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DIE
KARTOGRAPHISCHE
IMAGINATION
Wilhelm Fink
Umschlagabbildung:
Detail aus der Atlantikkarte von Pedro Reinel
(Mappa Europae cum partibus Africae, Asiae nec non Americae Septentr. ca. 1502).
Bayerische Staatsbibliothek, Cod.icon. 132.
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe
und der Übersetzung, vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfältigung und Übertragung
einzelner Textabschnitte, Zeichnungen oder Bilder durch alle Verfahren wie Speicherung
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VORWORT:
DIE SCHRECKEN KARTOGRAPHISCHER IMAGINATION. . . . . . . 9
1. RAUMKONSTITUTION . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
a) Raumkonstitution als doppelte Artikulation . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
b) Raumgeschichte der Frühen Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
2. KARTOGRAPHIE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31
a) Zur Geschichte der frühneuzeitlichen Kartographie . . . . . . . . . . . . 35
b) Kartensemiotik und doppelte Artikulation: Bild – Schrift – Zahl. . 37
c) Zur doppelten Operationalität von Karten in der Iberischen Welt . . 42
1 Barros (1945) I, VI/1, 224. Um den Fußnotenapparat nicht zu groß werden zu lassen, werden
alle Übersetzungen längerer, mit „*“ markierter fremdsprachlicher Zitate im Anhang dieser Stu-
die wiedergegeben.
neuer Welten ist aber nicht voraussetzungslos, sondern bedarf spezieller Medien,
um vorstellbar zu sein.
In diesem medienhistorischen Zusammenhang tritt die Kartographie auf den
Plan. Für viele seiner Zeitgenossen, so João de Barros, genüge es offensichtlich, sich
die Entdeckung einer neuen Welt auf einer Navigationskarte vorzustellen, um ihre
Urteilskraft in Erschütterung zu versetzen („lhes assombrava o juízo“). Die erschre-
ckende Vorstellung („espantosa imaginação“) einer offenen Welt, die durch Karten
repräsentiert wird, ruft bei deren Betrachtern sogar körperliche Abwehrreaktionen
(„nojo“) hervor. Die Wahrnehmung einer zweidimensionalen Karte ist dabei auf
eine dreidimensionale Wirklichkeit bezogen. Um die Intensität der kartographisch
erzeugten Weltwahrnehmung zu schildern, versieht de Barros die Referenz von der
Karte auf die ‚wirkliche‘ Welt mit einem Zwischenschritt und greift dazu auf den
Mythos von Herkules und Atlas zurück: Die Ansicht der Welt in einer zweidimen-
sionalen Karte verursacht den Augen ein ähnliches Unwohlsein wie das Gewicht
der Weltkugel, die Herkules in dem Moment, als er sie Atlas abnimmt, auf seinen
Schultern zu spüren bekommt. Von hier aus wird nach Ansicht des Sprechers deut-
lich, wie groß die Last der Welt für das portugiesische Reich sein müsse, das eine
solche Last nicht nur in Form eines poetisch ausgemalten Mythos, sondern ‚tat-
sächlich‘ erfahre.
Auch wenn de Barros die Erfahrung der ‚wirklichen‘ Welt als Ziel setzt, ist es
bezeichnend, dass es ausgerechnet die Wahrnehmung einer Karte ist, die als auslö-
sendes Moment für die Erzeugung von Welt-Vorstellungen in höchster sinnlicher
Intensität auftritt. Damit wird eine ganz besondere Macht der Karte aufgerufen,
die sich nicht in ihrer Funktion bei der Entdeckung und Eroberung erschöpft,
sondern die darüber hinaus einen eigenen Vorstellungshorizont produziert. Karto-
graphisch gesteuertes Handeln sowie kartographische Imagination bleiben dabei
jedoch eng aufeinander bezogen: Im Unterschied etwa zum Staunen über wunder-
same Wesen auf mittelalterlichen mappaemundi verbindet sich das Erschrecken des
Kartenbetrachters bei João de Barros mit dem Nachvollzug der pragmatisch ge-
richteten Kartenlektüre, die auch Navigatoren zu Hoher See vornehmen: das Be-
stimmen von Küstenlinien („costa de terra pintada“) oder von wechselnden Schiffs-
kursen („voltas de rumos“) – beide beziehen sich auf Operationen in Portolankar-
ten, mit deren Hilfe Navigatoren ihren Kurs bzw. ihre Position im Verhältnis zum
Festland bestimmen. Statt einer Gegenläufigkeit von Imagination und Erfahrung
zeichnet sich hiermit ein Imaginationsbegriff ab, der aus dem gleichen Medium
hervorgeht, das auch die politische und ökonomische Aneignung dieser Welt in
der Frühen Neuzeit steuert: Sowohl die Imaginierbarkeit als auch die territoriale
Inbesitznahme von ‚Welt‘ – so zumindest die Ausgangshypothese der folgenden
Studie – gründen im 16. Jahrhundert im Medium der Karte.
