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6
, €
Juni
Mut
Die Diskussion über das europä-
ische Urheberrecht hat tiefe Wunden
hinterlassen! In der Öffentlichkeit
und der Politik schwinden unsere
Unterstützer. Zum einem mussten
wir erleben, dass zehntausende
Demonstranten gegen uns auf die
Straße gegangen sind. Sie haben für
ein vermeintlich freies Internet de-
monstriert und sahen den Kulturbe-
reich als ihren Gegner. Weil wir uns
für die EU-Urheberrechtsrichtlinie
starkgemacht haben und damit, so
die Argumentation der Demons-
tranten, wir für die Installierung von
sogenannten Uploadfiltern verant-
wortlich seien und der »Zensur« im
Netz so Vorschub leisten würden.
Exilkultur
Natürlich ist das so nicht richtig,
denn Uploadfilter, die wir eigentlich
auch nicht wollen, sollen nur dann
D
de von unseren Unterstützern in der ie Nationalsozialisten hatten zwei stra- rohung in Deutschland nicht mehr ertragen konnten. benen kamen nach Deutschland hinein, wurden auf-
Politik wahrgenommen, dass nur tegische Ziele für ihr Drittes Reich: die Es ist bitter. Aber es liegt heute fast noch derselbe genommen, waren alle in demselben, einen Land. Ihr
sehr wenige bekannte Künstler sich Auslöschung der Juden und Auslöschung Schatten wie auf dem Thema Exil. Wer sich ins Ankommen bekam dadurch eine Struktur. Es gab für
öffentlich hinter sie gestellt haben. der Moderne. Exil retten konnte, galt damals nicht als Opfer, und sie sogar ein eigenes Ministerium. Also einen Staat,
Wichtige Bundespolitiker haben sich, Für das zweite Ziel erklärte Hitler einen »un- für die Bundesregierung gelten die Geflohenen bis
nach eigenen Angaben, von uns im erbittlichen Säuberungskrieg« mit »roher Gewalt« heute nicht als Opfer, die einen zentralen Gedenkort
Stich gelassen gefühlt. gegen alle »Elemente der Kulturzersetzung«. Durch verdienen.
Was können wir jetzt tun? Zum die Bücherverbrennungen und die Aktionen gegen Wer nach aus Deutschland fliehen konnte, Für Künstler und ihr Werk
einen müssen wir das Kriegsbeil mit »Entartete Kunst« und gegen »Entartete Musik« sollte hatte Glück. Aber wie war dieses Glück. Es war nie bedeutete Exil zumeist: in der
den Gegnern der Urheberrechtsre- nicht nur die moderne Kunst selbst, sondern auch die glatt, nie fertig, es stürzte ständig ab und wurde bo- Heimat auf lange Zeit oder für
form endlich begraben und mitei- Erinnerung an die Moderne für immer gelöscht werden. denlos. Mit leeren Händen und kaputten Nerven, mit
nander reden. Nicht in erster Linie Dagegen half es nicht einmal, selbst ein überzeug- hilflosen Gedanken an die zu Hause Zurückgelassenen
immer vergessen zu sein
über Urheberrecht, sondern über ter Nazi und Antisemit wie Emil Nolde zu sein. Trotz lebte man in einem fremden Land, im Exil. Da war
die Frage, welche Rolle die großen seiner Anbiederungsschreiben traf die Auslöschungs- man wirklich am Nullpunkt der Existenz. Deshalb
Plattformen im Netz bei der Gestal- politik auch seine Malerei. Und trotz Anbiederung passt der Begriff Stunde Null besser auf das Schicksal der sich um sie kümmerte. Die von den Nazis Ver-
tung unseres Lebens in der Zukunft durfte Mies van der Rohe nicht für die Nazis bauen der Emigranten als auf den Neuanfang nach . triebenen waren und sind bis heute verstreut in der
einnehmen sollen. In dieser zen- – er musste ins Exil. Die geplante gleichgeschaltete Aber geprägt wurde er für das sogenannte kommuni- ganzen Welt. Da wartete kein helfender Staat, keine
tralen Frage sind wir nämlich Part- Gesellschaft der Nazis war mit moderner Kunst, mit kative Beschweigen, das Verdrängen des Wissens über Struktur. Sie waren nirgends willkommen. So lebte der
ner und keine Gegner. Außerdem kritischer Wissenschaft, mit einer freien Presse und das eigene Lavieren und die Verbrechen in der Nazi- Einzelne knapp geduldet in diesem Gefälle zwischen
müssen wir unseren Unterstützern mit unabhängigen Richtern unvereinbar. Gleich zeit. Für mich ist Stunde Null ein enteigneter Begriff, abgründigem oder glücklichem Zufall.
in der Politik ein deutliches, in der weil er nicht den Geflohenen gehört, sondern den in Für Künstler und ihr Werk bedeutete Exil zumeist:
Öffentlichkeit sichtbares Signal ge- Deutschland gebliebenen Heimatbesitzern. Aber nur in der Heimat auf lange Zeit oder für immer vergessen
ben, dass wir auch in schwierigen für die Emigranten und der Verlust jeder Selbstver- zu sein. Felix Nussbaum hatte ein Versteck in Brüssel
Zeiten, z. B. bei der jetzt anstehen- Die Gesellschaft der Nazis war ständlichkeit ist der Begriff zutreffend. zusammen mit seiner Frau Felka Platek. Nussbaum
den nationalen Umsetzung der EU- mit moderner Kunst, mit kriti- Solche Begriffe wie Stunde Null bestimmen die malte in seinem Versteck. Ein Nachbar roch die Ölfar-
Urheberrechtsrichtlinie, zu ihnen scher Wissenschaft, mit einer Sicht auf die Geschichte. Sie sind nicht zufällig ent- be, ein Bekannter denunzierte ihn. Mit dem letzten
stehen. standen und einmal installiert, funktionieren sie und Transport aus Belgien wurden er und seine Frau nach
freien Presse und mit unabhän-
Eine Lehre aus dieser Debatte für werden bis heute nicht infrage gestellt. So ist es auch Auschwitz deportiert.
mich ist: Der Kulturbereich muss in gigen Richtern unvereinbar mit dem Begriff Heimatvertriebene. Wieso gehört er Nussbaums Eltern waren schon aus Osna-
der öffentlichen Debatte mutiger nur den Vertriebenen aus den ehemaligen Ostgebie- brück nach Italien geflohen. Aber das Heimweh trieb
werden, selbst für seine Interessen ten. Ihre Vertreibung war chronologisch die zweite sie schon zurück nach Deutschland. flohen
auf die Straße gehen begannen die Verhaftungen und viele Künstler, Jour- Vertreibung am Ende des Krieges, eine Vertreibung sie dann erneut, dieses Mal nach Amsterdam. Das war
und mehr Bündnisse nalisten und Wissenschaftler mussten fliehen, weil nach Deutschland hinein. Die erste Vertreibung be- fatal. Von dort wurden auch sie nach Auschwitz de-
schließen. sie sich selbst treu bleiben wollten. Auch wenn sie gann und war eine aus Deutschland hinaus. Wir Fortsetzung auf Seite
körperlich nicht, oder noch nicht bedroht waren – es nennen sie heute Exil. Das Wort Heimatvertriebener
Olaf Zimmermann war ja nicht abzusehen, wie weit der Furor gehen wird. hat einen warmen Hauch, es meint eine einzelne Nr. /
ist Herausgeber von Das Exil von hunderttausenden Deutschen ist aus allem herausgerissene Person. Das Wort Exilant ISSN -
Politik & Kultur deswegen kein Randphänomen des Nationalsozia- klingt lakonisch, seltsamerweise sogar kollektiv. Ei- B
02 SEITE www.politikundkultur.net
EDITORIAL EUROPA
Mut Die Linke: Transparente Vergütung Kulturpolitik in Italien: Das Land, Ausstellung »Künste im Exil«: Architektur: Zwischen den Fronten
Olaf Zimmermann 01 Amira Mohamed Ali 05 wo die Zitronen blühn Exilnetzwerk und dem Fortleben der Moderne
Gabriele Kreuter-Lenz 10 Sylvia Asmus 17 Riccarda Cappeller 25
Bündnis 90/Die Grünen: Ausgewogenheit
LEITARTIKEL Tabea Röẞner 05 Finnland-Institut: Schreiben im Exil: Claussens Kulturkanzel: Fremdsein
Fünfundzwanzig Jahre Dialog Globalisierung der Literatur Johann Hinrich Claussen 25
Exil: Die Lücke in der deutschen Zukunft des Internets: Mehr als Laura Hirvi 11 Doerte Bischoff 18
Erinnerungskultur Google, Facebook & Co
Herta Müller 01 Henning Tillmann 06 Schreiben im Exil: Von Altenheimen, MEDIEN
INTERNATIONALES Integrationspillen und Formularen
Deutsches Literaturarchiv: Faisal Hamdo im Gespräch 19 Binnenmarkt: Die EU, ein mäch-
SEITE 2 Die Sammlung der Zukunft Hochschulen in Ägypten: tiger Akteur der Medienpolitik
Sandra Richter 06 Internationalisierung am Nil Journalismus im Exil: Endlich bin Helmut Hartung 26
Kulturmensch Isabell Mering 11 ich ein freier Mensch
Werner Herzog 02 Sprachförderung: Yirgalem Fisseha Mebrahtu 20
(Vor-)Lesen für alle REAKTIONEN
Jörg F. Maas 07 KULTURELLES LEBEN Journalismus im Exil: Probleme
AKTUELLES kommen mit ihren Lösungen Genozid von Nama und Ovaherero:
Musikhochschulen: Probespiel Kulturschmuggel im ZDF? Şehbal Şenyurt Arınlı 20 Nichts über uns ohne uns
Urheberrecht: Es geht um viel oder innovative Konzertformate Hans Jessen 12 Antwort an den Namibischen Botschafter in
Olaf Zimmermann und Gabriele Schulz 03 Jeremias Schwarzer 07 Fotoserie »Frauen im Exil«: »Ich Deutschland 27
Keuchels Kontexte: Blickwinkel habe mich nicht verabschiedet«
Digital Media Women: Susanne Keuchel 12 Cornelie Kunkat im Gespräch mit Heike
INLAND Dafür und nicht dagegen Steinweg 21 DAS LETZTE
Cornelie Kunkat im Gespräch mit Maren Hans-Dietrich Reckhaus im
Schwerpunkte bei der nationalen Heltsche 08 Porträt: Die Stubenfliege Erika Musik im Exil: »Wenn ich kom- Kurz-Schluss
Umsetzung der EU- Andreas Kolb 13 poniere, bin ich wieder in Wien« Theo Geiẞler 28
Urheberrechtsrichtlinie Frauenkulturbüro NRW: Ohne Gerold Gruber 22
Quote keine Gleichberechtigung Personen & Rezensionen 14 Die P&K Trump-Fakes 28
CDU/CSU: Lizenzen als Schlüssel Cornelie Kunkat im Gespräch mit Ursula Musik im Exil: Aderlass kulturellen
Ansgar Heveling 04 Theißen 08 Reichtums Karikatur, Impressum 28
KULTURSCHAFFENDE Christian Höppner im Gespräch 22
SPD: Kreative stärken Bibliothek Topographie des IM EXIL
Florian Post 04 Terrors: Dokumentation am »Ort Filme im Exil: Vom Geschichten-
der Täter« Exil: Die Türen öffnen sich langsam erzählen in der Fremde DER AUSBLICK 7-8
AfD: Fair-Use-Prinzip Florian Gehringer 09 Olaf Zimmermann 15 Narges Kalhor im Gespräch 23
Tobias Matthias Peterka 04 Die nächste Politik & Kultur
Grevens Einwurf: Vergangenheit, Exil in der NS-Zeit: »Man geht Körber-Stiftung: Gesichter und erscheint am . Juli .
FDP: Ausgleich schaffen die nicht vergeht nicht zum Vergnügen ins Exil« Geschichten Im Fokus steht das Thema
Stephan Thomae 05 Ludwig Greven 09 Inge Hansen-Schaberg 16 Ein Gespräch mit Sven Tetzlaff 24 asa
»Wohnen«.
portiert und ermordet. Hin und zurück, – fest und versuchten, wie Max Beck- sen und war ein norwegischer Physiker, Mall, das moderne Einkaufszentrum wird zur Befragung von Kriegsgefan-
sich retten und dann aber am falschen mann in Amsterdam, ein Visum für die der ominöse Delta-Strahlen entdeckt am Stadtrand. Und man könnte die genen eingesetzt, eine Aufgabe, bei der
Ort, wie viel Schmerz und Gezerre. Die Ausreise zu bekommen. In die USA oder hatte und von Interpol gesucht wurde. Geschichte von Fred Howard erzählen, er eng mit dem Ritchie Boy Guy Stern
Toten des Exils hat niemand gezählt. egal wohin. Nur weg aus Hitlers Falle. In Aus dem bewegenden Film über das Exil der als erster Strumpfhosen in einem zusammenarbeitet. Gemeinsam über-
Sogar dem Direktor des Kunstmu- »Casablanca« steht der von den Nazis wurde kitschiger Mist in der Filmtradi- Plastikei in Supermärkten anbot. führen sie den Kriegsverbrecher Dr. Karl
seums in Osnabrück, wo heute das von gesuchte tschechische Widerstands- tion der er Jahre, der Sissi- und der Fred Howard flieht als Fritz Ehrli- Schübbe, der tausende Menschen mit
Daniel Libeskind erbaute Nussbaum- kämpfer Victor László im Vordergrund, Heimatfilme. cher im Alter von Jahren mit Morphium getötet hatte. Die Biographi-
Museum steht, war der Name des der mit seiner Frau Ilsa Lund Visa be- Das Exil veränderte nicht nur im seiner Mutter in die USA, während en von Fred Howard und von Guy Stern
Malers Nussbaum völlig unbekannt. nötigt. Außer ihm sind viele Flüchtende Film die Rollen, die man spielen musste sein Vater, dem ein Visum verweigert sind Dokumente des Widerstands der
Ohne die Suche von Verwandten Nuss- in Casablanca gestrandet und dem kor- oder spielen konnte. Das Exil veränder- wurde, nach Shanghai emigriert. ins Exil vertriebenen Deutschen gegen
baums nach seinen Bildern, die sie in rupten Polizeichef Renault ausgeliefert. te auch alle Rollen im Leben, es baute geht Fred Howard in die amerikanische den Nationalsozialismus. Dieser Wider-
einem Brüsseler Keller – angeschim- Der Schwarzhändler Ugarte versucht, jeden Augenblick um und den Blick auf Armee, um gegen die Nazis, um gegen stand wird bisher in unserer Erinnerung
melt wie Lumpen – fanden, wäre dieser gestohlene Visa zu verkaufen. Er wird die ganze Welt. Stefan Zweig, aber nicht seine ehemalige Heimat zu kämpfen. völlig ausgeblendet.
große Maler heute noch vergessen. ermordet und mit den gestohlenen Visa nur er, konnte von Brasilien aus den Er wird in Camp Ritchie zusammen mit Aus all den erwähnten Beispie-
So wie der große Schauspieler Con- gelingt László und seiner Frau im letz- Blick auf die Zerstörung seiner »geis- . deutschen Emigranten – und len wird deutlich, wie nötig es ist, in
radt Veidt heute noch vergessen ist. Er ten Moment die Flucht vor dem deut- tigen Heimat« nicht mehr ertragen. Er . deutschstämmigen Amerika- Deutschland endlich ein Museum des
war das Filmgesicht der Weimarer Re- schen Major Heinrich Strasser. ging mit seiner Frau Lotte in den Suizid. nern – in psychologischer Kriegsfüh- Exils zu errichten.
publik. Er spielte in »Das Cabinet des Der Film zeigt nicht nur die Tra- Max Beckmann war zwar froh, rung ausgebildet und landet mit der
Dr. Caligari« den Cesare. Er trennte gödien des Exils. In ihm spielen auch aus dem »Getriebe der Schatten« ent- alliierten Flotte in der Normandie. Er Herta Müller ist Schriftstellerin
sich nicht von seiner jüdischen Frau überwiegend vertriebene Schauspie- kommen zu sein. Aber sein in den ersten
wie Heinz Rühmann, den heute noch ler. Neben Conrad Veidt spielt der aus Monaten des Amsterdamer Exils ent-
jeder kennt und der statt ins Exil ins Österreich geflohene großartige Peter standenes Selbstbildnis »Der Befreite«
Führerhauptquartier fuhr, um mit Hitler
über seine Filme zu sprechen. Goebbels
Lorre den Visa-Schwarzhändler. Und
Marcel Dalio ist im Film der Croupier
zeigt, dass dieses Entkommen keine Be-
freiung ist. Obwohl das Gitter des Ker- Kulturmensch Werner Herzog
wollte Veidt zwar in Deutschland halten, des Spielsalons. Als Jude floh er aus kers hinter ihm ist, bleibt er gefangen. Er
aber Veidt floh schon nach Eng- Frankreich. Seine Familie starb in hält die Kette, die ihn gefesselt hat, im- Der »Neue Deutsche Film« trägt sei- Spielfilmen. Die Hauptfiguren in
land und spielte die Hauptrolle in der den Konzentrationslagern. Und Hel- mer noch in der Hand. Auf seiner Schul- nen Namen: Werner Herzog. Einer seinen Filmen sind oft extreme Cha-
gegen die Nazis zielenden Verfilmung mut Dantine, der im Film das Geld für ter steht das Wort Amerika. Amerika der bedeutendsten deutschen Fil- raktere, wie der exzentrische Aben-
von Lion Feuchtwangers »Jud Süß«. Ausreisepapiere am Roulettetisch ge- wäre die Befreiung. Das Gesicht glänzt memacher wird zu Recht von der Eu- teurer Brian Sweeney Fitzgerald
Schließlich kam er nach Hollywood winnen möchte, war vor seiner Flucht wie nasses Eisen, rundherum flackern ropäischen Filmakademie (EFA) für in »Fitzcarraldo«, einer filmischen
und musste als Gegner der Nazis sehr drei Monate in Deutschland interniert. grelle Farben. In diesem Selbstporträt sein Lebenswerk geehrt. Herzog gilt Zusammenarbeit Herzogs mit Klaus
häufig Nazis spielen. Immerhin konnte Und Trude Berliner, im Film ist sie eine steht der Zustand des ganzen Exils: Da als Grenzgänger des internationalen Kinski. war Herzogs Antarktis-
er vereinbaren, nie sympathische Nazis Roulettespielerin, floh über Prag ist einer aus dem Todesunglück ins Le- Films und als einer der wichtigsten Dokumentation »Begegnungen am
spielen zu müssen. Er warb in den USA in die Niederlande und von dort, als die bensunglück »befreit«. deutschen Regisseure der er Ende der Welt« für einen Oscar no-
für den Kriegseintritt und spendete ei- Wehrmacht einmarschierte, über Lissa- Das Exil gehört zur Geschichte und er Jahre. Bei der Verleihung miniert. Chapeau, Werner Herzog!
nen großen Teil seiner Gagen für den bon in die USA. Und Hans Heinrich von Deutschlands. Aber es gibt im Unter- des Europäischen Filmpreises am
Kampf gegen Hitler. Twardowski ist im Film ein deutscher schied zu den Museen und Zentren . Dezember in Berlin soll der
Bekannt ist er heute vielleicht nur Offizier im Gefolge von Major Strasser. der Heimatvertriebenen kein Muse- in München geborene Filmemacher
noch durch die Rolle des Mayor Strasser Er war homosexuell und floh deshalb um, das diese Seite der deutschen Ge- ausgezeichnet werden.
in »Casablanca«, dem Film, der in schon aus Deutschland. Und das schichte zeigen könnte, das die Lücke Eine Karriere wie im Film: Direkt
New York Premiere hatte. sind nur einige Namen der emigrierten in der deutschen Erinnerungskultur nach seinem Abitur begann Herzog
Es ist ein Liebesfilm und es ist ein Schauspieler. Selbst der Komponist der schließen würde. Es gibt viel zu ent- als Autodidakt Filme zu machen,
Film über den Verlust von Freiheit, die Filmmusik Max Steiner wäre als Jude decken in den Geschichten des Exils. veröffentlichte er seinen ersten
Schwierigkeiten, die Tragödien, die von den Nazis ermordet worden, wäre Die Filmmusik Hollywoods hat ihren Kurzfilm »Herakles«, ein Jahr später
Verzweiflung über Fluchtversuche aus er nicht schon in den USA gewesen. pathetischen und melancholischen gründete er seine eigene Film-
dem nationalsozialistischen Deutsch- Seinem Vater Gabor Steiner konnte er Sound aus dem Heimwehschmerz der produktion. Sein erster Spielfilm
land. Man sieht in diesem Film die gerade noch zur Flucht aus Wien vertriebenen Komponisten. Das legen- »Lebenszeichen« aus dem Jahr
FOTO: GERALD V. FORIS
Verzweiflung im Exil. Aber man sieht verhelfen. däre Plattenlabel »Blue Note« wurde wurde mit dem Deutschen Film-
anhand dieses Films genauso deutlich kam »Casablanca« dann in die von den vertriebenen Berlinern Alfred preis und dem Silbernen Bären der
die Verleugnung des Exils in Deutsch- deutschen Kinos und war Minuten Lion und Francis Wolff gegründet, das Berlinale ausgezeichnet. Herzog ist
land nach . kürzer als das Original. Alle Bezüge zum vielen afroamerikanischen Musikern zu sowohl Filmregisseur und Produzent
An vielen Orten in Europa saßen wie Exil waren herausgeschnitten. Es gab Weltruhm verhalf. Der Stadtplaner Vic- als auch Opernregisseur und Autor
in »Casablanca« Künstler, Lehrer, Ar- keinen Major Strasser oder andere Na- tor Gruen, der aus Wien nach New und nähert sich seinen Themen
chitekten, Politiker – viele davon Juden zis. Victor László hieß nun Victor Lar- York emigrierte, erfand die Shopping sowohl in Dokumentar- als auch in
Politik & Kultur | Nr. / | Juni
AKTUELLES 03
U
rheberrechtsdebatten zeich- der EU-Richtlinie zum Urheberrecht im
neten sich in den letzten digitalen Binnenmarkt darin besteht,
Jahren stets durch gewisse zu differenzieren und zu präzisieren.
