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DE ANIMA

Die Rezeption der aristotelischen Psychologie im 16. und 17. Jahrhundert


BOCHUMER STUDIEN ZUR PHILOSOPHIE

Herausgegeben von
Kurt Flasch – Ruedi Imbach
Burkhard Mojsisch – Olaf Pluta

Band 43

SASCHA SALATOWSKY

De Anima
Die Rezeption der aristotelischen Psychologie
im 16. und 17. Jahrhundert

B.R. GRÜNER
AMSTERDAM/PHILADELPHIA
De Anima
Die Rezeption der aristotelischen Psychologie
im 16. und 17. Jahrhundert

SASCHA SALATOWSKY

B.R. GRÜNER
AMSTERDAM/PHILADELPHIA
The paper used in this publication meets the minimum requirements of American
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Materials, ANSI Z39.48-1984.

Gedruckt mit Hilfe der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in
Ingelheim am Rhein.
Gedruckt mit Unterstützung der Prof. Dr. Fritz-Peter Hager-Stiftung (Zürich).

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Library of Congress Cataloging-in-Publication Data


Sascha Salatowsky.
De Anima : Die Rezeption der aristotelischen Psychologie im 16. und 17. Jahrhundert / Sascha
Salatowsky.
p. cm. -- (Bochumer Studien zur Philosophie, ISSN 1384-668X; Bd. 43)
Includes bibliographical references and index.
1. Aristotle. De anima. 2. Psychology.
B415.S25 2006
128.092--dc22 2005058864
ISBN 90 6032 374 2 (hardbound)
No part of this book may be reproduced in any form, by print, photoprint, microfilm, or any other
means, without written permission from the publisher.
© by B.R. Grüner, 2006
Printed in The Netherlands
B.R. Grüner is an imprint of John Benjamins Publishing Company
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INHALTSVERZEICHNIS

VORWORT IX
ABBREVIATUREN XI

1. EINLEITUNG 1
1.1 Der Geist als zentraler Begriff der aristotelischen Philosophie 1
1.2 Wurzeln der zeitgenössischen Debatte 13
1.3 Transformationen des Aristotelismus 20
1.4 Die Aufgabe und ihre Erfordernisse 29

2. DIE ARISTOTELISCHE PSYCHOLOGIE BEI LUTHER UND MELANCHTHON 35


2.1 Einleitung 35
2.2 Luthers Interpretation von De An. III 5 in der
Heidelberger Disputation von 1518 39
2.2.1 Exkurs: Alexander von Aphrodisias’ Traktat De Anima 44
2.2.2 Luthers Interpretation des aristotelischen Seelenbegriffs 53
2.2.2.1 Die Sterblichkeit der Seele gemäß den aristotelischen Prinzipien 54
2.2.2.2 Die Unsterblichkeit der Seele gemäß zweier Äußerungen
des Aristoteles 57
2.2.2.3 Die Interpretation von De An. III 5 59
2.2.3 Die Unsterblichkeit der Seele aus theologischer Sicht 67
2.3 Melanchthons eklektische Psychologie 69
2.3.1 Exkurs: Simplicius’ De Anima-Kommentar 75
2.3.2 Melanchthons Platonisierung des aristotelischen Seelenbegriffs 91
2.3.2.1 Exkurs: Amerbachs Verständnis des Entelechiebegriffs 99
2.3.2.2 Melanchthons Motiv für die Umdeutung des Entelechiebegriffs 101
2.3.3 Die theologische Definition der menschlichen Seele 104
2.3.3.1 Exkurs: Pneu=ma bei Aristoteles und Galen 106
2.3.3.2 Melanchthons spiritus-Lehre 112
2.3.4 Die Bestimmung des menschlichen Geistes 116

V
Inhaltsverzeichnis

2.3.5 Die Unsterblichkeit der menschlichen Seele 126


2.4 Resümee 128
3. PSYCHOLOGIE IM KATHOLISCHEN RENAISSANCE-ARISTOTELISMUS 133
3.1 Einleitung 133
3.1.1 Identität und Differenz in der Psychologie 146
3.1.2 Prolegomena zur Psychologie 150
3.2 Die Seele und ihre Vermögen 156
3.2.1 Der Streit um die Einheit der Seele 159
3.2.2 Die Verteilung der Seele und ihre Lokalisierbarkeit im Körper 172
3.3 Der Begriff der menschlichen Seele 180
3.3.1 Die Auseinandersetzung mit Averroes 184
3.3.1.1 Forma informans oder forma assistens? 185
3.3.1.2 Einheit oder Pluralität des Geistes? 203
3.3.2 Die Bestimmung der menschlichen Seele als substantia spiritualis 209
3.3.3 Phänomenologien des menschlichen Geistes 211
3.3.4 Theorien der Intentionalität 219
3.3.4.1 Exkurs: Die Theorie der formalen Identität bei Thomas 220
3.3.4.2 Die Geeignetheit des Geistes für die Erkenntnis der Dinge 225
3.3.5 Wesen und Funktion des intellectus agens 232
3.3.6 Debatten um die Unsterblichkeit der menschlichen Seele 246
3.3.7 Der Prozeß der natürlichen und wissenschaftlichen Erkenntnis 257
3.3.7.1 Exkurs: Die Modi des Wissens 263
3.3.7.2 Der natürliche Prozeß der undeutlichen Erkenntnis 271
3.4 Resümee 277

4. DIE ARISTOTELISCHE PSYCHOLOGIE IM LUTHERTUM 283


4.1 Einleitung 283
4.1.1 Prolegomena zur Psychologie 297
4.2 Die Seele als Seins- und Wirkprinzip 306
4.2.1 Die Einheit der Seele in der Vielheit ihrer Vermögen 317
4.2.2 Die menschliche Seele als e)nte/lexeia spiritualis 323

VI
Inhaltsverzeichnis

4.2.2.1 Glauben und Wissen: Die Frage nach der Unsterblichkeit der
menschlichen Seele 330
4.2.2.2 Der Begriff des Geistes 337
4.2.2.2.1 Die Erkenntnis als Repräsentation des Gegenstandes 346
4.2.2.2.2 Die Einheit des Geistes in der Erkenntnis 355
4.3 Resümee 368
LITERATURVERZEICHNIS 373
INDEX NOMINUM 393
INDEX RERUM 401

VII
VORWORT

Die vorliegende Arbeit ist die überarbeitete Version meiner Dissertation, die ich im
Winter 2003/4 am Fachbereich Philosophie der Freien Universität Berlin eingereicht
habe. Ihre Fertigstellung gibt mir Gelegenheit, mich bei den Personen zu bedanken, die
dieses Projekt über die Jahre mit ihren Anregungen begleitet haben. Zunächst gilt mein
Dank dem Erstgutachter Herrn Prof. Dr. Schmidt-Biggemann, der mir die Freiheit des
Forschens ließ, das Werk aber begrenzte, als es auszuufern drohte. Die Teilnahme am
Colloquium gab mir die Gelegenheit, das Thema wiederholt einem größeren Kreis zu
präsentieren. Eine besondere Freude war es für mich, daß Herr Prof. Dr. Sparn das
Werk als Zweitgutachter aus der Ferne betreute. Sein Wissen um die Philosophie des
16. und 17. Jh.s. war für mich an mehr als einer Stelle von großem Nutzen. Den Kom-
missionsmitgliedern, Herrn Prof. Dr. Leinkauf, Herrn PD Dr. Meier-Oeser sowie Herrn
Dr. Lalla, danke ich für manches Gespräch und für den langen Atem zur Lektüre dieses
Werkes. Danken möchte ich ferner ganz besonders Helmut Loos, der mich vor vielen
Jahren auf die Spur des 16. und 17. Jh.s gebracht hat. Ohne seine Ideen wäre dieses
Werk nie zustande gekommen. Henrik Wels danke ich für die vielen Gespräche rund
um dieses Thema, für manche Anregung und für die Korrekturlektüre eines Teils die-
ser Arbeit. Ferner möchte ich sehr herzlich Herrn Prof. Dr. Mojsisch für die Aufnahme
dieser Arbeit in die Reihe Bochumer Studien zur Philosophie danken. Er unterzog sich
der Mühe einer kompletten Korrekturlektüre und bewahrte mich damit vor der einen
oder anderen Peinlichkeit. Die verbliebenen Fehler sind gleichwohl nur mir zuzurech-
nen. Schließlich möchte ich mich bei den beiden Stiftungen, der Geschwister Boehrin-
ger Ingelheim Stiftung für Geisteswissenchaften sowie der Prof. Dr. Fritz-Peter Hager-
Stiftung, für die Gewährung von großzügigen Druckkostenzuschüssen sehr herzlich
bedanken.
Widmen möchte ich dieses Buch meiner Mutter, die mich in schweren Zeiten das
Abitur machen ließ, als anderes dringlicher war. Im langen Blick zurück erscheint mir
dies als die Bedingung alles Späteren. Ohne diese Möglichkeit wäre der Umweg zur
Philosophie wohl nie gangbar gewesen. Die Philosophie kam spät, aber nicht zu spät,
um das Leben an der richtigen Stelle zu beschweren.

Berlin, im November 2005 Sascha Salatowsky

IX
ABBREVIATUREN

I. Gängige Abkürzungen

art. articulus c. caput


con. controversia disp. disputatio
diss. dissertatio ex. exercitatio
lc. lectio lib. liber
pr. problema q. quæstio
s. sectio t. textus
th. theorema tr. tractatus

II. Autoren/Werke
Alexander Alexander von Aphrodisias, De Anima liber cum Mantissa. Edi-
dit Ivo Bruns. In: Commentaria in Aristotelem Graeca (CAG).
Supplementum. Vol. 2. Berlin 1887. / De Anima Liber primus,
Hieronymo Donato patritio Veneto interprete. De Anima Liber
secundus, unà cum commentario de Mistione, Angelo Caninio
Anglariensi interprete. Venedig 1555.
Averroes Aristotelis opera cum Averrois commentariis, hier: Supplemen-
tum II. Aristotelis de anima libri tres, cum Averrois commentariis
et antiqua translatione suæ integritati restituta. Venedig 1562. /
Commentarius magnus in Aristotelis de anima libros. Recensuit
F. Stuart Crawford. Cambridge 1953.
CHRP Charles B. Schmitt (General Editor), The Cambridge History of
Renaissance Philosophy. Cambridge 1988.
Coll. Conimbricense Collegium Conimbricense, Commentarii in tres libros de Anima
Aristotelis Stagiritæ. Hac tertia editione, Græci contextus Latino
è regione respondentis accessione auctiores, & emendatiores. Ly-
on 1604.
CR Philipp Melanchthon, Opera quæ supersunt omnia, in: Corpus
Reformatorum. Vol. 1 − 28. Edidit Carolus Gottlieb Bretschneider
& Henricus Ernestus Bindseil. Halle/Braunschweig 1834-1860.
Reprint New York 1963.

XI
De Anima

Dannhauer Johann Conrad Dannhauer, Collegium Psychologicum, in quo


maxime controversae quaestiones, circa libros tres Aristotelis de
anima proponuntur, ventilatur, explicantur. Straßburg 1660.
Evenius Sigismund Evenius, ANQRWPOLOGIA seu, de hominis secun-
dum corpus et animam constitutione doctrina, inter scientiæ natu-
ralis partes longè præstantissima, repetita, disputationibus unde-
viginti inclusa, & in Collegio privato Wittenbergæ exhibita. Wit-
tenberg 1613.
Leuschner Martin Leuschner, Tetras disciplinarum philosophicarum, hoc est
Logicæ; Physicæ; Ethicæ; et Politicæ; ut et aliæ nonnullæ quæ-
stiones & controversiæ Philosophicæ, ex variis disciplinas de-
sumptæ ... Stettin 1633.
Lohr Latin Aristotle Commentaries. II. Renaissance Authors. Florenz
1988.
Martini Jacob Martini, Exercitationes nobiles de anima. Wittenberg 1606.
Melanchthon Philipp Melanchthon, Commentarius de anima. Wittenberg 1540.
Pacius Julius Pacius, ARISTOTELOUS PERI YUXHS BIBLIA TRIA.
Aristotelis de Anima libri tres, græce et latine, Iul. Pacio à Beriga
interprete. Accesserunt eiusdem Pacii in eosdem libros commen-
tarius analyticus … Frankfurt 1596.
PL Patrologia. Series latina. Bd. 1-221. Accurante J.P. Migne. Paris
1844ff.
Portio Simone Portio, De mente humana disputatio. Florenz 1551.
Risse Wilhelm Risse, Bibliographia philosophica vetus. Repertorium
generale systematicum operum philosophicorum usque ad annum
MDCCC typis impressorum. Pars 1. Philosophia generalis. Pars
2. Logica. Pars 3. Metaphysica. Pars 5. De anima. Pars 6. Philo-
sophia naturalis. Pars 8. Theses academicae. Tomus 1. Index dis-
putationum. Aargardus - Maes. Tomus 2. Index disputationum.
Maestlinus - Zyra. Opera anonyma. Hildesheim u.a. 1998.
Scheibler Christoph Scheibler, Liber de anima … in quo tota doctrina
animæ, tùm in genere, tùm in specie, quoad singulos ejus gradus,
& singulas animæ facultates, succinctè & clarè pertractatur. Edi-
tio secunda correctior & auctior. Gießen 1614.
Simplicius In libros Aristotelis de anima commentaria. Ed. Michael Hay-
duck. CAG 11. Berlin 1882. / Commentaria Simplicii in tres li-
bros de anima Aristotelis, de Græca lingua in Latinam nuperrimè

XII
Abbreviaturen

translata. Evangelista Lungo Asulano Interprete. Venedig 1564.


Edidit Charles Lohr. Nachdruck Frankfurt am Main 1979.
Timpler Clemens Timpler, Physicæ seu philosophiæ naturalis systema
methodicum, in tres partes digestum … Pars tertia & postrema
Physicæ, complectens Empsychologiam; Hoc est, doctrinam de
corporibus naturalibus animatis, libris V. explicatam. Hanau
1622.
Toletus Franciscus Toletus, Commentaria unà cum quæstionibus in tres
libros Aristotelis de Anima, in: Opera omnia Philosophica. To-
mus III. Köln 1615-16. Eingeleitet von Wilhelm Risse. Nach-
druck Hildesheim 1985.
Ueberweg 17. Jh. Grundriss der Geschichte der Philosophie. Die Philosophie des
17. Jahrhunderts. Bände 1-4. Basel 1993-2001.
WA Martin Luther, Werke. Kritische Gesamtausgabe (Weimarer
Ausgabe). Band 1-60 [wird fortgesetzt]. Weimar 1883ff.
Zabarella Jacobus Zabarella, Commentarii in III. Aristotelis libros de ani-
ma. Frankfurt 1606. Nachdruck Frankfurt 1966.
Zedler: Großes vollstae ndiges Universal-Lexikon aller Wissenschaften
und Kue nste. Band 1−64. Halle und Leipzig 1732-50. Nachdruck
Graz 1961-64.

Die aristotelischen Werke, Zeitschriften sowie Lexika werden nach ihren gängigen
Abkürzungen zitiert.

Editorische Notiz

Alle Werke werden bei der ersten Nennung mit ihrem vollständigen Titel, ansonsten
gemäß den Angaben der voranstehenden Übersicht zitiert. Bei den Kommentaren wird
dabei die Bekker-Zählung von Aristoteles’ De Anima mit der im 16. und 17. Jh. übli-
chen textus-Angabe nach folgendem Muster kombiniert:
Toletus, III 5, 430a19-25, t. 20, 140vb.

Dies bedeutet: Toletus kommentiert aus De Anima, 3. Buch, 5. Kapitel, den Textab-
schnitt 430a19-25 bzw. nach der alten Zählung den textus 20, Seite 140 verso (Rück-
seite), Spalte b. Bei Disputationssammlungen wird neben der Seitenangabe jeweils
noch die Zahl der Disputation benannt. Rechtschreibfehler wurden stillschweigend
verbessert.

XIII
1. Einleitung

1.1. Der Geist als zentraler Begriff der aristotelischen Philosophie

Tanti est se ipsum cognoscere,


quanti est philosophum esse.1

Die Heraufkunft einer neuen Philosophie und Naturwissenschaft beendete im Verlauf


des 17. Jahrhunderts die lange Vormachtstellung der aristotelischen Philosophie an den
höheren Schulen und Universitäten Europas. Sinnfällig wird diese veränderte Haltung
gegenüber Aristoteles (384-322 v. Ch.) in einem von C. Hellemans angefertigten Por-
trät René Descartes’ (1595-1650), das ihn an einem Tisch sitzend bei der Abfassung
einer Schrift zeigt. Sein rechter Fuß ruht dabei auf einem Buch, auf dem seitlich der
Schriftzug Aristoteles zu lesen ist.2 Angesichts seiner eigenen Äußerungen über das
von ihm verfolgte Philosophie- und Wissenschaftskonzept kann an der Aussage des
Bildes kein Zweifel bestehen: Descartes tritt den Stagiriten mit Füßen.3 Diese Abkehr
von der aristotelischen Tradition markiert einen der entscheidenden Wendepunkte in
der Geschichte der Philosophie.
1
Cesare Cremonini, Lecturæ exordium / Habitum Patavii / VI Kalendas Februarii / MDXCI / quo
is primum tempore / philosophiæ interpres ordinarius eo est profectus, in: Cesare Cremonini, Le Ora-
zioni. A cura di Antonino Poppi. Padua 1998, 12-50, hier: 20.
2
Abgedruckt ohne Jahreszahlangabe in Rainer Specht, René Descartes in Selbstzeugnissen und
Bilddokumenten dargestellt. Hamburg 21980, 48.
3
Deutlich wird dies z. B. an Descartes’ Brief an Marin Mersenne (1588-1648) vom 28.1.1641, in
dem er sich über die Absichten seiner im selben Jahr veröffentlichten Meditationes de prima philo-
sophia äußerte: »… et ie vous diray, entre nous, que ces six Meditations contiennent tous les fonde-
mens de ma Physique. Mais il ne le faut pas dire, s’il vous plaist; car ceux qui favorisent Aristote fe-
roient peutestre plus de difficulté de les approuver; et i’espere que ceux qui les liront,
s’accoûtumeront insensiblement à mes principes, & en reconnoistront la verité avant que de
s’appercevoir qui’ils détruisent ceux d’Aristote.« (Oeuvres de Descartes. Publieés par Charles Adam
& Paul Tannery [zukünftig AT]. 13. Bände. Paris 1897-1913, hier: Bd. III, 297,31-298,7) Was Des-
cartes von den Aristotelikern hielt, verdeutlicht eine Äußerung aus dem Discours de la méthode (Lei-
den 1637): »… et ie m’assure que les plus passionnez de ceux qui suivent maintenant Aristote, se
croyroient hureux, s’ils avoient autant de connoissance de la Nature qu’il en a eu, encore mesme que
ce fust a condition qu’ils n’en auroient iamais davantage.« (Sixième partie, in: AT 6, 70,12-16) Sie
seien wie Efeu, so heißt es nachfolgend, der nie versuche, höher zu steigen als der Baum, der ihn tra-
ge, sondern wieder herunterkomme, wenn er den Wipfel erreicht habe. Auf ähnliche Weise gingen
die Aristoteliker nie über ihr Schulhaupt hinaus, sondern sie machten sich unwissender, als sie es wä-
ren, wenn sie sich überhaupt aller Studien enthalten hätten. Ihre Art zu philosophieren sei sehr be-
quem für Leute mit einem mittelmäßigen Geist, denn die Dunkelheit der Distinktionen und Prinzipi-
en, deren sie sich bedienten, habe zur Folge, daß sie über alles und jedes so kühn daherreden könnten,
als verstünden sie etwas davon. Vgl. ferner a. a. O., Première partie, 4,31-5,3 und 8,18-22.

1
De Anima

Da das Neue im Vergleich zum Alten immer den Vorteil besitzt, als innovativ und
unverbraucht zu gelten, steht in der landläufigen Meinung der Aristotelismus des 16.
und 17. Jh.s im Vergleich zur nova philosophia & scientia auf verlorenem Posten. Er
erscheint als ein rückwärtsgewandtes Philosophieren, das sich nicht den neuen Heraus-
forderungen der Zeit gestellt hat.4 Als klassisches Beispiel gilt die Weigerung des Pa-
duaner Aristotelikers Cremonini (1550-1631), durch das von Galileo Galilei (1564-
1642) entwickelte Fernglas zu schauen, weil er dort astronomische Phänomene wahr-
genommen hätte, die mit der geltenden aristotelischen Kosmologie unvereinbar waren.
Auch die rastlose Reise Giordano Brunos (1548-1600) durch die mehr oder weniger
stark vom Aristotelismus geprägten Städte Lyon, Genf, Paris, Oxford, Wittenberg,
Helmstedt, Padua, Venedig und schließlich Rom, wo ihm von der Hl. Inquisition unter
dem Vorsitz des Jesuiten Robert Bellarmini (1542-1621) – einer der schärfsten, aber
auch brilliantesten Kontrovers-Theologen jener Zeit – der Prozeß gemacht wurde, der
am 17.2.1600 mit dessen Verbrennung auf dem Campo de’ Fiori sein bitteres Ende
fand, erscheint wie ein Abgesang auf die aristotelische Philosophie der katholischen,
lutherischen und calvinistischen Orthodoxie. Gerade dieses Zusammenspiel beider –
wie auch im Falle von Galileis Auseinandersetzung mit der Inquisition in den Jahren
1616 und 1633 – gilt der neueren Zeit als besonders verdammenswert, da hierdurch die
naturwissenschaftlichen Fortschritte gewaltsam unterdrückt worden seien. Eine Be-
schäftigung mit dem Aristotelismus des 16. und 17. Jh.s habe daher, so die allgemeine
Ansicht, allein philosophiehistorischen Wert für ein besseres Verständnis der neueren
philosophischen und wissenschaftlichen Bewegungen, die mit ihrer Betonung der Em-
pirie und der strikten Trennung von Wissenschaft und Theologie einen echten Neuan-
fang gesetzt hätten.
Dieses Bild vom wissenschaftlichen Fortschritt wurde durch Kuhns These, nach der
sich die Wissenschaft in Analogie zur Politik nicht durch kumulative Entwicklungs-
prozesse auszeichne, sondern durch revolutionäre Umwälzungen, »in denen ein älteres
Paradigma ganz oder teilweise durch ein nicht mit ihm vereinbares ersetzt wird«5, zu
einem Gemeinplatz der populärwissenschaftlichen Forschung. Der Untergang des Ari-
stotelismus erschien vor diesem Hintergrund als ein üblicher Paradigmenwechsel, wie
er sich auch in anderen Bereichen der Wissenschaften – sei dies nun die kopernikani-
sche Revolution in der Astronomie, Lavoisiers ‘Entdeckung’ des Sauerstoffs in der
Chemie oder Einsteins Entwicklung der Relativitätstheorie in der Physik – ereignet.
Blumenberg hat dieses Konzept jedoch zu Recht mit der Begründung abgelehnt, daß
jede Diskontinuität das Bestehen einer Kontinuität voraussetze, die durch die These

4
Selbst bei einem Kenner der Materie wie Dominik Perler heißt es noch jüngst: »In ihrem Bemü-
hen, Aristoteles und vergangene Aristoteliker zu verstehen, vernachlässigen die Scholastiker die Be-
schäftigung mit aktuellen Problemen. Sie verharren in der Vergangenheit.« (René Descartes. Mün-
chen 1998, 14)
5
Thomas S. Kuhn, Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen. Zweite revidierte und um das
Postskriptum von 1969 ergänzte Auflage. Frankfurt am Main (11973) 1976, 104.

2
Einleitung

von einer wissenschaftlichen Revolution vernachlässigt werde. Er bevorzuge daher die


»Vorstellung der ‘Umbesetzung’ eines intakt bleibenden und funktional vorausgesetz-
ten Stellenrahmens, der partielle Veränderungen nicht nur ‘erträglich’, sondern vor al-
lem ‘plausibel’ macht«6. Der Fortschritt der Wissenschaften ereigne sich in der Form
einer Genesis und nicht als Revolution, die vergessen mache, daß der epistemologische
Wandel nur auf der Grundlage einer allgemein akzeptierten Lehre möglich sei. Auch
verdecke sie, daß die Neuerungen nicht über alle Zweifel erhaben seien. Dies belege
gerade die Kontroverse um Galileis Fernrohr, das nach den Beschreibungen zu Ver-
doppelungen und Verzerrungen der astronomischen Phänomene geführt habe, so daß
Cremonini seine Weigerung, durch das Fernrohr zu schauen, gut damit habe begründen
können, daß er seinen Kopf nicht habe verwirren wollen.7 Vor diesem Hintergrund
werde man »stutzig, ob wir nicht von den Leugnern der Jupitermonde, den Verweige-
rern des Fernrohrdurchblicks, in der Wissenschaftsgeschichte mit den von Galilei ge-
prägten Formeln ein allzu bestimmtes Bild der Inferiorität hingenommen haben«8.
Diese Ansicht vom wesenhaft genetischen Charakter des wissenschaftlichen Fort-
schritts setzt sich in der neueren Forschung immer mehr durch. Damit einhergehend
kam es seit Charles B. Schmitts entsprechender Forderung aus dem Jahre 19739 zu ei-
ner Neubewertung des Renaissance-Aristotelismus, der nun nicht mehr ausschließlich
als Verfallsphänomen in den Blick gerät, sondern als Teil des wissenschaflichen und
philosophischen Wandels. So hat die Rede von einer wissenschaftlichen Revolution für
die Historiker heutigentags bestenfalls noch einen »heuristischen Wert«10, wie Leijen-
6
Hans Blumenberg, Die Genesis der kopernikanischen Welt. Frankfurt am Main 31996 (11981),
hier: Vierter Teil, IV. Abschnitt, 596.
7
Vgl. hierzu auch Heinrich C. Kuhn, Venetischer Aristotelismus im Ende der aristotelischen Welt.
Aspekte der Welt und des Denkens des Cesare Cremonini (1550-1631). Frankfurt am Main 1996,
394ff.
8
Hans Blumenberg, Genesis, Sechster Teil, III. Abschnitt, 766. Zur Auseinandersetzung um die
alte und neue Kosmologie vgl. ausführlich Michael Weichenhan, »Ergo perit coelum …« Die Super-
nova des Jahres 1572 und die Überwindung der aristotelischen Kosmologie. Wiesbaden 2004.
9
Vgl. Charles B. Schmitt, Towards a Reassessment of Renaissance-Aristotelianism (1973), in:
Ders., Studies in Renaissance Philosophy and Science. London 1981, Text VI, 159-193 (Originalpa-
ginierung), hier: 159: »One of the tasks of the intellectual historian … is constantly to re-assess and to
evaluate anew the judgements of earlier historians. Not only does new documentation come to light,
and new methods of analysis and synthesis are developed, but our perspective on the past is constant-
ly changing … I would like to focus upon a single issue and attempt to show that we are now approa-
ching the stage where Renaissance Aristotelianism must be seen in a new light.«
10
Cees Leijenhorst & Christoph Lüthy, The Erosion of Aristotelianism. Confessional Physics in
Early Modern Germany and the Dutch Republic, in: The Dynamics of Aristotelian Natural Philo-
sophy from Antiquity to the Seventeenth Century. Edited by Cees Leijenhorst u. a. Leiden u. a. 2002,
375-411, hier: 375: »… the unresolved debate over the possible essence and chronology of the so-
called Scientific Revolution has produced, among most historians of science, a belief that this concept
has at best an heuristic value, but is not overly helpful as a characterisation of the protracted and tor-
tuous birth of the modern scientific disciplines.« – Alle Übersetzungen ins Deutsche stammen, soweit
nicht anders vermerkt, vom Verfasser.

3
De Anima

horst und Lüthy feststellen. Statt einer scharfen Entgegensetzung von Renaissance-
Aristotelismus und Neuer Wissenschaft fordern beide deshalb in der Nachfolge Blu-
menbergs Interpretationsmodelle, die mehr dialektisch angelegt sind und den evolutio-
nären, statt revolutionären Charakter der nova scientia betonen. In den Mittelpunkt der
Forschungen rückt daher immer stärker das Bemühen, das Werden dieser Neuen Wis-
senschaft und Philosophie aus diesem Aristotelismus – und zwar in seiner ganzen Viel-
falt – heraus aufzuzeigen, wie dies zunehmend für Galilei und Descartes geschieht11.
Nur auf diese Weise läßt sich überhaupt die Eigenart der Neuen Wissenschaft ange-
messen beschreiben. Das Verständnis des Neuen muß also parallel laufen mit einem
solchen des Alten, dann zeigt sich der fließende Übergang von einem System ins ande-
re. So unterscheidet Wallace bei Galilei zwei Stufen eines Wissenschaftskonzepts:
»… during the first stage Galileo essentially pursued a progressive Aristotelianism, somewhat
tempered by his rejection of reactionary teachings with which he came in contact; and … du-
ring the second stage, which was dominated by his rhetorical and polemical concerns, he turned
the knowledge he had gained against a conservative Aristotelianism that was being used to
maintain a philosophical and theological status quo.«12

Die nova scientia entsteht also nicht aufgrund eines imaginierten Neuanfangs auf an-
geblich leergefegter Tenne (so sehr Descartes dieses Bild auch bemühte13), sondern in
einer klaren Absetzbewegung von einer bestimmten Form des Aristotelismus.
11
Bereits 1940 hat John Herman Randall auf die inhaltlichen Einflüsse des Aristotelismus auf Ga-
lilei insbesondere im Bereich der Methodik aufmerksam gemacht (vgl. The Development of Scienti-
fic Method in the School of Padua, in: Journal of the History of Ideas 1 (1940), 177-206. Erneut ab-
gedruckt in: Ders., The School of Padua and the Emergence of Modern Science. Padua 1961). Ran-
dall konnte dabei auf die bloße Tatsache zurückgreifen, daß Galilei von 1587-1589 am Collegium
Romanum der Jesuiten sowie von 1592-1610 in Padua, der Hochburg des säkularen Aristotelismus,
Mathematik gelehrt hat und somit mit dem zeitgenössischen Aristotelismus vertraut war. Diesen Hin-
tergrund aufzuhellen, bildet nunmehr einen Schwerpunkt der Galilei-Forschung. Vgl. hierzu William
A. Wallace, Galileo and His Sources. The Heritage of the Collegio Romano in Galileo’s Science.
Princeton 1984. William R. Shea and Mariano Artigas, Galileo in Rome. The Rise and Fall of a
Troublesome Genius. Oxford 2003. Nicht anders verhält sich die Sache bei Descartes. Durch die von
1607-1615 erfolgte Ausbildung am Collège Royal in La Flèche der Jesuiten war auch er mit dem Ari-
stotelismus der Zeit vertraut. Abseits seiner stilisierten Mißachtung des Aristotelismus (vgl. hierzu
Anm. 3) hielt er dieses College noch 1638 für den besten Ort zum Erlernen der Philosophie: »Et ie
dois rendre cét honneur à mes Maistres, que de dire qu’il n’y a lieu au monde, où ie iuge qu’elle
s’enseigne mieux qu’à la Fléche.« (Brief vom 12. September 1638 an M. le Roy in: AT 2, 378,13-16)
Vgl. hierzu Roger Ariew and Marjorie Grene (Ed.), Descartes and his Contemporaries. Meditations,
Objections, and Replies. Chicago 1995. Dennis Des Chene, Physiologia. Natural Philosophy in Late
Aristotelian and Cartesian Thought. Ithaca 1996. Roger Ariew, Descartes and the last Scholastics.
Ithaca 1999. C. F. Fowler, Descartes on the Human Soul. Philosophy and the Demands of Christian
Doctrine. Dordrecht 1999. Dennis Des Chene, Life’s Form. Late Aristotelian Conceptions of the
Soul. Ithaca 2000. Ders., Spirits and Clocks. Machine and Organism in Descartes. Ithaca 2001.
12
William A. Wallace, Aristotelian Influence on Galileo’s Thought, in: Aristotelismo Veneto e
Scienza Moderna. Ed. Luigi Olivieri. Vol. 1. Padua 1983, 349-378, hier: 350.
13
Vgl. hierzu Descartes, Regulae ad directionem ingenii, hier: Regula III, in: AT 10, 366,10-
368,12.

4
Einleitung

Diese Erkenntnis, daß das Studium des Renaissance-Aristotelismus unverzichtbar ist


für das Verstehen der novatores14, dient hier als Ausgangsbasis für eine weitere Dar-
stellung dieses Aristotelismus, in der jedoch nicht wie üblich nach seinem Einfluß auf
die Neue Naturwissenschaft und Philosophie gefragt wird, sondern danach, was eigent-
lich mit dem Ende seiner Vormachtstellung verlorengegangen ist, was also im neuen
System nicht überlebt hat. Damit wird dem Sachverhalt Rechnung getragen, daß trotz
der postulierten Kontinuität der Wissenschafts- und Philosophiegeschichte natürlich
Brüche zwischen dem Neuen und Alten bestehen, die nicht vernachlässigt werden dür-
fen. Die vorliegende Arbeit ist dabei Teil eines größeren Projektes zur Philosophiege-
schichte, in dem dieser Verlust im Verlauf des Übergangs von der aristotelischen Phi-
losophie des Geistes zur cartesischen Philosophie der Subjektivität aufgezeigt werden
soll. Was es mit diesem Programm auf sich hat, soll die nachfolgende schematische
Übersicht in einem ersten Umriß verdeutlichen:
1. Die Philosophie des Geistes kritisiert jeglichen Leib-Seele-Dualismus, geht stattdes-
sen von der Einheit beider aus, indem sie die Seele als Seins- und Wirkprinzip des
Körpers und seiner Organe bestimmt. Dies bedeutet zum einen, daß sie ihn, insofern er
zunächst bloße Materie (u(/lh, materia) ist, als Form (ei)=doj, forma) in seinem Da-sein
konstituiert und sich mit ihm als eins (e(/n) zu einem individuellen Lebewesen vereint.
Zum andern sichert sie dessen Lebensvollzug, indem sie alle seine Funktionen wie
Wachstum, Ernährung, Wahrnehmung und Denken bewirkt und so das Lebewesen in
seiner Vollkommenheit (e)ntele/xeia, perfectio) hält. Hierfür ist sie mit verschiedenen
Vermögen ausgestattet, deren höchstes beim Menschen der Geist (nou=j, intellectus15)
14
So auch Dennis Des Chene, Life’s Form, 4: »The study of late Aristotelianism is then indispen-
sable to understanding the novatores.«
15
Gemeinhin wird der aristotelische Begriff nou=j mit Vernunft, Verstand oder Einsicht übersetzt
(vgl. hierzu die Äußerungen von Rapp/Horn im Art. Vernunft; Verstand, Abschnitt II in: HWPh 11
(2001), 748-863, hier: 750-64). So hat auch Seidl Theilers ursprüngliche Übersetzung des Begriffs
mit Geist z. B. in De An. III 4, 429a22 (vgl. Aristoteles, Über die Seele. Übersetzt von Willy Theiler.
In: Werke in deutscher Übersetzung. Begründet von Ernst Grumach. Herausgegeben von Hellmut
Flashar. Band 13. Berlin (11959) 71986, 57) rückgängig gemacht und dafür Vernunft eingesetzt (vgl.
Aristoteles, Über die Seele. Mit Einleitung, Übersetzung (nach W. Theiler) und Kommentar heraus-
gegeben von Horst Seidl. Griechischer Text in der Edition von Wilhelm Biehl und Otto Apelt. Ham-
burg 1995, 167). Dies ist aber sowohl im Blick auf die griechische als auch lateinische Tradition (vgl.
hierzu die Texte von Enders, Speer und Leinkauf zum Artikel Vernunft; Verstand, Absch. III und IV
in: HWPh 11 (2001), 764-809) irreführend, denn an der Wurzel der deutschen philosophischen Be-
grifflichkeit im frühen 17. Jh. ist Vernunft die Übersetzung von ratio bzw. dia/noia, während Ver-
stand für intellectus & mens bzw. nou=j steht, wie das folgende Zitat von Georg Gutke (1589-1634)
aus seiner Logik verdeutlicht: »Logica est habitus intellectualis instrumentalis, mentis nostræ discur-
sum informans, ut ipsa verum à falso possit discernere. Logikh/ e)stin e(/cij nohtikh\ o)rganikh\, th\n
tou= nou= h(mete/rou dia/noian diamorfou=sa w(/j ta)lhqe\j, kai\ to\ yeu=doj a)kribw=j kai\ safw=j
diakri=nai oi(/an te ei)=nai. Germanicè ita. Die Logica ist eine Fertigkeit unsers Verstandes / oder un-
serer vernue nfftigen Reden / die man alß ein instrument oder Werckzeug gebraucht / die unsers Ver-
standes vernue nfftige Reden also vollkommen macht / das gedachter Verstand die Warheit (das ist /
alle discursen in allen faculteten) gar foe rmlich / und auß gewissen grue nden desto leichter schliessen
koe nne.« (Logicæ divinæ, seu peripateticæ, ad rectæ rationis principia in abstractione Entis ut vocant,

5
De Anima

ist. Die Philosophie der Subjektivität vertritt dagegen einen scharfen Leib-Seele-
Dualismus mit der substantiellen Trennung beider als res extensa und res cogitans
(bzw. anima, mens & intellectus16), deren Interaktion und Form der Einheit bzw. des
Einssein unklar bleibt. Ryle spricht deshalb bei Descartes polemisch vom »‘dogma of
the Ghost in the Machine’«17.
2. In der Philosophie des Geistes ist das Wahrnehmen immer das Wahrnehmen von
etwas, das Denken immer das Denken von etwas. Dieses Gerichtetsein auf … zeigt das
Schon-immer-Sein bei einem Gegenstand an. Nur diese Intentionalität ermöglicht auch
das Erwerben von Wissen. Dabei hat sich der Geist im Denken an das zu Denkende
anzugleichen (assimilatio scientis ad scitum), das in der theoria als ens necessarium
dessen Verfügbarkeit vorausliegt. In der Philosophie der Subjektivität gibt es dagegen
keine solche Intentionalität des Denkens, denn dort kommen alle geistigen Regungen
in der Unmittelbarkeit der Selbstwahrnehmung überein: Ich bin es, der will, der sich
etwas vorstellt, denkt oder fühlt.18 Folglich kann nichts in mir sein, dessen ich mir nicht
bewußt bin.

_________________________________________________________________________________________________________

revocatæ, et in synopsin in usum tironum redactæ, libri duo. Köln (an der Spree) 1631, hier: Præco-
gnita, nr. III, 3f.) Diese Überordnung des Verstandes über die Vernunft liegt gemäß An. Post. II 19 in
seiner Funktion als Vermögen der Prinzipienerkenntnis begründet, wie weiter unten deutlich werden
wird. Dem Denken der Frühen Neuzeit entsprechend wären also Verstand & Verstehen die angemes-
sene Übersetzung für nou=j & noei=n. Der Nachteil dieser Begrifflichkeit besteht jedoch darin, daß
zum einen der Begriff Verstand seit Kant nicht mehr das oberste Vermögen bezeichnet, sondern der
Vernunft untergeordnet worden ist und zum andern die Diskussionen um den nou=j paqhtiko/j &
poihtiko/j (intellectus possibilis & agens) in De An. III 4 und 5 eine epistemologische und ontologi-
sche Dimension haben, die im Deutschen vom Begriff Verstand nicht umfaßt wird. Es geht hierbei
um das Denken (to\ noei=n, De An. III 4, 429a13) in seiner allgemeinsten (vgl. 429a10f.: ginwskei=n &
fronei=n) und zugleich speziellsten Form (vgl. An. Post. II 19, 100b15: der nou=j als e)pisth/mhj
a)rxh/), und es geht um den intellectus agens, der von einigen Autoren mit Gott gleichgesetzt wird.
Gott ist aber nicht Verstand, sondern Geist. Der Verfasser hält daher die Übersetzung von nou=j mit
Geist trotz der damit einhergehenden Überschneidungen mit dem theologischen und medizinischen
Gebrauch dieses Begriffs (für pneu=ma bzw. spiritus) insgesamt am geeignetsten zur Beschreibung
dessen, worum es Aristoteles hierbei ging. Vgl. auch die Überlegungen von Werner Beierwaltes zur
Übersetzung von Plotins Bestimmung des nou=j mit Geist in: Das wahre Selbst. Studien zu Plotins
Begriff des Geistes und des Einen. Frankfurt am Main 2001, 17f.
16
Vgl. Descartes, Meditationes de prima philosophia, in qua Dei existentia et animæ immortalitas
demonstratur (Paris 1641), hier: Med. II, in: AT VII, 27,13-17: »sum igitur praecise tantùm res cogi-
tans, id est, mens, sive animus, sive intellectus, sive ratio, voces mihi priùs significationis ignotae.
Sum autem res vera, & vere existens; sed qualis res? Dixi, cogitans.« Weiter unten heißt es: »Sed
quid igitur sum? Res cogitans. Quid est hoc? Nempe dubitans, intelligens, affirmans, negans, volens,
nolens, imaginans quoque, & sentiens.« (A. a. O., 28,20-22) Res cogitans, mens & intellectus werden
also unterschiedslos verwendet.
17
Gilbert Ryle, Concept of Mind. London 1963 (11949), 15.
18
Descartes, Principia Philosophiæ (Amsterdam 1644), hier: I 9, in: AT 8,1, 7,20-23: »Cogitatio-
nes nomine, intelligo illa omnia, quæ nobis consciis in nobis fiunt, quatenus eorum in nobis conscien-
ta est. Atque ita non modò intelligere, velle, imaginari, sed etiam sentire, idem est hîc quod cogitare.«

6
Einleitung

3. Sofern der menschliche Geist für Aristoteles über keine angeborenen Kenntnisse
verfügt, ist er zu Beginn seines je individuellen Lebens einer tabula rasa (vgl. De An.
III 4, 429b29-430a2) vergleichbar, einer unbeschriebenen Tafel, die mit allem mögli-
chen beschrieben werden kann. Auf ähnliche Weise muß der Geist alles lernen, um
Wissen zu erwerben. Das Ziel einer jeden klassischen Philosophie – die Realisierung
der Forderung des delphischen Orakels nach dem ‘gnw=qi seauto/n’ (‘Erkenne dich
selbst’)19 – geschieht daher in der Philosophie des Geistes nur durch einen auf einen
anderen (äußeren) Gegenstand gerichteten Erkenntnisakt, in dem sich der Geist gleich-
sam nebenher als der Erkennende erkennt. Locus classicus für diese Ansicht ist De An.
III 4, 429b9.20 In der Philosophie der Subjektivität geschieht die Selbsterkenntnis da-
gegen unmittelbar aus dem cogito heraus: »Das Denken ist es; es allein kann nicht von
mir abgetrennt werden.«21 Dem Geist ist also nichts gegenwärtiger als er sich selbst22,
und weil vom Bewußtsein her das Sein erschlossen wird, ist dieses cogito zugleich das
fundamentum inconcussum der Gewißheit für die eigene Existenz: ‘cogito, ergo sum’.
In dieser Folgerung vom Denken auf die Existenz erkennt Maclean zu Recht »[an] ap-
parent mixture of ontology and epistemology«23, denn das Denken sei nicht der Grund

19
Der jüdische Arzt und Philosoph Isaak ben Salomon Israeli (im 9. Jh.) hat diese Bestimmung der
Philosophie in seiner 1140 ins Lateinische übersetzten Schrift Liber de definicionibus auf die kurze
Formel gebracht: »Philosophiae vero descripcio ex scientia sua est quod philosophia est cognicio ho-
minis sui ipsius …« Zitiert nach Theodor W. Köhler, Grundlagen des philosophisch-
anthropologischen Diskurses im dreizehnten Jahrhundert. Die Erkenntnisbemühungen um den Men-
schen im zeitgenössischen Verständnis. Leiden u. a. 2000, 59. Köhler hat in dieser voluminösen Stu-
die die immense Bedeutung dieser Definition für die Scholastik aufgezeigt (vgl. a. a. O., 441ff.). Be-
kanntlich hat auch noch Hegel seine Philosophie des Geistes unter dieses Motto gestellt: »Die Er-
kenntnis des Geistes ist die konkreteste, darum höchste und schwerste. Erkenne dich selbst, dies abso-
lute Gebot hat weder an sich noch da, wo es geschichtlich ausgesprochen vorkommt, die Bedeutung
nur einer Selbsterkenntnis nach den partikulären Fähigkeiten, Charakter, Neigungen und Schwächen
des Individuums, sondern die Bedeutung der Erkenntnis des Wahrhaften des Menschen wie des
Wahrhaften an und für sich, – des Wesens selbst als Geistes.« (Enzyklopädie der philosophischen
Wissenschaften im Grundrisse (1830). Dritter Teil. Die Philosophie des Geistes. Mit den mündlichen
Zusätzen, in: Ders., Werke in zwanzig Bänden. Frankfurt am Main 1986, hier: Bd. 10, hier: § 377, 9)
20
Vgl. Aristoteles, De Anima. Recognovit brevique adnotatione instruxit W. D. Ross. Oxford
1956, hier: III 4, 429b9: »… kai\ au)to\j [sc. nou=j] de\ au(to\n to/te du/natei noei=n.« / »… und dann
vermag er [sc. der Geist] auch sich selbst zu erkennen.« Theiler übersetzt hier mißverständlich mit:
»… und dann vermag er aus sich heraus zu denken.« (Aristoteles, Über die Seele, 58) In diesem Zu-
sammenhang geht es aber nicht um die Eigenmächtigkeit des nou=j, sondern um seine Selbstwahr-
nehmung im Denken eines anderen. – Vgl. ferner De An. III 7, 431a14-17 und III 4, 430a3-7.
21
Descartes, Med. II, in: AT VII, 27,8: »cogitatio est; hæc sola a me divelli nequit.«
22
Vgl. a. a. O., 34,5f.: »… aperte cognosco nihil facilius aut evidentius meâ mente posse a me per-
cipi.« Vgl. Ders., Principia Philosophiæ I 11, in: AT 8,1, 8,17-19: »Jam verò ut sciatur, mentem no-
stram non modò priùs & certiùs, sed etiam evidentiùs quàm corpus cognosci …«
23
Ian Maclean, Language in the mind: reflexive thinking in the late Renaissance, in: Philosophy in
the Sixteenth and Seventeenth Centuries. Conversations with Aristotle. Edited by Constance Black-
well and Sachiko Kusukawa. Aldershot 1999, 296-321, hier: 298.

7
De Anima

des Seins. Durch Descartes’ Umkehrung dieses Verhältnisses werde das cogito gleich-
sam zeit- und daseinslos24, weil es jeder sinnlichen Vermittlung über ein außerhalb des
Denken Seiendes ‘schon immer’ vorausliege: Das cogito muß nicht erst als Wissen
erworben werden, das notwendig in der Zeit erfolgt, sondern ist die epistemologische
Basis für jedes nachfolgende Wissen.
4. In der Philosophie des Geistes verläuft der Bildungsprozeß des Einzelnen nicht in
sich gekrümmt, sondern in der Interaktion mit anderen. Der Wissenserwerb ist nie ein
solipsistisches Unternehmen, das einer aus sich selbst heraus vollzieht, sondern ein in-
tersubjektives, in dem jeder zur Wissens- und damit Wahrheitsfindung etwas beiträgt.
Die Philosophie des Geistes ist dergestalt aus dem Geist für den Geist, wie in hegel-
scher Terminologie, aber im aristotelischen Sinne gesagt werden kann. Sie ist wesent-
lich Dialog, kein Monolog eines Einzelnen, wie wir ihn in Descartes’ Meditationes de
prima philosophia finden, der ohne Interaktion mit seinen Mitmenschen bleibt. Das
cogito ist dergestalt »outside language«25, wie Maclean betont, sofern es keine Interak-
tion mit anderen voraussetzt, oder es verfügt über eine Privatsprache, die mit nieman-
dem geteilt werden kann, da sie absolut selbstreferentiell ist. Kenny nennt dieses Phä-
nomen »the cartesian privacy«26. Diese Privatheit ist für Maclean wiederum der Grund,
weshalb Descartes der Theorie von den angeborenen Ideen bedarf, »which calls into
question the primacy of the cogito«27, da das Wissen als Wissen anders nicht sicherge-
stellt werden könne.
5. Die Philosophie des Geistes zeichnet sich schließlich durch eine Immanenz und
Transzendenz des menschlichen Geistes aus. Immanenz meint dabei den innerweltli-
chen Bereich, das Sein in dieser Welt der vor- und zuhandenen Dinge. Zugleich aber
ist dieser menschliche Geist über diese Welt hinaus, sofern er im Durchdenken dieser
Welt Anteil gewinnt am Denken Gottes, ja ein Wissen vom Denken Gottes erreicht. In
der Philosophie des Geistes ereignet sich also sein Gott-ähnlich-Werden, so daß wie-
derum in hegelscher Terminologie gesagt werden kann: Der (göttliche) Geist ist nur
für den (menschlichen) Geist. In der Philosophie der Subjektivität findet sich eine sol-
che sachliche und begriffliche Zusammenführung beider nicht.

24
Vgl. a. a. O., 299: »… for Descartes the human subject is said to know itself immediately in two
senses: in time, and in being simultaneously the object and subject of its own enquiry. This leads to
the following problem: the present-to-itself subject actively thinks itself and of itself outside time …«
25
Ebd.
26
Anthony Kenny, Cartesian Privacy, in: The Anatomy of the Soul. Historical Essays in the Philo-
sophy of Mind. Bristol 1973, 113-128, hier: 119: »The introduction of cogitatio as the defining cha-
racteristic of mind is tantamount to the substitution of privacy for rationality as the mark of the men-
tal.«
27
Ian Maclean, Language, 299. Maclean verweist hierfür auf folgende Äußerung Descartes’: »Sed
omnino sufficit ut id sciat cogitatione illa interna, quæ reflexam semper antecedit, & quæ omnibus
hominibus de cogitatione et existentia ita innata est, ut, quamvis forte præjudiciis obruti, & ad verba
magis quàm ad verborum significationes attenti, fingere possimus nos illam non habere, non possi-
mus tamen revera non habere.« (Responsio ad sextas objectiones, in: AT VII, 422,12-18)

8
Einleitung

Um die Frage nach dem Verhältnis dieser beiden Weisen der Selbstrealisierung des
menschlichen Geistes bzw. Bewußtseins klären zu können, bedarf es umfangreicher
Vorarbeiten, die mit dem Aufweis des Bestehens einer Philosophie des Geistes im Re-
naissance-Aristotelismus des 16. und 17. Jh.s beginnen müssen. Einen ersten Einstieg
hierfür bietet die vorliegende Arbeit zur Rezeption der aristotelischen Psychologie.
Bevor dies im einzelnen näher ausgeführt werden soll, ist zunächst zu verdeutlichen,
daß es sich hier um ein originär aristotelisches Konzept handelt, ja daß der Stagirite zu
Recht als der Begründer einer Philosophie des Geistes gelten kann, welche die Diszi-
plinen der Logik, Psychologie und Metaphysik umfaßt.
1. In der Schrift Analytica posteriora II 19, 100b12 bestimmte Aristoteles die Funktion
des nou=j im Wissenschaftsgefüge als Prinzipienerkenntnis, welche die Grundlage alles
Wissens sei (e)pisth/mhj a)rxh/, 100b15). Sofern es nämlich keinen progressus ad infini-
tum des Wissens geben dürfe, müßten die Prinzipien des Wissens erkannt werden. Erst
das Zusammen von e)pisth/mh & nou=j sichert also für Aristoteles das Wissen als Wis-
sen.
2. In der Nikomachischen Ethik wie auch in der Metaphysik werden Gott und der
Mensch im Begriff des Geistes zusammengeführt. Zunächst wird der nou=j neben der
te/xnh, e)pisth/mh, fro/nhsij & sofi/a als einer der fünf Haltungen (e(/ceij) der Seele be-
stimmt (vgl. EN VI 3, 1139b16f.). Nachfolgend wird er wie in An. post. als ein Vermö-
gen zur Prinzipienerkenntnis definiert (vgl. VI 6, 1140b31-1141a8). Sofern nun diese
Prinzipien bei Aristoteles das höchste Erkenntnisobjekt sind, erhält der nou=j im Men-
schen den obersten Rang (vgl. X 7, 1177a20f.), ist die eu)daimoni/a – die Glückseligkeit
als das Telos des Menschen, die nichts anderes ist als das Tätigsein der Seele gemäß
der vorzüglichsten und vollkommensten Auszeichnung (vgl. I 7, 1098a16f.) – in ihrer
höchsten Ausprägung ein Leben gemäß dem nou=j. Da aber dieses Leben im Geist eine
vollkommene Autarkie erfordert, in der das reine Denken des Denkens (no/hsij
noh/sewj, Met. XII 9, 1074b34) erfolgt, ist dem Menschen ein solches Leben nur vorü-
bergehend möglich, und auch nur dann, wenn etwas Göttliches in ihm wohnt. In der
partiellen geistigen Schau (h( qewri/a) als Tätigsein der Seele nähert sich der Mensch
also dem Göttlichen an; gleichzeitig bestimmt sie aber die unübersteigbare Differenz
zwischen dem göttlichen und menschlichen Geist: Jener befindet sich immer im Zu-
stand der qewri/a als der ihm allein angemessene Tätigkeit (nou= e)ne/rgeia, Met. XII 7,
1072b27), und sie ist an sich selbst vollkommenes und ewiges Leben. Dem Menschen
ist dagegen ‘nur’ ein Leben gemäß dem Geiste – o( kata\ to\n nou=n bi/oj – möglich.
Aber auch dieses Leben ist, wie selten es auch statthat, etwas Göttliches, kommt doch
in ihm die Transzendenz des Menschen, sein Streben nach dem Höchsten deutlich zum
Vorschein (vgl. EN X 7, 1177b26-1178a8).
3. Am umfänglichsten hat Aristoteles den Begriff des nou=j in De Anima28 III 4 und 5

28
Noch Hegel hat diese Schrift als »das vorzüglichste oder einzige Werk von spekulativem Inter-
esse über diesen Gegenstand« (Enzyklopädie III, in: Werke, Bd. 10, § 378, 11.) gelobt. Der wesentli-

9
De Anima

thematisiert. Er bestimmt ihn dort zunächst als das oberste Vermögen der menschli-
chen Seele, dessen Operation das noei=n ist, welches das nohto/n, das Denkbare, erkennt
(vgl. III 4, 429a10f.). Nachfolgend unterscheidet er zwischen einem nou=j paqhtiko/j,
der alles wird, und einem nou=j poihtiko/j, der alles macht (vgl. III 5, 430a14ff.). Die-
sem kommen neben den beiden gemeinsamen Attributen ‘abgetrennt’ (xwristo/j),
‘inaffiziert’ (a)paqe/j) und ‘unvermischt’ (a)migh/j) auch noch die Auszeichnungen ‘un-
sterblich’ (a)qa/natoj) und ‘ewig’ (a)i+/dioj) zu.
In einem zweiten Schritt kann nun gezeigt werden, daß diese Philosophie des Gei-
stes, insbesondere die Noetik aus De An. III 4 und 5, nicht nur »im Mittelpunkt des ari-
stotelischen ‘Systems’ (stand), sondern überhaupt die mit höchster Intensität, größter
Konstanz und unterschiedlichsten Ergebnissen rezipierte philosophische Theorie«29 ist.
Denn seit Theophrast (372/69-288/7 v. Ch.), einem unmittelbaren Schüler des Aristote-
les, war diese Geistphilosophie über die antiken Autoren Alexander von Aphrodisias
(2./3. Jh. n. Ch.), Themistius (ca. 317-388) und Simplicius (ca. 5./6. Jh.), über die Ara-
ber Avicenna (980-1037) und Averroes (1126-1198), die Scholastiker des Mittelalters
Albertus Magnus (um 1200-1280), Thomas von Aquin (1124-1274) und Wilhelm von
Ockham (ca. 1285-1349), um nur diese zu nennen, bis ins 16./17. Jh. hinein Gegen-
stand der heftigsten inneraristotelischen Auseinandersetzungen. Die These der vorlie-
genden Arbeit ist nun, daß sich gerade am Ende dieser langen Tradition im 16./17. Jh.
eine neue Qualität dieser Geistphilosophie ausbildete, die mit vollem Recht Philo-
sophia mentis genannt zu werden verdient. Denn neben den gängigen Disziplinen der
Logik, Metaphysik und Psychologie, in denen dieser Begriff thematisiert wurde30, eta-
blierte sich eine neue Disziplin mit dem Namen Intelligentia bzw. Noologia. Ferner
verstand man alle genannten Wissenschaften als verschiedene Haltungen des mensch-
lichen Geistes (habitus intellectuales animæ). Erst diese Habitualisierung führte zu ih-
rer Sammlung im Begriff des Geistes, wie die nachfolgende kurze Übersicht verdeut-
licht:
1. Die Logik wird beim Paduaner Jacobus Zabarella (1533-1589), beim Wittenberger
Jacob Martini (1570-1649) und seinem Schüler und späteren Rektor des Gymnasiums
zum Grauen Kloster in Berlin Georg Gutke als habitus instrumentalis intellectualis
definiert, als eine qualitative Bestimmung des menschlichen Geistes, durch die er in
die Lage versetzt wird, das Wahre vom Falschen zu unterscheiden.31 Hierfür bildet er
_________________________________________________________________________________________________________

che Zweck einer Philosophie des Geistes könne nur der sein, den Begriff in die Erkenntnis des Gei-
stes wieder einzuführen und damit den Sinn jener aristotelischen Bücher neu aufzuschließen.
29
Andreas Kamp, Philosophiehistorie als Rezeptionsgeschichte. Die Reaktion auf Aristoteles’ De
Anima-Noetik. Der frühe Hellenismus. Amsterdam 2001, 12.
30
Selbst in der Ethik wurde gemäß EN VI 7-13 die Frage diskutiert, ob dem theoretischen oder
praktischen Lebensvollzug der Vorrang gebühre: Ist ein Leben kata\ to\n nou=n höher zu schätzen als
eines kata\ th\n fro/nhsin?
31
Vgl. Jacobus Zabarella, De natura Logicæ libri duo, in: Opera Logica. Köln 1597 (Nachdruck
Hildesheim 1966), hier: lib. I, c. 20, 52B-C: »est enim logica habitus intellectualis instrumentalis, seu

10
Einleitung

sich als ein Hilfsmittel die sogenannten Begriffe zweiter Ordnung (secundæ notiones)
wie genus, species, nomen, verbum, conceptus, enunciatio & ratiocinatio etc., um mit
ihrer Hilfe eine (vollkommenere) Erkenntnis der Dinge zu erreichen, die ihm ansonsten
aufgrund seiner eigenen Schwäche – infirmitas mentis – nur unvollkommen gelänge
oder gänzlich versagt bliebe. Das mentem informare ist so die spezifische Eigenschaft
der Logik, die (Selbst-) Bildung des Geistes. Daneben kommt der (heidnischen) Logik
des Aristoteles aber noch die Auszeichnung als »Logik Gottes«32 zu, wie es bei Gutke
heißt. Damit gab er zu erkennen, daß sich Gott in seinem reinen Denken, wie es die Hl.
Schrift bekundet, dieser idealen Logik bedient hat. Gleichwohl bleibt diese Logik von
der menschlichen Logik sachlich und begrifflich unterschieden: Ein Verstehen der Tri-
nität ist nur supra rationem möglich und erfordert eine andere Begrifflichkeit, den con-
ceptus transcendentalis.
2. Die Metaphysik wird bei Martini und Gutke im Rekurs auf EN VI 7, 1141b2f. als
habitus sapientiæ (sofi/a) bestimmt, der wiederum in sich die beiden habituellen Be-
stimmungen scientia (e)pisth/mh) & intellectus (nou=j) vereinigt.33 Die scientia ist eine
Haltung, in der man die Ursachen der res necessariæ weiß, und der intellectus (in sei-
ner engen Bedeutung) eine Haltung, in der man die ersten Prinzipien dieser Dinge
kennt. Die Erkenntnis der Wissenschaft gründet also in den Prinzipien dieser Erkennt-
nis, die mithilfe des intellectus ermittelt werden. Die Metaphysik als sapientia ist da-
mit, so Gutke, »die Vollkommenheit des [menschlichen] Geistes«34, da er nun die Prin-
zipien und Ursachen einer Sache benennen kann. Sofern nun aber, und dies ist der Hö-
hepunkt von Gutkes spekulativer Philosophie, die höchste aller Vollkommenheiten in
Gott ist, muß die höchste und geistige Metaphysik in ihm sein, und diese Metaphysik
_________________________________________________________________________________________________________

disciplina instrumentalis à Philosophis ex Philosophiæ habitu genita, quæ secundæ notiones in con-
ceptibus rerum fingit, & fabricat, ut sint instrumenta, quibus in omni re verum cognoscatur, & à falso
discernatur.« Jacob Martini, Institutionum logicarum libri VII. Wittenberg 1610, hier: Proœmium, c.
I, 1: »Logica est habitus intellectus Organicus mentis nostræ discursum informans, ut ipsa verum à
falso accuratè discernere possit.« Zu Gutke vgl. Anm. 15.
32
Gutke, Habitus primorum principiorum, seu Intelligentia. Annexæ sunt appendicis loco Disputa-
tiones super eodem habitu tum in Academia Wittebergensi, tum in Gymnasio Berlinensi ventilatæ.
Berlin 1625, hier: Præloquium, A6r: »Aristotelis enim Logica ipsius DEI Logica est …«
33
Vgl. Martini, Exercitationum metaphysicarum libri duo. Wittenberg (11608) 31615, hier: Lib. I,
ex. II, th. II, 31f.: »Est itaque secundum Aristotelem & veritatem ipsa Metaphysica Sapientia, quippe
quæ utrumque habitum, tam nou=n, quàm e)pisth/mhn, conjungit, principiaque simul & conclusiones
respicit, quod proprium quoque sapientiæ esse docet Philosophus l.6. Moral. Nico. c.7.« Gutke,
Primæ Philosophiæ, quam vulgo Metaphysicam vocant, pars generalis XIV disputationibus tùm pub-
licis, tùm privatis ventilata in Illustrissima Academia Wittebergensi. Wittenberg 1618, hier: Disp. I
(De natura et constitutione primæ Philosophiæ, Wittenberg 1615), Præloquium, thesis V, A3r: »Defi-
nitur itaque Metaphysica, quòd sit Sapientia contemplans Ens quatenus Ens, & quæ ei immediatè
insunt.« A. a. O., q. V, B4v: »Cùm enim sapientia sit Metaphysica: Sapientia autem scientiâ & intel-
ligentiâ constet …«
34
Gutke, Habitus, c. III, th. X, E4v: »… Metaphysica est perfectio mentis …«

11
De Anima

ist Mensch geworden.35 Der menschliche Geist, der sich in der Metaphysik vervoll-
kommnet, ist also der ‘Ort’, an dem sich zugleich die geistige Metaphysik Gottes reali-
siert.
3. Die von Gutke als consiliarius der Metaphysik bezeichnete Schrift Habitus primo-
rum principiorum seu Intelligentia von 1625 begründet eine neu strukturierte Erkennt-
nistheorie, in welcher der Geist als ein habitus intellectualis principalis die subtilitas
rerum, die Relationalität und Verwandtschaft der Dinge untereinander betrachtet, aus
der die ersten Prinzipien des Erkennens fließen.36 Denn obgleich die Metaphysik vom
Prinzip handelt, seinen Begriff und seine Einteilung in das principium cognoscendi &
essendi erörtert, bleibt unklar, worin diese Prinzipien ‘gründen’, und genau diese Frage
ist Gegenstand der Noologie. Dabei kennzeichnet die Subtilität eine Ordnung, durch
welche die Dinge aufgrund ihrer gegenseitigen Verwandtschaft und Verbindung wech-
selweise so aufeinander bezogen sind, daß der Mensch durch die Betrachtung dieser
Ordnung erkennt, warum Gott weder etwas ihm selbst völlig Ähnliches noch auch et-
was von ihm völlig Verschiedenes hat schaffen wollen. Aus dieser erkannten Ver-
wandtschaft werden die Prinzipien ermittelt, auf die sich eine genaue und feste Er-
kenntnis mit Sicherheit stützen kann. Die Subtilität der Dinge verweist also zum einen
auf ihr metaphysisches Fundament in Gott, dessen Schöpfung eine Erkennbarkeit der
Dinge aufgrund ihrer Ähnlichkeit und Verwandtschaft gewährt und sicherstellt, und
zum andern auf die Prinzipien der Dinge, die für jede Erkenntnis das Maß sind. Der
Wittenberger Philosoph und Theologe Abraham Calov (1612-1686) hat hierauf auf-
bauend diese Funktion des intellectus in eine Gnostologia und Noologia ausdifferen-
ziert. Der Unterschied zwischen beiden, die er jeweils habitus mentis principalis nennt,
besteht für ihn darin, daß die Gnostologie das Erkennbare als Erkennbares betrachtet
und damit die Grundlage jeder Erkenntnistheorie bildet, während die Noologie wie bei
Gutke die affinitas rerum, die Verwandtschaft der Dinge zum Gegenstand hat, aus der
die ersten Prinzipien des Erkennens fließen.37
4. Der Locus De anima erfährt im Verlauf des 16. und 17. Jh.s einige begriffliche und
sachliche Veränderungen. Der bereits bei Aristoteles angelegte enge Zusammenhang
von Körper und Seele führt in der protestantischen Schulphilosophie zur Fixierung des

35
Vgl. ebd.: »Metaphysica DEI spiritualis est homo facta.«
36
Vgl. a. a. O., c, II, th. IX, C1v: »Intelligentia est habitus intellectualis principalis, contemplans
subtilitatem, quatenus ex eadem principia cognoscendi fluunt.« Gutke verwies in diesem Zusammen-
hang ausdrücklich auf EN VI 6, 1140b31-1141a8, wo Aristoteles als Gegenstand des nou=j die a)rxai/
bestimmt hat (vgl. a. a. O., c. I, th. VI, B4v).
37
Vgl. Abraham Calov, Scripta philosophica. I. Gnostologia. II. Noologia, seu habitus intelligen-
tiæ. III. Metaphysicæ divinæ pars generalis. IV. Metaphysicæ divinæ pars specialis … Wittenberg
2
1673 (Lübeck 11651), hier: Gnostologia, Proœmium, th. I, 2: »Gnostologia est habitus mentis prin-
cipalis, contemplans cognoscibile, quà tale.« A. a. O., Noologia, c. I, 38: »Noologia est habitus men-
tis principalis affinitatem rerum contemplans, quatenus ex eadem prima cognoscendi principia flu-
unt.«

12
Einleitung

Begriffs Anthropologia und zur Ausbildung einer gleichnamigen philosophischen Dis-


ziplin, die sich als eine ganzheitliche Betrachtung des Menschen aus den Bereichen
Anatomia bzw. Somatologia und Psychologia – ebenfalls Neologismen der Zeit – zu-
sammensetzt. In den Mittelpunkt der Psychologie rückt dabei die Bestimmung der ani-
ma rationalis (einschließlich des intellectus), die Zabarella und Martini ontologisch
hinsichtlich ihres Seins (secundum esse) und epistemologisch hinsichtlich ihrer Funkti-
on (secundum operationem) bestimmten.38
Da die Darstellung dieser vier Disziplinen den üblichen Rahmen einer Dissertation
sprengen würde, beschränkt sich die vorliegende Arbeit zunächst auf die Rezeption der
aristotelischen Psychologie im 16. und 17. Jh. – in der Hoffnung, die übrigen Diszipli-
nen im Rahmen des genannten Projekts eines Vergleichs der aristotelischen Philoso-
phie des Geistes mit der cartesischen Philosophie der Subjektivität darstellen zu kön-
nen. Die Psychologie bietet sich hierbei insofern als ein erster Einstieg an, weil an ihr
nicht nur die epistemologische, sondern auch die ontologische Dimension des mensch-
lichen Geistes verdeutlicht werden kann. Sie bietet also das unabdingbare Gerüst für
die Königsdisziplin der Metaphysik mit ihrem instrumentum der Logik und ihrem con-
siliarius der Noologie.

1.2. Wurzeln der zeitgenössischen Debatte

Ein erster Überblick über die Debatten des 16. und 17. Jh.s zur Naturphilosophie im
allgemeinen und zur Psychologie im besonderen kann anhand einer Leseliste gewon-
nen werden, die Calov den Theologiestudenten im Rahmen seiner Isagoges ad SS.
Theologiam libri duo von 1666 gegeben hat:
»Für den allgemeinen Teil [sc. der Naturphilosophie] ist es hilfreich, von den neueren Autoren
Scharfs Physik wie auch die des Sperling zu lesen. … Nicht ohne Nutzen aber wird man die
Conimbricenser und Zabarella lesen, denen man, wenn Zeit ist, Rubius, Pererius und Toletus
hinzufügen kann. Für den besonderen Teil der Naturphilosophie liest man neben Sperling,
Scharf und Magirus auch Wendelin und Basson. Die spezifischen Dinge erklären umfangreich
die Conimbricenser, Keckermann, Scaliger, Bartholin und Sennert, denen man von den Alten
Aristoteles und Theophrast hinzufügt.«39

38
Vgl. Zabarella, De mente humana, in: De rebus naturalibus libri XXX. Frankfurt 21607 (Nach-
druck Frankfurt 1966), hier: c. 1, 916A: »Duorum autem principium est anima, corporis animati tan-
quam forma, & operationum tanquam effectrix …« Martini, Exercitationes nobiles de anima. Witten-
berg 1606, hier: Ex. I. De anima in genere. Wittenberg 1606, B2v-B4r: »Relinquitur igitur, quod ani-
ma sit forma: Quandoquidem forma dat esse rei … Verius rectiusque dicitur anima caussa & princi-
pium omnia agitationis in re animata, cum revera anima illud sit principium, quo vivimus, sentimus,
movemur & intelligimus.«
39
Abraham Calov, Isagoges ad SS. Theologiam libri duo, De Natura Theologiæ, et Methodo Stu-
dii Theologici, piè, dextrè, ac feliciter tractandi, cum examine Methodi Calixitinæ. Wittenberg 1666.
Liber secundus, 108 [eigene Paginierung]: »In parte Generali [sc. Physicæ] è recentioribus legere

13
De Anima

Calov empfahl also konfessionsübergreifend neben Aristoteles, dessen Werke Physica


und De Anima seit den Übersetzungen von Jacobus Venetus (1231-1314), Michael
Scotus (1175-1235) bzw. Wilhelm von Moerbeke (1215-1286) im Verlauf des 12. und
13. Jh.s verfügbar waren40, und Theophrast41 die lutherischen Autoren Johannes Scharf
(1595-1660)42, Johannes Sperling (1603-1658)43, Johannes Magirus (gest. 1596)44,
Caspar Bartholin (d. Ä., 1585-1629)45 und Daniel Sennert (1572-1637)46, aber auch die
katholischen Schriftsteller Zabarella47, die Conimbricenser48, Antonius Rubius (im 16.
_________________________________________________________________________________________________________

juvat Dn. Scharffii Physicam recognitam, ut & Dn. Sperlingium … Non absque fructu autem legentur
Conimbrincenses & Zabarella, quibus, si vacat, addantur Rubius, Pererius, & Toletus. In speciali
Physicâ, præter Sperlingium, Scharffium, Magirum, vel etiam Wendelinum ac Bassonem legantur, qui
specialia non pauca enodant Conimbrincenses, Keckermannus, Scaliger, Bartolinus, Sennertus, qui-
bus è Veteribus accedant Aristoteles & Theoprastus.« In den nachfolgenden Anmerkungen wird eine
Bestimmung der Werke gegeben, auf die sich Calov wahrscheinlich bezog. Wo nicht auf eigene
Quellen zurückgegriffen werden konnte, erfolgt der Nachweis der Titel nach Wilhelm Risse, Biblio-
graphia philosophica vetus. Band 5. De anima. Band 6. Philosophia naturalis. Hildesheim 1998. Zum
zeitgenössischen Hintergrund vgl. ferner Martin Lipenius, Bibliotheca Realis Philosophica. Frankfurt
am Main 1682 (Nachdruck Hildesheim 1967), 59-67.
40
Vgl. hierzu Bernard G. Dod, Aristoteles latinus, in: CHLMP, 45-79, hier: 54-62. Danach über-
setzte Jacobus Venetus die Schrift De Anima wohl im 12. Jh. aus dem Griechischen ins Lateinische.
Sie wird gemeinhin als translatio antiqua bezeichnet. Eine neue Übersetzung fertigte Scotus ca.
1220-35 im Rahmen der Herausgabe der Aristoteles-Kommentare des Averroes an. Moerbeke über-
arbeitete schließlich um 1260 die Übersetzung des Venetus, die in dieser Gestalt bis ins 16. Jh. hinein
von Bedeutung blieb. Sie ist noch in der berühmten Giunta-Ausgabe der Opera omnia Aristotelis
(Venedig 1550-52) enthalten. Zu ihrem Einfluß im Renaissance-Aristotelismus vgl. 3.1.
41
Es ist merkwürdig, daß Calov auf Theophrast verwies, dessen fünf Bücher zur Physik und zwei
Bücher zur Psychologie wir nur aus einigen Paraphrasen bei Themistius sowie Priscian kennen. Vgl.
hierzu ausführlich Andreas Kamp, Philosophiehistorie, 89-114.
42
Johannes Scharf, Physica. Leipzig 21626. Manuale Physicum. Leipzig 1635. Pneumatica seu
Pneumatologia [einschließlich einer Doctrina de anima rationali]. Wittenberg 1629. Dieses Werk
war dem Verfasser leider nicht zugänglich. Zu Scharf vgl. Zedler 34, 932-35. Lohr, 409-10. Ueber-
weg 17. Jh., Bd. 4/1, 500-501 und 509-512.
43
Johannes Sperling, Institutiones physicae. Wittenberg 1639. Synopsis physica. Leipzig 1640.
Physica anthropologia. Wittenberg 1647. Meditationes in Julii Cæsaris Scaligeri Exotericas Exercita-
tiones, De Subtilitate. Wittenberg 1656. Zu Sperling vgl. Zedler 38, 1516-18. Ueberweg 17. Jh., Bd.
4/2, 927 und 932-35.
44
Johannes Magirus, Physica peripatetica. Frankfurt 1597. Physiologiæ peripateticæ libri sex.
Frankfurt 1603. Zu Magirus vgl. Zedler 19, 307.
45
Caspar Bartholin, Exercitatio de stellarum natura, affectionibus et effectionibus. Wittenberg
1607. Anatomicae institutiones corporis humani utriusque sexus. Wittenberg 1611. Systema physi-
cum. Kopenhagen 1628. Zu Bartholin vgl. Zedler 3, 544f. Lohr, 34f. Ueberweg 17. Jh., Bd. 4/2,
1249f.
46
Daniel Sennert, Epitome naturalis scientiae. Wittenberg 1618. Hypomnemata physica. Frankfurt
1636. Zu Sennert vgl. Zedler 37, 74-77. Lohr, 417f. Ueberweg 17. Jh., Bd. 4/2, 928-32.
47
Zabarella, De rebus naturalibus libri XXX (vgl. Anm. 38). Commentarii in magni Aristotelis li-
bros Physicorum, item in libros de Generatione et corruptione, item in Meteora. Frankfurt 1602.

14
Einleitung

Jh.)49, Benedictus Pererius (1536-1610)50, Franciscus Toletus (1532-1596)51, Sébastian


Basson (ca. 1574-1621)52 und Julius Caesar Scaliger (1484-1558)53 sowie die calvini-
stischen Autoren Marcus Friedrich Wendelin (1584-1652)54 und Bartholomäus Kek-
kermann (1572/3-1609)55 zur Lektüre. Der Grund für Calovs Interkonfessionalität dürf-
te zum einen an der auf lutherischer Seite praktizierten Trennung von Philosophie und
Theologie liegen, so daß man von den theologischen Differenzen im Rahmen der phi-
losophischen Wissensvermittlung weitestgehend absehen konnte56, zum andern an der

_________________________________________________________________________________________________________

Commentarii in III. Aristotelis libros de anima. Frankfurt 1606 (Nachdruck Frankfurt am Main 1966).
Zu Zabarella vgl. 3.1., Anm. 14.
48
Collegium Conimbricense, Commentarii in octo libros Physicorum Aristotelis Stagiritæ. Coim-
bra 1592. Commentarii in quatuor libros de Cœlo. Coimbra 1592. Commentarii in libros Aristotelis,
qui Parva Naturalia appellantur. Lyon 1593. Commentarii in quatuor libros de Cœlo Aristotelis Stagi-
ritæ. Lyon 1594. Commentarii in libros Meteorum Aristotelis Stagiritæ. Lyon 1594. Commentarii in
tres libros De Anima Aristotelis Stagiritæ. Coimbra 1595. Commentarii in duos libros de Generatione
et Corruptione. Mainz 1597. Zu den Conimbricensern vgl. 3.1., Anm. 5.
49
Antonius Rubius, Commentarii in octo libros Aristotelis de physico auditu, seu auscultatione.
Compluti 1605. Zu Rubius vgl. Lohr, 395f.
50
Benedictus Pererius, De Communibus omnium rerum naturalium principiis et affectionibus libri
quindecim. Rom 1562. Zu Pererius vgl. Zedler 27, 351. Lohr, 313-20. E. M. Rompe, Die Trennung
von Ontologie und Metaphysik. Der Ablöseprozess und seine Motivierung bei Benedictus Pereira und
anderen Denkern des 16. und 17. Jahrhunderts. Bonn 1968.
51
Franciscus Toletus, Commentaria unà cum quæstionibus in VIII libros de physica auscultatione.
Venedig 1573. Commentaria unà cum quæstionibus in tres libros Aristotelis de Anima. Venedig
1575. Zu Toletus vgl. 3.1., Anm. 4.
52
Sébastian Basson, Philosophiæ naturalis adversus Aristotelem libri XII, in quibus abstrusa Vete-
rum Physiologia restauratur, & Aristotelis errores solidis rationibus refelluntur. Genf 1621. Zu Bas-
son vgl. Ueberweg 17. Jh., Bd. 1/2, 873-76.
53
Julius Caesar Scaliger, Exotericarum Exercitationum Liber XV. De Subtilitate ad Hieronymum
Cardanum. Paris 1557. Zu Scaliger vgl. Zedler 34, 511-13. Lohr, 408.
54
Marcus Friedrich Wendelin, Contemplationum physicarum sectio prima (-tertia). Hanau 1625.
Zu Wendelin vgl. Zedler 54, 1997f.
55
Bartholomäus Keckermann, Systema physicum septem libris adornatum. Hanau 1610. Zu Kek-
kermann vgl. Willem Hendrik van Zuylen, Bartholomäus Keckermann. Sein Leben und Wirken.
Leipzig 1934. Joseph S. Freedman, The Career and Writings of Bartholomew Keckermann, in: Ders.,
Philosophy and the Arts in Central Europe, 1500-1700. Teaching and Texts at Schools and Universi-
ties. Collected Studies. Aldershot 1999, Text VIII (1997), 305-364 [Originalpaginierung]. Ueberweg
17. Jh., Bd. 4/1, 407-8 und 410-14.
56
Gleichwohl gab es natürlich auch kontroversphilosophische Werke, deren berühmtestes auf lu-
therischer Seite die dreibändige Philosophia Sobria des Philosophen und Theologen Balthasar Meis-
ner (1587-1626) ist: Philosophia Sobria; Hoc est: Pia consideratio quæstionum philosophicarum in
controversiis Theologicis, quas Calviniani moverunt Orthodoxis, subinde occurentium. Wittenberg
1614 (11611). Secunda pars Philosophiæ sobriæ, in qua Problemata Lexica & Logica, in Controver-
siis Papisticis subinde occurrentia, succinctè discutiuntur. Wittenberg 1627 (11617). Pars tertia Philo-

15
De Anima

Qualität dieser philosophischen Werke selbst, die keinesfalls immer rein aristotelisch
sein mußten, wie die Werke von Sennert, Basson und Sperling belegen.57
Insbesondere die Nennung von Zabarella, Toletus sowie den Conimbricensern ließ
vor dem geistigem Auge des gebildeten Lesers sogleich eine Topographie der ver-
schiedenen Schulen der Aristoteles-Interpretation im Zusammenhang mit der Schrift
De Anima entstehen, die bis weit in die Antike zurückreicht. Zabarella galt mit seinem
Werk De Rebus naturalibus als Anhänger des Alexander von Aphrodisias. Toletus und
die Conimbricenser folgten dagegen als Angehörige des Jesuitenordens in ihren Kom-
mentaren weitestgehend der Interpretation des Thomas von Aquin. Beide Schulen rich-
teten sich wiederum zum einen gegen den Averroismus, dessen Schulbegründer, der
arabische Philosoph und Theologe Averroes, im Mittelalter als der Kommentator des
Aristoteles galt und bis ins 17. Jh. hinein von großer Bedeutung blieb, zum andern ge-
gen den Neuplatonismus, der in Simplicius seinen wirkmächtigsten Vertreter fand.
Da ein Verständnis der diffizilen, zum Teil ausgesprochen subtilen Debatten zur ari-
stotelischen Schrift De Anima im 16. und 17. Jh. ohne eine genauere Kenntnis der Po-
sitionen des Alexander, Simplicius, Averroes und Thomas nicht möglich ist, soll hier
kurz zusammengefaßt werden, wie ihre Positionen hinsichtlich des Wesens und der
Funktion der menschlichen Seele in dieser Epoche rezipiert worden sind:
1. Alexander galt als strenger Vertreter einer rein naturphilosophisch orientierten Psy-
chologie, der insbesondere mit seiner These von der Sterblichkeit der menschlichen
Seele im Christentum viele Gegner fand. Er begründete diese Ansicht mit der untrenn-
baren Einheit von Körper und Seele, die durch die Seele als Seins- und Wirkprinzip
des Körpers begründet wird. Stirbt dieser, so vergeht auch die Seele, weil dem aristote-
lischen Hylemorphismus gemäß keine Form ohne Materie bestehe. Die Beschreibung
des nou=j u(liko/j (intellectus materialis) in De An. III 4 verstand Alexander nicht onto-
logisch, sondern epistemologisch, da er als oberstes, dem Menschen angeborenes See-
lenvermögen nicht ihren Seinsstatus ändert, sondern allein die Funktion des Denkens
vollzieht. Er ist vervielfältigbar gemäß der Anzahl der Individuen. Der nou=j poihtiko/j
(intellectus agens) ist dagegen nur einer, kommt von außen in den Menschen hinein
(nou=j qu/raqen) und bewirkt dadurch, daß der intellectus materialis das Denkbare wirk-
lich denkt. Er allein ist unsterblich, ewig und göttlich. Intellectus materialis und intel-
lectus agens sind daher zwei verschiedene Substanzen.58
_________________________________________________________________________________________________________

sophiæ Sobriæ, in qua problemata Ethica et Politica, in controversiis Papisticis subinde ocurrentia,
studiose discutiuntur. Wittenberg 1625 (11623). Vgl. hierzu 4.1.
57
Auffällig ist das Fehlen von Hinweisen auf die novatores, die sich, wie gesehen, bewußt vom
Aristotelismus abgewandt haben.
58
Vgl. Alexander von Aphrodisias, De Anima liber cum Mantissa. Edidit Ivo Bruns. CAG, Sup-
plementum 2. Berlin 1887. Als lateinischer Text liegt zugrunde: Quæstiones naturales et morales et
de fato, Hieronymo Bagolino Veronensi patre, & Ioanne Baptista filio interpretibus. De Anima Liber
primus, Hieronymo Donato patritio Veneto interprete. De Anima Liber secundus, unà cum commen-
tario de Mistione, Angelo Caninio Anglariensi interprete. Venedig 1555.

16
Einleitung

2. Der Neuplatonismus zeichnet sich durch den Versuch aus, die platonische Seelen-
lehre59 mit der des Aristoteles in Übereinstimmung zu bringen. Ein herausragendes
Beispiel hierfür ist Simplicius’ De Anima-Kommentar60, der im 16. Jh. zum Mittel-
punkt der Kontroverse um den Einfluß des Neuplatonismus auf den Aristotelismus
wurde. Simplicius versuchte mit diesem Werk zu erweisen, daß Aristoteles mit den
zentralen platonischen Lehren der Seelenwanderung, der kosmischen Hierarchie der
Seelen und ihrer Selbstbewegung sowie mit der Bestimmung der menschlichen Seele
als eines mittleren Charakters übereingestimmt habe. Aus letzterem ergab sich für
Simplicius, daß die menschliche Seele nicht schlechthin vollkommen ist, sondern zu-
gleich teilbar und unteilbar, geworden und ungeworden, sterblich und unsterblich. Er
begründete dies wie bereits Plotin (204-270) mit ihrem vollständigen Abstieg aus der
Ideen- in die Sinnenwelt, aus der sie sich selbst wieder herauszuarbeiten habe im er-
neuten Aufstieg zu den Ideen.61 Und genau diesen Prozeß erkannte Simplicius in der
Beschreibung des intellectus possibilis & intellectus agens in De An. III 4 und 5, die er
beide als Vermögen der menschlichen Seele bestimmte, so daß ihre Unsterblichkeit
gewiß sei, und zwar a parte ante & post.
3. Averroes’ De Anima-Interpretation war insbesondere wegen ihrer These vom nume-
rischen Einssein des Geistes in allen Menschen auf philosophischer wie theologischer
Seite äußerst umstritten, wurde doch damit die Einheit selbst des Menschen als Indivi-
duum in Frage gestellt. Zwar bestimmte auch Averroes die menschliche Seele als for-
ma informans und damit als vervielfältigbar gemäß der Anzahl der Individuen. Dies
galt jedoch nicht für den intellectus, der in seiner Einheit von intellectus materialis, der
die Formen aufnimmt, und intellectus agens, der die Formen bildet, eine forma assi-

59
Vgl. hierzu Peter M. Steiner, Psyche bei Platon. Göttingen 1992.
60
Vgl. Simplicius, In libros Aristotelis de anima commentaria. Ed. Michael Hayduck. CAG 11.
Berlin 1882. Als lateinischer Text liegt zugrunde: Commentaria Simplicii profundissimi et acutissimi
Philosophi in tres libros de anima Aristotelis, de Graeca lingua in Latinam nuperrime translata. Evan-
gelista Lungo Asulano Interprete. Venedig 1564. Nachdruck herausgegeben von Charles Lohr.
CAGL XVI. Frankfurt am Main 1979.
61
Dies führte bei Plotin unter Berufung auf Platon (vgl. Phaid. 62b2-5, 67d1; Pol. 514a1ff.) zu ei-
ner Geringschätzung des Köpers: »Die Menschenseele aber, die, wie es heißt, alle Übel und Mühsal
im Leibe erduldet, da sie dort in Schmerzen, Begierden, Ängste und alle andern Übel gerät, weshalb
denn auch der Leib ihre Fessel und ihr Grab heißt …« (Seele – Geist – Eines. Enneade IV 8, V 4, V
1, V 6 und V 3. Griechischer Text und deutsche Übersetzung von Richard Harder. In einer Neubear-
beitung fortgeführt von Rudolf Beutler und Willy Theiler, eingeleitet von Klaus Kremer. Hamburg
1990, hier: Enn. IV 8.3.1-4) Insbesondere aufgrund dieses scharfen Dualismus von Körper und Seele
vertrat Augustinus (354-430) die These von der größeren Affinität des Platonismus mit dem Christen-
tum: »Si ergo Plato Dei hujus imitatorem, cognitorem, amatorem dixit esse sapientem, cujus partici-
patione sit beatus, quid opus est excutere cæteros? Nulli nobis, quam isti, proprius accesserunt.« (De
civitate Dei, lib. VIII, c. 5, in: PL 41, 229) Zur Interpretation des Leib-Seele-Dualismus bei Augusti-
nus vgl. Ludger Hölscher, Die Realität des Geistes. Eine Darstellung und phänomenologische Neube-
gründung der Argumente Augustins für die geistige Substantialität der Seele. Heidelberg 1999.

17
De Anima

stens ist, die als substantia separata wirklich vom Körper getrennt ist. Der intellectus
ist dergestalt in allen Menschen einer, ungeworden und unvergänglich.62
4. Mit Thomas’ Interpretation der aristotelischen Psychologie fand die katholische Kir-
che nach anfänglichen Schwierigkeiten – es sei an die Kontroversen von 1277 erinnert –
eine Position, die mit den christlichen Dogmen am ehesten vereinbar zu sein schien. Er
bestimmte die menschliche Seele (einschließlich des intellectus possibilis) in Überein-
stimmung mit Alexander als forma informans corporis, so daß sie das Lebensprinzip
ist, das in sich die vegetativen, sensitiven und kognitiven Vermögen vereinigt. Derge-
stalt gibt es keine Seelenvielheit in einem Menschen, sondern nur die eine anima ra-
tionalis in der Vielheit ihrer Vermögen. Der intellectus possibilis ist nicht ein einziger
in allen Menschen, sondern er wird vervielfältigt gemäß der Zahl der Individuen. Ge-
gen Alexander betonte Thomas wiederum, daß der intellectus agens keine substantia
separata sei, sondern ein Vermögen der menschlichen Seele. Die ihm zukommenden
Attribute ‘ewig’ und ‘unsterblich’ kennzeichnen daher ihre Unsterblichkeit. Intellectus
agens & intellectus possibilis bilden dergestalt ein und dieselbe Substanz.63
Bereits dieser grobe Überblick – womit der Umfang der Rezeptionsgeschichte der
aristotelischen Psychologie bei weitem noch nicht ausgeschöpft ist64 – läßt erahnen, auf
wie vielfältige Weise die aristotelische Psychologie durch all die Jahrhunderte hin-
durch interpretiert worden ist. Für den vorliegenden Zusammenhang mag es dabei von
Nutzen sein, in einer ersten Übersicht diejenigen Fragen zu formulieren, die von jedem
Rezipienten des 16. oder 17. Jh.s, sei er nun Alexandrist, Averroist, Thomist oder Neu-
platoniker, beantwortet werden mußten:
1. Was ist die Seele in ihrer allgemeinsten Bestimmung, in der sie das allen Lebewesen
(Pflanzen, Tiere und Menschen) Gemeinsame bezeichnet? Ist sie die Vollkommenheit

62
Vgl. Aristotelis opera cum Averrois commentariis. Hier: Supplementum II. Aristotelis de anima
libri tres, cum Averrois commentariis et Antiqua tra[ns]latione suæ integritati restituta. His accessit
eorundem librorum Aristotelis nova tra[ns]latio, ad Græci exemplaris veritatem, et scholarum usum
accomodata, Michaele Sophiano interprete. Venedig 1562. Nachdruck Frankfurt am Main 1962. Als
neuere kritische Ausgabe liegt vor: Averroes, Commentarius magnus in Aristotelis de anima libros.
Recensuit F. Stuart Crawford. Cambridge 1953.
63
Vgl. Thomas von Aquin, Summae contra gentiles libri quatuor [zukünftig: Scg]. Lib. II, c. LVI-
LXXXIX, in: Ders., Opera omnia. Ed. Leonina. Tomus I – L [wird fortgesetzt]. Rom 1882ff., hier:
Opera 13,2, 403-548. Ders., Summa Theologiae [zukünftig: STh], liber I, q. 75-87, in: Opera 5, 194-
363. Ders., De unitate intellectus contra Averroistas, in: Opera 43, 291-314.
64
Innerhalb des Aristotelismus müßten neben den bereits genannten Autoren noch eine Vielzahl
weiterer Scholastiker wie Ägidius Romanus, Albertus Magnus, Duns Scotus, Wilhelm von Ockham
etc. berücksichtigt werden. Bei den neuplatonisch beeinflußten Autoren wären neben Simplicius noch
Philoponus (ca. 490-570) und die neueren Exegeten wie Nicoletto Vernia (1420-1499), Marcantonio
Zimara (1460-1532), Agostino Nifo (1469/70-1536) sowie Marcantonio Genua (1490/1-1563) in den
Blick zu nehmen. Die vorliegende Arbeit wird die Komplexität dieser Rezeptionsgeschichte durch
Hinweise auf einige der jeweils berücksichtigten Autoren zu verdeutlichen versuchen, ohne die Quel-
len in jedem Einzelfall verifizieren zu können. Ein solches Unterfangen würde sich zu einer Ge-
schichte der Rezeption der aristotelischen Psychologie auswachsen.

18
Einleitung

des Körpers (actus bzw. perfectio corporis) als forma informans oder als forma assi-
stens? Konstituiert also die Seele das Sein des Körpers, oder verleiht sie ‘von außen’
dem bereits existierenden Körper die ihm eigentümliche Tätigkeit, so wie der Schiffer
das Schiff lenkt? Wie ist dabei der Zusammenhang von Körper und Seele zu denken?
Ist die Seele ganz im ganzen Körper und zugleich in einem bestimmten Körperteil,
oder ist ein Teil der Seele in diesem Körperteil, ein anderer Teil in einem andern?
2. Gibt es nur eine Seele in einem Lebewesen oder eine Vielheit von Seelen? Anders
gefragt: Kommt jedem Seelenvermögen nur die je entsprechende individuelle Seele zu,
so der potentia vegetativa die anima vegetativa, der potentia sensitiva die anima sensi-
tiva, der potentia rationalis die anima rationalis, so daß es eine Vielheit von Seelen in
ein und demselben Lebewesen gibt? Oder enthält die nächsthöhere Stufe der Seele die
jeweils niedrigere Stufe in sich, so daß die anima sensitiva über die potentia vegetativa
& sensitiva und die anima rationalis über die potentia vegetativa, sensitiva & rationa-
lis verfügt, es also nur eine Seele in der Vielheit ihrer Vermögen gibt?
3. Kommt der anima rationalis dieselbe allgemeine Bestimmung der Seele zu wie den
übrigen Lebewesen? Wodurch zeichnet sie sich aus? Wie entsteht sie? Wird sie unmit-
telbar von Gott erschaffen (Kreatianismus) oder durch Fortpflanzung (Traduzianismus)
erzeugt?
4. Was ist der intellectus patiens (nou=j paqhtiko/j)? Ist er ein Vermögen der menschli-
chen Seele oder eine realiter von ihr abgetrennte Substanz? Anders gefragt: Sind die
ihm von Aristoteles in De An. III 4 zugesprochenen Attribute ‘inaffiziert’, ‘unver-
mischt’ und ‘abgetrennt’ ontologisch, d. h. hinsichtlich des Seins, oder epistemolo-
gisch, d. h. hinsichtlich ihrer Funktion im Erkenntnisprozeß, zu verstehen? Wie kann
man diesen Prozeß angemessen beschreiben?
5. Auch bei der Bestimmung des Wesens und der Funktion des intellectus agens (nou=j
poihtiko/j) ist zu fragen: Ist er ein Vermögen der anima rationalis oder eine realiter
von ihr abgetrennte Substanz? Sind die ihm von Aristoteles in De An. III 5 zugespro-
chenen Attribute ‘inaffiziert’, ‘unvermischt’, ‘abgetrennt’, ‘ewig’ und ‘unsterblich’
ontologisch oder epistemologisch zu verstehen? Was folgt hieraus für die Frage nach
der Unsterblichkeit der menschlichen Seele? Ist sie secundum Aristotelem erweisbar,
oder bleibt der Gläubige allein an Gottes Wort verwiesen? Welche Funktion kommt
dem intellectus agens im Erkenntnisprozeß zu?
Insbesondere die Fragen nach der Unsterblichkeit der menschlichen Seele, der Ein-
heit des Geistes und dem Wesen des intellectus agens verdeutlichen, warum der Locus
De anima auch für die theologische Anthropologie von Interesse war. Es verwundert
daher nicht, daß er zweimal Gegenstand konziliarer Entscheidungen war: Zum einen
wurde auf dem Konzil von Vienne unter Clemens V. in der Konstitution Fidei catholi-
cae vom 6.5.1312 gegen die dem Petrus Johannes Olivi (1247/8-1296) zugeschriebe-
nen Irrtümer die Seele als »Form des menschlichen Leibes an sich und wesenhaft«65

65
Vgl. Heinrich Denzinger, Enchiridion symbolorum definitionum et declarationem de rebus fidei
et morum. Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen. Lateinisch –

19
De Anima

bestimmt. Zum andern hat Leo X. auf dem 5. Laterankonzil mit der Bulle Apostolici
regiminis vom 19.12.1513 die beiden philosophischen Lehren, die menschliche Seele
sei sterblich (Alexander, Pietro Pomponazzi) oder eine einzige in allen Menschen
(Averroes, Siger von Brabant), für häretisch erklärt. Vielmehr sei sie wahrhaft die
Form des menschlichen Körpers, unsterblich und entsprechend der Vielzahl der Kör-
per, denen sie eingegossen werde, einzeln vervielfältigbar.66 Daß diese Konzilsent-
scheidungen auf katholischer Seite bis weit ins 16. Jh. hinein von großer Bedeutung
blieben, belegen hinreichend die Schriften von Toletus und den Conimbricensern, wie
im Verlauf dieser Arbeit deutlich werden wird. Selbst Descartes verwies noch 1641 in
seinen der Sorbonne gewidmeten Meditationes de prima philosophia auf das 5. Late-
rankonzil, um seinen Beweis für die Unsterblichkeit der Seele als mit der katholischen
Tradition in Übereinstimmung stehend zu beschreiben.67

1.3. Transformationen des Aristotelismus

Im gemeinsam verantworteten Abschnitt The Concept of Psychology im Rahmen der


Cambridge History of Renaissance Philosophy von 1988 äußern die Autoren Park und
_________________________________________________________________________________________________________

Deutsch. Hrsg. von Peter Hünermann. Freiburg im Breisgau u. a. 381999, hier: Nr. 902, 389: »[De
anima ut forma corporis.] Porro doctrinam omnem seu positionem temere asserentem, aut vertentem
in dubium, quod substantia animae rationalis seu intellectivae vere ac per se humani corporis non sit
forma, velut erroneam ac veritati catholicae inimicam fidei, praedicto sacro approbante Concilio re-
probamus: definientes, ut cunctis nota sit fidei sincerae veritas ac praecludatur universis erroribus
aditus, ne subintrent, quod quisquis deinceps asserere, defendere seu tenere pertinaciter praesumpse-
rit, quod anima rationalis seu intellectiva non sit forma corporis humani per se et essentialiter, tam-
quam haereticus sit censendus.«
66
Vgl. a. a. O., hier: Nr. 1440, 483: »Cum itaque diebus nostris (quod dolenter referimus) zizaniae
seminator, antiquus humani generis hostis [vgl. Mt 13,25], nonnullos perniciosissimos errores, a fide-
libus semper explosos, in agro Domini superseminare et augere sit ausus, de natura praesertim animae
rationalis, quod videlicet mortalis sit, aut unica in cunctis hominibus, et nonnulli temere philosophan-
tes, secundum saltem philosophiam verum id esse asseverent: contra huiusmodi pestem opportuna
remedia adhibere cupientes, hoc sacro approbante Concilio damnamus et reprobamus omnes asseren-
tes, animam intellectivam mortalem esse, aut unicam in cunctis hominibus, et haec in dubium verten-
tes, cum illa non solum vere per se et essentialiter humani corporis forma exsistat, sicut in canone
felicis recordationis Clementis papae V praedecessoris Nostris in Viennensi Concilio edito continetur,
verum et immortalis, et pro corporum quibus infunditur multitudine singulariter multiplicabilis, et
multiplicata, et multiplicanda sit. … Cumque verum vero minime contradicit, omnem assertionem
veritati illuminatae fidei contrariam omnino falsam esse definimus …«
67
Vgl. Descartes, Meditationes, Epistola dedicatoria, in: AT 7, 2,31-3,8: »Atque quantum ad ani-
mam, etsi multi ejus naturam non facile investigari posse iudicarint, et nonnulli etiam dicere ausi sint
rationes humanas persuadere illam simul cum corpore interire solâque fide contrarium teneri, quia
tamen hoc condemnat Concilium Lateranense sub Leone 10 habitum, sessione 8, et expresse mandat
Christianis Philosophis ut eorum argumenta dissolvant, & veritatem pro viribus probent, hoc etiam
aggredi non dubitavi.«

20
Einleitung

Kessler: »There are no satisfactory general accounts of psychology between 1350 and
1600.«68 Trotz der zwischenzeitlich erfolgten Studien hat diese Feststellung bis zum
heutigen Tage nichts von ihrer Richtigkeit verloren. Die Forschung zu diesem Thema
steckt noch immer in ihren Anfängen. Die Schwierigkeit mit dieser Disziplin, und dies
sollte aus dem vorangehenden Abschnitt bereits deutlich geworden sein, liegt dabei
nicht nur in der in ihr verhandelten Sache begründet, in der sich der Denkende selbst
zum Gegenstand des Denkens wird, sondern auch in der schier unermeßlichen Fülle
von Schriften, in denen dieser Gegenstand seit der Antike verhandelt worden ist – mit
einer nicht weniger unermeßlichen Vielfalt an Positionen, seien diese nun aristoteli-
schen oder platonischen Ursprungs.
Wie bei der Rezeption der übrigen philosophischen Disziplinen des Aristoteles, so
muß also auch in der Psychologie – mit einem Wort Schmitts – mit »many Renais-
sance ‘Aristotelianisms’«69 gerechnet werden. In seinem Buch Aristotle and the Re-
naissance hat er diese richtige Erkenntnis wie folgt begründet:
»My point is that the single rubric Aristotelianism is not adequate to describe the range of di-
verse assumptions, attitudes, approaches to knowledge, reliance on authority, utilization of
sources, and methods of analysis to be found among the Renaissance followers of Aristotle.«70

Der Renaissance-Aristotelismus präsentiert sich also als ein vielschichtiges Phänomen,


das die Rede von einem monolitischen Block als historisch unhaltbar erweist. Diese
These ist zwischenzeitlich zum Gemeinplatz der Forschung geworden. So spricht auch
Charles Lohr von »several Aristotelianisms«71, und Lüthy, Leijenhorst und Thijssen
gehen in ihrer gemeinsamen Einleitung zum jüngst veröffentlichten Sammelband zur
Rezeption der aristotelischen Naturphilosophie davon aus, »that the term ‘Aristotelia-
nism’ has no clear essence. There is no single definition of ‘Aristotelian’«72. So ließen
sich die von Lohr in diesem Zusammenhang genannten Beispiele von Pomponazzis
(1462-1525) säkularen Aristotelismus, von Melanchthons (1497-1560) protestanti-

68
Katharine Park and Eckhard Kessler, The Concept of Psychology, in: CHRP, 455-63, hier: 455
(Anm. 2). Dieser Zeitraum sollte sinnvollerweise bis 1650 verlängert werden, da auch die Schulphilo-
sophie des 17. Jh.s inhaltlich und methodisch zur Renaissance-Philosophie zählt.
69
Charles B. Schmitt, Towards a Reassessement of Renaissance Aristotelianism (1973), in: Ders.,
Studies in Renaissance Philosophy and Science. Text VI. London 1981, 159-193 [Originalpaginie-
rung], hier: 160.
70
Charles B. Schmitt, Aristotle and the Renaissance. Cambridge u. a. 1983, 10.
71
Charles Lohr, Jesuit Aristotelianism and Sixteenth-Century Metaphysics, in: PARADOSIS.
Studies in Memory of Edwin A. Quain. New York 1976, 203-220, hier: 204: »Whereas in the earlier
period Aristotelianism had been identical with Scholasticism and offered an essentially unified
worldview, in the sixteenth century the differing needs of different classes of students in different
lands broke up this unity, resulting, in the Renaissance, in not one, but several Aristotelianisms.«
72
Christoph Lüthy, Cees Leijenhorst and Johannes M.M.H. Thijssen, The Tradition of Aristotelian
Natural Philosophy. Two Theses and Seventeen Answers, in: The Dynamics of Aristotelian Natural
Philosophy, 1-29, hier: 1.

21
De Anima

schen Aristotelismus und des scholastischen Aristotelismus der Jesuiten ohne Schwie-
rigkeiten durch weitere Schulen ergänzen (Albertismus, Scotismus und Ockhamismus
etc.). Ja, die Zahl der Aristoteles-Schulen könnte man, wie Francesco Patrizi (1529-97)
polemisch anmerkte, auf 12.000, jedenfalls auf eine unzählbare Größe erhöhen.73 Hier
wie überhaupt für die gesamte Tradition muß man daher von einer Identität und Diffe-
renz im Aristotelismus sprechen. Daß dabei die Differenzen fundamental sein konnten,
wird im Verlauf dieser Arbeit sichtbar werden.
Ein erfolgreicher Versuch, diese Bandbreite der verschiedenen Aristotelismen durch
alle Disziplinen hindurch aufzuzeigen, ist die bereits genannte und von Schmitt maß-
geblich mitgestaltete The Cambridge History of Renaissance Philosophy. Das Pendant
zu diesem Werk bilden zwei nicht weniger grundlegende neue Bücher zur Philoso-
phiegeschichtsschreibung des 17. Jh.s. Zum einen ist dies der neue Ueberweg zur Phi-
losophie des 17. Jh.s, der in insgesamt acht Teilbänden umfangreiche Studien zu allen
Disziplinen der Philosophie in England74, Frankreich und den Niederlanden75, Spanien,
Portugal und Italien76 sowie in Deutschland und in Nord- und Ostmitteleuropa77 enthält.
Zum andern zählt hierzu die von Garber und Ayers edierte The Cambridge History of
Seventeenth-Century Philosophy78. In beiden Werken zeigt sich die auch noch im 17.
Jh. anhaltende Bedeutung der verschiedenen Aristoteles-Schulen wie auch der wach-
sende Einfluß der Neuen Philosophie eines Descartes und seiner Anhänger.
Mit diesen Standardwerken im Rücken ist es nun leichter möglich, über die bisheri-
gen Schwerpunkte zur Logik und Metaphysik79 hinaus die übrigen Disziplinen des Re-

73
Vgl. Francesco Patrizi, Discussiones Peripateticae. Basel 1581. Nachdruck herausgegeben von
Zvonko Pandzic. Köln 1999, 145: »Quorum numerum [sc. sectæ Aristotelis] usque ad 12. millia fe-
runt pervenisse, qui scriptis aliquid vel philosophicum vel Theologicum mandarunt: quos, cùm tanto
numero innumerabiles sint, silentio præterire est à fastidio procul.«
74
Vgl. Ueberweg 17. Jh., Bd. 3/1 und 3/2. England. Hrsg. von Jean-Pierre Schobinger. Basel
1988.
75
Vgl. Ueberweg 17. Jh., Bd 2/1 und 2/2. Frankreich und Niederlande. Hrsg. von Jean-Pierre
Schobinger. Basel 1993.
76
Vgl. Ueberweg 17. Jh., Bd 1/1 und 1/2. Allgemeine Themen. Iberische Halbinsel. Italien. Hrsg.
von Jean-Pierre Schobinger. Basel 1998.
77
Vgl. Ueberweg 17. Jh., Bd. 4/1 und 4/2. Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation. Nord-
und Ostmitteleuropa. Hrsg. von Helmut Holzhey und Wilhelm Schmidt-Biggemann. Basel 2001.
78
Vgl. Daniel Garber and Michael Ayers (Ed.), CHSCP. Two Volumes. Cambridge 1998.
79
Vgl. Hans Emil Weber, Die philosophische Scholastik des deutschen Protestantismus im Zeital-
ter der Orthodoxie. Leipzig 1907. Ernst Lewalter, Spanisch-jesuitische und deutsch-lutherische Meta-
physik des 17. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Geschichte der iberisch-deutschen Kulturbeziehungen
und zur Vorgeschichte des Deutschen Idealismus. Hamburg 1935. Nachdruck Darmstadt 1967. Max
Wundt, Die deutsche Schulmetaphysik des 17. Jahrhunderts. Tübingen 1939. Wilhelm Risse, Die
Logik der Neuzeit. 1. Band 1500–1640. Stuttgart-Bad Cannstatt 1964. Walter Sparn, Wiederkehr der
Metaphysik. Die ontologische Frage in der lutherischen Theologie des frühen 17. Jahrhunderts. Stutt-

22
Einleitung

naissance-Aristotelismus und der Schulphilosophie des 17. Jh.s in den Blick zu neh-
men. In den letzten Jahren haben sich hierbei für die Forschung neben der Ethik80 die
Physik und Psychologie als zentrale Disziplinen für ein Verständnis der verschiedenen
Aristotelismen herauskristallisiert. Besonders in der Naturphilosophie versucht man
hierbei der Phänomenvielfalt durch den Aufweis von sogenannten Transformations-
prozessen gerecht zu werden. Natürlich ist dies kein eigentümliches Merkmal der Re-
naissance; vielmehr ist die aristotelische Philosophie seit ihrer Rezeption durch Theo-
phrast verschiedenen Umgestaltungen unterworfen, wie Kessler zu Recht betont:
»The history of Aristotelianism from Theophrastus to the present day must be seen by historians
of philosophy as a continuous transformation of Aristotle’s philosophy, a process which even if
devoted to a meticulous study of Aristotle’s original teaching that may well correct mis-takes of
previous scholars, will never return to Aristotle himself.«81

Jede Aneignung der aristotelischen Philosophie (und damit auch jeder anderen Philo-
sophie) ist also nach dieser These per se Transformation, da der Zeitenwandel sie in
einen je anderen Kontext stellt, der einen unverfälschten Rückgriff auf das Original
verhindert. Mulsow unterscheidet hierbei in Anknüpfung an Lohr und Kessler zwi-
schen einer ausdifferenzierenden, innerhalb des Aristotelismus verlaufenden Trans-
formation und einer integrativen, bei der es zur Überformung des Aristotelismus durch
die neue Naturphilosophie kommt, die auf wesentlich anderen Prinzipien gründet.82
Was damit genauer gemeint ist, soll die folgende Übersicht verdeutlichen.
1. Erstmals hat Lohr hat in einem Aufsatz von 198883 die These aufgestellt, daß die so-
genannte Pomponazzi-Affäre um die Frage nach der Unsterblichkeit der menschlichen
Seele auf scholastischer Seite einen Transformationsprozeß ausgelöst habe, der den
_________________________________________________________________________________________________________

gart 1976. Ulrich Gottfried Leinsle, Das Ding und die Methode. Methodische Konstitution und Ge-
genstand der frühen protestantischen Metaphysik. Augsburg 1985.
80
Vgl. Jill Kraye, Moral philosophy, in: CHRP, 303-386. Dies., Eclectic Aristotelianism in the
Moral Philosophy of Francesco Piccolomini, in: La presenza dell’aristotelismo padovano nella filoso-
fia della prima modernità. Atti del Colloquio internazionale in memoria di Charles B. Schmitt (Pado-
va, 4-6 settembre 2000). A cura di Gregorio Piaia. Rom 2002, 57-82. David A. Lines, Aristotle’s
Ethics in the Italian Renaissance (ca. 1300-1650). The Universities and the Problem of Moral Educa-
tion. Leiden 2002.
81
Eckhard Kessler, The Transformation of Aristotelianism during the Renaissance, in: New Per-
spectives on Renaissance Thought. Essays in the History of Science, Education and Philosophy. Edi-
ted by John Henry and Sarah Hutton. London 1990, 137-147, hier: 137.
82
Vgl. Martin Mulsow, Frühneuzeitliche Selbsterhaltung. Telesio und die Naturphilosophie der
Renaissance. Tübingen 1998, 34: »Wir können also von der Lohr-Keßler-These der Transformation
des Aristotelismus sprechen, und ich werde die eine Variante der Tranformation – die von Lohr be-
schriebene – die ausdifferenzierende, die andere – die der neuen Naturphilosophie – die integrative
nennen.«
83
Charles H. Lohr, The Sixteenth-Century Transformation of the Aristotelian Natural Philosophy,
in: Aristotelismus und Renaissance. In memoriam Charles B. Schmitt. Hrsg. von Eckhard Keßler u. a.
Wiesbaden 1988, 89-99.

23
De Anima

Aristotelismus durch die Aufnahme innovativer Elemente der neuen Naturwissenschaft


in seiner Gestalt, insbesondere in der Metaphysik, Physik und Psychologie, wesentlich
verändert habe. Deutlich werde dieser Prozeß beim Dominikaner Javelli (1470/2-
1538), der in seinem Tractatus de animæ humanæ indeficientia von 1536 die Frage
nach der Unsterblichkeit der Seele der Metaphysik zugeordnet habe, indem er das End-
liche und Unendliche, das ens creatum materiale (=Welt), das ens creatum immateriale
(=menschliche Seele) sowie das ens increatum (=Gott) zum Gegenstand dieser Diszi-
plin gemacht habe, um so Gottes Existenz sowie die Unsterblichkeit der menschlichen
Seele beweisen zu können. Dadurch sei die Philosophie zur Metaphysik mit ihren Tei-
len der Naturtheologie, Kosmologie und Psychologie geworden, während die (meta-
physikfreie) Naturwissenschaft das corpus mobile als Gegenstand zugewiesen bekom-
men habe.84 Aus diesem Sachverhalt folgert Lohr, daß der christliche Aristotelismus
eines Javelli zu einer »emancipation of the natural sciences from the Aristotelian philo-
sophy«85 geführt hat. Zur Begründung heißt es:
»Whereas the Italian Aristotelians were reduced to offering simply an exegesis of the Philoso-
pher’s text, the Scholastic interpreters could regard cosmology as a part of metaphysics and in-
troduce the latest scientific developments into their commentaries on the Physics. It was thus –
long before Galileo – that natural science was able to free itself of Aristotle and go its own
way.«86

Für Lohr mündet also der Transformationsprozeß im christlich-scholastischen Aristote-


lismus nicht etwa in einer Umgestaltung der aristotelischen Naturphilosophie, sondern
in einer Abkehr von ihr, die den Weg für die Neuen Wissenschaften ebnet!
2. Kessler hat dieses Interpretament unter expliziter Berufung auf Lohr aufgenommen.
Er wendet diesen Begriff aber auch auf die außeraristotelischen Bewegungen des Pla-
tonismus und Humanismus an und spricht daher im Plural von »‘transformations’ of
Aristotelianism«87. Die Notwendigkeit für diese Umgestaltung erkennt er zum einen in
den Dogmen der Kirche von 1513, mit denen die aristotelische Philosophie habe über-
einstimmen müssen, zum andern in der Neuveröffentlichung der antiken Kommentare

84
Zur anders gearteten Interpretation dieses Werkes von Javelli vgl. Dominick A. Iorio, The Ari-
stotelians of Renaissance Italy. A Philosophical Exposition. Lewiston u. a. 1991, 141-158.
85
Charles H. Lohr, Transformation, 99.
86
Ebd. Fast wortgleich äußerte sich Lohr im Artikel Metaphysics der CHRP, 537-638, hier: 605:
»The abandonment of Aristotle by the theologians [sic!] played an important part in the emancipation
of the natural sciences from Aristotelian philosophy. … The formulation of an independent [sic!] phi-
losophy dealing with God, the world and man sub ratione entis relieved the scientists of the obligati-
on to relate their conclusions to Aristotelian [und nicht etwa theologischen!] principles. It was for this
reason that the professors in the arts faculties of the Italian universities in the late sixteenth century
were reduced to offering simply an exegesis of the Philosopher’s text and that – long before Galileo –
natural philosophy was free to go its own way.« Auf das hier formulierte katholische Geschichtsbild
wird zurückzukommen sein.
87
Vgl. Eckhard Kessler, Transformation, 139.

24
Einleitung

des Simplicius, Philoponus und Alexander, welche die scholastischen Werke ersetzt
hätten. Beide Faktoren hätten in der Folge zu vier verschiedenen Transformationen des
Aristotelismus geführt:
I. Bei den Naturphilosophen Pomponazzi, den Kessler »the torchbearer of free thin-
king«88 nennt, Simone Portio (1496-1554) und Zabarella finde sich eine unter Rückgriff
auf Alexander89 durchgeführte rein naturphilosophisch orientierte Psychologie90, wel-
che »Aristotle as the philosopher and the interpretation of Aristotle’s text as the genui-
ne way of philosophising«91 ansehe. Dies bedeute, daß die psychischen Phänomene
gemäß den Prinzipien der aristotelischen Naturphilosophie und nicht gemäß metaphy-
sischer oder theologischer Vorgaben beschrieben worden seien.
II. Bei Vernia und seinem Schüler Nifo, aber auch bei Genua und Francesco Piccolo-
mini (1523-1607)92 komme es dagegen unter Rückgriff auf Simplicius und einem neu-
platonisch verstandenen Averroes »to a spiritual interpretation of Aristotle, which tried
to integrate Aristotelian natural philosophy into the framework of Neoplatonic cosmo-

88
A. a. O., 141.
89
Vgl. Olaf Pluta, The Transformations of Alexander of Aphrodisias’ Interpretations of Aristotle’s
Theory of the Soul, in: Renaissance Readings of the Corpus Aristotelicum. Proceedings of the confe-
rence held in Copenhagen 23-25 April 1998, edited by Marianne Pade. Copenhagen 2001, 147-165,
hier: 157-165.
90
Vgl. Eckhard Kessler, Metaphysics or Empirical Science? The two Faces of Aristotelian natural
Philosophy in the Sixteenth Century, in: Renaissance Readings, 79-101, hier: 86: »If we take the ap-
proach from sense-perception and the reduction to local motion together, it becomes evident that the
pura naturalia … on the basis of which Pomponazzi feels entitled to defend Alexander’s psychologi-
cal position, represent a concept of natural philosophy which, while abandoning metaphysical princi-
ples and argumentation as used in the tradition of the Aristotelian Physics, is dedicated to a purely
empirical explanation of the sensible world of material reality, in the tradition of the Aristotelian trea-
tise On Generation and Corruption.« Ebenso in Physik oder Metaphysik. Zum Begriff einer Wissen-
schaft von der Natur in der Methodendiskussion der ‘Schule von Padua’ im beginnenden 16. Jh., in:
Aristotelica et Lulliana magistro doctissimo Charles H. Lohr septuagesimum annum feliciter agenti
dedicata. Ediderunt Fernando Domínguez et al. Den Haag 1995, 223-244, hier: 240.
91
Eckhard Kessler, Transformation, 140.
92
Vgl. Francesco Piccolomini, Librorum ad scientiam de natura attinentium partes quinque. Vene-
dig 1596. Diese Schrift war dem Verfasser leider nicht zugänglich. Daß bei Piccolomini platonisch-
hermetische Einflüsse wirksam waren, belegt Sandra Plastina, Concordia discors: Aristotelismus und
Platonismus in der Philosophie des Francesco Piccolomini, in: Das Ende des Hermetismus. Histori-
sche Kritik und neue Naturphilosophie in der Spätrenaissance. Dokumentation und Analyse der De-
batte um die Datierung der hermetischen Schriften von Genebrard bis Casaubon (1567-1614). Hrsg.
von Martin Mulsow. Tübingen 2002, 213-234. Eine knappe Übersicht zu Piccolominis Psychologie
bietet Eckhard Kessler, The Intellective Soul, in: CHRP, 527-530. Vgl. ferner Emily Michael, The
Nature and Influcence of Late Renaissance Paduan Psychology, in: History of Universities XII
(1993), 65-94, hier: 69-75. Eine allgemeine Übersicht zu Leben und Werk Piccolominis bietet Lohr,
331-42.

25
De Anima

logy and to reconcile both with Christian dogma«93. Diese Umgestaltung könne die
platonische Transformation des Aristoteles in der Renaissance genannt werden.
III. Wie für Lohr, so zeigt auch für Kessler die Zweite Scholastik eines Cajetan und
Javelli – und nicht etwa die Naturphilosophie eines Pomponazzi oder Zabarella – die
fundamentale Differenz zwischen der aristotelischen Naturphilosophie und den Dog-
men der Kirche auf. Dies führe auf der einen Seite zu einer »purely Christian metaphy-
sics« und auf der andern zu einem Aristoteles als »merely the empirical observer of
natural phenomena«94. Daß sich dieses Projekt nun gerade nicht mit dem der unter I.
genannten Naturphilosophen deckt, begründet Kessler mit der reaktionären Grundhal-
tung dieser Philosophen, die sich wie Cremonini den neuen Errungenschaften der Na-
turwissenschaften verschlossen hätten. Die zweite Scholastik dagegen »freed Aristote-
lian physics from metaphysical limitations95 and allowed for a truly empirical science
of nature, that is to say, a science open to all kinds of new discoveries about the world
and gradually gaining its own empirical methodology.«96 Auch hier erscheinen also die
Scholastiker als Trendsettter für die Neue Wissenschaft z. B. eines Galilei, dessen
Ausbildung bei den Jesuiten für Kessler ein Indiz für die Richtigkeit seiner These ist.
IV. Diese Neue Wissenschaft eines Galilei, Cardano (1501-1576), Telesio (1509-
1588), Bruno und Campanella (1568-1639) kennzeichnet für Kessler die vierte Trans-
formation des Aristotelismus, »which, rather than create a philosophical alternative to
the Aristotelian tradition, sought a new and more radical means of its transformati-
on«97. Über die neuplatonischen Versuche einer Transformation des Aristotelismus
hinaus komme es hier zu einem völligen Neuansatz in der Naturphilosophie, der das
Experiment in den Mittelpunkt des Interesses stelle. Diese Variante beschreibt Mulsow
im Unterschied zu den eben beschriebenen ausdifferenzierenden Transformationen als
integrative Transformation, die zwar noch innerhalb des Aristotelismus verlaufe, die-
sen jedoch wesentlich übersteige bzw. in einen expliziten Anti-Aristotelismus um-
schlagen könne.98
3. In einem früheren Aufsatz hat Kessler – noch ohne diesen Begriff zu gebrauchen –
einen weiteren ausdifferenzierenden Transformationsprozeß innerhalb des Aristotelis-
mus beschrieben, der in einer zunehmenden Abkehr von der naturphilosophisch-
deterministischen Rekonstruktion der Erkenntnis als eines natürlichen Prozesses, in

93
Eckhard Kessler, Transformation, 141.
94
Ebd.
95
In Metaphysics or Empirical Science spricht Kessler in diesem Zusammenhang von der Eman-
zipation der Naturphilosophie von der Tyrannei der nichtchristlichen Metaphysik: »With Javelli, as
Charles Lohr has proved, the Second Scholastics begin and … natural philosophy is emancipated
from the tyranny of metaphysics.« (83)
96
Eckhard Kessler, Transformation, 142
97
A. a. O., 144.
98
Vgl. Martin Mulsow, Selbsterhaltung, 33-35.

26
Einleitung

dem der Mensch weitgehend passiv bleibt, hin zu einer produktiven Rekonstruktion des
Erkenntnisprozesses führe. Die (moderne) Frage sei nun, »wie das willentliche Ele-
ment, die freie Aktivität des Subjekts, erklärt werden muß, damit es überhaupt in eine
kausale Rekonstruktion der Erkenntnis integriert werden kann«99. Kessler verdeutlicht
dies an Zabarella, der die Methodik des Erkennens anders als sein Kollege Piccolomi-
ni100 nicht an die Naturphilosophie und Ontologie zurückgebunden, sondern als ein In-
strument der Logik verstanden habe, das der Mensch sich selbst bilde, um beim Er-
kenntnisprozeß möglichst sicher vom Bekannten zum Unbekannten fortzuschreiten.
Gleichwohl komme auch Zabarella nicht umhin, im Anschluß an die alexandrinische
Identifikation des intellectus agens mit Gott einen generellen Garanten der Erkennbar-
keit der extramentalen Realität zu setzen, der die notwendige Bedingung für die Er-
kenntnis sei, indem er die sinnliche Welt durch das Erleuchten der Vorstellungsbilder
erkennbar mache und garantiere, daß das, was der Mensch als Realität erkenne, im
Sinne der Adäquationswahrheit erkannte Realität sei. Auch bei ihm sei also die Er-
kenntnistheorie ontologisch in Gott fundiert, mag auch die Weise des Erkennens eine
andere sein als bei Piccolomini. Der dem Menschen zukommende intellectus possibilis
wiederum verschaffe sich den Erkenntnisinhalt durch Abstraktion und Beurteilung
selbst.
»Wie bei Piccolomini besteht also auch bei Zabarella der eigentliche Erkenntnisakt nicht in ei-
ner kausal deterministisch rekonstruierbaren Produktion eines nur noch zu rezipierenden Er-
kenntnisbildes, sondern in der selbsttätigen Konstitution des Erkenntnisinhaltes durch den nicht
kausal deteminierten sondern willentlich gesteuerten Akt des menschlichen Intellekts: Erkennen
wird identisch mit Urteilen und ist darum den Verfahrensregeln der Logik und Methodologie
unterworfen.«101

99
Eckhard Kessler, Von der Psychologie zur Methodenlehre. Die Entwicklung des methodischen
Wahrheitsbegriffs in der Renaissancepsychologie, in: ZfphF 41 (1987), 548-70, hier: 558.
100
Gemäß Kessler unterschied Piccolomini beim Erkenntnisprozeß zwischen dem rezeptiven Akt
des Erwerbs von Erkenntnisinhalten und dem produktiven Akt ihrer beurteilenden Verarbeitung. Je-
ner Akt kennzeichnet den intellectus possibilis, sofern er vor jedem Erkenntnisakt keinen Inhalt in
sich trägt und vom Vorstellungsbild zur Tätigkeit angeregt wird, dieser Akt dagegen den intellectus
agens als ein dem Menschen eigenes Seelenvermögen, insofern er in der Tätigkeit selbsttätig abstra-
hiert, komponiert und schließt. Damit, so Kessler, beziehe Piccolomini in die psychologische Rekon-
struktion des Erkenntnisprozesses die Regeln der Logik und Methodenlehre mit ein. Freilich bedürfe
diese produktive Erkenntnistheorie, in der der Geist seine Erkenntnisinhalte selbst konstituiere, einer
naturphilosophisch-ontologischen Absicherung, damit das, was er erkenne, auch mit der Realität im
Sinne der Adäquationswahrheit übereinstimme. Diese Absicherung geschehe bei Piccolomini, »in-
dem er einerseits die Prinzipien, nach denen der Intellekt tätig wird, als a priori gegeben und eingebo-
ren setzt und andererseits den diskursiven Prozeß der menschlichen Erkenntnis als Nachvollzug der
Struktur des natürlichen Schöpfungsprozesses versteht und damit die Selbsttätigkeit des menschli-
chen Intellektes wiederum natürlich-ontologisch bedingt sein läßt.« (Psychologie, 562)
101
A. a. O., 565.

27
De Anima

Für Kessler wird Zabarellas Erkenntnistheorie aufgrund ihrer Subjektivierung des Er-
kenntnisprozesses nicht nur zur Grundlage einer empirischen, sondern auch einer neu-
zeitlich experimentellen Wissenschaft, die nicht mehr das Wesen der Dinge selbst,
sondern das methodisch Sichtbare an ihnen zu erkennen beanspruche. Ja, indem Zaba-
rella die Wahrheit der Erkenntnis durch den göttlichen intellectus agens im voraus si-
cherstelle, bereite er Descartes’ Philosophie vor, dessen methodischer Wahrheitsbegriff
zwar ebenfalls der Garantie des guten Gottes bedürfe, der aber wegen seiner Ontolo-
giefreiheit zum Wegbereiter der neuzeitlichen Philosophie werde.
4. Jüngst hat schließlich Des Chene »the transformation of the science of the soul bet-
ween 1550 and 1650«102 beschrieben. Es handelt sich dabei um eine Darstellung, wel-
che sowohl die ausdifferenzierende Transformation innerhalb des Aristotelismus als
auch die von dieser philosophischen Bewegung wegführende integrative Transformati-
on in den Blick nimmt. Ziel der beiden Schriften Life’s form und Spirits and Clocks ist
es, »to examine … certain key questions about the soul in general: its definition, the
definition of life, the relation between the soul and its powers, the unity of the soul and
the body.«103 Damit soll nicht nur ein Verstehen des Aristotelismus um seiner selbst
willen ermöglicht, sondern auch der Hintergrund für die wissenschaftlichen Umwäl-
zungen im 17. Jh. aufgehellt werden. Des Chene berücksichtigt für diese Aufgabe
überwiegend die Schriften der von ihm so genannten liberalen Jesuiten Toletus, Fran-
cisco Suárez (1548-1617)104, Roderigo de Arriaga (1592-1667) sowie die Conimbricen-
ser, während Zabarella der einzige Vertreter des radikalen italienischen Aristotelismus
ist.105 Die Kritik an diesem Transformationskonzept sowie an der Auswahl der Autoren
verdeutlicht zugleich die Aufgabe und Zielrichtung der vorliegenden Arbeit.

102
Dennis Des Chene, Life’s Form, VII.
103
A. a. O., 2.
104
Vgl. Francisco Suárez, Tractatus tertius de anima. Mainz 21622. Der Text ist Teil eines umfang-
reichen Kommentars zur Summa Theologiae des Thomas: Commentaria ac disputationes in primam
partem D. Thomæ de Deo uno et primo. Tractatus primus. De divina substantia eiusque attributis.
Tractatus secundus. De divina prædestinatione. Tractatus tertius. De sanctissimo Trinitatis mysterio.
Lyon 1619. Commentaria ac disputationes in secundam partem D. Thomæ. De Deo effectore creatu-
ram omnium. Tractatus primus. De angelis. Lyon 1620. Commentaria … Tractatus secundus. De ope-
re sex dierum, seu De universi creatione, quatenus sex diebus perfecta esse, in libro Genesis cap. 1
refertur, & præsertim de productione hominis in statu innocentiæ. Tractatus tertius. De anima. Lyon
1621. Abgedruckt in Suárez, Opera omnia. Hrsg. von L. Vives. 28 Bde. Paris 1856-61, hier: Bde. 1-3.
Der Tractatus de anima bleibt hier wegen seiner späten Veröffentlichung unberücksichtigt. Seine
Rezeption erfolgte erst zu einem Zeitpunkt, der außerhalb der hier berücksichtigten Schriften liegt.
105
Vgl. Dennis Des Chene, Life’s Form, 3: »The texts here studied are mostly the work of liberal
Jesuit scholastics: Franciscus Toletus, Franciscus Suárez, Petrus Fonseca, the Coimbran authors, Ro-
derigo de Arriaga. The exception ist Eustachius, on whom I draw in part because of his importance to
Descartes, and in part because he presents on some questions the Scotist position, even though much
of his De Anima is drawn from the nominally Thomist Coimbra commentary by Emmanuel Goes.
The Jesuit works, published between the 1570s and the 1620s, were not only used extensively in the
schools through much of the seventeenth century, but came to represent – more of their Dominican

28
Einleitung

1.4. Die Aufgabe und ihre Erfordernisse

Der von Lohr und Kessler entwickelten, von Des Chene und Mulsow adaptierten These
von den Transformationen des Aristotelismus liegt die gewiß richtige Erkenntnis zu-
grunde, daß die Rezeption immer vom zeitgenössischen Kontext abhängig ist, der das
Verstehen von Texten mitbeeinflußt. Die These unterstellt jedoch, daß jede Rezeption
des Aristotelismus eine Bewegung weg vom Original ist. Damit wird man jedoch den-
jenigen Aristotelikern nicht gerecht, welche ihre Interpretation gerade als ein Zurück
zum Original verstanden, die erfolgten Transformationen also rückgängig zu machen
versuchten. Diese als reaktionär zu desavouieren, wie Lohr und Kessler es tun, zeigt
die Schwäche dieses Konzeptes an, das auch zu falschen historischen Schlußfolgerun-
gen führt, wie im Verlauf dieser Arbeit deutlich werden wird. Statt von Transformati-
onsprozessen wird daher neutral von verschiedenen Weisen der Rezeption gesprochen,
die eine Umformung beinhalten können, aber eben nicht müssen.
Vor diesem Hintergrund ist das Ziel der vorliegenden Arbeit, die Rezeption der ari-
stotelischen Psychologie im 16. und 17. Jh. im Rückgriff auf die wesentlichen Schulen
der Antike und des Mittelalters – des Alexandrismus, Neuplatonismus, Averroismus
und Thomismus – zu ermitteln und zu beschreiben. Sie geht also noch einen Schritt
über das hinaus, was Mulsow als dringendes Desiderat der Forschung beschrieben hat,
nämlich »die komplexe Transformation des Aristoteles über eine detaillierte Rezepti-
onsgeschichte der griechischen Aristoteleskommentatoren in der Renaissance mit der
nicht minder komplexen Transformation des Aristotelismus im 16. Jahrhundert in Ver-
bindung zu bringen«106. Diese komplexe historische Situation für das 16./17. Jh. nicht
erfaßt zu haben, macht einen der Mängel von Des Chenes Werk aus. So bleiben die
antiken Autoren Alexander und Simplicius vollkommen unberücksichtigt, während die
Position von Averroes nur partiell Erwähnung findet, als dessen Anhänger in der Psy-
chologie fälschlicherweise auch noch Pomponazzi und Zabarella genannt werden. Die
Inblicknahme von den novatores her führt also zur Verengung der Sichtweise auf die
Jesuiten und verhindert so einen angemessenen Zugriff auf die historische Situation.
Ein weiterer inhaltlicher Mangel besteht darin, daß Des Chene gerade denjenigen Teil
der aristotelischen Psychologie übergeht, an dem sich erst der Begriff der menschli-
chen Seele in seiner ganzen ontologischen und epistemologischen Dimension zeigt,
nämlich die Lehre vom nou=j. Sie wird daher in der vorliegenden Arbeit im Mittelpunkt
des Interesses stehen.
_________________________________________________________________________________________________________

and Franciscan counterparts – the ‘philosophy of the Schools’ among the novatores, especially those
educated in Catholic universities. It is against the background of their version of Aristotle and their
summaries of the tradition that works like Descartes’ Traité de l’Homme, Malebranche’s Recherche
de la Vérité, and Gassendi’s Syntagma should be read … Within Aristotelianism itself, the dissident
Averroism of the Paduan School, represented notably by Pietro Pomponazzi and Giacomo Zabarella,
had a marked influence in France in the latter part of the sixteenth century …«
106
Martin Mulsow, Selbsterhaltung, 31 (Anm. 55).

29
De Anima

Im Blick auf dieses Programm ergibt sich folgende Gliederung und Fragestellung
der Arbeit:
1. In einem ersten Schritt sind die griechischen De Anima-Kommentare von Alexander
und Simplicius ausführlicher darzustellen (vgl. 2.2.1 und 2.3.1.). Der Schwerpunkt
liegt hierbei auf der Lehre vom nou=j, an der sich besonders deutlich die Differenzen
zwischen einem ‘originären’, von platonischen, stoischen und christlichen Einflüssen
freien Aristotelismus und einem solchen neuplatonischer Provenienz zeigen.
2. Um dabei zugleich einen ersten Einstieg in die Rezeptionsgeschichte dieser beiden
Autoren zu gewinnen, geschieht Alexanders Darstellung im Zusammenhang mit der
Interpretation von Martin Luthers (1483-1546) Probatio zur 31. These der Heidelber-
ger Disputation von 1518107 (vgl. 2.2.) und Simplicius’ Darstellung im Zusammenhang
mit Melanchthons Commentarius de anima von 1540 bzw. dem überarbeiteten Liber
de anima von 1552108 (vgl. 2.3.). Diese prima facie überraschende Zusammenstellung
rechtfertigt sich vor dem Hintergrund einer expliziten Berufung Luthers auf Alexan-
ders Ansicht von der Sterblichkeit der menschlichen Seele und eines in Teilen neupla-
tonischen Verständnisses der Seele bei Melanchthon. In bezug auf Luther stellen sich
hierbei folgende Fragen: Welche Absicht verfolgte er mit seiner Interpretation von De
An. III 4 und 5 im Rahmen einer sich mit der scholastischen Theologie auseinanderset-
zenden Disputation? Wie verstand er diese Lehre, und wie weit folgte er dabei Alexan-
ders Position? Sind daneben Einflüsse anderer Schulen feststellbar? In bezug auf Me-
lanchthon ist zu fragen: Wie begründete er die Aufnahme der aus theologischer Sicht
höchst umstrittenen aristotelischen Psychologie in das curriculum Philosophiae? Unter
welchen Prämissen erfolgte dabei die Rezeption dieser Lehre? Zu welchen Umgestal-
tungen kam es hierbei, und wie ist das Ergebnis zu bewerten? Ist diese Psychologie
lutherisch, wie Kusukawa behauptet109, oder ist sie nicht doch eher eine eklektische
Sammlung von verschiedenen philosophischen, medizinischen und theologischen
Theorien? Welche inhaltlichen Differenzen sind zwischen dem Commentarius de ani-
ma und dem Liber de anima festzustellen?
3. Ein qualitativ anderes Niveau der Aristoteles-Interpretation findet sich im Renais-
sance-Aristotelismus, der Gegenstand des dritten Kapitels ist. Hier wird sich die ganze
Komplexität und Subtilität des Locus De anima zeigen. Denn die nun im vollen Um-
fang erfolgende Rezeption der antiken Autoren führte zu mannigfaltigen Auseinander-
setzungen innerhalb des Aristotelismus, so daß auch hier von Aristotelismen gespro-

107
Vgl. WA 59, 405-26.
108
Vgl. Melanchthon, Commentarius de anima. Wittenberg 1540. Ders., Liber de anima. Witten-
berg 1552, in: CR 13, 5-178.
109
Vgl. Sachiko Kusukawa, The Transformation of Natural Philosophy. The Case of Philip[p] Me-
lanchthon. Cambridge 1995, 4: »Melanchthon in fact used classical as well as contemporary authors
in such a way as to render his natural philosophy Lutheran. That is, Melanchthon transformed tradi-
tional natural philosophy into a natural philosophy new and different from its predecessors because
he believed in a faith which was also new and different.«

30
Einleitung

chen werden kann. Im Mittelpunkt stehen hierbei die Standardwerke von Zabarella und
Portio110 auf der einen Seite und von Toletus und den Conimbricensern auf der andern.
Die Scheidelinie zwischen beiden Richtungen verläuft hierbei zwischen dem Alexan-
drismus der Italiener mit ihrer strikten Ablehnung des Neuplatonismus eines Simplici-
us und der thomistischen Rezeption des Aristoteles durch den Jesuitenorden. Daneben
spielte der Averroismus sowie die neue Bewegung des Humanismus, der mit seiner
Parole ad fontes die erneute Rezeption der Antike überhaupt erst möglich gemacht hat,
eine bedeutende Rolle, so daß sich hier ein Gemengelage aus verschiedenen antiken,
arabischen, mittelalterlichen und neuzeitlichen Strömungen ergibt, welche diese Zeit so
komplex und ihr Verstehen so schwierig machen. Folgende Fragen stellen sich in die-
sem Zusammenhang: Wie kann die Identität und Differenz zwischen dem ‘originären’
und ‘christlichen’ Aristotelismus genauer bestimmt werden? Welche Änderungen be-
wirkte der Humanismus in der Rezeption der aristotelischen Psychologie? Wie verhält
es sich mit der von Lohr und Kessler beschriebenen These einer Emanzipation der Na-
turphilosophie von Aristoteles durch den christlichen Aristotelismus? Sind tatsächlich
die Jesuiten die Trendsetter der Neuen Naturwissenchaft, oder sind dies nicht vielmehr
die radikalen Aristoteliker Zabarella und Portio mit ihrer Forderung nach einer libertas
philosophandi und einer Emanzipation der Naturphilosophie von der christlichen Me-
taphysik, wie auch Michael betont111? Ist Kesslers These von der Subjektivierung des
Erkenntnisprozesses bei Zabarella eine angemessene Beschreibung seiner von Aristo-
teles geprägten Epistemologie, für die gemeinhin der Satz gilt: Der Gegenstand ist das
Maß und der Geist das Gemessene? Wird hiermit nicht zu Unrecht die cartesianische
Umkehrung dieses Prinzips unzeitgemäß auf Zabarella vorverlegt?
4. Sparn hat den fehlenden Nachweis der Wirkungsgeschichte der mittelalterlichen
Scholastik, der Jesuiten sowie des italienischen Aristotelismus in der Metaphysik der
lutherischen und calvinistischen Schulphilosophie des 17. Jh.s als Desiderat der For-
schung bezeichnet hat.112 Im vierten und letzten Kapitel dieser Arbeit soll dies für die

110
Vgl. Simone Portio, De humana mente disputatio. Florenz 1551.
111
Vgl. Emily Michael, Nature and Influcene, 75f.: »Further, I would suggest that this Renais-
sance approach [sc. von Zabarella und Piccolomini] did not simply end with the rise of modern philo-
sophy, but rather that, while Thomistic analyses were attacked and rejected as inadequate by the mo-
derns, a variety of the doctrines adopted by these Paduan professors of natural philosophy … survive
in some form in the modern period … That is, it raises the provocative possibility that the Paduans
played a transitional role in the rise of early modern philosophy.«
112
Vgl. Walter Sparn, Metaphysik, 206: »Die Komplexität der Tradition, deren die neue Metaphy-
sik sich bedient, war nicht Gegenstand der Untersuchung. Sie zu verstehen, bedürfte noch einiger
philosophiegeschichtlicher Detailarbeit. Die beiden wichtigsten Fragen, die dabei zu klären anstün-
den, sind wohl diese: Erstens: in welcher Breite nimmt die protestantische Scholastik die mittelalter-
liche Philosophie selbständig auf und inwieweit ist sie, mit dem jeweiligen Ausgleich thomistischer
und skotistischer Gesichtspunkte, durch Cajetan, Fonseca und Suarez vermittelt? Wie verläuft die
Wirkungsgeschichte insbesondere Suarez’ je auf lutherischer und auf calvinistischer Seite im einzel-
nen? Stehen dabei theologische Entscheidungen der Gegenreformation zur Diskussion? Zweitens:

31
De Anima

Psychologie zumindest in Ansätzen aufgezeigt werden. Hierfür werden die bisher in


der Forschung vollkommen übergangenen Werke der Lutheraner Jacob Martini113, Si-
gismund Evenius (1585/9-1639)114, Christoph Scheibler (1589-1653)115, Johann Conrad
Dannhauer (1603-1666)116 und Martin Leuschner (1589-1641)117 zugrunde gelegt und
in der nötigen Ausführlichkeit präsentiert. Da diese Autoren in verschiedenen Städten
publiziert haben, liegt mit diesen Schriften ein repräsentativer Durchschnitt zur philo-
sophischen Psychologie im Luthertum vor. Daneben werden die Werke der Calvinisten
Julius Pacius (1550-1635)118 und Clemens Timpler (1563/4-1624)119 berücksichtigt, um
zum einen ein abgerundeteres Bild der Schulphilosophie im 17. Jh. zu gewinnen und
zum andern eventuell vorhandene konfessionelle Gegensätze sichtbar zu machen. Da
mit diesem Kapitel Neuland betreten wird, stellen sich entsprechend grundsätzliche
Fragen: Welches Verständnis vom Wesen der Psychologie bildete sich aus? War diese
durch und durch aristotelisch? Auf welche Autoren griff man hierbei zurück? Schloß
man sich ohne Einschränkung einer der genannten Schulen des Alexandrismus, Aver-
roismus oder Thomismus an, oder wird ein eigenes lutherisches bzw. calvinistisches
Profil in der Psychologie erkennbar? Gab es theologische Vorbehalte? Wurden gar der
Vorgehensweise der Jesuiten entsprechend theologische Lehrsätze formuliert, deren
Geltung auch in der Philosophie zu erweisen war? Welches Verhältnis von Philosophie
und Theologie bildete sich folglich in der konkreten Arbeit an den Sachproblemen aus?
Wurde man dabei den Anforderungen beider Disziplinen gerecht? Wie wurde schließ-
lich das Abrücken von Melanchthons Schriften zur Psychologie begründet, die im Ver-
lauf des 17. Jh.s vollkommen aus dem Unterricht verschwanden?
_________________________________________________________________________________________________________

wie sieht die Wirkungsgeschichte des Paduaner Aristotelismus und Scaligers aus, und entsprechen die
Grundsätze dieser Philosophie den konfessionsspezifischen Voraussetzungen ihrer Schüler?«
113
Vgl. Jacob Martini, Exercitationes nobiles de anima. Wittenberg 1606.
114
Vgl. Sigismund Evenius, ANQRWPOLOGIA seu, de hominis secundum corpus et animam
constitutione doctrina, inter scientiæ naturalis partes longè præstantissima, repetita, disputationibus
undeviginti inclusa, & in Collegio privato Wittenbergæ exhibita. Wittenberg 1613.
115
Vgl. Christoph Scheibler, Collegium psychologicum. Gießen 1608/9. Ders., Liber de anima.
Gießen 1614.
116
Vgl. Johann Conrad Dannhauer, Collegium Psychologicum, in quo maxime controversae quae-
stiones, circa libros tres Aristotelis de anima proponuntur, ventilatur, explicantur. Altdorf 1627.
117
Vgl. Martin Leuschner, Tetras disciplinarum philosophicarum, hoc est, Logicæ, Physicæ,
Ethicæ, et Politicæ; ut et aliæ nonnullæ quæstiones & controversiæ Philosophicæ, ex varijs Discipli-
nis desumptæ. Stettin 1633.
118
Vgl. Julius Pacius, Aristotelis de Anima libri tres, græce et latine, Iul. Pacio à Beriga interprete.
Accesserunt eiusdem Pacii in eosdem libros commentarius analyticus … Frankfurt 1596.
119
Vgl. Clemens Timpler, Physicæ seu philosophiæ naturalis systema methodicum, in tres partes
digestum. Hier: Pars tertia & postrema Physicæ, complectens Empsychologiam; Hoc est, doctrinam
de corporibus naturalibus animatis, libris V. explicatam. Quorum I. continet Empsychologiam genera-
lem; II. Zoologiam generalem; III. Anthropologiam. IV. Therologiam. V. Phytologiam. Hanau 1622.

32
Einleitung

5. Die Rezeption der aristotelischen Psychologie geschah bei den hier verhandelten
Autoren vor dem Hintergrund verschiedener Philosophiekonzepte, welche die Leitlini-
en des Philosophierens vorgaben, mögen diese nun theologisch bedingt gewesen sein
oder nicht. Ohne diese Konzepte hier ausführlich darstellen zu können, sollen doch
wenigstens ihre Grundzüge ermittelt werden. Hierbei werden sich interessante Paralle-
len zwischen Autoren ergeben, die losgelöst von der konfessionellen Zugehörigkeit ein
innovatives Zusammenspiel von Philosophie und Theologie ermöglichten.

33
2. Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon

2.1. Einleitung

Mundus certe non potest intelligere neque credere


animam esse immortalem.1

Als sich Luthers Reformation von einer zunächst ausschließlich religiösen zu einer um-
fassenden geistigen Bewegung wandelte, die alle Bereiche des Lebens umfaßte, stellte
sich in Wittenberg bald nach 1517 die Frage nach einer Schul- und Universitätsreform,
die den neu formulierten Ansprüchen an ein gebildetes und christliches Leben in der
Gemeinschaft genügen sollte. Melanchthon hat sich dieser Aufgabe nach seiner Beru-
fung als Professor für Griechisch im Jahre 1518 gemeinsam mit Luther angenommen.
Zu ihr gehörte auch der Aufbau einer neuen humanistisch-philosophischen Fakultät,
die das Studium der Philosophie auf andere Weise betreiben sollte, als es nach Ansicht
der Reformatoren an den scholastischen Universitäten mit ihrer Vermischung von
Theologie und (aristotelischer) Philosophie bis dahin üblich war.2 Für diese Bildungs-
reform griff man auf den Humanismus des 15. und 16. Jhs. zurück. Wie ist dieses Pro-
gramm näher zu verstehen?
Der Humanismus mit seinem Rückgriff auf die griechische und römische Antike
war im eigentlichen Sinne ein »Kultur- und Bildungsprogramm«3, weniger eine echt
philosophische Bewegung. Deutlich wird dies an dem studia humanitatis genannten
Curriculum, das seit dem späten 14. Jh. neben dem Trivium der Grammatik, Rhetorik
und Dialektik und dem Quadrivium der Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik
auch die Ethik, Politik, Ökonomie, Geschichte und Poetik umfaßte, die übrigen ‘echt’
philosophischen Disziplinen der (syllogistischen) Logik, Naturphilosophie und Meta-

1
WA 20, 70, 23f. (Annotationes in Ecclesiasten Salomonis, 1532).
2
Der Begriff der Scholastik wird erst mit Luther als terminus technicus für eine bestimmte Weise
des Philosophierens und Theologisierens bestimmend. Vgl. Heinrich M. Schmidinger, ‘Scholastik’
und ‘Neuscholastik’ – Geschichte zweier Begriffe, in: Christliche Philosophie im katholischen Den-
ken des 19. und 20. Jahrhunderts. 2. Band. Rückgriff auf scholastisches Erbe. Hrsg. von Emerich Co-
reth u. a. Graz u. a. 1988, 23-53, hier: 37: »Unter dem Einfluß und der Autorität Martin Luthers
(1483-1546) auf der einen und des Erasmus auf der anderen Seite setzt sich ‘Scholastik’ als Bezeich-
nung für die theologisch-philosophischen Schulen des Hoch- und Spätmittelalters durch. Erst jetzt
also wird der bis heute geläufige Wortgebrauch üblich.« Es sei hier nur an Luthers frühe Disputatio
contra scholasticam theologiam von 1517 erinnert, auf die gleich näher eingegangen wird. Zur scho-
lastischen Theologie vgl. Ulrich G. Leinsle, Einführung in die scholastische Theologie. Paderborn
1995.
3
Paul Oskar Kristeller, Die humanistische Bewegung, in: Humanismus und Renaissance. Bd. I.
Die Antiken und mittelalterlichen Quellen. Hrsg. von Eckhard Keßler. München 1974, 17. Vgl. auch
ders., Humanism, in: CHRP, 113-137.

35
De Anima

physik aber im großen und ganzen vernachlässigte.4 Ziel dieser Bewegung war es, die
griechischen und hebräischen Texte in Philosophie, Literatur und Theologie wieder im
Original zu lesen. Dies setzte zum einen die Unterrichtung dieser Sprachen anhand neu
zu gestaltender Grammatiken voraus, zum andern die Herausgabe entsprechender Tex-
te, wobei man sie zugleich von den spuria zu reinigen hatte. So wurde das corpus Pla-
tonicum durch Ficino (1433-99) ins Lateinische übersetzt und 1484 mit einem Kom-
mentar versehen veröffentlicht. Eine griechische Gesamtausgabe erschien 1499. Eras-
mus von Rotterdam (1465/6-1536) edierte 1516 den griechischen Text des Neuen Te-
staments zusammen mit einer neuen lateinischen Übersetzung. Auch das bisher nur
rudimentär auf Lateinisch bekannte corpus Aristotelicum wurde in der berühmten edi-
tio princeps des Aldine 1495-8 im griechischen Urtext zugänglich gemacht.5 Hinzu
kamen neue Übersetzungen, deren Ziel es war, die ‘barbarische’ Sprache der Schola-
stik zu überwinden und ein elegantes Latein zu präsentieren, das sich an Cicero und
Quintilian orientierte, dabei aber dem sensus Aristotelis besser entsprechen sollte. Die-
se neue Haltung findet sich zuerst bei Leonardo Bruni (1370-1444), der den Versuch
unternahm, »to humanize Aristotle by putting him in a polished Latin garb«6. Als ein
typischer Vertreter des Humanismus übersetzte er die aristotelischen Schriften Niko-
machische Ethik, Politik, Ökonomik & De Interpretatione ins ‘gereinigte’ Lateinisch,
indem er zum einen eine kontextorientierte Übersetzung, statt einer bloßen Wort-für-
Wort-Übersetzung gab und zum andern eine lateinische Begrifflichkeit verwendete,
statt griechischer Entlehnungen (res familiares statt oeconomica für h( oi)konomikh/
etc.). Einen Schritt weiter – und damit den Überstieg vom Humanismus zum Renais-
sance-Aristotelismus anzeigend – ging der byzantinische Gelehrte Johannes Argyropu-
los (1415-87), »who was inspired by the humanistic ideal of elegant Latin«7. Seine
wirkmächtigen Übersetzungen vieler aristotelischer Schriften (u. a. Organon, Physik,
Metaphysik, De Anima) wurden der neue Maßstab für das philologische Arbeiten am
Text: »Even more than Bruni he turned away from the medieval verbum e verbo me-

4
Vgl. Charles B. Schmitt, Aristotle and the Renaissance, 15: »This distinction [sc. between huma-
nism and scholasticism] recognizes the contrast between the traditional study of philosophy in the
Italian universities centering upon logic and natural philosophy on the one hand and the cultivation of
Aristotelian moral philosophy as a part of the studia humanitatis curriculum compromising grammar,
rhetoric, poetry, and history, on the other.«
5
Zur Verfügbarkeit der platonischen und aristotelischen Werke vgl. Anthony Grafton, The availa-
bility of ancient works, in: CHRP, 767-791, hier: 777f. und 786f.
6
Charles B. Schmitt, Aristotle and the Renaissance, 67.
7
Katharine Park and Eckhard Kessler, The concept of psychology, in: CHRP, 458. Vgl. Brian P.
Copenhaver, Translation, terminology and style in philosophical discourse, in: A. a. O., 77-110, hier:
82: »Of all the Byzantines, however, the most influential translator was Argyropulos, whose freer
renderings of Aristotle ruled the arena of new translation in the fifteenth century and remained well
known in the next.«

36
Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon

thod, introducing in its place a technique often bordering on paraphrase.«8 Diese Me-
thode sollte für die nachfolgende Zeit bestimmend bleiben.
In dieser humanistischen Tradition stand nun auch Melanchthon, als er 1518 nach
Wittenberg kam. So plante er zusammen mit weiteren Gelehrten die Neuherausgabe
der aristotelischen Schriften »im reinen griechischen Urtext, frei von dem scholasti-
schen Beiwerk der mittelalterlichen Kommentare«9. Im Nachwort seiner noch in Tü-
bingen verfaßten Institutiones Graecae Grammaticae von 1518 gab er dieses Vorhaben
erstmals öffentlich bekannt.10 Auch in seiner Wittenberger Antrittsrede mit dem be-
zeichnenden Titel De corrigendis adolescentiae studiis vom 28. August 1518 verkün-
dete er, gemeinsam mit anderen Gelehrten einen gereinigten Aristoteles herausgeben
zu wollen.11 Daß dieses Projekt nicht realisiert wurde, ist bekannt. Denn an der Leuco-
rea kam es als Konsequenz der Reformation zu einer vollkommenen Umgestaltung des
artistischen Curriculums, in dem es aufgrund der Auseinandersetzungen mit dem scho-
lastischen Aristotelismus zunächst keinen Platz für einen ‘gereinigten’ humanistischen
Aristoteles gab.
Deutlich wird dies an Luthers Schrift An den christlichen Adel deutscher Nation von
des christlichen Standes Besserung von 1520, die den bekannten Rat enthält, die aristo-
telischen Werke Physik, Metaphysik, De Anima und Nikomachische Ethik von den
Universitäten zu verbannen. Nur dessen Schriften zur Logik sowie die Rhetorik und
Poetik sollten danach noch Grundlage des Unterrichts sein.12 Seit 1517 führte dieses

8
Vgl. Charles B. Schmitt, Aristotle and the Renaissance, 69f. Zur Wirkmächtigkeit seiner Über-
setzung der Schrift De Anima vgl. 3.1.
9
Karl Hartfelder, Philipp Melanchthon als Praeceptor Germaniae. Berlin 1889 (Reprint Nieuw-
koop 1964), 39.
10
Vgl. CR 1, 26 (Institutiones Graecae Grammaticae, 1518): »Accingimur enim non vano conatu
ad instauranda Aristotelica, quo vel tandem nostri homines hac laudum parte cum aliarum gentium
philosophis comparari recte queant. Nam quae in Aristotelem hactenus apud Germanos scripta sunt, a
nescio quibus, veluti in stipem emendicata, adeo non referunt Aristotelem, ut indignum sit nobile pe-
ri/paton in hos rapsodos incidisse.«
11
Vgl. CR 11, 20 (De corrigendis adolescentiae studiis, 1518): »Ad haec male precatus nugis, ob-
nixe a me contendit, Aristoteli purgando socias manus adicerem: conaturum omnia sese pro viribus,
uti artium elementa vindicta barbarorum liberarentur.« Dieser Plan zur Wiederherstellung des echten
Aristoteles sei notwendig, da gewisse Leute auf ihn verfallen seien, ihn verstümmelt und zerfetzt ins
Lateinische übertragen hätten, so daß er nun selbst der weissagenden Sibylle Rätsel aufgebe.
12
Vgl. WA 6, 457,31-38 (An den christlichen Adel deutscher Nation von den christlichen Standes
Besserung, 1520): »Was sein die Universiteten, wo sie nit anders, dann biszher, vorordnet, den, wie
das buch Machabeorum sagt, Gymnasia Epheborum et Grece glorie, darynnen ein frey leben gefuret,
wenig der heyligen schrifft und Christlicher glaub geleret wirt, und allein der blind heydnischer mey-
ster Aristoteles regiert, auch weytter den Christus? Hie were nu mein rad, das die bucher Aristoteles,
Phyisicorum, Metaphysice, de Anima, Ethicorum, wilchs biszher die besten gehalten, gantz wurden
abthan mit allen andern, die von naturlichen dingen sich rumen …« Zur Logik, Rhetorik und Poetik
heißt es an anderer Stelle: »Das mocht ich gerne leyden, das Aristoteles bucher von der Logica, Rhe-
torica, Poetica behalten, odder sie in ein ander kurtz form bracht nutzlich geleszen wurden, junge leut
zuuben, wol reden und predigen, aber die Comment und secten musten abethan, unnd gleich wie Ci-

37
De Anima

Programm zur Umgestaltung der philosophischen (und theologischen) Fakultät in Wit-


tenberg: So wurde zunächst 1518 ein neuer Lehrstuhl für Physik und Metaphysik nach
neuer Aristoteles-Übersetzung (Argyropolus?) eingerichtet, der jedoch 1525 wieder
abgeschafft wurde. Ferner wurden in den Jahren 1519 bis 1521 jeweils die beiden alten
Lehrstühle für die aristotelische Naturphilosophie (u. a. Physik, Parva naturalia, De
Anima) wie auch für die Große Logik jeweils nach Scotus und Thomas eingestellt.
Auch die aristotelische Ethik wurde von 1517-32 (mit einer Ausnahme im Jahre 1524
durch Melanchthon) überhaupt nicht unterrichtet. Stattdessen wurden auf breiter Front
die studia humanitatis gefördert und mit neuen Professuren ausgestattet: So wurde das
studium trilingue (Lateinisch, Griechisch und Hebräisch) mit der dazugehörigen klassi-
schen Literatur fester Bestandteil der universitären Ausbildung. Melanchthon selbst
unterrichtete von 1518-25 Griechisch sowie von 1518-21 wiederholt Hebräisch. Seit
1521 lehrte er auch die neu gestaltete Logik. Die Mathematik wurde mit zwei Lehr-
stühlen versehen. Das Ergebnis dieser Bemühungen war in den frühen zwanziger Jah-
ren eine »Symbiose von Humanismus und Reformation«13 und damit einhergehend ei-
ne Beseitigung des scholastischen Aristotelismus, wie aus Melanchthons unter einem
Pseudonym veröffentlichter Oratio Didymi Faventini adversus Thomam Placentinum,
pro Martino Luthero Theologo von 1521 deutlich wird.14
Genau diese Auseinandersetzung mit der Scholastik ist nun der Hintergrund für die
Heidelberger Disputation vom 26. April 1518, in der Luther in einer ausführlichen
Probatio zur 31. These erweisen wollte, daß Aristoteles die Welt für ewig gehalten hat,
weil die menschliche Seele seiner Meinung nach sterblich ist. Diese Probatio zu De An.
III 5 ist nachfolgend in einem ersten Schritt zu interpretieren (vgl. 2.2.). Im Verlauf der
späten zwanziger, frühen dreißiger Jahre des 16. Jh.s kam es dann zu einer Neubewer-
tung der aristotelischen Philosophie durch Melanchthon und Luther, die einer erneuten
_________________________________________________________________________________________________________

ceronis Rhetorica on comment und secten, szo auch Aristoteles logica einformig, on solch grosz
comment gelesen werden.« (A. a. O., 458,26-31)
13
Heinz Kathe, Die Wittenberger Philosophische Fakultät 1502-1817. Köln 2002, 47f. Zur weite-
ren Übersicht vgl. a. a. O., 47-71 sowie 455-470 (Verzeichnis der Professoren an der philosophischen
Fakultät). Siehe ferner Heinz Scheible: Melanchthons Bildungsprogramm (1986), in: Ders., Melanch-
thon und die Reformation. Forschungsbeiträge. Herausgegeben von Gerhard May und Rolf Decot.
Mainz 1996, 99-114. Ders., Aristoteles und die Wittenberger Universitätsreform, in: Humanismus
und Wittenberger Reformation. Festgabe anläßlich des 500. Geburtstages des Praeceptor Germaniae,
Philipp Melanchthon, am 16. Februar 1997. Hrsg. von Michael Beyer u. a. Leipzig 1996, 123-144.
14
Diese Schrift gilt als der »eigentliche Absagebrief an die Scholastik« (Karl Hartfelder, Melanch-
thon, 158, Anm. 1). Melanchthon rechtfertigte in dieser Verteidigungsschrift Luthers Verwerfung der
aristotelischen Physik, Psychologie, Metaphysik und Ethik: »Non damnat Lutherus eam philosophiae
partem, quae mathemata, quae gemmarum, plantarum et animantium naturas descripsit. Nam horum
cognitionem fatetur ad sacra necessariam esse, soletque in loco uti, quoties res postulat, probat, in-
quam, pinguem illam rerum descriptionem, cuius auctores habemus apud latinos Plinium, apud Grae-
cos Athenaeum, addo, si vis, Aristotelem … Damnat autem, si ignoras, eam philosophiae partem,
quae de rerum principiis, ventorum ac pluviarum causis prodigiosas nugas comminiscitur, adeoque
quidquid id est, quod Aristoteles vocat, fusika/ a)kroa/mata kai\ meta\ ta\ fusika\, damnat, quid-
quid de moribus a philosophis proditum est.« (CR 1, 301)

38
Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon

Rezeption ihrer Ethik und Naturphilosophie mit Ausnahme der Metaphysik den Weg
ebnete. Für den vorliegenden Zusammenhang soll dies anhand von Melanchthons
Commentarius de anima von 1540 bzw. des überarbeiteten Liber de anima von 1552
aufgezeigt werden (vgl. 2.3.). Es liegt hiermit die seltene Möglichkeit vor, daß wir von
beiden Reformatoren Interpretationen zu ein und demselben philosophischen Text be-
sitzen, die auf ihre Qualität hin miteinander verglichen werden können.

2.2. Luthers Interpretation von De An. III 5 in der


Heidelberger Disputation von 1518

Mit der Disputatio contra scholasticam theologiam vom 4. September 1517 »brachte
Luther zum erstenmal seinen während der Schriftauslegung allmählich erarbeiteten
Gegensatz zur herrschenden Theologie in aller Form an die Öffentlichkeit.«15 Diese
Auseinandersetzung erfolgte sowohl auf dem Gebiet der Theologie als auch auf dem
der Philosophie, wie die Thesenreihe hinreichend verdeutlicht. So richten sich die The-
sen 39 und 40 gegen diejenigen Aristoteliker, deren Rede von der Willensfreiheit und
Gerechtigkeit, die durch wiederholte Akte erworben wird, dem diametral entgegen-
steht, von dem der Theologe zu reden hat: vom geknechteten Willen und der Rechtfer-
tigung allein aus dem Glauben.16 Ist also der Begriff der Gerechtigkeit in der Theologie
ein anderer, so verbiete es sich, den der Philosophie auf die Theologie zu applizieren,
wie dies die Scholastik mit ihrer Vermischung beider Disziplinen getan habe. Sie er-
scheint in der nachfolgenden These explizit als Adressat der Kritik: »Die ganze aristo-
telische Ethik ist der Gnade schlimmster Feind. Gegen die Scholastiker.«17 Dieser
»Kampf gegen die Moralisierung des Christlichen«18, gegen die scholastische Vermi-

15
Helmar Junghans, Vorwort zur Disputatio contra scholasticam theologiam, in: Studienausgabe
(StA). Hrsg. von Hans-Ulrich Delius. Bd. 1-5. Berlin 1987-90, hier: Bd. 1, 163. Zur Auseinanderset-
zung mit der Scholastik vgl. Leif Grane, Contra Gabrielem. Luthers Auseinandersetzung mit Gabriel
Biel in der Disputatio Contra Scholasticam Theologiam 1517. Kopenhagen 1962.
16
Vgl. WA 1, 226,6-9 (Disp. contra scholast. theol., 1517): »39. Non sumus domini actuum no-
strorum a principio ad finem, sed servi. Contra Philosophos. 40. Non efficimur iusti iusta operando,
sed iusti facti operamur iusta. Contra philosophos.« Luther bezieht sich hier auf Sätze der Nikomachi-
schen Ethik: Der Mensch ist Herr seiner Handlungen vom Anfang bis zum Ende (III 8, 1114b31f.).
Der Mensch wird gerecht, indem er gerecht handelt (II 1, 1103a35f.). – Eine ähnliche Argumentation
findet sich in der Probatio zur 25. These der Heidelberger Disputation von 1518: »Non ille iustus est,
qui multum operatur, sed qui sine opere multum credit in Christum. Quia iusticia Dei non acquiritur
ex actibus frequenter iteratis, ut Aristoteles docuit, sed infunditur per fidem. Iustus enim ex fide vivit
Roma. 1. [17.]« (WA 1, 364,2-6)
17
WA 1, 226,10f.: »41. Tota fere Aristotelis Ethica pessima est gratiae inimica. Contra Scholasti-
cos.«
18
Gerhard Ebeling, Luthers Kampf gegen die Moralisierung des Christlichen, in: Ders.: Luther-
studien. Band III. Begriffsuntersuchungen – Textinterpretationen – Wirkungsgeschichtliches. Tübin-
gen 1985, 44-73.

39
De Anima

schung von aristotelischer Ethik und Theologie gipfelt in der bekannten Schlußfolge-
rung: »Kurz, der ganze Aristoteles verhält sich zur Theologie wie die Dunkelheit zum
Licht. Gegen die Scholastiker.«19 Jeglicher Versuch, mit der aristotelischen Begriff-
lichkeit und dem hieraus resultierenden Verständnis etwas zur Erhellung von theologi-
schen Sachverhalten beizutragen, ist für Luther per se zum Scheitern verurteilt. Jeder
Begriff muß für ihn in der Hl. Schrift eine neue, von der Philosophie abweichende Be-
deutung erhalten, sofern die philosophische Hilfestellung nicht zu einer Umklamme-
rung werden soll, die das Verständnis der Glaubensartikel verhindert.
In der Heidelberger Disputation vom 26. April 1518 setzte Luther diesen »Totalan-
griff gegen die scholastische Theologie«20 fort. Deutlicher aber als in der Disputatio
contra scholasticam theologiam liegt hier eine doppelte Stoßrichtung seiner Kritik vor,
die neben der Scholastik auch direkt auf Aristoteles abzielt und seine philosophische
Kompetenz an sich in Zweifel zieht. Dies zeigt eine nachträgliche Äußerung Luthers
vermutlich aus dem Jahre 1524 zur Heidelberger Disputation:
»Diese Schlußsätze sind von mir deshalb behandelt und disputiert worden, um erstens zu zei-
gen, wie lang und breit die Sophisten aller Scholastiker die Auffassung des Aristoteles verfehlt
und ihre Träume gänzlich in die Bücher des nicht verstandenen Aristoteles hineingebracht ha-
ben. Sodann [um zu zeigen], daß man, auch wenn wir seinen Sinn weitestgehend bewahren
(wie ich ihn überliefert habe), von ihm dennoch überhaupt keine Hilfe erhalten kann nicht nur
für die Theologie oder die Hl. Schrift, sondern auch nicht für die Naturphilosophie selbst. Was
nämlich könnte es zur Erkenntnis der Dinge nützen, wenn man über Materie, Form, Bewegung,
Endliches, Zeit schwatzen und Sophismen machen kann mit Worten, die man von Aristoteles
empfangen hat und die von ihm vorgeschrieben sind?«21

Aristoteles erscheint hier als ein Schwätzer, der nicht nur nichts zur Theologie beiträgt,
sondern selbst für die Naturphilosophie keinen Nutzen hat. Deutlich wird dies aus den

19
WA 1, 226,27: »Breviter, totus Aristoteles ad theologiam est tenebrae ad lucem. Contra Schola-
sticos.«
20
Helmar Junghans, Vorwort zur Disputatio Heidelbergae habita, in: StA 1, 186. Zum Inhalt der
Disputation vgl. Karl-Heinz zur Mühlen, Luthers Kritik am scholastischen Aristotelismus in der 25.
These der »Heidelberger Disputation« von 1518, in: Ders., Reformatorisches Profil. Studien zum
Weg Martin Luthers und der Reformation. Hrsg. von Johannes Brosseder u. a. Göttingen 1995, 40-
65. Ders., Die Heidelberger Disputation Martin Luthers vom 26. April 1518. Programm und Wir-
kung, in: A. a. O., 174-198.
21
WA 5, 377,7-16: »Hae conclusiones sunt a me tractate ac disputate, ut ostenderem primo quam
[Kj., statt quod, vgl. Ebeling, LuSt II,3, 7 (Anm. 9)] longe lateque ab Aristotelis sententia aberrarint
omnium Scholasticorum Sophiste ac plane sua omnia in Aristotelis non intellecti libros invexerint.
Deinde ut, si quam maxime sensum eius teneamus (quemadmodum hic tradidi), tamen prorsus nihil
adiumenti ex ipso haberi possit non solum ad Theologiam seu sacras literas, verum etiam ad ipsam
naturalem philosophiam. Quid enim iuvet ad rerum cognitionem, si de materia, forma, motu, finito,
tempore nugari et cavillari queas verbis ab Aristotele conceptis et prescriptis?« Übersetzung nach
Theodor Dieter in: Ders., Der junge Luther und Aristoteles. Eine historisch-systematische Untersu-
chung zum Verhältnis von Theologie und Philosophie. Berlin/New York 2001, 432 (Anm. 8). Dieter
terminiert diese Äußerung unter Berufung auf Junghans auf das Jahr 1528. Damit wird aber Luthers
Neubewertung der aristotelischen Philosophie zu weit nach hinten verschoben.

40
Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon

Thesen 29-40, die von der Philosophie handeln. Zu ihrem angemessenen Verständnis
müssen jedoch die theologischen Thesen 1-28 beachtet werden, um das Ziel dieser
Disputation richtig zu fokussieren.
In ihrem Mittelpunkt steht die Frage nach der Notwendigkeit von guten Werken (Th.
1-10), nach dem liberum arbitrium, das für Luther nach dem Sündenfall ein bloßer
Name ist (Th. 13-16), sowie der Gegensatz zwischen der paulinisch geprägten theolo-
gia crucis und der scholastischen theologia gloriae (Th. 19-2122). Mit seiner Rede von
der Theologie des Kreuzes wendet sich Luther »sowohl gegen eine metaphysische als
auch gegen eine moralische Gotteserkenntnis«23. Denn die Erkenntnis von Gottes un-
sichtbarem Wesen mittels seiner Werke, so Luther, bläht auf, macht blind und ver-
stockt, führt zum Selbstruhm des Menschen. Sie sei durch eine Erkenntnis zu ersetzen,
die das dem Menschen zugewandte, sichtbare Wesen Gottes in seiner Menschheit,
Schwachheit und Torheit wahrnehme. Gott wolle aus dem Leiden erkannt werden und
die Weisheit der unsichtbaren Dinge durch die Weisheit der sichtbaren Dinge, also
Kreuz und Leid, verwerfen.24 Daher lautet Luthers, an Paulus orientierte paradoxe For-
derung: Wer wirklich weise werden will, der suche die Weisheit nicht im ständigen
Fortschritt, sondern werde ein Narr im ständigen Rückschritt.
Genau diese Weisheit, die für die Welt Torheit ist, fordert Luther in dem Abschnitt
ex philosophia für eine Beschäftigung mit der aristotelischen Philosophie: »Für den,
der ohne Gefahr mit Aristoteles philosophieren will, ist es notwendig, daß er zuvor in
Christus richtig zum Toren gemacht wird. Wie mit dem Übel der Begierde allein der
Verheiratete recht umgeht, so philosophiert nur der Tor, d. h. der Christ, recht.«25 Was
dieses Programm einer explizit christlichen Philosophie bedeutet, hat Luther in den
Probationes näher erläutert: Gemäß 1 Kor 3,18 muß derjenige, der in der Welt weise
sein will, zum Narren gemacht werden, damit er weise sei. Denn Gott habe die Weis-
heit der Welt in Christus zur Torheit gemacht. Jedes Philosophieren, auch das aristote-
lische, steht von nun an unter einem Vorbehalt: Sofern nicht die Gnade Christi hinzu-
kommt, ist es eine verkehrte Liebe zum Wissen.26 Nur im stultificari in Christo, das
22
WA 1, 354,17-22 (Heid. Disp., 1518): »19. Non ille digne Theologus dicitur, qui ‘invisibilia’
Dei ‘per ea, quae facta sunt, intellecta conspicit’, 20. Sed qui visibilia et posteriora Dei per passiones
et crucem conspecta intelligit. 21. Theologus gloriae dicit malum [sc. operis, vgl. a. a. O., 362,27f.]
bonum et bonum [sc. crucis] malum, Theologus crucis dicit id quod res est.«
23
Karl-Heinz zur Mühlen, Luthers Kritik, 50.
24
Vgl. WA 1, 362,18f. (Heid. Disp., 1518): »Ergo in Christo crucifixo est vera Theologia et cogni-
tio Dei. Et Joh.10. [richtig: Joh 14,6] Nemo venit ad Patrem nisi per me.«
25
A. a. O., 355,2-5: »29. Qui sine periculo volet in Aristotele Philosophari, necesse est ut ante be-
ne stultificetur in Christo. 30. Sicut libidinis malo non utitur bene nisi coniugatus, ita nemo Philo-
sophatur bene nisi stultus, id est Christianus.« Dies erinnert an die Thesen 43 und 44 der Disputatio
contra scholasticam theologiam: »Error est dicere: sine Aristotele non fit theologus. Contra dictum
commune. Immo theologus non fit nisi id fiat sine Aristotele.« (WA 1, 226,14f.)
26
Vgl. WA 59, 410, 2-5 (Prob. Heid. Disp.): »Quia sicut libido est perversa cupiditas voluptatis,
ita philosophia est perversus amor sciendi, nisi assit gratia Christi; non quod philosophia sit mala nec
voluptas, sed quod cupido utriusque non potest esse recta nisi christianis.«

41
De Anima

dem per se gefahrvollen in Aristotele philosophari als der »Gestalt von Philosophie
überhaupt«27 gegenübersteht, gelingt das rechte Philosophieren – und damit auch das
gefahrlose Philosophieren mit Aristoteles. Dabei handelt es sich nicht bloß um einen
kognitiven Vorgang als Überstieg von der sapientia mundi zur sapientia Dei, vielmehr
ereignet sich eine Existenzveränderung: Nur der Christ philosophiert auf angemessene
Weise, weil er sich durch sein (philosophisches) Wissen nicht aufblähen läßt (vgl. 1
Kor 8,1), weil er weiß, daß das Wissen zu den Dingen zählt, die zum Heil nichts bei-
tragen, außer bei jenen, die in der Gnade stehen. Wie nämlich den Auserwählten alles
zum Guten gereicht (vgl. Rm 8,28), so den Aufgeblasenen alles zum Schlechten.28
Als ein Beispiel für ein solches aufgeblasenes Wissen der Philosophie nennt Luther
in der 31. These Aristoteles’ Ansicht von der Ewigkeit der Welt, die sich aus der Sterb-
lichkeit der menschlichen Seele ergebe: »Es war leicht für Aristoteles, die Welt für
ewig zu halten, weil die menschliche Seele seiner Meinung nach sterblich ist.«29 In der
dazugehörigen Probatio, die erst 1979 durch Junghans veröffentlicht worden ist30, hat
Luther diese These im Rekurs auf De An. III 4 und 5 umfassend belegt. Sie stellt, so
Ebeling, »das mit weitem Abstand umfangreichste Stück detaillierter Aristoteles-
Interpretation dar, das wir von Luther besitzen.«31 Zeitpunkt und Inhalt der Disputation
lassen es als wahrscheinlich gelten, daß These und Beweis als kritische Antwort auf
das V. Laterankonzil von 1513 konzipiert worden sind, auf dem, wie gesehen (vgl.
1.1.), die Lehre von der Unsterblichkeit der menschlichen Seele unter Verwendung der
aristotelischen Begrifflichkeit zum Dogma erklärt worden ist.32 Luther wollte dagegen

27
Theodor Dieter, Der junge Luther, 439.
28
Vgl. WA 59, 409,7-11: »Secunda [sc. ratio], quod secundum apostolum ‘scientia inflat’, ideo ni-
si sciatur, quod omnis scientia est de numero rerum, quae non prosunt ad salutem nisi his, qui sunt in
gratia, omnino inflatur animus scientis. Sicut enim electis ‘omnia cooperantur in bonum’, ita illis om-
nia in malum.«
29
A. a. O., 410, 14f.: »31. Facile fuit Aristoteli mundum aeternum opinari, quando anima humana
mortalis est eius sententia.«
30
Vgl. Helmar Junghans, Die probationes zu den philosophischen Thesen der Heidelberger Dispu-
tation Luthers im Jahre 1518, in: LuJ 46 (1979), 10-59. Zitiert wird nach der Ausgabe in WA 59, 409-
426. Vgl. auch den Text und die Übersetzung der Probatio zur 31. These von Gerhard Ebeling im
Anhang seiner LuSt II,2 (Disputatio de homine. Zweiter Teil. Die philosophische Definition des
Menschen. Tübingen 1982, 471-489) sowie seine umfassende Interpretation (a. a. O., 69-145). Noch
detaillierter ist die Darstellung bei Theodor Dieter (Der junge Luther, 454-563), der Luthers Interpre-
tation kritisch auf ihre Stichhaltigkeit hin prüft. – Die philosophischen Probationes sind in mehreren
Handschriften überliefert. Von ihnen sind nur die ersten beiden Thesen in die Luther-Ausgabe des
Johann Franz Buddeus von 1702 eingegangen. Es ist daher ausgeschlossen, daß die Lutheraner des
17. Jh.s diese Probatio zur 31. These der Heidelberger Disputation gekannt haben. Zur Überliefe-
rungsgeschichte vgl. Helmar Junghans, Vorwort, in: WA 59, 405-8.
31
Gerhard Ebeling, LuSt II,2, 71.
32
Es muß weiterhin offenbleiben, ob Luther auch auf den sog. Immortalitätsstreit Bezug nahm, der
1516 nach der Veröffentlichung von Pomponazzis Tractatus de immortalitate animae ausbrach.
Junghans betont in seinen Anmerkungen, daß sich eine »direkte Verwendung dieser Schrift für die

42
Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon

erweisen, daß Aristoteles die menschliche Seele aus philosophischen Gründen für
sterblich gehalten habe und damit zu der rein theologischen Frage nach ihrer von Gott
her verheißenen Unsterblichkeit nichts habe beitragen können, diese Frage vielmehr
allein von der Theologie her im Rückgriff auf die Hl. Schrift beantwortet werden müs-
se.
Im Blick auf die traditionellen Schulen der Aristoteles-Interpretation läßt dieser
Ausgangspunkt sogleich vermuten, daß Luther weder die entsprechende Auslegung des
Averroes noch die des Thomas für richtig gehalten haben wird. Vielmehr läßt seine
Ansicht eine gewisse Affinität zu der Alexanders erkennen, auf den er sich auch expli-
zit zur Stützung seiner These beruft:
»Wie bekannt, hat dieser hervorragende Schüler des Aristoteles, Alexander von Aphrodisias,
behauptet, daß die Seele nach der Ansicht seines Lehrers sterblich ist. Nun muß man aber doch
glauben, daß ein solch hervorragender Schüler die Ansicht seines Lehrers vollkommen
kennt.«33

Für Luther gab es also keinen Zweifel, daß Alexander mit seiner Interpretation die
richtige Ansicht des Stagiriten aufgezeigt hat. Dies bedeutet aber nicht, daß der Refor-
mator dessen Interpretation einfach übernommen hat. Denn dann hätte er den intellec-
tus agens als Gott selbst bestimmen müssen, was seiner Grundintention zuwidergelau-
fen wäre, eine rein philosophieimmanente und damit in gewisser Weise areligiöse, jede
Bezugnahme auf das Christentum vermeidende Interpretation zu geben. Diese inhaltli-
che Differenz spiegelt sich auch in der unterschiedlichen Haltung beider Autoren ge-
genüber Aristoteles wider: Während Alexander als Exeget ‘nur’ dessen Ansicht, die
allen anderen philosophischen Meinungen vorzuziehen sei, ermitteln und darstellen
wollte, nahm Luther ihm gegenüber eine kritische Haltung ein, mit der er dessen Philo-
sophie an ihrem eigenen Maßstab messen wollte, nämlich ein ausweisbares Wissen zu
sein. Wo er diesen Anspruch nicht erfüllt sah, polemisierte er gegen Aristoteles, wie
_________________________________________________________________________________________________________

philosophische These 3 der Heidelberger Disputation nicht feststellen (ließ)« (WA 59, 412f., Anm.
28). Auch im Personen- und Zitatenregister der WA (vgl. Bd. 63) findet sich kein Eintrag zu Pompo-
nazzi.
33
WA 59, 412,17-413,2: » … insignis discipulus eius [sc. Aristotelis] Alexander Aphrodisaeus (ut
notum) asserit animam mortalem iuxta sui magistri sententiam. At credendum est discipulum talem
perfecte nosse praeceptoris sui sententiam.« Aufgrund der erst wenige Jahre zuvor in Italien veröf-
fentlichten Werke Alexanders (vgl. hierzu Anm. 39) ist es unwahrscheinlich, daß Luther dessen Posi-
tion durch eigene Lektüre kannte. Vielmehr ist anzunehmen, daß er nur über ein indirektes Wissen
der allgemein referierten Ansicht des Exegeten verfügte. Zu ihm finden sich keine weiteren Nachwei-
se in WA 63. Eine Vertrautheit mit den Ansichten von Averroes und Thomas kann aufgrund der Aus-
bildung bei seinem Lehrer Bartholomäus Arnoldi von Usingen (1465-1532) von 1501-05 in Erfurt
vorausgesetzt werden, der dort Logik, Naturphilosophie und Psychologie unterrichtete. Ein Ausfluß
dieser Tätigkeit ist die nur zwei Jahre nach Luthers Weggang veröffentlichte Schrift Exercitium de
anima, die in ihrer Darstellung der via moderna Ockhams folgt. Vgl. hierzu Sebastian Lalla, Secun-
dum viam modernam. Ontologischer Nominalismus bei Bartholomäus Arnoldi von Usingen. Würz-
burg 2003, 202-223. Theodor Dieter, Der junge Luther, 468-488. Es wird sich zeigen, daß Luthers
Ansatz ein anderer ist.

43
De Anima

dies in der Probatio wiederholt an solchen Sätzen wie: »Gib acht auf diesen schlüpfri-
gen Aal!«34 und: »Sieh doch diese gespenstischen Phantasiegebilde!«35 sichtbar wird.
Trotz dieser Polemik nahm Luther gleichwohl für sich in Anspruch, mit seiner Inter-
pretation die richtige (und dabei teilweise von Alexander abweichende) »Ansicht des
Aristoteles«36 aufzuzeigen. Für die Darstellung ergibt sich damit folgende Aufgabe: In
einem ersten Schritt ist kurz Alexanders Position zur aristotelischen Psychologie in
ihren wesentlichen Zügen zu bestimmen (2.2.1.), ehe anschließend Luthers Satz-für-
Satz-Interpretation von De An. III 5 zu erörtern ist (vgl. 2.2.2.), die in der Tat »etwas
Singuläres (ist), das angemessene Beachtung verdient«37. So bietet sich die Möglich-
keit, Luthers Auslegung hinsichtlich ihrer Stringenz mit einem der besten Exegeten des
aristotelischen Werkes zu vergleichen.

2.2.1. Exkurs: Alexander von Aphrodisias’ Traktat De Anima

Alexander von Aphrodisias (im 2./3. Jh. n. Ch.) erwarb sich in der Spätantike aufgrund
seiner Interpretationen des aristotelischen Werkes wie auch seiner eigenen systemati-
schen Schriften den Ruf eines ‘zweiten Aristoteles’. Dieser philosophischen Hoch-
schätzung, die sich über das Mittelalter und die Renaissance bis ins 17. Jh. hinein hielt,
entsprach freilich von Seiten der Theologie eine Verketzerung seiner These von der
Sterblichkeit der menschlichen Seele. Von besonderer Bedeutung war hierbei zu allen
Zeiten seine Lehre vom nou=j, wie Moraux zu Recht betont hat:
»Jahrhunderte lang, bei den Griechen, bei den Arabern, in der Scholastik des westlichen Mittel-
alters und sogar in der italienischen Renaissance, war sein [sc. Alexanders] Name mit besonde-
ren Thesen über die menschliche Vernunft verbunden. Durch den starken Einfluß, den sie auf
spätere Denker ausübten, sowie auch durch die leidenschaftliche Polemik, die sie oft hervorrie-
fen, stellen diese seine Lehrmeinungen einen der interessantesten und geistesgeschichtlich
wichtigsten Aspekte seiner Philosophie dar.«38

Alexanders Kommentar zu Aristoteles’ De Anima ist leider verschollen. Überliefert


sind jedoch zwei Abhandlungen, die unter dem Titel De Anima liber primus & secun-
dus erst am Ende des 15. bzw. zu Beginn des 16. Jh.s im griechischen Original bzw. in
lateinischer Übersetzung veröffentlicht worden sind39, wobei in der Forschung umstrit-

34
WA 59, 416,16: »Observa anguilliam hanc lubricissimam!«
35
A. a. O., 417,20: »Vide larvas figmentorum!«
36
A. a. O., 410,19f.: »Quod autem Aristotelis sententia mundus sit aeternus et anima etiam morta-
lis, restat ostendere.«
37
Theodor Dieter, Der junge Luther, 432.
38
Paul Moraux, Der Aristotelismus bei den Griechen. Dritter Band. Alexander von Aphrodisias.
Hrsg. von Jürgen Wiesner. Berlin/New York 2001, 317.
39
Der griechische Text wurde erstmals 1534 in Venedig veröffentlicht. Bereits 1495 erschien in
Brescia die lateinische Übersetzung des ersten Buchs durch Hieronymus Donatus (1454-1511) unter

44
Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon

ten ist, ob das zweite Buch mit dem kleinen Traktat De Intellectu aufgrund einiger Un-
stimmigkeiten in der Lehre im Vergleich mit dem ersten Buch von Alexander selbst
stammt.40 Für den vorliegenden Zusammenhang sind die folgenden drei Fragen zu klä-
_________________________________________________________________________________________________________

dem Titel Enarratio de anima ex Aristotelis institutione. Zahlreiche weitere Auflagen folgten bis
1559 (zum Teil unter dem Titel De anima ad mentem Aristotelis enarratio, novissime recognita cunc-
tisque mendis expurgata, interprete Hieronymo Donato veröffentlicht). 1501 erschien separat der
Traktat De intellectu (weitere Auflagen 1516 und 1528). Das zweite Buch erschien komplett erst
1546 in Venedig in der Übersetzung des Angelus Caninius (1521-1557) zusammen mit dem ersten
Buch unter folgendem Titel: Quæstiones naturales et morales et de fato, Hieronymo Bagolino Vero-
nensi patre, & Ioanne Baptista filio interpretibus. De Anima Liber primus, Hieronymo Donato patritio
Veneto interprete. De Anima Liber secundus, unà cum commentario de Mistione, Angelo Caninio
Anglariensi interprete. Weitere drei Auflagen folgten bis 1555 (hier benutzte Ausgabe). Eine kritische
Edition des griechischen Textes lieferte Ivo Bruns: De Anima liber cum Mantissa, in: CAG. Supple-
mentum, Vol. 2. Berlin 1887, 1-100 [Peri\ yuxh=j A], 101-185 [Peri\ yuxh=j B; einschließlich Peri\
nou=, 106-113]. Eine englische Übersetzung mit Kommentar bietet Athanasios P. Fotinis, The »De
Anima» of Alexander of Aphrodisias. Milwaukee 1978. Jüngst ist von R. W. Sharples das zweite
Buch (‘Mantissa’) ins Englische übersetzt worden: Alexander of Aphrodisias, Supplement to On the
Soul. London 2004. Im folgenden wird jeweils der griechische Text nach Bruns und der lateinische
Text nach der Ausgabe von 1555 nachgewiesen.
40
Auf diesen Sachverhalt hat bereits Averroes aufmerksam gemacht: »Quod autem dixit [sc.
Alexander] in quodam tractatu quem fecit de Intellectu secundum opinionem Aristotelis videtur con-
tradicere ei quod dixit in libro de Anima.« (Averroes, III 7, t. 36, 176E) F. Edward Cranz hielt das
zweite Buch zumindest in Teilen für unalexandrinisch: »The two books of the De Anima differ mar-
kedly in form and content, and they were not originally a single work. Book I is generally recognized
as authentic. Book II is almost certainly not by Alexander of Aphrodisias in its present form, though
much of the material may be his or from his school.« (Alexander Aphrodisiensis, in: Catalogus Trans-
lationum et Commentariorum: Medieval and Renaissance Latin Translations and Commentaries. Vol.
1. Washington 1960, 77-135, hier: 84) Paul Moraux hat seine Ansicht im Laufe der Zeit geändert.
Hielt er das Werk früher für nicht von Alexander stammend (vgl. Alexandre d’Aphrodise: Exégète de
la noétique d’Aristote. Paris 1942, 132-142), so sah er es später als ein Frühwerk des Aphrodisiers an
(vgl. Le ‘De Anima’ dans la tradition grecque. Quelques aspects de l’interprétation du traité, de
Théophraste à Thémistius, in: Aristotle on Mind and the Senses. Proceedings of the Seventh Sympo-
sium Aristotelicum. Eds. G. E. R. Lloyd and G. E. L. Owen. Cambridge 1978, 281-324, hier: 304f.).
Diese Ansicht vertrat er auch noch in dem kurz vor seinem Tod fertiggestellten Band zu Alexander
von Aphrodisias: »Es ist nicht leicht zu entscheiden, ob der kleine Traktat über den Intellekt wirklich
von Alexander selbst stammt … Fest steht auf jeden Fall, daß der Verfasser, wenn er nicht Alexander
selbst ist, in der geistigen Nähe des Aphrodisiers gesucht werden muß.« (Aristotelismus III, 387)
Weiter unten heißt es: »Weitaus größere Probabilität kommt freilich einer anderen Hypothese zu,
nämlich, daß wir es in De intellectu mit einer Frühschrift des Exegeten zu tun haben.« (A. a. O., 392)
R. W. Sharples äußert sich in seinem Artikel Alexander of Aphrodisias: Scholasticism and Innovation
(in: Aufstieg und Niedergang der römischen Welt, Geschichte und Kultur Roms im Spiegel der neue-
ren Forschung. Teil II: Principat. Bd. 36,2. Hrsg. von Wolfgang Haase. Berlin u. a. 1987, 1176-1243,
hier: 1211-14) nicht deutlich zu dieser Frage, scheint aber der späteren Ansicht von Moraux zuzunei-
gen. Auch Dimitris Papadis zweifelt nicht an der Autorschaft Alexanders (vgl. Die Seelenlehre bei
Alexander von Aphrodisias. Bern u. a.1991, 334ff.). – Der Traktat selbst besteht gemäß Moraux (Ari-
stotelismus III, 386ff.) und Sharples (Alexander, 1211ff.) aus vier Teilen: Im ersten Teil (106,19-
110,3 [44rb-44vb]) erklärt der Verfasser seine eigene Theorie vom Nous in den drei Realisationen
nou=j fusiko/j, nou=j e)n e(/cei & nou=j poihtiko/j (=nou=j qu/raqen). Im zweiten Teil (110,4-112,5
[44vb-45rb]) erörtert er die Lehre vom nou=j qu/raqen, wie er sie von Aristoteles von Mytilene gehört
hat. Der dritte Teil – wiederum ein Referat der Ansicht des Aristoteles von Mytilene (112,5-113,12

45
De Anima

ren: 1. Wie bestimmt Alexander die Seele und ihr Verhältnis zum Körper? 2. Wie defi-
niert er den nou=j fusiko/j bzw. nou=j e)pi/kthtoj und den nou=j poihtiko/j? 3. Was folgt
hieraus für die Frage nach der Unsterblichkeit der menschlichen Seele?
Alexander nimmt den Ausgang für die Bestimmung der Seele gut aristotelisch bei
der ou)si/a – denn allein sie zeigt das ti/ e)stin einer Sache an –, die sich als eine körper-
liche Substanz in Materie (u(/lh) und Form (ei)=doj) ausdifferenziert.41 Während nun die
u(/lh wie in der Kunst, so auch in der Natur das u(pokei/menon ist, das Zugrundeliegende,
das zu etwas wird, weil es über das Vermögen verfügt, das ei)=doj in sich aufzunehmen,
ist das ei)=doj selbst eine gewisse materielose Qualität, die jenes noch unbestimmte
Zugrundeliegende (u(pokei/menon a)dia/foron) zu einem bestimmbaren Dies-da (to/de ti)
macht, ihm damit das Sein verleiht, so daß beide ein Compositum bilden.42 Bezüglich
des Zusammenhangs von Körper und Seele bedeutet dies, daß jener das u(pokei/menon
ist, diese aber ei)=doj & fu/sij und damit dessen erste Vollkommenheit (h( prw/th te-
leio/thj sw/matoj fusikou=). Hieraus ergibt sich für Alexander, daß die Seele nicht eine
in sich selbst bestehende Substanz ist, sondern immer die eines Körpers.43 Folglich ist
sie forma informans44, kann daher ihre Funktionen nicht ohne den Körper vollziehen.45
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[45rb]) – antwortet auf den Einwand, daß dieser Geist nicht immateriell sein könne, wenn er e)n to/p%
sei. In diesem Zusammenhang wird der nou=j poihtiko/j mehrmals qei=oj nou=j genannt (112,19 u. 25
[45rb]; 113,3 [45rb]). Im vierten Teil (113,12-24 [45va]) wendet sich der Autor gegen diese »stoisch
gefärbten Ausführungen« (Moraux, Aristotelismus III, 387) des Aristoteles von Mytilene und trägt
seine eigene Ansicht vor. – Nachfolgend wird auf den Traktat De intellectu nur dann zurückgegriffen,
wenn sich Differenzen zum ersten Buch De Anima ergeben oder dort ein Sachverhalt deutlicher er-
klärt worden ist.
41
Vgl. Alexander, De Anima I, 2,10-3,2 [30rb].
42
Vgl. a. a. O., 10,7f. [31rb]: »h)=n ga\r kei/menon to\ kaq )o(\ e(ka/st% to\ ei)=nai/ e)sti, tou=t ) ei)n= ai
to\ ei)=doj au)tou= kai\ th\n teleio/thta.« / »Iam enim asseveratum & positum est, id esse rei perfec-
tionem ac speciem, per quod unaquæque res habet ut sit.« Vgl. ders., De Anima II, 101,15-28 [43rb].
43
Vgl. Alexander, De Anima I, 12,7-9 [31va]: »o(/ti de\ ei)=doj h( yuxh\ tou= sw/matoj kai\ ou)k
ou)si/a tij au)th\ kaq )au(th/n, ma/qoi tij a)\n kai\ a)po\ tw=n e)nergeiw=n au)th=j.« / »Quod enim anima
species corporis sit, & non substantia quæpiam, quæ per se ipsa subsistat, ex ipsis animæ functionibus
liquidissime perspicitur.«
44
Weder für forma informans noch für forma assistens gibt es bei Alexander ein griechisches Pen-
dant. Der Sache nach intendierte er aber diese später so genannte Unterscheidung.
45
Donatus wie auch Caninius übersetzen das griechische Wort e)ne/rgeia fortwährend mit functio,
so z. B. neben der in Anm. 43 genannten Stelle in De Anima I, 2,17 [30ra]; II, 103,18 [43va]; 104,35
[44ra] etc. Dieser Begriff erinnert an die vor einigen Jahren mit Vehemenz geführte Funktionalismus-
Debatte, die in der Forschung gemeinhin auf Hilary Putnams Aufsatz The Mental Life of Some Ma-
chines von 1966 (erneut abgedruckt in: Mind, Language and Reality. Cambridge 1975) zurückgeführt
wird. Diese hat darin die Auffassung vertreten, daß geistige Zustände in materielle Strukturen über-
setzt werden können, die somit nichts anderes sind als Funktionen, die im Körper realisiert werden.
Als Vergleich dieser Funktion diente ihr dabei die Turing-Maschine, an der die logische Struktur gei-
stiger Zustände aufgezeigt wird. Vermutlich ist der Begriff aber bereits von John Herman Randall in
die Debatte um das mind-body-problem eingeführt worden, der gegen einen reduktiven Materialismus
die notwendige Funktion der Seele zur Ausführung der körperlichen Tätigkeiten gerade im Rückgriff
auf Aristoteles verteidigte: »In general, an activity or function, for Aristotle, though it always invol-

46
Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon

Alexander faßt dieses Verhältnis von Körper und Seele kurz und prägnant wie folgt
zusammen: »Es ist deutlich, daß die Seele etwas im Körper ist und von ihm nicht ab-
trennbar.«46 Der Vergleich mit dem Schiffer in De An. II 1, 413a8f. kann für ihn des-
halb nicht so verstanden werden, als ob die Seele wie der Schiffer gleichsam eine
ou)si/a xwristh/ sei, eine forma assistens, die den Körper erst in seiner Vollkommen-
heit fertigstelle, denn hinsichtlich des Seins könnten die Seele und der Schiffer gar
nicht miteinander verglichen werden. Das Schiff bestehe nämlich auch in Abwesenheit
des Schiffers (der deshalb gerade nicht forma informans & perfectio navis sei), nicht
aber der Körper in Abwesenheit der Seele. Vielmehr vergleiche Aristoteles die Seele
mit der ars navigandi des Schiffers: Wie sich dieser eine te/xnh im Steuern ausbilde, so
die Seele eine e(/cij für den körperlichen Vollzug ihrer Funktionen.47 Daher wird die
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ves an instrument with a determinate structure, so that that kind of instrument is necessary to the per-
formance of that function, and without that instrument the functioning cannot occur … is not to be
understood merely, or adequately, in terms of its necessary instrument alone.« (Aristotle. New Yorck
3
1965, 41) So sei die Seele diejenige Kraft, diese Funktion zu vollbringen. Aristoteles sei daher nichts
anderes als ein »functionalist and operationalist« (ebd.), wie insbesondere seine naturwissenschaftli-
chen Schriften bezeugten. Dominik Perler hat dagegen in seinem Aufsatz War Aristoteles ein Funk-
tionalist?, der den Sachstand zur weiteren Debatte zwischen Burnyeat, Putnam und Nussbaum (vgl.
im einzelnen den Sammelband Essays on Aristotle’s De Anima. Edited by Martha C. Nussbaum and
Amélie Oksenberg Rorty. Oxford 1992) zusammenfaßte, zu Recht die These vertreten, »daß eine
Gleichsetzung von Aristotelischer Seelentheorie und modernem Funktionalismus verfehlt wäre« (in:
ZfphF 50 (1996), 341-362, hier: 349). Perler verweist hierfür auf das dreifache Prinzipsein der Seele
als Lebens-, Einheits- und Bewegungsprinzip, das die notwendige Bedingung dafür ist, »daß ein Kör-
per überhaupt belebt und zu gewissen Funktionen fähig ist« (a. a. O., 356). Was die Funktionalisten
also voraussetzen, nämlich daß der Körper belebt ist, eine Einheit bildet und sich selbst bewegt, das
sei für Aristoteles gerade dasjenige, was das Vorhandensein von Seele in einem Körper notwendig
mache. Die Funktionalisten übersehen also gerade, daß die Seele wesentlich Seinsprinzip und nicht
nur Funktionsprinzip ist, wie auch Annette Hilt betont: »Die Konzeption der psyche als wirkendes
Funktionsgefüge, als Struktur oder als Strukturzusammenhang muß den Funktionalismus um den
Begriff der immanenten arche und des internen Bewegtseins erweitern und darf trotz der engen Ver-
schränktheit von Seele und Körper nicht die Differenz zwischen psyche als arche und dem synholon
Lebewesen aufheben.« (Ousia – Psyche – Nous. Aristoteles’ Philosophie der Lebendigkeit. München
2005, 160f.) Es ist klar, daß diese Art von Funktionalismus weder hier bei Alexander noch, wie wir
später sehen werden, bei den Aristotelikern des 16. und 17. Jh.s vorliegt. Die Bestimmung der Seele
als principium operationum gründet immer in ihrer Bestimmung hinsichtlich des Seins (secundum
esse) als forma informans.
46
Alexander, De Anima I, 12,22 [31va]: »dh=lon w(j tou= sw/mato/j e)sti/ ti [sc. h( yuxh/] kai\
a)xw/ristoj au)tou=.« / »profecto anima est aliquid corporis, & à corpore inseparabilis.« Ebenso a. a.
O., 17,9-15 [32ra-b]: »Ei) de/ e)stin ei)=doj h( yuxh/, w(j de/deiktai, a)nagkai=on au)th\n a)xw/risto/n
te ei)=nai tou= sw/matoj ou(= e)stin kai\ a)sw/maton kai\ a)ki/nhton kaq )au(th/n.« / »Cæterum si ani-
ma species est, sicut ostendimus, necessarium est illam à corpore inseparabilem esse, & suapte natu-
ram immobilem atque incorpoream haberi.« Dies sind bereits deutliche Hinweise darauf, daß für
Alexander die Seele sterblich ist, eben weil sie sich vom Körper nicht abtrennen kann.
47
Vgl. Alexander, De Anima I, 15,9-12 [31vb]: »a)ll )ou)de\ w(j o( kubernh/thj e)n tv= nhi\+ ou(/twj
oi(=o/n te ei)=nai th\n yuxh\n e)n t%= sw/mati. ei) me\n ga\r to\n kubernh/thn ou(/twj lamba/noi tij w(j
th\n te/xnhn th\n kubernhtikh/n, ei)/h a)\n w(j e(/cij tij kai\ ei)=doj e)n u(/lv h( yuxh\ e)n t%= sw/mati
…« / »postremo non est in corpore anima velut gubernator in navi. At vero si ita gubernatorem acci-
pis, quasi pro gubernatore artem gubernatoris intelligas, anima hoc pacto esse in corpore poterit, velut

47
De Anima

Seele gemäß De An. II 1, 412b5f. als »die erste Vollkommenheit eines natürlich-
organischen Körpers«48 definiert, eine Vollkommenheit, die alle Lebewesen (Pflanze,
Tier und Mensch) auszeichnet. Dies bedeutet aber nicht, daß alle Seelen von ein und
derselben Art sind; vielmehr gibt es eine dreistufige Ordnung: yuxh/ qreptikh/, yuxh/
ai)sqhtikh/ kai\ o)rektikh/, yuxh/ nohtikh/. Diese Stufenfolge liegt für Alexander darin
begründet, daß die Lebewesen über verschiedene Seelenvermögen verfügen, wobei die
nächsthöhere Art jeweils die der niederen Art in sich enthält und damit vollkommener
ist als diese.49 Für Alexander gibt es also keine Vielheit von Seelen in einem Lebewe-
sen, sondern eine Vielheit von Vermögen in einer einzigen Seele.50
Ist damit die Substanz der Seele secundum esse in ihrer Unabtrennbarkeit vom Kör-
per bestimmt, so gilt dies natürlich auch für ihre Vermögen. Deren Bestimmung kann
daher für Alexander nur noch secundum operationem erfolgen, und genau dies ge-
schieht auch in den nachfolgenden Abschnitten. Für unseren Zusammenhang ist hierbei
allein der in der lateinischen Ausgabe des ersten Buches so genannte Locus De ratio-
nali virtute von Interesse.51 Alexander unterscheidet dort aufgrund der realen Differenz
zwischen den notwendigen und kontingenten Gegenständen zwischen einer du/namij
docastikh/ und einer du/namij e)pisthmonikh/. Beide Vermögen werden auch nou=j (in-
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habitus & species in materia.« Allein hinsichtlich der Funktion und nicht hinsichtlich des Seins wer-
den also Seele und Schiffer miteinander verglichen, wie Alexander weiter unten nochmals betont:
»ou)de\ oi( ei)=doj de\ le/gontej th\n yuxh\n tou= z%/ou, ei)=doj de\ w(j ou)si/an tina\ xwristh/n te kai\
au)th\n kaq )au(th/n, w(j th=j new\j to\n kubernh/thn (ei)=nai ga\r ka)kei=non ei)=doj th=j new\j kai\ te-
leio/thta) o)rqw=j le/gousin. ou) ga/r e)sti th=j new\j ei)=doj ou)/te teileio/thj o( kubernh/thj. e)/sti
ga\r nau=j kai\ xwri\j tou= kubernh/tou.« / »Cæterum ii quoque vehementer errant, qui animam ani-
malis quidem speciem faciunt, sed eam speciem sive formam velut substantiam aliquam separabilem
& ipsam per se existentem affirmant, quomodo navi gubernator assistere dicitur. Gubernatorem enim
speciem & perfectionem esse contendunt. Falluntur sanè, cum gubernator neque forma, neque perfec-
tio navis sit. Abdicatio enim & absente gubernatore, nihilominus navem esse concedemus.« (A. a. O.,
20,26-30 [32vb])
48
A. a. O., 16,10 [32ra]: »e)ntele/xeia ou)=n h( prw/th sw/matoj fusikou= o)rganikou=.« / »Est [sc.
anima] igitur entelecheia prima corporis naturalis organici.«
49
Vgl. a. a. O., 16,18-17,1 [32ra]; De Anima II, 105,2-17 [44ra].
50
Vgl. Alexander, De Anima I, 30,2-6 [34ra]: »dia\ tou=to ga\r kai/toi pollw=n ou)sw=n tw=n yu-
xikw=n duna/mewn, e)n oi(=j h( logikh\ du/nami/j e)sti, mi/a h( e)c a(pasw=n yuxh/, o(/ti mhdemi/a tw=n
u(ste/rwn duna/mewn a)/neu th=j pro\ au)th=j oi(/a te ei)=nai, a)ll )ei)si\n w(j me/rh th=j au)th=j a(/pasai
prostiqeme/nwn tai=j prw/taij tw=n deute/rwn kai\ dia\ tou=to au)/chsi/n te kai\ e)pi/dosin tw=n
prw/twn lambanousw=n.« / »Quapropter cum animæ potestates complures sint, ubi rationalis vis est,
ibidem una est ex omnibus anima. Nulla enim posteriorum potestatum potest absque præcedente sub-
sistere: sed sunt ferè omnes velut partes, additis iis, quæ sunt potiora, posterioribus. Atque ob id addi-
tionem, sive auctarium quoddam ex prioribus faciunt.« A. a. O., 99,10-12 [43ra]: »ou) mh\n a)ll )
a)nagkai=on a)\n h)=n plei/ouj le/gein yuxa\j h(maj e)/xein, kai\ ei)=nai e(/kaston tw=n a)nqrw/pwn z%=a
plei/w. ei) d )a)du/naton tou=to …« / »Quippe quod plures a nobis animas haberi necessarium esset
asserere, & singuli homines plura animalia esse viderentur: quæ res prorsus impossibilis est …«
51
Vgl. a. a. O., 80,16-88,16 [40va-41va]. Im Traktat De intellectu werden der nou=j u(liko/j und
der nou=j e)pi/kthtoj nur sehr knapp in Hinsicht auf den Erkenntnisprozeß bestimmt (vgl. Alexander,
De Anima II, 106,19-107,28 [44rb-44va]).