Die imaginationsbildende Macht der Karte sowie die geopolitische Dynamik
der Globalisierung sind Mitte des 16. Jahrhunderts bei João de Barros, wenn auch
zum rhetorischen Zweck des Lobs des portugiesischen Reichs, noch hauptsächlich
negativ, das heißt als erschreckend dargestellt. Mediengeschichtlich wird sich das
Erschrecken vor den Möglichkeiten der Karte als Vorstellungsmatrix im Laufe der
1. RAUMKONSTITUTION
Es hat sich in den letzten Jahren im Anschluss an Henri Lefebvre eingebürgert, von
der kulturellen „Produktion“ des Raums zu reden1 – ein Sprachgebrauch, der die
neue kulturwissenschaftliche Aufmerksamkeit auf Raumfragen als historisch verän-
derliche Kategorie wesentlich geprägt hat, der aber vermutlich ebenso viele Proble-
me schafft, wie er zu lösen vorgibt. Die sich mit der Auffassung des Raums als
Produkt verbindende Schwierigkeit ist dem Marxisten Lefebvre nicht verborgen
geblieben, und so unterscheidet er den Raum als Produkt einer sozialen Praxis ex-
plizit von Produkten im ‚materiellen‘ Sinn, für die der physische Raum, z.B. als
1 Lefebvre (1974).
theoretischen Rahmen dieser Studie abstecken soll, der in der Folge mit Blick auf
frühneuzeitliche Karten und literarische Texte zunehmend eingegrenzt wird.9
9 Vgl. zur Skizzierung der Diskurstraditionen im Hinblick auf soziale und politische Räume bereits
die Einleitungstexte IV und V in Dünne/Günzel (2006), 289-303 und 371-385.
10 Die Medialität als Grundeigenschaft der Raumkonstitution ist hierbei von der Untersuchung der
Eigenheiten bestimmter medialer Dispositive zur Raumkonstitution zu unterscheiden – um die
Grundlagen des Raummediums Kartographie wird es im nächsten Teilkapitel dieser Einleitung
gehen.
11 Deleuze/Guattari (1980). Vgl. außerdem auch Deleuze/Guattari (1991), v.a. das Kapitel „Géo-
philosophie“, 82-108. Vgl. zum Raumdenken bei Deleuze und Guattari grundlegend Antonioli
(2003) sowie Günzel (2005). Es ist nicht zu leugnen, dass Deleuze und Guattari ihre Mille pla-
teaux als eine Metatheorie konzipieren, die nicht nur über kulturelle Topographien, sondern über
die grundlegende Topologie jeder nur denkbaren Kulturtheorie zu sprechen beabsichtigt (und
die sich somit u.a. als eine Kritik jener anderen psychoanalytischen Topologie des Begehrens
versteht). Es scheint jedoch, dass diese topologische Metatheorie heuristisch besonders fruchtbar
wird, wenn sie zur Beschreibung topographischer Phänomene herangezogen wird oder – in De-
leuze’ und Guattaris eigenen Worten – „reterritorialisiert“ wird.
12 Vgl. dazu insbes. Deleuze/Guattari (1980), 20f, wo sie die performative „carte“ dem in einer fes-
ten Struktur stillgestellten „calque“ gegenüberstellen – geographische Karten im engeren Sinn
gehören wohl eher zur letzteren Kategorie, was nicht ausschließt, dass sie performative Effekte
erzeugen, um die es in dieser Studie gehen soll.
erläuterte „double articulation“ ein13 – ein Ausdruck, der vor allem in der Linguis-
tik gängig ist und dort nach André Martinet die doppelte Zerlegbarkeit natürlicher
Sprachen in Morpheme (nach Martinet: „Moneme“) als kleinste bedeutungstra-
gende Einheiten und in Phoneme als kleinste bedeutungsunterscheidende, aber
selbst nicht mit einer eigenen Bedeutungs-‚Substanz‘ versehene, sondern rein for-
male Einheiten bezeichnet.14 Deleuze und Guattari verstehen jedoch die doppelte
Artikulation im linguistischen Sinn als bloßen Spezialfall einer sehr viel allgemei-
neren Unterscheidung, die sich im Anschluss an Louis Hjelmslev nicht in erster
Linie mit der Unterscheidung von Form und Substanz, sondern mit der Unter-
scheidung von Inhalt und Ausdruck beschreiben lässt und damit – so zumindest
Deleuze und Guattari – über die linguistische Perspektive hinausführt15 zu einer
grundlegenden organischen Realität, die die beiden Autoren wiederum sehr allge-
mein mittels geologischer Metaphorik als die Ebene der „Stratifizierung“ beschrei-
ben.16 Indem Deleuze und Guattari die doppelte Artikulation von Zeichen hin-
sichtlich des Inhalts und des Ausdrucks an Grundbedingungen der Erscheinung
allen organischen Lebens zurückbinden, reden sie jedoch keinem determinieren-
den Naturalismus oder Biologismus das Wort, sondern betonen, dass erst die dop-
