in ländlichen Räumen
Handlungsempfehlungen zur Förderung des Tourismus in ländlichen Räumen
Impressum
Herausgeber Das Bundesministerium für Wirtschaft und
Bundesministerium für Energie ist mit dem audit berufundfamilie® für
Wirtschaft und Energie (BMWi) seine familienfreundliche Personalpolitik
Öffentlichkeitsarbeit ausgezeichnet worden. Das Zertifikat wird von
11019 Berlin der berufundfamilie gGmbH, einer Initiative der
www.bmwi.de Gemeinnützigen Hertie-Stiftung, verliehen.
Vorworte .................................................................................................................................................................................. 2
Abkürzungsverzeichnis ................................................................................................................................................................ 58
Glossar.................................................................................................................................................................................... 59
Vorworte
Lust auf Natur, raus aus der Stadt, weg vom Alltag! Es lohnt sich also, nach den Ursachen der vergleichsweise
Wer denkt da nicht an einen entspannten Trip aufs Land, geringen Wachstumsdynamik in ländlichen Räumen zu
an eine Radelpartie durch herrliche Landschaft mit kleinen suchen. Und mit dem Blick nach vorn zu fragen: Wie funk-
Dörfern, der Landwirt grüßt freundlich … Gestützt wird tioniert Tourismus in ländlichen Räumen? Welche grundle-
dies durch gesellschaftliche Trends wie Rückbesinnung auf genden Voraussetzungen müssen im öffentlichen und pri-
Regionalität, Nachhaltigkeit, steigendes Umweltbewusst- vaten Bereich des Tourismus erfüllt werden? Was ist rund
sein, Gesundheit und Entschleunigung. Die Großwetterlage ums touristische Produkt zu tun, um Nachfragepotenziale
für den Tourismus in Deutschlands ländlichen Räumen zu erzeugen? Welche Vertriebswege sind künftig richtig
scheint günstig. Trotzdem profitieren bisher vor allem die und warum? Wie lassen sich neue Ansätze für Kooperation
großen Städte von den Nachfragezuwächsen der vergange- und Zusammenarbeit umsetzen?
nen Jahre im Deutschlandtourismus.
Das Projekt „Tourismusperspektiven in ländlichen Räumen –
Viele gute Gründe sprechen dafür, dies zu ändern, denn Handlungsempfehlungen zur Förderung des Tourismus in
gerade in ländlichen Räumen kann ein lebendiger Touris- ländlichen Räumen“ ging diesen und weiteren Fragen nach.
mus die Lebensqualität deutlich erhöhen: Arbeitsplätze vor Gefördert durch das Bundesministerium für Wirtschaft
Ort werden gesichert oder neu geschaffen und so Abwan- und Energie (BMWi), wurde es vom Deutschen ReiseVer-
derung verhindert. Damit können die örtlichen Angebote band (DRV) durchgeführt. Ziel war es, den Status Quo im
und die öffentliche Infrastruktur erhalten und verbessert Tourismus ländlicher Räume zu ermitteln sowie Perspekti-
werden, die wiederum Voraussetzung für touristische ven und modellhaft Lösungswege für Anbieter, Vermarkter,
Nachfrage sind: Der öffentliche Nahverkehr, kulturelle und Netzwerke und die öffentliche Hand in wichtigen Hand-
Freizeitangebote, Gasthöfe und Geschäfte finden ihre Kun- lungsfeldern aufzuzeigen. Das Bewusstsein für Wege zum
den. Erfolg soll durch umfassende Kommunikation der Ergeb-
nisse bei den relevanten Akteuren gestärkt werden.
1 . EINFÜHRUNG UND HINTERGRUND 5
und auf vier Regionalkonferenzen einbezogen. Chancen Der Leitfaden gibt einen Überblick über die Projekt-
und Herausforderungen wurden ermittelt, die Beispiele ergebnisse. Vertiefende Informationen und Details zu
analysiert und schließlich Erfolgsfaktoren und Handlungs- den einzelnen Handlungsfeldern mit ihren Lösungs-
empfehlungen für den Tourismus in ländlichen Räumen ansätzen, weiteren Praxisbeispielen und den Check-
abgeleitet. Ein Fachbeirat mit 30 Vertretern und Vertreterin- listen werden in zehn Kurzreports veröffentlicht.
nen aus Tourismus, Wissenschaft sowie Politik und Verwal- Diese stehen als Download unter
tung (Liste der Mitglieder siehe S. 63) begleitete zudem das www.tourismus-fuers-land.de und
Projekt. www.bmwi.de bereit
2. Potenziale, Herausforderungen,
Handlungsfelder
1 Werte auf Basis des BBSR 2010 und in Anlehnung an OSV-Tourismusbarometer 2010.
2 . POTENZIALE, HERAUSFORDERUNGEN, HANDLUNGSFELDER 7
schaft und Regionalkultur in den Blick genommen. Gerade jeweils für die Zeiträume 2004 bis 2010 (Übernachtungen in
dies ermöglicht eine intensivere Erörterung wichtiger, für Beherbergungsbetrieben mit 9 und mehr Schlafgelegenhei-
das Funktionieren des touristischen Systems ländlicher ten bzw. auf Campingplätzen mit 3 und mehr Stellplätzen)
Räume relevanter Belange. Diese sind z. B. Kooperations- und 2011 bis 2013 (Übernachtungen in Beherbergungsbe-
potenziale, Wertschöpfungsbeziehungen oder Vermark- trieben mit 10 und mehr Schlafgelegenheiten bzw. auf
tungsoptionen. Campingplätzen mit 10 und mehr Stellplätzen) dargestellt.
30 23,5 23,5 23,7 24,4 25,3 25,7 25,9 26,4 27,1 26,6 +1,68% +0,29 %
20
0
2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013
*CAGR: für den betrachteten Zeitraum durchschnittliche jährliche Wachstumsrate (Compound Annual Growth Rate)
Gemeinden bis 5.000 Einwohner Gemeinden 5.000–50.000 Einwohner Gemeinden über 50.000 Einwohner
Quelle: Eigene Darstellung nach Statistisches Bundesamt 2014, Daten ab 2011 Übernachtungen in Beherbergungsbetrieben mit 10 und mehr Schlafgelegenheiten
bzw. auf Campingplätzen mit 10 und mehr Stellplätzen.
Ökonomische Bedeutung
30 % der Haupturlaubsreisen werden in Deutschland ver- Die kleinteilige und oft wenig professionelle Angebots-
bracht3, der Deutschlandtourismus ist somit nach wie vor struktur bedingt ein deutlich niedrigeres Preisniveau im
von der Inlandsnachfrage geprägt: In den größeren Städten Vergleich zu den Städten. Auch bedingt durch die geringere
machen Deutsche ca. 70 % der Nachfrage aus, in ländlichen Attraktions- und Angebotsdichte bewegen sich die allge-
Räumen etwa 90 %. Dennoch ist der Incomingtourismus meinen Urlaubsausgaben auf niedrigerem Niveau. In der
(Reisen ausländischer Gäste nach Deutschland) der größte Folge werden lediglich 12 % der touristischen Wertschöp-
Wachstumstreiber der vergangenen Jahre. Dies gilt vor fung „auf dem Land“ generiert, obwohl fast 32 % der Über-
allem für den Städtetourismus, doch auch in ländlichen nachtungskapazitäten hier zu finden sind.6
Räumen ist ein positiver Trend zu verzeichnen. Daher
scheint auch in diesem Bereich das Potenzial noch nicht aus- Es zeichnen sich einige grundlegende Entwicklungen ab,
geschöpft. Gerade in grenznahen Gebieten sowie in den die künftig maßgeblich eine positive Wachstumsdynamik
etablierten Binnen- und Küstenregionen und hier vor beeinflussen. Zu nennen sind Änderungen im Wertegefüge,
allem im Natur- und Aktivtourismus4 können noch mehr Verschiebungen auf Anbieter- und Vermarktungsseite und
Gäste aus den Nachbarländern gewonnen werden. auch die demographische Entwicklung, die bei aller Proble-
matik Chancen auf Nachfragesteigerung bietet.
Abbildung 2: Anzahl der angebotenen Betten in 2013 nach Gemeindegrößenklassen und Betriebsart
... Gemeinden bis 5.000 Einwohner ... Gemeinden mit 5.000 bis 50.000 Einwohnern
2,8 % 2 %
1,4 % Schulungsheime
6,6 %
27,0 %
4,5 %
3,3 % Ferienzentren
6,6 %
3,7 % Vorsorge- und Rehakliniken
Campingplätze 35,4 % 4,0 %
3,9 % Jugendherbergen und Hütten 4,4 %
3,9 % Hotels garnis 6,1 %
4,3 % Pensionen
26,8 % 9,2 %
4,7 % Erholungs- und Ferienheime
... Gemeinden mit über 50.000 Einwohnern
2,0 %
7,3 % Gasthöfe 7,6 % 1,2% 5,5 %
23,5 %
14,5 % Feha/Fewo
17,6%
2,0 %
Hotels (ohne Hotels garnis) 1,3 %
1,7 %
- zusätzlich hohe Bedeutung des privaten Sektors 53,1 %
- rund 32,8 Mio. Übernachtungen in privaten Betrieben (Berechnungen nach dwif 2006)
2,1 %
Quelle: Eigene Darstellung nach Statistisches Bundesamt 2014, Daten inklusive Camping
Natur-Urlaub: Zentrale Motive sind Natur-Attraktionen, Die Kernthemen weisen starke Überschneidungen auf. Für
Aktivitäten wie Wandern und Radfahren, aber auch entsprechend profilierte Anbieter oder Regionen bedeutet
Wasserwandern/Wassersport und Wintersport, vor dies nicht unerhebliche Synergiepotenziale.
allem Ski nordisch. Hohes Potenzial besteht vor allem
für die deutschen Mittelgebirge bzw. die Natur- und
Landschaftsräume mit den entsprechenden Vorausset-
zungen.
Definierte Gästetypen
Die aktuelle und künftige Nachfrage für die touristi- damit verknüpften Kernmotive besonders wichtig
schen Kernthemen wird von fünf durch ihr Wertesys- sind. Sie haben sowohl im Tages- als auch Übernach-
tem definierte Gästetypen8 bestimmt, die konkretes tungstourismus große Relevanz.
Interesse am jeweiligen Thema zeigen und denen die
8 Hinweis zu Gästetypen: Best Ager („Leute im besten Alter“): Menschen 50+, hohe Konsum- und Genussorientierung, Sportliche Performer
(„Leistungsorientierte“), Details siehe Abbildung 5.
2 . POTENZIALE, HERAUSFORDERUNGEN, HANDLUNGSFELDER 13
Für die einzelnen Kernthemen sind klare Zielgruppenzu- Der Blick auf Lebensumstände, Wertesysteme sowie das
ordnungen erkennbar. Das Thema Natur spricht die Natur- sich daraus ableitende Reiseverhalten und Informationsbe-
begeisterten Best Ager an, jedoch auch Landaffine Familien- dürfnis verdeutlicht:
menschen und Sportliche Performer. Diese wiederum sind
die wichtigste Zielgruppe des Themensegments „Aktiv“. Ländliche Räume können als echte und gleichzeitig
Entsprechend der erkennbaren Urlaubsmotive und -aktivi- moderne Gegenwelt zum Alltag positioniert werden.
täten lassen sich klare Empfehlungen für Produktgestal-
tung und Marktansprache ableiten. Bei der Positionierung und Ausgestaltung des eigenen
Angebots ist eine klare Zielgruppenanalyse und -festle-
Die Affinität der einzelnen Gästetypen zu den Kernthemen gung vorzunehmen.
ist dabei zwar unterschiedlich stark ausgeprägt, dennoch
bestehen Gemeinsamkeiten in den Interessen, die für das Gefordert sind zunehmend Angebotskombinationen
Angebot nutzbar sind. Naturbegeisterte Best Ager etwa und Mischformen, vor allem aus den Bereichen Natur,
haben kein dominantes, jedoch ein durchaus vorhandenes Aktiv und Gesundheit.
Interesse an Gesundheitsangeboten. Das entsprechende
Thema sollte dabei mit Blick auf das jeweilige Hauptmotiv Zielgruppen definieren sich über ihr Wertesystem und
aufgearbeitet werden, z. B. Gesundheitsangebote für Natur- ihren Lebensstil. Aspekte wie Nachhaltigkeit, Regionali-
orientierte Best Ager mit Bezug zu Natur und Landschaft tät oder Entschleunigung gewinnen an Bedeutung.
(z. B. Landschaftstherapie), Radfahren oder Wandern für
Familien in Kombination mit Unterwegs-Attraktionen, Angebote müssen auch die aktuellen Lebens- und Haus-
Naturangebote für Wasserorientierte Erholungssuchende haltsformen berücksichtigen, z. B. über eine Ausrichtung
nahe am Urlaubsort usw. auf Patchworkfamilien und ihre Bedürfnisse.
Bauernhof + ++ - o o
Aktiv + o ++ o o
Strand o + + ++ -
Gesundheit o - o - ++
Tourismussystem
ländlicher Räume
politische Rahmenbedingungen
Zersplitterung im öffentlichen Tourismusmarketing
liche Regionen in Ostdeutschland, aber zunehmend auch in Sauerländischen Gebirgsvereins von etwa 50.000 Mit-
anderen Landesteilen, werden aufgrund von Abwanderung gliedern im Jahr 1999 auf etwa 38.000 Mitglieder im Jahr
jüngerer Bevölkerungsschichten in wirtschaftlich stärkere 2014. Neue Konzepte für Erhalt und Förderung ehren-
Städte und Regionen überdurchschnittliche Rückgänge amtlicher Tätigkeiten sind dringend erforderlich.
und stärkere Überalterung hinnehmen müssen.
