropa erzählt und bedeutenden Persön­
werden und die dramatische lichkeiten zur Inspiration
Ereignisse aus der Zeit der der Liedersänger.
Völkerwanderung spiegeln,
etwa: Auch andere M otive des
• den Einfall der Hunnen, Nibelungenlieds deuten auf
• den Untergang der Bur­ die Zeit der Völkerwande­
gunder, rung hin - etwa der Schatz.
• den Aufstieg der Ostgoten. Tatsächlich werden in jenen
I. Die H unnen: 445 Jahrhunderten häufig Kost­
steigt Attila zum alleini­ barkeiten versteckt: Gold,
gen König der Hunnen auf; Silber, M ünzen, Geschirr,
aus seinem Namen wird Waffen, Schmuck. Mal ver­
später im Mittelhochdeut­ gräbt man sie aus Angst vor
schen „Etzel“. Seine Haupt­ heranrückenden Feinden,
residenz errichtet er wohl mal gehen sie in Flüssen
in einer Ebene östlich der verloren, wenn Plünderer
Donau. Bald nach Attilas über die Gewässer setzen.
Tod 453 wird berichtet, sei­ So werden Wissenschaftler
ne burgundische Nebenfrau später 70 Kilometer südlich
Ildiko habe ihn ermordet, von Worms in einem Altarm
um Verwandte zu rächen. des Rheins mehr als 1000
D er Name Ildiko wieder­ M ünzen, Messer, Schalen,
um bedeutet auf Deutsch Auch ein weiterer Herrscher der Völkerwanderungszeit spiegelt sich Siebe, Teller und andere
„Hildchen“, eine Vernied­ in der Sage: Der Ostgote Theoderich erscheint im Nibelungenlied als Metallobjekte finden: gut
lichung jedes Frauenna­ Dietrich von Bern, der hier kniend einen Gegner überwältigt 700 Kilogramm insgesamt.
mens, der mit „Hild“ be­ Zudem bew ahrt die
ginnt oder endet - wie etwa Nibelungensage womöglich
Kriemhild. sogar Relikte aus noch frü­
II. Die Burgunder: Im Jahr 407 gründet deren König heren Zeiten auf: Manche Gelehrte vertreten die These, dass
Gundahar am Rhein ein Reich. Knapp 30 Jahre später besiegt Siegfried ein reales Vorbild in dem germanischen Fürsten Ar-
ein römischer Heermeister die Burgunder in einer Schlacht;
• •
minius hat, der im Jahr 9 n. Chr. die Legionen des römischen
Gundahar und fast alle seine Adeligen fallen, die Überleben­ Feldherrn Varus vernichtete. Ein Indiz sind die überlieferten
den werden rund um den Genfer Sec angesiedelt. Dort wächst Namen: „Arminius“ ist lateinisch, doch der römische Schrift­
ein neues Reich heran, in dem noch fast 100 Jahre lang bur­ steller Tacitus nennt zusätzlich die germanischen Namen
gundische Könige herrschen - einem traditionellen Brauch von Vater, Schwiegervater und Schwager des Arminius: Alle
folgend, oft mehrere Brüder gemeinsam. Eine Rechtssamm­ beginnen mit der Vorsilbe „Sieg“/„Seg“.
lung überliefert den Namen von König Gibica und dessen Dennoch bleibt die Verbindung von Sagengestalt zu rea­
Söhnen Gundahar, Gislahar und Gundomar: eine starke Ähn­ ler Person letztlich willkürlich. Denn selbst wenn die Heroen
lichkeit zu den drei Königen des Nibelungenliedes. des Nibelungenliedes tatsächlich auf echte Krieger zurückge­
III. Die Ostgoten: Einer der mächtigsten Herrscher der hen - im Mythos sind ihre Taten fast bis zur Unkenntlichkeit
Völkerwanderungszeit ist Theoderich, der bis zu seinem Tod verändert worden.
im Jahr 526 das ganz Italien umfassende Reich der Ostgoten
von seinen Residenzstädten Ravenna und Verona aus regiert. C ay R adem acher u n d Insa B ethke

102 GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


Franken, Burgunder, Sachsen und Ala­ Erfolge kann er sein fragiles Reich der die vom Stamm der Gepiden angeführt
nen. Für Attila streiten Hunnen, Ostgo­ vielen Stämme nicht Zusammenhalten. wird. Der Sohn fallt im Kampf, die Hun­
ten, Gepiden, Rugier, Skiren, Heruler, Wohl gerade deshalb kündigt er nen werden geschlagen.
Sueben, Sarmaten und Thüringer. Ende 452 neue Kriegszüge an. Doch be­ Im einstigen Kerngebiet von Attilas
Wenig ist über den Verlauf dieser vor er mit seinem Heer aufbrechen kann, Reich, der Ungarischen Tiefebene, herr­
Schlacht bekannt. Der Chronist Jorda- stirbt er plötzlich. schen jetzt die Gepiden. Auch die ande­
nes berichtet, das Gemetzel habe solche An Nasenbluten. ren Stämme bilden nun etliche kleine
Ausmaße angenommen, dass ein Bach Aus Sicht der Römer ist es ein Königreiche nördlich der Donau.
auf dem Feld durch das Blut der Toten schmählicher Tod, wie er einem heid­ Von den übrigen A ttila-Söhnen
zu einem Fluss angeschwollen sei. Aber nischen Barbaren gebührt. Bald erzählt besitzt keiner genug Macht und Auto­
nach und nach gewinnen Aetius und sei­ man sich, der Hunnenkönig sei so be­ rität, um noch einmal eine große Zahl
ne Verbündeten die Oberhand. trunken gewesen, dass er in Wahrheit Krieger unter sich zu vereinen und um
Attila sicht schon sein Ende nahen nicht an einem Blutsturz, sondern an das Reich des Vaters zu kämpfen.
und lässt einen Scheiterhaufen aus den seinem eigenen Erbrochenen erstickt sei. Einer von ihnen sucht zwar wie
hölzernen Sätteln der Hunnen errichten. einst Attila erneut die Konfrontation mit
Dort will er sich in die Flammen stürzen, Konstantinopel und fällt in die römi­
„damit niemand die Freude haben solle, Nach Attilas Tod zerfallt sein Steppen­ schen Provinzen jenseits der Donau ein,
ihn zu verwunden“, so der Chronist. imperium binnen kurzer Zeit. Offenbar wird aber 469 von Ostrom geschlagen,
Doch es kommt anders. Auch das hat vor allem seine Autorität die vielen sein abgetrennter Kopf den jubelnden
Heer der Römer ist schwer getroffen, Clans zusammengehalten. Jordanes be­ Bürgern Konstantinopels präsentiert.
daher lässt Aetius die Hunnen ziehen. richtet, dass die Söhne Attilas sich dar­ In den Jahren darauf verliert sich
Besiegt, aber nicht geschlagen kehrt A t­ anmachen, das Reich und dessen Unter­ die Spur der H unnen. Viele bleiben
tila in die Ungarische Tiefebene zurück. tanen zwischen sich aufzuteilen, „sodass in den Gebieten nördlich der Donau,
Ein Jahr später fällt er zwar noch kriegerische Könige mit ihren Völkern schließen sich mit anderen Stämmen
in Italien ein, erobert Aquilcia, Verona, wie Leibeigene verlost wurden“. zusammen, kämpfen unter anderen Na­
Mailand, Pavia, aber vermutlich zwin­ Das aber wollen die stolzen Stam­ men in den Schlachten der Völker. Zahl­
gen ihn eine Hungersnot dort sowie eine mesführer nicht mit sich geschehen reiche hunnische Soldaten dienen in der
Seuche unter seinen Kämpfern zum lassen. Wohl 454, ein Jahr nach Attilas römischen Armee, andere siedeln sich in
Rückzug. Attilas Einfluss scheint abzu­ Tod, kommt es zur Schlacht zwischen den Balkanprovinzen des Imperiums an.
nehmen, Ost- wie Westrom zahlen keine den Hunnen unter Führung von Attilas Und ein Teil zieht sich wieder zu­
Tribute mehr, die Kriegszüge fuhren nun ältestem Sohn und einer Koalition der rück in die Steppe nördlich des Schwar­
auch zu Niederlagen, und ohne dauernde einst von ihnen unterworfenen Völker, zen Meeres, an deren weitem, flachem
Horizont die Reiterkrieger knapp 100
Jahre zuvor plötzlich aufgetaucht waren.
W ie ein Gewittersturm, der nichts
zurückließ als Ruinen. 9

Jo h an n es Strcm pcl, Jg. 1971, w ar bei der


Recherche vor allem von dem Zeitzeugen­
bericht des spätantiken Schriftstellers Priskos
beeindruckt, dessen Reise an A ttilas H o f sich
fa s t wie eine moderne Reportage liest. D ie
Illustrationen zu diesem Text entstammen
dem Computerspiel „Total War™: A T T I L A “,
entwickelt von The Creative Assembly
(11K )/S E G A Europe Ltd.

LITERATUREMPFEHLUNGEN: Histori­
sches Museum der Pfalz Speyer (Hg.),
..Attila und die Hunnen". Theiss Verlag: Der
Ausstellungskatalog bietet einen guten, um­
fassenden Einstieg in die Welt der Reiter­
Irgendwann mehren sich die Niederlagen der Hunnen, die römischen Tributzahlun­ krieger. Christopher Kelly, ..Attila the Hun",
gen bleiben aus. Als Attila unerwartet stirbt, zerfällt sein Reich binnen kurzer Zeit in Vintage Books: teils etwas reißerische, aber
Nachfolgekämpfen. Dem temporeichen Aufstieg folgt ein rasender Niedergang lesenswerte Biografie des Hunnenkönigs.

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung 103


ritanmen

ö S fi
Z E I T DER

VON CAY RADEM ACHER

Es ist das größte Rätsel der Völkerwanderungsepoche: Um das Jahr 400


bricht die römische Herrschaft in Britannien plötzlich zusammen - und mit
ihr verschwindet eine ganze Zivilisation. 200 Jahre später herrschen
angelsächsische Invasoren über die Insel. Doch was in der Zwischenzeit
genau geschah, darüber rätseln die Forscher bis heute

D ieser H e lm w ird um das Ja h r 6 0 0 v e rm u tlic h einem angelsächsischen K ö n ig m it


ins G rab gegeben - einem N a ch fa h re n je n e r germ anischen K rieger, d ie B rita n n ie n
in den zwei J a h rh u n d e rte n zu vo r u n te rw o rfe n haben müssen (K o p ie )

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


Britannia zum Imperium Romanum. In
den folgenden vier Jahrhunderten wer­
den die zuvor in viele Stämme aufgesplit­
terten Briten in der römischen Zivilisa­
tion umgeformt: Sie lernen Latein, sic
kleiden sich zu festlichen Anlässen in die
Toga, sie leben in Städten wie Camu-
lodunum (Colchester) und Eburacum
(York) - bedeutenden Ansiedlungen, in
York etwa wird im Jahr 306 Konstantin
der Große zum Kaiser ausgerufen.
Ihre Villen schmücken sie wie alle
gut gestellten römischen Bürger mit
Mosaiken: So verziert in Low I Iam in
Somerset im 4. Jahrhundert ein vermö­
gender Landbesitzer sein Privatbad mit
Szenen aus Vergils Epos „Acncis“. Wer
sich im frigidarium dieses Hauses von
Kann mitten in Europa eine Kultur ein­ selbst ihre Sprachen sind, bis auf ent­ den heißen Bädern abkühlt, erblickt auf
fach untergehen? Kann sie auf mysteriöse legene Regionen, verschwunden: Die dem Boden die Schiffe der vor der Zer­
Weise verschwinden wie, beispielsweise, Menschen verständigen sich nun auf Alt­ störung geflohenen Trojaner. (Das M o­
die der Osterinsel? In England ist genau englisch, einem germanischen Idiom. saik wird 1938 entdeckt, als ein Bauer
das geschehen: vor 1600 Jahren. Dort Was ist passiert? Niemand weiß es. eine Grube aushebt, um ein totes Schaf
ist eine hochdifferenzierte, über Jahr­ Kein Chronist hat einen vollständigen zu begraben.)
hunderte stabile Zivilisation nicht bloß Bericht hinterlassen, kein von Archäo­ Allerdings ist die Pracht des Impe­
niedergegangen. logen gehobener Schatz hat je enthüllt, riums in Britannien stets bedroht: Rom
Sondern kollabiert. was in dieser Epoche geschehen ist. unternimmt es in all den Jahrhunderten
Noch um 400 n. Chr. sind die Bri­ „Dark Ages“ werden Historiker nie, die Inseln vollständig zu erobern.
ten Bürger des römischen Weltreiches. später daher diese zwei Jahrhunderte Denn Irland ist so arm, dass sich
Sie sind Christen, sie sind gebildet, sie nennen, das dunkle Zeitalter.* kein Feldherr dafür interessiert. Und in
leben in Städten und sprechen Lateinisch Und es wirkt wie eine böse Ironie Schottland leben die überaus kriegeri­
sowie ihre keltischen Dialekte. der Geschichte, dass unmittelbar vor die­ schen Pikten, ein rätselhaftes Volk, das
200 Jahre später sind die Bewohner sem Kollaps eine außerordentlich glanz­ nur wenige archäologische Zeugnisse
der Britischen Inseln primitive Krieger volle Epoche England erhellt. Denn seit hinterlassen wird, darunter Ruinen von
und Bauern kleiner, verfehdeter König­ dem Jahr 43 n. Chr. gehört die Provinz Festungen sowie Friedhöfe und Steine,
reiche. Die meisten können in die rätselhafte Zeichen und
nicht lesen und schreiben, viele Fabelwesen gekratzt sind.
haben das Christentum verges­ Kein Kaiser macht sich je
sen, sie leben in Dörfern. Und die M ühe, die schottischen
Highlands zu erobern, denn
* Das ein zig e e rh alten e s c h riftlic h e Z e u g ­ das würde viele Soldaten und
nis aus je n e n Jahren hat der um 570 v e r­ viel Geld kosten, und wozu?
sto rb e n e M ö n c h G ild a s verfasst. D o c h für Das Land dort ist karg, es gibt
h e u tig e Leser ist die S c h rift nur schw er zu keine Bodenschätze.
in te rp re tie re n - schon w eil G ild a s weder
D och diese Selbstbe­
genaue D a te n n o ch exakte O rte der
schränkung wird Rom am
von ihm b e schrie be nen Ereignisse nennt.
Rund 150 Jahre später verfa sst der a n g e l­
Ende genau das kosten, was es
sächsische G e le h rte Beda e in e C h ro n ik eigentlich nicht hergeben woll­
d e r D ark A ges, d ie u n te r anderem von te: Soldaten und Geld.
ein er g ro ß e n Invasion b e ric h te t: U m das Denn die Pikten bleiben
Ja h r 4 5 0 h ä tte n ge rm an isch e Sachsen unzivilisiert, ihre Heimat ist ein
o d e r A n g e ln u n te r ihre n A n fü h re rn H e n ­
idealer Rückzugsraum. Und je
g is t und H orsa (H e n g s t und P fe rd ) die
Insel e in g e n o m m e n . D iese D a rste llu n g
reicher die Provinz Britannia
p rä g te lange Z e it das B ild d e r angelsäch­
wird, desto größer der Anreiz
sischen E ro b e ru n g , g ilt h e u tig e n F or­ für die Krieger aus Schottland,
schern aber als reine Legende. sie auszuplündern.

106 GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


GRIFF NACH DER INSEL (UM 4 0 0 - 6 0 0 N. CHR.)

Vorbasse

H a d ria n s w a ll

□ FeddersenWierde

Mercia East E in f ä l l e i n E n g l a n d
Anglia A ngeln
Briten Sutton Hoo S ach sen

Verulamium J ü te n
(St Albans) F lu ch t au s E n g lan d
London Briten
Wessex
K ö n i g r e ic h e u m 6 0 0
I I A ngeln
I I S achsen
J ü te n

Britannien
I I B riten

A usw ahl arch äo lo g isch er F u n d e


GEOEPOOfc-Karte □ S ie d lu n g e n O G ra b h ü g e l

Um das Jahr 4 0 0 ziehen die Römer ihre Legionen aus Britannien ab und überlassen die Region ihrem Schicksal.
Was genau in der Folgezeit geschieht, ist bis heute um stritten. Sicher ist nur: Die germanischen Angeln, Sachsen und Jüten
nutzen das M achtvakuum und siedeln sich im Laufe des 5. Jahrhunderts auf der Insel an. Ihre angestammte Heim at
hingegen verödet. In blutigen W irren erweitern die Invasoren ihr H errschaftsgebiet im m er weiter, einzig das heutige Wales
und Cornwall erobern sie nicht. Viele Briten verlassen das Land und fliehen nach G allien, etwa in die heutige Bretagne.
Jahrhundertelang ringen W arlords um die M acht - bis sich um 600 mehrere stabile Königreiche etabliert haben

Also muss der römische Kaiser auf Imperiums. Rom pumpt viel mehr Geld kein Geldstück stammt aus der Zeit nach
der Insel stets mehrere Legionen statio­ nach Britannien hinein, als es aus der 402 n. Chr. Noch jahrzehntelang werden
nieren, die sich schließlich vor allem Provinz herausholt: Jahr um Jahr ankern im Imperium Romanum Münzen ge­
hinter dem 128 n. Chr. fertiggestellten Frachtsegler in den Häfen von London schlagen, doch kaum eine erreicht mehr
Hadrianswall verschanzen. und anderen Städten, in deren Rümpfen die Insel. Ganz Britannien, so scheint es,
Dieser Limes, ein turmbekrönter Truhen voller Münzen sind, mit denen ist um das Jahr 400 schlagartig der Geld­
Grenzwall mit Militärlagern im Hinter­ Bauern, Händler und Legionäre bezahlt zufluss verweigert worden.
land, riegelt die schmälste Stelle Nord- werden. Dafür liefert die in Teilen äu­
englands von den schottischen H igh­ ßerst fruchtbare Provinz Getreide an die
lands ab und schützt fortan die Provinz römischen Armeen. Zur gleichen Zeit verfallen die britischen
vor Überfallen. Hin und wieder verliert jemand ein Städte. Im antiken Verulamium (St
Man muss sich das England jener Geldstück. Archäologen und Schatz­ Albans) etwa scheinen die Wohnhäuser
Zeit als eine Art riesigen Garnisons­ sucher werden später Tausende Münzen kurz vor 400 aufgegeben zu werden und
standort vorstellcn, versorgt durch die bergen, in allen Regionen Englands, aus zu verfallen, ins leere Theater werfen die
Ressourcen der reicheren Regionen des fast allen Zeiten des Kaiserreiches. Doch letzten Einwohner ihren Müll.