Unerbittlichkeit aus. Egal, Zur Differenzierung gehört auch, sich
ob es um die diversen Körbe bei der mit denjenigen auseinanderzusetzen,
Umsetzung der EU-Richtlinie zum Ur- die gegen die Urheberrechtsrichtlinie
heberrecht in der Informationsgesell- protestiert haben. Ihre Argumente zu
schaft in nationales Recht Anfang der hören und sich damit auseinanderzu-
Nullerjahre ging, um das Urheberver- setzen. Genauso kann von den Gegnern
tragsrecht, das die erste rot-grüne Bun- der Reform erwartet werden, dass sie
desregierung auf den Weg brachte und sich mit den Argumenten der in sich sehr
DAS
ihre Auswirkungen auf die Künstlerso- wird«. Die ökonomische Situation der
zialversicherung« (bit.ly/Hbrwn) wird einzelnen Künstlerinnen und Künstler
am Beispiel folgender Branchen aufge- hat sich im Großen und Ganzen durch
KULTUR
zeigt, wie sich die Wertschöpfungs- neue Verwertungsmodelle im digita-
strukturen im Zuge der Digitalisierung len Raum nicht nur nicht verbessert,
verändert haben: sondern in einigen Bereichen sogar
• Pressemarkt dramatisch verschlechtert. Aus Bran-
RADIO
• Werbemarkt chenverbänden des Designbereiches
• Designwirtschaft ist zu hören, dass der gesetzliche Min-
• Buchmarkt destlohn, der abhängig Beschäftigten
• Musikwirtschaft mindestens gezahlt wird, für Design-
• Software- und Games-Industrie leistungen, die auf einigen internatio-
• Filmwirtschaft nalen Plattformen vermarktet werden,
Es wird deutlich, dass neue Akteure
zum Akteursgeflecht hinzugekommen
geradezu paradiesisch anmutet.
Hinsichtlich der Künstlersozialabga-
KLASSISCHE MUSIK,
sind und daher von einem Wertschöp- be fordern die Autoren der genannten JAZZ, HÖRSPIELE,
fungswandel gesprochen werden muss. Studie richtigerweise, dass Plattformen,
AKTUELLE KULTUR JETZT
W DR 3
Eine der spannenden Schlussfolgerun- die im Wertschöpfungswandel an Be-
gen der Studienautoren ist, dass die deutung gewinnen, auch zur Künst-
Selbstvermarktung, also der unmit- lersozialabgabe herangezogen werden
EN
telbare Verkauf oder die unmittelbare müssten. Denn es kann nicht angehen,
G ENIESS
Entlohnung durch den Endverbraucher, dass die »traditionellen« Verwerter
durch den Wertschöpfungswandel nicht deren Lasten durch einen erhöhten
signifikant gestiegen ist. Verändert hat Abgabesatz zur Künstlersozialkasse
sich allerdings, dass branchenfremde übernehmen müssen.
Akteure, also Unternehmen, die nicht Als Anknüpfungspunkt dient dabei
aus der Kultur- und Kreativwirtschaft, die in Artikel der EU-Richtlinie Ur-
sondern eher der Technologiebranche heberrecht im digitalen Binnenmarkt
entstammen, die digitalen Geschäfts- beschriebene öffentliche Zugänglich-
modelle in der Kultur- und Kreativ- machung im urheberrechtlichen Sinne
wirtschaft prägen. Sie bestimmen laut von Online-Weitergabediensten, vulgo
BMAS-Studie »die wirtschaftlichen Plattformen wie YouTube.
Rahmenbedingungen für Umgang und Das heißt genau jener Artikel, der
Verwertung digitaler Inhalte auf Platt- in der Urheberrechtsdebatte von den
formen.« Das heißt konkret, Google, Gegnern der Reform in den letzten Mo-
YouTube und Co. nutzen die Vorarbeit naten am heftigsten kritisiert wurde,
der traditionellen Verwerter, also der bietet den Anknüpfungspunkt für die
Verlage, Galerie, Musiklabels usw., um Einbeziehung von Plattformen in die
04 INLAND www.politikundkultur.net
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rheberinnen und Ur- Weniger einmütig dürfte die itte April hat der hauptsächlich über Lizenzen Lizenz vorher bedient werden,
D
heber substanziell an Diskussion zur Umsetzung des Europäische Rat die erfolgen soll. Im Artikel Ab- eutsches Urheberrecht wird das Werk X gar nicht mehr
den Profiten teilhaben inzwischen berühmt-berüch- Urheberrechtslinie satz ist festgehalten, dass Up- contra anglo-ameri- verwendet. Der Uploadfilter
zu lassen, die mit ihren Wer- tigten Artikels der Richtli- beschlossen, nachdem Ende loadplattformen »alle Anstren- kanisches Copyright. ist also nur das nachgelager-
ken im europäischen digitalen nie werden, die Plattformver- März bereits das Europäische gungen« unternommen haben Idealistisches Schöpferrecht te Problem. Vorher werden die
Binnenmarkt erwirtschaftet antwortlichkeit. Der Schlüssel Parlament zugestimmt hatte. müssen, um diese einzuholen. gegen Wirtschaftsgut. Dieses geforderten Lizenzverträge – es
werden, das ist ein Hauptziel gegen überobligatorische Lö- Es ist dringend erforderlich, Bei der Umsetzung geht es nun Spannungsfeld prägt die Dis- wären hunderttausende – gar
der Urheberrechtsrichtlinie. schungen liegt in der Vertrags- den veralteten Rechtsrahmen darum, praktikable Lösungen kussion zur verabschiedeten nicht abgeschlossen. Es muss
Die Richtlinie geht davon aus, freundlichkeit der Richtlinie. so anzupassen, dass auch un- für die Einholung der Lizenzen Urheberrechtsrichtlinie in auch in Europa zumindest on-
dass die Marktteilnehmer sich Künftig erschöpft sich ter den veränderten Rahmen- zu finden, die gleichzeitig mit Gestalt des Leistungsschutz- line das Prinzip des Fair Use aus
über die Nutzung von urhe- die Verantwortlichkeit einer bedingungen die Rechte von fairen Vergütungsangeboten rechts für Presseakteure sowie dem US-Recht her. Wie ausge-
berrechtlich geschützten Wer- Plattform nicht mehr in ei- Urheberinnen und Urhebern verknüpft sein müssen. Dies die Plattformhaftung für nicht führt sogar in den gewerblichen
ken in der digitalen Welt mit ner bloßen Sekundärhaftung. geschützt werden und ein aus- übrigens nicht nur im Ver- lizenzierte Inhalte. Bereich hinein: Schließlich
Lizenzen vertraglich einigen Stattdessen müssen Plattfor- gewogeneres Verhältnis zwi- hältnis zwischen Plattformen Dass Frankreich eine trei- sind hier inzwischen bei You-
sollen. Gleichzeitig setzt die men Lizenzen erwerben, wenn schen Inhalte-Produzierenden und Rechteinhabern, sondern bende Kraft war, die vermeint- Tubern veritable Summen im
Richtlinie dort im öffentlichen ihr Hauptzweck darin besteht, und großen Plattformen her- auch im Verhältnis zwischen lich geschröpften kleinen Spiel. Aber erneut: Diese Ein-
Interesse den Urheberrechten urheberrechtlich geschützte gestellt wird. Dafür bietet der Rechteinhabern und Urhe- Content Creators sowie die nahmen beruhen nicht auf dem
verbindliche Schranken, z. B. Werke öffentlich zugänglich beschlossene EU-Kompromiss berinnen und Urhebern. Das bekanntlich wirklich darben- Werk X eines Presseverlages
für die Zwecke von Text und zu machen. Damit gilt fort- eine gute Grundlage. Darüber Urheberrecht hält zur Lösung den Pressekonzerne besser oder Videospieleherstellers. Sie
Data-Mining, für den Unter- an auch in der digitalen Welt hinaus enthält er eine Vielzahl dieser Frage neben der »klassi- zu stellen, ist bekannt. Auch beruhen auf dem Wechselspiel
richt, die Forschung oder die das urheberrechtliche Grund- an Modernisierungen, wie z. B. schen« Einzellizenzierung vie- Frankreich steht eher für das millionenfacher Sichtbarkeit
Erhaltung des Kulturerbes, wo prinzip, dass die Verfügungs- Schrankenregelungen für Text- le andere Mechanismen bereit, geistige Urheberrecht statt im Internet.
es im öffentlichen Interesse gewalt über Werke bei ihren und Data-Mining oder Unter- z. B. sogenannte Schranken verwertungsorientiertem Co- Deutschland wollte wieder
geboten erscheint. So wird die Urheberinnen oder Urhebern richtsmaterialien, Regelungen gegebenenfalls verbunden mit pyright. Und, wichtig, letztere einmal beides haben: Anerken-
Richtlinie ihr erklärtes Ziel er-
liegt. Um dieser Lizenzpflicht zur Sicherung des historischen Vergütungsansprüchen, die Tradition spricht hier nur auf nung des altehrwürdigen Urhe-
reichen, Anreize für Innovation,Schlagkraft zu verleihen, muss Erbes und zu vergriffenen Wer- Möglichkeit der Umwandlung den ersten Blick für Geldflüs- berrechts und wirtschaftliche
Kreativität, Investitionen und es attraktiver sein, eine Lizenz ken. von Ausschließlichkeitsrechten se von Google zu Springer, für Performance im Merkel´schen
Produktionen neuer Inhalte im zu erwerben, als die Werke wei- Es ist nun an den nationalen in Vergütungsansprüche, den GEMA-artige Konstruktionen Neuland. Inklusive der Proto-
digitalen Umfeld zu schaffen. ter ohne Lizenz zu nutzen. Da Parlamenten, diesen Kompro- Kontrahierungszwang zu an- zugunsten von LeFloid und kollerklärung, Uploadfilter zu
Die Vehemenz, mit der große ist es nur konsequent, wenn die miss in nationales Recht um- gemessenen Bedingungen, die anderen YouTubern. Denn das verhindern. Dies ist technisch-
Internetkonzerne gegen einen Plattform, die keine Lizenzen zusetzen. Wir als SPD-Bundes- Einschaltung von Zusammen- Verfügen über selbst erstellte, rechtlich nur bei Verstoß ge-
Abschluss der europäischen Ur- vereinbart hat, weiter für Urhe- tagsfraktion sind dabei von den schlüssen von Kreativschaffen- geschützte Werke stellt sich gen den Umsetzungsbefehl
heberrechtsrichtlinie lobbyiert berrechtsverletzungen verant- Zielen geleitet, eine angemes- den wie z. B. Verwertungsge- im »Neuland« Internet völlig der Richtlinie möglich. Dann
haben, ist ein untrügliches Zei-wortlich bleibt, solange sie sich sene Vergütung der Kreativen sellschaften. Ziel muss es sein, anders dar, als bisher. bitte Worten Taten folgen
chen: Die Richtlinie wird ihre nicht angemessen um Lizenzen zu gewährleisten, gleichzeitig das Instrument Uploadfilter Zuletzt musste dies der Vi- lassen: Rückausnahmen bei
Wirkung entfalten; wir sind auf bemüht hat und ihr Bestes ge- die Meinungsfreiheit zu wah- weitgehend unnötig zu machen. deospielehersteller Nintendo Teilverwendung bereits unter
dem richtigen Weg. tan hat, um die Verletzung zu ren und Rechtssicherheit für Wir müssen die Richtlinie lernen, als er sogenannte Let’s Zitatschwelle sowie weitaus-
Bei der Umsetzung der Ur- verhindern. alle Beteiligten zu schaffen. so umsetzen, dass Kreative Plays seiner Spiele auf YouTube gelegten Tagesereignissen. Das
heberrechtsrichtlinie kann Richtlinien lassen den Mit- Daher werden wir besonde- tatsächlich profitieren, die rechtlich unterdrücken wollte. Presseleistungsschutzrecht
der deutsche Gesetzgeber an gliedstaaten immer Umset- res Augenmerk bei der Umset- Informations- und Meinungs- Ein veritabler Sturm der Ent- darf keine Links mit dem Text
vielen Stellen auf schon beste- zungsspielraum. Der richtige zung auf den umstrittensten freiheit aber gewahrt bleibt. rüstung brach los. Weit über dieder vom Verlag gerade gewähl-
hende Regelungen aufbauen. Weg für die Umsetzung der Passus der Richtlinie, den Ar- Gleichzeitig werden wir sehr Branche bzw. deren Fans hinaus. ten Überschrift verhindern, egal
Denn das deutsche Recht hat in Plattformverantwortlichkeit tikel legen. Dieser nimmt die genau beobachten und prüfen, Im Netz wird jedes kommuni- ob , oder Wörter. Den
weiten Teilen Modell gestan- besteht darin, solche Rege- großen marktmächtigen Platt- ob die Umsetzung der Richtli- zierte Werk durch Teilen, Likes persönlichkeitsrechtlichen
den für die Richtlinie. Zugleichlungen zu treffen, die es einer formen stärker in die Haftung nie doch zu Einschränkungen und sonstige Push-Faktoren Aspekt, die Quellennennung,
sind bei etlichen Regelungen Plattform leicht machen, um- bei Urheberrechtsverstößen der Meinungsfreiheit führt und weit wertvoller für jeden daran zieht doch ohnehin keiner in
keine grundsätzlichen inhalt- fassend, vorab, transparent ihrer Nutzerinnen und Nutzer sollte dies der Fall sein, auf eu- Beteiligten: Den Schöpfer, die Zweifel.
lichen Differenzen zu erwar- und rechtssicher Lizenzen zu und setzt bei der Umsetzung ropäischer Ebene Korrekturen Plattform sowie die gegebenen-
ten. Beispielsweise wird die erwerben. Der Preis bleibt Ver- der Vorgaben auf den Einsatz vornehmen. falls mannigfaltigen Personen Tobias Matthias Peterka, MdB
Verankerung der Verlegerbe- handlungssache. von Uploadfiltern. dazwischen, also Content Crea- ist Mitglied im Ausschuss für
teiligung kultur- und rechts- Wir als SPD lehnen Upload- Florian Post, MdB ist Mitglied tors, welche das Werk unterhalb Recht und Verbraucherschutz
politisch parteiübergreifend in Ansgar Heveling, MdB ist Mit- filter ab. Wir teilen die Beden- im Ausschuss für Recht und der Zitatschranke verwenden. im Deutschen Bundestag
Deutschland unterstützt. Auch glied im Ausschuss für Recht ken von vielen Kritikern, dass Verbraucherschutz im Und diese Wertschöpfungs-
die oben genannten Schranken und Verbraucherschutz im algorithmenbasierte Filter Ge- Deutschen Bundestag kette befruchtet sich derart
finden allgemeine Zustimmung. Deutschen Bundestag fahren der Einschränkung der gegenseitig, dass ein monetä-
Bei der Umsetzungsarbeit ist Informations- und Meinungs- rer Anspruch vom Beginn der
vor allem gesetzgeberisches freiheit oder der Stärkung von Kette, dem Werkschöpfer, ers-
Handwerkszeug gefragt. Es Monopolanbietern bergen kön- tens ungerecht wäre und zwei-
gilt, die europäischen Defini- nen. Wir werden deshalb dafür tens die Kette sogar komplett
tionen weiter zu schärfen und sorgen, dass die Umsetzung abschneiden könnte. Denn
praxistauglich zu fassen. Die der Richtlinie ohne Uploadfil- in welcher Höhe die Beiträge
besten Voraussetzungen also ter auskommt. Letztlich geht es Werbeeinnahmen generieren,
Politik & Kultur | Nr. / | Juni
INLAND 05
D D
Rat für Landwirtschaft und auch garantiert. ie Stärkung der Position
nopolisierung und Knebelung as Urheberrecht ist auf
punkt wird die Ausgestaltung
Fischerei endete am . April Dies ist nur durch einen der Kreativschaffenden
durch Massenlizenzverträge europäischer Ebene dieses Prozesses sein, wo ein
eine emotional aufgela- effektiven Schutz geistigen und die Sicherstellung
hinaus. auf neue Beine gestellt
vorgeschaltetes Filtersystem
dene Debatte – besonders um- Eigentums und eine angemes- einer fairen Vergütung für ihre Wenn es um Vergütungsre- worden. Das war auch dringend nicht erforderlich ist. Platt-
stritten waren das Leistungs- sene Vergütung der Kreativen Leistungen, sind wichtige Ziele
gelungen für Kreativschaffen- notwendig, um es fit für das di-
formen nehmen einen immer
schutzrecht für Presseverleger möglich. Welche Bedingun- für Die Linke. de geht, ist die Richtlinie sehr gitale Zeitalter zu machen. Die
wichtigeren Ort der Informa-
in Artikel (jetzt ) und die gen »fair« sind, bestimmt sich Wir haben uns entschieden schwammig. Es finden sich meisten Neuerungen der Richt- tionsbeschaffung und der so-
Angst vor sogenannten Upload- nach den Gesetzmäßigkeiten gegen die aktuelle EU-Urhe- keine konkreten Regelungen, linie sehe ich positiv. Leider hat
zialen Interaktion ein. Dieser
filtern in Artikel (jetzt ). Bei des Marktes. Eine Fair-Use- wie faire Vergütungsregelun-
berrechtsrichtlinie gestellt, da sich die Diskussion im vergan-Bedeutung muss auch die Um-
der öffentlichen Auseinander- Regelung nach amerikani- sie unserer Ansicht nach die- gen aussehen müssen. Das er- genen Jahr vor allem um den setzung der Richtlinie gerecht
setzung konnte der Eindruck schem Vorbild erscheint dabei se Ziele nicht verfolgt und die
klärte Ziel der Richtlinie, eine werden.