10 Prämienzahlungen an Landwirte durch die Europäische Union bei Einhaltung von Umweltstandards. Die Einhaltung der Standards ist
Voraussetzung für den Erhalt der Prämienzahlungen.
18 2 . POTENZIALE, HERAUSFORDERUNGEN, HANDLUNGSFELDER
verpuffen oftmals wegen mangelnder klarer Zielsetzung, band- oder LTE-Anbindung (siehe Glossar). In Vertriebs-
Aufgabenverteilung oder fehlender finanzieller Grund- fragen kommen weitere Hemmnisse hinzu:
lagen. Partnerschaftliche und branchenübergreifende
Wertschöpfung wird nicht generiert. Professionelle Vertriebskanäle von Reiseveranstaltern und
Reisebüros eignen sich aufgrund der Anforderungen nach
Mangelhafte Wahrnehmbarkeit am Markt: Oftmals stabilen Standardprodukten und der Kontingentzwänge
bestimmen austauschbare Produkte ohne Wiedererken- nur bedingt und ab einer bestimmten Größenordnung des
nungswert und ohne eine eigene emotionale Geschichte Anbieters. Allerdings bestehen selbst bei für den Veranstal-
dahinter die Angebotslandschaft. Infolge der außerdem tervertrieb geeigneten Betrieben noch häufig Vorbehalte
oft fehlenden Integration in regionale Strategien, Pro- gegenüber Provisionszahlungen. Obwohl eine Provision
duktlinien und in das Außenmarketing sowie begrenzter nur im Fall einer Buchung fällig wird, fehlt hier das Ver-
eigener Budgets werden Zielgruppen und Quellmärkte ständnis, dass Provisionen im Gegenzug umfassende Mar-
nur schwer erreicht. ketingeffekte durch flächendeckende Präsenz in Reisebü-
ros, Buchungsportalen und Katalogen erzeugen und das
Qualitätsdefizite: Trotz Fortschritten durch umfangrei- Angebot so bei den anvisierten Zielgruppen wahrnehmbar
che Qualifizierungsangebote und -maßnahmen z. B. der wird. Ursache sind vor allem Wissensdefizite in Bezug auf
Tourismusorganisationen bestehen noch immer Defizite. Zielgruppenanforderungen und Marketing. Auch seitens
Teils macht sich auch der hohe Anteil von ehrenamtli- der kleineren Anbieter werden geeignete Alternativen im
chen und nicht ausgebildeten Arbeitskräften bemerkbar. Online-Bereich aufgrund von Unkenntnis über das Vor-
Viele Leistungsträger und Angebote erfüllen zwar die handensein derartiger Buchungstools zumeist nicht
Basisqualitätsnormen wie DEHOGA-Hotelklassifizierung, genutzt.
DTV-Ferienwohnung-Zertifikat oder Service-Q. Eine Aus-
richtung auf die spezifischen Wünsche unterschiedlicher Doch auch im öffentlichen Tourismusmarketing besteht
Zielgruppen – eine Erlebnisqualität – fehlt jedoch häufig. ein eher verunsichertes Verhältnis zum Vertrieb: Während
Auch die Basisqualitätsnormen zielen mit ihren Kriterien sich einige Destinations-Management-Organisationen
hierauf kaum ab. (DMO, siehe Glossar) an das Thema heranwagen, bestehen
bei anderen DMO massive Vorbehalte und Wissensdefizite.
Viele DMO-Aktivitäten im Vertrieb führen oft nur zu mäßi-
Anpassungsbedarf von Kommunikation und Vertrieb auf gem Buchungserfolg. Ein wesentliches Problem besteht
Anbieterseite und im öffentlichen Tourismusmarketing an dabei in der zugrunde liegenden technischen Infrastruktur:
aktuelle Anforderungen Die eigenen Buchungssysteme (IRS11) der DMO sind tech-
nisch oft nicht mehr auf dem neuesten Stand. Schnittstel-
Die digitale Welt ist längst Alltag. Sie hat das Informations- len12 zu weiteren Buchungssystemen (um die Angebote
und Buchungsverhalten stark verändert und ins Internet auch dort sichtbar zu machen) sind teils technisch nicht
verlagert. Jedes touristisch relevante Objekt oder Produkt möglich oder von den Systembetreibern nicht gewollt. In
einer Destination kann durch Anbieter, Akteure oder Kun- der Folge sind die IRS vieler DMO isoliert und können die
den online gestellt und laufend ergänzt werden, wie durch Vorteile einer flächendeckenden Präsenz des Angebots
Fotos (z. B. flickr.com), Videos (z. B. youtube.com), Bewer- über mehrere Kanäle nicht nutzen – die Zielgruppen wer-
tungen, Reisetipps, Empfehlungen und Meinungen zu den nicht ausreichend erreicht.
Anbietern (z. B. holidaycheck.de, tripadvisor.de) usw. Viele
Regionen und Anbieter gerade in ländlichen Räumen sind Die sich rasant entwickelnde Technik bei den privat betrie-
jedoch weder in ihrer Kommunikation noch im Vertrieb benen Buchungsportalen zeigt dabei eines deutlich: Der
auf diese neuen Möglichkeiten eingestellt. Zudem fehlen Aufbau und Unterhalt technischer Infrastruktur für den
häufig noch infrastrukturelle Voraussetzungen wie Breit- Vertrieb ist kostenintensiv und lohnt sich für eine DMO
11 IRS: Informations- und Reservierungssysteme, Anbieter kann sein Angebot in diese Datenbank einstellen, Angebot wird damit unter ande-
rem auf Website der Region und ggf. den Websites weiterer Partner-Buchungsplattformen sichtbar.
12 Schnittstelle: Software, welche die Kompatibilität und Austauschbarkeit der Daten zwischen Buchungssystemen, die mit verschiedenen
Datenstandards arbeiten, sichert.
2 . POTENZIALE, HERAUSFORDERUNGEN, HANDLUNGSFELDER 19
Für viele Anbieter außerhalb von Ortschaften beschränken Keine aufgabenadäquaten Tourismusstrukturen: Die
zudem die Regelungen für das Baurecht im Außenbereich touristischen Strukturen, bestehend aus Landesmarke-
beabsichtigte Investitionen bei der Erweiterung von Kapazi- tingorganisation (LMO), Destinationsmarketingorgani-
täten. Hier sind vor allem die Kommunen gefordert, die vom sation (DMO) und Tourismusorganisationen auf lokaler
Gesetzgeber belassenen Ermessensspielräume zur Privilegie- Ebene haben sich verändert. Oft ist die lokale Ebene bes-
rung nach § 35 des Baugesetzbuchs zu nutzen. ser ausgestattet als die regionale. Zwischen den Ebenen
gibt es häufig keine klare Aufgabenverteilung. Dies führt
zur Doppel-, Nicht- oder nicht hinreichender Bearbei-
Zersplitterte und wenig professionelle Strukturen im tung von Aufgaben. Häufig besteht auch Unklarheit über
öffentlichen Tourismusmarketing die sinnvolle Aufgabenverteilung im jeweiligen regiona-
len relevanten touristischen Gesamtsystem.
Eines der größten Hemmnisse der regionalen Tourismus-
entwicklung sind die noch immer vielerorts unabgestimmt Kleinteiligkeit und Egoismus: Kirchturmdenken und
voneinander agierenden Tourismusorganisationen. Kern- Handeln auf kommunaler und teilregionaler Ebene ver-
probleme sind: hindert oftmals eine Verwaltungsgrenzen übergreifende
sinnvolle Zusammenarbeit. Tourismusorganisationen
Knappe Kassen: Tourismus ist eine freiwillige kommu- sind zu kleinteilig und parallel strukturiert. Lokal- bzw.
nale Aufgabe. Teils ist er unter-, oft jedoch nicht aufgaben- regionalpolitisch (z. B. auf Ebene der Landkreise) gewollte
adäquat finanziert. Bestehende Finanzierungsoptionen Projekte ohne Marktorientierung werden häufig realisiert.
(z. B. Kur- und Fremdenverkehrsabgabe) sind teilweise Noch immer fließen unverhältnismäßig hohe Mittel in
politisch umstritten. Freiwillige Beteiligungen der Leis- ineffizientes Außenmarketing kleiner Einheiten, die
tungsanbieter an der Tourismusfinanzierung sind Integration in regionale Strategien erfolgt sehr begrenzt.
bislang eher selten. Auch die Einnahmenseite der Touris-
musorganisationen steht unter Druck: Die Vertriebssys- Die Fehlverteilung ohnehin knapper Budgets schwächt
teme sind im Umbruch (siehe Kapitel 3.6), Vermittlungs- die gesamte Tourismusentwicklung im regionalen Sys-
provisionen brechen oft weg. Öffentliche Förderung ist tem: Die Wahrnehmbarkeit ganzer Regionen im Markt
angesichts geänderter EU-Förderbedingungen ab 2014 wird eingeschränkt. Einige DMO sind stark unterfinan-
tendenziell rückläufig, Eigenanteile können durch die ziert, personell schwach und fachlich nicht immer aus-
Kommunen häufig nicht erbracht werden. reichend qualifiziert besetzt. Die regionale Steuerung
von Tourismusentwicklung und -marketing erfolgt nur
in engen Grenzen, Kontakt zu und Durchgriff auf die
Leistungsträger sind begrenzt. In der Folge verpuffen
Destinations- und auch Landesstrategien. Potenziale für
22 2 . POTENZIALE, HERAUSFORDERUNGEN, HANDLUNGSFELDER
Eine große deutsche Ferienregion mit eigener DMO um- Zweifelsohne gibt es große Potenziale für die Tourismus-
fasst einige Landkreise. Jeder Landkreis besitzt aber auch entwicklung in ländlichen Räumen. Dennoch ist auch eine
eine eigene Tourismusorganisation und ist intensiv im Vielzahl von Herausforderungen zu bewältigen. Dabei beste-
Außenmarketing tätig. Eigene Websites, deren Namen hen bislang sowohl Erkenntnis- als auch Umsetzungsdefizite
dem der Region täuschend ähnlich sind, werden geschal- bei vielen relevanten Akteuren wie Anbietern, Tourismusorga-
tet. Es mangelt nicht an Prospekten, jedoch an touristi- nisationen, Politik und Verwaltung. Die vielfältigen Probleme
schen Produkten, einem Vertrieb oder einer aufeinander und Hemmnisse erfordern eine übergreifende Zusammenar-
abgestimmten Wegeinfrastruktur. Auf Destinationsebene beit in unterschiedlichen, aber in Zusammenhang stehenden
versuchen zwei Mitarbeiter, die „Marke“ der Gesamtre- Handlungsfeldern.
gion zu führen. Ihnen stehen ein Vielfaches an Personal
und Budget auf Landkreisebene „gegenüber“. Kurzum: Grundsätzlich gilt: Basis für eine positive Entwicklung des
Die Aufgaben im regionalen Gesamtsystem sind nicht Tourismus in ländlichen Räumen sind und bleiben unter-
adäquat verteilt, personelle und finanzielle Ressourcen nehmerischer Wille und die Fähigkeit der betreffenden
werden verschwendet. Partner. Diese gilt es zu stärken. Dabei zeichnen sich die
folgenden zehn Handlungsfelder ab:
Stärkung und Weiterentwicklung von Netzwerken: Barrierefreiheit: Das Zukunftsfeld ist vor allem als regio-
Diese haben eine Schlüsselfunktion bei der Verlänge- nale Aufgabe der Destinationsebene zu begreifen. Nur so
rung von Wertschöpfungsketten gerade in der kleinteili- können vollständige Angebotsketten und die Integration
gen und verstreuten Akteursstruktur ländlicher Räume. in regionale Strategien gewährleistet werden.
Existenz oder Entwicklung einer Vision, die den Erhalt Beispiel Südtirol
des betreffenden Lebensraums mit natürlichen Grundla-
gen und regionaler Identität einschließt. Das Ziel ist klar umrissen: „Begehrtester Lebensraum“
werden. Alles Handeln der Südtirol Marketing Gesell-
Intensives Innenmarketing: Sensibilisierung von Kom- schaft zielt darauf ab, Mehrwert immer sowohl für Gäste
munal- und Regionalpolitik, Industrie, Handwerk, tou- als auch Einheimische zu schaffen. Der Gast soll Südtirol
ristischen Leistungsträgern, Einzelhandel, weiteren als einen auch für ihn attraktiven Lebensraum erfahren:
nicht-touristischen Dienstleistern und Wirtschaftsförde- Die Energieversorgung soll vollständig auf regenerative
rung für den Wert von Natur und Landschaft, Rohstof- Energien (vor allem Wasser) umgestellt werden, regiona-
fen, regionalen Produkten und Handwerk ebenso wie les Handwerk wird unterstützt. Touristische Betriebe, die
die Bedeutung des Tourismus und seiner Grundlagen. regionale (nachhaltig wirtschaftende) Zulieferer mit ein-
beziehen, erhalten Vorrang in der Vermarktung.
Beratungs- und Coaching-Angebote vor allem für die Nachhaltigkeit und regionale Identität werden damit
kommunale Ebene, z. B. bei Projekten, die in die Natur- zum Imagefaktor, nach außen wie nach innen.
und Kulturlandschaft eingreifen (unter anderem im (www.smg.bz.it).
Bereich der Energiewirtschaft). Dies kann/sollte Aufgabe
der DMO und der Nationalen Naturlandschaften (NNL:
Nationalparks, Biosphärenreservate, Naturparks, vgl.