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung 107


Schwertknäufe, ein verbogenes Kreuz (o. r.), ein G oldblech 0-). in das ein Bibelvers g e ritzt ist: Der 2009 gefundene »Schatz von S tafford-
shire« kündet vielleicht von den Raubzügen der Angelsachsen, die auch die Kirchen der Insel verheeren. Denn anders als die Briten sind die
Eroberer keine Christen. M öglicherweise haben Krieger diese Kostbarkeiten als O p fe r an ihre heidnischen G ö tte r in der Erde vergraben

Der Ursprung der mehr als 3500 Einzelteile des Schatzes von Staffordshire - hier ein Schmuckblech in Form zweier A d le r - lässt sich heute
nicht m ehr genau bestimmen. Zu verworren sind die Verhältnisse auf der Insel nach dem A bzug der Römer, zu undurchschaubar die Fehden
der Eroberer. Sicher ist nur, dass der H o rt in einem früheren angelsächsischen M achtzentrum gefunden wird: dem Reich von Mercia

108 GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


Andernorts ein ähnliches Bild: Auf in der Stadt und auf dem Land, im Nor­ Forscher haben dazu in den letzten
den Mauerresten mancher Ruinen liegt den wie im Süden, bei Soldaten wie Zivi­ Jahren etliche Hypothesen aufgestellt.
eine dünne Schicht schwarzer Asche - listen, unter Reichen wie Armen. Keines ihrer Szenarien lässt sich bewei­
ein Zeichen dafür, dass das jeweilige Die römische Zivilisation, die das sen, keines ist in sich widerspruchsfrei.
Gebäude gebrannt hat. Land knapp vier Jahrhunderte lang ge­ Doch deuten manche neue Erkenntnisse
Zwar sind in einer Welt, in der mit prägt hat, verschwindet einfach. in eine bestimmte Richtung. Und so
Holz geheizt und in den Küchen an offe­ Und nichts deutet daraufhin, dass kann man nun versuchen, jene Zeit zu­
nen Feuern gekocht wird, Brände alltäg­ eine feindliche Horde Städte und Villen mindest in Ansätzen zu rekonstruieren.
lich. Selbst die Stadt Rom verwandelt verheert hat: Die Bauwerke vergehen
sich immer wieder in ein flammendes in zufällig ausbrechenden Feuern oder ielleicht war es so: Ende des
Inferno. Doch in der Regel werden die
Bauwerke anschließend wieder errichtet;
über der Brandasche finden Archäolo­
gen später daher Schichten einer Neu­
konstruktion.
verfallen oder werden als Steinbrüche
genutzt. Die Militärlager werden nicht
von Angreifern erstürmt, sondern von
ihren Garnisonen verlassen. Es scheint,
als sei das römische Britannien von sich
V 3. Jahrhunderts ziehen die
Kaiser aus Rom fort, näher
hin zu den zunehmend stär­
ker umkämpften Außengrenzen des Im­
periums. Seither wird das Reich meist
In England ab 400 aber nicht. aus von der Weltbühne abgetreten. von zwei Kaisern in Ost und West re­
Und nirgendwo stoßen Forscher auf giert, um es so effizienter zu verwalten.
Indizien für Kriege, Angreifer oder Plün­ Im Osten blüht bald die Stadt Konstan­
derungen: keine Pfeilspitzen etwa im tinopel auf, die strategisch günstig liegt,
Erdboden, keine Gebeine von Erschla­
genen zwischen den Ruinen.
Die Römer um das Imperium Romanum von dort
aus gegen Feinde vom Balkan oder aus
Viele weitere Gebäude sind zudem Kleinasien zu verteidigen. Im Westen
nicht niedergebrannt, sondern, das be­
weisen Relikte wie ein heruntergestürzter
überlassen die wird Trier zu einer A rt kaiserlichem
Hauptquartier im Ringen gegen Feinde.
Dachstuhl, irgendwann einfach in sich Doch die Bedrohung durch die an­
zusammengefallen. Überdies lassen sich
Insel ihrem brandenden Germanenvölker im Westen

Britannien
hier und da Reste hölzerner Hütten auf wird immer größer: Im Jahr 381 verlässt
Mosaikböden nachweisen: Offenbar hat der kaiserliche H of Trier, zieht sich nach
man nach 400 diese Behausungen in grö­ Südfrankreich, später nach Mailand und
ßere, leere Räume hineingebaut.
Und gelegentlich können Archäo­
Schicksal schließlich bis nach Ravenna zurück.
Und je kritischer die Lage an den
logen nachweisen, dass Monumente sys­ Außengrenzen im Westen wird, desto
tematisch abgetragen worden sind: Im gnadenloser ist der Machtkampf im In­
Verlauf des 5. Jahrhunderts werden bei­ M it den Monumenten verschwin­ neren: Etliche Feldherren putschen und
spielsweise in Wroxeter und Exeter die det auch die Gelehrsamkeit. Kein antiker erklären sich kurzerhand zu Herrschern.
Steine von Basiliken - gewaltiger Markt - Chronist überliefert, wann und warum Im Jahr 383 steigt ein hoher Offi­
und Gerichtsgebäude - bis auf die und wie Britannien verfällt - und dieses zier von Britannien aus in dieses mörde­
Grundmauern fortgeschafft. Niemand um das Jahr 400 einsetzende Schweigen rische Spiel ein: Magnus Maximus, ein
weiß, wer diesen Abbruch organisiert hat. wird fast zwei Jahrhunderte lang währen. Berufssoldat aus armer Familie, der sich
Denn auch über die Jahrzehnte, bis zum Oberbefehlshaber aller Legionen
die auf diesen Zusammenbruch folgen, auf der Insel hochgedient hat. Bald nach­
Auch jenseits der britischen Städte zeigt berichtet so gut wie niemand. dem Gratian, der legitime weströmische
sich überall das gleiche Bild: Kaum ein Text ist überliefert, den Herrscher, seinen H of in Trier verlassen
• die Villen auf dem Land - auf­ Historiker auswerten könnten. Archäo­ hat, rufen Britanniens Legionen Maxi­
gegeben bis auf ein paar Verschlüge, die logen bergen nur wenige und meist rät­ mus zum Kaiser aus.
jemand in den Ruinen errichtet hat; selhafte Zeugnisse aus dem Boden. Der Putschist segelt mit seinen
• die Forts am Hadrianswall - auf­ Bei den Dark Ages stoßen Wissen­ Truppen nach Gallien, wird von Gratian
gegeben bis auf wenige Bastionen;
• •
schaftler an die Grenzen ihrer Kunst. Sie zum Kampf gestellt und besiegt dessen
• die Acker - ebenfalls aufgegeben, können bloß lückenhaft Daten, Ereig­ Truppen; der Kaiser wird erschlagen.
wie Wissenschaftler über Pollenanalysen nisse, Entwicklungen rekonstruieren, und Bald kontrolliert Maximus auch Spa­
in bestimmten Erdschichten herausfin- die Ergebnisse sind oft umstritten und nien und residiert in der alten Kaiserstadt
den, die zeigen, dass auch die Getreide­ widersprüchlich. Trier. Fünf Jahre lang darf er davon träu­
felder veröden und an ihre Stelle wieder Weshalb kollabiert um 400 n. Chr. men, die ganze Macht des Imperiums an
Wildkräuter und Bäume treten. die römische Zivilisation in England? sich zu reißen. 388 fällt er in Italien ein,
Kurz: Britanniens Kultur kommt Und was geschieht in den beiden darauf­ stellt sich dem oströmischen Herrscher
um das Jahr 400 zu einem abrupten Halt, folgenden Jahrhunderten? Theodosius zur Entscheidungsschlacht

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung 109


und wird von den siegreichen Soldaten Holstein leben, mit den Jiiten (aus Dä­ diz dafür, dass die Sachsen von Adeligen
seines Rivalen erschlagen wie ein Hund. nemark) und den Sachsen (von der frie­ angeführt werden?
Heute wäre Maximus wohl nahezu sischen Küste) zu einer Konföderation Auch Friedhöfe sind entdeckt und
vergessen, wenn es nicht seine Revolte vereinen. Möglich, dass die Sachsen in datiert worden, die Toten verraten, dass
gewesen wäre, die England vermutlich diesem Verbund dominieren, sodass die über Jahrhunderte die Bevölkerungszahl
ins Verderben gestoßen hat. Römer die neue Gemeinschaft unter ih­ recht konstant gewesen sein muss. In
Denn zum einen löst sein Staats­ rem Namen kennen. O rten wie Feddersen W ierde werden
streich auf der Insel einen Wirtschafts­ Archäologen haben in den Nieder­ vermutlich jeweils gut 200 Menschen
kollaps aus (oder beschleunigt ihn zu­ landen, auf der deutschen Feddcrsen gelebt haben, und sicherlich zählen An­
mindest): Noch 383, im Jahr seines geln, Sachsen und Jüten zusammen min­
Futsches, haben Englands Bauern, destens einige Tausend Köpfe.
Händler und Schiffer Zehntausende Das war eine große Gemeinschaft
Legionäre mit Getreide versorgt - zwei
Jahrzehnte später keinen mehr.
Vergebens - aber doch keine, die Rom als Gegner
erzittern ließe. Und warum auch? Auf
Zum anderen hat Maximus den einigen Friedhöfen haben sich metallene
Großteil der in Britannien stationierten
Legionen mit auf den Kontinent genom­
bitten Gürtelschnallen erhalten, die Archäolo­
gen in ganz anderen Regionen finden: im
men, um den M achtkam pf im W est­ Imperium Romanum.
römischen Reich zu gewinnen. Seine
Soldaten sind inzwischen gefallen oder die Briten Offenbar also haben Sachsen als
Soldaten in den Legionen des Kaisers
in die Armee des Siegers eingeglicdcrt gedient. Und offenbar sind diese Söldner
worden, und so stehen seit 383 keine nach dem Ende ihrer Dienstzeit in die
regulären Truppen mehr in England.
Britannien muss Fremden wie eine
um Hilfe Heim at zurückgekehrt und waren so
stolz auf ihre Militärkarriere, dass sie sich
offene Schatzkammer erscheinen. Man in römischer Uniform bestatten ließen.
muss bloß noch eintreten und zugreifen.
Völkerscharen des Nordens werden diese W ierde sowie in Dänemark mehrere s mag verwegen sein, mithilfe
Chance ergreifen: die Sachsen.

In den römischen Chroniken tauchen die


saxoni erstmals im 3. Jahrhundert auf. Im
gleichen Jahrhundert werden auch Völker
Ortschaften dieser Sachsen ausgegra­
ben: bäuerliche Siedlungen mit großen
Gebäuden, halb Stall, halb Wohnhaus
und offenbar nach sorgfältigen Plänen
errichtet.
Auf der Feddersen Wierde ist eine
E von ein paar Gürtelschnallen
die Geschichte der Dark Ages
zu schreiben, aber manche
Wissenschaftler haben dies in den ver­
gangenen Jahren gewagt, so der britische
Historiker Guy Halsall.
von den Geschichtsschreibern erwähnt, Ruine so eindrucksvoll, dass die Forscher Ihm zufolge hat Magnus Maximus,
die man „Franken“, „Goten“ und „Ale­ sie als „Herrenhof“bezeichnen - ein In­ der Putschist, selber die Sachsen nach
mannen“ nennt. Dies bedeutet England geholt - und zwar als
allerdings nicht unbedingt, dass Söldner. Die Männer aus dem
cs sich hierbei um gänzlich Norden haben, das beweisen ja
neue Völker handelt. Denn zur die Gräber, häufig in den Le­
gleichen Zeit verschwinden gionen gedient: Außerdem ist
viele ältere Stammesbezeich­ es im Imperium schon lange
nungen, die seit Caesars Zeiten Brauch, germanische Kämpfer
gebräuchlich waren, aus den in Dienst zu stellen.
Berichten. Was also tut der Usurpa­
Offenbar ist es eher so, tor? Er geht mit seinen Trup­
dass sich in Germanien nach pen auf den Kontinent in den
und nach kleinere, schon Cae­ Machtkampf, doch lässt er in
sar bekannte Völkerschaften seiner Abwesenheit Britannien
seit dem 3. Jahrhundert zu grö­ nicht schutzlos zurück, sondern
ßeren Verbänden unter neuen stationiert dort eilig angewor-
Namen zusammenschließen. bene sächsische Krieger. Diese
Warum? Wann genau? Und Söldner werden von Werbern
wie organisiert? des Maximus angelockt, sie
Niemand weiß es. Für die Angelsachsen ist das römische werden mit römischen Münzen
Sicher ist nur, dass sich Britannien eine gewaltige Schatzkammer, bezahlt, sic gelangen vielleicht
die Angeln, die in Schleswig- deren Tür offen steht (Schm uckknopf) sogar auf römischen Schiffen

110 GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


Britannien

Nach und nach schließen sich die germanischen Invasoren zu immer größeren Gruppen zusammen. Im Osten der Insel gründen Krieger
vom Stamm der Angeln ein Herrschaftsgebiet, das sie »East Anglia« nennen. Um 600 ist dieses Reich bereits so mächtig, dass einer seiner
Anführer in einem gewaltigen Schiffsgrab beigesetzt wird - mitsamt diesen prunkvollen Schulterstücken (Fund aus Sutton Hoo)

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung 111


••

Als Archäologen im Jahr 1939 den G rabhügel von Sutton H oo öffnen, stoßen sie auf die Überreste eines rund 30 M eter langen Schiffes, in
dessen Innerem ein hoher A d e lig e r bestattet worden ist. Die G rabbeigaben, wie diese Gürtelschnalle, beweisen die hohe K unstfertigkeit der
Angelsachsen. D och die A rt der Bestattung deutet darauf hin, dass die Eroberer um 600 noch im m er teilweise heidnischen Sitten folgen

über die Nordsee. Und sie werden auf England an; zudem landet noch Verstär­ verzweifelter Briten erreicht: E r möge
strategische Positionen verteilt. kung aus der Heimat an der Küste. ihnen beistehen! Das bedeutet, dass auch
Tatsächlich finden sich viele der noch zu dieser Zeit Kämpfe zwischen
ältesten archäologischen Spuren der ie Ex-Söldner folgen dabei Briten und Sachsen toben, aber nicht
Sachsen in England auf einer Achse von
Kent im Süden über York bis an den
Hadrianswall - also dort, wo noch kurz
zuvor Legionen stationiert waren.
Nach dem Scheitern von Maximus
D keinem Masterplan und erst
recht keinem obersten König.
Man muss sich dieses Ringen
vielmehr als Kampf versprengter Solda­
tenhaufen unter selbst ernannten War-
entschieden sind. Aetius jedoch hat viel
zu wenige Soldaten unter seinem Kom­
mando, um auch nur einen von ihnen auf
die Insel zu schicken.
De facto gibt Rom damit das Land
aber stehen diese Söldner plötzlich in der lords vorstellen, jeweils mit dem Ziel, ein Britannien verloren, da sein oberster
Fremde: ohne Geld, ohne Schiffe, um Tal, ein altes Römerlager, einen wichti­ Feldherr keinen Versuch unternimmt,
wieder in die Heimat zurückzusegeln. gen Hügel unter Kontrolle zu bringen. es zu verteidigen. Und auch die Briten
Doch müssen sie das überhaupt? Nun bricht überall das Chaos aus, scheinen begriffen zu haben, dass ihnen
Die Sachsen leben ja in einer rei­ allerorten entbrennen Kämpfe - es kein Kaiser helfen wird. Mehr noch: dass
chen, fast wehrlosen Region. kommt zum Kollaps der Zivilisation. sie nicht länger zum Imperium gehören.
Boten werden nach Germanien ent­ Indizien? Der Feldherr Aetius, der Viele von ihnen fliehen jedenfalls
sandt, um Verstärkung zu holen. Und so letzte große General Westroms, zieht 448 um die Mitte des 5. Jahrhunderts von der
greifen die Fremden von innen heraus in in Gallien ein, als ihn eine Gesandtschaft Insel nach Gallien, wo noch die letzten

112 GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


Legionen kämpfen, wie ein Chronist ist um das Jahr 600 ein bedeutender Mensch zur ewigen Ruhe gelegt wurde,
berichtet. Eine Region, in der sie sich Mann bestattet worden. Der Leichnam der nicht der römischen Kirche folgte.
niederlassen, ist noch heute nach ihnen wurde in ein Boot gelegt und mit H un­ Auch das Schiff, in dem er liegt,
benannt: die Bretagne. derten Tonnen Erdreich bedeckt. Der spricht ja dafür: Symbolisiert es wo­
Zugleich, das zeigen archäologische Leib des Geehrten ist längst verwest, von möglich den heidnischen Glauben daran,
Funde, verödet die ursprüngliche Heimat dem fast 30 Meter langen Boot zeugen dass ein Segler den Toten ins Jenseits
der Sachsen. Auf der Feddersen Wierde bringt?
wird der Herrenhof aufgegeben, die we­ Sicher ist, dass eine Gemeinschaft,
nigen Häuser, die im 5. Jahrhundert neu die einem einzigen Menschen so ein
gebaut werden, sind kleiner, primitiver,
die Ortschaft wirkt ungeplant. Andere
Aus Grab errichten kann, ziemlich groß, sta­
bil und wohlhabend gewesen sein muss;
Siedlungen werden ganz verlassen. Und ein kleiner Kriegertrupp aus Briten oder
auch hier verschwinden in manchen Erd­
schichten alle Pollen von Nutzpflanzen, Warlords Sachsen jedenfalls kann so etwas nicht
geschaffen haben.
die Felder liegen offenbar brach. W ie viele M änner mögen ein 30
So mögen also um 450 viele Briten
aus der Heimat fliehen, während in einer werden M eter langes Schiff von der Nordsee
über den Fluss Deben gebracht und
gegenläufigen Bewegung Angelsachsen schließlich über Land gezerrt haben?
auf die Insel strömen. (Denn wo sonst (Und von wem und wo und zu welchem
sollten die Einwohner von der Feddersen
Wierde und ihre Nachbarn hingegangen
Könige Zweck ist dieses Schiff überhaupt gebaut
worden?) Wie viele Männer mögen Erde
sein? Man hat auf dem Kontinent jeden­ darübergeschaufelt haben? W ie lange
falls bis heute keine Spuren neuerer An­ wird am Monument gearbeitet worden
siedlungen gefunden.) vor -allem die Eisennieten, die seine Plan­ sein? Monate? Jahre?
ken einst zusammenhielten. Es muss eine relativ mächtige
Erhalten haben sich jedoch viele Gruppe gewesen sein, groß genug für

Britannien
England versinkt nun in Jahrzehnten Grabbeigaben, etwa ein Helm, der mit diese Arbeiten und selbstbewusst genug,
lokaler Fehden. Es kommt nicht zu einer Mustern verziert ist, wie sie auch in Ger­ um zu glauben, dass man hier einen
einzigen, heroischen Schlacht der Briten manien und Skandinavien populär waren, Kultort für die Ewigkeit schafft - und
gegen die Sachsen —vielmehr liefern sich was vielleicht bedeutet, dass hier ein nicht einen Platz, den man vielleicht
kleine Gruppen endlose Scharmützel.
Und oft genug sind manche sächsische
und britische Horden sogar unterein­
ander verbündet und bekämpfen andere
sächsisch-britische Haufen.
Niemand, so scheint es, kümmert
sich auf der Insel in dieser Zeit um den
Rest Europas. Niemand schreibt Berichte
für die Nachwelt, wahrscheinlich kann
auch kaum noch jemand schreiben.
Niemand kümmert sich mehr um
G o tt und die Kirche. Niem and, so
scheint es, reist noch übers Meer. Für die
Zeitgenossen auf dem Kontinent - für
die letzten Römer, flir die germanischen
Sieger, für den Papst und die Bischöfe -
muss es so sein, als verschwinde das alte
Britannien hinter einem Nebel.
Niemand im Rest Europas weiß,
was auf der Insel geschieht. Doch es
müssen sich Dramen abspielen: Denn als
sich der Nebel nach Jahrzehnten endlich
wieder lichtet, sieht England fundamen­
tal anders aus. Männer zwischen zwei Bestien: Das Motiv, das auf diesem Deckel einer Geldbörse aus dem
Im Jahr 1939 wird in Sutton Hoo Grab von Sutton Hoo prangt, ähnelt skandinavischen Darstellungen. Vermutlich stehen die
bei Ipswich ein Grabhügel geöffnet. Dort wilden Tiere für zwei Eigenschaften, die jeder Herrscher benötigt: Stärke und Mut

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung 113


schon nächstes Jahr wieder an einen Feldherrn Aetius vergebens um Hilfe
Rivalen verlieren könnte. gebeten haben.
Erstaunlich nur: Wieder sind es die
m das Jahr 600 also scheint
Nach Insulaner, von denen die Initiative aus­

U aus dem Chaos so etwas wie


eine neue Ordnung zu er­
wachsen. Die Fürstentümer
200 Jahren
leisten sich Monumente wie Sutton Hoo,
die Menschen verfügen über die Res­
sourcen, um sie zu errichten. All dies
geht. Es ist König TEthclbcrht, der den
Papst bittet, einen Missionar zu schicken,
der sein Volk zum Christentum führt.
W ie hat er das getan? Vermutlich
hat er einen Boten mit einem Brief ge­
schickt. Das aber bedeutet, dass der
bedeutet, dass die Epoche der Warlords
offensichtlich vorbei ist.
lichtet sich die König recht genaue Vorstellungen von
Europa und vom Aufbau der Kirche ge­
Indizien deuten daraufhin, dass in habt haben muss - und dass er oder ein
Sutton I Ioo König Raedwald von East
Anglia begraben sein könnte. Aus unzäh­
Finsternis I Iöfling sehr wohl schreiben konnte.
597 tritt /Ethelberht von Kent aus
ligen Kleinfürstentümern haben sich den Dark Ages auf die Bühne der Welt­
inzwischen vermutlich größere Königrei­ geschichte —und er agiert gleich so wie
che gebildet, die England unter die zeitgenössischen Franken-,
sich aufgeteilt haben: neben Goten- oder Langobardenherr­
East Anglia im Osten etwa scher, die von den Chronisten
Wcssex im Süden und Westen, niemals vergessen worden sind.
Mercia im Zentrum, Northum- W arum w endet sich
bria im Nordosten und Kent im /Ethelberht an Rom? Weil viele
Südosten. seiner Untertanen irgendwie
Manche Reiche tragen im doch Christen sind? Jeden­
Namen noch Erinnerungen an falls gelingt es Augustinus und
ihre wohl turbulente G rün­ seinen Nachfolgern, binnen
dungsphase: East Anglia, die weniger Jahrzehnte erst Kent
„östlichen Angeln“. Wessex, die zu christianisieren und dann
„westlichen Sachsen“. W ie ge­ ganz England. Ist dieser Erfolg
nau sie entstanden sind, ist ein vielleicht dadurch zu erklä­
Rätsel. Hatten sich die War­ ren, dass der Glaube nie ganz
lords am Ende so sehr dezi­ untergegangen ist? (W ie aber
miert, dass schließlich nur noch passt das zu dem Schiffsgrab
wenige übrig blieben? Oder von Sutton Hoo? Haben sich
sind die großen Reiche, wo­ hier womöglich heidnische
möglich friedlich, aus Bündnis­ und christliche Elemente ver­
sen vieler kleiner Fürstentümer mischt?)
hervorgegangen? yEthelberht mag zudem
Sicher ist nur, dass in die­ noch ein weiteres Motiv gehabt
ser Zeit auch die Chronisten haben: Er hat einige Jahre
nach England zurückkehren. zuvor Bertha geheiratet, eine
Es sind Geistliche, die von Prinzessin aus dem fränkischen
einem jener Monarchen selbst Königshaus - eine Christin.
ins Land g eho lt werden: Dass die Franken über­
yEthclbcrht von Kent. haupt eine Prinzessin nach
597 trifft der von Papst England weggeben, beweist
Gregor dem Großen entsandte zudem, dass es auch schon vor
Missionar Augustinus in Eng­ 597 Kontakte zwischen ihnen
land ein. Seine Reise ist der und Kent gegeben haben muss,
erste gut dokumentierte Kon­ sie hätten eine der Ihren wohl
takt zwischen der Insel und kaum ins Unbekannte segeln
dem Rest Europas nach an­ lassen. Auch die ersten M ün­
derthalb Jahrhunderten Stille zen, die nach den Dark Ages in
- seit jenem Jahr, in dem die England geprägt werden, ah­
B riten den weström ischen men fränkische Vorbilder nach:

114 GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


Als die angelsächsischen Herrscher im Laufe des 7. Jahrhunderts Christen werden, endet die Epoche der weitgehenden Isolation. Fortan ist
Britannien ein Teil des Abendlandes - verbunden durch Handelswege, die Religion und politische Allianzen. Im 11. Jahrhundert aber müssen
sich die Eroberer von einst neuen Invasoren beugen: erst den W ikingern, dann den Normannen (A d le r-O rn a m e n t aus Sutton H oo)

Um 600 laufen thrymsas genannte Geld­ ganzen Volks durchsetzen. Warum dann Möglich ist das schon, wahrschein­
stücke um, ihr Name ist eine Verschlci- also Englisch? Vielleicht weil die Angrei­ lich ist cs nicht. Viel wahrscheinlicher ist,
fung des lateinischen tremissis - so hei­ fer fast alle Briten, die nicht rechtzeitig dass niemals mehr Licht fallen wird auf
ßen die Münzen in Gallien. In manchen in die Bretagne oder in die Highlands jene zwei Jahrhunderte, in denen es dun­
Ortschaften, Ipswich zum Beispiel, wer­ flohen, niedermetzelten, sodass am Ende kel wurde in Britannien. £
den nun auch wieder Töpferwaren und kaum noch jemand blieb, der die alte
andere Produkte des Kontinents gehan­ Sprache beherrschte? G E O E P O C H E -A utor C ay R adem acher,
delt. Kurz: Politisch, religiös und kom­ Verbirgt sich im großen Schweigen Jg. 1965, hatte im Studium der A lten Ge­
merziell ist England um 600 im mittel­ womöglich das Schweigen über einen schichte nur gelegentlich m it Britannien und
alterlichen Europa angekommen. großen Mord, wie britische Geschichts­ seinem rätselhaften Ende zu tun —obwohl
So könnte es gewesen sein. schreiber lange vermutet haben? Gegen doch der Kollaps einer K ultur höchste
diese These spricht, das weder archäolo­ Aufmerksamkeit verdient hätte.
gische Funde noch neuere DNS-Unter-
Oder hat es sich ganz anders zugetragen? suchungen sie stützen.
Ist es noch viel brutaler, viel rücksichts­ Werden wir also je genau erfahren, LITERATUREMPFEHLUNGEN: Guy Hal­
loser zugegangen? Um 400 spricht nie­ was in den Dark Ages geschah? Liegt sall, „Worlds of Arthur. Facts and Fictions
mand auf der Insel Englisch, sechs bis irgendwo ein Fürstengrab, dessen Schatz of the Dark Ages “. Oxford University Press:
sieben Generationen später ist es das das Rätsel erhellen könnte? Verbirgt sich bringt auf bewundernswert klare Weise, so­
vorherrschende Idiom der Insel gewor­ in den Ruinen einer römischen Villa eine weit das möglich ist. Licht in die dunkelsten
den. Noch zweimal haben im Mittelalter Spur, die darauf hindeutet, wohin die beiden Jahrhunderte englischer Geschichte.
Fremde England unterworfen, die W i­ Besitzer verschwunden sind? Ruht in Helena Hamerow (Hg.). „The Oxford Hand-
kinger und die Normannen. Doch nie­ irgendeiner vergessenen Bibliothek die book of Anglo-Saxon Archaeology“, Oxford
mals konnten sich Dänisch oder Nor- Handschrift eines Chronisten, der jene University Press: ein umfangreicher Über­
mannisch/Französisch als Sprache des Epoche entwirrte? blick fast aller Funde aus den Dark Ages.

