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Psychoanalytische Entwickl ungspsychologie

A. Hamburger
Psychoanalytische Entwicklungspsychologie
Herausgègeben von
W. Merte.liS und Chr. Rohde-Dachser
··..

Die Kenntnis der psychoanalytischen Entwicklungspsychologie gehort


zu den wichtigsten Grundlagen der modemen Psychotherapie und
Psychoanalyse. Auch Therapeuten anderer psychologischer Richtungen
greifen mehr und mehr auf entwicklungspsychologisches Wissen
zuriick, das ihnen in ihren eigenen Theorieansarzen fehlt.
Deshalb orientiert sich diese neue, in sich geschlossene Reihe konse-
quent an den Erfordemissen der Praxis.
Übersichtlich und mit vielen anschaulichen Fallbeispielen versehen,
priisentiert jeder neue Band in verstandlicher Form das vor allem fur
praktizierende Psychotherapeuten wesentliche Grundwissen aus den
verschiedensten Bereichen der psychoanalytisch orientierten
Entwicklungspsychologie.

Prof. Dr. Wolfgang Mertens lehrt Klinische Psychologie mit Schwer-


punkt Psychoanalyse an der Ludwig-Maximilians-Universitat München.
Prof. Dr. Christa Rhode-Dachser ist Lehrstuhlinhaberin fur Psycho-
analyse an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universitat Frankfurt.

W. Mertens, Entwicklung der Psychosexualitat und Geschlechtsidentitat,


Band 1: Geburt bis 4. I.ebensjahr, 2. Auflage
W. Mertens, Entwicklung der Psychosexualitat und Geschlechtsidentitat,
Band 2: Kindheit und Adoleszenz
H.-P. Kapfhammer, Entwicklung der Emotionalitat
L. Schon, Entwicklung des Beziehungsdreiecks Vater-Mutter-Kind
Andreas Hamburger

Entwicklung der
Sprache

Verlag W. Kohlhammer
Stuttgart Berlin Koln
Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme

Hamburger, Andreas:
Entwicklung der Sprache 1 Andreas Hamburger. - Stuttgart ;
Berlin ; Këln : Kohlhammer, 1995
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Alle Rechte vorbehalten


© 1995 W. Kohlhammer GmbH
Stuttgart Berlin Koln
Verlagsort: Stuttgart
Gesamtherstellung:
W. Kohlhammer Druckerei GmbH + Co. Stuttgart
Printed in Germany
Inhalt

Vorwort 1 . . . . . . . . . . . . . . 1 • 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 . . . . . . . .
9

Teil 1: Psychoanalyse und Sprache

1 Sprache, Unbewufites und Gesellschaft . . . . . . . . 11

1.1 Sprache als Argument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16


1.2 Die talking cure: Sprechen in der
Psychoanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
1.3 Sprache ais Bestandteil des psychischen
Apparats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32

Tell II: Theoretische Standortbestimmung einer


Psychoanalyse der Sprachentwick.lung

2 Historischer Überblick über die


psychoanalytischen Theorien des
Sprachvennôgens........................ 34

2.1 Freuds Sprachtheor1en 1m Wande1 . . . . . . . . . . . . . 34


2.1.1 Neurophysiologie des Sprachzeichens:
»Zur Auffassung der Aphasien« . . . . . . . . . . . . . . . . 36
2.1.2 »Entwurf einer Psychologie« . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
2.1.3 Anfânge der dynamischen Theoriebildung . . . . . . . . 44
2.1.4 NarziBmus und Wiederho1ungszwang. . . . . . . . . . . 46
2.1.5 Strukturmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48
2.1.6 Freuds Wendung zur Ich-Psychologte. . . . . . . . . . . 54
2.2 Ich-Psychologie nach Freud . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
2.2.1 Denken............. . . . . . . . . . . . .. . . .... 57
2.2.2 Klinische Theortebildung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62
2.2.3 Übergang zu einer Interaktionstheorie. . . . . . . . . . 64
2.3 Objektbez1ehungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
2.3.1 . Winnicott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70
2.3.2 Wilfred Bion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
2.4 Symboltheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77

5
3 Psychoanalyse und Sprachwissenschaft
oder: Ist die psychoanalytische Sprachtheorie
veraltet? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91

3. 1 Auch die Psychoanalyse soli die Sprache als


funktionelles System betrachten . . . . . . . . . . . . . . 96
3.2 Ein:flu13perioden der Linguistik auf die
Psychoanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
3.3 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..... . 102

4 Psychoanalyse der Sprachentwicklung und


akademische Sprachentwicklungsforschung -
Themen und Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103

40 1 Der aktive Saugling . . . . . 0 . . . . . . . . 0 . 0 0 0 . 0 . . 0 104


4.2 Vorsprachliche Strukturen .. 0 .. 0 0 0 0 .. 0 .. 0 . . . 105
4.3 Psychoanalyse der Sprachentwicklung als
Kognitionspsychologïe? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108
4.4 Forschungsmethoden der Psychoanalyse. . . . . . . . 114

Teil III: Einzelthemen der Sprachentwicklung

5 Auf welchen vorsprachlichen Strukturen


basiert der Spracherwerb? . . 0 • • • • • • • • • • • • • • • 125

5.1 Attachment- und Bonding-Konzept ...... 0 • • • • • • 130


5.2 Angeborene Phantasien- eine kognitive
Matrix des Spracherwerbs? . . . . . . . . . . . 0 • • 0 • • 0 131
5.3 Aktive lch-Entwicklung und die Rolle der
Sprache .. 0 0 .... 0 0 .... 0 . . . . . . . 0 . 0 0 0 .. 0 0 0 134
504 Praverbale Interaktion ... 0 0 ... 0 0 0 . 0 .. 0 . 0 . 0 0 0 141
505 Übergang zur verbalen Interaktion . . . . . . . . . . . 0 . 154
506 »Schreien hilft ihm wirklich sehr«. . . . . . . . . . . . . . 164
5. 7 Artikulation .... ~ . . . . . . . . . 0 . 0 ... 0 .. 0 . . . . . 165

6 Zur Entwicklung der Semantik . . . . . . . . . . . . . . 170

6.1 Ein psychoanalytisches Referenzmodell . . 0 •• 0 • • • 170


6.2 Entwicklung der Àu13erungssemantik .. 0 ••••• 0 • • 173
6.3 Früheste Bedeutungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 0 17 4
6.4 Deixis . . . . . . . . 0 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176
605 Wortspiele .. 0 . . . . . . . . . . . . . . . . . 0 0 . . . . . . . . 180

6
6.6 Euphemismus, Benennungsscham und
geschlechtsspezifische Sozialisation . . . . . . . . . . . . 182
6. 7 Semantikstorungen .. . . . . . . . . ... .. . . . . . . . . . 186
6. 7. 1 Sprachetgentünilichkeiten bei Frühstôrungen . . . . . 186
6.7.2 Autismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188

7 Sprechen im Handlungsbezug: Pragmatik . . . . . . 190

7.1 Nein und Ja. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197


7.2 Wahrheit und Lüge . . . . . . . . . . . . . . . . . ... .... 201

8 Wortsemantik . ... . . .. ..... ..... ......... 205

8.1 Von der Intention zum Wort . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205


8.2 Was ist ein Wort? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205
8 .3 Ein Wort ist eine nach Ma.Bgabe alltagspraktischer
Verbindlichkeit interpretierte Intention . . . . . . . . . . 207
8.4 Vom Anzeichen zmn Symbo1: Anale Modalitat und
Entwicklung der Fahigkeit zur Reprâsentation . . . . 208
8.5 Bemerkungen zur 1exikalischen Entwicklung. . . . . 211

9 Syntax . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213

9.1 Der Übergang von Einwortaufierungen zu


Sâtzen - ein ReifungsprozeB? . . . . . . . . . . . . . . . . . 214
9.2 Sensomotorik, Objektbegriff und die
Entwicklung der Zweiwortsâtze ... . .... . ..... . 215
9.3 Affekt und Objekt. Zur Psychoanalyse
der Syntax . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219
9.4 Prâdikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. ..... . .. 223
9.5 lch sterbe, werm ich heirate: Tempi und
Modi 1m Horizont der Neurose . . . . . . . . . . . . . . . . 226
9.6 Grammatik des UnbewuBten. . . . . . . . . . . . . . . . . 228

10 Sprachentwicklung im Kontext anderer


Entwicklungslinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230

7
Nachwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233

Schreibweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250
Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251

8
Vorwort

Die Verbindung von Psychoanalyse mit Psycholinguistik ist ein


naheliegendes und interessantes Unternelunen. Das wird jeder be-
statigen konnen, der eine Witterung beider Gebiete aufgenommen
hat. Dennoch wird diese Verbindung erstaurùich selten hergestellt.
Was teh auf den folgenden Seiten, oft tastend, beginne, ist ein
Brückenbau zwischen zwei ursprünglich wohl etnmal verbun-
denen, inzwischen aber weit auseinandergedrifteten Kontinenten,
die sich zudem noch in heftiger innerer Bewegung befinden und
entsprechende tektonische Spannungen au:fweisen. Der Brücken-
bau 1m engeren Wortsinn scheidet daher aus; ich würde es eher
eine Luftbrücke nennen, einen Ozean-Pendelflug, von einer Haupt-
stadt zur anderen, aber auch in weniger besiedelte Landstriche,
mit Zwischeruandungen auf Interims-Rollfeldem. Ich bitte daher
um Nachsicht dafür, da.B ich viele wohlausgearbeitete Wis-
sensgebiete auf beiden Seiten oft nur gestreift habe. Das gilt, was
das enge Thema der Sprachentwicklung betrifft, vor allem für die
Linguistik. Eine Fülle von Theorien und Einzelbefunden ware hier
dem interessierten Psychoanalytiker vorzuführen; ich habe mich
auf diejenigen beschrfulkt, die mir in Bezug auf psychoanalytische
Fragestellungen besonders wichtig erschienen. Aber es wird auch
manche Frage, die ein Linguist an die Psychoanalyse haben mag,
unbeantwortet bleiben. Obwohl die Psychoanalyse - wie ich darle-
gen werde- mit Sprache und Sprachentwicklung zentral befaBt ist,
gibt es doch kaum eine systematische Forschungstradition dazu.
Ich muBte daher Einzelergebnisse zusammentragen und kommen-
tieren.
Die vorliegende Arbeit, deren erste Entwü!,fe mich seit etwa
einem Jahrzehnt begleiten, war zunachst als Uberblick über die
psychoanalytischen Forschungen zur Ich-Entwicklung gedacht. Sie
sollte Teil eines gemeinsam mit Wolfgang Mertens und Hans-Peter
Kapfhammer geplanten Lehrbuches der psychoanalytischen Ent-
wicklungspsychologie sein. Schon bald allerdings erkannten wir
den Umfang unseres Unternelunens, erweiterten hier, kürzten da,
bis Wolfgang Mertens und der Verlag mit kühnem Schwung aus
dem Buch eine Reihe machten. lnzwischen waren auch meine
umfangretchen Plane (deren anderen Teil, nâmlich die Ent-
wicklungspsychoanalyse des Traums, teh mittlerweile als Disserta-
tion vorgelegt hatte) soweit gesundgeschrumpft, daB nun eine Pu-
blikation moglich schien. Sie sollte ursprünglich unter dem Tite!
Psychoanalyse der sprachllchen Sozialisation erscheinen; den ein-
facheren Titel habe ich aus Gründen der Angleichung an die übri-
gen Titel der Reihe sowie aus inhaltlichen Uberlegungen gewâhlt
(vgl. Seite 103).

9
Der Plan hat sich in dieser Zeit aber nicht nur tm Umfang
sehr verandert: unter der Hand ist, wie Sie auf den folge~den Sei-
ten oft werden feststellen konnen, aus der irûormativen Ubersicht
ein Pladoyer für die Sprache geworden. Als teh das bemerkte,
wurde mir klar, daB ich eigentlich schon viel langer als ein J ahr-
zehnt mit dem Thema beschaftigt bin: die Arbeit an der Psy-
choanalyse der Sprachentwicklung hat mich wieder spüren lassen,
mit welcher Lust -und manchmal Leidenschaft - ich spreche, seit
ich es begonnen habe. Sicher ist mir auch viel über die Grenzen
der Sprache klargeworden, die Grenze zum Ungesagten und viel-
leicht Unsagbaren, an der gerade die Psychoanalyse so oft operiert.
Und doch fühle ich mich jetzt - und oft auch in der psychoana-
lytischen Situation, wenn ich miterlebe, wie meine Patientinnen
und Patienten nach threr Sprache suchen - an jenen unerin-
nerbaren Zustand erinnert: damais, als teh sprechen lernte. Mit
dem unumstô1311chen Optimismus, mit der unbeirrbaren Ge-
schwâtzigkeit des einjâhrigen Kindes wuJ3te ich: teh werde es sagen
konnen. Wo Es war, so wendet Freud diesen Zusammenhang, soli
Ich werden. Welch ein Vergnügen!

Murnau, im Oktober 1994 Andreas Hamburger

10
Teil 1: Psychoanalyse und Sprache

1. Sprache, Unbewu6tes und Gesellschaft

Sprache ist eine zentrale Kategorie der Psychoanalyse. Warum? Es


gibt viele Gründe dafür. Sie reichen in sprachphilosophische Posi-
tionen zurück, die in die Theorie der Psychoanalyse eingegangen
sind. So konnte man zum Beispiel sagen, Sprache unterscheidet
den Menschen vom Tier und mu13 schon deshalb für jede Psycholo-
gie grundlegend sein, die sich mit den spezifischen Vorgangen der
menschlichen Seele befa13t. Das allein freilich tst noch nicht der
Grund, warum die Psychoanalyse sich so eingehend auf Sprache
bezieht. In einer illteren Tradition ist Sprache auch etwas Magi-
sches, eine Zauberformel, die aus dem Nichts etwas scha:fft: »lm
Anfang war das Wort«. Die Macht des Benennens spielt sicher eine
groBe Rolle, nicht nur in der Psychotherapie. lndem Gott dem aus
Lehm gefonnten Adam die Gabe des Sprechens einhauchte, schuf
er den Menschen. Das Schibboleth, ein Papier mit Schriftzeichen,
erweckt den Golem zum Leben. War es das, was Freud bewog, in
einer frühen Schrift ( 1890a: 286) von der »Zauberkraft der Wërter«
zu sprechen? Mag sein; aber es klart noch nicht, warum die Psy-
choanalyse die Sprache soin den Mittelpunkt stellt. Ich muB wei-
ter ausgreifen. Sprache ist ja nicht nur eine Eigenschaft des ein-
zelnen Menschen, sondern vor allem etwas, das Menschen nur in
Gesellschajt gebrauchen und erlernen. Die Psychoanalyse hat sich
von Anfang an mit diesem Gesellschaftsbezug des Psychischen be-
schaftigt: Begriffe wie Zensur und Verdrangung, die den Anfang th-
rer Theoriebildung bezeichnen, sind 1m Hinblick auf gesell-
schaftliche UnbewuBtheit konzipiert (vgl. auch Reimann 1991 ).

Zensur

Ganz anschaulich wird das am Begriff der Zensur. Dieser Begriff


1st wahrscheinlich eine der berühmtesten Vokabeln aus dem
Wôrterbuch der Psychoanalyse, er ist beinahe so verbreitet wie
»verdrangen« oder »Komplex«. Und er ist gleichzeitig eine der frühe-
sten psychologischen Wortschëpfungen Freuds. Werm Freud von
Zensur spricht, meint er ganz wortlich die von einem Machthaber
erzwungene Auslassung von anstëBigen Textstellen. Sc hon 1m J ahr
1887, lange vor der Verôffentlichung seiner ersten psychoanaly-
tischen Schriften, schrieb Freud an seinen Freund Wilhelm FlieB in
Berlin: »Hast Du einmal eine auslandische Zeitung gesehen, welche
die russische Zensur an den Grenzen passiert hat? Worte, ganze

11
Satzstücke und Satze schwarz überstrichen, so daB der Rest un-
verstandlich wird. Solche russische Zensur konunt zustande bei
den Psychosen und ergibt die scheinbar sinruosen Delirien.« (Freud
1950a: 206). Spâter greift er dieses Bild wieder auf, wenn er in den
»Studien über Hysterie« die Abwehr ungewohnter, peirùicher
Vorstellungen allgemein als Zensur bezeichnet (Breuer und Freud
1895). Nun konnte man frellich meinen, es sei ein bloBer Zufall,
daB Freud einen innerpsycWschen Vorgang mit einem Begriff
benennt, der eigentlich eine staatliche ZwangsmaBnalune bezeich-
net. Schlagen wir aber sein frühes Hauptwerk, die »Traum-
deutung«, auf, so finden wir, daB Freud Wer noch viel aus-
führlicher seine Metaphern aus dem Bereich staatlicher Machtaus-
übung bezieht. Dort vergleicht er den Traum mit dem »politischen
Schriftsteller, der den Machthabern unangenehme Wahrheiten zu
sagen ~at. Werm er sie unverhohlen sagt, wird der Machthaber
seine AuBerung unterdrücken, nachtraglich, werm es sich um
mündliche ÂuBerungen handelt, praventiv, wenn sie auf dem Wege
des Druckes kundgegeben werden soll. Der Schriftsteller hat die
Zensur zu fürchten, er ermaBigt und entstellt darum den Ausdruck
seiner Meinung. Je nach Starke der Zensur sieht er sich genotigt,
entweder blof3 gewisse Formen des Angriffs einzuhalten, oder in
Anspielungen anstatt in direkten Bezeichnungen zu reden, oder er
muB seine anstoBige Mitteilung hinter einer harmlos erscheinen-
den Verkleidung verbergen, er darf z.B. von Vorfallen zwischen
zwei Mandarinen im Reich der Mitte erzablen, wâhrend er die Be-
amten des Vaterlandes im Auge hat« (Freud 1900a: 148). Der
Traum als kritischer Sclrriftsteller, das Unbewufite als un-
terdrückte Aufklarung, das BewuBte als Staatsmacht, die Traum-
entstellung als Zensur: dieses anschauliche Bild für den Aufbau
der Psyche hat Freud in diesem Werk und weiteren Arbeiten aus-
gebaut und vertieft. Wir konnen aber durchaus weitergehen und
nicht nur ein anschauliches Bild darin sehen, sondern den SchluB
ziehen, daB Freud auch im innerpsychischen Zensurvorgang einen
Akt gesellschaftlicher Machtausübung sieht. Was »peiruich« ist,
was zensiert werden muB, ist ja eben deshalb peilÙich und muB
zensiert werden, weil es Wünsche, Vorstellungen und Phantasien
betrifft, die man vor seinen Mitmenschen verbergen müBte (oder
gl.aubt verbergen zu müssen). Die innerpsycWsche Zensur folgt
also einem inneren Bild von gesellschaftlicher Anerkennung und
Ablehnung. Sie setzt subjektiv wahrgenommene Machtverhâltnisse
ins Seelerueben fort. Werm w1r nun bedenken, daB sich die inneren
Normen und Werte, die Gebote und Verbote, denen die Zensur
dient, im Lauf der kindlichen Entwicklung erst bilden, und zwar
unter dem EintluB konkreter, auBerer Gebote und Verbote, die ge-
sellschaftliche Norm- und Wertvorstellungen wiedergeben, so wird
deutlich, wie wenig aus psychoanalytischer Sicht »innerpsychische

12
Entwicklungen« von gesellschaftlichen Strukturen und Prozessen
abgetrennt werden kônnen.l
Auch an einern anderen zentralen psychoanalytischen Begriff,
dem »lch«, lâBt sich der Gesellschafts- und Sprachbezug der Psy-
choanalyse aufzeigen.

!ch

Das !ch ist nach Freud (1923b, 1940a u. a.) der Ort und das
Resultat des Zusammenpralls von Es-Irnpulsen (denen kôrperliche
Bedürfnisse zugrundeliegen) mit (gesellschaftlicher) Realitât und
mit verinnerlichten (gesellschaftlichen) Normen. Es kermt aus
Erfahrung die realen Folgen von Handlungen und unterdrückt da-
her oft Triebirnpulse, indem es sie nicht zum BewuBtsein kornmen
lâBt. Freud sieht das als diplomatischen Akt: »In seiner Mit-
telstellung zwischen Es und Realitat unterliegt es nur zu oft der
Versuchung, liebedienerisch, opportunistisch und lügnerisch zu
werden, etwa wie ein Staatsmann, der bei guter Einsicht sich doch
in der Gunst der ôffentlichen Meinung behaupten will« (Freud
1923b: 287). Das lch muJ3 aber nicht nur Triebwünsche mit der
Einsicht in die Realitat kompatibel machen, sondern auch mit un-
bewuBten Normvorstellungen und Verboten, die in der von Freud
»Über-lch« oder »!ch-Ideal« genannten psycWschen Instanz zusam-
mengefa.Bt sind. Das lch ist also ein »armes Ding, welches un ter
dreierlei Dienstbarkeiten steht«. Es entsteht aus der Notwendtgkeit,
diese dreierlei Dienstbarkeiten in ein bewuBtes, handlungsfâhiges
Selbst zu integrteren. Seine Aufgabe ist es, die anstô13tgen Wün-
sche auszustreichen, ohne da13 die Ausstreichung unangenehm
auffallt, und dabei doch soviel wie moglich von diesen Wünschen
zuzulassen. Das lch verfaBt einen Mischtext, der aus Doppelsinntg-
keiten, Anspielungen und Metaphern besteht. Es leistet die Ein-
schreibung der Sozialitat in die innere Natur.2

1 Die psychoanalytische Sozialpsychologie in ihren vielen Verastelungen hat


das, was hier nur sehr grob und skizzenhaft vorgeführt wird, ausgearbei-
tet, verfeinert und mit zahlreichen Einschrânkungen versehen. Jnsbeson-
dere die Abgrenzung von einer reinen Milieutheorie, die das Subjekt als
Produkt seiner Umwelt sieht, wurde betont und das Naturmoment in sei-
ner dialektischen Beziehung zur Gesellschaft herausgestellt. Hier kommt
es nur darauf an, einen Eindruck davon zu vermitteln, da13 Psychoanalyse
sich von Anfang an mit sozialen Prozessen befa13t, auch da. wo sie schein-
bar nur ~innerpsychische«< Instanzen beschreibt. Weiterführende Literatur:
Adorno 1955, Marcuse 1955, Dahmer 1980, Erdheim 1984, Psychoanaly-
tisches Seminar Zürich 1989.
2 Die Theorie des Jch ist im AnschluB an Freud noch stark verandert und
ausgebaut worden, vgl. unten Kap. 2.2, Seite 55.

13
Leib tn Gesellschajt: Psychoanalyse als Erkenntnlsprozej3 zwischen
Natur- und Kulturwlssenschajt

Diese beiden Begriffsklarungen môgen genügen, um darauf hinzu-


weisen, wie der klassische psychoanalytlsche Ansatz vorgeht. Er
betrachtet die psychischen Phânomene sozusagen als »Benutzer-
oberfl.ache«, um einen heu te gelaufigen Ausdruck zu gebrauchen,
hinter der sich für den »Benutzer« nicht sichtbare Integrations-
prozesse abspielen. Der Unterschied zur Computer-Begrifflichkeit
liegt nun allerdings darin, daB wir bei einer Rechenmaschine den
genauen Schaltplan und den Au:fbau der Software kermen, bei ei-
ner Psyche jedoch nicht. Angesichts der psychischen Phanomene
fragt sich der Psychoanalytiker klassischer Pragung also immer:
wie kann der »psychische Apparat« gebaut sein, der so etwas unter
bestimmten Interaktionsbedingungen zustande bringt? Eine Frage,
die si ch sofort kompliziert, werm wir gewartigen, daB wir es offen-
bar mit einer lernfâhtgen »Maschine« zu tun haben, die im Lauf ih-
rer Entwicklung sowohl ihre »Hardware« - das entsprache der
biologischen Reifung - ais auch ihre Software modifiziert. Das
Ganze wird noch vertrackter, wenn man sich klarmacht. wie stark
der Vergleich hinkt. Es ist ja eben nicht »Software«, die wir unter-
suchen, sondern innerpsychische und interpsychische Kommu-
nikationsprozesse, und wir sind als Untersucher selbst Teil dieser
Kommunikationsprozesse. Auch die Begriffe, mit denen wir unsere
Untersuchung vornehmen und unsere Ergebnisse beschreiben,
sind Teil des zu untersuchenden Feldes. Wfuen wir Software-Spe-
zialisten, so hatten wir immer noch auBerhalb unserer Program-
miersprache andere Sprachen, letztlich die natürliche Sprache, mit
der wir sagen kônnen: »Das Programm ist gegliedert in folgende
Schritte ... « oder »Es bewirkt dies und das ... ~. Wir kônnten es star-
ten, laufen lassen, wiederholen. Dies alles ist 1m Bereich psycholo-
gischer Forschung nicht môglich, und die Psychoanalyse hat frü-
her als andere psychologtsche Disziplinen erkannt, daB es nicht
môglich ist. Damit stünde die Psychoanalyse var einem Dilemma -
werm ste eine Naturwissenschaft ware.
Es ist das aber eine Art von Dilemma, die den Sozial- oder
Geisteswissenschaften durchaus vertraut ist. Wer Geschichte
schreiben, Erkenntnistheorie oder Literaturwissenschaft treiben
will, mufi damit leben, daB er sein Untersuchungsobjekt nicht sau-
berlich von sich selbst abtrennen kann. Er ist selbst geschichtli-
ches Wesen, Erkennender oder Leser. Er wird also seinen BUck
nicht objektivierend auf den Gegenstand an sich richten kônnen,
sondern wird ihn zurücklenken müssen auf seine etgene Bezte-
hung zum Gegenstand. Er tritt in ein hermeneutisches Verhaltnis
zu seinem Forschungsgegenstand, durchlauft etnen stufenfôrmtgen
ReflexionsprozeB auf die eigenen Vorannahmen. 3 Und auch die
3 Auch hier habe ich grob vereinfacht. Was ich anzudeuten versucht habe,
ist seit Jahrhunderten Gegenstand einer ebenso gelehrten wie unendlichen

14
Psychoanalyse konnte es so machen, und sie macht es ja tatsach-
lich auch so, nfunlich in dem vor allem von Lorenzer (1970b) prâ-
zise herausgearbeiteten Mittel der »Tiefenherrneneutik«. Nur freilich
ware sie, verstünde sie sich ais Geisteswissenschaft, auch wieder
schnell dem Dilenuna überantwortet. Denn ihr etgentlicher Ansatz,
die Verzahnung von Natur und Kultur, von Leib und Gesellschaft
zu erfassen, lâBt sich ohne Rückgriff auf ganz konkrete k6rperliche
Prozesse nicht leisten. Was also bleibt, ist die Feststellung: Psycho-
analyse ist eine Doppelwissenschaft aus Physiologie und Soziolo-
g:te, aus Natur- und Kulturwissenschaft. Sie kann nichts anderes
sein, denn auch ihr Gegenstand selbst ist so eine Zwittergestalt,
ein wandelnder Widerspruch.
Obwohl die hier vertretene Einschâtzung der Psychoanalyse
ais kritische Theorie des Subjekts erst in der Folge der
Positivismusdebatte der sechziger Jahre herausgearbeitet wurde,
so steckt sie doch im Kern schon in den frühen psychoanaly-
tischen Positionen. Wenn sich die klassische Psychoanalyse mit
Phânomenen wie der Sprache beschaftigte, so tat sie das immer
unter einer doppelten Fragestellung, von der keiner der beiden
Aspekte allein stehen konnte:

(1) wie ist dieses Phânomen ais Naturphânomen erklârbar - und


das WeB: wie ist es neurophysiologtsch rekonstruierbar? und
(2) welcher E1nflu13 gesellschaftlicher Strukturen sptegelt sich
darin, d.h., welche frühen Interaktionsbeziehungen, welche
Wünsche, Verbote, Verdrangungen?

Für die Psychoanalyse wird die Frage zentral, wie (und unter wei-
chen gesellschaftlichen Verhhltnissen und Sozialisationsbedingun-
gen) es dazu kommt, daB in einem seelischen Apl?arat sprachliche
- und d. h. kulturell gepragte, dialogfâhige - Au6erungen ent-
stehen.4

Diskussion. Sie tst zusammengefaflt bei Gadamer ( 1960). Besonders


akzentuiert und aktualisiert mit Bezug auf Gesellschaftstheorie wurde sie
1m Positivismusstreit der sechziger Jahre (vgl. Adamo u.a. 1969,
Habermas 1 Luhmann 1971) und mit besonderem Bezug auf die Psycho-
analyse weitergeführt bei Ricoeur 1965, Habermas 1968, Lorenzer 1970b,
1973 u.a.).
4 Mit Lorenzer kônnte man sogar noch schârfer formulieren, da13 Sprache
gar kein Gegenstand psychoanalytischer Erkenntnls, sonde rn nur ihr
Untersuchungsgegenstand sein kann. Der Gegenstand, dem die psycho-
analytische Erkenntnts gût, ist eben kein ,.psychologtscher«, als ob es so
etwas wie eine Psyche »an sich(( gebe (ein angeborenes Organ, das zwar
unerforscht ist wie eine Black Box, auf das man aber z.B . durch Beob-
achtung von Verhalten zurückschlie13en kônnte). Der Psychoanalyse geht
es um intime Beziehungsfiguren, die sowohl gesellschaftlicher ais leiblicher
Natur sind. Ihr Erkenntnisgegenstand kônnte somit Gegenstand sowohl
der Neurologie wie der Soziologte sein. Reduzierte man sie auf eine
Psychologie, so würde man ihr einen Scheingegenstand zuweisen (Lorenzer
1986).

15
Die Philosophie und Praxis der Psychoanalyse hat sich diesen
Doppe1bezug auf Kultur und Natur stets bewahrt. Dennoch ist der
psychoanalytische Diskurs weiterentwickelt worden, sowohlin der
klinischen Praxis als auch in groBeren theoretischen Ansatzen zur
Systematisierung. So sehr diese voneinander abweichen, so haben
sie doch samtlich den Bezug auf den menschlichen Leib, seine
Funktionen und Bedürfnisse aufrechterhalten, und deren psychi-
sche Ausformung dabei 1mmer im Rahmen interaktiver Prozesse
begriffen. Se1bst Kohut (1971, 1977), Klein (1976), Schafer (1975,
1976) Kernberg (1975, 1976) und Eagle (1984), die aus ganz
verschiedenen Gründen - und mehr oder minder radikal - eine
reduktionistische Triebtheorie ablehnen, gehen doch nie so weit,
eine abstrakte fonnalistische Behandlung psychischer lnhalte
anzupeilen, wie sie in den Forschungen akademischer Kognitions-
psycho1ogen üblich ist. Psychoanalyse ist essentiell eine Theorie
des lndividuums, verstanden als Leib-in-Gesellschaft.

Sprache als Gegenstand und Medium der Psychoanalyse

Sprache als Ausdruck und Bedingung gesellschafilicher VerfaBt-


heit muf3 also ein Grundprob1em der Psychoanalyse sein. Wenden
wir uns nun den konkreten Punkten zu, in denen Sprache für die
Psychoanalyse zum Untersuchungsgegenstand wird. Gauger ( 1979)
weist darauf hin, daB Sprache bei Freud in drei Hinsichten be-
deutsam war:

( 1) als Erkenntnisquelle bzw. als Argument, so z.B. in der Heran-


ziehung von Redensarten. Freud verwendet oft stehende Wen-
dungen der natürlichen Sprache ais Bestatigung oder Indiz
für psychoanalytische Konstruktionen.
(2) als Therapeutikum. Die psychoanalytische Therapie ist - zu-
mindest auBerlich gesehen - ein verbaler ProzeB. In diesem
Verbalprimat sieht Gauger vor allem die Vorzüge, daB da-
durch Handlungsdistanz, Mitte1barkeit und Erkenntnissp1e1-
raum erzeugt werden.
(3) als Bestandteil des psychischen Apparats. Gauger erwâlmt die
unterschiedlichen Sprachbezüge von Ich, Über-Ich und Es.

lch will diese drei Aspekte im folgenden genauer erlautern und mit
neueren Entwicklungen der Psychoanalyse in Beziehung setzen.

1.1. Sprache ais Argument


Die Rolle der Umgangssprache, insbesondere der stehenden Rede-
wendungen, für Freuds Rekonstruktion und Darlegung psycholo-
gischer Zusammenhange ist bis auf die erwâhnte Arbeit von
Gauger ( 1979) selten gewürdigt worden. Dabei hatte es nahe gele-
gen, sie nâher zu untersuchen: Hat doch Freud in zwei Büchern,

16
die er selbst 1nuner zu den empirischen Fundamenten der Psycho-
analyse gezahlt hat, nfunlich in der Schrift »Zur Psychopathologie
des Alltagslebens« (190 1b) und in »Der Witz und seine Beziehungen
zum UnbewuBten ( 1905c), alltagssprachliche Phanomene einge-
hend untersucht. Sprachphânomene wie z.B. der Witz oder die
Fehlleistung werden als Gegenstand genorrunen, genau be-
schrieben und schlie13lich die Erklarungskraft psychoanalytischer
Hypothesen an ihnen erprobt.
Darüber hinaus ist es ein fester Bestandteil von Freuds Rhe-
torik, an bestimmten Stellen seiner Argumentation stehende Re-
densarten und Sprlchworter zu zitieren, um seine wissenschaftliche
Hypothese zu stützen. Um seine These, der Traum sei im Kern eine
Wunscherfüllung, zu untermauern, zitiert er das Sprichwort: »Das
Schwein traumt von Eicheln, die Gans vom Mais«. Diese (oft auch
frechen) Zitate, die den wissenschaftlichen Vortrag auflockern, sind
aber mehr als dekorative Zutat: sie besagen, da13 hier im Volks-
mund ein Wissen aufgehoben sei, ein unverstellter Blick auf die
Dinge, dem sich die Wissenschaft (will sagen vor Freud) verschlos-
sen habe. Die Berufung auf den Volksmund ist ein argwnentativer
Kunstgriff, um darzutun, wie intuitiv einleuchtend die eigenen
Hypothesen seien. Aber nicht nur: denn es gehërt zur psychoanaly-
tischen Methode, auch alltagssprachliche Bezüge und Konnotatio-
nen ernst zu nehmen und als Hinweise auf unbewu13t gewordene
Zusarrunenhange anzuerkennen.
Freud hat aber nicht nur in rhetorischer Absicht auf Struk-
turen des Sprachsystems zurückgegriffen. Wie ernst er es
manchmal meinte mit seinem Versuch, auch aus sprachwissen-
schaftlich ermittelten Sprachstrukturen Hinweise für seine Psy-
chologie zu gewinnen, zeigt sein Aufsatz Ȇber den Gegensinn der
Urworte« (Freud 1910e). Freud unternimmt es hier, aus der Ety-
mologie Schlüsse auf psychologische Verhâltnisse zu ziehen. Leider
ist das Unternehmen nicht erfolgreich gewesen, denn die
sprachwissenschaftliche Grundlage, auf der Freud seine Hypothese
zu begründen gesucht hatte, ist langst der Kritik verfallen. Ich
schlage vor, daB w1r es uns trotzdem naher ansehen. Es sind nicht
nur die erfolgreichen Versuche, die zahlen - auch die Fehlschlage
zeigen uns den zurückgelegten Weg an und erlauben es uns dar-
über hinaus, neuere Argumentationen kennenzulemen.
In seinem Aufsatz versucht Freud, seine Theorie, daJ3 es im UnbewuBten keine
Negation und keine Gegensatze gebe, anhand einer zu seiner Zeit anerkannten
etymologischen Theorie zu untermauern. Er beruft sich dabei auf eine gleich-
namige Arbeit des Sprachwissenschaftlers Karl Abel ( 1884). Durch dessen
sprachhistorische Befunde fühlte er sich in einer Hypothese bestatigt, die er be-
reits in der ,.Traumdeutung~ aufgestellt hatte. namlich . ~ie Vernachlassigung lo-
gischer Widersprüche im Traum. Abel behauptet, im Agyptischen eine ,.Anzahl
von Worten mit zwei Bedeutungen, deren eine gerade das Gegenteil der anderen
besagt~. entdeckt zu haben, und er untermauert die Merkwürdigkeit dieses Fun-
des mit einem starken Beispiel: ,.Man denke sich, wenn man solch augenschein-
lichen Unsinn zu denken vermag. (... ) daB ein Münchener Bürger das Bier ,.Bier«

17
nennte, wahrend ein anderer dasselbe Wort anwendete, wenn er vom Wasser
sprache, und man hat die erstaurùiche Praxis, welcher sich die alten Âgypter in
ihrer Sprache gewohnheitsmâBig hinzugeben pflegten~ (zit. nach Freud 1910e:
216). Auch im Lateinischen findet Freud Belege für diesen »Gegensinn«: so be-
deute sacer gleichzeitig heUig und ver:flucht, altus gleichzeitig hoch und tilif.
An dieser Auffassung hat 1956 der franzôsische Sprachwissenschaftler E.
Benveniste grundsatzliche Kritik geübt (Benveniste 1972, Kap. 7). Er legt dar,
da13 der vermeintliche »Gegensinn« erst dadurch entsteht, daB das referentielle
System einer Sprache an dem einer anderen gemessen wird. Lat. altus bezieht
sich immer auf die Hôhe eines Gegenstandes, gemessen von seinem tiefsten
Punkt aus, wâhrend dt. hoch bzw. tiej die Hôhe eines Gegenstandes bezeichnen,
gemessen vom Punkt des Betrachters aus (eine gute Darstellung der Argumen-
tation fmdet sich in Goeppert & Goeppert 1973: 39 ff.; vgl. auch Simon l982b).

Es ist für das Verstândnis von Benvenistes Kritik wichtig, sich die
Saussuresche Unterscheidung von faculté de langage, langue und
parole wieder ins Gedachtnis zu rufen. Der Linguist Ferdinand de
Saussure hat mit einer für die modeme Linguistik grundlegenden
Begrtffsklarung drei Ebenen des Sprachbegriffs unterschieden:
»factùté de langage«, »langue« und »parole« (irrl Deutschen etwa wie-
derzugeben als Sprachvennogen, Einzelsprachsystem und kon-
krete Rede; s.a. Seite 18 und 93). Goeppert und Goeppert (1973:
41) ziehen aus Benvenistes Kritik der Freud-Abelschen Hypothese
vom »Gegensinn der Urworte« den SchluB: »Die Berührungspunkte
von Linguistik und Psychoanalyse liegen daher entweder auf der
Ebene etner allgemeinen Theorie des Sprachvennôgens (»langage«)
oder auf der Ebene der konkreten Redesituatton (»parole«), die
Benveniste im übrigen als das eigentliche Betatigungsfeld der psy-
choanalyttschen Sprachanalyse anerkennt. Keinesfalls lassen sich
jedoch psychoanalyttsche Gedankengange auf der Ebene eines be-
stimmten Sprachsystems (»langue«) verwirklichen, wie das die psy-
choanalytische Symbollehre inuner wieder anzunehmen versucht.~
Ich halte es für sehr wichtig, diese klare linguistische Un-
terscheidung einzuführen, und bin mit Benveniste der Meinung,
dal3 die Freud-Abelsche Spektùation auf einer 1rrigen Vorannahme
beruht. Den SchluB, den Benveniste bzw. Goeppert und Goeppert
daraus ziehen, halte teh jedoch für voreilig oder zu allgemein
formuliert. Psychoanalyse spielt eben nicht nur als Theorie der
Sprachfahigkeit 1m allgemeinen oder ais Theorie der individuellen
und situativen Sprachverwendung eine Rolle - da allerdings auch,
wie wir noch sehen werden. Vielmehr ist sie auf vielfâltige Weise
verknüpft mit dem System einer konkreten Einzelsprache. lch
würde die Kritik an Freuds agyptischem Abenteuer lieber daran
ansetzen, dal3 hier eben ein aus dem lexikalischen System der
deutschen Sprache abgeleitetes Verhâltnis naiv auf ein anderes
Sprachsystem übertragen wird. Was Freud unterlassen hat, ist der
kultwwissenschaftliche Reflexionsschritt auf die eigenen, ktùturell
gepragten Vorannahmen. Darin besteht sein Fehler 1m »Gegensinn
der Urworte~. nicht in einer Befassung mit einem konkreten
Sprachsystem. Ohne diese ware es nicht verstandlich, wie Psycho-

18
analyse sich mit der »parole«, also mit den sprecher- und situati-
onsbedingten regelgeleiteten Anwendungen des Sprachsystems
befassen soll. Noch weniger ware ohne die Befassung mit dem Sy-
stem der Einzelsprache eine psychoanalytische Ktùturtheorie mog-
lich (vgl. Hamburger l993a, Lorenzer 1986 u.a.).

1.2. Die talking cure: Sprechen in der Psychoanalyse


In der analytischen Bezie hung ge ht
nichts anderes vor als ein Austausch
von Worte n zwischen d ern Analysie rten
und dem Arzt. ( .. . ) Worte waren ur -
sprünglich Zauber, und das Wort hat
noch heute viel von seiner Zauberkraft
bewahrt.
Fre ud 1 916 1 17

Wir haben Freud bisher als Analytiker der konkreten Rede und des
Sprachsystems kennengelernt. Naher noch kommen wir freilich
dem Kern seiner Theorie, werm w1r nun die dritte Saussuresche
Ebene untersuchen, die »factùté de langage« oder das Sprachver-
mogen. Unter diese Rubrik fallen alle psychoanalytischen Über-
legungen über die psychologische Funktion des Sprechens und der
Sprache schlechthin. Ich werde auf diese im nachsten Kapitel noch
ausführlich zu sprechen kommen (Kap. 1.3, Seite 32); an dieser
Stelle soli nur ein relatlv pragmatlscher Aspekt des Verhâltnisses
von Psychoanalyse und Sprachvermôgen angesprochen werden,
naml:ich die besondere Rolle. die die Psychoanalyse dem Sprechen
in der Therapie einraumt. Dieser Sprachprimat der psychoanaly-
tischen Therapie wurde auf verschiedenen Ebenen diskutiert, neu-
erdings (seit dem Aufkonunen der kôrperorientierten Psychothera-
pien) auch in Frage gestellt. Es scheint daher angebracht, etnige
Gründe dafiir anzuführen, warum Psychoanalyse sich var allem in1
Medium der Sprache vollzieht.
Sc hon an der Wiege der Psychoanalyse, nâmlich am Kranken-
bett der Anna 0., der man eigentlich die Entdeckung des
»kathartischen Verfahrens« zuschreiben darf, wird die Sprache als
wesentliches Medium eingeführt.
Die 2ljâhrige Anna 0., die zeitweise nur e nglisch sprach - das gehorte zur Sym-
ptomatik ihrer schweren Neurose - verfiel jeden Nachmittag in e ine hypnotischc
Somnolenz, in der sie begann, Geschichten zu erzâhle n. :..Die Ge schichte n , lm-
mer traurig, waren teilweise sehr hübsch (... ) Einige Momente nach Volle ndung
der Erzâhlung erwachte sie, war otfenbar beruhigt oder, wie sie es nannte
»gehâglich~ (behaglich)4< (Breuer und Freud 1895: 26).
Dieses fortgesetzte Geschichtenerzahlen in Trance - aus dern sich die Anfânge
der psychoanalytischen Methode entwickelten - nannte die Patientin »talking
cure« (ebd.: 27). Eine Sprechkur war die Psychoanalyse also schon in ihre n
voranalytischen Phasen.

19
Sprechen als Nicht-Handeln

In seinem schon erwâhnten Aufsatz arbeitet Gauger (1979) die Ei-


genart des Sprechens in der psychoanalytischen Therapie unter
dem Gesichtspunkt der linguistischen Pragmatik heraus (vgl. un-
ten Kap. 7, S. 190). Er unterscheidet unter dem Blickpunkt, Spre-
chen als Handlung aufzufassen, vier Arten von Sprechen:

(1) Sprechen, das etgentlich Handeln ist (z.B. offizielle Aussagen.


aber auch small talk).
(2) Sprechen, das ganz in Handlung etngebettet 1st (z.B. eUe kur-
zen Anweisungen des Chirurgen an die Assistierenden).
(3) Sprechen als Nicht-Handeln (Worte statt Taten).
(4) Sprechen als Surrogat des Handelns (z.B. als Affektausdruck ,
der eine handelnde Affektabfuhr ersetzen kann).

Gauger ( 1979) ordnet dem Sprechen in der psychoanalytischen


Therapie den St atus (3) und (4) zu: »Sprechen als Nicht-Handeln
und Sprechen als Handlungssurrogat sind nun für das analytische
Arrangement charakteristisch: sie werden in ihr radikalisiert. Hier
wird , in bewu13ter Absprache , ein im tatsâchlichen Leben in cUeser
Reinheit nicht vorkommender Freiraum geschaf:fen, in dem aus-
schlief3lich und - bei allem Affektaufwand folgerùos für die Wirk-
lichkeit auBerhalb d es Gesprachs - gesprochen wtrd. (... ) Es soll -
negativ gesehen - ausschlieBlich gesprochen werden. Gerade hier-
bei tritt aber nun - 1m positlven Sinn - das Sprechen in seiner
Môglichkeit als Handlungssurrogat ins Recht: es wird sprachlich
agtert~ (Gauger 1979: 59).
Rosolato ( 1978), der sich eingehend mit der Symbolbildung
beschâftigt hat (und uns in diesem Zusammenhang noch beschâf-
tigen wird, s. Seite 90), hebt die Sonderstellung des psychoanalyti-
schen Prozesses als einer Verm:ittlungssituation zwtschen der
»metonymischen Koharenz« und der »metaphorischen Ausdehnung«
des Sprachsymbols, also etwa zwischen der bewu13ten Verstândi-
gungsabsicht und der der unbewuBten Bedeutungsimplikation.

Sprechen als Handeln

Über Gaugers kluge und sicherlich zutreffende Einschatzung des


Sprechens in der Psychoanalyse als »Nicht-Handeln(( hinaus laBt
sich aber auch durchaus noch die erste Alternative prüfen: Spre-
chen als Handeln. In Arbeiten, die sich mit dem magtschen und
rituellen Aspekt der psychotherapeutischen Sprechsituatlon befas-
sen, wird gerne der Standpunkt vertreten, daB das Sprechen hier
neben der kommurukativen Funktion noch eine direkte Hand-
lungsfunktion erfülle.
Wenn man die Rolle des Sprechens in der Psychotherapie zu-
rückverfolgt. st613t man auf histor1sch viel tiefere Schichten als die
psychoanalytische . Michel Neyraut (1974: llO) weist auf die Rolle

20
der Sprache in der exorzistischen Praxis hin, und auch die Hyp-
nose ist, abgesehen von der Verwendung bestimmter F1xationsh11-
fen oder Rituale, wesentlich eine Sprachtherapie. DaB aber auch
das Moment der Berührung in den frühen Formen der Psychothe-
rapie eine Rolle spielt, zeigt z.B. die zeitwellig hoffàhige Praxis des
Mesmerschen Magnetismus. Obwohl Freud und Breuer in den frü-
hen Jahren eine Mischform der Psychotherapie anwendeten, die
auch k6rperliche Berührung des Patiet?:ten mit einschloB, führte
ein zunehmendes Verstandnis der Ubertragungsprozesse zur
nachgerade vollstandigen Reduzierung zumindest der absichtli-
chen Interventionen auf den Verbalkontakt.5 Welche Rolle dennoch
Stimmfarbung, Satzmelodie, Blickkontakt etc. spielen, werde teh
welter unten er6rtern (vgl. unten Seite 28).
Hier m6chte ich das Verhilltrus von Sprache und Handlung
zunachst in etwas grundsatzlicherer Sicht beleuchten. Dabei ist
eine Begriffsklarung hilfreich, die die Philosophin Susanne K.
Langer 1942 getro:ffen hat. Sie unterscheidet zwischen
miskursiver« verbaler Symbolik, die in einer zeitlichen Folge orga-
nisiert ist, und »prasentativer« Symbolik, die in der Gleichzettigkeit
des Nebeneinander besteht, etwa in den Farbschattierungen eines
Gemâldes. Der Psychoanalytiker Alfred Lorenzer (vgl. Seite 15, 47,
89, 161) übernimmt diese Unterscheidung. Prasentative Symbole
sind, so Lorenzer, nicht nur in Kunstwerken zu sehen, sondern in
»allen Produkten menschlicher Praxis, insoweit sie »Bedeutung»
vermitteln. Auch ein Stuhl ist ein Symbol, da sich in ihm ein be-
deutungsvoller Entwurf realisiert hat, in dem eine
»Handlungsanweisung>> enthalten ist (Lorenzer 1981: 30).
Damit ist die Brücke zu dem Bereich geschlagen, der uns hier
beschâftigt: denn auch die Qualit~.t des Sprechens, »das Gefüge
poettscher Bilder~ in spraclùichen Aufierungen zâhlt Lorenzer zur
prasentativen Symbolik. Da13 diese Symbole »ganzheitlicheH wtrken
ais die diskursiven Sprachsymbole, führt er darauf zurück, dai$ sie
»aus ganzen Situationen, aus Szenen hervorgehen und Entwürje
Jür szenisch enlfaltete Lebenspraxls sind (ebd.: 31, Hervorhebun-
gen im Original). ln der prasentativen Symbolik sieht Lorenzer die
Artikulierung derjenigen menschlichen Erlebnisse, die der diskur-
siven Sprache nicht zuganglich sind. Diese Ebene steht einerseits
in Verbindung mit dem, was die Psychoanalyse das Unbewu13te
nennt- insofern sind die prasentativen Symbole verwandt mit dem
klassischen psychoanalytischen Symbolbegriff - zu:rn anderen auch
mit etner nicht-sprachlichen Ebene der ReguUerung sozialer In-
teraktion. Lorenzer weist an Beispielen aus Musik und Architektur
und an sozialen Ritualen nach, dai$ prasentative Symbolsysteme
dazu dienen, soztale Verhâltnisse sinnlich-unmittelbar zu regeln
(vgl. ebd.: 43). Die Palaste der Herren, die Kleider der Würdentra-
ger reprasentieren deren sozialen Status und regeln die Umgangs-
5 Ausnahmen, wie Groddeck oder Ferenczi. bestatlgen die Regel (zu
Groddeck vgl. Will 1984)

21
formen, die mit ihnen am P1atze sind. Analog dazu konnen wtr das
Wie des Sprechens in der Analyse als ein Regulativ der Beziehung
betrachten. Über das diskursive »Was.: hinaus wird durch die Qua-
litât der Prasentation die Entfaltung der Szene initliert, und zwar
auf eine zunachst noch unbewuBte Weise. Die komplette Szene
freillch entsteht erst im Zusanunenspie1: erst wenn - ebenfalls
zunachst unbewuBt - auf die Prasentation sozialer Interaktions-
formen im Sprechen hin der Analytiker in die angebotene Interak-
tion eintritt, ist der verbindliche Zusanunenhang geschlossen, der
spater als »Szene« Gegenstand der reflexiven Analyse werden kann.