pelte Artikulation die Art und Weise darstellt, wie alles organische und insbeson-
dere das menschliche Leben überhaupt raumzeitliche Realität gewinnt – ihr geht
eine nicht stratifizierte und daher auch weder formal noch inhaltlich näher be-
schreibbare Intensität voraus, die in der Terminologie der Autoren als „Konsistenz-
plan“ („plan de consistance“) bezeichnet wird. Dieser räumlichen Intensität ohne
feste Struktur entspricht auf biologischer Ebene der „corps sans organes“ („organ-
lose Körper“).17
Deleuze und Guattari beschreiben im Rahmen ihres Kapitels menschlichen
Raumbezug in Form der doppelten Artikulation näherhin im Rückgriff auf den
französischen Anthropologen André Leroi-Gourhan, der in seinem Hauptwerk Le
geste et la parole den menschlichen Raum- (und Zeit-)Bezug als Ko-Evolution eines
gestisch-technischen und eines sprachlich-symbolischen Weltverhältnisses ver-
steht.18 Diese evolutionsbiologisch begründete doppelte Artikulation wird nach
Leroi-Gourhan möglich durch den aufrechten Gang des Menschen und durch die
damit korrespondierende Aufspannung eines Relationsfeldes zwischen der Hand,
deren Gesten den Werkzeuggebrauch und somit einen technischen Weltbezug er-
möglichen, und dem Gesicht, das mit Auge und Mund sprachliche Zeichen arti-
kulieren beziehungsweise technische Gesten als solche wahrnehmen kann. Der
über die Hand bewerkstelligte gestische Weltbezug entspricht dabei der ersten Ar-
tikulation auf der Inhaltsebene, der über den Mund herbeigeführte sprachliche
Weltbezug entspricht der zweiten Artikulation auf der Ausdrucksebene.19 In der
ersten Artikulation konstituiert sich das, was Deleuze und Guattari die „machine
sociale“ nennen. Im Hinblick auf Raumfragen sind auf dieser Ebene die Macht-
techniken des Raums auf einer pragmatischen Ebene anzusiedeln. Die zweite Arti-
kulation bringt eine „machine sémiotique“ und somit semiotische Regime der
Räumlichkeit mit ihrer Verknüpfung von syntaktischen Zeichenbezügen und se-
mantischen Zeichenbedeutungen hervor.20 Erst in der rekursiven Verknüpfung
von Geste und Wort – beziehungsweise von Pragmatik und Semiotik – zu Opera-
tionsketten, bei denen Worte Gesten steuern und umgekehrt diese auf die Sprache
rückwirken,21 kann sich eine konkrete Räumlichkeit ‚artikulieren‘, die nach Deleu-
ze/Guattari nicht durch die statische Opposition von Territorium und dessen sym-
bolischer Repräsentation, sondern durch das dynamische Verhältnis zwischen Ter-
ritorialisierung, „Deterritorialisierung“ und „Reterritorialisierung“ geprägt ist.22
Dabei entstehen auch in medialer Hinsicht komplexe Formen der Überlagerung
von Geste und Sprache, wenn zum Beispiel aus der Tätigkeit der Hand die schrift-
liche Aufzeichnung erwächst, die als Alphabetschrift mit der Sprache des Mundes
verknüpft werden, aber auch davon unabhängige ‚operationale‘ Funktionen voll-
führen kann.
Im Verhältnis zu anderen bekannten Grundlegungen von Räumlichkeit und
Medialität bietet das hier mit Deleuze und Guattari skizzierte medienanthropolo-
gische Grundmodell23 entscheidende Vorteile: Als Raumtheorie vermeidet es eine
Festlegung auf eine geodeterministische Position, die von der prägenden Rolle des
Territoriums für symbolische Operationen ausgeht. Während etwa Carl Schmitt
annimmt, dass eine territoriale Ortung letztlich der Konstitution einer politischen
beziehungsweise symbolischen Ordnung, die er als nomos bezeichnet, vorausgeht,
sind Ortung und Ordnung bei Deleuze und Guattari gleichursprünglich und nie
untereinander subsumierbar, was sich in einer ständigen Gegenläufigkeit von De-
und Reterritorialisierung niederschlägt.24 Die spannungsreiche doppelte Artikula-
19 Ungeachtet dieser Grundspannung gilt es allerdings zu beachten, dass der symbolische Weltbe-
zug nicht nur über den Mund/das Gesicht läuft, genauso wenig wie der technisch-gestische Welt-
bezug sich auf die Hand beschränkt.
20 Zur Trias von Raumpragmatik, Raumtechnik (-syntaktik) und Raumsemantik vgl. ausführlicher
Dünne (2004a).
21 Zur wechselseitigen Voraussetzung von Sprache und Gestik bei der Ermöglichung von raum-
schaffenden Operationsketten nach Leroi-Gourhan vgl. Doetsch (2006), 197f, sowie im An-
schluss an Bruno Latour und die Actor-Network-Theorie Schüttpelz (2006).
