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Universität Leipzig

Philologische Fakultät
Herder-Institut

MA Modul Fremdsprachenerwerb (04-004-2003)


Thema der Hausarbeit: Rezension
Dozent: Prof. Dr. Erwin Tschirner
Sommersemester 2013

Kornelia Bochniak
Matrikelnummer: 3227990
Leipzig, den 10.09.2013

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Esin Işil Gülbeyaz: Spracherwerb und Fehleranalyse. Eine korpusanalytische Studie.
Peter Lang Verlag, Frankfurt am Main 2012, 238 S., 49.80 €

Die ursprüngliche Magisterarbeit von Esin Işil Gülbeyaz wurde in überarbeiteter Form in der
Werkstattreihe „Deutsch als Fremdsprache“ veröffentlicht. Die Autorin, die selbst als DaF-
Dozentin tätig ist, hat in ihrer Studie zu Transfereinflüssen bei spanisch- und
türkischsprachigen Deutschlernern ein Korpus von über 900 Fehlern erstellt, es auf mögliche
Fehlerquellen analysiert und den Grad des Einflusses der Erstsprache auf die im Korpus
enthaltenen Fehler bestimmt. Esin Işil Gülbeyaz beherrscht das Türkische als Erstsprache und
das Spanische als FS4, so dass sie einer der bedeutendsten Voraussetzungen für eine solche
Fehleranalyse, nämlich die Erstsprache der Lerner zu können, Rechnung tragen konnte.
Wie im Vorwort (S. 11-12) angedeutet, ist die Hochblüte fehlerlinguistischer Arbeiten schon
passé. Jedoch gab es mehrere Gründe, eine umfangreiche Studie zu Einflüssen der
Ausgangssprache auf den Erwerb des Deutschen zu veröffentlichen. Zum einen hat sich die
Perspektive auf L2-Erwerbsprozesse in einer mehrsprachig geprägten Gesellschaft erweitert.
Eine solche sprachkontrastive Fehleranalyse ist nicht nur für das Klassenzimmer von Nutzen,
in dem die Sprache gesteuert erworben wird, sondern auch für diejenigen, die in einer
mehrsprachigen Umgebung leben und sprachliche Barrieren bewältigen müssen, um den
Zugang zum Bildungssystem zu bekommen oder ins Berufsleben einzusteigen. Obwohl
kontrastive Fehleranalysen zu bestimmten Ausgangssprachen schon eine lange Tradition
haben (Kunkel-Schüller 1974 für das Spanisch, Tekinay 1987 für das Türkisch), hat sich die
Forschungsperspektive, unter der die Fehler betrachtet werden, schon längst geändert. Die
Fehler werden nicht nur als lästige Abweichungen von der Norm angesehen, welche die
Fremdsprachenlehrer zu bekämpfen haben, sondern auch als aufschlussreiche Indikatoren des
erreichten fremdsprachlichen Kompetenzniveaus (Vgl. Harden 2006). Dieser Tradition
schließt sich die vorliegende Studie an.
Im 1. und 2. Kapitel wird ein Überblick über ausgewählte Theorien des Erst- sowie Zweit-
und Fremdsprachenerwerbs geboten. Dem theoretischen Teil folgt im Kapitel 3 eine
empirische Untersuchung, in der die im Korpus erhobenen Fehler auf den Einfluss der
Erstsprachen analysiert werden. Anschließend erfolgt eine Zusammenfassung der Ergebnisse
(Kapitel 4). Der Arbeit wurden ebenfalls die Fragebögen, welche die Probanden auszufüllen
hatten, beigefügt sowie die Bildergeschichte und die Texte der Probanden (Anhang 1, 2 und
3).
Der Überblick über Theorien zum Erst-, Zweit- und Fremdspracherwerb wurde in 2 Kapitel
gegliedert. Im ersten Kapitel wurden zwei Theorien zum Erstspracherwerb (der nativistische
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Ansatz von Chomsky und die Identitätshypothese von Dulay und Burt) näher erläutert (S. 21-
28). Im zweiten Kapitel geht die Autorin auf einige Theorien ein, die sich für die vorliegende
Studie als die relevantesten erwiesen (S. 29-58). Die abgehandelten Theorien beschäftigen
sich sowohl mit dem gesteuerten als auch mit dem ungesteuerten Fremdsprachenerwerb. Dazu
gehören die Kontrastivhypothese, die Input-Hypothese und die unterschiedlichen
Ausführungen der Interlanguage-Hypothese. Aus dem Überblick wird ersichtlich, dass die
Autorin sich auf ältere Theorien stützt, die in der einschlägigen Literatur schon längst in die
Kritik geraten sind, während die neueren Entwicklungen der Fremdsprachenerwerbsforschung
(Skill Acquisition Theorie, Autonome Induktion) keinen Niederschlag in der Arbeit fanden.
Ausschlaggebend für die durchgeführte Studie war die Kontrastivhypothese, welche auf die
Versuche von Robert Lado zurückzuführen ist, den fremdsprachlichen Englischunterricht zu
optimieren. Zu diesem Zweck wurde die Erstsprache der Lerner mit der zu erlernenden
Fremdsprache verglichen, um strukturelle Ähnlichkeiten und Unterschiede festzustellen. Man
ging davon aus, dass die unterschiedlichen Strukturen in der L1 und L2 Schwierigkeiten beim
Erwerb der L2 hervorrufen können. Mit der Identifizierung der Unterschiede und somit
potenzieller Fehlerquellen konnte man geeignete Unterrichtsmaterialien erstellen und den
Unterrichtsstoff adäquater didaktisieren. Die Kontrastivhypothese ist aus vielen Gründen auf
Kritik gestoßen (Vgl. 31). Man hat bemängelt, dass nicht alle Fehler sich mithilfe einer
kontrastiven Untersuchung erklären lassen. Außerdem beschränkte man sich bei der
kontrastiven Fehleranalyse auf bestimmte Sprachebenen, hauptsächlich auf Phonetik und
Syntax unter Berücksichtigung der Erstsprache. Man hat übersehen, dass früher gelernte
Fremdsprachen zu Interferenzen beim Erwerb der nächsten Fremdsprache führen können.
Ferner wurde eine ganze Reihe von außersprachlichen Einflussfaktoren in der
Kontrastivhypothese außer Acht gelassen, die genauso für Fehler verantwortlich sein können
wie etwa die Motivation der Lerner, die Lernmethode oder die Qualität des Inputs. Obwohl
sich die Autorin über alle genannten Kritikpunkte im Klaren ist, die dazu führen, dass der
Einfluss der L1 auf die L2 nur partiell beobachtet werden kann, vertritt sie die Meinung, dass
die Kontrastivhypothese für die durchgeführte Studie unentbehrlich sei (Vgl. 35).
Im 3. Kapitel erfolgt eine Korpusanalyse anhand der Fehler spanisch- und türkischsprachiger
Deutschlerner (S. 59-208). Um dem Leser das Verständnis der in der Korpusanalyse
erwähnten Bezugnahmen auf die Erstsprache der LernerInnen zu erleichtern, geht die Autorin
zunächst auf einige besondere Merkmale des Spanischen und Türkischen ein (Vgl. 59). Der
empirischen Untersuchung liegt ein Fehlerkorpus zugrunde, das aus schriftlichen Arbeiten
von insgesamt 40 Lernenden des Deutschen als Fremdsprache aus Spanien und der Türkei (2