Glossar) sein. Schlüsselstrategie: Integration des Tourismus in
Dorfentwicklungsprogramme
(Öffentliche) Förderung des regionalen Einsatzes regio-
naler Rohstoffe und Technologien über die Branchen Vitale Dörfer spielen eine wesentliche Rolle für den Erhalt
hinweg und somit Sicherung und Aufbau regionaler sozialer Strukturen und lokaler Identität. Dorfentwick-
Wirtschaftskreisläufe. Dabei Schaffung authentischer lungsprogramme als bewährtes Instrument der Regional-
Angebote (z. B. durch Verwendung regionaler Baustoffe entwicklung zielen hierauf ab. Zusätzlich können sie direkt
in der Hotellerie) und damit auch eines Marketingmehr- auf touristische Bedürfnisse ausgerichtet werden. Touris-
wertes. mus wird dabei zur Pflichtaufgabe für die Dorfentwicklung.
Kriterien für Produkte und Dienstleistungen (und damit Alle in Dorfentwicklungsprogrammen definierten Maßnah-
Anreize für touristische Anbieter): Regionalität als Vor- men zielen sowohl auf die einheimische Bevölkerung als
aussetzung für die Vermarktung z. B. durch die DMO. auch auf das Erzeugen touristischer Nachfrage. Dies betrifft
unter anderem die Verschönerung von Ortsbildern, die
Erlebbarkeit der Regionalität im touristischen Angebot: Bedarfsermittlung infrastruktureller Versorgungseinrichtun-
Aufbau entsprechender Angebote und Produktlinien auf gen (Einkaufen, ärztliche Versorgung usw.), die Festlegung
Destinationsebene. der zu entwickelnden dörflichen Sehenswürdigkeiten
(Museen, Kirchen usw.) oder das Vorhalten von Angeboten
Zentrale Bedeutung der Darstellung und des Verkaufs und Einrichtungen für Familien. Für den dauerhaften Erfolg
regionaler Produkte und Dienstleistungen im Marke- solcher Prozesse sind relevant:
ting; Einsatz des Themas Nachhaltigkeit als verkaufsför-
dernder Imagefaktor für die gesamte Region. Kooperation von Landespolitik, Landesentwicklung,
Landestourismusmarketing: Verknüpfung verschiede-
ner Förderansätze zur ländlichen und touristischen Ent-
wicklung.
3 . TOURISMUS IN LÄNDLICHEN RÄUMEN: SCHLÜSSELSTRATEGIEN UND HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN 27
Übergeordnete regionale bzw. landesweite Steuerung Integration der lokalen Anbieter und der Einheimischen:
des Prozesses: wichtig für den Erfahrungsaustausch kein Vermitteln von Identität ohne die Menschen vor
untereinander. Ort!
Ermittlung touristischer Nachfragepotenziale vor dem Schaffung von Angeboten, die auch von Einheimischen
Start touristischer Planungen. genutzt werden; dabei keine künstliche Überspitzung,
sondern Bewahren des echten Charakters.
Entwicklung von Umsetzungshilfen für Kommunen
für die dörflich-touristische Entwicklung:
z. B. Checklisten für Dorf- und Angebotsentwicklung, Beispiel: Bad Feilnbach (Bayern)
Wissenstransfer durch Exkursionen zu anderen Dörfern.
Das „Kulinarische Kino im Wirtshaus“ setzt Impulse
Abstimmung mit der regionalen/landesweiten Touris- gegen das grassierende Wirtshaussterben: Bei dem
musstrategie: Ableitung touristischer Angebote und jährlichen Event zeigen sieben Wirtshäuser der Initiative
Integration in die regionale bzw. landesweite Vermark- „Kreativ & Köstlich“ Filme der Kategorie „Neuer Hei-
tung, dabei Spiegelung der jeweiligen lokalen Identität matfilm“. Die bayerische Wirtshaustradition, modernes
und Dorfkultur. Heimatkino inkl. Treffen mit den Filmemachern sowie
ein 3-Gänge-Menü sorgen für volle traditionelle Wirts-
häuser. Angesichts der hohen Nachfrage, auch von ganz
Beispiel: Sachsens Dörfer neuem Publikum, wurden die Termine im vergangenen
Jahr verdoppelt. Außerdem wurde ein Abschlussfilm-
Der Zusammenschluss von derzeit 21 Dörfern macht ty- festival und mit dem „Goldenen Feilnbacher Filmapfel“
pisch sächsische Traditionen und Dorfkultur touristisch ein eigener regionaler Filmpreis ins Leben gerufen.
erlebbar. Im Mittelpunkt stehen Angebote für (www.kreativundkoestlich.de).
Familien und (naturorientierte) Best Ager. Die im
Rahmen des Landesmarketings kommunizierte Initiative
hat ihren Ursprung in einem Dorfentwicklungsprozess,
der von Beginn an auch auf touristische Anforderungen
ausgerichtet wurde.
(www.sachsensdoerfer.de).
Identität wird lokal geprägt. Und der Gast sucht auch genau
dieses „Echte“. Touristische Angebote können einen aktiven
Beitrag zum Identitätserhalt vor Ort leisten, indem sie origi-
näre Themen und Traditionen aufgreifen. Dabei ist wichtig:
Herausforderung
13 Als Erlebnisraum wird die räumliche Einheit bezeichnet, die der Gast während seines Aufenthalts in einem Zusammenhang erlebt.
Dies kann der Dorfplatz sein wie auch eine Burg. Das Erlebnis beginnt hier beispielsweise bereits auf dem Parkplatz bzw. bei der
Anfahrt (bei entsprechender Ausschilderung).
30 3 . TOURISMUS IN LÄNDLICHEN RÄUMEN: SCHLÜSSELSTRATEGIEN UND HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN
Der aus einer Firma für Holzspielgeräte hervorgegangene Ziel der Allgäu GmbH war es, ihre Wanderzielgruppen
Abenteuerpark für Familien in der Oberlausitz erzählt vom Wandereinsteiger über den erfahrenen bis hin zum
perfekt die Geschichte des fiktiven Slawenvolks der sportlich ambitionierten Wanderer punktgenau anzu-
Turiseder. Vom Internetauftritt über turisedische sprechen. Mittel zum Zweck – die Story – ist der Drei-
Baumhäuser bis hin zu turisedischen Speisen und klang der prägenden Landschafts- und Kulturräume
Krönungszeremonien: alles entlang eines thematischen Terrassen- und Hügellandschaft, Voralpenlandschaft und
roten Fadens! Das Angebot wird fortlaufend erweitert Hochgebirge.
und aktualisiert. (www.kulturinsel.de).
Entsprechend wurden mehr als 800 km lange Leitwander-
wege auf Basis bestehender Wege neu designt: Drei
Fernwanderwege „Wiesengänger“, „Wasserläufer“,
Schlüsselstrategie: Angebotsinszenierung auf „Himmelsstürmer“ erschließen und verbinden die drei
regionaler Ebene großen Landschaften. Schon die Namen verknüpfen dabei
Wandermotive wie Genuss oder auch körperliche Heraus-
Gerade für kleine Anbieter im ländlichen Raum bietet die forderung mit den Eigenheiten der Allgäuer Landschaften.
Vernetzung mit weiteren Partnern Möglichkeiten der Spezielle Aussichtspunkte stellen Blickachsen innerhalb
gemeinsamen Inszenierung eines Themas. Oftmals entste- und Bezüge zwischen den Teilräumen her.
hen dadurch erst touristische Produkte und Reiseanlässe, in
jedem Fall entsteht ein dem Gast gegenüber darstellbarer Weiterhin machen acht Erlebniswelten mit weiteren
Mehrwert. Vor allem Freizeitwege (siehe Kapitel 3.4) bieten Tageswegen spezifische Facetten der Allgäu-Story erleb-
Potenzial zur Platzierung regionaler Themen. Dies erfordert: bar (z.B. „Schlosspark“: Leben und Wirken Ludwig II).
Auch hierfür erschließen die Wegeverläufe bewusst die
Eine „kritische“ Masse und Dichte an Erlebnispunkten. jeweils authentischen Orte. Infotafeln an Themen- und
Ankerpunkten erzählen – neben Basisinformationen zum
Inszenierung des Themas an gut frequentierten Orten Weg – in poetischer Sprache die jeweils relevanten
wie Gastronomie und Kombination mit allgemeinen Allgäu-Geschichten und Geschichtchen. Auch Anbieter
Services wie Information. greifen diese für ihr eigenes allgäu-authentisches
Wanderprodukt (z. B. bei geführten Wanderungen) auf.
Imagetransfer durch den Faktor Mensch: Einbezug „ech- (www.allgaeu.de)
ter“, authentischer Personen in das Urlaubserlebnis
sowie als Testimonial (Botschafter) im regionalen Touris-
musmarketing.
Grundlage für ein perfektes Angebot bilden dabei auch
Wie das Beispiel „Wandertrilogie“ (siehe Infokasten) künftig die Kriterien einer funktionalen Qualität auf Basis
zeigt, entsteht durch die Verknüpfung von Landschaft der gängigen Klassifizierungen und Zertifizierungen (z. B.
und spezifischer Routenführung ein regionaler Erlebnis- DEHOGA-Sterne, Service-Q). Entsprechende Qualifizie-
raum. Das regionale Profil des Allgäus wird in einem rungsmaßnahmen sind weiterzuführen. Diese sind aller-
konkreten Produkt inszeniert. dings für den Erfolg des Angebotes nicht ausreichend.
Erst über die Inszenierung durch ein spannendes Thema
wird aus einer Basisqualität die für den Gast entscheidende
Konsequenzen und Erfordernisse Erlebnisqualität, die an seine subjektive Wahrnehmung
gebunden ist.
Gerade für Anbieter in ländlichen Räumen ist eine Inszenie-
rung ihres Angebotes von elementarer Bedeutung. Neben Eine perfekte Inszenierung muss konzeptionell entwickelt
einem marktfähigen touristischen Kernangebot sind weitere werden. Dabei sind viele Anbieter mangels Fachwissen über-
Elemente bzw. Attraktionen einzubeziehen. Ein Plus vieler fordert. Daher sind zusätzlich spezifische Qualifizierungs-
Anbieter sind Authentizität und regionale Identität. Hieraus maßnahmen notwendig, auch individuelles Coaching. Dies
können Angebote mit Alleinstellung entwickelt werden. muss koordiniert werden. Zuständig sollten hier die DMO,
3 . TOURISMUS IN LÄNDLICHEN RÄUMEN: SCHLÜSSELSTRATEGIEN UND HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN 31
aber auch die LAG/BAG (siehe Glossar) sein. Gerade für die
regional vernetzte Inszenierung ländlicher Themen sollten
diese Institutionen noch stärker als bislang ihr Know-how in
entsprechende Aktivitäten des regionalen Tourismusmarke-
tings einfließen lassen.
Herausforderung
Die Wertschöpfungskette im Tourismus ist wie kaum eine gemeinsames Qualitätsmanagement, Markenentwicklung,
andere geeignet, Kleinteiligkeit und weit verbreitetes Einzel- Fachkräftesicherung oder Identitätsförderung. Ihre Ziele
kämpfertum zu überwinden. Das touristische Produkt setzt können wirtschaftlich, marketing- oder kundenorientiert
sich aus vielen Einzelleistungen wie z. B. Übernachtung, sein. Folgende Bedingungen sollten erfüllt sein:
Gastronomie, Freizeiteinrichtungen oder Führungsangebo-
ten zusammen, die am Ende das individuelle Urlauberlebnis Gleiche/gleichartige Ziele der Netzwerkpartner bzw.
für den Gast erzeugen. Es gilt, diese Einzelleistungen und allein nicht zu lösende Aufgaben.
die dahinterstehenden Akteure optimal zu verzahnen. Netz-
werke haben dabei eine Schlüsselfunktion, denn als Selbst- Spezielle Kompetenzen und Ressourcen der Netzwerk-
organisation und Koordination autonomer Akteure mit partner für die Erfüllung der Ziele.
einem gemeinsamen Ziel ermöglichen sie:
Gegenseitiges Vertrauen der Partner – dies ermöglicht
Verknüpfungen zwischen den Einzelleistungen aufzu- Kreativität und Innovationen.
bauen, Schnittstellen zu suchen bzw. zu schaffen und für
den Gast im Sinne eines optimalen Angebots einzuset- Einigkeit über erforderliche Aktionen, und wer dazu
zen. welchen Beitrag leistet.
Synergien aller Art für touristische Akteure zu schaffen, Verlässlicher und kompetenter Kümmerer.
vor allem aber auch stabile lokale und regionale Wirt-
schaftsbeziehungen aufzubauen. Finanzierungskonzept; dies umfasst auch die
frühzeitige Sicherung von Folgefinanzierungen nach
Die in den jeweils relevanten Prozessen anfallenden Startförderungen z. B. über das LEADER-Programm14.
Aufgaben effizient zu verteilen.
Bei öffentlicher Beteiligung: dauerhaftes politisches
Bekenntnis zum Netzwerk.
Schlüsselstrategie: Ausgestaltung des Netzwerks in
Abhängigkeit von Zielsetzungen und Aufgaben Klare Eintritts-/Austritts-/Ausschlusskriterien, Festle-
gungen von Rechten und Pflichten.
Netzwerke zielen auf Synergien in und zwischen vielen
Handlungsfeldern ab, z. B. Angebotsgestaltung, Marketing- In Abhängigkeit von der Zielsetzung ist zu unterscheiden
kooperationen, Vertriebsförderung, gemeinsamer Einkauf zwischen horizontalen, vertikalen und lateralen Netzwer-
touristischer Dienstleistungen oder regionaler Produkte, ken.
