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Liberale Thesen zur

Flüchtlingssituation
Was Staat und Gesellschaft, Politik und
Engagement leisten können
Inhalt

Wo wir stehen ....................................................................................................... 3

Was jetzt zu tun ist – Konfliktregelungsplan für Syrien entwickeln .. 4

Die Situation in Europa und in Deutschland .............................................. 4

Die Offene Gesellschaft verteidigen ............................................................. 5

Integrationsstrukturen schaffen ..................................................................... 6

Funktionierendes Regelwerk in Gang setzen ............................................ 8

Einwanderung steuern....................................................................................... 8

Die Gesamtsituation im Blick behalten ...................................................... 11

Fazit ........................................................................................................................ 12

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Wo wir stehen

Weltweit sind nach Angaben von UNHCR rund 60 Millionen Menschen auf der Flucht. Auch
wenn der weit größte Teil dieser Menschen dabei in ihrer Herkunftsregion bleibt, ist in den
vergangenen Jahren die Zahl der in Europa und in Deutschland ankommenden Flüchtlinge
stark angestiegen.

Unter diesen 60 Millionen Flüchtlingen befindet sich ca. die Hälfte der 23 Millionen
Einwohner Syriens. Mehr als vier Millionen syrische Flüchtlinge haben sich in die
Nachbarländer Libanon, Türkei, Irak und Jordanien gerettet; aus ihnen speist sich das Gros
der Flüchtlinge, die sich im Sommer auf den Weg nach Europa gemacht haben. Weitere ca.
vierhunderttausend Syrer haben in Ägypten Zuflucht gefunden. Darüber hinaus warten ca.
800.000 Menschen, zumeist aus Subsahara-Afrika, in Libyen auf eine Fluchtmöglichkeit
nach Italien/Europa. Im März, am vierten Jahrestag des Aufstands gegen den syrischen
Diktator Assad, haben 21 Hilfsorganisationen dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen
(VN) „völliges Versagen“ vorgeworfen. Seit 2011 seien über 220.000 Menschen ums Leben
gekommen, 76.000 allein im vergangenen Jahr. Andere Quellen gehen von noch höheren
Zahlen aus. Die Lage in Syrien wird immer dramatischer. Die Hilfe der VN muss deshalb
verstärkt und ihre Finanzierung gesichert werden. Im vergangenen Jahr ist dies – nach
Angaben der Hilfsorganisationen – nur zu 57 Prozent der Fall gewesen. Die
Bundesregierung geht davon aus, dass UNHCR und Welternährungsprogramm im nächsten
Jahr zu fast 50 Prozent unterfinanziert sind.

Der Zerfall der regionalen Ordnung ist von Volker Perthes (Stiftung Wissenschaft und Politik)
als „Megatrend im heutigen Nahen und Mittleren Osten“ beschrieben worden. Niemand sei
erkennbar, der sie wieder zusammenbauen könnte. Die regionalen Akteure machten nicht
den Eindruck, bereit oder in der Lage zu sein, „eine Art nahöstlichen Wiener Kongress
zusammenzurufen, um sich über ihre eigenen Ordnungsvorstellungen zu verständigen.“1

Diese Einschätzung ist nicht zuletzt einer selbst für Experten schwer durchschaubaren
Gemengelage regionaler Konfliktstrukturen geschuldet, die sich infolge von Jahrzehnte
währenden, ungelösten politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Konflikten
nunmehr in einer Reihe von Bürgerkriegen entlädt. Dabei finden eine Vielzahl staatlicher und
nichtstaatlicher (Gewalt-) Akteure samt ihrer Terrororganisationen und -Milizen in einem
stetig sich erweiternden Machtvakuum zwischen Bagdad und Damaskus, Sanaa und Tripolis
immer wieder einen idealen Nährboden für die rücksichtslose Verfolgung ihrer jeweiligen
Interessen.

