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· '''INHALT
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·····.,.·.. ·• B~fgzabem, Die
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·.· ,..,......·,..·· updHans Lipps, Göttingen, Diskussion
ztüt . . . . . .... .: ·Seite 143 ~I
die Pal~adöXien 4der Mengenlehre . • . . :. . . . ; . .. " 183 DIE ZEIT.
. . . . Zuni.Problem desreinen Wi~sens . • . . · •·I' 204
Veu:sädlter~· Heidel}>erg, Ober medizinisme Anthropologie .
" 263 Qntologism-methaphysisme Untersudmng 1)
"
.I
I Von HEDWIG CONRAD-MARTIUS (Berg:zabernJ •

Einteilung.
Ansthriften der Mitarbeitet, ~ie8'tisJ:IEiftes:Frau Dr.Hedwig Conrad-Martius,Berg-
zabern; Eisbrönnelweg • ProfesSe>!'. n".; ~er; Zürith,. Smanz~ngasse .2g • Privatdozent Dr. I. Untersuchungsstufe: Vorläufige Kennzeimnung.
Hans Lipps, Gö~gelt,.S~~~ 28 • Professor W.§esemann, Kowno, Universität. 2..
: Exakte ontologisme Bestimmung,
·· · Profess()rlli,V;:ip])We~$ädier; Heiddberg; Plöd 68 · iij
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verhältnis
. zwischen phänomenaler und ontismer Sa<hlage.
.•' ...· ·' :"._; ~~~: ·:>· ~.~:~~---- -. ·. ·. 3· "
. ·-- .::-:·,··...·· Die Problematik.
· .·.·MittellungeJiderSchri~il~·~'li:J~~·M~ll~krlpts~dungensindandenHerausgeberunter 4·
: Ontologisme Begründung.
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.der Ansduift: Köln;Universjtjit;:~pndi#i•'Dader "Phllosophisdle Anzeiger" sim die Pflege
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" : Ontologism-metaphysisme Erörterung•
der Kritik uildDiskulisiönzu:tPZi~~~;Jtii®t:räen iiblimenBiidlbespredlungen kein~ Raum s. "
· · geben. Es ~dahergebeteß.vori.~el'F:.ills~~lu1gunverlangter Ve,rö1fentlimungen abzus~hen. ·
·För-unverlangteingesandteBei~illldU:~m1mgsstüdeübemeP.mendieSdniftleitungund . I. U ntersuchungsstufe:
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· ·. D' Zeit als formale Daseinskategorie wird der phtlosophismen Tradition nach
mit ~:m Raum zusammengestellt. Raum und Zeit sind zwar ontism. nimt d:::us
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.. ·. •..· . :· :> apsässigenBudlhandlu:ngcin. Sollt~~;~:J:)est~ungen *"#(diesem Wege Smwierigkeiten ent7" s:~r Existenz zu konstituieren. Sie smaffen dem F..:xisti~renden d:n ihm fo~~ ~::
' . : .•. •·•• .·.·stehen; so sind sie an den Verlag FrieartdtC~hooi·Bo~,A.m H:of so zu rimten.Zahltingen sind tigen "Daseinsraum",wobei der so angewendete Begnfi "Raum nun g~r~
· ·.· .. :, .· .. in Reidis~ark flufruis&s~~~~ori~ a~s'Y:~~s to88toKöhl :zu leisten~ . eigentümlidl Gemeinsame der beiden Kategorien befaßt. Nimt alles ·Existierende
·. ·. '. ··~ ..

t) Die fehl~de Bezugnahme aufhisto~is;~e !:::

d Ii 'sme Vergleimsstellen bedeutet nimt
überzeugt, daß das hier behandelte
etwa eine Mißamtung d~elben. ~ir s~orsmun g bis in unsere aktuelle Zeit so vielfadJ. und
Gebiet ein im Laufe der phllosophism~ .Ad!reld darstellt, daß es einer eignen großen
mii (lrlctte ~d Viciie Heft ~imLu. a. vo~c;s~hen: Max Scheler, Ober Idealismus oft im frumtbarsten Sinne durt:ptlTe·s h spunkte festzustellen. Und der historismen
mQmn,.,.· • Hendrik J. Pos und Hei-malm Ammatm, Diskussion über Probleine Arbeit bedürfte, um alle die m~~ t en :t:a:~~ eremt zu werden. Daz1l aber sind wir zur
Seite des Problemsaum nuremt~ermaß e vorlie e!de Arbeit durdlgehaltene spezifische
tlp,lJlUOI~Op•bie • Karl LöWith, Diltheys Abhandlung vom Ursprimgdes Glau-
Zeit außer Stande. Der dur~ die. ~f die Protlematik irgend~ spezifisch erhellendes
•·."'~'"''u'l,GL derAußenweit • F. F.J. Buytendijk, A:rlsmauungskriterien des (ontologisme) Aspekt mag semerse~ts a i . dieser sadllimen Isolierung herauszugeben.
Salis, U:lliversalhistorisme Tendenzen in Deutschland und ... Limt werfen. Nur deshalb wagen Wll' es, s e m
F~;~kreidl. .
~ .···'
."\_. , .. ·. 10

.....
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 144 Hedwig Conrad-Martius, Die Zeit
existiert räumlim, "braumt Raum" in der jetzt speziell genommenen Bedeutung
des Wortes. Das ist von vorne herein klar. Wie aber steht es hier mit der Zeit? Gibt
es einen Wesenssatz der Art: nimts Existierendes ohne Zeit? Oder: Dasein braurot
'll
Zeit? Wir wollen die Antwort auf diese Frage, die, wie sim herausstellen wird, mehr-
deutig und komplex ist, versmiehen. Die gesamten Analysen werden dazu dienen,
sie zu klären. Wir wollen jetzt nur versumen, uns zur Ansmauung zu bringen,
was am Existierenden- im Untersmied etwa zum Raum- die formale Kategorie
"Zeit" nötig mamt.
Ob "räumlime Breitung" oder nimt, das wird bestimmt durm die allgemeine for-
male Qualifikation des Existierenden; Ob sie nämlim jene wesenhaft in sim selbst
transzendente (aus sim selbst herausgesetzte!) Artung hat, die unmittelbar zur for-
malen Konstitution des Raumes führt und die wir an anderer Stelle zu analysieren
versumt haben. 1) Zeit aber konstituiert sim nimt an einer Qualifikation des Exis-
tierenden, aum nimt an einer soldien allgemeinster und formalster Art. Die sam-
lime Möglimkeit.des Satzes, daß kein Existierendes ohne Zeitexistenz (welmer
Satz allerdings in der gemeinten absoluten Universalität, wie wir zu zeigen ver-
sndien werden, durmaus anfemthar ist) weist am deudimsten auf das Eigentüm-
lime dieserSadilage h4J. Mag~asDaseiende, allerdings bestimmter relativer Gel-
tung, besmaffen sein wie immer, diuan hängt seine·notwendige Bezogenheit auf
die Zeit nicht. Woran aber? Nun, an dem Faktum dieser seiner Existenz selbst.
Nicht, um zu sein, wie es ist, bedarf es der Zeit, sondern um zu sein! Nicht seine
eigentümliche formale Beschaffenheit bedarf dieses bestimmt gearteten "Daseins-
raumes", sondern sein Dasein selbst fordert ihn. Ohne dies.en eigentümlichen Zeit-
. raum könnte es sich uherhaupt. nicht konstituieren.
Gewöhnlich orientiert man sich zur Veranschaulichung zeitlicher Gegebenheit am
Geschehen, an irgend einem faktischen Seins ablauf, an einer Veränderung oder
Bewegung. Dabei bleibt aber leimt das Spezifische der Zeitkonstitution gerade ver-
deckt. Der Blick richtet sich auf das ablaufende Geschehen, nicht auf den Ablauf der
Zeit. Viel klarer, weil unkompliziert, tritt das Eigentümlime zeitlicher Bestimmtheit
.1) Vgl. Realontologie, 2. Kap., Jahrbudt f. Phll.u. phän. Forsdtung. Niemeyer, Halle.
Hedwig Conrtid-Martiits, Die Zeit 145
•heraus an eiriem Dauernden als solchen. Das Dauernde ist ja auch in der Zeit, ja es
ist ohne Zeit unmöglim. Es bewegt sim zwar nimt in der Zeit, es verändert sich (als
solches!) nimt in ihr, sondern es "ruht" in ihr. Aber gerade zu dieser seiner sc:hlic:h-
ten Daseinsruhe braucht es Zeit. Ohne Zeitraum wäie diese Ruhe unmöglim, wäre l
ihrer "Entfaltung" von vorne herein der Boden genommen •.
Stellen wir uns also ein Ruhendes, Unbewegliches, Unverändertes smlec:hthin vor.
Es kommt dabei selbstverständlich nimt darauf an, ob es de fakto ein sc:hlemthin
(aum nur zeitweise) Unveränderliches gehen kann. In der Anschauung können wir
es jedenfa:IIs festhalten und wir werden sehen, daß es nicht seine eventuelle Ver.,.
änderung ist, die die zeitlime Konstitution an ihm zur notwendigenFolge hat, son-
dern daß absolute Ruhe das Charakteristische der "Zeitlimkeit" nur um so präg-
nanter heraustreten läßt.
Zunämst sieht es vielleimt nicht so aus. Sm eint nimt schon im Schweigen einer
"ewigen" Eisregion die Zeit gleichsam "stille zu stehen"? Oder wieder: scheint sie
nicht über das, was sim hier in seiner starren Unhe:wegtheit nur mit sich selbst he-
sdilossen zeigt, gleimsam hinzugleiten, ohne es "fassen", ohne es mit sich mit:..
nehmen zu können? Als entzöge sich ~ieses Ruhende ihrem flüchtigen Fuß!' Aber
kehren wir von Bildern zu dem Versuch exakter Anschauung zurück. Richten wir
unsern Blick einmal geradewegs auf das Dauernde in seiner Dauer. Was mamt
dann seine Unhewegtheit aus? Daß es ist und ist und ist und weiter nidlts.' Daß
nichts" vorsich geht" als eben nurdas eine: daß es "ist"·. Ja, ist da nom etwas, das
"vor sim geht"? Oder ist da garnic:hts, was im ihm Bewegung hätte, ist es ein Still-
stand, ein absolutes "Halt"? Wir brauchen diese Frage nur zu stellen, um zu fühlen,
wie sich die Existenz, das pure Dasein an ihni gleimsam "aufmacht", um sich vor
unseren Augen zu ·retten. Oder wie nunmehr das Existierende selbst es uns entge-
gen hält: ic:h hin, im war, idi werde sein. Ja- das im bin, fc:h hin, im bfu verwan-
delt sich in jene Form, die nimt mehr Ruhe, sondern Bewegtheit, nicht mehr Still-
stand, sondern einen Ablauf, ein Geschehen ausdrückt. Es ist ja so, daß Uns ein sol-
mes Dauerndes seine Existenz,in der es steht imd beharrt, nimt auf ein mal entge-
gen werfen kann! Und zwar deshalb nicht, weil es diese seine Existenz nicht "gesam-
melt" bei sich hat, nicht "in eins" besitzt! Es kann nur hinweisen auf ein Versc:hwun-
IO*
 Hedwig Conrad-Martius, Die Zeit 147
Hedwig Conrad-Martius, Die Zeit
denes zurüdt, auf ein Kommendes vorwärts. "So wie du mim jetzt siehst, war im~
sollten wir es umsmließen können! Und ist nimt gerade mit dieser nimt faßbaren
so werde im sein." Grenzenlosigkeitdom wiederder "Abgrund" der Ewigkeitberührt? Handelt es sim
Aber .stehen wir etwas still. Ist es dometwa nur so, daß wir, die das Dauernde in sei-
nimt darum, daß wir in seltsamer geistiger Hybris das umfangen wollen, was sim
ner bleibenden Existenz ansmauen und fassen wollen, daß nur wir diese seine blei- :'\.
uns ewig entzieht? ·
bende Existenz nimt "in eins" fassen, nimt "gesammelt" begreifen können? Das die : Der Punkt, an dem wir stehen, ist einer jener Wende- und Kreuzpunkte, von de-
.Gebundenheit an das Momentane in unserer subjektiven Auffassungsfähigkeit be-
nen die Wege ebenso gut in die Region wahrer Ahsolutheit und Ewigkeit laufen
gründet ist, nimt aber in der Daseinsweise des Dauernden selbst? Wenn wir eine An-
wie aum in die einer durmaus nur smeinbaren, im Grunde aber hohlen und nim-
smauung besäßen, die auf einmal Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft umfas-
tigen "Ewigkeit", welmer Smein (und das ist das endgültig Fatale) überhaupt nur
sen könnte, wäre es dann nidit anders? Würde dann nimt unser Blidt ebenso blei-
möglim ist dadurm, daß gerade der polare Gegensatz zum wahren Absoluten-
bend auf dem "es ist" ruhen können, wie dieses Seiende selber ruhend und bleibend
das ganz Leere und ganz Flümtige, diese seine formale Unbesmwertheit gleimsam
"ist"? Wäre dann nom Zeit, wäre dann nom ein Dahingehendes und Kommendes?
benützend und vorsmiebend- das Absolute namahmt.
Wäre dann nimt einfam dieses: es ist? Hier smeint uns smon der Atem der Ewig-
Wenn das Dauernde als Dauerndes nur wegen der faktismen UnbegrenztheU sei-
keit zu streifen. Und das war es aum, was bei der oberflämlimen Betramtung den
nes Daseins existenzmäßig~nimt "in eins" zu fassen wäre, so braumten wir dieses
Ansmein erwedtte, als ob sim dieses Phänomen bleibender Daseinsruhe zeitlimer
Dasein nur vorwärts und rüdtwärts zu begrenzen, um endgültig zur Ruhe zu kom-
Bestimmtheit überhaupt entzöge. Aber dieser Smein von Ewigkeit ist wirklim ein
men. Aber so gering wir uns aum die Dauer des Dauernden vorstellen mögen, im-
bloßer Smein oder Ansmein. Dahinter tut sim bei näherem Zusehen der ganze Ab- ""' .•.
mer bleibt dieses eigentümlime "Fortweisen" von dem aktuellen Gegenwartpunkt
grund zeitlimer Flümtigkeit und Hinfälligkeit auf. Im Verlauf der Analysen wird es
in eine verlorene Vergangenheit und in eine erst kommende Zukunft. Immer
von Stufe zu Stufe deutlimer heraustreten, daß es bei dem bleibt, was präzisiert
besteht die formale Möglimkeit einer grenzenlosen Existenz. Diese Mögli<hkeit
wurde: daß an dem Existierenden selber sein "im bin" ein "im war und im werde
aber hängt dom offenbar an der prinzipiellen Unruhe der Gegenwart, in der das
sein" ist. Nimt deshalb könrien wir seine Existenz nimt "in eins" fassen, weil uns das
Dasein nie als ganzes besmlosseri liegt;
unbegrenzte Blidtfeld fehlte, sondern weil das Dauernde als Dauerndes seine Exi-
Es ist nimt so, daß sim die Existenz eines unendlim Dauernden erst an jenen
stenz prinzipiell nimt gesammelt bei sim hat.
dunklen Grenzen verliert, an denen wir uns vergeblim bemühen, dem immer wei-
Aber hängtnimt wiederum die Unmöglimkeit, dieses "quasi" ewige Sein in seiner
ter entweimenden namzueilen (und so ad infinitum), sondern das grenzenlose Ent-
ihm eignen konstanten Daseinsbreite wirklim zu "haben", an dem ganz bestimmten
weimen ist ja nur samli&e Consequenz des Tatbestandes, daß das so Existierende
objektiven Punkt, daß es ein infinites Sein, ein vorwärts und rüdtwärts in die Un-
nie ... aum nimt einen "Moment" -in seinem Sein wirktim ruht! Hier smon, in der
endlimkeit laufendes ist? Wir müssen dabei natürlim seine Dauer aum wirklim als
Gegenwart setzt das Entweimen und Verlieren ein; wie sollte eine so geartete Exis-
unbegrenzte voraussetzen. Es bestünde eine wesenhafte Unmöglimkeit, das, was an
tenz sim je in sim selbst einfangen lassen.
sim selbst ins Grenzenlose verläuft, in bestimmte Blidtgrenzen zu nehmen. Nimt
Was ist es denn nun eigentlim, das diese ganze Existenzweise so außerordent-
das an sim selbst Flümtige dieser Existenzweise, die ja im Gegenteil eine bleibende
lim merkwürdig mamt? Ein Dauerndes! Ja, wie denn dauert es? Es "ist" -aber
und dauernde ist, würde uns aus der Ruhe in ihr fortweisen, sondern diese eigen-
liegt nimt in der immerwährend drohenden Möglimkeit, daß der aktuelle Exi-
tümlime objektive Unmessbarkeit. Es" verliert" sim einfam in seiner Existenz- wie
stenzpunkt der letzte ist, die ganze samlime Problematik? Diese Mögli<hkeit- das

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 148 Hedwig Conrad-Martius, Die Zeii
Gegenstü<k zu jener Möglimkeit, daß es aum unbegrenzt dauern kann!- weist
unmittelbar zurü<k auf die zentrale und nun endlim festzuhaltende Tatsame, daß
ein zeitlich Existierendes seine Existenz nimt endgültig "besitzen" kann, sondern
auf die "Erwartung" ihrer unablässig angewiesen ist. Es "hat" sein Dasein, aber die-
ses "Haben" grenztunaufhehhar an die formaleLeere desmöglimen Nimthahens.