Horizontale Netzwerke vereinen Partner auf gleicher Stufe Erfolgsfaktoren für horizontale Netzwerke sind:
einer Wertschöpfungskette. Alle Partner bieten dieselbe
Dienstleistung bzw. ein ähnliches Produkt an, z. B. mehrere Offene Konzepte, d. h. die Teilnahmeregeln ermöglichen
Hotels oder Wanderführer. Aufgrund dieser überschauba- einen unkomplizierten Einstieg auch für weniger finanz-
ren Struktur können auch wenig kooperationserprobte starke oder qualifizierte Partner.
Akteure gut einbezogen werden. Entsprechend niedrig –
dennoch verbindlich – sind die Teilnahmekriterien zu Flache Hierarchien mit demokratischer Rollenvertei-
gestalten. Die Organisation kann z. B. als Verein erfolgen, lung; gerade dies erfordert jedoch den verlässlichen
um die Aufgaben unkompliziert auf mehrere Schultern zu Kümmerer, z. B. auf Ebene des regionalen Tourismusmar-
verteilen. ketings.
Horizontale Netzwerke eignen sich für den Aufbau gemein- Bei von Anbietern initiierten horizontalen Netzwerken:
samer Qualitätsstandards, Qualifizierungsmaßnahmen, den Konzentration auf die Ableitung von wenigen gemein-
Aufbau von Marketingkooperationen oder thematischen samen Leitangeboten (kein Verzetteln!).
Marken. Gemeinsame schlagkräftigere Marketingmaßnah-
men und eine bessere Ansprache der anvisierten Zielgrup- Entwicklung und Verfolgung gemeinsamer Qualitäts-
pen werden möglich. Qualifizierungsmaßnahmen lassen kriterien.
sich kostengünstiger realisieren. Fortlaufender Austausch
von Partnern gleicher Natur führt zu schnellen Lern- und Vertikale Netzwerke vereinen Partner verschiedener Stu-
Nachahmungseffekten. Komplexe touristische Produkte fen der Wertschöpfung, z. B. Hotel, Wanderführer und Berg-
können jedoch nicht entwickelt werden – es fehlen die bahn. Diese sind oft an ein Thema wie z. B. Wandern gebun-
Partner der anderen Wertschöpfungsstufen (z. B. bei einer den. Sie eignen sich für die Ableitung komplexer Produkte
Hotelkooperation ein Mobilitätsdienstleister oder ein „aus einem Guss“ und die Bündelung verschiedener Ange-
Wanderführer). botsbausteine oder Leistungen für bestimmte Zielgruppen,
z. B. in Programmmarken (vgl. Kapitel 3.5).
Ziel des Vereins ist die Förderung der regionalen Ess- Destinationen sind umso wettbewerbsfähiger, je besser die
kultur. Dabei setzt Feinheimisch nicht nur auf Touristen, Akteure in der Lage sind, kollektives Handeln in Netzwer-
sondern auch auf Einheimische. So werden feinheimi- ken zu organisieren. Netzwerke können von allen Akteuren
sche Produkte auch in lokalen Lebensmittelgeschäften sowie von allen Ebenen initiiert und getragen werden. Ent-
angeboten. Das Netzwerk entstand 2007, gefördert scheidend sind eine stabile Steuerung und die Integration
durch das Landwirtschaftsministerium, und erfährt in regionale Strategien:
aufgrund seiner klaren regionalen Verankerung eine
hohe Akzeptanz in Wirtschaft und Politik. Der Verein mit Für beste und dauerhafte Synergieeffekte gerade
ca. 440 Mitgliedern, darunter ca. 50 landwirtschaftliche in der Vermarktung sollten die Netzwerkziele an regio-
Produzenten und ca. 35 Restaurants sowie zahlreichen nalen und Landesmarkenstrategien ausgerichtet werden.
Privatpersonen, arbeitet nicht gewinnorientiert, fördert
aber die regionale Wirtschaft: Gastronomen profitieren Netzwerke sind nicht automatisch erfolgreich. Der
durch die Profilierung. Zulieferer und Erzeuger sichern Erfolg eines Netzwerks erfordert einen Kümmerer bzw.
ihren Markt. Doch nur wer die Grundsätze an Qualität ein Management z. B. auf Ebene der DMO oder LMO zur
und Regionalität erfüllt, kann Teil des Netzwerks sein. So Steuerung von strategischer Ausrichtung, Zusammenar-
müssen feinheimische Gastronomen mindestens beit und Erfolgskontrolle.
60 Prozent des Wareneinkaufs mit heimischen Produk-
ten abdecken. Aus dem Netzwerk haben sich mittler- Schaffung unterstützender Rahmenbedingungen für
weile eine Marke und neue Geschäftsideen zum Thema Netzwerke, z. B. im Rahmen einer Clusterpolitik15. Der
Regionalität z. B. eine Strandbar mit regionalen Produk- Schwerpunkt sollte auf der Unterstützung wettbewerbs-
ten entwickelt. (www.feinheimisch.de). fähiger Strukturen statt schwacher bzw. nicht markt-
konformer Produkte und Themen liegen.
15 Cluster: Netzwerke von Produzenten, Zulieferer, Forschungseinrichtungen (z. B. Hochschulen), Dienstleistern, Handwerkern, verbun-
denen Institutionen (z. B. Handelskammern) mit regionaler Nähe und Austauschbeziehungen entlang einer Wertschöpfungskette.
Viele standortpolitische Initiativen fördern die Clusterbildung.
34 3 . TOURISMUS IN LÄNDLICHEN RÄUMEN: SCHLÜSSELSTRATEGIEN UND HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN
Öffentliche Investitionen sollten private ergänzende Identifizierung und Priorisierung (und ggf. auch Neuan-
Folgeinvestitionen ermöglichen und damit die Grund- lage) der potenziell attraktivsten Wege bei allen Maßnah-
lage für Kristallisationspunkte bilden. Investiert wird men von Wegebau und Unterhalt inklusive der Bereitstel-
dort, wo sich auch weitere private Investitionen ansie- lung von Mitteln und Personal.
deln sollen und können, z. B. an bestimmten Orten und/
oder zu bestimmten Themen wie Gesundheit oder Rad- Qualifizierung: Entwicklung der Leitwege mit höchstem
fahren. Weitere öffentliche Investitionen sind auf dieses Qualitätsanspruch. Hinzu kommt die (thematische) Qua-
Thema abzustimmen. Infrastrukturelle Einrichtungen lifizierung von Partnern wie Hotels oder Gastronomie,
ggf. im Rahmen gesamtörtlicher Konzepte zu entwi- weitere Services (z. B. Parkplätze) und Angebote. Nur so
ckeln. werden Marken möglich (siehe Kapitel 3.5).
Die Herangehensweise ist offen: Kostenintensive Neuin- Reduzierung: Kritische Prüfung des Bedarfs bzw. Erhalts
vestitionen sind häufig nicht möglich. Bestehendes ist weiterer Wege im Netz. Rückbau oder „Entschilderung“
bedarfsgerecht weiterzuentwickeln, auch Reduktion nicht mehr benötigter Wege dürfen dabei kein Tabu sein.
(Rückbau) kann eine Option sein.
Einbezug von Wegekümmerern (z. B. Wandervereine,
(Regionale) Marken sind für den Gast sichtbar zu machen. Radwegepaten, Bauhöfe).
Infrastrukturelle Einrichtungen vom Spazierweg bis zum
Tagungszentrum sind einer der wichtigsten Berührungs-
punkte vor Ort mit der Marke (siehe Kapitel 3.5).
3 . TOURISMUS IN LÄNDLICHEN RÄUMEN: SCHLÜSSELSTRATEGIEN UND HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN 35
Der Newcomer unter den Wanderzielen hat mit den Das im Juni 2012 eröffnete Oversum Vital Resort
Premiumwegen „Traufgänge“ (7 Tagesrundwege und Winterberg konzentriert kommunale Leistungen
1 Winterwanderweg) ein in höchstem Maße nachfra- wie Sportbad, Kultur- und Kongresshalle, Tourismus-
gestarkes Leuchtturmangebot entwickelt. Zudem wird information und Festplatz für das örtliche Schützen-
ein Konzept umgesetzt, dass den Bedarf an weiteren fest ebenso wie privat betriebene Angebote wie ein
lokalen Wegen festlegt. Insgesamt kommt es zu einem 4* S-Hotel, Saunalandschaft, Behandlungsräume für
deutlichen Rückbau nicht mehr benötigter Wege. Durch Wellness, Beauty- und Physiotherapie, ein Medical
die intensive Sensibilisierung von Leistungsträgern und Center, ein Restaurant sowie Seminar- und Schu-
den Einbezug des Schwäbischen Albvereins als Träger lungsräume. Damit bildet es die Spitze der Winter-
des regionalen Wanderwegenetzes in die Planungen, hat berger Neupositionierung im bewegungsorientierten
das Projekt die zwingend notwendige Binnenwirkung Gesundheitstourismus. Investition und Betrieb
entwickelt. (www.traufgaenge.de) erfolgen durch die Stadt Winterberg gemeinsam mit
einem privaten Partner im Rahmen eines PPP-Mo-
dells. Größte Folgeinvestition bislang ist ein noch vor
Fertigstellung des Vital Resorts eröffneter Ferienpark.
Schlüsselstrategie: Konzentration privater und öffent- (www.oversum.de).
licher Leistungen in Einzelobjekten als PPP16-Projekt
Anlaufpunkte bzw. Leuchttürme für lokale Marken zu Public Private Partnership (PPP) als Alternative
schaffen. Gerade hier kommen öffentlich-private Partner- zu Privatisierung oder Eigenbetrieb?
schaftsmodelle bei der Betreibung infrage. Entscheidend
sind: PPP-Projekte zielen auf langfristige und erfolgver-
sprechende Zusammenarbeit zwischen öffentlicher
Konzeption des Komplexes als Profilierungsspitze und Hand und Privatwirtschaft, die den gesamten
Reiseanlass einer gesamtörtlichen Strategie: Konzentra- Lebenszyklus eines Projekts umfasst (Planung, Bau,
tion von attraktiven Angeboten im Angebotsportfolio. Betrieb, Nachfolgenutzung bzw. Verwertung). Das
Hauptziel besteht darin, Effizienzvorteile für den öf-
Gewinnung von Premiumpartnern für den Betrieb der in fentlichen Partner gegenüber einer Eigenrealisierung
der Anlage gebündelten Leistungen. zu erzielen. Voraussetzung für die Zustimmung durch
die Kommunalaufsicht zu einer PPP-Lösung ist, dass
Profilierung als Kommunikationsanlass: hoher oder sogar der öffentliche Partner überhaupt finanziell in der
spektakulärer Aufmerksamkeitswert durch Architektur Lage wäre, das Projekt auch allein realisieren, lang-
und Design, besondere Kampagnen usw. fristig unterhalten und betreiben zu können. Ebenso
muss es einen nachweisbaren Kostenvorteil für die
Für die Kommune stabiles Finanzierungsmodell und Kommune geben.
dauerhafte finanzielle Absicherung der integrierten
kommunalen Funktionen.
Aufgrund knapper kommunaler Kassen muss die Ansied- Wesentlicher Erfolgsfaktor für die dauerhafte Tragfähigkeit
lung privater Investoren gerade in ländlichen Räumen touristischer Einrichtungen sind kontinuierliche und
aktiv unterstützt werden. Auch private Investitionen soll- marktgerechte Erneuerung und Innovation. Werden Trends
ten möglichst so getätigt werden, dass ergänzende Folge- und Zielgruppenanforderungen berücksichtigt und fortlau-
investitionen Dritter möglich werden. Zentraler Erfolgs- fend durch neue Angebote bedient, verlängert dies den
faktor ist dabei eine aktive Wirtschaftpolitik und -förde- Produktlebenszyklus spürbar: Immer wieder neue Reisean-
rung. Die Ansiedlung privater Investoren kann dabei lässe entstehen, Stamm- und Neukunden werden erreicht.
forciert werden durch: Ebenso neue Kommunikationsanlässe – über das Objekt
bzw. Angebot wird gesprochen. Dabei sind entscheidend:
Profilierte (örtliche) Tourismusstrategien – eingebettet in
die regionale und/oder landesweite Ausrichtung. Investitions- und Risikobereitschaft: Nur mit unterneh-
merischem Willen sind Innovationen auch wirklich
Aufbau und Pflege einer starken Leistungsträgerstruk- umsetzbar.
tur, die bereits eine positive Nachfrage generieren kann
und ggf. in Netzwerkstrukturen kooperieren. Hiervon Nutzung bzw. Schaffung von special locations, d. h. Stan-
kann der potenzielle Investor profitieren. dard-Angebote werden als Erlebnis aufbereitet (z. B.
Tagung auf einem Segelschiff, Übernachtung im Baum-
Abstimmung der Planung bzw. Entwicklung auch ande- haus).
rer infrastruktureller Einrichtungen vor Ort auf anvi-
sierte Themen und Zielgruppen. Ständige Entwicklung und Realisierung von Ideen sowie
neuer, bislang nicht oder kaum gebrauchter Standards
Aktive Wirtschaftspolitik: gezielte Lobbyarbeit im Vor- und Technologien bei der baulichen Umsetzung (z. B.
feld größerer Investitionen (z. B. Analyse und Definition komplette Wärmedämmung aus Stroh statt Kunststoff).
des Ansiedlungsbedarfs, wie Hotels usw., gezielte
Ansprache von potenziellen Investoren, aktive Akquisi- Orientierung an anvisierter Zielgruppe. Ob das durch die
tion bzw. Klärung verfügbarer Flächen, Eruierung von Investition bediente Thema ein Nischen- oder Volumen-
Fördermöglichkeiten). thema ist, spielt zunächst nur eine untergeordnete Rolle,
solange die Chance auf eine für den wirtschaftlichen
Betrieb ausreichende Nachfrage besteht.