Der „Islamische Staat“ (IS) steht als „dschihadistisches Staatsbildungsprojekt“, das sich
anschickt, ein totalitäres, expansives System zu errichten, auf den ersten Blick
entgegengesetzt zu diesem Prozess des regionalen Ordnungs- und Staatszerfalls. Allerdings
handelt es sich hierbei um ein Projekt, das „keine Anerkennung durch die

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Perthes (2015)
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Staatengemeinschaft sucht, auch keinen Antrag auf Mitgliedschaft bei den Vereinten
Nationen stellen wird, sondern die regionale und internationale Ordnung als solche ablehnt.“2

Der „Islamische Staat“, der Ende Juni 2014 von seinem Anführer Abu Bakr al-Baghdadi zum
„Kalifat“ ausgerufen wurde, herrscht ein gutes Jahr später über ein Gebiet, das größer ist als
Großbritannien. IS hat sich somit nicht als „vorübergehendes Phänomen“ herausgestellt,
sondern als zunehmend stabile Strukturen entwickelndes „Staatsbildungsprojekt“. Er selbst
erkennt keine, auch keine zivilisatorischen Grenzen an. Die Terrorgefahr hat in Paris gezeigt,
wie abscheulich sie konkret ist.

Was jetzt zu tun ist – Konfliktregelungsplan für Syrien entwickeln

Die Europäische Union muss dringend Initiativen entwickeln, um an ihren Außengrenzen die
Entwicklung von „failed states“ zu verhindern.

Dazu muss an einem politischen Konfliktregelungsplan für Syrien gearbeitet werden. Derzeit
ist eine tragfähige westliche Strategie über die Zukunft eines syrischen Staates nicht
erkennbar; die bisherigen Bemühungen in dieser Richtung waren erfolglos und haben die
Fragmentierung der Opposition in verschiedene Lager nicht überwunden, da von außen aktiv
gesetzte Anreize und Motivationen für ein gemeinsames Vorgehen der Opposition nicht
ausreichten. Hier hat auch die nicht konsequente Haltung des Westens gegenüber Assad
eine wichtige Rolle gespielt. Es bedarf nunmehr aller Anstrengungen zur Entwicklung eines
Konfliktregelungsplans für Syrien, und zwar unter Einbeziehung der Regionalmächte (vor
allem Türkei, Saudi-Arabien und Iran) und Russlands. Dabei müssen zum einen die
Anstrengungen zur Zerschlagung des IS in Syrien, aber zum anderen auch die
Rahmenbedingungen für die Zukunft des Landes danach im Mittelpunkt stehen.

Die Situation in Europa und in Deutschland

Wie hoch die Flüchtlingszahlen genau sind, ist nicht bekannt. Laut dem Europäischen Asyl-
Unterstützungsbüro (EASO) sind allein in den ersten neun Monaten dieses Jahres 892.000
Flüchtlinge nach Europa gekommen. Im Oktober sei bereits die Ein-Millionen-Marke
überschritten worden. Für die kommenden drei Jahre werden nach Angaben der EU-
Kommission drei Millionen Flüchtlinge erwartet. Die offizielle Prognose des
Bundesinnenministeriums lag bei 800.000 Flüchtlingen für Deutschland im Jahr 2015,
inoffizielle Behördenangaben rechnen dagegen mit bis zu 1,5 Millionen Flüchtlingen.

Es herrscht systematisches Chaos bei der Erfassung der Flüchtlinge, da die Systeme von
Bundespolizei, BAMF, den Länderbehörden, der Bundesagentur für Arbeit und den
Kommunen nicht kompatibel sind. Von Januar bis Oktober 2015 wurden nach Angabe des

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Perthes (2015)
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Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) 758.000 Personen im System EASY
registriert. Im gleichen Zeitraum haben lediglich 362.153 Personen Asyl beantragt, weil
wegen der Überlastung des BAMF die formelle Asylantragstellung erst mit zum Teil
deutlicher zeitlicher Verzögerung möglich ist. Es wird geschätzt, dass ca. 200.000 bis
400.000 Personen gar nicht registriert sind. Die Bundesregierung musste zugeben, dass ihr
keine Gesamtübersicht über die Zahl der in Erstaufnahmeeinrichtungen der Länder
untergebrachten Asylbewerber vorliegt und sie auch nicht weiß, wie viele Personen von den
Erstaufnahmeeinrichtungen auf die Kommunen verteilt wurden.