Artikel gedreht, der die Haf-
entstehen, es handle sich eher nicht sachgemäß, würde sie Freiheit des Internets bedroht.
einheitliche europäische Rege- tung von Internetplattformen Auf der anderen Seite dürfen
um ein unversöhnliches Ringen unsere Rechtsordnung mit Hier sticht Artikel heraus, der
lung zu schaffen, wird dadurch bei Urheberrechtsverletzungen wir jedoch nicht die legitimen
zweier fundamentalistischer unbestimmten Rechtsbegriffen zu Recht für großen öffentli- entsprechend nicht erreicht. vorsieht. Nun müssen wir die Interessen der Kulturschaffen-
Lager, als um eine inhaltliche überfrachten und die Entschei- chen Aufruhr gesorgt hat. EineJeder Mitgliedstaat kann und EU-Urheberrechtsrichtlinie den aus dem Blick verlieren. Mit
und lösungsorientierte Debatte. dung über die Angemessenheit Korrektur der in der Richtlinie
wird sich nun seine eigenen Re- in den nächsten zwei Jahren der fortschreitenden Digitali-
Wie in vielen Lebenssachver- der Verwendung urheberrecht- an dieser Stelle angelegten geln geben, die ganz erheblich umsetzen. Es ist abzusehen, sierung unserer Gesellschaft
halten empfiehlt sich auch hier lich geschützter Werke auf die Fehler auf nationaler Ebene voneinander abweichen kön- dass diese Aufgabe ein Spagat muss auch die Verfügungs-
der nüchterne Blick mit einem Gerichte derogieren. Besser erscheint unmöglich. Artikel nen. Deutschland hat leider in zwischen den Interessen der hoheit der Kulturschaffenden
gewissen Abstand. wäre es, das Konzept der Pau- besagt zusammengefasst, den Verhandlungen der Richt- Kulturschaffenden, der Nut- über ihre Inhalte im digitalen
Die Umsetzung der Richtli- schalvergütung, das wir aus dass Dienstanbieter für das linie darauf hingewirkt, dass zerinnen und Nutzer und der Zeitalter kongruent weiterent-
nie in nationales Recht wird ein dem Bereich der »legalen Pri- Teilen von Online-Inhalten, konkrete Regelungen, die den Plattformanbieter wird. Der wickelt werden. Im Ergebnis
Drahtseilakt. Für uns Freie De- vatkopie« kennen, für die digi- z. B. Plattformen, vor Veröf- Kreativen tatsächlich gehol- Schwerpunkt muss auf dem an- muss sichergestellt werden,
mokraten steht dabei im Fokus, tale Welt fruchtbar zu machen. fentlichung urheberrechtlich fen hätten, wieder gestrichen gemessenen Ausgleich der In- dass die Gewinne, welche aus
sie so grundrechtsschonend, Natürlich darf die Umset- geschützter Inhalte, die Er- wurden, wie z. B. die erhebliche teressen liegen. Ausgewogen- der Verfügbarkeit von Inhalten
eigentumsbetonend und inno- zung nicht zum Innovations- laubnis des Urheberrechtsin- Erschwerung von sogenannten heit, Sachlichkeit und Klarheit
entstehen, zunächst einmal
vationsfreundlich wie möglich hemmnis für Start-ups und den habers einholen müssen. An- Total-Buy-Out-Verträgen, mit müssen das Maß der Stunde den Rechteinhabern zustehen.
zu gestalten. Der ohnehin be- Mittelstand werden. Die bislang dernfalls muss sichergestellt denen Kreativschaffende ihre sein. Die Richtlinie bildet da-
Ebenso muss gewährleistet
grenzte Gestaltungsspielraum vorgesehenen Ausnahmen von werden, dass die Inhalte nichtRechte pauschal und unwider- für zunächst den rechtlichen werden, dass Inhalte im Netz
muss daher effektiv genutzt Haftungsregeln sind eng ge- hochgeladen werden. Um ruflich abtreten müssen. Rahmen, wobei die Protokoll- nicht verfügbar sind, wenn
werden. Ziel sollte es sein, die fasst, beinhalten aber selbst dieser Anforderung zu ent- Die Linke fordert transpa- erklärung die Bundesregierung deren Urheberinnen und Urhe-
Interessen von Kreativen und nach Auffassung der Bundes- sprechen, muss die Plattform rente und funktionale Vergü- darüber hinaus zumindest po- ber das nicht wollen. Dies darf
Nutzern sowie Rechteinhabern, regierung Spielraum. Den gilt Uploadfilter einsetzen. Davon tungssysteme. Wir brauchen litisch bindet. nicht an einen unzumutbaren
Verwertern und Plattformen es zwingend erschöpfend zu profitieren allerdings nicht die
eine Demokratisierung der Ver- Ein Ansatzpunkt wird der Aufwand geknüpft sein. Des
auch unter den veränderten nutzen, um dem Innovations- Kreativen, sondern z. B. Inter-
wertungsgesellschaften, durch Anwendungsbereich der Haf- Weiteren muss geprüft werden,
Rahmenbedingungen des In- standort Deutschland und Eu- netgiganten wie Google mit bessere Mitbestimmungsrechte tung sein. Vor dem Hintergrundob es einer Strukturierung der
ternets zu einem fairen Aus- ropa nicht zu schaden. YouTube. Sie haben die Markt- der Urheber. Die Position der der Diversität der PlattformenRechtewahrnehmung durch
gleich zu führen, ohne hierbei Zeigt sich, dass die grund- macht, für sie lukrative Lizenz-
Urheber im Urhebervertrags- bedarf es einer klaren Begren-kollektive Lizenzvergabe mit
die Informations- und Mei- rechtsschonende, eigentums- pakete abzuschließen. Kleinererecht muss deutlich gestärkt zung von einer speziellen erweiterter Wirkung in Artikel
nungsfreiheit und die Freiheit betonende und innovations- Plattformen werden dahinter werden, z. B. durch die Mög- Haftung auf solche, die mit bedarf. Letztlich steht im
des Internets unangemessen freundliche Umsetzung der zurückbleiben, wenn es Ihnen lichkeit für Widerruf und Neu- Gewinnerzielungsabsicht die Raum, ob die Richtlinie zum
einzuschränken. Richtlinie an Grenzen stößt, überhaupt möglich sein wird, verhandlung entsprechender geschützten Inhalte Dritter Anlass genommen wird, über
So wie manche Menschen sollte die Bundesregierung mit großen Verwertungsgesell- Verträge. verwerten. Solche Geschäfts- ihre Mindestanforderungen
glauben, Wohnungen müssten nicht davor zurückschrecken, schaften, wie der GEMA, einen modelle sind anders zu bewer- hinauszugehen und beispiels-
in Zeiten der Wohnungsknapp- auf EU-Ebene auf eine Ände- Abschluss zu erzielen. Ihnen Amira Mohamed Ali, MdB ist ten als die von vielen anderenweise die problematischen To-
heit und steigender Mietprei- rung hinzuwirken. Nationale fehlt auch das Budget einen ei- Mitglied im Ausschuss für Plattformen. tal-Buy-Out-Verträge deutlich
se vergesellschaftet werden, Alleingänge würden das Ziel genen Uploadfilter technisch Recht und Verbraucherschutz Zweitens wird zu prüfen sein,
einzuschränken.
kämpft sich auch die Auffas- einer Rechtsvereinheitlichung zu entwickeln. Sie stehen also im Deutschen Bundestag inwiefern eine rein technische
sung nach vorne, in einer digi- in den Mitgliedstaaten sonst entweder vor dem Aus, da sie Vorfilterungspflicht im Rahmen Tabea Rößner, MdB ist
talen Welt müssten Informati- konterkarieren. für hochgeladenen Content der Richtlinie ausgeschlossen Mitglied im Ausschuss für
onen frei, insbesondere kosten- haften müssen oder sie müs- werden kann. Dabei sind Vor- Recht und Verbraucherschutz
frei, zugänglich sein. Dem liegt Stephan Thomae, MdB ist sen von Google eine Lizenz schläge mit Bedacht zu wäh- im Deutschen Bundestag
die Fehlvorstellung zugrunde, Mitglied im Ausschuss für für die Nutzung ihres Filter- len, da eine richtlinienwidrige
geistiges Eigentum hätte kei- Recht und Verbraucherschutz programms kaufen. In beiden Umsetzung nur mehr Rechts-
nen Wert. Das passt nicht zu im Deutschen Bundestag Fällen profitiert Google. Sei es unsicherheit schafft. Als letztes
einer Welt, deren Schwungrad durch den Verlust von Konkur- Mittel muss die Bundesregie-
eine eigentumsrechtlich ori- renz oder durch die Einnahme rung die Richtlinie auf EU-Ebe-
entierte Wirtschaftsordnung von Lizenzgebühren. Die Kre- ne nachverhandeln. Artikel
ist und die auf der Überzeu- ativen haben dadurch nichts stellt zunächst ein komplexes
06 INLAND www.politikundkultur.net
D
ie technische Grundlage Nutzern direkt ansprechbar ist. nie national in Kraft tritt, wird Google ren und aktivieren können.
des World Wide Webs ist »Walled Gardens« stehen aber als einer der wenigen Anbieter mit Viertens stellen die sozialen Medien
beispielgebend für Hete- der Grundphilosophie des Internets hoher Wahrscheinlichkeit eben jene SANDRA RICHTER das DLA vor neue Herausforderungen:
rogenität und Gleichbe- grundlegend entgegen. Hinzu kommt, Filter gegen Nutzungsgebühr zur Ver- Viele Autoren nutzen Social Media, pu-
Z
rechtigung: Jeder Inhalt ist über eine je dominanter Ökosysteme sind, des- fügung stellen. Nicht nur, dass dies wei Fragen beschäftigen die li- blizieren Texte im Netz und interagie-
einzigartige URL ansprechbar. Diese to weniger können sich Nutzer und kleinere und mittlere Plattformen vor terarisch interessierte Öffent- ren mit ihrem Publikum. Methodisch
URL mag zwar in manchen Fällen Dritte diesen entziehen. Ferner sind finanzielle Herausforderung stellt, das lichkeit heute: Was ist Literatur ist dieses komplexe Wechselspiel noch
lang und kryptisch sein, aber ist die die Plattformbetreiber durch nicht weitaus größere Problem wird sein, unter den Bedingungen ihrer digitalen ein Experimentierfeld.
Adresse einmal abgespeichert, kann funktionierende – Stichwort: kar- dass der gesamte Datenstrom vor ei- (Re-)Produzierbarkeit? Und wie lesen Außerdem entwickelt sich Literatur
der Inhalt beliebig oft abgerufen wer- tellrechtliche und steuerrechtliche nem Upload erst einmal durch den wir solche Literatur? Für das Deutsche fünftens in der Auseinandersetzung
den – bis der Anbieter des Inhalts die- Fragen – oder fehlgeleitete staatli- Filter eines Anbieters gehen wird. Literaturarchiv Marbach (DLA), das mit neuen Multimediaformen weiter.
sen vom Netz nimmt. Eben jene Dezen- che Regulierungsansätze – Stichwort: Es bedarf also eines Umdenkens: nicht nur Vergangenes, sondern auch Was für die Expressionisten der Film
tralität war der Grundpfeiler des Webs EU-Urheberrechtsreform –, in Kom- Wie kann aus dem Internet wieder Gegenwärtiges und Zukünftiges sam- war, ist für Autoren wie Leif Randt
der ersten Jahre. Tim Berners-Lee, bination mit den schnellen techno- das werden, was es war und in seiner melt, sind diese Fragen existenziell. und Juan S. Guse das Computerspiel.
der das World Wide Web erfand, logischen Entwicklungsdynamiken Konstruktion sein soll? Ein Netz der Versuchte man damals Tempo, Schnitt
sagte zum -jährigen Geburtstag und der transnationalen Dominanz Heterogenität, der Neutralität und und Kamera-fokussierte Optik in Tex-
dem britischen Guardian: »Der ent- weniger Unternehmen, nicht nur Gleichberechtigung, der Auffindbar- ten nachzuahmen, so arbeiten Autoren
scheidende Faktor ist die URL. Das marktbeherrschend, sondern immer keit von Inhalten – also ein Netz der wie Leif Randt mit paralogischen Räu-
Entscheidende ist, dass man zu allem in der stärksten Verhandlungsposition. Netze. Und vor allem auch: echter Was ist Literatur men. Juan S. Guse schickt in »Miami
verlinken kann.« Die im Frühjahr beschlossene Wettbewerb durch weniger Ökosys- unter den Bedingun- Punk« von eine Indie-Game Pro-
Heute besteht das Internet zu ei- EU-Urheberrechtsreform wird dieses teme. Bezogen auf die Urheberrechts- grammiererin und ein E-Sport-Team
nem großen Teil aus mehreren Netz- Problem nur verstärken und sich als reform hätte man dies mit Pauschalli-
gen ihrer digitalen auf Erkundungsfahrt in Richtung Welt-
werken von Ökosystemen: Amazon, Pyrrhussieg der Befürworter heraus- zenzen bei unklarer Lizenzlage, festen (Re-)Produzierbarkeit? untergang.
Facebook, Google und wenigen an- stellen. Das wohl berechtigte Anliegen, Urheberrechtsabgaben für die großen Und wie lesen wir Das DLA will kein Computerspiele-
deren. Wer heute »im Internet ist«, den Rechteinhabern gegenüber den Plattformen und Mindestbeteiligun- solche Literatur? archiv werden, diese Aufgabe wird in
meint damit häufig, dass er einen großen Internetplattformen eine bes- gen für Künstler und Autoren regeln der Hauptsache von Einrichtungen wie
Dienst eben jener Anbieter verwen- sere Verhandlungsposition zu ermög- können. Durch die Haftungsumkehr dem Computerspielemuseum Berlin
det. Digitale Ökosysteme entsprechen lichen, wird zwar kurzfristig befriedigt, werden aber eben jene kleine Anbieter und dem ZKM Karlsruhe erfüllt. Doch
ist es die Aufgabe des DLA, literari-
Geschult am Genius Loci Friedrich schen Entwicklungen nachzuspüren,
Schiller verstand das DLA Literatur als auch im digitalen Bereich.
etwas, das in bestimmten kulturellen Interaktive, spielerische Elemente
Zusammenhängen entsteht. Schiller gehörten seit jeher zur Literatur, und
empfahl das Ideal einer zweckfreien Schiller ist der Theoretiker, der dies
Kunst, aber zugleich bettete er sie ein: am eindrücklichsten thematisiert hat.
Das ästhetische Spiel sollte es dem Wo aber die Grenze zwischen Literatur,
Menschen erlauben, »ganz Mensch« Interaktion und Spiel künftig verlaufen
zu werden und die Gemeinschaft der wird, bleibt erst noch auszuloten.
Gleichgesinnten zu stärken. Dass das DLA literaturbezogene
So sammelte das DLA nicht nur lite- Spiele mitsammeln muss, wenn es die
rarische Texte: Heute verfügt es – ne- Mediengeschichte der Literatur auch
ben der mit ca. , Millionen Büchern in Zukunft ernst nehmen will, liegt auf
und Zeitschriften größten Spezialbi- der Hand. »Ottos Mops« () und
bliothek für deutschsprachige Litera- »The Franz Kafka Videogame« ()
tur – über . Vor- und Nachlässe haben im DLA bereits ihren Ort ge-
von Autoren und Intellektuellen unter funden.
anderem Paul Celan, Martin Heidegger, Die Gattung Computerspiel entwi-
Hermann Hesse, Eduard Mörike, W. G. ckelt sich so rasant weiter, dass eine
Sebald, Verlagsarchive z. B. Cotta, präzise Klärung ihrer Formen aber
Fischer, Suhrkamp, . Bilder und noch aussteht. Aufgrund seiner Ex-
Objekte wie Bilder, Büsten, Totenmas-
ken, Möbel, . Drehbücher und
. Filme. Hinzu kommen Tonträger
– eine über -jährige Geschichte der Das DLA will kein
Lesungen und Vertonungen von Lite- Computerspielearchiv
ratur –, eine einzigartige Sammlung werden. Doch es ist
von Netzliteratur sowie eine kleine
FOTO: PICTURE ALLIANCE
V
orlesen ist die beste Sprachför- beträgt mehr als ein Lernjahr. che speziell für Leseunterricht und/oder und in der Fachberatung geschaffen Sprach- und Leseförderung, sind sich
derung. Kinder, denen regel- Da passt es ins Bild, dass der Buch- Leseaktivitäten der Schülerinnen und werden.« Das ist mehr als ein Tropfen, Pädagogen und Wissenschaftler einig,
mäßig vorgelesen wird, haben handel im Sommer Alarm schlug: Schüler verwenden, geben die Lehrkräf- wird den heißen Stein jedoch nicht und es ist im besten Sinne niedrig-
einen messbar größeren Wortschatz Millionen Käufer seien der Branche in te im Mittel drei Schulstunden an« und dauerhaft kühlen, zumal die Fach- schwellig für alle Beteiligten. Die Stif-
und bessere Noten als andere, nicht nur den letzten Jahren verloren gegangen. »Umgerechnet auf das Schuljahr erge- kräfte nicht auf den Bäumen wachsen. tung Lesen fordert, dass jedem Kind
in Deutsch. Aber Studien zeigen: In fast Steht uns die wahre Erosion des Bil- ben sich, absolut betrachtet, etwa Auch die Inhalte einer »gepflegten am besten täglich mindestens Mi-
jeder dritten Familie gehört das Vorle- dungsstandorts – und der Kulturnation Stunden für expliziten Leseunterricht, Kindergarten-Bücherei« – eins der nuten vorgelesen wird. In Zeiten des
sen nicht zum Alltag. Und jeder fünfte – also erst bevor? Eine solche Progno- auch über Fächergrenzen hinweg. Der Kriterien für das Gütesiegel Buchkin- Fachkräftemangels ist es ein ebenso
Viertklässler erreicht beim Lesen nicht se fügt sich nahtlos ein in die großen internationale Mittelwert liegt weit da- dergarten – müssen am Ende vorge- wichtiges Ziel, dass jeder Erwachsene
die Kompetenzstufe, die es braucht, um gesellschafts- und wirtschaftspoliti- rüber, nämlich bei knapp Stunden.« lesen werden. Zum Glück boomen in zum Vorleser wird, ob für die eigenen
einen Text auch zu verstehen. schen Diskurse der Zeit. Ob Lesekom- Hat der PISA-Schock vor bald Deutschland individuelles Ehrenamt Kinder oder die in der Nachbarschaft.