Beispiel: Spreewald Therme Burg
Konsequente Service- und Qualitätsorientierung, fort-
Die private Investition fügt sich nahtlos in die örtliche, laufende Weiterentwicklung.
regionale und auch landesweite Ausrichtung im Gesund-
heitstourismus ein. Mit regionaltypisch gestaltetem
Solethermalbad und den Anwendungsbereichen ist sie
Angebotsleuchtturm. Die Anschubfinanzierung durch
das Land Brandenburg hat sich gelohnt: Seit 2005 konn-
ten die Übernachtungszahlen vor Ort spürbar gesteigert
werden, eine Reihe privater Investitionen, aktiv akqui-
riert durch die örtliche Wirtschaftsförderung (Leistungs-
träger, Zulieferer) folgten. Im Dezember 2012 folgte das
eigene Thermenhotel. (www.spreewald-therme.de)
3 . TOURISMUS IN LÄNDLICHEN RÄUMEN: SCHLÜSSELSTRATEGIEN UND HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN 37
Konzentration öffentlichen Engagements auf die Entwick- Aufbau verbindlicher Kooperationsbeziehungen mit
lung von Kristallisationspunkten; keine Infrastrukturför- Markenbezug zwischen Tourismusorganisationen und
derung ohne Potenzial für Folgeinvestitionen; aktive Leistungsträgern.
Investorenansprache und intensive Prüfung von öffent-
lich-privaten Betreibermodellen. Integration der Marken in Marken übergeordnete
Ebenen.
Weiterentwicklung geeigneter infrastruktureller „Leucht-
türme“ als Marken-Kernangebote, Prüfung der Option Marken sind dabei mehr als nur ein schickes Logo und Cor-
gesamtörtlicher Infrastrukturentwicklungskonzepte. porate Design. Entscheidend sind die inneren Werte. Sie
müssen vor Ort und beim Gast Identifikation, Sympathie
Überarbeitung der regionalen Wegenetze unter erzeugen und vor allem glaubwürdig sein. Das heißt, sie
Bedarfsaspekten. müssen sich in sämtlichen Aktivitäten der Angebotsgestal-
tung, in Infrastruktur, Außen- und Innenmarketing, Orga-
Festlegen der Nachfragerelevanz, langfristiger Tragfähig- nisation und vor allem dem Verhalten der Akteure vor Ort
keit, Einbindung in regionale und örtliche touristische spiegeln.
Strategien, Innovationsorientierung als Kernkriterien
der öffentlichen Förderung von Infrastruktur.
38 3 . TOURISMUS IN LÄNDLICHEN RÄUMEN: SCHLÜSSELSTRATEGIEN UND HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN
Nicht jedes Reiseziel ist eine touristische Destination. Stabile Rahmenbedingungen: Dauerhaftes Bekenntnis
Destinationen zeichnen sich aus durch eine für der betreffenden politischen Institutionen und Verwal-
Vermarktung und Wahrnehmbarkeit relevante Größe tungseinheiten sowie der Aufsichtsgremien der DMO
und eine einheitliche Wahrnehmung als Urlaubsraum zum Markenbildungsprozess. Ausreichende finanzielle
bei Gästen aus den relevanten Quellmärkten. Ressourcen sind bereitzustellen.
Destinationen sind nicht zwingend an bestimmten
Übernachtungskennzahlen festzumachen, es gibt ge-
nauso tagestouristisch relevante Destinationen. Sie Beispiel: Allgäu
verfügen über landschaftliche und/oder kulturelle
Geschlossenheit (Tradition) und können ein Unter dem Claim „Fürs Leben gern …“ bündelt die
Angebotsbündel besonderer Eigenart mit marktfähi- Destinationsmarke der Allgäu GmbH aktuell die fünf
gen Produkten inklusive aller für den Aufenthalt not- Themen Wandern, Rad, Gesundheit, Winter, Städte und
wendigen Leistungen bilden. Sie verfügen über ein Kultur. Einer der Kernwerte ist die konsequente Nach-
strategisches Management und entsprechendes haltigkeitsorientierung. Jedem der Themen ist ein durch
Marketing (Organisation). Dies übernimmt die so ge- einen Markenmanager koordiniertes Partnernetzwerk
nannte Destinations-Management-Organisation zugeordnet. Diese entwickeln markenkonforme Projekte
(kurz DMO), z. B. der regionale Tourismusverband. wie die „Wandertrilogie“ oder die „Radrunde Allgäu“.
Sowohl private als auch kommunale Partner sind – unter
finanzieller Beteiligung –eingebunden. Für die Teilnah-
Schlüsselstrategie: Destinationsmarkenbildung me der Partner sind klare Kriterien definiert. Die Allgäu
GmbH ist dabei sowohl für die touristische, als auch die
Destinationsmarken zielen auf die Profilierung einer standortbezogene Markenentwicklung zuständig. Die
Region als solche mit ihren herausragenden Besonderhei- vier betreffenden Landkreise (sowohl in Bayern als auch
ten. Nur bei entsprechendem, zwingend durch Marktfor- in Baden-Württemberg) unterstützen dauerhaft den
schung und Marktdaten zu ermittelndem Potenzial (dem Prozess. (www.allgaeu.info)
Markenvierklang aus Bekanntheit, Sympathie, Besuchsab-
sicht, Besuch) können sie gebildet werden. Zentrale Erfolgs-
faktoren dabei sind:
Schlüsselstrategie: Zielgruppenorientierte
Gemeinsam mit den Akteuren vor Ort erarbeitete Vision, Programmmarken
verbindende Werte, Botschaften.
Zielgruppenorientierte Programmmarken bündeln einzelne
Einbau der Markenwerte in Leitthemen als Basis für Angebote und Produktmarken vor allem in Trendthemen für
Produkt- und Infrastrukturgestaltung. bestimmte Zielgruppen. Sie können eine Vielzahl auch klei-
nerer Anbieter integrieren. Gegenüber den Destinationsmar-
Anpassung der DMO-internen Arbeitsstrukturen an die ken kann hier das Marketing deutlich schärfer zugeschnitten
Leitthemen, z. B. Markenmanager für Themen, Koordi- werden. Um tatsächlich die Zielgruppe erreichen zu können,
nation der Markennetzwerke. ist zu beachten:
Kein Verzetteln: Klare Definition der Kernzielgruppe und Umsetzung des Markenversprechens über die Infra-
Quellmärkte und deren dauerhafte Bearbeitung. struktur hinaus: Das Gesamtpaket der Marke mit Gast-
Bewährt haben sich mehrstufige Verfahren, die erst nach gebern, Pauschalen, Services und der Vermarktung
einer 2- bis 5-jährigen Startphase und bei Erfolg weitere entscheidet über den Erfolg.
Angebotsdiversifizierung und Ausbau der Zielgruppen-
und Quellmarktansprache verfolgen. Definiertes Markenmanagement: Markenentwicklung
touristischer Wege betrifft allein aufgrund der räum-
lichen Dimension eine Vielzahl von Partnern. Diese sind
Beispiel: Kinderland® Bayern kontinuierlich einzubinden. Umso wichtiger ist eine
verlässliche Steuerung aller Aktivitäten.
Die Familienmarke der BayTM setzt auf die Verknüpfung
von Übernachtungsangeboten mit Erlebnisanbietern. Einbindung nach „oben“: Abstimmung und Anpassung
Derzeit sind 266 Partner beteiligt (Gastgeber, Freizeit- der Markenphilosophie und des Marketings auf überge-
einrichtungen, Orte). Eigene Qualitätskriterien für die ordnete Ebenen, z. B. der Landesebene (Reichweitenvor-
Markenpartnerschaft sind selbstverständliche Grund- teile!).
lage für die Angebote und Pauschalen, die auch über
Veranstalter vertrieben und in ausländischen Quell-
märkten präsent sind. Alle relevanten Quellmärkte und Beispiel: Traumpfade Rhein-Mosel-Eifel-Land
auch neue Zielgruppensegmente werden konstant und
über alle relevanten Kanäle angesprochen. Das Marken- Auf Integration in die Wanderstrategie des Landes
netzwerk wird durch ein bei der BayTM fest installiertes Rheinland-Pfalz zielend, wurden durch das Gemein-
Management gesteuert. schaftsprojekt der Rhein-Mosel-Eifel-Touristik
(www.bayern.by/familienurlaub-in-bayern-kinderland) (REMET), Verbandsgemeinden und Städte des Landkrei-
ses Mayen-Koblenz, regionaler Wirtschaftsförderung
und des Landesforsten Rheinland-Pfalz seit 2006 die 26
Premiumwege (DWI) entwickelt und in drei Schritten
Schlüsselstrategie: Thematische Programmmarken, über drei Jahre eröffnet. Grundlage aller Planungen
z. B. mit Infrastrukturbezug war die auf die Trendzielgruppe der genussorientierten
Selten- und Gelegenheitswanderer zielende Marken-
Thematische Programmmarken bündeln alle zu einem philosophie. Der konsequente Qualitätsanspruch und
Thema passenden Angebote. Sie können dabei explizit auch die Kooperation mit Wanderreisespezialisten wie Kleins
Elemente der Infrastruktur mit einbeziehen. Der Ansatz Wanderreisen sind wichtige Erfolgsgaranten.
eignet sich besonders, um die Wegeinfrastruktur besser am (www.traumpfade.info)
Markt zu profilieren. Nach der notwendigen und noch
immer aktuellen Qualitätsoffensive gerade im Wander-
oder Radtourismus stellt sich die Frage nach der Alleinstel-
lung. Markenstrategien können Unterscheidbarkeit im
Markt und die vor Ort nötige Selbstidentifikation erzeugen.
Dies erfordert:
Herausforderung
Aufenthalt: Vor Ort können Gäste unmittelbar und Oberstaufen richtet seine Kommunikationsstrategie
nachhaltig durch guten Service und authentische konsequent an seinen zentralen Werten „Tradition und
Erlebnisse begeistert werden. Freundliche Einhei- Lifestyle“ aus. Dazu zählt auch die umfassende Auffri-
mische, kleine Aufmerksamkeiten, positive Überra- schung in Form der Digitalisierung des Marketings. Der
schungen, sind die Basis für die Weiterempfehlung örtliche Webauftritt ist ähnlich den großen sozialen
an Freunde und Bekannte, z.B. über Social-Media- Netzwerken wie Facebook, Twitter und Co. strukturiert
Kanäle oder Bewertungsportale. und mit diesen vernetzt – Kommentar und Kritik des
Nutzers ausdrücklich erwünscht. Als erster Tourismusort
Reflexion: Eine herzliche, emotionale Verabschie- nutzte Oberstaufen den von Kritik und Skepsis begleite-
dung kann den Aufenthalt nachhaltig abrunden. ten Start von Google Street View für eine viel beachtete
Zusammen ergibt sich ein Bild, wie und an welchen PR-Kampagne und setzt bis heute auf volle Sichtbarkeit
Orten der Gast über sein besuchtes Reiseziel spricht. im Netz. Vor Ort werden Gästen zahlreiche WLAN-Hot-
Videos, Bilder und Meinungen werden ins Netz spots im öffentlichen Raum geboten.
getragen und bilden die Basis für die Inspiration (www.oberstaufen.de)
weiterer Gäste.
Quellen: http://www.ic-tourismus.de/index.php?id=306 und
http://blog.alpstein-tourismus.com; angepasst
Zudem unterstützen sie Veranstalter durch ihre umfas- Schlüsselstrategie: Reichweitenverlängerung im Vertrieb
sende Ortskenntnis bei Angebotsgestaltung, Kontingentbe- durch Kooperation mit Online-Buchungsplattformen
schaffung und Katalogerstellung. Erfolgsfaktoren sind:
Produkt braucht Vertrieb: Jeder touristische Leistungsan-
Bündelung der Kleinstanbieter über die DMO/LMO und bieter, jede DMO/LMO steht vor der Herausforderung, das
deren Marken und Themen. eigene Angebot mit möglichst hoher Reichweite17 zu ver-
kaufen. Die Kooperation mit weiteren Partnern im Vertrieb
Festlegung von Qualitätskriterien für die Angebote und erleichtert das Erreichen der Zielgruppen. Die Auswahl der
ggf. Qualifizierung und Coaching der Anbieter im Sinne Vertriebskanäle, egal ob Reiseveranstalter, Reisebüro,
einer Verlässlichkeit für Gäste und touristische Partner. Buchungsportal oder Direktvertrieb, hängt jedoch immer
vom konkreten Produkt ab.
Entwicklung vertriebsfähiger Produkte in den kommu-
nizierten Themen und Einspielung in die Kanäle der Die technische Entwicklung im Online-Bereich eröffnet für
DMO/LMO und weiterer Vertriebspartner. kleinere und kleinste Leistungsanbieter ebenso wie für
DMO/LMO neue Perspektiven. Die Vor- und Nachteile
Marketing (z. B. Messen, Presse, Kampagnen) durch einer Kooperation mit den immer bedeutsamer werdenden
DMO/LMO und gemeinsam mit Partnern wie privaten Online-Buchungsplattformen (z. B. HRS.de, holi-
Reiseveranstaltern, neue Kommunikationsanlässe schaf- dayinsider.com) sind sorgfältig zu prüfen: Buchungsplatt-
fen. formen erfordern keine Kontingente, sind mit diversen
weiteren Kanälen und Partnern (z. B. Online-Buchungspor-
tale, Reiseveranstalter) verknüpft, Gebühren und Provisio-
Beispiel: Wunnerland Schleswig-Holstein nen sind gegenüber dem Veranstaltervertrieb niedriger,
allerdings eventuell auch die Marketingleistung.