Diese Fakten zeigen: Die Herausforderungen sind groß. Die Bundesregierung aber hat keine
Strategie, sondern verbreitet den Eindruck von Planlosigkeit und Desorganisation.
Maßnahmen werden zu spät und halbherzig eingeleitet. Diese schlechte Regierungsleistung
ist ein Grund dafür, dass die Bürger verunsichert sind. In Kopf und Bauch vieler Bürger
setzen sich Sorgen fest: Es könnten zu viele Flüchtlinge kommen. Es gibt keine Übersicht,
welche Flüchtlinge kommen und wo diese sich in Deutschland aufhalten. Die Integration
könnte scheitern, weil es keinen Plan dafür gibt und zu wenige Ressourcen.

Die Offene Gesellschaft verteidigen


Unsere freiheitliche Verfassung misst dem Grundrecht auf Asyl für politisch Verfolgte einen
hohen Stellenwert zu. Die humanitären Verpflichtungen wurden von Staat und Gesellschaft
in der Vergangenheit gelebt. Das Grundrecht auf Asyl ist von unserer Verfassung konzipiert
als individueller Anspruch für politisch Verfolgte. Als ein solches individuelles Recht kann das
Asylgrundrecht keine zahlenmäßige Obergrenze haben. Für Bürgerkriegsflüchtlinge und
Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention werden andere Instrumente gebraucht.
Das Asylgrundrecht kann nicht das Instrument zur gezielten Steuerung von Einwanderung
und zur generellen Aufnahme von Flüchtlingen sein. Nur wenn es eine unterschiedliche
Behandlung der Flüchtlinge nach ihrem Status gibt, kann Deutschland diese großen
Herausforderungen bewältigen, die in Teilen Deutschlands heute zu Verwaltungs- und
Kapazitätsengpässen führen. Das heißt, dass für Bürgerkriegsflüchtlinge ein zügiges
vereinfachtes Verfahren gebraucht wird, das zu einem befristeten Aufenthaltsrecht führt
(vorläufiger humanitärer Schutz).

Für unser Zusammenleben sind Maßstab die im Grundgesetz verankerten freiheitlichen


Werte. Alle Formen politischen Extremismus, politisch motivierter Gewalt oder religiösen
Fundamentalismus werden nicht toleriert und mit den Mitteln der wehrhaften Demokratie
bekämpft. Das Existenzrecht und der Schutz Israels können nicht zur Disposition stehen und
werden offensiv verteidigt.

Das Engagement vieler Bürgerinnen und Bürger für Flüchtlinge in Deutschland ist
überwältigend.

Engagement zu Integration ist auch von den Ankommenden zu fordern; alles was dabei hilft,
ist zu fördern. Strukturen und Regelungen, die schnelle und pragmatische Lösungen

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behindern, gehören ausgesetzt. Insofern ist die Krise auch eine Chance, Verkrustungen zu
beseitigen und sich auf das Wesentliche zu besinnen.

Integrationsstrukturen schaffen

Bildung und Integration von Anfang an


Unabhängig davon, wie lange Flüchtlinge in Deutschland bleiben: Mit Bildung kann und
muss sofort begonnen werden. Das betrifft sowohl Sprachkurse als auch die politische
Bildung, Landes- und Gesellschaftskunde, Besuch von Kita und Schule. Die bisher zum
neuen Schuljahr eingerichteten Willkommensklassen reichen nicht, um eine höhere Anzahl
Flüchtlingskinder zu integrieren. Die Kultusministerkonferenz hat es versäumt, ein
abgestimmtes Programm vorzulegen.