Lacan oder das sprachliche Apriori der Psychoanalyse

Ein Autor, den ich in dieser Arbeit noch ofter erwâhnen werde, hat
bereits seit den dre113iger, insbesondere aber seit den frühen fünf-
ztger Jahren eine entschiedene und sehr prinzipielle Lanze für die
sprachliche Natur des psychoanalytischen Prozesses gebrochen. In
seiner berülunt gewordenen Rede var dem Kongre.B der Internatlo-
nalen Psychoanalytischen Vereintgung in Rom 1953 wendet Jac-
ques Lacan6 sich gegen die amerikanische lch-Psychologie. Sein
Einwand richtet sich vor allem gegen deren Anspruch, einem
»angeborenen Ich« therapeutlsch beizustehen - so als ob es ein sol-
ches »lch an sich« geben konnte, als ob nicht vielmebr das Ich erst
a us dem kommunikativen Zusammenhang hervorginge. Er ver-
weist mit emphatischer Strenge die Psychoanalyse auf ihren Platz:
»Die Psychoanalyse hat nur ein Medium: das Sprechen des Pati-
enten .: (Lacan 1956: 82). lhre Anstrengung richtet sich nicht »auf
ein Objekt jenseits des subjektiven Sprechens, wie es gewisse
Leute voiler Anstrengung nie aus dem Auge verlieren.« (ebd.: 91).
Der Analytiker »hat keine weiteren, weder ein drittes noch ein
viertes Ohr, die man si ch für ein unrnitte1bares Horen von Unbe-
wuBtem zu Unbewu.Btern wünschen mag« (ebd.: 92). Darnit spielt
Lacan auf ein berüluntes Buch von Reik ( 1948) an, das un ter dem
Titel »Hôren mit dem dritten Ohr« den Aspekt der intuitiven, direk-
ten Wahrnehmung unbewu.Bter Inhalte in Psychoanalysen aus-
führt.7 Lacan dagegen verwahrt sich gegen die Moglichkeit, rnittels
irgendeines Kunstgriffs das komrnunikative Universum, das er
»Sprache« nennt, zu verlassen: alle scheinbar auBer- und var-

6 Wenn lch hier darangehe, die Position von Jacques Lacan darzustellen, so
muB lch gleich dazusagen, da.B ich sie schwer zu verstehen flnde. Geholfen
habe n mir vor allem die DarsteUungen von Lang (1973), Frank ( 1983) und
Page l ( 1989). G erade auf die ausgezeichnete Einführung von Gerda Pagel
môchtc ich Wnweisen.
7 FreiUch ist Re ik kein Einzelganger; worauf Lacan hier Bezug nimmt, ist die
seit d e n frühen fünfziger Jahren wieder starker diskutierte Theorie der
Gegenübe rtragung als eines psychoanalytischen Wahrnehmungsmodus -
e in Begriff, der seilhe r ein Grundpfeiler der psychoanalytisch Behand-
lungstechnlk, aber auch ihrer Erkenntnisbegründung geworden ist (vgl.
Moeller 1977, Lorenze r 1973, Mertens 1991. Hamburger 1993b ).

22
sprachlichen Entitâten sind imaginâr, sind Scheingegenstande, die
im spraclùichen Diskurs entstehen - allen voran das »lch.:
(franzosisch: moi), als das ich mi ch selbst erfahre. 8 Lacan hatte be-
reits in seiner vieldiskutierten Arbeit über das »Spiegelstadium«
( 1936) auf die Künstlichkeit dieser Setzung des Selbst hingewiesen.
Jetzt besteht er darauf: Die Psychoanalyse enthalte sich aller un-
mittelbaren Zugriffe auf ein vermeintliches auBerspraclùiches Sub-
jekt, sozusagen ein Subjekt »an sich« und verbleibe im Bereich des
Sprechens, aus dem heraus die imaginâren Gegenstânde entste-
hen: »Das einzige Objekt, das dem Analytiker zuganglich tst, tst die
imaginâre Beziehung, die ihn mit dem Subjekt als lch (mol) verbin-
det« (Lacan 1956: 92). Freilich ist es nicht die Aufgabe der Psycho-
analyse, im lmaginâren zu verbleiben, sondern sie lauscht auf die
Brüche, sie durchdringt den Diskurs über scheinhafte Gegen-
stande und konzentriert sich auf das Ich, das Subjekt des Spre-
chens ist (franzôsisch: je). Insofern entzieht sich der Analytiker 1m
Hôren dem Horen - er hart nicht auf das Gesprochene, sondern auf
das Sprechende. Lacan: »Ohren (... ) haben, um nicht zu horen«
(ebd.).
Mit diesem radikalen Standpunkt hat sich die Mainstream-
Psychoanalyse freilich stets schwergetan. Versuche, Lacans Thesen
in nützliche und überspannte einzuteilen (z.B. Spero 1990), und
sie - die gu ten ins Tôpfchen - zu integrieren, sind weder bei den
Anhângern Lacans als sehr wünschenswert empfunden worden
noch hatten sie auf die Mainstream-Psychoanalyse einen groBen
EinfluB ausgeübt.

Krttik am Sprachprlmat der Psychoanalyse

Ich habe einige Argumente aufgezâhlt, warum die Sprache als un-
verzichtbares Medium der Psychoanalyse gesehen wird. Dennoch
erhebt sich immer wieder die Frage, ob diese dadurch nicht erheb-
lich an Reichweite verlieren müsse. Das ware zwar auch kein Ge-
genargument: denn wenn Psychoanalyse eben nur in der Sprache
lebt, dann konnte sie diese auch dann nicht verlassen, wenn. s.ie
selbst es aus Gründen einer weiter gespannten Anwendbarkett
wünschte. Dennoch geben die Kritikpunkte, die aus solchen Erwâ-
gungen der Psychoanalyse von innen und auBen entgegengehalten

8 Ich will hier nur am Rande darauf hinweisen, wie attraktiv sich diese
Auffassung in die moderne sprachanalytische Philosophie einfügen laBt. In
der radikalen Formulierung »lch ist ein anderer« schwingt die Nahe zur
existentialistischen Philosophie Sartres mit. In der Tat war Lacan neben
Freud sicher derjenige Psychoanalytiker, der am intimsten mit der
Philosophie, Literatur und Literaturkritik seiner Zeit verflochten war. Er ist
Teil einer epochalen Bewegung des Denkens, die oft unter dem etwas
hilflosen Titel »Poststrukturalismu&: geführt wird und deren zentraler
Gedanke die Auflôsung hierarchisch-zentralistischer Denksysteme ist.
Eine ausgezeichnete Darstellung aus kritisch distanzierter Position gtbt
Frank ( 1983).

23
werden, manchen AnlaB zur Erorterung der Rolle des Sprechens in
der Psychoanalyse.
Einen ersten AnlaB zur Kritik des Sprachprimats der Psycho-
analyse bietet die unbestreitbare Tatsache, daB der weitaus groBte
Teil der Analysanden (wie auch der Analytiker) aus der Mittel-
schicht stammt. Das kônnte eine Folge der Sprachdifferenzen zwi-
schen den gesellschaftlichen Schichten sein. Bernstein (1970,
1971) hatte in vielzitierten Arbeiten nachgewiesen, daB Angehôrige
der Unterschicht einen »restringierten<(( Sprachcode verwenden, der
1m Gegensatz zum »elaborierten« Mittelschicht-Code strukturell
einfacher und besser vorhersagbar ist, vor allem aber auf einem
unterschiedlichen Rollenverstandnis der Sprecher beruht. Wah-
rend der Mittelschicht-Sprecher sich eher als Individuum prasen-
tiert, das nicht sinnlich greifbare Inhalte verbal vergegenwartigt
und diskutiert, verhhlt sich der Unterschicht-Sprecher eher so,
da.B er sich sprechend auf eine gemeinsame Erfahrungswelt be-
zieht. (vgl. auch Mitscherlich 1954-55, Orban 1973, Menne und
Schrôter 1980, Muck 1983, und den faszinierenden autobtographi-
schen Fallbericht von Rempp 1988).
Der Sprachprimat der Psychoanalyse kônnte aber noch in e1-
ner weiteren Hinsicht ein therapeutisches Hindernis darstellen. lch
habe bereits mit Bezug auf Lorenzer ( 1981) darauf hingewiesen,
da.B die nonverbale Symbolik in 1hrer Gleichzettigkeit viel anschau-
licher und siruùich-unmittelbarer unbewuBte lnhalte ausdrückt
als die in einem logischen Nacheinander angeordnete Sprache. Die
sprachliche Beschreibung von Affekten oder von praverbalen Er-
fahrungen bleibt immer unzureichend. Das wird besonders dann
zum Problem, werm diese Affekte systematisch aus der Sprache
ausgeschlossen sind, wie es z.B. bei Kindern der Fall ist, die unter
einem traumatisierenden Mangel an Einfühlung leiden. Für sie 1st
die Aufnahme des sprachlichen Rapports oft nicht mit der Erfah-
rung verbunden, ihre Gefühle benennen zu kônnen. Vielmehr wer-
den die bereits in praverbaler Zeit durch die mangelnde Affektreso-
nanz konflikthaft gewordenen Empfindungen durch systematische
Fehlbenennung oder Benennungsverwetgerung in der frühen
sprachlichen Interaktion noch weniger fa13bar. DemgemaB hat man
der Psychoanalyse den Vorwurf gemacht, sie bewege sich mit sol-
chen Patienten an einer gefühlsfernen Oberfl.ache: indem sich der
Analytiker als »sprechende Attrappe« verhalte (so Tilmann Moser
1987 in einer Polemik gegen Joyce McDougall 1978), wiederhole er
die traumatisierende Einfühlungsverweigerung. Auf die Folgerun-
gen, die Moser und andere für die therapeutische Technik daraus
gezogen haben, gehe teh spater ein, auch auf die Frage, ob bei der
Therapie von Frühstôrungen besondere Aspekte des Sprechens von
Bedeutung sind (s. Seite 28). Hier will ich grundsatzlich das Ver-
hâltnis von Fühlen und Sprechen, um genauer zu sein: von affekti-
ver und sprachlicher Interaktion behandeln.

24
Es gehort zu den wesentlichen Arùiegen der Psychoanalyse,
hinter der sprachlichen Oberflâche und dem geordneten Diskurs
eine zweite, affektive Logik zu rekonstruieren. Für die Loslôsung
der sprachlich-bewuBten Reprasentanzen vorn Affekt hat die Psy-
choanalyse irn Lauf ihrer klinischen Theoriebtldung eine Reihe von
Beschreibungen geschaffen, u.a. den von Jones 1908 eingeführten,
populâr gewordenen Begriff der »Rationalisierung« irn Sinne etner
Pseudo-Erklârung, die unsagbare, unbewu.Bte Affektwurzeln über-
spielen und eigenes Handeln als rational begründet erscheinen
lassen soll. Ein âhnlicher Begriff ist der Abwehnnechanisrnus der
»lntellektualisierung«, den Anna Freud 1936 als eine typische Ab-
wehrforrn der Ado1eszenz beschrieben hat. An diesern Begriff la13t
sich zetgen, daB sich die Psychoanalyse der Differenz von Fühlen
und Sprechen und der relativen Dürftlgkeit der verbalen Oberfla-
che wohl bewu13t ist, ohne diese dennoch entwerten zu rnüssen.
Die Psychoanalytlker verzichten auf eine Dtrettlssirna ins nonver-
baie Affektleben, die doch nur einer versteckten Benennung
gleichkâme.
Anna Freud beschreibt die Intellektualisierung ais den Ver-
such, die in der Adoleszenz verstârkten Triebirnpulse durch
»Durchdenken«, also durch intellektuelle Zuwendung, zu neutrali-
sieren. Sie spricht von »pubertârer Gescheitheit« in Parallele zur
infantilen Sexualforschung, die schon ihr Vater Sigmund Freud
voll Hochachtung ais »intellektuelle Blüteperiode« bezeichnet hatte
(Freud 1926e: 244). Intellektualisierung ist aiso eine phasenad-
aquate Abwehr. In der Analyse tritt sie auch als Widerstand auf.
Der Begriff des Widerstands hat in der Entwicklung der Psycho-
analyse eine bernerkenswerte Entwicklung genornrnen: zunâchst
nur ais zu überwindendes Hindernis verstanden, ist irn Zuge der
Fortentwicklung der analytischen Technik in den BUck gerückt,
dafi es sich dabei auch urn eine bemerkenswerte Ich-Leistung bzw.
urn ein interpersonelles Geschehen handelt (vgl. Mertens 1991 ).
Intellektuaiisierung ais Widerstand kann in der Analyse durchge-
arbeitet werden: und das setzt voraus, sie zunâchst einmai ais die
rnomentan adâquate Losung zu akzeptieren, die der Patient 1rn Di-
1ernrna zwischen Wunsch und Angst gefunden hat. Cremerius
( 1975) hat in einer Arbeit über Behandlungen mit wortreichen Pa-
tienten aufgzeigt, dai3 in der Psychoanalyse zunachst zwei gegen-
satzliche Haltungen vertreten wurden: zmn einen die, die
»Geschwatzigkeit« (Ferenczi 1915) als Widerstand rnôglichst rasch
überwinden zu wollen, zurn anderen die Haltung eines eher passi-
ven Abwartens. Erst die Verbindung beider Haltungen erlaubt
heute die »geduldtge Durcharbeitung des Widerstandes 1rn Felde
der Übertragung« (Cremerius 1975: 59). Das intellektualisierende
Sprechen, das manche Analysestunde füllen kann und am Kern
vorbeizugehen scheint, wird demzufolge von der rnodernen Psycho-
analyse nicht mit der autoritâren Aufforderung beantwortet, zur
Sache, also zu »Gefühlen« oder âhnlichem zu kommen, sondern es

25
wird wie jede andere Âu13erung als Ausdruck eines in der Bezie-
hung aktualisierten komplementaren Paares von Wunsch und
Angst verstanden.
Cremerius führt an verschiedenen Beispielen a us, wie das
Sprechen selbst zur Handlung in der Beziehung wird und wie die-
ser Handlungsdialog gedeutet werden kann, werm erst der Wunsch
verstanden ist, den er zum Ausdruck brtngt. Ich greife ein Beispiel
heraus:
Ein Patient bemüht sich in jeder Sitzung angestrengt, lückenlos alle Einfalle zu
aul3ern, er spricht viel und konzentriert, scheint aber unter erheblichem Druck
zu stehen. Er wirkt auf den Analytiker wie ein Musterschüler, der seine Wert-
schatzung gewtnnen will. Auf eine entsprechende Deutung reagiert er mit ver-
starktem Druck: er bedankt sich für die Korrektur und bemüht sich fortan,
nicht mehr sa tlei13ig und gehorsam zu wirken.
Ist hier die Psychoanalyse als »Sprechtherapie..: am Ende? Hat der Patient, in-
dem er die Grundregel der freien Assoziation in den Dienst seines unbewu13ten
Wunsches stellt, der gehorsame und leistungswillige Diener zu sein, den Analy-
tiker dadurch neutralisiert, daB er ihn buchstablich beim Wort nahm? MüBte
man den ,.gehorsamen AssoziiereH zu einer anderen Therapie motivieren, in der
er zur Rebellion gedrangt wird? Keineswegs, denn das hie13e, der self-fulfll1ing
prophecy Erfüllung zu gewahren: die Szene von Gehorsam und Bestrafung, die
sich im Inneren des Patienten abspielt, und die er nun in der Übertragung mit
dem Analytiker wieder zu beleben versucht, würde einmal mehr bestatigt wer-
den. Die analytische Arbeit beschreitet vielmehr den Weg der vorsichtigen Deu-
tung des Wunsches. Dieser Wunsch ist nicht eindeutig - hinter der
,.Geschwiitzigkeit« kënnen verschiedene Wünsche stehen. Cremerius (1975) un-
terscheidet verschiedene Charaktere: Das Vielreden kann im analen
Kontliktgeschehen die Bedeutung eines Geschenks an den Analytiker anneh-
men, aber es kann ihn auch ais Ausdruck passiver Erwartung dazu auffordern,
>K>rdnend« in die Gedanken des Patienten einzugreifen. Es kann ebenso den Ver-
such darstellen, den Analytiker zu kontrollieren, wie es als Abwehr eigener
Ha13gefühle durch übertriebene Betlissenheit dienen kann. Andererseits kann es
auch den Wunsch ausdrücken, phalüsch-narzi13tisch zu glânzen, den Analytiker
zu überstrahlen oder mit ihm zusammen ein einzigartiges Melsterwerk zu voll-
brtngen - und jedenfalls nicht dem unangenehmen Gefühl der Kleinheit und
Unvollkommenheit ausgeliefert zu sein.
Welches Motiv kënnen wir ln dem Fallbeispiel des gehorsamen Assoziierers
vermuten? Cremerius schildert in diesem Fall das Vielreden als Unterwerfung
gcgenüber einem strengen und rigiden Über-Ich, das standig Leistung und Ge-
horsam fordcrt, aber nie Zufriedenheit zuliiBt, sondem den Patienten immer
wleder in die demütigende Rolle des unterwürfigen Schülers drângt. Werm der
Analytiker diese Struktur verstanden hat, ëfinet sich Lhm der Weg, vorsichtig
den Wunsch des Patienten nach einer guten Beziehung anzusprechen. Er kann
thm zu verstehen geben, da13 er sein Leiden nachfühlen kann, dai3 es ihm nie
gutgehen d ürfe. Diese akzeptierende Deutung kann dann zur Entfaltung eines
Prozcsses führen, in dem die zunehmende Wahmehmung von Wünschen, be-
gleitet vom zunehmenden Druck des Über-Ich, in der Übertragung durchgearbei-
tet werden kënnen.
Der Analytiker nlmmt einerseits an der Inszenierung teil, andererseits kann
er aber darüber sprechen. Das ermëglicht eine Deutung des sprechenden
Handelns.

26
IPU Bibliothek

Bei aller Kritik am Sprachprimat der Psychoanalyse sollte schlieB-


lich nicht übersehen werden, daB Sprache nicht nur dem Aus-
druck dient, sondern -und das ist ihr Spezifikum - der Verstândi-
gung. Sicher ist die Ausdruckspalette der nonverbalen ÂuBerungen
viel breiter. Sprachlicher Ausdruck stellt demgegenüber immer
eine Reduktion dar. Eine Reduktion jedoch, die unbedingt erforder-
lich ist, will man den Ausdruck über den Moment und über das
Eigene hinaus festhalten und mitteilen. Zur Verstandigung sowohl
mit anderen ais auch mit sich selbst ist es unentbehrlich, die
flüchtigen und unbestimmten nonverbalen Signale in sprachliche
Zeichen zu übersetzen- das kann manchmal sehr schwerfallen, ja
die Grenzen der konventionellen Sprache sprengen. Ais innovati-
onsfâhiges, kreatives Medium scheitert die natürliche Sprache je-
doch nicht notwendig an dieser Herausforderung, vielmehr wâchst
sie mit ihr.

Wo Es war, soUIch werden


Unsere Sensibilitat mag uns befàhigen,
mit dem ~Dritten Ohr« zu hôre n. Trotz-
dem habe ich noch nie einen Thera-
peuten in anderen Zungen reden hôren.
(Shapiro 1979: 33).

Wenn ich also Sprache in einem weiten Sinne fasse, so kann ich
die Psychoanalyse als einen Versuch verstehen, Exkommuniziertes
zur Sprache zu bringen. Wir haben gerade Beispiele gesehen , in
denen Sprache als Rationalisierung oder Intellektualisierung die
Affekte eher verschleiert als benennt. Eindrucksvoller noch sind
die seltenen Fâlle, in den en erst die Therapie das Schweigen des
Patienten losen kann. Das Bewegende der Fallberichte von Men-
schen, die in Therapien die Sprache fanden oder wiederfanden, gibt
eine Ahnung davon, wie tief die Fâhigkeit, zu sprechen und Spra-
che zu verstehen mit der menschlichen Seele und ihrer freien Ent-
faltung verbunden ist. Nicht umsonst hat die Autobiographie der
taubstwnmen Helen Keller ( 1902) Generationen von Lesern er-
reicht und erschüttert, haben Fallberichte wie »Der stwnme Mund«
(D'Ambrosio 1970) oder »Kevin, der Junge, der nicht sprechen
wollte« (Hayden 1983) eindrucksvoll Zeugnis für die Wtedergewin-
nung der Sprache durch Aufarbeitung traumatischer Sprachbar-
rieren abgelegt. ..
Man kann sagen, daB Psychotherapie immer die Uberführung
sprachloser Prozesse in sprachformige ist, werm man bereit is t an-
zuerkennen, daB nicht nur gesprochene Sprache im engeren Sinn,
sondern auch andere Zeichensysteme mit dem Begriff »Sprache« im
wetteren Sinn gemeint sein kônnen. Sicher werden es aber Zei-
chensysteme sein, die etwas mit unserer natürlichen Sprache zu
tun haben.

27
Welchen Bedingungen mui3 ein Zeichensystem genügen, um
in diesem therapeutischen Sinne als heilsam zu gelten? Hier nur
einige Grundlegungen: es wird sicher einen gewissen Grad von Be-
wu.Btheit aufweisen müssen, aber auch von Offe:nheit gegenüber
nichtsprachlichen Prozessen; es wird soweit konventionell sein
müssen, daB es Verstfuuligung ermôglicht, und soweit flexibel, daB
es Klischees auflôsen kann; es wird gegenstandsbezogen sein müs-
sen, werm es etwas auBer sich selbst bezeichnen will, und reflexiv,
wenn es nicht im Bezeichnen von Gegenstanden sich erschôpfen
will. Sprache in diesem umfassenden Sinn enthâlt neben Wôrtem
und Satzen auch paraverbale LautauBerungen, Gesten, bildliche
und mimische Ausdrücke.
Nonverbale und paraverbale Aspekte der Psychoanalyse von
Frühstorungen

Bei Patienten, deren Symptome in einer so frühen Zeit wurzeln,


daB sie nicht nur zu Verzerrungen im Rahmen des seelischen
Funktionierens führen, sondem diesen Rahmen selbst, die Reifung
und Abgrenzung der seelischen Instanzen beeintrachtigen, spricht
man von »Frühstôrungen«. Gemeint sind damit Psychosen, schwere
Charakterpathologien, narzi13tische und Borderline-Persônlich-
keitsstôrungen. Ihnen ist - jenseits der spezifischen Unterschiede -
gemeinsam, da13 sie im Zusammenspiel mit iluen frühesten Be-
zugspersonen keine tragfahigen und/oder konstanten bzw. ambi-
valenzfâhigen Reprasentanzen von sich selbst und den Bezugsper-
sonen entwickeln konnten. Die Frühzeit, von der hier die Rede ist,
liegt 1m ersten und zweiten Lebensjalu, also noch vor oder in den
Anfangen der Sprachentwicklung.
Kônnen solche praverbalen Erfaluungsinhalte überhaupt re-
konstruiert werden? Werm hier von Erinnerung die Rede ist, geht
es ja um Erinnerungsspuren, die noch in der ungeschiedenen Fülle
der Wahrnehmung spielen. Vor der Epoche der Benennung ist die
Wahrnehmung beispielsweise der Mutter ja noch nicht das Wieder-
erkennen dessen, was das Kind schon unter Mutter versteht, son-
dern es ist eher einer Wolke mütterlich gefarbter Empfindungen
vergleichbar, zu denen durchaus auch Sinneswahrnehmungen ge-
hôren, die nicht auf die andere Persan direkt bezogen sind, son-
dern z.B. ein Wohlgefühlim eigenen Bauch. Werm also in Psycho-
analysen die frühe Erinnerung an die Zeit vor dem Spracherwerb
rekonstruiert wtrd - ist es dann ein Wiederkehren dessen, was da-
mals war, oder mu13 man nicht gerade in diesem Falle besonders
den narrativen Aspekt psychoanalytischer Entwürfe von Lebensge-
schichte betonen? Denn das, was irn Behandlungszirruner ais Le-
bensgeschichte erkannt wird, ist niemals ein »Replay.: des vormals
Erlebten, sondem inuner eine »Geschichte.: auch im Sinne von Er-
zahlung, eine aktive Neu-Erfindung, die allerdings mit den pra-
verbalen Engrammen zusanrmenpassen muB. Nur dieses Modell

28
von Erinnernung ist auch mit der modernen Gedachtnispsycholo-
gte vereinbar (vgl. Granzow 1994). Die Sauglingsbeobachtung '(vgl.
Kap. 4.4, S. 114) zeigt jedenfalls eine Reihe von Untersclùeden zwi-
schen dem psychoanalytisch rekonstruierten Bild der frühen
Kindheit und dem, das ein teilnehmender und einfühlsamer Beob-
achter über das Erleben des Kindes 1m ersten und zweiten Le-
bensjahr imaginieren kann. Psychoanalytische Rekonstruktionen
der Frühzeit bestehen ja auch nicht in klaren Erinnerungsbildern
und benennbaren E1ementen, sondern eher in unbewu.Bten, nicht-
sprachlichen Handlungs- und Kommunikationsreflexen, wie z.B.
Agieren und Projektive ldentifizierung (vgl. auch Mertens 1990b:
126 f, 1991: Kap. 13 und 20).
Dennoch, auch werm die Frage der Moglichkeit einer Rekon-
struktion offenb1eiben mu13, konnten für die therapeutische Hal-
tung Fo1gerungen notig sein. Vorsprachliche Krankheitsursachen
konnen ja môglicherweise mit verbalen Deutungen nicht erfa13t
werden. In diesem Zusammenhang richtet sich das Augenmerk auf
die non- und paraverbalen Aspekte der therapeutischen Situation,
und 1m Falle der Psychoanalyse vor allem auf letztere. ln der
psychoanalytischen Situation, in der der Patient ja nicht die Mag-
lichkeit hat, nonverbale Ausdruckssignale des Analytikers (Mimik,
Gestik, Blickkontakt) wabrzunehmen, spielen die Stinunfarbung
und Redeweise, Pausen, Rhythmus usw. eine bedeutsame Rolle.
:.So erfâhrt früher oder spa ter jeder Analytiker, wie sein Patient
seine Stimme wahrgenommen hat: ob sie kongruent mit dem in-
haltlich Mitgeteilten klang, ob sie einfühlsam war. zartlich und
liebevoll oder streng und kühl, besserwisserisch, schulmeisterlich,
schnarrend, hektisch oder besanfttgend und einlullend wte ein
Wtegenlied« (Mertens 1990b: 112). Ofter als Analytiker selbst es
sich bewu.Bt machen, aber oft auch ganz absichtlich, korrunentie-
ren, bestatigen und interpunktieren sie auch in den rezeptiven
Phasen den RedefluB des Patienten dur ch das berülunte »Hm- hm«.
Gerade in der asymmetrischen analytlschen Sprechsituation, in
der die mimischen und gestischen Signale von seiten des An.alyti-
kers ausgeklammert bleiben, kann dieses Verstândniskürzel für
den Patienten bedeutsame Stgnalwtrkung haben, und zwar beson-
ders in dem Bereich seiner Beziehungserfahrung, der eher frühe ,
»mütterliche« Aspekte umfa13t (vgl. auch Cremerius 1980).
In der Literatur über die Therapie von frühgest6rten Patienten
st6Bt man immer wieder auf den Hinwets, da13 vor allem eine tra-
gende therapeutische Beziehung. Authentizitat und Spürbarkeit
des Therapeuten, insbesondere sein Umgang mit seinen eigenen
Affekten für den Patienten den archimedischen Punkt darstellen,
von dem a us er seine verzerrte ·Objektwelt neu erfahren kann. Si-
cher ist eine besondere Sensibilitàt für nonverbale und paraverbale
Signale al~ . Befindlichkeitsindikatoren bei Menschen vorhanden,
die für ihr Uberleben darauf angewtesen waren, die wechselnde, ais
inkonstant erlebte Stimmung ihrer Beziehungspersonen aus sol-

29
chen Signalen herauszuhoren. Sie hab en si ch die Fâhigkeit gesun-
der Sauglinge erhalten, aus Intonation, Satzmelodie und Rhythmus
überraschend zutreffende Schlüsse auf die Befindlichkeit ihrer Be-
zugspersonen zu ziehen (vgl. Stern 1977, 1986, Lichtenberg 1983,
Lang 1988, Dornes 1993).
Es gtbt innerhalb und auBerhalb der Psychoanalyse eine Dis-
kussion darüber, ob der Therapeut den sprachlichen Dialog verlas-
sen und sich »direkt«, praverbal-empathisch, auf den Patienten
einstellen sollte (Beispiele aus ganz verschiedenen Richtungen sind
etwa Ferenczi 1930, 1931, Kohut 1977, Orban 1981, Lichtenberg
1983). Um die Diskussion noch einmal auf einen Punkt zuzuspit-
zen: man konnte behaupten, da13 es gerade in der Frühstorungs-
therapie nicht so sehr der Deutungsinhalt ist, der sich als hilfreich
erweist, sondern das Dasein des Therapeuten. Die Diskussion tun
die nonverbalen Therapieaspekte bringt stets das Moment des
»Wortlos-verstanden-Werdens« ins Spie1, als Ideal einer unverzerr-
ten, totalen Kommunikation. Ich meine, daB dieses Ideal eine Idea-
Usierung ist. Das wortlose Verstehen funktioniert hier als Ge-
genbild einer chronischen Fehlbenennung. Deren Gegenteil ist aber
nicht das Nicht-Benennen, sondern das richtige Benennen. Sicher
ist es nôtig, die Erfahrung zu machen. daB man überhaupt gehort
wird. Sie lâBt sich allerdings leichter machen, werm der zuhorende
Therapeut sein Horen kommentiert. Auch in der Frühstorungsthe-
rapie hat, so gesehen, die Sprache eine zentrale Funktion.

Korpersprache ln der Psychoanalyse

lch habe einige Überlegungen skizziert, die darauf hinweisen, dai3


der grundsatzlich sprachliche Zugang der Psychoanalyse zur The-
rapie auch bei Frühstorungen moglich und wünschenswert ist.
Nun kônnte aber der Eindruck entstehen, daB die Gleichung Psy-
choanalyse = verbale Therapie, die oft von Vertretern anderer The-
rapieformen eroffnet wird, zutrâfe. lst die Psychoanalyse demnach
einzig eine »talking cure«? Oder spielen nonverbale Signale und
Komrnunikationen nicht doch eine Rolle? Wie wir gesehen haben,
ist der verbalsprachliche Kommunikationskanal in der Psycho-
analyse aus gutem Grund von zentraler Bedeutung. Aber diese Be-
deutung kommt ihm ja nur in Beziehung auf die nichtsprachlich-
affektive Kornponente des Erlebens zu, um deren Benennung es
geht. Das heilit: der nonverbale Bereich spielt mindestens als Ge-
genstand eine wichtige Rolle. »Ja, als Gegenstand,« - k6nnte man
einwenden - »aber eben nicht als Methode! Die Psychoanalyse
klarrunert die nichtsprachlichen Verstandtgungswege eben doch
aus!« Ja und nein. Sie benützt sie nicht in einer Weise, die sich
selbst genug ist, sondern sie überführt sie stets ins sprachlich
Kommunizterbare. Aber sie benützt ste.
Ungeachtet dieses Sprachprimats hat sich die psychoanalyti-
sche Theorie immer mit dem Leibbezug des Erlebens befaBt- nicht

30
ztùetzt in Freuds Triebtheorie (vgl. Schilder 1923, Grunert 1977,
Müller-Braunschweig 1986). Es gibt Ansatze, die korperllche Aus-
drucks- und Mitteilungswege in der psychoanalytischen Situation
systematisch untersuchen bzw. therapeutisch mit einbeziehen
(Fenichel 1928, Ferenczi 1919, 1921, 1924, 1925, 1930, 1931.
Ferenczi und Rank 1924, Deutsch 1947, 1949, 1952, Scheflen
1973, Jacobs 1973, McLaughlin 1982, Herdieckerhoff 1985,
Ekman 1988; vgl. Mertens 1990b: 84).
Wenn Psychoanalyse kërpersprachliche Aspekte einbezieht,
und zwar sowolù betm Patienten als auch beim Therapeuten, so
tut sie dies, um sie bewul3t werden zu lassen- und dieses Bewul3t-
sein ntmmt immer die Form der Deutung an. Das heiBt nicht un-
bedingt, daB nur der Analytiker deutet. Deutung ist nach einer
Definition von Bauriedl (1980) »das, was in der (therapeutischen)
Beziehung Bedeutung gewinnt.« Ob diese Bedeutung nun sprach-
llch ausgedrückt ist oder als Geste, andeutend oder expllzit - sie
tritt jedenfalls heraus aus dem kôrperlichen Selbsterleben und
wird - eben als »Bedeutung« - eine zeitlich relativ konstante und
kommunizierbare Reprasentanz.
Werm so gerne von »Korpersprache« die Rede tst, dann klingt
das so, ais seien die praverbalen Kommunikationsmëglichkeiten
ebenso eine Sprache wie diese selbst. Dieser Gleichsetzung verwei-
gert sich die Psychoanalyse. Sie kann die »Sprache« des Korpers
nicht wie die natürliche Sprache behandeln, in der Menschen mit-
einander reden. Wolù aber kann sie im Einzelfall versuchen, jene
in diese übersetzen zu helfen- und das verandert beide.

Empirtsche Untersuchungen der Sprechsituation in der


Psychoanalyse

Die Sprechsituation in der Psychoanalyse und insbesondere 1m


diagnostischen Erstgesprach ist Gegenstand einer Reihe von lin-
guistischen Untersuchungen geworden. Ich kann Wer die Ergeb-
nisse dieser empir1schen Untersuchungen nicht darstellen, nur
kurz andeuten, in welche Richtung sie gehen.
Ein erster Ansatz ist der Vergleich bestimmter operationali-
sierbarer Sprachphanomene mit klinischen Diagnosen. So kônnen
Redefehler (wie z.B. plôtzlicher Wechsel der Satzstruktur, Verspre-
cher, Stottem, Wortwiederholungen, Auslassungen), aber auch
Rede-Eigentünùichkeiten (wie Einschubfloskeln, Verlegenheitssil-
ben) in psychotherapeutischen Sitzungen untersucht und mit dem
Angstniveau, mit der klinischen Diagnose oder der Persônlichketts-
struktur des Patlenten in Beziehung gesetzt werden (vgl. Goeppert
und Goeppert 1973, Kap. 3.3.1).
Dabei wurden die Methoden tm Lauf der wetteren For-
schungsarbeit immer mehr verfetnert (vgl. Goeppert und Goeppert
1973, Kap. 3.3.2). Man bediente sich zunehmend der in der Text-
llnguistik entwickelten Methoden der Analyse der narrativen

31
Strukturen (vgl. Labov und Fanshe1 1977) und der Diskursanalyse
(Kôhle und Raspe 1982, Streeck 1989). Dabei wurde der begrenzte
quantitative Zugang durch ausgefeilte qualitative Methoden er-
ganzt (vgl. Ehlich 1982). Besonderes Gewicht lag auf der Interak-
tion zwischen Patient und Therapeut (Flader u.a. 1982).

1.3. Sprache ais Bestandteü des psychischen Apparats


DaB sich die psychoanalytische Therapie vor allem 1m Sprechen
vollzieht, hat also eintge einleuchtende Gründe. Dennoch ist der
Sprachprimat der Psychoanalyse damtt no ch rùcht beschrie ben.
Die zentrale Rolle der Sprache in der psychoanalytischen Therapie
verweist vielmehr auf eine Sonderstellung, die die Sprache auch in
der psychoanalytischen Theorie innehat. Dieser weitere und aus-
greifendere Aspekt, unter dem sich die Psychoanalyse mit der
»faculté de langage« beschâftigt, die Rolle der Sprache als Be-
standteil des psychischen Apparats, kann aber nicht mehr so rela-
tiv kompakt behandelt werden wie der erste. Gerade in der Ein-
schatzung der Sprache als Bestandteil der Psyche hat sich im Lauf
der Theorieentwicklung der Psychoanalyse so viel geandert, da13
sich eine ausführlichere Darstellung nicht umgehen la.Bt. Sie ist im
Ralunen der vorliegenden Arbeit von besonderem Interesse, denn
ohne eine Klarung der recht unterschiedlichen Grundpositionen
lassen sich Einze1aussagen zur Sprachentwicklung schwer einord-
nen. lch werde im Kapite1 2 eintge wichtige Positionen diskutieren,
die 1m Lauf der psychoanalytischen Theorieentwicklung zum
Thema Sprache vertreten wurden.
Hier kann nur soviel vorweggenornmen werden: Für Freud ist
Sprache schon seit seinen frühesten psychologtschen (noch var-
psychoanalytischen) Schriften der zentrale Orgamsator der Psyche.
Sie ennôglicht und strukturiert den SekundarprozeB, mit seinen
Denk-, Urteils- und Realitatsprüfungsfunktionen. Auch das Unbe-
wu13te war bei Freud zunachst als sprachformig konzipiert, als
»Verdrângtes«. Je mehr es den Charakter eines Systems annalun
(Freud 1915e), erst recht seit seiner Ersetzung durch die Es-ln-
stanz .l m Struktunnodell (Freud 1923), wird seine Verbindung zur
nichtsprachlichen Triebnatur betont. Seit ihrer ich-psychologt-
schen Wendung hat sich die Psychoanalyse mit Sprache vor-
nehmlich aus der Sicht des Sekundarprozesses befaBt. Dadurch
erscheint das Es noch ausschliel3licher als sprachlose Triebnatur.
G1eichze1tig jedoch wird das Ich immer weniger als sekundare
Vermittlungsinstanz gesehen, sondem gewinnt eigenes Gewicht.
Schon Freud hatte unbewu..Bte lch-Funktionen eingeführt; sie die-
nen nun dazu, einen umfangreichen unbewu..Bten !ch-Apparat zu
postulieren. Seine Funktionen werden teilweise als angeboren be-
trachtet. Damit wird nun die Sprache zwar dem Ich zugeschlagen,
dieses aber wieder als teilweise naturgegeben gesehen. Als Resultat

32
kônnte man festhalten, daB die psychoanalytische lch-Psychologte
einen »nativistischeren« Sprachbegriff9 vertritt als Freuds klassi-
sche Topik. Diesem eher paradoxen Theoriebild hat seit den sech-
ziger J ahren eine neue Diskussion um die psychoanalytische
Sprachtheorie, um den Symbolbegriff insbesondere, abzuhelfen
versucht. Es entstanden verschiedene Diskussionsstrânge, die lei-
der - wie so oft - einander wenig Beachtung schenkten. lch werde
1m nachsten Kapitel die wichtigsten Theoretiker vorstellen. Allen
gemeinsarn ist der Einflu.B der modernen, strukturellen Linguistik
und Zeichentheorie, die eingebettet ist in eine Gesamtbewegung
der PhilosopWe dieses Jahrhunderts, nâmlich eine Aufwertung des
Sprachbegriffs.lO Damit enden aber schon die Gemeinsamkeiten.
Die Unterschiede darzustellen, würde den Rahmen dieses Eilùei-
tungskapitels sprengen. Eine Tendenz indes ist noch anzwnerken,
naml.ich eine gewtsse Rehabilitation der Freudschen Frühschriften.
So sieht z.B. Lorenzer in Freuds Aphasie-Schrift (Freud l89lb, s.u.
S. 36) eine Bestatigung seines Theorems vom dialektischen Dop-
pelbezug der Psychoanalyse auf Neurologie und Soziologte; ande-
rerseits erarbeitet der franzôsische Poststrukturalismus in z.T. mt-
nutiôsen Analysen eine Renaissance der frühen Freudschen
Schriftmetapher. die nicht nur von der Sprachlichkeit. sondem
prâziser von der Schrifllichkeit des Unbewu.Bten ausgeht (vgl.
Lacan 1956, Derrida 1967, Lang 1980a, b, Pagel und Weif3 1984).

9 Ais »nativistisch4< wird in der Sprachentwicklungforschung diejenige Posi·


tian bezeichnet, die davon ausgeht, da13 Sprache sich aus einem angcbo-
renen Wissen um ihre Grundstrukturen entwickelt. Diese Position wird
z.B. von Chomsky und Lenneberg vertreten.
10 Vor dessen Überschâtzung Gauger ( 1979) im übrigen warnt.

33
Tell II: Theoretische Standortbestimmung
einer Psychoanalyse der Sprach-
entwicklung

lm eirùeitenden Überblick habe ich versucht, das Verhaltnis von


Psychoanalyse und Sprache grundsatzlich zu fassen, und habe
dabei, einer personlichen Vorliebe folgend, vor allem auf Freud Be-
zug genommen. Dieser Bezug spiegelt aber auch die Struktur der
Evolution der Psychoanalyse wider (Tommel 1985). Der Flucht-
punkt Freud hat die psychoanalytische Bewegung bei ali ihren
Theoriebrüchen immer integriert und erlaubt auch heute als archi-
medischer Punkt noch oft genug, ansonsten schwer vergleichbare
Theoriestrange miteinander in Beziehung zu setzen. Auch die
Standortbestimmung im einzelnen, die uns im folgenden beschafti-
gen soli, beginnt mit einer historischen Skizze, und diese natürlich
mit Freud.
AnschlieBend an diesen Überblick, der Freuds Theorie in auf-
einanderfolgenden Phasen darstellt, sallen dann noch die wichtig-
sten sprachtheoretischen Diskussionen in der Psychoanalyse nach
Freud Erwahnung finden, insbesondere die Ich-Psychologen, die
Objektbeziehungstheoretiker und neuere Theorien, die auf einer
Kritik des psychoanalytischen Symbolbegriffs beruhen.

2. Historischer Überblick über die


psychoanalytischen Theorien
des Sprachvermôgens

2.1. Freuds Sprachtheorien im Wandel


Wenn man versucht, trgend einen Ausschn:itt aus Freuds umfas-
sendern Werk darzustellen, sei es die Theorie des Traurns (vgl.
Hamburger 1987), der Angst, der Triebe, des Ich - oder wie hier:
der Sprache, so stoBt man immer wieder auf ein Phanomen, das
schon viel Verwtrrung gestiftet hat. Freud hat nfunlich regelma.Btg
ntcht eine, sondern mehrere Theorien über denselben Gegenstand
aufgestellt; und zwar nicht zufallig. sondern der Bewegung eines
Denkens folgend, das sich immer wieder mit logischer Stringenz an
einen Punkt heranrnanovriert, an dem es nicht weitergeht - und
von dort aus einen kühnen Ansatz sucht, das ganze Problem neu
aufzurollen. Und auch diese neue Losung hat den Denker Freud,
der sich selbst keine Kritik ersparte, nicht letztlich befriedigt, die

34
entstehenden Widersprüche lieBen ihn nicht ruhen, bis er einen
weiteren Arùauf unternalrm, das Alte umzuwerfen und aus den
Trümmern neu zu bauen. Erst werm man diese Bewegung erkennt,
versteht man die vielen definitorischen Ungereimtheiten und In-
konsequenzen seines Werkes als quasi geologtsche Schichten über-
etnandergetürrnter Theoreme. Werm man sie nicht erkennt - und
das ist leider haufig der Fall - so gibt es zwei hauptsachliche Reak-
tionen. Man kann Freud für definitorisch schludrig oder willkürlich
halten und versuchen, durch abgrenzende Definitionsarbeit und
Neueinführung von Begriffen Ordnung zu schaffen. Problematisch
daran ist nur, daB man mit dieser sozusagen gleichzeitigen Ord-
nung die gewachsene, historische Ordnung der Theorie überdeckt.
Man organisiert die Begriffe an der Oberflache und verkennt ihre
Bewegung. Diese Reaktion hat in der Geschichte der Psychoana-
lyse zu immer neuen Begriffsbildungen und »Selbstheilungsversu-
chen« geführt, was ihre Ubersichtlichkeit nicht eben erhôhte, wohl
aber ihren architektonischen Reiz. Dennoch ist sie seltener, als
man vermuten kônnte, denn sie ist ziemlich arbeitsaufwendig. Die
zweite Reaktion ist haufiger und schl1mmer im Resultat. Sie be-
steht darin, Freuds Aussagen einfach nebeneinander stehen zu
lassen, ohne sich ihre Widersprüche vor Augen zu führen, also sie
unkritisch, unverdaut zu »glauben«, mit dem fatalen Ergebnis, daB
man dabei Freuds Theorie als Sammelsuriurn internalisiert und
sich daran gewohnt, mit mehrdeuttgen Begriffen zu operieren. Es
ist die unaufwendigere Reaktion, und deshalb die verbreitetere.
Wie ein roter Faden durchzieht sie die psychoanalytische L1teratur
und führt dazu, daB Freuds Widersprüche erblich und die psycho-
analytischen Termini fortgesetzt unscharf werden. Nur: Freuds ei-
gene Unscharle war nicht dieser Natur, sie beruhte nicht auf Glau-
bigkeit, sondern auf Skepsis, sie war das Resultat eines lebenslan-
gen kritischen Verwerfens, nicht einer unkritischen Übernahme.
Es gtbt freilich noch eine dritte Reaktlon auf Freuds schwiertges
Denken: Man kann es tgnorieren. Dies ist immer noch die weitaus
hâufigste - auch werm er zitiert wird.
Hier will ich am Beispiel von Freuds Theorien des Sprachver-
mogens einen vierten Weg skizzieren: nfunlich die Rekonstruktion
seiner Denkbewegung. Hilfreich dafür mag die folgende Übersicht
über die Etappen des Freudschen Denkens sein.

35
Freuds Sprachtheorlen lm Wandel

Publikation Metapsychologisches Klinisches Sprachtheorie (vgl. Text)


Konstrukt Phanomen

189lb neurologisch Aphasien Wort- 1 Objektvorstellungs


komplex
1950a Neuronerunodell; Hysterie Sprachzeichen als Werkzeug
( 1895) :»erste Topik~ des Ich. ~Mü3verstandni~
l900a Reflexbogen Hysterie Wortvorstellungen 1 Affekte
1914c Ich- /Objektlibido Schizo-
lch-Ideal phrenie
1915e Vorbewu13tes durch Wortvor-
stellungen
1920g Wiederhol ungs- trauma-
zwang, Todestrieb tise he
Neurose
1923b Instanzenmodell unbewuBte Ichanteile werden
~zwelteTopik« durch Verbindung mit Wort-
klangbildem bewuJ3t
1925a Schriftmetapher
l940a Ich-Psychologie unbewui3te Sprache -
( 1938)

2.1.1. Neurophysiologie des Sprachzeichens:


~zur Auffassung der Aphasien-4(

Die in der Himrinde anlangenden Fa-


sem [... ) enthalten die Kërperperipherte,
wie [... ) ein Gedicht das Alphabet ent-
ha.It, in einer Umordnung, die anderen
Zwecken dient~
(Freud 1891 b: 55)

In seiner voranalytischen, neurophysiologtschen Studie »Zur Auf-


fassung der Aphasien~ (Freud 1891 b) nahm Freud bereits zur Psy-
chologie der Sprache und des Spracherwerbs entschieden Stellung.
Diese lange verkannte Arbeit ist ein gutes Beispiel für die oben an-
geführte These über die Freud-Lektüre: erst aus ihr ergïbt sich
nfunl1ch ein historischer Zugang zu einer Reihe von Begriffen, die
Freud spater beibehalten oder varHert hat.

Funktlonaler Ansatz

Gegen die drunals herrschende Meinung von Wernicke, die von be-
stimmten. isollerten Sprachzentren im Cortex ausgeht, vertritt

36
Freud einen funktionalen Ansatz. Aufgrund klinischer Unstim-
mtgkeiten, die sich aus den von Wernicke (v.a. 1874 und 1885/86)
fur moglich gehaltenen Lasionen der Sprachzentren und der sie
verbindenden Bahnen ableiten lassen, entstehen fur Freud ~zweifel
an der Richtigkeit eines wesentlich auf Lokalisation beruhenden
Schemas überhaupt« (Freud 1891 b: 57). Er weist nach, daB eine
bestlmmte Sprachstôrung nicht immer auf die Zerstôrung einer
bestinunten Nervenbahn oder eines Zentrums zurückgehen muB,
sondern lediglich auf eine Funktionsminderung, die allerdings
Folge einer in der Nahe lokalisierten Lasion sein kann. Aber auch
1m letzteren Fall ist die Funktionsstorung nicht einfach ein Defekt,
sondern sie stellt eine Kompensation dar: lm Fall der Beeinflus-
sung des Sprech- oder Sprachvermogens faJJ.t nicht einfach eine
Teilfunktlon (wie etwa die Innervation eines Daumenmuskels) aus,
sondern der betroffene »[Apparat] reagiert als Ganzes solldarlsch
auf die Lasion, lâBt nicht den Ausfall einzelner Teile erkennen,
sondern erweist sich in seiner Funktlon geschwacht; er antwortet
auf die unvollstd.ndlg destruierende Ld.slon mit elner Funktionssto-
rung, die auch durch nicht materielle Schd.digung zu Stande kommen
konnte« (ebd.: 71; Hervorhebungen original). In dieser Schrift, de-
ren Argumentation weit in Grundsatzfragen der Neuroanatomie
ausgreift, vertritt Freud gegen die damais ho ch angesehene Lehr-
meinung Meynerts den prinzipiellen Standpunkt, daB auch sensib-
le und motorische somatische Balmen nicht einfach in der
Gro6hirnrinde abgebildet, sondern auf dem Weg dahin so vielfach
verschaltet und miteinander integrtert werden, daJ3 »die in der
Htrnrinde anlangenden Fasern zwar noch eine Beziehung der
Korperperipherie enthalten, aber kein toptsch ahnlJches Bild der-
selben mehr geben kônnen. Sie enthalten die Kôrperpertpherie, wie
[... ) ein Gedicht das Alphabet enthâlt, in einer Umordnung, die
anderen Zwecken dient [... )« (ebd.: 95).11 Dieser Gedanke gilt ent-
sprechend für die Sprachtheorie: Wernickes ~kortiko-zentrische«
(ebd.: 87) Auffassung, es gebe Zentren, die Vorstellungsbilder und
Worterinnerungen enthalten, und Leitungen, die zwischen diesen
Zentren Assoziationen herstellen, wird vollkorrunen fallengelassen.
Freud versteht Sprache jetzt als ein vernetztes System von Erre-
gungsmustern. In der Sprache der Neurophysiologie des 19 . .Jahr-
hunderts: ~wtr kônnen keine Empfindung haben, ohne sie sofort
zu assoziieren; [... ] [Demzufolge) müssen wir es ablelmen, die
Vorstellung an den einen Punkt der Htrnrinde zu verlegen, die
Assoziation an einen andern. Seides geht vielmehr von einem

11 So überraschend dieses Bild ist, und so sehr es zu postmodernen Speku-


lationen über die Schriftlichkeit des Unbewui3ten verlockt (vgl. z.B . Derrida
1967), so stringent ist die Konsequenz, die Freud daraus zieht: •Die Kette
der physiologischen Vorgiinge im Nervensystem steht ja wahrscheinlich
nicht im Verhilltnis der Kausalit:ât zu den psychischen Vorgangen. (, .. J Das
Psychlsche ist somit ein Parallelvorgang des Physiologischen [ .. . }« (Freud
1891b: 98).