48
Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon

tellectus) genannt, der dem Menschen als ein Vermögen angeboren ist. Diese bildet
sich dann nach und nach zu einer Haltung (e(/cij) aus.52 Damit ist klar, daß dieser Nous
für Alexander kein von außen hinzukommendes Vermögen ist53, sondern eines, das
dem Menschen angeboren ist und das er wesentlich durch fortwährende Bildung zu
einer e(/cij ausgestaltet. Jenes angeborene Vermögen nennt er nou=j fusiko/j kai\ u(liko/j
oder auch nou=j duna/mei (intellectus materialis bzw. possibilis), den erworbenen Habi-
tus dagegen nou=j e)pi/kthtoj (intellectus secundum habitum), der jenen vollendet, aber
nur den gebildeten Menschen zukommt. Denn obgleich alle das Vermögen haben, ihn
zu erwerben, tun dies nur diejenigen, die üben und lernen und dabei Wissen erwer-
ben.54 Nachfolgend bestimmt Alexander den nou=j e)pi/kthtoj im Zusammenhang mit
dem Erkenntnisprozeß genauer, was hier nicht näher dargestellt zu werden braucht.
Von diesem nou=j u(liko/j bzw. e)pi/kthtoj ist nun der nou=j poihtiko/j (intellectus
agens) deutlich zu unterscheiden, den Alexander im Abschnitt De intellectu agente des
ersten Buchs seiner Schrift De Anima näher bestimmt hat.55 Wie Aristoteles in De An.
III 5, 430a10-14, so sieht auch er die Notwendigkeit der Einführung dieses Nous darin
begründet, daß etwas sich nicht selbst bewirken, für sich selbst nicht Ursache sein
kann. Wenn es also einen nou=j u(liko/j gebe, dann müsse es zugleich einen nou=j poih-
tiko/j geben, der die Ursache für dessen Habitus sei.56 Alexander versteht damit das

52
Vgl. Alexander, De Anima I, 81,13-15 [40va]: »gi/netai de\ o( a)/nqrwpoj ou)k eu)qu/j e)/xwn
th/nde th\n e(c
/ in, a)ll )e)/xwn me\n du/namin kai\ e)pithdeio/thta tou= de/casqai au)th/n, u(/steron
me/ntoi lamba/nwn au)th/n.« / »Gignitur autem homo, haudquaquam confestim hoc habitu præditus,
sed idoneam duntaxat excipiendi habitus facultatem habens, deinceps autem habitum adipiscitur.«
53
Zum nou=j qu/raqen bei Alexander vgl. weiter unten.
54
Vgl. Alexander, De Anima I, 81,26-82,5 [40va].
55
Vgl. a. a. O., 88,17-91,6 [41va-b].
56
Vgl. a. a. O., 88,22-24 [41va]: »… a)nagkai=on dokei= kai\ e)pi\ tou= nou= tau/taj ei)=nai ta\j
diafora/j. kai\ e)pei e)stin u(liko/j tij nou=j, ei)=nai tina dei= kai\ poihtiko\n nou=n, o(\j ai)/tioj th=j
e(/cewj th=j tou= u(likou= nou= gi/netai.« / »In intellectu quoque easdem haberi differentias, necessari-
um videtur. Et quando intellectum quendam materialem esse concessimus, esse pariter agentem
quempiam intellectum, qui eius habitus, qui in materiali intellectu producitur, causa sit.« Alexander
verlegt damit die Differenz zwischen dem nou=j paqhtiko/j & nou=j poihtiko/j von der Seele (vgl.
De An. III 5, 430a13: e)n tv= yuxv=) in den Nous selbst. Im Traktat De intellectu wird die Funktion des
nou=j poihtiko/j etwas anders bestimmt. Dort heißt es: »Tri/toj de\ e)sti nou=j para\ tou\j
proeirhme/nouj du/o o( poihtiko/j, di )o(\n o( u(liko\j e)n e(/cei gi/netai, a)na/logon w)\n ou(=toj o( poihti-
ko\j, w(/j fhsin o( A)ristote/lhj, t%= fwti/. w(j ga\r to\ fw=j ai)/tion gi/netai toi=j xrw/masin tou= du-
na/mei ou)=sin o(ratoi=j e)nergei/# gi/nesqai toiou/toij, ou(/twj kai\ ou(=toj o( tri/toj nou=j to\n du-
na/mei kai\ u(liko\n nou=n e)nergei/# nou=n poiei= e(/cin e)mpoiw=n au)t%= th\n nohtikh/n.« / »Tertius po-
stremo intellectus est præter memoratos duos, ipse activus, per quem materialis in habitum transit.
Assimilis vero est hic activus, ut ait Aristoteles, lumini. Quemadmodum namque lumen facit, ut colo-
res, qui potestate visiles sunt, actu visiles fiant: ita & tertius intellectus eum intellectum, qui potestate
est & materialis, actu esse facit, ubi intellectivum habitum induxit.« (Alexander, De Anima II,
107,29-34 [44va]) Moraux beschreibt die Differenz zwischen beiden Fassungen korrekt wie folgt: »In
De anima erfolgt die Entwicklung des nou=j u(liko/j zum nou=j e)n e(/cei ohne direkte Beteiligung des
nou=j poihtiko/j; dieser wird nur als Ursache der Intelligibilität der mit der Materie verbundenen
Formen angesehen. Die Denkkraft entwickelt sich teils durch einen natürlichen Wachstumsprozeß,

49
De Anima

Verhältnis zwischen den beiden noi= zunächst rein epistemologisch: Der nou=j poihtiko/j
ist nicht etwa die Ursache des Seins des nou=j u(liko/j, sondern die seines Erkennens,
wodurch er zu einem nou=j e)pi/kthtoj wird. Dies verdeutlicht auch die nachfolgende
nähere Bestimmung des nou=j poihtiko/j: Er ist die erste und ihrer Natur nach am mei-
sten intelligible Form (nohto\n ei)=doj), und damit ist er »die Ursache der Erkenntnis al-
ler übrigen Dinge«57, d. h. der Grund für die Erkennbarkeit von Welt überhaupt. Ferner
wird er von Alexander in platonischer Terminologie (vgl. Pol. VI, 508c) als im höch-
sten Grade sichtbar (o(rato/n) und gut (a)gaqo/n) bestimmt: Sichtbar, weil er wie das
Licht die Ursache für die Sichtbarkeit aller übrigen Dinge ist, gut, weil er die Ursache
für die Gutheit aller anderen Dinge ist.
Sofern er nun der epistemologische Grund für die Erkennbarkeit aller erkennbaren
Dinge ist, ist klar, daß diese Funktion selbst im ontologischen Grund- und Prinzipsein
gründet. Ist nämlich »ein solcher Geist das erste Verursachende, das die Ursache und
das Prinzip des Seins aller übrigen Dinge ist, dann wird er wohl auch insoweit ein täti-
ger Geist sein, insofern er selbst die Ursache des Seins der zu erkennenden Dinge
ist.«58 Die Seinsbestimmung des nou=j poihtiko/j als ai)ti/a & a)rxh/ der Welt geht also
seiner Funktionsbestimmung als ai)ti/a & a)rxh/ der erkennbaren Dinge generisch vor-
aus. Dem entspricht seine Auszeichnung gemäß De An. III 5, 430a17f. als schlechthin
abgetrennt, inaffizierbar und unvermischt.59 Abgetrennt ist er, weil er in sich selbst frei
von jeder Materie ist. Was nämlich materiebehaftet ist, das vergeht, wenn es sich von
ihr trennt. Nicht jedoch so der nou=j poihtiko/j, der au)to\j kaq ) au)to/n, in sich selbst
stehend und bestehend ist. Deshalb ist er auch inaffizierbar, denn das Affizierbare ist in
der Materie und in einem Zugrundeliegenden. Schließlich ist er unvermischt mit der
Materie, unvergänglich, reine Wirklichkeit und Form ohne Möglichkeit und Materie.60
Dieser Nous sei daher ehrwürdiger als jener dem Menschen zukommende nou=j u(liko/j,
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teils durch zielbewußtes Üben und Lernen … In De intellectu dagegen ist es der nou=j poihtiko/j, der
in seiner Eigenschaft als aktuelles Intelligibles den nou=j u(liko/j aktualisiert und dadurch die Entfal-
tung der Denkkraft bewirkt.« (Aristotelismus III, 389) Ebenso Robert W. Sharples, Alexander, 1207
und 1213.
57
Vgl. Alexander, De Anima I, 89,4f. [41va]: »kai\ to\ ma/lista dh\ kai\ tv= au(tou= fu/sei noh\ton
eu)lo/gwj ai)/tion kai\ th=j tw=n a)/llwn noh/sewj.« / »Pari ratione quod maxime & suapte natura in-
telligible est, non immerito universæ cæterarum rerum cognitionis causa iudicabitur.«
58
A. a. O., 89,9-11 [41vb]: »e)/ti, ei) o( toiou=toj nou=j to\ prw=ton ai)/tion, o(/ ai)ti/a kai\ a)rxh\ tou=
ei)=nai pa=si toi=j a)/lloij, ei)/h a)\n kai\ tau/tv poihtiko/j, v(= au)to\j ai)/tioj tou= ei)=nai pa=si toi=j
nooume/noij.« / »Ad hæc si eiusmodi intellectus prima causa est, quæ cæterarum rerum essentiæ cau-
sa & principium est, profecto esse poterit eatenus intellectus agens quatenus cæteris rebus intellectis
causa est ut sint …«
59
Vgl. a. a. O., 89,11f. [41vb] [Forts. der vorangehenden Anm.]: »kai\ e)/stin o( toiou=toj nou=j
xwristo/j te kai\ a)paqh\j kai\ a)migh\j a)/ll% …« / »… atque is intellectus abiunctus, impassibilis
& nulli rei commistus est.«
60
Vgl. a. a. O., 89,16f. [41vb]: »… a)/fqarto/j e)stin [sc. nou=j poihtiko/j], e)ne/rgeia w)\n kai\
ei)=doj xwri\j duna/mew/j te kai\ u(/lhj.« / »… incorruptibilis est actu ens, & forma citra potentiam
atque materiam.«

50
Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon

weil in allen Dingen das Wirkende und von der Materie Befreite ehrwürdiger sei als
das Erleidende und der Materie Unterworfene.61 Auch wenn Alexander diesen Nous im
ersten Buch nicht explizit ‘Gott’ nannte, wird doch aus der Entgegensetzung zum
menschlichen nou=j u(liko/j wie auch aus der Bestimmung der Attribute deutlich, daß er
ihn »mit der höchsten, göttlichen Vernunft identifizierte«62, wie Moraux zu Recht fest-
stellt. Er ist damit wohl der unbewegte Beweger aus Met. XII 7.63
Wie nun das Zusammenspiel des nou=j poihtiko/j mit dem nou=j u(liko/j genauer zu
verstehen ist, hat Alexander nachfolgend in einem Passus zu erklären versucht, der
nicht weniger dunkel ist als das, was wir bei Aristoteles in diesem Zusammenhang le-
sen. Er enthält seine Antwort auf die Frage, in welcher Weise der nou=j u(liko/j unver-
gänglich ist. Ausgangspunkt ist für Alexander der von Aristoteles her bekannte Sach-
verhalt, daß dieser Nous im Denken (to\ noei=n) irgendwie das Gedachte selbst wird und
sich in diesem Denken selbst denkt (vgl. De An. III 4, 429b9; 430a2f.), denn das Den-
ken, so seine Erklärung, ist das Aufnehmen der gedachten Form und das ihr Ähnlich-
werden. Dabei kann die mit der Materie verbundene Form (e)nu/loj ei)=doj) überhaupt
nur dann aufgenommen und erkannt werden, wenn sie intelligibel ist. Intelligibel ist
aber das Allgemeine und das Gemeinsame, das im Einzelnen und Materiellen gründet
und von diesem abstrahiert wird.64 Nur sofern ein Gegenstand also erkannt wird,
61
Vgl. a. a. O., 89,19-21 [41vb]: »dio\ kai\ timiw/teroj ou(=toj o( nou=j tou= e)n h(mi=n te kai\ u(li-
kou=, o(/ti e)n pa=sin to\ poiou=n tou= pa/sxontoj timiw/teron kai\ to\ xwri\j u(/lhj tou= su\n u(/lv.« /
»Quas ob res iste intellectus amplioris dignitatis est, quam is qui habetur in nobis, & materialis appel-
latur. Cum in rebus omnibus, & agens patiente, & immateriale materiale præstantius sit …«
62
Paul Moraux, Aristotelismus III, 379. Ebenso Athanasios P. Fotinis, The »De Anima«, 328.
63
Vgl. R. W. Sharples, Alexander, 1206: »Thus it [sc. active intellect] is identical with the First
Causa, the Unmoved Mover of Metaphysics L …« Papadis versteht den nou=j poihtiko/j dagegen als
ein Vermögen der menschlichen Seele: »Die tätige Vernunft ist also ein Moment der menschlichen
Seele und wird nicht erst ein solches, wenn sie von uns durch eine Einwirkung von außen seitens des
göttlichen Nus gedacht wird. Sie entsteht also nicht bloß als Gedachtes, wobei die Wirksamkeit unse-
res Denkens unerklärt bliebe, sondern sie ist von Anfang an beim Menschen da, und zwar als das vor-
züglichste substantielle Moment seines Seins, d. h. auch wenn sie nicht vom potentiellen Nus gerade
erfaßt wird, und wenn sie schon vor dem Zustandekommen des Denkens überhaupt das ist, was das
Denken in Gang setzt.« (Seelenlehre, 352f.) Dieser menschliche nou=j poihtiko/j geht jedoch im
Rahmen der Embryogenese als nou=j qu/raqen »auf die direkte Wirksamkeit Gottes« (a. a. O., 350)
zurück. Für diese Interpretation gibt es jedoch keinen Anhalt am Text, wie wir gleich sehen werden.
Ferner kann Papadis nicht einsichtig machen, wie der nou=j poihtiko/j »als eine ontologisch voll-
kommene Substanz« (a. a. O., 336) zugleich mit dem nou=j paqhtiko/j »eine einzige substantielle
Einheit« bildet, »nämlich die der Vernunftseele, so daß alle Beziehung von diesen beiden zueinander
eine innere Angelegenheit ist.« (A. a. O., 344). Wie kann ein und dasselbe Vermögen in sich unter-
schiedliche ontologische Bestimmungen tragen, so daß der nou=j poihtiko/j »unvergänglich« und
»unsterblich« (a. a. O., 340) ist, der nou=j paqhtiko/j dagegen »sterblich« (a. a. O., 362)? Mit dieser
Aporie der widersprüchlichen ontologischen Bestimmung beider noi=, sofern man sie beide als ein
Vermögen der menschlichen Seele bestimmt, werden auch die katholischen und lutherischen Philo-
sophen zu kämpfen haben, wie der weitere Verlauf dieser Arbeit zeigen wird.
64
Vgl. Alexander, De Anima I, 90,4f. [41vb]: »ta\ ga\r kaqo/lou kai\ koina\ th\n me\n u(/parcin e)n
toi=j kaqe/kasta/ te kai\ e)nu/loij e)/xei.« / »Universalia enim & communia in singularibus & mate-
rialibus, substantiam habent.« Das Allgemeine ist also keine abgetrennte platonische Idee, sondern

51
De Anima

kommt ihm Beständigkeit zu, ansonsten ist er nicht. Daher vergeht das vom Nous Ab-
getrennte, denn es ist nur, sofern es gedacht wird. Wegen der Identität von Nous und
Intelligiblem gilt damit aber auch, daß ein solcher Nous vergänglich ist, denn er denkt
nicht immer (vgl. De An. III 4, 430a5f.).65 Daneben gibt es aber noch ein anderes Intel-
ligible, das ohne jede Materie existiert und deswegen an sich, aufgrund seiner eigenen
Natur, der gemäß es sogar vom aktuellen Gedachtwerden abgetrennt sein kann, intelli-
gibel ist.66 Daher ist auch derjenige nou=j, der dieses Intelligible denkt, unvergänglich.
Dieser Nous ist nun weder der nou=j u(liko/j noch der nou=j e)n e(/cei – denn beide sind
Vermögen der Seele, die vergehen, wenn sie vergeht67 –, sondern der nou=j e)nergei/#,
»und dieser von außen kommende Geist entsteht in uns und ist unvergänglich.«68 Alex-
ander bezieht sich mit diesem Begriff des nou=j qu/raqen auf den umstrittenen Passus
De Gen. an. II 3, 736ab27-9, wo Aristoteles den nou=j im Zusammenhang mit der Frage
nach der Embryogenese dahingehend bestimmt, daß er anders als die yuxh\ qreptikh/
und yuxh\ ai)sqhtikh/ von außen (qu/raqen) in den Menschen hineinkommt.69 Alexan-
der verortet nun diese Bestimmung des nou=j qu/raqen nicht in einem ontologischen
Kontext, wie Papadis70 behauptet, sondern in einem epistemologischen, sofern der nou=j
e)pi/kthtoj durch die Aufnahme des a)/uloj ei)=doj ‘irgendwie’ den nou=j qu/raqen in sich
aufnimmt. Sofern nämlich im Denken das Gedachte und das Denkende eins werden,
wird der nou=j e)pi/kthtoj im Denken die immaterielle Form selbst. Diese Form kommt
zwar auch von außen, ist aber nicht an sich nou=j; vielmehr wird sie erst dann nou=j,
wenn sie gedacht wird. Das qu/raqen meint also kein extramundanes göttliches Entste-
hen, sondern ein intramundanes Erkennen, wo das zu erkennende Objekt ‘von außen’
_________________________________________________________________________________________________________

das vom Einzelnen Abstrahierte. Es ist also immer das Allgemeine von etwas, und das Einzelne wird
immer im Lichte des Allgemeinen gesehen.
65
Vgl. Alexander, De Anima I, 90,10f. [41vb]: »fqarto\j a)/ra o( toiao=toj nou=j, toute/stin ta\
toiau=ta noh/mata.« / »Corruptibilis igitur est istiusmodi intellectus, hoc est, istiusmodi considera-
tiones.«
66
Zur Differenz zwischen dem e)nu/loj ei)=doj und dem a)/uloj ei)=doj vgl. a. a. O., 88,2-5 [41va]
und 90,2-13 [41vb]. Aus dem Nachfolgenden wird klar, daß es sich beim a)/uloj ei)=doj um den Ge-
genstand des göttlichen Denkens – das Denken des Denkens – handeln muß.
67
Vgl. Alexander, De Anima I, 90,14-16 [41vb]: »… e)kei=noj [sc. nou=j u(liko/j] me\n ga\r su\n tv=
yuxv=, h(=j e)sti du/namij, fqeirome/nv fqei/retai, %(= fqeirome/n% sumfqei/roito a)\n kai\ h( e(/cij te
kai\ h( du/namij kai\ teleio/thj au)tou= …« / »Hic [sc. intellectus materialis] enim cum anima cuius
est potestas, corruptibilis simul interit: & eo intereunte, eiusdem habitus, & perfectio una corrumpi-
tur.«
68
A. a. O., 90,19f. [41vb]: »… kai\ e)/stin ou(=toj o( nou=j o( qu/raqe/n te e)n h(mi=n gino/menoj kai\
a)/fqartoj.« / »Cæterum hic intellectus de foris in nobis genitus est, & incorruptibilis.«
69
Vgl. Aristoteles, De Gen. an. II 3, 736b27-29: »lei/petai dh\ to\n nou=n mo/non qu/raqen
e)peisie/nai kai\ qei=on ei)=nai mo/non: ou)qe\n ga\r au)tou tv= e)nergei/# koinwnei= h( swmatikh\
e)ne/rgeia.« / »Es bleibt daher übrig, daß allein der Geist von außen hineinkommt, und er allein ist
göttlich, denn keine körperliche Tätigkeit hat Anteil an seiner [geistigen] Tätigkeit.« Zur ausführli-
chen Interpretation dieser Textstelle bei den Renaissance-Aristotelikern vgl. 3.3.1.1.
70
Vgl. Anm. 63.

52
Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon

in den Geist eintritt. Und genau bei dieser Aufnahme der intelligiblen Form ‘von au-
ßen’ nimmt der nou=j e)pi/kthtoj ‘von außen’ ‘irgendwie’ diesen nou=j qu/raqen in sich
auf, der allein nou=j kaq ) au(to/ ist, eben weil er nicht actualiter vom nou=j e)pi/kthtoj
gedacht werden muß, um intelligibel zu sein. Vielmehr ist er immer und auf unver-
gängliche Weise intelligibel, weil er allein die Intelligibilität des Intelligiblen ermög-
licht und sicherstellt. Als ein solcher kann er natürlich weder ein Vermögen der
menschlichen Seele noch eine Hexis sein.71 Sofern nun der nou=j e)pi/kthtoj diesen nou=j
qu/raqen in sich aufnimmt, wird er gewissermaßen selbst unvergänglich im Intelligibel-
Sein.72 »But this is not a personal immortality«73, wie Sharples richtig feststellt, son-
dern eine solche, die sich nur im Denken ereignet und die »sich der Mensch verdienen
(muß), indem er Gott denkt und auf diese Weise etwas Göttliches in sich eindringen
läßt«74. Dies verdeutlicht auch der letzte Satz dieses Kapitels zum nou=j poihtiko/j im
ersten Buch von De Anima: »Deswegen ist es notwendig, bei denjenigen Dingen, die
etwas Göttliches in sich haben, vorherzuwissen, was und von welcher Art sie sind.«75
Die Anwesenheit des göttlichen Nous im Menschen ist also das Resultat seiner Bemü-
hungen um das Denken des Denkens.

2.2.2. Luthers Interpretation des aristotelischen Seelenbegriffs

Es liegt auf der Hand, mit welchen spekulativen Erwägungen Alexanders Luther auf-
grund seines Programms einer rein philosophieimmanenten, jeden transzendentalen
Bezug ablehnenden Interpretation nicht einverstanden gewesen sein wird: Zum einen
ist es die Bestimmung des nou=j poihtiko/j als Gott, zum andern dessen Anwesenheit

71
Vgl. Alexander, De Anima I, 90,20-91,4 [41vb]). Dem entspricht die Bestimmung des nou=j
qu/raqen in De Anima II, 108,22-109,1: »… qu/raqen e)sti lego/menoj nou=j o( poihtiko/j, ou)k w)\n
mo/rion kai\ du/nami/j tij th=j h(mete/raj yuxh=j, a)ll )e)/cwqen gino/menoj e)n h(min … to\ de\ toi-
ou=ton ei)=doj kai\ h( xwri\j u(/lhj ou)si/a a)/fqartoj. dio\ kai\ poihtiko\j nou=j, o( kat ) e)ne/rgeian
) istote/louj kalei=tai nou=j.« / »… est
qu/raqen w)\n to\ toiou=ton ei)=doj, ei)ko/twj a)qa/natoj u(p )Ar
intellectus, qui extrinsecus advenire dicitur, ipse inquam activus, qui non est particula neque potestas
aliqua nostræ animæ, sed à rebus externis in nobis gignitur … Talis vero forma ac substantia materia
vacans incorruptibilis est. Quocirca intellectus activus, qui actu à rebus externis est eiusmodi forma,
non iniuria immortalis ac sempiterna mens ab Aristotele appellatur.«
72
Vgl. Paul Moraux, Aristotelismus III, 382: »Insofern sie [sc. die potentielle Vernunft = nou=j e)n
e(/cei] aus Begriffen besteht, die sich aus den sinnlich-wahrnehmbaren Dingen mit Hilfe der niedrige-
ren Erkenntnisvermögen abstrahiert hat, ist diese e(/cij vergänglich. Insofern sie sich aber dem trans-
zendenten nou=j ähnlich gemacht hat, indem sie ihn dachte, ist dieser ‘von außen her’ (qu/raqen) in
uns gekommen und bleibt unvergänglich.«
73
Vgl. R. W. Sharples, Alexander, 1208f.
74
Paul Moraux, Aristotelismus III, 382.
75
Alexander, De Anima I, 91,5f. [41vb] »dio\ oi(=j me/lei tou= e)/xein ti qei=on e)n au(toi=j, tou/toij
pronohte/on tou= du/nasqai noei=n ti kai\ toiou=ton.« / »Quapropter res, quæ in se divinum quippiam
habere debent, quid & quale idsit prænoscere posse necesse est.«

53
De Anima

im Denken des Menschen in seinem Einswerden mit dem Gedachten. Beide Momente
werden ihn zu sehr an die (scholastische) Vermischung von heidnischer Philosophie
und christlicher Theologie erinnert haben, als daß er sie hätte akzeptieren können. Es
ist also zu vermuten, daß er den nou=j poihtiko/j und sein Zusammenspiel mit dem nou=j
paqhtiko/j auf eine andere Weise bestimmt hat. Dies wird die nachfolgende Darstel-
lung belegen.
Nachdem Luther in einem ersten Schritt nachgewiesen hat, daß die Welt für Aristo-
teles ewig ist76, ein Nachweis, der für den vorliegenden Zusammenhang nicht von In-
teresse ist, setzt er in einem zweiten Schritt die These, daß man auf zwei Weisen über
die Seelenauffassung des Aristoteles philosophieren könne: »erstens nach seinen Prin-
zipien, zweitens nach dem, was er referierend vorgetragen hat.«77 Dabei verbindet Lu-
ther das Philosophieren gemäß den Prinzipien mit der Ansicht von der Sterblichkeit der
Seele, das Philosophieren gemäß einiger Äußerungen mit der Ansicht von der Unsterb-
lichkeit der Seele.78 Für Luther ist also evident, daß Aristoteles gemäß seinen Prinzipi-
en die Seele für sterblich gehalten hat, während nur bestimmte Äußerungen dem zu
widersprechen scheinen.

2.2.2.1. Die Sterblichkeit der Seele gemäß den aristotelischen Prinzipien

Luther benennt für das Philosophieren secundum principia Aristotelica insgesamt acht
Argumente, von denen sich vier auf Textstellen beziehen, zwei maßgebliche Interpre-
ten des Aristoteles benennen und zwei mehr psychologischer Art sind. Diese können
wie folgt in fünf Punkte zusammengefaßt werden:
1. Luther verweist zunächst auf die alle Lebewesen umfassende Definition der Seele in
De An. II 1, 412b5f.79, die er verkürzt als ‘Vollkommenheit des Körpers, der das Ver-
mögen zu leben hat’ wiedergibt. Er folgert hieraus sogleich, daß damit die menschliche
Seele wie auch die aller anderen Lebewesen sterblich ist, da ihr Aristoteles andernfalls

76
Vgl. WA 59, 410,21-411,14. Zur Interpretation siehe Theodor Dieter, Der junge Luther, 460-63.
77
WA 59, 411,16f.: »Duobus modis de anima iuxta Aristotelem licet philosophari: Primo secun-
dum eius principia, secundo secundum eius recitata.«
78
Vgl. a. a. O., 412,1: »Primo secundum eius principia, quod anima sit mortalis.« A. a. O., 414,6:
»Secundo iuxta recitata anima videtur immortalis.«
79
Vgl. Aristoteles, De An. II 1, 412b4-6: »ei) dh/ ti koino\n e)pi\ pa/shj yuxh=j dei= le/gein, ei)/h
a)\n e)ntele/xeia h( prw/th sw/matoj fusikou= o)rganikou=.« / »Wenn man also eine allgemeine Be-
stimmung für jede Art Seele geben soll, ist sie die vorläufige Erfüllung des natürlichen mit Organen
ausgestatteten Körpers.« (Übersetzung Theiler, in: Aristoteles, Über die Seele, 25) Die Übersetzung
von e)ntele/xeia h( prw/th mit vorläufige Erfüllung ist insofern unglücklich, als die erste Entelechie
keinen vorläufigen Status der Seele kennzeichnet, sondern ihren endgültigen als Seinsprinzip. Denn
die zweite Entelechie ändert nichts am ontologischen Zustand der Seele, sondern bezieht sich allein
auf die Funktionen der Seele.

54
Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon

eine eigene Definition hätte geben müssen.80 Er versteht also mit Alexander (und Tho-
mas) die menschliche Seele als forma informans corporis und nicht als forma assi-
stens, wie dies Averroes behauptet hat (vgl. hierzu 3.3.1.1.), denn die Seele ist die dem
Körper das Sein verleihende Form, nicht die dem bereits existierenden Körper von au-
ßen hinzukommende Form. Von dieser Bestimmung schließt er sogleich auf ihre Sterb-
lichkeit, da sie sich als Seinsprinzip nicht von ihrem Körper abtrennen kann.81
2. Zur Begründung dieser These verweist Luther auf den sogenannten Hylemorphis-
mus der aristotelischen Philosophie. Aus dem ersten Buch der Physik82 entnimmt er
dabei den Sachverhalt, daß das aus Materie und Form Zusammengesetzte dem Zerfall
ausgesetzt ist und zugrunde geht. Er folgert hieraus, daß auch Leib und Seele als Mate-
rie und Form ein corruptibile continuum vel compositum83 bilden. Dieses Argument
überzeugt freilich nur dann, wenn er zeigen kann, daß aus der Auflösung des Komposi-
tum die Auflösung seiner Bestandteile, d. h. der Tod von Leib und Seele folgt.
3. Dies beweist er wie folgt: Nach Aristoteles bilden Materie, Form und Kompositum
una res (vgl. Met. VII 10, 1034b34-35a1). Sofern nun der Mensch gemäß 1037a5-7 ein
aus Seele und Körper zusammengesetztes Kompositum ist, dieses aber vergeht, folgt,
daß auch die Seele des Menschen als Teil des compositum corruptibile vergänglich
und sterblich ist.84

80
WA 59, 412,2-5: »Primo patet ex definitione animae libro 3 De anima, ubi animam vocat [sc.
Aristoteles] actum corporis potentis vivere et hanc communem aliis animalibus facit. Ergo sicut aliae
sic et ipsa est mortalis, alioqui propriam ei debuit dare definitionem.«
81
Für Dieter ist dieser Schluß »nicht überzeugend« (Der junge Luther, 491). Ebenso könne näm-
lich argumentiert werden, daß die Seele des Menschen nach Aristoteles ohne Vernunft sei, weil sie
gemäß ihrer Definition in De An. II 1 auch die unvernünftigen Lebewesen umfasse. Das Eigentümli-
che der menschlichen Seele könnte also gerade unerwähnt bleiben, da Aristoteles doch die allgemein-
ste Definition der Seele (vgl. De An. II 1, 412a5f.) habe geben wollen. Dieter verkennt damit aber die
Eigenart der aristotelischen Definition, die ja gerade darin besteht, das Allgemeine (genus proprium)
und das Spezifische (differentia specifica) und damit das Wesen einer Sache zu benennen. D. h., die-
ser koino/tatoj lo/goj ist nicht die unbestimmteste Definition, sondern diejenige, worin die Seelen
aller Lebewesen secundum esse übereinkommen. Insofern folgert Luther nicht zu Unrecht, daß Ari-
stoteles der menschlichen Seele eine eigene Definition hätte geben müssen, wenn er ihr hinsichtlich
des Seins eine gänzlich andere Qualität hätte zusprechen wollen. Wir werden im Verlauf dieser Ar-
beit sehen, daß einige Aristoteliker diesen umstrittenen Weg gegangen sind. Zu welchen Inkonse-
quenzen dies führt, wird sich zeigen.
82
Welche Stelle Luther hierbei im Blick hat, ist umstritten. Ebeling verweist auf Phys. I 9,
192a21f. (LuSt II/2,89f., Anm. 117). Für Dieter dagegen findet sich im ersten Buch »keine Belegstel-
le für Luthers Behauptung« (Der junge Luther, 495, Anm. 267). Auch der Verfasser konnte keinen
entsprechenden Beleg finden.
83
Vgl. WA 59, 412,6-8: »Secundo, quod secundum Aristotelem 1 Physicorum compositum cor-
rumpitur, at anima et corpus sicut materia et forma faciunt corruptibile continuum vel compositum
…«
84
Vgl. a. a. O., 413,3-6: »Quinto, quia iuxta Aristotelem una res est materia, forma, compositum.
Cum autem homo sit compositum corruptibile, necessario sequitur ex suis principiis anima ut partem
corruptibilis compositi corruptibilem esse.» Für Dieter steht diesem Sachverhalt die Äußerung in Met.
XII 3, 1070a24-27 entgegen, wonach der Nous später (nach dem Ableben des Körpers?) verbleibt

55
De Anima

4. Als ein weiteres Argument führt Luther Met. XII 8, 1073a29-73b1 an, wonach es
genau so viele unsterbliche Geister gebe, wie ewige, sich bewegende Körper existier-
ten. Hierzu zähle Aristoteles aber nicht die menschliche Seele. Ferner könne aus Phy.
VIII 6, 259a15-19 und Met. XII 7, 1072a23-26 entnommen werden, daß Aristoteles aus
der Bewegung der Körper auf die Existenz eines Bewegers schließe und für ihn kein
Beweger existiere, für den es keinen Körper gebe. Hieraus folge, daß die Seele als Be-
weger des Körpers zu existieren aufhöre, wenn dieser aufhöre, beweglich zu sein, weil
Aristoteles keine Möglichkeit habe, die Existenz der Seele zu behaupten, die die Wirk-
lichkeit keines Körpers sei.85 Dieter hat dieses Argument, das in Inhalt und gedankli-
cher Struktur nicht ganz klar ist, in zwei Teile unterteilt: Im ersten folgert Luther da-
nach vom Ausschluß der menschlichen Seele aus der Gruppe der unsterblichen Geister
auf ihre Sterblichkeit.86 Im zweiten Teil schließt Luther von der Annahme, die Seele
sei der Beweger des Körpers, auf die Sterblichkeit der Seele – dann nämlich, wenn der
Körper aufhört beweglich zu sein. Denn die Seele ist nur, wenn sie die Wirklichkeit
eines Körpers ist.87
5. Nachfolgend weist Luther zum einen auf Plutarch und Alexander hin, die referieren
bzw. fest behaupten, daß die menschliche Seele nach Ansicht des Stagiriten sterblich
_________________________________________________________________________________________________________

(Der junge Luther, 495). Dieser Beleg ist in der Tat einer der umstrittenen Äußerungen für die These
von der Unsterblichkeit der menschlichen Seele. Hierauf wird in einem späteren Zusammenhang zu-
rückzukommen sein (vgl. 3.3.6.).
85
Vgl. WA 59, 413,8-14: »Sexto, quod 12 Metaphysicae tot solum concludit [sc. Aristoteles] im-
mortales mentes, quot sunt corpora mobilia perpetua. Et ibi nihil de anima loquitur nec eam inter eas
numerat. Nunc autem cum principia Aristotelis sint talia, ut ex motu corporum concludat motorem
esse 8 Physicorum, 12 Metaphysicae, et motorem non esse, cuique corpus non est, sequitur animam-
que cessare esse, quando corpus eius cessat esse mobile, quia non habet, quomodo asserat animam
esse, cui nullum sit corpus [Kj. aus ‘cui nullus sit actus’ gemäß Theodor Dieter, Der junge Luther,
498f., Anm. 276].«
86
Für Dieter ist diese Argumentation nicht überzeugend. Denn bei der Frage nach der Unsterb-
lichkeit der Seele geht es »um eine perpetuitas a parte post und nicht um eine Ewigkeit wie bei den
Gestirnsgeistern, so daß Aristoteles keinen Grund gehabt hat, die menschliche Seele in diesem Zu-
sammenhang zu bedenken.« (Der junge Luther, 498) Folglich könne von hier aus kein Argument für
oder gegen die Annahme der Unsterblichkeit der Seele entwickelt werden. Auch dieser Einwand Die-
ters ist nicht nachvollziehbar, denn es ist klar, daß es für Aristoteles – und allein dessen Ansicht will
Luther ja ermitteln – keine perpetuitas a parte post, die nicht zugleich eine a parte ante ist, geben
kann. Wenn die Seele also unsterblich ist, dann ist sie auch ewig. Gerade diesen Zusammenhang will
Luther ja verdeutlichen.
87
Problematisch ist für Dieter in diesem Zusammenhang die Umkehrung des Satzes ‘alles was
bewegt wird, wird von einem anderen bewegt’ in den Satz ‘es gibt keinen Beweger, für den es keinen
Körper gibt’, denn das Sein des Bewegers hängt nicht vom Sein des Bewegten ab, »vielmehr hat das
Bewegende ontologisch Priorität vor dem Bewegten.« (Der junge Luther, 502) Damit aber könne
nicht länger behauptet werden, daß die Seele vergeht, wenn das corpus mobile zu existieren aufhört.
Auch hier irrt Dieter, weil Luther gar keine ontologische Differenz zwischen einem äußeren Beweger
und einem anderen Bewegten beschreibt, sondern auf den einfachen Sachverhalt rekurriert, daß die
Bewegung eines Körpers einen Beweger dieses einzelnen Körpers, nämlich die Seele als das Prinzip
von Bewegung, erfordert.

56
Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon

sei88, und zum andern auf das explizite Schweigen des Stagiriten in dieser Frage, über
die er, der doch sonst so wortreich und weitschweifig von allen Dingen rede, kaum
zehn Worte verloren habe, als ob er nur über die Seele im allgemeinen habe schreiben
wollen, um so sein Nichtwissen von der menschlichen Seele zu verbergen. Hieraus
folge, daß Aristoteles zumindest nicht gewußt habe, ob die Seele unsterblich sei.89
Diesen Argumenten secundum principia Aristotelica stellt Luther im folgenden zwei
Äußerungen des Stagiriten gegenüber, die zeigen sollen, daß er die Seele für unsterb-
lich gehalten hat. Damit »rückt nun der bisher völlig übergangene nou=j, der intellectus,
nach seinem aristotelischen Verständnis im Hinblick auf die Frage nach der Unsterb-
lichkeit in den Brennpunkt«90, wie Ebeling zu Recht betont.

2.2.2.2. Die Unsterblichkeit der Seele gemäß zweier Äußerungen des Aristoteles

Luther interpretiert in diesem Zusammenhang zwei Textstellen aus De Anima. In II 2,


413b24-27 wird der Nous wie folgt beschrieben: »Hinsichtlich des Geistes und des be-
trachtenden Vermögens ist damit noch nichts erwiesen, aber es scheint eine andere
Seelengattung zu sein, und diese allein kann abgetrennt werden wie das Ewige vom
Vergänglichen.«91 Dies, so Luther, sei jener einzigartige Beleg, der Aristoteles’ An-
sicht von der Unsterblichkeit der Seele beweisen solle. Dabei sei die Formulierung
vollkommen unbestimmt. Wenn überhaupt, beweise der Satz nur, daß der Geist wie
88
Vgl. WA 59, 412,10-413,2: »Tertio omnes philosophi ut Plutarchus (teste Laurentio) recitant,
quod Aristoteles divinum quidem quiddam asserit esse animam et particeps immortalitatis, sed morta-
lem tamen asseruit. … Quarto insignis discipulus eius Alexander Aphrodisaeus (ut notum) asserit
animam mortalem iuxta sui magistri sententiam. At credendum est discipulum talem perfecte nosse
praeceptoris sui sententiam.«
89
Vgl. a. a. O., 413,15-414,5: »Septimo evidens argumentum est, vel nescisse saltem Aristotelem,
an [anima] sit immortalis, ex eo, quod, cum sit tam verbosus et audax et prolixus in iis, quae novit,
omnia reprehendendo et omnes reprobando sua asserendo, in hac re sola velut mutus nullam uspiam
instituit disputationem propriam nec de ea alicubi ultra decem loquitur verba, cum non satis possit de
aliis rebus loqui, quas novit. Octavo argumentum est eum nescisse saltem ex eo, quia, cum omnes
philosophi de anima humana tantummmodo tractarent, solus ipse, ut angustiam evaderet, videtur ideo
de anima in genere voluisse scribere, ut sic suam occultaret ignorantiam de anima humana, qua non
posset errare in animalibus aliis mortalibus.«
90
Gerhard Ebeling, LuSt II,2, 103.
91
Aristoteles, De An. II 2, 413b24-27 (Übersetzung Theiler in: Aristoteles, Über die Seele, 27):
»peri\ de\ tou= nou= kai\ th=j qewrhtikh=j duna/mewj ou)de/n pw fanero/n, a)ll )e)/oike yuxh=j ge/noj
e(/teron ei)=nai, kai\ tou=to mo/non e)nde/xetai xwri/zesqai, kaqa/per to\ a)i+/dion tou= fqartou=.« Ar-
gyropulos, dessen Text Luther für seine Studien zugrunde legte, übersetzte diesen Passus wie folgt:
»de intellectu vero contemplativaque potentia nondum quicquam est manifestum: sed videtur hoc
animae genus esse diversum, idque solum, perinde ac perpetuum, ab eo quod occidit seiungi separari-
que potest.» (De anima, in: Aristoteles latine: interpretibus variis. Edidit Academia Regia Borussica.
Nachdruck der Ausgabe Berlin 1831. Herausgegeben und eingeleitet von Eckhard Kessler. München
1995, 209-226, hier: 215a-b). Luthers Text vermerkt accidit (vgl. WA 59, 414,10) statt occidit. Letz-
teres ist dem griechischen Wort fqarto/j aber angemessener.

57
De Anima

etwas Ewiges, nicht aber selbst ewig sei. »Er ist etwas Göttliches und der Unsterblich-
keit teilhaftig, freilich etwas [der Unsterblichkeit] Ähnliches, aber nicht wahrhaftig un-
sterblich.«92 Ferner spreche Aristoteles hier nur von der Abtrennbarkeit des Geistes,
nicht aber von der der anderen Seelenteile, die gemäß 413b27-29 nicht abtrennbar sei-
en. Was separabilis hier bedeutet, erklärt Luther wie folgt: »Offensichtlich redet er [sc.
Aristoteles] über die Abtrennung in der Tätigkeit [sc. des Erkennens], nicht über eine
substantielle [sc. Abtrennung], nämlich daß er [sc. der Geist] ohne Materie ist usw.«93
Wie ist die Formulierung separatio operationis genauer zu verstehen?
Ebeling verweist zur Klärung des Ausdrucks auf 413b14f., wo Aristoteles zwischen
einer gedanklichen und räumlichen Abtrennung, d. h. zwischen einer Abtrennung mit-
tels abstrahierender Operation sowie einer substanzhaften Trennung als einer wirkli-
chen Selbständigkeit differenziere. Da aber Aristoteles die räumliche Abtrennbarkeit
der Seele vom Leib in 413a4f. verneine, müsse man folgern, daß er in 413b24-27 unter
der Abtrennbarkeit des Nous bloß seine »begriffliche Unterscheidung« verstehe, nicht
aber eine »Scheidung substantialer Art in dem Sinne, daß der intellectus dann ohne
Materie«94 sei. Dieter hält diese Bestimmung zu Recht für »ganz unwahrscheinlich«95;
vielmehr müsse die Unterscheidung zwischen der separatio operationis und der sepa-
ratio substantiae in Anlehnung an Thomas96 als eine Unterscheidung secundum opera-
tionem – secundum esse verstanden werden. Danach ist die Seele zwar
»unter dem Gesichtspunkt, daß sie Prinzip der intellektualen Tätigkeiten ist (‘intellectus’), vom
Körper ‘getrennt’, da die geistigen Tätigkeiten im Unterschied zu den Sinneswahrnehmungen
kein Körperorgan haben, das etwas von dem zu Denkenden erleidet. Dies impliziert jedoch kei-
ne Realunterscheidung in der Seele (quo ad substantiam), sondern eine Unterscheidung nur mit
Bezug auf die geistigen Akte (quo ad actus).«97

Die Abtrennung, von der Aristoteles in De An. II 2, 413b24-27 spricht, ist also für Lu-
ther keine ontologisch-substantielle, sondern eine hinsichtlich der Tätigkeit des Gei-
stes, sofern dieser im Denken nämlich keines äußeren Organs bedarf, und dergestalt ist
er ohne Materie – anders z. B. als das Sehen, das der Augen bedarf –, obgleich er na-
türlich hinsichtlich des Seins nicht ohne Körper ist. Daher, so Luthers in sich schlüssi-
ge Folgerung, kann aus der genannten Textstelle nichts hinsichtlich der Frage nach der
Unsterblichkeit der Geistseele, also secundum esse, entnommen werden. Mit dieser
92
Vgl. WA 59, 414,15-17: »… est [sc. intellectus] quoddam divinum et particeps immortalitatis,
simile quidem, sed non vere immortale.«
93
A. a. O., 414,18f.: »Manifeste de separatione operationis, non substantiali loquitur, scilicet quod
sit [sc. intellectus] sine materia, et cetera.»
94
Gerhard Ebeling, LuSt II/2, 105.
95
Theodor Dieter, Der junge Luther, 514.
96
Vgl. Thomas, Scg II 79, in: Opera 13, 498: »Si autem dicatur quod perfectio animae consistit in
separatione eius a corpore secundum operationem, corruptio autem in separatione secundum esse,
non convenienter obviatur.«
97
Theodor Dieter, Der junge Luther, 516.

58
Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon

Differenzierung zwischen einer separatio operationis und einer separatio substantiae


hat Luther die Begrifflichkeit beisammen, mit der er den weiteren Beweisgang bestrei-
ten kann.
Als zweiten Beleg für die scheinbare These von der Unsterblichkeit der Seele ver-
weist Luther auf De An. III 5, 430a22f.: »Getrennt nur ist er [sc. der Nous] das, was er
ist, und das allein ist unsterblich und ewig.«98 Auch hier spreche Aristoteles aber nicht
vom Geist seiner Wesenheit nach (de intellectu essentialiter), sondern davon, wie er
secundum operationem passiv und aktiv sei. Nicht in seinem Sein, sondern in seinem
Verhältnis zu den möglichen Gegenständen des Verstehens (in ordine ad intelligibilia)
werde er hier verhandelt, zu denen er sich als intellectus passivus & intellectus agens
verhalte.99 Damit beschränkt Luther, so Ebeling, auch hier »die Gedankenführung des
Aristoteles … streng auf die erkenntnistheoretische Fragestellung … und (wehrt) sich
gegen ontologische Schlußfolgerungen«100, wonach der Geist bzw. die Seele unsterb-
lich sei. Hieraus wird aber auch deutlich, daß für Luther der intellectus agens ein Ver-
mögen der menschlichen Seele ist. An diesem Punkt unterscheidet sich also seine In-
terpretation deutlich von Alexanders Position, für den der göttliche nou=j poihtiko/j von
außen in den nou=j e)pi/kthtoj hineinkommt im Denken des Denkens. Um diesen Ansatz
zu belegen, gibt Luther im folgenden eine Satz-für-Satz-Interpretation von De An. III
5. Zum leichteren Verständnis und im Blick auf die späteren Diskussionen der Renais-
sance-Aristoteliker und der lutherischen und calvinistischen Schulphilosophen wird der
entsprechende Abschnitt aus De An. III 5 jeweils in deutscher Übersetzung vorange-
stellt, die sich an Luthers Textgrundlage – der lateinischen Übersetzung des Argyropu-
los – orientiert.

2.2.2.3. Die Interpretation von De An. III 5

Textus XVII, 430a10-14101: »Da es aber in der gesamten Natur zweierlei gibt, wovon das eine
für jede Gattung die Materie ist – das ist offenkundig dasjenige, was all das in Möglichkeit ist –
und das andere die Ursache und das alles Wirkende, das sich durch Wirken und Tätigsein auf

98
Aristoteles, De An. III 5, 430a22f. (Übersetzung Theiler in: Aristoteles, Über die Seele, 59):
»xwrisqei\j d ) e)sti\ mo/non tou=q ) o(/per e)sti/, kai\ tou=to mo/non a)qa/naton kai\ a)i/+dion …« Vgl. WA
59, 414,20f. (gemäß der Übersetzung des Argyropulos, in: Aristoteles latine, 223b): »separatus [sc.
intellectus] vero id est solum quod est, atque id solum est immortale perpetuumque.«
99
Vgl. WA 59, 414,22-27: »Sed certum est, quod non loquitur de intellectu substantialiter, sed ut
est passivus et agens … Ita hic facit [sc. Aristoteles] intellectum, non ut rem, sed in ordine ad intelli-
gibilia. Ad haec enim se habet ut activus et passivus, passivus et agens.«
100
Gerhard Ebeling, LuSt II,2, 142.
101
Die Textabschnitte folgen der üblichen Einteilung der Renaissance-Aristoteliker. Luther zitiert
dagegen im Rahmen seiner Interpretation fortlaufend ohne Einteilung.

59
De Anima

eine solche Weise [zu einer Sache] verhält, wie sich die Kunst als Bedingung zur Materie ver-
hält, müssen auch in der Seele dieselben Unterschiede vorliegen.«102

Für Luther ist klar, daß es für Aristoteles nicht eine einzige Materie in allen Dingen
geben kann; vielmehr gelte es, in jedem Ding die spezifische Materie zu ermitteln, d. h.
dasjenige, was der Möglichkeit nach ein solches Ding sein könne. Damit weise Aristo-
teles darauf hin, daß es auch beim Nous etwas gebe, das dem Vermögen nach Geist
bzw. Sein-könnender Geist (potentia seu potens esse intellectus) sei. Was eine solche
Materie als Möglichkeit in die Wirklichkeit bringe, das sei die Form- bzw. Wirkursa-
che, die wie die Kunst alles das wirke, was zu dem entsprechenden Kompositum gehö-
re. Denn es gebe nichts, was alles von allem bewirke. Aristoteles folgere hieraus, daß
auch in der Seele Materie und Form zu finden sein müßten.103 Luther bezieht also das
über die Materie und Kunst Gesagte sogleich auf den Geist, der in sich die beiden
Momente der Materie als Möglichkeit, etwas zu werden (= intellectus possibilis), und
der Form als Wirklichkeit, etwas zu bewirken (= intellectus agens), enthält.104
Textus XVIII, 430a14-17: »Und zwar gibt es einen solchen Geist, der alles wird, und einen sol-
chen, der alles wirkt, der wie ein Habitus ist und vergleichbar dem Licht. Denn auch das Licht
macht ja gewissermaßen die Farben, die der Möglichkeit nach sind, zu Farben in Wirklich-
keit.«105

Luther versteht unter dem intellectus possibilis die Materie alles Erkennbaren, denn er
wird nicht alles, sondern nur das, wozu er der Möglichkeit nach werden kann. Der in-
tellectus agens ist dagegen die Form alles Intelligiblen, d. h. die Form des intellectus
possibilis. Durch ihn wird dieser dasjenige Erkennbare in Wirklichkeit, was er der
Möglichkeit nach hat werden können. Wie also die Materie die Eigenschaft hat, alles
zu werden, so hat der intellectus possibilis jene, alles Erkennbare zu werden, und des-
halb wird er materia intelligibilium genannt. Und wie die Form die Eigenschaft hat, die
102
Argyropulos, in: Aristoteles latine, 223b: »Cum autem in omni natura sint quaedam, quorum al-
terum quidem unicuique generi materies est, quod id esse patet quod est potentia illa cuncta, alterum
vero causa est et efficiens omnia, efficiendo atque agendo talem subiens rationem qualem ars condi-
cionem ad materiam subit, necesse est et in anima differentias has easdem inesse.«
103
Vgl. WA 59, 415,2-13.
104
Dieter merkt in diesem Zusammenhang kritisch an, daß Luther damit »den Formbegriff in den
Text« (Der junge Luther, 534) hineintrage, ohne dies an der vorliegenden Stelle belegen zu können.
Diese Kritik ist aber unbegründet, denn für Aristoteles sind das Begriffspaar Materie-Form wie Mög-
lichkeit-Wirklichkeit Relationalbegriffe, die immer aufeinander verweisen. Insofern kann Luther das
Verhältnis von intellectus possibilis & intellectus agens durchaus als das von Materie und Form be-
stimmen, sofern jener in gewisser Weise Materie ist, die alles werden kann, und dieser in gewisser
Weise Form, die das Erkennen verleiht. Dabei ist die Begrifflichkeit aber nicht ontologisch, sondern
erkenntnistheoretisch zu verstehen, denn hinsichtlich des Seins ist der Geist forma corporis. Materia
& forma stehen hier für die Begriffe potentia & actus, wie auch der nachfolgende Satz in De An. III
5, 430a14-17 verdeutlicht.
105
Argyropulos, in: Aristoteles latine, 223b: »atque quidam est intellectus talis ut omnia fiat, qui-
dam talis ut omnia agat atque efficiat, qui quidem ut habitus est quidam et perinde ac lumen. nam et
lumen, colores, qui sunt potentia, actu colores quodammodo facit.«

60
Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon

Materie ins Sein als dies Bestimmbare zu bringen, so hat der intellectus agens jene, das
in Möglichkeit Erkennbare zu einem in Wirklichkeit Erkennbaren zu machen, und der-
gestalt ist er die forma omnium intelligibilium. Da aber im Erkenntnisakt das Erkenn-
bare und der Geist eines sind, ist der intellectus agens zugleich forma possibilis intel-
lectus: Durch ihn wird der intellectus possibilis das Erkannte selbst.106
Den Vergleich der Funktion des intellectus agens mit dem Habitus und dem Licht in
430a15-17 versteht Luther dahingehend, daß er – wie jede Form – insofern ein Habitus
ist, als er die Möglichkeit bzw. Materie, d. h. das Intelligible und den intellectus possi-
bilis, erworben hat und sie in sich enthält. Und dergestalt ist er auch in seiner Funktion
mit der des Lichts vergleichbar – denn er ist nicht selbst das Licht, wie Luther betont –,
weil er das mögliche Intelligible so zu einem wirklich Intelligiblen macht wie das Licht
die der Möglichkeit nach sichtbaren Farben zu wirklich sichtbaren Farben.107 Diese In-
terpretation Luthers bedeutet trotz der vermeintlich metaphysischen Begrifflichkeit
materia – forma keine Ontologisierung des Sachverhalts, wie gegen Dieter108 betont
werden muß, sondern beschreibt den Verlauf des Erkennens: Der intellectus possibilis
erkennt als Materie nur, indem er durch den intellectus agens in die Wirklichkeit ge-
bracht wird und so das Intelligible wirklich erkennt. Genau in diesem Sinne muß der
Satz: »So ist jede Form wirklich in einem Ding und volles Sein«109, verstanden werden.
Der intellectus agens gibt dem intellectus possibilis in gewisser Weise das ‘Sein des
Erkennens’, da es nun wirklich in ihm ist und nicht, wie zuvor, nur der Möglichkeit
nach.
Textus XIX, 430a17-19: »Und nur dieser Geist ist abtrennbar, unvermischt und inaffizierbar,
weil er seinem Wesen nach Wirklichkeit ist. Immer nämlich ist das, was wirkt und tätig ist, von
höherem Rang als das, was leidet, und das Prinzip selbst schlechterdings [höher] als die Mate-
rie.«110

Für Luther ist Aristoteles hier schlüpfrig wie ein Aal. Denn er sagt nicht, die Seele sei
abtrennbar, leidensunfähg und unvermischt, sondern der intellectus agens. Wovon aber
abtrennbar und wie? Gewiß nicht vom Körper, ist doch die Seele eins mit dem Körper.
Abtrennbar also nur von seiner Materie, dem intellectus possibilis, und dies nur secun-

106
Vgl. WA 59, 415,15-20: »‘Atque quidam est intellectus talis, ut omnia fiat’ [430a14f.] (id est
materia omnium intelligibilium. Non enim fit omnia nisi ea, ad quae potentia fieri potest), ‘quidem
talis, ut omnia agat’ [a15] id est forma omnium sic potentia naturali intelligibilium, id est forma pos-
sibilis intellectus, quo fit, ut intellectus possibilis sit actu, quod potuit fieri potentia …«
107
Vgl. a. a. O., 415,20-416,13.
108
Vgl. Theodor Dieter, Der junge Luther, 533ff.
109
WA 59, 416,14: »Sic omnis forma actu in re et esse plenum.«
110
Argyropulos, in: Aristoteles latine, 223b: »et is intellectus separabilis est et non mistus, passio-
neque vacat, cum sit substantia actus. semper enim id quod efficit atque agit, praestabilius est eo quod
patitur, et principium omnino materia.«

61
De Anima

dum operationem, nicht secundum esse.111 Und genau auf diese Weise ist er auch un-
vermischt mit dem intellectus possibilis, erleidet nichts von ihm, weil er Form ist und
seinem Wesen nach Wirklichkeit. Wessen Wirklichkeit und Vollkommenheit? Nicht
des compositum, das der Mensch ist, sondern jenes Ganzen, das aus dem intellectus
possibilis und dem intellectus agens konstituiert wird, und das ist das Wissen am Ende
des Erkenntnisvorgangs, wenn das Intelligible gewußt wird.112 Luther setzt also eine
epistemologische Differenz zwischen dem intellectus agens und dem intellectus possi-
bilis, ohne daß er freilich den Sachverhalt erörtert, warum Aristoteles in De An. III 4
den intellectus possibilis mit denselben Attributen ausgezeichnet hat und worin den-
noch die Differenz zwischen beiden secundum operationem besteht.113 Für ihn ist of-
fenbar allein der Nachweis wichtig, daß diese Eigenschaften nicht der Seele, sondern
dem intellectus agens zukommen und daß sie nicht ontologisch, sondern epistemolo-
gisch zu verstehen sind.
Den Satz 430a18f. erkennt Luther als eine Parenthese: Es soll erklärt werden, warum
dem intellectus agens all diese Bestimmungen habitus, lumen, non mixtus, separatus,
vacuus passionis, substantia actus zukommen. Für Dieter ergibt sich dies »aus der on-
tologischen Höherrangigkeit dessen quod efficit et agit über das quod patitur«114. Das
ist aber falsch. Auch hier muß daran festgehalten werden, daß Luther die Höherrangig-
keit nicht secundum esse, sondern secundum operationem versteht. Hinsichtlich des
Seins gibt es für ihn gar keine Differenz zwischen dem intellectus possibilis & intellec-
tus agens, denn beide sind Vermögen der menschlichen Seele, die als forma corporis
bestimmt worden ist. Die Differenz betrifft allein das Erleiden bzw. Wirken im Er-
kenntnisakt. Und sofern der intellectus agens in diesem Akt tätig ist, kommen ihm, so
Luther, diese Bestimmungen als dem Ranghöheren zu.115

111
Dies ist der innovatorische Ansatz Luthers, der weder auf Alexander, Averroes noch Thomas
zurückgeführt werden kann.
112
Vgl. WA 59, 416,16-417,2: »Observa anguillam hanc lubricissimam! Non dicit, quod anima sit
separabilis et non mixta, sine passione, sed intellectus agens est separabilis. A quo? Nisi anima vel
composito suo? At materia eius non est corpus, sed intellectus passivus, ut praedixit. Sic non est mix-
tus. Quo? Corpore? Non, sed non est mixtus sua materia, scilicet possibili intellectu. Sic non est pas-
sivus, quia est forma (inquit) et substantia actus. Cuius actus? Non compositi, quod est homo, sed, ut
sequitur, totius illius, quod ex intellectu ut materia et intellectu agente constituitur, quo est scientia.«
113
Vorstellbar ist, daß Luther die Attribute des intellectus possibilis in Hinsicht auf den Gegen-
stand und den Körper bestimmen könnte: Abgetrennt von einem (äußeren) körperlichen Organ, un-
vermischt mit den Gegenständen und von ihnen nicht affizierbar.
114
Theodor Dieter, Der junge Luther, 549.
115
WA 59, 417,5-10: »Sequitur parenthesis: ‘Semper enim id, quod efficit atque agit, praestabilius
est eo, quod patitur, ipsum principium omnino’ (id est efficiens causa praestabilior est quam) ‘mate-
ria’ [a18f.]. Id dicit causam reddens, cum intellectus agens sit habitus, lumen, non mixtus, separatus,
vacuus passionis, substantia actus; dicitur scilicet: est agens, cui ut praestantiori haec conveniunt.«

62
Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon

Textus XX[a], 430a19-22: »Das wirkliche Wissen ist dasselbe wie der Gegenstand. Das mögli-
che Wissen ist in einem Einzelnen der Zeit nach früher, schlechthin aber nicht der Zeit nach
früher. [Der Geist] versteht aber nicht einmal, ein anderes Mal aber nicht.«116

Obgleich die Sätze 430a19-21 wörtlich am Anfang von De An. III 7, 431a1-3 wieder-
kehren, werden sie von Luther – wie in der Zeit üblich und damit im Gegensatz zur
heutigen opinio communis – ohne Bedenken als zum Zusammenhang gehörig interpre-
tiert. Er erklärt den Satz 430a19 wiederum im Rückgriff auf das Materie-Form-
Schema. Dabei zeichnet sich jedoch ein Widerspruch zum bisher Gesagten ab: Wenn
das Wissen aus der Materie als dem intellectus possibilis und der Form als dem intel-
lectus agens zusammengesetzt ist, wie kann es dasselbe sein wie der erkannte Gegen-
stand? Luther erklärt diesen scheinbaren Widerspruch so, daß der intellectus possibilis,
der gemäß 430a14f. alles wird, alles Erkennbare in Möglichkeit ist, da ja aus dem intel-
lectus possibilis und dem Intelligiblen dasselbe wird. Offensichtlich besteht für ihn
zwischen beiden Bestimmungen des Wissens folgender Zusammenhang: Der intellec-
tus possibilis ist das Erkennbare in Möglichkeit, d. h. er ist dasselbe wie das Erkennba-
re. Da nun das Erkennbare bzw. der erkannte Gegenstand dasselbe ist wie das Wissen,
ist der intellectus possibilis das Wissen. »Deswegen«, so Luther, »ist das Wissen ‘das-
selbe, wie die’ erkannten ‘Dinge’ selbst und das aus den zwei Geistern als Materie und
Form Zusammengesetzte selbst.«117 Diese Erklärung ist aber zumindest ungenau, denn
ein Wissen, das dasselbe ist wie der erkannte Gegenstand, ist gerade kein Wissen in
Möglichkeit, wie es der intellectus possibilis besitzt, sondern eines in Wirklichkeit, das
dem intellectus agens zukommt bzw. das er im intellectus possibilis realisiert. Nur aus
dem intellectus agens und dem Intelligiblen wird also dasselbe, denn allein die Form
gibt das Sein des Erkennens.
Noch verwirrender wird Luthers Interpretation zu 430a20-22, wonach das Wissen in
Möglichkeit im Einzelnen der Zeit nach früher ist, absolut aber auch nicht der Zeit
nach. Luther erkennt zunächst ganz richtig, daß hier vom Wissen des intellectus possi-
bilis die Rede ist, das die Möglichkeit hat, Wissen in Wirklichkeit zu werden. Und die-
ses Wissen in Möglichkeit geht der Zeit nach dem Wissen in Wirklichkeit voraus, denn
es besteht potentialiter ‘schon immer’, während das wirkliche Wissen erst realisiert
werden muß. Absolut geht dieses Wissen jedoch nicht der Zeit nach voraus, denn es ist
derselbe Gegenstand – die Seele – dasselbe Zusammengesetzte – das Wissen. Das
wirkliche Wissen (scientia actu) ist also eins mit seinem Gegenstand, ist es doch das
realisierte Wissen. Schlechthin betrachtet – wobei für Luther ‘schlechthin’ das Gewor-
densein, nicht das Werden kennzeichnet – ist daher das mögliche Wissen (scientia in
potentia) nicht im Einzelnen der Zeit nach früher als jene scientia actu, denn das wirk-
liche Wissen ist der vollendete Wissenszustand, der Zustand, in dem das Wissen im
116
Argyropulos, in: Aristoteles latine, 223b: »scientia autem ea quae est actu, est idem quod res;
ea vero quae est potentia, in uno prior est tempore: absolute autem non tempore. sed non nunc quidem
intelligit [sc. intellectus], nunc autem non intelligit.«
117
WA 59, 417,18f.: »Ideo scientia ‘est idem, quod res’ ipsa intellecta et ipsum compositum ex
duobus intellectibus ut materia et forma.«

63
De Anima

eigentlichen Sinne Wissen ist. Und genau dann, so Luthers Folgerung, ist der intellec-
tus possibilis dasselbe mit dem wirklichen Wissen. In diesem Haben des Wissens er-
kennt er nicht einmal, ein anderes Mal aber nicht, sondern er erkennt immer, weil er
Wissen in Wirklichkeit ist.118 Diese gewiß falsche Interpretation kommt dadurch zu-
stande, weil Luther den Satz 430a22, auf den intellectus possibilis bezieht, statt – unter
Außerachtlassung des vorangehenden Satzes 430a19-22 – auf den intellectus agens.
Der intellectus possibilis als scientia in potentia wird also irgendwie zum intellectus
agens als scientia actu.119 Eine andere sinnvolle Erklärung hält Luther für unmöglich,
es sei denn, Aristoteles habe mit diesen Ausführungen Dunkleres sagen wollen, was
niemand verstehen solle.
Textus XXb, 430a22-25: »Abgetrennt aber ist er [sc. der Geist] allein das, was er ist, und das al-
lein ist unsterblich und ewig. Daran haben wir aber keine Erinnerung, weil dieses zwar inaffi-
zierbar, der passive Geist aber vergänglich ist, und ohne dieses erkennt er nichts.«120

Mit dem Satz 430a22f. gelangt Luther wieder an den Ausgangspunkt seiner Interpreta-
tion zurück. Ehe er diesen Passus in Hinsicht auf die Frage nach der Unsterblichkeit
der Seele interpretiert, faßt er das bisher Gesagte wie folgt zusammen: 1. Das wirkliche
Wissen als compositum ist eins mit dem Gegenstand. 2. Das mögliche Wissen ist zeit-
lich früher als der Gegenstand oder das wirkliche Wissen. 3. Die Form des möglichen
Wissens und des Zusammengesetzten ist der intellectus agens, der allein das ist, was er
ist (actus). Da die Form nicht definiert werden kann – denn durch sie wird alles übrige
definiert – und sie das Sein gibt, ist sie das, was sie ist, in sich selbst. Hieraus folgert
Luther, daß nicht die ganze Seele vom Körper, sondern allein der intellectus agens ab-
trennbar ist von seinem compositum, dem wirklichen Wissen, und von seiner Materie,

118
Vgl. a. a. O., 417,20-418,10: »‘Ea vero, quae est potentia, in uno prior est tempore’ (id est in-
tellectus possibilis, qui est potentia, ut fiat actu scientia, ideo praecedit solo tempore); ‘absolute au-
tem neque tempore.’ Dicitur: Est eadem res scilicet anima, idem compositum, scilicet scientia. …
‘Absolute’ autem puto dictum, quod alii vocant in facto esse, non in fieri. Sic scientia possibilis in
facto esse et absolute non sic habet, quod ‘nunc intelligit, nunc non intelligit’; id enim materiae esse
in fieri convenit. ‘Sed non nunc quidem intelligit, nunc autem non intelligit.’ Id est scientia in potentia
seu intellectus passibilis absolute acceptus non est prior tempore, quia idem cum scientia actu. Quia
tunc non est talis, ut ‘nunc intelligat, nunc non intelligat’, quia est actu intelligentia seu scientia …«
119
Vgl. hierzu die berechtigte Kritik von Thedor Dieter, Der junge Luther, 553: »Luther beläßt es
nicht dabei, sondern verirrt sich in einer Begriffsakrobatik, die dadurch veranlaßt ist, daß er irrtümlich
meint, die Aussage ‘es ist nicht der Fall, daß er bisweilen denkt, bisweilen nicht denkt’, beziehe sich
auf den intellectus possibilis statt auf den intellectus agens. Würde der intellectus1 [sc. possibilis]
erkennen und auch nicht erkennen, so gäbe es immer wieder eine zeitliche Priorität des möglichen
vor dem Wirklichen … Nun soll der intellectus possibilis aber unaufhörlich erkennen. Wie soll das
möglich sein, obwohl er doch von Luther als quoddam, quod potentia sit intellectus verstanden
wird?«
120
Argyropulos, in: Aristoteles latine, 223b: »Separatus vero id est solum quod est, atque id solum
est immortale perpetuumque. non autem recordamur, quia hoc quidem expers est passionis, intellec-
tus vero passivus exstinguitur, et sine hoc nihil intelligit.«

64
Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon

dem möglichen Wissen, das der intellectus possibilis ist.121 Was soll das aber heißen?
Wie kann der intellectus agens vom Wissen abtrennbar sein, und warum sollte er es?
Was bedeutet hier Abtrennbarkeit? Unter Berücksichtigung dessen, was Luther früher
zu dieser Stelle gesagt hat122, müßte er hier unter Abtrennbarkeit die separatio opera-
tionis verstanden haben, denn weder bedarf der intellectus agens für seine Tätigkeit
eines Organs noch des intellectus possibilis als seine Materie. Das ergibt aber keinen
Sinn. Denn die separatio operationis bezieht sich doch auf den Leib und damit auf ein
körperliches Organ und nicht auf den immateriellen intellectus possibilis. Noch weni-
ger kann die Abtrennbarkeit aber secundum esse verstanden werden, denn Luthers In-
terpretation liegt die Annahme zugrunde, daß Aristoteles nicht substantialiter vom
Geist spricht. Vor diesem Hintergrund bleibt völlig unklar, was ‘Abtrennbarkeit’ in
diesem Zusammenhang bedeuten soll. Merkwürdig ist auch, daß Luther aus dem Satz:
‘Und das allein ist unsterblich und ewig’ (430a22f.) nicht auf die Unsterblichkeit des
intellectus agens schließt, sondern auf die des intellectus possibilis: »Es ist klar, daß
hier nicht die Unsterblichkeit der Seele angenommen wird, sonst wäre nicht die ganze
Seele unsterblich, sondern [nur] der leidensfähige Geist und nicht das aus beiden Zu-
sammengesetzte.«123 Diese Interpretation ist nicht nachvollziehbar124, zumal Luther
wenig später einen Subjektwechsel hin zum intellectus agens vollzieht: »Also ist jener
[sc. der tätige Geist] unsterblich wie jede Form oder jeder Akt, wie oben gesagt, in der
Weise der Teilhabe, durch die der Gegenstand ist.«125 Hier versteht er die ‘Unsterblich-
keit’ des tätigen Geistes streng epistemologisch im Sinne einer Teilhabe126 am Göttli-
chen und Ewigen, wie sie jeder Form zukommt. Was diese Teilhabe, die nur im wirkli-
chen Wissen möglich ist, aber näherhin bedeutet, bleibt unklar.
Auch die abschließende Interpretation des letzten Satzes von De An. III 5, 430a23-
25 ist unverständlich: Wir erinnern uns nicht allein durch den abgetrennten tätigen
Geist, so Luther, weil die Verwirklichung nur bei Anwesenheit von Materie tätig ist.

121
Vgl. WA 59, 418,16-18: »Ideo ista separatio non potest intelligi de tota anima a corpore, sed
[de intellectu agente] a suo composito, id est scientia actu, et sua materia, id est [scientia] in potentia,
quae est intellectus possibilis.«
122
Vgl. a. a. O., 414,20-27.
123
A. a. O., 418,19-21: »Patet, quod hinc non ponitur animae immortalitas, alioqui non tota anima
esset immortalis, sed possibilis [sc. intellectus], nec compositum ex utroque …«
124
Thedor Dieter gibt folgenden Erklärungsversuch: »Befremdlich ist, daß Luther meint, in dem
Fall, daß ‘von hier aus’ (hinc) die Unsterblichkeit der Seele angenommen würde, wäre jedenfalls
nicht die ganze Seele, sondern nur der intellectus1 [sc. possibilis] unsterblich. Warum gerade er? Man
wird das so verstehen können: Wird der intellectus2 [sc. agens] als Form des intellectus1 und also als
‘abtrennbar’ verstanden, so kann, wenn auch die ‘Abtrennbarkeit’ der Seelenform vom Leib ange-
nommen werden soll, nur noch von einer ‘Abtrennbarkeit’ des intellectus1 die Rede sein, weil nur er
nach der ‘Abtrennung’ des intellectus2 als Kandidat übrig ist.« (Der junge Luther, 555, Anm. 557)
125
WA 59, 418,24f.: »Igitur est immortale illud [sc. intellectus agens] sicut quaelibet forma vel ac-
tus, ut supra, participative, quo est esse rei.«
126
Vgl. a. a. O., 412,14-16.

65
De Anima

Deshalb verwirklicht er nichts, wenn er für sich ist. Denn seine Inaffizierbarkeit meint
gerade, daß er die intelligibilia nicht aufnimmt, sondern die Verwirklichung dieser
Aufnahme bzw. dieses Affiziertwerdens (actus receptionis seu passionis) ist. Der intel-
lectus possibilis wiederum ist die pure Rezeption und eben deshalb vergänglich, d. h.
er ist nicht immer tätig, weil die Materie, die er selbst ist, bald hat und bald nicht hat.
Was aber hat sie? Die Form, d. h. Wissen als Vollzug. Wird nämlich eine Form fortge-
nommen und abgetrennt und eine andere eingeführt, so ergibt sich, daß der intellectus
possibilis ‘stirbt’, weil er nicht immer weiß.127 Ohne diesen intellectus possibilis aber
erkennt der intellectus agens nichts, denn ohne ihn gibt es kein Wissen im Vollzug.
Ein ontologisches Verstehen des Satzes 430a22f. erfordert also für Luther das Ein-
geständnis, daß die ganze Seele sterblich ist, während eine epistemologische Ausle-
gung die Rede von der Abtrennbarkeit, Unsterblichkeit und Ewigkeit nur auf die Dau-
erhaftigkeit des Erkennens beziehen kann, wie er abschließend betont:
»Wenn daher der leidensfähige Geist wesentlich zerstört wird, wie bestimmte Leute meinen,
dann müssen sie zugestehen, daß die ganze Seele stirbt. Aber Aristoteles spricht vom Auslö-
schen und von der Dauer des Erkennens, nicht des Seins; und dennoch will er so erscheinen, als
hätte er über das Wesen des Geistes gesprochen.«128

So sehr dieser Ansatz insgesamt von Inkonsistenzen geprägt ist und letztlich »zu kei-
nem überzeugenden Ergebnis«129 führt, wie Dieter zu Recht betont, liegt ihm doch der
diskussionswürdige Gedanke zugrunde, das Wesen des Nous in De An. III 5 (wie auch
in III 4) allein secundum operationem zu bestimmen. Neben Alexanders Interpretation
bietet er damit eine andere Möglichkeit für eine rein philosophieimmanente, jeden Be-
zug auf das Christentum ablehnende Bestimmung des Verhältnisses von intellectus
possibilis & intellectus agens als Vermögen der menschlichen Seele. Beide Autoren
gehen dabei von der plausiblen Annahme aus, daß Aristoteles sie für sterblich gehalten
haben muß, und aus genau diesem Grund kann der Stagirite für Luther hinsichtlich der
theologischen Frage ihrer Unsterblichkeit auch keine Autorität besitzen.130 Wie dieses
Thema nach Luthers Ansicht verhandelt werden muß, soll hier kurz an zwei späteren
Texten verdeutlicht werden.

127
Vgl. a. a. O., 418,25-419,6.
128
A. a. O., 419,8-11: »Quare, si intellectus passivus corrumpitur substantialiter, ut illi quidam vo-
lunt, habent concedere, quod tota extinguitur anima. Sed Aristoteles de extinctione perpetuitateque
intelligendi, non essendi loquitur; et tamen quasi videri cupit locutus de essentia intellectus.«
129
Thedor Dieter, Der junge Luther, 559.
130
Dies verdeutlicht auch eine Äußerung Luthers in der Schrift An den christlichen Adel von des
christlichen Standes Besserung von 1520, wo es heißt, Aristoteles lehre in »seinem besten [sic!] buch,
de Anima, das die seel sterblich sey mit dem Corper, wie wol viel mit vorgebenen wortten yhn haben
wolt erredten, als hetten wir nit die heyligen schrifft, darinnen wir ubirreichlich von allen dingen ge-
leret werden, der Aristoteles nit ein kleynsten geruche yhe empfunden hat …« (WA 6, 458,7-10)

66
Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon

2.2.3. Die Unsterblichkeit der Seele aus theologischer Sicht

Aus den Annotationes in Ecclesiasten von 1532 kann entnommen werden, daß für Lu-
ther die Frage nach der Unsterblichkeit der Seele weder von Aristoteles noch von Pla-
ton her beantwortet werden kann, da von ihr kein philosophischer Erweis möglich ist,
keine Erkenntnis in der Form erlangt werden kann, daß der Mensch um die Unsterb-
lichkeit weiß; vielmehr ist sie für ihn eine durch und durch theologische Frage, die nur
von der Hl. Schrift beantwortet werden kann, und die allein angemessene Haltung ist in
diesem Zusammenhang der Glaube. In dieser Frage waltet für Luther deshalb eine
grundsätzliche Differenz zwischen Philosophie und Theologie: »Gewiß kann die Welt
[sc. ohne göttliche Offenbarung und Gnade] weder erkennen noch glauben, daß die
Seele unsterblich ist.«131 Der Begriff ‘Welt’ umfaßt hier nicht nur die vorchristliche
Welt der heidnischen Philosophen Aristoteles und Platon, sondern auch die christliche
Welt der Pseudotheologen, die sich in ihrer vanitas nicht an das geoffenbarte Wort hal-
ten, sondern in der eigenen Verkrümmung in sich selbst, im Bauen auf die Erkenntnis
der ratio humana den Erweis suchen. Luther hält all diese sogenannten philosophi-
schen Beweise für die Unsterblichkeit der Seele für null und nichtig, und zwar grund-
sätzlich:
»Die Philosophen haben zwar die Unsterblichkeit der Seele erörtert, doch derart unbeteiligt, daß
der Eindruck entstanden ist, sie hätten lauter Märchen von sich gegeben. Hauptsächlich Aristo-
teles aber disputierte von der Seele so, daß er sorgfältig und schlau überall darauf achtete, daß
er nicht irgendwo von ihrer Unsterblichkeit spreche, und keinesfalls wollte er schildern, was er
dachte. Plato trug eher das Gehörte als seine Ansicht vor. Ihre Unsterblichkeit kann nämlich
durch keine menschliche Vernunft begründet werden, weil es eine [sc. andere] Sache ist, außer-
halb des Sonnenlichts [sc. des Evidenten, was am Tage liegt] zu glauben, daß die Seelen un-
sterblich sind. In der Welt wird auf gewisse Weise weder sichtbar noch erkannt, daß die Seelen
unsterblich sind.«132

Die Frage nach der Unsterblichkeit der Seele kann für Luther aus der Welt heraus nicht
beantwortet werden, weil es hierzu der göttlichen Offenbarung bedarf, die dem Men-
schen in der Hl. Schrift anvertraut ist. Wer sie nicht im Glauben annimmt, der kann
von der immortalitas animae nicht nur nichts wissen, sondern er kann ihrer auch nicht
gewiß sein.
Was diese Gewißheit meint, wird aus Luthers Auslegung von 1. Mose 26,24 in der
späten Genesisvorlesung von 1535-46 deutlich: Es ist das Vertrauen auf die Verhei-

131
WA 20, 70,23f. (Annotationes in Ecclesiasten Salomonis, 1532): »Mundus certe non potest in-
telligere neque credere animam esse immortalem.«
132
Vgl. a. a. O., 70,26-33: »Philosophi de animae immortalitate disputarunt quidem sed ita frigide,
ut meras fabulas egisse videantur, potissimum vero Aristoteles sic de anima disputat, ut diligenter et
callide caverit ubique, ne alicubi dissereret de eius immortalitate, neque voluit exprimere, quid senti-
ret. Plato retulit potius audita quam suam sententiam. Neque enim potest ulla ratione humana convin-
ci eius immortalitas, quia res est extra solem credere animam esse immortalem. In mundo non videtur
nec intelligatur certo animas esse immortales.«

67
De Anima

ßung des ewigen Lebens durch den Tod hindurch durch Gottes Wort. Unter Hinweis
auf Jes 26,19 (‘Aber deine Toten werden leben, deine Leichname werden auferstehen.
Wachet auf und rühmet, die ihr liegt unter der Erde! … und die Erde wird die Toten
herausgeben.’) betont Luther, daß Gott hier mit den Toten so spricht, als ob sie leben,
und dieses Wort sei das stärkste Zeugnis dafür, daß der Mensch nicht sterblich sei,
sondern unsterblich auch im Tod.133 Dieses Paradoxon erklärt er wie folgt: Gott spricht
allein mit dem Menschen (und nicht etwa auch mit den anderen Kreaturen) in seiner
Sprache. Da aber diese Anrede nicht vergeblich sein kann, wie sie es wäre angesichts
des Todes, muß der Mensch durch den Tod hindurch ewig leben, um sie vernehmen zu
können.134 Nicht ontologisch-konstitutiv, sondern ontisch-situativ von Gottes Anrede
her, von seiner darin ergangenen Verheißung deutet Luther die immortalitas. Wenn
Jesus spricht: ‘So jemand mein Wort wird halten, der wird den Tod nicht sehen ewig-
lich’ (Joh. 8,51), und: ‘Gott ist nicht ein Gott der Toten, sondern ein Gott der Lebendi-
gen’ (Matth. 22,32), dann ist dem Gläubigen gewiß, daß er coram Deo auch im Tod
unsterblich ist. Der Tod ist so nicht das letzte Wort über den gleichsam in unsterblicher
Weise angeredeten und so unsterblich gemachten Menschen. »Unsterblichkeit ist nicht
ein Besitz, sondern ein Ereignis, nicht Ausklammerung und Umgehung des Todes, son-
dern kommunikatives Neugesetztwerden im Tod durch Gott«135, wie Herrmann im
Blick auf Luther formuliert. Nur diese Anrede Gottes verbürgt auch die resurrectio
mortuorum, die Wiederauferstehung des ganzen Menschen nach der Verklärung des
Leibes. Für Luther ist es eine närrische Vorstellung, daß nur die Seele bei Gott lebt,
nicht aber der Leib: »Wenn man nun wolt sagen: Anima Abrahae vivit apud Deum,
corpus hic iacet mortuum, die distinctio ist ein dreck! Die will ich anfechten. Es mus
heissen: Totus Abraham, der gantze mensch soll leben.«136 Vor diesem Hintergrund ist
für den Reformator jede theologische Debatte, die nur die Unsterblichkeit der Seele
erörtert, nicht aber die Wiederauferstehung des ganzen Menschen, verkürzt und jede
Debatte, die mit einer philosophischen Begrifflichkeit geführt wird, insbesondere mit
der aristotelischen Bestimmung der Seele als forma corporis, verfehlt. Wer hier nicht
133
Vgl. WA 43, 481,24-26 (Enarrationes in primum librum Mose, 1536): »Ibi loquitur Deus cum
mortuis non aliter, ac si viverent, atque hoc ipsum verbum est testimonium efficacissimum, quod non
simus mortales, sed immortales etiam in morte.« WA 42, 61,3-6 (zu 1. Mose 2,3): »Deinde, ut etiam
certam spem futurae et aeternae vitae animo retineremus. Nam omnia, quae in Sabbato Deus voluit
agi, sunt evidentia signa alterius vitae post hanc vitam. Quid enim necesse est, Deum per verbum su-
um nobiscum loqui, si non vivendum est in futura et aeterna vita?«
134
Vgl. WA 43, 481,28-35 (zu 1. Mose 26,24): »Scit Deus hanc vitam momentaneam esse. Cur
autem loqueretur nobiscum, et sic quidem, ut nostra lingua utatur, si non in perpetuum viveremus?
Alioqui enim frustra ederet verbum suum propter momentum temporis tantum. Sed non frustra loqui-
tur. … Cum solo homine loquitur. Ubi igitur et cum quocumque loquitur Deus, sive in ira sive in gra-
tia loquitur, is certo est immortalis. Persona Dei loquentis et verbum significant nos tales creaturas
esse, cum quibus velit loqui Deus usque in aeternum et immortaliter.«
135
Christian Herrmann, Unsterblichkeit der Seele durch Auferstehung. Studien zu den anthropolo-
gischen Implikationen der Eschatologie. Göttingen 1997, 103
136
WATR 5, Nr. 5534, 219,11-14 (Winter von 1542 auf 1543).

68
Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon

von der Schrift und nur von der Schrift her argumentiere, der mache sich – wie die
päpstliche Kirche – bloß lächerlich.137

2.3. Melanchthons eklektische Psychologie

Als sich Melanchthon in den dreißiger Jahren des 16. Jh.s im Rahmen einer Neugestal-
tung der Naturwissenschaften unter protestantischer Perspektive auch dem Studium der
Psychologie zuwandte, hatten sich bei ihm die Bedingungen für die Aristoteles-
Rezeption im Vergleich zu den frühen zwanziger Jahren erheblich gewandelt: Nicht
mehr die polemische Auseinandersetzung bestimmte den Ton, sondern die Einsicht,
daß allein die aristotelische Philosophie aufgrund ihrer ratio philosophandi von sich
aus die Grenzen von Philosophie und Theologie beachtet, sie nicht miteinander ver-
mischt, wie es in Melanchthons Oratio de philosophia von 1536 heißt.138 Denn eine
Vermischung beider erzeuge die schwersten Irrtümer, wie er in seiner Schrift Philo-
sophiae moralis epitomes libri duo von 1546139 betont hat. Es war also die Einsicht in
das gut aristotelische Metabasis-Verbot – d. h. das Verbot, die Prinzipien, Begriffe etc.
von einer Disziplin auf eine andere zu übertragen, ohne deren Eigentümlichkeiten im
Blick zu haben –, die wie beim späten Luther140, so auch bei Melanchthon eine neue
Rezeption der aristotelischen Philosophie (und nicht des scholastischen Aristotelis-
mus!) ermöglichte: »Deswegen habe ich gesagt, daß man eine ganz bestimmte Art von
Philosophie auswählen muß, eine solche, die am wenigsten sophistisch ist und die an-

137
Vgl. WA 7, 425,22-29 (Grund und Ursach aller Artikel, 1521): »Da her ists kummen, das new-
lich zu Rom [sc. auf dem V. Laterankonzil von 1513] furwar meisterlich beschlossen ist der heylig
Artickel, das die Seele des menschen sey unsterblich, denn es war vorgessen ynn dem gemeinen
glawben, da wyr alle sagen: ‚ich glewb eyn ewigs leben‘. Item, es ist auch beschlossen durch hilff
Aristoteles, des grossen liechts der natur, das die seele sey ein weszenlich form des leybes, und der
selben feiner artickel viel mehr, dye auffs aller zymlichst wol anstehen der Bepstlichen kirchen, auff
das sie menschen trewn und teuffels lere behalte, die weil sie Christus lere und den glawben mit fu-
ssen tritt und vortilget.«
138
Vgl. CR 11, 282 (Oratio de philosophia, 1536): »Nec ego ignoro aliud doctrinae genus esse
Philosophiam, aliud Theologiam. Nec ego illa ita misceri volo, ut confundit multa iura coquus, sed
adiuvari Theologum volo in oeconomia methodi … Eruditam Philosophiam requiro, non illas cavilla-
tiones, quibus nullae res subsunt.«
139
Vgl. CR 16, 21 (Philosophiae moralis epitomes libri duo, 1546): »Imprimis opus est initio dis-
cernere genera doctrinae, videlicet Evangelium, legem Dei, et Philosophiam. Nam confusio horum
generum parit horribiles errores.«
140
Vgl. hierzu die Disputatio de sententia: Verbum caro factum est (Joh 1,14) vom 11. Januar
1539, in der Luther »nach der Disputatio de homine (1536) das Verhältnis von Philosophie und Theo-
logie am grundsätzlichsten« bedacht hat (Oswald Bayer, Theologie. HST 1. Gütersloh 1994, 121).
Dort heißt es: »Differunt philosophia et theologia. Philosophia versatur circa cognoscibilia ratione
humana. Theologia versatur circa credibilia, id est, quae fide apprehenduntur.« (WA 39 II, 6,26-28)
Zur Interpretation vgl. Stefan Streiff, »Novis linguis loqui«. Martin Luthers Disputation über Joh 1,14
»verbum caro factum est« aus dem Jahr 1539. Göttingen 1993.

69
De Anima

gemessene Methode berücksichtigt: Von dieser Art ist die Lehre des Aristoteles.«141
Vor diesem Hintergrund stand auf reformatorischem Boden einer erneuten Rezeption
auch derjenigen aristotelischen Schriften – mit Ausnahme der Metaphysik – nichts
mehr im Wege, die ehemals dem Verdikt unterlagen. Hierzu gehörten neben der Niko-
machischen Ethik auch die Physik und De Anima, die, wie in 2.1. gesehen, seit 1523
vom Unterricht an der Wittenberger Hochschule ausgeschlossen waren.
Melanchthon beschäftigte sich wohl seit den frühen dreißiger Jahren mit dem Pro-
jekt einer neuen Physik, die zwar auf Aristoteles gründen, dabei aber den scholasti-
schen Aristotelismus vermeiden sollte, der zu gehaltlos und dürftig sei.142 Da er sich
hierbei zahlreichen Problemen gegenübergestellt sah, bat er Gelehrte wie Joachim Ca-
merarius, Jacob Milich und Leonhard Fuchs um Mithilfe bei diesem Projekt. Aus ei-
nem Brief vom 30. April 1534 an Fuchs wird dabei ersichtlich, daß Melanchthon im
Rahmen dieser Naturphilosophie von Anfang an nicht nur den Locus De anima zu ver-
handeln gedachte, sondern auch den Locus De corpore.143 Als sich aber die Schwierig-
keiten bei der Fertigstellung der Physik als größer erwiesen, entschloß sich Melanch-
thon, die Behandlung der Loci De anima & corpore, die auch nicht frei von Problemen
waren, vorzuziehen und separat 1540 unter dem Titel Commentarius de anima144 zu
veröffentlichen. Diese Schrift gilt als »die erste von einem Deutschen – nach Albert
dem Großen – verfaßte Psychologie«145. Obgleich sie nachfolgend zahlreiche Auflagen

141
CR 11, 282: »Ideo dixi unum quoddam Philosophiae genus eligendum esse, quod quam mini-
mum habeat Sophistices, et iustam methodum retineat: talis est Aristotelis doctrina.« Auch gemäß der
Oratio de vita Aristotelis von 1537 (vgl. a. a. O., 342-349), die Melanchthon erneut 1544 in etwas
veränderter Gestalt unter dem Titel Oratio de Aristotele (vgl. a. a. O., 647-658) hielt, liegt der eigent-
liche Grund für die Neubewertung der aristotelischen Philosophie in ihrer Methodik begründet.
142
Vgl. CR 4, 1021 (Brief an Johann Naevius vom 8. November 1533): »Plurimum a vobis adiu-
vari possum in physicis adornandis. Vides enim illa Aristotelica, quae vulgo in scholis traduntur, ni-
mis exilia et ieiuna esse.«
143
Vgl. CR 2, 718f.: »Scis in scholis Physica, quae sic vocantur A)ristote/leia vel potius Tartare-
tica aut similia, frigidis ac insulsis disputationibus referta esse. Nos igitur hic Physicam scribere insti-
tuimus, ac iam partem aliquam operis absolvimus … Nunc cum ad hominis et animae naturam acce-
dimus, magnopere cupio inserere a)natomi/an, et partium naturas, varietates temperamentorum, id est
kra/sewn, humanarum causas et species, quarum rerum nulla fit mentio in vulgaribus Physicis. Hic
tua nobis opera plurimum prodesse poterit, si vel edas ipse, vel nobis mittas de his locis ea, quae ma-
xime videbuntur digna cognitione. Nam Alexandri Benedicti pertenuis et puerilis libellus est [Bene-
dictus veröffentlichte 1514 sein Werk Anatomice, sive de historia corporis humani libri quinque].
Vellem ex anatomicis Galeni confici iustum opus, adhibitis etiam usitatis hoc tempore nomenclaturis
…« Der Grund für diese Einbeziehung des Locus De corpore dürfte in der Lektüre der galenischen
Schriften liegen, die 1525 in Venedig erstmals komplett in griechischer Sprache veröffentlicht wor-
den sind (vgl. hierzu 2.3.3.2.).
144
Vgl. Philipp Melanchthon, Commentarius de anima. Wittenberg 1540.
145
Peter Petersen, Geschichte der aristotelischen Philosophie im protestantischen Deutschland.
Leipzig 1921, 80.

70
Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon

erlebte146, war Melanchthon mit dem Ergebnis offensichtlich unzufrieden. Er ließ das
Werk daher nach einer Überarbeitung im Jahr 1552 unter dem neuen Titel Liber de
anima147 erscheinen, der Ausdruck des Bemühens ist, von einer bloßen Kommentie-
rung der aristotelischen Schrift zu einer systematischen Abhandlung über die Seele
fortzuschreiten.
Bereits in seiner Oratio de philosophia von 1536 hat Melanchthon den Nutzen der
Naturphilosophie für die Bildung im allgemeinen und für die Theologie im besonderen
aufgezeigt. Gegen die grassierende Ungebildetheit, wie sie insbesondere bei den Ana-
baptisten festzustellen sei, die nicht einmal wüßten, was die Theologie zu verkünden
habe und worin sie mit der Philosophie übereinstimme, müsse das allgemeine Studium
der Philosophie gesetzt werden, das die Grundlage jeder Bildung sei. Dabei reiche es
nicht aus, bloß die Grammatik und Dialektik zu kennen; vielmehr müsse man vieles
auch aus der Physik sowie der Psychologie entnehmen, die beide für den Theologen
sehr nützlich seien:
»Eines großen Instruments ist derjenige Theologe beraubt, der jene höchst gebildeteten Dispu-
tationen über die Seele, die Sinne, die Ursachen des Strebens und der Affekte, die [angebore-
nen] Kenntnisse und den Willen nicht kennt. Und anmaßend handelt, wer sich als Dialektiker
ausgibt, ohne jene Einteilungen der Ursachen zu kennen, die nur in der Physik gelehrt und nur
von ihr her erkannt werden können.«148

Diesen Nutzen der Psychologie hat Melanchthon auch in seiner Epistola dedicatoria
im Commentarius de anima gegen Angriffe der Anabaptisten verteidigt, die in ihr ein
Zeichen für die Wiederkehr der verhaßten Scholastik sahen. Durch sie, so heißt es dort,
lerne der Mensch nämlich die Quellen der tugendhaften Handlungen kennen. Auch
zeige sie ihm die Struktur und den Aufbau unseres Körpers, die Ursachen von Krank-
heiten sowie deren Heilmittel. Wie sollte der Mensch denn sonst, so fragt Melanch-
thon, die Seele, ihre Vermögen und Funktionen kennenlernen? Diesen gleichsam welt-
lichen Nutzen der Psychologie ergänzte er durch einen theologischen, der sie auch von
Gott her gerechtfertigt erscheinen ließ. Gott wolle nämlich, daß der Mensch sein mi-

146
Vgl. hierzu Hermann Schüling, Bibliographie der psychologischen Literatur des 16. Jahrhun-
derts. Hildesheim 1967, 183f. Risse, Bd. 5.
147
Vgl. Philipp Melanchthon, Liber de anima. Wittenberg 1553, in: CR 13, 5-178. Jürgen Helm
weist bereits für 1552 zwei Auflagen nach (Zwischen Aristotelismus, Protestantismus und zeitgenös-
sischer Medizin: Philipp Melanchthons Lehrbuch De anima (1540/1552), in: Melanchthon und das
Lehrbuch des 16. Jahrhunderts. Hrsg. von Jürgen Leonhardt. Rostock 1997, 175-191, hier: 175). Da-
mit muß die Ansicht vom bisherigen Erstveröffentlichungsdatum 1553 revidiert werden. Die Zahl der
nachgewiesenen Auflagen bis 1595 allein in Wittenberg erhöht sich so auf mindestens 19 Auflagen.
Vgl. im einzelnen Schüling, Bibliographie, 184f. Risse, Bd. 5.
148
CR 11, 281: »Magno instrumento destitutus est Theologus, qui nescit illas eruditissimas dispu-
tationes, de anima, de sensibus, de causis appetitionum et affectuum, de noticia, de voluntate. Et arro-
ganter faciet, qui se profitetur Dialecticum, si nescit illas causarum partitiones, quae traduntur tantum
in Physicis, et intelligi non possunt nisi a Physicis.«

71
De Anima

rum opus betrachte, damit er bedenke, daß dieser so artifizielle menschliche Körper
nicht aus Zufall entstanden, sondern das Werk einer mens æterna architectatrix sei.149
Von welcher Art die hieraus resultierende Psychologie ist, verdeutlicht eine Äuße-
rung Melanchthons, in der er seine ratio philosophandi Aristotelica näherhin bestimm-
te: »Und weil in unserer Kirche einiges ein wenig anders gelehrt werden muß, als es
von Aristoteles behauptet wird, bitte ich um Nachsicht, wenn ich bisweilen von den
aristotelischen Lehren abgewichen bin.«150 Prima facie ist diese Äußerung nicht unge-
wöhnlich. Immer wieder ist von Philosophen und Theologen betont worden, daß be-
stimmte Lehren des Aristoteles dem christlichen Glauben widersprechen, so z. B. des-
sen Ansicht, daß die Welt ewig sei. Es wird sich aber im Verlauf dieses Kapitels zei-
gen, daß Melanchthon durch eine Theologisierung und zugleich Platonisierung eine
massive Umgestaltung der aristotelischen Lehre vornahm.
Natürlich ist diese Umgestaltung schon längst von der Forschung festgestellt wor-
den. So nennen Stiening und Frank Melanchthons Psychologie im Blick auf den Liber
de anima übereinstimmend eine »‘theologische Psychologie’«151 bzw. eine »‘theologi-
sche Anthropologie’«152. Ja, in gewisser Weise sei für Melanchthon »Anthropologie in
ihrem Kern immer eine theologische. Ohne Theologie bleibt deshalb das eigentliche
Wesen des Menschen verborgen.«153 Und auch die »Platonisierung des Entelechiebe-
griffs«154, womit »Melanchthon in signifikanter Weise von Aristoteles ab(weicht), in-
dem er mit Cicero die Seele als e)ndele/xeia definiert«, was zu einer »Umdeutung« des
»antidualistische(n) Konzept(s) der aristotelischen Psychologie«155 führt, ist von der
Forschung richtig erkannt worden. Beide Einsichten sind im folgenden zu vertiefen
und auf ihren absolut antiaristotelischen Kern zurückzuführen:
1. Die Theologisierung der Psychologie läßt sich verdeutlichen I. an der Hinzufügung
einer theologischen Definition der Seele156, II. an der Verbindung der galenischen spi-

149
Vgl. Melanchthon, a2r-a3v (Epistola dedicatoria).
150
A. a. O., a5v: »Cunque nobis in Ecclesia quædam paulo aliter dicenda sint, quam dicuntur ab
Aristotele, peto mihi veniam dari, si interdum ab Aristotelica phrasi discessi.«
151
Gideon Stiening, Psychologie, in: Melanchthon und die Marburger Professoren (1527-1627).
Hrsg. von Barbara Bauer. Bd. I. Marburg 1999, 315-344, hier: 317.
152
Günter Frank, Philipp Melanchthons »Liber de anima« und die Etablierung der frühneuzeitli-
chen Anthropologie, in: Humanismus und Wittenberger Reformation. Hrsg. von Michael Beyer u. a.
Leipzig 1996, 313-326, hier: 325.
153
Günter Frank, Die theologische Philosophie Philipp Melanchthons (1497-1560). Leipzig 1995,
100.
154
Günter Frank, Veit Amerbach (1503-1557). Von Wittenberg nach Ingolstadt, in: Melanchthon
in seinen Schülern. Hrsg. von Heinz Scheible. Wiesbaden 1997, 103-128, hier: 127.
155
Gideon Stiening, Deus vult aliquas esse certas noticias. Philipp Melanchthon, Rudolph Gocle-
nius und das Konzept der notitiae naturales in der Psychologie des 16. Jahrhunderts, in: Melanchthon
und die Marburger Professoren, 757-787, hier: 768.
156
Hierzu kann auch noch die Einführung des Locus De imagine Dei gezählt werden, den Me-
lanchthon anhand des status integritatis, status corruptionis & status gratiae erklärt, deren Beschrei-

72
Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon

ritus-Lehre mit der Lehre vom spiritus sanctus, III. an der ursprünglich stoisch-
ciceronianischen Lehre von den notitiæ innatæ sowie IV. an der These von der Un-
sterblichkeit der Seele. Interessant ist hierbei der von der Forschung bisher nicht be-
merkte Sachverhalt, daß sich diese Tendenz zur Theologisierung beim späten Melanch-
thon verstärkte. Denn gegenüber dem Commentarius de anima findet sich im Liber de
anima eine Radikalisierung des theologischen Anspruchs und damit einhergehend der
vollständige Verlust einer eigenständigen philosophischen Position. Unter Rückgriff
auf eine Beschreibung Calovs, der bei Melanchthon in der Theologie zwischen drei
aetates Philippi unterschied, um dessen Abfall von der ursprünglichen Confessio Au-
gustana und damit den Rückfall in scholastische Positionen des Synergismus zu erklä-
ren157, kann man diesen Wandel in der philosophischen Konzeption in drei verschiede-
ne Perioden unterteilen158: Der Zeit des Kampfes gegen Aristoteles (bis ca. 1523) folgte
anschließend in einem längeren Zeitraum bis in die 1540er Jahre hinein die Neuaneig-
nung des Aristoteles, wie sie noch den Commentarius de anima kennzeichnet. Auch
diese Periode war natürlich schon von der Theologie her geprägt, aber noch nicht in
dem Maße, wie es dann später in der dritten Periode geschah, die von den Initia doc-
trinæ physicæ von 1549159 über den Liber de anima von 1552 bis zu Melanchthons Tod
im Jahre 1560 reichte. Es läßt sich also auch in seiner Philosophie ein Rückfall hinter
die von ihm selbst formulierten Ansprüche des Protestantismus feststellen, der ur-
sprünglich auf eine scharfe Trennung von Philosophie und Theologie abzielte. Das Re-
sultat ist ausgesprochen merkwürdig: Es kam zu einer erneuten Vermischung beider
Disziplinen, die Luther und Melanchthon ja gerade im Blick auf die Scholastik hatten
überwinden wollen. Freilich haben sich zwischenzeitlich die Vorzeichen gewandelt:
Gab es in der Scholastik ein Zuviel an Philosophie in der Theologie, so findet man bei
Melanchthon nun ein Zuviel an Theologie in der Philosophie. Dies wird an den oben
genannten Loci aufzuzeigen sein (vgl. 2.3.3. bis 2.3.5.).
_________________________________________________________________________________________________________

bungen gewiß kein Thema einer philosophischen Psychologie sind (vgl. Melanchthon, 219r-221r. CR
13, 169-72).
157
Vgl. Abraham Calov, Criticus sacer, vel commentarii apodictico-elenchtici super Augustanam
Confessionem. Leipzig 1646, 148-74 (zitiert nach Kenneth G. Appold, Das Melanchthonbild bei
Abraham Calov (1612-1686), in: Melanchthonbild und Melanchthonrezeption in der Lutherischen
Orthodoxie und im Pietismus. Hrsg. von Udo Sträter. Wittenberg 1999, 81-92, hier: 84f.). Danach
folgte der frühen orthodoxen Tätigkeit eine orthodox-heterodoxe, die schließlich zum Lapsus Me-
lanchthons führte. Bemerkenswert ist, daß Calov in diesem Zusammenhang bei Melanchthon in der
Theologie einen zweideutigen Sprachgebrauch (orationes flexiloquae et ambiguae) und eine unein-
deutige Lehre feststellte, ein Sachverhalt, der für seine philosophischen Schriften nur bestätigt wer-
den kann.
158
Wollte man die frühe vorlutherische Phase mitzählen, in der Melanchthon noch in Tübingen
den Plan faßte, einen ‘gereinigten’ Aristoteles zu veröffentlichen, so ergäben sich entsprechend vier
Perioden.
159
Vgl. CR 13, 179-412. Zur Interpretation vgl. Sachiko Kusukawa, The Transformation of Natu-
ral Philosophy: The Case of Philip[p] Melanchthon. Cambridge 1995, 144-160. Barbara Bauer, Gott,
Welt, Mensch und Sterne in Melanchthons Initia doctrinae physicae, in: Melanchthon und das Lehr-
buch des 16. Jahrhunderts. Hrsg. von Jürgen Leonhardt. Rostock 1997, 149-172.

73
De Anima

2. Die Feststellung von einer Platonisierung des Entelechiebegriffs ist auf ihren neu-
platonischen Ursprung zurückzuführen. Die allzu enge Fixierung der Forschung auf
Cicero hat bisher verhindert, daß derjenige Autor in den Blick gerät, der die Entelechie
auf ähnliche Weise als e)ntele/xeia a)telh/j verstanden hat wie Melanchthon, nämlich
der Neuplatoniker Simplicius. In einem längeren Exkurs ist hierbei aufzuzeigen (vgl.
2.3.1.), daß er von der hermeneutischen Maxime einer im Großen und Ganzen identi-
schen Lehre bei Platon und Aristoteles ausgegangen ist. Anschließend kann dann ge-
zeigt werden, daß Melanchthons, von Simplicius beeinflußter Entelechiebegriff in Hin-
sicht auf die aristotelische Seelenbestimmung schlechterdings falsch ist (vgl. 2.3.2.). In
einem weiteren Exkurs ist schließlich kurz die angemessene aristotelische Bedeutung
des Begriffs der e)ntele/xeia darzustellen, wie sie sich bei Melanchthons Wittenberger
Kollegen und ehemaligen Freund Vitus Amerbach (1503-1557)160 in seinen Quatuor
libri de anima von 1542161 findet, die dieser nach ihrer beider Zerwürfnis »deliberately,

160
Melanchthon und Amerbach kannten sich seit den frühen zwanziger Jahren, wie ein Brief Me-
lanchthons vom Februar 1522 an Amerbach belegt (vgl. CR 1, 564). Es ist zu vermuten, daß Amer-
bach auf Empfehlung von Melanchthon von 1522-26 in Wittenberg Philosophie studierte. Melanch-
thon wie Luther setzten große Hoffnungen auf ihn, den sie als »Mitstreiter« ihres reformatorischen
Anliegens sahen, wie ein Brief Luthers an Agricola vom 27.6.1526 verdeutlicht: »Venit Vitus ad me,
mi Agricola, futurus sunergo\j vester, ut graece dicam.« (WAB 4, 94,3f.) Von 1526-29 wirkte Amer-
bach auf Vermittlung Luthers in Eisleben neben Johann Agricola als Lehrer. 1529 folgte seine Magi-
sterpromotion in Wittenberg, die bereits ein Jahr später zur Übernahme verschiedener Funktionen in
der Artistenfakultät führte. Für unseren Zusammenhang ist hierbei von besonderem Interesse, daß er
dort von 1535 bis 1542 – also genau dem Entstehungszeitraum des Commentarius de anima – den
Lehrstuhl für Physik innehatte. Wohl im Verlauf des Frühjahrs 1541 – dies muß als terminus post
quem gelten, da ansonsten die Fertigstellung der Quatuor libri de anima im Oktober 1541 mit ihrer
Kritik an Melanchthon nicht zu erklären wäre – kam es zum endgültigen Zerwürfnis zwischen ihm
und den beiden Reformatoren. Hierbei ging es zum einen um theologische Unstimmigkeiten bezüg-
lich der Rechtfertigungslehre. Vgl. hierzu Melanchthons Brief vom November 1543 (?) an Amerbach,
in dem es heißt: »Nec quisquam nostrum dixit, fide mortua aut sola noticia accipi remissionem pecca-
torum. Dicimus: fide, quae est assensus et in voluntate motus, clamans Abba pater, accipi remissio-
nem peccatorum; nec divelli ab ea dilectio ac spes possunt. Sed sola excludit nostrum meritum …
etc.« (CR 5, 232f.) Vgl. auch Luthers Brief an Lauterbach vom 9.2.1544 in WAB 10, 527,24-26:
»Nostri ex nobis exisse, qui non fuit ex nobis. M. Vitum Amerbachium Ingolstadiam, ut succedat
Eccio, blasphematurus nostrum verbum forte magis quam ille fecit.« Ferner ist es zu massiven Mei-
nungsverschiedenheiten über die scientia de anima gekommen. So wird in CR 5, 232 folgende unda-
tierte, wohl in Wittenberg öffentlich bekanntgegebene Notiz zitiert: »Constat aliquos veterum philo-
sophorum ad insaniam versos, quos imitatus Amerbachius pro philosophari debacchari incoepit, inque
convitia prolapsus pro scientia de anima docet inania, quae confinxerat somnia.« Hierbei ging es
wohl insbesondere um den Streit um den Begriff der e)ntele/xeia und ihre Funktion im Zusammen-
hang mit der Seelendefinition. Da sich die theologischen und philosophischen Diskrepanzen nicht
beseitigen ließen, verließ Amerbach im Laufe des Jahres 1543 Wittenberg und ging nach Ingolstadt,
wo er zum Katholizismus rekonvertierte. Zu Amerbachs Leben und Werk vgl. Günter Frank, Amer-
bach, 103-128.
161
Vgl. Vitus Amerbach, Quatuor libri de anima. Straßburg 1542. Die Schrift selbst ist 1541 noch
in Wittenberg fertiggestellt worden, wie die Præfatio verdeutlicht: »Datum Vitebergæ X. Calend.
Octobris, Anno Domini M.D.XLI.« (A. a. O., 26)

74
Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon

it seems, in opposition to Melanchthon’s Commentarius de anima«162 veröffentlicht hat


(vgl. 2.3.2.1.).
Die Erörterung beider Punkte soll die Antwort auf die Frage ermöglichen, ob Melanch-
thons Eklektik163 aus Theologie, Medizin und platonisch-aristotelischer Philosophie ein
gelungenes Beispiel für eine protestantische Psychologie darstellt.

2.3.1. Exkurs: Simplicius’ De Anima-Kommentar

Mit Plotin164 (ca. 204-270) setzte eine neuplatonische Rezeption des Aristoteles ein, die
über Jamblich (ca. 240/5-325), Philoponus165 (ca. 490-570) und Simplicius (5./6. Jh.)
die Gestalt der aristotelischen Philosophie wesentlich verändert hat und bis ins 17. Jh.
hinein von Bedeutung blieb.166 Bei diesem Versuch, eine Übereinstimmung von Aristo-
teles und Platon in der Philosophie zu erweisen, kam es auf der einen Seite zu einer
Aristotelianisierung Platons167 und auf der andern zu einer »Platonization of Aristot-
162
Sachiko Kusukawa, Transformation, 108.
163
Zur Begriffsgeschichte vgl. Michael Albrecht, Eklektik. Eine Begriffsgeschichte mit Hinweisen
auf die Philosophie- und Wissenschaftsgeschichte. Stuttgart-Bad Cannstatt 1993. Albrecht kommt in
seinem Abschnitt über Melanchthon zu dem an sich richtigen Ergebnis, »daß er, bei allem beteuerten
Nutzen des Aristoteles für die Kirche, eigentlich selbst ein Eklektiker war« (a. a. O., 117). Der nach-
folgenden Einschätzung jedoch, daß sich Melanchthon in seinen Schriften wohl aus primär pädagogi-
schen Gründen für die aristotelische Schule entschieden habe, liegt die falsche Annahme zugrunde,
daß er dort einen reinen Aristotelismus bietet. Dies ist nachweislich falsch, wie das Nachfolgende
belegen wird. Bei ihm kommt die Eklektik gerade im Gewande des Aristotelismus daher.
164
Vgl. Plotins Schriften. Griechisch-deutsch. Übersetzt von Richard Harder. Sechs Bände. Bd. I
in der Neubearbeitung mit griechischem Lesetext und Anmerkungen von Richard Harder. Ab Bd. II
fortgeführt von Rudolf Beutler und Willy Theiler. Hamburg 1956-1967. Ficino machte die Enneaden
1492 in einer lateinischen Übersetzung der Gelehrtenwelt zugänglich. Erst 1580 erschien der Text im
griechischen Original. Zu Plotin vgl. Henry J. Blumenthal, Plotinus’ Psychology. His Doctrines of the
Embodied Soul. Den Haag 1971. Hilary Armstrong, Aristotle in Plotinus. The Continuity and Discon-
tinuity of Psychē and Nous, in: Oxford Studies in Ancient Philosophy. Supplementary Volume 1991.
Aristotle and the Later Tradition. Oxford 1991, 117-127.
165
Vgl. Philoponus, In libros Aristotelis de anima commentaria. Ed. Michael Hayduck. CAG XV.
Berlin 1897. Der griechische Text wurde erstmals 1535 von Bartolomeo Zanetti in Venedig veröf-
fentlicht. Lateinische Ausgaben folgten 1544, 1547, 1551 usw.
166
Zur Verfügbarkeit der Werke dieser antiken Autoren im 16. Jh. vgl. allgemein Anthony Graf-
ton, The Availability of Ancient Works, in: CHRP, 767-791. Charles H. Lohr, Renaissance Latin
Translations of the Greek Commentaries in Aristotle, in: Humanism and Early Modern Philosophy.
Edited by Jill Kraye and M.W.F. Stone. London 2000, 24-40.
167
Matthias Perkams spricht in diesem Zusammenhang von einem »aristotelisierenden Neuplato-
nismus« (Aristoteles in platonischer Perspektive. Die Seelenlehre im Kommentar des ‘Simplikios’ zu
Aristoteles’ De anima, in: TabulaRasa, Ausgabe 18, 1-16, hier: 1 (Online-Ausgabe). Auch Henry J.
Blumenthal betont diese Tendenz: »… since Plotinus … the new Platonism had been more or less
Aristotelianised: the controversies about whether or not Aristotelian views could be accepted by Pla-
tonists which had been current in the middle Platonic period were no longer live. By the time Simpli-
cius and Philoponus composed their commentaries, Aristotle’s philosophy had been used as the stan-

75
De Anima

le«168. Für den vorliegenden Zusammenhang ist allein das zuletzt genannte Phänomen
von Interesse. Dies soll hier anhand des De Anima-Kommentars von Simplicius169 auf-
gezeigt werden, der als Höhepunkt der neuplatonischen Rezeption gelten kann. Nicht
ohne Grund war er noch für Zabarella der Hauptgegner im Kampf gegen die Platoni-
sierung des Aristoteles, wie im dritten Kapitel zu zeigen sein wird.
Das genannte Programm, Aristoteles und Platon miteinander auszugleichen, setzt
bei Simplicius ein verändertes hermeneutisches Prinzip voraus: Ziel ist nicht (mehr)
(wie noch bei Alexander), Aristoteles aus sich selbst heraus zu verstehen, d. h. die
Schwierigkeiten einer Textstelle mit anderen, weniger unklaren Stellen aus dem übri-
gen corpus Aristotelicum zu erhellen, sondern Aristoteles als Fortsetzer und Vollender
des Werkes seines Lehrers zu erweisen. Dies wird bereits aus der Einleitung zum
Kommentar ersichtlich, wo Simplicius Aristoteles’ Psychologie eine Vollendung von
Platons »göttlichen Betrachtungen«170 zu diesem Thema nannte. An späterer Stelle be-
zeichnete er ihn dann im Zusammenhang von De An. III 5 als ‘den besten Interpreten
_________________________________________________________________________________________________________

dard introduction to Plato for at least two centuries. The tendency among certain modern scholars to
see Aristotle simply as a Platonist has a precedent in the activities of the Neoplatonists …« (Neopla-
tonic Elements in the de Anima Commentaries, in: Aristotle Transformed. The Ancient Commenta-
tors and their Influence. Edited by Richard Sorabij. London 1990, 305-324, hier: 307)
168
Henry J. Blumenthal, Simplicius (?) on the First Book of Aristotle’s De Anima, in: Simplicius.
Sa Vie, son Œvre, sa Survie. Édités par Ilsetraut Hadot. Berlin u. a. 1987, 91-112, hier: 91.
169
Vgl. Simplicius, In libros Aristotelis de anima commentaria. Ed. Michael Hayduck. CAG 11.
Berlin 1882. Pico della Mirandola (1463-1494) gilt als Entdecker dieses Kommentars, der in den 80er
Jahren des 15. Jh.s zu zirkulieren begann. So arbeitete Agostino Nifo (1469/70-1538) mit diesem
Kommentar, lange bevor er 1527 in Venedig von Andreas Asulanus im griechischen Original veröf-
fentlicht wurde. 1543 erschien die erste von Joannes Faseolus angefertigte lateinische Übersetzung in
Venedig. 1553 wurde erneut in Venedig eine neue Übersetzung von Evangelista Lungo Asulanus
unter folgendem Titel veröffentlicht: Commentaria Simplicii profundissimi et acutissimi Philosophi
in tres libros de anima Aristotelis, de Graeca lingua in Latinam nuperrime translata. Evangelista Lun-
go Asulano Interprete. Hier liegt der von Lohr edierte Nachdruck aus Venedig von 1564 zugrunde.
Der griechische Text ist auch in englischer Übersetzung verfügbar: Simplicius, On Aristotle. On the
Soul 1.1-2.4. Translated by J.O. Urmson. Notes by Peter Lautner. London 1995. Ders., On Aristotle.
On the Soul 3.1-5. Translated by Henry J. Blumenthal. London 2000. Im folgenden wird jeweils der
griechische Text nach Hayduck und der lateinische Text nach der Ausgabe von 1564 nachgewiesen. –
Die Schrift gilt zwischenzeitlich als pseudo-simplicianisch und wird von Carlos G. Steel (vgl. The
Changing Self. A Study on the Soul in Later Neoplatonism: Iamblichus, Damascius and Priscianus.
Brüssel 1978, 7) nun Priscian von Lydien zugeschrieben. Den ersten Zweifel an der Autorschaft des
Simplicius formulierte bereits Francesco Piccolomini (1523-1604) in seiner Expositio in tres libros
Aristotelis de anima von 1602. Vgl. hierzu die beiden Einleitungen von Lautner und Blumenthal zu
den eben genannten englischen Ausgaben. Da Simplicius bei den hier berücksichtigten Autoren des
16. und 17. Jh.s noch als Urheber des Kommentars galt, wird in der vorliegenden Arbeit an der Zu-
schreibung festgehalten.
170
Simplicius, Proœm., 1,7-11 [A1va]: »polla\ me\n ou)=n kai\ maka/ria qewrh/mata peri\ au)th=j
kai\ u(po\ Pla/twnoj parade/dotai … telewsame/nou de\ th\n Peri\ yuxh=j pragmatei/an tou=
) istote/louj …« / »Nam licet præceptiones contemplationesque non paucæ, ac divinæ, à Platone
Ar
de ea nobis concessæ fuerint … Verum cum Aristoteles extiterit, qui hanc tractationem de anima ab-
solverit …«

76
Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon

Platons’171. Genau diese Perspektive einer präjudizierenden Einheit von Platon und
Aristoteles kritisierten neuere Kommentatoren wie Hicks und Ross172. Sofern man
nämlich den Stagiriten nicht für den Fortsetzer und Vollender der platonischen Philo-
sophie hält, trägt Simplicius’ Interpretation kaum etwas zu einem besseren Verständnis
des aristotelischen Textes bei, wie auch Lautner betont:
»The commentary on the De Anima is of value for the light it sheds on Neoplatonic, and especi-
ally Iamblichan, views of the soul; it has useful information about various Pythagorean views; it
occasionally has value for elucidating Aristotle on points in detail. But it is not a trustworthy in-
terpretation of the main doctrines of Aristotle.«173

Dieser mangelnde Nutzen liegt in der durch und durch neuplatonischen Ausrichtung
des Werkes begründet, die auch dadurch deutlich wird, daß sich Simplicius auf Jamb-
lich als den »besten Richter der Wahrheit«174 beruft, um so die Richtigkeit seiner Inter-
pretation zu belegen.175 Damit wird natürlich zugleich implizit Alexanders Interpretati-
on der aristotelischen Psychologie als einer antiplatonischen verworfen.176 Diese Front-
linie zwischen einem neuplatonischen und einem originären Aristotelismus werden die
folgenden Ausführungen klar belegen.

171
A. a. O., III 5, 245,12 [64va]: »… o( tou= Pla/twnoj a)/ristoj e)chghth\j …« / »… præstantis-
simus Platonis interpres …«
172
Vgl. Robert Drew Hicks, Introduction, in: Aristotle, De anima. With Translation, Introduction
and Notes by Robert Drew Hicks. Unchanged Reprint 1907. Amsterdam 1965, LXV: »Simplicius
distorts Aristotle’s account in order, as far as possible, to adapt it to his own philosophical presuppo-
sitions …« Sir David Ross, Introduction, in: Aristotle, De anima. Edited, with Introduction and
Commentary by Sir David Ross. Oxford 1961, 43: »His [sc. Simplicius’] discussion [sc. über den
nou=j poihtiko/j] is short, but seems to have no other merit.«
173
Peter Lautner, Introduction, in: Simplicius, On Aristotle. On the Soul 1.1-2.4, 4.
174
Simplicius, Proœm., 1,11 [A1va] [Forts. von Anm. 170]: »… w(j t%= a)ri/st% th=j a)lhqei/aj
kritv= dokei= t%= I)ambli/x% …« / »… ut & Iamblicho præstantissimo veritatis iudici videtur …« Vgl.
auch die Bezugnahmen auf Jamblich in 1,18-20 [A1va]; 6,16 [A2vb] und öfter.
175
Vgl. Carlos G. Steel, Changing Self, 8f.: »Never does Priscianus [=Simplicius] formulate a
doctrine that deviates from Iamblichus and he always tries to be in accord with him. Priscianus was
thus not so much concerned with illuminating the actual meaning of the Aristotelian text. Rather he
approached the work on which he will comment with the specific and developed vision of the soul
which he had acquired from Iamblichus and he presented the meaning which the text must have in
order to be in agreement with these presuppositions.« Da Jamblichs Werke zur Psychologie nur frag-
mentarisch überliefert sind (vgl. Iamblichus, De Anima. Text, Translation, and Commentary by John
F. Finamore and John M. Dillon. Leiden u. a. 2002), rekonstruiert Steel dessen Ansichten überwie-
gend aus Stobaeus und Simplicius (vgl. a. a. O., 23-75).
176
Die Auszeichnung als »o( tou= Ar) istote/louj e)chghth/j« (Simplicius, I 4, 52,28 [15rb]) bzw.
als »gnhsiw/teroj tw=n A)ristote/louj e)chghtw=n« (Simplicius, In Phys. 80,15) kann nicht über die
grundsätzlich bestehende Differenz im Verständnis des Aristoteles hinwegtäuschen. Vgl. hierzu Hen-
ry J. Blumenthal, Alexander of Aphrodisias in the Later Greek Commentaries of Aristotle’s De Ani-
ma, in: Aristoteles. Werk und Wirkung. Zweiter Band. Kommentierung, Überlieferung, Nachleben.
Hrsg. von Jürgen Wiesner. Berlin u. a. 1987, 90-106.

77
De Anima

Aus Simplicius’ Einleitung zum De Anima-Kommentar ergeben sich dabei die


Grundzüge jener neuplatonischen Variante des Aristotelismus, die ihr Zentrum in der
Beschreibung der Seele als eines mittleren Charakters finden:
1. Im Zusammenhang mit der Frage, ob die Betrachtung der Seele und des Geistes zur
Mathematik, Physik oder Metaphysik gehöre, die ihren Ursprung in den entsprechen-
den Überlegungen von Aristoteles in De part. an. I 1, 641a17-b10177 hat, betont Simp-
licius, daß nur ein Teil der Seele Gegenstand der Naturphilosophie sei, nämlich ihre
Bestimmung als Form sowie ihre Vermögen der Ernährung und Wahrnehmung, wäh-
rend der Nous und das Intelligible Thema der Ersten Philosophie bzw. Metaphysik sei-
en. Weil nun Aristoteles in De An. III 4 und 5 auch vom Nous handele, gehöre die Ab-
handlung über die Seele als scientia media sowohl zur Naturphilosophie als auch zur
Metaphysik.178 Daher, und dies betont Simplicius in Übereinstimmung mit Aristoteles,
sei die Seele nicht (nur) Natur.179 Die Konsequenz jedoch, die er hieraus zieht, führt
von Aristoteles weg: Er beschreibt nämlich im folgenden die menschliche Seele gemäß
Platon und Plotin als ein Mittleres zwischen dem Natürlichen und Übernatürlichen. Sie
gilt als zugleich teilbar und unteilbar, geworden und ungeworden, vergänglich und un-
vergänglich, wobei ein Teil von ihr mit dem Übernatürlichen und Ewigen Gemein-
schaft hat, während ein anderer Teil in die vergängliche Natur hinabsteigt.180 Dies ver-
177
Aristoteles fragt dort, ob die ganze Seele oder nur ein Teil von ihr Gegenstand des Naturwis-
senschaftlers (fusiko/j) ist. Ist sie es nämlich als ganze, dann gibt es daneben keine weitere Philoso-
phie, da in diesem Falle die Seele und ihre Vermögen – einschließlich des Geistes (nou=j) und seines
Gegenstandes, das nohto/n – als Prinzip der Bewegung zu ein und derselben Wissenschaft gehören, da
es nur einer Wissenschaft zukommt, über das einander Entsprechende zu handeln. Ist aber weder die
ganze Seele noch alle ihre Teile Prinzip der Bewegung – denn bei den verschiedenen Lebewesen ist
jeweils ein anderes ihr Prinzip –, dann ist nicht die ganze Seele Gegenstand des Naturwissenschaft-
lers. Hieraus folgt für Aristoteles, daß nicht die ganze Seele Natur ist, sondern nur ein Teil von ihr
oder auch mehrere Teile (vgl. De Part. an. I 1, 641b10: »ou(de\ ga\r pa=sa yuxh\ fu/sij, a)lla/ ti
mo/rion au)th=j e(\n, h)\ kai\ plei/w …«).
178
Vgl. Simplicius, Proœm., 3,25-27 [A2rb]: »e)pei\ ou)=n au)to\j kai\ peri\ tou= nou= th=j yux=hj,
kai\ ou) peri\ tw=n fusikw=n mo/nwn au)th=j mori/wn poiei=tai lo/gon, dh=lon w(j ou)k e)/stin a(plw=j
fusikh\ h( peri\ yuxh=j pragmatei/a.« / »Quoniam igitur etiam de animæ intellectu, neque vero de
solis ipsius naturalibus particulis sermonem habet [sc. Aristoteles], constat tractationem de anima non
esse simpliciter naturalem.« Vgl. hierzu auch Peter Lautner, Status and Method of Psychology accor-
ding to the Late Neoplatonists and their influence during the Sixteenth Century, in: The dynamics of
Aristotelian Natural Philosophy, 81-108, hier: 88-95.
179
Vgl. Simplicius, Proœm., 4,15f. [A2ra]: »fu/sij ga\r h( w(j swma/twn ei)dhtikh\ ai)ti/a, ou)
yuxh/:« / »Natura enim est, quæ tanquam corporum formalis est caussa, non autem anima.«
180
Vgl. a. a. O., 3,18-21 [A2ra]: »kai\ dh=lon w(j h( peri\ yuxh=j e)pisth/mh toiau/th, e)peidh\ kai\
h( th=j yuxh=j ou)si/a toia/de, oi(/a me/sh tw=n te u(perfuw=n ei)=nai kai\ tw=n fusikw=n, kai\ oi(/a to\
me/n ti e)/xein toi=j u(perfue/si koinwnou=n, to\ de\ pro\j th\n fu/sin a)pokli=non:« / »Quandoquidem &
substantia animæ talis est, ut media dicenda sit inter supranaturalia, & naturalia, habeatque aliquid
cum supranaturalibus communicans, aliquid autem ad naturalia vergens & declinans.« A. a. O., 6,8-
12 [A2vb]: »i(/na kai\ me/nv a(/ma kai\ metaba/llv dia\ th\n tw=n mo/nwj te meno/ntwn kai\ pa/ntv
metaballome/nwn meso/thta h( h(mete/ra yuxh\ e(kate/r% pwj e)pikoinwnou=sa tw=n a)/krwn,
w(/sper kai\ meri/zetai pwj kai\ oi(=on a(me/ristoj a(/ma gi/netai te kai\ a)ge/nhtoj u(pa/rxei,
fqei/retai/ te tro/pon tina\ kai\ a)/fqartoj diasw/zetai.« / »… ut & maneat simul & mutetur anima

78
Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon

steht Simplicius aber nicht so, als ob nun dieser Teil und damit die ganze Seele nicht in
die Welt hinabsteigt, wie dies Plotin behauptet hat181; vielmehr vertritt er die These
vom vollständigen Abstieg der Seele in die Sinnenwelt, weshalb sie auch der Verände-
rung unterworfen ist, lehnt aber ihr totales, unumkehrbares Verfallensein an diese Welt
ab.182 Bereits aus diesen wenigen Bemerkungen wird deutlich, daß Simplicius die Fra-
ge nach dem Status der Seele mit einer platonischen Begrifflichkeit und unter Zugrun-
delegung der platonischen Hierarchie der Seelen diskutiert.
2. Er geht ferner von der Annahme aus, daß Thema von De Anima allein die Seele der
sterblichen Lebewesen ist183, zu der auch die menschliche Seele gehört, die er yuxh\
logikh/ nennt. Er begründet dies damit, daß Aristoteles sich in diesem Werk nicht über
die Weltseele (ou(rani/a yuxh/) geäußert habe. So referiere Aristoteles in De An. I 3,
407a3-6 ohne Kritik Platons Ansicht aus dem Timaios 34a1-4, wonach die Weltseele
wie der Nous beschaffen sei. »Denn die Weltseele«, so Simplicius, »ist der reine und
denkende Geist«184.
3. Simplicius nimmt für Aristoteles auch das neuplatonische Modell von der Abtrenn-
barkeit der Seele vom Körper a parte ante & post in Anspruch. Zur Begründung ver-
weist er auf De An. III 5, 430a23-25. Danach können wir uns deshalb nicht an unser
abgetrenntes Leben a parte ante erinnern, weil wir bereits gelebt haben, bevor wir in
die Körper eingegangen sind.185 Hieraus folgert Simplicius offensichtlich, daß sich die
Seele auch a parte post vom Körper abtrennen wird.
_________________________________________________________________________________________________________

nostra ob medietatem tum ipsorum manentium, tum eorum omnino quæ mutantur, cum utroque cum
extremo quodammodo communiter: quemadmodum est quodammodo dividitur: & quasi impartibilis
simul fit, & ingenita existit. Corrumpiturque quodammodo, & incorruptibilis servat.« Die Nähe zur
Beschreibung der Seele als Orizon æternitatis et temporis bei Hermes Trismegistos ist offensichtlich.
181
Vgl. Plotin, Enn. IV.8.8.1-3: »Kai\ ei) xrh\ para\ do/can tw=n a)/llwn tolmh=sai to\ fai-
no/menon le/gein safe/steron, ou) pa=sa ou)d )h( h(mete/ra yuxh\ e)/du, all )e)sti/ ti au)th=j e)n tw=?
noht%= a)ei/ …« / »Und wenn man denn so kühn sein soll wider die geltende Meinung die eigene An-
sicht bestimmter auszusprechen: auch unsere Seele ist nicht gänzlich hinabgesunken, sondern immer
bleibt ein Teil ihres Wesens in der geistigen Welt …« (Übersetzung Richard Harder) Vgl. ferner Enn.
IV.1.1.12-14; IV.4.12.20-50.
182
Vgl. Simplicius, Proœm., 6,12-15 [A2vb]: »dio\ ou)/te me/nein ti au)th=j qhso/meqa kata\ to\n
Plwti=non a)ei\ w(sau/twj kai\ kaqarw=j ou)/te pantelw=j proi+e/nai e)n tv= ei)j ge/nesin r(opv=, a)ll )
o(/lh pro/eisi kai\ me/nei ei)likrinw=j e)n tv= pro\j ta\ deu/tera r(opv=.« / »Ideoque neque aliquam
ipsius portionem remanere ponendum, semper eodem modo, & sincere secundum Plotinum, neque
omnino pervenire in illo incursu ad generationem. Sed tota pervenit, pureque manet in illo ad hæc
posteriora incursu.«
183
Vgl. a. a. O., 3,29f. [A2rb]: »o( de\ skopo\j au)th=j [sc. pragmatei/a] dokei= peri\ mo/nhj th=j e)n
toi=j qnhtoi=j z%/oij ei)=nai yuxh=j:« / »Intentio autem ipsius [sc. tractatio] videtur esse de sola morta-
lium animalium anima.« Ebenso 4,12f. [A2rb]; 81,12-14 [22va] und öfter.
184
Vgl. a. a. O., 4,1 [A2rb]: »lo/goj ga\r kaqaro\j kai\ noero\j h( tou= panto\j yuxh/ …« / »Ratio
namque est pura & intelligens ipsi universi anima …« Die Übersetzung von lo/goj mit Geist rechfer-
tigt sich hier vom Kontext her, denn es geht hier gerade nicht um den menschlichen Logos, sondern
um den göttlichen Nous.
185
Vgl. Simplicius, Proœm., 4,9-11 [A2rb].

79
De Anima

4. Daß er damit auch die These von der Unsterblichkeit der Seele vertritt, wird aus sei-
nen knappen Anmerkungen zum menschlichen Nous deutlich, der auf seiner höchsten
Stufe dem Wesen nach Tätigkeit ist und damit den transzendenten Nous der Weltseele
in seiner Wirksamkeit nachahmt bzw. sich mit ihm vereinigt. Und nur in diesem Zu-
stand ist er unsterblich, da er dann in sich selbst fortwährend die Beständigkeit enthält
und rein ist in seinem (von den Sinnen) abgetrennten Leben.186
All diese Punkte bestätigen nochmals das oben beschriebene hermeneutische Prinzip
von Simplicius’ Interpretation: Es geht nicht so sehr darum, den aristotelischen Text zu
erklären, als ihn in Übereinstimmung mit der Lehre Platons und der Neuplatoniker zu
bringen. Dies läßt erahnen, wie er die Schrift De Anima insgesamt interpretiert hat. Im
folgenden soll dies anhand seiner Darstellung von De An. II 1, III 4 und 5 aufgezeigt
werden. Hierbei ist zu fragen: Was bedeutet die Bestimmung der menschlichen Seele
als eines mittleren Charakters für die Kommentierung von De Anima? Anders gefragt:
Wie muß Simplicius diese Schrift interpretieren, um sie in Übereinstimmung mit der
platonischen These von der Mittelstellung der Seele zu bringen? Und wie muß er den
Begriff der Seele (und des Geistes) fassen, um sie in ihrer Veränderung zugleich in ih-
rem wesentlichen Sein als Ewiges und Unsterbliches erweisen zu können? Hierbei
wird sich zeigen, welch große Bedeutung – und dies sei hier gerade im Blick auf Me-
lanchthon betont – in diesem Zusammenhang dem Begriff der Entelechie zukommt.
In Anknüpfung an De An. II 1,412a6-10 bestimmt Simplicius zunächst gut aristote-
lisch u(/lh als ein Unbestimmtes (a)o/ristoj), Unvollkommenes (a)telh/j) und nur der
Möglichkeit nach Seiendes (duna/mei), während ei)=doj gerade das Bestimmte (o(/roj),
Vollkommene (teleio/thj), Erste (prw/th) und die für sich selbst seiende Substanz
(kaq )au(th\n ou)si/a) ist. Und dieses ei)=doj nennt er nachfolgend gemäß Aristoteles
e)ntele/xeia, wobei er diesen Neologismus korrekt als »das, was in der Vollkommen-
heit sein Sein hat«187, bestimmt. Etwas, das über die Entelechie verfügt, ist also in sei-
nem Sein vollkommen, bedarf nichts darüber hinaus, um seine Funktionen erfüllen zu
können. Man würde erwarten, daß dies für ein Lebewesen bedeutet: In seiner Einheit
von Körper und Seele kann es die Funktionen des Ernährens, Fortpflanzens, Bewegens
etc. ausführen, die es in seinem Da-sein kennzeichnen. Doch genau diese vollkomme-
ne Freiheit des Seins gewährt Simplicius dem Lebewesen nicht. Denn die Seele ist
zwar ei)=doj bzw. e)ntele/xeia, die das Lebewesen zu einem to/de ti bzw. einer determi-
nata existentia macht, das so in seinem Sein als Da bestimmt ist. Sie ist diese Form –
186
Vgl. a. a. O., 5,15-18 [A2va]: »kaq )h(\n kai\ to\n e)cvrhme/non mimei=tai [sc. du/namij
qewrhtikh/] nou=n, kai\ e)/sti tv= ou)si/# e)ne/rgeia. kaq )h(\n mo/nhn e)sti\n a)qa/natoj, w(j di )au)th=j
toi=j ai)wni/oij sunaptome/nh kai\ w(j a)ei\ me\n to\ mo/nimon e)/xousa, a)kraifne\j me\n e)n tv=
xwristv= zwv= …« / »… secundum quam etiam seiunctum imitatur [sc. potentia contemplativa] intel-
lectum. Estque ex his substantia actus, secundum quem solum immortalis existit, tanquam cum sem-
piternis per illum colliget: & tanquam stabile ipsum semper habens, purum quidem & sincerum in
separabili vita …«
187
Vgl. Simplicius, 84,4f. [23rb] (zu De An. II 1, 412a9): »to\ de\ ei)=doj e)ntele/xeia, w(j te-
leio/thj kai\ e)n teleio/thti e)/xon to\ ei)=nai …« / »forma vero actus: ut quæ perfectio sit, & in per-
fectione suum habeat esse …«

80
Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon

und zwar zugleich als forma informans und forma assistens188 –, aber eben nur als
ei)=do/j ti, was soviel heißt wie: In gewisser Weise Form, aber nicht schlechthin.189
Simplicius begründet dies mit der zweifachen Bedeutung der Entelechie, die zum einen
gemäß 412a10f. wie die Wissenschaft ist und zum andern wie der aktuelle Vollzug von
Wissen. Jede reine und erste Form ist aber unteilbar, so daß in ihr ou)si/a und e)ne/rgeia
eines sind, was dem Zustand der zweiten Entelechie entspricht. Dies gilt nun aber ge-
rade nicht für die Seele: Sie ist nämlich nicht unteilbar, da bei ihr ou)si/a und e)ne/rgeia
nicht eines sind, was dem Zustand der ersten Entelechie, den Aristoteles auch e(/cij
nennt, entspricht. Denn diese Einheit würde voraussetzen, daß sie immer tätig ist, was
nicht der Fall ist. »Daher ist sie Vollendung gemäß dem Habitus, nicht aber geschieht
das Tätigsein vom Habitus her.«190 Prima facie scheint diese Bestimmung der Seele als
e)ntele/xeia kata\ th=n e(/cin nicht unaristotelisch zu sein. Ein genauerer Blick zeigt aber,
daß hier eine ontologische Abwertung der Seele geschieht, in der ihre Vollkommenheit
zu einer a)telh\j e)ntele/xeia wird. Dies wird aus den Kommentaren zu De An. II 1,
412a20f. und a22-28 deutlicher:
1. In 412a20f. definiert Aristoteles die Seele bekanntlich als »Form des natürlichen
Körpers, der seiner Möglichkeit nach Leben hat«191. Simplicius bestimmt die Seele da-
gegen als meta\ ta\ ei)/dh, als ontologisch nach den Formen bzw. den Ideen192 seiend,

188
Dahinter steht die platonische Bestimmung der Seele als ein Mittleres. Dies verdeutlichen
Simplicius’ Äußerungen zum locus classicus dieser Diskussion De An. II 1, 413a8f.: Vgl. a. a. O.,
96,6-10 [26vb]: »… dia\ tou/twn e)pi\ th=j au)th=j to\ sunamfo/teron o(r#= [sc. Aristoteles]. h( ga\r w(j
xrwme/nh e)ntele/xeia kai\ a)xw/risto/j pv t%= o(/lwj xrh=sqai kai\ xwristh/ pv w(j e)cvrhme/nwj
u(phretou=nti t%= o)rga/n% xrwme/nh. ei) de\ kai\ pv= me\n xrh=tai, pv= de\ mhd ) o(/lwj, w(j to\ tou=
plwth=roj dhloi= para/deigma, to\ mh\ xrw/menon au)th=j pa/ntv e)sti\ xwristo/n.« / »… per hæc
autem, quæ nunc dicit, in eadem utrumque considerat. Actus enim, qui ut utens est, tum quadam ra-
tione inseparabilis est, quia undequaque utatur, tum quadam ratione separabilis, quatenus seiunctim,
& separatim corpore sibi inserviente utatur. Si autem & quadam ratione utitur, & quadam non omnino
utatur, veluti ipsius nautæ exemplum indicat, quæ portio ipsius non utitur, separabilis omnino est.«
Soweit also die Seele e)ntele/xeia ist und somit den Körper gebraucht, ist sie forma informans und
damit von ihm nicht abtrennbar. Soweit sie aber von ihm abgetrennt ist und ihn gleichsam ‘von außen
kommend’ gebraucht, ist sie forma assistens wie der Schiffer auf dem Schiff. Wie beides zusammen-
geht, macht gerade die Schwierigkeit von Simplicius’ Position aus. Vgl. zur Schiffs-Metaphorik fer-
ner a. a. O., Proœm., 4,19-32 [A2rb-va]; 51,28-53,1 [15rb-va] (zu De An. I 1, 407b23); 87,18-25
[24rb] (zu II 1, 412a20).
189
Vgl. a. a. O., 84,9 [23rb] (zu De An. II 1, 412a10): »Ei)=do/j ti me/llwn kai\ th\n yuxh\n
ti/qesqai …« / »Constiturus animam esse aliquam formam …«
190
Vgl. a. a. O., 84,18f. [23rb]: »dio\ kata\ th\n e(/cin e)sti\n e)ntele/xeia, kai\ ou)x h( a)po\ th=j
e(/cewj e)ne/rgeia.« / »Quare secundum habitum est actus, non autem hic actus ab habitu fit.«
191
Aristoteles, De Anima II 1, 412a19f. (Übersetzung Theiler in: Aristoteles, Über die Seele, 24):
»a)nagkai=on a)/ra th\n yuxh\n ou)si/an ei)=nai w(j ei)=doj sw/matoj fusikou= duna/mei zwh\n
e)/xontoj.«
192
Die doppelte Bedeutung von ei)=doj als (aristotelische) Form und (platonische) Idee war natür-
lich der geeignete Anknüpfungspunkt für die Neuplatoniker, um die Einheit von Aristoteles und Pla-
ton in der Seelenlehre aufzeigen zu können.

81
De Anima

denn sie ist in der Zeit in einem Körper.193 Folglich ist sie als e)ntele/xeia kata\ th=n
e(/cin gerade nicht identisch mit der transzendenten Idee194, da sie dann wahrhaft
ei)dhtikh\ ou)si/a wäre und damit ewig, unteilbar und nicht in einem Körper, und ihr
Wesen wäre ihr Tätigsein. Simplicius verstärkt diese ontologische Abwertung der See-
le bis zu der Aristoteles direkt widersprechenden Aussage, daß die Seele »keine Form
[ist], sondern Logos, und die Logoi sind wesentliche Ursachen zweiter Ordnung.«195
Mit der Bestimmung der Seele als »Logos im Umkreis der Lebensform«196 »bezeichnet
‘Simplikios’ eine bestimmte Wirkkraft der Idee, die deren Gehalt in die Verbindung
mit dem Körper einbringt.«197 Anders gesagt: Die Seele ist nicht schlechthin ei)=doj,
weil sie in einem Körper ist und mit ihm in einem Verhältnis steht, das sie als forma
informans zwar selbst wesentlich konstituiert und dabei als forma assistens den Körper
als ein Organon benutzt, das damit aber zugleich ihre Abhängigkeit von ihm anzeigt.
2. Diese ontologische Unterordnung der Seele unter die ei)dhtikh\ ou)si/a verdeutlicht
für Simplicius gerade ihre Bezeichnung als e)ntele/xeia prw/th in De An. II 1, 412a27,
die er »als eine nicht schlechthin vollkommene Vollkommenheit«198 versteht. Denn die

193
Vgl. Simplicius, 86,17-19 [24ra] (zu De An. II 1, 412a20): »e)pei\ ga\r to\ koinv= pa/sv
u(pa/rxon e(pizhtei= e)n toi=j qnhtoi=j z%/oij yuxv=, ou) to\ xwristo\n kai\ e(autou= o)\n a)podi/dwsin
au)tv= ei)=doj, a)lla\ to\ sw/matoj o(ristiko/n. tou=to ga\r a(pa/sv koino/n. kai\ meta\ ta\ ei)/dh me\n h(
yuxh/. a)me/ristoj ga\r h( ei)dhtikh\ ou)si/a …« / »Quoniam quidem, quod omni, quæ in animalibus
est mortalibus, commune inest animæ, investigat, non ipsi formam separabilem, quæque per se forma
sit, & ex iure suo assigant, sed formam corporis determinatricem, hæc enim omni animæ communis
est. At anima post formas est ipsas. Siquidem formalis substantia indivisibilis est.«
194
So auch Matthias Perkams, Aristoteles, 4: »Diese Verwirklichung einer Möglichkeit, also ein
ganz aristotelischer Gedanke, hilft ‘Simplikios’ zu erklären, was die transzendente Idee, die jede
menschliche Seele hat, ohne dass sie mit ihr identisch ist, mit dem aus Körper und Seele bestehenden
Wesen Mensch zu tun hat. ‘Simplikios’ benutzt also das aristotelische Konzept der entelécheia, um
zu verdeutlichen, was das platonisch verstandene eîdos der Seele für das beseelte Lebewesen bedeu-
tet. Das eîdos – zumindest insofern es eine transzendente reine Idee bezeichnet – ist also für ihn nicht
dasselbe wie die entelécheia.«
195
Simplicius, 87,12-14 [24rb] (zu De An. II 1, 412a20): »h( de\ tw=n qnhtw=n z%/wn yuxh\
e)ntele/xeia fusikou= sw/matoj, ou)k ei)=doj ou)=sa a)lla\ lo/goj. kai\ oi( lo/goi de\ ei)dhtikai/ ei)si
deute/rwj ai)ti/ai.« / »Mortalium vero animalium anima naturalis corporis actus est, & perfectio, non
quæ forma sit, sed ratio. At rationes quidem formales sunt causæ, licet secundo modo.« Der Begriff
lo/goj kann hier nicht mit Vernunft, Verstand oder ähnliches übersetzt werden, sondern kennzeichnet
den Abstieg der Seele von den Ideen zu den von ihr abgeleiteten Logoi, wie auch Steel betont: »Here
it must be noted that by logos is not meant, in the first instance, a rational activity but primarily the
unfolding or discursivity of the eidos.« (Changing Self, 127). Deutlich wird dies aus 217,31f. [57rb]
(zu De An. III 4, 429a10), wo es heißt: »… e(ka/sth yuxh\ u(poba=sa ei)j to\ o(rizo/menon kai\ ei)j
lo/gon a)nti ei)/douj.« / »… unaquæque anima … accedens ad rem determinatam, & ad rationem loco
formæ.«
196
Simplicius, 86,30 [24ra] (zu De An. II 1, 412a20): »h( de\ yuxh\ lo/goj tij peri\ to\ ei)=doj to\
zwtiko/n …« / »Anima vero ratio est quædam circa vitalem distincta formam …«
197
Matthias Perkams, Aristoteles, 6.
198
Simplicius, 89,24-26 [24vb] (zu De An. II 1, 412a26): »safw=j ga\r kai\ o( A)ristote/lhj to\
ou(/tw pro/teron tv= gene/sei a)pe/dwken, kai\ dia\ tou=to tv= yuxv= prosh/kein th\n prw/thn

82
Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon

Frage, warum die Seele erste Entelechie ist und nicht e)ntele/xeia kata\ to\ e)nergei=n,
beantwortet Simplicius mit ihrer bereits erwähnten Differenz von e)ne/rgeia und ou)si/a:
Da sie nicht immer tätig ist, kann ihr Wesen nicht in der Tätigkeit liegen. Ihre Voll-
kommenheit ist damit eine immer nur je vorübergehende, sofern sie nur dann voll-
kommen ist, wenn sie tätig ist.199 Wie kann dann aber erklärt werden, daß die Seele,
obgleich sie ungeworden (a)ge/nhtoj) ist, zunächst unvollkommen ist, später aber voll-
kommener wird, wenn sie nämlich tätig ist?200 Offensichtlich geht es hier um die Diffe-
renz von Sein und Werden, um das, was Steel identity in change nennt: »The soul un-
dergoes substantial change without, however, losing its identity. It is precisely as iden-
tity-in-change that it is ‘the middle between the divisible and the indivisible’.«201 Es ist
also ihr beschriebener Doppelcharakter, der sie sich wesentlich ändern und sich genau
in dieser Änderung erhalten läßt! Was diese Differenz für die menschliche Seele be-
deutet, beschreibt Simplicius wie folgt:
»Auch sie [sc. die menschliche Seele] ist gewiß rein, soweit es ihr zukommt, indem sie ihre Un-
sterblichkeit, ihre Beständigkeit und Unteilbarkeit in ihrem abgetrennten, dem Denken gewid-
meten Leben erhält. Denn abgetrennt ist sie das, wie er [sc. Aristoteles] sagen wird [sc. in De
An. III 5, 430a17], was sie ist. In ihrer Hinneigung zum Äußeren [sc. dem nicht Intelligiblen]
aber bleibt sie, ohne sich vollkommen zu verlieren.«202

Die menschliche Seele ist also als e)ntele/xeia prw/th unvollkommen, sofern bei ihr Tä-
tigkeit und Wesen voneinander getrennt sind, und sie wird damit in gewisser Weise,
indem sich ihr epistemologischer Zustand ändert, obwohl sie ontologisch betrachtet
ungeworden ist. D. h., sie wird vollkommen im Vollzug des Denkens, und in diesem
Vollzug wird sie unsterblich, obgleich sie in gewisser Weise aufgrund ihrer Abkunft

_________________________________________________________________________________________________________

e)ntele/xeian w(j mh\ pantelw=j telei/an.« / »Manifeste namque & ipse Aristoteles quod hoc modo
est prius, id generationi assignavit, atque idcirco animæ primum actum quadrare, convenireque, at qui
non omnino perfectus sit.« Daß diese Bestimmung der e)ntele/xeia h( prw/th als ‘nicht schlechthin
vollkommen’ (e)ntele/xeia a)telh/j) nicht den Sinn der aristotelischen Bestimmung in De An. II 1
trifft, ist klar, denn die erste Vollkommenheit der Seele besteht für ihn ja gerade darin, dem Lebewe-
sen zwischen dem Werden und Vergehen (also gerade ohne Blick auf das a parte ante & post) das
Sein zu verleihen.
199
Vgl. Simplicius, 88,31-89,1 [24va-b] (zu De An. II 1, 412a22).
200
Vgl. a. a. O., 89,22-24 [24vb] (zu De An. II 1, 412a26). Nachfolgend verweist Simplicius auf
Met. I 8, 989a15: »e)/sti to\ tv= gene/sei u(/steron tv= fu/sei pro/teron …«
201
Carlos G. Steel, Changing Self, 52.
202
Simplicius, 90,12-15 [25ra] (zu De An. II 1, 412a26): »kai\ a)kraifne\j [sc. yuxh\ logikh/]
me/n, o(/son au)tv= prosh/kei, to\ a)qa/naton kai\ mo/nimon kai\ a)me/riston a)polamba/nousa e)n tv=
xwristv= kai\ noer#= zwv=. xwrisqei=sa ga/r, w(j e)rei=, e)/stin o(/per e)sti/n. e)n de\ tv= pro\j ta\ e)/cw
r(opv= ou) pantelw=j me\n a)polei/pousa e(auth\n me/nei …« / »Quæ [sc. anima] purum quidem, qua-
tenus ipsi convenit, immortale ipsum & permanens & indivisibile assumit, idque inseparabili & intel-
ligenti vita. Separata namque, ut dicet postea, est quod est. In eo vero ad exteriora incursu, non omni-
no quidem sinit manere.«

83
De Anima

vom transzendenten Nous (schon immer) unsterblich ist. Sie ändert sich also wesent-
lich in ihrem Sein und in ihrem Wissen und bleibt doch dieselbe.203
Wie man sich diese identity in change der menschlichen Seele vorzustellen hat, kann
Simplicius’ Bestimmung des Nous im Zusammenhang mit der Kommentierung von De
An. III 4 und 5 entnommen werden. Hier muß sich zeigen, inwieweit sich die Seele
durch die verschiedenen Stufen des Wissens in ihrem Sein wandelt und doch mit sich
identisch bleibt. In seinem umfangreichen Proœmium zu De An. III 4 betont Simplicius
gleich eingangs gegen Alexander, daß Thema hier nicht sei, was und wie beschaffen
der abgetrennte Nous der Seelen (o( xwristo\j tw=n yuxw=n nou=j) sei – nämlich erste
Substanz, unteilbar, Leben in seiner höchsten Form, äußerste Wirksamkeit, ewig, voll-
endet, einzig und Ziel und Ursache von allem –, denn dieser göttliche Nous sei Gegen-
stand von Aristoteles’ Met. XII 9, wie auch Jamblich betont habe; vielmehr gehe es
hier um das Wiebeschaffensein des an unserer Seele Anteil habenden Nous.204 Dieser
Nous zeichnet sich durch die Besonderheit aus, daß er als ei)=doj unteilbar ist – weshalb
ihn Simplicius auch a)me/ristoj gnwstikh\ ou)si/a nennt –, zugleich jedoch Anteil am
Denkvermögen der logikh\ yuxh/ hat und sie dadurch in ihrem Wesen bestimmt. Dies
bedeutet nun aber keine Aufhebung der ontologischen Kluft zwischen ‘oben’ und ‘un-
ten’. Die Seele bleibt als Ganze eingesenkt in das Abgeleitete und Teilbare und steigt
so, wie gesagt, von den Ideen zum lo/goj hinab: »Denn jede Form [bzw. Idee] ist un-
teilbar, da sie Bestimmung und Vollendung ist. Die Seele aber ist nicht unteilbar, wie
ihre diffundierende Tätigkeit zeigt …«205 Hieraus ergibt sich für Simplicius, daß auch
dieser an der Seele teilhabende Nous nicht Thema von De An. III 4 sein kann; vielmehr
ist dies allein die ihm untergeordnete logikh\ yuxh/.206 Darauf weist für ihn auch der

203
Vgl. Carlos G. Steel, Changing Self, 65: »The soul remains in itself and simultaneously pro-
ceeds from itself.«
204
Vgl. Simplicius, 217,28f. [57rb] (Proœm. zu De An. III 4): »ma=llon de\ nu=n poi=o/j tij o( u(po\
th=j h(mete/raj yuxh=j metexo/menoj nou=j r(hte/on.« / »Nunc vero magis occassio expostulat, ut di-
camus, qualisnam ille sit intellectus, cuius anima nostra facta sit particeps.«
205
A. a. O., 217,32f. [57rb]: »a)me/riston ga\r a(/pan ei)=doj, e)peidh\ kai\ o(/roj kai\ teleio/thj: h(
de\ yuxh\ ou)k a)me/ristoj, w(j h( a)nelittome/nh au)th=j dhloi= e)ne/rgeia …« / »Omnis enim forma
indivisibilis est: quandoquidem, & terminus est & perfectio. Anima vero non est indivisibilis, id quod
revoluta eius actio denotat …« Steel beschreibt in diesem Zusammenhang die Abhängigkeit des Lo-
gos vom Eidos wie folgt: »It is important that each ei)=doj - o(/roj is, as such, indivisible and therefore
can undergo non change or development since this would imply division. It is the deteminded thing
that changes whereas the determining factor (or the eidos) always remains entirely what it is. There-
fore, one may also call the eidos simple (a(plou=j) – not in the sense of a contradiction or restriction
but because it anticipates in itself, as an undivided unity, all the properties and logoi that develop out
of it. Indeed, to each eidos corresponds a multiplicity of logoi. Thus the eidos of the natural body em-
braces a multiplicity of physical logoi which unfold, in the division of time and space, the totality of
the properties lying together, simultaneously, in the undivided eidos. These logoi directly ‘in-form’
matter and give to it quality, shape, and size which correspond with the eidos.« (Changing Self, 126)
206
Vgl. Simplicius, 218,29-32 [57va] (Proœm. zu De An. III 4): »e)/sti toi/nun o( prokei/menoj
skopo\j ou) peri\ tou= metexome/nou u(po th=j yuxh=j nou= ou)de\ e)/ti ma=llon peri\ tou= a)meqe/ktou,
a)lla\ peri\ th=j logikh=j ou)si/aj: e)peidh\ kai\ peri\ yuxh=j h( pragmatei/a, mo/rion de\ kai\ o(

84
Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon

erste Satz von De An. III 4, 429a10f. hin, denn das ginwskein= kennzeichnet das theore-
tische Wissen der logikh\ yuxh/, die auch Wahrnehmung und Vorstellung umfaßt,
während das fronei=n ihren praktischen Bezug anzeigt.207 Diesen Logos der logikh\
yuxh/ unterteilt Simplicius nachfolgend auf dreifache Weise208 in einen u(liko\j kai\ du-
na/mei kai\ paqhtiko\j lo/goj (hier paqhtiko\j lo/goj1 genannt), einen ebensolchen Lo-
gos höherer Stufe (hier paqhtiko\j lo/goj2 genannt) und einen prw=toj ou)siw/dhj lo/goj.
Diese Einteilung bedeutet keineswegs eine ontologische Differenz zwischen verschie-
denen Seelen, sondern eine epistemologische innerhalb der (je individuellen) einen
Seele, die aber gleichwohl wesentlich ist. Simplicius beschreibt diesen Sachverhalt wie
folgt in einem Satz, dessen Begrifflichkeit nicht ganz stringent ist:
»Damit stellt sich die Frage, ob es drei Geister [noi==lo/goi] in uns gibt als voneinander getrenn-
te Substanzen [ou)si/ai], oder ob es einen Geist und eine Substanz gibt, eine Substanz, die sich
nur dem Begriff nach unterscheidet und sich bald als Ganzes zu sich selbst hinwendet, sich bald
dem Äußereren zuneigt und an sich selbst unvollkommen oder vollkommen ist. Selbst wenn
sich nun diese [sc. drei] Substanzen [=noi==lo/goi] voneinander unterscheiden sollten, so sind
sie nicht hinsichtlich des Zugrundeliegenden [d. h. hinsichtlich des Trägers] voneinander ge-
trennt, sondern diese drei stehen im Umkreis der einen und ersten [sc. Substanz] beisammen,
unterschieden aber von dem Leben des einen gemäß den verschiedenen Logoi.«209

Klar ist, daß für Simplicius die trei=j noi= zwar Substanzen sind, aber nicht im ontologi-
schen Sinn, da sie in der einen Seele als ihrem u(pokeime/non sind, sondern epistemolo-
gisch gedacht, weil sie wesentlich voneinander unterschiedene Weisen des Wissens be-
zeichnen, in denen sich die Seele selbst wesentlich wandelt, und zwar nicht nur episte-
mologisch, sondern nun auch ontologisch, und in diesem Wandel zugleich mit sich

_________________________________________________________________________________________________________

lo/goj th=j a)nqrwpi/nhj yuxh=j, o(/ti mi/a h)=n h( o(/lh.« / »Est itaque proposita nostra intentio non de
intellectu ab anima participato, neque adhuc multo magis de illo quod nulli participatur, sed de ratio-
nali tantum substantia: quandoquidem etiam tractatio de anima est. Ratio autem ipsa particula est hu-
manæ animæ, quoniam tota est una.« Ebenso a. a. O., 220,15-17 [58ra].
207
Vgl. a. a. O., 221,39-222,6 [58rb].
208
Simplicius spricht in 219,27-29 [57vb] von einer zwei- oder dreifachen Unterteilung des Logos,
je nachdem, ob man den unvollkommenen Logos noch einmal in sich selbst unterteilt in Abhängig-
keit des Abfalls von der Ideenwelt. Im folgenden wird die dreifache Unterteilung zugrunde gelegt.
Vgl. auch die nachfolgende Anmerkung.
209
Simplicius, 222,17-22 [58va] (zu De An. III 4, 429a10): »w(j ei)=nai th\n zh/thsin, po/teron
trei=j ei)sin e)n h(mi=n noi= w(j kai\ xwrizo/menai a)llh/lwn ou)si/ai h)\ ei)=j me\n o( nou=j kai\ mi/a
ou)si/a, t%= lo/g% de\ diaforoume/nh, po/te me\n ei)j e(auth\n o(/lh e)stramme/nh, po/te de\ e)/cw
r(e/pousa, kai\ au(/th h)\ a)telh\j h)\ telei/a: w(j ei) kai\ dia/foroi ai( ousi/ai, a)ll )ou) xwrizo/menai
t%= u(pokeime/n%, peri\ de\ mi/an ai( trei=j th\n prw/thn sunista/menai, diaforou/menai de\ tv= tou=
e(no\j kata\ diafo/rouj lo/gouj zwv=.« / »Adeo ut hoc sit inquirendum: utrum tres sint in nobis intel-
lectus, tanquam etiam substantiæ ab invicem separatæ. Aut an unus quidem intellectus, & una sub-
stantia, ratione autem variata & diversa: Aliquando quidem tota in seipsam conversa, aliquando au-
tem ad exteriora declinata, eademque aut perfecta, aut imperfecta. Adeo ut licet diversæ sint substan-
tiæ, non tamen subiecto sint separatæ, sed circa unam primam illæ tres sint constitutæ, sed diversæ
efficiantur ex vita unius secundum diversas rationes.«

85
De Anima

selbst identisch bleibt.210 Wie diese prima facie paradoxe Beschreibung näherhin zu
verstehen ist, belegt die folgende Übersicht des dreigeteilten Logos:
1. Der paqhtiko\j lo/goj1 ist gekennzeichnet durch seine vollkommene Hinneigung zur
äußeren Welt. Er muß dergestalt die sinnlichen Objekte in sich aufnehmen, um Wissen
erwerben zu können, das freilich ein abgeleitetes Wissen ist, weil es nicht direkt aus
den Ideen geschöpft ist. Ein solcher Logos wird daher bei der Aufnahme der sinnlichen
Formen bestimmt (to\ paqei=n) und verfügt über das Wissen nur dem Vermögen nach.211
In diesem Zustand ist die Seele von sich selbst und ihrem Logos am weitesten entfernt
gemäß ihrem Grad der Verfallenheit an die sichtbare Welt.212
2. Auch der paqhtiko\j lo/goj2 befindet sich noch in einem Zustand des Bestimmtwer-
dens. Sofern er sich aber bereits wieder der intelligiblen Welt zugewandt hat, sich also
peri\ th\n ou)si/an, im Umkreis des Wesens aufhält, wird er durch die intelligiblen Ob-
jekte bestimmt und ist damit im Vergleich zum paqhtiko\j lo/goj1 vollkommener. Da
dieser Aufenthalt bei der Wesensschau aber nur ein vorübergehender ist – denn diese
e)ne/rgeia kommt ihm nicht immer zu213 –, ist auch er noch ein duna/mei lo/goj, aber von
höherer Potentizialität. Denn er bildet sich eine e(/cij des Wissens aus, die desto voll-
kommener wird, je öfter sie ausgeübt wird. Dieser paqhtiko\j lo/goj2 hat sich also von
sich aus der intelligiblen Welt zugewandt, um dort seiner Vollkommenheit ansichtig zu
werden.
3. Der prw=toj ou)siw/dhj lo/goj ist dagegen vollkommen abgetrennt vom Körper – er
bedarf also keines körperlichen Organs, um erkennend tätig sein zu können, sondern ist
tätig aus sich selbst heraus – und enthält in sich die für ihn eigentümlichen intelligiblen
Objekte, von denen er nichts erleidet, da er sie nicht von außen hat, sondern aus sich
selbst hervorbringt. Und genau durch diesen Logos, so Simplicius, geschieht »die
210
So versteht auch Steel den eben zitierten Passus: »Consequently, the three ‘substances’ [sc.
noi==lo/goi] may not be understand as different ‘subjects’ (u(pokei/mena). They are only differentiated
insofar as the one and the same soul can realize its rational essence on substantially different levels:
as abiding undivided in itself, as proceeding out of itself into total division, and as reverting upon
itself and recovering its unity.« (Changing Self, 136)
211
Vgl. Simplicius, 219,11f. [57va] (Proœm. zu De An. III 4): »e)/stai ou)=n o( me\n u(liko\j kai\ du-
na/mei kai\ paqhtiko/j, o( e)/cw r(e/pwn kai\ sumpefurme/noj tai=j deute/raij gnw/sesin, o( a)telh\j
kai\ o(/loj e)/cw.« / »Erit quidem igitur & materialis & potestate, & passiva altera [sc. ratio], quæ ad
extra declinat, & quæ complicata est cum secundis cognitionibus, quæ imperfecta est, & tota ad extra
vergit.«
212
Vgl. a. a. O., 219,2-5 [57va]: »… to\n [sc. lo/gon] de\ kaq )o(\n e)cistame/nh th=j e)n au(tv= monh=j
o(/lh pro\j ta\ deu/tera a)potei/netai, h)\ pantelw=j tw=n ai)ti/wn a)fistame/nh dia/ te th=n a)f )
e(autou= kai\ th\n a)po\ tw=n u(perte/rwn pollh\n tou= lo/gou a)po/stasin …« / »Altera [sc. ratio] ve-
ro, secundum quam anima exurgens & recendens a suimet mansione, tota extenditur ad hæc secunda.
Aut omnino a causis recedens, ob magnum recessum rationis tum a seipsa, tum a superioribus …«
213
Vgl. a. a. O., 219,12-14 [57va-b]: »o( [sc. lo/goj] de\ e)n probolv= me\n a)lla\ plhrou/meoj kai\
to\ te/leion e)/xwn, o(/mwj de\ peri\ th\n ou)si/an kai\ ou) kat )au)th\n th\n ou)siw/dh e)ne/rgeian …« /
»Altera [sc. ratio] vero, quæ in occursu quidem est, promendo, nihilominus perfecta est & perfectio-
nem habet. Quæ tamen circa substantiam versatur, at non secundum ipsam substantialem actionem
…«

86
Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon

Umwendung der Seele zu sich selbst und die Vereinigung mit dem Höheren«214. Er
nennt ihn prw=toj lo/goj, weil er das Ersterkannte (prw/ton gnwsto/n) in der Seele und
zugleich die erste Erkenntnis (prw/th gnw/sij)215 ist, und ou)siw/dhj lo/goj, weil er, so-
weit er dies vermag, wesenhaft e)ne/rgeia ist dia\ th\n pro\j nou=n sunafh/n, wegen seiner
Vereinigung mit dem transzendenten Nous.216 Da dieser Zustand aber immer nur ein
momentaner ist, bleibt die Differenz zwischen jenem Logos und diesem Nous selbst-
verständlich bestehen.217
Wie kann aber diese Dreiteilung des Logos mit De An. III 4 und 5 in Übereinstim-
mung gebracht werden, wo bekanntlich nicht vom Logos, sondern ausschließlich vom
Nous die Rede ist? Gegen diesen offensichtlich erhobenen Einwand218 kommt Simpli-
cius in seinem Kommentar von De An. III 4 nun doch nicht umhin, seinen Begriff des
lo/goj mit dem aristotelischen des nou=j gleichzusetzen, also das zuvor begrifflich Ge-
schiedene in Eins zu fassen: »Aber er [sc. Aristoteles] nennt den Geist auch Logos.«219
Dies bedeutet, daß die epistemologische Bestimmung der logikh\ yuxh/ in ihren drei
Weisen des Logos-Seins mit der bei Aristoteles erfolgten Zwei- bzw. Dreiteilung des
nou=j in einen nou=j paqhtiko/j, nou=j e)pi/kthtoj & nou=j poihtiko/j als ein gemäß De An.
III 5, 430a13 rein innerseelisches, jeden Bezug auf den transzendenten Nous ausschlie-
ßendes Phänomen übereinstimmen und folglich Alexanders Bestimmung des nou=j
poihtiko/j als Gott falsch sein muß. Wie Simplicius diesen Aufweis durchführt, soll der
folgende Überblick verdeutlichen:
1. Seiner Ansicht nach ist Thema von De An. III 4 und 5 die logikh\ yuxh/ in ihren drei
Weisen des Logos-Seins220, die sich durch einen unterschiedlichen epistemologischen

214
A. a. O., 218,42-219,2 [57va]: »… to\n [sc. lo/gon] me\n xwristo\n kai\ plh/rh a)f )e(autou= tw=n
oi)kei/wn gnwstw=n, kaq )o(\n h( ei)j e)auth\n th=j yuxh=j e)pistrofh\ kai\ pro\j ta\ krei/ttw sunafh/
…« / »Altera [sc. ratio] quidem separabilis, & propriis cognoscibilibus ex seipsa plena: per quam
partem fit conversio animæ in seipsam, & contactus cum præstantioribus.«
215
Was dies für die Selbsterkenntnis des Geistes bedeutet vgl. unten zu Anm. 230.
216
Vgl. Simplicius, 219,21-23 [57vb] (Proœm. zu De An. III 4).
217
Vgl. hierzu Carlos G. Steel, Changing Self, 133f.: »Does not every distinction which exists bet-
ween the soul and intellect here fall away? Certainly not! For the human soul, undivided intellection
is merely a ‘moment’ within its total rational life and thererfore is never present in a pure state. The
soul is, indeed, never entirely established in itself, never fully separated form the inferior lives. There-
fore, even its highest logos remains bound to the lower logoi whic proceed from it and shares in their
potentiality and division. This implies that the soul never escapes discursivity and never enjoys perpe-
tual intellection since even its highest ‘part’ is affected by potentiality.«
218
Vgl. Simplicius, 220,25f. [58ra] (Proœm. zu De An. III 4).
219
A. a. O., 220,38 [58rb]: »… a)lla\ nou=n kalei= kai\ to\n lo/gon.« / »Cæterum solam quoque ra-
tionem intellectum appellat …«
220
Vgl. a. a. O., 220,15-17 [58ra]: »… e)/sti toi/nun o( pa=j lo/goj t%= A)ristote/lei e)n tou/toij
peri\ th=j logikh=j yuxh=j, a)ll )ou) peri\ tou= metexome/nou u(p )au)th=j nou= prw/twj.« / »Totus igitur
sermo hoc in loco ab Aristotele habetur de rationali anima, non autem de intellectu sibi participato
principaliter.«

87
De Anima

Status auszeichnen. Anders gesagt: Das Denken geschieht auf dreifache Weise221 und
kennzeichnet so den jeweiligen Status des Logos bzw. Nous als Denkvermögen. Auf
der untersten Stufe steht der paqhtiko\j nou=j, den Simplicius in aristotelischer bzw.
alexandrinischer Terminologie auch du/namei kai\ a)telh\j bzw. u(likoÜj nou=j222 nennt
und der nichts anderes ist als der oben bestimmte paqhtiko\j lo/goj1. Durch seine voll-
kommene Hinneigung zum Körper oder zur körperlichen Wahrnehmung denkt er nicht
aus sich selbst heraus, sondern wie die Wahrnehmung der sinnlichen Objekte bedarf,
so benötigt er intelligible Objekte, um denken zu können. Da diese aber aufgrund der
sinnlichen Objekte von der Vorstellung gebildet werden, ist diese Art des Denkens,
obgleich es ohne Zuhilfenahme eines körperlichen Organs geschieht, noch nicht voll-
kommen dem Intelligiblen zugewandt.223 Was bedeutet es nun aber, daß dieser paqhti-
ko\j nou=j in De An. III 4, 430a24f. als vergänglich (fqarto/j) bezeichnet wird? Ange-
sichts der für Simplicius nicht zu bezweifelnden, mit Platon übereinstimmenden An-
sicht, daß für Aristoteles »der wesenhafte Geist der Seele unsterblich und ewig ist«224,
ist klar, daß die Vergänglichkeit des paqhtiko\j nou=j keine ontologische im Sinne des
mh\ o)\n ist, sondern eine epistemologische, die durch die Selbstbewegung der Seele hin
zur intelligiblen Welt überwunden wird. Denn die Frage, ob der erleidende und unvoll-
kommene Geist als dieses Ganze materiell und dem Vermögen nach ist, solange er er-
leidend ist, und ob er deswegen auch vergänglich ist, insofern er erleidend ist, beant-
wortet Simplicius wie folgt:
»Er wird aber immateriell, ein Geist in Wirksamkeit und das Intelligible in der Vereinigung mit
dem, was das Tätige ist, vollkommen immateriell aber und vollkommener Geist in seinem Auf-
stieg zu dem, was tätig ist. So daß die Vergänglichkeit des erleidenden Geistes nicht im Außer-
sichsein mit dem Nicht-Seienden besteht, sondern in der Vereinigung mit dem höherrangigen
Sein der abgetrennten, beseelten Substanz, die sich selbst hochhebt zu dem Leben, das sich
entwickelt hat, das sich aber nicht weiter entwickelt, sondern in sich bleibt, gleichsam im [eige-
nen] Urgrund seiend. Fürwahr ist daher der erleidende Geist [nur] als erleidender vergäng-
lich.«225

221
Vgl. a. a. O., 223,14f. [58vb] (zu De An. III 4, 429a13): »trixw=j de\ to\ noei=n au)th=j [sc. lo-
gikh\ ou)si/a] …« / »Cum vero triplex ipsius [sc. rationalis substantia] intelligere …«
222
Vgl. a. a. O., 222,27f. [58va]; 223,17 [58vb]; 247,31 [65ra].
223
Vgl. a. a. O., 223,17-224,16 [58vb-59ra] (zu De An. III 4, 429a13). Zur weiteren Bestimmung
des nou=j u(liko/j gemäß De An. III 4, 429a15-b4 als inaffiziert, dem Vermögen nach seiend, unver-
mischt etc. vgl. a. a. O., 224,18-228,39 [58ra-60rb] (zu De An. III 4, 429a15-b4).
224
A. a. O., 246,17f. [64vb] (zu De An. III 5, 430a23): »E)pisth=sai a)/cion t%= panti\ lo/g%, [%(=]
qarrw=n to\n ou)siw/dh th=j yuxh=j nou=n a)qa/naton kai\ a)i+/dion a)pofai/netai [sc. Aristoteles] …« /
»Sciendum est, quod cum in omni sese firmet ratione, substantialem animæ intellectum immortalem
& perpetuum esse asserit.«
225
A. a. O., 247,31-39 [65ra-b]: »h)\ o( paqhtiko\j nou=j u(liko\j h)=n kai\ duna/mei kai\ au)to\ tou=to
paqhtiko\j kai\ a)telh\j nou=j to\ o(/lon tou=to, e(/wj a)/n paqhtiko\j v)=: kai\ dia\ tou=to kai\ fqarto\j
v(= paqhtiko/j. a)/uloj de\ gi/netai kai\ e)nergei# nou=j te kai\ nohto\j e)n tv= pro\j to\ poiou=n sun-
afv=, telei/wj de\ a)/uloj kai\ nou=j te/leioj e)n tv= ei)j to\n poiou=nta a)nadromv=. w(j ei)=nai th\n
fqora\n tou= paqhtikou= nou= ou)k ei)j to mh\ o)/n e)/kstasin, a)ll ) ei)j to\ kreitto/nwj o)\n su-

88
Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon

Der paqhtiko\j nou=j verliert also sein Bestimmtsein und damit seine epistemologische
Vergänglichkeit im Sinne des Noch-nicht-vollkommen-Wissens, was zugleich ein
Noch-nicht-vollkommen-Sein bezeichnet, »by the usual Neoplatonic process of ascent
and assimilation to a higer level of beeing«226. Wie sich dieser Aufstieg im Wissen und
Sein vollzieht, belegen die nächsten beiden Stufen.
2. Auf der zweiten Stufe steht der nou=j kata\ e(/cin, der dem oben genannten paqhtiko\j
lo/goj2 bzw. dem nou=j e)pi/kthtoj bei Alexander entspricht. Simplicius bestimmt diesen
im Zusammenhang mit De An. III 4, 429b5ff. näher als denjenigen Geist, der nicht
mehr von den sinnlichen Formen vervollkommnet wird, sondern von den ‘äußersten
Spuren der intelligiblen Formen’. Von diesen angeregt sucht er die intelligiblen For-
men selbst, die Simplicius in platonischer Manier als transzendente, unteilbare Sub-
stanzen versteht227, die jener nicht als solche aufnehmen, sondern zu denen er nur das
Verhältnis einer vorübergehenden Teilhabe (me/qecij) gewinnen kann, die desto stärker
wird, je vollkommener er sich von diesen Formen gleichsam einen Habitus (in seiner
verstärkten Hinneigung zu sich selbst und den intelligiblen Formen) ausbilden läßt.228
Er bleibt also auch hier immer noch in gewisser Weise passiv (daher paqhtiko\j
lo/goj2). Als eine Konsequenz dieses epistemologischen Prozesses des Werdens der
wesentlichen Erkenntnis des Intelligiblen stellt sich für Simplicius gemäß De An. III 4,
429b9 das Denken seiner selbst ein, das für ihn – gegen Alexander gewendet229 – nicht
_________________________________________________________________________________________________________

nai/resin th=j xwrisqei/shj yuxikh=j ou)si/aj, ei)j e(auth\n kai\ th\n proelqou=san
a)nastellou/shj zwh/n, ou) proi+ou=san e)/ti a)ll )e)n t%== me/nein w(j e)n ai)ti/% u(pa/rxousan. o( d )ou)=n
paqhtiko\j w(j paqhtiko\j fqarto/j.« / »An passibilis intellectus materialis erat & potestate, & hoc
ipsum passibilis & imperfectus intellectus, id totum existens, quantisper passibilis sit & iccirco etiam
corruptibilis est, quatenus passibilis existit? Immaterialis autem fit & actu intellectus & intelligibilis
in contactu, & complicatione cum efficiente facto. Perfecte autem immaterialis & perfectus fit intel-
lectus in recursu in efficiente ipsum facto. Adeo ut passibilis intellectus corruptio sit, non recessus ille
in non ens, sed contractio in id, quod præstantiori modo est: cum animata illa separata substantia in
seipsam quoque illa revocet, quod ad extra provenit, quæ non amplius provenit, sed in ipso manere,
tamquam in caussa stat. Passibilis igitur intellectus, quatenus passibilis, est corruptibilis.«
226
Henry J. Blumenthal, Nous pathētikos in Later Greek Philosophy, in: Aristotle and the Later
Tradition. Oxford 1991, 191-205, hier: 201.
227
Vgl. Simplicius, 224, 34f. [59ra] (zu De An. III 4, 429a15): »ou)si/ai ga\r a)me/ristoi kai\ o(/roi
ta\ nohta\ kai\ pa=n ei)=doj:« / »Intelligibilia namque & forma omnis substantiæ sunt indivisibiles &
termini.«
228
Vgl. a. a. O., 229,9-13 [60rb] (zu De An. III 4, 429b5): »… ou)x u(po\ tw=n ai)sqhtw=n telei-
ou/menoj [sc. nou=j u(liko/j], a)lla\ tou/toij me\n w(j e)sxa/toij i)/xnesi tw=n ei)dw=n e)pibai/nwn,
e)nteu=qen de\ e)pi\ th\n au)tw=n tw=n ei)dw=n zh/thsin e)geiro/menoj tv= ei)j e(auto\n sunneu/sei, kai\
tau/tv tv= menou/sv th=j yuxh=j kai\ prwti/stv sunapto/menoj ou)si/# …« / »… non quidem ab ipsis
sensibilibus perfectus [sc. intellectus materialis], sed ijs quidem, tanquam extremis formarum vesti-
gijs superveniens, inde vero ad ipsarum formarum inquisitionem excitatus, in illa in semet inclinatio-
ne, & ea ratione coniunctus cum animæ manente & maxime prima substantia …«
229
Vgl. Alexander, De Anima II, 109,14-17 [44vb]: »e)/ti de\ le/goit )a)\n au(to\n noei=n o( nou=j ou)x
v(= nou=j e)stin, a)ll )v(= kai\ au)to\j nohto/j. w(j ga\r nohtou= a)ntilh/yetai, w(/sper kai\ tw=n a)/llwn
e(ka/stou tw=n nohtw=n, ou)x w(j nou=.« / »Præterea dici posset intellectum semet intelligere, non qua-

89
De Anima

erst nach der Erkenntnis des Intelligiblen gleichsam aus dem Augenwinkel heraus ge-
schieht, sondern direkt und zusammen in dem einen Erkenntnisprozeß. Ehe er also ei-
nes anderen ansichtig wird, hat er sich bereits als derjenige erkannt, der erkennt.230
3. Auf der dritten und letzten Stufe der dem Menschen möglichen Erkenntnis steht der
ou)siw/dh nou=j (=nou=j poihtiko/j231), den Aristoteles in De An. III 5 genauer bestimmt
hat und der dem oben genannten prw=toj ou)siw/dhj lo/goj entspricht. Für Simplicius
kommt diesem Nous wesentlich das Wirksamsein und das Denken der Ideen zu. Er
vereinigt die menschliche Seele mit dem über ihr seienden Nous (nou=j u(pe\r au)th\n
yuxh\n), der zwar noch unterhalb des göttlichen Nous steht, aber doch von einer
a)me/ristoj gnwstikh\ ou)si/a gekennzeichnet ist. Notwendig für diesen Aufstieg in die
Ideenwelt ist eine vollkommene Abtrennung von der Sinnenwelt und von allen bloß
abgeleiteten Lebensformen.232 Die dem nou=j poihtiko/j gemäß De An. III 5, 430a17f.
beigelegten Attribute versteht Simplicius wie folgt: xwristo/j meint nicht ein ontologi-
sches Abgetrenntsein vom Körper, sondern ein epistemologisches Unabhängigsein von
den Erkenntnis der sinnlichen Dinge; a)paqh/j ist das Freisein von jedem äußeren Ein-
fluß beim Erkennen; vielmehr vervollkommnet sich der Nous aus sich selbst heraus
gemäß seiner ihm eigenen Wirksamkeit; a)migh/j ist das Freisein von jeglicher Verwo-
benheit mit den sinnlichen Dingen; tv= ou)si/# w)\n e)ne/rgeia meint schließlich die Einheit
von Substanz und Tätigsein: Im Denken der Ideen besteht das Wesen des nou=j poihti-
_________________________________________________________________________________________________________

tenus intellectus, sed quatenus intelligibilis ipse quoque est. Apprehendet enim ceu rem intelligibilem,
quemadmodum quælibet alia intelligibilia, non ut intellectu.«
230
Vgl. Simplicius, 230,12-14 und 26f. [60vb] (zu De An. III 4, 429b9): »Ou) kata\ sumbebhko\j
t%= ta\ nohta\ e)/xein kai\ ei)=nai pwj o( au)to\j toi=j nooume/noij ei)/desin, w(j prohgoume/nwj ta\
ei)/dh a)ll )ou)x e(auto\n now=n, w(j o( A)le/candroj bou/letai, kai\ e(auto\n de\ now=n prohgoume/nwj
… a(/pac de\ teleiwqei\j au)to\j [sc. u(liko\j nou=j] e(auto\n kai\ ta\ e)n au)t%= ei)/dh noei= a)paqw=j
kat )e)ne/rgeian telei/an.« / »Non per accidens intelligendum est, quod intelligibilia habeat, idem-
que quodammodo cum intellectis formis sit. Adeo ut principaliter formas, non autem seipsum intelli-
gat, ut Alexander opinatur, sed principaliter quoque seipsum intelligit … Ubi vero semel fuit perfec-
tus, ipse seipsum, & quæ sunt in se formas, intelligit & sine passione ulla, & perfecta cum actione.«
Wie bereits erwähnt (vgl. 1.1.), findet sich diese Selbstreflexivität des Geistes auch bei Descartes. Ein
weiterer Vertreter war Augustinus, wie aus seiner Schrift De Trinitate deutlich wird: »Quid enim tam
cogitationi adest, quam id quod menti adest? aut quid tam menti adest, quam ipsa mens?« (Lib. X,
7.10, in: PL 42, 979) Weiter unten heißt es: »Nihil enim tam novit mens, quam id quod sibi praesto
est: nec menti magis quidquam praesto est, quam ipsa sibi.« (Lib. XIV, 4.7, in: A. a. O., 1040; vgl.
hierzu Ludger Hölscher, Die Realität des Geistes. Eine Darstellung und phänomenologische Neube-
gründung der Argumente Augustins für die geistige Substantialität der Seele. Heidelberg 1999,
205ff.) Auch in der anfänglich Augustinus zugeschriebenen, wohl aber aus dem Umfeld der Zister-
sienser des 12. Jh.s stammenden anonymen Schrift De Spiritu et anima heißt es: »Animus corporis
dominator, rector, habitator videt se per se: per se ipsum semetipsum videt. Non quærit auxilium cor-
poralium oculorum, imo vero ab omnibus corporis sensibus tanquam impedientibus, & strepentibus
abstrahit se ad se, ut videat se in se, ut noverit se apud se.« (Cap. II, in: PL 40, 779-832, hier: 781)
231
Vgl. Simplicius, 240,30 [63ra] (Proœm. zu De An. III 5); 242,37 [63vb] (zu De An. III 5,
430a14) etc.
232
Vgl. a. a. O., 240,2-241,26 [63ra-63va] (Proœm. zu De An. III 5).

90
Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon

ko/j.233 Hier schließt sich nun der Kreis zum oben beschriebenen nou=j paqhtiko/j:
Nachdem sich dieser nämlich aus seinem Bestimmtsein von den sinnlichen Objekten
heraus- und hochgearbeitet hat zu den intelligiblen Objekten, verliert er seine episte-
mologische Vergänglichkeit und gewinnt seine epistemologische und ontologische Un-
vergänglichkeit und Unsterblichkeit, die in der Koinzidenz von ou)si/a und e)ne/rgeia,
von Sein und Denken besteht: Das Denken ist das Sein, und umgekehrt.234 Damit kön-
nen nun die epistemologischen Qualitäten des Abgetrennt- und Unvermischtseins zu-
gleich als ontologische Qualitäten verstanden werden, die den Tod von sich ausschlie-
ßen, vielmehr Träger des Lebens sind.235 Dieser Sprung von der Epistemologie zur On-
tologie wird sich im weiteren Verlauf dieser Arbeit als das Kardinalproblem eines Er-
weises für die Unsterblichkeit der Seele erweisen.
Nach diesem längeren Exkurs zu Simplicius kann nun Melanchthons Seelenbegriff
in den Blick genommen werden.

2.3.2. Melanchthons Platonisierung des aristotelischen Seelenbegriffs

Melanchthons philosophischen Ausgangspunkt hat Maurer in seiner Biographie Der


junge Melanchthon als durch und durch platonisch bezeichnet: Aufgrund der Ausbil-
dung bei seinem Großonkel Johannes Reuchlin (1455-1522) in Tübingen, der in seiner
Bibliothek Ficinos Plotin- und Platonübersetzungen besaß, sei er schon früh mit der
(neu)platonischen Philosophie vertraut gewesen, und diese »Anhänglichkeit an den
Platonismus (hat Melanchthon) sein Leben lang festgehalten. Sofern er Philosoph ist,
233
Vgl. a. a. O., 243,10-29 [63va-64ra] (zu De An. III 5, 430a17).
234
Vgl. a. a. O., 240,18-20 [63rb] (Proœm. zu De An. III 5): »… w(/sper h( ei)j th\n a)krota/thn
e(auth=j ou)si/an a)nadromh\ th=j yuxh=j kai\ h( e)n tau/tv monh\ e(ni/zei kai\ th\n e)ne/rgeian tv=
ou)si/# dia\ th\n ei)/sw o(/lhn stroph/n:« / »Quemadmodum recursus animæ ad supremam suimet sub-
stantiam, & permanentia in illa unit & copulat cum substantia actionem, idque ob totam conversio-
nem ad interiora factam.« Auch Carlos G. Steel bemerkt zu dieser Stelle: »However, when the human
soul abandons each ‘projection’ outside of itself and returns entirely into itself, then its estranged ac-
tivity is identified again with the substance from which it had proceeded. Thinking then becomes
identical with being as the proper immanent perfection of the intellectual essence.« (Changing Self,
145)
235
Vgl. Simplicius, 246,35-247,2 [64vb-65ra] (zu De An. III 5, 430a23): »kai\ a(/ma noou=n te kai\
nohto\n e)pidei/caj [sc. Aristoteles] kai\ a(plou=n, w(j ou) kata\ me/roj noou=n kai\ noou/menon a)ll )
o(/lon a)/mfw, o(/ti kai\ a)qa/naton kai\ a)i/dion a)pefh/nato. to\ ga\r xwristo\n kai\ a(plou=n kai\
e(autou= o)\n kai\ e(auto\ zwou=n kai\ teleiou=n, w(j kai\ e)n tv= e)/cw r(opv= deute/raj u(perblu/zein
zwa/j te kai\ ou)si/aj, ou) mo/non a)/dekton qana/tou te kai\ fqora=j, a)lla\ kai\ prohgoume/nwj
dei/knutai zwh=j te kai\ ou)si/aj oi)stiko\n kai\ dia\ tou=to kai\ a)qa/naton.« / »Cumque simul &
intelligens & intelligibile demonstravit [sc. Aristoteles] esse quoque simplex, tanquam non per partes
intelligens & intellectus, sed secundum totum utraque, quod etiam immortale & perpetuum sit enun-
tiavit. Quod enim separabile est & simplex & suiipsius est, seiipsumque perficit & vivificat ita, ut in
declinatione ad exteriora secundas effundat vitas & substantias, non solum recipere mortem & cor-
ruptionem demonstratur, sed etiam principaliter vitam & substantiam præstare demonstrat, & ideo
quoque immortale.«

91
De Anima

ist er also Platoniker geblieben.«236 Für die in den 30/40iger Jahren erfolgende Aristo-
teles-Rezeption bedeutete dies, »daß gerade dieser Aristoteles platonisch – und das
hieß wie im Mittelalter neuplatonisch – gedeutet werden mußte.«237 Das entsprechende
Rüstzeug für ein solches Verständnis eignete sich Melanchthon durch eine direkte Lek-
türe der Neuplatoniker Porphyrius, Jamblich und Priscian an, wie Brandis anhand eini-
ger Exemplare der Wittenberger Bibliothek für den oben genannten Zeitraum nachge-
wiesen hat.238 Er ging dabei wie Simplicius und die übrigen Neuplatoniker von der
selbstverständlichen These einer grundsätzlichen Übereinstimmung zwischen Platon
und Aristoteles aus. Deutlich wird dies aus der von ihm 1538 in Wittenberg gehaltenen
Oratio de Platone, in der er auf den byzantinischen Humanisten Theodor Gaza (1400-
1476) Bezug nimmt, um den zwischen Kardinal Bessarion (1403-1472) und Trabezun-
tios (1395-1484) schwelenden Streit über den Vorrang der platonischen oder aristoteli-
schen Philosophie salomonisch wie folgt zu schlichten: Jedem von beiden sei sein Ort
zuzuweisen. Um Platon richtig zu verstehen, müsse man mit der Aristoteleslektüre be-
ginnen. Nachfolgend heißt es dann:
»Ich glaube, daß dies für Aristoteles der Grund war, warum er nach der bis dahin so wenig aus-
gebildeten Methode trachtete, so daß er das, was er von Platon hörte und annahm, sammelte,
und nachdem er es in eine gewisse Ordnung gebracht hatte, lehrte er es den Späteren unverän-
dert. Und wenn er auch einiges verbessern wollte, so liegt im Ganzen dennoch keine große Ver-
schiedenheit in den Sachen vor.«239

236
Wilhelm Maurer, Der junge Melanchthon zwischen Humanismus und Reformation. Bd. 1: Der
Humanist. Göttingen 1967. Bd. 2: Der Theologe. Göttingen 1969. Studienausgabe Göttingen 1996,
hier: Bd. 1, 88. Gewiß falsch ist Scheibles Ansicht, wonach »Reuchlins Philosophie ihm [sc. Me-
lanchthon] aber fremd (blieb), ebenso der Pythagoreismus und der Platonismus.« (Art. Melanchthon,
Philipp, in: RGG4 5 (2002), 1003)
237
Wilhelm Maurer, Melanchthon, 92.
238
Vgl. Carl G. Brandis, Luther und Melanchthon als Benützer der Wittenberger Bibliothek, in:
ThSt Kr 90 (1917), 206-221, hier: 214. Brandis verweist auf einen Sammelband von 1497, der u. a.
Schriften von Jamblich (De mysteriis Ægyptiorum, Chaldæorum et Assyriorum), Proklos (In Platoni-
cum alcibidadem de anima, atque dæmone) und Priscian (Expositio in Theophrastum de sensu phan-
tasia & intellectu) enthalte, die mit Melanchthons handschriftlichen Anmerkungen versehen seien,
Werke also, in denen sich ein neuplatonisches Verständnis von der Seele findet. Es bedürfte weiterer
Nachforschungen in den nun in Jena befindlichen Werken, ob sich dort auch Hinweise auf eine Simp-
licius-Lektüre finden. Vielleicht besaß Melanchthon ja den von Jacob Schegk (1511-1587) 1544 in
Tübingen edierten griechischen Text von Aristoteles’ De Anima, dem eine Teilausgabe von Simplici-
us’ Kommentar beigebunden war. Dies wäre ein zusätzliches Indiz für die stärkere neuplatonische
Ausrichtung des Liber de Anima.
239
CR 11, 413-425, hier: 423: »Et hanc fuisse Aristoteli causam arbitror, cur methodum adeo exi-
liter consectaretur, ut ea quae a Platone acceperat, collecta, et quadam oeconomia atque ordine distri-
buta, posteris integre traderet. Etsi quaedam limare etaim ac corrigere voluit, rerum tamen in summa
non magna est dissimilitudo.« In einer nachfolgenden Äußerung betont Melanchthon, daß Aristoteles
inhaltlich vieles aus Platon entnommen habe: »Multa ornamenta et Aristoteles ex Platone decerpsit,
quae adhibita methodo explicat. Nam divisiones iustitiae, quae sunt admodum utiles, sumpsit a Plato-
ne, easque magis inclusit dialecticis metis. Platonis etiam inventum est, discrimen specierum iustitiae,
iuxta proportiones, Arithmectiam et Geometricam. Verum in Aristotele dialectia integra est. Et Physi-

92
Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon

Diese Einschätzung prägte nun auch seine De Anima-Interpretation des Aristoteles, wie
die nachfolgende Darstellung zeigen wird.
Melanchthon begann seinen Commentarius de anima mit der begrifflich korrekten
Wiedergabe der aristotelischen Seelendefinition: »Die Seele ist die erste Vollendung
eines natürlich-organischen Körpers, der in Möglichkeit Leben hat.«240 Diese Defini-
tion sei aber so dunkel, daß sie eher die eines bloßen Namens als eines Dings zu sein
scheine, denn welcher Schwindel erfasse einen, wenn er das Wort e)ntele/xeia höre.
Obgleich nämlich die gelehrtesten Männer seit Jahrhunderten die Bedeutung dieses
Wortes zu ermitteln versucht hätten, sei bisher überhaupt nicht klar, was Aristoteles
damit habe sagen wollen. Daß aber Melanchthon nicht ernsthaft am Verständnis des
Begriffs zweifelt, verdeutlicht die nachfolgende Paraphrase der Definition: »Die Seele
ist eine Endelechia, d. h. eine fortwährende Bewegung, oder das Leben selbst eines
natürlichen Körpers …«241 Zur Begründung dieser Interpretation verweist Melanchthon
zunächst auf den Hylemorphismus, mit dessen Hilfe Aristoteles das gesamte belebte
und unbelebte Naturgeschehen erklärt habe: Wie ein Stein aus Materie und Form be-
stehe, wobei die Form ihn in seiner spezifischen Gestalt kenntlich mache – rem esse
talem –, so sei auch ein Tier aus Materie und Form zusammengesetzt. Mögen Löwe
und Rind auch hinsichtlich der Materie ähnlich sein, so unterschieden sie sich doch in
ihrer je spezifischen Gestalt (exædificatio). Um hierbei genauer zwischen den belebten
und unbelebten Dingen zu differenzieren, habe Aristoteles diese forma substantialis
bei den Lebewesen e)ndele/xeia genannt:
»Aristoteles nennt diese Gestalt bei allen Dingen im allgemeinen Form, aber bei den Lebewe-
sen nennt er diese wesentliche Form auf besondere Weise e)ndele/xeia, weil jenes, wodurch ein
Lebewesen ein solches ist, eine gewisse fortwährende Bewegung oder Leben ist.«242

Die forma animalis ist also für Melanchthon mehr als die bloße Gestalt oder Struktur;
sie ist eine fortwährende Bewegung, durch die ein Lebewesen erst als ein je spezifi-
_________________________________________________________________________________________________________

ca sunt eruditius inchoata ab ipsis laribus, ut ita dicam, hoc est a primis initiis et perducta ad descrip-
tionem naturae animalium. Ethica etiam simplicius traduntur. Amemus igitur utrunque …« Wie bei
Simplicius, so erscheint auch hier Aristoteles als bloßer Vollender der Philosophie Platons, weshalb
beide geschätzt werden müßten.
240
Melanchthon, 7r: »Anima est actus primus corporis physici, organici, potentia vitam habentis.«
241
A. a. O., 8r: »Anima est Endelechia, id est agitacio, seu vita ipsa corporis physici …« Zur Ver-
deutlichung seiner Ansicht übersetzt Melanchthon im Liber de anima die aristotelische Seelendefini-
tion wie folgt: »Anima est Endelechia prima corporis physici organici, potentia vitam habentis.« (CR
13, 12). Für ihn ist es dabei merkwürdigerweise unerheblich, ob der Begriff e)ndele/xeia mit agitatio
oder mit actus übersetzt wird; entscheidend sei die Übereinstimmung mit Aristoteles in der Sache:
»Haec Aristotelica si quis perspicit, etiam hic intelliget, quo consilio Animam dicat esse Endelechi-
am, id est, agitationem, seu actum, ut veteres verterunt.« (ebd.)
242
Melanchthon, 9v: »Hanc [sc. exædificationem] generaliter in omnibus rebus Aristoteles nomi-
nat formam, sed in viventibus peculiariter nominat formam substantialem e)ndele/xeian, quia illud,
quo vivens est tale, est quædam agitatio continua, seu vita.« Bereits hier wird deutlich, daß Melanch-
thon auf ähnliche Weise wie Simplicius danach trachtet, die Seele als unvollkommene und daher in
Bewegung befindliche Substanz aufzuzeigen.

