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unternehmerischer Innovation
und Kunst
Jeannette zu Fürstenberg
Die Wechselwirkung
zwischen
unternehmerischer
Innovation und Kunst
Eine wissenschaftliche Untersuchung
in der Renaissance und am Beispiel
der Medici
RESEARCH
Jeannette Prinzessin zu Fürstenberg
Donaueschingen, Deutschland
Springer Gabler
© Springer Fachmedien Wiesbaden 2012
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v
Für Upata
VII
Geleitwort
Kann Enttepreneurship von der Kunst leroen? Kann die Auseinandersetzung mit
künstlerischen Ausdrucksfonnen unteroehmerische Innovation befördern? Was macht
das Weseosverwandte der beiden Gebiete aus und wie können wir uns deo
Zusammeobängen nähero? - Die Fragen, deoen sich Jeanoette zu Fürstenberg in dieser
Unteraochung gestellt hat, mögen zunächst ungewöholich und weit hergeholt
erscheinen. Doch mit der Familie der Medici, deren Name sich so tief in die
Geschichte der Kunst und der Wirtschaft eingegrabeo hat, kano die Autorin ein
überzeugendes Beispiel fiir die Behauptung von der Verwandtschaft künstlerischer
nnd unteroehmerischer Verfahreosweisen vorstellen. Und die Argumentation, in der
sie hierfür wesentliche Innovationen im Bereich der Kunst wie in der Wirtschaft jener
Zeit - von der Zentralperspektive bis zur doppelten Buchführung - in Beziehung
bringt, liest sich geradezu atemberaubend spanoend. Dass die.. Beziehung durchaus
nichts Gestriges ist, wird deutlich, wo die Autorin an unterschiedlichen aktuellen
Studien die strukturelle Verwandtschaft zwischen künstlerischen Denk- und
Arbeitsweisen und der untemehmerischen Innovation aufzeigt. Eine Studie, die ebenso
von Mut und Kreativität zeugt wie von analytischer Tiefe und Prägnanz. Ich kano
mich dem Wunsch der Autorin nur anschließen, zu einer Verstärkung dieses Wechsel-
spiels zu inspirieren, dazu, Kunst und künstlerische Arbeitsweisen bewusst hiueinzu-
holen in das unteroehmeriscbe Denken und Handeln.
Vorwort
Wissen gehört einem nie allein und daher gilt mein Dank all jenen die mich in den
letzten Jahren begleitet und unterstützt haben. Zunächst gilt mein herzlicher Dank
Herrn Prof. Günter Faltin, welcher mich an den Medici Effekt herangefiihrt hat und
somit ausschlaggebend für diese Untersuchung gewesen ist. Sein Enthusiasmus und
seine Offenheit gegenüber meinen Ideen und dem hier verfolgten explorativen Ansatz
waren eine Grundbedingung für den spannenden Forschungsverlanf. Datüber hinaus
gilt mein Dank meinem Zweitprüfer Herrn Prof. Christof Wulf, welcher dieses
Forschungsvorhaben so bereitwillig mit getragen hat
Mein Dank gilt meinem Mann Chtistian und meiner Familie, welche mich in dem
Reifeprozess dieser Untersnchung von Verwertongsdrock entlastet haben und mir
somit eine wesentliche Grundlage für ihr Gelingen geboten haben. Meinem Großvater
Kristian Rademacher-Dnbbick, dafür dass er mir durch seine Lebensfiihrung instinktiv
den Weg in diesen Forschungsschwerpunkt gewiesen hat Seine gelebte und enge
Interdependenz zwischen Kunst und Wirtschaft ist mir Vor- und Leitbild gleicher-
maßen.
Außerdem gilt mein besonderer Dank Claudia für ihren steten Rat, Weisung und
Beistand. Auch Dagmar und Robin für ihre stete Begleitong und unerschütterlichen
Glauben an das Gelingen dieses Unterfangens. Mein Dank gilt lngeborg Reischert für
Ihre eindrückliche Art und Weise in mir die Leidenschaft zur Textanalyse gedeihen zu
lassen.
Zuletzt gilt mein Dank Herrn Dr. Andreas Wilts und der gesamten Hotbibliothek für
ihre rasche und stete Unterstützung bei der Quellenbeschaffung.
Jeannette zu Fürstenberg
XI
lDholtlverz.elchDI.
1. Einleitung
Hintergrundbild, persönlich
"Aufgabe von Kunst ist es heute, Chaos in die Ordnung zu bringen. ..1
Kunst und unternebmerisches Sein waren in meinem Kopf seit jeher eng miteinander
verwoben. Dies hat eine Ursache, die meinen Lebensweg und meine untemebmerische
Auffassung seit Anbeginn geprägt hat.
Mein Großvater ist Künstler, ein Expressionist, und seine Lebensauffassung ist durch
die vielseitige Auseinandersetzung mit künstlerischen Zusammenhängen geprägt
worden. Durch deo Zufall des Lebens war er im Alter von 27 Jahren gezwungen, das
Familienuntemehmen zu übernehmen. Die Voraussetzungen waren aus heutiger be-
ttiebswirtschaftlicher Sicht eher schlecht: Mein Großvater hatte während der Ktiegs-
wirren weder einen Schul- noch gar einen Universitätsabschluss absolvieren können.
Damals hatte das Unteroehmeo eineo nicht signifikanteo Umsatz und lediglich wenige
Mitarbeiter.
Heute ist das Unteroehmen äußerst erfolgreich: Inzwischen entschiedeo größer gewor-
deo, ist es global aufgestellt, weist konstante jährliche Wachstomsrateo im zweistelli-
gen Bereich auf und ist Innovationsmarktfiihrer in seinem Segment. So weit nichts
Ungewöhnliches, will man meinen - eine schöne Erfolgsgeschichte eines deotschen
mittelständischen Familienunteroehmens. Außer: dass es von einem Künstler und
Kunslmäzen dahin gebracht worden ist. Es finden sich in jeder Firmenzentrale
Originalkonstwerke, nicht nur in deo Begprechungsräumen, sundern auch in deo
Fertigongshallen. Ich erinnere mich, dass bei Geschäftsessen immer auch Künstler und
Kreative zugegen waren.
So weit meine persönliche Erfahrung, die mich inspiriert hat, deo Zusammenhang
zwischen Kunst und Wirtschaft in einer wissenschaftlichen Untersuchung näher zu
betrachten.
Bediogt durch mein konsthistorisches Ioteresse erschien mir die Renaissance für die
eingehende Betrachtung dieses Zusammenhangs besonders interessant In dieser
Epoche fand auf vielen Gebieten ein enormer Innovationsschub statt, der einer
kreativen Explosion gleichkam. Vor allem auf deo Gebieten der Kunst und der Wirt-
I Adomo, T.W. (1951): M"l1Iima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben.
Bei der Beschäftigung mit meiner Fragestellung stieß ich auf Frans Johanssons Werk
The Medici Effect, das mich in meiner Intuition bestätigte, indem es die strukturellen
Ursachen radikaler Innovation tiefer beleuchtet. Hierin beschreibt Johansson anband
von Innovationsbeispielen der nahen Vergangenheit und Gegenwart das Phänomen der
Interseetion im Sinne einer Schnittmenge grundverschiedener Bereiche und Hinter-
gründe als Grundlage für Innovation.' So heißt es bei Johansson: "Tbe explosion of
ideas at the intersection, then, is what makes it possible for innovators to produce so
many remarkable ideas. It gives thern an incredible advantage.'"
Er macht deutlich, dass diese Innovationsbeispiele, anch wenn sie in ihrer Ausprägung
teilweise grondverschieden sind, alle einer ganz spezifischen Denkweise geschuldet
sind. Diese Denkweise ist vor allern geprägt durch eine gewisse Neugierde und die
Bereitschaft, von anderen, scheinbar mit dem eigenen Feld nicht zusan=enhängenden
Disziplinen zu lernen. Das Vorbild einer Kultur, in der eine solche Denkweise sich
entwickeln und erproben kann, sieht Johanssan in der Renaissance in Florenz. So
verweist er auch beispielhaft auf die Medici in ihrer Funktion als Hauptakteure des
Renaissancegeschehens.
Johansson schreibt:
"When you step into an interscction of fields. disciplines or cultures, you can combine
existing coru:epts into a large number of extraordinary new ideas. The name I have given this
phenomenon, thc Medici Effcct, comes from a rcmarkable hurst of creativity in fifteenth-
century ltaly.''''
Dieser Verweis hat mich aufhorchen lassen. Denn die Medici waren mir vornehmlich
in ihrer Bedentung als Mäzene der Kunst sowie als erfolgreiche Entrepreneure ein
Begriff. Konnte es also sein, dass diese beiden Tätigkeitsfelder innerlich zusan=en-
hingen? Dass die Medici in der Nähe zur Kunst diesen von Johansson beschriebenen
Effekt der Intersection erfuhren und gerade deshalb so erfolgreiche, innovative
Unternehmer sein konnten? Und welche Bedeutung könnte dies für ein tiefergehendes
2 Deutsche Entsprechungen fiir das englische intersection wären etwa Schnittstelle oder
Überlappungszone. Da diese Worte nicht genau treffend und zugleich nicht besonders griffig
erscheinen, wird hier weiterhin der englische Begriff verwendet.
3 Jobansson. F. (2006): The Medici Effect - What Elephants and Epidemics can teach U8 about
innovation, S. 102.
4 Jobansson. S. 2.
1.1 Zur Vorgehenswcise 5
Hieraus leitet sich die zentrale Forschungsfrage ab, nämlich die, ob zwischen den
rasanten Innovationen der Renaissance im künstlerischen Bereich und den quasi
zeitgleichen Neuerungen in der Wirtschaft ein Zusammenhang besteht. Dies umfasst
die allgemeine Frage, wie ein derartig kreatives Umfeld entstehen konnte, in welchem
Innovation und Fortschtitt in einem solchen Facettenreichtum und auf derart
bahnbrechende Art und Weise ermöglicht wurden. Und um es an jenem legendären
Beispiel zu knnkretisieren: Wie gestaltete sich bei den Medici das Zusammenspiel
zwischen dem Einfluss künstlerischer Ausdrucksformen und unternehmerischer Inno-
vation?
Dantit orientierte sich diese Untersuchung zunächst an zwei Forschungshypothesen:
Und:
Most major advancements involve multiple disciplines. ,,7 So habe ich mich mit
meinem kommunikations- und betriebswirtschaftlichen Hintergrund auf den Weg der
Erforschung der Kunst- und Wirtschaftsgeschicbte der Renaissance begeben.
Hierbei habe ich die Struktur dieser Arbeit dem Gedanken an das Wechselspiel von
Kunst und Wirtschaft angeglichen. Es werden in struktureller Entsprechung dieses
Wechselspiels die Bereiche Kunst und Wirtschaft auf drei Ebenen nebeneinander-
gestellt und Teilaspekte eingehend betrachtet werden
Auf der ersten Ebene wird das Renaissancegeschehen in zwei Teilen behandelt: Der
erste Teil widmet sich der Kunst der Renaissance und beschreibt zunächst die
strukturellen Rahmenbedingungen, die im Florenz jener Zeit neue künstletische Wege
möglich gemacht haben. Da es nach Übereinstimmung so vieler Autoren als eine
Tatsache gelten kann, dass die Renaissance einen bedentenden Einschnitt in der
Geschichte der Kunst darstellt, dann muss es, so die Annahme hierzu, bestimmte
soziale Rahmenbedingungen gegeben haben, die dies zumindest begünstigt haben. So
werden zunächst jene strukturellen Gegebenbeiten des Renaissancegeschehens vor-
gestellt und erörtert. Hcmach wird versucht, herauszuarbeiten, worin denn eigentlich
die gmßen künstletischen Innovationen jener Zeit bestanden. Selbstverständlich weder
hier noch dort darum gehen, eigene Forschungen zu dieser Kunst anzustellen, vielmehr
werden zwei Aspekte herausgegriffen, die in der kunstgeschichtlichen Forschung als
besonders innovative Merkmale jener Kunst hervorgehoben und breit diskutiert
werden, nämlich die Zentralperspektive und der Disegno-Begriff. Beide werden im
Hinblick aufihre Bedeutung für die Forschungshypothesen betrachtet
Im zweiten Teil soll eine ähnlich geartete Betrachtung zum Wirtschaftsseklor der
Renaissance erfolgen. Auch hier haben nach nabezu übereinstimmender Ansicht der
wirtschaftsgeschichtlichen Forschung grundlegende Wandlungen stattgefunden. So
situieren maßgebliche Denker hier die Entstehung der Fremdkapitalfinanzierung und
letztlich des Kapitalismus überhaupt Um dem nachzugehen, werden zunächst spezifi-
sche Merkmale der florentinischen Wirtscbaft aufgezeigt. Darüber hinaus werden dann
die wichtigsten Wirtscbaftszweige im Florenz der Renaissance einzeln vorgestellt und
in ihrer besonderen Bedentung für die gesamte Entwicklung dieser Epoche kenntlich
gemacht. Die Betrachtung gipfelt schließlich in der Vorstellung von drei wesentlichen
7 Ebd., S. 27.
1.1 Zur Vorgehenswcise 7
Im dritten Teil dieser Untersuchung werden die Medici daher als Akteure im Zentrum
des Renaissancegeschehens porträtiert. Dabei steht zunächst ihre Tätigkeit als Entre-
preneure im Fokus, wobei die einzelnen Teilbereiche ihres wirtschaftlichen Engage-
ments mit Hinblick auf Struktur und Entwicklung betrachtet werden. Darüber hinaus
wird ihr innovatives untemehmerisches Handeln an drei spezifischen Innovationen
kenntlich gemacht.
Interseelion zur Kunst sich aus der Perspektive des Unternehmerischen für die Medici
als besonders fruchtbar erwiesen hat.
Nach der zunächst allgemein die Renaissance, dann konkret die Medici untersuchen-
den Betrachtung des Verhältnisses von Kunst und Wirtschaft wird auf einer dritten
Ebene schließlich diese Fragestellung innerhalb der Debatte der jüngsten Zeit um den
Zusammenhang von Kunst ond Kultur einerseits und Entrepreneurship andererseits
diskutiert. Die Betrachtungen des Unternehmerischen erfolgen hier basierend auf dem
Entrepreneurship-Begtiff Schumpeters ond darüber hinaus auch Faltins. Diese Autoren
heben "schöpferische Zerstörung"lO, Innovationll und Kreativität als konstitutive
Elemente gerade auch im unternehmerischen Schaffensprozess hervor. So soll auf
diesem Verständnis aufbauend anband einer heutigen Analyse des Entrepreneurship-
Begriffs eine Klärung erfolgen, inwieweit der Entrepreneur von der Forschung bereits
in die Nähe zur Kunst gerückt wird.
Darüber hinaus soll die historische Betrachtung der Medici und ihrer Art, die Bereiche
Kunst und Unternehmertum zu verbinden, in Form eines Exkurses in die aktuelle
Debatte um den Begtiff des Cultural Entrepreneurship eingebracht werden. Hier
erscheint eine Erweiterung des bestehenden Begtiffs von Cultura1 Entrepreneurship
sinnvoll. Dieser Terminus ist bislang wenig konturiert ond kann durch die Begtifllich-
keiten Schumpeters, Faltins und anband der Ergebnisse der ersten Teile dieser Arbeit
mehr Substanz erhalten. Die Medici mit ihren Aktivitäten im Kontext der Renaissance
bieten sich hierzu gewissermaßen als histurisches Beispiel von Cultura1 Entrepreneurs
an.
" Schumpeter, J. (2005): KapitaliSlllD8, SozialiSlllD8 und Denwkratio, S. 202, S. 134 ff.
11 Sie regen hier zu einem möglichst weiten Begriffsverständnis von Innovation an, welches
Innovation keinesfalls auf technische Innovationen verkürzt.
1.2 Stand der historischen Forschung 9
Die Renaissance ist über Generationen hinweg von Heerscharen von Wirtschafts- und
Kunsthistorikern sowie von Soziologen betrachtet und analysiert worden, welche in
der Summe ein vielschichtiges Bild dieser Epoche haben zeichnen können. Mein
Verständnis der Renaissance worde hierbei von Anbeginn geprägt durch die Lektüre
von Jacob Burckhardts Werk Die Kultur der Renaissance in Italien. Burckhardt hat
der wissenschaftlichen Forschung zum beginnenden 19. Jahrhundert wichtige Impulse
gegeben und gilt seitdero für viele als wegweiseod. 13 Sein Bild der Renaissance ist das
einer sich stetig individualisiereodeo Gesellschaft an der Schwelle zwischeo
Mittelalter und Moderoe.
Originalquellen der Epoche, wie Giorgio Vasari und Vespasiano di Bicci, sowie auf
Originalbriefe und Dokumente der Hauptakteure und ihres Umfeldes. Sie halten hierin
Begegnungen zwischen den Medici und Künstlern, Wissenschaftlern und Staatsmän-
nemfest.
Das untemehmerische Engagement der Medici hingegen wurde von den meisten
Historikern des 19. und begiunenden 20. Jahrhunderts nur en passant erwähnt und
zuerst von de Roover (1966) eingehender betrachtet. Dessen detaillierte Analyse des
Aufstiegs und Untergangs der Medici Bank gilt inzwischen als Standardwerk und als
richtongsweisend fiir die nachfolgende Forschung. Seine wissenschaftliche Betrach-
tungsweise, die sich auf faktische Belege des Unternehmens Medici stützt, wurde in
der Folge keinesfalls durch entgegenstehende Meinungen überholt, sondern behauptet
ihren Standpunkt auch in der zeitgenössischen Rezeption.
Der hier vorgebrachten Hypofuese von der Wechselwirkung zwischen dem Mäzena-
tentum und der untemehmerischen Innovationskraft der Medici wurde bislang nicht
nachgegangen. Die Forschungsarbeit erhebt den Anspruch, diese Forschungslücke zu
schließen und auf dieser Grundlage das von Faltin beschworene Bild des kreativen
Untemehmers innerhalb der Debatte um die Verhindung von Entrepreneurship und
Kunst weiter zu präzisieren.
1.3 Stand der Forscbung zu der Verbindung von Entrepreneursbip und Kunst
Die Forschung zu dieser dritten Reflexionsebene dieser Untersuchung, nämlich zum
Thema der inneren Verwandtschaft von Entrepreneurship und Kunst und ihrer
Bedentsarnkeit fiir untemehmerische Innovation ist noch relativ unausgereift. Es gibt
in der aktuellen Forschung einige fueoretische und praktische Ansätze, welche dieser
Verbindung insbesondere im Hinblick auf den Innovationsaspekt nachgehen. So
benennen neben Johansson auch Nida-Rümelin und Gryskiewicz wichtige Merktna1e
der Entstehung von Innovation, welche künstlerischen Verfahrensweisen sebr ähnlich
erscheinen. Wei!etbin zeigen einige praktische Ansätze bereits unterschiedliche
Möglichkeiten der Integration künstlerischen Handelns in das Untemebrnerische auf.
Dem konkteten Aspekt der Wechselwirkung jedoch wurde von der Forschung bislang
nur in wenigen Ansätzen nachgegangen.
So hat Faltin den Gedanken der Verbindung von Entrepreneurship und Kunst in seiner
Publikation Kopf schlägr Kapital aufgegriffen. Er spricht von "einer inneren
1.4 Einschriinkungen und Abgrenzung des Themas 11
Analog wird auch das letzte Kapitel seioen Fokus auf die Teildisziplin der inoeren
Verwandtschaft zwischen Kunst und Entrepreneurship legen und von eioer zu großen
Ausweitung der klassischen Entrepreneurship-Definition absehen, da diese zuntindest
in den hier zugrondegelegten Aspekten als bekannt vorausgesetzt werden kann.
Vielmehr soll der Begriff der Innovation und der schöpferisch-kteative Bezug in der
Definition Schumpeters in klaren Begrifflichkeiten herausgearbeitet werden, was
anschließend auch fiir die Entfaltung eines erweiterten Begriffsverständnisses von
Cultural Entrepreneurship genutzt werden soll.
Ziel dieser Untersuchung ist es, das oftmals angesprochene Potenzial der Verbindung
von Kunst und Entrepreneurahip durch die Untersuchung des historischen Beispiels
sowie die Diskussion der theoretischen Ausätze zu Untemehmertum und zu seiner
Verbindung mit Kunst deutlicher herauszuarbeiten. Letztlich ist mit diesem Projekt der
Wunsch verbunden, zu eioer Verstärkung dieses Wechselspiels zu inspirieren, dazu,
Kunst und künstlerische Arbeitswciseo bewusst hineiozuholcn in das untemehmeri-
sehe Deokeo und Handeln.
13
,,/ would say, jurther. that it [the Renaissance; J. F.] drew its posißve inspiration from the
intellectual excitement caused by the challenge 0/ new conditions o/li/e, and, in general, 0/ a
sense 0/ breaking new potentialities in every jield 0/ cullUre, 0/ a sense 0/ breaking new
ground anti 0/scanning ever-widening horizons. ,,17
Die Renaissance gilt als eine Epoche der radikaleo Umbrüche und Neoentdeckungeo
in a1leo Bereicheo der Kllllst und der Architektur. Kurz sah im Florenz der Renais-
sance zusammeofasseod deo Usprung "alleo geistigeo Wachstums der Neozeit in
Künsten, Wissenschaften und Erfindungen".18 Dieser Usprung kann aus vielen ver-
schiedeoeo Perspektiveo heraus betrachtet werdeo. Um gemäß der Forschungsfrage
dieser Arbeit untersuchen zu können, wo es möglicherweise strukturelle Verbindun-
geo, Analogieo, Überschneidungeo zwischeo deo großeo Innovationen in der Kllllst
und jenen im Bereich der Wirtschaft und des Unternehmertums gab, sollen in diesem
Kapitel einige für die neoe Kunst der Renaissance zentrale Aspekte herausgegriffen
und vorgestellt werden.
Dabei kann die Arbeit auf eine Vielzahl von Ansätzen aus mittlerweile fünf Jahrhun-
derten sowie aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen zurückgreifen, die
jeweils versucheo, das radikal Neoe jener Zeit zu beschreiben und zu verstehen. Aus
kunsthistorischer Sicht wurde und wird die Entwicklung der Zentralperspektive als
besonders einschneideod angesehen. Verschiedeoe Ansätze thematisi= hier die
Veränderung der Darstellungsweise, aber auch die der Rolle des Betrachters. Um die
zugrundeliegenden neuartigen künstlerischen Prozesse zu beschreiben, führte der erste
Autor, der das Phänomen der Renaissance zu fassen versuchte, Vasari, den Begriff
Disegno ein.
Auch Soziologeo, Wirtschaftswissenschaftler, Politologen und viele andere haben die
Kunstentwicklungen der Renaissance untersucht und sind dabei auf interessante
Entwicklungen hinsichtlich der sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen der Arbeit
der neoeo Künstler, aber auch der Blickwinkel und Betrachtungsweisen von Kllllst
gestoßeo. Insgesamt lässt sich feststelleo, dass in dieser Zeit eine Erweiterung der
Perspektive stattfand, und zwar sowohl im Selbstverstiindnis der Künstler als auch in
der Wahrnehmung und Beurteilung von Kunst durch die Betrachter.
Beide Perspektiven, sowohl die kunsthistorische als auch die soziologische, sind
hilfreich, um der hier verfolgten Forschungsfrage auf den Grund zu gehen. Hierbei
sollen vor allem zwei Fragestellungen im Blick behalten werden: Wie ist die spezifi-
sche Denkstruktur, welche es Künstlern ermöglichte, diese Neuerungen entstehen zu
lassen, und durch welche Umstände koonte sie sich ausbilden?
Wie kam es weiterhin, dass die Betrachter sich dieser neu entstehenden Kunstform
öffueten? Diese Frage ist vor allem deshalb brisant, da Kunst in dieser Zeit noch in
Auftragsverhältnissen entstanden ist und sotnit der Zustimmung des jeweiligen
Mäzens unterlag.
Insbesondere Wackernagel hat sich in seinem 1938 zuerst erschienenen Werk The
World of the Florentine Artist tnit dem Lebensraum des Künstlers in der Florentini-
schen Renaissance auseinandergesetzt Er hat dabei aus sozialgeschichtlicher Perspek-
tive das Verhältnis zwischen Auftraggeber und Künstler sowie die Grundbedingungen
für Künstler im Allgemeinen untersucht. Hierbei betont er:
"tbe general artiBtic conditions of the Renaissance period in Florence were fundamentally
determined by the existence of an uncommonly strang, multifaceted demand for art and an
equally extensive body of patrons, encompassing a11 social levels. Ibis condition and
structure of the whole nature of art, so ver)' different from. those of the present, must natmally
bave had particu1ar kinds of influence on the situation of the artist within bis environment, as
well as on bis personal attitudes, behavior. and way oflife.'.20
" Waclremage~ M. (1982): The World ofthe F10rentine Renaissance Artis4 S. 299.
20 Ebd., S. 369.
11 Ebd., S. 370.
2.1 Wie die sozialen Rahmenbedingungen eine neue Kunst ermöglichten 17
Die sozialen Bedingungen, wie sie sich in der Renaissance entwickelten, erlaubten
Künstlern, ihre Begabungen zu entdecken und zu entfalten. Interessant ist hierbei der
Hinweis auf ihren kreativen Nährboden. Anreize wurden aus einer erweiterten
Spannbreite als der reinen Findung von Motiven und deren Wiedergabe geschöpft.
Wackernagel spricht in diesem. Zusammenhang von einer künstlerischen Sphäre,
welche sich in der Renaissance verdichtete. Doch was genau ist mit künstlerischer
Sphäre gemeint? Sicherlich der direkte Einflussbereich, welcher auf die Künstler
gewirkt hat, mitliin ihre Auftraggeber und deren direktes soziales Umfeld.
,,A range of ingenuity extending beyond purely manual, craftsmanly artistic activity also
appears in artlsts who showed themselves gi:fted with poetic or musical abilities. [ ... ] the
genera1 basic principles of artistic instruction of the Quattrocento arc certain remarks that call
attention to a more indirect stimulus to the artist' s imaginative powers. [ ... ] That common
ground, however, founded on the special talent and professional activity of the artist, must
surely also appear in the artistic sphere ofthe Florentine Renaissance; at least in the markedly
creative persona1itics who confront us from. among the great majority of craftsmen-
representatives of the artistic branch of professions.,ü.2
Bei Durchsicht der Literatur mit Hinblick auf das sich verändernde soziale Umfeld des
Künstlers erkenut man insbesondere vier Aspekte, welche fiir das Verständnis des
Gesamtzusammenhangs essentiell zu sein scheinen.
Erstens die Wiederentdeckung des antiken Bildungstdeals mit dem daraus entstehen-
den universalen Bildungsbegriff, nach welchem die Menschen ein möglichst
untfassendes Spektrum von Fähigkeiten entwickeln sollten.
Zweitens der insgesamt mehr und mehr in Schwung geratende Handel, welcher eine
größere und differenziertere Nachfrage nach Kunst jeder Art ermöglichte und gleich-
zeitig die Bereitschaft dieser Klasse erhöhte, ungleich mehr Geld hierfiir auszugeben."
Drittens das aus dieser Voraussetzung sich entwickelnde Prinzip der Leistung und
Konkurrenz unter den Künstlern dieser Zeit, welche, wie wir es in der Sprache der
heutigen Wirtschaftswissenschaft sagen würden, sich von größerer Diversifizierung
mehr Nachfrage erhofften und dies zum Anlass nahmen, zunehmend Alleinstellungs-
merkmale herauszuarbeiten, welche ihren Marktwert erhöhen sollten.
Der letzte und. zentrale Aspekt der florentinischen Renaissance ist der zunehmende
Grad an sozialer Durchlässigkeit auf vielen Gebieten. Durchlässigkeit bezeichnet an
dieser Stelle eine sich neu bildende soziale Struktur, welche einen höheren Grad an
Interaktion zwischen zuvor hierarchisch getrennten Schichten ermöglichte.
Nachfolgend sollen diese vier Aspekte, welche sich wie Leibnotive durch die sozialen
Rahmenbedingungen der Renaissance hindurchziehen, bei der Analyse des sozialen
Wirkungsfeldes der Künstler im Blick behalten und an verschiedenen Stellen
beispielhaft näher erläutert werden.
2.1.1 Das Absenken der Zunjlba"ieren und die Entfaltung von Vielseitigkeit
Das Motiv der Durchlässigkeit des sozialen Geföges finden Historiker und Sozial-
forscher vornehmlich im Absenken der Zunftbarrieren. Eine florentinische Zunft war
ein Handwerkerzusammenschluss, welcher dazu diente, die jeweiligen Interessen
seiner Mitglieder zu wahren. Die Aufgaben einer Zunft bestanden darin, dem jeweili-
gen Handwerk ein Regelwerk zu verschaffen sowie Preise festzulegen. Letztlich spiel-
ten die Zünfte auch eine Rolle innerhalb des politischen Systems der italienischen
Städte.24 Goldthwaite definiert die Zünfte wie folgt: ,.A guild was defined primarily by
the particular economic activity that brought its members together, and the essence of
the system was its defense of their common interests. ,as
Viele Historiker nun sprechen för dss fünfzehnte Jahrhundert in Florenz von einem
Absenken der Zunftbarrieren und föhren dies mitunter als eine der Rahmenbedingun-
gen för die aufkeimende Vielseitigkeit der Künstler an. 26 Ein Künstler, der im Florenz
des fünfzehnten Jahrhunderts formell noch den Status eines Handwerkers hatte, föhlte
sich nicht mehr beschränkt durch die Zugehörigkeit zu nur einer Zunft. Diese Öflhung
ermöglichte ein zunftübergreifendes Interesse und Arbeiten und erlaubte Einblicke in
andere kunsthandwerkliche Disziplinen. Daröber hinaus war sicherlich auch der
wirtschaftliche Aufschwung mitverantwortlich för die Tatsache, dsss Handwerker ihr
Tätigkeitsfeld ausdehnten, ds insbesondere die Nachfrage nach Luxusgötern und
Kunsthandwerk stetig anstieg.
Doren spricbt in der Folge von der Tendenz eines Absenkens und gleichzeitigen Über-
lappens der verschiedenen Zunftgrenzen, da die sieb scbnell entfaltende Vielseitigkeit
der zuvor fest begrenzten Tätigkeitsfelder innner scbwerer durcb nor eine Zunftzuge-
börigkeit zu fassen war. Die daraus resultierenden Streitigkeiten der Zunftobrigkeiten
über gegenseitig verletztes Territorialgebiet resultierten dann zumeist in einer
Neu1ralisierung des jeweiligen Gescbäftsgebietes.
"Sicherer und gangbarer erscheint der Ausweg. das strittige Gebiet gleichsam als neutral, als
beiden Teilen gemeinsam gehörig zu erklären, so daß, die es betreten wollen, in beiden
Zünften unter bestimmten Erleichterungen Matrikel zu nebmen gezwungen sind. oder daß
ihnen die Wahl der Zunft freige,rellt wird...'9
Überbaupt betont Doren dorcbweg die Erleicbterungen, welcbe das Zunftwesen seinen
Mitgliedern zu gewähren bereit war. Hierbei betont er zudem die finanzielle Belas-
tung, toit welcber die Zunftmitglieder bei einer erzwungenen Mitgliedschaft kon-
frontiert gewesen wären:
,,Diese Erleichterungen, wie sie sich nun in der Tat nicht nur in solchen ,laudi' zwischen
streitenden Zünften von Obrigkeits wegen ausgesprochen, sondern in einer ganzen Reihe von
Zunftstatuten autonom niedergelegt finden, konnten der ganzen Situation nach im wesentli-
chen nur finanzieller Natur sein: Ermäßigungen des Eintrittsgelds und der regelmäßigen
Zunftsteuem. ,030
27 Deren, A. (1969): Studien aus der Florentiner Wirtschaftsgeschichte. Bd. 2. Die Florentiner
Wollcntuchindustrie vom 14. bis zum 16. Jahrhundert, S. 152.
21 Ebd., S. 94.
29 Ebd., S. 105.
30 Ebd., S. 107.
20 2. Wesentliche Aspekte der Innovation in der Kunst der Renaissance
Insgesamt lässt sich somit auch in den Schilderungen Dorens eine Lockerung der
Zunftbarrieren feststellen.
Analog zu Doren stellt de Roover explizit das Hinwirken der Florentiner auf ein
Absenken der Zunftbarrieren fest:
.,Although Florence was a stronghold of the guild system, its government was dedicated, in
theory at least, if not always in practice, to the principle that free competition should be
preserved as much as possibte and that 00 interference by private individuals with the
operation ofthe market should be brooked.,.31
Auch Schneider, welcher sich aus soziologischer Perspektive mit dem institutionellen
Wandel und der wirtschaftlichen Entwicklung in Florenz um 1400" befasst hat,
spricht von einer Lockerung der zünftischen Organisation." Er bemerkt eine
gestiegene Flexibilität des Zunftsystems und hält hierzu fest:
,,Die Geschiiftspraxis war nicht emsthaft durch die Zunftzugehörigkeit behindert, da sie nicht
sehr streng geregelt war. Zwar wurden einem Nichtmitglied nicht alle Privilegien einer
Zunftzugehörigkeit eingeräumt, jedoch wurde Nichtmitgliedern die wirtschaftliche
Betätigung nicht grundsätzlich untersagt. Zudem war es nicht verpflichtend, sich einer Zunft
anzuschließen, um Geschäfte tätigen zu können. u34
Der Historiker Brucker betont, dass die Zünfte hinter einer relativ rigide anmutenden
Fassade das Potenzial der entstehenden florentinischen Vielseitigkeit erkannten und
indirekt fOrderten: ,,Das Zunftsystem erlegte der Vielfalt der Tätigkeitsfelder und
wirtschaftlichen Ziele keine ernsthaften Einschränkungen auf, noch zog es eine klare
Grenzlinie zwischen den ,ökonomischen' Klassen in Florenz.'JS Indirekt spricht er
über die Absenkung der Zunftbarrieren auch ein lneinandergreifen von zuvor
hierarchisch getrennten Gesellschaftsschichten an. Dieser Tatbestand impliziert
abermals eine neuartige Durchmischung von gesellschaftlichen Positionen und damit
verbundenen Sichtweisen, welche zu dem Renaissanceklima beigetragen hat.
31 De Roover, R. (1968): Labour conditions in Florence 1400: Thoory, Policy and Reality. In:
Rubinstein, N. (Hg.): Florentine Studies: politics and society in Renaissance Florence, S. 286.
32 Scheider, T. (2006): Institutioneller Wandet und wirtschaftliche Entwicklung in Florenz um 1400.
33 Ebd., S. 9.
34 Ebd., S. 9.
3S Brucker, G. A. (1990): Florenz in der Renaissance: Stadt, Gesellschaft, Kultur, S. 86.
2.1 Wie die sozialen Rahmenbedingungen eine neue Kunst ermöglichten 21
Zwängen des Marktes bestimmt wurde wie von der autoritären Anordnung der
Zun:ftkonsuln...36
Interessant ist, dass Brucker die Autorität der Zunftobrigkeiten nicht unterschätzt, aber
eine Tendenz der Florentiner zum Ausdruck bringt, welche sich an den Erforderoissen
des "freien Gewerbes" orientierte.
Wackeroagel sieht im Unterschied zu den anderen Autoren im Aufbrechen der
Zunftbarrieren nicht so seIn die Voraussetzung als vielmehr die Folge der
aufkeimenden Vielseitigkeit der Akteure:
,,More noteworthy than such specialization, however, is the opposite phenomenon:
multifaceted, universal competence and activity of individual artists in different, even
materially different branches of the arts. This was doubly remarkab1e because thereby the
generally prevalent guild seperation of artistic media was in same measure broken down. so
that under lawful regulation - assuming it was observed - changes of the guilds ar multiple
guild membership must have become necessary.• <37
Insgesamt lässt sich io der Betrachtung der historischen Literator kein eindentiger
Kausalzusammenhang voo Ursache und Wirkoog für das Absenken der Zooftbarrieren
und die neue Vielseitigkeit der Künstler bzw. der früheren Kunsthandwerker
feststellen. Vielmehr scheint beides Resultat eines Ineioandergreifens verschiedener
Tendenzen zu sein.
So mag die handwerkliche Vielseitigkeit der Renaissancekünstler zum einen eio
Resultat des Absenkens der Zooftbarrieren sein, zum anderen jedoch muss auch die
Entfaltung eioes vielschichtigen Interesses auf dieses hiogewirkt haben. Wackeroagel
weist an dieser Stelle iosbesondere auf den schon erwähnten Aspekt des der Aotike
entlelmten universalen Bildungaideals hin, welches voo den prominentesten und
innovativsten Künstlern angenommen und umgesetzt wurde.
"What, however, is the situation with that other side of the mentality, the intellectual
development and direetions of interest 8DlOog the artists? Tbc antique attitude that the most
extensive possible universal education was necessary ar at least most desirable for artime
production was set forth prominently by Vitruvius. This opinion was also taken over by
Renaissance theorists, particularly Alberti and Glnoerti, and represented as an ideal
requirement. That many artists lived up to this old humanistic theory in practice, especially in
the first generation of the early Renaissance, is far exampte evidenced :ftequently far
Brunelleschi and also for Donatello and Glnoerti.•.3.
36 Ebd., S. 94.
" Wackernage1 (1982): S. 305.
38 Ebd., S. 357.
22 2. Wesentliche Aspekte der Innovation in der Kunst der Renaissance
inherent in their craft and therefore not a1together unique to Florence, their mobility
into the other arts was made easier here than elsewhere by the absence of rigid guild
barriers."" Goldthwaite bezeichnet die Vielseitigkeit der Künste als ihrem Handwerk
inhärent, allerdings sieht er in dem Absenken der Zunftbarrieren erst die Ermögli-
chungsbedingung für die Entfaltung dieser vielseitigen Fähigkeiten.
Der Kunsthistoriker Goldstein weist bei seinen Ausfiihrungen über die Gründung der
Accademia del Disegno ebenfalls auf ein Bestreben hin, die Zunftbarrieren
abzusenken: "The Academy was to be open to painters, sculptors, and architects, who,
because they work with different materials, bad belonged to different guilds.' .... Die
Kunstakademie wurde von Vasari ntit dem Ziel gegtiindet, der könstlerischen Sphäre
in ihrer Vielseitigkeit einen Raum jenseits der handwerklichen Norntieruog einzuräu-
men. Dieser Raum sollte gäozlich von den Zünften entkoppelt werden und sontit quasi
exterritorial auf die Entfaltung des künstlerischen Genies ausgerichtet sein. Dieser
Hinweis Goldsteins ist überdies entscheidend für die Entstehung einer Auffassung von
Kunst als etwas "Umfassendem". Die Gründung der Vasari'schen Kunstakademie war
ein wesentlicher Schritt für die Entwicklong unseres heutigen Verständnisses von
Kunst als eines eigenen, von sozialen Regeln weitgehend unabhängigen bzw. eigenen
Regeln unterworfenen Gebietes.
Auch Hauser weist auf eine steigende Unabhängigkeit der Künstler von den Zünften
hin und macht analog zu Goldstein die Akademiegtiindongen für diese Liberalisierong
ntitverantwortlich:
,,Der ursprüngliche Zweck und Sinn der Akademien war ein liberaler; sie dienten der
KÜDStlersChaft als Mittel zur Emanzipation von der Zunft und zur Erhebung über den Stand
der Handwerker. Die Mitglieder der Akademien wurden früher oder spärer übera11 der
Verpflichtung enthoben, einer Zunft anzugehören und sich an die Beschränkungen der
Zunftordnung zu halten,,"'l
Der Tatbestand der Akadentiegtiindungen mag ebenso ein Resultat der zunehmenden
Orientieruog an antiken Bildungsmaßstäben gewesen sein.
Überdies macht Hauser insbesondere den oben erwähnten Aspekt der gesteigerten
Nachfrage für die graduelle Auflösung der Zunftbarrieren verantwortlich:
,,Die Künstler waren im Italien der Renaissance von Anfang an besser gestellt als in den
anderen Ländern [ ... ]. Die größere Unabhängigkeit der italienischen Künstler von der Zunft,
worauf sich ihre bevorzugte Stellung gründet, ist vor aI1cm das Ergebnis ihrer vielfachen
Beschäftigung an den Höfen. ,.42
Wie Hauser geht auch der Kunsthistoriker Goldthwaite von dem Aspekt des sich
intensivierenden Wcttbewerbsverhä11nisses unter den Künstlern aus: ..[ ... ], but there
can be no denying that the terms of competition were much expanded in Florence with
the increase in options, with the specialization of skills, and above al1 with the greater
challeoge for the artist to demonstrate bis knowledge".43
Von Martin geht noch einen Schritt weiter, indem er den gewissermaßen auf die
gesteigerte Nachfrage zurückzufiihrenden Aspekt der Leistung und Konkurrenz als
besoodere Triebfeder tiir die uogewöhuliche Neueruogskraft der Künstler benenot:
,,Das einem kapitalistischen Zeitalter gemäße Prinzip der freien Konkurrenz und der Glaube
an die grundsätzlich unbegrenzten. an keinerlei Schranken gebundenen Möglichkeiten des
,Fortschreitens' erhielten dadurch auf dem geistigen, dem wissenschaftlichen, literarischen,
künstlerischen Gebiet verstärkten Antrieb und konkrete Richtung ...44
Dies impliziert überdies einen erneuten Hinweis auf die Vielseitigkeit der Künstler
und deren wachsende Bereitschaft, ihre Gestaltungskraft über die bildende Kuost
hinaus auszudehnen.
Gewissermaßen in Analogie zu von Martins Assoziation der Renaissance mit einem
Gesamtkuostwerk erkenot Hook in seinem Porträt Lorenzo de' Medicis in dessen
sozialen Umständen eine ,,kulturelle Spannuog", die sich aus dem Ineinaudergreifen
42 Ebd., S. 338 .
., Goldthwaite (1990), S. 417.
44 Von Martin, A. (1974): Die Soziologie der Renaissance, S. 53.
4S Ebd., S. 47.
24 2. Wesentliche Aspekte der Innovation in der Kunst der Renaissance
Dabei scheint aber dss Handwerk durchaus der Boden fiir die Entwicklung der
vielseitigen Künstler der Renaissance gewesen zu sein. So fmdet Goldthwaite in dem
Atelier von Goldschmieden keineswegs nur zukönftige Juweliere, sondern vielmehr
entstebende bildende Künstler.
"The importance of the goldsmith' s shop as th.e training-ground for men who tb.en went on to
become major artists in other media has oilen been noted as an e!Rlanation for the
remarkablc versatility that is virtually the hallmark of thc Florentine artist.
Der Historiker Brion stellt in seiner Beschreibung des sozialen Gefüges ebeufalls die
Vielseitigkeit des florentinischen Künstlers in den VOrdergrond:
,,Die völlige Freiheit, mit der jeder Künstler seine Persönlichkeit mit a11 ihren Eigenheiten
darstellen kannte, bannte die Gefahr eines langweiligen Akademismus. Es gab Werkstättcn,
wo die Schüler vom. zartesten Alter an ihre Talente und Fertigkeiten entwickeln konnten; die
Meister brachten ihnen die Anfangsgründe von Bildhauerei und Malerei bei, meist beidcs
zugleich, denn das Ideal der Renaissance war der a11seitig ausgebildete Mann, der ohne
weiteres im Stande war, Gemälde und Skulptur beiseite zu legen und stattdessen einen
Wappenschild zu entwerfen, einen Edelstein zu fassen, einen Triumphbogen zu zeichnen
oder Vorschläge zu Kostümen für ein Ballett oder einen Maskenball zu machen...so
Brion gibt konkrete Beispiele für die vielseitigen Wirkungsfelder, welche Künstler für
sich erschlossen. Zudem weist er insbesondere auf den Aspekt hin, dass die
Ausbildung einer allseitigen Begabung in der Renaissance zu einer wünschenswerten
Voraussetzung geworden ist.
Zweifellos hat die Renaissance ebenso die Entstehung des Geniebegriffs in der Kunst
befördert. Bis zu diesem Zeitpunkt sahen sich auch Künstler als Handwerker inoerhalb
ihrer Zunft oder als Werkzeuge Gottes. Mit der allmählichen Trennung der
handwerklichen Assoziation vom Kunstbegriff und dem Erwachen des subjektiven
Ausdrucks entstand ein völlig neuer Begriff nicht nur der Kunst, sondem auch des
schöpferischen Individuums. Im Mittelalter fehlte sowohl die "Vorstellung als auch
der Wille zur Origina1itäf,'1 und somit gab es damals auch nicht die Grundbedingung
der Autonomie. Die Renaissance begann Individualität und eine vergeistigte Lebens-
fonn zu stilisieren. Somit war die Entstehung des Geniebegriffs teils Bedingung und
teils das Ergebnis des neu entstehenden, vielseitigen Künstlers.
Hierzu heißt es bei von Martin:
,,Die durchgreifende Wandlung aller Verhältnisse, die allgemeine Emanzipation von dem
Überkommenen, das allgemeine Weiterstecken der Ziele persönlichen Strebens, musste auch
eine energische Wcitcrbildung des Kunstwillens, ein Aufwerfen neuer künstlerischer
Probleme mit sich bringen. Das schöpferische Moment musste mit einer ganz neuen
Bewußtheit im Künstler entstehen: der ,Geniebegriff' kannte entstehen - als der höchste
Ausdruck eines nun erst, auf bürgerlichem Boden, möglich werdenden und rein auf die
persönliche Kraft und Fähigkeit des Individuums gestellten Selbstbewußtseins, Kraftgcfüh1s
und Freiheitsgcfüh1s. Das Konftatemitätenwesen, die genossenschaftliche Gliederung,
verfällt - wie auf dem gewerblichen Gebiet; der Individualismus setzt sich durch.,.52
Hauser ergänzt die Beobachtungen von Martins durch die These, das Genie sei zum
Ideal der florentinischen Bevölkerung avanciert:
,,Die Macht der Persönlichkeit, die geistige Energie tmd Spontaneität des Individuums ist das
große Erlebnis der Renaissance; das Genie als der Inbegriff dieser Energie und Spontaneität
wird ihr zum Ideal, in dem. sie das Wesen des menschlichen Geistes und seine Gewalt über
die Wirklichkeit erfaßt.·.s3
Hauser geht sogar so weit, zu sagen, dass "der Wille zur Originalität zu einer Waffe im
Konkurrenzkampf'" der verschiedenen Künstler geworden sei. 10 dem sich
verstärkeoden Wettbewerb um die Gunst der Mäzene entstand auch der Wille, sich zu
unterscheiden. Das Ringen um Originalität und eine eigene ,,Haodschrift" trogen
sicherlich zu der schnellen Entwicklung der Kunst in der Renaissance bei.
Diese Ausprägung einer individuellen Ausdrocksform von Kunst als Stilmerkma1 und
Unterscheidungskriterium einzelner Künstler wird von Hauser ebenso als zentrales
Element in der Entstehung des Geniebegriffs benannt:
,,Der wichtigste Schritt in der Entwicklung des Geniebegriffs ist der von der Leistung zur
Leistungsfähigkeit, vom Werk zur Person des Künstlers, von der Wertung des restlosen
Gelingens zu der des Wollens und der Idee. Nur von einer Zeit, für die die persönliche
Ausdrucksweise an und für sich interessant und geistig aufschlußreich geworden ist, konnte
dieser Schritt gemacht werden...55
Ioteressant ist an dieser Stelle die Bernerkong des Kunsthistorikers Chastel: ,,Die
Erkenntnis der Neusrtigkeit könstlerischer Zielsetzungen förderte die Einsicht in die
Notwendigkeit einer geistigen Neoorientierung."" Er bemerkt, dass sich künstlerische
Zielsetzungen dem Betrachter offenbarten und diesen zugleich herausforderten, seine
eigene geistige Orientierung zu hinterfragen. Sotnit stellt er zunächst eine direkte
Einflusana1nne auf den Betrachter fest und zum anderen auch eine direkte
Übertragbarkeit dieser künstlerischen Aufbruchstimmung auf den Zeitgeist.
S3 Hauser (1990), S.349, und an anderer Stelle: ,,Der modeme Begriff der schöpferischen
Persönlichkeit rückt ins Bewußtsein der Menschen und die Zeichen des steigenden Selbstgefühls
der Künstler mehren sich." (S. 344)
S4 Ebd., S. 350.
Wackernagel misst dem Mäzen also väterliche, fördernde Qualitäten bei der
Entstehung des Kunstwerks bei, während er die Rolle des Künstlers in dem als
mütterlich konnotierten, kreativen Reifungsprozess sieht - eine Bildlichkeit, die auch
von anderen Forschern aufgegriffen wird.
S7 Esch, A. (1981): Über den Zusammenhang von Kunst und Wirtschaft :in der italienischen
Renaissance, in: Zeitschrift für historische Forschung, 8. Bd., S. 210.
" Wackernagel (1982), S. 249.
SI' Ebd., S. 207.
28 2. Wesentliche Aspekte der Innovation in der Kunst der Renaissance
In gewisser Weise beschreibt Bullard den florentinischen Lebensraum und den darin
ständig pulsierenden Infonnationsfluss als eine Form, in der die unterschiedlichsten
Sichtweiseo und Kompeteozen miteinander in Verbindung treten konnten. So hebt sie
die große Dichte sozialer Netzwerke und die örtliche Nähe als Kernelemente des
Mäzenatentums der Renaissance heraus .
Als Basis jeder mäzenatischen Aktivität hatte die Forschung allerdings schon früh die
entsprechenden finanziellen Voraussetzungen erkannt So stellte schon der
Wirtschaftshistoriker Doren vor allem den Aspekt der steigenden Verfiigbarkeit von
Kapital bei der Entwicklung des Mäzenatentums und der Kunst in den Vordergrund:
"Stellt man, von der Soziologie der Kunst aus gesehen, etwa das Mäzenatentum auf allen
Gebieten in ihren Mittelpunkt, läßt man also Antrieb und Schaffensmöglichkeit fiir die
Künstler von der einzelnen Persönlichkeit, von dem. Auftraggeber, dem Sammler, dem
Anreger ausgehen - und man wird kaum zweifeln können. daß dem viel:fu.ch so war - so
begreift man, daß freie Verfügung über bedeu1<nde flüssige Geldmittel notwendige
Voraussetzung tür eine derartige Gestaltung des künstlerischen Daseins war.u64
Doren betont hier den auf Repräsentation gerichteten Aspekt des Mäzenatentums,
welcher eine nicht zu unterschätzende Rolle gespielt hat. Es steht außer Frage, dass die
mäzenatische Kunstf6rderung der jeweiligen Auftraggeber für diese auch einen
Eigennutz hatte, indem die Kunst das öffentliche Ausehen der jeweiligen Personen
erhöhte, die patronisierten Werke also zu Statussymbolen wurden. Dennoch schwingt
auch in der Analyse Dorens die Feststellung mit, dass die Mäzene sich dem
,,künstlerisch-geistigen Leben" hingaben. Somit ist der Statusaspekt, mit den damit
verbundenen Merktna1en des Selbstgenusses und der Selbsterhöhung, welche dem
jeweiligen Mäzen zukamen, ein weiteres Glied in der Kette zur Erweiterung des
Verständnisses künstlerischer Ra1unenbedingungen in der Renaissance. In ihm liegt
möglicherweise einer der Gründe, weshalb die Mäzene den intensiven Kontakt und
Austausch mit Künstlern suchten.
Die Historikerin Kent geht in ihrer Monographie über Cosimo de' Medici von
Mäzenatentum als einer Ausdrucksform unter anderen aus, mit denen reiche Familien
ihre Bedeutung darstellen und ihre Visionen ausdrücken konnten. Diese Auffassung
von der Gleichberechtigung unterschiedlicher Formen des Ausdrucks - vom
untemehmerischen über das künstlerische bis zum politischen Handeln - beschreibt
Kent wie folgt:
,,Far Renaissance men the visual arts werc a natural vehicle far thc expression of se~ and far
the realization of their visions of personal and social identity. [ ... ] These common1y admired
qualities, recognized in th.e various achievements of others, signal a comp1ex of sbared habits
of mind - of values. information and skills - that helped patrons, politicians, writers, and
artists to reiate and to communicate their aspirations, to define and to present themselves to
each other. This was a major somce ofthe ingegno, the cnergy, that animated the Florentine
Renaissance, and brought patrons and artists togetb.er in the creative act ,066
Mäzene betrachteten Kunst also auch als eine Fonn des eigenen Ausdrucks, welcher
sich in der Ausführung des Künstlers wiederfindet Der Mäzen überantwortete seinen
Wunsch nach dem Ausdruck seiner individoellen und sozialen Identität an den Küust-
ler, was sicherlich impliziert, dass der Mäzen dem Küustler seine Wunschvorstellun-
gen über ein Bild oder ein anderes Kunstwerk immer wieder verdeutlichen musste -
ein Beleg für den hohen Grad an geistigem Austausch. Kent weist überdies an dieser
Stelle auadrücklich auf eine geistige Verwandtschaft zwischen Aufuaggeber und
Küustler bin.
Diese geistige Verwandtschaft wiederum führt sie auf den engen uud intensiven
Auatauach zwischen Mäzenen und der küustletischen Sphäre zurück.
"Given that most artists started out as workshop assistants of limited education, the
sophistication of so many of their representations presupposes a high degree of interaction
and cooperation with cu1tured men, including their patrons. To grasp how manifold were the
opportunities far interaction in the pool of talented men concentrated in fifteenth-century
Florence is crucial to penetrating the meaning of Florentine worb of art. •.67
Erneut erfolgt auch hier der Hinweis auf die örtliche Nähe und die Interaktion aller
..talentierten Männer". ,,However, the piethora of educated patrons liviug in the sma1l
republican city of Florence was an importaot preconditioo of the extraordinary
intensity of creative inuovatioo by so many talented artists at work there in the early
fifteenth centory. ,,68 Interessant ist hier der direkte Kauaa1zuaammeuhang, welchen
Kent zwischen der Dichte an hoch gebildeten Mäzenen und der Intensität kreativer
Iunovation herstellt
Bemerkenswert ist, dass diese neuen künstlerischen Auadrucksfonnen durch die
Mäzene auch einer breiten städtischen Öffentlichkeit zogänglich gemacht wurden,
dass jene küustletische Produktioo sich auf das K1ima der Stadt übertragen zu haben
scheint Die Neugier und das Interesse an dem kreativen Schaffensprozess waren so
ausgeprägt, dass Ateliers zu gesellschaftlichen Begeguungsstätten wurden.
66 Ebd., S. 20.
67 Ebd., S. 21.
68 Ebd., S. 41.
2.1 Wie die sozialen Rahmenbedingungen eine neue Kunst ermöglichten 31
,,Neri di Bicci's Ricordanze, the evidence ofpopular litcrature [ ... ] alt soggest that artists's
workshops, easily accessible to an audie:nce of neighbors and patrons, wen: natural settings
for encoun.ters with friends and the exchange of information, p1aces where patrons and their
audience could learn about art by seeing artists at work. •.69
Innerhalb dieser Begegnungen muss der konkrete Austausch stattgefunden haben. Die
Nähe zur Kunst, welche die Mäzene oder sonstige Auftraggeber auf diese Art und
Weise erleben konolen, geht über die reioe Bildbetrachtung hinaus. Sie wirkten aktiv
ao der Bildgestaltung mit, indero sie das Sujet bestimmten. In eioer Vie1zabl von
Beispielen zeigt sich auch der Grad der Einmischung des jeweiligen Mäzens in die
Auswahl von Farben und der Aoordoung der Figuren.70 Darüber hinaus ist dies ebenso
ein Beleg fiir den enorm gestiegenen Grad ao Durchlässigkeit der sozialen Ordnung
der florentinischen Gesellschaft.