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Sprachgruppen von je 20 Probanden) erhoben wurde, von denen sich die Mehrheit auf dem
Anfängerniveau befand. Eine aus Studenten unterschiedlicher Hochschulen in Hannover
bestehende Probandengruppe wurde gebeten, eine Bildergeschichte bzw. eine Karikatur zu
Papier zu bringen. Ferner erhielten die Probanden einen zweisprachig verfassten Fragebogen
bezüglich ihrer Sprachlernbiographie wahlweise auf Deutsch oder in ihrer Erstsprache
auszufüllen. Die Mehrheit der Probanden hat schon in ihrem Heimatland angefangen, sich
autodidaktisch oder im Rahmen eines Sprachkurses Deutsch anzueignen. Wie die Autorin
selbst betont, konnte in den beiden Probandengruppen nur eine annähernde Homogenität
erreicht werden, d.h. sie verfügen über ein nur annährend gleiches Sprachniveau im
Deutschen, wobei die türkischstämmige Probandengruppe ein höheres Sprachniveau im
Deutschen aufwies, was als Schwachpunkt der Studie anzusehen ist, weil die beiden
Probandengruppen sich wahrscheinlich auf einem unterschiedlichen Entwicklungsstand
befanden, wodurch die Fehleranzahl nicht zwangsläufig auf ihre Erstsprache zurückgeführt
werden kann, sondern auf die Tatsache, dass die türkischsprachigen Deutschlerner bestimmte
Strukturen bereits erworben haben, während die spanischsprachigen Deutschlerner sich noch
in einer früheren Erwerbsphase befinden. Aus diesem Grund ist es fragwürdig, Vergleich
zwischen den beiden Probandengruppen anzustellen. Darüber hinaus befanden sich in den
beiden Sprachgruppen einige zweisprachige Probanden, bei denen die Interferenzfehler nicht
nur auf das Türkische bzw. Spanische zurückzuführen sein könnten, sondern auf die zweite
Ausgangssprache. Obwohl die Probanden einen ausführlichen Fragebogen zu ihrer
Sprachlernbiographie ausfüllten, wurde im Lernerprofil das Niveau der sprachlichen
Kompetenz der Probanden nur unpräzise bestimmt. Es heißt nur, dass die Probanden sich „auf
dem Anfängerniveau“ befanden (Vgl. 75). Einer anderen Stelle ist jedoch zu entnehmen, dass
manche Probanden im Vergleich zu den anderen „ein niedrigeres Niveau“ aufwiesen (Vgl.
78). Ferner bleibt es unklar, ob die Probanden vor der Untersuchung einem Sprachstandstest
unterzogen wurden, damit eine Homogenität der Gruppe gewährleistet werden kann. Darüber
hinaus sei es zu bemängeln, dass in die Untersuchung lediglich die Lerner auf dem
Anfängerniveau miteinbezogen wurden. Erfahrungsgemäß begehen Anfänger enorm viele
Fehler, deren beträchtlicher Anteil auf den Einfluss der Erstsprache zurückzuführen ist. Da
die Lerner nur über eine geringe Kompetenz in der Zielsprache verfügen, kann ihnen
eigentlich alles große Schwierigkeiten bereiten. Außerdem kommen in der Anfangsphase
noch außersprachliche Einflussfaktoren stärker zum Tragen, welche für die Fehler
verantwortlich sein können. Infolgedessen ist es schwer, interlinguale Interferenzfehler als
solche zu identifizieren. Eine auf Anfänger eingeschränkte Fehleranalyse kann keine klare