Die Kommunikationsplattform der Tourismus Agentur
Schleswig-Holstein (TASH) bündelt ca. 400 kleine und Für Anbieter ist die Auswahl der Buchungsplattform relativ
kleinste familiengeeignete Angebote. Familien sind zu- einfach: Passt sie zum eigenen Angebot (z. B. Ferienhaus-
gleich eine der Hauptzielgruppen des Landesmarketings. Spezialist) und sind die Provisionen und Kosten akzeptabel,
Alle Partner müssen familienorientierte Qualitätskriteri- kann eine Kooperation sinnvoll sein. Ziel der DMO/LMO ist
en erfüllen. Die TASH kommuniziert das Portal im Rah- es dagegen, mit den Angeboten auch die eigenen Marken
men regelmäßiger Kampagnen – gemeinsam mit einigen und Themen zu verkaufen. Die Mittel und Fähigkeiten sind
der großen Reiseveranstalter. Somit wird Wahrnehmbar- dabei oft begrenzt. Aber auch für DMO/LMO kann die
keit für kleinste Angebote geschaffen und der Eigenver- Kooperation mit einer Online-Buchungsplattform sinnvoll
trieb der betreffenden Angebote wirksam unterstützt. sein. Wichtige Aspekte sind:
Auch bietet die Plattform die Basis, um weitere zielgrup-
penorientierte Angebote wie z.B. die Museumscard „Kul- Breite Präsenz im Markt: Die Plattform bindet relevante
turflatrate für Kids“ zu kommunizieren. Zudem erfolgt andere Vertriebspartner, z. B. Ferienhausspezialisten,
eine direkte Verlinkung in die Online-Buchungskanäle Buchungsplattformen für Familien, Reisebüros, Veran-
von TASH und Partnern. (www.wunnerland.de) stalter, Printmedien ein.
Branding (Markenbildung) ist möglich: Die regionalen DMO/LMO müssen sich intensiv mit dem Thema Digi-
Marken der DMO/LMO können mit Logo und Corporate talisierung und Einbindung der Leistungsträger in die
Design über die Plattform kommuniziert werden. Mög- digitale Kommunikation auseinandersetzen. Technische
lich macht dies die White-Label-Technologie20. Grundlagen für die digitale Kommunikation sind zu
schaffen.
Content (verkaufbare Inhalte) ist einstellbar: Zusätzlich zu
den reinen Unterkunftsdaten werden umfassende Informa- Qualifizierung: Touristische Leistungsträger und das
tionen zu Region und Angebot gegeben. öffentliche Tourismusmarketing der lokalen und regio-
nalen Ebenen sind unmittelbar und intensiv mit dem
Vertrieb vertraut zu machen. Es bedarf einer regelrech-
Beispiel: holidayinsider – Reichweitenverlängerung ten Weiterbildungs-Offensive für den Vertrieb. Beste-
für Destinationen und Anbieter hende Angebote, z. B. E-Learning-Programme sind dabei
zu nutzen. In der Umsetzung, z. B. Schaffung vertriebs-
Die technische Plattform von holidayinsider ist kompa- fähiger Angebote, Coachings usw. fällt den DMO/LMO
tibel mit allen weiteren buchungsrelevanten Systemen eine entscheidende Rolle zu.
wie z. B. den IRS der DMO. Reichweitengewinne werden
durch die Kooperationen der Plattform mit Anbietern, Tourismusmarketing: Die Zweckmäßigkeit des Erhalts
DMO und weiteren Vermarktungsspezialisten (z.B. weitere eigener Reservierungssysteme der DMO/LMO ist zu
Ferienhausportale) erreicht. Auch ein Kanal für Reisebüros prüfen. Im Online-Vertrieb sind Kooperationen mit pri-
ist geschaltet. Somit werden auch kleinste Unterkünfte vaten Partnern gegenüber Alleingängen der DMO/LMO
in den „großen“ Vertrieb der Reisebranche integriert. in der Regel vorzuziehen.
Wichtiges Ziel der Betreiber ist das Erzeugen von über die
Darstellung des Übernachtungsangebots hinausgehenden, Ausbau der Breitbandanbindung: Mit Blick auf die
buchungsrelevanten Angebots- und regional bezogenen stark zunehmende Bedeutung mobiler Endgeräte
Inhalten auf der Plattform. Destinationen und ihre Marken gewinnt hier der LTE-Standard, aber auch die Versor-
können visuell über die White-Label-Technologie darge- gung mit öffentlichen WLAN-Hotspots in ländlichen
stellt werden. Die DMO können dabei ihr IRS beibehalten Tourismuszentren (siehe z. B. Oberstaufen) an Bedeu-
oder aber auch die komplette Technologie der Plattform tung.
nutzen. Diese ist von vornherein sowohl für klassische
und mobile Websites ausgelegt. Regionale bzw. zielgrup- Strategieentwicklung: Diese Aufgabe ist auch weiterhin
penspezifische Buchungs-Apps sind ebenfalls verfügbar. auf DMO/LMO-Ebene personell und finanziell abzusi-
Kosten für Technologie werden auf öffentlicher Seite chern. Ohne Strategie kein Produkt und kein Vertrieb.
gespart und können z.B. in Qualifizierungsmaßnahmen für
den Online-Vertrieb oder das Marketing fließen.
(www.holidayinsider.com)
3.7 Handlungsfeld Organisationsstrukturen im Straffe Prozesssteuerung durch die regionale Ebene, Ein-
öffentlichen Bereich bezug der Big Player in eine strategische Arbeitsgruppe
(z. B. starke Tourismusorganisationen, weitere regionale
Herausforderungen Institutionen, wie z. B. Nationale Naturlandschaften).
Tourismus in ländlichen Räumen benötigt adäquate und Erfassung aller bislang wahrgenommenen und künftig
leistungsfähige Strukturen gerade im öffentlichen Bereich. relevanten Aufgaben auf allen Ebenen öffentlicher Touris-
Trotz knapper Kassen steigen die Anforderungen an das musorganisationen.
handelnde Personal in den Tourismusorganisationen:
Anspruchsgruppen auf allen Ebenen (z. B. Leistungsträger, Klärung der erforderlichen finanziellen und personellen
Kommunalpolitik) sind zu befriedigen, Marken sollen Mindestressourcen für die Region mit ihren einzelnen
geführt werden, neue Vertriebssysteme sind zu berücksich- Tourismusorganisationen.
tigen usw. Die Herausforderungen lauten:
Transparenz: Erstellung, Diskussion und Veröffentlichung
Aufgabenorientierte statt hierarchischer Organisations- von genauen Aufgabenbeschreibungen für alle Organisa-
ansätze zu entwickeln und Parallelstrukturen oder gar tionen und Organisationsteile.
Organisationschaos infolge von Kirchturmdenken zu
überwinden. Wissenstransfer: Erstellung von Arbeitshilfen (z. B. Check-
listen) für alle Ebenen zur Wahrnehmung der ihnen zuge-
Wissen und Qualifizierung insbesondere auf der kom- ordneten Aufgaben.
munalen Ebene zu schaffen, um Arbeitsprozesse zu opti-
mieren. Auch politische Entscheidungsträger müssen Die Optimierung der Aufgabenverteilung muss jedoch auch
zumindest vor Entscheidungen in touristischen Fragen horizontal erfolgen. Das bedeutet eine verstärkte Zusammen-
Zugang zu fachlicher Perspektive haben. arbeit innerhalb einer Ebene, z. B. der DMO. Meist wird mit
Bezug zu einem touristischen Thema (z. B. Kultur, Wandern)
Stärker als bislang das Know-how und auch die Finan- kooperiert. Ein Beispiel hierfür sind die Top Trails of Ger-
zierung durch private Leistungsträger verbindlich in die many (Marketingkooperation von 15 DMO, die jeweils einen
Tourismusorganisation einzubeziehen und so die Qualitätswanderweg betreiben). Horizontale Aufgabenvertei-
Abhängigkeit touristischer Aufgabenerfüllung von poli- lungen funktionieren meist nach klassischen Netzwerkmus-
tischen Entscheidungen zu reduzieren. tern (siehe Kapitel 3.3). Wichtig sind verbindliche Ziele und
ein konstantes Netzwerkmanagement zur Koordination und
Kontrolle der Aufgabenableistung.
3 . TOURISMUS IN LÄNDLICHEN RÄUMEN: SCHLÜSSELSTRATEGIEN UND HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN 45
Unter Federführung der Eifel Tourismus GmbH wurde Fortlaufende Einbindung und Information von Mitar-
2011/12 im Rahmen der Tourismusstrategie eine syste- beitern und ggf. der Öffentlichkeit.
matische Aufgabenzuordnung durchgeführt. Für alle nach
innen und außen gerichteten Prozesse wurden die Zustän-
digkeiten zwischen regionaler Ebene, Tourismus Service Beispiel: Tegernseer Tal Tourismus GmbH (TTT)
Centern, Infopunkten und auch den Großschutzgebieten
(Naturparks) definiert und entsprechende Handlungshil- Die TTT als Marketingorganisation der 5 Kommunen am
fen erarbeitet. (www.zukunftsinitiative-eifel.de) Tegernsee wurde mit den vormals eigenständig agieren-
den örtlichen Tourist Informationen vollständig in einer
gemeinsamen GmbH verschmolzen (Vollintegration).
Die neue Organisation verfügt über (vorher nicht existen-
Schlüsselstrategie: Schaffung größerer, schlagkräftiger te) Abteilungen wie z. B. Produktgestaltung. Die Qualität
und handlungsfähiger Einheiten in der Gäste- und Gastgeberbetreuung wurde unter
anderem durch ein Rotationsprinzip der Mitarbeiter ver-
Der Zusammenschluss vor allem örtlicher Tourismusorga- bessert. Verlängerte Öffnungszeiten der auch weiterhin
nisationen zu größeren Organisationseinheiten führt nicht bestehenden örtlichen Informationsstellen wurden damit
nur zu Kostenersparnissen und besserer Wahrnehmbarkeit gesichert. Nicht zuletzt kann die Marke Tegernsee nun
durch das gemeinsame Außenmarketing, sondern auch zur direkt in allen Bereichen der touristischen Arbeit bei allen
Absicherung der zur Zielerreichung notwendigen Aufgaben, Mitarbeitern verankert werden. (www.tegernsee.com)
unabhängig vom Grad der Kooperation (z. B. Vollintegra-
tion bisheriger Organisationen in eine neue Struktur oder
lose Arbeitsgemeinschaft mehrerer Partner) oder bestimm-
ter Rechtsformen (z. B. GmbH oder e.V.). Schlüsselstrategie: Einbeziehung der Leistungsanbieter
in die Tourismusfinanzierung
Größere Einheiten verteilen die Aufgaben von Infrastruk-
turentwicklung über Produktgestaltung bis hin zu Quali- Die Basisfinanzierung der touristischen Aufgaben kom-
tätsmanagement sowie Außen- und Innenmarketing auf munaler und regionaler Organisationen obliegt den Kom-
mehrere Schultern; es können auf einzelne Aufgaben spezi- munen. Hierfür ist ein adäquates System der Tourismus-
alisierte Einheiten oder Abteilungen gebildet werden. Die finanzierung erforderlich. Darüber hinaus kann dieser
durch solche Aufgabenbündelung eingesparten Mittel kön- Grundstock um die Beteiligung durch Leistungsanbieter
nen für höher qualifiziertes Personal eingesetzt werden. ergänzt werden. Auch hier gilt: Die konkreten Aufgaben
sind entscheidend für die Art der Einbindung. Sowohl
Dies bedeutet: bessere touristische Produkte und Infrastruk- gesellschaftsrechtliche Einbindungen als Teilhaber einer
tur, intensivierte Gäste- und Gastgeberbetreuung, effizien- GmbH, langfristige Kooperationen, z. B. im Rahmen von
tere Vermarktung, verbesserter Einsatz von Markenstrate- Genossenschaften oder Auslagern von Produktlinien an
gien, höhere Mitarbeiterzufriedenheit, Sicherung von private Partner, als auch anlassbezogene Beteiligungen (z.B.
Nachfrage und Marktposition. Bei der Schaffung größerer Finanzierung oder Sponsoring von Marketingkampagnen)
Einheiten ist entscheidend: sind möglich.
Ableitung der Struktur aus den grundsätzlich relevanten Neben den Kostenersparnissen für die öffentliche Seite
Aufgaben gemäß einer Tourismusstrategie. bewirkt das Einbeziehen der Leistungsanbieter eine engere
Bindung an die örtliche oder regionale Organisation sowie
Definition von Kernprozessen für das Funktionieren der einen Wissenstransfer zwischen öffentlichen und privaten
neuen Einheit. Partnern. Aufgaben können besser erfüllt werden. Auch
Markenstrategien können durch den verbindlichen Charak-
Festlegung der Rechtsform, angepasst an die anfallenden ter der Kooperation besser vor Ort bei den Partnern veran-
Aufgaben. kert werden. Dabei ist zu beachten:
46 3 . TOURISMUS IN LÄNDLICHEN RÄUMEN: SCHLÜSSELSTRATEGIEN UND HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN
Gesellschaftsrechtliche Einbindung: Gewinnung star- Schaffung von Grundlagen für eine tragfähige, an den
ker und konstruktiver Partner; die Ziele aller Beteiligten Aufgaben orientierte Tourismusfinanzierung. Dies bein-
müssen harmonieren. (Hinweis: Bei EU-Förderungen zur haltet die Forderung an die Länder zur Weiterentwick-
Finanzierung der Organisation sind die Vorgaben zur lung der kommunalen Abgabengesetze.