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung 115


Die Langobarden - 1. bis 8.Jh. n. Chr.

VON DER ELBE AN


DIE ADRIA
Es ist der letzte Zug der Völkerwanderung: 568 erscheinen die Langobarden unter
ihrem König Alboin in Italien und erobern in kurzer Zeit große Teile der Apenninen-Halbinse
Fast 200 Jahre währt die Herrschaft jenes Stammes, der einst nahe der Nordsee siedelte
Text: SIMONE BERNARD: Karte: CHRISTIAN KUHLMANN

• •

m Frühjahr 568, rund 80 Jahre nach eigenhändig den Gepidenkönig, erzwingt M it dieser Invasion endet die Ara der

T der Eroberung Italiens durch die


Ostgoten (siehe Seite 118), drängen
erneut Abertausende germanische
Krieger über die Ausläufer der Alpen
Land. Es sind Kämpfer des Langobar­
denkönigs Alboin, der in Italien Reich-
seine Heirat mit dessen Tochter - und
wendet sich anschließend gen Italien.

ins
Alboin führt einen Zug von rund
30 000 Kriegern und deren Familien auf
die Apenninen-I lalbinsel: insgesamt
wohl 100000 Menschen, unter die sich
Völkerwanderung.
Alboin, der sich um 570 zum Herr­
scher über Italien ausrufen lässt, gelingt
cs jedoch nicht, die gesamte Apcnnincn-
I lalbinsel zu unterwerfen.
Sein Heer zerfällt bald nach der
tümer und eine neue Heimat für seinen auch Bulgaren, Gepiden und einige Tau­ Ankunft in einzelne Verbände, deren
Stamm gewinnen will. send Sachsen gemischt haben. Anführer nun eigenmächtig weitere Ge­
Lange Zeit haben die Langobar­ Offenbar erscheint Italien dem biete erobern.
den zuvor im heutigen Norddeutschland Langobardenkönig als leichte Beute. Bis zu Alboins Tod im Jahr 572 ent­
gelebt. Antike Historiker erwähnen die Das einstige Herzland des Imperium stehen auf diese Weise mehr als 30 eigen­
Völkerschar (deren Name „Langbärte“ Romanum steht seit 552 wieder unter ständige langobardische Herzogtümer,
sich von der wilden Barttracht ihrer römischer Herrschaft: In einem fast die sich rings um die Städte in der Lom­
Krieger herleitet) erstmals kurz nach der 20-jährigen Krieg hat es der oströmische bardei, der Toskana und in weiten Teilen
Zeitenwende als kleine, am Unterlauf der Kaiser Justinian I. von den Ostgoten zu­ Süditaliens erstrecken.
Elbe siedelnde Gruppe von Viehhaltern. rückerobert. Als jedoch 584 ein Einmarsch der
Die M änner gelten als besonders gute Doch das Land, über das nun ein Franken droht, ernennen die Herrscher
Kämpfer und leisten häufig Kriegsdienst Statthalter Konstantinopels regiert, liegt des Nordens wieder einen gemeinsamen
für andere germanische Fürsten. darnieder: Städte, das Ackerland, Straßen Regenten - und wehren den Angriff
Im 2. Jahrhundert n. Chr. wandern und Wasserleitungen sind im Verlauf unter dessen Oberbefehl erfolgreich ab.
etliche Langobarden nach Süden - zu­ der Kämpfe mit den Ostgoten verwüstet Nun entsteht in der dortigen Region
mindest dringen im Jahr 167 Krieger des und zerstört worden. Pestausbriiche und ein dauerhaftes Reich, dessen Könige
Stammes über die Donau ins Römische Hungersnöte haben unzählige Opfer ge­ in Pavia residieren, während die Fürs­
Reich ein. Danach verlieren sich ihre fordert. Zudem setzen Rebellionen ver­ ten des Südens weitgehend unabhängig
Spuren, bis die Langbärte um 490 wieder einzelter Gotengruppen sowie Einfälle bleiben.
auszumachen sind: Chronisten berichten, der Franken und Alemannen dem neuen Alle Versuche Ostroms, die Lango­
dass sie sich in dieser Zeit im heutigen Regime zu. barden wieder aus Italien zu vertreiben,
Niederösterreich ansiedeln. Und so können die Langobarden scheitern. G ut 200 Jahre herrschen sie
Die Gruppe lässt sich schließlich nahezu widerstandslos binnen zwei Jah­ fortan, von Konstantinopel schließlich
südlich der Donau im heutigen Ungarn ren die nördliche Po-Ebene erobern; ein­ offiziell anerkannt, über die heutige
nieder, wo sie schon bald in schwere zig die Stadt Pavia ergibt sich erst nach Lombardei, die Toskana und große Ge­
Kämpfe mit den Gepiden verwickelt längerer Belagerung. biete Süditaliens - bis Europas neuer
ist, einem benachbarten germanischen Es ist das letzte Mal, dass ein mächtiger Mann, der Frankenkönig Karl
Stamm. Im Jahr 567 gelingt König germanischer Verband Gebiete des ehe­ der Große, weite Teile ihres Territoriums
Alboin der entscheidende Sieg: Er tötet maligen Weströmischen Reichs besetzt: im Jahr 774 erobert. £

116 GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


DAS R E I C H DE R L A N G O B A R D E N

Siedlungsgebiet im
1. Jahrhundert

Wanderung zwischen dem 2. und 5. Jahr


hundert ins heutige Niederösterreich,
später auch weiter die Donau hinab

Siedlungsgebiet
von ca. 490 bis 568

Eroberung der Cividale


Po-Ebene 568/569
Mailand Verona

• Ravenna

Eroberung
Pavias 572

Eroberung Mittel- und


Süditaliens ab 571

langobardische Territorien um 600,


geteilt durch ein schmales Gebiet,
Jas zum Oströmischen Reich gehört

GEOEPOCHE-Karte

••

167 n. Chr. dringen die Langobarden von der Elbe aus erstmals ins Römische Reich ein. Um 490 siedeln sie in Österreich, bald darauf
in Ungarn. Erst in Italien, wo sie 568 einfallen, finden sie eine dauerhafte Heimat: Fast 200 Jahre lang herrschen sie über einen Großteil der
Halbinsel. Doch nördlich der Alpen ist eine neue Großmacht aufgestiegen, die die Langobarden schließlich unterwirft: das Frankenreich

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung 117


T h e o d e ric h u n d d ie O s tg o te n - 4 9 3 n. Chr.

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GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


D e r S tre it um den w estlichen
Teil des R öm ischen Reiches
g ip fe lt 493 in einem D u e ll M ann
gegen M ann: D e r ostg o tisch e
K ö n ig T h e o d e ric h erschlägt
seinen K o n tra h e n te n O doaker.
D ie eigens fü r diesen Text ange­
fe rtig te n Illu s tra tio n e n sind
vom S til d e r M osaiken in s p irie rt,
d ie zu r Z e it T h e o d e rich s in
Ita lie n entstanden

Im Taumel d e r V ö lk e r ­
w a n d e ru n g e r s t i r b t das
w e s trö m is c h e K a is e rtu m .
Zw ei G e rm a n e n rin g e n
ansch ließ e n d in Ita lie n
e r b i t t e r t um das Erbe des
Im p e r iu m R o m a n u m .
D e r O s t g o t e T h e o d e r ic h
t r i u m p h i e r t - und f o r m t
ein neues Reich, das ü b e r ­
raschend die alten G la n z ­
z e ite n w ie d e r b e le b t
Text : J E N S - R A I N E R B E R G

Illustrationen: TIM W E H R M A N N

miKay

® «8 ■ ■

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung 119


Gote, ein langhaariger, unerbittlicher lichen Einigung geplant war, greift
Kriegerkönig. Ihm gegenüber: Odoaker, Theoderich kurzerhand selbst zur Waffe.
ein germanischer Skire, auch er ein ge­ Odoaker stirbt vor seinen Füßen.
stählter Kämpfer. Und kurz darauf kommen noch viel
Theoderich holt aus - und spaltet, mehr Menschen ums Leben: Theode­
so berichten es die Chronisten, mit ei­ richs Männer bringen alle Gefolgsleute
nem einzigen, mächtigen Schlag den des Skiren um, die sie ergreifen können,
Körper seines Gegners, hinab bis zur töten Odoakers Bruder mit Pfeilen, die
Hüfte. „Nicht einmal Knochen scheint sie in die Kirche schießen, in der er sich
das Scheusal im Leib zu haben“, schickt verschanzt hat, ergreifen seine Frau und
er seinem Hieb abschätzig hinterher. lassen sie qualvoll verhungern.
Brutal und gnadenlos ist die Tat. Damit ist der Streit der beiden
Und intrigant dazu. Denn eigentlich soll­ Germanenführer um das Vermächtnis
ten beide gemeinsam regieren. Fast vier Roms entschieden, und er hinterlässt
Jahre lang haben die zwei Kontrahenten einen dichten Schleier von Blutrot. Einer
zuvor um Italien gekämpft, das frühere Farbe, ganz ähnlich jener, die als Purpur
römische Kernland; nach mehreren Feld­ jahrhundertelang die römischen Kaiser
So weit ist es also gekommen: Zwei ger­ schlachten hat Theoderich Odoaker zwei in Italien trugen. Nun aber wird Theo­
manische Barbaren aus dem Osten strei­ Jahre lang in Ravenna belagert - bis der derich mit seinen gotischen Scharen eine
ten sich um das Erbe Roms. Mitten im Kompromiss der Doppelherrschaft ge­ neue Herrschaft errichten.
Herzen des einstigen Weltreichs, das sich funden wurde. Und doch: Auch ein anderer Blick
immer für seine verfeinerte Zivilisation Doch keine drei Wochen später bit­ auf das Geschehen ist möglich. Denn
gefeiert hat, gehen sie aufeinander los, tet Theoderich seinen Rivalen zu einem zugleich haben hier zwei hochdeko­
und es fließt Blut. Viel Blut. M ahl in den Kaiserpalast. Kaum ist rierte römische Bürger gegeneinander
In der italienischen Kaiserstadt Odoaker eingetreten, halten ihn Kämpfer
Ravenna, in einem ehemaligen Palast des Gastgebers an den Händen fest. Als
der Imperatoren hebt Theoderich vom kein anderer aus Theoderichs Gefolge
Stamm der Amaler am 15. März des Jah­ den Mord ausführen will, der insgeheim
res 493 sein Schwert. Theoderich ist wohl schon seit Beginn der vermeint­

ü»ntin

Spätestens seit dem


Jahr 450 ist das römische
Italien schwer umkämpft:
••

durch Überfälle von


außen wie durch Macht­
konflikte im Inneren
(Streitaxt)

120
gekämpft. Odoaker war früher im römischen M ilitär Karriere
Elitesoldat in der Garde des gemacht hatte: Odoaker.
weströmischen Kaisers, ein ho­ Bei den entscheidenden
her Militär auf vertrauensvollem Gefechten fiel der Heermeister,
Posten. Und Thcoderich hat in Odoaker triumphierte.
seiner Jugend zehn Jahre am H of Wenig später, im September
des oströmischen Imperators in 476, setzte der Sieger auch den
Konstantinopel zugebracht, hat jugendlichen Kaiser Romulus
dort Geometrie und Rhetorik ab - ernannte aber keinen Nach­
gelernt, Griechisch und wahr­ folger. Vielmehr sandte Odoaker
scheinlich auch Latein. Mantel, Zepter und Diadem, die
Längst ist ja in dieser Kri- kaiserlichen Insignien, an den
senzcit des Im periums nicht H of des oströmischen Imperators
mehr klar, was Innen ist und was nach Konstantinopel. Er brauchte
Außen, was römisch und was sie nicht mehr, denn er hatte sich
barbarisch - haben die Identitä­ von seinen Truppen zuvor zum
ten und die Machtverhältnisse rex Italiae ausrufen lassen, zum
ihre Eindeutigkeit verloren. König über Italien.
Und so verwundert es nicht, Ein historischer Moment:
dass gerade der Gote Theoderich, Ein Barbar putscht sich im Her­
der langmähnige Barbar, der mit zen des Westreichs mit einem
seinem M ord an Odoaker die neuen H errschertitel an die
Macht in Italien übernimmt, in Macht und legt das Amt des Im­
den kommenden Jahrzehnten so perators einfach still (für immer,
etwas wird wie der bessere, der wie sich herausstellcn wird). Da­
erfolgreichere Kaiser - ohne frei­ mit hört das weströmische Kai­
lich je den Imperatorentitel zu tragen. kriegsähnlichem Streit. Kaiser wurden in sertum auf zu existieren, mehr als 500
Denn im Prinzip ist das römische Putschen hinweggefegt oder ermordet. Jahre nachdem Augustus zum ersten
Kaisertum im Westen bereits einige Jahre In den 20 Jahren nach dem Einfall Imperator emporgestiegen ist.
zuvor untergegangen. Spätestens seit der Vandalen amtierten neun verschie­
M itte des 5. Jahrhunderts waren die dene Regenten an der Spitze des West­ ahrscheinlich erkennt
obersten Herrscher, die von Italien aus römischen Reichs, immer wieder unter­ Odoaker, dass der Kai­
über die westliche Hälfte des geteilten brochen durch monatelange Phasen, sertitel überflüssig ge­
Imperium Romanum geboten, politisch in denen gar kein Kaiser den Thron worden ist, diese Rolle
massiv geschwächt. In großen Teilen besetzte. Die tatsächliche M acht war durch ihre Schwäche sogar destabili­
ihres offiziellen Territoriums hatten in­ in dieser Zeit ohnehin längst auf die sierend wirkt. Doch er ist klug genug,
zwischen Germanen die Macht an sich Heermeister übergegangen, die höchsten keinen Bruch mit dem weiterhin amtie­
gebracht: Westgoten in Südfrankreich, Offiziere des Reichs. Sie kontrollierten renden oströmischen Kaiser Zcnon in
Vandalen in Nordafrika, Franken und viele der Herrscher wie Marionetten. Konstantinopel zu wagen.
Burgunder im Norden und Südosten Im Jahr 475 hob einer dieser Heer­ Und so unterstellt er sich dessen
Frankreichs, in Belgien und der Schweiz. meister seinen minderjährigen Sohn Schirmherrschaft, auch wenn er in Italien
So war vom einstigen weströmi­ Romulus auf den Thron - passendes fortan durchaus eigenmächtig regieren
schen Imperium am Ende nur noch ein Symbol für die inzwischen erreichte Un­ will. Zu groß ist das politische Gewicht
Rumpfgebiet übrig geblieben, zu dem
___ • •
mündigkeit des ehrwürdigen Amtes. des Ostherrschers, um sich von ihm zu
neben Italien etwa Dalmatien und Ös­ Romulus wurde der letzte Kaiser. lösen, sich ihm gar entgegenzustellen.
terreich gehörten. Mehrfach attackierten Denn der Heermeister verdarb es Deshalb lässt Odoaker eine Ge­
feindliche Truppen das weströmische sich mit seiner Machtbasis. Er verwei­ sandtschaft an den Bosporus reisen, die
Herzland. 452 fiel der Hunne Attila im gerte seinen Soldaten - mittlerweile zum den Segen des Imperators einholen soll.
Norden ein. Drei Jahre später plünderten großen Teil germanische Kämpfer, die als Zenon laviert, als die Diplomaten
die Vandalen die Stadt Rom. Söldner im Dienst des Imperiums stan­ eintreffen. Er kann die Machtübernahme
den - den von ihnen geforderten höheren in Italien nicht einfach so hinnehmen
Lohn. Die Soldaten rebellierten darauf­ (nicht zuletzt weil es in Dalmatien im­
Fast noch fataler wirkten sich jedoch die hin, angeführt von einem 43-jährigen mer noch einen Römer gibt, der berech­
innenpolitischen Kämpfe aus: T ief ver­ Offizier aus ihren Reihen, einem aus dem tigte Ansprüche auf das westliche Kai-
feindete Parteien und Lager in der römi­ heutigen östlichen Ungarn stammenden scramt erhebt). Also erkennt Zcnon
schen Elite verzehrten sich in bürger­ Germanen vom Stamm der Skiren, der Odoaker offiziell nicht an. Aber er gibt

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung 121


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;
Vom Balkan
aus ziehen T heo
derich und seine
O s tg o te n 4 8 8 /8 '
nach Ita lie n , um
das reiche Land
zu erobern. G u t
100 0 0 0 M ensch
begeben sich mi
P ferden und O cl
senkarren a u f de
1500 K ilo m e te r
langen W eg:
Frauen, K inder,
Bauern - und vo
allem K rie g e r
den Gesandten dennoch zu ver­ gelingt, dessen Reich zu erobern,
stehen, dass er ihn bis auf Weite­ wird der Ostkaiser ihn dort als
res defacto als neuen Herrscher neuen Herrscher anerkennen, als
akzeptiert. seinen Stellvertreter im Westen.
Zcnon traut Odoakcr nicht, Zcnon treibt höchstwahr­
aber er will vor allem Zeit gewin­ scheinlich ein perfides Kalkül. Er
nen. Er hat zu viele Probleme hofft vermutlich, dass sich zwei
daheim, um sich um die Vor­ für ihn bedrohliche Barbaren ge­
gänge im Westen zu kümmern. genseitig zermürben, vielleicht
Denn nicht nur Intrigen am sogar vernichten.
eigenen H of setzen ihm zu: Seit Im m er stärker näm lich
einiger Zeit muss er sich auch misstraut Zenon auch Odoaker,
mit einem aufstrebenden Germa­ der in Italien einigermaßen er­
nen auseinandersetzen - einem folgreich regiert. Er fürchtet, dass
Kämpfer, der schließlich Odoaker sich der Skire irgendwann gegen
zum Verhängnis werden wird. Konstantinopel wenden könnte;
schon gibt cs Gerüchte, Odoaker
W wei große gotische paktiere mit einem Rebellenfüh­