Rechnerisch sind das weit mehr als petenz, Digitalisierung oder E-Mobilität Jahren Deutschland nicht wachgerüt- und Corporate Social Responsibility. Denn das Zeitalter der Digitalisie-
. Kinder – pro Jahrgang, denn – Deutschland verliert den Anschluss. telt und sind wir laut Angela Merkel Allein der Verein Berliner Kaufleute rung bleibt mehr denn je auch ein
auch Untersuchungen zu anderen Al- Diese Nahtlosigkeit macht aber auch nicht seit über zehn Jahren auf dem und Industrieller koordiniert mittler- Zeitalter des Lesens, in allen Medien,
tersgruppen kommen regelmäßig zu misstrauisch. Kulturpessismismus hat Weg zur »Bildungsrepublik«? Was wir weile mehr als . Lese- und Lern- unabhängig von der Entwicklung am
ähnlichen Ergebnissen. Gerade erst ist in Deutschland bekanntermaßen Tra- brauchen, sind keine weiteren medialen paten in der Hauptstadt. Er musste Buchmarkt. Jedes Kind in Deutsch-
die neue LEO-Grundbildungsstudie er- dition. Im Kaiserreich führte die Wucht Aufschreie oder Lippenbekenntnisse sich aber auch schon aus Einrich- land verdient es, darauf vorbereitet
schienen: Immer noch können mehr als der Veränderungen nach Joachim Rad- zum Stellenwert von Bildung. Nötig tungen zurückziehen, um dort tätig zu werden, mit mehr (Vor-)Lesezeit
sechs Millionen Erwachsene maximal kau zu einem »Zeitalter der Nervosität«. ist ein von Bund und Ländern koordi- zu sein, wo die Not am größten ist. daheim, in der Kita und in der Schule.
einzelne Wörter und Sätze, aber keine Gerade erst hat Frank Biess die west- nierter Lesepakt, der die Sprach-, Lese- Vielleicht ist es an der Zeit, gesell- Wenn alle mitwirken, ist kurzfristig
ganzen Texte lesen und erfassen, mit deutsche Nachkriegsgeschichte unter und Medienkompetenzförderung in schaftliches Engagement flächen- Veränderung möglich, mit nachhal-
allen Konsequenzen für die persönliche dem Titel »Republik der Angst« erzählt, Deutschland kurzfristig, aber nachhal- deckend zu erleichtern, z. B. durch tigem Effekt.
Entwicklung der betroffenen Menschen, voller Beispiele für die international tig stärkt – ohne gedruckte und digitale eine staatlich geförderte und allen
von den gesellschaftlichen Folgen ganz schon länger diagnostizierte »German Angebote gegeneinander auszuspielen. Arbeitnehmern zugängliche Freistel- Jörg F. Maas ist Hauptgeschäftsführer
zu schweigen. Angst«. Die Maßnahmen dürfen nicht erst lung. Das entlastet die Unternehmen, der Stiftung Lesen
Deutsche Grundschüler haben im Nur ist Angst kein guter Ratgeber. bei den Lehrplänen und in der Unter-
internationalen Vergleich zuletzt so- Vielleicht droht nicht unausweichlich richtspraxis ansetzen, sondern müssen
gar schlechter abgeschnitten als noch der Untergang des Abendlandes, son- bereits die Vorschule und Familie in den SPRACHGESCHICHTEN
einige Jahre zuvor, die Leistungsun- dern liegt einfach die Leseförderung Blick nehmen. Mittlerweile gibt es ein
terschiede und Bedeutung der sozi- im Argen. Es lohnt sich, die eingangs Bundesprogramm namens »Sprach- In dieser neuen Beitragsreihe, die als Schlüssel zur Teilhabe am gesell-
alen Herkunft nehmen zu. In keinem erwähnte Grundschul-Lese-Untersu- Kitas« und vom Buchhandel und den in der Ausgabe / angestoßen schaftlichen Leben aus verschiedens-
Land ist der Vorsprung von Kindern aus chung IGLU etwas genauer zu lesen. Auf Bibliotheken ausgezeichnete Buchkin- wurde, wird die deutsche Sprache ten Perspektiven betrachtet.
K
ünstlerische Forschung« den Wissenschaften kaum auffällt, wie wie vor die meisten Ausbildungsinstitu- Musiker so unmittelbar nachvollzieh- und »Interpretation« weiterführt.
ist im Moment an Musik- sehr Studiengänge, die auf Stoff und tionen – nicht nur die für Musik. bar, weil es hier keine künstliche Tren- Vielmehr müssen Ansätze entwickelt
hochschulen ein viel dis- Prüfungen fixiert sind, der Wirklichkeit Die fortschreitende Versachlichung nung von Theorie und Praxis gibt. Die werden, über den Begriff der »Lebendig-
kutierter Begriff, der noch entfremdet sind, da dies auch den All- der »Human Resources« geht einher mit Bewusstseins- und Denkaktivität, die keit« den denkend-forschenden Anteil
viel Spielraum für Interpretationen tag an unseren Schulen bildet, ist dies der weiter wachsenden Trennung von beispielsweise beim Üben eines Stü- wieder mit der körperlichen, fühlenden
bietet. Grundsätzliche Fragen lauten: an den Musikhochschulen besonders Geist und Körper, Theorie und Praxis ckes stattfindet, ist im permanenten Praxis des Musizierens zusammenzu-
Ist dies ein Thema für Künstlerinnen schmerzhaft zu erleben: Das Bologna- sowie Arbeit und Spiel bzw. Kreativität Austausch mit dem »Gegenstand«, dem bringen.
und Künstler oder für Wissenschaft- Ausbildungssystem widersetzt sich in allen Disziplinen. Musikwerk. Ein solcherart lebendiges Dieser Kontakt zur Lebendigkeit, der
lerinnen und Wissenschaftler? Wie faktisch der Zusammenführung von Üben, in dem sich die Lebendigkeit des sich natürlich und stimmig anfühlt, da
»künstlerisch« ist die Ausbildung an Denken und künstlerischer Praxis, da Körpers mit der Lebendigkeit der Musik er unserem Wesen entspricht, könnte
»Enlivenment« als Ansatz für ein
Musikhochschulen? Sollte der Begriff dies der Portionierung und Abprüfbar- verbindet, ist praktische künstlerische der Beginn einer »Re-Naturierung des
neues künstlerisches Denken
zu dem Fächerkanon der Hochschulen keit von Lernstoff widerspricht. Forschung. kreativen Raumes« sein, der in den
mit neuen Themen dazukommen oder In seinem Essay »Enlivenment« be- Der entscheidende Schritt ist dabei, Bologna-Strukturen zerfleddert wur-
Inhalte bündeln, die schon da sind? schreibt der Philosoph und Biologe An- aus der »Mechanisierung« des eigenen de: Auch in einer ehemaligen Lager-
Das Denken des . Jahrhunderts:
dreas Weber den notwendigen nächsten Selbstbildes und Denkens sowie der halle lässt sich gemeinsam ein Biotop
Der Mensch als Maschine
Schritt im wissenschaftlichen Denken: »Versachlichung« der Musik herauszu- anlegen.
Musikausbildung im Bologna-
Das einseitig auf Leistung und Perfekti- Nicht mehr eine distanzierte, sich vom kommen und wieder wahrzunehmen,
Labyrinth
on am Instrument ausgerichtete Ausbil- Objekt der Forschung trennende Be- wie alles im Netzwerk der Kreativität Jeremias Schwarzer ist Blockflötist
Wer spontan antwortet, künstlerische dungssystem der Musikhochschulen hat obachtung und Bewertung soll das zusammenhängt. Diese Forschung, die- und Honorarprofessor an der
Praxis und Wissenschaft seien gerade eine lange Tradition. Die Denkmuster, Erkenntniswerkzeug sein, sondern ein ses »thinking in creativity«, findet si- Hochschule für Musik Nürnberg
in der Musik nicht voneinander zu tren- wie wir als Musikerinnen und Musiker Denken inmitten der Lebendigkeit des
nen, kennt nicht die Ausbildungsbüro- mit uns, Körper, Instrument, Fehlern zu erforschenden Gegenstandes. Die
kratie an Musikhochschulen: Theorie und Schwächen umgehen, stammen Erkenntnisse der Aufklärung werden
und Praxis haben sich im Bologna- zum großen Teil aus dem . Jahrhun- nicht über Bord geworfen, sondern es Europapläne vergessener Visionäre
Dschungel von Modularisierung, ECTS- dert und gehören zu den »Gründungs- ist für ihn an der Zeit, die Illusion einer
Punkten und schematisierten Prüfungs- mythen« der Musikausbildungsstätten: »objektiven Distanz« aufzugeben, die
vorschriften weit voneinander entfernt. • Der musizierende Körper wird als z. B. in den Naturwissenschaften die Winfried Böttcher
In wahrscheinlich irreversibler Form Maschine gesehen, die optimiert lebendige Welt zu einer Ansammlung Europas vergessene Visionäre
wurde vieles, was im Musikerberuf zu- werden muss, damit er fehlerfrei die toter Objekte degradiert hat. Rückbesinnung in Zeiten akuter Krisen
sammengehört, in Einzelteile zerlegt, Musikstücke wiedergeben kann. Die Damit zieht er die Konsequenz aus
die in ihrer Summe kein künstlerisches »Technik« ist auf Makellosigkeit und zahlreichen interdisziplinären For- 2019, 521 S., geb., 58,– €
Ganzes mehr ergeben. Fehlerlosigkeit ausgerichtet, in der schungsergebnissen, die belegen, dass ISBN 978-3-8487-4583-8
Dies hat massive Auswirkungen auf Methodik spielt z. B. die »Automati- der untersuchende Forscher nicht als nomos-shop.de/31116
die Lernsituation an Musikhochschulen sierung« eine große Rolle. getrennt vom zu erforschenden Gegen-
und das Selbstverständnis der Studie- • Der »Geist« ist neben dem Speichern stand zu sehen ist, sondern sich beide
Folgeband des erfolgreichen Werkes
renden. Einige Beispiele: theoretischer Fakten vor allem für die in einer Wechselbeziehung befinden
„Klassiker des europäischen Denkens“
• Das Organisatorische prägt den Stu- Disziplin verantwortlich: Ebenso wie und sich gegenseitig beeinflussen.
dienverlauf inzwischen mehr als das der Körper soll er in seiner »mentalen Wahrnehmung und Bewusstsein
Inhaltliche: Studierende planen ih- Stärke« optimiert werden. Begriffe bilden integrale Bestandteile der Le- Nomos
ren Stundenplan nicht danach, was wie Willensstärke, »Belastbarkeit«, bendigkeit, die sich in jedem Moment eLibrary www.nomos-elibrary.de
künstlerisch sinnvoll oder interessant das Erreichen von Zielen, das »Abru- immer wieder neu entfaltet und in der
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ist, sondern danach, welche Credit fen von Leistung« usw. sind Begriffe alles mit allem zusammenhängt. Die- Portofreie Buch-Bestellungen unter www.nomos-shop.de
Points sie benötigen etc. aus der Wirtschaft, die Techniken ses Denken ist nicht auf die Wissen- Alle Preise inkl. Mehrwertsteuer
• Von den Studierenden selbst geplante zur Gewinnmaximierung beschrei- schaften begrenzt, sondern wird auch
künstlerische Projekte können zu- ben. Diese Begriffe werden in Lehr- in künstlerischen Prozessen wirksam:
08 INLAND www.politikundkultur.net
A
uf dem Gelände der Topogra- Gelände eingeweiht. Die Topographie ne Zeitschriften. Der Printbestand der trierten Arbeiten verfügbar. Gemütliche Informationen in Büchern und Daten-
phie des Terrors in Berlin be- des Terrors ist, mit über eine Million Bibliothek wird ergänzt durch audio- Lesesessel laden zum Verweilen in der banken vor Ort ist hier auch der Verweis
fanden sich von bis Besuchern im Jahr, ein zentraler Ort visuelle Medien, Mikrofilme, vor allem Bibliothek ein. Es stehen Buchscanner, auf Archive und weitere Institutionen,
die wichtigsten Zentralen der Erinnerungskultur in Deutschland. Zeitungen aus der NS-Zeit, und digitale Nutzer-Computer und ein Mikroform- die sich mit der jeweiligen spezifischen
des nationalsozialistischen Terrors: das Die Dokumentation am »Ort der Angebote, wie elektronische Zeitschrif- Lesegerät zur Verfügung. Thematik beschäftigen und zusätzliche
Geheime Staatspolizeiamt mit eigenem Täter«, auf dem Gelände, auf dem sich ten und lizenzierte Datenbanken. Informationen liefern können, wichtig.
»Hausgefängnis«, die Reichsführung- die Zentralen des NS-Terrorapparates Der größte Teil der Bücher und So erfüllt die Bibliothek der Stiftung
SS, der Sicherheitsdienst der SS und befanden, bestimmt den Sammel- Zeitschriften ist im Freihandbereich Ein Anlaufpunkt für Topographie des Terrors vielfältige Auf-
während des Zweiten Weltkriegs das schwerpunkt der wissenschaftlichen zugänglich und dort anhand einer gaben. Sie ist eine wissenschaftliche Spe-
Reichssicherheitshauptamt. Spezialbibliothek: SS, Gestapo und hauseigenen Aufstellungssystematik allgemeine und auch zialbibliothek, die mit Fachliteratur und
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Polizei im Nationalsozialismus, Funk- thematisch geordnet. Literatur vor individuelle Fragen spezifischen bibliothekarischen Dienst-
die zum Teil stark beschädigten Ge- tionsträger des NS-Staates und Täter- befindet sich im nahe gelegenen Maga- leistungen für Forschung, Studium und
bäude an der Wil- forschung. Weitere zin und wird auf Wunsch, in der Regel Bildungsarbeit bereitsteht, sowie der
helm- und Prinz- S a m m e l s c h w e r- ohne längere Wartezeiten, in den Lese- Die Nutzerschaft der Bibliothek ist äu- Anlaufpunkt eines Dokumentationszen-
Albrecht-Straße im punkte sind Staat saal gebracht. Literatur, die vor er- ßerst heterogen. Wissenschaftler und trums in der Mitte Berlins, in der allge-
Areal der heutigen und Gesellschaft schienen ist, wird für wissenschaftliche Studenten finden in der Bibliothek meine, spezifische und auch sehr indi-
Topographie des im Nationalsozia- Zwecke zur Verfügung gestellt. aktuelle Forschungsliteratur und ei- viduelle Fragen und Anliegen vor dem
Terrors abgetragen. lismus, Verfolgung Durchsuchbar ist der Bibliotheks- nen Ort zum konzentrierten Arbeiten. Hintergrund der zeitgeschichtlichen
Durch die Teilung und Vernichtung bestand über den Online-Katalog der Schülergruppen, die im Rahmen der Forschung betrachtet werden können.
Berlins und den Bau der europäischen Bibliothek www.topographie.de/opac. Bildungsarbeit der Stiftung Seminare
der Mauer wurde Juden und ande- Auch themenrelevante Aufsätze aus besuchen, bereiten hier Präsentationen Florian Gehringer ist Leiter der
aus dem mitten in rer Opfergruppen, Zeitschriften und Sammelwerken wer- vor. Für die Besucher des Dokumenta- Bibliothek der Stiftung Topographie
der Stadt gelegenen Zweiter Weltkrieg, den von der Bibliothek erfasst und im tionszentrums stellt die Bibliothek ins- des Terrors
Gelände, ein Randstück Westberlins. juristische Aufarbeitung der NS-Ver- Katalog nachgewiesen. Weiter sind die gesamt einen zentralen Anlaufpunkt
Die Geschichte des Ortes geriet in Ver- brechen, Gedenk- und Erinnerungs- Bestände der Bibliothek über den Ge- dar: Hier werden allgemeine und spe-
gessenheit. Im Zuge der -Jahr-Feier kultur. meinsamen Katalog der Arbeitsgemein- zifische Fragen zur Ausstellung, dem ZUR BIBLIOTHEK
Berlins eröffnete die Ausstellung Die Bibliothek befindet sich im So- schaft der Gedenkstättenbibliotheken historischen Ort und dem Dokumenta-
»Topographie des Terrors. Gestapo, SS ckelgeschoss des Dokumentationszen- und den Katalogen der Bibliotheks- tionszentrum gestellt oder einfach das Die Bibliothek der Stiftung Topogra-
und Reichssicherheitshauptamt auf trums. Zweiseitig um einen Lichthof verbünde Gemeinsamer Bibliotheks- Gesehene reflektiert. Mit der Literatur phie des Terrors befindet sich in der
dem ›Prinz-Albrecht-Gelände‹«. Seit mit Wasserfläche gelegen, bietet sie verbund (GBV) und Kooperativer Bi- der Bibliothek können die Inhalte der Niederkirchnerstr. in Berlin. Die
ist die Topographie des Terrors eine angenehme Arbeitsatmosphäre. bliotheksverbund Berlin-Brandenburg Ausstellung vertieft werden. Häufig Präsenzbibliothek ist Montag bis
eine selbständige Stiftung öffentlichen Der Bestand der Bibliothek beläuft sich (KOBV) recherchierbar. sind es auch Personen mit familien- Freitag von bis Uhr geöffnet.