Deshalb:

Integration ist von Anfang an zu fördern, aber auch zu fordern. Von allen Flüchtlingen, die
nicht sofort abgeschoben werden, wird ein Bildungsprofil erstellt. Das kann unbürokratisch zu
Beginn des Verfahrens mit abgefragt werden. Den Ankommenden werden Sprachkurse und
Kurse zu Wertevorstellungen, Traditionen und Geschichte Deutschlands offeriert. Den
Flüchtlingen muss klar sein, dass eine regelmäßige und engagierte Teilnahme an den
angebotenen Kursen verpflichtend ist. Die Missachtung der Teilnahmepflicht kann sich bei
späteren Asyl-Wiederholungs- oder Niederlassungsprüfungen, beim Familiennachzug oder
bei Lockerungen der Residenzpflicht negativ auswirken. Das gilt auch für die Einhaltung der
Schulpflicht. Die Einbindung von ehrenamtlichen Helfern, pensionierten Lehrern und
Stiftungen mit Bildungsauftrag ist absolut wünschenswert. Studenten können helfen, deren
Universitäten dieses Engagement unterstützen, indem sie solche Einsätze als
Studienleistung unbürokratisch anerkennen. Die Arbeit der Kiron University sollte unterstützt
werden.

Es muss jetzt eine Strategie für die Integration der Flüchtlingskinder in das Schulsystem
geben, damit der Lernerfolg aller Kinder nicht gefährdet wird. Mit Improvisation ist das nicht
mehr zu schaffen, jetzt müssen zusätzliche Integrationskurse und -klassen organisiert und
finanziert werden. Das Kooperationsverbot darf den Bund hier nicht hindern, zielgerichtet
Hilfe zu leisten. Langfristig wird ein flächendeckendes Angebot an staatlichem islamischem
Bekenntnisunterricht in allen Bundesländern unerlässlich sein.

Schnelle Arbeitsaufnahme
Angesichts der demografischen Entwicklung und des drohendem Facharbeitermangels
können die Flüchtlinge eine Chance für Deutschland sein. Eine schnelle Arbeitsaufnahme ist
auch entscheidend für die Integration. Ein Job und die Tatsache, seinen Lebensunterhalt
zumindest in Teilen selbst zu bestreiten, kann Flüchtlingen Selbstvertrauen geben und dafür
sorgen, dass es in den Flüchtlingsunterkünften weniger zu konfliktträchtigen Situationen
kommt. Für die Gesellschaft werden mittelfristig die Kosten geringer, weil weniger soziale

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Unterstützung geleistet werden muss. Wichtig ist, dass die Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt so
schnell wie möglich einsteigen können, um dann nach dem Einstieg Schritt für Schritt auch
den Aufstieg zu schaffen – mit verbesserten Sprachkenntnissen, beruflicher Qualifikation und
Erfahrung am Arbeitsplatz. Daher sind Regelungen auszusetzen, die eine schnelle
Arbeitsaufnahme verhindern.

Deshalb:

Flüchtlinge, die eine Bleibeperspektive haben, sollten arbeiten dürfen. Die Unternehmen
können Ausbildungs- und Qualifizierungsplätze anbieten. Arbeitspraktika sind zu fördern,
erforderliche individuelle Qualifizierungsmaßnahmen zu unterstützen. Gemeinnützige
Tätigkeiten sind eine gute Möglichkeit, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Über die
Aussetzung der sog. Vorrangprüfung sollte vor Ort und individuell nach Berufsfeldern durch
die Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit entschieden werden. Auch wenig
qualifizierte Flüchtlinge sollten Leiharbeit und Werkverträge annehmen dürfen. Die geplante
Einschränkung dieser Möglichkeiten ist falsch und darf nicht verabschiedet werden. Ganz
offensichtlich ein Integrationshindernis für wenig qualifizierte Flüchtlinge ist der Mindestlohn.
Die bereits bestehenden Ausnahmen beim Mindestlohn für Langzeitarbeitslose sind auch für
Flüchtlinge anzuwenden und müssen zeitlich ausgeweitet werden. Auch eine Aussetzung
des Mindestlohns wäre denkbar. Unternehmer, die Flüchtlinge einstellen, können durch
befristete Lohnkostenzuschüsse in der Qualifizierung ihrer neuen Mitarbeiter unterstützt
werden.

