mit andern ihr Geburtsrecht verloren haben, und mit diesen vermischt
worden sind, nebst einem Auszuge von solchen, die durch die Buch-
stabierart ein so verschiedenes Ansehen gewonnen haben, daß man
eines derselben fyr zwei, drey und mehrere genommen und gegeben
hat". Wir Spätgeborenen lächeln vielleicht, wenn er zum Schlüsse sagt:
„wir könnten noch mehr dergleichen unschuldige Aufgaben entwerfen,
wenn wir nicht fürchteten, daß wir schon mit diesen geträumt hätten".
Aber wir wären zu diesem Lächeln wenig berechtigt; denn es ist
bis jetzt nichts gethan, um die Befürchtungen des Schweizer Dichters
Lügen zu strafen. Noch ist keines der Probleme gelöst, die er vor
mehr als 100 Jahren mit anerkennenswerthem Scharfblick hingestellt
hat. Freilich hat er von der Tragweite der von ihm gewünschten
Untersuchungen keine Ahnung gehabt. Die Geschichte der Entwicke-
lung zu schreiben, welche die Wortbedeutungen in irgend einer Sprache
durchgemacht, ist eine der schwierigsten und zugleich interessantesten
Aufgaben. Nicht minder anziehend ist es, den Gründen nachzugehen,
welche den Untergang zahlloser Wörter, ihren Ersatz durch neuge-
bildete zur Folge hatten, Fragen, die für das Romanische Diez in
seiner Grammatik und seiner romanischen Wortschöpfung erwogen
hat. Besonders wichtig erscheint aber gerade in der Gegenwart die
Betrachtung der von Bodmer zuletzt genannten Kategorie, wo im
Deutschen an Stelle eines einzigen Wortes der älteren Zeit später
mehrere Wörter erscheinen: der deutschen Doppel- oder Zwillingswörter.
GEßBIANIA. Neue Reihe. XI. (XXIH. .Tahrg.) ] 7
258 O. BEHAGHEL
dingung eine einzige Ursache nur eine einzige Wirkung haben kann,
so lohnt es sich der Mühe, zu prüfen, ob bei der scheinbaren Doppel-
entwickelung nicht neben dem einen Lautgesetz, richtiger neben der
einen Lautwandel wirkenden Ursache noch andere Ursachen mit im
Spiele sind, oder ob, wenn wirklich nur das Lautgesetzt wirkte nicht
die Umstände verschiedene waren, unter denen es sich äußerte.
Noch eine zweite Frage muß bei Betrachtung der Doppelwörter
aufgeworfen werden. Meist sind ja nicht nur die Formen, sondern auch
die Bedeutungen auseinander gegangen; so muß untersucht werden,
warum der einen Form gerade diese, der andern jene Bedeutung zu-
gefallen, und ferner muß die Zeit dieser Bedeutungsscheidung fest-
gestellt werden, soweit sie nicht schon vor der Spaltung bestanden
oder sich zugleich mit derselben ergeben hat. Bisweilen ist diese
Differenzierung bis auf den heutigen Tag nicht durchgedrungen, nur daß
wir für die eine Bedeutung diese Form, für die andere jene vorziehen;
DIE NEUHOCHDEUTSCHEN ZWILLINGSWORTER. 259
oder auch es werden für einen Theil der Bedeutungen beide Formen
Gebrauchsweisen aber tritt bestimmte
ffleichmässio; benützt, in einzelnen
Scheidung der Formen ein. Auf sehr unsicherer Basis steht die chro-.
nologische Ermittehmg der Bedeutungsscheidung, denn unser lexicahsches
Material reicht dazu höchstens, so weit es in das Gebiet des DW.
Bd. 3 ff. fällt; bei Sanders fehlt es besonders an Belegen aus dem
15. und 16. Jahrhundert. muß deshalb füjr meine in dieser Hin-
Ich
sicht zu machenden Bemerkungen um besondere Nachsicht bitten.
Übrigens sind die bis jetzt erwähnten Doppelwörter nicht die
einzigen im Deutschen, eine Fülle von
Das Neuhochdeutsche hat ja
fremden Elementen aufgenommen, sei es aus andern deutschen
in sich
Dialekten, sei es aus den romanischen Sprachen und dem Englischen.
Da traf es sich denn oft genug, daß das Neuaufgenommene nur eine
andere Gestaltung dessen war, was die aufnehmende Sprache schon
besaß. Endlich kam es vor, daß ein und dasselbe Wort zweimal, zu
verschiedenen Zeiten und nach verschiedenen Gesetzen aufgenommen
wurde.
Und nun zur Sache. Voraus paar Wörter, bei
stelle ich ein
denen man von Doppelgestaltung kann, wo der Unter-
kaum reden
schied nur in der abweichenden Orthographie liegt, indem „unhistorische
Grammatiker nach zufälliger äusserer Wortunterscheidung gestrebt
haben" (Gramm. I, 524). Es sind das dasz, Statt —
Stadt und Miene —
— Mine. Betreffs das —
dasz kann auf DW. II, 811 verwiesen werden;
übrigens findet sich die heutige Scheidung nicht erst in der Mitte des
16. Jahrhunderts, wie dort angenommen wird, sondern sie begegnet
schon in der Stretlinger Chronik, etwa ein Jahrhundert früher. Die
Schreibung Stadt treffen wir schon bei Luther, aber entschieden ist die
Noch moderner
Differenzierung erst im 18. Jahrhundert. ist die Tren-
nung von Miene und Mine; Steinbach (1734) schreibt für beide Be-
deutungen Miene, Frisch (1741) beide Male Mi7ie (s. Weigand s. v.).