I
talien ist ein durch seine Ge- vertrauensvoll – ganz im Gegensatz zu
schichte, Kultur, Natur und Lage der teils negativen Stimmung in den Me-
am Mittelmeer gesegnetes Land dien beider Länder. In keinem anderen
– aber es könnte von Nord nach Land unterhält Deutschland so viele
Süd nicht unterschiedlicher sein. Der kulturelle Institutionen wie hier, unter
moderne und prosperierende Norden ihnen so renommierte Einrichtungen
Italiens blickt allzu oft voller Ironie wie das Deutsche Archäologische Insti-
auf den in seinen Augen chaotischen, tut seit , das Deutsche Historische
schmarotzenden Süden. Und der Süden Institut seit oder die Villa Mas-
beginnt hier bereits ab Rom. simo seit . Das Goethe-Institut ist
Ebenso wie zwischen den Regionen mit sieben Instituten in Palermo, Neapel,
herrscht auch in der italienischen Po- Mailand, Genua, Turin, Triest und Rom
litik aktuell Uneinigkeit. Die bis An- prominent vertreten. Fast ebenso viele
fang regierende Demokratische Kulturinstitute unterhält das italieni-
Partei (PD) verlor ihre Mehrheit an die sche Außenministerium in Deutschland
FOTO: LACOBUCCI
Protestbewegung Movimento Stelle mit fünf Einrichtungen. Eine durch die
(MS) und die rechtspopulistische Lega, Friedrich-Ebert-Stiftung in Auf-
vormals Lega Nord. Diese bilden seit trag gegebene Studie zum deutsch-ita-
Juni unter Premierminister Gius- lienischen Verhältnis, die in den
eppe Conte eine überraschend stabile Das Festival der Kunst und Wissenschaft, ArteScienza, in Rom eröffnet Einblicke in die Wechselbeziehung zwischen Goethe-Instituten in Italien vorgestellt
Regierung. Politische Führer und Vize- den Disziplinen und diskutiert wurde, zeigt allerdings
Ministerpräsidenten sind Luigi Di Maio eine pessimistischere Einschätzung der
(MS) und Innenminister Matteo Salvini seen, Stiftungen, Kunstvereine oder auch mögliche Massenabschiebungen sich vor allem bei den staatlichen Kul- Italiener im Vergleich zu den Deutschen
(Lega). Seit dem Wahlsieg und der Ko- Hochschulen – im In- wie im Ausland. ungeliebter Zuwanderer. Im Koalitions- tureinrichtungen gravierend aus, und in Bezug auf die allgemeine Situation im
alitionsbildung rücken Regierung und, Dadurch sollten insbesondere die inter-vertrag zwischen MS und Lega bleibt setzt somit einen Schwerpunkt auf die Land und deren Wirtschaft. Im Unter-
wie Meinungsumfragen zeigen, immer nationalen Beziehungen italienischer der Passus zur Kulturpolitik mehr als Sicherheit und Sicherung der Kultur- schied zu den Deutschen herrscht unter
breitere Teile der Gesellschaft zuneh- Künstlerinnen und Künstler intensiviertvage. Sie sei »Wachstumsmotor von un- güter. Im Hinblick auf kulturelle Akti- den Italienern auch weniger Vertrauen
mend nach rechts. Die Lega gewinnt werden. schätzbarem Wert und keine unnütze vitäten scheint Italien eher föderal und in die eigenen Mittel und die eigenen
durch Sprüche wie »Italien zuerst!« oder In Bezug auf die Internationalisie-Ausgabe«. Museen und archäologi- kommunal aufgestellt. Kulturarbeit ist Institutionen. Ein weiterer Schwach-
»Nicht acht und nicht achtzig, ich lasse rung im Kulturbetrieb hat eine Reform sche Einrichtungen müssten »wieder abhängig vom jeweiligen Bürgermeister, punkt der Beziehung zwischen Italien
keinen einzigen Flüchtling ins Land!« von Franceschini besonders viel Aufse- Anziehungspunkt des internationalen vom Kulturdezernenten der einzelnen und Deutschland besteht in der geringen
immer mehr Anhänger. Aber ein kohä- hen, aber vor allem Kritik erregt. Interesses« werden. Das System der Städte und Gemeinden und lebt nicht gegenseitigen Kenntnis der derzeitigen
rentes Regierungsprogramm konnte berief er Direktorinnen öffentlichen Subventio- zuletzt vom in Italien gut funktionie- kulturellen Entwicklungen.
die neue Koalition bislang noch nicht und Direktoren für Mu- nen für Oper, Theater und renden Mäzenatentum. »Was wäre Um dies zu ändern, arbeitet das
vorlegen. seen und archäologische Museen sei undurchsich- passiert, hätten Cosimo und Lorenzo Goethe-Institut Italien eng und ver-
Stätten von »nationalem tig und »reformbedürftig« di Medici nicht in Kunst und Kultur ›in- trauensvoll mit den lokalen Akteuren in
Kulturpolitik vor dem Interesse«, wobei insbe- und müsse sich vermehrt vestiert‹?«, fragen Franco Boccardi und allen Arbeitsbereichen wie Sprache, Kul-
Rechtspopulismus sondere professionelle nach der »Qualität der Irene Sanesi, Mitglieder eines Arbeits- tur- und Informationsarbeit zusammen.
Auch in der italienischen Kulturpolitik Qualifikationen und in- künstlerischen Projekte« stabs »Ökonomie und Kultur« im Artikel So unterstützt es kleinere Festivals im
ist der Dissens zu spüren. Das war nicht ternationale Erfahrung ausrichten. »Il pubblico ha sempre ragione?«, a cura Land, wie etwa das »ArteScienza«, und
immer so. Unter der demokratischen gefragt waren. Sieben der Seit Juni ist Alber- di Filippo Cavazzoni« zum Fundraising. organisiert gemeinsam mit örtlichen
Regierung von Matteo Renzi (PD) ge- Auserwählten wurden to Bonisoli Kulturminister. In ganz Italien werden Museen und Kulturzentren – wie zuletzt in Onna
lang es dem damaligen Minister für jenseits der italienischen Bonisoli war die letzten Kulturevents von Privaten und Unter- – Ausstellungen und Konzerte. Darü-
Kulturgüter und kulturelle Aktivitäten Landesgrenzen rekrutiert, was zu feind-sechs Jahre Direktor der Nuova Acca- nehmen finanziert, oft mithilfe eines ber hinaus hat das Goethe-Institut mit
(MIBAC), Dario Franceschini, in eini- seliger Polemik, Widerstand im Minis- demia di Belli Arti (NaBa) in Mailand, Vereins unter dem Titel »Associazione dem Format »KunstRaum Goethe« die
gen Bereichen wichtige Veränderun- terium und Rechtsstreitigkeiten führte,die größte staatlich anerkannte private Amici di…«, der durch Mitgliedsbeiträge Zusammenarbeit vor allem mit jungen
gen herbeizuführen, die Künstlerinnen die noch bis heute andauern. Anfang desAkademie für Kunst, Mode und Design und Spenden bestimmte Kulturstät- Künstlern in Italien verbessert. Mit der
und Kulturschaffenden neue Zugänge Jahres verkündete der Kulturminister in Italien. In ersten Verlautbarungen hat ten unterstützt und fördert. Das itali- Reihe »Sul Divano verde« thematisiert
zu etablierten Institutionen schaffen der populistischen Regierung Bonisoli Bonisoli angekündigt, die staatlichen enische Modeunternehmen Fendi hat das Goethe-Institut europäische, ak-
sollten. Dazu gehört der sogenannte in der britischen Zeitung »The Times«, Investitionen im Bereich Kulturgüter beispielsweise , Millionen Euro in tuelle Diskussionen und Reflexionen
»Art Bonus« und das Programm »Ita- dass auch in der musealen Personalpo- zu steigern und die Zusammenarbeit die Renovierung des Trevi-Brunnens zwischen Deutschland und Italien. Die
lian Council«. Durch den »Art Bonus« litik von nun an »Italiener zuerst« gelte:
zwischen öffentlichen und privaten Ein- investiert, Bulgari reparierte die Spa- Politik kann sich zwar ändern, aber noch
erhalten Privatleute und Firmen in Ita- Es gäbe ausreichend Italiener, die die richtungen zu verbessern. Insbesondere nische Treppe, Tod’s bewahrte mit ei- überwiegt das Interesse an deutscher
lien die Möglichkeit, Spenden und mä- Jobs gut machen würden. Diese Aussage die Digitalisierung von Kulturschätzen ner Millionen Euro teuren Restau- Kulturarbeit, eine Neugier mit sinnvoller
zenatische Unterstützung in Höhe von wurde auf Nachfragen von »Artnews« über beispielsweise D-Projektionen rierung das Colosseum vor dem Ein- Distanz zu den jeweiligen Regierungen.
Prozent der Zuwendungen von der zwar von Mitarbeitern des Ministeriums soll vorangetrieben werden, um so die sturz – freilich begleitet von bissigen »Kennst du das Land, wo die Zitronen
Steuer abzusetzen. Insbesondere ma- wieder eingeschränkt, aber die Muse- landesweite Verbreitung der Kultur, Kommentaren und Angriffen seitens blühn«, so beginnt eines der bekanntes-
rode und baufällige Kulturgüter wie das umsreform von wird nun trotzdem auch in der Peripherie, zu gewährleisten. der italienischen Presse. Die Fondazi- ten Gedichte Johann Wolfgang von Goe-
Kolosseum konnten dadurch restauriert auf den Prüfstand gestellt. Das MIBAC ist vornehmlich für die one Prada hat Mailand ein Museum für thes. Zitronen sind wunderbare Früchte,
und instand gesetzt werden. Mit dem besonders zahlreichen Kulturgüter des zeitgenössische Kunst »geschenkt«, das aber eben auch sauer. Und so ist auch das
Programm »Italian Council« hingegen Schutz der Kulturgüter vs. Kultur- Landes zuständig – Weltkulturstät- seinesgleichen sucht. Ermöglicht bzw. Leben und Arbeiten im Kulturbereich in
sollte die Produktion von Kunstwerken aktivitäten ten der UNESCO liegen in Italien. Für gefördert wurden diese großzügigen Italien nicht immer nur »süß«.
und Residenzen junger Künstler und Unter der jetzigen rechtsgerichteten den zweiten Aufgabenbereich des Mi- Investitionen nicht zuletzt durch den
Künstlerinnen in Zusammenarbeit mit Regierung scheint Kultur keine Her- nisteriums, die kulturellen Aktivitäten, bereits erwähnten von Franceschini Gabriele Kreuter-Lenz ist Länderlei-
lokalen und internationalen Partnern zensangelegenheit zu sein. Sie kümmert bleibt allerdings wenig Zeit und noch geschaffenen »Art Bonus«, der insbe- terin des Goethe-Instituts Italien und
gefördert werden. Zu diesen Partnern sich vor allem um Themen wie Steu- weniger Geld. Die jetzige Regierung sondere die Kulturdenkmäler Italiens Institutsleiterin des Goethe-Instituts
gehören private oder öffentliche Mu- ersenkungen, Grundeinkommen, aber hat den Kulturetat gekürzt. Dies wirkt schützt und bewahrt. in Rom
KULTURBERATUNG
D
as Finnland-Institut in Deutsch- ren, möchten wir ein komplexeres Bild Dialog und Austausch, die Auseinan- tung unterhalten und führen z. B. auch gramme. Gerade die heutigen Zeiten
land feiert sein -jähriges des Landes im hohen Norden Europas dersetzung mit aktuellen Themen und ihre jeweils eigenen Logos. Obwohl zeigen, wie wichtig es ist, die Zusam-
Bestehen − ein schöner Anlass, zeichnen, in dem sich dessen Vielfalt die Förderung von Künstlerinnen und sich die Institute in erster Linie über menarbeit von Menschen und Institu-
die aktuelle Arbeit des Instituts vorzu- widerspiegelt. Künstlern sowie Wissenschaftlerinnen das Bildungsministerium Finnlands tionen über Grenzen hinweg zu ermög-
stellen. Eröffnet wurde es mit dem In der Ausstellung »Wild at Heart«, und Wissenschaftlern stehen in der finanzieren und diesem auch jährlich lichen, seien es nationale, soziale oder
Ziel, Dialog und Austausch zwischen die auf der Vienna Design Week zum Arbeit des Finnland-Instituts im Mit- zur Berichterstattung verpflichtet sind, disziplinäre Grenzen. Nur gemeinsam
Finnland und dem deutschsprachigen ersten Mal gezeigt werden wird, stehen telpunkt. Mit insgesamt finnischen können sie ihr Programm sehr frei ge- können wir nachhaltige Lösungen für
Europa in Kultur, Wissenschaft und deshalb nicht die Design-Klassiker im Kultur- und Wissenschaftsinstituten stalten und den Gegebenheiten des die Herausforderungen, vor denen wir
Wirtschaft zu fördern. Für ein relativ Fokus, sondern die Arbeiten aktueller weltweit sind die Finnland-Institute Tätigkeitsumfelds anpassen. Gemein- stehen, finden.
kleines Team von fünf Angestellten und finnischer Designer. Dies ist ein Bau- global weniger breit aufgestellt als sam ist allen Finnland-Instituten das
drei Volontärinnen und Volontären ist stein, mit dem wir den finnischen Kre- beispielsweise das Goethe-Institut. Bestreben, den Dialog über nationale Laura Hirvi ist Leiterin des Finnland-
das Aufgabengebiet sehr weit gesteckt. ativschaffenden den Weg ebnen und Diese Institute haben keine über Grenzen hinweg zu fördern, sei es durch Instituts in Deutschland
Um die Ressourcenlage effektiv zu nut- ihnen helfen möchten, internationale
zen, setzt das Institut daher regionale Netzwerke, Arbeitsmöglichkeiten und
und thematische Schwerpunkte, die Sichtbarkeit zu erlangen.
über einen längeren Zeitraum hinweg Ein anderes gutes Beispiel für un-
systematisch aufgebaut und verfolgt sere Arbeit ist die Ausstellung »Mostly
werden. Happy – Finnish Art Today« im Haus am
Gerade im deutschsprachigen Euro- Lützowplatz in Berlin, die am . Juni
pa sind langfristige Zielsetzungen und eröffnet wird. Gezeigt werden Werke
Netzwerke eine wichtige Voraussetzung von zehn zeitgenössischen finnischen
für eine gelungene Zusammenarbeit, Künstlerinnen und Künstlern. Kurator
wie wir in unserer Arbeit immer wie- der Schau ist Marc Wellmann, der sich
der feststellen und auch versuchen, zuvor bereits auf Einladung des Finn-
den finnischen Partnern zu vermitteln. land-Instituts hin vor Ort selbst einen
Denn in Finnland mit nur , Millionen Eindruck von der finnischen Kunstszene
Einwohnern laufen der Aufbau und die verschaffen konnte. Der Titel bezieht
Pflege von Netzwerken einfacher ab − sich darauf, dass Finnland zum
die Kreise sind kleiner und die Hierar- zweiten Mal in Folge im »World Happi-
chien flacher. ness Report« den ersten Platz belegt hat.
liegt der Regionenschwer- Aber was verbirgt sich dahinter, und wie
punkt auf Wien. Jährlich finden um definieren wir den Zustand des Glücks?
die Prozent unserer Veranstaltun- Das Interesse, sich mit Themen aus-
gen außerhalb Berlins statt, und auch einanderzusetzen, die nicht nur im
auf Österreich und die Schweiz soll finnischen, sondern auch im globalen
satzungsgemäß ein Teil davon entfal- Kontext relevant sind, spiegelte sich
len. wird das Finnland-Institut in auch im Schwerpunktthema wider,
enger Zusammenarbeit mit der finni- als Finnland sein -jähriges Beste-
schen Botschaft in Wien und anderen hen als Republik feierte. Ausgangspunkt
finnischen, aber auch lokalen Partnern war damals die Überlegung, inwiefern
unter anderem für den Gastlandauftritt dieses doch sehr »nationale« Jubiläum
Finnlands bei der Vienna Design Week auch mit einem im deutschsprachigen
Internationalisierung am Nil
Ägypten auf dem Weg zum sowie die wichtigsten Partner und In- Das deutsche Bildungs- und Hochschul- brochen ist; ob diese Hochstimmung schungsförderung zentrale Aspekte der
stitutionen auf einem gemeinsamen system hat im Land seit Jahrzehnten anhält, hängt von Finanzierungs- und Hochschulpolitik darstellen und weiter
regionalen Bildungs-Hub Raum vereinen und auch attraktiven ein äußerst gutes Standing, der DAAD Nachhaltigkeitsfragen sowie von vali- vorangetrieben werden sollen.
neuen Wohnraum für tausende Men- gilt als vertrauenswürdiger Partner und den Marktanalysen ab, aber auch da- Paradox oder Ansporn weiterzuma-
ISABELL MERING schen bieten soll. Der Ort war nicht zu- spielt eine nicht unerhebliche Rolle im von, ob sich deutsche Hochschulen in chen? Das werden alle Beteiligten für
fällig gewählt – denn Konzentration, Rahmen der hiesigen Internationali- langfristigen Großprojekten in Ägypten sich entscheiden müssen. Sicher ist
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er Wunsch nach Innovation Innovation, Investition und Reform- sierungsbemühungen: Die Vergabe engagieren möchten und können. Auch eins: In Anbetracht der großen Anzahl
und weltweiter Vernetzung wille waren und sind klare politische von Stipendien für die besten Köpfe ist das deutsche Modell der Hochschulen deutsch-ägyptischer Kooperationen ist
ist derzeit auch im Bildungs- Botschaften an die Partner und Gäste jahrzehntelange Tradition, seit es wichtig, diese Zusammenarbeit auf
bereich in Ägypten deutlich aus aller Welt. Hinzu kommt, dass just auch im Rahmen von kofinanzierten eine solide Basis zu stellen. Ein Anfang
zu spüren: Die Regierung mobilisiert jener Standort auch eine zentrale Rol- Programmen. Seit ungefähr Jahren ist bereits gemacht durch die im Herbst
die lokale Hochschul- und Forschungs- le in der aktuellen Hochschulpolitik rückten auch Hochschulkooperationen Viel Bewegung und unterzeichnete Vereinbarung zwi-
landschaft mit umfassenden Interna- spielt, zumal diese unter anderem eben unterschiedlicher Größenordnung im- Innovationswille ist schen Bundesministerium für Bildung
tionalisierungsbestrebungen, das Jahr dort eine Ansiedlung internationaler mer mehr in den Fokus: Gemeinsame und Forschung (BMBF) und Ministry
derzeit zu spüren
wurde offiziell als das »Year of Hochschul-Zweigstellen, sogenannter innovative und bedarfsorientierte Stu- of Higher Education and Scientific Re-
Education« proklamiert. Branch Campusse, vorsieht. Die Staats- diengänge, z. B. in den Bereichen Ener- search Egypt (MHESR) zur Unterstüt-
Seit Anfang des Jahres überschlagen spitze setzt hohe Erwartungen in die- gie, Bildung, Städtebau und Kulturerbe, zung bilateraler Hochschulprojekte.
sich die hiesigen Hochschulen landes- ses Ziel, das die Profilierung Ägyptens sind bereits erfolgreich etabliert; die für angewandte Wissenschaften rückt In diesem Sinne kann es weiterge-
weit mit hauseigenen Konferenzen zum als Bildungs-Hub vorantreiben soll. Anfrage nach weiteren Initiativen reißt immer mehr in den Fokus der Aufmerk- hen: Das Interesse an deutsch-ägypti-
Thema Internationalisierung im wei- Dennoch muss bedacht werden, dass nicht ab. Insbesondere die seit samkeit der Entscheidungsträger; erste schen Hochschulkooperationen ist der-
testen Sinn, präsentieren ihre bereits dieser Vorstoß letztlich nichts an der neu etablierten Förderprogramme für Pläne zur Etablierung dieses Modells zeit groß und insbesondere die bereits
etablierten Kooperationen mit dem schwierigen Lage der staatlichen Mas- Deutsch-Ägyptische Fortschrittspart- stehen auf der Agenda derer, die diesen erfolgreich etablierten Partnerschaften
Ausland und bemühen sich um neue senuniversitäten ändern wird, die nach nerschaften sind geeignete Optionen Trend erkannt haben und die Gunst der haben Potenzial, in Ägypten als Best-
Fördermittel. Bisheriger Höhepunkt der wie vor verpflichtet sind, hohe Zahlen für interessierte Hochschulen, sich im Stunde nutzen wollen. Practice-Modell zu dienen und weitere
aktuellen Internationalisierungswelle an Studierenden aufzunehmen und Land zu engagieren. Ägypten kann zu- Viel Bewegung und Innovationswille Entwicklungen anzustoßen, wenn die
war Anfang April die groß angelegte gleichzeitig unter einer völlig über- dem mit dem Branch Campus El Gouna ist derzeit zu spüren; Einschnitte bis jeweiligen Pläne auf individueller wie
dreitägige Konferenz »Global Forum« lasteten Infrastruktur und fehlendem der Technischen Universität Berlin und hin zu kontraproduktiven Maßnahmen politischer Ebene die wichtigste Vor-
des Ministry of Higher Education and Praxisbezug leiden. Dass in Ägypten der German University in Cairo (GUC) kommen aber dann zum Tragen, wenn aussetzung für erfolgreiche Projekte
Scientific Research (MHESR) in der eine hohe Akademikerarbeitslosigkeit zwei Leuchttürme transnationaler es z. B. um Sicherheitsaspekte geht. miteinschließen, nämlich einen part-
neuen administrativen Hauptstadt, und ein akuter Braindrain zu verzeich- Hochschulprojekte vorweisen. Mehr ist Langwierige Verfahren bei Sicherheits- nerschaftlichen Ansatz auf Augenhöhe.