Vor-Ort-Lösungen stärken
Der Bund trägt ein hohes Maß an Verantwortung in der Flüchtlingskrise. Er ist für die
Sicherung der Außengrenzen zuständig. Es war seine Entscheidung, das Dublin-III-
Abkommen auszusetzen. Der Bund legt die Regeln für die Asylverfahren fest. Seine
Behörden verantworten die Verfahrensdauer. Damit übernimmt der Bund aber auch die
Verantwortung dafür, dass es nicht zur Überforderung von Ländern und Kommunen kommt.
In der jetzigen Situation kann davon keine Rede sein: Mit den entstehenden Problemen
werden die Länder, vor allem aber die Kommunen vor Ort konfrontiert.

Deshalb:

Die Krise muss gesamtstaatlich koordiniert werden; die (auch finanzielle) Verantwortung für
das Projektmanagement liegt beim Bund. Es ist nicht ausreichend, einen Koordinator und
einen Lenkungsausschuss auf Bundesebene zu schaffen. Koordinatoren sind ebenso auf
Länder- und auf Landkreisebene nötig. Das können beispielsweise pensionierte
Spitzenbeamte eines Landes sein, die als kompetente Ansprechpartner den Kommunen zur
Verfügung stehen, individuelle Probleme aufnehmen und adressieren, bundesstaatliche Hilfe
kommunizieren und Lösungsmöglichkeiten aufzeigen und koordinieren.

Vor Ort könnten sich Netzwerke der Entscheider zusammenfinden, in denen Bürgermeister,
Kommunalverwaltung, die örtliche Außenstelle des BAMF, Arbeitsagentur, Handwerk,
Unternehmen, Gewerkschaften und andere Akteure passgerechte Lösungen finden.
Wünschenswert wäre auch, dass es in jedem Kreis ein gemeinsames Büro von BAMF,
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Arbeitsagentur, Schulbehörde und Landesausländerbehörde gibt, um die unterschiedlichen
Zuständigkeiten zu bündeln.

Die finanziellen Mittel, die der Bund den Kommunen zur Verfügung stellt, sollten direkt bei
den Kommunen ankommen. Die Bundesmittel könnten in einen Integrationsfonds fließen, um
den Kommunen, der mittelständischen Wirtschaft und den Organisationen der tausenden
ehrenamtlichen Helfer unbürokratisch zu helfen, sichere Planungen zu ermöglichen und ein
spannungsfreies Zusammenleben zwischen Einwohnern und Ankommenden zu
unterstützen.

Funktionierendes Regelwerk in Gang setzen

Alle Bemühungen um Integration haben einen inneren Zusammenhang zur (Neu-)


Etablierung von funktionierenden Entscheidungs- und Verfahrensstrukturen. Das betrifft
sowohl die europäischen Verabredungen als auch die innerdeutsche Re-Organisation und
das innerdeutsche Regelwerk. Mittel- bis langfristig wirken diplomatische und militärische
Bemühungen um die Beendigung von Bürgerkriegen, Entwicklungszusammenarbeit und
Freihandelserleichterungen.

Einwanderung steuern

Ein weiterer entscheidender Baustein, um ungesteuerte Zuwanderung zu vermindern, ist die


Schaffung legaler Zugangsmöglichkeiten – in begrenztem Maße und gesteuert nach den
legitimen Wünschen der Staaten. Ein Einwanderungsgesetz wie es in vielen Staaten seit
Jahren selbstverständlich ist, wird auch in Deutschland gebraucht. Das schließt
Möglichkeiten für einen Wechsel der jetzt bereits angekommenen und dann integrierten
Flüchtlinge in die Arbeitsmigration unbedingt ein.

Europäische Außengrenzen sichern


Es ist das Recht eines jeden Staates, seine Außengrenzen zu schützen und zu sichern.
Deutschland hat im Zuge der europäischen Einigung dieses Recht verlagert: Bildlich
gesprochen werden Deutschlands Grenzen durch die Staaten am Außenrand des
Schengen-Raums geschützt: beispielsweise durch Italien, Griechenland oder Polen. Der
Wegfall der Binnengrenzen im Schengen-Raum ist eine der Errungenschaften des
europäischen Zusammenwachsens.