37
Punkt aus, und befindet sich an keinem Punkte ruhend« (ebd.: 100
f.).l2 Diese assoziationistische Auffassung - die damais revo-
lutionar war - ermôglicht nun eine Beschreibung des Sprachpro-
zesses bzw. der Aphasien, die wesentlich psychologischer ist als die
physiologische Lokalisationslehre. Das Sprachvermogen erscheint
nunmehr eher genetisch und bewuBtseinspsychologisch ge-
schichtet als anatomisch. Das Tieferliegende ist jetzt das früher
Gelernte bzw. das Emotionalere. Durch seine streng funktionale,
sozusagen systemtheoretische Auffassung der Neurophysiologie
der Sprache ist es dem Physiologen Freud gelungen, psychologtsch
plausible Beschreibungen der Aphasien an die Stelle der vorherr-
schenden anatomisch-lokalisierenden Klassifikation zu setzen.
Obwohl Freuds Argumentation sich deutlich weg vom anato-
mischen und hin zum psychologischen Argument bewegt, zieht er
in dieser frühen Arbeit noch nicht die Konsequenz, ganz von der
neuropathologischen zur psychologischen Beschreibung überzuge-
hen. Er begnügt sich in der Aphasie-Schrift damit, einen physiolo-
glschen tm Gegensatz zum pathologischen Standpunkt zu begrün-
den, indem er den tsolierten Zentren einen »zusammerùlangenden
Rindenbezirk« gegenüberstellt, in dem »die Assoziationen und
Übertragungen, auf denen die Spraclûunktionen beruhen, in einer
dem Verstândnis nicht naher zu bringenden Kompliziertheit vor
sich gehen« (ebd.: 106). Mit dieser Theorie des Sprachbeztrks
knüpft er dann an die Lokalisationstheorie wieder an, indem er
ausführt, daB Lasionen der von Broca und Wernicke beschriebe-
nen »Zentren« sehr wohl spezifische Ausfaile hervorrufen konnen,
weil es sich bei diesen Unterbezirken des Sprachfeldes um diejeni-
gen Orte handelt, an denen das funktionale Netz an spezifische
sensorische und motorische Bahnen anschlieBt.
Freuds Aphasie-Schrift umfaBt mehrere Argumentatlonstypen
und nimmt insofem eine Mittelstellung ein: er bezieht sich auf die
Neurophysiologie des 19. Jahrhunderts mit ihrem psychologtsch-
philosophischen Argumentationsverfahren und setzt ihr die streng
quantitative Physiologie seiner unmittelbaren Lehrer entgegen,
wenn er kritisiert, daB etwa die »einfachen Vorstellungen« der Psy-
chologie mit einfachen Innervationen wiedergegeben werden sallen.
Es entspringt dieser streng naturwissenschaftlichen Argumentati-
onsweise, werm Freud diesem Versuch. psychische Phânomene
physiologtsch zu fixieren, eine Theorie entgegensetzt, die uns heute
hochst modem anmutet: »[ ... ] das physiologtsche Korrelat der ein-
fachen oder der für sie wiederkehrenden Vorstellung (ist) (... ) offen-
bar nichts Ruhendes, sondern etwas von der Natur eines Vor-
gangs« (ebd.: 99). Umgekehrt weist seine etgene Argumentation

12 Es ist unverstandlich. warum eine Schrift, die solche umwalzenden,


hôchst modernen Formulierungen enthalt, seit ihrem Erscheinen 1m Jahre
1891 in deutscher Sprache bis 1992, also über ein Jahrhundert nicht
mehr verôffentlicht worden ist und lange zu den ungelesenen Rara der Bi-
bliotheken zah.lte.

38
über einen quantitativ-mechanistischen Ansatz hinaus und deutet
Denkmuster der kommenden psychoanalytischen, funktionell-dy-
namischen Denkweise an. Bei der Andeutung bleibt es aber. Ob-
schon sie eine gill.tige Kritik der mechanistischen Lokalisations-
pathologie vorbringt, bleibt Freuds Theorie der Aphasie selbst
mechanistisch - Marx ( l967b) bezeichnet sie deshalb als
»absclùiel3ende Stellungnahme der Neurologie des 19. Jahrhun-
derts«.
Sehen wtr uns diese »abschliel3ende Stellungnahme« aus d er
Nâhe an. In seiner Einleitung zur Neuausgabe arbeitet Leuschner
( 1992) Freuds Standpunkt 1m einzelnen heraus, wobei er die Auf-
fassung vertritt, das psychologische Moment sei starker ais
zunachst sichtbar. Wie schon gesagt: Freud bestritt die Behaup-
tung der Aphasie-Forschung seit Meynert, daB Sprache in speziali-
sierten Zentren der Hirnrinde durch die Verknüpfung von dort lo-
kalisierten Klangbildern und Bewegungsbildern entstehe. Er ar-
gumentierte gegen Meynerts These durch eine Kritik der Lokalisa-
tion von Vorstellungen ebenso wie der sprachlichen Verknüpfung
dieser Vorstellungen. Schon das erste Argument wurzelt in einer
philosophischen Uberlegung: Für Freud ist die Annahme, einzelne
»psychische Vorstellungen« seien gespeicherte Signale afferenter
Nervenfasern, philosophisch fragwürdig. Er pladiert ntit Hughlings
Jackson dafür, das Psychische als »Parallelvorgang zum Physi-
schen« aufzufassen (Freud 1891 b: 98). Zweitens bestreitet er die
Lokalisation der Vorstellungen in einem eigenen Sprachzentrum
und pladiert dafür, sich die Sprachzentren lediglich als »die Eck en
des Sprachfeldes« vorzustellen (ebd.: 107), als Leitungsengpaf3.
durch den die viel umfassendere, in groBen Rindenarealen durch
vielfache Assoziation gebildete Sprachinnervation fliel3en muB.
Hierbei beruft sich Freud auf die damais noch durchaus bestrit-
tene Aphasie-Theorie von Hughlings Jackson, der die komplexe
Vernetzung und den Systemcharakter zentralnervôser Ablâufe
vertrat und von einer »dynanùschen Planbildung« der sprachlichen
Auf3erung ausging (vgl. Leuschner 1992: 19 ff.). Jacksons Begriffe,
die man als Wurzel einer dynamischen Theorie der Aphasie anse-
ben kann, haben auf Freuds Terminologie und Theorie psychischer
Stôrungen unmittelbaren Einflul3 ausgeübt (Forrester 1980).
Jackson stellte bereits die Aphasie als funktionelle Regression dar.
Freud geht allerdings in einem entscheidenden Punkt noch weiter
als Jackson und die übrigen Aphasiologen seiner Zeit: nàmlich
durch den Vorrang der psychologtschen vor der phystologtschen
Argumentation (Leuschner 1992: 23 ff.) Marx (1967b) meint, Freud
habe die »Klyptopsychologte« der anatomisch-physiologischen Mo-
delle seiner Vorlaufer deuilich gemacht. Zwar nimmt auch Freud
anatomische Fakten zu Hilfe, um seine Theorie zu untermauern,
doch ist die Intention dieser Theorie eine ausschlie.BUch psycholo-
gische. Freud erforscht kein Leitungssystem, sondern einen funk-
tionellen Zusammenhang.

39
Welches ist nun Freuds eigene These? Der erwâhnte funktio-
nelle Zusamrnenhang, aus dem er die Aphasien zu erklaren ver-
sucht, ist charakterisiert durch die Vorstellung, daB zum Sprach-
verstehen ebenso wie zum Sprechen immer das Zusamm.enwtrken
zweier kortikaler Zentren bzw. Funktionen erforderlich ist: einem
»Wortvorstellungskomplex« und einern »Dbjektvorstellungskomplex«.
Der Komplex der Wortvorstellung besteht aus einer Vernet-
zung von visuellen, akustlschen und kinasthetlschen Sinnesein-
drücken. Freud nennt ihn auch das »Sprachfeld«. Er ist hirnana-
tomisch an ein umgrenztes Gebiet gebunden, und zwar an das ge-
samte Ausdehnungsgebiet des Cortex der dominanten Hemisphare
zwischen Broca- und Wernicke-Zentrum (Freud nennt spekulativ
»die erste Urwindung um die Sylvische Spalte«).
Die Objektvorstellungen sind gedacht als ein nicht lokalisier-
tes, sondern über weite Rindengebiete beider Hemispharen ver-
tentes Netz von akustischen, taktilen und vtsuellen Gedachtnis-
spuren.
Die Konstruktion dieses Modells orientiert sich an der An-
nahme, daB primare psychologische Elemente nicht eins-zu-eins
durch Nervenzellen vertreten werden, da.B also »eine einzelne Ner-
venzelle nicht für eine einzige Sprachassoziatlonsleistung in An-
spruch genommen wird, sondern daB hier ein komplizierteres Ver-
hâltnis obwaltet« (Freud l89lb: 135). Gemeint ist mit dem
»komplizierteren Verhâltnis«, da.B schon elementare psychische
Grô13en Produkt eines dynamischen neuronalen Erregungsablaufs
sind: »nichts Ruhendes, sondern etwas von der Natur eines Var-
gangs« (ebd.: 99).
Unter diesen Prâmissen kommt Freud zu einer eigenen, eleganten Einteilung der
klinischen Aphasien: ( 1) der ver balen Aphasie als Stôrung innerhalb des
Wortkomplexes, (2) der asymbollschen Aphasie als Abtrennung von Wort- und
Objektvorstellungskomplex, und (3) der Agnosie, die er als Stôrung der semanti-
schen Komponente, also des Objektvorstellungskomplexes allein betrachtet. 13
Auch für die Vielzahl von Mischformen, die in der Klinik hâufiger sind als die
theoretisch postulierten reinen Formen, ist seine Erklârung eleganter als die Lo-
kalisatlonslehre. Diese muB alle Diagnosen mit einem postulierten Gesamt-
Ausfall eines der Zentren (bzw. angenommener Subzentren oder Leitungsbahnen
dazwischen, wie z.B. in Wernickes »Leitungs-Aphasie«) verbinden, wâhrend
Freud mehrere Môglichkeiten zur Abstufung und Differenzierung hat: Zum einen
die Lage der Lii.slon tm Sprachjeld: Eine Lâsion in dem von ihm postulierten
umfassenden »Sprachfeld« kann je nach Nahe zu sensorischen oder motorischen
Projektionsfeldern unterschiedliche Sprachpathologien erzeugen, von denen die
Broca- und Wernicke-Aphasien nur Sonderfâlle sind, in denen die Lâsion genau
an dem Punkt erfolgt ist, wo der Anschlu13 an die sensorischen bzw. motorischen
Rindenareale erfolgt. Die »Zentren« der Lokalisationslehre sind für Freud - in
heutiger Terminologie - lediglich Schnittstellen. Die zweite Grundlage für die
Diagnose von Mischformen ist die von Freud angenommene Môglichkeit einer
nur tellwelsen junkttonellen Beetntrcïchtlgung: Eine von diesen Schnittstellen
entferntere, also mehr in der Mittes des »Sprachfeldes« gelegene Lasion, ebenso

13 Den heute gebrâuchlichen Begriff hat also, was wenig bekannt ist, Freud
etngeführt.

40
aber auch eine partielle Uision eines ,.Zentrums~ oder die ,.Fernwirkung~ einer
Lasion in anderen Bereichen kann e ine herabgesetzte Funktion lm Sinne etner
Regression auj genettschfrühere Funktionsstufen des Sprachapparats bewi.rke n .
Mit diesem Postulat betritt Freud einen von Hughlings Jackson gewiesen e n We g
auf neurophysiologisches Neuland.
SchlieBlich detlniert Freud noch die asymboltsche Aphasie. Eine S tërung im
Bereich der ,.Qbjektvorstellungen«, die ihrerseits aus akustischen, taktilen visu -
ellen und anderen Sinneseindrücken gebildet sind, kann Ursache der eh e r se-
mantlsche Aspekte von Sprachstërungen sein, die Freud unte r dem Begrill d e r
asymbolischen Aphasie fai3t. Diese Stôrungen sind nicht auf das Sprachfeld in
der dominanten Hemisphare begrenzt, da die Objektvorstellunge n als beidseitig
reprasentiert gedacht werden.

Die deutliche Parallele, die diese Schrift zu Freuds prograrrunati-


scher Arbeit »Das Unbewu13te« enthhlt (Freud 1915e), wtrd von den
Herausgebern der Studienausgabe (Band Ill, 1975) verdeutlicht
(vgl. Kap. 2.1.4, Seite 46).

Sprachentwtcklung

Interessant an der Aphasie-Schrift ist auch ihr Bezug auf die Ent-
wicklungsdimension der Sprache. Bei der Erôrterung sowohl der
Charakteristika des Wortvorstellungskomplexes als auch der Ab-
grenzung und Ableitung verschiedener klinischer Fonnen der
Aphasie bezieht sich Freud immer wieder auf die Vorgange des
Spracherwerbs. Insbesondere seine Theorie der funktionellen Re-
gression, der das Sprachvermôgen 1m Falle einer partiellen oder
externen Lasion (Fernwirkung) unterliegt, enthait Annahmen über
die Entwicklung des Sprachvermôgens.
Eine zentrale Rolle spielt für Freud die akustlsche Reprasen-
tation der Sprache. Beim Spracherwerb wird nach Freud ein
»Wortklangblld« mit einer spontanen Sprechbewegung, dem
»Wortinnervationsgefühl« durch Gleichzeitigkeit assoziiert und die-
ses zunachst als propriozeptlves »Sprachbewegungsbild~ gespei-
chert. Mit dem Erlernen des Nachsprechens versucht das Kind, die
Klangbilder seines eigenen Sprechens den gehôrten Klangbildern
inUner ahnlich zu machen. Die »Klangbilder~ sind daher der eigent-
liche Kern des »Wortvorstellungskomplexes«. Sie sind es, mit denen
die komplexen Impulse des »Objektvorstellungskomplexes~ kom-
munizieren - allerdings auch diese auf dem Weg über eine beson-
dere Klasse von Vorstellungen, nfunlich über die optlschen Erinne-
rungsbilder.
Die Wlrkung der Aphasie-Schrift

Abgesehen von der Weiterverwendung des Begriffs »Agnosie ~ in der


Neuropsychologie war Freuds Aphasie-Schrift nicht derselbe Erfolg
bescWeden wie seinen analytischen Arbeiten. Wenn allerdings
Sohns und Saling ( 1986) recht haben, so ist Freuds E1nflu13 auf die
Neuropsychologie alles andere als gering: Kein Geringerer als Alex-

41
ander Luria nâmlich, der Begründer der modernen Neuropsycho-
logie, stand diesen Autoren zufolge in jungen Jahren stark unter
Freuds Ein:fluB: er gründete eine Russische Psychoanalytische Ge-
sellschaft, publizierte seine Forschungsergebnisse in psychoanaly-
tischen Zeitschriften und übersetzte einige Schriften von Freud ins
Russische. Wie Freud war Luria der Ansicht. und zwar ebenfalls
unter Berufung auf Hughlings Jackson, da13 die Lokalisationstheo-
rie durch ein funktionalistisches Konzept ersetzt werden soUte.
Miller ( 1991) p1adiert unter Berufung auf eine Reihe weiterer Auto-
ren dafür, diese Vorwegnalune der Konzepte einer dynamischen
Neuropsychologie in Freuds frühen Schriften a1s Ausgangspunkt
für eine Zusannnenarbeit zwischen Psychoanalyse und kognttiven
Neurowissenschaften zu nehmen (Kubie 1953, Ostow 1954, 1955,
Galin 1974, Happe 1975, Joseph 1982, Reiser 1984, Wtnson
1985 ). Er weist besonders darauf lùn, daB die Diskussion um die
relative Bedeutung der linken bzw. rechten Hemisphâre engen An-
schluB fand an die psychoanalytische Unterscheidung von PrimâT-
und SekundârprozeB, wobei er jedoch davor warnt, durch eine
allzu grobe Zuordnung nun wieder in eine neue Lokalisationstheo-
rie zu verfallen (Miller 1990).

2.1.2. ~Entwurf einer Psychologie~

lm noch sehr physiologtsch ortentierten »Entwurf einer Psycho-


logie~ (Freud 1950a) integrtert Freud das »Sprachzeichen« in eine
allgeme1nere Entwicklungstheorie und führt dabe1 bereits das so-
ziale Moment in die Konstruktion der Psyche ein.
Gerade tm Hinblick auf die gegenwartige Entfaltung der Neu-
roscience tst es von Bedeutung, die neurophysiologtsche Theorie-
bildung Freuds genau unter die Lupe zu nehmen- nicht nur, weil
sich hier môgliche klinische Anknüpfungspunkte wie bei den
Aphasien oder in der split-brain-Forschung ergeben, sondern we-
gen der prinzipiellen Bedeutung von Freuds neurologtscher Spe-
kulation auch für die jetzt wieder môglichen Spekulationen über
die Anatomie der Seele.
Zwar laBt sich der »Entwurf« in eine Reihe spekulativer ana-
tomischer und physiologischer Entwürfe stellen, die in der zweiten
Hâlfte des 19. Jh. »Hirnmythologte~ genannt wurden (Ellenberger
1970: 656). Aus diesen Versuchen, vor allem von Fechner (ebd.),
andererseits aus den im Gedankengang verwandten positivisti-
schen Mythologten der Hirnfunktion von Brücke, Meynert, Exner
(Amacher 1965) und Wernicke (vgl. oben Seite 36) schôpfte Freud
wesentliche Aspekte seines »Entwurfs«. Auch dieser Versuch einer
Hirrunytho1ogte ware - wie die spekulativen Ansatze dieser Vorlâu-
fer und Zettgenossen - vergessen worden, hatte nicht ihr Autor
spater die Psychoanalyse begründet. Insofern hat es seine Berech-
tigung, den »Entwurf« a1s Exposition eines Problemfeldes zu lesen,

42
das erst in der weiteren Entwicklung der Psychoanalyse entziffert
werden wird. Wir sehen hier einen Theoretiker dabei, mit beste-
chender Logik jenen Gordischen Knoten zu knüpfen, den er spater
durchhauen wird. Bestechend ist gerade das Unfertige des
»Entwurfs«; ein Signet, daB der psychoanalytischen Erkenntnis zu
eigen bleiben wird.
Wollte man auf den Vorlaufer-Status dieses Textes verweisen,
so konnte man hervorheben, da.B Freud schon in diesem Text,
lange vor der Fonnulierung seiner zweiten Topik, den Begriff ~Ich«
in einem dynamischen Sinn verwendet. Er versucht mit noch rein
neurophysiologtschen Begriffen eine Theorie des BewuBtseins und
der Denkvorgange darzustellen. Doch macht diesen Versuch für
mich nicht sein Erfolg interessant, sondern sein MiBerfolg. Freud
hat den »Entwurf« mit Absicht nie in Druck gegeben. Dennoch ver-
rat er in nuee bereits Freuds eigenste theoretische Gangart. Werm
man den Text genau liest, so stellt man fest, daB Freud bereits hier
immer wieder stockt und neu ansetzt, als wollte er alle Quadratu-
ren des Kreises ausprobieren. Es tst die Konsequenz dieses wie-
derholten, hartnackigen Scheiterns, die den geschworenen Natur-
wissenschaftler Freud so weit brachte, daB er sich notgedrungen
und hilfsweise der Psychologie widmete - und, wie ich meine, mit
insgesamt beachtlichem Erfolg. Ich halte den »Entwurf« für das er-
folgreichste Scheitern in der Psychologie des neunzehnten Jahr-
hunderts.
Ich kann im Rahmen dieses Buches keine ausführUche Ana-
lyse des »Entwurfs« vorlegen (vgl. Hamburger 1994) und be-
schranke mich auf eine Zusarrunenfassung der wichtigsten
Schritte:
Freud stellt im »Entwurf« kein geschlossenes neuropsycholo-
gtsches Modell vor, sondern er entwickelt eine si ch von Wider-
spruch zu Widerspruch fortentwickelnde Metaphorik der Seele als
Maschine. Dabei ist er gezwungen, schrittweise neue Funktions-
prinzipien, Nervennetze, Subsysteme einzuführen, nachdem jeweils
auf der Stufe eines Modells eine Aporie erreicht ist.

(1) Freud anerkennt nur den Begriff der Quantitèit ais den allein-
gültigen Klarungsbegriff etner exakten Psychologie. Diese
quantitative Erregung lauft in einem qualitativ in zwei
Neuronensysteme unterschiedenen Nervensystem ab, das
durchlâssige (Phi-) und mit Widerstand behaftete (Psi-) Neu-
ronen enthillt.
(2) Freud erganzt den quantitativen Erregungsablauf durch den
Begriff der Qualltdt (definiert ais Verteilung von Quantitât oder
»Bahnung«). Diese Erweiterung wird notwendig, um das Ge-
dachtnis im Modell darzustellen.
(3) Quantitat und Qualitat werden weiterhin erganzt durch den
Begriff der Periode (definiert ais zeitliche Schwankung von
quantitativer Besetzung und qualitativer Verteilung). Diese

43
Erweiterung wtrd notwendig, um die Differenz zwtschen Ima-
gination und sinnlicher Wahrnehmung ableiten zu konnen,
eine Differenz, die ausschlaggebend für die Modellkon-
struktion des BewuBtseins ist. lm Zusanunenhang damit mu.B
Freud noch ein drtttes Neuronennetz postulieren, die »Wahr-
nehmungsneuronen« (W).
( 4) Doch auch der Begriff der Periode hait den psychologtschen
Arûorderungen an das (inzwtschen nur noch spekulativ) phy-
sikalische Modell nicht stand. Er mu13 modifiziert werden i:rn
Sinne einer »allgemeinen Anregung<<, einer nicht-quantltativen.
aber auch nicht qualitativen Binnenkommunikation des psy-
chischen Apparates.
(5) Zu guter Letzt muB Freud sogar interaktive Prozesse einfüh-
ren, da er als Grundvoraussetzung für die Konstruktion einer
Psyche, die auch nur irgendwie auf AuBenweltreize aktiv rea-
gieren kann, ein innerpsychisches »Sprachzeichen~ benôtlgt,
das heiBt: die Anwesenheit einer Umwelt, die das ventilartige
Schreten als Mlttellung »miBversteht« und adaquat darauf rea-
gtert.

Freud versucht eine quantitative Psychologie zu installieren, doch


unter dem Druck der Phânomenologie muB er Schritt für Schritt
zurückweichen. Das neuronale Modell, zunachst ganz physiolo-
gisch und »keinesfalls metaphorisch gemeint~ (Lorenzer 1973: 34),
wird inuner mehr zur Metapher. Mit der Einführung des
»hilfreichen Individuums« (Freud 1950a: 365) sind in das naturwts-
senschaftliche Modell des psychischen Apparates Sprache un.~ In-
teraktlon aufgenommen. Das »ventilartige« Schreien, ein Uber-
druckphânomen, wird als Begehren, geauBerter Wunsch sozusa-
gen millverstanden - wodurch Sprache und mit ihr Realitât ent-
steht. Diese Überlegung transzendiert den naturwissenschaftlich-
physikalistischen Argumentationsrahmen. Damtt ist zwar eine
neue Dimension psychologtscher Einsicht gewonnen - die soziale -
aber die »Hauptsatze« des »Entwurfs« sind verletzt, die unab-
schlieBbare Frage nach dem Mechanismus wird sistiert. Sie wird
sich aber immer wieder zu Wort melden (vgl. Hamburger 1983: 26
und 1987: Kap 3.2.1).

2.1.3. Anfânge der dynamischen Theoriebildung


Nachdem Freud den quantitativen Ansatz als ein zu unhandliches
Modell fürs erste hintangestellt hat, wendet er sich einer mehr
phânomenologtschen Beschreibung zu, die jedoch das Ziel verfolgt,
eine psychologtsche Theorie der unbewuBten Zusammenhange zu
erstellen, die mit den im »Entwurf« skizzierten Forderungen nach
Kompatibilitât von Psychologie und Physik konvergteren. Freud

44
wird gezwungenerma..13en Psychologe und gedenkt, es nicht für irn-
mer zu bleiben. Das soUte sich als Irrtum erweisen.
Freilich wirkt noch ein anderes Moment in der Verânderung
von Freuds Theorien hinein. Seit Beginn der kathartischen Be -
handlungstechnik war in Freuds Therapien eine Eigendynamik ge-
kommen, die auch seine Theorien immer starker zu beeinflussen
begann. 1892 bemerkte Freud, da13 die Arzt-Patient-Beziehung ein
wtrksamerer Faktor der Heilung war als die kathartische Abfuhr
unter HYJ?.nose besprochener Vorstellungsinhalte, und er erkannte,
da13 die Ubertragung kindlicher Wünsche auf den Analytiker der
Angelpunkt dieser Beziehung waren. Er begann, auf das hypnoti-
sche Ritual zu verzichten und naherte sich der Methode der Aner-
kennung freier Einfâlle (vgl. Mertens l990a: Kap. l ). Das batte
Auswirkungen auch auf seine Sprachtheorie. In den frühen
Schriften war die Einführung des interaktionellen Moments in die
Genese des lch noch eine Folge theoretlschen Kopfzerbrechens.
Jetzt, in der verânderten klinischen Interaktion, wird Interaktion
zur selbstverstandlichen Voraussetzung. Zwar stellt die
»Traumdeutung« (Freud 1900a) noch ein mechanistisches Modell
des psychischen Apparats vor, doch findet sich daneben auch
schon ein Subjektmodell.

»Traumdeutung<<

Mit seiner zentralen Formel »Der Traum ist die (verkleidete) Erfül-
1ung eines (unterdrückten, verdrangten) Wunsches« (Freud 1900a:
166) betritt Freud gegenüber dem »Entwurf« theoretisches Neu-
land.
In der »Traumdeutung« wird neben die Ebene der quantitatlven Er-
klarung eine zweite sinnstiftende Ebene eingeführt, die nur aus der
Perspektive eines handelnden Subjekts beschreibbar ist. Diese
Subjektrolle übernirnmt der infantile Traumwunsch als Gegen-
spieler des Realitatsprinzips, der der Zensur des handelnden Ich
Schnippchen schlagt. Mechanistische und subjektbezogene Theorie
stehen in der »Traumdeutung« noch in einem scharfen Span-
nungsverhâltnis nebeneinander.
Gleichzeitig tritt mit in der Phase der »dynamischen« Theorie-
bildung (Ellenberger 1970) das Moment der Affekte starker in den
Vordergrund. Zwar bezieht sich Freud in der »Traumdeutung«
( 1900a) auf den Sprachapparat des »Entwurfs«, doch behandelt er
nun die kognitiven Vorgange in engerem Zusammenhang mit af-
fektiven Vorgangen. Die Wortvorstellungen haben nunmehr die
Funktion, zwischen den beiden Bereichen zu vermitteln. »Die Wort-
erinnerungen verleihen dem Denkvermogen affektive Qualitat«
(Freud 1900a: 622).

45
2.1.4. Narzifimus und Wiederholungszwang
Seit Freud sich über das klinische Feld der »Übertragungsneu-
rosen« (Angstneurose, Hysterie, Zwangsneurose) hinausbegeben
hatte und die Krankheitsbilder studierte, die er damais unter dem
Namen »narziBtische Psychoneurosen« zusarrunenfa.J3te, vor allem
die verschiedenen Formen der Schizophrenie, begann si ch auch
sein metapsychologtsches Konzept zu wandeln.
In mehreren programmatischen Schriften veranderte Freud
die Grundbegriffe seiner Metapsychologie, v.a. in :.Zur Einführung
des NarziBmus« (1914c), »Das UnbewuBte« (1915e) und »Jenseits
des Lustprinzips« (1920g). Neue Konzepte traten neben die ur-
sprünglichen Begriffe, vor allem das Phanomen des Wiederho-
lungszwangs und der !ch-Libido. Auch die Auffassung des Selbst-
erlebens als libidinôse Besetzung des Ich tst eine metapsychologt-
sche Variante. Gleichzeitig wurde die Theorie des Ich wichtiger:
hatte Freud schon seit 1910 von »lch-Trieben« gesprochen ( 191 Oi),
so wird diese eigenstandige Auffassung des Ich mit der Narzi.B-
mustheorie verbunden und ausgebaut (l910c, 191lb,c, 1914c,
1915e). Auf die Theorie der Sprache ging Freud dabei vor allem in
seiner Schrift über das Unbewu.Bte (1915e) ein.

»Das Unbewufite«

In dieser Schrift wird zunachst die klasstsche Gegenüberstellung


von bewuBt und unbewuBt verdeutlicht. Erst im Schlul3kapitel
werden die neuen Erkenntnisse aus der Behandlung der Psycho-
sen berücksichtlgt. Dort werden die Irùmlte des UnbewuBten
(»Ubw.«) als Sachvorstellungen, die bewuBtseinsfâhigen Vorstel-
lungen dagegen als Verbindung von Sach- und Wortvorstellungen
aufgefaBt (Freud 1915e: 300; vgl. auch Jappe 1971). Bewufit-
seinsfâhig heiBt dabei nicht unbedingt bewuBt; die Gesamtheit der
bewu6tse1nsfâhigen Vorstellungen, auch soweit sie gerade nicht
aktualisiert sind, wird 1m »Vorbewu.Bten« (»Vbw.«) zusammengefal3t.
Trotz einiger terminologtscher Veranderungen wird in dieser
Arbeit die in der »Auffassung der Aphasien« entwickelte Theorie des
»Sprachapparats« beibehalten - was mnso auffallender ist, als
Freud ausdrücklich betont, da13 erst neues klinisches Material ihn
zu diesen Überlegungen veranlaBt habe. Er schreibt: »Erst die
Analyse einer der Affektionen, die wir narzilltische Psychoneurosen
heiBen, verspricht uns Auffassungen zu liefern, durch welche uns
das râtselvolle Ubw. nâhergerückt und gleichsam greifbar gemacht
wtrd~ (Freud 1915e: 294). Er meint die spezifische Verânderung der
Sprache bei der Schizophrenie und bezieht sich dabei auf Arbeiten
von Abraham (1908) und Tausk (1919). Bei Schizophrenen set etn
»Überwtegen der Wortbeziehung über die Sachbeziehung« zu beob-
achten. Wahrend ein hysterisches Symptom z.B. auf der Ersetzung
eines verdrangten Vorstellungsinhalts durch einen âhnlichen

46
beruhe, funktioniert die schizophrene Ersatzbildung über den
Gleichklang der die Vorstellungsinhalte bezeichnen~en Worte: »Die
Gleichheit des sprachlichen Ausdrucks, nicht die Ahnlichkeit der
bezeichneten Dinge, hat den Ersatz vorgeschrieben~ (ebd.: 299). -
Diese Beobachtung verbindet er nun mit der psychoanalytlschen
Theorie der Schizophrenie, nach der der gestôrte Realitatsbezug
des Schizophrenen darauf beruhe, daB dieser die Objektbesetzun-
gen aufgegeben habe. In der Verbindung mit dieser These baut er
nun auf der klin1schen Beobachtung eine Theorie auf, die uns aus
der frühen Schrift über die Aphasien wohlvertraut ist:
:.Wir müssen (... ) modifizieren: die Besetzung der Wortvorstellungen der Objekte
wird festgehalten. Was wir die bewuBte Objektvorstellung hei.Ben durften, zerlegt
sich uns jetzt in die Wortvorstellung und in die Sachvorstellung, die in der Beset-
zung, werm nicht der direkten Sacherinnerungsbilder, doch entfemterer und von
ihnen abgeleiteter Erinnerungsspuren besteht. Mit einem Male glauben wir nun
zu wissen, wodurch sich eine bewu.Bte Vorstellung von einer unbewu.Bten unter-
scheidet. (... ) Die bewu.Bte Vorstellung umfa.Bt die Sachvorstellung plus der
zugehbrigen Wortvorstellung, die unbewu.Bte ist die Sachvorstellung allein«
(Freud 1915e: 300}.
:.Wir verstehen, da.B die Verknüpfung mit Wortvorstellungen noch nicht mit
dem BewuBtwerden zusammenfàllt, sondern bloB die Môglichkeit dazu gibt, daB
sie also kein anderes System als das Vbw. charakterisiert.« (ebd.: 301 ).

Wie aber ist nun in Abhebung von dieser Sprachtheorie der Ver-
drângung bei den Übertragungsneurosen der spezielle Vorgang bei
Schizophrenen zu kennzeichnen? Die Verdrangung beruht bei die-
sen Patienten n1cht auf der Unterbrechung der Verbindung zwi-
schen Sach- und Wortvorstellungen, sondern auf einer »Einziehung
der Triebbesetzung von den Stellen (... ). welche die unbewufite Ob-
jektvorstellung reprasentieren.« DaB es dabei zu einer verstârkten
Besetzung der Wortvorstellungen konunt, führt Freud darauf zu-
rück, daB dies »den ersten der Herstellungs- oder Heilungsversu-
che darstellt (. .. ) die verlorenen Objekte wieder(zu)gewtnnen (Freud
1915e: 302). Freud greift hier, in vereinfachter Form, die bereits in
»Zur Auffassung der Aphasien« skizzierten Theorie der Wort- und
Sachvorstellungen auf. lst also auch »Das UnbewuBte«, eine sicher
zu den »dynamischen« Schriften Freuds zâhlende Abhandlung. dem
mechan1stischen Denken der voranalytischen Zeit verhaftet? - So
einfach liegen die Dinge nicht.
Lorenzer ( 1986) weist darauf hin, daB hier 1m Keim bereits
jene »Doppelmetaphorik« angelegt ist, mit der Freud in seinen spa-
teren Schriften leibliche und soziale Vorgange umfaBt. Er zeigt eine
deutliche Parallele zwischen dem neurophysiologtschen Assozia-
tlonsbegriff der Aphasieschrift (Freud 189lb: 79) und dem spàte-
ren, oberflachlich rein psychologtsch lesbaren (1915e: 300) auf.

47
2.1.5. Strukturmodell
Hatte Freud sich unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs der
Todestriebhypothese ( 1920g) und der Massenpsychologie ( 1921 a)
zugewandt, so stellt er sich in seiner letzten graBen metapsycholo-
gtschen Schrift »Das Ich und das Es~ (1923b) wieder die Frage nach
der Anatomie der Seele.
Freud hat im Übergang zum Strukturmodell, der sog. »Zweiten
Topik~. den psychischen Apparat nicht mehr nach den Bewu.Bt-
seinsqualitaten (unbewuBt, vorbewuBt, bewufit) beschrieben, son-
dern thn nac_!l dynamischen Organisationskernen eingeteilt, die er
lch, Es und Uber-Ich nannte. Das Ich war also nicht mehr mit den
bewuBten oder vorbewuBten Vorstellungen allein verbunden, son-
dern es wurde als Instanz bestimmt, die in allen drei Bereichen der
ersten Topik angesiedelt war. Freud verla.Bt damit die bewuBtseins-
psychologtsch gepragte Vorstellungswelt seiner frühen Schriften
und wendet sich einer neuen, vitalistischeren Terminologie zu. In
»Jenseits des Lustprinzips~ werden der Wiederholungszwang und
der Todestrieb als eigene Funktionsprinzipien des psycWschen Ge-
schehens der Libidotheorie gegenübergestellt.
Es würde zu weit führen, den Weg dieser Theorie-Umbildung
im einzelnen nachzuzeichnen oder die Konsequenzen ausführlich
darztùegen; teh will hier nur auf den sprachtheoretischen Aspekt
eingehen.

Das lch und das Es

Freud geht in dieser Schrift auf Sprache nur am Rande ein, und
das, was er sagt, scheint dem Bisherigen erstaunlich wenig Wnzu-
zufügen. Er rekurriert wieder auf die Wortvorstellungen, die Vor-
bewu13tse1n ermoglichen und betont, ja unterstreicht noch eirunal
die enge Beziehung zu den akustischen Sinneseindrücken (den
Wortklangbildern). Uber die Verbindung mit diesen Spuren akusti-
scher Sinneseindrücke gelangt das Denken in Worten zu BewuBt-
sein. Bewul3tsein, dabei bleibt Freud strenger denn je, ist mit
Wahrnehrnung verbunden, und da ihn die Einführung des »lch« als
einer dynamischen Instanz dazu zwingt. auch unbewuBte Vorstel-
lungen anzunehmen, muB er herleiten, wie diese bewu13t werden
konnen.
~DieRolle der Wortvorstellungen wird nun vollends klar. Durch ihre Vermittlung
werden die inneren Denkvorgange zu Wahrnehmungen ·gemacht. Es ist, als
soUte der Satz erwiesen werden: Alles Wissen stammt aus der auBeren Wahr-
nehmung~ (Freud 1923b: 251 ).

Dennoch verdankt sich meiner Meinung nach der Rückgriff auf die
alte Formulierung eher Freuds Wunsch nach Kontinuitat als einer
tatsâchlichen Unveranderlichkeit seiner Auffassung über die Spra-
che. Gerade an den Bruchstellen seines Denkens pfl.egte Freud auf

48
Begrifflichkeit und Metaphorik der früheren, mit VorUebe sogar der
frühesten Theoriestufen zurückzugreifen. Dieser Tanzschritt des
Denkens ist es, der wie ein WeberscWffchen hin- und herfahrend
die oft bemerkte Januskopfigkeit der Theorien Freuds bewirkt: die
UnentscWedelÙleit 1hrer Begriffe, die sich immer naturwissen-
schafilich und subjektwissenschaftlich lesen lassen. Auch 1m Fall
der Zweiten Topik hat der Verweis auf die alte Theorie der Wortvor-
stellungen diesen Charakter: zum einen verankert er den Diskurs
in den :frühen neurophysiologtschen Modellen, zum anderen aber
implantiert er die soziale Welt in e1nem bisher doch noch nicht da-
gewesenen MaBe in den psychischen Apparat. Man darf nicht ver-
gessen, da13 ja immerhin eine Revolution der Triebtheorie vorange-
gangen war: in »Jenseits des Lustprinzips« (1920g) hatte Freud
einen allgemeinen Triebdualismus zwischen Lebens- und Todes-
trieb postuliert, entnommen aus der klinischen Beobachtung eines
unabhangtg vom Lustprinzip wirksamen »Wiederholungszwangs«.
In einer weit ausgreifenden evolutionsbiologtschen Argumentation
erklart er die menschliche Psyche als zwischen zwei Naturtenden-
zen ausgespannt: dem Drang aller organischen Materie, in den an-
organischen Zustand zurückzukehren, und dem gegenlaufigen
Trieb, sich mit anderen Organtsmen zu einem hoheren; vielzellige-
ren Organismus zu vereinigen. Das lch bezieht seine Energie aus
beiden Triebkomponenten. Vor dem Hintergrund dieser Triebspe-
kulation mu13 es einen UnterscWed machen, wenn qua Wortvor-
stellung die soziale Erfahrung ais Bewu13tsein in der Psyche vor-
kommt: denn dieses Vorkommen ist ja schon 1m »Entwurf« Resultat
eines intlmen, spezifischen Kontakts gewesen - teh habe ihn oben
(Seite 44) das »Mi.Bverstandnis« genannt. In der vitalistischen
Zwetten Topik wird also das Wort zum Statthalter der libidinosen
Komponente des Ich - namlich der auf Vereinigung gerichteten.
Man mag es ais einen Rückschritt betrachten, da13 Freud mit der
neuen Libidotheorie die Sozialisation sozusagen in die Natur des
Menschen begründet hat; die Offenheit des »Mi.Bverstandnis«-
Konzeptes wird damit sozusagen biologisiert. Es ist aber nëtig,
neben der manifesten Betonung des Biologischen die latente
Starkung des Interaktionsmodells zu sehen; nur so kann z.B.
verstandlich werden, welchen Sprung Freuds Diktion in einer
kleinen, vielzitierten Arbeit aus derselben Epoche macht; in der
»Notiz über den Wunderblock« setzt Freud die Schriftmetapher ein,
um die Doppelnatur des biologtsch-sozialen Ich zu kennzeichnen.

Nottz über den Wunderblock

Nur sechs Seiten zahlt die kleine Schrift über den Wunderblock
(Freud 1925a), doch hat sie es gerade in der sprachphilosopW-
schen Diskussion zu gro13er Ehre gebracht. Freud beschreibt darin
eines jener Schreibtatelchen, auf dem die Schrift sichtbar wird
durch den Druck auf eine Zelluloid-Oberflache, der die darunter-

49
liegende Wachspapierschicht an das Zelluloid anheftet. Durch
Hochheben der oberen Zelluloidschicht (bei den heute verkauften
Geraten ist es eine Plastikfolie, die durch einen Schieber vom·
Wachspapier getrennt wtrd), verschwindet die Schrift und der
Wunderblock kann neu beschrieben werden. Würde man das Gerât
jedoch zerlegen, so kônnte man die Schrift im Wachspapier ais fei-
nen Abdruck wieder entdecken. Freud vergleicht diesen Apparat
m:it seiner Theorie des Gedâchtnisses und des Bewu.Btseins. Wâh-
rend das System W-Bw, das WahrnehmungsbewuBtsein, keine
Dauerspuren aufnehmen kann, kônnen die Gedachtnisspuren der
darunterliegenden Systeme ihrerseits kein Bewu13tsein erzeugen.
In der Analogie des »Wunderblocks«: die Zelluloidfolie zeigt sicht-
bare Schrift, nimmt sie aber nicht auf, die Wachsschicht hâlt sie
fest, aber unsichtbar. »Die reizaufnehmende Schicht - das System
W-Bw - bildet keine Dauerspuren, die Grundlagen der Erinnerung
konunen in anderen, ansto13enden Systemen zustande« (Freud
1925a: 7). Freud führt die Analogie weiter: auch das Trennen von
Zelluloidschicht und Wachsschicht, also das Lôschen der Schrift,
1st eine Funktion der Psyche:
~Ich habe angenommen, dafi Besetzungsinnervationen in raschen periodischen
StoBen aus dem Jnneren in das vollig durchlassige System W-Bw geschickt und
wieder zurückgezogen werden. Solange das System in besonderer Weise besetzt
ist, empfangt es die von BewuBtsein b e gleiteten Wahrnehmungen und leitet die
Erregung weiter in die unbewu13ten Erinnerungssysteme; sobald die Besetzung
zurückgezogen wird, erlischt das Bewu13tsein und die Leistung des Systems ist
sistiert. Es ist, ais ob das Unbewu13te mittels des Systems W-Bw der AuBenwelt
Fühler entgegenstrecken würde, die rasch zurückgezogen werden, nachdem sie
deren Erregungen verkostet haben. Ich lie13 also die Unterbrechungen, die beim
Wunderblock von au&n ber geschehen. durch die Diskontinuitat der In-
nervationsstromung zustande kommen, und an Stelle einer wirklichen
Kontaktauthebung stand in meiner Annahme die periodisch eintretende
Unerregbarkeit des Wahrnehmungssystems~ (Freud l925a: 8).

Das ist nun eine erstaunliche Wendung. Das Unbewui3te ist es


also, das aktiv seine Fühler ausstreckt, um si ch jene Schrift zuzu-
fügen, deren Reflex in unserem Bewu13tsein nur kurz aufflackert
und wieder verlôscht. Das Problem des »Entwurfs«, wie aus einem
Refl.exwesen eine Psyche wird, tst nun radikal umgedeutet: die Psy-
che 1st, so will es scheinen, von Anfang an da.
In einer Arbeit mit dem Titel »Freud und der Schauplatz der
Schrift« hat der Philosoph Jacques Derrida, eine der zentralen Fi-
guren des Poststrukturalismus, diese kleine Schrift von Freud mit
den philosophischen Problemen des »Entwurfs« verglichen, die ich
oben (Kap. 2.1.2., Seite 42) bereits aufgezeigt habe. »Vom Entwur:f
bis hin zur Notiz über den Wunderblock findet ein eigenartiger Fort-
schritt statt: es entwickelt sich eine Problematik der Bahnung, die
sich zunelunend nach einer Metaphorik der geschriebenen Spur zu
richten beginnt« (Derrida 1966: 306). Er verfolgt diese Metaphorik
durch das Werk Freuds. In steter Spannung mit der Suche nach

50
dem psychischen Apparat und seiner mechanistischen, aber nie
aufgehenden Konstruktlon, berichtet sie über den Augenblick des
Schreibens selbst. »Freud macht uns also die Schreibszene. Wie
alle, die schreiben. Und w1e alle, die schre1ben konnen, hat er die
Szene sich verdoppeln, sich wiederholen und sich selbst in der
Szene bloBstellen lassen« (Derrida 1966: 348). An dieser Beobach-
tung rekonstruiert Derrida sein Theorem der Dezentralisierung des
Subjekts. Er fo1gt darin Freuds Bewegung: die Psyche, das Subjekt,
das aus der Begegnung der Psyche mit der Welt erst entstehen
mü13te , ist immer schon da, und gleichzeitig ist es nicht da: »Das
»Subjekt« der Schrift existiert nicht, versteht man darunter trgend
eine souverâne Einsamkeit des Schriftstellers. Das Subjekt der
Schrift ist ein System der Beziehungen zwischen den Schichten:
des Wunderblocks, des Psychischen, der Gesellschaft, der Welt. lm
Innem dieser Szene ist die punktuelle Einfachheit des klass1schen
Subjekts unauffindbar« (Derrida 1966: 344 f.).

Sprache tm Instanzenmodell

Freuds »biologische Wende«, in der er das quantitativ-psycho1ogi-


sche Prob1em der Menschwerdung (wie es der »Entwurf« formuliert)
durch ein zur Differenzierung drangendes Es ersetzt, hat ihn also
wieder in den Stand versetzt, eine ForrnuUerung des »psychischen
Apparats« anzustreben. Nur: dieser Apparat ist jetzt, das erweist
Derridas Untersuchung, offen metaphorisch (wâhrend er zu Zeiten
des »Entwurfs« verdeckt metaphorisch war). Der »Bio1oge der Seele«
(Sulloway 1979) rekonstruiert die Entwicklung der Psyche aus e1-
nem unbewuBten Subjekt heraus. Derrida verdanken w1r den
Nachweis, da13 dieses Subjekt aber ein in ein offenes System de-
zentriertes Subjekt ist. Sein »psychischer Apparat« besteht auch in
seinen vorgeblich »mechanischen« Teilen aus Sprache. Der Unter-
schied zwischen Maschine und Sprache (Derrida nennt ihn den
Unterschied zw1schen Kraft und Sinn) verschwindet.
Nach diesen Überlegungen wtrd es nicht wunder nehmen zu
horen, daB im Gegensatz zu Freuds manifester Beschrânkung der
Sprachfunktion auf die bewuBten !chantelle, auch die übrigen In-
stanzen als sprachformig betrachtet werden konnen.
Gauger ( 1979) vergleicht die Eigenschaften der Freudschen
Instanzen mit den Eigenschaften der natürlichen Sprache. Aus
dieser Sicht stellt er die Sprachfunktionen im Instanzenmodell zu-
sanunen:

51
Sprachfunktionen im Instanzenrnodell (nach Gauger 1979)

lch Es Über-Ich
Reflexivitat vorsprachlich normativ
Intentionalitat archaisch Ideal

Wurzel von sprachlichen Aspekten Erwerb durch


wie Metapher, Metonymie, Motivie- Identiflzierung
rung

lm einzelnen findet er in den Instanzen folgende Eigenschaften der


Sprache bzw. Analogten und Parallelen.

Ich
Das Ich enthal.t nach Freud ebenso wie die Sprache bewuf3tseins-
fâhige Vorstellungen, nfunlich die »Sach- und Wortvorstellungen«.
Sprache ist an bewuBte psychische Ablaufe gebunden, und sie
zeichnet sich wie diese durch die Eigenschaften der Reflexivitât
und Intentionalitat aus. Âhnlich wie Saussure identifiziert Freud
das Wort mit dem Lautbild; doch geht er über Saussure hinaus,
werm er ihm au13erdem die Sachbesetzung als einen offenen Asso-
ziationskomplex mit visuellen Inhalten zuschreibt.

Über-Ich

Gauger stellt bemerkenswerte Analogten zwischen Sprache und


Über-lch fest: Beide werden durch Identifizierung erworben. ~eide
sind mit der Entstehung von Normen verbunden. Für das Uber-
Ich, also die Verinnerlichung der verbietenden und idealisierten
Elternfiguren ist das selbstverstandlich. Doch gilt es auch für die
Sprache: schon das Sprecheruernen ist ein Anpassungsvorgang,
der sich mit der Einübung der Hochsprache und ihrer Reflexion
wiederholt und vertieft. Wie schon erwâhnt, ist das zweite Moment
der Über-Ich-Bildung die Idealisierung, und auch diese findet sich
beim Spracherwerb wieder: Sprache begegnet uns wie ein überlie-
ferter Schatz, lnbegriff unserer ererbten Kultur, der wtr uns beu-
gen, die wir aber auch verinnerlichen und die unsere Identitat
stiftet. Dieser Zusammenhang wird nach Gauger besonders deut-
lich an der »mutterspraclùichen Tauschung«, nâmlich der subjekti-
ven Überzeugung, »daB Klange, Worter und Formen der eigenen
Sprache ais besonders schon, reich, angemessen erscheinen«.
Diese empirisch zu beobachtende Überzeugung s~~ht in einer
deutlichen Parallele zur ichstarkenden Funktion des Uber-Ichs: »es
gtbt dem Sprechenden auch sprachlich »Au13enhalt« und damit eine
zwar trrationale, aber doch notwendige Sicherheit: sprachliches
Urvertrauen« (Gauger 1979: 69). Auch Walsh (1971) betont die

52
Sprachlichkeit des Über-Ich, wobei er für die Entwicklung des
Über-Ich eher die prâëdipale auditiv organisierte :.Ordinalsprache~
als die visuell kodierte Sprache des spâteren Lebens für wirksam
hâlt.

Es

Auch in der Es-Instanz sieht Gauger Etgenschaften der Sprache.


Zwar ist das Es zunâchst von Freud als ein wortloser Bereich kon-
zipiert; doch nicht als ein sprachloser. Die Ausdrucksweise des Es
ist der Primârvorgang; er kann nicht im eigentlichen Sinn als
Sprache betrachtet werden, doch wirkt er in die Sprachbildung
hinein. Freud führt das in der »Traumdeutung« aus. Die Traumar-
beit erbringt drei Leistungen: halluzinatorische Wunscherfüllung,
Entstellung des Wunsches und sekundâre Bearbeitung.
Insbesondere die Entstellung sie findet mit Hilfe der
Mechanismen von Verdichtung, Verschiebung und Verbildlichung
statt - weist starke Analogten zur Sprache auf. Die Verdichtung
findet sich in allen Polysemien. Auch die Verschiebung tst Teil des
sprachlichen Funktionierens. Gauger nennt als Beispiel ein Kind,
»das bei Tisch den Wunsch nach einem zusâtzlichen Würstchen
durch die Mitteilung zum Ausdruck bringt: Ich hab noch Senj«
(Gauger 1979: 72). Auch die Verbildlichung ist eine Funktion der
natürlichen Sprache; sie findet sich in bildlichen Redensarten und
im Wôrtlichnelunen von sprachlichen Bildern bis hin zum Kalauer.