Das und die Tatsache, dass das Mäzenatentum in der Rensissaoce überhaupt diesen
enormen Stellenwert erlangte, mit dem wir es heute assoziieren, begründet von Martin
mit der Kenoerschaft und Liebhaberschaft, welche sich vornehmlich unter der
florentinischen herrschenden Klasse in der Rensissaoce entwickelten:
,,Erst jetzt entsteht der Typ des ,Kenners' und ,Liebhabers' der Künste, der ein persönliches
inneres Verhältnis zur Kunst besitzt und auf Grund desselben auch einen inneren Kontakt zu
dem Kiinstler haben kann. Die Individualität des Kiinstlers wie auch die des Bestellers treten
in einer zuvor nicht bekannten Weise hervor. Und indem der Kenner den Maßstab der
69 Ebd., S. 115.
70 Ein Beispiel für die Einmischung eines Mäzens - in diesem. Fall Piero de' Medici - in die
künstlerische Ausgestaltung zitiert Gombrich: "There is one more famous instance wbich allows us
to gauge the influence of Piero's taste on a work of art he commissioned: that best-remembered of
all monuments to Medicean taste, Gozzoli's frescoes in the Medici chapel. There are three letters
from the artist to Piero from the year 1459. Tbeu tone is very different from the tone earlier quoted.
Tbe painter addresses Piero as Amico mio singholarissimo, my greatest friend: ,Yesterday I bad a
letter from your Magnificence through Ruberto Martegli from wbich I understand that you think
that the Serafims I made are out ofplace. I have only made one in a corner among certain clouds;
one sees nothiDg bot the tips of bis willgs, and he is so well hiddcn and so covered by clouds that
he does not make for defonnity at all but mther for beauty [ ... ] Nevertheless, I'll do as you
command; two little cloudlets will take them away.u70Entnommen aus: Gombrich, E. H. (1985):
Norm and Form, S. 49.
32 2. Wesentliche Aspekte der Innovation in der Kunst der Renaissance
•Virtuosität' anzulegen weiß, fördert er die Entstehung einer artistischen Kunst, einer Kunst
vom Standpunkt des Kiinst1ers."71
Ebenfalls interessant an der Beurteilung von Martins ist seine Betonung, wie verwandt
das Denken von Künstlern und Mäzenen doch war, auch wenn es sich in
unterschiedlichen Bereichen realisierte:
,,Dabei macht sich nun innerhalb der Atcliersphärc doch wioder ein gewisser Zug der
,Berechnung', ja einer alles vermögenden künstlerischen Berechnung geltend, eine Neigung
zu Kompositionen nach rational konstruierten Symmetri.egesichtspunkten, zu einem
rechnerischen Gegencinanderabwägen und Ausbalancieren künstlerischer Wirkungen. Der
Künstler und sein Publikum, eine kunstverständige Elite, finden sich in einem
ausgesprochenen Sinn fiir Proportionswerte. [ ... ] Diese Haltung auch des Künstlers zeigt, wie
sehr er innerlich dem Geist der herrschenden Gesellschaft seiner Zeit zugehörig ist. ..72
Betont von Martin hier vor allem, wie sehr sich der Künstler der herrschenden Schicht
nahe fühlt, so lässt sich umgekehrt auch vorstellen, dass diese Nähe auch von Seiten
der Auftraggeber empfunden wurde. Wie schon zuvor mit dem Zitat aus di Biccis
Ricordanze deutlich wurde, darf man sich die Ateliers der Künstler als Orte der
Begegnung dieser sozial eigentlich traditionell so weit voneinander entfernten Akteure
vorstellen. Hervorzuheben an der zitierten Äußerung von Martins ist überdies die
Tatsache, dass die künstlerische Neignug zu Form und Proportionswerten ihre
Entsprechung ebenso bei jener /runstverständigen Elite, also vornehmlich den
Mäzenen wiedergefunden hat.
Wie von Martin sieht auch Hauser eine zunehmende Anähnlichung der jeweiligen
Geisteshaltungen von Künstlern und Unternehmern, wobei er jedoch noch einen
eigenen Akzent auf die neue Sichtweise auf Kunst setzt: ,,Bezeichnend für die neue
Attitüde ist, daß das Publikum nunmehr die artistische Einstellung der Künstler selbst
anna\un und die Kunst nicht vom Standpuukt des Lebens und der Religion, sondern
vom Standpuukt der Kunst beurteilte ...73 Diese entstehende Betrschtungsweise vom
Standpuukt der Kunst und des Künstlers beim Publikum ist ein entscheidendes
Merkmal für eine qua1ifizierte und differenzierte Urteilskraft jener Mäzene. Sie
etablierte darüber hinaus auch einen völlig nenen Zugang zu Kunst, indem diese sich
nicht mehr ausschließlich auf eine reine Abbildung des Lebens begrenzte, sondem sich
viehnehr zu einem eigenständigen Bereich berauskrista\lisierte. Die besonderen
Merkmale dieses Bereichs sollen nachfolgend bei der Betrachtung der Innovationen
der Kunst der Renaissance genauer in den Blick genommen werden.
Die geistige Grundlage für diese Entwicklung zu ,,Florence's primacy in Ibe arts and
humanistic studies" beschreibt Baron so:
"Whenever man breaks the chains of 1radition, Palmieri exp1ained; whenever he has the
courage not to bind himself, as did mcn in most centuries and as do thc artisans in the guilds,
who follow the 1cad of previous generations; whenever he has thc will to advance frcely and
steadily and mak.e new discoveries, golden ages of cu1turc Brise.'07S
Die Renaissance schien also bestimmt von einem fragenden Unterton, der sich mit
dem Unwillen verband, Umstände und Gesetze länger als gegeben zu akzeptieren.
Innerbalb des grundsätzlich innovativ geprägten Klimss der Renaissance konnten auch
die wesentlichen Innovationen im Bereich der künstlerischen Techniken und
Ausdrucksformen gedeihen. Goldlbwaite geht so weit, zu sagen, dass der Innovations-
reichtum und die Kooperationsbereitschaft bzw. die Schnittstellen zwischen den
einzelnen Kunst- und Handwerksbereichen als der Ursprung der modernen
Wissenschaft zu sehen seien, deren leitender Grundgedanke der der stiindigen
Fortentwicklung sei: ,,[ ... ] Ibis concept of Ibe advancement of craftsmanship has in
fact been seen as the social origin of the rise of modem science with its faith in
progresS".76 Dabei scheint der Zeitgeist getragen gewesen zu sein von einer engen
Verbindung zwischen neuen Gedanken und deren praktischer Verwirklichung.
Das freie, entgrenzende Element dieser neuen künstlerischen Auffassung scheint eine
derartige Anziehungskraft ausgeübt zu haben, dass es sich in diversen Gesellschafts-
bereichen fortgesetzt hat.
In ähnlicher Art und Weise betrachtet schon der Zeitgenosse Leon Battista Alberti
(IMl4 - 1472)77 den Künstler niemals nur als Handwerker, sondern sieht in ihm viel-
mehr auch den Mathematiker, Naturforscher und Techrtiker. Durch diese Vielseitigkeit
des Interesses erschließe sich dem Künstler die souveräne Beherrschung künstlerischer
Mitte1." Im zwanzigsten Jahrhundert beschreibt der Sozialhistoriker von Martin
(1974) diese Vielseitigkeit nahezu als Selbstzweck und fiihrt sie als Grund für ein
durch und durch inuovatives Reizklima an.
,,Dabei scheint die Technik: weithin Selbstzweck zu werden: so sehr drängte sich die neue
Lust am Entdecken, die Freude am Experiment vor. In dem Suchen und Experimentieren der
neuen Kunst zeigte sich ihre Beweglichkeit, die neue Dynamik. Die allgemeine Bewegung. in
die das Leben geraten war, teilte sich auch der Kunst mit, riß sie in seine Strudel.u79
Ähnlich wie Goldthwaite geht auch der Kunsthistoriker Gombrich so weit, zu sagen,
dass der Künstler wie ein Wissenschaftler aIbeitet, indem er dem Betrachter auch eine
Problernlösung bereitstellt.
"The artist works like a scientist His works wst not only for their own sake but also to
demonstrate certain prob1em-solutions. He creates them for the admiration of a1l, but
principally with an eye on bis fellow artists and the connaisseurs who can appreciate the
ingenuity of the solution put forward. [... ] Once the rules of the game called art bad been
revised in Florence to include the demand ror a ,contribution', a problem-solution, DO other
conception of art bad much chance against it "liD
Gombrich erkeunt in dem Streben der Künstler eine Suche nach dem Neuen und
Unbekanuten. Dieses Bestreben schärfte sich an der Auseinandersetzung mit anderen
Künstlern sowie mit Mäzenen. Dies impliziert, dass sowohl das Innovationspotenzi.al
der Künstler pennanent gefordert wurde als auch der Betrachter zu einer permanenten
Auseinandersetzung angehalten war.
Es ist unmöglich und auch nicht Ziel dieser Arbeit, einen Überblick über die
Gesamtheit der Innovationen in der Kunst zu geben. Vielmehr sollen im Lichte der
Forschungshypothese zwei wesentliche Innovationen exemplarisch betrachtet werden,
die von den Zeitgenossen, aber auch seither in der kunstwissenschaftlichen Forschung
als besonders bedentend eingeordnet und analysiert wurden. Sie sind Ausdruck und
wesentliche Beispiele für ein neues Verständuis von Kunst und für ein anderes
Denken, die mit der Renaissance möglich wurden. Darüber hinaus begründen sie eine
neue Betrachtungsweise von Kunst.
Gebirgen oder Landschaften jeder Art - und von den Figuren und anderen Dingen an jedem
Punkt, bis zu der Größe, die sie aus der Entfernung zu haben scheinen, entsprechend ihrer
gröBeren oder geringeren Entriicktb.eit.«85
Bezogen auf die hier verfolgte Forschuugsfrage ist die Entwicklung der Zentral-
perspektive in zweierlei Hinsicht interessant. Zunächst handelt es sich bei ihr um eiue
bahnbrechende Innovation, die zum einen dem Genie Bnmelleschis, zum. anderen
sicherlich auch allgerneiu dem beschriebenen wissenschaftlichen Reizklima der Zeit
zu verdanken ist. Interessant ist jedoch hierbei insbesoodere die Frage, was die
Zentralperspektive mit dem Bettachter gemacht hat.
Ein zentraler Aspekt dieser neuen künstlerischen Darstelluugsweise ist, dass die Dinge
immer in einer Beziehung zum Bettachter präsentiert werden. Der Schaffende setzt
innerhalb seines Werks einen Fluchtpunkt und somit wird der Betrachter automatisch
aufgefordett, die Zusammenhänge aus dem Winkel des vom Künstler gesetzten
Standpunktes heraus wahrzuneinnen.
Dies impliziert, dass der Künstler die Bildbetrachtung bewusst zu lenken versuchte.
Die Zentralperspektive half dem Künstler dabei, die WaInneInnuug des Betrachters
bewusst zu steuern, i1un solcherart dargestellte Bildinhalte schneller zugänglich zu
machen. Und an weiterer Stelle heißt es dann bei Dubois, das Auge sei
,,[ ... ] Hauptinstrument menschlicher Erkenntnis. In der Optik bzw. bei der Zentralperspektive
verbindet der Zentralstrah1 den Augenpunkt mit dem Zentra1punkt (Fluchtpunkt), wobei sich
die heiden Punkte in Frontansicht decken. Im Wettstreit der Künste wurde das Auge in der
Renaissance häufig als der wichtigste unter den menschlichen Sinnen eingestuft. ,.&7
Dies impliziert, dass die Künstler der Renaissance - und ihre Auftraggeber - sich
diese Innovation bewusst zunutze gemacht haben, um die Bildwirkung beim Betrach-
ter zu lenken. Man kann davon ausgehen, dass diese betrachterzentrierte Gestaltung
des Bildraums insgesamt die Wirkung der Bilder auf die Betrachter intensivierte,
indem sie sie gewissermaßen in den dargestellten Raum einbezog. Der Betrachter trat
bedingt durch den Zentralstrahl auf eine neue Art und Weise ins Bild ein und fiihlte
sich weniger außenstehend. Dies ist überdies eine mögliche Erklärung für die zuvor
von von Martin bemerkte erhöhte Urteilskraft des Publikums und dessen Fähigkeit, die
Kunst vom Standpunkt der Kunst zu beurteilen.
In ähnlicher Weise beschreibt auch Bischoff den Effekt der Zentralperspektive beim
Betrachter: ,,Als Ausdruck der Beziehung zwischen sehendem Subjekt und gesehenem
Objekt vollzieht sich im perspektivischen Bild die Systematisierung der Erscheinun-
gen der Dinge in Bezug auf einen Betrachter. ,,88
Sibylle Krämer setzt diese neue Art des Sehens in Beziehung zu einer früher wichtigen
Art des Eindrucks:
,,Eine entscheidende Aufwertung des ,leiblichen Blicks' - im Unterschied etwa zum
,geistigen Sehen' der visionären Kontemplation - bewirkt die Erfindung der Zentral-
perspektive. Die fiktiven Welten werden mit Hilfe von lliusionstechniken so inszeniert, als
ob sie real wären. Das Imaginäre symbolischer Universen wird so repräsentiert, wie es sich
dem Auge eines externen Beobachters zeigt. Die lineaIperspektivische Darstellung behandelt
die zweidimensionale MaIf1äche nicht länger wie eine Tafel oder eine Wand, sondern
verwandelt sie in ein Fenster, durch das hindurch ein dreidimensionaler Raum sichtbar wird,
der mit dem Auge durchwandert werden kann. Wesentlich ist, daß die künstlerische
Darstellungstechnik sich als Imitation des natürlichen Sehvorganges, des leiblichen Blicks
ausgibt Die Gesetze des leiblichen Schens - so jcdenfa1ls ist der Anspruch - werden in
Regeln der symbolischen Darstellung transformiert...89
Mit der Zentralperspektive ermöglichte Brunelleschi also nicht nur einen Fortschritt in
der künstlerischen Darstellungsform, sondem er gab dem Betrachter den Schlüssel zu
einer Imitation des Sehens im realen Raum und einer veränderten visuellen Bildwahr-
nehmung. Die Konsequenzen dieser Entdeckung sind für den Betrachter von erhebli-
cher Tragweite, denn seine bildliche Wahrnehmung wird gegenüber der Betrachtung
der mittelalterlichen Kunstwerke gewissennaßen um eine Dimension reicher.
Frangenberg hat sich in seiner Studie Der Betrachter ebenfalls mit den Bildwirkungen
der Zentralperspektive auf den Betrachter auseinandergesetzt. In diesem Zusammen-
hang bemerkt er: Es
"lassen sich sowohl im Bereich der Wahrnehmungspsychologie wie im Bereich der
Kunsttheorie Argumente dafür anfiibren., daß die Linearperspektive den Künstler in die Lage
versetzt, auf der Bildfläche eine weitergehende Approximation an die visuelle Perzeption des
Menschen zu eneichen. als dies mit anderen konventionellen Darstellungssystemen denkbar
isl'.90
Dies belegt die Möglichkeit einer fortgeschrittenen Leukung der Wahrnehmung der
Betrachter.
Interessant ist die Aualyse von Albertis Perspektivtheorie durch Frangenberg, denu sie
verdentlicht die Machtposition, welche dem Künstler in der Leokung des Blicks des
Betrachters zukommt:
"seine [des Betrachters; J. F.] Sehpyramide wird mit der vom Künstler vorgeschlagenen
deckungsgleich. Alberti merkt an, daß der Konvergenzpunkt nicht notwendigerweise in der
Mitte der Bildtafel angelegt werden müsse, die Wahl der Stelle, wo der Zentralstrahl der
Sehpynunide auf das Bild triffi, ist dem Urteil des Künstlers anheimgesteUt. [... ] Wild der
Augenpunkt durch den Betrachter eingenommen. stellt sich der Eindruck unmittelbarer Reali-
tät ein; dies betont Manetti in seiner Beschreibung von Filippo Brunelleschis ~ekti.
vischen Architekturdarstellungen: ,es schien, daß man die Realität selbst betrachtete' .«9
Dem Künstler ist es also überlassen, eine Realität für den Betrachter zu kreieren, der
Betrachter ist in der Folge mit diesem Realitätsentwurf konfrontiert und wird davon
gelenkt Im weiteren Verlauf spricht Frangenberg gar von einem "eindeutigen Verhält-
nis zwischen dem Betrachter und der dargestellten Szene"," was die Verbindung zwi-
schen Bildbetrachter und der künstlerischen Darstellung nochmals verdeutlicht. Fran-
genberg unterstreicht überdies, dass es mit der perspektivischen Darstellung in der
Macht des Künstlers liege, "festzustellen, welche Teile eines Objekts von einem
gegebenen Standpunkt aus sichtbar sein können"." Somit ksnn der Künstler durch
seine spezifische Wahl eines Ausschnitts auf den Betrachter wirken und den Blick des
Betrachters auf eben diesen Ausschnitt lenken. Dies steigert sich mit dem Grad der
Realitätstreue des dargestellten Bildes, da der Betrachter hieonit tatsächlich in einen
realen Bildraum eintritt.
90 Frangenberg, T. (1990): Der Betrachter. Studien zur florentinischen Kunstlitcratur des 16. Jahrhun-
derts, S. 18-9.
91 Ebd., S. 30.
92 Ebd., S. 31.
93 Ebd., S. 38.
2.2 Die wesentlichen Innovationen der Kunst der Renaissance 39
Diese Einsichten sind umso interessanter, als sie von einem Zeitgenossen der mit der
Zentralperspektive arbeitenden Maler der Renaissance stammen, was bedeutet, dass
schon zu der Zeit der Entstehung dieser Kunstwerke über ihre Rezeption durch die
Betrachter nachgesonnen wurde. Wenn schon die Kunsttheorie derselben Epoche
davon ausging, dass der Betrachter das Dargestellte als Realität verstsnd, so legt dies
nahe, dass die Künstler sich bereits während des Entstehungsprozesses ihrer Werke
über diese Wirkungskraft im Klaren gewesen sind und sie bewusst inszeniert haben.
,.. ,,[ ... ] sie bringt den Augen derjenigen, die (an Malerei) Vergnügen finden, und derjenigen die sich
nicht [an ihr; J.F.] vergnügen, so viel Freude, daß es kein Haus eines Schusters gibt, in dem nicht
deutsche Landschaften hängen, (und die Augen sind) angezogen von ihrer Schönheit und
Perspektive [00']'" Barocchi, P. (1971): Scritti d'arte del Cinquecento, S.496, zitiert nach:
Wackernagel (1938)
" Frangenberg (1990), S. 56.
40 2. Wesentliche Aspekte der Innovation in der Kunst der Renaissance
Hiennit impliziert Frangenberg übrigens auch, dass der Betrachter durchaus in der
Lage gewesen ist, diese Lenkung seines eigenen Blicks durch den Künstler durch eine
Entscheidung anzunehmen und sich somit bewusst dessen Führung zu überlassen.
Somit wird der Bildbetrachter eiuerseits zum absoluten Bezugspunkt der Bilder und
andererseits zum Interaktionspartuer des Künstlers, da dieser in seiner Bildkreation
indirekt schon auf den Blick des Betrachters zugreift und ihn somit vorwegnimmt.
Schon der spätsntike Theoretiker der Rhetorik Quintilian hat sich mit der Wirkkraft
eines Bildes auf den Betrachter befasst. In seinem Werk Institutio Oratori, das sich
übrigens nachweislich seit 1418 in der Bibliothek Cosimo de' Medicis befunden hat,
trifft er folgende Feststellung:
"pictures [ ....] penetrate into our innerm.ost feelings with such power that at times they seem
more eloquent th.an language itself,.97 Kcnt findet hieIZu folgende Beurteilung: ,,Far
Renaissance men thc visual orts were a natural vehicle for the expression of seift and for the
realization of their visions of personal and social identity.•88
Bezieht man die oben näher erläuterte enge Beziehung zwischen Mäzen und Künstlern
ein, so kann an dieser Stelle weiterhin von einer bewussten Blicklenkung auch von
Seiten des Mäzens ausgegangen werden. An anderer Stelle heißt es daun weiter bei
Kent: ..The power of images was daily apparent to patrons and audience through their
role in civic life and in worship; in particular, images helped to create the Christian
experience that was the prism througb. which Renaissance men viewed their world ,89
Bezeichnenderweise hat auch Leonardo da Vinci wenige Jahrzehnte später die
Funktion und die Wahrnehmungaweise des Auges untersucht und in diesem
Zusammenhang eine interessante Parallele zur Zentralperspektive aufgedeckt: ,,Das
96 Ebd., S. 75.
97 Institutio XI, ili. 67 zitiert von Spencer in: "Ut Rhetorica Pictura", 42, entnommen aus: Kent, D.
(2000): Cosimo de' Medici and the Florentine Renaissance, S. 7.
98 Kent (2000), S. 7.
" Ebd., S. 7.
2.2 Die wesentlichen Innovationen der Kunst der Renaissance 41
Auge hat eine einzige Zentrallinie und alle Dinge, welche durch diese Linie zum Auge
gelangen, werden gut gesehen."IOO Interessant ist die Tatsache, dass Leonardo hier eine
zunächst fiir sich stehende wissenschaftliche Untersuchung des Auges eingeleitet hat
Man kann alse davon ausgehen, dass auch ihm die Art und Weise der visuellen
Wahrnehmung durch den Betrachter als bedeutungsvoll erschienen ist Obwohl seine
Untersuchung von der Borgbinis unabhängig war, unterstreicht auch Leonardo in
Analogie zu diesem den direkten Bezugspunkt zwischen Betrachter und Bildinhalt, da
der Zentralstrahl ins Bild hinein eine direkte Verlängerung der Zentrallinie des Auges
darstellt
Einen anderen Aspekt beleuchtet Hauser in seiner Sozialgeschichte der Kunst. So stellt
er einen mit der Zentralperspektive einhergehenden Bruch mit der bis dahin etablierten
Betrachtungsweise von Kunst fest:
,,Die gotische Kunst führt den Beschauer von einer Einzelheit zur anderen und veranlasst ihn,
wie bemerkt wurde, die Teile der Darstellung nacheinander abzulesen; die Kunst der
Renaissance läßt ihn dagegen bei keinem Detail verweilen, er1aubt ihm kein Element der
Darstellung vom. Ganzen abzutrennen, zwingt ihn vielmehr, alle Teile simultan zu erfassen.
[ ... ] Für die neue Kunstanscbauung bildet das Kunstwerk eine unteilbare Einheit [ ... ], so wie
er [der Bettachter; J. F.] den ganzen zentra1perspektivisch organisierten Bildraum der Malerei
mit einem Blick erfaBt.,,101
Mit einer wichtigen Verschiebung des Akzents von der Idee der Abbildung der
Wirklichkeit heißt es weiter:
,,Die Evidenz der künstlerischen Wirklichkeitsschilderung, ihre Glaubhaftigkeit und Über-
zeugungskraft, ist nämlich auch hier, wie so oft, von der inneren Folgerichtigkeit des
Aspekts, der Übereinstimmung der Darstellungselemente untereinander, in viel höherem
Maße abhänmll als von der Übereinstimmung dieser Elemente mit der äußeren
Wirk1iclliii~
Der Betrachter musste sich auf die Darstellung, Neukomposition und semit auf die
Kreativität des Künstlers verlassen und ließ sich von dessen Bildkomposition leiten.
Hierbei kam es fiir die Realitätswirkung der Bilder gar nicht so sehr auf die
Übereinstimmung mit der Realität an. Vielmehr folgte der Betrachter bereitwilliger der
100 Z.B. zitiert in: Hunzikcr, H. W. (2006): Im Auge des Lesers. Fovea1e und periphere Wahrnehmung:
Vom Buchstabieren zur Lesefreude, S. 17.
101 Hauser (1990), S. 288-9.
Und weiterhin heißt es an derselben Stelle: "Die Verändenmg, die mit der Renaissance in der
Raumvorstellung und damit in der ganzen Kunstauffassung vor sich geht, kommt vielleicht am
schlagendsten darin zum. Ausdruck, daß das mittelalterliche, aus den einzelnen unzusammenhän.
genden Szenarien aufgebaute Bühnenbild mit der künstlerischen illusion auf einmal als
unvereinbar empfunden wird."
"" Hauser (1990), S. 288-9.
42
Fühnmg deo Kümtl"", da ilrrn d..- dmg"telltc fiktive Raum oufgnmd d..-
perspektivischen DameUungsweise real erschien.
Raffaels &hule von Athen ist ein gutes Beispiel, um die oben beschriebenen Effekte
zu verdeutlichen. Es handelt sich hierbei um ein wandfüllendes Fresko, welches 1510
nach seinen Florentiner Lehrjahren in Rom in der Stanza della Segnatura im Vatikan
entstanden ist und simtliclw bedeutende Vertreter der humanistischmJ. Geistes-
geschichte zeigt. Das Bild ist vor allem. beispielhaft für die zentraJ.perspektivischen
Elemente der Raumticfe, den Zentralstrahl und die Größendegression der Figuren. Der
Blick: des Bet:rachters wird direkt auf die zentralen Bildfiguren Platon und Aristoteies
gelenkt, wclchc, wie es Dubois formuliert, ,,aus der Tiefe heraus dem Betrachter
entgegenschrciten" ,1M
Die übrigen Personen sind dabei so angeordnet, dass der Blick des Betrachters in
jedem Fall die bc:idcn zentralen Figuren zuerst wahrnimm:t:, cm dann rücken die
anderen Gestalten in das Blickfeld. Dubois stellt hierzu in ihrer Bildanalyse fest:
.,Mit der Zentmlpcnpektive geht RaffacJ. lehr geschickt um. Er be!rutzt Re als Mittel der
Raumdarstelluns. lDIl Ordmmg hmzusteI1en und als Hinweis auf die formale und inhaltliche
llß http://COlDlllODl.wildmcdia.orgfwildIFilc%3ALa_lCUOla_eH_Atenc.jpg{23.01.2012)
104 Dubois (2010). S. 76.
2.2 Die wesentlichen Innovationen der Kunst der Renaissance 43
Bildmitte. Die Grössendegression der Figuren nach hinten wird respektiert. Die vorderen
Figuren sind sitzend, gebückt oder am. Rande stehend gezeigt. so dass verstärkt durch
Zentralperspektive und Symmetrie der Architektur kein Zweifel besteht, wer die zentralen
Figuren sind."l05
Zudem hat der Betrachter stets den Eindruck, dass "das Tonnengewölbe ihm
zugewandt ist",106 er jederzeit in das Bildgeschehen eintreten könnte. Ob der Größe
des Bildes könne er zudem den Eindruck gewinnen, selbst unter dem Dach des
Gewölbes zu stehen.
Pcrrig geht in seiner Analyse des Bildes so weit, zu sagen, es erteile ,,Leseanweisung,
zwinge[] den Betrachter, das jeweilige Bild vom Zentrumspunkt her, d. h. von hinten
nach vome abzuiesen".I07 Das Bild verdentlieht, wie das Mittel der Zentralperspektive
dem Betrachter neoe Sichtachsen gibt, dessen Blick zu Ieoken versteht und ihm
außerdem eine Bedeutungshierarchie der dargestellten Persooeo vermittelt.
Paoofsky wiederum betont, dass dem Betrachter durch die Zentralperspektive eine
zwar eigentlich nicht reale, aber gerade dadurch besonders inteosive Erfahrung des
Bildraumes ermöglicht wird.
,,Exact perspectival construction is a systematic abstraction from tb.e structure of this
psychophysiological space. For it is not only the effect of perspectival construction, but
indced its intended purpose, to realize in the reprcsentation of space MFise1y that
homogeneity and boundlessness foreign to the direct experieru:e ofthat space,'< 8
Paoofsky bezieht sich weiterhin auf die Bildübertragung der Zentralperspektive und
unterstellt den jeweiligeo Künstlero eine Revolution in der Behaodlung der Leinwaod.
In Bezug auf den Betrachter trifft Paoofsky dann eine interessaote Feststellung. Er
spricht davon, dass diese Künstler in ihrer Anwendung der Zentralperspektive im Bild
deo Betrachter wie durch eine besoodere traospareote Folie in einen bis dahin
unzugänglichen Raum schauen lasse. Für die Antike wie für das Mittelalter war der
Raum in gleicher Weise unzugänglich. Dieser öffuet sich laut Paoofsky in der
Renaissaoce durch die Zentralperspektive und somit wird jedes Bild für den Betrachter
zu einem Teil dieser sichtbar werdenden Entgreozuog. Paoofsky markiert also die
Zentralperspektive als Sichtachse, welche zu einer veränderteo, sehr viel reichhalti-
geren Weltwahrnehmung beigetragen hst
,,Far the representation of a closed interior space, clearly feIt as a hollow body, signifies more
than a consolidation of objccts. It signifies a revolution in the formal assessment of the
representational surface. This swface is now no longer the wall or the panel bearing the
forms of individual things and figurcs, but rather is once again that transparent plane through
which we are meant to believe that we are looking into a space, even if that space is still
bounded on an sides. Wo may already defino this surface as a ,picture plane,' in the precise
sense of the tenn. The view that bad been blockcd sincc antiquity, the vista or ,l00king
througb,' has begun to open agam; and we sense th.e possibility that tb.e painted pi.cture will
once again become a section cut from an infinite space. only a more solid and more integra11y
organized space than the antique version...l~
Als Folge der Zootralperspektive und dieses Blicks in eine bis dahin ungekannte Welt,
den der Künstler dem Betrachter durch dss Bilderlebnis gestattet, sieht Panofsky eine
schubartige Entwicklung vieler Wisseoschaftsgebiete: ,,And in fact the projective
gecmetry of the sevooteooth cootury would emerge out of perspectival oodeavors: this,
too, like so many subdisciplines of modem ,sciooce,' is the final analysis, a product of
the artist's workshop."no
Es ist an dieser Stelle zu bedenkoo, dass von Künstlem geschaffene Bilder in einer
Welt ohne Fotografie und Film dss einzige Abbild der Welt waren. Das macht die
Entwicklung der Zootralperspektive und den damit verbundenen Fortschtitt in der
Bildsprache für die Betrachter umso bedentender. Die Bedentung einer nenen Kunst-
und Darstellungsform ist in der Zeit der Renaissance, als ein Großteil der Bevölkerung
des Lesens und Schreibens noch unkundig gewesen ist, von kaum zu ermessender
Tragweite.
Zur Verbreitung und weitereo Entwicklung des künstlerischen Mittels der Zootralper-
spektive trugen Zeitgenossen Brunelleschis wie beispielsweise der Maler Masaccio
ootschieden bei. Sie profitierten in ihrer Darstellung maßgeblich von der Innovation
Brunelleschis und ootwickelten über die perspektivische Darstellung hinaus weitere
innovative Darstellung.formen wie die maßgeblich von Masaccio geprägte sogeoannte
Maniera Modema (Manierismus)."! Diese Darstellungsformoo schlugoo ihrerseits
Welloo, fandoo ihre Mäzene und somit hat die Zootralperspektive den Impuls für eine
neue Kunstbewegung gegeben, die sich dadurch auch einer größereo Mooge an
Betrachtern öfthete.
Mit dieser bislang geschilderten Entwicklung der Zentralperspektive und ihrer Wir-
kung auf die Betrachter erhielt auch die Porträtma\erei eine ganz neue Dimension. Der
Auftraggeber und zumeist auch vornehmliehe Betrachter dieser Werke sah sich selbst
auf veränderte Art und Weise. Der Porträtierte konnte mit der Zentralperspektive auf
ungewohnte Art und Weise in komplexe Umgehungen eingebunden werden. So
koonte beispielsweise seine Machtstellung durch die Anordnung und perspektivische
Verkleinerung und Vergrößerung der aoderen Bildelemente in einen engeren Fokus
gerückt werden. Praktisch wurden die Auftraggeber durch ihre intensivierte Auseinao-
dersetzung mit den Kunstwerken dieser Zeit aufbessere Art und Weise geschult.
In diesem Zusammenhaog gewinnt auch die Figur des Mäzens eine Sonderposition,
was später am Beispiel der Medici exemplifIZiert werden soll. Der Mäzen und Auf-
traggeber eines Kunstwerks ist vermutlich meistens diejenige Person, welche dem Ge-
stalter dieser neuen Wirklicbkeitsdimension am nächsten ist. Sein Blick wurde durch
die neue Perspektive maßgeblich geschult und in gewisser Weise wurde er als Be-
trachter vom Künstler vorweggenommen. Somit scheint die These berechtigt, dass ein
intensiver Kontakt mit dem Künstler zu einem ungleich stärkeren inneren Verarbei-
tungsprozess von dessen Eindrücken, Aussagen und Perspektiven fiihrt. Die Folge
wird ein besseres inneres Verstiindnis des künstlerisch-geistigen Ausdrucks gewesen
sein.
Die Historikerin Melissa Bullard bezieht sich in ihrer Abhaodlung über Lorenzo de'
Medici und dessen bewusste Kreation seines Images im Sinne der öffentlichen
Wahmehmung seiner Person ebeufa\\s auf die Zentralperspektive:
"Thc mathematica1 tools of perspective allowed thc artist to break through a flat picture
surface and work with an illusion of depth which he filled with fi.ctive 1andscapes and
complex Il8lTative figures. The paintcr also controlled the dialogue between bis paintings and
its audience by determining the angle of viewpoint and arranging the figures. The expanded
awarcness of languagc's potential to convincc and dcceive and of its ability both to cngagc
and destroy trust functioned likc thc new depths on a pieture surface. It Iod to use with grcater
attention on how to create, and conversely, how to detect, illusions. This kind of awareness
formed the psychological ground for the artistry Lorenzo practiced in bis image making."112
Auch Bullard geht somit von einer psychologischen Wirkung aus, welche die
Zentralperspektive im Allgemeinen auf den Beschauer ausübt.
Die psychologische Dimension der Wirkung der mit der neuen Technik gestalteten
Bilder, so die These dieser Arbeit, ist ein zentrales Element der Verknüpfung von
Auch in der modernen Kunst finden sich immer wieder Anregungen, die das perspekti-
vische Denken auf die Probe stellen. Am ehesten vergleichbar dem Erstaunen, in
welches Brunelleschi das zeitgenössische Publikum versetzt haben muss, sind viel-
leicht die Arbeiten M. C. Eschers. Dieser hat in seinen Mitte des zwanzigsten Jahr-
hunderts entstandenen Werken durch die Darstellungsfonn perspektivischer Unmög-
lichkeiten Betrachter an die Grenzen ihrer Vorstellungskraft geführt. Der Betrachter
wird fönnlich in den Bildinhalt aufgenommen und im Falle Eschers verliert er sich
darin. Eine ähnliche Sensation müssen zu Beginn des fünfzehnten Jahrhunderts die
perspektivischen Abbildungen Brunelleschis für die Betrachter dargestellt haben.
Das Sehen macht nach Ansicht vieler Wissenschaftler achtzig Prozent der gesamten
Wahrnehmungsfähigkeit des Menschen aus und somit, könnte man zuspitzen, die
gesehene achtzig Prozent der wahrgenonnnenen Welt 114 Auch wenn diese wahrneh-
mungspsychologische Feststellung in ihrer Allgemeinheit möglicherweise problema-
tisch ist, kann man doch davon ausgehen, dass die Einfiihrung der dtitren Dimension
in die Malerei zu einem wesentlich intensiveren Erleben von Kunst beigetragen haben
muss. Dies ist zunächst auch ein entscheidender Hinweis auf eine maßgeblich erhöhte
Empfindsamkeit auf Seiten der Betrachter und nicht zuletzt der die Künstler
beaufuagenden Mäzene.
Zeugen der Faszination, die diese neuen malerischen Techniken ausgelöst haben,
sowie der intensivierten Auseinandersetzung mit dem Gegeustand der Kunst sind zeit-
genössische kunsttheoretische Werk.e. llS Idealerweise löst Kunst nach zeitgenös-
sischem Verständnis im. Betrachter eine Neugierde aus, welche zwangsläufig in eine
Auseinandersetzung mit dem Gegenstand mündet. Diese setzt nahezu automatisch
Assoziationsketten in Gang. Der Betrachter versucht den neuen Eindruck mit vorhan-
denen Erinoerungen und Erlebnissen zu verknüpfen, um ihn sinustiftend in die subjek-
tiv existierende Realitätswahrnehmung zu integrieren. Mit neuen Impulsen wird diese
Auseinandersetzung automatisch stärker, was einen Erklärungsansatz für die explo-
sionsartige Öfihung der Sichtweisen in der Renaissanceepoche bietet - die Anreize
schienen vergleichsweise ungleich stärker als noch durch die Kunst des Mittelalters.
Die Zentralperspektive und ihre Lenknng des Blicks legt die Vermutung nahe, dass die
damit einhergehende Blickänderung auch andere Bereiche als die reine Kunst-
betrachtung erfasste. Dieser Vermutung wird im vierten Kapitel dieser Untersuchung
am Beispiel der Medici nachgegangen.
m Zu erinnern ist beispielsweise an die Kunstliteratur von Zeitgenossen wie Bocchi, Zuccari lDld
Vasari.
ll6 Vasari (2004), S. 79.
117 Der Bewertungskanon Vasaris kann letztlich als der erste kunstwissenschaftliche Versuch
angesehen werden, Kunst anband von objektiven Kriterien beurteilbar zu machen.
48 2. Wesentliche Aspekte der Innovation in der Kunst der Renaissance
Begriffiichkeiten aufzeigte, trug er maßgeblich dazu bei, dass diese Eingang in die
Vorstellungswelt von Kunst und die Auseinandersetzung mit ihr fanden.
Die Ausfiihrungen Vasaris sind in doppelter Hinsicht interessant, da sie die Beobach-
tungen und Beschreibungen eines Zeitgenossen sind, der zum. einen durch seine
Schriften, zum anderen aber anch als Künstler und Architekt das Geschehen unweiger-
lich mitgeprägt hat. Seine Begriffiichkeiten dienen der modemen Kunsttheorie nach
wie vor als Analyseinstrumente, um das vielschichtige Geschehen der Renaissance zu
begreifen.
Vasaris Konzept des Disegno, das für die Kunstgeschichte der Renaissance große
Bedeutung erlangt hat, soll hier herausgegriffen und näher betrachtet werdeu unter der
Hypothese, dass der Begriff etwas über die neuartigen Tendenzen in jener Kunst
aussagt, was sich als übertragbar auf den Bereich des Untemehm.erischen erweisen
wird. Bedingt durch verschiedeue Bedeutungsebenen ist er jedoch schwer zu erläutem
In der deutschen Übersetzung würde Disegno nur unzureichend mit Zeichnung oder
Entwurf gleichgesetzt. Auch Übersetzungen wie Umriss, Form oder Kontur werdeu
geltend gemacht Die Schwierigkeit der Übersetzung des Wortes spiegelt jedoch anch
die Vielschichtigkeit, in der es Vasari gebrauchte.
Mit dem Begriff Disegno entstand also eine neue Betrachtungsweise einer Idee,
nämlich die tatsächlich gestalterische in Form eines Entwurfs. Somit lehnt sich
Disegno an die Begriffssphären von Vorstellung und Idee an und besteht dabei auf der
..aktiven Vermittlung, die disegno zwischen der Natur und der Kunst ausübt',.119
Feser, S. zitiert Vasaris Vite in ihrem Glossartext in: Vasari (2004), S. 193-96.
118
m Feser, S. (2004): Der disegno: Glossartext in Vasari (2004), S. 193-6.
2.2 Die wesentlichen Innovationen der Kunst der Renaissance 49
Mehr noch, Vasari vermutet "dieselbe Entwicklung bei anderen menschlichen Tätig-
keiten, da zwischen allen Freien Künsten eine gewisse Verwandtschaft besteht".''' Er
erhebt die Fähigkeit der aktiven Vermittlung und der Übertragbarkeit zum Qua1itäts-
merkmal eines Künstlers. Vasari sieht im. Disegno den aktiven ,,Mittler" zwischen
Natur und Kunst, also mithin das Vermögen, Eindrücke in einer kompositorischen
Form zu verarbeiten, ihnen die Verkörperung zu verleihen, die man hinter ihnen
vermutet. 121
Es ist lohoend, an dieser Stelle innezuhalten: Die schöpferische Idee findet nach
Vasari im Disegno nicht nur Ausdruck in der poren Zeichoung, sondern vielmehr ist in
diesem Prozess eine Beurteilung des Geschehens und ein eigener Entwurf dazu
enthalten. l22 In diesem Zusammenhang stellt Bannasch in ihrer Studie über das
"bildende Bild" eine direkte Analogie zu Disegno über den aristotelischen Begriff der
Mimesis l23 her. Sie vermutet, dass sich die Idee eines "bildenden Bildes" bereits in der
Kunsttheorie des sechzehoten Jahrhunderts und hierin speziell im Disegno-Begriff
entwickelt habe: ,,Der bildkünstlerische Schöpfungsprozess wird so analog zum
gött1ichen Schöpfungsprozess vorgestellt, der Künstler überträgt die in sein Inneres
eingelassene Zeichoung nach außen in die Materie. ,,124 Dies ist im Hinblick auf die
Forschungsfrage dieser Arbeit in zweierlei Hinsicht interessant.
Zum. einen zeigt Vasari am. Beispiel von Disegno die innovative Struktur des
künstlerischen Aktes auf und macht sie an nachvollziehbaren Merkmalenl25 fest.
Dariiber deutet er bereits an, dass dieser Akt in ähnlicher Form anderen menschlichen
Tätigkeiten zugrunde liegt.l2' Mithin ist diese innovative Denkstruktur, zunächst
einmal des Künstlers, auf andere Tätigkeiten erweiterbar, wenn sie einmal erworben
und veriunerlicht ist. Dies bietet einen Erklärungsansatz für die Vielseitigkeit der
damaligen Künstler. Aber was Vasari dem Leser hier nabelegt, ist, dass Disegno ein
übertragbarer Begriff ist, der sich über die reine Wiedergabe in der Kunst hinaus auf
iede Idee im Sinne eines schöpferischen Aktes anwenden lässt.
Disegno bezeichnet also in gewisser Weise eine ,,Kopfgeburt", welche im Geist
vorgeformt wird und sich in der Zeichnung, also der Darstellung des Gedachten durch
Linien, Formen und Konturen fortsetzt. Der Begriff umschließt auch das Element der
Umsetzung und daher kommt es, dass Disegno oftmals nur unzureichend mit
Zeichnung übersetzt wird. Die zentrale Bedeutung des Begriffs besteht im
Schöpferischen. Cennini spricht in seinem .,Libro dell'arteU von Disegno als einem
,,Entwurf im Kopf', mit anderen Worten der Vision einer Bildkomposition, welche der
tatsächlichen Realisation vorausgeht. 127 Das Ersinnen und die Visualisierung eines
Kunstwerks im Geist einerseits und die Fähigkeit, also das künstlerische
Handwerkszeug, um das Erdachte umzusetzen, andererseits gehören nach Vasaris
Verständnis eng ZUSamm.en,128
Der Künstler Benvenuto Cellini fiigte seinen Zeichnungen, die er als Beitrag in dem
Wettbewerb um das Erstellen des Wappens der Accademia del disegno einsandte,
einen an den Schinnherm der Akademie Cosimo I. de' Medici gerichteten Begleittext
bei, der folgendes Urteil über den Disegno enthält:
"Und so habe ich ihn gezeichnet, in der Meinung, unsere Accademia 001 Disegno sei dieses
schönen Sinnbilds würdig; denn so wie jener die wabre Leuchte des Universums, so ist der
Disegno das einzige und wahre Licht aller Handlungen des Menschen in jedem Geschäft.
Denn der Disegno ist von zweierlei Art. Die erste ist die, welche in der Einbildung
(imaginativa) geschieht, die zweite geht aus der ersten hervor und zeigt sich in Linien und hat
den Menschen so kühn gemacht, daß er es unternahm, mit dem großen Vater Apollo zu
125 Siehe die oben zitierte Beschrellnmg von DiBegno, z. B. das Maßverbältnis der Teile zueinander
und die Übertragbarkeit aus der Vorstellung in die Form.
126 Siehe Zitat oben.
127 Auch Vitruv verwandte den Begriff ,,lineamento", also Kontur oder Skizze, bereits in der Antike in
seinem Architekturtraktat. Hier zeigt sich erneut die Bedeutung des Begriffs der .,Renaissance" als
Wiedergeburt der Antike.
128 Vgl. Feser, S. zitiert aus Vasaris Vite in: Vasari (2004), S. 193-6.
2.2 Die wesentlichen Innovationen der Kunst der Renaissance 51
wetteifern, welcher Pflanzen und Gräser tmd Blumen tmd Tiere entstehen läßt, alles
wunderbare Dinge und Zierden unserer Erde...129
An dieser Stelle konkretisiert auch Cellini den Gedanken der Übertragbarkeit des
Disegno auf andere Bereiche.
Diesen Fokus auf das Allumfassende benenot auch der Kuostwissenschaftler Kemp in
seiner Aualyse des Disegno-Begriffs uod bemerkt zu Cellini:
,,Die parallele Konzeption von Natur und Kunst Apollo wird nicht etwa auf Gnmd seiner
Eigenschaften als Anfiihrer der Musen oder als Gott der Dichtung zur Schutzmacht der
Akademie gewählt Vielmehr legt sein kreatives Vermägen, seine Identität mit dem.
lebensspendenden Prinzip von Wärme und Licht den Vergleich mit dem. Disegno nahe, der
für den menschlichen Bereich Gleiches leistet wie Phoebus-Apollo.',13l
Kreatives Vennögen uod das schöpferische Prinzip liegeo in dieser Analyse sehr nah
beieinander. Kemp uotersucht weiterhin die Entwicklung des Begriffs uod geht in
seinen Ausführungen der zweiseitigen Vasari'schen Definition von Disegno nach, der
,,Ersinnenden" uod der "Umsetzenden". Beide Aspekte sind nach Vasari eng
miteinander vcrwoben. 132 Kcmp schließt hieraus, dass dem ,,Disegno eine wichtige
Funktion innerhalb des menschlichen Geistes eingeräumt wird,,133, er "übt eine aktive
Vermittlerrolle zwischeo der Natur uod dem Kuostwerk aus"."< Das geistige
Vennögeo ist es also, das die Idee des Kuostwerks hervorbringt, womit Kemp dem
Disegno-Begriff seine transponierende135 Nuance zuerkennt.
Dariiber hinaus gesteht Kemp dem Disegno ebeoso die ,,Ausdentuog einer Wisseo-
schaft',136 zu uod hält in Bezug auf Schrifteo Armeninis fest: ,,Dennoch impliziert die
129 Calamandrei, P. (1349): Inediti Celliniani; zitiert bei Kemp, W. (1974): Disegno. Beiträge zu einer
Geschichte des Begriffs zwischen 1547 tmd 1607, in: Marburger Jahrbuch für Ktmstwissenschaft,
19, S. 222, dort auch mit genaueren Nachweisen und weiteren Quellen.
130 Ebd.
131 K.emp, W. (1974): Disegno. Beiträge zu einer Geschichte des Begriffs zwischen 1547 tmd 1607, in:
Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft, 19, S. 222.
131 Ebd., S. 227.
133 Ebd.
134 Ebd.
13S K.emp verwendet diesen Begriff in seiner Analyse auf S. 225.
136 Ebd., S. 225.
52 2. Wesentliche Aspekte der Innovation in der Kunst der Renaissance
hier referierte Konzeption des Disegno als einer Scienza die zumindest teilweise
wirksame Umdeutung des Prinzips zu einem mentalen Habitus und hebt es aus der
beschränkten Sphäre der Ausführung hinaus."l37 Fiir die Forschungsfrage entschei-
deud ist die hier so vielseitig angesprochene Übertragbarkeit des Prinzips. Abschlie-
ßend heißt es dazu bei Kemp: "Der Disegno wird zu einer Art synthetischem Urteils-
vermögen, zu einer ,scienza'. Er ,formt' die Idee nach Maßgabe der Kuns1regeln und
Naturgese1ze und sorgt zugleich dafür, daß sie ins Werk gesetzt wird.,,138
Zentral, allerdings in gewisser Weise gegeusätzlich zu deu Ansichten Vasaris sind die
Schriften Federico Zuccaris, der ein Zeitgenosse Vasaris und ebenso wie er Maler und
Kunsttheoretiker war. Er befasste sich mit der platonischen Ideenlehre und hat sich in
seinem Hauptwerk "Idea dei scultori, pittori ed architetti" auch mit dem Begriff des
Disegno mit Hinblick auf die gedanklichen Urspriinge von Kunst auseinandergesetzt.
Allerdings tat er dies knapp vierzig Jahre nach dem Tod Vasaris. Offenbar hat er die
Zeit genutzt, dessen Thesen zu erweitern bzw. in eigener Weise umzugestalten. Seiner
Auffassung nach sind künstlerische Eingebungeo, Ideen und Gestaltung gottgegeben.
Hierbei bedient sich Zuccari ebenso des Disegno-Begrifl's. Die schon bei Vasari
aufscheinende Doppeldeutigkeit des Begriffs nimmt Zuccari auf, indem er an dieser
Stelle die Unterscheidung zwischen Disegno interno und Disegno esterno (bzw.
extemo) einfiihrt, die im Übrigen etwa zeitgleich auch bei Cellini auftaucht. Während
Disegno interno sich auf die reine Idee des Kunstwerks, also auf deu quasi ,,im"
Künstler stattfindeudeu schöpferischen Akt bezieht, meint Disegno estemo die
tatsächliche Umsetzung und Realisierung der Idee. Beides sind nach Cellinis Auffas-
sung für die Entstehung eines Kunstwerkes unerlässliche Elemente und führen laut
137 Ebd.
138 Ebd., S. 235.
2.2 Die wesentlichen Innovationen der Kunst der Renaissance 53
Interessant an dieser Ausführung Zuccaris ist die Bemerkung, dsss Disegno dszu
befähige, sich ,,selbst eine neue Welt zu formen". Dies wird im. späteren Verlauf dieser
Untersuchung in Bezug auf die Bedeotung des Disegno fiir den Bereich des
Entrepreneurship von Interesse sein.
Hauser bezieht sich auf die Ausfiihrungen Zuccaris, wenn er aus seiner kunstsoziologi-
schen Perspektive dem Disegno-Begriffnachgeht. In Bezug auf die Gründung und die
inhaltlichen Vorgaben der Accadernia del disegno spricht Hauser von Disegno als
einem Grundbegriffund gar als einem ,,zauberwort"". Den Zusannnenhang zwischen
Kunst und Natur fasst Hauser wie folgt zusannnen:
,,[ ... ] die Kunst schafft der neuen Doktrin entsprechend nicht nach der Natur, sondern wie die
Natur. [ ... ] bei Federigo Zuccari hat die Knnst einen spontanen geistigen. Ursprung; [ ... ] ist
die künstlerische Idee - der disegno intemo - die Manifestation des Göttlichen in der Seele
des Künstlers,'<142
Zuccari stellt als erster die ausdrückliche Frage, woher die Kunst ihren Wahrheits-
gehalt habe, woher die Übereinstinunung zwischen deo Formen des Geistes und deo
Fonnen der Wirklichkeit stamme, wenn die ,Idee' der Kunst nicht aus der Natur
gewonnen wird. Die Autwort lautet, daß die wahren Formen der Dinge in der Seele
des Künstlers infolge eines unmittelbaren Teilhabens am göttlichen Geiste entste-
139 K.emp (1974). S. 231 bezieht sich auf Zuccaros 1607 erschienene Schrift L 'idea de' pittori. scultori
ed architetti. (Der Name des Autors wird mal Zuccaro, mal Zuccari geschrieben.)
,.. Zuccari, F. (1961): Scritti d''''''', hg. v. Heikamp, D., S. 162 ff.
141.,An erster Stelle unter den behandelten Problemen steht der seit der Renaissance aktuell
gewordene Rangstreit der Künste und die Definition des Grundbegriffs und Zauberworts der
ganzen manieristischen Theorie, des disegno, das heißt der Zeichnung, des Entwurfs, der
künstlerischen Idee." Hauser (1990), S. 412.
'" Hauser (1990), S. 409 ff.
54 2. Wesentliche Aspekte der Innovation in der Kunst der Renaissance
hen. ul43 Was Hauser hier aus den Überlegungen Zuccaris und Vasaris herausfiltert, ist
die radikale Akzentuierung der Idee als eines schöpferischen Aktes. Wichtig ist bei
dieser Überlegung der Fokus auf die Ursache des wabrbaftig kreativen Schaffens.
An anderer Stelle verweist Hauser auf die andere Bedeutungsseite von Diseguo:
,,Die Zeichnung, die Skizze wurde für die Renaissance nicht nur als künstlerische Gestaltung,
sondern. auch als Dokument, als Niederschlag des künstlerischen Schaffensprozesses
bedeutungsvoll; man erkannte in ihr eine besondere, von dem fertigen Kunstwerk
verschiedene Ausdrucksform; man schätzte an ihr, daß sie die künstlerische Erfindung bei
ihrem Ausgangspunkt, in ihrem. vom Subjekt fast noch ungelösten Zustand erfaßt. [ ... ] Für
das Mittelalter hatte das Kunstwerk. nur einen gegenständlichen Wert, die Renaissance legte
ihm auch einen Persönlichkeitswert bei. Die Zeichnung aber wurde für sie gerade zur Formel
der künstlerischen Schöpfung, denn sie brachte das Fragmentarische, Unvollendete und
Unvollendbare, das schließlich jedem. Kunstwerk anhaftet, am auffallendsten zur Geltung.'<vw
Dieser Hinweis auf die Zeichnung als Formel der künstlerischen Schöpfung gibt dem
Diseguo-Begtiff eine gegenständliche Umse1zbarkeit, eine formelhafte Anmutung zur
Entwicklung der Idee.
Hier fortuiert sich zum ersten Mal in der Geschichte die Bedeutung einer Idee im
Sinne einer Fonn,14s einer Vision für die Ausführung eines Kunstwerks. l46 Diese
Vision sei also zuerst da, fortuiere sich im Geist und finde dann erst in der
tatsächlichen Umsetzung ihren Weg in die Welt. Inscfem spricht Panofsky von einer
"Vergegenwärtigung der erschauten inneren Bilder',.147 Panofsky betrachtet Disegno
im Lichte der Idea, einer ncuplatonischen Kunstphilosophie, welche auf das
präexistente Element der Idee abzielt. Dass mit dem Disegno-Begriff zugleich auch
eine eigene Kunsttheorie entstehen konnte, führt Panofsky auf den Bruch der
Renaissance tuit dem Mittelalter zuröck. Dies begtiindet er wie folgt:
,,Die Kunstanschauung der Renaissance charakterisiert sich also der mittelalterlichen
gegenüber dadurch, daß sie das Objekt gewissermaßen aus der inneren Vorstellungswelt des
Subjekts herausnimmt und ihm eine Stel1e in einer festgegründeten ,Außenwelt' anweist
[ ... ]."I-4a
Laut Paoofsky beaotwortet Vasari hiermit die ,,Frage oach der Möglichkeit der
könstlerischen Darstellung als solcher, die Frage nach dero disegoo [ ... ] dero Begriff
einer geistigen Vorstellung schlechthin".153
In Hinblick auf einen umfassenden Diskurs um Kunst urteilt Puttfarken aus heotiger
Sicht, dass die Begriffsdefinition von Disegoo "opened the theory of art both to
ambitious philosophical discourse aod to social respectability insofar as both
knowledge and ideals are generally regarded as possessing educational value" ,154 Er
'" P....vaot, J. D. (1839): Raphael v. Urbino, S. 533, zitiert aus: Paoofsky, E. (1924): ldea, S. 32.
'" Paoofsky (1924), S. 32.
m Vgl. das oben schon angeführt Zitat Vasaris: "DISEGNO ist der Vater unserer drei Künste
Architektur, Bildhauerei lDld Malerei, der aus dem Geist hervorgeht und aus vielen Dingen ein
Allgemeinurteil schöpft, gleich einer Form. oder Idee aller Dinge der Natur, die in ihren Maßen
einzigartig ist So kommt es, daß DISEGNO nicht nur in den menschlichen und tierischen Körpern,
sondern auch in den Pflanzen, Gebäuden und Bildwerken das Maßverhältnis der Teile zueinander
und zum Ganzen erkennt. Und da aus dieser Erkenntnis eine gewisse Vorstellung und ein Urteil
entsteht, das im Geist die später mit der Hand gestaltete und dann Zeichnung genannte Sache
formt, so darf man schließen, daß DISEGNO nichts anderes sei als eine anschauliche Gestaltung
und Darlegung jenes Bildes, das man im Sinn hat, sich im Geist vorstellt und in der Idee
hervorbringt."