Nach der Dublin-III-Verordnung der EU ist das Land für die Durchführung von Asylverfahren
zuständig, in dem die ankommenden Personen zum ersten Mal den Boden der
Europäischen Union betreten. Die unkoordinierte Ankunft einer großen Zahl von Flüchtlingen
in Deutschland zeigt, dass dieses System einer echten Belastungsprobe nicht gewachsen
ist. Überraschend kommt das nicht. Die Mittelmeeranrainer hatten seit langem vor einer
Überforderung ihrer Asylsysteme gewarnt. Deutschland selbst hatte bereits vor Jahren
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Griechenland nicht mehr als sicheren Herkunftsstaat betrachtet und Asylverfahren von dort
einreisender Personen in eigener Zuständigkeit bearbeitet. Das ist keine konsistente und auf
Dauer tragende Politik.

Deshalb:

Entscheidend auf europäischer Ebene ist die Durchsetzung vereinbarter Regeln und hat
oberste Priorität. Das beginnt beim Schutz der Außengrenzen der EU: Polizeiliche Aktionen
der Grenzschutzagentur Frontex und mittelbar die militärischen Operationen der Mission
Sophia müssen gestärkt werden, um die Zahl der insgesamt in die EU drängenden
Menschen auf die zu begrenzen, die Anspruch auf Schutz haben.

Die Verhandlungen für eine funktionierende Nachfolgeregelung zu Dublin-III müssen


zielgerichtet geführt werden. Bei der nach den Prognosen auch in Zukunft hoch bleibenden
Anzahl von Flüchtlingen weltweit werden die Staaten an den EU-Außengrenzen überfordert
bleiben. An den Außengrenzen sollte es gesicherte und überwachte Registrierungszonen
(Hotspots) geben, die die Registrierung der Flüchtlinge übernehmen. Für Einwanderer aus
sicheren Herkunftsländern sollte dort das beschleunigte Verfahren nach den Grundsätzen
des Flughafenverfahrens angewendet werden. Migranten mit Bleibeperspektive sollten nach
festen Verteilquoten in den Mitgliedsstaaten verteilt werden. Dieses System könnte durch
entsprechende Asylzentren in EU-Nachbarregionen ergänzt werden (exterritoriales
Verfahren).

Alle dort gewonnenen Daten könnten auf einer „Europäischen Flüchtlingskarte“ festgehalten
werden, die die Menschen dann auf ihrem weiteren Weg begleitet. Die Vorlage dieser Karte
sollte Voraussetzung für die Inanspruchnahme weiterer Leistungen in den Mitgliedsstaaten
werden.

Die Staaten am Außenrand der EU brauchen mehr Unterstützung durch die EU. Die
Strukturen dafür sind mit dem Asyl-Unterstützungsbüro (EASO) und dem Asyl-, Migrations-
und Integrationsfonds (AMIF) vorhanden. Anreizsysteme könnten Länder wie Griechenland
oder Italien dahingehend unterstützen, Verpflichtungen einzuhalten.

Wenn allerdings wie in der Vergangenheit ein Großteil der Flüchtlinge nach Deutschland
oder Skandinavien will, werden Quoten allein die Menschen nicht daran hindern, ihren Weg
zu finden. Unterstützend könnte eine Art „virtuelles Quotensystem“ wirken, das die Länder,
die entgegen der ihnen eigentlich zukommenden Quote keine oder weniger Flüchtlinge
aufnehmen wollen, verpflichtet, einen finanziellen Ausgleich in einen Fonds zu zahlen, aus
dem Aufnahmestaaten unterstützt werden.

Grenzstaaten außerhalb der EU, die ebenfalls erhebliche Flüchtlingslasten zu tragen haben
wie Jordanien und die Türkei, müssen deutlich mehr als bisher finanziell und organisatorisch
unterstützt werden, um die Lebensbedingungen in den Flüchtlingslagern und bei der
einheimischen Bevölkerung zu verbessern und Flüchtlingen eine Perspektive geben.

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Geordnete und zügige Verfahren in Deutschland
Asylverfahren in Deutschland dauern zu lange und sind zu aufwendig. Das ist kein neuer
Befund, nur zeigen sich die Auswirkungen angesichts der derzeitigen Flüchtlingszahlen
besonders drastisch.