93
De Anima

sches ist. Zu Recht habe daher Cicero, der gegen ungerechtfertigte Angriffe zu vertei-
digen sei243, das Wort e)ndele/xeia von e)ndele/xej hergeleitet, was soviel wie ‘fortlau-
fend, ununterbrochen’ bedeute, und dies sei ein im Griechischen durchaus gebräuchli-
ches Wort.244 Falsch sei dagegen die Übersetzung der e)ntele/xeia als eine perfectio in-
terior, denn Aristoteles habe nicht die anima rationalis definieren wollen, sondern die
Seele, wie sie allen Lebewesen zukomme.245
Auch der Sache nach, so Melanchthon, deckt sich diese Herleitung mit Aristoteles’
Intention, die Seele als eine Bewegung zu bezeichnen, und zwar als eine unvollendete
und damit – im schlechten Sinne – fortwährende, welche die forma erst noch erwerben
müsse: »Weil Aristoteles eine Bewegung bezeichnen wollte, nicht ein vollkommenes
Sein, sondern eine Bewegung und ein Erwerben der Form, suchte er ein geeignetes
Wort, das eine Bewegung bezeichnet, welche die Form [erst noch] erwerben muß.«246
Und genau auf diese Weise habe Aristoteles die Bewegung auch in Phy. III 1-3 be-
stimmt, und deshalb habe Themistius die Endelechia richtig als eine Bewegung hin zur
Form interpretiert.247 Um klären zu können, ob diese Interpretation der Entelechie als
243
Vgl. Melanchthon, 11r-v: »Ego vero eos, qui flagellant Ciceronem, ac putant Aristotelis senten-
tiam non satis assecutum esse, falli ipsos pocius iudico, ac procul ab Aristotelis sententia deerrare.«
Man geht wohl nicht fehl in der Annahme, daß Melanchthon hier auch Amerbach im Blick hat.
244
Vgl. a. a. O., 11v-12r: »Usitatissime græcis e)ndele/xej est continuum, et e)ndele/xeia continui-
tas.«
245
Vgl. a. a. O., 11v: »Ideo enim malunt [sc. diejenigen, die Cicero bekämpfen] verti interiorem
perfectionem, quia cogitant hic rationalem animam definiri, quæ intus in corpore locum aliquem te-
neat, velut gubernator in navi sedet certo loco, videlicet ad gubernaculum. Ideo imaginantur Entele-
chiam significare naturam intus perficientem & ornantem corpus.« Im Liber de anima nennt Me-
lanchthon Argyropulos als Vertreter dieser Ansicht: »Argyropylus Ciceronem reprehendit, et malue-
runt alii quidam verti Endelechiam, perfectionem interiorem, quasi to\ e)nto\j teleiou=n. Hanc imagi-
nationem adparet eos non sumpsisse ex Aristotele, sed ad eum attulisse, cum tantum de anima homi-
nis dici arbitrarentur, et hanc videlicet naturam separabilem habitare cogitarent in parte corporis certa,
sicut in navi gubernator sedet ad gubernaculum. Haec aliunde ad Aristotelem allata sunt, non sunt ex
ipso sumpta. Cicero rectius vidit consilium Aristotelis.« (CR 13, 14)
246
Melanchthon, 12r-v: »Is [Aristoteles] cum vellet significare motum, non esse absolutum quid-
dam, sed agitationem & acquisitionem formæ, quæsivit idoneum vocabulum, quod agitatio ad for-
mam acquirendam significaretur.«
247
A. a. O., 12v: »Nec aliud est Entelechia in tertio physicorum, nisi continua agitacio, sicut The-
mistius recte interpretatur inquiens, esse itionem ad formam.« Zumindest in den Themistii libri para-
phraseos in libros de anima findet sich im Zusammenhang mit De an. II 1 keine Bestätigung dieser
These, denn dort erklärt Themistius die Entelechie gut aristotelisch als einen habitus perfectionis:
»Hanc igitur formam & speciem siquis enthelechiam [sic!]: idest verbum ex verbo perfectihabiam
appellet: haud iure [sic!] repræhendetur: ceu novo usus & horrenti vocabulo. Nam si supradicat nobis
vera sunt: & perfectio rei e sua cuique forma ducitur: & a forma res habet: diviter & bene habere &
perfecte possit. Nihil utique aliud id nominis significaverit quod eum quem exprimere volumus habi-
tum perfectionis [h( e)ntele/xeia h)\ th\n e(/cin th=j teleio/thtoj].« (Themistii libri paraphraseos. Inter-
prete Hermolao Barbaro. Venedig 1499. Ed. Charles Lohr. Unveränderter Nachdruck Frankfurt am
Main 1978, 77v) Zum griechischen Text vgl. CAG 5,3 (Ed. Richard Heinze). Berlin 1899, 39. – Viel-
leicht hat Melanchthon seinen Studien den von Moerbeke übersetzten Text des Themistius zugrunde
gelegt, der die Entelecheia fortwährend mit endelichia übersetzte (vgl. Commentaire sur le traité de

94
Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon

unvollendete Bewegung im Zusammenhang der Seelendefinition haltbar ist, muß Phy.


III 1-3 in den Blick genommen werden.
Thema ist dort die ki/nhsij, die sich als Ortsbewegung, Veränderung, Entstehen und
Vergehen zeigt (vgl. Phy. III 1, 201a11-15). Um das ihnen Gemeinsame zu be-
zeichnen, nennt Aristoteles die ki/nhsij einen Prozeß, der ein der Möglichkeit nach
Seiendes in die Wirklichkeit (e)ne/rgeia bzw. e)ntele/xeia) bringt: »Das Zur-
Wirklichkeit-Kommen des Möglichen, insofern es möglich ist, das ist ganz offenkun-
dig: Veränderung.«248 Die ki/nhsij findet also genau dann statt, wenn die Verwirkli-
chung (e)ntele/xeia) sich vollzieht. Ein Beispiel: Ein Architekt entwirft ein Haus, das
damit zunächst der Möglichkeit nach ist. Der Vorgang des Bauens selbst ist die
e)ne/rgeia, das Im-Werk-Sein, bzw. die e)ntele/xeia, und genau diesen Vorgang des
Bauens nennt Aristoteles auch ki/nhsij. Hierbei ist aber zu beachten, daß diese Glei-
chung ki/nhsij = e)ne/rgeia = e)ntele/xeia nur bedingt richtig ist. Denn die Kinesis ist
zwar eine Art Energeia, aber eine unvollendete249 oder, wie es in Phy. VIII 5, 257b8f.
heißt: »… es ist Veränderung ‘die noch nicht zu Ende gekommene Ziel-Tätigkeit eines
Veränderbaren’.«250 Die Kinesis als eine e)ntele/xeia a)telh/j251 ist dergestalt für Aristo-
teles nur ein defizienter Modus der e)ntele/xeia in ihrer eigentlichen Bedeutung. Denn
die Entelecheia des Hauses ist nicht sein Im-Bau-Sein, sondern seine Fertigstellung, in
der es seine Funktion erfüllt: Schutz vor der Witterung zu bieten. Dies wird aus Met.
IX deutlich, wo Aristoteles die vielfache Bedeutung der Begriffe du/namij, e)ne/rgeia
bzw. e)ntele/xeia erläutert. Da sich auch Melanchthon im Liber de anima auf diese
_________________________________________________________________________________________________________

l‘âme d‘Aristote. Traduction de Guillaume de Moerbeke. Édition critique et étude sur l‘utilisation du
Commentaire dans l‘œvre de saint Thomas, par G. Verbeke, in: Corpus Latinum Commentariorum in
Aristotelem Graecorum. Tome I. Leiden 1973, 92f.). Gleichwohl ergibt sich natürlich aus dem Zu-
sammenhang die von Themistius intendierte Bedeutung des Begriffs.
248
Aristoteles, Physik. Bücher I-IV. Übersetzt, mit einer Einleitung und mit Anmerkungen heraus-
gegeben von Hans Günter Zekl. Hamburg 1987, hier: Phy. III 1, 201b4f.: »… h( tou= dunatou=, v(= du-
nato/n, e)ntele/xeia fanero\n o(/ti ki/nhsi/j e)stin.«
249
Vgl. Aristoteles, Phy. III 2, 201b27-33: »Dafür, daß Veränderung unbestimmbar zu sein
scheint, liegt die Ursache darin, daß man sie im Bereich des Seienden weder auf der Seite der Mög-
lichkeit noch unter die wirkende Tätigkeit einordnen kann: weder, was ein ‘irgendwieviel’ sein kann,
verändert sich mit Notwendigkeit, noch das, was schon wirklich ein ‘so-und-so-viel’ ist, und Verän-
derung scheint zwar eine Art Wirksamkeit zu sein, aber eine noch nicht zu Ende gebrachte. Ursache
davon ist: Noch unvollkommen ist das Mögliche, dessen Verwirklichung sie ist.« / »… h(/ te ki/nhsij
e)ne/rgeia me\n ei)=nai tij dokei=, a)telh\j de/: ai)/tion d¡ o(/ti a)tele\j to\ dunato/n, ou(= e)stin
e)ne/rgeia.« In gewisser Weise ist also die Kinesis weder Dynamis noch Energeia, denn sie ist mehr
als die bloße Möglichkeit, aber in ihrem Im-Werk-Sein eben noch unvollendet.
250
Aristoteles, Phy. VIII 5, 257b8f.: »… e)/stin d¡ h( ki/nhsij e)ntele/xeia kinhtou= a)telh/j.«
Auch in De An. III 7, 431a6f. betont Aristoteles diesen Sachverhalt: »h( ga\r ki/nhsij tou= a)telou=j
e)ne/rgeia, h( d )a(plw=j e)ne/rgeia e(te/ra, h( tou= tetelesme/non.« Damit dürfte er sich auf die genann-
ten Stellen der Physik-Vorlesung beziehen.
251
Wie gesehen, war genau dies die von Simplicius ermittelte Bedeutung der Entelechie als eine
nicht schlechthinnige vollkommene Vollkommenheit (mh\ pantelw=j telei/an e)ntele/xeian, vgl.
oben 2.3.1., Anm. 198).

95
De Anima

Stelle berief, um seine Gleichsetzung motus = actio = continua agitatio (ki/nhsij =


e)ne/rgeia = e)ndele/xeia a)telh/j) zu rechtfertigen252, ist ein weiterer Exkurs nötig, um
die Richtigkeit seiner Argumentation beurteilen zu können.
Aristoteles betont dort gleich zu Beginn, daß die Bedeutung der e)ne/rgeia bzw.
e)ntele/xeia mehr umfaßt als nur die ki/nhsij (vgl. Met. IX 1, 1046a1f.). Denn obgleich
sie am meisten Bewegung zu sein scheint253, zeigt sich bei genauerer Betrachtung doch
eine gewisse Differenz zwischen beiden. Wie nämlich die ki/nhsij, und zwar jede, we-
sentlich unvollendet ist (vgl. Met. IX 6 1048b29: ki/nhsij a)telh/j), weil in ihr Werk
(e)/rgon) und Ziel (te/loj) nicht zugleich sind, so ist die e)ne/rgeia ein Im-Werk-Sein, wo
der Vollzug des Werkes zugleich das Ziel, wo die Tätigkeit zugleich die Vollendung
(e)ntele/xeia) ist. Aristoteles formuliert dies wie folgt: »Denn Ziel ist das Werk, das
Werk aber ist die Verwirklichung. Daher ist auch der Ausdruck ‘Verwirklichung’ von
‘Werk’ gebildet und zielt auf die Vollendung.«254. Sofern also das Werk im Im-Werk-
252
Vgl. CR 13, 14: »Et in nono meta\ ta\ fusika\ rursus dicit [Aristoteles], idem esse e)ne/rgeian
et e)ndele/xeian.« Dieser Versuch Melanchthons, im Liber de anima weitere Stellen aus dem corpus
Aristotelicum für seine These anzuführen, dürfte eine Reaktion auf Amerbachs Quatuor libri de ani-
ma sein.
253
Vgl. Aristoteles, Met. IX 3, 1047a30-32: »e)lh/luqe d¡ h( e)ne/rgeia tou)/noma, h( pro\j th\n
e)ntele/xeian suntiqeme/nh, kai\ e)pi\ ta\ a)/lla e)k tw=n kinh/sewn ma/lista. dokei= ga\r h(
e)ne/rgeia ma/lista h( ki/nhsij ei)=nai …« / »Der Ausdruck ‘Verwirklichung’ aber, der mit der
‘Vollendung’ in Beziehung steht, ist von den Bewegungen vornehmlich auch auf anderes übergegan-
gen. Es scheint nämlich Verwirklichung vornehmlich Bewegung zu sein.« (Aristoteles, Metaphysik.
Übersetzt und herausgegeben von Franz F. Schwarz. Stuttgart 21984, 225) Melanchthon fokussiert
allzusehr auf diese Bedeutung: »Ciceronis interpretationi suffragatur & Plutarchi interpretatio, qui
e)ntele/xeian ait usurpari pro e)nergei/a, recte iudicat. Nam & in tertio physicorum, Aristoteles pro-
miscue usurpat hæc duo, & in libris de generatione Animalium, discernens suo more potentiam &
actum, promiscue utitur pro actu utraque voce endelechiæ & energiæ. Non autem est obscura signifi-
catio e)ne/rgeiaj, quæ signifcat, non ociosam formam, sed efficatiam, & Aristoteles ipse inquit, mo-
tum esse e)ne/rgeian.« (Melanchthon, 13v-14r)
254
Aristoteles, Met. IX 8, 1050a21-23 (Übersetzung Schwarz in: Aristoteles, Metaphysik, 235):
»to\ ga\r e)/rgon te/loj, h( de\ e)ne/rgeia to\ e)/rgon, dio\ kai\ tou)/noma e)ne/rgeia le/getai kata\ to\
e)/rgon kai\ suntei/nei pro\j th\n e)ntele/xeian.« Michael-Thomas Liske erklärt diesen Zusammen-
hang wie folgt: »Auch in Met. Q 8, 1050 21ff. bringt Aristoteles den funktionalen Aspekt, repräsen-
tiert durch ‘érgon’ und ‘enérgeia’, zusammen mit dem teleologischen, repräsentiert durch ‘télos’ und
‘entelécheia’. ‘Érgon’ ist das der Sache eigentümliche Werk, ihre Funktion. ‘Enérgeia’ bedeutet
wörtlich: am Werk sein; es bezeichnet ein Tätigsein; dabei ist aber stets mitgedacht, daß in diesem
aktuellen Tätigsein das entsprechende Vermögen (du/namij) oder die Disposition, die diese Tätigkeit
ermöglicht, aktualisiert ist. So kann Aristoteles ‘érgon’ und ‘enérgeia’ identifizieren. Denn es ist das
eigentümliche Werk (e)/rgon), d. h. die Aufgabe der betreffenden Disposition, aktuell in dieser Weise
tätig zu sein; etwa ist es das Werk des Vermögens zur Betrachtung (qewrhtikh/), tatsächlich Theorie
zu betreiben (qewrei=n, 1050a12). Weiterhin kann Aristoteles ‘enérgeia’ und ‘entelécheia’ als aus-
tauschbar betrachten. ‘Entelécheia’ meint, daß man etwas seinem Ziel oder seiner Zweckbestim-
mung, seinem télos also, zuführt. Weil nun aber laut [1050a] 9ff. der Zweck einer Disposition wie des
Sehvermögens darin besteht, aktuell im Sinne dieses Vermögens tätig zu sein (e)ne/rgeia), ist die
Verwirklichung des Vermögens (e)ne/rgeia) nichts anderes, als daß man es seiner Bestimmung zu-
führt (e)ntele/xeia).« (Aristoteles und der aristotelische Essentialismus. Individuum, Art, Gattung.
München 1985, 253)

96
Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon

Sein sein Ziel in sich enthält, ist es zugleich in seiner Vollendung. So sind das Abma-
gern, Bauen, Lernen und Gehen unvollendete Bewegungen. Denn einer kann nicht ab-
magern und zugleich abgemagert sein, bauen und zugleich gebaut haben etc., sondern
es handelt sich um verschiedene Dispositionen. Denn das Bauen ist als Werk nicht zu-
gleich das Ziel, sondern es geschieht peri\ to\ te/loj (Met. IX 6, 1048b19), in Hinsicht
auf ein der ki/nhsij selbst äußeres Ziel: die Fertigstellung des Hauses zum Schutz vor
der Witterung. Anders verhält sich dieser Sachverhalt dagegen beim Sehen, da es als
Werk zugleich in sich sein Ziel enthält. Ist es nämlich im Werk (Vollzug des Sehens),
dann ist es das, was es in sich enthält: Das Sehen. Sein e)/rgon ist sein te/loj, seine
e)ne/rgeia seine e)ntele/xeia, gewissermaßen das Letzte, worüber hinaus es nichts gibt
(vgl. 1048b18-35). Und sofern das Auge wegen Blindheit nicht sehen kann, ist es ein
Auge auf bloß homonyme Weise (vgl. De An. II 1, 412b18-22). Genau auf diese Weise
sind auch Werk/Funktion und Ziel im Denken vereint, ein Vorgang, der nichts anderes
bezeichnet als den Denkakt, die vollendete Tätigkeit (e)ne/rgeia telh/j), oder, mit ande-
ren Worten, die zweite Vollendung (e)ntele/xeia deu/tera).255
Eng verknüpft mit dieser zweiten Bedeutung der e)ne/rgeia ist ihre dritte als ei)=doj,
die einer Sache, welche zunächst nur der Möglichkeit nach ist, das Sein und damit das
ihr spezifische Aussehen, die sichtbare Gestalt gibt. Dies ist gleichsam die ontologi-
sche Dimension der Energeia. Denn während sie als Im-Werk-Sein eine Tätigkeit an
einem Vorhandenen ist, wie das Sehen des Auges, ist sie als ei)=doj das nichtmaterielle
Seins- und Gestaltungsprinzip, dasjenige, was das Auge überhaupt zu einem Auge
macht. Wie ist dieser Vorgang näherhin zu verstehen? Die Materie als solche (prw/th
u(/lh, prima materia) ist schlechthin unbestimmt (vgl. Met. VII 11, 1037a27; IX 7,
1049b2) und bezeichnet die nur denkbare Möglichkeit, daß sie der Stoff zu jedem be-
liebigen Gegenstand hätte sein können. Realiter kommt die Materie aber immer nur als
bereits so und so geformte vor. Und auch die Form ist immer die Form an etwas; sie ist
»keine subsistierende Entität«256 und keine Welt hinter den Dingen, sondern ist deren je
sichtbare Gestalt. Sie prägt den Dingen gleichsam ihr Sein auf und ein. Und diese Ge-
staltwerdung der Materie zur Form hat Aristoteles als den Übergang von der du/namij
zur e)ne/rgeia erklärt: Die u(/lh ist der Möglichkeit nach, weil sie zur Form (ei)=doj) ge-
langen kann. Sobald sie aber in Wirklichkeit ist, ist sie in der Form und damit in ihrem
Wesen.257 So ist die Materie des Auges der Möglichkeit nach dieses konkrete Auge,
weil sie so strukturiert ist, daß sie es actualiter werden kann. Sobald das ei)=doj sie aber
geformt hat, ist sie in Wirklichkeit, ist sie dieses konkrete Auge. Sofern also u(/lh und
du/namij sowie ei)=doj und e)ne/rgeia einander entsprechen – denn die Materie ist der

255
Dies ist ja der Grund, weshalb Aristoteles wiederholt betont, daß sich die Energeia auf die En-
telecheia hin ausspannt (vgl. z. B. 1047a30f., 1050a23). Sofern eben die Energeia Werk und Ziel in
sich enthält, ist sie vollendet, und dergestalt ist sie die Entelecheia der Tätigkeit.
256
Michael-Thomas Liske, Aristoteles, 215.
257
Vgl. Aristoteles, Met. IX 8, 1050a15f.: »… e)/ti h( u(/lh e)/sti duna/mei o(/ti e)/lqoi a)\n ei)j to\
ei)=doj. o(/tan de/ ge e)nergei/a? h)=?, to/te e)n tw=? ei)/dei e)sti/n.«

97
De Anima

Möglichkeit nach das, was die Form in Wirklichkeit ist –, kann Aristoteles folgern: »Es
ist also offenbar, daß das Wesen und die Form Verwirklichung ist.«258 Energeia be-
zeichnet also in diesem Zusammenhang das Sein einer so und so geformten Sache (vgl.
Met. IX 6, 1048a30-32).
Welche von diesen drei Bedeutungen der e)ne/rgeia bzw. e)ntele/xeia als Bewegung,
Im-Werk-Sein oder Form der Seelendefinition in De an. II 1 zugrunde liegt, ist nun
offensichtlich: Die e)ne/rgeia muß als ei)=doj verstanden werden und nicht etwa als
ki/nhsij, von der in diesem Zusammenhang überhaupt nicht die Rede ist. Denn Aristo-
teles beginnt die Erörterung über die Seele mit der Frage nach ihrer ou)si/a, und da die-
se nach Met. VII als u(/lh und ei)=doj bestimmt wird, stellt sich sogleich die Frage, ob die
Seele ou)si/a als Materie oder Form ist. Sofern nun aber der Körper u(/lh ist, dürfte die
Seele Substanz sein als die Form eines natürlichen Körpers: »Notwendig ist also die
Seele Wesenheit im Sinne der Form des natürlichen Körpers, der seiner Möglichkeit
nach Leben hat. Die Wesenheit ist aber Erfüllung.«259 Aristoteles versteht die ou)si/a in
diesem Zusammenhang also als e)ntele/xeia h( prw/th, da die Seele in ihrem Im-Werk-
Sein, in Ausübung ihrer Funktionen (Ernährung, Wachstum, Wahrnehmung, Denken
etc. als e)/rgon), die das Überleben sichern und gewährleisten, in gewisser Weise die
Vollendung des Lebewesens ist (e)n-te/loj-e)/xein): Es erfüllt und vollendet sich in sei-
nem Leben. Damit ist die Seele Lebensprinzip (vgl. De An. II 2, 414a12f.), nicht das
Leben selbst, wie Melanchthon behauptet hat. Sie ist das Wesen in der Vollendung, die
sich dadurch auszeichnet, daß das Lebewesen lebt. Insofern ergibt sich folgerichtig die
Reihe yuxh/=ou)si/a=ei)=doj=e)ntele/xeia prw/th.
Damit erweist sich im Zusammenhang mit der Seelendefinition die platonisierende
Deutung der e)ntele/xeia als e)ndele/xeia, die, wie gesehen, ihren Ursprung bei Simpli-
cius haben dürfte, von Cicero unter der Begrifflichkeit continua agitatio fortgeführt
und von Melanchthon aktualisiert worden ist, als falsch. Gewiß definierte Aristoteles
die ki/nhsij in Phy. III 2 als e)ne/rgeia bzw. e)ntele/xeia a)telh/j; dies ist aber gerade
nicht die Bedeutung, die der Seelendefinition zugrunde liegt. Denn da das Wort
e)ne/rgeia auf vielfache Weise ausgesagt wird (analog zum Wort du/namij, vgl. Met. V
12, 1019a15ff.; IX 1, 1046a1-5), muß dessen Bedeutung dem jeweiligen Kontext ent-
nommen werden. Sofern also Melanchthon die Energeia bzw. Endelecheia in der See-
lendefinition ausschließlich als Kinesis versteht, unterliegt er der ‘Mutter aller Irrtü-
mer’, der Äquivokation. Denn eine genaue Lektüre von De An. II 1 im Zusammenhang
mit Met. IX hätte ihm zeigen müssen, daß die Energeia dort gerade keine ki/nhsij
a)telh/j bezeichnet, sondern eine Vollendung (e)ntele/xeia), die e)/rgon & te/loj zugleich
in sich enthält. Dem entspricht es, wenn Aristoteles es in De An. I 3 und 4 ablehnt, die
Seele als Bewegung zu verstehen (vgl. De An. I 4, 408b30f.), sie stattdessen a)rxh\
258
A. a. O., 1050b2: »… w(/ste fanero\n o(/ti h( ou)si/a kai\ to\ ei)=doj e)ne/rgeia e)stin.«
259
Aristoteles, De An. II 1, 412a19-21 (Übersetzung Theiler in: Aristoteles, Über die Seele, 24):
»a)nagkai=on a)/ra th\n yuxh\n ou)si/an ei)=nai w(j ei)=doj sw/matoj fusikou= duna/mei zwh\n
e)/xontoj. h( d¡ ou)si/a e)ntele/xeia.« Melanchthon ließ diesen Abschnitt, der doch immerhin die See-
lendefinition vorbereitet, vollkommen unberücksichtigt.

98
Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon

kinh/sewj (vgl. II 2, 413b12) nennt, dasjenige, wovon die Bewegung ihren Ausgang
nimmt. Genau in diesem Sinne hat auch Amerbach in seinen Quatuor libri de anima
den Begriff der e)ntele/xeia im Zusammenhang mit der Seelendefinition verstanden,
wie der nachfolgende kurze Exkurs verdeutlicht.

2.3.2.1. Exkurs: Amerbachs Verständnis des Entelechiebegriffs

Amerbach beginnt die Erörterung der Seelendefinition mit der gewichtigen Frage, ob
Cicero mit seiner Deutung der e)ntele/xeia als e)ndele/xeia den Aristoteles mißverstan-
den habe.260 Um diese Frage zu beantworten, versucht er die originäre Ansicht des Ari-
stoteles über die Seele zu ermitteln, dessen Definition er unter Hinweis auf De An. II 1,
412a19-21 sowie 412a27f. wie folgt paraphrasiert: »Die Seele ist daher Substanz als
Form, oder sie ist die erste Vollendung eines natürlichen, mit Organen versehenen
Körpers, der in Möglichkeit Leben hat.«261 Anders als Melanchthon nimmt Amerbach
damit auf korrekte Weise Ausgang vom Begriff substantia (ou)si/a), die er unter Hin-
weis auf De An. II 1, 412a6-10 genauer als forma (ei)=doj) bzw. als actus primus
(e)ntele/xeia) bestimmt. Dabei läßt er keinen Zweifel daran, daß das Wort e)ntele/xeia
eine perfectio bezeichnet und von Themistius (sic!) richtig von te/loj & e)/xein hergelei-
tet worden ist.
»Das Wort e)ntele/xeia bedeutet im Griechischen dasselbe wie im Lateinischen eine ‘Vollen-
dung besitzen’, die Vollendung oder Vollkommenheit selbst. Es stimmt gut mit dem Wort
e)ne/rgeia überein, und gewöhnlich gebraucht Aristoteles sie in seinen Disputationen auf diesel-
be Weise und ohne Unterschied. Deswegen muß man dieses Wort mit einem t und nicht mit ei-
nem d schreiben, so, wie es auch in den griechischen Handschriften geschrieben worden ist, und
es ist eine Tatsache, daß auch Themistius dieses Wort von te/loj, d. h. Ziel, und e)/xw, d. h. ich
habe, her erklärt.«262
Im Wissen um die vielfache Bedeutung des Begriffs e)ne/rgeia fügt Amerbach sogleich
hinzu, daß die Gleichsetzung mit dem Begriff e)ntele/xeia nur dann gerechtfertigt ist,
wenn sie gerade nicht als motio, sondern als perfectio verstanden wird. Perfectio be-
schreibt nämlich einen Zustand, in dem ein Ding sein Ziel in sich enthält. So ist die

260
Vgl. Amerbach, Quatuor libri de anima, 28: »Ut enim alios omittam, nonne Cicero putatus est à
multis magnæ doctrinæ viris etiam definitionem animæ, quod caput est universi negocij, in hoc
authore [sc. Aristoteles] non intellexisse?«
261
A. a. O., 35: »Est itaque Anima Substantia, sicut forma, vel actus primus corporis naturalis, in-
strumentalis, vitam habentis potentia.«
262
A. a. O., 36f.: »Vox e)ntele/xeia significat Græcis idem, quod Latinis habens perfectionem, seu
ipsa perfectio, vel absolutio, vel consumatio, nec male convenit cum voce e)ne/rgeia, et utitur his ferè
pro eodem, ac sine discrimine Aristoteles in his disputationibus. Propterea hæc dictio scribenda est
per t non per d. Sicut recta scripta est in usitatis Græcis codicibus, & est facta, quod Themistius etiam
ostendit à te/loj id est finis, & e)/xw, id est habeo.« Der ausdrückliche Hinweis auf Themistius wendet
sich gegen Melanchthon, der ihm, wie gesehen (vgl. Anm. 247), eine andere Etymologie des Wortes
zugeschrieben hat.

99
De Anima

Seele Vollendung eines Lebewesens, ohne der es ein solches gar nicht wäre, es sei
denn auf bloß homonyme Weise. Denn als forma beseelt sie das Lebewesen, gibt ihm
sein Sein, das sich in seiner Gestalt (ei)=doj) kundtut.
Diesen Prozeß, so Amerbach, nannte Aristoteles genauerhin actus primus, denn ein
Lebewesen sei auch dann beseelt, wenn es nicht aktuell tätig sei im Sinne des actus
secundus.263 Amerbach erklärt diese Differenzierung zwischen den beiden unter Hin-
weis auf De An. II 1, 412a22-27, wo Aristoteles die Entelechie zum einen mit der Wis-
senschaft (w(j e)pisth/mh) und zum andern mit dem aktuellen Vollzug von Wissen (w)j
to\ qewrei=n) vergleicht. Hieraus folgert er, daß die Seele offensichtlich eine e)ntele/xeia
im Sinne der Wissenschaft als ein Habitus ist. Wie dies zu verstehen ist, verdeutlicht er
mit einer zweiten Analogie: Mit dem Dasein der Seele gibt es auch Wachen und Schla-
fen. Dabei ist das Wachen dem Vollziehen von Wissen vergleichbar, der Schlaf der
Wissenschaft als Hexis ohne Vollzug (mh\ e)nergei=n, 412a26). Früher aber der Entste-
hung nach ist die Wissenschaft. Aus diesem Vergleich ergibt sich nun, daß die Seele
eine e)ntele/xeia h( prw/th ist, d. h. ein Zustand (habitus), in dem ein Lebewesen
gleichsam untergründig sein Telos in sich enthält, ohne actualiter tätig sein zu müssen.
Die Seele ist dergestalt, so Amerbach, Quelle und Prinzip aller Tätigkeiten, eben actus
primus.264 Das bedeutet auch, daß die Seele Prinzip der Bewegung ist, nicht die Bewe-
gung selbst, wie bereits Aristoteles gegen Plato betont habe (vgl. De An. I 3) und wie
erneut gegen Cicero betont werden müsse. Vielmehr sei die Seele unbeweglich, wie
aus De An. II 4, 415b9ff. ersichtlich sei. Folglich sei jener Starrsinn, der sich noch heu-
tigentags auf die ciceronianische Schreibweise der e)ndele/xeia berufe, obwohl die Co-
dices allesamt e)ntele/xeia überliefern, zu bekämpfen.265
Es ist klar, daß Amerbach auch hier Melanchthon im Blick hatte, der sich jedoch of-
fensichtlich auch durch die besten Argumente seines ehemaligen Freundes nicht hat
überzeugen lassen. Vielmehr wird aus einem Brief Melanchthons vom 22. Oktober
1542 – also unmittelbar nach Erscheinen der Quatuor libri de anima – an Veit Dietrich
deutlich, wie groß das Zerwürfnis zwischen beiden zwischenzeitlich geworden war:
»Ich bitte Dich, sieh Dir an, was Amerbach über die Seele zusammengeschrieben hat; denn ich
bedauere gewiß nicht, daß er in unklaren Dingen seine Meinungen vertritt. Aber ich möchte ihn
dennoch nicht mit Gift, Schmähworten und Verleumdungen übergießen, auch wenn ich selbst

263
Vgl. Amerbach, Quatuor libri de anima, 38: »Primus autem actus est Anima: quia forma est
animalis velut ociosi, & nihil utentis vita, cum vitæ usurpatio secundus quiddam actus sit.«
264
Vgl. ebd.: »Nam sicut in anima sunt vigilia & somnus duæ quædam affectiones, ita ipsa Anima
est alijs habitus, alijs actio secundum habitum, vere tamen, & proprie, ut vult Aristoteles habitus, vel
quod idem est, actus primus, hoc est fons, aut origo, aut principium, aut causa omnium operationum.«
265
Vgl. a. a. O., 51: »Et primum quidem quæ illa est pertinacia perpetuo pugnare pro dictione
e)ndele/xeia cum e)ntele/xeia in Ciceronis etiam codicibus, & quidem castigatissimis inveniatur
scriptum …«

100
Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon

das mit Geduld ertrage. Selbst bei Gutgesinnten erweckt er Abneigung. Ich werde ihm antwor-
ten, wenn ich mehr Zeit habe.«266

Sofern man nicht den Starrsinn als letzte Erklärung für das Festhalten Melanchthons
am Endelechiebegriff auch noch in seiner Überarbeitung des Liber de anima gelten
lassen will, stellt sich die Frage nach dem Motiv.

2.3.2.2. Melanchthons Motiv für die Umdeutung des Entelechiebegriffs

Frank und Stiening erkennen das Motiv für die Platonisierung des Entelechiebegriffs
zu Recht in Melanchthons Theologie.267 Stiening benennt hierfür die folgenden drei
Gründe:
1. Melanchthon habe das monistische Körper-Seele-Konzept des Aristoteles deshalb
umgehen müssen, weil sein Gott als Geist in der Welt sich nur in einer Seele des Men-
schen offenbaren könne, die nicht vollständig an den Körper gebunden sei.
2. Er habe nur so die Unsterblichkeit der Seele garantieren können. Sofern sie nämlich
nicht forma corporis sei und damit auch nicht mit dem Leib vergehe, unterscheide sie
sich substantiell vom Körper. Damit »entontologisiert Melanchthon nicht etwa den
Seelen-Begriff«, wie Stiening kritisch gegen Frank268 einwendet, sondern »spirituali-
siert« ihn, »indem er ihn als entscheidende Realisation des göttlichen Anderen in der
Welt konstruiert, einer ‘ontologischen Priorität dieser Geistigkeit’ das Wort redet«269,
wie Stiening unter Berufung auf Schmidt-Biggemann270 betont.

266
CR 5, 207: »Inspice quaeso Amerbachii to\ su/gramma peri\ yuxh=j, quem quidem non mole-
ste fero dicere suas sententias de rebus ambiguis. Sed tantum aspergere eum veneni, contumeliarum
et calumniarum nollem, etsi hoc quoque pra/wj fe/ro. Ipse sibi bonorum odia accersit. Et respondebo
cum erit plus otii.« (Übersetzung Günter Frank, Veit Amerbach, 127) Die Antwort, wenn es sie denn
gab, ist nicht überliefert.
267
Vgl. Günter Frank, Veit Amerbach, 127: »Die Platonisierung des Entelechiebegriffs, wie sie
bei Melanchthon zu beobachten ist, gehört in den Mittelpunkt seiner theologischen Anthropologie,
die … ein Geflecht verschiedener philosophischer Theorien unterschiedlicher Traditionen darstellt.«
Ebenso Gideon Stiening, Deus, 768.
268
Vgl. Günter Frank, Veit Amerbach, 123: »Sofern Melanchthon die Entelechie der menschlichen
Seele als immaterielles Lebensprinzip begreift und damit den Hylemorphismus der aristotelischen
Tradition aufgibt, erweist sich der Kern der Debatte um die Schreibweise des Entelechiebegriffs als
Preisgabe der prinzipiellen, und zwar ontologischen Materiebezogenheit der menschlichen Seele.
Eine solche Position rückt Melanchthon in die Nähe der platonisch-franziskanischen Tradition des
Mittelalters, die auf der einen Seite eine Form-Materie-Dualität zu etablieren versuchte und auf der
anderen Seite gerade durch diese Entflechtung des ontologischen Form-Materie-Konzepts jener Kon-
sequenz entging, die aus der aristotelischen Auffassung resultierte: der Sterblichkeit der Seele als
substantieller Form des Leibes.«
269
Gideon Stiening, Deus, 769.
270
Vgl. Wilhelm Schmidt-Biggemann, Philosophia perennis. Historische Umrisse abendländischer
Spiritualität in Antike, Mittelalter und Früher Neuzeit. Frankfurt am Main 1998, 51.

101
De Anima

3. Den entscheidenden Grund für die ‘Theologisierung’ des Entelechiebegriffs erkennt


Stiening aber darin, daß Melanchthon mit ihm die streng teleologische Orientierung im
aristotelischen Seelenbegriff eliminieren wollte. Denn der Mensch »als rein geistiges
Wesen ist in Melanchthons Psychologie keineswegs Selbstzweck, sondern hat als Ab-
bild Gottes die Funktion, die Erkenntnis Gottes als Geist und Schöpfer zu gewährlei-
sten.«271
Bei dieser Argumentation, die auf den ersten Blick einiges für sich hat, muß zu-
nächst beachtet werden, daß Melanchthon zwischen einer Unsterblichkeit der Seele
und einer Wiederauferstehung des ganzen Menschen unterscheidet. Die Unsterblich-
keit der Seele kennzeichnet sie in ihrem Zwischenstadium, während die Wiederaufer-
stehung des ganzen Menschen nach dem Ende aller Tage im Jüngsten Gericht erfolgt
(vgl. 2.3.5.). Von einer Negierung des antidualistischen Konzepts der aristotelischen
Psychologie durch Melanchthon kann also nur in Hinsicht auf die Unsterblichkeit der
Seele die Rede sein, nicht jedoch in Hinsicht auf die Wiederauferstehung des ganzen
Menschen. Denn letzteres wäre widersinnig, verheißt sie doch gerade die vollkommene
Einheit von Körper und Seele. Selbst so bleiben aber Zweifel an Stienings These:
Warum sollte sich Gott nur einer Seele offenbaren können, die nicht vollständig an den
Körper gebunden ist? Und warum ist die Seele als Endelechie weniger an ihn gebun-
den denn als Entelechie? Auch die Einführung des Locus De corpore scheint dem pla-
tonisch-stoischen Dualismus zu widersprechen. Denn das Interesse an der körperlichen
Verfaßtheit des Menschen, wie sie in der Anatomie zum Ausdruck kommt, entspringt,
wie Cunningham für Melanchthon gezeigt hat, auch einem theologischen Interesse:
»That anatomy was totally God-centred.«272 Sofern nämlich, wie es bei Melanchthon
heißt,
»Gott soviel Fertigkeit bei der Gestaltung des menschlichen Körpers aufgewendet hat, wollte er
gewiß, daß sein bewunderungswürdiges Werk so betrachtet wird, daß wir verstehen, daß diese
so kunstfertig gestalteten und angeordneten Werke keinesfalls zufällig ins Sein kommen, son-
dern daß es einen ewigen Geist gibt, der baumeisterlich tätig ist.«273

Eine Geringschätzung des Körpers als Folge eines Leib-Seele-Dualismus mißachtet


also gerade Gottes Werk, das es zu bewundern gilt. Auch Nutton hat auf diesen engen
Zusammenhang von Anatomie und Theologie hingewiesen: »at Wittenberg anatomy
was taught within a broad context that emphasized the theological and moral dimensi-
ons of the subject as much as the merely technical or therapeutic.«274 Melanchthon ha-
271
Gideon Stiening, Deus, 770.
272
Andrew Cunningham, The Anatomical Renaissance. The Resurrection of the Anatomical Pro-
jects of the Ancients. Aldershot 1997, 231. Zur Bedeutung der Anatomie für die Theologie vgl. auch
Jürgen Helm, Zwischen Aristotelismus, Protestantismus und zeitgenössischer Medizin, 175-191.
273
Vgl. Melanchthon, a3v: »Et cum Deus tantum adhibuerit artis in fabricando humano corpore,
voluit profecto, tam mirum opus conspici, ut cogitaremus tam artificiose fabricatas & distributas ma-
chinas nequaquam casu ortas esse, sed esse mentem æternam architectatricem.«
274
Vivian Nutton, Anatomy in Wittenberg, in: Medicine and the Reformation. Ed. by Ole Peter
Grell and Andrew Cunningham. London u. a. 1993, 11-32, hier: 17.

102
Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon

be dabei den ganzheitlichen, Körper und Seele umfassenden Aspekt des Menschen be-
tont, dessen körperliche Gesundheit die seelische beeinflusse.275 Für Kusukawa rührt
schließlich Melanchthons Versuch, die »ganze Natur des Menschen«276 zu beschreiben,
von Luthers Theologie her, die eben den Menschen in seiner Einheit als Person und
nicht in seinem Leib-Seele-Dualismus in den Blick genommen habe: »Following Lu-
ther’s view of ‘the whole man’ as an object of salvation, Melanchthon pursued, as
much as he could, the discussion of the nature of the whole man in his Commentarius
de anima.«277
Vor diesem Hintergrund erscheint es wahrscheinlicher, daß Melanchthon mit der
Umdeutung der Entelechie zur Endelechie die Abhängigkeit des Menschen in seinem
Sein von Gott aufzeigen wollte. Sofern nämlich die Seele itio ad formam und nicht
forma corporis ist, hat sie noch nicht das vollkommene Sein (non absolutum esse), ist
also unvollendet, harrt noch der perfectio.278 Und diese Vollendung – das ist das Ent-
scheidende – wird von Gott realisiert als Schöpfer der menschlichen Seele. Melanch-
thon entsubstantialisiert und entontologisiert damit in der Tat den Begriff der Seele,
wie mit Frank gegen Stiening betont werden muß, denn ki/nhsij und e)ndele/xeia kenn-
zeichnen gerade dieses Noch-nicht. Gleichwohl ist Stienings These von der Spirituali-
sierung und damit einhergehenden Ontologisierung des Begriffs der Seele bei Me-
lanchthon ebenfalls in gewisser Weise richtig, wie die Erörterung seines Locus De spi-
ritibus gleich zeigen wird. Nachdem nämlich die Seele als Endelechie, d. h. als ein
noch unvollkommenes Sein bestimmt und damit entontologisiert worden ist, ist sie so-
zusagen ‘offen’ für eine Ontologisierung durch den spiritus, der seine Abkunft von
Gott hat. Diese These findet ihre Bestätigung an der theologischen Definition der Seele
bei Melanchthon, die nun zu erläutern ist.

275
Vgl. a. a. O., 12: »Melanchthon, and his Lutheran followers, posited a strong interaction bet-
ween body and soul, and hence a knowledge of medicine, the art of the healthy body, was essential if
one was to preserve the health of the soul. Anatomy revealed not only the structures, arrangement,
and purpose of the body, but also the ways in which the activities of the Christian soul were mediated
in thought, imagination, or will.«
276
Vgl. Melanchthon, 1r-v: »Nec vero locupletior, nec eruditior, nec dulcior ulla pars est physices,
quàm hæ disputaciones de Anima. Etsi enim substancia Animæ non satis perspici potest, tamen viam
ad eius agnitionem monstrant actiones. Itaque cum de actionibus dicendum erit, potenticæ seu vires
discernentur, describentur organa, qua in re simul tota corporis, ac præcipue humani, natura explican-
da est. Itaque hæc pars, non solum de anima, sed de tota natura hominis, inscribi debebat.«
277
Sachiko Kusukawa, Transformation, 99.
278
Insofern stimmt Stienings Argument, daß Melanchthon die Teleologie im aristotelischen See-
lenbegriff eliminiert: Der Mensch ist das noch unvollkommene Sein. Dem entspricht es, wenn Me-
lanchthon in der Ethik die actio virtutis als finis hominis durch die Gotteserkenntnis ersetzt: Alles
kommt von Gott, und alles ist auf Gott zu beziehen, so lautete das Resümee. Es gibt kein philosophi-
sches Telos in der Psychologie und Ethik.

103
De Anima

2.3.3. Die theologische Definiton der menschlichen Seele

Daß für Melanchthon mit der philosophischen Definition der Seele als Endelechie das
Wesentliche über die anima humana noch nicht ausgesagt ist, belegt seine Kritik an
der Unvollständigkeit dieser Definition. Bisher, so heißt es, sei nämlich völlig unklar,
was die menschliche Seele sei, worin ihre Wirk- und Finalursache bestehe und ob sie
vom Körper abtrennbar sei:
»Wenn wir nun auch bereits bedacht haben, was die Seele des Rindes und des Löwen ist, so ist
jedoch aus den philosophischen Beschreibungen noch nicht ersichtlich, was die Denkseele des
Menschen oder sein Geist ist, woher er ist, ob er ein Lebens- und Körpergeist ist oder etwas im
Menschen Abtrennbares, das ihn wie sein nächstes Instrument gebraucht.«279

Melanchthon stimmt hier mit Luther überein, der auf ähnliche Weise in seiner Disputa-
tio de homine von 1536 die These vertreten hat, daß die Philosophie weder die causa
efficiens noch die causa finalis und nur eingeschränkt die causa formalis des Men-
schen ermitteln könne.280 Daher bedarf für Melanchthon die philosophische Seelende-
finition der Ergänzung durch eine theologische, die im Commentarius de anima wie
folgt lautet:
»Die Denkseele ist der erkennende Geist, welcher der andere Teil der Substanz des Menschen
ist und nicht zugrunde geht, wenn er sich vom Körper abgetrennt hat, sondern unsterblich ist.
Diese Definition hat keine naturwissenschaftlichen Gründe, sondern ist aus den Hl. Schriften
entnommen.«281

Melanchthon kombiniert also die philosophische Begrifflichkeit mit der theologischen,


indem er die anima rationalis als spiritus intelligens definiert. Was bedeutet dies im
einzelnen?

279
CR 13, 16: »Etsi autem utcunque iam cogitamus, quid sit bovis aut leonis anima, tamen de
anima rationali hominis, seu de mente, quid sit, et unde sit, an sit spiritus vitalis et animalis, aut in
homine res separabilis, utens ut organo proximo, spiritu vitali et animali, nondum ex his descriptioni-
bus philosophicis liquet.«
280
Vgl. WA 39 I, 175, 26-35: »12. Ut qui [sc. homo] vix materialem eius causam videamur satis
videre. 13. Nam Philosophia efficientem certe non novit, similiter nec finalem. 14. Quia finalem nul-
lam ponit aliam, quam pacem huius vitae, et efficientem nescit esse creatorem Deum. 15. De formali
vero causa, quam vocant animam, numquam convenit, numquam conveniet inter Philosophos. 16.
Nam Aristoteles quod eam definit actum primum corporis vivere potentis, etiam illudere voluit lecto-
res et auditores.« Diese polemische Spitze gegen die aristotelische Definition der Seele, daß sie näm-
lich nichts erkläre, ist eine späte Reminiszenz an die Heidelberger Disputation von 1518.
281
Melanchthon, 15v: »Anima rationalis est spiritus intelligens, qui est altera pars substantiae ho-
minis, nec extinguitur, cum a corpore discessit, sed immortalis est. Haec definitio non habet physicas
rationes, sed sumpta est ex sacris literis.« Melanchthon hat diese Definition unter der Überschrift De-
finitio Animae usitata in Ecclesia unverändert in seinen Liber de anima übernommen, obgleich sie
zwischenzeitlich, wie er selbst vermerkt, einige Kritik (von Amerbach?) erfahren hat. Gleichwohl
halte er an ihr fest, weil sie von der Schrift her gerechtfertigt sei: »Haec definitio non habet physicas
rationes. Et quanquam nonnulli contra eam multa disputant, tamen nos quidem in his initiis doctrinae
eam retinebimus, quia in Ecclesia propter haec dicta usitata est …« (CR 13, 16).

104
Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon

1. Genus-Bestimmung der Definition ist der Begriff spiritus, der hier im theologischen
Sinne als pneu=ma mit allen seinen aus der Hl. Schrift zu entnehmenden Facetten zu
verstehen ist.282 Die besondere Bedeutung dieser Auszeichnung des Menschen als Geist
ergibt sich dadurch, daß Gott selbst Geist ist (Joh. 4,24: Pneu=ma o( qeo/j). Den spiritus
bestimmt Melanchthon genauerhin als eine substantia spiritualis, eine geistige, im und
durch den Hl. Geist gewirkte Substanz, die von Gott kommt, zu ihm zurückkehrt und
deshalb unsterblich ist in der Abtrennung vom Leib.283 Substantialität meint damit kein
In-sich-selbst-Stehen, sondern ein Von-Gott-her-und-auf-ihn-zu-Sein, das keiner Ver-
gänglichkeit unterliegt, sondern unsterblich ist. Damit steht Melanchthon in der Nach-
folge Augustins, dessen wirkmächtige Definition der menschlichen Seele als Geist
bzw. substantia spiritualis284 bis ins 17. Jh. hinein Eingang gefunden hat in die theolo-
gischen und philosophischen Debatten, was weiter unten sowohl für die Jesuiten als
auch für die Lutheraner gezeigt wird (vgl. 3.3.2. und 4.2.2.). Für Melanchthon ergibt
sich aus dieser Auszeichnung der menschlichen Seele als spiritus eine wesentliche Dif-
ferenz zwischen den drei Seelenarten anima vegetativa, sentiens & rationalis, die zwar
alle drei dem Menschen zukommen, so daß er eine Vielheit von Seelen in sich enthält,
wie Melanchthon unter Berufung auf De Gen. an. II 3, 736b27-29 betont, die aber
nicht auf gleiche Weise entstehen: Während nämlich jene beiden Seelen auf ‘natürli-
chem’ Weg durch Fortpflanzung (ex traduce) entstehen, wird die anima rationalis ge-
mäß Gen 2,7 individuell von Gott in einem singulären Akt je neu erschaffen.285 Me-

282
Zur Bedeutung dieses Begriffs in der Hl. Schrift vgl. den Artikel Geist in: HWPh 3 (1974),
154-190, hier: 162-167 sowie den Artikel Geist/Heiliger Geist/Geistesgaben in TRE 12 (1984), 170-
254, hier: 170-196. Zur philosophisch-medizinischen Tradition des Begriffs vgl. nachfolgend 2.3.3.1.
und 2.3.3.2.
283
Vgl. Melanchthon, 15v: »Est igitur anima spiritus, qui discedens a corpore, tamen non extingui-
tur. Voco autem spiritum, substantiam quandam spiritualem.«
284
Vgl. Augustinus, De Trinitate, lib. II, 8.14, in: PL 42, 854: »Anima quippe cum sit substantia
spiritualis …« Bereits Putscher hat betont, daß Augustin nicht mehr zwischen anima & spiritus unter-
schieden, beide »öfter sogar ausdrücklich für identisch erklärt« habe (Pneuma, Spiritus, Geist. Vor-
stellungen vom Lebensantrieb in ihren geschichtlichen Wandlungen. Wiesbaden 1973, 136) Auch
Hölscher erkennt bei Augustin eine Abkehr von der Trichotomie Geist-Seele-Körper und eine Hin-
wendung zum Dualismus, da er »den Unterschied zwischen Geist (spiritus) und Seele (anima) nicht
wie den zwischen Seele und Leib als substantiell betrachtet« hat (Die Realität des Geistes, 329).
285
Vgl. Melanchthon, 16r-17r: »Vulgo recepta est sententia, unam tantum in homine animam esse,
sed si dicimus vegetativam & sentientem tantum e)ndelexei/aj esse, hoc est agitationes certarum par-
tium corporis, seu temperamenta, Rationalem vero animam, spiritum esse, non erit absurdum dicere
tres esse animas in homine. Nam & Aristoteles in secundo de generatione Animalium [vgl. II 3,
736a35-736b29] inquit, Animas quarum actio corporalis est, non aliunde accedere, sed nasci in cor-
poribus, nec simul fieri animatum & fœtum, hoc est animam vegetativam prius esse in fœtu quam
sentientem. De mente vero addit postea, Mens sola extrinsecus accedit, eaque sola divina est, nihil
enim cum eius actione communicat actio corporalis. … Cæterum sententia recepta est, et probata pijs
omnibus, animas rationales divinitus tunc novas creari, & inferi corporibus … Et consentaneum est
spiritualem naturam non oriri a corporali. Sed anima sentiens & vegetativa sunt ex traduce, hoc est
propagantur & oriuntur ex natura seminum …«

105
De Anima

lanchthon schließt sich damit im Commentarius de anima der allgemeinen katholi-


schen Ansicht vom Kreatianismus der Geistseele an und lehnte dabei explizit die von
Origenes vertretene Ansicht ab, wonach alle Seelen von Gott zugleich mit der Entste-
hung der Welt erschaffen worden seien.286
2. Die differentia specifica der Geistseele kennzeichnet Melanchthon mit dem klassi-
schen philosophischen Begriff des intelligere. Als Substantiv verweist intellectus auf
den griechischen Begriff des nou=j, der das Kernstück der aristotelischen Psychologie
ist. Was er genauerhin bedeutet, wird von Melanchthon im Locus De potentia rationali
seu mente näher erläutert (vgl. 2.3.4.).
Melanchthon kombiniert also mit seiner Bestimmung der menschlichen Seele als
spiritus intelligens verschiedene theologisch-philosophische Traditionsströme mitein-
ander, die nicht unmittelbar zusammengehören. In den folgenden Abschnitten soll da-
her der Hintergrund dieser Definition weiter aufgehellt werden. Neben dem eben ge-
nannten Locus ist hierfür der Abschnitt De spiritibus im Commentarius de anima von
besonderer Bedeutung, der ein »sehr illustratives Beispiel für die Verbindung medizi-
nischer Kenntnisse mit theologischen Einsichten«287 bietet (vgl. 2.3.3.2.). Dies setzt
einen Rückgriff auf Galens Schrift De placitis Hippocratis et Platonis voraus, da sich
Melanchthon in diesem Zusammenhang explizit auf sie berief. In einem ersten Schritt
muß freilich Aristoteles’ pneu=ma-Lehre in den Blick genommen werden, welche die
Grundlage für alle späteren Erklärungsversuche legte. Von hier aus zeigt sich dann
deutlicher, was von der merkwürdigen Verbindung der spiritus animalis & vitalis mit
dem spiritus sanctus in Melanchthons Liber de anima zu halten ist.

2.3.3.1. Exkurs: Pneu=ma bei Aristoteles und Galen

Der Begriff pneu=ma wird in De An. nur ein einziges Mal in II 8, 420b20 erwähnt. Dies
läßt auf seine nur geringe Bedeutung für die Psychologie schließen, wo es zunächst um
die grundsätzliche Bestimmung des Leib-Seele-Verhältnisses geht. Danach ist die See-
le als forma bzw. perfectio corporis Ursache und Anfang des lebendigen Körpers

286
Im Liber de anima hat Melanchthon diese deutliche Äußerung über die Entstehung der anima
rationalis zurückgenommen: »An racionales animae singulorum hominum de novo creentur a Deo, et
corporibus infundantur, an vero ex traduce oriantur? … Sed fateamur, nos mirandum opus sapientiae
et potentiae Dei in creatione mundi non penitus perspicere. … Sed hanc disputationem abrumpo, et
iuniores moneo, ut discernant ea, quae utcunque mentis humanae acie penetrari possunt, ab aliis, quae
pervestigari non possunt. Simus hac sapientia contenti, quod vita, sensus, ratiocinatio et electio osten-
dunt, esse in nobis animas, et esse eis insitas noticias, et alias dotes, quae testantur, et esse Deum, et
animas ab ipso conditas esse. Adiungamus et testimonia divinitus tradita, quae adfirmant, Deum sem-
per vitae datorem et conservatorem esse … Et agnoscamus eum fontem et custodem nostrae vitae
esse.« (CR 13, 17f.)
287
Jürgen Helm, Die »spiritus« in der medizinischen Tradition und in Melanchthons »Liber de
anima«, in: Melanchthon und die Naturwissenschaften seiner Zeit. Hrsg. von Günter Frank und Ste-
fan Rhein. Sigmaringen 1998, 219-237, hier: 219.

106
Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon

(ai)ti/a kai\ a)rxh\ tou= zw=ntoj sw/matoj, II 4, 415b8), Ursprung der (örtlichen) Bewe-
gung (b10, b21f.) und Prinzip der Lebewesen (a)rxh\ tw=n z%/wn, De An. I 1, 402a6f.).
Diese enge Verknüpfung von Leib und Seele, ihr Einssein (II 1, 412b6-9) scheint nun
jede Vermittlung eines Dritten überflüssig zu machen. Gleichwohl stellt sich die
schwierige Frage, wie es möglich ist, daß die immaterielle Seele die Bewegung eines
materiellen Körpers bewirken könne. Die Antwort auf diese Frage gibt Aristoteles in
seinen biologischen Schriften,
»in which an important role is assigned to the ‘innate pneuma’ or the ‘innate vital heat’ or the
‘natural fire’ in the explanation of everything that lives and grows. In these writings this pneu-
ma or vital heat has a mediatory function between the soul of the individual creature and its
perceptible body.«288

Das pneuma ist also ein Instrument (o)/rganon) für die Seele289, und zwar das bedeutend-
ste290, das die Vermittlung von Seele und Körper bewirkt und so das Gehen und Sehen,
aber auch die Arbeit der inneren Organe ermöglicht. Zu seiner näheren Bestimmung
sind die folgenden Fragen zu beantworten: Welche Funktion kommt ihm genauerhin
zu? Von welcher Substanz ist es, und wie ist sein Verhältnis zur Seele zu bestimmen?
Liegt mit diesem Konzept ein Widerspruch zu De An. vor? Die Beantwortung dieser
Fragen erfordert ein umfangreicheres Eingehen auf die Schrift De Generatione anima-
lium, in der Aristoteles im zweiten Buch auf das pneuma zu sprechen kommt.
Er beschreibt dort die Embryogenese als einen epigenetischen Prozeß. Danach ist
die embryonale Entwicklung »eine Kette von Neubildungen, bei der die völlige Aus-
differenzierung des Lebewesens erst am Ende steht«291. Der Stagirite beginnt seine Un-
tersuchung in II 1, 733b23f. mit der fundamentalen Frage, wie ein Lebewesen (Pflanze,
Tier, Mensch) aus einem Samen bzw. Sperma entstehe.292 Denn alles, was beseelt wird,
wird aus etwas (was natürlich eine creatio ex nihilo ausschließt) durch die Vermittlung
von etwas selbst wiederum etwas. Im vorliegenden Zusammenhang interessiert Aristo-
teles genauerhin die Frage, durch welche Vermittlung die Organe und Körperglieder
der Lebewesen gebildet werden. Werden sie von außen her gebildet oder durch etwas,

288
A. P. Bos, The Soul and its Instrumental Body. A Reinterpretation of Aristotle’s Philosophy of
Living Nature. Leiden u. a. 2003, 8.
289
So lautet auch die gängige Bezeichnung bei den Renaissance-Aristotelikern. Vgl. Zabarella, De
Partitione animæ, in: Ders., De rebus naturalibus libri XXX, 727-764, hier: c. 9, 747B: »… spiritum
autem vitalem esse instrumentum prius … anima enim immediate utitur vitali spiritu …«
290
Vgl. J. M. Rist, On Greek Biology, Greek Cosmology and Some Sources of Theological Pneu-
ma (1985), in: Ders., Man, Soul and Body. Essays in Ancient Thought from Plato to Dionysius. Al-
dershot 1996, Kap. V, 27-47, hier: 28: »Since the soul is form, and in a sense immaterial … then how
can an immaterial soul effect, or in Aristotle’s language, ‘move’, a material body? In fact it moves it
through the agency of ‘organs’, ‘instruments’, and the most important of these instruments is the in-
born pneuma.«
291
Wolfgang Kullmann, Aristoteles und die moderne Wissenschaft. Stuttgart 1998, 284.
292
Für das Nachfolgende vgl. Anthony Preus, Science and Philosophy in Aristotle’s Biological
Works. Hildesheim u. a. 1975, 64-92. A. P. Bos, Soul, 146-156.

107
De Anima

das in ihnen ist und entweder ein Teil der Seele oder die Seele selbst ist oder sie in sich
enthält (733b31-734a1)? Ersteres lehnt Aristoteles ab, da der Werdeprozeß eines Or-
gans im Samen bzw. Embryo nicht von etwas außerhalb seiner selbst bewirkt werden
kann. Gleichwohl kann es auch nicht ein rein interner Prozeß sein, weil hierbei ein Or-
gan aus einem anderen entstehen würde, was unmöglich ist. Würde nämlich die Leber
aus dem Herzen entstehen, dann müßte es dieselbe Form haben wie die Leber (734a16-
33). Es besteht aber noch eine weitere Aporie: Nichts kann schlechthin aus sich selbst
werden. Zur Auflösung all dieser Aporien vergleicht Aristoteles nachfolgend den Wer-
deprozeß mit einem Automaten. Wird ein Teil von ihm von außen in Bewegung ge-
setzt, so folgen die übrigen Teile nach (734b4-14). Der Automat ist also zugleich pas-
siv und aktiv: Passiv, indem er den äußeren Anstoß erleidet, aktiv, indem er sich nun
selbst in Bewegung hält. Preus nennt ihn aus diesem Grund einen »‘moved mover’«293.
Ein solcher bewegter Beweger ist nun auch der Samen (bzw. das Embryo). Denn das,
was ihn ‘produziert’ – das Sperma des Männchens und das Menstruationsblut des
Weibchens –, bewirkt die ‘erste’ Bewegung, der dann die anderen nachfolgen. In ge-
wisser Weise bewirkt also der Samen bzw. Embryo selbst als moved mover die Bil-
dung seiner Organe und Körperglieder, denn er besitzt eine solche e)nou=sa ki/nhsij
(b16f.), ist eine solche a)rxh/ (b23), daß jedes von seinen Gliedern und Organen beseelt
ist, wenn dieser Werdensprozeß endet, und erst dann ist er bzw. genauer das neugebo-
rene Lebewesen ein bestimmbares Individuum (to/de ti, b18) und ein Wesen, das lebt
(ou)si/a, De Part. an. I 1, 641b32).
In De Gen. an. II 2 bestimmt Aristoteles diese fu/sij tou= spe/rmatoj noch genauer,
denn es stellt sich die Frage, »how semen can be the sort of material to be able to carry,
to transfer, such a complicated set of movements and powers«294. Die Antwort gibt
Aristoteles in 735b37-736a2: »Der Samen ist also das Zusammen von pneuma und
Wasser, und das pneuma ist warme Luft. Deswegen ist die Natur des Samens feucht,
weil es aus Wasser besteht.«295 Das pneuma ist nach dieser ersten Bestimmung als qer-
mo\j a)h/r ein materieller Bestandteil des Samens. In II 3, »one of the most important
chapters in the GA«296, auf das im Verlauf dieser Arbeit noch mehrmals zurückzu-
kommen sein wird, vergleicht Aristoteles dann das pneuma mit dem göttlichen Äther.
Dort heißt es:
»Das Vermögen aller Seelen scheint in Verbindung mit einem Körper zu stehen, der sich von
den sogenannten Elementen [sc. Feuer, Wasser, Luft und Erde] unterscheidet und göttlicher ist.
Wie sich nun die Seelen in ihrer Würdigkeit und Unwürdigkeit voneinander unterscheiden, so
unterscheidet sich auch eine solche Substanz [sc. von den übrigen]. Denn in jedem Samen ist

293
Anthony Preus, Science, 70.
294
A. a. O., 76.
295
Aristoteles, De Gen. an. II 2, 735b37-736a2: » E )/ sti me\n ou)=n to\ spe/rma koino\n pneu/matoj
kai\ u(/datoj, to\ de\ pneu=ma/ e/sti qermo\j a)h/r. dio\ u(gro\n th\n fu/sin o(/ti e)c u(/datoj.« Hieraus er-
gibt sich auch die Bedeutung des pneuma als Atem.
296
Anthony Preus, Science, 76.

108
Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon

das enthalten, was ihn fortpflanzungsfähig macht, die sogenannte Wärme. Dieses ist aber weder
Feuer noch eine andere solche Kraft, sondern das im Samen und Schaum eingeschlossene
pneuma, und es ist die Substanz im Samen, die den Elementen der Sterne entspricht.«297

In der Forschung besteht Einigkeit, daß Aristoteles hier pneuma und Äther zwar mit-
einander vergleicht, aber nicht miteinander identifiziert, denn der Äther ist ein astrales
Element.298 Für Preus ist das pneuma eine besondere Materie, die göttliche Implikatio-
nen trägt:
»Aristotle puts a considerable weight on the fateful theory that pneuma is a special material qui-
te unlike anything else one might find in the world, but rather strikingly like the material which
one might find out of this world. There is something of the myth-maker about Aristotle here; he
seems to bring the gods, or at least the divine, down to the earth in order to explain that which
he finds otherwise inexplicable.«299

Auch für Bos folgt aus dieser Textstelle, daß »Aristotle claims here [sc. De Gen. an. II
3, 736b29ff.] that wherever life or the possibility of life manifests itself in the subluna-
ry sphere, we also find a presence of the divine«300, obgleich damit die Differenz zwi-
schen den himmlischen Elementen und den sublunaren Lebewesen nicht aufgehoben
werde. Ja, der Passus De Gen. an. III 11, 762a19ff., wonach in gewisser Weise alles
‘voll von Seele’ sei (a21), da in jedem pneuma qermota/th yuxikh/ vorhanden sei, kön-
ne daher als Manifestation einer göttlichen Wirklichkeit verstanden werden. Diese
Vergöttlichung der Funktion des pneuma scheint jedoch unangemessen. Seine Aus-
zeichnung als qeio/teroj (und gerade nicht als qeio/tatoj) gegenüber den vier Elemen-
ten bezieht sich ja gerade nicht auf eine irgendwie geartete göttliche Herkunft, sondern
auf die ‘göttliche’ Eigenschaft der Selbstbewegung und Selbstorganisation des Lebe-
wesens, die durch das pneuma realisiert wird.
In De Motu an. 10 bestimmt Aristoteles das pneuma als angeboren (pneu=ma
su/mfuton, 703a10), das alle Lebewesen besitzen und durch das sie über eine gewisse
Kraft und Stärke verfügen. Als Sitz dieses pneuma nennt er das Herz (a16f.), das auch

297
Aristoteles, De Gen. an. II 3, 736b29-737a1: »Pa/shj me\n ou)=n yuxh=j du/namij e(te/rou
sw/matoj e)/oike kekoinwnhke/nai kai\ qeiote/rou tw=n kaloume/nwn stoixei/wn: w(j de\ dia-
fe/rousi timio/thti ai( yuxai\ kai\ a)timi/# a)llh/lwn ou(/tw kai\ h( toiau/th diafe/rei fu/sij.
pa/ntwn me\n ga\r e)n t%= spe/rmati e)nupa/rxei o(/per poiei= go/nima ei)=nai ta\ spe/rmata, to\ ka-
lou/menon qermo/n. tou=to d )ou) pu=r ou)de\ toiau/th du/nami/j e)stin a)lla\ to\ e)mperilambano/menon
e)n t%= spe/rmati kai\ e)n t%= a)frw/dei pneu=ma kai\ h( e)n t%= pneu/mati fu/sij, a)na/logon ou)=sa t%=
tw=n a)/strwn stoixei/%.«
298
Für Paul Moraux ergibt sich aus dieser Stelle deutlich, »daß Aristoteles das warme Pneuma
niemals mit der Seele identifiziert, sondern es nur als ihr Instrument, als ihren körperlichen Träger
betrachtet hat« (Art. Quinta essentia, in: Pauly-Wissowa 47 (1963), 1171-1263, hier: 1205). Ferner
sei klar, daß es zwischen Äther und Pneuma nur eine Analogieverhältnis gebe, da die Naturkraft des
Pneuma der des Gestirnelements ähnlich sei.
299
Anthony Preus, Science, 90.
300
A. P. Bos, Soul, 163.

109
De Anima

Sitz der vegetativen und sensitiven Seele ist.301 Nachfolgend beschreibt er die Funktion
dieses pneuma als a)rxh\ kinh/sewj. Danach
»ist es von Natur aus dazu geeignet, in Bewegung zu setzen und Kraft zu verleihen. Die spezifi-
schen Leistungen der Bewegung bestehen aber in Stoßen und Ziehen, so daß es notwendig ist,
daß sich das [der Bewegung dienende] Werkzeug sowohl ausdehnen als auch zusammenziehen
kann. Eine solche Beschaffenheit hat aber das Pneuma …«302

Es ist also aufgrund seiner natürlichen Beschaffenheit in der Lage, »die von der unbe-
wegten Seele ausgehenden Bewegungsimpulse aufzunehmen und vermittels seiner ei-
genen Bewegung (Kontraktion und Ausdehnung) an die zu bewegenden Körperteile
weiterzuleiten«303, so Kollesch. Dergestalt ist es die Mitte (to\ me/son) zwischen der
Seele und den Körpergliedern, da »die einzelnen Bewegungen des Lebewesens nicht
direkt die Körperorgane bewegen, sondern diese erst durch das pneuma auf sie über-
tragen werden«304. Nur deshalb kann es ja der Seele als ein Instrument dienen, mittels
dessen sie Beginn und Ende einer körperlichen Bewegung, sei sie nun extra- oder in-
tracorporal (Verdauung, Sinneswahrnehmung etc.), vollzieht. Hieraus ergibt sich für
Preus die Bestimmung des pneuma als »organizer«305, weil es als ein Vehikel der Seele
den Körper strukturiere, ihn in Bewegung setze und wieder zur Ruhe bringe. Deutlich
werde dies aus De Gen. an. III 11, 762b16-18, wo Aristoteles den Teil des Seelenprin-
zips, der entweder im pneuma eingeschlossen sei oder sich dort ausdifferenziere, als
dasjenige bestimme, welches das Embryo bewirke und die Bewegung einflöße.306 Auch

301
Gemäß De Gen. an. II 1, 734a27f., 735a23f., II 5, 741b15f. und De Part. An. III 4, 666a10ff.
entsteht im Embryo zuerst das Herz, denn es ist die materielle a)rxh\ der körperlichen Prozesse. So ist
es Ursprung der Blutgefäße (De Hist. an. III 2, 511b10ff., De Part. an. III 4, 665b16ff.), welche die
Nahrung in den ganzen Körper transportieren (De Gen. an. II 6, 743a1ff.), Sitz der Sinneswahrneh-
mung (De Part. an. III 4, 666a13ff., De Gen. an. II 6, 743b25f.), Ursprung der Bewegung (De Gen.
an. II 6, 742b35) und damit Sitz der vegetativen und sensitiven Seele (De Part. an. II 1, 647a25ff.).
Deutlich heißt es in De Gen. an. II 4, 740a3f: »Deswegen wird zuerst das Herz [durch die Seele] in
Wirklichkeit ausdifferenziert« (»dio\ a)pokri/netai prw=ton h( kardi/a e)nergei/# …«). Es ist die ma-
terielle a)rxh/, von der die nachfolgende körperliche Ordnung der Lebewesen (u(/steron h( dia-
ko/smhsij tou= sw/matoj, a8) ihren Ausgang nimmt. Die immaterielle a)rxh/ ist dagegen die Seele,
denn sie ist a)rxh\ tw=n z%/wn (De An. I 1, 402a6f.). Von ihr nimmt qualitativ alles seinen Anfang.
302
Aristoteles, De Motu an. 10, 703a18-21 (Übersetzung von Jutta Kollesch, in: Aristoteles, Über
die Bewegung der Lebewesen. Über die Fortbewegung der Lebewesen. Übersetzt und erläutert von
Jutta Kollesch, in: Werke in deutscher Übersetzung. Begründet von Ernst Grumach. Herausgegeben
von Hellmut Flashar. Band 17, Teil II und III. Darmstadt 1985, 21): »fai/netai d )eu)fuw=j e)/xon
pro\j to\ kinhtiko\n ei)=nai kai\ pare/xein i)sxu/n. Ta\ d )e)/rga th=j kinh/sewj w)=sij kai\ e(/lcij, w(/ste
dei= to\ o)/rganon au)ca/nesqai/ te du/nasqai kai\ suste/llesqai. Toiau/th d )e)sti\n h( tou= pneu/-
matoj fu/sij.«
303
Jutta Kollesch, Anmerkungen, in: Aristoteles, Über die Bewegung der Lebewesen, 58.
304
Annette Hilt, Ousia, 142.
305
Anthony Preus, Science, 88.
306
Vgl. Aristoteles, De Gen. an. III 11, 762b16-18: »to\ d e) )napolambano/menon h)\ a)pokri-
no/menon e)n t%= pneu/mati th=j yuxikh=j a)rxh=j ku/hma poiei= kai\ ki/nhsin e)nti/qhsin.«

110
Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon

Bos betont diesen instrumentellen Charakter des pneuma. Er definiert es als einen
»subtle, fine-material physikon sôma which as organon (instrument) of the soul is acti-
ve and present throughout the gross-material, visible body of man, animal and
plant.«307 Dieser materiell-physische Körper sei weder sicht- oder berührbar noch mit
irgendwelchen näherhin bestimmbaren Körperteilen ausgestattet. Im Unterschied zum
visible body nennt Bos das pneuma daher auch einen »‘soul-body’«308 Da das pneuma
schließlich die Impulse der im Herzen zentrierten Seele in den ganzen Körper transpor-
tiere, müsse es zugleich, gleichsam ubiquitär, im ganzen Körper sein.309
Galen (ca. 129 bis nach 204 n. Ch.) hat sein Verständnis des pneuma insbesondere
im 7. Buch seiner Schrift De placitis Hippocratis et Platonis entwickelt. Die Bedeu-
tung dieser Lehre für die Ausübung der Funktionen der Lebewesen ist unbestritten,
denn »the existence of pneuma within the body as a requisite of animal life is a basic
tenet of Galen’s biological and medical doctrine«310. Gegen die Stoa311 und mit Aristo-
teles verstand er dabei das pneu=ma nicht als ou)si/a der Seele oder als deren Haus, son-
dern als das prw=ton o)/rganon, mit dem die Seele alle Sinneswahrnehmungen und wil-
lentlichen Bewegungen realisiert.312 Anders als Aristoteles, aber in Übereinstimmung
307
A. P. Bos, Soul, 12.
308
A. a. O., 35.
309
Bos zieht aus seiner Interpretation die Konsequenz, »that sôma organikon in the definition of
the soul in De anima II 1 [412a27f.; b5f.] means ‘the body which is the soul’s instrument’ [sc. the
pneuma] for producing the visible body and for sense perception and locomotive activity« (a. a. O.,
179f., vgl. auch 3). Diese Konsequenz kann jedoch nicht nachvollzogen werden, weil sie sachlich und
begrifflich dem Text von De An. II 1 nicht gerecht wird. Wäre dies nämlich so, dann bliebe ja das
Verhältnis von Seele und Körper gänzlich ungeklärt. Vielmehr ist die Beschreibung des pneuma in
der Physiologie die genauere Explikation des sôma organikon in der Psychologie. D. h., Physiologie
und Psychologie ergänzen einander dergestalt, daß jene mit dem pneuma in De Motu an. 10 die phy-
siologisch-körperliche Ursache für die Bewegung des Körpers benennt, während diese in De An. III
10 die o)/recij als psychologische a)rxh\ kinh/sewj bestimmt. Vgl. hierzu die korrekten Bemerkungen
von Jutta Kollesch, in: Aristoteles, Über die Bewegung der Lebewesen, 58f. Die Merkwürdigkeit von
Bos’ Ansatz wird auch daran sichtbar, daß er die gesamte Interpretationsgeschichte seit Alexander
(sic!) für falsch halten muß: »But this theory can only be argued if it can be shown that the explanati-
on of Aristotle’s philosophy went astray not just from 1964 [dem Jahr von Bos’ Lektüre von Jägers
Aristoteles. Grundlegung einer Geschichte seiner Entwicklung (Berlin 1923, 21955)] or 1923, but
from the time of Alexander of Aphrodisias, who worked around AD 200.« (Soul, 4)
310
Owsei Temkin, On Galen’s Pneumatology, in: Gesnerus 8 (1951, Heft 1/2), 180-189, hier: 187.
311
Zum Begriff des pneuma in der Stoa vgl. Peter Barker, Stoic contributions to early modern
science, in: Atoms, pneuma, and tranquility: Epicurean and Stoic themes in European thought. Edited
by Margaret J. Osler. Cambridge 1991, 135-154. A. A. Long, Stoic Psychology, in: The Cambride
History of Hellenistic Philosophy. Edited by Jonathan Barnes et al. Cambridge 1999, 560-584, hier:
561-569.
312
Vgl. Galen, De placitis Hippocratis et Platonis / On the Doctrines of Hippocrates and Plato.
Edition, Translation and Commentary by Phillip de Lacy. 3 Teilbände. Berlin 1978-84, hier: VII 3.21:
»… to\ prw=ton d )au)th=j [sc. yuxh=j] o)/rganon ei)/j te ta\j ai)sqh/seij a(pa/saj tou= zw/?ou kai\
prose/ti ta\j kaq )o(rmh\n kinh/seij tou=t )ei)=nai to\ pneu=ma …« / »… and that the soul’s first instru-
ment for all the sensations of the animal and for its voluntary motions as well is this pneuma …«

111
De Anima

mit dem alexandrinischen Mediziner Erasistratos unterteilte Galen dieses pneu=ma nach-
folgend auf zweifache Weise in ein zwtiko\n pneu=ma (spiritus vitalis) und yuxiko\n
pneu=ma (spiritus animalis)313: Danach entsteht das zwtiko\n pneu=ma im Herzen durch
die eingeatmete Luft und durch das Verdampfen der Säfte, insbesondere des Blutes,
und verteilt sich über die vom Herzen wegführenden Arterien über den ganzen Körper.
Seine Aufgabe ist es zum einen, die übrigen Körperteile mit der für das Leben benötig-
ten angeborenen Wärme (e/)mfutoj qermasi/a, innatus calidus) zu versorgen, die ihren
Sitz im Herzen hat, und zum andern als Material für eine Verfeinerung zu dienen, aus
dem im Gehirn, genauer im sogenannten rete mirabile (ple/gma diktuoeide/j) und in
den Hirnventrikeln, das yuxiko\n pneu=ma entsteht, das für die Sinneswahrnehmung und
die Bewegung der Körperglieder notwendig ist.314 Wie für Aristoteles, so diente also
auch für Galen das pneu=ma als ein Mittler zwischen der materielosen Seele und dem
Körper zum Vollzug der seelischen Funktionen.

2.3.3.2. Melanchthons spiritus-Lehre

Die erstmalige Veröffentlichung von Galens Schriften in griechischer Sprache im Jahre


1525 in Venedig sorgte nicht nur für einen steigenden Einfluß dieser Lehre in der Phi-
losophie und Medizin der Renaissance315, sondern war auch für Melanchthon von
»ganz entscheidende(r) Bedeutung«316, und zwar sowohl für den medizinisch-natur-
philosopischen Bereich im allgemeinen als auch für die spiritus-Lehre im besonderen.
So bat Melanchthon z. B. am 5. Dezember 1533 in einem Brief an Camerarius um
Hinweise auf Äußerungen Galens über das temperamentum und andere Teile des
menschlichen Körpers.317 Und in seiner Praefatio in Galenum aus dem Jahre 1538, die
wahrscheinlich für die im selben Jahr in Basel von Camerarius veröffentlichte, leicht

313
Galen lehnte die Existenz eines dritten, von der pneumatischen Ärzteschule gelehrten pneu=ma
fusiko/n (spiritus naturalis) ab. Er erwähnte es überhaupt nur an einer Stelle seines Werkes, und
zwar in seiner Schrift Methodus medendi XII 5: »ei) de/ e)sti\ ti kai\ fusiko\n pneu=ma, perie/xoit )a)\n
kai\ tou=to kata/ te to\ h(=par kai\ ta\j fle/baj.« / »Und wenn es dort auch einen spiritus naturalis
gibt, dann befindet sich dieser wohl in der Leber und in den Venen.« (vgl. Claudii Galeni opera om-
nia, ed. Kühn, Bd. 10, 839f.) Temkin hat zu Recht darauf hingewiesen, daß Galen sich hier betont
vorsichtig äußerte, da »in the Galenic system a natural spirit, as distinctly differentiated from the vital
spirit, has little meaning. It has no specific function to fullfil …« (On Galen’s Pneumatology, 185f.)
314
Vgl. Galen, De placitis Hippocratis et Platonis, VII 3.27-29; 4.1; II 8.36-44.
315
Vgl. hierzu Nikolaus Mani, Die griechische Editio princeps des Galenos (1525), ihre Entste-
hung und ihre Wirkung, in: Gesnerus 13 (1956, Heft 1/2), 29-52.
316
Jürgen Helm, Die »spiritus«, 226.
317
CR 2, 687: »Cum autem in Galeno verseris, quo nos quoque utimur, te rogo, ut nobis impertias,
si quos locos invenies, quos arbitrabere nobis profuturos, de Temperamentis, deque aliis, quae Physici
magis quam Medici quaerunt.«

112
Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon

überarbeitete Version der Opera omnia Galeni verfaßt worden ist318, findet sich fol-
gender Lobpreis auf Galen:
»Es gibt nämlich keinen besseren Autor für diesen Teil der Philosophie, den wir Naturphiloso-
phie nennen, als Galen, der die ganze Naturphilosophie sehr gelehrt darstellt in seinen Erörte-
rungen, in denen er Beweise sucht für die Vermögen in den Lebewesen, für die Ursachen des
Entstehens, die Temperamente, die Sinnesorgane, die Ursachen der Bewegung in den Sinnesor-
ganen, die Ursachen von Krankheiten und ihrer Heilmittel, die Verwandtschaft von Qualitäten
und die Sympathie vieler Dinge in der Natur. Niemand außer Galen allein hat dies erörtert. Und
so ist die Naturphilosophie von Aristoteles begonnen, von Galen allein aber vollendet wor-
den.«319

Galen erscheint hier also als dritte Autorität neben Platon und Aristoteles, so daß die
Bedeutung seiner medizinisch-philosophischen Lehre für den nur zwei Jahre nach die-
ser Eloge veröffentlichten Commentarius de anima kaum überschätzt werden kann,
wie auch Kusukawa betont320. Bereits auf den ersten Seiten wird er über ein dutzend-
mal genannt.321 Ja, Melanchthon wich nur dann von dessen Lehre ab, wenn es neuere
medizinische Erkenntnisse gab, die sie als falsch erwiesen haben. Als ein Beispiel hier-
für sei auf das rete mirabile verwiesen, das im Commentarius de anima unter Berufung
auf Galen noch ausführlich beschrieben wird322, während im Liber de anima wohl auf-
grund der zwischenzeitlich erfolgten Veröffentlichung der Schrift De humani corporis
fabrica libri septem des Andreas Vesalius (1514-1564), von der Melanchthon ein eige-
nes Exemplar besaß, die Existenz dieses Organs bezweifelt wird.323 Im vorliegenden

318
Vgl. hierzu die Erwägungen bei Sachiko Kusukawa, Transformation, 84, Anm. 43.
319
CR 3, 493f.: »Nullus enim extat autor uberior eius partis philosophiae, quam Physicen voca-
mus, quam Galenus, qui universam Physicen eruditissime complexus est in his disputationibus, in
quibus quaerit demonstrationes de potentiis in animantibus, de generationum causis, de temperamen-
tis, de sensuum organis, de causis actionum in sensibus, de morborum et remediorum causis, de quali-
tatum cognatione, de sumpaqei/a plurimarum rerum in natura. Haec praeter unum Galenum nemo
disputat. Itaque inchoata ab Aristotele Physica, ab uno Galeno absoluta sunt.«
320
Vgl. Sachiko Kusukawa, Transformation, 85: »Melanchthon thus yearns for a ‘reborn Galen’,
because he will be useful for students for the study of truth and conducts. In fact Galen played a very
important role indeed in Melanchthon’s work on the soul, which began to be printed in June 1539 and
was ready at the beginning of 1540 as the Commentarius de anima.«
321
Vgl. Melanchthon, 1v, 4v-6v, 10v, 15v usw. So erläuterte er zuerst die galenisch-platonische
Dreiteilung der Seele, wobei sich das h(gemoniko\n bzw. logistiko\n me/roj im Kopf, das
e)piqumhtiko\n me/roj in der Leber und das qumoeide\j me/roj im Herzen befinde, weil von hier aus
die aristotelische Ansicht über die Seele besser erkannt werden könne (vgl. a. a. O., 4v-6v).
322
Vgl. a. a. O., 107r-v.
323
Vgl. CR 13, 72: »Nominat Galenus contextum quendam arteriarum intra os basilare, substratum
toti cerebro, ple/gma diktoeide/j, quod nuncuparunt Arabes Rete mirabile. Sed in capite hominis
hunc insignem contextum negant esse.« Vgl. Andreas Vesalius, De humani corporis fabrica libri sep-
tem. Basel 1543, 310 und 642f. Zur Vesalius-Rezeption Melanchthons vgl. Sachiko Kusukawa,
Transformation, 114-123. Wolfgang U. Eckart, Philipp Melanchthon und die Medizin, in: Melanch-
thon und die Naturwissenschaften seiner Zeit, 183-202. Hans-Theodor Koch, Melanchthon und die
Vesal-Rezeption in Wittenberg, in: A. a. O., 203-218. Vesalius setzte mit seinen Untersuchungen

113
De Anima

Zusammenhang wird sich zeigen, daß die ungewöhnliche Aufnahme des Locus De spi-
ritibus in Melanchthons Psychologie insbesondere auf die Rezeption von Galens
Schrift De placitis Hippocratis et Platonis zurückgeführt werden kann.
Der spiritus ist für Melanchthon nichts Immaterielles, sondern ein feiner Dampf –
subtilis vapor –, der aus dem Blut mit der Kraft des Herzens gekocht und entzündet
wird, so daß er sich im ganzen Körper wie ein Flämmchen ausbreitet. Von ihm gibt es
zwei und nicht etwa drei Arten, wie Melanchthon in Übereinstimmung mit Galen be-
tont324: Die spiritus vitales sind Flämmchen, die im Herzen aus dem reinsten Blut ent-
stehen, die Lebenswärme zu den übrigen Gliedern transportieren und ihnen die Kraft
gewähren, Tätigkeiten auszuführen, die sie durch die Lebenswärme bewirken. Als in-
strumentum zum Transport dieser spiritus dienen dabei die Arterien und Venen. Die
spiritus animales entstehen durch eine Verfeinerung der spiritus vitales in den Hirn-
ventrikeln, wo sie durch die Kraft leuchtender, der Mischung des Gehirns angepaßt
und in die Nerven wie Licht eingegossen werden, um sie anzutreiben und Tätigkeiten
der Wahrnehmung und die Ortsbewegung zu bewirken. An anderer Stelle nennt Me-
lanchthon die spiritus animales Werkzeuge der Tätigkeiten der inneren Sinne.325 Insge-
samt, werden durch die spiritus vitales und animales die »wichtigen Tätigkeiten be-
wirkt, wie Erhaltung des Lebens, Ernährung, Fortpflanzung, ferner Wahrnehmung,
Bewegung, Denken und die Affekte im Herzen.«326 Auch hier zeigt sich also, daß Me-
lanchthon im Unterschied zu Aristoteles, der all diese Tätigkeiten der Seele zuschrieb
und das pneu=ma als ihr o)/rganon bestimmte, anima rationalis und spiritus in ihrer Funk-
tion einander gleichsetzt.327 Ferner kommt es im Liber de anima zu einer Zusammen-
führung der beiden medizinischen spiritus vitalis & animalis mit dem theologischen
spiritus sanctus. Dies ist ein weiteres deutliches Zeichen für die zunehmende Theolo-
gisierung der Psychologie beim späten Melanchthon. Denn dort heißt es:

_________________________________________________________________________________________________________

einen Neuanfang in der Anatomie, indem er im Unterschied zu gewissen Auswüchsen in der Schola-
stik den Vorrang des Faktischen, d. h. die aufgrund eigener anatomischer Untersuchungen gewonnene
Erfahrung gegenüber der bloßen Berufung auf einen autoritativen Text als die dieser Wissenschaft
allein angemessene Haltung bestimmte. Vgl. hierzu Andrew Cunningham, The Anatomical Renais-
sance, 88-166.
324
Vgl. Melanchthon, 135v: »Alij addiderunt tertiam, scilicet spiritum naturalem in Epate, qui fo-
vet sanguinem, & in sanguine halitus excitat. Sed Galenus dubitat an hanc speciem ponat, inquiens, ei)
d )e)sti\ ti pneu=ma fusiko\n [aus Methodus medendi, vgl. Anm. 313]. Nam etsi spiritum in Epate esse
necesse est, tamen is per arterias eo transvehitur, et actio est eius spiritus, qui vitalis vocatur, calore
vivifico sanguinis generationem adiuvare.« Im Liber de anima fällt der Bezug auf Galen weg: »Qui-
dam addiderunt tertiam speciem, videlicet spiritum naturalem in epate, qui ibi fovet sanguinem, et in
sanguine halitus excitat. Sed commodius est dicere, vitalem spiritum a corde etiam ad epar transvehi,
qui calorem vivificum epatis adiuvat in generatione sanguinis. Est enim cor fons vitae.« (CR 13, 88)
325
Vgl. insg. CR 13, 54f., 69f., 88. Weniger ausführlich in Melanchthon, 134r-135v.
326
CR 13, 88: »Spiritu vitali et animali actiones praecipuae efficiuntur, vitae conservatio, nutritio,
generatio, deinde sensus, motus, cogitatio, adfectus in corde.«
327
Vgl. Melanchthon, 15v: »Est igitur anima spiritus …«

114
Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon

»Und, was noch bewundernswerter ist, der Hl. Geist selbst vermischt sich in den frommen
Menschen mit diesen Geistern und bewirkt so, daß sie durch das göttliche Licht stärker leuch-
ten, damit die Gotteserkenntnis klarer, die Zustimmung fester ist und die Bewegungen zu Gott
hin brennender werden.«328

Was Melanchthon damit meint, ob »er lediglich die Sprache der medizinischen Tradi-
tion (benutzt), um im Sinne einer Analogie die Wirkung des Heiligen Geistes zu erklä-
ren«, oder ob er »tatsächlich von einer den körperlichen ‘spiritus’ vergleichbaren Ein-
flußnahme des ‘Spiritus sanctus’ auf den Menschen aus(geht)«329, wird nur klar, wenn
man sich zuvor die Affektenlehre und die Funktion des Hl. Geistes bei Melanchthon
vergegenwärtigt, wie sie sich aus dem Liber de anima ergeben.
Der Affekt ist eine Bewegung im Herzen, die einer Erkenntnis folgt, also immer ko-
gnitiv vermittelt ist, wie Melanchthon gut aristotelisch feststellt.330 Medium dieser phy-
siologischen Übertragung der Erkenntnis vom Gehirn zum Herzen, als Sitz und Quelle
der Affekte, sind die spiritus vitales & animales: »Wenn wir also einen Gegenstand
erfassen und entscheiden, daß er gut oder schlecht ist, dann bringen ihn die in der Er-
kenntnis bewegten Geister zum Herzen, das, sozusagen geschlagen und gestoßen, er-
regt wird und den Gegenstand erstrebt oder vor ihm flieht.«331 So ist der Zorn ein affec-
tus mixtus aus Getroffensein und dem Streben nach Rache. Aus der Erkenntnis: ‘mir
geschieht Unrecht’ entsteht eine Bewegung im Herzen, mit der der betroffene Mensch
das Ärgernis zurückweist und zugleich versucht, den Urheber zu bestrafen (‘ich nehme
Rache’). Bei diesem Vorgang sendet das Herz das Blut und die spiritus gleichsam als
Soldaten aus, um das Objekt zurückzuschlagen.332
Dieses physiologisch-erkenntnistheoretische Modell der beiden spiritus dient Me-
lanchthon zunächst als ein Muster, das die Wirkung des Hl. Geistes beschreibt: Wie
jene als Medien die Erkenntnis vom Gehirn zum Herzen transformieren, wo der Affekt
entsteht, so ist der Hl. Geist das von Christus in das menschliche Herz ausgegossene
Medium für die Frohe Botschaft. Aus physiologischer Sicht besteht seine Funktion im
Entflammen des Herzens bzw. im Entzünden einer mit Gott übereinstimmenden Be-
wegung im Herzen und Willen, aus psychologischer Sicht im Wirken einer neuen Lie-

328
CR 13, 88f.: »Et, quod mirabilius est, his ipsis spiritibus in hominibus piis miscetur ipse divinus
spiritus, et efficit magis fulgentes divina luce, ut agnitio Dei sit illustrior, et adsensio firmior, et motus
sint ardentiores erga Deum.«
329
Jürgen Helm, Die »spiritus«, 221.
330
Vgl. CR 13, 58 »Alter motus in corde nominatur Adfectus, qui cogitationem sequitur, et accen-
ditur noticiis …« Aristoteles spricht in De An. I 1, 403a3 von »pa/qh th=j yuxh=j«, von Widerfahrnis-
sen der Seele, und mit seiner bekannten Formulierung »ta\ pa/qh lo/goi e)/nuloi/ ei)sin« (403a25) will
er gerade auf den engen Zusammenhang von Denken und Affekt hinweisen.
331
CR 13, 128: »Ergo cum apprehendimus obiectum, et iudicamus bonum aut malum esse, spiritus
moti in agnitione, feriunt cor, quod quasi ictum et pulsatum, cietur, et aut expetit obiectum, aut fugit.«
332
Vgl. a. a. O., 127.

115
De Anima

be und Freude zu Gott und zu Christus.333 Doch diese Analogie zwischen dem Hl. Geist
und den spiritus vitalis & animalis hinsichtlich ihrer Funktion hat ihre Grenze. Sofern
nämlich der Hl. Geist den Willen und damit die Affekte, die ihren Sitz im Herzen ha-
ben, in Einklang mit Gott bringt, erneuert er damit zugleich die beiden spiritus, indem
er sich mit ihnen mischt. Dadurch werden sie gereinigt und im Herzen die schlechten
Affekte von den neuen guten verdrängt; auch wird die Gotteserkenntnis klarer und fe-
ster. Aufgrund der körperlichen Wirkung nennt Helm dieses Phänomen eine »‘Physio-
logie der Geistwirkung’«334. Diese Einflußnahme des Hl. Geistes auf die spiritus be-
deutet nun nichts anderes, als daß beide zu seiner Wohnstätte werden:
»Laßt uns daher unsere Natur genau beobachten und sie aufmerksam lenken, und laßt uns be-
denken, daß unsere Geister die Wohnstätte des Hl. Geistes sein müssen, und laßt uns zu Gottes
Sohn beten, daß er selbst die Teufel von uns fernhält und den Hl. Geist in unsere Geister ein-
gießt.«335

Indem Melanchthon eine religiöse Dimension einführt, den Kampf zwischen Gott und
dem Teufel, der die Herzen besetzt und damit die Geister im Herzen stört, gerät die
philosophische Psychologie bzw. Anthropologie, die weltlicherseits sehr wohl Mittel
für die Affektberrschung bereithält336, an ihre Grenzen. Deshalb bedarf sie auch nach
Ansicht Melanchthons der Ergänzung von Seiten der theologischen Psychologie, die
eben von den Wirkungen des Hl. Geistes zu berichten weiß. Nur er vermag es, den
Willen und das Herz als Sitz der Affekte auf Gott hin auszurichten.

2.3.4. Die Bestimmung des menschlichen Geistes

Auch die Erörterung des menschlichen Geistes im Abschnitt De potentia rationali seu
Mente richtete Melanchthon im Liber de anima sogleich mit dem ersten Satz auf die
agnitio Dei aus:

333
Vgl. a. a. O., 171: »…ac Spiritum sanctum effundit [scil. Christus] in corda nostra, ut vero
amore et laetitia cum aeterno patre et ipso copulemur. Ita restituitur in nobis vita et iusticia aeterna, et
renovatur imago Dei verbo lucente in mente, ut agnitio Dei sit clarior et firmior, et Spiritu sancto ac-
cedente motus congruentes cum Deo in voluntate et corde.«
334
Vgl. Jürgen Helm, Die »spiritus«, 236.
335
CR 13, 89: »Aspiciamus igitur naturam nostram, et diligenter eam regamus, et sciamus, oporte-
re spiritus nostros esse domicilium Spiritus sancti, et oremus filium Dei, ut ipse depellat a nobis dia-
bolos, et spiritum divinum in nostros spiritus transfundat.«
336
Vgl. CR 13, 129f.: »Addenda est etiam doctrina valde utilis et vere philosophica, de regendis
adfectibus … Ita in homine duplex est gubernatio, altera despotikh/, qua mens et voluntas cogunt
locomotivam, ut externa membra vel reprimantur, vel incitentur, ut in ardentissima siti possunt tamen
mens et voluntas imperare manibus, ne poculum attingant. … Ita per locomotivam velut carcere
membra externa coherceri possunt, etiamsi adfectus in corde repugnent. … Secunda gubernatio in
homine est ea, quae nominatur politikh/, cum non tantum externa membra per locomotivam coher-
centur, sed ipsum cor congruit cum recta ratione, et honesta voluntate, motum persuasione.« Hier gilt
also nicht mehr die berühmte Äußerung der Loci communes von 1521: affectus affectu vincitur.

116
Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon

»Wenn auch die menschliche Geistesschärfe das Wesen der Dinge nicht durchdringen kann, so
will Gott dennoch, daß es von den Menschen betrachtet wird, damit wir darin die Zeugnisse
von Gott selbst betrachten, die [uns] zeigen, daß es einen Gott gibt und von welcher Art er
ist.«337

Die Betrachtung des Wesens der Dinge durch den menschlichen Geist geschieht nicht
um ihrer selbst willen, sondern in Hinsicht auf die Gotteserkenntnis. An anderer Stelle
hat Melanchthon diese Ausrichtung des menschlichen Geistes noch deutlicher formu-
liert: »Der menschliche Geist ist geschaffen zur Erkenntnis des einen Gottes …«338 Wie
bereits die Ergänzung der philosophischen Definition der Seele durch die theologische,
so verdeutlicht auch die Lehre vom menschlichen Geist, daß für Melanchthon der
Mensch nicht durch eine mit philosophischen Mitteln erarbeitete Erkenntnis zu einer
vollständigen Durchsichtigkeit seiner selbst gelangt, sondern nur durch die Gotteser-
kenntnis, um deretwillen er überhaupt von Gott erschaffen worden ist. Eben darin liegt
für Melanchthon die besondere Auszeichnung des menschlichen Geistes: »Wie aber
der Mensch erschaffen worden ist, damit in ihm die Gotteserkenntnis leuchtet und Gott
ihm seine Weisheit und Güte mitteilt, so wollte er [auch], daß der menschliche Geist
das deutlichste Zeugnis von Gott selbst ist.«339
Dieses höchste Vermögen der menschlichen Seele, die potentia rationalis seu mens,
unterteilt Melanchthon in den intellectus und die voluntas. Für den vorliegenden Zu-
sammenhang interessiert allein der Locus De intellectu. Melanchthon definiert ihn wie
folgt:
»Er ist ein Vermögen des Geistes, welches das Einzelne und Allgemeine erkennt, es bedenkt,
beurteilt und Schlußfolgerungen zieht, das gewisse angeborene Kenntnisse besitzt oder die
Prinzipien der großen Künste und das über einen selbstreflexiven Akt verfügt, durch den es sei-
ne Handlungen erkennt und beurteilt [und die Fehler verbessern kann].«340

Sofern man die aristotelische Lehre von den fünf habitus intellectuales animi (vgl. EN
VI 3, 1139b16f.) zugrunde legt, beschreibt Melanchthon hier vermischt Bestimmungen
der scientia (e)pisth/mh), prudentia (fro/nhsij) und des intellectus (nou=j): Während die
scientia eine sichere und feste Kenntnis ist, von der aus Urteile und Schlußfolgerungen
möglich sind, richtet sich der intellectus auf die Prinzipienerkenntnis. Die prudentia
wiederum beurteilt die beabsichtigten und die erfolgten Handlungen hinsichtlich des-

337
CR 13, 137: »Etsi penetrari acie humana mentis rerum natura non potest, tamen vult Deus eam
ab hominibus aspici, ut in ea consideremus testimonia de ipso, quae ostendunt et esse Deum, et qualis
sit.«
338
A.a.O, 143: »Est et condita mens humana ad agnitionem unius Dei …«
339
A. a. O., 138: »Sicut autem homo conditus est, ut in eo luceat noticia Dei, et ut ei Deus com-
municet suam sapientiam et bonitatem, ita mentem humanam voluit evidentissimum de ipso testimo-
nium esse.«
340
Melanchthon, 205r-v: »Est potentia mentis cognoscens, recordans, iudicans & ratiocinans sin-
gularia et universalia, habens insitas quasdam noticias, seu principia magnarum artium. Habens item
actum reflexum, quo suas actiones cernit et iudicat.« Die wortgleiche Definition in CR 13, 142 ent-
hält den Zusatz: »… et errata emendare potest.«

117
De Anima

sen, was für den Menschen gut oder schlecht ist. Was also bei Aristoteles verschiedene
geistige Haltungen kennzeichnet, die je verschiedene Gegenstände haben und sich die-
sen auf je verschiedene Weise nähern, das faßt Melanchthon zu der einen umfassenden
Bestimmung des menschlichen Geistes zusammen.
Als Gegenstand des Geistes benennt er »Gott und das ganze Weltall«341, alles in der
Welt überhaupt Vor- und Zuhandene, kurz das ens quam late patet, das Seiende in sei-
ner denkbar umfassendsten Bestimmung. Diesen Gegenstand unterteilt er wiederum in
einen äußeren und inneren: Dabei wird das obiectum externum über die Sinne an den
Geist mittels Abbilder übermittelt, so daß die Sinne »Boten des Geistes und Zeugen
der Erfahrung«342 sind, die den Geist zur Betrachtung der außerhalb seiner liegenden
Gegenstände anregen, während das obiectum internum seinen Ursprung nicht in den
Sinnen hat, sondern dem Menschen als eine Kenntnis eingeboren ist. Damit ergänzte
Melanchthon den Sensualismus durch die Lehre von den notitiae innatae, die »von
zentraler Bedeutung für seine Anthropologie und philosophische Theologie«343 sind.
Wie ist sie genauer zu verstehen?
Das »unaristotelische Konzept der notitiae naturales«344, so Stiening, hat seinen Ur-
sprung in der Stoa. Dort wurden die koinai\ e)/nnoiai, die allgemeinen Begriffe,
prolh/yeij, Grundannahmen, genannt, die ausschließlich durch Abstraktion von den
durch Sinneswahrnehmung entstandenen Vorstellungen gebildet werden.345 Cicero mo-
difizierte diese Theorie der koinai\ e)/nnoiai, indem er ihre sensualistische Entstehung
leugnete und stattdessen ihren »erfahrungsunabhängigen Innatismus«346 betonte: Die
notiones communes sind damit ideae innatae, angeborene Vorstellungen, wie dem
Menschen z. B. die Vorstellung der Existenz von Göttern angeboren ist.347
An diese stoisch-ciceronianische Tradition knüpft Melanchthon nun mit seiner Leh-
re von den notitiae innatae an. Als Grund für diese Einfügung weist er zum einen dar-
auf hin, daß die Theorie des Sensualismus allein nicht ausreiche, das Erkennen der Ge-

341
Melanchthon, 206r-v: »… Deus et tota rerum universitas est obiectum intellectus, ad cuius
agnitionem conditi sumus.«
342
Vgl. CR 13, 143: »Etsi autem non omnis cognitio in mente humana a sensu oritur, ut numeri et
multa principia, tamen ideo conditi sunt sensus, ut rerum, quae foris sunt, simulachra ad intellectum
transmittunt, et sint nuncii mentis et testes experientiae, imo etiam ut excitent intellectum ad aspec-
tionem rerum, quae extra eum sunt, ut hos quoque intuens, componat, dividat, quaerat universalia,
iudicet, aspiciat krith/ria, et emendet errata.«
343
Günter Frank, Die theologische Philosophie, 94.
344
Gideon Stiening, Deus, 767.
345
Vgl. Sextus Empiricus, Adversus math. VIII, 56: »Alles Denken geht von der sinnlichen Wahr-
nehmung aus oder vollzieht sich jedenfalls nicht ohne diese … Und allgemein ist in einem Begriff
nichts zu finden, dessen Kenntnis man nicht aus sinnlicher Gegebenheit besitzt.« (Zitiert nach Gideon
Stiening, Deus, 772)
346
Gideon Stiening, Deus, 773.
347
Vgl. Cicero, De natura deorum II,12: »Itaque inter omnis omnium gentium summa constat;
omnibus enim innatum est et in animo quasi insculptum esse deos.«

118
Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon

genstände zu erklären, und zum andern, daß der Mensch über Kenntnisse verfüge, die
nicht über die Sinne vermittelt sein können. Deutlich heißt es:
»Lassen wir uns nicht von dem allgemeinen Satz verwirren: Nichts ist im Geiste, was nicht
vorher in den Sinnen wahr. Dies wäre nämlich, sofern man es recht versteht, sehr abwegig.
Denn die allgemeinen Begriffe und die Urteilsentscheidung waren nicht zuvor in den Sin-
nen.«348

Melanchthon läßt sich bei dieser Frage erst gar nicht auf den alten Streit zwischen Pla-
ton und Aristoteles und ihren jeweiligen Gefolgsleuten um die Ideenlehre ein, sondern
beruft sich für die Legitimierung seiner Lehre von den notitiae innatae, zu denen er
eine natürliche Kenntnis der Zahlen, die Fähigkeit zur Schlußfolgerung, überhaupt die
geometrischen, naturwissenschaftlichen und ethischen Prinzipien zählte349, auf Röm
2,15, wo es heißt, daß das Gesetz in die Herzen der Menschen geschrieben worden ist.
Dabei bestätige nicht nur das äußere Wort Gottes, sondern auch das innere Wort des
Gewissens diese Lehre: Es klagt an, sofern man schlecht handelt, es rechtfertigt und
entschuldigt, sofern man gut handelt. Folglich können diese angeborenen Kenntnisse
als vitæ duces ac magistrae nur von Gott sein.350 Sie sind »mithin unmittelbare Einwir-
kungen des transzendenten Gottes in den Erkenntnisapparat des Menschen. Gott als
Ursprung ihrer Existenz im menschlichen Geist ist somit einziger und zureichender
Grund ihrer Wahrheitsfunktion«351, wie Stiening zu Recht betont. Von hier aus wird
klar, warum Melanchthon den Sensualismus als alleiniges Erkenntnisprinzip für nicht
ausreichend ansah. Sofern die menschliche Natur aufgrund des Sündenfalls ge-
348
CR 13, 144: »Nec turbemur vulgari dicto: Nihil est in intellectu, quin prius fuerit in sensu. Id
enim nisi dextre intelligeretur, valde absurdum esset. Nam universales noticiae et diiudicatio non pri-
us fuerunt in sensu.«
349
Vgl. a. a. O., 143f.: »Vetus contentio est inter Aristotelicos et Platonicos, an sint alique in men-
tibus noticiae nobiscum natae? Sed simplicius et rectius est retinere hanc sententiam, esse aliquas
noticias in mente humana, quae nobiscum natae sunt, ut numeros, ordinis et proportionum agnitio-
nem, intellectum consequentiae in syllogismo. Item principia geometrica, physica et moralia.« Im
Commentarius hat Melanchthon noch die argumentative Auseinandersetzung mit Aristoteles geführt:
»Aristoteles in secundo posteriorum Analyticorum negat nobiscum nasci principiorum noticias, sed
foris quæri, & certitudinem principiorum esse ex obiectorum perspicuitate, seu evidentia, ut cum ma-
gnitudinem videmus, & cogitamus totum ac partes eius, statim ratiocinamur totum maius esse parti-
bus. Et convincimur rebus ipsis, ut certam esse hanc sententiam statuamus. Sic intelligit principia
natura nota esse, quia scilicet eis adsentimur sine alio testimonio. Est hoc quidem argute cogitatum de
geometricis principijs, quorum termini sunt oculis subiecti. Sed principia non subiecta sensui, unde
agnoscuntur? ut numeri, intellectus ordinis, & principia moralia. Nec illa totius & partium collatio
fieri posset, nisi in mente prius existeret numerorum & ordinis noticia, & intellectus syllogisticæ con-
nexionis.« (209v-210r).
350
Vgl. a. a. O., 211r: »Fateamur ergo koina\j e)nnoi/aj divinitus nobis attributas esse, tanquam
vitæ duces ac magistras … Id est Dei dona sunt in mentibus certæ noticiæ & iudicium gubernans vi-
tam actque actiones.« CR 13, 138: »Impossibile est noticias numerorum et alias, et discrimen hone-
storum ac turpium, ortas esse a bruta natura, aut casu sic nasci. Est igitus mens architectatrix sapi-
ens.«
351
Gideon Stiening, Deus, 775.

119
De Anima

schwächt ist, so daß die angeborenen Kenntnisse gleichsam nur noch Funken sind352,
bedarf es einer Instanz, die das Wissen sichert, und diese kann allein Gott sein. Damit
aber, so Stienings Resultat, gründet Melanchthons »Erkenntnistheorie vollständig auf
theologischen Prämissen«353.
Die Bedeutung dieser notitiae innatae für die »Geistphilosophie Melanchthons«354
hat Frank in seinem Aufsatz zur Unsterblichkeit der Seele bei Melanchthon erhellend
beschrieben, indem er sie als ‘fundamentalphilosophische Prinzipien’, die gleichwohl
von der Theologie her begründet werden, in vierfacher Hinsicht bestimmte:
1. Die notitiae innatae sind »geistphilosophische Elemente«355, die Gott, wie es bei
Melanchthon heißt, dem menschlichen Geist in der Schöpfung als ‘Strahlen der göttli-
chen Weisheit’ eingestreut hat.356 Sie sind – entsprechend dem Urbild-Abbild-
Verhältnis im Sinne des platonischen Exemplarismus – Elemente des Unendlichen,
durch die der menschliche Geist am göttlichen Geist partizipiert, so Frank, der hierin
die »philosophische Auffassung von einer Wesensverwandtschaft zwischen göttlichem
und menschlichem Geist«357 erkennt. Denn mit dieser Verwandtschaft verbinde sich
die metaphysische Annahme einer Unendlichkeitsidee als bleibende Partizipation des
menschlichen Geistes am göttlichen, die in den geistphilosophischen Elementen der
notitiae naturales konkret realisiert werde.
2. Die angeborenen Kenntnisse sind »das gnoseologische Erkenntnismedium, das jegli-
che Erkenntnis voraussetzt und begleitet«358. Wie es nämlich in den Augen ein Licht
gibt, so Melanchthon, durch welches das Sehen geschieht, »so gibt es auch im Geist
des Menschen ein gewisses Licht, durch welches wir zählen, die Prinzipien der Wis-
senschaften erkennen und zwischen gut und böse unterscheiden.«359 Sofern nun dieses
Licht mit den notitiae innatae identifiziert wird360, sind diese Kenntnisse das gnoseolo-
gisch Erste, wovon jede Erkenntnis ihren Ausgang zu nehmen hat. Sie sind aber nicht
nur erkenntnistheoretisch das Erste, sondern auch qualitativ, da sie von Gott einge-
streut sind. Diese noticiae aeternae, wie sie Melanchthon auch nennt, geben also
Zeugnis ab von Gott und seiner Vorsehung. Sie sind damit gewissermaßen das theolo-
352
Vgl. CR 13, 138: »Esset autem haec lux in nobis multo clarior, si natura hominum non langue-
facta esset, sed tamen adhuc reliquiae sunt scintillae tantae, ut, de numeris nulla est dubitatio.«
353
Gideon Stiening, Deus, 776.
354
Günter Frank, Philipp Melanchthons Idee von der Unsterblichkeit der menschlichen Seele, in:
ThPh 68 (1993), 349-367, hier: 359.
355
A. a. O., 361.
356
Vgl. CR 13, 138: »… et hae noticiae radii sunt sapientiae divinae.«
357
Günter Frank, Melanchthons Idee, 362.
358
Ebd.
359
CR 13, 144: »Ut igitur lumen est in oculis, quo fit visio: ita in mentibus lux quaedam est, qua
numeramus, agnoscimus principia artium, discernimus honesta et turpia.«
360
Ebd.: »Hanc lucem esse noticias divinitus sparsas in mentibus nostris, recte dicitur, quae qualis
lux sit, tunc cernemus, cum archetypum Deum intuebimur.«

120
Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon

gische gesicherte fundamentum inconcussum, um ein Wort Descartes’ zu entlehnen.


Insofern bestätigt Frank mit seiner These von der gnoseologischen Erkenntnisfunktion
der noticiae innatae Stienings Resultat von der theologisch fundierten Erkenntnis-
theorie.
3. Mit dem »erkenntnispsychologisch-noetische(n) Aspekt«361 der Lehre von den einge-
borenen Kenntnissen verweist Frank auf die faktische Preisgabe des erfahrungsbezo-
genen Erkenntnisrealismus der aristotelischen Tradition. Ursprung der menschlichen
Erkenntnis seien für Melanchthon eben die eingeborenen Kenntnisse, die, wie gesehen,
gerade nicht aus den Sinnen hervorgehen.
4. Schließlich sind diese Kenntnisse in »erkenntnistheoretischer Hinsicht«362 das Kon-
stitutionsprinzip für Melanchthons Wissenschaftstheorie. Sind nämlich diese Kenntnis-
se das gnoseologisch Erste, so müssen sie dies auch in erkenntnistheoretischer Hinsicht
sein. Denn die allgemeinen Erkenntnisprinzipien, die aus den angeborenen Kenntnis-
sen resultieren – z. B. daß das Ganze größer ist als seine Teile –, sind die Basis jeder
Wissenschaft.
Diese Theologisierung der Erkenntnistheorie führte Melanchthon nun nicht nur bei
den notitiae innatae durch, sondern auch bei den aktuell, aus der Betrachtung des
obiectum externum gewonnenen Erkenntnissen. Er nannte sie »eine Tätigkeit des Gei-
stes, wodurch er den Gegenstand auffaßt, gleichsam ein Abbild des Gegenstandes for-
mend, den er denkt.«363 Und diese Abbilder oder Ideen sind nichts anderes als der
Vollzug des Erkennens (actus intelligendi). Dabei wird die sinnliche Form eines Ge-
genstandes von der äußeren an die innere Wahrnehmung übergeben, wo durch das Ge-
hirn und die spiritus vitalis & animalis die Gedanken gebildet werden, die eben Abbil-
der der Gegenstände sind. Daß der Mensch aber in Bildern denkt, ist für Melanchthon
dem bewundernswürdigen Ratschluß Gottes zu verdanken, der will, daß es im Men-
schen Schatten (umbrae) gibt, die etwas von ihm selbst bezeichnen. Dieser Schatten
umfaßt z. B. die Kenntnis von Jesus Christus, der, im Denken vom ewigen Vater er-
zeugt, ein Abbild von ihm ist.364 Sofern der menschliche Geist also in Bildern denkt,
denkt er in Strukturen, die Gott vorgegeben hat, und da er will, daß der Mensch eine
Kenntnis von ihm gewinnt, stellt er seinen Sohn als sein eigenes Abbild vor. Gott of-
fenbart sich damit in der dem Menschen eigentümlichen Denkweise in Bildern. Dies
belegt nochmals die von Frank so genannte ‘Wesenverwandtschaft zwischen göttli-

361
Günter Frank, Melanchthons Idee, 363.
362
Ebd.
363
CR 13, 145: »Noticia est mentis actio, qua rem adspicit, quasi formans imaginem rei, quam co-
gitat.« Hier ist eine gewisse Anlehnung an die aristotelische Theorie von den species intelligibiles aus
De An. III 4 erkennbar. Freilich wird diese philosophische Theorie auch hier sogleich durch die Theo-
logie überlagert, wie das Nachfolgende verdeutlicht.
364
Vgl. CR 13, 145: »Mirando autem consilio Deus noticias voluit esse imagines, quia in nobis
umbras esse voluit significantes aliquid de ipso. Aeternus pater sese intuens gignit filium cogitando,
qui est imago aeterni patris.«

121
De Anima

chem und menschlichem Geist’, sofern die Kenntnisse Abbilder des göttlichen Geistes
im menschlichen Geist sind.
Diese Theorie der noticiae innatae bezeichnet den wesentlichen Teil der differentia
specifica in der Definition des intellectus. Wie gesehen, lautet seine Genusbestimmung
potentia mentis. Was Melanchthon mit dieser Bestimmung meint, wird aus seiner Be-
zugnahme auf die Theorie des intellectus patiens & agens aus De An. III 4 und 5 deut-
licher. Dabei läßt er den Streit um die Bestimmung beider hinsichtlich ihres Seins (se-
cundum esse), wie er zwischen Alexandristen, Averroisten und Thomisten geführt
worden ist, zunächst beiseite und gibt eine, wie er glaubt, ‘einfache und klare Erklä-
rung’ ihrer Funktionen (secundum operationem)365:
»Aristoteles unterscheidet also zwei Aufgaben des Geistes. Die eine ist das Ermitteln, die ande-
re das Ermittelte zu erkennen oder das Gesagte gleichsam zu akzeptieren. Die eine Aufgabe
kennzeichnet nämlich das Wesen des Geistes im Besonderen, das, wenn es etwas ermittelt, täti-
ger Geist genannt wird, oder handelnder Geist. So nämlich nenne ich ihn lieber, aber ich folge
der gewöhnlichen Bezeichnung. Wenn er aber das von anderen Ermittelte erkennt, wird er pas-
siver Geist genannt, wie im Leben überhaupt, in den Künsten, in privaten und öffentlichen An-
gelegenheiten, in der Kriegskunst, in der Dichtung und Rhetorik die einen klüger sind als die
anderen und geeigneter sind zur Ermittlung als die anderen. Wir gebrauchen also entweder un-
sere Ermittlungen oder die der anderen.«366

Diese Erklärung ist nun alles andere als klar. Wieso stellt Melanchthon die Begriffe
invenire & accipere in den Mittelpunkt der Differenzbestimmung, die er vielleicht in
Anlehnung an das gi/nesqai & poiei=n in De An. III 5, 430a15367 versteht? Was bedeuten
sie näherhin? Und wie ist diese Bestimmung der beiden intellectus – denn es sind nur
zwei und nicht drei, wie Petersen meint368 – durch Melanchthon zu verstehen? Sind

365
Vgl. a. a. O., 147: »Etsi magnae sunt contentiones de intellectu agente et patiente, tamen si su-
mimus ab actionibus discrimen, simplex et perspicua est haec explicatio.» Melanchthon, 212r: »Fugio
novas interpretationes.«
366
A. a. O., 212v-213r: »Discernit igitur Aristoteles duo officia intellectus. Alterum est invenire,
alterum inventa intelligere, & agnoscere, seu tanquam dictata accipere. Una est enim substantia intel-
lectus in singulis, quæ cum invenit aliquid, dicitur intellectus agens, aut faciens, sic enim malim ap-
pellare, sed sequor consuetudinem. Cum vero ab alijs inventa intelligit, dicitur patiens, ut in omni
vita, in artibus, in consilijs privatis & publicis, in strategematis, in Poetica, in eloquentia, alij alijs
perspicaciores sunt & inventione plus valent. Utimur ergo vel nostris inventis, vel alienis.« Ähnlich
lautet die Bestimmung in CR 13, 147f.
367
Die Frage in De An. III 4 ist bekanntlich, wie der Geist beschaffen sein muß, damit er denken,
d. h. das Intelligibile in sich aufnehmen kann. Hieraus resultiert in De An. III 5 die Bestimmung des
intellectus patiens als dasjenige, das alles Intelligible wird, und des intellectus agens als dasjenige,
das alles intelligibel macht, vergleichbar dem Licht, das alles sichtbar macht. Hierauf wird im Verlauf
dieser Arbeit an verschiedenen Stellen zurückzukommen sein.
368
Vgl. Peter Petersen, Geschichte, 83: »Der nou=j poihtiko/j ist die alles schaffende Kraft, die ih-
rem Wesen nach reine Wirklichkeit ist (tv= ou)si/# w)\n e)ne/rgeia). Diese ursprüngliche, schöpferische
Kraft wird unter Melanchthons Händen zu einem intellectus inventor, der eins aus dem andern erfin-
de, während der Intellekt die dargebotenen Gegenstände ordne, einteile, aus ihnen Schlüsse ziehen
und sie beurteile. Der leidende [sc. Intellekt] dagegen abstrahiere von den Phantasmata, d. h. er trage
die Gegenstände zusammen, forsche nach den Zeichen und folgere aus ihnen die Ursachen und Wir-

122
Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon

beide Vermögen einer menschlichen Seele, oder beziehen sie sich auf verschiedene
Personen oder gar auf verschiedene Intelligentien?
Für Kessler setzt Melanchthon im Zusammenhang mit seiner intellectus-Theorie
bewußt einen Neuanfang: »Instead of following one of the proposed interpretations of
Aristotle’s text, he introduced a new approach based on the activities of the intel-
lect.«369 Danach sei die inventio ein Vermögen des intellectus agens, die gemeinhin in
der Dialektik verhandelt werde und die darin bestehe, Neues zu ermitteln, Syllogismen
zu bilden und diese zu beurteilen, während die acceptio ein Vermögen des intellectus
possibilis sei, die, wiederum in der Dialektik grundgelegt, die Aufnahme des Ermittel-
ten sei. Beide seien aber offensichtlich nicht Vermögen ein und desselben Menschen,
sondern verschiedener: Während nämlich der intellectus agens wenigen ingeniösen
Menschen zukomme, sei der intellectus possibilis ein Vermögen der vielen, weniger
begabten Menschen, wie Melanchthons Beispiele in diesem Zusammenhang zeigten.370
Für Kessler verortet Melanchthon damit die Intellekt-Theorie in einem epistemologisch-
pädagogischen Kontext: Die Klugen helfen mit ihrem Wissen den weniger Klugen bei
der Erkenntnis.
Auch Frank versteht die Funktionen der beiden intellectus gemäß der gegebenen Be-
schreibung als zu einem epistemologischen Kontext gehörig: Danach ist der intellectus
agens Urheber der Erkenntnis, der die Gegenstände wahrnimmt, zusammenstellt, ein-
teilt, Schlußfolgerungen zieht und beurteilt, während sich der intellectus patiens allein
auf die Erkenntnis und Beurteilung der Begriffsbildungen bezieht. Anders als für Kess-
ler vertritt Melanchthon aber für Frank »die Einheit des individuellen, menschlichen
Intellekts (intellectus agens et patiens)«371. Für ihn sind also beide intellectus Vermö-
gen ein und desselben Menschen. Diese These ist aber offensichtlich nicht haltbar,
denn Melanchthon ordnet den intellectus agens den wenigen ingeniösen Menschen zu,
während der intellectus possibilis den vielen geistig minder bemittelten Menschen zu-
kommt. Beiderlei Verhältnis ist damit in der Tat ein epistemologisch-pädagogisches372:
_________________________________________________________________________________________________________

kungen, sehe auf Vergleiche und Anspielungen und wähle danach, was am geeignetsten sei.« Diese
Dreiteilung des intellectus findet am Text jedoch keinen Anhalt.
369
Eckhard Kessler, Psychology, in: CHRP, 518.
370
Vgl. ebd.: »In any case, the examples which he [sc. Melanchthon] adduced to prove that the in-
ventive faculty of the agent intellect was not equally distributed among men prefigured the later deve-
lopment of the concept of genius.«
371
Günter Frank, Melanchthons Idee, 357.
372
Amerbach hat diese Verhältnisbestimmung zwischen beiden intellectus kritisiert: »Nec sequor
sententiam eorum, qui hunc locum exponunt rhetorice magis, quam philosophice, cum faciunt ex in-
tellectu faciente, seu agente ingenium inveniens, & excogitans aliquid per sese, patientem contra,
quod illa percipit, quæ ab alijs sunt excogitata, & animadversa in natura, & artibus. Sic enim non es-
set in omni anima intellectu prædita utraque hæc vis faciendi, & patiendi, sed una tantum.« (Quatuor
libri de anima, 191) Genau die gleiche Kritik finden wir bei Georg Liebler (1524-1600): »Me-
lanc[h]thonis quoque non acceptamus opinionem, licet valde concinnam et popularem: qui facientem
intellectum in iis arbitratur, qui primum aliquid inveniunt, et excogitant, patientem vero in iis, qui
inventis utuntur, iisque assentiuntur. Nam Aristoteles in uno eodemque homine intellectum agentem

123
De Anima

Wie nämlich das Licht den Augen hilft, um sehen zu können, so Melanchthon, so hilft
der intellectus agens als inventor dem intellectus possibilis, der das Ermittelte auf-
nimmt. Und wie sich die Materie zur Form verhält, nämlich als eine zu prägende, so
verhält sich der intellectus possibilis zum intellectus agens, nämlich als ein zu bilden-
der.373 Eine gewiß falsche Interpretation des aristotelischen Textes von De An. III 4 und
5, die den Kontext des dort Gesagten vollkommen außer acht läßt.
Auch Melanchthons Verständnis der Attribute ‘abtrennbar, unvermischt und inaffi-
zierbar’ des intellectus agens aus De An. III 5, 430a17f. läßt keine stringente Theorie
erkennen. Vielmehr änderte er seine Ansicht im Laufe der Zeit, wie ein Vergleich der
entsprechenden Passagen verdeutlicht. So heißt es im Commentarius de anima:
»Er [sc. Aristoteles] fügt auch hinzu, daß er [sc. der wirkende Geist] abtrennbar, unvermischt
und nicht dem Leiden unterworfen, sondern inaffizierbar ist, was einige für eine Erklärung der
Unsterblichkeit [der menschlichen Seele] halten. Und ich habe nichts dagegen. Wenn er aber
von den Handlungen spricht, dann bedeutet dies, daß es für diesen Geist kein Hindernis gibt,
daß er sich nicht an den begegnenden sinnlichen Dingen abarbeitet, sondern sich von ihnen
weiter entfernt und sich vieles aus der Ferne wie in einem Spiegel anschaut.«374

Melanchthon hält also zum einen ein ontologisches Verständnis der Attribute für mög-
lich, die auf diese Weise ein Ausweis für die Unsterblichkeit der menschlichen Seele
sind (vgl. hierzu 2.3.5.). Zum andern versteht er die Attribute in Übereinstimmung mit
Luthers Probatio zur 31. These der Heidelberger Disputation auch epistemologisch.
Damit zeigt er an, daß der intellectus agens in seinem Erkennen von den sinnlichen
Gegenständen unbeeinflußt ist. Vielmehr betrachtet er sie ‘aus sicherer Entfernung’,
indem er von ihren Bedingungen des Hier und Jetzt abstrahiert, so daß dieser Erkennt-
nis gleichsam Ewigkeit zukommt. Wie diese Epistemologie mit der Ontologie zusam-
mengeht, erklärt Melanchthon nicht. Im Liber de anima versteht er dagegen die Attri-
_________________________________________________________________________________________________________

et patientem ponit, Philippus in diversis.« (Disputationes physicæ tres de anima. Tübingen 1593, 37.
Zitiert nach Sachiko Kusukawa, Between the De anima and dialectics: a prolegomenon to Philipp-
Ramism, in: Sapientiam amemus. Humanismus und Aristotelismus in der Renaissance. Festschrift für
Eckhard Kessler zum 60. Geburtstag hrsg. von Paul Richard Blum. München 1999, 127-139, hier:
131, Anm. 18) Unreflektiert übernommen wurde Melanchthons Ansicht von seinem Schüler Victori-
nus Strigelius (1524-69): »Intellectus agens, id est, excellens et heroica ingenii felicitas est acumen
ingenij eximium et singulare, quod paucis contingit. Intellectus patiens est ingenium mediocre, quod
accipit dictata ab alijs.« (Philippi Melanchthonis libellum de anima notae brevis et eruditae, traditae
in Academia Jenensi. Leipzig 1590, 253)
373
Vgl. CR 13, 148: »Ut lumen oculos adiuvat, ita ait [sc. Aristoteles] intellectum patientem ab in-
ventore adiuvari. Necesse est enim nos aut invenire ipsos consilia, aut aliorum inventis, tanquam dic-
tatis uti … Praeterea inquit Aristoteles [vgl. De An. III 5, 430a10-14], hunc inventorem intellectum
velut artem esse, alterum ut materiam, quam format et expolit artifex, ut praeceptor format ac erudit
discipulum.«
374
Melanchthon, 214r: »Addit [sc. Aristoteles] etiam esse separabilem [sc. intellectum agentem],
non mixtum, non obnoxium laesioni seu a)paqv=, quæ aliqui interpretantur de immortalitate, nec ego
repugno. Sed si de actionibus loquitur, significat hunc intellectum non impedimentum esse, non im-
morari rebus obvijs ac sensibilibus, sed longius recedere & multa procul tanquam ex specula prospi-
cere.«

124
Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon

bute rein ontologisch, wie die Neufassung des eben zitierten Absatzes aus dem Com-
mentarius de anima verdeutlicht:
»Er [sc. Aristoteles] fügt auch hinzu, daß er [sc. der tätige Geist] abtrennbar, unvermischt und
nicht dem Leiden unterworfen, sondern inaffizierbar ist, was einige für eine Erklärung der Un-
sterblichkeit [der menschlichen Seele] halten. Und ich habe nichts dagegen. Und mir ist es lie-
ber, daß dies in Hinsicht auf die Unsterblichkeit verstanden wird, insbesonders weil Aristoteles
anderswo sagt: Der Geist kommt von außen hinzu. Denn dies sind seine Worte im zweiten Buch
De Generatione animalium [sc. II 3, 736b27f.]: ‘Es bleibt übrig, daß der Geist allein von außen
hinzukommt und allein göttlich ist.’ Auf diese Weise deutet er an, daß er den himmlischen Geist
für den Urheber hält, der das Licht im Gehirn vorbereitet. Wie dieser Geist aber beschaffen ist
und wohin er entschwindet, entfaltet er nicht in den Büchern, die wir haben.«375

Angesichts seiner theologisch fundierten Erkenntnistheorie der noticiae innatae ver-


wundert es nicht, daß Melanchthon das Interesse an der aristotelischen Erkenntnistheo-
rie, die sich an den Phänomenen abarbeitet, verliert und den Schwerpunkt auf das
Theorem von der Unsterblichkeit der Seele verlagert, um so Aristoteles als einen ihrer
Verfechter vereinnahmen zu können. Hierbei identifiziert er nun offensichtlich den ari-
stotelischen nou=j poihtiko/j als ein menschliches Seelenvermögen mit »jenem Geist,
der als Urbild in den geistphilosophischen Prinzipien sein Urbild im menschlichen
Geist geschaffen hat«376, d. h. mit Gott selbst. Er ist nicht nur der Ermöglichungsgrund
jeglicher Erkenntnis, sofern er den menschlichen Geist erleuchtet, sondern stellt mit
seiner Anwesenheit im menschlichen Geist dessen Unsterblichkeit sicher. Nur so wird
verständlich, warum Melanchthon nachfolgend ausgerechnet unter Berufung auf Aver-
roes eine weitere Erklärung gibt, wonach der intellectus agens niemand anderes sei als
Gott:
»Auch wenn die Vermutung des Averroes verspottet wird und vielleicht mit Aristoteles unver-
einbar ist, so ist sie dennoch, wenn sie richtig verstanden wird, nicht ungereimt. Wenn er näm-
lich sagt, daß der tätige Geist Gott selbst ist, der die vorzüglicheren Regungen in den Menschen
bewirkt, dann spricht er richtig, denn die vorzüglichen und gesunden Gedanken werden von
Gott selbst angezeigt und gelenkt, wie Salomon sagt: ‘das Auge sieht und das Ohr hört, beides
macht Gott’.«377

375
CR 13, 149: »Addit [sc. Aristoteles] etiam esse separabilem [sc. intellectum agentem], non
mixtum, non obnoxium laesioni seu a)paqv=, quae aliqui interpretantur de immortalitate. Nec ego re-
pugno. Et malim de immortalitate intelligi, praesertim cum alibi dicat Aristoteles: Mens extrinsecus
accedit. Haec enim verba eius sunt in secundo de generatione [sc. II 3, 736b27f.]: Lei/petai de\ to\n
nou=n mo/non qu/raqen e)peisie/nai kai\ qei=on ei)=nai mo/non. Inclinat enim eo, ut mentem existimet
coelestem quandam facem esse, quae lucem cerebro praebeat, sed qualis sit, quo avolet, non explicat
in his libris, quos habemus.«
376
Günter Frank, Melanchthons Idee, 365.
377
CR 13, 149: »Etsi autem Averrois divinatio deridetur, et fortassis ab Aristotele aliena est, tamen
si dextre intelligitur, non est absurda. Cum enim ait, facientem intellectum esse ipsum Deum cientem
excellentiores motus in hominibus, vere dicit, excellentes et salutares cogitationes a Deo ipso mon-
strari et regi, ut Salomon inquit, ut oculus videat, et auris audiat, Deus facit utrumque.«

125
De Anima

Diese doppelte Bestimmung des intellectus agens als ein Vermögen der menschlichen
Seele in ihrer Individualität und als Gott, womit das Fundament für die Individualität
der Seele gerade aufgehoben wird, erscheint in der Tat »wie eine Quadratur des Krei-
ses«378, die nicht beseitigt werden kann. Gerade die Berufung auf Averroes ist dabei
nicht ohne Pikanterie, ist doch seine These vom numerischen Einssein des intellectus
agens in allen Menschen auf dem 5. Laterankonzil von 1513 als häretisch verurteilt
worden (vgl. 1.1.). Wie Melanchthon all diese Unstimmigkeiten sinnvoll hätte erklären
können, ist nicht zu erkennen.

2.3.5. Die Unsterblichkeit der menschlichen Seele

Auch der Locus De immortalitate animae humanae, mit dem Melanchthon seine bei-
den Werke zur Psychologie beschließt, macht diese Interpretation nicht einsichtiger.
Denn hier bestimmt er den intellectus agens wiederum als ein Vermögen der menschli-
chen Seele, wie der nachfolgende Passus aus dem Liber de anima verdeutlicht:
»Ich glaube, daß Aristoteles wie viele andere gebildete und ehrenwerte Menschen mehr dieser
Ansicht gewesen ist, daß die Seele der Menschen nach dem Untergang der Körper gerade nicht
zerstört wird, auch wenn sein Denken mit vielen Zweifeln verwirrt ist. Im dritten Buch De Ani-
ma spricht er so vom tätigen Geist, daß man meinen könnte, er wollte lieber glauben, jener sehr
wertvolle Funken in der Seele des Menschen wird nicht mit dem Körper zerstört. Und anderswo
unterscheidet er den Geist von der vegetativen und sensitiven Seele, indem er sagt [De An. II 2,
413b24-27]: ‘Hinsichtlich des Geistes ist noch nichts deutlich, aber es scheint eine andere See-
lengattung zu sein, und diese allein kann sich abtrennen, wie das Ewige vom Vergängli-
chen’.«379

Wie gesehen, hat Luther die Attribute der Unsterblichkeit und Ewigkeit in De An. III 5,
430a22f. streng epistemologisch im Sinne der (platonischen) Teilhabe am Göttlichen
und Ewigen verstanden, wie sie jeder Form zukommt (vgl. 2.2.2.3.). Melanchthon sieht
sie dagegen als – wenn auch von Zweifeln durchsetzte – Beweise für die Unsterblich-
keit der menschlichen Seele an. Auch den Satz aus De An. II 2, 413b24-27 liest er als
einen weiteren Beweis für diese Ansicht, während Luther darauf verwiesen hat, daß
man aus diesem Satz nichts Gewisses entnehmen könne, da die Formulierung voll-
kommen unbestimmt sei (vgl. 2.2.2.2.). Es zeigt sich hier ein kategorialer Unterschied
zwischen Luther und Melanchthon in ihrer beider Interpretationsweise: Während Lu-
ther den Kontext der Sätze beachtet, gleitet Melanchthon – und dies als Philologe! –

378
Günter Frank, Melanchthons Idee, 359.
379
Vgl. CR 13, 178: »Aristoteles existimo ut alios plurimos, eruditos et modestos homines magis
hoc sensisse: animas hominum non prorsus extingui post corporum interitum, etiamsi multae dubita-
tiones ceu venti hanc eius cogitationem turbarunt. In tertio libro de Anima sic de intellectu agente
loquitur, ut existimari possit, maluisse eum hoc sentire, illum praestantiorem igniculum in anima ho-
minis non extingui cum corporibus. Et alibi discernit mentem ab anima vegetativa et sentiente, in-
quiens: Peri\ de\ tou= nou= ou)de/n pw fanero/n, a)ll )e)/oike yuxh=j ge/noj e(/teron ei)=nai, kai\ tou=to
mo/non e)nde/xetai, xwri/zesqai, kaqa/per to\ a)i/dion tou= fqartou=.«

126
Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon

gleichsam über die Sätze hinweg, ohne sich näher mit dem sensus Aristotelis auseinan-
derzusetzen.
Im weiteren Verlauf des Locus De immortalitate animae humanae wird freilich
deutlich, daß den philosophischen Beweisen für die Unsterblichkeit ohnehin keine ent-
scheidende Bedeutung zukommt.380 Denn die Beantwortung sowohl der Frage nach der
Wiederauferstehung des ganzen Menschen als auch der nach der Unsterblichkeit der
menschlichen Seele, die sich bis zur resurrectio mortuorum vom Körper abtrennt, er-
folgt im folgenden allein von der Hl. Schrift her. Für die erste Frage ist dies natürlich
vollkommen richtig, da die Philosophie von einer Wiederauferstehung des ganzen
Menschen in seiner Einheit als Körper und Seele nichts weiß. Allein Christus ist der
Garant für diese Wiederauferstehung, wie der folgende Hymnus verdeutlicht.
»Das leuchtende Zeugnis dafür, daß nach diesem sterblichen Leben ein ewiges Leben folgt, be-
steht darin, daß der Sohn Gottes, unser Herr Jesus Christus, nach seinem Tod am Kreuz wieder
zum Leben erwachte. (…) Laßt uns deshalb auf Christus sehen, wie er nach seiner Auferste-
hung vom Tode mit den Aposteln vertrauten Umgang pflegt, sanft mit ihnen spricht, auf die
Zeugnisse von seinem Leben hinweist und vieles andere lehrt. Laßt uns die Lehre hinzuneh-
men, durch die er selbst auf das deutlichste bekräftigt, er werde leibliches Leben nach dem Tode
allen Menschen zurückgeben und diejenigen, die in diesem Leben sich zu Gott bekehrt hätten,
würden daraufhin in alle Ewigkeit so in der himmlischen Kirche leben, daß sie im Genusse von
Gottes Weisheit, Gerechtigkeit und Freude ihn von Angesicht schauen und dankbar preisen.«381

Voraussetzung dieser Wiederauferstehung vom Tod am Ende aller Tage im Jüngsten


Gericht ist für Melanchthon die Bekehrung zu Gott, die auch ein willentlicher Akt des
Menschen ist, was von orthodoxer Seite zum altbekannten Vorwurf des Synergismus
führte.
Die andere Frage nach der Unsterblichkeit der menschlichen Seele bzw. genauer
nach der Abtrennung des spiritus vom Körper und seinem Fortleben ohne den Körper

380
Vgl. ebd.: »Sed philosophorum dubitationes relinquamus, et caliginem animarum nostrarum,
quae peccatum secuta est, deploremus, et maiore cura vocem divinam de voluntate Dei, de beneficiis
domini nostri Iesu Christi, et de restitutione vitae perpetuae concionantem audiamus …« Von diesen
starken Zweifeln scheint die platonische Philosophie ausgenommen zu sein, denn in der Oratio de
Platone heißt es an zwei Stellen: »Audiebat [sc. adolescens] enim Philosophum [sc. Plato] magno
studio de Deo, deque immortalitate disserentem, ut epistolae testantur quae adhuc extant. Porro haec
fundamenta sunt verae virtutis, tenere rectam de Deo et de immortalitate animorum sententiam: Haec
philosophia regibus digna est.« (CR 11, 418) »Disputat [sc. Plato] enim satis graviter de immortalitate
animorum humanorum, et Philosophiae finem ubique constituit agnitionem Dei …« (A. a. O., 424)
Das von Melanchthon benannte Ziel der Philosophie, nämlich die agnitio Dei, ist also theologisch
fundiert und platonisch motiviert.
381
CR 13, 172: »Illustre testimonium est de vita perpetua secutura post hanc mortalem vitam,
quod filius Dei dominus noster Iesus Christus crucifixus et mortuus, postea revixit … Intueamur igi-
tur Christum in hac Apostolorum consuetudine, postaquam ex morte revixit, dulcissime cum eis col-
loquentem, et testimonia de sua vita ostendentem, ac multa docentem. Et adiungamus ad hoc exem-
plum doctrinam, in qua planissime adfirmat ipse, redditurum se esse vitam in corporibus omnibus
hominibus post mortem, et eos, qui in hac mortali vita ad Deum conversi fuerunt, in omni aeternitate
deinceps in coelesti Ecclesia ita victuros esse, ut Deum coram intueantur et fruantur eius sapientia,
iusticia et laeticia, et vicissim eum gratia celebrent.«

127
De Anima

bis zu dessen Wiederauferstehung beantwortet der Reformator von Lk 23,43 her:


Wenn die Seele des Schächers vergehen würde, dann wäre er nicht noch am selben Ta-
ge mit Christus im Paradies. Folglich ist der spiritus fortdauernd und ewig.382 Was Me-
lanchthon damit meint, wird im Rückgriff auf seine theologische Definition der anima
humana als spiritus intelligens und der näheren Bestimmung dieses spiritus als spiritus
vitalis & animalis deutlich. Sofern sich nämlich in frommen Menschen der Hl. Geist
mit ihnen mischt, so daß sie dessen Wohnstätte werden, wird ersichtlich, daß für Me-
lanchthon der durch den Hl. Geist gewirkte spiritus (intelligens) als spiritus separabilis
& superstes das im eigentlichen Sinne Unsterbliche im Menschen ist. Damit erweist
sich ein letztes Mal, daß Melanchthons philosophische Psychologie im Kern eine theo-
logische Anthropologie ist.

2.4. Resümee

Die Darstellung von Luthers Probatio zur 31. These der Heidelberger Disputation so-
wie von Melanchthons Commentarius bzw. Liber de anima hat zwei vollkommen ver-
schiedene Weisen des Umgangs mit der aristotelischen Lehre der Seele und des Gei-
stes erbracht. Beide Interpretationen sind der Versuch, der Sache des Protestantismus
auch in der Philosophie Geltung zu verschaffen, wobei der Wandel in der Beurteilung
des Aristoteles zu beachten ist: Während Luther in seiner frühen Disputation von 1518
um die Freiheit der Theologie von der Philosophie rang, was eine kritische, zuweilen
polemische Haltung gegenüber Aristoteles nach sich zog, hat Melanchthon in seinen
Werken von 1540 bzw. 1552 das Programm einer (vermeintlich) in Aristoteles grund-
gelegten Psychologie ausgestaltet. Dabei ergab der Rückgang auf Alexanders’ De
Anima und Simplicius’ Commentaria in libros Aristotelis de Anima interessante Ein-
sichten in die Traditionsbezüge beider Autoren. Die hierbei gewonnenen Erkenntnisse
sollen nochmals kurz zusammengefaßt werden.
1. An Alexanders ‘originären’, von platonischen, stoischen und christlichen Lehren
unbeeinflußten Aristotelismus besteht kein Zweifel. Deutlich wird dies an der Bestim-
mung der untrennbaren Einheit von Körper und Seele, die nicht theologisch durch eine
Unsterblichkeit der Seele oder platonisch durch eine Seelenwanderung überhöht wird,
sondern die Vergänglichkeit beider im Tod impliziert. Diese fundamentale Endlichkeit
aller Lebewesen kann auch der Mensch (ontologisch) nicht überwinden. Allein im
Denken, das ihn am meisten vom Tier unterscheidet, kristallisiert sich so etwas wie
eine ‘geistige’ Unvergänglichkeit heraus, indem der nou=j e)pi/kthtoj in der Einheit von
Denken und Gedachten den nou=j qu/raqen ‘irgendwie’ in sich aufnimmt und ihm inso-

382
Vgl. a. a. O., 173: »Sed alia quaestio est: An humana anima sit spiritus separabilis a corpore, et
superstes cum discessit a corpore, qui intelligat, et adficiatur laeticia aut dolore. Id confirmant haec
dicta. Matthei 10. [?] Christus diserte inquit: Corpus occidunt, animam vero occidere non possunt. Ad
latronem inquit [Lk 23,43]: Hodie eris mecum in paradiso. Si exhalans anima dissiparetur, certe non
esset una cum Christo. Est igitur spiritus superstes.«

128
Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon

fern ähnlich wird, als dessen fortwährendes Intelligibelsein in diesem Moment des
Denkens auf ihn selbst übergeht. Allein der Geist ist also der ‘Ort der Unvergänglich-
keit’, und die Philosophie ist diejenige Disziplin, die das Denken in dieser reinen Form
in ihrer fortwährenden Arbeit an den Begriffen möglich macht.
2. Luthers Bezugnahme auf Alexander als Gewährsmann zur Stützung seiner These,
wonach Aristoteles die Geistseele für sterblich gehalten habe, verdeutlichte, wie sehr
ein ‘heidnischer’ Aristoteles einem Theologen in seinem Kampf gegen die scholasti-
sche Theologie von Nutzen sein konnte. Denn ein solcher Aristoteles erwies (wenn
auch nur ex negativo) gerade die Differenz von Philosophie und Theologie, die zu ver-
teidigen Luther – bis hin zu der gewagten These von ihren verschiedenen Wahrheitsbe-
reichen383 – nicht müde wurde und zur Forderung nach einer neuen theologischen Be-
grifflichkeit führte.384 Das hiermit verfolgte Programm ist klar: Luther forderte eine
Theologie, die nicht den Regeln und Worten der Philosophie unterworfen, sondern von
ihnen frei ist.385 Dem alexandrinischen Aufweis von der Sterblichkeit der menschlichen
Seele gemäß den Prinzipien der aristotelischen Philosophie entsprach damit der Glaube
an ihre Unsterblichkeit gemäß der Verheißung in der Hl. Schrift. Damit konnte die
Theologie die scholastische Vermischung beider Disziplinen auch von der Philosophie
her kritisieren. Geschah dieser Differenzerweis von Philosophie und Theologie bei Lu-
ther anfänglich auch im Kampf gegen die (aristotelische) Philosophie selbst, so konnte
er sie später in seinen Disputationen De homine von 1536 und zu Joh 1,14: Verbum
caro factum est von 1539 positiv als eine Wissenschaft würdigen, die ihren eigenen
Gegenstand hat, dabei aber mit ihrem Metabasis-Verbot die jeweiligen Grenzen der
Wissenschaften beachtet.
3. Der Versuch, die These von der Sterblichkeit der Seele bei Aristoteles von De An.
III 5 her zu beweisen, geschah bei Luther auf rein philosophieimmanente Weise: Mit
der Annahme, daß der Stagirite dort den intellectus agens nicht secundum esse, son-
dern secundum operationem bestimmte, versuchte Luther, die scheinbar ontologische
Begrifflichkeit (separabilis, immortalis etc.) als eine epistemologische zu erweisen.

383
Vgl. WA 39,2 (Disputatio de sententia: Verbum caro factum est (Joh 1,14), 1539), 3,1-4,1: »1.
Etsi tenendum est, quod dicitur: Omne verum vero consonat, tamen idem non est verum in diversis
professionibus. 2. In theologia verum est, verbum esse carnem factum, in philosophia simpliciter im-
possibile et absurdum. 3. Nec minus, imo magis disparata est praedicatio: Deus est homo, quam si
dicas: Homo est asinus. 4. Sorbona, mater errorum, pessime definivit, idem esse verum in philosophia
et theologia. 5. Impieque damnavit eos, qui contrarium disputaverunt.«
384
Vgl. WA 39 I, 229,6-19 (Promotionsdisputation von Palladius und Tilemann vom 1. Juni
1537): »Scitis, quod physica semper attulit et affert aliquid mali et incommodi theologiae, propterea,
quia una quaeque ars habet suos terminos et sua vocabula, quibus utitur, et ea vocabula valent in suis
materiis. Iuristae sua habent, medici sua, physici sua. Haec si transferre ex suo foro et loco in aliud
volueris, erit confusio nullo modo ferenda. Nam tandem obscurat omnia. Si tamen vultis uti vocabulis
istis, prius quaeso illa bene purgate, füret sie mal zum Bade.« Vgl. hierzu ausführlich Stefan Streiff,
»Novis linguis loqui«.
385
Vgl. WA 39,2, 7[C],36f.: »Fides non est regulis seu verbis philosophiae adstricta aut subiecta,
sed est inde libera.«

129
De Anima

Diese Interpretation hat ihren entscheidenden Bezugspunkt in De An. III 4, 430a5f.,


auch wenn sich Luther selbst nicht explizit auf diese Stelle berief: Dort beginnt Aristo-
teles bekanntlich mit der Erörterung des Erkenntnisprozesses (vgl. 429a13), die zu der
Frage führt, warum der Nous nicht immer erkennt (430a5f.), und genau diese Frage
will er mit seinen Erörterungen in III 5 beantworten. Die Bestimmung des intellectus
agens als ein Vermögen der menschlichen Seele zielte für Luther also allein auf dessen
Funktion im Erkenntnisprozeß ab. Daß diese Interpretation letztlich in eine Aporie
mündete, lag nicht nur an der fehlenden Sorgfalt Luthers – so beachtete er nicht immer
den logischen Zusammenhang des Textes –, sondern auch an der nicht zu leugnenden
ontologischen Dimension des intellectus agens, die Alexander richtig erkannt hat: Die
Psychologie ist in ihrem Höhepunkt nicht oder nicht ausschließlich eine Epistemologie,
sondern eine spekulative Philosophie des Geistes.
4. Simplicius’ neuplatonische Interpretation von Aristoteles’ De Anima markiert einen
entscheidenden Wendepunkt in der Rezeption dieses Werkes: Die Angleichung von
Platon und Aristoteles in der Frage nach der Selbstbewegung der Seele und hinsicht-
lich ihrer Bestimmung als eines mittleren Charakters – als zugleich sinnlich und intel-
ligibel, sterblich und unsterblich, teilbar und unteilbar etc. –, der ihrem Abstieg in die
Sinneswelt geschuldet ist und durch ihren Aufstieg in die Ideenwelt kompensiert wer-
den muß, war in der Antike und dann wieder im 15./16. Jh. von großer Bedeutung für
den Versuch einer eklektischen Philosophie unter platonischen Prämissen. Genau aus
diesem Grunde erschien der Neuplatonismus mit seinem scharfen Leib-Seele-
Dualismus, der Tendenz zur Weltverneinung und seiner These von der Unsterblichkeit
der menschlichen Seele auch vielen christlichen Autoren dem Christentum affiner zu
sein. Simplicius gelang es dabei, Aristoteles’ Lehre so zu verändern, daß die sumfoni/a
mit Platon als Vollendung der Philosophie erschien. Es konnte jedoch an seinem Ver-
ständnis der e)nte/lexeia als e)nte/lexeia a)telh/j sowie an seiner Logos-Lehre gezeigt
werden, daß diese Interpretation mit der aristotelischen Psychologie unvereinbar ist.
5. Gleiches gilt für Melanchthons De Anima-Interpretation, die nicht nur starke neupla-
tonische Elemente enthält – ohne daß sich eine direkte Simplicius-Lektüre nachweisen
läßt –, sondern auch theologische Lehren, die zu einer kompletten Überformung der
aristotelischen Psychologie führten. So zeigte sich in der Auseinandersetzung mit
Amerbach um den Begriff der e)nte/lexeia die theologische Absicht Melanchthons, die
philosophische Bestimmung der Seele als e)nede/lexeia bzw. itio ad formam als eine
unvollkommene zu erweisen, die notwendig der Ergänzung durch die Theologie bedarf,
welche die Seele im Sinne Augustins als substantia spiritualis bestimmt.386 Auch seine
spiritus-Lehre war nach diesem Muster konzipiert: Mag auch die Philosophie durchaus
Mittel zur Affektbeherrschung bereithalten, so gelingt dies nach Melanchthon erst dann
vollkommen, wenn sich der sanctus spiritus mit den physiologischen spiritus ver-

386
Vor diesem Hintergrund ist es kein »Mißverständnis«, wie Frank behauptet, »eine Wertung
beider Konzepte [sc. Melanchthons und Amerbachs] hinsichtlich ihrer Aristotelesauthenzität zu fäl-
len.« (Veit Amerbach, 127) Als ob es keinen Maßstab gäbe, mit dem man über Nähe oder Ferne zum
sensus Aristotelis entscheiden könnte!

130
Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon

mischt und so der Wille des Menschen in Einklang mit Gott gebracht wird. Schließlich
ließ auch die Rezeption der stoisch-neuplatonischen Theorie von den angeborenen
Ideen kein Zweifel daran, daß Gott allein das Wissen dieser Welt sichert, indem er die
Ideen als Strahlen seiner Weisheit in den menschlichen Geist einstreut. Vor diesem
Hintergrund erweist sich jegliches Bemühen einer weltlichen Philosophie, ein voll-
kommenes Leben in Theorie und Praxis zu führen, als per se vergeblich und eitel. Sie
bedarf immer der Ergänzung seitens der Theologie, die allein dieses Leben von Gott
her ermöglicht.
6. Diese philosophisch-theologische Eklektik gereichte freilich beiden Disziplinen
nicht zum Vorteil. Denn anders als Luther gelang es Melanchthon mit diesem Program
nicht, die Differenz von Philosophie und Theologie offenzuhalten. Seine krude Vermi-
schung beider Disziplinen, die jeden philosophischen Locus theologisiert und ver-
christlicht, beraubt der Philosophie die Möglichkeit, aus sich selbst heraus die Kraft für
ein besonnenes und der Wahrheit dienliches Argumentieren zu entwickeln, und hindert
die Theologie, das Andere ihres Glaubens in Differenz zur Philosophie deutlich zu ma-
chen. Dies ist auch der Grund, weshalb Melanchthons Psychologie zu Recht von Frank
und Stiening eine ‘theologische Anthropologie’ bzw. ‘theologische Psychologie’ ge-
nannt worden ist. Das Werk ist nur vordergründig eine philosophische Psychologie,
das sich um ein Verständnis der aristotelischen Lehre bemüht.
7. Vor diesem Hintergrund ist es aus philosophischer (und auch aus theologischer)
Sicht verständlich, wenn Melanchthons Werke zu Beginn des 17. Jh.s an den lutheri-
schen Hochschulen mehr und mehr durch andere Schriften, die dem sensus Aristotelis
angemessener waren, ersetzt worden sind. Der Anlaß hierfür liegt im Bekanntwerden
der Lutheraner mit den Werken des spanischen und italienischen Renaissance-
Aristotelismus begründet, der mit den Errungenschaften des Humanismus und einem
veränderten philosophischen Interesse eine Neuinterpretation der aristotelischen
Schriften unternahm. Dies ist im nun folgenden Kapitel aufzuzeigen.

131
3. Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

3.1. Einleitung

ARISTOTELHS APANTA1

Der spanische, portugiesische und italienische Renaissance-Aristotelismus des 16. Jh.s


vereint in sich Altes und Neues, Tradition und Fortschritt. Er gilt als die Zweite Scho-
lastik2, und dennoch ist er mehr als die bloße Wiederholung der Ersten Scholastik des
Mittelalters, hat er doch die Errungenschaften des Humanismus in sich aufgenommen,
der sich ja gerade durch eine Absetzbewegung von ihr im Rückgriff auf die Antike
auszeichnete. Wir finden hier also, wie Schmitt es nannte, »a sound and, in its way,
progressive fusion of medieval scholasticism and Renaissance humanism.«3 Dieser Zu-
sammenschluß von Humanismus und Scholastik geschah freilich in den verschiedenen
Zentren des Aristotelismus auf uneinheitliche Weise.
An den spanischen und portugiesischen Universitäten wurde im Verlauf des 16. Jh.s
ein neuer Orden bestimmend, der 1539 durch Ignatius von Loyola (1491-1556) mit
einigen Freunden in Rom gegründet und bereits 1540 durch Papst Paul III. anerkannt
worden ist: Der Orden der Societas Jesu. Berühmte Vertreter dieses Ordens waren ne-
ben Petrus Fonseca (1528-1599), Benedictus Pererius (1535-1610) und Francisco Suá-
rez (1548-1617) der aus Cordoba stammende Franciscus Toletus (1532-96)4 sowie die
1
»Aristoteles omnia« / »Aristoteles ist alles« – Inschrift von Zabarellas Emblem, das ein Buch auf
einem Podest zeigt. Abgedruckt in: Jacobus Philippus Tomasinus, Illustria virorum elogia iconibus
exornata. Padua 1630, 140. Reprint in: Nicholas Jardine, Keeping Order in the School of Padua: Ja-
cobo Zabarella and Francesco Piccolomini on the Offices of Philosophy, in: Method and Order in
Renaissance Philosophy of Nature. The Aristotle Commentary Tradition. Edited by Daniel A. Di Lis-
cia u. a., Aldershot 1997, 183-209, hier: 199. Auch ein Porträt zeigt Zabarella mit einem Buch, auf
dem Spruch ARISTOTELHS APANTA abgedruckt ist. Vgl. Die Porträtsammlung der Herzog Au-
gust Bibliothek Wolfenbüttel. Reihe A. Band 1−36 [wird fortgeführt]. München 1986ff., hier: Bd. 28,
192.
2
Vgl. Eckhard Kessler, The Intellective Soul, in: CHRPH, 507: »The ‘second scholastic’.« Ulrich
G. Leinsle nennt diese Schulphilosophie die »Scholastik der Neuzeit« oder »neuzeitliche Scholastik«
(Die Scholastik der Neuzeit bis zur Aufklärung, in: Christliche Philosophie im katholischen Denken
des 19. und 20. Jahrhunderts. 2. Band. Rückgriff auf scholastisches Erbe. Hrsg. von Emerich Coreth.
Graz 1988, 54-69, hier: 54).
3
Charles B. Schmitt, Aristotle and the Renaissance, 21.
4
Toletus wurde 1532 in Cordoba geboren. Er studierte Philosophie in Zaragoza und Theologie in
Salamanca u. a. beim Thomisten Domingo de Soto (1494/5-1560), wo er seit 1554 auch Philosophie
unterrichtete. 1558 trat Toletus in den Jesuitenorden ein. Von 1559-63 lehrte er Philosophie am Col-
legium Romanum, das 1551 von den Jesuiten gegründet worden war. Aus dieser Lehrtätigkeit sind
seine Kommentare zur Logik und Naturphilosophie hervorgegangen, die alle in den hier zugrunde
liegenden Opera omnia philosophica I-V (Köln 1615/6. Nachdruck herausgegeben und eingeleitet

133
De Anima

Autoren des Collegium Conimbricense5. Sein besonderes Kennzeichen war das Zu-
sammen von Theologie und Philosophie, das zu einem umfassenden Bildungspro-
gramm führte, von dem wir in den verschiedenen Studienordnungen der Jesuiten von
1586, 1591 und 1599 einen eindringlichen Eindruck vermittelt bekommen.6 Hierzu ge-
hörte auch die »Integration des Humanismus«7. So findet sich in der Studienordnung
von 1586 unter der Überschrift De studiis humanitatis, hoc est, grammaticae, historiae,
poeticae et rhetoricae unter Verweis auf Ignatius die Ermahnung, daß »uns zu diesen
Studien nicht nur der Nutzen, sondern [auch] die offensichtliche Notwendigkeit … an-
halten muß«8. Zu diesem Kanon der studia humanitatis gehörte die ganze Bandbreite
der klassischen griechischen und lateinischen Autoren wie Demosthenes, Xenophon,
Homer, Euripides, Sophokles, Thukydides, Quintilian, Cicero, Plutarch etc.

_________________________________________________________________________________________________________

von Wilhelm Risse. Hildesheim u. a. 1985) enthalten sind: Introductio in dialecticam Aristotelis, Rom
1561; Commentaria una cum quæstionibus in universam Aristotelis logicam, Rom 1572; Commenta-
ria una cum quæstionibus in octo libros Aristotelis de physica auscultatione, Venedig 1573; Com-
mentaria una cum quæstionibus in duos libros Aristotelis de generatione et corruptione, Venedig
1575; Commentaria unà cum Quæstionibus in tres libros Aristotelis de Anima, Venedig 1575. Letzte-
res Werk erlebte bis 1625 europaweit mindestens 23 Auflagen. Bereits 1576 erschien eine Ausgabe in
Köln. In Deutschland folgten bis 1625 fünf weitere Auflagen (vgl. hierzu die einzelnen Nachweise
bei Risse, Bd. 5). Von 1563-69 hielt Toletus am Collegium Romanum theologische Vorlesungen u. a.
über die Summa theologiae des Thomas. 1569 ernannte ihn Pius V. zum Theologen der Poenitentia-
rie, dem Gericht der römischen Kurie, und der Heiligen Inquisition sowie zum Prediger am päpstli-
chen Hof. Seit 1571 war er auch als Nuntius der römischen Kurie tätig. Aufgrund dieser Tätigkeiten
wurde er 1593 als erster Jesuit zum Kardinal ernannt. Bis zu seinem Tod im Jahre 1596 in Rom wirk-
te er wesentlich an der Gestaltung der verschiedenen Studienordnungen der Jesuiten mit. Zu Leben
und Werk vgl. Zedler, Bd. 44, 1121-23. Lohr, 458-61.
5
Initiiert von Petrus Fonseca und fortgeführt von Emmanuel de Goes (1542-1597), Cosmas de
Magelhães (1551-1624), Balthasar Alvarez (1561-1630) und Sebastian de Couto (1567-1639) veröf-
fentlichte das Collegium Conimbricense zwischen 1592 und 1598 zahlreiche Kommentare zu den
Hauptwerken der aristotelischen Naturphilosophie, die bereits in der Einleitung genannt worden sind
(vgl. 1.2., Anm. 48). Für den vorliegenden Zusammenhang ist allein der De Anima-Kommentar von
Interesse, der nach folgender Auflage zitiert wird: Commentarii Collegii Conimbricensis Societatis
Iesu in tres libros de Anima Aristotelis Stagiritæ hac tertia editione, Græci contextus Latino è regione
respondentis accessione auctiores, & emendatiores. Lyon 1604 (Coimbra 11595). Das Werk wurde bis
zum Jahr 1629 europaweit mindestens 18mal neu aufgelegt, davon allein sechsmal (erstmals 1600) in
Köln. Vgl. hierzu die Nachweise bei Risse, Bd. 5. Zu den Conimbricensern im allgemeinen vgl. Lohr,
98f. John P. Doyle, Art. The Conimbricenses, in: Routledge Encyclopedia of Philosophy 2, 406-408.
Ders., Introduction, in: The Conimbricenses, Some Questions on Signs. Translated with Introduction
and Notes by John P. Doyle. Milwaukee 2001, 15-29.
6
Vgl. Monumenta paedagogica societatis Iesu. Ed. Ladislaus Lukács. Vol. 5. Ratio atque institutio
studiorum societatis Iesu (1586, 1591, 1599). Rom 1986.
7
Paul Richard Blum, Philosophenphilosophie und Schulphilosophie. Typen des Philosophierens in
der Neuzeit. Stuttgart 1998, 50.
8
Monumenta paedagogica, Ratio studiorum (1586), 111: »Porro ad haec studia non utilitas modo,
sed evidens necessitas … debet nostros impellere …«

134
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

Auch in Italien war der Humanismus ein fester Bestandteil der schulischen und uni-
versitären Ausbildung.9 So wurde um 1500 in Padua die lectura Humanitatis Græcæ &
Latinæ an der Universität institutionalisiert.10 Ein bedeutender Vertreter dieser Diszi-
plin war Francesco Robortello (1516-67), der dort in den fünfziger und sechziger Jah-
ren die Professuren für Ethik und Politik sowie Rhetorik und Poetik innehatte und zahl-
reiche Schriften zu diesen Disziplinen veröffentlichte.11 Hierzu gehörte auch die Schrift
In librum Aristotelis de Arte Poetica explicationes von 1548, »the first of the great
commentaries«12 zur aristotelischen Poetik, die in der Scholastik gänzlich unbekannt
war. Bereits im Untertitel dieser Schrift verdeutlichte Robortello dabei den humanisti-
schen Anspruch: Unter Berücksichtigung von mehreren griechischen Codices einen
von Entstellungen gereinigten Text zu präsentieren, der es überhaupt erst möglich ma-
che, diesen difficillimus, ac obscurissimus liber zu verstehen.13
Diese Forderung ad fontes finden wir auch noch bei seinem Schüler Jacobus Zaba-
rella (1533-89)14, ohne Zweifel einer der luzidesten Aristoteliker aller Zeiten. Obgleich
er, wie Tomasinus in seiner Illustrium virorum elogia von 1630 betonte, ein Mann ge-

9
Vgl. hierzu Paul F. Grendler, The Universities of the Italian Renaissance. Baltimore u. a. 2002,
199-248.
10
Vgl. Jacobus Philippus Tomasinus, Gymnasium Patavinum libris V. comprehensum. Utini 1654.
Nachdruck [ohne Ortsangabe] 1986, 340.
11
Zu Biographie und Werk vgl. Lohr, 388. David A. Lines, Aristotle’s Ethics in the Italian Re-
naissance (ca. 1300-1650). The Universities and the Problem of Moral Education. Leiden 2002, 439.
12
Brian Vickers, Rhetoric and Poetics, in: CHRP, 715-45, hier: 718.
13
Vgl. Francesco Robortello, In librum Aristotelis De Arte Poetica explicationes. Qui ab eodem
Authore ex manuscriptis libris multis in locis emendatus fuit, ut iam difficillimus, ac obscurissimus
liber, à nullo ante declaratus, facilè ab omnibus possit intelligi. Florenz 1548. Nachdruck herausgege-
ben von Bernhard Fabian. München 1968.
14
Zabarella wurde 1533 in Padua geboren, wo er die humanitates bei Robortello und Joannes Fa-
seolus, dem Übersetzer des De Anima-Kommentars von Simplicius, die Logik bei Petrus Arquanus
und Bernardius Tomitanus sowie die Naturphilosophie bei Marcantonio Genua studierte. 1564 wurde
er dort ordentlicher Professor der Logik, 1568 zweiter, 1577 erster außerordentlicher Professor der
Naturphilosophie und 1585 schließlich zweiter ordentlicher Professor für die Naturphilosophie. Aus
diesen Vorlesungstätigkeiten resultierten die zahlreichen Werke Zabarellas zur Logik und Naturphi-
losophie, die in den Opera logica von 1578 (hier verwendete Auflage Köln 1597. Nachdruck heraus-
gegeben von Wilhelm Risse. Hildesheim 1966) und der posthumen Sammlung De Rebus naturalibus
libri XXX. Quibus quæstiones, quæ ab Aristotelis interpretibus hodie tractari solent, accuratè discu-
tiuntur von 1590 (hier verwendete Ausgabe Frankfurt 1607. Nachdruck Frankfurt am Main 1966)
zusammengefaßt worden sind. Letzteres Werk, dessen Vorgänger die 1586 veröffentlichte Text-
sammlung De Naturalis scientiæ constitutione ist, erlebte bis zu den Opera Omnia von 1654 europa-
weit mindestens 12 Auflagen. Zabarella starb 1589 in Padua vermutlich durch Selbstmord, wie einer
Anmerkung von Tomasinus zu entnehmen ist: »Voluente fato migravit è vita anno salutis
MDLXXXVIIII« (Illustrium virorum elogia iconibus exornata. Padua 1630, 139). Riccoboni äußerte
sich in seiner Oratio in obitu Iacobi Zabarellae (veröffentlicht Padua 1590) begreiflicherweise nicht
zu dieser Frage. Zu Leben und Werk vgl. ferner Freher, 1482f. Zedler 60, 980-82. Lohr, 497-503.
Heikki Mikkeli, An Aristotelian Response to Renaissance Humanism: Jacopo Zabarella on the Nature
of Arts and Sciences. Helsinki 1992.

135
De Anima

wesen sei, der von Natur aus ad Eloquentiam & Græcas literas geführt worden sei15,
geht man wohl nicht fehl in der Annahme, daß Zabarella von Robortello das humani-
stische Rüstzeug für eine kritische Textexegese vermittelt bekommen hat.16 Auch für
ihn gehörte der Vergleich mehrerer griechischer Codices des Aristoteles, von denen er
selbst mehrere besaß, zum Standard einer korrekten philologischen Arbeit. Dabei ließ
er es sich nicht nehmen, von all diesen Codices abzuweichen, sofern der überlieferte
Text keinen Sinn ergab, wie ein Beispiel aus seinen erst posthum 1605 in Venedig ver-
öffentlichten Commentarii in III. Aristotelis libros de anima belegt.17 Wir sehen hier
also eine echt philosophische Freiheit, die den sich aus dem Kontext ergebenden Sinn
über die Textüberlieferung stellt.
Das Ergebnis all dieser humanistischen Bemühungen um einen ‘gereinigten’ Aristo-
teles sind die von Isaac Casaubon (1559-1614) herausgegebenen Opera omnia von
1590, die den griechischen Text zusammen mit neuen lateinischen Übersetzungen bie-
ten, die, so heißt es im Untertitel, »dem griechischen Zusammenhang besser entspre-
chen als die jüngeren und älteren Interpreten«18. Ziel dieser Unternehmung war dabei,
so Kessler, die »Vereinigung der im 16. Jahrhundert auseinander driftenden philoso-
phisch-sachlichen mit den humanistisch-sprachlichen Kriterien«19 oder mit anderen
Worten die Vereinigung eines echt philosophischen Interesses mit einer Philologie als
Grundlage einer korrekten wissenschaftlichen Arbeit. Daß Casaubons Werk dieses Ziel
offensichtlich erreichte, belegen für Kessler zwei Tatsachen: Zum einen wurde es 1597
und 1607 in leicht veränderter Form vom Zabarella-Schüler Pacius (1550-1635) neu
ediert bzw. 1605 in gleicher Gestalt nochmals aufgelegt. Zum andern wurden die in

15
Vgl. Tomasinus, Illustrium virorum elogia, 136: »Ad Eloquentiam primùm, & Græcas literas
naturâ duce ferri visus est …«
16
Es ist wohl eine Reminiszenz an Robortello, wenn Zabarella im zweiten Buch seiner Schrift De
Natura logicæ in den Kapiteln 13-23 ausführlich die Rhetorik und Poetik als Teil der Logik bestimmt
hat (in: Opera logica, 1-102, hier: 78A-100C).
17
Vgl. Zabarella, Commentarii in III. Aristotelis libros de anima. Frankfurt 21606 (Venedig 11605;
weitere Auflagen 1619 und 1654 als Teil der Opera omnia). Nachdruck Frankfurt am Main 1966,
hier: III [4], t. 11, 841C: »Græci quidem codices omnes, quos habeo, habent, a)/llw [vgl. De An. III
4, 429b13], sic etiam legitur in textu Simplicii, tamen Simplicius ita horum verborum interpretatione
non sumit, a)/llw, sed a)/llo, & similiter Themistius ita interpretatur, ut sumat, a)/llo, quare rationi
consonum est, ut in codice aliquo antiquo legerint, a)/llo, ut omnino credo legendum esse …« An
anderer Stelle vermerkte Zabarella, daß er drei griechische Codices der Schrift De Anima besaß (vgl.
a. a. O., III [5], t. 17, 873E).
18
Vgl. ARISTOTELOUS TOU STAGEIRITOU TA SWZOMENA. Operum Aristotelis Stagiritæ
philosophorum omnium longe principis nova editio, græcè & latinè … ex bibliotheca Isaaci Casau-
boni. Latinæ interpretationes adiectæ sunt quæ Græco contextui melius responderent, partim recentio-
rum, partim veterum interpretum: in quibus & ipsis multa nunc emendatius quam antehac eduntur.
Tomus primus & secundus. Lyon 1590. Genf 21605. Zu Casaubon vgl. Lohr, 81. Anthony Grafton,
Protestant versus Prophet: Isaac Casaubon über Hermes Trismegistus, in: Das Ende des Hermetismus,
283-303.
19
Eckhard Kessler, Einleitung, in: Aristoteles latine, VII-XXXI, hier: XVII.

136
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

ihm versammelten lateinischen Übersetzungen zum Grundstock der letzten großen Ari-
stoteles-Ausgabe der Renaissance durch Wilhelm Du Val (1575-1646) im Jahre 1619
in Paris.20 Für unseren Zusammenhang ist hierbei eine Änderung bemerkenswert: Du
Val ersetzte die ältere De Anima-Übersetzung des Argyropolus21 durch die neue kon-
geniale des Pacius, die dieser im Rahmen seines 1596 veröffentlichten Kommentars
Aristotelis de Anima libri tres, græce et latine gegeben hatte.22 Der Grund für diese
Änderung dürfte in der geforderten Vereinigung von einem echt philosophischen Inter-
esse mit einer grundsoliden philologischen Arbeit liegen, die noch Schmitt in den
höchsten Tönen lobte23.
Diese Bemühung um den griechischen Urtext des Aristoteles ging mit einer breiten
Rezeption der antiken Autoren Alexander, Themistius, Simplicius und Philoponus ein-
her, deren Werke im Mittelalter zum großen Teil unbekannt waren und die nun im 16.
Jh., wie im 2. Kapitel gesehen, erstmals im griechischen Original bzw. in neueren la-
teinischen Übersetzungen zugänglich gemacht wurden. Ihr Einfluß auf die Renaissance
kann gar nicht hoch genug veranschlagt werden, wie auch Grendler betont: »The
Middle Ages had an Averroistic Aristotle, a Thomistic Aristotle, an Albertine Aristot-
le, and so on. Now the Renaissance began to have an ancient Greek Aristotle, or better,
several ancient Greek Aristotles.«24 So ist von Nicoletto Vernia (1420-1499) bekannt,

20
Vgl. Aristotelis opera omnia, quæ extant, græcè & latinè, veterum ac recentiorum interpretum,
ut Adriani Turnebi, Isaaci Casauboni, Julij Pacij studio emendatissima. Authore Guillelmo Du Val,
Philosophiæ græcæ & latinæ in Parisiensi Academia Regio Professore, & Doctore Medico. Paris
1619. Zu Du Val vgl. Lohr, 130.
21
Vgl. Opera omnia Aristotelis (Ed. Casaubon). Tomus primus, 379-407.
22
Vgl. Julius Pacius, Aristotelis de Anima libri tres, græce et latine, Iul. Pacio à Beriga interprete.
Accesserunt eiusdem Pacii in eosdem libros commentarius analyticus … Frankfurt 1596. Abgedruckt
in: Aristotelis opera omnia (Ed. Du Val). Tomus primus, 616-661.
23
Charles B. Schmitt, Aristotle and the Renaissance, 83-85: »For example, with the precision and
care of the scrupulously accurate translator he [sc. Pacius] clearly indicated words introduced into his
Latin version that had no correspondence in the Greek text. Thus he supplied missing verbs, clarified
suppressed antecedents, and generally tried to give a precision to the Latin which is often missing the
Greek. All of this is obvious to the reader, since the additions are printed in italic type. In the Physics
he also adds marginal glosses clarifying obscure points. This helps the reader with the problem of
teminology and once again shows that Pacius considered his translation more a conventional repre-
sentation of the Urtext than a replacement for it. Following medieval tradition he was quite willing to
retain terms such as homonymum or substantia, nor did he hesitate upon occasion to bring untransla-
table Greek terms into his version, not even bothering to naturalize them by transliterating them into
Roman characters. The use of Greek terms allowed him to deal rather successfully with thorny pro-
blems such as how to bring Greek discussions involving distinctions between definite and indefinite
article into intelligible … Latin. In this way Pacius represents a return to the medieval technique of
William of Moerbeke. On the other hand, he was certainly heir of the humanist tradition, knowing
how to collate and emend different versions of the text, being aware of the importance of representing
a Greek text as well as a Latin version, and recognizing his own historical place in a long line of in-
terpreters.«
24
Paul F. Grendler, Universities, 227.

137
De Anima

daß sein »dramatic shift from literal Averroism to opposition of Averroes resulted in
great part from his later study of the commentators, particularly Themistius and Simp-
licius«25. Ein ähnlich großer Einfluß der Neuplatoniker lag bei Agostino Nifo
(1469/70-1536)26, Marcantonio Zimara (1460-1532)27 sowie bei Marcantonio Genua
(1490/1-1563)28 vor, bei dem, so Kessler, »the real breakthrough of Neoplatonism into
Renaissance psychology«29 geschah. Was diese Rezeption für den Renaissance-
Aristotelismus bedeutete, ist bis jetzt von der Forschung noch nicht umfassend unter-
sucht worden. Daß einige Aristoteliker jedoch die Gefahr erkannten, die aus einer Pla-
tonisierung des Aristoteles resultierte, wird aus Folgendem deutlich: Simone Portio
(1496-1554)30, der durch seine Ausbildung bei Pomponazzi antiplatonisch gesinnt war,
setzte sich in seinem Hauptwerk De humana mente disputatio von 1551 neben Philo-
ponus insbesondere mit Simplicius auseinander, dem er eine Vermischung von Platon
und Aristoteles vorwarf.31 In dieser Einschätzung ist ihm Zabarella gefolgt, der in sei-
nem De Anima-Kommentar wie auch in seinen systematischen Abhandlungen – sicher
als Reaktion auf seinen Lehrer Genua32 – nicht müde wurde, immer wieder auf die

25
Vgl. Edward P. Mahoney, Nicoletto Vernia on the Soul and Immortality, in: Philosophy and
Humanism: Renaissance Essays in Honor of Paul Oskar Kristeller. Ed. by Edward P. Mahoney. Lei-
den / New York 1976, 144-163, hier: 163. Eckhard Kessler, The Intellective Soul, in: CHRP, 492-
494.
26
Vgl. Eckhard Kessler, The Intellective Soul, in: CHRP, 497: »Nifo apparently had abandoned
his Averroist orientation and had entered into the vast sea of Neoplatonic syncretism.« Siehe ferner
Edward P. Mahoney, Marsilio Ficino’s Influence on Nicoletto Vernia, Agostino Nifo and Marcanto-
nio Zimara, in: Marsilio Ficino e il ritorno di Platone 2. Ed. Gian Carlo Garfaguini. Florenz 1986,
509-531, hier: 517-524.
27
Vgl. a. a. O., 525-530.
28
Vgl. Marcantonio Genua, Disputatio de intellectus humani immortalitate. Venedig 1565. Ders.,
In tres libros Aristotelis de anima exactissimi commentarii. Venedig 1576. Beide Werke wurden erst
postum veröffentlicht.
29
Vgl. Eckhard Kessler, The Intellective Soul, in: CHRP, 524.
30
Portio wurde 1496 in Neapel geboren, studierte zunächst in Bologna Philosophie bei Achillini
und Pomponazzi, später Philosophie und Medizin in Pisa bei Nifo. Dort lehrte er auch von 1520-25
Logik und Naturphilosophie. Nachfolgend war er von 1529-45 Philosophieprofessor in Neapel, ehe er
erneut nach Pisa zurückkehrte und dort von 1547 bis zu seinem Tod im Jahre 1554 Philosophie lehrte.
Bekannt sind seine Werke De coloribus oculorum von 1550 (vgl. hierzu Martin Mulsow, Selbsterhal-
tung, 107-110) sowie De humana mente disputatio von 1551. Nur handschriftlich überliefert sind
seine Vorlesungen zur Metaphysik, De partibus animalium, Physik und weiteren naturwissenschaftli-
chen Themen (vgl. hierzu Stefano Perfetti, Aristotle’s Zoology and its Renaissance Commentators
(1521-1601). Leuven 2000, 127-136).
31
Simone Portio, De humana mente disputatio. Florenz 1551, hier: c. 4, 21: »Simplicius verò sen-
tentias Platonis, & Aristotelis coacervans …«
32
Auch Peter Lautner sieht diesen unmittelbaren Zusammenhang von Genuas Neuplatonismus und
Zabarellas Simplicius-Kritik: »… I shall concentrate on Zabarella’s De anima commentary to show
that his dissent from the Neoplatonism of his teacher Marc Antonio Genua goes together with his
negative attitude towards the methodological remarks found in Ps.-Simplicius’ De anima commenta-

138
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

Fehler der Aristoteles-Interpretation des Simplicius hinzuweisen. So heißt es zu Beginn


seines Kommentars von De An. III 4:
»Ich werde insbesondere Simplicius’ Auslegung referieren, nicht weil ich überall dessen Schi-
mären betrachten wollte, sondern damit die Zuhörer eine Vorstellung von seiner Ansicht über
den menschlichen Geist haben, von der ich glaube, daß sie von Aristoteles’ Ansicht sehr weit
entfernt ist …«33

Für Portio und Zabarella, der dessen Disputatio de mente humana nachweislich kann-
te34 und ihr viele Argumente und Gedanken entnahm, war dieser aus ihrer Sicht fatale
Einfluß des Neuplatonismus auf die aristotelische Philosophie unter Rückgriff auf
Alexanders rein naturphilosophische Interpretation zu beseitigen. Denn Alexander, so
Portio, habe »viel Licht zu den Worten des Aristoteles beigetragen, damit wir dessen
Ansicht desto unverstellter wahrnehmen können«35. Welche Lehren hiermit gemeint
sind, wird im weiteren Verlauf dieses Kapitels deutlich werden. Hier genügt die vor-
läufige Erkenntnis, daß die Rezeption des Neuplatonismus wie auch des Alexandris-
mus in der Philosophie (wie allgemein in der Kunst und Architektur auch) zu »proces-
ses of Hellenization«36 führte. Diese Hellenisierung war offensichtlich von dem huma-
nistischen Gedanken getragen, damit näher am Ursprung der aristotelischen Philoso-
phie zu sein. Denn die Übereinstimmung mit den ältesten Kommentatoren galt als ein
Zeichen für die Wahrheit der Position.
Neben diesen antiken und humanistischen Texten wurden in der Renaissance auch
weiterhin die mittelalterlichen Autoren rezipiert, die den fortdauernden Einfluß der Er-
sten Scholastik anzeigen. So legten Toletus wie auch Zabarella ihren Kommentaren zu
De Anima die von Moerbeke überarbeitete translatio antiqua des Jacobus Venetus aus
der Mitte des 12. Jh.s zugrunde, während Magelhães (1551-1624) in seinem Kommen-
tar der Conimbricenser die Übersetzung des Argyropulos neben den griechischen Ori-
_________________________________________________________________________________________________________

ry.« (Status and Method of Psychology according to the Late Neoplatonists and their Influence during
the Sixteenth Century, in: The Dynamics of Aristotelian Natural Philosophy, 81-108, hier: 103)
33
Zabarella, III [4], t. 1, 656C: »Referam imprimis expositionem Simplicii, non quod ubique ve-
lim considerare ipsius Chymæras, sed ut auditores aliquam habeant cognitionem sententiæ Simplicii
de intellectu humano, quam ego puto alienissimam esse à mente Aristotelis …«
34
Vgl. Zabarella, De Mente humana, in: De Rebus naturalibus, 915-978, hier: 954A: »Simon Por-
tius in libro suo de mente humana …«
35
Vgl. Portio, c. 4, 21: »Alexander denique & si multum luminis verbis Aristotelis attulerit, quo
apertius eius sententiam perciperemus …« Im Anschluß kritisierte Portio zwei Ansichten Alexanders,
mit denen er nicht übereinstimme: »duo tamen semper in eius Placitis minus me delectarunt. Unum
quòd intellectus agens Deus sit, nam si Deus est, qua ratione nobis corruptibilibus unitur … Alterum
est, quòd cum Aristoteles asserat, quòd quicquid Deus operatur, motu ac lumine cœli id perficiat; si
hoc ita est, quo pacto facultatem nostram intelligendi illuminans perficiet, & non lumine cœli, sed
proprio, ac peculiari suæ essentiæ: & qua ratione Aristoteles agentem intellectum, lumini & habitui
comparavit?« (Portio, c. 4, 21f.) Wie es sich mit dieser Kritik verhält und wie Zabarellas Ansicht
hierzu ist, ist weiter unten zu zeigen (vgl. 3.3.5.).
36
Stefano Perfetti, Aristotle’s Zoology, 32.

139
De Anima

ginaltext setzte.37 Auch bei der Kommentierung der einzelnen Textstellen zeigt sich der
große Einfluß dieser Scholastik. Es gab kaum einen Sachverhalt, wo nicht neben den
genannten antiken und arabischen Kommentatoren (Avicenna, Avempace und Aver-
roes) auf den einen oder anderen Scholastiker, sei dies nun Thomas, Albertus Magnus
(1193-1280), Ägidius Romanus (1247-1316), Johannes Duns Scotus (1270-1308) oder
Wilhelm von Ockham (ca. 1280-1349/50), Bezug genommen wurde.
Besonders der Rekurs auf Thomas verdeutlicht dabei zwei weitere Differenzen zwi-
schen den Jesuiten und den radikalen Aristotelikern: zum einen die Bedeutung der Au-
torität des Thomas in Theologie und Philosophie und zum andern die unterschiedliche
Verhältnisbestimmung beider Disziplinen.
Zu 1. Die Bedeutung der Autorität des Thomas in Philosophie und Theologie bei den
Jesuiten ergibt sich klar aus den verschiedenen Fassungen ihrer Ratio Studiorum. So
heißt es im Abschnitt De opinionum delectu in theologica facultate der Ratio studio-
rum von 1586 kurz und knapp: »In der Theologie sollen wir der Lehre des Thomas fol-
gen …«38 Aus den Regulae professoris philosophiae der Ratio studiorum von 1591 und
1599 ergibt sich die thomistisch bestimmte ratio philosophandi Aristotelica.39 Die Re-
geln lauten im einzelnen:

37
Die hieraus resultierenden sprachlichen Differenzen seien an einem Beispiel verdeutlicht: De
An. II 1, 412b4-6: »ei) dh/ ti koino\n e)pi\ pa/shj yuxh=j dei= le/gein, ei)/h a)\n e)ntele/xeia h( prw/th
sw/matoj fusikou= o)rganikou=.« / »Wenn man nun etwas Gemeinsames von jeder Seele sagen soll,
so ist sie wohl die erste Vollendung eines natürlichen, organischen Körpers.« Die antiqua translatio
von Venetus/Moerbeke lautet: »Si autem aliquod commune in omni anima oportet dicere, erit utique
actus primus corporis organici physici.« (zitiert nach Averroes, II 1, 51vE [138,1-3]). Zabarella wan-
delt die Übersetzung leicht ab in primus actus corporis naturalis instrumentalis (II 1, t. VII, 148F)
und belegt so das Bemühen, eine eigene lateinische Begrifflichkeit, statt griechischer Lehnwörter zu
verwenden. Argyropulos übersetzte: »si igitur commune quid de omni anima sit dicendum, ipsa per-
fectio prima primusque actus est corporis naturalis, cuius partes sunt instrumenta.« (Aristoteles latine,
214b) Es fällt auf, daß die Venetus-Übersetzung in einem knapperen Latein gehalten ist.
38
Monumenta paedagogica, Ratio studiorum (1586), 6: »In theologia doctrinam S. Thomae … no-
stri sequantur …«
39
Vgl. a. a. O., 98 (Constitutiones des Ignatius; 4 Par. cap. 14 § 3): »In logica, inquiunt, et philo-
sophia naturali et morali et metaphysica doctrina Aristotelis sequenda est …« Von Anfang an umfaß-
te dabei das curriculum Philosophiæ bei den Jesuiten einen Großteil des corpus Aristotelicum, das
innerhalb von drei Jahren wie folgt gelehrt wurde: Im ersten Jahr die Logik (Kategorien, Peri Herme-
neias, Analytica priora & posteriora, Topik, Sophistische Widerlegungen), im zweiten Jahr die Physik
über einen Zeitraum von sechs Monaten, De Caelo und das 1. Buch De Generatione et corruptione
ebenfalls über einen Zeitraum von sechs Monaten und im dritten Jahr das 2. Buch De Generatione,
die drei Bücher De Anima über einen Zeitraum von fünf Monaten und abschließend die Metaphysik
über einen Zeitraum von mindestens vier Monaten. Die Ethik war – wie gesehen – Bestandteil der
studia humanitatis. Zur Studienordnung der Jesuiten vgl. Paul Richard Blum, Philosophenphiloso-
phie, 146-158. Zur Studienordnung in Padua vgl. Paul F. Grendler, Universities, 267ff. Aus der Über-
sicht von Cesare Cremoninis (1550-1631) Vorlesungen bei Heinrich C. Kuhn (vgl. Venetischer Ari-
stotelismus im Ende der aristotelischen Welt. Aspekte der Welt und des Denkens des Cesare Cremo-
nini (1550-1631). Frankfurt am Main 1996, 89) wird ersichtlich, daß in Padua die aristotelische Na-
turphilosophie im folgenden Sechsjahreszyklus vorgetragen worden ist: 1590 De Anima III. 1591
Physicorum VIII. 1592 De Generatione et Corruptione. 1593 De Anima I & II. 1594 Physicorum I &

140
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

1. Ziel des curriculum Philosophiae ist es, auf die Theologie vorzubereiten.
2. Von Aristoteles ist nur dann abzuweichen, wenn etwas anderes an allen Universitä-
ten gelehrt wird oder wenn seine Lehre dem christlichen Glauben widerspricht.
3. Diejenigen Interpreten des Aristoteles, die sich nicht um den christlichen Glauben
verdient gemacht haben, sind nur in Auszügen zu lesen und im Unterricht zu behan-
deln. Der Lehrer soll sich davor hüten, seine Schüler mit den Gedanken solcher Auto-
ren zu affizieren.
4. Aus diesem Grunde trägt der Lehrer die Abweichungen des Averroes nur gesondert
vor, und wenn er etwas Richtiges gesagt hat, dann ist dies ohne Lob vorzutragen, und
wenn möglich, dann ist zu erweisen, daß er es von einem anderen übernommen hat und
damit keine Originalität beanspruchen kann.
5. Der Lehrer schließt sich keiner Schule an, weder den Averroisten noch den Alexan-
dristen. Er verschweigt nicht deren Irrtümer, sondern bringt sie ans Tageslicht und un-
tergräbt damit desto stärker ihre Autorität.
6. Dagegen spricht der Lehrer von Thomas immer nur ehrenvoll, folgt ihm willig nach,
sooft es geht, und weicht von ihm nur ab, wenn es gar nicht anders geht.40
Deutlich ist also die Stoßrichtung der Jesuiten insbesondere gegen Averroes, der
gleichsam dämonisiert wird, aber auch gegen Alexander, während Thomas kanonisiert
wird. Etwas Vergleichbares findet sich auf Seiten der radikalen Aristoteliker nicht:
Vielmehr werden bei Pomponazzi, Portio und Zabarella deren Positionen ohne Vorbe-

_________________________________________________________________________________________________________

II. 1595 De Caelo. 1596 De Anima III etc. Es fällt auf, daß in diesem Zyklus die zoologischen Schrif-
ten des Aristoteles zumindest systematisch nicht verhandelt worden sind. Dies verwundert nicht, da
sie erst im Verlauf des 16. Jh.s veröffentlicht und kommentiert worden sind. Vgl. hierzu grundlegend
Stefano Perfetti, Aristotle’s Zoology. Danach wurden die Libri de animalibus (Hist. an., De part. an.
& De gen. an.) erst 1476 durch Theodor Gaza veröffentlicht (vgl. a. a. O., 11ff.). Die Rezeption die-
ser naturwissenschaftlichen Werke begann 1521 mit der Auslegung der ersten vier Bücher der Schrift
De part. an. durch Pomponazzi (vgl. a. a. O., 33ff.), die Perfetti jüngst veröffentlicht hat (vgl. Pom-
ponazzi, Expositio super primo et secundo De partibus animalium. A cura di Stefano Perfetti. Pisa
2004). Einen ersten Höhepunkt erreichte die Kommentierung mit den 1546 posthum veröffentlichten
Expositiones in omnes Aristotelis libros: De historia an. libri IX, De partibus animalium libri IIII ac
De generatione animalium libri V des Agostino Nifo, die er vermutlich in den dreißiger Jahren des
16. Jh.s ausgearbeitet hat (vgl. Perfetti, Aristotle’s Zoology, 85-120). Einer der Gründe für die Rezep-
tion all dieser Werke lag wohl in dem Bemühen, dadurch den in De Anima nicht umfassend beschrie-
benen Zusammenhang von Körper und Seele von den physiologischen Schriften her deutlicher zu
machen. Dies betont auch Perfetti im Zusammenhang mit einem Kommentar des Antonio Scaino zu
De Anima und den Parva naturalia von 1599: »It is apparent that the plan is to deliver – so to say – a
complete course on the soul and its relation with bodily functions.« (A. a. O., 186) Von besonderer
Bedeutung war hierbei auch De gen. an. II 3, wie der weitere Verlauf dieses Kapitels belegen wird.
40
Vgl. Monumenta paedagogica, Ratio studiorum (1591), 283; Ratio studiorum (1599), 397. Die-
ser Vorrang des Thomas in der Philosophie galt bei Suárez selbst gegenüber Aristoteles, dessen
Geistlehre von den Theologen und christlichen Philosophen umfangreicher gelehrt worden sei, wie
folgende Anmerkung belegt: »Disputavit Aristoteles de hac materia 3. lib. de Anim. à cap. 4. … etsi
verò pleraque de intellectu pronuntiet, multo verò plura Theologi, ac philosophi Christiani, nomina-
tim D. Thom. … tradere solent.« (Tractatus de anima, lib. IV, Proœmium, 167a)

141
De Anima

halte ermittelt und geprüft, denen man dann je nach der Überzeugungskraft ihrer Ar-
gumente folgt oder nicht.
Zu 2. Worauf diese ratio philosophandi Aristotelica der Jesuiten hinausläuft, ist klar:
Die Philosophie wird erneut – wie bereits in der Ersten Scholastik – in ihrer alten
Funktion als ancilla theologiæ41 rezipiert: »Within the Catholic Church the Jesuits and
other religious orders attempted to maintain the Scholastic Aristotle in the service of
Catholic theology.«42 Lohr erkennt hierin das Bemühen, gegen Pomponazzis säkularen
Aristotelismus das scholastische Erbe zu bewahren und die Einmütigkeit in der Philo-
sophie gegen abweichende Lehren zu sichern. Auch Kessler sieht im Jesuitenorden un-
ter Rückgriff auf die Scholastik eines Thomas und Scotus »a rebirth of Christian philo-
sophy in its own right«43. Aristoteles bleibe zwar die Grundlage in der Naturphiloso-
phie, »nonetheless, a certain withdrawal from the Aristotelian position was obvious«44.
Deutlich werde dies an den Propositiones aliquot fide tenenda, quibus vera debet esse
philosophia consentanea45 des Toletus, die er seinem Kommentar zu Aristoteles’ De
Anima vorangesetzt habe. Deren Ziel sei nicht die Erklärung dieser Schrift gewesen,
sondern die Rationalisierung der christlichen Lehre. Auch hier betont Kessler also eine
gewisse Abständigkeit der Neuscholastik von Aristoteles (vgl. 1.3.). Anders sieht dies
Simmons, der in ihr einen Höhepunkt des Aristotelismus überhaupt erkennt:
»Far from beeing a degenerate form of Aristotelianism designed to buttress Catholic doctrine,
the version of Aristotelianism expressed in these textbooks [sc. of the Jesuits] represents a vital
and constructive moment in the long history of Scholastic Aristotelianism: it advances new and
interesting positions; it produces quite sober interpretations of Aristotle; and it develops rigo-
rously philosophical arguments. The Jesuits certainly do have their own way of doing Aristotle
commentary, but this way is by no means a philosophically inferior one: they prove themselves
to be good Christians, and good philosophers, and good Aristotelians.«46

Wie es sich mit dieser Bewertung der Philosophie der Jesuiten verhält, kann ein Ver-
gleich mit dem radikalen Aristotelismus verdeutlichen, der eine solche Instrumentali-
sierung der aristotelischen Philosophie vehement abgelehnt hat.47 Als eindringliches
41
Zum Begriff und seiner Tradition vgl. Max Seckler, »Philosophia ancilla theologiae«. Über die
Ursprünge und den Sinn einer anstößig gewordenen Formel, in: ThQ 171 (1991), 161-187.
42
Charles H. Lohr, Jesuit Aristotelianism and Sixteenth-Century Metaphysics, in: PARADOSIS.
Studies in Memory of Edwin A. Quain. New York 1976, 203-220, hier: 205.
43
Eckhard Kessler, The Intellective Soul, in: CHRP, 507.
44
A. a. O., 508.
45
Vgl. Toletus, Propositiones aliquot fide tenenda, quibus vera debet esse philosophia consenta-
nea, in: Toletus, 6vb-8rb. Siehe hierzu 3.1.1.
46
Alison Simmons, Jesuit Aristotelian Education: The De anima Commentaries, in: The Jesuits.
Cultures, Sciences, and the Arts, 1540-1773. Edited by John W. O’Malley. Toronto 2000, 522-537,
hier: 525.
47
Vgl. Charles B. Schmitt, Aristotle and the Renaissance, 30: »In Padua there was a strong traditi-
on of secular study of Aristotle aimed at understanding the text in its own right with little concern for
the theological implications of this.«

142
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

Beispiel mag hier Zabarellas programmatische Oratio in exordio lectionis philosophiæ


dienen, die er am 6.11.1585 anläßlich seiner Berufung auf die zweite ordentliche Pro-
fessur der Naturphilosophie in Padua gehalten hat. Er unterscheidet darin zwischen ei-
ner doppelten Weise des Philosophierens: Die eine bestehe aus den Prinzipien, die Gott
dem menschlichen Geist durch den Glauben eingegeben habe, und könne vera philo-
sophia genannt werden, weil sie frei von jedem Irrtum sei. Sie sei jedoch nicht Gegen-
stand des Philosophen, sondern des Theologen. Die andere, dem Philosophen ange-
messene Weise des Philosophierens stütze sich dagegen allein auf die menschlichen
Fähigkeiten und habe die menschlichen und göttlichen Angelegenheiten zum Gegen-
stand. Mag sie auch nicht frei von Irrtümern sein und uns nicht mit dem vertraut ma-
chen, was zu glauben sei, so führe sie uns doch »bis zu den ihr gegebenen Grenzen«48,
bis dorthin also, wo die Philosophie und die Vernunft ende und die Theologie und der
Glaube beginne. Zabarella fordert also eine Freiheit des Philosophierens, die selbst auf
die Gefahr von Irrtümern hin gegen die Vereinnahmung von Seiten der Theologie zu
verteidigen ist. Man geht wohl nicht Fehl in der Annahme, daß der Paduaner hierbei
insbesondere die Jesuiten und die Scholastiker des Mittelalters mit ihrer ratio philo-
sophandi im Blick hatte.
Daß hier für die radikalen Aristoteliker eine unglückselige Kontinuität bestand, die
bis zu den ältesten christlichen Autoren zurückreichte, wird daraus ersichtlich, daß Por-
tio es Philoponus geradezu absprach, als ein Anhänger der schola Alexandrina sowie
als Christianus ein echter Naturphilosoph und Peripatetiker zu sein; vielmehr sei er ein
Zerstörer der Philosophie, weil er sie nicht sorgfältig von der Theologie unterscheide,
stattdessen die Prinzipien der einen Wissenschaft in die andere übertrage und somit
eine Kategorienverwechslung (meta/basij ei)j a)/llo ge/noj) vollziehe, welche die
Wahrheit zerstöre:
»Selbst wenn wir sehen, daß sich Philoponus in seiner Ansicht über die Seele und die anderen,
die mit ihm übereinstimmten, zu Philosophen ernannt haben, so werden wir sie gewiß keine Na-
turphilosophen nennen, da man nicht denjenigen, der die Prinzipien der Geometrie zerstört, ei-
nen Geometer nennen kann. Wenn nämlich diese Philosophen die erwähnte Physik mit den hei-
ligsten und wahrsten Dekreten unserer Religion vermischen, dann kann man [nur] schließen
und folgern, daß sie [sc. die Physik] weder gottesfürchtig ist noch die Natur betrifft und in kein-

48
Vgl. Zabarella, Oratio in exordio lectionis philosophiae, in: Rivista critica di storia della filoso-
fia 21 (1966), 286-90, hier: 287: »Hinc orta est duplex philosophandi ratio, una ex principiis quae a
divina bonitate sunt mentibus nostris infusa per fidem eaque vera philosophia dicenda est ac divinitus
nobis tradita sapientia quae omni prorsus errore omnique deceptione vacat. De hac ut non in praesen-
tia nos attinente nullus nobis habendus est sermo. Altera ratio est quam nos propositam habemus,
humana iure nuncupata; tota namque humanis viribus nititur et eius principia, sive de naturalibus et
humanis, sive etiam de divinis rebus loquamur, a sensibus deducta sunt, quocirca et imperfecta ad-
modum est et aliquo errore non caret, nec per eam omnino discimus quid secundum veritatem asse-
rendum credendumque sit, sed solum ad quos usque terminos ratio nos humana perducat.«

143
De Anima

ster Weise mit den Dingen selbst übereingestimmt hat. Daher verwirft die peripatetische Schule
mit bestem Recht derartiges und diese Naturphilosophen, die keine sind.«49

Echte Peripatetiker und Naturphilosophen können also für Portio nur diejenigen sein,
welche die Differenz von Philosophie und Theologie beachten und die Philosophie in
ihrem Bemühen, die Wahrheit zu erkennen, ernst nehmen.
Daß dies eine immer wieder neu zu erringende Position war, ergibt sich gerade aus
dem Kampf dieser radikalen Aristoteliker gegen die Jesuiten, wie er sich am Ende des
16. Jh.s in Padua ereignete. Dort wurde das um 1558 von den Jesuiten übernommene
Gymnasium in den nächsten Jahrzehnten gegen die alteingesessene Universität, dem
Studio di Padova im Palazzo del Bò, zu einer Art »Paralleluniversität«50 mit Lehrstüh-
len für Logik, Philosophie, Mathematik, Grammatik sowie den studia humanitatis aus-
gebaut. Gegen diese Konkurrenz wandte sich Cremonini – Zabarellas Nachfolger auf
dem Lehrstuhl der Naturphilosophie – in seiner Orazione contro I Gesuiti a favore del-
lo Studio di Padova von 159151, in der er den Jesuiten vorwarf, die offizielle Universi-
tät zerstören und sich zum Monopolisten mit absolutem Wahrheitsanspruch erheben zu
wollen. Neben dem gewiß eigenen Interesse an der Beibehaltung des Status quo ging
es gerade um die »Bedrohung der berühmten Patavina Libertas«52, die Portio und Za-
barella für sich in Anspruch genommen haben: eine Freiheit des Denkens, die durch
eine Theologisierung der Philosophie und eine Dogmatisierung der theologischen
Wahrheit gefährdet schien.
Bevor dies im einzelnen zu erweisen sein wird, gilt es noch auf einen formalen
Wandel innerhalb des Aristotelismus aufmerksam zu machen, der für die neuzeitliche
Philosophie charakteristisch werden sollte: Der Übergang von der bloßen Kommentie-
rung des Aristoteles zur systematischen Abhandlung eines Themas53, in welcher der
Stagirite zwar noch den Inhalt, aber nicht mehr den ordo doctrinæ – die Anordnung
des Wissen nach der für den Menschen leichteren Weise des Erkennens – bestimmte.
Es ist zu auffällig, wie in allen Bereichen der Philosophie die Kommentare durch

49
Portio, c. 3, 12 f.: »Quòd cùm Ioan. Grammacticum in hac sua de Anima sententia & alios, qui
cum illo consenserunt, philosophos facere videamus: eos certè naturales non appellabimus, cum ne
Geometram quidem eum qui principia Geometriæ demolitur appellare liceat. Nam cum hi Philosophi
physica pronuntiata cum sanctissimis, & verissimis nostræ religionis decretis confundant: quod inde
colligunt, ac concludunt, nec religiosum, nec physicum, minimeque cum rebus ipsis respondens fue-
rit: optimo igitur iure eiusmodi ceu non naturales philosophos schola Peripatetica reiicit.« Das Neu-
platonische bei Philoponus erkannte Portio in den folgenden Lehren: Abtrennung der Seele vom Leib
nach dessen Tod, Aufstieg der Seele zu den Ideen sowie Seelenwanderung (transmigratio animæ).
(vgl. a. a. O., c. 2, 11f.). Philoponus stand damit für Portio in unmittelbarer Nähe zu Simplicius.
50
Heinrich C. Kuhn, Venetischer Aristotelismus, 98.
51
Cesare Cremonini, Orazione contro I Gesuiti a favore dello Studio di Padova (Venezia, 20 di-
cembre 1591), in: Ders., Le Orazioni, 59-69.
52
Heinrich C. Kuhn, Venetischer Aristotelismus, 107.
53
Vgl. hierzu Charles B. Schmitt, The Rise of the Philosophical Textbook, in: CHRP, 792-804,
hier: 796-801.