'" Paoofsky (1924), S. 34.
153 Ebd., S. 36.
154 Puttfarken, T. (1991): Tbe Dispute about Disegno an.d Colorito in Venice: Paolo Pino, Lodovico
Dolce and Titian. In: Ganz, p, (Hg.): Kunst und Kunsttheorie 1400 - 1900 (Wolfenbütteler
Forschungen; 48), S. 79.
56 2. Wesentliche Aspekte der Innovation in der Kunst der Renaissance
gesteht diesem Begriff also einen Bildungscharakter zu, welcher sich demjenigen
erschließt, welcher die Auseinandersetzung damit sucht.
Behält man die produktive Beziehung des Auflragsverhäl1nisses in der Entstehung von
Kunst in der Renaissance im Blick im Blick, so lässt diese Feststellung neue
Rückschlüsse auf die gegenseitige Beeinflussung von Künstler und Mäzen zu, welche
insbesondere im Hinblick auf die enge Auseinandersetzong der Medici mit "ihren"
Künstlern von Interesse sein wird.
Der Disegno-Begriff hat in diesem Sinne auch die Entstehung des Geniebegriffs des
Künstlers befördert. Mit der Konnotation des Schöpferischen und der Idee gelang ein
begrifflicher Loslösungsprozess von der aus dem. Handwerk stammenden
mechanischen Begriffsassoziation von Kunst. Diese Entwicklung fiihrte auch zu der
Gründung der Accademia del disegno, der ersten Kunstakademie überhaupt. Sie wurde
von Vasari unter der Schirmherrschaft der Medici initiiert. "Im Gegensatz zur
Zwangsorgauisation der Zünfte und in Übereinstimmung mit dem Wahlprinzip der
Brüderschaften war die Mitgliedschaft der Vasarischen Akademie ein Ehrentitel, der
nur selbständigen und schöpferischen Künstlern verliehen wurde. Eine gediegene,
vielseitige Bildung gehörte zu den unerläßlichen Vorbedingungen der Aufua1une. "ISS
Gudrun Rhein hat sich in ihrer Studie ,,Dialog über die Maierei"lS' mit der
Übertragbarkeit des Disegno-Begriffs in einen anderen Bereich, nämlich in die
Rhetorik, auseinandergesetzt. Hierbei konstatiert sie:
"Sie [die drei Hauptbegriffe aus Vasaris Kunsttheorie. Invcnzione. Disegno und Colorito;
J. F.] bilden die Krirerien und Anha1tspunkre fiir eine Konftonlation der Werke dieser beiden
Künstler [Rhein vergleicht hier Raffael und Michelangelo; J. F.] und ermöglichen Schritt für
Schritt die Urtcilsbildung. Die Grundbegriffe invenzione - disegno - colorito sind, wie schon
gesagt, in einem ersten Verständnis als Arbeitsgänge des Malers zu verstehen, analog der
Arbeitsgänge des Redners bei der Vorbereitung einer Rede. Das zweite Verständnis dieser
Begriffe aber ist das für Nichtkünstler eigentlich interessantere: Es ist das der Begriffe als
Urteilskategorien tür den Zugang zum Bild, zu seiner Beschreibung und Bewertung - die
kritische Terminologie. "IS7
,,Ich möchte auch noch daraufhinweisen, daß der Maler, wenn er versucht, seine Vorstellun-
gen, die er im Sinn hat, in erste Skizzen zu fassen. sich nicht mit einer einzigen zufrieden
geben darf, sondern. er sollte noch mehr Erfindungen finden und dann diejenige auswählen,
die am besten gelingt, in Hinsicht auf die Gesamtheit der Dinge und in allen Einzelheiten."lSl
Diese Feststellung in Bezug auf Disegno bildet einen wunderbaren Angelpunkt für die
Üb.-gbarkeit des Begriffs auf andere Bereiche, da sie den Prozess der Übertragung
einer Idee in die Realität als solchen skizziert.'"
Eine weitere Üb.-gbarkeit des Disegno-Begriffs, in diesem Faii auf den Betrachter,
führt Frangenberg ein. Frangenberg zeigt am Beispiel eines weiteren Kunsttheoretikers
der Renaissance, Anton Francesco Doni, wie Bildbetrachtung im sechzehnten
Jahrhundert in kunsttheoretischen Überlegungen beleuchtet wurde. Doni hat sich in
seinem Werk ,,Disegno" mit den Aspekten der Bildhetrachtung und der Imagination
als Elemente des Disegno auseinandergesetzt. In dem darin enthaltenen Dialog
zwischen Pittura und Arte diskutiert er die Entstehung eines Bildes. Hierbei lässt er
Pittura sagen, das Gemälde entstehe im Chaos ihres Gehims, in ihrer Phantasie und
Imagination. l60
Frangenberg stellt an dieser Stelle bei der Analyse von Imagination nicht nur deren
Funktion als Element der Bildstiftung des Disegno beim Künstler in den Vordergrund,
sondern interessanterweise knüpft er insbesondere die Verbindung zum Betrachter des
Werkes, indem er sagt, dass sich diese Imaginationskette bei ihm. fortsetze: ,,Bei der
Wahrnehmung von Bildinhalten konnnt die Imagination nur dann zum Zuge, wenn der
Betrachter das Thema der Darstellung verläßt und eigene gedankliche Wege ein-
schlägt,,'61 Diese Feststellung legt die Vennutung nahe, dass sich das schöpferische
Poteozial des Disegno bereits durch die Bildhetrachtung im Betrachter entfalter hat.
Doni selbst spricht von einem interpretatorischen Spielraum, welchen der Künstler
dem Betrachter durch den Disegno eröffuen kann, um so dessen Imagination und
Assoziationsvielfalt auszu1ösen. Insbesondere die Unfertigkeit maocher Disegnos (hier
wird wieder die Doppeldeutigkeit des Begriffs dentIich: eimna1 der der Zeichnung, die
ja per se etwas skizzenhaft, sinnend oder suchend ist, da sie ja meist als Vorstadium
eines Gemäldes genutzt wird, und auf der anderen Seite der Aspekt der Ideen-
verwirklichung) ,,im Zustand des ,non-finilo' [ ... ] gebe der Imagination Spielraum"!62.
Die Übertragbarkeit des schöpferischen Aspekts des Disegno auf den Bildbetrachter
wird vor allem mit Hinblick auf den Aspekt der Wechselwirkung von Kunst und
unternehmerischer Innovation von Interesse sein.
Übethaupt bieten die strukturellen Merkmale des Disegno eine breite Fläche der
Übertragbarkeit auf andere Bereiche, wie zum Beispiel das Entrepreneurship. Durch
den zentralen Gehalt des Begriffs als Ausdruck einer nahezu allgemeinen menschli-
chen Schöpferkraft bietet sich die Übertragbarkeit in besonderer Weise an. So bedentet
Entrepreneurship bildlich gesprochen auch, "das Neue in die Welt zu tragen,,16', der
Disegno-Begriffmarkiert in Aoa1ogie hierzu die Verwirklichung einer neuen Idee. Vor
allem Cellini unterstreicht die Allgemeinheit und Übertragbarkeit des Disgno-Begriffs,
weno er scbreibt, "der Disegno sei das einzige und wabre Licht aller Handlungen des
Menschen in jedem Geschäft",'" und darauf folgeod eine Verbindung mit dem
schöpferischen Aspekt des Apollo herstellt. Diesem Themenkomplex soll im Kapitel
5. unter Bezugna1une auf den Begriff der unternehmerischen Innovation noch weiter
nachgegangen werden.
162 Ebd.
"Nevertheless, economic conmtions, the way men make a Itving, form the necessary bo3is 0/
civilization. They determine in /arge part the character anti interests 0/ the sodal classes anti
set a limit to lhe variety 0/ cultural forms possible at rmy given time. Together with the
political anti social organization 0/ the age, Ihey form the environment in which writers.
artists. preachers, anti thinkers live, anti they exercise an inescapable influence upon their
ideas anti attitudes. Ami when there is a fundamental change in this necessary basis 0/
civilization, it ja only reasonable to expect roughly corresponding changes in lhe political,
sodal anti cultural superstructure, thollgh the lalter may be deIayed anti modified by the
force oftradition and custom. ,,16S
Der Historiker Ferguson betrachtet die ökonomischen Umstände der Renaissance als
Ermöglichungsbedingung und vor allem als prägend für das soziale Umfeld der
Künstler und Denker. Ferguson war einer der Ersten seiner Zunft, welche die Kunst
und ihr wirtschaftliches Umfeld in einen Zusammenhang brachten.
"Too often, cu1tura1 historians have considered only the literary, artisti.c, philosophical or
religious manifestatioDS of the Renaissance, treating each as though it bad an independent
existence; while thc political and economic historians have usually been contcnt to leave
these to the specialist. An adequate synthesis must include not oo1y the intellectua1 and
aesthetic elements of Renaissance civilization bot also the economic, social and politica1
[ ..• ]."166
Inzwischen existiert eine umfangreiche Forschung, welche sich mit der Geschichte der
Wirtschaft, teilweise auch in Zusammenhang mit der Kunst beschäftigt.
Insgesamt lassen sich für die Wirtschaft der Renaissance balmbrechende strukturelle
Veränderungen feststellen. Wie im Bereich der Kunst, so kann man auch im Bereich
der Wirtschaft die neuen Entwicklungen geradezu als Quantensprünge bezeichnen, die
sich in unterschiedlichen Aspekten des ökonomischen Geschehens ausdrückten.
,,Business practice improved steadily over the fourteenth centwy with the refinement
ofbookkeeping (and recordkeeping generally), credit instruments, insurance, business
organization, and other techniques [ ... ] ...167 Das vorliegende Kapitel soll einleitend
zunächat allgemein die wirtschaftliche Situation im Florenz der Renaissance skizzieren
und die wesentlichen Wirtschaftszweige vorstellen. Im Anschluss sollen drei einzelne
Phänomene der florentinischen Wirtschaft herausgegriffen und betrachtet werden, an
denen sich die strukturellen Umwälzungen besonders deutlich ablesen lassen. In Ana-
logie zu dem im vorigen Kapitel unternommenen Versuch, aufgrund der einschlägigen
Forschungsliteratur herausragende strukturelle Aspekte der künstlerischen Innovatio-
nen der Renaissance vOIzustellen, soll hier, ebenfalls auf der Grundlage der entspre-
chenden wissenschaftlichen Arbeiten - in diesem Fall zumeist Klassikern der Sozio-
logie sowie der Geschichte und Wirtschaftsgeschichte der Renaissance - an drei
Phänmnenen das fundamental Neue in der damaligen Wirtschaft herausgearbeitet
werden. Diese wurden nach der Maßgabe ausgewählt, dass sie gleichzeitig den
Hintergrund skizzieren, vor welchem die Medici agiert haben.
Goldthwaite macht vomelnnlich zwei Aspekte für diesen zügigen Ausbau der
wirtschaftlichen Vonnachtstellung verantwortlich: ein rasches Erkennen von Wachs-
turnsmärkten und eine ebenso schnelle Anpassung an neue und ntitonter wechselnde
Gegebenheiten des internationalen Marktumfeldes. Das ist im eigentlichen Sinn ntit
größerem Maßstab gemeint, denn dieses Verhalten sprengte ntit Macht den bis dahin
als gültig angenmnmenen und für das Mittelalter charakteristischen Rabmen des
Lebens und Wirkens des Einzelnen. Goldthwaite weist weiterhin auf sich verändemde
,,, Goldthwaire, R. (1993): Wealth and the Demand for Art in ltaly 13()().1600, S. 14.
'" Goldthwaire (1990), S. 41.
3.1 Spezifische Mcrkmale ""' t10rentinischen Whtschaft 61
Dies gibt dem Maßstab auch seine geographische Bedentuug, denu hierdurch wurde
die wirtschaftliche Aktivität auf entlegeoe Märkte ausgedehut, zwischen denen sich
letztlich ein Handelsnetz entspaunte, dessen Mittelpuukt Floreuz in der Renaissance
beauspruchte. HieIZ\l stellt Goldthwaite weiterhin fest:
"Of the vigor of the leading sectors of the Florentine economy during thc period of the so-
called commercial revolution there can be little doubt The full weight of the
hiBtoriographical tradition is behind the proposition that Florence rapidly moved into the
vanguard ofthis expansion, becoming one ofthe wealthiest eities in Europe [... ]."170
Ein weiterer Faktor neben den zuvor genaunten ist nicht zuletzt auch die schon im
vorigen Kapitel beschriebene soziale Durchlässigkeit der Gesellschaft. Der Soziologe
von Martin fasst die Dynamik dieser neuen Zeit wie folgt: ,,Die neue Ausweituug der
Möglichkeiten erweckt den Draug, sie zu nutzen, und mit der Ausdehuung der
Geschäfte, an den damit sich stellenden größeren Aufgaben, wächst der Wille und die
Fähigkeit zu ihrer tätigen Bewältigung. In die Stabilität der bisherigen, noch stark
traditionell gebundenen Wirtschaft bricht ein Bewegungsmornent ein, das deren
ganzen Charakter in zunehmendem Maße umwandelt ..172
nahezu allen Ländem, mit denen Florenz Handel betrieb, wuchs dem florentinischen
Wirtschaftsstandort automatisch immer mehr Bedeotung zu.
Ein weiteres Indiz für die Attraktivität des Wirtschatlsstandortes Florenz bildet die
stetig wachsende Bevölkerungszahl der Stadt. Im Jahr 1280 betrog sie noch ca. 45.000
Einwohner, 1339 hatte sie sich bereits auf 90.000 verdoppelt!7' uod sollte bis 1500
kontinuierlich steigen. Es ist anzunehmen, dass die Menschen, die nun in die Stadt
strömten, einerseits eigene Bedürfuisse zu erfiillen strebten, indem sie hier neue
Beschäftigungs- und Verdienstmöglichkeiten suchten, damit zugleich jedoch auch zu
einer intemationalen Belebuog des Wirtschaftsstanderts Florenz beitrugen.
Mit diesen Menschen kamen neue Ideen uod Einflüsse, die sicherlich in ihrer
Verschiedenartigkeit zu dem so vielfach beschriebenen Renaissaneeklima beigetragen
haben. Goldthwaite sieht die demographische Entwickluog von Florenz einem
generellen Trend Italiens hin zur Urbanisieruog folgen, welcher uicht nur mehr
Produktivität, sondern auch mehr Nachfrage und somit sich öflhende Marktchancen
für Florenz bot: ,,Moreover the heavy urban concentration of the Italian population
assured Floreoce a large market potential close at hand. By 1300 the city had far
outstrippcd aIl of its neighbors - and indeed most other European towns - in size and
wealth as an industrial centcr.,,175
Diese stark steigende Bevölkerungszahl trug nicht nur zu einern rasanten Wirtschafts-
wachstum bei, sondern war Gegenstand und gleichsam treibende Kratl in dem Prozess
einer gesellschatllichen Umformung hin zu einer industriell ausgerichteten Gesell-
schatl, welche vor aIlero zu Beginn maßgeblich durch die Tuchindustrie geprägt wor-
deo Der Historiker Baron fasst diesen Tatbestand prägnant zusammen: ,,In a nutshel~
in the thirteenth century merchants and bankers had lived on the edge of the feudal
world; in fifteenth century Florence they lived on the edge of an industrial society. ,,176
In diesem Sinne urteilt auch Fricd über Florenz als Handelszentrum: ,,In deo
Handelszentren bündelt sich das Wissen über Wege, Waren und Menschen, über
Länder und Sitten in der Fremde, hier konzentriert sich eine neuartige Weltoffenheit
und diesseitige Interessiertheit, die überall dorthin ausstrahlt, wohin die jeweiligen
174 Siehe Pircnne, H., Clegg, I.E. (1937): An Economic and Social History of Medieva1 Europe,
S.173.
m Goldthwaire (1990), S. 32.
Baron (1988), S. 47.
176
3.1 Spezifische Mcrkmale ""' t10rentinischen Whtschaft 63
177Fried, J. (1992): Kunst und Kommerz. Über das Zusammenwirken von Wissenschaft und
Wirtschaft im Mittelalter vornehmlich am Beispiel der Kaufleute und Handelsmessen, in:
Historische Zeitschrift 1992, S. 303 über: http://www.digizeitscbritlen.deldmslimg/#Davi.
'" Von Martin (1974), S. 48.
'" Go1dthwaite, R. (1995): Urban values and the entrepreneur, in: Banks, Palaces and Entrepreneurs
in Renaissance Florence, S. 646.
64 3. Die Renaissance des Handels und der Wirtschaft
Vor allem die Entwicklung des Bankenwesens konnte von der Ausdehnung des floren-
tinischen Handelsraumes in die entferntesten Winkel Europas profitieren. Als
charakteristisch für den neuen großen Maßstab können somit einerseits die internatio-
nalisierung und andererseits die Urbanisierung der Stadt angesehen werden. Das
daraus erwachsende Marldpotenzial bestand dann im Wesentlichen in der starken
Binnennachfrage. ,,Florenz entwickelte sowohl einen industriellen als auch einen kom-
merziellen Sektor, was die Stadt zu der stärksten Wirtschaftskrafl des mittelalterlichen
Europas machte. Zudem erlaubte die starke urbane Ausrichtung Florenz' ein stark
wachsendes Marktpotenzial.,,182
Aufgrnnd der Verflechtung der genannten Wirtschaftsfelder lässt sich nur schwer eine
klare chronologische Entwicklung nachzeichnen. Allerdings scheint sich die For-
schung einig zu sein, dass die Relevanz des Florenz der Renaissance als Wirtschafts-
macht zunächst auf der Bedeutung der Tuchindustrie und deren baldiger Verflechtung
mit dem Handel, dem Luxusgötersegment und dem neu aufkommendeu Bankenwesen
basiert. Daher sollen nachfolgend die vier Wirtschaftszweige Tuchproduktion, Handel,
Luxussegment und Bankenwesen einzeln vorgestellt und zueinander in Beziehung
gesetzt werden.
ISOManche Autoren sprechen an dieser Stelle von einer Verflechtung; Deren, einer der frühesten
Historiker der Wirtschaft der Renaissance, spricht darüber hinaus sogar von einer Art der frühen
Risikodiversi:fizi.erung.
"' Antal, F. (1958): Die Florentinisclle Malerei und i11r sozialer Hintergrund, S. 19.
m Go1dthwai.. (1990), S. 23.
3.2 Wichtige florentinische Wirtschaftszweige 65
Florenz hstte bereits in der Frührenaissance eine Vielzahl kleiner Betriebe, welche
sich zunächst auf die Herstellung und Verarbeitung von Wollstoffen fokussierten.
Diese waren zunächst zur Sättigung des heimischen Bedarfs bestinunt Die Stoffe
waren jedoch offenbar von so herausragender Qualität, dass die Nachfrage sowohl aus
dem Inland als auch aus dem Ausland kontinuierlich anstieg, was die Stoffe zu einer
wertvollen Handelsware avancieren ließ. ,,From Ibe thirteenlb century onward,
Florence experienced an impressive export-Ied growth in her economy, Ibe staple
being cloth - first wool, then both wool and Silk."I84
Dabei verdanken die Florentiner, wie Goldlbwaite schreibt, dieses exportorientierte
Wachstum maßgeblich einer Wirtschaftskrise in Flandern, welches zuvor Marktfiihrer
im Wolltochsegment gewesen war. Die Florentiner erkannten die Möglichkeiten,
welche ihnen hierdurch zuwochsen, und beherrschten bald den gesamten europäischen
Raum. Zugleich erweiterten sie ihre Produktpalette um exakte Imitationen der
Konkurrenzprodukte, welche sie aber in besserer Qua\ität herstellten. Hochwertige
Rohwolle wurde hierbei zunächst aus England bezogen und zu "panni di San Martino"
verarbeitet. Später kam Rohwolle aus Italien und Afrika hinzu, welche die Florentiner
zu "panni di Garbo" weiterverarbeiteten. l85
Die traditionelle Herstellung von Wollstoffen wurde in Florenz zügig durch die Pro-
duktion und Verarbeitung von Seideustoffen ergänzt, wodurch sich das Textilsegment
bald in zwei Kategorien aufleilte. In dem luxuriösen Seidensektor schuf Florenz einen
weiteren Wirtschaflszweig und überflügelte in seiner Produktion die Urspnmgsregion
der Seide, den Nahen Osten, was ein klares Indiz fiir die industrielle Überlegenheit der
Stadt ist
,,From the thirteenth centmy onward thc manufactming sector expanded into a great variety
ofluxury crafts whose development followed a pattern ofincreased variation and innovation
of products, steady improvement of competitive advantage in loeal markets against imports
from abroad, and expansion into foreign markets."186
Ein wichtiger Impuls fiir diese Diversifizierung der Tuchproduktion war anscheinend
die Tatsache, dass die Ausbreituog der Pest um 1348 einen großen Teil der florentini-
schen Bevölkerung dahingerafft hatte. Dies hatte zeitweise zu einem Rückgang der
bisherigen Tuchproduktion um geschätzt etwa die Hälfte der Kapazität auf 20.000 bis
30.000 Tuche jährlich geführt. Der Wirtschaflahistoriker Esch beschreibt in seiner
Aoalyse des italienischen Wirtschaftsgeschehens der Renaissance, dass die Florentiner
diese Situation nutzteo, um den Schwerpunkt des Produktionsgeschehens von
Quantität auf Qualität zu verschieben. Die Expansion in die Seidenproduktion war
auch Ausdruck einer solchen Akzentverschiebung. In diesem Diversifizierungsprozess
spielten im Übrigen auch die Medici eine zentrale Rolle,l87
Interessanterweise führten diese Veränderungen einerseits zu Luxusproduktion fiir den
Kleros und den Hochadel bei gleichzeitiger Billigproduktion fiir den Nahen Osten,
lSS
vornehmlich die Türkei, aus der ironischerweise auch die Pest gekommen war.
Diese zweigleisige Orientierung einerseits in das Luxus- und andererseits in das
Billigsegment, ntit welchem sie sich in direkte Konkurreoz zum Ursprongsland des
Rohstoffes begaben, zeugt von einem ausgeprägten Selbstbewusstsein der Florentiner
für die eigene Fertigung. Dies kann nur daraus erwachsen sein, dass sie sich der
Überlegenheit ihrer Fertigungaprozesse gegenüber denen das Nahen Ostens bewusst
waren. Goldthwaite schreibt: "In addition, many merchants from the Balkan region of
the Ottoman Empire showed up in Florence to purchase clnfus. Most of!bis trade was
in woolens, but Florentines were also able to push sorne silk cloth in this area that
sopplied raw silk for their bome industry - a fact that Marks the clear industrial
advantage ltaly bad over the Near East.ul89
Überhaupt war die Arte della Lana (bzw. della Sela) nacb Ansicbt vieler Historiker
eine Art Triebfeder fiir die Entwicklung und den Ausbau ökonomischer Ideen und
Goldthwaite spricht an dieser Stelle die tiefere Verflechtung der Tuchproduktion mit
dem Handel als Teil dieser Integration an. Die Forschung ist sich einig, dass die
Tuchproduktion ein ausschlaggebender Faktor für die Entstehung und den Ausbau des
Handels als Wirtschaftszweig gewesen ist. ..Their cloth industry produced for the
markets across Europe from Englsnd to Egypt. and their merchants had all these
places tied up in a great international banking and commercial network.,,193 Dieser
Verflechtung der beiden Wirtschatlsbereiche soll nachfolgend in einer Betrachtung des
Handels nachgegangen werden.
3.2.2 Der Handel und seine Bedeutungfor die Internationalisierung der Wirtschaft
Vor dem Hintergrond der Tuchproduktion verstärkte sich der Handel als eigener
Wirtschaftszweig, welcher an der Schwelle vom Mittelalter zur Frührenaissance als
Grundpfeiler des Wirtschatlsgeschehens Geltung beansprucht. Der Handel ist zum
einen aus dem Bedürfnis heraus entstanden, fremdländische Güter auf heimischen
Märkten verfiigbar zu machen, wozu unter anderem (meist orientalische) Gewürze
sowie Luxusgüter aller Couleur"< gehörten. Zum anderen brachte gleichzeitig die
heimische Tuchiudusttie die Möglichkeit und bald - aus Expansionsgesichtspuukten
und sich verstärkender heimischer Konkurreuz - auch die Notwendigkeit des Exports
mit sich. Stoffe waren also maßgeblicher Gegenstand dieses Handels, deuu sie galteu
als besonders wertvolles Handelsgut und waren in vielen Teilen der damaligen Welt
stark nachgefragt. Insbesondere die tlorentinischen Seidenstoffe galteu als qualitativ
besonders hochwertig.
Die Florentiner haben die Chancen, welche sich aus der Verquickung von Rohstoff-
bedarf der Textilindusttie und internationalem Warenverkauf ergaben, offenbar
rascher erfasst und umgesetzt als andere, so dass sie intemational l96 die jene von
Goldthwaite hervorgehobene Bedeutung als einzelne Gruppierung von Kaufleuteu
gewannen. Der Historiker Baron beschreibt diese beherrschende Marktposition der
Florentiner gar als Anomalie: ,,Italian merchants even held high positions at mauy
courts and acted abroad as ambassadors of foreigu kings. The lesson to be learned
It also possessed flourishing woolen and silk industries and traded in spices and ather luxury
194 ,,[ ... ]
products [ ... ]". de Roover. R. (1966): The Rise and Decline of tbe Medici Bank, S. 2. Auf das
Luxusgütersegment wird im nächsten Abschnitt eigens Bezug genommen.
,,, Goldthwaire (1990), S. 32.
196 An den Maßstäben der damaligen Welt betrachtet.
3.2 Wichtige florentinische Wirtschaftszweige 69
from this structure of medieval merchant 1rade seems clear. Despite its importance for
the stimulation of Iarge-scale commerce, the financial capitalism of the thirteenth
century was an anontaly [ ... ] ...197 Die Bezeichnung dieser wirtschaftlichen
Entwicklung als Anomalie bezieht sich offenbar eben auf diesen intellektuellen
Vorsprung und die geistige und soziale Freiheit der Florentiner,l98 die sie in die Lage
versetzten, Marktchancen zu ergreifen. So ist es in der Tat bemerkenswert, dass sie es
vermochten, diverse Wirtschaftszweige miteinander zu verbinden, und es offenbar
nicht müde geworden sind, neue Marktchancen, die sich aus vorhandenen Geschäfts-
tätigkeiten ergaben, zu nutzen. Sie zeigten also, wie man es heute sagen würde, die
grundsätzliche Fähigkeit zur Anschlussinnovation, was in der nachmittelalterlichen
Situation durchaus als Anomalie zu betrachten ist.
Wie noch zu zeigen sein wird, entstand mit der Internationalisierung des Handels und
den sich daraus ergebenden Risi1ren sowie der Notwendigkeit von Vorfinanzierung der
Bedsrf nach vorausschauendem, planendem Handeln sowie nach Instrumenten, mit
diesen Herausforderungen umzugehen - aber andererseits auch die Möglichkeit, große
Unternehmen aufzubauen.'02 Es ist zudem davon auszugehen, dass der
Internationalität des Handels ein bildender Aspekt innewohnt, welcher bei den
Florentinern auf den Nährboden der Weltoffenheit gestoßen ist und somit von ihnen
erkannt und umgesetzt worde.
Brion beschreibt hier, wie das schon öfter erwähnte Reizklima jener Zeit auch durch
Internationalität geprägt worde. Die Begegnung mit Menschen unterschiedlichster
Couleur und Herkunft war somit ein wichtiger Bestandteil im Arbeitsleben eines
florentinischen Kaufmanns und in a11 der Vielseitigkeit sicher anregend. Die These
liegt nahe, dass die Akteure diese Bereicherungen in ihren florentiniscben Lebensraum
röckintegrierten. Der Handel insgesamt scbeint gewissermaßen die Eröffuung neuer
Siebtachsen ermöglicbt zu haben, da sich dem Kaufinann durch ihn oftmals neue
Kultoren, Menschen und Traditionen erschlossen.
202 Dies scheint die Grundhaltung zu sein, aus welcher die Bucbhaltung entstanden ist - eben aus der
klug schauenden Voraussicht und der Notwendigkeit. diese expansiven Pläne abzubilden. Auch
hierzu ausführlicher weiter unten (Kapitel 3.3.2).
'" Brion (1970), S. 25.
3.2 Wichtige florentinische Wirtschaftszweige 71
florentinischen Bevölkerung ging eine wachsende Nachfrage nach Gütern einher, mit
denen man seinen Reichtum und die damit verbundene gesellschaftliche Stellung nach
außen repräsentieren konnte. Dazu gehörten aus Gold und Edelsteinen in
Goldschmiedeateliers knnstvoll gearbeiteter Schmuck sowie wertvolle Stoffe und
bildende Kunst, beispielsweise Gemälde sowie die Wandbema1ung in Palästen und
Kirchen.
Mit dem Entstehen dieses Segments erhielt Kunst eine neue Bedeutung innerhalb der
Wertschöpfungskette. Sie war nicht mehr nur im Rahmeo von Kircheo oder auch in
Fürstenhöusern Teil der religiösen Prasis oder ästhetisches Objekt zum persönlichen
Vergnügen im privaten Bereich, sondero ihre Funktion als Statussymbol weitete sich
aus und schuf einen großen Bedarf und ein großes Angebot sowie eine große
Kennerschaft auf allen Seiten. Die Entstehung des Kunstmarktes markiert insofero
auch einen Wendepunkt in der Kunstgeschichte. Die mehr oder weniger willkürliche
bzw. vor allem über den Materialwert definierte Preisgestaltung für Kunstwerke wurde
durch die materielle, objektivierende Einschätzung ihres Marktwertes ergänzt.20'
Goldthwaite argmnentiert nun aus der Perspektive dieses Marktwertes heraus, dass
Kunst auch dem aufkeimenden Sektor des Luxusgütermarktes zuzurechnen ist:
,,1f any sector of the Renaissance economy was booming it was that part that producod luxury
goods, and since mnch of this output falls into the category of what today we call art, an
assessment ofthe performance ofthis sector is nothing less than an economic explanation for
the Renaissance ofthe arts:.206
Gleichzeitig beschreibt er diese starke Binnennachfrage jedoch nahezu als einen Sog,
welcher den gesamten Produktionsausstoß gleich selbst verzehrte. Dass damit nur ein
Teil der potenziellen Nachfrage befriedigt werden konnte, stellte in gewissen
Luxussegmenten, vor allem der bildeudeu Kunst, ein Hemmnis für die Ausweitung des
Handels mit künstlerischen Werken dar und fiihrte gerade zu Beginn dazu, dass die
neuen Formen von Kreativität und Kunst zunächst stark auf Florenz begrenzt blieben.
Dies war für das Entstehen der florentinischen Renaissance jedoch rückblickend ein
zentraler Faktor und ist somit ein wichtiger Teilaspekt der "economic explanation for
the Renaissance of the arts", denn diese Form von Mangel erzeugte geradezu eine
Intensivierung der Kreativität und des Austausches in der Stadt Florenz. Außerdem
unterscheidet sich hierin der Luxusgütermarkt von anderen Wirtschsflssegruenten in
Florenz, welche zunehmend exportorientiert waren.
Goldtwaithe sieht in dieser Konzentrstion des Wirtschsflsgeschehens im Luxusseg-
ment auf Florenz und die dortigen Künstler nicht nur deu Gruud für deu steigendeu
Reichtum der Stadt, sondern auch für das, was er als eigentliches Moment der
Renaissance ausmacht: Der (kreative) Mensch selbst rückt in deu Mittelpunkt:
"Tbc luxury sector grew because much of the enormous wealth that bad accumu1ated in
Florence was invested in it. [ ... ] it becomes apparent how the particu1ar character of this
sector was determined by the way the social structure of that wea1th shaped demand; how the
success of the sector in mceting virtually the entirety of that demand precluded recourse to
foreign luxury markets and thereforc loss of weaIth from the economy; and" finally, how
investment in that sector brought about a real transformation in the economy, ODe that was
more important than mere growth or greater wealth because that investment, calling for more
skilled wolkers, far a greater variety of skills, and for morc highly developed skiDs, was in
the most basic factor of production - human capital itself. This was the notable achievement
of the economy of Renaissance Florence - and" in the final analysis, this is what the Renais-
sance was about.· arn
An dieser Stelle wird zudem die Nachfrage nach Kunst im Allgemeinen sehr deutlich,
was gleichzeitig die grundsätzliche Nähe der Florentiner zu diesem kreativen
Schaffensprozess impliziert. Dies verdichtet das Bild der vorangegangenen
Ausführungen über die Kunst, die gezeigt hsben, wie groß das Ausmaß an Kreativität
gewesen ist und wie eng künstlerisches Potenzial sich in Florenz vereinigte.
Letztlich bekam der Luxusgütennarkt vor allem durch die starke Binnennachfrage in
Florenz sein Fundament. Gewisse Güter dieses Marktes wie beispielsweise fein
gewebtes Tuch und Goldschmiedearbeiten wurden darüber binaus, wie erläutert,
Gegenstaud des Ferubandels, womit die Produktiou eine quantitative Ausdehnung
erfuhr, was den internen Reichtum erhöhte und Florenz in diesem Sektor international
positionierte. Somit kann und muss dss Luxussegment als wichtiger Teilaspekt der
florentinischen Wirtschaft bettachtet werden.
Jedoch erreicht die quantitative Ausdehuung vou Produktion und Handel, welche im
Segment der Luxusgüter zu beobachten war, nach Auffassung vou Goldthwaite bei
weitem nicht die Bedentung ihres qualitativen Beitrags. Entscheidend erscheint zudem
der Aspekt der "consumptiou linkage""", die Tatsache also, dsss diejenigen Unterneh-
mer, welche ihr Geld mit der quantitativen Ausdehuung der Tuchproduktiou und des
Handels verdienten, es wiederum auch in diesen neu entstehenden Wirtschaftszweig
der Luxusgüter investierten und somit zu seiner Entstehung und qualitativen
Weiterentwicklung beitrugen. Sie ließen Paläste und Kirche bauen, mussten diese
bestücken und bemalen und brauchten dsfiir speziell ausgebildete Handwerker bzw.
Künstler, welche sich in der Folge in Florenz konzentrierten.
Durch die starke Konzentration von hervorragenden Künstlcrn entwickclte sich dar-
über hinaus eine immer stärkere Variation in den Ausdrucksformen der verschiedenen
Kunstsektoren. Goldthwaite behauptet: "Tbe number and variety of objects aroused
the acquisitive instinct in man and sharpened his taste for quality and fashionableness
[ ••• ] ...:!I)9 Das differenzierte Angebot an Kunst habe also innerhalb der florentinischen
Bevölkerong den Sammlergeist geweckt und das Stilempfinden geprägt. Der Wunsch,
diesen Vatiationsreichtum in der jeweils eigenen Sammlung abzubilden, vermutlich
ein instinktiver Reflex eines jeden Sammlers, ist ein zentrales Motiv in der sich
verstärkenden Binnennachfrage.
Noch interessanter ist der Aspekt, dsss diese Variatiousbreite den Geschmack der
kunstsinnigen Sammler verfeinerte. Qualitative Unterschiede zu erkennen setzt voraus,
dass die Käufer sich mit dem Gegenstaud auseinandersetzen. Goldthwaite leitet also
vou diesem sich ausbildenden Kunstmarkt eine geschmacksbildende Funktion
besonders für jene Käuferschicht ab, welche in der Tucbindustrie und dem Handel zu
einem gewissen Wohlstand gelangt war. Weiterhin führt Goldthwaite an, dsss mit
Diese Suche der Künatler nach dem Neuen und Ungewöhnlichen wurde also von der
Käuferschicht nicht nur akzeptiert, sondem geradezu stimuliert. Und sie wurde
umgesetzt in Gegenständen, mit welchen sich eine neue Schicht reicher Kaufleute
tagtäglich umgeben sollte. Bezeichnenderweise setzt ntit dem Ausbau des Luxusgüter-
und speziell des Kuus1marktes auch die wirtscbaftliche Verschränkung existierender
Sektoren mit neuen Gebieten wie dem Bankenwesen ein.
In diesem Sinne bat Kuust auch die florentinische Wirtschaft transformiert - und
umgekehrt. Es ist davon auszugehen, dass die Menge an Geld, welche in dieses
Segment geflossen ist, ein Moment hat entstehen lassen, das über reines Wachstum
hinausgeht. Diese wirkliche Nähe zur Kunst, welche sich die Florentiner durch den
Ausbau dieses Segments geschaffen haben und welche sie ganz offenbar auch nicht
ntit anderen Städten Italiens oder Europas teilten (da sie, wie erwähnt, gerade zu
Beginn quasi die gesamte Produktion selber aufkauften), hat neben einem neuen
Wirtscbaftssegment eine gesellscbaftliche Hinwendung zur Kuust herbeigefiihrt,
welche einzigartig war. 212
So wird hierdurch eine neue Ära in der Form der Einwebung von Kunst in die
gesellscbaftliche und wirtscbaftliche Struktur markiert. Dies bezeichnet Goldthwaite
als die entscheidende Errungenschaft der Wirtschaft der Renaissance: nicht so sehr das
Wachstum also, sondem eben diese Umformung und Umgestaltung der Wirtschaft
durch die Hinwendung der Gesellschaft zur Kuust. Dies ist im Lichte der
Forschungsthese von besonderem Interesse, denn betrachtet man die Gleichzeitigkeit
der qualitativen Ausdehnung des Luxusgütermarktes ntit dem AuIkommen des
Fembandels und dem daraus erwachsenden Bankenwesen, so wird dentIich, dass der
Zusammenhang von Wirtschaft und Kunst in der Renaissance konstitutiv ist. Kunst
wurde nicht nur Gegenstand, sondern prägend für das Marktgeschehen.
Es ist lohnend, an dieser Stelle innezuhalten, denn diese Konklusion stellt ein bedeut-
sames Zwischenergebnis dar. Die Variationsvielfalt in der Kunst, so kann man poin-
tieren, welcbe ihre Stimuli mitunter aus der Wirtschaft bezogen hat, zog über ihren
direkten Einfluss auf die "wirtschaftlich unternehmende Schicht" auch eine größere
Variationsvielfalt in der Wirtschaft, mithin wirtschaftliche hmovation nach sich.
3.2.4 Das Bankenwesen und seine tragende Rolle bei der Ausweitung und
Internationalisierung der Wirtschaft
Die größte strukturelle Veränderuog in der Wirtschaft der Renaissance, die mit der
Ausdifferenzierung und Ausdehnung von Tuchproduktion und Handel einherging,
bestand, darin sind sich die Autoren weitgehend einig, in der Entstehung des
Bankenwesens. Erst die lnternatioua1isierung des Handels machte die Struktur eines
Bankenwesens überhaupt notwendig. Doren beschreibt diesen Tatbestand in seiner
italienischen Wirtschaftsgeschichte wie folgt:
..Großhandel. Bank.- und Kreditwesen sind nicht nur ein wesentlicher Bestandteil der italieni-
schen Wirtschaft in der Periode ihrer höchsten Blüte gewesen, sondern. sie prägen ihr stärker
als irgendein anderer Teil der Wirtschaft ihren bestimmenden Charakrer auf; auf ihnen beruht
erst die Blüte der Industrie und selbst die Gestaltung der Landwirtschaft wird von ihnen stark
beeinflusst Es kann kaum ein Zweifel sein, daß die starke Kapitalakkumulation in wenigen
Händen und in kurzer Zeit zum wesentlichen Teil aus Großhandel und Bankgeschäft: stammt,
aus legitimen Gewinnen, wie sie vor allem der Orienthandel ermöglichte [ ... ].,0213
Die Florentiner gelangten also durch den Handel und die Tuchproduktion zu
besonderero Reichtum, welchen sie verwa1teo und verfügbar machen und dadurch
erneut steigern konoteo.
Weiterhin stellt Doren einen direkten Bezug zu dem Aufbau des Bankenwesens her,
indem er das wachsende Bedürfuis des Handels betoot, größere Summen an Kapital zu
beschaffen, zu bewegen und bisweilen auch zu versichern:
,,Die Finanzierung des Großhandels verlangt nun ihrerseits immer aufs neue bedeutende,
hohe Durchschnittsgewinne bringende Summen, ebenso die der Textilindustrie in ihren
verschiedenen Zweigen und anderer Industrien, des Verkehrs und des Transports, der
Versicherung zur See und zu Lande: so erwächst die Notwendigkeit der Durchbildung eines
organisierten Geld- und Kreditverkehrs, der in der Ausbildung eines eigenen Bankenwesens
gipfelt Nicht so allerdings, daß das Bankgeschäft: sich überall von vornherein zu einem
eigenen Beruf verselbständigt hätte - vielmehr blieben Bankwesen, Großhandel und häufig
auch Industrie in denselben Händen vereint [ ... ].,,214
Dabei konnten die Handelsleute und Banker aus Florenz von der Stabilität und
internatinna1en Anerkennung ihrer Währung profitieren, zu der sie über ihre
Handelstätigkeit zuvor beigetragen hatten.
"Their gold florin, first issued in 1252, became a standard international CWTellCy fOT a1l of
Europe, and thc use of their commercial network for the execution of forcign exchange and
international transfer of credits led 10 their preeminence in international banking and finance.
Since Florentines established colonies in virtually every major center of tradc in Europe, thc
financial network built up by them. was as vast as the commercial system itself. The service
they could perform in moving funds and cxteruüng crcdit bad ~ the fourteenth century
brought them into the highest sphcre ofpapal and princely fina.nce.' 17
Der Erfolg und rasche Aufstieg des florentirtischen Bankenweseos war im Wesent-
lichen an die päpstliche Kurie gebunden, da diese stetigen Bedarf an enormen
Geldmeogen hatte.
,,No level of international finance was any higher than the papacy, whose needs far cred.it
transfers throughout its far- flung organization accounted for the rise of Tuscan banking in the
first p1ace. And no one profited more th.an the Florentines from the soaring fortunes of the
papacy as a secularpower at the end ofthe Middle Ages [ ... ].,,218
Erneut entstand diese Beziehung jedoch zunächst über die Produktion bzw. den
Handel, da die Kurie enormen Bedarf an Luxusgütem, vornehmlich Stoffen und
Goldarbeiten zeigte.
"With the growth of the papal capital as a market for Florentine cloths, Florentines became
even more conspicuous. dominating virtually every aspect of the rapidly expanding luxury
Irade. Moreover, the capital accumulated from these commercial profits was available for
investment in the papacy itself, now More than ever in need of funds to pursue its policy of
state-buildlllg in central Italy. It was thus that Florentines were able to dig deeper and deeper
into papal finances as treasurers and tax collectors, at times virtually taking over the fiscal
administration of the papal state and claiming possession of the papal tiara itself as
security.,al'
Über ihre Handelstätigkeit entdeckten die Florentiner die Kurie als ausbaufähigen
Kunden für sich.
Sie erkannten den doppelten Charakter der Kirche als einerseits funktional operie-
renden Staat, der verwalten, repräsentieren und Kriege führen musste, und als geistige
Institution andererseits. Dass hieraus ein Spannungsverhältnis und Anforderungen
erwuchsen, erfassten die Florentiner rascher als andere. Gleichzeitig "schenkten die
Päpste den Florentiner Bankiers mehr Vertrauen als den Sienesem, weil sie, die
gleichzeitig Industrielle und Kaufleute waren, alle Lebensgebiete ihrer Stadt
beherrschten, auch die Politik".220 Die Florentiner kannten sich in dem weltlich-
administrativen Aspekt der Staatsfiihrung aus und brachten überdies eine besondere
Kenntnis in finanziellen Dingen mit. Dies schuf eine Vertraueosbasis, auf welcher die
Florentiner die Kirche als Partner gewinnen konnten.
Dabei fußt der rasche Aufstieg des Bankenwesens auf einer maßgeblichen Innovation,
welche von den Florentinern früher erkannt und umgesetzt wurde als anderswo: dem
Wechsel. Dies steht, wie die Ausfiihrungen in Kapitel 3.3.1 zeigen werden, in einem
eigentümlichen Spannungsverhältnis zu der beschriebenen Tatsache, dass einer der
Hauptkunden des florentinischen Bankenwesens die Kirche war.
Die Historiker Doren, Goldthwaite und Ehrenberg stimmen darin überein, dass eine
enge interdependenz des Kreditgeschäfts tnit dem Handel bestanden hat, dass also das
Kreditgeschäft in gewisser Weise aus den Erfordernissen des Handels hervorging.
221 Schon Ehrenberg hebt als zweifelsfrei hervor, dass es Italiener waren, welche den Wechsel in den
europäischen Handel einführten und ,.den Wechselverkehr beherrschten", und dass die Florentiner
hier schneller vorangingen als alle anderen. Ehrenberg, R. (1990): Das Zeitalter der Fugger,
Geldkapital und Krcditverkehr im 16. Jahrhundert, Bd. 1, S. 52.
222 Vgl. Jäger, E. L. (1878): Der Traktat des Lucas Pacioli von 1494 über den Wechsel, S. 14.
3.3 Strukturelle Innovationen der Wirtschaft 79
Große Einstimmigkeit herrscht unter den Historikern zudem dsrüber, dass die Erfin-
dung des Wechsels die bedeutendate wirtschaftliche Entwicklung der Frührenaissance
war, da er deu Beginn des bargeldlosen Zahlungsverkehrs markiert und in der Folge
ein bedeutender wirtschaftlicher Stimulus gewesen ist.
So zeigt Doren an deu zwei unterschiedlichen Formen des Wechsels, dem Münzwech-
sei und dem daraus folgendeu Kreditwechsel, auf, welche sich aus der internationalen
Handelstätigkeit ergebendeu Bedürfnisse damit erfüllt werden konnten: Der Münz-
wechsel war eine Erfindung, die Beschwernis und Gefahren vermied, welche mit
Bargeldtransporten über lange Land- und Seewege einhergingen, da Schiffe, Post- und
Hande1skutschen zu Zeiten des ausgehenden Mittelalters beliebtes Diebesgot waren.
Zudem konoten in einem Wechsel gleich die in anderen Ländern üblichen Währungen
berechnet werden, so dass es nicht zu für viele noch verwirrendeu Umtauschsktionen
kommen musste. Das Münzwechselpapier erlaubte es somit zunächst, sich ohne
Bargeld auf Handelsreisen zu begeben. Dabei scheint historisch nicht eindeutig geklärt
zu sein, ob die verschiedenen Funktionen der Wechsel tatsächlich erst nach und nach
entwickelt oder von Beginn an gleichzeitig genutzt wurden. Doch drängt sich eine
bestinonte Sicht der Chronologie auf:
,,Als bedeutendste [Entwicklung; J. F.] erscheint der schon zu Ende des zwölf-
ten Jahrhunderts nachweisbare Wechsel, zuerst, wie sein Name sagt, auftretend als Mittel zur
Umwechslung differenter Geldsorten, hauptsächlich aber als eines der möglichst risikolosen,
Arbeit und Kosten sparenden Geldübertragung von Ort zu Ort, bald auch in seiner für die
ganze Zukunft entscheidenden Form der Kreditnahme, als welche er mm zum wichtigsten
Vehikel der internationalen Kreditvennittlung geworden ist [ ... ].'o2l3
Monaten verfügbar war, wie überhaupt regclmässig dann, wenn der Aussteller des
Wcchselbricfes die Initiative zum Abschlusse des Geschäftes ergriffen hatte, erhielt dasselbe
bereits den Charakter eines wirklichen Wechselgeschäftes. ,0224
Den Übergang vom Handel zum Kreditgeschäft darf man sieb sicherlich als solches
zunächst schrittweises Geschehen vorstellen. Offenbar entwickelte sich so aucb die
Einflechtong des Wechsels in das existierende Wirtschaftsgeschehen.'"
Doch fiihrte dies, wie Goldthwaite ausfiihrt, bald zur Entstehung eines wei1reichendeu
Handelsnetzes, dessen zentrale Akteure die Florentiner blieben: "With 1he possibility
of traosferring credit throughout !bis vast commercial system, stretching across the
Mediterranean aud western Europe, the Italians also created a financial infrastructure,
becoming Europe's preeminent internatiuna1 bankers [ ... ].,,227 Die Erfindung des
MünzwechseIs wird dem späten Mittelalter zugeordoet, der Kreditwechsel folgte bald
darauf und in der Frührenaissance hstten führende Baokiersfaotilien wie die Bardi und
die Perruzzi bereits Filialen in allen wesentlichen Handelszentren.
Auch Goldthwaite findet die Ursprünge des Kreditwechsels im Haudel und beschreibt
die Entwicklung des Kreditgeschäfts als einen nahezu natürlichen Vorgang, welcher
auch eine wachsende Bedeutung für den Staat einzunehmen begann: "The most
important function banks performed for the state in !bis capacity as agencies of
payment was to make credit available to it, especially for payments abroad.,,228
Ehrenberg und Goldthwaite lassen auch eine Schlussfolgerung zu der Frage zu, woher
diese neuen Baokiers eigentlich stammten. Offenbar hat es sich hierbei bereits um die
"unternehmeode Klasse" gehandelt, dereo Angehörige daotit begannen, das
Kreditgeschäft als eineo zunächst kleineo Teilaspekt ihres Kerngeschäftes auszubaueo.
In deo meisten Fälleo wareo es also diejenigen Unternehmer, welche ihr Tätigkeitsfeld
bereits im Handel und in der Tuchproduktion hatten. Dies zeugt zum einen von einer
erheblichen Agilität im Ausbau des bestehendeu Geschäftes und zudem von einer
Bereitschaft zur Risikodiversifizierung.
Dem zugrunde liegt sicherlich ebenso die grundsätzliche Erkeon1nis, dass mit dem
Einsatz von Fremdkapital größere und daotit auch gewinnbringendere Geschäfte
gemacht werdeu können. Der Historiker Antal beschreibt die Baokiers an dieser Stelle
sehr bildhaft in ihrer Vielseitigkeit:
,,Die gleichen Bürger von Florenz, die die größten Industriellen und Kaufleute der Welt
waren, waren auch ihre führenden Bankiers. Die Handelsbüros der florentinischen Welt
waren gleichzeitig Wecbselbanken. Produktion, Handel und Geldverleih lagen in denselben
Händen. Die einzigartige und weltumfassendc Macht der höheren Mitte1klasse von Florenz
beruhte auf dieser Gleichzeitigkeit. Sie fiihrte dazu, daß das Arbeitskapital der großen Firmen
vermehrt und daß Risiken achtsam verteilt werden konnten ...:2.29
Besonders der Aspekt der Gleichzeitigkeit ist an dieser Stelle interessant, die Tatsache
also, dass diese florentinischen Kanfleute ihre Aufinerksamkeit teilten und in den
jeweiligen Einzelaspekten ihre Gesamttätigkeit vertieften. Die intensive Verflechtung
der verschiedenen Geschäftsfelder belegt, dass sie die Anregongen, welche sie in
einem Feld erhielten, in ein anderes integtierten und sontit aus dem Flickenteppich ein
stimmiges, ausbaufiihiges Bild zu schaffen verstsnden. 230
und dem Landbesilz ausgeschlossen waren. Von ihren meist christlichen Schulduem
hatten sie in der Folge ührigens anstelle einer Rückzahlung nicht selten Strafe und
Verfolgung zu erwarten.'"
Die geschickte Anwendung des Wechsels bot den italienischen Bankiers und
Haodelsleuten nun einen eleganten Ausweg aus der glücklicherweise eng umschrie-
benen Sücdenbeschreibung durch die Kirche. Dies belegt de Roover in einer Analyse
der Texte zweier zeitgenössischer Renaissancedenker:
"Contrary to what many believe, bankers did not simply disregard the usury doctrine, but
they made an effort to comply. Theu task. was made easier because th.e th.eologians gave such
a narrow definition ofusury. To discount commercial paper would have been taking interest
on a loan. Since this was ruled out, the bankers bad to find another way, preferably approved
by th.e thcologians, of granting credit at a profit A favorite method was to deal in bills of
exchange, which in the Middle Ages were not just mandates to pay but always involved an
exchange transaction. as the name clearly indicates. Tbe bankers argued that it was perfectly
legitimate to give ducats in Venice or florins in Florence in order to receive pounds sterling
in London or pounds tournois in Paris, because this was no longer a loan but a cambium, or
an exchange contract ..234
Die Anwendung des Wechsels basierte also auf der Grundlage einer geschickten
Umgehung des Sündentatbestandes."5 Es ist anzunehmen, dass die Erkenntnis der
Möglichkeit, den ursprünglichen Währungswechsel zum Kreditinstrument auszuwei-
ten, ebenfalls durch die Intemationalität des Handels inspitiert worden war. Erst durch
die eigene Erfahrung, wie mühsam es ist, Münzen in eine andere Währung umzutau-
schen, konnte der bargeldlose Münzwechsel entstehen. Der Kreditwechsel entstand
dann aus der Erkenntnis, dass diese Tätigkeit ihrerseits Geld wert ist und außerdem,
anders als Zinsen auf einen regulären Geldverleih, nicht mit dem Sündenregister der
Kirche im Widerstreit steht.
Dies ist vor allem insofem ein wichtiger Tatbestand, als es zumeist der Adel und der
Kleros gewesen sind, welche Geld in größeren Mengen abgefragt haben. Diese
Tatsache lag vor allem darin begründet, dass die Kirche ihre Ablasszablungen in der
ganzen christlichen Welt einforderte und ein Großteil dieser Zahlungen zunächst ihren
Weg nach Rom finden mussten, um dano des weitereo dort verwaltet und redistribuiert
zu werden. Ähnliches galt für den Adel, welcher die Gelder seiner Lebnsherreo
einholen, transportieren und schließlich ebenso verwalten musste. Sowohl die Kirche
als auch der Adel wareo vor der Einfiihrung des Wechsels gezwungeo, dies illegal zu
tun, und hatten dabei den Geschäftszweig der Juden gestärkt - sehr zum eigentlichen
Unwillen der Kirche.
Doreo fiihrt dies maßgeblich auf den Erfindergeist der Italiener zurück: ,,Der Kreditie-
rung des KauJi>reises tritt als weitere neue Fonn kreditwirtschaftlicher Wertübennit-
telung eine andere zur Seite: zu der zeitlichen Distanz gesellte sich wohl anfangs we-
nigsteus die örtliche, insofern aus ihr die Verschiedenheit der Geldmünzen entspringt,
um das zukuuftsreichste aller Kreditmitte~ den Wechsel, aus den Forderungen des
Handelslebens der Zeit und dem Erfindergeist der Italiener neu geboren werden und
bald zu einem essentiellen Element des modemen Wirtschaftslebens sich entwickeln
zu lassen.",236 Die Innovation des Wechsels war somit ausschlaggebend für die
jahrzehntelange wirtschaftliche Vormachtstellung der Italiener im Bankwesen.
3.3.2 Die doppelte Buchjührung und ihre Bedeutungjür die Entstehung des
Kapitalismus
.. Welche Vorteile bezieht der KDufmann aus der doppelten Buchführung? Sie gehört mitunter
zu den besten E1findungen des Geistes. ,,2J7
So stellt Penndorf in der Einleitung zu seiner Übersetzung von Luca Paciolis Schtiften
in Hinblick auf die toskanische Buchfiihnmg und unter Rückbezug auf die Schtiften
Beslas fest:
,,Diese Entwicklung bestätigt die bereits von Besta aufgestellte Behauptung, daß die doppelte
Buchhaltung nicht von den alten Griechen und Römern übernommen worden ist, sondern daß
sie eine neue Form der Buchhaltung ist, die im Wirtschaftsleben Italiens im vierzehnten
Jahrhundert entstanden ist, sie zeigt aber auch. daß die einfache Buchhaltung die Vorstufe der
doppelten gewesen ist .ol33
Wie die Forschung zeigen konnte, ging das Verfassen seiner Venezianischen Methode,
wie Pacioli die Buchführung zunächst nannte, vornehmlich aus einer intensiven
Korrespondenz mit italieniscben Kaufleuten hervor.