Und dürfte es nun wenigstens so sein, daß das Existierende das einmal in sein "Ha-
ben" gegebene Dasein ansammeln könnte als gesimerten Daseinshesitz! Aber so-
bald wir die Frage stellen, ob es ein soldies überdas "gerade Haben" hinausliegen-
des Ober- oder Zurü<kgreifen in einen angesammelten Existenzbesitz gibt; tut sim
·dieselbe Leere auf. Aum rü<kwärtig kann es sim seiner Existenz nimt unmittelbar
versichern. Kein "Haben" von Existenz wird zu einem Haben, ~ondern die "gehabte"
Existenz ist unmittelbar aum eine solme, die n im t im Besitzhereim des so Existie-
renden liegt. Wasbedeutet es für das Existierende selbst, daß es immer gewesen ist?
In seiner Existenz au:f sim·selbst bezogenliegt es der formalen Samlage nam nimt
anders, als ob es eben jetzt "anfinge" zu sein.
'Aber wir müssen nom näher treten.. Unsere bisherige Formulierung könnte ·mit
einem gewißen Remt dem Vorwurf Raum gehen~ wir würden das Wesen der Zeit-
lichkeit mit an sim selbst smon zeitlimen Bestimmungen. ZU fassen versumen, uns
also in einem circulus vitiosus bewegen. Solange wir die Same nom so sehen, als
ob das faktism vollzogene "Haben" der Existenz (in der Tat "existiert" es ja) in sim
s elh s t ein solfies im prägnanten Sinne zwar ist und sim nur eben "unaufhörlim" in
ein Nimtmehr-Haben rü<kwärtigverwandele, resp. ihm vorwärtig ausgesetzt sei,
kommen wir aus dem sa<hlimen Zwang, zeitlime Bestimmungen benützen zu müs-
sen, nimt heraus. In der Art dieses "Habens" selbst muß simsmondas ausweisen
was sim dann als zeitlime Bestimmtheit konsequenterweise komtituieren wird. '
Wie begründet sim denn sa<hli<h-wesenhaft diese eigentümlime Unerreimhat-
keit der eignen Existenz durm das Existierende? Es ist ja in der samlimen Wurzel
nimt Zweierlei: das Nom-nimt-Hahen und Ni mt-mehr-Haben. Diese formalen Be-
stimmtheiten konstituieren sim erst als Möglimkeit, dann allerdings aum als Not-
wendigkeit, wenn wir über die direkte und unmittelbare Beziehung des Existieren-
den zu seiner Existenz (pun als aktuelle faktisdie Habe) hinaussmweifen zu dem, was
Hedwig Conrad-Martius, Die Zeit 149
nimt mehr oder nom nimt aktuelle Habe ist. Was aber sehen wir, wenn wir uns ein-
mal wirklim auf diese aktuelle Existenzhabe selbst konzentrieren? Wir sagten es
smon einmal: ein "Haben", das aum an sim selbst kein Haben ist. Eine. Existenz,
die dem Existierenden wesenhaft ä u ß erIi m bleibt. Die da, wo es sie "hat" oder so-
\ fern es sie "hat", dom nimt in es hineinreimt oder mit ihrverwädist, so daß es ih-
rer wahrhaft inne würde. Das zeitlim Existierende kann sim mit seiner Existenz
nimt zusammens<hließen; denn diese kommt smon garnifit in dem Sinne "in es
hinein", daß es ihrer überhaupt habhaft werden kömite. Ja, wie dann? Sie wämst
ihr ja in der Tat zri; aber dieses Zuwamsen ist ein zugleim an sim selbst Nimt-
zuwamsen. Die Existenz wird ihr ja "zuerteilt", aber in dem "Zuerteilen" b I eiht sie
ihr zugleim entzogen. Die Existenz nimmt das Existierende in Besmlag, aber mit
dem ganz bestimmten: so weit (nimtzeitlim, sondern besitzmäßig samlim verstan-
den) und nimt weiter! Wie' die Tangente den Kreis immer nur in einem Punkt
berührt, so wird hier die Existenz berührt, ohne daß eine wesenhafte Einigung
stattfinden könnte.1)
Wenn wir davon. spramen, daß die Existenz in das so Existierende nimt hin ein.:
gelange, daß sie ihr prinzipiell äußerlim bleibe, so könnte das Mißverständnis ent-
stehen, als wenn wir von einem "Inneren" und "Äußeren" in irgend einem änßerlim
smeidharen Sinne sprämen. lndeß verbietet smon der Bli<k auf den wesenhaften
,,Träger" der Existenz, auf das "Was" der Existenzprädikation soldie äußerlim ba-;
nale, soldie naturalistisme lnterprätation. Wir müssen hier an Analysen der Real"'
t) Wir können im Prinzipiellen hier nur wiederholen, was smon oftgesagt worden ist. Man muß
versumenzu sehen, was bedeutetwerden soll. Es handelt sim um eine dieser letzten Ge-
gebenheiten, die man nur durm Umsmreibungen und bildlime Wendungen zu Gesimt bringen;
ins Gesimtsfeld rü<ken kann, aber nimt weiter. Wer diese bildlimen W endungerrbegrifflim und
definitorism ,;ernst" nimmt, statt sie als in sim selbst migewimtige Wegweiser zu benutzeil zu
dem Einen hin, was sim dann eben nimt mehr sagen, sondern nur nom sehen läßt, der hat es
leimt, aum jetzt nom auf samtime Zirkel oder dergleimen hinzuweisen. Aber er wird naturge-
mäß den springenden Punkt verfehlen. Er wird vor lauter Samlimkeit die Same nimt sehen
und begreifen können; er wird vor lauter Bedamt auf Genauigkeit und sadtlimer Angst·vor
ri dem Vag~n das entsmeidend Exakte, das sim eben in all den Vagen herauskristallisieren
mömte, verfehlen. Denn es ist wesenhaft unmöglim, letzte Gegebenheiten, wenn man sie wirk·
!. lim selbst finden will und nimt etwas Anderes, anders als durm das Vage hindurm zu Ge.:.
simt zu bringen.
I
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ISO Hedwig Conrad-Martius, Die Zeit
ontologie (vgl.Anm.I, S.144}ank.nüpfen.Dort ist der Versufi gemafit worden, das Ei-
g~ntümlime der Realitätssetzung überhaupt herauszustellen. Es handelte sim darum
zu-zeigen, daß man wesenhaft nur da von Realitätssetzung, von Existierendem und
Existenz spremen könne, wo die betreffende Entität die sie essentiell bestimmende
Washeit wirklim "trägt", wo sie zum Hypokeimenon ihrer eigenen .Washeit wird
und sim mit derselben wahrhaft "bekleidet" oder "ausgestattet" zeigt, i~sofern diese
zur "Ieibhaften" oder zur "substanziellen" Darstellung an ihr kommt. Dies war eine
Bestimmung in absoluter Wesensallgemeinheit: keine Realität, die sim dieser for-
malen Wesensbestimmtheit entziehen könnte, sie mag Gott heißen oder Stein.
Wenn es um die Frage zeitlimer Existenz geht, so kann nur ein wahrhaft Existie-
rendes, eine Realentität in dem prägnant gefaßten Sinne in Betraffit kommen. Ide-
ales Sein ist überhaupt nimt realiter setzbar; damit ist es jenseits von Zeit od~r nimt
Zeit. Eine Realität ist als solme mit sim selbst "besmenkt" und damit ist sie eben
Ieibhaft "gesetzt". Die Form aber nun dieser Besmenkung und damit der ganzen
Setzung ist bei dem zeitlim Existierenden eine ganz bestimmte, eine spezifisme.
Es gilt allerdings, gerade an dieser Stelle sehrgenau hinzusehen. Abgesehen nom
von dein"Was" der Besmenkung, von ihrem Inhalt(ob es ein"Solmes" oder ein"Sol-.
mes" ist, das in der leibhaften Setzung zur realen Konstitution kommt, Gott oder
Stein oder Farbe oder Halluzination), ist an der Form der Besmenkung oder Auf-
l~dting oder Setzung selber nom deren möglime versdJ.iedene qualitative Be-
smaffenheit und deren spezifisme formale Besmaffenheit oder EigentümlidJ.keit zu
untersmeiden. Weitere eingehende Analysen der früheren Arbeit ( vgl. Anm. 1)
zeigten, daß eine ganz bestimmte qualitative Besmaffenheit in der Form einer
solmen Realitätssetzung zu dem spezifismen materi'ellen oder raumerfüllenden
Sein führt; Ebenso führt nun eine bestimmte for~ale Besmaffenheit in der Form
solmer Realitätssetzung zu deren notwendig zeitlimer Konstitution oder zur Kon-
stitution in der Form eines zeitlim Dauernden.
Auf die Art und Weise also, wie die Realentität, ihre eigene Washeit Ieibhaft be-
sitzend und damit selber Ieibhaft (re8liter) "gesetzt" oder "aufgerimtet", formal
in diesein ihrem "Besitz" oder in dieser ihrer "Setzung" darinsteht, kommt es an.
Wenn wir oben davon spramen, daß es sim um die eigentümlime Art handelt, wie
Hedwig Conrad-Martius, Die Zeit 151
), I
. ~ . das Existierende diese seine Existenz· hat oder besitzt, so ist das nimts anderes.
Denn indem eine Realentität als sim selber besitzende oder mit sim selber substan-
ziellbesmenkte konstituiert ist, ist sie aum als re8Iiter existierende konstituiert..
Und die eigentü:mlime formale Art jener "Besmenkung'~ mit sim selbst mamt als
solme und in sim anm die eigentümlime formale Art ihrer Existenz aus, resp. die
eigentümlime Art ihrer "Existenzhabe". Indem sie überhaupt als leibhafte auf-
.,
n, gerimtetist, ist sie als existierende aufg~rimtet. Und sofern jenes substanzielle
Darinstehen in ihrer eignen Washeit ein formaliter prinzipiell "äußerlimes" ist, ist es
darin und damit aum die Existensart selber. Denn jenes mamt diese aus.
Wir sehen jetzt besser, daß von einer äußerlim-naturalistismen Interpretation
· jenes gehrauroten Gegensatzes von "innerlim" und "äußerlim" keine Rede sein
kann, da es sid:J. ja :um rein formal-wesenhafte Konstitutionsverhältnisse handelt.
Wi~ können das Gesagte aum nom etwas anders wenden. fudem eine Entität zum
Hypokeimenon ihrer eigenen W asheit wird, ,,hat" sie "sid:J."; und indem sie ,,sim"
.
..
'>' hat, ,,hat'~ sie aum ihre Existenz. Wenn sie "sim" verliert oder nimtmehr hat, "hat"
sie aud:J. keine Existenz mehr, hat sie aum diese verloren oder sim aus dieser her-
ausverloren. Nun sahen wir, daß bei einem zeidim Existierenden immer die formal-
wesenhafte Möglimkeit besteht, aud:J. nicht zu existieren. Oder, wie wir uns jetzt
aud:J. ausdrü<ken können: die formal-wesenhafte Möglimkeit, ihrer eignen Leib-
haftigkeit, ihrer Substantialität verlustig zu gehen. Hat sie sim in diesem Sinne Ieib-
haft und sUbstantialiter nimt mehr selbst, "ist" sie aum nimt mehr. Es bestehtkein
notwendiges (,,innerlimesu) Verhältnis zwismen ihr und ihrer eignen Washeit, so-
fern es sim um ihr substanzielles (nimt nur formal-qualitatives)Verhältnis zu
dieser Washeit handelt. Ebenso oder vielmehr. hiermit besteht aum kein notwen-
diges (inneres), sondern nur faktisfies Verhältnis zwismen ihr und ihrer eignen
Existenz.
Wir setzen also "inneres" und "äußeres" Verhältnis gleim mit formal notwen-
digem und nur faktismem oder, sagen wir, "gleimgültigem"Verhältnis? Ja, aber dom
nur insofern, als jene Notwendigkeit und diese Gleimgültigkeit eine formale Folge
der "lnnerlimkeit" resp. "Äußerlimkeit" des Verhältnisses an und für sim ist. Wir sind
also keineswegs der Verpflimtung enthoben, die gemeinte lnnerlidJ.keit und Äußer-
 ~ .\
152 Hedwig Conrad~Martius, Die Zeit
limkeit selbst zu dtarakterisieren. Die Gesamtheit der vo:rliegenden Analysen dreht
sidt auf einerneuen Stufe undunter immer neueri Aspekten um diesen einen Punkt.
Aber, so fragen wir zunädtst, gibt es denn überhaupt ein Existierendes, das seine
Existenz als ein notwendiges und damit, wie wir uns ausdrü<k.en, innerlimes Re-
quisit besitzt? Oder, um uns vorsimtiger auszudrü<k.en: kann es"'- wesenhaft- ein
so Existierendes geben? Wir stehen hier vor der philosophism-metaphyslsmen Car-
dinalfrage, an die sim, wie bekrumt, einwesentlidter Teil der Problematik der Gottes-
beweise ansmließt. Wir werden bald sehen~ daß sim die Frage nam dem Wesen zeit-
limer Existenz endgültig nur von diesem absoluten Boden aus wirklim beleudtten
läßt, resp.daß das eigentümlime Wesen zeitlidter Existenz erst in der Abhebung
von dem ewiger Existenz wahrhaffherauszutreten vermag. Ja, was weit mehr be-
deu:tet (und aus der Phänomenologie in die Metaphysik hinüberführt)! daß die
Zeit sadtlidt in der Ewigkeitwurzelt und ohne sie garnidtt "sein" kann; Vorerst aber
müssen wir unsern Blidt wiedet zurü<k. auf das zeitlidte Sein selbst konzentrieren,
um gerade hier bis zu· dem problematisdten Punkt vorzustoßen, an dem sim die
wesenhaft-sa.dtlidte Unhaltbarkeit zeitli<her .Existenz, wenn seinsmäßig:isoliert ge-
nommen als ein Abgrund vor uns auftut.