Gauger analysiert eine Reihe von Traumbeispielen und kommt zu dem SchluB.
daB sich die Ausdrucksweise des Primârprozesses von der Struktur d e r
»Sekundarsprache~ - der natürlichen Sprache - in folgenden Punkte n unter-
scheidet: Die Sprache verfügt im Gegensatz zum Traum nicht nur über ein Vo-
kabular, sondern auch über eine Syntax. Insbesondere fehlen der Primarsprache
die Iogischen Partikel, wie »nein«, »und«, »>der«, »weil«, »alSO« usw. Die Zeichen
des Primârprozesses sind visuell, die der Sprache hingegen akustisch . Sie sind
eng auf ein »Bezeichnetes~. einen Gegenstand bezogen, wahrend im
PrimârprozeB die subjetive Motivation dominiert. Die Zeichen der Sprache sind
Lnstrumentell und der bewuBte Unterschied zwischen Wort und gemeintem Ding
tritt hinzu. Auch wird die Synonymie in der Sekundarsprache stark reduziert;
damit wird die Zahl der »erreichbaren Signiflkata~. also das, worüber gesproche n
werden kann, theoretisch unbegrenzt. Es entsteht als der entscheidende
Unterschied zum Primarprozef3 die »unbegrenzte Dtsponibilitat« der Sprache.
Trotz dieser Ditferenzen »sind eine Reihe von Zügen der Ausdrucksweise des Es
auch für die Sekundarsprache kennzeichnend: sie bleiben in ihr erhalte n ,
werden aus ihr nicht schlechthin eliminiert~ (Gauger 1979: 75). So bleibt die
Motivation im Lexikon trotz starker Arbitrarisierung wirksam. Die Synonymie
behâlt eine gro13e Bedeutung, obwohl sie e igentlich dem Sekundarprozef3
widerspricht. Auch Metaphorik und Metonymie bleiben erhalten, wenn auch
nicht mehr als regierende Prinzipien. Selbst die Abwesenheit logischer Partt kel ist
Ln manchen Gebieten der Sprache noch zu beobachten: So kann e in Wort wie
Tag einerseits das Gegenteil von <Nacht> , anderersei ts den Zeitraum von 24
Stunden, also unter ELnschluB der Nacht, bedeuten. Schlief3lich findet sich d ie
Opakisterung, also das »Hangenbleiben am Stgnifikanten«, in de r natürllche n

53
Sprache wieder, und zwar im Wortwitz, im Wortspiel und natürlich im
.JX>etischen Sprechen.

2.1.6. Freuds Wendung zur Ich-Psychologie


Mit verânderten Koordinaten (die Evolutlonsbiologte hat das quan-
titative Modell ersetzt) gtng Freud erneut an die Konstruktion sei-
nes »psychischen Apparats«. Das Ich war nun aufgewertet, mit ei-
gener Energte ausgestattet. An ctie Stelle des Triebmechanismus
war ein Es getreten, das archaische, ererbte Strukturen aufwies.
unter anderem die »aus der Kôrperorganisation stammenden
Triebe« (Freud l940a: 68). Sie machen aber nicht das Es aus, son-
dern sind in ihm »reprâsentiert«; Freud bezeiclmete sie
erkenntniskritisch als »die Krafte, die wir hinter den Bedürfnis-
spannungen des Es annehmen« (ebd.: 70). Diese Bedürfnisspan-
nungen selbst sind nicht von den imperativen Kôrperbedürfnissen
linear abhangtg, sondern vertreten sozusagen hôhere Ziele, nfun-
lich die Rückkehr des Lebens ins Anorgantsche (Todestrieb) und
die Schaffung immer komplexerer Lebenseinheiten (Eros). Freud
setzte Sexualitat in diesem erweiterten Sinne geradezu den vitalen
Bedürfnissen des K6rpers gegenüber: »Frühzeitig zeigt sich im
hartnackig festgehaltenen Lutschen des Kindes ein
Befriedigungsbedürfnis, das - obwohl von der Nahrungsaufnahme
ausgehend und von ihr angeregt - doch unabhangig von Ernah-
rung nach Lustgewinn strebt und darum sexuell genannt werden
darf und soli« (ebd.: 76). Durch die Zweiteilung der Triebe war das
Ich sozusagen biologtsch verankert, und das ennôglichte Freud,
ihm nun weitere aktive Funktionen zuzuschreiben.
Für die Sprachtheorie hatte das die Folge, daB auch die Spra-
che tiefer in den psychischen Apparat eindrang. Mit Freuds Wen-
dung zur Ich-Psychologte wurde die Gegenüberstellung der
spraclùichen lchanteile mit den unbewuBt-nichtsprachlichen
relativiert. lm »AbriB der Psychoanalyse« ( l940a) revidiert Freud
seine These, nur das Vorbewu13te kônne verbal sein. Er hillt zwar
an dem in der »Traumdeutung« erstmals genannten Modell fest,
daB die Wahrnehmung zunâchst das einzig BewuBte sei, und daB
die Vorstellungen »im Inneren des Ich« erst durch die Verbindung
mit einem Sprachzeichen bewuBt werden kônnen, das die Ich-In-
halte mit visuellen und vor allem akustischen Wahrnehmungsspu-
ren in feste Verbindung bringt. Er stellt jedoch fest, daB es auch
sprachlich organtsierte Ichvorgange gtbt, die unbewuBt bleiben
(ebd.: 83 ff).
,.Das Innere des lchs, das vor allem Denkvorgânge umfaJ3t, hat die Qualitat des
Vorbewu13ten. Diese ist für das lch charakteristisch, kommt ibm allein zu. Es
ware aber nicht richtig, die Verbindung mit den Erinnerungsresten der Sprache
zur Bedingung für den vorbewu13ten Zustand zu machen, dieser ist vielmehr

54
unabhli.ngig davon, wenngleich die Sprachbedingung einen sicheren Schlufi auf
die vorbewuBte Natur des Vorganges gestattet. Der vorbewuBte Zustand,
einerseits durch seinen Zugang zum Bewu13tsein, andererseits durch seine
Verknüpfung mit den Sprachresten ausgezeichnet, ist doch etwas besonderes,
dessen Natur durch diese beiden Charaktere nicht erschôpft ist. Der Beweis
hierfür ist. daB groJ3e Anteile des Ichs, vor allem des Über-Ichs, dem man den
Charakter des VorbewuBten nicht bestreiten kann, doch zumeist unbewuBt 1m
phanomenologischen Sinne bleiben~ (Freud ebd.: 84 O.

2.2. lch-Psychologie nach Freud


Obwolù die psychoanalytische Ich-Psycholog.te in der Nachfolge
Freuds graBen Wert auf die kognitiven Funktionen legte, kam das
Thema der Sprachentwicklung nur zôgernd in die Diskussion.
Man kann die Bewegung der amerikanischen lch-Psychologie
mit ihren vielfàltigen Anknüpfungsversuchen an Konzepte der
akademischen Psycholog.te und Medizin, werm man will, mit dem
Anpassung~druck auf die emigrierten Analytiker im Amerika der
McCarthy-Ara in Zusammenhang bringen. Sie ist aber sicher nicht
nur durch ein solches wissenschaftshistorisches Argument zu er-
klaren. Tatsâchlich war auBerhalb der Psychoanalyse die philoso-
phische Diskussion weitergegangen und die psycholog.tsche For-
schung im Bereich der Lern- und Kognitionstheorte war im Auf-
schwung. Die Psychoanalyse als psycholog:tsche Theorie drohte ins
Abseits zu geraten. In dieser Situation schienen Ansâtze der Ich-
Psychologie, die bereits von Freud vorgezeichnet und von Autoren
wie Nunberg ( 1930) fortgeführt worden waren, eine Môglichkeit zur
interdisziplinaren Integration zu bieten, die in einer Reihe groBan-
gelegter und theoretisch sehr differenzierter Modelle ausgeführt
wurde. DaB dabei psychoanalytische Begriffe wie das UnbewuBte
oder gardas Es eher in den Hintergrund traten. muB man der lch-
Psychologte nicht unbedingt zum Vorwurf machen: schlieBlich ist
es eine Folge ihrer Konzentration auf die bewuBtseinsnâheren
Synthetisierungsprozesse (Kutter 1974).
Die Ich-Psycholog.te ist in den USA der fünfztger bis stebziger
Jahre die herrschende psychoanalytische Denkrichtung gewesen.
Deshalb ist es nicht verwunderlich, daB sich auch eine Reihe von
Theoretikern, die sich mit Sprache und Sprachentwicklung be-
schâftigt haben, in dieser Gruppe finden. Eher verwunderlich ist
es, da13 die Sprache als Brücke zwischen sozialen Strukturen und
»konfl1ktfrelen~ Ich-Funktionen nicht von vornherein in die ich-
psychologtsche Diskussion kam, sondern erst langsam mit der zu-
nehmenden Rezeption auch psycholinguistischer Konzepte. Die
frühe lch-Psychologte war eher am Brückenschlag zu behaviortsti-
schen Modellen interessiert. Erst als die »mentalistische« Kognitive
Psychologie und Psycholingutstik in den Vordergrund traten,
wurde auf Kongressen die Forderung nach einer Integration der
Lingutstik erhoben.

55
Shapiro ( 1979) fonnuliert das Interesse, das die analytlschen
Ich-Psychologen zUT Psycholinguistik führte, im Rückblick so:
»Dieses spezielle Wissensgebiet zog uns an, weil es keinen physio-
1ogtschen oder chernischen Reduktionismus erlaubt. Vielmehr
handelt es sich um eine Disziplin, die mentalistische Hypothesen
formuliert«. Erstaunlich ist, daB trotz der Neigung der psycho-
analytischen !ch-Psychologie ZUT »mentalistischen« Kognitionstheo-
rie doch keine explizite Sprachtheorie vorgelegt wurde. Die Vor-
stôBe von Atkin (1969), Rosen (1969), Edelheit 1969b, 1980) u.a.
liefen mehr oder weniger darauf hinaus, die Psychoanalytiker mit
dem Fortschritt der Ltngustlk vertraut zu machen.
Eine bedeutsame Ausnahme von dieser zunâchst eher rezeptl-
ven Haltung der frühen Ich-Psychologen machen einige Arbeiten
von René Spitz, der aus der Beobachtung von Kleinkindern direkte
Schlüsse auf die Sprachentwicklung zog. Seine Arbeit über die
Entwicklung der Negation soli weiter unten ausführlicher vorge-
stellt werden (s. unten Seite 64 und 197).

Das angeborene Ich: !ch-Psychologie ohne Sprachtheorie?

Obwohl die wichtigsten Autoren der amerikanischen Ich-Psycholo-


gte sich in vielen Punkten bemühten, eine Vermittlung psychoana-
lytischer Begriffe und Theorien zu den Nachbarwissenschaften her-
zustellen, scheint es zunâchst doch wenig Berührung mit der zeit-
genôssischen Linguistik und Sprachphilosophie gegeben zu haben.
So weist z.B. der Sprachbegriff, von dem George Klein in seiner Ar-
bett über die auditive Rückkopplung beim Sprechen (s. unten Seite
135) ausgeht, weit zUTück in die Freudsche Metapsycho1ogte des
»Entwurfs«. In dieser umfangreichen Studie geht Klein nicht auf
den Verstandigungsaspekt der Sprache ein. Er beruft sich auf die
Metapsychologte des »Entwurfs«: »Ziemlich unabhangtg von den
verbalen Verbindungen, die er schafft, tst der Vokalapparat als
motorische Struktur von Anfang an ein Abfuhrkanal« (Klein 1965:
94). Er stellt den »Entwurf« ausführlich dar - allerdings ohne dabei
die intentionale Wendung, die teh oben (Seite 44) bereits als ihren
Kernpunkt diskutiert habe, zu erwâhnen. Ibn interessiert die
intrapsychische Dimension: durch elie Verbindung von LautâuBe-
rungen und Wortvorstellungen, so versteht er Freud, wird ein
Ersatz-Abfuhrweg geschaffen, und damit die vom SekundârprozeB
gesteuerte Realitâtsprüfung ermôglicht (Klein 1965: 93 ff).
So erstaunlich diese konservative Auffassung bei einer so
dringend der Moderne verpllichteten Fortentwicklung der Psycho-
analyse anmuten mag, so wenig verfehlt sie doch deren philosophi-
schen Kern. Die Ich-Psychologte trat mit dem erklârten Ziel an, die
Psychoanalyse von ihrem Triebmodell zu emanzipieren und sie mit
den Ergebnissen der akadernischen Psychologie, tnsbesondere der
Lerntheorie und der Sozialpsychologte zu verbinden. Die Arbeit von

56
G.S. Klein ist ein gutes Beispiel.. dafiir: sie ist mit den kognitions-
psychologischen Ansatzen zur AuBerungskontrolle und zum Mo-
nitoring (vgl. Fromkin 1973) kompatibler als mit der interaktionel-
len Psychoanalyse. Die !ch-Psychologie impliziert tatsâchlich wei-
tergehende Spekulationen über die angeborene seelische Ausstat-
tung des Menschen als die klassische Psychoanalyse. In einer
Rethe von sozialwtssenschaftlichen und psychoanalytischen Kriti-
ken (Adorno 1955, Apfelbaum 1962, Heinz 1974, vgl. Kutter 1974)
ist diese gegenlâufige Bewegung herausgearbettet worden. Das Ar-
gument, das Ich sei eben mehr als nur das Produkt eines inner-
psychischen Konflikts, es sei auch adaptiven Prozessen unterwor-
fen, führte sclmell zum Postulat »angeborener Ich-Apparate«. Die
Denkrichtung der lch-Psychologte bewegt sich zentral um eine Re-
konstruktion der Psyche als etnes adaptlven Apparats, nicht so
sehr um ihre dialektische, konllikthafte Struktur. Das hat auch
Auswirkungen auf das gesellschaftskritische Potential: wâhrend
die Triebtheorie die lch-Bildung noch als Unterwerfung unter ex-
terne, der Psyche zunachst fremde Interaktionsformen beschreiben
karm, mu13 die Ich-Psychologte davon ausgehen, daB die Interakti-
onsformen teilweise angeboren sind. Wollte man die unterscWedli-
che Akzentsetzung pointieren, so konnte man sagen: Aus der Sicht
der Triebtheorie ist das Ich das Restùtat eines schmerzhaften Zu-
sammenpralls zwtschen der Natur des Menschen und den gesell-
schaftlichen Joch, in das sie gezwungen wird. Aus der Sicht der
!ch-Psychologie ist das Ich derjenige Teil der Psyche, der sich auf-
grund seiner ange borenen Eigenschaften dazu eignet, soziale An-
passungsleistungen zu vollbringen. Die Ich-Psychologte muBte sich
aufgrund dieser Sichtweise vorwerfen lassen, sie sehe die gegen-
wartige Gesellschaft harmonisierend als eine der Natur des Men-
schen entsprechende »beste aller moglichen Welten«.

2.2.1. Denken
Fragt man die zentralen Theoretiker der frühen !ch-Psychologie
nach ihrer Sprachtheorie, so kann man sich der Mühe nicht ent-
ziehen, die Theorie der Sprache aus den Implikationen in ihren
groBen Abhandlungen über ein anderes, wenngleich verwandtes
Gebiet der geistigen Tatigkeit herauszulesen. Die Ich-Funktion, mit
der sie sich vor allern und mit groBer Prâzision befaBten, war das
Denken. Das begtnnt schon mit einem Vorlaufer, namlich Herr-
mann Nunberg, der im Jahre 1929 in Oxford einen KongreBvortrag
hielt, in dern er vorschlug, das Ich nicht nur als passive Resultante
des Zusammenpralls zwischen Trieb und Realitat zu betrachten,
sondern seine eigene, aktive Rolle zu studieren.
Nunberg nann.te diese Rolle die »Synthetische lch-Funktion«.
Er sah in ihr eine Analogie zum Eros, dem Es-Trieb. der »zum
Verbinden strebt«, und hielt auch ihre Abstammung von diesem

57
angeborenen Trieb für wahrscheinlich. Bei einer ganzen Reihe psy-
cWscher Funktionen schien thrn das Wirken der harmontsieren-
den, verbindenden, aktiv nach Konfltktlôsung suchenden syntheti-
schen lch-Funktlon auf der Hand zu liegen - unter anderem auch
bei drei Kardinaloperationen des Denkens. So führt er zunachst
das Kausaldenken Uedenfalls seinen psychologtschen Aspekt) auf
ein »Kausalitâtsbedürfnis« zurück, das sich direkt aus dem Eros
ergtbt. »Der Zwang des Menschen nach der etgentlichen Ursache
der Erscheinungswelt zu forschen, das Bedüifnis nach Kausalitéit,
ware daher der sublimierte Ausdruck des Fortpflanzungstriebes
des Eros. Was also im Es als Tendenz auftritt, zwei Wesen zu verei-
ntgen und zu binden, manifestiert sich 1m Ich gleichfalls als Ten-
denz, zu vereintgen und zu binden, aber ntcht Objekte, sondern
Gedanken, Vorstellungen und Erlebntsse«: (Nunberg 1930: 305).
Diese Wurzel des Kausalitâtsbedürfntsses (das Nunberg ausdrück-
lich vom Kausalitâtsprinzip der Philosophen abhebt) manifestiert
sich ip. der verbreiteten Neigung. Ursachen zu personifizieren.
Uber das kausale Denken Wnaus gtlt ihm ganz allgemein der
Vorgang der Begr!ffsbtldung, ja der Erfassung von Zusammenhân-
gen überhaupt als synthetischer Akt des Ich (ebd.: 314), und auch
die Tendenz des Ich zur Verallgemetnerung und Vereinfachung wird
als ein Effekt der synthetischen lch-Funktion gesehen. Der Begrtff
der synthetischen Ich-Funktion ist ntcht nur als eine erste Formu-
lierung der psychoanalytischen Ich-Psychologte anzusehen, er
nimmt auch ein wichtiges Konzept der Selbst-Psychologie von
Heinz Kohut vorweg: Nunberg sieht nfu:n)jch in der verbindenden,
»synthetischen« Ich-Funktion grundsatzlich jenes Agens, das die
Einheit der Personlichkeit garantiert, und betrachtet die genannten
kogntttven Operationen als eine Folge dieser vom Ich gestifteten
Kohâsion.
Heinz Hartmann formulierte in seiner Schrift über »lch-
Psychologie und Anpassungsmechanismen« ( 1939) das Programm
der Ich-Psychologte. Er spricht darin zwar ausführlich und
detailliert über die »angeborenen Ich-Apparate«: und deren kon-
fliktfreie Entwicklung, wobei er eine Linte der Kontinuitât von den
biologtschen zu den sozialen Anpassungsmechanismen zieht, doch
erwâhnt er Sprache als eine der hervorstechendsten konfliktfreien
Ich-Leistungen nur ganz am Rand.
Auch ilun ist vielmehr die Theorie des Denkens ein zentrales
Anliegen. Er betrachtet das Denken als vornehmsten Vertreter je-
ner kognttlven »Innenwelt«, die das Subjekt einerseits von der un-
mittelbaren Wahrnehmung unabhangtg macht, und es anderer-
seits in den Stand setzt, mit den Gegebenheiten der AuBenwelt ad-
âquat umzugehen. Insofern besitzt das Denken einen biologischen
»Anpassungswert«. Hartmann betont diesen Umstand, grenzt sich
jedoch von psychologischen Theorien ab, die das Denken überbe-
werten und von einem Modell des »animal rationale4( ausgehen. Er
stellt fest. da13 das Denken eine Ich-Funktlon unter anderen sei,

58
die in engem Zusammenhang mit der Entwicklung der Abwehr, der
Affekte etc. gesehen werden mu13. Ihren Anpassungswert kann die-
se lch-Funktlon auch nur dann entfalten, wenn sie nicht die Psy-
che tyranntsch dominiert, sondern in optimalem Ausgleich mit an-
deren reifen lch-Funktionen arbeitet. Hartmann wendet sich gegen
das ldealbild vom »totalrationalisierten Menschen~. dessen Handeln
allein einem Zweck-Mittel-Denken gehorcht: »Die Erfahrung lehrt,
daB der gesunde und daB auch der analysierte Mensch ganz an-
ders aussieht ais jenes »Idealbild«. (... ) Die Reife, die Stârke, die
Struktur des lchs entscheiden darüber, wo das Anpassungsopti-
mum des Zweck-Mittel-Denkens zu suchen tst« (Hartmann 1939:
59). Hartmann hebt zwar die rationale, konfliktfreie Ich-Sphâre
hervor, doch schrankt er ein: »Werm wir von einem »Primat des In-
tellekts~ sprechen, so meinen wir damit einen »Primat der Steue-
rung durch den Intellekt«, damit soli gesagt sein, daB unter den
Steuerungsfaktoren des lchs allerdings der ratio der erste P1atz
eingeraumt werden muB, wâhrend die Vorstellung, alle psychi-
schen Faktoren konnten und sollten durch den Intellekt ersetzt
werden, vermieden wird (ebd.: 61).
Auch David Rapaport (1950, 1951 a, b, 1967) hat eine teh-
psychologische Theorie des Denkens entwickelt, die eine
Sprachtheorie impliziert. Er geht dabei weitgehend von einem
assoziationspsychologtsch verstandenen Freud aus. Wolff ( 1967)
führt dazu folgendes aus: »Das psychoanalytische Grundmodell
des Denkens besagt zunachst, daB alle Ereigntsse (vornehmlich
alle Sinneseindrücke und die ihnen assoziierten motorischen
Handlungen), die zeitlich zu Bedingungen erhohter Triebspannung
und Spannungsreduktion in Beziehung stehen, im Gedachtnis ais
zusammengehortg regtstriert werden. lm Rahmen einer trieb-
maBigen Organisation der Erinnerungen werden alle auf einen
Trieb bezogenen Befriedtgungsmomente ais aquivaiente Repra-
sentanten dieses Triebes erfahren. Ihre Bedeutung und ihr Wert
werden durch die biologtsche Koordination zwischen Trieb-
sparmung und Objekten, die eine Erniedrtgung der Triebspannung
bewirken konnen, bestimmt. Werm im Anschlu13 an eine voraus-
gehende Befriedigungserfahrung die Triebspannung wâchst, eine
Befriedigung aber nicht moglich ist, so karm die Triebspannung
dazu verwendet werden, die Gedachtnisspuren der früheren
Befriedtgung zu aktivieren, und das Kind wird die vorherige
Befriedigungssituation halluzinieren. Diese halluzlnatorlsche
Wunscher:füllung ist der Vorlaufer des wirklichen Denkens und gibt
das eilûachste psychoanalytische Modell der Bildung von Vorstel-
1ungen ab.< (Wolff 1967: 860).
Wolff kritisiert an diesem Ansatz, daB er im Innerpsychischen
verbleibt und nicht erklâren kann, wie ein K.ind auf diese Weise
schlie13lich Erfahrungen macht und sie auch durch erneute Erfah-
rungen modifiziert. Dies ist jene Kritik, die schon Freud selbst an
seinen Konstruktionsversuchen des psychischen Apparats immer

59
wieder angebracht hatte, und auf die ich bereits eingegangen bin
(vgl. Kap. 2.1, Seite 34). Darüber hinaus bemangelt Wolff, daB die
assoziationistische Begründung der Entwicklung des Denkens und
der Sprache - hier greift er auf Freud zurück, der Denken und
Sprechen ja in enge Verbindung gestellt hatte - an der kindlichen
Entwicklung vorbeizielt. Vorstellungen und Begriffe bilden sich
nicht einfach als Abbild von Reizereigntssen, sondern werden von
der Psyche aufgrund eines aktiven Selektionsprozesses konstrutert;
und zwar von einer Psyche, deren Regeln nicht mit denen des er-
wachsenen Denkens vergleichbar sind. Woher bezieht das K1nd die
Kriterien, nach denen es seine Erfahrungen selektiert? Sind es an-
geborene Symbole? Obschon manche Psychoanalytlker zu dieser
Auffassung neigten (Freud übrigens nur wenige Jahre lang und
nach ihm- auf ganz verschiedene Weise- C. G. Jung und Melanie
Klein), lehnt Wolff diesen Ausweg jedoch ab. Er fordert eine Er-
weiterung der psychoanalytischen Theorie des Spracherwerbs, die
weder auf einem passiven Assoziationsmodell noch auf angebore-
nen Schemata beruhen sollte.
Um eine solche Neuformulierung der psychoanalytischen
Theorie der Sprachentwicklung voranzutreiben, prüft Wolff zu-
nachst den Ansatz von Piaget, der uns weiter unten no ch ausführ-
licher beschâftigen soll (s. Seite 108). An Piagets Theorie der
sensomotorischen Entwicklung erscheint ihm für eine Psychoana-
lyse der Sprachentwicklung zum einen der Bezug auf die Assiinila-
tion wichtig, zum anderen die Verankerung der Schemata 1m
praktischen Handeln. Damit ist zum einen eine primârprozeBhafte
Logik, âhnlich der psychoanalytischen, in der Entwicklung des
Denkens und Sprechens postuliert, zum anderen wird sie aber
nicht auf angeborene kognttive Strukturen zurückgeführt, sondern
aus sinnlichen Interaktionen hergeleitet.
Wolff sieht in Eriksons epigenetischer Theorie der psychoso-
zialen Entwicklung eine Môglichkeit, die Kluft zwischen der klas-
sisch-psychoanalytischen Theorie der Symbolbildung und der ko-
gnitiven Entwicklungspsychologte Ptagets zu schlieBen.

Organmodalltdten (Erlkson)

Auch hier stehen w1r vor der eigenartigen Situation, daB ein zen-
traler Autor der psychoanalytischen lch-Psychologie sich zwar im-
plizit, aber eben nicht ausdrücklich zur Sprachentwicklung auBert.
Dennoch ist - durch die Rolle, die es in dem Ansatz von Wolff
( 1967) spielt - Eriksons Konzept der Organmodalitaten für die Psy-
choanalyse der sprachlichen Sozialisation wichtig genug, um in
diesem Abschnitt vorgestellt zu werden. Vor allem, weil es ein in-
haltlich bestimmtes Ausgangs-Tableau für die kognttive Entwick-
lung bietet, das über Piaget hinausgeht.
Für Piaget stand die angeborene Reflexausstattung des Kindes
am Anfang der sensomotrischen Entwicklung. Von psychoanalyti-

60
scher Seite hat Erikson in seinem Buch »Kindheit und Gesell-
schaft« ein differenziertes Grundschema der Triebmodi entwickelt,
das ebenso für eine Theorie des Denkens wie der Sprachentwick-
lung herangezogen werden kann.
Erikson ( 1950) unterscheidet drei entsprechend der funktionellen Neurologie
abgegrenzte Kôrperzonen: die oral-sensortsche Zone (Gesichtsôtfnungen und
oberer Verdauungstrakt), die anale Zone (Ausscheidungsorgane) und die
Genitalien.
Entsprechend den Kôrperzonen identifiziert Erikson folgende Mcxli: Den
ersten Etnverletbungsmodus: Saugen und Schlucken, Bekommen im passiven
Sinne, d.h. Nehmen was gegeben wird~.
Den zweiten oder sekunddren Einverletbungsmodus: Bei13en (Auf-, Durch- und
Abbei&n). Aktives Nehmen durch Unterscheiden und Erfassen. Der Übergang in
diesen Modus ist von einer Uefgreifenden kôrperlichen und sozialen Erfahrung
begleitet: Mit dem Zahnen ist zum einen die paradiesische Lustempfindung des
Saugens durch einen Schmerz an der selben Stelle gestôrt; zum anderen
markiert das Zahnen auch eine erste Ablôsung von der Mutter. Der Stillvorgang
mu13 umstrukturiert werden bzw. wird beendet. Mutter und Kind beginnen, sich
voneinander zu lôsen. Dieser Übergang wird im Mythes der Vertreibung aus dem
Paradies formuliert, ,.wo die ersten Menschen für immer das Recht verwirkten,
mühelos zu nehmen. Sie bissen in den verbotenen Apfel und erzürnten Gott~
(Erikson 1950: 73).
Den retentiv/ellminierenden Modus: Mit der Ausbildung des Muskelsystems
und dem bewul3teren Wohlgefühl der Entleerung wird ~er Dimension der
ergreifenden Aneignung diejenige der freiwilligen Hergabe, des Fallerùassens und
Wegwerfens hinzugefügt~ (ebd.: 75). Der Wechsel von willentlichem Zurückhalten
und AusstoJ3en entsteht. Die Abgrenzung von ,.fch« und ,.ou~ wird wichtig, der
eigene Wille spürbar .
Den etndrlngenden und umschlüif3enden Modus: Gegen Ende des dritten
Lebensjahres ist das Gehen selbstverstandlicher Teil der Fortbewegung
geworden, Mittel zum Zweck. Das Kind entdeckt seine Geschlechtsrolle und
gezieltes Interesse an den Genitalien. Es entwickelt Kontakt mit Altersgenossen.
Das Eindringen als Modus spiegelt sich auf allen Ebenen: ais kôrperlicher
Angrifi, aggressives Reden, Angst vor Verschlungenwerden. Erikson beschreibt
den umschlie.Benden Modus am Beispiel typischer Madchenspiele wie
Kinderhüten etc. lm Falle einer weniger gelungenen Integration kann er auch ais
quengelndes Fordern auftreten. Der psychosexuelle Fortschritt des Madchens in
dieser Phase wird von Erikson ais partielle Rückkehr in den einverleibenden
Modus gesehen. 14

Normalerweise domirriert der phasenadaquate Modus auch die


Funktion der übrigen Zonen; je nach Temperament oder 1m Falle
einer gestôrten Beziehung zur Mutter, sei es aufgrund eines Verlu-
stes der inneren Steuerung beim K.ind oder durch dysfunktionelles
Verhalten auf seiten der Mutter, kann auch ein anderer Modus
überwiegen (so kann z.B. in der oralen Phase ein Pyloruspasmus
dazu führen, daB das AusstoBen überwiegt; odet die Angst der
Mutter, gebissen zu werden, kann dazu führen, daB der Saugling
14 Diese Darstellung entspricht natürlich nicht mehr dem Stand der psycho-
analytischen Forschung zur Entwicklung der Geschlechtsrollenidentitât
(vgl. Mertens 1992); auch kleine Buben kônnen umschlie.Bende, Madchen
eindringende Modi empfmden.

61
einen BeiBreflex entwickelt, also der sekundare einverleibende Mo-
dus überwiegt).
Wolff (1967: 888) sieht in Eriksons Theorie das entscheidende
Verbindungsglied zwischen der klassischen psychoanalytischen
Theorie und der Theorie Piagets. Jede Sprachentwicklungstheorte
müsse sprachunabhangtge angeborene Strukturen postulieren, Uil1
den Spracherwerb zu ermoglichen. lm Zentrum der psychoanalytl-
schen Theorie steht zwar die aktive Rolle des Organismus bei der
Organisation von Erfahrung; andererseits hielt sie lange an einem.
assoziationistlschen Modell der Sprachentwicklung fest. Deshalb
sei es der Psychoanalyse auch ntcht gelungen, eine Theorie des
Denkens und der Sprachentwicklung zu formulieren. lm Gegensatz
zur Psychoanalyse formuliert Piaget angeborene reflektorische
Handlungsmuster und rekonstruiert auf dieser Basis die Intelli-
genzentwicklung. Freilich sind Piagets Ergebnisse auf experimen-
tellen Studien aufgebaut, die von nicht-pathologtschen und nur
schwach affektbesetzten Situationen ausgehen. lm Gegensatz dazu
zwingt die klinische Erfahrung die Psychoanalyse dazu, affektlven
Faktoren ein groBeres Gewicht beizumessen und von hierarchisch
geordneten Motiven und Abwehrstrukturen auszugehen. Eriksons
Theorie der Organmodalitaten erfüllt nach Wolff (1967) den Zweck.
dem Modell Piagets analog zu sein und dennoch mit der psycho-
analytischen Triebtheorie kompatibel zu sein. Bei genauerer Lek-
türe von Wolffs Text scheint es jedoch, da.B er mehr Wert auf die
Verbindung psychoanalytischer Vorstellungen mit den Beobach-
tungen von Piaget legt als auf die »Brücke~ Erikson.
Trotzdem erscheint Eriksons Modell - werm es auch durch
neuere Ansatze der psychoanalytischen Entwicklungspsychologte
erganzt und überholt ist (vgl. Mertens 1992, 1994) als M~_ilenstein
in der Entwicklung der !ch-Psychologie. Er bildet einen Ubergang
zur den Interaktionsmodellen, die tm übernachsten Abschnitt be-
sprochen werden.

2.2.2. Klinische Theoriebildung


Die l'Gassiker der lch-Psychologte haben sich neben den Theorien
des Denkens, die ich soeben angesprochen habe, mit der Sprache
vor allem aus klinischer Perspektive befaBt. So behandeln z.B.
Hartmann (1951) und Loewenstein (1956) Sprache 1m Zusammen-
hang behandlungstechnischer Überlegungen. Auch andere Ansâtze
der klassischen Ich-Psychologie berühren tmplizit die Theorie der
Sprachentwicklung.
Verbalislerung

Aus einer klinischen Perspektive griff Anny Katan (1961) das Pha-
nomen der Verbalisierung auf. Dieser kurze Artikel enthâl.t eine
Reihe von Hinweisen, die für die spatere Forschung fruchtbar wur-

62
den. Katan unterscheidet Verbalisierung âuBerer Wahrnehmungen
von den spater einsetzenden Affektverbalisierungen; sie bezieht eUe
Rolle der Eltern mit ein, bleibt jedoch trotz ihrer weiterreichenden
Ansatze 1m ich-psychologtschen Bezugsrahmen stehen, indem sie
Verbalisierung als Mittel des Handlungsaufschubs (Triebkontrolle)
und der Realitatsprüfung bestimmt.
Die Revision der Freudschen Theorie des VorbewuBten und
der Rolle der Sprache bildet für Lili Peller (1966) den Ausgangs-
punkt ihrer ebenfalls ich-psychologtschen Überlegungen. Sie stellt
sich die Frage, welche Etgenschaften dem Denken auf Sekundar-
prozei3niveau zuzuschreiben sind, und wie diese mit der
psychoanalytischen Theorie der Sprache zu vereinbaren sind. Die
psychischen Verlaufe auf der Ebene des Sekundârprozesses sind
allesamt regelgeleitet; zwar müssen sie ntcht unbedingt sprachlich
organisiert sein, doch müssen sie sprachkompatibel sein. Erst
durch die potentielle Verfügbarkeit sprachlicher Pradikation gelingt
nâmlich die Selbstwahrnehmung psychischer Vorgange und damit
thre Kontrolle. Ohne Sprache gibt es weder eine Distanzierung von
den etgenen Triebimpulsen wie eine introspektive Wahrnehmung.
weder eine Objektkonstanz noch ein ôdipales Erleben. Peller be-
trachtet also die Sprache vor allem in ihrer innerpsychischen
Organtsationsfunktion; die Kommuntkationsfunktion der Sprache,
die schon Freud vernachlassigt hatte, wird von Peller zwar ge-
nannt, doch ebenfalls nur in ihrer Auswirkung auf die lch-Or-
gantsatlon. Peller nennt zwei Hauptfunktionen der Sprache: (1) die
Etikettierung von Sinnesdaten und (2) die Konstruktion eines Synl-
bolischen Universums. Seide Funktionen dienen letztlich der An·
passung an die Umwelt, wobei die sprachvermittelte Trtebdistan-
zierung beim Menschen etnen Aufschub impulsiven Handelns und
damit eine alloplastische Veranderung seiner Umwelt ermëglicht.
Diese ich-psychologtsche Sprachtheorie war bereits in der Arbeit
von Balkanyt (1964) angelegt. Dort wird das Verbalisteren ais
»inneres Hôren~ bzw. Benennen von a:ffektiven Zustanden als zen-
traler Aspekt der vorbewui3ten Affektverarbettung skizziert.
In neuerer Zeit wird die ich-psychologische Perspektive er-
ganzt um eine Theorie der Affektverbalisierung (vgl. Kapthammer
1994). Bere1ts 1965 wies G.S. Klein auf die Rolle der auditiven
Rückkopplung für die lch-Entwicklung hin (s. unten Seite 135; vgl.
auch Walsh 1971 ).
Der Ansatz von Santostefano ( 1977) verfeinert das teh-
psychologtsche Modell und macht die Verzahnung zwischen Trieb-,
Affekt- und Sprachentwicklung sowie den Zusammenhang
zwischen motorischen und nichtmotorischen Ausdrucksfonnen
deutlich (s. dazu unten Kap. 5.3, S. 134).
Samuel Atkin spricht von »narzii3tisch besetzten Ichkernen4(
(vgl. dazu unten Kap. 3.1., Seite 96).

63
2.2.3. Übergang zu einer Interaktionstheorle
Hatte schon die klinische Beobachtung gegenüber der Theorie des
Denkens die lch-Psychologie einer Interaktionstheorte einen Schritt
nâher gebracht, so ist es die empirische Sauglingsbeobachtung, die
den entscheidenden Schritt ermôglicht. Den Ansatz von Erikson.
(1950) habe ich bereits vorgestellt (Seite 60). Er sieht die Ent-
wicklung der lch-Funktionen im engen Kontakt mit der Dyade.
Auch die Theoretiker der !ch-Psychologie hatten die Direktbeob-
achtung von Kindern als Erganzung der analytischen Rekonstruk::-
tion gefordert und begründet (s. unten Seite 114). Mit seinen be-
kannten Untersuchungen über die Hospitalismuskinder brachte
René Spitz als einer der ersten die Ernte dieses Forschungsan-
satzes ein. Es war auch eine Ernte für die Psychoanalyse der
sprachlichen Sozialisation.
In den vierziger und fünfziger Jahren führte René A. Spitz
Untersuchungen zur kindlichen Frühentwicklung durch, die in ej-
ner Reihe von Publikatlonen ihren Niederschlag fanden (Spitz
1945a,b, 1950, 1954, 1955, 1957, 1965) Diese PionierarbeU:
begründete gleichzeitig die Tradition der psychoanalytischen
Sauglingsbeobachtung. Trotz ihrer minutiôsen Empirie und ihrer
theoretischen Geschlossenheit werden sie in der Literatur zur
Sprach~ntwicklung nicht zitiert - Spitz wird in der psycholinguistl-
schen Uberblicksliteratur nur als Beobachter des Hospitalisrnus-
Syndroms erwâhnt (z.B. Kegel 1974) oder ganz übersehen (z.B.
Szagun 1980/41991), Zimmer 1986, AitcWson 1976; eine Aus-
nahme bildet Trautner 1991). Aber sogar Autoren, die speziell am
Psychoanalyse Bezug nehmen, erwâhnen die Befunde von René A.
Spitz nicht (z.B. Goeppert und Goeppert 1973) oder nur am Rande
(z.B. Shapiro 1979).
Ein Grund für diese Rezeptionslücke ist nicht leicht zu erken-
nen. Zu wenig bekannt war Spitz nicht - vor allem sein mnfangret-
cher Sanune1band »Vom Saugling zum Kleinkind« (Spitz 1965) war
eine Art psychoanalytischer Bestseller. Zu wenig ortgtnell war er
auch nicht; wie bereits bernerkt, hat er inllnerhin eine For-
schungsmethode begründet, die heute, in ausdifferenzierter Form,
retche Früchte tragt. Vielleicht war er zu bescheiden? - Ketnes set-
ner Werke begtnnt ohne den Hinweis, da.B alles im Grunde schon
bei Freud stehe. Das soUte aber eigentlich verstandlich sein ais
Rhetorik der Zugehorigkeit - sicher widerspricht Spitz seinem Leh-
rer Freud nicht im Ergebnis, aber er revo1utioniert ihn in der Me-
thode und kommt dabei zu eigenen, selbstandtgen Hypothesen .
Vielleicht war es eine gewtsse Isolierung der analytischen lch-
Psychologte, die dazu geführt hat, dai3 er weder von der emptrt-
schen Sprachentwicklungsforschung rezipiert wurde - der war er
wahl zu psychoanalytlsch - noch von der neuen Rezeptionswelle
der Psychoanalyse seit den sechziger Jahren wirklich miterfaBt
wurde, der er - mit Ausnalune der sozialkritischen Hospitalismus-

64
Studie - vielleicht zu akademisch war oder zu sehr an der Verhal-
tensforschung orientiert.
Man konnte das auf sich beruhen lassen. Nur: schon ein er-
ster Blick in die Spitzschen Untersuchungen zeigt, daB sie gera-
dezu eine Fundgrube für die Sprachentwicklungspsychologie dar-
stellen. Man hôre nur den folgenden, 1957 verôffentlichten Satz:
»Hier soli nur darauf hingewiesen werden, wie wenig man sich der
Tatsache bewuBt ist, da13 nicht nur das Kind den Erwachsenen
nachahmt, sondern da13 auch das Umgekehrte der Falltst. Meines
Wissens tst diese Erschetnung weder in thren allgemetnen noch in
ihren spezifischen Aspekten jemals untersucht worden. Dabei
spielt dieser Wechselvorgang bei der Bildung und Entwicklung der
Objektbeziehungen, sowohl von den Eltern als auch vom Kinde ber
betrachtet, eine wichtige Rolle« (Spitz 1957: 40; vgl. auch ebd.: 82) .
Damais war übrigens vom »motherese«, also der sprachlichen Ein-
stellung der Pflegeperson auf die Sprachentwicklung des Kindes in
einer Art »Armnensprache« in der Psycholinguistik noch nicht die
Rede (s. Seite 158).
Auf Spitz' Arbeit über die Entwicklung der Bejahung und
Vemeinung werde ich weiter unten noch zu sprechen kommen (s .
Seite 197). In einer spateren Studie (Balkanyi 1968) wird die In-
teraktion mit der Mutter starker betont und die VorHiuferfunktlon
der mütterlichen Sprachregeln ~cht nur für die Ich-Bildung, son-
dern auch für die Bildung des Uber-Ich dargestellt. Auch Furman
(1978) betont die Interaktlon mit der Mutter und die Rolle der ln-
ternalisierung. Es fâllt aus heutiger Perspektive auf, daB zwar die
Rolle der Mutter betont wird, jedoch von den Vatern wenig die Rede
ist - teh werde auf diesen Aspekt noch zu sprechen kommen und
mit Herzog ( 1991) die Frage nach dem »fatherese« stellen (vgl. Sette
159).

2.3. Objektbeziehungstheorie
Die ich-psychologische Sprachtheorie der Psychoanalyse wird zu-
nehmend von einer objektbeziehungstheoretlschen Sicht abgelôst .
Darauf weist schon die Entwicklung in Richtung einer Interaktl-
onstheorie hin, die ich in den letzten Kapiteln skizziert habe. Frei-
lich ist der genuine Ansatz der Objektbeziehungstheorie damit
nicht gleichzusetzen.

Phan tas matis che 1nteraktlon

Wahrend die 1ch-psycho1ogtsche Auffassung der Interaktion davon


ausgeht, da13 eine auf Adaption ausgertchtete Ich-Entwicklung mit
Realitât in Fonn von Bezugspersonen zu rechnen hat, und dieses
VerhaJ.tnis vielleicht auch als ein gegenseitlger Anpassungsproze.B
gesehen werden kann, geht die Schule der Objektbeziehungstheo-
rie von einer phantasmatischen Interaktion aus.
65
Lebovici ( 1983) sowie Brazelton und Cramer ( 1989) haben den.
Begriff der phantasmatischen Interaktion verdeutlicht. Er umfaBt
über die Ebene der oeobachtbaren Interaktionen hinaus auch die
subjektlven Erwartungen der Interaktionspartner.
Die Erwartungen, die Eltern schon vor der Zeugung über 1hr
zukünftiges Kind hegen, wurzeln tn threr etgenen Kindheitsge-
schichte. Jeder Mensch hat eine innere Welt von phantasierten Be-
ziehungen, seien sie bewui3t, vorbewu.Bt oder unbewuBt. In diesen
Rahmen von Vorannahmen tritt das Kind ein, wenn es zur Welt
kommt; sein spontanes Verhalten »erweckt« diese Phantasien und
gtbt Anlai3 zu Deu tungen und Zuschreibungen. Das Kind ninun.:t
sich se1bst unter der Bedingung dieser Interaktlon wahr - sein
Se1bstb1ld entfaltet sich 1m Spiegel der bewu.Bten und unbewuBten
Phantasien der Eltern über sich selbst und über das Kind. Eine
groBe, auch von der Verhaltensforschung und Kognttionspsycholo-
gte anerkannte Rolle spielt dabei die Überschatzung der Absichten
des Kindes. Spontane Verhaltensweisen werden von den Eltem
konsequent als Absichten »:mi.Bdeutet« (s. Seite 44). »Wie sollten
Sâuglinge sich se1bst kennenlernen, wenn sie die Bedeutung ihres
Verhaltens nicht an den Augen der Eltern ablesen konnten? Wie
sollten familiare und kulturelle Werte von einer Generation zur
nachsten weitergegeben werden, wenn der ProzeB der Bedeutungs-
zuschreibung nicht jedem noch so kleinen Aspekt des frühkindli-
chen Verhaltens ein besonderes Gewicht verliehe?« (Braze1ton und
Cramer 1989: 161 ). Für die Objektbeziehungstheorie ist dabet die
unbewu13te Phantasie der Eltern von besonderer Bedeutung. Sie
wird auf das Kind projiziert: »Dem Baby werden diejenigen Eigen-
schaften unterstellt, die für die Eltern die gro13te Bedeutung haben,
und es wtrd für jede Verhaltensweise belohnt und geliebt, die die-
ses positive Bild bestatigt« (Brazelton und Cramer 1989: 162). Die
Projektion der Eltern ist für das Baby ein unentbehrlicher. aber
auch unvenneidlicher Bezugspunkt.
Sie kann freilich auch ihre fôrderliche Funktion verlieren;
wenn Eltern eigene patho1ogtsche Aspekte auf das Baby projizie-
ren, es z.B. für überma.Big aggressiv, verfolgen~ oder mit magt-
schen Kraften begabt halten, ohne daB sie diese Uberzeugung noch
durch ein BewuBtsein der Kindlichkeit relativieren kônen, so kann
das Kind in einen ernsthaften Konflikt zwischen dieser unrealisti-
schen Zuschreibung und dem Er1eben seiner eigenen Bedürfnis-
1age geraten. Kinder, die Krankheits- oder neurotische Symptome
entwickeln, tun dies nicht selten gerade deshalb, weil sie die Pro-
jektionen der Eltern zu »erfüllen« versuchen, die ihnen pathologt-
sche Eigenschaften zuschreiben. Brazelton und Cramer unter-
schetden drei Typen von elterlichen Phantasien:
( 1) Das Kind als »Gespenst a us der Vergangenheit~
(2) die Beziehung zum Kind als Wiederho1ung von Beziehungs-
mustern aus der Vergangenheit

66
(3) Das Kind ais Reprasentant eines Aspekts des Unbewu.Bten ei-
nes Elternteils.

Zu diesem Mehrgenerationen-Aspekt des Erlebens, den mit ais er-


ster Horst-Eberhard Richter (1963) vertreten hat, gibt es in der
psychoanalytischen Familientherapie eine reichhaltige Literatur
(vgl. z.B. Sperling u.a. 1982). Selma Fraiberg (1980) hat den Ein-
flu13, den die Ertnnerung an Figuren aus der Vergangenheit auf das
Kind nelunen kann, mit der bosen Fee aus dem »Dornroschen«
verglichen: wie ein ungebetener Gast nimmt die abgespaltene Er-
innerung am Zusammenleben von Kindern und Eltern teil und ver-
stellt die Moglichkeit einer direkten Erfahrung. Die Eltem konnen
das Kind gar nicht mehr anders wahrnehmen als »SO wie«.
B.razelton und Cramer ( 1989) berichten die folgende Fallvignette: »Juan hatte
seit seiner Geburt Nahrung erbrochen. Die Sauglingsschwester versuchte, die
Mutter zu beruhigen, indem sie ihr zeigte, dai3 die Gewichtszunahme des Babys
normal war; trotzdem blieb sie bei der Überzeugung, dai3 ihr Sohn sterben
würde.
lm Gesprach mit dem Arzt erzâhlte diese Mutter schon bald, dai3 sie immer
noch sehr verzweifelt über den Tod ihres Bruders sei, der drei Monate vor der
Geburt des Babys gestorben war. Man errnunterte sie, ausführlicher davon zu
erzahlen, und nun schilderte sie ihren letzten Besuch bei ilun im Krankenhaus:
Er war ausgemergelt, roch sehr schlecht und erbrach fortwahrend (er halte
Darmkrebs und Iag im Sterben); dieser Eindruck überwâltigte sie derart, dai3 sie
ohnmachtig wurde. Bald danach starb der Bruder. Sie hatte sich nicht in der
Lage gefühlt, an seiner Beerdigung teilzunehrnen. Sie hatte nicht ein einziges
Mai geweint. Der Prozef3 des Trauerns batte keinen normalen Verlauf
genommen.
Bemerkenswert war. dai3 Juan sich plotzlich erbrach, wiihrend sl.e die
schmerzhoJte Szene beschrleb. Daraufhin sagte der Arzt nur: •Er übergibt sich
wte lhr Bruder.~
Diese einfache Verbindung hatte eine gewaltige Wirkung auf die Mutter: Sie
begann zu weinen und war nun in der Lage, ihre Beziehung zu diesem Bruder
ausführlich zu schildern. Beim nachsten Termin sagte sie, dai3 diese Sitzung sie
au13erordentlich erleichtert habe. Sie lief3 die Traurigkeit über ihren Bruder zu,
trat damit in einen wirklichen TrauerprozeB ein und war in bezug auf das Kind
weniger angstlich. Auf diese Weise veranderte sich ihre Beziehung zu Juan . .Ein
Neuanfang war moglich geworden. Sie konnte sich an ihm erfreuen, weil sie den
Geist ihres toten Bruders nun wirklich begraben hatte. (. .. )
Es scheint, ais hatte diese junge Frau das Bild ihres sterbenden, erbre-
chenden Bruders in ihrem Inneren gehütet - aber statt es selbst zu repro-
duzieren, hatte sie es auf das Kind projiziert, mit dem sie damais schwanger
war. (... ) Weshalb Juan nach seiner Geburt zu erbrechen begann (was weder
ungewôhnlich noch zwangslaufig pathologisch ist), wissen wir nicht. Wir wissen
jedoch, dai3 dieses Symptom von der Mutter augenblicklich ais Beweis dafür
interpretiert wurde, daf3 dem Baby das gleiche Schicksal wie ihrem Bruder
bevorstünde. Diese Vorhersage erwies sich als wirkungsvoll und b6sartig, weil
der Geist des toten Bruders in das Baby eingezogen war. ( ... )
Was Juan angeht, ist es darüber hinaus moglich, dai3 das Erbrechen aJs
hochbesetzte Kommunikationsform gefordert wurde, weil die Mutter dleses
Symptom mit einer tiefen Bedeutung belegt hatte. Wir konnen die These
formulieren, dai3 emotionale Signale der Mutter (d.h. ihre Stimme, lhre Tranen,
ihr Mienenspiel), wahrend sie mit dem Arzt über das Erbrechen Utre Bruders
sprach, in ihrem Baby die entsprechende Reaktion provozierte, für die es nun.
eine Ausdrucksmëglichkeit wahlte, die in ihrer Kommunikation bereits ent-
wickelt war: das Erbrechen« ( 167 m.