144
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

systematische Abhandlungen zur Physik, Metaphysik, Psychologie etc. ersetzt werden,


als daß dahinter nicht eine neue Weise des Philosophierens zum Vorschein kommen
sollte: Es finden sich hier die ersten Anzeichen für den Übergang von der Schulphilo-
sophie zur neuzeitlichen Philosophie des 17. und 18. Jh.s, zur, wie Blum sie nennt,
»Philosophenphilosophie«54, die in der Systematisierung des Verstehens sich zuneh-
mend von den Bindungen an eine bestimmte ratio philosophandi löste, um die Sache
selbst auf vielfältigere bzw. ganz andere Weise (Subjektivität versus Objektivität) in
den Blick zu nehmen.
Den Übergang von der bloßen Kommentierung des Aristoteles hin zu einer systema-
tischen Darstellung des Wissens über die Seele verdeutlicht bereits der Titel von Tole-
tus’ Schrift: Commentaria unà cum quæstionibus in tres libros Aristotelis de anima. Er
vereinigt damit noch beide Weisen des Philosophierens, indem er seinem Kommentar
zugleich mehr als siebzig Quæstiones folgen läßt, »which resemble a systematic treati-
se«55. Nicht anders verhält sich dies beim Commentarius in tres libros de anima Aristo-
telis der Conimbricenser:
»Intended to serve as a standard textbook within a cursus of Christian philosophy, the commen-
tary itself, while giving the Greek text along with a Latin translation, was confined to a rather
brief explanation, while the philosophical analysis as such was again transferred to the quae-
stiones which followed each chapter and discussed the psychological problems from the Chri-
stian point of view.«56

Simmons nennt diese Quæstiones »a rational reconstruction; that is, they effectively
reconstruct Aristotle’s thought from first, or at least relatively fundamental, principles
of his own philosophical system«57. Deutlich voneinander getrennt sind beide Weisen
des Philosophierens hingegen bei Zabarella: 1590 erschien zunächst posthum die
Schrift De Rebus naturalibus, in der er »with incomparable clarity and lucidity«58 in
dreißig mehr oder weniger umfassenden systematischen Abhandlungen neben der all-
gemeinen Bestimmung der Naturwissenschaft und des Begriffs der Natur die einzelnen
Disziplinen der Kosmologie, Biologie und Psychologie erläuterte. Zu Standardwerken
54
Paul Richard Blum, Philosophenphilosophie, 15.
55
Eckhard Kessler, The Intellective Soul, in: CHRP, 511.
56
A. a. O., 512f.
57
Alison Simmons, Jesuit Aristotelian Education, 526.
58
John Herman Randall, The Career of Philosophy. Vol. I. From the Middle Ages to the Enligh-
tenment. New York 31966, 84: »Heir of both the Alexandrians and the Averroists, and with the ency-
clopedic interests that embraced the entire range of scientific studies, he [sc. Zabarella] was able in
De rebus naturalibus (1590) to discuss each of the problems elaboreted by the Paduans for over three
hundred years, and with incomparable clarity and lucidity to sum up their collectiv wisdom in fresh
contact with Aristotle’s own words. … With an exact knowledge of the Aristotelian text – he had a
number of Greek codices – he combines a simplicity, a naturalness, and a directness of thought that
bring him as close to the elusive Aristotelian spirit as any confessed follower has ever managed to
come. Indeed, Aristotle’s thought has been made so transparently his own that it seems unjust to call
him a follower: it is Aristotle himself, speaking in the Latin of Padua …«

145
De Anima

der Psychologie wurden dabei die Abhandlungen De Facultatibus animæ, De Partitio-


ne animæ, De Mente humana, De Speciebus intelligibilibus, De Mente agente sowie
De Ordine intelligendi, die wiederum – sinnfälliger kann der Übergang von der bloßen
Kommentierung des Aristoteles zur Systematisierung des Wissens kaum sein – in den
Commentarius in III. Aristotelis libros de anima in etwas anderer Reihenfolge, aber
thematisch weitestgehend korrekt vom Herausgeber Lazarus Zetzner (1551-1616) –
»the most important figure in the transmission of Zabarella to Northern Europe«59 – in
den fortlaufenden Kommentar eingefügt worden sind.60 Die Systematisierung des Wis-
sens führte also zu einer von Aristoteles’ Schrift De Anima abweichenden Anordnung
des Stoffes. Gleichwohl bleibt diese Schrift bis weit ins 17. Jh. hinein Grundlage der
Vorlesungen an den Universitäten.

3.1.1. Identität und Differenz in der Psychologie

Als eine geeignete Einführung in den zeitgenössischen Kontext der Debatten im Re-
naissance-Aristotelismus können die Propositiones aliquot Fide tenendæ, quibus vera
debet esse Philosophia consentanea des Toletus dienen, die er seinem eigentlichen
Kommentar zur aristotelischen Schrift De Anima als »a convenient vademecum to the
expressed views of the Church on the rational soul«61 voransetzte. Er begründete diese
Vorgehensweise mit den Irrtümern der Philosophen, die vermieden und widerlegt wer-
den müßten, damit die wahrhaftige Philosophie bestehen könne. Er berief sich hierfür
auf das 5. Laterankonzil von 1513, auf dem die beiden philosophischen Lehren, die
menschliche Seele sei sterblich (Alexander) oder eine einzige in allen Menschen
(Averroes), als ketzerisch verdammt worden sind (vgl. 1.2.). Vielmehr sei die mensch-
liche Seele, so heißt es dort unter Berufung auf das Konzil von Vienne von 1312,
wahrhaft an sich die Form des menschlichen Körpers, unsterblich und entsprechend
der Vielzahl der Körper, denen sie eingegossen wird, einzeln vervielfältigbar. Diese
Konzilsentscheidungen und die damit zusammenhängenden Lehrsätze wolle er, so To-
letus, ins Gedächtnis zurückrufen, um sie im Glauben erneut zu befestigen.62
59
Ian Maclean, Mediations of Zabarella in Northern Germany, 1586-1623, in: La presenza
dell’aristotelismo padovano nella filosofia della prima modernità. Atti del Colloquio internazionale in
memoria di Charles B. Schmitt (Padova, 4-6 settembre 2000). A cura di Gregorio Piaia. Rom 2002,
173-198, hier: 178.
60
De Mente humana im Anschluß an De An. II 1, 413a10 (vgl. Commentarius, 177-241). De Par-
titione animæ im Abschnitt De An. II 2 nach 413b24 (285-322). De Facultatibus animæ im Anschluß
an De An. II 3, 415a13 (369-412). De Speciebus intelligibilibus im Abschnitt De An. III 4 nach 429b9
(785-812). De Mente agente und De Ordine intelligendi aufeinander folgend im Anschluß an De An.
III 5, 430a25 (911-946 und 945-982), womit der unvollständige Kommentar endet.
61
Dennis Des Chene, Life’s Form. Late Aristotelian Conceptions of the Soul. Ithaca 2000, 47.
62
Vgl. Toletus, 6vb. Zur Verdeutlichung, daß alle diese Thesen auf Thomas zurückgeführt werden
können, werden im folgenden jeweils die entsprechenden Kapitel aus dessen Summae contra gentiles
libri quatuor (nachfolgend: Scg, in: Ders., Opera 13,2, 403-548) angeführt.

146
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

1. Die Geistseele (anima rationalis & intellectiva) ist nicht eine einzige in allen Men-
schen, sondern sie ist vielfältig, war und wird dies sein gemäß der Vielheit der Men-
schen.63 Sie ist so jedem Individuum auf je einzigartige Weise eigen. Mit diesem Lehr-
satz wandte sich Toletus gegen Averroes und seine Anhänger Siger von Brabant und
Boethius von Dacien mit ihrer These vom Einssein des Geistes in allen Menschen. Er
nannte diese Ansicht einen »Wahnsinn«64 und berief sich hierfür neben der genannten
Konzilsentscheidung von 1513 auch auf Albertus Magnus, Thomas von Aquin65 und
Ägidius Romanus.
2. In jedem Menschen gibt es nur eine Seele und nicht viele.66 Für diesen Lehrsatz
verwies Toletus auf Augustinus, der gegen die Ansicht der Manichäer, wonach es im
Menschen zwei Seelen gebe, die anima sensitiva und die anima intellectiva, daran
festgehalten habe, daß es im Menschen nur eine Seele, nämlich die anima rationalis,
gebe. Der eigentliche Gegner dieses Lehrsatzes ist jedoch wiederum Averroes, der die
Ansicht von der Vielheit der Seelen in einem Lebewesen vertreten hat.
3. Die Geistseele ist an sich selbst und ihrer Substanz nach forma corporis, die der Ma-
terie das Sein gibt und bewirkt, daß Seele und Körper an sich eine Einheit bilden.67 Sie
ist für Toletus als die dem Menschen eigentümliche Seele genau so zu definieren wie
die anima vegetans der Pflanze und die anima sentiens des Tiers. Als forma corporis
ist sie genauerhin forma informans, nicht forma assistens, wie er gegen Platon und
Gregor von Nyssa unter Berufung auf das Konzil von Vienne von 1312 und das 5. La-
terankonzil betonte. Auch diese These richtet sich in erster Linie gegen Averroes.
4. Die Geistseele wird unmittelbar von Gott erschaffen.68 Dieser sogenannte Kreatia-
nismus, wie er auf katholischer Seite auch von Thomas69 vertreten worden ist, verwirft
den Traduzianismus, wonach die Seele des Kindes aus der Seele der Eltern durch Fort-
63
Vgl. Toletus, 6vb: »Prima propositio, Anima rationalis & intellectiva non est una numero in
omnibus hominibus, sed est, & fuit, & erit plurificata secundum individuorum hominum pluralitatem
…«
64
Ebd.: »Oppositum habuit Averroes, qui unicum Intellectum numero assistentem omnibus homi-
nibus posuit. Contra quam amentiam scripserunt multi viri docti …«
65
Vgl. Thomas, Scg II 73, in: Opera 13,2, 459: »Quod intellectus possibilis non est unus in omni-
bus hominibus.«
66
Vgl. Toletus, 7ra: »Secunda propositio. In unoquoque homine una est anima, & non plures.«
Thomas, Scg II 58, in: Opera 13,2, 409: »Quod nutritiva, sensitiva et intellectiva non sunt in homine
tres animæ.«
67
Vgl. Toletus, 7rb: »Tertia propostio. Anima rationalis secundum se, & suam substantiam, est
corporis forma, materiamque informat, & cum ipsa unum per se facit.« Thomas, Scg II 68, in: Opera
13,2, 440: »Qualiter substantia intellectualis possit esse forma corporis.« Scg II 69, in: A. a. O., 447:
»Solutio rationum, quibus supra probatur quod substantia intellectualis non potest uniri corpori ut
forma.« Scg II 70, in: A. a. O., 449: »Quod secundum dicta Aristotelis oportet ponere intellectum
uniri corpori ut formam.«
68
Vgl. Toletus, 7rb: »Quarta propositio. Anima rationalis à solo Deo est creata.«
69
Vgl. Thomas, Scg II 87, in: Opera 13,2, 537: »Quod anima humana producatur in esse a Deo per
creationem.«

147
De Anima

pflanzung (ex traduce) entsteht. Vertreter dieser Ansicht waren u. a. Tertullian und Lu-
ther.
5. Die Geistseele ist spiritus, nicht Körper oder aus Körpern zusammengesetzt.70 Tole-
tus verwies hierfür auf Lk 23,46 und Gal 5,17, wo das Geistsein des Menschen in Dif-
ferenz zum Körpersein betont wird. Körper und Seele sind nicht ein und dasselbe, mö-
gen sie auch eine Einheit bilden.
6. Gegen die Gnostiker und Manichäer betonte Toletus, daß die menschliche Seele we-
der ein Teil der göttlichen Substanz ist, noch aus der göttlichen Substanz hervorgeht.71
Allein Gottes Substanz ist ewig, während die menschliche Seele nicht ewig ist, denn
sie war nicht vor den Körpern da, wie der nachfolgende Lehrsatz verdeutlicht.
7. Die Geistseele wird nicht zeitlich vor dem Körper erschaffen. Vielmehr wird sie zu-
gleich mit der Zeugung des Körpers, die auf natürliche Weise durch Fortpflanzung ge-
schieht, von Gott erschaffen (vgl. Lehrsatz 4) und mit dem Körper vereinigt, wie gegen
Origenes betont wird.72
8. Die menschliche Seele geht nicht zugrunde, wenn der Körper zugrunde geht, son-
dern bleibt bestehen in alle Ewigkeit.73 Für diesen Lehrsatz verwies Toletus auf Mt 22,
32, wonach Christus nicht ein Gott der Toten, sondern ein Gott der Lebenden ist. Die
zeitgenössischen Gegner dürften Pomponazzi und Portio gewesen sein.
9. Es findet kein Übergang der menschlichen Seele von einem Körper zum andern statt
(transmigratio animæ)74, vielmehr verbleibt die Seele immateriell im Himmel, wie To-
letus gegen die Phythagoreer und die Häretiker der Albanenser und Albigenser unter
Berufung auf Athanasius betonte.
10. Alle natürlichen Gründe, die von den Philosophen gegen die Unsterblichkeit der
Seele und die anderen Glaubenswahrheiten verkündet worden sind, sind sophistisch,
nichtig und widerlegbar. Denn die wahrhafte Philosophie widerstreitet nicht der göttli-
chen Wahrheit.75 Dieser Lehrsatz richtet sich gegen solche Philosophen wie Pompo-

70
Vgl. Toletus, 7va: »Quinta propositio. Anima rationalis est spiritus, nec est corpus, nec ex cor-
poribus conflata.« Thomas, Scg II 56, in: Opera 13,2, 403: »Per quem modum substantia intellectualis
possit corpori uniri.« Scg II 65, in: A. a. O. 435: »Quod anima non sit corpus.«
71
Vgl. Toletus, 7vb: »Sexta. Anima non est Dei substantia, nec ex Dei substantia.« Thomas, Scg II
85, in: Opera 13,2, 533: »Quod anima non sit de substantia Dei.«
72
Vgl. Toletus, 7vb: »Septima. Anima non fuit creata ante corpus, sed simul à Deo creatur, & cor-
pori infunditur.« Thomas, Scg II 83, in: Opera 13,2, 520: »Quod anima humana incipiat cum corpo-
re.«
73
Vgl. Toletus, 7vb: »Octava. Anima rationalis non corrumpitur, corrupto corpore, sed manet in
æternum duratura.« Thomas, Scg II 79, in: Opera 13,2, 498: »Ex præmissis igitur manifeste ostendi
potest animam humanam non corrumpi, corrupto corpore.«
74
Vgl. Toletus, 8ra: »Nona. Animæ manentes post corpora, non subintrant alia corpora, nec
transmigrant de uno in aliud.«
75
Vgl. a. a. O., 8ra-b: »Decima. Omnes rationes naturales, quæ contra animæ immortalitatem, &
alias veritates Fidei à Philosophis factæ fuerunt, sunt sophisticæ, & vanæ, & solubiles. Nec enim phi-
losophia vera repugnat veritati divinæ.«

148
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

nazzi und Portio, welche unter Hinweis auf die Prinzipien der aristotelischen Philoso-
phie die These von der Sterblichkeit der menschlichen Seele vertreten haben. Toletus
berief sich zur Stützung seiner Ansicht erneut auf das 5. Laterankonzil, das mit seinem
Postulat vom einheitlichen Wahrheitsbegriff jede Diskussion um die doppelte Wahrheit
unterbinden wollte. Dabei galt natürlich der Vorrang des Glaubens gegenüber der Ver-
nunft, wie auch Toletus betonte. Was folglich mit dem Glauben nicht übereinstimme,
das könne in der Philosophie nicht wahr sein.
Toletus formulierte mit diesen Propositiones aliquot, die im Verlauf dieses Kapitels
ausführlicher erläutert werden, diejenigen theologischen Lehrsätze, die später den
Schülern der Jesuiten-Collegien in der Ratio studiorum von 1586 als verbindlich vor-
geschrieben worden sind, wie der Abschnitt De Studio philosophiæ belegt:
1. In jedem Menschen gibt es nur eine Seele.
2. Die Geistseele ist gemäß Aristoteles unsterblich, wird nicht von der Potenz der Ma-
terie hervorgebracht und ist wahrhaft die Form des menschlichen Körpers.
3. Es kann auf philosophische Weise bewiesen werden, daß die menschliche Seele un-
sterblich, nicht eine in allen Menschen und die natürliche Form des Körpers ist, so daß
die von Aristoteles in De An. II 1 gegebene Definition der Seele auch auf sie zutrifft,
auf vermittelte Weise auch auf den Geist.
4. Die menschliche Seele hängt, solange sie im Körper als forma corporis ist, nicht von
ihm ab, sondern besteht wahrhaft an sich.76
Auch wenn hier keine Namen genannt werden, so ist doch klar, daß in der Psychologie
insbesondere der Averroismus, weniger der Alexandrismus als der eigentliche Gegner
dieses thomistisch orientierten Jesuitenordens fungierte. Wie diffizil hierbei die Kon-
stellation zwischen einer Ablehnung des Averroes und Alexander auf der einen Seite
und ihrer Zustimmung auf der anderen Seite war, belegt die Bibliotheca selecta de Ra-
tione Studiorum des italienischen Jesuiten Antonio Possevino (1533/4-1611) von 1593.
Dort heißt es zum Locus De anima rationali:
»Wir nehmen an und sagen mit Aristoteles und dem natürlichen Licht, daß die Geistseele mit
Alexander die wahre seingebende Form ist, mit Averroes, Themistius, Simplicius und Philopo-
nus unsterblich ist, mit Alexander und Galen vervielfältigbar ist gemäß der Vielheit der Indivi-
duen und mit Averroes und den anderen nicht aus dem Vermögen der Materie herausgeführt
wird.«77

76
Vgl. Monumenta paedagogica, Ratio studiorum (1586), 107: »Enixe quoque studeant commu-
niores magisque nunc approbatas Philosophorum sententias tueri; quales exempli gratia sunt, quæ
sequuntur: … 8. In uno homine una tantum est anima. 9. Anima rationalis secundum Aristotelem est
immortalis, nec educitur de potentia materiae, et est vere proprieque corporis forma. 10. Naturaliter
demonstrari potest animam rationalem esse immortalem, nec unam in omnibus; et ita naturalem esse
corporis formam, ut definitio animae ab Aristotele tradita ei competat univoce, secundum gradum
etiam intellectum. 11. Anima rationalis, dum est in corpore et ut est forma corporis, ab eo non depen-
det, sed vere ac proprie per se subsistit.«
77
Antonio Possevino, Bibliotheca selecta de Ratione Studiorum ad disciplinas, et ad salutem om-
nium gentium procurandam. Venedig 1603, hier: Vol. II, lib. XII, tr. I, c. XV, 74: »…accipimus, ac
dicimus cum Aristotele atque in Lumine Naturæ, Animam Rationalem esse veram formam informan-

149
De Anima

Possevino versuchte, so Fowler, »with such mixing and matching of the opposing Ari-
stotelian schools«78 den gleichsam gereinigten Aristoteles aus den verschiedenen Schu-
len des Aristotelismus der Zeit herauszudestillieren. Denn der Weg zur Wahrheit führte
für Possevino offensichtlich nicht über einen Autor, sondern über mehrere – ganz im
Sinne der Ansicht des Aristoteles, wonach jeder die Wahrheit nicht schlechthin verfeh-
le, sondern zu ihrer Findung etwas beitrage (vgl. Met. II 1, 993a30-b7). Daher müsse
man sich der Mühe unterziehen, die Position eines jeden, auch eines Averroes und
Alexander, im einzelnen zu prüfen, um entscheiden zu können, wer von den Interpre-
ten etwas Richtiges über die Psychologie des Aristoteles ausgesagt habe.
Es wird sich zeigen müssen, welche Haltung Toletus und die Conimbricenser einge-
nommen haben. Keinesfalls kann im vorhinein davon ausgegangen werden, daß die
genannten Lehrsätze von Toletus »steer a careful path among intolerable alternati-
ves«79, wie Des Chene behauptet. Denn die ganz andere Weise des Philosophierens bei
Zabarella und Portio, die unter Berufung auf die libertas philosophiæ theologische
Vorgaben ablehnten, kann sich ja als der angemessenere Weg auch für die Theologie
erweisen. Um klären zu können, in welchen Punkten die Jesuiten mit den radikalen
Naturphilosophen übereinstimmten und in welchen nicht, sind insbesondere die in To-
letus’ Lehrsätzen 1-3, 5, 8 und 10 verhandelten Themenfelder (Vielheit der Seelen oder
Einheit der Seele in der Vielheit ihrer Vermögen, Definition der Seele, Unsterblichkeit
der Seele) zu erörtern. Daneben ist auch die von Toletus in seinen Propositiones
merkwürdigerweise überhaupt nicht erwähnte Lehre vom Geist (nou=j, intellectus) in
den Blick zu nehmen, in der das Wesen und die Funktion des intellectus patiens und
des intellectus agens besprochen worden sind. Gerade an ihrer philosophischen bzw.
theologischen Interpretation scheiden sich die aristotelischen Schulen des Alexandris-
mus, Averroismus und Thomismus. Ihr gilt daher im folgenden das besondere Augen-
merk, da hier am besten die Einheit und die Differenz in der Psychologie des Renais-
sance-Aristotelismus kenntlich gemacht werden kann.

3.1.2. Prolegomena zur Psychologie

Den wissenschaftlichen Standards der Zeit gemäß setzten Toletus und die Conimbri-
censer ihren Kommentaren Quæstiones proœmiales bzw. Proœmium genannte Einfüh-
rungen voran, in denen sie 1. die Bestimmung dieser Disziplin als scientia de anima, 2.
ihren Nutzen, 3. ihren Gegenstand, 4. die Zuordnung ihres Gegenstandes zur Mathema-
_________________________________________________________________________________________________________

tem cum Alexandro, Immortalem, cum Averroe, Themistio, Simplicio, et Philopono, multiplicatam
ad multiplicationem individuorum cum eodem Alexandro et Galeno, et non eductam ex potentia ma-
teriæ cum Averroe, et aliis.« Zitiert nach C. F. Fowler, Descartes on the Human Soul. Philosophy and
the Demands of Christian Doctrine. Dordrecht u. a. 1999, 76. Zu Possevino vgl. Paul Richard Blum,
Philosophenphilosophie, 37-50.
78
Vgl. C. F. Fowler, Descartes, 76.
79
Dennis Des Chene, Life’s Form, 49.

150
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

tik, Physik oder Metaphysik und 5. schließlich ihre Verortung im Wissenschaftskanon


erörterten.80 Das Proœmium vermittelte dergestalt præcognita über diese Wissenschaft,
die das Verstehen des komplexen Gegenstandes selbst erleichtern sollten.
1. Toletus begann seine Quæstiones proœmiales mit der Frage, ob die scientia de ani-
ma eine Wissenschaft sei. Dies setze zum einen voraus, daß es überhaupt so etwas wie
‘Seele’ gebe, und zum andern, daß sie auf wissenschaftliche Weise bestimmt werden
könne. Zu I. Daß man der Seele Sein zuschreiben muß, belegen für Toletus die drei
Phänomene motus, cognitio & figura: Nur was sich selbst aus sich selbst heraus zu be-
wegen vermag, ist beseelt. So ist ein Stein nach allgemeiner Ansicht unbeseelt, weil
ihm das Vermögen der Selbstbewegung fehlt. Sofern nun das Lebewesen sich aus sich
selbst heraus zu bewegen vermag, ist die Seele Prinzip der Selbstbewegung eines Le-
bewesens (vgl. De An. I 2, 403b25-27). Sie ist beim Menschen ferner Prinzip des Den-
kens, das den Menschen allein vom Tier unterscheidet und die höchste Realisation des
Beseeltseins kennzeichnet. Schließlich konstituiert sie das Lebewesen in seiner indivi-
duellen Gestalt, indem sie es zu einem Dies-da in seinem Hier und Jetzt macht. Wo
also eins von diesen drei Phänomenen sichtbar werde, so Toletus, dort existiere not-
wendigerweise eine Seele. Zu II. Daß die Seele wissenschaftlich bestimmt werden
kann, gründet in der Möglichkeit ihrer Definierbarkeit, die sie zu einem Allgemeinen
macht – denn von einem Einzelnen kann es keine Definition und damit keine Wissen-
schaft geben (vgl. Met. VII 15) – und die ihre Eigenschaften (Met. IV 1), Ursachen und
Prinzipien (vgl. Met. VI 1 sowie An. Post. I 23) benennt. All dieses zu bestimmen, ist
aber Aufgabe einer Wissenschaft. Folglich gibt es eine Wissenschaft von der Seele.81
2. Die Conimbricenser begannen ihre Erörterungen mit dem Aufweis des Nutzens die-
ser scientia de anima als Disziplin. Sie überrage wegen der Vortrefflichkeit ihres Ge-
genstandes alle anderen Bereiche der Philosophie, gehe es in ihr doch letztlich um den
Menschen selbst und seine Selbsterkenntnis. Die scientia de anima als Wissen von der
Seele sei nichts anderes als die Realisierung der klassischen Forderung des Delphi-
schen Orakels nach dem gnw=qi seauto/n, wie die Conimbricenser in Übereinstimmung
mit Alexander82 und Zabarella83 betonten: »Niemand kann sich selbst erkennen, wenn

80
Vgl. Toletus, 1ra: »Quatuor igitur nobis in præsentia discutienda sunt. Primùm, an de Anima
poßit esse scientia: quam postquam esse ostenderimus, discutiemus cuius artificis sit talem tradere
scientiam, an Physici, an Metaphysici, an cuiusvis alterius; quod sit Physici munus id est, tertiò trac-
tabitur in qua Physicæ parte, & loco hæc Tractatio sit collocanda; & tandem quartò quod sit huius
Tractationis obiectum & materia …« Coll. Conimbricense, 1: »De utilitate, ordine, materia subiecta,
& partitione horum librorum.« A. a. O., 6: »Quæstio unica. Num intellectivæ animæ contemplatio ad
Physiologiæ doctrinam pertineat.«
81
Vgl. Toletus, 1ra-vb.
82
Vgl. Alexander, De Anima I, 1,4f. [30ra]: »prosta/tetai de\ kai\ prokhru/ttetai to\ gnw=qi
seauto\n u(po\ tou= Puqi/ou …« / »præcipitur autem à Pythio Apolline, & publica ferè præconis voce
promulgatur: Nosce te ipsum …«
83
Vgl. Zabarella, De Mente humana, in: De Rebus naturalibus, 915-978, hier: c. 1, 915A-D: »Nul-
la res est, cuius notitiam illi, qui rerum scientiam inquirunt, & sapientes evadere cupiunt, magis inda-
gare, atque enixius pervestigare deberent, quam illa animæ præstantissima pars, qua homines sumus,

151
De Anima

er nicht die Natur und das Wesen seiner Seele erkannt hat.«84 Damit ist keine bloß par-
tikuläre Selbsterkenntnis des je Einzelnen in seinem Sein und Tun gemeint, sondern
die philosophische Erkenntnis des allgemeinen Begriffs von der Seele und vom Geist.
Sofern nun dieser Begriff das Wahrhafte des Menschen anzeigt, ist die scientia de ani-
ma für die Conimbricenser in bestimmter Hinsicht die Grundlage für die Ethik und
Metaphysik, ja die Grundlage jeglicher Erkenntnis der Wahrheit (vgl. De An. I 1,
402a4-6). So seien die Affekte, Tugenden und Laster als Gegenstände der Ethik nichts
anderes als seelische Phänomene, deren genauere Erkenntnis damit ein Wissen von der
Seele selbst voraussetze. Die Metaphysik wiederum handele von den Intelligenzien
und hebe damit die Seele über sich selbst hinaus zu Gott als die Quelle aller Vollkom-
menheit. Daß die scientia de anima damit die Grundlage jeglicher spekulativen Philo-
sophie ist, verdeutlichten die Conimbricenser, indem sie die Seele unter Berufung auf
Hermes Trismegistus als Orizon æternitatis et temporis bestimmten. Die Seele sei der-
gestalt das Zusammen von Geistigem und Körperlichem, das zugleich ihre Grenze be-
zeichne, und fungiere so gleichsam als Einfallstor des Göttlichen.85
3. Gegenstand der scientia de anima war für Toletus und die Conimbricenser nicht et-
wa der beseelte Körper, wie Paulus Venetus behauptet hat, sondern die Seele selbst,
wie unter Berufung auf eine ganze Reihe von Autoren wie Simplicius, Philoponus,
Alexander, Albertus und Thomas etc. betont wurde, und zwar aus den folgenden bei-
den Gründen86: 1. Aus An. Post. I 9 ist ersichtlich, daß jenes Gegenstand einer Wissen-
schaft ist, dessen Definition in ihr ermittelt wird. In De Anima wird aber die Definition
der Seele, nicht die des beseelten Körpers ermittelt. Ergo. 2. Der Titel der aristoteli-
schen Schrift De Anima zeigt selbst an, daß dieses Werk von der Seele handelt und
nicht vom beseelten Körper. Zabarella lehnte diese Argumentation mit der Begründung
ab, daß Gegenstand der Naturwissenschaft ganz allgemein der Körper sei, und zwar
der himmlische wie der irdische, insofern er in sich die Natur als das Prinzip der Be-
wegung habe.87 Gegenstand der Psychologie sei damit weder die Seele selbst noch das
Lebewesen, sondern der beseelte Körper als eine Art des natürlichen Körpers:
_________________________________________________________________________________________________________

& quam solam hominem ipsum esse plures Philosophi existimarunt: cur enim non fatui potius, quam
sapientis hominis esse fateamur ad cœli & elementorum, & rerum aliarum cognitionem adipiscendam
omne studium conferre, seipsum autem ignorare? … Hæc autem, quam proposuimus de anima huma-
na disputatio, cum ipsa per se dignissima est, in quam summa cum diligentia incumbamus, siquidem
res nostra agitur, quum ad nos ipsos cognoscendos hæc maxime pertinere videatur …«
84
Coll. Conimbricense, 1: »… sententia foribus templi Delphici ab Amphictionibus inscripta
commonebat, maxime eniti quisque debet, ut se ipsum norit: nosse autem se nemo potest, nisi animi
sui naturam, et dignitatem perspectam habeat.«
85
Vgl. a. a. O., 2: »Denique communi ratione, ad omnem Philosophiæ partem opportuna est hæc
de animo meditatio; quia cùm animus rationis, consiliique particeps (ut Trismegistus in Asclepio ait)
sit veluti Orizon æternitatis, & temporis, atque intelligibilis, corporæque naturæ nexus, ac confinium
…«
86
Vgl. hierzu Toletus, 6ra-vb. Coll. Conimbricense, 4.
87
Vgl. Zabarella, De Naturalis scientiæ constitutione liber unicus, in: De Rebus naturalibus, 1-134,
hier: c. 2, 3F-4A: »… sed hac tempestate videntur omnes in hanc sententiam convenisse, quod corpus

152
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

»Aus demselben Grund muß man sagen, daß in den Büchern De Anima Gegenstand der beseelte
Körper im allgemeinen ist, der alle sterblichen Lebewesen umfaßt, weil dort von der Form die-
ses Körpers gehandelt wird, nicht allein von der Form des Lebewesens. Denn die Seele wird de-
finiert als eine erste Vollkommenheit und als die Form des lebendigen Körpers. Daher wird sie
auf die Weise betrachtet, wie sie definiert wird, nämlich als das gestaltgebende Prinzip des le-
bendigen Körpers. Weil nämlich dasjenige der Gegenstand ist, dessen Prinzipien betrachtet
werden, kann es in den Büchern De Anima keinen anderen Gegenstand geben als den beseelten
Körper …«88

Gegen die beiden von Toletus und den Conimbricensern genannten Argumente wandte
Zabarella ein, daß nicht immer das, was definiert werde, zugleich Gegenstand der Wis-
senschaft sei und eine Schrift nicht immer nach ihrem Gegenstand benannt werde, son-
dern manchmal auch nach der Absicht des Autors, wie er unter Hinweis auf seine eige-
ne Schrift De Tribus Præcognitis betonte. Und genau dies sei hier der Fall: Ziel der
Schrift De Anima sei es, die Seele als Prinzip des belebten Körpers zu erweisen.89
4. Die Frage, ob die Betrachtung der Seele und des Geistes zur Mathematik, Physik
oder Metaphysik gehöre, hat ihren Ursprung in den entsprechenden Überlegungen von
Aristoteles in De part. an. I 1, 641a17-b10. Wie gesehen (vgl. 2.3.1.), hat Simplicius
aufgrund dieser Äußerungen in seinem De Anima-Kommentar die These vertreten, die
pragmatei/a th=j yuxh=j sei Gegenstand einer scientia media, nämlich teils der Physik,
teils der Metaphysik. Toletus und die Conimbricenser schlossen sich dagegen der An-
sicht von Alexander, Averroes, Albertus und Thomas an, wonach die Betrachtung der
anima vegetativa, sensitiva & intellectiva allein zur Physik gehöre.90 Um dabei dem
katholischen Dogma vom Kreatianismus der menschlichen Seele gerecht zu werden,
die gerade ihre Supranaturalität gewährleistet, diffenzierten die Conimbricenser genau-
_________________________________________________________________________________________________________

universale sumptum, quod & cœlestia & inferiora omnia complectatur, quatenus naturale, hoc est,
quatenus habens in se ipso naturam, quæ motus principium esse definitur, sit commune subiectum
totius scientiæ naturalis: quam sententiam ego absque dubio veram esse censeo …«
88
A. a. O., c. 38, 119A-B: »hac eadem ratione dicendum est in libris de Anima subiectum esse
corpus animatum universe sumptum, quod omnia viventia mortalia comprehendat, quia ibi de huius
forma agitur; non de sola animalis forma; definitur enim anima esse actus primus, & forma viventis
corporis: eo igitur modo consideratur, quo definitur, nempe ut principium formale viventis corporis.
Quoniam igitur illud est subiectum, cuius principia considerantur, nullum aliud esse potest eorum
librorum subiectum, nisi corpus animatum …«
89
Vgl. Zabarella, De Tribus præcognitis, in: Opera logica, 497-530, hier: c. 6, 512A-513C: »Ex
his, quæ dicta sunt, colligere possumus, quid intersit inter subiectum libri, & scopum, seu (ut vocant)
intentionem authoris in eo libro: nam discrimen hoc est, quòd nomen subiecti id, quod notum est,
respicit; nomen autem intentionis refertur ad ignota, quæ investiganda proponuntur … Dicunt etiam
complures, in libris de Anima subiectum esse animam, nec vident eam ut principium subiecti, non ut
subiectum considerari; illud enim est subiectum, cuius formale principium est ipsa anima. est autem
principium animati corporis, & ut eius principium consideratur, ut in ipsius animæ definitione appa-
ret: igitur corpus animatum est eorum librorum subiectum. anima verò est res considerata tanquam
principium subiecti, eiusque declaratio est intentio Aristotelis in ijs libris, sed non subiectum.«
90
Vgl. Toletus, 3va-b: »Physici est tractare de anima sensitiva, & vegetativa. … Physicus agit de
anima rationali, si secundum suam substantiam consideretur.«

153
De Anima

er zwischen drei Weisen ihrer Betrachtung und näherten sich so wieder der Position
des Simplicius an91: 1. Ist sie mit dem Körper vereinigt und übt in ihm ihre Funktionen
aus, dann ist sie Teil der Physik. 2. Trennt sie sich vom Körper ab und geht so zu den
Intelligenzien über, gehört ihre Betrachtung zur Metaphysik, denn dann hat sie keine
Gemeinschaft mehr mit der Materie. Dieser Status ist ihr aber nicht auf natürliche Wei-
se eigen, sondern præter naturam. 3. Hinsichtlich ihres Wesens, nach dem sie forma
corporis ist, gehört sie wiederum zur Physik, da die Seele selbst als Prinzip der Bewe-
gung Natur ist. Umstritten war dabei freilich, ob sich die Seele bereits mit dem Wahr-
nehmungsvermögen über die Natur erhebt oder erst mit dem Geist.92 Auf diese Frage
wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit zurückzukommen sein.
5. Toletus und die Conimbricenser lehrten die scientia de anima im naturwissenschaft-
lichen Kanon vor den Büchern De Animalibus93, wie gegen Alexander und Averroes
unter Berufung auf Theophrast, Avicenna, Albertus Magnus und Thomas betont wur-
de. Denn gemäß dem ordo doctrinæ müßten zuerst die Prinzipien und Ursachen ver-
handelt werden. Die Seele sei aber Prinzip der Lebewesen (vgl. De An. I 1, 402a6f.:
a)rxh\ tw=n z%/wn). Ergo.94 Was geschieht aber, wenn dieses Prinzip nicht bekannt ist?
Muß man dann nicht von dem Zusammengesetzten als dem für uns Bekannteren aus-
gehen, folglich die Bücher De Animalibus vor der scientia de anima verhandeln? Tole-
tus verneinte diese Konsequenz mit der Begründung, daß der ordo doctrinæ nicht im-
mer dem ordo nostræ cognitionis folge, sondern manchmal auch dem ordo naturæ.
91
Für das Nachfolgende vgl. Coll. Conimbricense, 7f.
92
Vgl. Toletus, 4va: »Ita anima natura dicitur, non quidem respectu sensationis, vel intellectionis,
sed respectu augmentationis, & nutritionis, & motus localis, quæ exercentur à sensitiva, & rationali.«
Zabarella, De Natura, in: De Rebus naturalibus, 231-252, hier: c. 4, 237D-E: »Idem confirmatur alio
Aristotelis testimonio in 1. libro de Partibus animalium, cap. 1. ubi concedit animam esse naturam;
quamvis enim de mente dubitet, an sit natura, & principium motus, de nutriente tamen, ac de sentien-
te animæ parte non dubitat eas esse principium motus, & nomine naturæ participare, unde colligit
pertinere ad philosophiam naturalem loqui de aliqua saltem anima; vult igitur aliquam saltem animam
esse naturam.«
93
Für Toletus (vgl. 5ra) ergab sich damit folgende Einteilung der Schriften: 1. Die Physik handelt
von den allgemeinen Prinzipien und Eigenschaften aller natürlichen Körper, wie Materie, Form, Be-
wegung, Ort, Zeit etc., 2. De Cœlo vom ewigen Himmel als einen einfachen Körper, 3. De Genera-
tione et corruptione von den übrigen einfachen Körpern, die werden, sich bewegen und vergehen, 4.
De Meteora von den vermischten und unvollkommenen Körpern, 5. De Mineralibus von den Minera-
lien, 6. De Anima von der Seele im allgemeinen und ihren spezifischen Vermögen, die nicht allen
Lebewesen auf gleiche Weise zukommen, 7. De Animalibus von den Tieren und 8. De Plantis von
den Pflanzen. Wie bereits erwähnt (vgl. Anm. 39), war nur ein Teil dieser Schriften Bestandteil des
curriculum Philosophiæ.
94
Vgl. Toletus, 5va: »Liber de anima anteponendus est libris de animalibus, & plantis: & sic sex-
tum obtinet locum. Hæc conclusio probatur primò ordine doctrinæ. Principia & causæ sunt prius tra-
denda: sed anima est principium animatorum: ergo ipsius consideratio prius est tradenda.« Coll. Co-
nimbricense, 3: »Sed … statuendum est cum Theophrasto … & D. Thoma, quem recentiores fere
sequuntur eam [sc. scientia de anima] proxime sequi post libros Meteororum; atque antecedere totam
disciplinam ad res animatas pertinentem … ita congruebat ut initium commentationum de rebus ani-
matis, esset consideratio animæ, quæ rerum animatorum commune principium est.«

154
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

Danach bilden immer die Prinzipien den Anfang der Wissenschaft, auch wenn sie uns
nicht bekannt sind.95 Diese auch von Piccolomini geteilte Ansicht wurde von Zabarella
abgelehnt, da der Mensch in der Lehrdarstellung immer dem ordo doctrinæ, niemals
dem ordo naturæ folge. Denn die Anordnung werde nicht ontologisch vom Gegen-
stand vorgegeben, sondern sei ein instrumentum mentis, das sich der Mensch selbst
bilde, um die Teile eines jeden Lehrfaches so anzuordnen, daß das betreffende Fach
desto leichter erlernt werden könne.96 Der ordo doctrinæ wird also für Zabarella grund-
sätzlich in einem pädagogischen Zusammenhang angewandt, da er dabei unseren Er-
kenntnisstand berücksichtigt und somit nicht vom Wesen oder der Dignität des Gegen-
standes abhängt. Für die theoretischen Wissenschaften bedeutet dies, daß wir gemäß
dem ordo compositivus zuerst mit dem beginnen, was uns bekannter ist. Bekannter
sind uns nun die Körperteile der Lebewesen als die einfachsten Prinzipien, da diese
den Sinnen zugänglicher sind. Folglich beginnen wir in der Lehranordnung mit den
Schriften De Animalibus, um erst anschließend die Seele als immaterielle, sinnlich
nicht wahrnehmbare Form in den Blick zu nehmen.97
Daß diese Vorgehensweise auch für die Psychologie selbst gilt, belegt eine Äuße-
rung Zabarellas in De Methodis, die als Ausgangspunkt für die Darstellung des Sy-
stems der Psychologie im Renaissance-Aristotelismus gelten kann. Dort heißt es:
»Nachdem die Materie [sc. der Körper der Lebewesen] erkannt war, wandte er [sc. Aristoteles]
sich in den Büchern Über die Seele der Untersuchung der Form zu. In dieser Abhandlung wahr-

95
Vgl. Toletus, 5vb: »Ordo enim doctrinæ non semper conformatur ordini nostræ cognitionis, sed
aliquando ordini naturæ. Unde in effectibus, & causis tradendis, potius sequitur ordinem naturæ: à
causis enim incipit scientia …«
96
Vgl. Zabarella, De Methodis, in: Opera Logica, 133-334, hier: lib. I, c. 11, 154C: »Nos igitur di-
cimus, ordinem doctrinæ esse instrumentalem habitum, per quem apti sumus cuiusque disciplinæ
partes ita disponere, ut quantum fieri possit, optimè ac facillimè illa disciplina discatur.« Zu Zabarel-
las Auseinandersetzung mit Piccolomini um den ordo naturæ & doctrinæ vgl. im einzelnen Hans
Emil Weber, Die philosophische Scholastik des deutschen Protestantismus im Zeitalter der Orthodo-
xie. Leipzig 1907, 49-54. Neal W. Gilbert, Renaissance Concepts of Method. New York 1960. John
Herman Randall, The development of scientific method in the school of Padua, in: Ders., The School
of Padua and the Emergence of Modern Science. Padua 1961. Wilhelm Risse, Die Logik der Neuzeit.
1. Band 1500–1640. Stuttgart-Bad Cannstatt 1964. Ulrich Gottfried Leinsle, Das Ding und die Me-
thode. Methodische Konstitution und Gegenstand der frühen protestantischen Metaphysik. Augsburg
1985, 42-53. Eckhard Kessler, Method in the Aristotelian Tradition: Taking a Second Look, in: Me-
thod and Order, 113-142. Nicholas Jardine, Keeping Order in the School of Padua, in: a. a. O., 183-
209. – Auf Zabarellas ordo- und methodus-Lehre wird in 3.3.7. zurückzukommen sein.
97
Vgl. Zabarella, De Naturalis scientiæ constitutione, c. 35, 109A-C: »… contra vero in libris de
animalibus egit [sc. Aristoteles] de materia animalium, quam de forma, quoniam partes animalium,
quæ sunt eorum proxima materia, sensiles sunt, & notiores, anima vero insensilis, & ignotior, & eius
consideratio ardua, multisque, ac magis difficultatibus referta est, ut Aristoteles ipse testatur in
proœmio librorum de Anima; eaque fuit Aristotelis mens in primo libro de partibus Animalium,
quando dixit agendum prius esse de materia, quam de forma, non enim ea tantum ratione ductus est,
quod materia secundum ordinem naturæ dirigitur ad formam, sed quod animalium partes, si bene co-
gnitæ sint, cognitionem animæ faciliorem reddunt, idque potissimum respexit, quando ibi dixit esse
de anima agendum, sed prius esse dicendum de materia …« Vgl. ferner a. a. O., c. 42, 132F-133A.

155
De Anima

te er bestmöglich die Ordnung vom Allgemeinen zum Besonderen. Da er nämlich die allgemei-
ne Seele der Pflanzen und Tieren betrachten konnte, wollte er mit dieser beginnen. Anschlie-
ßend sprach er über die spezifische Seele der Tiere, welche die sinnliche [sc. Seele] genannt
wird, endlich über die Seele des Menschen …«98

In der Tat begann Aristoteles, nachdem er im ersten Buch seiner Schrift De Anima die
Ansichten der Vorgänger zum Begriff der Seele dargestellt, sie auf ihre Stichhaltigkeit
hin überprüft, dabei eine Vielzahl von Aporien festgestellt hat, im zweiten Buch
gleichsam von vorn, um nun selbst zunächst den allgemeinsten Begriff (koino/tatoj
lo/goj, 412a5) von der Seele zu ermitteln, der alle Lebewesen, nämlich Pflanzen, Tiere
und Menschen, umfassen sollte. Im Anschluß an ihre allgemeinste Definition in
412a27f. folgte dann ab De An. II 3 die Bestimmung der verschiedenen Seelenvermö-
gen, die verschiedenen Lebewesen zukommen und diese daher genauer in ihrer Funk-
tion bestimmen, als dies jene allgemeine Definition vermag. Aristoteles befolgte also
in seiner Schrift De Anima den ordo compositivus doctrinæ, indem er mit der Bestim-
mung der Seele als Prinzip der Lebewesen begann (vgl. I 1, 402a6f.), und zwar nicht,
weil das Prinzip das der Natur nach erste ist, sondern weil wir nur durch eine Kenntnis
von der Seele als Prinzip zur Erkenntnis ihrer Vermögen und damit zum vollständigen
Wissen ihrer selbst gelangen können.

3.2. Die Seele und ihre Vermögen

Daß die Renaissance-Aristoteliker der eben genannten Anordnung gefolgt sind, kann
ihren systematischen Abhandlungen zur Seele entnommen werden, die Gegenstand
dieses dritten Kapitels sind. Dem widerspricht es nicht, wenn bei ihnen der Locus De
anima in genere den Beginn ihrer Abhandlungen markiert, denn in concreto zielen sie
sogleich auf den Locus De anima rationali ab. Dies liegt in der philosophischen und
theologischen Ausnahmestellung des Menschen vor allen anderen Lebewesen begrün-
det, ändert aber nichts an der Reihenfolge des ordo doctrinæ. So erörterte Toletus un-
mittelbar nach seinem Kommentar zu De An. II 1 zunächst die allgemeine Frage nach
der Substanz der Seele und anschließend sogleich die spezifische Frage, ob die
menschliche Seele forma assistens sei und damit eine in allen Menschen oder forma
informans und damit individuell in jedem einzelnen Menschen.99 Auch die Conimbri-
censer diskutierten ebenfalls im Anschluß an De An. II 1 nur kurz die beiden allgemei-

98
Zabarella, De Methodis, lib. I, c. 14, 162D-E: »… cognita materia se contulit ad consideratio-
nem formæ in libris de Anima, in qua tractatione ordinem ab universalibus ad particularia optimè
servavit: quoniam enim aliqua considerari poterat communis anima stirpium & animalium, ab hac
voluit exordiri: deinde de propria animalium anima, quæ sensitiva dicitur, tandem de hominis anima
sermonem fecit …«
99
Vgl. Toletus, II 1, q. 1, 39rb: »An Anima sit substantia.« Q. 2, 40vb: »An definitio animæ sit
univoca? sive (quod in idem recidit) an sit anima assistens, & una in omnibus hominibus? an sit in-
formans, & in singulis diversa.«

156
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

nen Fragen, ob Aristoteles die Seele richtig definiert habe und ob sie eine Substanz sei,
um anschließend in den Fragen drei bis sieben ausschließlich die anima intellectiva in
den Blick zu nehmen.100 Bei Zabarella schließlich fehlt gänzlich ein Traktat De Anima
in genere. Vielmehr begann er seine Erörterungen zur Psychologie in De Rebus natu-
ralibus mit der Abhandlung De Facultatibus animæ, der sich die Schrift De Partitione
animæ anschließt. Erst nach der Erörterung der verschiedenen Seelenvermögen des
Ernährens, Wachsens und der Sinneswahrnehmung folgt dann die Abhandlung De
Mente humana. Diese Vorgehensweise liegt darin begründet, daß Zabarella mit dieser
Schrift zweierlei erweisen wollte: 1. All das, was Aristoteles in De An. II 1 ganz all-
gemein über die Seele gesagt hat, daß sie nämlich principium constitutivum ist, d. h.
die dem Körper das Sein verleihende Form (forma informans corporis), trifft auch auf
die mens humana zu. 2. Aristoteles hat die Seele von De An. II 3 bis III 4 allein als
principium operationum, das die Funktionen und Tätigkeiten des Lebewesens ermög-
licht, in den Blick genommen.101 Zabarella setzte also bei seinen gebildeten Lesern
præcognita voraus, allgemeine Vorkenntnisse über die aristotelische Bestimmung der
Seele, die er in De Mente humana in ein wirkliches Wissen überführen wollte.
Dieser Anordnung wird nach reiflicher Überlegung gefolgt. Das bedeutet, daß der
allgemeine Seelenbegriff hier zunächst nicht näher erläutert wird. Vielmehr soll diese
Darstellung erst im Locus De anima rationali erfolgen (vgl. 3.3.), wo zu zeigen sein
wird, daß die allgemeine Definition der Seele aus De An. II 1 auch auf die menschliche
Seele zutrifft. Diese Vorgehensweise läßt sich insofern rechtfertigen, als die Frage, was
die menschliche Seele sei, bei den Autoren nicht nur vor dem Hintergrund von De An.
II 1 und 2, sondern insbesondere vor dem von De An. III 4 erfolgte. Im vorliegenden
Zusammenhang werden daher nur die Abschnitte De facultatibus animæ (vgl. 3.2.1.)
und De partitione animæ (3.2.2.) erörtert.
Zur Vergegenwärtigung dessen, worum es hierbei genauer ging, sei kurz das We-
sentliche aus De An. II 1 und 2 bezüglich dieser beiden Loci zusammengefaßt. Die all-
gemeine Definition der Seele als »erste Vollendung eines natürlichen Körpers, der in

100
Vgl. Coll. Conimbricense, II 1, q. 1, 54: »Rectè ne Aristoteles animam definierit; an non.» Q. 2,
69: »Sit de anima quidpiam subsistens, an non.« Q. 3, 76: »Utrum Animæ intellectivæ à Deo creen-
tur, an non.« Q. 4, 84: »Quonam puncto temporis videatur anima intellectiva in corpus infundi.« Q. 5,
87: »Utrum omnes animæ intellectivæ naturæ dignitate pares sint.« Q. 6, 94: »Sit ne anima intellecti-
va vera hominis forma, an non?« Q. 7, 101: »Utrum animæ rationis participes ad numerum hominum
multiplicentur, an non?«
101
Vgl. Zabarella, De Mente humana, c. 1, 916A-C: »Duorum autem principium est anima, corpo-
ris animati tanquam forma, & operationum tanquam effectrix; ob id in initio 2. lib. de Anima Aristo-
teles universe omnis animæ naturam, & essentiam declaravit per respectum, quem habet ad corpus,
cuius est anima; deinde in context. 33 [sc. De An. II 4, 415a14ff.] eiusdem lib. proposuit in tota se-
quente eius operis parte singularum animæ facultatum naturas ex operationibus declarandas, & post
diligentem & vegetantis & sentientis partis declarationem, quæ in eo 2. lib. habetur, sumpsit in 3. lib.
declarandum quid sit humana mens, respectu operationis tantum, non respectu corporis; quid enim
respectu corporis sit, iam in initio 2. lib. de omni anima universe docuerat …«

157
De Anima

Möglichkeit Leben hat«102, verdeutlicht den engen Zusammenhang von Körper und
Seele, so daß für Aristoteles beide eins (e(/n, De An. II 1, 412b6) sind. Der Grund für
dieses Einssein ist nicht außerhalb dieses Verhältnisses zu suchen, sondern es ist die
Natur selbst von Körper und Seele, eins zu sein, genau so, wie auch Wachs und Figur
als Kerze eins sind. Sind nun gemäß Met. VIII 6, 1045b17-19 Materie und Form ein
und dasselbe, jene als Möglichkeit, diese als Verwirklichung, so ist der ‘Stoff’ des
Menschen der Möglichkeit nach derjenige Mensch, wie der später durch die Form be-
seelte und damit verwirklichte. Der pflanzliche, tierische und menschliche Körper ist
dem Vermögen nach also das, was er in Wirklichkeit durch die Seele ist: ein natürli-
cher, organischer Körper. Daher gilt: Keins ist ohne das andere. Nur beide zusammen
bilden ein Lebewesen (413a3103).104
Für Aristoteles ergibt sich hieraus auch, daß weder die Seele als Ganzes noch ein
bestimmter Teil (to\ me/roj) von ihr, wenn sie von Natur aus teilbar ist, vom Körper ab-
trennbar ist, denn bei einigen Teilen liegt die erste Vollendung in ihnen selbst. Hinge-
gen hindert nichts, so der Stagirite, daß einige Teile abtrennbar sind, weil sie nicht die
Vollendung von irgendeinem Körper sind (De An. II 1, 413a3-7). Welche Teile dies
sind, wird aus De An. II 2 deutlicher. Dieses Kapitel beginnt mit der Ausgangsthese,
daß das Beseelte sich gegenüber dem Unbeseelten durch das Leben auszeichnet
(413a20-22). Von ‘Leben’ spricht Aristoteles dann, wenn eine von den folgenden Be-
stimmungen vorliegt: Geist, Wahrnehmung, Ortsbewegung und Stehen sowie Bewe-
gung als Ernährung, Schwinden und Wachstum (a22-25).105 Diese sind nun nichts an-
deres als Vermögen (duna/meij, a26) der Seele. Da nun nicht alle Vermögen allen Le-
bewesen zukommen, stellt sich erneut die Frage, ob jedes von diesen Vermögen selbst
Seele ist oder ein Teil von ihr, und wenn ein Teil, ob er nur dem Begriffe oder dem Or-
te nach abtrennbar ist (413b13-15). Während dies nun für einige Seelenvermögen

102
Aristoteles, De An. II 1, 412a27f.: »dio\ h( yuxh/ e)stin e)ntele/xeia h( prw/th sw/matoj fusi-
kou= duna/mei zwh\n e)/xontoj.«
103
Vgl. a. a. O., 413a2f.: »a)ll )w(/sper o)fqalmo\j h( ko/rh kai\ h( o)/yij, ka)kei= h( yuxh\ kai\ to\
sw=ma z%=on.« Diesen engen Zusammenhang von Seele und Körper verdeutlicht auch die Bestim-
mung der Affekte als »lo/goi e)/nuloi« (De An. I 1, 403a25). Damit weist Aristoteles darauf hin, daß
die Affekte nie rein körperlich, sondern ‘immer schon’ kognitiv vermittelt sind.
104
Vgl. hierzu Toletus, II 1, t. 7, 38va: »quare ex corpore & anima fiat ens per se? Unum enim, &
ens, pari modo dicuntur, & se sequuntur. Ut enim est ens per se, & per accidens, ita unum, & ut ex
anima, & corpore fit ens per se, ita unum per se. Fit autem ens per se, quia anima est actus, quod pro-
priè est; ob id animatum ab anima dicitur esse, & unum esse.« Zabarella, II 1, t. 7, 151A: »Ex anima
igitur & corpore fit unum; quia anima est forma, & actus, corpus vero materia, & potentia. Sumitur
enim hic corpus non pro toto composito, sed pro eo, quod est materia, & altera pars compositi.«
105
Vgl. Aristoteles, De An. II 2, 413a22-25: »pleonaxw=j de\ tou= zh=n legome/nou, ka)\n e(/n ti
tou/twn e)nura/rxv mo/non, zh=n au)to\ famen, oi(=on nou=j, ai)/sqhsij, ki/nhsij kai\ sta/sij h( kata\
to/pon, e)/ti ki/nhsij h( kata\ trofh\n kai\ fqi/sij te kai\ au)/chsij.« In 413b22f. verknüpft Aristote-
les die Wahrnehmung mit der Vorstellung und dem Streben (fantasi/a & o)/recij): Jene ist nicht
ohne diese beiden. Die Aufzählung der Vermögen ist also nicht abschließend zu verstehen, auch
wenn es natürlich nicht unendlich viele gibt.

158
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

leicht zu erkennen ist – so leben Pflanzen und bestimmte Insekten weiter, wenn man
sie zertrennt, weil ihre Seelen der Wirklichkeit nach eine Einheit, der Möglichkeit nach
aber eine Vielheit sind (b16-21) –, ist dies für den Nous noch nicht deutlich. Er scheint
nämlich eine andere Seelengattung zu sein, und das allein kann abgetrennt werden wie
das Ewige vom Vergänglichen.106

3.2.1. Der Streit um die Einheit der Seele

Gegenstand dieses Locus ist die Seele als principium operationum. Aus dem in De An.
II 1 und 2 Gesagten ergaben sich für Renaissance-Aristoteliker hauptsächlich zwei
Fragen: 1. Von welcher Qualität sind diese verschiedenen Seelenvermögen? Unter-
scheiden sie sich realiter von der Seele, oder sind sie mit ihr identisch? 2. Gehen die
verschiedenen Tätigkeiten eines Lebewesens aus verschiedenen Seelen hervor oder nur
aus einer mit verschiedenen Vermögen ausgestatteten Seele? Anders gefragt: Liegt ei-
ne Einheit der Seele in der Vielheit ihrer Vermögen in einem Lebewesen vor oder eine
Vielheit von Seelen, sofern eine Seele nur die ihr spezifische Funktion ausüben kann?107
Insbesondere die letzte Frage war wegen ihrer theologischen Implikationen äußerst
umstritten, wie dies ja bereits der dritte Lehrsatz der Propositiones aliquot des Toletus
angezeigt hat.
Um die erste Frage, ob sich die Vermögen realiter von der Seele unterscheiden, be-
antworten zu können, muß für Zabarella zunächst der Begriff der Differenz geklärt
werden. Die formale Differenz bezieht sich auf ‘Dinge’, die an ein und demselben su-
biectum vorkommen, die reale Differenz dagegen auf solche, die in verschiedenen su-
biecta sind. Da nun die Vermögen und die Seele in ein und demselben subiectum, dem
beseelten Körper, sind, spielt im vorliegenden Zusammenhang die formale Differenz
keine Rolle. Zu fragen ist daher, »ob die Vermögen etwas auf wesentliche Weise von
der Substanz selbst der Seele real Getrenntes sind, oder ob sie dasselbe sind wie je-
ne«108. Letztere Ansicht wurde u. a. von Duns Scotus und Gregor von Rimini vertreten
und damit begründet109, daß auch die Seele wie jede substantielle Form das unmittelba-
106
Vgl. Aristoteles, De An. II 2, 413b24-27: »peri\ de\ tou= nou= kai\ th=j qewrhtikh=j duna/mewj
ou)de/n pw fanero/n, a)ll )e)/oike yuxh=j ge/noj e(/teron ei)=nai, kai\ tou=to mo/non e)nde/xetai
xwri/zesqai, kaqa/per to\ a)i/+dion tou= fqartou=.«
107
Vgl. Zabarella, De Facultatibus animæ, in: De Rebus naturalibus, 683-728, hier: c. 1, 685A:
»quæritur enim, an à substantia animæ distinguantur [sc. facultates], an potius sint idem quod illa;
quæritur etiam, quo discrimine ipsæ discrepent inter se, & quot sint …« Die Conimbricenser erörter-
ten nur die erste Frage: »Utrumne animæ potentiæ re ipsa ab ea [sc. essentia animæ] differant, an
non« (II 3, q. 4, 140), während sich Toletus nur mit der zweiten auseinandersetzte: »An in uno viventi
sint plures Animæ?« (II 3, q. 7, 60vb)
108
Zabarella, De Facultatibus animæ, c. 2, 685 E-F: » … quærimus enim quum simul sint [sc. po-
tentiæ & anima] in eodem, an potentiæ sint quid reale distinctum essentialiter ab ipsa animæ substan-
tia, an idem sint, quod illa.«
109
Vgl. hierzu a. a. O., 686A-687E. Coll. Conimbricense, II 3, q. 4, art. 1, 140f.

159
De Anima

re Prinzip ihrer Tätigkeiten ohne ein vermittelndes Vermögen sei. Denn die substanti-
elle Form sei Natur, die wiederum das unmittelbare Prinzip der Bewegung. Also be-
dürfe die Seele keiner vermittelnden Vermögen. Die Struktur des Arguments ist klar:
Wenn kein agens & movens etwas unmittelbar hervorbringen kann, sondern eines ver-
mittelnden Vermögens bedarf, dann kann auch das Vermögen selbst nichts unmittelbar
bewirken, sondern bedarf wiederum eines anderen vermittelnden Vermögens und so ad
infinitum. Nach der anderen Ansicht, die u. a. von Thomas110, Albertus, Ägidius und
Cajetan vertreten worden ist, unterscheiden sich dagegen die Vermögen sehr wohl von
der Substanz der Seele. Denn das natürliche Vermögen sei eine Qualität zweiter Art
und damit geeignet, bestimmte Tätigkeiten von Natur aus auszuführen. Da nun die
Seelenvermögen geeignet seien, bestimmte Tätigkeiten von Natur aus auszuführen –
wie das Sehen des Auges –, wären sie Qualitäten der zweiten Art (aptitudines natura-
les ad operandum) und damit wesentlich von der Substanz der Seele verschieden. Wä-
re dies nicht der Fall, dann würden sich die Vermögen nicht voneinander unterschei-
den. So könnte man jedoch das Blindsein nicht mehr erklären: Beim Blinden sei näm-
lich die Seele secundum esse im Auge, denn sie sei zugleich im ganzen Körper, nicht
aber secundum operationem. Deshalb müsse zwischen der Substanz der Seele und ih-
ren Vermögen unterschieden werden. Dies werde auch aus De An. II 2, 413b11-13
deutlich, wo Aristoteles die Seele das Prinzip der verschiedenen Vermögen des Näh-
rens, Wahrnehmens etc. genannt habe.111
Dieser Ansicht haben sich auch die Conimbricenser112 und mit gewissen Einschrän-
kungen Zabarella angeschlossen, der jedoch beide Positionen wie folgt kritisierte:
»Ich schließe mich in dieser Auseinandersetzung mehr der Ansicht des Thomas und der übrigen
Genannten an, kann sie jedoch nicht vollkommen akzeptieren. Vielmehr glaube ich, daß bei ihr
eine gewisse Berichtigung vorzunehmen ist. Ich meine nämlich, daß die ganze Wahrheit in die-
ser Sache in den beiden genannten Ansichten niedergelegt ist. Die eine Aussage ist gegen Sco-
tus von der Art: Die Seelenvermögen sind der Sache nach von der Substanz selbst der Seele un-
terschieden und sind Qualitäten der zweiten Art. Die andere Aussage ist gegen Thomas und die
anderen [von der Art]: Die Seelenvermögen sind keine mittleren Akteure zwischen der Seele
und der Tätigkeit, wie Thomas und Ägidius glaubten, sondern sind nur gewisse Bedingungen
und Geeignetheiten der Seele zum Tätigwerden.«113

110
Vgl. Thomas, STh I, q. 77, art. 1, in: Opera 5, 236: »Respondeo dicendum quod impossibile est
dicere quod essentia animae sit eius potentia.«
111
Vgl. Aristoteles, De An. II 2, 413b11-13: »nu=n d )e)pi\ tosou=ton ei)rh/sqw mo/non, o(/ti e)sti\n h(
yuxh\ tw=n ei)rhme/nwn tou/twn a)rxh\ kai\ tou/toij w(/ristai, qreptik%=, ai)sqhtik%=, dianohtik%=,
kinh/sei.« Auch aus 413a26-28 ergibt sich, daß Aristoteles zwischen der Seele und ihren Vermögen
eine reale Differenz gesetzt hat.
112
Vgl. Coll. Conimbricense, II 3, q. 4, art. 2, 141: »Amplectenda tamen est sententia D. Thomæ
… Ægidij … M. Alberti … & aliorum complurium asserentium omnes potentias distingui re ipsa ab
anima …«
113
Zabarella, De Facultatibus animæ, c. 4, 690D-F: »Ego in hac controversia licet magis ad
Thomæ, & aliorum prædictorum opinionem accedam, eam tamen penitus recipere non possum, sed
adhibendam ei esse puto quandam correctionem; arbitror enim totam huiusce rei veritatem in duobus

160
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

Zabarella folgte also insoweit Thomas’ Ansicht, als die Seelenvermögen von der Sub-
stanz der Seele unterschieden sind.114 Denn ein Vermögen setzt als potentia operandi
bzw. aptitudo ad operandum in einem Ding eine frühere Natur voraus, der es nach-
folgt. Die Seelenvermögen gehen dergestalt von der Seele als ihrem Prinzip und Ur-
sprung hervor. Sie ist jedoch nicht deren subiectum; vielmehr ist dies der beseelte Kör-
per. Wie nämlich die Tätigkeiten dem Lebewesen als ihrem Subjekt zugeschrieben
werden, der Seele aber als Prinzip und Ursache, so auch die Vermögen. Warum sie
keine causa media bzw. agentia media sind, ergibt sich für Zabarella daraus, daß sie
nicht die unmittelbare Ursache der Betätigung sind. Wenn nämlich jemand läuft, dann
ist hierfür die nächste Ursache nicht die potentia currendi, sondern die Seele selbst.
Das Vermögen ist bloß die Bedingung oder die natürliche Geeignetheit für die Betäti-
gung, nicht die Ursache selbst. Denn die Betätigung nimmt ihren Ausgang nicht vom
Vermögen, sondern von dem, was in actu ist.
Die zweite Frage nach der Differenz zwischen den verschiedenen Seelenvermögen
betraf »the integral unity of the soul«115 und war von eminenter theologischer Bedeu-
tung: Gibt es eine Vielheit von Seelen als wesentliche, voneinander unterschiedene
Formen in ein und demselben Lebewesen oder eine Einheit der Seele in der Vielheit
ihrer Vermögen? Anders formuliert: Gibt es in der Pflanze allein die anima vegetativa,
im Tier die anima vegetativa & anima sensitiva und im Menschen neben diesen beiden
auch noch die anima intellectiva, oder ist in einem Lebewesen jeweils nur eine Seele
mit ihren verschiedenen Vermögen, die der Möglichkeit nach die übrigen Seelen in
sich enthält?116 Als Vertreter der Ansicht von der Vielheit der Seelen in einem Lebewe-
sen galten insbesondere Philoponus, aber auch die Manichäer sowie Averroes und sei-
ne Schüler117, zu denen in diesem Zusammenhang auch Pomponazzi gerechnet werden
_________________________________________________________________________________________________________

dictis esse constitutam: alterum adversus Scotum tale est; facultates animæ sunt re distinctæ ab ipsa
animæ substantia, & sunt qualitates secundæ speciei: alterum vero adversus Thomæ, & alios est, fa-
cultates animæ non sunt agentia media inter animam, & operationem, ut Thomas, & Ægidius existi-
marunt, sed sunt solummodo conditiones quædam, & aptitudines animæ ad operandum.«
114
Daß Zabarella auch hier seinem Konzept einer rein naturphilosophischen Darstellung der Psy-
chologie treu geblieben ist – auch auf die Gefahr eines (theologischen) Irrtums hin –, belegt eine klei-
ne Anmerkung zu Thomas, in der es der Paduaner ablehnte, auf übernatürliche Erklärungen für die
Differenz von Seele und Vermögen zurückzugreifen: »… quod differat posse ab esse, probat ibi
Thomas ratione supernaturali, quæ aliena est à nostra consideratione; nos autem id probare possumus
ratione naturali …« (A. a. O., c. 3, 690B)
115
Dennis Des Chene, Life’s form, 154.
116
Vgl. Toletus, II 3, q. 7, 60vb: »Nos disputamus in præsenti solùm de animarum pluralitate, ut
sit sensus: An in animali duæ sint animæ distinctæ, altera sensitiva, altera vegetativa, & in homine
præter has sit etiam intellectiva? an potius sit una in unoquoque in substantia, in virtute contines plu-
res?«
117
Vgl. Toletus, II 3, q. 7, 61rb. Portio, c. 2, 11. Zabarella, II 1, t. 11, 167C-F. Toletus’ Verweis
auf eine Textstelle aus der Physik des Averroes, wonach dieser dort die These von der Vielheit der
Seelen in einem Lebewesen vertreten hat, ließ sich nicht verifizieren: »Præterea sexto, ex Averroes 6.
Phys. co. 50, dicit; quod cor & caput, & huiusmodi partes differunt specie: ergo habent diversas ani-
mas. Confirmatur: quia os non sentit, caro sentit: ergo non potest eandem habere animam.« (II 3, q. 7,

161
De Anima

kann.118 Die gegenteilige Ansicht vom numerischen Einssein der Seele in einem Lebe-
wesen ist von Augustinus, Albertus, Avicenna und Thomas119 vertreten worden.120
Auch Alexander und Simplicius können dieser Position zugerechnet werden.121 Wel-

_________________________________________________________________________________________________________

61ra; vgl. Aristotelis opera cum Averrois commentariis, vol. IV, 279rB-D). Auch in seinem De Ani-
ma-Kommentar scheint Averroes diese These nicht vertreten zu haben. So heißt es zu De An. I 5,
411b5-14, wo Aristoteles gegen Platon das Einssein der Seele vertritt: »Innuit [sc. Aristoteles] Plato-
nem, qui opinatur quod anima essentialiter dividitur in corpore divisiones membrorum, quibus agit
suas actiones diversas, & quod non communicantur in aliquo membro, ita quod pars intelligens est in
cerebro tantum, & desyderans in corde tantum, & nutriens in hepate [vgl. Platon, Timaeus, 70B, 71A,
73C-D]. … manifestum est per se quod anima, quæ est in singulis individuis nobis est unica: quid
igitur copulat partes animæ, ita quod potest dici esse una? Non enim potest aliquis dicere quod hoc sit
corpus, quod copulet partes animæ: quoniam magis rectum est dicere quod corpus est unum, quia
anima est una, non econverso.« (I 5, 45vF-46rA) Mag dieser Abschnitt auch die These von einer
Vielheit der Seelen in einem Lebewesen nicht vollends ausschließen, so ist hierüber auch im locus
classicus De An. II 3, 414b28-415a5 nichts zu lesen. Für Averroes spricht Aristoteles hier ohne Zwei-
fel von verschiedenen Seelenvermögen, nicht aber von verschiedenen Seelen: »… quærendum est
igitur post cognitionem istius definitionis universalis definitio propria uniuscuiusque virtutis animæ,
scilicet quod est anima plantarum, & quod anima hominis propria illi, et quæ bruti.« (II 3, t. 31, 65vD
[176,36-38]) Zabarella spricht daher diese Position von der Seelenvielheit zu Recht nicht Averroes
selbst, sondern den Averroistæ zu (vgl. De Facultatibus animæ, c. 5, 697E-F; c. 8, 699B-706B; vgl.
jedoch auch Anm. 121).
118
Vgl. Pietro Pomponazzi, Tractatus de immortalitate animae / Abhandlung über die Unsterblich-
keit der Seele. Übersetzt und mit einer Einleitung versehen von Burkhard Mojsisch. Hamburg 1990,
hier: c. 1, 6: »Ex quibus tota colligi potest conclusio, non simplicis scilicet naturae esse [sc. homi-
nem], cum tres animas, ut fere ita dixerim, includat: vegetativam videlicet, sensitivam et intellectivam
…«
119
Vgl. Thomas, Scg II 58, in: Opera 13,2, 410: »Relinquitur igitur quod omnes actiones animae
quae sunt in nobis, ab anima una procedunt. Et sic non sunt in nobis plures animae.«
120
Vgl. Toletus, II 3, q. 7, 61vb. Zabarella, De Facultatibus animæ, c. 6, 698B-699B.
121
Zu Alexander vgl. oben 2.2.1., Anm. 50. Simplicius spricht im Zusammenhang von De An. II 1,
413a3-7 zwar von h( o(/lh yuxh/ (95,24 [26va]), meint damit aber keine Seelenvielheit in einem Le-
bewesen, wie aus seinem Kommentar zu De An. II 2, 413b13 deutlich wird: »… a)lla) mo/ria pa/saj
mia=j e)ti/qeto yuxh=j …« / »… sed omnes vitas esse unius animæ partes …« (100,32-101,1 [29ra]).
Vgl. auch die Äußerung in 5,32f. [A2vb]: »kai\ mi/an th\n e)n e(ka/st% z%/% ei)=nai bou/letai [sc.
Aristoteles] yuxh\n …« / »unamque in unoquoque animali vult [sc. Aristoteles] esse anima …« h(
o(/lh yuxh/ meint also keine Gesamtheit der Seelen, sondern umfaßt die verschiedenen Vermögen der
einen Seele. Es ist daher unverständlich, daß sich Zabarella im Zusammenhang mit De An. II 2,
413b13-15 sowohl auf Alexander als auch auf Simplicius und Averroes berief, um seine These von
der Vielheit der Seelen in einem Lebewesen zu stützen: »… voluit [sc. Aristoteles] enim in homine
esse tres animas secundum substantiam distinctas, vegetalem, sensitivam, & intellectivam, non tamen
loco distinctas, ut Plato, sed ita ut singulæ totum corpus informent, vegetalis totum, sensitiva totum,
intellectiva totum. Hoc modo hunc locum interpretantur Themistius, Simplicius, & Averroes, & hæc
enim fuit mens Alexandri in primo suo libro de anima capite ultimo. Dicit enim, Si partes animæ
essent loco distinctæ in animali, essent multæ animæ non partes unius; dum enim de solis potentiis
loquimur, certum est, quod etiam si ponantur loco distinctæ, non propterea fit, ut ponantur multæ
animæ, sed una esse potest animæ substantia, quam omnes insequuntur.« (II 2, t. 19, 270C-D) Diese
Passage konnte nicht verifiziert werden.

162
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

cher Ansicht die Renaissance-Aristoteliker gefolgt sind, wird das Nachfolgende ver-
deutlichen.
Dem zweiten Lehrsatz der Propositiones aliquot entsprechend schloß sich Toletus
auch in der systematischen Erörterung der Ansicht des Thomas an und ging hierbei von
folgender These aus: »In einem Menschen gibt es eine Seele, die Geistseele, und sie
umfaßt der Möglichkeit nach die übrigen Seelen.«122 Er fand für diese Ansicht in Portio
einen prominenten Verbündeten auf Seiten der radikalen Naturphilosophen, der Philo-
ponus’ These von der Dreiheit der Seelen mit den Worten verwarf, daß »nichts Absur-
deres in der Philosophie und nichts, was mehr von Aristoteles abweicht, verteidigt
werden kann«123. Polemisch fragte er, mit welchem Leim sich denn die Seelen verbän-
den, damit sie ein Lebewesen bildeten. Genau diese Frage, was denn die Einheit des
Lebewesens bewirke, habe Aristoteles bekanntlich in De An. I 5, 411b6f. gestellt und
in b12 selbst mit dem Hinweis beantwortet, daß dies die eine Seele sei (h( yuxh\ e(/n).
Aus der Tatsache nun, daß es mehrere partes sive facultates animæ gebe, die verschie-
dener Organe bedürften, um ihre Tätigkeiten auszuführen, könne nicht gefolgert wer-
den, daß es mehrere Seelen gebe, denn gemäß De Part. an. III 4, 666a10ff. entstehe in
einem Embryo zuerst das Herz, dem alle diese Vermögen angeboren seien.124 Daß die
Substanz der Seele eine ist, die diese Vermögen der Möglichkeit nach in sich enthält,
wird für Portio auch aus De An. II 3, 414b28-32 ersichtlich: Wie nämlich, so heißt es
dort, das Dreieck in einem Viereck enthalten ist, so auch das Nährende im Wahrneh-
menden.125 Portio verstand diesen Passus so, daß die nächsthöhere Seelenstufe immer
auch die Vermögen der niederen Seele(n) umfasse. So »(enthält) die Geistseele dem
Vermögen nach in sich die Wahrnehmungs- und Nährseele, die Wahrnehmungsseele
aber [enthält in sich] die Nährseele, weil im Höheren das Untere enthalten ist, wodurch
es weiter und größer ist.«126 Damit trägt Portio dem Sachverhalt aus De An. II 4,
415a23-25 Rechnung, daß für Aristoteles die niedere Seele zugleich als du/namij einer
122
Toletus, II 3, q. 7, 61vb: »In homine uno una est anima, & ea est rationalis, virtute alias conti-
nens.«
123
Portio, c. 3, 17: »Siquidem animas tres substantia discretas in tribus subiectis propriis in homi-
ne constituit [sc. Philoponus]; quo nihil absurdius in philosophia, nihilque quod magis cum Aristotele
dissentiat, defendi potest.« Vgl. auch a. a. O., c. 2, 11.
124
Vgl. hierzu 2.3.3.1., Anm. 301.
125
Vgl. Aristoteles, De An. II 3, 414b28-32: »paraplhsi/wj d )e)/xei t%= peri\ tw=n sxhma/twn
kai\ ta\ kata\ yuxh/n: a)ei\ ga\r e)n t%= e)fech=j u(pa/rxei duna/mei to\ pro/teron e)pi/ te tw=n
sxhma/twn kai\ e)pi\ tw=n e)myu/xwn, oi(=on e)n tetragw/n% me\n tri/gwnon, e)n ai)sqhtik%= de\ to\
qreptiko/n.« Die Schwierigkeit dieser Textstelle rührt daher, daß nicht klar wird, ob to\ ai)sqhtiko/n
& to\ qreptiko/n die Seele selbst bezeichnet oder ihre Vermögen.
126
Portio, c. 3, 18: »Unamque asseruit [sc. Aristoteles] esse animæ substantiam, quæ has facultates
potentia in se complectitur, non aliter quàm in circulo quadratum, & triangulum contineri docuit Eu-
clides. Rationalis enim anima potentia, & virtute sensitivam, & vegetalem; sensitiva verò, vegetalem
continet: quòd in superiori inferior, qua amplior & capacior est contineatur.« Portios Wortgebrauch
ist hier ungenau, denn die Geistseele enthält jeweils die Vermögen der Nähr- und Wahrnehmungssee-
le in sich, nicht diese selbst.

163
De Anima

höheren Seele bezeichnet wird.127 Eine Seelenvielheit in verschiedenen Teilen des


Körpers hätte für Portio nämlich die absurde Folge, daß die einen sterben, während die
anderen dagegen weiterleben. Wie sollte sich aber ein Lebewesen nach dem Tod der
Nährseele noch ernähren können? Aus alledem sei klar, daß es im Menschen nur die
eine, mit verschiedenen Vermögen ausgestattete Geistseele gebe.128
Toletus konnte sich Portios Argumentation, dessen Schrift er in diesem Zusammen-
hang erwähnte129, nicht vollends anschließen. Zwar ergab sich auch für ihn aus De An.
I 5, 411b12 das Einssein der Seele in einem Lebewesen, wie er unter Berufung auf
Simplicius betonte.130 Und genau wie Portio, so verstand auch er den Passus in II 3,
414b28-32 dahingehend, daß das Nährvermögen im Wahrnehmungsvermögen und die-
ses wiederum im Denkvermögen so enthalten ist wie das Dreieck im Viereck. Das
Dreieck sei im Viereck und das Viereck im Achteck aber nicht in Wirklichkeit enthal-
ten, sondern nur der Möglichkeit nach, und genau auf diese Weise enthalte die anima
rationalis in sich die niederen Vermögen der anima sensitiva und die der anima vege-
tativa.131 Ein und dieselbe menschliche Seele denkt also durch das Denkvermögen,
nimmt durch das Wahrnehmungsvermögen wahr und ernährt sich durch das vegetative
Vermögen. Ferner verstand Toletus unter me/rh in II 1, 413a4 anders als Philoponus
und Zabarella nicht die verschiedenen Seelenarten (partes substantiales bzw. species
animæ secundum substantiam distinctas132), sondern ihre einzelnen Vermögen und be-
rief sich hierfür erneut auf Simplicius, aber auch auf Alexander, Themistius und Tho-
mas.133 Hätte Aristoteles an dieser Stelle von verschiedenen Seelenarten gesprochen,

127
Vgl. Aristoteles, De An. II 4, 415a23-25: »h( ga\r qreptikh\ yuxh\ kai\ toi=j a)/lloij u(pa/rxei,
kai\ prw/th kai\ koinota/th du/namij e)sti yuxh=j, kaq )h(/n u(pa/rxei to\ zh=n a(/pasin.« / »Denn die
Ernährungsseele kommt auch den übrigen Wesen zu; sie ist die unterste und allgemeinste Seelenkraft,
dank der allen das Leben zukommt.« (Übersetzung Theiler, in: Aristoteles, Über die Seele, 30)
128
Vgl. Portio, c. 3, 19: »… iacto hoc ceu fundamento colligimus, rationalem animam, quum sit
principium, quo intelligimus, & id, quo sentimus, non igitur discretis principiis homo est homo, &
animal & vivens; sed una est anima, diversis tamen prædita facultatibus.«
129
Vgl. Toletus, II 2, q. 2, 52vb: »Simon Portius, libello de mente humana …«
130
Vgl. a. a. O., t. 19, 50rb: »Et quia hæc quæstio, ut dicit Simplicius, soluta fuit lib. 1. [sc. De An.
I 5, 411b5-12] ubi determinatum est, unam tantum in uno esse animam, secundum substantiam, mul-
tiplices autem illius esse potentias …«
131
Vgl. a. a. O., III 3, t. 31, 58rb: »Figuræ sic se habent, quod priores sunt in consequentibus, non
actu, sed virtute et potestate: ut Trigono in Tetragono, & Tetragonum in Pentagono, & sic de alijs: ita
enim est in animalibus. Vegetativa enim in sensitiva non actu, sed potestate: quia potest sensitiva
præstare operationes, quæ vegetativæ sunt, & utraque est in intellectiva.«
132
Vgl. hierzu das im Zusammenhang mit der Anm. 149 Gesagte.
133
Toletus, II 1, t. 11, 39ra: »Quid intelligit Aristoteles per partes? Philoponus dicit, partes sub-
stantiales & species, ut sit sensus: animæ aliquæ inseparabiles sunt, id est, sensitivæ, & vegetativæ,
quia sunt actus corporum: at rationalis non est actus corporis, ob id separabilis est … Altera expositio
Simplicij, Themistij, Alexandri, S. Thomæ, Caietani & aliorum, quòd per partes intelligat potentias,
sitque sermo de anima humana, ut, quantum ad aliquas potentias, sit inseparabilis, id est organicas,

164
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

von denen die einen vom Körper abtrennbar seien, die anderen aber nicht, dann hätte er
seiner eigenen Seelendefinition widersprochen, die alle Seelenarten als forma infor-
mans und damit als nicht abtrennbar vom Körper bestimmt habe. Abtrennbar könnten
daher nur die Vermögen sein, nicht aber die Seelen selbst.134 Worin Toletus aber Portio
nicht gefolgt ist, das war die Frage nach dem Seelentod. Was hat es damit auf sich?
Locus classiscus für diese Diskussion war ein Passus aus De Gen. an. II 3, in dem
Aristoteles den Prozeß der Embryogenese beschrieben hat: Danach besitzt jeder Samen
bzw. Embyro zuerst die yuxh\ qreptikh/, denn sie kommt allen Lebewesen zu
(736a35f.), wie Aristoteles unter Hinweis auf De An. II 4, 415a23-25135 betonte. An-
schließend kommt die yuxh\ ai)sqhtikh/ hinzu, durch die sich das Tier auszeichnet
(736b1). Denn nicht zugleich wird ein Tier und ein Mensch oder ein Tier und ein
Pferd, denn das te/loj wird zuletzt, und das je Eigentümliche ist das te/loj des Wer-
dens eines einzelnen Lebewesens (b2-5). So ist das Eigentümliche des Tieres seine
Wahrnehmung, das des Menschen sein Denken, so daß dieses sich zuletzt entwickelt.136
Die »große Schwierigkeit«, so Scaliger, besteht also in der Frage, »auf welche Weise
die Seelen im Fötus aufeinander folgen«137. Hier bieten sich zwei Antworten an: Ent-
weder vergeht die Nährseele nicht, sondern wird von der nachfolgenden Wahrneh-
mungsseele umfaßt und diese von der Geistseele wie die Schalen einer Zwiebel, oder
die erste Seele stirbt, wenn die zweite hinzukommt und sie wiederum, wenn die dritte.
Die immense theologisch-naturwissenschaftliche Bedeutung dieser Frage liegt auf der
Hand: Auf der einen Seite mußte »die Natürlichkeit des embryogenetischen Prozesses
und auf der andern die creatio der anima rationalis bewahrt werden … – und dies ohne
die substantielle Einheit der menschlichen Natur zu gefährden«138, wie De Angelis zur
Recht betont.
_________________________________________________________________________________________________________

quales sunt sensitivæ, & vegetativæ: quantum ad alias, sit separabilis, quia non sunt organicæ, scilicet
secundum Intellectum … Et hoc etiam confirmatur …«
134
Dieses Argument macht Toletus’ spätere These von der Unsterblichkeit der menschlichen Seele
nicht einsichtiger. Je enger nämlich der Zusammenhang von Körper und Seele bestimmt wird, desto
schwieriger wird einsehbar, wie sich die anima rationalis von ihm abtrennen kann, noch zumal, wenn
sie eine Substanz mit der anima sensitiva bildet (vgl. hierzu 3.3.6.).
135
Vgl. oben Anm. 127.
136
Vgl. Aristoteles, De Gen. an. II 3, 736a35-b7: »o(/ti me\n ou)=n th\n qreptikh\n e)/xousi yuxh\n
fanero/n … proio/nta de\ kai\ th\n ai)sqhtikh\n kaq )h(\n z%=on. ou) ga\r a(/ma gi/netai z%=on kai\
a)/nqrwpoj ou)de\ z%=on kai\ i(/ppoj, o(moi/wj de\ kai\ e)pi\ tw=n a)/llwn z%/wn. u(/staton ga\r gi/gnetai
to\ te/loj, to\ d )i)/dio/n e)sti to\ e(ka/stou th=j gene/sewj te/loj. dio\ kai\ peri\ nou=, po/te kai\ pw=j
metalamba/nei kai\ po/qen ta\ mete/xonta tau/thj th=j a)rxh=j, e)/xei t )a)pori/an plei/sthn …« Zur
Aporie bezüglich des Nous vgl. 3.3.1.1.
137
Julius Caesar Scaliger, Exotericarum exercitationum liber XV. De subtilitate, ad Hieronymum
Cardanum. Lyon 1615 (Paris 11557), hier: ex. CCXC, s. 2, 679: »Ardua difficultas. Quomodo animæ
sese in fœtu subeant.«
138
Simone De Angelis, Zwischen generatio und creatio. Zum Problem der Genese der Seele um
1600 – Rudolph Goclenius, Julius Caesar Scaliger, Fortunio Liceti, in: Säkularisierung in den Wis-
senschaften seit der Frühen Neuzeit. Bd. 2. Zwischen christlicher Apologetik und methodologischem

165
De Anima

Toletus entschied sich unter Berufung auf Thomas und damit gegen Portio für die
zweite Variante, wonach die erste Seele vergeht, wenn die zweite sich ausbildet. Denn
der Mensch führe zuerst das Leben einer Pflanze (vgl. 736b12f.),
»weil der Samen [bzw. der Embryo] die Pflanzenseele aufnimmt und später die Wahrneh-
mungsseele. Nachdem diese aber hinzugekommen ist, wird die vorangehende Nährseele zer-
stört. Später kommt die Geistseele hinzu, wodurch die Wahrnehmungsseele zerstört wird, so
daß nur eine Seele im Menschen verbleibt.«139

Um das Einssein und die Einheit der menschlichen Seele zu retten, schreckte Toletus
also nicht vor der merkwürdigen Idee des Seelentods im embryogenetischen Prozeß
des Menschen zurück, eines Seelentods, der jeweils einen Substanzwechsel erforderlich
macht.140 Nur so konnte das theologische Interesse, auf das er explizit verwies141, ge-
wahrt werden, da allein der Individualseele das ewige Leben oder die ewige Ver-
dammnis zugesprochen werden kann. Folglich gibt es im Menschen realiter nur eine
Seele, nämlich die anima rationalis, die in sich die vegetativen und sinnlichen Vermö-
gen der anderen Seelen, die gestorben sind, enthält.142 Auf welche Weise sie für Tole-
tus in den Menschen hineingelangt, ist weiter unten in 3.3.1.1. im Zusammenhang mit
der Frage nach dem nou=j qu/raqen zu erörtern.
Wie Portio, so lehnte auch Scaliger diese Lösung vom Seelentod als absurd und lä-
cherlich ab. Denn die Konsequenz wäre, daß der Fötus, nachdem die erste Seele zug-
rundegegangen ist, sterben und in der zweiten Seele wiedergeboren würde. Und der
‘arme’ Mensch würde, nachdem auch diese zweite Seele zugrundegegangen ist, erneut
sterben und ein drittes Mal in der letzten Seele wiederauferstehen. »Und was im höch-
sten Grade schwierig und zugleich traurig ist: Bei der ersten Zeugung wird nicht der

_________________________________________________________________________________________________________

Atheismus. Wissenschaftsprozesse im Zeitraum von 1500 bis 1800. Hrsg. von Lutz Danneberg u. a.,
Berlin 2002, 94-144, hier: 106.
139
Vgl. Toletus, II 3, q. 7, 63ra: »… quia semen recipit animam plantæ, & postea animam sensiti-
vam: hac tamen adveniente; destruitur vegetativa præcedens, & post venit intellectiva, & per hanc
destruitur sensitiva, ita ut una maneat tantum in homine.«
140
Gleichwohl vertrat Toletus unter Hinweis auf Scotus die These von einer Formenvielfalt in ei-
nem Lebewesen: »Qui ponunt plures animas, plures etiam ponunt in uno substantiales formas: sed
non omnes, qui ponunt plures formas, consequenter ponunt plures animas. Scotus enim … & alij po-
nunt in vivente formas plures, sed illarum tantùm unam dicunt animam. Nos disputamus in præsenti
solùm de animarum pluralitate …« (Vgl. a. a. O., 60vb) Wie Seelentod und Formenvielfalt zusam-
mengehen könnten, erklärte er freilich nicht.
141
Vgl. a. a. O., 62va: »Adde Sanctorum etiam Patrum, & Conciliorum pleraque testimonia, unam
tantum animam in homine asserentium, & non esse diversas in homine, sensitivam, & rationalem …«
142
Vgl. a. a. O., 62vb: »Quamvis in uno una tantùm sit anima in substantia, tamen potentiæ ipsius
multæ sunt. Explico. In homine est una anima rationalis in substantia, tamen in ipsa est Intellectus,
sensus, & vegetativa potentia. In animali una est anima sensitiva in substantia, tamen sensus & vege-
tativa potentia sunt in ipsa. In planta una est anima vegetativa in substantia, sunt etiam potentiæ vege-
tativæ, scilicet nutritiva, auctiva, generativa.«

166
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

Diktator Cäsar erzeugt, sondern Mangold oder Kopfsalat«143, wie Scaliger polemisch
anmerkte. Um freilich selbst der inakzeptablen Alternative zwischen Seelenvielheit
und Seelentod zu entgehen, mußte er zwischen einer Embryogenese des Tieres und
einer des Menschen unterscheiden: Während die Seele eines Hundes ein und dieselbe
ist als Embryo und als geborener Hund, so daß hier keine Seelenvielheit vorliegt, son-
dern der Hund nur insofern zunächst das Leben einer Pflanze führt, als er noch der Or-
gane entbehrt, die sich erst im Verlauf der Embyrogenese ausbilden, ist dies beim
Menschen vollkommen anders: »Die neu geschaffene Seele kommt nämlich vom
Himmel nach der Ausbildung des Fötus: Durch die Seele wird dann der Mensch jene
Masse.«144 Auch Scaliger sah sich also wie Toletus gezwungen, den natürlichen em-
bryogenetischen Prozeß beim Menschen durch den Kreatianismus zu ersetzen.
Im Gegensatz hierzu ist klar, daß Zabarella im Rahmen der Naturphilosophie keines-
falls auf einen extramundanen Schöpfungsakt der Geistseele zurückgreifen wollte. Wie
begründete er daher seine These von der Seelenvielheit? Er leugnete zunächst nicht
den Vorteil, der sich aus der These vom Einssein der Seele ergibt, da so alle Vermögen
im Menschen in ein und derselben Seele als ihrer Substanz seien. Die Schwierigkeit
entstehe aber, sofern die Vermögen in Hinsicht auf die verschiedenen Lebewesen be-
trachtet würden, denn so gingen sie aus verschiedenen Seelen hervor. So hänge das
Nährvermögen im Tier von der anima sensibilis ab, in der Pflanze dagegen von der
anima vegetans, mit der Konsequenz, daß die Vermögen, die in ein und demselben Le-
bewesen nur einer wesentlichen Form zugrunde lägen, zugleich in verschiedenen Le-
bewesen verschiedenen Formen folgten, was merkwürdig sei.145 Denn so sei die anima
sensibilis eines, ein anderes aber die facultas sensibilis: Diese komme dem Menschen
zu, jene dagegen nicht. Zabarella folgte deshalb der Ansicht der Averroisten, wonach
es in einem Lebewesen mehrere der Substanz nach voneinander verschiedene Seelen
gebe.146 Damit knüpfte er an die von ihm im Traktat De Communi rerum generatione et
143
Scaliger, Exotericarum exercitationum liber XV, ex. CCXC, s. 2, 680: »Et quod maxime ar-
duum æque, ac miserum est: in prima generatione non generabitur Cæsar Dictator, sed Beta, aut Lac-
tuca.«
144
Ebd.: »Advenit enim à Cælo nova creata anima post fœtus articulationem: qua anima tunc mas-
sa illa, homo fit.« Vgl. ferner a. a. O., ex. CCCVII, s. 20, 761.
145
Vgl. Zabarella, De Facultatibus animæ, c. 5, 697C-D: »… ob id aliud esse dicunt animam sen-
sibilem, aliud facultatem sensibilem, sic aliud animam nutritivam, aliud facultatem nutritivam; &
sensibilem animam in solis brutis inesse, non in homine, esse tamen & in homine, & in brutis sensibi-
lem facultatem; & nutritivam animam in solis plantis inesse, non in animalibus, in omnibus tamen &
plantis, & brutis animalibus & homine inesse facultatem nutritivam. Hæc dicentes illud meo quidem
iudicio mirabile pronuntiare videntur, omnes facultates in eodem vivente insequi unam tantum for-
mam substantialem, singulam vero facultatem in diversis viventibus diversas etiam formas insequi
…«
146
Vgl. a. a. O., c. 8, 699B-C: »Contraria vero Averroistarum opinio, quam ego Aristotelem fuisse
arbitror, illis argumentis maxime comprobatur, quibus alias ostendimus [vgl. die nachfolgende Anm.]
animam, & formam mistionis in eodem vivente esse duas re distinctas formas: quum enim in illis res
ita manifesta sit, ut eam negare vanum esse videatur, inde colligimus nihil esse absurdi, si plures quo-
que in eodem simul existere formas asseramus …«

167
De Anima

interitu aufgezeigte Formenvielheit an, wo es heißt: »Ich glaube nämlich, daß es in den
beseelten Körpern notwendigerweise viele Formen gibt«147, und zwar zum einen die
forma mistionis, die aus dem Zusammenspiel der vier Elemente hervorgeht, zum an-
dern die Seele als forma informans addita formæ mistionis. Hieraus ergab sich für Za-
barella die Seelenvielheit in einem Lebewesen: »Das allein will ich anmerken, daß Ari-
stoteles in den Büchern De Anima für gewöhnlich die ganze Sammlung der Seelen in
ein und demselben Lebewesen die ganze Seele nennt, daß er aber eine einzelne jener
[Seelen] einen Teil der [ganzen] Seele nennt.«148 Für diese These verwies er auf die
folgenden Textstellen aus De Anima:
1. Das Wort me/rh in De An. II 1, 413a4 steht für die species animæ secundum substan-
tiam distinctas. Gegen das von Toletus zu dieser Stelle vorgebrachte Argument, daß es
hier um die Seelenvermögen gehe, wandte Zabarella ein, daß Vermögen Qualitäten
seien, von denen nicht gesagt werden könne, daß sie vom Körper abtrennbar seien.
Ferner liege hier kein Widerspruch mit der allgemeinen Seelendefinition vor, denn was
allgemein bestimmt sei, müsse am Einzelnen verifiziert werden. Daher habe Aristote-
les hier zweifelnd und nicht zustimmend gesprochen.149
2. Das Wort yuxh/ in 413b13 bedeutet die vollkommene Seele, die dem Lebewesen oh-
ne Mitwirkung einer anderen Seele das Sein gibt. Daher ist weder die vegetative noch
die sensitive Seele im Menschen in diesem vollen Sinne Seele, sondern nur pars
animæ (b14).150
3. Auch mit seiner Interpretation von II 3, 414b28-32 widersprach Zabarella dem von
Portio und Toletus zu dieser Stelle Ausgeführten, denn für ihn hat Aristoteles hier nicht
von den Seelenvermögen gesprochen, sondern von der Substanz jener Seelen der (gan-
zen) Seele.151 Er habe nämlich die tota anima immer nach ihrem letzten Teil benannt.
Dies bedeute, daß die ganze Seele die anima sensibilis (=das Viereck) sei, die dem
Vermögen nach in sich die anima vegetans (=das Dreieck) enthalte. ‘Dem Vermögen
nach’ verstand Zabarella hier materialiter und nicht formaliter, denn das Viereck kön-

147
Zabarella, De Communi rerum generatione et interitu, in: De Rebus naturalibus, 393-426, hier:
c. 2, 395F: »De corporibus vero animatis dissentio penitus à negantibus multitudinem formarum in
quolibet vivente; credo enim in his ex necessitate plures formas inesse …«
148
Zabarella, De Facultatibus animæ, c. 9, 706D: »… id solum notare volo, Aristotelem in libris
de Anima solitum esse totam animarum collectionem in eodem vivente appellare animam totam, illa-
rum autem singulam appellare partem animæ …«
149
Vgl. Zabarella, II 1, t. 11, 167E-168C.
150
Vgl. a. a. O., II 2, t. 19, 270D-E: »Dicimus igitur secundum hos omnes interpretes Græcos, &
Averroem [vgl. Anm. 117], quod prima quæstio ita intelligenda est, ut nomine animæ absolute prola-
to intelligamus animam perfectam, quæ sufficiat ad dandum esse rei complectum, sine ope alterius
[sc. animæ], qua ratione nulla dictarum est anima, dum accipiantur ut iunctæ simul in eodem vivente,
sed quælibet est pars tantum animæ, non anima perfecta.«
151
Vgl. Zabarella, De Facultatibus animæ, c. 9, 710C: »nam Aristoteles ibi [sc. 414a32f.] non de
facultatibus loquitur, sed de ipsa substantia illarum partium animæ, quum eas in contextu præcedente
vocasset animas …«

168
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

ne in zwei Dreiecke unterteilt werden, die materiell-räumliche Teile von ihm seien und
nicht bloße formale Eigenschaften. Daher gilt: Die anima vegetativa & sensitiva sind
materielle Teile der ganzen anima rationalis.152
4. Diese Ansicht stützte Zabarella abschließend mit einem Hinweis auf III 4, 429a10f.,
wo Aristoteles von dem Teil der Seele spricht, mit dem sie erkennt und verständig
ist.153 Für den Paduaner nannte Aristoteles hier die ganze Seele eine omnium animæ
partium collectio154, eine Sammlung aller Teile der Seele, d. h. aller Seelen der ganzen
Seele. Diese Sammlung umfaßt die Nährseele mit ihren fundamentalen Vermögen des
Ernährens, Wachsens und Zeugens (=anima vegetativa), die Wahrnehmungsseele mit
ihren Vermögen des Wahrnehmens und Sich-Bewegens (=anima sensitiva) sowie die
Geistseele mit ihrem Vermögen des Denkens (=anima rationalis).
Ein weiteres entscheidendes Argument für seine These von der Seelenvielheit ent-
nahm Zabarella aus dem Passus De Gen. an. II 3, 736a35ff., dessen Interpretation
durch Toletus er an einem Punkt für falsch hielt. Richtig sei zwar, daß hier die Em-
bryogenese gemäß dem ordo temporis beschrieben werde und nicht gemäß dem ordo
naturæ. Richtig sei auch, daß Aristoteles hier nicht von den operationes animæ spre-
che, sondern von ihrer substantia, denn es gehe um das Werden eines Lebewesens, und
bekanntlich gebe die Form das Sein, nicht die nachfolgende Tätigkeit.155 Falsch sei
aber Toletus’ Ansicht, daß eine Seele in einem Lebewesen vergehe, wenn eine andere
entstehe, es also jeweils zu einem Form- und damit Substanzwechsel komme. Denn
aus De Respiratione 8, 474b10f.156 sei deutlich, daß

152
Vgl. a. a. O., c. 9, 711B-C: »Quoniam igitur Aristoteles animam totam solet nominare ab ultima
parte, quæ continet alias tanquam forma materiam, & actus potestatem, ideo ubi duæ partes animæ
inesse considerantur, vegetans, & sensibilis, totam vocat sensibilem, à qua dicit vegetantem contineri
potestate; ubi vero & hæ, & rationalis, totam vocat rationalem, & hanc dicit continere alias potestate
…«
153
Vgl. Aristoteles, De An. III 4, 429a10f.: »peri\ de\ tou= mori/ou tou= th=j yuxh=j %(= ginw/skei te
h( yuxh\ kai\ fronei= …«
154
Vgl. Zabarella, De Facultatibus animæ, c. 9, 706E. Ebenso in: Ders., III [4], t. 1, 657C-661A.
155
Vgl. Zabarella, De Facultatibus animæ, c. 8, 703A-D: »Sed clarissime significavit hanc senten-
tiam Aristoteles in 2. libr. de Ortu animal. cap. 3. quando dixit, conceptum in utero prius habere ani-
mam vegetantem, postea recipere sensibilem, qua est animal, ac demum rationalem, qua est homo; sic
enim asseruit has esse diversas animæ partes; neque ad id confugere aliquis potest, ut dicat Aristote-
lem ibi ordinem naturæ considerare, non ordinem temporis, nam Aristoteles manifestissime de tem-
pore loquitur … ideo plures ex adversariis hoc videntes, & negare non audentes, dixerunt Aristotelem
ibi non de ipsa animæ substantia loqui, sed de operationibus … Sed hæc interpretatio à verbis Aristo-
telis alienissima est; ibi namque non de operationibus, sed de ipsa substantia animæ loquitur: & adeo
manifestum est quæstiones ibi ab Aristotele proponi de substantia animæ, non de operationibus, ut id
negare pertinacis admodum hominis esse videatur: clara etiam sunt verba illa (non simul animal fit, &
homo, nec simul animal & equus) forma enim est, quæ dat esse, & rem constituit, nec fit homo, vel
animal ab operatione, sed à forma.«
156
Vgl. Aristoteles, De Respiratione 8, 474b10f.: »Ta\j me\n ou)=n a)/llaj duna/meij th=j yuxh=j
a)du/naton u(pa/rxein a)/neu th=j qreptikh=j …« / »Nun können die anderen Seelenvermögen ohne
das Nährvermögen nicht existieren …«

169
De Anima

»der Tod vorzugsweise und unmittelbar die Zerstörung der Nährseele ist. Ohne diesen Teil der
[ganzen] Seele können aber die übrigen Teile, die Wahrnehmungs- und die Geistseele, nicht im
Körper verbleiben. Deswegen folgt notwendigerweise aus dem Untergang jener Seele, daß zu-
gleich auch die anderen [Seelen] untergehen oder sich vom Körper abtrennen. Daher gibt es
[nur] einen Untergang und Tod des Lebewesens, nicht viele.«157

Zabarella lehnte damit zu Recht Toletus’ nicht überzeugende Interpretation von De


Gen. an. II 3 ab, der nicht erklären konnte, warum eine Seele stirbt, wenn eine andere
hinzukommt, und warum es einer Seelenvielheit im Embryo bedarf, wenn doch die
Geistseele über alle Vermögen der niederen Seelen verfügt. Zugleich konnte Zabarella
damit gegen Portio und Scaliger erweisen, daß die Seelenvielheit gerade die inakzepta-
ble These vom Seelentod in der Embryogenese verhindert. Die Crux dieser Argumen-
tation liegt freilich darin, daß so die Unsterblichkeit der menschlichen Seele nicht mehr
bewiesen werden kann, denn der Tod der anima vegetativa ist auch der Tod der anima
rationalis (vgl. hierzu 3.3.6).
Eine weitere Konsequenz aus De Gen. an. II 3, 736a35ff. ergab sich für Zabarella
daraus, daß keine Form die Tätigkeiten ausführen könne, die zu einer anderen Form
gehörten. Daher sei es notwendig, im Tier die anima vegetans von der anima sentiens
zu unterscheiden und im Menschen die anima vegetans und anima sentiens von der
anima rationalis. Hieraus folgerte Zabarella gegen Toletus, daß der Mensch zugleich
Lebewesen, Tier und Mensch sei, denn die verschiedenen Seelen bezeichneten das Ge-
nus, nicht das Lebewesen selbst: So konstituiert die anima vegetans nicht die (einzel-
ne) Pflanze, sondern das Lebewesen, denn sie ist das allgemeine Genus von Pflanze
und Tier. Die anima sensibilis bringt wiederum nicht das Tier hervor, sondern ist das
allgemeine Genus von Tier und Mensch. Nur die anima rationalis konstituiert den
Menschen als Menschen.
»Mit diesem Argument wird also nichts anderes gezeigt, als daß der Mensch, wenn in ihm drei
verschiedene Formen sind, zugleich ein Lebewesen, ein Tier und ein Mensch ist. Wer aber kann
dieses bestreiten? Aus dem Gesagten folgere ich, daß es notwendig ist, daß es im Menschen ge-
nauso viele Formen gibt wie im Tier. Denn wie im Menschen eine Nährseele ist, durch die er
ein Lebewesen ist, eine Wahrnehmungsseele, durch die er ein Tier ist, und eine Geistseele,
durch die er ein Mensch ist, so ist es notwendig, daß im Pferd neben der Nährseele, durch die es
ein Lebewesen ist, auch eine Wahrnehmungsseele als die eigentümliche Form ist, durch die es
ein Tier ist.«158

157
Zabarella, De Facultatibus animæ, c. 9, 707B: »… cuiuslibet viventis mors est præcipuè, &
immediatè destructio animæ vegetantis, absque hac autem animæ parte non possunt reliquæ partes,
sensibilis, & rationalis, in corpore remanere; ideo ex illius interitu aliæ quoque per necessariam con-
sequutionem simul intereunt, vel à corpore separantur; unus igitur est viventis interitus, & una mors,
non plures …«
158
A. a. O., 707D-E: »nil ergo aliud eo argumento ostenditur, nisi quod si in homine sint hæ tres
distinctæ formæ, homo est simul vivens, & animal & homo, hoc autem quis negare potest? ex his
colligo necessarium esse, ut quot sunt formæ in homine, tot sint etiam in quolibet bruto: sicut enim in
homine est anima vegetans, qua est vivens, & anima sensibilis, qua est animal, & anima rationalis,
qua est homo; ita in equo necesse est præter vegetantem, qua est vivens, & sensibilem, qua est ani-
mal, esse etiam propriam formam …«

170
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

Für Zabarella gibt es also eine Hierarchie der Seelen, deren höchste im Menschen die
anima rationalis159 ist, die es alleine verdient, im vollen Sinne Seele genannt zu wer-
den.
Ein abschließendes Urteil über die verschiedenen Positionen zur Frage nach der
Einheit der Seele fällt schwer, insbesondere im Blick auf die Diskussion über den See-
lentod in der Embryogenese:
1. Die These von der Einheit der Seele in der Vielheit ihrer Vermögen, wie sie von
Portio und Toletus vertreten worden ist, ist am ehesten mit den Textstellen De An. I 5,
411b5-14; II 3, 414b28-415a5 und III 4, 429a10f. vereinbar. In Zabarellas Interpretati-
on müßte der Singular h( yuxh/ dagegen jeweils als collectio animarum und der Singu-
lar to\ mo/rion jeweils als pars animæ, d. h. als eine Seele der collectio animarum ver-
standen werden. So wäre der Satz in 414b31f.: »ti/j e(ka/stou yuxh/, oi(=on ti/j futou=
kai\ ti/j a)nqrw/pou h)\ qhri/ou«, nicht wie folgt zu verstehen: ‘was die Seele eines jeden
Lebewesens ist’, sondern: ‘was die Seelen eines jeden Lebewesens seien’. Bei der ge-
wohnten sprachlichen Genauigkeit eines Aristoteles ist ein solches Verständnis jedoch
unwahrscheinlich.
2. Ferner folgt aus Zabarellas These von der Seelenvielheit eine Differenz im Seelen-
begriff, da nicht jede Seele forma informans corporis sein kann. Dies führt zur Aus-
zeichnung allein der anima rationalis als einer vollkommenen Seele und zur Degradie-
rung der anima vegetativa & sentiens zur pars animæ. Damit wird aber die allen Le-
bewesen gemeinsame Definition von De An. II 1 unterhöhlt.
3. Schließlich bleibt unklar, warum eine Seele nicht über mehrere Vermögen verfügen
kann, die verschiedenen Lebewesen zukommen. So enthielte die Seele eines höheren
Lebewesens alle Vermögen der Seele des jeweils niederen Lebewesens in sich, so daß
eine Stufenfolge der Seelen entstünde. Busche nennt dies eine »kausale Bedingungs-
hierarchie«160, da das Denken Vorstellen (vgl. De An. III 7, 431a14-17) und das Vor-
stellen Wahrnehmen (III 8, 432a7-10) voraussetzt.
4. Die These von der Seelenvielheit findet allein in De Gen. an. II 3 ihr Fundament, wo
Aristoteles die Embryogenese als zeitlichen Prozeß des Sich-Ausbildens mehrerer See-
len in einem Lebewesen beschreibt. Das theologische Dogma von der Individualität
der menschlichen Seele führte bei Toletus zur absurden These vom Tod der niederen
Seelen bei der Zeugung der jeweils höherrangigen Seelen, die von Portio und Scaliger
159
Der anima rationalis kommen zwei Vermögen zu: das Erkenntnisvermögen (facultas cognos-
cendi) und das Strebevermögen (facultas appetendi, seu volendi). Ihre Differenz liegt in ihren ver-
schiedenen Gegenständen, den res necessariæ & res contingentes, sowie in ihrem modus operandi
begründet: »nam mens nostra cognoscit patiendo & recipiendo species à phantasia, per quam recep-
tionem dicitur fieri res ipsæ; obiectum igitur, ut cognoscatus, ad animam ferri oportet, & in ea recipi:
sed in volendo trahitur potius mens ad prosequendum obiectum: quod etiam in se diversitatem habet,
nam cognoscitur quatenus ens, appetitur autem quatenus bonum.« (A. a. O., c. 13, 725B-C) Diesen
zwei Vermögen des Geistes entspricht gemäß De An. III 10, 433a14f. die Unterscheidung zwischen
dem intellectus speculativus und dem intellectus practicus.
160
Hubertus Busche, Die Seele als System. Aristoteles’ Wissenschaft von der Psyche. Hamburg
2001, 16.

171
De Anima

zu Recht verworfen worden ist. Aus naturphilosophischer Sicht ist freilich Scaligers
Lösung ebensowenig akzeptabel, da die These von der nova creatio der menschlichen
Seele phänomenologisch nicht einholbar ist, folglich nicht Bestandteil der Philosophie
sein kann. Hier überzeugt allein Zabarellas Interpretation des aristotelischen Textes,
der trotz oder gerade wegen seiner These von der Seelenvielheit den Tod des Lebewe-
sens allein vom Sterben der anima vegetativa abhängig machte.
Welche Bedeutung in diesem Zusammenhang dem Nous zukommt, ist in 3.3.1.1. zu
erörtern.

3.2.2. Die Verteilung der Seele und ihre Lokalisierbarkeit im Körper

Die Frage nach der Verteilung der Seele und ihrer Lokalisierbarkeit im Körper, wie sie
die Renaissance-Aristoteliker im Anschluß an De An. II 1 und 2 erörterten, scheint auf
den ersten Blick mit ihrer Bestimmung als einer immateriellen Form im Widerspruch
zu stehen, denn was immateriell ist, ist weder teil- noch lokalisierbar. Bekanntlich war
dies auch Hegels Vorwurf an die ‘vormalige Metaphysik’, welche »die Seele zu einem
Dinge, folglich zu etwas zwar ganz Abstraktem, aber gleichwohl sogleich nach sinnli-
chen Verhältnissen Bestimmtem machte«161, indem sie diese in den Raum gesetzt habe.
oIst diese Kritik berechtigt, oder ist es nicht vielmehr so, daß das, was in einem Körper
ist, dort auch lokalisierbar sein muß, und zwar formaliter, nicht etwa materialiter?162
Offensichtlich muß zwischen verschiedenen Hinsichten auf die Seele unterschieden
werden, und genau damit begannen die Aristoteliker ihre Erörterungen. So diskutierte
Toletus diesen Themenkomplex im Anschluß an De An. II 2 anhand der beiden Fragen:
»Ist die Seele im ganzen Körper oder nur in einem Teil von ihm?«, und: »Ist die Seele
unteilbar?«163 Bei jener Frage geht es um die ganze Seele hinsichtlich ihrer Substanz
und ihrer verschiedenen Vermögen, bei der zweiten um ihre Teilbarkeit hinsichtlich
ihrer Quantität. Zabarella systematisierte dieses Thema in seiner Schrift De Partitione
animæ, indem er die beiden von Toletus getrennt voneinander verhandelten Fragen un-
ter dem bewußt doppeldeutigen Begriff partitio, was Teilung und Verteilung bedeutet,
zusammenführte. Hieraus ergab sich für ihn eine dreifache Fragestellung:
»Erstens muß untersucht werden, ob die ganze Seele gemäß ihrem Wesen im ganzen Körper ist
wie auch in jedem beliebigen Teil des Körpers; zweitens, ob die ganze Seele gemäß ihrer Quan-
tität im ganzen Körper ist und in einem einzelnen Teil; drittens schließlich, ob die ganze Seele
gemäß all ihrer Vermögen nicht nur im ganzen Körper ist, sondern auch in jedem beliebigen

161
Hegel, Enzyklopädie. Dritter Teil, Bd. 10, § 388, 46.
162
Es geht also in diesem Zusammenhang nicht um die Frage nach der ontologischen oder – in den
Worten von Des Chene – integralen Einheit der Seele – denn diese ist Gegenstand des vorherigen
Locus De facultatibus animæ –, sondern um ihre »functional unity« (Dennis Des Chene, Life’s Form,
153).
163
Vgl. Toletus, II 2, q. 4, 52va: »An anima sit in toto corpore? an verò in aliqua tantùm eius par-
te.« A. a. O., q. 5, 54rb: »Utrùm omnis anima sit indivisibilis.«

172
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

Teil, oder ob sie eher gemäß dem einen Vermögen in einem Teil ist, gemäß einem andern in ei-
nem andern …«164

Die Conimbricenser diskutierten diese Fragen nach dem Ganzsein der Seele hinsicht-
lich ihrer Substanz, Quantität und ihrer verschiedenen Vermögen anders als Toletus
bereits im Anschluß an De An. II 1.165 Jedoch erörterten sie zuvor die Frage nach der
Teilbarkeit der Seele.166 Dies ist insofern merkwürdig, als sie damit weder Toletus noch
Zabarella folgten, für die die Frage nach der Quantität der Seele gleichbedeutend ist
mit der Frage nach ihrer Teilbarkeit. Damit diskutierten die Conimbricenser die Quan-
tität gleichsam auf doppelte Weise, einmal hinsichtlich der Teilbarkeit und zum andern
hinsichtlich des Ganzseins der Seele, wobei sie die Frage nach der Teilbarkeit der See-
le auf ähnliche Weise erörterten wie Toletus. Es wird mit der Frage nach der quantita-
tiven Teilbarkeit der Seele begonnen, da die Conimbricenser bei der anderen Frage
nach ihrem Ganzsein in einem Körper zwischen ihren teilbaren und unteilbaren Arten
unterschieden.
Gegen die Tendenz einer Materialisierung und Verortung des Immateriellen began-
nen die Jesuiten ihre Erörterungen mit der Feststellung von der wesentlichen Unteil-
barkeit der immateriellen Seele. Denn von den drei Bedeutungen des Begriffs divisibi-
lis als 1. wesentliche Teilbarkeit in Form und Materie, 2. als Teilbarkeit hinsichtlich
der Vermögen einer Sache und 3. als quantitative Teilbarkeit, die eine räumliche Aus-
dehnung evoziere, sei hier allein die dritte Bedeutung in Ansatz zu bringen, da die See-
le nicht aus Materie und Form bestehe, sondern eine immaterielle Form sei, so daß sie
auf »wesentlich-natürliche Weise unteilbar«167 ist, wie Toletus betonte. Unstrittig ist
auch, daß sie hinsichtlich ihrer verschiedenen Vermögen teilbar ist, wie weiter unten
gezeigt werden wird. Die Schwierigkeit besteht also allein hinsichtlich der Quantität,
so daß zu fragen ist: Ist die ganze Seele als forma informans gemäß ihrer Quantität im
ganzen Körper und nicht bloß ganz in einem Körperteil, sondern eher als Teil in einem
Teil, oder ist sie auch ganz in einem einzelnen Teil? Anders gefragt: Ist sie quantitativ
teilbar und ausgedehnt, weil sie in einem Körper ist, der an sich teilbar und ausgedehnt

164
Zabarella, De Partitione animæ, in: De Rebus naturalibus, 727-764, hier: c. 1, 728C-D: »ideo
primum quæri potest, an tota [sc. anima] secundum essentiam, & in toto corpore sit, & in qualibet
eius parte; secundo an tota secundum quantitatem sit & in toto, & in in singula parte; tertio demum,
an anima tota, id est, secundum omnes facultates suas sit non solum in toto, sed etiam in qualibet par-
te, an potius secundum aliquam facultatem sit in aliqua parte, & secundum aliam in alia …«
165
Vgl. Coll. Conimbricense, II 1, q. 9, art. 1, 112: »Sit ne tota anima in toto corpore, & tota in
qualibet eius parte.« Zur Erläuterung, wie das totum zu verstehen ist, heißt es: »… animadvertendum
est, totum … sumi tripliciter. Primo enim modo dicitur totum integrale, seu quantum. Secundo, totum
potestate, seu virtute, quod videlicet multas vires seu potentias continet [sc. anima], quæ etiam ab
Aristotele in his libris nonnunquam partes vocantur. Tertio, totum essentiale, quod partibus essentiæ
seu Physicis, seu Metaphysicis constat.« (A. a. O., art. 2, 114)
166
Vgl. a. a. O., q. 8, art. 1, 106: »Sint ne omnes Animæ divisibiles, an non.«
167
Toletus, II 1, q. 5, 54rb: »Nam animam esse indivisibilem essentialiter physicè, certum est …«
Dies meint genau die integrale Einheit der Seele.

173
De Anima

ist?168 Diese Frage ist also nicht etwa einem Mißverständnis des Wesens der Seele ge-
schuldet, sondern dem Sachverhalt, daß die Seele in einem Körper ist. Und damit ist zu
klären, wie sie in diesem Körper ist.
Toletus und die Conimbricenser verwarfen in diesem Zusammenhang zunächst die
beiden extremen Ansichten des Platonikers Simplicius, wonach alle Seelen unteilbar
sind169, und der radikalen Naturphilosophen Pomponazzi und Jandun, wonach alle See-

168
Vgl. Toletus, II 2, q. 5, 54va: »Ita etiam anima sic sit in toto corpore, ut quod animæ est in ma-
nu, non sit id, quod est in capite & hoc non sit aliud: sic enim erit tota anima in toto corpore, & pars
in parte corporis. Quod si aliter se habet, & sit ita, ut id prorsus, quo est in manu, sit id quod in capite
aliisque corporis partibus, tunc anima dicetur indivisibilis omni modo, & tota in toto, & tota in quali-
bet parte corporis. Secus vero erit divisibilis per accidens: atque hoc quidem de omni anima quæri-
mus: & hic est quæstionis sensus.« Zabarella, De Partitione animæ, c. 10, 752B-E: »Sequitur ut ani-
ma secundum suam quantitatem, & extensionem considerantes videamus, an vere sit extensa per uni-
versum corpus, ita ut tota secundum suam quantitatem in toto corpore sit, non tota in parte, sed potius
pars in parte; an potius tota etiam in singula parte esse dicatur. … Nunc autem de sola anima infor-
mante sermone facientes quærimus, an omnis anima, quæ sit forma dans esse corpori viventi, & ma-
teriam informans, sit quanta per accidens, & extensa ad extensionem materiæ, ita ut sit pars in parte,
an potius sit tota in qualibet parte.« Ebenso Coll. Conimbricense, II 1, q. 8, art. 1, 107.
169
Simplicius klärt die Frage nach der Teilbarkeit im Zusammenhang mit De An. II 2, 413b15-27
von den verschiedenen Vermögen und von der Art der Lebewesen her (vgl. 100,29-103,8 [28ra-va]):
So ist die pflanzliche Seele hinsichtlich all ihrer Vermögen des Erzeugens, Ernährens und Wachsens
eine unteilbare Einheit, und zwar gerade weil sie in den zerschnittenen Pflanzen jeweils als ganze (h(
o(/lh futikh\ yuxh/, 101,25f. [28rb]) ist. Dies bedeutet aber, wie Simplicius unter Bezugnahme auf De
An. II 2, 413b18f. betont, daß in einer Pflanze dem Vermögen nach viele Seelen sind, die in ihr erst
dann sichtbar werden, wenn sich Sprößlinge bilden, die sich von ihr abtrennen. Gleiches gelte jedoch
nicht für das Tier, denn dieses verfüge nicht über viele Seelen dem Vermögen nach, da hier der Fort-
pflanzungsprozeß ein anderer sei. Vielmehr lebe jeder Teil eines Tieres, wenn man es teile, für sich
ein ganzes Leben (h( o(/lh e(ka/teron mori/on zwh/, 102,6 [28rb]). Wie man sich diese Teilbarkeit des
Lebewesens zusammen mit der Unteilbarkeit der Seele genauer vorzustellen hat, bleibt unklar. Eine
Sonderstellung kommt für Simplicius dem Nous bzw. Logos (und damit der logikh\ yuxh/) zu: Die-
ser ist ontologisch vollkommen abtrennbar vom Körper, weil er gemäß De An. II 2, 413b26 ein
e(/teron ge/noj yuxh=j (102,24f. [28va]) ist, und zugleich hinsichtlich seines Denkens unteilbar. Er ist
abtrennbar, weil er im Denken keines der körperlichen Organe gebraucht, und er ist weder teilbar,
noch gebraucht er das Teilbare, denn er denkt gemäß der unteilbaren Einheit: »… e(te/ra te kat )
ou)si/an h( logikh\ yuxh\ tw=n loipw=n kai\ pa/ntv au)tw=n pote xwrizome/nh kai\ a)i/dioj ou)=sa
e)kei/nwn fqeirome/nwn, o(/sai tou= fqartou= sw/matoj i)di/wj ei)si\n e)ntele/xeiai. to/ ge mh\n xwri-
sto\n kai\ a)po\ pasw=n e)/xei tw=n o(poiouou=n sw/matoj a)xwri/stwn. h( ga\r qewri/a xwristh/ e)stin
e)ne/rgeia, au(/th de\ ou)si/aj xwristh=j kai\ di )o(/lhj zw/hj, ma=llon de\ au)to\ tou=to zwh=j ou)/shj
kai\ o(/lhn e(auth\n tv= qewri/# a)poplhrou/shj kai\ ou)/te meristh=j (tou=to me\n ga\r ou)d )a)/llo ti
ei)=doj, kai\ ou)x h(/kista gnwstiko/n) a)ll )ou)de\ merist%= xrwme/nhj, dia\ to\ kaq )o(/rouj bai/nein
kai\ dia\ th\n ei)j e(auth\n kai\ ei)j to\ a)me/riston su/nneusin.« / »Cum rationalis anima ex sui sub-
stantia sit a reliquis diversa, omninoque ab ipsis tandem separabilis, perpetuaque remaneat, his cor-
ruptis, quæ seorsum corruptibilis corporis actus est. Siquidem separabile ipsum ab omnibus iis habet,
quæ quamvis ratione a corporibus sunt inseparabiles. Contemplatio enim separabilis est actio: ipsa
vero est separabilis substantiæ actio, & eius quidem quæ per seipsam totam vivat. Magis autem hoc
ipsum vita est, quæ seipsum totam contemplatione perficit, neque vere divisibilis (huiusmodi nec alia
quædam est forma, nec multo magis cognoscitiva ipsa) nec etiam ipso divisibili utitur, eo quod sem-
per per terminos procedat, atque adeo ob declinationem in seipsam & in ipsum indivisibile factam

174
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

len teilbar sind, als falsch. Anders als Simplicius behauptet habe, zeigten verschiedene
Phänomene der Natur an, daß zumindest einige Seelen teilbar seien. So wachse und
gedeihe ein abgerissener Ast. Ebenso lebten durchtrennte Würmer weiter. Hieraus fol-
ge aber wiederum nicht, daß alle Seelen teilbar seien. Die Jesuiten begründeten diese
Ansicht theologisch damit, daß die anima rationalis im Falle der Teilbarkeit keine sub-
stantia spiritualis wäre. Denn dann wäre sie wie die übrigen teilbaren Formen von der
Materie abhängig und damit sterblich.170 Uneinig war man sich freilich darin, welche
Seelenart teilbar sei und welche nicht. So folgte Toletus der Ansicht von Alexander,
Albertus und Ägidius Romanus, wonach alle Seelen der niederen und höheren Lebe-
wesen, mit Ausnahme der Geistseele, teilbar und akzidentell ausgedehnt sind171, wäh-
rend die Conimbricenser sich der Meinung von Thomas172 anschlossen, wonach nur die
Seelen der niederen Lebewesen teilbar sind, während die der höheren (einschließlich
der anima rationalis) unteilbar und damit akzidentell unausgedehnt sind.173 Grundsätz-
lich war man sich also einig, daß die Geistseele als ganze unteilbar ist im ganzen Kör-
per und in jedem beliebigen Teil des Körpers.174

_________________________________________________________________________________________________________

…« (102,30-103,4 [28va]) Insgesamt also vertritt Simplicius in der Tat die These von der Unteilbar-
keit aller Seelen, wenn auch mit den notwendigen Differenzierungen zwischen ihnen.
170
Vgl. Toletus, II 2, q. 5, 54va-b. Coll. Conimbricense, II 1, q. 8, art. 1, 107f.
171
Toletus, II 2, q. 5, 55vb: »Mihi est probabilius, omnes alias animas perfectorum ac imperfecto-
rum animalium esse divisibiles …« Toletus begründete dies mit folgendem Syllogismus: Was mit der
Materie verbunden ist, das ist vollkommen in sie eingesenkt und erhält damit deren materielle Bedin-
gungen wie die Ausdehnbarkeit. Alle natürlichen Formen, mit Ausnahme der geistigen Formen, sind
eingesenkt in die Materie. Also sind alle diese Formen in der Materie ausgedehnt und teilbar.
172
Vgl. Thomas, Scg II 72, in: Opera 13,2, 457: »Si igitur est aliqua forma quae non dividatur di-
visione subiecti, sicut sunt animae animalium perfectorum …«
173
Vgl. Coll. Conimbricense, II 1, q. 8, art. 3, 110: »Utraque earum opinionum … videtur admo-
dum probabilis. Quare utriusque argumenta diluemus, ut quam quisque volet amplectatur; etsi nos
priorem [sc. sententia Thomæ] libentius tueamur.« Hierfür wurde wie folgt argumentiert: Jede Form,
die sich auf den ganzen Körper und seine abtrennbaren Teile ohne Unterschied bezieht, ist teilbar,
und jede, die dies nicht tut, ist unteilbar. Alle Formen, mit Ausnahme der vollkommenen Lebewesen,
beziehen sich ohne Unterschied auf den ganzen Körper und seine abtrennbaren Teile. Also sind diese
Formen teilbar, während die Formen der vollkommenen Lebewesen unteilbar sind und unausgedehnt.
Als Beweis gilt die Erfahrung, daß bei unvollkommenen Lebewesen wie den Würmern in den abge-
trennten Teilen die Seele verbleibt. Bei den vollkommenen Lebewesen ist dies nicht der Fall. Mag
auch hier eine Gliedmaße nach ihrer Abtrennung noch zucken, so liegt dies nicht an dem noch Vor-
handensein der Seele, sondern am spiritus vitalis. Ähnlich verhalte sich dies bei Geköpften, so das
drastische Beispiel der Conimbricenser. Diese Ansicht stützten sie auch durch einen Hinweis auf De
An. II 2, 413b15-24, wo Aristoteles zwischen unvollkommenen Lebewesen, die geteilt werden kön-
nen, und vollkommenen, die dies nicht können, unterschieden hat.
174
Vgl. Toletus, II 2, q. 5, 55rb: »Anima rationalis, quam superius esse verè formam probavimus,
est indivisibilis tota in toto corpore, & tota in qualibet corporis parte.« Coll. Conimbricense, II 1, q. 9,
art. 3, 110f.: »… formas verò perfectorum haud ita se habere, ideoque in parte materiæ asservari non
posse, non quòd omnes indivisibiles sint, id enim soli intellectivæ animæ competit …«

175
De Anima

Zabarella lehnte dagegen explizit sowohl die Ansicht von Albertus Magnus als auch
von Thomas ab, setzte statt dessen eine Ausdehnung und damit Teilbarkeit der ganzen
Seele aller Lebewesen im ganzen Körper und in jedem seiner Teile, schloß sich also
der zweiten, von Pomponazzi und Iandun vertretenen Ansicht an und begründete dies
philosophisch wie folgt:
»Ich glaube nämlich, daß in der Philosophie des Aristoteles diese Ansicht die sichere und unwi-
derlegliche ist, daß jede Form, die der Materie das Sein gibt und das Zusammengesetzte konsti-
tuiert, ausgedehnt ist gemäß der Ausdehnung der Materie. Daher ist die ganze Form gemäß ih-
rer Ausdehnung im ganzen Körper, nicht aber ganz in einem Teil, sondern ein Teil in einem
Teil.«175

Das Einssein der Form mit der Materie bewirke notwendigerweise, daß beide auf glei-
che Weise ausgedehnt seien, so daß in einem Teil der Materie ein Teil der Form sei.
Darin unterscheide sich ja die forma informans von der forma assistens: Während die-
se weder einer Materie unterworfen noch durch sie ausgedehnt sei, keine Teile besitze,
sondern in jedem Teil des Körpers ganz auf unteilbare Weise enthalten sei, sei die for-
ma informans in der Materie, der sie das Sein gebe. Daher sei es notwendig, daß sie
hinsichtlich ihrer Quantität gemäß der Teilbarkeit des Körpers teilbar sei. Die theolo-
gischen Auswirkungen dieser Bestimmung liegen auf der Hand und sind bereits be-
nannt worden: Wenn die anima rationalis hinsichtlich ihrer Quantität (und Substanz)
mit dem Körper sehr eng verwoben ist, dann erscheint es schwer erklärlich, wie sie
sich nach dessen Ableben von ihm soll abtrennen können. Auf dieses Problem wird zu
einem späteren Zeitpunkt zurückzukommen sein (vgl. 3.3.6.).
Im Zusammenhang mit der zweiten Frage, ob die ganze Seele gemäß ihrer Substanz
im ganzen Körper sei oder nur in einem Teil von ihm, verwarfen die Jesuiten Platons
Ansicht, wonach es drei Seelenteile in einem Lebewesen gibt, die sich an drei ver-
schiedenen Stellen im Körper lokalisieren lassen, nämlich das Streben in der Leber, der
Zorn im Herzen und die Vernunft im Gehirn (vgl. Tim. 69b-72d). Wäre dies so, dann
wäre nicht der ganze Körper organisch, sondern nur ein Teil von ihm, und die Seele
wäre nicht Anfang und Quelle des Lebens, wenn sie nicht alle Tätigkeiten – wie das
Wachsen, Wahrnehmen, Sich-Bewegen etc. – ausüben würde. Dies bedeute nun aber
wiederum nicht, wie Albertus und Portio behauptet hätten, daß das Herz gemäß De
Motu an. 10, 703a15ff. Sitz der Seele sei, so daß sie in den übrigen Körperteilen nicht
ihrer Substanz, sondern nur ihren verschiedenen Vermögen nach sei.176 Diese hätte
nämlich zur Folge, daß dann die übrigen Körperteile entweder andere formæ substan-
tiales oder gar keine besäßen. Beides sei aber unmöglich. Gäbe es nämlich mehrere

175
Zabarella, De Partitione animæ, c. 11, 755A: »… credo enim in philosophia Aristotelis firmam
& irrefragabilem esse hanc propositionem, omnis forma informans materiam, & constituens composi-
tum, est extensa ad extensionem materiæ, proinde tota [sc. forma] secundum extensionem suam in
toto est, non tota autem in parte, sed pars in parte …«
176
Vgl. Portio, c. 7, 41: »Quòd autem non sit [sc. anima] in toto corpore, significavit Philosophus
in libello de Iuventute & senectute ubi ait, cor esse animæ sedem … Hinc aperte accipis, animam esse
in corde, & non in toto corpore.«

176
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

formæ substantiales in einem Kompositum, dann wäre es nicht eines, sondern ein Zu-
sammenschluß mehrerer wesentlicher Formen, was Aristoteles in De An. I 5, 411a26-
b12 abgelehnt habe. Vielmehr müsse die Seele eine sein, die gemäß II 2, 413b16-21 im
ganzen Körper sei. Wäre dagegen ein Körperteil ohne wesentliche Form, dann kämen
ihm kein Vermögen zu, und dergestalt wäre er unbelebt. Hieraus folgerten Toletus und
die Conimbricenser in Anschluß an Thomas177, daß die ganze Seele hinsichtlich ihrer
Substanz zugleich im ganzen Körper und in jedem seiner Teile sei.178 Wie sollte sie
sonst forma corporis organici bzw. principium vitæ sein, wenn sie nicht zugleich ganz
im ganzen Körper wäre?179
Zabarella entwickelte dagegen in der Auseinandersetzung mit den genannten drei
Ansichten auch hier eine eigene Position. Von besonderer Bedeutung war für ihn dabei
die Wahrung der Einheit der Seele, die er ja mit seiner These von der Vielheit der See-
len in einem Lebewesen nicht einsichtiger gemacht hat. Gegen Platon betonte er dabei,
daß mit dessen These von der (ontologischen, nicht fakultativen) Lokalisierung dreier
Seelenteile (d. h. für Zabarella: dreier Seelen) an drei verschiedenen Stellen im Körper
die Einheit des Lebewesens nicht bewahrt werden könne. Denn wo es drei verschiede-
ne, einander nicht untergeordnete formæ substantiales gebe, dort gebe es drei verschie-
dene Komposita, die, eben weil sie an verschiedenen Stellen des Körpers seien, der
Seele nicht untergeordnet seien.
»Wir aber, die wir sagen, daß diese Seelenteile [sc. die verschiedenen Arten der ganzen Seele]
nicht örtlich voneinander verschieden sind, sondern alle zugleich denselben Körper gestalten

177
Vgl. Thomas, Scg II 72, in: Opera 13,2, 456: »Per eadem autem ostendi potest animam totam in
toto corpore esse, et totam in singulis partibus. Oportet enim proprium actum in proprio perfectibili
esse. Anima autem est actus corporis organici, non unius organi tantum. Est igitur in toto corpore, et
non in una parte tantum, secundum suam essentiam, secundum quam est forma corporis.«
178
Vgl. Toletus, II 2, q. 4, 53ra: »Anima secundum suam substantiam est in omnibus animalis par-
tibus, quæ ad ipsius pertinent constitutionem.« Coll. Conimbricense, II 1, q. 9, art. 2, 114: »Anima
tam divisibilis, quàm indivisibilis informat quamlibet partem corporis. … Adde cum unicuique com-
posito naturali una tantum insit forma substantialis … necessario animam in toto corpore esse …«
179
Dem Verfasser ist unverständlich geblieben, warum die Conimbricenser im folgenden – nach-
dem sie also bis jetzt die Teilbarkeit bzw. Unteilbarkeit der Seele hinsichtlich ihrer Quantität und
hinsichtlich der Substanz ihr Ganzsein im ganzen Körper und in jedem seiner Teile bestimmt haben –
diese Ansicht noch weiter ausdifferenzieren und dabei zu ganz anderen Ergebnissen kommen. Die
eine These lautet dabei: »Anima divisibilis, ut est totum primo [=totum quantum]; vel tertio modo
[=totum essentiale], non inest tota in qualibet parte corporis. Hæc ex eo ostenditur, quia cum anima
divisibilis extensione materiæ, & quantitatis dilatetur, & extensa sit; oportebit singulas eius portiones
singulis materiæ partibus respondere, atque adeo non erit tota quoad substantiam in qualibet parte
corporis.« (A. a. O., 115) Die Seele der niederen Lebewesen ist also weder hinsichtlich der Quantität
noch hinsichtlich der Substanz ganz in jedem Teil des Körpers. Wie paßt dies aber mit dem bisher
Gesagten zusammen? Sofern nämlich auch sie forma informans ist, wie könnte sie hinsichtlich der
Substanz und Quantität nicht ganz in jedem Teil des Körpers sein? Die nachfolgende These stimmt
dagegen mit dem bisher Gesagten überein: »Anima indivisibilis, ut est totum tertio modo [=totum
essentiale], est tota in qualibet parte corporis, secundum rationem verò totius primo modo [=totum
quantum] sumpti dici potest esse in qualibet parte corporis negativè.« (A. a. O., 116) Die Seele der
höheren Lebewesen ist also hinsichtlich der Substanz und der Quantität in jedem Teil des Körpers.

177
De Anima

und bilden, verfallen nicht auf diese Absurdität, sondern bewahren aufs Beste die Einheit des
Lebewesens. Wir sagen nämlich, daß sie einander untergeordnet sind, so daß der letzte Teil alle
in sich enthält.«180

Die Einheit des Lebewesens gründete also für Zabarella in der ontologischen Einheit
der Vielheit der Seelen, deren höchste – beim Menschen die anima rationalis – alle
übrigen Seelen in sich enthält.181 Wo ist diese ganze Seele, die collectio specierum om-
nium animæ, aber lokalisiert? Ist sie in einem ausgezeichneten Teil des Körpers, wie
Albertus und Portio behauptet haben, oder ist sie Thomas und den Jesuiten gemäß zu-
gleich in allen seinen Teilen? Für Zabarella trafen beide Ansichten nicht ganz das
Wahre: »Wie ich nämlich meine, daß das absurd ist, was Albertus sagt, wonach die
Seele gemäß ihrer Substanz ausschließlich im Herzen sei, so glaube ich auch, daß die
gegenteilige Ansicht falsch ist, die Seele sei zugleich in allen Teilen des Körpers.«182
Wären nämlich alle Körperteile zugleich ohne jede Ordnung beseelt, d. h., wäre die
ganze Seele zugleich im ganzen Körper und allen seinen Teilen, wie Thomas behauptet
hat, dann müßte die vom Körper abgetrennte Hand leben, was aber offensichtlich nicht
geschieht. An Albertus’ Ansicht sei wahr, daß Aristoteles gemäß das Herz der ausge-
zeichnete Körperteil der Lebewesen sei183, in dem die Seele entstehe, sich vorzugswei-
se aufhalte und gleichsam verwurzelt sei.184 Später breite sie sich dann von hier auf den
ganzen Körper aus, so daß sie als esse principale im Herzen sei, in den übrigen Kör-
perteilen aber als esse participatum.185 Nur dank dieser Verbreitung im ganzen Körper
könne die Seele auch ihre doppelte Funktion als forma informans corporis und als
principium operationum erfüllen. »Aus dem Gesagten ist deutlich, daß die Seele ge-

180
Zabarella, De Partitione animæ, c. 3, 731B: »nos autem, qui dicimus has partes animæ non di-
stingui locis, sed omnes simul informare idem corpus, in hoc absurdum non incidimus, sed optime
animalis unitatem servamus; dicimus enim eas esse subordinatas, ita ut ultima contineat omnes …«
181
Zabarella bestätigt in De Partitione animæ explizit seine Ansicht von der Vielheit der Seelen
aus De Facultatibus animæ: »Unus est, ut nomen partis pro parte subiecta, hoc est, pro specie suma-
mus, nomen autem totius pro omnium specierum animæ collectione, sicut Aristoteles frequenter in
lib. de Anima vocat animam totam, & partes animæ, ita ut quæstio sit, quum in eodem vivente plures
inesse posse animas ordine quodam dispositas iam alibi ostenderimus, tanquam formas substantiales
distinctas …« (Vgl. a. a. O., c. 2, 729F-730A)
182
A. a. O., c. 5, 734E: »ut enim absurdum esse arbitror id, quod ait Albertus, animam secundum
suam substantiam in solo corde esse; ita & contrariam sententiam, quod in omnibus corporis partibus
æque resideat anima, falsam esse existimo …«
183
Zabarella (vgl. a. a. O., 735B) verwies in diesem Zusammenhang explizit auf De Part. an. III 3-
5. Vgl. daneben die weiteren Nachweise in 2.3.3.1, Anm. 301.
184
Hubertus Busche nennt dies die »Zentriertheit der Seele« im Herzen, das als ihr »Eingreif-
punkt« (a)rxh/) (Seele, 20) gilt.
185
Vgl. Zabarella, De Partitione animæ, c. 5, 735C: »primum enim quod generatur, est cor anima-
lis, & in eo radicatur anima, postea vero illi cæteræ partes aggenerantur, ad quas statim protenditur
anima non tantum secundum facultates, sed etiam secundum essentiam, ad extensionem enim subiecti
corporis, anima quoque extenditur: hac igitur ratione habet anima in corde esse principale, in reliquis
autem partibus habet esse participatum …«

178
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

mäß ihrer Substanz nicht allein im Herzen ist, sondern in allen [Körper-] Teilen, nicht
jedoch in allen zugleich, sondern in einer gewissen Ordnung.«186 Allein diese Ansicht
sichere die Individualität und damit die Einheit des Lebewesens. Denn ‘beseelt’ und
‘eins’ müsse zugleich das ganze Lebewesen sein. Es sei aber nur dann beseelt, wenn in
allen seinen Teilen die Substanz der Seele sei, nicht bloß in einem vorzüglichen Teil.
Auch in der Beantwortung der letzten Frage, ob die ganze Seele mit allen ihren
Vermögen zugleich in jedem Teil des Körpers ist oder nur mit einem Vermögen in ei-
nem Körperteil, mit einem anderen in einem anderen, bestand keine Einigkeit zwischen
Toletus und den Conimbricensern auf der einen und Zabarella auf der andern Seite.
Die Jesuiten folgten dabei der Ansicht von Albertus, wonach die Seele mit all ihren
Vermögen nicht zugleich in jedem Körperteil sei.187 Dies wurde damit begründet, daß
nur der Geist, der Wille und das Nährvermögen in jedem Körperteil sind, während alle
übrigen organischen Vermögen an einem bestimmten Ort und damit voneinander ge-
trennt sind. So ist das Sehen nur in den Augen, das Bewegen nur in den Nerven, weil
nur dort die jeweiligen Dispositionen vorliegen. Es gebe also Vermögen, die eines be-
stimmten Organs bedürften, um tätig sein zu können. Ein Organ könne aber nicht zu-
gleich ganz in jedem Körperteil sein. Folglich könnten auch nicht alle Seelenvermögen
zugleich in jedem Körperteil sein, wie Alexander behauptet habe. Wäre nämlich die
Substanz der Seele in jedem Körperteil, dann müßten dort auch alle Vermögen sein,
denn diese folgten der Substanz nach. Ferner sei aus De An. II 2, 413b16-29 deutlich,
daß für Aristoteles die Seelenvermögen bloß begrifflich, nicht örtlich voneinander ge-
trennt seien. Daher seien sie in jedem beliebigen Körperteil. Hiervon nehme er zwei-
felnd nur den nou=j aus.
Zabarella wählte auch hier den mittleren Weg, indem er teils der Ansicht des Alber-
tus, teils der des Alexander folgte: »Ich glaube nämlich, daß alle Seelenvermögen in
einer Hinsicht in jedem beliebigen Körperteil sind, in einer anderen nicht.«188 Und zwar
sind sie secundum originem in jedem Körperteil, nicht aber secundum subiectum. So ist
das Sehvermögen allein im Auge als seinem subiectum; ursprünglich ist es aber auch
im Fuß, da ja auch dort die Seele ist, so daß der Fuß das Sehvermögen aufnehmen
könnte, wenn er Augen hätte. Zabarella begründete diese auf den ersten Blick merk-
würdige Ansicht letztlich doch überzeugend wie folgt: Wenn die Seele ihrer Natur
nach geeignet ist, alle Tätigkeiten zu bewirken, dann muß gemäß Alexanders Argu-
mentation dort, wo die Substanz der Seele ist, auch das Vermögen sein, das aus ihr her-
vorgeht. Weil nun aber die Materie nur das in sich aufnimmt, wozu sie in der Lage und
geeignet ist, so nimmt sie nicht jedes Vermögen in sich auf. Folglich ist nicht in jedem
186
A. a. O., 736D: »Ex his ergo patet animam secundum substantiam suam non in solo corde ines-
se, sed in omnibus membris; non tamen in omnibus æqualiter, sed ordine quodam …«
187
Toletus, II 2, q. 4, 53rb: »Anima, secundùm omnes suas potentias, non est in qualibet corporis
parte.« Coll. Conimbricense, II 1, q. 9, art. 2, 114: »Anima, ut est totum potestate, sive divisibilis,
sive indivisibilis sit, non continetur tota in qualibet parte corporis.«
188
Zabarella, De Partitione animæ, c. 14, 762B: »… puto enim facultates animæ in qualibet corpo-
ris parte omnes aliqua ratione inesse, aliqua etiam ratione non inesse …«

179
De Anima

Körperteil secundum subiectum jedes Seelenvermögen. So nimmt nicht jeder Körper-


teil das Sehvermögen in sich auf, weil nicht alle dafür geeignet sind, sondern eben nur
die Augen, und in dieser Hinsicht sei die Argumentation von Albertus und den Jesuiten
richtig. Dergestalt, so Zabarella, könne aus beiden Ansichten der wahre Sinn der Frage
nach dem Ganzsein der Seelenvermögen in einem Körper ermittelt werden.

3.3. Der Begriff der menschlichen Seele

Mit dem Locus De anima rationali beginnt die Untersuchung derjenigen Seelenart, die
für einen jeden Renaissance-Aristoteliker »the most important object of study for the
scientia de anima«189 war, wie Des Chene zu Recht feststellt. Denn gemäß der von Ari-
stoteles genannten Stufenfolge des Lebens ist weder die Bestimmung der anima vege-
tativa der Pflanzen noch die der anima sensitiva der Tiere das Ziel der Psychologie,
sondern die Bestimmung der anima rationalis des Menschen. Dies setzt nun wiederum
die Erkenntnis des Geistes (nou=j, intellectus, mens190) als ihr höchstes Vermögen vor-
aus. Ziel dieser Disziplin ist daher die Realisierung der Forderung des Delphischen
Orakels nach dem gnw=qi seauto/n: Erkenne dich selbst in deinem Sein und Tun. Wie
bereits erwähnt (vgl. 3.1.2.), steht dieser Spruch allen Traktaten zur Seele gleichsam
als Motto voran. Was es mit dieser Selbsterkenntnis auf sich hat und wie sie sich reali-
siert – das zu ermitteln, ist Aufgabe des Locus De anima rationali. Denn nur in ihrem
Vollzug erkennt sich der Mensch als Geist, wird er seiner Bestimmung gerecht, Geist
zu sein. So sehr also ein Wissen vom Kosmos, von der Welt und ihren natürlichen
Dingen zur Wahrheit vieles beiträgt, so findet sie ihr Zentrum allein in der Erkenntnis
des menschlichen Geistes, in dem sich das Wissen und das Gewußte zur Wahrheit ver-
einen (vgl. De An. I 1, 402a4-6).
Diese Einzigartigkeit der menschlichen Seele, die sie weit über die übrigen Lebewe-
sen hinaushebt, wurde von den Renaissance-Aristotelikern an vielen Stellen immer
wieder bewundernd beschrieben. So nannte sie Toletus in neuplatonischer Terminolo-
gie eine gewisse mittlere Substanz zwischen dem rein Körperlichen und Geistigen, da

189
Dennis Des Chene, Life’s form, 19.
190
Der Begriff nou=j wurde mit intellectus bzw. mens übersetzt: »… nou=j, quod dicitur mens, &
intellectus.« (Toletus, II 1, t. 11, q. 2, 43rb) In der Regel wurde freilich der Begriff intellectus ver-
wandt, selbst bei solchen Autoren wie Portio und Zabarella, die ihre Traktate De Mente humana bzw.
De Mente agente nannten. Dies werden die nachfolgenden Abschnitte hinreichend belegen. Deutlich
wird dies auch aus Zabarellas Übersetzungen der entsprechenden Textstellen in seinem De Anima-
Kommentar: »nou=j kai\ du/namij qewrhtikh/« (II 2, 413b24f.) / »intellectus & speculativa potentia«
(lib. II, t. 21, 322C); »to\ dianohtiko/n kai\ nou=j« (414b18) / »cogitativum, & intellectus« (lib. II, t.
29, 354E) und »nou=j paqhtiko/j« (III 5, 430a24f.) / »passivus intellectus« (lib. III, t. 20, 891C). Be-
zeichnet der Begriff nou=j in aller Regel das Vermögen der menschlichen Seele, kann er im weiten
Sinne auch für diese selbst stehen, wie Zabarella unter Hinweis auf Aristoteles betonte: »etenim Ari-
stoteles de mente humana, quam & animam rationalem, & intellectum potestate, seu patientem appel-
lavit …« (De Mente humana, c. 1, 915D)

180
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

sie weder reine Intelligenz sei wie die Engel noch reine sinnliche Form wie die anima
sensitiva der Tiere. Sie erkenne nämlich auf geistige Weise und sei dergestalt das Prin-
zip des Wahrnehmens, das den Intelligenzen nicht zukomme, und sie nehme wahr und
sei dergestalt das Prinzip des Erkennens, über das die Tiere nicht verfügten. Weil also
die Geistseele weder ohne Wahrnehmung noch ohne Erkennen sei, werde sie gewöhn-
lich ‘Horizont der geistigen und körperlichen Formen’ genannt.191 Auch Zabarella be-
tonte unter Hinweis auf EN X 7, 1178a5-8, daß der Mensch im Geistsein am meisten
seiner Natur entspreche und durch ihn im höchsten Grade Mensch sei, ein Mittleres
zwischen dem Sterblichen und Unsterblichen, zwischen dem Irdischen und Göttlichen.
Das Leben gemäß dem Geist (o( kata\ to\n nou=n bi/oj) sei gerade nichts dem Menschen
Transzendentes (supra hominem), sondern charakterisiere ihn am besten in seinem be-
trachtenden Dasein: contemplativa hominis vita est maxime humana. In dieser Tätig-
keit des Geistes bestand für Zabarella die perfectio mentis, die freilich ephemer war.
Den Grund hierfür erkannte er in der Verfaßtheit des Menschen als ein Mittleres zwi-
schen dem Irdischen und Göttlichen, das freilich nicht im Sinne einer platonischen par-
ticipatio an beiden Extremen, sondern im Sinne einer aristotelischen similitudo mit ih-
nen zu verstehen sei. Es gehe nicht um eine durch einen Aufstieg zu den Ideen zu be-
werkstelligende Teilhabe am Göttlichen, sondern um ein Gott-ähnlich-Werden in der
contemplatio als den höchsten Akt des menschlichen Denkens.192
Mit dem Locus De anima rationali steht also der Höhepunkt der aristotelischen Phi-
losophie zur Diskussion, in dem es um die Bestimmung des nou=j geht. Damit werden
jene beiden Kapitel zum Gegenstand des Interesses, die seit jeher als besonders dunkel
gelten, nämlich De An. III 4 und 5.193 So kritisierte Zabarella gleich zu Beginn seiner

191
Vgl. Toletus, II 2, q. 2, 46va: »Anima rationalis non est purè intellectualis substantia, nec purè
sensitiva forma: sed media quædam substantia utrunque complectens. Est enim sic intellectualis, ut sit
principium sentiendi, in quo ab Intelligentijs differt: sic autem sensitiva, ut sit principium intelligendi,
ut differt à puris formis, & hoc utrumque sub una simplici substantia continet. unde dici solet horizon
formarum specierum, & corporalium, ut cognovit Aristoteles cùm in homine idem fecit principium
sentiendi, & intelligendi secundùm substantiam.«
192
Vgl. Zabarella, De Mente humana, c. 9, 950F-951C. In seinem Commentarius de anima heißt
es: »Certe admirabilis est animæ natura, & elata supra corporis conditiones, præcipue vero animæ
intellectivæ.« (III 4, t. 6, 744E)
193
Welche Bedeutung diesem neuen Thema beigemessen wurde, wird daraus ersichtlich, daß
Averroes und Zabarella mit De An. III 4 das dritte Buch beginnen ließen: Vgl. Averroes, III 1 [4], t. 1,
136rB [379,7-12]: »Aristotelis de anima liber tertius. Cum complevit [sc. Aristoteles] sermonem de
virtute imaginativa, quæ sit, & quare, incœpit perscrutari de rationabili, & quærere in quo differt ab
aliis virtutibus comprehensivis, scilicet virtute sensus & imaginationis.« Zabarella, III [4], t. 1, 655B:
»Liber tertius. Primus contextus [sc. De An. III 4, 420a10-13] est veluti proœmium huius partis, quæ
est de humano intellectu …« Die Jesuiten folgten dagegen der sectio Græcorum, wonach es sich um
das vierte Kapitel des dritten Buches handelt, der Einteilung also, der auch heutigentags noch gefolgt
wird: Vgl. Toletus, III 4, t. 1, 129ra: »Caput Quartum. De parte autem animæ [vgl. De An. III 4,
429a10]. Hic sumunt Arabes initium libri tertij: nos tamen Græcorum sectionem secuti, superius prin-
cipium fecimus.« Dort heißt es unter der Überschrift In tertium librum Aristotelis de anima. Caput
primum [zu De An. III 1, 424b22]: »In huius libri sectione, varij sunt Arabes à Græcis interpretibus.
Illi enim initium à Capite sequenti quarto sumunt, in quo de intellectu disputare incipit Aristoteles. Hi

181
De Anima

Schrift De Mente humana diese obscuritas bezüglich des nou=j paqhtiko/j (intellectus
possibilis) in De An. III 4 wie folgt:
»… Aristoteles hat nämlich vom menschlichen Geist … teils offenkundig in den drei Büchern
über die Seele, teils nebenbei in vielen anderen Büchern auf so verschiedene, zweifelhafte oder
zumindest dunkle Weise gesprochen, daß seine Worte zu den verschiedensten, ja gegensätzlich-
sten Ansichten, und zwar auch von den ernsthaftesten Interpreten, gezogen worden sind. Ja, es
fehlten nicht jene, die gewagt haben zu behaupten, daß Aristoteles doppeldeutig gewesen sei
und über diese Sache nichts Gewisses habe aussagen wollen.«194

Eine ähnliche Kritik an der Beschreibung von Wesen und Funktion des nou=j poihtiko/j
(intellectus agens) aus De An. III 5 findet sich in seinem Traktat De Mente agente:
»Nachdem die Funktionen des tätigen Geistes erkannt worden sind, muß auch sein Wesen be-
trachtet werden, was auch Aristoteles tat, aber so kurz und dunkel, daß durch seine Äußerungen
nicht hinreichend klar zu sein scheint, was er denn bei ihm sei. Dadurch geschah es, daß die In-
terpreten seine Worte auf verschiedene, einander widersprechende Ansichten bezogen ha-
ben.«195

_________________________________________________________________________________________________________

verò à præsenti Capite. Et quamvis parum hoc referat ad rei veritatem consequendam, mihi tamen
rationabilius esse visum est, Græcos authores sequi; quippe qui in his, quæ ad verba Aristotelis perti-
nent, maiore digni sunt authoritate, & propter linguæ peritiam, & propter antiquitatem: quos etiam
sequuti sunt Boetius, & Argyropolus, & inter ipsos expositores S. Thomas.« (Vgl. III 1, t. 128, 112va)
Coll. Conimbricense, III 4, 360: »Arabes tertij libri principium hinc fecere: Græci verò interpretes
tertio ab hinc capite, quorum nos secuti fuimus sectionem.« Für beide Seiten gibt es gute Argumente:
Averroes und Zabarella betonen damit den thematischen Neuanfang, da Aristoteles bisher zwar gele-
gentlich auf den Nous verwiesen hat (vgl. De An. II 2, 413b24-27; II 4, 415a11-13 etc.), ihn aber erst
jetzt zum Gegenstand der Untersuchung macht. Die Jesuiten können zum einen auf die historische
Überlieferung verweisen, zum andern darauf, daß die Stufenfolge des Lebens einen Zusammenhang
zwischen den verschiedenen Vermögen setzt, so daß der Nous in einer Reihe mit den übrigen Ver-
mögen steht, die alle von der anima rationalis umfaßt werden.
194
Zabarella, De Mente humana, c. 1, 915D-E: »… etenim Aristoteles de mente humana … tum ex
professo in tribus de anima libris, tum obiter in aliis pluribus ita aut varie, ac dubie, aut saltem obscu-
re loquutus est, ut ad diversas, imo etiam contrarias sententias à gravioribus quoque interpretibus eius
verba distracta sint; nec defuerint, qui eum ancipitem fuisse, & nihil certi hac de re statuisse affirmare
ausi sint.« Vgl. ferner a. a. O., c. 13, 971B: »Superest ut respectu etiam operationis naturam eius [sc.
anima rationalis] declaremus, quod facere sibi proposuit Aristoteles in 3. lib. de Anima; sed ita obscu-
re, ut pars illa maxime omnium ambigua esse, & interpretatione indigere videatur, quum propter mul-
ta, & magna interpretum dissidia non satis liqueat, quid de hac animæ parte doceat ea tractatione Ari-
stoteles.«
195
Vgl. Zabarella, De Mente agente, in: De Rebus naturalibus, 1007-1042, hier: c. 9, 1021A-B:
»Cognitis officiis intellectus agentis est quoque eius natura consideranda; quod etiam Aristoteles fe-
cit, sed ita breviter, & obscure, ut per eius dicta non satis liquere videatur, quisnam sit apud eum in-
tellectus agens; quo factum est ut interpretes ad varios, & inter se contrarios sensus verba Aristotelis
traxerint …« Auch in seinem De Anima-Kommentar hat Zabarella diese Abschnitt De An. III 5 einen
»tractatus … difficillimus« (III [5], t. XVII, 872A) genannt. Diese Feststellung der obscuritas ist zu
einem Topos der Forschung geworden wie eine Äußerung von Willy Theiler belegt: »Es gibt kein
Stück der antiken Philosophie, das wie die halbe Seite dieses Kapitels [sc. De An. III 5] eine solche
Masse der Erklärungen hervorgerufen hat. Seine Dunkelheit und übermäßige Kürze sind berüchtigt.

182
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

Die Problematik bei der Bestimmung des Geistes als intellectus possibilis & intellectus
agens scheint dem zu beschreibenden Phänomen immanent ist. Der Geist wäre uns
damit nicht das Nähste und Vertrauteste, wie Augustinus und Descartes gemutmaßt
haben – obgleich er gleichwohl das Konkreteste ist, wie Hegel betont hat –, sondern er
ist dasjenige in uns, das sich zunächst und zumeist jedem direkten Zugriff entzieht und
sich nur auf dem Umweg über das Denken eines anderen (Intentionalität) zeigt. Dies
werden die folgenden Abschnitte belegen.
Dabei werden im folgenden nicht nur die systematischen Traktate der Renaissance-
Aristoteliker berücksichtigt, sondern auch ihre Kommentare zu De An. III 4 und 5, die
eine von der Forschung noch gar nicht ausgeschöpfte Quelle sind.196 Den Zusammen-
hang von System und Kommentar verdeutlicht dabei eine Äußerung von Toletus am
Ende seines Kommentars zu De An. III 5: »Viele außerordentliche Schwierigkeiten
zeigen sich in diesem Kapitel, die der Reihe nach zu diskutieren sind.«197 Die Notwen-
digkeit einer systematischen Erörterung des Locus De anima rationali ergab sich also
daraus, daß in einem Kommentar nicht alle Aporien in De An. III 4 und 5 beseitigt
werden konnten. Außerdem boten die systematischen Traktate die Möglichkeit einer
über Aristoteles hinausführenden Darstellung dessen, was aus theologischer Sicht über
die menschliche Seele zu sagen ist. Im einzelnen betraf dies die folgenden Themen-
komplexe (in der Reihenfolge ihrer Anordnung in den Schriften):
1. In der Auseinandersetzung mit Averroes (vgl. 3.3.1.) galt es zu zeigen, daß die
menschliche Seele (einschließlich ihres Geistvermögens) wie die übrigen Seelenarten
der Pflanzen und Tiere gemäß De An. II 1 secundum esse als forma informans und
nicht als forma assistens zu bestimmen ist (3.3.1.1.) und der intellectus possibilis nicht
einer in allen Menschen ist, sondern vervielfältigt wird gemäß der Anzahl der Indivi-
duen (3.3.1.2.).
2. Eine Eigentümlichkeit der philosophischen Psychologie der Jesuiten ist ihre über
Aristoteles hinausgehende und an Augustinus anknüpfende Bestimmung der menschli-
chen Seele als substantia spiritualis. Es ist aufzuzeigen, was mit dieser theologischen
Definition genauer gemeint ist und worin aus Sicht der Jesuiten die Notwendigkeit die-
ser Ergänzung bestand (3.3.2.).
_________________________________________________________________________________________________________

Fehlte es, man würde von der naturalistischen Psychologie aus, die uns dargeboten wird, nichts ver-
missen.« (Anmerkungen, in: Aristoteles, Über die Seele, 142)
196
Allein Zabarella hat den Weg in die neuere Forschung gefunden, wie die Kommentare von
Hicks und Ross belegen, die ihn als nützlichen Interpreten schätzten, auch wenn sich beide hinsicht-
lich seiner Auslegung von De An. III 5 nicht einig waren: »Throughout this chapter [sc. De An. III 5],
as in the last [sc. III 4] I have derived invaluable aid from Zabarella, who in the main follows
Alex.[ander] Aphr.[odisias] …« (Aristotle, De Anima. Ed. Hicks, 498) »Zabarella, who is often a
useful guide on Aristotelian questions, has a long discussion of the chapter [sc. De An. III 5] is his De
Rebus Naturalibus … but this discussion has not the clarity which often characterizes him …« (Ari-
stotle, De Anima. Ed. Ross, 44)
197
Toletus, III 5, t. 20, 140vb: »Multæ & insignes in hoc capite difficultates occurrunt, quæ ordine
sunt discutiendæ.«

183
De Anima

3. Neben der Frage nach der ontologischen Bestimmung des intellectus possibilis stell-
te sich in einem zweiten Schritt die nach seiner Funktion im Erkenntnisprozeß (vgl.
3.3.3.): Wie erkennt er einen Gegenstand, und wie erkennt er sich selbst? Ist er eine
pura potentia passiva, oder hat er ein aktives Element in sich?
4. Zum genaueren Verständnis des Erkenntnisprozesses galt es für die Aristoteliker
ferner, die Theorie von den species intelligibiles darzustellen (vgl. 3.3.4.). Was sind
sie, und welche Funktion kommt ihnen im Erkenntnisprozeß zu?
5. Insbesondere die Lehre vom intellectus agens war zwischen den Renaissance-
Aristotelikern umstritten (vgl. 3.3.5.). Ist er Gott, eine göttliche Kraft oder ein Vermö-
gen der menschlichen Seele? Uneinig war man sich auch, welche Funktion er im Er-
kenntnisprozeß erfüllt.
6. Von besonderer Brisanz war ferner die Frage nach der Unsterblichkeit der menschli-
chen Seele (vgl. 3.3.6.). Kann auf rein philosophische Weise von Aristoteles her ihre
Unsterblichkeit bewiesen werden? Die ganze Problematik hing hierbei an ihrer Be-
stimmung als forma informans: Wie kann sie sich, die mit dem Körper eines ist, den-
noch nach dessen Ableben von ihm abtrennen?
7. Schließlich stellte sich die Frage, was der menschliche Geist in welcher Reihenfolge
erkennt (vgl. 3.3.7.). Denn die Bestimmung der species intelligibiles ließ die Frage
nach dem Gegenstand des Geistes noch unbeantwortet. Hier stellt sich die Frage nach
dem Verhältnis zwischen dem Einzelnen und dem Allgemeinen.
Die Erörterung all dieser Punkte führte nach Ansicht der Renaissance-Aristoteliker zu
einem vollständigen Wissen über die menschliche Seele secundum esse & operatio-
nem. Dies wird das Nachfolgende belegen.

3.3.1. Die Auseinandersetzung mit Averroes

Mit dem Bekanntwerden der psychologischen Schriften des Averroes im Verlauf des
13. Jh.s entbrannte eine heftige Debatte um die beiden folgenden Fragen: 1. Ist die
menschliche Seele wie die der Pflanzen und Tiere forma informans, oder ist sie eine
sich von dieser unterscheidende forma assistens? 2. Ist der intellectus possibilis einer
in allen Menschen, oder ist er vervielfältigbar gemäß der Anzahl der Individuen? Beide
Fragen thematisierte Thomas in dem kurz vor seinem Tod veröffentlichten Traktat De
unitate intellectus contra Averroistas, der eine unmittelbare Replik auf die 1269/70
veröffentlichten Quaestiones in tertium de anima des Siger von Brabant (um 1240-
1281/84) war. Während dieser im Anschluß an Averroes die These vom menschlichen
Geist als forma assistens und von der unitas intellectus vertrat198, war für Thomas der
intellectus possibilis ein Vermögen des Menschen und so als Teil der Seele wie diese
selbst forma informans corporis und als solcher wiederum wie diese selbst vervielfäl-

198
Vgl. hierzu Olaf Pluta, Siger von Brabant: Quaestiones in tertium De anima, in: Interpretatio-
nen. Hauptwerke der Philosophie. Mittelalter. Hrsg. von Kurt Flasch. Stuttgart 1998, 292-317.

184
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

tigbar gemäß der Anzahl der Individuen199. Diese Kontroverse mündete in der großen
Verurteilung von 219 averroistischen, alexandrinischen und thomistischen Thesen im
Jahre 1277 in Paris.200 Wenig später wurde die Bestimmung der menschlichen Seele als
forma informans auf dem Konzil von Vienne 1312 dogmatisiert und auf dem 5. Late-
rankonzil von 1513 bestätigt. Dort wurde, wie gesehen (vgl. 1.1.), als ein weiteres
Dogma bestimmt, daß die anima intellectiva entsprechend der Vielzahl der Körper,
denen sie eingegossen werde, einzeln vervielfältigbar sei. In diese Tradition gehört nun
auch die Auseinandersetzung der Renaissance-Aristoteliker mit Averroes, der durch
die Veröffentlichung der großen Giunta-Ausgabe des Aristoteles von 1550-52 erneut
zum »prime commentator on Aristotle«201 wurde. Die Autoren erörterten dabei beide
Themenkomplexe als zum selben Kontext gehörig.202 Es wird mit der Frage nach der
Seinsbestimmung der menschlichen Seele begonnen.

3.3.1.1. Forma informans oder forma assistens?

Auf den ersten Blick mag die Bestimmung der menschlichen Seele als forma infor-
mans oder als forma assistens keinen großen Unterschied erkennen lassen. Sie ist je-
doch von großer Bedeutung sowohl für die Frage nach ihrer Einheit mit dem Körper
als auch für die nach ihrer Unsterblichkeit. Denn ihre Bestimmung als forma informans
setzt ein inniges Seinsverhältnis mit ihrem Körper, das als ein ‘immer schon’ vorhan-
denes, schlechthin nicht auflösbares Verhältnis erscheint, so daß beide auf jene Weise

199
Vgl. Thomas, De unitate intellectus contra Averroistas, in: Opera 43, 291-314. Ders., ScG II
73, in: Opera 13,2, 459: »Quod intellectus possibilis non est unus in omnibus hominibus.« Ders., STh
I, q. 76, art. 2, in: Opera 5, 216: »Utrum intellectivum principium multiplicetur secundum multiplica-
tionem corporum.« Zur Interpretation vgl. Kurt Flasch, Thomas von Aquino: De unitate intellectus
contra Averroistas, in: Interpretationen, 245-269.
200
Vgl. Kurt Flasch, Aufklärung im Mittelalter? Die Verurteilung von 1277. Das Dokument des
Bischofs von Paris. Übersetzt und erklärt von Kurt Flasch. Mainz 1989.
201
Charles B. Schmitt, Renaissance Averroism Studied through the Venetian Editions of Aristotle-
Averroes (with Particular Reference to the Giunta Edition of 1550-2), in: L’averroismo in Italia. Rom
1979, 121-142, hier: 131: »There can be little doubt that the monumental edition of Aristotle and
Averroes … is the most important of all the Renaissance editions in which Averroes is the prime
commentator on Aristotle … It is perhaps the best example of what we have called the philosophical
reaction of the philological humanism.«
202
Vgl. Toletus, II 2, q. 2, 40vb: »An definitio animæ sit univoca? sive (quod in idem recidit) an sit
anima assistens, & una in omnibus hominibus? an sit informans, & in singulis diversa.« Toletus
kommt auf diese Frage im Zusammenhang mit De An. III 4 zurück: »An Intellectus possibilis sit po-
tentia animæ? Vel: (quod in idem recidit) an Intellectus possibilis sit informans, an substantia sepa-
rata?« (III 4, q. 10, 133ra) Coll. Conimbricense, II 1, q. 6, 94: »Sit ne anima intellectiva vera hominis
forma, an non?« A. a. O., q. 7, 101: »Utrum animæ rationis participes ad numerum hominum multip-
licentur, an non?« Zabarella, De Mente humana, c. 2, 916D: »Quæstio, an anima rationalis sit forma
hominis, & quæstionis declaratio.« A. a. O., c. 10, 962A: »Averrois ac Themistii opinio de intellectus
unitate, & eorum argumenta.«

185
De Anima

eines (e(/n, vgl. De An. II 1, 412b6) sind wie das Wachs und die Figur in der Kerze, die
für uns nie als voneinander Getrennte wahrnehmbar sind. Und je inniger diese Einheit
ist, desto schwieriger wird erklärbar, wie sich die menschliche Seele nach dem Able-
ben des Körpers von diesem soll abtrennen können. Umgekehrt gilt jedoch: Ihre Be-
stimmung als forma assistens zeigt ihr Verhältnis mit dem Körper als ein bloß akziden-
telles an, das in dem Moment endet, wenn der Körper stirbt und die Seele ihn verläßt,
und zwar auf die Weise, wie der Schiffer beizeiten das sinkende Schiff verläßt (vgl. De
An. II 1, 413a8f.). Ihre Unsterblichkeit ließe sich vor diesem Hintergrund viel plausib-
ler erklären. Das Problem um die Bestimmung der Seele als forma informans sive assi-
stens erweist sich dergestalt als das Kardinalproblem für ein angemessenes Verständ-
nis ihres Begriffs, und von hier aus wird auch die Bedeutung ersichtlich, die diese Fra-
ge für die Renaissance-Aristoteliker aus philosophischer und theologischer Sicht haben
mußte. Die Auseinandersetzung mit Averroes brachte es dabei mit sich, daß diese Fra-
ge nicht nur vor dem Hintergrund von De An. II 1203, sondern auch von III 4 zu beant-
worten war. Denn Averroes vertrat ja die Ansicht, daß der Geist dort auf eine Weise
bestimmt werde, die mit der Seelendefinition in De An. II 1 nicht vereinbar sei. Vor
diesem Hintergrund erscheint es gerechtfertigt, wenn dieser Sachverhalt erst hier erör-
tert wird.
In einem ersten Schritt gilt es zunächst zu klären, worin die begriffliche Differenz
zwischen der forma informans & forma assistens für die Renaissance-Aristoteliker be-
stand. Übereinstimmend definierten sie die Form (ei)=doj) in ihren Kommentaren und
systematischen Abhandlungen als eine solche, welche die unbestimmte Materie (u(/lh)
als zunächst pure Möglichkeit in eine Gestalt bringt, sie zu einem bestimmbaren Dies-
da (hoc aliquid=to/de ti) macht, sie also ihrer Möglichkeit entsprechend bildet und
strukturiert (daher forma informans). Sie ruft die Materie damit gleichsam ins Sein –
Aristoteles nennt das ei)=doj in Met. V 8, 1017b15 deshalb auch to\ ai)/tion tou= ei)=nai –
und ist dergestalt nichts anderes als das principium individuationis.204 Genau diesen

203
Sofern nämlich die menschliche Seele forma informans ist, trifft auf sie genau die Definition
zu, die von Aristoteles in De An. II 1 ermittelt worden ist. Daher ist der Locus De anima in genere der
angemessene Ort für ihre Erörterung. Dies verdeutlicht auch eine Äußerung von Toletus im Zusam-
menhang mit De An. II 2: »Sensus ergo quæstionis est: an in animæ definitione comprehenderit om-
nem animam; an actus tantum sumatur pro informante? & si vis clarius: an anima rationalis secundum
substantiam suam sit corporis forma? Et quamvis sit multum cum hac coniuncta materia de immorta-
litate ipsius, nihil tamen hic ea de re tractabitur, sed suo loco libro 3. solum ergo hic de informatione
tractabo.« (II 2, q. 2, 41ra) Keineswes geht es also darum, die Studenten so schnell wie möglich ge-
gen Averroes zu impfen, wie Des Chene vermutet: »Although the problem of the forma assistens
arises only for the human soul, it is typically dealt with early in Book 2 in quæstiones on the definiti-
on of the soul – in order, I suppose, that students should be inoculated against Averroism as quickly
as possible.« (Life’s Form, 77, Anm. 19)
204
Dies verdeutlicht Zabarella in seiner Schrift De Constitutione individui (in: De Rebus naturali-
bus, 373-394, hier: c. 5, 381A-382C; vgl. hierzu auch Averroes, II 1, t. 8, 53rC [143,96f.]) Die Form
bestimmt als ratio singularitatis das Individuum in seiner wesentlich-konkreten Existenz (individua
substantia), sei dies nun eine Pflanze, ein Tier oder ein Mensch. Jedes von ihnen wird durch die Form
zu einem Individuum (hoc aliquid). Dabei muß die Frage nach der Vielheit der Individuen einer Art

186
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

Prozeß habe Aristoteles auch in De An. II 1, 412a6-9 beschrieben, wie Zabarella be-
tont.205 Aus 412a9f. ergebe sich hierbei klar, daß er ei)=doj und e)ntele/xeia miteinander
identifiziert habe. Vor diesem Hintergrund darf für die Renaissance-Aristoteliker der
Begriff e)ntele/xeia keineswegs im Sinne von Cicero und Melanchthon als eine
e)ndele/xeia (continuata motio & perennis, vgl. 2.3.2.) verstanden werden. Unter Beru-
fung auf Themistius206, Simplicius207 und Scaliger208 wird dieser Begriff vielmehr von
e)ntele\j & e)/xein hergeleitet, so daß er ein Insichhaben des Endes, eine perfectio bedeu-
tet209, in der die Form die Materie vervollkommnet, eben weil sie die Kraft besitzt, ein
Dies-da zu konstituieren210 und es in seinem Fertigsein zu halten:
_________________________________________________________________________________________________________

von der Frage nach dem Einssein des je einzelnen Individuums unterschieden werden. Wie nämlich
die Materie aufgrund ihrer Verteilung und Ausdehnung die Ursache der Vielheit der Individuen ist, so
ist die Form die Ursache des Unterschieds der Individuen untereinander, oder, positiv formuliert, die
Ursache des Einsseins des Individuums, das sich dadurch von allen anderen Individuen unterscheidet,
und dies kennzeichnet seine Vollkommenheit. Denn die Funktion der Form ist es, etwas Unbestimm-
tes zu etwas Bestimmtem zu machen, d. h. ein Dies-da zu konstituieren, wie aus De An. II 1, 412a8f.
ersichtlich ist. Dies geschieht, indem die Form dem (noch unbestimmten) Individuum das Wesen und
die Existenz verleiht, so daß zwischen einer forma essentiæ und einer forma existentiæ unterschieden
werden muß: Jene konstituiert das Wesen des Lebewesens, das der jeweiligen Art eigentümlich ist
und mit dem alle Individuen dieser Art übereinstimmen. Dergestalt bestimmt sie als forma animalis
das Tier als Tier und als forma hominis den Menschen als Menschen. Die Ausgestaltung der je spezi-
fischen Existenz, die dem Wesen gleichsam hinzugefügt wird, ist dagegen die Funktion der forma
existentiæ. Erst diese forma specifica konstituiert die Singularität des Individuums, das sich dadurch
von jedem anderen Individuum durch die ihm allein zukommenden Merkmale, die es als ein be-
stimmtes Dies-da kennzeichnen, unterscheidet. Obgleich also allein die Form das Individuationsprin-
zip ist, ist die Materie in diesem Prozeß die conditio sine qua non, weil die spezifische Form die Sin-
gularität nur verleihen kann, wenn das Lebewesen existiert; existieren kann es aber nur aufgrund der
Materie.
205
Vgl. Zabarella, De Mente humana, c. 7, 933B: »… est igitur considerandum, quam materiam,
& quam formam ibi Aristoteles sumat; certe non sumit aliam formam, quam informantem, neque ali-
am materiam, quam habentem potestatem ad esse, & hoc recipientem à forma; nam dicit materiam
secundum se non esse hoc aliquid, sed esse ens potestate, & à forma fieri hoc aliquid …«
206
Vgl. 2.3.2., Anm. 247.
207
Vgl. 2.3.1., Anm. 187.
208
Vgl. Scaliger, Exotericarum exercitationum liber XV, ex. CCCVII, s. 12, 745f.: »Si sciunt, quid
sit ei)=doj, quid morfh\, quid lo/goj, quid to\ ti\ h)=n ei)=nai: non ignorabunt, quid est Entelechia … Hoc
enim est, e)n: quod innuit maximus Poetarum: Totosque infusa per artus. Hoc est, te/loj: quia est ul-
tima forma sub cælestibus: & princeps inferiorum, finis, ac perfectio. Hoc est, e)/xein: posse.« A. a.
O., s. 39, 790f.: »Est [sc. anima] enim pars compositi, quia e)n. Hoc namque est stoixei=on, id est, ex
quo fit aliquid, & in eo est. Tum sit est e)/xon, est forma: quia habet materiam: neque solum habet, sed
etiam continet, ut sit unum. Neque solum continet, sed etiam regit … Est ergo substantia, qua conti-
nentur accidentia, non continent: fluunt à substantia, non ipsam regunt. Tum autem est perfectio &
finis.«
209
Vgl. Portio, c. I, 7: »Inde ergo aperte habes, entelechiam esse primam perfectionem corporis.«
210
Vgl. Coll. Conimbricense, II 1, 49: »Formam verò, cum sit actus, & entelechia habere vim con-
stituendi hoc aliquid.«

187
De Anima

»Das Wort e)ntele/xeia aber, wie wir aus Themistius entnehmen, ist bei den Griechen ein unge-
bräuchliches Wort und wird hergeleitet von e)ntele/j, was vollendet und vollkommen heißt, et-
was, das sein Ende in sich enthält. Denn te/loj heißt Ende. Dieses Wort bezeichnet aber eine
Vollkommenheit und eine Verwirklichung in Hinsicht auf ein anderes, und es scheint keine an-
dere Bedeutung zu haben, wie Themistius sagt, als das griechische Wort telei/wsij, das keine
abstrakte Form und Verwirklichung bezeichnet, sondern im eigentlichen Sinne die Vollendung
eines anderen ist, und deswegen werden von Aristoteles mit diesem Wort keine anderen Formen
bezeichnet als die materiellen, denn sie sind die Vollkommenheiten und die Vollendungen eines
natürlichen Körpers.«211

Die e)ntele/xeia kennzeichnet also den Zustand eines Seienden in seinem je gegenwär-
tigen Vollkommensein, und zwar vom Anfang bis zum Ende, d. h., sie sichert und hält
es in diesem vollkommenen Sein, worüber hinaus es nichts weiter bedarf, um sein zu
können.
Die Conimbricenser bestimmten die Entelechie aus diesem Grunde als eine feste
Haltung (habitus), in der die Vollkommenheit nicht kommt und geht, sondern fest ver-
harrt, gleichsam eine zweite Natur, eine possessio perfectionis ist, wie unter Berufung
auf Hermolaus Barbarus betont wird:
»Wie nämlich die Materie ein Seiendes der Möglichkeit nach und deswegen unvollkommen ist,
so vollendet die Form umgekehrt das Seiende, und die e)ntele/xeia ist gleichsam eine e(/cij tou=
teleio/thtou, d. h., ein Habitus und der Besitz der Vollkommenheit oder eine vollendete Voll-
kommenheit.«212

Die Jesuiten spielen mit dieser Bestimmung der Entelechie als eine Hexis explizit auf
De An. II 1, 412a10f. an, wo Aristoteles zwischen einer ersten und zweiten Entelechie
unterscheidet. Jene sei wie ein Wissen bzw. eine Wissenschaft (w(j e)pisth/mh), diese
wie ein Betrachten (w(j to\ qewrei=n). Die e)ntele/xeia h( prw/th ist dabei nichts anderes
als die das Sein verleihende Form (ei)=doj), bezeichnet aber genauer den Prozeß des
Werdens eines Dings aus seiner ungestalteten Materie hin zu seinem Gegenwärtigsein
als Ende, seinem Sich-im-Fertigsein-Halten, seinem verwirklichten Sein als ein Dies-
da, mit all seinen ihn auszeichnenden spezifischen Merkmalen. Der Vergleich mit der
Wissenschaft ist folglich so zu verstehen: Wie die Wissenschaft eine feste Haltung ist,
in der man über ein Wissen verfügt, so ist auch die erste Entelechie eine Hexis, »das

211
Zabarella, II 1, t. 2, 113B-C: »Nomen vero e)ntele/xeia (ut ex Themistio colligimus) inusita-
tum est apud Græcos, & deducitur ab e)ntele/j, quod est perfectum, completum, habens finem suum:
Nam te/loj est finis. Significat autem hæc vox perfectionem, & actum respectu alterius, nec videtur
aliam habere significationem, (ut ait Themistius) quam Græca dictio telei/wsij, quæ non potest si-
gnificare formam abstractam, & actum abstractum, sed proprie complementum alterius, ideo hoc vo-
cabulo non significantur ab Aristotele aliæ formæ, quam materiales: quia sunt perfectiones corporum
naturalium, & eorum complementa.« Vgl. Toletus, II 1, t. 2, 36rb: »Ubi nota, quòd actus Græcè est
e)ntele/xeia, explicat Themistius optimè perfectionem. Id enim quod inconsummatum consummat,
imperfectum perficit, incompletum complet; id actus hic dicitur; talis est forma respectu materiæ
ipsam perficiens; ob id dicitur, quòd per formam iam est hoc aliquid, id est, perficitur & completur.«
212
Coll. Conimbricense, II 1, q. 1, art. 7, 66: »Sicut enim materia ens potentia est, ideoque imper-
fecta; ita è converso forma rem absolvit, estque e)ntele/xeia quasi e(/cij tou= teleio/thtou, id est, ha-
bitus, ac possessio perfectionis, sive actus perfectus.«

188
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

Sein selbst«213 bzw. »der Anfang der Betätigung«214. Die e)ntele/xeia h( deu/tera ist da-
gegen die forma operans bzw. die operatio fluens à forma. Ihr Vergleich mit dem Be-
trachten zielt daher auf den Vollzug ab: Wie nämlich das Betrachten der aktuelle Voll-
zug von Wissen ist, so ist die zweite Entelechie der Vollzug einer Form.215
Diese zweite Entelechie ist nun nicht mit der forma assistens zu verwechseln, denn
diese kommt von außen hinzu, wie Zabarella betont.216 Sie verleiht nämlich einem be-
reits existierenden Ding die ihm zugehörige Tätigkeit (e)ne/rgeia, operatio), zu der es
zwar ein natürliches Vermögen besitzt, die es aber aus eigener Kraft nicht vollziehen
kann, so daß es der Hilfe eines anderen bedarf (anders also als das Feuer, das sein
Züngeln ‘selbst’ vollzieht).217 Zabarella verdeutlicht dies anhand des locus classicus De
An. II 1, 413a3-9: Ein Schiff hat seine Gestalt, sein spezifisches Aussehen, wodurch es
als ein solches erkennbar ist. Diese Gestalt erhält es durch die Anordnung der Hölzer,
wodurch es gleichsam ins Sein kommt und so als ein Dies-da (to/de ti), als dieses kon-
krete Schiff bestimmbar wird, was mit dem Terminus technicus forma informans be-
zeichnet wird. Der Schiffer übernimmt dagegen von außen das in seinem Sein fertigge-
stellte Schiff und übt den actus navigandi aus, das Lenken des Schiffs, das in seiner

213
Toletus, II 1, t. 2, 36va: »Actus duplex est. Alter est, esse ipsum. Alter est operatio. Ille dicitur
primus, & est ipsa forma ut scientia. Alter est secundus, & est operatio fluens à forma.«
214
Coll. Conimbricense, II 1, 48: »Verisimilior est ac magis recepta interpretatio Simplicij, The-
mistii, Philoponi, D. Thomæ, & aliorum aientium dividi actum generatim sumptum in actum primum,
qui principium est operandi, & in actum secundum, qui est ipsa operatio; quomodo scientia, quæ est
habitus, à quo contemplatio egreditur, dicitur actus primus; ipsa verò contemplatio actus secundus
…«
215
Zabarella (vgl. II 1, t. 2, 114B-C) verdeutlicht diese Differenz zwischen den beiden Entelechien
anhand des folgenden Beispiels: Der actus primus des Feuers ist seine Form, sein Aussehen, wodurch
es das ist, was es zu sein hat. Dies ist die Vollkommenheit hinsichtlich seines Gegenwärtigseins. Der
actus secundus dagegen kennzeichnet die Bewegung des Feuers, sein Züngeln als die Form im Voll-
zug, und erst mit ihm ist die höchste Perfektion erreicht. Denn erst der Vollzug ist die Vollkommen-
heit der Form, mag er auch der Natur nach später sein als die erste Entelechie.
216
Vgl. Zabarella, De Mente humana, c. 7, 935D-E: »propterea non dicitur actus primus nisi forma
materialis, quæ à sua operatione distinguitur; & significat formam dantem esse, quia res materialis
duas habet distinctas perfectiones: una est proprium esse specificum, quod habet à forma, ideo forma
dicitur prima perfectio corporis naturalis, ad differentiam secundæ perfectionis, quæ est operatio; ut
actus primus ignis nihil aliud est, quam forma per quam est ignis, hæc enim est prima perfectio, quæ
rei essentiam significat, ascendere autem est secunda ignis perfectio; res enim non habet suam inte-
gram perfectionem dum est otiosa; sed quando edit suam naturalem operationem. Ex his igitur patet,
formam, quæ non informet materiam, sed solum assistat alicui corpori, non posse dici illius actum,
nec primum, nec secundum …«
217
Vgl. a. a. O. c. 2, 916E-917B: »Forma duplex est: una materiam informans, & dans esse speci-
ficum, & rem constituens tanquam differentia adiecta generi … Altera est forma, quæ non dat esse,
sed ipsi rei iam constitutæ, & habenti esse specificum supervenit tanquam præstantius quoddam, &
dat solum operationem ad quam res illa potestatem quidem habet naturalem, sed eam edere propriis
viribus suis non potest, ideo eget ope alicuius nobilioris, quod eius naturam, & conditionem excedat;
ab eo igitur non recipit esse, sed recipit operationem …« Ebenso Toletus, II 2, q. 2, 41ra. Coll. Co-
nimbricense, II 1, q. 6. art. 2, 95f.

189
De Anima

Geeignetheit, navigiert zu werden, begründet liegt, eine Fähigkeit, die das Schiff aber
aus sich selbst heraus nicht vollziehen kann, und dieser actus navigandi wird forma
assistens genannt.218
Ist die Geistseele nun forma informans oder forma assistens.219 Anders gefragt: Ver-
leiht sie dem Menschen das Sein und hält ihn darin als seine perfectio, oder ergänzt sie
etwas an ihm, verleiht ihm die eigentümliche Tätigkeit – die Erkenntnis – als eine rea-
liter von der Materie abgetrennte Form?220 Handelt es sich also bei der in De An. II 1
gegebenen Definition der Seele um eine univoke Definition, die eben auch für die
menschliche Seele gilt, oder ist sie äquivok bzw. analog zu verstehen, so daß die
menschliche Seele mit ihrem Vermögen des Geistes von ihr nicht erfaßt wird?221
Wie gesehen, haben Alexander und – mit gewissen Einschränkungen – Simplicius
die menschliche Seele als forma informans bestimmt.222 Mit Alexander hat sich Aver-

218
Vgl. Zabarella, De Mente humana, c. 2, 917B-D.
219
Die pflanzlichen und tierischen Seelen werden übereinstimmend als forma informans definiert,
so daß sich hier die Frage nach der forma assistens gar nicht stellt. Vgl. nur Toletus, II 2, q. 2, 41ra:
»Difficultas autem de tota est de anima rationali, de vegetativa enim & sensitiva omnes fatentur esse
actus informantes: de rationali est controversia.«
220
Zabarella, De Mente humana, c. 2, 918B-C: »Quoniam igitur anima rationalis humana est for-
ma quædam existens homini, quærimus nunc, qualisnam forma sit, an informans materiam habentem
potentiam ad esse, constituens humanam speciem sub animali genere tamquam differentia dividens
ipsum genus, ita ut homo per eam sit homo, & absque illa non sit homo: an potius sit solum assistens,
ita ut homo per aliquam aliam formam sit homo, & ipsi iam constituto, & habenti suum esse specifi-
cum sub animali genere, hæc tamquam præstantior quædam forma superveniat, quæ non det illi ut sit
homo, sed solum ut sit quoddam eminentius homine, nempe det illi solam operationem nobilem &
præstantem, qualis est intellectio …«
221
Toletus, II 2, q. 2, 41ra: »Unde qui hanc [sc. animam rationalem] dicunt non informare; dicunt
esse definitionem analogam: qui dicunt informare; dicunt illam univocam esse.« Der Sprachgebrauch
rührt von Cat. 1, 1a1-12 her, wonach homonym (lat. aequivok) diejenigen Dinge heißen, wenn sie nur
einen Namen gemeinsam haben, aber die dem Namen entsprechende Definition des Seins verschie-
den ist. Synonym (lat. univok) heißen dagegen diejenigen Dinge, wenn sie den Namen gemeinsam
haben und die dem Namen entsprechende Definition des Seins dieselbe ist.
222
Während die Zuordnung von Alexander bei den Autoren unumstritten war – vgl. nur Toletus’
Äußerung: »Prima [sc. sententia] est S. Thomæ, Alexandri, Aegidij, & ferè Latinorum, quòd definitio
est univoca animæ, quæ rationalis corporis est forma informans.« (II 2, q. 2, 41ra) –, gingen die An-
sichten über Simplicius prima facie auseinander. Für Toletus und die Conimbricenser hat er wie Phi-
loponus und Themistius die urplatonische Ansicht von der Seele als forma assistens vertreten: »Alia
est sententia Philoponi … & Simplicii … qui animam rationalem non informantem credunt, sed so-
lum utentem corpore, sicut nauta est navi; ita tamen, ut quælibet anima sit in suo corpore. Quæ sen-
tentia fuit Platonis, & Greg. Nysseni …« (Toletus, II 2, q. 2, 41ra-b) »Præterea non esse animum
formam hominis asseruit Simplicius lib. 1 huius operis textu septimo, & Philoponus … Themistius …
Averroes …« (Coll. Conimbricense, II 1, q. 6, art. 2, 96) In der Tat kann man an der genannten Stelle
bei Simplicius lesen: »o( de\ A)ristote/lhj w(/sper pro\j t%= ei)/dei, ou(/tw kai\ pro\j t%= a)meri/st%
ma=llon ti/qetai th\n yuxh/n, tou=to me\n w=j ou) meristh/n, tou=to de\ w(j ou) mo/non tw=n meristw=n,
a)lla\ kai\ th=j peri\ ta\ sw/mata merizome/nhj ou)si/aj e)cvrhme/nhj th=j logikh=j yuxh=j.« / »Ari-
stoteles vero, ut ex parte formæ, ita & ex parte impartibilis potius animam collocat. Atque ut ea qui-
dem sit non tanquam partibilis, illud vero, ut non a partibilibus tantum, sed etiam a substantia circa

190
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

roes insbesondere in seinem Kommentar zu De An. III 4 auseinandergesetzt, wo er die


anima rationalis bzw. den intellectus materialis als forma assistens223 definierte und
sich damit der neuplatonischen Position anschloß. Zabarella referierte dessen Position
ausführlich in De Mente humana und benannte die entscheidenden Textstellen aus De
Anima, die für den vorliegenden Zusammenhang zugrunde gelegt werden.224
1. Aus der zweiten Definition der Seele in De An. II 1, 412b4-6225 ergibt sich für Aver-
roes, daß Aristoteles die Seelendefinition in forma dubitationis eingeführt hat, die All-
gemeinheit dieser Definition also noch zweifelhaft sei, da die Vollkommenheit in der
Geistseele von anderer Art sei als die der Pflanzen- und Tierseele. Daher liege hier ein
äquivoker Sprachgebrauch vor, wie später aus De An. III 4 ersichtlich werde.226
2. Aus De An. II 1, 413a3-9 läßt sich für Averroes nichts Bestimmtes entnehmen. Es
sei noch nicht deutlich, ob alle Seelenteile vom Körper wirklich unabtrennbar seien.227
3. Auch in De An. II 2, 413b24-27228 erkennt er einen äquivoken Sprachgebrauch im
Bezug auf den Seelenbegriff. Denn es scheint doch eher so zu sein, »daß jener [Geist]
eine andere Seelengattung ist, und wenn er Seele genannt wird, dann [nur] gemäß einer

_________________________________________________________________________________________________________

corpora compartita abiuncta & separata sit rationalis anima.« (I 1, t. 7 [402b1], 11,33-37 [2va]) Diese
Stelle stimmt mit der oben in 2.3.1. gegebenen Interpretation überein, wonach die Seele für Simplici-
us zugleich forma informans & forma assistens ist. Dies hat auch Zabarella erkannt, der bei Simplici-
us zwischen zwei Weisen der Informiertheit unterschied, so daß er sowohl der alexandrinischen als
auch der neuplatonisch-thomistischen Position zugeordnet werden kann: »… fatentur ergo Platonici
[sc. Plotin, Ficino] informationem, non tamen eo modo, quem statuit Alexander, sed eo potius modo
quem D. Thomas posuit, ipsi namque ponunt informationem cum separabilitate. Patet autem hoc,
considerantibus ea, quæ à Simplicio dicuntur, qui in omnibus Platonicorum sententias defendere nisus
est; ipse enim non negat animam rationalem esse formam hominis, & informare materiam, ut apud
eum legere in multis locis possumus … sed videtur cum Platonicis dicere esse duo genera formarum
materiam informantium: & aliam ita dare esse materiæ, ut nihil aliud sit, quam actus talis rei, proinde
inseparabilem esse ab eo, cuius est actio: aliam vero esse formam, cuius essentia non in hoc tantum
est constituta, ut sit actus alterius, sed ipsa quoque secundum est aliquid eo respectu absolutum,
proinde potest esse sine illo, cuius est forma; talem igitur esse putavit animam rationalem humanam.«
(De Mente humana, c. 3, 923A-C)
223
Wie bei Alexander und Simplicius, so findet sich auch bei Averroes weder dieser Begriff noch
der der forma informans. Auch bei ihm weisen die Beschreibungen aber auf diese Differenz hin.
224
Vgl. Zabarella, De Mente humana, c. 5, 923E-925E.
225
Vgl. Aristoteles, De An. II 1, 412b4-6: »ei) dh/ ti koino\n e)pi\ pa/shj yuxh=j dei= le/gein, ei)/h
a)\n e)ntele/xeia h( prw/th sw/matoj fusikou= o)rganikou=.«
226
Vgl. Averroes, II 1, t. 7, 51vF-52rA [138,11-20]: »Dixit Si igitur aliquod universale, &c. idest,
si igitur possibile est definire animam definitione universali, nulla definitio est magis universalis
quam ista, nec magis conveniens substantiæ animæ: & est quod anima est prima perfectio corporis
naturalis organici. Et induxit hunc sermonem in forma dubitationis, cum dixit, Si igitur dicendum est,
&c. excusando à dubitatione accidente in partibus istius definitionis. perfectio enim in anima rationa-
li, & in alijs virtutibus animæ fere dicitur pura æquivocatione: ut declarabitur post.«
227
Vgl. a. a. O., II 1, t. 11, 55rA [148,22-32].
228
Zum griechischen Text mit deutscher Übersetzung vgl. 2.2.2.2., Anm. 91.