Ganz zufällig ist die Art der Unterscheidung übrigens nicht: der
militärisch-technische Ausdruck steht dem allgemeinen Sprachgefühl
weit fremder gegenüber als das andere Wort mit allgemeiner zugäng-
licher Bedeutung. Daher hat jenes die fremdere Gestalt behalten, dieses
sich deutscher Schreibweise gefügt.
Ob auch wieder —
loider bloß auf einer solchen orthographischen
Scheidung beruhe, wie Grimm a. a. 0. will, ist zweifelhaft. Denn
auch unsere Aussprache macht einen Unterschied das Wort für rursus
:
kreuzt worden. Ebenso ist bekannt, daß dieses zweite Moment be-
sonders energisch dann gewirkt hat , wenn ein Wort nicht isoliert
stand, sondern sich innerhalb eines Flexionssystems oder irgend eines
:
findet sich man schon im As. (cf. Heyne, Gloss. z. Hei. s. v.) und Ahd.
(Gramm. IV, p. 220 ff., Kelle Otfr. II, p. 369) in der Geltung des fran-
zösischen Ton; es ist nicht mehr Substantiv, sondern bereits Pronomen
geworden. Als nun die großen Anfangsbuchstaben bei den Substantiven
eingeführt wurden, als an die Stelle der phonetischen Schreibweise die
etymologische trat und die Doppelconsonanz aus den Formen, wo sie im
Inlaut stand, auch auf den Auslaut übertragen wurde, konnte natürlich
nur das Substantiv man, mannes, nicht das Pronomen von dieser
äusseren Veränderung betroffen werden. Zu welcher Zeit aber hat
diese stattgefunden? Die letzten Jahre haben eine Fluth von Schriften
über Orthographie gebracht; aber trotzdem wissen wir von der Ge-
schichte der deutschen Orthographie seit der mhd. Periode noch so gut
wie gar nichts. Betreffs der grossen Anfangsbuchstaben vermag ich
jetzt nicht mehr zu sagen als Grimm in der Einleitung zum Wörterbuch.
Über das Eindringen der Doppelconsonanz in den Auslaut glaube ich
behaupten zu dürfen, daß dasselbe etwa mit dem zweiten Drittel des
16. Jahrhunderts beginnt und in der zweiten Hälfte des 17. so ziem-
lich zum Abschluß kommt. In diesen Zeitraum fiele also die äussere
Scheidung von man und Mann. Zum Belege für meine Datierung
wenigstens einige Thatsachen. In Sebastian Wild's Tragedj von dem
Doctor, der den Esel je tryb etc., nach dem Augsburger Drucke von
1566 herausgeg. von Tittmann (Deutsche D. des 16. Jahrhundert) stehen
p. 209 — 34 folgende Beispiele der überkommenen einfachen Consonanz
Kaufman, Edelman, Bettelman, Hantwerksman, kan, kan, sol, dol, wil,
sol, wil, wil, kan, wil, dol, wil (9 mal), kan, gaugelman, wil, sol, ein
262 O« BEHAGHEL
got (2 mal), wil, got. Doppelconsonanz: soll, will (3 mal), fall, überall,
bann (2 mal), will, soll, sinn. — Gusman v. Alfarche, durch Aegidium
Albertinum, München 1615, p. 1 — 52, 443 — 502 einfache Consonanz:
Edelman (4 mal), wil (3 mal), kan (2 mal), wil, gewan, entran, kan
(2 mal). Doppelconsonanz Schiflf, Spott, Statt (2 mal), Todtfall, Gott
:
(3 mal), Stall, Gott, voll und doli, anstatt, will, Sinn, voll und doli
(mehrmals), voll, Statt, Hauptstatt, Gott, Sinn. Moscherosch, Gesichte
Philanders von Sittewald, Ander Theil, Straßburg 1650, p. 1 — 45, ein-
will, toll und voll. Mann (2 mal), Gott (2 mal), Mann, Gott (3 mal).
Mann, Spott, Avill (3 mal), Gott, Spott^ Manu, will, Schritt, Gott, soll,
Gott (5 mal), soll^ will, Gott, Spott, soll, Gott, will, Gott, will (3 mal).
Eine andere Art von Loslösung aus dem ursprünglichen System
tritt ein, wenn Adjectiva zu Substantiven werden daher folgende Glei- ;
über die Behandlung des e nach Liquiden gelten. Die Frage kann
deshalb nur innerhalb einer zusammenhängenden Darstellung der nhd.
Grammatik gelöst werden.
Durch die Substantivierung von Participien ergaben sich die
Gleichungen Freund = freiend^ Heiland = heilend. Die Substantivierung
hat natürlich stattgefunden, als das deutsche Particip noch seine ur-
sprüngliche consonantische Flexion besaß. Später, offenbar unter Ein-
fluß des schon grundsprachlich vocalisch flectierenden Femininums, ging
das ganze Particip in die Analogie der -ja-Stämme über; die Substan-
tiva blieben aber davon unberührt, da ihr Zusammenhang mit dem
Particip nicht mehr empfunden wurde. Got. frijonds wurde nun laut-
gesetzlich zu friund'^ auch frijondi hätte wohl im Ahd. zu friundi
werden müssen; allein diese Form konnte sich nicht erhalten, denn
daneben bildete sich stets wieder vom Y erhum. frijon ein neues Particip
frijondi, unser nhd. freiend. Wenn Heiland das a der Endsilbe nicht
zu e schwächte , so hat hier die Heiligkeit des Wortes conservierend
gewirkt.