2. StUfe:.E.xakt ontologisChe Fassung.
Kehren wir zu unserm Anfangsbeispiel zurü<k:- dem ·in der Zeit uiweränderlidt
Dauernden. Was madtte seine Existenz trotZ ·seirier sdteinba:ren Ewigk~itsru:he so
problematisdt. Daß es sidt mit und in. dieser seiner Existenz immerwährend "ver-
liert" und immerwährend auf efu neues "Empfangen" derselben a:ngewiesen ist:
Wir antworten zunädtst: das gründet eben in derZeit; das ist die selbstverständliihe
Folge der zeitlidten Konstitution. immerwährend sinkt'es zurü<k. in die ablaufende
Zeit·und nimmt sidt aus der kommenden. Es -"war" schon vor Jahrtausenden. Aber
was ist ihm das jetzt, jetzt! Gewiß, sofern seine Vergangenheit irgend weldte Fol-
gen für sein jetziges Sein besitzt (und es besitzt soldte immer), läßt sidt diese" Ver-
gangenheit" an ·ihm nidtt durdtstrei'dten; kein Tag, keine Sekunde, kein Moment
Hedwig Conrad-Martius, Die Zeit 153
kann in diesem Sinne verloren gehen. Aber das hebt jenen andern Tatbestand
nidtt auf, ja madtt ihn um so krasser: daß dieses vergangene Sein nidtt mehr in
seiner faktisdteri ."Reldiweite" liegt, daß ·das Dauernde nidtt mehr (realiter und
leilihaft) dort hln.kann. Wäre es ein geifltiges Wesen, so bestünde die formale Mög-
lidtkeit der Erinnerung, der Vergegenwärtigung. Das ist ja tatsädtlidt so etwas wie
ein "Hinkönnen".Man kann sidt in die Vergangenheit zurück leben, als stünde
man· mit seinem leibhaften "Jetzt"nicht im Jetzt, sondern im Damals. Und man
kann aum>die Vergangenheit zu sim heranziehen, als wäre ihr ,.damals" nidtt da-
mals, sondern jetzt. Aber smon die Konjunktive deuten an, daß es sim hier wesen-
haftnur U:in ein "als ob~' handeln kann. Nur eben um eine Vergegenwärtigung, nimt
um einewiederumzur Gegenwart gemachte Vergangenheit. Nidtt um ein substan-
zielles Hinreimen, sondern um ein nur "geistiges". Diese· Unmöglidtkeit des sub-
stanziellen Hinreidtens bekundet sim in der wesenhaften Unmögli<hkeit, in dieser
Vergangenheit realiter etwas .ändern zu kömien.
. Aber smon diese Kennzeimnung und die aus ihr hervorgehende Frage ist dla-
rakterisiert durm ·Inexaktheit wegen oberflädtlim naturalistismer ·Bli<k.rimtung. Es
ist ja smon .absurd, die Frage des möglimen "Hinreimens" überhaupt_ zu stellen.
Aber wohl verstariden: im letzten sa chiich en Sinne ist sie keine Absurdität! Zeit-
lime Existenz an sim selbst und damit Unerreidtbarkeit der eben ansmeinend nom ·
ini Bereim liegenden Existenz ist keine Selbstvei'ständlidtkeitl Sondern es wkd sidt
uns im Gegenteil die Tiefe des Problems erst dann. aufreißen, wenn wir gesehen
haben, wie merkwürdig der Tatbestand ist, daß das Seiende sein eignes Seiri nimt
so weit iii der Hand hat, daß es dasselbe eben in der Hand hat und damit aum b e-
hält. Begreifen wir aber nun, daß dem in der Tat so· ist, daß 'das zeitlim Existie-
rende seine eigne Existenz, die es hat, unentwegt nicht hat;.dann wirdall~rdings
die Tatsame der Unerreimbarkeit des prinzipiell immer Verlorenen und prinzipiell
nie bleibend Besessenen .eine sadtlime Selbstverständlimkeit.
Sofern Wir ilämlim von einem möglimen oder faktism unmögfimen "Hinreimen"
spremen, stellen wir uns die Vergangenheit wie ein Gefäß vor, in dem das verflossene
Seindom nom·"irgendwie" wenn.audt aktuell 1merreimbar zurückbleilit. Als wäre
Zeit eine objektiv für sich setzbare, leere Form, einem Flußbett vergleimbar, in

154 Hedwig Conrad-Martius, Die.Zeit
dem das reale Sein unaufhaltsam aus der Zukunft kommend, an der Gegenwart
vorbeieilend, in die Vergangenheit zurü<kströmt. Hier ma<ht man Vergangenheit,
Gegenwart und Zukunft zu fixen und naturalistis<h-mystis<hen Stationen in dem
naturalistis<h-mystis<hen Etwas "Zeit". Bei so I dJ. er Kennzei<hnung handelt es si<h
wirkli<h nur U:m vage Bilder. I) . andrer exakter Form zu Gesi<ht zu bekommen.
Nein -das ist ja gerade der Punkt, auf den wir hinzielen und den es zu ans<hati-
li<her Exaktheit zu bringen gilt: dieses radikale Absinken in das Ni<hts der Ver..
gangenheit" ist so ernst, so eigentlim, so exakt zu nehmen, daß eherdie an:mei-
nend so gesi<herteGegenwartsexiStenz überden allzu nahdrohenden Abgründen von
Vergangenheit und Zukunft mit ins Wanken gerät, als daß wir versu<ht sein dürften,
au<h das vergangene und zukünftige Sein no<h in irgend einem Sinne auf die Basis
der Existenz zu heben. Ni<ht hat das Vergangene den Charakter der Ni<ht-Existenz
weil ~s eben vergangen ist (das ist eine banale Selbstverständli<hkeit,; aber kein;
sa<hb<h-wesenhafte Folge), sondern das Seiende verfällt diesem formalen Abgrund
":ergan~e~heit", w~il es ein mit und unter seiner faktis<hen Existenz unentwegt
NI<ht-Enstlerendes 1st. Der eigentünili<he Tatbestand in sich selbst ni<ht gesi-
ch~rter (m~~önnte fast sagen: ni<ht..existenter) Exlstenz.istdie Vorausetzung;
~ihr konstituiert si<h als notwendige formale Folge Vergangenheit und Zukunft.
N1<ht aber ist Vergangenheit und Zukunft die·Voraussetzurig, die nun als ein fata.;.
les S<hi<ksal das in si<h selbst gesi<hert Gegenwärtige und damit voll Existente in
die Ni<ht-Existenz hineinreißt. ·
So kehren wir also wieder zu dem einen Punkt zurü<k~ atif den sa<hli<h alles an-
kommt: die si<h in dem konstanten Hinabsinken in die Vergangenheit ausdrii-
<kende "Hinfälligkeit" des zeitli<h Gesetzten hat ihre ontis<he Wurzel in der Seins-
setzung selbst, in der vollaktuellen Gegenwärtigkeit. Hier s<hon, ·in diesem einen
einzigen Gegenwartspunkt muß alles gefunden werden, was konsequenterweise die.·
formale in Vergangenheit und Zukunft eingespannte Dimension konstituiert. Hier
liegt die ontis<he Geburtsstätte der Zeit. Wir haben ja s<hon dur<h vers<hiedenste
I) :_wiefern eine solche Kennzeichnung dennoch ihr zunächst rein phänomenales dann
au auf letzter abs 0 I u t er Ebene sachliches Recht hat, werden wir später sehen. Hier kommt
es darauf an, die ontische Situation so rein und exakt wie möglich zu fassen. ·
Hedwig Conrad-Martius, Die Zeit ISS
Wendungen versu<ht, diese Sa<hlage auszudrü<ken: dem zeitli<h Existenten ist seine
Existenz nur "äußerli<h.". Indem es sie "hat", hat es sie doch ni<h.t. Sein Existenz-
besitz kann si<h nur deshalb immerwährend in einen Nichtbesitz verkehren, weil
s<hon der aktuelle Besitz selbst wie nur "auf Ahbru<h", weil er selbst ein ni<ht be-
sessener Besitz ist. Aber es kommt jetzt darauf an, das erstmalig Illustrierte no<h in
Wo liegt denn der S<hnitt zwis<hen Vergangenheit und Zukunft? Daß es nur ein
S<hnitt ist, dur<h ni<hts weiter darstellbar als dur<h einen mathematis<hen Punkt;
ist klar. Von diesem "Punkt" leben wir. Auf diesem "Punkt" ruht das Sein alles
Existierenden überhaupt, soweit es eben zeitli<h existiert. Wie ihn festhalten? Die
gesi<herte Daseinsbreite s<hwindet. Sie s<hwindet bis auf einen Rest, der wie ein
"Ni<hts" ist. Und do<h dürfen wir dieses "Ni<hts" ni<ht auslös<hen. Auf ihm ruht die
Existenz wirkli<h. Hier ist Existenz, hier ist Seinssetzung, unaufhebbar. Hier ist
.; ,.
Daseinsaktualität. Wir müssen lernen, sie zum Stehen zU: bringen. Ist das mögli<h?
. Ist ni<ht eben. Gegenwart und damit Existenz das Verraus<hende, das unaufhebbar
Fließende? Was fließt denn eigentli<h? Das Bewußtsein, do<h in dieser gegebenen
Existenz ruhen zu können, das Bewußtsein einer doch vorhandenen "D~seins­
breite" hatirgendwo ihr phänomenales und damit sa<hli<hes Re<ht. Als wäre es doch
in irgend einem Betraffit künstlich, si<h von den Abgründen remts und links da-
hinreißen zu lassen. Doch frgendwie nur "spekulativ"! Aber bli<ken wir auf die
Zeitdimension selbst, so läßt sim die Same nimt umgehen: die aktuelle Existenz
smrumpft in eine bloße Berührung mit dem Sein zusammen, eine Berührungmit
ihr in einem einzigen Punkt. Kaum berührt, versinkt sie. Oder ist das falsm aus-
gedrü<kt? Können wir nimt diese punktuelle Berührung-undalssolmemüssen
: }.
wir sie festhalten- dom festhalten. Sie selbst versinkt ja gerade nimt, sondern .
bleibt. Soweit reale Existenz, soweit au<h bleibend punktuelle Berührung mit dem
realen Sein. Dieser Gegenwartspunkt ist ein andauernder, ein fixer, fast mömte man
sagen, ein stabiler. Was fließt und bewegt sim denn eigentlim?
Aber ist es denn nimt nur deshalb überhaupt möglim, von punktueller Berüh-
rungzuspred.J.en, weil der Jetztpunkt unaufhörlimin die Vergangenheit rü<ktund
aber
sim aus der Zukuntt neu nimmt? Weil er gerade ein unaufhaltsam vorübergehen-
 Hedwig Conrad-Martius, Die Zeit
der ist? Wie können wir versu<hen wollen, ihn zum Steheil zU: bringen I Wie kön-
nen wir fragen, was denn eigentlidi fließt! Denken wir· an die den Kreis berührende
Tangente. Und setzen wir die Tangente in Bewegung, indem wir siedurdi dieseneinen
bleibenden Punkt hindurdi den Kreis passieren lassen. Gerade so liegt das Exi..
stierende der Existenz an I Inwiefern sie nur ,,punktuell berührend"? Weil das Exi-
stierende mit und in der Zeit an der Existenz vorübereilt, sidi in Bezug auf sie in
kontinuierlidier Beweg.ting befindet - wie die den Kreis passierende Tangente?
Nein: dieses Passieren in einem Punkt ist nidit die Voraussetzung für das Fakfum
nur punktueller Berührung, sondern eine möglidie Folge derselben. Nidit deshalb
berührt, um auf unseJ,"e ßlustration zu bli<k.en, die Tangente den Kreis immer nur
punktuell, -weil sie an ihm vorbei zu gleiten gezwungen ist; sondern sie kann an
ihm nur inimmer punktueller Berührung vorbeigleiten, weil diese Art der Be-
rührungsgemeinschaft mit dem Kreis die der Tangente einzig mögliche
i stl Sie kann mit dem; Kreis,. wenn überhaupt, nur in punktuelle Gemeinsdiaft tre-
ten (sei es an ihm f11hend oderihn passierend)- solange sie sidi nämlidi als soldie
notwendig außerhalb seiner befindet.
.Die Anwendung ist Ullmittelbar. Nidit deshalb ist die Gemeinsdiaft des Existie-
re~;tden mit der Existenz eine immer nur punktuelle, weil das Existierende in und
mit -der Zeit an der Existenz vorüber zu passieren gezwungen ist (woher diese Not-
wendigkeit des Passiere1;1s kommt und damit die Konstitution der Zeit an sidi selbst,
werden wir sehen); scmdern das Existierend~ ist gezwungen, die Existenz in immer
nur punktuell~r Berührung1zu passieren, weil es nimt anders als in punktueller
Berührung mit der Existenz in Gemeinschaft treten kann. Und wirhaben mit
jener IDustration zugleim den ontismeri ".Grund" mitgefaßt, weshalb tiild illwiefern
dem so-sein muß. Die Tangent~- bleibt ~ls Tangente notwendig außerhalb des
Kreises; sie ist ihm wesenhaft transzendent. Diese wesenhafte Transzendenz drü<k.t
sim in der wesenhaft nur punktuellen gegenseitigen Berührbarkeit aus. Sie können
nimt mehr miteinander gemeinsam haben als nur einen Punkt. Genau hier liegt die
ontisme E.insidit, auf die wir hinzielen. Das zeitlim Existierende vermag seiner ge-
gebenen ontisdien Konstitution nam mit der Existenz nimt mehr gemeinsam zu
haben als_ nur einen "Punkt". Im. Bli<k. auf die ontisme'" Ursame" ausgedrü<k.t: es ist
HedWig Conrad~Martius, Die Zeit 157
ihr ebenso transzendent (nhht mehr und nimt weniger) wie die Tangente· dem
Kreis. Dies ist ein konstitutionell ontismes Faktum, das_ der zeitlimeil· Setzung zu ·
-Grunde. liegt, nidit auf ihr beruht.
Was wir hier als wesenhaft punktuelle Berührungsexistenz fixieren wollen, sidi
begründend in jene]," eigentümlimen "Transzendenz", ist, wie man sofort sehen wird,
wiederum ni<hts anderes als jene ·Situation, der wir in immer neuen Wendungen
sdion im ersten Absmnitt der An~J.ysen namgingen. Aber. es wird uns, was von
außerordentlimer Wimtigkeit ist, jetztleimter werden, den Bli<k. an der ontisdi mJlß-
gebenden Stelle festzuhalten, um. an dieser Stelle Zeit und zeitlime Setzung aller-
erst sim konstituieren zu lassen - anstatt mit dem Bli~ von vorne in die Zeit ab-
.zugleiten. Die punktuelle Berührung ist ein (ontisdi-konstitutionelles) Faktum, das
als soldies einfam bestehtund init "fließender Zeit" oder dergleidien an sim selbst
nom nimts zu tun hat.