die rund Kilometer vom eigentli- nen sind, verwundert angesichts der in Planung, da aufgrund des staatlichen genehmigungen schränken Forschungs-
chen Stadtkern Kairos gebaut wird und Situation nicht. Die Internationalisie- Willens eine regelrechte Gründungs- vorhaben und Mobilität teils sehr ein, Isabell Mering ist Leiterin der DAAD-
ab die Schaltstellen der Macht rungsagenda soll hier gegensteuern. euphorie für neue Hochschulen ausge- obgleich Internationalisierung und For- Außenstelle Kairo
12 KULTURELLES LEBEN www.politikundkultur.net
kein Händler, der gleich Bares bietet. bruchstimmung der Weimarer Repub-
Zudem spielt »Kunst und Krempel« lik. Auch wenn der Antrieb für solche
im sehr gediegenen bildungsbürgerli- Recherchen zunächst in finanzieller
chen Ambiente, was auch nicht unbe- Wertfindung liegt – wer sich in diese
dingt Zuschauermassen anzieht. Die Geschichte(n) vertieft, hat gute Chan-
Inszenierung von »Bares für Rares« in cen, in einen kulturellen Lernprozess
einem ehemaligen Industriebau ist so- zu geraten.
ziologisch das ziemliche Gegenteil: Ein Offenbar wird, gerade in den aus-
situatives Ambiente für ganz normale führlichen Expertengesprächen, sol-
Menschen, das Barrieren abbaut, bei ches Wissen in einer Art und Weise
Kandidaten wie bei Zuschauern. Unter vertieft, das nicht nur auf formaler Ebe-
diesem Gesichtspunkt gehört auch der ne Angaben zu Material, Machart und
fröhlich sachunkundige Moderator zum Marktwert vermittelt. In Verbindung
Erfolgskonzept des Formats: »Horst mit den eigenen Recherchen entsteht
Lichter hat vielleicht nicht viel Ahnung daraus veränderte Wertschätzung. Kurz
von Kunst oder Kulturgeschichte – aber gesagt: Im Rahmen dieser Sendung fin-
er hat sehr viel Ahnung von Menschen«, det so etwas wie das Einschmuggeln
bringt es ein langjähriger Sendungsbe- kulturellen Wissens statt. Experten der
teiligter auf den Punkt. »Weil er so ist, Sendung haben erlebt, dass Menschen,
wie er ist, nimmt er den Kandidaten die
Angst und Befangenheit vor Scheinwer-
fern und Kameras. Sie verhalten sich
ziemlich natürlich, und das macht es Es ist auch ein Ort
auch den Zuschauern leichter, sich mit kulturellen Lernens
ihnen zu identifizieren.« Man sollte die- und biografischer
se Beobachtung aus der Nahsicht nicht
unterschätzen.
Selbsterkundung
Aber neben der Identifikation mit
Kulturschmuggel im ZDF?
ist auch ein Ort kulturellen Lernens bedient werden, sondern auch darin,
und biographischer Selbsterkundung. dass, im Windschatten solcher Identi-
Das zeigt sich in den Gesprächen mit fikationen in behaglich-berechenbarer
den Experten, die den eigentlichen Sendungsstruktur, untergründig auch
Die Sendung »Bares für Rares« Kern der »Entdeckungsgeschichten« die Zuschauer der Sendung Anklänge
ausmachen – auch wenn die Experti- von kultureller Selbstvergewisserung
HANS JESSEN Solche Bewertung kann man noch dessen Protagonisten unspektakulä- sen aus dramaturgischen Gründen oft erleben. Dass sie, ohne es zu wissen,
nicht mal falsch nennen – aber sie ist re Normalmenschen sind, deren Prä- gekürzt werden. Hinter drei Minuten in kostenlose Volkshochschulkurse in
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ie Kollegen der Medienkritik es dennoch, weil ihr der Erfolg dieses sentator Erstaunen wahlweise durch der Sendung steht häufig ein deutlich Kulturgeschichte goutieren.
haben völlig recht: An Bere- Formats im Grunde ein Rätsel bleibt. »Leck misch de Söck« oder »Uijuijuijui« längeres intensives Expertengespräch. Wenn man diesen Gedanken nicht
chenbarkeit der Ablaufrituale Als Programmversuch gestartet, zum sprachlichen Ausdruck bringt. Wa- Viele Kandidaten versuchen, in Vor- völlig verwirft, dann hätte sogar die Be-
ist diese ZDF-Nachmittagssendung entwickelte sich »Bares für Rares« seit- rum also können Zuschauer aller Al- bereitung auf die Sendung, selbständig zeichnung »Neues Biedermeier« eine
nicht zu übertreffen: Im Acht-Minu- dem stetig zum werktäglichen Quoten- tersschichten, und zwar nicht nur der die Geschichte »ihrer« Objekte zu re- überraschende Bedeutung: Jenseits des
ten-Takt lassen Menschen tatsächliche renner: Stabile Prozent Marktanteil über , davon offenbar nicht genug cherchieren. Im Internet oder durch politisch-soziologischen Schmähtitels
oder vermeintliche Raritäten aus ihrem in der schwierigen Nachmittagsstrecke bekommen? Gespräche im Familienkreis, wenn steht »Biedermeier« kunstgeschichtlich
Privatbesitz, die sie zu Geld machen des klassischen Fernsehens sind über- Erklärungsansätze lauten: Die Sen- es sich um Erbstücke handelt. Auch für eine Epoche, in der klassizistische
möchten, von Experten begutachten. ragend. Wiederholungen und beacht- dung sei attraktiv, weil sie Schatzfinder- wenn diese Spurensuche oft nur vage Formensprache in reduzierter Eleganz
Stimmt das Werturteil mit den eigenen liche Abrufe im Internet eingerechnet, Hoffnung mit direkter Verkaufsmög- Erkenntnisse bringt – es sind Begeg- eine frühe Form entwickelter bürger-
Vorstellungen halbwegs überein, stehen gucken sich täglich Millionen Men- lichkeit verbinde. Ganz anders als die nungen mit der eigenen Familiensaga licher Ästhetik ausdrückte. Wenn das
sie anschließend fünf professionellen schen diese Sendung an. sehr viel ältere Sendung »Kunst und wie mit Kultur- und Zeitgeschichte. Der Horst Lichter wüsste.
Händlern gegenüber, die ihnen – in ei- Wie gesagt, es ist ein Format, des- Krempel« des Bayerischen Rundfunks, Eisenschmuck der Urgroßmutter aus
ner Art Versteigerung – die Stücke dann sen Dramaturgie so spannend ist wie in der ebenfalls »Familienschätze unter der Zeit des Ersten Weltkriegs wird zum Hans Jessen ist freier Journalist
abkaufen – oder auch nicht. Meist geht der Tagesablauf im Ruheraum, bei die Lupe« genommen werden, inklusi- biografischen Dokument, Kunstwerke und ehemaliger ARD-Hauptstadt-
es um ein paar hundert Euro, im Kunst- dem es um bescheidene Summen geht, ve Werteinschätzung. Aber da ist eben der er Jahre offenbaren die Auf- korrespondent
und Antiquitätenhandel fällt das eher
unter »kleines Geld«. Spektakuläre Ob-
jekte werden höchst selten präsentiert,
Blickwinkel
kleine Schätze kleiner Leute sind die
Regel. Familienschmuck, Geerbtes aus
Schubladen und Dachböden, Flohmarkt-
funde. Die Bezeichnung »Trödelshow«
für die Sendung ist nicht ehrenrührig. Wahrnehmung öffnen im Exil – verändern sich in ihrer völkerungsgruppen, die unzufrieden eingenommen werden, die nicht
Die Moderation liegt in den Händen Bewertung und Wahrnehmung. So sind mit gesellschaftlichen Entwick- migriert sind, so beispielsweise die
des als Fernsehkoch bekannt gewor- SUSANNE KEUCHEL wird Kunst von Künstlerinnen und lungen im eigenen Land und/oder Betrachtung klassischer historischer
denen Horst Lichter. Sein markantes Künstlern im Exil im Aufnahmeland Angst vor Veränderungen haben, Bauten in Deutschland unter dem
Kennzeichen ist ein wilhelminischer Neulich saß ich in einem Jazzclub in oft fokussiert auf die politische Si- beobachtet werden. Das Festhalten Blickwinkel islamischer Einflüsse.
Schnurrbart, er bekennt sich offen zu Shanghai. Vier europäische Musiker tuation ihrer Herkunftsländer. Eine an nationalen Kulturtraditionen und Die Wahrnehmung und Verortung
weitgehender Ahnungslosigkeit in kom- spielten klassischen Jazz. Erstaunlich veränderte Wahrnehmung kann auch Künstlerinnen und Künstlern wird von Kunst kann also sehr unter-
plexeren Fragen von Kunst und Kultur war das Publikum. In Europa wäre ein im Herkunftsland beobachtet werden, hier sogar gezielt zur Abgrenzung schiedlich erfolgen, bezogen auf Her-
Publikum + zu erwarten gewesen. beispielsweise in der Exilliteraturfor- gegenüber anderen ethnischen kunft, politische, kulturhistorische
Hier waren es junge Shanghaierinnen schung des Nationalsozialismus, wo Gruppen genutzt. Kontexte, stilistisch innerhalb eines
Spektakuläre Objekte und Shanghaier um die Jahre, sehr diese im Nachgang als »Bewahrer und Kulturkanons oder auch innerhalb
werden höchst selten gut gekleidet, modisch teils in Anleh- rechtmäßige Erben der ›eigentlichen‹ verschiedener Kulturkanons. Schafft
nung an die er und er Jahre. deutschen Kultur gehandelt« wurden. es Kulturvermittlung, Rezipientin-
präsentiert, kleine »Mondän« wäre eine gute Charakte- Ein Phänomen nicht nur von im nen und Rezipienten für verschie-
Schätze kleiner Leute ristik des Umfelds gewesen. Der Jazz Exil lebender Künstlerinnen und dene Wahrnehmungskontexte zu
sind die Regel wurde dadurch zur Ausdrucksform Künstler, sondern Migrantinnen öffnen, wirkt dies Tendenzen ent-
einer westlichen, intellektuellen und Migranten allgemein, ist das gegen, sich mithilfe künstlerischer
Lebenswelt mit nostalgischen Zügen, stärkere Festhalten an kulturellen Bei Künstlerinnen und Künstlern im Ausdrucksformen abzugrenzen. Der
und verfügt über eine unkaputtbare die durch die Wiederentdeckung der Ausdrucksformen des Herkunftslan- Exil kann aber auch eine Weiterent- Kunsthistoriker und Psychoanaly-
rheinische Jovialität im Umgang mit Jugend zugleich »cool« und »hip« des, wie sich dies im Bild des nach wicklung künstlerischer Ausdrucks- tiker Ernst Kris vertritt die These,
Menschen, die auch Quälpotenzial hat. wirkte, mit leicht kritischen politi- Amerika migrierten Deutschen, der formen in Richtung einer Akkultura- dass »genau wie der Künstler ein
Diese Mischung aus kleiner Schatz- schen Untertönen aufgrund des Ex- Sauerkraut isst und deutsches Bier tion, z. B. eine soziale und kulturelle Kunstwerk schaffe«, der »Betrachter
suche, biederer Präsentation und ereig- ports einer westlichen künstlerischen trinkt, manifestiert. Das Empfinden Integration in das Aufnahmeland, es erneut erschaffe«. Es gilt also, die
nisarmer Dramaturgie wird auf Medien- Ausdrucksform in ein asiatisches, des Verlustes des Heimatlands, ge- beobachtet werden, die neue Lesarten Fantasie des Betrachters nicht einzu-
seiten und im Feuilleton gern bissig kommunistisches Land. paart mit dem Verlust gemeinsamer der Rezeption von Exilkunst ermög- engen und zu begrenzen auf einzelne
kommentiert: »Veredelter Plunder«, Ein Fazit dieser Betrachtung: Künst- kultureller Kontexte, führen zu einer lichen, so die »Ausbildung interkul- Aspekte wie den Exilstatus, sondern
»ZDF rümpelt Programme mit altem lerinnen und Künstler und die Neubewertung der im Herkunftsland tureller Identitäten« und transkultu- den Blickwinkel zu weiten.
Trödel voll«, »Weihestunden des neuen »Künste« in anderen historischen, praktizierten Kulturtraditionen. reller Aspekte. Solche Perspektiven
Biedermeier« lauten wenig freundliche sozialen und räumlichen Kontex- Dies kann aktuell auch bei nicht können letztlich auch bei Kunstwer- Susanne Keuchel ist Präsidentin des
Überschriften. ten – sei es als Exportschlager oder migrierten rechtspopulistischen Be- ken und Künstlerinnen und Künstlern Deutschen Kulturrates
Politik & Kultur | Nr. / | Juni
KULTURELLES LEBEN 13
M
it Olaf Zimmermann, Gütesiegel steht ein wissenschaftliches besser retten sollte, anstatt sie zu töten. geschehen? Die Riklin-Brüder hatten und der Inhaber will sein Unternehmen
dem Herausgeber dieser Modell, das den Insektenverlust durch Zwei schlaflose Nächte folgten – und die Bewohner des westfälischen Dorfes nicht verkleinern, sondern zumindest
Zeitung, teilt der Unter- Biozide für den Wohnbereich berech- Reckhaus wurde zum einzigen Biozid- Deppendorf bei Bielefeld dazu animiert, halten, wenn nicht ausbauen. Nach-
nehmer Hans-Dietrich net und diese durch die Anlage von Hersteller der Welt, der vor seinen Stubenfliegen zu fangen und diese im haltigkeit in der Produktion muss da-
Reckhaus nicht nur die Leidenschaft für insektenfreundlichen Lebensräumen Produkten warnt. »Ich sage immer: extra dafür aufgestellten Fest-und Ak- her nicht nur ökologisch und sozial
Kunst und Kultur, sondern auch die für im Außenbereich ausgleicht. Traue keinem Tötungsprodukt, das tionszelt abzuliefern. Eine davon wurde sinnvoll sein, sondern unbedingt auch
Insekten. Während ersterer die Sechs- Für ein neues Produkt, eine Insekti- nicht selbst vor sich warnt! Auf der ausgelost und durfte samt ihren Fängern ökonomisch. Dazu Reckhaus: »Wenn
füßler aufgespießt in seinem Büro in zid-freie Fliegenfalle vulgo Fliegenkle- Vorderseite jedes meiner Produkte respektive Beschützern für drei Tage ins ich mittel- und langfristig mit diesen
der Berliner Taubenstraße hinter Glas befalle, suchte Reckhaus PR- und Ver- steht der Warnhinweis ›Dieses Produkt Luxus- und Wellness-Hotel Schloss El- Ideen kein Geld verdienen kann, dann
sammelt, ist der andere hauptberuflich kann ich es eben auch langfristig nicht
Insektentöter. hatte Reckhaus’ betreiben.« Und womit will er Geld ver-
Vater die Reckhaus GmbH gegründet, dienen? »Ich will in Zukunft erstens mit
ein Unternehmen für Insektenbekämp- Lebendfangfallen Geld verdienen, da
fungsprodukte. Seit rund Jahren lei- forschen wir heute ganz intensiv. Das
tet sein Sohn das Unternehmen und ist heißt, dass die Kunden die Insekten
somit beruflich und familiär bedingt im Haushalt fangen und nach draußen
Insektenfachmann geworden. Wieso bringen können. Das zweite ist, dass ich
Politik & Kultur einen Insektenvernich- insektenfreundliche Lebensräume anle-
ter porträtiert und was passieren kann, ge. Entweder, um Biozidprodukte ökolo-
wenn Kunst und Wirtschaft in einer gisch zu kompensieren, oder einfach für
einzigen Person aufeinander prallen, Privatleute oder Unternehmen, denen
erzählt die folgende Geschichte. ich insektenfreundliche Lebensräume
Als Kind erhielt Hans-Dietrich baue. Überspitzt gesagt, möchte ich
Reckhaus viele Jahre Klavierunterricht: alle meine Produktionsmitarbeiter um-
Der gehörte in den Augen seiner El- schulen zu Landschaftsgärtnern. Damit
tern zu einer klassischen Ausbildung, durchlebe ich eine Transformation vom
blieb aber für den Sprössling relativ Insektizidhersteller hin zum nachhalti-
folgenlos. In den Bann zog ihn nicht gen Dienstleister. Das ist meine Vision,
das Klavierspielen, sondern das Lesen. an der ich ganz intensiv kämpfe und
Und bald auch das Schreiben, das er bis arbeite und so kann es dann eben für
heute pflegt. Er wollte viel lieber Phi- mich ökonomisch aufgehen.«
losophie oder Literatur studieren als Reckhaus denkt dabei über sein Ge-
Betriebswirtschaftslehre, ein Studium, schäftsfeld hinaus und fordert einen
das Reckhaus Junior an der Universität Paradigmenwechsel in der gesamten
St. Gallen aufnahm, um den elterlichen Wirtschaft: »Nicht möglichst viel Geld
Abo sichern
und keine
Ausgabe mehr
verpassen!
D
sion, vorschlagen, Frank Scholze zum er »Horizont« aus Grie- die (Sprach-)Reise, die zeigt, wie sehr risch mit seinem Herkommen
Generaldirektor der Deutschen Natio- chenland, der »Keks« aus Länder und Kulturen voneinander auseinander. Dabei verbindet er drei
nalbibliothek zu berufen. Die Ent- England und das »Sham- profitieren. verschiedene Zeitebenen, eine Reise
scheidung haben die Mitglieder des poo« aus Indien – ein- »Horizont und Hängematte« ist zu seiner Großmutter, die in seinem
Gremiums nach einem mehrmonati- gewanderte Wörter bereichern die empfehlenswert für alle, die sich auf Geburtsort Višegrad in Bosnien-
gen Auswahlverfahren beschlossen. deutsche Sprache, das beweist auch eine linguistische und humorvolle Herzegowina lebt, im Jahr , die
Scholze hat Bibliothekswesen, Kunst- das Autorinnenduo Katharina Mah- Weltreise begeben wollen. Den Au- Flucht von ihm und seiner Mutter vor
geschichte und Anglistik studiert renholtz und Dawn Parisi. torinnen ist dabei voll und ganz bei- dem Balkan-Krieg im Jahr nach
und Leitungserfahrungen im Bereich Ob aus Nachbarländern wie Frank- zupflichten: Zum Glück ist unsere Deutschland und eine Reise zu seiner
digitaler Bibliotheken. Seit ist er reich und Italien, aus dem Arabischen, Sprache offen für Migration, denn zunehmend dement werdenden Groß-
Direktor der Bibliothek des Karlsruher aus Malaysia, Westgrönland oder Aus- ohne eingewanderte Wörter wäre sie mutter im Jahr .