Gabele und Mayer definieren Buchhaltung als "die Erfassung, V CIbucbung und
Dokumentation von Geschäftsvorfällen".239 Das Prinzip der doppelten Buchfiihnmg
basiert auf einer einfachen Grundidee: Ein Vorgang soll, so die Anweisung Paciolis,
immer zweimal vermerkt werden, einmal auf der aktiven Seite, beispielsweise als der
aktive Verkauf von einer Einheit der Handelsware, und einmal auf der passiven Seite,
denn durch den Verkauf muss der Bestand an Handelsware um dieselbe Einheit
vertingert werden. So entsteht zum ersten Mal in der Geschichte ein klarer Einblick in
und vor allem ein schneller Zugriff auf die Gesamtlage des Unternehmens. So schuf,
wie es Hesse prägnant zusammenfasst, die Methode Pacialis "die Voraussetzung für
weit kapitalintensivere Unternehmungen als zuvor und war ein wichtiges Instrument
für das Entstehen des Kapitalismus".24O
Bedeutung
Vorderhand gelang es Pacioli also, ein Instrument zu schaffen, welches Ordnung in die
komplexer werdenden finanziellen Angelegenheiten der italienischen Kaufleute zu
bringen vennochte. Die Komplexität entstand maßgeblich aus der Vielzahl an
Unternehmungen, die ein Unternehmer zu dieser Zeit auf sich vereinigte, sowie deren
stetig sich vertiefender Verflechtung. Die Buchfiihrung erlaubte es, auch bei innner
stärker differenzierten Geschäftsfeldem eines Unternehmers den Überblick nicht zu
verlieren. So waren beispielsweise die Handelssparte, der Geschäftszweig der
Tuchproduktion und die Ausgaben für außergeschäftliche Engagements wie die Kunst
nebeneinander darstellbar.
Die Buchhaltung diente damals wie heute als Nachweis des geschäftlichen Erfolgs und
Misserfolgs und somit vielfach auch als Grundlage für weitergehende unternehmeri-
sche Entscheidungen. ln gewisser Weise gelang es mit der Erfindnng der Buchhaltung,
Entwürfe zu schaffen: Wirtschaftliches Handeln konnte von nun an mit einem Blick
auf die Zukunft entworfen werden und Visionen ließen sich verschriftlichen und mit
Zahlenbeispielen belegen.
Die doppelte Buchführung ist eine wesentliche Innovation, welche ihrer Struktur nach
neue Anschlussinnovationen erst ermöglichte. Sie bildete deshalb die Basis für
kapitalintensivere Unternehmungen, weil Vorgänge dnrch die Visibilität in dem neuen
System transparenter und somit mit Hinblick auf die Zukunft steuerbar wurden.
Insofern begannen Menschen über die Erfiillung unmittelbarer Bedürfirisse
hinauszugehen und die Zukunft bis zu einem gewissen Grad planbar zu machen. Die
inzwischen klassisch gewordenen Autoren Max Weber, Wemer Sombart, Alfred 00-
ren und Josef Schumpeter, welche sich jeweils aus ihrer Perspektive und mit ihreru
wissenschaftlichen Ausatz mit dem Begriff des Kapitals auseinandergesetzt haben,
leiten aus der Buchfiihrung den eigentlichen Begriff des Kapitals sowie letztlich des
Kapitalismus ab und charakterisieren als dessen Hauptakteur den Unternehmer.
240 Hesse, H. (2006): Der Pacioli-Code, entnommen aus Die Zeit, online einsehbar unter:
http://www.zeit.de!2006/24/Der_Pacioli-_Code.
3.3 Strukturelle Innovationen der Wirtschaft 87
'" Vgl. Sombart, W. (1924): Der moderne Kapitalismus, Bd. 1/1, S. XII.
242 Vgl. Ladwig, P. (2004): Das Renaissancebild deutscher Historiker 1898-1933. S. 38.
143 Ebd., S. 68 in der Fußnote Nr. 133.
88 3. Die Renaissance des Handels und der Wirtschaft
Weber hält somit den Aspekt der Vorausplanung und der Einschätzung von Möglich.
keiten als wesentliches Element der doppelten Buchführung fest. Weiterhin weist
Weber auf die der Buchhaltuog inoewohnende Beimessung vnn Werten zu den
Gegenständen hin, welche es erlaubt, eine Rentabilitätsknntrolle der gesamten
Geschäftstätigkeit zu erzielen und auch einzelne Geschäftsdivisinnen zueinander in
Beziehung zu setzen. Ein Instrument also, welches vor allem fiir den florentinischen
Kaufinann einen unschätzbaren Wert dargestellt haben muss, da er hiermit seine sich
zunehmend diversifizierende Geschäflstätigkeit im Blick behalten knnnte.
Dariiber hinaus hält Weber optimale Berechenbarkeit fiir die Grundlage optimaler
Kapitalrechnung. Die doppelte Buchhaltuog ermöglichte eine plastische Darstellung
vnn noch gar nicht getätigten Geschäftsvorgängen und deren geschätzten Geschäfts·
werten und war somit gleichsam die Basis optimaler Berechenbarkeit. Weber stellt
hier die optimale Kapitalrechnung in die logische Konsequenz der neu geschaffenen
Berechenbarkeit.
Auch Pacioli beschreibt damit den Aspekt der Überwindung des aktuellen Wertes
einer Sache zugunsten des zukönftig zu erzielenden Gewinos oder des könftigen
Geschäftswertes. Er regt den Leser an dieser Stelle konkret an, weiter zu denken, eine
244 Weber, M. (1980): Wirtschaft und Gesellschaft: Grundriß der verstehenden Soziologie, bg. v.
Winkelmann, J., S. 48-49.
'" Penndorf(1932), S. 105.
3.3 Strukturelle Innovationen der Wirtschaft 89
Berechenbarkeit festzulegen und über den aktuellen Wert der Dinge hinaus zu planen,
um einen möglichst sicheren Gewinn erzielen zu können. Dieser angestrebte Gewinn
ist in gewisser Weise bereits die von Weber beschriebene Kapitalrechnung.
In ähnlicher Weise haben sich auch Sombart'" und Schumpeter mit dem Einfluss der
doppelten Buchführung auf die wirtschaftliche Entwicklung im Allgemeinen befasst,
wobei sie so weit geheo, das Konzept des Kapitals darauf zurückzuführen. So konsta-
tiert Sombar!: "The very concept of capital is derived from Ibis way of looking at
things; one can say that capital, as a category, did not exist before double-entty
bookkeeping. Capital can be defined as !hat arnount of wealth which is used in msking
profits and which enters into the .ccounts.''''' Weiterhin bescheinigt Sombart der
Entwicklung der Buchhaltung auch einen entscheidenden Beitrag zur Entwicklung der
Dynamik des Unteroehmertums. Sombart sieht letztlich in der Buchhaltung den
Grundstein für die historische Entwicklung ökonomischer Rationalität. "Through
double-entry bookkeeping possibilities and stimulants were ereated so that the ideas
inherent in the capitalistic economic system could come to fulI development: the ideas
of acquisition and economic rationalism.. ,,248
Sombart geht hierbei von drei konstitutiven Elementen .us: dem Geist, der Form und
der Technologie. Der kapitalistische Geist betreffe den ökonomischen Weitblick und
bestehe wiederum aus drei Determinanten: der Akquisition, dem Wettbewerb und der
Rationalität. Sombart sieht diese Elemente in einem starken Gegensatz zu der
mittelalterlichen Idee, "sein Leben zu verdienen,,:249
"The purpose of economic activity under capitalism is acquisition. and more specifica1ly
acquisition in tenns of money. The idea of increasing the sum of money on hand is the exact
opposite of the idea of earning a livelihood, which dominated al1 precapitalistic systems,
246 Sombart sieht sich in seinem Verständnis von Kapitalismus dem von Weber sehr verbunden. So
schreibt er: "Versuche zu einer positiven Weiterbildung oder schärferen Fassung des Begriffs sind
in diesen Kreisen nur wenige unternommen worden. Am beachtenswertesten erscheinen mir die
noch genauer zu prüfenden Ausführungen Max Webers und Friedrich Naumanns." Sombart. W.
(1909): Der kapitalistische Unternehmer, S. 691, in: laffe, E. (Hg.): AIchiv für Sozialwissenschaft
und Sozialpolitik.
247 Sombart. W. (1953): Medieval and Modem Commercial Enterprise, in: Lane, F. C.I Ricmersma, J.
(Hg.): Enterpris. and Secular Change, S. 38.
248 Sombart. W. zitiert in: Winjum, J. O. (1972): The Role of Accounting in the Economic
Development of EngIand.: 1500-1750. Urbana, m.: Center for International Education and
Research in Accounting, S. 21; siehe auch Sombart, W. (1967): The Quintessence of Capita1ism,
S. 125-127.
l49 Diesen Sachverhalt betont Sombart immer wieder, so auch in seinem Werk Der kapitalistische
Unternehmer. wo er in seiner Kapitalismusdefinition die ,,marktmiißige Organisation" welche
Leistung und Gegenleistung in ihr Syst<m integriert, klar gegen die ,,Fronhofwirlscllaft des
Mittelalters" abgrenzt. Vgl. Sombart (1909), S. 694.
90 3. Die Renaissance des Handels und der Wirtschaft
Nicht nur markiert nach Sombarts Auffassung die Buchfiihruog also einen
Wendepunkt in der ökooomischen Denkweise, soodem er vermutet, dass sie die
aufkeimende ökonomische Rationalität der Menschen bef<irdert hat und i1men
ermöglichte, einen ökonomischen Plan zu entfalten.
Sombart zeigt, wie man sagen könote, eine aus der Buchfiihruog entstehende neue
Sichtachse auf: die Entstehung des Kapitalismus und das damit einhergehende Prinzip
des Unternehmerischen, welches wirtschaftliches Handeln nicht nur mehr am Ziel der
persönlichen Bedarfsbefriedigung orientiert sein lässt, sondero vielmehr darauf abzielt,
etwas Größeres, jenseits des unmittelbaren Nutzenprinzips entstehen und wachsen zu
lassen.
Sombart stellt in Bezug auf das neu entstehende Phänomen des Unternehmens im
kapitalistischen Sinne fest:
,,Modern capitalism made its appearancc with the development of the capitalistic en.terprise.
It rcpresents the form. through which an independent cxistence is grantcd to business as such.
By the combination of aI.l simultaneous and successive business transaetions into a
conceptual whole, an independent economic organism is crcated over and above thc
individuals who constitute it. This entirety appears then as the agen.t in each of these
transactions and leads, aa it were. a life of its own, which often exceeds in length that of its
human members. This integrated system ofrelationships treated as an entity in the sciences of
law and accounting becomes independent of any particular owner; it sets itselftasb, chooses
250 Sombart, WJStehr. N.lGrundmann. R. (2001): Economic life in the modern. age, S. 6 (zitiert nach
der 1930 in englischer Fassung erschienenen Encyclopedia of the Social Sciences).
1St Ebd., S. 8-9.
3.3 Strukturelle Innovationen der Wirtschaft 91
means for their realization, forces men into its path, and carrics them off in its wake. It is an
intcllcctua1 construct which acts as a material monstcr.,an
Diese Abspaltung als eigenständiger Organismus, als welche Sombart die Entstehung
des kapitalistischen Unternehmens beschreibt, war nur möglich, weil Menschen die
Fähigkeit hatten, über bestehende Grenzen eines Bereichs hinauszudenken, weil es
Räume gab, in denen die unterschiedlichsten Felder miteinander in eine dynamische
Begegnung treten konnten. Konkret beginnt an dieser Stelle die Idee eines Unter-
nehmens als eine sich erschaffende Identität aus der Interseetion der unterschiedlichen
Tätigkeitsfeider. Um jenes die Gegenwart ttanszendierende Denken aber überhaupt
möglich werden zu lassen, bedarf es einer Alt Basis, bei der die Gedanken- und später
die Geschäftsstränge zusammenlaufen - der Bucbbaltung. Sie machte es möglich, dass
getrennte Geschäftseinheiten zueinander in Beziehung gesetzt werden konnten.
Hierdurch wurden Berübrungspuokte sichtbar, welche wiederum eine gegenseitige
Befruchtung eigentlich getreonter Bereiche ermöglichten. Dies wird durch die
Definition eines Untemehmens als eines intellektoellen Konstrukts noch verstärkt.'"
Somit gelangt Sombart zu dem Zwischenergebnis, dass die eigentlich "treibende Kraft
im kapitalistischen Wirtschaftsprozess das Interesse des Untemehmers an seinern
Geschäft, die Sorge um das Wohlergehen der Unternehmung ist',.256 Diese Besorgnis
um das Wohlergehen der Unternehmung wiederum spiegelt sich ebenfalls insofern in
der doppelten Buchfiihrung wider, als diese zudem Planungssicherheit schafft und
somit den ,,natürlichen" Geschäftssinn zur vollen Blüte trägt. Das für das Mitrelalter
charakteristische unntitrelbare Interesse an bzw. die Sorge für die direkte Nutzen-
befriedigung für Hof und Familie wurde auf einen größeren Organismus übertragen,
welcher für sich genommen eine Dynamik entfaltete und die Ziele weit über das
Unmitrelbare hinsus stecken ließ.
Wie Sombart stellt auch Schumpeter den Kapitalismus und die Buchhaltung in einen
direkten Zusammenhang.'" Bei ihm stehen der Unternehmer und dessen Schöpfung
"das Unternehmen" im Zentrum der Forschung, hingegen steht der Autor dem
Kapitalismus grundsätzlich eher kritisch gegenüber. Insofern ist sein Blickwinkel auch
weniger systemisch als der von Sombart und Weber, als viehnehr spezifischer auf das
Unternehmerische fokussiert. So lautet sein Verständois von Kapital wie folgt: ,,Das
Kapital ist nichts andres als der Hebel, der den Unternehmer in den Stand setzen soll,
die konkreten Güter, die er braucht, seiner Herrschaft zu unterwerfen, nichts andres als
ein Mittel, über Güter zu neuen Zwecken zu verfUgen oder als ein Mittel, der
Produktion ihre neue Richtung zu diktieren.''''' An dieser Stelle stärkt Schumpeter den
Gedanken des Entworfs, indem er die bestehenden Güter nicht als Endziel, sondern als
Gegenstsnd betrachtet, welcher neuen Zwecken dienlich gemacht werden soll. Das
Kapital wirkt für ihn in der Folge als richtungsweisende Hebelkrafl.
256Ebd., S. 706.
257Tatsächlich waren sowohl Doren als auch Sombart, Weber und Schumpeter beteiligt an der
Kontroverse über die kulturelle Bedeutung des Kapitalismus. Vgl. Ladwig (2004), S. 68.
'" Schumpeter, J. (1997): Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, S. 165. (Scbumpeters Studie war
zuerst 1934 erschienen.)
3.3 Strukturelle Innovationen der Wirtschaft 93
Weiterhin postuliert Schumpeter, dass die Entstehung der Buchhaltung der Wegbe-
reiter in der Entwicklung rationaler oder, wie wir heute auch sagen: wirtschaftlicher
Entscheidungen und Abwägungen gewesen ist. In diesem Verständois von Rationalität
divergieren Sombart und Schumpeter. Während Sombart die Entstehung ökono-
mischer Rationalität als Grundlage der rechnenden, kapitalistischen Untemehmens-
auffassung betrschtet, sieht Schumpeter den Kapitalismus als BefOrderer ökonomi-
scher Rationalität. Diese Rationalität wiederum setzt laut Schumpeter einen Hebel von
enormer Kraft in Bewegung, welcher aeinerseits auf aodere Lebensbereiche Einfluss
nimmt, was Teil seiner Grundkritik am Kapitalismus ist
So hält er fest:
,,Derart für den wirtschaftlichen Sektor definiert und quantifiziert beginnt nun diese Art von
Logik oder Haltung oder Methode ihre Eroberungslaufbabn: sie untenvirft: - rationalisiert -
die Werkzeuge und Philosophien des Menschen, seine Tätigkeit als Arzt, sein Bild des
Kosmos, seine Lebensauffassung, de fu.cto alles, einschließlich seiner Vorstellungen von
Schönheit und Gerechtigkeit und seiner geistigen Ziele.,0261
259 Scbumpeter, J. (2005): Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, S. 202. (Die Studie war zuerst
1942 erschienen.)
260 Ebd., S. 202.
261 Ebd.
94 3. Die Renaissance des Handels und der Wirtschaft
Diese Feststellung Schumpeters ist von herausragender Bedentung fiir die Kemthese
dieser Arbeit. Schumpeter als einer der wichtigen Vertreter der wirtschaftswissen-
schaft\ichen Theoriebildung unterstellt also dem ratioua1, kapitalistisch agierenden
Unternehmer dieselbe Geisteshaltung wie dem Künstler. Im Übrigen prägt Schumpeter
in diesem Zusammenhang den beinahe schon elementaren Begriff des Unternehmeri-
sehen als eines .,Prozesses der schöpferischen Zerstörung" .264
262 Hier bezieht sich Schumpeter auf die Professoren italienischer Universitäten zur Zeit der
Renaissance, welche mit jenen Künstlern konfrontiert gewesen sllui und im Verständnis
Schumpeters ihren schroffen Individualismus kritisierten, in welchem die Künstler offenbar dem
zerstörerischen Geist des Kapitalismus folgten.
263 Ebd., S. 203.
264 Auf diesen Begriff und seine Bedeutung fiir die Definition des Unternehmers wird im dritten Teil
dieser Arbeit ausführlich eingegangen.
26S Carruthers, B. GJNelson Espeland" W. (1991): Accounting for Rationality: Doublo-Entry
Bookkceping and the Rhetoric ofEconomic Reality, S. 3, in: The American Journal of Sociology,
Vol. 97, No. 1 1991, S. 33.
3.3 Strukturelle Innovationen der Wirtschaft 95
Weiterhin zeigen Carruthers and Nelson auf, welche Möglichkeiten dem Unternehmer
durch diese Innovation zuwachsen:
,,ACCOlDlting makes it possible for capitalists to eva1uate rationally the consequences of their
past decisions. They can calcu1ate exactly th.e resources available to them and those that will
be forthcomiDg in the future. Capitalists can use the information provided by an account to
assess and compare various alternatives for invesbneDt. u266
Die Autoren sprechen also der Techoik der doppelten Buchführung die Möglichkeit
zu, aus der objektiven Beurteilung des Verhältnisses von Kosten und Nutzen bei
vergangenen Geschäften Einschätzungen für zukünftige Unternehmungen abzuleiten.
Dadurch wird es dem Unternehmer möglich, eine genauere Einschätzung über den
Einsatz von Mitteln für die Zukonft zu bekommen und somit einen strategischen
Wettbewerbsvorteil gegenüber der Kookurrenz zu erlangen.
Auch von Martin sieht ähnlich wie Sombart die mit der Buchführung eröffnete
Möglichkeit der Vorausberechnung als zentralen Faktor für die Entwicklung eines
unternehmerischen Deokens. Interessant ist dabei seine Wortwahl:
,,In ganz anderem Sinne ,unternehmende' Ziele konnte man sich setzen, seit man sie mit
völlig rationalen Mitteln fördern konnte, wie sie in der Konsequenz der Ausnutzung der
durch das Geld gegebenen Möglichkeiten lagen - seit der rechnende und berechnende, die
Zukunft vorausberechnende Kaufmannsgeist, wie eine Wirtschaftskunst, so auch eine
Staatskunst und Kriegskunst - Staat und Krieg als ,Kunstwerke' betrachtend zu schaffen
vermochte.•0267
Interessanterweise verwendet von Martin hier den Begriff des Kunstwerkes für die
grundsätzliche Neuorientierung, die den Zeitgeist der begiunenden Renaissance prägt.
Unter dieser Neuorientierung fasst er auch die untemehmerischen Ziele zusammen,
welche man nun mit Mitteln der Ratio, und genau hierunter fant die Buchführung,
vorausberechnen und somit planvoll entwerfen konnte. Der Begriff des Kunstwerks ist
somit für von Martin nicht auf die Kunst beschräokt, sondem viehnehr auf das
Gesamtgeschehen anwendbar. Die Bezeichnung des Kunstwerks verdienen
Gegenstände vermutlich durch die neue mit Bedacht gewählte Form, welche ihnen in
dieser Epoche gegeben worden ist. Sie wurden somit in gewisser Weise in neuer
Originalität erschaffen'''. In Bezugoabme auf den unternehmerischen Zeitgeist, der
durch neue rationale Mittel eine "Wirtschaftskunst" zu gestalten begann, gibt er der
hier verfolgten Forschungsfrage einen Akzent, welcher dem von Schumpeter nicht
nnähnlich ist
Die Forscher sind sich überdies einig, dass sich aus der systematischen Erfassung von
Erfolg die weitere Rationalisierung in der allgemeinen Entscheidungsfindung ableitet.
Mit einern Blick auf die Geschichte der grundlegenden juristisch-wirtschaftlichen
Institutionen stellt beispielsweise Doren die doppelte Buchführung in einen direkten
Zusammenhang mit dem Erzielen wirtschaftlichen Erfolges.
,,zunächst wurde der Begriff des handlungs- und rechtstähigen Kaufmanns selbst festgelegt,
ferner der der Firma, der dem Altertum fremd war, und der sie repräsentierenden
HandelSlIllUke neu gebildet. [... ] Der Wirtschaftserfolg der Finna findet seinen Niederschlag
in der Buchführung, die mit erstaunlicher Schnelligkeit zur Möglichkeit jc:detzeitiger
Nachprüfung des Geschäftsstandes und zum Mittel völliger Rationalisierung der
Geschäftsführung ausgebaut wurde...269
Guldthwaite, der mit den zitierten Autoren in der Wahrnehmung des Stellenwerts der
Buchführung für die Entwicklung unternehmeriseher Rationalität übereinstinnnt,
verweist jedoch darauf, dass interessanterweise trotz des stetig fortschreitenden Pro-
zesses der Rationalisierung traditionelle Werte und gleichennaßen viel Individuelles
verstärkt in der Gesellschaft zum Tragen kam. Dies fiihrt Goldthwaite in Ansätzen auf
die enge Verflochtenheit persönlicher Beziehungen zurück, die bereits als wichtiger
Faktor innerhalb der sozialen Rahmenbedingungen der Kunst angesprochen wurden.'70
So betrachtet Guldthwaite die Bücher der jeweiligen Unternehmungen in der Fonn der
doppelten Buchführung auch als ein Dokument der Verflechtung unterschiedlichster
Geschäftsfelder wie auch unterschiedlichster persönlicher Beziehungen.
Dabei war die doppelte Buchführung auch dasjenige Instrument, welches diese
Verquickung erst ennöglichte, ohne dass man den Überblick verlor.
"That the oider valucs of a man:: casual regime in which personal considerations must have
counted far much survived (lan be surmised from the account books themselves. If on the ODe
band thesc documents by their very nature would seem to be the evidence for the reduction of
economie relations to a formal record, on the other band a eloser reading ofthem. revea1s also
an extraordinary looseness and fl.eXJ.oility in arrangements for actual payment in which
personal considerations eame into play. Florentines were meticu10us and disciptined record.
keepers - even artisans kept detailed accounts according to the highest eontemporary
standards of accounting practiee, ineluding double entry; and in their extensive economie
relations among one another as warkers and employers and as private persons and businesses
they were forever substituting book transfer of debits and eredits for cash payment Personal
accounts in private ledgers, in other words, functioned somewhat like current accounts in a
bank:: one eould draw on bis credit far transfer to a third party, he could da this by written
order, and thc transfer cou1d be passed on to a fourth party and evcn on to others by a mere
bookkeeping operation. ,a71
Es ist vielleicht kein Zufall und für die hier verfolgte Fragestellung von besonderem
Interesse, dass schon der Erfinder der doppelten Buchführung, Luca Pacioli, ein
bemerkenswert vielseitiger Geist war und insbesondere intensiv mit Künstlern
zusammenarbeitet hat.'72 So erhielt er seine erste Ausbildungsstelle bei dern Maler
Piero della Francesca. Dieser teilte nicht nur sein kunstbezogenes Wissen mit Pacioli,
sondern. unterwies ihn auch in der Mathematik. Dieses Wissen vertiefte Pacioli im
Laufe seiner Karriere. Eine weitere folgenreiche Begegnung, welche für beide
fruchtbar sein sollte, ist die mit Leonardo da Vinci gegen Ende seiner zweiten
Lebensbälfte.
Pacioli war zu dieser Zeit ob seines Rufes als hervorragender Mathematiker an den
Hof des mailändischen Herzogs Lodovico Sforza gerufen worden. Dort traf er auf
Leonardo da Vinci. Sie wurden enge Freunde und teilten sich ein Zimmer. Offenbar
unterstützte da Vinci Pacioli bei dessen Arbeit an De Divina Proportione, einer
Abhandlung über Proportionen und die Perspektiveschärfen. Hierzu hält Penndorf in
seiner biographischen Abhandlung zu Pacioli fest:
,,In seinem späteren Leben verband ihn engste Freundschaft mit den bedeutendsten Künstlem
der Zeit. Mit Leonardo da Vinci, dem Universalgenie, der gleichzeitig Mathematik,
Naturwissenschaft, Medizin, Kriegswissenschaft usw. behenschte, war er von 1496 bis 1499
am Mailänder Hofe. Leonardo lieferte auch die Zeichnungen zu Paciolis ,Divina
Proporti.one'. während Pacioli fiir Leonardo die Gewichtsmenge Erz für sein Reiterstandbild
des Fmncesco Sforza berechnete...273
Offenbar war ihr Miteinander für beide sehr produktiv, denn es fällt wiedernm in die
Periode ihres Zusammenseins, dass da Vinci seine Arbeit an dem berühmten
Abendmahl fertigstelIte, übrigens eines der ersten für die eindrucksvolle Anwendung
der Zentralperspektive gefeierten Bilder.
befruchtet haben. Öflhete die Zentralperspektive dem Publikum den Blick fiir neue
Dimensionen, so ermöglichte die Entwicklung der Buchfiihrung dem Betrachter den
Blick fiir das Wirtschaftliche, Unternebmerische. Dieses neue Instrument zeigte dem
Kaufmann vielseitige wirtschaftliche Perspektiven und Sichtachaen auf, welche es ihm
in der Folge erlaubten, eine neue Dimension wirtschaftlichen Handelus zu entwerfen.
Die Erfindung der doppelten Buchführung impliziert somit eine wesentliche
strukturelle Veränderung des (vorläufig) italienischen Wirtschaftsraumes.
274 Bei aller Betonung der in dieser Epoche stattfindenden Umbrüche unterstreichen die Autoren auch
immer wieder, dass es nicht eine plötzliche Abkehr von allem vorher Bestehenden war.
3.3 Strukturelle Innovationen der Wirtschaft 99
Indienststellung und Nutzung fremder Arbeitskräfte. [... ] Es ist der ,merchant adventurer' -
das Wort im weitesten Sinne, nicht im engeren der englischen Kaufleute gefaßt - [ ... ] der
Filubustier, dem. diese Welt bis in ihre äußersten bekannten Grenzen zu dienen hat, daß er sie
kennen1eme und - zunächst wirtschaftlich - sich Untertan mache [ .•• ] daneben wirkt das
Vertrauen auf die eigene Persönlichkeit und ihre virtU und auf die Kunst, das irdische
Glück. u27s
Weiterhin charakterisiert Doren die Figur des Unternehmers als einen der am klarsten
erkennbaren Menschentypen der Renaissance.
,,Dieser kauftnännisch-industrielle Unternehmer ist weit über die Sphäre seiner
wirtschaftlichen Tätigkeit hinaus einer der frühesten, klar erkennbaren Menschentypen in
jener langsam aus den mittelalterlichen Umk1ammerungen sich herausschälenden nenen
gesellschaftlichen Welt, die wir die Renaissance nennen [... ].,.xn
Diesen Menschentyp umschreibt Doren darüber hinaus als Bindeglied und Träger von
Kulturwerten. Der Renaissaneeunternehmer bewege sich als ,,Mittler" zwischen den
Welten und als vorwärtstreibende Kraft in dem Prozess der Entstehung des modernen
Wirtschaftsgebarens. Hierbei scheint insbesondere seine Vielseitigkeit, welche der des
Künstlers verblüffend ähnlich war, vorbildhaften Charakter für die Entwicklung der
modemen Gesellschaft gehabt zu haben. Auch dieser Aspekt wird in der Literatur
vielfach betont
rechnenden, wägenden, erfahrenen und daher die Möglichkeiten der Zukunft einigermaßen
richtig einschätzenden K.aufinanns als Grundlagen ihrer eigenen Gebarung bedur:ftc...27B
Die Qualitäten des Unternehmers waren Doren zufolge recht allumfassend, da seine
Fähigkeit zur Voraussicht und das geschickte Einsetzen rationaler Mittel ihn zu
beflihigen schienen, sein Tätigkeitsfeld auf andere Gesellschaftsbereiche auszuweiten.
Der Kaufmann kann, auch aufgrund der Einführung der Buchhaltung, Möglichkeiten
der Zukunft erfassen und umsetzen.
Die Analyse von Martins geht in eine ähnliche Richtung, setzt jedoch einen
zusätzlichen Akzent, indem er die Verquickung von Unternehmertum und politischem
Engagement bettachtet und somit die Ausdehnung des unternehmerischen Feldes auf
die Politik. Dies ist ein Merkmal, welches bei vielen führenden florentinischen
Unternehmerfamilien, darunter nicht zuletzt den Medici, zu beobachten gewesen ist.
Von Mattin beobachtet, dass es der Wirtschaflselite somit gelang, die Gewogenheit
des politischen Gerüstes den frühkapitalistischen Erfordernissen gemäß zu formen.
Die unternehmende Gesellschaftsschicht gestaltete also in gewisser Weise auch die
politischen Rabmenbedingungen zu ihrem Vorteil.
,,zu den neuen Zügen der frühkapitalistischen Kultm der Renaissance gehört es, daß Politik.
und Wirtschaft jetzt so eng aufeinander angewiesen sind, daß sie intcn::ssenmäßig gar nicht
mehr von einander getrennt werden können. [... ] Politischer und wirtschaftlicher Kredit sind
nicht mehr voneinander zu trennen; das Ansehen lDld der Ruhm, das Prestige des Staates
wirkt auch wirtschaftlich produktiv. Der Untcrnehmerstand macht, wie im Innern., so auch
nach außen hin den Staat seinen Interessen dienstbar.•0279
Dies legt den Schluss nahe, dass Florenz hierdurch ein Marktvorteil gegenüber and<>-
ren, weniger nach den Bedürfuissen des Kapitalismus orientierten Staaten entstanden
ist. So ist es sicherlich auch vor diesem Hintergrund, dass von Martin feststellt, der
Renaissaneeunternehmer habe einen entscheidenden Beitrag zu der wirtschaftlich
vergleichsweise sprungartigen Entwicklung geleistet, indem er die treibende,
integrative Kraft gewesen ist, welche die zuvor abgegrenzten Felder ineinanderfiihrte
und zu einern nenen, offenen Wirtschaftsbild zusanunenwachsen ließ:
,,Dem neuen Wirtschaftsmenschcn inhäriert eine vorwärtsdrängendc und expansive Trieb-
kraft, welche die gesicherte, in abgegrenzte Erwerbssphären aufgeteilte Welt - langsam aber
sicher - sprengt. So wird durch die Geld- und Kapitalwirtschaft die Entfaltung eines bis dahin
unbekannten wirtschaftlichen Untemehmergeistes möglich gemacht.•.2SO
Der Kunstsoziologe Antal, welcher sich in seiner Analyse des sozialen Umfeldes der
Künstler auch mit der Person des Renaissanceunternehmers auseinandergesetzt hat,
geht in seiner Beschreibung ebenfalls auf dessen Vielseitigkeit ein und beschreibt,
inwiefem dieser sich stets bereitwillig im Grenzbereich verschiedener Tätigkeiten
bewegt hat und dabei insbesondere am kulturellen Leben teilgenommen hat: "Wir
begegnen Fällen von Kaufleuten, die in ihrem Beruf äußerst tätig waren, gleichzeitig
aber eine gewisse klassische Bildung erworben hatten und an literarischer Tätigkeit
teilnahmen...281
Antal stellt in ebendieser Vielschichtigkeit auch eine Irrationalität fest, da ihm der
Charakter des Untemehmers widersprüchlich erscheint, nämlich einerseits geprägt
durch eine noch ntittelalterliche Gottergebenheit und andererseits durch ein nahezu
säkulares, durch seine wirtschaftliche Rationalität begrucdetes Weltbild.
,,Der frühkapitalistischc ,Entrepreneur' besaß einen ganz bestimmten Charakter; Seite an
Seite mit seinem Glauben an Gott stand die feste Überzeugung, die Welt könne durch
vemunftgemäßes Denken gelenkt werden, und ein gelassenes Vertrauen in seine Fähigkeit
zur Kapita1aklrumulation; gleichzeitig zeigte er viel Irrationalismus, viele beinahe feudal-
aristokratische Wesen8ZÜge wie zum Beispiel seine Abenteuerlust und selbst höfische
Eigenarten, denn er fühlte sich noch dem Adel verwandt, was in einiger Beziehung auch
tatsächlich zutraf. Dieser ,irrationale Faktor' ist äußerst kompliziert...w
Interessant ist an dieser Stelle, dass Antal zum ersten Mal den Begriff des "Entre-
preneurs,,284 verwendet und gleichzeitig dessen Abenteuerluat hervorhebt. Obwohl
diese Keonzeichnung bisweilen nicht der heute göltigen entsprechen mag, umfasst er
ntit dem Begriff dennoch den universalen Aspekt, der auch dem heutigen Begriff des
Entrepreneurships anhaftet. Neben den schon erwähnten feudal-aristokratischen
Die angedeutete Irrationa1ität entspringt jedoch allero Anschein nach der Inkompatibi-
lität von wirtschaftlicher Rationalität und der Verwurzelung in alten Weltordnungen.
Dero Renaissance-Entrepreneur waren die Aspekte des ständigen Infragestellens wie
auch des Ausprobierens von neuen Dingen nicht fremd. Die Auseinandersetzung mit
untereinander gänzlich unverwandten Bereichen führt zu teilweise gegensätzlichen
Beobachtungen oder Überzeugungen und bringt unter Umständeu gar eine
Infragestellung des persünlichen Weltbildes mit sich. Der Renaissanceunteruehmer
zeigte eine große Bereitschaft, mit Ambiguitäten nicht nur umzugehen, sondern. in
ilmen zu leben. Nur über diese Auseinandersetzung mit dem Neuen und
Unerforschten, welche in der Literatur vielfach belegt ist, konnte sich das neue
Weltbild formen, welches deu Renaissanceunteruehmer prägte.
Ein Bereich, mit dem sich viele Unternehmer der Renaissance neben der Kunst viel
und gern beschäftigt haben, ist die Wissenschaft und die damit einhergehende
Forschung nach dem Neuen und Unbekannten. Fried beschreibt diesen Wesenszug des
Renaissanceunternehmers als eine dynamische Facette, welche ebenso die vorab von
Doren beschriebene Abenteuerlust mit einschließt:
,,Der Kaufinann ist von Berufs wegen neugierig, sein Wissenshorizont nie abgeschlossen.
[ ... ] Eine gewisse Fortschritts-Mentalität ist allen diesen Kaufleuten eigen [ ... ]. Mitunter
bricht sich ein eigentümlicher, nämlich auf Steigerung der Handelsgewinne gerichteter
Forscherdrang Bahn. Er läßt Kaufleute oder ihre Agenten zu den gewagtesten Unternehmun-
gen wie die Umrundung Afrikas (1291) aufbrechen, schickt sie auf die Suche nach dem
Priesterkönig Johannes (vor allem im vierzehnten Jahrhundert) oder tre1bt sie in die Weiten
des Atlantik.'<285
Von besonderero Interesse ist jedoch bei all dem Forscherdrang und der Weltent-
deckung die Fähigkeit des Unteruehmers, die verschiedenen Wissensbereiche zuein-
ander in Beziehung zu setzen. Erst durch diese Fähigkeit kann sich der Facetteu-
reichtnm im Charakter des Unteruehmers entfalten und seine Wirkung auf dessen
originären Schaffensbereich ausüben, denn: ,,Der Kaufinann hat die Lebenswelt als ein
Ganzes vor Augen, deren vielfältige Kräfte er planmäßig nach Zeit, Raum und
Umständen miteinauder in Beziehung setzt, um fiir den entscbeidenden Augenblick
aeiuer Tätigkeit, den Verkauf auf den Messen, gerüstet zu sein...286 Somit hält Fried
zusammenfassend diese Interdependenz als Kernaspekt fest:
,,[ ... ] die ursprüngliche und einzigartige Zusammengehörigkeit, gegenseitige Befruchtung
und Durchdringung jener beiden Triebkräfte, die das Abendland, Lateineuropa, seit dem
Mittelalter unaufhaltsam vorwärtspeitschen: von Wirtschaft und Wissenschaft. von
,Kommerz' und ,Kunst'. Indem diese beiden sich verbinden. verhelfen sie sich wechselseitig
zu einer neuen Qualität, verstärken die je ihnen innewohnende Dynamik und eneichen zuvor
ungewohnte Dimensionen.,,287
Das internationale Geflecht von Bankfilialen war eine logische Folge. Goldthwaite
misst dieser spezifisch florentinischen Geisteshaltung beaondere Bedeutung bei:
,,Entrepreneurs, however, did not operate entirely on their own, in the spirit of extreme
individualism. They were tied together in an intricatc informal network of relations among
themselves, for otherwise they could not have built up the world-wide commercial and
banking system on which each depended. Federigo Melis was forever talking about the tacid
faith - fiducia - in one another these men shared and without which they cou1d never have
conducted their affairs; but the inefIable spirit that bound them together was more than this.
There was something of the real corporatism in the way they did business.•.288
Dieser Ausbau einer Netzwerksttuktur, welche zuvor vielfach beschrieben wurde, geht
also einher mit in der Entstehung eines wirklichen Untcmehmergeistes, gleich einer
Strömung, welche das Unternehmerische achlechthin bef6rderte. Dies stellt
Goldthwaite nshezu mit Erstaunen fest. Allerdings sieht Goldthwaite auch hier die
2&6Ebd., S. 297.
217Ebd., S. 315-6.
'" Goldthwai" (1995), S. 646.
104 3. Die Renaissance des Handels und der Wirtschaft
2119In dem hier genannten Begriff der Unbefangenheit schwingt auch der schon in dem Zitat von
Goldthwaite ebenfalls erwähnte Aspekt des Vertrauens mit, nach Ansicht vieler Theoretiker einer
der Grundbausteine wirtschaftlichen (Inter-)Agierens, auf den an dieser Stelle ob seiner Breite
nicht weiter eingegangen werden kann.
290 Vgl. hierzu auch: K.ent, D. V./K.ent, F. W. (1982): Neigbbours and Ncighbourhood in Renaissance
Floren.ce: The District ofthe Red Lion in the Fi:fteenth Century, S. 36.
291 Fried (1992), S. 296.
192 Ebd., S. 296.
105
"The Medicis were a banking fami/y in Florence wko.fimded creators from a wide range 0/
disciplines. 1'JumkJ to Ihis family anti a few others like il, sculptors, scientists, poets,
philosophers, jintmciers, painlers anti architects converged upon the city 0/ Florence. There
they found each olher. learned from one anolker. anti brau down barriers between
disciplines and cultures. Together they forged a new world based on new ideas - what
became hwwn os lhe Renaissance. As a result, the city became the epicenter 0/ creative
explosion, one 0/ the miMt innovative eras ;n hiswry. The effects 0/ the Medici family can be
feit even 10 Ihis day. ,<293
Um die Dynastie der Medici rankt sich eine Reihe von Mythen und Geschichten. Im
Lichte der Forschungsthese dieser Arbeit werden die Medici, die als individuelles
Beispiel eine Vielzahl der zuvor beschriebenen strukturellen Veränderungen der
Renaissance auf sich vereinigen konnten, jedoch vor allem mit ihrer konkreten Form
der Verbindung zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst erkennbar. Die Medici
waren Unternehmer""' und Mäzene und in beiden Bereichen leisteten sie Beträcht-
liches.
Um an dieser Stelle keine falschen Erwartungen aufkeimen zu lassen: Es wird auch bei
den Medici nur eine eingeschränkte Betrachtung möglich sein. Innerhalb der Dynastie
der Medici kennen die Historiker über siebzig Personen, von denen für die
Bearbeitung der Forschungafrage jedoch nur wenige wesentlich sind. Zudem war das
Tätigkeitsfeid der Medici über die Dauer sehr breit geilichert, es reichte von der
Wirtschaft über die Politik und rangbohe Kirchenfunktionen bis hin zu ihrem breit
angelegten Mäzenatentom, so dass auch hier nur Teilbereiche betrschtet werden
können.
Eine Frage, über die oft ges1ritten wird, ist, ob denn die Medici wirklich so speziell
waren? Warum die Medici? Innnerhin gab es vor und nach ihnen Bankhäuser,
Politiker und Kunst Die Antwort kann an dieser Stelle sehr schlicht sein und auf Streit
verzichten: Die Medici sind insofern beispielhaft, als sie ausdauernd all ihre
Tätigkeitsfelder erfolgreich bespielten. An ihnen lässt sich darum die Fragestellung
dieser Arbeit sehr fruchtbar verfolgen. Auf der anderen Seite soll damit keinesfalls
ausgeschlossen werden, dass auch andere Familien wichtige Beiträge zu der Erfolgs-
geschichte der Renaissance geleistet haben.
Im Folgenden soll nun vor dem Hintergrund der zuvor skizzierten strukturellen
Veriinderungen in Kunst und Wirtschaft auf der individuellen Ebene der Medici das
Renaissancegeschehen kleinteiliger betrachtet werden, und zwar unter der Hypothese,
dass sich bei dieser Familie die Verbindung von Kunst und Wirtschaft als beaonders
intensiv und produktiv erwiesen habe. In diesem Sinne wird beaunderes Augenmerk
darauf gerichtet werden, wie sich die Medici die strukturellen Veränderungen ihres
direkteu Umfeldes konkret nutzbar gemacht haben und wie sie weiterhin in dem
breiten Spannungsfeld ihrer Vielseitigkeit agiert haben. Reinhardt hält hierzu fest:
,,Daß in Florenz die alten Bindungen an Zunft, Bruderschaft und Sippe zugnnsten von
Kemfamilie und Klientel an Kraft verloren, war nicht Werk der Medici, genausowenig
wie das Aufkommen neuer kultureller Strömungen oder der Wandel des Zeitgeistes.
Alle diese Wandlungen aber haben sie sich zunutze zu machen verstanden.,,29S
Die Medici waren von ihrem Ursprung her eine Familie von Kaufleuten, die durch ihr
unternehmerisches Geschick bald zu den vermögendsten Familien Italiens gehörte.
Außerdem waren Mitglieder der Medici-Familie über mehrere Generationen hinweg
politische Leitfiguren des florentinischen Stadtstaates, sie lenkteu das soziale und
gesellschaftliche Leben in Florenz. Für die hier verfolgte Forschungsthese sind die
Medici insofern interessant, als sie wesentliche Akteure des zuvor beschriebenen
Renaissanceklimas waren. Sie waren als Unternehmer Einzelakteure, die sich inmitten
In den Quellen tauchten die Medici zuerst als Familie von Kaufleuten im ausgehenden
dreizehnten Jahrhundert auf, wobei die erste historisch herausragende Figur der
Dynastie Giovanni di Bicci de' Medici war. Dieser bewies sich um 1380 zunächst als
Geschäftsführer des Unternehmens seines Onkels, eines römischen Geldverleihers,
dessen Geschäftstätigkeit er kurze Zeit später in Florenz ausweitete und schließlich bei
dessen Tod ganz übernahm. Um 1420 zählt Giovanni bereits zu den reichsten Männem
in Florenz und gilt somit berechtigterweise als Begründer des unternehmerischen
Erfolges der Medici. Auch legte Giovanni bereits den Grundstein für dss mäzenatische
Engagement der Familie.297
Besonders deutlich wird die Gleichzeitigkeit von unternehmerischem Erfolg und
intensiver Auseinandersetzung mit der Kunst an der Figur des Cosimo de' Medici. Er
knüpfte an die geschäftlichen Erfolge seines Vaters Giovanni di Bicci an und führte
das Unternehmen über die Dauer seines Lebens zur maximalen Entfaltung. Der
Historiker Young beschreibt Cosimo wie folgt:
"Cosimo, besides bis work in the world of politics, bad to administer a great banking
business. In this sphere hc has, by an writers, been given the reputation of a financier of the
first rank. Notwithstanding bis immense cxpenditure (wbich includcd private subsidies
towards State expenses, the entertainment of distinguished visiton to Florence, large sums
given to advance the cause ofLearning and Art, and the equivalent of a million sterling given
to charitable objects), hc more than doubled the fortune i:nherited from bis father, and left bis
son and successor Piero the wealthiest man at that time in Europe.'<298
Bei der Auseinandersetzung mit der Familie Medici soll Cosimo daher als zentrale
Figur betrachtet werden. Außer seinem unternehmerischen Geschick ist insbesondere
seine Vielseitigkeit auffallend. Sein Interesse galt neben den wirtschaftlichen
Aktivitäten ebenso der Kunst, der Wissenschaft und der Politik. Er engagierte sich für
dss Gemeinwohl im Stadtstaat, was ihm in ganz Florenz Beliebtheit eintrug - und
Lorenzo de' Medici, genormt il Magnifico, welcher vielen als Hauptakteur der Medici
ein Begriff ist, war ein großartiger und vielseitig interessierter Mäzen, jedoch an-
scheinend mit wenig unternehmerischem Geschick und soll daher nur am Rande
Erwähnung finden.
Goldthwaite rechnet die Mcdici zu den ersten Kapitalisten, weil sie im Sinne eines
Wettbewerbsmarktes agierten und diesen gleichzeitig auch mit formten. Sie schufen
eine neue Struktur des Untemehmerischen, indem sie allumfassend agierten und einen
visionären Plan entfalteten, welcher über die individnelle und direkte Nutzbarkeit
hinauszielte. Goldthwaite zeigt an dieser Stelle konktet auf, dass die Medici dorch ihr
Umfeld geprägt wurden, es jedoch gleichzeitig verstanden, ihre Thesen und
Vermutongen, ihr wirtschaftliches Handeln betreffend, über das Vorhandene hinaus zu
denken und zu entwickeln und somit zu Vorboten des Kapitalismus zu werden.
Hierbei gelten Giovanni und Cosimo als eigentliche Hauptakteure in der Phase des
unternehrnerischen Erfolges der Medici. "There is no doubt that men such as Giovanni
di Bicci and Cosimo di Giovanni302 were imbued with a capitalistic spirit of
acquisitiveness and were bent upon accum.u1ating great wea1th...303 Diese heiden
Medici zeichneten sich jedoch insbesondere dadurch aus, dass sie in der Verknüpfung
der einzelnen Geschäftsbereiche besonderes Geschick bewiesen und sie zu einem
florierenden Gesarotbild verflochten. Hierzu sprechen die Geschäflazahlen eine eigene
überzeugende Sprache:
In der Zeit zwischen 1397 und 1420, also der Kernphase der unternehmerischen
Leistung Giovannis, betrugen die Gesarotgewinoe der Medici-Bank 151.820 Florio bei
einero Anfangskapital von 10.000 Florin im Jahr 1397.
Unter der Regentschaft Cosimos, welcher 1420 offiziell die Leitung des Unternehmens
von seinero Vater übemalnn, aber wahrscheinlich bereits seit seiner Volljährigkeit im
Jahre 1407 in die Geschäftsvorgänge mit einbezogen worden iSt,304 erhöhte sich das
Gesamtkapital der Medici-Bank bereits beträchtlich von 24.000 Florin bei der
Übergabe im Jahr 1420 auf 73.956 Florin 1441. Im Jahr 1451 betrug das
Gesamtkapital der Medici-Bank bereits um die 90.000 Florin, dsvon 72.000
Eigeokapital und 18.687 Fremdkapital der jeweiligen Partner.
Die Gewinne hst de Roover lediglich insgesamt für die Periode zwischen 1435 und
1441 auf 104.370 Florin und für die Periode zwischen 1441 und 1451 auf 186.420
Florin beziffert. Das bedeotet einen Gesamtgewinn von 290.791 Florin in der Blütezeit
unter Cosimos Leitung, was ihn dsmals in Florenz zu dem größten Steuerzahler
avancieren ließ, ein deutliches Indiz für seine untemehmerische Überlegenheit.
Neunzig Prozent der Gewinne wurden im Bankgeschäft und dem Handel gemacht und
lediglich zehn Prozent entstammten der indus1riellen Tätigkeit, maßgeblich der
Wollproduktion. Oder, wie de Roover festhä1t: "Under the administration of Cosimo,
the Medici Bank reached ist zenith in size and prosperity. This success, there is no
doubt, was largely due to his capacity for leadership aided by favourable trends in
business conditions. ,,305
Hatte sein Vatet Giovanni das Geschäft aufgebaut und in seiner Ausrichtung fest-
gelegt, so weitete Cosimo die Geschäftsbereiche weiter aus, während er gleichzeitig
das Kerngeschäft weiter festigte. Goldthwaite trifft zusammeufassend folgende
Feststellung über deo Stellenwert des Untemehmens Medici:
"Given tb.e limits on the resources an entrepreneur cou1d tap - the weakness of fa:mily
financial ties, few partners, the failure to exploit techniques to raise outside capital or to
extend the power of one's capital - a business could groW only so Iargc. The Medici is
certainly the largest on record: it bad a total capital formation in 1451 of72,OOO florins (of
which 54,000 florins came from the Medici themselves) and of its capitaI.. 54,307 tlorins
were put out with otb.er investors in seperate entcrprises that collectively bad a total capital of
only 68,994 florins. [ ... ] Probably DO company was as widcly extended abroad as the
Medici.,.306
Esch, welcher sich ebenfalls mit deo untemehmerischen Errungenschaften der Medici
befasst hat, unterstreicht insbesondere, dass Cosimo nicht mebr gezwungen war, die
304 Es gibt in der Literatur Gin genaues Datum, welches den Einstieg Cosimos in das Unternehmen
belegt, allerdings vezweiBt Brion (1970) auf sein frühes Engagement im Unternehmen. welches ihn
zum Protagonisten von dessem internationalem Wachstum avancieren ließ: ,.zu Lebzeiten des
Vaters reiste Cosimo mehrere Jahre lang durch Europa, traf mit einflußreichen Leuten zusammen
und gründete Zwciguntemebmen in Briiggc, Venedig, London, Genf und Avignon. Reiche und
angesehene Männer ernannte er zu Repräsentanten des Hauses." Brion (1970), S. 30.
305 Ebd., S. 74.
"" Go1dthwai.. (1987), S. 16.
4.2 Das innovative ..Unternehmen Medici" 113
Überdies profitierten die Medici ebenso von dem zuvor beschriebenen Absenken der
Zunftbarrieren in der florentinischen Wirtschaft. De Roover hält hierzu fest: ,,As
bankers, the Medici came under the jurisdiction of 1he Arte dei Cambio, or the Money
changers ' Gild. It will be shown that 1he gild's regulatory powers were rather limited
and did not carry a great weight in the ordinary course of business.•~09 Dies bestätigt
die Ergebnisse der vorangestellten eher makroskopischen Bettachlongen zur
Wirtschaft jener Zeit und zeigt die Medici als Wirtschaftssobjekte, welche in threr
vielseitigen Ausprägung über die Grenzen threr Baokierszunft hinaus agierten.
Das Bankenwesen war das Kemgeschäft der Medici. Es hatte seinen Ursprung in der
römischen Dependance, welche zunächst einige Zeit von Giovanni di Bicci geführt
und nachher gänzlich von ihm übernommen wurde. Dabei hat die Kurie beim Aufstieg
des mediceischen Bankhauses eine wichtige Rolle gespielt. In ihr hatte Giovanni di
Bicci relativ früh einen bereitwilligen Kunden gefunden, welcher stiindig darum
bemüht war, Gelder in die entlegensten Stellen des kirchlichen Einllussbereiches zu
transfetieren. Dies galt vom Papst angefangen für Bischöfe, Kardinäle und einfache
Pliester. Vor allem durch die Ablasszahlungen, welche aus den entlegensten Winkeln
der damaligen Welt an die Kurie geleistet wurden, verfugte die Kirche über enorme
Geldsummen, welche nicht nur verwaltet, sondern ebenso transferiert und reinvestiert
werden mussten.
Darüber hinaus zog die Kurie einen permanenten Strom von Anhängern, Pilgern und
Abgesandten mit sich, welche Geschäfte zu machen versuchten. Diese wiederum
wollten den Transport von Münzgeld vermeiden und bedienten sich somit des
Wechsels.3Il Dies machte einen europaweit verzweigten Geldtransfer notwendig.
Giovanni de Bicci gelang es, wie erwähnt, bereits zu seiner römischen Zeit, dort enge
Bande zu knüpfen, für die das persönliche Vertrauen die zentrale Basis bildete und die
die Medici zu den zentralen Akteuren dieses Geldverkehrs avancieren ließen. De
Roover hält hierzu fest: "Under those circumstances, the popes, whether they wished it
or not, depended upon the services of bankers, such as the Medici, who had
correspondents in all banking places ofWestern Europe and could transfer funds with
celetity from one place to another where the papacy needed them the most. ..312 Die
Medici nahmen hierbei zunehmend eine Rolle ein, welche heute arn ehesten der einer
Zentralbank nahekommt,'" und gewannen hierdurch nicht nur eine große
Machtposition, sondern vor allem ungeheure Mengen an liquiden Geldmitteln.
Wäluend Rom durch die Kurie also viel Investitionsvolumen verfugbar machte, bot
Florenz jedoch eine breitere Plattform, diese Liquidität gewinnbringend einzusetzen.'14
Giovanni erkannte rasch die Chancen des florentinischen Marktes, welcher als
Hande1szentrum gerühmt wurde, und verlegte darauf seinen Lebensmittelpunkt sowie
die Firmenzentrale nach Florenz, wo er das Bankgeschäft weiter ausbaute. Zu Beginn
hatte Giovanni noeb Benedetto di Lippaccio als Teilhaber, welcher jedoch bald darauf
ausschied. Auch de Roover geht davon aus, dass der Grund für diese örtliche
Verlagerung die vielversprechenden Investitionsmöglichkeiten in Florenz waren.
Kurz nach seiner Übersiedlung nach Florenz, um das Jahr 1398 herum, begann
Giovanni seine Expansion nach Venedig, womit ein weiteres Handelszentrum, dieses
nun mit dem entscheidenden Zugang zum Seehandel, gesichert werden konnte und
seinerseits neue Investitionsmöglichkeiten bot. Kurz danach wurden Dependancen in
ganz Europa geschaffen, in Lyon, Londen, Brügge und an vielen weiteren Orten. Die
Wachstumsstrategie des Medici-Untemehmens war somit zugleich organisch und
rasch. Dies hatte seine Ursache im Wechselgeschäft, welches im Austausch zwischen
Ländern und Währungen bestand, was meist über den Geldtransfer der Kurie sowie
Investitionen und den Handel geschah. Eine grundlegende Erkenn1nis, welche sich
Giovanni di Bicci relativ früh erschloss, war nämlich, dass es von großer Bedeutung
war, in den wesentlichen Handelszentren Europas präsent zu sein und somit "in allen
größeren Geschäftszenlren eine eigene Zweigstelle zu haben, und dass man sowohl
finanzielle als auch konuneIZielle Transaktionen über mehrere Länder hinweg
miteinander tätigen musste, damit das Kapital ungehindert arbeiten konnte".'"