In einem ahnlichen Zusammenspiel mit verteilten Rollen kann das


Kind als Mutter- oder Vaterfigur, als versorgende oder strafende
Instanz gesehen werden und sich selbst zu sehen begtnnen.
Eine verwandte, werm auch nicht so eng an bestimmte Perso-
nen geknüpfte phantasmatische lnteraktlon spiegelt sich in der
Wiederherstellung bestlnunter Beziehungserfahrungen in der aktu-
ellen Beziehung zum Kind. Auch diese »Neuinszenierung« ist not-
wendig sowohl für die Erfahrung von Grenzen wie für die Modtùte-
rung von Affekten; aber auch sie zeigt sich oft in der klinischen
Praxis. Der Wunsch nach einer tdealen Beziehung ist ein wichtlger
Nahrboden für das Kind; ja er liegt oft dem Kinderwunsch selbst
zugrunde. Er wurzelt in einem Phantasma der idealen Beziehung.
das als Gegenrnodell erfahrener Krânkungen und Frustrationen
errichtet worden ist und auch im Leben des Erwachsenen noch die
Funktion hat, mit Widrigkeiten besser umgehen zu kônnen. lm
Extremfall mag er sich bis zur Verleugnung von Konflikten und
Verschiedenheiten verselbstandigen und groBere Enttauschungen
und Verletzungen hervorrufen, als er eigentlich ha.tte verhindem
sallen.
Der dritte von Brazelton und Cramer genannte Bereich elterli-
cher Phantasien wtrd von der Psychoanalyse auch unter dem Be-
grtff des »Selbstobjekts~ behandelt: das Kind wird als Teil des eige-
nen unbewu13ten Selbst der Eltern erlebt. Auch diese Funktlon tst
unentbehrlich. Sie ist die Grundlage der lebensnotwendigen lden-
tlfikation der Eltern mit ihrem Kind.
»Unser Einfühlungsvennëgen beruht zum groBen Teil auf unserer Identif"lzierung
mit einem Partner; diese Identiflzierung wiederum ist moglich, weil Teile unseres.
Selbst auf den anderen proji.ziert werden. Der Begriff »Projektive IdentiHziertungc
wurde gepragt, um genau dieses Phânomen zu beschreiben. Damit die Mutter ln
seelischer Übereinstimmung mit den Bedürfnissen ihres Sâuglings stehen karm,
muf3 sie sich auf ei.ne IdenUftzierung mit Aspekten ihres eigenen frühkindUchen
Erlebens verlassen, die sie nun auf das Baby projiziert hat. Um aber die
IndividuaUtat ihres Babys wirklich kennenzulernen (und eine echte
Gegenseitigkeit zu erleben), mu13 sie sich von dieser Identi:fizierung zugleich
,.zurückziehen« und den objektiven, für ihr Baby charaktertstischen Signalen
ôffnen. Mit anderen Worten: ein erfolgversprechendes Verhalten der Mutter
beruht auf der Ausgewogenheit von projektiver Identillzierung (Wahrnehmung
der Gleichheit) und objektiver Wahrnehmung des Babys (Registrlerung der
Unterschiede). Ebensogut kënnte man auch sagen, da13 wir sowohl auf
verschmelzungsâhnliche Erfahrungen wie auf die Fâhigkeit zur Trennung
angewiesen sind« (Brazelton und Cramer 1989: 186 O.

Lebovici (1983) unterscheidet die mit dern Kind verbundenen


Phantasien der Eltern genauer in zwei Ebenen: (l) das phantasma-
tische Kind und (2) das imagtnare Kind. Das phantasmatische
Kind entspringt aus dem Wunsch nach Mutterschaft. Aus dem ei-

68
genen odipalen Erleben der Mutter, d.h. ihrer sublimierten Liebe
zum Vater und ihrer Identifikation mit der eigenen Mutter entsteht
der Wunsch, selbst Mutter zu werden. Das Baby steht ais
:.Wortführer des Über-Ichs« für die Losung des ôdipaien Konllikt.
Das tmagtnare Kind entspringt aus dem Wunsch nach Schwanger-
schaft. Dieser Wunsch stammt aus der sexuellen Beziehung zum
Vater des Kindes. Das 1magtnàre Kind ist das Kind beider Eltern,
und es reprasentiert die aus ihnen hervorgehende neue Generation
(vgl. Lebovici 1983: 136).
Diesen unterschiedlichen frühen Phantasien der Eltern steht
noch das reale Kind ais Drittes gegenüber. Es muB sich als eigenes
Wesen gegenüber den Trâumen seiner Mutter behaupten und
durchsetzen; erst dadurch wird der Austausch zwischen Mutter
und Kind, den die Psychoanalyse untersucht, interaktiv. Lebovici
spricht von »gegenseitiger Herstellung«.

Sprachentwicklung und Objektbeziehungen

Für die Psychoanalyse der sprachlichen Sozialisation bietet die


Objektbeziehungstheorie vor allem Ansatze zu einem Konzept der
Semantik.
lm Zusanunenspiel von Mutter und Kind, genauer zwischen
der reaien Mutter und ihren Phantasien und Imagines und dem
realen Kind und seinen in der Interaktion sich formenden Phanta-
sien und Imagines erhalten Handlungsablâufe Bedeutung. Indem
sie mit lmaginationen und Phantasien kongruieren oder in Disso-
nanz treten, bewirken sie eine »Semiotisierung« des Verhaltens.
Dieser ProzeB, der die psychische Struktur nicht nur des Kindes.
sondern aller Betelligten umfa.Bt, laBt Bedeutung entstehen ais
:.Bedeutung in Beziehung«. Die Objektbeziehungstheorie betont da-
bei den Aspekt der tnnerpsychischen Staffelung der Bedeutung.
»Bedeutung« ist eben nicht nur das Modell der Benennung einer
schlichten Verbindung von Wort und Dingvorstellung, sondern ein
Zusammentreffen von Handlung und Phantasie im Dialog. Die
Welt, in der das Kind seine ersten - und auch spâteren - Bedeu-
tungen entwickelt, ist eine Welt von strukturterten Phantasien.
Anzieu ( 1977) formuliert diese Position in Abgrenzung sowohl von
Freud als auch von Piaget: »Unseres Erachtens stellt die Sprache
nicht nur die Mogl1chkeit dar, mittels derer der Mensch seine
Welterfahrung mitteilen kann, indem er sie zu einem Ganzen ver-
einigt und vereinheitlicht. Die besagte Welterfahrung verstehen
sowohl Linguisten als auch Experimentalpsychologen im Sinne der
auBeren Welt. Wir kônnen diesen Begriff aber nur akzeptieren,
wenn er die innere Welt mit einbezieht und wenn, genauer gesagt,
die doppelte Bezlehung in Betracht gezogen wird, die einerseits
zwischen dem inneren Erleben, das (auBer bei bestimmten Psy-
chotikern) mit âuBeren Objekten oder Handlungen .i n Einklang ge-
bracht wird, und andererseits dem »realen« Objekt oder der »real n f(

69
Handlung besteht, die (auBer bei bestimmten Organisationsstô-
rungen durch fehlende somato-psychische Differenzierung) eine
Erinnerungsspur oder ein Phantasiebild wachrufen. Das Sprechen
kann nur erworben werden, wenn das Kind die aufiere und die tn-
~ere Wirklichkeit zueinander in Beziehung setzt (was Winnicott ais
Ubergangsregton bezeichnet), dabei aber gleichzeitlg den Unter-
schied zwischen den beiden feststellt: Wozu sonst sollte es gut
sein, die ursprüngliche wohlige Undifferenziertheit aufzugeben?
(Anzieu 1977: 13f).
Die neuere psychoanalytische Sauglingsforschung hat. worauf
ich noch ausführlicher zu sprechen kommen werde, allerdings
Einwande gegen diese »wohlige Undifferenziertheit«. Noch nicht
einmal Neugeborene sind so bar jeder Reizdiskriminationsfahigkeit?
wie man es ihnen früher unterstellt hat. und wenige Wochen alte
Kinder sind zu erstaunlich prazisen Wahrnehrnungen und zur
Unterscheidung von Personen 1n der Lage. Es sprtcht nichts dafür.
daB ihr Selbsterleben mit der Mutter verschrnolzen ist. lch meine
dennoch, da13 die klinische Metapher der Symbiose, gerade wie sie
in der Objektbeziehungstheorte Verwendung findet, auch ihre Be-
rechtigung hat, wenn man sie nicht empiristisch auf die kognttive
Diskriminationsfahigkeit des Sauglings anwendet, sondern als eine
Ebene des Erlebens begreift; keine Behauptung also, die operatio-
nalisierbar ware in einer Frage wie: »weil3 der Saugling, daB seine
Hand zu thm gehôrt und nicht zu seiner Mutter?« - sondern ein
Bild für eine Weltsicht, in der noch keine Trermlinien eingezogen.
noch keine Kette von Diskriminationserfahrungen zur Bildung von
abgegrenzten Objekten geführt hat. Daniel Stern (1986), einer der
erwâhnten Kritiker des Symbiosebegriffs, spricht in diesem Zu-
sanuneiÙlang von »amodaler Wahrnehmung«. Freud hat sehr an-
schaulich von einem »>zeanischen Gefühl« gesprochen. Ohne hier
1rn einzelnen die Unterschiede herauszustellen. sollen diese Be-
griffe die Richtung markieren, die auch der klassische und sicher
überstrapazierte Begriff der Symbiose gemeint haben kônnte.

2.3.1. Winnicott
Sprache zah.lt etgentlich nicht zu den Themen des bedeutenden
englischen Kinderanalytikers Donald W. Winnicott. Er soli Wer
dennoch vorgestellt werden, zum einen, weil er einige sehr origi-
nelle Bemerkungen zum Verstandnis der frühen Lautau.Berungen
des Kindes betgesteuert hat, zum anderen wegen seiner Theorie
des Übergangsobjekts und der prtmaren Mütterlichkeit, die fü.r
manche Weiterentwicklung der psychoanalytischen Sprachent-
wicklungstheorie bedeutsame Schlüsselbegrtffe darstellen.

70
Übergangsobjekt

Winnicotts Begriff des Übergangsobjekts ist einer der einflui3reich-


s t en Begriffe der modernen Psychoanalyse geworden. Seine Be-
deutung für die Psychoanalyse der sprachlichen Soziallsation rankt
s ich vor allem um den Begriff »transitional relate~ness.:. Hier will
ich nur Winn1cotts klassische Arbeit über das Ubergangsobjekt
vorstellen.
Wiruùcott hat die Gegenstânde, die das Kind so benützt, als
ob sie gleichzeitig der AuBenwelt und der Innenwelt zugehorten, als
,.übergangsobjekte« bezeichnet. »Aui3enwelt« und »lnnenwelt.: müs-
sen dabei als unzureichende, a us der Erwachsenensprache stam-
mende Begriffe betrachtet werden, denn für das Kind extstiert dies e
Unterscheidung noch nicht. Winnicott spricht vom »ersten Besitz ,
d er »Nicht-Ich« ist«, und er metnt damit auch nicht nur Gegen -
stânde: es k6nnen ebensogut T6ne, Gerüche, Rhythmen s ein. die
dem Kind einerseits so nahe stehen und so vertraut sind wie sein
Damnen, den es schon 1m Mutterleib zu lutschen begonnen h atte,
andererseits aber doch (aus der Sicht des Kindes: wie durch ein
Wunder) von au13en »da« sind, werm es sie braucht.
,.z ur Bezeichnung des Zwischenbereichs des Erlebens zwischen d e m Da umcn
und dem Teddybar, zwische n der Oralerotik und echte n Obje ktbezie h ungen ,
zwischen der primaren schôpferischen Aktivit.ât und de r Projektion dcsscn, was
bere its introjiziert worden ist, zwischen dem primâren Nichterke nne n der
Dankesschuld und der Anerkennung der Dankesschuld (>~sag danke!«) habe .teh
d ie Ausdrücke »Übergangsobjekt~ und >~Übergangsphà.nomene« eingeführ t.
Nach dieser Definition gehôren das Lallen elnes Saugllngs ode r d ie Art. wie
ein a lteres K.ind vor dem Einschlafen sein Re pertoire von Liede rn und Me lodi n
wiederholt, in den Zwischenbereich der Übergangsphanomene; e bcnso gehôrl
dazu der Gebrauch, den der Saugling von Objekten macht , die nic h t Te il seines
Kô rpers sind, jedoch nicht ganz ais etwas erkannt we rden, das zur aufie ren
Realitat gehôrt« (Winnicott 1953: 294).

Das Übergangsobjekt ist ein Hilfsmittel für das Kind, von seiner
prtmaren Objekterfahrung, in der es z.B. die Brust als ein von se1-
nen Bedürfnissen magtsch beherrschtes Objekt erfâhrt, s c h.ritt-
weise in eine Differenzierung Subjekt-Objekt überzugehen. in d r
es Objekte durch Manipulation lenkt. Dieser ProzeB s pielt slch
aber nicht tm Kind allein ab, sondem in der Beziehung zur )i>good
enough mother«, d.h. zu einer »Person, die sich aktiv an elie B -
dürfnisse des Kleinkindes anpa:Bt und ctiese Anpassung allma hllch
gemâB der parallel dazu wachsenden Fah:igkeit des Kleinkin d s zu-
rücknimmt, ausbleibende Anpassung zu berückstchtigen und di
Folgen von Versagungen zu ertragen« (ebd.: 305). Diese Versagun -
gen sind ebenso notwendig für den Saugllng wie die a.rtfàngJJ be
vollkorrunene Anpassung: denn nur durch sie entw1ckelt sich b tm
Kind ein Zett- und Realltatssinn, ein Gefühl für Entfernung u_nd
tnsgesarnt für Trennung von Objekt und Subjekt, und das h lBt
auch für Liebe und HaB. Erst in der Abfolge vom :.illust.on àr n

71
Ratun«, in dem sich die Mutter so verhalt, als sei sie vom Kind ma-
gisch steuerbar, zum daran él!,lSchlieBenden »Versagen« der Mutter
entsteht die Objektwelt. Das Ubergangsobjekt steht an der offenen
Grenze zwischen den beiden. lm illusionaren Raum war die magt-
sche Erfüllung wie eine Antwort auf eine noch nicht gestellte Frage.
»Man kann nicht sagen, daB der Sâugling von vornherein weiB, was
geschaffen werden soll. In diesem Augenblick bietet sich die Mutter
dar. Sie bietet auf die übliche Weise die Brust und ihren potentiel-
leu Fütterungsdrang an. Die Anpassung der Mutter an die Bedürf-
nisse des Sauglings verschafft, werm sie gut genug ist, dem Saug-
ling die Illusion, es existiere eine auBere Realitat, die der eigenen
schopferischen Fâhigkeit des Sauglings entspricht. Mit anderen
Worten: Das, was die Mutter liefert, und das, was das Kind sich
moglicherweise vorstellen kann, überschneidet sich. Für den Be-
obachter nimmt das Kind das wahr, was die Mutter tatsâchlich
darbietet; aber das ist nicht die ganze Wahrheit. Der Sâugling
nimmt die Brust nur tnsoweit wahr, als eine Brust nur genau dort
und dann geschaffen werden konnte. Zwischen der Mutter und
dem Sâugling findet keine Konununikation statt. Psychologtsch ge-
sehen, trinkt der Sâugling an einer Brust, die Teil seiner selbst ist,
und die Mutter stillt ein Kind, das ein Teil von ihr ist. In der Psy-
chologie beruht die Idee von einem wechselseitigen Austausch auf
etner Illus.ion« (Winnicott 1953: 307 f). Mit dem Auftreten des
Übergangsobjekts erhalt die Phantaste des Kindes eine Form, die
der magtschen Erfüllung vorhergeht - oder, wie Winnicott sagt: die
einen besonderen Raum, einen neutralen Bereich des Erlebens
innehat, der nicht in Frage gestellt wtrd: »Man kann vom
Übergangsobjekt sagen, es sei gleichsam zwischen uns und dem
Baby ausgemacht, daB ntemals die Frage gestellt wtrd: »Hast Du
Dir dies ausgedacht, oder ist es dir von aui3en dargeboten wor-
den?~ Das Wichttge ist, daB in dieser Hinsicht keine Entscheidung
erwartet wird. Die Frage soli nicht gestellt werden« (ebd.: 308).
Die Behauptung, daB zwischen Mutter und Kind keine Kom-
munikation stattftnde, würde freilich auf den entschiedenen Wi-
derspruch der modernen Entwicklungspsychologie stoBen. Ebenso
die Auffassung, das Kind betrachte die Brust als Teil seiner selbst.
Aber trifft der Widerspruch das, was hier gemeint ist? SchlieBlich
behauptet Winnicott Ja auch, die Mutter »Stillt ein Kind, das etn
Teil von ihr ist.-K DaB das nun, wortlich genommen, widersinnig ist.
wird auch Winnicott schon bemerkt haben. Die Mutter nimmt das
Kind ja nicht mit auf die Waage, werm sie wissen will, wieviel sie
wiegt. Und auch Winrucott ist sicher aufgefallen, daB die Mütter,
die thre kleinen Sàuglinge in seine Kinderarztpraxis brachten,
nicht sagten: »Ich habe Bauchweh«. Also dürfen wir davon ausge-
hen, daB er etwas anderes gerneint hat. Ich denke, es liegt auf der
Hand, daB er mit seinem Bild des Übergangsobjektes und des il-
lusionaren Ratunes versucht hat, Kristallisationspunkte der Welt-
sicht zu umrei.Ben, wie sie das Kind sich zu konstruieren begtnnt;

72
einer Weltsicht, die zwar auf intakter teclmischer Unterscheidung
von Sinnesdaten beruht, aber nichtsdestoweniger zunachst noch
sehr schwankend und schwebend beschaffen sein muB (vgl.. auch
Baumgart 1991 und unten Seite 116).
Daniel Stem ( 1986), der das Konstrukt der Versclunelzung
kritisiert, hat dennoch einen Versuch unternonunen, ein ah.nliches
Konstrukt zu entwickeln, um die frühe Reprasentanzenwelt des
Sâugl:ings zu kennzeichnen. Er führt das »Persan-Ding« als Vor-
lâ.ufer des Übergangsobjekts ein. lm Gegensatz zum Übergangsob-
jekt tritt der Bezug zu einem von der Mutter für das Kind spiele-
rtsch belebten, und in der Folge auch vom Kind wie ein Lebewesen
erforschten Person-Ding zeitlich früher auf. Dennoch setzt er weni-
ger und gleic;_hzeitlg mehr voraus. Walrrend bei Winnicott die Fa-
higkeit, ein Ubergangsobjekt zu besetzen, auf Ansatzen des sym-
bolischen Denkens aufbaut (was Stern meiner Meinung nach aber
überpointiert), kann Stern sein Person-Ding mit der Theorie des
~pisodischen Gedachtnisses erklaren. Gleichzeitig sind 1m
Ubergangsobjekt Reste der primaren Verschmelzung mit dem Ob-
jekt wirksam; 1m Gegensatz dazu geht Stern davon aus, dai3 die
Trennung zwischen dem Selbst und dem Anderen in der Entwick-
lung stets erhalten bleibt (Stern 1986: 177 f).
Die Bedeutung des Übergangsobjekts für die Psychoanalyse
der Sprachentwicklung liegt unter anderem auch darin, daB dieser
Begriff ein Verstandnis der Organisation der frühen semantischen
und syntaktischen Strukturen erlaubt. Für das K.ind organisiert
sich die Welt in diesem Stadium eben nicht wie für den Erwachse-
nen als eine Fülle von abgegrenzten Gegenstânden, sondern als ein
Kontinuum, in .~em ihm mehr oder weniger vertraute Situattonen
begegnen. Die .Ahnlichkeit zwischen einem Teddybaren und einer
Bettdecke ist also moglicherweise gro13er als die zwischen einem
Teddybaren der Firma X und einem Teddybaren der Firma Y, werm
Bar und Decke vergleichbare emotionale Erfahrungen vermitteln
(vgl. auch unten Seite 219).

Prlmiire Mütterlichkelt

Ich h~~e gezeigt, da13 die Schaffung des illusionaren Raums, der
~em Ubergangsobjekt vorangeht, und auch die Schaffung des
Ubergangsobjekts selbst sich einem erheblichen Bettrag der Mutter
verdankt. Wie ist es der Mutter môglich, sich so sehr auf die Be-
dürfnisse des Sauglings einzustellen? Diese Etnstellung hat
Winnicott mit einem weiteren bekannt gewordenen Begriff bezeich-
net, den ich hier etwas naher erlautern will.
•Primare Mütterlichkeit« wird von Winnicott ( 1956) als ein
»Zustand erhôhter Sensibilitat wâhrend und besonders gegen Ende
der Schwangerschaft« bezeichnet, der nach der Geburt des Kindes
noch mehrere Wochen anhâlt. »Werm die Mütter sich davon erholt
haben, konnen sie sich kaum daran erinnern. lch mochte sogar

73
noch weitergehend sagen, daB die Erinnerung der Mütter an die-
sen Zustand normalerweise verdrângt wtrd« (Winnicott 1956: 155).
Winrucott vergleicht den Zustand der prtmaren Mütterlichkeit mit
Zustanden von Entrücktheit oder mit einer schizoiden Episode mtt
Dissoziierung und Bewufitseinstrübung. Es ist eine für das Kind
notwendige, wenn auch nicht jeder Mutter mogliche Leistung, diese
»normale Krankheit« auf sich zu nehmen, die ihr hilft, sich den Be-
dürfnissen des Kindes anzupassen im Sinne eines »vorübergehen-
den Aufg~hens 1m Kinde«. Für das Kind ist dieses Aufgehen notig.
weil ein Uberma.B an reaktiver Aggression auf ZusammenstoBe mit
der Mutter für das Kind die »Drohung des Ntchtseins« enthâlt.
»Das, was die Mutter richtig macht, wird vom Kind auf dieser Stufe
in keinerlei Wetse zur Kenntnis genomrnen (... ) lhre Fehler dagegen
werden nicht als solche empfunden, sondern wirken auf den Saug-
Ung als Bedrohung für das Dasein seines personlichen Selbsts«
(Winnicott 1956: 153).
Freillch will Winnicott diese Interpretation nicht als Pladoyer
für mütterliche Perfektion verstanden wissen: Auch er teilt die ein-
hellige Au:ffassung der Psychoanalytiker, da.B Versagung ein we-
sentlicher Faktor der lch-Entwicklung ist. »Die erste !ch-Organi-
sation entsteht aus dem Erleben drohender Vernichtung, zu der es
jedoch nicht kornmt, auf die immer eine Wiederherstellung folgt.
Aus solchen Erfahrungen heraus begtnnt das Vertrauen auf Wie-
derherstellung etwas zu sein, das zu einem lch und zu der Fâhig-
keit dieses Ichs führt, mJt Enttauschungen fertig zu werden« (ebd).
Freilich kann dieses Vertrauen nicht entstehen, wenn die Versa-
gung von Anfang an überwiegt. Grundlage dafür, die Versagung
nützen zu konnen, ist zunachst die prtmare Mütterlichkeit a1s Be-
standteil der »zuretchend guten Umwelt«. In welchem Ausma:B
W.i nnicott die pathologtschen Folgen des Felùens der primaren
Mütterlichkeit sieht, belegt die folgende Schilderung, die gleichzei-
tig etnen Eindruck von der Radikalitat objektbezi.ehungstheoreti-
schen Denkens vermittelt.
:.Nach meiner Annalune wird dem Kinde in der frühesten Zeit durch eine zurei-
c he nd gute Umwelt die Môglichkeit gegeben, überhaupt zu sein, zu erleben, ein
persônliches [ch aufzubauen, Triebe zu beherrschen und den zum Leben gehô-
renden Schwierigkeiten zu begegnen . Ail dies wird als real empfunden von einem
Kinde, das die Fa.hlgkeit entwickelt hat, ein Selbst zu besitzen, das ihm notfalls
sogar ermôglich t , seine Spontaneitât zu opfem und sogar zu sterben. Anderer-
seits kann sich ohne die ausreichend gute anfangliche Fürsorge aus der Umwelt
niemals ein solches Selbst entwickeln, das die Kraft aufbringt. zu sterben. Das
Gefühl des Realen fehlt , und wenn es nicht zu grôBerem Chaos komm t, entsteht
zumindcst cin Gefühl von Sinnlosigkeit. Die zum Leben gehôrenden Schwierig-
kelten kônncn nicht angenommen werden, von den Befriedigungen gar nicht zu
rcden . Wenn kein Chaos vorliegt, tritt ein das wahre Selbst verbergendes Schein-
Sclbst ln Erschel.nung, das Forderungen nachkommt, auf Reize reagtert, sich
von Tr:lcb rlebnJssen dadurch befreit, daB es sie eben hat, das jedoch nur da-
hinvegetlert« (Winnicott 1956.: 159).

74
Ich habe dieses radikale Zitat gewâhlt, um auch daran noch einmal
zu verdeutlichen, daB die Idee der Subjekt-Objekt-Verschmelzung,
von der die <?,bjektbeziehungstheorie ausgeht und die sowohl der
Theorie des Ubergangsobjekts als auch der primaren Mütterlich-
keit zugrundeliegt, nicht zu oberflachlich als kognitive Undifferen-
z1erthett zwischen Sàugl.1ng und Mutter verstanden werden darf.
Was sie meint, ist vielmehr eine tiefe emotionale VerbundeiÙleit, so
tlef, da.B ein Bewuj3tsein von Grenzen in ihr nicht besteht. Da.B es
zweifellos ein Subjekt dieser Verbundenheit gibt, das setzt auch
Winnicott voraus, sonst kônnte er nicht von einem »persôrùichen
Selbst« des Kindes sprechen.

2.3.2. Wilfred Bion


Wllfred Bion, der das Werk von Melanie Klein, in seiner ganz eigen-
standigen Denkweise weiterentwickelt hat, erklart die Entstehung
von Begrtffen als Zusammentreffen angeborener Objekterwartun-
gen mit einer befriedtgenden Wahrnehmung, und schreibt der Be-
grtffsblldung die Funktion zu, das Primàrobjekt zu ersetzen. Bions
provozierende therapeutische Haltung begründete schon in den
sechziger Jahren seinen geradezu legendàren Ruf vor allem als
Gruppenanalytiker. In neuerer Zeit stô.Bt seine nicht minder provo-
zierende theoretische Gangart auf zunehmendes Interesse in der
Psychoanalyse.
Die »Theorie des Denkens« (Bion 1962) ist ein gutes Beispiel
dafür. Er entfaltet 1n dieser Arbeit auf knappem Raum die folgen-
den Thesen.
Die Leistung des Denkens ist, so Bion, eine Folge der Ent-
wicklung von Gedanken und eines Denkapparates; Gedanken ge-
ben also dem Denken voraus, statt ais dessen Produkt aufgefaBt
.z u werden. Wie kann man sich solche ungedachten Gedanken vor-
stellen? Bion stellt die Entwicklungslinie des Denkens als einen
dreistufigen Proze.B dar, der über Pràkonzeptionen zu Konzeptio-
nen bzw. Gedanken und schlieBlich zu Begriffen (Konzepten) fort-
schreitet.
Den Übergang von den Prakonzeptionen zu den Konzeptionen
bezeichnet Bion - mit etnem metaphorischen Anklang an
»Konzeption.: im Stnne von »Empfàngnts« - als »Paarung einer Pra-
konzeption mit einem Realerlebnis«. Was dabei entsteht, tst eine
Konzeption.
Ein Beispiel: »Die Prakonzeption (also die angeborene Erwartung einer Brust,
das a-priori-Wissen um eine Brust, der ~leere Gedanke~) paart sich, wenn der
Sâugling mit der wirklichen Brust in Berührung kommt, mit der Gewahrwer-
dung des Realerlebnisses und fàllt so mit der Entwicklung einer Konzeption zu -
sammen. Dies ist also unser Modell für die Theorie, dal3 jede Kreuzung einer
Prâkonzeption mit ihrern Realerlebnis eine Konzeption hervorbringt. Man kann
erwarten, dal3 mit den Konzeptionen ein Gefühlserlebnis der Bcfriedigung ein-
hergeht« (Bion 1962: 427).

75
Einen anderen Verlauf ninunt die Entwicklung, wenn die Prâkon-
zeption - also in unserem Beispiel die Erwartung der Brust - mcht
der realen Ertüllung begegnet, sondern auf Versagung trifft: dann
entstehen statt Konzeptionen Gedanken. Weiter im Beispiel:
~oas Modell, das ich vorschlage, ist das eines sauglings, dessen Erwartung einer
Brust gepaart ist nùt dem Realerlebnis, daB keine Brust, die ihn befriedigt, vor-
handen ist. Diese Paarung wird innerlich als ~keine Brust«, als ~abwesende
Brust« erlebt. (... )
Werm die Fâhigkeit, Versagung zu ertragen, ausreicht, dann wird die
~abwesende Brust« im lnnern zu einem Gedanken, und es entwickelt sich ein
Apparat, um diesen Gedanken zu ~enken« (ebd.: 427 f).

lst hingegen die Fahigkeit zur Frustrationstoleranz gering, so kann


sich kein Gedanke entwickeln. Hier liegt der qualitative Unter-
schied, den Bion zwischen diesen beiden Môglichkeiten ansetzt.
Gedanken entstehen aus der Kreuzung von Prâkonzepten und ne-
gativen Erfahrungen bei gegebener ausreichender Frustrationstole-
ranz. Dieselbe Konstellation führt aber, wenn die Toleranz nicht
ausreicht, zu einem qualitativ anderen Verlauf. Die Begegnung von
Prak:onzeption und negativem Realerlebnis führt dann zur Aussto-
Bung der schlechten Gefühle, die sich 1m Kind bilden, und die
eben, weil sich kein Denken von Gedanken entwickeln konnte. von
gefahrlichen und feindlichen auBeren Objekten nicht unter-
scheidbar sind. Das Kind vennittelt diese undenkbaren, schlechten
Objekte durch einen speziellen Mechanismus (der Projektiven
ldentifizierung) in das unbewuBte Erleben der Mutter. Dort wird er
- im Idealfall - dann doch gedacht werden kônnen und dem Kind
sozusagen in entgifteter Form wieder zur Verfügung gestellt. Diese
wichtige );Container-Funktion.: der Mutter wird uns unten noch
ausführlicher beschâftigen (s. Seite 132).
Bion geht also davon aus, daB jedes Kind genetische Pradis-
positionen mitbringt, Ur-Phantasien, die es auf den Vorgang des
Stillens (und weitere primâre Vorgange des Austauschs, auch von
Gefühlen und Phantasien) vorbereiten. An dieser Stelle, die in die-
ser Hinsicht der Theorie Melanie KI.eins âhnelt, kann aus psycho-
lingutstischer Sicht Kritik geübt werden. Denn werm auch die an-
geborenen Reflexmuster des Stillvorgangs und anderer grundle-
gender Austauschprozesse eine gewtssermaBen universale Struk-
tur aufweisen, so ist damit doch noch nicht gesagt, welche inner-
psych1schen Wirkungen, also welche Phantasie-Gestalten sie an-
nehmen werden. Nun ist allerdings Bion ein Autor, der ziemlic.h
vieldeutig formuliert. Liest man ihn so. daB »Prâkonzepte.: als so-
matische Reflexe verstanden werden kônnen, so wâre dieser Kritik
damit zwar begegnet, aber es ergeben sich neue Probleme: denn
wie kommt es dann zwn Austausch von Phantasien, ztun
»Container-Contained~. der ja das Zentrum von Bions Theorie der
psych1schen Entwicklung ausmacht? Ninunt man aber doch an.
daB Bion von angeborenen Phantasten im engeren Sinne ausgeht,

76
abnlich wie Melanie Klein, so müBte man dem Konzept der
•angeborenen Objekterwartung« ein nativistisches oder biologiste-
rendes Moment zusprechen; und das ist, wie schon besprochen, in
der Psychoanalyse der Sprachentwicklung nicht unumstritten.

2.4. Symboltheorie
Besonderes Gewicht auf die Sprache wird, wie einleitend schon
bemerkt, 1rn Bereich der psychoanalytischen Symboltheorie gelegt.
Wenn in Allt.agsgesprâchen in Zusammenhang mit der Psychoanalyse von
»Symbolen« gesprochen wird, dann herrscht meist ein Mü3verstândnis vor, das
zum einen auf populâre Darstellungen der Psychoanalyse, zum anderen aber auf
den Symbolbegriff von C .G. Jung und seine Abgrenzung von Freud zurückgeht.
In der Alltagssprache ist dieser mü3verstandene Symbolbegriff noch ganz unver-
ândert gilltig: Symbole sind Sexualsymbole, und sonst nichts.
Dabei wird nicht berücksichtigt, da13 Symbole selbst in diesem einge-
schrânk:ten Sinn in der Regel überdeterminiert sind. Werm jemand z.B. von
Frankfurter Würstchen trâumt, so mag darin wahl eine phallische Reminiszenz
angedeutet sein; doch konnen assoziativ damit ebenso orale Wünsche wte eine
versteckte Attacke gegen das Sigmund-Freud-Institut verbunden sein. Was ein
Traumsymbol z.B. für den Trâumer bedeutet, das kann nicht durch irge ndein
Lexikon ermittelt werden, sondern nur durch die Assoziationen des Traume rs
selbst.

Schon Freud betrachtete die symbo1vermittelten ÀuBerungen in


Sprache, Traum, Symptom und Mythos als analog; er begriff die
Symbolik als archaische Sprache, und versuchte dies auch am
:.Gegensinn der Urworte« nachzuweisen (Freud 191 Oe). Die Frage.
die dabei zur Debatte steht, ist nicht nur eine linguistische, son-
dern es geht dabei um das Problem der Sprachlichkeit des Un-
bewuJ3ten. Freud geht ja, wie wir gesehen haben, zunâchst davon
aus, da13 unbewu13te Inhalte nicht mit Wortvorstellungen assoziiert
sind. Er gtbt jedoch zu, daB es auch verbale Vorstellungen geben
kann, die dennoch nicht bewuJ3tseinsfâhig sind.
Doch wird die Frage für die moderne Symboltheorie noch viel
grundsâtzlicher: durch die Entwicklung, die der Symbolbegriff au-
Berhalb der Psychoanalyse erfahren hat, vor allem in der Linguistik
und in der sprachanalytischen Philosophie, ist seine Bedeutung
erheblich erweitert worden. Zum einen erstreckt er sich bis zum
Synonym für gesetzma.J31g ver1aufende Infonnatlonsprozesse
schlechthin, zum anderen ist er untrennbar verbunden mit dem
Begrtff des Systems bzw. der Sprachgemeinschaft. Es geht also
nicht mehr an, den Symbo1begriff für ein bestirruntes psychisches
Phânomen zu reservieren, will man nicht einen abgesonderten
:.psychoanalytischen« Symbolbegriff schaffen (wie z.B. Blmn 1978;
vgl. Litowitz und Litowitz 1977). Mit diesen Fragen beschaftigen
sich in neuerer Zeit viele Theoretiker der Psychoanalyse (s.
Meissner und Van Dam 1978). Sie versuchen von verschiedenen
Posttionen aus einen erweiterten Symbolbegriff einzuführen, sei es
77
aus der Perspektive der strukturellen Linguistik (Lacan 1956
1958), der Systemtheorie (vgl. Konig 1981) oder der Kritlschen
Theorie (Lorenzer 1970, 1972, 1984; s. unten).

Der klasslsche psychoanalytische Symbolbegrljf

In den ersten Jahren der Psychoanaiyse trat der Symbolbegrtff


zunâchst nur ais »Erinnerungssymbol« in Erscheinung, ais
Vorstellungsinhait, der einen anderen Vorstellungstrùlait vertrttt.
Die Verbindung zwischen diesen beiden Vorstellungsinhalten war
rein zufaJlig-assoziativ. Daneben deutete sich jedoch damais schon
ein zweiter. substantiellerer Symbolbegri:ff an, der das Symbo1 zum.
subjektiv sinnvollen Ersatz für das Symbolisierte erhebt '(vgl..
Lorenzer 1972: Kap. 1). Dieses Nebeneinander von zwei Symbol-
begriffen spiegelt sich z.B. in der kritischen Edition der »Traum-
deutung« (Freud Studienausgabe Bd. 2): dort liest sich das Sym-
bolkap1tel wie ein Flickenteppich aus übereinandergeschobenen
Verbesserungen. In jeder neuen Auflage der »Traumdeutung~ sah
Freud sich veranlaBt, grundlegend neue Stellungnahmen, Ein-
schrânkungen oder Erweiterungen der psychoanalytischen Auffas-
sung des Symbols einzuschalten.
In der Erstauflage der »Traumdeutung« war von der Symbol-
theorie noch sehr wenig die Rede (vgl. Richards 1975: 14). Symbo-
lische Bilder werden nur ais Darstellungsmittel der Traumarbeit
behandelt, ohne daB dies jedoch essentieller Bestandteil der
Traumarbeit wâre: »Ja wenn man genauer zusieht, mu.B man er-
kermen, daB die Traumarbeit mit dieser Art von Ersetzung über-
haupt nichts Originelles leistet« (Freud 1900a: 351 ).
lm Jahre 1909 wurden recht ausführliche Diskussionen der
Symbolik tm Traum etngeschaltet, wobei vor allem auf die Parallele
mit Mârchen, Mythen, Sagen und Witzen hingewtesen wird. 1911
wurden diese Symbole durch Bezug auf Stekels Buch »Die Sprache
des Traums« ( 1911) erweitert, und eine ganze Reihe von Traumbei-
spielen etngeschaltet, die insbesondere die symbolische Darstel-
lung des Genitales und des Geschlechtsverkehrs 1m Traum belegen
sallen. Diese Auffassung der Symbolik ais einer eigenen Sprache,
die ohne die Einfillle des Traumers unmittelbar verstandlich ist,
markiert nach Lorenzer (1972: Kap. 1.3) die dritte Stufe der
psychoanaiytischen Symboltheorie. 1914 kam bereits wieder die
Abkehr von der Hochflut der Symbolik und von Steke1s Symbol-
theorie, die er nun als »Verwilderte Deutung« bezeichnete. Warnend
wies Freud nun auf die Vieldeutigkeit der Traumsymbole hin. In
den »Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse~ betonte
Freud, ebenso wie in den Zusatzen und Abânderungen zur
»Traumdeutung~ aus den Jahren 1914 und 1919, einen best1nUn-
ten Gegenstandsbereich, der sich für eUe syrnbolische Darstellung
besonders etgne. Zwar widerrief er die auch in den früheren Dar·
stellungen erwâhnten symbolischen Darstellungen von menschli-

78
chem Leib, E1tern, Kindern, Geschwistern, Geburt, Tod, Nacktheit
nicht, doch lag das ganze Gewicht der Symbolbildung nun auf dem
Sexualleben (vgl. Freud 1916-17: 154 f). Diese Hauptbeziehung der
Symbolsprache auf die Genitalitât findet sich nicht nur im Traum,
sondem auch in der Symbolik des Wachlebens. Mit diesem Ver-
glelch stellen sich jedoch einige Probleme, die Freud dJskutiert:

Zum ersten die Frage, wie der Trâumer von dern verborgenen
Bedeutungsgehalt des Symbols hn Traum wissen kann, mnso
mehr, ais ilun hn Wachleben rneist die symbolische Beziehung
verborgen ist. Freud sieht sich gezwungen, entweder etn un-
bewu13tes Geistesleben zu postulieren, das in der Lage ist, dJe
sym.bolischen Beziehungen herzustellen, oder davon auszuge-
hen, daB »diese Vergletchungen (. .. ) nicht jedesmal neu ange-
stellt werden«, sondern bereitliegen, »ein- für allemal fertig«
sind (Freud 1916-17: 168). Damit aber erhebt stch das oben-
genannte Problem, wie das UnbewuBte des Traumers von die-
sen bereitliegenden Symbolen Kenntnis haben kann.

Zum zweiten fâllt auf, daB wohl in der Traumsymbolik, nicht


aber in der Syrnbolik des Wachlebens, die Anspielung auf se-
xuelle Verhhltnisse dominiert. Dieses zweite Problem lOst
Freud mit der ihm eigentümlichen Eleganz dadurch, daB er
auch für die Entstehung der Symbole des Wachlebens einen
sexuellen Ursprung postuliert. Bezugnelnnend auf sprachwts-
senschaftliche Forschungen von Sperber (1912) behauptet er,
dafi die Syrnbolbeziehungen des Wachbewui3tse1ns sich 1m
Laufe der Sprachgeschichte von ursprünglich sexuellen Lock-
rufen gespalten haben. Freud lôst das Problem der psycho-
analytischen Symboltheorie also durch Entwicklung einer
triebtheoretischen Kulturtheorie (vgl. Lorenzer, Gorlich und
Schmidt 1980).

In einem zusammenfassenden Aufsatz definierte Jones (1916) das


Symbol im strengen psychoanalytischen Sinn als unbewu13te Dar-
stellung elnes nicht sublimierbaren Affekts. Dabet verl1e13 er die
Stekelsche Auffassung, Symbole seten überindividuell verstândlich.
und leitete die Symbolbedeutung wieder aus dem Assoziationsver-
lauf ab. Für Jones ist das Symbol eine Leistung des Primârprozes-
ses , es ist strikt gebunden an verdrangte »mâchtige Affekte«. Ob-
wahl Jones versucht, den changierenden psychoanalytischen Sym-
bolbegrtff definitorisch stillzustellen, markiert seine Schrift doch
genau jene Spannung zwischen dem Symbol als Assoztationszei-
chen, als Sprachkonvention und als dynamischern Proze13, die
noch tmmer den psychoanalytischen Symbolbegriff prâgt (vgl. auch
Goebel 1986).
Freud berichtet in seiner Schrift »Jenseits des Lustprinzips«
(l920g) eine Beobachtung, die spâter als Beispiel für den Begtnn
der Symbolisierungsfâhigkeit berühmt geworden ist: das Spiel mit
79
der Fadenspule, das er bei seinem eineinhalbjahrigen Enkel beob-
achtete.
»Das Klnd war in seiner intellektuellen Entwicklung keineswegs voreilig. es
sprach mit eineinhalb Jahren erst wenige verstândliche Worte und verfügte au-
:Berdem über mehrere bedeutungsvolle Laute, die von der Umgebung verstanden
wurden. Aber es war in gutem Rapport mit den Eltern und dem einZigen
Dienstmadchen und wurde wegen seines »anstandigen« Charakters gelobt. Es
stôrte die Eltem nicht zur Nachtzeit, befolgte gewissenhaft die Verbote, manche
Gegenstânde zu berühren und in gewisse Raume zu gehen, und vor allemande-
ren, es weinte nie, wenn die Mutter es für Stunden verlieB, obwohl es d1eser
Mu tter zartlich anWng, die das Kind nicht nur selbst genahrt, sondera auch
ohne jede fremde Beihilfe gepflegt und betreut hatte. Dieses brave Kind zeigte
nun die gelegentllch stôrende Gewohnheit, alle kleinen Gegenstânde, deren es
habhaft wurde, weit weg von sich in eine Zimmerecke. unter ein Bett usw.. zu
schleudern, so daB das Zusammensuchen seines Spielzeugs oft keine leichte Ar-
beit war. Dabei brachte es mit dem Ausdruck von Interesse und Befriedigung ein
lautes, langgezogenes o-o-o-o hervor, das nach dem übereinstimmenden Urteil
der Mutter und des Beobachters keine Interjektion war, sondem »Fort« bedeu-
tete. Ich merkte endlich, da13 das ein Spiel sei, und da13 das Kind alle seine
Splelsachen nur dazu benütze, mit ihnen »fortsein« zu spielen. Eines Tages
machte ich dann die Beobachtung, die meine Auffassung bestatlgte. Das Kind
hatte eine Holzspule, die mit einem Bindfaden umwickelt war. Es fiel ihrn nie
ein, sie zum Beispiel am Baden hinter sich herzuziehen, also Wagen mit ihr zu
spielen, sondern es warf die am Faden gehaltene Spule mit groBem Geschick
über den Rand seines verhangten Bettchens, so daB sie darin verschwand , sagte
dazu sein bedeutungsvolles o-o-o-o und zog dann die Spule am Faden wierl.er
aus dcm Bctt heraus, begrüBte aber Uu-e Erscheinung jetzt mit elnem freud igen
»DaK Das war also das komplette Spiel, Verschwinden und Wiederkommen, wo-
von man zumeist nur den ersten Akt zu sehen bekam, und dieser wurde fur sich
alleln unermüdlich zum Spiel wiederholt, obwohl die grëBere Lust unzweifelhaft
dem zweiten Akt anhlng. (Freud erganzt hier in einer FuBnote: Diese Deutung
wurde dann durch eine weitere Beobachtung vë>1lig gesichert. Als eines Tages di
Mutter über viele Stunden abwesend gewesen war, wurde sie beim Wie-
dcrkommen mit der Mitteilung begrüBt: Bebi o-o-o-o!, die zunachst unver-
standllch bUeb. Es ergab sich aber bald, daB das Kind wahrend dieses langen
Alle lnseins ein Mittel gefunden hatte, sich selbst verschwinden zu lassen. Es
halte sein Bild ln dem fast bis zum Baden reichenden Standspiegel entdeckt und!
slch dann niedergekauert, so daB das Spiegelhild »fortoc war.)
Die Deutung des Spieles lag dann nahe. Es war im Zusammenhang mit der
gro13en kulturellen Leistung des Klndes, mit dem von 1hm zustandegebrachten
Trle bve rzlcht (Verzicht auf Triebbefriedigung). das Fortgehen der Mutter ohne
Strauben zu gestattcn. Es entschadigte slch gleichsam dafür, indem es dasselbe
Ve rschwinden und Wicderkommen mlt den ihm erreichbaren Gegenstiinden
sc1bst in Szene setzte.«

Freud selbst verwendet diese Beobachtung ais Beleg für seme


These, daB es ungewiB sei, ob man diese Fonn der Bewâltigung
noch nach dem Lustprinzip erklaren kënne: kônnte es die Folge et-
nes ~Bemachtigungstriebes4( sein, oder ~e Befiiedigung eines im
Leben unterdrückten Racheimpulses gegen die Mutter~? - Freud
geht über diese sozusagen freudianischen Erklarungen hinaus und
postuliert einen »Wiederholungszwang~ als vom Lustprinzip unab-
hangtges Motiv.

80
.Symbolbildung und prdodipale Angst: Melanie Klein

ln etnem Aufsatz über die Bedeutung der Symbolbildung für die


lch-Entwicklung (M. Klein 1930) erweitert Melanie Klein den klas-
sischen psychoanalytischen Symbolbegriff in einer Weise, die mit
Freuds eben diskutierter Hinzunalune des Wiederholungszw~gs
~eng verwandt ist. Dabei geht sie von ihrer Theorie des frühen Odi-
puskonfliktes aus, in dem >>die pragenitalen Triebregungen das
Feld beherrschen~ (M. Klein 1930: 30). Der Begtnn des Odipuskom-
plexes erfolgt nach Melanie Klein »Unter der Vorherrschaft des Sa-
dtsmus« (ebd.). Symbole entstehen also nicht nur dadurch, daB das
IGnd die Welt unter libidinosen Gesichtspunkten ordnet und zu
symbolischen Gleichungen zusammenfa13t - Ferenczi hatte diesen
Vorgang als die der Symbolbildung zugrundeliegende »ldentifizie-
rung~ beschrieben -, sondern solche Gleichungen entstehen auch
unter der Wtrkung früher spezifischer Angste: » ... neben dem Ubidi-
nôsen Interesse (ist) es die in der von mir beschriebenen Phase ein-
setzende Angst, die den Mechanismus der Identifizierung in Gang
setzt. Die Zerstorungswünsche gegen die die Objekte vertretenden
Organe - Penis, Vagtna, Brust- losen Angst vor den Objekten aus.
Die Angst tragt zur Gleichsetzung dies er Organe mit ander en Din-
gen bei und treibt dann von den durch diese Gleichsetzung zu
Angstobjekten verwandelten Dingen weg zu inuner neuen und an-
deren Gleichsetzungen, die die Basis für ein mit diesen Gegenstan-
den verknüpftes Interesse und für die Symbolik bilden« (M. Klein
1930: 31) - »Diese auf den Mutterleib gerichteten sadistlschen
Phantasien stellen die ers te und grundlegende Beziehung zur Au-
.Benwelt und Realitat her, der mehr oder weniger gelungene Durch-
,gang durch diese Phase wird grundlegend für die weitere Erwer-
bung einer Umwelt im relitatsgerechten Sinne. Die früheste Reali-
tât des Kindes ist demnach eine ganz phantastische; es ist von
Angstobjekten umgeben, wobei Exkremente, Organe, Objekte,
leblose und belebte Dinge zunachst einander aquivalent sind«
(ebd.: 32).

Melanie Klein illustriert ihre Autrassung von der frühen Symbolbildung an einer
Fallgeschichte. Der vierjahrige Dick wurde von ihr als schizophren diagnosti-
ziert: Er konnte kaum sprechen, wirkte unzuganglich, afTekt- und orientie-
rungslos und zeigte weitgehende Befehlsautomatie, abwechselnd mit Negatlvis-
mus. Sein Interesse für die Realitat war gering. Er hatte gro13e Probleme mit der
Nahrungsaufnahme. Dick war weitgehend gleichgültig gegen Spielsachen und
hatte ein ausschliefiliches Interesse an Zügen, Bahnhëfen, Türknëpfen und am
Scblle13en und Ôffnen von Türen. Seine Vorgeschichte war gepragt von einer
echweren Stërung in den ersten Lebensmonaten, sowohl was die mU3glückte
StillsltuaUon ais auch die affektive Verbundenheit rnlt der Mutter betraf. Er
wuchs in einer »liebesarmen Umgebung« auf; als er mit drei Jahren ein neues,
JJebevolleres K.indermadchen bekam, begann er sich rasant zu entwtckeln: er
wurde sauber und begann, sich mit grëBerem Intersse der Entwicklung neuer
Fâhlgkeiten zuzuweden. Die E13probleme blieben bestehen. Melanie Klein ver-
steht diese Situation ais Folge einer früh gestërten Symbolisierungsfahigkeit.
Das Interesse für Züge, Türen usw. erklart sie aus dem frühen Interessen an

81
~em Eindringen des Penis in den Mutterleib; Türen und Verschlüsse stellten.
Aus- und Eingange des Mutterleibes, die Türknopfe den Penis des Vaters dar_
Die weitere Symbolbildung war also zum Stocken gelangt an der Angst vor dem.~
was ihm nach dem Eindringen dort - insbesondere seitens des vaterlichen Penis
- geschehen würde4< (M. Klein 1930: 35).
Freilich wird nicht sehr deutlich, woher die Analytikerin dieses Wissen ge.
wonnen hat. Am FaU des kleinen Dick kann es nicht gewesen sein, denn da lag
es offenbar schon so ausgefeilt vor, da13 die Analytikerin von der ersten Sitzuog
an in die Richtung ihrer Theorie deuten konnte: ~Dick hatte, als ich ihn zur ~er­
sten Stunde von der Nurse übemahm, diese ( ... ) ohne jede Affektau&rung ver-
lassen. Als ich ihm die vorbereiteten Spielsachen zeigte. betrachtete er sie vôllig
interesselos. lch stellte dann einen gr6Beren neben einen kleineren Zug und be-
nannte sie ~Papa-Zug« und ~Dick-Zug«. Er nimmt hierauf den kleineren, von mir
Dick benannten Zug, la.Bt ihn zum Fenster fahren und sagt »Station«- Ich er-
klâre: .Station ist Mutti - Dick féihrt Ln die Mutti«- Er Ia.Bt Werauf den Zug sein.
lauft zu dem durch die Doppeltüren des Zlmmers gebildeten Zwischenraum ~
schlle13t sich dort ein, sagt dabei )>{}unkei«, làuft gleich wieder heraus und wie-
derholt dieses Vorgehen einige Male. Ich erklàre: »Dunkel in Mutti, Dick ist in
dunkler Muttk - Dazwischen nimmt er wieder den Zug auf, llücht.et aber- baJd
wieder in den Türzwischenraum. - Wahrend meiner Erkllirung, daB er in die
dunkle Mutter gehe - sagt er zweimal fragend : "'Nurse?« lch erwidere: Nurse is
soon coming, (.. . ) was er wiederholt, auch spater richtig anwendet und beibehâlt
(M. Klein 1930: 36).
Die Autorin merkt selbst zu dieser mutigen Deutungsstrategie an: »lm allge-
mcincn deute ich das Material erst dann, wenn es in mehrfacher Darstellung
zum Ausdruck gekommen ist. In diesem Falle hingegen, wo die Darstellung:Sffi-
hlgkeit fast vollstandig fehlte, sah ich mkh genotigt, auf Grund meiner allgemei-
nen Kenntnisse auf rclativ vage Darstellungen hin zu deuten« (ebd.: 39).
Das konnte den Leser zu der Auffassung brtngen, die Deutung entsprech
vlellelcht mehr der Phantasie der Autorin a1s der ihres kleinen Patienten. Dage-
gen spricht aber die erstaurùiche Veranderung. die nach dieser kurzen lnterak -
Uon bei Dick vorgeht. Wenn er wirklich vor der Stunde nicht in der Lage oder
wlllcns war, sich für seine Nurse zu interessieren, und eine weitgehend im Ein-
wortstadium arretierte Sprachentwicklung aufwies, so ware der Sprung zu dem
Satz ~Nurse is saon coming« eine semantische und syntaktische Revolution. Me-
lanie Klein sieht das auch so: »lndem ich so den Zugang zum Unbewt.iliten fand ,
gclang es mir, Angst und Affekte zu aktivieren. Durch die zugleich damit einset-
zcnden relcheren Darstcllungen gewann !ch bald eine festere Basis für die Ana-
lyse und konnte so allmahUch zur üblichen Tec.h nik der Frühanalyse übergehenc
(cbd .: 39 1) .