Versumen wir· mit dieser gewonnenen direkten Bli<k.rimtung jetzt 11om einmal
in der Ansmauung festzuhalten, was zwisdien Existierendem und Existenz: wesen-
haft nur "punktuelle Berührung" auf Grund wesenhafter: Transzendenz besagt.
Wenn wir im ersten AbsdJ.nitt.· sagten, daß es sim um eine "Habe" handele, die ei-
gendim keine Habe, um einen Besitz, der kein Besitz sei,. so ist das. nunmehr ganz
eigendim zu nehmen~ Und zwar unter vorläufiger Abstraktion von allem" Versinken"
'
der Existenz in die Vergangenheit oder aller Existenzerwartung aus der Zukunft.
·Unter Konzentration auf die_ Stelle der faktisdi.en aktuelleil Existenz. Wir müssen
sa~en, daß hier "Geben" und "Nehmen~ prinzipiell in Eins .gesetzt ist. Das' Gege-
bene (die Existenz) •ist als solmes. ein. Genommenes. Nimt ein "wieder" Genomme,.
nes, als handele es sidi um zwei Akte, die aufeinander folgen- mögen sie als nom
so nahe, ja in ,;ContinUität" aufeinander' folgend gedadit werden. Nein, da wäre Zeit
smon wieder vorausgesetzt. Das Gegebene selbst ist als Gegebenes ein Genom-
menes. Die Existenzsetzung bleibt selbst und als soldie. im Nimts. Sie kommt vom
Nidits, das gesetzte Sein vom Nimtseill nimt los. Es bleibt bei einem Hangen
zwismen Nimts.ein und Sein. Die Existenz nimmt das. ~;~o Gesetzte nidit wahrhaft
·auf, obwohl es von der Niditexistenz endassen ist; aber ebensowohl nimint es die
Existenz auf, obwohl es von der Nimtexistenz nimt wahrhaft endassen ist. Das Sei-
158 Hedwig Conrad-Martius, Die Zeit
ende bleibt formal konstitutiv an der Grenze zwismen Sein und Nimtsein. Eine
wesenhaft unzeitige Geburt. Dem Abgrund des Nimts entsteigend; aber ihm un-
aufhebbar in diesem Entsteigen verfallen. Der Realität anhängend, aber von ihr
in diesem Anhängen zurü<kgestoßen.
Wiederum isthier eine naturalistisme Mißdeutung möglim. Bei den Ausdrücken
"unzeitige Geburt" und "Hangen zwismen Sein und Nimtsein" könnte man an etwas
nur eben nimt zur wirklimen "Ausgeburt" (Aktualität seiner selbst) Gelangendes
denken. An ein Etwas, das aus der Anlage oder Potenz zur Entfaltung drängt, aber
nun nimt wirklim heraus kann. An ein Stehenbleiben auf der Grenze zwismen
Potenzialität und Aktualität im Entwicklungssinnel Aber es ist ja selbstver-
ständlim, daß eine solche Samlage nur in der Zeit möglim ist, sie voraussetzend.
Daß es sim dabei nimt um eine ontism-konstitutive Grundlage, sondern smon um
ein diese Grundlage konstitutiv bereits einsmließendes Verhältnis handelt. Es ist
aum bei dieser mißdeutenden Interpretation smon wieder das "Ja" der Existenz-
setzung und das "Nein" auseinandergenommen-in der Weise des potenziellen
"Ja" und des aktuellen "Nein". Das Betreffende ist auf dem Wege zum Heraustreten
in die Aktualität, aber es "kann" nimt. Es bleibt auf diesem Wege hängen. Das
aber setzt Zeit voraus. Wir dagegen spremen von einer Samlage,in der das
Ja und Nein der Existenzsetzung im absolut exakten Sinne in eins zu setzen ist!
In der das Ja das Nein ist und das Nein das Ja!
Jener sim nimt vollziehende - als solmer andauernde und damit eben smon als
zeitlim marakterisierte -Übergang von Potenzialität und Aktualität ist sogar be-
sonders geeignet, um die ontisme Samlage, die wir zu marakterisieren im Begriff
stehen, zur smärfsten Abhebung zu bringen. In der puren Existenzsetzung als
solmer handelt es sim so wenig um einen Übergang (wenn aum stehen bleibenden!)
von Potenzialität zu Aktualität, daß es gerade zu dem Spezifismen der Samlage
gehört, alles Potenzielle radikal auszusmalten und eine Aktualität in so poin-
tiertem Sinne zu etablieren, daß sie in sim selbst an das radikale Nimtsein
grenzt.. Wäre irgend ein "Raum" oder eine samlime Möglimkeit vorhanden für
einen "Übergang" aus dem Ni fitsein zum Sein oder umgekehrt, so fiele gerade die
prinzipielle Smärfe der Samlage dahin. Nimt weil es um einen Mangel an Aktua-
Hedwig Corirad·Martius, Die Zeit 159
lität geht, ist man genötigt von der direkten Vereinigung des Ja und des Nein im
Existenzsinne zu reden, sondern weil es um die, wenn wir so sagen dürfen, "nackte"
Aktualität geht. Jeden möglimen Rückhaltes gleimsam an einem potentiellen "nom
Nimt" oder "nimt Mehr" entbehrend, in das es sim zurückziehen oder bergen
könnte, ist es gerade we'gen der dem Nimtsein unmittelbar (in sim selbst) ent-
rissenen Schärfe der Aktualität diesem Nimtsein konstitutiv und durm und durm
ausgesetzt. Es ist "Sein im Nimtsein" so sehr auf des Messers Smneide, daß es in
sim keinen möglimen Bestand hat. Es ist Aktualität schlechthin.
Die vorige Kennzeimnung dürfte dem, der die Same smon einigermaßen im
Auge hat, eine entsmeidende Beleumtung geben. Sie ist aber weniger hin führend.
Und wurde an dieser Stelle nur veranlaßt durm jene möglime naturalistisme Miß-
deutung. Kehyen wir zu unserm gradlinigen Weg zurück. Die aktuelle Gegenwär-
tigkeit in der Zeit ist ein samlimes Paradox. Als solfies muß es gefaßt und festge-
halten werden. Es ist eine Seinssetzung, die in sim als soldie aufgehoben ist, weil sie
das·Nimtsein in sim prinzipiell nimt überwinden kann. Das so Existierende steht
konstitutionell, was seine Existenz betrifft, auf desl"Messers Smneide". Da es diese
seine Existenz in keinem Sinne in sim aufzunehmen vermag, bleibtdieselbe eine
-wiederum ontism-konstitutionell- nur gerade "zugemessene". Man muß hier
verstehen: diese Seinszugemesssenheit kann- als ontism konstitutionelle-in kei-
nen (aum nur momentanen) Besitz übergehen, wie es die selbstverständlime sam-
lime Folge irgend einer Zumessung im naturalistismen:Verstande ist. So vorhandene
Exis~enz istdie "zugemessene" smlemthin. Sie steht in derZugemessenheit. Und
damit in der prinzipiellen Transzendenz zu dem, was ihr zugemessen ist (am Sein!),
an dem siedominsofern wahrhaftigen Anteil hat, als eben die Zugemessenheit selbst
faktism besteht. Es gibt in der Tat keine bessere Illustration als jenes räumlime
Bild von der den Kreis wesenhaft nur in einem Punkt berührenden Tangente. Denn
aum diese geometrisme Situation ist eine Paradoxie: eine Teilhabe, die keine
Teilhabe ist und dennom eine ist. Aber in nackter Pointiertheit ruht.
Auf der dritten Stufe dieser Untersumungen werden wir zu einer eigentlimen
ontismen Grundlegung dieses paradoxen Verhältnisses kommen. Dort wird der
ontisme "Nerv" der Sadtlage erst wirklim bloß gelegt werden. Nom haben wir
II
r6o Hedwig Conrad~ Martius, Die Zeit
aberdurmaus keine Ansmauung davon gewonnen, wie nun in diesem Grundphä-
nomen die faktism gegebene Zeit darinsteht, resp. sich in ihm ontisch konstituiert.
Diese Bli<krichtung, die wir bisher vermieden haben Urid vermeiden.mußten, wird
uns zugleich das ontische Zentrum selbst mehr und mehr erhellen und befestigen.
Wir müssen es exakt festhalten, daß die punktuelle Existenzberührung ein o n-
tischesFaktum ist und als solches solange an dem in ihm Konstituierten besteht
.als dieses Konstituierte selbst besteht,. resp. Existenz hat. Sehen wir auf ein über
eine bestimmte Zeitstre<ke hin Dauerndes, so steht dieses Dauernde in der punk-
tuellen Existenzberührung, solange es dauert. Denn seine Existenzart ist ontisch-
konstitutionell eine solche punktueller Existenzberührung. In diesem Aspekt gese-
hen, ist dieses ontische Moment das Bleibende! Es ist der Faktor, durm den das
Dauernde zur bleibenden Ruhe im Sein faktism gelangt. Wir legen dann die ge-
samte Seinserstre<kung desDauernden gleichsam auf eine Ebene, fassen seine Ver-
gangenheit und Zukunftmit seiner Gegenwart als die ihm faktisch eigne persönliche
Daseinsbreite" zusammen. in dieser Daseinsbreite steht es; in dieser Daseins-
"breite hat es faktische und aktuelle Existenz; in dieser Daseinsbreite liegt es der
Existenz faktisch an un~ hat Teil an ihr. In dieser Daseinsbreite ist es nun aber
aum konstitutionell in nur· punktueller Existenzberührung gesetzt. Und damit
kommen wir zu der Sachlage, an der sim die Grundparadoxie im Faktischen aus-
weist und ins hellste Licht gesetzt wird.
Punktuelle Berührungsexistenz ist eine soldJ:e, die "Daseinsbreite" -auch mini-
malster Art - wesenhaft ausschließt. Es liegt in dieser Existenz ja, .daß an seiner
Wurzel .selbst .ein Nein ist, keine Möglimkeit eines wesenhaften (immanenten)
Seinsbesitzes. Was ist aber im Grunde·- sachlich genommen - die faktische Seins-
erstre<kung eines Dauernden? Sein faktischer Seinsbesitz I Das Ganze an Existenz"
indem es stehen kann! Das gesamte, ihm "persönlich" eigne und zustehende Da-
seinsgutl Oder, wie wir auch sagen können, seine faktische Gegenwart! Diese
seine Daseinserstre<kung ist seine "Gegenwart", sofern sie eben die faktische
Teilhabe an der Existenz darstellt. Aber- und nun kommt die Umkehrung - die-
ses faktisme Daseinsgut, diese persönlime Existenzteilhabe in ihrer Ganzheit
bleibt an dem Dauernden etwas prinzipiell "Ideales" I Etwas ni~ Erreimtes, nie
Hedwig Conrad-Martius, Die Zeit I6l
faktisch Gehabtes, nie faktism zur Habe und zum Besitz Kommendes! Wie sollte es
das! Da der ontisme. Grundfaktor punktueller Berührungsexistenz eine ·faktisme
Existenzteilhabe wesenhaft aussmließt. Aum - selbstverständlim, da es sim um
einen konstitutionellen Faktor handelt- sol<heminimalster Art. Nehmen wir irgend
ein "momentan" Existierendes, so muß dom au<h ·dieses mit seiner ·Momentani-
tät im Dasein faktisch "Platz" finden; es muß gesetzt sein, ohne mit seiner Setzung
selbst aufgehoben zu sein. Es muß. gesetzt sein, wenn aum nur einen "Herzsm.Iag"
lang, aberdomals Dauerndes - in der Zeit. Das ist aber- prinzipiell! - smon
"mehr';, als die Setzungsart selbst zuläßt. Das Momentane verlangt ein, wenn aum
nur momentanes, Existenzja, das als .solmes ein Existenzja ist und bleibt (mag·es
aum so smnell wie inimer wieder aufgehoben werden); die punktuelle Existenz-
berührung aber ist selber das Existenznein im Ja. Nirgends so wie hier sehen wir
die ontisme Grundlage und das faktism sim auf ihr Aufbauende auseinandertre-
ten. Das Faktum punktueller Berührungsexistenz ist mit zeitlim momen~er Exi-
stenz nicht gleimzusetzen. Es handelt sim um radikal versffiiedC:me Seinsebenen.
Schon darum ist es von außerordentlimer Wi<htigkeit, das zu sehen und fest-
zuhalten, weil nur unter Voraussetzung· des wirkli<hen ontism-konstitutionellen
Faktums der circub.J.s vitiosus vermeiden wird. Momentane Existenz ist an si<h
selbst smon zeitliche Existenz! Diese soll aberallererst konstituiert werden; es
soll der. ontisme.Wurzelpunkt ihres· Besteheus aufgewiesen werden. Würden Wir
nimts weiter aufweisen als den Übergang von momentaner Existenz zu dauernder,
welmer Obergang üb~rhaupt kein prinzipieller ist und sein kann, sondern in· der
Kontinuität steht, so hätten Wir ontism nimts geleistet. Wirwürden Zeit aus Zeit
entstehen sehen. Mit dem Faktum der punktuellen Berührungsexistenz aber haben
wir ein prinzipiell zeitjenseitiges Moment im Bli<k; kategorial-jenseitig von· Zeit
überhaupt, also von Momentanität und Dauer im gleimen Sinne.
Nun aber stehen wir dieser paradoxen Samlage in ihrer.faktismen Konsequenz
wirklim gegenüber. Das Dauernde ist seinem rein sam.Iimen Sinn nam ein sol<hes,
das ein Existenzgut bestimmter "Grösse" sein persönlimes Eigentum nennt. Aber
als dauerndesbleibt es gerade diesem persönlimen Eigentum konstitutiv trans-
. zendent. Es gehört ihm "idealiter" zu, aber realiter liegt es außerhalb seiner per-
n•
 Hedwig Corirad-Martius, Die Zeit
sönli<hen Rei<hweite. Und do<h handelt es si<h ja gerade um: die Realisation sei-
nes Daseinsgutes an ihm, oder mit andern Worten um seine persönli<he Realisation
als eines so "weit" und so "viel" mit Existenz faktis<h begabten. Aber dieses sein
faktisdies Eigentum steht außerhalb seirier; denn es kann mit ihm nur in einer
Form in Gemeins<haft treten, die keine Gemeins<haft ist, sondern in der Gemein-
samkeit selbst das prinzipielle Auseinander darstellt.
Punktuelle Berührungsexistenz an si<h selbst kann das ni<ht leisten, was do<h
geleistet werden muß, wenn Existenz. in ihrer Faktizität überhaupt zustande kom-
men soll. Wo liegt der ontis<he Ausweg aus dieser widerspru<hsvollen Samlage? ·
Denken wir uns die dem Kreis anliegende Tangente in bestimmter Weise begrenzt.
Wie kann es. zu einer Gesamtteilhabe dieser Stre<ke am Kreis kommen? In der
Ruhe prinzipiell ni<ht; da die Gemeins<haft eine pointierte ist. Nur in der Bewegung,
im Passieren. Das was im Berührungspunkt prinzipiell ni<ht zu ~egenwärtiger
Setzp:ng kommen kann, wird do<h in der Kontinuität des Passierens gegenwärtig.