Durch Verwendung eines Wortes in adverbialem Ausdruck ent-
steht das Paar weg (apage) — Weg (via). Paul wird nächstens den
Satz begründen, daß das Nhd. nur diejenigen Vocale des Mhd. laut-
gesetzlich gedehnt hat, die in offener Silbe standen. Die ursprüngliche
Sachlage ist in den niederdeutschen Dialekten noch ziemlich rein er-
halten, wo Bäd^ Weg, Flug etc. gesprochen wird. Wenn nun das Ober-
deutsche durchaus nur Bad, Weg, Flug kennt, so ist das eine Übertra-
gung aus den obliquen Casus, wo die Stammsilbe keine geschlossene
war. Nachdem jedoch im Altdeutschen das Substantiv loeg mit der
Präposition in zusammengetreten und verschmolzen war zu emvec,
wurde der zweite Theil dieses Ausdrucks nicht mehr mit dem Sub-
stantiv in Verbindung gebracht, sondern offenbar als Adverb gefühlt^
wie die Umdeutung in himoeg beweist, das analog mit hinah, hinunter,
hinauf etc. Somit war auch keine Übertragung des langen Vocals
mehr, von Weges, Wege, Wegen ausgehend, möglich.
In den bis jetzt erwähnten Beispielen war die ausserhalb des
Systems stehende Form diejenige welche die normale lautgesetzliche
,
264 O. BEHAGHEL
der schwachen Verba; die Declination des Nomens: N. Acc. PI. der
masculinen und neutralen a-Stämme, der Singular derä- und än-Stämme,
der Nom. Sgl, der an-Stämme, soweit sie nicht das n auch in dem No-
minativ angenommen haben; die Declination des Adjectivs: Nom. Acc.
PL der starken Form, Nora, (und Acc.) Sgl. der schwachen Form,
endlich einige Adverbien, die vorhin genannt wurden. Auf verbalem
Gebiet kenne ich nur eine Ausnahme des Grundgesetzes die normalen ;
Imperative von schauen, trauen sind doch wohl schau und trau: schau,
trau, toem? sagt der Volksmund und Niemand wird seine Verwun-
_,
derung mit schaue, schaue, sondern mit schau, schau ausdrücken. Wir
haben es hier mit einem lautlichen Vorgang zu thun; entsprechend
werden frowe, ouice, schouwe zu Frau, Au., Schau. Mhd. homce Haue =
Aviderspricht nicht, denn Ha2ie kann Neubildung zu hauen sein nach
dem Vorbild von Binde — binden , Feile — feilen, Schneide — schnei-
den etc.; haue und die doch auch vorkommenden schaue, traue entstehen
durch Formübertragung. Beim Nomen ist im Allgemeinen der Abfall
des e nach Liquiden zu bemerken, Gramm. I, 696, der freilich durch
den Systemzwaug vielfach wieder ausgeglichen wird. Doppelte Mög-
lichkeit liegt vor im Dat. Sgl. der a-Stämme, wo das e bleiben, aber
auch fehlen kann. Das Fehlen ist entschieden heutzutage das Herr-
schende es erklärt sich durch Angleichung des Dativs an den Nomi-
;
halb des Flexionssystcms der ja-Stämme forderte die Analogie die Lenis
als Stammesauslaut. Diese bedurfte aber zu ihrer Aussprache eines
nachklingenden e, und so trifft die durch den einen Systemzwang
geforderte Form zusammen mit der lautgesetzlich noch bestehenden;
der zweite Systemzwang allein bleibt daher die schwächere Kraft.
Die Adverbien haben , soweit ein zugehöriges Adjectiv daneben
besteht, ihr schließendes e durchaus eingebüßt. Daß hier etwa der
Accusativ des Neutrums an die vStelle des Adverbs getreten wäre, wie
mannigfach im Romanischen (Diez II, p. 431), ist wenig wahrschein-'^,
wohl seltener gewesen. So begreifen wir, daß schließlich die Form vor
Vocalen die allgemeine wurde. Daß eine solche nur in den wenigen
Adverbien und nicht häufiger zur Geltung kam, erklärt sich ganz
einfach. Denn Vorgang war nur möglich, wo die Form vor
ein solcher
Consonanten nicht durch die Stellung in Pausa eine kräftige Stütze
erhielt, also nur bei Wörtern, die durchaus überwiegend im Innern
des Satzes standen. Nun stehen als, fast, um niemals in Pausa, bald,
kaum, sehr selten genug; Adverbien darum, herum richteten sich
die
nach der Präposition, wie dies bei damit etc. gegenüber mhd. dämite
der Fall ist. Man sollte erwarten, daß auch äne uns in verkürzter
Form vorläge; indessen ist hier die Stellung in Pausa nicht so selten,
da es ja auch adjectivische Verwendung findet und fand. Zur Stütze
meiner Erklärung verweise ich einmal auf Curtius' Deutung der grie-
chischen Adverbia auf -03? Stud. X, 205 ff. und auf Schuchardt, Rom.