Die Falldarstellung zeigt in nuee die Wirksamkeit und Überzeu-


gungskraft derartiger Deutungen; aber sie lâ13t mich auch das Be ~
fr mden erleben, das Melanie Kleins Deutungen oft beim Au.Ben-
stehenden auslôsen, und das zu heftlgen Kontroversen innerhalb
der psychoanalytischen Conunuruty geführt hat. Auf einen der
w1cht1gsten Schül.e r von Melanie Klein, Wtlfred R. Bion, bin teh bep
reUs 1m Zusammenhang der Theorie des Denkens zu sprechen ge-
kommen (s. oben Kap. 2.3.2, Se1te 75) und w1r werden 1lun auch
sp~ter noch begegnen (Seite 132).

82
Der tch-psychologtsche Symbolbegr!ff

Den Ich-Psychologen geht es, wie oben (s. Kap. 2.2, Seite 55) schon
ausgeführt, wn die akadem:ische Integration der psychoanalyti·
schen Theorie. Das führt natürlich auch zu einer Revision des
Symbolbegriffs.
Beres (1965) fa13t . pointiert gegen die Theorie von Melanie
Klein - die ich·psychologische Auffassung des Symbolbegriffs zu·
sammen, werm er schreibt, da13 »der SymbolisierungsprozeB bei
der Geburt nicht vorhanden ist, sondern sich parallel ztrm
Wachstwn der Ich·Funktionen entwickelt«. Er legt dabei beson·
der~es Gewicht auf Wahrnehmungs. und Lernprozesse. In ihrem
Interesse, AnschluB an den auBeranalytischen Symbolbegrtff zu
bekonunen, mag die Ich-Psychologie der Psychoanalyse manche
krttlsche Spitze genommen haben und versucht haben, sie einem
nomothetischen Wissenschaftsverstandnis einzugemeinden; aber
die drohende Isolierung der Psychoanalyse, die ich oben gekenn·
.z eicbnet batte, war gerade auch in der philosoph1schen Diskussion
um Zeichentheorie und Symbolbegriff manifest geworden (z.B.
Frege, Russell, Wittgenstein und Carnap; vgl. Langer 1942, s.u.
Seite 162 und 208). Es ging nun darum, den klassischen psycho·
analytischen Syrnbolbegriff mit dieser Diskussion in Verbindung zu
brtngen. Die ich·psychologische Integration versuchte es, indem sie
den Weg der Begriffsangleichung e1nschlug. Für den Symbolbegriff
hatte das Auswirkungen, wie sie z.B in der folgenden Definition
von Beres (1965) deutlich wird, die den Syrnbolbegriff auf bewuBte
Zeichenverwendung reduziert: »Nach dem psychoanalytischen
Symbolbegriff ist das Symbol eine bewuBte, manifeste Schopfung
des betreffenden Menschen. Was es symbolisiert, kann bewui3t
oder dem BewuBtsein nahe, d.h. vorbewuBt, oder auch verdrangt
und unbewuBt sein« (Beres 1965: 925). Nun, das ist in dieser Ak-
zentuierung sicher nicht »der psychoanalytische Symbolbegriff«,
sondem etn solcher. Beres betont die progressiven, strukturbil-
denden Aspekte der Symbolisierung und widerspricht der in der
ldassischen Psychoanalyse mehrfach vertretenen Auffassung, das
Syrnbol sei ein regressives Phanomen. Er kann sich dabei auf
.F reud selbst berufen, der in seiner Entfaltung des Symbolbegriffes
auch zu dem SchluB gekonunen war, die Symbolbildung sei keine
F'Wlktion der Regression im Tratrm, sondern werde von der
Trawnarbeit ais etwas Fertiges vorgefunden (s. oben Seite 78).
E ntsprechend kritisiert er auch die Auffassung von Jones ( 1916),
das sytnbolische Denken sei eine »einfachere und :frühere Stufe der
geistlgen Entwicklung«. Er fa13t zusammen: :.Die Symbolisierung tst
eine wichtige Komponente der rnenschlichen Seelentatigkeit, sie ist
d.em Menschen allein zugehorig, sie entwickelt sich aus einer pra-
symbolischen Phase des Sâuglings. Ste ist kein regressives Phano -
men, obwohl Bildphantasien in Form von Symbolen in regredierten
BewuBtseinszustanqen aktiviert werden kônnen. Sie dient aber

83
auch den sublim1erten Letstungen in Kunst und Wissenschaft. Das
Symbol ist immer eine bewufite Manifestierung und steht entweder
für eine unbewu13te seelische Reprasentanz oder für trgendein an-
cleres bewuJ3tes Bezugsobjekt. Das erstere ist für den Psychoana-
lytiker von besonderem Interesse. Das einmal geschaffene Symbol
kann sowohl der pr1mfuprozel3haften ais auch der sekundarpro-
zeBhaften Abfuhr dienen« (Beres 1965: 939}.

Lacan

Auf Jacques Lacan bin ich schon zu sprechen gekonunen (s. Seite
22), und er wird uns auch in spateren Abschn1tten noch begegnen
(s. Seite 98). Hier will teh etnige Bemerkungen zu seinem Symbo1-
begriff einfügen, der der psychoanalytischen Diskussion ein.e ganz
neue Richtung batte geben kônnen, wenn er rezipiert worden wâr~e.
lch schicke warnend voraus , daB selbst bei aller Mühegabe der
Vermittlung es nicht einfach sein wird, Lacans Gedankengangen
zu folgen. Das liegt neben dem Anspruch, den er an den Leser
stellt, noch an einer für deutsche Leser schwer zu überwindenden
Hürde zwischen den getstigen Kulturen der deutschsprachigen und
der franzôsischen Philosphie. Ich môchte sie in einem Satz andeu-
ten: Franzôsische Philosophen, kônnte man sagen, stoBen Gedan-
ken an. deutsche schmieden Systeme. Bei allem Vordergründigen.
das solche Charakteristerungen haben, mag damit doch elne
grundsatzliche klimatische Differenz angedeutet sein zwtschen
Leichtigkeit und Schwere, zwischen Lust an der Bewegung des Ge-
dankens und Notwendigkeit, stch in der Konsequenz und Stringenz
ge borgen zu fühlen.
Lacans Symbolbegriff ist inspiriert aus der strukturalistischen
Diskussion; er war zusanunen m.it Denkern wie etwa dem spaten
Lévi-Strauss und Derrida einer der Begründer des Neostruktura-
Usmus, elner Diskuss1onsr1chtung, die bis heute die Geister in so
besonderem MaBe beflügelt. daB es - zwnindest aus der Perspek-
tive des weruger betlügelten Wanderers - bisweilen zum Entschwe-
ben führt. Dies aber ist auch ein Kennzeichen dessen, worum es
dieser Theorie geht: in ihrer eigenen Sprôdigkeit gegen alles g ·
mütliche Besitzen. das das klassische Denken der Modeme mit
seinen Begrtffsarchiven auszeichnet. führt si.e sich selbst gegen die
Statik und Hierarchie des erstarrten Denkens tns Feld.
Eln Bclspicl: Lacan grcift Freuds berühmten Satz •Wo Es war, soU lch werden
auf und untcrzieht ibn einer spielerlschen K.ritik. indem er seine Sub-
stanUvicrungcn aufiôst, sa als lese er: •Wo es war, sali ich werdenc.. Wenn er den
Salz hin- und herrollt. als ware er e in Wollknâuel oder eine Fadenspulc - so ent-
hâlt diese Kritik die ganzc auf permanente Bewegung gerichtete Struktur seines
Denkens: »Wo Es war - was heH3t das? War es nur das. was einmal gewesen lst
(... ), wie soUte teh dann dorthln kommen . um mich werden zu lassen, Lndem ich
cs j tzt aussagc?« (zlt nach Pagel 1989: 40).

84
Lacans Symbolbegriff beruht auf einer Auseinandersetzung mit
dem strukturalistischen Symbolbegriff, den ich oben bereits ge-
kennze1chnet habe: das Zeichen ist kein Abbild eines Bezeichneten,
sondem es bezeichnet dieses nur ais Teil eines Systems von Zei-
cben. Der Springer im Schachspiel kônnte durch ein Klôtzchen er-
setzt werden (s. oben Seite 97).
Lacan hat seinen Symbolbegriff an einem Beispiel veran-
schaulicht, nfunl:ich dem oben zitierten »Spiel mit der Fadenspule«
von Freuds Enkel (s. oben Seite 80). Lang (1973) faBt zusammen:
..was hier geschieht, ist Erscheinen des Symbolischen, Manifesta-
tlon subjektiver Symbolisierung. Werm das Alternieren der Phano-
m .e ne o - (d)a Prasenz und Abwesenheit der Mutter symbolisiert,
und ste so zu ertragen erlaubt, konstituieren sich in derselben Be-
wegung Anwesenheit und Abwesenheit selbst. Von nun an wird
quasi das ganze Universum mit diesen zwei Kategorien behaftet
sein, wâhrend vorher, falls man überhaupt von einem »zuvor« spre-
chen kann, absolute Sattigung oder absolute Leere war« (Lang
1'973: 214). Bei Lacan liest sich das so: »Von den ersten Beziehun-
gen des Kindes zur Mutter an vollzieht sich vor dem Erlernen der
Sprache auf motorischer und auditiver Ebene ein Geschehen der
Symboltsterung; seit das Kind zwei Phoneme 1m Kontrast zu for-
mulJeren begonnen hat, 1st das Ganze der »organisation signifiante«
bereits virtuell da« (Lacan 1958, zit. nach Lang: ebd.).
Ausführltch hat sich Norbert Haas dem Fort-da-Spiel und sei-
ner Interpretation durch Lacan gewidmet. Ich ziehe diese Darstel-
lllllg heran, weil die Abhandlung an einem Beispiel gerade in der
an Lacan orientierten, oft fast seiltanzerisch formulierten Literatur
der einzige Weg ist, so etwas wie Verstandigung mit Nicht-Speziali-
sten zu erzielen, und weil sie me1ner Meinung nach sehr schôn das
Strickmuster der Argumentationsrichtung zeigt, das gegenüber den
btsher besprochenen psychoanalytischen Symbolbegriffen in eine
ganz andere Richtung weist.
Haas begibt sich zunâchst auf eine akribische Spurensuche im Freudschen Ori-
gtna.Itext (den ich oben ausführlich zitiert habe, s. Seite 80) . eine wortgenaue
Interpretation, die literaturwissenschaftlichen Ansprüchen entspricht. Schon
dieaer Zugang ist kennzeichnend für die Problemstellung der Lacan-Schule. In
den Falten und Winkeln des Diskurses verrat sich ihr das Unbewu13te, die
Struktur, und nur dort. Sie verzichtet darauf, über >ldas Unbewuf3te« zu spre-
chen. als kâme sie geradewegs von dort - ja ais ware es überhaupt ein Ort, den
man bereisen kann. Sie beschrankt sich auf die Lektüre des Gegebenen. der
Oberflâche, des bewuBten Textes. Diesen aber liest sie radikal auf seine Brüchc
hln, und in denen entdeckt sie allerorten, wie das Bewuf3tsein ein Ganz-An-
deres. ein Unbewu13tes setzt. Das Unbewu13te zeigt sich dieser Methode als eine
Funktion des Diskurses.
Aber zurück zu Haas' Freud-Interpretation. Es entgeht dem aufmerksamen
Leser von Freuds Fallbericht nicht, da13 der )>Erzahler« (in gute r ltte-
raturwissenschaftlicher Tradition wird er strtkt vom »Autor« unterscWcden) das
Spiel sehr di:fferenziert schildert: Er zeigt die Perspektive des Erwachsenen. aus
der das Spiel ais ,.râtselhaft« erscheint, der es »seinen Sinn verrat«. Der Sinn wird
also erst in Bezug auf die Wahrnehmung durch die Erwachsenen konsutuiert:

85
»Sa bedeutet, wie uns der Text var Augen führt, jenes laute, Ianggezogene o-o-
o-o, von dem im ersten Spiel das Wegschleudern der kleinen Gegenstiind~ be-
gleitet ist, nicht ohneweiteres :..Fort«, sondern es bedeutet :..Fort« :..nach d.em über-
etnstimmenden Urtell der Mutter und des Beobachters«. Halten Sie fest, daB damt
l. die Urteiisfunktion eingeführt wird und 2. Intersubjektlvitiit und da13 dies nicb
auf der Seite des K.indes geschieht, sondem auf einer anderen Seite. der Seite
der anderen: der Mutter und des Beobachters.~
Auch fallt ihm auf, daJ3 Freud das Spiel aus zwei »Akten~ zusammense~
ohne jedoch zu verhehlen, da13 die Zusammengehôrigkeit der beiden Akte sich
für den Beobachter ergibt, und zwar ais überraschende, nicht offensichtliche
Entdeckung: :..Das war also das komplette Spiel.. .(... ) wovon man zumeist nu.r
den ersten Akt zu sehen bekam«. Haas kommentiert: »Ist zu übersehen, daB hier
die Textbewegung selbst sa etwas wie ein freudiges »da~ verzeichnet? Ein zweites
Da, dieses jedoch nicht thematisch, sondem auf seiten des Erzâhlers ... -4< (Haas
1982: 32).

W.i eder wird an dieser Stelle der Ausführungen von Norbert Haas
deutlich, worauf die Lacansche Freud-Interpretation aus ist: Es
liegt 1m Zentrum ihres Interesses, die Bewegung des Textes zu er-
fassen und ihn nicht in einer Sachaussage stillzustellen - eine psy -
choanalytische Methode des Denkens, radikal in der Lektüre
Freuds fortgesetzt. Haas fâhrt fort, Freud zu befragen: Welches
Anliegen will Freud mit diesem Beispiel vertreten? Es geht ihm um
die Einführung des Wiederholungszwangs ais eines nicht dem.
Lustprinzip unterstellten Funktionsprinzips. Freud hatte das am.
Beispiel der traumatischen Neurose ausgeführt, wo ein sicher nicht
lustvolles Erleben immer wieder auftritt, und zwar nicht als Erin-
nerung, sondern in blinder Wiederholung anstelle einer Erinne-
rung. So kann man auch das Spiel mit der Fadensptùe auffassen:
der oft wiederholte »erste Akt~ dient der Wiederholung des Tre.n-
nungserlebens. Haas weist aber an dieser Stelle emeut auf zwei iin
Text versteckte Hinweise der Erzahlers hin:
Zum einen erinnert er uns daran, daJ3 schon der »erste Akt« zwei Akte batte.
narnUch das Wegschleudem des Spielzeugs und das Zusammensuchen - das be-
sorgte fretich nicht das Kind, aber der Text vennerkt immerhin, da13 dieses Zu-
sammen-Spi.el das Ausma13 einer :..stërenden Angewohnheit~ angenommen bat te.
Nach diesem Hinweis, verbunden mit der Erinnerung, da13 für Lacan »de r Di.s-
kurs des UnbewuBte n der Diskurs des Andern lst. ( .. . ) erscheint dieses Spiel in
einem andcren Licht. Ich schlage var, es in die Klasse der Warum-Spiele e inzu -
ordnen. in der das fragende Subjekt den anderen nicht eigentlich aus Wi.Bbe-
glerde angeht und nicht, um eine befriecilgende Antwort zu erhalten, sondern lm
Anderen die Stelle aufzurufen sucht, an der der Andere sich ais Anderer (oder
Andcres) zeigt, sich gestôrt zeigt, jene Grundstôrung berührend, die von Unlust
mark1ert ist, die manifest bis zur Verzweillung geht« (ebd.: 35). lm ersten Spiel
wird also Lust und Unlust miteinander verknüpft: die Lust des Wegschleuderns
mit der Unlust des Stërens - wobei auBer Betracht bleibt, wer wen s tôrt, und
nur he rvorgehoben wird: es gibt hier auch eine Unlust, ein Stereo, einen Arger.
der mit der Lust in einer Verknüpfung steht.
Der zwelte vcrsteckte Hinweis bezieht sich auf die verwendeten Spielzeuge:
•kleine Gegenstande« lm ersten, die »Holzspule, die mlt einem Bindfaden um-
wickclt war« Lm zweiten. Haas bemerkt den Unterschied: die kleinen Gegen-
slande« ve rschwinden bclm Wegschleudem: das Kind trennt sich. »lm zweitcn

86
Spiel hingegen bleibt es mit dem Gegenstand, den es handhabt und der wieder-
bolt in dem verhangten Bettchen verschwindet, verbunden. (... )Es findet so zwar
'e ine raumliche Trennung statt, die aber jederzeit wieder rückgangig gemacht
we rden kann~ (ebd.: 37).

Beide Hinweise liest Haas als Erganzungen, die erst den innerpsy-
chischen Mechanismus deutlich machen, um den es bei diesem
Spfel geht. Ich zitiere eine Zusammenfassung, die zunâchst
schwer, aber nach den bisherigen Erlâu terungen vielleicht do ch
verstândlich ist: :.So wie ich zum ersten Spiel bemerkte, daB an
1hm das Modell der Einrückung des Subjekts in die Kette der Si-
gnifikanten 15 zu gewtnnen sei, ist auch im zweiten Spiel ein Modell
zu sehen. In dem zweiten Spielist das Subjekt mit dem Objekt (der
Spule) in einer Weise verbunden, aus der sich die Figur des Phan-
tasmas ablesen lâBt. lm Phantasma (... ) bleibt das Subjekt auf ei-
g entümliche Weise mit dem verlorenen Objekt verbunden kraft der
Verdrângung, die dem Reprâsentanten der Vorstellung eines Ab-
soluten, eines Losgelôsten gilt: das Objekt im verhangten Bettchen
glbt davon ein Bild. (. .. ) Mit den bedeutungsfâhigen Artiktùationen
:.Fort~ und »Da« (. .. ) befinden wtr uns in einem Differenzie-
rungssystem, in dem eine Anwesenheit als Gegensatz zu einer Ab-
wesenheit gegeben ist und Abwesenheit nur als Anwesenheit einer
Abwesenheit erscheinen kann.« (ebd.). Das konnte man sich nun
so erklâren, ais gtnge es hier um die einfache Zeichenrelation, etwa
tn dem Sinne, daB in einem gegebenen kognitiven Apparat, âhnlich
einem Computer, eine Vorstellung von »Abwesenheit~ entsteht, de-
r en Gegenteil nicht etwa die Abwesenheit der Vorstellung, sondern
e ben die (ebenfalls vorgestellte) Negation der Vorstellung
•Anwesenheit~ ist. So etnfach ist es aber beileibe nicht. Lacan ver-
weigert sich solchen kognitivistischen Interpretationen. Ihm geht
es, und das ist wieder ein sehr psychoanalytischer Gedanke , mn
das kindliche Subjekt selbst, das mit »Anwesenheit~ und
:.Abwesenheit« sich in einem je anderen Seinszustand befindet.
L acan: :.Keinjort ohne da, ohne Daseln, wenn man so sagen kann.
Aber, tm Gegensatz zu dem, was die gesamte Phanomenologte der
D.a setnsanalyse als radikalen Existenzgrund begreifen will, gibt es
keln Daseln mit dem jort. Das hei13t, man hat keine Wahl. Wenn
sJch das kleine Subjekt tm Sptel des fort-da übt, so übt es sich
d och nicht ein, denn kein Subjekt wâre imstande, die radikale Ar-

15 fch batte diese Auffassung oben in meiner Diktion als li.Yerknüpfung« dar-
gestellt. Die »Kette der Signifikanten~ ist zunachst die Freudsche Assozia -
tionskette; bei Lacan steht sie für ein Netz von Zeichen, die ihrerseits Zel-
chen bedeuten, für das dem Subjekt zugangliche Unive rsum, aus dcm je -
doch das Eigentliche nicht mehr hervorgeht: jener Schmerz, der zuallere rst
durch ein Zeichen ersetzt wurde. Auf der Kette der Stgnifika ntc n gie itet
das Bewu.Btsein wie der Wellenrciter auf ciner Welle, ohne sich j e zu e rre i-
chen - so zumindest môchte ich das hier formulieren; wesentlic h einge-
henderc und detailliertere Formulierungen finden sich z.B. bei Pagel ( 1989.
Kap. 2 und 4), Lang (1973), Teichmann (1983), Lipowatz (1977).

87
tikulation in den Griff zu bekorrunen. Es übt stch mit Hilfe etner
kleinen Sptùe, das heiBt mit dem Objekt a. Und die Funktion die-
ser Übung mit dem Objekt bezieht sich auf die Entfremdung und
nicht auf eine angebliche Behrrschung, bei der nicht zu erkennen
ware, was mit einer unbestirrunten Wiederholung gewonnen wâre.
lndessen bringt diese Wiederholung das radikale Schwanken des
Subjekts an den Tag. (Lacan, zit. nach Haas 1982: 38).
Haas schildert, wie Lacan die Entstehung des Symbols aus der Traumatlsieru:ng
ableitet:
:..ln dem Fort-Da-Spiel des Kindes geht es um das Wiederholen einer ab-
soluten Abwesenheit. Was aber soli dies sein, ein Absolutes, wo doch für die
Vorstellung Abwesenheit stets ais Anwesenheit auftritt, ais ein Fort im Da? Es
muB angenammen werden, daB es für das Subjekt einmal etwas gegeben hat.
das man, sa paradox es erscheinen mag, die Vorstellung eines absoluten Fort
nennen kann. Lacan schreibt diese Varstellung, die die Eigenart für sich hat, in
einem reprasentativen Bewu13tsein nicht vorstellbar zu sein, den graBen trau-
matischen Erlebnissen der Kindheit zu: Geburt und Entwôhnung. Solche Vor-
stellung eines Absoluten - das ist vielleicht so zu begreifen, daB es eine Trennung
war, die, im Begriff noch, in der Varstellung da zu sein, eine Lôschung erfuhr,
Lôschung einer Lôschung, Nichtung eines Nichts. Dem psychischen Reprasen-
tanten dieser Vorstellung (... ) galt die von Freud so genannte Urverdriingung. d.i.
elnes Signifikanten. Diesem Signifikanten, einern Zufiilligen - also dem, was zu-
fallig mit dern Erlebnis sich assoziierte, das das Erlebnis der Trennung war, und
das kann verschiedenerlei sein: ein Artikulationsversuch, ein Buchstabe, eine
Buchstabenkombination, ein Glanz, der Schatten einer Geste- einem zufâlligen
Signifikanten, urverdrangt, gilt, im Spiel, in der Erzâhlung, im Notorischen von
Handlungen, ein Vorgang in der Zeit, den wir irn Wiederholungszwang erkennen:
ein serieller Ablauf, dessen Bedeutung unbestimmt bleibt. Da13 es dem Subjekt
nicht gelingt, in diesem den Signifikanten einzuholen, daB es vielmehr das Sub-
jekt selbst ist, was als Produkt dieser Serie begriffen werden muB, macht an der
Wiederholung eine spezifische Bewegung begreitbar, die jenern Etwas gilt, das,
da es den psychischen Vorgangen nicht integrierbar ist, weder Lust noch Unlust
sein kann, oder aber, vielleicht, das eine sowohl wie das andere: der Schnitt bei-
der. In der symbolischen Ordnung ist es die Stelle, Null, das Tate, das sich dem
Subjekt einpragt ais unbewu13tes. un-bewu13t, wie Lacan liest, das Eln-bewu13te,
das durch die Urverdrangung konstituiert ist.~ (Haas 1982: 43 O.

Lacan zufolge ist das UnbewuBte nicht erfaBbar; w1r haben keine
andere Wahl, als uns im Universum der Signifikanten zu bewegen.
Allerdings zeichnen sich in diesem Universum so etwas wie Unre-
gelmaBigkeiten ab, die es verlùndern, da13 wir auf der Kette der St-
gnifikanten endlos dahingleiten. »Das was das endlose Gleiten ( ... )
verhindert, ist nicht die Bindung elnes Wortes an eln Ding, son-
dern ..gerade die Ambiguitat, die . Redundanz des Terms, indem in
der Uberlagerung von mehreren S(ignifikanten) ein Bedeutungs-
knoten entsteht (... ) Diese Bedeutungsknoten weisen immer auf
Trtebbesetzungen 1m Subjekt und auf seine Beziehungen zu Ob-
jekten hin« (Lipowatz 1977: 107). Wenn also etwas stockt im FluB
der Rede, wenn ein eigenartiger Doppelsinn, eine versteckte An-
spielung, ein zufâlliger Anklang die Aufmerksamkeit auf sich zteht.
so sind dies gerade die Stellen, wo die Scheinwelt der Sprache sich

88
über einem unbewufit gewordenen Erleben wte ein Knoten zusam-
menzieht; das Netz der Zeichen ist hier dichter verhakt und indi-
ziert, daB gerade hier, unsichtbar, unter thm etwas tst.
Lacan, so kônnte man zusanunenfassen, definiert den Sym-
bolbegriff nicht, er besteigt ihn und setzt sich seiner Bewegung
aus. Er erkennt diese Bewegung ais sein »Wesen«, wenn man denn
so sagen kônnte: die Bewegung, die von der ersten Verdrangung an
stets Schein durch Schein ersetzend das Bewufitsein bestimmt,
und der auch die Reflexion selbst sich nicht entziehen kann. Die-
ses dynamische Denken bedingt auch den Duktus der Schriften
Lacans und setner Nachfolger und macht ste oft schwer verstand-
lich. Freilich ist das eine Schwerverstandlichkeit, die man ihnen
zub1lligen muB , denn sie resultiert aus der Theorie selbst.

Lorenz er

Eine Darstellung des modernen psychoanaiytischen Symbolbegriffs


kann auf die Arbeiten von Alfred Lorenzer nicht verzichten. Leider
wird er in der englischsprachigen Literatur wentg rezipiert; das
mag zum einen an der ich-psychologtschen Ausrichtung derjenigen
amerikanischen Anaiytiker liegen, die sich der Linguistik zuge-
wandt haben, zum anderen an Lorenzers Verwurzelung in der
Theorie der Frankfurter Schule, deren philosophische Prâm.issen
1m pragmatlschen Diskurs der amerikanischen Psychoanaiyse we-
nig Beachtung und Verstandnis fanden. Ich will hier nicht Loren-
zers Konzept darstellen; darauf werde ich noch mehrfach
zurückkommen (s. S.l61 und 175). Hier soli nur seine Kritik des
psychoanaiytischen Symbolbegriffs Erwâhnung finden.
Neuere Tendenzen der psychoanaiytischen Symboldiskussion,
die gegen Jones• Festschreibung des Begriffes die Entwicklung der
Symbol- und Zeichentheorie au13erhaib der Psychoanalyse ins Feld
führen (vgl. Lorenzer l970a,b), gehen samtlich davon aus , daB
nicht von »dem« Symbol ais solchem gesprochen werden kônne . Die
menschliche Psyche verfügt über eine Vielzahl qualitativ verschie -
dener zeichenvermittelter Prozesse.
Lorenzer (1970a: Kap. III,2) unterscheidet drei Modi der gra-
duellen Abstufung der Symbolqualitât von geistigen Akten: die
Symbolleistung, das Symbolniveau und die Flexibilitiit. Mit dieser
qualitativen Differenzierung wtrd die Anbindung der Symbolbil-
dung an den PrimarprozeB überflüssig, und es kann eine je un-
terschiedliche Kombination prtrnar- und sekundârprozeBhaft er
Aspekte in verschiedenen Symbolen angenommen werden. Die
Einbindung des psychoanaiytischen Symbolbegriffs in die allge-
meine Symboltheorie lâuft freilich Gefahr, das von Freud, Ferenczi
und Jones hervorgehobene Spezifische aufzugeben: den Bezug des
Symbols auf einen verdrangten Inhait, der nicht bewuBt und frei
geauBert werden kann, sondern nur symbolisch verschlüsselt mit-
geteilt wird. Gerade um den spezifischen Erfahrungsgehait der

89
Psychoanalyse ist es Lorenzer indes zu tun. Deshalb sclùagt er vor.
das unbewuBte Symbol ais »Klischee~ von bewuBten symbolischen
Reprâsentanzen abzugrenzen. KUschees sind unbewuBt gewordene
Symbole, die 1n bestinunten szenischen Arrangements evoztert
werden und die 1m Gegensatz zmn bewu.Bten Symbol kein Probe-
handeln, keine Bearbeitung in1 Sinne cines Sekundarprozesses er-
lauben und daher starre Triebablaufe bedingen. Die Exkommu-
nikation des Symbols bewtrkt seine unbewuBte Inszenierung iin
Wiederholungszwang.
Ich will den Gang der Argumentation noch etnmal zusam-
menfassen: Freud stellt die Symbolik in den »Vorlesungen zur
Eirûührung in die Psychoanalyse« ais »ein zweites und unabhângi-
ges Moment der Traumentstellung neben der Traumzensur~ dar.
Zwar bedient sich die Tratunzensur der Symbolik, um die Traum-
inhalte zu entstellen, doch bildet die Symbolik selbst eine vom.
kurzfristigen Zweck der Zensur unabhangtge Entstellung sexueller
Inhalte. Die innerpsychische Zensur kann hier mit dem Arsenal et-
ner kulturspezifischen, interpsychischen Zensur kooperieren.
Letztlich ist beider Bezugspunkt, der erst die Rückübersetzung des
Zensierten bzw. Symbolisierten moglich macht, der menschliche
Leib.
Lorenzers Fortschreibung des Symbolbegriffs erweitert diese
Dialektik von Leiberfahrung und interpersoneller Abwehr auf die
Theorie der Symbolik im allgemeinen. In einer spateren Schrift
(Lorenzer 1972) führt er aus, dai3 auch hier der Sclùüssel zur
Analyse der symbolischen Formen die Rekonstruktion ihrer leibli-
chen Einübung ist.

Metonymie und Metapher. Die Gletchrangtgkeit von Symbol und


Symbollslertem

Eine âhn]jche Dezentrterung wie Lorenzers Kritik des psychoana-


lytischen Symbolbegriffs findet sich auch in anderen neueren Bei-
tragen zur psychoanalytischen Symboltheorie.
Rosolato ( 197 4, zit. nach Rosolato 1978) bestimmt zwei
sprachliche Funktionsprinzipien: »metonymische Koharenz~ im Ge-
gensatz zum »metaphorischen Symbol~. Metonymie ist ursprüng-
lich ein Begriff der Rhetorik; er bezeichnet die Ersetzung cines Be-
griffes durch einen mit ihm verknüpften.
Werm z.B. Mynheer Peeperkom im ~zauberberg« seinen Genever mit Brot be-
zeichnet, so .ist diese elne Ersetzungsfigur, die nicht nur auf sachlicher Gleich-
artigkeit beruht, sondern auch darauf, da13 Kornsclmaps eben wie Brot aus Ge-
treide besteht - die klassische Metonymie ist die Ersetzung der Wirkung durch
die Ursache.
Gleichzeitig ist es aber auch eine Metapher: also diejenige rhetorische Figur,
in der ein Begriff durch einen anderen ersetzt wird, um auf eine gemeinsame Ei-
genschaft Bezug zu nehmen. Was Mynheer Peeperkom durch seine etwas
schrullige Redeweise zum Ausdruck bringen will, ist: beides sei gleich
unentbehrlich und stehe in einer ahnlichen Beziehung zur Schôpfung. Ais Rede-

90
figur ist das Verhâltnis Gene ver 1Brot etwa wie Herz 1 Stein in der klassischen
Metapher Mirfii.llt einStein vom Herzen.

Die strukturalistische Literaturwissenschaft (wie auch Lacan) be-


handelt das Begriffspaar Metapher - Metonymie im Sinne einer
Grundunterscheidung zwischen paradigmatischer und syntagmati-
scher Ersetzungsbeziehung. Die metaphorische Beziehung ent-
spricht dem psychoanalytischen Begriff der Verdichtung
{Ersetzung durch ein Ahnliches), die metonymische Beziehung der
Versch:iebung (Ersetzung durch ein syntaktisch Verknüpftes). Auf
diese Unterscheidung beruft sich Rosolato mit seiner Annahme der
beiden sprachlichen Funktionsprinzipien. Er sieht den psycho-
analytischen ProzeB als Môglichkeit, dazwischen zu vermitteln.
lm Gegensatz etwa zu Lorenzers Unterscheidung zwischen
Klischee und Symbol, markiert dieses Gegensatzpaar zwei
gleichrangtge Perspektiven, ahnlich wie auch Noy (1979) Primar-
und Sekundarproze13 nicht mehr hierarchisch untereinander, son-
dem als zwei sich erganzende »Sprachen« mit je eigener Entwick-
lungsmoglichkeit nebeneinander stellt. Aus einer ahnlichen Sicht
heraus kritisiert Goebel (1986), da.B Jones (1916) bei seiner Defini-
tion des Symbolbegriffs die Metapher auf eine primitivere Stufe
stellt als das Symbol. Metaphern sind ein genuin menschlicher
Sprachbildungsvorgang. der dazu dient, Âhnichkeiten sprachlich
zu markieren. Aus der inllner wiederholten Anwendung der Meta-
phembildung entsteht der Wortschatz.

3. Psychoanalyse und Sprachwissenschaft oder:


Ist die psychoanalytische Sprachtheorie
veral tet?

Seit die strukturelle Linguistik ihren Sîegeszug durch die Uni-


versîtaten angetreten hat, ist in der analytischen Diskussion viel-
fach die Frage gestellt worden, ob die Psychoanalyse nicht auf ganz
unhaltbaren sprachtheoretischen Fundamenten beruhe. Das ist
eine wichtige Frage, denn wie wir gesehen haben, ist eine ganze
Reihe von psychoanalytischen Annalunen tatsachlich auf der
Grundannahme eines »Sprachzeichens« aufgebaut. Unter einem
Sprachzeichen stellt man sich dabei die Assoziation einer Wahr-
nehmung mit einer Lautfolge vor (gleichviel, ob sich die Walu-
nehmung auf ein Objekt, einen Zustand oder ein Verhaltnis be-
zieht). In dies er Auffassung des Sprachzeichens fehlen frellich
mehrere Aspekte, um welche die Weiterentwicklung der Lingutstik
die Sprachtheorie seither bereichert hat. lch greife die wichtigsten
Etappen heraus: Das semiotische Dreieck, die Unterscheidung von
langue und parole und die transformationalistische Auffassung.

91
Das semiotische Dreleck

Eine erste grundlegende Unterscheidung, die die Anfange der mo-


dernen Linguistik charakterisiert - werm sich auch schon frühere
Belege für diese Auffassung finden lassen - , ist das von Odgen
und Richards (1923) formulierte Postulat: »Eine Zeichenfonn kann
nur durch Zwischenschalten threr Bedeutung etwas bezetchnen~.
Dieses Postulat wird meist durch das folgende Dreieck veranschau-
licht, das auch als »Referenzdreieck« bezeichnet wurde:

Bedeutung

Zeichenform Bezeichnetes

Es soll zum Ausdruck brtngen, daB der Zusammenhang zwischen


einem Zeichen (symbol) und dem von ilun Bezeichneten (refent) nie
ein urnnittelbar-direkter ist, sondern nur über die Referenz zu-
standekonunt. Die Bedeutung, also der Sinn des Zeichens ist eine
eigene Gr613e. Sie erschôpft sich nicht darin, daB man auf einen
Gegenstand zeigt, den dieses Zeichen »be-deutet«.
Das Referenzdreieck von Odgen und Richards ( 1923) befreite
zwar die Sprachwissenschaft in einem ersten Schritt a us ihren W -
storischen Fesseln. Hatte sich die Ltnguistik jahrhunderte1ang mit
der Erforschung des »Ursprungs« der Wôrter befaBt, immer von der
These ausgehend, daB es einen naturwüchsigen Zusanunenhang
zwischen ihnen und dem von ihnen Bezeichneten geben müsse, so
erhielt sie jetzt fretes Feld für das Studium der Etgengesetzlichkeit
der Zeichenebene. Andererseits halten .Ogden und Richards am
Gegenstandsbezug fest: werm auch auf Umwegen, sa ist das Zei-
chen doch auf ein »Bezeichnetes« ausgerichtet. Die Weiterentwick-
lung der Semiotik hat diesem Glauben energisch widersprochen.
Umberto Eco (1968) forderte, die Rede von den bezeichneten Ge-
genstanden »aus jeder semiotischen Untersuchung kurz und bün-
dig zu eliminieren als etn Restduum, welches verlùndert, das ktù-
turelle Wesen der Signifikationsprozesse zu begreifen« (ebd.: 71).

92
Die Unterscheidung langue-parole
Der nâchste, radikalere Sclrritt fand, genau besehen, schon vor
dem ersten statt. Ich habe bereits auf die Unterscheidung hinge-
wiesen, :rrrJt der der Genfer Lingutst Ferdinand de Saussure 1916
die moderne Lingutstlk begründet hat (s. Seite 18). Er unterschied
drei verschiedene Ebenen lin umgangssprachlichen Gebrauch des
Wortes :»Sprache«: zum einen die »faculté de langage«, die
Sprachfâhigkeit des Menschen schlechthin, zum anderen dJe
»langue«, das einze1sprachliche System, und die »parole~. das Spre-
chen oder den konkreten Sprachvollzug. Das Sprachsystem ver-
gleicht er einer Symphonie, wahrend das konkrete Sprechen nur
den Charakter einer Au:fführung dieser Symphonie in einem Kon-
zert habe. Hinter den konkreten Sprachphanomenen liegt also eine
abstrakte Struktur, die Struktur der natürlichen Sprache. Dieser
Struktur gilt nach de Saussure die linguistische Forschung. Diese
revolutionâre Auffassung begründete die strukturelle Sprachwis-
senschaft und brachte sowohl wichttge syntaxtheoretlsche For-
schungen als auch groBe anthropologische Sprachvergleichsstu-
dien hervor.

Transformationen
Noatn Chomsky, der Begründer der Generativen Transformations-
granunatik, lehnt sich an Saussures Unterscheidung von langue
und parole an, werm er die »Kompetenz« eines Sprechers von seiner
»Performanz« unterscheidet. Freilich sieht er im Gegensatz zu de
Saussure in der Kompetenz nicht nur eine Samnùung vtrtuell rich-
tlger Sâtze (entsprechend den Noten einer Symphonie), sondern ein
dynamisches Produktionsschema, das syntaktisch wohlgefonnte
S~itze hervorbringt. Sein Grammatikmodell (das hier für alle ver-
gleichbaren transformatlonalistischen Ansatze stehen soU) ist dy-
namisch gedacht: er richtet sein Augenmerk auf virtuelle Ab1aufe
tm Sprecher - wobei diese nicht unbedingt »psychisch wahr« sein
müssen. lch werde auf Chomsky vor allem hinsichtlich der Frage
der angeborenen sprachermôglichenden Strukturen noch zu spre-
chen kommen (s. Seite 98 und 106).

Systemcharakter der Sprache


Sprachzeichen beziehen sich also, das ist der gemeinsame Nenner
der modernen Linguistik, nicht nur auf AuJ3ersprachliches (es gibt
also nicht nur das Verhal.tnis Wort - Bedeutetes), sondern haben
vor allem miteinander zu tun: jedes Zeichen steht in Beziehung zu
einer Reihe anderer Zeichen, sei es zu denen, mit denen es einen
syntaktlsch wohlgeformten Ausdruck bildet (syntagmatlsche Be-
ziehung), sei es zu denen, die es ersetzen konnten (paradtgmati-
sche Beziehung).

93
Diese Behauptung erscheint uns heute selbstverstândlich.
DaB sie es nicht ist, zeigt schon ein Blick in die ~prachgeschichte.
Tatsâchlich leben wir mit unserer (korrekten) Uberzeugung vom
Systemcharakter der Sprache auf einer dünnen historischen Kru-
ste. Jahrtausendelang waren Versuche, die Sprache als System zu
beschreiben, sehr divergent und spekulativ geblieben. Das Iag
nicht daran, daB die Grammatiker früherer Zeiten weniger klug
waren, sondern daB die manifeste Sprachoberflache, wie sie sie
vorfanden, weit weniger regelhaft war als die Gegenwartssprache.
Wir müssen nur wenige Jahrhunderte zurückgehen, um auf
schriftliche Dokumente von erfrischend freier Orthographie, Satz-
stellung, Wortverwendung und rhetorischer Prasentation zu sto-
Ben.
Das andert sich freillch im 18. und 19. Jahrhundert, doch nur
in den gebildeten Schichten. Die fortgeschrittene Alphabetisierung
stützt die Illusion, die Sprache sei »an sich« ein System und
tauscht darüber hinweg, mit wieviel Mühe sie erst zu einem ge-
macht wurde.
Freilich laBt sich dagegen einwenden. daB gewisse sprachliche
Grundstrukturen, eben die, auf die es ankommt, immer und über-
ali Systemcharakter besitzen; man kann auf universale Regelzu-
sammenhange verweisen, wie z.B. auf die universale Subjekt-Ob-
jekt-Reihenfolge (Greenberg 1963). Das überzeugt uns zwar davon,
daB es Universalien des kognttiven Funktionierens gibt, die sich in
der Sprache niederschlagen. Werm wtr mit den avancierten Mitteln
struktureller Sprachanalyse Aussagen über ein Sprachsystem ma-
chen, darf uns das nicht den Blick verstellen dafür, wie viele Jahr-
hunderte von Sprachnormierung und - ihr vorausgesetzt
Sprachforschung notlg waren, um dieses System erst so durch-
zustrukturieren. Die Auffassung der Sprache als System ist eine
fruchtbare theoretische Perspektive, die uns inzwischen selbstver-
standlich geworden ist, ein Paradigma.
Gehen wir also davon a us, was uns inzwischen in Fleisch und
Blut übergegangen ist: Die Elemente der Sprache bilden ein Sy-
stem, und nur in diesem System sind sie sinnvoll verwendbar. Ver-
liert man diese Tatsache aus dem Auge, so karm man z.B. eine
wichtige Klasse von Beobachtungen nicht mehr erklaren, nâml:ich
die »Fehler durch Regelanwendung« oder »Überdehnungsfehler«.
Solche Fehler begehen Kinder recht gerne, wenn sie z.B. For-
men bilden wie »•laufte«, 16 »•geschreit« etc. Hier wendet das Kind
eine richtig erkannte Rege1 in Fallen an, in denen eine Ausnahme,
eine unregelmâBige Form korrekt ware.
Das Phanomen des Überdehnungsfehlers findet man nicht nur bei sprachlichen,
sondern auch bei sozialen Verhaltensregeln. wie das folgende Beispiel zeigt:
Die zweijahrige Natascha wurde einmal von ihrer Mutter zu einer politischen
Veranstaltung mitgenommen. Es wurde ein bekannter Redner erwartet, der eUe

16 Vgl. die Erklarung der Schreibweisen am SchluB dieses Bandes.

94
Forderung nach mehr und besseren Kindergartenplatzen unterstützen sollte.
Dort beobachtete sie, da.J3 ab und zu der Redner eine Pause machte und die
Erwachsenen dann in die Hande klatschten und ,.Brav04< riefen . Sie klatschte
also auch bei der nachsten Pause fest in die Hande und rief ,.BJavo!« - nur war
sie zu ihrer gro.Ben Verblüffung die einzige im Saal. Der Redner hatte namlich
gerade etwas Kritisches über das Verhalten von Eltern gesagt, und das war den
Anwesenden, die alle selbst Eltern waren, eher unangenehm.
Durch ihren :.Regelfehler« half Natascha mit hinrei.Bender Situationskomik
dem Redner, nachdrücklich die Interessen der Kinder zu unterstützen.

Will man solche kreative »Fehler« erkHiren, dann muB man schon
annehmen, daB das Kind seine Sprachkompetenz nicht durch ein
Nachsagen von Wôrtern erwirbt, die bestimmte Gegenstande
bezeichnen, sondem da13 es aktiv Regelhypothes.~n ausprobiert.
Bereits beirn Spracherwerb werden Wôrter und Aui3erungen als
nach Regeln zusammengesetzte und anzuwendende Gebilde be-
trachtet. Das Beispiel von Natascha zeigt aber, daB solche Prozesse
nicht nur auf dem engen Gebiet des Spracherwerbs ablaufen, son-
dem Grundprinzipien des Erwerbs sozialer Kompetenz sind - es
ware vorschnell bzw. übermâBig einengend, hier von einer ange-
borenen Spracherwerbskompetenz zu sprechen.
In der psycholingutstischen bzw. sprachpsychologtschen For-
schung werden solche Zusammenhange oft nur zogernd in den
Blick genommen: man glaubt, einzelne sprachliche Phanomene,
wie die Negation, die Deixis etc. unabhangig vom affektiven,
phantasmatischen und konrmunikativen Umfeld untersuchen zu
konnen und greift damit einzelne Verhaltensaspekte heraus, die
aus psychoanalytischer Sicht 1m Erleben des Kindes noch gar
nicht differenziert sind - damit übersieht man gleichzeitig funktio-
nale Âquivalente, die in einem direkten Entwicklungszusammen-
hang miteinander stehen. Eine sprachwissenschaftliche Unter-
suchung etwa der Entwicklung der Negation berücksichtigt als
»Negation~ zumeist nur sprachliche Alde. Nicht einbezogen ist z. B.
das Kopfschütteln, Schreien, Speien (vgl. auch Spitz 1957, Rangen
1963, Oskaar 1979, Shapiro 1979). Simon (1982a,b) ist einer der
neueren deutschsprachigen Autoren, die unter konsequenter Be-
rücksichtigung des Systemcharakters der Sprache genuin psycho-
analytische Positionen zur Sprachentwicklung diskutieren; er zetgt,
daB eine lingusitisch aufgeklarte Theo~_ie sich mit der psychoana-
lytischen Auffassung von (subjektiver) Okonomie und der Dialektik
von Lust- und Realitatsprtnzip durchaus verbinden lâBt. Ohne den
Rückgriff auf die subjektiven Bedingungen, unter denen die
Grundstrukturen der Logtk ebenso wie die Strukturen des Un-
bewuBten entstehen, lâBt sich auch ein Sprachsystem nicht ent-
wickeln. Hier hatte also auch die Sprachwissenschaft von der
Psychoanalyse zu lernen. Hat aber auch die Psychoanalyse von der
Sprachwissenschaft gelernt?

95
3.1. Auch die Psychoanalyse soU die Sprache ais
funktionelles System betrachten
Die Einsichten der modernen Lingutstik in die Systemstruktur der
Sprache sind an der Psychoanalyse nicht spurlos vorübergegan-
gen. Die zentraie Forderung wurden von Samuel Atkin ( 1969) erho-
ben: nâmlich auch aus psychoanalytischer Sicht die Sprache ais
»entwickeltes funktionales System« zu betrachten. Der psycho-
analytische Symbolbegrtff reicht nicht aus, um Sprache ais
funktionierendes Kommunikationsmedium zu untersuchen. Selbst
werm die Ursprünge der Sprache im Sinne der Psychoanalyse in
narzi..Btisch besetzten Ichkernen zu suchen sind, so wird doch tm
Lauf der Sprachentwicklung mehr daraus als ein Ausdruck des
Narz113mus: namllch e1n intersubjektlv definierter Code. Um auch
diese intersubjektive Seite zu beschreiben, mu13 der psychoanalyti-
sche Symbolbegriff um den Symbolbegrtff der modernen Linguistik
erganzt werden .
.Âhnliche Standpunkte finden sich z.B. bei Henry Edelheit
(1969 a, b, 1980) und Viktor Rosen (1969, 1975). ln seinem oft zi-
tierten Einleitungsreferat zum KongreB über Sprache und Psycho-
analyse (Rom 1969. vgl. Edelheit 1969a) hat Rosen a us dieser
Grundsatzforderung dret Forschungsgebiete entwickelt:

(1) Sprache und Ich-Entwicklung: Aufgrund der Annahme, daB


die Intemalisierung von Sprachregeln eine Basis des :r:-.egel-
geleiteten Handelns, psychoanalytisch gesprochen: der Uber-
lch-Bildung darstellt. lassen sich Entwicklung und Pathologie
des Über -Ich und des lch korrelativ mit der Sprachentwick-
lung erforschen. Beispiele hierfür haben wir bereits kennen-
gelernt (Balkanyi 1964, Katan 1961, Furman 1978, Horton
und Sharp 1984 u.a.).
(2) Sprache und Denken: Rosens Anregung. einen klinisch-psy-
choanalytischen Zugang zu Fragen der Psycholingutstik zu
ôffnen, ist auf vielfache Weise realisiert worden. So kommen
z.B. von der psychoanalytischen Theorie des Denkens und der
Schizophrenie wichtige Beitrage zur Frage des Zusanunen-
hangs von Sprache und Denken. Die Theorie des Denk:ens,
vertreten von den lch-Psychologen Hartmann und Rapaport
sowie von Bion hat uns bereits beschMtlgt (s. Seite 58, 59, 75)
Wettere Arbeiten zu einer klinischen Psycholinguistik finden
sich bei Shapiro (1979) und Gori (1977); vgl. unten Seite 186).
(3) Erneuerung des psychoanalytischen Symbolbegrtffs: SclùieB-
lich erwartet Rosen von der Linguistik einen entscheidenden
EinfluB auf den »idiosynkratischen« psychoanalytischen Sym-
bolbegriff. Tatsachlich ist der psychoanalytische Symbolbegriff
seither einer eingehenden Kritik unterzogen worden, die ich
oben (Kap. 2.4, Seite 77 ff.) dargestellt habe.