Deshalb:

Asylverfahrens- und Aufenthaltsrecht sollten neu justiert werden. Ziel ist die Besinnung auf
den Gehalt des Asylgrundrechts unserer Verfassung. Um die Ausübung dieses Grundrechts
durch Überschreiten einer tatsächlichen Kapazitätsgrenze nicht faktisch unmöglich zu
machen, sollten die vorhandenen rechtlichen Möglichkeiten zur Begrenzung des Zuzugs von
Flüchtlingen konsequent genutzt und mögliche Ermessensentscheidungen entsprechend
restriktiv ausgeübt werden.

Ein ordnungsgemäßes Verfahren beginnt mit einer sofortigen Erfassung der ankommenden
Menschen und zwar auch und gerade beim BAMF. Nur eine bundeseinheitliche Erfassung in
einem bundeseinheitlichen System schafft die notwendige Übersicht über die ankommenden
Personen und die Orte ihres weiteren Verbleibs. Diese Daten sollten auch auf der
Flüchtlingskarte gespeichert werden, deren Vorlage für die Inanspruchnahme weiterer
Leistungen notwendig ist.

Anträge für Migranten aus sicheren Herkunftsstaaten sollten so früh und so schnell wie
möglich bearbeitet werden. Elemente des Flughafenverfahrens, das das
Bundesverfassungsgericht ausdrücklich anerkannt hat, sollten genutzt werden.

Für Anträge von Bürgerkriegsflüchtlingen sollte ein getrenntes Verfahren gelten:


Bürgerkriegsflüchtlinge sollten den Status des „vorübergehenden nationalen humanitären
Schutzes“ erhalten. Nach einer Prüfung, ob die Person zum betroffenen Personenkreis
gehört und nach einer individuellen Sicherheitsüberprüfung können diese Menschen aus den
Verwaltungsverfahren entlassen werden. In den Herkunftsländern muss deutlich
kommuniziert werden, dass es sich um einen lediglich vorübergehenden Schutzstatus
handelt und nach Besserung der Situation die Flüchtlinge in ihre Heimatländer zurückkehren
müssen. Bürgerkriegsflüchtlinge haben während ihres Aufenthalts in Deutschland Zugang zu
Sprachkursen und auf den Arbeitsmarkt.

Das BAMF wäre um die Anträge dieses Personenkreises entlastet und könnte seine
Kapazitäten für die Bearbeitungen von Anträgen anderer Flüchtlinge einsetzen. Eine
zusätzliche „Altfallregelung“ für überlange Verfahren aus der Vergangenheit kann ebenfalls
helfen, den Antragsstau zu überwinden und die Asylbehörden schnell besser arbeitsfähig zu
machen.

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Die Gesamtsituation im Blick behalten

Wohnungsbau
Schon heute leiden die Bürger in Deutschland in vielen Regionen unter einem Mangel an
Wohnraum. Der Druck im Wohnungsmarkt wird sich durch den Zuzug verstärken.

Deshalb:

Es muss jetzt gegengesteuert werden, um alle rechtlichen und tatsächlichen Hindernisse zu


beseitigen – schließlich braucht die Planung und Verwirklichung von Bauvorhaben auch im
besten Fall Zeit.

Kurzfristig könnte helfen, die Familienstruktur und die Bleibeperspektive der Flüchtlinge bei
der regionalen Verteilung zu berücksichtigen: Dann könnten beispielsweise
Flüchtlingsfamilien in die ländlichen Räume ziehen, in denen es häufig auch einen
Fachkräftemangel in den Bereichen ärztlicher Versorgung, Altenpflege und im Handwerk
gibt. Dort sind auch Schulkapazitäten häufig ausreichend vorhanden. Auf ein ausgewogenes
Verhältnis von Bewohnern und Flüchtlingen ist zu achten.

Mittelfristig braucht Deutschland aber in vielen Regionen mehr Wohnraum.