III, 1 sowie auf L. Havet, Memoires de la societe de linguistique
fi". ,
III, p. 193, dann auf einige andere Fälle, die sich mir in ähnlicher
Weise, durch Verallgemeinerung einer speciellen Entwickelung, zu er-
ledigen scheinen. Unsern Adverbien ganz analog ist altfranz. or neben
ore, neufranz. or neben encore. Bekanntlich muß nach französischen
Lautgesetzen ein lateinisch auslautendes a zu e werden: so muß also
or die vor Vocalen entwickelte Form sein. Auch die franz. Präposi-
tion sur — aus süpra — wird nur auf diese Weise verständlich. Ferner
erklärt sich in, die kürzere Nebenform von inti, die im Tatian oft
ferner der Dat. Plur. des Artikels im As. them, während sonst die
Pluralendung des Dativs un ist.
Endlich scheint sich auf diese Weise die schwierige Frage zu lösen,
weshalb in er, {der)^ wir, ir das schließende s nicht, in Übereinstim-
*) In Tatian steht mehr als die Hälfte der Beispiele von in vor Dentalen
8, 10 in Santa. 87, 4 in quad. 112, 1 in ist. 131, 21 in diuual. 133, 3 in thiu. 134, 11
in manage. 141, 9 in thiede. 179, 2 in thu. 211, 2 in thes. 227, 1 in lazze.
268 O. BEHAGHEL
Erec 7703). Beweis die Substantiva auf -unge, -nisse, inne: Einigung,
Betrühniss, Königin; die Parti cipia Präsentis : iceinende — iceinend, sowie
einige Einzelfälle: Herzog, Nachbar, Schultheis, Steinmetz, Truchsess.
Hierher gehören wohl auch Beispiele wie Bauer, Geier, Mauer, Trauer,
indem die mhd. Formen durch Ausbildung einer Swarabhakti, die be-
sonders nach der Diphthongierung der Stammsilbe zur Geltung kommen
mußte, dreisilbig wurden.
Nun können wir zu unserm Herr und Spitz zurückkehren, nach-
dem wir die Gewißheit erhalten haben, daß sie nicht lautgesetzlich
aus Hej-re und Spitze entstanden sind. Es bleibt somit nur die Mög-
lichkeit, daß in Herr und Spitz ein Übertritt in die a-Classe vorliegt,
wie in Fink^ Graf, Herz, Lump, März, Narr, Reif, Schenk, Schmei-z,
Schreck, Stern, Streif, Thor, Tropf. Wie hat aber dieser Übertritt statt-
gefunden, da doch die Flexion der a-Stämme und der an-Stämme keine
Berührung bietet, und ausserdem der Übertritt zu den a-Stämmen
meist nur im Nominativ stattfand, während in den obliquen Casus die
schwache Flexion blieb? Nun, ein Vorbild dazu lag vor einmal in dem
Verhältniss des unflectierten und des schAvach flectierten Adjectivs,
besonders aber in den Substantiven, die aus lautgesetzlichen Gründen
ihr e des Nominativs eingebüßt habenalso die oben erwähnten Bauer,
:
das Pronomen für sich, ohne Substantiv stand. Die Einzelnheiten der
Entwickelung sind DW. II, 955 ff. ausführlich genug gezeichnet.
Eine Art von künstlicher Loslösung aus der organischen Ent-
wickelung findet dadurch statt, daß Appellativa zu Eigennamen werden.
Sie bewahren dann theils die ältere Lautgestalt, theils unterliegen sie
willkürlichen Veränderungen. Auf solche Weise entsteht nun ein ganzes
Herr von Doppelwörtern, bei denen natürlich von einem eigentlichen
Unterschiede der Bedeutung kaum die Rede sein kann : also Falke —
Falk, Götze — Götz, Kerl — Karl, Schmied — /Schmitt — Schmidt etc.*).
Aber auch ohne daß ein Wort in Folge verschiedener gramma-
tischer Verwendung theilweise seinem ursprünglichen System entrückt
wird, auch wenn es an seiner ursprünglichen Stelle im Sprachorganismus
verbleibt, kann durch Wirkung der Formübertragung eine Doppelung
entstehen. Und zwar auf zwiefache Weise: entweder wirken die ver-
schiedenen Formen eines und desselben Systems aufeinander ein, oder
die Formen eines Systems auf die Formen eines andern. Für den
ersten Fall stehen uns Belege aus der Nominalflexion zu Gebot; die
beiden Ausgangspunkte für die Zwillingswörter sind einerseits der
Nominativ, andererseits die obliquen Casus. Auch hier kann der Vor-
gang wieder ein doppelter sein; die Differenzierung ist entweder eine
unvollständige oder eine vollständige: unvollständig, wenn sich die
obliquen Formen einen neuen Nominativ schaffen , oder anders gesagt
den Nominativ nach ihrem Vorbild umgestalten und der alte Nominativ
in seiner lautgesetzlichen Form weiter existiert, ohne sich jedoch in
seinen obliquen Casus von denen des neuen Nominativs zu unterscheiden,
vollständig, wenn die obliquen Casus eine Analogiewirkung auf den
Nominativ ausüben und der alte Nominativ seinerseits sich neue oblique
Casus bildet, so daß also an der Stelle eines Paradigmas zwei voll-
ständige neue entstehen.
Beispiele unvollständiger Differenzierung sind Frayike — Franken
(Münze), Rappe — Rappen. V^on vollständiger Scheidung führe ich
zunächst Lump — Lumpen, Tropf — Tropfen an ;Lump und Tropf de-
clinieren wie die starken a-Stämme: „nur die Lumpe sind bescheiden",
„oh die armen Tröpfe".