96
3.2. Einflu6perioden der Linguistik auf die
Psychoanalyse
Norman und Bonnie Litowitz ( 1977) haben den EinfluB aufeinan-
derfolgender linguistischer Schulmeinungen und Forschungsinter-
essen auf die psychoanalytische Theoriebildung untersucht. Sie
unterscheiden dabei drei Perioden: ( 1) die Histortsche Sprachwis-
senschaft, (2) die moderne strukturelle Linguistik und (3) die ge-
genwârtlge transforrnatlonelle Linguistik.
Psychoanalyse und Historlsche Sprachwissenschcift

Freud war von der etymo1ogtsch-philologtschen Ausrichtung der


Historischen Sprachwissenschaft gepragt. Wie diese aus den be-
kannten Sprachen Ursprachen (wie z.B. das Proto-lndoeuropâi-
sche) zu rekonstruieren versuchte, so wollte auch Freud durch
sprachgeschichtliches Zurückgehen die in der Gegenwartssprache
verdunkelten psychischen Zusanunenhange aufdecken (z.B. Freud
1910e, auch Abraham 1909). Das ware nun ein verzeihlicher Ex-
kurs des Psychologen in die Linguistik, sozusagen ein Hobby, wenn
nicht auch der Freudsche Symbolbegr![f, ein Grundstein der
psychoanalytlschen Theorie, auf dem etymo1ogtschen Sprachver-
stândnis aufgebaut ware. Ein Symbol ist ein interindividuell ver-
stândliches Zeichen, das eine konstante unbewu13te Bedeutung
hat; der Symbolcharakter einer Vorstellung, Àu.Berung oder
Handlung unterliegt immer dem Primârprozef3 (So jedenfalls in der
Fassung von Jones (1916); vgl. Kap. 2.4., Seite 77 fi.).
Psychoanalyse und strukturelle Lingulstik

Die Entwicklungen, die sich in der Sprachwissenschaft, Philoso-


phie und Mathematik vollzogen hatten, hatten einen Symbolbegriff
hervorgebracht, der der Psychoanalyse nicht gleichgültig sein
konnte. Seit de Saussure wurden in der Linguistlk sprachliche
Symbole nicht mehr als historisch gewachsene Einheiten betrach-
tet, deren Wandlungen in Bedeutung, Laut- und Schriftgestalt man
sozusagen individuell nachvollzieht, und die ihre Bedeutung durch
ihren Bezug auf die ihnen entsprechenden Gegenstânde erhalten.
Man begann, sie als Elemente eines Systems zu sehen, die nur in
bezug auf das Ganze des Zeichensystems bedeutungsvoll sind. Die
Bedeutung eines Wortes wurde nicht mehr in seinem Sachbezug,
sondern in seinen Verwendungsregeln gesehen, so wie man den
Sprtnger im Schachspiel auch durch ein Holzklotzchen ersetzen
kann, ohne daB das Spiel dadurch unverstandlich würde.
Ais eine erste, grundlegene Entllechtung von Zeichen und Be-
zeichnetem habe teh oben (s. Seite 92) das semiotische Dreieck von
Ogden und Richards (1923) vorgestellt. Nun erhebt sich die Frage:
wie steht Freuds Sprachtheorie zu dem Postulat, daB ein Zeichen
nur durch Vermittlung einer Bedeutung auf ein Bezeichnetes
97
bezogen ist? Wenn Freud von »Sprachzeichen« spricht, geht er
dann von der These aus, dai3 es eine eins-zu-eins -Relation zwi-
schen sprachlichen Zeichen und ihren Korre1aten in der AuBenwelt
ge be? Shapiro ( 1979: 19) meint, da.B Freuds Unterscheidung zwi-
schen »Dingvorstellungen« und »Wortvorstellungen« bereits die
semiotische Unterscheidung enthalte, und darüber hinaus noch
Hinweise darauf gebe, wie die kognitive Reprasentation der unter-
schiedlichen verbalen und nichtverbalen Begriffskeme zu konzi-
pieren set.
Psychoanalytiker wte Lacan, aber auch Edelheit, Atkin, Rosen
u .a. entwickelten daraufhin Theorieansatze, die vom systemati-
schen Symbolbegriff ausgingen und z.T. recht weitgehende Ein-
griffe in die klasstsche psychoanalytische Symboltheorie dar-
stellten.
So postuliert z.B. Lacan, da.B sowohl das Bewu13te wte das
Unbewu13te sprachlich strukturiert sind, daB in beiden Systernen
Beziehungen zwischen Zeichen und Bezeichneten bestehen, nur
dai3 diese Beziehungen im System Ubw. flexibler sind. In seiner ra-
dikalen Ausfonnulierung dieser Position kommt er zu einer eigen-
willigen Theorie des Spracherwerbs und der Ich-Bildung: das Kind
erlebt sich zunachst ais fragmentiert, und erst durch die Begeg-
nung mit seinem (physischen oder psychischen) Ebenbild 1m soge-
nannten Sptegelstadium gewtnnt es die Illusion der Einheit. Diese
imagtnare Einheit wird dann tm sprachlichen Selbstbezug »lch«
(moi) genannt, ais Chiffre für das, was die And er en an mir zur Ein-
heit des »DU« zusammenfassen.

Psychoanalyse und transjormationelle Llngulstlk

Seit den sechziger J ahren wird die linguistische Diskussion vom


Paradigma der Transformationsgrammatik gepragt und scheint
sich erst langsam a us deren Bann wieder zu befreien. Noarn
Chomsky (1965) hat die mitgebrachte Ausstattung des Kindes sein
»Language Acquisition Deviee« (lAD) genannt. Er versteht darunter
einen Vorrat von linguistischen Universalien, die das Kind befâhi-
gen, die linguistischen Reize untereinander und von anderen Sti-
muli zu unterscheiden und einfache Transformationen durch-
zuführen. Chomskys Modell ist freilich nicht unbestritten, sowohl
aus der Sicht der Grammatiktheorie (vgl. z. B. Clahsen 1988) als
auch der Entwicklungspsychologte. Eines der wesentlichen Argu-
mente aus psycho1ogtscher Sicht ist die Beschrânkung auf lingui-
stische Phanomene und die Ausklammerung der Pragmatik, d .h.
der Sprachverwendungsregeln (vgl. die Zusanunenfassung bei
Aitchison 1976).
Die transformatlonalistische Idee , Satze aus unbewuBten lin-
guistischen Tiefenstrukturen zu generieren. hat auch in der
psychoanaiytischen Sprachtheorie Beachtung gefunden. Bekannt
geworden sind vor allem die Arbeiten von Marshal Edelson (1972 ,

98
1975; vgl. auch Leavy 1978). der versucht, die Generative Trans~
formationsgrammatik Chomskys auf die Tramndeutung Freuds
anzuwenden. Er kommt zu dem SchluB, daB der Traum einfach
eine Variante der Oberflachenstruktur darstellt: der latente Ge~
dank.e wird nicht durch Phoneme (verbal) reprasentiert, sondem
durch Bilder (halluzinatorisch). Freilich sieht er auch bedeutende
Unterschiede zwischen Traum und Sprache: die Traumbtlder sind
nicht wie die Phoneme für sich genommen bedeutungslos, sondern
sie sind untereinander durch Allusionen, durch Bedeutungs-
anspielungen, verbunden. Es kann also nur bestimmtes Material
zur Tramnbtldung herangezogen werden, das mit dem Tramnmotiv
in semantischer Beziehung steht. Insofern ist der Ansatz von Edel-
son nicht ganz mit der Theorie Chomskys kompatibel, da Chomsky
von einem absoluten Primat der Syntax ausgeht, und der Bedeu-
tung des Satzes keinen EinfluB auf die Oberflachenstruktur zuge-
steht.
Transformationsgrammatik, Behavlorismus und Psychoanalyse

Grundsatzlich scheint die Transformationsgrammatik in rnehreren


Punkten mit der Psychoanalyse eher zusarnrnenzupassen als mit
dem ihr radikal entgegengesetzten Behaviorismus. Chomsky setzt
sein Menschenbtld dem Skinnerschen entgege~! indem er darauf
hinweist, daB an der Obertlache sprachlicher AuBerungen deren
Struktur nicht eindeutig ablesbar ist. Deshalb kann auf der Ebene
des manifesten Verhaltens auch nicht der Angelpunkt der Sprach-
entwicklung liegen. Sprache ist nach Chomsky ein hierarchisch
gegl:iederter Proze13. Was Wir sagen oder hôren, ist nur sein Ender-
gebnis - die eigentlichen »Gesetze« der Sprache wtrken dahinter.
Dieser Gedanke ist auch der Psychoanalyse vertraut. Auch sie mag
nicht darauf vertrauen, da13 manifestes Verhalten von anderem
manifestern Verhalten aufgrund einfacher Gesetze vollstândig be-
stinunt wtrd, wie es das Credo des klassischen Behaviorismus will.
Für die Psychoanalyse ist das manifeste Verhalten nur die Obertla-
che eines komplexen bewu13ten und unbewuBten Kognttlons- und
Interaktionsprozesses.
Dennoch bleiben eine Reihe wesentlicher Differenzen zwischen
Psychoanalyse und Transformationsgrammatik stehen.

Krltik am Transjormationalismus

Man kônnte, um die psychoanalytische Kritik an der Grundidee


der Transformationsgrarrunatik einzuleiten, zunâchst eirunal fest-
stellen, da13 es in der Lingutstik um etwas anderes geht als in der
Psychoanalyse. Ein Linguist wird immer eine môglichst sparsame
Theorie zur Erklarung grammatisch korrekter Au13erungen auf-
stellen müssen. Werm ihm ~ehrere Ableitungsrnoglichkeiten zur
Verfügung stehen - und jede Au13erung kônnte aus einer unendli-
chen Menge môglicher Tiefenstrukturen generiert werden - so muJ3
99
und wird er die einfachste und eleganteste wâhlen. Die konkurrie-
renden Ableitungen, sofern sie denselben Satz generieren, sind ge-
geneinander nur Notationsvarianten, logtsch aquivalent. Er kann
das g.ar nicht anders sehen, sonst würde er den Historismus, des-
sen Uberwindung die kopernikan1sche Wende der modernen Lin-
gutstik darstellt, durch einen Psychologtsmus ersetzen.
Umgekehrt kann ein Analytiker sich ntcht damit zufriedenge-
ben, werm er Standardregeln zur Erklàrung von beobachtbarem
Verhalten herausfindet; seine Methode zwingt ihn dazu, inuner die
individuelle Ableitung zu suchen (vgl. unten Kap. 4.3., S. 108).

Tlefensemantlk
Bonnie Litowttz (1975) geht etwas weiter als Edelson über
Chomsky hinaus, indem sie das Theoriegebaude der Generativen
Transformationsgrammatik verlâBt und sich an die tiefenseman-
tischen Ansatze, wte etwa die Generative Semantik von Lakoff (vgl.
Abraham und Binn1ck 21979) anlehnt. Diese linguistischen Theo-
rien gehen davon aus, da13 an der Wurzel der Transformationspro-
zesse, die zu Satzbildungen (und auch zu Trawnman1festationen)
führen, nicht syntaktische, sondern semantische Strukturen lie-
gen. Litowttz stellt sich diese Basissemantik als »semantischen
Raum« vor, der aus gleichrangigen Wortvorstellungen besteht, de-
ren Bedeutungen durch ihr Verhilltnis untereinander definiert
werden (vgl. Litowitz und Litowitz 1977: 443). Erst unter dieser
Annalune ist es nach der Autorin môglich, die Tiefenstruktur mit
dem PrimârprozeB in Zusammenhang zu bringen, wie er sich 1m
Traum ausdrückt. Der Tramn ware dann direkt von der semantl-
schen Tiefenstruktur abgeleitet, ohne durch die logtschen
Organtsatoren oder »discourse features« etngeschrânkt bzw. trans-
formiert zu sein, die für die Rede verbindlich sind. Dieses Modell
ist kompatibel mit den Freudschen Annalunen über das Verhâltnis
von Primar- und SekundârprozeB. Hier schlieBt sich der Kreis:
Litowitz und Litowitz sehen eine lingutstisch interessierte
Psychoanalyse als unentbehrlichen Helfer jür die Entwicklung einer
llnguls tlschen Tltifensemantlk.
Dennoch ist die Hoffnung, die in den Arbeiten von Litowitz
und Litowitz ausgedrückt wurde, nicht in Erfüllung gegangen. Es
wurde kein tiefensemantisches Lexikon mit psychoanalytischer
Hilfe erstellt. 17

17 Einzig der Versuch, auf der Basis von artificial -intelligence-Forschungen


die Generierung von Traumsequenzen zu rekonstruieren, hat eine gewisse
Âhnlichkeit mit dem Programm einer Tiefensemantik, vgi. Moser u.a. 1980,
Leuzinger-Bohleber 1987.

100
Psychoanalyse und Pragmatik

Eine weitere Tendenz in der Psychoanalyse und in der Psycholin-


gu.tstik scheint ebenfalls dafür zu sprechen, daB eine gegenseittge
Befruchtung notwendig und moglich ist: 1n der Psycholinguistik
konunt man immer mehr dazu, die Abstraktheit der linguistischen
Krtterien zu beklagen. Werm die Linguistik sich nur um Sprach-
âui3erungen kümmert, so kann sie zwar vielleicht einige Aussagen
über die von Erwachsenen beherrschte Normalsprache machen -
aber sie kommt bei der Aufklârung des Spracherwerbs sicherlich
keinen Schritt weiter, solange sie nicht kontextuelle und pragmati-
sche .K riterien hinzuzieht (vgl. Szagun 1980/41991, Teil III).
Jeder kennt wahrscheinlich eine Situation wie die folgende: Es sind Eltem mit
ihrem kleinen Kind zu Besuch. Das Kind sagt »Bla-blO« und sieht einen fragend
an. Man fühlt sich aufgefordert, ohne recht zu wissen, wozu, lachelt hilflos, und
fragt vielleicht zurück: »Ja was ist denn Bla Bio?«, worauf das Kind nach-
driicklich wiederholt: »Bla-bla-biO« und zu weinen anfàngt. Wenn alles gut geht.
greift hier die Mutter ein und sagt: ~a. das war vorhin ein Luftballon, aber der
ist jetzt schon weitergeflogen, schau, wir blasen einen neuen auf.« Sie hat
~verstanden«, worauf das Kind Lust hatte.
Auch werm sie nicht so genau entschlüsseln kann, was das Kind zu sagen
versucht, wird sie vielleicht doch durch ihre trainierte Empathie verstehen, was
es mit der Âu13erung zu erreichen versucht. In unserem Beispiel kônnte das
Kind in seinem narzi.Btischen Bedürfnis vielleicht ebensogut »Verstanden(( wor-
den sein, werm sein Gesprachspartner lustvoll nachplappert »Blabalab{)()()c< und
es in die Hôhe hebt.

Das Kind spricht ja nicht, wie (oberflâchlich gesehen) der Erwach-


sene, mit Hilfe einer instrumentellen Sprache definierte Intentio-
nen aus, sondern seine Sprachau.Berungen sind eingebunden in
etn Netz aus affektiven, kognttiven und pragmatisch-situativen
Verlâufen. Diese Vernetzung ist nun der wichtigste Gegenstand der
Psychoanalyse, sei es in der Rekonstruktion infantiler Phantasien
1n der Erwachsenenanalyse oder in der Direktbeobachtung von
Kindern und Eltern. Dabei wird entsprechend dem eptgenetischen
Entwicklungsmodell davon ausgegangen, daB die Wurzeln der
kognitiven Kommunikationsleistungen in einer Schicht aufzu-
suchen sind, in denen das Erleben des Kindes affektiv und kôrper-
bezogen tst. Die Psychoanalyse würde also die Annalune eines an-
geborenen Log.tkapparats als idealistisch zurückweisen. Sie kônnte
jedoch der linguistischen und psycholog.tschen Spracherwerbsfor-
schung, soweit sie sich mit den Strukturen der frühen Affekt- und
Impulsregulation in der Mutter-Kind-Dyade befaBt. wichtige Hin-
wetse liefern (vgl. unten Kap. 7 , Seite 190 fi.).

101
3.3. Fazit
Die Frage also, ob die psychoanalytische Sprachtheorie veraltet ist
oder nicht, ist jetzt genauer zu stellen:

( l) Sind die Auffassungen, die Psychoanalytiker über einzelne


sprachwissenschaftUche und sprachpsychologtsche Fragen
gewonnen haben, für die Forschung noch relevant? und
(2) ist die psychoanalytische Methode ein Forschungsinstrument,
das für die Gewinnung von Erkenntnissen über die Sprach-
entwicklung hilfreich und- zrnnindest für einige Erkenntisse -
erforderlich?

Die Antworten zu ( l) werde ich in den folgenden Abschnitten an


den einzelnen Forschungsbeitragen diskutieren. Zentral ist hier die
Frage (2). Auch sie bedürfte etngehender Erôrterung, und ist in der
Tat kontrovers erôrtert worden (auf allgernein wissenschaftstheo-
retischer Ebene bei Ricoeur 1965, Habermas 1968, Werthmann
1982, Bowlby 1981. Klein 1976, Grünbawn 1984, Pohl 1991, urn
nur einige zu nennen). Die rnethodischen Probleme der Psycho-
analyse im Bereich der Entwicklungspsychologie sind sicher be-
achtlich. Das spricht aber nicht dafür, sie durch Verkürzung des
Forschungsansatzes auszuschalten. Man würde sonst dem be-
rülunten Beispie1 des Mannes folgen, der seinen Schlüssel irn
Lichtkreis der Stra13enlaterne sucht: »verloren habe teh 1hn zwar da
hinten im Dunklen, aber hier ist es helier.« Für ein komplexes
System wie die Sprache sind auch komplexe Forschungsmethoden
angebracht. In der Sprachwissenschaft sind logtsche, soziale, ko-
gnitive, affektive, physio1ogtsche, psycho1ogtsche und psychopatho-
logische Betrachtungsebenen rnôglich und notwendig und kônnen
nicht straflos separiert werden. Auch die Lingutstik ist eine Wis-
senschaft mit einem »zwittrigen« Gegenstand, und 1hre Stellung zu
diesem Gegenstand Hilit sich in mehrerer Hinsicht mit der der Psy-
choanalyse vergleichen: auch Linguisten arbeiten mit Hilfe ihrer
Intuition. Ohne »Sprachgefühl« ist die Alltagsarbeit der linguisti-
schen Forschung nicht zu bewaitigen. Und sie arbeiten in der Regel
mit der Sprache an der Sprache; sie bedienen sich also selbst des
Untersuchungsgegenstandes als Arbeitsinstrument. Der Versuch,
diese Tatsache môglichst auszuschalten und wirkungslos zu ma-
chen, hat schon manche Humanwissenschaft in die Irre geführt.
Es gilt vielmehr, die Reflexivitat als Tugend zu betrachten. Ein
verstehender Zugang tut not, der die Verflochtenheit der Ebenen
berücksichtigt. Ob die Psychoanalyse hier der Linguistik hilfreich
sein kann, will ich nicht entscheiden. Aber vielleicht wird 1m fol-
genden deutlich, welche überraschenden Befunde durch
psychoanalytische Methodik zustandekommen kônnen.
Bevor teh mich aber den Einzelthernen zuwende, will teh den
Vergleich zwischen Psychoanalyse und Sprachwissenschaft noch

102
etwas enger auf das eigentliche Thema dieses Bandes beziehen,
nâmlich auf die Sprachentwicklung oder - wie man vorsichtiger sa-
gen konnte - die sprachliche Sozialisation. Die Vorsicht tst ange-
bracht; denn schon der Begriff »Entwicklung« führt uns mitten
hinein in die Diskussion, ob beim Sprechenlernen sich ein angebo-
renes Vennogen entfaltet oder ob hier in festgelegten Interakti-
onsformen ein Kulturierungsvorgang geleistet wird, ein Anpas-
sungsprozess also, der sich zwar wie ein Naturproze.B ausnehmen
mag, jedoch nur dem, der ihn durchlaufen hat. Psychoanalyse a1s
kritlsche Theorie des Subjekts ha.tte sich einer Redeweise zu ver-
wetgem, die Entwicklung als naturhaft festgelegt begreift. 18

4. Psychoanalyse der Sprachentwicklung und


akademische Sprachentwicklungsforschung -
Themen und Methoden

Der spannendste Zeitraum in der individuellen Sprachentwicklung


sind die ersten drei Lebensjahre. Zwar hat der künftige
,..kompetente Sprecher« mit drei Jahren noch lange nicht ausge-
lernt; doch hat er die ersten wesentlichen Schritte vollzogen: er be-
herrscht die syntaktischen, semantischen und pragmatischen
Grundlagen seiner Sprachgemeinschaft und kann seine
Sprachkompetenz Schritt für Schritt erweitem und festigen. Die
metsten Forschungen zur Sprachentwicklung befassen sich daher
mit den ersten drei Lebensjahren. Das gilt auch für die psychoana-
lyttschen Ansâtze.

18 Da13 der Titel dieses Bandes dennoch von ~Entwicklung« spricht, liegt zum
einen daran, da13 noch selten durch Reform der Redeweise eine Erweite-
rung des Verstandnisses erzwungen werden konnte; zum anderen glaube
ich inzwischen, da13 man dem Begriff der Entwicklung, nachdem einmal
die Positionskâmpfe zwischen Nativisten und Milieutheoretikem ausge-
fochten sind, die Entfaltung seines eigenen Bedeutungshofes nicht mehr
verweigern mui3. Der Begriff ~ntwickeln((, zum ersten mal bei Stieler 1691
belegt, aber erst im 18. Jh. haufiger verwendet, changiert zwischen
~ntfalten«, ~ntwirren« und ~sich entwinden«. In diesem Feld ist Platz für
Varianten. Auch haben die neuen Forschungen der cognitive science und
die Ergebnisse der Sauglingsbeobachtung das ihre getan, um die Diskus-
sion aus den alten Positionen herauszuführen. Entwicklung kann niemals
nur die autonome Entfaltung eines ~Naturmoments« sein, doch wird uns
zunehmend deutlich, da13 sie ohne dieses nicht stattfmdet.

103
4.1. Der aktive Saugling
Die wichtigste Neuerung der 1etzten Jahrzehnte auf dern Gebiet der
Entwicklungspsycho1ogte - und das hat Fo1gen für Linguistik, Psy-
cholinguistik, Kognitionspsychologte und die Psychoanalyse - ist
die Elnsicht, dafl dem Klnd eine aktive Rolle belm Spracherwerb zu-
gebilligt werden muj3.
Diese Betonung der Aktivitat in der Psychologie des Neugebo-
renen findet sich in fast allen hmnanwissenschaftlichen For-
schungsbereichen. Die Frage, wie jernand eine Fertigkeit »erwirbt«,
wird abgelost durch die Überlegung, wie er etwas »macht~. Für uns
ist bedeutsarn, daB auch in der Linguistik dieses Paradigrna eine
Wirkung hatte. Der Übergang wird markiert durch die Arbeiten von
Chomsky ( 1959) und Lenneberg ( 1967), die das bis dahin vorherr-
schende behavioristische Paradigma grundsatzlich in Frage stell-
ten, mit beachtlichem Verbreitungserfolg weit über die Linguistik
hinaus. In der Kognitionspsychologte lâBt sich die Wende zum Pa-
radigma des »aktiven Sauglings~ vermutlich am ehesten fest:m.a -
chen an der Erstpublikatlon von Flavells »The Developrnental
Psychology of Jean Piaget~ (1963), mit der Piagets Theorie plOtzlich
breit rezipiert wurde (zur Abgrenzung Chomsky 1Piaget vgl.
Piattelli-Palmartni 1980).
Die aktive Beteiligung begtnnt bereits vor der Geburt: Nicht
nur die Fahigkeit des Fotus, auf Reize zu reagieren. sondem auch
die Signale, die er aussendet, sind inzwischen besser erforscht
(Brazelton und Cramer 1989: Kap. 2; Krül1 1989; vgl. auch Seite
128). In der Zeit nach der Geburt sind die Spontanaktivitaten des
Sauglings noch anfillliger. Brazelton und Cramer ( 1989),
Lichtenberg (1983) und Stern (1986) zeigen, wie diese Befunde aus
der Sicht der Psychoanalyse ais Bettrage in einern Dialog zwischen
Eltern und Kind integriert werden konnen. Ich werde auf diese
Auffassung noch zu sprechen kommen. Kennzetchnend für die
psychoanalytische Sichtweise ist dabei die Etnbeztehung ima-
gtnarer, phantasmatischer Beziehungs bilder.
Auch in der Psychoanalyse zeichnete sich die paradigmatische
Veranderung ab. Wâhrend die klassische Psychoanalyse noch an-
nahm, das Kind werde mit einer relativ einfachen Bedürfnisstruk-
tur in eine Sprachumwelt hinetngeboren und setze dann seine Be-
friedigungs- und Versagungserlebnisse nach und nach in Erin-
nerungsbilder mn, die eine Verbindung von Sach- und Wortvor-
stellungen darstellten (Breuer und Freud 1895, Freud 1891 b,
1915e, 1940a: 84f.), wird tnsbesondere seit der Betonung der Ich-
Funktionen und der frühen Objektbeziehungen in der Psychoana-
lyse angenommen, da13 das Kind aktiv seine angeborene Deko-
dierungsfahigkeit in die frühe Mutter-Kind-lnteraktion einbringt, in
der die Basis des Spracherwerbs gelegt wird (Spitz 1957, Greenacre
1960, Escalona 1963, Silverman 1986 u.a.).

104
Werm ich hier die Hinwendung der Psychoanalyse zum Pa-
radigma des »aktiven Sauglings.: mit ahnlichen Entwicklungen in
anderen Wtssenschaften vergleiche, so ist freilich gleich eine Ab-
grenzung erforderlich. »Aktiv((, »angeboren« hei13t nfunlich fur die
Psychoanalyse nicht, daB die Sprachentwicklung des Kindes iso-
liert betrachtet werden kann (zur psychoanalyttschen Kritik an
Piaget vgl. unten Sette 108). Erst 1n der Interaktion mit der Mutter
wird die komplexe angeborene Reflexausstattung des Kindes zur
Psyche (Meissner 1979). Für die Psychoanalyse stellt die Sprach-
entwicklung nicht die Entfaltung eines angeborenen Vennogens
dar, sondern nur ein Moment des Symbolbildungsprozesses, nur
eine Seite der Sozialisation in der realen Interaktion (vgl. Lorenzer
1972).

4.2. Vorsprachliche Strukturen


Ich habe in diesem Kapite1 immer wieder darauf hingewtesen, wie
s1ch die Psychoanalyse der Sprachentwicklung von der Sprachent-
wicklungspsychologie abgrenzt. Aber Abgrenzung ist nicht alles.
Ich will daher nun noch an zwei zentralen Fragen der Sprach-
erwerbspsychologte zetgen, wo eine Diskussion aus psychoanaly-
tischer Sicht ansetzen konnte.

Das Lernbarkeltsparadox

Ein klassisches Problem der Sprachwissenschaft lautet: Wie kann


eine so komplexe Symbolstruktur so rasch und gründlich er1ernt
werden? Wenn man alles, was man sagen will, auch nur ein einzi-
ges Mal vorher gehort haben mü13te, dann müBte man sein halbes
Leben lang zuhôren und konnte doch bloB nachplappern. Auf wel-
che vorsprachlichen Regeln, auf welche Strukturen greift das Kind
zurück? lch habe schon LosungsvorschHige für dieses Problem an-
gedeutet. Weitere psychoanalytische Bettrage werde teh im nâch-
sten Hauptteil besprechen (vgl. Kap. 5, Seite 125). Hier will teh nur
darauf hinweisen, daB die psychoanalytische Soziali-
sationsforschung Aufschlüsse über die Struktur vorsprachlicher
Kommunikationsprozesse geben kann, die das Lernbarkettspa-
radox aufklâren helfen. Der Gedanke dabeitst, daB das sprachli-
che Verhalten nur die Spitze des Eisbergs darstellt. Werm ein Ktnd
zwn ersten Mal Marna sagt, so hat es im Gurren und Lâcheln, im
Erwtdern und Suchen von Blicken, im Strampeln und Schreien das
Konzept <Marna> schon in tausend Facetten konstruiert und be-
nannt und begtnnt gerade damit, die Zusanunenhange dieser tau-
send <Mama>-Bilder staunend zu begreifen. Marna, das Wort, be-
stâtlgt nur als sprachliche Klammer diesen ursprünglichen Erfah-
rungsprozeB (vgl. unten Kap. 6 und 9, Seiten 170 und 213).

105
Blologische Reifungsprozesse

Die Generative Transformationsgrammatlk hat mit Lennebergs Ar-


beiten einen Ausweg aus dem Lernbarkeits-Paradox gefunden, in-
dem sie einen erheblichen Anteil der aktiven Sprachfindung des
Kindes korperlichen Reifungsprozessen und der Auspragung ange-
borener linguistischer Universalien zuschreibt. Tatsâchlich lâBt
sich empirisch beobachten, daB zwischen dem 18. und 36.
Lebensmonat einen Explosion von Benennungen und syntakischen
Strukturen erfolgt. Es liegt nahe, dieses Phânomen mit biologi-
schen Reifungsprozessen zu verbinden.
Erik H. Lenneberg hat in vielen Studien (zusammengefaBt in
Lennebergs berühmtem Buch »Biologtsche Grundlagen der
Sprache«, Lenneberg 1967) dargetan, daB es regelhafte und artspe-
zifische Zusammenhange zwischen der motorischen Entwicklung
und der Sprachentwicklung beim Menschen gtbt, denen gegenüber
die sozialen und Umgebungseinflüsse nur die Rolle einer notwen-
digen Bedingung spielen, nicht jedoch die cines die Entwicklung
beeinfl.ussenden Faktors.
»Ein Waldsee (... ) kann das befruchtete Ei eines Frosches oder eines Karpfens
versorgen; jedes Ei reagiert auf die ihm dienlichen Arten von Energie. Das
Froschei entwickelt sich zum Frosch, das Karpfenei zu einem Karpfen. Der See
stellt nur die Bausteine bereit; die organische Architektur entfaltet sich den Be-
dingungen gemaB, die innerhalb des reifenden Individuums erzeugt werden«
(Lenneberg 1967: 454 O.
Gibt es aber nicht doch gerade beim spatgeborenen saugetier Mensch einen
ganz erheblichen EinfluB der sozialen Umwelt? Ein oft zitiertes, grausames Ex-
periment stellte der Stauferkaiser Friedrich II. im 13. Jh. an. Er isolierte meh-
rere Babys und befahl den Ammen, sie zwar zu versorgen, aber nie mit ilmen zu
sprechen. »Er wollte namlich erforschen, ob sie die hebrâische Sprache sprii-
chen, ais die alteste, oder griechisch oder lateinisch oder arabisch oder aber die
Sprache der Eltern, die sie geboren hatten. Aber er mühte sich vergebens, weil
die Kinder alle starben. Denn sie vermochten nicht zu leben ohne die Koseworte
ihrer Ammen« (Salimbene von Palenno, zit. nach Grimm 1982: 519). Kaiser
Friedrichs oft zitiertes, grausames lsolationsexperiment zeigt erschreckend, wie
soziale und sprachliche Deprivation jegliche Entwicklung verhindert. Auch
Lenneberg erkennt an, daB für die Sprachentwicklung spezifische soziale Stimuli
unabdingbar sind, doch schrankt er ein: »Notwendige soziale Auslôsemecha-
nismen formen das soziale Verhalten nicht in der Weise, in der Frau Pappritz
das Benehmen einer Debutantin formen mag4<.
Es ist immerhin erleichternd, da13 wenigstens Debutantinnen nicht aus
Debutantinnen-Eiern wachsen.

Welche Rückschlüsse la13t Lennebergs These für die Sprachent-


wicklung zu? In Kürze zusanunengefaBt sind es die folgenden zen-
tralen Thesen (nach Lenneberg 1967: 455 ff):
Sprache ist die Manifestation artspezifischer kognitlver Merk-
male, und zwar insbesondere einer Spezialisierung der unter
Wirbeltieren u~~quiâren Fahigkeit zur Kategorisierung und
Extraktion von Ahnlichkeiten.

106
Diese Spezialisierung ist im Lauf der Phylogenese zu einer
spezifischen »Sprachbereitschaft« des Menschen ausgepragt:
worden, die sich ontogenetisch in einem ReifungsprozeB
herausbildet, allerdings nur unter bestirrunten Umweltbedin-
gungen. »Sprachbereitschaft (ist) ein Zustand latenter Sprach-
struktur. Die Entfaltung der Sprache ist ein ProzeB der Ak-
tualisierung, in dem latente Struktur in realisierte Struktur
transformiert wird.«
Diese Sprachbereitschaft ist ein zeitlich begrenztes Stadiwn,
das etwa vom zweiten Lebensjahr bis zur Pubertât reicht. Da-
nach sind »die kognitiven Prozesse fest strukturiert, die Fa-
higkeit zu primarer Sprachsynthese wird verloren.«

Die angeborene Sprachbereitschaft sowie die Rahmenbedin-


gungen des menschlichen Gehirns legen zwar universelle
syntaktische Prinzipien fest , die alle erlernbaren Sprachen
erfüllen müssen. Diese sind aber nicht die syntaktischen Ka-
tegorien selbst, sondern lediglich der Umgang mit den Katego-
rien. Daraus erklart sich die hohe Varianz der natürlichen
Sprachen.

Die Psychoanalyse hat zur Frage der angeborenen sprachlichen


Tiefenstrukturen zwei verschiedene Antworten zu geben. Zurn
einen wird sie aus der Sicht der klassischen Sprachtheorie Freuds
Lenneberg recht geben. lm Anhang zu Lennebergs Hauptwerk
»Biologtsche Grundlagen der Sprache« ( 1967) findet sich ein
historischer Überblick über die biologtsche Sprachtheorie, in dem
Freud einen nicht unbedeutenden Platz einninunt. DaB Freud sich
für biologtsche Prozesse nicht nur in der voranalytlschen Aphasie-
Schrift tnteressiert, beweist z.B. sein Triebbegriff. Der Trieb wurzelt
nach Freud in kôrperlich-organtschen Spannungsquellen und
unterliegt Reifungsprozessen. Andererseits bleibt Freud niemals
bei einer biologtschen Theorie stehen. Schon die erwâhnte Aphasie-
Schrift trâgt die Handschrift des Psychologen Freud: er weist darin
nach, daB die p~ysiologtschen Aphasie-Theorien seiner Vorganger
eigentlich eine »Ubersetzung psychologtscher Etnsichten« sei (Marx
1967 a: 568) (vgl. Kapitel 2. 1.1.. Seite 36).
Dies ist eine Denkrichtung, aus der die zweite Antwort der
Psychoanalyse auf das Reifungsproblem erwachst. Aufbauend auf
Freud, aber über ihn hinaus zu einer hermeneutischen Position
gekommen, kann sie die biologische Reifung und die Entfaltung
der lch-Funktionen nicht einfach parallelisieren. Zeitgenôssische
Psychoanalytiker werden als den entscheidenden Punkt die Frage
betrachten, wie die biologtschen Reifungsprozesse in der spezifi-
schen Interaktion mJt der sozialisierenden Umwelt zur Ich-Bildung
führen.

107
»Die phonetische Spezifitât einer Einzelsprache ist sicher
durch die Mutter sozial vermittelt; dagegen ist die Fahigkeit zu
phonetischer Differenzierung in erkennbare vokal-artikulatortsche
Zetchen vielletcht biologtsch. Die Verstârkung bestinUnter phonetl-
scher Fonnen, die sich zu phonemischen Mustern formen, ist
kulturell bestlmmt. Phonemtsche Spezifitat, die aus den ersten In-
teraktionen stammt, entwtckelt sich zu spâteren kommunikativen
Fertigkeiten. Die Vartatlonen des »good enough mothering~ vennit-
teln in hôherem oder geringerem MaB die Klânge der Mutterspra-
che bzw. grofie oder geringe Variation der môglichen Formen. Wie
Menschen Sprache praktisch als Mittel des Austauschs verwenden,
das wurzelt natürlich in diesen frühen Interaktionen. Freillch sollte
es als Entwicklungsprinztp klar sein, daB die daraus resultierende
phonemtsche Kompetenz mehr ist als die Summe ihrer Ursprünge
und daB sie auf dtese Ursprünge nicht addttiv reduzierbar ist. Das
ist so, weil die kleinen Unterschiede, die wir als Sprecher einer
natürlichen Sprache wahrnehmen, mehr ais nur phonemische
Differenzterung erlauben. Sie führen viehnehr zu hôchst wtrksa-
men semantischen Unterscheidungen« (Shaptro 1979: 11).

4.3. Psychoanalyse der Sprachentwicklung als


Kognitionspsychologie?
Ich habe an den einzelnen thematischen und methodischen
Schwerpunkten jeweils herauszuarbeiten versucht, wie sich der
psychoanalytische Zugang vom kognttionspsychologtschen unter-
scheidet; mein Argument gtng dabei immer wteder in die Richtung,
zu zeigen, daB Psychoanalyse keine Kognitlonspsychologte sein
kann, weil für ste »Kognttion« kein eigener Gegenstand, kein isoliert
studierbares »Vermogen~ ist.
Psychoanalytlsche Krltlk an Piaget

In diesem Zusammenhang ist es angebracht, einen Vergleich zu


ziehen zwischen der Psychoanalyse und der Entwicklungstheorte
von Jean Piaget, einem der origtnellsten und einfluBreichsten Den-
ker der Kognttionsforschung. Es wâre weit gefehlt. Piagets Theorie
nur ais Gegensatz zur Psychoanalyse zu behandeln. Piaget, der
sich selbst einmal einer Lehranalyse unterzogen hat - die zwar
nach seinem eigenen Bekunden wenig Interesse bei ilun weckte -,
hoffte selbst noch 1970, seine Forschungen zur kognttlven Ent-
wtcklung würden dereinst mit den psychoanalytischen Ergebnissen
zur Affektentwicklung zur Deckung gebracht werden: :.lch glaube,
daB die Probleme des kognttiven Unbewu13ten âhnlich sind wie die
Probleme des affektiven UnbewuBten (... ). Ich bin überzeugt. da13
eines Tages die kognttlve Psychologie und die Psychoanalyse ver-
schmelzen und eine allgemeine Theorie bilden müssen, welche
sowohl die kognttive Psychologie wie die Psychoanalyse verbessem
108
und korrtgteren wird« (zit. nach Ciompi 1982: 52). Auch die Psy-
choanalyse hat sich etngehend und meist in zustinnnendem Sinn
mit Piaget auseinandergesetzt (Haynal 1969, Sandler 1975, Basch
1977 Nitsch-Berg 1978. Schneider 1981 und Ciompi 1982 referie-
ren die zahlreichen dazu erschienenen Arbeiten).
Der Punkt, den Psychoanalytiker an Piaget tmmer wieder kri-
tisieren, ist 1m wesentlichen seine Isolierung der kognitiven Ent-
wicklung von der affektiven. Ciompi ( 1982) arbeitet die folgenden
Konvergenzen und Divergenzen zwischen der Theorie von Piaget
und der Psychoanalyse heraus:
Beide The orien gehen von einem eptgenetischen Entwick-
lungsmodell aus, wobei sie sich jedoch hinsichtl1ch der Pha-
senzuordnung unterscheiden. Die genetische Psychologie
Piagets, die vorwiegend die kognttive Entwicklung untersucht,
setzt die entscheidenden Reifungsschritte spâter an als die
Psychoanalyse, die die affektive Entwicklung im Blick hat.

Beide Theorien betrachten die affektive und die kognttive Ent-


wicklung als zusammengehorig, doch sind sie stch nur für den
Bereich des ersten Lebensjahres über den Entwicklungsver-
latû einig. Beide postulieren, daB vor der Errichtung der Ob-
jektpermanenz bzw. Objektkonstanz eine Entwicklungsphase
liegt, in der Subjekt und Objekt affektiv und kognitiv nicht
unterschieden werden.

Beide scheinen davon auszugehen, da13 die Affekte eher etwas


»energetisches«, die Kogruttonen dagegen etwas »Strukturier-
tes« sind; auch die Annahme zweier grundlegender Affekte
:.Lust« - »Urùust« scheinen sie zu teilen. Eine der psychoanaly-
tischen Triebtheorie vergleichbare Theorie der Affekte scheint
Piaget jedoch nicht zu implizieren.

Eine Parallele findet sich in der Theorie des Denkens: Freuds


Theorie des Denkens als »Probehandeln« paBt gut zu Piagets
Theorie der Entwicklung der Intelligenz durch verinnerlichte
Handlungsschemata.
Der Begrtff des UnbewuBten wird unterschiedlich atûgefaBt:
wâhrend die Psychoanalyse vom dynamischen, a us Verdrân-
gung gespeisten UnbewuBten ausgeht, postuliert Piaget ein
»kognttives UnbewuBtes«, das eine Vielzalù ntcht bewu.Bter
kognitiver Operationen urnschlieBt, hierin eher dem
»VorbewuBten« Freuds vergleichbar.
Beide Theorien weisen eine polare Grundstruktur atû, doch
bezieht sich die Psychoanalyse hier atû den erfahrbaren Ge-
gensatz von Liebe und HaB, wâhrend Piaget von einer ab-
strakten Polaritat log:tscher Operationen ausgeht.

109
Die Psychoanalyse befaBt sich in erster Linie mit Beziehungen
zwischen Personen, wahrend die genetische Epistemologie
Piagets sich den Beziehungen zu unbelebten Gegenstiinden
widmet.

Ciompi fa13t zusammen: die Psychoanalyse habe mehr die Welt der
Personen und Gefühle, die genetische Epistemologie die Welt der
Dinge und Gedanken erforscht (Ciompi 1982: 67).
Eine detaillierte Kritik der Auffassung von Piaget aus psycho-
anaiytischer Sicht würde hier zu weit führen; teh habe sie am Bei-
spiel seiner Theorie des Traums an anderer Stelle vorge1egt
(Hamburger 1987: Kap. 3.3.5, 286-301; vgl. Schneider 1981.
Cobliner 1965, Decarie 1965, Anzieu 1977: Kap. 1., Wygotski
1934, Shapiro 1979: 28 f.)
Psychoanalyse kann aiso Sprache nicht unabhangig vom in-
teraktionellen Kontext studieren. Dies ist das wohl einleuchtendste
Argument zur Abgrenzung gegen eine Kognttionspsychologte, die
den SprachprozeJ3 tendenziell ais InformatlonsverarbeitungsprozeB
abzubilden versucht. Es gtbt jedoch noch mindestens zwei weitere
Argumente: der Subjektbezug und der emanzipatorische Ansatz.
lch werde diese Argumente in den folgenden Abschnitten vorstel-
len. Zunâchst aber noch einmai zum Argtunent der Kontextgebun-
denheit.

Entwlcklung oder Soztallsation?

Nach psychoanalytischer Auffassung ist sprachllche Sozlallsation


eln Prozej3, der sich tm Kontext von Realbedlngungen letbllcher und
sozlaler Art enifaltet und mit diesen dialektlsch verzahnt ist. Schon
also vom deskriptiven Modell her muJ3 die Psychoanaiyse es für
ebenso siruùos haiten, ,.kognttive Entwicklungsgesetze4( isoliert em-
pirisch zu beschreiben, wte es allgemein für überholt erachtet wtrd,
die Planetenbahnen ais komplizierten Z1ckzackver1auf 1m irdischen
Gesichtsfeld zu betrachten. Weitaus eleganter und realistischer ist
es, sie als Umlaufbahnen um andere Himmelskorper zu sehen,
und diese Sichtweise hat sich auch allgemein durchgesetzt. Freud
hat diese Grundauffassung bekann.tlich ais kopernikanische
Wende der Psychoanalyse gegenüber der BewuJ3tseinspsychoplogte
beschrteben; daB sie gegenüber deren Erben, der Kognttions-
psychologie, noch Gültigkeit besitzt, habe ich oben am Beisptel der
Kritik am entwicklungspsychologischen Paradigma von Jean Piaget
gezetgt (vgl. oben Sei te 1 08).
Zwar ist die Psychoanalyse selbst nicht immun gegenüber ei-
ner kognttivtstischen Sichtweise; so hat Freud selbst immer wied er,
und zwar über die gesamte Spannweite seines umfangreichen
Werks, das »biologtsche Argument« bemüht, um postulierte Funk-
tionen des »psychischen Apparats« aus der Überlebensnotwendig-
keit zu begründen. Es entsprach Freuds lamarckistischer Überzeu-

110
gung, daB auch erlernte Ich-Funktionen, die dem Überleben der
Gattung dienlich sein kônnen, als angeboren postuliert werden
dürfen. Dagegen kann man freilich einwenden, daB die physiologt-
sche Ausstattung des Kindes nur in sozialen Bezügen überlebens-
werttg ist, und daB daher aus sozialisatorischen Prozessen, 1n
denen physiologtsche Prozesse mit gesellschaftlichen interaktiv
vernùttelt werden, nicht kurzschlüssig eine »Entwicklungo(( angebo-
rener Vennogen abstrahiert werden kann.
Soweit also das psychoanalytische Pladoyer für die Gesamt-
betrachtung des Sozialisationsprozesses. Es kommen aber noch
zwei weitere Punkte hinzu, die es der Psychoanalyse schwerma-
chen, sich in die Schar der Theorten kognitiver Entwicklung einzu-
reihen.
Subjektbezug

Es ist der Psychoanalyse Iùcht abzugewôhnen, daB sie 1m Kontakt


ntlt einzelnen Patienten stattftndet, und zwar nicht nur als heil-
same Nutzanwendung, sondern sie hat hier ihr Zentrum und ihren
Forschungsort.l9
.M an kônnte diese These auch so formulieren: Psychoanalyse
lst die krltlsche Theorie des Subjekts. So zumindest ist das gesagt
worden in der wnfangreichen Literatur zur psychoanalytischen
Sozialpsychologte. Diese Aussage hat mehrere Implikationen: Er-
stens, daB es Iùcht um blo13e Erfassung manifesten BewuBtseins
geht, sondem um etwas Wesentlicheres, hinter dem Oberflachen-
bewuBtsein Verstecktes. Zweitens, daB diese nicht die Theorie über
ein Subjekt ist, sondern {idealiter) die Theorie des Subjekts über
sich selbst. Es steckt in dieser Auffassung des Subjektbezugs der
Psychoanalyse eine Denkfigur, die sehr an Hegel und Marx ge-
schult ist. Was vordergründig als Teufelskreis erscheint (denn wie
kann ich über mich selbst eine Theorie dessen entwickeln, was ich
eben hartnacktg verdrange?) und was, bôswillig gedeutet, das
Grundmuster der Indoktrination darstellen kônnte, ist dennoch
eine Fonnulierung, die jedem Kliniker sofort einleuchtet: Betrach-
tet man nâmlich die Psychoanalyse als Prozej3, so 1st die Beschrei-
bung weder paradox noch tndoktrinierend. Psychoanalytische
Erkenntnis ist diejenige Theorie seiner selbst, die ein sich schrttt-
weise erkennender Patient entwickelt. Nur dann ist sie auch gültlg;
denn weder bestatigt dieser TherapieprozeB vorgefaBte Vorurteile
des Patlenten noch des Therapeuten, sondern er ennôglicht Selbst-
erkenntnis. :.Kritisch~ darf sich dieses subjektive Selbstbewu13tse1n

19 Leitthema der Kontroversen über das Freudsche l!Junktlm von Hellen und
Forschen• ist das Problem, wie denn die intersubjektive Evidenz unbewu13-
ter Sinnstrukturen im Behandlungszimmer validierbar und generalisierbar
ist. Es besteht die Gefahr des »Findens selbstversteckter Ostereier4< ebenso
wie die der vorschnellen Verallgemeinerung idiosynkratischer Verknüpfun-
gen. Vgl. dazu unten Kap. 4.4., Seite 114
Ill
mit Recht deshalb nennen, weil ntcht trgendwelche beliebtgen ver-
gessenen Gedâchtnistnhalte zutage gefordert werden, sondem -
nach dem theoretlschen Vorbild der Ideologtekritik - gerade dieje-
ntgen ausgeblendeten Vorstellungen, die etgentlich die freie Ent:-
faltung des Analysanden reprâsentieren - das, was er nicht zu
leben wagte, obwohl es objektiv lebbar gewesen ware. So verstan-
den ist Psycho analyse auch 1mmer auf Veranderung realer Ein-
schrankungen aus: sie ist emanzipatorisch.
\
Emanzipatortscher Ansatz

Dteser Punkt wird für etnen akadem1schen Psychologen wohl noch


wemger akzeptabel sein ais die erstgenannten, denn er stellt die
wtssenschaftliche Haltung selbst in Frage. Die These lautet: Psy-
choanalyse ist emanzipatorisch oder sie tst nicht Psychoanalyse. Ihr
methodtscher Kern verurteilt sie dazu, das jewetls Tabuisierte auf-
zusuchen - und zwar 1mmer aufs neue, nie ein-für-allemal. Psy-
choanalytische Erkenntnis »hat« man nie, kann ste nie a1s fest-
stehend kodifizieren, sondern man erarbeitet ste durch das Ste -
henbletben und Lauschen an den Brüchen des bewuBten Dtskur·-
ses. Deshalb tst Psychoanalyse, methodtsch streng verstanden.
auch nicht prognostizierend - hierin eher der philosophischen Mi-
nerva ahnelnd, deren Eule nur in der Dâmmerung fliegt. Das un-
terscheidet sie sowohl von den »Wertfreien« beschreibenden Wis-
senschaften wte auch von ihren »tiefenpsychologtschen« Abspaltun-
gen, die sich beide so verstehen, als sei ein Feld von bewuBten oder
unbewu13ten Kognitionen zu kartographieren. Ich will hervorheben.
da13 diese Charakterisierung der Psychoanalyse ais emanzipato-
risch keine wtllkürliche Option ist. Wenn ich mich einem Men-
schen oder seinen Âu13erungen gegenüber psychoanalytisch ver-
halte, so ist es eben ein unverzichtbares Merkmal dieser Haltung.,
daB ich darauf achte, was diese Âu13erung an systematisch Un-
bewuBtem enthâlt, und das heiBt an jewetls speziftsch Tabui-
sertem. Wohl ist das Tabuisierte ntcht indivtduell-zufallig, sondem
es tst etngebunden in das gesellschaftliche Tabu, das gesell-
schaftlich-UnbewuBte - weil eben unter bestimmten sozialen Be-
dingungen das verdrangt wtrd, was in Gesellschaft ansto13tg ist.
Aber es genügt auch nicht, eine Liste der gesellschaftlichen Tabus
zu erstellen und diese den Patienten auszuhandigen. Davon würde
die Verdrangung nicht aufgehoben, sondern lediglich gewttzt, zu-
mindest so lange nicht die Ursachen der Tabubildung beseitlgt
sind und die Menschen eintge Generationen Zeit hatten, die verân-
derte Sachlage zu internalisieren. Die Sexwelle z.B. scheint ja mit
Tabus in groBem MaBstab aufgeraumt zu haben- aber die sexuelle
Libertinage produziert lediglich einen wetteren Diskurs jenseits der
verdrangten Psychosexualitât. Psychoanalyse tst ketne solche
Aufldârungsanstalt, sondern die Geduldsarbeit der Resymboli-
sierung. des Wieder-Zusanunenfügens der von ihren affektiven

112
Wurzeln getrennten Sprachzeichen. Diese ihre Herkunft und bis
heute fortgesetzte Methode charakterisiert auch die theoretischen
Aussagemôglichkeiten der Psychoanalyse. Es kann ihr also ntcht
nur darum gehen, :mit »ganzheitlichen...:, realistischen und elegan-
ten Modellen wissenschaftUche Beschreibungen von Sachverhalten
als Selbstzweck zu liefern, sondern was 1mmer sie begreift, sie be-
greift es als ein Exkonununiziertes, und 1m Begreifen selbst hebt
sie tendenziell die Exkonununikation auf. findet Worte für das
Noch-nicht-gesagte.
Aber: Die Psychoanalyse hat vtele Namen

Freilich ist es keineswegs so, daB selbst von psychoanalytischen


Forschern diese grundsatzlichen Prfunissen 1m.mer beachtet wür-
den. So gtbt es z.B. eine Reihe llnguistisch-psychoanalytischer
Mlschmodelle, die versuchen, die Schnittstelle von psychoanalyti-
scher Theorie und KogmtionsWissenschaft herzustellen.
Ein prominenter Versuch dieser Art ist z.B. die Arbeit von
Edelson ·über die Sprachstruktur des Traums: Schon in Freuds
Werk steht die Sprachentwicklung 1m Rahmen einer umfassenden
Symboltheorie, in der auch die Traumsymbolik, die Symbolik
neurotischer Symptome und die Mythologie abgehandelt werden
müssen. Marshal Edelson hat am Beispiel des Traums versucht,
eine solche Theorie auf der Grundlage der Chomskyschen Lingut-
stik zu erarbeiten, eine Art Generative Transformationsgrammatik
des Trawns aufzubauen (Edelson 1972, vgl. oben Seite 98).
Auch andere Analytiker haben versucht, die Symboltheorie
der Psychoanalyse als lingutstische Theorie atûzufassen (vgl.
Speidel 1978). Dieser Versuch ist freilich nicht unproblematisch,
weil er die verzerrte Rede, die den eigentUchen Gegenstand der
Psychoanalyse bildet, ais Regelfall und nicht ais Regelverletzung
behandelt und weil er der Psychoanalyse ihren Anspruch nimmt,
1m Erkennen gleichzeitig das Erkannte zu verandern. Mit Lorenzer
müBte man zwischen den Regeln der Sprache und der Sprachzer-
stôrung eine Trennung aufrechterhaiten, anstatt sie mit der
tdealistischen Unterstellung einer gemeinsamen »Tiefenstruktur...:
zusanunenzuleimen. Lorenzer (1970a,b, 1972, 1986) begreift
Psychoanalyse nicht a1s Kognitionspsychologie, die universale
Denk- und Sprachregeln herausarbeitet, sondern als geschichtli-
che Reflexion auf die Sozialisation des Subjekts. Sie kann zwar das
Regelhafte herausfinden, das aus der Interaktion zwischen Mutter
und Kind in die Granunatik übergeht, aber sie kann es nicht als
Ablauf einer »Entwicklung...: begreifen, sondern nur als Niederschlag
einer konkreten Interaktion. Aus dieser Sicht ware also die Psycho~
analyse des Spracherwerbs der Kern der Psychoanalyse ais kriti-
scher Theorie des Subjekts; sie ware aber in Anspruch und Ergeb-
n1s nicht unbedingt vereinbar mit der akademischen Sprach-
erwerbspsychologte.