22 Zum konstitutiven Verhältnis von De- und Reterritorialisierung vgl. bereits die Bemerkungen,
die im ersten Kapitel von Mille plateaux mit dem Titel „Rhizome“ als Prinzip der „rupture asigni-
fiante“ bezeichnet werden (Deleuze/Guattari 1980, 16-19).
23 Vgl. dazu auch Doetsch (2004) und Mahler (2004).
24 Schmitt (1997), v.a. 13-20. Es gibt ausgehend davon auch eine implizit bleibende Schmitt-Kritik
tion steht bei Deleuze und Guattari andererseits auch gegen eine strukturalistische
oder sozialkonstruktivistische Position, die für beide Autoren Anfang der Siebzi-
gerjahre vor allem in Gestalt des semiotischen Strukturalismus erscheint und
Räumlichkeit auf semiotische Strukturen mit einer bestimmten Relation von Sig-
nifikanten und Signifikaten reduziert. Selbst wenn prozessorientierte Ansätze den
strukturalistischen ‚Fixismus‘ zugunsten einer dynamischen Konzeption der Ent-
stehung von sozialen Strukturen überwinden, beschäftigen sie sich aber nach De-
leuze und Guattari dennoch nur mit der einen Seite der doppelten Artikulation,
nämlich mit der des Ausdrucks.
Eine weitere Stärke des Ansatzes von Deleuze und Guattari besteht darin, dass
sie sich mit ihrem Bezug auf Leroi-Gourhan auch auf eine anthropologische Me-
dientheorie stützen, die Medialität überhaupt als ein konstitutives Moment der
Raumkonstitution deutlich werden lässt: Ein solches Verständnis der Medialität
von Raum beschränkt sich nicht darauf, wie dies etwa die bekannte These von
Marshall McLuhan25 impliziert, Medien als bloße Extensionen des Körpers anzu-
sehen, das heißt, mit Leroi-Gourhan gesprochen, das Gesicht zur Erweiterung der
Hand zu machen, das deren Funktionen zunehmend übernimmt; noch kassiert sie,
indem sie die Annahme einer gleichursprünglichen doppelten Artikulation voraus-
setzt, die grundlegende mediale Differenz zwischen Ausdruck und Inhalt zuguns-
ten des Monismus einer Medientheorie, die die Aneignung des physischen Raums
als direkte Funktion bestimmter Medientechniken ansieht.26 Sie beschreibt Räum-
lichkeit vielmehr in einer konstitutiven Doppelheit von machtbestimmter Territo-
rialisierung und von Symbolisierung. Letztere kann sich zwar durchaus in den
Dienst der machtgeprägten Raumaneignung stellen, mit der sie gleichursprünglich
ist, ohne sie jedoch einfach zu verdoppeln beziehungsweise in ihr aufzugehen.
Dieses Grundmodell eröffnet auch Möglichkeiten der historischen Differenzie-
rung. Im Sinne einer differenztheoretischen Anthropologie ist davon auszugehen,
dass Raumkonstitution nicht etwa von einem weitgehend naturnahen zu einem
zunehmend kulturell-technisch geprägten Raum fortschreitet, wie dies noch bei
Lefebvre und im Anschluss an ihn auch bei wichtigen Theoretikern der Postmoder-
ne wie Jean Baudrillard oder Paul Virilio angenommen wird.27 Vielmehr ist das
menschliche Raumverhältnis immer schon auf die doppelte Artikulation angewie-
sen und damit zumindest prinzipiell immer schon technisch und symbolisch ge-
prägt. Auf dieser Basis lassen sich konkrete Schwellen beschreiben, in denen solche
doppelten Artikulationen in Verbindung mit ganz bestimmten medialen Disposi-
tiven auftreten. Hier erfolgt also der Schritt von der Medialität jeglicher Raumkon-
bei Deleuze/Guattari (1980), 472, die in der Umkehrung der Annahme Schmitts von der Land-
nahme als Ursprung des ordnenden nomos diesen an die Siedlungsform des Nomadismus anbin-
den. Damit erkennen sie die deterritorialisierende Kraft an, die auch in bestehenden Formen
doppelter Artikulation wirkt bzw. sie – von außen oder von innen heraus – deterritorialisiert. Vgl.
hierzu bereits Deleuze (1968), 54, und Antonioli (2003), 24f.
25 McLuhan (2001).
26 So zu städtischen Räumen Kittler (1995) und allgemein Kittler (1986).
27 Vgl. exemplarisch Virilio (1980) und Baudrillard (1981).
on betrachtet werden, über die sich Welt in der Frühen Neuzeit konstituiert: zu-
nächst (a) die semiotisch-diskursive Konstitution von weltumspannenden Räumen
und darauf (b) die pragmatisch-politische Entstehung von Welt.