Die Wörter, die im Adtsch. schwache MascuHna gewesen, haben
im Nhd. verschiedenes Schicksal gehabt. Ein großer Tlieil ist in die
Declination der Feminina übergetreten, ohne daß überall der Anlaß hierzu
deutlich zu erkennen ist. Theilweise wird das weibliche Geschlecht
auf niederdeutschen Einfluß zurückzuführen sein, so in Blume, Metze
(Trockenmaß), Niere, Schlange, Schnecke, Travhe*)-^ bei andern ist der
Umstand maßgebend gewesen, daß sie vorzugsweise im Plural vor-
kommen, und es wurde der Artikel die des Plural auch in ^den Sin-
gular übertragen das gilt wohl von Imme, Made, Scholle, Wade, Wange
:
;
cf. Binse y Locke, Schläfe, Thräne, Tücke, Zähre aus dem Plural von
der hins, loc, slaf trän, tue, zäher**).
Die zweite und häufigste Gestaltungsweise ist die, daß der No-
minativ den obliquen Casus gleich gemacht wird und das Nomen männ-
lich bleibt; drittens endlich verbleibt das Substantiv seinem ursprüng-
lichen Geschlecht, und Übertragung des n in den No-
es findet keine
minativ statt. Den beiden letzten Entwickelungsformen gehören die
vier vorhin verzeichneten Doppelwörter an. Weshalb kommt aber nun
der einen Bedeutung der echte Nominativ, der andern der neugebildete
zu? Um diese Frage zu beantworten, überblicken wir die Beispiele für
beide Classen. Ich verzeichne einerseits : Backen, Balken, Ballen,, Bogen,
Braten, Brunnen,Daumen, Fladen, Flecken, Garten, Gebrechen, Graben,
Haufen, Hausen, Kasten, Klumpen, Kloben, Knochen, Knollen, Knoten,
Koben, Kolben, Kragen, Rachen, Rasen, Rechen, Reigen, Rocken, Roggen,
Samen, Schatten, Schinken, Schlitten, Schnupfest, Socken, Sporn, Stecken^
Stollen, Streifen, Striemen, Zapfen, Zinken', andererseits: Afjfe, Ahne,
Bote, Buhle, Bürge, Drache, Erbe, Falke, Ferge, Gatte, Genosse, Hase^
Jude, Kämpe, Knabe, Knappe, Laffe, Laie, Löwe, Ochse, Pfaffe, Pathe, Rabe,
Rappe, Recke, Riese, Scherge, Schurke, Zeuge. Dazu kommen noch die
früher verzeichneten, die das e verloren haben. Man sieht, diejenigen
Substantiva, bei denen das Paradigma der obliquen Casus auch für den
Nominativ maßgebend gewesen , sind durchaus Bezeichnungen von
dingt, der Artikel im Masc. und Fem. gleich war, wie auch Jänicke in seinem
daß
Programm, Über die niederdentschen Elemente in unserer Schriftsprache p. 32, ver-
muthet. Es stimmt dazu, daß auf französischem Gebiet besonders solche Wörter dem
Geschlechtswechsel unterworfen waren, die vocalisch anlauteten, so daß auch hier der
Artikel in beiden Geschlechtern keinen Unterschied zeigte, cf. Delius in seiner Re-
cension der Diez'schen Grammatik, Jahrb. f. rom. u. engl. Lit. Bd. 9. p. 94.
Der Pfälzer bildet aus dem Plural die Fisch (pisces) einen Singular der
**)
Fusch, nach dem Muster von der Busch —
die Bisch, der Fuchs die Fichs etc. —
Auf der gleichen Bildungsweise beruht es, wenn Grimm eishausen Simpl. (ed. Tittm.)
I, p. 9 von seiner Meuder spricht: „also heißen die Mütter im Spessert und am
Vogelsberg*.
DIE NEUHOCHDEUTSCHEN ZWILLINGSWÖRTER, 271
272 ^- «EHAGIIEL
einer der Belege in ziemlich hohe Zeit hinauf. Es ist bekannt, daß
der Nominativ Sgl. der ä-Stämme im Westgermanischen nach den
Lautgesetzen nicht auf a ausgehen kann fj. Schmidt Kuhn Zeit-
schrift XIX, 283) und daß, wenn hier doch ein auslautendes a er-
scheint dieses durch Übertragung entstanden
, entweder aus dem ,
Bemerkung (Haupt Zeitschrift XIII, 577) überflüssig: „nur muß es (lint) als zweiter
Theil von Eigennamen im Casus rectus nothwendi^ adjectivische Form annehmen,
die in den fränkischen Namen auf lindis noch besonders deutlich ist".
; : ; ; ;; ; ; ; ; ;
wie ein oder zwei Casus das Muster abgeben können, nach dem sich
ein ganzes Paradigma gestaltet" [Zimmer a ä-Suffix p. 219]): —
an. dögg f. Thau = ags. deav m., ahd. tou m.
an. rönd f. Rand = ags., ahd. rand m.
an. rein f. der Rain = ags., mhd. rein m.;
got. sküra f., an. skür f. = as., ags., ahd. skür m. (mhd. noch
einzeln schüre f.)
so läßt es sich doch mit Sicherheit aus dem Romanischen: it. falta
prov. fauda afr. fände erschließen;
ahd. fuoga = mhd. vuoc m.
ahd. kera = ahd. ker m.;
ahd. ruohha = ahd. ruoch m.
ags. sceav f., = ahd. scou
ahd. scouwa m,
ahd. snohka = ahd. suoch m.
ahd. toufa = ahd. touf m.
ahd. twäla =
mhd. twäl m. (das letztere fast nur im adverbialen
Ausdruck: sunder twäl, sunder twäles).