Wir sehen die Zeit entstehen. Die ontis<he Zwangssa<hlage der punktuellen Be-
rührungsexistenz fordert das Passieren des faktisdien Existenzbesitzes, resp. das
Passieren der faktisdien "Gegenwart". Dieses Passieren aber bedarf des "Raums",
in den "hinein" es vor si<h geht. Dieser Raum ist die Zeit. Hier gilt es nun aber aufs
Genauste hinzusehen und zu konzipieren. Wir könnten mit einer fals<hen Bli<k-
ri<htung alles wieder verlieren, was wir fixiert haben. Wir könnten unversehends
in die banale Selhstverständli<hkeit hineingeraten, Zeit do<h wiederum aus Zeit
entstehen zu lassen. Jetzt, da wir glü<kli<h an einer Bewegung angelangt sind, s<hei-
nen wir uns auf durmaus bekanntem und selhstverständli<hem Boden zu bewegen.
Das ist ja einfa<h das gegebene Zeitphänomen: die Existenz kommt aus der Zu-
kunft auf die Gegenwart zu, passiert sie und versinkt in die Vergangenheit. Am Pas-
sieren des Gegenwartpunktes hängt die ganze Aktualität. Gegenwart steht auf der
Silleide zwis<hen Vergangenheit und Zukunft. Hätte es zu dieser Feststellung der
ganzen vorhergehenden Analysen bedurft? Die Kennzei<hnung dieses Phänomens
an si<h selbst ergibt si<h in naivster Einstellung. Es wäre aber allerdings ein radika-
les Mißverstehen unserer Analysen, wenn man mit einem einfa<hen: "also" hier ein-
mündete. Denn die grundlegende Paradoxie läßt si<h in dieses einfa<he Zeitphä-
Hedwig Conrad-Martius, Die Zeit 163
nomen keineswegs einfa<h überleiten. Sondern im Gegenteil: an dieser ontis<hen
Notwendigkeit des "Passierens" der Existenz bri<ht sie am krassesten hervor.
Hat man nämli<h einmal begriffen, was das F*tum punktueller Berührungsexi-
stenz besagt, so wird das si<h auf ihm erhebende ontis<he Phänomen des Passierens
zu einem ebenso problematis<hen wie· die Grundlage selbst. Jene IDustration von
der am Kreis vorbeigleitenden Tangente beginnt nämli<h hier gerade irreführend
zu werden. Die Gerade in ihrer faktisdien Erstre<kung ist etwas von vorne herein
als Ganzes gegebenes! Und es ist leimt, sie als soldie allmähli<h am Kreis vor-
überzuführen. Sie liegt, so weit sie den Berührungspunkt no<h ni<ht passiert hat,
sozusagen wartend bereit, resp. sie befindet si<h auf dem Wege zum Passieren hin;
wie sie ebenso, soweit sie den Punkt passiert hat, auf dem kontinuierli<hen Wege
"fort von ihm" ist. Sie geht aus der Potenzialität über den Aktualitätspunkt zur Po-
tenzialität mit umgekehrtem Vorzei<hen. Hier h<ihen wir ein genaues Abbild des
banal gegebenen Zeitphänomens vor uns, aber deshalb gerade ni<ht der krassen
ontismen Sa<hlage, die ihr zu Grunde liegt. Denn wir müssen es nun zu verstehen
su<hen, daß die gegebene Existenz wirkli<h nur auf der radikalen S<härfe der Aktu-
alität steht und darum von einem "Kommen" und "Gehen" in der Kontinuität des
Übergangs aus Potenzialität zu Aktualität und umgekehrt ni<ht die Rede sein kann.
Was es hier gerade zu konstituieren gilt, das Passieren, silleint zunä<hst unmög-
li<h zu konstituieren~ So wenigstens ni<ht, wie wir es uns, auf die phänomenale Zeit
bli<kend, vorzustellen geneigt sind. Wir sehen die Zukunft existenzbesmwert auf
die Gegenwart zukommen, si<h in der Aktualität der Gegenwart glei<hsam enda-
dend oder aussmüttend; wir sehen die Gegenwart mit ihrer ganzen Seinslast oder
Seinsfiüle in der Vergangenheit versinkend und nun die Vergangenheit mit dieser
in ihr geborgenen und aufgehobenen Last oder Fülle dahins<hwinden. Die Gegen.,.
wart ist der Punkt der S<heide, das momentan akute Hervorbremen oder Offen-
barwerden des vorhandenen Existenzgutes, das kontinuierli<h an dieser Silleide vor-
,.
' überzieht, um si<h aus der Zukunftspotenzialität an eben dieser Silleide in die Ver-
gangenheitspotenzialität zu verkehren. Aber diese rein phänomenal gegebene Sam-
lage (wir werden auf ihre in einem tieferen Sinne bedeutungsvolle Sa<hlimkeit no<h
näher eingehen) findet in der zunä<hst zu Grunde liegenden ontis<hen Situation
164 Hedwig Conrad-Martius, Die Zeit
keine Bestätigung. Es ist ja gerade derwesentli<he Sinn derpunktUellen Berührungs-
existenz, daß sie außerdiesem Berührungspunkt sdlledtthin keine möglidte Teilhabe
am "Sein" zuläßt. Existenz steht -:- in der ganzen Radikalität der sadtlidten Bedeu-
tung. genommen -auf jenem einzigen Berührungspunkt. Sie steht in der radikalen
Smärfe des Seins, die in sich selbst an das Nimtsein smlemthin grenzend als pure
oder nad.:te Aktualität angespro<hen werden muß. Wo ist hier ein "Kommen" und
"Gehen" des Seins ansetzbar? Wo eine an sim selbst ruhende Daseinsbreite, aus
der das Aktuelle als aktuelles entlassen wird und in das es wieder zurückgeht?
Das Sein, das im smlemthinnigen Ni<htsein steht, sd:tließt jede Art von Potenziali-
tät absolut aus.
Was sind es denn au<h füt eigenartige Dimensionen, die uns da phänomenal exi-
stenzbesdtwert (wenn audt im Sinne bloßer Potenzialität) entgegentreten. So ge-
sehen wird die Zeit zu einer naturmystisdten Dimension an sich, die einfadt vor-
auszusetzen ist. Einem Fluß in der Tat verglei<hbar, der in geheimnisvoller Weise
"Sdtoß" sowohl wie "Grab" alles Existierenden wäre, es bis zur Gegenwartstelle
mit sim bringend und dort audt wieder in sim aufnehmend. Wer sähe nidtt,'daß
es sidt hier wirkli<h nur um bIo ß e Bilder mit aller Vagheit derselben handelt. Es·gibt
in diesem Sinne keine "Zukunft", die das sdton potentiell in sim trüge, was gegen-
wärtig werden soll; und es gibt keine Vergangenheit, die das aufzunehmen fähig
wäre,. was keinen aktuel1en Bestand mehr hat. 1) Graben wir nadt, so stoßen wir
hier wie dort auf das pure Nimts. Vergangenheit und Zukunft sind keine poten-
ziellen Mädtte, die das Dasein außerhalb der faktisdien Aktualität aufzunehmen im
Standewären-hier es vorbereitend, dort es zurücknehmend. Aber was sind sie dann?
Und wie steht es mit jenem Passieren, das uns dodt zur ontis<hen Notwendigkeit
in der Tat wurde? Zu einer so unmittelbaren ontismen Notwendigkeit, daß das Exi-
stierende ohne es mit der ihm konstitutiv eignen S<härfe nackter Aktualität auch
nicht einen Minimalmoment faktis<her Existenz zu besitzen vermödtte. Es muß
1) Es gibt in diesem Sinne "Vergangenheit" und "Zukunft'', was ihre ontische Isolierung
im relativen Dasein angeht, auf die allein wir jetzt hinbli<ken und um der Exaktheit der
Fassungenwillen hinzubli<ken,haben nidtt. Wie unter dem Aspekt des absoluten Seins das
alles wieder "aufgehoben" und verkehrt wird, werden wir auf der dritten Untersudtungstufe
sehen.
Hedwig Conrad-Martius, Die Zeit 165
mit und in seiner Existenz einen Herzsdtlag lang mindestens an der Aktualitätsstelle,
resp. an dem Existenzberührungspunkt vorübergehen, um überhaupt "sein" zu
können. Ja, vorübergehen oder passieren, aber damit ist aum die ganze Situation
ontism besmrieben. Ein Passieren, das wesenhaft jede Art von "Kommen" und
"Gehen" in sim aussmließtl Das nidtts weiter ist als das bloße Passieren.
Wieder haben wir einen jener ontismen Grundbegriffe vor uns, deren naturhafte
Auswirkung- und nur aus dieser Dimension kennen wir sie naturgemäß- das rei-
ne seinsmäßige Wesen prinzipiell ni<ht mehr zu offenbaren vermag. In der Natur
gibt ~s nur in si<h Komplexes. Es kann in ihr nidtt ein Passierendes sd:tlemthin ge-
ben! Sondern hier muß notwendig das, was passiert, auf die Passierungsstelle zukom-
men und von ihr si<h fortbewegen. Die PointiertheU der Aktualität aber fassen wir
ontisdt nur, wenn wir sie in der Tat als ein "Passieren der Existenz smled:tthin"
konzipieren. Existenz geht an dem einzigen Punkt möglidter Existenzgemeinsdtaft
vorüber, ohne sim auf sie zu oder von ihr fortzubewegen. Es ist eine Kontinuität
des Passierens, die jedom nur diesen einen Punkt möglidter Auswirkung hat. Es ist
Bewegung in der puren Aktualität; Bewegung "an" einem Punkt; pointierte Bewe-
gung.
Wir sagten vorhin, daß eine in der radikalen Sd:tärfe der Aktualität, das heißt in
purem Nidttsein gesetzte Existenz als sol<he keinen wesenhaften Bestand zu haben,
zur Setzung in sidt selbst nimt zu kommen vermag. Nun sehen wir das Eigentüm-
iid:te, daß sie in und mit der S<härfe dieser Aktualität in Bewegung gesetzt ist, si<h
in dieser kontinuierlim erneuernd und damit gerade über sie ,.hinweg" gesetzt!
In jedem möglimen ansetzbaren Punkt ihrer selbst dem immanenten Abgrund des
Nimtseins prinzipiell verfallend wird sie dodt in und mit der Bewegung, in und mit
der kontinuierli<hen Neusetzung des in si<h unhaltbaren Aktualitätsstandes über
jenen Abgrund hin weggehalten. Oder wie wir fast audt sagen können: hinwegge-
rissen. Aus der Kontinuität der Bewegung resultiert zwar keine Setzung .,... zu. einer
wahrhaften Setzung kann es konstitutiv nidtt kommen-aber dod:t eine Hinweg-
setzungllm Passieren wird zwar der Abgrund des Nidttseins an keiner Stelle auf-
gehoben- er "steht" konstitutiv an jeder Stelle - aber dom kontinuierlim über-
brückt. Ein,,Moment" des Stillstandes in dieser Bewegung- wir können sie die on-
 166 Hedwig Conrad-Martius, Die Zeit
tis<he Urbewegung. nennen - und das S~in ist an si<h selbst in Ni<htsein verkehrt.
Die Existenz kann· auf der S<härfe der Aktualität ni<ht stehen.
Mit jener oben s<hon angedeuteten grundlegenden ontis<hen Fassung der <harak-
terisierten Sadllage, die wir auf der dritten Stufe dieser Untersud:mngen zu geben
versu<hen, wird ganz besonders au<h dieser phänomenale Tatbestand der konsti-
tutiven "E.xistenzrettung" über den ·konstitutiv drohenden Abgrund des Ni<ht-
seins hinweg no<h ents<heidend beleu<htet werden. Wir müssen jetzt zunä<hst zu
unserm Problem der Vergangenheit und Zukunft, ja der ontism'-phänomenalen Zeit-
konstitution überhaupt zurü<kkehren. Wir sagteil es oben: das Passieren bedarf ei-
nes formalen "Raums", in den hinein es erfolgt. Dieser "Raum" istdie Zeit. Ni<ht als
ob die Zeit hier als gegebenes"Gefäß" voraus genommen werden müßte und könn-
te: sondern in und mit dieser ontis<hen Urbewegung setzt si<h die Zeit als die kon-
stitutiv formale Dimension derselben. Die Bewegung an si<h selbst "s<hafft" die Zeit f
Ohne diese Bewegung ist sie ni<hts. Wir können jetzt au<hformulieren: Zeit begrün-
.det si<h in und mit.dem kontinuierli<h passierten Abgrund des Nidttsseins.
Geben wir nunwohl a<ht, was gerade in dieser Fassung E.nts<heidendes liegt: daß
nämli<h das ontis<h faßbare an ihr einzig und allein auf dem faktis<hen Aktualitäts-
punkt in seiner Bewegung resp. kontinuierli<hen Erhaltung steht. In diesem in der
Kontinuität der Urbewegung als soldlern erhaltenen Existenzberührungspunkte
"ist" Zeit. Und zwar als Gegenwart. Gegenwart ist zunä<hst ni<ht S<heide zwi-
s<hen Vergangenheit und Zukunft (das ist eme rein phänomenale, keine ontis<he
Fassung), sondern etwas an si<h selbst! Das heißt au<h an si<h selbst ni<ht für si<h
selbst setzbar, aber do<h an eigner ontis<her Wurzel für si<h konstituiert und für
.si<h faßbar. Gegenwart liegt am faktis<hen Existenzberührungspunkt. Insofern die-
ser in der konstitutiven Urbewegung der kontinuierli<hen Erneuerung steht, steht,
au<h die Gege:Dwart in dieser kontinuierli<hen Urbewegung. Und sofern das Seiende
konstitutiv von der punktuellen Berührungsexistenz ni<ht los kommt, die als sol<he
nur in der Bewegung stehen kann, kommt au<h die Gegenwart von dieser Bewe-
gung ni<ht los. Man kann nun au<h formulieren: Zeit ist passierende Gegenwart
als soldte. Wohlgemerkt: hier ist 'von Vergangenheit und Zukunft -no<h keine Rede
und braufit keine Rede zu sein. Es heißt ni<ht: Zeit ist die "aus" der Zukunft "kom-
Hedwig Conrad-Martius, Die Zeit
mende" und "in" der "Vergangenheit'' versinkende Gegenwart. Sondern: Zeit ist
die den Existenzberührungspunkt passierende Gegen'Yart schlechthin.
Nur so läßt si<h au<h die Objektivität der Zeit (ihre ~bjektive Eindeutigkeit) be-
gründen. Gerade weil sie ni<ht zu einem mystis<h naturhaft objektiven Etwas "an
si<h" ·gema<ht wird., so.ndern an einer exakten und eindeutigen ontis<hen Situation
·konstitutiv erwä<hst. Nimmt man nämli<h Zeit als jenes mysteriöse Flußbett, in dem
Existenz aus der Zukunft daherkommt und, man weiß ni<ht wie und warum gerade
"hier" und "jetzt'' aktuell wird, um in der Vergangenheit zu versinken, so ist in
der Tat·ni<ht ein- und abzusehen, worin si<h die Einzigartigkeit und Eindeutigkeit
dieses die Aktualität bestimmenden "Jetzt" mitten iii dem Fluß der Zeit begründet;
undfüreinexakt.,.rationalesDenkenwirddie vollständige RelativierungderZeit
ein in der Tat sadlli<h naheliegender Ausweg. Wir können ni<ht mit und in der Zeit
das ,;Jetzt" fesdegen wollen,.ohne uns in einem Cirkel zu bewegen oder zur end-
gültigen Relativierring zu gelangen. Sehen wir aber, daß das "Jetzt'' an dem ontis<h-
konstitutiven Verhältnis der faktis<hen Existenzberührung festgelegt ist, nur .hier
- kontinuierli<h erneuert- zu stehen vermag, aber hier eben au<h "steht", so ist
klar, daß ontis<h wesenhaft genommen in der Tat von einem einzigen eindeutigen
"Jetzt" gespro<hen werden kann: eben dem der faktis<hen Existenzberührung als
sol<her. Diese ist einer Relativierung ni<ht aussetzbar~ Denn was· au<h immer ins
Sein treten mag- wenn es in der punktuellen Berührungsexistenz gesetzt ist (und
welffies relative Sein ist ni<ht darin gesetzt!), so hat es eben unmittelbar und als
solfies Teil an dieser punktuellen Existenzgemeins<haft und steht darin und damit
"im'' Jetzt. Es hat hier keinenSinn mehr zu fragen: ob es ni<ht no<h ein "anderes"
Jetzt geben könne.