2 ’ Kriegergruppen ziehen
in diesen Jahren durch
-d den Balkan, der über­
wiegend zum Herrschaftsbereich
Ostroms zählt. Die Vorfahren
dieser Kämpfer sind ursprüng­
rer im Ostreich.
Theoderich, der selbstbe­
wusst und stark genug ist, frei zu
entscheiden, muss seinerseits ei­
nen Reiz an dem Angebot finden.
Italien, das historische Herz
lich, wie viele andere Germanen, des Imperiums, gilt immer noch
durch den Vorstoß der Hunnen als bedeutendes, prestigeträchti­
in das Reichsgebiet gedrängt worden. eine Allianz der Goten mit dem oströmi­ ges Territorium. Zudem ist die Region
Beide Gruppen zählen zu jenem Teil schen Kaiserhaus. trotz der vielen Kämpfe in den Jahrzehn­
der gotischen Völkerschaft, den Chro­ Nach der Rückkehr zu seinem ten zuvor weiterhin sehr wohlhabend -
nisten später „Ostgoten“ nennen werden Stamm dient Theoderich mit seinen zumal verglichen mit jenen zerklüfteten,
(andere Trupps, die schon bald weiter eigenen Truppen als hoher Offizier kargen Gegenden des Balkans, in denen
in Richtung Mitteleuropa ziehen, wer­ für den Kaiser in Konstantinopel und sich Theoderich
99
in letzter Zeit oft be-
den als „Westgoten“ bezeichnet; siehe kämpft in dessen Auftrag unter anderem wegt hat. Überdies hat der Gote erst vor
Seite 42). gegen die andere Gruppe der Ostgoten; Kurzem seine Gefolgschaft vergrößert;
W eil die O stgoten m ilitärisch dann aber verliert er seine römischen militärische Erfolge in Italien könnten
schlagkräftig sind, hat sich inzwischen Ehren wieder, weil er auf Reichsgebiet seine Stellung als König festigen.
ein heikles Wechselspiel mit dem Kaiser geplündert hat - gewinnt die imperiale Und so nimmt der Barbarenherr-
von Konstantinopcl ergeben: Mal kämp­ Position und Wertschätzung bald darauf schcr den Vorschlag tatsächlich an. Und
fen sie - für Geld oder Land - als Ver­ allerdings ein zweites Mal. begibt sich auf sein bislang gewagtestes
bündete des Imperators gegen dessen Doch als Theoderich den Anführer Unternehmen.
innere und äußere Feinde, mal bedrohen der zweiten Gotengruppe tötet, beide
sic ihrerseits den Herrscher, um Vorteile Scharen unter seiner Herrschaft vereinigt
für sich herauszuschlagen. und so seine Anhängerschaft mit einem Spätsommer 488. Fast 1500 Kilometer
Anführer der einen Gruppe ist der Schlag verdoppelt, wird er für Konstan­ liegen vor ihm, als Theoderich im O rt
gotische Fürstensohn Theoderich aus tinopel zur unkontrollierbaren Größe. Novae nahe der Donau, in einer Region
dem einst in Ungarn siedelnden G e­ Thcodcrichs Verband ist nunmehr des heutigen Bulgarien, das Signal zum
schlecht der Amaler, im Jahr 474 als etwa mit gut 20 000 Kriegern eine der größ­ Aufbruch gibt.
21-Jähriger zum König aufgestiegen, ge­ ten Streitmächte der gesamten germani­ Es schallt über eine gewaltige Men­
lobt für seinen Machtinstinkt und über­ schen Welt. schenmenge, die sich an diesem Tag ver­
durchschnittlichen Kampfesmut. Für Kaiser Zcnon ist cs brandge­ sammelt hat: Krieger, Frauen, Kinder,
Theoderich kann schon früh auf ein fährlich, eine solche Macht mit unklarer wahrscheinlich auch Sklaven und be­
bewegtes Leben zurückschauen: Bereits Loyalität in seiner Nähe zu haben. waffnete Bauern, insgesamt gut 100000
mit acht Jahren kommt er nach Konstan­ Daher unterbreitet er Theoderich Menschen, die nun mit ihrem Anführer
tinopel und lebt dort (was zu jener Zeit im Jahr 488 einen Plan. Der Gotenkönig gen Westen ziehen. (Vermutlich nehmen
durchaus üblich ist) ein Jahrzehnt lang soll mit seinem Gefolge nach Italien zie­ Theoderich und seine Mannen ihre Fa­
als Geisel, als menschliches Pfand für hen und Odoaker angreifen. Falls es ihm milien mit, weil sie nicht nur eine mili-

124 GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


Trotz schneller erster Siege für
Theoderichs Krieger dauern
die Kämpfe um Italien mehrere tärische Expedition antreten, sondern
Jahre, ausgetragen auch mit dauerhaft in Italien siedeln wollen. Über­
Lanzen. Lange Zeit belagern die dies wäre es gefährlich, die Angehörigen
Ostgoten Odoaker und dessen schutzlos zurückzulassen.)
H of in Ravenna Einige Goten sind zu Pferd unter­
wegs, viele zu Fuß. Auf mehrere Tausend
Ochsenkarren haben die Menschen ihren
Besitz geladen, Kleider, Werkzeuge und
Waffen, wahrscheinlich auch Saatgut für
später. Nach den Kämpfen.
Unterwegs versorgen sie sich mit
Lebensmitteln. Sie erlegen Tiere in den
Wäldern, rauben Siedlungen und Höfe
aus, leeren öffentliche Kornspeicher -
mit oder ohne Erlaubnis der Verantwort­
lichen. Gut 85 Tonnen Getreide braucht
der Zug pro Tag.

heoderich nutzt, wo immer es

T möglich ist, die befestigten,


rund sechs Meter breiten Rö­
merstraßen, zunächst nahe der
Donau. Kilometerlang schlängelt sich die
gigantische Wandergemeinschaft auf den
steinernen Wegen durch die Landschaft.
Es sind nicht nur Ostgoten, die mit
Theoderich gehen. Bald schließen sich O
auch Germanen vom Volk der Rugier an,
die zuvor einen Kampf gegen Truppen £
Odoakers ausgefochten und verloren 3
hatten. Selbst einige Römer begleiten
den Zug - Abenteurer aus den Provinzen
des Ostreichs, die auf Beute hoffen.
Und auch innerhalb der Goten gibt
es deutliche Unterschiede, zwischen
Gruppen verschiedener Herkunft, zwi­
schen Kämpfern mit unterschiedlichem
sozialen Status. Die höchste Anerken­
nung genießen die freien Krieger.
N ur langsam kommt diese ge­
mischte Streitmacht voran, die Nahrung
ist knapp. M it Mühe gelingt es den aus­
gezehrten Kämpfern, im Osten Kroatiens
eine Attacke der Gepiden abzuweh­
ren, die nach der Hunnenzeit zur Vor­
macht in der Ungarischen Tiefebene
aufgestiegen sind. Nicht weit vom O rt
des Gefechts lagert der Zug den Winter
über und kann sich dort stärken.
Im Sommer 489 erreicht T heo­
derich endlich Italien - und trifft schon
bald auf die Truppen Odoakers, der von
Boten über den Vormarsch des Inva­
sionszuges informiert worden ist.
Am 28. August stehen sich die bei­
den Lager am Fluss Isonzo in Venetien

125
gegenüber, doch Theoderich umgeht die Sein gesamtes Leben als Erwach­ nur Geschick im Schwertkampf erlangt,
Mannen des Gegners und dringt ohne sener hat der etwa 40-Jährige bislang als sondern auch - im Umgang mit den ger­
größere Kämpfe weiter ins Land vor. ruheloser Kämpfer verbracht. Hat im manischen Großen - Talent in Kommu­
Etwas später entbrennt bei Verona Modus der Gewalt seinen Vorteil ge­ nikation und Diplomatie.
dann die erste richtige Schlacht. Theo­ sucht; hat einen vergleichsweise kleinen Dennoch ist die Weitsicht seiner
derich treibt Odoakers Soldaten nach Verband von Menschen angeführt, mit Politik in den folgenden Jahren bemer­
anfänglichen Schwierigkeiten in ein denen er vielfach verwandtschaftlich ver­ kenswert.
Flusstal, wo viele von ihnen ertrinken. bunden war; ist nie mehr als Monate
Ihr Anführer muss fliehen. oder wenige Jahre an einem O rt geblie­
Und doch: Es wird ein langes, äu­ ben; hat gleichsam vom Sattel aus regiert. Die mit Abstand dringendste Aufgabe
ßerst verlustreiches Ringen, bis der Krieg Wie anders dagegen nun die Lage: für den neuen Herrscher ist die Ansied­
entschieden ist. Die vielen befestigten Er tritt die Herrschaft über Italien an - lung seines Stammes, der Ostgoten.
Städte Norditaliens helfen Odoaker und ein festes, weitgespanntes Territorium Was soll mit den Menschen gesche­
seinen Truppen, sich zu verteidigen - es mit mehreren Millionen Einwohnern, hen, die als Eroberer nach Italien gekom­
sind schwer einnehmbare Stützpunkte, einen hochentwickelten Staat mit kom­ men sind? W ie soll er mit jenen 20000
die Theoderich auf seinem Vormarsch plexen Institutionen, mit Provinzverwal­ Kriegern und ihren Familien umgehen,
erst erobern muss. tungen, Richtern und Räten, mit politi­ die nach dem Sieg ungeduldig eine
Schließlich kann der Ostgote den schen Strukturen, die seit vielen Jahr­ Belohnung, eine A rt Beute, erwarten,
Gegner dennoch in der Küstenstadt Ra­ hunderten gewachsen sind. Privilegien, materielle Vorteile. Die sich,
venna einkreisen; zunächst aber halten Es bleibt letztlich ebenso erstaun­ nach den Jahren der Wanderschaft, nun
die Verteidiger aus, weil Schiffe sic von lich wie unerklärlich, wie gut Theoderich dauerhaft niederlassen wollen.
See aus versorgen. dieser Wechsel in den folgenden Mona­ M it dieser heiklen Angelegenheit
Als es Theoderich im Sommer 492 ten gelingt. betraut der neue König einen jungen rö­
auch noch gelingt, die Wasserseite zu Sicher helfen ihm dabei die Jahre mischen Verwaltungsexperten namens
blockieren, wird die N ot in Ravennas am H o f in Konstantinopel, die ihn mit Petrus Marcellinus Felix Libcrius, der
Mauern schnell dramatisch. Der Bischof den römischen I Ierrschaftsmechanismen sich als äußerst fähig erweist. Liberius
der Stadt greift ein - und tatsächlich vertraut gemacht haben, aber auch mit versorgt die Neuankömmlinge entweder
kann er nach all den Jahren des Kampfes der Lebensweise und den Ansichten der mit Ländereien, die sie selbst als Guts­
einen Vertrag zwischen den beiden Geg­ Oberschicht im Imperium. Und mögli­ besitzer verwalten oder bewirtschaften
nern vermitteln, eine scheinbare Einigung. cherweise hat er als Kriegerkönig nicht lassen können, oder lässt ihnen feste An­
Es ist jene Übereinkunft teile an den staatlichen Steuer­
über eine gemeinsame Regent­ einnahmen zukommen.
schaft, die Theoderich binnen Die Kunst von Liberius be­
nicht einmal drei Wochen so blu­ steht darin, das neu vergebene
tig aufkündigen wird. Land zu großen Teilen aus dem
staatlichen Besitz zu nehmen
ach seinem Mord an sowie vom Erbe Odoakers und

N Odoaker ist Theode­


rich am Ziel. Er hat
das mit dem O st­
kaiser vereinbarte Unternehmen
erfolgreich abgeschlossen. Er ist
jener seiner Gefolgsleute, die in
den Kämpfen ebenfalls gefal­
len sind.
A uf diese Weise gelingt es
Liberius schließlich, dass fast ein
Herr über Italien und wird von Drittel des italienischen Grund­
seinen Truppen zum dortigen besitzes an die Eroberer geht,
König ausgerufen. Als erster ger­ ohne dass die römischen Eliten
manischer Anführer hat er die ZENON allzu schmerzhafte Einbußen
Apenninen-Halbinsel tatsächlich (474-491 n. Chr.) erdulden müssen, sich beklagen
erobert - nicht lediglich überfal­ oder gar rebellieren.
len oder ausgeplündert. Und wird D e r oström ische Kaiser Die meisten Gefolgsleute
ihr nun seinen Willen auferlegen. h a t T h e o d e ric h die Invasion Theodcrichs lassen sich im Nor­
Doch die radikalste Wand­ in Ita lie n und den Feldzug den und in der M itte Italiens
lung muss Theoderich an sich gegen O d o a k e r vo rg esch la ­ nieder, vor allem in der fruchtba­
selbst vollziehen. Aus einem ger­ gen. Zenons H o ffn u n g : ren Po-Ebene und an der Adria­
manischen Kriegerkönig muss Beide G erm anen sollen sich küste. Die Krieger müssen ihrem
der Gebieter eines spätantiken g e g e n se itig schwächen König aber weiterhin zur Verfü­
Reiches werden. gung stehen: Sie stellen den Kern

126 GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


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der neuen Armee des Landes, haben sich men hatten. Mittlerweile haben die ka­ Zenon, und sein Nachfolger Anastasius
zuverlässig zusammenzufinden, wenn tholischen Kleriker in Ost und West den fühlt sich nicht automatisch an die Ver­
Angreifer abgewehrt werden müssen Arianismus aber als Fehllehre verdammt. einbarungen gebunden.
oder Feldzüge beginnen sollen. Theoderich jedoch, der in Italien Erst eine dritte diplomatische Mis­
Als neuer König nutzt Theodcrich nun über eine mehrheitlich katholische sion erreicht 497, vier Jahre nach Thco-
den alten Staat sowie die bestehende rö­ Bevölkerung herrscht, verhält sich groß­ derichs Machtübernahme, endlich das
mische Verwaltung. Wahrscheinlich weiß zügig. Anders als andere germanische Erhoffte: Anastasius beglaubigt den Go­
der Gote, dass er hei einem Verhältnis Könige propagiert er religiöse Toleranz. ten als König in Italien, überstellt nun
von 100 000 Eroberern zu fünf Millionen Pflegt bewusst gute Beziehungen zum sogar die kaiserlichen Insignien wieder
Eroberten nur schwerlich dauerhaft ge­ obersten katholischen Bischof des Wes­ in den Westen, jene hochsymbolischen
gen die Unterworfenen regieren kann. tens, dem Papst in Rom, akzeptiert es Gegenstände, die Odoaker einst nach
Also sucht er die Umarmung. Er sogar, dass seine arianische M utter zur Osten geschickt hatte.
belässt beispielsweise römische Exper­ Katholikin wird. Was nun folgt, zeugt von der poli­
ten an den Spitzen der Provinzen und Für den Goten ist all das vor allem: tischen Begabung Theoderichs. Er bril­
Städte sowie in den vielzähligen anderen Machtpolitik. Denn sein Respekt gegen­ liert in der schillernden Kunst der selbst­
Verwaltungsämtern - und gewährt dem über den alten, bestehenden Kräften bewussten Unterwerfung, der beschei­
Senat in Rom, in dem seit Jahrhunderten mehrt deren Unterstützung für seine denen Dominanz. Kurz: Es gelingt ihm,
Vertreter der einflussreichsten Familien Herrschaft. Kaiser zu werden, ohne Kaiser zu sein.
des Landes sitzen, auch weiterhin große Dass die Römer ihm schnell ihre Zunächst unterstellt sich Theode­
Machtbefugnis bei Entscheidungen über Loyalität schenken, liegt aber sicher auch rich voll und ganz dem amtierenden Im­
viele alltägliche Fragen der Herrschafts­ an seinem ursprünglichen Auftrag: perator im Osten; nie etwa maßt er sich
organisation. Schließlich hat er Italien ja auf Geheiß an, die kaiserlichen Insignien zu tragen,
Sich selbst umgibt er mit einem Rat des römischen Ostkaisers erobert. also Purpurgewand, Zepter und Diadem.
aus Ostgoten, erhält aber auch einen
• •
Doch schon in seinen formvollen­
Großteil der alten höfischen Ämter und deten Briefen an den H of von Konstan­
besetzt sie weiterhin mit Römern. tinopel scheint aus der Ehrerbietung
Theoderich ist Christ, folgt aber schnell die eigene Erhöhung hervor: „Ihr
wie die meisten Goten einer besonderen seid der heilbringende Schutz der gan­
Glaubensform, dem Arianismus, dessen zen Welt, unsere Herrschaft ist nur die
Anhänger eine andere Vorstellung vom Nachahmung der Euren“, schreibt er an
Heiland haben als die Katholiken jener Anastasius. Und fügt dann an: „Je mehr
Zeit: Christus und Gottvater gelten die­ wir Euch folgen, umso mehr zeichnen
sen Gläubigen - das ist die wichtigste wir uns vor den anderen Völkern aus.“
Besonderheit - nicht als wesensgleich, Zwar lässt Theoderich, anders als
sondern nur als wesensähnlich. Jesus ist bei den früheren Westkaisern üblich,
G ott also untergeordnet. keine Münzen mit seinem Antlitz prä­
Im Osten war der Arianismus (der gen, verfügt keine Gesetze, sondern gibt
auf den 336 verstorbenen alexandrini- nur Verordnungen heraus, verwendet in
schen Priester Arius zurückgeht) vor­ Doch dessen Anerkennung bleibt lange seinen Schreiben nicht die rot leuchten­
übergehend sogar die Religion des Kai­ aus. Schon früh hat Theoderich eine Ge­ de kaiserliche Purpurtinte.
sers, weshalb bereits im 4. Jahrhundert sandtschaft in den Osten geschickt, um Doch so wie die einstigen Impera­
auch zahlreiche damals mit Ostrom ver­ seine Herrschaft in Italien legitimieren toren spricht er als oberster Richter des
bündete Goten diesen Glauben angenom­ zu lassen - ohne Ergebnis. Dann stirbt Landes Recht, ernennt die Senatoren,

128 GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


residiert bewusst vor allem in der Tatsächlich verleiht das fein
Cäsaren-Metropole Ravenna. austarierte Verhalten seiner Herr­
Er gibt - auch das eine tra­ schaft offenbar Kraft. Die römi­
ditionelle kaiserliche Regung - schen Untertanen sind zufrieden
gleich mehrere neue Großbau­ mit ihm, hören es gern, wenn
ten in Auftrag, darunter einen sich dieser geborene Barbar dem
repräsentativen Palast in seiner Erbe der Imperatoren verpflich­
Hauptstadt, reich mit Mosaiken tet, freuen sich, dass er diesem
verzierte Kirchen sowie zahlrei­ Vermächtnis sogar einen neuen
che Befestigungsanlagen, und Schimmer verleiht. Und offenbar
benennt mit Theodoricopolis schafft es Theoderich, auch seine
sogar eine Stadt nach sich (deren gotischen Gefolgsleute nicht zu
Lage heute aber niemand mehr befremden.
kennt). Zudem verfügt er in
ebenfalls antiker H errscher­
manier eine jährliche Spende von D er Herrscher stellt sicher, dass
1050 Tonnen Getreide an die die Germanen, etwa durch den
Einwohner Roms. gotischen I lofrat, spürbaren Ein­
Seit seiner Jugend ist er ja fluss auf die politischen Geschi­
versiert in imperialen Umgangs­ cke, die Regierungsentscheidun­
formen, und so verhält er sich gen haben. Gerade in Regionen,
auch bei öffentlichen Anlässen in denen besonders viele Eroberer
ganz und gar kaiserlich, zieht siedeln, setzt er zudem eigene
wie nach altem Protokoll in Feld- gotische Verwalter ein, die paral­
hcrrnmantel und Schuppenpan­ lel zu den römischen arbeiten.
zer zum Besuch in Rom ein, hebt Die meisten Ostgoten schät­
die rechte Hand zur Ansprache. net, als „Kaiser“. Offiziell würde er diesen zen ohnehin den größeren Wohlstand O
c/>
Er lässt sogar typisch römische Titel natürlich nie akzeptieren. Immer Italiens, das geordnetere, zivilisierte Da­ Or-rq
O
Zirkusspiele organisieren, auch wenn er bleibt er unter jener Schwelle, die poli­ sein hier. Für sie ist es erstrebenswert, r-t
n>
selber wenig Sinn für diese Art von Zeit­ tische Anmaßung bedeuten würde und nach römischer A rt zu leben, mit mehr 2
vertreib hegt. letztlich nur Probleme mit sich brächte. Muße, die ihnen der stetige Ertrag ihres
Ausdrücklich beruft sich Theode- Doch es ist eine bewusste Strategie Besitzes ermöglicht.
rich auf den römischen Charakter seiner Theoderichs, mit der Aura des Kaiser­ Ein armseliger Römer ahme einen
Herrschaft, auf die romanitas, lobt auch lichen zu spielen und dabei von ihr zu Goten nach, ein tüchtiger Gote dagegen
das römische Recht, welches das „bar­ profitieren. So sucht der ehemalige goti­ einen Römer, erklärt Theoderich.
barische Chaos“, wie er in einem Brief sche Kriegerkönig, zusätzlichen Glanz zu Viele seiner Gefolgsleute lernen
schreibt, beseitige und unter dem Goten schöpfen, ein Mehr an Legitimität. Latein, die Sprache der Einheimischen
wie Römer gut leben könnten. und der Verwaltungsbeamten. Der König
Der König lässt sich gern wie die fordert die Ostgoten dazu auf, alte Bräu­
alten Herrscher alsprinceps oder dominus che abzulegen, etwa wie die Römer auf
anreden - und ist sicher nicht verstimmt, Die Krieger, die mit Grabbeigaben zu verzichten.
als ihn ein bedeutender Senator in einer Theoderich Italien erobert Bald gibt cs die ersten Ehen zwi­
Inschrift tatsächlich als augustiis bezeich­ haben, erhalten als Beloh­ schen gotischen Männern und römischen
nung Landgüter und Anteile
an den Steuereinnahmen.
Sie müssen nun das Land
sichern (Schwert, 5. Jh.)

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung 129


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GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


Expansion: Nach Gebiets­
gewinnen gegen die Franken greift
Theoderich nach dem Königtum
der Westgoten in Spanien. 511 wird er
zum Gebieter über ein unter ihm
vereintes gesamtgotisches Reich
(Schildbuckel, 6. Jh.)