*) Bei dögg, rönd, strönd könnte übrigens auch das Masc, das Ursprüngliche
sein, Gramm. HI, 550.
**) So behält also Osthoff mit seiner Ansicht Paul und Braune Beitr. III, p. 9
cf. Nibel. (ed. B.) 932, 3 daz er die verte erkenne der tiere durch den tan.
Über Thüre — Thoi- vergleiche Sievers Beitr. V, 111, Anm.
:
fahl —falb ohne Weiteres klar: fahl —fahles etc. ist das Nominativpara-
digma, wie mhd. mel, melioes zu nhd. Mehl —
Mehls wird ; falb hat sein
b ausden alten obliquen Casus empfangen. Ein vollständiges Analogon
zu fahl —
falb haben wir in dem Verhältniss von nhdtsch. gelb zu
oberdeutsch gehl — gehler.
Nicht ganz so einfach liegt die Sache hex jach — jäh, Jak geht
auf mhd. gäch zurück, das tiberwiegend adverbial gebraucht wird ; ein
Adverbium gähe existiert nicht. Wie kommt es aber, daß gerade hier
ein Adverbium fehlt? Ist dieses adverbiale gach vielleicht der Rest
eines älteren Zustandes, wie ähnlich tcis, halp, tical in adverbialen
Ausdrücken? Und wie erklärt sich das ziemlich häufige Nebeneinander-
bestehen von scheinbarem a- und ^a-Staram ? Die Antwort auf diese
Fragen ergibt sich aus einer Betrachtung des Schicksals, das die go-
tischen u- und i-Stämme im Germanischen gehabt haben
g. aggvus (an. öngr) =
(ags. ange, onge) ags. onge, —
ahd. angi;
g. hardus (an. hardr) = ags. heard — ahd. harti:
ahd. hart
g. hnasqus = ags. hnäsc — ags. hnesce;
g. qairrus (an. cyrr = kvirr) = md. kurre;
g. Jsaursus (an. ]Durr) = ags. \)Jy
— ahd. dürre.
Es sind lauter langsilbige Stämme, mit denen wir es hier zu
thun haben. Nach Sievers' Gesetz muß also im Nom. Sgl. im West-
germanischen das u abfallen, und für einen Umlaut ist keine Stätte. Dem
entsprechen hnäsc und hart] thyr stimmt im Auslaut, hat aber aus den
obliquen Casus den Umlaut erhalten. In den obliquen Casus ist die
u-Declination wohl überall in die Flexion der ja-Stämme übergetreten
(für das An. freilich fehlen sichere Anzeichen dafür); die Formen fielen
also — ausgenommen den Nominativ — durchaus mit der Flexion von
der von hirti zusammen; daher ist es sehr natür-
wildi, theilweise mit
lich,daß die obliquen Casus sich einen neuen Nominativ nach Analogie
der ja-Stämme bildeten, also angi, herte, hnesce, kurre, dürre. Ags.
ange ist Contamination aus der lautgesetzlichen Form ang und der
Neubildung enge,
I-Stämme, deren Nom. Sgl. im Gotischen belegt ist:
g. bleijjs = ags. blid (Gr. I, 120) — ags. bltde,
ahd. blidi;
g. brüks = ags. bryce,
ahd. brühhi;
18*
276 O. BEHAGHEL
g-
;
ahd. liht.
*) Leihtis muß nicht Genetiv eines a- Stammes sein; auch der Genetiv der
a-Themata lautet ganz correct so, cf. skeiris Sk. 45. Sievers in seinen Paradigmen
vermuthet irriger Weise den Genetiv hraineis.
278 O. BEHAGHEL
ist hlind. Es steht also nicht nur im attributiven Verhältniss die fle-
xionslose Form viel öfter; sondern vor allem erscheint in der prädi-
cativen Stellung bei singularem Subject die flexionslose Form*): das
genügt wohl, um die bezeichnete Verschiedenheit von Oberdeutsch
und Niederdeutsch zu erklären.
Vielleicht läßt sich nun auch auf eine andere Frage eine Ant-
wort finden. Den gotischen Adverbien wie alakjo, andaugjo, arvjo etc.
sinnlicher Bedeutungen umfaßt. Das begreift sich leicht aus der Ent-
stehungsweise der beiden Formen. Ich habe vorhin darauf hingewiesen
(p. 271), daß der Subjectscasus mehr die Domaine lebender, speciell
persönlicher Wesen ist, die obliquen Casus mehr das Gebiet der Sachen.
Daher mußte j'acÄ, die Nominativform, häufiger mit persönlichen Wesen
verbunden werden, als die Formen der obliquen Casus, und somit
sich eher als diese zu rein psychischer Bedeutung entwickeln.
In den bisher besprochenen Beispielen war das ganze Paradigma
oder wenigstens der Nominativ Sgl. verschieden. Weniger weit geht
die Differenzierung in Fällen^ wo zu einem und demselben Singular
verschiedene Pluralbildungen bestehen.