Zu a) Der wohl bekannteste Entwurf einer Diskursgeschichte des Raums ent-
stammt Michel Foucaults Vortrag von 1967 unter dem Titel „Des espaces autres“
und beschränkt sich auf eine grobe Skizze, die sich jedoch im Zusammenhang mit
Foucaults zeitgenössischen archäologischen Studien relativ nahtlos in dessen Mo-
dell epistemischer Formationen einordnen lässt. So nimmt Foucault zwei große
raumgeschichtliche Zäsuren einerseits in der Frühen Neuzeit und zum Anderen
am Ende des 18. Jahrhunderts an, die sich weitgehend in Übereinstimmung mit
seinem in Les mots et les choses entwickelten Periodisierungsmodell epistemologi-
scher Brüche bringen lassen. Allerdings gibt es hinsichtlich des ersten Bruchs, um
den es hier vor allem gehen wird, eine charakteristische Unschärfezone, die für die
folgenden Überlegungen von besonderer Bedeutung sein wird: Die mittelalterliche
Welt beruht demzufolge auf einer ‚vertikalen‘ Raumkonzeption, die Foucault als
„Lokalisationsraum“ („espace de localisation“) bezeichnet und die sich dadurch
auszeichne, dass in ihr ein natürliches „ensemble hiérarchisé de lieux“ vorherr-
sche.30 Foucault akzentuiert mit der Skizze seines „espace de localisation“ das, was
er beispielsweise in Les mots et les choses als das „Wissen der Ähnlichkeiten“ analy-
siert hatte,31 neu: In „Des espaces autres“ hebt er stärker die gottgegebene Schöp-
fungs-Ordnung hervor, die sich in den Orten der Dinge niederschlägt, und nicht
so sehr die in Les mots et les choses im Vordergrund stehende Möglichkeit, zwischen
einzelnen Ebenen Bezüge herzustellen. Der „espace de localisation“ entspricht da-
mit in etwa dem Realitätskonzept, das Hans Blumenberg den Wirklichkeitsbegriff
der „garantierten Realität“ genannt hat.32 Demgegenüber nimmt Foucault ab dem
17. Jahrhundert einen zunehmend von der Dimension der Horizontalität be-
stimmten Raum an, der von der Ausdehnung („étendue“) bestimmt sei und einen
unendlichen, offenen Raum („espace infini, et infiniment ouvert“) bereitstelle.33
Offensichtlich korrespondiert dieser unendliche Raum für Foucault mit der dis-
kursiven Ordnung der Repräsentation, in der das dreistellige Modell des Zeichen-
bezugs zwischen Elementen der Schöpfung, das durch eine im Schöpfungsplan
enthaltene Ähnlichkeit bestimmt ist, durch ein zweistelliges Verhältnis von Reprä-
sentierendem und Repräsentiertem abgelöst wird. Das so entstehende arbiträre
Zeichenmodell ist nach Foucault allein dazu in der Lage, der Offenheit der Welt
Rechnung zu tragen: Erst auf der Grundlage der „étendue“ ist also, so wäre Fou-
cault an Heidegger anzuschließen, so etwas wie ein Weltbild möglich – eine Form
der Repräsentation, die Foucault zufolge in der Moderne dynamisiert wird, indem
Räumlichkeit nun von wechselnden „emplacements“ bestimmt ist. In der moder-
nen Raumordnung ist das Raster der Weltwahrnehmung nicht nur ins Unendliche
erweiterbar, sondern es verändern sich auch die einzelnen Elemente durch den
Druck der Historizität und lassen nur noch die topologische Beschreibung von
Nachbarschaftsbeziehungen an Stelle einer strukturellen Beschreibung der Ele-
mente an ihrem festen Ort zu.34
Zurück zur Schwelle, die Foucault Anfang des 17. Jahrhunderts ansetzt: Wenn
er als Paradigma dafür Galilei anführt, um gleichzeitig zu betonen, dass es ihm
weniger um die so genannte ‚kopernikanische Wende‘ der Kosmographie als viel-
mehr um die weltimmanente Offenheit gehe, so stellt sich die Frage, ob sich der
von Foucault aus Gründen der Kohärenz mit seinem Epistemenmodell ans Ende
des 16. Jahrhunderts verlegte epistemologische Bruch nicht mindestens seit Ende
des 15. Jahrhunderts abzeichnet. Meist wird die Entdeckung Amerikas als emble-
matisches Ereignis der ‚Öffnung‘ der Welt (und somit der Konstitution eines Welt-
Bilds im genannten Sinn) angesetzt,35 de facto suggeriert aber dieses Ereignis nur
am prägnantesten eine historische Zäsur, die in den Rahmen einer sehr viel umfas-
senderen Globalisierung des Wissens eingelassen ist. Vielleicht gilt es aber auch die
Foucaultsche Periodisierung nicht vorschnell aufzugeben, sondern sie als einen sig-
nifikanten Grenzbereich anzusehen, in dem neue Formen der Raumrepräsentation
erprobt werden, ohne dass diese sich der Geschlossenheit einer so genannten „Epi-