Baulandknappheit ist ein wesentlicher Engpassfaktor: Hier können zusätzliche
Baulandausweisungen helfen. Um den privaten Wohnungsneubau im einfachen Segment
attraktiver zu machen, sind Hemmnisse zu beseitigen: Ein flexibleres Mietrecht und die
Abschaffung der Mietpreisbremse sind weitere denkbare Maßnahmen. Baustandards
müssen auf Sinnhaftigkeit überprüft werden, um die Baukosten zu senken – überhöhte
Vorgaben beispielsweise bei Schallschutz, Brandschutz oder Energieeffizienzmaßnahmen
sind zurückzuführen. Beim Vergaberecht sind sämtliche Möglichkeiten zu nutzen, zu einer
schnellen Vergabe zu kommen. Auch steuerliche Anreize wie verbesserte
Abschreibungsbedingungen kommen infrage.

Die Kommunen müssen in gewissem Umfang in den sozialen Wohnungsbau einsteigen. Hier
könnte beispielsweise ein von Bund und Ländern bereitgestellter Fonds helfen, die Vorgaben
von BASEL II bei der Eigenkapitalsituation handhabbar zu machen.

Familiennachzug
Der Nachzug von Familienangehörigen für hier lebende Flüchtlinge ist ohne Zweifel ein
wichtiger, auch persönlichkeitsstabilisierender Faktor. Es muss aber darauf geachtet
werden, dass die tatsächlichen Gegebenheiten für einen Familiennachzug gegeben sind.

Deshalb:
Der Familiennachzug sollte grundsätzlich an das Erreichen bestimmter Integrationsziele
geknüpft werden und davon abhängig sein, dass ein ausreichendes Einkommen und
angemessener Wohnraum zur Verfügung steht. Integrationsziel kann beispielsweise das
erfolgreiche Bestehen zugewiesener Sprach- und Integrationskurse sein. Deutschkenntnisse
sollten mindestens auf Mittelstufen-Niveau vorhanden sein (entspricht B1 des sog.
Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen). Auch ehrenamtliche
Tätigkeiten können sich als Zeichen für Integrationsanstrengungen positiv auswirken.
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Finanzielle Leistungen
Selbstverständlich haben Flüchtlinge ein Anrecht auf Sicherung ihres Existenzminimums. Zu
einer ehrlichen Betrachtung gehört aber auch die Tatsache, dass die Geldleistungen, die
Flüchtlinge in Deutschland erhalten – aus der Perspektive der Herkunftsländer betrachtet –
ziemlich hoch sind.

Deshalb:

Es sollten alle rechtlichen Möglichkeiten genutzt werden, die Leistungen für Flüchtlinge
anzupassen. Man könnte beispielsweise Leistungen, die für die Integration ausgegeben
werden, bei der Zahlung von Geldleistungen anrechnen. Denkbar wäre, eine
Rückzahlungspflicht – ähnlich wie beim BAföG – zu schaffen.

Keine Neuverschuldung, keine Steuererhöhungen


Die öffentlichen Haushalte in Deutschland stehen gut dar. Mit soliden Wachstumsprognosen
und Steuereinnahmen in Rekordhöhe sind die Voraussetzungen auch in den nächsten
Jahren gut.

Deshalb:

Der Bund kann und muss mehr Geld zur Bewältigung der Flüchtlingskrise bereitstellen. Es ist
wichtig, dass die Finanzierung von zusätzlichen Verwaltungs- und Integrationsbedarfen jetzt
sichergestellt wird – und zwar ohne Neuverschuldung und ohne Steuererhöhungen.

Fazit

Für Deutschland und Europa steht viel auf dem Spiel: Die Freizügigkeit als eine der
wesentlichen Freiheitsrechte in der Europäischen Union, die offene, plurale Gesellschaft und
die Solidarität aller Mitgliedstaaten sind zu verteidigen – gegen das Erstarken von
Rechtspopulismus und Extremismus oder zunehmende Renationalisierungstendenzen. Als
Antworten auf die Flüchtlingssituation werden Integration, gesteuerte Einwanderung und ein
handlungsfähiges Europa mit gesicherten Außengrenzen gebraucht.

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Herausgeber
Friedrich-Naumannn-Stiftung für die Freiheit
Karl-Marx-Str. 2
14482 Potsdam

Titelbild

CC BY-SA 2.0 Metropolico.org/ Flickr/ bearbeitet

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