Instituts für Technologie (KIT-Biblio- tralien – ein Fünftel des deutschen definitiv ärmer. Stanišić verwebt kunstvoll die
thek). Scholze soll ab Januar die Wortschatzes besteht aus eingewan- Maike Karnebogen Zeitebenen. Anders als Yishai Sarid,
Nachfolge von Elisabeth Niggemann derten Wörtern, die aus verschiede- dessen Sprache reduziert, sachlich,
antreten, die in den Ruhestand geht. nen Ländern und Kulturen der Welt Katharina Mahrenholtz und Dawn Pa- fast schon technisch ist, lebt der Ro-
Die Deutsche Nationalbibliothek hat übernommen wurden. davon, von risi. Horizont und Hängematte. Berlin man von Stanišić von seiner Freude geschoben zu werden. Dass gerade
die Aufgabe, alle Inlandspublikatio- A wie Adieu bis Z wie Zoff, wird in am Erzählen, von ausgeschmückten diese Heimat nicht mehr existierte,
nen sowie Auslandsveröffentlichun- »Horizont und Hängematte« auf den Bildern. dass der Krieg das vorherige sozia-
gen über Deutschland ab zu sam- Grund gegangen. Stanišić fragt in dem Buch nach le und gesellschaftliche Gefüge zer-
meln, zu archivieren, bibliographisch Nicht nur die Herkunft der Wörter Erinnerung und nach Herkunft. Er stört hat, dass die Heimat eben nicht
zu verzeichnen sowie der Öffentlich- und ihre Ankunft in der deutschen schildert, wie schwer es seinen Eltern, mehr Heimat ist, wird in dem Buch
keit zur Verfügung zu stellen. Sprache, sondern auch ihr Geschich- die beide in Jugoslawien als Akade- deutlich.
te, der meist etappenreiche Reiseweg, miker arbeiteten, fiel, in Deutschland Herkunft heißt hier, sich mit der
Wefing, Brost und Raether werden Synonyme und oft amüsante Zusatz- zu leben, hier als Hilfsarbeiter, mit Vergangenheit auseinanderzusetzen.
neues Großressort »Politik« bei informationen werden beschrieben Knochenarbeit den Lebensunterhalt Die Herkunft reicht in die Gegenwart,
»Die Zeit« leiten – Pyjama reimt sich auf Obama. So sicherten. sie ist aber nicht Heimat. Dies wird
»Die Zeit« führt ihr Politik-Ressort in stand beispielsweise für das Wort Er beschreibt die Situation in der besonders deutlich am Leben der El-
Hamburg und das Hauptstadtbüro im »Chauvinismus« einer Legende nach Flüchtlingsunterkunft, die Enge, das tern von Stanišić, die nirgendwo mehr
September zu einem übergrei- der glühende Nationalist Nicolas Fehlen jeglicher Privatheit. Seine eine Heimat fanden.
fenden Großressort »Politik« zusam- Chauvin Pate, der unter Napoleon Chance von einer Willkommensklas- Dies alles wird nicht etwa in einem
men. Die Hamburger Redakteure und diente. »Roboter« betraten zum ers- se, in der viele »Jugos« waren, ausge- weinerlichen Ton erzählt, sondern le-
die Berliner Korrespondenten werden ten Mal in einem Theaterstück hend schließlich das Abitur machen bendig und als Tatsache akzeptierend.
gemeinsam von beiden Standorten die Bühne und das Wort »tätowie- zu können, beschreibt er als großes Ein sehr empfehlenswerter Roman.
aus agieren. Die Leitung des neuen ren« stammt aus Polynesien und kam Glück. Gabriele Schulz
Ressorts übernehmen der bisherige über England und Frankreich im . Sein Studium in Deutschland be-
Co-Politikchef Heinrich Wefing, der Jahrhundert nach Deutschland. Die wahrte ihn davor, nach dem Ende Saša Stanišić. Herkunft. München
bisherige Co-Ressortleiter des Haupt- stimmigen Illustrationen bereichern des Balkankriegs in die Heimat ab-
stadtbüros Marc Brost und Elisabeth
Raether, die bisherige stellvertreten-
de Ressortleiterin der Politikredakti-
Neue Fachausschussvorsitzende im
Deutschen Kulturrat
Die Geschäftsführerin der Stiftung
Das Geschäft mit dem
Holocaust
die Geister zum Leben. Dabei gibt es
durchaus komische Momente, wenn
Sarid die verzweifelte Suche nach le-
Überblick
Kunstfonds, Karin Lingl, wurde zur benden Zeitzeugen schildert, die die Spiele in Vergangenheit und Gegenwart
M
Vorsitzenden des Fachausschusses onster, so lautet der in anstrengende Reise an den Ort ihrer
G
Steuern des Deutschen Kulturrates diesem Jahr in Überset- Peinigung im wahrsten Sinne des roß und Klein hat es unzählige
gewählt. Die Stiftung Kunstfonds zung von Ruth Achlama Wortes überleben. Male gespielt: Dabei wurden KULTURGUT
SPIEL
fördert zeitgenössische Künstlerin- erschienene Roman des Der Roman ist schmal und sehr geheimnisvolle Kreaturen Max J. Kobbert
nen und Künstler. Der Fachausschuss israelischen Schriftstellers Yishai Sa- dicht in einer lakonischen Sprache besiegt, einzigartige Gegenstände
Steuern des Deutschen Kulturrates rid. Gegenstand des Romans ist ein erzählt. Er geht in seiner Schonungs- entdeckt und die Tücken des Stra-
hat die Bearbeitung von steuerrecht- Brief des Ich-Erzählers an den Leiter losigkeit unter die Haut und lässt den tegiespiels für Familien mehr oder
lichen Fragen auf der nationalen und der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vas- Leser zurück mit der Frage, wie kann, weniger gekonnt umspielt – gemeint
der europäischen Ebene zur Aufgabe. hem in Jerusalem, in dem er schildert, wie soll erinnert werden. Diese lite- ist der Spieleklassiker »Das verrückte
Zum Vorsitzenden des Fachausschus- dass er nicht mehr könne und seinen rarische Auseinandersetzung mit der Labyrinth«.
ses Arbeit und Soziales wurde der Beruf aufgeben müsse. Dabei breitet nicht nachlassenden Frage, wie kann Max J. Kobbert ist der Spieleautor
ehemalige Bassposaunist im Philhar- Sarid die akademische Laufbahn des Erinnerung im immer größer werden- dieses Kassenschlagers und Autor des Spielzeugmuseum
Haus des Spiels
monischen Orchester der Stadt Trier, Ich-Erzählers aus. den Abstand zu den Gräueln der NS- Überblickwerkes »Kulturgut Spiel«, das Museen der Stadt Nürnberg
Hartmut Karmeier, gewählt. Seit Gleich zu Beginn schildert er, dass Herrschaft aktuell vermittelt werden, nun in der zweiten Auflage erschie-
ist er Mitglied des Sprecherrates des er zur Holocaust-Forschung aus prag- ist sehr empfehlenswert. nen ist. Beiersdorf, dem Geschäftsführer der
Deutschen Kulturrates und seit matischen Gründen gekommen sei, Gabriele Schulz Begonnen bei den Anfängen des SAZ.
Mitglied des Präsidiums des Deut- eigentlich eine Karriere im diploma- Spiels nimmt Kobbert den Leser mit ins Highlight des Buches sind sicherlich
schen Musikrates. Der Fachausschuss tischen Dienst angestrebt habe, sich Yishai Sarid. Monster. Aus dem Hebräi- alte Ägypten und erläutert die Funk- die zahlreichen Abbildungen, die nicht
Arbeit und Soziales des Deutschen nach dem Scheitern der Laufbahn- schen von Ruth Achlama. Zürich-Berlin tionsweise des damals wichtigsten nur die jahrhundertealte Geschichte
Kulturrates bearbeitet Themen der prüfung auf die Geschichte in Fernost Brettspiels Senet. Ausgehend davon des Spiels lebendig werden lassen,
Arbeits- und Sozialpolitik im Kultur- konzentrieren wollte und dann doch, erörtert Kobbert weiter zwei Aspekte – sondern auch Lust machen, gleich
bereich. weil es ihm gelang, innerhalb kurzer Bildungswert und Eigenwert des Spiels heute Abend eine Runde Brettspiele
Zeit Fakten zu ordnen und zu systema- –, die für die kulturelle Bedeutung des zu »zocken«.
Chefdirigent Christoph Eschen- tisieren, bei der Holocaust-Forschung Spiels zusammengehören wie »die bei- Theresa Brüheim
bach startet in die Saison / landete. Sein Hauptarbeitsgebiet wur- den Seiten einer Münze«. Im Anschluss
Der Chefdirigent des Konzerthausor- de, israelische Besucher durch die KZ- werden die Entwicklungen der jünge- Max J. Kobbert. Kulturgut Spiel. Schrif-
chesters Berlin, Christoph Eschenbach, Gedenkstätten in Polen zu führen. ren Geschichte des Spiels genauer be- tenreihe der Museen der Stadt Nürnberg
stellte Anfang Mai gemeinsam mit Der Roman kreist um die Frage, wie trachtet: der Spieleboom der er Band . . Auflage. Nürnberg .
Intendant Sebastian Nordmann die noch heute mit dem Holocaust ein Jahre, das erste Spieleautoren-Treffen
Saison / vor. Am . August Geschäft gemacht wird. Ein Geschäft, in Göttingen , die Gründung der
beginnt Eschenbach mit Gustav weil das Gedenken, die Beschäftigung Spiele-Autoren-Zunft (SAZ) , die PERSONEN &
Mahlers Sinfonie Nr. seine erste mit dem Holocaust, Menschen Arbeit aufkommende Auszeichnung mit REZENSIONEN
Saison am Gendarmenmarkt. In dieser sichert. Ein Geschäft, weil sich rein- dem Kritikerpreis »Spiel des Jahres«
wird er sich schwerpunktmäßig Jo- gewaschen werden soll. Ein Geschäft, und neue Spielformen wie z. B. frühe Politik & Kultur informiert an
hannes Brahms sowie Werken des . weil längst in Büchern, in Filmen und Formen von Kommunikations- und dieser Stelle über aktuelle Perso-
Jahrhunderts von Sofia Gubaidulina, in Spielen der Holocaust zum Gegen- kooperativen Spielen. nal- und Stellenwechsel in Kultur,
Thomas Adès und einer Uraufführung stand geworden ist und mit der künst- Ergänzt wird »Kulturgut Spiel« mit Kunst, Medien und Politik. Zudem
von Christian Mason widmen. Seinen lerischen Verarbeitung Geld verdient einem Vorwort von Karin Falkenberg stellen wir in den Rezensionen alte
Vertrag als Chefdirigent des Konzert- wird. vom Spielzeugmuseum und Deut- und neue Klassiker der kulturpoli-
hausorchesters Berlin unterschrieb Sarid setzt dies alles unmittelbar schen Spielearchiv Nürnberg und ei- tischen Literatur vor. Bleiben Sie
Eschenbach bereits im vergangenen in Beziehung zu den Orten selbst. Er nem Beitrag zur heutigen Situation gespannt – und liefern Sie gern
Jahr. lässt sie sprechen und erweckt so des Kulturguts Spiel von Christian Vorschläge an puk@kulturrat.de.
Politik & Kultur | Nr. / | Juni
KULTURSCHAFFENDE IM EXIL 15
H
einrich Heine beginnt seine Künstlern, Schriftstellern, Komponis- Sektion Dichtkunst der Akademie der bürgerung fand er schließlich in Köln die Exil-Künstler aus Deutschland in
großartige Ballade »Deutsch- ten, Schauspielern, Verlegern, Filmpro- Künste Heinrich Mann konnte im US- Aufnahme. Über die Schwierigkeiten, den USA und anderswo gewartet wur-
land. Ein Wintermärchen« mit duzenten und anderen mehr. Viele wur- amerikanischen Exil, anders als sein sich in Deutschland einzugewöhnen, de, wartet die deutsche Kunstszene auf
folgenden Zeilen: den verfolgt, weil sie Juden waren. Viele jüngerer Bruder Thomas, keine nicht- berichtete seine Frau Raissa Orlowa- die heutigen Exilierten. Wenn der erste
»Im traurigen Monat November wars, aufgrund ihres Werkes. Viele flüchteten deutschsprachige Fangemeinde um sich Kopelew eindrücklich in ihrem Buch Exil-Bonus weg ist, steht die Positionie-
Die Tage wurden trüber, zunächst in die Nachbarländer – insbe- scharen. Er war vom Wohlwollen seines »Die Türen öffnen sich langsam«. rung in einem ohnehin hart umkämpf-
Der Wind riß von den Bäumen das sondere in die junge Tschechoslowakei, Bruders abhängig. Und er ist nur ein Künstlerinnen und Künstler, Jour- ten Markt an, auf dem oft ganz andere
Laub, in die Niederlande und nach Frankreich. prominentes Beispiel von vielen. Die nalistinnen und Journalisten, die in Spielregeln gelten als im Heimatland.
Da reist ich nach Deutschland hinüber. Kommunistische Künstler gingen in die Exilgemeinde blieb vielfach unter sich. Deutschland Aufnahme fanden und Die meisten Künstlerinnen und Künstler
Und als ich an die Grenze kam, Sowjetunion. Sie erhofften sich dort Die für viele schier unüberwindbare finden, sind erleichtert, der Verfolgung in Deutschland sind ohnehin nicht auf
Da fühlt ich ein stärkeres Klopfen nicht nur Exil, sondern wollten auch Sprachbarriere tat ein Übriges. entkommen zu sein. Sie haben ihr Le- Rosen gebettet. Die Konkurrenz ist groß.
In meiner Brust, ich glaube sogar am Aufbau des Sozialismus mitwirken. Viele exilierte Künstlerinnen und ben gerettet. Sie stehen zugleich vor Umso wichtiger sind Unterstützungen
Die Augen begunnen zu tropfen. Viele von ihnen fielen den stalinisti- Künstler und ihre Werke sind heute der Herausforderung in einem fremden von Berufskolleginnen und -kollegen
Und als ich die deutsche Sprache schen Säuberungen Ende der er vergessen. Es ist hieraus eine Lücke in Land, oftmals in einer fremden Sprache, wie z. B. dem PEN-Zentrum Deutschland.
vernahm, Jahre zum Opfer. Sie litten ein weiteres unserem kulturellen Gedächtnis ent- in einer neuen Kultur Fuß zu fassen. Die Der Ich-Erzähler in Heinrich Heines
Da ward mir seltsam zu Mute; Mal unter Verfolgung und starben im standen, die trotz aller Anstrengungen Erleichterung wird vom Schmerz des Wintermärchen wird wehmütig, als er
Ich meinte nicht anders, als ob das Gulag. Diejenigen, die in die Tsche- nicht mehr vollständig geschlossen Verlustes überschattet und von der Un- die deutsche Sprache hört. In der ihm
Herz choslowakei flohen, mussten mit der werden kann. gewissheit der Zukunft. Ist es ein Exil eigenen Ironie bricht Heine die in den
Recht angenehm verblute.« Besetzung des Sudetenlands und der Noch unter dem Eindruck des ver- auf immer? Oder ist es ein Exil auf Zeit? Zeilen mitschwingende Sentimentalität.
Heine lebte bereits seit einem Jahr- Installierung des NS-Regimes ein neu- brecherischen NS-Regime heißt es Wer liest und wer hört mich? Welche Sie sind zugleich eine Ermahnung, die
zehnt im Exil als er erstmals wie- es Aufnahmeland suchen. Ähnlich er- im Grundgesetz der Bundesrepub- Auftrittsorte gibt es? Wer verlegt meine Besonderheiten mit denen Künstlerin-
der nach Deutschland reiste. Er war ins ging es jenen, die in den Niederlanden lik Deutschland: »Politisch Verfolgte Werke und wer interessiert sich in der nen und Künstler im Exil leben nicht
Exil gegangen, weil er als getaufter Jude oder in Frankreich zeitweise Zuflucht genießen Asyl.« Diese schnörkellose, Fremde dafür? aus den Augen zu verlieren.
unter beruflicher Ausgrenzung und gefunden hatten. klare und letztlich wunderbare Zusage Exilierte Künstlerinnen und Künst-
Antisemitismus litt. Als Schriftsteller Jene, die oft auf abenteuerlichen ist die Reaktion auf vielfaches Asyl in ler heute kämpfen mit ähnlichen Pro- Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer
stand er unter strenger Beobachtung Wegen endlich an einem sicheren Ort allen Weltgegenden, gerade auch von blemen wie jene Künstlerinnen und des Deutschen Kulturrates und
der Zensur. Viele seiner Werke fielen ihr ankamen, beispielsweise in den USA, deutschem Künstler während der Na- Künstler, die aus Deutschland flohen. Herausgeber von Politik & Kultur
zum Opfer und konnten in Deutschland spürten Erleichterung. Erleichterung, zibarbarei.
nicht erscheinen. Seine Urheberschaft den Verfolgern entkommen zu sein. Er- Auch vor der Wiedervereinigung
vom »Loreley-Lied« wurde lange Zeit leichterung, das blanke Leben gerettet boten die Bundesrepublik als auch BILDER IM SCHWERPUNKT
unterschlagen. zu haben. die DDR Exilsuchenden Zuflucht. Die
Heinrich Heine ist ein Beispiel für Sie verspürten aber zugleich einen DDR war unter anderem nach dem Die Körber-Stiftung engagiert sich der Porträtierten ist freiwillig hier.
eine ganze Reihe von Schriftstellern großen Schmerz. Schmerz über den Sturz der Allende-Regierung im Jahr mit dem Fokusthema »Neues Le- Alle haben jedoch Orte gefunden, an
und Intellektuellen, die während Verlust der Heimat, die längst keine Fluchtort für Chilenen. In der ben im Exil« für Menschen, die in denen sie sich wohlfühlen, die sie an
der Restauration im . Jahrhundert Heimat mehr sein konnte. Schmerz Bundesrepublik suchten insbesondere Deutschland im Exil leben. In diesem ihre Heimat erinnern oder die zu ei-
Deutschland verlassen mussten. Sie über den Verlust von Familie und vor Intellektuelle und Künstler aus Osteu- Rahmen wurde die Ausstellung »Hier nem neuen Zuhause geworden sind.
hatten sich für ein einiges Deutschland allem Schmerz über den Verlust von ropa Zuflucht. Mit der Philharmonia fühle ich mich zu Hause« konzipiert, Reinhold begleitete die Porträtierten
eingesetzt und für Gedankenfreiheit Arbeitsmöglichkeiten. Viele waren in Hungarica fand ein ganzes Orchester aus der die Bilder im Schwerpunkt zu ihren besonderen Orten. Zurzeit
gekämpft. In den deutschen Kleinstaa- der neuen Welt Nobodys. Neben den nach der Niederschlagung des Ungarn- auf den Seiten bis stammen. werden die Aufnahmen in der Ham-
ten konnten sie nicht publizieren oder ökonomischen Sorgen des tagtäg- Aufstands in der Bundesrepublik Die Porträts des Fotografen Friedrun burger Landesvertretung in Berlin
verloren ihre berufliche Stellung. Exil lichen Überlebens im wahrsten Sinne Exil und wurde durch Bundesförderung Reinhold zeigen Menschen, die in gezeigt. Mehr unter: www.koerber-
war also schon vor dem Nationalsozia- des Wortes gehörte dazu, dass kaum unterstützt. Ein anderer bekannter Deutschland im Exil leben. Keiner stiftung.de/exil
16 KULTURSCHAFFENDE IM EXIL www.politikundkultur.net
In der Exilforschung geht es um die Re- gilt und die durch die Berücksichti-
konstruktion einzelner Lebensgeschich- gung der Genderperspektive zu einer
ten, die Untersuchung von Kollektivbio- geschlechtergerechten Erinnerungs-
grafien und zugleich auch um die Auf- kultur beiträgt. Mittlerweile liegen
arbeitung und Auseinandersetzung der Jahrbücher Exilforschung und zahlrei-
mit diesen Menschen vergessenen oder che Sammelbände vor, darunter auch
verdrängten Ideen und Werke, mit ihren elf Bände der Reihe »Frauen und Exil«,
wissenschaftlichen Ansätzen und kul- die die Auseinandersetzung mit diesem
turellen Leistungen sowie mit den von Themenkomplex dokumentieren.