191
De Anima

Äquivokation.«229 Folglich kann nur er allein unter allen Seelenvermögen sich vom
Körper abtrennen und vergeht nicht, wenn dieser vergeht.
4. Das entscheidende Argument für die Bestimmung des intellectus als eine forma as-
sistens entnimmt Averroes jedoch aus De An. III 4. Für ihn beginnt Aristoteles dort mit
der Untersuchung des intellectus materialis (auch virtus rationabilis genannt), der sich
von den anderen Seelenvermögen dadurch unterscheide, daß er eine vom Körper abge-
trennte, vollkommen immaterielle Substanz sei.230 Damit gibt Averroes sogleich gegen
Alexander zu erkennen, daß dieser intellectus materialis für ihn nur in gewisser Weise
ein menschliches Seelenvermögen ist – denn er ist angeboren231 und Teil der Seele232 –,
in anderer Weise aber nicht, »weil er weder Körper ist noch ein Vermögen in einem
Körper.«233 Diese ontologische Bestimmung ergibt sich aus seinen beiden Attributen:
So ist er zwar eine virtus passiva – sofern er die intelligiblen Formen in sich aufneh-
men muß –, zugleich aber ist er gemäß 429a15-18 inaffizierbar (non passivus), weil er
durch diese Aufnahme in seinem Sein nicht verändert wird, also non transmutabilis ist.
Und deshalb ist er gemäß 429a19-21 auch unvermischt (non mixtus) mit einem Körper.
Wäre er nämlich Körper oder ein Vermögen in einem Körper und damit mit ihm ver-
mischt, dann hätte er eine bestimmte Form, die verhindern würde, daß er eine andere
Form in sich aufnehmen könnte.234
»Aus diesen beiden [Gründen] folgt, daß jene Substanz, die materieller Geist genannt wird, kei-
ne von jenen materiellen Formen in sich besitzt. Und weil diese materiellen Formen entweder
Körper sind oder Formen in einem Körper, ist klar, daß jene Substanz, die materieller Geist ge-
nannt wird, kein Körper ist und keine Form in einem Körper. Sie ist daher vollkommen unver-
mischt mit der Materie.«235

229
Vgl. Averroes, II 2, t. 21, 59vD [160,24-161,1]: »… & dicit [sc. Aristoteles], sed tamen videtur
esse [sc. intellectus] aliud genus animæ, &c. idest, sed tamen melius est dicere, & magis videtur esse
verum post perscrutationem, ut istud sit aliud genus animæ. &, si dicatur anima, erit secundum æqui-
vocationem.«
230
Vgl. a. a. O., III [4], t. 1, 136rC-vD [379,23-380,41]; t. 4, 138rA-B [385,58-386,90].
231
Vgl. a. a. O., t. 5, 148F [405,524 f.]: »… quia intellectus materialis, qui innatus est …«
232
Vgl. a. a. O., t. 1, 136rC [379,20]: »… ipsam [sc. virtutem] esse diversam ab aliis virtutibus
animæ …« A. a. O., t. 3, 137rB [382,13-15]: »… necesse est quod ista pars animæ per quam fit for-
mare est virtus non transmutabilis a forma quam comprehendit …«
233
A. a. O., t. 3, 137rA-B [382,6-11]: »Cùm narravit quòd primo necesse est perscrutari de hac ac-
tione, quæ est formare per intellectum, utrum est passiva, aut activa, incœpit ponere illud, quod vult
declarare, scilicet ipsum esse de virtute passiva quoquo modo, & quod est non transmutabile, quia
non est corpus, neque virtus in corpore.«
234
Vgl. a. a. O., t. 4, 137vE [383,17-384,21]: »idest necesse est ut sit non mixtus, ut comprehendat
omnia, & recipiat ea. Si enim fuerit mixtus, tunc erit aut corpus, aut virtus in corpore. &, si fuerit alte-
rum istorum, habebit formam propriam, quæ forma impediet eum recipere aliquam formam alienam.«
235
A. a. O., 138rA-B [385,74-386,80]: »Et ex his duabus sequitur quòd ista substantia, quæ dicitur
intellectus materialis, nullam habeat in sui natura de formis materialibus istis. Et, quia formæ materia-
les sunt aut corpus, aut formæ in corpore, manifestum est quòd ista substantia, quæ dicitur intellectus
materialis, non est corpus, neque forma in corpore: est igitur non mixtum cum materia omnino.«

192
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

Dieser intellectus materialis ist also nicht nur immateriell, sondern in gewisser Weise
auch formlos, weil er weder eine materielle Form in sich enthält noch irgendeine Form
der materiellen Formen ist. Daher, wie Averroes sibyllinisch erklärt, ist er »ein anderes
Seiendes, das von der Form und Materie [abgetrennt ist] und sich zugleich aus ihnen
zusammensetzt.«236 Deshalb habe der intellectus materialis keine andere Natur als die
possibilitas, die von allen materiellen und intelligiblen Formen frei sei. Er ist damit
»der Möglichkeit nach alle Weisen der materiell-allgemeinen Formen, und in Wirk-
lichkeit ist er nichts von dem Seienden, bevor er es erkennt.«237
In einer umfassenden Auseinandersetzung mit Alexander, dessen Bestimmung des
intellectus materialis als virtus generata238 Averroes als nichtig verwirft239, betont er
nachfolgend unter Berufung auf Theophrast und Themistius240, daß Aristoteles in De
An. III 4 den intellectus materialis als ungeworden, abgetrennt, ohne körperliches Or-
gan, einfach, inaffizierbar und damit unveränderlich, ewig und unvergänglich bestimmt
habe.241 Der intellectus materialis sei daher eine überindividuelle242, transzendete Kraft,

236
A. a. O., 138rC [386,89f.]: »Est [sc. intellectus materialis] igitur aliud ens a forma et materia et
concreato ex eis.«
237
A. a. O., t. 5, 139rA [387,23-26]: »… idest definitio igitur intellectus materialis est illud, quod
est in potentia omnes intentiones formarum materialium universalium, & non est in actu aliquod enti-
um, antequam intelligat ipsum.«
238
Vgl. a. a. O., 142vD [393,196-394, 201]: »Alexander … dicit quod magis convenit Naturalibus,
scilicet sermonem concludentem quod intellectus materialis est virtus generata, ita quod existimamus
de eo quod opinatur et in aliis virtutibus animæ, esse præparationes factas in corpore per se a mixtio-
ne et complexione.«
239
Vgl. a. a. O., 143vD [395,246]: »Sed hoc quod dixit Alexander nihil est.«
240
Vgl. a. a. O., 139vE [389,57-59]: »Et hoc idem induxit Theofrastum et Themistium et plures
expositiores ad opinandum quod intellectus materialis est substantia neque generabilis neque corrup-
tibilis.«
241
Vgl. a. a. O., 143rB [395,228-234]: »Et ista opinio [sc. Alexandri] in substantia intellectus ma-
terialis maxime distat à verbis Aristotelis et eius demonstratione. A verbis autem, ubi dicit quod intel-
lectus materialis est separabilis [429b5], & quod non habet instrumentum corporale [429a26], & quod
est simplex [429b23], & non patiens [429a15, b23], idest non transmutabilis, & ubi laudat Anaxago-
ram in hoc, quod dixit quod est non mixtum cum corpore [429a18-20« A. a. O., 149vE [406,564-
574]: »Et ideo opinatus est Themistius quod nos sumus intellectus agens, & quod intellectus specula-
tivus nihil est aliud nisi continuatio intellectus agentis cum materiali tantum. Et non est, sicut existi-
mavit, sed opinandum est quod in anima sunt tres partes intellectus. Quarum una est intellectus reci-
piens [=intellectus materialis]. Secunda autem est efficiens [=intellectus agens]. Tertia autem factum
[=intellectus speculativus]. Et duæ istarum trium sunt æternæ, scilicet agens & recipiens: tertia autem
est generabilis & corruptibilis uno modo, æterna autem alio modo.« Im Vergleich zum mittleren
Kommentar (der freilich in der Renaissance nicht rezipiert worden ist) stellt dies, so Alfred L. Ivry,
eine beträchtliche Veränderung der ursprünglichen Ansicht dar, wonach der intellectus materialis
eine Disposition der menschlichen Seele sei: »The material intellect in the Long Commentary is now
to be seen as its own substrate, as it were, no longer requiring another faculty as its base, neither in
the body nor in the heavens. It is now its own eternal substance, comparable in its immaterial substan-
tiality to the Agent Intellect, like it a universal substance, one for all mankind.« (Averroes’ Three
Commentaries on De Anima, in: Averroes and the Aristotelian Tradition. Sources, Constitution and

193
De Anima

die zwar in der menschlichen Seele, aber (in gewisser Weise) kein Vermögen von ihr
sei.243 Dies wird abschließend auch aus der Interpretation des Textabschnitts 429a24-29
deutlich, wonach allein die anima rationalis ‘Ort der Formen’ (to/poj ei)dw=n, 429a27f.)
sei. Denn nur sie nehme die Formen geistig auf, während die anderen Vermögen der
Seele ‘Formen in Materie’ seien.244 In der geläufigen Begrifflichkeit heißt dies: Die
anima rationalis bzw. der intellectus materialis ist für Averroes nicht forma informans
materiam, sondern forma assistens.245

_________________________________________________________________________________________________________

Reception of the Philosophy of Ibn Rushd (1126-1198). Edited by Gerhard Endress and Jan A. Aert-
sen. Leiden u. a. 1999, 199-216, hier: 209 f.)
242
Vgl. hierzu 3.3.1.2.
243
Hier wird die Differenz zum Neuplatonismus eines Simplicius deutlich, für den der paqhtiko\j
lo/goj ein Vermögen der menschlichen Seele ist (vgl. 2.3.1.).
244
Vgl. Averroes, III 4, t. 6, 154vD [417,97-100]: »Idest, sed ista consimilitudo non debet accipi
in intelligendo omnes partes animæ, sed tantum in anima rationali. aliæ enim partes animæ sunt for-
mæ in materijs, rationalis autem non.«
245
Ein neuerer Vertreter dieser Ansicht scheint Hubertus Busche zu sein, für den der nou=j unter
Berufung auf De An. II 1, 413a6-9 ebenfalls »keine ‘Vollendung (entelecheia) des Körpers’ mehr ist«
(im Sinne der forma informans), sondern »eine unabhängige Ganzheit« (Seele, 93f.) (im Sinne einer
forma assistens): Wie nämlich der Schiffer das Schiff verläßt, wenn es an den Klippen zerschellt, so
der Nous den Körper, wenn dieser stirbt. Anders als Averroes ist für Busche dieser Nous aber keine
immaterielle, sondern eine materielle Substanz. Denn gegen die Scholastiker, welche die »unausrott-
bare Legende von der Immaterialität des Verstandes erfunden (haben) (was nachweislich schlecht
begründet ist)« (A. a. O., 68), vertritt Busche die absurde These, daß »der nous, als Substrat der höch-
sten Seele, auch die höchste Natur haben muß und folglich aus Äther als dem ‘göttlichen’ Element
der Gestirne besteht« (A. a. O., 73). Er sieht ihn mit dem prw=ton sw=ma aus De Cæl. I 3, 270b21
‘vergemeinschaftet’, denn alle Attribute, die Aristoteles dem Nous beilege, kämen auch dem Äther
zu. Genauer sei dieser Nous »ein physischer Punkt aus ewiger Materie« (a. a. O., 76). In bezug auf
De Anima bedeutet dies für Busche: Der Nous gehört gemäß II 2, 413b24-26 einer anderen Gattung
(sic!) an als die Seele. Gemäß III 4, 429a10f. ist er nämlich ein (materielles) Teilchen (mo/rion), mit
dem die Seele erkennt, und gemäß III 4, 429a24f. ist er unvermischt mit bzw. abgetrennt (vgl. 429b5)
vom Körper (vgl. a. a. O., 68-70). Sofern nun der Nous als einziges Substrat der Seele bei der Zeu-
gung nicht mit dem Sperma übertragen wird, ist für Busche klar, daß er gemäß De Gen. an. II 3,
736b27f. ‘von außen’ hinzukommt. Daß diese Interpretation falsch ist, wird sich nachfolgend aus
dem von den Scholastikern zu diesen Textstellen Gesagten ergeben. Wie unhaltbar diese These ist,
wird bereits daraus ersichtlich, daß Busche die Differenz zwischen dem intellectus possibilis und in-
tellectus agens nicht sinnvoll erklären kann. Sie »scheinen … tatsächlich zwei real getrennte Teile zu
sein«, dergestalt nämlich, daß »es nur der tätige Verstand (ist), d. h. der ätherische Punkt, welcher
‘eines und zusammenhängend’ (ei(=j kai\ sunexh/j) und dabei zugleich ‘ungeteilt’ bzw. ‘unteilbar’
(a)merh/j) ist (An. I 3, 407a6-10). Dagegen dürfte der leidende Verstand identisch sein mit der Peri-
pherie des punktuellen Gemeinsinns, also dem Vermögen [sic!] der Vorstellungen. Entsprechend ist
‘leidender Verstand’ der Name für das Vorstellungsvermögen, sofern es dem arbeitenden Punkt des
tätigen Verstandes Phantasmen zur gedanklichen Durchleuchtung präsentiert.« (A. a. O., 77) Der in-
tellectus possibilis ist damit gerade kein Äther, obwohl auch er Nous ist. Gleichwohl verwendet Bu-
sche fortwährend die Attribute aus De An. III 4 und 5 zur Bezeichnung des einen Nous als Äther.

194
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

Toletus, Zabarella und die Conimbricenser lehnten diese Ansicht von Averroes unter
Berufung auf Alexander, Thomas und ‘beinahe alle Lateiner’246 sowie auf das Konzil
von Vienne von 1312 und das 5. Laterankonzil von 1513247 ab. So nannte Toletus diese
Ansicht mit deutlichen Worten eine »Torheit«248 und einen »Wahn, der besser von ihm
[sc. Averroes] nicht veröffentlicht worden wäre«249; vielmehr sei »die Geistseele ge-
mäß ihrer Substanz die seingebende Form«250. Auch Zabarella betonte,
»daß diese Ansicht des Averroes gemäß der Wahrheit selbst der Sache wie auch gemäß der Phi-
losophie des Aristoteles vollkommen falsch ist und daß dagegen die Ansicht jener wahr ist, die
sagen, daß die menschliche Geistseele wirklich die Form des Menschen ist, durch die der
Mensch Mensch ist und in seiner Art bestimmt wird.«251

Schließlich hielten es auch die Conimbricenser für gewiß, »daß die Geistseele die wah-
re und eigentliche Form des Menschen ist und als eine solche seinem Körper das Sein
gibt.«252
Um diese Ansicht als die dem sensus Aristotelis allein angemessene zu erweisen,
widerlegten die Renaissance-Aristoteliker ausführlich die von Averroes angeführten
Textstellen. Daß es hierbei zwischen ihnen auch charakteristische Unterschiede gab,
hing wiederum mit der alles bestimmenden Frage nach der Unsterblichkeit der
menschlichen Seele zusammen. Die Auseinandersetzung mit Averroes ist also zugleich
eine Auseinandersetzung zwischen den Alexandristen und Thomisten um die wahre
ratio philosophandi Aristotelica. Dies wird im weiteren Verlauf dieses Kapitels deutli-
cher werden.
Zu 1. Für Zabarella weist bereits der Superlativ koino/tatoj lo/goj in De An. II 1,
412a5f. darauf hin, daß Aristoteles keine Seelenart und kein Seelenvermögen von der
in 412a27f. bzw. 412b4-6 gegebenen Definition habe ausschließen wollen, wie dies
auch andere Äußerungen in diesem Zusammenhang (z. B. 412b4 und b10) belegten.
246
Vgl. Toletus, II 2, q. 2, 41ra: »Prima [sc. sententia] est S. Thomæ, Alexandri, Aegidij, & ferè
Latinorum, quòd definitio est univoca animæ, quæ rationalis corporis est forma informans.«
247
Vgl. Coll. Conimbricense, II 1, q. 6, art. 2, 97: »Ne Physicis tantùm rationibus certemus; esse
animam hominis veram, ac propriam eius formam docet Orthodoxa fides omni certior Philosophia.«
Im Anschluß werden die bereits genannten Konzilsentscheidungen (vgl. 1.1.) zitiert.
248
Toletus, II 1, q. 2, 41vb: »Probatur ergo Averrois stultitia.«
249
A. a. O., 43va: »Ex quibus omnibus liquet profectò illud Averrois monstrum esse alienum à tota
Aristotelica doctrina, ipsiusque proprium somnium esse, atque delirium, quod melius foret ipsi non
propalasse.»
250
A. a. O., 46va: »Ex hac natura sequitur …, quòd anima rationalis sit secundum suam substanti-
am forma informans …«
251
Zabarella, De Mente humana, c. 6, 925F-926A: »Hanc Averrois sententiam ego & absolute se-
cundum ipsam rei veritatem, & secundum philosophiam Aristotelis falsam esse existimo, veram au-
tem alteram illorum qui dicunt animam rationalem humanam vere formam hominis esse, qua homo
est homo, & in specie constituitur …«
252
Coll. Conimbricense, II 1, q. 6, art. 2, 96: »Negari non potest, animam intellectivam esse ve-
ram, ac propriam hominis formam, eiusque corpus ut talem informare.«

195
De Anima

Gegen Averroes müsse daher betont werden, daß Aristoteles in 412b4-6 gerade nicht in
forma dubitationis spreche, als ob die menschliche Seele von dieser allgemeinen Defi-
nition ausgenommen werden müßte. Vielmehr sei das Nachfolgende in De An. II 2 eine
Spezifizierung dieser Definition der Seele hinsichtlich ihrer verschiedenen Vermögen
(=Seelen), nicht ihre substantielle Neufassung, wie aus 413a22-25 ersichtlich sei, wo
Aristoteles die allgemein bestimmte Seele in ihre vier Vermögen (nou=j, ai)/sqhsij,
ki/nhsij & trofh/) unterteile. Wie nämlich die Nährseele das sei, wodurch die Pflanze
lebe, sich selbst ernähre und sich fortpflanze etc., und die Wahrnehmungsseele dasje-
nige, wodurch das Tier lebe, d. h. neben den genannten Vermögen noch die Fähigkeit
der örtlichen Bewegung und der Sinneswahrnehmung besitze, so sei die Geistseele
dasjenige, wodurch der Mensch lebe, dem neben den genannten Vermögen noch das
Denken zukomme. »Demnach ist deutlich«, so Zabarella, »daß Aristoteles zu Beginn
des zweiten Buches von De Anima die Seele im umfassenden Sinn definiert haben
wollte, so daß in ihrer Definition und ganzen Wesensbestimmung die Geistseele mit
enthalten ist«253, wie auch Toletus und die Conimbricenser betont haben254.
Zu 2. In De An. II 1, 413a6-9 erweist Aristoteles für Zabarella dreierlei: I. Es ist deut-
lich, daß die ganze Seele oder einige ihrer Teile (=Vermögen) vom Körper hinsichtlich
des Seins nicht abtrennbar sind, weil sie die Entelechie eines natürlichen Körpers sind.
II. Es hindert nichts, daß einige Teile abtrennbar sind, weil sie keine Vollendung des
Körpers sind. III. Unklar ist, ob die Seele auf solche Weise actus corporis ist wie der
Schiffer auf dem Schiff.255 Zu I. Daß die Seele hinsichtlich des Seins nicht vom Körper
abtrennbar sei, belege ihre Definition als actus corporis in De An. II 1, 412a27f. Dies
gelt auch für diejenigen Teile der Seele, die ohne ein körperliches Organ ihre Tätigkei-
ten nicht ausführen könnten. So würde das Sehvermögen ohne Augen nicht sehen kön-
nen. Zu II. Es gibt ein Vermögen der Seele, das anorganisch ist, und dies ist der Nous.
Hieraus folge aber nicht, wie Averroes behauptet habe, daß er hinsichtlich des Seins
vom Körper abtrennbar sei, denn er sei als ein Vermögen der Seele wie diese selbst
forma informans. Zweifelhaft sei allein, ob er hinsichtlich seines Unorganischseins
vom Körper abtrennbar sei, wie Zabarella unter Berufung auf Alexander betont. Dieser
Zweifel werde aber erst in De An. III 4 und 5 aufgelöst.256 Zu III. Aus De An. II 1,
253
Zabarella, De Mente humana, c. 7, 932F: »Manifestum igitur est, Aristotelem in initio secundi
libri de Anima ita ample acceptam animam definivisse, ut animam rationalem ea definitione, totaque
illa naturæ animæ declaratione complexus sit …«
254
Vgl. Toletus, II 1, t. 11, q. 2, 43ra. Coll. Conimbricense, II 1, q. 6, art. 2, 97.
255
Vgl. Zabarella, De Mente humana, c. 9, 943B-D.
256
Vgl. a. a. O., 945C-D: »… ideo optima est illorum verborum interpretatio, quam Alexander
Aphrodisiensis adduxit, dicens Aristotelem ibi de intellectus separabilitate non asseveranter, sed sub
dubio loqui. Nullum igitur argumentum ex eo loco sumere Averroistæ possunt: quia quando Aristote-
les negat intellectum esse alicuius corporis actum, non negat ut informantem, sed solum ut organi-
cum, idque asseveranter profert, separabilitatem vero sub dubio …« Ders., II 1, t. 11, 171E: »Habe-
mus ergo in hac parte [sc. 413a3-7] hoc tanquam corollarium ab Aristotele deductum ex definitione
animæ, quod multæ partes animæ (si non anima tota) sunt inseparabiles; nam de aliqua parte, nempe
de intellectu, dubium est, & dubium ad id tantum pertinet, an intellectus sub definitione animæ com-

196
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

413a8f. kann nur entnommen werden, daß bis jetzt unklar sei, ob die Seele aller Lebe-
wesen (und nicht etwa nur die anima rationalis mit ihrem Vermögen des intellectus)
auf solche Weise actus corporis sei wie der Schiffer auf dem Schiff. Zabarella versteht
diesen Vergleich gegen Averroes und mit Alexander257 und Toletus258 nicht etwa onto-
logisch, sondern in Hinsicht auf die Eigenschaft des Lenkens. Zu fragen sei allein, ob
sie den Körper so lenke wie der Schiffer das Schiff.259
Zu 3. Für Portio muß gegen den ersten Anschein, wonach der Geist in De An. II 2,
413b24-27 von der allgemeinen Definition der Seele ausgeschlossen wird und damit
als abtrennbar vom Körper erscheint, daran festgehalten werden, daß er eine facultas
animæ ist, und dies aus dem einfachen Grund, weil er gemäß III 8, 432a3-10 ohne die
species sensibiles nichts erkennen kann. Daher ist er genausowenig von den sinnlichen
Vermögen der Seele abtrennbar, wie diese von den vegetativen Vermögen der Seele
abtrennbar sind. Portio führt nachfolgend diese Textstelle unter Berufung auf Alexan-
der und gegen Philoponus und Simplicius260, die ihren Sinn vollkommen verdreht hät-
ten, auf ihren richtigen Kern zurück: Danach können allein die vegetativen Vermögen
einer Pflanze von ihr selbst räumlich abgetrennt werden, gerade weil sie diese in ihrem
Sein konstituieren.
»Aber über den theoretischen Geist, auf welche Weise er von den übrigen Teilen der Seele ab-
getrennt wird, ist noch nichts erklärt worden. Wir können nämlich nicht sagen, daß er räumlich
und in bezug auf das Zugrundeliegende abgetrennt wird, weil er weder einem Zugrundeliegen-
den das Sein verleiht noch ein Teil des Körpers ist.«261

Auch Zabarella hat in seinem Kommentar zu De An. II 2, 413b24-29 betont, daß Ari-
stoteles hier dubitativ und nicht assertorisch spreche, wie die Worte ‘noch nicht deut-
_________________________________________________________________________________________________________

prehendatur; cum ex ea non possit colligi nisi inseparabilitas, non ad definitionem ipsam labefactan-
dam: in tertio autem libro omnis dubitatio tolletur.«
257
Vgl. 2.2.1., Anm. 47.
258
Vgl. Toletus, II 1, t. 11, 39rb sowie a. a. O., q. 2, 42ra.
259
Vgl. Zabarella, De Mente humana, c. 9, 946A-D: »multi [sc. Averroistæ] igitur putant Aristote-
lem comparare animam cum nauta, quatenus nauta non dat esse navi, in hoc tamen decipiuntur; quia
in eo non consistit Aristotelis comparatio, neque in eo anima est similis nautæ, sed in eo tantum, quod
regit corpus, sicuti nauta regit navim, & hoc animæ regimen non est contrarium informationi, sed
simul est cum informatione … ideoque immanifestum esse; an anima præterquam quod est actus in-
formans, sit etiam actus gubernans, sicuti nauta dicitur actus navis; huius veritatis argumentum claris-
simum est, quod Aristoteles non de sola anima rationali hoc dicit, sed de anima universe …« Vgl.
hierzu auch seinen Kommentar zu II 1, t. 11, 175C.
260
Vgl. Simplicius, 102,28f. [28va]: »… kai\ to\ e)/oiken ou)k a)mfibo/lwj ei)/rhken, w(j t%=
) eca/ndr% dokei= (ou)de\ ga\r pollh\ h( toiau/th tou= e)/oike para\ toi=j palaioi=j xrh=sij), a)ll )
Al
a)nti\ tou= pre/pei kai\ fai/netai.« / »Verbum autem, videtur, non est dubitative dictum, quemadmo-
dum visum est Alexandro. Neque enim verbi, videtur, talis usus apus priscos frequens fuit, sed pro
convenit, atque adeo apparet.«
261
Portio, c. 17, 76: »Sed de intellectu speculativo, quomodo à cæteris animæ partibus secernatur,
nondum explicatum est: non enim dicere possumus ipsum loco, & subiecto separari, quoniam nullum
subiectum informat, nec est aliqua corporis particula.«

197
De Anima

lich’ (ou)de/n pw fanero/n, b25) und ‘es scheint’ (e)/oike, ebd.) anzeigen. Demnach müsse
man secundum veritatem sagen, daß bis jetzt vom Nous nichts Gewisses ausgesagt
werden könne, da dieser ja erst in De An. III 4 und 5 thematisiert werde. Allein secun-
dum apparentiam könne man sagen, daß der Nous vom Körper wirklich abtrennbar
und damit unsterblich sei.262
Merkwürdig ist nun, daß Toletus und die Conimbricenser der Erklärung dieser Text-
stelle von Portio und Zabarella nicht gefolgt sind, obgleich auch sie gegen Averroes
die anima rationalis als forma informans bestimmt haben. Sie verstanden den Zweifel
in 413b24-27 vielmehr so, daß bis jetzt noch unklar sei, ob der Nous ein organisches
oder ein vom Organ abgetrenntes Vermögen sei: Ist letzteres der Fall, woran die Jesui-
ten nicht zweifelten, dann ist er nicht nur hinsichtlich des Begriffs, sondern auch hin-
sichtlich des Seins vom Körper abtrennbar. Die mit einem solchen Vermögen ausge-
stattete Seele könne sich dann post mortem vom Körper und allen ihren übrigen Ver-
mögen abtrennen und bliebe zusammen mit dem intellectus allein ewig und unvergäng-
lich. Denn Aristoteles spreche in 413b26f. nicht zweifelnd von der Unsterblichkeit,
sondern zustimmend, wie Simplicius und Philoponus richtig erkannt hätten. Das e)/oike
bedeute daher: manifestum est.263 Diese Weise der Jesuiten, zweifelhafte Äußerungen
über den Nous mit einer Eindeutigkeit zu versehen, die der Text nicht bietet, wird noch
wiederholt zu beobachten sein. Damit wird offensichtlich die These von der Unsterb-
lichkeit der menschlichen Seele vorbereitet, auf deren Beweis für die Jesuiten alles zu-
läuft (vgl. 3.3.6.).
Zu 4. Hinsichtlich der Interpretation von De An. III 4, 429a18-21 sowie a24-27 stimm-
ten Zabarella und Toletus darin überein, daß ‘unvermischt sein’ hier entweder secun-
dum esse oder secundum operationem bedeuten könne. Letztere Bestimmung könne
sich wiederum entweder auf das aufzunehmende Objekt oder auf den Körper beziehen,
der für die Aufnahme benötigt werde. Für beide Philosophen ist jedoch klar, daß die
erste Weise (secundum esse) hier von Aristoteles überhaupt nicht thematisiert wird,
denn die ganze Seele sei actus primus corporis als forma informans, und insofern sei
der Geist hinsichtlich des Seins mit dem Körper vermischt.264 Daher werde er in
429a18-21 allein in Hinsicht auf die intelligiblen Objekte unvermischt genannt, weil er
keins von ihnen in sich enthalte. Wäre dies nämlich der Fall, so könnte er nicht alle in

262
Vgl. Zabarella, II 2, t. 21, 324C-D. Ders., De Mente humana, c. 9, 947B-F.
263
Toletus, II 2, t. 21, 50va: »Et hinc colligitur animæ immortalitas, contra Alexandrum, qui lo-
cum hunc dicit legendum dubitative propter illud verbum. At Simplicius & Philoponus & alij docent,
& bene, tale verbum assertive intelligendum, ac si diceret: Manifestum est.« Ebenso Coll. Conimbri-
cense, II 2, 122.
264
Vgl. Zabarella, De Mente humana, c. 9, 948F-949A: »quare necesse est intellectum hac ratione
esse cum corpore commistum, non quidem vera mistione, quæ non est nisi corporis cum corpore, sed
illa, quæ competere potest incorporeo cum corporeo, nam forma corpus aliquod constituens insinuat
se in omnes partes materiæ, in qua inest, & ita dicitur comisceri cum materia; sic igitur intellectus
secundum suum esse non est immistus, sed potius commistus cum corpore, prout nomine commistio-
nis nil aliud denotamus, quam veram materiæ informationem, & constitutionem speciei.«

198
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

sich aufnehmen. Dieser Sachverhalt wird für Zabarella und Toletus auch durch den
Vergleich des Geistes mit der Sinneswahrnehmung verdeutlicht: Beide kommen darin
überein, daß sie affizierbar (pa/sxein, 429a14) sind, sofern sie an ihre Gegenstände,
den species sensibiles bzw. intelligibiles, verwiesen bleiben, um ihre Tätigkeit ausfüh-
ren zu können – es gibt kein Sehen ohne Wahrzunehmendes und kein Denken ohne zu
Denkendes –, und zugleich inaffizierbar (a)paqh/j, a15), sofern sie nichts von diesen
Gegenständen in sich enthalten265, unterscheiden sich aber darin, daß die Wahrneh-
mung hinsichtlich der Objekte nicht schlechthin unvermischt (a)migh/j, 429a18) ist.
Denn jede Sinneswahrnehmung richte sich nicht ganz auf das Seiende, sondern nur auf
eine bestimmte Eigenschaft von ihm. So richte sich das Auge nur auf die Farben, von
denen es keine in sich enthalte. Daher sei es allein in dieser Hinsicht unvermischt mit
seinem Objekt. Der Geist muß dagegen »weil er alles denken kann [vgl. 429a18], voll-
kommen und in Hinsicht auf alle Dinge inaffiziert sein und darf mit keinem anderen
Ding etwas gemeinsam haben. Er ist daher vollkommen und gänzlich unvermischt mit
den Naturen der anderen Dinge, so daß er sie alle erkennen kann.«266 Die zweite fun-
damentale Differenz zwischen der Sinneswahrnehmung und dem Geist bestehe gemäß
429a24-27 darin, daß jene secundum operationem an ein körperliches Organ verwiesen
bleibe, während dieser unvermischt sei mit dem Körper, da er keines Organs bedürfe.
»Wenn der Geist erkennt, indem er die Gegenstände aufnimmt, dann ist es notwendig,
daß er bei dieser Aufnahme nicht den Körper gebraucht, in dem er ist, [sondern] daß er
selbst es ist, der etwas aufnimmt, weder der Körper noch ein Teil von ihm.«267 Weder
aus De An. III 4, 429a18-21 noch aus a24-27 könne also Averroes, so das Resümee
von Toletus und Zabarella, ein Argument für seine Ansicht gewinnen, daß der Nous
secundum esse unvermischt sei mit dem Körper, denn an beiden Textstellen werde er
allein secundum operationem in den Blick genommen.

265
Vgl. a. a. O., c. 13, 971D-F: »… ante omnia hoc fundamentum statuit [sc. Aristoteles], intellec-
tum similem in hoc esse sensui, quod patiendo intelligit, sicut etiam sensus patiendo sentit: quum
enim in nobis ipsis experiamur, nos quandoque esse actu intelligentes, quandoque non actu, sed pote-
state solum, nulla autem res possit seipsam ducere de potestate ad actum, necesse est intellectum ab
alio pati; non potest autem pati, nisi ab ipsismet obiectis intelligendis, id enim quod est potestate tale,
fit actu tale ab illo, quod iam sit actu tale; sic enim etiam sensus ab obiectis sensibilibus patitur, ut
iam docuerat Aristoteles in 2. lib. Quoniam igitur patiendo, & recipiendo obiecta intellectus intelligit,
hinc infert Aristoteles ipsum esse inaffectum, id est, non habere in sua essentia ipsam obiectorum
naturam sed potestate solum, quia si actu haberet in seipso naturam sui obiecti, non posset illud reci-
pere, & in hoc quoque similem esse dicit intellectum sensui: quod sicut sensus non habet actu in seip-
so obiecta sensibilia, sed potestatem ea recipiendi; ita neque intellectus habet actu obiecta intelligibi-
lia, sed solum recipiendi potestatem …« Ebenso Toletus, III 4, t. 2, 129vb-130ra.
266
Zabarella, De Mente humana, c. 13, 972C-D: »… at intellectus, quia res omnes cognoscere ap-
tus est, debuit omnino & absolute, & respectu omnium esse inaffectus, & cum nulla alia re quicquam
habere commune; est igitur absolute, & penitus immistus cum aliarum rerum naturis, ut eas omnes
intelligere possit …« Ebenso Toletus, III 4, t. 4, 130ra.
267
Zabarella, De Mente humana, c. 13, 973C: »… quum enim intelligat [sc. intellectus] recipiendo
obiecta, necesse est, ut in hac receptione non utatur corpore, in quo est, ut ipse sit recipiens, non cor-
pus neque ulla corporis pars …« Ebenso Toletus, III 4, t. 4, 130rb.

199
De Anima

Über die von Averroes genannten Textstellen aus De Anima hinaus setzte sich Zaba-
rella nachfolgend noch mit einer anderen Stelle auseinander, die von einigen, nicht nä-
her bestimmten Averroisten als ein weiterer Beleg für die Bestimmung der Seele als
forma assistens genannt worden ist und die auf ähnliche Weise wie die dem intellectus
agens beigelegten Attribute in De An. III 5 zu den unterschiedlichsten Interpretationen
Anlaß gegeben hat. Es handelt sich hierbei um den Passus De Gen. an. II 3, 736b27-
29, auf den bereits mehrfach Bezug genommen worden ist, der aber erst jetzt seiner
vollen Klärung zugeführt werden kann. Er lautet: »Es bleibt also übrig, daß allein der
Geist von außen hineinkommt, und er allein ist göttlich, denn keine körperliche Tätig-
keit hat Anteil an seiner [geistigen] Tätigkeit.«268 Zum Verständnis dieser schwierigen
Textstelle, und darauf legte Zabarella besonderen Wert, muß der ganze Kontext beach-
tet werden, in dem dieser Satz steht. Es ist bereits weiter oben im Zusammenhang mit
der Frage nach der Einheit der Seele gezeigt worden, wie Toletus und Zabarella den
Passus 736a35-b3 auf unterschiedliche Weise verstanden haben (vgl. 3.2.1): Während
der Jesuit dort von einem ‘Seelenwechsel’ sprach, da in der Embryogenese durch die
neu hinzukommende Seele die jeweils vorangehende zerstört werde, entnahm der Pa-
duaner aus diesem Passus sein stärkstes Argument für die These von der Vielheit der
Seelen in einem Lebewesen. Unerörtert blieb dort noch die von Aristoteles gestellte
Frage, wann, wie und woher der Mensch den nou=j erwerbe (b5f.). Genau auf diese
Aporie gibt der Passus 736b27-29 seine bei den Interpreten äußerst umstrittene Ant-
wort.
Für die Conimbricenser ist diese Textstelle ein deutlicher Beleg, daß für Aristoteles
»die menschliche Seele nicht aus dem Schoß der Materie herausgeführt wird, sondern
von Gott erschaffen wird und unsterblich ist.«269 Das lei/petai dh\\ sei folglich nicht als
ein Unbestimmtlassen des Sachverhalts (restat autem) zu verstehen, sondern als
Schlußfolgerung aus dem zuvor Gesagten (restat igitur), welche die Differenz zu den
übrigen Seelenarten benenne. Die Beschreibung der Psychogenese in De Gen. an. II 3
galt für die Conimbricenser also nur für die Pflanzen und Tiere, während die Rede vom
nou=j qu/raqen den Kreatianismus der anima rationalis anzeigt, die ihr theologisches
Pendant in Gen 2,7 findet, wonach Gott Adam das spiraculum vitæ (pnoh\ zwh=j) von
außen eingehaucht hat.270 Am äußersten Punkt der Spekulation über die causa efficiens

268
Aristoteles, De Gen. an. II 3, 736b27-29: »lei/petai dh\ to\n nou=n mo/non qu/raqen e)peisie/nai
kai\ qei=on ei)=nai mo/non: ou)qe\n ga\r au)tou= tv= e)nergei/# koinwnei= h( swmatikh\ e)ne/rgeia.«
269
Vgl. Coll. Conimbricense, Tractatus de anima separata, in: Commentarius de anima, 499-596,
hier: Disputatio prima. De immortalitate, & natura Animæ rationalis. Art. 2. Quid Aristoteles in re
proposita iudicarit, 503: »Quibus verbis significat Aristoteles animum humanum non educi è gremio
materiæ, sed divinitus creari, atque adeo immortalem esse … Nec audiendi sunt, qui susceptæ opinio-
nis retinendæ studio, hunc locum alio detorquent, & de intellectu agente, id est, de Deo intelligendum
arbitrantur; cum Aristoteles non de Deo, sed de anima: nec de Divino, sed de humano intellectu eo
loco palam disserat.«
270
Vgl. Gen 2,7: »… kai\ e)/plasen o( qeo\j to\n a)/nqrwpon xou=n a)po th=j gh=j kai\ e)nefushsen
ei)j to\ por/swpon au)tou= pnoh\n zwh=j, kai\ e)ge/neto o( a)/nqrwpoj ei)j yuxh\n zw=san.« / »formavit

200
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

der menschlichen Seele stimmten für die Conimbricenser Philosophie und Theologie
also dahingehend überein, daß Gott selbst in einer nova creatio deren Sein unmittelbar
begründet! Kann eine größere Affinität zwischen beiden Disziplinen beschrieben wer-
den?
Portio hielt diese Gleichsetzung von nou=j qu/raqen und pneu=ma für dummes Ge-
schwätz, wie aus folgender Äußerung deutlich wird:
»Aus dem, was bestimmt worden ist, wirst du sehr leicht die Irrwege der Lateiner und vieler
Griechen bei der Behandlung dieser Textstelle vermeiden können, die glaubten, daß der Satz
‘der Geist [mens] kommt von außen hinzu’ [sc. De Gen. an. II 3] bedeute, daß unser Geist [in-
tellectus] von Gott erschaffen wird, oder, wie andere interpretieren, mit uns vereint wird, nach-
dem wir vollendet worden sind. Aber dieses ist gewiß dummes Zeug …«271

Portio lehnte damit den Kreatianismus explizit ab, wie er von Thomas und den Jesuiten
vertreten worden ist, denn für ihn ist der intellectus ein Seelenvermögen, das genau wie
die übrigen Vermögen von Natur aus beim Fortpflanzungsprozeß entsteht, so daß er als
Teil dieser gewordenen Seele secundum esse nichts anderes ist als forma informans:
»Das Geistvermögen wird zusammen mit dem Menschen erzeugt.«272 Von welchem
nou=j hat Aristoteles aber dann in De Gen. an. II 3 gesprochen? Gewiß nicht vom un-
vergänglichen göttlichen Geist, der allein die Intelligibilität der Welt ermögliche und
sicherstelle, wie Alexander behauptet habe (vgl. 2.2.1.), sondern vom intellectus in ac-
tu273 als ein Vermögen der menschlichen Seele, den Portio unter Berufung auf Gaza
auch mens nannte.274 Denn da er eine absoluta, simplex & nuda potentia sei, der, bevor
er erkenne, überhaupt nicht tätig sei, kämen seine beiden Tätigkeiten (das Haben von
Wissen und das aktuelle Erkennen) von außen hinzu: »jede Tätigkeit von ihm ge-
schieht von außen her, nämlich vom Intelligiblen und vom Geist her, der tätig genannt
wird.«275 Es sei also recht bedacht allein die Tätigkeit als actus secundus, die von au-
ßen hinzukomme, denn nur das Erkennen vollziehe sich ohne körperliches Organ.

_________________________________________________________________________________________________________

igitur Dominus Deus hominem de limo terrae, et inspiravit in faciem eius spiraculum vitae, et factus
est homo in animam viventem.«
271
Portio, c. 15, 65: »Ex quibus sit constitutis facillimè poteris Latinorum, & multorum Græcorum
in huius loci tractatione ambages effugere, credentium per mentem de foris advenire, innui, intellec-
tum nostrum à Deo creari, vel, ut alii interpretantur uniri nobiscum postquàm evasimus perfecti, sed
hæ sanè nugæ sunt …«
272
A. a. O., 69: »… intellectus potentia unam cum homine generetur …«
273
Vgl. a. a. O., 64f.: »Iccirco Philosophus cum dixit, sola mens extrinsecus advenit, loquitur de
intellectu in actu …«
274
Vgl. a. a. O., 69: »Quare in hoc divinavit Gaza cum nou=n mentem vertit, quoniam mens iuxta
ætatem augetur, & decrescit. Intellectus enim facultatem potius significare videtur … Mens autem,
quæ significat intelligentiam in actu, sola extrinsecus adveniat …«
275
A. a. O., 64: »omnis actus ipsius [sc. intellectus] est ab extrinsecus, nempe ab intelligibili, & ab
intellectu qui dicitur agens. Habet enim ab hoc primum actum, qui est, ut scientia; habet, & actum
secundum, ipsam considerare, & intelligere.«

201
De Anima

Gegen Portios Interpretation wandte wiederum Zabarella ein, daß es in De Gen. an.
II 3 nicht um die Bestimmung des actus secundus gehe, sondern um die des actus pri-
mus. Es stelle sich nämlich die Frage, ob die Geistseele einschließlich ihres Geistver-
mögens bei der Embryogenese von außen hinzukomme oder nicht.276 Ferner sei nicht
nur der Geist in seinem Denken von außen bestimmt, sondern auch die Wahrnehmung,
denn das Sehen geschehe ebenfalls durch ein äußeres sinnliches Objekt und durch das
Licht, das Aristoteles mit dem Wirken des intellectus agens verglichen habe. Aus-
gangspunkt für ein Verständnis des Passus 736b27-29 ist für Zabarella daher die Frage,
ob alle Seelenvermögen (d. h. alle Seelen) bereits vorher existieren (gemäß der platoni-
schen Ansicht von der Seelenwanderung), ehe sie von außen in die Materie eingehen,
oder ob sie bereits in diese eingeboren sind, so daß keine von außen hinzukommt, oder
ob einige vorher existieren, andere aber eingeboren sind. Wie für Portio, so ist nun
auch für Zabarella klar, »daß zum einen gemäß der Ansicht des Aristoteles, zum an-
dern absolut gemäß der Wahrheit der Sache schlechthin keine Seele auf diese Weise
von außen hinzukommt, sondern alle ohne Ausnahme in die Materie selbst des Wer-
dens eingeboren werden«277. So könnten sämtliche Funktionen der vegetativen und
sensitiven Seele nicht losgelöst von einem körperlichen Organ vollzogen werden, son-
dern nur in und mit ihm: Es gibt kein Sich-Ernähren ohne Mund (bzw. ohne Wurzeln
bei den Pflanzen) und kein Sehen ohne Augen. Folglich könnten die vegetativen und
sensitiven Seelen nicht ‘von außen’ in das Lebewesen hineinkommen, sondern seien
‘schon immer’ (als Anlagen) vorhanden. Das extrinsecus accedere bedeute also nichts
anderes als das præfuisse extra corpus, das zunächst Außerhalb-des-Körpers-Gewesen-
Sein. Für Zabarella ist dies bei den Seelen der Pflanzen und Tiere unmöglich, nicht
aber beim Geist, denn dieser gebrauche bei seiner Tätigkeit kein körperliches Organ.
Eine endgültige Klärung, wie es sich damit verhalte, führe Aristoteles jedoch weder
hier noch in De An. II 1, 413a3-7. Denn das lei/petai dh\ dürfe daher nicht als restat
igitur, sondern müsse als restat autem verstanden werden, wie der Paduaner gegen To-

276
Vgl. Zabarella, De Mente humana, c. 9, 954B-C: »Sed alii posteriores Alexandreii sententiam
Portii non receperunt, quia revera verbis Aristotelis accomodari non potest: Aristoteles enim ibi quæ-
stionem proponit de ipsa animæ substantia, de actu primo, non de actu secundo, quærit enim de facul-
tatibus animæ, an extrinsecus adveniant, nec ne; nomen autem facultatis apud Aristotelem semper
sumitur pro anima ipsa, nunquam pro operatione …« Auch hier bestätigt Zabarella also seine Ansicht
von der collectio animarum.
277
Zabarella, De Mente humana, c. 9, 957B: »… ut tum secundum sententiam Aristotelis, tum ab-
solute secundum rei veritatem nulla prorsus anima hoc modo extrinsecus accedat, sed omnes nulla
excepta in ipsa generationis materia innascantur …« Anders als Portio leugnete Zabarella damit aber
gerade nicht das unmittelbare Erschaffensein der Geistseele durch Gott, sondern bettete diesen Krea-
tianismus gleichsam in den natürlichen Werdensprozeß ein. Als solche wird sie von Gott erschaffen
und ist zugleich (schon immer) dem Körper eingeboren: »anima vero rationalis ita in materia innasci-
tur, ut ab agenti naturali non attingatur, neque de materiæ potestate educatur, sed à Deo creetur; non
enim ita creari animam humanam dicendum est, ut prius extra corpus à Deo producatur, deinde creata
inducatur in corpus, sed ut in ipsomet humano corpore à Deo immediate creetur, & eodem momento
creata, & infusa dicatur …« (vgl. a. a. O., 957C-D) Zabarella betonte nachfolgend, daß ungewiß sei,
was Aristoteles über diese Sache gedacht und ob er eine solche Schöpfung für möglich gehalten habe.

202
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

letus betont. Aristoteles ziehe nämlich keine Schlußfolgerung aus dem bisher Gesag-
ten, wonach allein der Geist von außen komme, sondern gebrauche eine dictio adver-
sativa, formuliere also einen Zweifel, wie es sich denn mit ihm verhalte, »und zwar so,
daß der Zweifel über ihn bestehenbleibt, ob er von außen hinzukommt oder nicht.«278
Diese Interpretation, so Zabarella, stimme auch mit der Ansicht des Averroes überein,
der in seiner sehr knappen Äußerung zu dieser Stelle ebenfalls nur von einem Zweifel
gesprochen habe, was seine Schüler freilich nicht bemerkt hätten.279
Mag es nun auch im Zusammenhang mit De Gen. an. II 3, 736b27-29 bei den italie-
nischen und spanischen Aristotelikern Unstimmigkeiten hinsichtlich des Verständnis-
ses des nou=j qu/raqen gegeben haben, so änderte dies nichts an der grundsätzlichen
Übereinstimmung, daß die menschliche Seele mit ihrem höchsten Vermögen des nou=j
genauso wie die pflanzliche oder tierische Seele als forma informans zu bestimmen ist.
Zu welchen Schwierigkeiten dies im Zusammenhang mit der Frage nach der Unsterb-
lichkeit der Seele führte, ist weiter unten zu erläutern (vgl. 3.3.6.). Zunächst gilt es, den
zweiten Themenkomplex in der Auseinandersetzung mit Averroes in den Blick zu
nehmen.

3.3.1.2. Einheit oder Pluralität des Geistes?

Nicht weniger umstritten als Averroes’ Bestimmung der Seele als forma assistens war
seine These vom (numerischen) Einssein des intellectus (possibilis) in allen Menschen.
Mit dieser These glaubten die Renaissance-Aristoteliker zum einen die theologisch ge-
botene Sicherstellung der Einheit der Person im Angesicht Gottes in Frage gestellt, die
eine notwendige Bedingung der persönlich zugesprochenen Rechtfertigung sei, und
zum andern schien sie die aus ethisch-politischer Sicht notwendige Individualität eines
jeden Einzelnen zu verhindern, der für seine Handlungen verantwortlich gemacht wer-
den müsse.
Die Conimbricenser ordneten diesen ganzen Problemkomplex zunächst in den histo-
rischen Kontext der antiken Philosophie und Theologie ein. Danach hätten sich bereits
in der Antike zu diesem Thema zwei Ansichten ausgebildet: Für Empedokles, Pytha-
goras und Platon (vgl. Tim. 42a-d) gibt es eine metemyu/xwsij (transanimatio), eine
Seelenwanderung von einem Körper zu einem andern, und zwar nicht nur beim Men-

278
A. a. O., 959D: »… adeo ut dubium de ipso [sc. intellectu] maneat, an extrinsecus accedat, nec-
ne.«
279
Vgl. a. a. O., 959D-E»… cognovit enim Averroes verba illa ab Aristotele sub dubio esse prola-
ta, & recte usus est dictione adversativa [tamen] ideo & admiratione, & risu dignum est, quod Aver-
roistæ, dum Averrois sententiam tueri volunt, ita illis Aristotelis verbis innitantur, & ita inflati ince-
dant, ut putant se demonstrasse, neque animadvertant ipsiusmet Averrois interpretationem huic eorum
sententiæ refragari …« In der Tat heißt es im Kommentar des Averroes zu dieser Textstelle: »De in-
tellectu tamen dubium est, cùm eius operatio non videatur communicare cum organo corpore.« (Ari-
stotelis opera cum Averrois commentariis, hier: Sextum Volumen, Pars II, De Generatione animali-
um, 75F)

203
De Anima

schen, sondern auch beim Tier. Diese Ansicht sei dann über die Albanenser und Albi-
genser auch in die christliche Lehre eingedrungen und dort von Athanasius, aber auch
von Augustinus bekämpft worden.280 Gemäß der zweiten Ansicht habe Aristoteles die
Lehre von der unitas intellectus vertreten, der allen Menschen zukomme. So hätten ihn
jedenfalls einige Autoren wie Theophrast, Themistius, Simplicius281 und Averroes in-
terpretiert, mögen sie auch nicht in allen Punkten übereingestimmt haben.282 Da aber
Averroes diese Ansicht mit vielen Argumenten gegen die peripatetische und wahre
Lehre verteidigt habe, so die Conimbricenser, sei er hier der bei weitem wichtigste
Gegner der Auseinandersetzung.
Der Cordubenser begründete seine Ansicht in einem ausführlichen Exkurs zu De An.
III 4, 429a21-24. Er ging hierbei von der, wie er betonte, sehr schwierigen Frage aus,
auf welche Weise der intellectus materialis, der weder wird noch vergeht, einer ist in
allen Individuen.283 Er benannte hierfür u. a. die folgenden drei Argumente:
1. Wenn der intellectus materialis vervielfältigbar wäre gemäß der Anzahl der Indivi-
duen, dann würde er ein hoc aliquid sein, also entweder ein Körper oder ein Vermögen
in einem Körper. Und dergestalt wäre er eine forma materialis, was aber unmöglich ist,
denn jedes Materielle ist dem Vermögen nach erkennbar (vgl. De An. III 4, 430a5-9).
Jedes dem Vermögen nach Erkennbare ist aber Gegenstand des intellectus materialis.
Also wäre derselbe Geist Gegenstand seiner selbst, würde sich selbst bewegen und sich
selbst erfassen und erkennen, was unmöglich ist.284

280
Vgl. Coll. Conimbricense, II 1, q. 7, art. 1, 101.
281
Zabarella verwies in diesem Zusammenhang auf folgende Textstelle bei Simplicius: »mi/a ga\r
ou)=sa h( yuxh\ h( h(mete/ra, h( logikh\ fhmi, a(/ma te me/nei mi/a kai\ plhqu/netai e)n tv= pro\j sw/ma
r=opv= …« / »Nam cum una sit anima nostra, rationalis inquam, tum simul una manet, tum multiplex
redditur in declinatione illa ad corpus …« (223, 28f. [58vb]), und kritisierte diese Ansicht mit folgen-
den Worten: »Videtur quidem Simplicius in 2. context. illius libr. 3. dicere animam rationalem se-
cundum se unam esse, per suam autem in corpus progressionem multiplicari: sed hoc aliis pluribus
Simplicii figmentis annumerandum est; multa enim dicit, quæ simul esse nequeunt …« (De Mente
humana, c. 10, 962E)
282
Vgl. Coll. Conimbricense, II 1, q. 7, art. 1, 101f.: »Sed relicta huius sententiæ absurditate, quæ
iamdiu exolevit, & inter poetarum subulas versatur, occurrit alia sententia existimantium in disciplina
Aristotelis ponendam esse unam duntaxat animam intellectricem sive unum intellectum, qui omnibus
hominibus assistat … sic enim Aristotelem interpretati sunt eius discipuli & scholæ successor Theo-
phrastus, Themistius, Simplicius, Averroes, aliique non pauci, etsi non omnes eodem modo de huius-
modi intellectu locuti fuerint.«
283
Vgl. Averroes, III 4, t. 5, 146vF-147rA [401,424-402,431]: »Quæstio autem secunda, dicens
quomodo intellectus materialis est unus in numero in omnibus individuis hominum, non generabilis
neque corruptibilis … hæc quidem quæstio valde est difficilis, & maximam habet ambiguitatem.«
284
Vgl. a. a. O., 147rA-B [402,432-440]: »Si enim posuerimus quod iste intellectus materialis est
numeratus per numerationem individuorum hominum continget ut sit aliquid hoc, aut corpus, aut vir-
tus in corpore. Et, cum fuerit aliquid hoc, erit intentio intellecta in potentia. Intentio autem intellecta
in potentia est subiectum movens intellectum recipientem, non subiectum motum. Si igitur sub-
iectum recipiens fuerit positum esse aliquid hoc, continget ut res recipiat seipsam, ut diximus, quod
est impossibile.«

204
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

2. Wenn der intellectus materialis vervielfältigbar wäre gemäß der Anzahl der Indivi-
duen, dann würden auch die Erkenntnisse ins Unendliche vervielfältigbar sein. So wä-
ren deine und meine Erkenntnis ein und desselben Gegenstandes der Zahl nach voll-
kommen verschieden, obwohl sie doch der Art nach eine sind, was absurd ist.285
3. Schließlich wäre es auch unmöglich, daß ein Schüler vom Lehrer etwas lernen könn-
te. Vielmehr müsse das Wissen im Lehrer eine Kraft haben, im Schüler dasselbe Wis-
sen zu bewirken. Folglich müsse der intellectus materialis einer sein.286
Auch diese Ansicht hielten die Renaissance-Aristoteliker übereinstimmend für ab-
surd: »Es ist falsch gemäß der wahren Philosophie und Vernunft sowie gemäß Aristo-
teles, daß es [nur] eine seingebende Form in allen Menschen geben soll«287, so Toletus.
Diese Ansicht sei so unvereinbar mit der Vernunft, so töricht und frevelhaft, daß sie
einer Widelegung kaum würdig sei. Auch für Zabarella war diese These nichts anderes
als eitles Geschwätz, da sich bereits aus dem Erweis der menschlichen Seele als forma
informans hinreichend ergeben habe, daß sie gemäß der Anzahl der Individuen verviel-
fältigt werden müsse.288 Schließlich schlossen sich die Conimbricenser dem harten Ur-
teil von Duns Scotus an, wonach es Averroes verdient habe, wegen dieses Unsinns aus
der Gemeinschaft der Menschen ausgeschlossen zu werden.289 Zur Begründung ver-

285
Vgl. a. a. O., 152rC-vD [411,707-717]: »Et iste modus, secundum quem posuimus essentiam
intellectus materialis, dissolvit omnes quæstiones contingentes huic, quod ponimus, quod intellectus
est unus & multa. Quoniam, si res intellecta apud me, & apud te fuerit una omnibus modis, continget
quod, cùm ego scirem aliquod intellectum ut tu scires etiam illud ipsum, & alia multa impossibilia. Et
si posuerimus eum esse multa, continget ut res intellecta apud me et apud te sit una in specie et due in
individuo; et sic res intellecta habebit rem intellectam, et sic procedit in infinitum.«
286
Vgl. ebd. [411,717-719]: »Et sic erit impossibile ut discipulus addiscat à magistro, nisi scientia,
quæ est in magistro, sit virtus generans, & creans scientiam, quæ est in discipulo …« Nicht weniger
merkwürdig ist Averroes’ Erkenntnistheorie. Sofern nämlich der intellectus materialis nur einer ist in
allen Menschen, kann jeder einzelne Mensch in Wirklichkeit nur unter der Bedingung erkennen, daß
sich der überindividuell gewordene Geist mit ihm verbindet: »Dicamus igitur quod manifestum est
quod homo non est intelligens in actu nisi propter continuationem intellecti cum eo in actu.« (A. a.
O., 148rC [404,501-503]) Dies geschieht wie folgt: Der von den einzelnen Menschen abgetrennte
Geist verbindet sich mit ihnen durch Bilder, die in der Vorstellung eines jeden vorhanden sind. Und
von diesen durch das Licht erleuchteten Bildern werden die species intelligibiles an den Geist selbst
übermittelt, mit denen er die notiones rerum auffaßt. – Hier wird das platonische Muster der Teilhabe
ersichtlich.
287
Vgl. Toletus, II 1, q. 2, 45rb: »Falsum est secundum veram Philosophiam, & rationem, & se-
cundum Aristotelem, quòd sit una forma informans in omnibus hominibus.«
288
Zabarella, De Mente humana, c. 10, 962B-C: »Licet per ea, quæ hactenus dicta sunt, aliud quo-
que Averrois dogma sit reprobatum, nempe id, quod dixit, mentem humanam unam tantum numero
esse in tota humana specie: quia si est forma materiam informans, & qua homo est homo, necesse est
ut iuxta numerum individuorum hominum sit multiplicata: attamen ad uberiorem huius erroris confu-
tationem, & ut argumentorum quibus ad hoc probandum Averroes usus est, vanitas manifesta fiat,
libet aliqua separatim de hac re scribere.«
289
Vgl. Coll. Conimbricense, II 1, q. 7, art. 2, 103: »Hæc tamen Commentatoris, seu commentito-
ris potius de unitate intellectus sententia, adeò stulta est, ut meritò Scotus … dixerit dignum esse
Averroem, qui ob has ineptias ex hominum communione averruncetur.«

205
De Anima

wiesen die Aristoteliker insbesondere auf die in der eigenen unhintergehbaren Erfah-
rung gründenden Individualität jedes einzelnen, die den Geistmonismus als unhaltbar
erweist290: Wenn er nämlich nur einer in allen Menschen wäre, dann wären alle Men-
schen nur einer, und ich wäre du und du wärst ich, was absurd ist und unserer eigenen
Erfahrung widerspricht. Alle hätten dann auch denselben Willen, dieselbe Erinnerung.
Und wie könne dann erklärt werden, daß der eine gut, der andere schlecht, der eine
klug, der andere dumm sei? Folglich konstituiere jede einzelne Seele mit ihren Vermö-
gen einen einzelnen Menschen. Auch sei das aktuelle Vollziehen des Wissens als actus
secundus vervielfältigbar gemäß der Anzahl der Menschen, also auch der actus primus,
d. h. die Geistseele als forma informans. Denn die Verschiedenheit der Tätigkeiten in-
diziere eine Verschiedenheit der Formen: Weil nämlich meine Erkenntnis nicht deine
ist und nicht alle Menschen zugleich ein und dieselbe Sache erkennen, kann nicht ein
Geist allen Menschen zukommen. Schließlich wäre es mit mit dem menschlichen
Selbstverständnis nicht vereinbar, wenn das Denken nicht von jedem selbst ausgeht,
sondern von einem transzendenten Vermögen.
Nachfolgend widerlegte Zabarella in einem zweiten Schritt Averroes’ Argumente
wie folgt291:
Zu 1. Der Geist könne sich sehr wohl selbst erkennen, wie aus De An. III 4, 429b9292
ersichtlich sei. Zabarella hat diesen Satz in seinem Kommentar unter Berufung auf
Alexander und gegen Simplicius293 wie folgt verstanden: Der intellectus in habitu294
erkennt sich selbst, wenn er anderes erkennt, da er ja der erkannte Gegenstand selbst
wird, indem er dessen species intelligibilis in sich aufnimmt (vgl. hierzu 3.3.4.2.). Die-
se Selbsterkenntnis ist aber secundario & per accidens, non per se & principaliter, wie
auch Toletus295 und die Conimbricenser296 unter Berufung auf Thomas297 betonten. Es

290
Vgl. Toletus, II 1, q. 2, 45rb-46rb. Zabarella, De Mente humana, c. 11, 964B-967A. Coll. Co-
nimbricense, II 1, q. 7, art. 2, 103f.
291
Vgl. Zabarella, De Mente humana, c. 12, 968B-970F.
292
Vgl. Aristoteles, III 4, 429b9: »… kai\ au)to\j [sc. nou=j] de\ au(to\n to/te du/natai noei=n.«
293
Zu Alexander und Simplicius vgl. 2.3.1., Anm. 229 und 230.
294
Nach übereinstimmender Ansicht der Renaissance-Aristoteliker beginnt Aristoteles mit dem
Textabschnitt 429b5-9 mit der Erörterung des intellectus in habitu, nachdem er zuvor vom intellectus
possibilis gehandelt hat: »De Intellectu in potentia hucusque egit [sc. Aristoteles], nunc tractat de
Intellectu in habitu.« (Toletus, III 4, t. 8, 131ra) Zabarella versteht die Differenz zwischen beiden wie
Alexander dahingehend, daß der intellectus possibilis dem Kind zukommt, das noch nichts erkannt
hat, während der intellectus in habitu im Erwachsenen ist, der bereits eine Haltung des Erkennens
erworben hat. Es handelt sich also um eine qualitative Differenz ein und desselben individuellen Gei-
stes, der im Laufe der Zeit verschiedene Stufen des Wissens durchläuft. Der intellectus in habitu
kennzeichnet dabei für den Paduaner diejenige Stufe, von der aus die Frage, wie der Geist erkennt,
beantwortet werden kann (vgl. Zabarella, III [4], t. 8, 775A).
295
Toletus, III 4, q. 11, 138rb: »Intellectus seipsum intelligit, non quidem per se primò, & directè;
sed indirectè ex alterius externi cognitione.«

206
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

sei unmöglich, so Zabarella, daß der Geist sich auf unmittelbare Weise selbst erkenne,
denn zum einen werde er nicht von sich selbst affiziert und zum andern könne er nicht
zugleich etwas anderes und sich selbst erkennen. Vielmehr könne er sich nur gleichsam
aus den Augenwinkeln und nebenher – »e)n pare/rg%«298, wie es in Met. XII 9,
1074b35f. heißt – erkennen, indem er sich auf seinen Erkenntnisakt beziehe, ihn auf
sich selbst zurückbiege (re-flectere):
»Es ist daher notwendig, daß der Geist sich selbst so erkennt, daß er sich als verschieden von
den anderen Gegenständen erkennt, die er in sich aufnimmt, d. h., daß er seine charakteristische
wirkliche Natur erkennt, nicht nur jene geistige Entität, die er erwirbt, wenn er anderes erkennt.
Denn diese zu erkennen, heißt nicht, sich selbst zu erkennen, sondern anderes. Deshalb sollten
wir sagen, daß der Geist sich selbst erkennt, insofern er über seine Tätigkeit reflektiert, wenn er
anderes erkennt. Er erkennt nämlich, daß er erkennt. Ferner erkennt er, daß er eine solche Natur
besitzt, die geeignet ist, alles zu werden, und die der Möglichkeit nach ist, bevor sie wirklich
erkennt.«299

Toletus hat dieses Phänomen der Selbstreflexion wie folgt erhellend beschrieben: Das
erste (logisch, nicht generisch betrachtet300), was der Geist auffaßt, ist nicht er selbst,
_________________________________________________________________________________________________________
296
Coll. Conimbricense, III 8, q. 7, art. 2, 449: »Respondemus cum D. Thom. … animam nostram
non cognoscere se in hoc vitæ statu per suam essentiam, sed interventu specierum intelligibilium,
quas abstrahit à sensibus.«
297
Vgl. Thomas, De Veritate, q. 10, art. 8, in: Opera 22,2, 322: »Unde mens nostra non potest se
intelligere ita quod se ipsam immediate apprehendat, sed ex hoc quod apprehendat alia devenit in
suam cognitionem …« Zu Thomas vgl. Richard Heinzmann, Ansätze und Elemente moderner Sub-
jektivität bei Thomas von Aquin, in: Geschichte und Vorgeschichte der modernen Subjektivität. Hrsg.
von Reto Luzius Fetz. Bd. 1. Berlin 1998, 414-433.
298
Aristoteles, Met. XII 9, 1074b35f.: »fai/netai d )a)ei\ a)/llou h( e)pisth/mh kai\ h( ai)/sqhsij
kai\ h( do/ca kai\ h( dia/noia, au(th=j d )e)n pare/rg%.« Für ihn gilt diese Vermitteltheit der Erkenntnis
also nicht nur für die dia/noia und den nou=j (vgl. hierzu Met. XII 7, 1072b19 f.: »… au(to\n de\ noei=
o( nou=j kata\ meta/lhyin tou= nohtou=:«), sondern auch für die ai)/sqhsij und do/ca (vgl. EN IX 9,
1170a29-33). An dieser Bestimmtheit des Erkennens von einem anderen her findet jeder Versuch
einer Angleichung von neuzeitlicher Subjektphilosophie und aristotelischer Philosophie der Intentio-
nalität ihre Grenze. Klaus Oehler betont daher zu Recht im Zusammenhang mit der aristotelischen
Erkenntnistheorie: »Die eigentliche Funktion der psychischen Akte besteht nicht in der Reflexivität,
sondern in der Intentionalität.« (Die Lehre vom Noetischen und Dianoetischen Denken bei Platon und
Aristoteles. Ein Beitrag zur Erforschung der Geschichte des Bewußtseinsproblems in der Antike.
Hamburg 21985 (11962), 201) Das Denken der Seele ist daher »nach Aristoteles primär und wesent-
lich nicht freischwebend spontanes, produzierendes, sondern an die durch die Einsicht vermittelten
Gehalte gebundenes Denken.« (A. a. O., 199)
299
Zabarella, III [4], t. 8, 782F-783A: »Necesse est igitur, ut intellectus ita seipsum intelligat, ut
cognoscat se ut diversum ab aliis rebus, quas recipit, id est, ut cognoscat propriam naturam realem,
non tantum illam entitatem spiritalem, quam acquirit, dum intelligat alia, hanc enim intelligere non
est se intelligere, sed alia. Quare dicamus, quod intellectus seipsum intelligit, quatenus supra suam
operationem reflectitur, dum alia intelligit, cognoscit enim se intelligere, proinde cognoscit se habet
naturam talem, quæ est apta fieri omnia, & quæ erat in potentia priusquam actu intelligeret.«
300
Generisch betrachtet ist der intellectus possibilis tabula rasa (vgl. hierzu 3.3.3.). Hier ist aber
der intellectus in habitu Thema, der bereits Erkenntnisse in sich enthält. Es geht hier also um die Klä-
rung eines logischen Sachverhalts, nicht um die Klärung, wie ein Kind zum ersten Mal erkennt.

207
De Anima

sondern dasjenige, dessen Form von den Sinnen aufgenommen wird, d. h. ein äußerer
Gegenstand, wie dieses Pferd dort. Und in diesem Erkennen wendet er sich dem Er-
kenntnisakt selbst zu, biegt sich auf diesen Akt selbst zurück und bemerkt, daß er die-
sen Gegenstand erkennt und daß er es ist, der diesen Erkenntnisakt vollzieht. Da diese
cognitio reflexa, so Toletus, aber von einem äußeren Gegenstand ihren Anfang nimmt,
wird sie mit Recht indirekt genannt. Es sei nämlich keine wirkliche Umwendung, son-
dern eine durch einen Gegenstand vermittelte, durch den der Geist seinen Erkenntnis-
akt erkenne, und dies heiße, sich selbst zu erkennen.301 Erst durch die Erkenntnis von
etwas anderem ist also für die Renaissance-Aristoteliker die philosophische Erkenntnis
seiner selbst als Geist möglich, die gerade nicht partikulär ist, sondern wahrhaft allge-
mein, da sie auf das Denken als Denken abzielt.
Zu 2. Bei der Erkenntnis muß für Zabarella zweierlei unterschieden werden: Formal
betrachtet, ist jede Erkenntnis singulär, denn sie ist eine einzelne Qualität in einem In-
dividuum. Zugleich aber ist sie inhaltlich durch das, was sie darstellt, teils allgemein,
teils einzeln. Wenn ich nämlich ein Pferd erkenne, dann ist diese Erkenntnis durch die
Repräsentation allgemein, formal betrachtet ist sie aber singulär. Insofern vervielfältigt
sich die Erkenntnis nicht ins Unendliche, sondern findet im Allgemeinen ihren Ruhe-
punkt, da es darüber hinaus keine Erkenntnis gibt.
Zu 3. Für Zabarella ist das Denkvermögen wie auch das Wissen des Lehrers von dem
des Schülers qualitativ und quantitativ unterschieden, denn beide sind in je verschiede-
nen Individuen. Dennoch erwirbt der Schüler vom Lehrer Wissen, da er beim Hören
die Worte auffaßt, die etwas bedeuten und auf etwas verweisen. Daher sei es keines-
wegs absurd, wenn der intellectus possibilis vervielfältigt werde gemäß der Anzahl der
Individuen, da auch so die Einheit des Wissens im Allgemeinen gewahrt bleibe. Viel-
mehr würde umgekehrt aus Averroes’ These Absurdes folgen: Gäbe es nämlich im
Lehrer und Schüler nur ein und dasselbe Denkvermögen, dann müßte der Schüler
nichts lernen, weil er bereits ‘alles’ wüßte, was der eigenen Erfahrung offensichtlich
widerspreche.302
Mit diesen Bestimmungen der menschlichen Seele als forma informans und als ver-
vielfältigbar gemäß der Anzahl der Individuen ist die Auseinandersetzung der spani-
schen und italienischen Renaissance-Aristoteliker mit Averroes beendet. In der Spra-
che der Logik bedeutet dies, daß das genus der Seele als e)ntele/xeia h( prw/th bestimmt
worden ist, ein Begriff, der jedes Lebewesen in seiner perfectio auszeichnet. Gleich-
wohl findet sich bei den Jesuiten eine weitere Bestimmung der menschlichen Seele, die

301
Vgl. Toletus, III 4, q. 11, 136rb-va: »Intellectus quidem non convertitur in seipsum, ut in obiec-
tum primum & proximum, ut Philoponus vult: sed ex actu suo se advertit, & actum suum ex obiecto.
Verbi gratia: intelligo equum, ex hoc quòd equum intelligo, converto me ad ipsummet actum intelli-
gendum, & ex actu ipso converto me ad ipsam potentiam, vel habitum, vel speciem: tamen talis co-
gnitio reflexa ab obiecto externo ortum habet, sine cuius consideratione non fit: ob id indirecte dici-
tur. Non enim est vera conversio: sed in obiecto ipso, vel per obiectum, actum cognosco meum, scili-
cet me intelligere, & potentiam similiter, & habitum.«
302
Zur näheren Ausgestaltung dieser Erkenntnistheorie vgl. 3.3.7.

208
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

sich nicht ohne Schwierigkeiten in die vorliegende philosophische Diskussion einord-


nen läßt, nämlich ihre Bestimmung als substantia spiritualis. Der Grund für diese Er-
gänzung verweist auf die bestehende Differenz zwischen den radikalen Naturphiloso-
phen und den Jesuiten hinsichtlich der ratio philosophandi Aristotelica, die nachfol-
gend näher bestimmt werden soll (vgl. 3.3.3.).

3.3.2. Die Bestimmung der menschlichen Seele als substantia spiritualis

Es ist bereits bei Melanchthon gezeigt worden, daß der Ursprung der Bezeichnung sub-
stantia spiritualis wohl auf Augustinus zurückgeht (vgl. 2.3.3.). Ihre theologische und
philosophische Rezeption im Mittelalter kann hier im einzelnen nicht weiter verfolgt
werden. Für den vorliegenden Zusammenhang genügt es, Thomas’ Quaestio disputata
de spiritualibus creaturis als den wahrscheinlichen Bezugspunkt der Jesuiten in den
Blick zu nehmen. Die ganze Disputation mutet mit ihren Thesen wie ein philosophi-
scher Traktat zur aristotelischen Psychologie an, obgleich es gleichwohl um eine theo-
logische Bestimmung der menschlichen Seele geht: 1. Ist die substantia spiritualis ein
Kompositum aus Materie und Form? 2. Kann sie sich mit dem Körper vereinigen? 3.
Vereinigt sie sich mit dem Körper mittels eines Mediums? etc.303 Wie Augustin, auf
den Thomas gleich zu Beginn seiner Disputation verweist, setzt auch er anima humana
und substantia spiritualis einander gleich. Anders als jenem geht es ihm hierbei freilich
um einen Ausgleich zwischen der philosophischen Bestimmung der Seele als forma
corporis und ihrer theologischen als substantia spiritualis. Anders formuliert: Thomas
versucht zu erweisen, daß die menschliche Seele zum einen actus sive perfectio corpo-
ris ist, indem sie dem Körper das Sein verleiht, und zum andern gottgewirkte Substanz,
die in sich selbst ruht, also keines anderen bedarf, um vollkommen zu sein. Deutlich
wird diese doppelte Bestimmung der Seele aus der Antwort auf die zweite Frage:
»Man muß sagen, daß die Schwierigkeit dieser Frage daher rührt, weil die geistige Substanz ein
gewisses in sich selbst bestehendes Ding ist. Die Form muß aber in einem anderen sein, d. h. in
der Materie, deren Wirklichkeit und Vollkommenheit sie ist. Daher scheint es gegen das Prinzip
der geistigen Substanz zu verstoßen, daß sie Form des Körpers ist … Es ist [daher] nötig, daß
das Sein der menschlichen Seele über die körperliche Materie hinausgeht, und nicht wird sie
vollkommen von ihr umfaßt, aber dennoch auf irgendeine Weise von ihr berührt. Insofern also
die menschliche Seele das Sein der körperlichen Materie überschreitet, vermögend in sich zu
bestehen und aus sich heraus tätig zu sein, ist sie eine geistige Substanz. Insofern sie aber von
der Materie berührt wird, ihr ihr Sein mitteilt, ist sie Form des Körpers.«304

303
Vgl. Thomas, Quaestio disputata de spiritualibus creaturis, in: S. Thomae Aquinatis Opera om-
nia curante Roberto Busa S.I. Stuttgart u. a. Tomus 3, 352-368, hier: 353: »Propositio 1. Et primo
enim quaeritur: utrum substantia spiritualis sit composita ex materia et forma. 2. Secundo quaeritur
utrum substantia spiritualis possit uniri corpori. 3. Tertio quaeritur utrum substantia spiritualis, quae
est anima humana, uniatur corpori per medium.«
304
A. a. O., 355: »Dicendum quod difficultas huius quaestionis ex hoc accidit, quia substantia spi-
ritualis est quaedam res per se subsistens, formae autem debetur esse in alio, id est in materia, cuius

209
De Anima

Was bei Augustin gerade das Eigentümliche der theologischen Bestimmung der Seele
gegenüber der Philosophie anzeigt, nämlich das wesentliche von Gott Gewirktsein als
Geist, das vereint – man könnte auch sagen: vermischt – Thomas nun, indem er die
Immanenz, das In-einem-Körper-Sein der Seele, mit der Transzendenz, ihrem Über-
den-Körper-Hinaussein im Geist nach seinem Ableben verbindet, um so die philoso-
phischen Schwierigkeiten mit der Unsterblichkeit der Seele zu beseitigen.305 Für Tho-
mas läßt sich also offensichtlich nur mit der Bestimmung der menschlichen Seele als
substantia spiritualis die Überwindung ihrer innigen Einheit mit dem Körper als forma
corporis plausibel machen. Bereits Flasch hat auf dieses Grundproblem der thomisti-
schen Philosophie, das seine ganze Tragweite im Zusammenhang mit dem Dogma von
der Unsterblichkeit entfaltet, aufmerksam gemacht:
»Wenn die Seele wesentlich die Prägung eines Körpers zu einem menschlichen Leib ist und
wenn dies ihre Definition ist, dann ist nicht einzusehen, was sie ohne einen Leib noch sein
kann. Dann verliert die Seele mit dem Tod des Leibs jedenfalls ihre Hauptaufgabe, mehr noch,
sie verliert ihr in dieser Definition gefaßtes Wesen.«306

Je enger also die Verknüpfung der Geistseele mit dem Körper ist, desto schwieriger
wird es, ihre Unsterblichkeit von der Philosophie her erweisen zu können. Die Einfü-
gung der theologischen Bestimmung der substantia spiritualis ist damit dem aristoteli-
sche Naturalismus geschuldet, der kein transzendentes Über-den-Körper-Hinaussein
kennt. Nicht anders stellt sich dieser Sachverhalt bei den Jesuiten dar.
Wie gesehen (vgl. 3.1.1.), hat Toletus die anima humana in der fünften These seiner
Propositiones aliquot als spiritus bestimmt.307 Auch die Conimbricenser setzen gleich
im Anschluß an die Bestimmung der menschlichen Seele als forma informans die The-
se, daß sie auch »Geist oder eine geistige Substanz«308 sei. Dies bedeutet zunächst ein-
mal, daß die Seele weder Körper noch aus Körpern zusammengesetzt, sondern etwas
Immaterielles ist, weshalb sie spiritus (oder forma) genannt wird. Damit wird die An-
sicht der antiken Autoren Zenon, Anaximander, Cleanthes und Chrysippus abgelehnt,
welche die Seele für etwas Körperliches hielten, sei dies nun Feuer oder Luft. Sofern
sie nämlich Funktionen ausübe, die über die Natur und die Bedingungen des Körpers
_________________________________________________________________________________________________________

est actus et perfectio. Unde contra rationem substantiae spiritualis esse videtur quod sit corporis for-
ma … oportet quod esse animae humanae superexcedat materiam corporalem, et non sit totaliter
comprehensum ab ipsa, sed tamen aliquo modo attingatur ab ea. In quantum igitur supergreditur esse
materiae corporalis, potens per se subsistere et operari, anima humana est substantia spiritualis; in
quantum vero attingitur a materia, et esse suum communicat illi, est corporis forma.«
305
Wie dies freilich geschehen soll, ist nicht vorstellbar. Denn wie kann der Körper sterben, solan-
ge die Seele, die als sein Lebensprinzip bestimmt worden ist, in ihm ist? Wenn überhaupt, dann kann
also die Seele den Körper nur vor dessen Ableben verlassen.
306
Kurt Flasch, Thomas, 256.
307
Vgl. Toletus, 7va: »Quinta propositio. Anima rationalis est spiritus, nec est corpus, nec ex cor-
poribus conflata.«
308
Coll. Conimbricense, II 1, q. 1, art. 6, 62: »Anima intellectiva est spiritus, sive substantia spiri-
tualis.«

210
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

hinausgingen, müsse sie eine immateriell-geistige Substanz sein. Die Conimbricenser


begründen dies aus philosophischer Sicht mit ihren beiden Vermögen des Denkens und
Wollens, die beide auf immaterielle Weise vollzogen werden: Wie das Denken die all-
gemeinen, von Gestalt, Farbe etc. abstrahierten Formen aufnimmt und hieraus Begriffe
formt, so liegen das Wollen und Nichtwollen oberhalb der Sinne und des sinnlichen
Begehrens.309 Entspricht diese mit Thomas übereinstimmende Erklärung nun dem, was
ansonsten in der Philosophie forma genannt wird, so wird anschließend die theologi-
sche Dimension des Begriffs spiritus bzw. substantia spiritualis verdeutlicht, welche
über den philosophische Bereich weit hinausgeht. Denn dieser Geist wird gemäß Gen
2,7 als von Gott gewirkt bestimmt und wird damit gewissermaßen zu einem göttlichen
Geist, wie die Conimbricenser unter Berufung auf Ambrosius betonen.310 Eine ganze
Reihe weiterer Belegstellen aus der Hl. Schrift (Lk 23,46, Rm 8,11 und Gal 5,17 etc.),
kirchliche Autoritäten wie Augustinus und Gregor von Nyssa sowie Hinweise auf zahl-
reiche Konzilsentscheidungen belegen nachfolgend das Neue am Menschen: Sein
Geistsein, das von Gott kommt und zu ihm zurückkehrt, wenn der Körper wieder zu
Staub wird.311 Die theologische Wesensbestimmung des Menschen als substantia spiri-
tualis ist so das Einfallstor der nicht weniger theologischen Destination des Menschen
als unsterblich, wie weiter unten deutlicher wird (vgl. 3.3.6.).
Zunächst ist zu beschreiben, was diese doppelte philosophisch-theologische Be-
stimmung der menschlichen Seele als forma corporis und substantia spiritualis für die
Nous-Lehre der Jesuiten bedeutet und worin sie sich von der der radikalen Naturphilo-
sophen Portio und Zabarella unterscheidet. Dabei werden zwei unterschiedliche Kon-
zepte einer ratio philosophandi Aristotelica sichtbar, die fundamentale Differenzen
aufweisen. Denn die Übereinstimmung hinsichtlich der Bestimmung der anima ratio-
nalis als forma informans verdeckt die Unterschiede, die nicht nur epistemologischer,
sondern auch ontologischer Natur sind und erst bei einer genaueren Lektüre erkennbar
werden. Verschiedene Phänomenologien des menschlichen Geistes sind das Ergebnis.

3.3.3. Phänomenologien des menschlichen Geistes

Die menschliche Seele ist von den Jesuiten und den radikalen Naturphilosophen in der
Auseinandersetzung mit Averroes ontologisch als forma informans bestimmt worden.
Da diese Definition auch der tierischen und pflanzlichen Seele zukommt, ist damit ge-
mäß den Regeln der Logik das genus proximum aller Lebewesen secundum esse be-
nannt. Um die differentia specifica der anima rationalis zu ermitteln, galt es nun noch
309
Vgl. a. a. O., 63.
310
Vgl. ebd.: »Corroboratur quoque eadem veritas, Patrum testimonium ut D. Ambrosij, qui in li-
bro de Noë & arca ait, animum rationalem divinum quendam esse spiritum …«
311
Vgl. a. a. O., 64: »Præterea idem colligitur tum ex nonnullis sacræ paginæ locis, quibus anima
humana spiritus appellatur, ea significatione, qua spiritus à corpore distinguitur, ut Ecclesiastæ ulti-
mo, revertatur pulvis in terram suam, unde erat, & spiritus redeat ad Deum, qui dedit illum.«

211
De Anima

in einem zweiten Schritt, den Begriff des Geistes hinsichtlich seiner Funktion (secun-
dum operationem) näher zu bestimmen. Dies geschah unter Bezugnahme auf De An.
III 4, wo Aristoteles den intellectus possibilis mit zahlreichen Attributen versehen hat,
von denen einige bereits im Zusammenhang der Auseinandersetzung mit Averroes er-
läutert worden sind. Von besonderer Bedeutung war hierbei seine Bestimmung in
429a21f. als ein Vermögen.312 Während Toletus sich mit dieser Bestimmung im An-
schluß an De An. III 4, 429b9 auseinandersetzte, erörterten die Conimbricenser sie erst
im Anschluß an De An. III 8, wo Aristoteles die Ausführungen über die Seele und ihre
verschiedenen Vermögen zusammenfaßte.313 Für Portio war diese Bestimmung derart
zentral, daß er den intellectus possibilis in seinem Traktat immer mit dem Zusatz po-
tentia versah.314 Auch Zabarella erläuterte im zweiten Teil seiner Schrift De Mente hu-
mana auschließlich den intellectus possibilis in Hinsicht auf dessen Tätigkeit (respectu
operationis) und gab so zu erkennen, daß erst mit ihr das Wesen der menschlichen See-
le vollkommen erkannt wird.315
In ihren Kommentaren zu De An. III 4, 429a21f. haben Toletus, die Conimbricenser
und Zabarella diese Äußerung dem Kontext entsprechend als epistemologische und
nicht als ontologische Beschreibung des Geistes verstanden: Er ist weder Körper noch
mit einem Körper vermischt.316 Vielmehr sei er aus sich selbst heraus nichts anderes als
ein rein geistig-immaterielles Vermögen, das die intelligiblen Formen in sich aufneh-
men könne.317 Anders gesagt: Er ist alles der Möglichkeit nach – daher sein Name in-
tellectus possibilis –, weil er alles in sich aufnehmen und denken kann. »Sein Wesen ist
daher nichts anderes als dieses, daß er vermögend ist, d. h. in reiner Möglichkeit, wie

312
Vgl. Aristoteles, De An. III 4, 429a21f.: »w(/ste mhd )au)tou= [sc. nou=j] ei)=nai fu/sin mhdemi/an
a)ll )h)\ tau/thn, o(/ti dunato/j.«
313
Vgl. Toletus, III 4, q. 9, 131ra: »An Intellectus secundùm se sit pura potentia.« Coll. Conimbri-
cense, III 8, q. 1, 418: »Utrum intellectus patiens sit potentia passiva: & omnino pura potentia, an
non.«
314
Vgl. Portio, c. VI, 26: »An intellectus potentia sit æternus, & diversa substantia ab agente.«
315
Vgl. Zabarella, De Mente humana, c. 13, 970F-971B: »Quid mens humana sit respectu corporis
ex iis, quæ hactenus dicta à nobis sunt, satis manifestum esse arbitror: nam si communem animæ de-
finitionem in 2. de Anima lib. ab Aristotele traditam singulis animæ partibus (ut consilium Aristotelis
fuit) aptare velimus, nil aliud est anima vegetans, quam actus primus viventis, hoc est, forma, qua
vivens est vivens; nil aliud est anima sensibilis, quam actus primus animalis, id est, forma, qua animal
est animal; nil aliud est anima rationalis, quæ mens humana dicitur, quam actus primus hominis, seu
forma, qua homo est homo: aliud quoque, quod ex hoc deducitur, declaravimus, nempe ipsam esse
non posse unam numero in tota specie humana, sed iuxta individuorum hominum numerum esse mul-
tiplicatam. Superest ut respectu etiam operationis naturam eius declaremus …«
316
Coll. Conimbricense, III 4, 362: »Declarat [sc. Aristoteles] naturam intellectus possibilis do-
cens illum nec corporeum esse, nec rebus corporeis mistum, aut ex iis concretum.«
317
Vgl. Toletus, III 4, t. 5, 130rb: »… intellectum esse in pura potentia, in genere intelligibilium,
nihilque ex se habere aliud, quàm quòd potentia sit, recipereque possit.«

212
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

eine Tafel, auf der noch nichts geschrieben steht«318, so Zabarella unter Hinweis auf De
An. III 4, 429b31-430a2. Die Kommentatoren sind also übereinstimmend sder Mei-
nung, daß die Beschreibung des Geistes als potentia omni actu privata sich nur auf den
Erkenntnisprozeß beziehen kann, nicht aber auf das Sein der Seele, das ja in De An. II
1 hinreichend als forma informans bestimmt worden ist.
Um so überraschter ist man, daß Toletus diese Bestimmung des Geistes wenige Sei-
ten später ontologisiert, indem er sie als ein Beweis für die Unsterblichkeit der Seele
verstanden wissen will:
»Wenn auch diese Frage [sc. ob der Geist pura potentia sei] schwierig ist, so ist sie dennoch
sehr nützlich, da aus ihrer Auflösung bewiesen wird, daß der Geist weder ein organisches Ver-
mögen noch ein Körper ist. Diese beiden [sc. Bestimmungen] tragen zugleich vieles bei zum
Beweis für die Unsterblichkeit der Geistseele.«319

Man fragt sich, wie es zu dieser Kategorienverwechslung kommen kann. Denn daß der
Geist weder ein organisches Vermögen noch ein Körper ist, bezieht sich doch allein
auf seine Tätigkeit des Erkennens, hat somit keinerlei ontologische Bedeutung. Hin-
sichtlich des Seins ist die Geistseele als forma informans sehr wohl in einem Körper,
wie ja auch Toletus im entsprechenden Zusammenhang betont hat (vgl. 3.3.1.1.). Auch
hier kann das dahinterstehende Problem auf Thomas zurückgeführt werden, das Flasch
wie folgt beschreibt:
»Die Lehre des Thomas von der Individualität des möglichen Intellekts war eine philosophische
Gratwanderung. Thomas definierte mit Aristoteles die Seele als Form des Leibes. Form und
Stoff haben eine wesenhafte Beziehung aufeinander und stehen zueinander in Proportion. Dann
aber sollte der Intellekt kein körperliches Organ haben, gleichwohl sollte er aber für seine im-
mer allgemeinen Erkenntnisse auf ein sinnliches Phantasiebild angewiesen sein. Es ist schwer
einzusehen, wieso seine nach dem Tod vom Leib ‘abgetrennte’ Seele überhaupt noch ‘Seele’
heißen darf, wenn Seele als Formgrund des Leibes definiert wird.«320

Die Bestimmung der Seele als forma corporis nötigt also nicht nur zur Ergänzung
durch ihre theologische Definition als substantia spiritualis, sondern auch zur Umfor-
mung des Geist-Begriffs. Nur so ist es zu verstehen, warum Toletus die Organlosigkeit
des Geistes zugleich epistemologisch und ontologisch deutet. Mit dieser begrifflichen
Erweiterung versucht er offensichtlich die These von der immortalitas animæ humanæ
vorzubereiten. Es wird sich zeigen, daß damit der Geist jedoch unter der Hand zu einer
forma assistens wird, die sich a parte post vom Körper abtrennen kann.
Um seine These plausibel zu machen, muß Toletus erweisen, daß die pura potentia
sowohl eine ontologische wie auch eine epistemologische Bedeutung hat. Hierfür un-

318
Zabarella, III 1 [4], t. 5, 731A-B: »ergo eius [sc. intellectus] natura nulla alia est, nisi hæc, quod
possibilis est, id est in pura potentia, & tanquam tabella, in qua nihil est depictum …«
319
Vgl. Toletus, III 4, q. 9, 131ra: »Quamvis autem ardua sit hæc quæstio, tamen est valde utilis:
quippe ex ipsius resolutione convincitur, Intellectum non esse organicam potentiam, nec esse corpus:
quæ duo simul multum conducunt ad immortalitatem animæ rationalis probandam.«
320
Kurt Flasch, Thomas, 264.

213
De Anima

terscheidet er wie auch das Collegium Conimbricense zwischen einer pura potentia im
Bereich des Seienden (in genere entium sive rerum) und einer im Bereich des Intelligi-
blen (in genere intelligibilium). Was dies bedeutet, erklären die Conimbricenser wie
folgt: Im Bereich des Seienden ist der Geist kein reines Vermögen, weil er seiner Natur
nach forma & actus ist, d. h. Seinsprinzip des Menschen. Was nämlich principium ope-
randi ist, das ist zugleich forma & actus primus. Nun ist der intellectus possibilis aber
Wirkpinzip, denn er ist Grund und Bedingung des Erkennens. Also ist er zugleich ac-
tus & forma. Die Conimbricenser bestätigen hier also nochmals die Funktion der
Geistseele als principium constitutivum. Ausschließlich im Bereich des Intelligiblen ist
der Geist dagegen reines Vermögen, wie gegen Platon behauptet wird, denn er ist
gleichsam eine tabula rasa, weil er nichts vom Intelligiblen in sich enthält, bevor er es
aufnimmt.321 Nur in Hinsicht auf die Funktion gilt also: »Der Geist ist frei von jeder
Natur, deren Form er zuerst in sich aufnimmt, und frei von dem, von dem er zuerst be-
wegt wird.«322 Die zweite Bestimmung, wonach er anders als das Wahrnehmungsver-
mögen kein organisches Vermögen ist, das durch den Körper erkennt323, beweist Tole-
tus u. a. durch Hinweise auf De An. III 4, 429a15-18, a24-27 sowie a29-429b5. Und
was oben als These von der Unsterblichkeit der Seele gesetzt war, wird hier zu ihrem
Beweis: »Wenn der Geist ein organisches Vermögen wäre, dann würde er, wenn das
Organ vergeht, auch vergehen, und so würde folgen, daß die Seele nach dem Tod des
Geistes entbehrt und daß sie so gar nichts erkennt, was absurd ist und falsch.«324 Auch
hier folgert Toletus also von der Organlosigkeit des Geistes, die doch keine Körperlo-
sigkeit bedeutet, auf seine Unsterblichkeit und vermischt damit erneut die epistemolo-
gischen und ontologischen Attribute des Geistes miteinander.
Diese Ontologisierung der Organlosigkeit des Geistes bestätigt er auch in der näch-
sten Quæstio, wo er nochmals die Frage erörtert, ob der intellectus possibilis ein See-
lenvermögen im Sinne der forma informans sei oder eine substantia separata im Sinne
der forma assistens325, eine Frage also, die er bereits im Zusammenhang mit De An. II 1
erörtert hat, die er aber nun nochmals im Blick auf De An. III 4 thematisiert. Hier heißt
es: »Der erleidende Geist ist weder ein Vorstellungsvermögen noch irgendein im Kör-
per unmittelbar einwohnendes Vermögen.«326 Damit wird er zu einem gleichsam trans-
321
Vgl. Coll. Conimbricense, III 8, q. 1, art. 2, 421f.
322
Toletus, III 4, q. 9, 131va: »Intellectus est denudatus ab omni natura, cuius primò speciem reci-
pit, & ab omni eo, à quo primo movetur.«
323
Vgl. a. a. O., 132rb: »Intellectus possibilis non est virtus organica, quæ per corpus intelligat, si-
cut sensus.«
324
A. a. O., 132va: »Si esset [sc. intellectus] potentia organica, ergo, corrupto organo, corrumpere-
tur, & ita sequeretur, animam post mortem carere intellectu, & ita nihil intelligere omninò: quod &
absurdum est, & erroneum.«
325
Vgl. a. a. O., q. 10, 133ra: »An Intellectus possibilis sit potentia animæ? Vel: (quod in idem re-
cidit) an Intellectus possibilis sit informans, an substantia separata?«
326
A. a. O., 134va: »Intellectus possibilis non est vis imaginativa, nec aliqua facultas in corpore
immediatè inhærens.«

214
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

zendenten Vermögen, das sich von der anima rationalis unterscheidet: Denn obgleich
sie aus ihren beiden wesentlichen Teilen besteht, nämlich dem intellectus possibilis
und dem intellectus agens327, und sie mit diesen als forma informans bestimmt worden
ist, relativiert Toletus diese Ansicht nachfolgend, indem er den Geist als eine vis non
organica animæ bestimmt.328 Damit setzt er ohne Zweifel eine Differenz in der Seele:
Zum einen ist sie forma informans corporis, zum andern ist der Geist an sich betrachtet
hinsichtlich des Seins vom Körper abgetrennt, also forma assistens.329 Weil er jedoch
der Sinneswahrnehmung bedarf, ist er nicht vollkommen vom Körper abgetrennt und
unvermischt mit ihm, sondern nur secundum quid.330 Trennt er sich jedoch von diesem
Körper nach dessen Ableben, dann ist er unsterblich. Die theologische Bestimmung der
anima rationalis als substantia spiritualis verbindet sich hier also mit der philosophi-
schen Bestimmung des Nous als substantia separata secundum quid zur gemeinsamen
Destination des seelisch-geistigen Menschen als unsterblich!
Daß Portio und Zabarella als echte naturales philosophi scholæ Peripateticæ eine
solche ontologische Umdeutung des nou=j aufgrund theologischer Notwendigkeiten ab-
gelehnt haben, liegt auf der Hand. Wie gesehen, wird dies bei Portio bereits daraus
deutlich, daß er den intellectus fortlaufend mit dem Zusatz potentia versieht, der seinen
ontologischen Status gegenüber der menschlichen Seele kennzeichnet: Er ist im Sinne
Alexanders ein Vermögen – und sonst nichts: »Das Geist als Vermögen hat nämlich
keine Wirklichkeit und keine bestimmte Natur, sondern seine Natur ist die [pure] Mög-
lichkeit, bevor er erkennt.«331 Portio bezieht sich hierbei auf mehrere Textstellen aus
De An. III 4, die den intellectus possibilis allein in seiner epistemologischen Funktion
bestimmen: Grundlegend ist hierfür seine Benennung als dunato/j in 429a21f. Für Por-
tio ergibt sich hieraus klar, daß er eine facultas cognoscendi ist, die sein Substanzsein
gerade ausschließt.332 Er verweist in diesem Zusammenhang auf den einleitenden Satz

327
Vgl. a. a. O., 134ra: »Intellectiva anima non componitur substantialiter ex duplici parte realiter
distincta, id est, intellectu possibili, & agenti, ita ut hi intellectus sint partes duæ substantiales
animæ.«
328
Vgl. a. a. O., 134va: »Intellectus est vis non organica animæ informantis corpus.«
329
Die Argumentation gegen Averroes’ These von der Seele als forma assistens kehrt sich hier al-
so vollkommen um und führt geradezu zur Übernahme seiner Position! Damit argumentierten die
Jesuiten auf dem Höhepunkt ihrer Geistlehre durch und durch averroistisch, um die Unsterblichkeit
der Seele beweisen zu können. Vgl. hierzu 3.3.6.
330
Vgl. Toletus, III 4, q. 9, 134vb: »Hinc sequitur unum notandum, quòd iste gradus intellectualis
naturæ, ut talis considerationis, si per se esset, utique separatus esset à corpore: at quia non est purus,
sed simul cum gradu sensibilis & animalis naturæ, trahitur ad corpus, non ratione sui per se, sed ra-
tione aliorum graduum, qui cum ipso identificati sunt: tamen ipse ex se manet abstractus.« Es ist klar,
daß Toletus hier vom Geist hinsichtlich des Seins und nicht hinsichtlich der Tätigkeit spricht, denn in
dieser Hinsicht ist er ja realiter vom Körper abgetrennt, eben weil er organlos ist.
331
Portio, c. 6, 33: »Intellectus enim potentia nullum habet actum, nullam certam naturam; sed
eius natura est potentia antequam intelligit.«
332
Substanz ist allein die Seele. Vgl. hierzu a. a. O., c. 7, 38: »Reliquum ergo est, ut dicamus …
intellectum potentia aboleri cum anima, quæ est substantia …« A. a. O., 43: »Etenim nullibi intellec-

215
De Anima

429a10-13 von De An. III 4, wonach der Geist darauf hin untersucht wird, worin er
sich von der Sinneswahrnehmung unterscheidet und wie er denkt. Für Portio kommt
dabei die Inaffizierbarkeit den Sinnen auf andere Weise zu als dem Geist, obgleich sie
beide facultates cognoscendi sind. Denn der Geist erleidet vom Objekt keine vera pas-
sio, da er es nicht materialiter, sondern seiner Geistigkeit entsprechend als immateriel-
le Form aufnimmt.333 Dieser affizierbaren Inaffizierbarkeit334 entspricht es, wenn er an-
ders als die Sinneswahrnehmung unvermischt ist mit einem körperlichen Organ oder
einem Objekt (vgl. 429a18), d. h. wenn er mit nichts etwas gemeinsam hat, sondern
schlechthin einfach ist (429b22-25). Diese Bestimmung wird für Portio auch aus dem
Vergleich des Geistes mit der unbeschriebenen Tafel in 430a1f. deutlich: Wie diese
selbst, bevor etwas auf ihr niedergeschrieben wird, keine bestimmte Natur hat, sondern
‘blank’, pura potentia ist, so auch der Geist: Bevor er denkt, ist er der Wirklichkeit
nach nichts von dem Intelligiblen. Erst das Denken von etwas macht ihn daher zu ei-
nem intellectus in actu, indem er das Gedachte wirklich wird.335 Die Einheit von Den-
ken und Gedachtem ist dergestalt die Einheit von Geist und Wirklichkeit, und diese
Einheit ist jeder (modernen) Trennung in Subjekt und Objekt vorgängig, sofern der
Geist im Denken schon immer bei einem anderen ist. Für einen Peripatetiker wie Por-
tio kann es kein Bei-sich-selbst-Sein des Geistes (im Sinne des Denkens seiner selbst)
geben, ohne daß er zugleich, vielmehr zuvor (im Sinne eines schon immer) bei einem
anderen ist.
Dies macht auch einsichtig, warum Portio an anderer Stelle das Werden des Geistes
als einen natürlichen Prozeß schildert, der mit der Geburt beginnt und im Alter mit
seiner perfectio endet. Was bereits Alexander mit der Bezeichnung des nou=j als
e)pi/kthtoj angedeutet hat, wird hier im Rahmen einer Phänomenologie des Geistes
aufgenommen und umfassender ausgeführt: Danach ist uns der Geist als ein natürliches
Vermögen zwar angeboren, er muß aber das ganze Leben hindurch fortwährend ge-
schult werden, damit er seine Vollkommenheit erreicht. Denn wie wir die Hände nicht
sofort von Geburt an angemessen gebrauchen, sondern uns üben müssen, »so kommt
uns auch der Geist, der eine natürliche Sache ist, nicht unmittelbar in seiner Fülle zu,
_________________________________________________________________________________________________________

tum potentia III. de Anima (in quo omnem rationem intellectus potentia explicavit) esse substantiam
affirmavit; sed solum de eo hæc prædicata protulit [sc. Aristoteles], ipsum esse potentia, impassibi-
lem, simplicem, separabilem ab organo, & immixtum, quæ omnia conveniunt intellectui, ut facultas
cognoscendi tamen nunquam dixit, illum esse substantiam, quod quidem summè necessarium erat, ad
rationem intellectus explicandam.«
333
Vgl. a. a. O., c. 18, 78: »Verum differentia, qua impassibilis est sensus, & qua intellectus, infe-
rius Aristoteles explicabit [sc. De An. III 4, 429a29-b5], ubi docet, quare cognoscentes facultates, ut
mens, & ratio ab obiecto non patiantur vera passione, quemadmodum antiquiores censuerunt: sed sint
susceptivæ non rerum materialium, sed specierum …«
334
Affizierbar, sofern das Denken ein Affiziertwerden von Seiten des Intelligiblen ist (vgl.
42924f.: »… ei) to\ noei=n pa/sxein ti/ e)stin …«), inaffizierbar, sofern es nichts Materielles vom
Intelligiblen erleidet.
335
Vgl. Portio, c. 6, 28 sowie c. 19, 80f.

216
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

sondern [erst] im Alter«336. Was uns die Erfahrung täglich lehrt, daß die alten Men-
schen weiser und klüger sind als die jungen, die wiederum leichter lernen, wird hier
von Portio wissenschaftlich eingeholt: Der Geist wird, was er ist, allein durch das Er-
werben von Wissen. Durch den häufigen Gebrauch dieses Wissens bildet sich der Habi-
tus der Wissenschaft aus, der sich mit zunehmendem Alter immer stärker verfestigt und
die eigentliche perfectio mentis ist, die aber, wie Portio bedauernd hinzufügt, nur »kur-
ze Zeit währt«337. Denn die Erinnerung als Hort der Wissenschaft lasse im hohen Alter
nach, weil der Mensch zu diesem Zeitpunkt zu viel wahrgenommen und bedacht habe.
Was also der Höhepunkt des Geistseins ist – der ausgebildete Habitus der Wissenschaft –,
ist zugleich der Grund des Nachlassens seiner Kräfte: Ein Zuviel an Wissen stumpft
ab, läßt den Geist nach und nach wieder ‘leer’ werden wie eine unbeschriebene Tafel.
Daß Zabarella dieser phänomenologischen Beschreibung des Geistes als ein Werden
im Wissen zugestimmt haben wird, wird weiter unten im Zusammenhang mit der Be-
schreibung des natürlichen und wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses deutlich wer-
den (vgl. 3.3.7.). Auch für ihn ist ausschließlich im Denken des Geistes das Wesen des
Menschen zu suchen. Der wesentliche Unterschied zu Portio besteht bei Zabarella nun
darin, daß für ihn der Geist nicht nur pura potentia ist, sondern auch actus. Anders ge-
sagt: Da für ihn, wie bereits gezeigt wurde (vgl. 3.2.1.), das höchste Vermögen eines
Lebewesens zugleich das Wesen der Seele bestimmt, ist der Geist zwar hinsichtlich
seiner Denktätigkeit ein reines Seelenvermögen, hinsichtlich seines Seins aber, da er
die Seele selbst ist, Form des Körpers. Ihm kommen also zwei Seinsweisen zu,
»eine eigentümliche und eine erworbene, denn an sich selbst ist er Form des Körpers, und ge-
wiß die edelste Form; hinsichtlich der Tätigkeit aber und insofern er geeignet ist, alles zu wer-
den – weil eine Sache zu erkennen heißt, sie auf geistige Weise zu werden –, wird er an sich
selbst so genannt, daß er alles der Möglichkeit, nichts aber der Wirklichkeit nach ist.«338

Zabarella knüpft mit dieser doppelten Bestimmung des Geistes an das von ihm in De
Mente humana eingangs Gesagte an: Die Seele (und damit eben auch die Geistseele)
ist zum einen principium constitutivum als forma corporis animati und zum andern
principium operationum als effectrix.
Sofern die Geistseele forma corporis sei, könne der Geist secundum esse nicht pura
potentia animæ bzw. die præparatio & aptitudo animæ ad omnes rerum species reci-
piendas & cognoscendas sein, wie Alexander, Thomas und Portio behauptet haben.
Wäre er nämlich hinsichtlich des Seins pura potentia, dann würde er nicht von der Be-
336
A. a. O., c. 7, 39: »Ut igitur manu, non iam inde ab ortu naturæ uti possumus, sed cum eam na-
tura absolvit, perficitque (procedente namque ætate manus suum opus maxime efficere potest) ita
etiam mens, quæ res naturalis est, non protinus, sed in senectute maxime nobis contingit …«
337
A. a. O., 38: »Postremo habemus, intellectum perfici in senectute, eique astipulatur Aristoteles
XII. Metaph. sed perfectio durat pauco tempore.«
338
Zabarella, De Mente humana, c. 14, 977C: »Ita igitur etiam intellectus duas habet entitates,
unam propriam, alteram acquisitam, nam secundum se est forma corporis, & nobilissima quidem
forma; sed respectu operationis, & quatenus est aptus omnia fieri, quia intelligendo rem aliquam dici-
tur fieri res illa spiritualiter, sic dicitur secundum se esse omnia potestate, & nihil actu …«

217
De Anima

stimmung der Seele in De An. II 1, 412b4-6 als actus & forma corporis umfaßt wer-
den, was der Absicht des Aristoteles widerspreche, einen koino/tatoj lo/goj, eine all-
gemeine, alle Seelenarten umfassende Definition zu geben. Dergestalt sei der Geist als
anima intellectiva hinsichtlich des Seins gemäß De An. II 1 actus corporis, hinsichtlich
der Tätigkeit gemäß De An. III 4 pura potentia.339 Alles nämlich, was Aristoteles in De
An. III 4 secundum operationem über den Geist ausgesagt habe, komme ihm als anima
intellectiva und nicht als facultas animæ zu, wie Zabarella gegen die genannten Alex-
andristen wie Portio (aber auch gegen Alexander selbst und Thomas) unter Hinweis
auf zahlreiche Textstellen betont340: Wenn der Geist in 429a14 und 429b25 als affizier-
bar bestimmt wird, so ist damit die anima intellectiva (yuxh\ nohtikh/) gemeint. Denn
nicht das Vermögen erleidet etwas – es ist allein die ratio patiendi & recipiendi –, son-
dern die Seele selbst. Deshalb wird der Geist in 429a22 auch als dunato/j und nicht als
du/namij bestimmt, da er als anima potens und nicht als potentia affiziert wird. Ferner
habe Aristoteles in 429a27-29 nicht den Geist selbst zum locus specierum gemacht,
sondern die anima intellectiva. Das stärkste Argument für seine These gewinnt Zaba-
rella aber aus De An. III 8, 432a2, wo Aristoteles den Geist als ei)=doj ei)dw=n bestimmte,
was der Paduaner wie folgt erklärt: »‘Form’ in Hinsicht auf den Körper, ‘der Formen’
in Hinsicht auf die Tätigkeit«341. ‘Form’ bezeichne das Wesen des Geistes hinsichtlich
seines Seins, wie es von Aristoteles in De An. II 1 ermittelt werde, während ‘der For-
men’ sich auf die species intelligibiles beziehe, die vom Nous aufgenommen werden
und Gegenstand von De An. III 4 sind.342 »So bezeugt er [sc. Aristoteles] nämlich, daß
der Geist eine Form ist, und zwar eine solche, die für alle Formen aufnahmefähig ist.
Daher ist der Geist nicht bloß die Geeignetheit und das Vermögen der Seele, sondern

339
Vgl. Zabarella, III [4], t. 5, 732D-E: »Natura animæ intellectivæ declaratur ab Aristotele duo-
bus modis, uno per respectum ad corpus; altero per respectum ad operationem circa obiecta intelligi-
bilia, ideo propter horum duorum respectuum diversitatem, convenit ei tum nomen actus, tum nomen
potentiæ, nam respectu corporis est actus, & ita Aristoteles in principio secundi libri dixit omnem
animam esse actum corporis. At respectu operationis est in pura potentia ad omnia intelligibilia, qua-
lis est consideration intellectus in hoc tertio libro, quare nomen actus, & nomen potentiæ in ipsa ani-
ma non opponuntur unvicem …«
340
Vgl. a. a. O., 732A-C: »… hoc autem in loco [sc. 429a21-24], dicunt [sc. sectatores Alexandri],
Aristotelem non loqui de anima intellectiva, quæ est forma substantialis, sed solum de intellectu, qui
est potentia quædam illius animæ, non est anima, neque forma substantialis, cum igitur intellectus hic
sumatur pro sola potentia, & facultate animæ, non pro anima, recte dicit Aristoteles, nullam esse ali-
am eius naturam nisi hanc, quod possibilis est, & nihil est actu ex entibus, sed pura, & nuda facultas
animæ. … Hæc sententia mihi nunquam placere potuit, quoniam attributa omnia, quæ adscribit Ari-
stoteles intellectui, conveniunt ipsi ut animæ intellectivæ, non ut facultati animæ.« Ebenso in: Ders.,
De Mente humana, c. 14, 974F-975E. Dort unter Hinweis auf Thomas und Alexander.
341
Zabarella, De Mente humana, c. 15, 978D: »formam respectu corporis, formarum respectu ope-
rationis …«
342
Genauerhin müßte ei)=doj ei)dw=n also mit forma specierum übersetzt werden. Forma ist der
klassische Begriff im Zusammenhang mit dem Hylemorphismus, während species ein Terminus der
Erkenntnistheorie ist.

218
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

er ist die Seele selbst, welche die Form des Menschen ist.«343 Diese doppelte Seinswei-
se des Geistes als forma & facultas faßt Zabarella abschließend in folgender Definition
zusammen: »Der Geist ist die Form des Menschen, die, da sie nichts von dem Seienden
in Wirklichkeit ist, geeignet ist, alles geistig aufzunehmen und zu erkennen.«344 In die-
ser Bestimmung secundum esse & operationem ist der Geist die Einheit von Sein und
Denken, eine Einheit freilich, die sich anders als bei Simplicius nicht in der transzen-
denten Welt der Ideen ereignet, sondern im Hier und Jetzt des Seins-in-dieser-Welt.
Sofern der Geist also vollständig erst im Blick auf seine Tätigkeit erkannt werden
kann, stellt sich die Frage, was das Denken ist und wie es beschrieben werden kann.
Was ist Gegenstand des Denkens? Ist es das Ding selbst oder die species intelligibilis
(nohto\n ei)=doj), von der schon des öfteren die Rede war? Die Antworten auf diese Fra-
gen sind in den nachfolgenden Abschnitten zur Intentionalität (vgl. 3.3.4.) und zum
Prozeß natürlicher und wissenschaftlicher Erkenntnis (3.3.7.) zu geben. Die Theorie
von der species intelligibilis erfordert dabei auch die Klärung der Funktion des intel-
lectus agens im Erkenntnisprozeß (3.3.5.). Seine daneben gegebene ontologische Be-
stimmung ist dabei zugleich von entscheidender Bedeutung für die Frage nach der Un-
sterblichkeit der menschlichen Seele (3.3.6.). Hier wird sich nochmals zeigen, wie es
um die Einheit von Denken und Sein im Renaissance-Aristotelismus bestellt ist.

3.3.4. Theorien der Intentionalität

Die Erkenntnistheorie, zu der für Aristoteles auch die Wahrnehmungstheorie gehört –


denn das Wahrnehmen ist ein Unterscheiden (krinei=n, vgl. De An. III 9, 432a16) und
damit eine Weise des Erkennens –, ist neben der Lehre vom Geist derjenige Locus, der
von der neueren Philosophie am schärfsten kritisiert worden ist. So empfiehlt Burny-
eat, diese Theorie ‘zum alten Eisen zu schmeißen’345. Freilich gibt es auch neuere Au-
toren wie Perler, die ihre Bezüge zur modernen Theorie der Intentionalität herstellen.
Sein Ausgangspunkt ist dabei der einfache Sachverhalt, daß »unser Sehen immer ein
Sehen von etwas ist, unser Denken ein Denken an etwas und unser Sprechen ein Spre-
chen über etwas«346. All diese Weisen des Sehens, Hörens, Denkens und Sprechens
haben notwendigerweise einen Bezug zu etwas, richten sich auf etwas, so daß es ein

343
Zabarella, De Mente humana, c. 14, 976E-F: »… sic enim testatur [sc. Aristoteles] intellectum
esse formam, eamque talem, quæ omnium formarum est receptiva; non est igitur sola aptitudo, &
facultas animæ, sed est anima ipsa, quæ est forma hominis.«
344
A. a. O., c. 15, 978B: »intellectus est forma hominis, quæ quum nullum ex entibus sit actu, ea
omnia recipere spiritualiter, & cognoscere apta est …«
345
Vgl. M. F. Burnyeat, Is an Aristotelian Philosophy of Mind Still Credible? A Draft, in: Essays
on Aristotle’s De Anima, 15-26, hier: 26: »Hence all we can do with the Aristotelian philosophy of
mind and its theory of perception as the receiving of sensible forms without matter is what the seven-
teenth century did: junk it.«
346
Dominik Perler, Theorien der Intentionalität im Mittelalter. Frankfurt am Main 2002, VII.

219
De Anima

Sehen und Hören von nichts, ein Denken an nichts nicht geben kann. Den verschiede-
nen Wahrnehmungsvermögen und dem Geist eignet also die Fähigkeit der Intentionali-
tät, die Fähigkeit, sich auf etwas zu beziehen. Wie ist das möglich? Die Antwort auf
diese Frage soll hier zunächst anhand einer »der einflussreichsten mittelalterlichen In-
tentionalitätstheorien, die bis weit in die Neuzeit hinein diskutiert wurde«347, nämlich
der Theorie des Thomas von Aquin, dargestellt werden. In einem zweiten Schritt ist
dann die Theorie der Intentionalität bei Toletus, Zabarella und den Conimbricensern in
den Blick zu nehmen.

3.3.4.1. Exkurs: Die Theorie der formalen Identität bei Thomas

Thomas’ Leitmotiv im Zusammenhang mit der Theorie der Intentionalität ist die gut
aristotelische These, daß eine Person sich nur dann kognitiv auf etwas beziehen kann,
wenn ihr Geist sich dem zu erkennenden Gegenstand angleicht (vgl. De An. III 4,
430a3-5): »Man muß sagen, daß jede Erkenntnis durch eine Angleichung des Wissen-
den an das Gewußte erfolgt.«348 Der menschliche Geist wird gleichsam eins mit dem
Gegenstand, der erkannt werden soll. Daher kann Thomas auch sagen: »Das Intelligi-
ble in Wirklichkeit ist der menschliche Geist in Wirklichkeit«, oder: »Das Erkannte in
Wirklichkeit ist der menschliche Geist in Wirklichkeit«349. Dieses »Modell der forma-
len Identität«350 besagt, daß die kognitive Bezugnahme nur dann gelingt, wenn der
menschliche Geist im Vollzug des Denkens mit dem zu erkennenden Gegenstand iden-
tisch wird. Wie kommt es aber zu dieser kognitiven Assimilation von Denken und Ge-
dachtem? Und aufgrund welcher Fähigkeiten ist der Geist imstande, sich dem erkenn-
baren Gegenstand anzugleichen?
Als »kognitives Kriterium«351 der Erkenntnis benannte Thomas den Sachverhalt, daß
der erkennende Mensch sich darin von der nicht-erkennenden Blume unterscheidet,
daß diese nur die eigene Form hat, während jener imstande ist, auch die Form eines
anderen Dinges in sich aufzunehmen.352 Ein Beispiel: Der Mensch, der selbst durch

347
A. a. O., 31.
348
Thomas, De Veritate, q. 8, art. 5, in: Opera 22, 235: »Dicendum quod omnis cognitio est per
assimilationem scientis ad scitum.«
349
Thomas, STh I, q. 14, art. 2, in: Opera 4, 168: »Unde dicitur in libro de anima, quod sensibile in
actu est sensus in actu, et intelligibile in actu est intellectus in actu.« A. a. O., q. 85, art. 2, in: Opera
5, 334: »Ad primum ergo dicendum quod intellectum est in intelligente per suam similitudinem. Et
per hunc modum dicitur quod intellectum in actu est intellectus in actu, inquantum similitudo rei in-
tellectae est forma intellectus …«
350
Dominik Perler, Theorien, 31.
351
A. a. O., 33.
352
Thomas, STh I, q. 14, art. 1, in: Opera 4, 166: »… considerandum est quod cognoscentia a non
cognoscentibus in hoc distinguuntur, quia non cognoscentia nihil habent nisi formam suam tantum;
sed cognoscens natum est habere formam etiam rei alterius, nam species cogniti est in cognoscente.«

220
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

seine eigene substantielle Form strukturiert ist, ist auch imstande, die substantielle und
akzidentelle Form einer Rose zu haben. Er kann nämlich zum einen erfassen, was ihr
strukturierendes Prinzip ist, und dieses Prinzip durch Wahrnehmungs- und Denkpro-
zesse in sich aufnehmen, und er kann zum andern die akzidentelle Form der Röte er-
fassen und in sich aufnehmen. Die Aufnahme geschieht dabei nicht auf materielle,
sondern auf immaterielle, geistig-intentionale Weise: Die Form wird im Affizierten
ohne Materie aufgenommen, insofern es sich dem Tätigen gemäß der Form angleicht.
So hat die Form im Wahrnehmungssinn intentionales bzw. geistiges Sein.353 Was ist im
Zusammenhang mit der Wahrnehmung unter einem esse intentionale sive spirituale im
Gegensatz zu einem esse naturale zu verstehen?
Locus classicus für die Theorie von den sinnlich wahrnehmbaren Formen ist De An.
II 12, 424a17-19, wo Aristoteles die Wahrnehmung als aufnahmefähig für die wahr-
nehmbaren Formen ohne die Materie bestimmt hat.354 Er verglich diese Aufnahmewei-
se mit dem Wachs, das von einem Siegelring das Zeichen (to\ shmei=on, a20) aufnimmt
ohne das Eisen. Es nimmt also die Form des Siegels in sich auf, aber nicht in seiner
eisernen Form, sondern in seiner ihm gemäßen ‘wächsernen’ Form. Auf ähnliche Wei-
se nimmt nun das Auge die wahrnehmbare Form auf sehende Weise auf, das Ohr auf
hörende Weise etc. Wie dieser intentionale Wahrnehmungsakt genauer geschieht, be-
schreibt Thomas wie folgt: Bei der Wahrnehmung kommt es anders als bei einer natür-
lichen Veränderung, wo die Form des Verändernden mit dem esse naturale im Verän-
derten aufgenommen wird, wie die Form der Hitze im Erhitzten, zu einer geistigen
Veränderung. Hierbei wird die Form des Verändernden mit einem geistigen Sein im
Veränderten aufgenommen, wie die Form der Farbe in die Pupille, die dadurch ja nicht
gefärbt wird. Für die Tätigkeit des Wahrnehmungssinnes ist also eine immutatio spiri-
tualis erforderlich, durch die eine Aufnahme der wahrnehmbaren Form im Wahrneh-

353
Vgl. Thomas, In libros de anima II et III, hier: lib. 2, lc. 24, n. 3, in: Opera omnia (Busa), To-
mus 4, 357: »et ideo forma recipitur in patiente sine materia, inquantum patiens assimilatur agenti
secundum formam, et non secundum materiam. et per hunc modum, sensus recipit formam sine mate-
ria, quia alterius modi esse habet forma in sensu, et in re sensibili. nam in re sensibili habet esse natu-
rale, in sensu autem habet esse intentionale sive spirituale.« Zabarella hat in seiner Schrift Libri duo
de Visu als ursprüngliche Bedeutung des Begriffs intentio das Aufmerken des Geistes, sein gezieltes
Sich-richten-auf … bei der Betrachtung eines Gegenstandes benannt: »Ego dico intentionem nil aliud
esse, quam attentionem, ac diligentiam animæ in alicuius rei consideratione, quo fit, ut intentum eti-
am sumamus pro attento …» (in: De Rebus naturalibus, 855-914, hier: c. 6, 871A) Diese Bedeutung
sei dann später von den Philosophen zur Bezeichnung jedes Begriffs und jeder Form, sei dies nun die
species sensibilis oder die species intelligibilis, die beide geistig-immaterielle Formen sind, die das
reale Objekt repräsentieren, verwendet worden. Hieraus habe sich dann die Differenzierung zwischen
den intentiones primæ & secundæ ergeben (vgl. hierzu Zabarella, De Natura Logicæ, lib. I, c. 3, 6A-
F). Jene repräsentieren den Gegenstand selbst auf unmittelbare Weise in der Seele, wie der Begriff
‘Stein’, diese nur auf mittelbare Weise, wie der Begriff ‘Gattung’. Schließlich sei der Begriff ‘inten-
tio’ auch auf außerseelische Verhältnisse angewandt worden, so daß das, was die Repräsentation ei-
nes anderen sei, ein esse intentionale genannt werde, obgleich es nicht in der Seele sei.
354
Vgl. Aristoteles, De An. II 12, 424a17-19: »Kaqo/lou de\ peri\ pa/shj ai)sqh/sewj dei= la-
bei=n o(/ti h( me\n ai)/sqhsi/j e)sti to\ dektiko\n tw=n ai)sqhtw=n ei)dw=n a)/neu th=j u(/lhj …«

221
De Anima

mungsorgan entsteht.355 Diese geistige Veränderung im Wahrnehmungssinn ist also


Voraussetzung des geistigen Seins einer Form im Wahrnehmungsorgan. Was geschieht
aber mit dieser wahrgenommenen Form? Zum einen werden im sensus communis die
einzelnen Formen zusammengeführt, zum andern werden im Vorstellungsvermögen
(phantasia) auf der Grundlage der wahrgenommenen Formen sogenannte Phantasmata
hergestellt, die erinnerlich sind. Da von ihnen die species intelligibiles abstrahiert wer-
den, muß kurz erklärt werden, was sie sind.
Perler betont, daß für Thomas die Phantasmata weder Sinneseindrücke – sie sind be-
reits durch den sensus communis synthetisiert –, noch Begriffe – diese werden vom
Geist gebildet –, noch piktoriale Repräsentationen – es gibt auch auditive, taktile, hap-
tische etc. Vorstellungen –, sondern ähnliche Darstellungen des Wahrgenommenen
sind, wobei die similitudo als Übereinstimmung oder Übereinkunft in der Form (se-
cundum convenientiam vel communicationem in forma) zu verstehen ist. Anders for-
muliert: Die Ähnlichkeitsrelation zwischen dem Phantasma und dem Gegenstand selbst
ist eine »Übereinstimmung in der Form bzw. … ein gemeinsames Haben einer
Form«356. Die Präsenz eines Phantasmas ermöglicht so die Intentionalität auf der Ebene
der Wahrnehmung und Vorstellung:
»Die Bezugnahme des Phantasmas auf einen Wahrnehmungsgegenstand wird dadurch gewähr-
leistet, (i) dass das Phantasma in einer Kausalrelation zum Wahrnehmungsgegenstand steht (es
wird ja auf der Grundlage einer visuellen, taktilen, auditiven usw. Wahrnehmung gewonnen)
und (ii) dass das Phantasma und der Wahrnehmungsgegenstand in einer Form übereinstimmen.
Vollständige Intentionalität ist nur möglich, wenn eine Kausalrelation und eine Übereinstimmng
in der Form vorliegen.«357

Da sich ein Phantasma aber nur auf Singuläres bezieht, ist es nicht ausreichend zur Er-
kenntnis von etwas als etwas, nämlich zur Erkenntnis eines Einzelnen im Lichte des
Allgemeinen. Hierfür bedarf es einer spezifisch intellektuellen Tätigkeit, die vom Phan-
tasma eine species intelligibilis abstrahiert. Nur wenn dies geschieht, ist für Thomas
eine intellektuelle Bezugnahme auf einen Gegenstand möglich. Was ist unter dieser
Abstraktion zu verstehen, und was ist eine species intelligibilis?
Für Thomas besteht das Abstrahieren des Allgemeinen vom Besonderen bzw. der
species intelligibilis vom Phantasma darin, die Natur der Form zu betrachten, und zwar
unabhängig von den individuellen Prinzipien, die durch das Phantasma repräsentiert

355
Vgl. Thomas, STh I, q. 78, art. 3, in: Opera 5, 254: »Est autem duplex immutatio: una naturalis,
et alia spiritualis. Naturalis quidem, secundum quod forma immutantis recipitur in immutato secun-
dum esse naturale, sicut calor in calefacto. Spiritualis autem, secundum quod forma immutantis reci-
pitur in immutato secundum esse spirituale; ut forma coloris in pupilla, quae non fit per hoc colorata.
Ad operationem autem sensus requiritur immutatio spiritualis, per quam intentio formae sensibilis fiat
in organo sensus.«
356
Dominik Perler, Theorien, 55.
357
A. a. O., 58.

222
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

werden.358 Die bei dieser Abstraktion gewonnene species intelligibilis versetzt in die
Lage, das Wesen eines Gegenstandes, das ein Allgemeines ist, zu erkennen. Die Ab-
straktion geschieht dabei von der individuellen, nicht aber von der allgemeinen wahr-
nehmbaren Materie aus. Die species intelligibilis ist dergestalt nichts anderes als die
»Darstellung des Wesen selbst des Dinges, und sie ist gewissermaßen das Wesen und
die Natur des Dings gemäß dem intelligiblen Sein, nicht gemäß dem natürlichen Sein,
wie es in den Dingen vorkommt.«359 Wie also der Form des wahrgenommenen Gegen-
standes im Wahrnehmungsorgan das esse intentionale sive spirituale zukommt, und
wie das Phantasma eine ähnlich Darstellung des Wahrgenommenen gemäß einer Über-
einstimmung oder Übereinkunft in der Form ist, so ist die species intelligibilis eine si-
militudo, die gewissermaßen das Wesen eines Dings secundum esse intelligibile ist. Im
gesamten Erkenntnisprozeß ist also die Form des Gegenstandes auf immaterielle, gei-
stig-intentionale Weise gegenwärtig. Erkennen heißt dergestalt nichts anderes, als im
Prozeß einer zunehmenden Vergeistigung durch die Wahrnehmung über die Vorstel-
lung zur Erkenntnis des Einzelnen im Lichte des Allgemeinen zu gelangen, in der man
über ein Wissen des Wesens des Dings gemäß dem intelligiblen Sein verfügt.
In der Forschung ist dabei umstritten, ob die species intelligibilis der primäre Ge-
genstand des Denkens ist (id quod intelligitur) oder dasjenige, wodurch gedacht wird
(id quo intelligitur). Während Spruit unter Berufung auf STh I, q. 85, art. 2360 die These
vertritt, daß die species intelligibilis ausschließlich das quo intelligitur ist361, ist für Per-
ler die species beides, das quo & quod intelligitur, je nachdem, ob sie ontologisch oder
epistemologisch betrachtet wird. Hierfür verweist er auf eine Äußerung aus dem frühen
Sentenzenkommentar des Thomas, wo es heißt:

358
Vg. Thomas, STh I, q. 85, art. 1, in: Opera 5, 331: »Et hoc est abstrahere universale a particula-
ri, vel speciem intelligibilem a phantasmatibus, considerare scilicet naturam speciei absque considera-
tione individualium principiorum, quae per phantasmata repraesentantur.«
359
Thomas, Quaestiones de quodlibet VIII, q. 2, art. 2, in: Opera 25,1, 59: »Sed intellectus co-
gnoscit ipsam naturam et substanciam rei, unde species intelligibilis est similitudo ipsius essentiae rei
et est quodam modo ipsa quidditas et natura rei secundum esse intelligibile, non secundum esse natu-
rale, prout est in rebus ...« Vgl. auch Ders., STh I, q. 85, art. 2, in: Opera 5, 334: »Unde similitudo rei
visibilis est secundum quam visus videt; et similitudo rei intellectae, quae est species intelligibilis, est
forma secundum quam intellectus intelligit.«
360
Vgl. Thomas, STh I, q. 85, art. 2, in: Opera 5, 333f.: »Sed contra, species intelligibilis se habet
ad intellectum, sicut species sensibilis ad sensum. Sed species sensibilis non est illud quod sentitur,
sed magis id quo sensus sentit. ergo species intelligibilis non est quod intelligitur actu, sed id quo
intelligit intellectus. Respondeo dicendum quod quidam posuerunt quod vires cognoscitivæ quæ sunt
in nobis, nihil cognoscunt nisi proprias passiones. … et secundum hoc, intellectus nihil intelligit nisi
suam passionem, idest speciem intelligibilem in se receptam. Et secundum hoc, species huiusmodi est
ipsum quod intelligitur. Sed hæc opinio manifeste apparet falsa …«
361
Vgl. Leen Spruit, Species intelligibilis. From Perception to Knowledge. Volume one. Classical
Roots and Medieval Discussions. Volume two. Renaissance Controversies, Later Scholasticism, and
the Elimination of the Intelligible Species in Modern Philosophy. Leiden u. a. 1994/5, hier: Vol. 1,
159: »The intelligible species is characterized as ‘quo intelligitur’. It is not a ‘quod intelligitur’, be-
cause scientific knowledge concerns res, rather than species oder intentions.«

223
De Anima

»Zum dritten Punkt ist zu sagen, daß gemäß Avicenna die intelligible Form auf zweifache Wei-
se betrachtet werden kann: entweder gemäß dem Sein, das sie im Geist hat, und dann hat sie ein
einzelnes Sein; oder gemäß der Tatsache, daß sie die Darstellung eines so erkannten Dings ist,
insofern sie zur Erkenntnis dieses Dings führt, und in dieser Hinsicht hat sie eine Universali-
tät.«362

Hinsichtlich des Seins, so erklärt Perler diese Textstelle, ist die species intelligibilis
eine Entität, die im Intellekt als esse singulare existiert. Damit ist sie ein individuelles
Akzidens des Intellekts, d. h. ein kognitives Hilfsmittel (=id quo intelligitur). Ist sie
dagegen inhaltlich als similitudo einer erkannten Sache bestimmt, dann ist sie das, was
kognitiv im Intellekt ist und was von ihm erkannt wird (=id quod intelligitur): das We-
sen einer Sache, und da dieses Wesen allgemein ist, hat die species einen universalen
Charakter.363
Die Richtigkeit dieser Interpretation kann auch von der von Spruit zitierten Stelle in
STh I, q. 85, art. 2 her gewonnen werden. Thema dieser quæstio ist die Art und Weise
und die Reihenfolge des Erkennens – de modo et ordine intelligendi. Zu diesem The-
menkomplex gehört auch die Frage, ob die von den Phantasmata abstrahierten intelli-
giblen Formen sich zu unserem Geist als ein id quod intelligitur oder als ein id quo in-
telligitur verhalten. Als These wird formuliert, daß sich die species als ein id quod in-
telligitur verhält, denn das aktuell Gedachte ist im Denkenden, weil es der jetzt dieses
Bestimmte denkende Geist selbst ist. Von der gedachten Sache ist aber außer der spe-
cies intelligibilis abstracta nichts im aktuell denkenden Geist. Folglich ist eine solche
species das in Wirklichkeit Gedachte.364 Gegen diese These werden von Thomas nun
zwei Einwände formuliert: 1. Wenn das, was der Mensch denkt, nur die in der Seele
befindliche Form wäre, so würde folgen, daß all unser Wissen nicht auf die Dinge gin-
ge, die außerhalb der Seele sind, sondern nur auf die in der Seele befindliche species
intelligibilis. 2. Es würde der Irrtum der Alten folgen, wonach alles, was so scheint,
wahr ist (vgl. Met. IV 5, 1009a8). Damit wäre aber Widersprüchliches zugleich wahr,
weil jeder immer nur über seine eigene Affektion urteilen würde, so daß jedes Urteil
wahr wäre. Hieraus folgert Thomas den von Spruit insoweit auch richtig erkannten
Sachverhalt: »Und deshalb muß man sagen, daß die intelligible Form sich zum Geist

362
Thomas, Commentarius in librum secundum Sententiarum, dist. 17, q. 2, art. 1, ad 3, in: Opera
omnia (Busa), Tomus 1, 173: »Ad tertium dicendum, quod secundum Avicennam species intellecta
potest dupliciter considerari: aut secundum esse quod habet in intellectu, et sic habet esse singulare;
aut secundum quod est similitudo talis rei intellectae, prout ducit in cognitionem eius, et ex hac parte
habet universalitatem …«
363
Vgl. Dominik Perler, Theorien, 72f.
364
Vgl. Thomas, STh I, q. 85, art. 2, in: Opera 5, 333: »Ad secundum sic proceditur. Videtur quod
species intelligibiles a phantasmatibus abstractæ, se habent ad intellctum nostrum sicut id quod intel-
ligitur. Intellectum enim in actu est in intelligente, quia intellectum in actu est ipse intellectus in actu.
Sed nihil de re intellecta est in intellectu actu intelligente, nisi species intelligibilis abstracta. Ergo
huiusmodi species est ipsum intellectum in actu.«

224
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

verhält, wie das, wodurch der Geist denkt.«365 Oder anders formuliert: Die Darstellung
der gedachten Sache, welche die species intelligibiliis ist, ist diejenige Form, der ge-
mäß der Geist erkennt. Weil nun aber, so fährt Thomas fort, der Geist auf sich selbst
reflektiert, so denkt er gemäß ein und derselben Reflexion sowohl sein eigenes Denken
als auch die Form, durch die er denkt. »Und so ist die intelligible Form sekundär das,
was gedacht wird. Aber das, was primär gedacht wird, ist das Ding, dessen Darstellung
die intelligible Form ist.«366 Die species intelligibilis ist also zum einen dasjenige, wo-
durch der Geist denkt, und zugleich dasjenige, was gedacht wird, dies aber nur auf se-
kundäre Weise, sofern sie die Repräsentation eines wirklichen Dinges ist.
Dieser knappe Durchgang durch die Intentionalität der Vorstellungs- sowie der intel-
lektuellen Akte bei Thomas ergibt somit zwei verschiedene intentionale Beziehungen,
wie Perler abschließend betont:
»(a) Ein Wahrnehmungsakt richtet sich auf eine Form, sodass diese mit individuierenden Eigen-
schaften im Phantasma präsent ist. (b) Ein intellektueller Akt richtet sich auf eine Form, sodass
diese ohne individuierende Eigenschaften in einer intelligiblen Species präsent ist.«367

Spruit nennt diese Lösung, mit der Thomas das Problem der formalen Vermittlung von
der Wahrnehmung über die Vorstellung zur Erkenntnis klärt, »(the) ‘canonical’ theory
of intelligible species – touchstone for all subsequent discussions.«368 Daß diese Theo-
rie auch noch für die Jesuiten und Zabarella ein ‘Probierstein’ war, ist nun aufzuzeigen.

3.3.4.2. Die Geeignetheit des Geistes für die Erkenntnis der Dinge

Der Locus De speciebus intelligibilibus gehört mit in den Umkreis der epistemologi-
schen Bestimmung des menschlichen Geistes. Seine oben durch Zabarella gegebene
Definition als forma formarum ließ zunächst noch unbestimmt, was denn genauer unter
formarum als species intelligibiles zu verstehen ist und wie ihre Aufnahme geschieht.
Genau diese Fragen sind Gegenstand des hier zu verhandelnden Locus, dessen Bedeu-
tung für die aristotelische Erkenntnistheorie bei den Renaissance-Aristotelikern unum-
stritten war, mag auch die Frage nach seinem Ort im Kommentar verschiedentlich be-
antwortet worden sein. So erörterte Toletus diesen Themenkomplex im Anschluß an
De An. III 7369, während die Conimbricenser ihn bereits im Anschluß an De An. III 5

365
A. a. O., 334: »Et ideo dicendum est quod species intelligibilis se habet ad intellectum ut quo
intelligit intellectus.«
366
Ebd.: »Et sic species intellectiva secundario est id quod intelligitur. Sed id quod intelligitur
primo, est res cuius species intelligibilis est similitudo.«
367
Dominik Perler, Theorien, 76.
368
Leen Spruit, Species intelligibilis I, 156.
369
Vgl. Toletus, III 7, q. 21, 164va: »An sint species intelligibiles necessariæ?«

225
De Anima

thematisierten370. Zabarella wiederum, so Spruit, »was the last philosopher of the six-
teenth century to take the issue of the intelligible species so seriously that he devoted a
separate treatise to it«371, nämlich den Traktat De Speciebus intelligibilibus372, der in
seinem Commentarius de anima im Anschluß an De An. III 4, 429b9 abgedruckt wor-
den ist373. Für diese verschiedenen Anordnungen gibt es jeweils gute Gründe. Für Za-
barella könnte man auf De An. III 4, 429a27f. verweisen, wo der Geist als to/poj ei)dw=n
(locus specierum) bestimmt wird.374 Die Conimbrincenser können mit der Anordnung
nach De An. III 5 den Zusammenhang zwischen dem intellectus agens und seiner
Funktion als Verursacher der species intelligibiles verdeutlichen. Toletus könnte sich
schließlich auf De An. III 7, 431b2ff. berufen, wo Aristoteles das Wie des Erfassens
der intelligiblen Formen näherhin erörtert hat. Doch auch eine Anordnung nach De An.
III 8 wäre unter Hinweis auf 432a2 möglich, wo der Geist als ei)=doj ei)dw=n (forma for-
marum bzw. specierum) bestimmt wird. All diese verstreuten Äußerungen galt es nun,
im Locus De speciebus intelligibilibus zu systematisieren.
Daß diese Erkenntnistheorie einen entscheidenden Unterschied zwischen Platon und
Aristoteles markiert, hat Zabarella gleich zu Beginn seiner Schrift in scharfen Worten
gegen Simplicius’ Versuch einer Kombination von platonischen und aristotelischen
Elementen betont.
»Wir erörtern daher diese Sache [sc. über die species intelligibiles] gemäß den Prinzipien der
Philosophie des Aristoteles, und vor allem verwerfen wir die ihm offensichtlich widersprechen-
de Ansicht des Simplicius und der Platoniker und schließen sie vollkommen von unserer Erörte-
rung aus, da eine zu lange Abhandlung erforderlich wäre, um die Ansicht des Aristoteles über
den menschlichen Geist und seine Funktion mit der Ansicht des Platon zu vergleichen.«375

Den Hauptunterschied erkannte der Paduaner darin, daß die Platoniker den menschli-
chen Geist mit angeborenen Ideen (rationes ideales in se naturaliter insitas, & consub-
stantiales, non ut extrinsecus impressas) ausgestattet haben, der nichts von den Phan-
tasmata aufnimmt, sondern von diesen allein angeregt wird zur Betrachtung der (trans-

370
Vgl. Coll. Conimbricense, III 5, q. 3, art. 1, 381: »Utrum necessariò dandæ sint in nostro intel-
lectu species intelligibiles, an non?«
371
Leen Spruit, Species Intelligibilis II, 226.
372
Vgl. Zabarella, De Speciebus intelligibilibus, in: Ders., De Rebus naturalibus, 979-1006.
373
Vgl. Zabarella, III [4], 785-812.
374
Vgl. Zabarella, De Speciebus intelligibilibus, c. 1, 979A: »De mente humana agens Aristoteles
in 3. de Anima libro frequenter specierum intelligibilium mentionem fecit; dixit enim ipsam esse lo-
cum specierum …«
375
Vgl. a. a. O., 979C-980A: »Nos igitur hac de re secundum principia philosophiæ Aristotelis
disputaturi, ante omnia Simplicii, & Platonicorum sententiam tamquam Aristoteli manifeste adver-
santem reiicimus, & ab hac nostra disputatione penitus excludimus; quippe quum nimis longa oratio-
ne opus esset ad Aristotelis de mente humana, eiusque operatione sententiam cum Platonis opinione
conferendam …«

226
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

zendentalen) Ideen376, während ihn Aristoteles als tabula rasa bestimmt hat, als voll-
kommen unvermischt mit den intelligiblen Objekten, die er erst im Verlaufe des Er-
kenntnisprozesses durch Abstraktion von den species sensibiles mithilfe der Phantas-
mata in sich aufnimmt. Für Zabarella besteht die Differenz zwischen platonischer und
aristotelischer Erkenntnistheorie also nicht nur in einem je verschiedenen Verständnis
des Begriffs ei)=doj (dort angeboren, hier durch Abstraktion aufzunehmen), sondern
auch in der unterschiedlichen Bestimmung des menschlichen Geistes (dort vermischt,
hier unvermischt mit den Ideen). Das Erkennen ist somit bei Platon wesentlich ein
Rückbinden an die ewigen Ideen im Aufstieg zu ihnen im Sinne der Teilhabe (me/qecij),
während es bei Aristoteles ein eigens vom Geist selbst zu initiierender Prozeß der fort-
schreitenden Abstraktion ist, an dessen Ende es zur Übereinstimmung von Denken und
Gedachtem (species intelligibilis) kommt.
Diese aristotelische Theorie ist freilich nicht ohne Schwierigkeiten: Was meint die
Übereinstimmung von Denken und Gedachtem? Wie geschieht die Aufnahme der in-
telligiblen Formen? Was sind sie genauer, und worin besteht ihre Funktion im Er-
kenntnisprozeß? Ja, es gab sogar Autoren wie Theophrast, Themistius und Avempace,
welche diese Funktion und damit das Sein dieser Formen schlechthin bestritten. Denn
zum einen sei unklar, wer oder was sie bewirke, da sie weder der Geist wegen seiner
reinen Rezeptivität noch das Phantasma wegen seiner Materialität hervorbringen kön-
ne, zum andern, wie sie im organlosen Geist aufbewahrt werden könnten. Folglich er-
kenne der Geist nicht durch die intelligible Form, sondern allein durch die Phantasma-
ta. Für die Jesuiten und Zabarella gab es dagegen keinen Zweifel, daß die species intel-
ligibiles im Erkenntnisprozeß unverzichtbar sind377, was sie mit zahlreichen Stellen aus
De An. III 4-8 belegten378: So habe Aristoteles den intellectus possibilis als aufnahme-
fähig für die intelligiblen Formen bestimmt (429a15f.). Damit bringe er sie zwar nicht
aus sich selbst hervor, wie von Theophrast zu Recht betont worden sei; vielmehr be-

376
Wie in 2.3.1. gesehen, hatte Simplicius das nohto\n ei)=doj (species intelligibilis) in platonischer
Tradition als eine transzendentale Idee verstanden, die nichts anderes sei als eine ou)si/a a)me/rista,
an welcher der Geist nur Anteil gewinnen könne.
377
Vgl. Toletus, III 7, q. 21, 164vb: »Species intelligibiles sunt in Intellectu necessariò ad intelli-
gendum.« Zabarella, De Speciebus intelligibilibus, c. 2, 980B: »Quum Aristoteles species rerum in-
telligibilium tanquam ad intellectionem necessarias manifeste posuerit …« Coll. Conimbricense, III
5, q. 3, art. 2, 382: »Hæc tamen opinio probanda non est, sed cum schola Peripatetica, communi Phi-
losophorum approbatione, asserendum dari in intellectu species intelligibiles …«
378
Eine umfassendere Darstellung von Aristoteles’ Erkenntnistheorie müßte von De An. II 5 den
Ausgang nehmen, denn die »denkende Erfahrung des Seienden ist für Aristoteles an die sinnliche
Erfahrung gebunden. Das bedeutet: das im Denken Erfahrbare ist dem Menschen nicht direkt in sei-
ner reinen Form, sondern zunächst immer nur in und an dem durch die Wahrnehmung vermittelten
Sinnfälligen gegeben.« (Klaus Oehler, Lehre, 189) Einschlägig ist hierfür De An. III 8, 432a4f.: »…
e)n toi=j ei)/desi toi=j ai)sqhtoi=j ta\ nohta/ e)sti …« / » … so sind in den wahrnehmbaren Formen
die denkbaren enthalten …« (Übersetzung Theiler) Ohne sinnliche Wahrnehmung kann es für Aristo-
teles kein Lernen und Verstehen geben, was im deutlichen Gegensatz zur platonischen Anamnesis-
Lehre steht (vgl. hierzu 3.3.7.1.).

227
De Anima

dürfe er hierfür des intellectus agens, der sie aufnahmefähig mache (430a14-17).
Gleichwohl, so die Renaissance-Aristoteliker, spricht dies nicht gegen ihre Notwen-
digkeit im Erkenntnisprozeß, der von einer zunehmenden Immaterialisierung und Ver-
geistigung – denn nicht der Stein ist in der Seele, sondern dessen immaterielle Form
(431b29f.) – gekennzeichnet ist, in dem die Phantasmata nur der erste, wenn auch not-
wendige Schritt sind, da die Seele gemäß 431a16f. niemals ohne Phantasmata erkennt.
Und in 431b2 heiße es wiederum, daß der Geist die species intelligibiles in den Phan-
tasmata erfasse, so daß er zu Recht als to/poj ei)dw=n (429a27f.) bestimmt werde, da sich
dort die Einheit von Denkendem und Gedachtem ereigne (430a2-5). Folglich seien so-
wohl die Phantasmata wie auch die species intelligibiles notwendige Bestandteile des
Erkenntnisprozesses. Wie bestimmte man nun die species intelligibilis?
Wie Thomas, so nannten die Conimbricenser sie eine imago rei intelligendæ, ein
Abbild oder – besser noch, weil es nicht nur um optische, sondern auch um taktile, au-
ditive ‘Bilder’ etc. geht – eine Repräsentation des zu erkennenden Gegenstandes. Sie
ist also zunächst einmal nicht der Gegenstand selbst, sondern dessen Repräsentation,
das quo intelligitur, nicht das quod intelligitur.379 Und als ein solches principium intel-
ligendi bewirkt sie zusammen mit dem intellectus agens die Erkenntnis. Dabei wird sie
dem intellectus possibilis eingeprägt, weshalb sie auch eine species impressa genannt
wird, denn als ein dem Geist Inhärierendes ist sie anders als das Phantasma, das (noch)
dem Körper inhäriert, etwas vollkommen Immaterielles. Ferner betonten die Conim-
bricenser wie auch Toletus unter Berufung auf Thomas380 gegen Avicenna, daß sie im
Geist, genauer im Gedächtnis nach der aktuell vollzogenen Erkenntnis aufbewahrt
bleibt. Dies belegten sowohl Äußerungen des Aristoteles (vgl. De An. III 4, 429a27f.;
III 7, 431b1-8) wie auch die Tatsache, daß wir uns erinnern: Wie es nämlich eine me-
moria sensitiva gebe, welche die species sensibiles aufbewahre, so auch eine memoria
intellectiva, welche die species intelligibiles erinnerungsfähig mache, wie auch Augu-
stinus in seinen Confessiones381 gelehrt habe.382

379
Vgl. Coll. Conimbricense, III 5, q. 3, art. 2, 383. Toletus hat die species sensibiles als ein simu-
lachrum quoddam rei, & imago, obiectum repræsentans (II 12, q. 33, 109ra) bestimmt. Dies gilt ana-
log auch für die species intelligibiles.
380
Vgl. Thomas, Scg II 74, in: Opera 13,2, 469f.
381
Vgl. Augustinus, Confessiones, lib. X, c. VIII.12 (PL 32, 784): »… et venio in campos et lata
praetoria memoriae, ubi sunt thesauri innumerabilium imaginum de cujuscemodi rebus sensis invec-
tarum. Ibi reconditum est quidquid etiam cogitamus …«
382
Vgl. Coll. Conimbricense, III 5, q. 3, art. 2, 384: »Nam cognitio intellectiva multo est perfectior
quàm sensitiva: ergo si ad sensitivam cognitionem conservantur species, ut fatetur Avicenna, multo
maiori iure conservabuntur ad intellectivam; maximè cum intellectus possibilis multo firmior sit,
quàm esse materiæ corporeæ, quæ sensim fluit, & amittitur, in qua tamen sustentantur potentiæ sensi-
tivæ. Deinde, quia si hæc positio vera esset, nulla prorsus ratio memoriæ daretur in parte intellectiva,
nec recordaremur nos elicuisse conceptus rerum universalium, quod est contra experientiam.« Tole-
tus, III 7, q. 21, 165ra: »Species manent in intellectu, etiam cessante actuali intellectione: & respectu
harum dicitur intellectus memoria.«

228
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

Zabarella hielt weder diese noch die gegenteilige, von Heinrich von Gent und Jo-
hannes Bacconius vertretene Ansicht, wonach es nur außerhalb des Geistes bleibende
Formen, die sogenannten species expressæ gebe, für schlechthin wahr; vielmehr wählte
er auch hier die mittlere Position. Danach » kann die Erkenntnis ohne eine Einprägung
der intelligiblen Form in den Geist nicht geschehen, die gewissermaßen verschieden ist
vom hervorbringenden Phantasma und von der aufnehmenden Substanz des Gei-
stes.«383 Denn die Partei um Heinrich von Gent gehe fehl in der Meinung, daß es im
Geist vor dem Erkenntnisakt keine intelligible Form gebe, und die andere Partei um
Thomas täusche sich darin, daß sie die intelligible Form nach der Erkenntnis im Geist
verbleiben lasse. Vielmehr werde die Form im Geist nur so lange aufbewahrt, wie der
Erkenntnisakt andauere, weil die in den Geist aufgenommene Form und die Erkenntnis
der Sache nach dasselbe seien.384 Um diese These, die Zabarella betont vorsichtig for-
muliert (puto, credo, arbitror), zu stützen, muß er die folgenden drei Sachverhalte er-
weisen: 1. Da das Vorstellungsvermögen ohne die intelligible Form nicht hinreichend
für eine Erkenntnis ist, muß die Form vom Phantasma in den Geist eingeprägt werden.
2. Weder geht die intelligible Form der Zeit nach der Erkenntnis voran, noch wird sie
nach der Erkenntnis aufbewahrt. 3. Der Geist ist ein Habitus, so daß er etwas betrach-
ten kann, wann er es will.
Zu 1. Da bei der Erkenntnis eine Vereinigung des Geistes mit dem Intelligiblen ge-
schieht, der Geist also die erkannte Sache selbst wird, dies aber nur geschehen kann,
wenn etwas in den Geist aufgenommen wird, was vorher dort nicht war – und das sind
gewiß nicht die Dinge selbst (vgl. De An. III 8, 431b25-432a1) –, müssen die species
intelligibiles in den Geist eingeprägt werden. Bliebe nämlich das Intelligible außerhalb
des Geistes, so könnte es nicht zur Einheit beider kommen. Für Zabarella genügt hier-
für auch nicht das mittels der Wahrnehmung gewonnene Phantasma. Es prägt als forma
producens dem Geist zwar die Form ein, wird aber nicht selbst in den Geist aufge-
nommen. Daher bedarf es noch einer weiteren Form, der forma producta in patiente.
»Aber das Phantasma ist die aktive Form im Geist, und der Geist erleidet etwas vom
Phantasma; also muß es neben dem Phantasma noch eine andere von ihm hervorge-
brachte Form geben.«385 Und diese forma producta sei die species intelligibilis, die der
Geist erkenne, indem er sie beurteile, und so sei die species impressa als species intel-
ligibilis die Erkenntnis selbst, wie aus De An. III 4, 430a3-5 und III 7, 431a1f. (vgl.
auch Met. XII 9, 1075a3-5) ersichtlich werde, wo Aristoteles die Einheit von Geist und
Intelligiblem, von Denkendem und Gedachtem im Erkenntnisakt betont habe. Für Za-

383
Vgl. Zabarella, De Speciebus intelligibilibus, c. 5, 986C-D: »Ego in hac difficultate neutri opi-
nioni adhærendum puto, sed mediam quandam viam tenendam … credo intellectionem fieri non pos-
se sine impressione speciei intelligibilis in intellectu, quæ sit quiddam diversum tum à phantasmate
producente, tum à substantia intellectus recipiente …«
384
A. a. O., 986D-E: »ego enim arbitror tam diu servari in intellectu speciem, quam diu intellectus
intelligit actu, quia puto speciem in intellectu receptam, & intellectionem reipsa idem esse …«
385
A. a. O., 988C-D: »at phantasma est forma agens in intellectum, & intellectus à phantasmate
patitur; ergo necesse est præter phantasma dari aliam formam ab ipso productam in intellectu …«

229
De Anima

barella ist also die species intelligibilis nicht das quo intelligitur, sondern das quod in-
telligitur. Sofern nämlich sie und die Erkenntnis dasselbe sind, die Erkenntnis aber die
Einheit des Geistes mit der erkannten Sache ist, ist klar, daß die species intelligibilis
die Sache selbst ist. Ein Beispiel: Das aktuelle Wissen von einem Pferd ist das ‘geisti-
ge’ Pferd selbst als das Wißbare. Der Unterschied ist nur einer der Betrachtungsweise:
Wenn das Wißbare auf den Geist selbst bezogen wird, in dem es als das Gewußte ist
und von dem es beurteilt wird, dann wird es eine Erkenntnis genannt. Wenn es aber auf
das äußere Objekt bezogen wird, dann wird es dessen Form, Abbild oder das ‘geistige’
Objekt genannt.386 Für Spruit folgt hieraus: »Zabarella took the cognitive act and the
impressed species to be two aspects of the same phenomen, considered in relation to
the intellect and to the external object, respectively.«387 Anders gesagt: Die Einheit von
intelligibler Form (ei)=doj nohto/n) und Erkenntnis (no/hsij) ist die Einheit von Intelligi-
blem (noou/menon) und Geist (nou=j).388
Zu 2. Daß die intelligiblen Formen weder der Zeit nach der Erkenntnis vorangehen
noch nach ihrem Vollzug aufbewahrt bleiben, ergibt sich für Zabarella klar aus De An.
III 4, 430a3-5: Sofern Denkendes und Gedachtes dasselbe sind, ist die in den Geist
eingeprägte Form die Erkenntnis selbst, und deshalb kann sie nicht der Zeit nach der
Erkenntnis vorangehen, sondern wird immer im aktuellen Vollzug der Erkenntnis mit
aufgenommen, ja ist diese selbst. Daher verbleibt sie nach der Erkenntnis auch nicht im
Geist, sondern vergeht mit dieser selbst – anders als die Wahrnehmungen und Phan-
tasmata (vgl. De An. III 2, 425b24f.), die in den Sinnesorganen bzw. im Gedächtnis
aufbewahrt bleiben. Es gibt also keinen Habitus der intelligiblen Formen, vielmehr

386
Vgl. a. a. O., 989A-B: »etenim nil aliud est intellectio, quam species impressa, ut asserit aper-
tissime Arist. in cont. 15. 27. 37 libr. 3. de Anima [vgl. De An. III 4, 430a3-5; III 7, 431a1f.], dum
inquit scientiam, & scibile idem esse, non quidem scibile materiale, quod extra animam est, sed scibi-
le spirituale, quod est in anima; hoc enim scibile idem est ac scientia, quæ actu est: ut actualis cogni-
tio equi est equus ipse spiritualis; discrimen est solum secundum rationem, hoc est, secundum diver-
sas considerationes: nam si referatur ad ipsum intellectum, in quo est, & à quo iudicatur, dicitur intel-
lectio; si vero ad obiectum externum, vocatur species, & imago illius, seu illud ipsum spiritualiter.«
387
Leen Spruit, Species intelligibilis II, 232.
388
Auch Klaus Oehler stellt im Zusammenhang mit den beiden Textstellen De An. III 4, 430a2-5
und Met. XII 9, 1075a3-5 fest: »Diese Identität der im Einsehen (no/hsij) aktuellen Einsicht (nou=j)
mit dem Eingesehenen (noou/menon), das heißt mit dem aktuell Einsichtigen (e)nergei/# nohto/n), wel-
ches durch den Vollzug der Einsicht im Einsehen aus einem potentiell Einsichtigen (duna/mei noh-
to/n) hervorgegangen ist, entspricht der Identität der aktuellen Sinneswahrnehmung mit dem Wahrge-
nommenen, das heißt mit dem aktuell Wahrnehmbaren [vgl. De An. II 12, 424a25; III 2, 425b26 f.].«
(Lehre, 193) Hier zeigt sich, daß die Übersetzung von nou=j mit ‘Einsicht’ unglücklich ist, denn sein
Vergleich mit der Wahrnehmung in De An. III 4 zielt ja nicht auf die nähere Beschreibung der un-
vermittelten Prinzipienerkenntnis ab, sondern auf das Denken in seiner allgemeinsten Form, zu der
gemäß De An. III 4, 429a10 f. das ginwskei=n & fronei=n, das theoretische Wissen sowie das prakti-
sche Sich-verhalten-zu … gehören. Der nou=j muß hier also in seiner weiten Bedeutung als Denken
verstanden werden.

230
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

müssen diese immer wieder neu vom Vorstellungsvermögen im Geist hervorgebracht


werden, denn er erkennt gemäß De An. III 7, 431a16f. nie ohne Phantasmata.389
Zu 3. Was sind dann aber jene Haltungen, die dem Geist als bleibende zugeschrieben
werden und weshalb er intellectus in habitu genannt wird? Wenn nach der Erkenntnis
keine Form in ihm verbleibt, was kann dann noch Habitus genannt werden? Für Zaba-
rella ist es die Geeignetheit des Geistes zur Erkenntnis der Dinge.
»Ich sage daher, daß im Geist aus vielen Erkenntnisvorgängen eine gewisse größere Geeignet-
heit oder bestimmte Haltung für die Erkenntnis derselben Dinge erworben wird, die er vorher
nicht hatte, und diese Geeignetheit wird erworbene Haltung genannt. Denn unser Geist wird
ungebildet geboren; er ist ungeeignet, die Erkenntnis der Dinge sogleich zu erfassen. Deswegen
muß er sich abmühen und untersuchen, lernen und entdecken. Nachdem er aber einmal eine Sa-
che verstanden hat, wenn er sie lange genug betrachtet hat, erwirbt er sich einen Habitus, d.h.
eine gewisse qualitative Haltung, durch die es ihm möglich ist, jene Sache [jederzeit], wenn er
will, ohne Übung und ohne Mühe zu betrachten.«390

Nachdem der Geist einmal die Form, die er von der Vorstellung erhält, aufgenommen
und damit die Sache verstanden, eine Kenntnis von ihr gewonnen hat, wird er, obgleich
die Form nicht aufbewahrt wird, geeigneter, dieselbe Sache mit neuerlicher Aufnahme
ihrer Form ohne Mühe sogleich zu erkennen. Und diese erworbene Geeignetheit – apti-
tudo acquisita – wird Habitus genannt, eine Haltung, die der Geist vorher nicht besaß.
Zabarella verdeutlicht diesen Sachverhalt durch einen Vergleich mit der Wahrneh-
mung: Die Wahrnehmung des Menschen ist von Geburt an tätig, so daß sie keiner Un-
terrichtung und keiner Übung bedarf. Vielmehr kann sie sofort ohne Mühe die sinnli-

389
Vgl. Zabarella, De Speciebus intelligibilibus, c. 6, 994E-F: »… putat [sc. Aristoteles] enim so-
lum phantasma remanere fixum in parte memorativa post imaginationem, speciem vero intelligibilem
non manere in intellectu fixam post intellectionem, dici tamen illius memoriam conservari, quatenus
phantasma, à quo produci potest, servatur impressum in parte memorativa, quod phantasia potest
iterum imaginari, & iterum producere speciem eius in intellectu …« Leen Spruit kritisiert diese An-
sicht wie folgt: »As long as the species is conceived as an act, this instantaneous generation and cor-
ruption may be comprehensible, but it is problematic to compass the discontinuous existence of an
entity.« (Species intelligibilis, 233). Diese Kritik geht jedoch ins Leere; denn es wird ja, wenn auch
nicht die species, so doch das Phantasma aufbewahrt, das Zabarella dem Erinnerungsvermögen zu-
ordnet, wo es zusammen mit dem intellectus agens die species hervorbringen kann. Dergestalt ist
zwar nicht die Kontinuität der species gesichert, sehr wohl aber die des Phantasmas, ohne dem der
Geist nicht erkennt. Zabarellas Interpretation ist nicht nur von De An. III 7, 431a16f., sondern auch
von III 7, 431b2f. her gerechtfertigt, wo es heißt, daß das Erkennen die intelligiblen Formen in den
Phantasmata erfaßt.
390
Zabarella, De Speciebus intelligibilibus, c. 8, 1000C-D: »Dico igitur acquiri in intellectu ex
multiplicatis intelligendi actibus quandam maiorem aptitudinem seu habilitatem ad easdem res intel-
ligendas, quam non habebat prius, eaque dicitur habitus acquisitus, nam mens nostra nascitur rudis, &
inepta ad rerum cognitionem statim capiendam, ideo necesse est ut laboret, & investiget, ut discat, &
inveniat; sed postquam semel rem aliquam apprehendit, si diu in eius contemplatione versetur, acqui-
rit habitum, id est, habilitatem quandam, qua potest, quando vult, rem illam speculari absque exerci-
tio, & absque labore …« Die Übersetzung von habilitas mit ‘qualitativer Haltung’ rechtfertigt sich
aus folgender Anmerkung von Zabarella: »Si quis autem quærat, quidnam sit hæc habilitas, quæ vo-
catur habitus, ego arbitror esse qualitatem …« (A. a. O., 1002E)

231
De Anima

che Form aufnehmen, und diese Qualität nennt man Habitus. Der Geist wird dagegen
nicht mit einem solchen Habitus geboren, sondern muß ihn eigens erwerben:
»Der Geist ist also, nachdem er den Habitus erworben hat, so beschaffen, wie die Wahrneh-
mung von Natur, nur mit dem Unterschied, daß jene qualitative Haltung im Geist erworben
wird, während sie in der Wahrnehmung von Natur aus ist; aber an sich selbst betrachtet ist diese
qualitative Haltung dieselbe. Wie es also in der Wahrnehmung keine eingeprägte Form des Ge-
genstandes gibt und keinen Akt, der aufzunehmen ist, sondern die bloße qualitative Haltung,
Geeignetheit und das Vermögen, tätig zu werden, so bezeichnet im Geist dieser Habitus nicht
die eingeprägte Form, sondern allein die qualitative Haltung und Geeignetheit, die Form sofort
aufzunehmen.«391

Worin diese habilitas des Geistes, seine Geeignetheit und Fähigkeit zur Aufnahme der
intelligiblen Formen gründet, erörterte Zabarella nicht. Sie wird erst später in der luthe-
rischen Schulphilosophie des frühen 17. Jh.s Gegenstand von Gutkes spekulativer Er-
kenntnistheorie im Rahmen seiner Schrift Habitus primorum principiorum. Dies hofft
der Verfasser in einem anderen Zusammenhang zeigen zu können.

3.3.5. Wesen und Funktion des intellectus agens

Der Locus De intellectu agente gründet auf dem höchst umstrittenen Kapitel De An. III
5, das mit seiner Bestimmung des Wesens und der Funktion des nou=j poihtiko/j392 (in-
tellectus agens) ohne Zweifel eine der umstrittensten Passagen des ganzen aristoteli-
schen Werkes ist und seit Theophrast als Ausgangspunkt aller nur erdenklichen Erklä-
rungsversuche gedient hat. Ja, der Dominikaner Durandus a S. Porciano (ca. 1270/5-
1334) hat die These vertreten, daß es eines solchen intellectus agens als pars animæ
gar nicht bedürfe, weil er weder in den Phantasmata noch im intellectus possibilis wir-
ke.393 In ihren Kommentaren zur Textstelle 430a10-14 wie auch in ihren systemati-
391
Vgl. a. a. O., 1002 C-D: »… talis igitur est intellectus postquam acquisivit habitum, qualis est
sensus natura, proinde cum eo tantum discrimine, quod illa habilitas in intellectu est acquisita, in sen-
su autem est naturalis, sed ipsa secundum se considerata habilitas eadem est: quemadmodum igitur in
sensu nulla nascitur impressa species obiecti, & nihil illius actus, qui recipiendus est, sed mera habili-
tas, & aptitudo, & potentia operationi proxima; sic in intellectu hic habitus nullam significat impres-
sam speciem, sed solam habilitatem, & aptitudinem ad speciem statim recipiendam.«
392
Der Begriff ist nicht von Aristoteles selbst geprägt worden, entspricht aber seiner Beschreibung
dieses Geistes als desjenigen, der alles macht (»o( de\ [sc. nou=j] t%= pa/nta poei=n …«) in De An. III 5,
430a15.
393
Vgl. Durandus a Sancto Porciano, Petri Lombardi Sententias Theologicas Commentariorum li-
bri III. Venedig 1571, hier: lib. I, distinctio III, p. II, q. V, 27ra: »Responsio, quia potentiæ innotes-
cunt per actus, operatio etiam fecit scire formam ut assumptum est in arguendo, ideo si necessarium
est ponere intellectum agentem, hoc erit propter aliquam operationem eius necessariam ad actum in-
telligendi, operatio autem intellectus agentis non potest intelligi nisi in fantasmata, vel nisi in intellec-
tum possibilem, sed nec in fantasamata nec in intellectum possibilem habet aliquam actionem ut de-
clarabitur, ergo fictitium est ponere intellectum agentem.« Es fällt auf, daß nur Toletus (vgl. III 5, q.
XIII, 141ra) und die Conimbricenser (vgl. III 5, q. I, art. I, 371) in diesem Zusammenhang auf Du-
randus verweisen, nicht aber Zabarella. Dies liegt aber darin begründet, daß jener allein auf die Frage

232
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

schen Abhandlungen haben die Renaissance-Aristoteliker dagegen deutlich gemacht,


daß dessen Existenz aufgrund seiner Funktion im Erkenntnisprozeß notwendig sei. Wie
es nämlich in der Natur zwei Prinzipien gebe, zum einen die Materie, die der Möglich-
keit nach ist und alles wird, und zum andern die Wirkursache, die in Wirklichkeit ist
und alles macht und so die Materie von der Möglichkeit in die Wirklichkeit führt, so
gibt es auch in der Seele einen Geist, der als potentia bzw. materia intellectionis im
Erkennen alles wird (=intellectus possibilis), und einen Geist, der alles erkennbar
macht (=intellectus agens) – denn nichts vermag sich selbst von der Möglichkeit in die
Wirklichkeit zu führen.394 Der Begriff des Geistes realisiert sich also auf zweifache
Weise als intellectus possibilis und als intellectus agens, so daß gut hegelianisch gesagt
werden kann: Der Geist ist nur für den Geist. Nur etwas, das selbst Geist (=intellectus
agens) ist, kann bewirken, daß der (andere) Geist (=intellectus possibilis) erkennt. So-
fern nämlich das Intelligible auf immaterielle Weise von ihm aufgenommen wird, muß
das, was das Intelligible intelligibel macht, selbst immateriell und intelligibel sein, und
dies kann nur ein Geist sein. Damit stellten sich den Autoren dieselben beiden Fragen
wie im Zusammenhang mit der Erörterung des intellectus possibilis: 1. Wer oder was
ist dieser intellectus agens? Bildet er zusammen mit dem intellectus possibilis ein

_________________________________________________________________________________________________________

abzielt, »utrum videlicet ex aliqua operatione possit convinci intellectum agentem esse partem animæ
nostræ« (Lib. I, distinctio III, p. II, q. V, 27vb), eine Frage, die Zabarella mit Durandus verneint hat.
Insofern konnte Zabarella Durandus’ Argumentation als eine weitere Bestätigung seiner These, daß
der intellectus agens Gott sei, verstehen. Zur Rezeption von Durandus im 14. Jh. vgl. Burkhard Moj-
sisch, Der tätige Intellekt in sich und in seiner glückvermittelnden Funktion – eine mittelalterliche
QUAESTIO, in: Words, Texts and Concepts cruising the Mediterranean See. Studies on the sources,
contents and influcences of Islamic civilization and Arabic philosophy and science. Dedicated to
Gerhard Endress on his sixty-fifth birthday. Leuven 2004, 331-352, hier: 342. Der Verfasser dankt
Herrn Prof. Mojsisch für diesen Hinweis.
394
Zu den Kommentaren vgl. Toletus, III 5, t. 17, 140ra: »Incipit [sc. Aristoteles] à necessitate,
probans opus esse ponere Intellectum agentem tali syllogismo. In omni natura, id est, in omni effectu,
& re facta, duo principia necessaria sunt: unum materia: quæ sit potentia omnia illius generis: alterum
efficiens, quod talem materiam & potentiam in actum redigat; quod sit, ut ars ad materiam suam. Sed
intelligere est quid effectum: ergo oportet duo hæc principia facere. unum quod sit, ut materia intel-
lectionis, alterum, ut efficiens: & hoc est Intellectus agens.« Ebenso Coll. Conimbricense, III 5, 368.
Zabarella, III [5], t. 17, 872C. Zu den systematischen Traktaten vgl. Zabarella, De Mente agente, in:
De Rebus naturalibus, 1007-1042, hier: c. 1, 1007A-C: »Præter humanam mentem, quæ patibilis dici-
tur, censuit Aristoteles necessariam esse alteram mentem agentem, sine qua nequeat in homine intel-
lectio fieri … quoniam igitur humana mens patiendo intelligit, & apta est omnia intelligere, proinde
omnia pati, & omnia fieri; necesse est aliquod illi agens respondere, quod omnia intelligibilia faciat,
idque non esse nisi mentem …« Ebenso Portio, c. 21, 82. Toletus, III 5, q. 13, 140vb-141vb. Coll.
Conimbricense, III 5, q. 1, art. 1 und 2, 369-374. – Das Argument, daß nichts sich selbst von der
Möglichkeit in die Wirklichkeit führen kann, überzeugt nur, sofern der intellectus agens als Gott bzw.
göttliche Kraft bestimmt wird, der bzw. die per definitionem ein ewiges agens ist. Im entgegengesetz-
ten Fall stellt sich nämlich die Frage, wie sich der intellectus agens selbst als ein Vermögen der
menschlichen Seele dauerhaft im Wirken (e)ne/rgeia) hält. Bedarf er dann nicht selbst wiederum eines
anderen agens, und so ad infinitum?

233
De Anima

Vermögen der menschlichen Seele, oder ist er eine substantia separata? 2. Welche
Funktionen kommen ihm im Zusammenhang mit dem Erkenntnisprozeß zu?395
Es wird sich zeigen, daß mit diesem Abschnitt der Übergang von der Psychologie
zur Metaphysik bzw. Theologie erfolgt. Denn die Klärung der Frage, wer oder was die-
ser intellectus agens sei, hat in jedem Fall aufgrund der ihm in De An. III 5, 430a23
beigelegten Attribute a)qa/natoj & a)i/+dioj metaphysische Implikationen, sei es, daß
man ihn als ein Vermögen der menschlichen Seele versteht und so ihre Unsterblichkeit
erweisen kann, sei es, daß er Gott oder eine andere substantia separata ist, womit der
eben genannte Erweis zumindest vom locus classicus De An. III 5 her unmöglich wird.
Daß dieser Sachverhalt von erheblicher theologischer Bedeutung ist, braucht kaum
hervorgehoben zu werden: Wer die These vertritt, der intellectus agens sei Gott, der
gerät mit der Konzilsentscheidung von 1513 mit ihrer Dogmatisierung der Unsterb-
lichkeit in Konflikt. Erst vor diesem theologischen Hintergrund läßt sich Zabarellas
Anmerkung verstehen, die er seinem Traktat De Mente agente vorangesetzt hat:
»Das jedoch will ich vor allem anderen betonen, daß ich von dieser Sache allein gemäß den
Prinzipien der Philosophie des Aristoteles sprechen werde, da meine Absicht in allen diesen
Büchern keine andere ist, als das, was Aristoteles gedacht hat, zu untersuchen und seine An-
sicht, soviel an mir liegt, klar und deutlich zu machen.«396

Da nach seiner Interpretation der intellectus agens Gott selbst ist, wie weiter unten ge-
zeigt wird, ergibt sich im Umkehrschluß die Sterblichkeit der menschlichen Seele. Ist
nämlich allein der gemäß De An. III 5, 430a25 vergängliche (fqarto/j) intellectus pos-
sibilis ein Vermögen der menschlichen Seele, nicht aber der intellectus agens, so kön-
nen ihr dessen Attribute ‘unsterblich und ewig’ nicht zukommen. Um also nicht der
Häresie zu verfallen, muß Zabarella betonen, daß er hier allein gemäß den Prinzipien
des Aristoteles, und das heißt eben ad hominem, philosophiert.
Daß für ihn der intellectus agens kein Vermögen der menschlichen Seele ist, wird
auch daraus deutlich, daß er – wie Portio – zuerst dessen Tätigkeit und erst anschlie-
ßend dessen (eigentlich in der Metaphysik zu erörterndes397) Wesen bestimmt – anders

395
Vgl. Zabarella, De Mente agente, c. 1, 1007C: »Duo autem sunt, in quibus tota est huiusce rei
difficultas constituta: unum, quid sit hæc mens agens, an sit pars aliqua animæ nostræ, necne, & quæ
sit eius natura; alterum vero, quænam sint eius officia in nostra intellectione …« Ebenso Portio, c. 21,
83. Toletus, III 5, q. 13 und 14, 140vb-144va. Coll. Conimbricense, III 5, q. 1, art. 2, 372-374; q. 2,
art. 1 und 2, 376-381.
396
Zabarella, De Mente agente, c. 1, 1007E-1008A: »Id tamen ante omnia protestari velim, me hac
de re secundum principia tantum philosophiæ Aristotelis esse disputaturum, quum non aliud in his
omnibus libris consilium meum sit, quam quid senserit Aristoteles, investigare, & eius sententiam,
quantum in me est, planam, & manifestam reddere.«
397
Vgl. hierzu Zabarella, III [5], t. 17, 871D-E: »In primo contextu [sc. De An. III 4, 429a10-13]
proposuit [sc. Aristoteles] agendum de particula animæ, quæ dicitur intellectus possibilis, ibi namque
ostendimus, quod appellatione particulæ animæ non comprehenditur intellectus agens, cum enim sit
quid abstractum per essentiam, est secundum se alienus à negotio physico, nec alia ratione potuit à
naturali philosopho considerari, quam ut concurrens ad operationem intellectus nostri possibilis, qui
sine illius ope non intelligeret.« Der intellectus agens ist also nur insoweit Gegenstand der Naturphi-

234
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

also als in der Schrift De Mente humana, wo er genau umgekehrt zuerst das Sein des
menschlichen Geistes und anschließend dessen Wirken erörtert hat. Der Grund hierfür
liegt für Zabarella darin, daß Gottes Sein uns unbekannter ist als sein Wirken. Damit
folgt der Paduaner auch hier nicht etwa dem ordo naturæ – denn danach wäre das We-
sen eines Dings der Natur nach früher zu erörtern als seine Tätigkeit –, sondern dem
ordo doctrinæ, nach dem immer vom für uns Bekannteren zum Unbekannten fortge-
schritten werden muß.398 Hier wird bereits ein charakteristischer Unterschied zu den
Jesuiten deutlich, die genau umgekehrt zuerst das Wesen des intellectus agens bestim-
men und anschließend dessen Funktion. Dies liegt eben darin begründet, daß der intel-
lectus agens für sie ein Vermögen der menschlichen Seele ist, dessen Wesen durch die
vorangegangenen Erläuterungen zum intellectus possibilis in gewisser Weise mitauf-
gehellt worden ist. Da die Wesensbestimmung des intellectus agens Auswirkungen auf
die Beschreibung seiner Funktionen im Erkenntnisprozeß hat, muß mit dieser Bestim-
mung begonnen werden.
Wie gesehen, hat Alexander den nou=j poihtiko/j als ewig aus sich selbst heraus sei-
end und ewig in sich selbst stehend und damit als unsterblich bestimmt. In diesem Sein
unterscheidet er sich somit wesentlich vom nou=j u(liko/j (=paqhtiko/j). Er ist daher
kein Vermögen der menschlichen Seele – denn diese vergeht als forma informans zu-
sammen mit dem Körper–, sondern eine substantia separata, die spätere Autoren wie
Toletus mit Gott identifiziert haben.399 Simplicius hat dagegen den nou=j poihtiko/j
_________________________________________________________________________________________________________

losophie, als es um dessen Funktion im Erkenntnisprozeß geht, nicht aber um dessen Wesensbestim-
mung, die eher Gegenstand der Metaphysik ist. Gleichwohl erörterte Zabarella in De Mente agente
der Tradition gemäß auch das Wesen des intellectus agens.
398
Vgl. Zabarella, De Mente agente, 1007D-E: »nam ipse quoque Aristoteles hæc utraque [sc. na-
tura & officia] de mente agente in 3. de Anima libro tractasse comperitur; & quamvis ordine naturæ
dicendum prius esset de ipsius essentia, postea vero de officiis, tamen in hoc quoque Aristotelem imi-
tati; de officiis prius agemus, deinde vero de eius natura; progrediendum enim semper est à faciliori-
bus, & ab iis, quorum cognitio ducere nos facilius in aliorum notitiam possit; cognitis enim huius
intellectus officiis, facilius quid ipse sit indagare, atque invenire poterimus, quod etiam Aristoteles
movit, ut prius de ipsius in humana intellectione officiis, postea vero de essentia loqueretur.« Portio,
c. 21, 83f.: »… similiter & de intellectu, quem vocat [sc. Aristoteles] factivum, primo opus, deinde
substantiam assequitur.«
399
Vgl. Toletus, III 5, t. 20, q. 14, 143va: »In hac re variæ sunt opiniones Philosophorum, sicut in
alijs fere omnibus. Alexandri fuit prima sententia, qui putavit intellectum agentem esse Deum ipsum
…« So auch Portio und Zabarella, wie weiter unten deutlich werden wird. Die Zuordnung von The-
mistius, Theophrast und Averroes zu dieser Ansicht war umstritten. So betonte Toletus, daß diese
Autoren den intellectus agens und den intellectus possibilis für eine Substanz gehalten hätten, die als
ganze abgetrennt sei (vgl. a. a. O., 143rb). Zabarella schrieb ihnen dagegen die Position Alexanders
zu: »ego tamen puto Themistium & Averroem statuisse intellectum agentem distinctum essentialiter a
patiente, ita ut duæ formæ, & duæ intelligentiæ distinctæ, & ambæ humanæ; hanc enim sententiam
legere apud Themistium possumus in context. 20. lib. 3 de Anima, & apud Averroem in Commentar.
4.5.18.20 eiusdem libr. ubi hos duos intellectus vocat duas substantias æternas …« (De Mente agente,
c. 9, 1021D) Bei Themistius heißt es an der genannten Stelle: »Atque hic intellectus [sc. agens] ut
superius dixi adiunctus impatibilis impermixtusque est: proinde eius ingenium tale non est: ut interim
intelligat: interim cesset: nam hoc accidit intellectui agenti qua intellectui potentiæ iungit. Quom vero
secum ipse est: quom natura eius sola spectat: quod nihil aliud est quam actus merus: tum infatigabi-

235
De Anima

bzw. prw=toj ou)siw/dhj lo/goj als ein Vermögen der menschlichen Seele bestimmt, der
sich nur dem Begriff, nicht aber dem Wesen nach vom nou=j paqhtiko/j unterscheidet.
Beide bilden daher ein und dieselbe Substanz. Dieser Ansicht ist auch Thomas ge-
folgt400, dem sich wiederum die Jesuiten angeschlossen haben: »Daß aber dieser [sc.
tätige] Geist nicht außerhalb der Seele ist, sondern ihr einwohnt, so daß er ihr natürli-
ches Vermögen ist … beweist neben anderen der göttliche Thomas … und dasselbe ist
von uns zu Beginn des zweiten Buches dieses Werkes gezeigt worden.«401 Der intellec-
tus agens ist daher weder Gott, wie Toletus gegen Alexander und Philoponus betont402,
noch sonst eine substantia separata neben Gott403. Vielmehr sei er ein natürliches Ver-
mögen der menschlichen Seele, das sich allein begrifflich, nicht aber wesentlich vom
intellectus possibilis unterscheidee. Denn der intellectus agens sei keine forma assi-
stens, wie gegen Averroes betont wird, sondern forma informans, und er komme jedem
Individuum auf je besondere Weise zu. Es sei absurd, ausgerechnet den intellectus
agens als das principium functionis vitalis humanæ außerhalb der Seele selbst zu situ-
_________________________________________________________________________________________________________

lis: immortalis: æternus: semper intelligens. & semper intellectus a se est: non alia re …« (Paraphra-
sis in libros de anima, lib. III, c. 26, t. 20, 93v) Im vorangehenden Kapitel verglich er freilich den
intellectus agens mit Gott, woraus zu entnehmen ist, daß er nicht selbst Gott ist: »Est enim intellectus
agens ceu architectus quidam: fabricatorque notionum. Propter quod et deo maxime assimilatur: nam
& deus quodammodo ipse res est & quodammodo creator & opifex rerum.« (c. 25, t. 19, 93r) Für
Averroes waren sowohl der intellectus agens als auch der intellectus materialis abgetrennte Substan-
zen, wie wir an einer der genannten Stellen lesen können: »Et fuit necesse attribuere has duas actio-
nes in nobis animæ, scilicet recipere intellectum, & facere eum, quamvis agens & recipiens sint sub-
stantiæ æternæ …« (III 3 [5], t. 18, 161vD-E [439,71-75])
400
Vgl. Thomas, Scg II 76, in: Opera 13,2, 480: »Cum enim agens et recipiens sint proportionata,
oportet quod unicuique passivo respondeat proprium activum. Intellectus autem possibilis comparatur
ad agentem ut proprium passivum sive susceptivum ipsius: habet enim se ad eum agens sicut ars ad
materiam, ut dicitur in III de Anima. Si igitur intellectus possibilis est aliquid animae humanae, mul-
tiplicatum secundum multitudinem individuorum, ut ostensum est; et intellectus agens erit etiam eius-
modi, et non erit unus omnium … Si igitur intellectus possibilis sit pars animae et non sit substantia
separata, ut probatum est, intellectus agens, per cuius actiones fiunt species intelligibiles in ipso [sc.
intellectu possibili], non erit aliqua substantia separata, sed aliqua virtus activa animae.« Scg II 78, in:
A. a. O., 493: »Ex his manifeste habetur quod intellectus agens non sit substantia separata, sed magis
aliquid animæ …« A. a. O., 494: »Patet autem quod nec ex verbis Aristotelis haberi potest quod intel-
lectus agens sit quædam substantia separata: sed quod sit separatus hoc modo quo supra dixit de pos-
sibili, scilicet ut non habet organum.« STh I, q. 79, art. 4, in: Opera 5, 267: »Respondeo dicendum
quod intellectus agens de quo Philosophus loquitur, est aliquid animae.«
401
Coll. Conimbricense, III 5, q. 1, art. 2, 373: »Quòd verò hic intellectus non sit extra animam,
sed ei insitus ut naturalis eius potentia … demonstret præter alios D. Thomas … idemque à nobis
probatum fuit initio libri 2. huius operis.« Ebenso Toletus, III 5, q. 14, 143va-b: »… putat [sc. Tho-
mas] enim agentem intellectum esse animæ virtutem, & facultatem quandam, quæ cum phantasmate
species imprimit in possibili Intellectu.« Weiter unten heißt es: »Probabiliter Intellectus agens est
virtus animæ, & facultas re distincta à possibili.« (A. a. O., 144rb)
402
Vgl. a. a. O., 143vb: »Intellectus agens non est Deus. Hæc est contra Alexandrum quod & co-
natur Philoponus multis argumentis …«
403
Vgl. a. a. O., 144ra: »Intellectus agens non est substantia aliqua alia separata præter Deum.«

236
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

ieren. Toletus verwies für diese Ansicht insbesondere auf De An. III 5, 430a14, wo
Aristoteles den intellectus agens zur differentia animæ nostræ gezählt habe. Gott kön-
ne aber nicht Teil einer innerseelischen Differenzbestimmung sein, da er durch nichts
beschränkt werde. Auch sei er kein Habitus (430a15). Schließlich mache er nicht nur
die species intelligibiles erkennbar, sondern wirke schlechthin alles, sei die Ursache
alles Seins. Daher könne Aristoteles den intellectus agens nicht als Gott verstanden
haben.404
Portio und Zabarella hielten diese Ansicht, die sie im Kern auf Simplicius zurück-
führten, für vollkommen unvereinbar mit den Prinzipien der peripatetischen Philoso-
phie: »Aus keinem Grund ziemt es sich daher für einen Peripatetiker anzunehmen, daß
der tätige Geist und der Geist in Möglichkeit als eine Substanz Vermögen unserer See-
le sind«405, so Portio. Bei Zabarella heißt es ähnlich: »Alle Ansichten, mit denen man
behauptet, daß diese beiden Geister [sc. der passive und tätige Geist] eine Substanz
sind, sind falsch und können keineswegs mit den Prinzipien des Aristoteles überein-
stimmen.«406 Portio begründete seine Ansicht im Ausgang von der einleitenden Text-
stelle 430a10-14, die nur auf den ersten Blick das von den Jesuiten Behauptete anzeige,
nämlich daß 1. intellectus agens & intellectus possibilis Vermögen der Seele seien und
nicht von außen hinzukämen und 2. der intellectus possibilis wie der intellectus agens
ewig sei. Eine sorgfältige Interpretation von 430a17-19 zeige nämlich, daß zwischen
beiden eine ontologische Differenz walte, die zu einer anderen Bestimmung des intel-
lectus agens zwinge, da beiden die ihnen in De An. III 4 und 5 beigelegten Attribute
nicht auf dieselbe Weise zukämen, wie Portio in Übereinstimmung mit Zabarella be-
tont hat.407 Zwar würden beide unvermischt, inaffizierbar und abtrennbar genannt, dem
intellectus agens kämen diese Attribute aber in einem höheren Grade zu, weil das Ak-
tive immer nobler sei als das Passive (vgl. De An. III 5, 430a18f.). Die Trennungslinie
verlief dabei für Zabarella genau zwischen der epistemologischen und ontologischen
Ebene von De An. III 4 und 5: So ist der intellectus patiens gemäß III 4, 429a26f. se-
cundum operationem abgetrennt vom Organ. Der intellectus agens ist dagegen gemäß
III 5, 430a18 secundum esse abgetrennt vom Organ und ganzen Körper, da er eine
404
Vgl. a. a. O., 143vb: »Intellectus agens dicitur esse differentia animæ nostræ, unà cum possibi-
li: at Deus nullo modo est alicuius entis differentia, nec alicui generi limitatur: non ergo Intellectus
agens est Deus. … Iste Intellectus dicitur lumen & habitus, id est, forma: at Deus non est forma, nec
habitus alicuius, non ergo Aristoteles per agentem intellectum intelligit Deum.« Auffällig ist, daß
Toletus sich nicht mit der Bestimmung des intellectus agens als lumen auseinandersetzt. Denn das
Gott das Licht ist – wer würde dies bestreiten (vgl. Joh 1,5.7-9; Luk 2,32; 1. Tim 6,16 etc.)?
405
Portio, c. 6, 33: »Nulla itaque ratione decet philosophum Peripateticum asserere intellectum
agentem, & intellectum potentia esse unius substantiæ animi nostri facultates.«
406
Zabarella, De Mente agente, c. 10, 1022D: »Hæ omnes sententiæ, quibus statuitur hos duos in-
tellectus unam esse substantiam, falsæ sunt, & cum principiis Aristotelis minime convenire possunt
…«
407
Vgl. Portio, c. 21, 84: »Proinde in multis convenit [sc. intellectus agens] cum intellectu poten-
tia, attamen pluribus quoque ab eodem secernitur …« Zabarella, De Mente agente, c. 11, 1027A-B:
»… illæ conditiones alio modo agenti competant, alio patienti …«

237
De Anima

vollkommen abgetrennte substantia immaterialis und damit eine forma assistens ist.
Ferner wird der intellectus possibilis in 429a18 in seiner Tätigkeit als unvermischt mit
den intelligiblen Objekten und in 429a25f. als unvermischt mit einem Körperorgan bei
der Aufnahme der Form bestimmt. Der intellectus agens wird dagegen in 430a18 se-
cundum esse & operationem als vollkommen unvermischt mit einem Körper oder ei-
nem Körperteil bestimmt. Schließlich ist der intellectus possibilis gemäß 429a15 inaf-
fizierbar secundum operationem, da er nichts von den intelligiblen Gegenständen erlei-
det. Der intellectus agens ist dagegen gemäß 430a18 wiederum hinsichtlich seines
Seins vollkommen inaffizierbar, eben weil er ohne Materie ist. Für Zabarella kommen
damit dem intellectus patiens die genannten Bestimmungen nur zu, »insofern er bloße
Möglichkeit ist, und sie ergeben sich aus dem, was er im Affiziertwerden erkennt. Dem
tätigen Geist aber kommen sie zu, insofern er reine Wirklichkeit ist, und sie ergeben
sich aus dem, was er wirkt, und er ist dem Wesen nach seine Tätigkeit.«408 Anders als
beim intellectus possibilis gibt es also beim intellectus agens keine Differenz zwischen
Wesen und Tätigkeit: Sein Wesen ist seine Tätigkeit und umgekehrt. In bezug auf die
oben geführte Debatte um die forma informans bedeutet dies: Der intellectus possibilis
ist forma informans, der intellectus agens dagegen forma assistens.
»Wenn der leidende Geist die spezifische Form ist, wodurch der Mensch Mensch ist, dann über-
ragt jener [sc. der tätige Geist] die menschliche Natur, indem er alles im Menschen übersteigt
und vorzüglicher ist als der Mensch selbst. Er kann daher nicht die das Sein gebende Form sein,
weil keine höhere, das Sein gebende Form die letzte und spezifische Differenz übersteigen
kann; er übersteigt sie aber so, wie ein Schiffer das bereits gebaute Schiff übersteigt. Auf jegli-
che Weise muß man daher eingestehen, daß der tätige Geist nicht die Form eines Körpers ist,
sondern eine vollkommen immaterielle Substanz.«409

Was dies genauer bedeutet, ist weiter unten zu zeigen. Zuvor ist kurz Portios Position
darzustellen.
Für ihn ergab sich die Richtigkeit seiner Sichtweise aus 430a22f.: Wenn sich der in-
tellectus possibilis secundum operationem vom Körper abtrennen kann, dann kommt
dies dem intellectus agens im höheren Grade zu. Daher habe Aristoteles dort mit Be-
dacht hinzugefügt, daß der intellectus agens nur abgetrennt das sei, was er sei. Damit
habe er deutlich angezeigt, daß allein der intellectus agens secundum esse & operatio-
nem abgetrennt vom Körper ist, während die mens nostra bzw. der intellectus potentia
dies nur hinsichtlich der Tätigkeit vermag. Unter den Geistern »ist daher allein dieser
408
Zabarella, De Mente agente, c. 11, 1027 D-E: »nam patienti competunt [sc. conditiones], qua-
tenus est mera potestas, & inferuntur ex eo quod patiendo intelligit; agenti autem competunt, quate-
nus est purus actus, & inferuntur ex eo quod agit, & est per essentiam sua actio …« Vgl. auch ders.,
III [5], t. 19, 887D-888E.
409
Vgl. Zabarella, De Mente agente, c. 11, 1026A-B: »si intellectus patibilis est forma specifica,
qua homo est homo, ergo omne illi superveniens in homine, & excellentius ipso, excedit humanam
naturam, nec potest esse forma informans, quia nulla forma informans nobilior potest ultimæ ac spe-
cificæ differentiæ supervenire, sed ita superveniet, ut nauta supervenit navi iam constitutæ & for-
matæ: omnibus igitur modis fateri oportet intellectum agentem non esse alicuius corporis formam,
sed esse substantiam penitus immaterialem.«

238
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

[sc. intellectus agens] unsterblich und ewig.«410 Die von Toletus vorgebrachte Textstel-
le 430a13f., wonach Aristoteles den intellectus agens zur differentia animæ nostræ ge-
zählt, ihn folglich für ein Vermögen der menschlichen Seele gehalten habe, wird von
Portio mit dem einfachen Hinweis widerlegt, daß der Stagirite anders als beim intellec-
tus possibilis in 429a10 hier in 430a14 mit Bedacht von einem Unterschied (h( diafo-
ra/) und nicht von einem Teil (to\ mo/rion) gesprochen habe.411 Dies verdeutlichen für
ihn auch die Vergleiche mit der Kunst in 430a12 sowie mit dem Licht in a15-17, die
beide ein Wirken von außen anzeigen: Wie die Kunst einen Gegenstand von außen ge-
staltet, so auch der intellectus agens, wenn er das mögliche Intelligible wirklich intelli-
gibel macht und den intellectus possibilis so formt, daß er in Wirklichkeit erkennt. Fer-
ner ist er wie das Licht, das von außen her – es ist nämlich keine pars oculi – das Se-
hen überhaupt erst ermöglicht, von einem ewigen, lichthaften Körper ausgesandt wird
und damit von höchster und edelster Qualität ist. Diesem Licht entspricht nun der intel-
lectus agens mit seinen beiden genannten Funktionen, indem er das mögliche Intelligi-
ble sowie das Denken des Menschen gleichsam erhellt. Wie dies genauer geschieht,
wird weiter unten bei der Beschreibung der Funktion dieses intellectus agens deutli-
cher werden. Zunächst gilt es zu zeigen, wie Portio und Zabarella diesen intellectus
agens hinsichtlich seines Wesens genauer bestimmt haben.
Wie bereits erwähnt, hat Portio in seinen einleitenden Bemerkungen Alexanders An-
sicht kritisiert, wonach der intellectus agens Gott sei. Denn es sei nicht einsehbar, war-
um sich Gott mit uns, die wir vergänglich sind, vereinen sollte. Auf diese Schwierig-
keit kommt Portio im Locus De intellectu agente zurück. Als consensus aller Peripate-
tiker bestimmt er dort zunächst die Ansicht, daß eine »gewisse göttliche Kraft ausgesät
und in die materiellen Dinge eingestreut wird, durch welche die Dinge intelligibel wer-
den: welche Kraft Aristoteles abgetrennte und ewige Substanz nannte, Alexander
Gott«412. Gegen diese Bestimmung des intellectus agens als Gott oder eine andere hö-
here Intelligenz413 wendet Portio nun ein, daß dies nicht mit den Prinzipien des Aristo-
teles übereinstimmen könne. Denn was nur immer Gott unterhalb des Himmels in die-
ser Welt bewirke, das bewirke er indirekt durch die Bewegung und das Licht des
Himmels. Aus welchem Grunde daher Gott ohne jegliche vermittelnde Bewegung di-
rekt in den Menschen hineinwirken solle, sei schwer zu verstehen. Portio bewahrt da-

410
Portio, c. 21, 84: »Postremò inter intellectus, hic solus immortalis est, & perpetuus …«
411
Vgl. a. a. O., 85: »Est itaque intellectus agens differentia animæ nostræ, ut operatur; & huius
causa, consultò differentiam, & non partem dixit, de intellectu autem potentia, eum esse animæ par-
tem dixit, qua anima intelligit, & sapit …«
412
A. a. O., 87: »Congruum igitur erat, vim quandam divinam disseminari, & inspergi materiatis
rebus, qua res fierent intelligibiles: quam quidem virtutem Aristoteles vocavit substantiam separatam,
& æternam; Alexander Deum …«
413
Vgl. Pomponazzi, Tractatus de immortalitate animæ, c. 10, 132: »… unde ad rationem dicitur,
quod intellectus possibilis est secundum quid immortalis, sed ipse agens vere immortalis est, cum sit
una intelligentiarum; neque ipse est pars aliqua humanae animae, sicut Themistius et Averroes exi-
stimaverunt, sed tantum motor.«

239
De Anima

mit bis in die letzte Konsequenz hinein die naturwissenchaftlichen Prinzipien des Ari-
stoteles, nach denen es ein direktes Wirken (des heidnischen, nicht christlichen) Gottes
unterhalb des Himmels nicht geben könne. Daß dies dem fundamental widerspricht,
was die Hl. Schrift verkündet, liegt auf der Hand. Mit dieser Argumentationsweise
zeigt Portio demnach deutlich an, warum er sich selbst für einen echten peripatetischen
Naturphilosophen hielt: In der Philosophie ist allein aus philosophischen Gründen zu
argumentieren und die Theologie des Christentums unberücksichtigt zu lassen.
Wie man sich das Wirken dieser unbestimmten Kraft vorstellen muß, beschreibt
Portio wie folgt: Der von Gott bewegte Himmel teilt allen vergänglichen materiellen
Körpern die entsprechenden Formen mit. Eine Ausnahme hiervon bildet der intellectus
possibilis, der gleichsam ein instrumentum animæ ist: Ihm werden die intelligiblen
Formen nicht indirekt durch die Bewegung oder das Licht mitgeteilt; vielmehr sendet
der intellectus agens durch diese Formen, die wiederum für den intellectus possibilis
Instrumente sind, eine gewisse Kraft aus, durch welche jener in seinem Erkennen ver-
vollkommnet wird. Und diese Kraft, so betont Portio nochmals, nannte Aristoteles sub-
stantia in actu (bzw. intellectus agens), »die Gott, der den Dingen gegenwärtig ist, da-
mit sie vom Geistvermögen als intelligible aufgenommen werden können, fortwährend
schenkt.«414 Im nochmaligen Rückgriff auf den Vergleich des intellectus agens mit
dem Licht in 430a15 bedeutet dies: Die Kraft des intellectus agens ist dem Licht als
Substanz der immer präsenten Sonne vergleichbar, das uns von ihr entgegengeworfen
wird. Gott ist damit gleichsam die Sonne selbst: Wie er die Kraft für die Erkennbarkeit
der Welt ausssendet, so sendet die Sonne das Licht für die Sichtbarkeit der Welt aus.
Gott ist dergestalt »alles«415, wie Portio resümierend feststellt. In dieser spekulativen
Erkenntnistheorie ermöglicht also der (heidnische) Gott die Erkennbarkeit der Welt.
Nicht weniger unspekulativ, sich derselben Lichtmetaphorik bedienend ist Zabarel-
las Wesensbestimmung des intellectus agens, wobei er keinen Zweifel daran läßt, daß
dieser nicht bloß eine von Gott ausgehende Kraft ist, sondern Gott selbst:
»Weil also der tätige Geist nur eine der himmlischen Intelligenzen sein kann, die den Himmel
bewegen, welche von ihnen wird er sein? Die höchste, die Gott ist, oder eine von den anderen,
die zweite Intelligenzen genannt werden? Die Vernunft zwingt uns zu gestehen, daß allein die
erste diese Aufgabe verrichten kann.«416

414
Portio, c. 21, 88: »… hanc virtutem Aristoteles vocat substantiam in actu, quam semper Deus
præsens rebus, ut ab intellectu potentia recipi intelligibilia possint, elargitur …«
415
A. a. O., 88f.: »Ex his sic explicatis, iam rationi satisfieri potest, quare Deus omnia; quæ huic
mundo inferiori elargitur, motu, ac lumine tribuat, hoc enim intelligendum est de formis ac virtutibus,
quæ in materia naturali recipiuntur: sed virtutem in ipsis rebus dispersam qua res fiunt intellectæ;
materialibus, veluti in subiecto non recondit Deus: sed fiunt intellectæ ab hac virtute, ut in intellectu
potentia reconduntur.«
416
Zabarella, De Mente agente, c. 13, 1030F: »Quum igitur mens agens non possit esse nisi aliqua
cœlestium mentium, quæ cœlos movent, quænam ex eis erit intellectus agens? an suprema, quæ Deus
est, an aliqua ex aliis, quæ secundæ intelligentiæ appellantur? ratio nos cogit ut solam primam hoc
munere fungi posse fateamur …« Auch Cremonini vertrat diese Ansicht: »intelligibile nihil aliud est
quam prima causa, et Deus, quare intellectus agens erit Deus.« (Expositio in librum tertium de anima,

240
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

Als die prima intelligentia bewegt Gott nicht nur den Erd-, sondern den ganzen Him-
melskreis. Er ist die erste Ursache aller Dinge, alles lenkend, alles vollendend, alles
bewahrend in seiner umfassenden Kraft. Zur Stützung dieser These beruft sich Zaba-
rella zum einen auf Alexander und zum andern – und dies ist gewiß überraschend – auf
Platon. Wie für Portio, so ist auch für ihn dabei die Lichtmetaphorik von 430a15 von
besonderer Bedeutung. Dies wird anhand der beiden Textstellen von Alexander und
Platon deutlich, auf die der Paduaner in diesem Zusammenhang verweist.
1. Ausgangspunkt für die Bezugnahme auf Alexander ist dessen Bestimmung des
menschlichen Geistes als instrumentum intellectus divini417. Denn allein der menschli-
che Geist, so Zabarella, sei geeignet, das Licht des göttlichen Geistes aufzunehmen und
im Erkennen alles zu werden, womit sich die oben genannte These – der Geist ist nur
für den Geist – bestätigt. Alexander habe dies mit folgendem argumentum doctissi-
mum, efficacissimum & vere peripateticum erwiesen: Überall, wo es Substanz und Ak-
zidens gibt, ist es notwendig, daß das Akzidens seine Beschaffenheit von der Substanz
erhält. Denn diese ist das primum & maximum ens, das Akzidens dagegen bloß ein se-
cundum ens. So ist unter allen sichtbaren Dingen das Licht das erste Sichtbare. Das
Licht der Sonne ist aber das am meisten von allen Sichtbare und damit am meisten
Substanz, weil es alles andere sichtbar macht. Ebenso werden die der Möglichkeit nach
erkennbaren Dinge vom intellectus agens zu den der Wirklichkeit nach erkennbaren
Dingen gemacht, und dergestalt ist er das primum & maximum omnium intelligibile
und damit am meisten Substanz.418 Obgleich Alexander diesen intellectus agens selbst
nicht ausdrücklich Gott nannte, kann für Zabarella niemand anderes damit gemeint
sein, denn: »Am meisten von allen erkennbar ist aber Gott, und er ist das erste Erkenn-
bare in der Gattung der Intelligibilia. Also kann nichts anderes als tätiger Geist festge-
setzt werden als allein Gott.«419
_________________________________________________________________________________________________________
r
36 [Manuskript], abgedruckt in: Heinrich C. Kuhn, Venetischer Aristotelismus, 612). Zur Geistlehre
Cremoninis vgl. a. a. O., 186-243. Auch in der neueren Sekundärliteratur zu Aristoteles findet diese
Ansicht wieder vermehrt Anhänger. John Herman Randall beruft sich hierfür sogar explizit auf Zaba-
rella: »My own judgment is that the most probable answer arrived at by such a method is that of
Pomponazzi and Zabarella. It seems clear that for Aristotle the ‘active intellect’ must be something
that is more than merely human. It may well be ‘the greater’ or the cosmic ‘nous’ of Anaxagoras, to
whom Aristotle specifically refers throughout. Thus it is likely that as an Aristotelian interpretation
Thomas Aquinas’ is inaccurate. In any event, the ‘active intellect’ is quite impersonal: Aristotle lea-
ves non doubt on that score.« (Aristotle. New York 1960, 103) Vgl. ferner L. A. Kosman, What does
the Maker Mind Make?, in: Essays on Aristotle’s De anima, 343-358, hier: 353. Jonathan Lear, Ari-
stotle: the desire to understand. Cambridge 1988, 137. Anders dagegen Klaus Oehler, Lehre, 203.
417
Vgl. Alexander, De Anima II, 112,18-20 [45rb]: »o( ga\r h(me/teroj nou=j su/nqeto/j e)stin e)/k
te th=j duna/mewj, h(/tij o)/rgano/n e)sti tou= qei/ou nou=, o(\n duna/mei nou=n o( Ar
) isto-te/lhj kalei=
…« / »Noster enim intellectus compositus est, tum ex potestate, quæ est organum divini intellectus,
quem intellectum in potestate Aristoteles nominat …«
418
Vgl. 2.2.1., Anm. 57.
419
Zabarella, De Mente agente, c. 13, 1031E-F: »… maxime autem omnium intelligibilis Deus est,
& est primum in genere intelligibilium; ergo nil aliud statui potest intellectus agens nisi solus Deus
…«

241
De Anima

2. Daß auch Platon den intellectus agens als Gott bestimmt hat, belegt Zabarella mit
einem Hinweis auf das 6. Buch der Politeia, in dem zwischen den verschiedenen Sin-
nesvermögen differenziert wird (vgl. 507c-508e). So bedarf das Sehvermögen neben
der Farbe noch des Lichts, das die in Möglichkeit sichtbaren Dinge zu den in Wirk-
lichkeit sichtbaren Dingen macht. Als den Ursprung dieses Lichts bestimmte Platon die
Sonne, von der die Farbe ihre Sichtbarkeit und das Sehvermögen das Sehen hat, und
diese Sonne ist ein Sprößling des Guten, d. h. Gottes, wie Zabarella hinzufügt. Wie
also Gott das primum intelligibile ist, so die Sonne das primum sensibile, und wie sich
Gott in der intelligiblen Welt zum menschlichen Geist und Intelligiblen als derjenige
verhält, der alles erkennbar macht, so verhält sich die Sonne in der sichtbaren Welt
zum Sehvermögen und zu den sichtbaren Dingen als diejenige, die alles sichtbar
macht, wie Zabarella in deutlicher Affinität zu Portio formuliert. Sie sei die Ursache
sowohl des Sehvermögens, das nur aufgrund der Anwesenheit von Licht sehe, als auch
der sichtbaren Dinge, die nur aufgrund des Vorhandenseins von Licht sichtbar seien.
Gott wiederum sei die Ursache für die Existenz des menschlichen Geistes und aller
übrigen innerweltlichen Dinge, wie auch dafür, daß jener sie erkenne und diese über-
haupt erkennbar seien. Hieraus aber, so Zabarella, werde deutlich, »daß Platon Gott für
den wirkenden Geist gehalten hat und ihn mit dem Licht vergleicht, so daß angenom-
men werden kann, daß Aristoteles dies von Platon übernommen hat«420. Ein gewiß
überraschendes Ergebnis: Zabarella hält die aristotelische Psychologie aufgrund ihrer
ausgebildeten Lichtmetaphorik in ihrem Höhepunkt der Nous-Lehre für durch und
durch platonisch!421
420
A. a. O., 1032C: »manifestum igitur est Platonem existimasse Deum esse intellectum agentem,
& eum cum lumine comparasse, ita ut credi possit Aristotelem id à Platone accepisse …« Auch in
dieser Ansicht ist Randall Zabarella gefolgt: »But it [sc. the nous that makes all things] is a Platonic
metaphor into which all the great ‘Knowers’ – those who make sheer knowing their aim – seem to
fall in the end. It is a metaphor that points to facts. The ‘active intellect’ is clearly a Platonic myth,
like the very similar Platonic myth of Book Lambda of the Metaphysics.« (Aristotle, 104f.)
421
Nachfolgend versucht Zabarella auf nicht sehr überzeugende Weise zu zeigen, daß diese Be-
stimmung des intellectus agens als Gott auch von Thomas vertreten worden sei: »… inquit [sc. Tho-
mas] enim aliquos dixisse intellectum agentem esse quandam substantiam à materia abiunctam infe-
riorem Deo, aliquos vero existimasse Deum ipsum esse intellectum agentem. Priorem sententiam
inquit esse Catholicæ fidei repugnantem, & magnum eam sequi absurdum: quum enim cuiusque rei
perfectio in nobilissima eius operatione consistat; nobilissima autem nostra operatio sit coniunctio
animæ nostræ cum illo, à quo lumen recipit, esset perfectio nostra constituta in coniunctione cum alio
præter Deum, quod absurdum atque impium est: in hoc igitur Thomas nobis consentit. Alteram vero
sententiam, quod sit intellectus agens, non dicit esse Catholicæ fidei repugnantem, imo asserit quo-
rundam Catholicorum sententiam fuisse; Catholicos enim certe non nominaret, si impiam, & Catho-
licæ fidei adversantem esse eorum opinionem arbitraretur.« (De Mente agente, c. 14, 1033C-D) Auch
für Thomas müsse es oberhalb des menschlichen Geistes etwas geben, von dem seine Erkenntnis ab-
hänge, und da es neben Gott keine andere Intelligenz gebe, müsse er es sein, wie Thomas selbst unter
Berufung auf Alexander betont habe. Er selbst gestehe also zu, daß Gott als Erstursache alles erkenn-
bar mache, was gewiß wahr und notwendig sei, weil nämlich dasjenige das Ersterkannte sei, welches
das Übrige zu dem in Wirklichkeit Intelligiblen mache. Er weiche aber von Alexanders Ansicht ab,
indem er verneine, daß Gott der intellectus agens sei, weil Gott die causa universalis und damit der
menschlichen Erkenntnis inadäquat sei. Vielmehr habe Thomas geglaubt, daß die aktive Kraft des

242
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

Daß diese unterschiedliche Wesensbestimmung des intellectus agens bei den Jesui-
ten auf der einen und den italienischen Naturphilosophen auf der anderen Seite Aus-
wirkungen auf dessen Funktionsbestimmung im Rahmen des Erkenntnisprozesses hat,
liegt auf der Hand. Man kam zwar in der Benennung einer dreifachen Aufgabe des in-
tellectus agens überein – nämlich die Phantasmata zu erleuchten, den Gegenstand
wirklich intelligibel zu machen und im intellectus possibilis die intelligiblen Formen
hervorzubringen422 –, die nähere Ausführung wird aber zeigen, daß das unterschiedli-
che Verständnis des Wesens des intellectus agens Einfluß auf seine Funktion im Er-
kenntnisprozeß hat.
Als die allgemeinste Funktion des intellectus agens bestimmt Zabarella das Wirken
(agere), indem er etwas von der Möglichkeit in die Wirklichkeit bringt. Worin der in-
tellectus agens aber wirke und auf welche Weise, dies sei bei den Interpreten höchst
umstritten. Zabarella verweist in diesem Zusammenhang auf Thomas, für den der intel-
lectus agens in den Phantasmata wirkt423, und auf Simplicius, für den der intellectus
agens dagegen im intellectus possibilis ohne Einwirkung der Phantasmata wirkt424. Für
jene Ansicht gilt De An. III 5, 430a15-17 als Beleg, wo Aristoteles die Funktion des
intellectus agens mit dem Licht vergleicht: Das Licht macht die Farben, die in Mög-
lichkeit sind, zu Farben in Wirklichkeit. Wie aber das Licht nicht in den Augen wirkt,
sondern im farbigen Objekt, das es in die Wirklichkeit bringt, so wirkt der intellectus
agens in den Phantasmata, den Gegenständen des intellectus possibilis, nicht in ihm
selbst. Für die Ansicht des Simplicius wird dagegen 430a10-15 als Beleg genannt, wo
Aristoteles aus der Existenz des intellectus possibilis auf die des intellectus agens
schließe, der unmittelbar in ihm wirke. Für Zabarella ist nun weder die eine noch die
andere Ansicht vollkommen wahr, denn der intellectus agens verwandle die Phantas-
mata von möglichen Intelligiblen zu wirklichen Intelligiblen, d. h. er wirke nicht in ih-
nen, sondern im intellectus possibilis, wie gegen Thomas, und zwar mit ihnen, wie ge-
gen Simplicius betont werden müsse.425 Der intellectus agens wirke nämlich im intel-
lectus patiens nicht gleichsam losgelöst von den Phantasmata und schreibe ihm seine
_________________________________________________________________________________________________________

menschlichen Geistes der intellectus agens sei, die als von Gott erschaffene causa secunda die Vor-
stellungen zu dem in Wirklichkeit Erkennbaren mache. Dies sei aber, so Zabarella unter Verweis auf
das bisher Gesagte, falsch (vgl. a. a. O., 1034D-E).
422
Vgl. Coll. Conimbricense, III 5, q. 2, art. 1, 376: »Tria officia intellectui agenti à Peripateticis
tribuuntur. Primum est illustrare phantasmata. Secundum, efficere obiectum intelligibile actu. Terti-
um, producere in intellectu patiente species intelligibiles.« Für Zabarella wird dies das Nachfolgende
verdeutlichen. Portio erörtert diese Frage in seinem Traktat De Mente humana nicht umfassender
über das bisher Gesagte hinaus.
423
Vgl. Thomas, ScG II 77, in: Opera 5, 488: »Est igitur in anima intellectiva virtus activa in
phantasmata, faciens ea intelligibilia actu, et haec potentia animae vocatur intellectus agens.«
424
Vgl. Simplicius, 243,2f. [63vb]: »… o(moio/thta e)mfai/nei [sc. Aristoteles] pro\j to\n e)nergei/#
ta\ e)n t%= paqhtik%= n%= duna/mei gnwsta\ a)potelou=nta ei)/dh …« / »… hac ratione similitudinem
manifestat cum intellectu, qui actu perficit formas in passibili intellectu potestate cognoscibiles.«
425
Vgl. Zabarella, De Mente agente, c. 3, 1009F-1011D.