Bereits kurz nach seiner M acht­


übernahme hat er die Schwester des
fränkischen Königs Chlodwig geheiratet,
dessen Machtbereich sich über den Nor­
den Frankreichs sowie Teile Belgiens, der
Niederlande und Deutschlands erstreckt.
Seine Tochter Theodegotho ver­
mittelt er um 495 als Gattin an den
Herrscher der Westgoten in Spanien und
nach außen zu wenden. Das ist zum ei­ Südwestfrankeich, deren Schwester
nen für ihn überlebensnotwendig, denn Ostrogotho an den Thronfolger der Bur­
die Ereignisse der vergangenen Jahr­ gunder, die an der Rhone siedeln.
zehnte haben bewiesen, wie anfällig Im Jahr 500 kann er schließlich die
die Apcnninen-Halbinscl für Überfälle Ehe seiner Schwester Amalafrida mit
durch fremde Mächte ist. dem in Nordafrika herrschenden Vanda­
Frauen. Die eigenen Kinder und Enkel Zum anderen ist es Theoderich ver­ lenkönig bekannt geben. Als M itgift
lässt Theoderich gleich kulturübergrei- mutlich wichtig, seine neue Bedeutung werden 1000 gotische Leibwächter, 5000
fend erziehen: Sie lernen Griechisch, als Fast-Kaiscr auch jenseits Italiens an­ normale Kämpfer sowie eine Hafenstadt
Latein und Gotisch. Archäologen werden gemessen zur Geltung zu bringen. auf Sizilien vereinbart.
später Schwierigkeiten haben, die Anwe­ Aggressiv oder expansiv geht er
sen wohlhabender Römer und Goten aus jedoch nicht vor. Er setzt auch hier auf
dieser Zeit zu unterscheiden. Kooperation. Das heißt vor allem: Er Es ist eine Familie der Könige, die
Der Erfolg im Innern gibt Theode­ organisiert Hochzeiten. Und er beginnt Thcodcrich durch seine Heiratspolitik
rich schon bald Gelegenheit, den Blick mit sich selbst. erschafft - erstmals in der europäischen

136 GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


Geschichte. Die Rolle, die er für schem Druck die Thronfolge sei­
sich in diesem verwandtschaftli­ nes verstorbenen Schwiegersohns
chen Bündnisgeflecht vorgesehen in seinem Sinne beeinflussen soll.
hat, ist klar: die des paterfamilias. Im Jahr 511 übernim m t der
Jüngere Herrscher, wie den West­ Machthaber in Ravenna tatsäch­
goten oder Chlodwig, nennt er lich auch das westgotische Kö­
seine „Söhne“, betont stets seine nigsamt - offiziell als Vormund
große Lebenserfahrung und die für seinen minderjährigen Enkel.
Würde seiner Herkunft. Theoderich ist nun H err­
M it milder Arroganz lässt scher aller Goten. Schon be­
er den neuen Verwandten die schwören die Propagandisten am
Segnungen römischer Zivilisa­ H of in Ravenna die Einheit der
tion und Kultur zukommen. Volksfamilie. Doch die Gemein­
Nach Burgund etwa schickt samkeiten der beiden Gruppen
er eine kunstvolle, in Italien ge­ - deren Wege sich m ehr als
fertigte Wasseruhr, die die Stun­ 100 Jahre zuvor im Donaugebiet
den zählt und helfen solle, die getrennt haben — sind gering.
„Ordnung des Lebens“ in dem Tatsächlich wohl empfinden viele
barbarischen Land herzustellen, Westgoten den ostgotischen Kö­
wie es im Begleitschreiben heißt. nig als Fremdherrscher.
Trotz solcher Überheblich­ Dennoch: Theoderich steht
keiten erscheinen die von Theo- auf dem Gipfel seiner Macht.
derich geschlossenen Allianzen Er gebietet nun über ein Reich,
im Vergleich zu den blutigen das sich von Spanien über Süd-
Kämpfen der Generationen zu­ frankrcich und Italien bis auf den
vor wie ein W under der Real­ westlichen Balkan dehnt (wo sei­
politik. Allerdings: Schon bei ihrer ersten Und vielleicht hat er Gefallen an ne Truppen in der Zwischenzeit ebenfalls O
c/>
Prüfung scheitert seine Strategie. den Gebietszuwächsen gewonnen, viel­ Gebiete eingenommen haben). Zudem Or-rq
O
r-t
leicht wird ihm aber auch allmählich klar, übt er starken diplomatischen Einfluss n>
m das Jahr 500 attackiert dass eine friedliche Bündnispolitik lang­ auf die Vandalen aus, ebenso auf die 2

U der Franke Chlodwig die fristig keinen Erfolg erbringt - jedenfalls


Alemannen und kontrolliert greift er nun nach dem gesamten West­
fortan einen Teil ihres Sied­ gotenreich: Theoderich entsendet einen
lungsgebiets vor allem im heutigen
Baden-Württemberg (siehe Seite 60).
General nach Spanien, der mit militäri-
Thüringer, deren König nun der Gatte
von Theoderichs Nichte ist.
Abermals hat er seine Politik ver­
ändert: Aus dem sicherheitsbewussten
Schöpfer von Bündnissen ist ein expan­
Besorgt darüber, dass der Angreifer nun sionseifriger Machtpolitiker geworden,
in Richtung Italien Vordringen könnte, ein wahrhaft imperialer Herrscher, der
mahnt ihn Thcodcrich zur Mäßigung. Theoderich verhält sich in nun fast die Hälfte des alten Weströmi­
Und im Sinne seiner Familie der Könige vielem wie ein römischer Kaiser, schen Reiches unter sich vereinigt und
zu Frieden und Gewaltlosigkeit. kleidet sich beispielsweise wie die sich auch sonst der Tradition der Impe­
Tatsächlich hält Chlodwig gegen­ Imperatoren und trägt ähnlich ratoren verschrieben hat. Der im römi­
über den Alemannen inne, greift aber prachtvollen Schmuck. Ihren Titel schen Stil regiert, baut, lebt.
wenige Jahre später die Westgoten an. maßt er sich jedoch nie offiziell 35 Jahre nach der Absetzung des
Deren König, Theoderichs Schwieger­ an (Gewandspange, 4. Jh.) letzten Kaisers Romulus scheint West­
sohn, fällt, seine Kämpfer müssen sich in rom de facto wiederbelebt.
Richtung Spanien zurückziehen. In einer Korrespondenz mit dem
Nun endlich interveniert der Herr­ Im perator in Konstantinopel erklärt
scher in Ravenna: Im Juni 508 mobilisiert Theoderich denn auch ganz konsequent
er alle gotischen Krieger in Italien und sein eigenes und das Oströmische Reich
lässt sie nach Westen ziehen. In mehre­ zu jenen zwei „Staaten, die unter den
ren Gefechten nehmen die Kämpfer den früheren Kaisern immer als ein Körper
Franken und den mit ihnen inzwischen betrachtet wurden“.
verbündeten Burgundern einige der er­ Es sei wichtig, dass es zwischen die­
oberten Gebiete wieder ab. Ein Teil des sen beiden Herrschaften keine Unstim­
westgotischen Reiches steht nun unter migkeiten gebe, denn „das Römische
Theoderichs Oberhoheit. Imperium soll nur einen Willen haben“.

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung 137


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Näher kann man als geborener Bar­ Ehrenrettung bemüht, wird auf Theo­ Als Theoderichs Schwester, die
bar dem Wesen des römischen Kaiser­ derichs Befehl ebenfalls getötet. Witwe des verstorbenen Vandalenherr­
tums nicht kommen. Unter den einflussreichen römi­ schers, von Schergen des neuen Regimes
schen Familien nimmt die Opposition gefangen genommen und - unter dem
gegen die Herrschaft der Goten zu. Vorwurf, einen Um sturz geplant zu
G etragen wird der W iderstand haben - getötet wird, sinnt der Gote auf
wohl vor allem von frommen Katholiken, Vergeltung.
die sich daran stören, dass ein Arianer Zu Beginn des Jahres 526 ordnet
an der Spitze des Staates steht. Und da er an, schnellstmöglich eine gewaltige
sich der Papst und die Kirche des O st­ Flotte von 1000 Schiffen zu bauen, um
reichs nach jahrzehntelangem Zwist vor das Vandalenreich zu attackieren.
Kurzem wieder ausgesöhnt haben, ist Doch zu einem Großangriff kommt
Konstantinopel plötzlich ein wichtiger es nicht mehr. Im August erkrankt Thco-
Partner für die katholischen Kritiker. derich schwer (woran, ist heute nicht
Nun zeigt sich, dass Theoderichs mehr bekannt). Es gelingt ihm noch,
Strategie des Ausgleichs nicht alle W i­ seinen Enkel als Nachfolger zu bestim­
dersprüche zwischen Goten und Römern men. Von einer Runde aus hochrangigen
beseitigen konnte. Jetzt brechen diese Goten und einigen Römern lässt er sich
Und doch zerfällt aller Glanz und alle Gegensätze hervor. diese Entscheidung bestätigen.
Größe. Nicht sofort - dann aber stetig, Denn umgekehrt klagen auch im­ Seinen gotischen Landsleuten gibt
blutig und anscheinend unausweichlich. mer mehr hochstehende Goten, der er bei dieser Gelegenheit wohl noch ein­
Ein gutes Jahrzehnt noch blüht Herrscher habe zu viele Zugeständnisse mal sein altes Credo der Verständigung
Theoderichs Herrschaft, in Wohlstand an die Römer gemacht, sich zu sehr ihrer mit auf den Weg: Sie sollen den Senat
und weitgehendem Frieden. Um 524 je­ Lebensweise angenähert. Habe etwa die und das römische Volk lieben.
doch zeigen sich die ersten Risse. kriegerischen Tugenden einer übertrie­ Kurz darauf, am 30. August 526,
Der König, inzwischen gut 70 Jahre benen Bildungsbeflissenheit geopfert. stirbt Theoderich.
alt, bemüht sich darum, einen geeigne­ Überdies droht nun noch Unge­
ten Nachfolger für sich zu finden. Er hat mach von draußen: Der neue König der
keinen eigenen Sohn, und der Gatte sei­ Vandalen in Nordafrika wendet sich von Bereits zu Lebzeiten hat sich der Herr­
nerjüngsten Tochter, der ihn stattdessen Theodcrich ab und Konstantinopel zu. scher ein Mausoleum errichten lassen.
beerben sollte, ist im Jahr 522 Handwerker, eigens aus Klein­
gestorben. asien angeworben, haben den
In dieser ungewissen Zeit zylindrischen Bau nordöstlich
nimmt einer der Senatoren Roms von Ravenna erschaffen, sein
Kontakt zum oströmischen Kai­ zehneckiges Erdgeschoss, die
ser auf, vermutlich unter ande­ Etage darüber mit der runden
rem, um hinter dem Rücken Kammer, in der Theoderich nun
Theoderichs über dessen Thron­ bestattet wird: in einem steiner­
folge zu beraten. nen Sarkophag aus rötlichem
Der Gote erfährt über einen Porphyr - eine letzte Referenz an
Kurier von der Korrespondenz die Purpurfarbe der Imperatoren.
und wertet sie als Hochverrat. Rund 14 Meter beträgt der
Noch empörter ist er dar­ Durchmesser des Monuments,
über, dass einer seiner höchsten 16 M eter erheben sich seine
römischen Beamten (der von M auern über den Boden. Ein
dem Briefwechsel wohl schon JU S T IN IA N gewaltiger kuppclförmigcr Stein
früh erfahren, ihn aber nicht (527-565 n. Chr.) schließt es nach oben hin ab.
gemeldet hat) den Senator sogar Den 230 Tonnen schweren
noch in Schutz nimmt. N ach T h e o d e ric h s Tod a tta ­ Kalksteinblock haben 700 Arbei­
Thcodcrich reagiert hart: Er c k ie rt d e r neue O s tka ise r die ter mit einer komplizierten Fla­
lässt beide Honoratioren in den G o te n . Er w ill w ieder über ein schenzugkonstruktion an seinen
Kerker werfen; wenig später wird geeintes röm isches G ro ß re ich Platz befördert.
der hohe Beamte verurteilt und herrschen - w ie die Cäsaren Eigensinnig wie sein Erbau­
mit dem Beil hingerichtet. frü h e re r J a h rh u n d e rte . D och er wirkt das Mausoleum - anders
D er Schwiegervater des er ru in ie rt d a m it Ita lie n als alle sonstigen Bauwerke jener
Gehenkten, der sich um dessen Zeit, weder typisch römisch noch

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung 139


DIE MACHT IM WESTEN (4 8 8 -5 2 6 N. CHR.)

v o n O d o ak e r b e h e rrsc h te s G eb ie t
bis 493
Italien feld zu g u n te r T h eu d erich 4 8 8 -4 9 3

Ostgotenreich ab 493
v e re in te s G o ten reich u n te r T h eo d erich
Thüringer
□ 5 1 1 -5 2 6
alle G re n z e n z e ig e n d e n S tan d von 526

Burgunder
reich
V erona •

ivenn. larcianopolis
Novae

Konstantinopel#
Thessaloniki

Q u ellen : D er N eu e Pauly, H istorischer A tlas d e r an tik en


Welt, M etzler V erlag; G roßer I ü sto risch er W eltatlas, BSV;
A u sb ü ttel, F. M ., T h eo d e rich d e r G roße, Prim us V erlag u .a GEOEPOCHE-Karte

Während O strom als Reich weitgehend intakt bleibt, zersplittert der westliche Teil des Imperiums im 5. Jahrhundert in mehrere
germanische Staaten, darunter die Reiche der Franken und der Burgunder. Theoderich zieht m it den O stgoten 488/89 vom Balkan nach Italien,
besiegt d o rt die Truppen des Germ anen Odoaker, der kurz zuvor den letzten römischen Kaiser gestürzt hat, und erschafft ein Reich
der O stgoten. Anschließend schließt er Bündnisse m it den Franken, Vandalen, Burgundern und W estgoten, erringt über das W estgotenreich
gar die O berhoheit. Nach seinem Tod verschiebt sich die M acht erneut: Erst erobern O strom s Truppen große Teile des Gotenreichs
(siehe Karte Seite 156), später erheben sich die Franken zur neuen Vorm acht in Westeuropa (siehe Karte Seite 158)

erkennbar gotisch. Zudem: wuchtig, ger, doch sie kann nicht verhindern, dass den und Süden her in Italien ein (siehe
wehrhaft, im Prinzip unzerstörbar. die Kluft zwischen traditionalistischen Karte Seite 156).
Und so ist es der Zukunft ein ganz Goten und selbstbewussten Römern sich Es folgt ein fast 20-jähriges, bru­
und gar unpassendes Symbol. Denn das weiter vergrößert. tales Ringen. 540 verliert Theoderichs
Erbe Theoderichs zerbirst nach dessen H errschergeschlecht endgültig die
Tod; dramatisch zerfallt die Welt um den Macht. Trotzdem schlagen die Goten
festen Monolithen seines Mausoleums. Die wirkliche Katastrophe aber kommt abermals zurück. Immer neue Kämpfe
Als Erstes, ja eigentlich sofort, zer­ von Osten. Dort herrscht seit 527 Kaiser gipfeln in zwei Entscheidungsschlachten,
bricht die Einheit Ravennas mit dem Justinian, der sich vorgenommen hat, den die das Gotenheer 552 verliert.
Reich der Westgoten, die ja vor allem Westen wieder unter seine Kontrolle zu Zwei Jahre später lässt Justinian den
an Theoderich gebunden war. In Italien bringen. Im Jahr 534 unterw irft der H of in Italien auflösen und errichtet eine
führt zunächst seine Tochter die Regie­ oströmische Herrscher das Vandalcn- neue Verwaltung, die fortan von Kon­
rung für den erst zehnjährigen Thronfol­ reich, zwei Jahre später fällt er von Nor­ stantinopel aus gesteuert wird. Westrom

140 GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


GEOEPOCHE
Das Magazin für Geschichte

G rüner ♦ Jahr G m b H & C o KG. H O N O R A R E : Petra Schmidt


existiert nun wirklich nicht mehr. Der Sitz von Verlag und Redaktion: A m Baumwall 11. R E D A K T IO N S A S S IS T E N Z : Angelika Fuchs. Helen Oqueka
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INHALT: M ichael Schaper
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dem sich die Dimensionen einstiger C H E F R E D A K T E U R : M ichael Schaper V E R L A G S G E S C H Ä F T S F Ü H R E R : D r Frank Stahmer


Glanzzeiten spiegeln. G E S C H Ä F T S F Ü H R E N D E R R ED A K T EU R : Dr. Frank O tto PU BLISH ER: Alexander Schwerin
A R T D IR ECTIO N : Eva Mitschke; Tatjana Lorenz PU B LISH IN G M A N A G E R : Anne G ülck
Italien aber ist verheert, durch den Freie M itarbeit Layout: In6s Allica. Andreas Blum. D IG IT A L BUSINESS D IR EC T O R : Daniela von Heyl
langen Krieg, durch Plünderungen und Laura Büssenschütt. M ichele Hofmann. Dorothee Holthöfer. D IR E C T O R D ISTR IB U TIO N & SALES:
Uwe Fischer Carsten Lerch Uwe Müller. M ichaela Stevens Torsten K o o p m a n n /D P V Deutscher Pressevertrieb
Massaker auf beiden Seiten schwer ge­ Freie M itarbeit Illustration: Andreas Book. E X E C U T IV E D IR E C T O R D IR EC T SALES:
zeichnet. Und auch Ostrom kann die Tim Wehrmann. Tim o Zett Heiko Hager. G +J M edia Sales
K O N Z E P T DIESER A U S G A B E : Insa Bethke D IR EC T O R B R A N D S O LU T IO N S :
Apenninen-Halbinsel nicht lange halten. Daniela Krebs (verantwortlich für den Inhalt d er Beilagen).
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fetzen im Norden, um Rom sowie der A lice Passfeld. Andreas Sedlmair (H eft mit D V D ). ISSN-Nr. 1861-6097
© 2015 G rüner + Jahr. Hamburg
äußerste Süden des Landes gehören wei­ Freie M itarbeit. Tobias Hamelmann.
D r Dirk Hem pel, Svenja Muche Bankverbindung: Deutsche Bank A G Hamburg,
terhin zum Einflussbereich des Ostherr­ W IS S E N S C H A F T L IC H E B E R A T U N G : Matthias Friedrich Konto 032280000. BLZ 200 700 00
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letzten Blüte geführt. Und jene Kaiser­


lichen aus dem Osten, die sich Römer FOTOVERM ERK NACH SEITEN
A no rdn u n g im L a you t: 1= links. r.= rechts. o.= oben, m .* M itte , u.= unten
nennen, haben es durch ihre Invasion
endgültig zerstört. £ TITEL: akg-images EIN STAMM. ZWEI REICHE: Christian Kuhlmann für
EDITORIAL: Lucas Wahl für G E O EPO C H E u. G E O EPOCHE. 85
INHALT: Mit freundlicher Genehmigung von The Creative Assem- DIE GEISSEL GOTTES: Mit Unterstützung von Guenther Shadow
Je n s-R a in e r B erg,Jg. 1973, ist Redakteur im bly (UK)/SEG A Europe Ltd.: 4 I. o.: Timo Zett für G E O EPOCHE: und freundlicher Genehmigung von The Creative Assembly (UK)/
4 |. m.; Stephen Morrison/dpa Picturc-Alliance: 4 I u. (oberes M o ­ S E G A Europe Ltd.: 86/87. 89. 90. 93. 94/95. 95. 96/97. 98. 99.100.
Team von G E O E P O C H E . T im W ehrm ann, tiv): Guillot/CDA/akg-images: 4 1 u. (unteres Motiv): eyevine: 4 r. o.. 103; Stefanie Peters für G E O EPO C H E 91; Hermann Buresch/bpk-
Tim Wehrmann für G E O f PO CHE: m. u.; Granger/Interfoto: r. u. images: 101 I ; akg-images: 101 r.: Ruth Schacht/Staatsbibliothek zu
Jg. 1974, ist Illustrator in Hamburg. EUROPAS NEUE HERRSCHER: Christian Kuhlmann für Berlm/bpk-images: 102
G E O EPO CHE: 6.7 (2) ZEIT DER FINSTERNIS: oyevme: 104; Photoshot/intertopic: 106.
BARBAREN GEGEN ROM: De Agostini Picture Lib./akg-images: 108 (2): Stefanie Peters für G E O EPO CHE: 107: Caters News
8/9: Pictures From History/akg-images: 10; Erich Lessing/akg-ima- Agency/Bulls Press: 110; The Trustees of the British Museum/bpk-
ges: 12: Guillot/CDA/akg-images: 13: The Trustees of the British images: 111,113; Universal Images Group/Getty Images: 112: Heinz-
Museum/bpk-images: 14/15: Cameraphoto/akg-images. 16/17: Ste­ Joachim Krenzer: 114 o.. ddp images/United Archives: 114 u.: De
LITERATUREMPFEHLUNGEN: Frank phen Morrison/dpa Picture-Alliance: 18/19 u.: Hendrik Zwietasch. Agostini Picture Lib./akg-images: 115
Landesmuseum Württemberg. Stuttgart 19 o.. Raphael Gaillarde/ VON DER ELBE AN DIE ADRIA: Christian Kuhlmann für
Ausbüttel. „Theoderich der Große". Primus: Gamma-Rapho/Getty Images: 20/21: Michel Urtado/RMN-Musee G E O E P O C H E 117
de Cluny/bpk-images: 22; Marie-Lan Nguyen: 23; White Images/ KAMPF UM DAS ERBE ROMS: Tim Wehrmann für G E O EPOCHE:
solide Biografie über den gotischen Herr­ Scala Archives: 24/25; Courtesy o f the Ministern Bern e Att. Cultu- 118/119. 122/123.127.134/135.138; The Trustees of the British Muse­
rali/Scala Archives: 26/27 um/bpk-images: 120: Bridgeman Art Library: 121, 137 o.. Universal
scher. die aufgrund der schwierigen Fakten­ EIN VOLK AUF DER FLUCHT: Timo Zett für G E O EPOCHE: Images Group/Getty Images: 124. A Dagli Orti/DEA/Prisma: 125:
lage allerdings mehr referiert als erzählt. 28-41; Stefanie Peters für G E O EPO CHE: 40 De Agostini Picture Lib./akg-images 126.136; Hermann Historica/
TRIUMPH DER BARBAREN: Granger/Interfoto, koloriert von Interfoto: 128/129; Museo Nazionale Romano: 129 o.: KHM , Wien:
Henning Börm. „Westrom: Von Honorius bis Andreas Boock: 42/43: Stefanie Peters für G E O EPO C H E 45; akg- 137u.; Granger/Interfoto: 139. Stefanie Peters für G E O EPOCHE -140
images: 46. akg-images, koloriert von Andreas Boock: 51; Fine Art UNRUHE NACH DEM STURM: Volker-H. Schne.dcr/Kupfer-
Justinian", Kohlhammer: souveräner Über­ Images: 49: LWL-MKuK/Artothek: 50: New-York Historical Society: stichkabinett. SMB/bpk-images: 142; Bridgeman Art Library: 143
52/53; RIA Nowosti/akg-images: 54: fine-art-images/culture-ima- ÄRA DES UMBRUCHS: Christian Kuhlmann für G E O EPOCHE:
blick zum Ende des westlichen Imperiums. ges: 56: United Archives/culture-images: 57 144-159
AUFSTIEG EINER GROSSMACHT: Christian Kuhlmann für VORSCHAU: „Photographs by Robert Capa © 2001 by Cornell
G E O EPOCHE: 59 Capa /Magnum Photos/Agentur Focus: 164: Walter Sanders/The
DER KÖNIG VOM BERGE: Tim Wehrmann für G E O EPOCHE: LIFE Picture Collection/Getty Images: 165 I. o.. 165 r. u.: Nat Farb-
60-69 Stefanie Peters für G E O EPOCHE: 70 man/The LIFE Picture Collection/Getty Images: 165 I. u.. Wilhelm
BIS ANS ENDE DER WELT: akg-images: 72/73. 76/77. 83; Gran­ Dreesen/Vintage Germany: 165 r. o.: Slg. Bernd Nasner/Vintage
GEO EPOCHE Die Völkerwanderung ger/ Interfoto: 74. 78. 80 . 82; Sammlung Rauch/Interfoto: 75. Heri- Germany: 165 r. u.
tage Imagcs/uflstem bild: 79: Stefanie Peters für G E O E P O C H E 81 © 2015 Grüner + Jahr. Hamburg, für alle Beiträge
Folgen der Völkerwanderung