ihnen begründeten Schulen und Institu- Ein Kennzeichen der Exilforschung
tionen. Exilforschung ist Erinnerungs- ist es bisher gewesen, dass das Enga-
arbeit und will dazu beitragen, dass die gement von Einzelnen, und zwar von
Verfolgung und Vertreibung während Betroffenen und Forschenden, tragend
der NS-Zeit nicht in Vergessenheit gerät wurde, wenn es um die Rekonstruktion
und die »Frage nach den Ursachen und zerstörter Lebenswelten, die kritische
Bedingungen, die Auschwitz möglich Rezeption verdrängter und vergessener
gemacht hatten«, einbezogen wird, wie Traditionen und die Frage des Kultur-
Ernst Loewy es gefordert hat. und Wissenstransfers in die Exilländer
Dieser Aufgabe kommt die in und auch um Remigration ging. Ange-
Marburg gegründete Gesellschaft für sichts der Vielzahl der vorliegenden
Exilforschung e.V. nach. Sie war zu- Einzeluntersuchungen und neuen Er-
nächst der deutsche Zweig der »Socie- kenntnisse wäre es jetzt an der Zeit, die
ty for Exile Studies«, wurde dann eine Handbücher und Datenbanken kritisch
autonome und als gemeinnützig aner- zu würdigen und zu aktualisieren. Au-
kannte Organisation, die weiterhin mit ßerordentlich hilfreich wäre es, erneut
der »North American Society for Exile Sonderforschungsprogramme aufzu-
Studies« in Kooperation verbunden ist. legen und die Exilforschung stärker zu
Vergnügen ins Exil« Identität und Mobilität, Sprachwechsel Exils und der NS-Geschichte erworbe-
und Mehrsprachigkeit, (Auto-)Biografie nen Expertisen zu nutzen. Es geht um
und gebrochenen Narrativen, diaspori- Aufklärung und um Sensibilisierung
schen, vernetzten und transnationalen für die heutige Praxis des politischen
Aufgaben und Auftrag der Exilforschung heute Gemeinschaften in einer Weise verhan- und humanitären Asyls, um ein besse-
delt, die Übertragungen und Vergleiche res Verständnis der mit den aktuellen
INGE HANSENSCHABERG derung einher, denn nach Zahlung der in Frankreich und Großbritannien über die spezifische historische Situa- Prozessen von Migration, Integration
»Reichsfluchtsteuer« und der Konfiszie- als »feindliche Ausländer« in Lagern tion hinaus anregen.« und Akkulturation einhergehenden
D
er berühmte Schriftsteller, rung des Eigentums durften lediglich interniert. Zum anderen waren die Innerhalb der Gesellschaft für Exil- sozialen, kulturellen und politischen
Journalist und Theaterkriti- Reichsmark ausgeführt werden. Am . Exilierten nach der Okkupation der forschung e.V. entstand zudem Ende der Problemen, denn das Exil wird zu einer
ker Alfred Kerr konnte am . Oktober trat das Auswanderungs- Niederlande, Belgiens, Luxemburgs er Jahre die Arbeitsgemeinschaft sich zunehmend ausbreitenden Erfah-
Februar rechtzeitig aus verbot in Kraft. Die auf der Wannsee- und Frankreichs erneut gefährdet, ca. »Frauen im Exil«, deren besonderes rungs- und Lebensform.
Berlin nach Prag flüchten. Ihm war tele- Konferenz am . Januar koordi- . wurden während der deutschen Erkenntnisinteresse der Auseinander-
fonisch von der Polizei geraten worden, nierte Deportation und Ermordung der Besatzung in die Vernichtungslager de- setzung mit marginalisierten, über- Inge Hansen-Schaberg ist
»sofort über die Grenze zu gehen«, wie Juden Europas hatte zu dem Zeitpunkt portiert. Frankreich wurde im Sommer deckten oder vergessenen weiblichen Vorsitzende der Gesellschaft für Exil-
er später in seinem in England geführ- bereits begonnen. durch die mit der Vichy-Regierung Lebens- und Arbeitszusammenhängen forschung e.V.
ten Tagebuch notiert, denn als erklärter im Artikel des Waffenstillstandsab-
Hitlergegner war er in Lebensgefahr. In kommens vereinbarte »Auslieferung
seinem Aufsatz »Empfindsame Flucht. auf Verlangen« faktisch zur Falle. Nur
Die ersten Worte nach dem Weggang Laut UNO-Flüchtlings- durch Fluchthilfe bei der Überque- ÜBERBLICK SCHWERPUNKT
aus Deutschland« schrieb er am . Juli hilfe waren im letzten rung der Pyrenäen und insbesondere
: »Man geht nicht zum Vergnügen Jahr , Millionen mit den von Varian Fry und Gilberto Leben und Arbeit im Exil kennen nur Fissela Mebrahtu und Şehbal Şenyurt
ins Exil.« Der dann folgende soziale Bosques ausgestellten Visa konnten diejenigen wirklich, die dazu gezwun- Arınlı, was es bedeutet, als Journalis-
Menschen weltweit auf
Absturz ist in der Biografie über Alfred schätzungsweise . die Flucht- gen werden. Zwang ist das zentrale tinnen im Exil zu leben. Die Fotografin
Kerr von Deborah Vietor-Engländer der Flucht route über Spanien nach Lissabon Motiv des Lebens im Exil. Niemand, Heike Steinweg porträtiert Frauen, die
nachlesbar. Zwar war die Familie wie- nutzen, um nach Nord-, Mittel- oder der im Exil ist, ist freiwillig dort. im Berliner Exil leben – auf Seite
der vereint, nachdem Julia Kerr und die Südamerika zu gelangen. Zu einem Deutschland war in der Vergangenheit gibt sie Einblick in ihre Arbeit.
Kinder Michael und Judith ihm in die Die Exilierten fanden ab meist der letzten Zufluchtsorte für europä- und ist in der Gegenwart Schauplatz Gerold Gruber und Christian Höppner
Schweiz »nachgereist« waren, aber aus in den europäischen Nachbarländern ische Juden entwickelte sich außerdem von Exil. Unter der nationalsozialisti- zeigen auf Seite , wie es Musikschaf-
einem gut situierten Leben plötzlich Zuflucht, aber auch Palästina, die USA Shanghai, wo bis kein Visum für schen Diktatur waren Hunderttausen- fenden im Exil erging und ergeht. Die
herausgerissen, ausgebürgert und völ- und Argentinien waren gefragte Ziele. die Einreise erforderlich war. Zahlrei- de gezwungen, ihre Heimat zu verlas- iranische Regisseurin Narges Kalhor
lig mittellos. Judith Kerr zeichnet dies Mit den wachsenden Flüchtlingszahlen che autobiografische Texte legen ein sen. Heute leben zahlreiche Menschen lebt auch im deutschen Exil und be-
in ihrem erschienenen Buch »Als schlossen sich allerdings immer mehr Zeugnis über die ungeheuerlichen in Deutschland im Exil. Politik & Kul- richtet auf Seite über die Unter-
Hitler das rosa Kaninchen stahl« aus Grenzen, und Einwanderungsquoten Verbrechen gegen die Menschlichkeit tur betrachtet in diesem Schwerpunkt schiede beim Filmemachen in beiden
der Perspektive des Kindes eindring- und komplizierte Verfahren für die ab und über die besonderen Umstände, Leben und Arbeit von Kulturschaffen- Ländern.
lich nach. Aus- und Einreise und Transitbestim- unter denen das Leben gerettet und den im Exil – damals und heute. Sven Tetzlaff von der Körber-Stiftung
Die Flucht aus dem deutschspra- mungen machten eine Emigration oft mit den Traumata umgegangen werden Die Vorsitzende der Gesellschaft für zeigt auf Seite , wie umfassend die
chigen Raum, also aus dem Deutschen unmöglich. Auf der Konferenz von konnte. Exilforschung Inge Hansen-Schaberg Hamburger Stiftung sich für Kultur-
Reich, aus Österreich nach dem »An- Évian im Juli zeigte sich die sehr Bei der Betrachtung des Exils müs- gibt auf Seite einen einleitenden und Medienschaffende im Exil enga-
schluss« und aus der Tschechoslowakei begrenzte Aufnahmebereitschaft der sen auf der einen Seite das Elend, die Überblick über das historische Exil giert– von der Veranstaltungsserie
nach der Annexion des Sudetenlandes, teilnehmenden Staaten; man einig- Armut und Sorge um das tägliche Leben und den Auftrag der Exilforschung. »Tage des Exils« bis hin zur Online-
gelang ca. . Personen, die in Op- te sich lediglich auf die Gründung des gesehen werden, auf der anderen Seite Sylvia Asmus schildert auf Seite Nachrichtenseite »Amal, Hamburg!«.
position zum NS-Staat standen und/ »Intergovernmental Committee on Re- sind aber auch die vielfältigen Versuche die Bedeutung des Exils für Kultur- Auf Seite macht Riccarda Cappeller
oder als jüdische Menschen versuch- fugees«, das die Modalitäten der deut- der Selbstbehauptung durch politische, schaffende am Beispiel der virtuellen deutlich, wie durch das Exil Architek-
ten, der Verfolgung zu entgehen. Diese schen jüdischen Auswanderung regeln soziale, journalistische, schriftstelleri- Ausstellung »Künste im Exil«. Auf Sei- turströmungen weltweit Verbreitung
erzwungene Migration unterscheidet sollte. Erst nach dem Novemberpogrom sche, wissenschaftliche, künstlerische te erörtert Doerte Bischoff die Er- fanden. Abschließend setzt sich Jo-
sich also fundamental von individu- wurde die Dringlichkeit erkannt, oder pädagogische Betätigung zu kon- fahrungen von Schriftstellern im Exil hann Hinrich Claussen mit der Frage
ellen Ortswechseln ins Ausland aus rasch zu handeln. Hervorzuheben sind statieren und zu würdigen. Das wird in zwischen Sprachverlust und »Public auseinander, ob Exil zu etwas gut sein
wirtschaftlichen, beruflichen oder fa- die »Kindertransporte« nach Großbri- hervorragender Weise in der Daueraus- Intellectuals« und zeichnet ein Bild kann.
miliären Erwägungen. tannien, die ca. . Kinder retteten, stellung »Exil. Erfahrung und Zeugnis« der Exilliteratur heute. Der syrische Die Bilder zeigen Kultur- und Medien-
Die Strategie des NS-Staates bestand deren Familien in den meisten Fällen vom Deutschen Exilarchiv - Physiotherapeut Faisal Hamdo wurde schaffende, die in Deutschland im Exil
bis darin, mit allen Mittel der Ge- den Holocaust nicht überlebten. der Deutschen Nationalbibliothek in im Exil zum Buchautor, auf Seite leben. Sie machen Deutschland heute
walt und des Terrors die Auswanderung Tragischerweise wurden mit Kriegs- Frankfurt am Main und im Netzwerk- schildert er seine Exilerfahrung. Auf zum Exilland – und bringen neuen
der jüdischen Bevölkerung zu forcieren. beginn zum einen viele der deutschen projekt »Künste im Exil« unter www. Seite berichten die beiden Writers- kulturellen Reichtum zurück in das
Mit der Vertreibung ging die Ausplün- und österreichischen Flüchtlinge kuenste-im-exil.de vermittelt. in-Exile-Stipendiatinnen Yirgalem historische Land der Exilierten.
Politik & Kultur | Nr. / | Juni
KULTURSCHAFFENDE IM EXIL 17
Exilnetzwerk
Die virtuelle Ausstellung Startseite der virtuellen Ausstellung Herta Müllers erschienenem Text Ausstellung zueinander – wie die bei- Wissen um das historische Exil ist von
»Künste im Exil« an. Werke von Herbert »Reisende auf einem Bein« und einem den handschriftlichen Versionen des Bedeutung für unsere Gegenwart. Viele
»Künste im Exil« Bayer, Theo Balden, Lyonel Feininger Interview mit ihr und Liao Yiwu ge- Abschiedsbriefes Stefan Zweigs vom . Quellen sind noch unerforscht, bereits
und Richard Paulick sind zwischen den langt. Februar , die im Deutschen Litera- bekannte Quellen werden neu befragt
SYLVIA ASMUS Porträtfotografien zu sehen. Das ver- Dies ist einer von vielen möglichen turarchiv Marbach und in der National und in neue Kontexte gestellt. Und
bindende Element wird sofort deutlich: Wegen durch die virtuelle Ausstellung Library of Israel aufbewahrt werden. nicht zuletzt wenden sich zeitgenös-
E
twa . deutschsprachige das Bauhaus. Die virtuelle Ausstellung »Künste im Exil«. Das Grundmotiv Jedes Exponat ist Teil eines kuratier- sische Autoren in ihren Werken dem
Menschen sahen sich nach der »Künste im Exil« stellt einige Künst- dieser virtuellen Ausstellung ist das ten Verweisungszusammenhangs und historischen Exil zu. Klaus Modicks
Machtübergabe an die Natio- lerinnen und Künstler des Bauhauses Netz, und dies in mehrfacher Hinsicht. Mittelpunkt einer ihm spezifisch zuge- erschienener Roman »Sunset« und
nalsozialisten gezwungen, ins Exil zu vor und widmet ihnen anlässlich des Die Federführung für das Projekt liegt ordneten Objektgalerie, die auch unter- Michael Lentz‘ erschienener Text
gehen. Etwa . von ihnen gingen Jubiläumsjahres die Startseite. beim Deutschen Exilarchiv - schiedliche Medientypen miteinander »Pazifik Exil« sind denn auch selbst Ex-
wissenschaftlichen, literarischen und Aber welche Verbindungslinien be- der Deutschen Nationalbibliothek, aber verlinkt. Mit dem Abschiedsbrief Stefan ponate auf »Künste im Exil« und treffen
künstlerischen Berufen nach, darunter stehen beispielsweise zwischen László »Künste im Exil« ist als kooperatives Zweigs beispielsweise ist eine Postkarte im Netz aus Verlinkungen auf ihre Pro-
Theaterschaffende und Filmemacher, Moholy-Nagy und Herta Müller? Wa- Netzwerkprojekt angelegt, dem For- des Schriftstellers an den Fotografen tagonisten Bertolt Brecht, Hanns Eisler,
Schriftsteller, Bildende Künstler, Foto- rum finden sich zu beiden Kurzbio- schungseinrichtungen, bestandshalten- Eric Schaal aus dem Jahr , ein Ma- Thomas Mann, Arnold Schönberg und
grafen, Architekten, Tänzer, Komponis- grafien und Exponate auf »Künste im de Institutionen, Ausstellungshäuser nuskript seiner Rezension zu Thomas Franz Werfel.
ten und Musiker. Die Bedingungen für Exil«? Ein Klickweg durch die virtuelle und Gesellschaften angehören. Die Manns »Lotte in Weimar«, , und Das Netzwerkprojekt »Künste im
die Fortsetzung ihrer künstlerischen Ausstellung zeigt die verbindenden Netzwerkpartner bringen Exponate, ein Video-Interview mit der ebenfalls Exil« wächst seit der Onlinestellung
Arbeit im Exil hingen von unterschied- Knotenpunkte auf. Mit dem Personen- aber auch unterschiedliche Positio- nach Brasilien emigrierten Künstlerin und der Anschubfinanzierung
lichen Faktoren ab. Für Bildende Künst- eintrag zu dem Fotografen, Designer nen und Expertise in das Projekt ein. Agi Straus verknüpft. Jedes dieser Ex- der Beauftragten der Bundesregie-
ler, Komponisten und Fotografen z. B., und Maler László Moholy-Nagy ist als Auch die inhaltliche Organisation von ponate ist mit weiteren Themen-, Per- rung für Kultur und Medien langsam,
deren Kunst weniger an die deutsche Exponat seine letzte Neujahrskarte aus »Künste im Exil« folgt einer Netzstruk- sonen- und Objekteinträgen verlinkt, aber sukzessive um neue Elemente an.
Sprache gebunden war, konnte die England verlinkt, gestaltet mit einem tur. Ausgangspunkt der Ausstellung sodass sich vielfältige Querverbindun- Weitere Personen-, Exponat- und The-
Weiterarbeit unter den veränderten Fotogramm aus der Dessauer Zeit des ist das Exil aus dem nationalsozialis- gen zwischen den Elementen darstellen menbeiträge sind bereits im Entstehen.
Bedingungen des Exils leichter mög- Künstlers. In der Beschreibung dieses tischen Machtbereich. Die Ausstellung lassen und dem Besucher viele Wege Zu den Sonderausstellungen über Max
lich sein, während viele Schriftsteller Exponats führt ein Link zu einem Per- dehnt aber die zeitliche Perspektive durch die Ausstellung offenstehen. Er Beckmann, Ludwig Meidner und den
im Exil um ihre Sprache rangen. Exil soneneintrag über den Architekten und aus und reflektiert Exil und die künst- kann kuratierten Wegen folgen, die ihn »Stimmen des Exils« wird als nächstes
konnte zu Sprachmischungen und Designer Walter Gropius. Über dessen lerische Produktion im Exil bis in die auf vorgeschlagenen Pfaden durch die Projekt eine Ausstellung über Oskar
Sprachwechsel führen, die Mehrzahl Aufnahmeland USA informiert ein mit Gegenwart. Die Flucht aus dem na- Ausstellung führen, er kann frei flanie- Maria Graf hinzukommen.
der aus dem Machtbereich der natio-
nalsozialistischen Diktatur emigrierten
Autoren hielt jedoch an der deutschen
Sprache als ihrer literarischen Sprache
fest. Angesichts der durch das Exil aus-
gelösten Verunsicherungen vermittelte
die Weiterarbeit in der deutschen Spra-
che zumindest die Illusion einer Kon-
tinuität für die literarische Produktion
und die eigene Identität. Je nach künst-
lerischer Disziplin, Zeitpunkt der Flucht,
Alter, Geschlecht, sozialem Status und
Aufnahmeland variierten die Möglich-
keiten für die Künstler im Exil. In vielen
Ländern gab es bürokratische Hürden,
so ging eine erfolgreiche Einreise häufig
nicht unmittelbar mit einer Arbeitser-
laubnis einher. Die Kulturschaffenden
trafen zudem in vielen Regionen auf
einen für sie gänzlich fremden Kultur-
betrieb, dessen Gesetze sie erst verste-
hen mussten. Alte Netzwerke mussten
reaktiviert, neue erst gegründet werden.
Bildende Künstler mussten Wege finden,
Galerien und Museen für die eigene
Arbeit zu interessieren, Schriftsteller
A
ls Thomas Mann erfährt, Rechtschreibregeln konsequent igno-
dass ihm die Ehrendoktor- rierenden Übersetzungen, wie »For-
würde der Universität Bonn renlengvitsch« und »Apper Broddweh«,
aberkannt worden ist – eine eine eigene Ästhetik des Komischen,
unmittelbare Reaktion auf den vo- die zugleich jedoch den tragischen
rausgehenden Entzug der deutschen Kontext der durch das Exil verlorenen
Staatsbürgerschaft durch die national-