243
De Anima

Erkenntnis zu – wie aus De An. III 7, 431a16f. ersichtlich sei, erkenne der intellectus
patiens nicht ohne Phantasmata –, sondern er wirke als Intelligibles. Wie geschieht
dies?
»Er wirkt als ein mit den Phantasmata verbundener, so daß aus beiden ein vollkommener Ge-
genstand konstituiert wird, und dieser vermag im passiven Geist eine Form hervorzubringen.
Deshalb gibt es nur ein Wirkendes [in der Erkenntnis], das Phantasma selbst. Das Licht des tä-
tigen Geistes aber ist kein abgetrennt Wirkendes, sondern ist die Vollkommenheit des Phantas-
mas, die den vollkommenen Gegenstand konstituiert und den passiven Geist zu bewegen ver-
mag. Deswegen ist die Ansicht jener richtig, die sagen, daß der tätige Geist eher als Intelligibles
wirkt denn als Erkennendes.«426

Er wirkt als ein Intelligibles, weil er das der Möglichkeit nach intelligible Objekt zu
einem in Wirklichkeit intelligiblen macht, und als ein solcher ist er – wie bei Portio –
der Ermöglichungsgrund jeglicher Erkenntnis, d. h. er »(hat) die Aufgabe, Erkennen
überhaupt in seinem Unterschied zur sinnlichen Wahrnehmung möglich zu machen«427,
wie Kessler zu Recht betont. Wird nämlich, so Zabarella, der tätige Geist ein Wirken
als Intelligibles genannt, dann ist er der Grund für die Erkennbarkeit alles anderen und
die Wirklichkeit und die Vollkommenheit, durch die alles intelligibel wird. Und dies
geschieht, indem er alles unterscheidbar macht. Diese Form der Abstraktion sei der
vom intellectus patiens vollzogenen Abstraktion vorgängig, die sich beide wie folgt
unterschieden: Bei der ersten Abstraktion wird ein Gegenstand von einem anderen un-
terschieden (actus distinguendi rem à re), so daß beide als Unterschiedene sichtbar
werden. Bei der zweiten Abstraktion wird ein von einem anderen Gegenstand bereits
abstrahierter Gegenstand aufgefaßt und begriffen (actus accipiendi unam rem dimissis
aliis). Beide Abstraktionsprozesse werden nun nicht von ein und demselben Geist rea-
lisiert, sondern der eine ist Aufgabe des intellectus agens, der andere die des intellectus
possibilis:
»Wenn das Abstrahieren das Auffassen eines Dings ist, das von anderen abgezogen worden ist,
dann ist dies gewiß nicht die Aufgabe des tätigen Geistes, sondern des passiven. Denn dieser
erkennt das im Phantasma hervorleuchtende Wesen, und er nimmt es ohne die Bedingungen der
Materie auf und ohne das, was im Phantasma ist. Dies wird von anderen ‘abstrahieren’ genannt.
Dies könnte er aber nicht tun, wenn nicht vorher alles im Phantasma als Unterschiedenes er-
scheinen würde, eine Unterscheidung, die das Werk des tätigen Geistes ist.«428

426
A. a. O., c. 4, 1012A-B: »agit igitur ut iunctus phantasmatibus, ita ut ex utrisque unum consti-
tuatur obiectum perfectum, & potens in intellectu patibili speciem producere: quare unum tantum est
agens, ipsum phantasma, lumen vero intellectus agentis non est agens separatum, sed est perfectio
phantasmatis, quæ constituit obiectum perfectum, & potens movere intellectum patibilem. Ideo recta
est illorum sententia, qui dicunt intellectum agentem esse agentem ut intelligibilem potius, quam ut
intelligentem.«
427
Eckhard Kessler, Psychologie, 563f.
428
Zabarella, De Mente agente, c. 6, 1017D-E: »… quia si abstrahere est accipere unum dimissis
aliis, certe non intellectus agentis officium est, sed patientis, hic enim quidditatem intelligit in phan-
tasmate emicantem, & eam accipit absque conditionibus materiæ, & absque aliis, quæ in eo phantas-

244
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

Der tätige Geist macht also die Welt intelligibel, indem er alles unterscheidbar macht,
indem er alles, was im Phantasma ist, illuminiert und dadurch als Unterschiedenes
sichtbar macht. Nur weil also alles (schon immer) unterscheidbar ist, kann der intellec-
tus possibilis überhaupt das eine vom anderen unterscheiden.
Wie kann das Abstrahieren aber eine Tätigkeit des intellectus possibilis sein, sofern
doch seine Weise des Erkennens von Aristoteles als ein pasxei=n (De An. III 4,
429b24f.) bestimmt worden ist? Gegen diesen Einwand der Averroisten verwies Zaba-
rella auf die Dialektik des Erkennens, das passiv und aktiv verläuft:
»Man muß verneinen, daß die Funktion des passiven Geistes allein das Erleiden ist. Mag auch
Aristoteles gesagt haben, daß das Erkennen ein Erleiden ist, weil es in Hinsicht auf den Ur-
sprung ein Erleiden ist und weil wir leichter durch das Erleiden als durch das Tätigsein zur Er-
kenntnis seiner Natur geführt werden, so ist dennoch das Erkennen auch ein Tätigsein. Denn
das Erkennen besteht nicht nur in der Aufnahme der Formen, die ein Erleiden ist, sondern auch
in ihrer Beurteilung, die ein Tätigsein ist …«429

Auch die Funktion des intellectus possibilis ist also ein agere. Daß man hieraus
gleichwohl nicht auf eine Subjektivierung des Erkenntnisprozesses schließen kann, wie
dies Kessler behauptet hat430, wird im Zusammenhang mit der Klärung der Modi des
Wissens deutlich werden (vgl. 3.3.7.1.).
Diese transzendente Dimension, in der Gott als intellectus agens der Ermögli-
chungsgrund jeglicher Erkenntnis ist, findet sich bei den Conimbricensern nicht. So-
fern nämlich der intellectus agens ein Vermögen der menschlichen Seele ist, kann er
nicht das Erkennen als Erkennen sicherstellen, sondern ist Teil des innerseelischen Er-
kenntnisprozesses. Daher verstanden die Conimbricenser seine oben genannten drei
Funktionen wie folgt: Seine erste Aufgabe besteht darin, die Phantasmata zu erleuch-
ten. Dies geschieht nun nicht auf die Weise, daß er ihnen eine Qualität einprägt, wie
Thomas behauptet hat, denn dann müßte das, was er einprägt, entweder geistig oder
körperlich sein. Beides sei aber unmöglich, wie Durandus gezeigt habe. Wenn die spe-
cies impressa nämlich geistig wäre, dann könnte sie nicht vom Körper aufgenommen
werden, und wenn körperlich, dann könnte das Phantasma keine immaterielle Qualität
sein. Aber auch Cajetans Ansicht, wonach der intellectus agens das Phantasma objek-
tiv erleuchte, indem er sich zu ihm verhalte wie das Licht der Sonne zur Farbe (im Sin-
ne Zabarellas also als Ermöglichungsgrund von Erkennbarkeit überhaupt), sei falsch,
weil unklar bliebe, was er bewirke, wenn er weder im Phantasma noch mit ihm wirke.
Vielmehr illuminiere er effectivè, indem er das Phantasma anrege zur Hervorbringung
_________________________________________________________________________________________________________

mate sunt, & sic eam ab aliis abstrahere dicitur: at facere id non posset, nisi prius omnia in phantas-
mate distincta apparent, quæ distinctio est opus intellectus agentis …»
429
A. a. O., c. 7, 1018F-1019A: »… sed negandum esse, patibilis intellectus officium esse solum
pati, quia licet Aristoteles dixerit intelligere esse pati, quia secundum originem est pati, & facilius ad
cognoscendam eius naturam ducimur per pati, quam per agere, tamen intelligere est etiam agere; nam
cognoscere non in sola specierum receptione, quæ passio est, consistit, sed etiam in receptarum iudi-
catione, quæ est actio …«
430
Vgl. 1.2, Anm. 101.

245
De Anima

der species intelligibiles.431 Was man sich hierunter genauer vorzustellen hat, bleibt
jedoch unklar. Die zweite Funktion des intellectus agens besteht für die Conimbricen-
ser darin, den Gegenstand in Wirklichkeit intelligibel zu machen. Wie nämlich der in-
tellectus possibilis an sich nur in Möglichkeit alles Erkannte ist, so ist das Intelligible
auch nur an sich in Möglichkeit und muß erst vom intellectus agens zu einem in Wirk-
lichkeit Intelligiblen gemacht werden. Dies geschieht, indem der intellectus agens zu-
sammen, wie mit Zabarella und gegen Thomas betont wird, mit dem von ihm erleuch-
teten Phantasma die species intelligibilis des zu erkennenden Gegenstandes im intellec-
tus possibilis hervorbringt, was zugleich die dritte Funktion des intellectus agens kenn-
zeichnet. Auch hier betonen die Conimbricenser abschließend nochmals, daß die spe-
cies intelligibiles nichts anderes sind als Repräsentationen des Gegenstandes.432

3.3.6. Debatten um die Unsterblichkeit der menschlichen Seele

Es gibt wohl kaum eine Frage, die von den Theologen und Philosophen bis in die Neu-
zeit hinein heftiger diskutiert worden ist als die nach der Unsterblichkeit der menschli-
chen Seele. Pluta hat gezeigt, daß diese Frage »im späten Mittelalter zu den meistdis-
kutierten und meistumkämpften Themen (gehörte)«433. Die Dogmatisierung der Un-
sterblichkeit der menschlichen Seele auf dem 5. Laterankonzil von 1513 zeigt an, daß
dieses Problem auch noch in der Renaissance von besonderem Interesse war. Der
Grund hierfür dürfte nicht zuletzt im Wirken solcher Philosophen wie Pomponazzi ge-
legen haben, der unter Berufung auf Aristoteles die menschliche Seele essentialiter et
vere für sterblich und nur in gewisser Weise (secundum quid) für unsterblich gehalten
hat.434 Er begründete dies insbesondere damit, daß das Erkennen nicht ohne Phantas-

431
Vgl. Coll. Conimbricense, III 5, q. 2, art. 1, 376-8.
432
Vgl. a. a. O., art. 2, 379: »Quo patet reddere obiectum intelligibile actu, nihil esse aliud, quàm
efficere ut obiectum repræsententur in specie intelligibile. Quod intellectus agens præstat, dum unà
cum phantasmate illustrato producit speciem rei intelligendæ in intellectum patientem.«
433
Olaf Pluta, Kritiker der Unsterblichkeitsdoktrin in Mittelalter und Renaissance. Amsterdam
1986, 2.
434
Vgl. Pomponazzi, Tractatus de immortalitate animæ, c. 9, 78: »Cum itaque primus modus po-
nens intellectivum realiter distingui a sensitivo in mortalibus secundum omnes impugnatus sit modos
et secundus ponens, quod intellectivum et sensitivum sunt idem re et tale est simpliciter immortale et
secundum quid mortale, sit valde ambiguus nec convenire videatur Aristoteli, reliquum est, ut pona-
mus ultimum modum, qui ponens sensitivum in homine identificari intellectivo dicit, quod essentiali-
ter et vere hoc est mortale, sed secundum quid immortale.« A. a. O., 88: »Quare anima humana apud
Aristotelem absolute pronuntianda est mortalis. Verum cum sit media inter abstracta simpliciter et
immersa materiae, quoquo modo de immortalitate participat, quod et sua essentialis operatio ostendit.
Nam non dependet a corpore tamquam subiecto, in quo convenit cum intelligentiis et differt a bestiis;
et indiget corpore ut obiecto, in quo convenit cum bestiis. Quare et mortalis est.« Zu dieser Lehre vgl.
Olaf Pluta, Kritiker der Unsterblichkeitsdoktrin, 50-65, sowie die Einleitung von Burkhard Mojsisch
zur lateinisch-deutschen Ausgabe des Tractatus de immortalitate animae, IX-XXVIII.

246
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

mata geschieht (vgl. De An. III 3, 427b14f., III 7, 431a16f., III 8, 432a6-10). Hieraus
ergab sich für ihn, daß die Geistseele secundum operationem nicht ohne Körper sein
kann. Wäre sie nämlich von ihm abtrennbar (und unsterblich), dann würde sie entwe-
der keine Tätigkeit ausüben und wäre funktionslos, oder sie würde eine Tätigkeit aus-
üben, wäre dabei aber ohne Vorstellung tätig, was der Ansicht des Aristoteles wider-
spreche. Folglich sei sie als forma informans sterblich, während sie nur secundum ope-
rationem in gewisser Weise unsterblich sei, da sie nicht vom Körper als einem
Zugrundeliegenden abhängig sei, denn sie erkenne – anders als die Sinneswahrneh-
mung, die der Augen, Ohren etc. bedarf – ohne Organ.435 Daß diese Frage nach der Un-
sterblichkeit auch nach der Pomponazzi-Affäre keineswegs »von eher peripherer Be-
deutung«436 war, wie Kessler merkwürdigerweise behauptet, sondern bis ins weit ins
17. Jh. hinein die Debatten bestimmte, wird in diesem Abschnitt wie auch weiter unten
im Zusammenhang mit der lutherischen Schulphilosophie (vgl. 4.2.2.1.) deutlich wer-
den.437
In einem ersten Schritt ist zunächst die Position der Jesuiten in dieser Frage zu erläu-
tern. Wie gesehen, hat Toletus in seiner 10. These der Propositiones aliquot alle natür-
lichen Gründe, die gegen das Dogma von der Unsterblichkeit der menschlichen Seele
stehen, für sophistisch, nichtig und auflösbar erklärt.438 Im Anschluß an den Kommen-
tar zu De An. III 5, 430a25 nahm er diesen Themenkomplex auf zweifache Weise in
den Blick: Zum einen secundum Aristotelem und zum andern secundum philosophi-
am.439 Nicht anders verfuhren die Conimbricenser, die den Locus De immortalitate

435
Vgl. Pomponazzi, Tractatus, c. 9, 90-98. Erst im letzten Kapitel seiner Schrift relativierte Pom-
ponazzi seine Ansicht dahingehend, daß er die Frage nach der Unsterblichkeit der Seele aus philoso-
phischer Sicht als ein neutrum problema bezeichnet, das nur von Gott gelöst werden könne und in der
Hl. Schrift auch gelöst worden sei, weshalb die Unsterblichkeit der Seele aus theologischer Sicht ge-
wiß sei (a. a. O., c. 15, 228ff.).
436
Eckhard Kessler, Psychologie, 549.
437
Vgl. hierzu auch Emily Michael, Nature and Influence, 67f.: »The immortality controversy rai-
sed at Padua, where a denial of the soul’s immortality was associated, in particular, with Pietro Pom-
ponazzi, raged throughout the sixteenth century … For the next century and a half [sc. nach dem La-
terankonzil von 1513], personal immortality was viewed as a critical and pressing philosophical pro-
blem, and was routinely considered in the discussion of the human psychology in courses and works
on natural philosophy and medicine.« Michael verweist dort auf mehr als zwei Dutzend Traktate von
Genua bis More, die sich ausschließlich mit dieser Frage beschäftigt haben (a. a. O., 88f.). Selbst für
den Begründer der Philosophie der Subjektivität, Descartes, war diese Frage nicht obsolet, wie sein
Widmungsbrief der Meditationes de prima philosophia von 1641 an die theologische Fakultät der
Sorbonne bezeugt: »Semper existimavi duas quæstiones, de Deo et de Anima, præcipuas esse ex iis
quæ Philosophiæ potius quàm Theologiæ ope sunt demonstrandae [sic!]: nam quamvis nobis fideli-
bus animam humanam cum corpore non interire, Deumque existere, fide credere sufficiat, certe infi-
delibus nulla religio, nec fere etiam ulla moralis virtus, videtur posse persuaderi, nisi prius illis ista
duo ratione naturali probentur.« (AT VII, 1,7-2,4)
438
Vgl. 3.1.1., Anm. 75.
439
Vgl. Toletus, III 5, q. 15, 144vb: »An rationalis Anima sit immortalis secundum Aristotelem.«
A. a. O., q. 16, 148va: »An secundum philosophiam anima rationalis sit immortalis.«

247
De Anima

animæ für so bedeutsam hielten, daß sie eigens einen Tractatus de anima separata ver-
faßten, der als Anhang des Commentarius in tres libros de anima abgedruckt worden
ist.440 Zur Begründung verwies man im Proœmium dieser Abhandlung darauf, daß Ari-
stoteles sich in seiner Schrift De Anima über die anima separata nicht geäußert habe,
ihr Verständnis aber für den Theologen und Philosophen gleichermaßen notwendig
und nützlich sei. Obgleich eher ein Gegenstand des Metaphysikers als des Naturwis-
senschaftlers, werde sie hier gleichwohl aus Gründen der Vollständigkeit erörtert.441
Für den vorliegenden Zusammenhang genügt es, die Argumente secundum Aristotelem
in den Blick zu nehmen.442 Diese werden jeweils, soweit möglich, mit den entgegen-
stehenden Interpretationen von Portio und Zabarella konfrontiert, deren Position – die
Unmöglichkeit des Erweises der Unsterblichkeit der Seele von Aristoteles her und da-
mit die These von ihrer Sterblichkeit – in einem zweiten Schritt ausführlicher darzu-
stellen ist.
Toletus begann seine Erörterung mit einer Erinnerung an zwei wesentliche Topoi
des thomistischen (und in diesem Falle auch alexandrinischen) Aristotelismus: Die
Geistseele ist forma informans, und sie ist nicht eine in allen Menschen, sondern ver-

440
Coll. Conimbricense, Tractatus de anima separata [zukünftig: Tractatus], 500: »Disputatio pri-
ma. De immortalitate, & natura Animæ rationalis. Art. 1. Diversæ philosophorum veterum sententiæ
circa animæ immortalitatem.« A. a. O., art. 2, 501: »Quid Aristoteles in re proposita iudicarit.« A. a.
O., art. 3, 505: »Animam rationalem immortalem esse naturali lumine demonstratur.«
441
Vgl. a. a. O., 499 (Proœmium): »Quoniam Aristotelis libris superioribus nihil de anima separata
disseruit, de qua multæ, ac graves quæstiones inter Philosophos, Theologosque versantur, quarum
explicatio, & intelligentia non minus necessaria, quam iucunda est: operæ pretium duximus eam dis-
putationem in præsenti suscipere, licet enim consideratio eorum, quæ ad animam præcisè, ut extra
corpus est spectant, Metaphysici potius, quam Physiologi sit, ut in primi libri proœmio commonui-
mus, quia tamen scientia de anima sine hoc quasi supplemento absolutionem suam adipisci non pote-
rat, fortasseque in libris primæ Philosophiæ apud Aristotelem commentatio hæc non adeo opportu-
num locum habet, istiusmodi tractationem superioribus libris potius attexere, quam illuc reijcere sta-
tuimus.«
442
Toletus benannte für den Erweis der Unsterblichkeit der menschlichen Seele secundum philo-
sophiam mehr als 60 Gründe, die naturwissenschaftlicher, metaphysischer oder ethischer Art sind.
Dies geschah in folgender Anordnung: »Sit igitur prima conclusio. Animam rationalem esse immorta-
lem, etiam ratione naturali ostenditur. … Primum ergo id ostendemus, ex potentiarum animæ capaci-
tate infinita & obiecto. Et primò quidem, Intellectus, deinde secundò, voluntatis. Rursus tertiò, ex
appetitibus animæ varijs à natura insitis. Quartò, & quintò, ex operibus eius à corpore separatis, tam
voluntatis, quàm Intellectus. Sextò ex generatione animæ, & causis corruptionum, quæ in anima ra-
tionali esse non possunt. Septimò, ex convenientia eiusdem animæ rationalis cum Angelis, & Deo.
Octavò, ex premio, & pœna bonis malisque debitis. Nonò ex fine ultimo & beatitudine nostra, quæ in
hac vita esse non potest. Decimò, ex varijs virtutibus, & earum actionibus, quæ perirent: & vitijs, quæ
contra sequerentur. Undecimò, ex pugnantia sensus cum ratione, & contra. Duodecimò, ex maiori
omnium Rerumpublicarum, imò omnium ferè hominum consensu. Tertiodecimò, ex maiori denique
utilitate, securitate, & decentia huius opinionis, quàm contrarie.« (III 5, q. 16, 149ra) Die Conimbri-
censer begnügten sich mit der Angabe von acht ebenfalls physikalischen, metaphysischen und ethi-
schen Gründen (vgl. Tractatus, disp. 1, art. 3, 505-511).

248
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

vielfältigbar gemäß der Anzahl der Individuen.443 Genau diese Bestimmung der Geist-
seele als forma informans führt nun aber im Zusammenhang mit der Frage nach ihrer
Unsterblichkeit zu einem Problem, auf das bereits mehrfach hingewiesen worden ist:
Je enger das Verhältnis von Körper und Seele ontologisch und epistemologisch be-
stimmt wird – also secundum esse als forma informans und secundum operationem als
Abhängigkeit des Erkennens von der Vorstellung, die in der körperlichen Wahrneh-
mung gründet –, desto schwieriger ist einzusehen, wie die Seele nach der Trennung
vom Körper noch weiterleben könnte. Wie gesehen, war genau dies die Position von
Alexander, Luther und Pomponazzi.
Die Jesuiten verschwiegen nun diese beiden »major difficulties«444 nicht, hielten sie
aber, wie auch die übrigen Einwände, die physikalischer und metaphysischer Natur
sind, für auflösbar und damit für erweisbar, daß secundum Aristotelem die »Geistseele
nicht vergeht, wenn der Körper vergeht«445. Von besonderer Bedeutung war hierbei
natürlich der Aufweis, daß die Geistseele als forma informans zugleich forma assistens
ist. Die Conimbricenser formulierten diesen Sachverhalt wie folgt: »Die Denkseele ist
eine in sich gründende geistige Substanz. Also ist sie unsterblich.«446 Was bereits die
nähere Bestimmung des intellectus possibilis secundum operationem erwiesen hat,
nämlich die philosophische Bestätigung der theologischen Definition der Geistseele als
substantia spiritualis durch den Erweis des Nous als substantia separata secundum
quid (vgl. 3.3.3.), ist nun auch secundum esse von der (aristotelischen) Philosophie her
aufzuzeigen. Anders formuliert: Es kommt bei den Jesuiten zu einer Zusammenfüh-
rung des theologischen Geschehens der transzendenten Geistwerdung (als pneu=ma,
spiritus) in Gott mit dem philosophischen Geschehen des ontologisch-
epistemologischen Geistseins (als nou=j, intellectus) des Menschen gemäß De An. III 4
und 5. Damit wird nun nichts anderes als seine Sonderstellung coram Deo betont. Für
einen Philosophen wie Pomponazzi war dies natürlich ein willkürlicher Akt, der mit
einem Philosophieren aus Gründen nichts mehr zu tun hatte.447 Aus rein philosophi-

443
Vgl. Toletus, III 5, q. 15, 144vb: »Sed, antequam ad controversiam accedam, illud unum sup-
ponendum est, quod aliàs pro viribus in Aristotele manifestavimus, Animam intellectivam formam
esse dantem Esse; nec unam in omnibus hominibus, sed plures.«
444
C. F. Fowler, Descartes, 87.
445
Toletus, III 5, q. 15, 145rb: »Animam rationalem non destrui, destructo corpore, Aristoteles do-
cet: & oppositum est contra ipsius doctrinam.« Die Conimbricenser führten diese Position auf Theo-
phrast zurück, »qui cum tot annos Aristotelem in Lycæo deambulantem audierit, credibile omnino est
sæpè hæc de re cum eo fuisse commentatum, ac quid sentiret, cognovisse.« (Tractatus, disp. 1, art. 2,
502)
446
Vgl. a. a. O., art. 3, 505: »Anima rationalis est substantia, per se subsistens, & spiritualis. Ergo
est immortalis.« Damit bestätigt sich die oben genannte These (vgl. 3.3.2.), daß die Bestimmung der
Seele als geistige Substanz ihre Unsterblichkeit sichert.
447
Vgl. Pomponazzi, Tractatus, c. 8, 68-70: »Tertium dictum est, quod talis anima est vere forma
hominis et non tantum ut motor. Huic quidem dicto ego consentio, si ponitur materialis; verumtamen
si ponitur immaterialis, ut ipse [sc. Thomas] dicit, non videtur esse notum. Oportet enim talem essen-

249
De Anima

scher Sicht gewiß ein richtiger Einwand – nur widerspricht diese Ansicht dem christli-
chen Glauben, der hier für die Jesuiten verbindlich ist, nach dem der Mensch ein Ge-
schöpf Gottes ist, dem damit eine Sonderstellung zukommt. Mit Pomponazzi ist aber
wiederum kritisch zu fragen: Kann so secundum Aristotelem argumentiert werden?
Um diese Frage zu beantworten, gilt es, diejenigen Argumente der Jesuiten kritisch
in den Blick zu nehmen, die sich auf Textstellen des corpus Aristotelicum beziehen,
und dagegen die Äußerungen von Portio und Zabarella zu setzen. Dabei wird sich zei-
gen, daß sich die Jesuiten für ihre Ansicht erstaunlicherweise auf dieselben Textstellen
berufen haben, die Averroes für seine These von der Bestimmung der anima rationalis
als forma assistens angeführt hat (vgl. 3.3.1.1.). Vor diesem Hintergrund wird die Wi-
dersprüchlichkeit der Position der Jesuiten mehr als deutlich, die mit ihrer doppelten
Bestimmung der Seele als forma informans & substantia spiritualis teils alexandri-
nisch, teils averroistisch und damit insgesamt thomistisch argumentierten.
1. Für Toletus ergibt sich aus De An. I 4, 408b18-29 »klar und deutlich die Unsterb-
lichkeit des intellektiven Teils [der Seele]«448. Auch für die Conimbricenser nennt Ari-
stoteles hier »unseren Geist göttlich und ohne Anteil am Sterben und Erleiden«449.
Auch wenn sich bei Portio und Zabarella kein Nachweis zu dieser Stelle finden ließ, ist
klar, daß beide diese Interpretation abgelehnt hätten. Denn der Kontext zeigt deutlich
an, daß Aristoteles hier nichts Gewisses vom Geist ausgesagt, sondern in der Form ei-
nes Zweifels gesprochen hat: Der Nous scheint (e)/oiken, b18) als eine gewisse Substanz
von außen einzutreten und nicht zu vergehen. Auf welche Weise er etwas Göttlicheres
ist und inaffizierbar, müßte erst noch erwiesen werden. Folglich kann diese Textstelle
nicht als ein Beleg für die Unsterblichkeit der Seele angeführt werden.
2. Toletus und die Conimbricenser verweisen ferner auf De An. II 1, 413a6f., wo es
heißt, daß einige Teile der Seele abtrennbar sind, weil sie von keinem Körper die Voll-
endung sind. Während nämlich die organischen Vermögen (wie die vegetativen und
sinnlichen) secundum esse vom Körper nicht abtrennbar sind, weil sie ihn zur Aus-
übung ihrer Funktionen bedürfen, vermag dies der Geist, weil er ohne Organ ist, wie
Toletus unter Berufung auf Simplicius, Themistius, Thomas, aber auch Alexander be-
tont.450 Insbesondere aus dem Kommentar der Conimbricenser zu dieser Stelle wird
_________________________________________________________________________________________________________

tiam esse hoc aliquid et per se stans. Quomodo igitur fieri poterit, ut sit actus et perfectio materiae,
cum tale, scilicet actus materiae, sit, non quod est, sed quo aliquid est … Quodsi dicitur hoc esse pe-
culiare animae intellectivae, hoc est valde suspectum et voluntarie dictum.«
448
Toletus, III 5, q. 15, 145va: »Primum sit ex 1. de anima text. 66 ubi dicit, quod amare, cogitare,
& similia destruuntur cum corpore: at intellectus divinum quid & impassibile est. Vide clarè immorta-
litatem intellectivæ partis.«
449
Coll. Conimbricense, Tractatus, disp. 1, art. 2, 503: »Nam 1. de anima cap. 4. text. 65. & 66.
appellat intellectum nostrum divinum, interitus, & passionis expertem.«
450
Vgl. Toletus, II 1, t. 11, 39ra: »Altera expositio Simplicij, Themistij, Alexandri, S. Thomæ,
Caietani & aliorum, quòd per partes intelligat potentias, sitque sermo de anima humana, ut, quantum
ad aliquas potentias, sit inseparabilis, id est organicas, quales sunt sensitivæ, & vegetativæ: quantum
ad alias, sit separabilis, quia non sunt organicæ, scilicet secundum Intellectum … Et hoc etiam con-

250
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

erneut die doppelte alexandrinisch-averroistische Bestimmung der anima rationalis als


forma informans und als forma assistens deutlich:
»Weil er [sc. Aristoteles] die Seele als Vollendung des Körpers definiert hat, könnte vielleicht
jemand aufgrund dessen meinen, daß die Seele keinesfalls vom Körper abtrennbar ist. Dabei
zeigt sich, daß dies hinsichtlich einiger Teile der Seele deutlich ist, die ohne Zweifel so sehr die
Vollendung des Körpers sind, daß sie vollkommen der Materie unterworfen und mit ihr verwo-
ben sind; nichts verhindert jedoch, daß einige [andere Teile] so sehr von der Materie befreit
sind, daß sie außerhalb ihrer bestehen können.«451

Im Tractatus haben die Conimbricenser diese Textstelle als einen weiteren Beleg für
die Unsterblichkeit der Seele benannt452, denn was secundum esse vom Körper ab-
trennbar sei, das sei auch unsterblich. Wie gesehen (vgl. 3.3.1.1.), hat Zabarella jedoch
bereits gegen Averroes betont, daß diese Textstelle nicht als eine ontologische Be-
schreibung des Nous zu verstehen ist – denn er ist ja, wie auch die Jesuiten zugestehen,
forma informans –, sondern als eine epistemologische Bestimmung: Fraglich ist hier
also allein, ob der Nous vom Körper abtrennbar ist, insofern er hinsichtlich des Den-
kens keines Organs bedarf. Gleichwohl ist er ja in einem Körper.
3. Als weiteres Zeugnis für ihre These verwiesen die Jesuiten ferner auf De An. II 2,
413b24-27. In ihrer Auseinandersetzung mit Averroes um die Bestimmung der Seele
als forma informans hatten sie diese Textstelle dahingehend verstanden, daß Aristote-
les hier nicht zweifelnd von der Abtrennbarkeit des Nous vom Körper secundum esse
gesprochen habe, sondern zustimmend. Hieraus ergab sich für sie die Unsterblichkeit
der Seele (vgl. 3.3.1.1.). Diese Einschätzung wird von ihnen hier im Locus De immor-
talitate animæ bestätigt.453 Doch auch hier gilt, was bereits Luther (vgl. 2.2.2.) sowie
Portio und Zabarella in ihrer Auseinandersetzung mit Averroes zu dieser Stelle vorge-
bracht haben: Es kann nicht mehr entnommen werden, als geschrieben steht (‘es ist
noch nicht deutlich etc.’).
4. Locus classicus der These für die Unsterblichkeit der menschlichen Seele war für
die Jesuiten jedoch De An. III 5, 430a22f., wo Aristoteles, so Toletus, »sagt, daß der
_________________________________________________________________________________________________________

firmatur …« Die Berufung auf Alexander ist nicht gerechtfertigt, da er die Abtrennbarkeit des nou=j
u(liko/j secundum esse gerade abgelehnt hat, wie gezeigt worden ist (vgl. 2.2.1.).
451
Coll. Conimbricense, II 1, 53: »Quia animam corporis actum definierat posset ex eo quispiam
fortasse opinari, animam neutiquam esse à corpore separabilem. Occurrit igitur, manifestum id qui-
dem esse, quoad aliquas animæ partes, quæ nimirum ita sunt actus corporis ut materiæ prorsus ad-
dictæ, affixæque sint, nihil tamen obstare, quominus aliquæ ita sint à materia liberæ, ut extra illam
cohærere valeant.«
452
Vgl. Coll. Conimbricense, Tractatus, disp. 1, art. 2, 503: »In 2. item lib. cap. 1. t. 11. ait [sc.
Aristoteles] nihil obstare, quominus aliquæ partes animæ separabiles sint, quia nullius corporis sunt
actus.«
453
Vgl. Toletus, III 5, q. 15, 145va: »Secundum ex 2. de anima text. 21. Intellectum aliud genus
animæ esse dicit à sensitivo, & vegetativo, & id posse ab his separari, sicut perpetuum à corruptibili.«
Coll. Conimbricense, Tractatus, disp. 1, art. 2, 503: »Et cap. 2. text. 21 ait intellectum, qui speculatur,
esse aliud quoddam genus animæ à sentiente, & vegetante distinctum, quod perinde, atque perpetuum
ab eo, quod occidit, seiungi, separarique possit.«

251
De Anima

Geist in Wirklichkeit, mit dem wir denken, hinsichtlich der Tätigkeit nach dem Körper
nicht verbleibt, dennoch an sich selbst und seinem Sein nach unsterblich ist.«454 Dieser
Interpretation lag natürlich die Annahme zugrunde, daß der intellectus agens ein Ver-
mögen der menschlichen Seele ist. Es ist aber im vorangehenden Abschnitt gezeigt
worden, daß dies nicht der Ansicht des Aristoteles entsprechen kann und zu den bereits
benannten Widersprüchlichkeiten in der Argumentation der Jesuiten führt. Es ist
schlechterdings nicht vorstellbar, wie ein und dasselbe Vermögen der Seele als intel-
lectus possibilis gemäß 430a25 sterblich und zugleich als intellectus agens gemäß
430a23 unsterblich sein kann. Als einzig plausible Erklärung – auch wenn sie nicht alle
Schwierigkeiten des De Anima-Textes beseitigt – bleibt daher die von Portio und Zaba-
rella unter Berufung auf Alexander gegebene Bestimmung des intellectus agens als
göttliche Kraft bzw. Gott selbst, die bzw. der allein gemäß den peripatetischen Prinzi-
pien unsterblich und ewig ist.
5. Neben der bereits in 3.3.1.1. diskutierten Textstelle De Gen. an. II 3, 736b27-29 galt
für die Jesuiten ferner De An. I 4, 408b18f.455 als Beleg für die These, daß der Nous als
eine gewisse Substanz von außen, und das heißt eben von Gott her in den Körper ein-
trete und nicht vergehe. Damit habe Aristoteles den göttlichen Schöpfungsakt der
menschlichen Seele als Kreatianismus beschrieben. Im Zusammenhang mit Met. XII 3,
1070a24-26, wo er die Frage gestellt habe, ob auch später (nach dem Untergang des
Körpers?) etwas verbleibe, und in diesem Zusammenhang den Nous erwähnt habe456,
sei klar, daß es für ihn kein Sein der Geistseele ante corpus, sehr wohl aber eines post
mortem gebe, auch wenn er sich hierüber nicht weiter geäußert habe.457
6. Schließlich versuchten Toletus und die Conimbricenser das von Pomponazzi vorge-
brachte Argument zu widerlegen, wonach der Geist ohne Phantasmata nichts erkenne,
daher sterblich sei. Dagegen müsse betont werden, daß Aristoteles hier nur vom Geist
eines jungen Menschen spreche, der noch nichts erkannt habe. Nachdem er nämlich
einmal die species intelligibilis in sich aufgenommen habe, bedürfe er nicht mehr der
Vorstellung.458 Erst recht sei dies kein Argument im Zusammenhang mit der anima se-

454
Vgl. Toletus, III 5, q. 15, 145va-b: »Tertium est ex 3 de anima text. 20. ubi dicit, quod intellec-
tus in actu, quo contemplamur, quantum ad operationem non manet post corpus, tamen secundum se,
ac suum esse immortalis est.« Ebenso Coll. Conimbricense, Tractatus, disp. 1, art. 2, 503.
455
Vgl. Aristoteles, De An. I 4, 408b18f.: »o( de\ nou=j e)/oiken e)ggi/nesqai ou)si/a tij ou)=sa, kai\
ou) fqei/resqai.«
456
Vgl. Aristoteles, Met. XII 3, 1070a24-26: »ei) de\ kai\ u(/stero/n ti u(pome/nei, skepte/on: e)p )
e)ni/wn ga\r ou)de\n kwlu/ei, oi(=on ei) h( yuxh\ toiou=ton, mh\ pa=sa a)ll o ) ( nou=j: pa=san ga\r
a)du/naton i)/swj.«
457
Vgl. Toletus, III 5, q. 15, 145vb: »Aristoteles non posuit animas ante corpus, existentes.» A. a.
O., 146ra: »De statu animæ post mortem, quædam habemus ab Aristotele non parvi momenti …»
458
Vgl. Toletus, III 5, q. 15, 146vb.

252
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

parata, deren modus cognoscendi von der Materie vollkommen abgetrennt sei.459 Wenn
dies tatsächlich so ist, dann fragt sich freilich, warum Aristoteles diesen Sachverhalt
mehrmals ohne Einschränkungen betont (vgl. De An. III 3, 427b14f., III 7, 431a16f.,
III 8, 432a6-10) und wie der Satz: Nihil est in intellectu quod prius non fuerit in sensu,
jemals eine solche Bedeutung erlangen konnte, wenn er doch nur vom jungen Men-
schen gilt. Auf diese Frage wird im nächsten Abschnitt zurückzukommen sein (vgl.
3.3.7.).
Zunächst gilt es, die Positionen von Portio und Zabarella in ihrer Auseinanderset-
zung mit den christlichen Autoren zur Frage nach der Unsterblichkeit der menschli-
chen Seele secundum Aristotelem zu verdeutlichen. Portio begann seinen Traktat mit
der charakteristischen Äußerung, daß die menschliche Seele ein mittleres Wesen zwi-
schen Gott und den niederen Lebewesen sei. Dies bedeutet aber gerade kein platoni-
sches sowohl-als auch, nämlich daß die Seele zugleich sterblich und unsterblich ist wie
bei Simplicius, sondern ein aristotelisches weder-noch. Denn Aristoteles habe gelehrt,
daß die Seele »weder vollkommen ewig ist noch vollkommen vernichtet wird, und so
ist es eine Tatsache, daß im Menschen etwas Göttliches entdeckt wird, wodurch er un-
ter der Führung der Natur den übrigen Lebewesen an Vortrefflichkeit und Rang voran-
geht.«460 Dieser ontologischen Beschreibung des doppelten Charakters der Seele als
weder unsterblich noch sterblich, entspricht die Bestimmung des mittleren Charakters,
wie sie Zabarella in seiner Schrift De Mente humana gegeben hat.461 In strenger Anleh-
nung an das von Aristoteles Gelehrte und unter Außerachtlassung der christlichen
Dogmen zielen die italienischen Naturphilosophen in dieser Frage auf ein philosophi-
sches Programm ab, das die similitudo, das Gott-ähnlich-Werden als eine Aufgabe be-
nennt, die im Geistsein ihr Fundament findet. Ziel ist nicht ein von der Theologie her
geforderter ontologischer Beweis von der Unsterblichkeit der Seele, sondern der rein
philosophische Aufweis, daß nur im Geistsein die Angleichung an Gott gelingt. Alles
andere ist ein Abweichen von dem der Philosophie allein Möglichen. Nur vor diesem
Hintergrund wird einsichtig, weshalb Portio und Zabarella mit solcher Vehemenz den
Einfluß des Christentums zurückdrängen wollten: Es gibt in der Frage nach der Un-
sterblichkeit keinen Ausgleich zwischen Philosophie und Theologie. Dies wird das
Nachfolgende bestätigen.
Portios gesamter Traktat zielt auf die Beantwortung der folgenden Frage ab: Ist der
menschliche Geist ewig oder nicht?462 Auch hier wandte er sogleich die für ihn charak-
459
Vgl. Coll. Conimbricense, Tractatus, disp. 1, art. 2, 504. Die Conimbricenser widmen sich die-
ser Frage ausführlicher in seiner vierten Disputation De actuali cognitione animæ separatæ: »An
anima separata actum cognitionis revera exerceat.» (A. a. O., disp. 4, art. 1, 563)
460
Portio, Præfatio, 5: »Hac quoque ratione, ac via de animo hominis agens [sc. Aristoteles], eum
nec omnino æternum esse; nec penitus aboleri edocet, sicque factum est, ut aliquid in homine esse
divinum deprehendatur, quo is Natura duce, cæteris animantibus præstantia, ac nobilitate anteeat …«
461
Vgl. 3.3., Anm. 192.
462
Vgl. Portio, c. 5, 22: »Quoniam propositum nobis est disserere, an intellectus, & mens nostra
æterna sit, nec ne …«

253
De Anima

teristische Methode an: Die Antwort auf diese Frage wird nicht von der Theologie her
gesucht, sondern allein von den naturphilosophischen Prinzipien des Aristoteles her.
Der Stagirite habe als ewig zum einen die aus sich selbst heraus existierende, von jeder
Materie freie substantielle Form bestimmt und zum andern die ewige Bewegung, wie
sie das corpus cœleste charakterisiere, das notwendigerweise einen ewigen unbewegten
Beweger voraussetze, wie aus Phy. VIII 6 deutlich sei. Betrachtet man nun, so Portio,
den menschlichen Geist auf diese drei Ewigkeiten hin, so gibt es ohne Zweifel nichts,
was seine Ewigkeit beweist. Sofern nämlich die Bedingungen der Form aus ihren
Funktionen erkannt werden, gibt es in ihm als forma informans keine Bewegung oder
Tätigkeit, die fortwährend ist, sondern alles wird durch den Schlaf unterbrochen und
zerstört.463 Bereits mit diesem einfachen Rückgriff auf die Prinzipien der aristoteli-
schen Naturphilosophie wird die gesamte metaphysische Diskussion um die Unsterb-
lichkeit der Seele secundum Aristotelem aus den Angeln gehoben: Wenn alle Tätigkei-
ten des Menschen vergehen, muß man dann nicht ohne zu zögern schließen, daß auch
er vergeht?
»Wenn man nämlich den Körper des Menschen betrachtet, der fortwährenden Veränderungen
unterworfen ist, Schwinden und Wachstum erleidet und von gegensätzlichen Qualitäten umge-
trieben wird – auf welche Weise [dabei] seine Form, welche die Materie informiert, beseelt und
zugleich mit dem Körper affiziert wird, ewig sein kann, sehe ich nicht.«464

Gegen diese Overtüre, die in ihrer Deutlichkeit keinen Zweifel läßt, wird nun ein Ein-
wand vorgebracht, der zu einer ausführlicheren Diskussion dieser Frage zwingt: So-
wohl der intellectus possibilis als auch der intellectus agens werden in De An. III 4 und
5 als einfach, unvermischt und abtrennbar bestimmt. Hieraus ergibt sich offensichtlich
zum einen, daß beide substantiæ æternæ sind, und zum andern, daß der intellectus pos-
sibilis damit ebenfalls unvergänglich und ewig ist.
Portio setzt gegen die erste These die bereits erörterte Ansicht, wonach der intellec-
tus possibilis vom intellectus agens wesentlich verschieden ist, und zwar deshalb, weil
beiden die in De An. III 4 und 5 genannten Attribute nicht auf dieselbe Weise zukom-
men, sondern jenem secundum operationem, diesem aber secundum esse (vgl. hierzu
3.3.5.). Folglich sind sie nicht von ein und derselben Substanz. Dem widerspricht auch
nicht De An. III 5, 430a13f., wonach beide eine Differenz innerhalb der Seele selbst
sind. Denn der intellectus possibilis wird als Materie, der intellectus agens dagegen als
Form und Ursache bestimmt. Alle Aristoteliker seien sich aber gemäß Phys. II 1 darin

463
Vgl. a. a. O., 24: »Quare si per rationes, quibus ad hæc perquirenda usus est Aristotelem licet
mihi mentis humanæ æternitatem eius probet, quoniam si mentem humanam, ut formam, & ut moto-
rem accipimus, cum formæ conditiones ex functionibus, & actionibus cognoscantur; nulla prorsus est
in homine motio, aut operatio quæ continua, & perennis sit, sed omnes quiete intercipiuntur, & abo-
lentur.«
464
Ebd.: »Nam si corpus spectes hominis, cùm perpetuiis obiiciatur mutationibus, & decrementa,
incrementaque patiatur, & contrariis agitetur qualitatibus, quonam pacto eius forma, quæ materiam
informat, & ut sic dicam, animat, afficiturque simul cum corpore, æterna esse possit, non video.«

254
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

einig, daß Materie und Form nicht in einer Substanz zusammenkommen465, weil anson-
sten ein und dasselbe zugleich in Möglichkeit und Wirklichkeit wäre. Dies sei aber mit
dem Satz vom Widerspruch unvereinbar, wonach etwas nicht zugleich sein und nicht
sein könne. Folglich seien intellectus possibilis & intellectus agens nicht von ein und
derselben Substanz.
Die zweite These widerlegt Portio mit dem erneuten Hinweis auf das peripatetische
Prinzip, daß sich Ewiges nicht unmittelbar mit Vergänglichem vereinigt. Da nun der
intellectus possibilis im Denken den vergänglichen Phantasmata unterworfen ist, kann
er selbst nicht ewig sein kann.466 Wir würden nämlich gleichsam das Ewige zum Ver-
gänglichen herunterziehen, es unvollkommener machen, als es ist, wenn es ohne Ver-
mittlung mit dem Vergänglichen kommunizierte und damit in gewisser Weise von ihm
abhängig wäre. Auch hier rückt Portio also wieder die alten Maßstäbe zurecht, die
durch die Einführung von platonischen und christlichen Elementen in die aristotelische
Philosophie verschoben worden waren. Er verweist in diesem Zusammenhang auch auf
De Long. & brevi. vitæ 2, 465a, wo Aristoteles ganz allgemein die Vergänglichkeit der
Lebewesen beschrieben hat, die nicht nur den Körper betrifft, sondern auch die Seele,
die mit ihm auf natürliche Weise verbunden ist. Dieses Vergehen der Seele, so Portio,
umfasse alle ihre paqh/mata, sei dies nun das Wissen, Vergessen, Sich-Erinnern, Sehen
etc., sowie alle ihre Vermögen, die ohne die Substanz der Seele gerade nichts vermö-
gen:
»Es bleibt also übrig … daß das Geistvermögen zusammen mit der Seele zerstört wird, welche
die Substanz ist. Aus demselben Grund muß man die Vergänglichkeit des Menschen zusammen
mit dem Vergehen der anderen Lebewesen eingestehen. Wie nämlich [deren] Vergänglichkeiten
durch die Substanz bestimmt werden, so auch die des Menschen. Die wahre Substanz des Men-
schen wird also die Vergänglichkeit sein, nicht die Abtrennbarkeit.«467

Die Sterblichkeit der Seele bzw. des ganzen Menschen ergibt sich für Portio also aus
dem Widerschein der eigenen Erfahrungen: Was sich uns am Menschen zeigt, ist, daß
nichts Bestand hat, alles dem Vergehen unterworfen ist, sei dies nun das Wissen, die
Gesundheit, das Sehen oder jede andere Tätigkeit. Und von diesen Phänomenen wird
auf die Substanz des Menschen geschlossen, die damit ebenfalls dem Werden und Ver-
gehen unterworfen sein muß. Für Portio ist dies so evident, daß er sich anders als Pom-

465
Dem entspricht es, wenn Aristoteles auch in De An. II 1, 412a6-10 Form und Materie als ver-
schiedene Substanzen benennt. Dies bedeutet aber nicht, daß beide nicht gleichwohl eines sind. So
bilden ja auch Körper und Seele als Materie und Form gemäß 412b5-9 eine Einheit.
466
Wie gesehen, war dies genau die Argumentation von Pomponazzi, die zur These von der we-
sentlichen Sterblichkeit der menschlichen Seele führte.
467
Portio, c. 7, 38: »Reliquum ergo est … intellectum potentia aboleri cum anima, quæ est sub-
stantia: eiusdemque rationis confitendum est esse corruptionem hominis, cum interitu aliorum anima-
lium, atque ut aliæ corruptiones ad substantiam, ita hominis quoque ad substantiam terminabitur: erit-
que vera hominis corruptio, & non separatio.« Vgl. a. a. O., 46: »Summè igitur necessarium est in
philosophia Aristotelis affirmare, intellectum potentia esse facultatem animæ nostræ, qua homo intel-
ligit, & sapit principio existente in ipso; corruptibilem, & generabilem.«

255
De Anima

ponazzi nicht einmal die Mühe macht, die Frage nach der Unsterblichkeit der Seele aus
theologischer Rücksichtnahme als ein neutrum problema zu kennzeichnen.
Prima facie wäre nun zu erwarten, daß Zabarella Portios und Pomponazzis Ansicht
von der Sterblichkeit der menschlichen Seele gemäß den aristotelischen Prinzipien ge-
teilt hat. Denn sein Beharren auf die Bestimmung der anima intellectiva als forma in-
formans sowie des intellectus agens als Gott, auf den allein sich damit die Attribute
a)i+/dioj & a)qa/natoj in De An. III 5, 430a23 beziehen, läßt keinen anderen Schluß zu.
Daß dem nicht so ist, kennzeichnet eine weitere der zahlreichen Merkwürdigkeiten,
wie sie im Verlauf dieses Kapitels festgestellt worden sind. So erörtert Zabarella am
Ende von De Mente agente die Frage, ob das Sterblichsein des intellectus possibilis in
430a25 eines hinsichtlich des Seins oder der Funktion bedeute. Im klaren Widerspruch
zu allen seinen vorherigen Äußerungen zu diesem Thema beantwortet er diese Frage
an dieser Stelle dahingehend, daß der intellectus patiens nicht hinsichtlich seiner Sub-
stanz sterblich sei, sondern allein hinsichtlich seiner Unvollkommenheit und seines
Affiziertwerdens im Denken durch die species intelligibiles.468 Anders als Pomponazzi,
für den die menschliche Seele als forma informans hinsichtlich des Seins sterblich ist
und nur hinsichtlich ihrer Tätigkeit in gewisser Weise unsterblich, dreht Zabarella also
die Vorzeichen gleichsam um und bezieht das Attribut fqarto/j auf den epistemologi-
schen Prozeß, nicht auf den ontologischen Status der Seele. Dies ist aber, wie gesagt,
mit seinen bisherigen Äußerungen nicht vereinbar.
Daß hinter dieser Interpretation theologische Implikationen stehen, wird aus zwei
Äußerungen Zabarellas deutlich. So spricht er in De Communi rerum generatione et
interitu zwar von einem »Vergehen der Seele«469, betont aber in De Inventione æterni
motoris liber unus, daß hierbei die Sterblichkeit der pflanzlichen und tierischen Seelen
von der Unsterblichkeit der menschlichen Seele unterschieden werden müsse: Jene
Seelen sterben als Folge des Sterbens der Körper, denen sie einwohnen. Denn das, was
im eigentlichen Sinne stirbt, sei das Lebewesen, nicht die Seele. Dies gelte jedoch
nicht für die menschliche Seele: »Ich nehme die menschliche Seele immer aus; wir
sollten ihrer Unsterblichkeit gemäß der wahren Theologie sehr gewiß sein«470. Auch
aus einer anderen Äußerung im Zusammenhang mit De An. II 1, 413b24-27 wird deut-
lich, daß diese Ansicht nicht von Aristoteles her gedeckt ist, sondern allein auf dem
Glauben beruht:
468
Vgl. Zabarella, De Mente agente, c. 16, 1041B: »Probabilior est quorundam aliorum interpreta-
tio, qui dicunt intellectum patientem mortalem esse, non quidem secundum substantiam, sed tantum
ratione suæ imperfectionis, & patibilitatis; eatenus enim interire dicitur, quatenus desinit esse imper-
fectus, & recipere obiectum à phantasia.«
469
Zabarella, De Communi rerum generatione et interitu, in: De Rebus naturalibus, 393-426, hier:
c. 3, 400E: »Quod enim post recessum animæ maneat aliquandiu forma mistionis, ostenditur duobus
his fundamentis constitutis; non idem est interitus amimæ, ac formæ mistionis; & forma mistionis non
potest in toto corpore interire, nisi prius intereat anima.«
470
Zabarella, De Inventione æterni motoris liber unus, in: De Rebus naturalibus, 253-270, hier:
c. 2, 256C-D: »animam humanam semper excipio, de cuius immortalitate ut secundum veram Theo-
logiam certissimi esse debemus …«

256
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

»Deswegen trägt Aristoteles in De An. III 5, 430a22-25 seine Ansicht vor und sagt, daß allein
der tätige Geist abgetrennt und unsterblich, der erleidende Geist aber vergänglich ist. So löst er
nämlich auch den gegenwärtigen Zweifel und erklärt die Ursache dieses Scheinens. Denn die
Ursache, warum unser Geist als abtrennbar und unsterblich erscheint, ist die Vermischung des
göttlichen Lichtes mit ihm. Ich glaube, daß man diese Ansicht des Aristoteles falsch und un-
gläubig nennen kann, die auch von der christlichen Wahrheit verworfen wird.«471

Anders als in De Mente agente versteht Zabarella hier in seinem Kommentar das Attri-
but fqarto/j auf einmal ontologisch und gerade nicht epistemologisch. Man muß dies
wohl so verstehen, daß er in De Mente agente den Versuch einer theologischen Ehren-
rettung Aristoteles’ unternimmt, während er in De Inventione æterni motoris und in der
eben zitierten Stelle rein theologisch und ohne Rücksichtnahme auf die Prinzipien der
aristotelischen Philosophie argumentiert. Vor diesem Hintergrund läßt sich wohl die
These vertreten, daß die Frage nach der Unsterblichkeit der menschlichen Seele für
Zabarella nicht so sehr ein philosophisches, als vielmehr ein theologisches Thema war,
und in dieser Erkenntnis würde er mit Luther übereinstimmen.

3.3.7. Der Prozeß der natürlichen und wissenschaftlichen Erkenntnis

Nachdem bis jetzt die Geistseele als forma corporis bestimmt worden sind, die geeig-
net ist, alle species intelligibiles aufzunehmen und zu erkennen, und nachdem gezeigt
worden ist, welche Funktion dem intellectus agens im Erkenntnisprozeß zukommt, sei
es wie bei Portio und Zabarella als göttliche Kraft bzw. als Gott selbst, sei es wie bei
den Jesuiten als ein Vermögen der menschlichen Seele, bedarf es zum Abschluß dieser
erkenntnistheoretischen Bestimmungen noch der Beantwortung der Frage, was der
menschliche Geist in welcher Reihenfolge erkennt. Während Zabarella dieses Thema
in seiner Schrift De Ordine intelligendi erörtert hat472, findet sich die entsprechende
Diskussion der Jesuiten in ihren Kommentaren zu Phy. I 1473, dem locus classicus für
diese Frage.
Bei Zabarella ist hierbei die interessante, von der Forschung bisher gar nicht beach-
tete Feststellung zu machen, daß er die Schrift De Ordine intelligendi nicht nach dem

471
Zabarella, II 2, t. 21, 325D-E: »Ideo proferens sententiam suam Aristoteles in text. 20. tertij li-
bri [sc. De Anima III 5, 430a22-25], dicit solum intellectum agentem esse separatum & immortalem,
possibilem autem intellectum esse corruptibilem. Sic enim & soluit dubium præsens, & causam huius
apparentiæ declarat, causa enim cur intellectus noster videatur separabilis, & immortalis, est commi-
stio divini luminis cum eo. Hanc puto esse Aristotelis sententiam licet falsam, & impiam, & à Chri-
stiana veritate reprobatam …«
472
Vgl. Zabarella, De Ordine intelligendi, in: De Rebus naturalibus, 1041-1076.
473
Vgl. Toletus, Commentaria unà cum Quæstionibus in octo libros Aristotelis de Physica auscul-
tatione [im folgenden: Physica] (Venedig 11573), in: Ders., Opera omnia IV, 7va-14rb. Coll. Conim-
bricense, Commentarii in octo libros Physicorum Aristotelis Stagiritæ: Qui nunc primum græco Ari-
stotelis contextu, latino è regione respondenti aucti, duas in partes ob studiorum commoditatem sunt
divisi [im folgenden: Physica] (Coimbra 11592). Lyon 1594 (Nachdruck Hildesheim 1984), 46-81.

257
De Anima

von ihm in De Methodis und Apologia de doctrinæ ordine so vehement gegen Picco-
lomini vertretenen ordo doctrinæ angeordnet hat (vgl. 3.1.2.), sondern nach dem ordo
naturalis & necessarius. Wie ist das zu verstehen? Für Zabarella kennzeichnet diese
Differenz den Unterschied von Logik und Naturwissenschaft: Während jener ordo doc-
trinæ arbiträr und als ein Instrument Gegenstand der Logik ist, da er von uns zur leich-
teren Anordnung der Lehre, d. h. zur besseren Vermittlung der zu lehrenden Dinge
hervorgebracht wird, gehört die Betrachtung der natürlichen Ordnung zur Naturwis-
senschaft, da eine solche Ordnung notwendigerweise der Natur unseres Geistes folgt,
die zu erkennen ist.474 Die Schrift De Ordine intelligendi, und nur diese, folgt daher
dem ordo naturalis, weil es bei der Frage um die Reihenfolge des Erkennens darum
geht, den natürlichen Fortgang von dieser Erkenntnis zu jener nachzuvollziehen und
nicht eine logische Anordnung zur leichteren Erkenntnis des zu Lernenden zu geben.
Diese Schrift begleitet sozusagen das menschliche Erkennen auf seinem Weg zur
(Selbst-)Erkenntnis. Im vorliegenden Zusammenhang sind dabei für Zabarella wie
auch für die Jesuiten zwei Fragen von Interesse: 1. Was wird vom Geist früher (gene-
risch, nicht logisch) erkannt, das Einzelne oder das Allgemeine475? Anders gefragt:
Was ist sein primum cognitum? 2. Wird von ihm das mehr oder weniger Allgemeine
früher erkannt?476

474
Vgl. Zabarella, De Ordine intelligendi, c. 1, 1041D-1042E: »Arbitrarius vero est ille doctrinæ
ordo, de quo nos alias in libris Logicis plura scripsimus; eius enim consideratio ad Logicum pertinet,
quum sit Logicum instrumentum, & ex abitrio nostro fabricatum … Alius demum necessarius prosus,
ac naturalis est, ideoque eius consideratio non ad Logicum, sed ad Naturalem Philosophum attinet,
quum eiusmodi ordo naturam mentis nostræ insequi necessario videatur … sic doctrinæ ordo arbitra-
rius est, neque est menti nostræ naturalis, sola autem facultas procedendi ab hoc ad illud naturalis est;
ideo de facultate disserit Philosophus naturalis, de ipso autem ordine loquitur Logicus, à quo de eo
tanquam de re arbitraria regulæ & præcepta traduntur: at si quis sit menti humanæ naturalis ordo, ita
ut non ipsa tantum facultas, ipsumque utendi arbitrium sit ei naturale, sed ipsemet ordo, cuius varian-
di nullum nos arbitrium habeamus, de hoc agere naturalis Philosophi officium est, ad plenam cogni-
tionem naturæ humani intellectus …«
475
Das Allgemeine ist für die hier verhandelten Renaissance-Aristoteliker nicht ein bloßer Begriff,
wie die Nominalisten behauptet haben, sondern es gründet außerhalb des Geistes im Einzelnen. Dies
hat Zabarella wiederholt betont: »… substantia verò universalis neque est non ens, neque extra singu-
larem reperitur, sed in ea includitur, & una tum ea existit: substantiam enim universalem pro illa natu-
ra communi accipimus, quæ universale in multis nuncupari solet. Nam hæc à substantia individua non
distinguitur, & utriusque eadem est existentia: itaque in substantijs individuis tota substantiæ catego-
ria existere dicitur, quia licet non existat nisi singularis, eadem tamen à nobis per solam mentalem
abstractionem redditur universalis.« (De Propositionibus necessariis libri duo, in: Zabarella, Opera
logica, 345-412, hier: lib. I, c. IV, 352E-F) Vgl. ferner ders., Commentarii in duos Aristotelis libros
Posteriores Analyticos, in: A. a. O., lib. I, c. IIX, 769A-B; lib. I, c. XX, 949F-950A; lib. II, c. c. XV,
1276A-B. Vgl. ferner Scaliger, Exotericarum exercitationum liber XV, ex. CCCVII, s. 22, 765: »Uni-
versalia sunt res extra intellectum.«
476
Vgl. Zabarella, De Ordine intelligendi, c. 1, 1043C: »… considerandum primo loco est, utrum
prius à mente nostra cognoscatur, an singulare, an universale; deinde vero inter universalia an prius
apprehendantur universaliora, quam minus universalia, an è contrario hæc prius, quam illa.« Toletus
verhandelte beide Fragen zusammen im Abschnitt: »An universalia sint nobis notiora singularibus?«
(Physica I 1, q. 5, 10vb) Die Conimbricenser erörterten sie dagegen wie Zabarella getrennt voneinan-

258
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

Bevor diese beiden Fragen jedoch beantworten konnten, mußte zuvor aufgezeigt
werden, daß der Geist überhaupt das Einzelne erkennt. Denn einige Averroisten vertra-
ten die Ansicht, daß das Einzelne gemäß De An. II 5, 417b22-24477 ausschließlich Ge-
genstand der Sinneswahrnehmung ist. Es sei nicht vorstellbar, wie der organlose, von
der Materie vollkommen abgetrennte Geist bei seiner rein geistigen Tätigkeit das mate-
rielle Einzelne in sich aufnehmen und erkennen könne. Ferner würde sich die Sinnes-
wahrnehmung nicht mehr vom Geist unterscheiden, wenn beide das Einzelne erkennen
würden. Daher sei es das Proprium des Geistes, das Allgemeine zu erkennen. Ferner
wäre die Unterscheidung zwischen dem sinnlich Wahrnehmbaren und dem Intelligi-
blen in De An. III 8, 431b21-23 hinfällig. Wäre nämlich das Einzelne erkennbar, dann
wäre alles erkennbar, und damit gäbe es keinen Unterschied zwischen dem Wahr-
nehmbaren und Intelligiblen.
Für die Jesuiten und Zabarella bestand trotz dieser Einwände einiger Averroisten
kein Zweifel, »daß unser Geist auch das Einzelne erkennt«478. Zabarella begründete
dies mit der Stufenfolge des Erkenntnisprozesses: Was nur immer ein niederes Vermö-
gen erkennt, das erkennt auch das höhere, und wo immer ein niederes Vermögen endet,
dort beginnt das höhere. Wie nämlich die Sinne nur das Gegenwärtige wahrnehmen, so
das Phantasma das Gegenwärtige und das Abwesende:
»So nämlich muß man das höhere Vermögen der Seele vom niederen unterscheiden, so daß es
alles das erkennen kann, was auch das niedere Vermögen erkennt, und daneben noch anderes.
Wie daher das Wahrnehmungs- auf das Vorstellungsvermögen ausgerichtet wird, so das Vorstel-
lungsvermögen auf den Geist, und deswegen muß es einen Unterschied zwischen Geist, Vor-
stellungs- und allen Wahrnehmungsvermögen geben, so daß der Geist alles das erkennen kann,
was das Vorstellungs- und das Wahrnehmungsvermögen erkennen, und auch anderes neben je-
nen. Weil also das Vorstellungs- und das Wahrnehmungsvermögen das Einzelne erkennen, muß
auch der Geist das Einzelne erkennen und ferner das Allgemeine, das weder das Vorstellungs-
noch das Wahrnehmungsvermögen erkennt.«479

_________________________________________________________________________________________________________

der: »Sintne maxime universalia notiora nobis cognitione confusa actuali, an non?« (Physica I 1, q. 3,
64) Und: »Sitne singulare primo cognitum à nostro intellectu, an non?« (A. a. O., q. 4, 73)
477
Vgl. Aristoteles, De An. II 5, 417b22-24: »ai)/tion d )o(/ti tw=n kaq )e(/kaston h( kat )e)ne/rgeian
ai)/sqhsij, h( d )e)pisth/mh tw=n kaqo/lou: tauta= d )e)n au)tv= pw/j e)sti tv= yuxv=.«
478
Zabarella, De Ordine intelligendi, c. 3, 1044D: »Ego cum aliis pluribus arbitror intellectum no-
strum etiam singularia cognoscere …« Ebenso Toletus, Physica I 1, q. 5, 12ra: »… nam singulare non
repugnat ab intellectu cognosci, si immateriale sit …« Bei den Conimbricensern kann man dies aus
ihrer Stellungnahme zur Frage: »Sitne singulare primo cognitum à nostro intellectu, an non?« (Physi-
ca I 1, q. 4, 73) ersehen. Hierauf wird gleich zurückzukommen sein.
479
Zabarella, De Ordine intelligendi, c. 3, 1044F-1045A: »sic enim distinguenda est facultas
animæ superior ab inferiore, ut possit omnia cognoscere, quæ cognoscit inferior, & alia præterea.
Quoniam igitur ut senus ad phantasiam, ita phantasia ad intellectum dirigitur, eiusmodi debet esse
discrimen intellectus, & phantasiæ, & sensuum omnium, ut intellectus cognoscere illa omnia possit,
quæ phantasia, & sensus cognoscunt, & alia quoque præter illa, quoniam igitur phantasia & sensus
cognoscunt singularia, debet intellectus quoque singularia cognoscere, & præterea universalia, quæ
nec phantasia, nec sensus cognoscit.«

259
De Anima

Für Zabarella verdeutlicht dies auch der Vergleich des Denkens mit der Sinneswahr-
nehmung in De An. III 4, 429a13ff.: Während diese unvermischt ist mit ihrem jeweils
spezifischen Objekt, so das Sehen mit der Farbe, ist der Geist vollkommen unver-
mischt in Hinsicht auf alle Dinge, weil er das Allgemeine und das Einzelne erkennt. Er
zeichnet sich nämlich dadurch aus, daß er von keinem Organ beschränkt wird, und die-
ses Freisein von … ermöglicht ihm, alles zu erkennen. Ferner erkennt er, daß er er-
kennt (vgl. 430a1-4). Jede Erkenntnis ist aber singulär. Also hat er, wenn er erkennt,
daß er jetzt dieses Ding erkennt, eine singuläre Erkenntnis. Deswegen ist es notwendig,
daß der Geist, wenn er das Allgemeine durch Abstraktion von den Dingen erkennt,
auch das Einzelne erkennt, von dem er abstrahiert.
»Auf welche Weise nämlich kann er das Allgemeine und dessen Allgemeinheit erkennen, wenn
er nicht das Einzelne erkennt, von dem es ausgesagt wird? Auf welche Weise kann er das All-
gemeine mit dem Einzelnen vergleichen und ihre Übereinstimmung oder Differenz erkennen,
wenn er nicht beide gesondert voneinander erkennt?«480

Für Zabarella steht und fällt also jede Erkenntnistheorie mit der Möglichkeit der Er-
kenntnis des Einzelnen. Denn die Abstraktion des Allgemeinen vom Einzelnen kann
seiner Ansicht nach nur gelingen, wenn das Einzelne zuvor erkannt wird. Wer dies ne-
giere, hebe jede Wissenschaft auf.
Vor diesem Hintergrund widerlegt Zabarella die oben genannten Argumente der
Averroisten wie folgt: Aristoteles schreibt zwar dem Geist in der Tat in De An. II 5,
417b22f. die Erkenntnis des Allgemeinen zu, weil sie ihm eigentümlich und das Ziel
seines Erkennens ist. Nirgends jedoch sagt er, daß der Geist ausschließlich das Allge-
meine erkennt. Vielmehr ist die Erkenntnis des Einzelnen ein notwendiger Schritt zur
Erkenntnis des Allgemeinen. Auch ist der Geist keine forma separata à materia
(=forma assistens), sondern forma informans, wie Zabarella unter Hinweis auf seine
Schrift De Mente humana betont. Damit bilden Körper und Seele (einschließlich des
Geistes) secundum esse eine Einheit. Allein secundum operationem ist der Geist abge-
trennt von einem körperlichen Organ und nimmt als ein solcher die Gegenstände auf
immaterielle Weise in sich auf. Diese Immaterialität des Aufnehmens ist aber keine
Eigentümlichkeit des Geistes, da auch die von einem Organ abhängige Sinneswahr-
nehmung die species sensibiles ohne Materie aufnehme (vgl. De An. II 12, 424a18f.).
Entscheidend ist vielmehr die Immaterialität des Gegenstandes, wie von Aristoteles in
III 8, 431b29f. betont worden ist: Nicht der Stein ist in der Seele, sondern dessen Form.
Sofern also die Form des Einzelnen nicht materiell, sondern geistig ist, kann der Geist
auch das Einzelne erkennen.481 Dem steht auch nicht der Satz in 431b21-23 entgegen,
480
A. a. O., 1046B: »quomodo enim cognoscere potest universale, & eius universalitatem, nisi co-
gnoscat singularia, de quibus prædicatur? quomodo potest comparare universale cum singulari, &
eorum convenientiam ac differentiam cognoscere, nisi utrumque seorsum cognoscat?«
481
Vgl. a. a. O., c. 4, 1048A-B: »singulare enim, quod extra animam existit, materiale est, neque
recipi in intellectu potest, imò neque in sensu, quum Aristoteles dicat [sc. De An. II 12, 424a17-19]
sensorium recipere species sine materia; species autem ipsius singularis non est materialis, sed spiri-
tualis; nihil igitur prohibet, quin eiusmodi species in intellectu recipi possit …«

260
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

denn dort wird nur der jeweils eigentümliche Gegenstand der Wahrnehmung und des
Geistes bestimmt. Hieraus folgt gerade nicht, daß der Geist das Einzelne nicht erfassen
kann.
Erkennt also der Geist auch das Einzelne, so stellt sich die Frage, ob er gemäß dem
ordo generationis zuerst das Einzelne oder das Allgemeine erkennt. Mag auch die Be-
deutung dieser Frage auf den ersten Blick nicht ersichtlich sein, so geht es hierbei
gleichwohl darum, von woher unser Denken – generisch, nicht logisch betrachtet – sei-
nen Ausgang nimmt. Wie bereits bei Melanchthon gezeigt worden ist (vgl. 2.3.4.),
hängt hiermit auch die Frage nach den notitiæ innatæ zusammen. Bei den Aristoteli-
kern standen sich in diesem Zusammenhang zwei Ansichten gegenüber: Während für
Thomas482 und Javelli der Geist zuerst das Allgemeine erkennt, vertraten Gregor von
Rimini, Scotus und Ockham die genau entgegengesetzte Ansicht.
Toletus483, Zabarella484 und die Conimbricenser485 folgten nun übereinstimmend der
zweiten Ansicht, die sie wie folgt begründeten: Der Geist als tabula rasa prägt sich
zuerst die species rei singularis ein und bildet hieraus zunächst den conceptus rei sin-
gularis, bevor er von diesem Begriff den conceptus rei universalis abstrahiert. Ferner
ist, wie gesagt, das Einzelne der eigentliche Gegenstand der Sinneswahrnehmung, von
welcher der Geist in der natürlichen Reihenfolge des Erkennens abhängt. Daher gilt für
die Renaissance-Aristoteliker zu Recht der Satz: Nihil in intellectu, quod prius non fue-
rit in sensu. Dieser Vorrang der Erkenntnis des Einzelnen vor der des Allgemeinen er-
gibt sich für Zabarella auch aus dem schwierigen Passus De An. III 4, 429b16-20, wo
Aristoteles beide Erkenntnisformen mit einer geraden und gekrümmten Linie ver-
gleicht:
»Es ist deutlich, daß die Erkenntnis des Einzelnen mit der geraden Linie verglichen wird, die
des Allgemeinen aber mit der gekrümmten Linie, nicht umgekehrt, wie die Gegner interpretie-
ren; denn das Einzelne wird geradewegs von der Vorstellung zum Geist gebracht, gleichsam
ohne große Schwierigkeit, das Allgemeine aber nicht geradewegs, sondern [es wird] durch die

482
Vgl. Thomas, STh I, q. 86, art. 1, in: Opera 5, 347: »Respondeo dicendum quod singulare in re-
bus materialibus intellectus noster directe et primo cognoscere non potest. Cuius ratio est, quia prin-
cipium singularitatis in rebus materialibus est materia individualis: intellectus autem noster … intelli-
git abstrahendo speciem intelligibilem ab huiusmodi materia. Quod autem a materia individuali ab-
strahitur, est universale. Unde intellectus noster directe non est cognoscitivus nisi universalium. Indi-
recte autem, et quasi per quandam reflexionem, potest cognoscere singulare …«
483
Vgl. Toletus, Physica I 1, q. 5, 12ra-b: »Singulare sensibile sub ratione singularis sensibilis se-
cundum Aristotelis viam, non est primò intellectum: dico singulare sensibile, seu materiale, nam sin-
gulare non repugnat ab intellectu cognosci, si immateriale sit: at singulare materiale non est primò
intelligibile. … at quod sub ea ratione, qua à sensu percipitur, sit primò intellectum …«
484
Vgl. Zabarella, De Ordine intelligendi, c. 5, 1051C-D: »Mihi tamen verior videtur Scoti, &
Gregorii Ariminensis opinio, quod singulare sit primo cognitum …« Weder für Toletus (Physica I 1,
q. 5, 11rb) noch für die Conimbricenser (Physica I 1, q. 4, a. 1, 73) war Scotus ein Vertreter dieser
Ansicht.
485
Vgl. Coll. Conimbricense, Physica I 1, q. 4, art. 2, 74: »Asserendum tamen est priùs à nobis
singularia, quàm universalia intelligi.«

261
De Anima

Reflexion des Lichts des tätigen Geistes von der Vorstellung zum [passiven] Geist [ge-
bracht].«486

Der Geist erkennt also das Einzelne direkt durch die Vermittlung der Sinne und der
Vorstellung, während er das Allgemeine nur mittels einer abstrahierenden Reflexion
erkennen kann. Dies verdeutlicht für Zabarella auch der Satz aus den An. Post. II 19,
110b3f., wo es heißt, daß jede beweisende Wissenschaft von der Erkenntnis der ersten
Prinzipien abhängt. Diese werden uns aber, so Zabarella, aus den einzelnen Dingen
durch Induktion bekannt. Also sei das, was vom Geist zuerst erkannt werde, ein Ein-
zelnes. Schließlich gelte auch hier der Sachverhalt: Wo das niedere Vermögen ende,
dort beginne das höhere. Da die Wahrnehmung nur das gegenwärtige Einzelne auffas-
se, müsse die Vorstellung das gegenwärtige und das vergangene Einzelne präsentieren,
und deshalb sei es die prima operatio des Geistes, dieses Einzelne aufzufassen.
Die Beantwortung der zweiten Frage hinsichtlich der Reihenfolge des Erkennens des
Allgemeinen – ob zuerst das mehr oder weniger Allgemeine erkannt wird, z. B. der
Begriff des Körpers eher als der des Lebewesens, der wiederum eher als der des Tieres
und des Menschen, der Gattungsbegriff also eher als der Artbegriff – die Antwort auf
diese schwierige Frage, so betont Zabarella nochmals, geschieht hier nicht gemäß dem
ordo doctrinæ der arbiträren Logik, sondern gemäß dem ordo naturæ des natürlichen
Erkenntnisprozesses: »Wir sprechen [hier] aber nur von der Ordnung der Zeit und des
Ursprungs und von der undeutlichen Erkenntnis allein, d. h. vom ersten rohen Eindruck
dieser einfachen Empfindungen in uns.«487 Dem ordo naturæ liege daher der ordo co-
gnitionis confusæ zugrunde, während der ordo doctrinæ den ordo cognitionis distinctæ
zum Gegenstand habe. Hieraus folge ein generischer, nicht logischer Vorrang des ordo
cognitionis confusæ vor dem ordo cognitionis distinctæ. Denn es sei klar, daß eine un-
deutliche Erkenntnis der Zeit und dem Ursprung nach einer deutlichen Erkenntnis ei-
nes Gegenstandes vorangehe. In De Ordine intelligendi wird also mit dem ordo naturæ
bzw. dem ordo cognitionis confusæ die Grundlage jeglichen Wissens und jeglicher
Wissenschaft zum Thema. Wie ist diese Differenz zwischen einer undeutlichen und
deutlichen Erkenntnis zu erklären? Um diese Frage zu beantworten, bedarf es der Klä-
rung der verschiedenen Weisen des Wissens bzw. Erkennens. Damit wird Aristoteles’
Analytica Posteriora zum Gegenstand der Erörterung, eine Schrift, die für Zabarella
zum einen auf den Beweis als »Instrument des Wissens« und auf das Wissen selbst als

486
Zabarella, De Ordine intelligendi, c. 5, 1052B-C: »… manifestum est cognitionem singularis
comparari cum linea recta, universalis vero cum linea flexa & fracta, non è contrario, ut adversarii
interpretantur; singulare namque recta fertur à phantasia ad intellectum, proinde absque magna diffi-
cultate, universale vero non recta, sed per reflexionem luminis intellectus agentis à phantasia ad intel-
lectum …«
487
A. a. O., c. 6, 1054C-D: »… loquimur autem de temporis tantum, atque originis ordine, & de
sola cognitione confusa, hoc est de prima rudi horum simplicium conceptuum impressione in nobis
…« Zabarella nennt diese Kenntnis genauer eine actualis confusa cognitio (vgl. a. a. O., c. 11,
1060D)

262
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

»Nutzen des Instruments«488 abzielt. Der Beweis ist also nur um willen des Wissens.
Was heißt es aber, etwas zu wissen?

3.3.7.1. Exkurs: Die Modi des Wissens

In An. Post. I 2, 71b9-12 hat Aristoteles das Wissen wie folgt definiert:
»Zu wissen nun glauben wir eine jede Sache schlechthin, und nicht auf die sophistische, die zu-
fällige Weise, wann immer wir von der Ursache glauben Kenntnis zu besitzen, aufgrund derer
die Sache besteht, daß sie ihre Ursache ist, und daß sie sich nicht anders verhalten kann.«489

Für Zabarella beginnt Aristoteles die Schrift An. Post. aus zwei Gründen mit der Defi-
nition des Wissens: Zum einen ist es das letzte und spezifische Ziel, mit dem der ordo
resolutivus beginnt, zum andern muß man wissen, was das Wissen ist, um überhaupt
den Beweis als das instrumentum sciendi definieren zu können. Das Wissen schlecht-
hin bezeichne nämlich ein vollkommenes Wissen, denn nicht nach Art der Sophisten,
die das Wissen der Dinge nicht aus der Natur der Sache erlangen, sondern aus den Ak-
zidentien, wolle Aristoteles das Wissen definieren.490 Die Definition des Wissens be-
stehe dabei aus der Angabe des genus proximum und der differentia specifica, wobei
das Wort ginw/skein (b11) quasi als Gattungsbegriff gesetzt werde, weil es im weite-
sten Sinne das umfasse, was zum Wissen gehöre. Die differentia specifica bestehe
wiederum aus zwei Teilen: Aus dem Gegenstand, dessen causa efficiens gewußt wer-
den müsse, und aus dem Subjekt des Wissens, in dem es als ein Unveränderliches sei.
»Aristoteles aber hat nicht ohne Grund diese [sc. vier Artbestimmungen] auf zwei reduziert.
Weil nämlich das Wissen ein Akzidens des Geistes ist, das in der Seele ist, hängt es teils von ihr
als von einem Subjekt, teils von der gewußten Sache als von einem Objekt ab. Wenn wir daher
sagen: wissen, dann sind zwei Bedingungen erforderlich: eine in der Sache, die andere in unse-
rer Seele …«491

488
Vgl. Zabarella, Commentarius in libros An. Post., lib. I, c. 1, t. 1, 620B-C: »quis autem sit ho-
rum librorum finis, declaratum est à nobis diligentissimè in operibus Logicis [vgl. De Natura logicæ,
lib. I, c. 18, 46A-B; De Methodis, lib. IV, c. 19, 318F], ubi diximus, duos esse huius artis fines, unus
est demonstratio tanquam instrumentum sciendi, quod ad fabricandum proponitur, alter est scientia
tanquam huius instrumenti utilitas, cuius gratia demonstratio quæritur; propterea ibi diximus, demon-
strationem esse internum finem huius artis, scientiam verò externum, & ultimum, & præcipuum.«
489
Aristoteles, An. Post. I 2, 71b9-12 (Übersetzung Detel in: Aristoteles, Werke in deutscher
Übersetzung. Begründet von Ernst Grumach. Herausgegeben von Hellmut Flashar. Band 3, Teil II.
Erster und zweiter Halbband. Übersetzt und erläutert von Wolfgang Detel. Berlin 1993, hier: Hb. I,
18): »E) pi/stasqai de\ oi)o/meq )e(/kaston a(plw=j, a)lla\ mh\ to\n sofistiko\n tro/pon to\n kata\ sum-
bebhko/j, o(/tan th/n t )ai)ti/an oi)w/meqa ginw/skein di )h(\n to\ pra=gma/ e)stin, o(/ti e)kei/nou ai)ti/a
e)sti/, kai\ mh\ e)nde/xesqai tou=t )a)/llwj e)/xein.«
490
Vgl. Zabarella, Commentarius in libros An. Post., lib. 1, 616A-B; lib. I, c. 2, t. 7, 646B.
491
A. a. O., 647C: »Aristoteles autem non absque ratione eas [sc. differentias specificas] videtur
ad duas redegisse: propterea quod scientia est accidens spirituale, quod in animo est, & pendet tum ab

263
De Anima

Zabarella hält also an der gut aristotelischen Theorie fest, daß ein Wissen nicht nur
vom Subjekt, dem Wissenden, abhängt, sondern auch vom Objekt, dem Gewußten, so
daß Kesslers in der Einleitung (vgl. 1.2.) zitierte These von der Subjektivierung des
Erkenntnisprozesse von hier aus gesehen relativiert werden muß. Denn hinter dieser
Ansicht steckt die ebenfalls aristotelische Erkenntnis, daß sich der Wissenende und das
Gewußte zueinander verhalten wie das Gemessene und das Maß, und dabei ist gemäß
Met. X 1, 1053a31-33 nicht etwa der Geist das Maß, sondern der Gegenstand, dem er
sich angleichen muß, um ihn erkennen zu können.492
Wie wird aber Wissen erworben? Wird es überhaupt erworben? Denn das Menon-
sche Paradoxon lautete doch gerade, daß es unmöglich sei, etwas zu suchen, von dem
man nicht wisse, was es sei, so daß man gar nichts suchen könne, weil man es entwe-
der schon wisse oder aber nicht wisse, wonach man suchen solle.493 Aristoteles hebelt
dieses Paradoxon in An. Post. I 1, 71a 27-29 mit folgendem Satz aus: »Aber es ist klar,
daß man so weiß, daß man allgemein weiß, schlechthin jedoch nicht weiß.«494 Der Sta-
girite führt damit einen Unterschied von einem ‘zu wissen’ in Möglichkeit und im all-
gemeinen und einem ‘zu wissen’ in Wirklichkeit und im besonderen ein: Was einer
lernt, das weiß er in einer Hinsicht schon, in einer anderen jedoch nicht (vgl. I 1, 71b5-
8). Aristoteles weist damit auf den Unterschied in der Art und Weise des Wissens von
jeweils ein und derselben Sache hin. Wie ist diese Ausdifferenzierung des Wissens zu
verstehen?
Für Zabarella bedeutet das kaqo/lou e)pi/statai hier ein ‘zu wissen’ im undeutlichen
und unvollkommenen Sinne, das a(plw=j e)pi/statai dagegen ein ‘zu wissen’ in deutli-
cher und vollkommener Weise.495 Sofern nämlich Aristoteles auf die Feststellung des
Menon, daß wir nur dasjenige suchen können, was wir schon kennen, antworte, daß es
in diesem Zustand weder ein vollkommenes Wissen noch ein schlechthinniges Nicht-
_________________________________________________________________________________________________________

animo ut à subiecto, tum à re scita tanquam ab obiecto, quocirca ut dicamur scire, duæ requiruntur
conditiones: una in re: altera in animo nostro …«
492
Vgl. Aristoteles, Met. X I, 1053a31-33: »… kai\ th\n e)pisth/mhn de\ me/tron tw=n pragma/twn
le/gomen kai\ th\n ai)/sqhsin dia\ to\ au)to/, o(/ti gnwri/zome/n ti au)tai=j, e)pei\ metroun=tai ma=llon h)\
metrou=sin.« Gegen die in der neueren Forschung allzu unreflektiert vertretene These von der Subjek-
tivität des Erkennens als das Kennzeichen der neuzeitlichen Philosophie nach Descartes sollte fol-
gende Äußerung Hegels nachdenklich stimmen: »… von den Begriffen der Dinge aber werden wir
noch viel weniger sagen, daß wir sie beherrschen oder daß die Denkbestimmungen, von denen sie der
Komplex sind, uns dienen; im Gegenteil muß sich unser Denken nach ihnen beschränken, und unsere
Willkür oder Freiheit soll sie nicht nach sich zurichten wollen.« (Wissenschaft der Logik. Erster Teil.
Die objektive Logik. Erstes Buch. Vorrede zur zweiten Ausgabe, in: Werke 5, 25) Es ist also der ob-
jektive Begriff, der das Wesen des Dings ausmacht.
493
Vgl. Platon, Menon, 80d ff. Bekanntlich antwortete Sokrates hierauf mit seiner Anamnesislehre.
494
Aristoteles, An. Post. I 1, 71a 27-29 (Übersetzung Detel, in: Aristoteles, An. Post., Hb. I, 18):
»a)lla\ dh=lon w(j w(di\ me\n e)pi/statai, o(/ti kaqo/lou e)pi/statai, a(plw=j d )ou)k e)pi/statai.«
495
Vgl. Zabarella, Commentarius in libros An. Post., lib. I, c. 1, t. 4, 640A: »… sumit enim hîc
Aristoteles has duas dictiones, universaliter, & simpliciter, ut invicem oppositas: nam universaliter
hîc significat confusè, & imperfectè: simpliciter verò significat particulariter, distinctè, & perfectè.«

264
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

wissen gebe, sondern ein undeutlich-unvollkommenes Wissen, eine cognitio imperfec-


ta, dann weise er auf den Übergang von einem ‘zu wissen’ in Möglichkeit zu einem
‘zu wissen’ in Wirklichkeit hin, ein Wissen, das in gewisser Weise ein neues Wissen
sei, da man es auf diese Weise vorher so nicht besessen habe. Aristoteles’ Lösung be-
steht also für Zabarella darin,
»daß es neben dem vollkommenen Wissen von einer Sache und dem vollkommenen Nichtwis-
sen gewissermaßen eine mittlere Weise der Erkenntnis gibt, die eine unvollkommene und mög-
liche Erkenntnis ist, von der der Überstieg zu einem vollkommenen Wissen erfolgt gleichsam
[als Überstieg] von der Möglichkeit zur Wirklichkeit.«496

Der Mensch geht ‘schon immer’ (logisch, nicht generisch) von einem allgemeinen un-
gefähren Wissen von einer Sache aus, das durchaus mit einem einzelnen Nichtwissen
in Wirklichkeit vereinbar ist. Sein Weltverhältnis ist so, daß es ein vollständiges
Nichtwissen nicht geben kann. Vielmehr erwirbt er schlechthin-aktual, was er allge-
mein-potentiell bereits weiß. Hier zeigt sich, daß das Streben zu wissen, die o)/recij tou=
ei)de/nai, mit der die Metaphysik beginnt (vgl. I 1, 980a20), in der Überführung des po-
tentiell-allgemeinen Wissens497 in ein partikulär-aktuales Wissen besteht und so zur
»Sicherung unseres schon immer getätigten (Vor)Wissens von den o)/nta zu einem gesi-
cherten Wissen von den o)/nta«498 führt, wie Königshausen betont. Diese Sicherstellung
des Wissens als Wissen ist der Weg vom Vorwissen bzw. von der Vorkenntnis zum
begründeten Wissen, das um die (vier) Ursachen einer Sache weiß.499
Dieser Übergang von einem unvollkommenen zu einem vollkommenen Wissen ei-
nes Gegenstands kennzeichnet das, was Detel in seinem Kommentar zu den An. Post.
das Vertiefungstheorem genannt hat. Ausgehend von dem Anfangssatz der An. Post. I
1, 71a1-2, wonach »jede Unterweisung und jedes verständige Erwerben von Wissen
aus bereits vorhandener Kenntnis (entsteht)«500, versteht Detel – anders als Wieland501 –
496
A. a. O., t. 5, 641F: »… eius [sc. Aristoteles] solutio in hoc consistit, quòd præter scientiam rei
perfectam, & perfectam ignorantiam datur medius quidam cognitionis modus, quæ dicitur cognitio
imperfecta, & potentialis, à qua ad perfectam scientiam transitus datur tanquam à potestate ad actum
…« So auch die Conimbricenser: »Est autem inter huiusmodi cognitiones [sc. zwischen den vier ge-
nera cognitionis, nämlich der cognitio confusa actualis & potentialis sowie der cognitio distincta
actualis & potentialis; vgl. hierzu 3.3.7.2.] non parum discriminis. Nam confusa distinctam præit, ut
asseruit Aristoteles cap. 1. huius libri text. 2. [vgl. Phy. 184a16-21] … Id verò inde confirmat Scotus
… quia progressus naturæ est ab imperfecto ad perfectum per medium; confusa autem cognitio quasi
medium est inter ignorationem & inter notitiam distinctam.« (Physica I 1, q. 2, art. 1, 57)
497
Das Wissen des allgemeinen Satzes A a B ist potentiell auch Wissen des singulären Satzes
A a C , falls B a C gilt.
498
Johann-Heinrich Königshausen, Ursprung und Thema von Erster Wissenschaft. Die aristoteli-
sche Entwicklung des Problems. Amsterdam 1989, 53.
499
Zur aristotelischen Vier-Ursachen-Lehre vgl. Phy. II 3, 194b23-195a3; An. Post. II 11, 94a20-
b26. Zur Erklärung dieser Lehre, wonach die Ursachen ‘Erklärungskraft’ haben und ‘Erklärungen’
konstituieren, vgl. Wolfgang Detel in: Aristoteles, An. Post., Hb. II, 55-58.
500
Aristoteles, An. Post. I 1, 71a1-2 (Übersetzung Detel, in: Aristoteles, An. Post., Hb. I, 17):
»Pa=sa didaskali/a kai\ pa=sa ma/qhsij dianohtikh\ e)k prou+parxou/shj gi/netai gnw/sewj.«

265
De Anima

die didaskali/a in erster Linie nicht als eine didaktische Belehrung in einem Lernkon-
text, sondern als einen Prozeß der Vertiefung von bereits gegebenen Wissen durch die
konkrete Konstruktion von befriedigenden Demonstrationen. Denn die An. Post. han-
delten von einem »wesentlichen methodologischen Schritt der wissenschaftlichen For-
schung, nämlich der Aufdeckung von (aristotelischen) Ursachen«502. Auch die ma/qhsij
dianohtikh/ werde von Aristoteles nicht auf deduktive oder demonstrative Argumente
eingeschränkt, sondern in An. Post. I 1, 71a2-11 und I 18, 81a39f. auch auf die Induk-
tion angewandt. Folglich beziehe sich die ma/qhsij nicht nur auf das Lernen, sondern
auch auf die wissenschaftliche Forschung. Dieser Prozeß der Vertiefung von bereits
gegebenem Wissen durch dessen Demonstration und Erklärung kann daher für Detel
zu folgendem Vertiefungstheorem zusammengefaßt werden:
»Eine aristotelische Wissenschaft W zielt (i) auf die Etablierung von Prinzipien als allgemeinen
Sätzen auf der Grundlage von Induktionen mittels Einsicht; (ii) ferner auf die Entdeckung von
Prinzipien qua Prinzipien, d. h. von allgemeinen Sätzen, die möglichst viele Theoreme von W
zu demonstrieren und zu erklären gestatten; (iii) schließlich, auf der Grundlage bereits etablier-
ten Wissens von allgemeinen Sätzen, auf die Vertiefung dieses Wissens durch Entdeckung der
Erklärungen für bereits bekannte allgemeine Fakten.«503

Das Vertiefungstheorem zeigt also auf, daß zum Prozeß wissenschaftlicher Forschung
nicht nur die Etablierung von Prinzipien als allgemeine Sätze gehören (vgl. An. Post. II
19), sondern auch die Entdeckung von Prinzipien als Prinzipien sowie die kausale Ver-
tiefung von bereits gegebenem Wissen (vgl. An. Post. I 1 bis II 18). Daß dieses Theo-
rem auch Zabarellas Erkenntnistheorie zugrunde liegt, wird aus seiner Interpretation
von An. Post. I 1 deutlich.
Er betont dort, daß Aristoteles mit seinem Anfangssatz (71a1-2) gegen die platoni-
sche Anamnesis-Lehre argumentiere. Sofern Platon nämlich verneine, daß es so etwas
wie einen Beweis geben könne, das Wissen vielmehr eine Erinnerung sei, so daß wir
nichts Neues kennenlernen könnten, vielmehr nur das, was wir bereits wüßten, hebe er
jeden Beweis auf und damit das, was Wissenschaft auszeichne: ein nachvollziehbares
und beweisbares Wissen zu sein. Hiergegen setze Aristoteles seine These, wonach je-
des beweisende Wissen aus præcognita bestehe. Denn Subjekt dieses Satzes sei die
scientia conclusionis demonstrativæ, die Aristoteles hier didaskali/a (doctrina) und
ma/qhsij dianohtikh/ (disciplina dianoetice) nenne, während das Prädikat die Erkennt-
nis der Prinzipien bezeichne. Der Sinn des Satzes sei daher folgender: »Das Wissen der

_________________________________________________________________________________________________________
501
Vgl. Wolfgang Wieland, Die aristotelische Physik. Untersuchungen über die Grundlegung der
Naturwissenschaft und die sprachlichen Bedingungen der Prinzipienforschung bei Aristoteles. Göt-
tingen 1962, 53: »Die deduktiv-axiomatische Methode dient niemals dazu, Wissen zu gewinnen, son-
dern immer nur dazu, schon gewonnenes Wissen darzustellen. So dient sie vornehmlich didaktischen
Zielen.«
502
Wolfgang Detel, Anmerkungen, in: Aristoteles, An. Post., Hb. II, 18.
503
Wolfgang Detel, Einleitung, in: A. a. O., Hb. I, 285.

266
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

Schlußfolgerung wird durch die vorangehende Kenntnis der Prinzipien erworben.«504


Auch für Zabarella sind die An. Post. Also nicht eine Lehrdarstellung, sondern eine
scientia demonstrativa, die um die Ursache eines Gegenstandes weiß und die notwen-
dig Vorkenntnisse voraussetzen muß.
In An. Post. I 1, 71a11-13 hat Aristoteles zwei von ihnen benannt: »Auf zweifache
Weise jedoch ist es notwendig, bereits Kenntnisse zu besitzen. Denn es ist notwendig,
von einigen Dingen im voraus anzunehmen, daß sie sind, von anderen zu verstehen,
was das Gesagte ist, von wieder anderen dagegen beides …«505 Für Zabarella hat Ari-
stoteles hier die vier möglichen modi præcognoscendi – »was das Wort bezeichnet, ob
der Gegenstand existiert, was er ist und ob er ein solcher ist«506 – auf zwei reduziert:
auf das ‘Daß’ und ‘Was’. Denn zum einen werde durch die Benennung des ‘Was’ so-
wohl das ‘Was des Wortes’ wie das ‘Was des Gegenstandes’, zum andern durch die
Benennung des ‘Daß’ sowohl das undifferenzierte ‘Ob des Gegenstandes’ wie das ‘Ob
er von der und der Art ist’ umfaßt. Es hänge dabei jeweils vom allgemeinen Bekannt-
heitsgrad einer Sache ab, inwieweit eine Vorkenntnis zu exemplifizieren sei.
Sofern nun jedes Wissen aus einer bereits bestehenden Vorkenntnis hervorgeht, ist
klar, und damit wird an bereits Gesagtes angeknüpft, daß es (logisch gesehen) keinen
schroffen Übergang von einem vollständigen Nichtwissen zu einem vollkommenen
Wissen geben kann; vielmehr gibt es, wie Zabarella betont hat, einen modus medius
cognoscendi, ein ungefähres Wissen von einem Gegenstand, das auf Vorkenntnissen
beruht (vgl. An. Post. I 1, 71a27-29; 71b5-8). Dieses »undeutlich-mögliche Wissen ist
gewissermaßen ein Mittleres zwischen einem wirklichen und vollkommenen Wissen
und einem vollkommenen Nichtwissen.«507 Aristoteles nennt diese Differenz zwischen
der cognitio confusa & distincta508 auch die zwischen dem h(mi=n gnwrimw/teron und
dem tv= fu/sei gnwrimw/teron, dem für uns Bekannteren und dem der Natur nach Be-
kannteren. So heißt es in An. Post. I 2, 71b33-72a1: »Vorrangig aber ist etwas, und be-
504
Zabarella, Commentarius in libros An. Post., lib. I, c. 1, t. 1, 621D: »… ut sensus totius propo-
sitionis [sc. An. Post. I 1, 71a1-2] sit, scientia conclusionis acquiritur ex præcedente principiorum
cognitione …«
505
Aristoteles, An. Post. I 1, 71a11-13 (Übersetzung Detel, in: Aristoteles, An. Post., Hb. I, 17):
»dixw=j d )a)nagkaion proginw/skein: ta\ me\n ga/r, o(/ti e)/sti, prou+polamba/nein a)nagkai=on, ta\
de/, ti/ to\ lego/meno/n e)sti, cunie/nai dei=, ta\ d )a)/mfw …«
506
Zabarella, Commentarius in libros An. Post, lib. I, c. 1, t. 2, 630B: »… ita quatuor tantùm relin-
quuntur præcognitiones, quid significet nomen, an res sit, quid sit, & an talis sit, has tamen Aristote-
les ad duas redigit, quid sit, & quod sit …«
507
A. a. O., t. 3, 635D-E: »… & hæc confusa, & potentialis cognitio medium quoddam est inter
actualem perfectamque cognitionem, & perfectam ignorationem …«
508
Auch Toletus unterscheidet zwischen diesen beiden Arten des Wissens: »Adverte præterea, no-
titiam esse duplicem: alteram quidem confusam; alteram distinctam: confusa dicitur cognitio totius,
non cognitis ipsis partibus, ut qui hominem cognosceret per aliquod accidens, non per partes naturæ
ipsius, haberet cognitionem confusam. Distincta verò est cognitio totius per suas partes, ut qui homi-
nem cognosceret per animal rationale, aut per rationalem animam, & corpus, distinctè cognosceret.«
(Physica I 1, q. 5, 10ra).

267
De Anima

kannter, auf doppelte Weise. Denn es ist nicht dasselbe, vorrangig von Natur aus zu
sein und in bezug auf uns vorrangig, und auch nicht bekannter und für uns bekann-
ter.«509 Aus der Erklärung dieser Bestimmung bei Zabarella kann deutlich gemacht
werden, wie bei ihm in der Tat die Methodologie zur Erkenntnistheorie wird, so Kess-
lers These (vgl. 1.3.), und wie der Übergang von der cognitio confusa zur cognitio di-
stincta nichts anderes bezeichnet als die Vorgehensweise der methodus resolutiva,
welche die Methode der nicht-analytischen Schriften ist. Dies erfordert kurz eine nähe-
re Bestimmung dessen, was Zabarella unter dem Begriff Methode versteht.
Im dritten Buch von De Methodis hat er sie als »ein geistiges Werkzeug« definiert,
»das die Erkenntnis von Unbekanntem aus Bekanntem bewerkstelligt.«510 Als eine
schlußfolgernde Kraft (vis illativa) mit einem Ausgangs- und Endpunkt (terminus a
quo & terminus ad quem) sei sie nichts anderes als ein Syllogismus, denn nur dieser
folgere etwas Unbekanntes aus etwas Bekanntem. Wie der ordo naturalis, so wird also
auch die Methode Teil des Erkenntnisprozesses. Da hierbei der Fortgang notwendiger-
weise entweder von der bekannten Ursache zur unbekannten Wirkung oder umgekehrt
verläuft, kann es für Zabarella nur zwei wissenschaftliche Methoden geben: Die me-
thodus demonstrativa schließt aus der bekannten Ursache auf die unbekannte Wirkung,
während die methodus resolutiva von der bekannten Wirkung zur unbekannten Ursache
verläuft.511 Daß diese beiden Methoden allein hinreichend sind für die Erkenntnis aller
Dinge, erklärt er wie folgt: Der Wissenserwerb zielt entweder auf eine Substanz oder
auf ein Akzidens ab. Jene wird mittels der methodus resolutiva ermittelt, die gleichsam
in einer rückführenden Auflösung, in einem Rückschritt zu den Wirkungen dieser Sub-
stanz sie selbst als Ursache dieser Wirkungen in ihrem Wesen erfaßt. Die Akzidentien
wiederum werden mittels eines Beweises (methodus demonstrativa) ermittelt, der die
Ursache der Akzidentien benennt und damit zu ihrem vollständigen Wissen führt.512
Diese Beschreibung der beiden Methoden besagt nun für Zabarella nichts anderes,
als daß auf der einen Seite der Weg von den Prinzipien, von der bekannten Ursache zur
unbekannten Wirkung genommen wird, der Weg vom der Natur nach Bekannteren (tv=
fu/sei gnwrimw/teron) zum für uns Bekannteren (h(mi=n gnwrimw/teron) als methodus

509
Aristoteles, An. Post. I 2, 71b33-72a1 (Übersetzung Detel, Aristoteles, An. Post., Hb. I, 19):
»pro/tera d )e)sti\ kai\ gnwrimw/tera dixw=j: ou) ga\r tau)to\n pro/teron tv= fu/sei kai\ pro\j h(ma=j
pro/teron, ou)de\ gnwrimw/teron kai\ h(mi=n gnwrimw/teron.«
510
Zabarella, De Methodis, lib. III, c. 2, 224E-225A: »Methodus est intellectuale instrumentum
faciens ex notis cognitionem ignoti …«
511
Vgl. a. a. O., lib. III, c. 4, 230E-F: »…duæ igitur scientificæ methodi oriuntur, non plures, nec
pauciores, altera per excellentiam demonstrativa methodus dicitur, quam Græci kuri/wj a)po/deicin,
vel a)po/deicin tou= dio/ti vocant; nostri, potissimam demonstrationem, vel demonstrationem propter
quid appellare consueverunt: altera, quæ ab effectu ad causam progreditur, resolutiva nominatur:
huiusmodi enim progressus resolutio est, sicuti à causa ad effectum dicitur compositio. Methodum
hanc vocant Græci sullogismo\n tou= o(/ti, vel dia\ shmei/wn, nostri demonstrationem quia, vel syllo-
gismum a signo, vel secundi gradus demonstrationem. Has duas methodos in Aristotelis disciplina
reperio, demonstrativam, & resolutivam …«
512
Vgl. a. a. O., lib. III, c. 17, 264F-265C.

268
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

demonstrativa, und auf der anderen Seite der Weg zu den Prinzipien hin und damit von
der bekannten Wirkung zur unbekannten Ursache, der Weg vom für uns Bekannteren
zum der Natur nach Bekannteren als methodus resolutiva. Die Wahl der Methode ist
also nicht beliebig, sondern hängt vom jeweiligen Wissensstand ab: Die methodus de-
monstrativa wird allein in der Mathematik angewandt, wo die Prinzipien bekannt sind,
wo das der Natur nach Bekanntere auch das für uns Bekanntere ist, und sie wird in den
beiden Analytiken bewiesen513, während die methodus resolutiva in allen nicht-
analytischen Wissenschaften angewandt wird, wo uns die Prinzipien unbekannt sind514.
Dieser kurze Exkurs hat den Zusammenhang von Wissen und Methode verdeutlicht,
auf den Aristoteles in An. Post. I 2, 71b33-72a1 anspielt. Zabarella interpretiert diesen
Satz in De Methodis nun so, daß in der natürlichen Reihenfolge der Dinge die Ursache
früher ist als die Wirkung. Erlangt man also aus der Kenntnis der Ursachen das Wissen
von den Wirkungen, so bedient man sich der mit dem Wesen der Dinge übereinstim-
menden methodus demonstrativa und schreitet so von dem der Natur nach Bekannteren
zum Unbekannten fort. Der Natur nach bekannt heißt nun für Zabarella dasjenige, des-
sen Erkenntnis nicht von etwas anderem abhängt, wie dies bei der Ursache der Fall ist;
der Natur nach unbekannt heißt dasjenige, dessen Erkenntnis notwendigerweise von
der Kenntnis eines anderen abhängt, wie bei der Wirkung.515 Aufgrund der imbecillitas
513
Vgl. An. Pr. I 1, 24a 10-11 und An. Post. II 19, 99b 15-17. Da beide Analytiken auf das voll-
kommene Wissen abzielen, ein Wissen, das in der Kenntnis der Ursachen und der Wirkungen besteht,
behandeln sie vorrangig die methodus demonstrativa.
514
Als ein Beispiel für diese methodus resolutiva nennt Zabarella die Schrift De Anima, wo sich
gleich am Anfang (vgl. De An. I 1, 402a11-16) die Überlegung findet, ob es eine Methode gebe für
alles, wovon wir die ou)si/a erkennen wollen, so wie für die Akzidentien den Beweis (a)po/deicij; zur
Diskussion dieser Äußerungen in der aristotelischen Rezeptionsgeschichte vgl. Eckhard Kessler, Me-
thod in the Aristotelian Tradition: Taking a Second Look, in: Method and Order in Renaissance Phi-
losophy of Nature, 113-142, hier: 119-128.). Für Zabarella zeigt sich hier zunächst eine Bestätigung
seiner These, daß Aristoteles nur zwei Methoden zur Erlangung der Kenntnis von allem und jedem
angewandt hat. Sofern nämlich die a)po/deicij, die nach der methodus demonstrativa verfährt, hier für
die Erkenntnis der Akzidentien angesetzt wird, ist klar, daß die Erkenntnis des Wesens der Seele ge-
mäß der methodus resolutiva zu erfolgen hat. Ist uns nämlich das Wesen eines Dings unbekannt, dann
müssen wir von dem für uns Bekannteren, den Akzidentien, zum Unbekannten, der Substanz, fort-
schreiten. Denn auch die Akzidentien tragen, wie es in De An. I 1, 402b22-25 heißt, sehr viel zur Er-
kenntnis des Wesens einer Sache bei. Als eine i(stori/a peri\ th=j yuxh=j (I 1, 402a3f.) folgt die
Schrift De An. insgesamt, so Zabarella, der methodus resolutiva als einer demonstratio ab effectu (De
Methodis, lib. III, c. 13, 253A-D, und III 19, 271B-C). Damit haben wir den Sachverhalt, daß die
Schrift De An. nach dem ordo compositivus angeordnet ist (vgl. 3.1.2.), d. h. mit der Bestimmung der
Seele als Prinzip beginnt. Weil uns dieses Prinzip aber unbekannt ist, erfolgt der Wissenserwerb nach
der methodus resolutiva von den Akzidentien, d. h. von den Seelenvermögen her. Nur das Zusammen
von Ordnung und Methode gewährt also ein vollständiges Wissen von einer Sache, wie Zabarella
selbst betont: » … ideo neque solus ordo, neque sola methodus perfectam rerum scientiam præbere
potest, sed ambo requiruntur; ordo enim solus nihil docet: methodus verò sine ordine docet quidem,
sed perfectam scientiam non parit, vel cum summo discentis labore, & summa cum difficultate …«
(A. a. O., lib. III, c. 17, 265D) Weitere Belege für die methodus resolutiva sind EN I 2, 1095b 1-5;
Met. VI 3, 1029b 3-12 und Phys. I 1, 184a 16-21.
515
Vgl. Zabarella, De Methodis, lib. IV, c. 10, 295F-296A.

269
De Anima

animæ humanæ seien dem Menschen aber nicht die Ursachen, sondern die Wirkungen
bekannt. Diese Kenntnis der Wirkungen ohne Kenntnis ihrer Ursachen sei aber eine
unvollkommene. Vielmehr müßte sich der Mensch in einem Zustand befinden, in dem
er die Ursachen vor den Wirkungen erkennen und so die Natur in ihrer natürlichen Rei-
henfolge der Dinge nachahmen könne. Und genau dies sei das Programm der beiden
Analytiken, in denen Aristoteles nur das vollkommene Wissen, das eben in der Kennt-
nis der Ursachen bestehe, und nicht das unvollkommene Wissen, das nur die Wirkun-
gen kenne, berücksichtigt habe.516 Beide Analytiken, die auf den Beweis der Wirkungen
abzielen, berücksichtigen also nicht den Zustand, in dem wir uns als Erkennende be-
finden, sondern in dem wir uns befinden sollten. Denn das distinkt-perfekte Wissen ist
eben der Vorrang des tv= fu/sei gnwrimw/teron vor dem h(mi=n gnwrimw/teron. Folglich
heißt das von Natur aus Bekanntere nicht so, sofern wir uns im Zustand der Unkenntnis
befinden, sondern, sofern wir bei unserer Suche nach der Erkenntnis der Dinge die Na-
tur nachahmen. Auf diese Weise, so Zabarella, habe Aristoteles beide Erkenntniswei-
sen uns, nicht der Natur zugeschrieben, so daß die Unterteilung in das ‘für uns’ und in
das ‘der Natur Bekanntere’ folgenden Sinn habe:
»Einige Dinge heißen ‘bekannter’ nicht der Natur nach, sondern für uns, andere heißen ‘be-
kannter’ der Natur nach und nicht für uns, d. h. nicht für uns, sofern wir von der Ordnung der
Natur abweichen, aber für uns, sofern wir die Natur nachahmen und die Dinge in der Weise er-
kennen, in welcher sie erkannt werden müssen.«517

Das ‘bekannter der Natur nach und nicht für uns’ bezeichnet also unsere Abweichung
von der Naturordnung, wenn wir die Ursachen nicht kennen, während das ‘bekannter
der Natur nach und für uns’ unsere Nachahmung der Natur kennzeichnet, wenn wir die
Ursachen kennen. Was aber ist das für uns Bekanntere?
In An. Post. I 2, 72a1-5 heißt es: »Ich nenne dabei in bezug auf uns vorrangig und
bekannter das der Wahrnehmung Nähere, schlechthin vorrangig und bekannter das
Entferntere. Es ist aber am entferntesten das Allgemeinste, am nächsten jedoch das
Einzelne, und diese sind einander entgegengesetzt.«518 Da beide Analytiken der metho-

516
Vgl. a. a. O., 296E-F: »Aristoteles igitur tradere nobis volens methodum & instrumentum, quo
ad rerum cognitionem duceremur, perfectam cognitionem primariò respexit, & primariò docere voluit
instrumentum illud, quod naturalem rerum ordinem imitando perfectam nobis scientiam traderet, qua
ita res cognosceremus, ut cognoscendæ sunt: in qua sua primaria tractatione non respexit ingenij no-
stri imbecillitatem, qui causas, à quibus progrediendum esset, sæpenumerò ignoramus, sed solùm
quænam sit methodus perfectam scientiam tradens, consideravit.«
517
A. a. O., 297D-E: »alia [sc. res] dicuntur notoria, non secundùm naturam, sed nobis; alia verò
natura, non nobis, id est, non nobis ut ordini naturæ adversantibus, sed nobis ut naturam imitantibus,
& res cognoscentibus eo modo, quo sunt cognoscendæ …«
518
Aristoteles, An. Post. I 2, 72a1-5 (Übersetzung Detel, in: Aristoteles, An. Post, Hb. I, 19):
»le/gw de\ pro\j h(maj me\n pro/tera kai\ gnwrimw/tera ta\ e)ggu/teron th=j ai)sqh/sewj, a(plw=j de\
pro/tera kai\ gnwrimw/tera ta\ porrw/teron. e)/sti de\ porrwta/tw me\n ta\ kaqo/lou ma/lista,
e)gguta/tw de\ ta\ kaq ) e(/kasta. kai\ a)nti/ketai tau=t )a)llh/loij.« Das kaqo/lou ma/lista in 72a4
ist also anders zu verstehen als das kaqo/lou in 71a28. Dort bezeichnete es ein ‘zu wissen’ im un-
deutlichen und unvollkommenen Sinne (cognitio confusa), während es hier gerade für das vollkom-

270
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

dus demonstrativa folgen, kann der Weg hier nur vom Allgemeinsten, das das der Na-
tur nach Bekanntere ist, zum Einzelnen führen, dem für uns zunächst und zumeist Be-
kannteren, von dem wir aufgrund unserer Geistesschwäche immer dann ausgehen müs-
sen, wenn wir unser Wissen (vom Allgemeinen) noch nicht beweisen können, sondern
erst noch als ein solches sicherstellen müssen. Dies ist die Vorgehensweise der nicht-
analytischen Schriften gemäß der methodus resolutiva, wie nun anhand der Interpreta-
tionen von Toletus, Zabarella und den Conimbricensern zu Phy. I 1 zu zeigen ist. Da-
mit wird die Beantwortung der zweiten Frage hinsichtlich der Reihenfolge des Erken-
nens des Allgemeinen vorbereitet: Wird zuerst das mehr oder weniger Allgemeine er-
kannt?

3.3.7.2. Der natürliche Prozeß der undeutlichen Erkenntnis

Wie bereits erwähnt, liegt dem ordo naturalis der ordo cognitionis confusæ zugrunde,
während der ordo doctrinæ den ordo cognitionis distinctæ zum Gegenstand hat. Da es
im vorliegenden Zusammenhang um den ordo naturalis geht, bleiben die cognitio di-
stincta actualis & potentialis des ordo doctrinæ unberücksichtigt. Ebensowenig wird
die cognitio confusa potentialis thematisiert, da sie sich aus der cognitio confusa actua-
lis ergibt. Allein diese undeutlich-aktuelle Kenntnis ist also Gegenstand im Zusam-
menhang mit der Frage nach der Reihenfolge der Erkenntnis des Allgemeinen.519 Diese
kann für Zabarella wiederum zweierlei sein: Entweder ist sie das (generisch, nicht lo-
gisch betrachtete) erste begriffliche Auffassen eines Gegenstandes, über den man vor-
her noch nicht verfügte – wenn ich mir z. B. zum ersten Mal im Geist den noch undeut-
lichen Begriff ‘Pferd’ bilde –, oder sie ist die aktuell-habituelle Erkenntnis eines bereits
früher erkannten Gegenstandes. Dies ist dann der Fall, wenn ich z. B. gerade ein Pferd
sehe und es mit meinem bereits erworbenen Begriff ‘Pferd’ vergleichen kann. Jene Er-
kenntnis nennt Zabarella eine cognitio actualis originalis confusa, diese eine cognitio
actualis habitualis confusa.520 Hieraus resultieren zwei Fragen: Was ist das (generisch)
Ersterkannte der undeutlich-ursprünglichen Erkenntnis, das mehr oder weniger Allge-
meine, und was ist das Ersterkannte der undeutlich-habituellen Erkenntnis, das mehr
oder weniger Allgemeine?

_________________________________________________________________________________________________________

mene Wissen (cognitio perfecta) steht. Das kaqo/lou ist also wie das kaq )e(/kaston nicht nur ein
Relationalbegriff, sondern auch ein Funktionalbegriff, dessen Bedeutung sich erst aus dem Kontext
ergibt.
519
Vgl. hierzu Zabarella, De Ordine intelligendi, c. 11, 1060B-E. Toletus, Physica I 1, q. 5, 11ra-b.
Coll. Conimbricense, Physica I 1, q. 2, art. 1, 57.
520
Vgl. Zabarella, De Ordine intelligendi, c. 11, 1061B: »cognitio nostra actualis confusa duplex
est, una originalis, altera vero habitualis …« Diese Unterscheidung führt Zabarella auf seinen Lehrer
Genua zurück (vgl. a. a. O., c. 9, 1057A-B). Sie findet sich weder bei Toletus noch bei den Conimbri-
censern.

271
De Anima

Im Zusammenhang mit der ersten Frage standen sich in der Scholastik die Positio-
nen von Thomas und Scotus gegenüber, die Zabarella und die Conimbricenser umfas-
send referierten.521 Thomas hat in der Summa Theologiae die These vertreten, daß das
Ersterkannte das am meisten Allgemeine ist.522 Er begründete dies u. a. mit einem
Hinweis auf Phy. I 1,184a23f., wo Aristoteles den Weg vom (unbestimmt) Allgemei-
nen als dem für uns Bekannteren zum Einzelnen beschreibt. Das (unbestimmte) Ganze
werde nämlich immer früher erkannt als dessen Teile. Das mehr Allgemeine sei aber
eher das Ganze als das weniger Allgemeine. Auch die Erfahrung zeige uns, daß wir
eher das Genus eines Lebewesens bestimmen könnten als dessen Art. Unsere Erkennt-
nis schreite also von einem konfuseren, weil allgemeineren Wissen zu einem deutliche-
ren, weil spezifischeren Wissen fort. Für Scotus ist dagegen die species specialissima
als das weniger Allgemeine das Ersterkannte523, denn je allgemeiner und unbestimmter
ein Gegenstand sei, desto schwieriger könne er von uns im Rahmen der cognitio confu-
sa actualis erkannt werden. Sein Hauptargument lautet dabei wie folgt: Die causa na-
turalis ist hinreichend geeignet, ohne irgendwelche Hindernisse die vollkommenste
Wirkung hervorzubringen. Der menschliche Geist ist als causa naturalis geeignet, den
conceptus perfectissimus aufzufassen, der nichts anderes ist als der conceptus speciei
specialissimae. Denn der um einiges allgemeinere Begriff (conceptus alicuius commu-
nioris) sei weniger vollkommen als der besondere Begriff, weil er das Einzelne weni-
ger genau bestimme. Dies bedeute, daß für den menschlichen Geist nicht das ens das
undeutlich Ersterkannte sei, sondern der Begriff homo, weil dieser der vollkommenste
und ihm am meisten affine sei. Erst später bilde er dann die allgemeineren Begriffe
‘Körper’ und ‘Lebewesen’ aus.
Wie vor ihm bereits Genua und Zimara524, so versuchte auch Toletus in einer kom-
plizierten Argumentation beide Ansichten miteinander auszugleichen. Zunächst stimm-
te er der These von Thomas zu, wonach das Ersterkannte das ens sei: »Je allgemeiner
etwas ist und je angemessener dem Seienden, desto bekannter ist es uns. Daher wird
zuerst die Gattung, zuletzt die unterste Art erkannt.«525 Toletus begründete diese An-
521
Vgl. Zabarella, De Ordine intelligendi, c. 7 und 8, 1055A-1057A. Coll. Conimbricense, Physica
I 1, q. 3, art. 1 und 2, 64-67.
522
Vgl. Thomas, STh I, q. 85, art. 3, in: Opera 5, 336: »Est ergo dicendum quod cognitio singula-
rium est prior quoad nos quam cognitio universalium, sicut cognitio sensitiva quam cognitio intellec-
tiva. Sed tam secundum sensum quam secundum intellectum, cognitio magis communis est prior
quam cognitio minus communis.«
523
Vgl. Duns Scotus, Ad IV. libros magistri sententiarum. Tomus I und II. Edidit P. Marianus Fer-
nandez Garcia. Rom 1912, hier: lib. I, dist. III. q. 1 & 2, art. 6, nr. 356: »His praeintellectis, primo
pono ordinem originis in cognitione eorum actuali quae concipiuntur confuse. – Et quoad hoc dico:
primum actualiter cognitum confuse est species specialissima cuius singulare efficacius et fortius
primo movet sensum, sive sit audibile, sive visibile, sive tangibile: quodcumque enim individuum
fortius movet sensum eius species primo cognita est cognitione confusa.«
524
Vgl. hierzu Zabarella, De Ordine intelligendi, c. 9 und 10, 1057A-1059E.
525
Toletus, Physica I 1, q. 5, 11va: »Quo universaliora sunt & propinquiora enti, sunt nobis notio-
ra: unde primò genus, ultimò species ultima cognoscitur.«

272
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

sicht zum einen mit der Abhängigkeit des Erkennens von der Sinneswahrnehmung.
Danach wird zuerst jenes Allgemeine vom Geist erkannt, dessen Einzelnes zuerst die
Sinne bewegt. Das Einzelne des Allgemeineren bewegt aber zuerst die Sinne, so daß
man zuerst ein (unbestimmt) Seiendes wahrnimmt, dann einen Körper, dann ein Lebe-
wesen. Zum andern verweist Toletus auf die allgemeine Regel, daß jedes Vermögen
zuerst seinen eigentümlichen Gegenstand erfasse. Dieser sei beim Geist das Seiende.
Also werde es zuerst von ihm erkannt. Gegen diese Ansicht gibt es aber einen gewich-
tigen Einwand, der von Porphyrius, Themistius und Philoponus vorgebracht worden
ist: Wenn das Allgemeine durch Abstraktion von den einzelnen Dingen und vom we-
niger Allgemeinen gewonnen wird, dann müssen zuerst diese erkannt werden. Toletus
trägt diesem Einwand mit einer weiteren These Rechnung, ohne daß klar wird, wie
zwischen beiden Positionen ein Ausgleich möglich wäre: »Zwischen den Universalien
ist der bestimmte Begriff das von unserem Geist zuerst Erkannte.«526 Unter dem con-
ceptus specificus versteht Toletus nicht Scotus’ conceptus speciei specialissimae, son-
dern einen vom Individuum unmittelbar abstrahierten Begriff, sei dies nun ein Gat-
tungs- oder Artbegriff, wie der Begriff animal. Toletus beweist diese Ansicht wie
folgt: Ein conceptus genericus wird im natürlichen Gang des Erkennens durch Ab-
straktion von einzelnen Wörtern bzw. ‘Begriffen’ gebildet. Die ersten Wörter bzw.
‘Begriffe’ sind aber individuell-spezifisch. Also nimmt die erste Abstraktion von die-
sen conceptus specifici ihren Ausgang.
Auch die Conimbricenser versuchten einen Ausgleich zwischen den beiden genann-
ten Positionen, indem sie die Erkenntnis des mehr oder weniger Allgemeinen auf zwei-
fache Weise unterschieden: Wie es eine Erkenntnis gibt, die durch impedimenta ver-
hindert wird, so gibt es eine, die frei von ihnen ist. Ist letzteres der Fall, dann ist die
species infima das Ersterkannte. Liegt ersteres vor, dann ist das mehr Allgemeine, das
Seiende in seiner Unbestimmtheit, das Ersterkannte.527 Je größer also die Beeinträchti-
gungen, desto allgemeiner und damit unbestimmter die cognitio confusa actualis. Die-
se Argumentation überzeugt aber aus folgendem Grund nicht: Wenn keine impedimen-
ta vorliegen, wie kann dann noch von einer cognitio confusa actualis gesprochen wer-
den? Müßte unser Geist dann nicht sogleich einen conceptus distinctus bilden können,
weil eine cognitio distincta vollkommener ist als eine cognitio confusa?
Zabarella folgte wohl aus diesem Grunde der Ansicht des Thomas: »Das Ersterkann-
te in der aktuell-ursprünglich-undeutlichen Erkenntnis ist das am meisten Allgemei-
ne.«528 Er begründete dies u. a. mit einem Hinweis auf Phy. I 1, wo Aristoteles Überle-
gungen anstellte, nach welcher Methode naturwissenschaftliches Wissen erworben
526
A. a. O., 12va: »Inter universalia conceptus specificus est primò cognitum ab intellectu nostro.«
527
Vgl. Coll. Conimbricense, Physica I 1, q. 3, art. 3, 68: »Prima [assertio], Si nihil sit, quod im-
pedimentum inferat, id quod ex communibus naturis à nostro intellectu primùm concipitur, est species
infima. … Secunda assertio, Si non amoveantur impedimenta, magis universalia priùs à nobis conci-
pientur, quàm minùs universalia.«
528
Zabarella, De Ordine intelligendi, c. 12, 1061E-F: »primum [sc. cognitum] cognitione actuali
originali confusa est maxime universale …«

273
De Anima

wird. Von einem Wissen spricht man nur dann, so der Stagirite in Anlehnung an das in
An. Post. I 2, 71b9-12 Gesagte, wenn man die Ursachen und Prinzipien von einem Ge-
genstand besitze und dieser sich nicht anders verhalten könne (vgl. 184a12-14). Auch
in der Physik müsse daher der Versuch gemacht werden, die Prinzipien der natürlichen
Gegenstände zu bestimmen (a14-16). Diese Vorgehensweise, so Zabarella, entspreche
der methodus demonstrativa, die, wie gesehen, aus der Kenntnis der Prinzipien und der
Ursachen die Wirkungen eines Gegenstandes ermittle, um so ein vollkommenes Wis-
sen von ihm zu erlangen. Da uns aber die Prinzipien in der Naturwissenschaft nicht
bekannt seien, führe der Weg vom für uns Bekannteren und Deutlicheren zu dem von
Natur aus Bekannteren und Deutlicheren – der Weg der methodus resolutiva. Genau
diesen Übergang von der methodus demonstrativa zur methodus resolutiva vollziehe
Aristoteles von 184a14-16 zum nachfolgenden Passus a16-21:
»Es ergibt sich damit der Weg von dem uns Bekannteren und Deutlicheren zu dem in Wirklich-
keit Deutlicheren und Bekannteren. Denn was uns bekannter ist und was an sich ist, ist nicht
dasselbe. Deshalb muß also auf diese Weise vorgegangen werden: Von dem der Natur nach Un-
deutlicheren, uns aber Deutlicheren hin zu dem, was der Natur nach deutlicher und bekannter
ist.«529

Wir müssen also Zuflucht bei der methodus resolutiva suchen, die uns von dem für uns
Bekannteren zu dem der Natur nach Bekannteren, den Prinzipien, führen soll. Für Za-
barella ist dies ein Zeichen dafür, daß die methodus resolutiva eine zweitrangige ist
und Dienerin der beweisenden Methode. Wenn uns nämlich die Prinzipien bekannt wä-
ren, dann wäre die methodus resolutiva überflüssig, da wir sogleich die Ursachen der
Wirkungen erkennen würden. Doch aufgrund der imbecillitas animæ humanæ sind uns
die Prinzipien unbekannt, von denen aus die Wirkungen zu demonstrieren wären, so
daß wir, von der Notwendigkeit gezwungen, Zuflucht zu einem zweitrangigen Weg
nehmen.530 Hieraus ergibt sich für Zabarella, daß der Zweck der beweisenden Methode

529
Aristoteles, Phys. I 1, 184a16-21: »pe/fuke de\ e)k tw=n gnwrimwte/rwn h(mi=n h( o(doj kai\ sa-
feste/rwn e)pi\ ta\ safe/stera tv= fu/sei kai\ gnwrimw/tera. ou) ga\r tau)ta\ h(mi=n te gnw/rima kai\
a(plw=j. dio/per a)na/gkh to\n tro/pon tou=ton proa/gein e)k tw=n a)safeste/rwn me\n tv= fu/sei h(mi=n
de\ safeste/rwn e)pi\ ta\ safe/stera tv= fu/sei kai\ gnwrimw/tera.« Weder Toletus noch die Co-
nimbricenser erörtern in ihrem Kommentar zu Phys. I 1 diesen Methodenwechsel. Für sie ist klar, daß
die Naturwissenschaft von den Prinzipien ausgehen muß. Den genannten Passus verstehen sie so, daß
Aristoteles hier näher bestimmt, von welchen Prinzipien ausgegangen werden muß, nämlich von den
für uns allgemeineren und undeutlicheren: »Ut autem probationis vis eluceat, advertendum est institu-
tum Aristotelis esse explicare à quibusnam principiis exordiri velit. Quia namque paulò ante à princi-
piis progrediendum sibi esse dixerat, posset alicui in dubium venire, esset ne à principiis rerum co-
muniorum an minus communiorum initia ducturus.» (Coll. Conimbricense, Physica I 1, t. 2, 48)
Ebenso Toletus, Physica I 1, t. 2, 10ra. Beide Autoren übersehen damit, daß man in der Naturphiloso-
phie nur dann von den Prinzipien ausgehen kann, wenn sie bekannt sind.
530
Vgl. Zabarella, De Methodis, lib. III, c. 18, 267A-D: »nos autem de illa resolutiva methodo
sermonem facimus, quæ rerum ignotarum ex notioribus cognitionem parit, & in alijs scientijs locum
habet, præsertim in scientia naturali; quum enim propter ingenij nostri, viriumque nostrarum imbecil-
litatem ignota nobis occurrant principia, ex quibus demonstrandum est, ab ignotis autem progredi non
possimus: ideo necessitate coacti ad secundariam viam confugimus, quæ est methodus resolutiva ad

274
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

in einem vollkommenen Wissen besteht, in der Erkenntnis von etwas durch dessen Ur-
sache, der Zweck der rückführend-auflösenden Methode dagegen in der Ermittlung
dieses Wissens. Was ist nun im Zusammenhang mit der undeutlich-ursprünglichen Er-
kenntnis das für uns Bekanntere?
In Phys. I 1, 184a21-23 heißt es: »Uns ist aber vor allem deutlich und durchsichtig
das mehr Vermengte. Später erst werden aus diesem bekannt die Grundbausteine und
die Prinzipien, wenn man es auseinandernimmt.«531 Das uns zunächst Gegebene ist,
vom ersten Eindruck her betrachtet, komplex und undifferenziert. Das sugkexume/non,
wörtlich das Zusammengegossene, ist dasjenige Zusammengesetzte, das noch nicht
bestimmt und differenziert ist. Um nun die noch unbekannten Prinzipien erkennen zu
können, muß man von diesem Zusammengesetzten als dem Undifferenzierten, das das
für uns Bekanntere ist, ausgehen. Deswegen, so der nächste Satz der Physik-Vorlesung,
muß man vom Allgemeinen zum Einzelnen gehen (a 23f.). Die sugkexume/na sind hier
als das undifferenzierte Allgemeine »im Sinne des Unbestimmt-Allgemeinen«532 zu
verstehen, während das Einzelne gerade die Prinzipien kennzeichnet – nochmals ein
Hinweis darauf, daß kaqo/lou und kaq )e(/kaston Funktionalbegriffe sind, die je aufein-
ander verweisen.533
Ist das sugkexume/non ein unbestimmt Allgemeines, das für uns im ordo cognitionis
confusæ bekannter ist als das weniger unbestimmt Allgemeine, so kann es auch als ein
Ganzes (to\ o(/lon) bezeichnet werden, denn das Ganze ist für die Sinneswahrnehmung
immer bekannter als die Teile, und das Allgemeine ist eine Art des Ganzen, denn es
umfaßt vieles als seine Teile (a 24-26). Die Wahrnehmung sieht zunächst und zumeist
das Vermengte als Ganzes und als undifferenziertes Allgemeines, wie z. B. den Körper
gegenüber dem Punkt, den Menschen gegenüber Kallias dem Menschen. So heißt es
auch in An. Post. II 19, 100a16-b1: »in der Tat nämlich wird zwar das Einzelne wahr-
genommen, aber die Wahrnehmung richtet sich auf das Allgemeine, wie etwa auf
Mensch, jedoch nicht auf Kallias den Menschen.«534 Selbst die Wahrnehmung, die es
mit dem Einzelnen zu tun hat, geht also »nicht auf das Einzelne als Einzelnes, sondern
faßt es unter einem Allgemeinheitsaspekt auf«535, nämlich als ein undifferenziertes All-
_________________________________________________________________________________________________________

principiorum inventionem ducens, ut ex eis inventis postea effectus naturales demonstremus. quare
methodus resolutiva secundaria est, & ministra demonstrativæ; quam sententiam apud Aristotelem
legere possumus in proœmio primi libri Physicorum …«
531
Aristoteles, Phys. I 1, 184a 21-23: »e)/sti d )h(mi=n to\ prw=ton dh=la kai\ safh= ta\ sugkexu-
me/na ma=llon. u(/steron d )e)k tou/twn gi/gnetai gnw/rima ta\ stoixei=a kai\ ai( a)rxai\ diairou=si
tau=ta.«
532
Wolfgang Wieland, Physik, 90.
533
Das kaqo/lou ist in Phys. I 1, 184a23f. also nicht so zu verstehen wie in An. Post. I 2, 72a4f.
534
Aristoteles, An. Post. II 19, 100a16-b1 (Übersetzung Detel, in: Aristoteles, An. Post., Hb. I,
83): »… kai\ ga\r ai)sqa/netai me\n to\ kaq )e(/kaston, h( d )ai)/sqhsij tou= kaqo/lou e)sti/n, oi(=on
a)nqrw/pou, a)ll )ou) Kalli/ou a)nqrw/pou.«
535
Wolfgang Wieland, Physik, 88, Anm. 3.

275
De Anima

gemeines. Der Wahrnehmungsakt richtet sich auf ein Einzelnes, Kallias, und gibt so
die bestimmteste Kenntnis des Einzelnen (vgl. Met. I 1, 981b11), während das Wahr-
genommene, der Inhalt der Wahrnehmung, zunächst als ein undifferenziertes Allge-
meines, z. B. als ‘Mensch’, wahrgenommen wird.
Auch die folgenden beiden Beispiele in 184b10-14 beschreiben das Allgemeine in
dieser unbestimmten Form: Die Wörter o)/noma & lo/goj sagen undifferenziert
(a)diori/stwj, b11) ein Ganzes aus, wie zum Beispiel ‘Kreis’. Erst die Definition be-
stimmt durch Angabe des genus proximum und der differentia specifica, was mit dem
unbestimmten Wort eigentlich gemeint ist. Auf ähnliche Weise nennen auch die Kin-
der zuerst jeden Mann Vater und jede Frau Mutter, bevor sie differenzieren (b12-14).
Die zunächst vermeinte Verallgemeinerung erweist sich als falsch, da eben nicht alle
Männer Väter sind. Erst die Differenzierung, die das Besondere des (allgemeinen)
Namens ‘Vater’ betont, zeigt zugleich die geeignete Verallgemeinerung des Namens
‘Vater’ an, denn der Name ist ein Allgemeines.536 Für Zabarella bezeichnen all diese
Beispiele unsere zunächst und zumeist undeutliche Erkenntnisweise (cognitio confusa),
nach der das Ersterkannte das am meisten Allgemeine im Sinne des noch unbestimmt
Allgemeinen ist.537 Daher führt die aristotelische Argumentation in der Naturphiloso-
phie von der undeutlichen Erkenntnis zur deutlichen:
»[Aristoteles] beweist die zu bewahrende Ordnung in der zu lehrenden vollkommenen Wissen-
schaft der natürlichen Dinge aus der Ordnung unserer undeutlichen Erkenntnis, indem er
gleichsam die künstliche Ordnung aus unserer natürlichen Ordnung des Lernens aufzeigt.«538

Hieraus ergibt sich, daß wir gemäß dem ordo naturalis zuerst das mehr Allgemeine im
Sinne des unbestimmt Allgemeinen erkennen als das weniger Allgemeine. Und hierin
soll der ordo doctrinæ dem ordo naturalis folgen, indem er durch die Nachahmung der
natürlichen Neigung unseres Geistes eine klare und deutliche Erkenntnis eines Gegen-
standes erreicht.
Abschließend unterscheidet Zabarella in Beantwortung der Frage, was das Erster-
kannte der undeutlich-habituellen Erkenntnis sei, zwischen zwei Weisen dieser Er-
kenntnis: Da im intellectus possibilis kein Eindruck der species intelligibilis, des Er-

536
Vgl. Wolfgang Detel, Anmerkungen, in: Aristoteles, An. Post., Hb. II, 873ff.
537
Vgl. Zabarella, De Ordine intelligendi, c. 12, 1062B-D: »Postea vero probans Aristoteles illam
conclusionem [sc. daß das mehr Allgemeine uns bekannter ist als das weniger Allgemeine und daß
von jenem zu diesem fortzuschreiten ist] assumpsit eam minorem, universalius est nobis notius, quam
tribus argumentis confirmavit, nec potuit intelligere alio modo notius, quam cognitione confusa, quod
manifestum est in tribus illis argumentis: totum enim est notius sensui, quam partes cognitione confu-
sa: nomen est nobis notius, quam definitio, cognitione confusa, ut etiam expresse ibi Aristoteles testa-
tur, dum inquit nomen significare totum quoddam confuse: prima quoque puerorum cognitio quando
omnem virum vocant patrem, & omnem fœminam matrem, est cognitio confusa …«
538
A. a. O., 1062E-F: »… ordinem enim servandam in tradenda perfecta scientia rerum naturalium
confirmat [sc. Aristoteles] ex ordine cognitionis nostræ confusæ, tamquam ex ordine nostro addis-
cendi naturali probans ordinem artificiosum …«

276
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

faßten als Begriff verbleibt, wie Zabarella unter Hinweis auf früher Gesagtes betont539,
kann der Geist aktuell nur erkennen, wenn er von einem Phantasma bewegt wird. Die-
ses ist aber das Produkt entweder eines gegenwärtigen äußeren Gegenstandes oder ei-
nes früher eingeprägten Bildes in der Erinnerung, ohne daß der äußere Gegenstand ge-
genwärtig wäre. Im letzteren Falle, so Zabarella, kann über diese habituelle Erkenntnis
in Hinsicht auf das Ersterkannte nichts Gewisses ausgesagt werden, denn das Erster-
kannte kann sowohl das mehr wie auch das weniger Allgemeine sein. Sofern nämlich
der Geist alle Haltungen in sich enthält, die allgemeineren und die weniger allgemei-
nen, kann er jederzeit denken, was er will. Er kann zuerst das Wesen des Körpers be-
trachten, anschließend das Wesen des Lebewesens, sei dies nun ein Löwe oder ein
Mensch, oder umgekehrt zuerst das Wesen des Menschen etc. Im andern Fall, sofern
die habituell-undeutliche Erkenntnis von der Gegenwart eines äußeren Gegenstandes
herrührt, ist das Ersterkannte das weniger Allgemeine, dessen Akzidentien die Sinne
bewegen. Da der äußere Gegenstand immer zuerst die Wahrnehmung bewegt, die sich,
wie gesagt, im Wahrnehmungsakt auf ein Einzelnes richtet, so wird auch der Geist
durch die Wahrnehmung vom weniger allgemein Erfaßten bewegt.540

3.4. Resümee

Die ausführliche Darstellung der philosophischen Psychologie der Jesuiten auf der ei-
nen Seite sowie der radikalen Naturphilosophen auf der andern Seite hat die Richtig-
keit der Schmidtschen These von den verschiedenen Aristotelismen auf eindringliche
Weise bestätigt. Der Renaissance-Aristotelismus war kein monolithischer Block; viel-
mehr zeigt sich eine Vielfalt von Positionen, die in der Psychologie untrennbar mit den
Schulen des Alexandrismus, Averroismus und Thomismus sowie des Neuplatonismus
eines Simplicius verknüpft waren. Diese Differenzen lagen nicht nur in den Schwierig-
keiten des aristotelischen Textes selbst begründet, der zu mannigfaltigen Fragen und zu
unterschiedlichen Interpretationen hinreichend Anlaß gab, sondern auch in den unter-
schiedlichen Philosophiekonzepten, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten: Auf
der einen Seite der Systemzwang der Theologie, der eine philosophische Interpretation
des Aristoteles forderte, die mit den Dogmen der katholischen Kirche übereinstimmen
mußte, und auf der anderen Seite eine Philosophie, die aus sich selbst heraus und ohne
Rückgriff auf die Theologie ihr Konzept einer libertas philosophiæ verwirklichen
wollte. Dieser Differenz im Aristotelismus entsprach gleichwohl eine Identität, die in
der ratio philosophandi Aristotelica gründete. Kurz gesagt, handelte es sich hierbei um
ein Philosophieren aus Gründen – daher die Vorliebe für das syllogistische Argument
und die Betonung der Methodik – und um ein Arbeiten am Begriff, das in einer hoch-
gestochenen, formalen Begrifflichkeit mündete, die gleichwohl den konkreten Phäno-

539
Vgl. 3.3.4.2., Anm. 389.
540
Vgl. Zabarella, De Ordine intelligendi, c. 13, 1068F-1069D.

277
De Anima

men abgewonnen war. Diese Philosophie war der Versuch, die mögliche Erkennbarkeit
der Welt in ihre reale Erkenntnis, d. h. in eine Weltaufgeschlossenheit durch den Men-
schen zu überführen. Das vorliegende Kapitel hatte zum Ziel, diese Identität und Diffe-
renz im Renaissance-Aristotelismus anhand der philosophischen Psychologie aufzuzei-
gen. Einige Aspekte sollen hier nochmals – auch als Vorbereitung auf das nachfolgen-
de Kapitel zur Psychologie in der lutherischen und calvinistischen Schulphilosophie
des 17. Jh.s. – kurz verdeutlicht werden.
1. Übereinstimmend galt die scientia de anima als eine philosophische Disziplin, die
eine ontologische und funktionale Bestimmung der Seele mit all ihren Vermögen des
Ernährens, Bewegens, Wahrnehmens und Denkens zu geben hat. Diese wird zum einen
im umfassenden Sinne als forma informans corporis bestimmt und ist damit nichts an-
deres als das Seinsprinzip (principium constitutivum) der verschiedenen Lebewesen
Pflanze, Tier und Mensch. Als ein solches Prinzip konstituiert sie ein Einzelnes als ein
Dies-Da, als ein in seiner Körperlichkeit (sw=ma qua u(/lh), Gestalt bzw. Lebensform
(ei)=doj) und in seinem Wesen (ou)si/a) so und nicht anders in seiner konkreten Existenz
bestimmtes Individuum. Die Seele ist dergestalt das principium individuationis. Sofern
sie als forma immateriell ist, kann auf ihr Sein nur von ihren Funktionen her geschlos-
sen werden, die sie damit zugleich als Wirkprinzip (principium operationum) erweisen:
Sie ist Anfang und Ende – a)rxh/ & te/loj – aller Tätigkeiten eines Lebewesens.
2. In ihrem Höhepunkt ist die scientia de anima ein Teil der Philosophie des Geistes,
wie die enstprechenden Traktate De Mente humana & De Mente agente bei Portio und
Zabarella belegen. Dabei wird der intellectus possibilis (nou=j paqhtiko/j) als derjenige
bestimmt, der, da er nichts vom Seienden in Wirklichkeit ist, geeignet ist, alles geistig
aufzunehmen und zu erkennen. Diese Bestimmung hat drei Implikationen: I. Daß er
alles auffaßt, ist seiner Unvermischtheit mit einem körperlichen Organ geschuldet. II.
Was er auf geistig-immaterielle Weise auffaßt, sind die species intelligibiles, die von
den Phantasmata dem Geist eingeprägt werden. Sie sind nichts anderes als der ‘geisti-
ge’ Gegenstand. In der Erkenntnis sind also der Geist und der erkannte Gegenstand ein
und dasselbe. III. Das Auffassen und Erkennen ist immer eines von etwas. Jedem Er-
kenntnisversuch liegt daher ein Sich-Beziehen-auf … zugrunde. Die aristotelische Er-
kenntnistheorie ist damit zugleich eine Theorie der Intentionalität.
3. Hieraus ergibt sich auch, daß die Erkenntnis des Geistes, in der die philosophische
Psychologie ihren Anfang und zugleich ihr Ende findet, gut aristotelisch allein über die
Erkenntnis eines anderen (äußeren) Gegenstandes geschieht und nicht als unmittelbare
Selbsterkenntnis nach Art des cartesischen cogito. Sie verläuft nicht nach innen, son-
dern nach außen im Blick auf das Wirkliche, bei dem sich gleichsam nebenher (e)n pa-
re/rg%) die e)ne/rgeia des Denken zeigt, die zur Erkenntnis führt, daß ich es bin, der die-
ses denkt und erkennt. Sofern nun die Erkenntnis des Wirklichen nur im Begriff mög-
lich ist – denn allein dieser faßt die Vielheit in eine Einheit –, ist die Philosophie im
allgemeinen wie die Psychologie im besonderen ein Arbeiten am Begriff. Die Erkennt-
nis des Geistes gründet also in der Erkenntnis des Begriffs. Sofern nun dieser Begriff
sich ausdifferenziert in einen conceptus primus & secundus, muß eine Philosophie des

278
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

Geistes neben der Psychologie auch die Disziplinen der Logik und Metaphysik umfas-
sen.
4. Als Seins-, Individuations- und Wirkprinzip ist die Geistseele die perfectio hominis.
Sie ist diejenige Form, die den Menschen über seine Natürlichkeit hinausführt in die
Transzendenz des immateriellen, rein geistigen Denkens. Zabarella nannte sie deshalb
auch eine Form, »die am meisten von allen die Materie informierenden Formen über
diese erhoben ist«541. Die höchste dem Menschen erreichbare Vollkommenheit bestand
daher für die Renaissance-Aristoteliker im Leben gemäß dem Geist – o( kata\ to\n nou=n
bi/oj (EN X 7, 1178a6f.) –, das im Durchdenken der Wahrheit und im Tun des Guten
die dem Menschen im hic et nunc allein mögliche eu)daimoni/a ermöglicht.
5. Dieser weitgehenden Identität in der Bestimmung der Seele und des Geistes ent-
sprach bei den Renaissance-Aristotelikern eine Differenz, die ihren Grund insbesonde-
re in den dem intellectus agens in De An. III 5, 430a23 beigelegten, ontologischen At-
tributen ‘ewig’ und ‘unsterblich’ fand. Je nach Lesart wurde er nämlich entweder wie
bei den Jesuiten als ein Vermögen der menschlichen Seele verstanden, der damit die
Unsterblichkeit zukommt, oder wie bei Portio und Zabarella als eine göttliche Kraft
bzw. Gott selbst, so daß von De An. III 5 her ein Erweis der Unsterblichkeit der Seele
unmöglich wird. Gemäß dieser letzten – gut begründeten – Ansicht verhindert gerade
die begriffliche Fassung der anima rationalis als forma informans ihre Überformung
durch einen transzendentalen Begriff des Geistes. Ansonsten wäre nämlich das Vermö-
gen in der Lage, das Wesen der Seele in Hinsicht auf das Sein zu verändern. Genau
diese Absurdität kennzeichnet die Position der Jesuiten, die durch die ontologische
Differenz zwischen dem sterblichen intellectus possibilis und dem unsterblichen intel-
lectus agens noch verstärkt wird: Wie kann ein und dasselbe Vermögen der menschli-
chen Seele zugleich sein und nicht sein? Jede Antwort auf diese Frage kommt nicht
umhin, für die menschliche Seele eine von der aristotelischen Philosophie her nicht
gerechtfertigte Sonderstellung zu beanspruchen.
6. Genau diesen Anspruch erhoben die Jesuiten mit ihrer rein theologischen Bestim-
mung der anima rationalis als substantia per se subsistens & spiritualis. Wie bei Me-
lanchthon – und diese Übereinstimmung erweist sich nun als das deutlichste Zeichen
einer auch bei ihm wirksamen Verchristlichung der aristotelischen Philosophie im
neuscholastischen Gewande –, wird damit zum einen gemäß Gen 2,7 ihre unmittelbare
Schöpfung von Gott her (Kreatianismus) und zum andern ihr In-sich-selbst-Stehen und
damit Freisein vom sterblichen Körper a parte post betont. Wie sich freilich diese die-
se Bestimmung der Seele als forma assistens mit derjenigen als forma informans ver-
einbaren läßt, bleibt vollkommen unklar.
7. Die Differenz im Geistbegriff zeigt die Paradigmen eines rein naturphilosophisch
ausgerichteten alexandrinischen Aristotelismus eines Portio und Zabarella sowie eines
christlich transformierten thomistischen Aristotelismus der Jesuiten an: Sofern die

541
Vgl. a. a. O., c. 12, 1065E-F: »… anima nostra rationalis, quæ maxime omnium formarum ma-
teriam informantium elata est supra materiam …«

279
De Anima

Übereinstimmung mit den theologischen Dogmen das Maß aller Dinge ist, kann es
keine libertas philosophiæ geben. Wie in der Scholastik, so findet sich die Philosophie
auch bei den Jesuiten in der unangemessenen Position der ancilla theologiæ wieder
und muß sich von der Theologie her sagen lassen, was sie zu lehren hat. So eröffnete
Toletus seinen De Anima-Kommentar mit den Propositiones aliquot Fide tenendæ,
quibus vera debet esse Philosophia consentanea, die ex cathedra Petri die Wahrheit
auch der Philosophie verkünden, am Ende des Kommentars nochmals bestätigt worden
sind542 und so den ganzen Rahmen der Philosophie bestimmen, innerhalb dessen sie ihr
Geschäft zu erledigen hat. Auf ähnliche Weise unterwarfen auch die Conimbricenser
ihre De Anima-Interpretation vorab dem Iudicium der Hl. Inquisition, das dem Text
vorangestellt worden ist.543 Der Philosophie lag damit ein ihr fremdes Konzept zugrun-
de, das sie nicht in ihr Wesen kommen ließ.
8. Hiergegen wandten sich Portio und Zabarella mit ihrem Konzept der Freiheit der
Philosophie von der Theologie. Was Portio dabei in seiner Disputatio de mente huma-
na gegen Philoponus vorgebracht hat, gilt gleichermaßen für die Jesuiten: Eine Natur-
philosophie, die das Ergebnis einer Vermischung mit den Dogmen der Theologie ist,
entspricht weder den Anforderungen der Philosophie noch denen der Theologie und
stimmt auch nicht mit den Dingen selbst überein. Es gilt also die gesetzten Grenzen
zwischen den Disziplinen zu beachten, um eine Kategorienverwechslung (meta/basij
ei)j a)/llo ge/noj) zu vermeiden. Nur so kann man sich den Phänomenen auf angemes-
sene Weise nähern, die mit der je spezifischen Methodik und Begrifflichkeit der ein-
zelnen Disziplinen zu erklären sind. Der theologische Begriff der Seele kann daher
nicht ohne weiteres mit dem philosophischen Begriff der Seele gekoppelt werden, weil
beide verschiedenen Kontexten angehören. Die Freiheit der Philosophie von der Theo-
logie muß daher ein konstitutives Moment ihrer selbst sein. In der radikalsten Form
bedeutet dies eine Freiheit, die selbst auf die Gefahr eines Irrtums hin gegen die Ver-
einnahmung durch die Theologie zu verteidigen ist, wie dies Zabarella in seiner Oratio
in exordio lectionis philosophiæ von 1585 gefordert hat.
9. Im Verein mit dem genau entgegengesetzten lutherischen Konzept einer Freiheit der
Theologie von der Philosophie ergab sich so am Ende des 16. Jh.s die Möglichkeit ei-
nes Zusammenspiels von radikaler italienischer Philosophie und protestantischer
Theologie, das zur gegenseitigen Schärfung des Blickes und damit zum besseren Ver-
ständnis der Eigenarten beider Disziplinen führen konnte. Dies war die bedeutsame

542
Vgl. Toletus, III 13, 179r: »Hæc Commentaria unà cum Quæstionibus in libros Aristotelis de
Anima, nil continent Fidei Catholicæ, aut bonis moribus, contrarium, & sunt utilia, quæ studiosis Phi-
losophiæ prælegantur.«
543
Vgl. Coll. Conimbricense, De Anima, unpaginiert: »Iudicium eorum, qui ad hos commentarios
ex officio Sanctæ Inquisitionis recognoscendos constituti fuerunt. Recognovimus, atque accurate ex-
pendimus hos cursus Conimbricensis commentarios in tres libros Aristotelis de Anima, cum apposito
Tractatus de anima separata, et nihil in eis invenimus, quod a fide ac vera Religione alienum sit; imo
vero eos esse censuimus, qui ob rerum tractandum copiam, atque sermonis præstantiam, prosperos
ubique gentium, humanæ, et divininæ philosophiæ successus, literarum candidatis sint allaturi.«

280
Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus

historische Konstellation, in der die Lutheraner ihre Studien zur Psychologie begannen.
Im nächsten Kapitel ist zu zeigen, ob sie die Möglichkeiten, die sich ihnen durch die
Rezeption der Renaissance-Aristoteliker boten, genutzt haben.

281
4. Die aristotelische Psychologie im Luthertum

4.1. Einleitung

to\ tw=n a)nqrw/pwn ge/noj


h)\ ga\r mo/non mete/xei tou= qei/ou tw=n h(mi=n gnwri/mwn z%/wn,
h)\ ma/lista pa/ntwn.1

Die Situation an den philosophischen Fakultäten der lutherischen Universitäten des


frühen 17. Jh.s hatte sich im Vergleich zur Reformationszeit grundlegend geändert: Die
philosophischen Umwälzungen des Renaissance-Aristotelismus und die theologischen
Auseinandersetzungen mit den Katholiken und Calvinisten, die in einem Zeitalter des
Konfessionalismus mündeten, führten auf Seiten der Lutheraner zu einem veränderten
Anspruch an die Philosophie, dessen sichtbarstes Zeichen die ‘Wiederkehr der Meta-
physik’2 ist, die bei Luther und Melanchthon, wie erwähnt, aus dem Kanon der philo-
sophischen Disziplinen ausgeschlossen geblieben war. Dies erforderte ein neues Philo-
sophiekonzept, dessen Grundzüge kurz anhand folgender Punkte aufgezeigt werden
sollen: 1. Der Humanismus als Grundlage des Studiums. 2. Der Vorrang der aristoteli-
schen Philosophie. 3. Die Rezeption des Renaissance-Aristotelismus. 4. Die Auseinan-
dersetzungen mit den Jesuiten und Calvinisten um die Verhältnisbestimmung von Phi-
losophie und Theologie. 5. Die Abkehr von Melanchthons Schriften.
Zu 1. In der fortwährenden Bedeutung des Humanismus für die Ausbildung an den
Gymnasien und Hochschulen zeigt sich eine deutliche Kontinuität mit der Reformati-
on. So baute in Gießen bzw. Marburg die Universität auf der Grundlage einer »selbst-
verständlichen humanistischen Bildung und Gelehrtenkultur«3 auf. Nichts anderes galt

1
Aristoteles, De Part. an. II 10, 656a7f.: »Das Geschlecht der Menschen ist entweder allein von
den uns bekannten Lebewesen des Göttlichen teilhaftig oder am meisten von allen.« Motto des Si-
gismund Evenius auf dem Titelblatt seiner ANQRWPOLOGIA seu, de hominis secundum corpus et
animam constitutione doctrina, inter scientiæ naturalis partes longè præstantissima, repetita, disputa-
tionibus undeviginti inclusa, & in Collegio privato Wittenbergæ exhibita. Wittenberg 1613.
2
Vgl. Walter Sparn, Wiederkehr der Metaphysik. Die ontologische Frage in der lutherischen
Theologie des frühen 17. Jahrhunderts. Stuttgart 1976, 5: »[Jacob] Martinis pointiertes Argument [sc.
daß Luther für sein Werk De Servo arbitrio metaphysische Kenntnisse vorausgesetzt habe] charakte-
risiert einen der erstaunlichsten Vorgänge in der Geschichte der protestantischen Universitäten. In
demselben Wittenberg, das Luthers Anathema gehört und in dem Melanchthon, für das ganze prote-
stantische Deutschland mustergültig, die Metaphysik aus der Bildungsorganisation ausgeschlossen
hatte, kann kaum einhundert Jahre später die Verteidigung der Metaphysik als das echte Luthertum
auftreten.«
3
Anton Schindling, Die Universität Gießen als Typus einer Hochschulgründung, in: Academia
Gissensis. Beiträge zur älteren Gießener Universitätsgeschichte. Hrsg. von Peter Moraw und Volker
Press. Marburg 1982, 83-113, hier: 106.

283
De Anima

für Wittenberg.4 Deutlich wird dies an der Ausgestaltung der philosophischen Fakultät:
Beide Universitäten haben um 1606/7 jeweils acht ordentliche Lehrstühle für Rhetorik,
Logik bzw. Dialektik (einschließlich Metaphysik), Ethik (einschließlich Politik und
Hauswirtschaft), Physik (einschließlich De Anima), Mathematik, Poetik (einschließlich
Geschichte), Griechisch und Hebräisch.5 Aus der von Kurfürst Christian II. erlassenen
Universitätsordnung für Wittenberg vom 6.5.1606 sowie aus den Statuten der 1625
nach Marburg verlegten Gießener Universität, die 1629 erlassen, 1650 bei der Zurück-
verlegung der Universität nach Gießen übernommen wurden und bis 1879 in Kraft wa-
ren, wird diese humanistisch-philosophische Tradition deutlich: Danach wurden im
Rahmen des Poetik-Unterrichts Vergil, Ovid, Horaz, Juvenal, Plautus etc. und im
Rahmen des Griechisch-Unterrichts Homer, Hesiod, Thukydides, Pindar, Euripides,
Sophokles etc. gelesen.6
Zu 2. In den eigentlichen philosophischen Disziplinen war Aristoteles die unbestrittene
Grundlage des Unterrichts. Dies lag in seiner im Vergleich zu den übrigen Schulen
»vollkommeneren Weise des Philosophierens»7 begründet, wie der Jenenser Johann
Gerhard (1582-1637) in seiner Schrift Methodus Studii Theologici von 1620 betonte,
einer ratio philosophandi, die sich durch eine kluge Methodik, durch ein Abzielen auf
das Allgemeine sowie die Benennung von Gründen auszeichnet, wie einer Anmerkung
des Calvinisten Bartholomäus Keckermann (1572/3-1609) entnommen werden kann:
»Und dieses ist bewundernswert an den aristotelischen Schriften, daß sie die wesentlichen und
nächsten Ursachen der Dinge so genau untersuchen und erklären, daß die Alten mit Recht ge-
sagt haben, das Ingenium des Aristoteles habe im Vergleich mit allen anderen Ingenien diese
drei Dinge besessen: Es ist sehr methodisch gewesen; es war dem Allgemeinen verpflichtet,
hing nicht dem Individuellen und Einzelnen an; und schließlich war es den Ursachen verpflich-
tet, war nicht zufrieden mit der Erklärung der nackten Wirkungen und Kräfte, sondern erhob
sich zur Betrachtung der Ursachen selbst, woraus die Dinge entspringen und wodurch sie sicher
erkannt werden.«8

4
Vgl. Heinz Kathe, Die Wittenberger Philosophische Fakultät, 163-263.
5
Vgl. Urkundenbuch der Universität Wittenberg. Teil 1 (1502-1611). Teil 2 (1611-1813). Bearbei-
tet von Walter Friedensburg. Magdeburg 1926/7, hier: Teil 1, Universitätsordnung vom 6.5.1606,
641-710, hier: 671-674: »Caput 12. Von der philosophischen facultet, ihren lectionibus und andern
nützlichen exercitiis.« Wilhelm Martin Becker, Das erste halbe Jahrhundert der hessen-
darmstädtischen Landesuniversität, in: Die Universität Gießen von 1607-1907. Beiträge zu ihrer Ge-
schichte. Festschrift zur dritten Jahrhundertfeier herausgegeben von der Universität Gießen. Erster
Band. Gießen 1907, 137.
6
Vgl. Urkundenbuch der Universität Wittenberg 1, 672-674. Statuta Academiae Marpurgensis
deinde Gissensis de anno 1629. Die Statuten des Hessen-Darmstädtischen Landesuniversität Marburg
1629-1650 / Gießen 1650-1879. Hrsg. von Hans Georg Gundel. Marburg 1982, 154-166.
7
Johann Gerhard, Methodus Studii Theologici. Publicis prælectionibus in Academia Jenensi Anno
1617 exposita. Jena 1620, s. II, c. II, 132: »Philosophiam Aristotelicam præferendam esse reliquis,
tum propter perfectiorem philosophandi rationem …«
8
Bartholomäus Keckermann, Præcognitorum Philosophicorum libri duo: Naturam Philosophiæ
explicantes, et rationem eius tum docendæ, tum discendæ monstrantes, in: Ders., Opera omnia. To-

284
Die aristotelische Psychologie im Luthertum

Aus diesen Gründen war Aristoteles auch für die lutherische und calvinistische Schul-
philosophie der Philosoph schlechthin, wie die gängigen Auszeichnungen als »Haupt
der Philosophen«9 bei Abraham Calov (1612-1686)10 und »Erster der Philosophen«11
bei Clemens Timpler (1563/4-1624)12 belegen. Niemals wäre es dabei jedoch einem
Peripatetiker in den Sinn gekommen, der bloßen Autorität des Aristoteles zu folgen,
wenn nicht seine Philosophie der Vernunft gemäß gewesen wäre. Sie allein war Maß-
stab des Philosophierens, wie bereits Zabarella deutlich gemacht hat13, denn »nichts
ziemt dem Philosophen mehr als die Liebe zur Wahrheit und die maßvolle Freiheit des
Urteilens, und nichts ist unangemessener, wie Scaliger bezeugt, als den Geist als Herr
_________________________________________________________________________________________________________

mus Primus. Complectens Præcognita Philosophiæ, Gymnasia, variaque Systema Logica, Systema
Physicum, Astronomicum, Geographicum, Metaphysicæ Compendium, aliaque lectu dignissima.
Genf 1614, hier: lib. II, c. IV, 58. »Est hoc mirabile in Aristotelis scriptis, quod rerum essentiales &
proximas caussas tam accuratè perscrutentur & explicent, ut merito veteres dixerint, Aristotelis inge-
nium præ reliquis omnibus ingeniis hæc tria habuisse: quod fuerit maximè meqodiko/n: 2. quod fuerit
filokaqo/lou, hoc est, amans universalium, non hærens circa Individua & singularia; & denique
filai/tion amans caussarum, non contentum declaratione nudorum effectuum, & virtutum, sed ele-
vans sese ad considerationem ipsarum caussarum, unde res proficiscuntur, & per quas solidè cognos-
cuntur.« Ebenso Clemens Timpler, Exercitationum Philosophicarum Sectiones X. In quibus quæstio-
nes selectæ et utiles, præsertim Metaphysicæ, ultra quadringentas, accurate & dilucide discutiuntur &
enodantur. Hanau 1618, hier: s. II, q. XXVI, 77f.
9
Abraham Calov, Scripta Philosophica. I. Gnostologia. II. Noologia, seu habitus intelligentiæ. III.
Metaphysicæ divinæ pars generalis. IV. Metaphysicæ divinæ pars specialis … Wittenberg 21673,
hier: Metaphysicæ divinæ pars generalis (Rostock 11636). Præfatio ad lectorem, 88: »Aristoteles phi-
losophorum princeps …«
10
Zu Calov vgl. Kenneth G. Appold, Abraham Calov’s Doctrine of »Vocatio« in its Systematic
Context. Tübingen 1998. Volker Junk, Das Ganze der Heiligen Schrift. Hermeneutik und Schriftaus-
legung bei Abraham Calov. Suttgart 1999. Ueberweg 17. Jh., Bd. 4/1, 572 und 575-578.
11
Clemens Timpler, Philosophiæ practicæ systema methodicum in tres partes digestum. Hanau
1608, Epistola Dedicatoria, 2v: »… Aristotelis Philosophorum Coryphæi …«
12
Timpler wurde 1563 oder 1564 in Stolpen (Sachsen) geboren. Er studierte von 1582-87 am cal-
vinistischen Gymnasium illustre Anhaldinum in Zerbst (Anhalt), erwarb den Magisterabschluß 1589
in Leipzig. 1592 verließ er die Stadt, weil er die lutherische Konkordienformel von 1577 nicht unter-
zeichnen wollte, und ging nach Heidelberg, wo er an öffentlichen Disputationen als Respondent und
Präses teilnahm, privat Philosophie unterrichtete und Theologie studierte. Keckermann war dort einer
seiner Schüler. 1595 übernahm Timpler die Physik-Professur am Gymnasium illustre Arnoldinum in
Steinfurt. Von 1600 bis zu seinem Tod am 28.2.1624 hatte er dort den Lehrstuhl für Philosophie inne.
In dieser Zeit verfaßte er seine zahlreichen Schriften zu vielen Disziplinen der Philosophie. Von be-
sonderer Bedeutung war hierbei seine Schrift Metaphysicæ systema methodicum von 1604 (vgl.
4.2.2.2.). Zu Timplers Leben und Werk siehe ausführlich Joseph S. Freedman, European Academic
Philosophy in the Late Sixteenth and Early Seventeenth Centuries. The Life, Significance, and Philo-
sophy of Clemens Timpler (1563/4-1624). Hildesheim 1988. Vgl. ferner Ueberweg 17. Jh., Bd. 4/1,
415f. und 418-23.
13
Vgl. Zabarella, Oratio in exordio lectionis Philosophiae, 290: »Nunquam etiam sola Aristotelis
authoritate ad aliquid comprobandum contentus ero, sed rationem semper adhibebo; hoc enim vere
ingenium ac philosophicum est et hac quoque ratione videbor Aristotelem imitari, quippe qui nihil
unquam sine ratione pronuntiasse videtur.«

285
De Anima

aller Dinge zu einem Knecht fremder Meinungen zu machen und die Autorität anderer
mehr zu schätzen als die Wahrheit«14, so Timpler. Daß Aristoteles als caput philo-
sophorum bezeichnet wurde, bedeutete also nicht, ihm blind zu folgen.
Zu 3. Die Neubewertung der aristotelischen Philosophie durch die Lutheraner und Cal-
vinisten wurde durch die Rezeption der katholischen Renaissance-Aristoteliker ent-
scheidend befördert. Auf die große Bedeutung der Italiener in diesem Zusammenhang
hat bereits Weber aufmerksam gemacht, der Zabarella zu Recht den »eigentliche(n)
Repräsentant(en) des italienischen Einflusses«15 nannte. So lobte Gerhard ihn wegen
seiner perspicuitas16, und Keckermann nannte ihn das »Licht und den Glanz Italiens«17.
Dieses Lob galt auch für die Naturphilosophie im allgemeinen und für die Psychologie
im besonderen, wie die Auszeichnungen als »Koryphäe«18 durch den Wittenberger Ja-
cob Martini (1570-1649)19 bzw. als »unsere Autorität«20 durch Sigismund Evenius

14
Timpler, Philosophiæ practicæ systema methodicum. Epistola dedicatoria, 2v: »Verum cum ni-
hil magis deceat Philosophum, quàm amor veritatis, & moderata iudicandi libertas: nihilque iniquius
sit, teste Scaligero, quàm rerum omnium dominatorem intellectum humanum facere servum aliena-
rum opinionum; plusque auctoritati aliorum, quàm veritati tribuere.«
15
Hans Emil Weber, Die philosophische Scholastik des deutschen Protestantismus im Zeitalter der
Orthodoxie. Leipzig 1907, 18.
16
Vgl. Gerhard, Methodus studii theologici, s. II, c. III, 136: »Ex Interpretibus Zabarella propter
perspicuitatem ... legendus.«
17
Vgl. Keckermann, Præcognitorum Logicorum tractatus tres, hier: tr. II, c. IV, in: ders., Opera
omnia. Tomus primus, 125: »… ab illo lumine & ornamento Italiæ Iacobo Zabarella …« A. a. O., c.
V, 131f.: »Eodem anno [sc. 1578], Iacob. Zabarella Philosophus Patavinus, primum edidit libros Lo-
gicos, ob raram in Italo perspicuitatem, amœnam copiam, & dispositissimum ordinem suscipiendos.
In his eminent illi quatuor de Methodis, quibus lumen omnis Methodi, ut & Demonstrationis, imò
præcipuarum doctrinarum Logicarum maximum in Germania accendit, sic ut verè dicere possimus,
unico Zabarellæ deberi, quod germani hodie Italis in doctrina Aristotelis Logica nihil velint concede-
re.«
18
Martini, Theorematum physicorum exercitatio prima. De Definitione, subiecto et divisione phy-
sices. Wittenberg 1604, A3v: »… xo/rhfhoj Zabarella …«
19
Martini gilt als der »führende Wittenberger Logiker und Metaphysiker im frühen 17. Jahrhun-
dert« (Walter Sparn, Die Schulphilosophie in den lutherischen Territorien, in: Ueberweg 17. Jh., Bd.
4/1, 475-587, hier: 502). Er wurde am 16.10.1570 im Stift Halberstadt zu Langenstein geboren. Seine
Schulausbildung erhielt er dort und in Aschersleben. 1590 wechselte er auf die Universität Helmstedt,
wo er »dem Herrn Theologo Doctori Hoffmanno recommendiret« (Johannes Scharf, Militia Christia-
na, Geistlicher Christlicher Streit oder hochberue hmter GlaubensKampff … Bey sehransehnlicher
Volckreicher und Christlicher Leichbegae ngnue ß des hochEhrwue rdigen / GroßAchtbaren und Hochge-
larten Herrn / Jacobi Martini … Wittenberg 1650, 109). Vgl. hierzu die näheren Ausführungen weiter
unten. 1593 ging Martini nach Wittenberg, wo er im selben Jahr den Magistergrad erwarb. Anschlie-
ßend unterrichtete er dort an der philosophischen Fakultät. 1597 wurde er zum Rektor des Gymnasi-
ums in Norden berufen. Dort ereilte ihn wenig später der Ruf an den Hof des Grafen Etzard als Predi-
ger. Hier kam es zu einer ersten Disputation mit den Jesuiten. Später wurde er vom Grafen Johannes
beauftragt, ein Interim und Consensus zwischen der calvinistischen und lutherischen Religion zustan-
de zu bringen. Weil er sich weigerte, dies in der geforderten Form umzusetzen, mußte Martini unter
abenteuerlichen Umständen fliehen. Er gelangte nach Hamburg, anschließend nach Hildesheim, wo
er zusammen mit Polycarp Leyser (1552-1610) erneut mit den Jesuiten disputierte. Hier erreichte ihn

286
Die aristotelische Psychologie im Luthertum

(1585/9-1639)21 anzeigen. Daneben gab es aber den nicht zu unterschätzenden Einfluß


der Jesuiten. So wurden in der Metaphysik Fonseca22 und Suárez23 bestimmend24, in der
_________________________________________________________________________________________________________

1602 der Ruf auf die Professur der Logik in Wittenberg. Dort hat er »auch die Metaphysicam zu erst
bey dieser Universitae t auf- und im Schwang gebracht« (Scharf, Militia Christiana, 112). Der früheste
Beleg hierfür sind die 1604 in Wittenberg veröffentlichten Theorematum Metaphysicorum Exercita-
tiones Quatuordecim, die auf Disputationen aus dem Jahre 1603 zurückgehen. 1604 hielt er eine Dis-
putationsreihe über die Physik, die im gleichen Jahr unter dem Titel Theorematum physicorum gene-
ralium exercitationum decem in Wittenberg veröffentlicht worden ist. 1606 disputierte er ferner über
die Psychologie (vgl. hierzu Anm. 49). In den folgenden Jahren folgten zahlreiche weitere Schriften
zur Logik und Metaphysik. 1618 erschien sein Vernunfftspiegel, eine der ersten philosophischen Ab-
handlungen auf Deutsch, in der er gegen die ‘enthusiastischen Vernunftstürmer’ Andreas Cramer,
Wenzeslaus Schilling und Johann Angelius von Werdenhagen aus Magdeburg ankämpfte, welche die
Philosophie als eine heidnische Angelegenheit von den Universitäten verbannen wollten. 1623 wurde
Martini zum Professor der Theologie ernannt und nahm den gradus Doctoris Theologiæ an. 1627
wurde er nach dem Tod Balthasar Meisners Präpositor der Schloßkirche. Er war wiederholt Dekan
der philosophischen und der theologischen Fakultät wie auch Rektor der Universität. Er starb am
30.5.1649 im hohen Alter von 79 Jahren. – Ein umfangreiches Werkverzeichnis findet sich in: Hen-
ning Witte, Memoriæ Theologorum nostri seculi clarissimorum renovatæ decas sexta. Frankfurt
1675, 714-727.
20
Sigismund Evenius, ANQRWPOLOGIA seu, de hominis secundum corpus et animam constitu-
tione doctrina (vollständiger Titel vgl. Anm. 1), hier: Disputationum Anthropologicarum UNDECI-
MA. De anima in genere. Wittenberg 1613, A3r: »… Zabarella nos autoritas …«
21
Evenius ist heutigentags nur noch als ein »Pädagoge des 17. Jahrhunderts« bekannt (Ludolf
Bremer, Sigismund Evenius (1585/89-1639). Ein Pädagoge des 17. Jahrhunderts. Köln u.a. 2001). Er
wurde 1585 oder 1589 in Nauen in der Mark Brandenburg geboren. Seine Schulbildung erhielt er
wohl in Berlin-Spandau. Am 23.4.1602 immatrikulierte er sich in Wittenberg an der philosophischen
Fakultät, wo er von Martini unterrichtet wurde. Daneben hörte er theologische Vorlesungen bei Sa-
lomon Geßner (1559-1605), Leonhard Hutter (1563-1616) und Friedrich Balduin (1575-1627). 1608
erwarb er den Magistergrad und unterrichtete nachfolgend Logik und Mathematik. 1611 wurde er
Adjunkt der philosophischen Fakultät. In dieser Eigenschaft disputierte er 1612 zunächst privatim
über die Ethik (im selben Jahr in Wittenberg veröffentlicht unter dem Titel HQIKH seu Doctrina de
moribus universa) und anschließend von 1612-13 über die Anthropologie (vgl. Anm 1). 1613 wurde
Evenius zum Rektor des Gymnasiums in Halle an der Saale berufen, welche Funktion er bis 1621 in-
nehatte. In dieser Eigenschaft lernte er 1618 Wolfgang Ratke (1571-1635) kennen, der zu dieser Zeit
mit seinen neuartigen pädagogischen Überlegungen die Debatten an den Schulen und Universitäten
bestimmte (vgl. hierzu ausführlich Ludolf Bremer, Evenius, 13-65). Evenius wurde im Dezember
1621 zum Rektor des Gymnasiums in Magdeburg berufen. In den folgenden Jahren erlitt diese Stadt
großes Unheil: 1625 fiel ein Viertel der Stadtbevölkerung der Pest zum Opfer. Im März 1629 kam es
im Rahmen des Dreißigjährigen Krieges zu einer ersten Belagerung der Stadt durch die kaiserlichen
Truppen unter Wallenstein. Da sich die Stadt standhaft weigerte, die Truppen aufzunehmen, vielmehr
ein Bündnis mit Gustav Adolf schloß, wurde sie im Winter 1630/1 unter Tilly belagert und schließ-
lich im April 1631 erorbert. Von den ehemals 30 000 Einwohnern überlebten nur 5 000 dieses Infer-
no. Evenius gelang es, sich und seine Familie unter Aufgabe seines gesamten Besitzes freizukaufen.
Er flüchtete nach Wittenberg, wo er von Martini aufgenommen wurde. Schließlich gelangte er über
Halberstadt und Regensburg 1634 nach Weimar, wo er bis zu seinem Tod durch die Pest am
17.9.1639 Schul- und Kirchenrat bei Herzog August dem Frommen war.
22
Vgl. Pedro Fonseca, Commentariorum in libros Metaphysicorum Aristotelis Stagiritæ tomi qua-
tuor. Köln 1615 (11577). Nachdruck Hildesheim 1964.

287
De Anima

Logik und Naturphilosophie Toletus und die Conimbricenser. Daneben wurden aber
auch die antiken Autoren Alexander und Simplicius sowie die Araber Avicenna und
Averroes, ja selbst die Scholastiker Albertus, Thomas, Scotus und Javelli ausgiebig re-
zipiert. Von den neueren Autoren standen Pomponazzi, Portio und Scaliger im Mittel-
punkt.25 Dies führte auf lutherischer Seite zu der ungewöhnlichen Situation, daß die
Werke der Katholikern und Calvinisten einerseits zur Lektüre empfohlen wurden26, sie
andererseits aber als Grundlage für die interkonfessionelle Auseinandersetzung dien-
ten, wie der nachfolgende Punkt verdeutlicht.
Zu 4. Neben der unter Punkt 2 genannten perfectior ratio philosophandi Aristotelica
gab es noch einen weiteren Grund für die Rezeption dieser Philosophie: die theologi-
schen Auseinandersetzungen mit den Jesuiten und den Calvinisten. Dies beweist eine
Äußerung von Gerhard, wonach »die aristotelische Philosophie vor den übrigen [Philo-
sophien] zu bevorzugen ist … aufgrund der Gegner, mit denen der Theologe in die
Arena hinabsteigen muß, denn viele von ihnen verwenden die aristotelische Philoso-
phie, sooft sie diese auch mißbrauchen.«27 Auch der Calvinist Georg Hornius verwies
in seiner Schrift Historiæ philosophicæ libri septem von 1654 explizit auf die Jesuiten
als Grund für die Rezeption der aristotelischen Schriften: »… viele Orthodoxe erfor-
schen die aristotelische Philosophie nur aus dem Grund, weil sie glauben, daß sie ohne
diese mit den Jesuiten nicht angemessen disputieren können.«28 Die Verwendung der
aristotelischen Begrifflichkeit bei den kontroverstheologischen Gesprächen seitens der
_________________________________________________________________________________________________________
23
Vgl. Francisco Suárez, Metaphysicarum Disputationum, in quibus et universa naturalis theologia
ordinate traditur, et quæstiones omnes ad duodecim Aristotelis libros pertinentes accurate disputantur,
tomus prior … Tomus Posterior … Salamanca 1597.
24
Vgl. hierzu ausführlich Ernst Lewalter, Metaphysik, 24ff.
25
Vgl. folgendes Beispiel von Martini, das die Fülle der rezipierten Autoren durch die Jahrhunder-
te hindurch belegt: »Pertinet autem hæc consideratio ad Physicam, & eius pars est: Anima enim est h(
a)rxh\ tw=n zw/wn lib. 1. De anima. cap. 1. [402a6f.] Ergo sub definitione naturæ lib. 2. Phys. Text. 3.
traditâ, comprehenditur. Zabar. de nat. cap. 4. Perer. lib. 7. phys. cap. II. Licet dissentiant, Simpl. lib.
2. phys. cap. I. t. 1. & 3. Alb. ibidem tract. 1. cap. 2. & alii. Ergo & subiectum Philosophiæ naturalis,
quod certissimè corpus naturale statuitur (ex mente Philosophi lib. d Meta. cap. 1. Albert. in init.
Phys. cap. 3. Zabar. de Const. Phys. cap. 2. Licet & hîc dissentiant Thom. in proœ. Phys. Iavel. 1.
Phys. q. 1. Dd. Conimbr. in proœm. physico, q. 4. Savonar. in Epit. Phys. lib. 7. concl. 7. Tol. in prol.
phys. Scotus & Scotistæ) suis limitibus animum eiusque facultates includit. Videatur Zabar. lib. de
Constitut. Phy. nat. cap. 32. Tol. lib. 1. de an. in proœ. q. 4. Dd. Conimb. lib. 1. de an. in proœm.«
(Exercitationum nobilium Peri\ th=j yuxh=j prima. De anima in genere. Wittenberg 1606, A3v)
26
Dieser Sachverhalt ist bereits in der Einleitung (vgl. 1.1.) an Calovs Leseliste zur Naturphiloso-
phie deutlich geworden und gilt auch für alle anderen philosophischen Disziplinen, wie dessen Werk
Isagoges ad SS. Theologiam hinreichend belegt.
27
Gerhard, Methodus studii theologici, s. II, c. II, 132 (Fortsetzung von Anm. 7): »… tum propter
adversarios, cum quibus theologo in arenam descendendum, illorum enim plerique philosophia Ari-
stotelica utuntur, quandoque etiam abutuntur.«
28
Georg Hornius, Historiæ philosophicæ libri septem. Leiden 1654, 315: »… multi orthodoxi non
alia de causa philosophiam Aristotelicam rimentur, quam quod absque ea non posse cum Jesuitis rec-
te disputari videant.« Zitiert nach Ernst Lewalter, Metaphysik, 9, Anm. 2.