Während das Oströmische Reich erstaunlich unbeschadet durch die Zeit der Völkerwanderung
gelangt, dauert es Hunderte von Jahren, bis sich Europas Westen von Zerstörung, Instabilität und Kultur
Verlust erholt und eine neue, dauerhafte Ordnung entsteht: das Kaisertum des Abendlandes
Von INSA BETHKE

ast ein halbes Jahrtausend Genau 100 Jahre nach dem Grcnzübcr- dauern, bis im Abendland neue, stabile
lang haben die römischen Kai­ tritt der Goten setzte ein Militärführer Machtstrukturen entstehen.
ser die Geschichte Europas germanischer Herkunft den letzten Kai­ Um das Jahr 600, gut drei Jahr­
geprägt. Die M acht der Im ­ ser des Weströmischen Reiches kurzer­ zehnte nach dem Ende der Völkerwan­
peratoren reichte von Britannien im hand ab. derung, sind ihre Folgen weithin sicht­
Norden bis nach Afrika im Süden, von Ende des 5. Jahrhunderts befand bar: Auf der Iberischen Halbinsel haben
••
Spanien bis ans Schwarze Meer. Es war sich fast das gesamte Gebiet des einsti­ die Westgoten ein Reich errichtet. Uber
ein gewaltiges Viel völkerreich, dessen gen westlichen Reichsteils in fremden den Großteil Galliens und einige germa­
Zivilisation Menschen aus aller Welt Händen. Zwar erhoben die Kaiser in nische Gebiete herrschen die Franken.
anlockte. Konstantinopel Ansprüche darauf, zwar In Britannien existieren nun mehrere
Zwar wurde das Imperium immer gelang es dem oströmischen Imperator angelsächsische Königreiche. Und die
wieder von inneren Wirren und außen­ Justinian nach 532 sogar, den Germanen aus Ungarn eingefallenen Langobarden
politischen Konflikten erschüttert, doch einige Regionen zu entreißen - etwa haben weite Teile Italiens in ihre Gewalt
wurde ihm keine Krise zum Verhäng­ Nordafrika den Vandalen und Italien den gebracht.
nis - bis Roms Machthaber im Jahr 376 Ostgoten. Doch es sollte Jahrhunderte Nirgendwo zeichnet sich die Zei­
n. Chr. ihre Donaugrenze für tenwende so deutlich ab wie
die vor den Hunnen flüchten­ hier, im einstigen Zentrum der
den Goten öffneten, bei der römischen Zivilisation. Denn
Integration der Germanen je­ nach jahrelangen Kämpfen
doch kläglich versagten. zwischen den Goten und Ar­
Die folgende, von Chaos meen des oströmischen Kaisers
und Gewalt geprägte Ara, in gleicht Italien einer Trüm ­
der die Goten und andere ger­ merlandschaft.
manische Heeres- und Stam­ In Rom leben vielleicht
mesverbände durch das Römi­ noch 90 000 Menschen - 200
sche Reich zogen, in der die Jahre zuvor waren cs noch fast
Fremden Allianzen mit und 800 000. M ietshäuser und
gegen Rom schmiedeten, in Villen verfallen, Statuen und
der neue Reiche gegründet Kolonnaden bröckeln. In den
wurden und vergingen, über­ Gewölben des Kolosseums
stand die W eltmacht nicht: haben sich Familien nieder-
Nicht nur Roms Bauwerke (o.) verfallen: In Westeuropa
nehmen Handel und Geldwirtschaft nach der Völkerwanderung
ab, schrumpfen die Städte, schwinden Pracht und Bildung
142 GEO EPOCHE Die Völkerwanderung
gelassen, denen die Gänge als einen dauernden M ehrfron­
Viehställe dienen. tenkrieg führen.
Auch aus anderen Regio­ Auch nach dem Unter­
nen des einstigen Westreiches gang des Weströmischen Rei­
sind Glanz und Leben gewi­ ches kommt Europa nicht zur
chen, auch dort verkommen Ruhe. Denn an seinen Gren­
Straßen und Aquädukte. Trier, zen tauchen schon bald erneut
Mainz und Köln, einst bedeu­ fremde Angreifer auf.
tende Metropolen, schrump­ Bereits um das Jahr 550
fen auf die Größe von Klein­ stehen die Slawen, deren Vor­
städten. Und London ist eine fahren möglicherweise aus
Ansammlung von Ruinen. Die in den Wirren verheerte Stadt Rom - hier die Reste Regionen nördlich der Karpa­
Die G utshöfe in den einer Basilika - verliert neun von zehn Einwohnern. Das ten stammen, an der unteren
Provinzen, einst ökonomische einstige Herz des Imperiums wird zu einem Provinzort Donau und drängen nun auf
Zentren, deren Besitzer auf den Balkan sowie nach Ost-
ihren Feldern und Weinbergen und Mitteleuropa.
viele Arbeiter und Sklaven beschäftigten, im 5. Jahrhundert gelungen ist, ihren Im Jahr 711 fallen Araber und mit
werden nicht mehr bewirtschaftet. All­ Reichsteil zu festigen. Das liegt an meh­ ihnen verbündete Berberstämme von
gemeinbildende Schulen wie in römischer reren Faktoren. Nordafrika aus auf der Iberischen Halb­
Zeit, in denen viele Bürger ihre Kinder Zum einen ist die Stadt Konstan- insel ein. Binnen kürzester Zeit zerschla­
in Fächern wie Grammatik und Rechnen tinopcl durch starke Mauern geschützt. gen die Invasoren das Reich der West­
unterrichten ließen, gibt es nicht mehr: Während Rom gleich mehrmals geplün­ goten, überqueren die Pyrenäen und
Die neuen Herren pflegen diese Tradi­ dert wird, gelingt es keinem feindlichen greifen die Franken an, die inzwischen
tion nicht weiter. Einzig angehende Kle­ Heer im 4. und 5. Jahrhundert, die Kapi­ ein Gebiet von der Nordsee bis zum
riker erhalten in kirchlichen Instituten tale des Ostens einzunehmen. Mittelmeer, vom Atlantik bis zum Ober­
noch eine schulische Ausbildung. Die M auern von Konstantinopel lauf der Donau beherrschen.
Das antike Kulturgut gerät weitge­ schirmen darüber hinaus auch Klein­ Dem fränkischen Herrscher Karl
hend in Vergessenheit: Geistlichen und asien, Syrien und Ägypten ab, die reichs­ Marteil gelingt es im Jahr 732 zwar, die
weltlichen Herren gelten die Worte der ten Provinzen Ostroms. Araber zurück auf die Iberische H alb­
Bibel und der alten Kirchenväter nun Zum anderen sind die Machtver­ insel zu drängen. Doch erst sein Enkel
mehr als die Schriften der Philosophen; hältnisse im Oströmischen Reich stabiler etabliert eine Ordnung auf dem Konti­
nur in Klöstern verwahren Mönche noch als im von Bürgerkriegen erschütterten nent, die von Dauer sein wird: Karl der
Reste der römischen Gelehrsamkeit. Westen, wo die Kaiser im 5. Jahrhundert Große erobert weite Gebiete der Lango­
Die meisten Menschen leben von ihre M acht zunehmend an ihre Heer­ barden in Italien, unterwirft die zwischen
der I Iand in den Mund, produzieren auf meister verlieren. Eine klare dynastische Rhein und Elbe siedelnden Sachsen
ihrem Acker, in ihrer Werkstatt gerade Erbfolgeregelung sorgt in Konstanti­ und sichert seine Grenzen an Elbe und
so viel, wie sie für sich selbst oder zum nopel für Stabilität; zudem können die Saale gegen die Slawen.
Tausch brauchen. Der Fernhandel zwi­ Herrscher nach dem Abzug der Hunnen Und schließlich erhebt er sich, mit
schen Städten und Provinzen erlahmt im Jahr 450 (denen sie gewaltige Tribute einem gewagten Griff in die Vergangen­
mehr und mehr, und so verliert auch die zahlen mussten) ihre Finanzen konsoli­ heit, auch ideell zum neuen Herrn des
Geldwirtschaft massiv an Bedeutung. dieren. Anders als den weströmischen Kontinents: Am Weihnachtstag des Jah­
Kurz: Die technischen, kulturellen Machthabern bleiben ihnen also genü­ res 800 lässt sich der Frankenkönig in
und ökonomischen Errungenschaften, gend Mittel, um auch unter dem Druck jener Stadt, aus der einst das Imperium
die über Jahrhunderte die römische Z i­ fremder Heere ihre politische und mili­ erwuchs, durch den Papst zum „Kaiser
vilisation strahlen ließen, gehen in gro­ tärische Stärke zu bewahren. der Römer“ krönen.
ßen Teilen des einstigen Westreiches nun Und schließlich haben die oströmi­ Aber nicht nur dem Titel nach tritt
verloren. schen Kaiser schlicht - Glück. Karl der Große das Erbe der antiken Cä­
Denn genau in jenen Jahrzehnten, saren an. Er lässt auch die Schriften des
anz anders die Situation im öst­ in denen Germanen ins Imperium drän­ Altertums sammeln und vervielfältigen,
lichen M ittelmeerraum. Dort gen, bleiben sie von ihren ärgsten Fein­ gründet zahlreiche Schulen, systemati­
A besteht die antike Zivilisation den im Osten verschont: den Persern. siert die Volksrechte in seinem Reich,
noch lange Zeit fort, denn dieser Teil des Zwar flammt der Konflikt immer wieder um es straff regieren zu können, errichtet
römischen Imperiums hat die Wirren der auf, doch beschränken sich die Kämpfe Kirchen, Klöster und neue Bistümer -
Völkerwanderung besser verkraftet - vor meist auf ferne Grenzregionen. Konstan­ und führt Europa so in eine neue Zeit:
allem deshalb, weil es den Kaisern dort tinopel muss also nicht wie der Westen die des abendländischen Kaisertums. 9

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung 143


Daten und Fakten

ÄRA DES UMBRUCHS


UM 3 7 5 N. CHR.

Jüten

Britannien
Sachsen
F ra n k e n
Hermunduren

Greutungen
gunder Markomannen (Ostgoten)
£■ Juthungen Quaden

lerwingen
(Westgoten)

Italia annonaria
rovinzen

Konstantinopel
Italia suburbicaria Makedonien
ispanien

Asiana

Afrika

R öm isches R eich um 375


D iözesen (röm ische V erw altu n g sb ezirk e)
Die G esch ich te d er farb ig u n te rle g te n V ölker
w ird in d iesem I left b esc h rieb en . N am e n in
K lam m ern sin d sp ä te re B ezeichnungen.

Um 375 erstreckt sich das Römische Reich vom A tla n tik bis nach Ä gypten. Die germanischen Stämme, die nordöstlich seiner Grenzen siedeln, sind
scheinbar keine existenzielle G efahr für das m ächtige Imperium. Doch plötzlich ziehen aus der eurasischen Steppe die Hunnen plündernd gen Westen.
Um ihnen zu entkom m en, dringen viele Zehntausend Germanen auf Roms H errschaftsgebiet vor - ein Ereignis, das Europas Geschichte prägen wird

144 GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


M it der F lu ch t der G o te n v o r den H unnen b e g in n t 376 n. Chr. das Z e ita lte r der V ölkerw ande­
rung - je n e fast 200 Jahre währende Epoche zwischen A n tik e und M itte la lte r, in der germ anische
Stäm m e zu den Erben einer W e ltm a ch t werden ----------- Text: o l a f m i s c h e r . Karten: C h r i s t i a n k u h l m a n n

Hunnen D a s R ö m is c h e R e ic h ist m a n a ric h ü b e r r ie s ig e Terri­ mischen Reiches, stirbt am


s c h o n la n g e v o r d e m B e ­ to r ie n a m U f e r d e s D n je p r 17. November an einem
g in n d e r V ö lk e r w a n d e r u n g im G e b i e t d e r h e u tig e n Schlaganfall. Sein Teilreich
E n d e d e s 4 . J a h r h u n d e r ts U kraine. D e r K ö n ig fü h r t wird nun von seinem
n. C hr. in B e d rä n g n is. Vor d ie g o tis c h e n G r e u tu n g e n 16-jährigen Sohn Gratian
a lle m a m R h e in d r in g e n a n ( „ O s tg o te n “) ; d a s w a h r­ regiert (der sich die Kaiser­
G e r m a n e n a u f d a s G e b ie t s c h e in lic h v o n d e r W e ic h ­ würde m it seinem jünge­
d e s I m p e r iu m s , a n g e z o g e n s e lm ü n d u n g s t a m m e n d e ren Bruder Valentinian II.
v o n d e s s e n W o h ls ta n d . V olk is t v e r m u tlic h a b M itte teilt). Im Osten herrscht
U m s e in e V e r te id ig u n g s ­ d e s 2. J a h r h u n d e r ts in d ie s e Valens, der Bruder des
fä h ig k e it z u e r h ö h e n , w ird R e g io n g e z o g e n u n d s ie d e lt verstorbenen Imperators.
d a s R ö m is c h e R e ic h s e it n u n ö s tlic h d e s G e b ie t s d e r
T e rw in g e n („ W e s tg o te n " ).
376
A la n e n
2 8 6 n. C hr. h ä u fig v o n z w e i
Asow sches
Meer^ K a ise rn g e fü h r t, d e r e i n e ist U m d a s J a h r 575 w e r d e n Donaudelta. Nach A n ­
fü r d ie ö s tlic h e n , d e r a n d e r e E rm a n a ric h s G e b i e t e z u m griffen der Hunnen spalten
fü r d ie w e s tlic h e n R e g io n e n Z i e l e in e s A n g r i f f s d e r sich die Westgoten, die
z u s tä n d ig . D ie S t a d t R o m H u n n e n : v o n R e ite r k r ie g e r n auf dem G ebiet des heuti­
is t n ic h t m e h r d ie R e s id e n z e in e s a u s Z e n tr a la s ie n gen Rumänien und M o l­
d e r Im p e ra to r e n : d ie h e rr­ s ta m m e n d e n N o m a d e n ­ dawien siedeln. Während
s c h e n n u n o f t v o n S tä d t e n vo lks. d ie in d e n J a h r e n z u ­ eine kleinere Gruppe nach
a u s, d ie n ä h e r a n d e n u m ­ v o r b e r e its Teile O s te u r o p a s Norden in Richtung Sie­
P o n tu s k ä m p ft e n G r e n z e n lie g e n , v e r h e e r t h a b e n . D ie s lö s t benbürgen flieht, folgt die
s o Trier u n d K o n s ta n tin o p e l. d ie V ö lk e r w a n d e r u n g aus. M ehrheit dem Heerführer
Z w a r s e h e n d ie R ö m e r in Fritigern, einem ehema­
d e n G e r m a n e n n u r p r im i­
375 ligen Verbündeten von
tiv e B a rb a ren , d ie w e d e r Asowsches Meer. Nach Kaiser Valens, nach Süden
S t ä d t e g e b a u t n o c h D ic h te r mehreren Niederlagen zur Donau, um im Römi­
u n d P h ilo s o p h e n h e r v o r ­ gegen die Hunnen begeht schen Reich Zuflucht zu
°Phrat gebracht haben. D och der ostgotische König suchen. Etwa zur gleichen
ta ts ä c h lic h s in d sie v ie lfa c h Ermanarich rituellen Zeit fliehen auch die ost­
O rie n s
a u f d e r e n H ilfe a n g e w ie s e n . Selbstmord - das soll die gotischen Widerstands­
V or a lle m b e i d e r L a n d e s ­ G ö tte r wohlgesinnt stim­ kämpfer zur römischen
v e r te id ig u n g : als L e g io ­ men. Doch gegen die Grenze.
n ä re o d e r als V e r b ü n d e te asiatischen Kämpfer haben Östlicher Balkan.
(B u r g u n d e r e tw a k ä m p fe n die Germanen keine Valens gewährt Friti-
an d e r S e ite R o m s g e g e n Chance. So unterwirft sich gerns Westgoten Asyl in
d ie A l e m a n n e n ) . der größte Teil der etwa Thrakien (im heutigen
O b w o h l v ie le B e w o h n e r 150 0 0 0 O stgoten kurz Bulgarien). Dort, so hofft
d e s barbaricum ä h n lic h e darauf den Invasoren. Sie er, werden deren Krieger
Ä g y p te n ? 4()(? knl Sprachen sp rech en u n d d en leben in ihren Siedlungen seine Legionen bei der
t GEOEPOCHE-Karte g le ic h e n G ö tte r n o p fe rn , unter der Oberherrschaft Sicherung der Reichsgren­
Quellen für diese und folgende Karten: Großer Historischer Welt­ s e h e n sie s ic h n ic h t als ein der Hunnen und sind ze gegen andere Germ a­
atlas, BSV; Putzger Historischer Weltatlas, Cornelsen; Großer Atlas
zur Weltgeschichte. Westermann; Knaul, M./Quast, D., Die Völker­ Volk. V ie lm e h r le b e n sie in ihnen fortan zur W affen­ nen und Hunnen unter­
wanderung, Theiss; Stickler, T., Die Hunnen, C.H.Beck; Kelly, C.,
Attila the 1lun. Vintage Random House u.a. o f t m ite in a n d e r v e r fe in d e ­ hilfe verpflichtet. Ein stützen. Rund 90 000
te n S t ä m m e n . H e e r s c h a r e n kleinerer Teil leistet indes Flüchtlinge ziehen ins
o d e r in te ils m ä c h tig e n noch Widerstand. Reich, darunter auch O st­
K ö n ig r e ic h e n . Donauregion. Kaiser goten, denen Valens die
S o r e g ie r t b e is p ie lw e is e Valentinian I., Herrscher Einreise untersagt hat;
e in H e r r s c h e r n a m e n s Er- über den Westen des Rö­ doch Roms Militärmacht

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung 145


UM 3 7 0 - 4 5 2 N. CHR.