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Antwort auf die Frage geben, welche systemhaften Merkmale der Erstsprache den
Fremdsprachenerwerb in seiner anfänglichen Phase beeinträchtigen und welche als dauerhafte
Fehlerquellen anzusehen sind (Vgl. Gaworski 2007: 39).
Was die eigentliche Fehleranalyse anbelangt, wurden alle in den Arbeiten der Probanden
vorkommenden lexikalischen und Strukturfehler in den folgenden vier Oberkategorien
analysiert: phonographemische Fehler, lexikalische Fehler, morphosyntaktische Fehler und
Satzbaufehler. Zur Bestimmung der Fehlerkategorien wurde ein Fehlerkategorisierungsraster
erstellt, teilweise nach dem Vorbild des Fehlerrasters von Bickes und Kresic und teilweise
nach dem Aufbau der Übungsgrammatik von Helbig und Buscha (Vgl. 76). Die erhobenen
Fehler wurden den genannten Kategorien zugeordnet. Bei jeder Kategorie geht die Autorin
auf die Ursache des Fehlers ein, wobei sie zwischen den interlingualen und intralingualen
Interferenzfehlern unterscheidet. Da der Fokus der zu besprechenden Studie auf den
interlingualen Interferenzfehlern (erstsprachliche Interferenzfehler) liegt, wird auf die
intralingualen Fehler lediglich hingewiesen, ohne auf explizite Fehlerursachen
(Übergeneralisierung, Simplifizierung ect.) einzugehen. Es sei zu hervorzuheben, dass die
Klassifizierung von Fehlern lediglich auf Vermutungen beruht, deren
Wahrscheinlichkeitsgrad, wie die Autorin selbst betont, unterschiedlich ausfällt (Vgl. 203).
Bei einigen Fehlern kann die Wahrscheinlichkeit, durch die Erstsprache bedingt zu sein, als
hoch angesehen werden, bei anderen hingegen gibt es noch andere Einflussfaktoren, die
neben erstsprachlichen Interferenzen nicht auszuschließen sind. Es ist bemerkenswert, dass
die Autorin bei verhältnismäßig vielen Fehlern als Ursache die Interferenz aus der L1 anführt,
ohne auf weitere Fehlerquellen hinzuweisen, die genauso wahrscheinlich sind. Beispielsweise
in den fehlerhaften Sätzen: „es geht um ein Mann“ oder „er fragt eine Dame auf die Straße“
kann der Fehler wie die Autorin angibt auf die Erstsprache zurückgeführt werden, weil im
Spanischen keine morphologischen Veränderungen bei Substantiven erfolgen (Vgl. 113). Es
besteht jedoch eine zweite Fehlerursache, welche die Autorin übersieht. Es ist genauso
wahrscheinlich, dass der Fehler durch mangelndes Wissen der Lerner bedingt ist. Der
Proband kann noch nicht erworben oder gelernt haben, dass die Konstruktion „es gibt“ sich
im Deutschen mit Akkusativ verbindet. Der zweite Fehler kann ebenso auf mangelndes
Wissen zurückgeführt werden. In diesem Fall handelt es sich um eine Wechselpräposition, die
sich sowohl mit Akkusativ als auch mit Dativ verbindet. Um die genaue Fehlerursache
bestimmten zu können, müsste man den Lerner befragen, warum er sich für den genannten
Kasus entschieden hat.