steme der Repräsentation“ fügen würden. Diese Erweiterung der Foucaultschen
Figur des Epistemenbruchs zu einer epistemologischen Übergangszone ist vor allem
für die Beschreibung der Formen und Funktionen des Mediums Kartographie im
16. Jahrhundert von entscheidender Bedeutung.
Zu b) Nach diesen Vorüberlegungen zur Historizität diskursiv bestimmter
Raumordnungsmodelle soll es in der Folge um die andere Seite der doppelten Ar-
tikulation gehen, das heißt um die frühneuzeitliche Ortung im Sinn des geopoliti-
schen Nexus von Territorialität und politischer Herrschaft. Die dezidierteste An-
nahme eines Nexus von Landnahme und politischer Herrschaft entstammt den
Schriften Carl Schmitts, die sich mit dem nomos, also den Grundlagen völkerrecht-
licher Ordnung in einem speziellen Sinn beschäftigen. Schmitt versteht politische
Ordnung nicht primär als den gesetzlichen Rahmen der Konstitution von politi-
scher Herrschaft, sondern als den jeglicher Konstitution positiver staatlicher Ord-
nungen vorausgehenden Akt politischer Souveränität, der, selbst außerhalb der
Ordnung stehend, diese Ordnung allererst konstituiert. In den Schriften, die dem
34 In metatheoretischer Hinsicht wirkt es so, als nähere sich Foucault mit den drei Raummodellen
unter sukzessiver Streichung voraussetzungsreicherer topographisch bestimmter Annahmen hin-
sichtlich der Möglichkeit räumlicher Beschreibungen einer theoretischen Topologie an, die als
Grundmatrix für alle denkbaren Wissensordnungen dienen kann.
35 Vgl. hierzu insbesondere die mannigfaltigen Darstellungen der Überschreitung der ‚Säulen des
Herkules‘ als plus ultra, das die Begrenztheit der mittelalterlichen „localisation“ zugunsten eines
Aufbruchs in den Raum der unendlichen Weite überwindet. Traditionsprägend, aber erst aus der
Perspektive des 17. Jahrhunderts, findet sich dies in Bacons Instauratio magna von 1620 – vgl.
dazu Besse (2003), 73-75, sowie Kiening (2006), 18-20. Bereits früher ist das plus ultra in der
gleichlautenden Devise des spanischen Königs und Kaisers des Hl. Römischen Reichs Karls V.
ausgeprägt.
36 Vgl. neben Schmitt (1997) vor allem die gesammelten Beiträge in Schmitt (1995), aber auch die
in den Fünfzigerjahren entstandene Einführung in Schmitts geopolitisches Denken unter dem
Titel Land und Meer – Schmitt (2001) –, wo Schmitt deutlicher als in anderen Schriften nicht
nur auf geopolitische Territorialisierung, sondern auch auf deren Gegenbewegungen eingeht.
Vgl. dazu Balke (1996).
37 Vgl. zum Kontext Sprengel (1996).
38 Vgl. hierzu insbes. Agamben (2002), 25-73.
39 Schmitt (1997), 50.
40 Ebd., erstmals 55.
41 Vgl. ebd., 112.
42 Vgl. ebd., 62. Schmitt unterscheidet insbesondere die Aufteilung der neu entdeckten übersee-
ischen Gebiete durch Spanien und Portugal seit dem Vertrag von Tordesillas im Jahr 1494 (der
noch im Zeichen des mittelalterlichen päpstlichen Missionsauftrags steht) von den sog. „Freund-
schaftslinien“ seit Mitte des 16. Jahrhunderts, die bestimmen, bis zu welchem Punkt eine territo-
riale Streitigkeit als Auseinandersetzung zwischen zwei souveränen Staaten gilt und ab wo ein
Raum ungeachtet etwaiger kirchlich garantierter Ansprüche als „frei okkupierbar“ (ebd., 101)
gilt.
über ein Außen verfügt, das als kolonisierbare Entlastungszone fungiert.43 Beson-
ders Spanien leistet der frühneuzeitlichen globalen Territorialisierung des Politi-
schen massiv Vorschub, während es gleichzeitig mittelalterliche Legitimationsmo-
delle in Anspruch nimmt, die von der tatsächlichen geopolitischen Entwicklung
zunehmend weniger gedeckt sind (was ihre Verbreitung gerade in der gegenrefor-
matorischen Restauration jedoch in keinster Weise schmälert).44
Wenn Schmitt sich aber allein auf die Territorialisierung konzentriert,45 blendet
er nicht nur die nach Deleuze und Guattari stets mit Territorialisierungsschüben
einhergehenden Gegenbewegungen der Deterritorialisierung aus,46 sondern er
konzentriert sich auch weitgehend auf das imperiale Modell, wie es sich im spani-
schen Kontext herausbildet. Zeitgleich und zum Teil sogar der spanischen Expan-
sion vorausgehend, entwickelt sich jedoch ab dem 15. Jahrhundert ebenfalls auf
der Iberischen Halbinsel, vor allem in Portugal, ein anderes Modell der Konstitu-
tion von ‚Welt‘, das nicht primär über ‚statisch‘-territoriale Landnahme funktio-
niert, sondern als Bewegungs-Modell zu denken ist. Charakteristikum dieser Art
von Globalisierung ist eine Netzwerkbildung, die in erster Linie der Entfaltung
ökonomischer Handelsbeziehungen dient,47 die sich aber auch in etwa in der welt-
43 In diesem Zusammenhang findet letztlich auch der Übergang von der ‚vertikalen‘, als gottgegebe-
ne Ordnung konzipierten Souveränitätslehre der „zwei Körper“ des Königs – vgl. dazu Kantoro-
wicz (1997) – auf das horizontal-kontraktualistische Modell des ‚Staatskörpers‘ statt, wie er sich
in Thomas Hobbes’ Leviathan niederschlägt.