Angriff der Reiterscharen

2A T

Schlacht a u f den
Katalaunischen Feldern

tantinope

H u n n e n fe ld z ü g e 3 7 0 -3 7 6

K au k asu s-K lein asien -F eld zu g 3 9 5 -3 9 6

B alk an feld zu g 395

K arp aten feld zu g 4 0 0 -4 0 5

H u n n e n fe ld z ü g e u n ter A ttila 44 1 -4 5 2

W est- u n d O ström isches Reich um 395

D ie Züge der aus der eurasischen Steppe stammenden Hunnen lassen sich in mehrere Phasen einteilen: Erst lösen sie um 375
m it ihren A ttacken auf die G oten die Völkerwanderung aus, dann setzen sie sich nördlich der Donau und des Schwarzen Meeres fest,
fallen von d o rt 395 in die Balkanprovinzen ein und attackieren, über den Kaukasus ziehend, das O ström ische Reich in Kleinasien.
U nter König A ttila greifen sie neben dem Balkan schließlich auch G ebiete tie f im Westen des Imperiums an. 451 kom m t es auf den
Katalaunischen Feldern in Gallien zu einem Entscheidungskam pf m it W estrom - den die Reiterkrieger verlieren. Nach einem
ebenfalls erfolglosen Einfall in Italien und A ttila s Tod im Jahr 453 vergeht die M acht der Hunnen sehr schnell

146 GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


ist nicht groß genug, um nach dem Tod von Valens nicht mehr in Trier, son­
die Invasion zu verhin­ verwaist ist. Theodosius dern fernab von Gallien
dern. In den Jahrzehnten stellt eine Armee auf und in Mailand. Zur Verteidi­
darauf folgen weitere drängt die West- und gung Britanniens hat
Germanenstämme. Ostgoten unter Fritigern der Rebell zuvor unter
wieder in den Südosten anderem germanische
377 des Balkans zurück. Sachsen angeworben.
Balkan. Unter Fritigerns Gallien. Im Spätsom­
Führung erheben sich
380 mer besiegt Maximus
Tausende westgotische Donaugebiet. Die Ost­ loyale römische Truppen
Flüchtlinge gegen Rom, goten spalten sich von den bei Lyon und lässt den her­
denn sie hungern: Eigene Westgoten ab und drin­ beigeeilten Gratian töten.
Felder konnten sie noch gen in Pannonien (West­ Valentinian II. muss sich
••
nicht bestellen, und kor­ ungarn) auf das Gebiet der Übermacht des Put­
rupte römische Beamte des Imperium Romanum schisten beugen: Er er­
horten Lebensmittel in vor. Doch die Angreifer kennt dessen Herrschaft
bewachten Speichern. werden von römischen über Gallien, Britannien,
Nun ziehen sie plündernd Truppen unter Gratian später auch über die römi­
auf Konstantinopel zu, besiegt und müssen sich schen Provinzen auf der
die Hauptstadt im Ostteil wahrscheinlich verpflich­ Iberischen Halbinsel an.
des Reichs und Residenz ten, dem Reich künftig
von Kaiser Valens. Ihnen Hilfstruppen zu stellen; im
387
schließen sich Ostgoten, Gegenzug dürfen sie in Italien. Magnus Maximus
entflohene Gefangene, der Region siedeln. dringt mit seinen Truppen
Sklaven und Bergleute an. auf die Apenninen-Halb-

Daten und Fakten


382 insel vor, unterliegt jedoch
378 Untere Donau. Nach einem Heer, das der ost­
Kleinasien. 25 000 römi­ dem Vorbild des Vertrags römische Herrscher Theo­
sche Kämpfer treffen zwischen Gratian und den dosius zur Unterstützung
nahe der Stadt Adrianopel Ostgoten schließen die Valentinians II. entsandt
(heute Edirne) auf die Westgoten Frieden mit hat. Im Jahr darauf wird
Goten unter Fritigern. In Kaiser Theodosius: Sie Maximus hingerichtet;
der Schlacht töten die Ger­ erhalten Siedlungsland in seine Soldaten werden in
manen zwei Drittel der Thrakien und Dakien die Armee des Siegers
römischen Soldaten, einen gegen die Bewachung der aufgenommen. Nach
Großteil der Offiziere so­ dortigen Reichsgrenze. Britannien kehrt keiner
wie den Kaiser. Nach dem von ihnen zurück.
Sieg belagern Fritigerns
383
Kämpfer Adrianopel. Als Britannien. Im Frühjahr
392
sie die stark befestigte lässt sich Magnus Maxi­ Gallien. Valentinian II.
Stadt nicht einnehmen mus, Oberbefehlshaber wird erhängt in seinem
können, fallen sie über den der römischen Truppen in Palast in Vienne aufgefun­
Süden des Balkans und den britannischen Provin­ den; ob er ermordet wurde
Nordgriechenland her. zen. von seinen Soldaten oder sich selbst das Leben
zum Kaiser proklamieren. nahm, ist ungeklärt. Da
379 Anschließend setzt er mit Theodosius zögert, einen
Donaugebiet. Kaiser Gra- einem Großteil der Armee neuen Herrscher auszuru­
tian, der ältere der beiden nach Gallien über, um fen, proklamieren Militär­
Brüder, die gemeinsam seinen Machtanspruch führer einen Hofbeamten
von Trier aus den west­ zumindest in einem Teil zum Kaiser. Erst zwei Jahre
lichen Teil des Römischen des weströmischen Terri­ später gelingt es Theodo­
Reiches beherrschen, er­ toriums durchzusetzen. sius, gemeinsam mit dem
nennt den hochrangigen Die Gelegenheit für einen in seinen Diensten kämp­
Offizier Theodosius zum Staatsstreich ist günstig: fenden westgotischen
Kaiser für den Ostteil des Gratian und Valentinian II. Heerführer Alarich, den
Imperiums, dessen Thron residieren mittlerweile Usurpator zu besiegen.

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung 147


Auf der Flucht vor den Hunnen
'P ik t e n

Jüten

Sachsen Lango­
barden
Franken

c- J u t h u n g e n

Ostgoten

Donau

Westgoten

Zunächst treiben die Hunnen O st- und W estgoten aus ihren Siedlungsgebieten nördlich der unteren Donau und des Schwarzen
Meeres über die römische Grenze. Südlich des Stroms vereinigen sich die beiden gotischen Stämme kurzzeitig, vernichten nahe der Stadt
A drianopel im Jahr 378 ein großes oströmisches Heer, töten in der Schlacht auch den Kaiser Valens. Dessen N achfolger schließt
Frieden m it den Eindringlingen und gewährt ihnen Siedlungsland. Zudem dürfen die G oten ihre eigenen Führer behalten. Sie leben fortan
nahezu gleichberechtigt innerhalb des Römischen Reiches - und zeigen den anderen germanischen Stämmen, dass das scheinbar
unbezwingbare Imperium (das sich im Jahr 395 endgültig in einen W est- und einen O stteil spalten w ird) verwundbar ist

148 GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


Nun regiert Theodosius im jährigen Honorius im
Westen wie im Osten des
405
Westteil des Reiches und
Römischen Reiches als bleibt dort auch Heer­ Italien. Etwa 20000
Alleinherrscher. meister. Arcadius ernennt O stgoten aus dem Herr­
Alarich zum Heermeister schaftsgebiet der Hunnen
395 für lllyrien (westliche Bal­ (das von der unteren
M ailand. Theodosius kanhalbinsel), um den Donau bis zu O der und
stirbt in Mailand, der Resi­ Rebellen so einzubinden. Weichsel reicht sowie bis
denzstadt des Westkaisers. Die Westgoten dürfen an Roms Reichsgrenze im
Das Reich vererbt er sei­ zudem nun in Nordwest­ Westen und das Schwarze
nen Söhnen: Der 18-jähri- griechenland siedeln. Meer im O sten) dringen
ge Arcadius wird Kaiser über die Alpen vor. A n g e ­
um 400
im Osten, der zehnjährige sichts der Bedrohung zieht
Honorius im Westen. Von U ngarn/Slow akei. Die Stilicho Grenztruppen aus
nun an ist das Imperium germanischen Vandalen dem Rheingebiet ab.
endgültig in eine westliche an der Theiß verlassen -
406
und eine östliche Reichs­ möglicherweise aus Furcht
hälfte geteilt. von den Hunnen - ihre Italien. M it Unterstüt­
Da Honorius noch min­ Siedlungen an den Ufern zung des Hunnenführers
derjährig ist, regiert der des Stroms. A u f der Flucht Uldin besiegt Stilicho die
Heermeister Flavius Stili- verbünden sie sich mit ostgotischen Invasoren.
cho zunächst in seinem ebenfalls aus ihren Sied­ Der Fürst hat bereits zuvor
Namen (und versucht, lungen an der Donau gegen gotische M aro­
auch die Regierungsge­ geflohene Sueben. deure gekämpft - gut
schäfte in Konstantinopel möglich, dass er sich durch

Daten und Fakten


zu beeinflussen). Der
401 sein Entgegenkommen
Sohn eines Germanen Italien. Alarich, inzwi­ künftig römischer W affen­
und einer Römerin ist zu­ schen von den Westgoten hilfe versichern will.
dem Oberbefehlshaber zum König erhoben, führt Balkan. Alarich verlegt
der west- wie der oströmi­ seinen Verband (wohl seine Streitkräfte nach
schen Truppen. 100 0 0 0 Menschen) von Epirus (im heutigen Alba­
K onstantinopel. Weil Griechenland in Richtung nien), um im Auftrag
Arcadius den Westgoten Apenninen-Halbinsel. Stilichos von dort aus ost­
unter anderem Hilfsgelder Sehr wahrscheinlich ist der römische Gebiete auf dem
vorenthält, die Theodosius G ote nach einer Intrige Balkan zu erobern.
fest zugesagt hatte, führt germanischer O ffiziere bei
Alarich seine Männer von Kaiser Arcadius in Ungna­
406/7
der unteren Donau aus de gefallen und sucht nun G allien. Die um 400 auf­
gegen Ostrom. Als sich ein neues Siedlungsgebiet gebrochenen Vandalen
ihnen römische Legionäre im Westen. Anfang 402 und Sueben sowie andere
in den Weg stellen, ziehen stehen die Germanen vor Stämme dringen zum Jah­
die Westgoten nach G rie­ Mailand. D ort werden resende zwischen Mainz
chenland, wo sie Piräus sie von Stilichos Truppen und Worms fast ohne G e­
plündern sowie Korinth, vertrieben; nach weiteren genwehr über den Rhein
Megara, Argos und Sparta Niederlagen ziehen sich ins Römische Reich ein -
verwüsten, um den Kaiser die Westgoten wieder zu gering ist die Zahl der
unter Druck zu setzen. nach Griechenland zurück. Grenztruppen. Die Ein­
K onstantinopel. Arca­ dringlinge verwüsten zahl­
dius entzieht Stilicho das
404 lose Städte Galliens.
Kommando über die ost­ Ravenna. Stilicho, der
römischen Truppen, um noch immer im Namen
407
dessen Einfluss auf die von Honorius regiert, G allien. Die Burgunder,
Politik Konstantinopels zu ernennt seinen früheren die zuvor wohl in der Main-
unterbinden. Stilicho Feind Alarich zum Heer­ Region siedelten, folgen
herrscht allerdings weiter­ meister, um ihn als Ver­ den Vandalen über den
hin anstelle des minder­ bündeten zu gewinnen. Rhein ins Imperium. In den

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung 149


Der lange Marsch der Völker

A t l a n t i s c h e r

Ozean

H u n n en F ran k en

W estgoten S ach sen

O stg o ten A ngeln

V andalen J ü te n

B u rg u n d er L an g o b ard en W est- u n d O ström isches Reich um 395

Als die Völkerwanderung 376 beginnt, ist zunächst der östliche Teil des Römischen Reiches betroffen. Tausende G oten überqueren
die Donau und ziehen plündernd über den Balkan - auch in Richtung Konstantinopel. Die wohlhabende Stadt aber ist zu gut geschützt,
und die reichen Provinzen im O rie n t, etwa Kleinasien oder Ä gypten, sind für die Invasoren ohnehin unerreichbar. Schon bald richtet
sich die W ucht der A n g riffe nun auch anderer Germ anenstämm e gegen die westliche H älfte des Imperiums: Vandalen und Burgunder
überwinden die Rheingrenze; Angeln, Sachsen sowie Jüten greifen nach Britannien; und die W estgoten attackieren sogar Rom. A m
Ende ist der W estteil des Imperium Romanum untergegangen. O strom aber wird noch fast ein weiteres Jahrtausend überleben

150 GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


Jahren darauf errichten ben (und Honorius ihm Placidia. die Schwester des
sie zwischen Mainz und zudem das Am t des Heer­ Kaisers) nach Unteritalien.
Worms ein eigenes Reich meisters entzogen hat), Von dort aus will Alarich
- wahrscheinlich m it Er­ überquert Alarich von ins weströmische Afrika
••
laubnis der Römer, für die Österreich aus die Alpen übersetzen, um Italien von
sie in der Region fortan und besetzt mit seinen der Getreidezufuhr abzu­
die Grenze schützen. Truppen den Hafen von schneiden. Doch als er an
G allien. Legionäre aus Portus bei Rom, wo große einem Fieber stirbt, führt
Britannien vermögen den Mengen afrikanischen sein Nachfolger, König
Zug der Barbaren nicht Getreides lagern. A nge­ Athaulf, die G oten nach
zu stoppen: Die Soldaten sichts einer drohenden Gallien.
haben auf eigene Faust Hungersnot in Rom lässt
die Insel verlassen, einen der Senat dem König un­
414
ihrer O ffiziere zum Kaiser ter anderem 5000 Pfund G allien. A thaulf heiratet
erklärt und okkupieren G old und 30 000 Pfund Galla Placidia nach röm i­
nun weite Teile Galliens. Silber übergeben. Zudem scher Sitte - zum Zeichen,
Erst fü n f Jahre später kön­ verlangt der G ote nun dass sich seine Gefolgs­
nen römische Truppen auch neues Siedlungsland leute im Imperium inte­
die Meuterei beenden. - doch das tritt der Kaiser grieren wollen. Als er im
Ravenna. Stilicho ihm nicht ab. Deshalb Jahr daraufeinem M ord­
befiehlt Alarich, die Vor­ bleibt Alarich in Italien. anschlag gotischer Gegner
bereitungen für den Balkan- zum O p fe r fällt, lässt sein
Feldzug einzustellen. An-
409-411 Nachfolger Placidia zu
••
gesichts der Übergriffe Iberische Halbinsel. Die ihrem Bruder nach Italien
römischer Legionäre sowie nach Gallien eingewander­ ziehen und schafft so die

Daten und Fakten


germanischer Stammes­ ten Vandalen und Sueben Voraussetzung für eine
verbände scheut er den ziehen über die Pyrenäen, endgültige Einigung mit
Kam pf mit Ostrom. weil sie sich in der um­ Kaiser Honorius: Die
kämpften Region nicht W estgoten bekommen
408 mehr ernähren können. Siedlungsland in Gallien,
O stalpen. Alarich zieht Drei Jahre lang plündern wenn sie im Gegenzug auf
nach Noricum im heutigen und verwüsten sie, verskla­ der Iberischen Halbinsel
Österreich, um von Stili­ ven die Bevölkerung und Vandalen und Sueben
cho Entschädigung für die kämpfen gegen Römer. bekämpfen.
aufgegebene Eroberung Schließlich erobern sie
lllyriens zu verlangen. die meisten der ibero-
418
K onstantinopel. Kaiser römischen Provinzen und Spanien. Unter dem
Arcadius stirbt. Sein Bru­ teilen sie mit Genehmi­ Ansturm der Westgoten
der Honorius, der m ittler­ gung der Römer unter bricht das südliche Vanda­
weile erwachsen ist und sich auf: Die Vandalen lenreich zusammen. Die
••
über Westrom herrscht, siedeln im Süden und Überlebenden fliehen zu
lässt Stilicho hinrichten, im Norden, die Sueben ihren Stammesgenossen
da er argwöhnt, der Heer­ begründen ein König­ nach Nordspanien. Die
führer wolle die Macht im reich im Nordwesten. W estgoten siedeln sich im
Oströmischen Reich an südfranzösischen Aquita­
sich reißen. Daraufhin lau­
410 nien an. Dam it endet
fen Gefolgsleute Stilichos Italien. Da ihm Honorius ihre 40-jährige Wande­
sowie gotische Legionäre weiterhin Siedlungsland rung. Honorius sieht in
zu Alarich über, mehr als verweigert, überfällt A la­ den Westgoten unter
10 0 0 0 Mann. Während­ rich Rom - die erste Er­ König Theoderich I. nun
dessen wird in Konstanti­ oberung der Stadt durch seine Untertanen. Doch
nopel Theodosius II., der fremde Truppen seit 800 Theoderich und seine
Sohn des Verstorbenen, Jahren. Drei Tage lang Nachfolger herrschen
zum Kaiser erhoben. plündern die Goten, in dem nun entstehenden
Italien. Da die Römer dann ziehen sie m it ihren „Tolosanischen Reich“
ihn nicht entschädigt ha­ Geiseln (darunter Galla bald autonom.

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung 151


Die Nachfolger Roms

Angeln

Aachen Thüringer Lango-


N - ' 4 J ba rd e n

Briten

mannen
oire

Gepiden

Toulouse
Donau

W estgotenreich
Konstantinopel

Karthago

von ö d o a k e r b e h e rrsc h te s G eb ie t
ein schließlich s p ä te re r E ro b e ru n g en

Das weströmische Kaisertum hört 476 auf zu existieren: In jenem Jahr meutern die Soldaten Roms in Italien. Ihr germanischer Anführer,
der O ffizier Odoaker, setzt den jugendlichen Kaiser Romulus ab, schickt die kaiserlichen Insignien nach Konstantinopel und macht sich selbst
zum König in Italien. Zu seinem Reich gehört bald auch das Gebiet jenseits der Alpen bis zur oberen Donau sowie das heutige Kroatien und
Bosnien. Schon zuvor haben germanische Völker in anderen Teilen des westlichen Imperiums eigene Reiche gegründet: die Vandalen in
Nordafrika, die Westgoten auf der Iberischen Halbinsel und in Gallien. D ort siedeln in der Gegend um den Genfer See auch die Burgunder
sowie - im Gebiet zwischen Nordsee und Rhein - die Franken, die einst als Grenzschützer ins Imperium geholt worden sind

152 GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


G allien. Im Auftrag der die Kosten für Krieg und
419
Regentin Galla Placidia verstärkten Grenzschutz.
Spanien. Die Vandalen nim m t der O ffizier Aetius
434
versuchen, die Sueben zu den Krieg gegen die West­
unterwerfen, werden aber goten wieder auf - unter Ungarn. Als Ruga stirbt,
zurückgeschlagen. In den anderem, weil sie die röm i­ übernehmen seine Neffen
Jahren darauf attackieren sche Verwaltungsmetro­ A ttila und Bleda die Herr­
die Sueben mehrfach pole Arles bestürmen, um schaft über die Hunnen.
die Vandalen. so Zugang zum M itte l­ Die Brüder handeln einen
meer zu erlangen. Doch neuen Schutzgeldvertrag
u m 420
Aetius drängt die A ngrei­ m it Ostrom aus, der dop­
Ungarn. Der hunnische fer bald zurück. pelt so viel Gold einbringt.
Fürst Ruga beginnt, die
428 435
Stämme der Reiterkrieger
unter seiner Herrschaft Spanien. Geiserich, König N ordafrika. Da die Römer
zu einen. Immer wieder der Vandalen, schließt die Vandalen nicht besie­
brechen die Kämpfer m it den Westgoten im gen können, schließen sie
zu Raubzügen ins Römi­ Tolosanischen Reich ein einen Friedensvertrag mit
sche Reich auf. Bündnis und verheiratet ihnen: Geiserichs Gefolgs­
seinen ältesten Sohn leute dürfen nun offiziell
423
Hunerich m it einer Tochter in Afrika siedeln. Fortan
Ravenna. Als Honorius Theoderichs l„ des west­ betrachtet der Kaiser sie
in Ravenna (seit 402 Resi­ gotischen Herrschers. als seine Untertanen.
denzstadt) kinderlos stirbt, Gallien. Die Burgunder
429
kom m t es zum Thronstreit: dehnen ihr G ebiet in Rich­

Daten und Fakten


Zwar hat der Verstorbene G ibraltar. Rund 80 000 tung Mosel aus, werden
seinen unmündigen N ef­ Vandalen und Verbündete aber von Legionären ver­
fen als Valentinian III. zum überqueren die Meerenge trieben. Im Jahr darauf
Nachfolger bestimmt, nach Nordafrika. Sie hof­ vernichten hunnische Trup­
doch die weströmische fen, in den fruchtbaren Re­ pen im A uftrag Roms die
Aristokratie erkennt den gionen der römischen Pro­ burgundischen Truppen.
••
Thronfolger nicht an. Erst vinzen vor Attacken etwa Die Überlebenden werden
als der oströmische Kaiser der Sueben sicher zu sein. um 443 am Rand jener
(ein Vetter Valentinians III.) Region Galliens angesie­
431
ein Expeditionsheer nach delt. die bis heute ihren
Italien entsendet, bricht N ordafrika. Nach mehre­ Namen trägt: Burgund.
der Widerstand gegen den ren gewonnenen Schlach­
439
Thronerben zusammen. ten gegen römische Trup­
Für ihn regiert nun seine pen nehmen die Vandalen N ordafrika. Trotz des
M utter Galla Placidia. Teile der Diözese Afrika Friedensvertrags mit Rom
ein. Geiserich macht die erobern die Vandalen den
424
Küstenstadt Hippo Regius größten Teil der afrikani­
Ungarn. Die Hunnen zu seiner Residenz. schen Diözese. Geiserich
unterwerfen die Gepiden K onstantinopel. Der ist je tzt endgültig Herr­
im Nordosten Ungarns. oströmische Kaiser ver­ scher eines Territorial­
Auch andere Gruppen in pflichtet sich, jährlich 350 staates.
der Region machen sie zu Pfund G old an den Hun­ Iberische Halbinsel.
Vasallen. Zudem überfal­ nenkönig Ruga zu über­ Die Sueben erobern ge­
len sie o ft Grenzregionen geben, um weitere Beute­ gen römischen Widerstand
des Imperium Romanum. züge abzuwenden. Solche ein Reich, das sich über
Zahlungen leisten die Portugal und weite Teile
425
Römer auch an ihre persi­ Südspaniens erstreckt.
Balearen. Die Vandalen schen und afrikanischen
442
plündern die Inselgruppe. Nachbarn sowie an Ger­
Es sind ihre ersten Raub­ manen, weil die Schutz­ Italien. Da Geiserich kein
züge m it Schiffen. gelder geringer sind als Getreide nach Rom liefert

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung 153


Am Wendepunkt

Angel­
sachsen
London
Aachen fhüri

Donau

Konstantinopel
Westgotenreich
Toledo

Karthago #
Vandalen
reich

S chraffierte F läche k e n n z e ic h n e t e in e n E influssbereich.