Damit ist auch schon eine wichtige Besonderheit genannt, welche die Medici-Bank
vor anderen Banken der Epoche auszeichnete, nämlich das rapide Wachstum und
darüber hinaus das rasche Erkennen von strategisch wichtigen Wachstumsmärkten.'16
Die folgende aus dem Werk The Rise and Decline of lhe Medici Bank übernonunene
tabellarische Darstellung gtbt einen Überblick über die Dependancen der Blütezeit
sowie den jeweiligen Zeitraum ihrer Eröffnung.
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Dariiber hinaus entwickelten die Medici eine frHhe Form des Girokontos bzw. des
Travellerschecks, indem die Bank auch Handelsrei.senden, Studenten und Pi1gem den
Geldtransport erleichterte und dies als weitere Geschäftstätigkeit annahm: ,.As an
adjunct to the cxchangc business, the Medici benk sold letters of crcdit to pilgrims,
travelers. students, diplomats and churehmen. either going 10 ltaly or residing there.
[... ] Letten of credit were usually paid fer in advance like travelers' checks today. um
Aus der Literatur wird also ersichtlich, dass die Medici, anders als die Mehrheit der
Wollproduzenten, diesen Wirtscbaftszweig niebt als Fortführung einer in der Familie
liegenden handwerklichen Tradition betrieben, sondem dass ihr Eintritt in diesen
Sektor im Wesentlichen aus der Investmentperspektive heraus geschehen ist. Dies war
eine für die Epoche untypische Alt des Zugangs. Der Eintritt in die Wollindustrie kann
darüber biuaus auch als Indiz für das Bestreben der Medici nach Diversifikation
interpretiert werden.
Die Literatur ist sich einig, dass die Gewinne - nicht nur der Medici - in der Tuch-
produktion zum beginnenden fünlZehnten Jahrhundert ahnabrnen.'20 So stellt Gold-
thwaite fest, dass nach der starken Espansionsphase der Wollindustrie im vierzehnten
Jahrhundert das Marktsegment langsam an Wachstumskraft einbüßte. Dennoch galt
der Industriezweig als konservatives und klassisches Inves'bnent, welches darum auch
die Medici verfolgten:
"Thc rich invariably invested in one or two wool finns, but these constitutcd a small fraction
oftheir overall portfolio. For great entrepreneurs such as Francesco Datini and the Medici, a
miniscu1e part of total business profits came from wool. In short, wool was a conservative
investment, sound and less risky if only moderately profitable.,,:l:H
319Ebd., S. 42.
320Auf eine Spekulation über die Gründe soll an dieser Stelle verzichtet werden, da sie sich zu weit
vom Thema entfernen würde.
'" Goldthwaire (2009), S. 307.
'" Baron (1988), S. 46.
118 4. Die Medici als wesentliche Akteure des Renaissancegeschehens
Cosimo setzte sich fiir den Anbau von Rohseide in der Nähe von Florenz ein, da ihm
die Abhängigkeit von der orientalischen Seide nicht geheuer war. 323 Dieses Detail
zeugt einmal mehr von der Fähigkeit Cosimos, seine vielschichtigen Engagements zu
verbinden: Die Einsicht in die Notwendigkeit einer heimischen Seidenproduktion
geschah aus einer untemehmerischen Perspektive heraus, umgesetzt wurde sie über
sein politisches Amt
4.2.3 Die Hande/stätigkeit der Medici und ihre Bedeutungfür das Wachstum des
Bankengeschäfts
Der Kapitalismus der Medici war vor allem durch den Handel stimuliert: "Capitalism
in the age of the Medici meant, of course, commercial capitalism. ,,324 Der Handel war
eine wesentliche Voraussetzung fiir den Einsatz von Wechseln und somit fiir das
Kreditgeschäft und das Bankwesen überhanpt. Ement schufen die Medici auch in
diesem Bereich eine überlegene Struktur, welche im Wesentlichen auf ihrer Weitsicht
beruhte, durch geschickten Handel ihr Bankgeschäft voranzutreiben:
,,Despite a declining volumc of tradc, organizational techniques continued to improvc,
perhaps because kcener competition and falling profit margins put a premium on efticiency.
The Medici Bank, its records show, certainly used the best methods available. From this
standpoint, it was probably not typical, bot rather represents the optimum that was achieved
in the Middle Ages and the Renaissance ...32S
Somit war es nicht verwunderlich, dass die Medici ihr Handelsspektrum auf eine
ungewohnte Breite an Warengruppen ausdehnten, da hiermit zum einen ein höherer
Warenumschlag erreicht werden konnte und zum anderen das Risiko erheblich
diversifiziert wurde. So lässt sich bei ihnen eine Diversifikation der wirtschaftlichen
Tätigkeiten nicht nur in Bezug auf die Wirtschaftszweige, sondem innerhalb des
Handels zusätzlich in verschiedene Handelsgüter beobachten: Die Medici
,,[ ... ] diversified their risks by dealing in a great many commodities, OOt the mainstay oftheir
business was trade in certain staple product3 and luxury articles for which there was a steady
demand in the principal commeroial centers. Leading staples were wool, a1um, cloth, spices,
olive oil, and citrus fruits. Since their clientele was aristocratic, the Medici also dealt
extensively in luxury arti.cles, such as silk. stuffs, brocades, jewelry, and silver plate. Risks
323 "Cosimo unterhielt gute Beziehungen mit dem Orient, woher er die Seide ein:fiihrte, die in den
Werkstätten von Florenz zu Geweben verarbeitet wurde. Freilich traf er auch Vorkehrungen, sich
wenigstens teilweise von den durch die Seideneinfuhr bedingten Abhängigkeiten zu befreien,
indem er zur Zucht von Seidenraupen in der ganzen Toskana enmmterte. Jeder Bauer im Gebiet
von Florenz sollte der Größe seines Grundbesitzes entsprechend eine bestimmte Anzahl
Maulbeerbäume pflanzen." Brio. (1970), S. 48.
324 De Roover (1966), S. 7.
325 Ebd., S. 6.
4.2 Das innovative ..Unternehmen Medici" 119
wem further spread by cntering into joint ventures or temporary partnerships with other
merchants.,,326
Diese Aufzählung de Roovers belegt, wie vielseitig die Medici in ihren unterneh-
metischen Aktivitäten waren. Man könnte an dieser Stelle spekulieren, dass auch dies
ihrer grundsätzlichen Offenheit und Neugierde entsprungen ist, welche der Ausgangs-
punkt für so viele ihrer mannigfachen Aktivitäten waren. In Form dieser Handelsgöter
konnten nämlich jeweils Gelder tranafetiert und somit nutzbar gemacht werden. Dies
war eine zwingende Voraussetzung für ein funktionierendes Wechselgeschäft.
Erneut bewiesen die Medici auch in diesem Segment eine gewisse visionäre Kraft, da
sie den Handel auch auf damals ungewöhnliche Gegenstände ausdehnten. Über die
,,normalen" Handelsgöter hinaus begannen sie beispielsweise auch den Handel mit
Kunst, Büchern und - tatsächlich! - Opernsängetinnen - womit sie gewissermaßen
Talent zur Ware machten _.'27 und leisteten so auch einen wichtigen Beitrag zum
Entstehen des Luxusgötermarktes.
Eine wesentliche Innovation, welche die Medici begründeten, war eine spezielle
Filialstruktur mit beschränkter Haftung, welche viele Historiker heute als die erste
Holdingstruktur der Welt bezeichnen. Die Medici strukturierten ihr Unternehmen
dergestalt, dass die einzelnen über den gsnzen europäischen Raum verteilten
Bankfilialen haftungsrechtlich von der Dachgesellschaft und voneinander entkoppelt
waren. Snntit war die direkte Haftung des Geaamtunternelnnens für eventuelle
Ausfille einzelner Filalen ausgeschlossen - eine zentrale Errungenschaft für die
Ausbildung größerer Finnenstrukturen in den folgenden Jahrhunderten.
De Roover präzisiert hierzu: ,,Joint-stock companies did not originate until the
beginning of the seventeenth century, but the Medici Bank already foreshaduwed the
holding company in certain respects. ,,328 Und an anderer Stelle:
,,In studying the organization of the Medici Bank, one cannot fail to notice how closely it
resembles that of a holding company. This comparison is valid with the understanding that
the Medici Bank was a combination ofparlnerships rather than of corporations OT joint-stock
companies, a form of organization unknown to tb.e Middle Ages. In any case, as aIready
pointed out, there were two Iayers: a ,parent' company locatcd in Floren.ce and several
subsidaries. Tbc parent company controllcd the subsidiary partnerships, that is, the Tavola in
Florence, the branches abroad, and the industrial establishments, by owning more than 50
percent of the capital.•,329
4.2.5 Die erste Partnerschaftsstruktur und ihre Bedeutungfiir den Erfolg des
., Unternehmens Medici"
Die direkte Abhängigkeit von dem jeweiligen Filialleiter und seinem mehr oder
weoiger verantwortungsvollen Handeln war darum umso größer, was in der Folge eio
großes Risiko für das Gesarotunteroehmen darstellte.
"This sector [banking; J. F.] was oriented to specu1ation in markets abroad and was not at a11
protected by astate banking system at home holding the reim of money and crcdit, and men
with investments in it were exposed to the unlimited liability of the partnership eontract
underlying business organization...331
Als Aotwort auf diese Situation entwickelten die Medici eioe Fonn der Par1nerschaft,
welche ihnen einerseits die Kontrolle der Finnenfiibrung überließ und andererseits das
Risiko mit den jeweiligen Filialleitern teilte und diese somit in die untemehmerische
Verantwortung nahm. Die Medici installierten in jeder ihrer Zweigstellen Parbler,
welche sie zu Beginn von deren Tätigkeit aufforderten, sich auch selbst mit
Eigenkapital eiozubringen. Im Gegenzug erhielten die Par1ner überproportionale
Gewinnbeteiliguugen. Dies dämpfte in der Folge in erheblichem Maße die Gefahr der
Vorteilnahme und Verschleierung. De Roover hält beispielsweise fest, dass der
Geschäflsfiibrer der venezianisehen Filiale, Giovanni di Franceseo da Gagliano, 1406
bei seioem Eintritt ins Unternehmen eio Neuntel des Grundkapitals selber einzahlte.
Hiermit gelang es, ihn als Teilhaber und Mitverantwortlichen zu verdingen. Gleich-
zeitig erhielt dieser jedoch anstelle eines Gehalts eio Viertel des Gewinns und somit
mehr, als ihm ob seioer eigentlichen Aoteile zugestanden hätte. Der Rest des Gewinns
worde anteilsmäßig zwischen Giovanni di Bicci und seinem Par1ner Benedetto di
Lippaccio aufgeteilt und reinvestiert.
De Roover verweist in seiner Darstellung jedoch auch auf das Verhältnis von
Spielraum für die jeweiligen Par1ner und Führung durch die Medici:
,,[ ... ] tb.e Medici reached a highly developed and eapitalistie form of organization, if
,capitalistic' means that their aim was to make profits and that ultimate contral rested with
the owners of the capital invested in the business. In actual practiee, howcver, major or
strategie deeisions, such as the establishment of a new branch or the renewal of a partnership
eontract, were always made in eonsultation with the general manager, who was very
powerful, although he bad only a IDioor share in capital and profits. Managerial or
operational decisions were usually delegated to him and he did not necd to eonsult the
partners belonging to the Medici family in routine matters or day-to-day administration. One
of the general manager' s main tasks was the supervision of tb.e branch managen in order to
prevent their making undue eommitments or unwise investments. Not an easy task! Because
of slow communications and great distances, branch managen enjoyed quite a bit of auto-
nomy; it was perbaps a weakness ofthe Medici Bank that they bad too much leeway. Cosimo
Kapitalakkumulation von Firmen angelegt. VgI.. zu der hier verhandelten Problematik auch die
Ausführungen in Kapitel 4.
'" Go1dthwai.. (1990), S. 65.
122 4. Die Medici als wesentliche Akteure des Renaissancegeschehens
ruled bis branch managers with a firm band, but bis successors relaxed thcir grip - with
disastrous consequcnces...332
In ihrem Umgang mit den jeweiligen Partnern zeigten die Medici auch eine besondere
Fähigkeit zur Persona1fiihrung. Sie erkannten Talente unter ihren Mitarbeitern und
waren bereit, diese zu fOrdern. De Roover hält hierzu fesl, dass Mitarbeiter bei guter
Leistung schoelle und ertragreiche Aufstiegschancen innerhalb des Unternebmens
333
hatten. So hat Cosimo beispielsweise in seinem Geschäftsfiihrer Giovanni di Benci
einen verantwortungsvollen und f"a1tigen Mann gefunden, welchen er über die Zeit
förderte und dem er stets lukrative Aufstiegschancen bot. Indem er ihm die
Möglichkeit gab, sich neben ihm selbst als angesehenen Bürger zu positioni= und
ebenfalls ein privates Vermögen zu erlangen, förderte er seine Bereitschaft und
Motivation.
"While the Medici did not pay higher salaries than competitors, they were rather liberal in
letting thc junior partners share in the profits. This system bad thc advantage of encouraging
endeavor and ofproviding a greater incentive to do weil, becaUlle a satisfactory factor stood a
fair chance of becoming a partner and of thereby greatly increas~ bis earnings. It also put
pressure on the branch managers to malre profits and avoid lasses...3 4
Diese Form der persönlichen Förderung und Ermutigung zeugt überdies von einer sehr
feinfiihligen Unternehrnensführung, welche ihrer Zeit weit voraus gewesen ist. Auch
der Historiker Reinhardl, welcher sich mit den Medici befasst hat, konnnt zu einem
ähnlichen Schluss:
,,Dafür ist die Firma effizient und fiir Leistung durchlässig aufgebaut; man kann sich in ihr
hocharbeiten., und einigen gelingt das auch. Gestaffelt sind auch die Gehälter. Besonders
erfolgreiche Filialleiter erhalten einen deutlich höheren Anteil an der Dividende, als er ihnen
nach der (geringeren) Quote, mit der sie sich in das Unternehmen eingekauft haben,
zusteht.,.33S
Man kann sich voratellen, dass diese Art der Persona1fiihrung nicht nur die Mitarbei-
tenden anspornte, sondern auch Cosimo selbst von einer gewissen kleinteiligen
Verbissenheit entlastete, welche sich in reinen Angestelltenverhältnissen oftmals aus
der steten Kontrollfunktion gegenüber den Mitarbeitern ergibt. Diese Entlastung schuf
wiederum Raum und Zeit, seine Fähigkeiten gezielt dort einzusetzen, wo sie am
meisten bewegen kounten. Solchen Fragen soll im vierten Hauptkapitel im
Zusammenhang mit der Definition des Unternehmers und der Problematik des
Erhaltens eines innovativen Stimulus nochmals eingehender nachgegangen werden.
Die Motive der Medici für ihre Initiative in diesem Kontext waren nach Ansicht der
meisten Autoren großteils in ihrer politischen Funktion und in ihrem Engagement für
das Gemeinwohl begründet, allerdings erkannten sie auch hier unternehmerische
Chancen. Sie errichteten 1425 den Monte delle Doti, eine Art Versicherungsfonds,
welcher den Teilnehmern nach 7,5 oder fünfzehn Jahren eine Garantiesumme
versprach, einzusetzen für eine Mitgift. Die Fondsteilnchmer zahlten meist zur Geburt
ihrer Tochter 100 Goldflorin und in der Folge eine vereinbarte jährliche Summe in den
Fonds ein, der ilmen nach fünfzehn Jahren eine Rückzahlung von 500 Goldflorin
versprach, was damals einer angesehenen Mitgiftsumme entsprach. Bei einer
Rückzahlung nach 7,5 Jahren wurden 250 Goldflorin ausgezahlt. In der Zwischenzeit
konnte das Kapital für die Kommune arbeiten, es konnten diverse Finanzlöcher
gestopft und auch Kriege finanziert werden.'" Starb die Tochter jedoch, fiel ein Teil
des eingezahlten Kapitals an den Staat Erneut zeigt sich hier das unternehmerische
Geschick der Medici, das sozial Erforderliche mit dem wirtschaftlich Sinnvollen zu
verbinden.
336 Vgl. hierzu auch die Darstellung bei Brion: "So führte er [Cosimo; J. F.] etwa die Hciratsversiche-
rung ein, die später in ganz Italien allgemein üblich wurde. Sie stellte den Bräuten die Mitgift
sicher; die Eltern zahlten bei der Geburt des Kindes eine bestimmte Summe ein, die, vermehrt um
die angesammelten Zinsen, bei der Hochzeit der Tochter zurückgezahlt wurde. Da die Kinder-
sterblichkeit damals hoch war. erhielten die jungen Mädchen oft den fiinffachen Betrag dessen, was
die Eltern eingezahlt hatten. Cosimo unterstellte diese VersicherungsgeseUsch.aft einer staatlichen
Behörde, dem Monte delle Doti, den er großzügig aus der eigenen Tasche unterstützte." Brion
(1970), S. 47.
124 4. Die Medici als wesentliche Akteure des Renaissancegeschehens
Becker beschreibt das Vorgeben der Medici an dieser Stelle historisch nüchtern und
detailgenau:
"This redcployment of capital into the hands ofthc sta.tc was further intensified in 1425 when
the Moote delle Doti was founded This credit institution served as a type of insurance bank.
in which deposits were made by families so that their daugbters migbt be guarantced a dowry
and they might be assured a progeny. In an age when a girt without a dowry bad virtually no
opportnnity to many, this ingenious plan would appear to havc been a boon to the
unfortunate. It was possible to malre arrangements with the officials of this Moote whereby
one couId deposit a fixed sum over a specificd number of years and thus obtain a suitable
dowry. The term of the normal contract ran from seven to fifteeen years ö if one selected the
sharter term then one paid a larger annua1 payment. If the daughter died or entered a convent
before the term expired, part ofthe deposit went to the commune [ ... ].,,337
Kirschner und Molho haben sich aus soziologischer Perspektive mit dem Monte delle
Doti befasst und kommen zu folgender Konklusion:
,,In the light of current knowledge, what distinguished Florence from other localities was the
cntrance of the commune into the matrimonial plans of its citizens, by the creation in the
winter of 1425 of a dowry fund commonly known as the Monte delle don or Mante delle
fanciu11e. Althougb the fund's registers have never been subjected to scholarly investigation,
many historians share the view that by the mid-quattrocento the dowry fund bad become a
central organ of Florentine public finance and that it was of crucial concern to thousands of
Florentines, whose social aspirations, economic fortunes, and even politica1 ambitions might
be advanced or thwarted by the performance of the Moote delle doti. ,0338
Der Monte delle Doti bezeichnet also letztlich eine versicherungstechnische Innova-
tion, wie es sie in der Fonn bislang nicht gegeben hatte. Es wurde ein privates Anlie-
gen mit gesellschaftlicher Relevanz versichert.'39 In der Art, wie sie diese Mitgiftversi-
cherung strukturierten, griffen die Medici bereits auf die heotige FOIlD der Lebensver-
sicherung vor. Man könnte auch so weit gehen, zu sagen, dass die Medici hiermit eine
erste Fonn der Sozialversieberung etablierten, da sie mit diesem Heiratsfonds Frauen
und ganze Familien vor dem sozialen Abseits bewahrten.
337 Becker, M. (1968): Tbe Floren.tine Territorial State and Civic Humanism in the early Renaissance,
zitiert nach: Rubinstein, N. (Hg.): Florentine Studies, Politics and Society in Renaissance Florence,
S.125.
338 Kirshner, J./Molho, A. (1978): The Dowry Fund and the Marriage Market in EarIy Quattrocento
F1oreru:e, S. 1-2 in: The Journal ofModern History Val. 50, No. 3 1978, S. 403-438.
339 Ein weiteres Beispiel für ihr erfolgreiches untemehmerisches Geschick. auf politisch/staatlicher
Ebene war das Engagement der Medici bei der Restrukturierung des Staatsfonds, des sogenannten
Monte Commune, welchen sie ganz entscheidend beeinflusst haben. Sie restrukturierten diesen
öffentlichen Fonds derart, dass er zu einer gesunden Kapitalstruktur von Florenz beitrug, indem sie
die Bürger aufforderten" in ihn einzuzahlen, um. im Gegenzug stabile, staatlich garantierte
Zinsertrige zu erhalten. Das so entstandene Kapital nutzten sie, um. den Staatshaushalt zu
stabilisieren und die Verteidigungspolitik zu finanzieren.
4.3 Die Medici als gesel1schaftliche Akteure 125
Bei seiner Rückkehr nach Florenz hat Giovanni de Bicci sich, wie es die Historiker
beschreiben, zunächst langsam in der florentinischen Gesellschaft vorgetast und fiel
dort vornehmlich durch seine außergewöhnliche Zurückhaltung und Bescheidenheit
auf. Mit zunehmendem Reichtum gewann er an gesellschaftlichem Ansehen, hielt sich
jedoch bewusst aus politischen Belangen heraus. Diesen Rat gab er auf dem Sterbebett
auch seinem Sohn Cosimo, der ihn jedoch nicht beherzigte. Der Zeitgenosse
Machiavelli hält über Vater und Sohn fest: "Seine Erbschaft, die der Glücksgüter nicht
bloß, sendern auch die der Geistesgaben, wurde von seinem Sohne Cosimo nicht nur
in gutern Stand erhalten, sondern gemehrt.'''"'! Weiterhin heißt es dann bei
Machiavelli: "Cosimo war ein äußerst kluger Mann, von freuodlichem Ernste, sehr
freigiebig und menschlich gesinot, der nie gegen Parteien und Gesamtheit etwas
versuchte, sendern darauf bedacht war, jedem Wohltaten zu erzeigen und durch seine
Freigiebigkeit sich Anhänger unter den Bürgern zu verschaffen.,~42 Dieses Urteil, von
einem Meister des politischen Denkens gerallt, spricht eine durchaus eigene Sprache,
was die sozialen Qualitäten Cosimos angeht
Es ist anzunehmen, dass das politische Engagement Cosimos vor allem in seiner
enormen Zugewandtheit und seinem alles umspanuenden Interesse gründete und
bereits früh zum Tragen kam. Daher gilt auch auf dem politischen Gebiet Cosimo als
der herausragende Akteur der Dynastie der Medici. Barincou beschreibt Cosimo wie
folgt:
"Cosimo de' Medici war von mittlerer Größe, sein Antlitz oliven:farben, aber sein Äußeres
flößte Respekt ein. Ohne Gelehrsamkeit ungemein beredt und voll natürlicher Klugheit, war
er Freunden gegenüber dienstbereit, gegen die Armen barmherzig, im Gespräch ergiebig, im
Entscheiden überlegt und im Ausführen rasch.. In allem, was er sprach und erwiderte,
vermählte er Witz und Ernst miteinander.•.343
Diese hier beschliebene Vielschichtigkeit Cosimos, welcher wir bereits bei seinem
untemehmerischen Engagement begegnet sind, wird von dem Historiker Brion so
wiedergegeben: ..Cosimo war ein hervorragender Menschenkenner. Seine Einfälle
kamen aus dem Instinkt, nicht aus dem Intellekt. Wenige Minuten der Unterhaltung
genügten ihm, um zu wissen, was er von jemandem erwarten konnte und wie weit er
ihm trauen durfte. u344 Vasari, welchem wir bereits als wichtigstem Autor von
Kunstbetrachtung seiner Zeit begegnet sind, hält in seinen Vile ähnliche Aussagen
Vespasianos fest. Dieser spricht ebeufalls davon, dass Cosimo äußerst umsichtig
gewesen sei und Menschen auf den ersten Blick richtig einschätzen und beurteilen
konnte. 34S
Diese Charakterqualitäten machten Cosimo offensichtlich auch zu einem gewandten
Politiker und mit Bescheidenheit agierenden Machthaber.'" De Roover schreibt:
"What made Cosimo such an outstanding leader and administrator in business as weil as in
politics was, as one historian puls it, bis ability to read character. He bad an uncaony f1.air for
finding the right men and for fitting them into the rigbt places. Thus he managed to rule
Florence from behind the scenes while preserving the appearances of ,liberty' and
constitutional procedure. But no important decision was ever taken against his will or his
advice. He inspired such awe that his power went unchallenged and no plots were hatched to
overthrow bis rule.'0347
Keot spricht an dieser Stelle erneut die Facette Cosimos an, seine Aufgabeo und
Interessen sinuvoll miteinander zu verbindeo, indem er als Gegenzug zu der
Unterstützung, die er seineo Freuuden, Nachbarn und Verbüudeten an vielen Stellen
auf finanzieller und gesellschaftlicher Ebene zeigte, in seinem politischeo Amt
Loyalität einforderte - was übrigens, wie Kent behauptet, zur Mehrheits- und damit
zur Funktionsfähigkeit des Stadtstaates beitrug. Über Cosimos all diesen Aktivitäten
zugruudeliegende Fähigkeit des Assoziierens und Verflechteus schreibt Kent weiter:
,,[ ... ] Cosimo's life and patronage, viewed as a whole, is fuH of associations,
correspondences, and thc coming together of rclated peoplc and ideas. ,,350
Durch ihre Offenheit, Zugewaudtheit und den Blick fiir deo Einzelnen erkanuten die
Medici zudem Talente jenseits gesellschafllicher Schranken und f6rderteu diese auch
im politischen Bereich. "The Medici were sometimes criticized by Florcntine ottimati
for mising men of humble origin to positions of political and social influence.'~51
Wahrscheiulich war es wieder dieser besoudere Blick der Medici (an dieser Stelle
kann man durchaus von den ersten vier Generationen sprechen, welche dieses Talent
zeigten), das sie so erfolgreich machte. Indem sie Menschen erkanuten und förderten,
348 Aufgrund einer Verschwörung der rivalisierenden Familie der Albizzi war Cosimo zwischen-
zeitlich gezwungen, ins Exil zu gehen, von welchem er jedoch nach gut einem Jahr um 1934 neu
gestärkt auf seine alte Position zurückkehrte.
'" Kont, D. (1982): Ris. oftho Medi.i, S. 61-7l.
'" Kent (2000), S. 370.
3S1 Rubinstein, N. (1997): The Government ofFlorence under the Medici, S. 62.
128 4. Die Medici als wesentliche Akteure des Renaissancegeschehens
schufen sie sich nicht nur einen loyalen Kreis von Anhängern, sondern wussten um die
Belange, Wünsche und Bedürfuisse der Einzelnen.
Dieses Wissen kam ihnen offensichtlich vor allem in ihren wirtschaftlichen Aktivitä-
ten zugute. Indern sie so gut wahmelnnen konnten, was Menschen brauchten oder sich
wünschten, betrieben sie in gewisser Weise eine frühe Form. der Marktforschung,
welche sie später innovativ in ihrem. unternchmerischen Handeln umzusetzen wussten.
Wie weitreichend und allumfassend hierbei Cosimos Engagement war, macht Brown
deutlich:
"Such was Cosimo' s extraordinary authority in Florence that he directed and decided
cvcryt:hing, ,quasi gubemator omnium'; hc was consulted before marriages were ammged,
before buildings were constructed. before any decision of importance was taken, and was
revemi and respected not only by bis fellow-citizens but by kiDgs, princes and popes."m
Ein Bild gewissermaßen von außen vennittelt Rubinstein. Er führt die Bedeutung der
Medici zurück auf einige ..wichtige Vorzüge: Sie waren nicht von Adel, sie übten ein
Gewerbe aus - daß es das bei weitem gewinnbringendste war, störte die Leute nicht,
da sie selbst deu Nutzen davon hatten -, sie traten stets einfach und bescheideu auf,
gaben sich wohlwollend, aber nicht herablassend, und vertrugen sich mit Menschen
aller Stände, ja sie schienen sich nicht von kleinen Landhesitzern und Handwerkern zu
unterscheideu."'" Diese hier beschriebene Bescheidenheit wird von der Literatur
einstimmig festgestellt.'" Sie verhalf ihnen zu Respekt und Anerkennung bei allen
Schichten der Bevölkerung. Nicht zu vernachlässigen ist jedoch, dass zuma1 Cosimo
stets auf subtile Art und Weise deutlich machte, unter wessen Obhut und Regie die
Dinge Gestalt annehmen: "Cosimo war während seiner ganzen Laufbahn bestrebt, sich
niemals über seine Nachbarn zu erheben, erlaubte aber auch deu Nachbarn nicht, seine
finanzielle Stellung und die dadurch bedingte tatsächliche Überlegenheit zu
vergcssen.,,3S5
Dennoch war der Aspekt der Egalität in dern politischen Engagement der Medici stets
vorherrschend. Die Medici waren "stets klug genug, sich nicht der öffentlichen
Meinung entgegenzustellen; sie schwammen immer mit dem Strom. Zur Renaissance
3S2 Brown, A. (1992): The Medici in Florence, The exercise and language ofpower, S. 18.
353 Brion (1970), S. 14.
354 Vgl. u. a. Brion: ,,Die Florentiner [ ... ] waren den Medici dankbar, daß sie die Unterschiede
zwischen Fleischern, Bäckern, dem Proletariat auf der einen. Finanz- und Handelsmagnaten auf der
anderen Seite nicht mehr betonten, sowie für ihren einzigartigen Mangel an Hochmut." Brion
(1970), S. 43.
35S Ebd., S. 38.
4.3 Die Medici als gesel1schaftliche Akteure 129
gehörte eine Art des Fühlens, Denkens und Schaffens, die dem Bediirfuis des Volkes
ebenso wie dem der Privilegierten oder der Elite entsprach.'dS6 Diese bestimmte Art
des Fiihlens und Denkens ist am ehesten als Durchlässigkeit zu beschreiben. Es
scheint, als wäre auch das eine zentrale Prägung der Medici gewesen, welche aus eben
dieser Egalität erwachseo ist - dass sie diese vorab beschriebene floreotinische Kultur
der Dorchlässigkeit in sozialen und gesellschafllichen Belangeo mit geformt und selbst
vorgelebt habeo. In diesem Sinoe beschreibt Brioo die Medici weiterhin als ,,moderne
Menschen, Menschen ihrer Zeit [ ... ] [sie] lebten ausschließlich in der Gegenwart und
für die Zukunft".357 So schritteo die Medici mit der Veränderung des architektonischen
Stadtbildes voo Florenz allen vornn und machten durch ihr politisches, untemehmeri-
sches und, wie noch ausführlich zu zeigen sein wird, mäzenatisches Engagement früh
das möglich, wofür die Reoaissaoce heote bekannt ist.
Ein weiterer Aspekt des politischen Wirkens der Medici und vornehmlich erneut
Cosimos war die Art und Weise, wie sie ihre finanzielle Vormachtstellung auf
politischer Ebene einzusetzen wussten. Zunächst hatteo sie durch die europaweite
Vemetzung der Medici-Bank ein gutes und solides Kootak1netzwerk errichten köunen,
welches sie auch zu politischen Zwecken einzusetzen wussten. Darüber hinaus gaben
die Medici nicht nur der Kommune Bank- und persönliche Kredite, sondern auch
bedeutenden Bürgem und politischen Verbündeten wie dem Mailänder Herzog
Francesco Sforza3S8 und versicherten somit sich selbst und auch die Stadt seiner
Loyalität
Kent weist an dieser Stelle erneut auf die aktive MitaIbeit Cosimos an der Rettuug,
Stabilisierung uud Neuausrichtung des florentinischen Staatsfuuds Monle Commune"lJ
hin. Dieses Instrument zur Stabilisierung des öffentlichen Haushaltes, einer heutigen
Anleihe bzw. eiuem Buud vergleichbar, wurde zwar nicht von Cosimo erfunden, aber
unter seiner Führung strategisch vorteilhaft genutzt und verwaltet. Hier machte
Cosimo sich sein umfangreiches Wissen über das Bankwesen sowie sein Netzwerk
zunutze und trug sontit zum gesunden Fortbestehen des Fonds und gleichzeitig zu der
Sanierung des Haushaltes von Florenz bei.
So waren die Medici also auch in gesellschafllicher Hinsicht nicht nur beispielhaft für
ihre Zeit, sondern in vieler Hinsicht maßgebend, indern sie ihre finanzielle Unabhän-
gigkeit und ihre außergewöhnlichen Fähigkeiten dazu eiusetzten, sich gesellschaflspol-
itisch zu engagieren. So trugen sie in hervorragender Weise zu dern Bild bei, welches
die Geschichte von dern Florenz der Renaissance gezeichuet hat.
Für die ntit dieser Arbeit ins Auge gefasste Fragestellung ist es von besonderem Inte-
resse, dass diejenigen Medici, die besonders innovativ im wirtschaftlichen Bereich
waren, zugleich auch als Mäzene eiue bedeutende Rolle spielten. Ihr Mäzenatentum
war vor allem dadurch geprägt, dass die Medici nicht nur Sammler waren, sondern die
erste Generation von Mäzenen, welche eine wirkliche Nähe zu den Künstlern und
sontit auch zum kreativen Schaffensprozess der Kunst etablierten. Mit ihrer Unterstüt-
zung förderten sie die großen Talente der Renaissance auf den unterschiedlichsten
Gebieten - wie Brunelleschi, Raffael, Michelangelo, Bonicelli, Galileo Galilei uud
Leonardo da Vinci. Unter ihrem Engagement in der Politik und ihrer Patronage in der
Kunst reifte Florenz zu dern blühenden Epizentrum der Kunst der Renaissance,
welches der Nachwelt Schätze hinterlassen konnte, die zu den größten der
Kunstgeschichte zählen. Vor allem Cosimo und Lorenzo de' Medici waren also im
wahrsten Sinne des Wortes nah dabei, als die Zentralperspektive und der Disegno
entstanden.
Wenn in der Folge die Aktivitäten der Medici als Mäzene näher betrachtet werden, so
geschieht dies letztlich im Hinblick auf den grundlegenden mit dieser Arbeit in den
Blick genommenen Zusammenhang zwischen Kunst und Unternehmertum. Die Frage
ist damit, ob ihnen ihre Nähe zur Kunst geholfen hat, die schon angesprochenen
weitreichenden wirtschaftlichen bzw. untemehmerischen hmovationen Wirklichkeit
werden zu lassen, die mit ihrem Namen verbunden werden.
Der Kunsthistoriker Brion fasst das mäzenatische Engagement der Medici kurz
zusammen:
,,Als Mäzene, die ihrer Vaterstadt auf fast allen Gebieten künstlerischer und geistiger
Tätigkeit fiir Ja.hrzehntc eine führende Rolle verschafften, haben Cosimo der Alte und sein
Enkel Lorenzo der Prächtige Einzigartiges geleistet. [ ... ] Im. Trubel der politischen Geschäfte
vergaßen sie es nicht. RafIaeI und Miche1angelo mit bedeutsamen Aufträgen zu versehen.
[... ] Jede Gesclrichte der Medici muß zugleich die geistigen und künstlerischen S1rfunungen
schildern, die diese Familie so nachdrücklich gefordert hat ,0362
Gleichzeitig hebt Brion noch einmal den besonderen Charakter der künstlerischen
Entwicklung hervor, welche die Medici auf vielfältige Weise unterstützten: Sie war
revolutionär, sie zog schnell weite Kreise und sie weckte auch die Begeisterung und
das Interesse der florentinischen Bevölkerung. Hierin waren die Medici zentrale
Akteure, ähnlich einer Spinne im Netz dieser Renaissancebewegung, welche sie stels
weiter entwickelten. Dies bedeutet jedoch, dass die Kunstlörderung durch die Medici -
über das explizit politische Engagement der Familie hinaus - eine wichtige
gesellschaftliche Funktion innerhalb des Florenzjener Zeit war.
Nun ist unbestritten, dass die Medici die Künste deshalb lördern konnten, weil sie
wirtschat1lich so erfolgreich waren, was zu einem großen Teil ihrer innovativen Unter-
Hierbei sind die Untersuchungen von Dale Kent zu Cosimo de' Medici von zentralem
Interesse. Kent hat in ihrem Werk zu Cosimo ein sehr plastisches Bild seiner Person
gezeichnet, wobei sie seine diversen Schaffens- und Tätigkeitsbereiche zu einem
stimmigen Gesamtbild integriert. Durch die Analyse seines Briefverkehrs und eine
genaue Betrachtung seines Aktionsradius kann Kent viele Aspekte historischer und
soziologischer Art beleuchten und Cosimo mitten im Geschehen im Florenz der
Renaissance darstellen. So kann sie für die Kernfrage dieser Untersuchung einige
wichtige Hinweise liefern.
364 Das Mäzenatentum ist der einzige Bereich, mn welchen sich nahezu alle Genemtionen dieser
Dynastie verdient gemacht haben. Angefangen von Giovanni di Bicci über Cosimo bis hin zu
Piero, Lorenzo und dem späten Cosimo 11. haben alle ein außergewöhnliches Interesse für Kunst
bewiesen und sich um. sie bemüht Allerdings wird die Kemth.ese dieser Arbeit anhand der Figuren
des Giovanni di Bicci und des Cosimo, die am stärksten als Mäzene und als Unternehmer
hervorgetreten sind, erneut am deutlichsten, weshalb ihnen besondere Aufmerksamkeit gelten soll.
4.4 Das außergewöhnliche Mäzenatentum der Medici 133
Die Medici haben sich mit ihrem kulturellen Engagement ein Denkmal geschaffen.
Doch über diese Repräsentationswirkung in Bezug auf die Familie hinaus hat ihr
mäzenatisches Engagement der Stadt einen eigenen Stempel aufgedrückt.
"These stamps of Mcdici power scattercd throughout the city did not cntail any spatial
reorganization comparab1c to the baroquc plans of other princes; but as ubiquitous reminders
to the public of thc family' s presence, they gave thc urban scene a kind of unity that it bad
never bad before...366
Mit ihrer Art, Kunst auch im öffentlichen Raum zu etablieren, waren die Medici
offensichtlich erfolgreich und die stetige Einführung revolutionärer Kunstwerke und
neuer Kunatformen durch die Familie hat in Florenz eine allgemeine Geschmacks-
bildung provoziert, hat ein Bewusstsein für ästhetische Zusammenhänge wachsen
lassen. Die nachfolgende Beobachtung Brions bezeichnet die Stärke des impulses,
welcher von den Medici ausgegangen ist.
,,Das Mäzenatentum, wie es in Florenz von den Medici und ihren Rivalen geübt wurde,
wirkte vereinheitlichend auf die florentinische Kunst [ ... ] Die Renaissance setzte dieses
umfangreiche und großzügige Zusammenwirken von Künstler und Gesellschaft fort; sein
Publikum unterstützte den Künstler auf jeden Fall, gleichgültig, wie modern das Werk, wie
erstaunlich sein Inhalt oder wie anstößig die Wirkung für den Durchschnittsgescbmaclc war.
Stilistische Neuerungen wurden allgemein begrüßt, und eine Kluft zwischen der Ästhetik: des
Künstlers und der des Publikums, wie sie seit dem Ende des 19. Jahrhunderts besteht, hat es
damals offenbar nicht gegeben.•.367
Daran lässt sich ablesen, wie weit entwickelt das allgemeine ästhetische Empfinden
der Renaissancebevölkerung gewesen ist, welches durch die Medici mit geformt und
erweitert worden ist.
Auch Berti nimmt auf diesen Sachverhalt Bezug: "Und es besteht kein Zweifel, dass
die Geschmacksbildung der Florentiner zu einer Zeit, in der es noch keine Museen
gah, massgeblich von der täglichen Konfrontation mit diesen Meisterwerken beeio-
flusst worden ist. ,,368
Für diese Geschmacksbildung war, so Kent, Cosimo als Leitfigur bzw. Vorbild von
besonderer Bedeutung. Die Kunat, die er forderte, ist gemeinhin als Bereicherung
empfunden worden.
"Thc personal interests so vividly imagined in Cosimo's patronagc were interests he shared
witb. thc F10rentine popalo. Ta those who considered him to be the mirror of the pcrfect
mercbant and virtuous citizen, bis so-called private commissions of works of art appeared in
fact as contributions to and in the public interest'.)69
Die Bedeutong der Medici als Mäzene beschränkt sich mithin also nicht darauf, dass
sie einzelne Künstler gefördert oder sich selbst ein Denkmal geschaffeo hätten.
Vielmehr übernahmeo sie durch jene Förderlrultor jeoseits ihres explizit politischen
Engagements auch eine wichtige Rolle in der Gesellschaft. Bis dahin, dass sie dazu
beigetragen haben, dass durch ihreo Beitrag so etwas wie eine städtische ldeutität
entstanden ist. An dieser Stelle wird ersichtlich, dass die Förderung von Kunst auch
gesellschatlliche Relevanz haben kann. Dass diese in dem Stadtstaat der Renaissance
eine andere Dimeosion hatte als in deu hoch differenzierten giobalisierten Gesell-
schaften heute, versteht sich von selbst.
Giovanni bewies bei der Auswahl der Künstler ein gutes Auge für Talent und begann
bereits früh Masaccio, Donatello und Brunelleschi zu fOrdern. Die drei Künstler neh-
men nicht nur kunstgeschichtlich, sondern auch innerhalb der mediceischen Kunstför-
derung besondere Positionen ein: Brunelleschi, weil er den entscheidenden Beitrag zur
Erfindung der Zentralperspektive leistete, Donatello, weil er als Maßstab des Reliefs
und der Bronzeskulptur gilt, und Masaccio weil er die Zentralperspektive als Mittel
der Darstellung von Räumlichkeit in die Malerei übertrog.372 Über die Beziehungen,
die diese Künstler untereinander verbanden, gibt es in der Forschung einige
Anna!nnen und Beobachtongen, welche zu der Vorstellung von einer gegenseitigen
Befruchtong führen. Der Kunsthistoriker Beck hat sich mit der Frage auseinander-
gesetzt, wie Masaccio zu seinen so umwälzenden Entdeckungen in der Malerei kam,
und stellt hierzu fest:
,,In a search for th.e formative origins ofMasaccio's artistic statement [... ] an examination of
the relationship between th.e younger master and Brunelleschi and Donatello ofIers a fruitful
avenue of speculation. Connections between these artists are con:firmed by contemporaty
documents and visual evidence, and for years critics have underscored the importance of
these connections ...373
Beck geht weiterhin davon aus, dass sowohl Brunelleschi als auch Donatello Masaccio
an die Bildhauerei heranfiihrten - eine handwerkliche Kunst, welche dieser später auf
die Leinwand übertrug. ,,1t seems to me quite natural, although it is completely unsup-
ported by any available evidence, !hat the older artists - Donatello and Brunelleschi -
both practicing sculptors, should have encouraged Masaccio, a young geröus who had
come to Florence from the Tuscan hinterland, to try his hand in the plastic arts.'~74
Dies ist ein klassisches Beispiel der fruchtbaren Wirkung von Begeguungen
unterschiedlicher Arbeitsfelder und Techniken in der Kunst Quasi im Zentrum al\
dieser Themen, künstlerischen Felder und Gespräche befand sich Giovanni di Bicci.
poor youth wbo was then so Iittle known, and Masaecio introduced a portrait ofhim into bis fresco
picture ofth.e consecmtion ofthe Carmine church in 1422 [ ... ]." Ebd., S. 4l.
3n ,,1t was Masaccio th.e painter who singlo-handedly translated th.e princip1es and discoveries of bis
older contemponuies to a two-dimensional surface and thereby established the guidelines for
Renaissance painting. Within a span often years at most. Masaccio created a revolution in painting
that still, after more than :live hundred years, retains much of its original validity. By conquering
the third dimension he obtained an absolute position in th.e deve10pment of ,modem' painting."
Beck, J. H. (1971): Masaccio's Early Career as a Scu1ptor, in: The Art Bulletin, Vol. 53, No. 2
1971, S. 177-195.
'" Beck(1971), S. 177-195.
374 Ebd., S. 177-195.
136 4. Die Medici als wesentliche Akteure des Renaissancegeschehens
Giovanni war mit diesen Künstlern so verbunden, dass er Brunelleschi mit dem später
so berühmt gewordenen Kuppelbau der mediceischen Familienkirche San Lorenzo und
dem Ausbau der übrigen Kirche beauftragte und damit nicht nur den ersten
überkuppelten Zentralbau, sondern auch den ersten Kirchenbau der Renaissance
überhaupt zu verantworten hat.'" Selbst auf heutige Maßstäbe übertragen war der
Kirchenbau von San Lorenzo ein riesiges Unterfangeu, sowohl architektonisch als
auch finanziell - und noch in einero dritteo Aspekt, den der Kunsthistoriker Gombrich
herausstellt: "This was not a matter of simply commissioning Brunelleschi cr
Michelozzo to design a church here or a palace there, not even ooe of merely paying
out large sums 10 contractors. Private patronage on such aseale still bad to create its
instrument and organization. ,,376
Obwohl man dies nur in Form einer Vermutong äußern kann, so ist es doch sehr
wahrscheinlich, dass die Schaffung von ,,Instrument und Organisation" dieses Proekts
vor allero dadurch möglich wurde, dass Giovanni als Mäzen mit diesen Künstlern bei
der Planung und Ausarbeitong der Pmjekte sehr eng verhooden w.;n und hierdurch
auch an ihrero küostlerischen und freundachaftlichen Austausch untereinander
teilnahm. Durch seine Funktion als Mäzen dürfte Giovanni wie ein Kootenpunkt
gewirkt haben. Masaccio, so stellt es die Kunstgeschichte dar, übersetzte die
matheroatisch - architektonische Zentralperspektive Bronelleschis in die Kunst und
wurde hierin Wegbereiter der Dreidimensionalität auf der Leiuwand. Haben diese
Künstler auch Giovanni neue Perspektiven aufgezeigt? Kent sieht ihn jedenfa\ls als
einen innovativen KunstfOrderer an: "What evidence remains cf bis public patronage
suggests that Giovanni was an innovative patron in the terms and style of bis
period,,378
37SBrion erwähnt den weiten Horizont, den Giovanni di Bicci auch in seine Aktivitäten im
kiinstlerischen Bereich einbrachte: .,Ausserdem darf man nicht die Rolle übersehen. die Giovanni
di Bicci am Anfang des Jahrhunderts gespielt bat Er organisierte den Wettbewerb um den Bau der
Kuppel von Santa Maria del Fiore und kam auf den glücklichen Einfall, durch die auswärtigen
Vertreter des mediceischen Bankhauses das Vorhaben im Ausland bekannt zu machen und mit
Architekten in Deutschland, Frankreich und den Niederlanden Beziehungen aufzunehmen." Brion
(1970), S. 84.
'" Gombrich (1985), S. 44.
377 Auf die spezifische Nähe der Medici zu den Künstlern wird hiernach Bezug genommen.
'" Ken! (2000), S. 247.
4.4 Das außergewöhnliche Mäzenatentum der Medici 137
4.4.3 Die vielseitige Entfaltung des Mäzenatentums unter Cosimo de' Medici
"Neri di Gino [Capponi] once said to Cosimo: ,/ wish you would say things clearly so that I
could understandyou. ' [Cosimo] replied: ,Leam my language. ".379
Giovannis Sohn Cosimo wuchs mit allen soeben erwähnten Künstlern quasi auf. 1389
geboren gehörte er zu ihrer Generation,380 wodurch sie fiir ihn bereits früh zu nahen
Bekannten wurden und er in die Rolle als Mäzen hineinwachsen konnte, die er nach
dem Tod seines Vaters übernahm. Cosimo gilt Kunsthistorikern heute als wichtiger
Vermittler, als Ermöglieher jener Räume und Formen von Begegnung, die maßgeblich
zu der Durchlässigkeit und gegenseitigen Befruchtung beigetragen haben, durch
welche die Renaissance geprägt gewesen ist Er war gleichzeitig Produkt und treiben-
de Kraft dieser Entwicklung, in deren Zentrum er sich befand.
Giovanni di Bicci starb noch vor der Fertigstellung von San Lorenzo und Donatello
hat seine wichtigsten Werke, wie den David und die Cantoria, später im Auftrag
Cosimos vollendet. Wie wirkte Cosimo de' Medici insgesamt als Mäzen? Wie lässt
sich sein Verhältnis zu, sein Umgang mit Kunst und Künstlern beschreiben?
Bei Cosimo manifestieren sich beinahe alle Eigenschaften, fiir die die Familie der
Medici so berühmt geworden ist. Dies wird in der Kunstgeschichte insbesondere
deutlich durch die Auswertung seiner Briefe und der Schilderungen von Lebenssitua-
tionen und Begebenheiten durch Zeitgenossen wie beispielsweise seinen Biographen
Vespasiano da Bisticci. Waren Giovanni und Cosimo in ihrer Veran1agung und ihren
Aktivitäten einander anscheinend ziemlich ähnlich, so ist Cosimo dennoch aus
heutiger Sicht die schillerndere Gestalt
Dies mag zum einen daran liegen, dass die Lebensspanne, in der er im künstlerischen
Bereich wirksam sein konnte, länger war als bei Giovanni. Jener konnte sich erst
relativ spät der Kunst zuwenden, nämlich als seine finanzielle Position sicher zu
werden begann. Cosimo hingegen konnte sich von Anbeginn beidern zuwenden. Der
zentrale Unterschied zwischen Cosimo und Lorenzo besteht wiederum dariu, dass
Lorenzo sich beinahe ausschließlich der Kunst zuwandte und daneben nahezu keine
unternehmerischen Fähigkeiten hatte. So mag Lorenzo aus kunstgeschichtlicher
Perspektive interessant sein, jedoch tritt bei ihm keinerlei aussagekräftige Verbindung
zum. Untemehmerischen hervor.
379 Poliziano, A. (1494): Detti piacevoli 57, No. 174, entnommen aus: Kent (2000), S.15.
380 Masaccio (1401-1428), Dona..llo (1386-1466), Brunelleschi (1377-1446).
138 4. Die Medici als wesentliche Akteure des Renaissancegeschehens
Cosimo wuchs bereits im Spannungsfeld voo Unternehmerischem und Kunst auf und
beide Bereiche waren bei ihm sein Leben lang intensiver miteinander verbunden als
bei Giovanni. Dies äußerte sich zunächst in seinem allumfassenden Interesse und
seiner großen Offenheit für geistige und künstlerische Neuerungen.
Schon Heyck beschreibt Cosimo in dieser Hinsicht wie folgt: "Cosimo gehört zu den
in allen Zeitaltern häufigen hervorragenden Persönlichkeiten, die durch Geburt auf
eine mehr praktische Tätigkeit hingewiesen und für diese vorgebildet, daneben sich
ein aufrichtiges Sehnen nach freierer und schönerer Geistestätigkeit bewahren und
durch den lebhaften Eifer ihrer Mußestunden das wiedereinzubtingen niemals müde
werden, was sie nicht zur Hauptsache haben machen dürfen...381 Ähnlich formuliert es
rund achtzig Jahre später auch der Historiker Schevill:
"Cosimo was a crcature of the Renaissance. And because undeniably he was from bis birth
steeped in its spirit, he presents himselfto view, exact1y like the whole upper stratum ofbis
Florentine fellow-citizens, as a Renaissance man. [ ... ] Since Cosimo was brought up as a
banker and throughout bis life gave bis time and attention chiefly to business and politics, he
was not, and could not be. in a professional sense either a humanist or an artist. However.
endowed with a keen mind, he interested himself in a11 that the humanists and artists were
doing and, possessed of vast means, he was pleased to encourage their activities by bis
patronage. Ibis defines bis historie role in the field of cu1ture: he was a patron, a
Maccenas.•0312
Wie Heyck und Schevill aufgrund ihrer historischen Stodien zusammenfassen, hatte
Cosimo ein intrinsisches und sehr authentisches Interesse an Kunst entwickelt.
Hierbei ist das spezifische Interesse, mit einem genauen Blick nicht nur für künstle-
rische Fragestellungen, soodem auch für die praktischen Lebensumstände der
Künstler, eine große Besonderheit Cosimos gewesen. Die Historikerin Kent akzen-
tuiert aufgrund ihrer Analyse voo Äußerungen über Cosimo sowie voo dessen
Korrespoodenz mit Zeitgenossen einerseits dessen eindrucksvolle Nähe zum könstle-
rischen Bereich, merkt aber auch an, dass dies in jener Zeit insgesamt weniger über-
raschend war, als man es wohl heute fände:
"Thc breadth and depth ofCosimo's informed lay intcrest in ideas and images as praised by
contemporaries is con:finned by correlating the mass of information from letters, treatises,
and wiUs of the leading literary and artistic figures of bis time. Cosimo not ooly knew them
all weil; he shared thcir interests and participatcd in their activities to a degree that might
surprise people with modern businessmen in mind, but was by DO means unusual in the
fifteenth century. ,,383
Auch der Kunsthistoriker Brion beschreibt die Fortschrittlichkeit der Medici und
insbesondere Cosimos, indem er vor allem ihre Offenheit für das Ungewohnte im
Bereich der Kunst unterstreicht. Hier ist zunächst die ungewöhnliche Nähe zu
Kunstwerken und deren Schöpfero aufflillig.
,,Bei der Entwicklung dieser epochemachenden Bewegung [der Renaissance; J. F.] in Florenz
spielten natürlich die Medici eine wichtige Rolle. Sie waren auf sehr eigene und glänzende
Weise ,moderne Menschen' [ ... ] so nahmen sie doch auch besonders solche Künstler lDlter
ihren Schutz, die sich durch schöpferische Phantasie und moderne Formgebung
auszeichneten. Während die Platoniker aus einem. Haufen widersprüchlicher Ideen sich den
Rohstoff für ein umfassendes philosophisches Lehrgebäude ZlJsornrnensuchten, f'drderten und
billigten die Medici ästhetische Neuerungen von ganz unakademischer und entschieden
individualistischer Art.•.317
Ein zentraler Aspekt des mäzenatischen Engagements Cosimos bestand darin, dass er
Künstler von dem Zwang, durch Knnst ihren Lebensonterhalt zu verdienen, befreite
und sie somit, wie wir es heute sagen würden, von einem Verwertungsdruck entlastete.
Zudem war er ihnen bei der Materialbescbaffung behilflich und unterstützte sie
oftmals mit einer monatlichen Zahlung, statt einzelne Werke anzukaufen.
Schon Vespasiano da Bisticci, ein Zeitgenosse Cosimos, welcher zudem als sein wich-
tigster Biograph gilt, hält in seiner Beschreibung Cosimos diese Eigenschaften fest
und würdigt hierin seine außergewöhnliche Herangehensweise an die Kunst und ihre
Akteure.
,,He took kindly notice of alt musicians, and delighted greatly in their art. He bad dea1ings
with painters and scu1ptors and bad in bis housc works of divers masters. He was cspecially
inclined towards scu1pture and showed great favour to alt worthy craftsmen, beiDg a good
friend to Donatcllo and all scu1ptors and pamters; and because in bis time the scu1ptors found
scanty employment, Cosimo, in order that Donatello's ehise! might not be idIe,
commissioned him to make the pulpits ofbronze in S. Lorenzo and the doors ofthe sacristy.
He ordered the bank. to pay every week enough money to Donatello far bis work and far that
of bis four assistants. [ ... ] Cosimo was thus liberal to an men of worth through bis great
liking for th.em. He bad good knowledge of architeeture, as may be seen from the buildings
he left, none ofwhich were built without consulting him.; moreover, alt those who were about
to build would go to him for advicc. ,,388
Aus der Schilderung da Bisticcis geht hervor, auf wie vielfältige Weise Cosimo sich
fiir die von ihm erwählten Künstler einsetzte. Er war stets darum bemüht, ihr Eiokom-
men auf eine Alt zu sichern, welche diese von Verwertungsdruck ihrer Arbeit entlaste-
te. Im Gegenzug forderte er, in die Gestaltung der von ihm beaufuagten Knnst- und
Bauwerke mit einbezogen zu werden, und begleitete diese Knnstwerke von Beginn bis
zu ihrer Fertigstellung durch aktive Beratung und mit seinen Vorschlägen. Gleichzeitig
schuf er sich unter den Kunstf6rderern seiner Zeit einen besonderen Ruf als Berater in
Kunstfragen.