44 Vgl. hierzu Schmitt (1997), 100: „Es ist ergreifend zu sehen, wie der erste große Landnehmer und
Inaugurator dieser Epoche, Spanien, genauer: die Krone von Kastilien und Leon, sich in vielen
Hinsichten an der Spitze dieser von Kirche und Mittelalter wegführenden Entwicklung zum Staat
befindet, während er gleichzeitig an den kirchlichen Rechtstitel seiner großen Landnahme gebun-
den bleibt.“ Diese Struktur als „Diskurs-Renovatio“ zu bezeichnen, wie Küpper (1990) dies aus
diskursgeschichtlicher Perspektive tut, trifft somit nur einen Teil der doppelten Artikuliertheit
spanischer Geschichte in der Frühen Neuzeit, da sie die Inanspruchnahme rehierarchisierender
Diskurse nicht mit den sich gleichzeitig abspielenden geopolitischen Umwälzungen abgleicht.
45 Vor diesem Hintergrund verwundert es auch kaum, dass Schmitt eine recht unverhohlene Apolo-
gie der Stabilität der kolonialen, eurozentrischen Weltordnung anstimmt und dass ihm der Zu-
sammenbruch dieser Ordnung im 20. Jahrhundert Anlass gibt, eine an ihre Stelle tretende
„Großraumordnung“ zu favorisieren, die dem für ihn drohenden Phantasma des Verfalls jegli-
cher geopolitischer Ordnung in unkontrollierbarer außerstaatlicher Gewalt entgegentreten soll.
Vgl. die Aufsätze in Schmitt (1995).
46 Peter Sloterdijk spricht im Hinblick auf aktuelle de-lokalisierte Gemeinschaften mit Bezug auf
den Kulturanthropologen Arjun Appadurai sogar davon, dass die Annahme einer Bindung von
Identität an ein physisches Territorium nichts weiter als der Restbestand einer langlebigen „terri-
torial fallacy“ sei, die durch eine jenseits des Territorialen stehende allgemeine Theorie „autogener
Gefäße“ abgelöst werden müsse. Vgl. Sloterdijk (1998-2004), Bd. 2, 999. Gegenüber dem exis-
tenzphilosophisch begründeten Globalisierungsdenken Sloterdijks, das er in seinem „Sphären“-
Projekt entfaltet, soll hier die unbestreitbare historische Bedeutung der frühneuzeitlichen Territo-
rialisierung hervorgehoben werden, jedoch in Wechselwirkung mit den ihr korrespondierenden
Deterritorialisierungsbewegungen.
47 Vgl. hierzu u.a. Brotton (1997), 83, der der „territorial expansion“ der kastilischen Krone ein
„transactional and commercial model of development“ der portugiesischen Krone gegenüber-
stellt. Vgl. allgemein zu frühneuzeitlichen Wirtschafts- und Kommunikationsnetzwerken im An-
schluss an Fernand Braudels Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Wallerstein (1974) sowie grund-
legend zu Netzwerken als „spaces of flows“ Castells (1991).
nehmend weniger als vertikaler Gottes- und zunehmend mehr als horizontaler
Weltbezug manifestiert, sondern dass auch schon innerhalb der beiden Artikulati-
onen Spannungen und Überlagerungen auftauchen, die die besondere Komplexi-
tät frühneuzeitlicher Raumkonstitution ausmachen. Angesichts der hier näher zu
untersuchenden spezifischen medialen Gestalt der doppelten Artikulation, durch
die sich Räume konstituieren, kann die Beschreibung von festen Raumordnungen
nur einen propädeutischen Wert haben, der zur eigentlichen Kernfrage führt,
durch welche medialen Praktiken beziehungsweise Operationen sich solche Ord-
nungen konstituieren beziehungsweise verändern. Der damit verbundene Perspek-
tivenwechsel auf Fragen der Raumkonstitution stützt sich insbesondere auf neuere
raumtheoretische Ansätze, die nicht primär Ordnungsstrukturen, sondern Raum-
praktiken untersuchen.54 Um diese Ansätze wird es im Folgenden gehen.