Einbindung privater Partner in Entscheidungsgremien
zu beachten.) Einführung von landesweiten Monitoring-, Benchmar-
king- und Controlling-Systemen21 für die öffentlichen
Langfristige Kooperationen: Einbindung externer (pri- Tourismusorganisationen aller Ebenen (Beispiel in
vater) Partner aus Tourismus oder weiteren interessier- Rheinland-Pfalz: Tourismus- und Heilbäderverband).
ten Branchen gemäß ihrer Kompetenzen oder anhand
eines Themas; Kopplung des Engagements an konkrete Schaffung systematischer Aus-/Weiterbildungs- und
Aufgaben (z. B. Produktentwicklung). Qualifizierungsstandards, verbunden mit den bestehen-
den Angeboten auf Bundes- und Landesebene (z. B. DTV,
Anlassbezogene Einbindung: Verbinden der finanziel- LMO).
len Beteiligung mit konkretem Mehrwert (z. B. Premi-
umpartner bei der Vermarktung durch eine DMO). Initiierung eines Know-how-Transfers zwischen in Ver-
änderungsprozessen befindlichen Organisationen, z. B.
durch Wissensportale, Kontaktvermittlung, Workshops.
Aufgabenorientierte Organisation – Beispiel:
Tagungserlebnis Tegernsee e. V. Fixierung systematischer Aufgabenteilungen auf regio-
naler Ebene in Abhängigkeit von den zu erledigenden
Das Tagungserlebnis Tegernsee e.V. ist in seiner Funk- Aufgaben; Federführung durch die DMO.
tion eine ausgelagerte Produktlinie der Tegernseer
Tal Tourismus GmbH (TTT). Der Verein in Hand der
Leistungsanbieter erarbeitet in Eigenverantwortung alle 3.8 Handlungsfeld Fachkräfte
Angebote im MICE-Segment. Die TTT zahlt dafür einen
Zuschuss, spart jedoch personelle Ressourcen, muss kei- Herausforderung
ne entsprechenden Strukturen vorhalten und überlässt
dem Verein die Markennutzungsrechte. 2,9 Millionen Menschen sind direkt, weitere 2 Millionen
(www.tagungserlebnis-tegernsee.de) indirekt (z. B. Zulieferer) im Tourismus in Deutschland
beschäftigt.22 Dennoch fehlen der Branche insbesondere in
ländlichen Räumen Fachkräfte. Wichtigste Herausforde-
rungen sind:
Konsequenzen und Erfordernisse
Rekrutierung von Fach- und Nachwuchskräften:
Für den Erfolg einer Tourismusentwicklung in ländlichen Gerade Jüngere und gut Ausgebildete zieht es wegen
Räumen spielt die Bereitschaft zu marktgerechten Organi- besserer beruflicher Perspektiven und Lebensstandards
sationsanpassungen eine entscheidende Rolle. Tourismus in die Städte.
ist zwingend auf die Zusammenarbeit aller Ebenen und
Partner angewiesen. Übergreifende Voraussetzungen und
Erfordernisse hierfür sind:
21 Monitoring: Systematische Beobachtung von Marktentwicklungen und Prozessen zur Unterstützung der Findung von Entscheidungen;
Benchmarking: fortlaufender Vergleich mit den besten ähnlich strukturierten Organisationen; Controlling: internes Rechnungswesen zur
Überprüfung der Effizienz und des Erfolgs getroffener Unternehmensentscheidungen.
22 Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie 2012: „Wirtschaftsfaktor Tourismus Deutschland“.
3 . TOURISMUS IN LÄNDLICHEN RÄUMEN: SCHLÜSSELSTRATEGIEN UND HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN 47
Optimierung der Beratungs- und Förderungsangebote Aufbau eines regionalen Netzwerkes mit den relevanten
für Betriebe und Mitarbeiter. Anspruchsgruppen (z. B. Anbieter, Weiterbildungsein-
richtungen, DMO) und hierfür notwendigen Akteuren.
Entwicklung eines passenden innovativen, individuellen tigung regionaler Betriebe für Gäste und Fachkräfte), in
Aktivitäten-Mixes zur Fachkräftesicherung und -gewin- gemeinsamen Marketingaktionen und im Absatz
nung, z. B. regionales und landesweit vernetztes Mitar- (z. B. Direktverkauf). Arbeitsplätze werden geschaffen, Fach-
beitermarketing und Rekrutierung, marktorientierte kräfte gehalten.
Aus- und Weiterbildung, Ausrichtung von Beratungs-
und Unterstützungsangeboten für Betriebe und Mitar- Regionale Identität kann damit einhergehend auch gezielt
beiter der Region an den verschiedenen Phasen des für die Fachkräftegewinnung und -bindung eingesetzt wer-
Berufslebens, Imagekampagnen, Anreizsysteme, familien- den. Werte und immaterielle Standortvorteile wie Regiona-
freundliche Personalpolitik, Anwerbung ausländischer lität, Heimat oder Natur werden gegenüber aktuellen und
Mitarbeiter, Qualifizierung von vor der Betriebsüber- potenziellen Fachkräften vermittelt. Im Wettbewerb um
oder -aufgabe stehenden Unternehmern u. v. m. Fachkräfte haben Regionen mit klarer Identität und daraus
abgeleiteter Lebensqualität künftig einen Vorteil.
(Beispiel: www.rhoener-charme.de)
Beispiel: Tourismusstrategie 2020 Vorarlberg
(Österreich)
Beispiel: „Musicon Valley“
Die Region will Nr. 1 in Europa für Gastfreundschaft,
Regionalität und Nachhaltigkeit werden. Mitarbeiter- Partner verschiedener Branchen (z. B. aus Tourismus,
sicherung und -gewinnung ist als zentrale regionale Auf- Informationsverarbeitung, Landwirtschaft, Bildung,
gabe definiert und umfasst unter anderem ein Jobportal Musikinstrumentenbau usw.) haben sich zusammenge-
gemeinsam mit den Wirtschaftskammern. Handfeste schlossen, um den Musikinstrumentenbau in der Region
Vorteile für Arbeitnehmer sind attraktive Mitarbeiter- zu erhalten und touristisch aufzuarbeiten. Die Fachkom-
unterkünfte oder künftig auch Vorteilskarten für die petenz und Tradition im Musikinstrumentenbau wird
Nutzung von Bergbahnen. Mitarbeiterbefragungen, eine mit den touristischen Angeboten der Region vernetzt.
Mitarbeiterdatenbank oder eine Internetplattform sind Zwei regionale Wirtschaftskreisläufe verstärken sich
weitere Serviceleistungen. Die Wirtschaftskammer Vor- gegenseitig. Es werden Arbeitsplätze in beiden Branchen
arlberg ist mit 25 Prozent Miteigentümer von Vorarlberg erhalten und geschaffen.
Tourismus, somit wird eine noch direktere Netzwerkar- (www.erlebniswelt-musikinstrumentenbau.de)
beit ermöglicht. (www.vorarlberg.travel)
24 Institut für Mobilitätsforschung 2011: Mobilität junger Menschen – multimodaler und weiblicher.
3 . TOURISMUS IN LÄNDLICHEN RÄUMEN: SCHLÜSSELSTRATEGIEN UND HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN 51
Der ÖPNV kann in ländlichen Räumen nicht alle touristi- Schlüsselstrategie der Zukunft: Intermodale Mobilität
schen Attraktionen und Angebote jederzeit bedienen. Gäste für Einheimische und Gäste
benötigen daher weitere individuell nutzbare Mobilitätsan-
gebote vor Ort (z. B. Car Sharing, E-Bike). Entsprechende Der ÖPNV kann in dünner besiedelten Regionen oft nur mit
Lösungen lassen sich vor allem auf Ortsebene oder auch in großem Aufwand unterhalten werden. Gerade auf Neben-
Teilregionen unter diesen Voraussetzungen realisieren: strecken ist es schwierig, Linien und Taktverkehre zu erhal-
ten. Auf Kundenseite steigt die Bereitschaft zur Nutzung ver-
Aufbau eines individuell nutzbaren Mobilitätsangebotes kehrsmittelübergreifender Mobilitätsketten. Das bedeutet:
in Ferienorten/Urlaubsregionen. Sind die im jeweiligen Fall erforderlichen Verkehrsmittel
wie Bus, Rad, Car-Sharing-Auto usw. perfekt aufeinander
Erstellung eines Finanzierungskonzeptes durch Einbezie- abgestimmt, werden sie auch kombiniert genutzt. Dies
hung touristischer Leistungsträger. Sie profitieren direkt erfordert z. B. Radabstellanlagen und Leihräder an Bahnhö-
vom Mobilitätsangebot vor Ort, da es die Attraktivität des fen oder abgestimmte Taktzeiten von Bus und Bahn.
Ortes/der Region und dadurch die Nachfrage erhöht (neue
Zielgruppen können angesprochen werden), z.B. Umlage- Elektromobilität kann zudem die Verzahnung der Verkehrs-
finanzierungen durch die Gastgeber je Übernachtung. träger optimieren, z. B. in der Kombination von E-Bike und
Bus. Der Kunde (im Alltag oder Urlaub) nutzt das E-Bike, um
Unkomplizierte Nutzung für den Gast, z. B. über Integra- von entlegenen Orten zu Hauptstrecken zu gelangen. Bus
tion des Mobilitätsangebots in eine (gastgeberfinan- und Bahn bedienen zwar nur diese Hauptachsen, dies jedoch
zierte) All-Inclusive-Card. Dadurch entsteht ein Mehr- verlässlicher, denn das teure Anfahren wenig frequentierter
wert für den Gast: möglichst kostenlose und ggf. Nebenstrecken entfällt. Entsprechende Projekte wie z. B.
klimaschonende Mobilität, kombiniert mit weiteren INMOD in Mecklenburg-Vorpommern (www.inmod.de)
Leistungen der Card. befinden sich derzeit in der Testphase.
52 3 . TOURISMUS IN LÄNDLICHEN RÄUMEN: SCHLÜSSELSTRATEGIEN UND HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN
Bei Nutzung klimaneutraler Angebote: Glaubwürdigkeit Die Potenziale der Elektromobilität für den Tourismus
durch insgesamt auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Ange- zu nutzen. Dies bedeutet unter anderem Fortführung
botsstrategie. und Ausbau der Forschungs- und Förderprogramme zur
Elektromobilität.
Zwei Beispiele:
3.10 Handlungsfeld Barrierefreiheit
Das Biohotel Eggensberger stellt den Gästen ein eigenes
Biogasauto, ein Elektroauto und E-Bikes vor Ort bereit. Herausforderung
Eigene CO2-Emissionen wurden stark verringert, die
klimafreundliche Anreise der Gäste (per Bahn) wird z. B. Barrierefreiheit ist eines der wichtigsten sozialpolitischen
per Bonuskarte unterstützt. Gäste, die mit der Bahn Themen, doch genauso eine konkrete Herausforderung
anreisen, erhalten Bonuspunkte, die im Hotel gegen eine für den Tourismus: Immer mehr Gäste sind aufgrund ihres
Prämie eingetauscht werden können. fortgeschrittenen Alters oder einer Behinderung auf Barriere-
(www.eggensberger.de) freiheit angewiesen. Rollstuhlfahrer, blinde und sehbehin-
derte Menschen, gehbehinderte oder gehörlose Personen,
Alpine Pearls als Kooperation von 29 Destinationen in aber auch viele Ältere ohne spezifische Einschränkungen
den Alpen ermöglicht „sanfte Mobilität“ von der Anreise finden auch heute häufig nur erschwert Zugang zu Urlaub-
bis zur Mobilität vor Ort. Qualitätskriterium der Pauscha- sangeboten. Von barrierefreien Angeboten profitieren
len und Angebote der einzelnen Anbieter ist vor allem der ebenfalls Familien, Personen mit vorübergehenden Unfall-
klimafreundliche Mobilitätsbaustein bzw. komplette folgen oder Gäste mit schwerem Gepäck. Neben baulichen
Mobilitätsketten. Sanfte Mobilität profiliert hier das Barrieren, z. B. in Sanitärbereichen, bestehen sensorische
gesamte Angebot. (www.alpine-pearls.com) Barrieren (z. B. unzureichende Farbkontraste) und Barrieren
im Service.
Barrierefreier Tourismus ist in der Tourismusstrategie Von Beginn an wurden in die Planung des 230 km umfas-
des Landes fest verankert. Sukzessive sollen die Schwer- senden Netzes aus Rad- und Skatewegen die Bedürfnisse
punktthemen Wein, Radfahren, Wandern und Gesundheit von mobilitätseingeschränkten Nutzern (d. h. Rollstuhl-
barrierefrei „ausgestattet“ werden. Den Start machte das fahrer, Handbiker) einbezogen. So wurden barrierefreie
Thema Wein. Nach der Entwicklung barrierefreier Kriterien Gestaltungsprinzipien – etwa stufen- und absatzlose
und eines Kennzeichnungssystems werden derzeit barrie- Übergänge, sichere und umfahrbare Umlaufsperren –
refreie Kristallisationspunkte entwickelt. Ausgewählte Teil- realisiert. Eine mehrjährige, öffentlich geförderte Qualifi-
regionen bzw. Orte wie Deidesheim und Neustadt an der zierungskampagne inklusive Begleitung und Anleitung bei
Weinstraße sowie Bad Neuenahr-Ahrweiler werden durch konkreten barrierefreien Umsetzungen durch individu-
die Rheinland-Pfalz Tourismus GmbH (RPT) in beson- elles Coaching einzelner Betriebe ist einer der Schlüssel
derem Maße unterstützt: Anbieter werden sensibilisiert, für die Vielzahl entsprechend profilierter Gastgeber und
motiviert und bei der Angebotsgestaltung unterstützt, Anbieter. (www.flaeming-skate.de)
miteinander vernetzt und vermarktet.