Den Aspekt, dass Cosimo die Künstler von dem Druck befreite, ihre Werke ständig
auf dem Markt verkaufen zu müssen, unterstreicht auch Goldthwaite in seiner Analyse
von Vasaris Vite. Indem Cosimo die Künstler also in seinen Schutzraum des Patronats
einbezog, konnten diese ihren Inspirationen freien Lauf lassen, olme Rückaichtoabme
auf die Erwartungshaltung des Marktes, soudem vielmehr unter der Regie eines
verständigen Förderers - eine wichtige Voraussetzung, um die vorhandenen Talente zu
entfalten. "Vasari regarded Cosimo as a prospective Maecenas, of the kind that
388 Bisticci, V. da (1997): Lives ofillustrious Men ofthe XVth Century, S. 224.
4.4 Das außergewöhnliche Mäzenatentum der Medici 141
Florence had never seen, who could improve the artist's life by taking him out of the
grubby marlretplace and bringing him into the security ofthe court. ,,389
Auch Kcnt zeigt auf, wie weitreichend das Engagement und die Hilfestellung waren,
die Cosimo den Künstlern für die praktische Verwirklichung ihrer künstlerischen
Visionen bot. So nutzte er seine Kontakte und sein Netzwerk, um die Künstler von
Problemen der Materialbeschaffung, Lieferung und Bezahlung zu entlasten.
"Cosimo's network of communication kept him informed concerning artist's movem.e.nts and
their achieveme.nts, just as he kept track. of politicians, merchants, and condottieri. Artists'
continuing relationships with many mem.bers of the Medici family and their friends over
severa1 generations might in sorne ways be seen as the group's collective patronage, smce
o:ftcn quite a slice of the patronage network would be activatod in the production of important
werks of art; in procuring materials, sotting out practical problems, with oversight, payment,
and dclivery.'.:390 Diese Beschreibung der Aufgaben des Mäzens vermittelt, wie weitreichend
die Anteilnahme ued praktische Einbindung der Mäzene bei der Entstehung der Kunstwerke
waren.
Ein weiteres wichtiges Merkmal von Cosimos Lebensfiihrung bestand darin, dass er,
wie andere Medici, die nach ihm kommen sollten, stets einen offenen Tisch führte, um
welchen sich Menschen unterschiedlicher Berufe, sozialer Herkunft und auch
Denkweise versammeln konnten und einen Ort gegenseitiger Inspiration vorfanden.
So unterstreicht Kent, dass der alleinige Blick auf Aufträge bzw. konkret auf Verträge
der Rolle nicht gerecht wird, die Kunstförderer wie Cosimo spielten:
,,Donatello and Michelozzo, artists to whom a large number of Cosimo's commissions have
bee.n attn"buted, were familiars of the Medici household. Most major artists associated with
their prominent patrons rar beyond the terms of contra.cts, on which attention has been too
exclusively focused in assessing the patron' s contn"bution to shaping works of art. •.:391
Kennzeichnend ist, dass sie alle in Cosimo auf ein infonniertes Gegenüber trafen, auf
jemanden, der ihre Visionen ZU verstehen und wohl auch zu lenken imstande war.
Brion hält hierzu fest:
,,Die pforten der Via Larga standen allen Gebildeten offen, auch einem Ladenbesitzer wie
PaImieri. Jeder, der Latein verstand und über literarische Themen mitreden konnte, war an
der Tafel der Medici ebenso willkommen wie die jungen Künstler, die von den großen
Herren in Voraussicht ihres zukünftigen Ruhms beherbergt wurden. •.3!i12
Brion fasst die Besonderheit dieser nicht allein auf die Mehrung des eigenen Prestiges
abzielenden Art des Mäzenatentums anschaulich zusammen:
,,Die Mcdici hätten, wie so viele andere Herrscher, sich darauf beschränken können. ibrer
Herrschaft durch Förderung von Kunst und Wissenschaft Glanz zu verleihen. Sie waren
jedoch nicht damit zufrieden, Architekten, Philosophen und Maler bloß finanziell zu
unterstützen. Sie wollten, so weit das dem. unterrichteten Dilettanten möglich ist, mit ihren
Schützlingen von gleich zu gleich verkehren, ungeachtet der Kluft, die den Künstler von dem
Betrachter trennt. der sein Wcrk bewundernd genießt Besonders Cosimo und Lorenzo gaben
sich die größte Mühe, es den führenden Geistern an Kenntnissen und Sachverstand
gleichzuttm. [ ... ] Sie waren als Humanisten genügend sachkundig, um in der gelehrten
Unterhaltung an der freigiebig gedeckten Tafel in der Via Larga ihren Standpunkt vertreten
zu können.•.:393
Brion beschreibt an dieser Stelle eine weitere Fähigkeit der Medici und insbesondere
Cosimos, nämlich die, sich dem Gegenstand der Kunst und ihren Akteoren verstehend
zo nähern. Es war für sie nicht ausreichend, Werke von offenkundigem Wert zo
sammeln und zo besitzen, sondern sie waren stetig bemüht, den Künstlern in Worten
und Taten näher zo konunen.
Auch Kent hebt diese Besonderheit des mediceischen Haushaltes hervor und schildert
sehr lebendig das Treiben und die Verschiedenheit der Besucher und ihrer Anliegen in
dem Haushalt Cosimo de' Medicis:
"Grcat patrons such as Cosimo de' Mcdici wem sought out by their friends and clients in thc
streets and in the cburches of Florence; at home in their houses they reccived a constant
stream of visitors. Supplicants besiegcd them with visits, notes, and gifts. Relatives, friends
and business associates flooded into the patace with help and information relating to the daily
conduct of thcir various business, official or informal, conccrning the bank, the state, or
simply the conduct of their daily lives, to deliver letters or to read those which others bad
sent. [ ... ] Tbe most intimate of the family's amici, thc leading citizens in whose company
they bad occupied communal offices, the factors of the bank, thc scholars and artists whose
advice and services they sought, the notaries and secretaries like Micheie del Giogante and
Ser Alcsso, who served as pa1ace factotums, werc in effect additional members of the
bousehold...394
Was Kent hier plastisch werden lässt, ist le1ztlich ein großes und vielfältiges soziales
Netzwerk, welches durch die offene Mentalität ihres Mittelpunkts Cosimo geprägt
war. Dieses Netzwerk ermöglichte ihm einen stetigen Kontakt mit Könstlern und hielt
ihn stets über ihr Fortkommen informiert. Damit verfolgte er nicht nur die von ihm
beauftragten Arbeiten, snndern ebenso die anderer Patronatsherren. Cosimo bzw. die
späteren Medici bildeten das Zentrum dieses sozialen Netzwerkes und verstanden es,
die neu entstehenden Strömungen, Entwicklungen und Beziehungen an den richtigen
Punkten miteinander zu verknüpfen und somit ein Feld des gegenseitigen Austausches
zu schaffen.
Hiermit erscheinen die Medici erneut als zentrale Akteure in einem vielseitigen
Austausch, der als charakteristisch für das Klima der Durchlässigkeit der Renaissance
zu bewerten ist Es ging hierbei ganz offensichtlich nicht nur um rein bilaterale
Beziehungen zwischen Cosimo und bestimmten Künstlern, sondern vielmehr um ein
breites Netzwerk, welches auch andere Mäzene, und ihres Zeichens dann wahrschein-
lich ähnlich erfolgreiche Unternehmer, einband und dabei alle Lebensbereiche seiner
Mitglieder umfasste und insofern auch eine Durchlässigkeit zwischen Wirtschaft und
Kunst ermöglicht haben dürfte.
,,As rar as their patronagc was concerncd, thc Mcdici dealt with artists as thcy did with
the everyday demands of other friends and business associates. ,,395 •.Medici artists
were advised, consulted, supported (and oftcn harrassed) by the farnily and other
mem.bers of their patronage network. ,,396 Diese Definition Kents ist besonders
interessant, da sie vorstellbar macht, wie sich durch Austauschprozesse innerhalb
dieses Netzwerkes eine gewisse Form der Geschmacksbildung etabliert hat, welche
auch als kulturbildend betrachtet werden kann.
Es ist lohnend, an dieser Stelle innezuhalten, denn das Bild, welches sich hier von
Cosimo und dem von ihm geschaffenen Umfeld abzeichnet, ist das Idealszcnario der
von Jobansson beschriebenen Interseetion. In den spezifischen von Cosimo geschaffe-
nen Räumen und Formen der Begegnung trifft künstlerisch-geistige Anregnng konkret
und in zwangloser, direkter örtlicher Nähe auf Geschäftsleute, Angestellte und
Politiker. Genau auf diesen Austausch zielt Johansson ab, wenn er von dem Medici-
Effekt spricht
Ein weiteres zentrales Merkmal der Medici und insbesondere Cosimos war seine -
wenn auch per definitionem nicht professionelle - Kennerschaft im Bereich der Kunst
Von klein auf ntit Künstlern in nahem Kontakt, zeigte er sich stetig neoen
Ausdrucksweisen offen gegenüber und stsnd gleichermaßen in der Öffentlichkeit dsfiir
ein.
Diese Kennerschaft, welche bei Cosimo besonders auffällig war, wird in der Literator
durchweg betont. Der Historiker Wackernagel unterstreicht zunächst grundsätzlich,
dass Kennerschaft eine Basis für eine sinnvolle Kooperation mit den Künstlern war:
,,But even witltin the old attitodes, first overtorned probably only by Cosimo, it must
have appeared necessary far a patron who wanted to be weH served to have some
understanding of ort bimself...397
Doch für Cosimos Zeiten hebt er zusätzlich hervor, wie informiert, aber auch wie
aufgeschlossen sämtliche am Kunstgeschehen beteiligten Protagonisten waren:
"Only then can we measure and appreciate what it meant for the patton 10 allow these
revolutionaries, who so recldessly threw a11 previously valid artistic conceptions to the winds,
to express themselves in publicly displayed altarpieces er church murals. But that such things
could happen at alt, in spite of an the consternation and the anger, which certainly o:ften
became very loud, of tbe majority of contemporary observers, is surcly a testimony not only
to the progressive insight, the resolute cooperation, and the genuine amstie understanding of
those who commissioned these works and bad thcm p1aced in churches; it also sheds light on
the far-reaching freedom in the choice of artist and artistic style that the church authorities
concem.ed allowed to the patrons...398
Wackernagel betont zunächst den Wagemut der Medici im Allgemeinen; denn sie
stehen hier für eine Form des Mäzenatentoms, die radikal neoe Kunst- und
Bauvorhaben unterstü_. In gewisser Weise verbürgten sich die Medici für ihre
Künstler und die von ihnen geschaffenen Werke. Sie standen sontit für eine
zukunftsorientierte Denkweise, welche sie befähigte, künstlerischen Visionen zu
folgen und die Entwürfe - im tiefsten Sinne den Disegno - der Künstler zumindest so
weit zu verstehen, dass sie sie unterstützen und im Zweifel anch gegen die Meinung
der Allgemeinheit verteidigen konnten. Nach allem, was wir aus ihrem eigenen
Briefwechsel sowie aus Äußerungen von Zeitgenossen wissen, war es zum einen ihr
geschultes Auge für die Kunst, das sie hierzu bef"ahigte, und außerdem, und dies dürfte
das Entscheidende gewesen sein, ihre Denkweise, welche der eines Künstlers äholich
geworden war, indem sie deren Entwurfs- und Arbeitsweise gedanklich gefolgt sind
und ihrer Art des Vorgehens vertrauten. Insgesamt muss man ihre Denkweise und
gruudsätzliche Haltuug natürlich auch innerhalb des oben geschilderten allgemeinen
Renaissanceklimas verstehen, deren Aspekte der Durchlässigkeit und der vielseitigen
Aufgeschlossenheit Neuem gegenüber sie ebenfalls geprägt haben dürften.
Kent bezeichuet dieses Renaissaneeklima als eiue neue Kultur und verdeutlicht
Cosimos Position darin:
"This cu1ture produced minds that were versatile and flexible, the antithesis of the rigid
specialization that now shapes scholars and divides artists, patrons, and viewers into seperate
objects ofstudy. Cosimo de Medici was himself a product of this shared cu1ture. [... ] the self
he defined in bis commissions was constituted by bis association with a great varie% of
cu1tivated men comprising the circle at whose center the Medici established themselves: 99
Dass er diese Kultur - und zugleich die anerkannte Identität als Bürger und Christ -
entschieden verkörpert, ist nach Auffassung Kents der entscheidende und prägende
Aspekt von Cosimos außerordentlicher Form der Kunstförderung:
"When we speak of Cosimo as a patron, this is what we should bear in mind, not simply the
narrow issues of the extent of bis personal knowledge of Latin or the expertise of bis
aesthetic judgement It is this broader significance of Cosimo's cu1ture, together with bis
strong impulse to define and express himself as a citizen and as Christian., which accounts for
the coherence of bis oeuvre, and for the communication and cooperation between Cosimo the
patron, and the artists who worked for him, permitting each to realize bis aims within the
framework of Cosimo' s commissions. ,0400
Entscheidend an dieser Feststellung Rents ist überdies die Überlegung, dass Cosimo in
seinem Patronat in gewisser Weise den Ralunen und Bewegungsradius der von ihm
betreuten Künstler mitgestaltete. Cosimo, in seiuer Eigenschaft als typischer Akteur
der Renaissance, wurde durch sein Engagement weiterhin Mitgestalter jener von Rent
beschriebenen Kultur. Er war somit wesentlich mitbeteiligt an der Entstehung eiues
Nährbodens, auf welchem zunächst jegliche Form des äathetischen Ausdrucka
gedeihen konnte, ungeachter wie verständnislos die übrige Bevölkerung darauf
reagieren mochte. Cosimo setzte das Einverständnis und die Neugierde anderer
Betrachter viehuehr stillschweigend voraus und wirkte somit als Förderer
kulturbildend.
Kent (2000), S. 128. Diese Beobachtung kann Kent bis hin in die privaten Notizen der Akteure
399
verfolgen: "The body of texts and precepts conserved in personal quaderni encouraged the
cu1tivation of certain habits of mind, most particularly the perception of congruences and
correspondences between the verbal and the visua1. the worldly and the otherworldly, the classical
and the Christian., the individual and the corporate, the sublime and the ridicu1ous." Ebd.
""Ebd.
146 4. Die Medici als wesentliche Akteure des Renaissancegeschehens
Indem er das Hervorbringen solcher neuen Werke unterstützte und sie im öffentlichen
Raum zugänglieh machte, forderte er andere Betrachter quasi auf, diese Entwicklung
mitzugehen.
Ein weiterer Aspekt, welcher aus der Schilderung Kents hervorgeht, besteht darin,
dass Cosimo sich durch die von ihm beauftragteo Arbeiten "definierte und
ausdriickte". Dies beschreibt mehr als die bekannte Form der Repräsentation des der
eigenen gesellschsftlichen Stellung oder des Reichtums durch Kunst. Hierin, so Kent,
komme sein vielfaItiger Geist zum Ausdruck, welcher durch seinen Austausch mit
einer Vielzahl unterschiedlicher Menschen geprägt worden ist. Die Kennerschsft
Cosimos ging einher mit einer Begeisterung fiir das Neue, das Talent und den Einfalls-
reichtum der Künstler. Das setzt voraus, dass er mit ihrem Werk und dessen
Entwicklung vertraut war und eine treffende Einschätzung fiir das Potenzial der
jeweiligeo Künstler gehabt habeo muss. Cosimo hslte offeosichtlich ein Auge fiir
Talent und wurde umgekehrt von den Künstlern als ein Gesprächspartner eingestuft,
dem sie auch ihre künstlerischen Vorstellungen erläutem konnten.
the possibilities of perspective, may bave displayed them for Cosimo's delight in bis
panels for the Medici house depicting the Battle of San Romano [ ... ].,,401
Inderu er von einer Sensibilität als Voraussetzung fiir diese Urteilsflihigkeit spricht, ist
es anscheinend in seinen Augen ein bestimmter Charakterzug, der die Voraussetzung
fiir eine solche Vielseitigkeit begriindet. Sein eigenes Interesse und seine Fähigkeit
zum Lernen und zur Auseinandersetzung bewegten sich nicht innerhalb der Grenzen
eines Fachbereichs. Diese Haltung gibt möglicherweise Aufschluss über seine
Anschlussf"ahigkeit und sein Talent, in so vielen Bereichen verstehend, inspirierend,
fordernd und fördernd tätig zu sein sowie die richtigen Menschen miteinsnder in
Kontakt zu hringen.
Umgekehrt mögen die weitreichenden Interessen Cosimos und seine Vielseitigkeit und
Urteilskraft zu großen Teilen auf den regen Austausch mit Künstlem und Gelehrten
der unterschiedlichsten Couleur zurückgehen. Auch hierfür finden sich in der Literatur
zahlreiche Belege. So ist Cosimo auch ein wichtiger Akteur in der Entstehung des
Renaissancehumanismus, welcher sich in Florenz zu etablieren begann und der auf
intellektueller Ebene vielfach als das Ende des Mittelalters bezeichnet wird.
Machiavelli hält hierzu knapp sechzig Jahre nach Cosimos Tod fest:
,,Die Gelehrten fanden in Cosimo einen Freund und Beschützer. Er berief nach Florenz den
Argyropulos von griechischer Nation und einen der gelehrtesten Männer seiner Zeit, um die
florentinische Jugend in der griechischen Sprache und anderen Fächern zu unterrichten. Er
hielt in seinem Hause den Mamillo Ficino. zweiten Vater der Platonischen Philosophie, den
er sehr liebte, und damit dieser seinen Studien ungestörter obliegen und er dessen Umgang
bequemer genießen könnte, schenkte er ihm eine Besitzung in der Nähe der seinigen zu
Careggi. Diese seine Klugheit also, seine Reichtümer, seine Lebensweise und sein Glück.
erwarben ihm bei den Florentinern zugleich Liebe und FUICht. bei den Fürsten Italiens nicht
bloß, sondern des gesamten ElU'Op8 außerordentliche Achtung. So ließ er seinen
Nachkommen eine solche Grundlage, daß sie ihm in großen Eigenschaften gleichkommen,
im Glück ihn bei weitem übertreffen konnten.'<404
Besonders der Austausch mit Marsilio Ficino, "the great scholar whom Cosimo treated
almost as a son,,,40S muss für Cosimo von hohem Wert gewesen sein und sein waches
Denken zur weiteren Entfaltung gebracht hsben. Ficino wuchs als Sohn von Cosimos
Leibarzt in Cosimos Haus auf. Auch bei i1un entdeckte Cosimo früh die vorhsndene
Begabung und er führte ihn an die platonische Lehre heran. Ficino gilt seitdem als
einer der ersten Vertreter des philosophisch geprägten Humanismus. Hieraus erwuchs
Cosimo ein reger und begabter Gesprächspartner, 1reuer Begleiter und Berater in
wichtigen Fmgen. Auch für Ficino blieb Cosimo eine wichtige Bezugsperson. Diese
wechselseitige Entfaltung zeigt einmal mehr, wie sehr Cosimo in der Lage war,
Potenziale wahrzunehmen und durch seine Förderung Wirklichkeit werden zu lassen,
so dass Neues entstand, von dem er und die anderen profitierten.
In ihrer Biographie Lorenzo de' Medicis sieht Sturm Cosimo gar als entscheidenden
Wegbereiter für die humanistische Tradition. Cosimo stand demnach am Aufang einer
umfassenden Bildungsrefonn, in der er durch Förderung von humanistischen Denkern
wie Ficino, Bruni und Bracciolini Maßstäbe für die weitere geistige Entwicklung der
Renaissance setzen sollte .
So kann man Cosimo auch hier als wichtigen Motor einer epochemachenden
Bewegung ansehen.
,.A man of politica1 and financial genius, Cosimo was also a key figure in maintaining
Florence's primacy in the revival of leaming. K.cenly interested in both literature and
philosophy, he collected books and established libraries, and inBtalled first Leonmdo Bruni
(d. 1444), lhen Poggio Bracciolini (d 1459), bolh leadmg humanists, ., chaocellors of lhe
Republic. He attracted the leading scholars ofbis days to Florcnce, and handsomcly rewardcd
their cfforts, making many ofthem bis personal friends. Marsilio Ficino (d.1499), who unter
Cosimo' s patronage devoted himself to philosophy, founding the Florcntine Platonic
Academy and translating the known works of Plato, ca1led Cosimo bis ,inte11ectua1 father',
and other men ofFicino's stature visited the house in the Via Larga, ate at Cosimo's table,
and discussed with him their ideas. It was into this atmospherc of intcllectua1 discovery and
confidence that Lorenzo was born...406
Cosimo erscheint in dieser Schilderung wie ein Magoet, welcher jedwedes geistiges
bzw. künstlerisches Potenzial an sich zog und ebenso von geistigen Größen seiner Zeit
als Instanz wahrgenommen wurde.
Gleiches gilt fiir den Dichter Francesco, welcher von Cosimo schon sehr früh gefördert
wurde und diesen fortao ebeufalls als intellektuellen Vater bezeichnete.
•.As we have seen, Franccsco sent bis carlierst poems to Cosimo appealing to him far help as
bis ,father, master and bis patron', and later in the letters of consolation he sent the Medici he
consistent1~d Cosimo as the man from whom hc bad rcceived fricndship and
patronage.'
Aus der Beschreibung Kents geht überdies hervor, dass die Medici und insbesondere
Cosimo mit den Kreativen ihrer Zeit durchaus auch kontroverse Gespräche gefiihrt
und sich von ihnen haben herausfordero und kritisieren lassen. Ihre Auseinander-
setzung mit ihnen umfasste alle Lebensbereiche und so waren sie auch teilweise dem
Widerspruch dieser originellen Persönlichkeiten und ihrem Widerstand gegen
Wie gezeigt, brachten die Medici hier eine besondere Kennerschaft und auch geradezu
eine Fähigkeit zum Disegoo ein. Die künstlerischen Werke, die auf diese Weise
zustandekamen, sind darum offenbar nicht zufiillig von herausragender Qualität:
,,1t bas often been observed that these artists did their best work for the Medici. but only
recently, with the expansion of a mther rigid art historica1 eanon of excellence that exc1uded
:from rea11y serious consideration an but the major protagonists ofthe classica1 revival, has it
been suggestcd that painters such as Angclico, Uccello, and Lippi also did tb.eir most
intellectua1ly demanding work for Cosimo and bis SODB. The Cosimo emerging :from this
study, {is]_ man fascinated and drawn by _ variety ofinreU_ [ ... ]:_11
411 Dieser außergewöhnlich starke Einfluss der Mäzene auf die Werke der Künstler wurde bereits in
der Darstellung der Rahmenbedingungen der Kunst der Renaissance angedeutet
413 Georges, K. E., (1983): Ausführliches lateinisch-deutsches Handwörterbuch, S. 703.
414 Ebd.
41S Ebd.
152 4. Die Medici als wesentliche Akteure des Renaissancegeschehens
Neben dem Prcstigcaspckt, welcher mit der Patronage verbunden war und den auch
Cosimo fiir sich nutzte, betont damit auch Esch einen zweiten Aspekt der Wahrneh-
mung Cosimos durch seine Zeitgenossen. llmen galt er als Teilhaber dieses
schöpferischen Werks.
Der Briefwechsel eines anderen Mitglieds aus der Medici-Dynastie mit Matteo de'
Pasti ist ein direkter Beleg fiir jene Intensität der Beziehung zwischen jenen Mäzenen
und den von ihnen geförderten Künstlern. In diesen Briefen erkennt Kent eine große
Lebendigkeit und detaillierte Form des Austausches zu Fragen der kreativen Ausge-
staltung, wobei in diesem Fall Piero de' Medici hier einen sehr aktiven Part spielte. So
ist der Briefwechsel "c1ear testimony to the liveliness and precision of the verbal and
visuaI exchange between patrons and artist over the application of materials and
techniques rcconunended by the latter, and concerning the subject matter, chosen by
the patron, but well known also to the artist, who bad his own ideas about it".417
Zu der Intensität dieses Dialogs gehört es also auch, wie Kent besonders betont, dass
die Künstler nicht einfach die Forderungen der Mäzene erfiil\ten, sondern innerhalb
des gesteckten Rahmens ihre eigenen Ideen verfolgten.
"Closer attention to the conditions in which worb of art were produced revea1s that the
artist's creativity bad in fact to operate within the framework of the patron's fantasy.
Alth.ough. this fantasy contributed to defining the artist's creative problem, it did not preempt
the artist's choice of a solution. There is ample cvidence, increasing as the fi:fteenth century
progressed, that within the limits set by the patron, many great artists strove primarily to
please themselves or their professional peers. Cosimo's expectations did not cirumscn"be
Donatello's achievement, although thcy seem. to have been satisfied by it,0418
Dass die Künstler hierbei auch im Wettbewerb mit anderen Künstleru standen, dürfte
selbstverständlich sein.
Aber die ..ermöglichende Fantasie" lag eben beim Förderer - der seinerseits jedcch,
wie schon erwähnt, geprägt war durch die a\lgerneine Kultor seiner Zeit: ..Tbe
enabling fantasy was the patron's, but he too operated within a framework - the
expectations of his audience and the cultore !hat shaped thern.." l ' Andererseits macht
Kent ebenso durchweg deotlich, wie groß der Einfluss Cosimos auf die Kunst und wie
prägend sein vielseitiges Interesse fiir die Entwicklung der Kunst dieser Epoche
gewesen ist. Denn obwohl letztlich immer er es war, der die Richtung fiir die zu
entwickelnden Kunstwerke vorgab, hat Cosimo stets seine spezifische Fähigkeit
bewahrt, Talente gedeihen zu lassen. In gewisser Weise ist Cosimo mit dem Anspruch
an die Künstler herangetreten, stetig über das Vorhandene hinaus und dabei durchaus
auch oft ins Ungewisse zu wachsen. Hierbei hat er sich gern von dem Künstler in
neue, nie dagewesene Dimensionen hineintragen lassen. Diese wechselseitige
Ergänzung beschreibt Kent, wenn sie sagt: ..Tbe patron's directive role did not detract
from the ability of gifted artists at once to fulfil and to transcend his expectations;
indeed, it was this \alter ability !hat compelled the admiratioo of the sophisticated
Florentine audience whom patron and artist addressed.,,420
Der berühmte Kuppelbau von San Lorenzo ist hierfiir ein gotes Beispiel. Cosimo hat
Brunelleschi zu dieser Höchstleistung angespornt und dabei selber viel aufs Spiel
gesetzt. Neben einer fiir damalige Verhältnisse unerhörteo Geldsumme hat er dieses
Projekt auch mit seinem persönlichen Ansehen in der öffentlichen Wahrnehmung
getragen und vertreten. Um es zuzuspitzen: Wäre die Kuppel damals eingestürzt, hätte
Cosimo mit seinero Prestige und seiner Glaubwürdigkeit dafiir einstehen müssen.
41~ Ebd.
"" Kont (2000), S. 331.
421 K.ent greift hier auf das Dokument eines Cosimo vergleichbaren Mäzens zurück. da es von Cosimo
keine überlieferten StcllllllgD8.bmen zu den Impulsen seines Mäzenatentums gibt Giovanni
Rucellai war ebenso Bankier und Mäzen, jedoch in erheblich geringerem Umfang als Cosimo.
422 Tagebucheintrag Giovanni Rucellai's. Zitiert nach der Übersetzung von Kent (2000), S. 5.
154 4. Die Medici als wesentliche Akteure des Renaissancegeschehens
den grundsätzlichen Grad der Einbindung des Mäzens in den künstlerischen Schaf-
fensprozess gesehen. Die kunstgeschichtliche Bedentung dieses autobiographischen
Dokuments eines Mäzens der Renaissance wird von Kent wie folgt kenntlich gemacht:
,,Rucellai' s dictum is important because it presents the patron not just as sponsor, but auctor.
[ ... ] Nowadays this may seem. an extravagant claim, since we are accustomed to regard the
artiBt as tb.e author of the work. However if we hope to understand the art of the Renaissance,
we must understand the patron's point ofview. The fifteenth-century patron was not merety
the most privileged viewer of the art he commissioned; he was deeply implicated in its
authorship.•0423
Hier wird noch deutlicher als zuvor, dsss mit der Einbindung des Mäzens in die
künstlerische Auseinandersetzung ein großer schöpferischer Beitrag von seiner Seite
einherging. Der Mäzen hat seine kreative Fragestellung gewissermaßen dem Künstler
überantworte! und sich dabei von dessen Problemlösung inspirieren und leiten lassen.
Möglicherweise muss man sogar die Urheberschaft für das Werk bei Mäzen wie
Künstler gleichermaßen verorten.'"
Und die Medici waren besonders kreativ als Mäzene. Hei1mann beschreibt diese
Fähigkeit, indern er von dem Pflegen, Fördern, Entfalten und Erhalten spricht.
,,Das Geben-Können - das sich von der Verschwendung nicht tlW' durch das Maß, sondern
durch die genaue Sinngebung unterscheidet - konzentriert sich hier mit bewundernswerter
Konsequenz auf das Pflegen, Fördern, Entfalten und Erhalten der schönen Kiinste. Das Wort
,Medici' erfährt von hierher also seine eigene, tiefere Bestätigung. Man wird die Medici ohne
Bedenken die größten Mäzene der Geschichte nennen können; natürlich kommt es hier nicht
auf die Zahlen, sondern auf die Bewußtheit, Folgerichtigkeit und Treue des Handelns an.'042S
413Ebd., S. 5.
424K.ent fasst dies auch als ein Übersetzungsgescbehen zwischen Bedeutung und Visualität:
"Conversely. wbile the object itself reveals m.uch ofthe expressive problem the artiBt confronted in
representing its formal solution, the patron's expressive problem, although DO less real, is less
immediately apparent While form and meaning can hardly be divorced, the patron' s main
contribution to the act of creation was bis desire to express meaning visua1ly. The artist was
expected to fulfil bis patron's expressive expectations. but these cannot easily be distinguisbed
ftom bis own aspirations. or ftom the form with wbich he endowed them." Kent (2000). S. 3.
'" Heilmann (1973), S. 26.
4.4 Das außergewöhnliche Mäzenatentum der Medici 155
first five years of Cosimo's supremacy in Florentine affairs, and artists at work alt over the
city whose na:m.es have since become famous throughout the world.'0426
Young umreißt hier, wie groß die Wirkkraft Cosimos als Politiker auf die künstleri-
sche Entwicklung der Stadt gewesen ist. So wird erkennbar, was es ausmachen kann,
wenn jemand wie Cosimo mit all diesem Engagement für Kunst, politisch aktiv wird
und in seinen entsprechenden Funktionen eine Gesellschaft prägt. Die allgemeinen
Dimensionen des politischen Engagements der Medici sind weiter oben schon
skizziert worden427 und sollen hier für Cosimo nicht näher erläutert werden. Im Sinne
der Fragestellung dieser Untersuchung liegt es jedoch nahe, nun genauer zu beobach-
ten, wie Cosimos Mäzenatentum seine untemebmerische Aktivität geprägt hat.
Die Kunstförderuog ist damit Teil einer alle Bereiche durchziehenden Lebena1ta1tuog,
in ihr offenbaren sich auch sein Disegno, seine eigenen schöpferischen Qualitäten. Sie
wird ihm zu einem gleichberechtigten Lebensbestandteil. Cosimo verwendete einen
gleichrangigen Teil seiner Kraß und gedanklichen Energie auf wirtschaftliche,
politische, gesellschaftliche und künstlerische Belange. Somit blieben seine Bezüge
stets vielf"altig und er gestattete sich - und ermöglichte anderen - folglich ständig die
Verbindung traditionell getreunter gesellschaftlicher Bereiche. Die Kunst war ihm
gleichermaßen Ausdruck seiner Ideen und Gedankenwelt wie seine Tätigkeit als
So ergibt sich für Kent aus der Analyse von Cosirnos Briefwechsel, dass bei ihm jene
scheinbar voneinander getrennten Lebensbereiche in Wirklichkeit auf fundamentale
Art und Weise miteinander verbunden gewesen sind, letztlich, um der eigenen
gesellschaftlichen Identität Ausdruck zu verleihen.
Der Zusammenhang zwischen den unterschiedlichen Lebensbereichen ergibt sich, wie
man aus den bisherigen Ergebnissen zusammenfassen kann, bei Cosimo nicht nur aus
der allgemeinen Kultur der Renaissance, sondern zudem aus seinem durchlässigen
Wesen, seiner Fortschrittlichkeit in der Denkweise und seinem Gespür für Talent.
Cosirno zeigte ein umfassendes Interesse an der Gestaltung der Bildwerke bis hin zu
den Arbeitsbedingungen der von ihm betreuten Künstler. Dies erfuhr er in Ateliers
ebenso wie an dem von ihm. initiierten offenen Tisch, an welchem. er sich stets als
informiertes, interessiertes Gegenüber zeigte. Hieraus ließ er ein Netzwerk entstehen,
welches Künatler, Gelehrte und andere Unternehmer gleichermaßen wie
unterschiedliche Ausdrucksweisen umfasste.
Darüber hinaus war Cosirno ein willkommener und ebenbürtiger Gesprächspartner für
die Intellektuellen seiner Zeit. Er hatte sowohl einen geschulten Blick, welcher ihm
erlaubte, die künstlerischen Entwicklungen seiner Zeit zu begleiten und sie weiter
herauszufordern, als auch die Fähigkeit, diese in den breiten Zusammenhang seiner
vielseitigen Aktivitäten und Interessengebiete zu integtieren. Er batte gewissermaßen
Teil an dem Disegno seiner Künstler und der Epocbe, in welcber er lehre.
Dies markiert die entscheidende Facette Cosimos für diese Untersuchung. Denn man
kann davon ausgehen, dass diese Verbindung der unterschiedlichsten Ausdrucksfor-
men für sein Engagement als Entrepreneur ebenso förderlicb war: Der Disegno der
Epoche, an welchem er teilhatte und welchen er gleichsam durch sein mäzenatisches
Wirken ntit zu verantworten batte, dürfte ihm den Blick für das Schöpfetische
schlechtltin geöflhet und sontit gleicbermaßen seinen innovativen unternebrnetischen
Gestus befördert baben.
Seine Tätigkeit als Entrepreneur schien von der Kunst durchdrungen und die Kunst
von ihr.
"The great value of the letters of Cosimo de' Medici, bis family, and friends, which are a
major sourcc for this study, is in showing how apparently diverse aspccts of a patron's lifc
were fundamentally connected, creating a rieh context for bis patronagc of art. This is
particularly so since the support and promotion of artists and the acquisition of admired
objects were negotiated largely through the same pattonage channels as the operations ofthe
business and politics, and often by the same familiar group of friends, relatives, and
neighbors acting, by their own testimony, in response to the all-cncompassing imperatives of
personal association and obligation,'·431
Kent benennt drei Qualitäten, die Cosimo auszeicbneten und die ihn auch in die Lage
versetzten, ntit Unvorhergesehenem umzugehen: Zunächst seine Fähigkeit zur
Kalkulation, welcbe ihn für seine Aktivitäten im Bankbereich qualifizierten. Daröber
hinaus spricht sie Cosimo die Fähigkeit zum Balancieren zu und ebenso zum
Manövrieren von verschiedenen Bereichen. Die Beobachtung dieser verschiedenen
Wesenszüge unterstützt die Annahme, dass er eine gegenseitige Befruchtung seiner
verschiedenen Tätigkeitsbereiche stetig vorangetrieben bat "Coustantly calculating,
balancing, and maneuvering, his genius lay in his readiness to expoet the utterly
unforeseen, a lesson as useful to the biographer as to the strategist. ..432
431 Ebd., S. 8.
432 Ebd., S. 16.
158 4. Die Medici als wesentliche Akteure des Renaissancegeschehens
In gewisser Weise spricht Brion an dieser Stelle von einem spezifischen Blick der
Medici, also der Fähigkeit, Chancen, Talente und Möglichkeiten schneller zu erfaasen
als andere. Es liegt die Vennutung nahe, dass dieser Blick an der Kunst geschärft
wurde, bei den Abendessen um den runden Tisch herum, durch ein authentisches
Interesse und eine große Offenheit künstlerischen Neuerungen gegenüber, die eine
echte Kennerschaft haben entstehen lassen. Greift man den Aspekt des Blicks heraus,
so lässt sich dieser auch zur Zentralperspektive in Beziehung bringen: Cosimo setzte
sich intensiv mit der Zentralperspektive auseinander, er war einer der vomehmlichen
Förderer von Künstlern, die die neue Methode anwendeten. Er muss zwangsläufig mit
der Blicklenkung vertraut gewesen sein. Und die Fähigkeit, einen Blickwechsel
vorzunehmen, andere Sichtachaen an Probleme anzulegen, ist möglicherweise im
Zusammenhang mit diesem Engagement entstanden. Um seinen Künstlern nachfolgen
zu können, um ihnen in manchen Dingen eventuell sogar voraus gewesen zu sein, um
selber dieses schöpferische Potenzial, jenes Disegno in der Kunstförderung entfalten
zu können, hat es dieser Fähigkeit unbedingt bedurft.
beansprucht hat wie seine Geschäftsvorgänge, finanziell und operativ. So wurden die
meisten Zahlungen und Kunsttransporte aus dem Ausland über die Unternehmens-
filialen veranlasst.
Cosimo verband auch hier, so viel darf man als gewiss ansehen, ganz konkret seine
Fachkennmis im Bankenwesen ond der Politik mit seiner Leidenschaft fiir die Kunst,
seinem Wissen um angemessene Förderung, seinem Bestreben zur Entfaltung des
Ästhetischen.
Insgesamt entsteht hier von Cosimo das Bild eines durchweg inoovativen Menschen,
welcher von den wesentlichen Eigenschaften der Renaissance - Durchlässigkeit,
Neugierde und Vielseitigkeit - geprägt war. Gleichzeitig bewegte er sich in einem
Umfeld, welches sich Neuerungeo gegeoüber offen zeigte. Cosimo lebte also in einer
Kultur, welche er zugleich selbst weiter ausdehote und nährte und von der er ebeoso
selbst profitierte. Dies ist mit Hinblick auf die Forschungsfrage von entscheidendem
Interesse.
161
Obwohl Schumpeter selbst vom Entrepreneur gar nicht spricht, liefert er doch eine
hilfreiche Bildlichkeit fiir die Benennung des Unterschieds, deu viele Autoren durch
die beideu Begriffe maßgeblich betonen möchten. Denn Schumpeter untetteilt
436 Malek, M.I1bach, P. (2004), Entrepreneurship. Prinzipien, Ideen und Geschäftsmodelle zur
Unternehmensgründung im Informationszeitalter.
Die Entstehungsgeschichte und Vie\fa\t des Begriffs wurde in jüngerer Zeit z. B. von
VolkmannfTokarski (2006)438 und Birkenbach (2009)439 ausführlich dargelegt. Nach-
folgend sollen nur die wichtigsten Definitionen kurz vorgestellt werden, die für die
weitergehende Beantwortung der Fragestellung sinnvoll erscheinen. So urufasst der
Begriff geschichtlich eine große Bandbreite. Im Mittelalter bezeichnete er noch einen
Geistlichen, im 17. Jahrhundert dann den Leiter einer Militärexpedition, einen
Adventurer, dem das Wagnis und der Aufbruch auf die Stim geschrieben stehen.'"
Hier werden bereits Assoziationen an den in den vorigen Kapiteln beschriebenen Ty-
pus des Renaissanceunternehmers geweckt. War er nicht auch ein Abenteurer, der auf
gewagte Art und Weise die damalige Welt im Handel und Bankenwesen erschloss?
437 Vgl. hierzu: "Deshalb sind die Unternehmer ein besonderer Typus, deshalb auch ihr Tun ein
besonderes Problem und der Erzeuger einer Reihe bedeutsamer Phänomene. [... ] Zweitens durch
den Gegensatz zweier theoretischer Apparate: Statik und Dynamik. Drittens durch den Gegensatz
zweier Typen von Verhalten. die wir UDS der Wirklichkeit folgend als zwei Typen von Wirtschafts-
subjekten vorstellen können: Wirte schlechtweg und Unternehmer." S c h _ (1997), S. 119 ff.
438 Volkmann, C., Tokarski, K.. O. (2006): Entrepreneurship. Gründung und Wachstum von jungen
Unternehmen.
439 Birk.enbach, K.. (2009): Unternehmergeist in neuen Formen. Form follows function. Was
Architektur die Wirtschaft lehrt.
... Vgl. ebd, S. 255 ff.
'" Kao, J. (1998): Entrepreneorship, Creativity, aruI OrgaJrization. Tex~ Cases & reading'. S. 91.
5.1 Begriffsklärong Unternehmer, Entrepreneur 165
Bei Kao heißt es: "Certainly lbey are catalysts. They make !hings happen. They use
creativity to conceive new !hings. [".] Thus, the entrepreneur is bolb a creator and an
innovator....443
Es gilt also iusbesondere im Hinblick auf die Fragestellung dieser Untersuchung sich
von der starren, funktionalen und rein operativen Begriffsvorstellung des Unterneh-
mers zu lösen und sich stattdessen der kreativen, "unternehmenden" und damit immer
auch innovativen Seite zuzuwenden.
Faltin definiert in diesem Sinue den Entrepreueur ntit Verweis auf Goebel'" als
jemanden, "der das Neue in die Welt trägt'·.44~ Er stellt dabei eine innere
Unabhängigkeit des Denkens in den Vordergrund, eine Unbedingtheit in der Heran-
gehensweise, welche es zulässt, dass neue Ideen entstehen und sich entfalten können.
Zurückgreifend auf die Darstellung Goebels schreibt Faltin:
,,Er, [der erfolgreiche kreative Entrepreneur, J. F.] sei vom Drang nach Erfahrung, Entfaltung
und Gestaltung getrieben. Sinnieren könne als Rausch erlebt werden und zur Sucht geraten.
Kontakte mit anderen würden in den Dienst der eigenen Idee gestellt. Arbeit werde als
lustvoll erlebt, sie sei Hobby und Freizeit zugleich. Untemehmensgründer wollen lieber
kleine Hemm. als große Knechte sein,. Eigensinn und ein archaisches Unabhängigkeitsstreben
würden sie bestimmen, dazu komme die Fähigkei4 Erfahrungen gewinnbringend zu
verarbeiten. Unternehmer [... ] müssten antizipatorisch denken und Visionen von übermorgen
entwickeln. Und vor allem müssten sie mit ausgeprägten Ambivalenzen leben: der
Ambivalenz zwischen Nähe und Distanz. Hingabe und Aufgabe, Nehmen und Geben, Macht
und Ohnmacht. Unternehmer, die sich behaupten, leben in und mit Zerreißproben, ohne
zerrissen zu werden. ,0446
Vorab sei die sehr treffende, knappe Zusammenfassung von MalekIlbach zitiert:
"Schumpeter beschreibt den Entrepreneur als jemanden., der Wissen lebendig werden lässt -
das heißt, er muss nicht unbedingt Neues erfinden. In seiner Definition hat der Entrepreneur
den Wunsch, außerhalb von gewohnten Bahnen aus träumerischen Gedanken Wirklichkeit
werden zu lassen. Gleichzeitig stellt er Entrepreneure als Innovatoren heraus, die den
,Zerstörungs- und Emeuerungsprozess' des Kapitalismus vorantreiben. Damit sieht
Schumpeter den Entrepreneur als den Motor der fortlaufenden Voriinderung der Ökonomie
und die Zerstörung einer bestehenden Ordnung als notwendige Voraussetzung. Seine
Aufgabe sei es, Produkte und Prozesse zu reformieren oder zu revolutionieren. Dazu sind
seiner Ansicht nach vielfältige Wege denkbar, sei es durch Einsatz neuer Erfindungen,
Herstellungsverfahren, OrganisationsfoI'lJlell., Erschließung neuer Märkte oder anderer die
Ökonomie vorantreibenden Möglichkeiten.'M7
Wie bisher werden auch im Folgenden aus Gründen der sprachlichen Vereinfachung in
dieser Untersuchung die Begriffe Entrepreneur und Unternehmer synonym verwendet,
da zuma1 Schumpeters Arbeiten, aber auch diejenigen anderer Autoren vor allem
älteren Datums, so verfahren. Es sei jedoch hiermit klargestellt, dass in dieser
Darstellung unter einem Untemehm.er niemals der "Wirt" im. Schumpeter'schen Sinne
verstanden sein soll, sondern die Arbeit gänzlich der Definition des Aufbruchs im
Sinne Faltins folgt.
447 MaleklIbach (2004), S. 107. Hier ist zudem auffällig, dass die Autoren bei der Figur des
Unternehmers in Referenz zu Schumpeter bereits vom Entl'ept'el1eW' sprechen.
... Schumpeter (1997), S. 111.
5.2 Der "wahre" Unternehmer nach Schumpeter 167
und die Fähigkeit zur Neukombination erlischt. So heißt es in Bezug auf den Unter-
nehmer: ,,[ ... ] weshalb er [der Unternehmer, J. F.] den Charakter verliert, wenn er die
geschaffene Unternehmung daun kreislaufmäßig weiterbetreibt".449 Das bedeutet
nicht, dass der Prozess des Werdens mit der Gründung eines Unternehmens beendet
wäre, er kann sich vielmebr auch hernach in der steten Entfaltung neuer Kombinatio-
nen fortsetzen.
Auch trennt Schumpeter den innovativen Unternehmer vom Erfinder, obwohl beide
Fuuktionen in manchen Fällen auch zusammenfa\len können. Der Erfinder hat bei
Schumpeter die Konnotation des technischen "Tüftlers". Bei dem innovativen Unter-
nehmer hingegen unterstreicht Schumpeter dessen Fähigkeit zur Neukombination
bestehender Faktoren sowie seine Fähigkeit, diese daun auch auszufiihren und umzu-
setzen:
,,Die Funktion des Erfinders oder überhaupt Technikers und die des Unternehmers fallen
nicht zusammen. Der Unternehmer kann auch Erfinder sein und umgekehrt, aber
grundsätzlich Dm' zufälligerweise. Der Unternehmer als solcher ist nicht geistiger Schöpfer
der neuen Kombinationen, der Erfinder als solcher weder Unternehmer noch Führer anderer
Art. Sowohl was sie tun, ist verschieden. als auch die Eignung zu dem. was sie tun -
,Verhalten' und ,Typus'. Ferner bedarf es wohl keiner Rechtfertigung mehr, warum wir
Untemehmertätigkeit nicht als ,Arbeit' bezeichnen."""so
Das zentrale Merkmal des Unternehmers jedoch, das ihn gewissennaßen dazu
befähigt, sich von diesern Kreislaufbzw. der Tätigkeit der Arbeit zu entfernen, ist nun
laut Schumpeter seine spezifische Fähigkeit zur schöpferischen Zerstörung. Das ist die
Kernthese seiner Theorie der wirtschafilichen Entwicklung. Olme dieses disruptive
Element des Unternehmers würde die Wirtschaft in eine Spirale der Erschlaffung
verfallen. Erst durch den Unternehmer, "der unaufhörlich die Wirtschaftsstruktur von
innen heraus revolutioniert, unaufhörlich die alte Struktur zerstört und unaufhörlich
eine neue scham [kann dies gelingen, J. F .]. Dieser Prozeß der ,schöpferischen
Zerstörung,4S1 ist das für den Kapitalismus wesentliche Faktum..,,452 Für radikal neue
und wirtschaftsverändemde Entdeckungen werden also zunächst Menschen gebraucht,
~ Ebd., S. 116.
450 Ebd., S. 129.
451Das Konzept der schöpferischen Zerstörung wurde ursprünglich von Niet:zBche geprägt. So sprach
dieser von Schaffenden, die man Vernichter nennen wird (vgl.. Nietzsche, F. (2008): Also sprach
Zarathustra, S.24 ff.) Werner Sombart griff diese Idee au±: als er sagte: "Wiederum aber steigt aus
der Zerstörung neuer schöpferischer Geist hervor [ ... ]." (Sombart, W. (1913): Krieg und
Kapitalismus, S.207). Reinert und Rcinert (2006) haben diese Verbindung genauer betrachtet Dies
ist ein interessanter Gedanke auch zum. Verständnis der Entstehung des Kapitalismus in der
Renaissance, würde jedoch an dieser Stelle zu weit vom Thema entfernen.
'" Schump_ (2005), S. 137/8.
168 5. Entrepreneurship und Kunst - eine innere Verwandtschaft
die in der Lage sind, jene neuen Kombinationen zu erkennen. Das Element, welches
Schumpeter hierfür als zentral benennt, ist das "Schöpferische", welches in seiner
Konzeption jedoch unweigerlich das Motiv der Zerstörung beinhaltet Die Zerstörung
liegt datin begründet, dass durch ein Aufkommen neuer Kombinationen im Markt
oftmals alte überflüssig werden. 4S3 Dieses lässt sich nicht aus dem nonnalen Kreislauf
des Wirtschaftens heraus erklären, muss also mithin seine Ursache anderswo haben.
Schumpeter benennt drei Motivfamilien, die diese Ursache einkteisen. Als erste
Motivfamilie führt er Traum und Willen an: ,,Da ist zunächst der Traum und der Wille,
ein privates Reich zu gründen, meist, wenngleich nicht notwendig, auch eine
Dynastie."'" Als zweite Motivfamilie kennzeichnet er den Siegerwillen und die
Sehnsucht nach Erfolg.
Als dtitte Motivfamilie schließlich benennt er den inttinsischen Drang des Unterneh-
mers zur Gestaltung:
,,Freude am Gestalten endlich ist eine dritte solche Motivfiunilie. die zwar auch sonst
vorkommt, aber nur hier das Prinzip des Verhaltens beschließt. Das kann sowohl bloße
Freude am. Tun sein: Der ,Wirt schlichtweg' bewältigt mühsam seinen Arbeitstag, unser
Typus hat einen KrifteüberschuB, der, wie andre Felder der Betätigung, so auch das
wirtschaft1iche wählen kann und an der Volkswirtschaft ändert und in der Volkswirtschaft
wagt, um des Ändems und Wagens und gerade der Schwierigkeiren willen. Als auch speziell
Freude am Werk, an der Neuschöpfung als solcher: Sei das nun etwas Selbständiges oder
ununterscheidbar von der Freude am Tun...455
Die Freude daran, eine neue Kombination zu gestalten, ist also ununterscheidbar von
jeglicher anderen Art der Freude arn Tun. Eine wirtschaftlich gestaltende Aktivität ist
eine Betätigong unter möglichen anderen. Diese Feststellung gibt der Kennzeichnung
des Schöpfetischen beim Unternehmer nochntals eine tiefere Bedentung. Hieraus wird
ersichtlich, dass das Unternehmetische an sich einer gestaltenden Kraft entspringt.
Diese gestaltende Kraft ktnm sich in diversen anderen Feldern fortsetzen und agiert
somit übergreifend.
453 Ein vielzitiertes Beispiel ist hier das von dem Unternehmer Henry Ford entwickelte Automobil,
welches die Verwendung von Kutschen überflüssig machte. Das Auto ist in seiner Zweckmäßigkeit
der Kutsche überlegen. Indem Ford also auf schöpferische Art und Weise etwas Neues schuf.
zerstörte er gleichsam eine bestehende Struktur.
'" Schumpet<r (1997), S. 138.
45S Ebd., S. 138-9.
5.2 Der "wahre" Unternehmer nach Schumpeter 169
Der Unternehmer muss also eine von ihm erkannte Neukombination in die Vorstel-
lungswelt anderer transponieren können. "Während in gewohuten Balmen dem
normalen Wirtschaftssubjekt sein eigenes Licht und seine Erfahrung genügt, so bedarf
es Neuern gegenüber einer Führung."'" In der Folge stellt Schumpeter den Vergleich
zum Bauern her, der ,,keinen Schritt aus der gewohuten Bahn tut". Er kann es nicht,
sondem bedarf der Führung "Weil das Wählen neuer Methoden nichts Selbst-
verständliches ist und nicht schon ein Begriffselement rationellen Wirtschaftens. ",158
Schumpeter erklärt dieses Verfolgen gewohuter Bahnen, wie es die meisten Menschen
tun, als ein Ergebnis einer Prägung heraus, mithin durch Erziehung, Schulung und
Lebenserfahrung bedingt:
,,Das kommt daher, daß - was hier nur zu konstatieren ist - jede Erkenntnis und Handlungs-
gewohnheit, die uns einmal erworben ist, so fest und so ununterscheidbar von den übrigen
Elementen unserer Person in uns ruht wie der Eisenbahndamm im Boden; daß sie nicht
jedesmal erneuert und bewußt zu werden braucht, sondern hinabsinkt auf die vorhandenen
Schichten von UnterbewuJltem [ ... ]. Und auch für das Wirtschaftsleben folgt daraus, daß
jeder Schritt aus dem Bezirk der Routine Schwierigkeiten hat, ein neues Moment involviert
und daß dieses Moment beschlossen ist in - und das Wesen ausmacht - der Erscheimmg:
Führerschaft.<0459
Der Unternehmer muss "den Bauern" (wie der "Wirt" mehr als Bild denn als Bezeich-
nung realer Angehöriger bestimmter Berufsgroppen zu verstehen) also gewissermaßen
aus seiner gewohuten Bahn herauslenken. Es gilt dafür eine Hebelkraft zu entfalten,
die groß genug ist, dass sie den, wie Schumpeter es bildlich fasst, ,,Eisenbahndanun"
des Unterbewussten,''' welcher nämlich die durch Erlerntes und Gewohnheit
bestimmten Bahnen als scheinbar unveränderbar sichert, durchbrechen kann. Diese
Hebelkraft zu entfalten, sind laut Schumpeter explizit neue Methoden notwendig.
Insbesondere bedarf der Unternehmer einer neuen Methode des Handelns, die
gewissermaßen über der Alltagsbewältigung anzusiedeln ist und stattdessen stetig
vorhandene Muster bricht. So heißt es hierzu: Es "fehlen dem Wirtschaftssubjekt
außerhalb der gewohnten Bahnen die ihm innerhalb derselben meistens sehr genau
bekannten Daten fiir seine Entschlüsse und Regeln fiir sein Handeln. [ ... ] aber andre
Dinge in seinen Dispositionen müssen unsicher, noch andre bloß zu ,erraten' sein.,,461
Hieraus ergibt sich fiir den UnterneInner dann zum einen die Charakteristik, dass er
sich qua Definition auf Bahnen außerhalb der Gewohnheit bewegen muss. Diese
Bahnen begründen dann gewissermaßen eine neue Handlungsgewohnheit des
untemelnnenden Subjekts. Weiter beißt es dann hierzu bei Schumpeter:
"Wohl handelt es auch jetzt nach einem Plan; es wird sogar viel mehr bewußte Rationalität
darin stecken als im gewohnten, der als solcher überhaupt nicht ,überlegt' zu sein braucht;
aber dieser Plan muß erst erarbeitet werden. [ ... ] Der gewohnte hat die ganze scharfrandige
Realität der Vorstellungen von Dingen, die wir gesehen und durchgelebt haben; der neue ist
eine Vorstellung von Vorgestelltem.·0'\62
Den Unterschied zwischen dem Handeln nach Gewohnheit und dem Handeln nach
neuen Maximen macht Schumpeter dann erneut in Anwendnng einer Bildlichkeit
deutlich:
,,Nach ihm handeln und nach dem Gewohnten handeln sind so verschiedene Dinge wie einen
Weg bauen und einen Weg gehen: Und das Bauen eines Weges ist so wenig ein bloßes
gesteigertes Gehen" als das Durchsetzen neuer Kombinationen ein bloß graduell vom
Wiederholen der gewohnten verschiedener Prozeß ist.'.463
Mithin kennzeichnet den UnterneInner und dessen Führung ein spezifisches Handeln,
welches jenseits des gewohnten wirtschaftlichen Weges zu verorten ist.
'" Ebd.
463 Ebd., S. 125.
464 Ebd., S. 126.
5.2 Der "wabre" Unternehmer nach Schumpeter 171
Diese Fiihrerschaft entfaltet sich aus der Wahl neuer Methoden, die feste Deokge-
wohnheiten gewissermaßen überlisten und mittels dieser neuen Denk- und Handlungs-
weise Wirkung ausüben. Dies muss durch die Wahl einer Hebelkraft entstehen, welche
groß genug ist, dass sie Wirkung auf andere auszuüben vermag. Diese darf und kann
auch nicht in der Tradition, also in dem Weitertragen derselben Denkmuster und
Strukturen, bestehen.