Nach seinem Sieg über O doaker im Jahr 493 etabliert der aus der Balkanregion stammende Theoderich die O stgoten
als eine neue M acht in der M itte Europas. Er herrscht über ein Reich, das sich zu beiden Seiten der A dria erstreckt. A b 511 ist er
zudem in Personalunion auch G ebieter über das W estgotenreich in Spanien - und dam it der bis dahin m ächtigste germanische
König in Europa. D och auch die Franken haben ihren M achtbereich inzwischen deutlich erweitert. Und als Theoderich im Jahr 526
stirbt, hat das O stgotenreich seinen H öhepunkt bereits überschritten. Zudem wird der oströmische Kaiser noch einmal
versuchen, das Territorium der westlichen Reichshälfte zurückzugewinnen und die Germanen zu vertreiben

154 GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


und eine Hungersnot Doch der römische Heer­ W illen des Kaiserhauses
droht, erkennt Kaiser Va- meister Aetius besiegt die und Ostroms zum Herr­
lentinian III. ihn als Herr­ Hunnen im Sommer. Attila scher erhoben. Er zwingt
scher an. Zugleich verlobt kehrt nach Ungarn zurück Eudocia, die Verlobte des
er seine Tochter m it Gei- und stirbt 453 - wohl eines Vandalenprinzen Hune-
serichs Sohn; fortan expor­ natürlichen Todes. Seine rich, zur Ehe m it seinem
tieren die Vandalen wieder Söhne teilen das Hunnen­ eigenen Sohn. Daraufhin
Getreide nach Rom. reich unter sich auf. eilt Hunerichs Vater, König
Geiserich, von Afrika
445 454 nach Italien.
Ungarn. A ttila ermordet Rom. Kaiser Valentinian III. 31. 5. Geiserichs Vanda­
seinen Bruder, um allein zu ermordet eigenhändig sei­ lenarmee steht vor Rom.
herrschen. Er bricht den nen Heermeister Aetius, Daraufhin flieht der Kaiser,
mit Ostrom geschlossenen weil er fürchtet, der wolle wird jedoch noch am sel­
Vertrag und plündert nun ihn entmachten. ben Tag von den eigenen
immer wieder dessen Ungarn. Der Hunnen­ Legionären gesteinigt.
Gebiete auf dem Balkan. fürst Ellak, der mächtigste 2. 6. O hne auf W ider­
unter Attilas Nachfolgern, stand zu stoßen, plündern
450 kom m t in einer Schlacht die Vandalen zwei Wochen
K onstantinopel. Der gegen die Gepiden ums lang Rom. Anschließend
oströmische Kaiser stellt Leben. M it ihm bleiben heiratet Hunerich seine
alle Zahlungen an die 30 0 0 0 Soldaten auf dem Verlobte Eudocia. Bald
Hunnen ein - und Attila Schlachtfeld; zahlreiche darauf nehmen Vandalen
nim m t dies hin. Sehr wahr­ Hunnen fliehen m it ihren Sizilien, Sardinien, Korsika
scheinlich ahnt er, dass er Familien ins Oströmische und die Balearen ein.

Daten und Fakten


die stark befestigte Stadt Reich, wo ihnen der Kaiser 9. 7. A u f Betreiben des
nicht einnehmen kann. Siedlungsgebiete zuweist. Westgotenkönigs Theode-
Die Gepiden übernehmen rich II. rufen Legionäre in
um 450 das Kernland der Hunnen Gallien einen neuen Kaiser
B ritannien. Nachdem in Ungarn. Zug um Zug aus: Avitus, ehemals Heer­
viele Sachsen, Angeln und dehnen sie ihre Herrschaft meister, Diplom at und
Jüten von ihrer Heimat aus. Daraufhin fliehen Lehrer Theoderichs II. Die
an der Nordseeküste nach die O stgoten aus Sieben­ römische Aristokratie
Britannien übergesetzt bürgen sowie die Rugier aber lehnt ihn ab. So wird
haben, fliehen große Teile von nördlich der Donau der Herrscher bereits im
99

der dort siedelnden kelto- nach Österreich. folgenden Jahr gestürzt.


römischen Bevölkerung Seine Nachfolger sind
aufs Festland. Die Erobe­
454 machtlose Marionetten
rer gründen mehrere Weströmisches Reich. des germanischstämmigen
Königreiche. Das seit Langem politisch Generals Ricimer (der
G allien. Während der instabile Kaiserreich stürzt wegen seiner militärischen
Wirren im Weströmischen in seine größte Krise: Erfolge beim Adel großes
Reich haben sich fränki­ 16.3. Gefolgsleute des Ansehen genießt).
sche Stämme, die einst Feldherrn Aetius ermor­
östlich des Rheins siedel­ den Kaiser Valentinian III.
456
ten, im Norden Galliens aus Rache. In den folgen­ Spanien. Westgotische
niedergelassen. den 20 Jahren werden Truppen erobern Teile des
neun, meist schwache Suebenreichs. In den fol­
451 Monarchen das Westreich genden gut 100 Jahren
G allien. Hunnenkönig regieren - und o ft ist der können die Goten das
A ttila greift das durch Thron monatelang vakant Nachbarvolk vollständig
innere Kämpfe und Kon­ (während in Ostrom Kaiser unterwerfen.
flikte m it Germanen ge­ Leo I. von 457 bis 474
461
schwächte Weströmische unangefochten herrscht).
Reich an, plündert M etz 17. 3. Petronius Maximus Ungarn. Die in Pannonien
und belagert Orleans. wird in Rom gegen den siedelnden Ostgoten ver-

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung 155


Der Traum des Justinian

556
fränkisch

Mailand Donau

• Ravenna

556
fränkisch
Marseille

Mons Lactarius
552

S ard in ien

Karthago

Kaiser Justinian, der ab 527 in Konstantinopel regiert, ist besessen von der Idee, das Imperium Romanum in seiner alten Größe wieder­
herzustellen. 535 wagt er vom Balkan und von Nordafrika aus den A n g riff auf die Ostgoten. Binnen fünf Jahren unterwerfen seine Truppen
fast ganz Italien, besetzen Rom. ziehen in die Hauptstadt Ravenna ein und nehmen den ostgotischen König gefangen. Doch dann schwächt ein
persischer A n g riff im Nahen Osten seine Armeen - und in Italien geht der schon besiegt geglaubte Feind in die Gegenoffensive. Erst nach
einem zweiten jahrelangen Feldzug strecken die Ostgoten 552 endgültig ihre Waffen: Justinian herrscht wieder über ein Reich, das in seinen
Ausmaßen an die alte Größe des römischen Imperiums erinnert. Aber schon wenige Jahre später wird ein neuer Feind gen Italien ziehen

156 GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


pflichten sich gegen einen vierjährigen Kämpfen er­
jährlichen Lohn von 300
486 klärt sich Odoaker bereit,
Pfund Gold, den oströmi­ G allien. Chlodwig, König die Herrschaft m it dem
schen Kaiser Leo I. mili­ der unter seiner Führung oströmischen Heermeister
tärisch zu unterstützen. vereinten Frankenstämme, zu teilen. Doch dann tötet
Dam it sie den Kontrakt besiegt Syagrius, den letz­ Theoderich den König bei
einhalten, geht der Fürs­ ten römischen Herrscher einem Gastmahl eigen­
tensohn Theoderich als in Gallien. Dessen Vater, händig mit dem Schwert.
Geisel an den H o f nach ein römischer Heermeister,
493
Konstantinopel, wo er von hatte 461 gegen den Kai­
den besten Lehrern des ser rebelliert und schließ­ Italien. Theoderich über­
Reiches unterrichtet wird. lich im heutigen N ord­ nim m t das A m t als Statt­
frankreich weite Gebiete halter des oströmischen
475 kontrolliert. M it diesem Kaisers. Doch tatsächlich
Ravenna. Der Heermeis­ Erfolg ist das Territorium regiert er bald m it fast
ter Orestes verjagt den des untergegangenen uneingeschränkter Macht­
amtierenden Kaiser und Weströmischen Reiches fülle und sichert sein Reich
proklamiert seinen jungen fast vollständig in ger­ durch geschickte Heirats­
Schwarzes Sohn Romulus zum Herr­ manischer Hand. politik. Seine ostgotischen
Meer scher. Unterstützt wird er Untertanen siedelt er
488
von Odoaker, einem G er­ überall in Italien an.
manen, der sich m it einer Ö sterreich. Odoaker
O s t r ö m i s c h e s 494
großen Arm ee in den vertreibt die Rugier, weil
Dienst Roms gestellt hat. sie sich m it Zenon ver- Spanien. Der westgoti­
••
R e i c h bündet haben. Die Über­ sche König Alarich II. be­

Daten und Fakten


476 lebenden schließen sich ginnt einen Feldzug gegen
N orditalien. Odoaker Theoderichs O stgoten an. einheimische Stämme und
tö te t Orestes, weil der K onstantinopel. Kaiser dehnt sein Reich immer
Heermeister ihm und sei­ Zenon beauftragt T heo­ weiter aus, bis er mehr als
nen Männern Siedlungs­ derich - inzwischen König die Hälfte der Iberischen
land in Italien verwehrt. Er der O stgoten sowie ost­ Halbinsel beherrscht.
setzt Romulus ab, schickt römischer Heermeister
496
die kaiserlichen Insignien und Konsul - damit, sein
nach Konstantinopel und Volk von Pannonien nach G allien. Chlodwig I. be­
lässt dem dortigen Herr­ Italien zu führen, den ei­ siegt die Alemannen nahe
scher Zenon mitteilen. genmächtigen Odoaker zu Tolbiacum (Zülpich) - und
dass das Imperium Roma- vertreiben und dort an­ schwächt den zwischen
num nur einen Kaiser be­ schließend als kaiserlicher Rhein, Main und Donau
nötige. Dam it besiegelt Statthalter zu regieren. siedelnden Stammesver­
Odoaker das Ende des Denn Zenon versteht sich band entscheidend. Nach
Weströmischen Reiches. nach wie vor als Herrscher weiteren Schlachten gera­
Zenon lässt Odoaker ge­ des gesamten Imperiums. ten bis 537 alle Aleman­
währen. Der nennt sich rex O stalpen. Gruppen nen unter fränkische
oström ische F eld zü g e im Italiae (König von Italien) der germanischen Lango­ Oberhoheit.
E rsten G o ten k rie g 5 3 5 -5 4 0
und erkennt durch den we­ barden („Langbärte“)
oström ische F eld zü g e im
Z w eiten G o ten k rie g 541-552 niger würdigen Titel formal
••
wandern nach Österreich
um 500
o 150 km den Vorrang des Kaisers ein. Sie waren zuvor wohl G allien. Chlodwig I. tritt

c GEOEPOCHE-Karte an. Er herrscht auch über


Gebiete nördlich der A l­
Vasallen der Hunnen. zum römisch-katholischen
Glauben über; seinem
pen und östlich der Adria.
489-493 Vorbild folgen nach und
Italien. Theoderich mar­ nach alle Franken. Zudem
477 schiert m it 20 000 Krie­ gelten im Frankenreich
N ord a frika . Geiserich gern sowie fast 80 000 weiterhin zahlreiche römi­
stirbt; ihm fo lg t sein Sohn Frauen, Kindern und Skla­ sche Gesetze. A uch die
Hunerich als Herrscher ven über den Balkan nach Verwaltung sowie das
des Vandalenreiches nach. Norditalien. Nach knapp Heer sind dort nach dem

GEO EPOCHE Die Völkerwanderung 157


Das Ende der Wirren
P ik te n

Aachen

B r it e n

Donau

Konstantinopel
W e s tg o te n re ich

Toledo

Nach fast zwei Jahrhunderten ständiger Kämpfe scheint sich in Europa um 568 ein neues G leichgew icht abzuzeichnen: Die Franken
beherrschen G allien sowie weite Teile des heutigen Deutschland, die W estgoten siedeln auf der Iberischen Halbinsel, die Angelsachsen in
Britannien, und Konstantinopel kontrolliert dank seiner militärischen Erfolge fast den gesamten M ittelm eerraum . D och an der Nordgrenze des
Reiches, im heutigen Ungarn, droht eine neue G efahr: D ie germanischen Langobarden haben wohl erkannt, dass die kaiserlichen Truppen zu
schwach sind, um das von den G otenkriegen verheerte Italien zu verteidigen. Sie ziehen nach Westen und gründen nach militärischen Erfolgen
auf der Apenninen-Halbinsel ein eigenes Reich. M it ihrem Einmarsch endet die Völkerwanderung. Eine neue Epoche zieht auf: das M itte la lte r

158 GEO EPOCHE Die Völkerwanderung


Muster des Imperiums folgenden Jahren große
533 Teile der Apenninen-
organisiert. Und die fränki­
schen Bewohner verstän­ N ordafrika. Der oströmi­ Halbinsel. Ihr Zug ist der
digen sich mit ihren gallo- sche Feldherr Beiisar setzt letzte große Marsch der
römischen Nachbarn in m it einem Heer nach Völkerwanderung.
einer vereinfachten Form Afrika über und erobert
des klassischen Latein. das Reich der Vandalen. A l s d ie L a n g o b a r d e n Ita lien
Ungarn. Die Langobar­ e r r e ic h e n , s in d v ie le d e r im
534
den wandern von Noricum V e r la u f d e r V ö lk e r w a n d e ­
an der Donau weiter nach G allien. Die Franken r u n g a u f d e m T erritorium
Südosten in die Ebenen zerschlagen das Reich der d e s I m p e r iu m R o m a n u m
Pannoniens, wo sie andere Burgunder. e n t s t a n d e n e n g e r m a n i­
Germanen vertreiben. K onstantinopel. Da s c h e n S ta a t s w e s e n b e r e its
König Athalarich noch als w ie d e r u n te r g e g a n g e n : D ie
507 Kind gestorben ist, sieht R e ic h e d e r V a n d a le n in
G allien. König Chlodwig I. der oströmische Kaiser N o r d a fr ik a s o w ie d e r O s t ­
erobert große Teile des Justinian die Chance, die g o te n in Ita lie n w u r d e n v o n
Westgotenreiches und Herrschaft über Italien an o s tr ö m is c h e n F e ld h e r re n
tö te t König Alarich II., den sich zu reißen - und dringt z e r s tö r t - u n d d ie d e r
Schwiegersohn Theode- im folgenden Jahr auf die B u r g u n d e r s o w ie d e r W e s t ­
richs, angeblich eigenhän­ Apenninen-Halbinsel vor. g o te n in G a llie n v o n d e n
dig. Daraufhin zieht der Es entbrennt ein fast zwei F ra n k e n e r o b e r t ( d ie s p a n i­
westgotische H of von Jahrzehnte währender s c h e n G e b ie te d er W e s t­
Gallien in die spanische Krieg gegen die Goten. g o te n u n te r w e r fe n A r a b e r
Reichshälfte, nach Barce­ u n d B e r b e r a b 711). U n te r
lona. W ohl nur ein von
552 ih r e m K ö n ig K a rl w e r d e n
König Theoderich ent­ Italien. M it einem Sieg d ie F ra n k e n 774 d a s L a n g o ­
sandtes Heer kann verhin­ über die Reste des ostgo­ b a r d e n r e ic h e in n e h m e n .
dern, dass sich die Franken tischen Heeres am Mons Im J a h r 8 0 0 w ird d e r
auch auf der Iberischen Lactarius (nahe Neapel) P a p s t K a rl - g e g e n d e n
Halbinsel festsetzen. beenden kaiserliche Trup­ W ille n O s t r o m s - z u m
pen den 535 begonnenen e r s te n r ö m is c h e n K a iser
511 Krieg. Durch die Kämpfe d e s A b e n d l a n d e s s e it m e h r
Spanien. Theoderich sind weite Teile Italiens a ls 500 J a h r e n k r ö n e n .
erklärt sich zum Herrscher vollkommen verwüstet: Karl der Große ( wie er
über die Westgoten. Seine Wasserleitungen sind zer­ bald genannt wird) fühlt
M acht reicht nun von stört, Straßen unpassier­ sich als Nachfolger der
Gibraltar bis zum Balkan. bar, Felder verödet. Und antiken Kaiser - und be­
zahllose Menschen - Rö­ gründet zugleich ein neues
511 mer wie Germanen - sind Zeitalter: Er wird zum Vor­
G allien. Chlodwig I. stirbt durch Kämpfe, Seuchen bild der späteren römisch­
in Paris, seit 507 die frän­ und Hungersnöte umge­ deutschen Herrscher sowie
kische Hauptstadt. Die kommen. Das Volk der der französischen Könige,
Regierungsgewalt teilen O stgoten existiert prak­ die nun über weite Teile
sich nun seine Söhne. tisch nicht mehr. Nur eini­ des während der Völker­
ge versprengte Trupps wanderung untergegange­
526 gotischer Rebellen kämp­ nen Weströmischen
Italien. Theoderich stirbt. fen noch einige Jahre Reiches herrschen. £
Als König von Italien folgt gegen die neuen röm i­
ihm sein vierjähriger Enkel schen Machthaber. O la f M isc h e r,/g . 1958,
Athalarich, für den seine ist Verifikations­
M utter die Regentschaft
568 redakteur im Team von
führt, während im Reich Ungarn. Die Langobarden G E O EPO CH E.
der Westgoten Amalarich nutzen das Machtvakuum C h ristian K uhlm ann,
herrscht, der Sohn des in Italien, ziehen über die Jg. 1973, ist Kartograph
verstorbenen Alarich II. Alpen und erobern in den in Hamburg.
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S»c“ erh« ?. G e to 'p a 'iffr it Lieoe

Familie ist heute vielfältiger denn je und doch beständig. Worin liegt das Geheimnis ihrer Kontinuität?

G E O W is s e n » D ie
aum etwas setzt tensweisen übernehmen,

K GEOWISSEN M a c h t d e r Fam ilie« h a t


derart intensive aber dennoch keine Gefan- 164 S e ite n u n d k o s te t
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der Gedanke an die eigene Auch die dunklen Seiten «Familie (» F a m ilie n g lü c k - K in d e r!
L ie b e ! H o ff n u n g ! « )
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GEO WISSEN in seiner Sprache: etwa, weshalb es
neuen Ausgabe mit dem nach dem Tod der Eltern
machtvollen Erbe von oft zum Streit ums Erbe
Mutter und Vater und er- kommt —oder wie manche
klärt, warum die Nach- Geheimnisse noch Genera­ rrgnsn

kommen oft unbewusst tionen später das Leben der


deren Werte und Verhal- Nachgeborenen belasten.

162
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besuchen Elefantencamps, Musikfestivals, Inselpara­
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nahmen zeigen eindrucksvoll, wie einzigartig und schön
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Aus Tausenden Fotos hat die Redaktion von
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mentieren lassen. Und in langen Gesprächen erzählt er
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durch die Jugend zu begleiten

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in d e r F re m d e / D ie S uche
n a ch d e m r ic h tig e n
L e b e n s e n tw u rf

163
Vorschau

------------------------------------------------------------------------ G E O E P O C H E -------------------------------------------------------------------------

EUROPA NACH DEM KRIEG


Z w is c h e n C h a o s u n d W i e d e r a u f b a u : ein K o n t i n e n t in R u in e n

m 16. August 1944 treiben Mit dem Krieg hat Deutschland Ländern wie Polen und Ungarn ver­
Bürger der gerade befreiten den Kontinent in Dunkelheit gestürzt. läuft die Front dieses neuen, kalten
französischen Stadt Char­ 40 M illionen Tote, elf M illionen Krieges mitten durch Europa. Die
tres eine geschorene Frau d i s p l a c e d p e r s o n s , zerstörte Städte, Teilung wird gut 40 Jahre anhaltcn.
durch die Straßen. Sie soll dafür büßen, ausgelöschte Dörfer. Der Konflikt hat GEO E P O C H E erzählt die Ge­
dass sie ein Kind von einem deutschen Gräben gerissen zwischen Völkern, schichte der Jahre zwischen dem
Soldaten hat. Auch im Rest Europas Religionen, zwischen Tätern und Op­ Beginn der Befreiung Italiens 1943
gilt: Als endlich die Waffen schweigen, fern, zwischen Mitläufern und Wider­ und dem Tod des für die Spaltung des
herrscht noch lange kein Frieden. Son­ standskämpfern. Auch die Sieger ent­ Kontinents hauptverantwortlichen
dern zunächst Chaos. Mancherorts zweien sich schon bald - und nach Sowjetdiktators Stalin 1953: die Jahre
dauert es Wochen an, anderswo Jahre. den kommunistischen Putschen in nach der Katastrophe.

Diese A u s g a b e von GhOEPOCHE e r s c h e i n t am 17. F e b ru a r 2016

164
GEO E P O C H E P A N OR AMA

G re n z k o n tro lle : M illio n e n M enschen irre n nach 1945


durch Europa, v e rtrie b e n , ve rsch le p p t, a u f der F lu c h t

HAMBURG
A nsichten der H a fe n m e tro p o le
1865-1965
N u r langsam b e g in n t, Prag, 1947: In O ste u ro p a
w ie hier in U ngarn, der übernehm en bald die iese Stadt lebt am und vom Wasser: an der
W ie d e ra u fb a u K o m m u n iste n die M a c h t

D Alster, die von ansehnlichen Boulevards


(ganz oben) gesäumt wird und an deren
Ufern das gehobene Bürgertum prächtige Villen
errichtet. Und an der Elbe, der Lebensader der
Stadt, denn Zehntausende Menschen finden Ar­
J e tz t auch d ig ita l lesen: die neue A u sgabe von beit im Hafen, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts
G E O EPOCHE als eM agazine der bedeutendste Seehandelsplatz auf dem euro­
päischen Kontinent ist. Hier werden mächtige
Die jeweils aktuelle Schiffe gebaut, hier entsteht eines der größten
( I OEPOCHE sowie immer mehr Städtebauprojekte: die Speicherstadt, ein gewalti­
DIE V Ö L K E R W A N D E R U N G
ältere Ausgaben von ger Lagerhauskomplex (oben). In seiner nächsten
GEOEPOCHE sind
Ausgabe erzählt GEO E P O C H E PANORAMA
auch in digitaler
Form erhältlich - als die Biografie einer Stadt - und präsentiert eine
eMagazine für iPad Chronik der hamburgischen Geschichte zwischen
CtRM ANCM M C I « ROM
und Android-Tablets 1865 und 1965 in historischen Fotografien.
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a m 17. F e b r u a r 2 0 1 6

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