Wenn so aktuelle Gegenwart ni<ht abhängig von oder im Zusammenhang mit Ver-
gangenheit und Zukunft begründet zu werden brau<ht(wodur<h eine wahrhafte
- ontis<he- Begründung ausgesdllossen wäre, weil Zeit immer s<hon vorausgesetzt
werden müßte), so konstituiert si<h do<h unmittelbar mit und an der Gegenwart
au<h :Vergangenheit und Zukunft im ontis<h reinen Sinn. Steht Gegenwart in der
radikalen S<härfe der passierenden Aktualität sdlle<hthin, so steht sie, wie wir s<hon
sagten, im Abgrund des sdlle<hthinnigen Ni<hts. Wenn wirvon "Kommen" und "Ge-
168 l!edwig Conrad-Martiu$, Die Zeit
hen" spremen wollen, so kommt sie au11 dem puren Nimts und geht in das pure
Nimts. Was· ontism. gleimbedeutend ist mit einer konstitutiven Unmöglimkeit des
Kommens und Gehens. Diese konstitutive Unmöglidlkeit gehört aber ger~de mit
·zum samlim-formalen "Bereim" der faktismen Aktualität. Das Passieren ist gerade
als Passieren smlemthin marakterisiert durm das "Kommen" und "Gehen" aus
dem radikalen Nimts. Das ist kein Widersprum zu dem früher Gesagten. Sondern
im Gegep.teil: es ist d11sselbe, nur in. anderer Fassung. Denn ein Hervorgehen aus
.dem radikalen Nimts ist wie gesagt kein Hervorgehen, so wie ein Versinken in
dem radikalen Ni<hts kein Versinken ist. Solche Art des Hervorgehensund Ver-
sinkens gehört also gerade mit ~um eigentlimsten formalen Wesen dieser in radi-
kaler Pointiertheit stehendenAktualitätsbewegung. Die Dimension aber, die hier-
für den formalen "Raum" gibt, für dieses konstitutive Hervorgehen "aus" dem ra-
dikalen Nimts und dieses konstitutive Versinken "in" das radikale Nimts, ist die
Zeit. Dieses Hervorgehen und Versinken ist an sim selbst nimts anderes als die
passierende Urbewegung in der pointierten S<härfe der Aktualität. Es ist gewisser-
maßen nur ihre and~re formale Se~te. Oder es ~st dieselbe ontis<he Situation von
der andern Seite gesehen. Unter dem Aspekt der Gegenwart sehen wir sie von der
faktis<h über den konstitutiven Abgrund des Nimtsseins hinweggesetzten und des-
halb nur in der Urbewegung des faktismen F..xistend>erUhrungspunktes konstitu-
ierbaren Ak tuali tä t aus. Unter dem Aspekt der Vergangenheit und Zukunft sehen
wir sie von dem faktisdien Abgrund des Nimtscins aus, dem diese Aktualität kon-
stitutiv entsteigt, dem sie aum konstitutiv verfallen muß. Ja, entsteigen und ver-
fallen I Insofern es si<h .wirklim um eine "Bewegung'~ aus dem Nimts in. das N~mts
handelt. Und anders kann punktuelle Berührungsexistenz überhaupt nimt zu Stan-
de kommen.
So .sehen wirVergangenheitund Zukunft -.rein ontism genommen·- als fQrmale ·
Leerdimensionen im strikten Sinn. Sie haben weiter keine Seinsbedeutungals jener
ontismen UrbeweiDJng aus dem radikalen Nimts j.n das radikale Nimts oder anders
gesehen jener kontinuierlimen Hinwegsetzung über das radikale Ni<hts .in der
Smärfe der Aktualität formal "Raum" zu geben. Und zwar - nun im Untersdliede
zur Charakterisierung der Zeit unterdem Aspektder aktuellen Gegenwart- ihr for':"
Hedwig Conrad~Martius, Die Zeit 169
malen Raum zu s<haffen im Hinbli<k auf die konstitutiven Abgründe des Nimt-
seins! Soweit si<h diese an und mit .der ontismen Urbewegung ·des Existierenden.
abzeimnen, steheil alJ<h Vergangenheit und Zukunft da. Und stre<kenweise, sim
ins Grenzenlose verlierend, müssen sie sidi formal abzeimnen, weil jene Urbewe-
gung als solme faktism "im" Abgrund des radikalen Nimts vorwärts smreitet, die-
ser also in Bezug auf das Vorwärtssmreitende formal qualifiziert wird. Wenn aum
qualifiziert als die Dimension des radikalen Nimts, in der jene in der pointierten
Smärfe der Aktualität (der punktuellenBerührung) forterzeugte Existenz ihren
Fortgang nimmt. Hier bleibt an Vergangenheit und Zukunft nimts, aber imm ni<hts
"Substanzielles" stehen.
Nehmen wir die ontisdte Situation, wie sie gekennzeimnet wurde, ernst - und
wir müssen sie als solche zunämst ernst nehmen- so ergreift uns (mit aller Sa<h-
limkeit darf das gesagt werden) eine Art Todesangst. Was ist es denn, worauf wir
hier zu sehen haben? Das Selbstverständlimste, zuilämst Gegebene; das worin wir
stehen und ruhen, worin sim unsere Existenz breitet. Das Allergewisseste. Aber
vor unsern Augen verwandelt es ~m in eine harte und smarfe Grenze zwismen
Nimtsein und Ni<htsein- in eine Grenze, die aum in sim und als solme keinen
Bestand zu haben vermöchte (hierin liegt erst die wesentlime ontisme.Ein-
simt) wenn sie ni<ht überden sie selbst konstitutiv bedräuendenAbgrund des Nimt-
seins in einer konstitutiven Urbewegung hinweggerissen würde. Das ist die·Situ~
ation, in der sieb unsere Daseinsfülle zu "breiten", in der das uns persönlim eigne
Daseinsgut sim zu realisieren genötigt ist. Es smeint die Höhe der samlidien Ab-
surdität, Dem samli<hen Sinn nam handelt es sim dom gerade darum, Dasein zu
konstituieren, das heißt aber, Daseinsfülle zur· Breitung bringen, Daseinsgut
zum persönli<hen Eigentum werden zu lassen. Aber der faktiswen ontismen ·Situ•
ation nam smeint das konstitutiv unerfüllbar. Von Setzung, von Breitung, von Fülle,
von Besitztum - von allem diesem kann in Wahrheit die Rede nimt sein. Das
Existierende darf "froh" sein, mit seiner Existenz als einer Beute purer Momen-
·( tanität dem radikalen Nimts fort und fort zu entrinnen - solange es Existenz über-
haupt hat.
170 Hedwig Conrad-Martius, Die Zeit
g. Stufe. Verhältnis der phänomenalen zur ontismen Situation. Problematik.
Wie merkwürdig: in der Phänomenologie des Bewußtseins sieht es keineswegs
nam jener gefahrvollen Situation aus, die wir .in der ganzen Exaktheit ihres on-
tismen Besteheus zu fassen suchten. Wir sagten schon oben, daß wir einen solwen
Aspekt dom als "irgendwie" künstlim und "nur spekulativ" empfinden. In unserem
faktischen aktuellen Seinsbewußtsein ist diese jähe, sidi nur in ihrer Forterzeugung
erhaltende Todesgrenze nimt vorhanden. Wir leben in ihm nimt von der puren
Aktualität in ihrer pointierten Smärfe, sondern in der faktiswen Ansmauung bleibt
das passierte Daseinsgut, das rein ontisch genommen mit und in seinem Passieren
smon dem radikalen Nimts anheimfällt, hinter der momentanen Aktualität, sie tra-
gend und fundierend, stehen l Zunämst nom an sim selbst mit deni Charakter der
Aktualität versehen, wenn aum ein wenig "beiseite gesmoben", um gleimsam Platz
zu machen; dann aber aus dem Felde der Aktualität (der Gegenwart) in das der
Potenzialität mit negativem Vorzeimen (der Vergangenheit) rüCkend. Aum als sol-
'f
wes steht es noch "da"! Nur eben endgültig beiseite geschoben. Nureben aus
dem Felde der gegenwärtigen Aktualität in das der gewesenen Aktualität gerüCkt.
Es ist von wesendimer Bedeutung, einzusehen, daß es sim bei dieser "Phänome-
nologie des Bewußtseins" nimt um eine mens<hlime oder gar pe~sönlime Psymo-
logie handelt, in der jene Ansmauung gründet, überhaupt nimt um irgend ein psy-
chismes oder geistiges "Gesetz", so universal und unaufhebbar mit der gegebenen
Form derratioselbst gegeben dieses immer gedamt werden mag; sondern es han-
delt sim um eine der objektiv wesenhaften Samlage nam naturgemäß entspringen-
de Ansmauungsform, von der also aum, wie wir es getan haben, abstrahiert wer-
den kann. Aber sie ist und bleibt die zunämst gegebene und hängt aufs Engste
mit all dem zusammen, was wir ausgeführt haben. Es bleibt ja das wesenhaft durm-
aus "Unnatürlime", daß der Existenzbesitz auf den fortrüCkenden Aktualitätspunkt
radikal bes<hränkt ist. Die passierte Gegenwärtigkeit, die de fakto unmittelbar mit
ihrem Passieren dem Nichts anheimfällt - in ihrer Setzung liegt ja smon an sim
selbst die radikale Aufhebung dieser Setzung l - gehört doch wesenhaft-samlim so
unabtrennbar mit dem gerade passierenden und dem noch nicht aktualisierten "Da-
Hedwig Conrad-Martius, Die Zeit 171
seinsgut" zusammen, daß sie phänomenal von ihr nimt abreißbar ist. Charakte-
ristismer Weise, weil es sich um eine phänomenale, nimt um eine reale Sa<hlage
handelt, bleibt das nun Vergangene mit diesem eigentümlimen Übergang in kon-
tinuierlim zunehmende S<hattenhaftigkeit stehen, wie sie dem ans<hauli<h ferner
und ferner GerüCkten zukommt. Es sei denn irgend ein Ferneres oder Früheres
werde dur<h bestimmt dahin gerimtete Bli<k.rimtung hervorgehoben oder gleim-
sam ins Limt gerüCkt.
Aber nimt die Kennzeimnung dieser an sim interessanten und mannigfaltigen
Bestimmbarkeiten phänomenaler Natur ist hier unsere Aufgabe. Es gilt nur zu
zeigen, daß der dem geistigen BliCk ohne Weiteres mitgegebene "Aktualitätshof"
oder "Gegeilwartsumkreis" nam rüCkwärts und nam vorne (denn aum das zu Er-
wartende, nom nimt Passierte wird in dieser selbstverständlimen Vergegenwärti-
gung- hier Vorgegenwärtigung- mitgesmaut), daß dieser stehenbleibende resp.
smon dastehende Gegenwartsumkreis zwar dem wesenhaft-sa<hlimen Sinnzusam-
menhangdur maus, keineswegs aber dem faktism-ontismen Tatbestand entsprimt.
Das U n na tür Ii <h e:der faktismen Samlage, daß nämlim die Gegenwart keine ihr
eigne Aktualitätsbreite besitzt, sondern nur in jenem punktuellen Engpaß zu Tage
treten kann, wird von der.Ansmauung aufs Selbstverständlimste korrigiert.
Es ist ja fast unmöglim, das überhaupt geistig fassend zu vollziehen, was de fakto
vorliegt: alle faktisme Existenzhabe an diesem einen forteilenden Berührungspunkt
zu "haben". Das Bewußtsein, daß das nom eben Passierende einfa<h zur "Habe"
dazugehört, läßt sim nimt (oder nur abstrahierend, evtl. aum in krankhaftem
und anormalem Bewußtsein) auslösmen. Es bleibt einfam stehen. Ebenso ist es
mit demjenigen, was nom nimt passierte, aber ebenso unmittelbar zu dem smon
Passierenden gehört: es steht eben einfam smon da. Die Gegenwart wird in der
Vorvergegenwärtigung vorausgenommen, so wie sie in der Namvergegenwärtigung
beibehalten wird. Andererseits gleitet diese phänomenale Gegenwart dann nam vor-
und rüCkwärts in die endgültige "Vergangenheit" resp. "Zukunft" über. Hier "steht"
na<h rüCkwärts das, was in seiner gewesenen Aktualität gewissermaßen fest gewor-
den ist, an dem das. phänomenale Moment der Bewegung na<h rückwärts nimt mehr
unmittelbar hängt und nam vorwärts steht, in Zukunftsweise "verhüllt" oder "ver-
172 Hedwig Conrad-Martius, Die Zeit
borgen" noch still, aber aufbrudtsbereit das Kommende. Auch dieses steht nom
"fest" oder unbeweglich, weU es no<h ni<ht in denphänomenalen Zusammenhang
mit der auf den Aktualitätspunkt unmittelbar hinstrebenden Bewegtmg geraten
ist. .So haben wir Vergangenheit. und Zukunft inhaltsbes<hwert vor uns, jene als
. die grenzenlos in si<h aufnehme'nde Dimension, diese als die grenzenlos aus
sidt gebende. In die Vergangenheit versinkt unaufhörli<h das, was nom eben
Existenzbesitz war; aus der Zukunft tritt unaufhörli<h hervor, was erst aktueller
Existenzbesitz werden soll. So steht die Gegenwart, in ihrer phänomenalen Aktu-
alitätsbreite si<h rü<kwärts und vorwärts ohne bestimmbare Grenze in Vergan-
genheit und Zukunft verlierend, zwischen dies.en beiden. Und versurneo wir in
einiger, wenn zwar nur p~änomenalistischet Exaktheit, aus Vergangenheit und
Zukunft herkommend, das selbst zu fassen und heraus zu nehmen, was der
aktuellen Gegenwart "wirklich" angehört, so schmilzt sie zu einem Schnitt zwi-
schen ihren Gehrüdem zusammen und sie selbst ist ni<hts mehr als das unaufhör-
li<he, aus der Zukunft Nehmende und an die Vergangenheit Abgebende. Aber
diese Scheide ist kei:ne beunruhigende, weU eine ill den potentiellen Mä<hten der
Vergangenheit und Zukunft eingebettete und geborgene.
Wichtig ist, daß unter der S<hilderung des letzten Abschnitts klar geworden ist,
um wie fundamental andre Fassungen es si<h bei ihnen gehandelt hat als in den
ganzen vergangeneo Analysen. Wir befanden ulls auf rein phänomenaler Ebene~
Daher au<h das Fließende, das in der Samlage selbst liegt: die überall ni<ht be-
stimmbaren Grenzen, die Abtönungen, die nicht exakt bestimmbaren Kategorien.
Wasist Vergangenheit, was Zukunft? Was "Gegenwart" in dieser Beziehung auf
I
Vergangenheit und Zukunft? Es sind Schemen, die uns unter den geistigen Händen
zerrinnen, wenn wir sie anfassen wollen. Und do<h sind sie phänomenal, gehö-
ren zur anschauli<h gegebenen Sa<hlage. Aber hinter ihnen steht- wenigstens in
der bisherigen Unmittelbarkeit!- kein "Ding an si<h". Es gibt (in der Zeit!) keine
·!