So zunächst Buch — Bücher, Loth — Lothe, Masz — Masze, Pfund
— Pfunde, Stück — Stücke, wo stets die erste Form in Maßbestimmungen
*) In Bezug auf den Nom. Sgl. des starken Feminins stehen sich Niederdeutsch
und Oberdeufsch principiell gleich: nach langsilbigen Stämmen muß der auslautende
Vocal abfallen. In der Praxis aber hat das Oberdeutsche diese lautgesetzliche Form
ganz aufgegeben; ebenso ist im Friesischen untergegangen.
sie
''*) Schwierigkeiten macht das Verhältniss von westgerm. swar —
sioari, wis —
wisi zu g. svera und -veis, welche a-Stämme sind. Darf man schon im Got. Übertritt
aus der u- oder i-Flexion in die a Flexion annehmen? Ferner wie verhält sich mhd.
lenge zu g. laggs, das a-Stamm ist? Mhd. sur zu sure mit fehlendem Umlaut?
:
gebraucht ist. Die neutralen Plurale des Nhd. erklären sich bekanntlich
durch den Übertritt in die Flexion des Masculins^, mit dem das Neutrum
in den übrigen Formen ja zusammentraf. Wenn nun in Zahl- und Maßan-
gaben der alte Plural erhalten worden, so liegt das einmal an der großen
Häufigkeit solcher Angaben; es mußte sich dadurch die Form dem Ge-
dächtniss besonders fest einprägen. Dazu kommt, daß bei Zahlenangaben
der Singular natürlich im Verhältniss sehr selten ist; ebenso findet der
Gen. PI. kaum Anwendung es ist also der Dativ PI. die einzige Form,
;
Plurale wie Bande, Dinge, Lande wendet das Volk nicht an, eben weil
sie abnorme Flexion haben. Daraus erklärt sich schon, weshalb ihnen
280 O. BEHAGHEL
ahd. aran m. zu g. asan f., as. hem st. m. und n. zu g. haims f., ahd.
wan m, zu g. vens f, (ags. ven f.), und diese entstanden wohl in ähn-
Weise wie die
licher p. 273 besprochenen Masculina. Daß auch dio-
nost seine ursprüngliche Position aus formalen Gründen verloren habe,
wird dadurch wahrscheinlich, daß die zwei mit demselben Suffix ge-
bildeten angust und ernust ebenfalls Schwanken zeigen: angust ist Masc.
und Ftmin., ernust ist im Ahd. M., F., N., im Ags. F.; An. entspricht
wohl das schwache Feminin orrosta, wie dem ahd. dionost, an. thio-
nusta sw. f. Wir dürfen darnach auf ein Femininum als Ausgangspunkt
schließen, und zwar eines, das nicht a-Stamm war sonst hätte sich —
kein u im Suffix erhalten — das auch nicht der i-Flexion angehörte,
denn wir finden nirgends einen Umlaut im Suffix; auch hätte das An,
einen weiblichen i-Stamm kaum aufgegeben. Das gleiche gilt von einem
consonantischen Stamm, denn die consonantische Flexion ist im An.
noch in vollem Flor und hat theilweise sogar vocalische Stämme in
ihre Analogie hereingezogen (cf, merkr, spengr, stengr, tengr Wim-
DIE NEUHOCHDEUTSCHEN ZWILLINGSWÖRTER. 281
mer §. 57, Anm. 1). Es bleibt somit nur noch der weibliche u-Stamm
als Ausgangspunkt für die verschiedenartigen Entwickelungen.
Für den Übergang von ort ins Neutrum könnte ende maßgebend
gewesen sein, wenn nur nicht dieses selbst ursprünglich männlich
wäre. Bei Schild ist das Neutrum wohl unter dem Einfluß von Bild
entstanden, dem das Neutrum ja auch in der Bedeutung nahe steht:
scutum ist nur der Schild] affiche und überhaupt, was mit Zeichen oder
Malerei versehen, ist das Schild, soweit nicht auch hier das Masculin
angewendet wird. Denn von einer vollständigen Differenzierung der
Geschlechter nach den verschiedenen Bedeutungen ist bei keiner
unserer Gleichungen die Rede. Das Neutrum Zeug dankt wohl dem
Einfluß von Gezeug sein Dasein; dieses selbst, ursprünglich auch mas-
culin, wurde neutral unter dem Einfluß von geziuge, überhaupt der zahl-
*) Aus bestallt wird neugebildet das Verbum bestallen, zu dem bestallt dann als
Particip erscheint.
282 ^ BEHAGHEL
die eine ist ausserhalb des Systems gesetzt worden und gilt nur noch
als Adjectiv; erhoben ist gebildet nach gewoben, geioogen.
Bei toard —
wurde ist eine wirkliche Scheidung der Bedeutung
nicht eingetreten; nur das läßt sich wohl behaupten, daß die neuge-
bildete, somit gewöhnlichere Form xourde in poetischer Rede nicht zur
Anwendung kommt.