,,Ist er doch ganz besonders traditions- und beziehungslos, der wahre Hebel der
Durchbrechung aller Bindungen [ ... ]. Hat er doclt auszuarbeiten, was die anelern fertig
vorfinden; ist er doch Vehikel einer Umorganisierung des Wirtschaftslebens in der Richtung
privatwirtschaftlicher ZwcckmäJ3igkeit...-I66
Interessant ist an dieser Stelle die Feststellung, dass der Unternehmer in erster Linie in
der Richtung privatwirtschaftlicher Zweckmäßigkeit agiert. Sein Gestalten, sein
Handeln und sein Denken, also mithin seine schöpferische Schaffenskraft ist primiir
auf den privatwirtschaftlichen Prozess fokussiert. In der Privatwirtschaft will er also
über sich und andere Führung übernehmen.
In Bezug auf die Hinderlichkeit fester Denkgewohnbeiten beim Erreichen der eigenen
Ziele heißt es dann weiter bei Schumpeter, dass es des steten Aufbrechens verkrusteter
Denkstrukturen bedarf, um in jenem "dynamischen Zustand" des Unternehmers zu
verbleiben. Denn sobald die Tätigkeit sich lediglich kreislaufartig fortsetzt, wird der
Unternehmer zum Wirt bzw. zum Arbeiter. Also bedarf es der steten Neu1enkung des
Blicks, der Anregung und Stimulation.
Kombination zu ringen und sich dahin zu bringen. in ihr eine reale Möglichkeit und nicht
bloß Traum. oder Spielerei zu sehen. Diese geistige Freiheit setzt einen großen Überschuß
von Kraft über das Erfordernis des Alltags voraus, ist etwas Eigenartiges und ihrer Natur
nach selten.'.467
Aus den Äußerungen Schumpeters ist ein gewisser erstrebenswerter Zustand des
Unternehmers ablesbar. Dieser Zustand soll im Folgenden mit dem Begriff der
Schwebe gefaast werdeo, um die verschiedenen Motive, die Schumpeter hierzu
einfiihrt, zu bündeln: die große Lebendigkeit des Unternehmers im Umgang mit
Vorhandenem bei einer gleichzeitigen Fähigkeit, dynamisch in daa Neoe vorzustoßen.
Eine wichtige Rolle dürfte hier auch der Aspekt der Dorchlässigkeit spieleo, welcher
bereits in der Darstellung der sozialen Rahmenbediogongen der Renaissance als
zentral erschienen ist: Durchlässigkeit zwischen verschiedenen Tätigkeitsbereichen,
zwischen dem Bekanoten und dem Neuen und obuebio zwischen verschiedenen
sozialen Milieus ist sicherlich eine Bedinguug für daa, was Schumpeter als die
notwendige geistige Freiheit des Unternehmers bezeicbuet, eine Grundbedinguug für
die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit dem Neuen zu. Beide Aspekte, die
Schwebe wie auch die Dorchlässigkeit werden in der weiteren Argwnentation
hinsichtlich innovativer Stimuli aus der Kunst von Interesse sein. ".
So heißt es bei Schumpeter:
,,Immer ist das Überwinden dieses Widerstandes eine Aufgabe besonderer Art, die es im
gewohnten Ablauf des Lebens nicht gibt, eine Aufgabe auch, die ein Verhalten besonderer
Art erfordert.,0469 Der Entrepreneur braucht Stimuli, er muss ein Verhalten besonderer Art
entwickeln, um. sich in der Schwebe des Untemebmerischen zu halten und nicht in den
ewigen Kreislauf des Arbeiters abzurutschen. Es muss sich dabei um eine Kraft handeln, die
stark 2eIlug ist, dass sie den Widerstand der Gesellschaft bricht und die Gedanken wandern
lässt 4'10
Das Entscheidende für Schumpeter ist dann ein spezifischer Blick, welchen sich der
Entrepreneur zo erhalten hat:
,,Hier kommt fiir den Erfolg alles auf ,Blick' an, auf die Fähigkeit, die Dinge in einer Weise
zu sehen, die sich dann hinterher bewährt, auch wenn sie im Momente nicht zu begründen ist,
und das Wesentliche fest und das Unwesentliche gar nicht auffaßt, auch wenn und gerade
dann. wenn man sich über die Grundsätze, nach denen man dabei verfährt, keine
Rechenschaft geben kann. Gründliche Vorarbeit und Sachkenntnis, Weite des intellektuellen
Verstehens, Talent zu logischer Zergliederung können unter Umständen zu Quellen von
Mißerfolgen werden. ,.471
Dieser Blick kann sich also durchaus irrationaler Mittel bedieoeo. Intellekt und Logik
greifeo an dieser Stelle nicht. Im Gegeoteil, sie fiihreo eher zu Misserfolg. Viel wichti-
ger erscheint es Schumpeter, dass der Unternehmer seineo Gesichtskleis neo ausrichtet
und gedanklich allein neoe Wege beschreitet: ,,Hingegeo ist die Bedeutung jeoer
besondereo Vereinigung von Schärfe und Enge des Gesichtskreises und der Fähigkeit
zum Alleingeheo um so größer.,,472 Nur so kann der Unternehmer "der Revolutionär
der Wirtschaft - und der unfreiwillige Pionier sozialer und politischer Revolution"'"
sein.
Der Argumeotation Schumpeters folgeod, kann das Verhalten des Unternehmers also
durchaus als irrational bezeichoet werden. Es folgt eigenen Koordinaten und steht
hierbei außerhalb und jeoseits der Ratio. "Und ist Bedürfuisbefriedigung in diesem
Sinn die ratio des Wirtschaftens, so ist das Verhalten unseres Typus überhaupt
irrational oder von einem andersgearteten Rationalismus. u474
Fassen wir an dieser Stelle die Kernaussagen Schumpeters zum Unternehmer
nochmals zusammen:
• Das entscheidende Element ist die Neukombination.
• Es gilt aus dem Kreislauf auszubrechen.
• Dieser Zerstörungsprozess ist ein schöpferischer.
• Den Unternehmer treibt die Freude an der Gestaltung, die bloße Freude am Tun
und an der Neoschöpfung.
• Der Unternehmer muss Führung übemehmeo för sich, seine Vision und för andere.
• Die Hebelkraft, um diese Führung ausüben zu können, muss groß sein und
außerhalb der Gewohnheit und des Intellekts liegen.
• Das Handeln kann hierbei irrational sein.
• Es kommt auf den Blick an.
Aufgrund dieser Feststellungen soll nun der Unternehmerbegriff Schumpeters auf die
Medici bezogen und durch das historische Beispiel gefüllt und gegebeneufalls
erweitert werden.475
Tatsächlich hatte schon Schumpeter selbst darauf verwiesen, dass man das Auftreten
und Durchsetzen von Neuem am besten an den Anfangsstadien des Kapitalismus
untersuchen kann: ..Wenngleich diese Momente auch heute noch, obgleich eine
Periode stürmischer Entwicklung uns an das Auftreten und Durchsetzen von Neuem
gewöhnt hat, wirksam sind, so kann man sie doch am besten an den Aufangsstadien
des Kapitalismus studieren. ,,477 Die vorliegende Untersuchung hat zeigen können, dass
die Aktivitäten der Medici in ihrer Neuartigkeit Teil jenes Anfangs waren. Worin ihr
spezieller unternehmerischer Charakter in den Termini Schumpeters bestand, soll nun
nachfolgend dargelegt werden.
47' Die Medici sollen in diesem Teil der Arbeit auf zweifache Weise betrachtet werden. So sollen
diese aus strukturellen Erwägungen zonächst in ihrer Eigenschaft als Entrepreneure im Sinne
Schumpeters analysiert werden. Die Betrachtung des künstlerischen Einflusses auf ihr
untcmehmerisches Handeln erfolgt nach der Darstellung wissenschaftlicher Untersuchungen zu
dem Verhältnis von Kunst und Wirtschaft in einem gesonderten Schritt.
476 Um sein Verständnis des echten Unternehmers zu erläutern, zieht Schumpeter den Typus des
Unternehmers der Frührenaissance direkt als plastisches Beispiel heran: •.Aber besser entspricht
dem. was hier gemeint ist, der moderne Typus des Industriekapitäns, besonders wenn man seine
Wesensgleichheit erkennt einerseits mit z. B. dem. Handelsuntemehmer im Venedig des 12.
Jahrhunderts [•.. ]." Schumperer (1997), S. 115 f.
477 Ebd., S. 127.
5.3 Die Medici als Entrepreneure im Sinne Schumpeters 175
Grundsätzlich kann man fes!halten, dass die Medici mit ihren wirtschaftlichen Projek-
ten und der Art ihres ökonomischen Handelns aus deo Kreisläufen des Mittelalters und
der Kirche ausgebrochen sind, indem sie ganz neue Perspektiven und Sichtachsen im
Hinblick auf deo Umgaug mit Kapital entwickelten. Wenn auch die Erfindung des
Wechsels keine eigene Leistung der Medici war, so waren sie dennoch diejenigen
Entrepreneure, welche dieses Neue in die Welt getragen haben. Dass sie durch deo
Einsatz dieses Zahlungsinstruments mit einer überlieferten, von der Kirche bestimm-
ten Umgangsweise mit Geld brachen und den Entwurf eines freien Umgangs mit
Kapital schufen, lässt sich als eine ihrer wichtigsten, im wahrsten Sinne des Wortes
untemehmerischen Aktivitäten bezeichnen, mit denen sie einer ungemeinen
Ausweitung des Handels und letztlich völlig neuen wirtschaftlichen Möglicbkeiten deo
Weg öffneten.
Damit übten sie gleichermaßen jeduch auch Zerstörung an einer Welt, die vorher
faktisch und ideologisch als sehr begrenzt erlebt wurde. Vor allem durch die Auswei-
tung des Handels hat sich diese Welt uugemein geweitet, materiell wie perspektivisch.
Und man kann es ebenfalls als einen Akt schöpferischer Zerstörung im Schum-
peter'schen Sinne betrachten, dass die Medici dazu beigetragen haben, die tradierte
Lebenshaltung des Mitte\alters, die in wirtschaftlicher Hinsicht allein auf die tägliche
Sicherung des Lebensunterhalts abzielte, abzulösen durch eine kreative, Entwörfe fiir
die Zukunft ermöglichende Schaffenskraft des Kapitals (zumindest fiir die
Unternehmer selbst). An dieser Stelle wird auch die Tragweite der Unterscheiduug
Schumpeters zwischen Erfinder und Entrepreneur beispielhaft deotlich. Das Wissen
darum, wer den Wechsel erfundeo hat, ist in Vergessenheit geraten, die Medicijedoch
haben in ihrer Anwendung dieser Erfindung, indem sie sie durchsetzten, einen
Meilenstein in der Geschichte des Bankwesens und des modemen Kapitalismus
gesetzt und sind damit heute so aktuell wie damals.
176 5. Entrepreneurship und Kunst - eine innere Verwandtschaft
Darüber hinaus haben sowohl Giovanni als auch Cosimo auf eine vie\f"altige Art und
Weise eine überragende Fähigkeit zur Neulrombination bewiesen. Sie übten eine
uugewöhnliche Verschränkung ihrer einzelnen Geschäftsbereiche aus und bewahrten
zwischen ihuen offenbar genügeud Durchlässigkeit, dass diese eigentlich getrennten
Entitäten Handel, Tuchproduktion und Bankenwesen ineinandergreifen konnten und
somit eine gegenseitige Befruchtung möglich geworden ist. Diese Durchlässigkeit
zeigte sich beispielsweise in der Tatsache, dass sie die Möglichkeiten einer
ausgreifenderen Handelstätigkeit und die sich hieraus ergebenden Investitions- und
Renditemöglichkeiten erkannten und sie mit der Ausführung des Wechselgeschäfts als
eines essentiellen Teils ihrer Bankierstätigkeit kombinierten.
So war das unternelnnerische Handeln sowohl des Gründers Giovanni di Bicci als
auch seiner Nachfahren davon geprägt, dass sie neue Kombinationen untemelnne-
rischer Möglichkeiten erkannten, die sich teilweise aus den strukturellen wirtschaftli-
chen Neuerungen der Renaissance ergaben. Sie griffen diese strukturellen Neuerungen
sukzessive auf und kombinierten sie auf eigene Weise. Die Verzahnung von einem
neuen Modell der Finanzieruug und einem nunmehr möglich werdenden geographisch
weiter ausgreifenden Handel beim Wechsel ist ein solches Ergebnis der
Neukombination auf makroperspektivischer Ebene.
Die Weise, wie die Medici diese Möglichkeiten in ihren Geschäftsstellen und
Handelsformen umsetzten, und übrigens ebenso die proportionale Gewichtung der
einzelnen Elemente sind ein Beleg fiir ihr unternelnnerisches Geschick. Sie erkannten
die neuen Möglichkeiten, die durch die Kombination des Wechsels47' mit Formen des
Handels und mit ihrer Tuchproduktion entstanden, nutzten gleichzeitig koustruktiv
ihre Verbinduugen zur Kirche und ließen daraus eine äußerst fruchtbare
Neukombination entstehen, in der sie die verschiedenen Elemente auf eine Art und
Weise miteinander verzahnten, dass sie sich gegenseitig befruchten konnten. Das
weite internationale Handelsnetz war Grundbedingung fiir den Wechsel und gleich-
zeitig seine maßgebliche treibende Kraft.
Bei der Ausweitung des Netzes der eigenen Depeudenzen sicherten sich die Medici
gegen deren mögliche Ausf"alle ab, indem sie eine Holdingstruktur schufen, in welcher
die Dachgesellschaft haftungarechtlich von dem potenziellen Verlust einzelner Filialen
4711 Dies mag im Übrigen auch einer der Gründe sein, weshalb die Medici oftmals :irrtümlich als
Erfinder des Wechsels bezeichnet wurden. Dieses Bild ist wahrscheinlich in dem Verständnis
vieler Historiker so entstanden, weil die Medici den Wechsel in ihrer spezifischen Neukombination
auf so vielfältige Weise in die Welt trugen.
5.3 Die Medici als Entrepreneure im Sinne Schumpeters 177
Ganz offensichtlich waren die Medici getrieben von der Freude an der Gestaltung,
wofiir nieht zuletzt die eigene Untemehmensgestaltuug ein Beispiel ist. Die Holding,
und dies wird später im Zusannnenhang mit ihrem mäzenatischen Engagement
nochmals verdeutlicht, war ein solcher gestalterischer Akt. Sie gaben ihrem
Unternehmen im wahrsten Sinne des Wortes eine neuartige Geatalt, welche es in
dieser Form zuvor nicht gegeben hatte. Dass dieser Drang nach Gestaltuug bei Cosimo
allumfassend gewesen ist, hat Kent, wie zitiert, deutlich machen können. Er wählte
178 5. Entrepreneurship und Kunst - eine innere Verwandtschaft
Schumpeters Bild des wahren Unternehmers erfüllen die Medici auch dadurch, dass
ihr Handeln den Zeitgenossen oftmals als äußerst irrational erschienen sein dürfte. So
war der Bau der Kuppel von San Lorenzo im Hinblick auf den KostenaufWand ein
wirtschaftlich gesehen gänzlich irrationales Unterfangen. Dennoch wurde es von
Giovanni begonnen und später in noch intensiviertem. Maß von Cosimo beendet.
Sicherlich ist diese Investition eher dem mäzenatischen Engagement der Fantilie
zuzuschreiben, da aus dem Bau einer Kirche keine Renditen zu erwarten sind
Dennoch implizierte dieses Projekt im Sinne der Mittelverwendung auch sehr stark
wirtschaftliche Entscheidungsfragen. Welche Rolle die von Schumpeter beobachtete
Dimension des irrationalen Handelns bei den Medici in Bezug auf ihre Aktivitäten im
künstlerischen Bereich spielte, wird später noch zu untersuchen sein. Grundsätzlich
kann das Beispiel der Kuppel als ein Indiz dafür gelten, dass die Medici mit
Leidenschaft Visionen zu verfolgen bereit waren, auch wenn diese gemäß dem Wissen
ihrer Zeit als gänzlich unvernünftig gelten mussten.
Auch der Aspekt der Führung kennzeichnet das Agieren der Medici in hervorste-
chender Weise. Die Besonderheit ihrer unternehmerischen Führungsqua1itäten wird in
der Ausbildung der Par1nerschaftsstrukturen und ebenso wieder in der Holdingstruktur
deutlich. Cosimo erkannte das, was heute als ,,Prinzipal-Agenten-Problem'"''
bezeichnet wird, in seinem Fall die Schwierigkeit, die sich automatisch zumaI dann
ergibt, wenn der Handel so intemational wird, dass Dependancen in anderen Ländern
zu kontrollieren sind - zu Zeiten der Renaissance umso mehr ein Problem, da die
Entfernungen damals lange Reisezeiten implizierten, weshalb es quasi unmöglich war,
die entfernten Unternehmensteile wirksam zu kontrollieren. Auf dieses Problem
antwortete Cosimo, indem er mit der Partnerschaftsstruktur eine neue Art und Weise
der Führung entwickelte, die für die jeweiligen Par1ner in den Ländern Anreize schuf,
für und nicht gegen das Unternehmen zu arbeiten. Seine Führungsqua1ität zeigte sich
darüber hinaus auch darin, dass ihm politische Ämter übertragen wurden, die er, wie
479 Von der Wirtschaftswissenscbaft analysierte Problematik. die sich stellt. wenn das Wohlergehen
einer Partei von dem Handeln einer anderen, für sie agierenden, abhängig ist, welche es in der
Folge zu kontrollieren gilt. Vgl. auch Kapitel Nr. 4.2.5.
5.4 Die Wesensverwandtschaft zwischen Entrepreneurship und Kunst 179
Aus dieser Darstellung geht hervor, dass sowohl Giovarmi di Bicci als auch Cosimo
de' Medici sehr genau dem Schumpeter'schen Verständnis eines dynamischen
Unternehmers entsprechen.
Ein wichtiger Vertreter dieser Strömung ist Faltin. In seiner Definition des Entre-
preneurs betont er immer wieder den könstlerisch-kteativen Bezug. Er konstatiert:
,,Heute ist der Entrepreneur dem Könstler näher als dem Manager:"'" Faltin schafR
neue Definitionen des Untemehmcrischcn, wie beispielsweise Entrepreneurial Design
und Ideenkunstwerk, und ist dabei Schumpeter sehr nah. Er spricht von Entrepreneuren
als "von Personen, die [ ... ] Ideen schmieden und so lange daran arbeiten, dass sie im
schumperterschen Sinne ,schöpferische Zerstörung' an einer Ökonomie üben, die sich
bei uns mehr an den Errungenschaften der Vergangenheit als an den Auforderungen
der Zukunft orientiert.,,'81 Der direkte Bezug zur Kunst besteht hierbei insbesondere in
der herausragenden Bedentung der Idee in Faltius Definition des Entrepreneurs sowie
in der Betonung einer zukunftsorientierten Denk- und Handlungsweise und dem damit
verbundenen schöpferischen Element im Sinne Schumpeters.
Faltin rückt den Entrepreneur und den Könstler stellenweise so nah, dass er gar von
einer inneren Verwandtschaft zwischen Entrepreneur und Künstler spricht:
,,Dass aber zwischen Entrepreneurship und dem kulturell-kreativen Bereich auch eine innere
Verwandtschaft besteht, stößt in Deutschland eher auf Befremden. Noch immer werden
Kunst und K.ultm hierzulande als Luxus angesehen, während wirtschaftliches Handeln als
Reich der Notwendigkeit gilt. u482
Faltin erklärt die Notwendigkeit dieses verstärkten Bezugs mit Verweis auf den
französischen Soziologen Menger wie folgt:
,,Im 19. Jahrhundert galt der Künstler als revolutionärer Gegenentwurfzum Unternehmer und
seinen bürgerlichen Moralvorstellungen. Mit den Wandlungen des Industriekapit:alismus, mit
der Abkehr von seinen bürokratischen Organisationsvorstellungen orientieren sich moderne
Managemcntphilosophicn an Idealen wie Flexibilität, Kreativität und Innovation. Damit
entstehen immer wieder Berührungspunkte zwischen zwei nur scheiDbar gegensätzlichen
Welten. Der Künstler werde, so der französische Soziologe Piem::-Michel Menger4S3, zum
Prorotyp und Idealbild. Galt Kunst als exotisch anmutendes Gegemnodell zur abhängigeo,
fremdbcstimmten und entfremdenden Erwerbsarbeit, als Reich der Freiheit im Gegensatz
zum Reich der Notwendigkeit, so entwickele sie sich vor unseren Augen zum Modell fiir
einen kreativen Lebensentwurf. Entreprenemship als Selbstbestimmung, als künstlerische
Tätigkeit des Neuentwurfs, des Überwindens von Konventionen, als kreative Zerstörung:M4
So wird Kunst von Menger und Faltin als Modell geistiger Freiheit im unterneh-
merischen Bereich bewertet, als ein Tor zu neuen Ideen. Schon Schiller nannte die
Kunst in seinem zweiten Brief zur ästhetischen Erziehung eine Tochter der Freiheit.
So versteht sie offenbar auch Schumpeter als Vomussetzung unternehmerischen
Haodelns. Und weon Faltin mit Menger ao dieser Stelle von einem Gegeomodell
spricht, daon kann mao darin auch "unabhängiges" als Gegeomodell zu abhiingigem
Deoken, "selbst-bestimmte" als Gegeomodell zu fremdbestimmten und "individuelle"
als Gegenentworf zu allgemeinen Deokweisen lesen. Dies sind Merkmale, die fiir
künstlerisches Deoken und Arbeiten charakteristisch sind - letztlich Keroelemente,
welche über Jahrhunderte hinweg dafiir gesorgt haben, dass sich Kunst verändert, dass
neue Ideen und Konzepte entwickelt werden konnten.
Dienstleistungen, in denen das Wissen eine neue körperliche oder intellektuelle Gestalt
annimmt. Daher können wir auch von entrepreneurial gestalt sprechen.,04B5
In der Folge spricht Faltin weiterhin davon, dass erfolgreiche Unternehmen im Kopf
entstehen,'" dass Unternehmen einem Ideengebilde entsprechen,'87 dass man Ideen
öf!hen'88 nnd eine Initialzündung im Ideenraum'" herbeifiihren muss. Weiler schreibt
Faltin:
,,Entrepreneurship ist Kunst Es ist die kreative Tätigkeit des Neuentwurfs, die Inspiration
verlangt, Intuition und Einfühlungsvermögen, auch in soziale und gesellschaft:liche
Zusammenhänge. Wer aber Inspiration und Intuition sucht, braucht Muße, Abstand undjenen
weiten Blick. den die Hektik. des Alltags nicht zulässt Versuchen Sie nicht.
Betriebswirtschaft:ler zu werden. Hören Sie ihm stattdessen gut zu, wie einem Rechtsanwalt.
Er arbeitet mit Techniken, die Sie zwingend benötigen. Lassen Sie jedoch nie zu, dass diese
Mittel zum Ziel werden - weil Sie das aus der Erfolgsspur werfen würde. Entdecken Sie Ihre
kindliche Neugier wieder [ ... ]...4110
kombiniert, der Entrepreneur je neu mit sich bietenden Marktchancen und der
entsprechenden Mittelaufwendung zu ihrer Verfolgung arbeitet.
Und als dritte Betrachtungsebene des Vergleichs zwischen Künstlern und Entrepre-
neuren, vor allem im Anfangsstadium, kann ihre Beurteilung durch die Gesellschaft
herangezogen werden. So werden die meisten Menschen, die, wie bereits von
Schumpeter konstatiert, in rigiden, durch Lernen und Gewohnheit tier verankerten
Denkmustern verhaftet sind, auf ldeenkunstwerke jeglicher Form zunächst mit
Widerstand reagieren.
"Und wie der Künstler, der einen eigenen Stil in die Welt setzen will, hat auch ein
Entrepreneur, der eine neue Idee durchsetzen will, oft eine Phase sozialer Zurückweisung
durchzustehen. Wir kennen solche Kapitel aus den Biographien großer Künstler und
Schriftsteller ebenso wie aus denen berühmter Unternehmer der ersten Generation. Diese
Phase, die oft mit hohen persönlichen Opfern, waghalsigen Experimenten und dem
mitleidigen Lächeln der etablierten Mitwelt verbunden ist, bildet Reiz und Risiko im Leben
des Künstlers wie des Unternebmers ...493
In der jüngeren Diskussion stellt auch der Ökonom Szyperski den Künstler in nahe
Verwandtschaft zum Unternehmer:
,,Da sind sich erfolgreiche Künstler und erfolgreiche Unternehmer sehr ähnlich. Wer nicht
besser wirkt als viele andere, kann nicht in die Geschichte eingehen. Künstler und
Unternehmer sind - im Sinne von Lersch - autonome Persönlichkeiten, die nur dann ihre
eigenen ,Höchstleistungen' zu erreichen vermögen, wenn sie sich ihre Ziele selbst setzen und
nach ihren eigenen Vorstellungen verfolgen können. Sie unterscheiden sich so von den nicht-
autonomen Charakteren, deren volle Leistungsfähigkeit erst dann von ihnen erbracht werden
kann, wenn ihnen von anderen klare Ziele vorgegeben werden: anderenfalls verirren sie sich
im offenen Feld der möglichen Alternativen. Autonome schaffen Chaos, Manager machen
daraus eine überschaubare Ordnung - wie DetlcfMüller-Böling es trefflich formuliert hat. ,..ws
Szyperski zieht zwischen dem Verhalten von Künstlern und dem von Unternehmern
ähnliche Parallelen, wie sie sich aus Schumpeters Unternehmerbegriff ergeben und
wie sie auch Faltin herausgestellt hat. So beschreibt er Unternehmer und Künstler
gleichermaßen als autonome Charakterere und hebt an ihnen eine schöpferische
Konnotation im Sinne Schumpeters hervor. Zudem stellt er sie dem Manager gegen-
über, welcher in seiner Beschreibung dem "Wirt" Schumpeters sehr nahe kommt. Der
Künstler wie auch der Unternehmer sind für ihn Individuen, welche die Fähigkeit
besitzen, im offenen Feld zu wandern, ohne sich dabei zu "verirren". Das Chaos, das
dem Manager bzw. "Wirt" verhasst ist, ist Künstlern wie Unternehmern gleicher-
maßen willkommen. Der Gedanke an Chaos weckt Assoziationen an das Klischee vom
farbbesprenkelten Künstleratelier, tiefer hat es jedoch Adomo in seinen Minima
Moralia gesagt: ,,Aufgabe von Konst ist es heute, Chaos in die Orduung zu hringen."
Auch schwingt bei Szyperski das Konzept einer interessanten Form der Arbeitsteilung
mit, welches von Faltin bestätigt wird und im Grunde auch auf Schumpeter fußt: Ist
das Ideengebilde entstanden, die Vision vollbracht und auf dem Weg, darf der
Unternehmer nicht im Kreislauf der Arbeit enden - vielmehr muss er dann das
Operative an einen Manager übergeben - so wie der Künstler selten sein Leben lang
an ein und demselben Bild malt und den Verkauf der Bilder Galeristen überlässt.
Die Überlegungen Vespers gehen in eine ähnliche Richtuug: ,,Die Entwicklung einer
innovativen untemehmerischen Idee ist vor allem. ein kreativer Prozess, ihre Ausar-
beituug vergleichbar mit einem künstlerisch-gestaltenden Akt.,.."
Auch Birkenbach, welche sich mit der Übertragbarkeit des Architekturprinzips ,,form
follows function" auf den Bereich des Entrepreneurships befasst hat, kommt zu einer
ähnlichen Konklusion.
,,Dem herkömmlichen Wirtschaftsprinzip ,neue Bediirfuisse findenlMebrwert erzeugen' setzt
der Entrepreneur [ ... ] seine BUS sozialer, ökonomischer und künstlerischer Phantasie
entstandene Idee entgegen und entwirft Lösungsmodelle für vorhandene Probleme unserer
Gesellschaft und Kultur.·.m
... V.sper, K. (1993): New Venture Mochanies. Zitiert nach der Überse1zung in Faltin (2008), S. 213.
4!17 Birkenbach, K. (2009): Unternehmergeist in neuen Formen. Form follows function. Was
Architektur die Wirtschaft lehrt, S. 315.
184 5. Entrepreneurship und Kunst - eine innere Verwandtschaft
Um diese Frage genauer zu fassen, soll zuvor jedoch das Augenmerk auf jene oben
herausgearbeiteten Kerncleruente Schumpeters getichtet werden, die er als
Grundbedinguug für das Dynamische, Schöpfetische im uuternehmerischen Handeln
ansieht, um zu verstehen, worin möglicherweise die s1rukturellen Ursachen fiir die
Verwandtschaft zwischen Unternehmertum und Kuust bestehen - und auf dieser
Grundlage zu beobachten, wie die Medici durch ihre beschriebene intensive Beschäf-
tigung mit Kuust Impulse für ihr innovatives uuternehmetisches Handeln gewinnen
konuten.
2) Inwiefern ist die Auseinandersetzung mit Kunst so fruchtbar? Und wie kann es
gelingen, Kuust konkret in den Unternehmensraum zu integrieren?
3) Und abschließend: Wie kann Kuust dabei helfen, eine Vision zu entfalten uud bei
deren Verwirklichung die Führung zu übernehrnen?
5.5 Ansätze zur Übertragbarkeit von Strukturen künstlerischen Handelns ins Untemehmerische 185
Seine Kemthese ist nun, dass Innovation immer dort entsteht, wo sich unterschiedliche
Menschen, Kultoren und Disziplinen begegnen. Diesen Punkt bezeichnet er als
Intersection:01 Er beschreibt, dass aus dero Zusammentreffen unterschiedlicher
Disziplinen und Hintergründe neue Ideen entstehen. Dies könne zu einer ..explosion of
extraordinary ideas,"02 führen.
498 Es ist der Verf8sserin bewusst, dass das Thema Innovation ein weites Forschungsfeld ist.
Allerdings ist es an dieser Stelle nicht Aufgabe dieser Arbeit, dem Begriff der Innovation
umfassend nachzugehen. Zugrunde gelegt wird hier das Konzept eines schöpferisch erneuernden
Handelns als Grundprinzip von Innovation. Vgl. hierzu von Hippel. E. (2005): ,,Democratizing
Innovation",
499 lohansson, F. (2006) The Medici EtIect - What Elephants and Epidemies can teach us about
innovation, S. 76.
SIlO Die Mediei fungieren für Johansson nur als Namensgeber dieses Effekts und wurden von ibm
darüber lrinaus nicht intensiver betrachtet.
SOl Zum Umgang mit dem Wort vgl. Anm. 2 dieser Arbeit.
S02 Ebd., S. 3.
186 5. Entrepreneurship und Kunst - eine innere Verwandtschaft
Johansson orientiert sich hierbei mit seinem Innovationsbegriff an dem von Teresa
Amabile, der zufolge Kreativität etwas ist, was neu und wertvoll ist, und Innovation in
der Folge die Umsetzung dieser Kreativität ist.'" Diese Definition ist ebenfalls bereits
bei Schumpeter angeklungen, welcher die direkte Analogie zum UntemeInner sieht,
der schöpferisch sein und gleichzeitig seine Schöpfung umsetzen muss, indem er
Führung für diese Schöpfung übernimmt. Oder, wie Faltin sagt, er muss diese
Schöpfung "in die Welt tragen", damit sie einen Beitrag zu der wirtschaftlichen
Entwicklung leisten kann. so.
Die These Johanssons, :für die er die Renaissance zum. Vorbild genommen hat, bietet
in der Folge interessante Ansätze für die Übertragbarkeit von Kunst in das Unterneh-
merische, wenn man sich Kunst als einen der Bereiche denkt, mit denen beispielsweise
Kaufleute oder Bankiers in einer Intersection in Berührung geraten. So beispielsweise,
wenn Johansson von der Bedeutung der "occupational diversity" spricht: "it makes
sense, then, to spend time on a variety of projects in different fields if you wish to
generate intersectional ideas". S07 Eine Bedingung für das Zustandekommen von
Interseetions ist eine gewisse Durchlässigkeit, die erlaubt, dass die verschiedenen
Bereiche - er spricht von "backgrounds", in der Renaissance waren es die unterschied-
lichen Gewerke und sozialen Schichten - überhaupt miteinander in Berührung geraten:
"Of course, in order for it [Innovation, 1. F.] to work we must be able to associate
freely between the different backgrounds [ ... ]. Ifwe can manage !hat, though, we can
often transplant old methodologies or frameworks into the new environment and
generate unusual idea combinations. ,,50S Diese Durchlässigkeit ist einer der
Kemaspekte, welche in der Analyse des Renaissancekontextes zum. Verschein
gekommen sind und eine tragende Rolle bei der Entwicklung der vielfältigen
Aktivitäten der Medici gespielt haben. Darüber hinaus betont Johansson die
Bedeutung der "interaction with diverse groups of people".,.9 Auch hier boten die
Medici das Idealbeispiel durch ihren offenen Austausch mit Künstlern und Gelehrten
ihrer Zeit und schufen so, wie das vierte Kapitel dieser Untersuchung zeigen konnte,
quasi selbst einen Raum der Interseetion.
Hierbei gilt die Interseetion mit Hinblick auf die Kuust auf zweierlei Weise. Znnächat
entsteht Kunst selbst zumeist aus dem Zusammentreffen unterschiedlicher Felder.'10
Dieser Aspekt wird vor allem in der Gegenwartskunst und der damit einhergehendeu
Diskussion um die ewige Frage dessen, was denn eigentlich Kunst sei, besonders
deutlich. Kunst lässt sich weniger und weniger auf deu Begriff des Werks reduzieren,
während sich gleichzeitig das Element der geistigen Freiheit im Verlauf der
Geschichte der Kunst immer klarer herauskristallisierl. Kunst hat sich inzwischen sehr
weitgehend von der vergleichsweise begrenzten Assoziation mit Pinsel und Leinwand
Die Medici haben die Interseetion zur Kunst inteusiv gelebt. Ihr Blick war in der Folge
gewissermaßen einer kontinuierlichen ,,Blickschulung" unterzogen, welche es ihnen
gestattete, sich auf neue, unverwaodte Bereiche einzulassen. Die Untersuchung
Johanssons ist für die Kemthese dieser Arbeit von entscheidendem Interesse, da sie
zeigt, wie dieser Transfer künstlerischen Handelns auf Cosimo beispielsweise stattge-
funden haben kann. Da sich dieser, wie gezeigt, stetig auf den Bereich der Kunst
eingelassen hat, künstlerisch-kreative Prozesse aoalysiert und veriunerlicht hat, liegt
laut Johansson der Schlüssel zu seinem innovativen Handeln nicht weit.sll
m Auf die Art, wie sich bei den Medici ihre unternebmerischen Aktivitäten und ihre Beschäftigung
mit Kunst ergänzt haben" wird unten noch ausführlicher eingegangen werden.
m Die School of Design Thinking arbeitet in diesem Forschungsprojekt eng mit der D-School der
Stanford University zusammen, welche einen ähnlichen Ansatz verfolgt.
5.5 Ansätze zur Übertragbarkeit von Strukturen künstlerischen Handelns ins Unternehmerische 189
Prozess sollen Probleme in der Fonn gelöst werden, dass die Frage neu gestellt wird.
Ideen werden hierbei scbnell in Miniaturfonn prototypisch umgesetzt.
Der Ansatz erscheint vergleichsweise wenig explorativ, da er sich eher von der
Problemseite nähert und auf Analogien zwischen den Disziplinen fokussiert. Für die
Kernthese dieser Arbeit scheint jedoch von Interesse, dass hier von der Bedentung des
"Visuellen" in der Ideenfindung gesprochen wird. Es stellt sich auch hier die Frage
danach, wie man einen kreativen Raum schaffen kann. Wenn auch die direkte
Auseinandersetzung ntit Kunst hier nicht forciert wird, so zeugt doch der Transfer-
prozess aus anderen Gebieten in das tatsächliche Forschungsfeld von einer Übertra-
gung differenter Denkmuster als Triebfeder fiir Iunovation. Der Gedanke Weinbergs,
Ideen zunächst - übrigens ntit Kne1masse - in Miniaturformat zu visualisieren,
entspricht sehr künstlerischen Verfahrensweisen.
m Nida-Rümelin, J. (2010), Vortrag bei der Konferenz Cultural Entrepreneurship zum Thema ,,Ethik
und Innovation".
190 5. Entrepreneurship und Kunst - eine innere Verwandtschaft
Auch die Überlegungen Nida-Rfunelins lassen eine starke Nähe zum Feld der Kunst
erkennen. Vor allem der (zumindest zunächst!) der üblichen marktwirtschsftlichen
Verwertung entzogene Charakter künstlerischer Arbeit und auch künstlerischer Werke
ist ein Aspekt dieser Nähe. Überdies sind künstlerische Arbeitsweisen oftmals durch
eine Offenheit für das Ungeregelte geprägt.
Einen solcher Offenheit verpflichteten Ansatz verfolgt auch Gryskiewicz vom Center
for ereative Leadership in den USA. Innerhalb seiner Managementtheorie beschreibt
er Interventionen bzw. Störfaktoren in einem Unternehmen als willkommen. Das also,
was Nida-Rfunelin als qjfenheitfiir das Ungeregelte bezeichnet, findet in der Theorie
Gryskiewicz' seine Entsprechung in dem Begriff der Positive Turbulence in der
Managementtheorie. Diese definiert er wie folgt:
514 Diese Feststellung korrespondiert im Übrigen auch mit einer Aussage Schumpeters über die
Schwierigkeit des Unternehmers, sich von der Verhaftung in festgelegten Denkstruktmen zu
befreien: ,,Die Geschichte der Wissenschaft ist eine einzige große Bestätigung der Tatsache, daß es
uns überaus schwer fällt, uns z. B. eine neue wissenschaftliche Auffasmngsweise zu eigen zu
machen. Immer wieder lenkt der Gedanke in die gewohnte Bahn ein, auch wenn sie unzweckmäBig
geworden ist und das zweckmäßige N cue an sich durchaus keine besonderen Schwierigkeiten
bietet." Sehumpeter (1997), S. 126.
m Vgl. auch Nida-RÜn1elin, J. (2005): Über menschliche Freiheit, S. 45 ff.
5.5 Ansätze zur Übertragbarkeit von Strukturen künstlerischen Handelns ins Untemehmerische 191
,,Positive Turbulence thrives as an cnergizing climate, one that upsets the status quo and
impels peop1e toward change. It is a cu1ture purposefully engineered by 1eaders who
recognize the need to create an environment compatible with change and peop1ed by
arganziational members who can adapt to thc change opportunity.'.616
Gryskiewicz benennt vier Kernaspekte, welche das Entstehen und den Erhalt eines
kreativen Klimas in Unternehmen ermöglichen:
1) Difference
2) Multiple Perspectives
3) Intensity ofturbulence
4) Receptivity'17
Difference wird von Gryskiewicz wie folgt beschrieben: ,,Difference relates to brea-
king out of the status quo by incorporatiog programs !hat do not resembl. what has
been formerly, by bringing in information that is unexpected ,,518 Hier beschreibt
Difference die Fähigkeit, sich auf Dinge einzulassen, welche man zuvor noch nicht in
Betracht gezogen hat. Unter Multiple perspectives versteht Gryskiewicz die Bereit-
schaft, neue Be1rachtuugsweisen für Problemlösungen heranzuziehen. Hier heißt es:
.. [ ... ] - divergent viewpoints, nontraditiona1 interpretations - are needed to get people
seeing, thinking, and acting in new ways".S19 Unter Intensity versteht er die Intensität
im Sinne von Geschwindigkeit, Volumen und Stärke der Turbulenzen, die man in den
Möglichkeitenraum einlässt. Dies erinnert an die Hebelkraft Schumpeters, die
notwendig ist, um aus dem Kreislauf der Arbeit auszubrechen. Receptivity meint an
dieser Stelle, die Fähigkeit und Bereitschaft unter den Mitsrbeitenden zu fördern, die
Positive Turbulence zu akzeptieren.
Ähnlich wie Johansson verweist auch Gryskiewicz in der Folge auf die Bedeutung von
nichtlinearem Denken, welches das Inbetrachtziehen neuer, gegensätzlicher Denk-
muster erlaubt...Their thinking [jenes kreativer Menschen; J. F.] is called nonlinear,
and it is this style !hat has been cited in research as being characteristic of people who
are often successful in creative problem solving. ,,520
Ein weiterer Begriff, welcher auftaucht, ist jener der Ambiguity, der auf die vielseiti-
gen Entfaltungsmöglichkeiten von Situationen und Ansätzen abzielt. Je mehr Entfal-
S16 Gryskiewicz, S.S. (1999): Positive Turbulence. Developing climates far creativity, innovation, and
renewa1., S. 17.
m Ebd., S. 2l.
m Ebd., S. 2l.
'l~ Ebd., S. 2l.
S20 Ebd., S. 37.
192 5. Entrepreneurship und Kunst - eine innere Verwandtschaft
tungsmöglichkeiten es gibt, die zunächst in ihrer Fülle dem Chaos ähnlich sind, umso
eher besteht die Chance zur Innovation. Dies zielt auf eine Erweiterung des Möglich-
keitenraumes ab, der in der darauf folgendeu Konkretisieruog des Ideenraums münder.
Auf das Wahmeinnen des unendlichen Möglichkeitenraumes muss eiue notwendige
Vertiefung und Vereogung des Gesichtsfeldes folgen. Dies korrespondiert ntit Faltins
Aussage, dass die Ausarbeitung und detaillierte Entwicklung einer Idee fiir ihr
erfolgreiches Bestehen am Markt entscheidend ist.
Hier zieht auch Gryskiewicz den direkten Vergleich zur Kunst, um seiuem Begriff der
Ambiguity Nachdruck zu verleihen.
,,Ambiguity is a state in which many possibilities exist. Ta make an analogy, when the artist
faces a completely blank canvas, therc are litera11y millions ofpictures that could be created.
It has been said that the first stroke of the artist's brush destroys countless numbers of
possible paintiDgs, and each successive dab of paint limits thc numbers of paintings that are
possible on that canvas even more...521
Erst durch den Einlass von Slörgrößen in das Untemehmen kaun es nach der Über-
zeugung Gryskiewicz gelingen, dieses in eiuem Zustand der Offenheit zu halten und
innovativ zu bleiben. Hierbei stellt fiir Gryskiewicz der stete Wandel innerhalb einer
Organisation eiue wichtige Größe dar.
Welche Form der Intervention könnte dieser Notwendigkeit in größerem Maße gerecht
werdeu als eine künstlerisch geprägte? Dantit wäre es zugleich möglich, die
Hebelkraft im Sinne Schumpeters auszuüben, um tatsächlich eine Haltungsänderung
bei jenen "Wirten" herbeizuführen, so dass diese ihren ,,Hemmschuh" der Gewohuheit
abzulegen in der Lage sind und dem Entrepreneor folgen. So beschreibt auch
Gryskiewicz künstlerisches Handeln als fortschrittlich und beispielhaft:
,,Much like the prophets oftimes past found on the periphery of socicty, artists today provide
society with the ability to look at something from new perspectives. They help us shi:ft our
centric parochial focus to the fringes. They illuminatc what has just entered - or foretell what
is about 10 enter - from the peripheries of our society and our culture.·&2
m Ebd., S. 36.
S22 Ebd., S. 24.
5.5 Ansätze zur Übertragbarkeit von Strukturen künstlerischen Handelns ins Untemehmerische 193
523 Menger, J-M. (2006): Kunst und Brot Metarmorphosen eines Arbeitnehmers. So ist für Menger
der Kiinstler das Idealbild eines ,,AIbeitnehmers der Zukunft" (ebd. S. 10). Allerdings ist die Frage
der Beeinflussung von Arbeitnehmern nicht Betrachtungsgegenstand dieser Arbeit (auch wenn sich
der von Menger imaginierte Arbeitnehmer weit von dem traditionellen Bild des angepassten
Befehlsempfängers oder auch dem in alten Bahnen befangenen (natürlich de facto selbständigen)
,,Bauern" oder gar »Wirt" Schumpeters entfernt hat), somit interessiert an Mengers Betrachtungen
vornehmlich sein Verständnis von der Übertragbarkeit künstlerischer Prozesse ins
Wirtschaftsgeschehen.
524 Ebd., S. 9.
194 5. Entrepreneurship und Kunst - eine innere Verwandtschaft
Die entscheidenden Elemente im künstlerischen Handeln, welche die Basis der Über-
tragbarkeit und Anregung für die Wirtschaft sein könnten, benennt Menger wie folgt:
,,In der Kunst zeigt sich [ ... ] das Willkürliche und Unvorhersehbare einer jeden schöpferi-
schen Aktivität. Hier herrscht eine viel größere Unabhängigkeit gegenüber den Bewertungs-
maßstäben, den Veri:fikationskriterien, den Zwängen einer kumulativen Innovation und einer
Ablösung des Alten durch das Neue. wie sie in der wissenschaftlichen Forschung gelten. Die
Vielfalt der künstlerischen Ausdrucksformen und -modi ist ein Beleg dafiir, dass die Kreati-
vität hier im. Dienste einer schrankenlosen Differenzierung steht. Damit sind die Künste viel
offener für ungewöhnliche Fonnen des individuellen Schaffensgeistes und viel unmittelbarer
dem Urteil der Verbraucher und den unterscbiedlichen Rezeptionsebenen unterworfen.,dll
Somit benennt Menger hier die Kunst als Paradigma von innovativem Denken und
Handeln. Der von Menger vorgebrachte Begriff der schrankenlosen Differenzierung
lässt sich an Nida-Rfunelins Offenheit für das Ungeregelte anschließen, indem er
Ungeregeltes in einem Differenzierungsprozess denkt, der jedoch gleichzeitig offen
bleibt Weiterhin weist Menger in seinen Ausführungen darauf hin, dass gerade der
Kultursektor ein beispielhaftes Feld des Zusammentreffens gegensätzlicher Aspekte
ist: ,,Als Autwort darauf ließe sich sagen, dass die Singularität des Kultursektors
gerade darin besteht, denkbar gegensätzliche Aspekte auf einen gemeinsamen Nenner
zu bringen. ,,526 Dieses Spannungsfeld der Gegensätzlichkeiten ist wiederum für die
Interseetion Johanssons ein idealtypisches Beispiel und so benennt Menger an dieser
Stelle auch ,,Kunst als Modell des Innovationsprinzips,,'27 - als ein Modell für eine
Handlungsweise im wirtschaftlichen Bereich, durch welche ohne Rücksichtnahme auf
Verwertung Ideen produziert und "quasi als Testballons in den ungewissen Himmel
der Ktitik und der Öffentlichkeit gelassen werden".'"
Überdies benennt Menger noch einige Elemente künstlerischen Daseins und Handelns,
die sich auf das Unternehmerische beziehen lassen. So benennt er Engagement, Eigen-
verantwortlichkeit, persönliche Motivation, Aupassungsfabigkeit und Risikobereit-
schaft als die künstlerischen Ideale, welche die Basis für diese Beispielhaftigkeit
bilden sollen.
Auch Florida kann mit seinen Argmnenten zeigen, dass die kulturelle Dimension, dass
Kreativität und Kunst konstitutiv sind für Entrepreneurship im eigentlichen Sinne -
nämlich für eine Form des steten innovativen Handelns und Denkens in Aulehnung an
künstlerisch-kreative Denkstrukturen. In The Rise 01 the Creative elass beschreibt
SlS Ebd., S. 9.
S26 Ebd., S. 25.
5'1.7 Ebd., S. 24.
528 Ebd., S. 25.
5.5 Ansätze zur Übertragbarkeit von Strukturen künstlerischen Handelns ins Untemehmerische 195
Florida das Aufkommen einer neuen sozialen Bewegung des Kreativen, welcher er
den Charakter einer neuen sozialen Klasse zuspricht und die er deshalb als CreaUve
Class bezeichnet. Was Menger also noch im Rahmen eines traditionellen
Angestelltenverhältnisses denkt, wird hier zo einer größeren sozialen Idee ausformu-
liert, indem Florida seine CreaUve Class radikal zur Working Class oder der Service
Class abgrenzt, welche primär arbeiten bzw. Dienstleistungen erbringen, "while iliose
in ilie ereative class are primarily paid to create and have considerably more
autonomy and tlexibility ilian ilie oilier two classes to do so". 529
In seiner Definition der CreaUve Class macht Florida deutlich, dass er nicht nur an
Künstler und Kreative in einem traditionellen Sinne denkt, sondem dass viehnehr
unabhängiges Denken und ein ,,kreatives Eilios" wichtig sind:
,,I define the core of the Creativc Class to include people in science and engineering,
architecture and design, education, arts, music and entertainment, whose economic function
is to create new ideas, new technology and/or new creative content Around the core, the
Creative Class also includes a broader group of creative professionals in business and
finance, law. hea1th carc and related fields. These people cngagc: in complex problem solving
that involves a great deal of independent judgement and requires high levels of education or
human capital. In addition, all mcmbcrs of the Creativc Class - wbcther thcy arc artists or
engineers, musicians or computer scientists, writers or entrepreneurs - share a common
creative ethos that values creativity, individuality, difIerence and merit. For the members of
the Creativc Class, every aspect and every manifestation of creativity - tecbnological,
cu1turaI and economic - is interlinked and inseperable."S30
Diese CreaUve Class ist es nun laut Florida, welche ,,human creativity as ilie defining
feature of economic life"'" etabliert und fördert und somit zo einem Wandel der
gesarntwirtschaftlichen Entwicklung und des Gesellschaftsbildes beiträgt. Um dieses
entscheidende Element wirtschaftlichen Fortschritts jedoch zu etablieren und zu
fördern, bedarf es laut Florida des schon erwähnten Creative Ethos. Hierzu heißt es:
"Creativity involves distinct kinds of fuinking and habits iliat must be cu1tivatcd boili
in the individual and in the surrounding society. Thus, the creative ethos pervades
every1hing from our workplace cu1ture to our values and communities, reshaping ilie
way we see ourselves as economic and social actors - Dur very identities. ,,532
Dieses kreative Ethos, vorgetragen von einer wachsenden Creative Class, welche sich
in ihrer Lebenstöhrong und AIbeitsweise zunehmend an Künstlern, Kreativen und
S33 Übrigens macht auch Florida einen weiten Begriff von Innovation explizit und fordert den
Innovationsbegriff keinesfalls auf technische Innovationen zu verkürzen. Vgl. Anm. 11 dieser
Arbeit und Fiorida (2002). S. 31 ff.
S34 In eine ähnliche Richtung gehen die Überlegungen Reichs; vgl.. Reich. R. (2004): The future of
Success. Wie wir morgen arbeiten werden.
S3S Ebd., S. 9.
5.5 Ansätze zur Übertragbarkeit von Strukturen künstlerischen Handelns ins Untemehmerische 197
5.5.2 Formen der Integration von Kunst und künstlerischen Arbeitsweisen in den
Unternehmensraum
Um diese Perspektive zu vertiefen, ist es nun notwendig, genauer zu benennen, auf
welche Weise Kunst in Unternehmen oder für Unternehmer produktiv werden kann.
So legen die nachfolgend präsentierten Ansätze ihren Fokus zumeist auf den Einfluss
künstlerischer Prozesse auf existierende Unternehmen und deren Fiihrung. Während
also bis hierher die erste Ebene der Wechselwirkung, nämlich die innere Wesensver-
wandtschaft von innovativen Unternehmern und Künstlern bei den Betrachtungen
Schumpeters und Faltius sowie die Verwandtschaft von für Innovation bedeutsamen
Strukturen einerseits und Kunst andererseits im Vordergrund gestanden sind, soll nun
die Ebene der konkreten Wechselwirkung vermehrt in den Fokus des Interesses ge-
rückt werden. So können die folgenden Ansätze hilfreich sein, die verschiedenen Mög-
lichkeiten der Einbeziehung von Kunst zur Förderung von Innovation zu
verdentlichen.
S36 Bertmm,. U. (2007): Navigieren im offenen System. S. 73 (Anmerkungen zu ihrer Person und dem
von ihr verfolgten Forschungsansatz).
S37 Vgl. ebd., S. 60 ff.
198 5. Entrepreneurship und Kunst - eine innere Verwandtschaft
erfahrbar zu machen, um dann die Elemente dieser Prozesse auf die Untemehmens-
flihrung zu übertragen. Der Extrakt des künstlerischen Prozesses wirkt wie eine
Infusion und setzt ungeahnte Potentiale frei. ,,5" An dieser Stelle begegnen wir wieder
jener von Nida-Rümelin bemerkten Offenheit fiir das Ungeregelte, dieses Mal in
konkreter Bezugnshme zur Kunst
Weiterhin versucht Bertram sehr plastisch, sich dem künstlerischen Prozess sprachlich
zu nähern, ihn gewissermaßen greifbar zu machen und somit einzukreisen:
,,Ich möchte etwas, das diffus in mir ist, klar vor mir sehen. Sobald ich es begrifflich fassen
will, ist das Etwas bereits verunklart. Es ist nicht mehr ganzheitlich geheimnisvoll mit mir
verbunden. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als das Etwas in seiner ganzheitlichen diffusen
Weise in mir weiter wachsen zu lassen und dafür Fonnen zu entwickeln. Wenn ich eine Form
geschaffen habe und sie nicht dem entspricht, was ich will, erkenne ich es. Dennoch kann ich
aber nicht sagen, wie die Form wirklich ist und wie es weitergeht. Ich arbeite in Schichten.
Manchmal fühle ich. dass ich ganz dicht davor bin. Ich probiere es weiter und es ist möglich.
dass ich mich wieder unsäglich entferne. Ich weiß nie, was der nächste Versuch ergibt Im
besten Fall begegne ich auf diesem W~ der Form, die unsichtbar schon in mir war. Ich
erkenne sie, wenn ich sie vor mir sehe.·,s
Interessant ist an dieser Stelle die Beschreibung der Form und des spielerischen
Versuchs, der inneren Form eine äußere folgen zu lassen. Es ist also denkbar, dass
künstlerische Prozesse helfen können, diese innere Form - beispielsweise auch eine
untemehmerische Vision - gestaltbar zu machen, sie gewissermaßen in die Realität zu
transponieren, sie Faltins [deenkunstwerk vergleichbar in die Welt zu tragen.
Kufus verfolgt damit einen ähnlichen Ansatz wie Weinberg und lehnt sich in seiner
Konzeptentwicklung gewissermaßen an die Interseetion Johanssons an. Um aber
offensiv künstlerische Denk- und Arbeitsweisen in die untemehmerische Innovation
zu integrieren, beteiligt er bereits Künstler als haodelnde Akteure am Innovations-
prozess:
,,Denn eine multidisziplinäre Entwicklung ennöglicht Qualitäten, die durch klassische
Design-Dienstleistung oder betriebsinteme Entwicklung nicht entstehen würden. Werkstätten
werden zu temporären Labors, der Standort zum Spielfeld, die vereinzelten Disziplinen und
Branchen zur gemeinsamen Entwicklungskompetenz. Der Prototyp ist das Produkt.
Herstellung und Markt sind global. Ein Treffer, der seinen Weg in die Welt findet, also die
vielen Hürden zur Innovation schafft und Rücktlüsse erzeugt, ist damit zwar noch nicht
garantiert. Aber riskiert...s43
,,In diesem Sinne plädiere ich ausdrücklich für einen produktiven Sinneswandei zwischen
heiden Disziplinen und fordere auch in unserer Zeit zur Zusammenarbeit und gegenseitigem
Lernen auf. Möge [... ] das Entrepreneurship (Geschäfts-)Ideen und Innovationen mittels
künstlerischer Grundlagen (Handwerk, Disziplin, Fleiß, Ausdauer, Durchhaltcvermögen und
Durchsetzungskraft) und Attnbute (Neugierde, Inspiration, Intuition und Mut zu
Unabhängigkeit und Risiko) durchsetzen.,,544
Der Fokus von Birkenbachs Untersuchung liegt dabei auf der Entrepreneursbip-
Education. So heißt es:
"Wie in dieser Arbeit dargestellt, bedarf es bei der hier angetührten, nämlich erheblich
erweiterten Bestimmung des Funktionsbcgriffs einiger mehr zu vermittelnder Inhalte für den
Erwerb oder das Training notwendiger SchlüsseIkompetenzen. Sollten dafür nicht auch
V crtreter aus der Kunst, Kunstgeschichte, der Erziehungswissenschaft [.,,] inhaltlich und
lehrend mitwirken?"'"