288
Die aristotelische Psychologie im Luthertum

Jesuiten zwang demnach die Lutheraner und Calvinisten, sich ebenfalls dieser Philoso-
phie zu bedienen. Dies führte zu der gewichtigen Frage nach der grundsätzlichen Ver-
hältnisbestimmung von Philosophie und Theologie. Sparn hat drei Voraussetzungen
benannt, mit denen dieses Verhältnis bei den Lutheranern programmatisch geklärt
worden ist:
I. Mit der »Verwendung eines abstrakten Philosophiebegriffs«29, nämlich mit der Un-
terscheidung zwischen einer Philosophia in abstracto bzw. ratione essentiæ (=idealis)
und einer Philosophia in concreto bzw. ratione existentiæ (=realis), wie sie erstmals
vom Wittenberger Balthasar Meisner (1587-1626) im ersten Band seiner bekannten
Philosophia sobria von 1611 konzeptionell ausgeführt worden ist30, konnten die tat-
sächlichen Widersprüche zwischen Philosophie und Theologie der Philosophia in con-
creto, d. h. dem Philosophen selbst, seinem Irrtum oder Überwollen, zugerechnet wer-
den. Die exorbitante These von der doppelten Wahrheit, wie sie der Helmstedter Da-
niel Hoffmann (1538-1621) unter Berufung auf Luthers Disputation An hæc propositio
sit vera in Philosophia: Verbum caro factum est von 153931 vertreten hat32, konnte da-
her mit der o. g. Ausdifferenzierung insoweit widerlegt werden, als ein Widerspruch
von Philosophie und Theologie nur realiter aufgrund eines Irrtums des Philosophen,
nicht aber formaliter aufgrund einer wesentlichen Differenz zwischen beiden Diszipli-
nen möglich ist, denn das Wahre stimmt gemäß EN I 8, 1098b11f. immer mit dem
Wahren überein, wie Calov betonte.33

29
Walter Sparn, Metaphysik, 14.
30
Vgl. Balthasar Meisner, Philosophia Sobria; Hoc est: Pia consideratio quæstionum philosophica-
rum in controversiis Theologicis, quas Calviniani moverunt Orthodoxis, subinde occurentium. Wit-
tenberg 1614 (11611), hier: sect. IV, c. II, q. III, 642f. »Distinguendum esse reor, inter Philosophiam
ratione ou)si/aj, & inter Philosophiam ratione u(pa/rcewj consideratam. Ratione essentiæ considera-
tur, quando sumitur prout in se est, vel esse de jure debet. Ratione existentiæ, quando accipitur, non
qualis esse debebat de jure, sed qualis de facto esse solet, quin etiam in hac imbecillitate naturæ hu-
manæ esse potest.« Dieses Konzept wurde von Martini (vgl. Vernunfftspiegel. Wittenberg 1614, 738)
und Calov (vgl. Systema locorum theologicorum. Tomus primus generalis. De Natura Theologiæ, Re-
ligione, Revelatione divina, Scriptura S. & Articulis fidei in genere. Wittenberg 1655, c. I, q. XIV,
74) übernommen.
31
Vgl. WA 39 II, 3-33, hier: 3, th. 4: »Sorbona, mater errorum, pessime definivit, idem esse verum
in philosophia et theologia.« Zur Interpretation vgl. Bengt Hägglund, Theologie und Philosophie bei
Luther und in der occamistischen Tradition. Luthers Stellung zur Theorie von der doppelten Wahr-
heit. Lund 1955.
32
Vgl. hierzu Walter Sparn, Doppelte Wahrheit? Erinnerungen zur theologischen Struktur des
Problems der Einheit des Denkens, in: Zugang zur Theologie. Hrsg. Friedrich Mildenberger u.a. Göt-
tingen 1979, 53-78, hier: 59ff. Markus Friedrich, Die Grenzen der Vernunft. Theologie, Philosophie
und gelehrte Konflikte am Beispiel des Helmstedter Hofmannstreits und seiner Wirkungen auf das
Luthertum um 1600. Göttingen 2004, hier: 253ff.
33
Vgl. Calov, Systema locorum theologicorum I, 68f. Für Meisner ist damit das Problem der dop-
pelten Wahrheit noch nicht in seiner ganzen Tiefe erfaßt, denn die Philosophia in abstracto ist seiner
Ansicht nach im Hier und Jetzt nicht realisierbar. Daher können nicht alle Fehler und Irrtümer der
Philosophia in concreto dem Philosophen zugeschrieben werden; vielmehr gibt es eine »bleibende

289
De Anima

II. Mit dem »vorweggenommene(n) Ausgleich zwischen der Freiheit der Philosophie
von fremder Autorität und ihrer Unterordnung unter die Theologie und ihren Autori-
tätsanspruch«34 wurde die Philosophie erneut in ihre alte scholastische Funktion als an-
cilla theologiæ eingesetzt.35 Dies setzte die Klärung der Frage nach dem usus & abusus
Philosophiæ in Theologia voraus.36 Dabei war zwischen Calvinisten und Lutheranern
weder das ‘Ob’ noch die formale Angabe des usus triplex philosophiæ (usus organicus
zur Erklärung der Begriffe, usus kataskeuastiko/j zur Festigung der eigenen Position
und usus a)naskeuastiko/j zur Widerlegung des Gegners in kontroverstheologischen
Fragen37) umstritten, sondern allein das ‘Was’ dieser Verwendung bzw. das ‘Wie’ ihrer
Beschränkung. Die Prüfung dieses legitimierten Gebrauchs in der praktischen Arbeit
hatte freilich zum Ergebnis, daß die Lutheraner den Calvinisten und Katholiken mit
dem Vorwurf des abusus Philosophiæ in Theologia die theologische und philosophi-
sche Kompetenz bestritten.38
_________________________________________________________________________________________________________

Differenz« (Walter Sparn, Metaphysik, 169) zwischen Philosophie und Theologie. Vgl. hierzu aus-
führlich Meisner, Philosophia Sobria I, sect. IV, c. II, q. III, 641-654.
34
Walter Sparn, Metaphysik, 15.
35
Vgl. Jacob Werenberg, Metaphysicæ disputationibus XX. Comprehensa, & in Academia Wite-
bergensi privatim proposita. Wittenberg 1609, Præfatio, A 3v: »… ita dum Theologia libera est, Phi-
losophia captiva tenetur: Theologia domina est, Philosophia famula, rectè dicere possumus: Theolo-
gia Philosophiæ gloria est: Philosophia Theologiæ ornamentum.« Ebenso Meisner, Philosophia So-
bria I, 27: »Secundus modus in Theologiam, hoc est, accuratam articulorum fidei notitiam, est injuri-
us, dum Philosophiæ, quæ ministrare debebat, dominium in ipsam sublimissimam sapientiam Theo-
logicam conceditur, quod fit, quando de controversiis Theologicis secundum rationis nostræ dictamen
judicare volumus. Debebat Philosophia non instar hæræ dominari, sed instar pedisequæ ancillari The-
ologiæ …«
36
Vgl. a. a. O., 6: »Quæstio generalis. An & quis sit Philosophiæ in Theologia usus?«
37
Die Terminologie ist von Gerhard eingeführt worden: »Triplex est Philosophiæ in Theologia
usus o))rganiko\j, kataskeuastiko/j, a)naskeuastiko/j.« (Methodus studii theologici, s. II, c. I, 93)
Zur Erklärung vgl. a. a. O., 92-107. Vgl. hierzu auch Richard Schröder, Johann Gerhards lutherische
Christologie und die aristotelische Metaphysik. Tübingen 1983, 26ff. Meisner hat noch genauer einen
fünffachen usus Philosophiæ in Theologia benannt (vgl. Philosophia Sobria I, 13-22): Sie dient 1.
hinsichtlich des subjectum cognoscens zur Schärfung der Geisteskraft und 2. hinsichtlich des objec-
tum cognoscendi a. zur Erklärung philosophischer Termini, b. zum Verständnis der quæstiones &
conclusiones mixtæ (didaskali/a), c. zur Widerlegung der Gegner (e)/legxoj) und d. zur genauen In-
terpretation der Hl. Schrift (e)ch/ghsij). Für die Calvinisten vgl. Keckermann, Præcognitorum Philo-
sophicorum libri duo, lib. I, c. IV, 35-41.
38
Vgl. hierzu neben Meisners Philosophia Sobria auch Caspar Fincks Schediasmatum, sive con-
troversiarum Theologicarum et Philosophicarum, Logicarum, Rhetoricarum, Grammaticarum, Poëti-
carum, Physicarum & Ethicarum pars prima (Gießen 1608). Meisner und der Gießener Finck (1578-
1631) setzten sich in diesen kontroversphilosophischen Schriften mit den entgegenstehenden Ansich-
ten insbesondere von Rudolph Goclenius d. Ä. (1547-1628), Keckermann und Timpler auseinander,
um die philosophischen, aber auch theologischen Differenzen zwischen den Lutheranern und Calvini-
sten aufzuzeigen. Meisner stellte hierbei eine erstaunliche Affinität der Reformierten mit den Katho-
liken fest, die in der Bezeichnung von Timpler als »Papizans« (Philosophia Sobria I, sec. III, c. VI, q.
IV, 579) gipfelte.

290
Die aristotelische Psychologie im Luthertum

III. Mit der »prinzipielle(n) Trennung der theologischen und der philosophischen Sphä-
re«39, so Sparn, setzte man das von Aristoteles genannte Metabasis-Verbot (vgl. An.
post. I 7, 75a38-75b20) in die Praxis um. Jede Disziplin verfügt über einen bestimmten
modus considerandi, eine spezifische res considerata sowie über ihr eigentümliche
Prinzipien, so daß es nicht statthaft ist, einen Überstieg von einer Gattung in eine ande-
re (meta/basij ei)j a)/llo ge/noj) durchzuführen. Dieses Metabasis-Verbot wurde von
den Lutheranern als Maß der Beurteilung der katholischen und calvinistischen Theolo-
gie und Philosophie verwendet. Ihr Ergebnis war der bekannte Vorwurf einer »micofi-
losofoqeologi/a«40, da nach ihrer Ansicht die Katholiken und Calvinisten die Diffe-
renzen von Theologie und Philosophie nicht beachtet, vielmehr philosophische Termi-
ni und Theoremata auf die res sacræ appliziert hätten. Denn von der Philosophie aus
die Glaubensdinge erkennen zu wollen, bedeute gemäß Chrysostomus nichts anderes,
als ein heißes Eisen nicht mit der Zange, sondern mit den Fingern anzufassen.
Zu 5. Die Rezeption der Renaissance-Aristoteliker hatte zur Folge, daß Melanchthons
Lehrschriften »das philosophische Interesse je länger desto weniger befriedigen (konn-
ten).« Denn hierfür waren sie, wie Weber richtig feststellt, »zu humanistisch«41 und
damit zu wenig philosophisch. Gerade die Konfrontation mit den Werken der katholi-
schen Renaissance-Aristoteliker mit ihrer hochgestochenen Begrifflichkeit ließ die Lu-
theraner (und Calvinisten) erkennen, daß Melanchthons Schriften ungeeignet waren,
den originären sensus Aristotelis zu ermitteln. Zu dieser Erkenntnis brauchte es aber
zumindest in Wittenberg einige Zeit. Denn noch 1603 erkundigte sich das dortige col-
legium philosophicum in einer Stellungnahme zu einem früheren Entwurf der Universi-
tätsordnung, ob Melanchthons philosophische Schriften »nicht neben anderen compen-
diis alhier«42 erhalten werden könnten. Zur Begründung verwies man darauf, daß die
Studenten so auf leichte Weise an die Philosophie herangeführt werden könnten. Dies
gelte nicht nur für die Logik, sondern auch für die Physik,
»sonderlich belangende die doctrinam de anima vel homine, weil Aristoteles dieselbe nirgentz
ganz und zusammen tractieret hat, die jugent aber vor allen anderen partibus physices diese
wissen soll und mit vleiß zu hören pfleget, als bittet collegium philosophicum ihre churf. g.
wolle noch wie zuvor gnedichst vergonnen, daz Philippi libellus de anima publice auch gelesen
werde, damit nicht die auditores a publicis ad privatos praeceptores sich zu wenden uhrsach ha-
ben, welches dan ihnen gewunscht sein, den publicis laboribus aber zu merklichem nachtheil
gereichen wurde.«43

39
Walter Sparn, Metaphysik, 15.
40
Gerhard, Methodus studii theologici, s. II, c. II, 132. – Ein Begriff, den die Calvinisten ironi-
scherweise auch auf die Katholiken anwandten: »… scientia illa artificiosa seu potius confusa illa mi-
cofilosofoqeologi/a, quam Theologiæ Scholasticæ nomine venditant.« (Johann Heidegger, Corpus
theologiæ christianæ, 18. Zitiert nach Paul Althaus, Die Prinzipien der deutschen reformierten Dog-
matik. Leipzig 1914 (Nachdruck Darmstadt 1967), 13)
41
Emil Weber, Scholastik, 14.
42
Urkundenbuch der Universität Wittenberg 1, 628.
43
A. a. O., 629.

291
De Anima

Es überrascht nun, daß man dieser Bitte der philosophischen Fakultät von Seiten des
Kurfürsten nicht gefolgt ist. Ausdrücklich heißt es in der Universitätsordnung von
1606 zur Physik:
»Der sechste professor soll physicam profitiern. und da wöllen wir abermals, daß solches ex
fontibus geschehe. darumb so soll dieser professor … die libros Aristotelis physicos, als de aus-
cultatione et motu, de coelo et de mundo, de ortu et interitu, de meteoris, de anima und die Par-
va naturalia lesen … will er aber etwas von compendiis publicis lesen, so mag er das compen-
dium M. Georgi Libleri, welches ganz und gar auf den Aristotelem gerichtet und aus demselben
gezogen, für sich nehmen und der studirenden jugend fein kurz und rund expliciren. die andern
compendia wie auch die libros de anima domini Philippi wöllen wir ad scholas privatas remit-
tiert haben.«44

Wie ist es zu erklären, daß der Kurfürst anfangs offensichtlich gegen den Willen der
philosophischen Fakultät die Schriften Melanchthons von der Universität verbannt se-
hen wollte?
Friendensburg hielt das kurfürstliche Interesse an einer Lektüre ex fontibus für bloß
vorgeschoben und vermutete einen dahinterstehenden Einfluß der orthodoxen Theolo-
gen: »Daß aber hier [sc. bei der Untersagung der Benutzung der Lehrbücher Melanch-
thons] der Einfluß des siegreichen strengen Luthertums sich geltend machte, kann um
so weniger bezweifelt werden, als die orthodoxe Theologie auch ferner die philosophi-
schen Disziplinen überwachte.«45 Diese Vermutung überzeugt jedoch aus zwei Grün-
den nicht: Zum einen waren viele Theologen in Personalunion auch Philosophen. Wie
sollte es folglich möglich sein, daß ein und dieselben Personen als Philosophen den
Erhalt, als Theologen aber das Verbot der melanchthonischen Schriften forderten?
Zum andern bliebe unverständlich, warum es diesen orthodoxen Theologen nicht ge-
lungen ist, Melanchthons Schrift Loci communes, die für sie doch von erheblich größe-
rer Bedeutung war, von der Universität zu verbannen, wenn sie beim Kurfürsten über
einen so großen Einfluß verfügt haben sollten.46 Vielmehr kann man wohl davon aus-

44
A. a. O., 673. Bei der Schrift des Tübinger Physik-Professors Georg Liebler handelt es sich um
die Epitome philosophiae naturalis ex Aristotelis libris excerpta von 1561.
45
Walter Friedensburg, Geschichte, 504.
46
Christian II. hat in derselben Universitätsordnung von 1606 gegen den Willen zumindest einiger
orthodoxer Theologen ausdrücklich diese Lektüreverpflichtung beibehalten, wenn auch mit einer für
Melanchthon wenig schmeichelhaften Begründung: »Wir sint wol berichtet, wie etliche lieber diß
buch [sc. Loci communes] gar hindangesetzt haben wollen, weil unterdessen nicht allein viel feine
und rundere bücher in dieser materien ausgegangen weren, sondern auch Philippus in den letsten locis
viel geendert hette, das seinen schriften, so zu lebzeiten Lutheri ausgegangen, nicht gemes ist. aber
wir lassen uns das nicht irren, sondern wöllen, daß eben darumb diese loci gelesen werden, damit der
professor ursach habe der jugend zu weisen, wie Philippus nicht allein seine locos, sondern auch das
gemeine symbolum unserer kirchen, die Augspurgische Confession, ohne der churfürsten und stände
vorbewusst gefährlich verendert habe.« (Urkundenbuch der Universität Wittenberg 1, 654) Wenn
man also bereits 1602 »in Wittenberg aufhörte, nach Melanchthons ‘Loci’ zu lesen« (Theodor Mahl-
mann, Die Bezeichnung Melanchthons als Praeceptor Germaniae auf ihre Herkunft geprüft. Auch ein
Beitrag zum Melanchthon-Jahr, in: Melanchthonbild und Melanchthonrezeption, 135-222, hier: 169),
so kann dies nicht auf kurfürstliche Anordnung hin geschehen sein, sondern nur aus eigenem Antrieb

292
Die aristotelische Psychologie im Luthertum

gehen, daß für das Verbot der philosophischen Werke Melanchthons philosophische
und nicht theologische Gründe den Ausschlag gaben: Das kaum in die Tiefe eindrin-
gende Kompendienwissen, das ein echtes Philosophieren verhinderte; die verwirrende
Durchmischung von theologischer und philosophischer Begrifflichkeit; die Uneindeu-
tigkeit seiner Lehren sowie die Entstellung des Aristoteles durch Einfügung von plato-
nisch-ciceronianischen und galenischen Elementen, wie dies auch im 2. Kapitel deut-
lich geworden ist.
Daß dies je länger, desto stärker auch den Philosophieprofessoren selbst klar wurde,
belegen zwei Tatsachen: Zum einen verschwand Melanchthon im Verlauf des 17. Jh.s
aus dem Kanon der Lektüreempfehlungen, der gewiß nicht durch obrigkeitliche An-
ordnungen bestimmt worden ist. Während ihn z. B. Meisner noch 1614 in seiner Dis-
sertatio de summo bono als einen ersten Einstieg in die Ethik zur Lektüre empfahl47,
erwähnte ihn Calov knapp fünfzig Jahre später in diesem Zusammenhang überhaupt
nicht mehr.48 Gleiches gilt für die Naturphilosophie (vgl. 1.1.). Man kann vermuten,
daß für Calov hierbei die eben genannten philosophischen Gründe eine Rolle spielten.
Zum andern belegen die philosophischen Texte selbst den nur noch marginalen Einfluß
der Schriften Melanchthons: Weder in der Ethik noch in der Physik oder Psychologie
spielten sie noch eine größere Rolle. Entscheidend für die Beförderung dieser Erkennt-
nis war, wie erwähnt, der wachsende Einfluß des spanischen und italienischen Renais-
sance-Aristotelismus, dessen Texte im 16./17. Jh. in Deutschland verfügbar wurden.

_________________________________________________________________________________________________________

der Theologen. Mahlmann weist in diesem Zusammenhang auch nach, daß die Erzählung, wonach
Hutter bei einer öffentlichen Disputation Melanchthons Bild von der Wand gerissen und mit Füßen
getreten habe, ins Reich der Legende gehöre (vgl. a. a. O., 164-174). Die Reserviertheit der Orthodo-
xen gegenüber Melanchthon lag bekanntlich in seinem Abfall von der ursprünglichen Confessio Au-
gustana begründet, die er nach Luthers Tod einer Überarbeitung unterzogen hat. Die Orthodoxen er-
kannten in dieser neuen Fassung eine zu große Nachgiebigkeit gegenüber den anderen Konfessionen
sowie einen Rückfall in den überwunden geglaubten Synergismus (vgl. oben 2.3., Anm. 157).
47
Vgl. Meisner, Dissertatio De summo bono. Cui præmissa sunt præcognita ethica et annexa co-
ronis De virtute. Wittenberg 1614, PROLEGOMENON II. De ETHICA IN SPECIE, q. X, 57: »Huic
ergo, ut germano authori, libros istos adscribimus, adeoque Aristotelem tanquam optimum morum
magistrum præ aliis eligimus & commendamus. Ut verò quis progressus faciat expeditiores, utile est
ante omnia, brevem cognoscere epitomen seu compendium, qualia sunt Philippi, Heilandi, Golii &c.
Inde à compendiis ad ipsos fontes deveniendum, & textus Aristotelicus cognoscendus. Tertiò legendi
sunt commentatores & interpretes, ut ex veteribus Alexander Aphrodiensis, Eustratius, Averroes,
Thomas, Tataretus, Javellus: ex recentioribus Camerarius, Zwingerus, Acciaiolus, Magirus, Casus,
quibus adjungendi sunt alii scriptores Ethici, peculiarem ordinem sequentes, ut Danæus, Keckerman-
nus, inprimis verò Piccolomineus.« Bereits für Meisner dienten die Kompendien Melanchthons nur
für einen ersten, keineswegs zureichenden Einstieg in die Thematik.
48
Vgl. Calov, Isagoges ad SS. Theologiam. Liber secundus PÆDIA THEOLOGICA, De Methodo
Studii Theologici, piè, dextrè, feliciter tractandi, s. II, 116: » Commendantur autem in Philosophia
Practicâ generali quantum ad Synopses seu Præcepta, Ethica Horneji, Christiani Matthiæ, Jac. Mar-
tini, Golii vel Keckermanni, ut & Compendium Bartholini. Quoad pleniorem pertractionem Conim-
brincenses, Piccolomineus, Casus, Disputationes Practicæ Keckermanni, & è priscis Aristotelis
Ethicâ, quam resolvit Magirus …«

293
De Anima

Die Zeit war über Melanchthon hinweggegangen, ohne daß es noch größerer Debatten
bedurft hätte. Für die Psychologie wird dies das vorliegende Kapitel verdeutlichen.
Diese grobe Übersicht zum veränderten Philosophiekonzept im Luthertum, läßt im
großen und ganzen erahnen, welche Konstellationen in der philosophischen Psycholo-
gie zu erwarten sind. Gleichwohl bleibt die Frage, ob das in abstracto formulierte
Konzept so auch in concreto umgesetzt worden ist. Dies wird insbesondere im Zu-
sammenhang mit der alles bestimmenden Frage nach der Unsterblichkeit der menschli-
chen Seele zu ermitteln sein. Folgte man hierbei Portios und Zabarellas These von der
Sterblichkeit der anima rationalis gemäß den Prinzipien der aristotelischen Philoso-
phie, oder schloß man sich der Interpretation der Jesuiten an, wonach sie auch secun-
dum Aristotelem unsterblich sei? An der Beantwortung dieser Frage läßt sich das Ver-
hältnis von Philosophie und Theologie in der philosophischen Psychologie der Luthe-
raner genauer bestimmen. Wie lösten sie die Spannungen zwischen einer durchaus ge-
forderten libertas philosophiæ auf der einen Seite und ihrer Funktion als ancilla Theo-
logiæ? Welcher Einfluß ist hier von den radikalen italienischen Naturphilosophen bzw.
den Jesuiten feststellbar?
Dieser Themenkomplex soll hier vorrangig im Blick auf die lutherische Schulphilo-
sophie des frühen 17. Jh.s unter Berücksichtigung folgender Schriften bearbeitet wer-
den: Martinis Exercitationes nobiles de anima von 160649, Christoph Scheiblers (1589-
1653)50 Collegium psychologicum von 1608/951 bzw. der überarbeitete Liber de anima
von 161452, Evenius’ ANQRWPOLOGIA seu, de hominis secundum corpus et animam
49
Vgl. Jacob Martini, Exercitationes nobiles de anima. Wittenberg 1606.
50
Scheibler ist neben Martini der zweite bedeutende Philosoph der lutherischen Schulphilosophie
in den Disziplinen der Logik und Metaphysik. Er wurde am 6.12.1589 in Armsfeld in Waldeck gebo-
ren, besuchte zunächst das Pädagogicum in Marburg und begann dort bereits 1603 mit dem Studium
der Philosophie. 1606 wechselte er nach Gießen und erwarb dort 1607 bei der ersten Promotion in
Gegenwart des Universitätsgründers Landgraf Ludwig V. unter Caspar Finck den Magisterabschluß.
Anschließend war er Adjunkt an der philosophischen Fakultät. In dieser Zeit hielt er seine Disputa-
tionen über die Psychologie (vgl. die nachfolgende Anm.). 1610 wurde er zum Professor der griechi-
schen Sprache sowie der Logik und Metaphysik ernannt. Daneben versah er auch den Unterricht in
der Naturphilosophie. Sein Opus metaphysicum von 1617 (mindestens acht weitere Auflagen bis
1665) brachte ihn den Titel eines ‘protestantischen Suárez’ ein und wurde sogar in Genf und Oxford
nachgedruckt. Nachdem 1624 die Universität von Gießen nach Marburg verlegt worden war, nahm
Scheibler die Position des Superintendenten und Archigymnasiarch in Dortmund an, wo er weiter
Philosophie, aber auch Theologie lehrte und entsprechende Schriften veröffentlichte. Er starb am
10.11.1653. Zu Leben und Werk vgl. ausführlich BBK 9, 56-65 sowie Ueberweg 17. Jh. Bd. 4/1, 535
sowie 538-40.
51
Vgl. Christoph Scheibler, Collegium psychologicum I. de anima in genere, eiusque pimo gradu,
anima vegetante; II. de anima sentiente eiusque tribus potentiis, sensitiva, appetitiva et locomotiva;
III. de anima rationali eiusque duabus potentiis intellectu et voluntate. Gießen 1608/9.
52
Christoph Scheibler, Liber de anima … in quo tota doctrina animæ, tùm in genere, tùm in spe-
cie, quoad singulos ejus gradus, & singulas animæ facultates, succinctè & clarè pertractatur. Editio
secunda correctior & auctior. Gießen 1614 (hier verwendete Auflage). Das Werk wurde nochmals
1627 in Marburg und 1654 in Gießen veröffentlicht und war Bestandteil der 1657 in Gießen veröf-
fentlichten Opera philosophica. Ut sunt I. Logica. II. Metaphysica. III. Liber de anima.

294
Die aristotelische Psychologie im Luthertum

constitutione doctrina von 161353, Johann Conrad Dannhauers (1603-1666)54 Collegi-


um psychologicum von 162755 und schließlich Martin Leuschners (1589-1641)56 Tetras
disciplinarum philosophicarum, hoc est, Logicæ, Physicæ, Ethicæ, et Politicæ von
163357. Daneben wird noch auf den 1597 veröffentlichten De Anima-Kommentar58 des

53
Vgl. Anm. 1.
54
Dannhauer zählt wie viele andere lutherische Theologen der Orthodoxie zu den Vergessenen
und Verkannten. Er wurde am 24.3.1603 in Köndringen im Breisgau geboren. Bereits mit sieben Jah-
ren wurde er an die Schule nach Straßburg geschickt, wo er anschließend auch Philosophie studierte.
Das Studium beendete er 1621 mit dem Erwerb des Magistergrades. 1622 wurde er aufgrund seiner
poetischen Begabungen, die er auch theologisch fruchtbar machte, zum Poeta laureatus gekrönt.
1624 begann er mit dem Studium der Theologie. 1625 begab er sich auf eine mehrjährige peregrina-
tio studiorum, die ihn nach Marburg zu Balthasar Mentzer (1565-1627) und Johann Winckelmann
(1551/2-1626), nach Altdorf zu Georg König (1590-1654) und nach Jena zu Johann Gerhard und Jo-
hann Major (1564-1644) führte. In all diesen Städten führte er philologische und philosophische Dis-
putationen durch, u. a. in Altdorf zur Psychologie. 1628 wurde er zum Inspektor des Prediger-
Collegiums in Straßburg berufen. Dort wurde er 1629 Professor der Rhetorik. In den folgenden Jah-
ren veröffentlichte er seine beiden Schriften zur Hermeneutik (Idea boni interpretis et malitiosi ca-
lumniatoris, Straßburg 1630. Hermeiosophia sive Hermeneutica sacra, Straßburg 1654), die ihn zu ei-
nem der ersten Vertreter einer allgemeinen Theorie des Auslegens werden ließen (vgl. hierzu Eckhard
Kessler, Logica universalis und Hermeneutica universalis, in: La presenza dell’aristotelismo padova-
no nella filosofia della prima modernità, 133-171, hier: 158ff). 1633 wurde Dannhauer Professor der
Theologie, in welcher Eigenschaft er zahlreiche Schriften zur Dogmatik (u. a. seine berühmte ODO-
SOFIA Christiana seu Theologia positiva in certam, Plenam et Cohærentem Methodum redacta,
Straßburg 21666), zur Gewissenskasuistik (vgl. Liber conscientiæ apertus, sive Theologiæ conscienti-
ariæ tomus prior. Straßburg 21679), aber auch polemische und erbauliche Werke verfaßte. 1634 er-
langte er den Doktorgrad in der Theologie. In den nachfolgenden Jahren wurden ihm verschiedene
kirchliche Funktionen übertragen (Präses des Kirchenkonvents, Dekan des Thomasstifts, Pfarrer am
Münster). Er starb am 7.11.1666. Zu Leben und Werk vgl. ausführlich RE 4, 460-4. Freher, Theatrum
virorum eruditione clarorum, 664. Zedler 7, 137f. Jöcher 2, 27f. Lohr, 123.
55
Vgl. Johann Conrad Dannhauer, Collegium psychologicum, in quo maxime controversae quae-
stiones, circa libros tres Aristotelis de anima proponuntur, ventilantur, explicantur. Adornatum olim
in Almâ Noricorum Altorfina, nunc veri ita flagitante Studiosorum desiderio, recognitum, actum, &
indice rerum ornatum, à mendis purgatum ac quartâ vice editum (Altdorf 11627). Straßburg 41660
(hier verwendete Ausgabe). Weitere Auflagen: Straßburg 1630 und 1643.
56
Von Leuschner ist fast nichts mehr bekannt. Er wurde 1589 in Meissen geboren, 1621 Professor
der Rhetorik, später dann Rektor der Philosophie am Gymnasium in Stettin. In dieser Eigenschaft un-
terrichtete er in den Disziplinen der Logik, Ethik, Politik, Physik und Psychologie, wie die genannte
Disputationssammlung belegt. Am 12.10.1637 hielt er die Leichenpredigt auf den Theologen Daniel
Cramer. Er starb am 18.1.1641 in Stettin.
57
Vgl. Martin Leuschner, Tetras disciplinarum philosophicarum, hoc est, Logicæ, Physicæ,
Ethicæ, et Politicæ; ut et aliæ nonnullæ quæstiones & controversiæ Philosophicæ, ex varijs Discipli-
nis desumptæ. Stettin 1633.
58
Vgl. Julius Pacius, ARISTOTELOUS PERI YUXHS BIBLIA TRIA. Aristotelis de Anima libri
tres, græce et latine, Iul. Pacio à Beriga interprete. Accesserunt eiusdem Pacii in eosdem libros com-
mentarius analyticus … Frankfurt 1596. Weitere Auflagen folgten 1611 in Hanau und 1621 in Frank-
furt.

295
De Anima

Zabarella-Schülers Julius Pacius (1550-1635)59 sowie auf Timplers in mehreren Teilen


erschienene Schrift Physicæ seu philosophiæ naturalis systema methodicum60 zurück-
gegriffen. Bereits die Titel dieser Schriften verdeutlichen, daß in der lutherischen
Schulphilosophie der im späten Renaissance-Aristotelismus begonnene Übergang von
der bloßen Kommentierung der aristotelischen Schrift De Anima61 zur Systematisie-
rung des Verstehens fortgesetzt worden ist. Dabei wurde die Disputation zur vorherr-
schenden Form des Philosophierens. Die Biographien der Autoren und die Umstände
der Durchführung dieser Disputationen zeigen dabei an, daß die Psychologie – obgleich
ein Teil der Naturphilosophie – in der Regel nicht vom Lehrstuhlinhaber für Physik,
sondern im Wechsel von verschiedenen Gelehrten unterrichtet wurde, die als Professo-
ren (Martini, Scheibler und Leuschner) oder Adjunkten (Evenius und Dannhauer) ei-
nen entsprechenden Lehrauftrag erhalten hatten. Daß damit jedoch kein kontinuierli-
cher Unterricht in dieser Disziplin gewährleistet war, wird aus der Tatsache ersichtlich,

59
Pacius wurde 1550 in Beriga in der Nähe von Vicenza geboren. Er studierte in Padua von 1565-
70 u. a. bei Zabarella Philosophie und anschließend dort bis 1574 Jurisprudenz. Kurze Zeit später
konvertierte er zum Calvinismus, floh aus diesem Grunde nach Genf, wo er von 1575-85 Philosophie
und Recht lehrte. Anschließend unterrichtete er von 1585-94 in Heidelberg die Jurisprudenz. Weitere
Stationen als Professor der Philosophie bzw. des Rechts folgten in Sedan (1595), Nimes (1597-1600),
Montpellier (1600-16), Valencia (1616-20), Padua (1620-21) und erneut in Valencia bis zu seinem
Tod im Jahre 1635. Ein Großteil seiner philosophischen Werke zur Naturwissenschaft und Logik
stammen aus den 90er Jahren des 16. Jh.s: Aristotelis Stagiritæ Peripateticorum Principis Organum.
(Morges 11584) Frankfurt 31597 (Nachdruck Hildesheim 1967). Commentarius Analyticus in Porphy-
rii Isagogen et Aristotelis Organum. Frankfurt 1597 (Nachdruck Hildesheim 1966). Aristotelis de
Cœlo lib. IIII; De Ortu & interitu II; Meteorologicorum IIII; De Mundo I. Parva (ut vocant) naturalia
græcè & latinè. Frankfurt 1601.
60
Vgl. Timpler, Physicæ seu philosophiæ naturalis systema methodicum, in tres partes digestum.
Pars prima; complectens Physicam Generalem. Hanau 1605 (31613). Pars altera Physicæ, complec-
tens Apsychologiam: Hoc est, doctrinam de corporibus naturalibus inanimatis, libris quatuor explica-
tam. Quorum I. continet Uranologiam. II. Astrologiam. III. Stoecheiologiam. IV. Mixtologiam. Ha-
nau 1609. Pars tertia & postrema Physicæ, complectens Empsychologiam; Hoc est, doctrinam de cor-
poribus naturalibus animatis, libris V. explicatam. Quorum I. continet Empsychologiam generalem;
II. Zoologiam generalem; III. Anthropologiam. IV. Therologiam. V. Phytologiam. Hanau 11607
(31622; hier verwendete Auflage).
61
Die Schrift Commentarii in Aristotelis philosophorum principis de Anima, & Parva Naturalia
dictos libros (Frankfurt 1605) des Straßburger Mediziners und Philosophen Johann Ludwig Hawen-
reuter (1548-1618) ist der letzte De Anima-Kommentar eines lutherischen Autors, der den griechi-
schen Originaltext mit einer eigenen Übersetzung bietet. Hawenreuter gab bereits 1597 Zabarellas
Opera logica in Deutschland heraus und sorgte so für dessen frühzeitige Rezeption. Vgl. hierzu Sa-
chiko Kusukawa, Mediations of Zabarella in Northern Europe: The Preface of Johann Ludwig Ha-
wenreuter, in: La presenza dell’aristotelismo padovano nella filosofia della prima modernità, 199-
213. Welche Wertschätzung Zabarella bei Hawenreuter genoß, belegt seine Præfatio zu den Opera
logica: »Nec immeritò sanè Zabarellæ opera placent. Quàm breviter enim & perspicuè in tabulis pro-
posuit, quæ prioribus Organi libris traduntur? Quàm copiosè & diligenter enarravit, quæ in pretiosis-
simo posteriorum Analyticorum volumine ab Aristotele docentur? Quàm accuratè dissolvit ea dubia,
quæ ad scientiæ arcem tendentem remorari potuissent?« (Zabarella, Opera logica, Præfatio, 3r)

296
Die aristotelische Psychologie im Luthertum

daß Scheibler seinen Liber de anima »zur privaten Übung der Studenten«62 geschrie-
ben und Evenius seine Disputationen in Collegio privato63 durchgeführt hat. Entgegen
der Festlegung in den Universitätsordnungen war der Locus De anima also offensicht-
lich kein fester Bestandteil des Curriculums an den lutherischen und calvinistischen
Universitäten.
Die Präsentation der Psychologie im Rahmen von Disputationen hatte ferner zur
Folge, daß ihr Umfang im Vergleich zu den Schriften der katholischen Autoren um ein
Vielfaches geringer war, was nicht ohne Auswirkungen auf den Inhalt blieb: Die ein-
zelnen Loci wurden nicht mehr in der Ausführlichkeit erörtert, wie dies auf katholi-
scher Seite üblich war. Was dort noch Gegenstand umfangreicher Abhandlungen war,
das reduzierte sich bei den Lutheranern auf eine kurze Darstellung der einzelnen Ar-
gumente für diese oder jene Ansicht. Angesichts der Verfügbarkeit der katholischen
Werke beschränkte man sich offensichtlich auf das im Rahmen einer Disputation Not-
wendige. Oftmals reichte die bloße Angabe eines Namens, der Verweis auf eine
Schrift, um dem gebildeten Leser den Kontext zu verdeutlichen. Die Psychologie der
Lutheraner muß also vor diesem umfassenden Hintergrund der katholischen (und auch
calvinistischen) Literatur verstanden werden. Dies wird das vorliegende Kapitel bele-
gen.

4.1.1. Prolegomena zur Psychologie

Die Psychologie war auch für die Lutheraner ein Teil der Naturphilosophie, wie aus
den Disputationen von Martini und Leuschner zur Physik und Psychologie ersichtlich
wird. Danach wird in den Prolegomena zur Physik zunächst ihre Definition, ihr Gegen-
stand und ihre Einteilung ermittelt, welche Bestimmungen Rückwirkungen auf die
Psychologie haben. So definierte sie Leuschner gemäß Met. XI 7, 1064a15f als eine
Wissenschaft von den natürlichen Körpern, die in sich das Prinzip von Bewegung und
Ruhe haben64, während Martini sie unter Hinweis auf Met. V 1, 1025b26f. als eine
Wissenschaft bestimmte, die ein Seiendes betrachtet, das sich zu bewegen vermag65.

62
Vgl. Scheibler, Liber de anima, 3v-4r (Epistola dedicatoria): »Atque hac de causa, antehac scri-
bere cœpi ad privatum studiosorum (ipse studiosus adhuc) Exercitium has Disputationes Psychologi-
cas, in quibus breviter & succinctè persecutus sum, quæ ad historiam animæ, ejusque diversarum fa-
cultatum pertinuerunt.«
63
Vgl. Anm. 1.
64
Vgl. Leuschner, Dissertationum physicarum prima. De Physices natura & constitutione. Ut & de
tribus principiis corporum naturalium internis, materia, forma, & privatione. Stettin 1625, A3r: »Et
definitur [sc. Physica]: Scientia corporum naturalium, quatenus in se principium motus & quietis ha-
bent.«
65
Martini, Theorematum physicorum exercitatio prima, A3r: »Altera [sc. definito] & quidem om-
nibus numeris absoluta 5. Metaph. 1. H( fusikh\ qewretikh\ [sc. e(pisth/mh] tij a)\n ei)/h, a)lla\
qewrhtikh\ peri\\ toiou=ton o)\n o(/ e)sti dunato\n kinei=stai.«

297
De Anima

Ihre Genus-Bestimmung ist in beiden Definitionen scientia, weil sie auf eine feste und
gewisse Erkenntnis der schlechthin notwendigen Dinge abzielt, die sich nicht anders
verhalten können und dem menschlichen Tun nicht unterworfen sind. Diese Betrach-
tung geschieht hier aber nicht in Hinsicht auf das Seiende als Seiendes wie in der Me-
taphysik, sondern in Hinsicht auf den natürlichen Körper, der sich selbst aus der Ruhe
heraus zu bewegen vermag. Allein dieser natürliche Körper, und nicht der künstlich
hergestellte, ist Gegenstand der Physik.
Diese so konstituierte Wissenschaft wird in einen allgemeinen und besonderen Ab-
schnitt unterteilt. In jenem werden die Prinzipien, Ursachen und allgemeinen Eigen-
schaften der natürlichen Körper erörtert. Hierbei geht es insbesondere um die Klärung
der Begriffe natura, actus, potentia, forma, materia, substantia, locus, tempus, motus
etc., die bei der Beschreibung aller Naturphänomene Verwendung finden.66 So wird die
Natur von Martini unter Berufung auf Phys. II 1, 192b21-23 als »Ursache und Prinzip«
definiert, »das etwas bewegt und zur Ruhe bringt, in dem es auf wesentliche, nicht ak-
zidentelle Weise ist«67, und genau auf diese Weise sei auch die Seele Natur68. Im spezi-
ellen Teil der Physik wird in Anlehnung an die übrigen naturwissenschaftlichen Schrif-
ten des Aristoteles (De Caelo, De Generatione et corruptione, De anima, Parva natu-
ralia, De Historia animalium, De Partibus animalium etc.69) über die verschiedenen
Arten des natürlichen Körpers gehandelt. Hierbei wird zunächst zwischen den einfa-
chen Körpern wie den Himmeln und den verschiedenen Planeten sowie den aus ver-
schiedenen Elementen zusammengesetzten Körpern, die dem Entstehen und Vergehen
unterworfen sind, unterschieden. Diese zusammengesetzten Körper sind wiederum
entweder unbeseelt oder beseelt. Die unbeseelten ‘äußeren’ Körper wie Wind, Regen

66
Vgl. Martinis Disputations-Übersicht: Theorematum physicorum exercitatio secunda: De Prin-
cipiis rerum naturalium in genere. Tertia: De Primis rerum naturalium principiis in specie. Quarta: De
Natura. Quinta: De Causis per se et per accidens. Sexta: De Loco et vacuo. Septima: De Tempore.
Octava: De Quanto & infinito. Nona: De Moto generice considerato. Decima: De Speciebus motus.
67
Martini, Theorematum physicorum exercitatio quarta. De Natura. Wittenberg 1604, A4v: »Na-
turam definimus causam & principium, ut id moveatur & quiescat, in quo primo, per se, & non ex ac-
cidente inest.«
68
Vgl. a. a. O., B4r [Corollaria]: »Num anima sit natura? A[ffirmatio].« In seiner ersten Disputati-
on De anima in genere im Rahmen der Exercitationes nobiles de anima hat Martini diese Bestim-
mung der Seele als Natur unter Berufung auf Aristoteles wie folgt begründet: »Pertinet autem hæc
consideratio [sc. de anima in genere] ad Physicam, & eius pars est: Anima enim est h( a)rxh\ tw=n
z%/wn lib. 1. de an. cap. 1. [402a6f.] Ergo sub definitione naturæ lib. 2. phys. tex. 3. [sc. 192b21-23;
vgl. auch b13-15] traditâ, comprehenditur.« (Ex. I, A2r) Der Syllogismus lautet: Die Seele ist das
Prinzip der Lebewesen. Prinzip der Lebewesen und aller natürlichen Körper ist aber die Natur, denn
sie ist Prinzip und Ursache von Bewegung und Ruhe dieser Körper. Folglich ist die Seele Natur, ist
doch ihr subiectum das corpus naturale.
69
Dabei ging man davon aus, daß Aristoteles nicht alle Bereiche der Naturphilosophie bearbeitet
und selbstverständlich Fehler gemacht hat, die zu korrigieren waren. Deshalb war zum einen die Na-
turphilosophie durch eigene Darstellungen zu vervollständigen – so verfaßten Theophrast und Alber-
tus Magnus eine Schrift über die Mineralien –, zum andern das Werk des Aristoteles auf seine Rich-
tigkeit und Begründetheit zu überprüfen.

298
Die aristotelische Psychologie im Luthertum

und Regenbogen sind Gegenstand der Schrift über die Meteore; die ‘inneren’ Körper
wie Metalle und Steine werden in der Schrift über die Mineralien behandelt. Die be-
seelten Körper – Pflanze, Tier und Mensch – sind schließlich Gegenstand der Schriften
über die Lebewesen (De Plantis, De Animalibus, De Anima etc.).70 In welcher Reihen-
folge diese aber zu lehren sind, darüber kam es zum Streit zwischen Timpler und Eve-
nius.
Der Steinfurter vertrat dabei die Ansicht, daß Aristoteles mit seiner Anordnung der
Schriften eine Verletzung des von ihm selbst wiederholt betonten Metabasis-Verbots
begangen habe. Nachdem er nämlich zunächst in seiner Physik über den natürlichen
Körper und seine Prinzipien gehandelt und anschließend die unbeseelten Körper per-
spicuè & ordinatè bestimmt habe, sei er von den einfachen zu den vermischten Kör-
pern übergegangen, die teils unbeseelt, teils beseelt seien. Dabei habe er die letzteren
in der Reihenfolge De Anima, Parva naturalia, De Historia animalium, De Partibus
animalium etc. gelehrt, was falsch sei. Denn so habe er das Allgemeine mit dem Be-
sonderen vermischt und viele physikalische Eigenschaften fälschlicherweise den be-
seelten Körpern zugeschrieben, als ob die Seele ein subiectum recipiens wäre.71 Statt
dessen sei im Bereich der Empsychologia zuerst über den beseelten Körper im allge-
meinen zu handeln. In einem zweiten Schritt müsse zwischen animal (to\ z%==on) und
planta (to\ futo/n) unterschieden werden.72 Da nun die Lehre über die Pflanzen nichts
zur besseren Erkenntnis von Tier (bestia, o( qh/r) und Mensch (homo, a)/nqrwpoj) beitra-
ge, sei zuerst über das ihnen Gemeinsame zu handeln, »und zwar an erster Stelle über
den Menschen und an zweiter Stelle über die Tiere«73. Erst anschließend folge dann der

70
Vgl. Leuschner, Dissertationum physicarum IV: De præstantissimo & pulcherrimo rerum omni-
um creatarum domicilio mundo, ut & de cœlo, & stellis perpertuis ac novis. V: De corporibus sublu-
naribus elementis cùm in genere, tùm in specie consideratis, ut & de mixtione mixtorum corporum
constitutione requisitis & affectionibus. VI: De corporibus imperfectè mixtis Meteoris cùm in genere,
tùm in specie consideratis, ut & de eorum causis, requisitis & effectis. VII: De corporibus perfecte
mixtis inanimatis, metallis sc. & lapidibus tàm pretiosis quàm vulgaribus, ut & succis terrestribus, eo-
rumque affectionibus & requisitis. VIII: De anima in genere.
71
Vgl. Timpler, lib. I, c. I, pr. 1, 4f.: »Etsi verò Philosophus [sc. Aristoteles] omnes & singulos li-
bros, in quibus de corporibus viventibus, & iis rebus, quæ circa hæc considerari possunt, tractat eo
ordine, quo iam in toto eius opere dispositi sunt, non conscripsit: tamen hoc inde luculenter apparet,
illam partem Physicæ, quam nos Empsychologiam vocamus, non esse methodicè ab eo traditam &
explicatam; & sic multis occasionem in hoc doctrinæ genere errandi esse præbitam: præsertim verò in
eo, quod generalia cum specialibus confuderit, & plerasque affectiones physicas competentes ipsis
corporibus viventibus, animæ tanquam subiecto recipienti attribuerit.«
72
Timpler spricht mit dieser Differenz zwischen animal & planta der Pflanze natürlich nicht das
Beseeltsein ab. Der Begriff animal ist hier also nicht der Oberbegriff für alle Lebewesen, sondern
umfaßt nur die Tiere und Menschen. Dies läßt sich im Deutschen nicht angemessen wiedergeben.
73
Timpler, lib. I, c. I, pr. 1, 5: »Itaque primum de corpore animato in genere egi. Deinde corpus
animatum in animal & plantam divisi: Et cum viderem doctrinam de plantis nihil facere ad meliorem
& faciliorem animalis cognitionem, primum de animali in genere, tanquam nobiliore specie corporis
animati tractavi: Deinde animal in hominem & bestiam distribui, ac priore loco de homine, posteriore
de bestia egi …«

299
De Anima

Locus De plantis, so daß sich insgesamt folgende Anordnung ergebe: 1. Empsycholo-


gia generalis. 2. Zoologia. 3. Anthropologia. 4. Therologia. 5. Phytologia.74 Timpler
berief sich hierfür auf Zabarellas ordo-Lehre, wonach die perfekte Erkenntnis eines
Gegenstandes im Fortgang von der Erkenntnis derjenigen Dinge, die zur Wesenskon-
stitution etwas beitragen (ta\ ou)siw/dh), zur Erkenntnis derjenigen Dinge besteht, die
dem Wesen als Akzidentien nachfolgen (ta\ e)pousiw/dh), im Übergang also von der
Gattung zur Species. Daß bei Timpler dahinter aber gerade kein epistemologisches
Konzept stand, sondern ein ontologisches – anders also als bei Zabarellas ordo doc-
trinæ –, wird daraus ersichtlich, daß er diesen ordo als ordo nobilitatis verstand, da
»der Mensch nicht vom Tier abhängt, weder dem Wesen noch der Erkenntnis nach«75.
Auf diesen Widerspruch zu Zabarella wies zu Recht Evenius hin, der sich dessen An-
sicht zu eigen machte, daß das Kriterium für die Anordnung allein die für uns leichtere
Weise des Erkennens sei. Da die Körperteile am meisten Materie sind, damit sinnlich
wahrnehmbar und uns zunächst bekannter, die Seele dagegen Form ist, damit sinnlich
nicht wahrnehmbar und uns zunächst unbekannter, sei klar, daß der Fortgang gemäß
dem ordo doctrinæ von der Materie zur Form zu erfolgen habe. Daher sei der Locus
De anima nicht vor, sondern nach den Büchern De Animalibus zu lehren, wie Zabarella
in seiner Schrift De Naturalis scientiæ constitutione klar gezeigt habe (vgl. 3.1.2.).
Timplers Sticheleien gegen Aristoteles entbehrten daher jeder Grundlage.76
Einig war man sich bei den Lutheranern und Calvinisten hinsichtlich der engen Ver-
knüpfung von Körper und Seele, die im Gegensatz zum Platonismus als ein echtes Cha-
rakteristikum der aristotelischen Philosophie galt. Dieser Tatbestand führte schon früh
in der Scholastik zu einer ganzheitlichen Betrachtung des Menschen, die, wenn auch

74
Die Empsychologia generalis handelt von der Natur des beseelten Körpers im allgemeinen, von
Leben und Tod sowie von den Vermögen des Ernährens, Wachsens und Zeugens. Die Zoologia be-
stimmt die Natur und den Körper (Knochen, Nerven, äußere und innere Organe, spiritus vitalis etc.),
die Sinneswahrnehmung, das Bewegungsvermögen, die Atmung sowie das Wachen und Schlafen des
Lebewesens. Die Therologia erörtert die Natur der Tiere im allgemeinen, benennt einige Unterschie-
de zwischen den verschiedenen Tierarten und bestimmt abschließend die charakteristischen Eigen-
schaften der Zoophyten, Insekten, Vögel, Fische, Schlangen und Vierfüßler genauer. Die Pythologia
hat die Natur der Pflanze, ihr Werden und Vergehen zum Thema, benennt die Differenzen zwischen
den verschiedenen Pflanzenarten und erläutert abschließend den Aufbau der Pflanzen. Zum Inhalt der
Anthropologia vgl. wird weiter im Text.
75
Timpler, lib. III, c. I, pr. 2, 257: »Iam autem homo non dependet a bestia, neque in essendo, ne-
que in cognoscendo. Ergo non necesse est, ut prius de bestia, quam de homine tractetur: sed satis est.
si ordo nobilitatis observetur.«
76
Vgl. Evenius, disp. XI, A3r: »Quamvis si maximè pragmatei/a nostra esset generica, Zabarellæ
nos autoritas tueri poterat, qui lib. de constitut. scient. natur. cap. 32. Animæ doctrinam non, ut alij,
post Meteororum statim tractatum ante totam disciplinam ad res animatas pertinentem, sed post libros
de historia, partibus & incessu animalium tradendam non sine gravi ratione statuit, partes siquidem
animalium, quæ eorum proxima sunt materia, sensiles sunt & notiores, animæ verò cognitio insensilis
& ignotior multisque ac magnis difficultatibus referta, ut ipse testatur Aristoteles in proœmio libro-
rum de anima [vgl. 402a10f.]. Confert eundem Zabar. ibid. cap. 34. ut ita præter rem insectetur &
cavilletur Aristotelem Timplerus lib. 1. emps. cap. 1. problem. 1.«

300
Die aristotelische Psychologie im Luthertum

noch nicht dem Begriff, so doch der Sache nach als eine philosophische Anthropologie
bezeichnet werden kann.77 Die Fixierung des Begriffs Anthropologia und die Ausbil-
dung einer sich aus den Bereichen der Anatomia bzw. Somatologia und Psychologia
zusammensetzenden gleichnamigen philosophischen Disziplin in der lutherischen und
calvinistischen Schulphilosophie des 16./17. Jahrhunderts erscheint vor diesem Hinter-
grund als der Schlußpunkt einer langen, durch den Renaissance-Aristotelismus vermit-
telten Tradition. Dies muß insbesondere gegen Marquard betont werden, der in seinem
Lexikon-Artikel zur Anthropologie die These vertreten hat, daß dieses vermutlich mit-
telalterliche Wort – Köhlers Studie belegt das Gegenteil – im 16. und 17. Jh. seine alte
theologische Bedeutung, nach der es die Akkomodation Gottes an den menschlichen
Sprachgebrauch bezeichne, verloren habe und nun im Rahmen der protestantischen
Schulphilosophie die Emanzipation der Philosophie von der Theologie repräsentiere.
»Dort, wo man – bei M. HUNDT, O. CASMANN [dort falsch Cassmann], C. BUTELIUS/ J. RHETE,
S. EVENIUS [dort falsch: Gvenius] u. a. – einen Ausdruck für die ‘psychologia’ speziell des

77
Vgl. hierzu die umfassende Studie von Theodor W. Köhler, Grundlagen des philosophisch-
anthropologischen Diskurses im dreizehnten Jahrhundert. Die Erkenntnisbemühungen um den Men-
schen im zeitgenössischen Verständnis. Leiden u. a. 2000. Köhler weist dort nach, daß es den Fach-
terminus ‘Anthropologie’ weder in der antiken noch in der mittelalterlichen Philosophie gegeben hat
und folglich auch keinen Teilbereich der Philosophie mit diesem Namen (a. a. O., 28). Gleichwohl
bestehe kein Zweifel, »daß es im Untersuchungszeitraum – und zwar nicht erst nach 1277 – in der Tat
zur Ausbildung eines eigenständigen philosophisch-anthropologischen Diskurses gekommen ist.« (A.
a. O., 625) Dessen wissenschaftstheoretisches Profil sieht Köhler durch drei Hauptmerkmale be-
stimmt: 1. Ein durch das Erkenntnisziel einer philosophischen Gesamterfassung des Menschen be-
stimmter Untersuchungsbereich, der den Körper, die Seele und ihrer beider Zusammenhang, d. h. sei-
ne ontologische Konstitution umfaßt. 2. Eine formal philosophische Untersuchungsperspektive mit
einer Abgrenzung von der theologischen und medizinischen Sicht auf den Menschen und mit einer
Bezugnahme auf die Natur bei der anthropologischen Begriffsbildung. 3. Eine explizit reflektierte
wissenschaftssystematische Positionierung der Erkenntnisbemühung um den Menschen, die von der
Philosophie insgesamt zu bewältigen ist und nicht von einer Spezialwissenschaft De homine. Als frü-
hestes Beispiel für eine solche Anthropologie verweist Köhler auf das vierte Buch der 1124 verfaßten
Philosophia des Wilhelm von Conches (1080-1145), in dem sich eine umfangreiche Abhandlung über
den Menschen als leib-seelisches Wesen findet (vgl. a. a. O., 55ff.). Und noch eines ist an dieser
Schrift bemerkenswert: Wilhelm hat ausdrücklich betont, daß er im vorliegenden Buch vom Men-
schen nicht im Hinblick auf die Erschaffung des ersten Menschenpaares sprechen werde, also in einer
theologischen Perspektive, sondern im Hinblick auf den gegenwärtig existierenden, faktisch erfahrba-
ren Menschen: sein tägliches Erschaffenwerden, seine Gestaltung, seine Geburt, seine Altersstufen,
seine Organe und ihre Funktionen. Damit zählen seine Aussagen »über den menschlichen Körper,
speziell über die Struktur des Gehirns, … zu den frühesten Zeugnissen für die Einarbeitung arabisch-
medizinischen Wissens in einem scholastischen Traktat.« (a. a. O., 60). Gleiches gilt für den 1300
veröffentlichten Liber de homine des Raimundus Lullus (um 1235-1315), der im ersten Buch über das
Sein des Menschen in körperlicher und seelischer Hinsicht, im zweiten über den Tod und im dritten
über das Gebet gehandelt hat (vgl. a. a. O., 239ff.). Diese ganzheitliche Ausrichtung war freilich kei-
ne Eigentümlichkeit der philosophischen Anthropologie, wie Köhler belegt. Denn auch die theologi-
sche Anthropologie thematisierte die körperliche und seelische Konstitution des Menschen aus bibli-
scher Sicht. So gliederte Albertus Magnus in seiner Schrift De homine den ersten Hauptteil in die drei
Abschnitte über die Seele, den Leib und das Kompositum (vgl. a. a. O., 196ff.). Dies gilt schließlich
auch für die Summa theologiae (1266-73) des Thomas von Aquin (vgl. a. a. O., 201ff.).

301
De Anima

Menschen suchte, wurde ‘A.’ Titel einer philosophischen Disziplin. Ihre konventionell anmu-
tende Definition – ‘A. est doctrina humanae naturae’ [Casmann] – verdeckt, was durch Ausbil-
dung dieser Disziplin geschieht: unterm Titel ‘A.’ emanzipiert sich die Schulphilosophie aus der
theologisch orientierten metaphysischen Tradition und stellt sich der Frage: wie ist der Mensch
zu bestimmen, wenn nicht (mehr) durch Metaphysik und (noch) nicht durch mathematisch-
experimentelle Naturwissenschaft?«78

Wie Marquard diese These unter Berufung auf die genannten Autoren aufstellen konn-
te, bleibt vollkommen unverständlich, da diese philosophische Anthropologie gerade
im Rahmen der, wie er es nannte, theologisch orientierten Schulmetaphysik dieser Zeit
entstand und nicht durch eine Abkehr von ihr. Mit Ausnahme von Hundt waren alle
genannten Autoren Vertreter dieser Tradition.
Für Evenius dürfte dies bereits aus dem bisher Gesagten deutlich geworden sein.
Dies kann auch leicht für den Calvinisten Otto Casmann (1562-1607) aufgezeigt wer-
den79, dessen 1594/96 in zwei Teilen erschienene Schrift Psychologia anthropologica
als eines der frühesten Beispiele für eine philosophische Anthropologie dieser Zeit
gilt.80 Dabei belegen die von Marquard nur unvollständig wiedergegebene Definition
der Anthropologie und mehr noch die entsprechenden Erläuterungen zu ihr die theolo-
gisch-metaphysische Bedeutung dieser philosophischen Anthropologie: Indem Cas-
mann sie als eine Lehre von der menschlichen, in ihrer doppelten irdischen Gestalt als
spiritus & corpus eine wesentliche Einheit bildenden Natur81 bestimmt, nimmt er ganz
selbstverständlich Bezug auf den göttlichen Schöpfungsakt der Seele gemäß Gen 2,7

78
Odo Marquard, Art. Anthropologie, in: HWPh 1 (1971), 362-374, hier: 363.
79
Die 1605 in Stettin gehaltene Disputation Anthropologia seu Synopsis considerationis hominis
quoad corpus et animam von Christophorus Butelius bleibt hier wegen ihrer Kürze unberücksichtigt.
Sie liegt inhaltlich aber auf der üblichen schulphilosophischen Linie.
80
Vgl. Otto Casmann, Psychologia anthropologica; sive animæ humanæ doctrina, Methodicé in-
formata, capitibus dissecta, singulorumque Capitum disquisitionibus, ac controversarum quæstionum
ventilationibus illustrata. Hanau 1594. Secunda pars anthropologiæ: hoc est Fabrica humani corporis;
methodicè descripta … Hanau 1596. Diese Schrift gilt in der Forschung gemeinhin »als Begründung
der ‘Anthropologie’« (Wilhelm Schmidt-Biggemann, Die Schulphilosophie in den reformierten Terri-
torien, in: Ueberweg 17. Jh, Bd. 4/1, 392-474, hier: 417f.). Dieses Urteil wird man angesichts der
Studien Köhlers nur noch in bezug auf die begriffliche Fixierung, nicht aber der Sache nach aufrecht-
erhalten können. Der zweite Teil der Psychologia anthropologica spielt mit dem Titel explizit auf
Vesalius’ 1543 veröffentlichte Schrift De humani corporis fabrica libri septem an.
81
Vgl. Casmann, Psychologia anthropologica. Pars prima, 1f.: »ANTHRPOLOGIA est doctrina
humanæ naturæ. Humana natura est geminæ naturæ mundanæ, spiritualis & corporeæ in unum
hyphistamenon unitæ, particeps essentia … Mosaica enim Genesis hominem describit creaturam ad
imaginem & similitiudinem Dei factam, corpore per creationem primum ex terræ pulvere formato
hinc verò ex humano semine per generationem propagato: ac spiritu seu vitarum spiraculo in faciem
corporis vivificandi inspiratio, in unum hyphistamenon coniunctis constantem.« Vgl. a. a. O., 10:
»Eorum [sc. hominum] mens & intelligentia est, qui sunt ad imaginem & similitudinem Dei creati.
Intellectus enim & ratio vi imaginis divinæ inest animæ. Imago quippe Dei non modo consistit in cer-
tis qualitatibus, certa dignitate & honore, sed etiam in animæ potentia & facultate summa, nimirum
ratione, hoc est, intelligentia & voluntate, quibus Deum creatorem nostrum referimus.«

302
Die aristotelische Psychologie im Luthertum

sowie auf ihre in Gen 1,27 benannte Gottähnlichkeit. Zu Recht nennt Stiening daher
Casmanns philosophische Anthropologie eine »säkularisierte Theologie«82. Diese Be-
deutung der Anthropologie für die Theologie hat auch dessen Lehrer Goclenius in sei-
ner Epistola dedicatoria zur Psychologia anthropologica verdeutlicht, da für ihn die
Loci De imagine Dei in homine, De libero arbitrio, De hypostatica unione & peri-
xwrh/sei duarum naturarum in Christo etc. nur vor dem Hintergrund eines sicheren
Wissens um die menschliche Natur erkannt werden könnten.83 Auch der von Goclenius
veröffentlichte Sammelband YUXOLOGIA: hoc est, De hominis perfectione, animo, et
in primis ortu hujus von 159084 enthält interdisziplinär Artikel von Juristen, Naturphi-
losophen und Theologen zur Frage nach der Entstehung der Seele und bestätigt damit
den Sachverhalt, daß die philosophische Anthropologie bzw. Psychologie für die Auto-
ren der Zeit eine unbestrittene theologische Dimension hat.
Damit erhielt die Aufgabe, die Differenz von philosophischer und theologischer An-
thropologie nicht aus den Augen zu verlieren, eine besondere Bedeutung, und ange-
sichts der hieraus resultierenden Schwierigkeit verwundert es nicht, daß sich an diesem
Thema die Auseinandersetzungen zwischen den Konfessionen entzündeten.85 Ein ge-
lungenes Beispiel für die formale Bestimmung der inhaltlichen Differenz beider An-
thropologien findet sich in Meisners ANQRWPOLOGIA sacra von 1618:

82
Gideon Stiening, Verweltlichung der Anthropologie im 17. Jahrhundert? Von Casmann und
Magirus zu Descartes und Hobbes, in: Säkularisierung in den Wissenschaften seit der Frühen Neu-
zeit. Bd. 2. Zwischen christlicher Apologetik und methodologischem Atheimus. Wissenschaftspro-
zesse im Zeitraum von 1500 bis 1800. Hrsg. von Lutz Danneberg u.a. Berlin u.a. 2002, 174-218, hier:
194.
83
Vgl. Rudolphus Goclenius ad doctrina et virtute præstantem virum Othonem Casmannum, in:
Casmann, Psychologia anthropologica. Pars prima, ohne Paginierung: »Valde nobilis est, ut novisti,
Domine Casmanne, doctrina de anima hominis, natura, essentia, viribus, functionibus & affectioni-
bus: de quibus proponit gravissimas quæstiones Aristoteles lib. De anima primo. Ut enim nunc non
dicamus, naturæ cognitionem sine illa imperfectam esse; magnum affert adjumentum ad cognoscenda
ea, quæ primæ sunt philosophiæ, quæ in rebus sola intelligentia comprehensis versatur. Sed & Ethi-
cus, & Jureconsultus, & Medicus & Theologus à Psychologia hac aliqua ex parte instructus est fruc-
tuose … De Theologo res est clarissima. Difficiles sunt disputationes de Imagine Dei in homine: De
naturalibus notitiis: De Vitiositate nativa: de Libero arbitrio: de hypostatica unione & perixwrh/sei
duarum naturarum in Christo: de koinwni/a i)diwma/twn: de Communione e)nergeiw=n utriusque na-
turæ ad unum a)pote/lesma seu effectum personale. Hic si theologus non sit filosofi/dion, si rudis
sit doctrinæ veræ de animo, facile in matæologiam incidet.«
84
Vgl. Goclenius, YUXOLOGIA: hoc est, De hominis perfectione, animo, et in primis ortu hujus,
commentationes ac disputationes quorundam Theologorum & Philosophorum nostræ ætatis … Mar-
burg 1590. Nach Stiening weist dieser Sammelband »als erster überhaupt den Terminus Psychologie
als Titel und damit als eigenständiges Thema« (Psychologie, in: Melanchthon und die Marburger Pro-
fessoren, 322) auf. Zur Übersicht dieses Sammelbandes vgl. a. a. O., 321-325.
85
Erst das Zusammen beider Anthropologien würde ein angemessenes Urteil über die Qualität der
Studien De homine und über das Verhältnis von Philosophie und Theologie in der Frühen Neuzeit
ermöglichen. Dieses Projekt harrt noch der Erfüllung.

303
De Anima

»Der Mensch wird entweder hinsichtlich seines Wesens und seiner [körperlichen] Teile oder
hinsichtlich seiner verschiedenen Zustände erkannt. Die erste Erkenntnis ist eine mehr philoso-
phische und konstituiert die naturwissenschaftliche Anthropologie. Die zweite Erkenntnis ist
der Theologie eigen und wird deswegen nicht unpassend die heilige oder christliche Anthropo-
logie genannt.«86

Die Schwierigkeit, diese Differenz zwischen den beiden Anthropologien in concreto


umzusetzen, wird allein daraus ersichtlich, daß die philosophische Klärung des Be-
griffs der Seele hinsichtlich der causa efficiens & finalis unweigerlich theologische
Implikationen hat, die man zwar im Rahmen der Naturphilosophie unberücksichtigt
lassen kann, wie Portio es tat, die damit aber nicht beseitigt sind. Vor diesem Hinter-
grund erweist sich Marquards These von der Loslösung der Anthropologie von der
‘theologisch orientierten metaphysischen Tradition’ im Blick auf die von ihm genann-
ten Autoren Casmann, Evenius und Butelius als unzeitgemäß. Deren Anthropologien
stehen noch ganz im zeitgenössischen, interdisziplinären Horizont einer ganzheitlichen
ontologischen und heilsgeschichtlichen Betrachtung des Menschen hinsichtlich seines
Körpers und seiner Seele. Dies belegt gerade die Ausdifferenzierung der philosophi-
schen Anthropologie in eine Anatomia bzw. Somatologia auf der einen und in eine
Psychologia auf der andern Seite, wie entsprechende Äußerungen von Martini und
Evenius in diesem Zusammenhang verdeutlichen.87
Welchen Inhalt die philosophische Anthropologie im Luthertum hatte, kann folgen-
der Übersicht bei Evenius entnommen werden:
»1. Über das Wesen und die Einteilung der Anthropologie. 2. Über die Haare, Zehen- und Fin-
gernägel. 3. Über die Säfte und Körpergeister. 4. Über die Haut, Knochen und Knorpel. 5. Über
die Venen, Arterien und Nerven. 6. Über das Fleisch. 7. Über die zur Verdauung bestimmten
Teile des untersten Körperbereichs88 und anderen verwandten Teilen. 8. Über die zur Blutver-

86
Balthasar Meisner, ANQRWPOLOGIAS Sacræ, in qua status naturæ humanæ, & articuli eò
spectantes qetikw=j exponuntur. Disp. I. Ad statum integritatis pertinens. De Imagine Dei, ad quam
homo fuit conditus. Wittenberg 1618, A2r: »Cognoscitur autem homo, vel secundum essentiam par-
tesque vel secundum status diversos. Prior cognitio magis est Philosophica, & construit
a)nqrwpologi/an Physicam: posterior Theologiæ est propria, ideoque a)nqrwpologi/a sacra vel Chri-
stiana non in commode nuncupatur.«
87
Vgl. Martini, ex. I, A2r: »Quemadmodum duæ sunt partes hominis essentiales, Corpus & Ani-
ma: ita etiam Anthropologia, quæ hominis naturam & essentiam scrutatur, duobus absolvitur tractati-
bus: quorum prior Corporis qewri/an proponit, & Anatomikh\; posterior Animæ humanæ essentiam
venatur, & yuxologikh\, dicta est. De illâ egimus in decem nostris exercitationibus Anthropologicis:
de hâc sequentes cum Deo benè juvante und fortunante præcipient disputationes …« Die Exercitatio-
nes anthropologicæ waren dem Verfasser leider nicht zugänglich. – Evenius, Disputationum Anthro-
pologicarum prima. De Natura et Constitutione Anthropologiæ. Wittenberg 1612, B2v: »Ex divisio-
nis hujus [sc. die Einteilung des Menschen in Seele und Körper] fundamento usitata hujus Physicæ
partis subdivisio desumta est, ut altera dicatur yuxologikh\, Animæ essentiam & affectiones pertrac-
tans; Altera swmatologikh\ circa corporis naturam occupata.«
88
In der siebenten Disputation De Cavitatis infimæ partibus coctioni primæ destinatis & cognatis
alijs erläutert Evenius genauer, was unter den seltenen Begriff cavitas zu verstehen ist: »Doctrinæ
gratiâ nos illam sectabimur Divisionem, quam Natura ipsa aliquo modo videtur monstrasse, & insti-
tuitur secundum Cavitates seu spatia certa, membris & functionibus eorundem peculiaribus nobilitata

304
Die aristotelische Psychologie im Luthertum

sorgung und Zeugung bestimmten Glieder des untersten Körperbereichs. 9. Über den mittleren
Körperbereich oder über die Teile des vitalen Vermögens. 10. Über den obersten Körperbereich
oder über die Teile des animalischen sinnlichen Vermögens. 11. Über die Seele im allgemeinen.
12. Über die Seelenvermögen im allgemeinen. 13. Über die vegetative Seele und ihre Vermö-
gen. 14. Über die wahrnehmende Seele im allgemeinen. 15. Über die inneren Sinne und über
das Bewegungsvermögen. 16. Über das Wesen der Vernunftseele. 17. Über den Geist. 18. Über
den Willen. 19. Über den Ursprung und die Unsterblichkeit der Vernunftseele.«89

In der Somatologie werden also der äußere Körperaufbau sowie die Funktionen der in-
neren Organe näher bestimmt. Die Psychologie handelt anschließend zunächst vom
allgemeinen Begriff der Seele, der dann anhand ihrer verschiedenen Vermögen spezifi-
ziert wird. Höhepunkt einer jeden Psychologie war dabei die Lehre vom menschlichen
Geist, der die höchste Vollkommenheit der menschlichen Seele kennzeichnet. Seinen
Begriff zu ermitteln, war daher die vorzüglichste Aufgabe einer jeden Psychologie, wie
auch aus Martinis und Timplers Einteilung ihrer Schriften deutlich wird.90 In der prote-
stantischen Schulphilosophie deutet sich damit das Werden einer Philosophie des Gei-
_________________________________________________________________________________________________________

suisque interstitijs sejuncta, Ventres vulgus Medicorum appellat. … Et harum Cavitatum juxta usita-
tam doctrinam numerant tres: Infimam, quæ concoctionis, nutritionis & generationis, seu facultatis
Naturalis membra à diaphragmate ad Abdominis finem … includit; Mediam, quæ respirationis motus
& affectuum seu facultatis vitalis ab eodem diaphragmate ad colli claviculas; & Supremam, quæ sen-
suum seu facultatis animalis à fine Mediæ ad capitis verticem.« (Evenius, disp. VII. Wittenberg 1613,
A3r)
89
Evenius, Syllabus disputationum Anthropologicarum, )(2r-4r: »Disputatio I. De Natura et Con-
stitutione Anthropologiæ. II. De Pilis & Unguibus. III. De Humoribus & Spiritibus. IV. De Cute,
Osibus & Cartilagine. V. De Venis, Arterijs & Nervis. VI. De Carne. VII. De Cavitatis infimæ parti-
bus coctioni primæ destinatis & cognatis alijs. IIX. De Cavitatis infimæ membris sanguinificationi &
generationi destinatis. IX. De Cavitate Media, seu partibus Facultatis vitalis. X. De Cavitate suprema
seu partibus Facultatis Animalis. Disputatio XI. De Anima in genere. XII. De Animæ Facultatibus in
genere. XIII. De Anima Vegetativa ejusque facultatibus. XIV. De Anima Sensitiva in genere. XV. De
Sensibus Interioribus & potentiâ Motivâ. XVI. De Animæ Rationalis Essentiâ. XVII. De Intellectu.
XIIX. De Voluntate. XIX. De Animæ Rationalis origine & Immortalitate.«
90
Vgl. Martini, Series exercitationum nobilium peri\ th=j yuxh=j, A2r-3v: »Exercitatio prima est
de Anima in genere, nempe explicat definitionem animæ, & quæ ad illam pertinent. Exercitatio se-
cunda, agit de potentijs animæ in genere. Exercitatio tertia, explicat quæstionem, an una tantùm, &
non tres distinctæ & subordinatæ animæ dentur in homine. Exercitatio quarta, est de potentia vegeta-
tiva in genere, & in specie de Nutritiva facultate. Exercitatio quinta, de facultate augmentativa. Exer-
citatio sexta, de facultate procreatrice & ministris vegetativæ potentiæ. Exercitatio septima, de vita &
morte. Exercitatio octava, de potentia sensitiva in genere. Exercitatio nona, de tactu. Exercitatio de-
cima, de visu. Exercitatio undecima, de auditu. Exercitatio duodecima, de odoratu & gustu. Exercita-
tio decima tertia, de sensibus internis, atque de vigilia, somno & insomnijs. Exercitatio decima quarta,
de animæ facultate motiva. Exercitatio decima quinta, de potentia rationali & in specie de intellectu.
Exercitatio decima sexta, & ultima, de voluntate humana.« Timpler, Empsychologia, Index librorum,
capitum, et problematum, 13-19 [eigene Paginierung]: »Empsychologiæ liber III. In quo Anthropolo-
gia explicatur. Cap. I. De natura hominis. II. De facultatibus propriis hominis. III. De intellectione &
cogitatione naturali hominis. IV. De iudicatione & ratiocinatione. V. De inventione & dispositione.
VI. De approbatione & improbatione. VII. De volitione & nolitione. VIII. De persecutione & fuga,
loquela & numeratione. IX. De risu & fletu.« Daß Timpler in seine Anthropologie wesentliche Teile
der Logik und Rhetorik integrierte, spricht nicht für eine klare Trennung der Disziplinen.

305
De Anima

stes an, die sich noch ungeordnet in den verschiedenen Disziplinen der Logik, Psycho-
logie, Metaphysik und Noologie Bahn bricht und nach einer Systematisierung verlangt.

4.2. Die Seele als Seins- und Wirkprinzip

Die Erörterungen zur Psychologie, deren Gegenstand nach einhelliger lutherischer und
calvinistischer Ansicht nicht etwa die Seele selbst ist, wie Toletus und die Conimbri-
censer behauptet haben, sondern gemäß Zabarellas Ansicht (vgl. 3.1.2.) das corpus
animatum91, beginnen auf lutherischer Seite mit einer in der Regel De anima in genere
genannten allgemeinen Bestimmung der Seele, wie sie allen Lebewesen (Pflanze, Tier,
Mensch) zukommt. Ihre Differenzierung ergibt sich erst aus der Stufenfolge der ver-
schiedenen Seelenvermögen, deren oberstes Vermögen, der intellectus, das Eigentüm-
liche der menschlichen Seele kennzeichnet. Sie gerät damit von Anfang an als ein Teil
des natürlichen Entstehens- und Vergehensprozesses in den Blick und ist so der ad-
äquate Gegenstand der Naturphilosophie.
Dem Vorgehen einer Disputation entsprechend, wonach das zu Erweisende ihren
Ausgang bildet, setzen die lutherischen Schulphilosophen Aristoteles’ allgemeine De-
finition der Seele aus De An. II 1, 412a27f. an den Anfang ihrer Erörterungen: »Die
Seele ist die erste Vollendung eines natürlichen Körpers, der seiner Möglichkeit nach
Leben hat.«92 Dabei bedarf es keines weiteren Beweises – nur Skeptiker und Hirnlose
fordern diesen, so Leuschner93 –, daß es so etwas wie die Seele überhaupt gibt, ist doch
jedem ihr Sein aus ihren Tätigkeiten – dem Ernähren, Wachsen, Wahrnehmen, Denken
als Kennzeichen des Lebens – ersichtlich. Aufgrund unserer eigenen, unbezweifelbaren
Erfahrung94 schließen wir von der Wirkung – den Tätigkeiten – auf die Existenz der
Seele als Ursache dieser Wirkung: Wo es Leben in seinen verschiedenen Ausgestal-
tungen gibt, dort gibt es auch eine Seele, wie Martini betont. »Denn die Seele ist das
Leben, aus dem das Lebendigsein im Lebewesen hervorgeht. Ihr charakteristisches

91
Vgl. Timpler, lib. I, c. I, pr. 2, 5. Evenius, disp. XI, A3r.
92
Martini, ex. I, th. 1, A2r: »Anima est actus primus corporis naturalis potentiâ vitam habentis.«
Ebenso Scheibler, pars I, disp. I (De definitione animæ), 3. Evenius, disp. XI (De Anima in genere),
A4r. Leuschner, disp. VIII (De Anima in genere). Stettin 1625, A3v. Pacius, lib. II, c. 1, 235. Dann-
hauer erörterte in seiner ersten Disputation die Definition der Seele bereits unter einer bestimmten
Fragestellung, wobei er die gängige Bestimmung: »anima est actus corporis habentis vitam« zugrun-
de legte (disp. I, con. I, 9). Auch Timpler ging von Aristoteles’ Seelendefinition aus, hielt diese aber
nicht für schlechthin wahr: »Et propterea etiam Aristoteles lib. 2. De anima cap. 1. animam in genere
definit prw/thn e)ntele/xeian sw/matoj fusikou= o)rganikou=. Quod etsi simpliciter non est verum
…« (Lib. I, c. I, pr. 5, 7) Hierauf wird weiter unten zurückzukommen sein.
93
Vgl. Leuschner, disp. VIII, A2r-v: »Animam esse, licet adeo manifestum sit, ut qui id negare ve-
lit, aut ad Pyrrhonicorum & Scepticorum castra jam abijsse, aut cerebrum in calcaneo habere putetur
…«
94
Evenius spricht in diesem Zusammenhang von einer »experientia manifestissima« (Disp. XI,
A3v).

306
Die aristotelische Psychologie im Luthertum

Merkmal ist es, die Tätigkeiten des Lebens auszuführen.«95 Auch wenn wir also mit
unseren Sinnen die Seele aufgrund ihrer Immaterialität nicht wahrnehmen können, so
sind wir uns doch ihrer Existenz von ihren Wirkungen her gewiß.
Die Seelendefinition setzt sich den Vorgaben der Logik gemäß aus der Gattungs-
und Differenzbestimmung zusammen. Ihr genus ist actus primus, die lateinische Über-
setzung des griechischen Begriffs der e)ntele/xeia h( prw/th. Ausgangspunkt zur Klä-
rung dessen, was es mit dieser Bestimmung auf sich hat, ist für die Lutheraner die Be-
schreibung der Seele als substantia (ou)si/a)96, die gemäß De An. II 1, 412a6-9 auf drei-
fache Weise bestimmt wird als Materie, Form und das aus beiden Zusammengesetzte.
Die materia (u(/lh) sei dabei an sich unbestimmbar, die pure Möglichkeit, etwas zu
sein, weshalb sie potentia (du/namij) genannt werde. Die forma (ei)=doj) hat für Scheib-
ler gemäß Zabarella eine dreifache Funktion: Sie gibt der Materie das Sein, wird tätig
im Compositum und individualisiert die Materie zu einem Dies-da (hoc aliquid=to/de
ti) – im Bereich der Lebewesen das Kennzeichen für das Sein des Individuums mit
seinen ihm eigentümlichen Merkmalen. Sofern der Seele alle diese drei Funktionen
zugesprochen werden, ist sie für Scheibler Form und damit zugleich terminus & men-
sura des Lebewesens: Grenze, weil sie die Natur der Materie auf einen bestimmten Be-
reich beschränkt – ein Mensch gebärt nur einen Menschen –, Maß, weil die Materie ih-
rer Natur nach keine spezifische Größe und Gestalt hat, sondern diese von der Form
erhält.97 »Weil also die Seele das Sein an sich verleiht, die Materie erfüllt und vollendet
und ein bestimmtes Individuum der Wirklichkeit nach konstituiert, folgt, daß die Seele
Form und Vollendung ist«98, wie Martini betonte. Für die Lutheraner wie auch für Pa-
cius war dabei unstrittig, daß dieser Neologismus e)ntele/xeia nicht im Sinne Ciceros
oder Melanchthons als e)ndelexeia, als fortwährende Bewegung, zu verstehen ist. Dies
sei nicht nur eine falsche, sondern auch eine lächerliche Erklärung, so Pacius.99 Viel-

95
Martini, ex. I, th. 1, A3r: »Anima enim vita est, à qua esse vivens in vivente emanat; cujus pro-
prium est, operationes vitæ exercere.«
96
Per se ausgeschlossen, wenn auch einer Widerlegung würdig, sind damit alle anderen Versuche
antiker Philosophen, die Substanz der Seele als Feuer, Luft, Blut, Samen, Bewegung, Harmonie, spi-
ritus vitalis oder etwas Ähnliches zu bestimmen. Vgl. hierzu ausführlich Martini, ex. I, th. 1, A3v-
B2r.
97
Vgl. Scheibler, pars I, disp. II (De quibusdam generalibus quæstionibus de anima), 18f.: »Quod
autem anima forma sit corporis animati & docet Zab. 2. de anima ad contex. 37. & clarum est ex in-
spectione officiorum formæ, quæ tria sunt, primum, ut det esse, 2. ut operetur in composito, & 3. ut
distinguat rem à re. Hinc enim vocatur terminus, & mensura. Terminus quidem, quia naturam materiæ
certis quibusquam limitibus terminat, ut per hominis quidem formam speciem hominis sortiatur, per
equi verò formam ad equi speciem contrahatur. Mensura verò, quia materia suapte naturâ nullam ha-
bet propriam magnitudinem vel figuram, sed certâ quadam forma, dum ad certam speciem eam ter-
minat, propriam quandam magnitudinem figuramque requirit, quæ accomoda sit operationi formæ.«
98
Martini, ex. I, th. 1, B2v: »Quia igitur anima dat esse per se, complet & perficit materiam, cer-
tumque individuum in actu constituit, sequitur quod anima sit forma & e)ntele/xeia.«
99
Vgl. Pacius, lib. II, c. 1, 233: »Itaque non solum falsa, sed etiam inepta & ridicula est expositio
M. Tulli, qui libro primo Tuscul. quæstio. inquit Aristotelem præter quatuor elementa ponere quintum

307
De Anima

mehr sei das Wort, wie unter Berufung auf Scaliger100 betont wird, von e)n & te/loj &
e)/xein herzuleiten, was wörtlich ein In-sich-Haben-des Ziels bedeute, so daß die
e)ntele/xeia den Zustand einer Vollkommenheit (perfectio) kennzeichne.
»Da wir die Meinung Ciceros verwerfen, der das Wort e)ntele/xeia mit einem d schreibt und sie
als eine gewisse fortwährende Bewegung interpretiert, sagen wir, daß sie nichts anderes ist als
eine im Inneren sich vollendende Vollkommenheit; dies wird aus der Zusammensetzung des
Wortes bewiesen. Es setzt sich nämlich aus e)n & te/loj & e)/xein zusammen, so daß [etwas, das
über die e)ntele/xeia verfügt,] gleichsam eine innere Perfektion besitzt, wie Scaliger das Wort
auflöst. Daher übersetzt Barbarus das Wort mit ‘Vollkommmenheit habend’.«101

Die e)ntele/xeia unterscheidet sich also darin von der e)ndele/xeia, daß sie gerade keine
fortwährende Bewegung ist, sondern das Zu-einem-Ende-gekommen-Sein einer Bewe-
gung in ihrer Vollkommenheit. Diese bezeichnet daher einen Zustand (habitus) des
Sich-im-Fertigsein-Haltens, der solange andauert, wie das Leben währt. Perfectio ist
deshalb kein einmaliger Augenblick, sondern umfaßt das ganze Leben vom Anfang bis
zum Ende. Dieser Zustand kann nur zerstört werden, indem eine Krankheit dauerhaft
dazwischentritt.
Martini erörterte in diesem Zusammenhang ausführlich die Schwierigkeiten mit dem
Begriff e)ntele/xeia, dem er eine dreifache Bedeutung zuschrieb102: 1. Es gibt einen ac-
tus imperfectus (e)ntele/xeia a)telh/j), der einen Prozeß des Werdens von etwas kenn-
zeichnet, das nicht mehr der bloßen Möglichkeit nach ist, aber auch noch nicht in voll-
kommener Wirklichkeit, sondern gewissermaßen ein Mittleres zwischen beiden. So ist
die Bewegung gemäß ihrer Definition in Phy. III 1, 201b4f. die Verwirklichung des der
Möglichkeit nach Seienden. Dies kennzeichnet für Martini aber den defizienten Modus
der Entelechie (vgl. hierzu 2.3.2.), da die Kinesis hier die Bewegung hin zur Form (itio
& progressio ad formam) ist, noch nicht deren Vollendung. 2. In der zweiten Bedeu-
tung ist die e)ntele/xeia ein actus (primus) perfectus, die Form selbst des vollkomme-
nen Dings, das nicht mehr wird, sondern ist, und dieses Sein kennzeichnet sein Voll-
kommensein. 3. In der dritten Bedeutung ist die e)ntele/xeia die nachfolgende Betäti-
gung, die actus secundus genannt wird und ihren Ursprung im actus primus hat. In die-
_________________________________________________________________________________________________________

essentiæ genus, quod novo vocabulo vocat e)ntele/xeian, id est, motionem continuatam ac perennem
… Hæc Cicero multis modis peccans.«
100
Vgl. 3.3.1.1., Anm. 208.
101
Leuschner, disp. VIII, A3v: »Nos rejectâ hîc Tullij sententia, qui per d eam [sc. e)ntele/xeia]
scribit & continuatam quandam motionem interpretatur, dicimus, e)ntele/xeian nihil aliud esse, quam
actum intrinsecè perficientem, sicuti hoc testatur vocis compositio. Est enim ex e)n & te/loj & e)/xwn
quasi intus perfectionem habens, ut resolvit Scaliger Exer. 307. Sect. 12. & 39. Unde Barbarus vertit
perfectihabiam.« Zu Barbarus’ Themistius-Übersetzung vgl. 2.3.2., Anm. 247. Evenius, disp. XI,
A4v: »E)ntele/xeian ab e)ndelexei/a multum differre, hæc enim continuam agitationem, illa actum
denotat intrinsecum, seu id, cujus esse non est in alterius potestate, sed aliud in eius potestate. Scalig.
exerc. 307. sect. 39. Est enim e)n intus, ut pars compositi; te/loj seu perfectio, quæ formæ propria; &
e)/xei continet compositum, ut sit unum illudque regit …« Ebenso Scheibler, pars I, disp. I, 5.
102
Für das Nachfolgende vgl. Martini, ex. I, th. 1, B3r-v.

308
Die aristotelische Psychologie im Luthertum

ser Bedeutung bestimme sie Aristoteles in De An. II 1, 412a11 und a23, indem er das
Betrachten als aktuellen Wissensvollzug (to\ qewrei=n) vom Wissen (e)pisth/mh) als Ha-
bitus unterscheide. Sofern Cicero und Melanchthon uns fortwährend, so Martini, statt
der e)ntele/xeia die e)ndele/xeia als continua motio unterschieben wollten, unterlägen
sie der Mutter aller Irrtümer, der Äquivokation, weil sie eine uneigentliche Bedeutung
an die Stelle der eigentlichen setzten.103 Mit ihrem Verständnis der Entelechie als
e)ntele/xeia a)telh/j (=continua motio) träfen sie daher weder den aristotelischen Sinn
noch die eigentliche Bedeutung des Wortes im Zusammenhang mit der Seelendefiniti-
on in De An. II 1, 412a27f.:
»Denn 1. ist diese fortwährende Bewegung ein Akzidens, was Aristoteles von der Seele ver-
neint. 2. ist eine solche Bewegung unvollkommen und besteht im Werden. Die Seele wird aber
nicht, sondern ist die vollendete Form. 3. tadelte Aristoteles in De An. I [3] jene, die glaubten,
daß die Bewegung das Wesen der Seele sei.«104

Für Leuschner muß daher die Seele als actus perfectus bzw. forma informans verstan-
den werden und nicht als forma assistens, wie Averroes behauptet habe. Denn die See-
le sei auf keine Weise vom Körper abhängig, sondern umgekehrt bestehe eine Abhän-
gigkeit des Körpers von der Seele, und zwar auf die Weise, wie das Schiff vom Schif-
fer abhänge, das nur in der Bewegung in seinem Wesen sei. Daher sei die Seele forma
informans materiam: Die wesentliche, der Materie das Sein gebende Form, »das Inner-
ste in sich enthaltend, alles durchwandernd und durchdringend.«105 Deshalb habe Ari-
stoteles die Seele in der Definition genauer e)ntele/xeia h( prw/th genannt: Sie ist als
erste Vollendung Ursache und Prinzip aller Lebewesen (vgl. De An. I 1, 402a6f.), denn
sie gibt ihnen das Sein und hält sie im Fertigsein als in der ihnen erreichbaren Voll-
kommenheit. Evenius sah diese Bestimmung der Seele als principium constitutivum
auch von von Gen 2,7106 her bestätigt: Nachdem Gott dem Menschen das spiraculum
vitæ eingehaucht habe, sei er mit einer anima vivens versehen gewesen. Daher nehme
er »das Sein … von diesem [Lebens-]Hauch als Form«107 auf. Als e)ntele/xeia h(
103
Vgl. a. a. O., B3v: »Quod itaque attinet illos, qui continuam motionem dixerunt e)ntele/xeian,
inter quos Cicero lib. 1. Tuscil. qq. primus vocem illam ita vertit: & Dn. Melancht. in principio libelli
de anima, idem innuere videtur, ubi pro vocabulo hoc græco continuam agitationem nobis substituit.«
104
A. a. O., B4r: »Nam 1. continuata ista agitatio est accidens, quod de anima negat Philosophus.
2. Ejusmodi motus est ens imperfectum, in fieri consistens: Anima verò non fit, sed perfecta forma
est. 3. lib.1. de an. reprehendit Philosophus illos, qui putabant motum de animæ essentia esse.«
105
Vgl. Leuschner, disp. VIII, B1r: »Non enim est [sc. anima] in subjecto corpore, tanquam acci-
dens in subjecto, nec tanquam nauta in navi aut clavus in rota; Sed tanquam forma substantialis in sua
materia, intima perixwrh/sei omnia permeans ac pervadens. Etenim forma assistens nullo modo à
corpore dependet, sed potius corpus dependet ab ipsa in agendo, & est solùm aliquid extrinsecum,
unde nec ingreditur compositum, atque adeo nec confert esse, sed operationem aut motum saltem ex-
trinsecum, ei rei cui assistit.«
106
Vgl. 3.3.1.1., Anm. 270.
107
Evenius, disp. I, B1v: »Scripturæ oraculo Gen. 2. v. 7. quod post inspiratum à Deo in faciem
hominis vitæ spiraculum, homo factus fuerit in animam viventem; to\ ei)=nai ergo ab hoc spiraculo ac-
cepit, ut forma.«

309
De Anima

deu/tera ist die Seele für Evenius das Prinzip aller Tätigkeiten des Lebewesens, indem
sie dafür sorgt, daß es wächst, sich ernährt, wahrnimmt oder denkt etc., je nach dem
Grad der Ausprägung der Seele. Dergestalt sei die Seele in der Tat das Seins- und
Wirkprinzip aller Lebewesen.108
Wie erwähnt, lautet die differentia specifica in der Seelendefinition in De An. II 1,
412a27f.: ‘ein natürlicher Körper, insofern er in Möglichkeit Leben hat’. Für die Lu-
theraner wird hierdurch die Beschaffenheit des Körpers eines Lebewesens auf zweifa-
che Weise genauer bestimmt: 1. Er ist kein künstlicher, sondern ein natürlicher, weil er
in sich das Prinzip von Bewegung und Ruhe hat, und dieses Prinzip ist die Seele.109 2.
Er ist ein solcher Körper, der in Möglichkeit Leben hat, d. h., er ist mit einem solchen
Vermögen versehen, das es ihm ermöglicht, tätig zu werden. Das Wort ‘Leben’ steht
dabei für: aptitudo operandi. So verfügt ein Leichnam, selbst wenn er noch mit den
Gliedern und Organen versehen ist, nicht mehr über diese Geeignetheit, tätig zu wer-
den, eben weil er nicht mehr lebt. Sehr wohl verfügt aber ein Lebewesen, das schläft,
über diese Geeignetheit, denn es erhält während des Schlafs die lebenserhaltenden
Funktionen aufrecht und kann nach dem Aufwachen alle übrigen sofort ausüben. So-
fern Aristoteles diese Bestimmung in 412b5f. in die knappe Formulierung ‘ein natür-
lich-organischer Körper’ verändert, bedeutet dies keine neue Spezifizierung, sondern
die genauere Fassung desselben Sachverhalts: Die aptitudo operandi erfordert einen
mit Organen und Gliedern versehenen Körper, die sich in Gestalt und Aufbau vonein-
ander unterscheiden und der Seele als Instrumente zur Ausführung ihrer verschiedenen
Funktionen dienen.110 Je vollkommener dabei die Seele ist und je mehr Funktionen sie
auszuführen in der Lage ist, desto mehr Organe benötigt der Körper.
Als erste Vollendung eines natürlichen, mit Organen ausgestatteten Körpers kann
die Seele nicht selbst Körper ist; genausowenig kann sie aber ohne ihn sein (vgl. De
An. II 2, 414a19f.), und dies, so Evenius, gilt nicht nur für die pflanzliche und tierische
Seele, sondern auch für die menschliche, die ihrer Natur nach in einem Körper ist, von
dem sie in Hinsicht auf ihre Funktion des Einprägens abhängig ist. Wie nämlich ohne
Materie als du/namij keine Form als e)ne/rgeia existiere, vielmehr beide ‘irgendwie’
(vgl. Met. VIII 6, 1045b20f.) eines seien, so existiere auch keine Seele als e)ntele/xeia
ohne Körper. Der Grund für diese Einheit von Körper und Seele könne daher nicht au-

108
Vgl. ebd.: »Cum enim forma non constitutionis tantum & distinctionis, sed operationis quoque
sit principium …«
109
Vgl. Martini, ex. I, th. 1, B4v. Scheibler, pars I, disp. I, 9. Leuschner, disp. VIII, A3v. Wie be-
reits erwähnt, ist die Seele deshalb auch Natur, da die Natur das Prinzip von Bewegung und Ruhe
dessen ist, in dem sie wesentlich und nicht auf bloß akzidentelle Weise ist.
110
Vgl. Scheibler, pars I, disp. I, 10: »… quod anima sit actus corporis ORGANICI, id est, habentis
organa ad functiones animæ in corpore obeundas. Organicum enim significat enim id, quod distinctas
habet partes instrumentales, & variis instrumentis præditum est …« Martini, ex. I, th. 1, B4v: »Cum
igitur anima inter formas Physicas sit plurimum operationum, quas non explet, nisi mediante corpore:
sequitur quod secundum pluralitatem operationum animæ sint distincta organa in materia, per quæ
anima agat & operetur.«

310
Die aristotelische Psychologie im Luthertum

ßerhalb dieser Einheit selbst gesucht werden, da die Seele nur in ihrer Verbindung mit
dem Körper dessen perfectio verwirklichen könne. Beide bildeten eine solche Einheit
wie das Wachs und die Figur: Keins ist ohne das andere.111
Evenius wandte sich in diesem Zusammenhang kritisch gegen Timpler, der statt die-
ser wesentlichen Einheit einen Dualismus von Körper und Seele gesetzt hat, der in ei-
nem gegenüber der klassischen ontologischen Bestimmung als forma corporis vereng-
ten Verwendung des Begriffs in seiner rein funktionalen Bestimmung als principium
operationum begründet liegt. Dies kann wie folgt verdeutlicht werden:
1. Ausgangspunkt des ersten Buchs der Empsychologia ist das subiectum proprium &
adæquatum dieser Disziplin, nämlich das corpus animatum, das Timpler als einen »mit
einer vegetativen Seele versehenen natürlichen Körper«112 definiert. Diese anima vege-
tans bestimmt er nachfolgend als die forma propria & specifica des beseelten Körpers.
Was nur immer mit ihr versehen sei, das sei ein corpus animatum.
2. Diese Bestimmung ist jedoch nicht ontologisch zu verstehen. Dies wird daraus er-
sichtlich, daß für Timpler die aristotelische Definition der Seele als actus primus bzw.
als forma substantialis ‘nicht schlechthin wahr ist’113. Er begründet dies damit, daß
»die [vegetative] Seele den beseelten Körper ohne den organischen Körper nicht kon-
stituieren kann«114. Die vegetative Seele sei gerade nicht das principium constitutivum,
sondern das principium internum, das alle Vitaloperationen des beseelten Körpers be-
wirke.115 Anders gesagt: Sie ist zwar forma specifica, aber nicht forma generica, die
der beseelte Körper vom natürlichen Körper erhält.116

111
Vgl. Evenius, disp. XI, B1v: »Caussam conjunctionis Animæ cum corpore præter duas hasce
partes non esse quærendam, nec formam corporis animati præter animam. Quia enim Anima
e)ntele/xeia est, corpus verò rationem obtinet duna/mewj; Jam verò to\ duna/mei kai\ to\ e)nergei/# e(/n
pw/j e)stin, ut docet Philosophus in calce lib. 8. Metaph. & probat ratio, cùm e)ntelexei/aj sit perfi-
cere & informare, duna/mewj verò recipere & ab actu perfici: statim hæc duo & immediatè unum sint
necesse est. Unde rectè dicit Philosophus lib. 1. de an. § 6 [richtig II 1, 412b6-8]: Non oportet quære-
re, quomodo unum sit anima & corpus, sicut nec, quomodo cera figurata, nec omninò materies cujus-
que & id, cujus est materies.« Was dies für die Frage nach der Unsterblichkeit der Seele bedeutet,
wird weiter unten zu erläutern sein (vgl. 4.2.2.1.).
112
Timpler, lib. I, c. I, th. 4, 1: »Est autem corpus animatum corpus naturale, animâ vegetante
præditum.« Vgl. auch a. a. O., pr. 3, 6: »Et cum hac plane congruit ea quæ in theoremate quarto est
assignata, quando scilicet corpus animatum dicitur corpus naturale anima vegetante præditum.«
113
Vgl. Anm. 92.
114
Vgl. Timpler, lib. I, c. I, pr. 5, 7: »… animam sine corpore organico corpus animatum consti-
tuere non posse.«
115
Vgl. ebd.: »Anima enim est principium internum efficiens omnium operationum vitalium, quæ
in corporibus naturalibus deprehenduntur.«
116
Vgl. a. a. O., th. 27-29, 3: »27 Forma alia est generica, alia specifica. 28 Generica forma est,
quam corpus animatum habet à corpore naturali generatim accepto. 29 Specifica forma est anima
vegetans. Per illam enim corpus animatum est animatum, & essentialiter ab aliis substantiis, sive vi-
ventibus sive vitæ expertibus, distinguitur.«

311
De Anima

3. Diese Degradierung der Seele wird bei Timpler auch daraus ersichtlich, daß er Ari-
stoteles’ Ansicht, wonach die Seele forma corporis naturalis organici sei, für falsch
hielt.117 Er begründete dies damit, daß die Seele nicht die Formursache dieses natürlich-
organischen Körpers sei. Vielmehr besitze dieser bereits sein vollkommenes Wesen,
bevor sich die Seele mit ihm vereine.118 Daher sei die Seele nur die Form desjenigen
beseelten Körpers, der sich realiter & essentialiter vom natürlich-organischen Körper
unterscheide. Diese für einen Aristoteliker mehr als merkwürdigen Äußerungen ma-
chen deutlich, daß für Timpler die Seele als forma specifica keineswegs Seinsprinzip
des Lebewesens ist, sondern nur Wirkprinzip, da sie allein die entsprechenden Tätig-
keiten hervorruft. Diesen Äußerungen entsprechend ist die Seele daher nach der gängi-
gen Bestimmung eine forma assistens, keine forma informans!
4. Diese Entbindung der Seele von ihrer Funktion als Seinsprinzip führt auch dazu, daß
sie nicht (mehr) die causa efficiens des beseelten Körpers ist. Denn die mittelbare cau-
sa efficiens prima ist für Timpler Gott, von dem alle Lebewesen ihren Ursprung haben,
während die unmittelbare causa efficiens secunda der spiritus vitalis ist,
»der von der äußeren Wärme des umgebenden Körpers im Samen hervorgerufen und bewirkt
wird, als ob ein weiser Handwerker die Materie vorbereitet und anordnet, bis die Seele in sie
eingeführt wird, und so wird durch die wesentliche Vereinigung beider [sc. von spiritus & ani-
ma] der ganze beseelte Körper hervorgebracht.«119

Der spiritus vitalis besitzt für Timpler also einen generischen Vorrang gegenüber der
Seele, die erst später (unmittelbar von Gott) in den Körper eingeführt wird und folglich
nicht das Lebewesen in seinem Sein konstituiert.
5. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, daß für Timpler die Einheit der Seele
mit dem Körper keine substantielle, sondern eine bloß akzidentelle ist.120 Er begründet
dies auf dreifache Weise: I. Die Einheit bedeutet keine Vermischung beider, sondern

117
Vgl. a. a. O., pr. 8, 10f.: »Aristoteles libr. 2 de anima cap. 1. [sc. 412b5f.] definit animam quod
sit e)ntele/xeia prw/th sw/matoj fusikou= o)rganikou=, hoc est, actus primus corporis naturalis or-
ganici. Per actum autem primum nihil aliud intelligit, ut ipse sese explicat, quam formam substantia-
lem. Per corpus naturale organicum tale corpus, quod potentiâ vitam habet, hoc est, quod aptis &
idoneis organis est instructum ad obeundas vitales operationes. Iam igitur quæritur, utrum hæc sen-
tentia Aristotelis … est vera? Argumenta pro thesi negante sunt hæc …«
118
Vgl. ebd.: »Si anima non est causa per quam corpus naturale organicum est tale, sequitur illam
non esse ipsius formam. Sed verum prius. Ergo & posterius. Assumptio probatur, quia corpus natura-
le organicum perfectam habet essentiam, antequam anima cum eo uniatur.«
119
A. a. O., th. 18, 2: »Immediata [sc. causa efficiens secunda] est spiritus vitalis, qui ab externo
calore corporis ambientis in semine excitatus & adiutus, tanquam sapiens artifex materiam præparat
& disponit, donec anima in eam introducatur, atque ita per utriusque essentialem unionem totum
corpus animatum generetur.«
120
Vgl. a. a. O., c. I, pr. 9, 12: »Unio autem seu copulatio animæ cum corpore organico est acci-
dens, & non substantia.«

312
Die aristotelische Psychologie im Luthertum

»die Vereinigung zweier Substanzen«121. Denn das hieraus entstehende Kompositum


Mensch (bzw. Pflanze und Tier) ist eine Substanz, die sich wesentlich von den beiden
anderen Substanzen Körper & Seele unterscheidet.122 II. Diese Vereinigung geschieht
ohne jegliche Veränderung bei Seele und Körper sowie ohne Mitteilung ihrer Eigen-
schaften: »Denn die Seele bleibt Seele, und der Körper bleibt Körper. Weder verwan-
delt sich jene in diesen noch dieser in jene. Auf ähnliche Weise behalten beide ihre Ei-
genschaften, und nicht teilt die Seele dem Körper und der Körper der Seele wegen die-
ser Einheit wirklich ihre Eigenschaften mit.«123 Dies hat zur Folge, daß die Seele nichts
vom Körper erleidet, wie es an anderer Stelle unter Berufung auf den Satz vom Wider-
spruch aus Met. IV 6 heißt.124 III. Diese Vereinigung ist daher keine unmittelbare, son-
dern eine durch das temperamentum vitale bzw. den spiritus vitalis vermittelte.125
6. Gleichwohl ist für Timpler die Seele als eine substantia incorporea in einem Körper
wie an einem Ort (in loco, e)n to/p%), denn zum einen wird der Körper in 2. Cor 5,4 und
2. Petr 1,13 domicilium seu tabernaculum animæ genannt und zum andern existiert die
Seele gemäß ihrer Substanz im Körper, solange sie mit ihm vereint bleibt.126 Sie ist in
ihm aber nicht auf körperliche Weise (swmatikw=j), indem sie einen Ort einnimmt und
ausfüllt, sondern auf geistige Weise (nohtikw=j) als contactus virtualis, wie Timpler un-
ter Berufung auf Thomas und Johannes von Damaskus betont. Dies ergibt sich für ihn
auch daraus, daß sie nicht von einem Organ umfaßt wird.

121
A. a. O., pr. 10, 13: »… unionem animæ cum corpore organico non esse conmixtionem aut con-
fusionem, sed copulationem duarum substantiarum …«
122
Vgl. a. a. O., lib. III, c. I, pr. 7, 261: »Denique alii asserunt hominem esse substantiam realiter
distinctam à corpore & anima, tum separatim, tum coniunctim acceptis. Atque hæc postrema senten-
tia sola vera est …«
123
A. a. O., lib. I, c. I, pr. 10, 13: »Anima enim manet anima, & corpus manet corpus: neque aut il-
la in hoc, neque hoc in illam convertitur. Similiter utraque retinet suas proprietates, neque propter
unionem aut anima corpori, aut corpus animæ realiter eas communicat.«
124
Vgl. a. a. O., pr. 13, 16: »Sunt quidem Philosophi, qui putant animam infusam in corpus orga-
nicum & cum eo unitam aliquid ab eo realiter perpeti: Et hoc inde probant, quod bene vel male affec-
to corpore, anima quoque bene vel male afficiatur. Sed hæc opinio pugnat cum principio Metaph. l. 4.
cap. 6. Q. 17. probato, quod statuit neque corpus posse agere in spiritum, neque vicissim spiritum à
corpore pati.«
125
Timpler läßt hier deutlich anklingen, daß der Tod des corpus animatum nicht nur die Auflösung
der Körper-Seele-Einheit bedeutet, sondern zugleich ihrer beider Untergang: »Ideoque etiam fit, ut
quam diu tale temperamentum durat, tam diu etiam naturaliter duret unio animæ cum corpore organi-
co, adeoque ipsum etiam corpus animatum. Hoc verò destructo, necesse sit ipsam etiam unionem
animæ cum corpore organico dissolvi, adeoque totum compositum interire.« (A. a. O., 14)
126
Vgl. a. a. O., pr. 11, 14f.: »Sunt nonnulli, qui simpliciter negant animam esse in corpore tan-
quam locatum in loco … Verum hæc sententia falsa est propter sequentes rationes. 1, quia corpus
passim in Scriptura appellatur domicilium seu tabernaculum animæ. 2, quia nulla creatura potest esse
illocalis: Ideoque ubicunque illa existit secundum suam substantiam, ibi in loco est. Ac proinde cum
anima secundum suam substantiam existat in corpore organico, & quamdiu cum eo unita manet, alibi
neque existat, neque opereatur, necesse est, ut concedamus, illam in corpore organcio tanquam loca-
tum in loco esse.«

313
De Anima

7. Timpler hält abschließend auch diejenige Ansicht von der Verteilung der Seele für
falsch, wonach sie zugleich ganz im ganzen Körper und ganz in jedem Körperteil sei,
mögen sie auch beinahe alle Philosophen und Theologen für richtig gehalten haben.
Denn kein Geschöpf, zu denen gemäß Gen 2,7 auch die menschliche Seele gehört,
kann zugleich an mehreren Orten sein. Eine Ubiquität der Seele wäre nur möglich,
wenn sie zugleich ganz im ganzen Körper wäre und ganz in jedem seiner Teile. Da
aber die körperlichen Teile localiter voneinander geschieden sind, ist es unmöglich,
daß sie zugleich an mehren Orten sein kann. Folglich ist sie nur ganz im ganzen Kör-
per, nicht aber zugleich ganz in seinen Teilen.127
Timpler weist also dem Begriff der (vegetativen) Seele insgesamt eine rein operative
Funktion zu, die zu einem radikalen Dualismus zwischen ihr und dem Körper führt, ein
Dualismus, der an Descartes’ Bestimmung der Seele als res cogitans und des Körpers
als res extensa erinnert.128 Hier wie dort erleidet die Seele nichts vom Körper, da beide
Substanzen realiter voneinander geschieden sind.
Für Evenius sind all diese Bestimmungen ein weiteres Kennzeichen für die schwer-
wiegenden Irrtümer, die sich in Timplers Werk finden, der »mit vollen Backen gegen
die Erfahrung, die gesunde Vernunft sowie den ganzen Chor der Weisen anschreit«129,
um seine Absurditäten zu verteidigen. So sei die Seele nicht nur Wirk-, sondern auch
Seinsprinzip, wie Evenius im Blick auf das bisher Gesagte betont. Für den vorliegen-
den Zusammenhang genügt es daher, die Kritik an den Punkten 5 bis 7 in den Blick zu
nehmen.
Zu 5. Für Evenius ist im Gegensatz zu Timpler die Einheit von Körper und Seele keine
akzidentelle, sondern eine wesentliche. Beide kommen als Materie und Form in einer
Natur zusammen, so daß es keiner dritten Substanz bedarf, die erst die Einheit zwi-
schen beiden herstellen müßte.130 Ferner folge aus dem Einssein, daß es sehr wohl eine

127
Vgl. a. a. O., pr. 12, 15f.: »An anima sit tota in toto corpore & in qualibet eius parte tota? Sen-
tentia affirmativa hactenus ab omnibus fere Philosophis & Theologis fuit approbata … Verumtamen
si accuratius rei veritas expendatur, statim falsitas huius sententiæ apparebit. Cum enim nulla creatura
possit simul & semel esse nisi in uno numero loco: anima autem sit creatura: omnino sequitur illam
quoque non posse simul & semel esse nisi in uno numero loco. Iam autem necesse esset, animam esse
simul & semel in pluribus locis, si illa simul esset tota in toto corpore & in qualibet eius parte tota.
Siquidem partes, quæ constituunt totum corpus organicum, localiter inter se distant, ita ut ubi una sit,
altera non sit, neque esse possit … Anima enim dicitur informare totam materiam & singulas eius
partes non alia ratione, quam quatenus aptas & idoneas eas reddit ad obeundas vitæ functiones. Ad
hanc autem informationem non requiritur præsentia illius localis in singulis partibus, sed tantum in to-
to corpore organico.« Was dies für die Frage nach der Ubiquität des Leibes Christi im Abendmahl
bedeutet, liegt auf der Hand: Sie ist nicht localiter & realiter gemeint, sondern symbolice.
128
Es bedürfte weiterer Untersuchungen, um festzustellen, ob Descartes während seiner Zeit in
Leiden intensiveren Kontakt mit der calvinistischen Schulphilosophie hatte. Vielleicht gehörte hierzu
ja auch die Lektüre von Timplers Texten.
129
Evenius, disp. XI, B2r: »Quis enim posterius hoc ei [sc. Timpleri] largiatur, cum Experientia &
sana ratio & totus Sophorum chorus plenis buccis reclamitet?«
130
Vgl. ebd.: »… cum potentia & actus ejusdem generis suopte ingenio in unam coeant naturam,
ut nullo aliunde quæsito vinculo aut nexu ex iis unum fiat …« Vgl. ferner ders., disp. I, B1v: »Nihil

314
Die aristotelische Psychologie im Luthertum

Kommunikation der Eigenschaften zwischen Körper und Seele gebe. Wie könnte der
Körper ansonsten beseelt werden, wenn er keinerlei Veränderungen von der Seele er-
leiden würde? Und wie könnte die Seele ihre Funktionen mithilfe ihrer Vermögen aus-
üben, wenn es zwischen ihr und dem Körper kein Zusammenspiel gäbe?131
Zu 6. Für Evenius wie bereits zuvor für Meisner sind Timplers Äußerungen, wonach
die Seele im Körper wie an einem Ort sei, dummes Geschwätz.132 Denn Aristoteles ha-
be in Phys. IV 2, 209b17-34 deutlich gemacht, daß die Form auf andere Weise in der
Materie sei als ein Gegenstand an einem Ort: Während die Form von der Materie nicht
abtrennbar (a)xwristo/j) sei, gelte dies sehr wohl für den Ort in bezug auf den Gegen-
stand. Folglich vergleiche Timpler hier Dinge miteinander, die getrennt gehörten: Die
Seele sei als forma auf unkörperliche und unausgedehnte – weil ohne Weite, Tiefe und
Höhe –, d. h. auf bloß geistige Weise im Körper. Im Wissen um die Differenz von for-
ma & locatum sei es aber kein Widerspruch, wenn der Körper in 2. Cor 5,4 und 2. Petr
1,13 als domicilium seu tabernaculum animæ bezeichnet werde, denn jede Wohnung
habe einen Ort, wie auch Gott Wohnung nehme im Herzen der Frommen.
Zu 7. Auch Timplers Urteil über die Verteilung der Seele im Körper hielt Evenius –
wiederum in Übereinstimmung mit Meisner – für »allzu hitzig und übereilt, da er we-
der die Differenz des Begriffs ganz noch die des Begriffs Seele betrachtet hat«133. Denn
die Seele, so Meisner, ist »nicht nur ganz im ganzen Körper, sondern auch [ganz] in
den einzelnen und allgemeinen Teilen des Körpers«134. Um dies zu beweisen, unter-
schieden Evenius und Meisner – wie auch Leuschner, Scheibler und Dannhauer – den
Begriff totum in der Nachfolge Zabarellas (vgl. 3.2.2.) auf dreifache Weise: secundum
quantitatem, secundum essentiam und secundum potestatem.135 Danach ist die ganze
_________________________________________________________________________________________________________

ergo nobis commune cum illorum sententia, qui animam revera hominis formam esse non concedunt,
sed vinculum potius illud, quod animam & corpus simul unit & connectit.«
131
Daß diese Identität von Körper und Seele für Evenius auch eine Differenz beinhaltet, ergibt
sich aus dem theologisch notwendigen Sachverhalt von der Unsterblichkeit der menschlichen Seele,
der eine andere, und zwar theologische Bestimmung der Seele als substantia spiritualis erforderlich
macht, wie weiter unten deutlich werden wird. Die ratio philosophandi, die eine solche Folgerung
von Aristoteles her, wie bei Alexander, Portio und Zabarella gesehen, nicht begründen kann, wird al-
so auch hier wie bei den Jesuiten von der Theologie her aufgehoben.
132
Vgl. Meisner, Philosophia Sobria I, sect. III, c. VI, q. III, 611: » Ita enim disputat Timplerus l.
1. Empsychol. c. 1. probl. 11. … [vgl. Anm. 126] Crassum hoc nugamentum est, quod & ab ipsis sa-
nioribus Calvinianis redarguitur.« Evenius, disp. XI, B3r: »Timplerum quod attinet, crasso ille sensu
animam in corpore ut in loco esse statuit, quem crassum conceptum non potest non crassa & absurda
illa sequi opinio.«
133
Evenius, disp. XI, B2v: »Quæ Timpleri censura nobis nimis videtur calida & intempestiva, non
considerata, nec totius, nec animarum diversitate …«
134
Meisner, Philosophia Sobria I, sect. III, c. VI, q. II, 605: »Proinde statuimus & affirmamus,
animam non in toto duntaxat corpore totam, sed in singulis quoque ac universis corporis partibus to-
tam reperiri & existere …«
135
Vgl. Evenius, disp. XI, B2v: »Est enim Totum, ut passim docent Metaphysici, vel Integrale seu
quantum; vel Essentiale, partibus essentiæ Physicis vel Metaphysicis constans; vel Potentiale, quod

315
De Anima

Seele secundum essentiam im ganzen Körper und nicht nur in einem Körperteil, wie
gegen Albertus Magnus betont wird. Wäre nämlich die Seele hinsichtlich ihres Wesens
ausschließlich im Herzen als organum essentiæ animæ, ihre verschiedenen Vermögen
als organa facultatum dagegen in den übrigen Körperteilen, so wäre nicht der ganze
Körper beseelt, sondern nur jener Teil, in dem das Wesen der Seele wäre. Ist sie also
essentialiter im ganzen Körper, so ist sie für Leuschner und Martini gleichwohl princi-
paliter bzw. radicaliter im Herzen, das früher beseelt wird als die übrigen Körpertei-
le.136 Secundum quantitatem ist die ganze Seele dagegen nicht in jedem beliebigen Kör-
perteil, sondern nur ein Teil in einem Teil. Da sie sich nämlich als forma informans
materiam über den ganzen Körper ausdehnt, kann nur ein Teil von ihr in diesem Teil,
nicht aber zugleich in einem anderen sein, so Scheibler.137 Secundum potestatem ist die
Seele in jedem beliebigen Teil des Körpers, aber nur secundum originem, nicht secun-
dum subiectum. So ist das Sehvermögen allein in den Augen als seinem subiectum,
aber ursprünglich ist es auch im Fuß, da ja auch im Fuß die Seele ist, die jenem Ver-
mögen folgt, so daß der Fuß das Sehvermögen aufnehmen könnte, wenn er Augen hät-
te.138 Daß diese Verteilung der Seele hinsichtlich ihres Wesens, ihrer Quantität und ih-
rer Vermögen auch für die anima rationalis gilt, betonte Leuschner in einem anderen
Zusammenhang.139 Timplers zweiter Fehler in diesem Zusammenhang bestand nach
Ansicht von Evenius darin, daß er nicht die ontologische Differenz zwischen den drei
Seelenarten beachtet hat, da die Frage nach der Anwesenheit der Seele im Körper im
Blick auf diese Differenz beantwortet werden müsse. So stimmten zwar anima sensiti-
va & anima rationalis darin überein, daß sie beide secundum essentiam ganz im gan-
_________________________________________________________________________________________________________

multas includit potentias.« Ebenso Meisner, Philosophia Sobria I, sect. III, c. VI, q. II, 605.
Leuschner, disp. VIII, B1r. Scheibler, lib. I, disp. II, 23. Dannhauer, disp. I, con. IV, 18-25.
136
Vgl. Leuschner, disp. VIII, B1v: »Licet verò animæ essentia in omnibus corporis animati parti-
bus sit, nec nulla eâ destituatur: non tamen æque & eodem modo in illis est, sed in corde habet suum
esse principale, in reliquis esse participatum. In corde siquidem radicatur, ideoque cor prius animatur
quam reliqua corporis membra, ad quæ postea animæ substantia diffunditur.« Ebenso Martini, disp.
II, q. 2, B3v.
137
Vgl. Scheibler, pars I, disp. II, 24: »De secundo respondeo: Animam secundum quantitatem
non esse in qualibet parte totam, sed partem in parte. Cùm enim anima sit extensa ad extensionem
materiæ, consequens est, partem … quæ extensa est ad pedem, non esse in manu, non in capite, non
in alio membro …«
138
Vgl. Leuschner, disp. VIII, B2r: »Præterea cum ab Anima jugis fiat plurium variarumque po-
tentiarum fluxus, quæritur, an omnes eas anima in omnibus corporis partibus simul obtineat? Ad quod
dicendum videtur, omnes in qualibet corporis parte inesse secundum originem, sed non secundum
subjectum: Nam visiva facultas est in solo oculo, ut in subjecto, sed originaliter est etiam in pede.
Etenim in pede est anima, quam illa facultas insequitur, ita ut reciperet pes facultatem visivam, si ha-
beret oculum.«
139
Vgl. Leuschner, Disputationum undecima. De anima rationali. Stettin 1627, A3r: »Ut autem
anima quemadmodum veram Formam decuit, non parti sed toti corpori unita est, sic etiam non tantùm
est in parte corporis, sed in toto tota, & in qualibet parte tota, quia est a)diai/retoj. Essentialiter dico
& secundum potentias, non, ut vocant, quantitativè.«

316
Die aristotelische Psychologie im Luthertum

zen Körper und ganz in seinen Teilen seien. Zu beachten sei aber die Abhängigkeit der
jener Seele vom Körper: Vergehe dieser, so sterbe auch sie. Anders verhalte es sich
dagegen mit der menschlichen Seele: Als spiritus seu substantia spiritualis hänge sie
secundum esse nicht vom Körper ab, verfüge statt dessen über das Privileg der Un-
sterblichkeit. Wo immer sie also sei, dort sei sie ganz.140
Diese Auszeichnung der anima rationalis als substantia spiritualis, die sich, wie bei
den Jesuiten gesehen, nicht mit ihrer Bestimmung als forma informans verträgt, wird
an späterer Stelle ausführlicher zu thematisieren sein (vgl. 4.2.2.). Auch hier bahnt sich
offensichtlich dieselbe Theologisierung der philosophischen Anthropologie an, wie wir
sie bereits bei Melanchthon und den Jesuiten festgestellt haben. Zuvor gilt es den Lo-
cus De facultatibus animæ in den Blick zu nehmen.

4.2.1. Die Einheit der Seele in der Vielheit ihrer Vermögen

Nachdem die Seele unter Bezugnahme auf De An. II 1 in ihrer allgemeinsten Bestim-
mung in Hinsicht auf alle Lebewesen definiert worden ist, galt es nun in einem zweiten
Schritt, die Seelen der einzelnen Lebewesen, d. h. die der Pflanze, des Tiers und des
Menschen, gemäß De An. II 2 in ihrer je spezifischen Eigenart genauer zu bestimmen.
Hierfür untersuchten die Lutheraner die verschiedenen Seelenvermögen, da die Seele
selbst nur anhand ihrer Wirkungen erkannt werden kann. In diesem Zusammenhang
stellte sich auch hier jene Problematik, die bereits im Renaissance-Aristotelismus kon-
trovers diskutiert worden ist: Kommt jedes Vermögen nur der je entsprechenden, indi-
viduellen Seele zu, das heißt die potentia vegetativa der anima vegetativa, die potentia
sensitiva der anima sensitiva und die potentia intellectiva der anima rationalis, so daß
es eine Vielheit von Seelen in ein und demselben Lebewesen gibt, oder enthält die
nächsthöhere Stufe der Seele das Vermögen der niederen Stufe jeweils in sich, so daß
die anima rationalis auch über die Vermögen der anima vegetativa & anima sensitiva
verfügt, es also nur eine Seele in der Vielheit ihrer Vermögen gibt?
Evenius klärte zunächst den Begriff des Seelenvermögens, das er »als eine gewisse
natürliche Kraft oder Einwirkung« definierte, »die von der Seele als Erstursache aus-
geht und in den Körper ohne Vermittlung aufgenommen wird, damit die Tätigkeit de-
sto leichter ausgeführt werden kann.«141 Anders als der Habitus, der erst durch häufige

140
Vgl. Evenius, disp. XI, B3r: »De anima verò Rationali seu Hominis aliter res habet. Hæc enim
quia spiritus seu substantia spiritualis, partem extra partem non habens; nec à corpore etiam secun-
dum esse suum dependens; privilegio denique gaudens immortalitatis, ubicunque est, ibi est tota, &
ita sicut tota in toto est corpore, ita tota in singulis ejus est partibus.«
141
Evenius, Disputationum Anthropologicarum duodecima. De Animæ facultatibus in genere.
Wittenberg 1613, A3v: »Definimus autem Facultatem animæ vim seu affectionem quandam natura-
lem ab anima ut caussa prima fluentem inque corpus sine medio receptam promtioris operationis
gratiâ.« Ebenso Martini, Exercitationum Nobilium Peri\ th=j yuxh=j secunda. Quæ est prior de
animæ potentiis in genere. Wittenberg 1606, A1r: »Potentia animæ est vis quædam peculiaris, quâ
primò ad operationem redditur apta anima.«

317
De Anima

Handlungen erworben und so dem Lebewesen eingeprägt werden müsse, gehe das an-
geborene Vermögen unmittelbar, ohne Widerstand und ohne Anstrengung aus der See-
le hervor und mache sie so geeignet für die Ausübung der verschiedenen Tätigkeiten
(aptitudo ad operandum). Dies bedeute aber nicht, daß die Vermögen damit die Ursa-
che der Seele seien; vielmehr kennzeichneten sie Zustände, Beschaffenheiten und Ge-
eignetheiten der Seele selbst.142 Sie sind also Qualitäten zweiter Ordnung bzw. acci-
dentia inseparabilia, so Leuschner143. Gleichwohl ist nicht die Seele ihr subiectum,
sondern der beseelte Körper, in dem sich diese Vermögen realisieren. Die Seele ist
vielmehr das dektiko\n prw=ton kai\ i)/dion aller ihrer Vermögen, wie Evenius144 unter
Hinweis auf Zabarellas De Facultatibus animæ (vgl. 3.2.1.) betonte.
Wie läßt sich die Differenz zwischen der Seele und ihren Vermögen näher bestim-
men? Evenius unterschied in diesem Zusammenhang – auch hier in der Nachfolge Za-
barellas – zunächst zwischen einem discrimen reale & formale. Dabei lehnte er die ra-
dikale Position einiger nicht näher benannter Philosophen ab, wonach die Vermögen
sich realiter von der Seele unterschieden, da sie nicht nur aptitudines, sondern auch
principia operationum productiva seien. Dies sei falsch, so Evenius in Übereinstim-
mung mit Zabarella, weil nicht das Vermögen, sondern die Seele selbst Wirkursache
einer Handlung sei. Falsch sei auch Scotus’ Ansicht, wonach es keine reale Differenz
zwischen Vermögen und Seele gebe, denn die verschiedenen Tätigkeiten könnten nicht
von einem principium immediatum hervorgebracht werden, da sie verschiedenen Gat-
tungen angehörten, die wiederum verschiedenen Prinzipien zugeordnet werden müß-
ten. Sofern die Seele aber nur ein einziges Prinzip sei, könne sie nicht das principicum
immediatum aller ihrer Tätigkeiten sein; vielmehr bedürfe sie verschiedener Vermö-
gen, die diesen Tätigkeiten entsprächen.145 Daher liege hier in der Tat ein discrimen

142
Vgl. Evenius, disp. XII, B1v: »Si ergo potentiæ … maximè sunt necessariæ, non quidem ut
caussæ proprie sed ut conditiones seu propensiones & aptitudines proximè ab anima fluentes …«
143
Vgl. Leuschner, disp. VIII, B3v: »Aliqui contra sentiunt, facultates animæ, ut & alias omnes,
esse qualitates secundæ speciei, ac reipsa ab anima differre, et recte quidem. Sunt enim potentiæ vel
facultates animæ revera tantum proprietates atque accidentia inseparabilia illius, & ab ea secundum
essentiam distincta …«
144
Vgl. Evenius, disp. XII, B2v: »Statuimus ergo nos Animam omnium suarum facultatum prw=ton
esse dektiko\n; hæc enim quia e)ntele/xeia est tou= sw/matoj o)rganikou= duna/mei zwh\n e)/xontoj
…«
145
Vgl. a. a. O., A4v: »… hæ [sc. operationes] enim cùm sint genere diversæ & non possint reduci
in unum principium immediatum, cùm quædam earum sint actiones, quædam passiones & aliis huius-
modi differant differentiis, quas diversis oportet attribui principiis. Cùm ergo essentia animæ sit unum
tantum principium, non potest immediatum suarum actionum omnium esse principium, sed pluribus
& diversis indiget potentiis diversitati harum actionum correspondentibus.« Damit werden die Ver-
mögen für Evenius aber nicht zu principia operationum, wie Scaliger behauptet hat (vgl. Exoterica-
rum exercitationum liber XV, ex. CCCVII, s. 16, 754f.), vielmehr sind sie als Akzidentien und Mitt-
ler der Seele principia instrumentalia (vgl. Evenius, disp. XII, B4r).

318
Die aristotelische Psychologie im Luthertum

reale zwischen den akzidentellen Vermögen und ihrer substanziellen Seele vor, wie
auch Martini und Leuschner betonten.146
Die Zahl dieser Vermögen teilten die Lutheraner übereinstimmend unter Hinweis
auf Aristoteles in die bekannte Trias: potentia vegetativa, sensitiva & intellectiva ein.147
Denn die in De An. II 2, 413a23-25 genannten fünf Vermögen (potentia vegetativa,
sensitiva, appetitiva, motiva secundum locum, & intellectiva) können gemäß 413b11-
23 auf diese drei reduziert werden, da sowohl das Strebe- wie auch das Bewegungs-
vermögen zum Wahrnehmungsvermögen gehören: Wo es Wahrnehmung gibt, dort gibt
es auch Vorstellung und Streben sowie Bewegung von einem Ort zum andern, mag es
auch Tiere geben, die sich actualiter wegen eines organischen Defekts nicht bewegen
können. Aus diesen drei Seelenvermögen ergibt sich die Stufenfolge der Seelen von
der anima vegetativa über die anima sensitiva zur anima rationalis, der wiederum die
Stufenfolge der Lebewesen (Pflanze, Tier, Mensch) entspricht. Damit ist aber noch
nicht die quæstio vexata geklärt, ob in einem Menschen mehrere, sich der Art und dem
Wesen nach voneinander unterscheidende Seelen existieren, nämlich die anima vegeta-
tiva, sensitiva & rationalis, wie Pomponazzi und Zabarella behauptet haben, oder ob
ihm gemäß der Ansicht von Portio und den Jesuiten nur die anima rationalis zukommt,
welche die Vermögen der anima vegetativa & sensitiva in sich enthält.
Die Bedeutung dieser Frage für die Lutheraner wird bereits daraus ersichtlich, daß
Martini sie in einer eigenen Disputation erörtert hat, die er mit dem Theorema begann:
»Es gibt im Menschen [nur] eine Seele, nicht drei voneinander unterschiedene und
einander untergeordnete Seelen.«148 Damit verneinte er, wie auch Evenius149, Dann-
hauer150, Leuschner151, Scheibler152 sowie Pacius153, die von Zabarella in seiner Schrift

146
Vgl. Martini, ex. II, A2v: »Ergo non sunt [sc. potentiæ] idem cum anima essentialiter.« Für
Leuschner vgl. Anm. 143.
147
Vgl. Martini, ex. II, B1v. Evenius, disp. XII, C1r-v. Scheibler, pars I, disp. III (De gradibus &
facultatibus animæ in genere), 29. Leuschner, disp. VIII, B3r.
148
Martini, Exercitationum nobilium Peri\ th=j yuxh=j tertia. Quæ est posterior de animæ poten-
tiis in genere. Wittenberg 1606, A2r: »Una, non tres distinctæ & subordinatæ animæ dantur in homi-
ne.«
149
Vgl. Evenius, disp. XI, B4r-C1r: »Averroes, cujus patrocinium suscipit Zabarella lib. de facul-
tatibus animæ cap. 8. & seqq. Partem animæ vegetantem & sentientem & intelligentem distinctas in
eodem vivente formas esse substantiales statuit, ut in homine, sic & in bruto sentientem & vegetan-
tem. … Contrarium plerique statuunt & Philosophi & Theologi, unam in quolibet vivente & homine
præcipuè esse animam.« Wie erläutert, ist die Zuordnung von Averroes wohl nicht richtig (vgl. 3.2.1.,
Anm. 117).
150
Vgl. Dannhauer, disp. I, con. III, 14: »An in animato quovis duæ sint formæ, altera anima, alte-
ra forma mixti. & an in homine tres sint diversæ realiter animæ? Utrumque asserit Zabarella … Sed
neutrum nobis est ad palatum …«
151
Vgl. Leuschner, disp. VIII, B3r: »Diversæ autem vitæ radicationes diversos arguunt animæ
gradus vel species: Animam videlicet vegetantem, sentientem & ratiocinantem, quæ licet in perfectio-
ribus animalibus v. g. in homine omnes conveniant, non tamen triplicis, sed uiuns animæ rationem

319
De Anima

De Facultatibus animæ gegebene These, wonach es im Menschen eine collectio ani-


marum gebe. Evenius nannte diese Ansicht in deutlichen Worten eine ‘Schwätzerei’154.
Wie gesehen, hat der Paduaner seine Ansicht damit begründet, daß keine Form dieje-
nigen Tätigkeiten ausführen könne, die zu einer anderen Form gehörten. So könne die
anima rationalis nicht die Tätigkeiten der anima vegetativa oder der anima sensitiva
ausführen. Folglich müsse der Mensch, da er zugleich Lebewesen, Tier und Mensch
sei, eine Vielheit von Seelen in sich enthalten.
Dieser Ansicht hat sich auch Timpler angeschlossen155, der den (katholischen und lu-
therischen) Gegnern eine falsche Bedeutung und damit Verwendung von genus & spe-
cies vorwarf. Da nämlich jede species an der Form ihres genus teilhabe, sei die anima
vegetans nicht die artspezifische Form der Pflanze, sondern die des beseelten Körpers,
der als Gattung Pflanze, Tier und Mensch umfasse. Ähnlich sei die anima sentiens
nicht die artspezifische Form des Tiers ist, sondern die des Lebewesens, das der Gat-
tungsbegriff von Tier und Mensch sei.156 Folglich enthalte das Tier neben der vegetati-
ven Seele auch die wahrnehmungsfähige Seele.157 In bezug auf den Menschen bedeute
dies, daß er nicht nur, »insofern er ein beseelten Körper ist, eine vegetative Seele be-
sitzt, und insofern er ein Lebewesen ist, eine wahrnehmungsbegabte Seele besitzt«158,
sondern daß ihm darüber hinaus auch noch die anima rationalis zukomme, sofern er
_________________________________________________________________________________________________________

sustinent.« An anderer Stelle heißt es in bezug auf den Menschen: »Et si cujuslibet corporis est ali-
quis Actus, erit unus tantum: Duo enim Actus non actuant unam potentiam. Ergo una tantum erit
anima in homine, quæ vegetet, sentiat, & ratiocinetur.« (disp. XI, A3r)
152
Vgl. Scheibler, pars I, disp. III, 29f.: »Dico disertè gradus: quia una anima continetur in altera,
nempe inferior in superiori. Ut sensitiva præsupponat vegetantem. Rationalis autem utramque, & ve-
getantem & sentientem.«
153
Vgl Pacius, lib. II, c. III, 264: »Ita enim anima sensitiva in se continet vegetativum: & ita sem-
per anima superior potestate in se continet inferiores. quod est notandum etiam ad eam quæstionem,
utrum in uno & eodem animato sint multæ animæ. nam sicuti est unum quadratum, licet potestate
contineat multos triangulos: ita est una anima (exempli gratia) intellectiva, licet contineat multas fa-
cultates.«
154
Vgl. Evenius, disp. XI, C1r [Forts. von Anm. 149]: »Pugna siquidem illa sensus & rationis suf-
ficienter per facultates distinctas videtur excusari posse, quicquid etiam ogganniat Zabarella.«
155
Vgl. Timpler, lib. III, c. I, th. 38-40, 255f.: »38 Forma hominis alia est communis, alia propria.
39 Communis forma est anima partim vegetans, partim sentiens. 40 Forma propria & specifica est
anima rationalis. Per hanc enim homo est homo, & essentialiter a bestiis distinguitur.« Vgl. a. a. O.,
pr. 35, 298: »An præter animam rationalem sit etiam in homine anima vegetans & sentiens? Statuitur
thesis affirmativa.«
156
Vgl. Timpler, lib. I, c. I, pr. 15, 17: »Anima enim vegetans non est forma specifica plantæ, sed
corporis animati, quatenus est genus plantæ & animalis. Similiter anima sentiens non est forma speci-
fica bestiæ, sed animalis, quod est genus hominis & bestiæ.«
157
Vgl. a. a. O., 18: »… sed tantum indicat ex tribus illis nominatis animæ speciebus, solam vege-
tantem in planta reperiri, in bestia vero præter vegetantem solam sentientem.«
158
A. a. O., lib. III, c. I, pr. 35, 298: »… necesse est, ut homo, quatenus est corpus animatum, ha-
beat animam vegetantem; quatenus animal, habeat animam sentientem.«

320
Die aristotelische Psychologie im Luthertum

vernunftbegabt und mit einem Geist versehen sei. Die klassische Definition des Men-
schen als animal anima rationali præditum (bzw. verkürzt als animal rationale) be-
nenne daher auf korrekte Weise sein genus proximum und zugleich die differentia spe-
cifica: Er ist ein Lebewesen, das mit einer anima rationalis als seiner forma specifica159
versehen ist.160 Dies ergibt sich für Timpler auch daraus, daß die causa efficiens nicht
von dem abgetrennt werden kann, was sie bewirkt. Folglich müßten demjenigen, der
über die Vermögen und Funktionen der anima vegetans & sentiens verfüge, notwendi-
gerweise auch diese Seelen selbst zukommen. Dies sei nun offensichtlich beim Men-
schen der Fall. Denn ansonsten kämen ihm nicht die Gattungsbezeichnungen corpus
animatum & animal zu, wenn er nicht neben der anima rationalis auch die anima vege-
tans & sentiens in sich enthielte.
Gegen diese von Zabarella und Timpler vertretene Ansicht haben die lutherischen
Autoren zahlreiche philosophisch-theologische Gründe vorgebracht, die ihre These von
der Einheit der Seele in der Vielheit ihrer Vermögen stützen sollten. Nachfolgend wer-
den nur die wichtigsten erläutert:
1. Evenius wies darauf hin, daß der These von der Seelenvielfalt kein einheitlicher See-
lenbegriff zugrunde liege. Wenn die Geistseele erst dann hinzukomme, nachdem die
Vegetativ- und Wahrnehmungsseele bereits den Körper beseelt hätten, könne sie nicht
dessen forma informans sein. Dies widerspreche aber der allgemeinen Definition der
Seele in De An. II 1.161
2. Martini lehnte die These von der Formen- und damit Seelenvielfalt mit der Begrün-
dung ab, daß jedes Ding wie nur ein Wesen, so auch nur eine Form in sich enthalte.162
Gegen das von Zabarella und auch Timpler vorgebrachte Argument, wonach die Seele
die gleichsam letzte Form sei, von der das spezifische Wesen und die Einheit des Le-
159
Vgl. a. a. O., pr. 33, 295: »An anima rationalis sit forma specifica hominis? … Est autem thesis
affirmativa vera.« Wie diese anima rationalis von Timpler inhaltlich weiter bestimmt wird, ist in
4.2.2. zu erörtern.
160
Vgl. a. a. O., pr. 5, 259: »Communis & in schola Physicorum trita definitio hominis est, qua di-
citur esse animal rationale. Eaque perfecta est, si per rationale intelligatur non id, quod est intelligens,
aut facultate ratiocinandi instructum, sed id, quod præditum est anima rationali.«
161
Vgl. Evenius, XI, B4v: »Absurdum sequeretur hoc, Animam rationalem non esse actum pri-
mum corporis organici, cùm non primò adveniat, sed vegetativa potius & deinde sensitiva, & post has
demum Rationalis.«
162
Vgl. Martini, ex. III, A3v: »Verum enimverò diversas animæ potentias & facultates admitti-
mus: plures tamen animæ species in homine non constituimus. 1. Quia ut una res unam habet Entita-
tem & essentiam: ita etiam habet unam tantùm formam.« Obgleich auch Scheibler die These von der
Einheit der Seele vertrat, hielt er gleichwohl unter Berufung auf Zabarella an der These von der For-
menvielfalt fest: »Zabarella tamen minus absurdum putat, sive tres, sive decem, sive centum ponan-
tur formæ in eodem composito de facult. an. c.8. & confirmat hanc sententiam de gener. & Inter. c.2.
inde, quia in homine duo distincti, & contrarii sunt motus, animalis ut progressio, & naturalis, quando
motu recto cadit de turri. … Cui rationi addo ego hanc. Si homo non habet plures formas, Ergo homo
non erit corpus, non animal, non mixtum, quia hæc omnia sunt per suas formas id, quod sunt. Si ergo
hæc universalia sint in homine, necesse est, ut etiam eorum formæ sint in homine.« (Scheibler, pars I,
disp. III, 36) Es ist jedoch nicht nachvollziehbar, wie beide Thesen zusammengehen können.

321
De Anima

bewesens abhingen, so daß ihr die übrigen formæ substantiales untergeordnet seien163,
wandte Martini unter Berufung auf Thomas ein, daß der begrifflichen Formenvielfalt
keine in der Sache selbst entsprechen muß, denn die begriffliche Ausdifferenzierung
vervielfältigt nicht das Wesen und die Form der Sache.164
3. Martini setzte sich in diesem Zusammenhang ausführlich mit Zabarellas umstrittener
Interpretation der Textstelle De An. II 3, 414b28-32165 auseinander, wonach Aristoteles
dort nicht von den Seelenvermögen, sondern von der Substanz jener ganzen Seele
spreche, die in sich die übrigen Seelen so enthalte wie das Viereck das Dreieck.166 Für
Martini lag hier – in Übereinstimmung mit Portio und Toletus – eine unzulässige Ver-
vielfältigung von Substanzen vor, da sich aus De An. II 4, 415a23-25 klar ergebe, daß
die niedere Seele der nächsthöheren Seele zugleich als du/namij diene. Der Vergleich
zwischen Figur und Seele sei daher wie folgt zu verstehen: Wie das Viereck das Drei-
eck nicht realiter, sondern bloß virtualiter in sich enthält – da die Substanz des Drei-
ecks nicht der Raum des Vierecks ist, sondern die bestimmte Anordnung dreier Linien
zueinander, die gerade nicht die Substanz des Vierecks ausmachen –, so enthält auch
die anima sensitiva die anima vegetativa nur virtualiter in sich, denn diese ist in jener
nicht secundum essentiam, sondern secundum potestatem enthalten. Beide Seelen sind
wiederum dem Vermögen nach in der anima rationalis.167

163
Für Zabarella vgl. 3.2.1., Anm. 158. Timpler, lib. III, c. I, pr. 35, 299: »Deinde anima vegetans
& sentiens, cum sint formæ substantiales, illa corpors viventis, hæc animalis: idcirco non possunt esse
facultates animæ rationalis; siquidem omnis facultas, cum sit qualitas, est accidens. Rursus forma
hominis, quatenus est homo, est sola anima rationalis, quæ est substantia expers omnium partium.«
164
Martini, ex. III, A3v: »Formas subordinatas non necessum est extra mentem in re ita dari, ut
dantur in intellectu per differentias subordinatas subordinati conceptus: Non enim conceptus multipli-
ces universales subordinati multiplicant essentiam & formam rei, ut alicubi rectè monet Thomas.«
165
Vgl. 3.2.1., Anm. 125.
166
Vgl. 3.2.1., Anm. 152. Timpler hielt diesen Vergleich für gänzlich ungeeignet zur Verdeutli-
chung des Sachverhalts von der Vielheit der Seelen im Menschen: »Denique quod ad simile attinet,
de numero maiore & quadrangulo, illud planè est dissimile, neque ad animam rationalem nisi cum
mica salis accomodari potest.« (Lib. III, c. I, pr. 35, 299)
167
Vgl. Martini, ex. III, A4v-B1v: »In quo igitur consistit similitudo figurarum & potentiæ animæ?
In eo: quod quemadmodum quadrangulum non excludit, sed includit trigonum, hoc est, figura poste-
rior semper includit virtualiter priorem: ita enim quando datur anima, quæ à facultate sensitiva deno-
minatur sentiens, adeoque perfectior est, illa non excludit, sed includit potestate in illa ipsa facultate
vim vegetandi: & sicut trigonum & tetragonum sunt in pentagono: Sic illud vegetativum & sensiti-
vum virtualiter est in eo, quod est rationale … Non enim substantia trianguli consistit in spacio qua-
dranguli; sed in trium linearum inclinatione. Ubi igitur trina illa inclinatio non est, ibi & substantia
trianguli non est: Atqui in quadrangulo illa trina inclinatio non est: Ergo etiam in quandrangulo non
est triangulum secundum essentiam. Manet igitur certa & immota nostra sententia hoc modo: Que-
madmodum in quadrangulo est triangulum: ita anima vegetativa est in sensitiva, & hæ in rationali:
Atqui triangulum non est secundum essentiam in quadrangulo, sed tantùm virtute & potestate: Ergo
etiam anima vegetativa secundum essentiam non est in sensitiva, ita, ut alia sit essentia vegetativæ,
alia sensitivæ animæ; neque hæ sunt in anima rationali: sed tantùm virtute, potestate & efficacia.«

322
Die aristotelische Psychologie im Luthertum

4. Wenn es im Menschen viele Seelen gäbe, dann wäre der Mensch nicht ein Lebewe-
sen, sondern drei, gleichsam ein vielleibiger und -seeliger Geryon, wie Martini und
Leuschner unter Berufung auf Scaliger betonten.168
5. Schließlich sahen Martini und Evenius ihre Ansicht vom Einssein der menschlichen
Seele auch von der Hl. Schrift und Theologie her gedeckt. Denn aus Gen. 2,7 sei er-
sichtlich, daß der Lebensodem nur einem einzelnen Menschen eingehaucht worden sei.
Auch in 1. Thess 5,23 und Hebr 4,12 werde nur von einer Seele des Menschen gespro-
chen. Dies hätten auch die Kirchenväter wie Augustinus und das Konzil von Konstan-
tinopel bezeugt.169 »Wir folgern daher, daß es im Menschen nicht viele Seelen gibt,
sondern nur eine einzige Geistseele, die jene dreifache Funktion des Ernährens, Wahr-
nehmens und Erkennens leistet.«170
Nachdem bis jetzt die einheitliche Bestimmung aller Seelenarten im Mittelpunkt des
Interesses stand – zum einen als forma informans und zum andern ihr jeweiliges Eins-
sein in der Vielheit ihrer Vermögen –, fokussiert sich in den folgenden Disputationen
der Blick der Lutheraner ausschließlich auf die anima rationalis, um deren Eigentüm-
lichkeiten näher zu bestimmen. Es wird sich zeigen, daß letztlich die Frage nach ihrer
Unsterblichkeit hierfür den Anlaß bot.

4.2.2. Die menschliche Seele als e)ntele/xeia spiritualis

Das Besondere an der Bestimmung der anima rationalis, durch die sich der Mensch al-
lein vom Tier unterscheidet171, ist, daß er hier in seiner doppelten Gestalt als Geist
(pneu=ma, spiritus) und Körper, als immateriell und materiell, himmlisch und irdisch,
unsterblich und sterblich, als ein Mittleres zwischen Herrlichkeit und Niedrigkeit in
den Blick kommt, wie Leuschner unter Berufung auf Thomas und Gregor von Nazianz

168
Vgl. a. a. O., B2v: »Si plures essent animæ in homine: non esset homo unum animal, sed tria
animalia, vel omninò tergeminus Briareus, tricorpore polu/morfoj sive polu/yuxoj Geryon.« Ebenso
Leuschner, disp. VIII, B3r.
169
Vgl. Martini, ex. III, B3r. Evenius, disp. XI, B4v. Für Timpler beweisen diese Hinweise auf die
Hl. Schrift gar nichts: »Etsi enim sacra scriptura non mentionem facit nisi animæ rationalis; tamen
non sequitur, animam vegetantem & sentientem ab eadem negari. Imò, quando distinguit inter ani-
mam & spiritum, videtur voce spiritus, ut quidam interpretes explicant, intelligere animam rationa-
lem; voce anima vegetantem & sentientem.« (Lib. III, c. I, pr. 35, 300) Dies wäre freilich eine neue
areligiöse Bedeutung vom Begriff anima in der Hl. Schrift.
170
Martini, ex. III, C2r: »Concludimus igitur, plures unâ in homine non esse animas, sed unicam
illam spiritualem, quæ triplex illud vegetandi, sentiendi & intelligendi officium præstat.« Martini
setzt hier offensichtlich anima spiritualis & anima rationalis einander gleich. Dies wird auch aus den
nachfolgenden Ausführungen deutlich werden.
171
Vgl. Scheibler, pars III (De anima rationali), disp. I (De animæ rationalis definitione), 357:
»Cum actum sit hactenus de anima vegetante & sentiente, nunc disquirendum est, de RATIONALI, quâ
solâ à brutis secernimur.«

323
De Anima

betonte172, als einer, der mit einem Körper bekleidet ist, aber nicht mit ihm stirbt, so
Evenius in platonischer Terminologie und wiederum unter Berufung auf Gregor173.
Damit wird auf die Immanenz und Transzendenz des Menschen verwiesen, darauf, daß
er Natur ist und in der Welt lebt, zugleich aber Geist ist und über sie hinausstrebt.
Denn wie, so fragt Evenius, könnte der Mensch auf körperliche Weise Gott und die
Engel, die vollkommen immateriell sind, wahrnehmen? Die anima rationalis ist folg-
lich der ‘Ort’, wo sich das gnw=qi seauto/n in immanenter und transzendenter Weise
verwirklicht.
Sofern die anima rationalis auch mens genannt wird, verweist deren Etymologie, so
Leuschner unter Hinweis auf Thomas, auf das Gerundivum mensurandum, das Gemes-
senwerden, weil die mens (=nou=j) im Intelligiblen (ta\ nohta/) ihr Maß findet.174 Das
die anima rationalis Auszeichnende ist also ihr kognitives Vermögen, dem sie ihren
Namen verdankt. Dabei entspricht den verschiedenen Tätigkeiten dieses Vermögens
eine begriffliche Vielfalt der anima rationalis, der man in ihren Nuancierungen im La-
teinischen wie im Deutschen kaum gerecht zu werden vermag: Sie wird, so heißt es bei
Scheibler, »wegen der Verschiedenheit ihrer Tätigkeiten auch mit anderen Namen be-
zeichnet: Geist, wenn sie erkennt. Vernunft, wenn sie richtig urteilt. Erinnerung, wenn
sie sich erinnert. Wille, wenn sie will. Weisheit, wenn sie weiß.«175 Der Begriff anima
rationalis umfaßt also das gesamte geistige Vermögen des Menschen, wie es im Wis-
sen und Wollen zum Ausdruck kommt. Um diesen Begriff daher in seiner Fülle er-

172
Vgl. Leuschner, disp. XI, A2r: »Animam Rationalem (quæ Spiritus) & corpus humanum (quod
materia) innuo, quæ sapientissimus naturæ autor ita devinxit, ut in unum suppositum (hominem) ap-
positè conspirare queant, Thom. … Unde hominem dicunt Horizontem corporeorum & incorporeorum
… Et Nazianzenus … eum appellat terrenum & cœlestem, caducum & immortalem, visibilem & in-
telligibilem, medium inter magnitudinem, & humilitatem, eundem Spiritum & carnem.«
173
Vgl. Evenius, Disputationum Anthropologicarum decima sexta. De animæ rationalis essentia.
Wittenberg 1613, A2r: »Tres creavit DEUS, scitè inquit Gregorius …: Unum, qui carne non tegitur;
Alium, qui carne tegitur, sed cum carne non moritur: Tertium, qui carne tegitur, & cum carne mori-
tur. Primus Angelorum, Secundus Hominum, Tertius Brutorum est Animalium.«
174
Vgl. Leuschner, disp. XI, A2r: »Hæc [sc. anima rationalis] alio nomine dicitur Mens … Thomæ
à mensurando, quia mensurat ta\ nohta\ Græcis lo/goj kai\ nou=j appellatur.« Wie bei den Renais-
sance-Aristotelikern (vgl. 3.3.7.1), so ist diese Bestimmung des Geistes, der sich dem Intelligiblen
angleicht, ein erster Hinweis auf die ‘Objektivität des Erkenntnisprozesses’: Der Gegenstand ist das
Maß des Erkennens, nicht der Geist. Vgl. hierzu auch 4.2.2.2.
175
Scheibler, pars III, disp. I, 359: »Appellatur [sc. anima rationalis] etiam aliis nominibus pro di-
versitate operationum. Mens [nou=j] dum intelligit. Ratio [lo/goj, dia/noia] dum discernit. Memoria
(intellectiva) [mnhmosu/nh] dum recordatur. Voluntas [bou/lhsij] dum vult. Animus [sofi/a] dum sa-
pit.« Scheibler verwies hierfür auf Gregor Reischs Margarita philosophica von 1503. Evenius führte
diese Bestimmung auf Isidor von Sevilla zurück (vgl. disp. XII, B3v). Von hier aus wird sie dann
Eingang in das anonyme Werk De Spiritu et anima gefunden haben, wo es heißt: »Dicitur namque
anima dum vegetat, spiritus dum contemplatur, sensus dum sentit, animus dum sapit, dum intelligit
mens, dum discernit ratio, dum recoratur memoria, dum vult voluntas« (Cap. XIII, in: PL 40, 785)
Zur Klärung der Begrifflichkeit vgl ferner Scaliger, Exotericarum exercitationum liber XV, ex.
CCCVII, s. 2, 729: »De Animo, Anima, Mente, Intellectu, Ratione, Ratiocinatione, Dianœa.«

324
Die aristotelische Psychologie im Luthertum

schließen zu können, muß die menschliche Seele hinsichtlich ihres Seins und ihrer
Funktion in den Blick genommen werden.
Genau auf diese doppelte Hinsicht haben die lutherischen Schulphilosophen bei ih-
rer Definition der Geistseele abgezielt, indem sie diese als forma bzw. actus corporis
bestimmt und im Denken ihr eigentümliches Vermögen erkannt haben. So definierte
Martini sie unter Berufung auf De An. II 2, 414a12f. als »geistige Vollkommenheit des
menschlichen Körpers, der in Möglichkeit Leben, Wahrnehmung und Denken hat.«176
Evenius bestimmte sie als eine »Vollkommenheit des organischen Körpers, oder das
Genus der Seele ist dasjenige, wodurch wir erkennen und das Erkannte wollen und ihm
folgen, oder [sie ist] die spezifische Form des Menschen, durch die ihm sein Wesen
und seine Tätigkeit eignen.«177 Scheibler wiederum nannte sie etwas ungeschickt eine
»Vollkommenheit des Menschen, insofern er Mensch ist.«178 Leuschner schließlich de-
finierte sie als eine »unsterbliche Vollkommenheit des menschlichen Körpers, durch
die der Mensch erkennt.«179
Alle Autoren setzen als Genusbestimmung den Begriff e)ntele/xeia h( prw/th bzw.
actus primus.180 Damit wird verdeutlicht, daß actus primus diejenige forma ist, aus der
die Tätigkeit als actus secundus folgt. Sofern nun die Seele Seins- und Wirkprinzip des
Menschen ist, dasjenige also, was das Leben verleiht und die lebenserhaltenden Funk-
tionen gewährt181, ist sie actus primus.182 Scheibler betont in diesem Zusammenhang
unter Berufung auf Thomas, Toletus, Zabarella und die Conimbricenser, daß die
menschliche Seele forma informans sei, da sie sich dem Körper einpräge und mit ihm
das unum per se essentiale compositum bilde, und nicht etwa forma assistens, wie
Averroes, Philoponus und Themistius behauptet hätten. Denn sie hänge in gewisser
Weise vom Körper ab, da sie der Vorstellungen bedürfe, die durch die Sinneswahr-
nehmung gebildet würden. Folglich sei sie die »wahre, innere und seingebende Form

176
Vgl. Martini, ex. I, C1v: »Anima verò hominis in specie ita potest describi, quod sit
e)ntele/xeia spiritualis corporis humani potentiâ vitam, sensum & intellectum habentis. Aristoteles
lib. 2. de an. t. 24.« Der Zusatz spiritualis findet sich natürlich bei Aristoteles nicht. Ihm liegt die
theologische Dimension des Menschseins zugrunde, auf die weiter unten einzugehen sein wird.
177
Evenius, disp. XVI, A4r: »Anima Rationalis est e)ntele/xeia corporis organici, seu id animæ
genus, quo intelligimus & intellecta libere volumus & exequimur, vel: Actus seu Forma hominis spe-
cifica, per quam Homo essentiam atque operationem sibi propriam obtinet.«
178
Scheibler, pars III, disp. I, 359: »Anima rationalis est actus hominis, ut homo est.«
179
Leuschner, disp. XI, A2v: »Finimus eam [sc. animam rationalem] suo modo perfectè … Actum
corporis humani immortalem, quo homo intelligit.«
180
So auch Timpler, lib. III, th. 41, 256: »Unde etiam physicè rectè definitur [sc. anima rationalis]
actus primus hominis, quatenus est homo.«
181
Vgl. Leuschner, disp. XI, A2v: »Actum dicimus non accidentalem, qualis Color est colorati,
sed prw/thn ou)si/an ut vocat Aristoteles … quæ perficiendo materiam dat esse composito & operari.«
182
Vgl. Scheibler, pars III, disp. I, 361: »Animam vocari actum, non quatenus actus pro actione
sumitur (Sic enim accidens esset animæ,) sed quatenus sumitur pro ipsa forma …«

325
De Anima

des Menschen«183 oder das principium essendi substantiale. Hieraus ergeben sich für
Scheibler drei Folgerungen:
»1. Es gibt nicht ein und dieselbe Geistseele für alle Menschen. 2. Die Einheit der menschlichen
Seele mit dem Körper ist nicht die Form des Menschen, wie Casmann in seiner Psychologia an-
thropologica meint. 3. Die Geistseele kann in gewisser Weise Natur genannt werden, was Simp-
licius verneint.«184

Die erste Folgerung richtet sich gegen Averroes, der, wie gesehen (vgl. 3.3.1.2.), die
Ansicht vertreten hat, daß in allen Menschen ein und derselbe Geist existiert. Für
Scheibler vervielfältigt sich dagegen jede spezifische Form gemäß der Zahl der Indivi-
duen einer Art. Genau eine solche Form (als forma informans) sei aber die anima ra-
tionalis. Die zweite Folgerung kritisiert Casmann, aber auch Timpler: Da jede Art nur
eine spezifische Form besitzt, diese beim Menschen aber die anima rationalis ist, kann
ihre Einheit mit dem Körper nicht eine weitere forma hominis sein. Denn was, so fragt
Evenius, würde die Seele machen, wenn sie bereits mit dem Körper vereint wäre?
Vielmehr sei sie allein dessen Seins- und Wirkprinzip. »Dumm ist, wer dies verneint,
und blind, wer das nicht sieht.«185 Schließlich betont Scheibler gegen Simplicius, daß
sie eine forma corporis naturalis und als eine solche damit in gewisser Weise selbst
Natur ist, ist sie doch das Prinzip der körperlichen Bewegung.
Bei Martinin und Leuschner wird bei der Bestimmung der differentia specifica der
Geistseele ein theologisches Interesse sichtbar, das im Zusammenhang mit der Frage
nach dem ihrem Ursprung und ihrer Unsterblichkeit auf eine Ergänzung bzw. Verände-
rung der philosophischen Definition abzielt. Denn daß die menschliche Seele
e)ntele/xeia spiritualis ist, heißt für Martini nicht nur, daß sie von jeder Körperlichkeit
frei ist, sondern auch, daß sie auf vorzügliche Weise spiritus ist, wie auch Dannhauer
betont186, hat Gott doch dem Menschen bei seiner Erschaffung den Lebensodem einge-
haucht (Gen. 2,7). Die geistige Vollkommenheit der menschlichen Seele ist für den
Wittenberger also das Resultat ihres vom göttlichen Geist gewirkten Ursprungs. Glei-
ches gilt auch für die Frage nach ihrer Unsterblichkeit, auf die Leuschner in diesem
Zusammenhang mit ihrer Bestimmung als actus immortalis verweist: Die Unsterblich-
keit ist gewiß, weil sie dem Menschen von Gott verheißen ist. Der geistigen Vollkom-
menheit aufgrund ihres göttlichen Ursprungs entspricht so eine unsterbliche Vollkom-
menheit aufgrund des göttlichen Willens, den Menschen mit sich zu versöhnen. Wie
bei Melanchthon (vgl. 2.3.3.), so ist also auch bei Martini und Leuschner im Zusam-

183
A. a. O., 363: »Anima rationalis est vera, intrinseca & informans forma hominis.«
184
A. a. O., 365: »Primò. Non esse omnium hominum unam eandemque animam rationalem. Se-
cundò quòd unio animæ humanæ cum corpore non sit forma hominis, ut Casmannus putat in Psychol.
Tertiò animam rationalem certa ratione posse dici naturam, quod negat Simplicius …«
185
Evenius, Disputationum anthropologicarum DECIMA SEXTA. De animæ rationalis essentia.
Wittenberg 1613, A4v: »Bardus est qui hoc negat, cæcus qui non videt.«
186
Vgl. Dannhauer, disp. I, con. IV, 20: »Nego de anima immateriali & rationali, de qua verum
est illud animam esse totam in toto & totam in qualibet parte: idque probatur quia est spiritus …«

326
Die aristotelische Psychologie im Luthertum

menhang mit der Frage nach dem Woher und Wohin der menschlichen Seele, ihrer
causa efficiens & finalis, das theologische Interesse vorherrschend. Beides ist im fol-
genden genauer aufzuzeigen.
Mit der Bezeichnung der Geistseele als e)ntele/xeia spiritualis wahrt Martini den
Zusammenhang zum gottgewirkten Ursprung der Seele in Adam. Doch gilt dieser
Kreatianismus auch noch heutzutage? Anders gefragt: Wie gelangt die Geistseele heu-
tigentags in den Körper? Martini verweist für diese schwierig zu beantwortende Fra-
ge187 auf insgesamt vier Ansichten, die sich hier im Laufe der Diskussionen herausge-
bildet haben: 1. Origenes gemäß hat Gott alle Seelen zugleich im Schöpfungsakt er-
schaffen und bewahrt sie im Himmel auf, um sie nach und nach im Augenblick der
Geburt dem Körper einzugeben. Martini lehnt diese Ansicht ab, weil die Hl. Schrift
nichts von einer Präexistenz der Seele berichte. 2. Die Pythagoreer vertraten die An-
sicht, daß eine bestimmte Anzahl von unsterblichen Seelen unmittelbar von Gott er-
schaffen worden sind. Damit werden sie aber für Martini nolens volens gezwungen, ei-
ne Seelenwanderung (metemyu/xwsij) von einem Körper in einen anderen anzuneh-
men, um nicht die Zahl der Seelen ins Unendliche wachsen zu lassen. Spöttelnd fragte
Leuschner in diesem Zusammenhang, ob denn Hectors Seele inzwischen die Seele ei-
nes gallischen Hahnes sei.188 3. Dem Kreatianismus gemäß erschafft Gott fortwährend
neue Seelen, so daß im Zeugungsakt nur die Körper hervorgebracht werden. Als Ver-
treter dieser Ansicht verwiesen Martini und Leuschner auf Petrus Lombardus, Thomas,
Toletus und die Conimbricenser, aber auch auf Scaliger sowie die Reformierten Cal-
vin, Timpler189 und Keckermann.190 4. Auch wenn Martini deren Argumente für durch-
aus diskussionswürdig hielt191, folgte er wie auch Evenius, Leuschner und Dannhauer

187
Vgl. Martini, ex. I, C2v: »Origo igitur animæ manifesta est ex Moyse, nempe quod primo pa-
renti inspirata sit à Deo: Verùm difficilis hic oritur quæstio: Quomodo hodiè anima in corpora nostra
veniat.«
188
Vgl. Leuschner, disp. VIII, A4r.
189
Vgl. Timpler, lib. III, c. I, pr. 30, 291: »Concludo igitur, animas hominum non à parentibus per
generationem propagari; sed à Deo ex nihilo in corporibus perfectè formatis & dispositis creari, crea-
tasque cum iisdem virtute spiritus vitalis uniri ad producendum totum compositum.«
190
Vgl. Martini, ex. I, C2v. Leuschner, disp. VIII, A4v.
191
Vgl. Martini, ex. I, C2v: »Altera [sc. opinio] quibusdam rationibus probabilibus defendi pot-
est.« Martini referierte u. a. die folgenden Argumente: 1. Wie die Seele Adams unmittelbar von Gott
erschaffen wurde, so werden auch die Seelen aller anderen Menschen unmittelbar von Gott aus dem
Nichts erschaffen. Ansonsten ergäbe sich eine Diskontinuität im Werden. 2. Immaterielles widerstrei-
tet der Zeugung, wird daher unmittelbar erschaffen. Die Seele ist immateriell. Also wird sie unmittel-
bar von Gott erschaffen. 3. Was unsterblich ist, das entsteht nicht auf natürliche Weise. Die Seele ist
unsterblich. Ergo. – Hiergegen argumentierte Martini wie folgt (vgl. a. a. O., C4r-v): 1. Adam ist
nicht nur hinsichtlich der Seele, sondern auch hinsichtlich des Körpers unmittelbar erschaffen wor-
den. Dies aber wird uns Heutigen nicht zuteil, deshalb bedürfen wir eines natürlichen Zeugungsaktes.
2. Es muß zwischen einer bloß natürlichen und einer übernatürlichen Zeugung unterschieden werden.
Letztere kommt gewiß der Seele zu. Gleichwohl folgt hieraus nicht, daß sie deshalb unmittelbar von
Gott erschaffen wird. Vielmehr geschieht sie auf außergewöhnliche, für uns nicht weiter verstehbare
Weise durch göttlichen Segen. Hier gilt der Satz Avicennas, daß die Zeugung des Menschen noch

327
De Anima

der vierten Ansicht, wonach die Seele des Menschen von den Eltern im Zeugungsakt –
cum traduce & per traducem – weitergegeben wird.192 Uneinigkeit bestand hierbei zwi-
schen Martini und Meisner, ob auch Luther, Melanchthon und Augustinus diese An-
sicht vertreten haben. Während Martini dies bejahte193, sah Meisner in ihnen Vertreter
der Ansicht, die aufgrund der Unsicherheiten in dieser Frage eine e)poxh/ empfahlen194.
_________________________________________________________________________________________________________

oberhalb der (sonstigen) Wunder ein bewundernswertes Werk sei. 3. Was post rem gilt, muß nicht
auch ante rem gelten. Von der Unsterblichkeit der Seele kann daher nicht auf ihr unmittelbares Er-
schaffensein durch Gott geschlossen werden.
192
Vgl. a. a. O., C4v: »Si igitur anima hominis non creatur immediatè à DEO, sequitur necessariò
eandem à parentibus propagari …« Evenius, Disputationum Anthropologicarum Decimanona et ulti-
ma. De Animæ Rationalis origine & Immortalitate. Wittenberg 1613, A4r: »Sic ergo statuimus: Ani-
mas unà cum corporibus à parentibus in sobolem propagari, & non quidem ex semine, ut materia
educi, sed de anima parentum, ut facem de face accendit.« Leuschner, disp. VIII, A4v: »Alij, animam
à parentibus propagari asserunt & in genito esse ex traduce, non tanquam ex materia elementari, sed
cum traduce & per traducem. … Huic sententiæ, cum vera & sacris consentanea videtur, & nos subs-
cribimus …« Auch Dannhauer verneinte nach dem Sechstagewerk ein unmittelbares Geschaffenwer-
den der Seele von Gott, verwies vielmehr auf den concursus divinus gemäß Gen 2,2, wonach Gott
nicht mehr selbst schaffe, sondern die Schöpfung bewahre: »Animæ post Hexaëmeron non creantur
immediatè à Deo, sed earum productio pertinet ad divinum concursum.« (Disp. VI (De animæ hu-
manæ origine dilucidata), th. II, 147)
193
Vgl. Martini, ex. I, C2v: »Quidam animam hominis à parentibus propagari statuunt: in qua sen-
tentia olim fuisse … Augustinus … approbat etiam eandem Lutherus, Phil. Melancht. in princip. lib.
de an. …« Zu Luther und Augustinus vgl. die nachfolgende Anm. Zu Melanchthon vgl. 2.3.3., Anm.
285 und 286.
194
Vgl. Meisner, Philosophia Sobria I, sec. III, c. VI, q. 1, 589: »Verum audaculos hosce missos
facio, & Lutheri potius atque Augustini modestiam approbans, in re tam difficili & subtili, præsertim
tacente Scriptura, nihil temere affirmo, ne idem mihi obtingat, quod olim juveni isti Vincento Victori,
qui cum reprehendens illa Augustini e)poxh\ & cunctationem, certo se demonstrare posse animarum
creationem assereret, gravi objurgatione ab Augustino repressus est, quod de re tanta, tamque obscu-
ra, quam per ætatem non satis posset considerare, tam temere pronunciaret.« Meisner verwies in die-
sem Zusammenhang auf Augustins epistola 157, wo es heißt: »Si origo animæ lateat, dum tamen re-
demtio clareat periculum non est. Neque enim in Christum credimus, ut nascamur, sed ut renascamur,
quomodocunque nati fuerimus.« Das Zitat konnte in PL 33, 674-693 (CSEL 44, 449-488) nicht veri-
fiziert werden. Aus der Epistola 166 ad Hieronymum wird aber deutlich, daß Augustin zumindest die
Theorie des Kreatianismus aus schwerwiegenden theologischen Bedenken abgelehnt hat: »… et dic
[sc. Hieronymus] mihi, si animae singillatim singulis hodieque nascentibus fiunt, ubi in parvulis pec-
cent peccantes in Adam, ex quo caro est propagata peccati, aut, si non peccant, qua iustitia creatoris
ita peccato obligantur alieno, cum exinde propagatis membris mortalibus inseruntur, ut eas, nisi per
ecclesiam subuentum fuerit, damnatio consequatur, cum in earum potestate non sit, ut eis possit gratia
baptismi subveniri … obsecro te, quo modo haec opinio defenditur, qua creduntur animae non ex illa
una primi hominis fieri omnes sed sicut illa una uni ita singulis singulae?« (Epist. 166, IV 10, in: PL
33, 725 [CSEL 44, 560,10-561,13]) Von Luther zitierte Meisner ohne jeglichen Nachweis folgenden
Satz: »me nihil publice velle affirmare de illa quæstione, sed privatim apud me tenere sententiam de
traduce.« In seiner Genesis-Vorlesung von 1536 hat Luther jedoch eindeutig die These vom Tradu-
zianismus vertreten: »Primus homo ex gleba factus est a Deo, deinde propagari coepit genus huma-
num ex semine masculi et feminae.« (WA 42, 34,33f. zu Gen. 1,14b) »Creato autem sic masculo et
femina postea ex earum sanguine divina benedictione generatur homo. Quanquam autem haec cum
brutis communis generatio est, non tollit tamen illam gloriam originis nostrae primae …« (A. a. O.,
64,20-22 zu Gen 2,7)

328
Die aristotelische Psychologie im Luthertum

Zur Stützung der Ansicht vom Traduzianismus benannten die Lutheraner eine Viel-
zahl von theologischen und philosophischen Gründen, von denen hier nur die wichtig-
sten benannt seien195: 1. Gott vollendete am sechsten Tag sein Schöpfungswerk und
ruhte am siebten Tag. Folglich erschafft er nicht täglich und unmittelbar die Seelen,
sondern bewahrt die Schöpfung in einem concursus divinus. 2. In Gen 1,28 heißt es:
‘Gott segnete den Menschen und sprach zu Adam und Eva: Seid fruchtbar und mehret
euch und füllet die Erde.’ Dies könne nur durch Fortpflanzung geschehen. 3. Das Kind
wird von seinen leiblichen Eltern gezeugt, und nur diese Zeugung ist das Fundament
der Beziehung zwischen ihnen. 4. In einem univoken Zeugungsakt teilt der Zeuger
dem Gezeugten dieselbe Natur und dasselbe Wesen mit. Die Zeugung des Menschen
ist aber univok, weil die gezeugte Person die gleiche Natur hat wie der Zeuger. 5.
Wenn der Zeuger nicht die Form des Menschen zeugte – denn die Zeugung ist die
Hervorbringung der Form –, dann könnte von ihm nicht gesagt werden, daß er einen
Menschen zeugt. 6. Der Mensch entsteht aus einem Menschen, wie Aristoteles in Phy.
II 1, 193b8 formuliert hat. Der Mensch ist aber nicht nur ein corpus humanum, sondern
ein aus Körper und Seele bestehendes Wesen (animal rationale). Weil also die Seele
den Menschen in seinem Wesen konstituiert, so folgt hieraus, daß die Seele bei der
Zeugung des Menschen aus einem anderen Menschen hervorgeht. 7. Wenn der Mensch
nicht die Seele des Menschen hervorbrächte, dann wäre der Mensch unvollkommener
als die Tiere, die ihre Seelen durch Fortpflanzung selbst zeugen196.
Den Grund für diese Bevorzugung der »traduzianische[n] Auffassung von der Ent-
stehung der individuellen Seele« im Luthertum erkennt Sparn zu Recht in der »soterio-
logische[n] Betonung der Ganzheitlichkeit des Menschen«197: Wie der Mensch im
Zeugungsakt in seiner Einheit von Leib und Seele entsteht198, so wird er auch als gan-
zer wiederauferstehen am Ende aller Tage. Damit verweist der erste Aspekt der diffe-
rentia specifica in der Definition der anima rationalis, nämlich die e)ntele/xeia spiri-
tualis, auf den zweiten Aspekt des actus immortalis. Ist dies die einheitliche Position
der Lutheraner in der Frage nach der Unsterblichkeit der menschlichen Seele? Und wie
wurde Aristoteles in diesem Zusammenhang interpretiert? Welche Position vertraten
Pacius und Timpler in dieser Frage?

195
Vgl. Martini, ex. I, C4v-D1r. Evenius, disp. XIX, A4r-v. Dannhauer, disp. VI, th. II, 147-153.
Leuschner, disp. VIII, A4v.
196
Das letzte Argument könnte von den Anhängern des Kreatianismus aber auch in sein Gegenteil
verkehrt werden: Gerade weil Gott die Seele unmittelbar schafft, ist der Mensch aufgrund dieses gött-
lichen Schöpfungsaktes vollkommener als die Tiere.
197
Walter Sparn, Schulphilosophie, in: Ueberweg 17. Jh., Bd. 4/1, 494.
198
Diese Ansicht zog freilich die schwierige Frage nach sich, auf welche Weise denn die Seele
von den Eltern erzeugt werde. Zu den diskutierten Modellen – 1. Die Seele ist dem Vermögen nach in
der Materie des Samens. 2. Die Seele wird von den Seelen der Eltern ‘entzündet’, ist aber auf voll-
kommene Weise im Samen. 3. Sie wird von der Mutter weitergegeben – vgl. Martini, ex. I, D1v-D2v.

329
De Anima

4.2.2.1. Glauben und Wissen:


Die Frage nach der Unsterblichkeit der menschlichen Seele

Die Überschrift zeigt die grundsätzliche Schwierigkeit an, welche die Lutheraner und
Calvinisten – wie auch die Katholiken – zu klären hatten: Ist die Frage nach der Un-
sterblichkeit der menschlichen Seele allein von der Theologie und vom Glauben her zu
beantworten, oder kann sie von der Philosophie her, und zwar zum einen ihren Prinzi-
pien gemäß und zum andern der Ansicht des Aristoteles gemäß, bewiesen oder zumin-
dest aufgezeigt werden? Es ist bereits gezeigt worden, daß Aristoteles für Luther in
dieser Frage keinerlei Autorität besaß (vgl. 2.2.3.). Auch für Melanchthon kam den
Beweisen der Philosophen für die Unsterblichkeit der menschlichen Seele keine ent-
scheidende Bedeutung zu, obgleich er sie immerhin von Aristoteles her für möglich
hielt (vgl. 2.3.5.). Es überrascht nun, daß einige Lutheraner in dieser Frage eine gänz-
lich von Luther abweichende Position eingenommen haben. Sofern nämlich Martini
der Frage nach der Unsterblichkeit folgendes Theorema voransetzte: »Die Seele des
Menschen ist auch nach Platons und Aristoteles’ Ansicht unsterblich«199, stellte er sich
nolens volens in die thomistische Tradition eines Toletus und der Conimbricenser, für
die den Prinzipien der Philosophie gemäß wie auch der Ansicht des Aristoteles gemäß
ein philosophischer Erweis der Unsterblichkeit der Seele möglich ist (vgl. 3.3.6.). Auf
ähnliche Weise argumentierten Evenius200 und Leuschner201 sowie die Calvinisten Pa-
cius und Timpler202, während Scheibler und Dannhauer eine differenziertere Position

199
A. a. O., D3r: »Anima hominis immortalis est etiam ex sententia Platonis & Aristotelis.«
200
Vgl. Evenius, disp. XIX, B4v: »Nos ex philosophiæ etiam meditullio huic immortalitati fidem
non contemnendum fieri posse existimamus, testimoniis Platonis & Aristotelis summorum philo-
sophorum confirmatam.«
201
Leuschner vertrat die These, daß die menschliche Seele in Hinsicht auf ihre Erschaffung und
Fortpflanzung endlich sei: »Circa finitatem observandum, quod anima sit Ens dependens (1) respectu
creationis, quia ei)=nai suum à DEO tanquam suo Creatore & causa efficiente obtinet. Quicquid verò
extra Deum est, finitum est. E[rgo] & animæ essentia à DEO certis limitibus erit circumscripta. (2)
Respectu generationis: Finitum non potest producere infinitum. Atqui causa producens animam (sc.
homo) est finita. E[rgo].« (Disp. VIII, A4r) Hieraus könne aber nicht gefolgert werden, daß sie sterb-
lich sei: »Nec licet subsumere, animam si a parentibus propagetur esse mortalem, quoniam quæ sunt
generata, etiam intereant … Valet enim illud axioma tantum de materialibus & compositis. Anima au-
tem composita non est, sed simplex … Si anima operatur sine corpore, existere potest extra corpus,
quia unumquodque agit, secundum quod est actu. … Quod Aristoteles ratione assecutus intellectum
vocavit a)qa/naton kai\ a)i+/dion l. 3. de anim. c. 5 [430a23] …« (Disp. XI, A4r) Leuschner verstand
die genannten Attribute des intellectus agens also ontologisch.
202
Wie bereits erwähnt (vgl. 4.2., Anm. 125), hat Timpler die These vertreten, daß der Tod des
corpus animatum auch den Untergang des ganzen Kompositum einschließlich der Seele bedeutet.
Dies gilt nun aber aufgrund des besonderen Schöpfungsaktes nicht für die menschliche Seele: »An
anima rationalis sit immortalis? Vulgata & nobilis quæstio est hæc de animæ rationalis immortalita-
te, in qua etsi summus deberet esse omnium hominum inter se consensus, ad defendendam dignitatem
& excellentiam humanæ naturæ, qua illa à Deo præ omnibus aliis animantibus [sic!] ornata est: tamen
nescio, qui factum est, ut etiam hîc opinionum discrepantia extiterit … Ut igitur veritas huius quæ-

330
Die aristotelische Psychologie im Luthertum

vertraten, die der aristotelischen Philosophie und der lutherischen Theologie mehr ge-
recht wird. Beide Ansichten sollen im folgenden erläutert und auf ihre philosophische
Stringenz hin überprüft werden. Unberücksichtigt bleiben hierbei die theologischen
und ethischen Beweise für die Unsterblichkeit der menschlichen Seele203, da es im vor-
liegenden Zusammenhang allein um die Frage geht, ob die naturphilosophischen Prin-
zipien der (aristotelischen) Philosophie hinreichend sind, diese Unsterblichkeit zu er-
weisen. Anders gesagt: Es sind die Konsequenzen der Bestimmung der Seele als forma
informans zu verdeutlichen.
Wie gesehen, hat Martini die menschliche Seele als e)ntele/xeia spiritualis bestimmt.
Daß diese differentia specifica bei ihm nicht nur ihre causa efficiens, sondern auch ihre
causa finalis und damit Unsterblichkeit kennzeichnet, wird aus den folgenden natur-
philosophischen Argumenten deutlich204:
1. Die menschliche Seele entsteht nicht auf dieselbe Weise wie die übrigen natürlichen
Formen. Also vergeht sie nicht zusammen mit dem Körper, sondern ist von ihm ab-
trennbar.
2. Was unabhängig von der Materie tätig ist, d. h. seine Tätigkeiten ohne körperliches
Organ vollzieht, das geht mit dem Körper nicht zugrunde. Auf eine solche Weise aber
ist die menschliche Seele tätig. Also ist sie unsterblich. Zur Begründung verwies Mar-
tini auf das Denken des Geistes, der gemäß De An. III 4, 429a24f. keines Organs be-
darf. Je mehr er dabei von den Sinnen abstrahiert, desto vollkommener ist er. Die Ko-
inzidenz von eigentümlicher Tätigkeit und Wesen führt nun dazu, daß die menschliche
Seele desto vollkommener ist, je mehr sie sich vom Körper abtrennt. Ihrer besonderen
Genesis entspricht also ihr Exodus aus dem Körper.
3. Diejenige Form, die nicht nach Art der übrigen natürlichen Formen die Materie
formt und sich in ihr ausdehnt, kann sich von der Materie abtrennen. Die menschliche
Seele aber formt den Körper nicht durch Ausdehnung. Ergo.
Martinis Argumentation zielt insgesamt darauf ab, die Einzigartigkeit der menschli-
chen Seele zu erweisen, indem ihr Form-Begriff von dem der natürlichen Form unter-
schieden wird. Diese Argumentation überzeugt jedoch aus folgenden Gründen nicht:
Zu 1. Die besondere Genesis der menschlichen Seele gemäß Gen 2,7 wird beim natür-
lichen Zeugungsakt durch Fortpflanzung (Traduzianismus) gerade nicht betont. Es ist
allein der (unbestimmte) concursus divinus, der das Sein und Werden der Lebewesen
_________________________________________________________________________________________________________

stionis elucescat, primum certis argumentis animæ immortalitatem demonstrabimus.« (Lib. III, c. I,
pr. 32, 292) Vor diesem Hintergrund wird klar, weshalb Timpler einen scharfen Leib-Seele-Dualis-
mus beim Menschen vertrat. Da es keine Mitteilung der Eigenschaften zwischen beiden gibt, die See-
le gleichsam forma assistens ist, läßt sich ihre Loslösung vom Körper plausibel erklären.
203
Vgl. hierzu Martini, ex. I, D3v. Timpler, lib. III, c. I, pr. 32, 292f. Evenius, disp. XIX, B4v. Es
wird auf Textstellen der Hl. Schrift (Mt 10,28; Apg 7,59; 2. Kor 5,1-5; Luc 16,22 etc.) verweisen, auf
das Phänomen des Gewissens, das uns nach guten oder schlechten Taten erfreut oder plagt und so be-
zeugt, daß es ein anderes Leben gibt, in dem der Mensch von Gott den ewigen Lohn oder die ewige
Strafe für seine Taten erhält, sowie auf die providentia Dei, die das ewige Leben verheißt.
204
Für das Nachfolgende vgl. Martini, ex. I, D3r-v.

331
De Anima

sichert. Auch unabhängig davon liegt ein unzulässiger Schluß von der Weise des Ent-
stehens auf die des Vergehens vor. Was auf andere Weise entsteht als anderes, kann
sehr wohl auf dieselbe Weise vergehen.
Zu 2. Auch bei der Beschreibung der Organlosigkeit des Geistes liegt ein unzulässiger
Schluß von einer Tätigkeit auf eine ontologische Bestimmtung vor. Denn der Geist
(und nicht etwa die ganze menschliche Seele) ist nur hinsichtlich seiner Tätigkeit, nicht
aber hinsichtlich seines Seins als forma corporis unabhängig vom Körper.
Zu 3. Es bleibt unklar, inwiefern die menschliche Seele den Körper auf andere Weise
formt als die übrigen natürlichen Formen, denn auch sie ist von Martini als forma in-
formans bestimmt worden, die ganz im ganzen Körper und ganz in seinen Teilen ist.
Anderfalls wäre sie die von Averroes behauptete forma assistens.
Insgesamt legte Martini in all diesen Punkten Bestimmungen der menschlichen Seele
zugrunde, die mit seinen bisherigen Äußerungen nicht vereinbar sind. Ferner zeichnet
sich eine Ontologisierung der Attribute des Geistes aus De An. III 4 und 5 ab, die wei-
ter unten zu diskutieren sein wird (vgl. 4.2.2.2.).
In einem zweiten Schritt verwies Martini auf Thomas, Ägidius, Toletus, Pererius,
Piccolomini und viele andere, die alle überzeugend bewiesen hätten, daß Aristoteles –
neben Platon205 – die These von der Unsterblichkeit der Seele vertreten habe.206 Für
Martini sind hierfür die Textstellen De An. II 2, 413b24-27, De An. I 4, 408b29, De An.
III 5, 430a23 und Met. XII 3, 1070a24-26 einschlägig.207 Obgleich er sie nicht näher er-
läuterte, verstand er sie offensichtlich wie folgt: In den ersten beiden Textstellen
spricht Aristoteles nicht dubitativ über den Nous, sondern affirmativ, so daß dessen
Abtrennbarkeit, Ewigkeit, Göttlichkeit und Inaffizierbarkeit gewiß ist. Ferner ist für
Martini der intellectus agens ein Vermögen der menschlichen Seele, dessen Attribute
a)qa/natoj & a)i/+dioj hinlänglich seine Unsterblichkeit anzeigen. Dieser Ansicht – gera-
de im Blick auf De An. III 5 – sind auch Pacius208 und Evenius209 gefolgt. Auch für
205
Vgl. a. a. O., D3v: »Platonem quòd attinet, extra controversiam est, eum firmiter animæ immor-
talitatem credidisse.«
206
Vgl. a. a. O., D4r: »Aristotelem, animam immortalem esse, firmiter statuisse probant Thom. 2.
cont. gent. c. 79 Ægid. lib. 3. de an. c. 4. Tolet. lib. 3. de an. q. 15. Perer. lib. 6. de rebu. natu. c. 19.
Piccol. lib. 2. de mente, & multi alii.«
207
Vgl. ebd.: »Rationes sunt, 1. quia Aristoteles concedit animam rationalem separabilem & per-
petuam esse, lib. 2. de an. c. 2. t. 21 & 22. [sc. 413b24-27] [peri\ de\ tou= nou= kai\ th=j
qewrhtikh= j duna/ m ewj ou) d e/ n pw fanero/ n ,] a)ll e ) )/oike yuxh=j ge/noj e(/teron ei)=nai, kai\
tou=to mo/non e)nde/xetai xwri/zesqai, kaqa/per to\ a)i+/dion tou= fqartou=: Videtur hoc animæ genus
esse diversum, idque solum, perinde atque œternum, ab eo quod occidit, separari, sejungique potest.
2. Quia docet eam esse divina & passione vacare. o( de\, inquit, nou=j i)/swj qeio/tero/n ti kai\ a)paqe/j
e)stin. lib. 1. de an. c. 4. t. 66 [sc. 408b29]. 3. lib. 3. de an. c. 5. [sc. 430a23] intellectum agentem ex-
presse dicit a)qa/naton kai\ a)i/+dion. 4. lib. l Met. c. 3. t. 17. [sc. 1070a24-26] innuit, quod nihil pro-
hibeat, intellectum post corpus remanere.«
208
Vgl. Pacius, lib. III, c. VI, 381: »Declarat aliam proprietatem, qua intellectus agens seiungitur à
patiente, & ab aliis facultatibus animæ: quia solus hic intellectus separatur à corpore, & post hominis
obitum permanet.« Die Textstelle De An. II 2, 413b24-27 verstand Pacius anders als Martini, da Ari-
stoteles hier nicht affirmativ, sondern dubitativ gesprochen habe, wie Alexander (und auch Portio und

332
Die aristotelische Psychologie im Luthertum

Timpler gab es keinen Zweifel, daß Aristoteles in NE X 7, 1177a20f. und 1177b26-


1178a8 sowie in De Part. an. II 10, 656a7f. – jene Textstelle also, die Evenius seiner
Disputationssammlung vorangestellt hat – die These von der Unsterblichkeit der
menschlichen Seele vertreten hat.210 Es ist gleich zu zeigen, wie Dannhauer die Text-
stellen aus De Anima auf eine andere Weise verstand.
In einem dritten Schritt setzte sich Martini abschließend mit den Gegnern seiner An-
sicht auseinander, zu denen er Plutarch, Pomponazzi, Portio, Cajetan und insbesondere
Alexander zählt, »der jenen allen Anlaß zum Zweifeln gegeben und sich als erster von
allen nicht geschämt hat, Aristoteles eine solche Ansicht anzudichten, als ob er die Un-
sterblichkeit der Seele verneint hätte.«211 Alexander erscheint hier als die Wurzel allen
Übels, der mit seiner Interpretation den Geist der Häresie unter den Aristotelikern ver-
breitet habe. Martini setzte sich dabei hauptsächlich mit dessen, auch von Pomponazzi,
Portio und Zabarella vertretenen Argument auseinander, wonach der Geist der Vorstel-
lungen bedürfe, so daß die Seele vom Körper nicht abtrennbar sei. Für Martini muß
dabei zwischen der Tätigkeit der Seele, die in einem Körper ist, und dem Wesen selbst
der Seele unterschieden werden. Nur jene sei unbeständig, während das Wesen ab-
trennbar und beständig sei.212 Auch hier bleibt aber völlig unklar, wie er diese Äuße-
rung mit seiner Wesensbestimmung der Seele als forma corporis vereinbaren kann.
_________________________________________________________________________________________________________

Zabarella) richtig erkannt habe. Es wäre nämlich unverständlich, wenn das Wort e)/oike in b25 affir-
mativ verstanden würde, obgleich Aristoteles unmittelbar zuvor gesagt habe, daß über den Nous noch
nichts deutlich sei (ou)de/n fanero/n, ebd.). Ferner spreche Aristoteles dort nicht von einer Abtrennung
der Seele vom Körper, sondern von einer Abtrennung eines Teils der Seele von anderen Teilen, also
ob sich der Geist von der Sinneswahrnehmung und den anderen Vermögen abtrennen könne. Die
Antwort auf diese Frage trage aber nichts zum Problem der Unsterblichkeit der Seele bei (vgl. Pacius,
lib. II, c. II, 253).
209
Evenius, disp. XIX, C1r: »De Aristotele multi subdubitant, existimantes eum tanquam dubium
hac de re nihil certi pronunciasse, cùm tamen certò constet, à Platonis dogmate eum huic non devias-
se, cum to\n nou=n faciat xwristh\n, a)migh=, a)paqh=, e)nergei/# o)/nta lib. 3. de an. cap. 5 [sc.
430a17f.], & in aliis locis compluribus.«
210
Vgl. Timpler, lib. III, c. I, pr. 32, 293: »Unde Aristoteles lib. 10. Ethicor. c. 7 & 8 ait mentem
esse divinum quippiam & Deo maximè cognatum. Item libro 2. De partibus animalium, cap. 10.
Hominum genus aut solum ex omnibus animalibus nobis notis divinitatis esse particeps, aut omnium
maximè. Ergo cum immortalitas propriè competat divinæ naturæ, etiam anima rationalis hominis eius
est particeps.« Es ist auffällig, daß sich Timpler für seine These von der Unsterblichkeit der Seele
hier nicht auf den locus classicus De An. III 5, 430a23 berief (vgl. hierzu 4.2.2.2.1.).
211
Martini, disp. I, D4v: »Ex quibus rationibus & testimoniis satis liquet, quid de immortalitate
animæ statuerit Philosophus, ut nihil faciendum sit judicium Plutarchi de placit. Phil. Pomponatii de
immort. ani. Portii de mente humana. Cajetani de an. c. 2. & præcipuè Alexandri, qui omnibus illis
dubitandi ansam præbuit, & omnium primus Aristoteli affingere non erubuit, quasi animæ immortali-
tatem negasset.« Es überrascht, daß Martini hier Zabarella unerwähnt ließ. Dies ist aber wohl dessen
(freilich wenig überzeugenden) Äußerungen geschuldet, die menschliche Seele sei hinsichtlich ihrer
Substanz unsterblich (vgl. 3.3.6.).
212
Martini, disp. I, D4v: »Distinguendum enim est inter operationem animæ in corporis existentis
… & inter ipsam animæ essentiam. Operatio quidem & intellectio talis, qualis animæ in corpore con-
venit, non manet: Essentia verò separabilis est & manet.«

333
De Anima

Hierfür müßte er zeigen, wie sie als eine solche nach dem Tod des Körpers weiter be-
stehen könnte. Dies würde freilich eine vollkommen neue Bedeutung der Seele als
forma corporis sein. Martinis These entbehrt folglich eines überzeugenden Beweises.
Erstaunlicherweise findet sich bei Dannhauer eine genau entgegengesetzte Interpre-
tation der genannten und einiger anderer Textstellen des Aristoteles. Er beantwortete
nämlich die Frage, ob Aristoteles die Seele für unsterblich gehalten habe, wie folgt:
»Er [sc. Aristoteles] scheint in der Tat unschlüssig zu sein und unklar zu reden. Ich sa-
ge aber, daß er eher zu jener Ansicht neigt, die die Unsterblichkeit der Seele ver-
neint.«213 Für diese These verwies Dannhauer auf die nachfolgenden Textstellen des
aristotelischen Œvre:
1. In De Cælo I 12, 283b12-22 bindet Aristoteles a)rxh/ & te/loj dergestalt aneinander,
daß dasjenige, was einen Anfang hat, auch ein Ende hat. Da die Seele aber einen An-
fang hat – denn sie ist nicht von Ewigkeit her –, hat sie auch ein Ende.
2. Wenn die Seele unsterblich wäre, dann gäbe es mehrere Unendlichkeiten, was Ari-
stoteles in Phy. III 4-5 verneint habe. Bekanntlich sei für ihn aber die Welt von Ewig-
keit her (vgl. De Cælo II 1, 284b2-5). Dannhauer gebrauchte damit das gleiche Argu-
ment wie Luther in seiner Probatio zur 31. These der Heidelberger Disputation: Aus
der unbestrittenen Ansicht von der Ewigkeit der Welt bei Aristoteles, ergibt sich klar,
daß er die Seele für sterblich gehalten haben muß, da es ansonsten mehrere Unendlich-
keiten gäbe.
3. Aus Met. XII 3, 1069b35-1070a4 ist ersichtlich, daß dem Hylemorphismus gemäß
die Form immer zugleich mit der Materie ist. Sollte die Seele also hinsichtlich des
Seins ohne Körper sein, dann müßte Aristoteles auch die Existenz der platonischen
Ideen zugestehen, was er bekanntermaßen ablehnt.214
4. Die Textstellen De An. I 4, 408b18f. bzw. b29 beweisen für Dannhauer in der Nach-
folge Zabarellas nichts, da Aristoteles dort die particula dubitandi e)/oiken bzw. i)/swj
gebraucht hat.
5. Auch aus der Textstelle De An. II 2, 413b24-2 kann für Dannhauer nichts Gewisses
entnommen werden kann, worin er erneut mit Luthers Interpretation übereinstimmt.215
6. Schließlich beziehen sich für Dannhauer die dem intellectus agens in De An. III 5,
430a17f. beigelegten Attribute ‘abgetrennt, unvermischt, inaffzierbar’ nicht auf das

213
Dannhauer, disp. V (De somno vigilia et anima rationali in genere), con. I, 128: »Sanè videtur
[sc. Aristoteles] fluctuare & balbutire, inquam eam magis sententiam propendere, quæ animæ immor-
talitatem negat …«
214
Dannhauer widerlegte damit zwar nicht den Passus Met. XII 3, 1070a24-26, auf den sich Mar-
tini bezog, verwies aber zu Recht auf den Kontext von Met. XII 3. Ferner setzte Martini als erwiesen,
was Aristoteles hier nur als Frage formulierte, nämlich ob der Nous nach dem Vergehen des Körpers
verbleibt.
215
Dannhauer betonte in diesem Zusammenhang nochmals, daß Aristoteles in De An. seine Mei-
nung in der Schwebe lasse; gleichwohl neige er sich mehr der Ansicht von der Sterblichkeit der Seele
zu: »Respondeo non dicimus Aristotelem absolutè negare animæ immortalitatem, sed suam opinio-
nem suspensam relinquere, & magis favere ejus mortalitati …« (Disp. V, con. I, 131)

334
Die aristotelische Psychologie im Luthertum

Sein, sondern auf die Tätigkeit, »weil das Wesen Vollzug ist, sein ganzes Wesen [aber]
beinahe nichts anderes ist als Vollzug; hieraus kann jedoch nicht gefolgert werden, daß
die Seele überlebt«216. Wie für Luther, so stand also auch für Dannhauer das Kapitel De
An. III 5 im Zusammenhang mit der von Aristoteles in De An. III 4 entwickelten Er-
kenntnistheorie, so daß die Attribute des intellectus agens nicht ontologisch, sondern
nur epistemologisch, nämlich in bezug auf seine Tätigkeit im Denkprozeß, verstanden
werden dürfen.217 Vor diesem Hintergrund erweist sich die von Martini gegebene In-
terpretation, nach der ein und dieselbe Begrifflichkeit zugleich secundum esse & ope-
rationem zu verstehen ist, insgesamt als unhaltbar.218
Noch einen Schritt weiter als Dannhauer ging Scheibler, der ganz im Sinne Luthers
und ausdrücklich gegen die Conimbricenser (und damit auch gegen seine eigenen lu-
therischen Kollegen Martini, Evenius, Leuschner und Dannhauer) die These vertrat,
daß die Seele aus philosophischer Sicht sterblich sei: »Unsere Seele ist ihrer Natur
nach vergänglich und sterblich.«219 Auf diese Weise zog er als Philosoph die Konse-
quenz aus der Definition der Seele als forma corporis und begründet dies als Theologe
mit 1. Tim 6,16: Gott allein ist unsterblich. Was nicht Gott sei, könne seiner Natur
nach nicht unsterblich sein, und was nur immer von etwas anderem abhängig sei, das
könne verändert werden, so daß es seiner Natur nach vergänglich sei. Beides treffe
aber auf die menschliche Seele zu: Sie ist nicht Gott, und sie ist als ens dependens ab-
hängig von ihm. Ist sie von Natur aus sterblich, so wird sie unsterblich allein, weil Gott
es will: »Unsere Seele ist infolge der Gnade unsterblich.«220 Diese Unsterblichkeit ist
eine Verheißung an den Gläubigen, kein philosophisches Postulat, das ontologisch be-
wiesen werden könnte. Für Scheibler hat daher Pererius zu Recht die immortalitas
animæ ‘precaria, rediviva & instaurativa’ genannt: Sie wird aus Gnade gewährt, ist
eine Wiederauferstehung und Erneuerung im Sein. Aus diesem Grunde gilt ferner:

216
Ebd.: »Is [sc. intellectus agens] dicitur loco cit. xwristo\j, a)migh\j ... kai\ a)paqh\j ratione ope-
rationis: quia ou)si/a e)sti\n e)ne/rgeia, ejus ferè tota essentia nihil est nisi actus, inde tamen inferri
nequit, post mortem eam [sc. animam] esse superstitem.«
217
Dannhauer erläuterte leider nicht, wie er den schwierige Passus De An. III 5, 430a19-25 im ein-
zelnen verstand. Er hätte sich hierbei an der erkenntnistheoretischen Interpretation Zabarellas orien-
tieren können – mit dem einen Unterschied, daß Dannhauer den intellectus agens als ein Vermögen
der menschlichen Seele bestimmte (vgl. hierzu 4.2.2.2.2.).
218
Obgleich Dannhauer eine Beweisführung der Unsterblichkeit der Geistseele von Aristoteles her
ablehnte, hielt er dennoch ihren philosophischen Erweis grundsätzlich für möglich: »An Anima homi-
nis sit immortalis? Affirmativa liquida est ex scripturis: Nihilominus & Philosophi argumentis proba-
bilibus eam colligunt …« (Disp. V, con. I, 127) Er benannte für diese Ansicht die folgenden Argu-
mente, die freilich nicht sehr überzeugend sind: 1. Die Natur der Seele ist geistig und unteilbar, weil
sie ganz in jedem Körperteil ist. 2. Der Geist strebt nach Unsterblichkeit. Dieses desiderium naturale
kann nicht vergeblich sein. 3. Die Seele kann unabhängig vom Körper Denken. Also kann sie auch
ohne ihn leben.
219
Scheibler, pars III, disp. III (De animæ humanæ immortalitate, ejusque statu post hanc vitam),
384: »Prima [propositio]: Anima nostra naturâ suâ est corruptibilis & mortalis.«
220
A. a. O., 385: »Secunda: Anima nostra ex gratia est immortalis.«

335
De Anima

»Wenn auch unsere Seele vergänglich ist, so ist dennoch nicht vergänglich wie die an-
deren und besonders die vermischten natürlichen Körper.«221 Die natürliche Vergäng-
lichkeit der Seele, wie sie in These 1 formuliert wurde, wird durch die Gnade Gottes
zwar nicht aufgehoben, aber sie verliert ihre Wirksamkeit: Sie vermag die Seele nicht
zu zerstören, die aufgrund der Wirksamkeit Gottes ewig widerstehen kann und damit
unvergänglich wird und bleibt. Scheibler vergleicht diese unvollkommene Vergäng-
lichkeit der Seele als werdende Unvergänglichkeit mit brennbaren Stroh, das niemals
vollkommen verbrennt. Am Ende aller Tage wird dann der ganze Mensch wiederaufer-
stehen. Diese schlechthinnige Abhängigkeit von der Gnade Gottes wird von Scheibler
auch dadurch verdeutlicht, daß er Origenes’ These von der ewigen Präexistenz der See-
le ablehnt: »Unsere Seele ist nicht ewig von Ewigkeit her, d. h. sie existiert nicht vor
ihrem Körper.«222 Damit bestätigt er zum einen die These vom Traduzianismus und
zum andern setzt er Gottes Heilsgeschehen in sein unumstößliches Recht: Wäre die
Seele ewig, dann gäbe es kein Heilsgeschehen, das Gott in Christus initiiert hat. Die
nächste These: »Unsere Seele wird nicht zerstört«223, scheint prima facie im Wider-
spruch zur ersten Bestimmung zu stehen, wonach die menschliche Seele vergänglich
ist. Dort ist sie aber, wie Scheibler betont, als sterblich bloß der Möglichkeit nach be-
stimmt worden, während sie hier als unsterblich der Wirklichkeit nach bestimmt wird.
Damit kommt er zwar zu keinem anderen Ergebnis als die übrigen lutherischen Auto-
ren; gleichwohl besteht ein wichtiger Unterschied in der Argumentation: Während
Martini, Evenius und Leuschner unter Berufung auf Aristoteles die menschliche Seele
auch aus philosophischer Sicht für unsterblich hielten, da sie aufgrund ihres besonde-
ren Formseins, das sie hinsichtlich der Tätigkeit und des Seins vom Körper unabhängig
macht, ontologisch-konstitutiv unsterblich ist, ist sie dies für Scheibler nur ontisch-
situativ, indem ihr Gott aus Gnade die Unsterblichkeit zuspricht, die im Glauben an
sein Wort als gewiß angenommen wird. Und weil dies ausschließlich eine theologische
Argumentation ist, bedarf es keines Rekurses, oder schärfer noch, kann es keine Be-
zugnahme auf Aristoteles geben: Die Unsterblichkeit ist allein vom Willen und Wirken
Gottes abhängig.224

221
Ebd.: »Tertia: Anima nostra etsi sit corruptibilis, tamen non est corruptibilis sicut corpora natu-
ralia alia, & imprimis mixta.«
222
A. a. O., 386: »Quarta: Anima nostra non est perpetua perpetuitate ante, h. e. anima nostra non
extitit ante corpus.«
223
A. a. O., 387: »Quinta: Anima nostra non corrumpitur.«
224
Scheibler hat diesen harten Gegensatz von Philosophie und Theologie hinsichtlich der Frage
nach der Unsterblichkeit der menschlichen Seele im Kapitel De anima separata des zweiten Buchs
seines Opus metaphysicum (Genf 1636 [Gießen 11617]) etwas entschärft. Dort heißt es im Ausgang
von der Theologie: »Hac in re dico I. Anima humana non est omnimodo immortalis, ut nullo prorsus
modo posse desinere.« (Lib. II, c. V, titulus II, art. III, 662) Scheibler begründet dies mit der Kreatür-
lichkeit der menschlichen Seele, die zu ihrer Bewahrung des influxus divinus bedarf, der aus der frei-
en Gnadenwahl Gottes entspringt. Diese Position, daß die menschliche Seele nicht per se unsterblich
ist, ist augustinisch, wie ein Brief an Hieronymus verdeutlicht: »anima hominis immortalis est secun-
dum quendam modum suum; non enim omni modo sicut deus, de quo dictum est, quod solus habeat

336
Die aristotelische Psychologie im Luthertum

4.2.2.2. Der Begriff des Geistes

Der Abschnitt über die facultas rationalis bzw. den intellectus bildet im Rahmen der
Psychologie das Zentrum der Philosophie des Geistes. Mit ihr gerät in den Blick, was
der Geist hinsichtlich seiner Funktion (secundum operationem) ist.225 Auch hier gilt al-
so, was über die Seele in Hinsicht auf alle Lebewesen formuliert worden ist: Die Geist-
seele kann nur von ihren Tätigkeiten her in ihrem Wesen angemessen verstanden wer-
den. Diese resultieren wiederum aus ihren beiden höchsten Vermögen des Denkens
und Wollens, der potentia intelligendi & volendi.226 An diesen Vermögen zu zweifeln,
so betont Evenius, hieße am Denken und Wollen selbst zu zweifeln, denn die Evidenz

_________________________________________________________________________________________________________

immortalitatem [1. Tim 6,16]; nam de animae mortibus sancta scriptura multa commemorat, unde il-
lud est: Sine mortuos sepelire mortuos suos [Mt 8,22; Luc. 9,60]. sed quod ita moritur alienata a vita
dei, ut tamen in natura sua vivere non omnino desistat, ita mortalis ex aliqua causa invenitur, ut etiam
immortalis non sine ratione dicatur.« (Epist. 166 II 3, in: PL 33, 721 [CSEL 44, 548,14-549,4]) Aus
dieser Kreatürlichkeit der menschlichen Seele ergab sich für Scheibler, daß sie »non est immortalis à
parte Ante« (Opus metaphysicum, lib. II, c. V, titulus II, art. III, 663). Ferner sei sie forma hominis,
und damit entstehe sie per generationem. Stimmt dies soweit mit dem im Liber de anima Gesagten
überein, so gilt dies nicht mehr für die dritte These: »Anima rationalis est naturâ immortalis, indeque
naturali lumine & ex principiis naturæ potest doceri probabiliter, eam non interire. Idem autem de
fide certum est.« (Ebd.) Diese These untermauerte er nachfolgend durch Hinweise auf die Schriften
Platons (nicht auf die des Aristoteles!), auf Pererius’ Schrift De Communibus omnium rerum natura-
lium principiis et affectionibus libri quindecim sowie auf den Tractatus de anima separata der Co-
nimbricenser. Ferner nannte er die providentia Dei sowie die immateriellen operationes animæ als
Beweise für die Unsterblichkeit ex natura. Angesichts der konsequenten und überzeugenden Argu-
mentation im Liber de anima erscheint dies jedoch als ein Rückschritt.
225
In diesem Locus De facultate rationali sive De intellectu faßten die Lutheraner alles das über
den Geist zusammengefaßt, was bei Zabarella noch Gegenstand verschiedener Abhandlungen war:
De mente humana, De mente agente, De speciebus intelligibilibus & De ordine intelligendi.
226
Vgl. Evenius, Disputationum anthropologicarum decimaseptima. De Intellectu. Wittenberg
1613, A2v: »Oriuntur autem ex hac ut ex Definitione [sc. animæ] apparet, primariæ facultates duæ,
quarum altera intelligibilia percipimus, quæque alias dicitur Intellectus; alterâ intellecta, vel electa
expetimus, vel reprobata aspernamur & rejicimus, quæ est & dicitur Voluntas.« Ebenso Martini, Ex-
ercitationum nobilium Peri\ th=j yuxh=j decimaquinta. De Facultate rationali et in specie de intellec-
tu. Wittenberg 1606, th. II, A3r. Scheibler, pars III, disp. IV (De Intellectu & ejus objecto), 397. Daß
diese Vermögen noch weiter ausdifferenziert werden können, ist für diese Autoren unstrittig. Insofern
läuft Timplers Kritik an der Insuffizienz dieser Einteilung ins Leere: »Nam primum planè insufficiens
est distributio illa generalis facultatum hominis in intellectum & voluntatem. Non enim homo à Natu-
ra tantum habet facultatem naturalem intelligendi & volendi; sed præterea etiam multis aliis facultati-
bus est instructus, quæ à facultate intelligendi & volendi omnino sunt distinctæ, & hominem à bestiis
discriminant.« (Lib. III, c. II (De facultatibus propriis hominis), pr. 3, 307) Die statt dessen von ihm
gegebene Einteilung der anima rationalis in die acht Klassen facultas intelligendi & cogitandi, facul-
tas ratiocinandi & iudicandi, facultas inveniendi & disponendi, facultas approbandi & improbandi,
facultas volendi & nolendi, facultas persequendi & fugiendi, facultas loquendi & numerandi, facultas
ridendi & flendi (vgl. a. a. O., 304f.) wurde von Scheibler als nicht weiterführend kritisiert, da viele
dieser Vermögen in den facultates intelligendi & volendi zusammengefaßt werden könnten (vgl.
Scheibler, pars III, disp. IV, 396).