Dimension, in der Existierendes versinken kann, sodaß sie es "gewissermaßen"
'
·no<h enthält, nur eben fortgerü<kt von der Oberflä<he direkter Gegeriwärtigkeit.
Ebenso gibt es- in der Zeit- keine Dimension, die das aus si<h selbst herausgibt
oder entläßt, es s<hon vorher enthaltend, was zur Existenz werden soll und wird.
Hedwig Conrad-Martius, Die Zeit 173
Vergangenheit und Zukunft sind und bieten das in Wahrheit ni<ht, was sie.an-
s<hauli<h-phänomenal zu sein und zu bieten s<heinen. Und dem sa<hli<hen Sinn-
zusammenhang nach bieten sollten.
Das ist in ei:llem no<h tieferen Sinne Wahrheit, als wir bisher auszudrü<ken ver-
mo<hten. Gehen wir nämli<h bis zn dem Punkt heran, an dem die momentane
Seins- oder Lebensgestalt zur Aktualität heraustritt, so ist ja das, was gerade den
Aktualitätspunkt passiert hat, iil wesenhaft-sa<hli<her Sidtt das unmittelbar Tra-
gende und Fundierende der neuen Gestalt. Diese letztere stellt sidt dar als die rein
seinsmäßig aus der ersteren hervorgegangene. Wenn die Kugel nidtt im Au-
genbli<k vorher "hier" passiert wäre, so würde sie jetzt audt nidtt "dort'' passieren.
Das eine geht in kontinuierlidter Seinsfolge in das andere über. Es läßt sidt phä-
nomenal ganz und gar nidtt so fassen, als ob jedes neue Aktualitätsmoment aus
dem "Ni<hts" herauskäme. Sondern es besteht im Dauernden eine kontinuierlidte
Seinsfolge,die nirgends abreißt. Beider si<h geradedas "Vorige" in dem "Näch-
sten" erhält und neu setzt. Wenn auch nun qualitativ abgewandelt. Durch die
neue Seinsgestalt wird die· vergangene, die eben diese neue aus sich hervorgehen
läßt, bestätigt, allerdings nunmehr als eine gewesene, weil aus der jetzt gerade
gültigen Aktualität abgerü<kte. Sie wi:rd, was ihre Aktualität betrifft, beiseite gescho-
ben, um dem Neuen Platz zu machen. Aber als der sich kontinuierlich i:m Neuen
bejahende "Mutters<hoß" des Weiteren stellt sich doch das dem radikalen Nichts
f Anhei:mfallen des unmittelbar Vorhergegangenen- in demselben unuilters<heidba-
l· ren Moment, in deni es sich als das Neue erzeugend und damit sich selbst beja-
hend erweist - als absurder Widerspru<h in si<h selbst dar.
Als absurder Widersprudl? ·Läßt es si<h ni<ht audi gerade umgekehrt sehen?
Muß ni<ht diese unmittelbare Verkehrungvon Sein in Ni<htsein stattfinden, damit
überhaupt Veränderung, Gesdtehen, Entwi<klung seinsmäßig möglich ist? Wir
r
[·
sahen ·im Früheren i:mmer nur auf das unverändertleb Dauernde. Aber wie soll
eine Veränderung, ja nur eine Bewegring möglich sein, wenn ni<ht die gerade vor-
handene Aktualitätsgestalt mit dem vorrü<kenden "Jetzt'' in das radikale Nicht-
sein oder Nicht..- mehr- sein des vergangeneo Momentes .abrü<kte! Wie könnte
si<h das "Jetzt hier'' der si<h bewegenden Kugel erweisen; wenn ni<ht das "Vorher
174 Jledwig ConrarlrM!lrt.ius, Die Zeit
dort" ein wirkli~es "Vorher", das heißt aber al!!. soldies · aufgehoben wäre. Der
Tradition nadl pflegt ja gerade an dieselil Phänomen die NotwendigJ.teit der Zeit
erhärtet zu werden.
. Der Hinweis entbehrt il~türlim nimt der wesendirneo samlimen G111ndlage, in-
sofern in der Tat ohne ein möglimes "Vorrüd.ten" der Existenz-Bewegung Ver-
änderung und .G~smehen nimt möglim wäre. Diesen Phänomenen liegt in derTat
das seinsmäßige Fortrü<ken von Aktualitätsstelle zu Aktualitätsstelle konstitutiv
zu Grunde. Denn es ha.ndelt sim in ihnen um Aktualitätsentfaltungen. ·
Aber die gegebene ansmaulim-phänomenale Samlage sollte uns in der radika-
len Verwertung der ontism gegebenen Zeitsituation für die MöglidJ.keit des Ge-
smehens an sim selbst etwas bedenklim mamen~ Denn wie wir gesehen h~en,
mamt das phänomenale Bewußtsein von dieser Anwendung keineswegs radikalen
Gebrauml Zwar insofern als aum hier das Gesmehen- :weil samlim notwendig-
nurfn und mit dem Fortgang der Existenzaktualität selbst ko~stituiert wird; das
aus der Aktualität Fallende fällt aber hier keineswegs radikal ins Nimts,.sondern
bleibt in jener eigentümlimen Existenzform beiseite gesmobener Aktualität (oder
· Potenzialität mit negativem Vorzeimen) stehen. Und 'wie smon bemerkt, ersmeint
diese phänomenale Situation von vom herein sadJ.lidt durmaus sinngemäßer, weil
der forterzeugende Muttersmoß des Seins sein eigentümlidi fundierendes Existenz-
remt beibehält.
Denken wir zum Beispiel daran, wie wir unsere eigne Kindheit zwar als etwas
überwundenes,. als etwas nimf mehr.;,Geltendes" im Bewußtsein tragen, dom aber
in und mit der Vergangenheit auf sie hin- und zurü<ksehen, als.müßte sie ... ver-
sunkcm ~war- da "hinten" nom irgendwo "stehen". Gewiß: unerreidtbarl Im
bin ja von ihr fortgerü~t an einen andem Ort des ,.Daseins"; im lebte in der fak-
tismen Aktualitätsentfaltung mit zwingender Notwendigkeit von ihr fort, sie gleim-
sam aus meinem aktuellen Sein fort und fort "entlassend" und so zurü~assend.
Aberjenes Bewußtsein der Unerreimbarkeit, der Feme,. der endgültigen Versun-
kenheit setzt ja das Bewußtsein ihrer "inaki;uellen" Erha.tung in sim selbst vor-
aus. Sie ist und bleibt die Seinsbasis, diemein jetziges Sein bi!! heran an den Aktu-
alitätspunkt, auf dem im. gerade stehe, trägt. Ebe~so ist aum ·mein nom nimt ge-
Hedwi,g Conrad-Martius, Die Zeit 175
lebtes Alter, werin aum verhüllt und dazu gleimsam "unausgestaltet", wenn aum.
nimt endgültig durmbestimmt, dom smon "vorhanden". In seltsamer Seinspoten-
zialität auf mim zukommend. Wir haben ja diese ganze SadJ.lage ihrem Typus
nam smon einmal gekennzeimnet. Hier gilt es nur in den Bli<k zu bekommen,
l'
I;:
daß diese letztlim nimt überwundene Gegenwart das faktisme Phänomen der
E.ntwi<klung keineswegs stört oder gar aufhebt! Nur die Aktualitätsstelle im radi-
kalen Sinne ist die konstitutiv sim neu setzende und damit das Ganze in Fortbe-
wegung erhaltende. Im übrigen aber bleibt die E.ntwi<klung eingebettet in eigen-
tümlimen vergangeneo und zukünftigen Seinsfeldem, die in der "Elastizität'' gleim-
'
;
L sam ihrer Aufnahme- und Entlassungsfähigkeit dem Fortgang des ·Gesmehens
1' durmaus keinen Abbrum tun.
I
'!. Soviel silleint jedenfalls hierilam simer: die faktisme, ontism-konstitutiv gegebe-
ne Zeitsetzung in der Smärfe ihrer pointierten Radikalität istnimt notwendige kon-
stitutive Voraussetzung möglimen Gesmehens oder möglimer Seinsentfaltung. Das
Unaufhebbare gerade dieser Zeitkonstitution steht nimt im Wesenszusammenbang
mit der Faktizität des Gesmehens als solmem, sondern ist eine unmittelbare Folge
der eigentümlimen Existenzform, in der das Seiende faktism ersmeint. Wo
hier die letzte ontisme Wtlrzel liegt, werden wir alsbald sehen. Jedenfalls ver-
hält es sim so: weil das Existierende an und für sim in die Existenzform des abso-
luten Existenzfortgangs gesetzt ist, muß aum alle in ihm sim Verwirklidlende Seins-
entfaltung daran teil haben. Nimt aber mamt umgekehrt die Seinsentfaltung (in
Gesmehen, E.ntwi<klung und Bewegung) diese Existenzflumt notwendig. Das Dau-
ernde als solfies - und alle· E.ntwi<klung und Bewegung ruht ja auf einein in der
Identität seiner selbst Dauernden I -besitzt seine Existenz konstitutiv nur in jener
ontismen Urbewegung radikaler Hinwegsetzung über das Nimtsein. Weil die Seins-
. dauerhierin steht, stehtaumalle E.ntwi<klungund alles Gesmehen hierin.
Auf der andern Seite aber steht tatsädJ.lim die ebenso unbestreitbare phäno-
menale Samlage, in der wir ein nirgend abreißendes Seinskontinuum vor uns
haben, das allerdings mit seiner Konstitution in die Aktualität hinein unaufhörlim
in die Vergangenheit "absinkt". Das läßt sim .ansmaulim fassen. Denn dieses "Ab-
sinken" ist kein unmittelbares und radikales Durmstreimen. Es ist ein Zurü<k-
 ·Hedwig Conrad-MartiuSi; Die Zeit
Hedwig Conrad-Martius; Die Zeit 177
weimen und allmählimes Versinken in eine andre "Dimension" (unter die ;,Ober-
möglim ist, bei bleibender Daseinsbreite? Wir entnehmen dem phänomenal
fläme" der Aktualität), Die ontisme Sac:hlage in ihrer prägnanten Exaktheit und
Gegebenen, was hierzu notwendig wäre: ein Zurü<kweimen der Aktualität vor
die phänomenale widerspremen sim. Daß dieser Widersprum in der gewöhnlimen
neuen Aktualitäten- ein Zurü<kweimen, das dom keine Aufhebung darstellt
Einstellung nimt gesehen wird, liegt an der samlimen Selbstverständlimkeit der
Ein Stehenbleiben unter und mit demin den Hintergrund Treten.
phänomenalen Gegebenheit. Die ontisme Gegebenheit ist·eine, was den Sinn. von
Nun müssen wir allerdings~ um hier klar zu sehen; zunämst ejnes bedenken: die
Daseinssetzung betrifft, samlime Absurdität. Aber sie besteht. Die phänomenale
gegebene phänomenale Samlage ist eine komplexe. Sie resuliert aus der das we-
Gegebenheit ist ebenfalls eine, was die gegebene ontisme Grundlage betrifft,
senhaft Samgemäße zur Projektion bringenden Ansmauung einerseits, anderer-
sadilime Absurdität. Aber sie besteht. Sie besteht als sbmgemäßer (rein phänome-
seits aber aus der dom nun einmal vorhandenen ontismen Gegebenheit. Das
naler!) "Ausweg" aus der seinsmäßig konstitutiven Notlage.
heißt: sie bleibt seinsmäßig unter dem Zwang der Zeit, bleibt unter dem Zwang
Was uns nun aber bei diesem sonderbaren Gegeneinander vomehmlim intres-
punktueller Beriihrungsexistenz. Sie kann diese ontisme Grundlage nimt fortwi-
siert, ist jener unmittelbare Bezug auf die entsmeidende Frage, ob dennpunktuelle
smen. Sie kann sim nur mit ihr abfinden, sie gewissermaßen, soweit es geht, korri:.
Berührungsexistenz die wesenhaft formal-notwendige ist, resp. wie "tief" die Wur-
gieren. Aber es geht nimt sehr weit. Denn alles Gegebene in seiner ontismen Iso'-
zel dieser konstitutiven Notwendigkeit liegt. Denn es ist Faktum, daß sim die An-
lierung relativen Daseins ist nun einmal in .diese "Zwangsja<ke" Constitutiv ge;..
smauung das einfam sma:fft, was in der dahinter stehenden ontismen Faktizität
ste<kt. Immer also muß aum die Ansmauung von dem festen Aktualitätspunkt
unerfüllt bleibt. Daß bn Phänomenalen die ontisme Absurdität einfam aufgehoben
dom ausgehe~, an dem allein Gegenwart faktism fixiert ist, wenn sie diesen Punkt
ist. Im Phänomenalen ersmeint die Daseinsfülle ni m t auf die Nadelspitze gestellt,
aum nam vom und hinten möglimst sphärenhaft verbreitert. Dasall zu Feme, d. h.
um die rings herum der Abgrund 'des puren Nimts gähnt. Im Phänomenalen gibt
aus dem Aktualitätspunkt nun einmal faktism längst Fortgerü<kte, läßt sim in die-
es nimt dieses, man J.ilömte fast ·sagen, wahnwitzige Kontinuum des unentwegten
sen Bereim nimt mehr hineinziehen. Aum bleibt es, und das istdas Wimtigste, bei
Abreißensins Nimts hinein bei und unterdem unentwegten Setzen. Mit andem Wor-
der bloßen phänomenalen Smau! In Wahrheit ist jader passierte Inhalt end-
ten: rein phänomenal ist von punktUeller Berührungsgegebenheit nimtszu finden.
gültig und radikal aus dem Bereim des Gegebenen (jetzt in. einem realen, nimt
Wie wir smon oben!ausführten: die Ansmauung hat eine Gegenwartsbreite und:
phänomenalen Sinne) gerii<kt! Darumbehält ertrotz alles phänomenalen "Ste'-
selbst, wo diese allmähtim übergeht in jene Sphäre des Vergangenen und nun end-
henbleibens" den unaufhebbaren Charakter des F o r tgerii<kten. Er ist in Wahrheit
gültig bei Seite Gesmobenen, bleibt dom die Daseinskontinuität in der Form einer
aus dem Besitzbereim des Existierenden hinfortgetan und keine Vergegenwärtigung
zwar smemenhaften und unerreimbaren, aber dom nom "in der Tiefe" dastehen- f
l. kann das ungültig mamen. Hier herrsmt die Zeit in ihrer punktuellen Existeni-
den oder ruhenden ,,Basis" des Jetzigen erhalten. Sollte das, so fragen wir jetzt, setzung.
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was hier im rein Phänomenalen entworfen ist; in Wahrheit wesenhafte Un- I'.