Allerdings fällt bei Birkenbach auf, dass ihr Verständnis von Knnst gemäß ihrer These
sehr funktionalisiert erscheint Das Spektrum ihrer Knnstbe1rachtnng ist in diesem
Sinne auf deren Wahrnehmnng nnter dem Fonn- nnd Fnnktionsaspekt begrenzt -
möglicherweise keine zufällige Beschränkung, da das Prinzip "form follows function"
ja explizit der Architekturtheorie entnonunen ist''', also dem Nachdenken über eine
explizit angewandte Fonn der Gestaltnng, nicht der Knnst Das widerspricht letztlich
dem hier verfolgten Gedanken, dass gerade das offene, weite Feld der "freien" Knnst
S44 Birkenbach, K.. (2009): Untemehmergeist in neuen Formen. Form follows function. Was
Architektur die Wirtschaft lehrt, S. 296.
S4S Ebd., S. 369.
S46 Ebd., S. 369.
S47 Ebd., S. 370.
S48 Autor dieser Formulierung ist ursprünglich der amerikanische Architekt Louis Sullivan.
5.5 Ansätze zur Übertragbarkeit von Strukturen künstlerischen Handelns ins Untemehmerische 201
gesucht werden soll - nicht zuletzt, um den irrationalen Aspekt von Kunst als
Ausgangspunkt für Innovation zu suchen.
Insgesamt lässt sich feststellen, dass in den Ansätzen von Bertram, Kufus und
Birkenbach eine Tendenz besteht, Kunst für vOIbestinnnte Ziele innerhalb des
Unternehmerischen einzusetzen und sie dadmch zu instrumentalisieren. Hierdurch
würden jedoch gerade die so zentralen Aspekte der Kunst, wie Offenheit, Entlastung
von Verwertungsdruck und geistiger Freiheit, welche insbesondere für die These
dieser Untersuchung ausschlaggebend sind, kompromittiert.
Zwischenbetrachtung
Es konnte anband einiger aktueller theoretischer sowie angewandter Ausätze gezeigt
werden, dass künstlerisches Denken und Arbeiten wesentlich Strukturen folgt, wie sie
auch für Innovation notwendig sind, und dass die Übertragung künstlerischer
Handlungsweisen in Untemehmen innovatives Handeln auf verschiedene Art und
Weise ermöglichen und verstärken kann. In dem folgenden, letzten Schritt soll nun
noch gektärt werden, inwiefern die ästhetische Erfahrung durch Kunst das Entstehen
einer Vision, welche nach Schumpeter auf irrationalen Kriterien fußt, generieren und
schließlich auch vermitteln kann - inwiefern also eine innere Blicklenkung entlang
neuer Sichtachsen oder vielleicht vor allem zunächst eine Weitung und Öffnung des
Blicks in eine gsnzheitliche untemehmerische Idee im Sinne Faltius münden kann. Es
soll ein tieferes Verständnis dafür generiert werden, inwiefern die Auseinandersetzung
mit und vielleicht auch schon die Nähe zu künstlerischen Handlungsweisen dazu
beitragen kann, schöpferisches Denken - das im Verständnis Schumpeters immer auch
das Moment des Irrationalen enthält - zu verstärken. Hierzu gibt es Ausätze aus der
Ästhetik, welche diese Fragestellung besonders eingehend betrachten.
5.5.3 Das Entstehen und die Vermittlung einer unternehmerischen Vision durch die
ästhetische Erfahrung der Kunst
Schlereth untemirnmt einen philosophischen Versuch zum Entworf einer Untemeh-
mensführung, welche eine stete Innovation ermöglicht, und schaftl die Verbindung zur
Kunst hierbei über die Ästhetik Er geht im Zuge dessen ebenso wie Schumpeter
davon aus, dass wichtige die Kreativität ermöglichende Entscheidungen einen irratio-
nalen Charaktet haben können. Hierzu gtbt Schlereth zunächst eine interessante
Definition der untemehmerischen Vision. So hält er fest, dass "die folgende Begriffs-
bestinnnung [der Vision; J. F.] nicht im Sinne einer Analogie zur Kunst zu verstehen
202 5. Entrepreneurship und Kunst - eine innere Verwandtschaft
ist Es handelt sich hier um nichts weniger als eine Entsprechung.,a49 Für ihn ist also
die unternehmerische Vision eine wahrhaft künstlerische. Weiter heißt es dann:
,,Eine untemehmcrische Vision ist denmach eine Art Bild bezüglich des Unternehmens, bzw.
seiner Umwelt, jedoch unbestimmt und unbestimmbar. Dieses Bild zeichnet sich dadurch
aus, daß es, aufgrund der unvorstellbaren Mannigfaltigkeit der ihm. innewohnenden
Vorsrellungen (Konstrukte), sich nicht auf einen klaren Gedanken, ein klarcs Konsttukt
bringen läDt. Auf ästhetischer Ebene jedoch ist es alles andere als inhalts- oder
bedeutungslos...5SO
Die unternehmerische Idee, die der Unternehmer ..in die Welt zu tragen" unternimmt,
ist also ganz Bild, das im Werden ist.
Weiterhin stellt Schlereth sich die Frage nach der Vermittlung dieses Bildes: Wie kann
man im Sinne Schumpeters Führung übernehmen, wenn das Ziel wie das, was man
führen will, erst im Werden ist?'52 Wie kann es dem Unternehmer gelingen, die von
ilun entwickelte Vision zu vermitteln, um Führung zu übernehmen, wenn er sich doch
im Irrationalen bewegt? Wie kann die Vision denen, die ihr folgen sollen,
kontmuniziert werden? Diese Fragen präzisiert Schlereth wie folgt:
"Sucht man die untemebmeriscbe Vision als ästhetische Idee zu verstehen., erglDt sich
automatisch das Problem der Mitteilung, der Vermittlung derselben. Wenn eine Vision de
facto im Unbegri:ft1ichen zu verorten ist, wie kann sie dann verständlich geäußert werden, ist
doch die Kommunikation auf den Begriff angewiesen."SS3
Schlereth socht diese Kommunikation nun auf ästhetischer Ebene, wenn er sagt: ,,Der
erste Schritt der Vermittlung einer Vision kann nichts anderes als die rein ästhetische
Vermiulung sein. Wer eine Vision verstehen will, muß daher zuvörderst die der Vision
S49 Schlereth, M. (1999): Untemehmerisches Sein zwischen Realismus und Kunst. Ein philosophischer
Versuch zur Unternehmensfiihrung., S. 148.
sso Schlereth (1999), S. 149.
SSl Ebd., S. 152.
m Dieses Werden, das kann man an dieser Stelle mit Scbumpeter festbalten - gehört zur W csensart
des Unternehmens wie des Unternehmers selbst. Hört der Unternehmer auf zu werden, so wird er
"Wirr', so wird er starr, ein nicht mehr werdendes Unternehmen verliert, auch das wurde in der
neueren Innovationsforscbung immer wieder betont, seinen Wettbewerbsvorteil. So ist das Werden
ein Charakteristikum, das nicht nur bei der Gründung eines Unternehmens wünschenswert ist,
sondern auch in der steten Weiterentwicklung desselben - in dem Erhalt des durchlässigen
Schwebezustandes, also mithin der Innovation. (Vgl. die Ausfiihrungen in Kap. 5.2.)
'" Schlereth (1999), S. 156.
5.5 Ansätze zur Übertragbarkeit von Strukturen künstlerischen Handelns ins Untemehmerische 203
Eine solche Atmosphäre würde anch die eigene Fähigkeit des Unternehmers erhöhen,
sich selbst in der Schwebe des Unternehmerischen zu halten und nicht in den
,,Kreislauf der Arbeit' zu versinken. Ein solches Verständnis von unternehmerischer
Vision kann aber auch dazu beitragen, dass Führung tatsächliche Veränderong bei den
Mitarbeitenden bewirken kann, deno der Führende kann die Anregung, die er
beispielsweise aus der Kunst erfahren kann, manifest werden lassen, indem er den
kontinuierlichen Versuch unternimmt, sie wiederum in anderen hervorzubringen. In
Analogie zu Schlere1hs Vergleich mit der Landschaft wäre es nun konkret denkbar,
dass man die betreffende Person an ein Bild heranfiihrt, um dieses Erleben auch in ihr
hervorzubringen. Hier werden die Auseinandersetzung mit Klmst und die Verankerung
von Kunst in der Unternehmenskultur plastisch.
Ein solches Umfeld und Zusammenspiel kann den Zustand der Schwebe im Unter-
nehmen spielerisch erhalten. Denn Kunst und die spezifische Auswahl von Klmstwer-
ken können möglicherweise auch den andsuernden inneren Werdungsprozess des
Unternehmers spiegeln. Er kann sie heranziehen als Ausdruck seiner Gedanken- und
Gefiihlswelt, Mitteilung seiner spezifischen Weltanschauung; als Zeugnis seiner
Interessen und seiner Neugierde, gewissen Künstlern in der Andersartigkeit der
jeweiligen Gedankengänge zu folgen. Eben diese Elemente, die ilnn selbst helfen
können, innovativ zu denken und zu handeln, würden somit mitteilbar, könnten helfen,
die Gestalt seiner untemchmerisch ästhetischen Vision im Untemehmenskontext
erfahrbar werden zu lassen.
Schlereth selbst spricht davon, dass der Unternehmer in dem Versuch, seine Vision zu
vermitteln und auf deren Entsprechung in der Kultur des Unternehmens hinzuwirken,
auf die gemeinsamen und von allen Organisationsmitgliedero des Unternehmens
geteilten Grundannahmen einwirken müsse.556 Das Feld hierfür sei die "untemehmens-
kulturelle Ebene,~57 als ,,Bereich der ästhetischen Gewahrwerdung, daher die Vermitt-
lung einer ästhetischen Idee (einer untemehmerischen Vision) sich in diesem Bereich
(in der vierten Ebene der Unternehmenskultur) vollzieht'.'" Hier sei es möglich, auf
die Gefiihlswelt der Organisationsmitglieder einzuwirken, durch die diese vor allem
im Unternehmen wirksam. seien.SS9
Mithin, so ließe sich an dieser Stelle erneut schlussfolgern, wörde durch das Einbrin-
gen von Kunst in den Untemehmenslmntext eben diese Gefiihlswelt angeregt Kunst-
werke und der Austausch mit Künstlern würden auf unternehmenskultureller Ebene
wirken können, welche im Verständnis Schlereths konstitutiv für die gelungene
Umsetzung einer untemehm.erischen und ebenso ästhetischen Vision im. Unternehmen
ist Das untemehm.erische innovative Moment des steten Werdens könnte auf diese
Weise nicht nur beim Unternehmer selbst, sondero auch in der Unternehmenskultur
verankert werden.
Eine so gestaltete Kultur des Unteroehmerischen kann auch über die Grenzen des
Unternehmens hinsuswirken. Das Schaffen einer solchen Unternehmenskultur ttägt
dann die soziale Bedcutung und Wirksamkeit des Unternehmers weiter. Die mögliche
Dimension solcher Aktivitäten lässt sich wiederum mit Schumpeter beschreiben: ,,Die
Erfüllung der Unternehmerfunktion schafft klassenmäßige Positionen für den
erfolgreichen Unternehmer und die Seinen, sie kann auch eiuer Zeit ihren Stempel
aufdrücken, Lebensstil, moralisches und ästhetisches Wertsystem formen, aber sie
bedeutet an sich ebensowenig eine Klassenposition, als sie eine voraussetzt. ,,562 Die
Unternehmerfunktion kann also ein ästhetisches Wertsystem formen, sie kann einer
Zeit ihren Stempel aufdrücken.
Die hier ins Auge gefasste Auseinandersetzung mit Kunst geht über den Bereich des
reinen Sammelns hinaus. Vielmehr kann sie auf die hier umrissene Weise nur dann
wirksam werden, wenn eine intensive, innere Beschäftigung mit dem Gegenstand der
Kunst eintritt. Um die strukturelle Ebene des künstlerischen Entwurfs, die ihm eigene
Denksttuktur und die kreative Audersartigkeit in der Herangehensweise zu erfassen,
bedarf es eines inneren Weitungsprozesses, welcher darin besteht, dass die
künstlerische Ästbetik Eingaug in die eigenen Wahmehmungs- und Verarbei-
tungsprozesse findet.
Au dieser Stelle kann Wulf aus antbropologiseher Perspektive hilfreich dabei sein, zu
verstehen wie die künstlerische Ästbetik Eingaug in die eigene Wahmehmung finden
soll. So hält er zunächst fest, dass das innere Bild des Menschen eine Folge aus
äußeren Bildern ,ei:
,,Die inneren Bilder sind weitgehend eine Folge der äußeren Bilder, die an die Menschen
herangetragen werden. Als Produkte unserer Kultur sind sie deren Ausdruck und
lDlterschciden sich von den äußeren Bildern anderer Kulturen und anderer historischer
Zeiten."S63
Somit, kann an dieser Stelle zunächst gefolgert werden, ist die innere Bilderwelt des
Entrepreneurs eine Folge seiner Konfrontation mit äußeren Bildern. Dabei geht es in
dern Verständnis Wulfs zunächst generell um di~enigen Bilder, welche aus dern
kulturellen Kontext stammen. Darüber hinaus ist es jedoch ebenso denkbar, dass
spezifische Bilder, mit welchen der Unternehmer sieh bewusst konfrontiert, einen
Einfluss auf diese innere Bilderwelt haben. Umso mehr, da der Entrepreneur selbst an
der Gestaltung seines direkten kulturellen Umfeldes beteiligt ist.
Dies impliziert weiterhin, dass die Bildauswahl, mit welcher der Entrepreneur sein
Unternehmen gestaltet, abernta\s zu der Außenwelt seiner Mitarbeiter wird, welche
sich diese wiederum zu einer Innenwelt machen. Dies korrespondiert mit dem
Gedanken SchIeretbs einer Vermittlung der ästbetischen Idee des Unternehmers auf
unternehmen,kultureller Ebene, welche eine ästbetische Gewahrwerdung dieser Idee
zur Folge hat.
Den genauen Prozess dieser Einbildung in die hmenwelt schildert Wulf unter
Rückgtiff auf den Begtiff der Mimesis'64 wie folgt:
,,Der sehende Nachvol1zug ihrer Formen und Farben [...] verlangt ein Festhalten des Bildes
im Sehen, ein Sich-Öffnen fiir seine Bildlichkeit und ein Sich-ibm-Überlassen. Der
mimetische Prozess besteht darin, dass sich der Betrachter durch sein sehendes N achscbaffen
dem Bild ähnlich macht. es in sich aufirimmt und durch dieses Bild seine innere Bilderweit
erweitert...S6S
Interessant ist hier zunächst der Gedanke der Anähnlichung an das Bild, welches
einem "sehenden Nachschaffen" gleiche. Dies kann für den Zusammenhang dieser
Arbeit bedeuten, dass der Entrepreneur seine innere Bilderwelt nicht nur durch die
Nähe zur Kunst erweitern kann, sondern diese Erweiterung durch eine Einbringung
von Kunst in den Untemehmensraum auch an seine Mitarbeiter weiterzugeben in der
Lage ist.
Ein weiterer Begriff, welchen Wulf einführt und welcher an dieser Stelle der Untersu-
chung zu einer tieferen Verständnisebene beitragen kann, ist jener der Imagination.
Auf die Komplexität des Vorgangs, wie sie Wulf unter diesem Begriff entfaltet, kann
an dieser Stelle nicht angemessen eingegangen werden. Allerdings ist von Interesse,
dass Wulfhiennit eine Conditio humana'" anspricht, welche "bei der Entstehung und
der Vennittlung der Künste eine zentrsIe Rolle spieJr'.'"
So stellt Wulf fest, dass die Fähigkeit zur Imagination ,,nicht nur die Künste, sondero
auch die Kulturen im Sinne von Praktikeo des Lebens hervorgebracht''''' hat. Kano
auch Entrepreneurship als eine ,,Prsktik des Lebens" betrachtet werden, so lässt sich
fes1ha1ten, dass es derselben Fähigkeit zur Imagination entspringt wie die Künste.
Darüber hinaus fiUlt der Imagination jedoch auch die entscheidende Rolle des Trägers
und Vennittlers von Kunst zu: ,,Erfahrungen der Alterität, wie sie die Künste schaffen,
beroben auf den Möglichkeiten der Imagination, sich dem Fremden ähnlich zu machen
und es sich dadurch zu erschließen.'"'' Die Fähigkeit der Imagination bietet folglich
einen Zugang zu der Kunst als etwas Fremden. Sie hilft dabei, sich die fremde
Gedankenwelt des Künstlers und des Bildes zu erschließen und somit zugänglich zu
machen. Dies ist für die These dieser Arbeit von entscheidender Bedentung, deun es
bietet einen wichtigen Verständnisaspekt für den inneren Weitungs- und Werdungs-
prozess, welchen der Entrepreneur entlang der Kunst zu vollziehen imstande ist und
Auch Guillet de Monthoux bringt nun die Felder der Wirtschaft und der Ästhetik
zusanunen. So untersucht er das innovative Potenzial, welches freigelegt wird, weno
Kunst in Unternehmen hineingenommen wird.
Allerdings ist anzumerken, dass Guillet de Monthoux mit einero relativ eingeschriink-
ten und eher konventionellen Begriff von Kunst arbeitet und dass seine Vorschläge zur
Integration und Wirksamkeit von Kunst im Unternehmenskontext durehaus
instrumentalisierenden Charakter haben. So schlägt er beispielsweise vor, dass
,,Künstler, die systematisch in die Welt der Wirtschaft intervenieren durch nach außen auf
den Markt gerichtete Aktivitäten oder unterneh:menslllterne, auf die Organisation und
Produktion des Unternehmens gerichtete Aktivitäten, [...1 etwas mehr Vcrspieltheit in die
Wirtschaft bringen [können; 1. F.1, die sonst immer nur mit Hilfe administrativer und
technischer Regeln und Verfahren erreicht werden soll". sn
Dieser Ansatz scheint die Kunst auf gewisse Art und Weise zu funktionalisieren und
beraubt sie so des für sie so essenziellen Elements geistiger Freiheit.
570 Ebd., S. 25
m Guillet de Monthoux, P. (2007): Handlungshenneneutik - ästhetische Perspektive fiir Ökonomen,
in: Markowski, M./Wöbkon, H. (Hg.): Oeconomenla, S. 53.
m Ebd., S. 65. Wie eine solche Integration aussehen könnte, führt er beispielsweise fiir Huttnacher
oder Badhersteller aus; vgl. S. 62 ff.
5.5 Ansätze zur Übertragbarkeit von Strukturen künstlerischen Handelns ins Untemehmerische 209
In der Rezeption dieser Handlungshermeneutik soll die Handlung des Künstlers nach-
empfunden werden und in einem zweiten Schritt, so die These Guil\et de Monthoux'.
in das eigene Handeln Eingang finden. Die Auffassung des Künstlers vermittelt sich
somit in seinem künstlerischen Ausdruck und Handeln. Diesen zu verstehen und
nachzuempfinden, darin besteht für Guillet de Monthoux die Aufgabe der Hermeneu-
tik In dieser Begriffsfindung macht er dentlieh, dass jedes Kunstwerk bereits Aus-
druck der Denkweise des Künstlers ist, welche uns durch sein jeweiliges Kunstwerk
vermittelt wird. Das Kunstwerk an sich ist also Träger des künstlerischen
Gedankenguts und enthält bereits die Lehre über seine Bedentung, welche sich dem
Betrachter offenbart.
Darüber hinaus gibt Guillet de Monthoux äußerst plastische Hinweise bezüglich der
Verfabrensweise des Künstlers:
,,Dass die von Künstlern geschaffene Knnst ohne Interpretation nicht auskommt, ist
einleuchtend. Nur jemand, der sich mit Kunst gar nicht auskennt, mag vemnrten, dass
Künstler von allen Zwängen befreite Exzentriker sind, die die geniale Begabung haben, aus
nichts wie von Zauberhand Kunstwerke zu schaffen. So ist es natürlich nicht Kreativität ist
dagegen erforderlich beim Drehen und Wenden von allem, was übertragen, archiviert,
gesammelt und dokumentiert wird. Es geht um das Zusammensetzen, Schütteln und Rütteln,
allgemeiner gesagt um das Formen...s73
Weiter heißt es dann zu der Arbeitsweise des Künstlers: ,,Ein Künstler lehnt diese
Methoden [Administration und Regeln; J. F.] ab, oder, was eigentlich öfter der Fall ist,
er spielt mit diesen Methoden. Hierdurch schafft er sich einen Freiraum, der ihn zu
besseren Entscheidungen und klareren Urteilen kommen lässt ."74
Somit kann diese
hier beschriebene Methodik des Künstlers bei intensiver Auseinandersetzung auch die
des Unternehmers positiv beeinflussen. Denn um. ein tieferes Verständnis von Kunst
zu erlangen, bedarf es der Auseinandersetzung mit ihr und eines daraus folgenden
Einblicks in die Denk- und Handlungsweisen des Künstlers. Dies ermöglicht letztlich
eine Blick-schulung im Sinne Schumpeters.
Zwischenbetrachtung
An dieser Stelle sollen zusammenfassend noch einntal die fiir die Übertragbarkeit von
Kunst in die unternehmerische Wirklichkeit wesentlichen Aspekte zusammengefasst
werden. So wurde zunächst der Frage nachgegangen, wie Innovation entsteht In der
Beantwortung dieser Fragestellung wurden bei den vorgestellten Autoren Aspekte
sichtbar, welche eine struktnrelle Entsprechung zur Kunst aufweisen und
könstlerischen Verfahrensweisen verwandt erscheinen. Die Ausführungen Mengers
machten diese offenbare Entsprechung explizit. So sind i1un könstlerische Schaffens-
prozesse fortschrittlicher Ausdruck wirtschaftlichen Denkens und HandeIns.
In einem zweiten Schritt wurden praktische Ansätze der Integration könstlerischen
Handelns in das Unternehmerische betrachtet Hierbei wurden verschiedene Beispiele
und Verfahrensweisen kenntlich gemacht, wie Kunst in die Unternehmenarealität
hineinzudenken wäre. Zu der Beantwortung der dritten Frage nach der Rolle von
Kunst bei dem Entstehen und der Entfaltung einer Vision sowie der Vermittlung
derselben, auch im Sinne einer Führung, wurde mit Schlereth eine philosophische
Herangehensweise dargestellt. Die Haltung Schlereths konnte daröber hinaus auch
eine weitere Facette der Integration von Kunst in den Untemehmensraum bieten und
die zuvor genannten prsktischen Ausätze sinnvoll ergänzen. Wulfs aus anthro-
pologischer Perspeklive formulierter Beitrag über Bild und Imagination trägt zu einem
tieferen Verständnis der Bildwirktmg auf den Betrachter bei. Mit Guillet de Monthoux
konnten weiterhin, gewissermaßen in Ergänzung zu Schlereth, wichtige die Denk- und
Bei einigen der vorgestellten Ansätze zur Verbindung von Kunst und Unternehmertum
ist jedcch eine Problematik angeklungen, welche die Kunst ihrer wesentlichen Aspekte
zu berauben droht. Die planmäßige, durch klare Konzepte strukturierte Integration von
Kunst und Künstlern in den Unternehmensraum kann dazu führen, dass Kunst letztlich
instrumentalisiert wird. Sie droht hierdurch ihrer wesentlichen Elemente wie geistiger
Freiheit, Entlastung von Verwertungsdrock und zwangloser Kreativität beraubt zu
werden.
5.6 Die Medici als Beispiel für die lebendige Verbindung von Entrepreneurship
und Kunst
"Vermutung über den Ursprung der Freigeisterei. - Ebenso wie die Gletscher zunehmen,
wenn in den Aquatorialgegenden die Sonne mit größerer Glut als .früher auf die Meere
niederbrennt, so mag auch wohl eine sehr starke, um sich greifende Freigeisterei Zeugnis
dafür sein, daß irgendwo die Glut der Empfindung außerordentlich gewachsen ist... 515
Die Medici, berühmt als herausragende Mäzene wie als hoch innovative Unternehmer
ihrer Zeit, siod ein besonders eindrocksvolles Beispiel für eine lebendige Verbiodung
von Kunst und unternehmerischem Handeln. Sie haben die Nähe zu Kunst und Kultur
aktiv gelebt und die Übertragbarkeit von Kunst in den Unternehmensraum in einer
Vielzahl von Beispielen lebendig werden lassen. Was macht es nun in unternehmeri-
scher Hinsicht aus, dass sie sich so mit Kunst hefasst haben? Um dieser Frage nachzu-
gehen, sollen nun differenziert die praktischen und struktorellen Potenziale der Aus-
einandersetzung mit Kunst bei den Medici noch einmal zusammengetragen werden.
Eine wesentliche Grundbedingung ihres Umgangs mit Kunst scheint gewesen zu sein,
dass sie eine zwanglose Nähe zu ihr schufen. Künstler und Kreative waren, wie
ausführlich gezeigt, steter Bestandteil ihrer täglichen Lebensgestaltung. Die Medici
kreierten in ihrer nächsten Umgebung und auch in ihrem unternehmerischen
Wirkungsfeld einen Raum der Inhomogenität. Sie haben sich nicht nur mit Bankiers,
Politilrem oder Menschen ihres eigenen gesellschaftlichen Ranges umgeben, sondern
auch mit Künstlern und Kreativen, und hierdurch ein nichthomogenes Umfeld
geschaffen, in welchem gegenseitige Befruchtung hat stattfinden können.
Dabei hatten sie durch ihren Reichtum und die damit mögliche Position als Auftrag-
geber und auch als Gestalter der städtischen Öffentlichkeit zwar gewissermaßen
Klassenpositionen im Sinne Schumpeters inne, setzten diese allerdings offensichtlich
nicht vor allem zur sozialen Distinktion ein, sondern bewahrten sich eine Offenheit
und ein Interesse fiir Menschen aus nahezu allen sozialen Gruppierungen. An dieser
Stelle wäre beispielsweise an Giovanni zu erinnern., der den ihm vom Papst angebo-
tenen Grafentitel ausschlug'" Er zog es vor, die Nähe zu anderen sozialen Schichten
und Gruppierungen zu erhalten. Die Medici trugen hiemtit auch bei zu einer neuen
Wertekultur, welche geistiges Kapital über finanzielles stellte.
Indem sie ein solches Umfeld der Positive Turbulence schufen, welches man als
könstletisch geprägt bezeichnen kann, durchbrachen sie nicht nur gewiss den von
Schumpeter benannten ,,Eisenbahndannn" der unbewussten geistigen und praktischen
Routinen, sondern sie erhöhten auch drastisch die Wahrscheinlichkeit, eine konstante
Betiihrung zum kreativen Puls ihrer Zeit zu erfahren. Sie suchten intensiv den Kontakt
und Austausch mit Künstlern, Kunstwerken sowie könstletischen Denk- und
Arbeitsweisen und haben es auf diese Weise zugelassen, sich künstlerischen
Einflüssen auszusetzen.
In dieser Offenheit, welche von Eigenschaften wie Neugierde, Bescheidenheit und
Gelehrsamkeit flankiert wurde, erfuhren sie eine intensive Nähe zu dern kreativen
Potenzial der ganzen Epoche. Sie waren als Auctures Mit-Gestalter vieler Kunstwerke
und haben mit der Zentralperspektive, welche von einern Künstler unter ihrem
Patrunat entwickelt wurde, eine der wesentlichen Neuerungen auf dem Gebiet der
Kunst in der Entwicklung von Gedankengängen, Versuchsstadien und der Erprobung
der damit eröffueten Möglichkeiten hautnah erfahren. Sie haben durch die Künstler
und entlang der Kunst ihren Blick einer Schulung unterzogen. Dies erlaubte es ihnen
in der Folge, sich innner geübter auf differente Denkmuster der Künstler einzulassen.
Überhaupt mag die Vielzahl der unterschiedlichen Künstler ihres Patronats dazu
beigetragen haben, dass sie zunehmend geübter darin wurden, den jeweiligen neuen
Ideen und Denkmustern der Künstler zu folgen. Sie haben auf diese Weise mit der
rasanten künstlerischen Entwickluug der Epoche Schritt gehalten, waren gewis-
sermaßen ständig auf der Höhe der Zeit.
Dass die Medici die Denkweise, mit der sie bei den Künstlern konfrontiert waren,
wirklich zu verstehen wussten, wird durch ihre mäzenatische Hinterlassenschaft
belegt: Die Vielzahl und Vielfalt der könstlerischen Meisterwerke, welche unter ihrem
Patronat entstanden, zeugt davon, dass die Medici ein Empfinden für die Qualität der
Arbeit der jeweiligen Künstler hatten. Die Literatur hat immer wieder betont, dass
gerade Cosimo die Fähigkeit besaß, den Künstlern in ihren jeweiligen
Gedankengängen nicht nur zu folgen, sondern sie sogar darin zu fordern. Er hat also
verstanden, was ihre Entwürfe ausmachte, und dies muss er sogar verstanden haben,
bevor es zur tatsächlichen Realisierung des jeweiligen Kunstwerkes kam.
Essenziell erscheint an dieser Form des Umgangs, dass das könstlerische Element
geistiger Freiheit hierdurch nicht berührt oder eingeschränkt wurde. Im Gegenteil
wurde ja gerade in dieser Epoche der Geniebegriff für die Kunst und den Künstler
geschaffen. Der Künstler wurde in dem Patronat Cosimos befreit von Verwertungs-
druck und materiellen Sorgen des Alltags. Indem der Mäzen ihnen ein monatliches
Auskommen sicherte und bei der MateriaibeschafIung behilflich war, konnten sie das
so zentrale Element der Kunst - die geistige Freiheit - weiter entfalten.
Indem Cosimo die Künstler in direkter Nähe zu seinem Lebensa11tag ansiedelte, hat er
sicherlich auch wesentlich dazu beigetragen, dass der Gedanke des Handwerkers
zunehmend ins Hintertreffen geriet. Sie wurden ihm vielmehr zu geistigen Partnern,
mit welchen ein K1ima des intellektuellen, künstlerische Gestaltungen und Neuerun-
gen betreffenden Diskurses entstanden ist.
So ist die von den Medici gelebte Nähe zur Kunst, als einem Bereich durchaus
differenter Denkmuster, ein wesentliches Innovationsmerkmal- man kann dies als die
Verwirklichung der von Johansson benannten Interseetion bezeichnen. In dieser
214 5. Entrepreneurship und Kunst - eine innere Verwandtschaft
gelebten Nähe und dem Austausch mit dem Bereich der Kuust wird somit eine
entscheidende strukturelle Ursache der Innovationskraft der Medici begründet
gewesen sein. Hier erfuhren sie eine Audersartigkeit in Problemlösungsansätzen uud
Sicht- uud Arbeitsweisen, mit welchen sie sich in großer Intensität befasst haben. Sie
waren durchlässig fiir diese neuen Ideen und Kouzepte. Es ist anzunehmen, dass die
Medici durch ihre Nähe zur Kunst auch den Prozess der Entwicklung, Visualisierung
und Umsetzung einer Idee lernen und verinnerlichen konnten. So ist dies auch eine
grondlegende Voraussetzung fiir die Entwicklung unterneinnetischer Entwörfe.
Hilfreich fiir das Verständnis der eigenen Denkweise, auf die die Medici bei den
Künstlern treffen konnten, ist der Begtiff des Disegno. Dieser Begtiff bezeichnet eine
neue Denkweise im Umgang mit der Idee und dem Schöpferischen. Weiterhin trägt er
die Bedeutung des Entwurfs in sich, welchen man zunächst im Geist visualisiert und
schließlich in der Idee hervorbringt. S77 Eigentlich als Qualitätskriterium fiir Kuust
formuliert, wurde bereits die vielfliltige Übertmgbarkeit des Begtiffs konstatiert. Die
Unternehmensgestaltung der Medici gleicht in mancher Hinsicht einem schöpfetischen
Entwurf. So sind die radikalen Innovationen der Holding- sowie der Partner-
schaftsstruktur beides Beispiele für eine neue und schöpferische Denkweise im
Umgang mit der Unternchmensgestalt. '"
In diesem Zusammenhang ist die Nutzung der doppelten Buchföhrung durch die
Medici zu erwähnen. Diese weist eine hreite Reihe von Bezögen zum Begriff des
Disegno auf. So konnte gezeigt werden, dass es ein durch die künstletische Sphäre
geprägter Mann gewesen ist, der die doppelte Buchführung erfand und dabei ein
großes Einfiihlungsvermägen in soziale und wirtschaftliche Zusammenhänge bewies,
indem er die Notwendigkeit der Buchführung erkannt hat. Schon für die Medici mag
die doppelte Buchführung ein Instrument gewesen sein, mit welchem. sich Entwürfe
untemehmerischer Art ausdrücken, quasi visualieren - und damit letztlich ermöglichen
ließen.
Kunst könnte weiterhin aber auch die Rolle des Mittlers ihrer unternehm.erischen
Vision eingenommen haben. So wurde oben festgestellt, dass eine untemehmerische
Vision nur dann entsprechend kommuniziert werden kann, wenn ein erneutes
Hervorbringen derselben beim Gegenüber vollzogen wird, wenn dieses sich jene ein-
bilden kann und sich eine ästhetische Gewahnverdung vollzieht. Es ist durchaus
denkbar, dass Cosimo seine Leidenschaft für die Kunst mitteilte - sie in seinen
Geschäftspartnern und Mitarbeitern hervorbrachte, indem er sich in jedem seiner
Lebensbereiche mit Kunst umgab und seine Partner anregte, es ihm. nachzutun. So
stellte er sicher, dass seine jeweiligen Partner ein Auge für Kunst hatten, und regte in
der Folge deren künstlerische Fantasit!79 an. Ein Beispiel hierfür ist Tommaso
Portinari, der Vertreter der Bank in Brügge, welcher die Entstehung des berühmten
Portinari-Triptychons von Hugo van der Goes zu verantworten hat. Dies gilt heute als
eines der Hauptwerke von van der Goes. Möglicherweise ist auf diese Weise auch die
Idee des Talenthandels mit Opernsängern geboren worden.
Indem sie sich tiefer auf den gedanklichen Austausch mit Künstlern einließen, haben
die Medici auch bereits die Aufforderungen Schumpeters vorweggenommen, uach
welcher der Entrepreneur neue Handlungsgewohnheiten entwickeln sollte, um den
,,Eisenbabndamm" der Routine stetig zu dmchbrechen. Insbesondere Cosimo bot
hierfiir in seiner Vielseitigkeit ein hervorragendes Beispiel. Sein Leben war eine bunte
Durclnnischung unterschiedlicher Lebensbereiche und Interessengebiete. Er hat
gelernt, seinen Blick schweifen zu lassen, sich von den Blicken der Künstler leiten zu
lassen, deren Bildräume zu betreten und sich somit konstant dem ,,Kreislauf der
Arbeit" zu entziehen. Hierdurch schuf er auch in seinem unternelnnerischen Wirken
und Spiel neue Bildräume und eine Vielzahl neuer Kombinationen, welche dazu
beitrugen, dass sich die wirtschaftliche Entwicklung der Medici-Bank und letztlich
weitergehend im Florenz der Renaissaoce mit rasender Geschwindigkeit vollzog. Es
ist Cosimo gewissermaßen gelungen, sich von dem Verwertungsdruck seiner eigenen
Ideen zu befreien.
Sicherlich haben die Medici Kunst auch durchaus funktional in ihrem Sinn eingesetzt.
Insbesondere Cosimo hat es vermocht, über die von ihm. kommissionierten Bilder, die
er der Öffentlichkeit in Kirchen, Klöstern und seinem direkten Umfeld in seinem
Palast zugänglich machte, seine Umwelt aozusprechen. Mao kaon dies auch in dem
Sinne verstehen, dass er über diese Kunstwerke eine Art geistiger Führung, zumindest
aber eine Art Mitgestaltung des öffentlichen Stadtraumes und auch des allgemeinen
Kulturverständnisses ausübte: Er bot iedem an, sich auf ihre Blickfiihrung einzulassen
- eine Blickfiihrung, die er in seiner Funktion als Auctor gewissermaßen mit-
gestaltete, wodurch er seine Position innerhalb dieser Werke selbst bestimmen konnte.
5.6 Die Media ab Beilpiel fiirdie 1~ Verbindung vonEntrepreneura1r und ICunst 217
BotticcUis Anbetung der Heiligen drei Könige ist hier ein gutes Beispiel. Sie zeigt
Cosimo perspektivisch zentral dargestellt, links von der Mutter Gottes kniend. Die
librigen Familienmitglieder werden ihrer Wichtigkeit gemäß nacheinAnder dem Blick
des Betrachters zugeführt. Bilder dieser Art haben sicherlich dazu beigetragen.
Cosinws Ansehen und auch seine Machtposition ZU stirbm. In einer Zeit, als die Kraft
der Bilder umso stärker war, da die Quote der Analphabeten hoch und vor allem
sonstige Quellen des Zugangs zu Information eher schwierig waren, wog diese
•.Hebelkraft'" natiirlich noch um einiges stärker.
Auch innerhalb des grö.ßcrcn Kontextes der Stadt spielte Kunst sicherlich eine
wichtige Rolle für den wirtschaftlichem Aufbruch. wovon auch die Medici profitierten:
Die ,,Hebelkraft" der Kunst hat vermutlich ein Moment entstehen lassen, das zu der
kreativen Explosion der Renaissance auf universeller Ebene beigetragen bat. Sie bat
auf individueller Ebene Anregungen für geistige Neuorientierung. für breiten
SI1 http://commons.wikimedia.orgfwikiIFile%3AAdorationMagi.jpg(23.01.2012).
218 5. Entrepreneurship und Kunst - eine innere Verwandtschaft
Austausch und für die Ausbildung von Vielseitigkeit gestiftet. Die wirtschaftliche
Betrachtungsweise der Renaissance hat gezeigt, dass die Florentiner eine ungemeine
Fähigkeit zur Integration neuer Marktchancen besaßen und darüber hinaus ein
ausgeprägtes Geschick, aus einmal gewonnenen Möglichkeiten neue zu schaffen.
So hat die Dynamik der Kunst in der Renaissance noch an anderer Stelle angesetzt.
Durch die enorme Förderung künstlerischer Aktivität in Florenz ist eine Verdichtung
künstlerischen Talents entstanden. Dies hat nicht nur einen Kunstmarkt entstehen
lassen, eine Konzentration guter Künstler in Florenz herbeigefiihrt, sundern nachge-
wiesenermaßen auch zu einer quantitaven sowie vor allem. qualitativen Ausdehnung
des Wirtschaftssektors beigetragen, welcher direkt an die Geschmacksbildung der Be-
völkerung gekoppelt gewesen ist. m Das ist im Übrigen auch das, was sich Guillet de
Montboux wünscht, wenn er sagt, "dass die von Künstlern geschaffene Kunst ohne
InteIpretstion nicht auskommt".'" Den Florentinern ist die Interpretation offenbar ge-
lungen und so hat die Kunst die Stadt und die Menschen gewissermaßen durch-
drungen.
Um als Gründer und später als innovative Unternehmer so erfolgreich sein zu können,
haben sowohl Giovanni di Bicci als auch Cosimo de' Medici es vennocht - um es in
den Worten Schlereths zu formulieren -, eine Vision zu generieren, sie in sich zu
evozieren und sie anderen zu vennitteln. Es konunt auf den Blick an, sagt Schumpeter.
Vielleicht konnten die Medici aufgrund eines sehr freien Blicks auf ihre Umgebung
und auf das, was die Künstler ihnen zu sehen gaben, in Schlereths Sinn Visionen
entwickeln und wiederum für andere Bild werden lassen. Insgesamt zeigt der Umgang
der Medici mit Kunst und Künstlern keine Form der ergebnisorientierten Funktiona-
lisierung, geht aber doch auch über das, was man als oberflächliche ,,Inspiration"
bezeichnet, hinaus. Kunst ist bei ilmen Teil des Alltags und der Lehensweise
geworden und so ist die Wirksamkeit künstlerischer Denk- und Handlungsweisen bei
den Medici auf sehr vielen Ebenen sichtbar.
Am Beispiel der Medici konnte gezeigt werden, dass die intensive Auseinandersetzung
mit Kunst einen äußerst positiven und fruchtbaren Beitrag zu einer innovativen
unternebmerischen Haltung leisten kann. Anband der Konzepte Schumpeters und
Faltins zum Begriff des Unternebmerischen sowie der Überlegungen einiger weiterer
zeitgenössischer Autoren konnte der strukturelle Hintergrund dieser Beobachtung
analysiert werdeo. Dies führte zunächst zu der grundlegenden Einsicht, dsss Entrepre-
neure und Künstler innerlich verwandt sind, ihre Denkweisen einander entsprechen. In
weiteren Schritten wurde beschrieben, wie sich die Verbindung von Kunst und Entre-
preneurship konkret gestalten lässt. Das historische Beispiel der Medici erwies sich
auch hier als instruktiv, weil es eine Form der Verbindung von Kunst und Unterneh-
mertum dsrstellt, die Impulse aus dem künstlerischen Bereich nutzt, ohne sie zu instru-
mentalisieren.
Um die hier konstatierte fruchtbare Verbindung von Kunst und Wirtschaft besser
greifbar zu machen, ist es sinnvoll, ihr eine begrifiliche Fassung zu verleihen. Hierfür
erscheint der Begriff des Cultura1 Entrepreneurships geeignet. Zwar ist, wie gezeigt, in
dem Begriff des Entrepreneurship bereits ein gestaltendes, kreatives Moment
enthalten. Doch sollte eine Form des Unternehmerischen, die bewusst künstlerische
Denk- und Arbeitsweisen einbezieht, durch einen eigenen Terminus gekennzeichnet
werdeo. Der Begriff des Cultura1 Entrepreneurship macht eine solche Einbeziehung
von Kunst und Kultur explizit.
In den heutigen Debatten um Cultura! Entrepreneurship wird der Begriff bisher kaum
präzise gefasst, vielm.ehr wird er von verschiedenen Autoren mit einer breiten
Assoziationsvielfalt verwendet. Es gtbt Bezüge zu Social Entrepreneorship, zu
Corporate Social Responsibility, zu Ethik und Nachhaltigkeit und natürlich inbeson-
dere zur Kreativwirtschaft. Insgesamt lassen sich - neben verschiedenen Mischformen
- zwei Hauptströmungen in der Debatte ausmachen:
Die zweite Strömung definiert Cultura! Entrepreneurship über die Bedeutung kultu-
reller Gegebenheiten eines Landes bei der Entstebung einer Kultur des Unteroeh-
merischen. Die entsprechenden Auturen thematisieren also, inwiefero der kulturelle
Hintergrund von Menschen zu ihrer Bereitschaft sowie zu der konkreten Art und
Weise beiträgt, eine selbständige wirtschaftliebe Aktivität zu entfalten, und inwiefern
dies rückwirkend wiederom kultuIprägend wirken kaun.'"
Das Global Center for Cultural Entrepreneurship verbindet quasi beide Ansätze, indem
es den Begriff wie folgt definiert: ,,At the Global Center for Cultura! Entrepreneurship
SIS Damit sind zwei sehr zentrale, untereinander divergierende Auffassungen darüber angesprochen,
was ,,Kultur" ~ nämlich eine ästhetisch und eine anthropologisch begründende. Vgl. für den in
dieser Arbeit nicht thematisierten anthropologischen Zugang zum Begriff der Kultur Wu1f(2004).
586 Vgl. z. B.: Caves, R. E. (2000): Creative Industries: contracts between art and commerce.
517 Vgl. Hofstede, N. et aI. (2004): Culture's ro1e in Entrepreneurship: self-em.ployment out of
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Entrepreneurship: what triggers it1. Auch die Ansätze des Global Center for Cultural Entrepreneur-
slUp gehen in dieselbe Richtung http://www.culturalentrepreneur.orgl (abgerufen am 10.10.2011).
5.7 ExkuIs: Cultura1 Entrepreneumnp 221
Die Fragestellung der vorliegenden Untersuchung lässt vermuten, dass diese beiden
Defmitionen zu eng gefasst sind und einen wichtigen Aspekt ausgrenzen, nämlich die
Tatsache, dass Kunst, Kultur und Entrepreneorship per se eng miteinander verbunden
sind, sich diese Verbindung aber bewusst verstärken lässt. Der hier verfolgte
strukturelle Zusanunenhang zwischen künstlerischen Arbeitsformen sowie künstleri-
schem Ausdruck und unternehmerischer Innovation findet in der wissenschaftlichen
Rezeption des Begriffs bislang wertig Beachtong.
Das Beispiel der Medici und die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung können
den Begriff sinuvoll ergänzen. Das hier vertretene dritte Verstäudnis des Begriffs
Cultural Entrepreneorship ist im Wesentlichen geprägt durch:
Um dieses Verstäuduis des Begriffs noch weiter zu konturieren, soll die Auffassung
von Swedberi89 herangezogen werden, der interessanterweise Schumpeters eigenen
Umgang mit Kunst thematisiert. Swedbergs Darstellung ist mit dem hier Vorgetrago-
nen sehr verwandt, aber gerade die Unterschiede seiner Überlegungen zum hier
entwickelten Begriff dürften diesen weiter klären. Swedberg denkt den Begriff des
Cultural Entrepreneurship zwar noch in der Nähe zur Kreativwirtschaft, dentet jedoch
bereits eine gewisse Begriffsöffuung im Hinblick auf eine Übertragbarkeit auf
wirtschaftliches Handeln schlechthin an.
So schreibt Swedberg: ,,1 address the topic of cultural entrepreneurship, a topic that is
suggestive in a number of ways and which is situated at the intersection of the
following three topics: entrepreneurship, art, and the economy."'" In seiner Analyse
zieht er, um dieser Intersection nachzugehen, dann Schumpeter und Weber heran. Ifier
stellt er eine Analogie zu der Biographie Schumpeters her, welcher anscheinend eine
ausgeprägte Leidenschaft fiir Kunst hatte.'''
Hieraus leitet Swedberg folgende Fmge ab: ,,Did Schumpeter's interest in art intersect
with his ideas on economies, and did it even become part of bis theory of the
entrepreneur?"'92 Er streift in der Folge in einem schnellen Verlauf Schumpeters
Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung und schlägt damuf aufbauend vor, dass
Kunst eines der Elemente der Neukombination in Schumpeters Sinne sein könne:
,,According to this suggestion, the economic entrepreneur who works in the creative
industries can, for example, be conceptua1ized as someone who makes combinations, where
art is one ofthe elements in the entrepreneurial combination. Or the artist who is interested in
economic success may be conceptualized as someone who tries to link up bis or her work
with other elements in some combination that works. Schumpeter' s way of looking at
cntrepreneurship, in brief invites to such a discussion. ,,593
Mit dieser Feststellung wendet sich Swedberg daun jedoch wieder derjenigen
Definition von Cultural Entrepreneurship zu, welche sich allein auf die Kreativbranche
bezieht, und folgert hierzu: "One can for example, conceptualize the artist as someone
who combines different items into the piece of art, and an economic feature - say a
way of marketing - may be one of these items that are combined. But other
combinations are also possible. The artist may want to combine things in such a way
that he or she makes moncy.'.s94 So ist Swedbergs Argumentation an dieser Stelle zwar
sehr verwandt mit der hier verfolgten, da er die Intersection von Wirtschaft und Kunst
zumindest beideraeitig in Betracht zieht. Allerdings läuft daun seine Schlussfolgerung
auch wieder nur damuf hinaus, dass aus der Verbindung der Anwendung von Kunst
und Wirtschaft direkte ökonomische Vorteile fiir den Künstler zu ziehen seien.
Dennoch schließt Swedberg nicht aus, dass auch umgekehrt wirtschaftliche Unter-
nebrnungen von Kunst profitieren können. Allerdings bleibt seine Formulierung hier
recht allgemein:
"There is also no ODe way. as I see it, in which these concepts and ideas should be used in
order to get a better handle on cu1tura1 en.trepreneurshp and the creative industries. Instead, I
S91 Hierzu heißt es: .,From my own studies in the Schumpeter archives [ ... ] I know for example, that
Schumpeter viewed himself as a gentleman scholar and that he also cu1tivated a gentleman's
knowledge of wine, litcrature, and the arts. I found, among ather things, a few sketches of
cathedrals in bis diaries [... ]." Ebd., S. 245.
sn Ebd., S. 245.
S!)3 Ebd., S. 250.
S94 Ebd. S. 259.
5.7 ExkuIs: Cultura1 Entrepreneumnp 223
would suggest - in Schumpeter's spirit - that they can be combined in different ways, and in
this way help to produce the intellectua1 innovations that we need.•0595
Die Betrachtung der verschiedenen Aktivitäten der Medici und ihrer - so die These
dieser Arbeit - daraus folgenden besonderen Form von Entreprencorship legt also
nahe, den Begriff des Cultural Entrepreneurship gegenüber seiner bisherigen Ver-
wendung zu erweitern. Die Medici, so soll hier pointiert werden, waren nicht nur
Entrepreneure, sie waren die ersten Cultural Entrepreneurs. Denn sie waren, wie es
anhand der Schumpeter'schen Kriterien gezeigt werden konnte, Entrepreneure im
wahrsten Sinn des Wortes. Dies waren sie aber, so legen die hier gewonnenen
Ergebnisse nahe, in so herausragend innovativer Weise, weil sie ein wesentliches
Element in ihr untetnehmerisches Sein integrierten, nämlich Kunst. Indem sie sich der
Kunst verschtieben, erhielten sie wertvolle Anregungen und erfuhren eine Form der
Anähnlichung an künstlerisches Denken und Handeln, was sie wiederum für ihr
innovatives untemehmerisches Wirken zu nutzen verstanden. Das, was ihnen in der
Folge gelungen ist, geht noch über das hinaus, was Schumpetet als das Tun
erfolgreicher Entrepreneure beschreibt.
Ein entscheidendes Merktna1 des Cultural Entrepreneurs wäre es dantit, dass er die
tatsächliche Nähe und vor allem die Auseinandersetzung ntit Kunst sucht. Dahei geht
es nicht um prestigeträchtiges Sammeln. Vielmehr sollte Kunst Teil des Alltags
werden, um ein tatsächliches Moment der Intersection entstehen zu lassen. Kunst
könnte sontit ganz im Sinne Guillot de Monthouxs tatsächlich verstanden und
verinnerlicht werden Vor allem aber kann Kunst ntit Wulf als Raum der Imagination
~9S Ebd.
~96 Ebd. S. 260.
224 5. Entrepreneurship und Kunst - eine innere Verwandtschaft
genutzt werden, der es erlaubt, dass in den Köpfen etwas Neues entsteht. Der
Entrepreneur kann sich beispielsweise auf ihre Blicklenkung einlassen, um in der
Folge diese meist kreativen, neuartigen Sichtachsen auf andere, unternebmetische
Problemstellungen selbst anwenden zu können. So können sich auch im Kopf des
Entrepreneurs Disegnos entwickeln. In der Folge kann es dem Cultural Entrepreneur
gelingen, im Sinne Faltins "auf vorhandene Probleme ntit künstletischer Fantasie,oS97
zu antworten.
6. Schlussbetracbtung
An dem historisch sc eindrucksvollen Beispiel der Medici konnte gezeigt werden, dass
Kunst eine Haltungsänderung herheifiihren ksnn, die fiir die Aktivität im wirtschaft-
lichen Feld essenziell sein kann. Kunst fiihrt zu einem Denken in anderen Koordi-
naten. Denn "die Kunst macht als Kunst keinen Unterschied in der Wirtschaft und die
Wirtschaft macht als Wirtschaft keinen Unterschied in der Kunst. Die Verbindung von
Wirtschaft und Kunst hingegen macht einen Unterschied".'" Diese Verbindung ksnn
in letzter Konsequenz nur durch den Geist hervorgebracht werden, also gewisser-
maßen im Wechselspiel mit der Kunst.
Dass in der Kreativwirtschaft als jenem Bereich, auf deu die erste Strömung in der
Debatte um Cultura1 Entrepreneurship abzielt,600 auch Cultura1 Entrepreneurs tätig sein
können, ist sicher naheliegend. Ob allerdings die Tätigkeit aller Galeristen, Kreativ-
direktoren von Werbeagenturen etc. deu innovativen Charakter eines Cultura1 Entre-
preneurs im hier entfalteten Sinn hat, ist mehr als fraglich. Dagegen zeigen die Medici,
dass auch Bankiers als Cultura1 Entrepreneurs bescnders innovativ sein und fiir ihre
Region und weit darüber hinaus zur Förderung der Wirtschaft und des Wohlstandes
beitragen können. Cultura1 Entrepreneurs sind alle Unternehmer, gleich welcher
Branche, die Anregungen aus der Kunst beziehen, diese unternehmerisch anwendeu
und somit in letzter Konsequenz ebenso wirtschaftlich innovativ wie kulturbildeud
wirken.
S9lI Ebd. S. 8.
S~ Vg1. oben, S. 231 ff.
600 Vgl. oben, S. 231 ff.
So regen die Medici dazu an, Beispielen der heotigen Zeit nachzuspüren, bei welchen
eine solche Wechselwirkung zwischen Entrepreoeurship und Kunst gelungen ist. Auf
diese Weise ließe sich möglicherweise der Erfolg besonders innovativer Entrepreneors
der heutigen Zeit genauer erklären, woraus Anregungen für andere zu zieheo wären.
Zudem könnte dies zu einer Ausweitung des Verständoisses dieser Wechselwirkung
zwischen beiden Bereichen fiihren und so die Forschung zu dieser Fragestellung
weiter vertiefen. So ließe sich beispielsweise mit Steve Jobs in seiner Funktion als
Apple-Gründer und -CEO ein lebendiges Beispiel für einen innovativen Entrepreneur
der heutigen Zeit aufgreifen, welcher mit seinen Produkten nicht nur ein enormes
ästhetisches Empfinden zum Ausdruck brachte, sondern in der Radikalität seiner
Denkweise und seiner so entwickelten Innovationen marktverändemd und somit
schließlich auch kulturprägend gewirkt hat
Außerdem soll diese Arbeit zu einer anderen Form der Begegnung zwischen Kunst
und untemehmerischem Sein anregen. Die so oft beobachtete Integration von Kunst in
Form großer, prestigeträchtiger Sammlungen könnte auf diese Weise eine sinnvolle
Erweiterung erfahren. Es könnten gemäß dem Verständnis dieser Arbeit tatsächlich
mehr Räume der Begegnung als Ermöglichungsbedingung und Katalysator von
hmovation geschaffen werden.
In der heutigen Welt, in der inuner mehr Ereignisse simultan geschehen, der Entre-
preneur global agieren und denken soll, ist jene Dorchliissigkeit für unterschiedlichste
Milieus, Denkweisen und Praktiken, wie sie in der Renaissance deutlich geworden ist,
eine wichtige Voraussetzung, um diesen Ereignissen innerlich wie äußerlich überhaupt
aufgeschlossen zu begegnen und aktiv auf sie zu reagieren. Darüber hinaus bedarf es
jedoch ebenso eines innovativen Blicks, mit welchem man diese beurteilen und hieraus
Chancen für das Untemehmerische, mithin Vision und Disegun ableiten kann. Umso
wichtiger können die Eröffnung eines Imaginationsraumes und die Blicklenkung durch
die Kunst sein. Nicht zuletzt weil die Kunst Strömungen, Probleme und Entwicklun-
gen gesellschaftlicher wie wirtschaftlicher Natur oft als erste registriert und themati-
siert.
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