Ganz anderer Art, als die bisher besprochenen Doppelwörter,
die durch mannigfache Ausgleichung im Gebiete der Flexion ent-
standen, sind diejenigen Fälle, die dem Gebiet der Wortbildung an-
gehören, bei denen die Doppelung auf dem Verhältniss der Ableitung
zu dem Wort, von dem abgeleitet wird, der Zusammensetzung zu dem
Simplex beruht. Von Ableitungen gehören hierher /osf
— schön
/est (Ad v.); —
schon (Adv.); Gulden — golden; hübsch — höfisch, an Zusam-
mensetzungen Ammann — Amtmann'^ als — <xZso; Drittel — Drittheil'
jetzt — jetzo; Jungfer — Jungfrau \ Urtel — Urtheil. Jeweils die erste Form
zeigt uns die alten Wortgebilde in der Gestalt, welche sie unter dem Ein-
fluß der Lautgesetze annahmen; in der zweiten Reihe erscheinen die
gleichen Wörter, aus denselben Elementen bestehend, nach den näm-
lichen Principien den dunklen Punkt betreffs
gebildet (ich lasse hier
des Rückumlauts in den Adverbien ausser Acht), aber von ursprüng-
licherem Aussehen. In der That jedoch enthält die zweite Reihe die
jüngeren Formen, beruhend auf beständiger Neuerzeugung, auf unab-
lässiger Wiederanlehnung an die ursprünglichen Elemente. Aus diesem
formalen Verhältniss ergibt sich mit Nothwendigkeit die Thatsache,
daß, soweit überhaupt Differenzierung der Bedeutungen vorliegt, die
Neubildungen, die fortwährend mit ihren Bestandtheilen Fühlung be-
halten, auch die ursprünglichere, dem Simplex näherstehende Be-
deutung haben; daß dem in unseren Beispielen wirklich so ist, brauche
ich im Einzelnen kaum nachzuweisen.
Noch im 16. Jahrhundert finden sich fast und schon als die or-
ganischen Adverbien zu fest und schoen obwohl daneben schon fest ,
und ieze — tez; also und jetzo stammen aus späterer Zeit, wo der Ac-
cent nicht mehr den gleichen Einfluß auf die Umgestaltung der weniger
betonten Silben hatte wie früher.
Das DW. sieht in der Form Jungfer gegenüber Jungfrau eine
Verkürzung der Sprache des gemeinen Lebens (IV, 2, 2381); das ist
Urtheil. Daraus nun ergibt sich der Unterschied in der Gestalt der
Praefixe, denn in der Nominalcomposition haben die Partikeln, in der
Verbalcomposition das Verbum den Ton, so lautet ein Grundgesetz der
deutschen Betonung. Aber dieses gilt nicht ausnahmslos denn wir ,
haben noch eine weitere Gruppe von Doppelwörtern, als deren Ver-
treter dienen mögen : bestehen = beistehen ; durchlesen = durchlesen ;
übertragung bietet sich kein Anhalt. Das DW. (s. v.) erklärt Beet für
eine Erfindung des 16. und 17. Jahrhunderts, also für ein Product
grammatischer Willkür, und es mag mit dieser Deutung Recht haben,
da Beet im Dialekte kaum gebraucht werden dürfte.
Knabe —
Knappe und Rabe —
Rappe: die Entstehung des dop-
pelten pp ist mir gänzlich dunkel. Wenn Weinhold Mhd. Gr. §. 152
sagt: „doppeltes p ist in einzelnen Fällen Verhärtung von b, so in knappe
rappe zur Differenzierung der Bedeutung", so ist das unrichtig, denn
ursprünglich läßt sich auch nicht der geringste Unterschied in der
Bedeutung der beiden Formen nachweisen, die formale Unterscheidung
2g6 o. behaghel
*) Aus diesem Widerstreit deutscher und fremder Weise gehen auch die
Schwankungen der Betonung bei den Fremdwörtern im Mhd. hervor.
DTE NEUHOCHDEUTSCHEN ZWILLTNGSWÖRTER. 289
290 O. BEHAGHEL
Paihe ; Pathe aus pater erklärt sich in seiner Lautgestaltung durch den
Einfluß des gleichbedeutenden deutschen tote.
wohl der Schluß gezogen werden, daß ahd. rauba bestanden hat, aus
dem sich dann roid) in der p. 273 besprochenen Weise entwickelte. —
Ring — Rang. — Rock — Frack. — Wagen — Waggon : das zweite Wort
ist zwar englisch, aber uns durch das Franz. übermittelt. — Warnen
— Garnieren. — Warte — Garde. — Wette — Gage.
Aus dem Italienischen: frisch — fresco.
Aus dem Französischen und Italienischen: Schmelz — Email —
Schmälte (it. smalto).
In den bisherigen Beispielen gehörte immer wenigstens ein Glied
der Gleichung dem Deutschen an; es können aber auch beide Formen
entlehnt sein.
Dem Lateinischen und Französischen entstammen : Compost —
Compot. — — legal — Parabel — Parole. — Pfalz — Palast.
loyal. —
proben — prüfen. — Pulver — Puder. — Quadrat — Carre. — real —
reell. — Spital — Hotel.
Aus dem Lateinischen und Italienischen: Speise — Spese.
Aus dem Französischen und Italienischen: Juppe — Schaube. —
Schaffot — Katafalk.
Aus dem Lateinischen allein das schon dort bestehende Doppel-
wort cupa — cuppa
Kufe Kuppe.
: —
Aus dem Französischen allein die französische Dublette : Möbel
— mobil.
Aus dem Lateinischen, Griechischen und Französischen: das
Drillingswort Pfaffe — Pabst — Papa: die Ableitung von Pabst aus
mittelgr. nccTCTtag ist der aus afr. pape mit Nominativ-s (Wackernagel iu
seiner Umdeutschung) entschieden vorzuziehen.
Dem Griechischen unter Einfluß des Französischen verdanken
wir: der Chat das Chor: das Neutrum tritt im 18. Jahrhundert auf,
:
wohl unter dem Einfluß von fr. corps; im modernen Deutsch wird
nämlich das französische le durchaus als neutral aufgefaßt Banket, :
I. Überschrift: Hie get au die rede von der kuwe. 7. 8 mue : kue.