Während die Praxistheorie von Pierre Bourdieu habitualisierte Handlungen un-
tersucht, die Regularitäten schaffen, mit denen sich sozialer Raum strukturiert, legt
Michel de Certeaus Untersuchung von Raumpraktiken den Akzent vor allem auf
die strukturverändernde Kraft der Praktiken, die bestehende Dispositive gegen den
strategisch geplanten Zweck „taktisch“ aneignen und dabei verändern.55 Dabei ist
Certeaus Fragestellung vor allem für die besondere Form von taktischer Subjekti-
vität fruchtbar, die sich aus solchen Praktiken konstituiert.56 Aber auch wenn man
sich, wie in dieser Studie, eher auf die Ebene der Beschreibung raumkonstitutiver
Operationen selbst konzentriert, liefert der Praxisbegriff wichtige Voraussetzun-
gen, um solche Operationen darzustellen.57 Übersehen wird bisweilen allerdings
im Rahmen von Praxistheorien des Raums, die an Bourdieu beziehungsweise Cer-
teau anschließen, dass auch Raumpraktiken einer doppelten Artikulation im hier
dargestellten Sinn unterliegen. Sie sind zugleich technisch-politischer als auch sym-
bolischer Art und es reicht beispielsweise nicht aus, diskursive Praktiken der Reprä-
sentation von Raum beziehungsweise der Kommunikation über Raum zu beschrei-
ben, sondern es geht auch darum, Techniken der Adressierung physischer Räume
in eine Praxistheorie des Raums mit einzubeziehen: Von Carl Schmitt ist dieses
spannungsreiche Verhältnis auf den bereits erwähnten Nenner des Nexus von
‚Ordnung‘ und ‚Ortung‘ gebracht worden,58 wobei Schmitt dieses Verhältnis nur
54 Zu einem Überblick über solche Praxistheorien vgl. die Einleitung IV in Dünne/Günzel (2006),
289-303, v.a. 299-302.
55 Vgl. grundlegend Bourdieu (1972) und Certeau (1990a), 71-135 zu den „arts de faire“ allgemein
(mit Kritik der Praxistheorie Bourdieus, 82-96) und 139-191 zu den „pratiques d’espace“.
56 Hier ist eine große Nähe zu den subjekttheoretischen Überlegungen in den späten Schriften von
Michel Foucault seit Ende der Siebzigerjahre nicht zu übersehen. Vgl. exemplarisch Foucault
(1984), 9-19.
57 Terminologisch soll hier in der Folge sowohl von raumkonstitutiven ‚Operationen‘ als von
Raum-‚Praktiken‘ die Rede sein: Der Praxisbegriff akzentuiert dabei stärker die subjektorientierte
Variabilität der Raumkonstitution, während sich raumkonstitutive Operationen eher auf die
technische Geregeltheit solcher Prozesse beziehen.
58 Schmitt (1997).
ansatzweise medial denkt und vor allem auf den Zusammenhang von politischer
Verfasstheit und Territorialität bezieht. Dennoch lassen sich diese beiden Begriffe
zu Leitlinien einer Untersuchung machen, die Raumpraktiken als unhintergehbar
medialisierte Praktiken ansieht, welche immer in doppelter Hinsicht zu betrachten
sind: Zum einen hinsichtlich ihrer technischen Instrumentalität sowie ihrer Kraft
zur Verschiebung und Neuformierung instrumenteller Raum-Nutzungen, und
zum anderen hinsichtlich ihrer Fähigkeit, symbolische Ordnungen zu konstituie-
ren beziehungsweise zu verändern.59
Die Doppelheit aller räumlichen Operationen kommt im Praxisbegriff von Mi-
chel de Certeau grundsätzlich zwar in den Blick, wenn er empirische „arts de faire“
und sprachliche „arts de dire“ voneinander unterscheidet – er weist jedoch den
sprachlichen „arts de dire“ einen gewissen Vorrang zu.60 Dabei beruft er sich auf
die linguistische Pragmatik, die Sprechakttheorie der Philosophie und insbesonde-
re auf die Rhetorik, um beide Praxistypen miteinander in Beziehung zu setzen.
Certeau sieht also sehr wohl die doppelte Artikulation zwischen empirischen und
symbolischen Praktiken, er reduziert beide aber auf eine Analogie, die letztlich auf
einer sprachtheoretischen Grundlage gedacht ist.61 Dies wirft für eine praxistheo-
retische Beschreibung nicht rein sprachlich basierter Praktiken wie zum Beispiel
der Kartographie, einige Probleme auf, die näher zu untersuchen sind. Außerdem
ist Certeaus Praxisbegriff stärker auf die Störung beziehungsweise Unterwanderung
von gegebenen Ordnungen ausgerichtet62 als auf eine mögliche ordnungskonstitu-
tive Funktion. Hier soll es vor allem darum gehen, im Rahmen des Konzepts der
doppelten Artikulation eine Dynamik aus der jeglicher Form von Raumkonstituti-
on inhärenten Spannung zwischen Territorial- und Zeichenbezug heraus zu entwi-
ckeln, die zugleich Raumordnungen konstituiert und auch verändert.