(www.tourismusnetzwerk.info)
Top-Down-Prinzip: Schaffen eines landesweiten oder Konzentration der barrierefreien Entwicklung von Infra-
regionalen Entwicklungsrahmens, um damit private struktur und Angebot auf Hauptsehenswürdigkeiten,
Folgeinvestitionen und den Ausbau der Barrierefreiheit an die die betreffenden Zielgruppen vergleichbare An-
auf lokaler Ebene zu initiieren und vor allem zu steuern. sprüche an Angebot und Service stellen (z. B. Wander-
und Radwege, museums- und erlebnispädagogische
Koordination des Prozesses durch regionale Tourismus- Angebote).
organisationen.
Integration des Themas Barrierefreiheit in die Kommu-
nikation der Region; dabei ist das Argument „Qualität“
und „Komfort“ in den Vordergrund zu stellen.
3 . TOURISMUS IN LÄNDLICHEN RÄUMEN: SCHLÜSSELSTRATEGIEN UND HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN 55
Regionale Koordination als zentraler Erfolgsfaktor: Auf Einheitliche Zertifizierung: Die Transparenz von Art
Ebene der LMO und DMO sind strategische Rahmenbe- und Grad der Barrierefreiheit touristischer Angebote ist
dingungen und Impulse zu setzen (z. B. Sensibilisierungs- entscheidende Voraussetzung für deren Inanspruch-
und Qualifizierungskonzepte, Definition inhaltlicher nahme. Künftig wird es hierfür ein bundesweit einheit-
und räumlicher Schwerpunkte, Erhebungen zur Erfas- liches Kennzeichnungssystem geben. Anbieter in den
sung des Grads an Barrierefreiheit einzelner Einrichtun- ländlichen Räumen sollten die Chance ergreifen, ihr
gen, Definition der Kommunikations- und Vertriebsstra- Angebot zertifizieren zu lassen, um es dadurch besser
tegie). Auf örtlicher/teilregionaler und projektbezogener kommunizieren zu können.
Ebene muss der barrierefreie Entwicklungsprozess durch
einen operativen Koordinator Barrierefreier Tourismus
abgesichert werden (angesiedelt z. B. bei der regionalen/ Deutschlandweit
örtlichen Tourismusorganisation). einheitliches Kenn-
zeichnungssystem
Innovationen und Erfolg mit Netzwerken: Der Aufbau „Reisen für Alle“
barrierefreier Angebote und Services erfordert zwingend
die Bildung von regionalen oder projektbezogenen Netz- Im Rahmen des BMWi-Projektes „Tourismus für Alle“
werken (z. B. bei Freizeitwegen). Diese müssen zukünftig wurde das bundesweit einheitliche Kennzeichnungssystem
stärker an Urlaubsmotiven, regionalen Themen und der im Bereich Barrierefreiheit »Reisen für Alle« entwickelt und
Schaffung von kompletten Urlaubsangeboten orientiert eingeführt. Das System soll mit dem Logo »Barrierefreiheit
werden. geprüft« Qualitätsstandards entlang der gesamten Service-
kette sichern und den Gast informieren, welche besonderen
Strategische, markt- und potenzialorientierte Planung: Anforderungen ein Ort oder Betrieb erfüllt. Die Eignung für
Ein Masterplan „Barrierefreier Tourismus“ mit Analysen, die Bedürfnisse der entsprechenden Personengruppen wird
Definition von Schlüsselprojekten, Aufstellung eines in leicht verständlichen Piktogrammen signalisiert. Bisher
Umsetzungsfahrplans, Festlegung von Maßnahmen usw. setzen ca. 350 Betriebe in sieben Bundesländern das System
kann der Integration von Barrierefreiheit in die regio- ein (Stand September 2014). (www.bmwi.de und
nale Tourismus- und Marketingstrategie nützen. www.reisen-fuer-alle.de).
56
Lust auf Natur, raus aus der Stadt, weg vom Alltag, raus aufs Ohne die natürlichen Grundlagen von Natur und Land-
Land? Aber ja! Tourismus in ländlichen Räumen hat beste schaft, aber auch ohne lokale Identität ist erfolgreicher
Perspektiven: Immer mehr Menschen wünschen sich Urlaub Tourismus nicht möglich. Ihr Erhalt muss daher in den
und Freizeit in ländlicher Umgebung mit Natur. Aktivitäten Mittelpunkt des Handelns aller am Tourismus Beteiligten
wie Radfahren, Wandern oder Wassersport sind gefragt, gerückt werden. Für wirtschaftlichen Erfolg im Tourismus
ebenso wie ländliche Kultur, regionale Köstlichkeiten und sind die ländlichen Lebensräume zu erhalten.
natürlich auch der gute alte Bauernhof. Egal welche Ziel-
gruppe: Ländliche Räume bieten beste Voraussetzungen für Touristische Angebote sind immer zuerst an der Nachfrage
Erholung, Naturerlebnis oder Aktivsein und Gesunderhal- auszurichten. Es gilt, Alleinstellungsmerkmale herauszuar-
tung. Egal ob Tagesausflug, Kurztrip übers Wochenende beiten, Erlebnisse für den Gast zu ermöglichen, Mut zu Inno-
oder Jahresurlaub im Sommer oder Winter. vation und Erneuerung zu zeigen und auch interessante
Geschichten zu erzählen. Das öffentliche Tourismusmarke-
Dies bedeutet jede Menge Herausforderungen für Leistungs- ting (vor allem DMO) ist gefordert, die Anbieter fortzubilden
anbieter, Tourismusorganisationen aller Ebenen und Partner und die Qualität zu sichern.
aus der Reisebranche, aber auch Politik und Verwaltung. Es
zeichnen sich jedoch auch Perspektiven und Lösungen für Gerade für die Vielfalt der kleinen Anbieter und ihre Partner
alle Beteiligten in zentralen Handlungsfeldern ab. Für Unter- in ländlichen Räumen lohnt sich eine Zusammenarbeit in
nehmen gilt es, selbst aktiv zu werden und Unternehmer- Netzwerken. Voraussetzung für ihren Erfolg sind klare Ziel-
geist zu entwickeln. So können Veränderungen erreicht und stellungen und eine professionelle Steuerung durch einen
auch Innovationen realisiert werden. Die öffentliche Hand Kümmerer. Auch hier sind die DMO gefordert, mit Wissen
kann und muss die dafür notwendigen Rahmenbedingun- und Personal zu unterstützen.
gen schaffen.
4 . FAZIT: PERSPEKTIVEN FÜR DEN TOURISMUS IN LÄNDLICHEN RÄUMEN 57
Funktionierende Netzwerke tragen maßgeblich zum Erfolg Fachkräftesicherung ist ein wichtiges strategisches Thema.
touristischer Marken bei. Diese müssen entsprechend den Auch regionale Tourismusorganisationen müssen sich die-
Bedürfnissen der Nachfrage und den regionalen Potenzia- sem stellen und es ebenso gemeinsam mit Partnern bear-
len aufgebaut werden, um die Angebote für die Gäste wahr- beiten wie z. B. die Bereiche Markenbildung oder Vertrieb.
nehmbar zusammenzufassen und regionale Identität zu Gemeinsame Ansätze durch Tourismus- und Standortmar-
stärken. keting sind zu entwickeln. Natürlich sind auch die Leis-
tungsanbieter selbst gefordert.
Die touristische Infrastruktur vom Spazierweg bis zur
Therme ist einer der wesentlichen Berührungspunkte der Barrierefreiheit für die sehr unterschiedlichen Ansprüche
Gäste mit touristischen Marken. Dem Innovationsstau und Behinderungsgrade muss direkt in die regionalen Stra-
kann dabei am wirksamsten durch das Schaffen von Kris- tegien integriert und anhand starker Marken, Themen und
tallisationspunkten für touristische Themen und Marken Angebote als zusätzliches Komfortmerkmal und qualitati-
begegnet werden. Investitionen werden dort getätigt oder ver Mehrwert entwickelt werden.
unterstützt, wo weitere Investitionen wahrscheinlich sind
und direkte Synergien zwischen Angeboten und Einrich-
tungen erzeugt werden können.
i INFO
Neue Technologien im Online-Bereich bergen für Kommu- Vertiefende Ausführungen zu den zehn Handlungs-
nikation und Vertrieb große Chancen, die Vielfalt kleiner feldern, weitere Praxisbeispiele und detaillierte
Angebote wahrnehmbar zu machen und Buchungen zu Checklisten sind in zehn Kurzreports als kostenfreie
ermöglichen. Für Anbieter ebenso wie das Tourismusmar- Downloads unter
keting aller Ebenen gilt dabei: Die Kooperation mit starken www.tourismus-fuers-land.de sowie beim BMWi
privaten Partnern spart Kosten und ermöglicht eine bes- unter www.bmwi.de abrufbar.
sere Ansprache der anvisierten Zielgruppen. Für Anbieter
und Touristiker auf öffentlicher Seite werden umfangreiche
vertriebsbezogene Qualifizierungen erforderlich.
Abkürzungsverzeichnis
BMELV Bundesministerium für Ernährung, Landwirt- LOHAS Lifestyle of Health and Sustainability
schaft und Verbraucherschutz
LTE derzeit schnellster Mobilfunkstandard (Long
BMI Bundesministerium des Innern Term Evolution)
LAG Landesarbeitsgemeinschaft
Urlaub auf dem Bauernhof/Land
59
Glossar
Authentizität:
Echtheit von Erfahrungen und Erlebnissen. Channel Manager:
Programm, dass die Datenpflege erleichtert: nur in einem
Portal müssen die Angaben zu Freizeiten oder Preisen
Barrierefreiheit: geändert werden. Sie werden automatisch in allen ver-
Barrierefrei sind bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrs- knüpften Partnerportalen und -kanälen aktualisiert.
mittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der
Informationsverarbeitung, akustische und visuelle Infor-
mationsquellen und Kommunikationseinrichtungen sowie Cross Compliance:
andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für behinderte EU-Auflagenbindung um Ausgleichszahlungen aus dem
Menschen (oder Menschen mit Aktivitäts- und Mobili- europäischen Agrarhaushalt für die Einhaltung von
tätseinschränkungen unterschiedlicher Art) in der allge- Umweltstandards für Landwirte von der Einhaltung
mein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und bestimmter Verpflichtungen abhängig zu machen. Direkt-
grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar zahlungen an Landwirte sind an die Erfüllung von Aufla-
sind.26 Keine Personengruppe soll aufgrund einer bestimm- gen im Bereich Umweltschutz, Lebensmittelsicherheit,
ten Gestaltung von der Nutzung ausgeschlossen werden. Tier- und Pflanzengesundheit und Tierschutz sowie den
Dieses Verständnis der Barrierefreiheit wird auch „Design Erhalt der landwirtschaftlichen Nutzfläche in gutem
für alle“ oder „universelles Design“ genannt. Bewirtschaftungs- und Umweltzustand gebunden.
Benchmark/Benchmarking: Cluster:
Instrument der Wettbewerbsanalyse, fortlaufender Ver- Netzwerke von Produzenten, Zulieferern, Forschungsein-
gleich des eignen Angebots/der eigenen Leistung mit den richtungen (z. B. Hochschulen), Dienstleistern, Handwer-
„Besten“. kern, verbundenen Institutionen (z. B. Handelskammern)
mit regionaler Nähe und Austauschbeziehungen entlang
einer Wertschöpfungskette.
Bottom-up-Ansatz:
Der Bottom-up-Ansatz („von unten nach oben“) stützt sich
auf die Erwartungen, Ideen und Initiativen der ortsansässi- Content:
gen Bevölkerung. Lokale Akteure werden in die Entschei- Inhalte (Texte, Bilder etc.) von IT-Systemen und Massenme-
dungsfindung bezüglich der Strategie, die in ihrer Region dien (Datenbanken, Internet, Social Media etc.)
verfolgt werden soll, eingebunden. Die Bottom-up-Ausar-
beitung und Umsetzung von Strategien ist wesentliches
Merkmal des LEADER-Konzepts.
Destination:
Destinationen zeichnen sich aus durch: Informations- und Reservierungssystem (IRS):
Elektronisch gestützte Datenbanken, in die einzelne Anbie-
eine einheitliche Wahrnehmung als Urlaubsraum bei ter Angebote einstellen können. Das IRS ist die technische
Gästen und Reisenden aus den relevanten Quellmärkten Voraussetzung für Regionen/Destinationen, um vorhan-
(Nachfragesicht) – Destinationen sind also nicht zwin- dene Angebote/Kapazitäten gebündelt zu vermarkten und
gend an bestimmten Übernachtungskennzahlen festzu- zu vertreiben (z. B. auf der Internetseite).
machen, es gibt genauso tagestouristisch relevante Des-
tinationen;
LOHAS:
landschaftliche und/oder kulturelle Geschlossenheit Auf Nachhaltigkeit und Gesundheit ausgelegter Lebensstil
(Tradition); (Lifestyle of Health and Sustainability).
Social Web:
Teilbereich des Web 2.0 (interaktive Elemente des Internets)
bei dem es um die Unterstützung sozialer Strukturen und
Interaktionen über das Internet geht.29 Mittels Social Media
agieren Nutzer in den digitalen Räumen des Social Web.
28 Gabler Wirtschaftslexikon.
29 Anja Ebersbach, Markus Glaser, Richard Heigl 2008: Social Web.
62
Manfred Rupprich
Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi),
Geschäftsstelle der Beauftragten der Bundes-
regierung für Mittelstand und Tourismus
Markus Schneid
Deutscher Heilbäderverband e. V.
Max Stich
ADAC e.V.
Christiane Wahl
Deutsche Zentrale für Tourismus e. V. (DZT)
www.bmwi.de