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Nach einer qualitativen und quantitativen Auswertung der erhobenen Fehler versucht die
Autorin, Anlehnung an die im theoretischen Teil erwähnten Theorien zum
Fremdsprachenerwerb zu finden, d.h. sie erörtert, inwieweit sich die gängigen
Fremdsprachenerwerbstheorien in den Ergebnissen der vorliegenden empirischen
Untersuchung widerspiegeln, ob der Einfluss der Erstsprache auf den Fremdsprachenerwerb
deutlich nachgewiesen werden kann. Die Autorin kommt zum Schluss, dass das Postulat der
Kontrastivhypothese, Unterschiede zwischen der Erstsprache und der Zielsprache führten
immer zu Fehlern, sich nicht bestätigen lässt. Türkischsprachige Lerner griffen bei der
Textproduktion seltener auf ihre Erstsprache zurück als spanischsprachige Lerner, obwohl der
Strukturunterschied zwischen dem Deutschen und dem Türkischen größer ist als zwischen
dem Spanischen und dem Deutschen (Vgl. 203). Dies kann aber auch darauf zurückgeführt
werden, dass das Sprachniveau der türkischsprachigen Lerner fortgeschrittener war als das
von Spanischsprachigen. Darüber hinaus hält die Autorin fest, dass Strukturunterschiede
zwischen der L1 und L2 besonders im Anfangsstadium zu Fehlern führen können. Dies lässt
sich jedoch anhand der durchgeführten Studie weder bestätigen noch widerlegen, denn beide
Sprachgruppen als Anfänger eingestuft wurden.
Zusammenfassend kann man das Buch als gut lesbare kontrastive Fehleranalyse und ihre
Relevanz für den Fremdsprachenerwerb durchaus empfehlen, wenn auch verbunden mit dem
Hinweis, dass wichtigere neuere Diskussionen und Theorien außer Acht gelassen wurden. Es
ist ein theoretisch fundierter und gleichzeitig praxisorientierter Beitrag zum Erwerb des
Deutschen bei spanisch- und türkischsprachigen Lernern auf dem Anfängerniveau. Einen
besonderen Stellenwert gewinnt die Studie durch die Zusammenstellung eines übersichtlichen
Fehlerkategorisierungsrasters, das für weitere Fehleranalysen von Nutzen sein kann. Das
erhebliche Fehlerkorpus kann durchaus für weitere Untersuchungen genutzt werden wie etwa
eine Studie zu Erwerbssequenzen im Deutschen. In diesem Falle müsste das Korpus
allerdings um Textproduktion von fortgeschrittenen Deutschlernern ausgebaut werden, damit
entsprechende Vergleiche angestellt werden können. Eine weitere Untersuchungsperspektive
besteht darin, die Fehler jedes einzelnen Lerners unter Berücksichtigung den weiteren Erst-
bzw. Fremdsprachen zu analysieren. Letztendlich trägt die durchgeführte Studie zur
Bereicherung des breiten Forschungsfeldes der kontrastiven Linguistik und des
Fremdsprachenerwerbs bei und liefert wichtige Hinweise sowohl zu Forschungsmethoden in
diesem Bereich als auch für diejenigen, die sich mit der Unterrichtspraxis beschäftigen.

6
Literaturangaben

Gaworski, Ireneusz (2007): Auswirkungen interlingualer Interferenz auf die deutsche Wort-
und Satzgliedstellung im schriftlichen Bereich. Wroclaw – Dresden Neisse Verlag.

Harden, Theo (2006): Angewandte Linguistik und Fremdsprachendidaktik. Tübingen: Gunter


Narr Verlag.

Kunkel-Schüller, Erika (1974): Interferenzerscheinungen im Deutschunterricht mit


spanischsprachigen Schülern. In: ACTA, IV Congreso Latino-Americo des Estudios
Germánisticos, Sao Paulo.

Tekinay, Alev (1987): Sprachvergleich Deutsch Türkisch. Grenzen und Möglichkeiten einer
kontrastiven Analyse. Wiesbaden: Dr. Ludwig Reichert Verlag.

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