1: Was aber demgegenüber die wesenhaft sadilime Situation eigentlim fordern
-~öglidtkeit sein? Sollte das Selbstverständlime und Samgemäße (denn es handelt
müßte, ist ein nom entsmeidend über das notdürftig phänomenal Entworfene Hin-
11im ja um die Darstellung einer gegebenen Daseinsbreitel) auf den Smein end-
ausliegendes. Mamen wir uns nom einmal klar, um was es sidr sac:hlim eigentlim
.gültig angewiesen sein, während das Absurde, das radikalUnsamgemäße Wahrheit
handelt, und worin eigentlim jene· Absurdität liegt, die dem Samlim-Wesenhaften
bleibt? Sollte es nimt aum in der Wahrheit das geben können, was hier phäno-
so widerspridtt.· Sie liegt darin, wie wir sahen, daß ein Existierendes sein Daseins-
menal vorweggenommen wird: daß eine Fiille von sim ablösenden Gestaltungen
gut (au~ nimt zum kleinsten Tei~ gesmweige denn als· "ganzes") wirktim "hat"
 Hedwig Conrad-Martius, Die Zeit
178
d besitzt"· daß es dasselbe smlemthin nimt hat, sondern sein "es Haben" an
o er" ' " W sen nimt ebenso zu wie ihr Blühen? Muß sie das Eine über dem Andern endgül-
sim selbst und durm und durm ein "Hergeben"' ein "Nimthaben ist. oraus
folgt, daß kein Stü<k seiner eignen Existenz in seine wirklime "Reimweite" gelangt,
sodaß es sie in irgend einem Sinne bewahren, behalten, remtsmaffen besitzen
könnte. Alles ist nur gerade punktuell berührt und damit smon wieder der Ge-
meinsmaft mit ihm enthoben. Dieser aber in der formal-konstitutionellen Wurzel
des so Gesetzten selbst wurzelnde Tatbestand ist es, der sim in der phänomenalen
Ebene als die bleibende Une r reimbar k e i t des Vergangenen darstellt. Diese
Unerreimbarkeit läßt sim phänomenal nimt aufheben, wie immer das Vergangene
in einersmeinbaren "Erhaltung" stehen bleiben mag; denn sie ist die unaufhebbare
Folge der faktism gegebenen ontismen Samlage. Sie ist die Folge der punktu~llen
Existenzsetzung. Sie aber andererseits ist es gerade, die der wesenhaft-sadtlimen
Situation am meisten widersprimt! Denn in ihr drü<kt sim die ganze faktisme Nim-
tigkeit dieses Existenzbesitzes aus, der im Grunde keiner ist. Denn was so~ eine
"Habe"' die ein unentwegtes Nimthaben in sim sdtließt, sodaß alles, was masten-
ziell "mein" ist - bis auf einen punktuellen Rest - aus s er halb des Bereims des
Mein" liegt? Wie wir ganz zu Anfang sagten: was "nützt" dem tausend Jahre
~auernden diese seine Dauer, die immer nur eine endlose Vergangenheit und viel-
leimt eine ebenso endlose Zukunft ist? Es kann sim nimt selber mit sim zusammen
smließen. Es ist von sim selbst ins Grenzenlose entleert. Sein Anfang und sein
Ende, ja sein Alles- bis auf .dieses smäbige "Jetzt" sind ihm prinzipiell entrü<kt.
Man denke nimt _ wir müssen es nom einmal betonen - daß wir hierbei die
Tatsame übersehen, daß alles Vergaugene sim im Gegenwärtigen bleibend aus-
drü<kt und das "Jetzt" seinem Gehalt nam nimt so aussehen würde, wenn nimt
eben alles Vorhergehende gewesen wäre. Insofern ist die Vergangenheit eine ent-
smeidende Mamt. Selbstverständliml Aber wenn mein Alter meine Kindheit qua-
litativ in sim aufgenommen hat und ohne diese überhaupt nimt wäre, so bleibt
dom meine Kindheit seI b s t nimt in meinem Gegebenheits- und Mamtbereim.
Oie Tatsame, daß mein Alter unaufhebbar durm die nun endgültig vergan-
gene Jugend bestimmt ist, ruht ja auf der Voraussetzung und mamt sie nur
nom krasser, daß eben diese Jugend das endgültig nimt mehr Erreimbare darstellt.
Hedwig Conrad-Martius, Die Zeit 179
Gehört sie mir nimt zu? Gehört der sim entfaltenden Pflanze ihr keimhaftes Spros-
tig verlieren? Ja, sie muß, sofern sie in die Zeit gestellt ist, sofern sie an dem Kos-
mos teilnimmt, dessen "Gegenwart" auf eine punktuelle Existenzberührung kon-
stitutiv zugespitzt ist. Aber ist nimt eine Existenzgegebenheit wesentlim möglim,
bei der das "Ganze" der gegebenen Existenzbreite prinzipiell erreimbar bleibt?
Bei der das Vergangene nidtt verloren geht, sondern "erhalten" bleibt und zwar
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nimt nur in und mit der Gegenwart, sondern als Vergangenheit? Bei der die Ver...
gangenheit "Gegenwart" bleibt, womit ihr das "Tödime" genommen ist und dom
a um als Vergangenheit sim darstellt - denn sonst h an d e I t e es sim ja nimt. um
die geforderte Existenzbreite. Zu diesem letzteren wesentlimen Punkt, der uns
gaitz neue Einsimten geben wird, müssen wir uns etwas näher erklären.
Man könnte nämlim meinen, die Situation wesenhaft-sadtlim dadurm lösen zu
können, daß man die Gesamtheit der einem Existierenden zugehörigen Gestal-
tungen einfam auf eine Gegenwartsebene gleimsam zusammenhäuft I An der blü-
henden Pflanze ist ja nimt nur ihr "Knospen" damals (dieser Aktualitätszustand in
einem bestimmten Zeitraum), sondern mit ihrer Fortentwi<klung aum der dazuge-
hörige Knospenzustand selbst vergangen oder untergegangen: die Knospe ist
in der Blüte untergegangen, weü sie sim zur Blüte entfaltet hat. Und soweit es sim
um Entwi<klung handelt, soweit das kontinuierlime Hindurmgehen von einem
Zustand zum andern gerade der samlime Sinn der Situation ist, muß es aud:t so
sein. Der Knospenzustand kann in diesem Fall - !wenn es überhaupt eine solme
wesenhafte Möglimkeit gibt- nur als "vergangener" erhalten und stehen bleiben
denn in der Aktualität der Gegenwart ist die Knospe zur Blüte geworden. Etwas
anderes aber wäre es, wenn wir die Vergangenheit in dem Sinne aufheben wollten,
daß wir die Entwi<klung selber streimen. Weshalb sollte die Pflanze nimt das ganze
Bereim ihrer möglichen Gestalten, die sie, sim eine nam der andern entwi<kelnd,
durmläuft,zugleich besitzen können? Warum nimt zugleim sprossender Keim,
grünender Halm und frumttragende .Ähre! "Zugleim" d. h. zusammengesmlossen
in einem und demselben leihhaften Existenzgebüde! Ist das eine wesenhafte Un-
möglimkeit? Oder ersmeint es nur unsern an die fixierende Materialität gewöhnten
 Hedzdg Conrad-Martius, Die Zeit
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Augen· eine solme zu sein? Gewiß, in und mit dieser das Meon endgültig und ein-
malig ausfüllenden Materie ist eine Durmdringung versdtiedener, ja unendlim viel
versdtiedener und dennom gesonderter Gestaltungen in dem "Raum" ·eines und
dessclben leibhaften Existenzgebildes, eine ·Unmöglimkeit Was als sprossender
Keim in diesem Sinn "materialisiert" ist, kann nidit zugleim an sidi selbst frumttra-
gende Ähre sein. In einer ,;geistigen" Substanzialität dagegen, die deshalb nimt
weniger Ieibhaft wäre, ist eine solme Ordnung durmaus nimts Unansmaubares.
Denn diese Substanzialitätisteine in sim selber nimt fixierte, sondern "smwebende";
der Raum in dem Sinne eines· nur "einmalig'' ausfüllbar ist überwunden 1)~ Aber
.wiedem a um sei- es ist das nimt unsere jetzige Frage. Wir müssen nur feststellen,
daß diese an sim selbst durmaus nimt wesenhaft .unmöglime ·Sadtlage dom zu
unserer speziellen Frage (nam der wesenhaft-sadtlimen Oberwindung der "Zeit",
sofern sie keinem Existierenden mehr als eine nur punktuelle Gegenwart vergönnt)
nimts beiträgt. Denn wenn wir so alle möglimen Gestaltungen an der Pflanze gleim-
sam "zu Hauf' gebramt haben, sodaß sie in Einem alles das darstellt, was sie sonst
allmählim und zeitlim durmlaufen muß, wenn wir so, was ihre eigne Gestaltung be-
trifft, die E.ntwiddung und damit. Gebundenheit an die Zeit an ihr aufgehoben und
alles in ein aktuelles Gegenwartsgebilde zusammengebramt haben, so stehen wii-
domnur wieder genau an dem Anfang, vondem wir ausgegangen sind: dann ist
ja dieses nun so Geartete- mit der unendlimen Mannigfaltigkeit der an ihm a':ls-
gedrü<kten Gestaltungen ..,. wiederum ein "Dauernde~", nimt zwar sim mehr
Entwidtelndes, sim Veränderndes, aber daruin dom nimt aus dem Dro<k der an ihm
beständig in die unerreidtbare Vergangenheit sinkenden Existenzsetzung Erlöstes?
Es steht nun als ganzes und rohend da: aber es steht nur um so mehr·"da'', nimts
mehr weiter als "dauernd" und so dem Flum der zehrenden Zeit erst remt verfallen.
Wir haben die Samlage sozusagen überfordertWenn wir alle GestaltUngsmög-
lidtkeiten in eine und dieselbe aktuelle Gegenwart.rü<ken, haben wir die ·vergan-
genheit nit:ht überwunden, sondern einfam.außerhalb stehen gelassen. U11d so mamt
die umi.ufg~hobene ihre samlimen Ansprüme sofort wieder geltend. Eine wirklime
t)VgLMetaphysisdJ.e GesprädJ.e; Niemeyer, Halle 1921. ·
HeduJig Conrad-Martius; l)ie Zeit 181
überwfudung wäre nur da möglidt, ·wo das ·Spezifisme an ihr (ihr endgültig unauf-
hebbares sadtlimes Remt) mit in die neue Setzungsart hineingehoben würde..,.; ohne
dodi das mitzunehmen, war nur faktisme Gegebenheit, nimt aber wesenhafte
Sadtlidtkeit an ihr ist. Und nur durm dies letztere wird sie zu einer "tötlimen",
wird zeitlime Setzung in eine Absurdität verkehrt. Denn was zeitlime Setzung als
punktuelle Berührungsexistenz aussdtlaggebend marakterisiert, ist der Tatbestand, ·
daß. außer diesem aktuellen Gegenwartspunkt allüberall das radikale Ni<hts steht.
Was ist aber andererseits das unaufhebbare sadtli<he "Re<ht'' zeitli<her Setzung?
Wir sind soeben gewarnt worden: es ist offenbar etwas an der Vergangenheit und
Zukunft neben derdie Gegenwart befassenden Zeit, was nicht einfa<h dur<hge-
stri<hen und in ein für alle Mal fixierte:Gegenwart verwandelt werden kann- wenn
es ni<ht als drohendes und ni<ht beiseite:zu s<hiebendes Gespenst gerade dann wie-
der auftau<hen soll, wo wir seiner endgültig ledig zu sein glauben. Was wir dur<h
unsere bisherigen Analysen zu leisten versu<hten, war, den Bli<k zu st:härfen für
die Form zeitli<her Existenz, die mit der punktuellen Berührungsexistenz steht
und fällt; bei der Vergangenheit und Zukunft verorteilt sind, radikale Leerdimensio-
nen darzustellen, die an si<h selbst sadtli<h nichts leisten und nur dazu benützt
werden, das ans<hauli<h- phänomenal hinein zu projizieren, was de fakto in ihnen
ni<ht gefunden wird. Wir versudtten, zu zeigen; daß, wenn das Dauernde Zeit
"brau<ht",.diese Art zeitli<her Existenz, der wir faktis<h gegenüberstehen, gerade
das ins Absurde verkehrt, was sie eigentli<h konstituieren soll: die dem Dauernden
vergönnte Existenzbreite au<h wirklit:h zur Setzung zu bringen oder ihr Raum zu
vers<ha:ffen; aber die Zeitform, in der es faktist:h darinsteht, ma<ht ihm gerade ein
sol<hesDauern, das ein wirkli<her Existenzbesitz bestimmter Ausdehnung wäre,
unmöglit:h, insofern sein ganzer ihm sa<hli<h zur Verfügung stehender Existenzbe-
sitz auf den einen Berührußgspunkt reduziert ist Trotz aller mögli<hen Verge-
genwärtigung kann das Existierende über seinen Aktualitätspunkt ni<ht hinaus.
Sofort greift es in das große "NiC:hts". Sodaß es.·in der Tat mögli<h ist, die ganze
Vergangenheit als bloßen Traum radikal zu entwerten.!)
I) Der erkenntnistheoretisdJ.e Idealismus als rationale Möglic:bkeit - und mehr Wahrheits-
wert besitzt er nidJ.t- ist ein Beweis für die ontisdJ.e Absurdität isolierter Zeitsetzungl
182 Hedwig Conrad-Martius, Die Zeit

Um die wesenhaft-sadilidte Oberbrüdmng gerade dieses Tatbestandes handelt

es sidl. Warum und wiefern muß der Existenzbesitz auf einen einzigen Punkt re-
duziert bleiben? Um dies nun endgültig zu beantworten, müssen wir jetzt ontisch
ÜBER DIE LöSUNG VON PARADOXIEN
eine Stufe tiefer steigen. Was ist Zeit? Wo liegt ihr letzter formaler Quellpunkt?
[Fortsetzung folgt.] Von FAUL FINSLER-Zürich

Die Antinomien der Mengenlehre und ähnlidle damit zusammenhängende Para-

doxien sind sdlon vielfam Gegenstand von EröJ,"terungen gewesen, ohne daß es dodl
gelungen wäre, in der Erklärung derselben eine volle Einigung zu erzielen. Da aber
diese Dinge für die Grundlegung der Mathematik von besonderer Bedeutung sind,
so folge im gerne einer Aufforderung des Herausgebers dieser Zeitsdlrift, um von
mathematisdlem Standpunkte aus zu einer Abhandlung Stellung zu nehmen, die
Herr Lipps unter dem Titel "Die Paradoxien der Mengenlehre" im Jahrbuffi für
Philosophie und phänomenologisdle Forsdtung1) veröffentlidlt hat.
Herr Lipps hat es in seiner Untersudmng, wie er sagt, auf eine Lösung der Pa-
radoxien abgesehen, mit denen die Mengenlehre belastet ist, und er stellt sidl da-
mit auf den Standpunkt, daß dieselben einer Lösung bedürftig und fähig sind. Die-
sen Standpunkt muß man m. E. als Mathematiker ebenfalls einnehmen. Jede Un-
stimmigkeit in der reinen Mathematik oder in der Logik gefährdet den ganzen Be-
stand der Wissensdlaft und muß. deshalb aufgeklärt und beseitigt werden. Diese
Aufgabe kann sdlwierig, aber dodl nidlt unlösbar sein, denn, wenn es amh Pro-
bleme geben kann, denen die mensdllidlen Hilfsmittel nidlt gewadlsen sind, so kann
dodl die Aufgabe, in einer vorliegenden, offenbar falsdlen Überlegung den Fehler
aufzudecken, nidlt dazu gehören, es muß vielmehr in diesem Falle die Lösung sidl
erzwingen lassen.
Freilich besteht hier die große Gefahr, daß man sich mit der Auftindung eines
wirklimen.oder auch nur vermeintlichen Fehlers zufrieden gibt und die Frage als
gelöst betrachtet, ohne doch den wahren Kern der Same getroffen zu haben. Die

1) Bd. 6 (1923) S. 56t-.-571.