337
De Anima

rühre von der eigenen, nicht hintergehbaren Erfahrung derselben her.227 Martini unter-
scheidet dabei beide hinsichtlich des Ziels, der Handlungsweise und des Gegenstandes
wie folgt voneinander: Während die facultas intelligendi auf das Erkennen abzielt, in-
dem sie die species intelligibiles in sich aufnimmt, um so den Gegenstand als ens zu
erkennen, erstrebt die facultas volendi den erkannten Gegenstand, indem sie ihn als ein
bonum zu erreichen versucht.228 Daß dies keine real-substanzielle Teilung der anima
rationalis bedeutet, betont Evenius: Wäre der Geist wie auch der Wille eine andere,
von der Seele unterschiedene Substanz, dann würde sie »wie eine Maschine«229 von
außen bewegt werden, was absurd sei. Evenius bewahrt damit auch hier die Einheit der
Seele in der Vielfalt ihrer Vermögen. Für den vorliegenden Zusammenhang genügt die
Bestimmung des intellectus.
Nach Scheibler eignet diesem Begriff eine gewisse Vieldeutigkeit, die seinen ver-
schiedenen Funktionen geschuldet ist:
»Er [sc. der Geist] wird erstens verstanden als Geistseele [mens] selbst … Zweitens als das
Denkvermögen, welches das Charakteristikum der Geistseele ist. Drittens als der Gedanke
selbst – [der] durch die Handlung und Bewegung der Geistseele [bewirkt wird] –, der die Er-
kenntnis ist. Viertens auch als Habitus der Prinzipien, der auch Intelligentia genannt wird, so
daß er, wie wir sagen, der fünfte Habitus der Geistseele ist: praktische Erfahrung, Umsichtigkeit
und Klugheit, Wissenschaft, Geist und Weisheit.«230

227
Vgl. Evenius, disp. XVII, A2v: »Dari Facultates in hac etiam animæ parte liquidum existima-
mus esse, nec operosiore indigere probatione, aliter siquidem se anima habet nostra dum vult, aliter
dum intelligit, & aliàs hoc, aliàs illo modo producit operationes.«
228
Vgl. Martini, ex. XV, A3r-v: »Atque duarum harum facultatum discrimen manifestissimum est:
Quandoquidem aliud est cognoscere, aliud rem cognitam appetere: deinde duo isthæc diverso fiunt
operandi modo. Illud quidem patiendo & recipiendo species, ut res ad mentem ferantur: Hoc verò
persequendo, ita, ut mens ad objectum feratur & trahatur. Tandem objecti quoque diversitas discri-
men monstrat: Res enim intellectu cognoscimus, quatenus entia: voluntate verò appetimus easdem,
quatenus bonæ.«
229
Evenius, disp. XVII, A3r: »Si enim Intellectus esset alia substantia ab anima hominis, movere-
tur tanquam machina suique motus haberet principium extra se, sicut artificialia.«
230
Scheibler, pars III, disp. IV, 399: »Cæterum antequam intellectum definiamus, notanda est am-
biguitas in eo vocabulo. Accipitur enim primò pro ipsa mente … Secundò pro facultate intelligendi,
quæ est adjunctum mentis. Tertiò pro ipsa noh/si, mentis nimirum actione & motu, quæ est intellec-
tio. Quartò etiam pro habitu principiorum, qui & intelligentia dicitur, ut cùm dicimus quinque esse
habitus mentis: Artem, Prudentiam, Scientiam, Intellectum & Sapientiam.« Vgl. die ähnliche Be-
schreibung der verschiedenen Bedeutungen des Begriffs bei Timpler: »Vox siquidem intellectus hu-
mani sumitur vel pro anima rationali, vel pro facultate, vel pro actu intelligendi, vel pro habitu princi-
piorum, vel pro homine intelligente.« (Exercitationum Philosophicarum Sectiones X, s. I., q. III, 3) In
der Empsychologia betonte Timpler, daß man stets die verschiedenen Bedeutungen des Begriffs intel-
lectus beachten müsse – auch um die Differenz zur ratio im Blick zu behalten: »Intellectus verò, &
ratio modò sumitur pro anima rationali, modò pro facultate intelligendi; modò pro ipsa intellectione;
modò pro ipso homine intelligente & ratione utente. Itaque diligenter videndum est, in qua significa-
tione vocabula illa in diversis locis usurpentur, ne homonymia eorum nobis imponat, & in errores no-
xios imprudentes inducat.« (Lib. III, c. III, pr. 3, 324f.)

338
Die aristotelische Psychologie im Luthertum

Der Begriff intellectus (nou=j) bezeichnet also im uneigentlichen Sinne die Geistseele
(anima rationalis, mens) selbst; insofern steht er als der wesentliche Teil der menschli-
chen Seele für das Ganze. Im eigentlichen Sinne kennzeichnet er das Denkvermögen
(facultas intelligendi), durch das sich der Mensch allein vom Tier unterscheidet. Ferner
steht er für den Gedanken bzw. für die Erkenntnis selbst (intellectio), die aus dem
Denken gewonnen wird. Schließlich ist er gemäß An. Post. II 19, 100b12 das Haben
und das Verfügen über die gesammelten Prinzipien in einer verfestigten Haltung (habi-
tus principiorum) und so einer der fünf von Aristoteles in der EN VI 3, 1139b16f. ge-
nannten habitus intellectualis animæ (neben sapientia, scientia, prudentia & ars). In
dieser Bedeutung ist er Gegenstand der von Gutke begründeten Intelligentia.231 Im vor-
liegenden Zusammenhang geht es um den intellectus in der zweiten und dritten Bedeu-
tung als facultas intelligendi und als intellectio. Denn das Denken im weiteren bzw.
das Erkennen im engeren Sinne kann ohne das Gedachte bzw. Erkannte nicht sinnvoll
bestimmt werden. Beide Bedeutungen stehen daher im Mittelpunkt dieses Abschnitts,
um von ihnen her der Begriff des Geistes zu klären.
Die Lutheraner wie auch Timpler betonen zunächst das Verwiesensein des Geistes
als Denk- bzw. Erkenntnisvermögen an das Gedachte bzw. Erkannte. So definiert Mar-
tini den intellectus als »ein Vermögen der Geistseele, mit dem der Mensch die erkenn-
baren Dinge begreift und beurteilt.«232 Timpler bestimmt ihn als dasjenige Vermögen,
»durch das der Mensch geeignet ist zur Erkenntnis des Erkennbaren.«233 Auch für Eve-
nius ist der Geist »ein solches Vermögen der Geistseele, mit dem der Mensch das Er-
kennbare begreift.«234 Scheibler definiert den Geist unter Verweis auf De An. III 4,
429a23235 als »das, womit das erkennbare Ding erkannt, aufgefaßt und beurteilt
wird.«236 Auch Leuschner betont schließlich diesen Zusammenhang von intellectus &
intellectio: »Der Geist ist ein Vermögen der Geistseele, mit dem sie das Erkennbare
erkennt und beurteilt.«237 In diesem Prozeß des Auf- und Erfassens, des Erkennens,
Verstehens, Unterscheidens und Beurteilens geschieht das Auf-den-Begriff-Bringen,
das Er- und Begreifen des Erkannten als die eigentliche Tätigkeit des Geistes. Was dies
231
Vgl. Georg Gutke, Habitus primorum principiorum, seu Intelligentia. Berlin 1625.
232
Martini, ex. XV, th. 3, A3v: »Intellectus est facultas potentiæ rationalis, quâ homo res intelli-
gibiles percipit atque dijudicat.« Die Formulierung facultas potentiæ rationalis ist unglücklich ge-
wählt. Gemeint ist, daß der Geist ein Vermögen der Geistseele ist.
233
Timpler, lib. III, c. II, th. 6, 304: »Facultas intelligendi est, per quam homo aptus est ad co-
gnoscendum intelligibile.«
234
Evenius, disp. XVII, A3v: »Definimus autem Intellectum facultatem animæ Rationalis eam,
qua homo percipit intelligibilia.«
235
Vgl. Aristoteles, De Anima III 4, 429a23: »le/gw de\ nou=n %(= dianoei=tai kai\ u(polamba/nei h(
yuxh/.«
236
Scheibler, pars III, disp. IV, 399: »Intellectus est, quo res intelligibilis cognoscitur sive appre-
henditur & judicatur, ex Aristot. lib. 3. de anim. c. 4.«
237
Leuschner, disp. XI, A4v: »Intellectus est Facultas animæ rationalis qua cognoscit ta\ nohta\ &
judicat.«

339
De Anima

genauerhin bedeutet, ist durch die Erklärung dieser Definitionen in Hinsicht auf ihre
Bestimmungen des genus, subiectum, obiectum & modus intelligendi aufzuzeigen.
Alle Definitionen benennen als Genusbestimmung des Geistes die facultas animæ
rationalis. Gemäß EN II 4, 1105b20 befinden sich drei ‘Dinge’ in der Seele: pa/qh, du-
na/meij & e(/ceij. Für Leuschner ist der Geist weder ein Widerfahrnis (pa/qoj) der Seele,
da er verbleibt und nicht vergeht, noch ein Habitus (e(/cij), da er von Natur aus jedem
Menschen zukommt, nicht erst erworben werden muß (anders also als in seiner Funkti-
on als habitus primorum principiorum), sondern ein Vermögen (du/namij).238 Er ist so-
mit wie die übrigen Seelenvermögen des Ernährens, Wahrnehmens etc. eine aptitudo
ad operandum. Gegenüber all diesen Vermögen zeichnet er sich dadurch aus, daß er
hinsichtlich seiner Tätigkeit keines körperlichen Organs bedarf. Da er aber nicht ohne
Phantasmata erkennt (vgl. De An. III 7, 431a16f.), erkennt er nur das, was zuvor in den
Sinnen war (nihil est in intellectu, quin prius fuerit in sensu), und allein in Hinsicht auf
seinen Gegenstand bedarf er eines Organs, nämlich der Sinne.239 Sein subjectum opera-
tionis (=materia, in quam operando aliquid introducitur) ist der Mensch, weil er in ei-
nem Körper ist und der Phantasmata bedarf. Sein subjectum inhæsionis (=substantia,
cui insunt accidentia) ist die Geistseele, sofern sie im eigentlichen Sinne das Zugrun-
deliegende des intellectus ist, aus der er als ein Vermögen hervorgeht.240
Als das objectum des Geistes wird von den Lutheranern übereinstimmend das Intel-
ligibile (ta\ nohta/) oder jedes Seiende (omne ens) benannt, denn der nou=j paqhtiko/j
wird gemäß De An. III 5, 430a14f. alles241 bzw. ist nach III 8, 431b21 in gewisser Wei-
se alles Seiende242.243 Umstritten war hierbei auf lutherischer Seite, ob ausschließlich
238
Vgl. ebd.: »Finimus Facultatem, ta\ e)n tv= yuxv= gino/mena tri/a e)sti/, pa/qh duna/meij e(/ceij
l.2.Ethic.Nicom.c.4. non autem est pa/qoj cum maneat neque e(/cij cum natura adsit. E. duna/mij.«
239
Vgl. Martini, ex. XV, A2v: »Ex quo manifestum est, intellectum & voluntatem potentias animæ
inorganicas esse, & per seipsas agere, ita ut intelligere & velle sint propriæ mentis actiones, neque
Mens sive Ratio per corpus aut organum, ut per medium QUO, intelligat. Opus quidem habet phan-
tasmate: quandoquidem nihil est in intellectu, quin prius fuerit in sensu, animaque dum in corpore est,
nunquam sine phantasmate intelligit lib.3.de an.c.7. Eo tamen, non ut organo, sed ut objecto utitur.«
Auf diese Frage nach dem Sensualismus wird in 4.2.2.2.2. zurückzukommen sein.
240
Vgl. Evenius, disp. XVII, A3v: »Subjectum hujus Facultatis, ut & Voluntatis, solus est Homo
Operationis, scil. & Denominationis, Inhæsionis verò Anima est Rationalis.« Zur genaueren Erklä-
rung des Begriffs subjectum vgl. Meisner, Dissertatio de summo bono, PROLEGOMENON II, q. IV,
31: »Subjectum in scriptis Philosophorum multifariam accipitur.1. Pro subjecto generationis, quod est
materia ex qua aliquid sit, & vocatur Physicum. 2. Pro subjecto prædicationis, quod est nomen, de
quo prædicatur verbum, & dicitur Logicum. 3. Pro subjecto tractationis, quod est objectum, circa
quod aliqua disciplina versatur, & nuncupari solet Scientificum. 4. Pro subjecto inhæsionis, quod est
substantia, cui insunt accidentia, quod appellatur Recipiens. 5. Pro subjecto operationis, quod est ma-
teria, in quam operando aliquid introducitur, & vocari potest subjectum operationis.«
241
Vgl. Aristoteles, De An. III 5, 430a14f.: »… kai\ e)/stin o( me\n toiou=toj nou=j t%= pa/nta
gi/nesqai …«
242
Vgl. a. a. O., III 8, 431b21: »… h( yuxh\ ta\ o)/nta pw/j e)sti pa/nta.« Auch wenn Aristoteles
hier von der Seele spricht, belegt der nachfolgende Satz, daß hiermit der nou=j gemeint ist, denn die
Aufnahme des intelligiblen Seienden (b21f.) ist dessen Aufgabe. Er allein wird damit alles Seiende.

340
Die aristotelische Psychologie im Luthertum

das wirklich existierende Seiende (ens reale) oder auch das bloß gedachte Seiende (ens
rationis) und damit in gewisser Weise auch das Nicht-Seiende (non ens, nihil) Gegen-
stand des Geistes sei, wie Timpler behauptet hat. Während Evenius diese Objektbe-
stimmung der Metaphysik unter Berufung auf Martini ablehnte, war für Dannhauer
auch das ens rationis Gegenstand des Geistes. Wie wurden diese unterschiedlichen
Ansichten begründet?244
Timpler hat in seinem Metaphysicæ systema methodicum von 1604 die gängige Be-
stimmung des Gegenstandes der Metaphysik als ens qua ens als zu eng kritisiert.
Vielmehr sei ihr Gegenstand das omne intelligibile, sei dies nun das ens reale, das ens
rationis oder gar das nihil.245 Damit öffnete Timpler der Metaphysik den gesamten Be-
reich des Wißbaren, sei dies nun ein reales Ding im Lichte des Allgemeinen oder ein
bloßes Gedankending, dem außerhalb des Geistes keine Existenz zukommt, oder
schließlich das Nichts, das durch die Kenntnis von etwas als ein Nicht-etwas erkannt
wird. Auch der modus considerandi der Metaphysik war für ihn wiederum nicht das
gängige quatenus ens, da es viele Attribute gibt, die nicht dem Seienden als Seiendem
zukommen, sondern sofern es Substanz oder Akzidens ist. Vielmehr ist der allein an-
gemessene modus considerandi das quatenus est intelligibile, da das Intelligible vom
Menschen durch das natürliche Licht der Vernunft ohne die materiellen Bedingungen
des Hier und Jetzt in der Weise der Abstraktion erkannt werde.246
Gegen diese Ansicht betonte Martini in seinen Exercitationum metaphysicarum libri
duo von 1608, daß Gegenstand der Metaphysik auschließlich das ens per se & reale
_________________________________________________________________________________________________________
243
Vgl. Martini, ex. XV, A3v: »Objectum intellectus sunt res intelligibiles, hoc est, omnia nohta\
…« Evenius, disp. XVII, A4v: »Progredimur ad Objectum, quod in Definitione dicimus intelligibilia,
ta\ nohta\, qualia sunt Entia. Hinc Philosophus Animam nostram dicit fieri posse omnia quodammo-
do …« Scheibler, pars III, disp. IV, 399f: »Intelligibile est, quicquid ab intellectu cognoscitur. Co-
gnoscitur autem ab intellectu omne ens …« Leuschner, disp. VIII, B1r: »Objectum ejus [sc. intellec-
tus] est Ens omne …«
244
Vgl. hierzu auch die Darstellungen bei Max Wundt, Die deutsche Schulmetaphysik des 17.
Jahrhunderts. Tübingen 1939 (Nachdruck Hildesheim 1992), 163f. und 173-179. Walter Sparn, Me-
taphysik, 188-195. Ulrich Gottfried Leinsle, Ding, 238f. (zu Martini) und 363-369 (zu Timpler).
245
Vgl. Timpler, Metaphysicæ systema methodicum, libris quinque comprehensum. Hanau 21612
1
( 1604), hier: liber primus, c. I, pr. 5, 7: »Proinde nos latius extendimus rem in Metaphysica conside-
ratam, ut sub ea pa=n nohto\n, hoc est, Omne intelligibile comprehendatur …« A. a. O., pr. 6, 8: »
Quia res considerata in Metaphysica est omne ens tam reale quam rationis, tam increatum quam crea-
tum, tam substantia quam accidens.« A. a. O., c. II (De Nihilo & Essentia), th. 3 und 4, 22: »Intelligi-
bile porrò dicitur omne, quod intellectu percipi ac comprehendi potest. Estque vel nihil, vel aliquid.«
Timpler hat diese Ansicht in seiner Empsychologia bestätigt: »Hinc ad obiectum intellectionis hu-
manæ referuntur: 1: non tantum aliquid, sed etiam nihil, quatenus per accidens, nempe per notionem
alicuius de ipso negati intelligitur …« (Lib. III, c. III (De intellectione & cogitatione naturali homi-
nis), pr. 6, 327)
246
Vgl. Timpler, Metaphysicæ systema methodicum, liber primus, c. I, pr. 5, 7: » Quocirco etiam
hac in re veritatis amore à vulgato ac recepto tam veterum quam recentiorum Philosophorum placito
recedimus, modumque considerandi solius Metaphysicæ proprium & adæquatum statuimus hunc,
nempe Quatenus ab homine naturali rationis lumine sine ullo materiæ conceptu est intelligibile.«

341
De Anima

und nicht auch noch das ens rationis (einschließlich des nihil) sei. Das ens reale be-
stimmte er als ein Seiendes, »das nicht nur im Geist gebildet wird, sondern auch unab-
hängig von der Tätigkeit der Seele oder dem Diskurs des Geistes in der natürlichen
Wirklichkeit besteht.«247 So existiere ein Pferd wirklich, unabhängig davon, ob der
Mensch es denke oder nicht. Das ens rationis dagegen, das auch noema noematum, in-
tentio secunda etc. genannt werde, sei ein Seiendes, das dem durch die Tätigkeit des
Geistes begriffenen Ding zeitlich nachfolge und in der Welt unabhängig von dieser
Denktätigkeit nicht existiere.248 Hierzu gehören für Martini alle Nominalbegriffe der
Logik, wie Gattung, Art, Aussage, Syllogimus etc., aber auch die Erfindungen und
Chimären, denen in der Wirklichkeit nichts entspricht, wie der Zyklop oder Bacchus.
Genau aus diesem Grunde kann das non ens bzw. nihil kein Gegenstand des Geistes
sein, denn es ist kein Erkennbares, sondern ein bloß Vermeintes, dem keine Wißbarkeit
und damit keine Wissenschaftlichkeit zukomme, wie auch Evenius unter Berufung auf
Martini gegen Keckermann, Timpler, Ramus betonte.249 Dahinter stand für Evenius die
Befürchtung, daß der Geist mit der epistemischen Gleichstellung von ens & nihil zu-
gleich auf das Wahre und Falsche ausgerichtet und so durch beide in gleicher Weise
vollendet wird. Allein durch die Negierung des nihil kann diese metaphysische Bedro-
hung der Eigenschaften des Seienden als unum, verum, bonum, ens & aliquid250 ver-
247
Jacob Martini, Exercitationum metaphysicarum libri duo. Wittenberg (11608) 31615, lib. I, ex.
II, th. IV, 34 und 36: »Ens illud Metaphysicum non est Ens per accidens, neque ens rationis; sed ens
per se & ens reale. … Ens reale est, quod non solum in intellectu formatur, sed quod, cessante animi
actione Intellectusvè discursu, nihilominus in rerum natura persistit …«
248
Vgl. a. a. O., 37f.: »Ens itaque rationis (quod etiam noema noematum, noema secundum, inten-
tionem secundam, vocem intentionis secundæ dicunt) est, quod rem sequitur mente conceptam per
operationem intellectus, quodque in mundo, operatione illa cessante, nihil est positivi.« Ebenso in a.
a. O., ex. III, th. 2, 49-54. Diese fundamentale Differenzbestimmung zwischen dem ens reale & ens
rationis geht auf Zabarellas Distinktion zwischen der prima & secunda notio als Real- und Nominal-
begriff zurück, um so den Unterschied zwischen Realwissenschaften (einschließlich der Metaphysik)
und Logik kenntlich zu machen: »Est omnium communis sententia, quæ solæ secundæ (ut vocant)
notiones, seu secundò intellecta à Logico tractentus, quum primas [sc. notiones] considerare Philo-
sophi potius, quam Logici munus esse videatur: sunt autem primæ notiones nomina statim res signifi-
cantia per medios animi conceptus, ut animal & homo, seu conceptus ipsi, quorum hæc nomina signa
sunt: secundæ verò sunt alia nomina his nominibus imposita, ut genus, species, nomen, verbum, pro-
positio, syllogismus, & alia eiusmodi, sive conceptus ipsi, qui hæc nomina significantur. Nominibus
quidem primæ notionis statim res ipsa significata extra animum respondet, quocirca hæc opus no-
strum esse non dicuntur … At secundas notiones nemo negaret opera nostra, & animi nostri figmenta
esse …« (De Natura logicæ, in: Opera logica, hier: lib. I, c. III, 6A-C)
249
Vgl. Evenius, disp. XVII, A4v: »Ut ita falsò scripserit Timplerus lib. 3. de empsychologia. cap.
3. probl. 6 [vgl. Anm. 245], ad objectum intellectionis humanæ, non tantum aliquid, sed etiam nihil,
quatenus per accidens, nempe per notionem alicujus de seipso negari intelligitur … Imò hic ipse [sc.
Keckermann] error fecit, ut Timplerus in Metaphysicæ, & Ramæi in objecti Logicæ assignatione tur-
pissimè fuerint hallucinati, Ens & non-Ens pariter disciplinis hisce assignantes, cùm tamen Non-Ens
non gnwsto\n sive nohto\n, sed docasto\n tantùm, multò minus e)pisthto\n esse possit, ut latè hac de
re disserit Philosophus noster Iacobus Martini exerc. 3. Metaph. theor. 2.«
250
Vgl. hierzu Martini, Exercitationum metaphysicarum libri duo, lib. I, ex. III, th. I, 49: »Deinde
modi, qui sequuntur Ens, quorum generales vulgò quinque numerantur, omnesque cum Ente conver-

342
Die aristotelische Psychologie im Luthertum

hindert werden. Dannhauer hielt dieses Argument jedoch für nicht stichhaltig, denn
unabhängig von dem Sachverhalt, daß der Zyklop an sich eine Chimäre sei, sei der Er-
kenntnisvollzug selbst real. Deshalb sei auch das non ens Gegenstand des Geistes, inso-
fern er es denke.251 Während Martini und Evenius also auf das Realsein des Gegen-
standes abzielten und damit auf die Objektivität des Erkennens der wirklichen Außen-
welt252, fokussierten Timpler und Dannhauer auf den subjektiven Erkenntnisvollzug un-
abhängig vom Realsein des Gegenstandes. Dies bedeutet nun keinen Übergang zur
neuzeitlichen Subjektivität des Erkennens, wonach der Geist sich aktiv seine Welt im
Erkennen schafft, denn auch für Timpler und Dannhauer galt weiterhin der Vorrang
des Gegenstandes als Maß vor dem Geist als das Gemessene.
Das omne ens umfaßte für die Lutheraner und Timpler sowohl das Allgemeine wie
auch das Einzelne: »Der Gegenstand des Geistes ist daher jedes Seiende, und zwar so-
wohl das Einzelne wie auch das Allgemeine«253, so Martini. Daß das Allgemeine Ge-
genstand des Geistes ist, bedurfte für die Lutheraner keines weiteren Beweises, denn es
sei im höchsten Sinne Seiendes und wahr und dergestalt sein vorzüglichster Gegen-
stand, wie Evenius betonte254. Leuschner gab in diesem Zusammenhang folgende anti-
platonische Bestimmung des Begriffs: »Das Allgemeine ist weder eine außerhalb des
Geistes abgetrennt existierende Idee, wie Plato und Heraklit, noch ist es ein bloßes
Wort, wie die Nominalisten behauptet haben, sondern es ist etwas, das wirklich im
Einzelnen gründet, die formale Einheit aber im Geist hat.«255 Das Allgemeine ist also

_________________________________________________________________________________________________________

tuntur. Sunt enim affectiones Entis Universales unitæ & simplices, nempe Unum, Verum, Bonum,
Res, Alquid; quibus si addatur ipsum Ens, sed sunt, quæ inter se convertuntur, vulgò transcendentia
dicat, quòd omnia prædicamenta transcendant, & de omnibus generibus dicantur: Ens, Unum, Res,
Aliquid, Verum, Bonum.«
251
Dannhauer, disp. VII (De intellectu et voluntate), con. I, 187: »Generaliter objectum intellectus
est omne Ens, latissimè sumtum, tam reale, quam rationis, tam universale, quam singulare, quam ac-
cidens. Probo de singulis. I. Intellectus cognoscit entia realia … II. Intellectus cognoscit entia ratio-
nis, nam quid aliud est effectio Entis rationis, quàm illius cognitio, cognoscendo enim producit Ens
rationis non propriè, sed juxta ejus capacitatem … Fabrica autem Entis rationis ita se habet; Intellec-
tus concipit aliquam rem mente suâ, e.g. Chimæram, illa cognitio est realis …«
252
Vgl. hierzu Martini, Vernunfftspiegel, II. Buch, I. Kap., 733: »Das objectum oder ding / das
verstanden werden soll / ist die mensur: die cognition aber oder wissenschaft ist das mensuratum, das
gemessen wird.«
253
Martini, ex. XV, A3v: »Objectum igitur eius [sc. intellectus] est omne ens, adeoque tàm singu-
lare, quàm universale.« Ebenso Scheibler, pars III, disp. IV, 400 und 402. Evenius, disp. XVII, B1r.
Leuschner, disp. XI, B1r. Dannhauer, disp. VII, con. I, 189. Timpler, lib. III, c. III, pr. 6, 327. Zur
Thematik im Rahmen der Metaphysik vgl. Max Wundt, Schulmetaphysik, 210-213.
254
Vgl. Evenius, disp. XVII, B1r: »Et de Universalibus quidem nemo dubitat, hæc enim ut maxi-
mè sunt Entia & maximè vera, ita maximè quoque ab Intellectu cognoscuntur.«
255
Leuschner, disp. XI, B1r: »Universale non est Idea extra mentem separata existens, ut Plato &
Heraclytus: neque nudum nomen ut Nominales asseruerunt, sed aliquid quod revera in singularibus
fundatur, Formalem autem & unitatem habet in Intellectu.«

343
De Anima

immer das Allgemeine von etwas Einzelnem, in dem es wirklich gründet.256 Wäre es
dagegen eine unabhängig vom Geist existierende Idee, dann gäbe es keine Vermittlung
mit dem Einzelnen, wäre das Allgemeine ein bloßes Wort, ein figmentum, von dem es
kein Wissen geben könnte, so Scheibler.257 Das Allgemeine wird dabei durch eine ope-
ratio mentis258 gebildet, und zwar mittels einer Abstraktion von vielen einzelnen Din-
gen, deren Ähnlichkeit man erkannt hat259, und ist so nichts anderes als ein Begriff
(conceptus), dessen Bildung bekanntlich eine der Funktionen des Geistes ist.260 Von
hier aus wird ersichtlich, daß die Arbeit am Begriff (und damit am Allgemeinen) die al-
leinige Aufgabe der Philosophie ist. Nur in dieser Arbeit kann sich die Erkenntnis rea-
lisieren, wie im nächsten Abschnitt deutlich wird.
Daß auch das Einzelne, das Scheibler in seinem Opus metaphysicum von 1617 als
dasjenige definierte, »was hier und jetzt ist und vielen nicht gemeinsam ist«261, Gegen-
stand des Geistes ist und von ihm erkannt werden kann, wird von den Lutheranern un-

256
Vgl. hierzu auch Martinis Definition des universale in seinen Exercitationum metaphysicarum
libri duo: »Universale univocum est unum quid nomine & ratione, quod aptum est, ut in pluribus in-
sit, & divisim in illis multiplicetur, ideoque de pluribus etiam prædicatur.« (lib. I, ex. VIII, th. V,
257f.) Hieraus wird deutlich, daß das Allgemeine hinsichtlich seines Namens und seiner Definition
eines ist, zugleich aber in vielen Dingen enthalten ist und von diesen vielen ausgesagt wird. Martini
nannte dies eine unitas conjuncta cum communitate. So bezeichnet der Begriff homo als ein Allge-
meines die Gattung der vielen Menschen, ist also in vielen, muß aber zugleich auf jeden einzelnen
Menschen wie ‘dieser Mensch Petrus’ zutreffen und von ihm ausgesagt werden können. Das Allge-
meine ist daher, wie gesagt, ‘schon immer’ im Einzelnen grundgelegt.
257
Scheibler, pars III, disp. IV, 402: »Profitemur autem primum longè nos abesse ab illorum opi-
niones, qui opinantur universalia esse tantùm in intellectu, & non etiam in rebus extra ipsum. Nam si
non sunt revera universalia; non erunt scientiæ, sed figmenta, quando in singularibus consideravero
id, quod nusquam & nihil est.«
258
Vgl. Martini, Exercitationum metaphysicarum libri duo, lib. I, ex. VIII, th. VIII, 266: »Unita-
tem universalem non esse ante mentis operationem, neque in rebus ipsis inveniri, sed per intellectus
functionem insurgere, sumto fundamento sive occasione ex ipsis singularibus.«
259
Vgl. a. a. O., th. IX, 284: »Universalia fiunt ab intellectu per abstractionem præcisionis.«
Scheibler, Opus metaphysicum, lib. I, c. VII, titulus VII, art. IV, 104: »Igitur universale Primò non fit
per abstractionem realem; Nam universalia extra singularia non sunt … Secundò: Nec fiunt ea per ab-
stractionem negativam. Nam universalia (veluti homo) ad singularia (veluti Socratem) habent realem
identitatem. Unum igitur de alio negari non potest.« Zu Scheiblers Opus Metaphysicum vgl. Ulrich
Gottfried Leinsle, Ding, 329-337.
260
Vgl. hierzu ausführlich Martini, Exercitationum metaphysicarum libri duo, lib. I, ex. VIII, th.
VIII, 273: »Ad universalis enim constitutionem duplex requiritur operatio intellectus: naturalis & arti-
ficialis sive Logica. Naturalis operatio est, qua mens ipsam rei naturam concipit, quæ ita concepta di-
citur conceptus rei formalis, quia ipsam quiditatem, seposito modo individuante, nudè repræsentat:
atque conceptus iste nondum est ipsum Universale; sed oportet, secunda operatio logica accedat, &
nudum illum conceptum quasi inclinet, eique relationem imprimat, qua sua inferiora respiciat, & ap-
tus fiat illis multis inferioribus inesse & attribui.«
261
Scheibler, Opus metaphysicum, lib. I, c. VII, th. II, 87: »Singulare est, quod est hic et nunc: vel
quod non est commune (incommunicabile) multis, numero distinctis, ut: Socrates, hæc terra, hic An-
gelus.«

344
Die aristotelische Psychologie im Luthertum

ter Berufung auf Scaliger, Pererius, Piccolomini, Zabarella und die Conimbricenser
(vgl. 3.3.7.) gegen einige Scholastiker wie Capreolus und Cajetan, aber auch gegen die
antiken Autoren Philoponus und Alexander262 betont und wie folgt begründet:263
1. Der Geist richtet sich auf das Seiende, also auf alles, was unter die Katgeorie ‘Sei-
endes’ fällt. Das Einzelne fällt aber unter diese Kategorie, folglich ist es Gegenstand
des Geistes.
2. Der Geist erkennt das Allgemeine durch Abstraktion vom Einzelnen, indem er zwi-
schen ihnen eine Ähnlichkeit entdeckt und so eine Erkenntnis gewinnt. Wie könnte er
aber diese similitudo erkennen, wenn er nicht zuvor das Einzelne erkannt hat, von dem
das Allgemeine ausgesagt wird? Also ist es notwendig, daß der Geist bei der Bildung
des Allgemeinen auch das Einzelne erkennt.
3. Die Induktion ist eine Denkbewegung des Geistes, die gemäß An. Post. II 19, 1003-5
beim Einzelnen beginnt.
4. Der Geist bildet einzelne Sätze wie: Sokrates ist ein Lebewesen. Also erkennt er das
Einzelne. Wie könnte er sonst ein Einzelnes im Lichte des Allgemeinen beschreiben?
5. Die Phantasmata sind singularia, die vom Geist korrigiert werden. Dies könnte nicht
geschehen, wenn er sie nicht erkennt.
6. Gott, die materia prima und die Sonne sind je Einzelnes und werden gleichwohl
vom Geist erkannt.
7. Schließlich erkennt sich der Geist selbst als ein je einzelner.
Die Gegner dieser Ansicht verweisen hiergegen auf die Textstelle De An. II 5, 417b22-
24, in der Aristoteles das Einzelne als Gegenstand der Wahrnehmung, das Allgemeine
jedoch als Gegenstand des Geistes bestimmt hat.264 Zur Klärung dieses Sachverhalts
unterscheiden Scheibler und Martini zwischen dem Allgemeinen als obiectum perfec-
tionis bzw. proprium des Geistes und dem Einzelnen als sein obiectum adæquationis
bzw. commune. Das Allgemeine kennzeichnet dabei den Zustand der Vollkommenheit
des Gegenstandes und des Geistes: Wie der Gegenstand erst als ein Allgemeines ‘voll-
kommen’ ist, da er nur in seiner Abstraktheit vollständig erkannt werden kann, so ist
der Geist erst in der Erkenntnis des Allgemeinen vollkommen. Nur in ihr kommt er zur
Ruhe, da das Einzelne aufgrund seiner Materialität unendlich bestimmbar ist und damit
letztlich unbestimmbar bleibt. Gleichwohl ist auch das Einzelne ein angemessener Ge-
genstand des Geistes, weil er sich auf alles richtet, was ihm entgegensteht, also auch
auf das Einzelne.265 Auch hier erhebt sich jedoch folgender Einwand: Zeigt nicht gera-

262
Vgl. Alexander, De Anima I, 83,10-12 [40vb].
263
Für die nachfolgenden Argumente vgl. Martini, ex. XV, A3v-A4v. Evenius, disp. XVII, B1r.
Scheibler, pars III, disp. IV, 400f. Leuschner, disp. XI, B1v. Dannhauer, disp. VII, con. I, 189.
264
Vgl. 3.3.7., Anm. 477.
265
Vgl. Scheibler, pars III, disp. IV, 408: »Cùm objectum potentiæ (ut etiam scientiæ) duplex sit,
unum adæquationis, quod complectitur omnia, quæ potentiæ objiciuntur. Alterum perfectionis, quod
continet ea, in quibus nobiliori modo potentia occupatur, describi in propositio axiomate posterius ob-
jectum intellectus sit imprimis universalium.« Martini, ex. XV, A4v: »… repetimus distinctionem ob-
jecti intellectus in commune & proprium. Illud res omnes & consequenter individua quoque complec-

345
De Anima

de die Materialität des Einzelnen an, daß es kein Gegenstand des Geistes sein kann, da
zwischen ihm und dem immateriellen Geist keine Proportion besteht? Dannhauer hält
dieses Argument für nicht schlüssig, da ja auch das Wahrnehmungsvermögen das ma-
terielle Einzelne in sich aufnimmt, aber eben nicht materialiter, sondern gemäß De An.
II 12, 424a18f. als forma sensilis sine materia. Und genau auf diese Weise, nur mit ei-
nem noch höheren Grad an Abstraktion, nehme auch der Geist den immateriellen Ge-
genstand als forma (sive species) intelligibilis in sich auf.266 Auch der Einwand, wo-
nach der Geist nicht die Hilfe der Sinne nötig hätte, wenn er das Einzelne erkennen
würde, beweist für Dannhauer nichts, eben weil er ohne Hilfe der Sinne nichts erkennt.
Um schließlich einen weiteren Einwurf zu entkräften, wonach die Existenz des intel-
lectus agens überflüssig wäre, wenn das Einzelne selbst in Wirklichkeit das Intelligible
wäre, unterscheidet Martini zwischen zwei Realisationen des Einzelnen: Das Einzelne
ist entweder ein Wahrnehmbares (to\ ai)sqhto/n) und damit Gegenstand der Sinnes-
wahrnehmung, oder es wird durch die Vermittlung des intellectus agens ein Intelligi-
bles (to\ nohto/n) und ist so Gegenstand des Geistes.267
Wie erkennt der Geist das Allgemeine und das Einzelne, und welches von beiden er-
kennt er (generisch, nicht logisch) zuerst? Damit wird der Locus De modo & ordine in-
telligendi zum Thema, der sich mit der Art und Weise sowie der Reihenfolge des Er-
kennens beschäftigt. Er gehört in den weiteren Umkreis des Locus De intellectione &
cogitatione naturali hominis, in dem näher bestimmt wird, was eine Erkenntnis ist. Die
Psychologie wird somit auch in der lutherischen und calvinistischen Schulphilosophie
Teil der Erkenntnistheorie, die daneben Gegenstand der Logik und Metaphysik bleibt.

4.2.2.2.1. Die Erkenntnis als Repräsentation des Gegenstandes

Der Geist ist als ein Vermögen der Geistseele bestimmt worden, mit dem sie die er-
kennbaren Dinge begreift und beurteilt. Diese Definition umfaßt damit auch die nähere
Bestimmung der Erkenntnis als die differentia specifica des Geistes, die »nichts ande-
res (ist) als die Aufnahme der erkennbaren Formen und ihre Beurteilung.«268 Martini
parallelisiert damit intellectus & intellectio bis in die Begrifflichkeit hinein miteinan-
der, um die Austauschbarkeit beider anzuzeigen: Der Geist ist nur in der Erkenntnis
(bzw. im weiteren Sinne im Denken), et vice versa. Auch Scheibler definiert die intel-
lectio auf ähnliche Weise als »Auffassen und Urteilen«, sieht diese operationes aber als
_________________________________________________________________________________________________________

titur: hoc verò de universalibus duntaxat intelligendum est, in quorum cognitione intellectus à sensi-
bus distinguitur.«
266
Vgl. Dannhauer, disp. VII, con. I, 190: »nam & ipse [sc. sensus] formas a)/neu u(/lhj suscipit, &
sane ut hic homo componitur ex hac materia, ita homo universalis ex materia communi, proinde nec
universale caret omni materia, sed intellectus materiale prius xwri/zei kai\ fwti/zei …«
267
Vgl. Martini, ex. XV, B1r.
268
Vgl. a. a. O., C3v: »Est [sc. intellectio] itaque nihil aliud, quam receptio specierum intelligibili-
um & earundem dijudicatio.«

346
Die aristotelische Psychologie im Luthertum

ein »Tätigsein der [ganzen] Seele«269 und nicht bloß des Geistes an. Denn diese actio
(e)ne/rgeia) als aktiver Vollzug des Erkennens sei eine operatio vitalis, eine die ganze
Seele des Menschen in seinem Wahrnehmen und Denken bestimmende Tätigkeit, die
folglich auf das principium vitale, die Seele selbst, bezogen werden müsse. Scheibler
weist damit (in Übereinstimmung mit Zabarella270) auf den engen Zusammenhang von
Erkenntnis und Wahrnehmung hin, der gemäß De An. II 11, 424a5f. ebenfalls das kri-
nei=n zukommt. Die alleinige Ursache der Erkenntnis sei folglich nicht das Intelligible,
wie Ägidius Romanus zu Recht betont habe. Mit der Bezeichnung der Erkenntnis als
Auffassen und Beurteilen verweisen Martini und Scheibler (erneut in Übereinstim-
mung mit Zabarella271) auf den passiven und aktiven Part des Geistes im Erkennen, der
eben nicht nur in der passiven Aufnahme der species intelligibilis besteht – sie wird
gemäß De An. III 4, 429a29 als ein Erleiden (pa/sxein) bestimmt, da sich die Gegen-
stände der Wahrnehmung wie dem Geist von sich her präsentieren –, sondern auch in
der aktiven Beurteilung des Erkannten als wahr oder falsch, gut oder schlecht, die ge-
mäß De An. III 6 die eigentliche Leistung des Geistes ist, die er aus sich selbst heraus
vollzieht. Sofern der intellectus possibilis auch intellectus patiens genannt wird, wird
damit allein auf seine Rezeption der intelligiblen Formen angespielt, nicht aber auf sei-
ne aktive Funktion des Beurteilens, die im Anschluß an diese Rezeption erfolgt (vgl.
hierzu auch 4.2.2.2.2.).
Auch Timpler hat diese aktive und passive Funktion der Erkenntnis betont, die er
etwas tautologisch als »die Erkenntnis des Gegenstandes als des erkennbaren Dinges,
insofern er erkennbar ist«272, definierte. Er lehnte damit die Ansicht nicht näher ge-
nannter Naturphilosophen ab, wonach die Erkenntnis aufgrund der Aufnahme der un-
körperlich-geistigen species intelligibiles eine rein passive sei. Denn »das Erkennen ist
kein Erleiden und Aufnehmen der erkennbaren Formen, sondern ein Erkennen des er-
kennbaren Gegenstandes.«273 Aus diesem Grunde verwarf er auch (wohl in der Nach-
folge von Durandus a S. Porciano) mit deutlichen Worten Aristoteles’ Einteilung des

269
Scheibler, pars III, disp. IV, 406: »Nunc de intellectione, qua est actio animæ, qua dicitur ap-
prehendere & judicare …«
270
Zabarella hat in seinem Kommentar zu De An. III 4, 429a10-13 betont, daß das ginw/skein
(cognoscere) in a10 etwas dem Geist und der Wahrnehmung Gemeinsames bezeichnet, denn auch die
Wahrnehmung erkennt, insofern in ihr etwas von etwas unterschieden wird (vgl. Zabarella, III [4], t.
1, 661A-D).
271
Vgl. 3.3.5., Anm. 429.
272
Timpler, lib. III, c. III (De intellectione & cogitatione naturali hominis), th. 4, 322: »Intellectio
est cognitio obiecti rei intelligibilis, quatenus est intelligibile.«
273
A. a. O., pr. 5, 325: »Communis opinio Physicorum est, intellectionem hominis esse passionem,
& sic receptionem speciei incorporeæ & spiritualis. Sed quod illa opinio omnino sit falsa, probatur ra-
tionibus sequentibus: 1. quia intelligere non est pati & recipere speciem intelligibilem, sed cognosce-
re rem intelligibilem.« Timpler radikalisiert damit Zabarellas, Martinis und Scheiblers Bestimmung
des intellectus als pati & agere, indem er dessen passives Moment gleichsam negiert. Dies ist aber
falsch, da das Erkennen nicht ohne ein Eingeprägtwerden der Formen geschehen kann.

347
De Anima

Geistes in einen intellectus patiens & agens in De An. III 4 und 5 als ein vanum & pu-
tidum figmentum, mit der bis jetzt beinahe alle Naturwissenschaftler unnütze Zeit ver-
geudet hätten. Wie nämlich das Erkennen allein und ausschließlich actio, nicht passio
sei, so sei auch das Erkenntnisvermögen selbst aktiv und nicht passiv, so daß die Ein-
teilung in einen intellectus patiens & agens falsch sei.274 Die causa efficiens principalis
der Erkenntnis ist für Timpler daher auf uneigentliche Weise teils die Geistseele selbst,
teils das Erkenntnisvermögen, teils der äußere und innere Sinn. Die nächste und eigent-
liche Wirkursache sei aber die »aktuelle Repräsentation des intelligiblen Gegenstandes
durch das dem Gehirn und dem Lebensgeist eingeprägte Bild.«275 Daß der Steinfurter
unter simulachrum bzw. imago nun nicht (nur) eine piktoriale (oder auditive, taktile
oder haptische) Repräsentation versteht, sondern (auch) die begriffliche Fassung des
Gegenstandes, die überhaupt erst eine Erkenntnis möglich macht, wird aus folgender
Anmerkung deutlich:
»Da der Mensch nichts erkennen kann, wenn ihm nicht der erkennbare Gegenstand durch ein
passendes oder unpassendes Bild repräsentiert wird, folgt, daß die Begriffe notwendig sind für
die Erkenntnis des Menschen. Die Begriffe sind nämlich nichts anderes als Bilder oder Nach-
bildungen der einzelnen wie der allgemeinen, außerhalb des Menschen existierenden Dinge.«276

Timpler beschreibt damit sehr genau den Zusammenhang von imago & conceptus, der
desto stärker ist, je konkreter ein Begriff ist, wie z. B. beim Begriff Körper, desto
schwächer jedoch, je abstrakter ein Begriff ist, wie dies beim Begriff Seele der Fall ist,
von der wir uns kein rechtes Bild machen können. Ist also keine Erkenntnis ohne die
Ausbildung eines Begriffs möglich, der – mit den Worten Hegels – »nur für das Den-
ken (ist)«277, wird deutlich, warum die Philosophie allein im Arbeiten am Begriff, der

274
Vgl. Timpler, lib. III, c. III, pr. 5, 326: »Ex his autem, quæ dicta sunt, licet colligere, quam va-
num & putidum sit figmentum illud Aristotelis de duplici intellectu agente & patiente; in quo tamen
explicando hactenus omnes ferè Physici tempus frustra & miserè consumpserunt. Sicut enim intellec-
tio hominis propria tantum [sic!] est actio, & non passio; ita etiam potentia intelligendi eiusdem pro-
pria tantum est activa, & non passiva.« Timpler hat diese Einteilung in einen intellectus patiens &
agens bereits an einer früheren Stelle kritisiert: »Quod enim de intellectu patiente & agente somniat
Aristoteles, id falsum esse patet ex ipsa utriusque definitione, in qua facultati intelligendi ea attribun-
tur, quæ partim organorum sunt propria, quibus intellectio perficitur, partim ipsius hominis, qui intel-
lectionem exercet.« (lib. III, c. II, pr. 3, 307) Timpler argumentiert hier also rein erkenntnistheoretisch
und verneint damit jede ontologische Differenz zwischen dem intellectus agens & intellectus possibi-
lis.
275
A. a. O., lib. III, c. III, th. 10, 321: »Proxima [sc. causa efficiens principalis intellectionis] est
repræsentatio actualis obiecti intelligibilis per simulachrum cerebro & spiritui animali impressum.«
276
A. a. O., pr. 9, 332: »Cum homo nihil intelligere possit, nisi obiectum intelligibile ei per imga-
ginem vel propriam, vel alienam repræsentetur; sequitur, conceptus necessario requiri ad intellectio-
nem hominis. Sunt enim nihil aliud conceptus quam imagines seu simulachra rerum tam singularium,
quam universalium extra hominem existentium.«
277
Hegel, Wissenschaft der Logik, Vorrede zur zweiten Ausgabe, in: Werke 5, 25. Hegels Philo-
sophie selbst ist nichts anderes als ein Arbeiten am Begriff. Vgl. hierzu nur die Einleitung zum eben
genannten Werk, wo es heißt: »Als Wissenschaft ist die Wahrheit das reine sich entwickelnde Selbst-
bewußtsein und hat die Gestalt des Selbsts, daß das an und für sich Seiende gewußter Begriff, der Be-

348
Die aristotelische Psychologie im Luthertum

die Repräsentation der Wirklichkeit ist, ihre Aufgabe und ihr Ziel finden kann. Daß
diese Erkenntnis die Schulphilosophie des 17. Jh.s prägte, ergibt sich auch aus einer
Anmerkung von Martini in seinen Exercitationum metaphysicarum libri duo278 und er-
klärt zu einem guten Teil ihren Begriffsformalismus, dem jedoch die Gefahr der Erstar-
rung immanent ist.
Wie kommt es nun aber zur Begriffsbildung und damit zur Repräsentation des Ge-
genstandes im Geist? Sofern die Begriffe imagines & simulachra sind, geht ihre Ent-
stehung für Timpler auf die sinnlichen Gegenstände zurück. Jeder von ihnen übermit-
telt dabei seine species sensibilis an die sinnlichen Organe, so daß die Form durch die
Vermittlung der Sinne vom Menschen wahrgenommen wird. Dies kennzeichnet den
Realismus dieser Philosophie, ihr Verwiesensein an das ens reale. Nach erfolgter
Wahrnehmung wird diese Form bzw. das Bild des sinnlichen Gegenstandes in das Ge-
hirn eingeprägt und gleichsam konserviert. Dieses Bild wird phantasma seu conceptus
singularis genannt. Aus diesem und vielen anderen ähnlichen Bildern bildet sich der
Geist dann im Gehirn durch Abstraktion den conceptus universalis279, der folglich kein
figmentum rationis ist, sondern eine qualitas realis, die direkt von den sinnlichen und
intelligiblen Objekten hervorgebracht wird. Daher ist der Allgemeinbegriff im eigentli-
chen Sinne nicht Gegenstand des Geistes, sondern durch seinen Verweischarakter eher
dessen instrumentum. Für Timpler sind die Begriffe dem Menschen dergestalt nicht
angeboren (im Sinne der koinai\ e)/nnoiai), sondern müssen von ihm selbst im Ausgang
von der Sinneswahrnehmung erst gebildet werden. Damit scheide auch die Möglichkeit
einer illuminatio aus – selbst jene durch Gott –, denn das Erwerben von Wissen sei al-
lein Sache des Denkens. Ein entsprechender Sprachgebrauch in der Hl. Schrift sei bloß
metaphorisch zu verstehen.280
Bei den Lutheranern findet sich eine ähnliche Beschreibung des modus intelligendi,
die sich aber darin auf charakteristische Weise von Timpler unterscheidet, daß an der
aristotelischen Ausdifferenzierung des Geistes in einen intellectus agens und intellec-
_________________________________________________________________________________________________________

griff als solcher aber das an und für sich Seiende ist. Dieses objektive Denken [sc. im Begriff] ist
denn der Inhalt der reinen Wissenschaft.« (A. a. O., 43) Vgl. ferner die §§ 19-25 der Enzyklopädie
der Wissenschaften, Erster Teil, Die Wissenschaft der Logik, in: Werke 8, 67-92.
278
Vgl. Martini, Exercitationum metaphysicarum libri duo, liber primus, ex. I, th. I, 9: »Constat
enim tum per Aristotelem lib. peri\ e(rm. c.1. tum per ipsam veritatem, scripturas non rerum, sed con-
ceptuum signa & imagines esse. Quum igitur Philosophia non conceptus & noh/mata: sed pra/gmata
ipsa, mediantibus conceptibus, quorum propria sedes est animus humanus, repræsentare debeat …«
279
Timpler, lib. III, c. III, pr. 9, 332: »Atque illi [sc. conceptus] quidem primum omnium oriuntur
à rebus sensibilibus, quatenus suas species ad organa sensuum transmittunt, ut iis mediantibus ab ho-
mine sentiantur. Peracta autem sensione species illæ seu imagines rerum sensilium cerebro & spiritui
animali imprimuntur, & sic ibi conservatæ, dicuntur phantasmata seu conceptus singulares. Ex his
postea homo quandocunque vult, elicit noemata, seu conceptus universales, qui sunt simulachra re-
rum universalium. Cerebrum igitur cum spiritu animali est sedes naturalis conceptuum humanorum.«
280
Vgl. a. O., pr. 10, 333f.: »Neque est quod obiiciat dicta Scripturæ sacræ, in quibus Deus dicitur
illuminate corda hominum. Illa enim illuminatio non propriè, sed tropicè est intelligenda. Quod enim
tenebræ & lumen sunt in mundo, præsertim ære, id est ignorantia & cognitio veritatis in homine.«

349
De Anima

tus possibilis festgehalten wird (vgl. hierzu 4.2.2.2.2.). Wie Timpler, so betont auch
Evenius den instrumentellen Charakter der phantasmata sensibilia und species intelli-
gibiles (bzw. ihrer entsprechenden Begriffe). Daher sind die species intelligibiles (in
erster Linie) nicht das quod intelligitur, wie Zabarella behauptet hat (vgl. 3.3.4.2.),
sondern das quo intelligitur: »Weil jedoch Gegenstand nicht die [erkennbare] Form
selbst ist, sondern das Ding durch die Form, die eher eine gewisse Weise des Erken-
nens ist, wie Scaliger … sagt, und dem Geist dient, rechnen wir sie [sc. die species in-
telligibiles] lieber zu den instrumentellen Ursachen.«281 Was versteht Evenius genauer
unter einem phantasma sensibile und einer species intelligibilis?
Das phantasma sensibile ist eine aus einer Wahrnehmung gewonnene piktoriale, au-
ditive, taktile oder haptische Repräsentation eines Gegenstandes, kurz: ein simulacrum.
Dieses Phantasma bewegt den intellectus agens, der im intellectus possibilis die spe-
cies intelligibilis hervorbringt. Die Frage, warum das Phantasma allein nicht zur Er-
kenntnis ausreicht, findet für Evenius seine Erklärung darin, daß es anders als die spe-
cies intelligibilis noch nicht vollkommen von den materiellen Bedingungen der species
sensibilis befreit ist. Dies bedeutet, daß die species intelligibilis nicht nur objektiv wie
das Phantasma – sofern sich beide auf ihren Gegenstand beziehen –, sondern auch for-
maliter intelligibel ist, da erst sie, und nicht schon das Phantasma, die immaterielle,
vom intellectus possibilis erkannte Form ist.282 Species intelligibilis und Phantasma un-
terscheiden sich also darin, daß jene von diesem eingeprägt wird und durch die Verei-
nigung des Geistes mit dem erkannten Gegenstand in ihn aufgenommen wird, während
dies beim Phantasma als forma producens, wie Evenius unter Berufung auf Zabarella
betont, nicht geschieht. Die species intelligibilis ist damit »weder eine Substanz noch
ein Akzidens, sondern die Darstellung oder das Bild des wesentlichen und akzidentel-
len Seienden«283, wie Scaliger zu Recht festgestellt habe. D. h., sie repräsentiert einen
materiellen Gegenstand, der in Wirklichkeit erkennbar ist, so Scheibler284, und ist da-
mit ein quo intelligitur.

281
Evenius, disp. XVII, B2r: »Sed simulacra potius illa, quæ vel remotius vel magis prope ad hanc
operam [sc. der Erkenntnis] faciunt, ut est Phantasma sensile & species intelligibilis; Quæ duo
quamvis ad objectum videantur proprie spectare, quia tamen objectum non est species ipsa, sed res
per speciem, quæ intelligendi potius quidam est modus, ut ait Scaliger l. d. sect. 21. & proinde intel-
lectui inservit, inter causas instrumentales ea maluimus referre.« Vgl. Scaliger, Exotericarum exerci-
tationum liber XV, ex. CCCVII, s. 21, 763: »Neque est species obiectum intellectionis: sed intelli-
gendi modus.«
282
Vgl. Evenius, disp. XVII, B2v: »Phantasma ergo sensile est illud, quod movet intellectum, &
ex quo in phantasia existente species producitur intelligibilis in Intellectu patiente, quæ non objectivè
tantum, ut phantasma, sed formaliter etiam est intelligibilis.«
283
Vgl. ebd.: »Quod si quæratur: Quid sit ea species intelligibilis? Respondemus neque substanti-
am esse neque accidens, sed Entis tàm substantialis quàm accidentalis similitudinem seu imaginem.«
284
Vgl. Scheibler, pars III, disp. IV, 402: »Cæterum, ut intellectus universalia cognoscat, opus ha-
bet abstractione eorundem à singularibus, quâ intellectus ministerio sensuum colligit ex rebus singu-
laribus species quasdam sive similitudines naturales, quibus res ipsæ sine ulla individuali differentia
(quales sunt hîc & nunc) repræsentatantur hoc ordine …« A. a. O., 406: »Nam sicut dantur species

350
Die aristotelische Psychologie im Luthertum

Daß diese Repräsentation der species intelligibilis das Ergebnis einer Abstraktion
unter Absehen von den individuellen Bedingungen des Einzelnen ist, wird bei Evenius
aus der (logischen, nicht generischen) Beschreibung der intellectio als eines Erkennt-
nisprozesses deutlich, die er unter Berufung auf Piccolomini gibt: Danach wird die
species sensibilis eines außerhalb des Geistes existierenden Dings durch die äußeren
Sinne aufgenommen und an das Vorstellungsvermögen ‘übergeben’. Dort wird sie
durch die Vergegenwärtigung des Gegenstandes zum Phantasma, wobei sie noch mit
den materiellen Bedingungen behaftet ist. Dieses Phantasma bewegt den intellectus
agens, der es wiederum erleuchtet und durch die Abstraktion von der Zeit, dem Ort
und den anderen individuellen Umständen reinigt und so die species intelligibilis her-
vorbringt. Erst diese, und nicht schon die species sensibilis, ist das in Wirklichkeit Er-
kennbare, weil nur sie vollkommen immateriell ist, ein, mit Thomas gesprochen, esse
intentionale sive spirituale (vgl. 3.3.4.1.) hat, das allein vom immateriellen Geist er-
kannt werden kann. Diese species intelligibilis prägt nun der intellectus agens dem in-
tellectus possibilis als ein wirklich Erkennbares ein, der diese Form in Hinsicht auf ihre
Ursachen, Eigentümlichkeiten, Akzidentien etc. untersucht und sie so zu einer erkann-
ten Form (species intellecta) macht.285 Von der Wahrnehmung des Einzelnen über die
Bildung eines Phantasmas kommt es so zur Prägung einer species intelligibilis, die
nichts anderes ist als der abstrakte, von seinen individuellen Eigenschaften abgezogene
Gegenstand selbst oder, nochmals mit Scheiblers Worten, die immaterielle Repräsenta-
tion des Gegenstandes286 und damit der Begriff selbst. Und in diesem Zustand des Ha-
bens der species intelligibilis hat der Geist ein Wissen von diesem und jenem (einzel-
nen) Gegenstand als ein Allgemeines, ist er dasselbe wie der erkannte Gegenstand
selbst »gemäß der Repräsentation«287, so Evenius, und zwar »auf geistige Weise«288,
wie Martini unter Hinweis auf De An. III 4, 430a2-5 betont.

_________________________________________________________________________________________________________

sensiles, quæ sensui repræsentant objectum sensile, apud Aristot. l. 2. de anima [sc. II 12, 424a17-
24], ita etiam dandæ sunt species intelligibiles, quæ intellectui repræsentent suum objectum. Neque
enim ipsa substantia vel res intellecta est in intellectu. … Cæterum species intelligibilis … est acci-
dens spirit[u]ale, quod a phantasia intellectui transmissum rem materialem repræsentat.«
285
Vgl. Evenius, disp. XVII, B2v: »Hinc ergo Intellectio sequitur ipsa hoc modo: Rei extra men-
tem existentis species sensibus percepta externis & ad phantasiam delata & materialibus adhuc condi-
tionibus, quas ta\ ku/kl% vocat Aristoteles, immersa & implicita, movet Intellectum agentem, qui ex-
citatus phantasma hoc illuminat, & abstractione temporis, loci aliarumque circumstantiarum purgat &
speciem exinde intelligibilem elicit, intellectuique possibili imprimit, qui receptam examinat ulterius
investigando causas, propria, accidentia, effecta, partes & similia.«
286
Vgl. Scheibler, pars III, disp. IV, 402f.: »Sensus externi percipiunt speciem rei singularis, quam
offerunt sensui interno, qui præbet phantasiæ occasionem haurendi aliâ phantasmata, quæ cum adhuc
quadantenus materialia sint, depurantur & illustrantur lumine mentis agentis, ut in intellectum patien-
tem species intelligibiles imprimere possint, quæ species intelligibiles tum sine ulla singularitatis ad-
mistione naturas universales repræsentant.«
287
Vgl. Evenius, disp. XVII, B3r: »Intellectum nostrum fieri rem ipsam secundum similitudinem
…«

351
De Anima

Nachdem die Weise des Erkennens näher bestimmt worden ist, stellt sich abschlie-
ßend die Frage nach dem ordo intelligendi: Erkennt der Geist zuerst (generisch, nicht
logisch) das Einzelne oder das Allgemeine? Für Scheibler »(erkennt) der Geist das
Einzelne früher als das Allgemeine.«289 Wie Martini290, so folgt er damit der Ansicht
Toletus, Zabarellas und der Conimbricenser (vgl. 3.3.7.), deren Implikationen hinsicht-
lich des damit zugrundeliegenden Erkenntnisbegriffs Scheibler der Erörterung des ordo
intelligendi unter Berufung auf Pererius voransetzt291: 1. Es geht um eine geistige, nicht
sinnliche Erkenntnis. 2. Diese cognitio intellectiva ist wiederum keine cognitio distinc-
ta – denn hier ist ohne Zweifel das Allgemeine das Ersterkannte, da wir bei einer sol-
chen Erkenntnis die Ursache eines Gegenstandes wissen –, sondern eine cognitio cras-
sa & confusa, eine undeutliche Erkenntnis, von der wir im natürlichen Prozeß des Er-
kennens ausgehen, wenn wir nur die Wirkungen, nicht aber die Ursache eines Gegen-
standes kennen, wie Scheibler unter Hinweis auf die Conimbricenser und Zabarella be-
tont.292 Damit liegt hier, auch wenn Scheibler dies nicht eigens erwähnt, der ordo na-
turæ zugrunde. 3. Bei der cognitio confusa wiederum geht es nicht um eine cognitio
complexa, sondern um das einfache Auffassen der Dinge (simplex apprehensio rerum).
4. In Frage steht das Ersterkannte in Hinsicht auf den Vorrang der Zeit und des Ur-
sprungs, nicht der Dignität.
Im Blick auf diese Bestimmungen des zugrundeliegenden Erkenntnisbegriffs ergibt
sich für Scheibler, daß weder das mehr noch das weniger Allgemeine das Ersterkannte
ist.293 Anders als Zabarella, der die Frage, ob das Ersterkannte das mehr oder weniger
Allgemeine sei, unabhängig von der Frage erörterte, ob das Einzelne oder das Allge-
meine das Ersterkannte sei, bezieht Scheibler beide Fragen aufeinander. Während für
Zabarella (vgl. 3.3.7.2.) dabei das Ersterkannte in der aktuell-ursprünglich-undeut-
_________________________________________________________________________________________________________
288
Martini, ex. XV, B2v: »Cùm porrò Intellectus cum re intelligibili debeat uniri, species intelligi-
bilis producitur & introducitur, per quam res intellecta & ipse intellectus unum redduntur, non qui-
dem per naturam, sed intelligibiliter, ut inquit Philosophus.«
289
Scheibler, pars III, disp. IV, 403: »Intellectus priùs cognoscit singulare, quàm universale.«
290
Vgl. Martini, ex. XV, B1v-B2r.
291
Vgl. Scheibler, pars III, disp. IV, 403.
292
Vgl. a. a. O., disp. V (De distinctionibus intellectus & intellectionis, sive cognitionis), 414:
»Cognitio distincta est, quâ rem omnibus, quæ in ea continentur, enucleatè inspectis, cognoscimus,
veluti cùm hominem sic intelligimus, ut explicata perceptione cuncta ejus essentialia prædicata te-
neamus. Confusa cognitio est, quâ rem iis, quæ in ea continentur, promiscuè tantum ac permixtim co-
gnitis, apprehendimus.« Vgl. auch Martini, ex. XV, B2r: »Ut quæstio hæc [sc. was das Ersterkannte
ist] rectè decidatur, distinguendum est inter cognitionem distinctam & confusam. Confusa cognitio
est quando totum quoddam, ijs, quæ in eo habentur, confusè & promiscuè cognitis, apprehendimus.
Cognitio verò distincta est, quando totum omnibus, quæ in eo habentur, perfectè & exquisitè cognitis,
intelligimus. Ad distinctam itaque cognitionem quod attinet non inficias imus, eâ non cognosci posse
singularia ante universalium cognitionem: Verùm quoad confusam cognitionem rectissimè contra
Thomam & ejus sectatores probatum est, primum cognitum singulare esse.«
293
Vgl. Scheibler, pars III, disp. IV, 403f.: »Nunc ad hanc rem dico primò: Magis universale non
est primum cognitum. … Secundò: minus universale non est primum cognitum.«

352
Die aristotelische Psychologie im Luthertum

lichen Erkenntnis das am meisten Allgemeine und nicht das weniger Allgemeine ist,
erörtert Scheibler diese Frage überhaupt nicht, sondern sieht sie sogleich im Zusam-
menhang mit der Frage, ob das Einzelne oder das Allgemeine das Ersterkannte sei.
Von hier aus gesehen, kann es keinen Zweifel an folgender Aussage geben: »Das All-
gemeine wird nur durch die Abstraktion vom Einzelnen erkannt. Also ist es notwendig,
daß zuerst das Einzelne erkannt wird, weil das Abstraktum nicht erkannt werden kann,
wenn nicht jenes erkannt wird, von dem es abstrahiert wird …«294 Damit gelangt
Scheibler zwar zum gleichen Ergebnis wie Zabarella, es bleibt aber unklar, wie er von
hier aus den ganzen Themenkomplex aus Phys. I 1 erklären will. Denn dort betont Ari-
stoteles ja gerade, daß das Ersterkannte im ordo naturæ das undifferenziert Allgemeine
ist. Offensichtlich hat Scheibler diesen ganzen Problemkreis hier nicht im Blick.295
Im Zusammenhang mit der Erkenntnistheorie erörterten den Lutheraner auch die
Frage nach der Selbsterkenntnis, genauer nach der Erkenntnis des Geistes. Vor dem
Hintergrund, daß das Erkennen die Repräsentation eines äußeren, materiellen Gegen-
standes ist, ist klar, daß der Geist sich nicht auf diese direkte Weise selbst zum Gegen-
stand werden kann, denn er kann sich als etwas Immaterielles nicht selbst mithilfe ei-
ner species intelligibilis repräsentieren. Scheibler unterscheidet daher unter Berufung
auf Scaliger zwischen einer cognitio recta vel reflexa. Jene ist diejenige Erkenntnis,
wodurch der Geist den äußeren Gegenstand durch ein einfaches Erfassen erkennt. Bei
der reflexiven Erkenntnis biegt sich dagegen der Geist auf sich selbst zurück, und da-
bei erkennt er sich selbst in seinem Erkenntnisakt, d. h. er erkennt, daß er es ist, der er-
kennt. In dieser Selbsterkenntnis trennt sich der Geist nicht von sich selbst, indem er
sich sich selbst als einen anderen gegenüberstellt, sondern er verdoppelt sich in gewis-
ser Weise im Erkennen des äußeren Gegenstandes und seiner selbst, wie Scaliger be-
tont.296 Auch Dannhauer hält eine Selbsterkenntnis des Menschen nur über die Vermitt-

294
A. a. O., 404: »Universale non cognoscitur nisi per abstractionem à singulari. E. necesse est
prius cognosci singulare, quia non potest cognosci abstractum, nisi cognoscatur illud, à quo abstraha-
tur …«
295
Evenius erörterte zwar die Frage nach dem Ersterkannten in Hinsicht auf das mehr oder weni-
ger Allgemeine, nicht aber, ob das Einzelne oder das Allgemeine das Ersterkannte ist. In Beantwor-
tung jener Frage, für die er auf die ausführlichen Erörterungen von Thomas, Piccolomini, Zabarella
und die Conimbricenser verwies, folgte er ganz Zabarellas Begrifflichkeit und Lösung, wonach in der
cognitio actualis originalis confusa das Ersterkannte das am meisten Allgemeine, in der cognitio ha-
bitualis confusa dagegen je nach Belieben das Ersterkannte das mehr oder weniger Allgemeine oder
das Einzelne sei: »Primum cognitum, de quo Thomas, Piccolomini, Zabarella, Conimbricense & alij
fusè disputant, cognitione actualis originalis confusa esse maximè universale … De cognitione verò
habituali confusa si quæratur, absente objecto intellectus & universale & singulare pro lubitu expro-
mere & contemplari potest.« (Disp. XVII, B3v)
296
Vgl. Scheibler, pars III, disp. V, 416: »Cognito est recta vel reflexa. Et recta sive directa est,
quâ anima cognoscit ea, quæ extrinsecus cognoscenda objiciuntur. Reflexa est, quando ipsa in se
ipsam recurvatur & reflectitur, cognoscendo & se, & actus suos, nempe quod cognoscat. Vide Scal.
…« Bei Scaliger heißt es: »intellectus noster non intelligit se per speciem: sicuti cætera entia materia-
lia: sed per reflexionem. Hoc autem in immaterialibus , & facile, & semper fit. Sunt enim eius actio-
nes duæ: una recta, altera reflexa. Prima quidem cognoscit aliquid. Secunda cognoscit se & cognosce-

353
De Anima

lung der immateriellen Form eines materiellen Gegenstandes für möglich: Aus den
Denktätigkeiten ermittelt der Geist hierbei in einem discursus, in einem Hin und Her
zwischen dem Gegenstand und seinem Erkennen auf indirekte Weise die Erkenntnis
seiner selbst. Diesen discursus nennt Dannhauer treffend auch eine circulatio, einen
Kreislauf, der sich um das Erkennen des anderen und seiner selbst herum vollzieht.297
Den von den Anhängern Augustins298 vorgebrachten Einwand, daß der Seele nichts ge-
genwärtiger sei als ihr Wesen, widerlegt er dabei wie folgt: Der Geist ist sich selbst
gegenwärtig nur im Sein des Gegenstandes, nicht in der Weise des Erkennens. Denn für
das Erkennen bedarf er der species intelligibilis des Gegenstandes, so daß er immer an
dessen Sein verwiesen bleibt. Ein In-sich-selbst-Bleiben, eine Introspektion ist daher
ohne Erkenntnis, weil es ‘nichts’ zu erkennen gibt. Deshalb, so Dannhauer, ist der
Geist sich selbst gegenwärtig nur »im Sein des Dings, nicht aber in der Weise des
[Selbst-]Denkens«, oder er sich selbst gegenwärtig »auf entitative Weise«, da er im
Sich-selbst-Denken der ihm äußerlich seienden Dinge bedarf, und nicht »auf objektive
Weise«299, indem er sich sich selbst als einen Gegenstand gegenüberstellt, was unmög-
lich ist. Maclean nennt diese entitative Weise der Selbsterkenntnisse zu Recht eine
»existentielle«, da sie nur über das Anwesendsein von Seienden realisiert werden kann:
»The mind’s self-awareness is therefore an understanding of itself of an ontological, even
perhaps hermeneutic kind … that is to say, that it moves from the known (the object of percep-
tion) to the unknown of which the known is a sign (the mind itself).«300

Die entitative Selbsterkenntnis ist also der Grund, weshalb es überhaupt so etwas wie
eine Philosophie des Geistes geben kann: Wenn der Geist sich selbst intuitiv erkennen
könnte, ohne aus sich herausgehen, ohne etwas anderes erkennen zu müssen, dann gä-
be es keine Philosophie des Geistes, weil er sich selbst genug wäre, weil er sich ‘schon
immer’ erkannt hätte, nicht erst nach einer Selbsterkenntnis streben müßte. Dabei be-
stätigt die eigene Erfahrung den aristotelischen Sachverhalt, daß eine Erkenntnis des
Geistes nur über die Erkenntnis eines äußeren Gegenstandes erfolgen kann. Genau dies
_________________________________________________________________________________________________________

re, & cognoscendi habere potestatem. Qua reflexione seipsum, tametsi non disiungit, tamen geminat.«
(Exotericarum exercitationum liber XV, ex. CCCVII, s. 2, 731)
297
Vgl. Dannhauer, disp. VII, con. I, 194: »… etiam intellectus ad seipsum contemplandum requi-
rit speciem rei materialis, foris enim ex actibus colligit per discursum à posteriori seipsum, nam dum
sensus percipit per modum quasi rectum, intellectum seipsum intelligit per circulationem …«
298
Merkwürdigerweise berief sich Scheibler für die Ansicht einer diskurisven Selbsterkenntnis
auch auf Augustin, obgleich der gemeinhin als ein Vertreter der intuitiven, nicht über den Gegenstand
laufenden Selbsterkenntnis angesehen wurde: »De posteriori hac cognitioni [sc. reflexa] controversia
non levis. Sunt enim qui putant, animam nec in se nec in actu suo reflecti. Sed præterquam quod res
ipsa se luculente declaret, docet id Augustinus l. 9. de Trinitate c. 3. cùm inquit: Mentem per se ipsam
nosse, quia incorporea est.« (Scheibler, pars III, disp. V, 416f.)
299
Vgl. Dannhauer, disp. VII, con. I, 194: »Quamvis intellectus sibi sit satis præsens in esse rei,
non tamen in modo cognoscendi, quo indiget specie ad se cognoscendum, omnia enim cognoscimus,
ut aliquando sensata, quod alii exprimunt; Intellectus est sibi præsens entitativè, non objectivè.«
300
Ian Maclean, Language, 311.

354
Die aristotelische Psychologie im Luthertum

beschreibt Dannhauers discursus des Geistes mit den Gegenständen. Wie sie ihm be-
gegnen, und wie er sie in den einzelnen philosophischen Disziplinen zur res considera-
ta macht, ist dabei die Grundlage für die Unterscheidung der theoretischen und prakti-
schen Wissenschaften. Von hier aus wird auch ersichtlich, warum die Frage nach der
Erkenntnis des Geistes danach drängt, die verschiedenen Disziplinen, die sich mit die-
ser Thematik beschäftigen, nämlich die Psychologie, Metaphysik, Logik und Noologie,
in der einen umfassenden Philosophie des Geistes zu sammeln, die seinen Begriff rea-
lisiert.

4.2.2.2.2. Die Einheit des Geistes in der Erkenntnis

Es ist bereits erwähnt worden, daß die Lutheraner anders als Timpler an der aristoteli-
schen Ausdifferenzierung des Geistes in einen intellectus agens und intellectus possibi-
lis festgehalten und beide als ein Vermögen der menschlichen Seele bestimmt haben.
Die Fragen, worin die Notwendigkeit für diese Ausdifferenzierung besteht und wie die
dem intellectus patiens und intellectus agens in De An. III 4 und 5 beigelegten Attribu-
te genauer zu verstehen sind, wurden systematisch entweder wie bei Martini, Evenius,
Dannhauer und Leuschner im Rahmen des umfassenden Locus De intellectu erörtert
oder wie bei Scheibler innerhalb eines De distinctionibus intellectus & intellectionis
genannten Locus. Die vorliegende Überschrift verweist dabei auf das Ziel dieser Erör-
terung, nämlich die Einheit des Geistes in seinen vielfältigen Funktionen zu erweisen.
Die Lutheraner betonten eingangs, daß der Geist seinem Wesen nach einer, seiner
Tätigkeit nach aber vielfältig ist. So heißt es bei Scheibler: »Wenn auch die Seele und
der Geist ein einfaches und unteilbares Wesen besitzt, wie Aristoteles sagt, so wird er
wegen der Verschiedenheit der Vermögen und Tätigkeiten auf verschiedene Weise un-
terschieden«301, so daß er sich hinsichtlich seiner Vermögen ausdifferenziert in einen
intellectus patiens & agens und hinsichtlich seiner Tätigkeit in einen intellectus specu-
lativus & practicus. Den Grund für jene Ausdifferenzierung erkannten Martini und
Evenius im Anschluß an De An. III 5, 430a10-19 in der Tatsache, daß nichts sich selbst
von der Möglichkeit zur Wirklichkeit, von der Passivität zur Aktivität führen könne.302
301
Scheibler, pars III, disp. V, 409: »Etsi anima adeoque & intellectus sit essentia simplex &
a)me/ristoj, dicente Aristotele, tamen propter varietatem potentiarum & operationum variè distingui-
tur.«
302
Vgl. Martini, ex. XV, B2v: »Atque hinc oritur distinctio Intellectus in agentem & patientem.
Existimavit enim Aristoteles in mente humana præter id, quod aptum est fieri omnia, quodque mate-
riæ rationem & locum obtinet, dandum adhuc esse aliquid, formæ rationem sustinens, quod sit aptum
facere omnia, scilicet actu intelligibilia. Atque ita (ut ait Alexander Aphrod. in 2. de an. c. 18.) agen-
tem intellectum per analogiam introduxit. Quemadmodum enim in alijs rebus omnibus est agens, &
patiens, & quod ex utroque proficiscitur: Ita putavit, non tantùm patientem intellectum dandum esse,
sed & agentem, qui actu intellectus sit; cum nullus actus nisi per actum producatur …« Evenius, disp.
XVII, B3r: »Intellectionem esse & Actionem & Passionem, quatenus complexu suo utriusque generis
operationes involvit, & proinde necessariò intellectum agentem & patientem esse ponendum, cùm ni-
hil semet à potentia ducat ad actum.« Wie bereits im Zusammenhang mit dem Renaissance-

355
De Anima

Sofern nämlich der intellectus patiens alles wird, da er alle intelligiblen Formen in sich
aufnehmen kann, bedarf es der Setzung eines intellectus agens, der alles intelligibel
macht und der jene Eigenschaft des intellectus patiens, alles zu werden, in die Wirk-
lichkeit überführt, in der er gewissermaßen alles Seiende ist (vgl. De An. III 8,
431b21). Diese Ausdifferenzierung ist daher für Evenius nicht so zu verstehen, als ob
es zwei der Sache nach voneinander unterschiedene Geister gäbe, »sondern der Sache
nach ist es ein Geist, der, insofern er die erkennbaren Formen offenbart, der tätige
Geist ist, insofern er deren Zugrundeliegendes ist, der erleidende oder materielle Geist
ist.«303 Oder in den Worten von Scheibler:
»Was aber zur Unterscheidung des tätigen und erleidenden Geistes gehört, sagen wir erstens,
daß der tätige und erleidende Geist sich nicht hinsichtlich des Wesens voneinander unterschei-
den. Wie sich auch der tätige Mensch nicht vom erleidenden Menschen unterscheidet. Denn wir
glauben, daß hier durch beide Geister die Geistseele in Hinsicht auf die Erkenntnis bezeichnet
wird. Aber die Seele kann sich nicht wirklich von sich selbst unterscheiden. Zweitens: Das akti-
ve und das passive Vermögen des Erkennens unterscheiden sich wirklich voneinander. Sie sind
nämlich [verschiedene] Qualitäten der Seele selbst …«304

Intellectus patiens & intellectus agens sind also zwei verschiedene Vermögen ein und
derselben Seele, so daß sie sich nicht substantialiter bzw. secundum esse, voneinander
unterscheiden, sondern nur realiter bzw. secundum operationem in Hinsicht auf ihren
Part im Erkenntnisprozeß.305
Hieraus ergab sich für die Lutheraner und Pacius die Ablehnung von Alexanders,
Portios und Zabarellas Ansicht, wonach der intellectus agens Gott bzw. eine göttliche

_________________________________________________________________________________________________________

Aristotelismus betont wurde (vgl. 3.3.5., Anm. 394), überzeugt dieses Argument nur dann, wenn sich
intellectus agens & patiens substantialiter voneinander unterscheiden. Dies ist aber bei den Luthera-
nern nicht der Fall, wie das Nachfolgende verdeutlichen wird.
303
Evenius, dips. XVII, B2r: »Non autem ita cogitandum quasi duplex eiusmodi dicatur Intellectus
re distinctus … sed re unus est, qui quatenus enudat species, agens est, quatenus earum est subjectum
patiens seu materialis.«
304
Scheibler, pars III, disp. V, 410: »Quod verò attinet ad distinctionem intellectus agentis & pati-
entis, dicimus nos primò: Ipsum intellectum agentem & patientem non differe substantialiter. Sicut
neque homo agens differet à se patiente. Nam per intellectum utrinque putamus hîc significari ipsam
animam rationalem in respectu ad intellectionem. At anima ipsa non potest à se differre realiter. Se-
cundò: Potentia intelligendi activa & potentia intelligendi passiva differunt realiter. Sunt enim illæ
qualitates [sc. diversæ] ipsius animæ …« Auch Dannhauer vertrat diese These diese, ohne sie weiter
zu begründen: »Q. 3. Intellectus agens & patiens num different realiter? Nihil cogit realem diversita-
tem agnoscere …« (Disp. VII, con. II, 208 [richtig: 198])
305
Unterscheiden sich beide nicht wesentlich voneinander, sind vielmehr der Sache nach eines, so
entfällt die Möglichkeit, zwischen beiden eine ontologische Differenz zu setzen, nämlich die, den in-
tellectus agens als unsterblich, den intellectus possibilis dagegen als sterblich zu setzen. Konsequent
war hierin nur Scheibler. Freilich geschah dies auf Kosten einer Nichtberücksichtigung der verschie-
denen Attribute aus De An. III 4 und 5, die er überhaupt nicht erörterte. Er hätte sie aber nach dem
bisher Gesagten wie Luther epistemologisch, nicht ontologisch verstehen müssen. Martini und Eveni-
us interpretierten die Attribute dagegen ontologisch, wie das Nachfolgende verdeutlichen wird.

356
Die aristotelische Psychologie im Luthertum

Kraft sei. Scheibler nannte diese Ansicht »absurd«306 und Evenius »wahnsinnig«307.
Auch für Pacius »irren«308 die Anhänger einer solchen Ansicht, und für Martini ist sie
»von der Wahrheit selbst entfernt«309. Hierfür benannte man u. a. die folgenden drei
Gründe: 1. Jedes agens naturale perfectum hat ein ihm eigenes Vermögen, tätig zu
sein, so daß es das macht, was ihm natürlich ist. Der Mensch aber ist ein solches agens
naturale perfectum. Also hat er auch das ihm eigene Vermögen, tätig zu sein. Da seine
eigentümliche Tätigkeit die Erkenntnis ist, muß er über das Vermögen der Erkenntnis
verfügen. Denn es wäre absurd, wenn der Mensch an ein anderes verwiesen bleibt, das
das Denken erst ermöglicht, so Scheibler.310 2. Für Martini ist Thema in De An. III 4
und 5 nicht die forma assistens & externa, sondern die forma informans & intrinsecus
operans (sic!), d. h. der menschliche Geist. Daher habe Aristoteles den intellectus
agens in 430a14 eine Differenz in der Seele genannt, wie auch Philoponus zu Recht
betont habe.311 3. Alles, was wird, wird in etwas und aus etwas. Nun wird das Allge-
meine bzw. Intelligible im intellectus patiens. Also bedarf es noch etwas, aus dem es
wird, und dies ist der intellectus agens als ein principium activum. Denn jedes passive
Element braucht ein aktives Element, da sich in der Natur nichts von selbst aus der
Möglichkeit in die Wirklichkeit bringen kann. Der menschliche Geist verfügt aber über
die Möglichkeit des Erkennens, wird also alles in der Aufnahme der intelligiblen For-
men. Wer aber alles wird, für den ist das Erkennen ein Erleiden (vgl. De An. III 4,
429b24f.). Damit er nun das Intelligible wirklich erkennen kann, muß etwas das in
Möglichkeit Intelligible zu einem wirklich Intelligiblen machen, und dies ist der intel-
lectus agens. Intellectus patiens & intellectus agens bedingen also einander: »Bei Ta-
geslicht betrachtet ist es klarer: Wo ein erleidender Geist gesetzt wird, dort muß auch
ein tätiger Geist gesetzt werden. Wird dieser aufgehoben, dann auch jener«312, wie

306
Scheibler, pars III, disp. V, 409: »Ubi in principio notanda est absurda sententia Zabarellæ, qui
in lib. de mente agente, c. 11. Intellectum agentem & patientem esse duas substantias essentialiter di-
stinctas ait, & illam esse formam immaterialem, & à materia prorsus abjunctam. Et addidit c. 12. In-
tellectum agentem non posse esse ullam intelligentiam præter illam, quæ movet orbes cœlestes.«
307
Evenius, disp. XVII, B3r-v: »Vanam esse Alexandri & Zabarellæ opinionem quod, quia Deus
maximè omnium sit intelligibilis, & in genere intelligibilium primum, intellectus agens nihil aliud sta-
tui possit, nisi ipse Deus.«
308
Pacius, lib. III, c. VI, 379: »Quapropter errant, qui ex his verbis colligunt intellectum agentem
esse Deum.«
309
Martini, ex. XV, B3r: »Alexander … Deum, Avicenna … Dæmonem seu Intelligentiam, homini
assistentem, statuerunt. Verumenimverò & ab Aristotele & à veritate ipsa hæc sententia aliena est.«
310
Vgl. Scheibler, pars III, disp. V, 409f. Wie gesehen, haben weder Portio noch Zabarella be-
hauptet, daß der intellectus agens das Denken des menschlichen Geistes im Sinne einer unmittelbaren
Einwirkung ermöglicht; vielmehr ermöglicht er die allgemeine Erkennbarkeit von Welt überhaupt.
311
Vgl. Martini, ex. XV, B3r.
312
A. a. O., B3v: »… luce meridianâ clarius est, posito intellectu patiente, poni & agentem, & hoc
sublato etiam illum tolli.«

357
De Anima

Martini betont. Folglich sei der intellectus agens »Teil der Seele und Form der
menschlichen Seele.«313
Von hier aus betrachtet wird nochmals deutlich, wie unhaltbar die These von der
Unsterblichkeit der menschlichen Seele ist (vgl. 4.2.2.1.). Sofern nämlich der intellec-
tus agens Teil und Form der Seele im Sinne der forma informans ist, bleibt vollkom-
men unerklärlich, wie die Bestimmung des intellectus agens als a)qa/natoj kai\ a)i+/dioj
in De An. III 5, 430a23 damit vereinbart werden kann. Denn eine forma informans
kann nicht zugleich abtrennbar und unsterblich sein im Sinne einer forma assistens.
Gleiches gilt für die übrigen vier Attribute des intellectus agens in De An. III 5,
430a17f. (abtrennbar, inaffizierbar, unvermischt und seinem Wesen nach Wirklich-
keit314), die nicht ontologisch, sondern epistemologisch verstanden werden müßten.
Daß weder Martini noch Evenius315 und Pacius dies getan haben, ist ihrer These von
der Unsterblichkeit der menschlichen Seele secundum Aristotelem geschuldet, die der
Sache nach aber unhaltbar ist und von Dannhauer und Scheibler auch so erkannt wor-
den ist. Dies wird die nachfolgende Erörterung aller Attribute des intellectus agens &
intellectus possibilis bei Martini und Pacius nochmals belegen.
1. Für beide kommt die Bestimmung des Abgetrenntseins (xwristo/j, separabilis) so-
wohl dem intellectus possibilis (vgl. De An. III 4, 429b4f.) als auch dem intellectus
agens (vgl. III 5, 430a17) secundum operationem zu, da beide immateriell sind und
kein körperliches Organ gebrauchen, anders als z. B. das Sehen, das ohne das Auge
nicht vollzogen werden kann. Wenn nämlich beide eines körperlichen Organs bedürf-
ten, dann wären sie dadurch bereits in ihrem Freisein von jeder Bestimmung be-
schränkt.316 In diesem Falle könnte dann der intellectus possibilis nicht alles werden
und der intellectus agens nicht alles machen. Dieser Identität secundum operationem
entspricht nun für Martini und Pacius eine Differenz secundum esse. Wie nämlich der
intellectus possibilis gemäß 430a24f. seiner Natur nach vergänglich ist, weil er vom
Körper secundum esse nicht abtrennbar ist, so ist der intellectus agens gemäß 430a23
unsterblich, »weil allein dieser Geist vom Körper abgetrennt wird [und zwar hinsicht-
313
Vgl. a. a. O., B3r: »Est igitur intellectus agens pars animæ & forma humanæ animæ …«
314
Vgl. Aristoteles, De An. III 5, 430a17f.: »kai\ ou(=toj o( nou=j xwristo\j kai\ a)paqh\j kai\
a)migh/j, tv= ou)si/# w)\n e)ne/rgeia.«
315
Vgl. Evenius, disp. XVII, B2r: »Unde præstantiam ipsius Intellectus agentis accuratius expen-
dens Philosophus lib. 3. de anima. § 19. titulos honorarios illi tribuit, quod sit xwristo\j kai\ a)mighÜj
kai\ a)paqh\j, tv= ou)si/# w)\n e)ne/rgeia; nec enim organo corporeo est affixus, nec ex perceptis corpo-
ribus concretus, sed omnis expers passionis & corruptionis, quo ipso homo Deo superisque mentibus
evadit simillimus.«
316
Vgl. Pacius, lib. III, c. VI, 380: »Declarat [sc. Aristoteles] aliquot attributa huius intellectus
agentis. Primo est separabilis, id est, non organicus, & omnino non utitur corpore. Ne intelligas esse
separabilem à corpore, quia sine corpore consistat post hominis mortem: nam hoc postea discursus
est. Sed intellige, quandiu homo vivit, intellectum agentem esse à corpore ominio separatum: quia si-
ve eius essentiam, sive eius operationem spectemus, non utitur corpore. Idem supra diximus de intel-
lectu patiente.« Dort hieß es knapp: »Consequens est, intellectum esse separatum ab omnibus rebus.«
(A. a. O., c. V, 370)

358
Die aristotelische Psychologie im Luthertum

lich des Seins!] und nach dem Tod des Menschen verbleibt.«317 In Martinis Worten
heißt dies: Der intellectus agens »ist von der allgemeinen Gemeinschaft mit dem Kör-
per nicht nur hinsichtlich seiner Tätigkeit abtrennbar, sondern auch hinsichtlich seiner
Substanz. Er ist nämlich unsterblich und besteht auch an sich nach dem Vergehen des
Körpers fort.«318 Erst im Zustand des Abgetrenntseins secundum esse ist dieser intellec-
tus agens also das, was er wesentlich ist (vgl. a23f.). Diese Eigenschaft kommt dem in-
tellectus possibilis so nicht zu, da er ein Kompositum und gemäß 430a24f. seiner Natur
nach vergänglich ist. Wie Zabarella und Portio, erkannten also auch Pacius und Martini
eine ontologische Differenz zwischen dem intellectus agens & intellectus possibilis,
mit dem entscheidenden Unterschied freilich, daß für die Italiener der intellectus agens
Gott selbst bzw. eine göttliche Kraft ist, für Pacius und Martini aber ein Vermögen der
menschlichen Seele. Letzteres ist aber unmöglich: Wie sollten sich zwei Vermögen,
die simplex in essentia sind, sich zugleich ontologisch wesentlich voneinander unter-
scheiden können, so daß das eine Vermögen hinsichtlich seiner Substanz abtrennbar
ist, das andere aber nicht? Was für eine Einheit sollte dies sein? Und wie sollte es mög-
lich sein, daß ein Vermögen der Seele sterblich, das andere aber unsterblich ist? Wel-
che monströse Form müßte einer solchen Seele zukommen? Müßte sie nicht zugleich
forma informans & forma assistens sein? Und würde dies nicht bedeuten, daß ein See-
lenvermögen die Kraft hätte, die Substanz der Seele zu verändern? Und wie sollte es
möglich sein, daß aus einem Teil der Seele die Unsterblichkeit der ganzen Seele, ja des
ganzen Menschen folgt?
2. Martini verstand die zweite Bestimmung, wonach der intellectus agens unvermischt
(a)migh/j, immistus) ist, auf zweifache Weise: Zum einen ist er unvermischt mit den Ob-
jekten, denn er enthält nicht ihre Natur in sich, sondern hat das Vermögen, sie aufzu-
nehmen.319 Zum andern ist er unvermischt mit dem Körper, weil er ohne Organ ist.
Wenn er nämlich seine Funktionen vollzieht, dann geschieht dies ohne den Körper.
Beide Weisen des Unvermischtseins kommen auch dem intellectus patiens zu: Er ist
unvermischt mit den Objekten, weil er nur ihre intelligiblen Formen in sich aufnimmt
(vgl. De An. III 4, 429a15-20), und unvermischt mit dem Körper, weil er ansonsten be-
reits eine bestimmte Beschaffenheit hätte (vgl. 429a24-27). Dieses Unvermischtsein
bedeutet für Martini aber eher eines in Hinsicht auf die Tätigkeit als in Hinsicht auf das
Sein. Sofern nämlich der intellectus patiens ein compositum ist, ist er hinsichtlich des

317
A. a. O., c. VI, 381f.: »Declarat [sc. Aristoteles] aliam proprietatem, qua intellectus agens
seiungitur à patiente, & ab aliis facultatibus animæ: quia solus hic intellectus separatur à corpore, &
post hominis obitum permanet.«
318
Martini, ex. XV, B4r: »Peculiari verò adhuc modo intellectus agens: nempe quod ab universo
corporis consortio sit separabilis, non quoad operationem duntaxat: verùm etiam quoad subsistentiam.
Immortalis enim est, ac corpore intereunte per se deinde subsistit.«
319
Diese Erklärung ist falsch, denn der intellectus agens ist ja gerade nicht das Vermögen für die
Rezeption der intelligiblen Formen, sondern dasjenige Vermögen, das sie gleichsam ‘von außen’ in-
telligibel macht.

359
De Anima

Seins nicht ohne den Körper.320 Auch hier bleibt freilich unklar, wie sich diese ontolo-
gische Differenz mit der substantiellen Einheit des Geistes vertragen könnte.
3. Für die dritte Bestimmung des intellectus agens als inaffizierbar (a)paqh/j, impassibi-
lis) unterschieden Pacius und Martini unter Berufung auf Thomas321 zunächst eine
zweifache Bedeutung des Begriffs: Etwas erleidet etwas von etwas anderem, wenn es
entweder von ihm unterworfen wird, unabhängig davon, ob dies seiner Natur entspricht
oder nicht (passio corruptiva), oder wenn es dasjenige aufnimmt, das den Übergang
von der Möglichkeit zur Wirklichkeit bewirkt (passio perfectiva). Beide Weisen des
Erleidens kommen dem intellectus agens jedoch nicht zu. Vielmehr ist er schlechthin
und in jeder Hinsicht inaffizierbar, weil er in sich selbst vollkommen ist, nicht erst von
einem Objekt vervollkommnet werden muß, denn er ist wesentlich actus. Anders je-
doch der intellectus patiens: Weil er nur in Möglichkeit das Intelligible ist, erleidet er
etwas gemäß der dritten Weise, wenn er in Wirklichkeit das Intelligible wird. Dieses
Erleiden ist aber eine passio perfectiva, ein Erleiden, das auf einen vollkommeneren
Zustand abzielt, auf das Wissen nämlich.322
4. Die größte Differenz zwischen dem intellectus agens und dem intellectus patiens
liegt für Martini in dessen vierter Bestimmung vor, wonach er seinem Wesen nach
Wirklichkeit ist. Während nämlich der intellectus patiens nur der Möglichkeit nach al-
les Intelligible ist und dieses erst in Wirklichkeit werden muß, trifft dies auf den intel-
lectus agens nicht zu: »Er ist nicht ein solcher, der notwendigerweise etwas werden
muß, was er noch nicht ist, oder der etwas aufnehmen muß, was er noch nicht hat«323;
vielmehr ist er ‘schon immer’ Wirklichkeit, ist eine virtus activa, die im Menschen
gleichsam das Tätigkeitsprinzip ist.
Eine kritische Prüfung der von Martini und Pacius gegebenen Interpretation der Be-
stimmungen des intellectus agens, in denen er sich wesentlich vom intellectus possibi-
lis unterscheidet324, zeigt ohne Zweifel, daß es eine substantielle Einheit zwischen bei-
den nicht geben kann. Denn damit würde nicht nur das Verhältnis zwischen der Seele
320
Vgl. Martini, ex. XV, B4v. Pacius hat das Attribut des Unvermischtseins beiden Vermögen nur
in Hinsicht auf den Körper zugeschrieben: »commune secundo hic intellectus agens non est mixtus,
sed seiunctus à rebus omnibus. Idem etiam superiori cap. diximus de intellectu patiente.« (lib III, c.
VI, 380) Dort heißt es: »Sequitur alia proprietas intellectus [sc. patiens], quod non est permixtus cum
corpore.« (lib. III, c. V, 370) Dies ist zwar richtig in bezug auf den intellectus agens, nicht aber in be-
zug auf den intellectus patiens, denn dieser ist auch unvermischt mit den Gegenständen.
321
Vgl. Thomas von Aquin, STh I, q. 79, art. 2, in: Opera 5, 259.
322
Vgl. Pacius, lib. III, c. VI, 380: »Intellectus patiens est impatibilis passione corruptiva, sed non
est impatibilis passione perfectiva: (immo intelligere est quiddam pati: unde vocatur intellectus pati-
ens, quia patitur ab obiecto intelligibili …) sed intellectus agens est omnino impatibilis tam perfectiva
quam corruptiva passione; propterea quod ex se ipso est perfectus, nec perficitur ab obiecto; & quia
(ut inquit Aristoteles) essentialiter est actus.« Ebenso Martini, ex. XV, B4v-C1r.
323
Martini, ex. XV, C1r: »… [sc. intellectus agens] non talis, cui necesse sit fieri aliquid, quod
nondum sit, vel recipere aliquid, quod nondum habeat.«
324
Vgl. Pacius, lib. III, c. VI, 381: »Cum igitur intellectus patiens sit separabilis, impermixtus &
impatibilis: multo magis intellectus agens erit talis: alioquin non esset præstantior patiente.«

360
Die aristotelische Psychologie im Luthertum

und ihren Vermögen unklar, sondern auch das zwischen den Vermögen selbst. Ist näm-
lich die Seele nach einhelliger Ansicht forma corporis, d. h. forma secundum suam es-
sentiam, der Geist aber ihr Vermögen, kann er sich gerade nicht, wie Pacius behauptet
hat325, vom Wesen der Seele, und zwar secundum esse, unterscheiden. Wie sollte das
möglich sein? Genauso wenig kann es aber eine ontologische Differenz zwischen dem
intellectus agens & intellectus patiens innerhalb der einen Seele geben. Im Vergleich
zu der von Martini, Pacius und Evenius gegebenen Interpretation zeigt sich hier noch-
mals, daß Alexander, Portio und Zabarella die einzig sinnvolle Bestimmung des Ver-
hältnisses zwischen dem intellectus possibilis & intellectus agens gegeben haben: Der
intellectus agens ist kein Vermögen der menschlichen Seele, sondern kennzeichnet die
Wirksamkeit Gottes oder einer göttlichen Kraft zur Sicherstellung der Erkennbarkeit
der Welt im ganzen.
Dieser Erklärung würde auch eher die Bestimmung der zweifachen Funktion des in-
tellectus agens innerhalb des Erkenntnisprozesses entsprechen, wie sie die Luther und
Pacius gegeben hat. Danach erleuchtet er zum einen die Phantasmata und macht so das
der Möglichkeit nach Intelligible zu einem in Wirklichkeit Intelligiblen, zum andern
bringt er im intellectus possibilis die species intelligibiles hervor, so daß er erkennt.326
Die eine Tätigkeit zielt auf den Gegenstand ab, indem die species intelligibiles von den
Phantasmata abstrahiert werden (xwri/zein) und so das der Möglichkeit nach Intelligi-
ble zu einem in Wirklichkeit Intelligiblen gemacht wird. Hierfür beruft sich Martini auf
De An. III 5, 430a15-17, wo Aristoteles die Funktion des intellectus agens durch einen
Vergleich mit dem Licht verdeutlicht habe: Wie sich das Licht zu den Farben verhält,
indem es die Farben in Möglichkeit zu solchen in Wirklichkeit macht, die damit für die
Augen sichtbar werden, so verhält sich der intellectus agens zu den Phantasmata, die
noch den materiellen Bedingungen unterliegen, gleichsam noch ‘dunkel’ sind und so
der Erkenntnis entgegenstehen und sie verhindern. Indem er diese mit seinem angebo-
renen Licht illuminiert (fwti/zein), so Martini, fügen sie sich als so illuminierte in die
Natur der Intelligibilia ein und breiten sich damit auf ähnliche Weise in Richtung auf
den intellectus patiens aus wie die Farben, die durch das Licht ihre species sensibiles in
Richtung auf das Wahrnehmungsvermögen aussenden. Wie die Farben also erst durch
das Licht zu wirklichen, weil nun sichtbaren Farben werden, so werden auch die Phan-
tasmata erst durch den intellectus agens zu den species intelligibiles als dem wirklich
Erkennbaren. Diese Illumination der Phantasmata geschehe nicht nur formaliter, als ob
325
Vgl. a. a. O., c. V, 371: »Nec moveri debemus eò quòd anima sit forma corporis: quia est forma
secundum suam essentiam, ut apparet ex definitione animæ. Sed intellectus est facultas, quæ distin-
guitur ab essentia.«
326
Vgl. Martini, ex. XV, C1r-v: »Alia [sc. operatio intellectus agentis] est, quæ versatur circa ob-
jectum, & species intelligibiles à phantasmatibus vel à species sensibilibus in phantasia expressis ab-
strahit, & ita ex potestate intelligibilibus facit actu intelligibilia … Altera intellectus hujus operatio di-
rigitur ad intellectum patientem. Iunctus enim cum phantasmatibus illuminatis ad intellectum patien-
tem se quasi convertit, producendo in eo speciem intelligibilem, & per consequens ipsum actum intel-
ligendi.« Ebenso Pacius, lib. III, c. V, 367. Evenius, disp. XVII, B2r. Scheibler, pars III, disp. V, 410.
Dannhauer, disp. VII, con. III, 207f. [richtig: 197]. Leuschner, disp. XI, B1v.

361
De Anima

ihnen nur eine Qualität eingeprägt würde, auch nicht nur objektiv, als ob sie derselbe
Gegenstand blieben, sondern auf bewirkende Weise, indem sie zu species intelligibiles
werden. »Denn der tätige Geist erhebt nach Art des äußeren Lichts durch seine Strah-
len auf aktive Weise die Phantasmata zur hervorzubringenden intelligiblen Form.«327
Die zweite Tätigkeit des intellectus agens zielt für Martini dagegen auf den intellectus
patiens ab: Verbunden mit den illuminierten Vorstellungen, wendet sich jener in einem
zweiten Schritt dem intellectus patiens zu, bringt in ihm die species intelligibilis hervor
und bewirkt so dessen actus intelligendi. Diese beiden Tätigkeiten kennzeichnen den
intellectus agens daher nicht in seinem Erkennen, sondern in seinem Wirken (efficere):
Weder nimmt er die species intelligibilis in sich auf, obgleich er sie hervorbringt, noch
ist er in der bloßen Möglichkeit des Erkennens, sondern er ist der actus intelligendi, er
bewirkt das Erkennen, wie Martini an anderer Stelle betont, nicht erkennt er selbst.328
Daher werde er nur auf formale Weise ‘intelligens’ (bzw. intellectus) genannt, ‘agens’
aber, weil er die Erkenntnis im intellectus patiens bewirke.
Nachfolgend hat Martini Wesen und Funktion des intellectus patiens im Erkenntnis-
prozeß nochmals genauer bestimmt: »Der erleidende Geist ist gleichsam das Zugrun-
deliegende und die Materie, dem die erkennbaren Formen eingeprägt werden und der
alles aufnimmt und alles erkennt.«329 Wie ist diese Wesensbestimmung als veluti sub-
jectum & materia zu verstehen? Offensichtlich nicht als Bestimmung secundum esse,
denn in dieser Hinsicht ist er wie die Seele selbst forma informans. Folglich kann es
hier nur um die Bestimmung secundum operationem gehen, was die Partikel veluti
auch anzeigen soll. Der intellectus patiens ist also nicht in materieller Hinsicht subjec-
tum & materia, sondern bloß formaliter, da es hier um die Beschreibung eines geisti-
gen Prozesses geht.
1. Als das erste Proprium des intellectus patiens benennt Martini seine Bestimmung als
pura potentia. Er verweist hierfür zum einen auf An. Post. II 19, 100b5-17330, zum an-

327
Martini, ex. XV, C1v: »Intellectus namque agens instar luminis externi, radijs suis activè phan-
tasmata elevat ad speciem intelligibilem producendam.«
328
Vgl. a. a. O., C2v: »Agens [sc. intellectus] enim non intelligit, sed facit intelligere, sive effici-
ens est intellectionis …«
329
A. a. O., th. V, C1v: »Intellectus patiens est veluti subjectum & materia, cui species intelligibi-
les imprimuntur, quique omnia recipit, & omnia intelligit.« Martini verweist nachfolgend auf die
Vielzahl der Bezeichnungen des intellectus patiens, die davon abhingen, ob er mehr in Hinsicht auf
sein Sein oder in Hinsicht auf seine Tätigkeit bestimmt werde: So wird er secundum operationem in-
tellectus patiens, patibilis, passibilis oder passivus genannt, weil er die species intelligibiles in sich
aufnimmt. Ferner wird er intellectus in potentia genannt, weil er über die Möglichkeit des Erkennens
verfügt. An sich nämlich erkennt er nichts in Wirklichkeit, sondern er kann nur dann (wirklich) etwas
erkennen, wenn er in die Wirklichkeit des Erkennens überführt wird. Ferner wird er intellectus possi-
bilis genannt, weil er es vermag, die erkennbaren Formen in sich aufzunehmen, durch deren Vermitt-
lung in ihm eine wirkliche Erkenntnis zustande kommt. Schließlich nennt man ihn auch intellectus
compositus, denn secundum esse ist er mit dem Körper verbunden.
330
Obgleich Martini diesen Verweis nicht genauer erläutert, versteht er diesen schwierigen Passus
anscheinend wie folgt: Aus dem Vergleich des nou=j (paqhtiko/j) mit der e)pisth/mh ergibt sich, daß

362
Die aristotelische Psychologie im Luthertum

dern auf De An. III 4, 429b31-430a2, wo Aristoteles den nou=j paqhtiko/j mit einer
Schreibtafel vergleiche, die in Wirklichkeit noch unbeschrieben sei, die aber potentiali-
ter mit allen möglichen Zeichen beschrieben werden könne. Auf ähnliche Weise sei
der nou=j paqhtiko/j reine Möglichkeit.
2. Sein zweites Proprium ist es, alle intelligiblen Formen, gleichsam als ihr subjectum,
in sich aufzunehmen und durch ihre Vermittlungsfunktion den Gegenstand wirklich zu
erkennen. Und weil er alle erkennbaren Formen in sich aufnimmt, wird er alles (pa/nta
gi/nesqai, De An. III 5, 430a14f.). Was dieses omnia fieri bedeutet, erläutert Martini
mit einem langen Zitat aus Scaligers Exotericarum Exercitationum liber XV: Der
menschliche Geist ist keine potentia pura im Sinne der materia prima, da diese auch in
der Vereinigung mit der Form das bleibt, was sie war, eine gewisse Substanz, die sich
durchhält. Der intellectus (agens) ist dagegen als forma nostra wesentlich, abtrennbar,
unvergänglich und ewig.331 Aus ihm und der species intelligibilis, die er aufnimmt, bil-
det sich der intellectus informatus, der durch sich selbst gebildete und Wissen besit-
zende Geist im Erkenntnisprozeß. »Daher wird der Geist nicht schlechthin«, so Scali-
ger, denn hinsichtlich des Seins ist er bereits, »und er wird nicht die [erkennbare] Form
selbst, sondern er wird unter der Form«332, und zwar wird er alles, da er alle species in-
telligibiles aufgrund seines Freiseins von jeglicher Bestimmtheit in sich aufnehmen
kann.
3. Als das dritte Proprium des intellectus patiens benennt Martini das Erkennen, das
durch den intellectus agens bewirkt wird. Dieses Erkennen vollzieht der intellectus pa-
tiens ohne Organ, so daß er in dieser Hinsicht mit dem Körper unvermischt und ab-
trennbar ist.
4. Das vierte und letzte Proprium ist seine Vergänglichkeit gemäß De An. III 5,
430a24f.333, die jedoch nicht, so Martini, als wesentliche, sondern als bloß akzidentelle
Vergänglichkeit zu verstehen ist: »D. h. seine Einheit mit der Sinneswahrnehmung
verbleibt nicht nach dem Vergehen und dem Tod des Menschen. Denn jedes Zusam-
mengesetzte ist auflösbar und nicht ewig.«334 Selbst die von Aristoteles in 430a24f. be-
_________________________________________________________________________________________________________

der nou=j der Anfang des Wissens ist (a)rxh/ e)pisth/mhj, 100b15). Also ist er selbst noch nicht Wis-
sen, sondern die Möglichkeit zu wissen und damit pura potentia.
331
Diese Bestimmung kann nur auf den intellectus agens zutreffen, nicht aber auf den intellectus
patiens. Insofern paßt diese Textstelle nicht in den von Martini verhandelten Zusammenhang.
332
Scaliger, Exotericarum exercitationum liber XV, ex. CCCVII, s. 6, 740: »Non igitur fit intellec-
tus simpliciter. Si enim intellectus est (est vero) forma hominis: & per intellectionem equi fieret (ut tu
[sc. Cardano] perversè ais) equus: homo fieret equus. At non fit intellectus ipsa species, sed sub spe-
cie.« Vgl. Martini, ex. XV, C2r-v.
333
Vgl. Aristoteles, De An. III 5, 430a24f.: »… o( de\ paqhtiko\j nou=j fqarto/j …«
334
Martini, ex. XV, C2v: »Tandem dicitur intellectus hic corruptibilis & dissolubilis, quod tamen
de corruptione non essentiali, sed accidentali intelligendum est: hoc est, compositio ejus cum sensu
non manet post corruptionem & mortem hominis. Omne enim compositum est dissolubile & non
æternum.« Bereits im Zusammenhang mit der Erörterung der Attribute des intellectus agens hat Mar-
tini betont, daß dem intellectus possibilis diese Eigenschaft der Vergänglichkeit nicht schlechthin zu-

363
De Anima

schriebene Vergänglichkeit des intellectus possibilis wird also unter der Hand von
Martini in eine bloß akzidentelle verändert. Auch Pacius hielt den intellectus possibilis
für unsterblich, hat diese Ansicht aber ausdrücklich nicht Aristoteles zugeschrieben.335
Er bemerkte nämlich ganz richtig, daß für den Stagiriten der Nous ohne die Phantas-
mata nichts erkennen kann, die wiederum von der Sinneswahrnehmung abhängig sind.
Da nun nach dem Tod des Körpers keine Phantasmata verbleiben, scheint damit auch
der Nous wie die Seele selbst vergänglich zu sein, wie dies ja auch Pomponazzi betont
hat. Pacius hielt diese Begründung freilich für nicht überzeugend, da der intellectus pa-
tiens auch die immateriellen Dinge erkennt, die nicht unter die Sinneswahrnehmung
fallen, wie Gott, die Intelligenzien etc. Daher sei er nicht von den Phantasmata abhän-
gig und »folglich ist er unsterblich gemäß dem von Aristoteles selbst in De An. I 4,
408b18-29 gelegten Fundament, und weder hinsichtlich des Gegenstandes noch hin-
sichtlich des Organs hängt er vom Körper ab.«336 Auch hier fragt sich, wie Martini und
Pacius diese ontologische Abtrennbarkeit des intellectus patiens vom Körper und seine
hieraus resultierende Unsterblichkeit mit der Definition der Seele und all ihrer Vermö-
gen als forma informans in Übereinstimmung bringen können: Als das »höchste Ver-
mögen unserer Seele«337 kann er keinen anderen ontologischen Status haben als diese
selbst, die seine ou)si/a ist. Ist daher die Seele als forma informans vergänglich, so auch
ihre Vermögen. Von hier aus erweist sich Scheiblers philosophische These von der
Sterblichkeit der menschlichen Seele erneut als die einzig sinnvolle.
Wie realisiert sich dieser intellectus patiens und welche Zustände (conditiones &
status) kennzeichnen ihn im Verlauf des Erkenntnisprozesses? Pacius, Martini, Eveni-
us und Leuschner unterschieden wie Toletus und Zabarella338 gemäß De An. III 4 drei
verschiedene Zustände des intellectus patiens im Erkenntnisprozeß:
1. Die potentia des intellectus in potentia (nou=j duna/mei, vgl. De An. III 4, 429a21f.)
unterteilte Martini in eine pura potentia und eine potentia adjunctum habens habitum.
In pura potentia befindet sich der Geist, wenn der Mensch geboren wird und aufgrund
des Fehlens der species intelligibiles nichts wirklich erkennen kann, denn in diesem
Zustand »besitzt der Geist nichts als seine Natur und sein Wesen, und ihm kommen

_________________________________________________________________________________________________________

kommt: »Quæ proprietas patienti [sc. intellectui] non ita simpliciter convenit, cum enim compositus
sit, est quoque natura sua dissolubilis.« (A. a. O., B4v)
335
Pacius, lib. III, c. VI, 388: »Ego autem existimo intellectum quidem patientem esse immorta-
lem, sed Aristotelem habuisse eum pro mortali.«
336
Ebd.: »… consequenter est [sc. intellectus patiens] immortalis, secundum fundamentum ab ipso
Aristotele iactum libr. I. de anima. cap. 1 [richtig 4]. part. 18. & neque ratione obiecti, neque ratione
organi pendet à corpore.«
337
A. a. O., c. V, 366: »Exposita priori parte facultatis intellectivæ, quam vocavit [sc. Aristoteles]
phantasiam, transgreditur ad alteram partem [sc. in De An. III 4, 429a10], quæ verè & propriè dicitur
intellectus: atque hæc est suprema animæ nostræ facultas …«
338
Vgl. 3.3.1.2., Anm. 294.

364
Die aristotelische Psychologie im Luthertum

keine angeborenen intelligiblen Formen oder, wie andere sie nennen, Ideen zu.«339
Dem entspricht der bereits erwähnte Vergleich des intellectus patiens mit einer tabula
rasa in De An. III 4, 430a1, auf der noch nichts geschrieben steht.340 Evenius verstand
diesen Vergleich wie folgt: Wie die Schreibtafel frei ist vom Beschriebenen und damit
geeignet, alle nur möglichen Zeichen aufzunehmen, so ist der intellectus patiens voll-
kommen frei von jeglicher angeborenen Idee – denn das Innere verhindert die Auf-
nahme des Äußeren (vgl. 429a20f.) – und damit geeignet, alle von außen kommenden
Formen aufzunehmen.341 Martini, Evenius und Leuschner schlossen sich damit dem
bekannten Satz an: Nihil est in intellectu, quod non prius fuerit in sensu.342 Scheibler
und Dannhauer lehnten diese Lehre dagegen ab, da der Geist nicht nur das Sinnliche
und Materielle erkenne, sondern auch das Unsinnliche und Immaterielle, zu denen
eben auch die angeborenen Prinzipien gehörten, von denen Paulus in Röm 2,15 ge-
sprochen habe.343 Dannhauer verweis in diesem Zusammenhang insbesondere auf die

339
Martini, ex. XV, C2v: »In pura potentia est [sc. intellectus possibilis], quando consideratur, ut
nobiscum nascitur, & in hanc vitam prodit: sic enim nihil aliud habet, quam suam naturam & essenti-
am & nullas secum nohta\j species, sive ut alij vocant, ideas secum adfert.«
340
Vgl. Leuschner, disp. XI, B2r: »Ille [sc. intellectus] vocatur ab Aristotele l. 3. de anim. nou=j
duna/mei qui est in potentia ad intelligendum, & comparatur rasæ Tabulæ l. 3. de anim. c. 4.«
341
Vgl. Evenius, disp. XVII, B3r: »Species vel notitias connatas nullas dari. Receptivum enim
nudum esse debet à recipiendo, cum intus existens prohibeat extrinsecum. Aristoteles 3. de an. § 4:
paremfaino/menon kwlu/ei to\ a)llo/trion kai\ a)ntifra/ttei.«
342
Niemand von den genannten Autoren äußerte sich in diesem Zusammenhang zu der Textstelle
Röm 2,15, die Melanchthon als Ausgangspunkt für seine These von den notitiæ innatæ gedient hat
(vgl. 2.3.4.). Auch Pacius scheint jener Ansicht gefolgt zu sein, verwies aber gleichwohl darauf, daß
der Geist auch Dinge erkennt, die nicht den Sinnen zugänglich sind. Die notitiæ innatæ erwähnte er
bei dieser Aufzählung jedoch nicht: »… namque intellectus patiens intelligit etiam ea quæ non pos-
sunt in phantasia, id est, res per se immateriales, quæ non cadunt sub sensum, ut Deum, intelligentias
abstractas, & semetipsum …« (lib. III, c. VI, 388) Timpler vereinigte dagegen die beiden Lehren des
Sensualismus und Innatismus, indem er zwischen zwei Weisen des menschlichen Wissenserwerbs
unterschied: Zum einen wird es durch Lernen und Übung durch die Vermittlung der Sinne erworben,
zum andern wird es von Gott dem Menschen unmittelbar und außerhalb des natürlichen Lernprozes-
ses eingegeben. Dies verdeutlicht für Timpler insbesondere die Prinzipienerkenntnis, die auf zweier-
lei Weise geschieht: Zum einen erfolgt sie auf natürlichem Wege unter Rückgriff auf das Wahrge-
nommene per inductionem singularium – so daß, wenn die Sinneswahrnehmung fehlt, die Prinzipien-
erkenntnis und damit jegliche Wissenschaft unmöglich wird –, zum andern wird die Wahrheit einiger
Prinzipien, die sogenannten koinai\ e)/nnoiai, vom Menschen aufgrund einer ihm angeborenen vis na-
turalis seu promptitudo erkannt. »His igitur positis, videtur thesis affirmativa quæstionis esse vera de
omni intellectione & cognitione humana, quæ studio hominis æquiritur, non verò de ea, quæ à Deo
immediatè & extraordinariè quibusdam hominibus infunditur.« (lib. III, c. III, pr. 8, 331)
343
Vgl. Scheibler, pars III, disp. IV, 405: »Sunt in anima nostra connata principia, quæ vocantur
notitiæ insitæ, quas etsi multi Peripatetici negent, tamen liquidò apparet, eas animæ inesse, etiam ex
scriptura, quæ testatur ad Rom.c.2.v.15. opus legis scriptum esse in cordibus hominum …« Dannhau-
er, disp. VII, con. III, 213 [richtig: 203]: »Denturne nobiscum notitiæ innatæ? Affirmamus: ducti I.
autoritate scripturæ, Rom 1. & 2. qua præsupposita tale struitur argumentum. Quæcunque notitiæ 1.
omnibus hominibus insunt. 2. atque ita ut captivæ quasi teneantur per iniquitatem, 3. eo fine, ut ho-
mines omnes sint inexcusabiles. 4. sunt fanera\, imò 5. in Hominibus: Rursus quæ 6. fu/sei insunt, &

365
De Anima

ethische Dimension der notitiæ innatæ, welche die Menschen unentschuldbar machen.
Daher sei der Vergleich des Geist mit der unbeschriebenen Tafel nicht zum Teil rich-
tig. Als potentia adjunctum habens habitum wird der intellectus in potentia bezeichnet,
wenn er im Verlauf seines Bildungsprozesses zwar schon einige Erkenntnisse gewon-
nen hat, vieles aber noch nicht weiß und von vielen Dingen keine species intelligibiles
besitzt.
2. Auf der zweiten Stufe wird der Geist als intellectus in habitu (nou=j e)n e(/cei, vgl. De
An. III 4, 429b5-9) bezeichnet, weil er die intelligiblen Formen nun erworben hat.
Auch in diesem Zustand ist er noch in gewisser Weise der Möglichkeit nach, aber an-
ders als im vorherigen Zustand, da er nun sowohl über die species intelligibiles als
auch über die potestas respectu operationis verfügt und tätig werden kann, wann im-
mer er will.344 Damit ist er dem Habitus der Wissenschaft (e)pisth/mh) vergleichbar,
über den ein Wissender verfügt, auch wenn er dieses Wissen actualiter gerade nicht
gebraucht. Und in diesem Zustand, so Pacius, vermag er sich dann auch selbst zu er-
kennen.
3. Der dritte Status charakterisiert den intellectus in habitu in seinem aktuellen Erken-
nen als intellectus in actu (nou=j e)nergei/#, vgl. De An. III 4, 429b10-21), indem er die
intelligiblen Formen actualiter gebraucht und so die e)ne/rgeia intellectionis vollzieht.345
Dabei ist der intellectus patiens nicht bloß passiv, insofern er das Erkennen erleidet
(vgl. De An. III 4, 429b24f.), sondern auch aktiv, indem er die aufgenommenen species
intelligibiles betrachtet und beurteilt. Sein Erleiden ist daher, wie Evenius betont, keine
passio corruptiva, sondern eine passio perfectiva, ein Erleiden, das in der natürlichen
Begebenheit gründet, daß der erleidende Geist zunächst nur über ein Wissen der Mög-
lichkeit nach verfügt, nicht aber über eines der Wirklichkeit nach. Im Übergang von
der Möglichkeit zur Wirklichkeit des Wissens geschieht dabei die perfectio intellectus,
indem er alle Dinge nach und nach durch Fleiß und Lehre erkennt.346 Martini und
_________________________________________________________________________________________________________

inscriptæ in cordibus nostris: Illæ notitiæ nobis sunt innatæ, adeoque testantur, intellectum non esse
tabulam prorsus nudam.«
344
Vgl. Pacius, lib. III, c. V, 373: »… secundo loco docet [sc. Aristoteles] hunc intellectum adhuc
aliquo modo esse potestate, non tamen eodem prorsus modo, quo antea. Nam ab initio erat tantum po-
testate: nunc vero dicitur quidem potestate respectu operationis; quia etiamsi non operetur, tamen po-
test operari …«
345
Vgl. Martini, ex. XV, C3r. Evenius, disp. XVII, B4r. Leuschner, disp. XI, B2r. Pacius, lib. III,
c. V, 373. Alle Autoren weichen damit in dieser Frage von Zabarella ab, der die These vertreten hat
(vgl. 3.3.4.2.), daß die species intelligibilis nach der Erkenntnis nicht im Geist verbleibt, sondern ver-
geht, so daß auf sie als erworbene im Erkenntnisprozeß nicht zurückgegriffen werden kann. Vielmehr
wird der intellectus in habitu, nachdem er die intelligible Form einmal aufgenommen und damit den
Gegenstand verstanden hat, geeigneter, denselben Gegenstand mit neuerlicher Aufnahme seiner Form
ohne Mühe sogleich zu erkennen. Die Lutheraner schreiben dagegen dem intellectus in habitu auch
das Erinnerungsvermögen zu, so daß dort nicht die Phantasmata, sondern die intelligiblen Formen
aufbewahrt werden, auf die im Erkenntnisprozeß zurückgegriffen werden kann. Zabarellas Interpreta-
tion ist jedoch von De An. III 7 her gerechtfertigt.
346
Vgl. Evenius, disp. XVII, B2v-B3r: »Intellectum patientem non ita pati, ut nihil agat, sed ma-
xime post receptam speciem intelligibilem esse operosum. Est enim eius paßio non corruptiva, sed

366
Die aristotelische Psychologie im Luthertum

Scheibler unterteilen diesen intellectus in actu im Blick auf die Verschiedenheit der
Gegenstände, die entweder res necessariæ oder res contingentes sind (vgl. EN VI 3,
1139b20ff.), gemäß De An. III 9, 432b27-29 in einen intellectus speculativus (nou=j
qewrhtiko/j) und intellectus practicus (nou=j dianohtiko/j). Jener zielt auf das Wissen
der notwendigen Dinge und die Erkenntnis der demonstrierbaren Prinzipien ab, die
Gegenstand der Physik, Mathematik und Metaphysik sind. Sein Ziel ist das Wissen des
Wahren und Falschen. Der intellectus practicus erkennt dagegen nicht nur das Gute
und Schlechte, sondern vollzieht auch dasjenige, was er als gut erkannt hat. Er kommt
also nicht in der Erkenntnis zur Ruhe, sondern schreitet zur Praxis fort.347
Als differentia specifica der Definition des intellectus patiens hat Martini, wie gese-
hen, das Eingeprägtwerden aller intelligiblen Formen benannt, indem er sie aufnimmt,
erkennt und beurteilt. Diese Tätigkeiten verweisen auf die beiden Vermögen des Er-
kennens, die potentia apprehensiva & judicativa, denn nur was aufgefaßt und begriffen
worden ist, kann beurteilt werden. Genauerhin sprach man auf lutherischer Seite über-
einstimmend von einer dreifachen operatio intellectus in der klassischen Trias Begriff-
Urteil-Schluß348: 1. Die apprehensio simplex oder die cognitio rerum simplicium ist das
_________________________________________________________________________________________________________

perfectiva, cùm enim ex primæva sua origine in potentia sit, ad actum & perfectionem sibi accomoda-
tam deducitur res omnes progressu temporis accedente studio & doctrina intelligendo.« Ebenso
Scheibler, pars III, disp. V, 411. Dannhauer, disp. VII, con. 3, 208 [richtig: 198].
347
Vgl. Martini, ex. XV, C3r-v: »Intellectus denique in actu distinguitur in speculativum & practi-
cum. Speculativus dicitur nou=j qewrhtiko/j & e)pisthmoniko/j, id est, scientificus vel circa scientias
occupatus, ut circa intelligentiam principiorum demonstrabilium, scientiam physicam, Mathemati-
cam, Metaphysicam. Est autem intellectus hic, qui inquirit tantum cognitionem, quæ cum acquisita
est, perfunctus est suo officio … Intellectus verò praktiko\j interdum etiam dicitur dianohtiko\j,
hoc est, versans non solum circa verum aut falsum in rebus, nec solum eo fine ut sciat & perfectior fi-
at in sese ista scientia, sed circa talia occupatus objecta, quæ aliquid agendum suscipiendumve opere
ipso postulent, eo fine, ut quid bonum vel malum in rebus sit, cognoscat, non quidem in illa cognitio-
ne quiescendo, sed referendo & applicando ea ad opus ac fugiendo denique malo, & prosequendo ac
faciendo bono.« Ebenso Scheibler, pars III, disp. V, 411f.
348
Zur Verdeutlichung sei betont, daß die Darstellung dieser drei operationes intellectus zur Psy-
chologie gehört. Aufgabe der Logik ist es dagegen, die drei Grade der secundæ notiones zu betrach-
ten, die aus jenen drei Tätigkeiten vom Geist selbst gebildet werden. Vgl. hierzu Zabarella, De Natura
logicæ, lib. I, c. 3, 7A-D: »Propterea magnopere animadvertendum est, ut rectè intelligamus id, quod
ab omnibus dici solet, logicum tres illas nostri intellectus operationes considerare; simplicium appre-
hensionem, compositionem, ac divisionem, & ratiocinationem: si enim simpliciter intelligamus, logi-
cum has mentis nostræ operationes considerare, decipimur: quia ea tractatio à facultate logica alienis-
sima et, quum ad solos libros de Anima pertineat, ubi de humanæ mentis natura, ac de eius operatio-
nibus sermo fit: sed intelligendum est considerari à logico tres gradus secundarum notionum, qui ex
illa triplici mentis nostræ operatione ab ipsa mente nostra generantur, & producantur: nam … hæ se-
cundæ notiones non significant res prout sunt, sed prout à nobis mente concipiuntur: triplex autem est
nostra conceptio, aut enim simpliciter rem apprehendimus, ex qua apprehensione oritur formatio ha-
rum notionum, genus, species, nomen, verbum, & aliarum similium: aut huiusce rei conceptum cum
illius conceptu conferimus coniungendo, vel separando, quam operationem vocamur enunciationem,
quæ in affirmationem & negationem dividitur. Quare enunciatio est secunda notio, quæ ex secunda
operatione intellectus ortum habet; aut tandem ab hoc ad illud discurrimus, & unum ex alio colligi-
mus, quam operationem vocamus ratiocinationem, tanquam secundam hanc notionem in tertia intel-

367
De Anima

einfache Erfassen und Begreifen eines einzelnen Gegenstandes, wie dieses Pferd oder
dieser Löwe dort, worin der Geist zur Ruhe kommt. Leuschner nannte diese Erkenntnis
unter Berufung auf Suárez veritas concepta, die begrifflich gefaßte Wahrheit, das Wis-
sen um den Gegenstand in seinem Sein, das der Unwissenheit entgegensteht. Diese Er-
kenntnis kann direkt oder reflexiv sein, je nachdem, ob neben dem erkannten Gegen-
stand auch noch erkannt wird, daß ich erkenne.349 Martini wies darauf hin, daß auch bei
dieser simplex apprehensio bereits eine Abstraktion stattfindet, sofern hierbei das eine
vom anderen abgehoben und so begriffen wird.350 2. Die compositio & divisio oder die
enunciatio ist eine Aussage, bei der aus einfachen Begriffen ein Satz gebildet wird, der
wahr oder falsch sein kann.351 3. Bei der ratiocinatio bzw. dem discursus schließlich
wird aus mehreren Aussagen etwas geschlußfolgert, so daß neues Wissen erworben
wird.352

4.3. Resümee

Die erstmalige Darstellung der Psychologie in der lutherischen und – in einem geringe-
ren Umfang – der calvinistischen Schulphilosophie des frühen 17. Jh.s hat einige
Aspekte ihres Philosophierens verdeutlicht, die im Blick auf die bisherigen Studien
zum Luthertum, die sich fast ausschließlich mit der Logik und Metaphysik befaßt ha-
ben, zu einer teils differenzierten, teils veränderten Sicht zwingen.
1. Am Ende des dritten Kapitels ist auf die bedeutsame historische Konstellation hin-
gewiesen worden, die sich den Lutheranern zu Beginn des 17. Jh.s in der Gestalt von
_________________________________________________________________________________________________________

lectus operatione generantes.« Der dreifachen Tätigkeit des Geistes im Erkennen entspricht also eine
dreifache Begrifflichkeit des Geistes, mit deren Hilfe er sein Erkennen begreift. Die natürliche Weise
des Erkennens wird so durch eine ‘künstliche’ Begrifflichkeit auf den Begriff gebracht: Der Tätigkeit
des Begreifens entspricht das Bilden des Begriffs von Begriffen (conceptus conceptuum, vgl. a. a. O.,
6D), der Tätigkeit des Urteilens das Bilden des Begriffs des Urteils etc.
349
Vgl. Leuschner, disp. XI, B2v: »Prima [sc. intellectio] est cognitio rerum simplicium, quas in-
tellectus nudè apprehendit, … vocat hanc Suarez veritatem conceptam, cui opponitur ignorantia, est-
que duplex, recta, quæ est in prima statim apprehensione, & reflexa quoties ipsam intelligimus intel-
lectionem.«
350
Vgl. Martini, ex. XV, C3v: »Est itaque intellectio simplex, quæ notiones rerum simplices
tantùm apprehendit & cognoscit. Apprehensio hæc consistit in abstractione. Abstractio est separatio
unius ab alijs, & apprehensio sive intellectio unius, relictis, hoc est, non apprehensis sive non intellec-
tis reliquis.«
351
Vgl. Evenius, disp. XVII, B3v: »Compositio & Divisio, ubi conjuncta cognoscit, è quibus con-
fiunt propositiones.«
352
Vgl. Martini, ex. XV, C3v: »Operatio intellectus composita est, quæ res simplices componit,
dividit & dijudicat. Estque hæc rursus duplex: vel nohtikh\ vel dianohtikh\. Nohtikh\ [=enunciatio]
est, quando mens sine discursu notiones simplices disponit componendo vel dividendo; atque hoc
propter judicium. Anima enim nostra disponendo judicat … Dianohtikh\ [=ratiocinatio] est, qua
mens ex compositis vel divisis illis discurrit & perfectè judicat.« Ebenso Scheibler, pars III, disp. V,
413.

368
Die aristotelische Psychologie im Luthertum

Luthers radikaler Theologie sowie von Portios und Zabarellas radikaler Philosophie
und der Möglichkeit ihres Zusammenspiels geboten hat. Als Leitlinie galt die These,
daß der Freiheit der Theologie von der Philosophie eine Freiheit der Philosophie von
der Theologie entsprechen muß, um ein angemessenes Theologisieren und Philoso-
phieren zu ermöglichen. Für die Psychologie hätte dies in der Nachfolge Luthers, Por-
tios und Zabarellas eine rein philosophieimmanente, jeden Rekurs auf die christliche
Theologie353 vermeidende Interpretation des aristotelischen Textes bedeutet. Insbeson-
dere bei der Frage nach der Unsterblichkeit der menschlichen Seele, deren Antwort
wesentlich von der Bestimmung des intellectus agens in De An. III 5 abhängt, hat sich
jedoch gezeigt, daß die Lutheraner dieses Konzept mit Ausnahme von Scheibler und –
mit gewissen Einschränkungen – Dannhauer nicht umgesetzt haben. Statt dessen findet
sich bei Martini, Evenius und Leuschner ein Zurückbiegen in den durch die Jesuiten
rezipierten Thomismus. Nun ist dieser Einfluß u. a. von Weber, Lewalter, Wundt,
Sparn bereits hinreichend für die Logik und Metaphysik nachgewiesen worden.354
Nach den Studien zur Psychologie muß aber gegen Troeltsch355 betont werden, daß die
Gefahr für das lutherische Philosophie- und Theologiekonzept gerade nicht im ver-
meintlichen Naturalismus oder Pantheismus auf Seiten des radikalen italienischen Ari-
stotelismus lag, sondern in der erneuten Vermischung von Philosophie und Theologie
auf Seiten der Jesuiten. Denn die Ergänzung der philosophischen Definition der
menschlichen Seele als forma informans durch ihre theologische Bestimmung als sub-
stantia per se subsistens & spiritualis vermischt zwei verschiedene modi considerandi
und führt damit zu der bereits erwähnten Kategorienverwechslung. Unter dem Gewand
der Einheit von Philosophie und Theologie wird dabei ihre Differenz und Unverein-
barkeit hinsichtlich des Seelenbegriffs nur verdeckt. Portios und Zabarellas Philoso-
phiekonzept zeichnet sich dagegen, wie gesehen, durch eine strikte Trennung von der
Theologie aus, das die Grenzen beider Disziplinen beachtet und eine Überformung der
philosophischen Begrifflichkeit durch eine theologische vermeidet. Gerade weil dieses
Konzept zu einigen der Theologie widersprechenden Thesen führt, wie die von der
Sterblichkeit der menschlichen Seele gemäß den aristotelischen Prinzipien, bietet es
der Theologie die Möglichkeit, das ihr Eigene um so deutlicher herauszustellen. Erst
aus der klaren Einsicht in die Differenz von Philosophie und Theologie gewinnt letzte-
re also überhaupt ihren Sinn.
2. Dies scheinen Scheibler und Dannhauer erkannt zu haben, als sie die Äußerungen
über den intellectus agens in De An. III 5 secundum operationem und nicht secundum

353
Daß auch Aristoteles’ Philosophie auf eine Theologie zustrebt, muß angesichts von Met. XII
kaum betont werden. Insofern bedeutet die Gleichsetzung von Gott und intellectus agens, wie sie
Alexander und Zabarella vollzogen, die konsequente und nachvollziehbare Umsetzung dieses Pro-
gramms.
354
Vgl. Emil Weber, Scholastik, 38ff. Ernst Lewalter, Metaphysik, 37ff. Max Wundt, Schulmeta-
physik, 40ff. Walter Sparn, Metaphysik, 11f., 206.
355
Vgl. Ernst Troeltsch, Vernunft und Offenbarung bei Johann Gerhard und Melanchthon. Göttin-
gen 1891, 204f.

369
De Anima

esse verstanden, was zur Folge hatte, daß sie den Erweis der Unsterblichkeit der Seele
von Aristoteles her für unmöglich hielten. Dannhauer konnte dabei überzeugend zei-
gen, daß den beiden intellectus keine verschiedenen, eine Seinsdifferenz bezeichnen-
den Attribute zukommen können, da sie sich nur realiter hinsichtlich des Erkennens,
nicht aber substantialiter hinsichtlich des Seins voneinander unterscheiden. Deshalb
sind die Attribute in De An. III 5 für ihn secundum operationem zu verstehen. Scheib-
ler ging sogar noch einen Schritt weiter, indem er die philosophische These von der
Sterblichkeit der menschlichen Seele an den Anfang seiner Erörterung setzte. Dieser
Ansicht konnte er dann die theologische These entgegensetzen, daß die Seele durch die
Gnade Gottes unsterblich sei. Er zog damit die Konsequenz aus Pomponazzis, Portios
und Zabarellas auf Alexander gründende Argumentation, die bei Abzug aller theologi-
schen Rücksichtnahmen doch klar anzeigt, daß die Seele von Aristoteles her für sterb-
lich gehalten werden muß. Damit vertrat Scheibler letztlich die gleiche Ansicht wie
Luther in seiner Interpretation von De An. III 5 im Rahmen seiner Probatio zur 31.
These der Heidelberger Disputation.
3. Obgleich Martini und Evenius Zabarella für den Bereich der Naturphilosophie als
»Koryphäe« bezeichneten, hat dies offensichtlich nicht die Erkenntnis befördert, daß
dessen Philosophiekonzept der lutherischen Theologie affiner ist als das der Jesuiten.
Es erscheint paraox, daß sich bei ihnen wie auch bei Leuschner und dem Calvinisten
Pacius statt dessen ein Zurückbiegen in den Thomismus findet, den sie in der Nachfol-
ge Luthers doch gerade theologisch und philosophisch hatten überwinden wollen. Ihre
Bestimmung des intellectus agens mit seinen Attributen ‘unsterblich’ und ‘ewig’ als
ein Vermögen der menschlichen Seele und die gegenüber dem aristotelischen Original
in De An. II 1, 412a27f. um die Adjektive spiritualis bzw. immortalis ergänzte Defini-
tion der Seele als entelecheia spiritualis bzw. actus immortalis rührte wie bei den Je-
suiten von einem Systemzwang der Theologie zu einer Verchristlichung des Aristote-
les her, der mit seinen Lehren nicht im Widerspruch mit den Glaubensartikeln stehen
durfte. Hieraus ergaben sich einige Inkonsequenzen: Sowohl die Bestimung der anima
rationalis als forma informans wie auch die des intellectus agens als pars & forma (in-
formans) humanæ animæ widerstreiten schlechterdings seiner ontologischen Bestim-
mung als unsterblich. Auch ist eine stringente Interpretation von De An. III 5 nicht
mehr möglich, sofern die Attribute wechselweise secundum operationem oder secun-
dum esse verstanden werden.
4. Hinter diesem Zwang zur Verchristlichung des Aristoteles stand gewiß das gewich-
tige Problem der doppelten Wahrheit, das an den lutherischen Universitäten seit dem
Streit mit Daniel Hoffmann in den 1590er Jahren virulent war und einer Lösung zuge-
führt werden mußte. Von Meisner bis hin zu Calov galt dabei auf lutherischer Seite die
Maxime, daß die Widersprüche zwischen Philosophie und Theologie nur in concreto
bzw. ratione existentiæ, nicht aber in abstracto bzw. ratione essentiæ bestehen, diese
folglich in der Arbeit an den konkreten Phänomenen zu beseitigen sind. Vor diesem
Hintergrund sah man sich offensichtlich genötigt, die Frage nach der Unsterblichkeit
der menschlichen Seele nicht nur von der Theologie, sondern auch von der Philosophie

370
Die aristotelische Psychologie im Luthertum

her positiv zu beantworten. Denn in der Philosophie könne nicht falsch sein, was in der
Theologie wahr sei. Gewiß kann es nur eine Wahrheit für ein und denselben Sachver-
halt geben; gleichwohl kann sie für die vorliegende Frage aus den genannten Gründen
von Aristoteles her nicht aufgezeigt werden. Damit steht die Philosophie nicht ratione
essentiæ im Widerspruch zur Theologie, sondern nur ratione existentiæ, sofern mit den
vorliegenden aristotelischen Bestimmungen der Seele und des Geistes ein Beweis un-
möglich ist. Genau diese konkrete Schwierigkeit mit Aristoteles haben Scheibler und
Dannhauer erkannt, deren Lösung darin bestand, diese konkrete Differenz von Philo-
sophie und Theologie auszuhalten, wie dies Scheibler tat, bzw. nicht-aristotelische phi-
losophische Beweise für die Unsterblichkeit der menschlichen Seele zu benennnen,
wie dies Dannhauer versuchte.
5. Webers These, wonach Melanchthons Lehrbücher das philosophische Interesse im
Luthertum je länger desto weniger befriedigen konnten, kann bestätigt werden. Seine
gelegentliche Auszeichnung als »Philippus noster« kann nicht darüber hinwegtäu-
schen, daß sein Commentarius bzw. Liber de anima den veränderten Bedingungen des
Philosophierens nicht mehr genügen konnte. Deutlich wurde dies insbesondere am Be-
griff der Entelechie, deren Verständnis als Endelechie jedem gebildeten Aristoteliker
als absurd erscheinen mußte, da die Seele die perfectio eines jeden Lebewesens ist und
nicht dessen itio ad formam, wie Melanchthon in neuplatonischer Manier behauptet
hat. Allein seine theologische Definition der menschlichen Seele als spiritus intelli-
gens, die in Augustinus ihren Ursprung hat, wirkte bei Martini und Evenius unter der
veränderten Bezeichnung substantia spiritualis fort und diente als theologischer Auf-
weis für die Unsterblichkeit der menschlichen Seele. Vollkommen übergangen wurde
von den Lutheranern Melanchthons intellectus-Lehre, die in ihrer Widersprüchlichkeit
nicht einmal den Mindeststandards philosophischer Redlichkeit genügen konnte. Das
Mangelhafte seiner Philosophie wurde ihnen insbesondere durch die Lektüre der Re-
naissance-Aristoteliker verdeutlicht, die eine andere ratio philosophandi Aristotelica
präsentierten, die in ihrer teilweise sehr subtilen Art weit von dem entfernt war, was
Melanchthon mit seinem eklektischen Aristotelismus geboten hat.
6. Die Definition des Geistes als ein Vermögen der menschlichen Seele, womit das In-
telligible begriffen und beurteilt wird, orientiert sich an der Bestimmung des nou=j in
De An. III 4, 429a23. Sein Charakteristikum ist das Denken, das sich als Erkennen und
Auffassen oder, in der klassischen Trias, als Begreifen, Urteilen und Schlußfolgern
realisiert. Dieser Vollzug des Denkens ist dabei die ‘subjektive’ Seite des Begriffs des
Geistes, während seine ‘objektive’ Seite der Gegenstand als das Maß des Denkens ist.
Der Geist mißt sich dergestalt dem zu erkennenden Gegenstand an, so daß es zur Ein-
heit von Denken und Gedachtem kommt. In diesem Denken des Gegenstandes erkennt
er dann auch, daß er es ist, der erkennt, und so geschieht in der Erkenntnis des anderen
zugleich das reflexive Erkennen seiner selbst, die Realisierung der Forderung des del-
phischen Orakels nach dem gnw=qi seauto/n in philosophischer Hinsicht. Die Philoso-
phie in ihrer eigentlichen Bedeutung als ein Arbeiten am Begriff ist deshalb der Ort, wo
sich der Begriff des Geistes realisiert. Ein wesentliches Merkmal dieses Geistes ist also

371
De Anima

sein Selbstverhältnis, und zwar nicht nach Art einer Introspektion, sondern im Sinne
eines Verhaltens des individuellen Geistes zu seiner Um- und Mitwelt, aber auch – in
der reinen qewri/a – zum ‘absoluten’ Geist, den intellectus agens, den Portio und Zaba-
rella als göttliche Kraft bzw. als Gott selbst verstanden. Hegels dialektischer Satz: ‘Der
Geist ist nur für den Geist’, erweist sich also auch für das 16. und 17. Jh. in ihrem Be-
mühen um den Begriff des Geistes als zentral.
7. Im vorliegenden Zusammenhang wurde dies anhand der philosophischen Psycholo-
gie mit ihrer Bestimmung des intellectus possibilis und des intellectus agens hinsicht-
lich ihres Wesens und ihrer Funktion aufgezeigt. Der Verfasser hofft, das vollständige
Programm einer Philosophie des Geistes mit den weiteren Disziplinen der Logik, Me-
taphysik und Noologie in einem anderen Zusammenhang geben zu können. Dabei wird
insbesondere das Werk eines Autors zu berücksichtigen sein, der mit seiner Schrift
Habitus primorum principiorum seu Intelligentia von 1625 die spekulative Disziplin
für den Begriff des Geistes begründet hat: Georg Gutke, der Rektor des Grauen Klo-
sters zu Berlin.

372
LITERATURVERZEICHNIS

I. Quellen:

Sigelverzeichnis:

1 Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz


3 Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen Anhalt (Halle)
23 August Herzog Bibliothek Wolfenbüttel
GKl Sammlungen des Berlinischen Gymnasiums zum Grauen Kloster (Streitsche
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Ha 33 Bibliothek der Franckeschen Stiftungen (Halle)

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De Anima

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Pars tertia & postrema Physicæ, complectens Empsychologiam; Hoc est, doctrinam
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392
INDEX NOMINUM

Kursiv gedruckte Seitenangaben verweisen auf Namensnennungen


ausschließlich in den Anmerkungen.

Ägidius Romanus 18, 140, 147, 160, Asulanus, Evangelista Lungo 76


175, 332, 347 Athanasius 148, 204
Agricola, Johann 74 Augustinus, Aurelius 17, 90, 105, 110,
Albertus Magnus 10, 18, 140, 147, 152- 130, 147, 162, 183, 204, 209, 211,
154, 160, 162, 175f., 178f., 288, 298, 228, 323, 328, 336, 354, 371
301, 316 Avempace 140, 227
Albrecht, Michael 75 Averroes 10, 14, 16f., 20, 25, 29, 43,
Alexander von Aphrodisias 10, 16, 18, 45, 55, 62, 125f., 138, 140f., 146f.,
20, 25, 29f., 43-56, 59, 62, 66, 76f., 149f., 152-154, 161, 162, 181-185,
84, 87, 89, 111, 128-130, 137, 139, 186, 190-200, 204-206, 208, 212,
141, 146, 149-154, 162, 164, 175, 215, 235, 236, 250f., 288, 309, 319,
179, 185, 190, 191, 192f., 195, 197, 325f., 332
201, 206, 215-218, 235f., 239, 241, Avicenna 10, 140, 154, 162, 223, 228,
242, 249-252, 288, 315, 332, 333, 288, 327
345, 356, 361, 369, 370 Ayers, Michael 22
Althaus, Paul 291 Bacconius, Johannes 229
Alvarez, Balthasar 134 Balduin, Friedrich 287
Ambrosius 211 Barbarus, Hermolaus 98, 188, 308
Amerbach, Vitus 74, 94, 96, 99f., 101, Barker, Peter 111
104, 123, 131 Bartholin, Caspar 13f.
Anaximander 210 Bartholomäus Arnold von Usingen 43
Angelis, Simone De 165 Basson, Sébastian 13, 15
Appold, Kenneth 73, 285 Bauer, Barbara 73
Argyropulos, Johannes 36, 38, 57, 59, Bayer, Oswald 69
60f., 63f., 94, 137, 139, 140, Becker, Wilhelm Martin 284
Ariew, Roger 4 Beierwaltes, Werner 6
Aristoteles passim Bellarmin, Robert 2
Aristoteles von Mytilene 45f. Benedictus, Alexander 70
Armstrong, Hilary 75 Bessarion, Johannes 92
Arquanus, Petrus 135 Blum, Paul Richard 134, 140, 145, 150
Arriaga, Roderigo de 28 Blumenberg, Hans 2-4
Artigas, Mariano 4 Blumenthal, Henry J. 75-77, 80, 89
Asulanus, Andreas 76 Boethius von Dacien 147

393
De Anima

Bos, Abraham P. 107, 109, 111 Cremonini, Cesare 1-3, 26, 140, 144,
Brandis, Carl G. 92 240,
Bremer, Ludolf 287 Cunningham, Andrew 102, 114
Bruni, Leonardo 36 Dannhauer, Johann Conrad 32, 295f.,
Bruno, Giordano 2, 26 306, 315, 316, 319, 326, 327, 328f.,
Bruns, Ivo 45 330, 333-335, 341, 343, 345, 346,
Buddeus, Johann Franz 42 353-355, 356, 358, 361, 365, 367,
Burnyeat, Miles F. 47, 219 369-371
Busche, Hubertus 171, 178, 194 Demosthenes 134
Butelius, Christophorus 301, 304 Descartes, René 1, 4, 5-8, 13, 20, 22,
Cajetan von Thiene 26, 160, 245, 333, 28, 32, 90, 126, 183, 247, 264, 314
345 Des Chene, Dennis 4-6, 28-30, 146,
Calov, Abraham 12-15, 73, 285, 288, 150, 161, 172, 180, 186
289, 293, 370 Detel, Wolfgang 263f., 265f., 267f.,
Calvin, Johannes 327 270, 275, 276
Camerarius, Joachim 70, 112 Dieter, Theodor 40, 42-44, 54-56, 58,
Campanella, Tommaso 26 60, 61f., 64, 65, 66, 68
Caninius, Angelus 45, 47 Dietrich, Veit 100
Capreolus, Johannes 345 Dod, Bernhard D. 14
Cardano, Girolamo 26 Domingo de Soto 133
Casaubon, Isaac 136 Donatus, Hieronymus 44, 47
Casmann, Otto 301-304, 326 Doyle, John P. 134
Chrysippus 210 Du Val, Wilhelm 136
Chrysostomus 291 Duns Scotus, Johannes 18, 38, 140, 142,
Cicero 36, 72-74, 94, 98-100, 105, 118, 159f., 166, 205, 261, 265, 272, 288,
134, 187, 293, 307, 309 318
Cleanthes 210 Durandus a S. Poricano 232, 233, 245,
Collegium Conimbricense 13f., 15, 16, 347
20, 27f., 30f., 134, 139, 145, 150- Ebeling, Gerhard 39, 42, 55, 57-59
154, 156, 157, 159, 160, 173-175, Eckhart, Wolfgang U. 113
177, 179, 182, 185, 187, 188, 189f., Einstein, Albert 2
195f., 198, 200, 203-206, 210-212, Enders, Markus 5
214, 220, 225f., 227, 228, 232-234, Erasistratos 112
236, 245-247, 248, 249-252, 253, Erasmus von Rotterdam 36
258f., 261, 265, 271-273, 274, 280, Euripides 134, 284
288, 325, 327, 330, 335, 337, 345, Evenius, Sigismund 32, 283, 286f., 294,
352, 353 296f., 299-302, 304, 306, 308, 309-
Copenhaver, Brian P. 36 311, 314-321, 323-327, 328f., 330,
Couto, Sebastian de 134 331, 332, 335-339, 340, 341-343,
Cramer, Andreas 287 345, 350f., 353, 355-358, 361, 364-
Cramer, Daniel 295 366, 368, 369-371
Cranz, F. Edward 45 Faseolus, Joannes 76, 135

394
Index nominum

Ficino, Marsilio 36, 75, 91, Heraklit 343


Finck, Caspar 290, 294 Hermes Trismegistos 79, 152
Flasch, Kurt 185, 210, 213 Herrmann, Christian 68
Fonseca, Petrus 133, 134, 287 Hesiod 284
Fotinis, Athanasios P. 45, 51 Hicks, Robert D. 77, 183
Fowler, Colin F. 4, 150, 249 Hieronymus 336
Frank, Günter 72, 74, 101, 103, 118, Hilt, Annette 47, 110
120f., 123, 125f., 130, 131 Hölscher, Ludger 17, 93, 105
Freedman, Joseph S. 16, 285 Hoffmann, Daniel 289, 370
Friedensburg, Walter 284, 292 Homer 134, 284
Friedrich, Markus 289 Horaz 284
Fuchs, Leonhard 70 Horn, Christoph 5
Galen 74, 106, 111-113, 149, 293 Hornius, Georg 288
Galilei, Galileo 2-4, 26 Hundt, Magnus 301f.
Garber, Daniel 22 Hutter, Leonhard 287, 293
Gaza, Theodor 92, 141, 201 Ignatius von Loyola 133f.,
Genua, Marcantonio 18, 25, 135, 138, Iorio, Dominick A. 24
271, 272 Isaak ben Salomon Israeli 7
Gerhard, Johann 284, 286, 288, 290f., Isidor von Sevilla 324
295 Ivry, Alfred L. 193
Geßner, Salomon 287 Jamblich 75, 77, 84, 92, 92
Gilbert, Neal W. 155 Jandun, Johannes von 174, 176,
Goclenius, Rudolph d. Ä. 290, 303 Jardine, Nicholas 133, 155
Goes, Emmanuel de 134 Javelli, Crisostomo 24, 26, 261, 288
Grafton, Anthony 36, 75, 136 Johannes von Damaskus 313
Grane, Leif 39 Junghans, Helmar 39f., 42
Gregor von Nazianz 323f. Junk, Volker 285
Gregor von Nyssa 147, 190, 211 Juvenal 284
Gregor von Rimini 159, 261 Kamp, Andreas 10, 14
Grendler, Paul F. 135, 137, 140 Kant, Immanuel 6
Gutke, Georg 5, 10-13, 232, 339, 372 Kathe, Heinz 38, 284
Hägglund, Bengt 289 Keckermann, Bartholomäus 13, 15, 284,
Hartfelder, Karl 37f. 286, 290, 327, 342
Hawenreuter, Johann Ludwig 296 Kenny, Anthony 8
Hegel, Georg W. F. 7, 9, 172, 183, 264, Kessler, Eckhard 21, 23-29, 31, 36,
348 122f., 133, 136, 138, 142, 145, 155,
Heidegger, Johann 291 244f., 247, 264, 268, 269, 295
Heinrich von Gent 229 Koch, Hans-Theodor 113
Heinzmann, Richard 207 Köhler, Theodor W. 7, 301, 302
Hellemans, C. 1 König, Georg 295
Helm, Jürgen 72, 102, 106, 112, 115, Königshausen, Johann-Heinrich 265
116 Kollesch, Jutta 110, 111, 116

395
De Anima

Kopernikus, Nikolaus 2 Mani, Nikolaus 112


Kosman, L. A. 241 Marquard, Odo 301f., 304
Kraye, Jill 23 Martini, Jacob 10f., 13, 32, 283, 286,
Kristeller, Paul Oskar 35 287-289, 294, 296-298, 304-307,
Kuhn, Heinrich C. 3, 140, 144, 241 310, 316, 317, 319, 322f., 325-328,
Kuhn, Thomas S. 2 329, 330-336, 337, 338f., 340, 341-
Kullmann, Wolfgang 107 343, 344, 345-347, 351f., 355, 357-
Kusukawa, Sachiko 29, 73, 75, 103, 371,
113, 119, 129, 296 Maurer, Wilhelm 91
Lalla, Sebastian 43 Meisner, Balthasar 15, 287, 289, 290,
Lautner, Peter 76, 77, 78, 138 293, 303, 315, 316, 328, 340, 370
Lavoisier, Antoine 2 Melanchthon, Philipp 21, 29f., 32, 35,
Lear, Jonathan 241 37-39, 69-75, 80, 91-95, 98, 100-106,
Leijenhorst, Cees 3, 21 112-131, 187, 209, 261, 279, 283,
Leinkauf, Thomas 5 291-293, 307, 309, 317, 326, 328,
Leinsle, Ulrich G. 23, 35, 133, 155, 341, 365, 371
344 Mentzer, Balthasar 295
Leuschner, Martin 32, 295-297, 299, Mersenne, Marin 1
306, 309, 310, 315f., 318f., 323-327, Michael, Emily 25, 31, 247
329, 330, 335f., 339f., 341, 343, 345, Milich, Jacob 70
355, 361, 364f., 366, 368-370 Mikkeli, Heikki 135
Lewalter, Ernst 22, 288, 369 Moerbeke, Wilhelm von 14, 94, 139,
Leyser, Polycarp 286 140
Liebler, Georg 123, 292 Mojsisch, Burkhard 233, 246
Lines, David A. 23, 135 Moraux, Paul 44, 45f., 49, 51, 53, 109
Lipenius, Martin 13 Mühlen, Karl-Heinz zur 40f.
Liske, Michael-Thomas 96f. Mulsow, Martin 23, 26, 28f., 138
Lohr, Charles H. 14f., 17, 21, 23f., 25, Nifo, Agostino 18, 25, 76, 138, 141
26, 29, 31, 75f., 94, 136, 142 Nussbaum, Martha C. 47
Long, A. A. 111 Nutton, Vivian 102
Lullus, Raimundus 301 Ockham, Wilhelm von 10, 18, 43, 140,
Luther, Martin 30, 35, 37-44, 53-69, 74, 261,
103f., 124, 126, 128-131, 148, 249, Oehler, Klaus 207, 227, 241
251, 257, 280, 283, 289, 293, 328, Origenes 106, 148, 327, 336
334f., 356, 369f. Ovid 284
Lüthy, Christoph 3, 21 Pacius, Julius 32, 136f., 295, 296, 306,
Maclean, Ian 7f., 146, 354 307, 319, 320, 329f., 332, 356-361,
Magelhães, Cosmas de 134, 139 364, 365, 366, 370
Magirus, Johannes 13f. Papadis, Dimitris 45, 51, 52
Mahlmann, Theodor 292 Park, Katharine 20, 36
Mahoney, Edward P. 138 Patrizi, Francesco 22
Major, Johann 295 Pererius, Benedictus 13, 15, 133, 332,

396
Index nominum

335, 337, 345, 352 Pythagoras 203


Perfetti, Stefano 138f., 141 Quintilian 36, 134
Perkams, Matthias 75, 82f. Rapp, Christof 4
Perler, Dominik 2, 47, 219, 220, 222- Randall, John Herman 4, 46, 145, 155,
225, 241f.
Petersen, Peter 70, 122 Ramus, Petrus 342
Petrus Lombardus 327 Ratke, Wolfgang 287
Petrus Johannes Olivi 19 Reisch, Gregor 324
Philoponus 18, 25, 75, 137f., 143, 144, Reuchlin, Johannes 91
149, 152, 161, 163f., 190, 197f., 236, Riccoboni, Antonio 135
273, 280, 325, 345, 357 Risse, Wilhelm 14, 22, 71, 134, 155
Piccolomini, Francesco 25-28, 76, 155, Rist, John. M. 107
332, 345, 351, 353 Robortello, Francesco 135f.
Pico della Mirandola 76 Ross, Sir David 77, 183
Pindar 284 Rubius, Antonius 13f., 15
Plastina, Sandra 25 Ryle, Gilbert 6
Platon 17, 67, 75-80, 88, 91f., 100, 113, Scaino, Antonio 141
119, 127, 130, 138, 147, 176f., 190, Scaliger, Julius Caesar 13, 15, 165-167,
202f., 214, 226f., 241f., 253, 264, 170f., 187, 258, 288, 308, 318, 323,
266, 293, 332, 337, 343 324, 327, 345, 350, 353, 363
Plautus 284 Scharf, Johannes 13f., 286
Plotin 6, 17, 75, 78f., 91, Schegk, Jacob 92
Pluta, Olaf 25, 184, 246 Scheible, Heinz 38, 95
Plutarch 56, 134, 333 Scheibler, Christoph 32, 294, 296f.,
Pomponazzi, Pietro 20f., 23, 25f., 29, 306, 307, 308, 310, 315f., 319, 320f.,
42f., 138, 141, 148f., 161, 162, 174, 323, 324-326, 330, 335-336, 337,
176, 239, 246f., 249f., 252, 255f., 338f., 341, 343, 344-347, 350-353,
288, 319, 333, 364, 370 354, 355-357, 361, 364f., 367, 368,
Portio, Simone 25, 31, 138f., 141, 143f., 369-371
148-150, 161, 163-166, 170f., 176, Schilling, Wenzeslaus 287
178, 187, 197f., 202, 212, 215-218, Schindling, Anton 283
233, 234, 235, 237-240, 242, 244, Schmidinger, Heinrich M. 35
248, 250-257, 278-280, 288, 294, Schmidt-Biggemann, Wilhelm 101, 302
304, 315, 319, 322, 332, 333, 356, Schmitt, Charles B. 3, 21f., 36f., 133,
357, 359, 361, 369f. 137, 142, 144, 185, 277
Porphyrius 92, 273 Schröder, Richard 290
Possevino, Antonio 149f. Schüling, Hermann 72f.
Preus, Anthony 107f., 109-113 Scotus, Michael 14
Priscian von Lydien 14, 76, 92, 96 Seckler, Max 142
Proklos 92 Seidl, Horst 5
Putnam, Hilary 46f. Sennert, Daniel 13-15
Putscher, Marielene 105 Sextus Empiricus 118

397
De Anima

Sharples, R. W. 45, 50, 51, 53 301, 313, 322-325, 327, 330, 332,
Shea, William R. 4 353, 360
Siger von Brabant 19, 147, 184 Thukydides 134, 284
Simmons, Alison 142, 145 Timpler, Clemens 32, 285f., 290, 296,
Simplicius 10, 16-18, 19, 25, 29-32, 74- 299f., 305, 306, 311-315, 320f.,
92, 94f., 98, 130, 135, 137f., 144, 322f., 326f., 329f., 331, 333, 338,
149, 152-154, 162, 164, 174f., 187, 339, 341-343, 347-349, 355, 365
190, 191, 194, 197f., 204, 206, 219, Toletus, Franciscus 13, 15f., 20, 27,
226, 235, 237, 243, 250 30f., 133, 139, 142, 145-154, 156,
Sophokles 134, 284 158, 159, 161f., 163-166, 169-175,
Sparn, Walter 22, 31, 283, 286, 289, 177, 179f., 181, 183, 185f., 188-190,
290, 291, 329, 341, 369 195-200, 202f., 205-207, 210, 212-
Specht, Rainer 1 214f., 220, 225f., 227, 228, 232-234,
Speer, Andreas 5 235-237, 239, 247f., 249, 250-252,
Sperling, Johannes 13-15 258f., 261, 267, 271-273, 274, 280,
Spruit, Leen 223-226, 230, 231 288, 322, 325, 327, 330, 332, 352,
Steel, Carlos G. 76f., 82, 83, 84, 86f., 94 364
Steiner, Peter M. 17 Tomasinus, Jacobus Philippus 133, 135,
Stiening, Gideon 72, 101-103, 108, 118- 136
121, 131, 303 Tomitanus, Bernardius 135
Stobaeus 79 Trabezuntios 92
Streiff, Stefan 69, 129 Troeltsch, Ernst 369
Strigelius, Victorinus 124 Venetus, Jacobus 14, 139, 140
Suárez, Francisco 28, 133, 141, 287, Vergil 284
288, 368 Vernia, Nicoletto 18, 25, 137
Telesio, Bernardino 26 Vesalius, Andreas 113, 302
Temkin, Owsei 111f. Vickers, Brian 135
Tertullian 148 Wallace, William A. 4
Theiler, Willy 5, 7, 54, 56, 59, 81, 164, Weber, Hans Emil 22, 155, 286, 291,
182, 227, 369, 371
Themistius 10, 14, 94, 95, 99, 104, Weichenhan, Michael 3
137f., 149, 164, 187f., 190, 193, 204, Wendelin, Marcus Friedrich 13, 15
227, 235, 250, 273, 308, 325 Werdenhagen, Johann Angelius von 287
Theophrast 10, 13f., 24, 154, 193, 204, Werenberg, Jacob 290
227, 232, 235, 249, 298 Wieland, Wolfgang 265, 266, 275
Thijssen, Johannes M. 21 Wilhelm von Conches 301
Thomas von Aquin 10, 16, 18, 28, 38, Winckelmann, Johann 295
43, 55, 58, 62, 140-142, 146, 147, Witte, Henning 287
148, 152-154, 160-164, 166, 175- Wundt, Max 22, 341, 343, 369
178, 184f., 191, 195, 206, 207, 209f., Xenophon 134
213, 217f., 220-225, 228, 236, 242, Zabarella, Jacobus 10, 13f., 16, 25-29,
243, 245f., 249f., 261, 272f., 288, 31, 76, 107, 133, 135-139, 140, 141,

398
Index nominum

143-146, 150-153, 155, 157, 158,


160f., 162, 164, 167-173, 174, 176-
181, 185f., 187, 188, 189, 190, 191,
195-200, 202f., 204, 205-207, 212f.,
215, 217-220, 226f., 229-232, 233,
234f., 236, 237-244, 246, 248, 250-
253, 256-274, 276-280, 285f., 294,
296, 300, 306f., 315, 318-322, 325,
333f., 342, 345, 347, 350, 352f., 356,
357, 359, 361, 364, 366f., 369f.
Zanetti, Bartolomeo 75
Zenon
Zetzner, Lazarus 146
Zimara, Marcantonio 18, 138, 272
Zuylen, Willem Hendrik van 16

399
INDEX RERUM

Es werden hauptsächlich nur die Begriffe aus dem Haupttext nachgewiesen. Kursiv
gedruckte Seitenangaben verweisen auf Nennungen in den Anmerkungen.

Griechische Begriffe (auch in deutscher e)pisth/mh 6, 9, 100, 117, 188, 309, 362
Umschrift) ki/nhsij 95-98, 103, 108, 110, 196
koinai\ e)/nnoiai 118f., 349, 365
a)i+/dioj 10, 234, 256, 330, 332, 358 lo/goj 79, 82-90, 174, 324
a)migh/j 10, 90, 199, 333, 358, 359 - koino/tatoj 55, 156, 195, 218
a)qa/natoj 10, 53, 88, 234, 256, 330, - paqhtiko/j 85f., 88f., 194
332, 358 - prw=toj ou)siw/dhj 85-87, 90, 236
a)paqh/j 10, 90, 199, 333, 358, 360 me/qecij 89, 227
a)rxh/ 50, 98, 107f., 110, 111, 154, 278 meta/basij 143, 280, 291, 299
gnw=qi seauto/n 7, 151, 180, 324 nou=j 5, 6f., 9f., 12, 29, 44, 46, 48-54,
gnwrimw/teron h(mi=n/gnwrimw/teron tv= 57, 59, 80, 84, 87-91, 106, 117, 125,
fu/sei 267f., 270 150, 159, 165, 172, 174, 180f., 194,
dia/noia 5, 207, 324 196-201, 207, 211, 215, 230, 242,
du/namij 48, 95, 97, 163, 218, 307, 310, 249, 251f., 324, 332, 339, 358, 363,
322 364, 367, 371
dunato/j 215, 218 - duna/mei 49, 364
ei)=doj 5, 46, 52, 80-82, 84, 97-100, 186- - e)n e(/cei/kata\ e(/cin 45, 49, 52, 53,
188, 227, 278, 307 89, 366
- ei)dw=n 218, 226 - e)nergei/# 52, 366
- nohto/n 50, 219, 227, 230 - e)pi/kthtoj 46, 48, 49f., 52f., 87, 89,
e)ne/rgeia 46, 81, 83, 86f., 90f., 95-100, 128, 216
189, 233, 278, 310, 333 - qu/raqen 16, 45, 49, 51, 52f., 128,
e)ndele/xeia 72, 93f., 96, 98-100, 102f., 166, 194, 200-203
105, 130, 187, 307-309, 371 - paqhtiko/j 6, 10, 19, 49, 51, 54, 87-
e)ntele/xeia 5, 74, 80-83, 93-103, 130, 89, 91, 182, 235f., 278, 340, 362, 363
187f., 194, 196, 307-310, 323, 371 - poihtiko/j 6, 10, 16, 19, 45, 46, 49-
- a)telh/j 74, 81, 83, 95f., 98, 130, 54, 87, 89-91, 125, 182, 232, 235
308f. - u(liko/j 16, 48, 49-52, 88, 235, 251
- deu/tera 98, 189, 310 - fusiko/j 45, 46, 49
- prw/th 82f., 98, 100, 188, 208, 307, ou)si/a 46, 81-84, 90f., 98f., 108, 111,
309, 325 227, 269, 277, 289, 307, 364
- spiritualis 325, 326f., 329, 331, 370 pneu=ma 6, 105-12, 200f., 249, 323
e(/cij 9, 47, 49, 81, 86, 188, 340 to/de ti 46, 80, 108, 186, 307

401
De Anima

to/poj ei)dw=n 226, 228 344, 348f., 368


u(/lh 5, 46, 80, 97, 186, 278, 307 esse intentionale 221f., 351
fqarto/j 57, 88, 159, 234, 256f., 363 esse naturale 221
xwristo/j 10, 90, 315, 333, 358 esse singulare 224
yuxh/ 48, 84f., 87, 98 forma 61, 93f., 99f., 103, 168, 189, 214,
- ai)sqhtikh/ 48, 52, 165 298, 307-309, 311, 315, 325, 346
- qreptikh/ 48, 52, 165, - assistens 17-19, 47, 55, 81f., 147,
- logikh/ 79, 84f., 87, 174 156, 176, 183-186, 189-192, 194,
- nohtikh/ 48, 218 200, 203, 213-215, 236, 238, 249-
- futikh/ 174 251, 279, 309, 312, 325, 331, 332,
357-359
Lateinische Begriffe - corporis 55, 62, 68, 101, 103, 106,
147, 149, 154, 157, 171, 177, 209,
actus 189f., 298, 308f. 211, 213, 217f., 257, 260, 278, 311,
- corporis 196-198, 209, 218, 325 325, 332-335, 361
- immortalis 325, 326, 329, 370 - formarum 226
- primus 100, 198, 201, 206, 214, - informans 17-19, 46f., 55, 81f., 147,
308, 325 156f., 165, 168, 171, 173, 176, 178,
- secundus 100, 201f., 206, 308, 325 183-186, 189-191, 194, 196, 198,
agitatio/motio continua 93, 96, 98, 187, 201, 203, 206, 208, 211, 213-215,
309 235f., 238, 247-251, 254, 256, 260,
ancilla theologiae 142, 280, 290, 294 278f., 309, 312, 316f., 325f., 331f.,
anima (vgl. auch Seele) 357-359, 362, 364, 369f.
- rationalis/intellectiva 13, 18f., 94, - producens 229, 350
104f., 106, 114, 147, 153, 157, 161, - producta 229
164-166, 169-171, 175f., 178, 180, - substantialis 93, 176f.
185, 191, 194, 197f., 200, 209-211, habitus 10-12, 49, 60-62, 81, 89, 100,
215, 218, 250f., 256, 279, 294, 316f., 188, 217, 230-232, 237, 308, 317,
319-324, 326, 329, 338f., 370 339f.
- sensitiva/sentiens 18, 105, 147, 153, id quo/quod intelligitur 223f., 228, 230,
161, 164, 165, 167-171, 180f., 316f., 250
319-322 intellectio vgl. Erkenntnis
- separata 248, 252f. intellectus (vgl. mens) 5f., 11-13, 106,
- vegetativa/vegetans 18, 105, 147, 117, 118f., 150, 180, 192, 197f., 249,
153, 161, 164, 168-171, 180, 311, 337-340, 346, 366
317, 319-322 - agens 6, 16-19, 26, 27, 59-66, 122-
cognitio 126, 150, 182-184, 194, 200f., 215,
- confusa 267f., 271-273, 276, 352, 226, 228, 231-246, 252, 254-257,
353 262, 279, 330, 332, 334f., 346, 348-
- distincta 267f., 273, 352 350f., 355-363, 369f., 372
- imperfecta 265 - in actu 201, 216, 366
conceptus 261, 272f., 278, 322, 342, - in habitu 206, 207, 231

402
Index rerum

- in potentia 364, 366 ratio philosophandi 69, 72, 140, 142f.,


- materialis 16f., 190, 192-194, 204f. 145, 195, 209, 211, 277, 284, 288,
- possibilis/patiens/passivus 6, 17-19, 315, 371
26, 27, 59-66, 122-124, 150, 182- scientia 11, 63f., 78, 117, 151-154,
184, 194, 206f., 208, 212, 214f., 266f., 298, 339
227f., 232-246, 249, 252, 254-257, secundum esse/operationem 13, 48,
262, 276, 278f., 347-351, 355-364 58f., 52, 65f., 122, 129, 160, 183f.,
- practicus 171, 355, 367 198f., 201, 211f., 217-219, 237f.,
- speculativus 171, 197, 355, 367 247-251, 254, 260, 317, 335, 337,
mens (vgl. intellectus) 6, 72, 117, 157, 356, 358f., 361f., 369f.
180, 201, 238, 324, 338f. species 164, 168, 217, 261, 320
methodus 268f., 271, 274 - expressa 229
notitia innata 73, 118-122, 125, 261, - impressa 228f., 245, 272f.
366 - intelligibilis 121, 184, 199, 205,
ordo 206, 218f., 221, 222-230, 237, 245f.,
- cognitionis confusæ 262, 271, 275 252, 256f., 276, 278, 338, 346f.,
- cognitionis distinctae 262, 271 350f., 353f., 361-364, 366
- compositivus 155f., 269 - sensibilis 197, 199, 221, 227f., 260,
- doctrinae 144, 154-156, 235, 258, 349, 351
262, 271, 276, 300 spiritus 6, 35, 72f., 103-106, 112, 114-
- generationis 261 116, 127f., 130, 148, 210f., 249, 302,
- naturae 154f., 169, 235, 258, 262, 317, 323, 326
268, 271, 276, 352f. - animalis 106, 112, 114-116, 348
- resolutivus 263 - intelligens 104, 106, 128, 371
- temporis 169 - vitalis 106, 112, 114-116, 175, 312f.
perfectio 99, 103, 106, 181, 187, 190, substantia 58f., 62, 99, 164, 168f., 238,
209, 216f., 279, 308, 311, 366, 371 240, 307, 313
potentia 60, 122, 161, 201, 212, 215, - separata 18, 214f., 234-236, 239,
233, 307, 364, 367 249
- intellectiva/rationalis 19, 117, 238, - spiritualis 105, 130, 175, 183, 209-
317, 319, 337 211, 213, 215, 249f., 279, 315, 317,
- passiva 183 369, 371
- pura 213f., 216-218, 362-364
- sensitiva 19, 317, 319 Deutsche Begriffe
- vegetativa 19, 317, 319
principium 12, 50, 61f., 177, 228, 318, abstrahieren/Abstraktion 27, 51, 58,
326 118, 124, 211, 222-224, 227, 244f.,
- constitutivum 157, 214, 217, 278, 260-262, 273, 331, 341, 344-346,
309, 311 349, 351, 353, 361, 368
- individuationis 186, 278 abtrennbar/abgetrennt/unabtrennbar etc.
- operandi/operationum 47, 100, 157, 10, 19, 47f., 50, 52, 57f., 61, 64-66,
159, 178, 214, 217, 278, 311, 318 79f., 83f., 86, 88, 90f., 104, 124f.,

403
De Anima

159, 178, 190, 192f., 196-198, 213, 270, 273, 275f., 343-346, 351-353
215, 237-239, 247, 253f., 256f., Eklektik 30, 75, 131, 371
259f., 321, 332-334, 343, 358f. Embryogenese 52, 107, 165-167, 169-
affizierbar/affiziert/inaffizierbar etc. 10, 171, 200f.
19, 50, 61, 64, 66, 124f., 192f., 199, Entelechie vgl. e)ntele/xeia
207, 216, 218, 221, 237f., 250, 254, Erkenntnis (vgl. Wissen) 27, 50, 52, 61,
256, 332, 358, 360 63, 89, 117-121, 152, 184, 205-208,
Allgemeines 51, 117, 151, 156, 184, 213, 219-225, 227-235, 240, 243-
208, 222f., 258-262, 270-277, 343- 246, 257-262, 265-268, 271-278,
346, 349, 351-353, 357 298, 324, 338f., 346-352, 361-366
Anamnesis-Lehre 227, 264, 266 - Erkenntnistheorie 120f., 125, 218,
Anordnung vgl. ordo 219, 225-227, 240, 260, 266, 268,
Anthropologie 12, 19, 72, 116, 128, 278, 346
300-305, 317 - Selbsterkenntnis/Erkenntnis des
Aristotelismus 2-5, 9, 17, 21-26, 28-31, Geistes 7, 89, 151f., 180, 206f., 258,
36-38, 69f., 77f., 128, 131, 133, 138, 278, 345, 353-355
142, 144, 146, 150, 155, 219, 248, Ewige/ewig/Ewigkeit (vgl. a)i+/dioj) 10,
277-279, 283, 293, 296, 301, 317, 16, 18f., 38, 42, 54, 56-59, 64-66, 68,
369, 371 78, 80, 82, 84, 88, 102, 124, 126-128,
- Alexandrismus/alexandrinisch 27, 148, 159, 166, 193, 198, 227, 234f.,
29, 31f., 88, 129, 139, 149f., 185, 237, 239, 252-255, 279, 332, 334,
248, 250f., 277, 279 336, 363, 370
- Averroismus/averroistisch 16, 29, Form (vgl. ei)=doj, forma) 5, 16, 46, 50-
31f., 137, 149f., 185, 250f., 277 53, 55, 60-67, 80-82, 84, 89, 93f.,
- Jesuitenorden 16, 22, 26, 28f., 31f., 97f., 126, 146, 149, 158, 173, 176,
133f., 140-145, 149f., 369 186-188, 192f., 195, 205, 208f.,
- Thomismus/thomistisch 29, 31f., 213f., 216-218, 220-222, 254f., 279,
137, 140, 149f., 185, 210, 248, 250, 307, 310, 313f., 349
277, 279, 330, 369f. Funktion 12, 16, 48, 54, 150, 154, 156f.,
Bewegung (vgl. ki/nhsij) 56, 88, 93- 159, 178, 182, 184, 202, 210, 212,
100, 107f., 110-115, 130, 151f., 154, 214f., 219, 226f., 232-235, 239, 243,
158, 160, 196, 239f., 254, 297, 307- 245-247, 250, 256f., 278, 310, 337
310, 326 Gegenstand/Objekt 6f., 31, 51, 63-65,
Denken 5-9, 11, 16, 21, 51-54, 58f., 83, 115, 118, 121, 152f., 155, 184, 204-
88-91, 97, 128f., 151, 165, 169, 171, 206, 208, 219, 222f., 228, 243f., 246,
181, 183, 196, 199, 202, 206, 208, 260-264, 267, 271-274, 340-355,
211, 216f., 219f., 223-225, 227-230, 361-364
251, 255f., 260f., 325, 331, 337-339, Geist (vgl. nou=j, pneu=ma, intellectus,
346f., 371 spiritus), auch passim, 5-11, 56-66,
Dies-da (vgl. to/de ti) 46, 151, 186-189, 87-91, 116-125, 180-184, 197-241,
307 258-264, 271-277, 341-371
Einzelnes 51, 117, 151, 222f., 258-262, Definition des Geistes 219, 339, 371

404
Index rerum

Einssein/Vielheit des G. 17f., 147, Kreatianismus 19, 106, 147, 153, 167,
183f., 203-208, 248f., 317, 320-323 200f., 202, 252, 279, 327, 328f.
materieller Geist vgl. intellectus ma- Logik 9-11, 13, 26, 284, 306, 346, 355,
terialis 369, 372
passiver/erleidender Geist vgl. intel- Materie (vgl. u(/lh) 5, 16, 46, 50-52, 55,
lectus possibilis 58-61, 63-66, 93, 97f., 109, 124, 147,
tätiger Geist vgl. intellectus agens 149, 154, 158, 173, 176, 186f., 193,
Gott 8f., 11f., 19, 24, 27, 41, 43, 51, 53, 233, 254f., 300, 307, 309f., 313f.,
68, 71, 87, 101-103, 184, 201, 202, 331, 334, 362
234-237, 239-242, 252, 256, 312, Metaphysik 9-11, 13, 23, 140, 234,
326-329, 335, 356, 359 283f., 287, 298, 302, 306, 341, 346,
- göttliche Kraft 184, 239f., 252, 257, 355, 369, 372
279, 356f., 359, 372 Methode (vgl. methodus) 268f.
Herz 108f., 110, 114-116, 119, 176, Möglichkeit/Vermögen (vgl. du/namij,
178, 316 potentia) 50, 59-61, 63, 80f., 93, 95,
Humanismus 24, 31, 35-38, 131, 133- 97-99, 158f., 161, 163f., 186, 193,
135, 283 207, 212, 215, 217, 233, 238, 255,
Hylemorphismus 16, 55, 93, 101, 218, 306-308, 310, 325, 336, 357, 360-
334 363, 366
Idee 81f., 84, 86, 90, 121, 131, 181, Natur 78, 154, 298, 310, 324, 326
219, 227, 334 Neuplatonismus vgl. Platonismus
- angeborene Ideen 130, 226, 365 Noologie 12f., 306, 355, 372
Immaterielles/immateriell 46, 52, 65, Nous vgl. nou=j
88, 101, 107, 110, 114, 148, 155, ontologisch/epistemologisch (vgl. auch
172f., 192f., 194, 210-212, 216, 221, secundum esse/operationem) 13, 16,
223, 228, 233, 238, 245, 260, 278, 19, 27, 29, 50, 52, 58f., 61f., 65f., 68,
323, 346, 350f., 353f., 358, 364f. 81-85, 87f., 90f., 97, 101, 124f., 128-
Intelligibles/intelligibel 51-53, 60-63, 130, 155, 177f., 184, 192, 198f., 201,
88, 214-216, 233, 239, 241-246, 259, 211-215, 223, 225, 237, 249, 251,
324, 340f., 346f., 357, 360f. 253, 256f., 278f., 300, 304, 311, 316,
- intelligible Form vgl. species intelli- 332, 335-337, 358-361, 364, 370
gibilis organlos/Organlosigkeit (vgl. auch
Intentionalität/intentional 6, 183, 219- abtrennbar/Abtrennbarkeit) 213f.,
225, 278 227, 250, 259, 331f., 340, 358f.
Körper/Leib 5, 12, 16, 18-20, 46-48, 54- Phantasma/Vorstellung 85, 88, 222f.,
56, 58, 61, 64, 71f., 79-82, 88, 90, 93, 227-232, 243-247, 252, 255, 258,
98f., 101-104, 106-108, 110-116, 277f., 340, 345, 349-351, 361f., 364
126-128, 146-149, 152-154, 158, Philosophie 32f., 35f., 38-44, 53-55,
192, 196-199, 204, 210-215, 235- 66f., 69-73, 75, 91f., 104, 112f., 127-
238, 247, 249-251, 297-300, 304- 131, 134, 140-145, 201, 209f., 237,
306, 309-318, 323-327, 331-334, 240, 253, 257, 277, 280, 283-286,
336, 340, 357-360, 363f. 287, 288-294, 301-303, 330, 336,

405
De Anima

369-371 164, 169, 220, 242, 319, 346, 361


Philosophie des Geistes 5-10, 13, 120, Leib-Seele-Verhältnis 5, 55, 101-103,
130, 278, 305f., 337, 354f. 106f., 130, 147, 158, 249, 260, 300f.,
Philosophie der Subjektivität 5-8, 13, 310-314
207 Seele als Seins- und Wirkprinzip 5,
Platonismus 16f., 24, 29, 31, 72, 74-76, 16, 19, 47, 54, 55, 149, 185-194, 214,
91f., 130, 138f., 180, 277, 300 278f., 298, 306-312, 318, 325
Psychologie 9f., 13, 16, 18, 21, 23-25, Seelentod 166f., 170-172, 200
29-32, 44, 69-72, 75-77, 102, 106, Seelenvermögen 16-18, 48f., 158-
114, 116, 128, 130f., 149f., 152, 155, 173, 179f., 195f., 201, 212f., 217f.,
180, 234, 242, 277-279, 294, 296f., 234-237, 259, 279, 317-319, 338
301, 303-306, 346, 355, 368f., 372 Seelenvielheit/-einheit 18, 47, 105,
Repräsentation 208, 222, 225, 228, 246, 147, 149, 159, 161-172, 177f., 200,
348-351 317, 319-323
Samen 107-109, 165f., 312 Seelenwanderung 144, 148, 202f.,
Schiffer 47, 189f., 194, 197, 238, 309 327
Scholastik 25, 30, 35, 38-41, 71, 73, Verteilung/Lokalisierung der Seele
129, 133, 135, 139f., 142, 280, 300 110, 113, 172, 176-179, 313-316
Schreibtafel 7, 213, 216f., 363, 365f. Sterblichkeit/sterblich (auch Vergäng-
Sein 46, 55, 59, 61, 64, 80, 83f., 89, 91, lichkeit/vergänglich) 10, 16f., 19f.,
94, 97f., 100, 103, 147, 151, 157, 23, 38, 42-44, 47, 54-57, 66, 73, 79,
168f., 176, 186-190, 195, 197, 209, 91, 159, 175, 246f., 253-257, 279,
219, 252 313, 317, 330, 335, 363f.
Seele (vgl. yuxh/, anima), passim Substanz/Wesen 16, 18f., 46, 48, 80,
Definition der Seele 48, 54f., 72, 78, 84f., 88, 90, 98f. 104, 150, 152, 158-
81, 93, 98f., 104-106, 151f., 157f., 161, 163, 166, 172f., 176-179, 182,
190f., 195f., 306f., 309-311, 317 192, 212, 215, 217f., 223f., 235,
Geistseele (vgl. anima rationalis) 58, 238f., 279, 313, 359
106, 114, 129, 147-149, 163-167, teilbar/Teilbarkeit/unteilbar etc. 17, 78,
169f., 175, 181, 190f., 195f., 202, 81-84, 89, 130, 158, 172-176, 335,
206, 210, 213f., 217, 247-249, 252, 355
257, 279, 321, 323, 325-327, 338- Theologie 32f., 35f., 39-41, 43f., 54, 67,
340, 346, 348, 356 69, 71-73, 75, 101-103, 118, 120,
Geistvermögen 183, 201f., 240, 255 128-131, 134, 140-144, 201, 209f.,
Nährseele (vgl. anima vegetativa) 240, 253f., 256f., 277, 280, 283, 289-
163-166, 169f., 196, 320f. 294, 301-303, 317, 330, 336, 369-371
Nährvermögen 158, 160, 164, 167, Traduzianismus 19, 147, 328f., 331, 336
169, 179 Unsterblichkeit/unsterblich (auch Un-
Wahrnehmungsseele (vgl. anima vergänglichkeit/unvergänglich) 42,
sensitiva) 163, 165f., 169f., 196, 46, 50-55, 57-59, 64f., 66-68, 73, 78,
320f. 80, 83f., 88, 91, 101f., 105, 124-128,
Wahrnehmungsvermögen 154, 160, 148f., 165, 170, 184-186, 193, 198,

406
Index rerum

210, 213-215, 234, 239, 246-257,


279, 315, 326, 330-336, 358f., 369-
371
vermischt/unvermischt 10, 19, 50, 61f.,
123f., 192, 198f., 216, 237f., 254,
260, 278, 334, 358f.
Vollendung/Vollkommenheit (vgl. e)n-
tele/xeia) 5, 18, 46-48, 65f., 80-83,
95f., 98, 103, 158, 187f., 198, 250,
306-309, 326, 345
Vorstellung vgl. Phantasma
Vorstellungsvermögen 214, 222, 229,
231, 259, 351
Wahrnehmung 5, 58, 85, 88, 111f., 114,
118, 121, 158, 165, 181, 196, 199,
201, 215f., 219, 221-223, 230-232,
244, 259-261, 273, 275-277, 319,
325, 345-347, 349-351, 363f.
Wirklichkeit (vgl. e)ne/rgeia) 50, 60-64,
95, 97f., 158f., 164, 193, 209, 215,
217, 233, 238, 244, 255, 307f., 336,
342, 349-351, 356-358, 360f.
Wissen/Wissenschaft 63f., 85-89, 217,
262-266, 268-270, 297, 309, 338,
344, 349, 360, 363, 366-368

407
Bochumer Studien zur Philosophie herausgegeben von Kurt Flasch, Ruedi Imbach,
Burkhard Mojsisch, Olaf Pluta:

43 SALATOWSKY, Sascha: De Anima. Die Rezeption der aristotelischen Psychologie im 16. und 17. Jahrhundert.
2006. xiii, 407 pp.
42 SCHMIDT, Kirsten, Klaus STEIGLEDER und Burkhard MOJSISCH (Hrsg.): Die Aktualität der Philosophie
Kants. Bochumer Ringvorlesung Sommersemester 2004. 2005. xii, 264 pp.
41 WELS, Henrik: Aristotelisches Wissen und Glauben im 15. Jahrhundert. Ein anonymer Kommentar zum
Pariser Verurteilungsdekret von 1277 aus dem Umfeld des Johannes de Nova Domo. Studie und Text. 2004.
clxxii, 162 pp.
40 IREMADZE, Tengiz: Konzeptionen des Denkens im Neuplatonismus. Zur Rezeption der Proklischen
Philosophie im deutschen und georgischen Mittelalter. Dietrich von Freiberg – Berthold von Moosburg – Joane
Petrizi. 2004. xii, 265 pp.
39 ACKEREN, Marcel van: Das Wissen vom Guten. Bedeutung und Kontinuität des Tugendwissens in den
Dialogen Platons. 2003. x, 370 pp.
38 WEBER, Stephanie: Richard Billingham “De Consequentiis” mit Toledo-Kommentar. Kritisch herausgegeben,
eingeleitet und kommentiert. 2003. xxviii, 335 pp.
37 GRASS, Rainer: Schlußfolgerungslehre in Erfurter Schulen des 14. Jahrhunderts. Eine Untersuchung
der Konsequentientraktate von Thomas Maulfelt und Albert von Sachsen in Gegenüberstellung mit einer
zeitgenössischen Position. 2003. x, 264 pp.
36 DEWENDER, Thomas: Das Problem des Unendlichen im ausgehenden 14. Jahrhundert. Eine Studie mit
Textedition zum Physikkommentar des Lorenz von Lindores. 2002. x, 430 pp.
35 MOJSISCH, Burkhard und Orrin F. SUMMERELL (Hrsg.): Die Philosophie in ihren Disziplinen. Eine
Einführung. Bochumer Ringvorlesung Wintersemester 1999/2000. 2002. viii, 286 pp.
34 MALMSHEIMER, Arne: Platons ‘Parmenides’ und Marsilio Ficinos ‘Parmenides’-Kommentar. Ein kritischer
Vergleich. 2001. x, 325 pp.
33 KAMP, Andreas: Philosophiehistorie als Rezeptionsgeschichte. Die Reaktion auf Aristoteles' De Anima-Noetik.
Der frühe Hellenismus. 2001. viii, 315 pp.
32 ASMUTH, Christoph, Alfred DENKER und Michael VATER (Hrsg.): Schelling. Zwischen Fichte und Hegel/
Between Fichte and Hegel. 2000. viii, 423 pp.
31 REHN, Rudolf: Sprache und Dialektik in der Aristotelischen Philosophie. 2000. xii, 357 pp.
30 WELS, Henrik: Die Disputatio de anima rationali secundum substantiam des Nicolaus Baldelli S.J. nach dem
Pariser Codex B.N. lat. 16627. Eine Studie zur Ablehnung des Averroismus und Alexandrismus am Collegium
Romanum zu Anfang des 17. Jahrhunderts. 2000. viii, 153 pp.
29 KAHNERT, Klaus: Entmachtung der Zeichen? Augustin über Sprache. 2000. x, 271 pp.
28 KANDLER, Karl-Hermann, Burkhard MOJSISCH und Franz-Bernhard STAMMKÖTTER (Hrsg.): Dietrich
von Freiberg. Neue Perspektiven seiner Philosophie, Theologie und Naturwissenschaft. Freiberger Symposion:
10–13 März, 1997. 1999. viii, 287 pp.
27 ERFURT, Thomas von und Stephan GROTZ: Abhandlung über die bedeutsamen Verhaltensweisen der
Sprache. [Tractatus de Modis significandi.]. Aus dem Lateinischen übersetzt und eingeleitet von Stephan Grotz.
1998. liv, 116 pp.
26 KRATZERT, Thomas: Die Entdeckung des Raums. Vom hesiodische “χάος” zur platonischen “χώρα”. 1998.
x, 128 pp.
25 ASMUTH, Christoph (Hrsg.): Sein – Reflexion – Freiheit. Aspekte der Philosophie Johann Gottlieb Fichtes.
1997. vi, 320 pp.
24 STEMICH HUBER, Martina: Heraklit. Der Werdegang des Weisen. 1996. x, 282 pp.
23 OMMERBORN, Wolfgang: Die Einheit der Welt. Die Qi-Theorie des Neo-Konfuzianers Zhang Zai (1020–
1077). 1996. iv, 349 pp.
22 HOENEN, Maarten J.F.M.: Speculum philosophiae medii aevi. Die Handschriftensammlung des Dominikaners
Georg Schwartz († nach 1484). 1994. xii, 169 pp.
21 JECK, Udo Reinhold: Aristoteles contra Augustinum. Zur Frage nach dem Verhältnis von Zeit und Seele bei den
antiken Aristoteleskommentatoren, im arabischen Aristotelismus und im 13. Jahrhundert. 1994. xvi, 521 pp.
20 CHAPPUIS, Marguerite: Le traité de Pierre d’Ailly sur la Consolation de Boèce, Qu. 1. Édition et étude
critiques. 1993. xlii, 438 pp.
19:2 FLÜELER, Christoph: Rezeption und Interpretation der Aristotelischen Politica im späten Mittelalter. 2. Teil.
1993. viii, 206 pp.
19:1 FLÜELER, Christoph: Rezeption und Interpretation der Aristotelischen Politica im späten Mittelalter. 1. Teil.
1993. xvi, 335 pp.
18 KUKSEWICZ, Zdzisław (Hrsg.): Aegidius Aurelianensis. Quaestiones super De generatione et corruptione.
1993. xxviii, 237 pp.
17 OOSTHOUT, Henri: Modes of Knowledge and the Transcendental. An introduction to Plotinus Ennead 5.3
[49]. 1991. vii, 200 pp.
16 HENRY, Desmond Paul: Medieval Mereology. 1991. xxv, 609 pp.
15 BILLERBECK, Margarethe (Hrsg.): Die Kyniker in der modernen Forschung. Aufsätze mit Einführung und
Bibliographie. 1991. viii, 324 pp.
14 IMBACH, Ruedi: Laien in der Philosophie des Mittelalters. Hinweise und Anregungen zu einem
vernachlässigten Thema. 1989. 174 pp.
13 SUAREZ-NANI, Tiziana: Tempo ed essere nell’autunno del medioevo. Il ‘De tempore’ di Nicola di Strasburgo e
il dibattito sulla natura ed il senso del tempo agli inizi del XIV secolo. 1989. xxiv, 250 pp.
12 PERLER, Dominik: Prädestination, Zeit und Kontingenz. Philosophisch-historische Untersuchungen zu
Wilhelm von Ockhams ‘Tractatus de praedestinatione et de praescientia Dei respectu futurorum contingentium’.
1988. x, 332 pp.
11 HEFFERNAN, George: Am Anfang war die Logik. Hermeneutische Abhandlungen zum Ansatz der ‘Formalen
und transzendentalen Logik’ von Edmund Husserl. 1988. viii, 255 pp.
10 PLUTA, Olaf (Hrsg.): Die Philosophie im 14. und 15. Jahrhundert. In memoriam Konstanty Michalski
(1879–1947). 1988. lx, 640 pp.
9 KACZMAREK, Ludger (Hrsg.): Destructiones modorum significandi und ihre Destruktionen. 1994. xii, 120 pp.
8 WASCHKIES, Hans-Joachim: Physik und Physikotheologie des jungen Kant. Die Vorgeschichte seiner
Allgemeinen Naturgeschichte und Theorie des Himmels. 1987. iv, 711 pp.
7 PLUTA, Olaf: Kritiker der Unsterblichkeitsdoktrin in Mittelalter und Renaissance. 1986. xii, 138 pp.
6 PLUTA, Olaf: Die philosophische Psychologie des Peter von Ailly. Ein Beitrag zur Geschichte der Philosophie
des späten Mittelalters. 1987. 336 pp.
5 EVANS, Joseph Claude: The Metaphysics of Transcendental Subjectivity. Descartes, Kant and W. Sellars. 1984.
xii, 138 pp.
4 ZUM BRUNN, Emilie: Le dilemme de l’être et du néant chez Saint Augustin. Des premiers dialogues aux
‘Confessions’. 1969. Reprint avec additions de l’auteur. 1984. iv, 102 pp.
3 MOJSISCH, Burkhard (Hrsg.): Sprachphilosophie in Antike und Mittelalter. Bochumer Kolloquium, 2.–4. Juni
1982. 1986. viii, 488 pp.
2 BONATTI, Luigi: Uncertainty. Studies in Philosophy, Economics and Socio-political Theory. 1984. xii, 132 pp.
1 KÜHN, Wilfried: Das Prinzipienproblem in der Philosophie des Thomas von Aquin. 1982. xxxviii, 555 pp.

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