113
4.4. Forschungsmethoden der Psychoanalyse
Vor allem seit dem Stegeszug der Sauglingsforschung sind viele
psychoanalytische Hypothesen über die seelischen Prozesse von
sehr kleinen Kindern empirisch widerlegt worden, die eigentlich
aus der Arbeit mit Erwachsenen starnmten. Die heiJ3 diskutierte
Frage lautet: Ist mit diesen emptrischen Gegenbelegen die Rekon-
struktion falsifiziert? lm Grunde dreht es sich dabei mn eine rne-
thodologtsche Frage. Sie wird nfunlich nur bejaht werden konnen~
werm man eine bestimmte wissenschaftliche Haitung zugrundelegt.
Ausgehend von dieser Diskussion, die ich 1m folgenden Ab-
schnitt umre:iBen will, soll dieses Kapitel einige Aspekte der spe-
ziellen psychoanaiytischen Forschungsmethode darlegen und von
den gemeinhin akzeptierten Standards der Forschungsmethodik
abheben. Das tm einzelnen darzustellen, würde freilich hier zu weit
führen; ich verweise daher auf die einschlagtgen Beitrage in
Mertens (1993) und Leuzinger-Bohleber u.a. (1992).

Rekonstruktion vs. Direktbeobachtung

In der frühen Psychoanaiyse war die Rekonstruktion des »Origtnal-


vorfalls« aus den Assoziationen des Analysanden die Methode der
Wahl. Warum das so war, dafür lassen sich mehrere Gründe an-
führen. Zurn einen dürfte die traumatische Âtiologte der Neurosen
noch starker tm Vordergrund gestanden haben ais heute
(Greenacre 1980), und das WeB: AufkHirung des Traumas war der
einzig gegebene Weg zur Hetlung. Freillch bezieht sich auch die
Triebtheorie, die lch-Psychologie, die Narzillmustheorie, die Selbst-
psychologte und die Objektbeziehungstheorie auf infantile Erle-
bensinhalte, die in der Analyse des Erwachsenen rekonstruiert
werden müssen. Greenacre ( 1980) stellte fest, da13 die relative Be-
deutung der Rekonstruktion in der Analyse Erwachsener einer
stiirkeren Betonung des Hier-und-Jetzt gewtchen sei - eine Ent-
wicklung, die allerdings inzwischen wieder relativiert worden tst
(vgl. Mertens 1990b: Kap. 8). Sicher kommt keine psychoanalyti-
sche Deutung ohne einen rekonstruktiven Aspekt aus. Eine Aus-
nahme von dieser Regel konnte allenfalls bei sehr kleinen Kindem
postuliert werden, deren gegenwârtiges Erleben in geringerem MaB
von bewu.Bten oder unbewu.Bten Reminiszenzen beeinflu13t wtrd.
Dtese Differenz ist der zweite, pragmatischere Grund daflir, da.B in
der frühen Psychoanalyse die Rekonstruktion die Beobachtung
überwog: die Patienten waren überwiegend Erwachsene, so daB
etwas anderes als Rekonstruktion nicht in Frage karn, wenn man
ihre krankheitsbedingenden traumatischen Realerlebnisse oder
Phantasien erfassen wollte.
DaB bei der Anwendung der Psychoanalyse auf Kinder
tatsâchlich von Anfang an Beobachtungsmethoden verwendet wur-
den, die ais Vorlaufer der spater ausgearbeiteten psychoanalytl-

114
schen teilnehmenden Beobachtung. aber auch der Kinderanalyse
gelten konnen, belegt z.B. Freuds bekannte Deutung des Spiels mit
der Fadenspule, das er bei seinem eineinhalbjahrtgen Enkel beob-
achtete (s. oben Seite 80). Systematischer wurde die psychoanaly-
tische Kinderbeobachtung von dem Kreis um Anna Freud und Do-
rothy Burlingham in Angriff genommen, die bereits var dem Krieg
in Wien etnen Forschungskindergarten betrieben, diese Arbeit in
London wâhrend des Krieges (Burlingham und A. Freud 1949) fort-
setzten und schlie13lich die gro:Be Forschungseinrtchtung der
Hampstead Clinic begründeten. Zu dem Kreis zâhlten auch Psy-
choanalytiker, die spater die theoretlsche Begründung der psycho-
analytischen Ich-Psycholog:te unternehmen sollten (z.B. Heinz
Hartmann und Ernst Kris, vgl. Kôhler-Weisker 1980). Dtese Analy-
tiker waren es auch, die bedeutsame theoretische Beitrage zur Re-
1evanz der Direktbeobachtung von Kleinkindern für die Psycho-
analyse formulterten.
Hartmann ( 1950) vergleicht die rekonstruktiv gewonnenen
psychoanalytischen Ergebnisse zur Entwicklungspsychologte mit
den von Nioht-Analytikern gewonnenen Beobachtungsdaten und
stellt fest, daB letztere durch die Ausblendung der Wechselwirkung
zwtschen Beobachter und Objekt und der unbewu:Bten Konfliktas-
pekte verzerrt sind, erstere jedoch über praverbale Entwicklungs-
stadien, insbesondere die Phase var der Differenzierung von lch
und Es keine Auskunft geben kônnen. Er empfiehlt deshalb eine
Verbindung beider Methoden, wobei er jedoch die Direkt-
beobachtung nur unter analytischer Orientierung für sinnvoll hâlt.
Durch diese Verbindung gewinnt die Psychoanalyse wieder ihren
Status ais Allgemeine Psychologte, überwindet ihre Besclrrânkung
auf die Psychophathologte und Psychotherapie. Die Form, die diese
psychoanalytische allgemeine Psychologie annehmen kann, wird
nach Hartmann bestinunt durch das ich-psychologtsche Paradig-
ma: der Entwicklungsbegriff der psychoanalytlschen !ch-Psycholo-
gie lâBt Ergebnisse erwarten, die mit den Ergebnissen der akade-
mischen Entwicklungspsychologte kompatlbel sind.
Hartmanns Argument basiert darauf, daB die rekonstruktiven
Daten der Psychoanalyse und die psychoanalytischen Beobach-
tungsdaten über die frühen Entwicklungsphasen kompatibel sind.
Dem hat Winnicott ( 1958) widersprochen, indem er darauf hinwies,
da:B die rekonstruierte Tiefenstruktur nicht unbedingt mit histo-
risch frühen Stadien korrespondieren mu:B. Er schlagt daher vor,
analytische Rekonstruktion und Direktbeobachtung ais relativ un-
abhangtge Methoden nebeneinander zu stellen.
Anna Freud (1965: Kap. 1.) hat Hartmanns Empfehlung
aufgegriffen; auch sie glaubte, daB die psychoanalytische Kinder-
psycholog:te nicht ohne externe, d.h. auBerhalb der psychoanalyti-
schen Situation gewonnene Beobachtungsdaten über die frühen
Phasen auskommen kann. Ebenso wie Hartmann weist sie jedoch
darauf hin, daB erst durch die analytlsche Rekonstruktion die

115
entscheidenden Hypothesen, und erst durch die psychoanalytische
Ausbildung die entscheidende Sensibilltat der Beobachter bereitge-
stellt werden.
Lebovici und Soulé ( 1970: Kap. 1 .) betonen, da13 die Direktbe-
obachtung methodologische VorsichtsmaBnahmen erfordert, urn
retrospektive Projektionen zu vermeiden. Psychoanalytiker sind 1h-
rer Meinung nach bess er gerüstet als andere Beobachter, diese
Gefahr zu reflektieren.
W.E. Freud ( 1976) stellt für die teilnehmende Beobachtung
von Kleinkindern folgende Regeln auf: Der Beobachter soUte die
analytische Haltung der freischwebenden Aufmerksamke:tt etn-
nelunen (also keine gezielten Fragen stellen), er soUte nicht nur
Stellungnahmen, sondern auch Deutungen unterlassen.
Ernst Kris u.a. versuchten in einer Langzeitstudie am Yale
Child Study Center durch Kontinuitat der Versuchspersonen und
der Beobachter, durch Einbeziehung der Bezugspersonen der be-
obachteteten Kinder und durch interdiszipllnâre Integration von
Hausbesuchen, psychologischen Tests und Kindergartenbeobach-
tungen ein môgUchst umfassendes Bild, eine »dynamische Btogra-
pWe« zu erhalten. Dennoch wird die Gilltigkeit der Ergebnisse sehr
begrenzt gesehen; ledigUch 1m ersten und zweiten Lebensjahr war
die Untersuchung ergtebig. Konkrete Voraussagen spaterer Pat-
hologten UeBen sich jedoch nicht darauf aufbauen, w:te katamne-
stische Untersuchungen zetgten (Coleman, Kris und Provenoe
1953, M. Kris 1957).
Wichtige Vertreter der Direktbeobachtung von Sâuglingen sind
var allem René Spitz, auf dessen Arbeiten ich schon eingegangen
bin (vgl. v.a. Seite 64), und Margaret S. Mahler (1968; Mahler u.a.
1975). Man hat gegen diese Autoren eingewendet, sie hatten vor
allem die ersten Lebensmonate unter sehr einengenden theoretl-
schen Vorannahmen regtstriert. Deshalb seien sie zu unrealisti-
schen Annalunen über das Seelenleben des Neugeborenen gelangt,
insbesondere hatten sie ihn als zu undifferenziert und passiv be-
schrieben und hatten nicht bemerkt, daB Neugeborene durchaus
schon über die Fâhigkeit verfügen, innere von auBeren Reizen zu
unterscheiden und auch zw:tschen Reizen zu differenzieren (vgl.
Dornes 1993). Diesen Mangel macht nach Auffassung einer Reihe
von neueren Analytikern die zeitgenôssische Sauglingsforschung
mit ihren zum Teil sehr origtnellen empirischen Settings wett. lch
werde auf Methoden und Ergebnisse 1m übernachsten Abschn:ttt
eingehen. Zunachst will ich etwas an der Frage bleiben, ob und
inwiefern die Direktbeobachtung eine psychoanalytische Methode
ist. Bezüglich der Arbeiten von Mahler hat Matthias Baurngart
( 1991) in einer sehr detaillierten Argumentation herausgearbeitet,
da13 die emptrische Falsifikation ihrer Hypothesen über dte
»autistische« und »symbiotische~ Phase des Kindes weniger deren
psychoanalytischen Gehalt als vielmehr den Versuch betrifft, dte-
sen auf der Ebene von Verhaltensbeobachtungen zu operationaU-

116
sieren. Die Kritlk zielt an der Sache vorbei, solange sie nicht aner-
k ,e nnt. daB psychoanalytische Direktbeobachtung eben nicht den
Zweck haben karm, ein vermeintlich luftiges Gebaude von Hypo-
thesen, die aus Rekonstruktlonsdaten gewonnen wurden, endlich
dureh harte Fakten zu untermauern, sondern daB sie ebenso wte
die :.rekonstruierende« Analyse EIWachsener einen empathischen,
subjektbezogenen und emanz1pator1schen Dialog aufnilmnt.
Diese kurzen Bemerkungen über Direktbeobachtung und Re-
konstruktion vermogen freilich das Thema nur anzure1J3en; sie
sind mir wichtig. um auch an dieser Stelle die psychoanalytische
Haltung zu marlderen, wte teh sie verstehe: tn einem subjektbezo-
genen Dialog tst es an keiner Stelle moglich, objektiven Daten
einen Stellenwert zu verleihen, der die intersubjektive, im herme-
neutischen ProzeB erarbeitete Bedeutung verifiziert oder falsifiziert;
allerdings kann und soli die Direktbeobachtung ihrerseits den Be-
deutungsraum erweitern, in dem der Dialog stattfindet. lhre Er-
gebnisse sind also nicht Begrenzung analytischer Befunde, son-
dem sie sind ihrerseits Material und Gegenstand intersubjektiver
Verstandigung. Sie bedürfen der Interpretation.
Freilich kommt die Psychoanalyse manchmal dem Verdacht
auch entgegen, sie neige zu unzutreffenden, spekulativen Rekon-
struktionen. Das tut sie aber erst, wenn sie den eben formulierten
.Anspruch selbst aufgtbt und ihren Rekonstruktionen den Status
einer vom Erleben unabhangtgen Objektivitat zuspricht. Der her-
meneutische ProzeB ist eben nicht nur ein beliebiges Mittel, einer
von vielen Wegen nach Rom, der sclilie13lich am Ziel einer »an sich«
gültigen Lebensgeschichte mündet. Dieses Ziel bleibt unlosbar mit
dem Weg verbunden. Erst wenn die Psychoanalyse sich selbst da-
hingehend m113versteht, daB sie giaubt, die von ilrr zutage ge-
brachten Gedachtnisinhalte konnten etwa durch Tagebuchauf-
zetchnungen der Eltern des Patienten oder âhnliche harte Daten
validiert werden, dann stellt sie sich einen Anspruch, an dem sie
auch leicht wteder scheitert. Sie ist eben keine Methode zur Ermitt-
lung von dort-und-damais gilltigen und dokumentierten Daten,
sondem ein Proze13, in dem sich durch die Neubelebung 1m Hier-
und-jetzt Gehor verschafft, was nach der Erinnernung des Patien~
ten schon dort und damais verborgen war. Die Ertnnernungen, die
dabei frei werden, sind immer subjektiv - damit müssen w1r uns
bescheiden. Tun w1r das, dann besteht auch keine Gefahr unkon-
trollierter Frühzeit-Spekulation (vgl. oben Seite 28 und unten Seite
126).
Direktbeobachtung und Rekonstruktion sind nicht einfach mit
den Gegensatzpaaren Kinder . Erwachsene und empirisch - psy-
choanalytisch gleichzusetzen. Auch in der Erwachsenenanalyse ·
spielt die Direktbeobachtung eine Rolle. So spielen z.B. die Beob-
achtung der Mimik und Gestik durchaus eine Rolle in der Analyse
(vgl. oben Seite 30). Aber die Parallele geht weit darüber hinaus.
Wie schon in der Direktbeobachtung von Saugungen und Kleinkin~

117
dem ist auch in der Analyse von Erwachsenen das »Beobachten«
kein mechanisches Regtstrieren. Wahrnehmungen werden iin.Iner
selektiert. In der psychoanalytischen Beobachtung wird dieser Se-
lektionsprozeB selbst reflektiert und überprüft. Zudem bezieht sich
die Beobachtung von Menschen, auch in der empirischen Saug-
lingsforschung, sofern sie nicht strikt experimentellist (und das ist
sie, genau betrachtet, selten) immer auch auf komplexe, durch
Verhaltenskategorten nur indirekt erschl1e13bare innere Phâno-
mene. Sie hat also den Charakter der Einfühlung oder Empathie.
SchlieBlich ist die Beobachtung psychischer Phânomene inuner
auch auf introspektive Daten angewiesen, sowohl auf seiten des
Beobachteten wie auf seiten des Beobachters. Introspektiv regt-
strierte Gedanken und Gefühle sind das hauptsâchtliche Daten-
material der Psychologie. Entsprechend spielt auch diese Ebene 1m
analytischen ProzeB eine Rolle, und auch hier kann man von Be-
obachtung im weiteren Sinn sprechen - jedenfalls mit demselben
Recht wie 1~. der Sâuglingsbeobachtung. Ohne das unmittelbare
Erleben der Ubertragung ist keine Psychoanalyse lege artis durch-
zuführen, und das ist nichts anderes als eine empathische Direkt-
beobachtung. Mehr noch: es ist auch eine Beobachtung der eige-
nen Beteiligung, denn eine Übertragungsanalyse ist immer ver-
bunden mit der Analyse der Gegenübertragung (vgl. Hamburger
1993b). Wenn Stern ( 1986) den ))beobachteten Saugling« dem
»rekonstruierten Sâugling« gegenüberstellt, so konnte man ihm
entgegnen: auch der beobachtete ist rekonstruiert.

Einzeifallmethodik und Gruppenstudien

Die Natur des psychoanalytischen Forschungsprozesses 1egt es


nahe, dai3 psychoanalytische Erkenntnisse vor allem in Einzelfall-
untersuchungen gewonnen werden. lch habe oben schon den
Subjektbezug der Psychoanalyse betont; aus dieser Perspektive ist
es nicht nur ein »heuristisches«, hypothesengenerierendes Unter-
fangen, Einzelfallstudien zu betreiben, sondern es ist ein unab-
dingbares Kennzeichen jeder mit der Psychoanalyse als Methode
gewonnenen Einsicht, daB sie im Dialog und in einem analytischen
Proze13 stattfindet.
Sicher sind auch qualitative und quantitative Gruppenstudien
auf der Grundlage psychoanalytischer Hypothesen moglich und
auch in groBer Zahl durchgeführt worden. Aber diese Arbeiten sind
selbst nicht psychoanalytisch, sondern sie versuchen, mit Metho-
den der empirisch-nomothetischen Wissenschaft psychoanaly-
tische Erkennntisse zu reproduzieren, die am Einzelfall gewonnen
word~n sind (vgl. z.B. Masling 1983). Eagle (1993) bezweifeltjedoch
ihre Uberzeugungskraft für die Demonstr~tion psychoanalytischer
Hypothesen (vgl. auch Nitschke 1993).

118
Integration der Ergebnlsse der Sauglingsjorschung
ln der neueren Diskussion psychoanalytischer Konzepte werden
tmmer hâufiger die Ergebnisse der empirischen Sauglingsbeobach-
tung herangezogen. Eine Reihe von vertrauten psychoanalytischen
Annalrmen insbesondere über die ersten Lebensjahre müssen revi-
diert werden. Hier will teh auf diese Forschungen nur. unter
methodischem Gesichtspunkt eingehen; Einzelbefunde sollen in
spateren Themenkapiteln besproehen werden.
Den AnstoB zu der Forschungsrichtung, die man heute
:.Sâuglingsbeobachtung« nennt, hat unter anderem John Bowlby
mit semer 1958 erschienenen Studie Ȇber das Wesen der Mutter-
K.ind-Bindung« gegeben. Sie gründete auf einem Forschungsprojekt
an der Londoner Tavistock-Klinik, in dem die Verhaltensbeobach-
tung von Sâuglingen mit psychoanalytischen Hypothesen verbun-
den wurde.
Elne der frühen Arbeitsgruppen, die diese Forschungsrichtung
fortsetzte, war das Team um Ainsworth und Bell (Ainsworth 1969,
Ainsworth u.a. 1974, Ainsworth und Bell 1970, Bell 1972, Bell und
Ainsworth 1972). Ich werde weiter unten (s. Seite 130) auf ihre Er-
gebnisse eingehen und beschrfulke mich hier auf ihre Methoden.
ln e.iner Untersuchung über die Entwicklung des Objektbegriffs in Verbindung
mit der Mutterbeziehung (Bell 1972) wurden entsprechend den Experimenten,
die Piaget und Mitarbeiter in ihren Schriften beschrieben hatten, standardisierte
Situationen erzeugt, in denen je eine bestimmte Stufe der Objekt- bzw. Person-
perm.a nenz ais Voraussetzung für eine adaquate Antwort unterstellt wurde.
So wird z.B. ein Spielzeug var den Augen des Kindes unter einer roten Decke
ver.steckt, nachdem das Kind es beim vorhergehenden Versuch unter einer da-
nebenliegenden blauen Decke gefunden hatte. Werm es nun direkt unter der
roten Decke sucht, so zeigt dieses Verhalten an, daB es von Stadium 4 zum Sta-
dium 5a der Entwicklung der Objektpermanenz übergeht (vgl. dazu unten Seite
215).
Die Situatlonen waren jeweils die gleichen für die Ermittlung der Ob-
jektpermanenz und der Personpermanenz, nur daB im ersteren Falle Spielzeuge,
im zweiten Fall dagegen Personen versteckt und wiedergefunden wurden. Bei der
Bewertung der Situationen ging es nur um die »adaquate Antwort~. nicht um die
szenische Information, die manaus den folgenden Randbemerkungen herausle-
sen kann: »Material: Ais Gegenstânde für die Ermittlung der Objektpermanenz
wurden kleine Spielzeuge verwendet, die das Baby interessierten. Grundsàtzlich
waren es dieselben in einer Testreihe, doch werm das Baby das Interesse verlor,
wurde der Test mit einem anderen Spielzeug durchgeführt. (. .. ). Die Persan, die
.sich iin Person-Permanenz-Test versteckte, war üblicherweise die Mutter, doch
wurde die Wahl des Objekts bestimmt durch die Reaktionsfreudigkeit des Babys
und die Fâhigkeit und Bereitschaft der Mutter zur Mitarbeit. In manchen Fàllen
versteckte sich die Untersuchungsleiterin entweder zusammen mit der Mutter
oder an ihrer Stene~ (Bell 1972: 295 O.

Der Verdacht tst sicher nicht zu weit hergeholt, daB durch das
Ausklanunem dieser szenischen Verlâufe die in den Kindem ab-
laufenden Prozesse nur sehr grob gerastert werden. Es ist ja, werm
man von affektiv-kognitiven Vorgangen ausgeht, ein Untersch1ed,

119
ob ein Kind »das Interesse verliert~ oder miterlebt, daB eine Mutter
»nicht farug ist zur Mitarbeit«. Und es ist auch - was die Vergleich-
barkeit der beiden Testreihen betrifft - ein Unterschied, ob jemand
etwas versteckt (Objektpermanenz) oder ob jemand sich versteckt
(Personpermanenz). Das erste ist eine triangulare, das zweite eine
dyadische Situation - allerdings durch die Untersucherin wiede.r
zum Dreieck erganzt: »ln manchen Fallen versteckte sich die Un-
tersuchungsleiterin entweder zusanunen mit der Mutter oder an
ihrer Stelle«. Aus psychoanalytischer Sicht ist das ein zent:raler
Unterschied. Und den Psychoanalytiker würde die Frage beschâftl-
gen: in welchen Fâllen?
Der zwette Gegenstand der Untersuchung war die Mutterbin-
dung. Sie wurde gemessen an etner in Stufen immer verstarkten
»ungewohnten Situation«:
Die Mutter sitzt mit dem Baby in eine m Raum und liest. Eine Fremde komrnt
dazu. Die Mutter verlaJ3t den Raum, kommt nach drei Minuten wieder, die
Fremde geht. Die Mutter beruhigt das Baby, wenn nôtig, und laBt es dann drei
Minuten allein. Die Fremde kommt wieder. Nach drei Minuten kommt die Mutter
zurück.

In dieser Versuchsanordnung drückt sich, ganz im Gegensatz zum


»Test« der Objekt- und Personpermanenz, eine Wahrnelunung der
hohen Sensibilitât des Kindes für Beziehungskonstellationen aus.
Auch in den Interviews mit der Mutter, die am Rande geführt wer-
den, zetgen die Untersucher Interesse für spontane Situationen
und tendieren in Richtung einer teilnehmenden Beobachtung. Die
Autoren ziehen die dabei gewonnenen Daten jedoch nicht zur Er-
klârung der Verhaltensbeobachtungen heran, ebensowenig wie sie
bei diesen Verhaltens»tests« überhaupt Interaktionsdaten syste-
matisch erheben. Auch in der Auswertung der Ergebnisse nehmen
sie nicht auf die qualitative Brette der Daten Bezug, sondern un-
ternehmen den Versuch einer quantitativen Umsetzung (der schon
aus methodologischer Sicht problematisch ist), indem ste die
»Werte« auf der Rangskala »Objektpermanenz« einer statistischen
Auswertung unterziehen und »Abstande« berechnen. Gerade in die-
sem meBtheoretisch unzulassigen Schritt (Qualitative Stufenfolgen
sind ketne metrischen Skalen) zetgt sich das methodologtsche Di-
lenuna dieser Forschungsrtchtung: einerseits mit der Neugter für
qualitative Interaktionsdaten begabt, verzichtet sie doch auf deren
theoretlsche Berücksichtigung.
Dieselbe Ambivalenz findet sich in der theoretischen Orientie-
rung der Autoren: Ainsworth ( 1969) verbindet kognttionstheoreti-
sche, verhaltensbeobachtende und experimentelle Ansâtze :mit der
psychoanalytischen Objektbeziehungstheorie. Die Orientierung der
Psychoanalyse am inneren Erleben des Sauglings hait sie für einen
notwendigen Schritt über eine rein behavioristische Verhaltensbe-
obachtung hinaus, insbesondere wegen der engen Verbindung, die
sie zwischen sozialer und kognttiver Entwicklung herstellt, aber

120
auch wegen der qualitativen Forschungsmethode und der klini-
schen Emptrie, die erne wichtige Erganzung quantitatlv-experimen-
teller Befunde darstellt.
Auch der Harvard-Kindermediztner T. Berry Braze1ton hat mit
setnen Mitarbeitern eine Reihe von wichtigen Untersuchungen ZUT
Sauglingsforschung durchgeführt, auf deren Ergebnisse teh noch
zurückkommen werde (s. Seite 130 und 146).
Das sti.ll:face-Expertment ist eine der klassi.schen Versuchsanordnungen di.eser
Forschungsrtchtung, die in Erfahrung brmgen soli, welche Erwartungen ein
Sâugling an die Interaktlon mit der Mutter herantragt und wie er auf die Verlet-
zung dieser Erwartungen reagiert. Dabei sit zen sich Mutter und Kind gegenüber
und spielen. Nach einer kurzen Unterbrechung sitzen die beiden wieder gegen-
über, aber diesmal wird die Mutter gebeten, eine ~vollkomrnen unbewegliche
Miene aufzusetzen und auf ke ine Weise auf das Baby zu reagteren«. Dabei wird
regehnâ6ig beobachtet, wie das Kind in wiederholten Anlaufen Blickkontakt auf-
zunehmen versucht und sich dann enttauscht und niedergeschlagen zurück-
zieht.
Diese Reaktionen des Kindes hatten d ie Forscher erwartet. Womit sie jedoch
nicht gerechnet hatten, waren d ie Reaktionen der Mütter: »Wir begannen diese
Untersuchungen in der Erwartung, ein Ve rtrauen des Babys in vorhersagbare
Reaktionen seiner Mutter nachweisen zu konnen. Was die ofTenkundige Enttau-
schung des Babys für seine Mu tter bedeutet, hatten wir in unsere Vorüberle-
gungen nicht ei.nbezogen. Wir stellten fest , da13 auch die Mutter aufgeregt und
niedergeschlagen wurde, werm das Baby sich enttauscht zurückzog. Die Mütter,
die sich an unseren Untersuchungen beteiligten, erzàhlten uns, wie sehr das
Erlebnis sie rnltgenommen batte. We rm sie vor ihren Babys saJ3en, ohne auf de-
ren Kontaktversuche reagiere n zu konnen, erregte sie sowohl die Erkenntnis,
wie wichtig sie für ihre Sauglinge waren, ais auch die Zielgerichtetheit und Be-
stim:mtheit ihrer Kontaktversuche: zugleich hatten sie aber das Gefühl, wirklich
etwas zu verlieren. Jede Mutter sagte dasselbe: ~Alles , was ich tun durfte, war,
nicht zu reagieren. Ich hatte das GefüW, mein Baby irn Stich zu lassen. Es war,
als würde ich von ihm weggerissen, und teh ha tte das Gefühl, ein Stück meiner
selbst zu verlieren. lch war abwechselnd traurig, wütend und verzweifelt. Das
will teh nie wieder erleben. Als ich zurückgehen und reagieren durfte, war ich
ungeheuer erleichtert- und ich batte auch das Gefühl, da13 wir zusammen wirk-
lich etwas geschafiTt haben und einander sehr viel bedeuten. Wir haben uns
schon sehr gut kennengelernt! ~ (BrazeJton & Cramer 1989: 135).

So war aus einem kognitionspsychologtschen Experiment mit ei-


nem Mal eine »Szene-« geworden. Brazelton und Mttarbeiter zogen
daraus die Ko~sequenz: sie begannen, die »innere Welt(( aller Betei-
ltgten in ihre Uberlegungen einzubeziehen. In seiner neuesten Pu-
blikation zusarnmen mit dern Genfer Psychoanalytiker Bertrand
Cramer betont Brazelton, daB Sâuglingspeobachtung »<las Ge-
samtbild nur zUT Halfte erfassen (kann). Uber eine so1che Beob-
achtung hinaus müssen wir versuchen, die personltche, subjektive
Bedeutung zu verstehen, die das Kind für seine Eltern hat((
(Brazelton und Cramer 1989: 159). Sie widmen der Integration von
Beobachtung und psychoanalytischer Deutung eine umfangreiche
DiSkussion. In ihrer klinischen Praxis suchen sie etnen
:.komplementiiren Ansatz-«, der die Diagnose des Entwic:;~ungs­
standes, Verhaltensbeobachtungen unter EinschluB von Ubertra-
121
gungsfaktoren, Symptomatik und die elterlichen Phantasien (Pro-
jektion, Delegation) unûaBt.
Der Schritt zur psychoanalytischen Methode der Sâuglingsbe-
obachtung ist an diesem Beispiel illustriert: er besteht in einer Be-
achtung der Gesamtsituation, also nicht nur eines beobachteten
Verhaltensausschnitts, sondern der Gesamtheit des Verhalteo.s
und Erlebens der an der Situation beteiligten Personen.
Eine besondere Rolle spielt dabei der Forscher bzw. Analytl-
ker. Brazelton und Cramer betonen zwar die Mutter-Kind-lnterak-
Uon und die Übertragung, doch spielt die Gegenübertragung 1n fu-
rem Ansatz eine weniger bedeutende Rolle.
Szenlsches Verstehen

Mit der Rolle der Gegenübertragung hat sich aber die Psychoana-
lyse seit etwa einem halben Jahrhundert intensiv auseinanderge-
setzt. Die Erkenntnishaltung der Psychoanalyse umfa13t eine ganz
Reil1.e von Faktoren (vgl. Mertens l990b: Kap. 7); so gehen psycho,-
analytische Hintergrundannalunen, henneneu t1sche Prozesse und
Gegenübertragungsprozesse in den klin:ischen »ForschungsprozeBc
der analytischen Praxis ein. Mertens formuliert das deutlich und
kompakt:
"An die Stellc der d em Ideal positivistischer und empirisch-nomothetischer Wis-
senschaftlichkeit entsprechenden Vorgange der Beobachtung. Kategoristeru.ng
und Messung des Verhaltens von aufien tritt im hermeneutischen Ansatz der
Vorgang des Verstehens »sinnvennitteltcr Daten« (... ). Der Vorgang der Sinnexe-
gesc wird aber noch komplexer. wenn man von der Rationalitatsauffassung ein.e r
rein gelsteswissenschaftlichen Hermeneutik Abstand nehmen mu13 und z.u be-
rücksichligen versucht, daB gegenwartige Realitatsverarbeitungsmuste r , kognJ -
ttvc Strukturen. Affckt- und Bedürfniskonstellationen. Absiehten, Wünsche und
Handlungsziele von verdrângten konllikthaften lnteraktionserfahnmgen beein-
OuJ3t sind, die dem Betreffenden ais Deutungsmuster seiner etgenen Handlungs-
gründe kognitiv nJcht zur Verfügung stehen und deshalb auch sprachllch nui"
unzutrcffend geau&rl werden konnen. Mit dem Konzept der Tiefenhermeneutlk
versu cht di neucre Psychoanalyse diese verdingliehten Momente von Subjek:tl-
vlt.at aufzuspüren, indcm sie die reiz-reaktions -analogen Verbal-
tcnsmechanJsmen auf die sie konstituicrenden, vom BewuBtsein abgespaltenen
lnterakUonsszenc n zurückzuführen versucht und sie damit einer bewu13ten hl-
tentlonallt.at wteder zuganglieh macht. Dazu tst ein Aufgeben der berührung -
phobischcn, objektlvistlschen Haltung notwendig: ln einem von Empathie, lnt:ro-
spektion und dem Registrteren etgener Gefühlsreaktionen auf di.e vom Analysan -
d n angcsonnene n Erwartungen getragencn ProzeJ3 haben zwar auch theoriege-
lcltetc Dcutungsmuster und spezifischc SchluBfolgerungsprozesse ihren St '·
lenwert. Dlesc slnd aber allemal Ln eine explizit hergesteUte interakUve und
kommunikaUve Situation eingelassen, so da13 es deshalb auch nicht notwend
lst., ex post facto Erklarungssklzzen herauszuflltem, um so vor dem AUar d
d duktiv -nomologlschen Erktarungsschemas doch noch se1nen Bückling, ru
machcnt< !Merte ns 1990b: 45).

Dtese Etgenschaften der kliruschen Erkenntnishaltung gelten auch


fur dJe psychoanalytische Forschung 1m engeren Sinn.

122
Der psychoanalytische Forschungsproze.B lâBt sich zusam-
:menlassend bestimmen ais ein tiefenhermeneutischer Proze:B, der
ansgeht von der Interaktlon von mindestens zwei ganzen Personen;
..ganz« hetBt hier, da.B er auch deren unbewuBte Antelle einbezieht.
Herm.eneutlsch tst er insofern, ais er auf einer Prozedur der wie-
derbolten Anwendung von spezifischen Vorannalunen und deren
Ko_rrektur besteht. Alfred Lorenzer (1970) hat den psychoanalytl-
schen Verstehensproze.B in seinem Modell des »Szenischen Verste-
hen.s« gefaBt. Ich will diese Theorie hier nicht im einzelnen darle-
gen: zur Veranschaulichung eintger wesentlicher Punkte stelle ich
etnen Aufsatz vor, in dem die Rolle des Psychoanalytlkers mit der
des Detekttvs in den Romanen von Edgar Allan Poe - dem Prototyp
des Detektivromans- verglichen wtrd (Lorenzer 1985).
Lorenzer stellt fest, da:B bereits bei Poe der Detektiv seine
.Deutung des zu rekonstruierenden Sachverhaits dadurch leistet,
da6 er »Szenen imagtnativ nachbaut, indem er seine eigenen le-
benspraktlschen Erfahrungen solange als Vorannahmen einsetzt,
b1s sich die Szenen zur Szenenfolge, zum glaubwürdig zusammen-
bangenden Drama erganzen« (Lorenzer 1985: 2; Hervorhebungen
vernachlâssigt). Doch ist die Deutungsarbeit des Detektivs nicht
nur Anwendung lebenspraktlscher Erfahrung; 1m Gegenteil, sie
we1st notwendig über diese hinaus. Lorenzer zeigt, daB im
Detektivroman eine Konfrontation zweier Formen von Rationalitât
v~rgenommen wird: der Polizeibeamte reprasentiert die logtsche,
allt:aglicber Vernunft entsprungene, der Lebenspraxis in ihrem
Schein verhaftete Rationalitât. Deshalb muB er auch scheitern. Der
Detektiv dagegen, dessen Intuition bzw. Indizienwürdigung
zunâchst innner absurd wtrkt, reprâsentiert eine zweite,
t:leferUegende Rationalitât: »Die Konfrontation mit der Lebenspraxis
durchbrtcht beide Male (sc. 1m Fall des Analytikers wie des
Detektivs) den Ralunen des gesunden Menschenverstandes, und
das he113t der Objektivitât des allgemeinen Denk- und Handlungs-
konsenses«- :.Wir finden Detektiv und Analytiker identifiziert, betde
·m üssen 1hr Verstehen über die Grenzen des Imrner-schon-
Geltenden. Immer-schon-Verstehbaren ins Unverstândlich-Abseiti-
ge ausdehnen« (Lorenzer 1985: 3 f). Der Detektiv sucht also,
.a hnHcb wte der Analyttker und anders als der Polizeibeamte, nicht
nur den bewuBtseinsfâhigen Sinn des Textes bzw. der lndizien zu
entscblüsseln. sondern er sucht nach einem »zweiten
Sinn:Zusanunenhang~. einem szenischen Entwurf, so kônnte man
erganzen, der sich eben durch eine gewtssen Unabhangigkeit von
den gangtgen, alltaglichen Handlungs- und Denkschemata
auszetchnet. und der genau dadurch die Tâter entlarvt. Genau
dadurch: denn die Tâter versuchen natürlich ihre Spur zu ver-
w:Jschen, das wei.B auch die Polizei, aber sie kônnen ihre Spur nur
verwtschen, indem sie den polizeilichen d.h. alltaglich-logtschen
Ernlittlungsgang antizipieren. Der Detektiv weicht durch s eine

1'23
Suche nach dem »zweiten«, n1cht se1bstverstândl1chen Sinn, dieser
Berechenbarkeit aus.
Doch zurück zu Lorenzer: Er bestimmt als die Eigenart des
Detektivs bzw. Analytikers zunâchst nicht diese Reflexion auf den
Widerstand, sondern zwei persôrùiche Eigenschaften: »Kritische
Sensibllitat gegenüber den Widersprüchen des manifesten
Textsinnes« und »Offenheit für das Outrterte«, d.h. »Imagination
abweichend-abartiger Lebensentwürfe« (Lorenzer 1985: 7). Es
genügt demzufo1ge also nicht, die analytische Fâhigkeit des
Detektivs ais Gegentrick gegenüber den Tricks des Taters, der steh
zu verbergen sucht, zu bestimmen; urn diese zu iinagtnieren, muB
er sich zunachst in den Tâter hinetnversetzen. Er mu13 den unbe-
wu6ten Handlungsentwurf des Taters rekonstruieren. Dieser
Entwurf entspricht dem »Unbewu13ten«, der aus den
Imagtnationsschemata des Alltags - der sprachlich-bewuBten
Kommunikation - ausgeschlossenen Sinnstruktur. Er tst genau um
die Schritte chiffriert, die die Polizei zu seiner Entzifferung un-
ternehmen würde. »Die Interpretation muB sich als Rekonstruktlon
zusammenhangender Lebensentwürfe bewahren, sie muB einen in
sich geschlossenen Lebenszusammenhang erkennbar machen.
Diese Erkenntnis wird freillch ntcht nur tmagtnativ-tntuitlv
gewonnen, sie bildet sich vielmehr iin Wechselspie1 von Phantasie
und Theorie (... ) « (Lorenzer 1985: 8).
Ob nun diese Methode der psychoanalytischen Arbeit auch
auf die Beobachtung von Kindern paBt? Was haben diese denn zu
verbergen? Gerade an dieser Frage entzündet sich die Debatte über
die Frage der V aliditiit von Rekonstruktionsdaten, die teh oben
skizziert habe. lch schlage die fo1gende, psychoanalytische Losung
vor: J a, sie haben etwas zu ver bergen - nicht innerhalb ihres
jungen See1erùebens, sondem für uns Beobachter stellen ste
durchaus ein detektivisches Ratse1 dar. Ich behaupte, daB man
Kinder ebensowen1g verstehen kann wie erwachsene
Psychoanalyse-Patienten, werm man objektlvterend an sie
herangeht. Das UnbewuBte, das es in der Erforschung des
kindlichen Seelenlebens zu entschlüsseln gilt. ist das Unbewu:Bte
des Forschers und der Gesellschaft, in der die Forschung
stattfindet. Devereux ( 1967) hat in einer klassischen Arbeit über
die Methodologie der Verhaltenswissenschaften gezeigt, da.B die
Analyse der Gegenübertragung, also vereinfacht gesagt: der
affektiven Betelligung des Forschers am ForschungsprozeB, das
entscheidende Forschungstnstrument darstellt.

124
Teil III: Einzelthemen der
Sprachentwicklung

ln diesem Teil will ich einige psychoanalytische Beitrâge zu Einze1-


fragestellungen der Sprachentwicklungsforschung vorstellen und
disku tieren.
Eine klassische Frage der Sprachentwicklungspsycho1ogte ist
die nach der Ausstattung, die das Kind zum Sprechenlernen mit-
brtngen muB. Linguistischen Konstrukten wie Chomskys
:.Language Acquisition Deviee« stehen behavioristische wie kogntti-
onspsycho1ogtsche Modelle entgegen.
In diesem Zusammenhang sind neuere psychoanalytische
Konzepte interessant, die an biologtsche Konzepte (wie z.B. Bowlby)
oder kognitionspsycho1ogtsche Model1e (Piaget) anschlie13en oder
auch auf Forschungen über frühe Lern- und Interaktionsprozesse
aufbauen (»Babywatchers«). Forschungsergebnisse zur Affektent-
wicklung erlauben neue Hypothesen über die vorsprachlichen Re-
gelsysteme und ihre interaktionelle Sozialisation.

5. Auf welchen vorsprachlichen Strukturen


basiert der Spracherwerb?

Ich werde es in diesem Kapite1 nicht vermeiden kônnen, neben der


Darstellung psychoanalytischer Ansâtze auf manche Er ge bnisse
der allgemeinen Psycholinguistik zurückzugreifen; eine vollstandige
Darstellung dieses umfangreichen Gebietes ist aber nicht einmal in
einer Monographie môglich und hier auch gar nicht gefragt. Wer
sich vorab über den Stand der allgemeinen Spracherwerbsfor-
schung infonnieren will, sei auf die guten Einführungen von
A1tch1son (1976), Kege1 (1974) Grtnun (1982) und Szagun
( 1980 141991) verwtesen.
Wie w1r bereits gesehen haben, kommt die Spracherwerbs-
forschung um die Annahme bestinunter vorsprachlicher Aus-
stattungen des Kindes nicht herum, die ihm bei der Erlernung des
sprachlichen Regelsystems zugute kommen. Ohne diese Annahme
wâre es nicht zu erklâren, daB Kinder ein so komplexes System
vergleichsweise rasch erlernen kônnen, und weniger noch die
kreative und aktive Weise, mit der sie dabei zu Werke gehen.
Es scheint, ais wü13ten Kinder oft schon, was sie beachten müssen, um den
anstehenden Lemschritt beim Spracherwerb zu bewaltigen. Das gilt vor allem
für die scheinbar angeborene Fahigkeit, sprachrelevante Laute von sinnlosem
Geràusch zu unterscheiden und die Phoneme der Muttersprache zu identifizie-

125
ren (vgl. auch Jakobson 1944). So würde el.n K.ind wahl das sinnlose Wort • be'lg
bilden, nicht aber •• blge.
Das gleiche scheint für das groBe Geschick zu gelten, mit dem Kinder die
Phrasenstruktur von satzen begreifen, so da.B ein theoretisch denk:barer Fehler
wie • gelbes Ali Auto jahrt nicht vorkommt. El.n Kind würde, je nach gegebenem
Niveau der Sprachbeherrschung, korrekt sagen: Ali fahrt gelbes Auto oder:
Gelbes Auto Alljahrt oder: Ail Brrrm - belg!

Was aber ist aus dieser unbestrittenen Tatsache, daB Kinder o:tren-·
bar ihre sprachlichen Gehversuche im Rahmen bestinunter Regeln.
vollziehen, zu schlieBen? Sind die Regeln angeboren? Oder wird
hier etwas aus einer vorspraclùichen, aber dennoch sozialiserten
Regelhafttgkeit auf die kindliche Hypothesenbildung beim Sprach-
erwerb übertragen? lst die sprachliche Universalie, die in dieser
Beobachtung zu stecken scheint, wirklich so universal, oder erlie-
gen wir Wer einem Interpretationsfehler, zu dem uns unsere etgene
Kenntn1s der Erwachsenensprache, besser: unser Durch-
drungensein von ihr, verleitet?
Vor allem auf phonologischer Ebene etwa ist das genannte Beispi.elpaar •belg vs.
••blge nicht sehr überzeugend - beruht es doch auf einer Frage, die man nur
stellen kann, wenn man bereits von einem entwickelten Phoneminventar aus·
geht. Es ist ein wenig absurd, werm wir die frühen kindlichen Laut:au&rungen.
auf unser eigenes, spater erworbenes Raster eines entwickelten Lautsystems be-
ziehen, dabei Regelma.J3igkeiten beobachten und dann darauf schlie:Ben, unser
Bezugssystem sei eine angeborene Eigenschaft des Kindes. Auch Lingulsten fin-
den manchmal selbstversteckte Ostereier. Wobei zuzugestehen ist, da.B das Eier-
finden unbewuBt vor sich geht: denn wenn man einmal ein Phoneminventar be-
herrscht, heifit das, da.B man unwiUkürlich alle sprachlichen Laute als Phoneme
tnterpretiert, und das hei6t wiederum: da.B man nicht hart bzw. nicht beachtet.
was Im Inventar nicht ais distinktives Merkmal vorkommt.
Werm man ohne solche Voreinstellung das Gebrabbel eines Sàuglings regil-
striert, mag etwas der Lautkette ••btge Ahnliches durchaus vorkommen. Freillch
wird es auch wirklich unmôgliche Laute geben, aber hier dürfte die UnmôgUcb.-
keit weniger in angeborenen Language Acquisition Deviees liegen, und wir brau-
chen vielletcht auch keinen Sozialisationsproze.B zu bemühen, sondem kônnen
davon ausgehen, da13 es auch materielle Grenzen des menschlichen Sprech-
organs ~ibt, die z.B. Lautketten, die der Folge •••wjdtcx entspràchen, Yeli-
hindem. 0

Man sollte also vielleicht die Spekulation auf praverbale, aber be-
reits spezifisch kognttive Prozesse mit Vorsicht betreiben.

Frühzelt-Spekulatlonen

Freillch ware die Geschichte der Psychoanalyse {übrigens nicht nue


der Psychoanalyse) gar nicht denkbar ohne eine Reihe sich immer
weiter in die frühesten Kindheitsstufen fortsetzenden Entwick-

20 Gerade aus der Analyse von fehlerhaften Au&rungen lassen sich in der
linguistischen und psycholinguisUschen Forschung wertvolle Rückschlùs-
se auf die eigentlich zugrundeliegenden sprachlichen Regeln ziehen; vgi.
Fromkin 1980.

126
Iungstheorien. Einige von ihnen ruhen noch auf nachvollziehbaren
klfnjschen Fundamenten, wie etwa die englische Objektbe-
zlehungstheorie, die zwar mitunter kaum fafibar frühe Kogrn-
tl.o.nsprozesse postuliert, aber fortlaufend validiert wird durch die
emptrische Basis der psychoanalytischen Babybeobachtung. Wirk-
lich spekulative Theorien gibt es jedoch auch; bekannt ist vor allem
die Arbe1t von Rank über das »Trauma der Geburt~.
Daraus sind auch therapeutische Konsequenzen gezogen wor-
den. am. bekanntesten vennutlich die PrimâT- oder »Urschrei-.: The-
rapie von Janov, in der die Geburtserfahrung wiederbelebt werden
soll. Sehr beliebt sind aber auch die Wiedererweckungen pragnan-
ter vorgeburtlicher Erinnerungen, wie sie von Stanislav Graf prak-
tlziert wird.
»I)e:r tschechische Psychiater Stanislav Graf (berichtet), da.B ein Patient unter
D:rogenetnflu13 seinen Korper ais Fetus sehr genau beschreiben konnte - wie
gro6 der Kopf im Vergleich zu den Armen war, wie sich das warme Fruchtwasser
anfühlte, und wie es war, an die Plazenta der Mutter angebunden zu sein. Dann
wâhrend er seine eigenen Herzgerausche und die der Mutter beschrieb, unter-
brach er sich plôtzlich und erklârte, er kanne jetzt gedampfte Gerausche von
auBerhalb des Mutterleibs hôren - das Gelachter und Geschrei von Menschen
und den blechemen Klang von FascWngstroten. Genauso plotzlich und un-
e:rldâ:rlich verkündete er dann, da.B er im Begriff sei, zur Welt zu kommen.
Erstaunt, wie lebendig und ausführlich diese Erinnerung war, nahm Dr. Grof
Kontakt zur Mutter des Patienten auf. Sie bestâtigte nicht nur die Einzelheiten
der Geschichte ihres Sohnes, sondem fügte auch noch hinzu, da.B die Aufregun-
gen beim FascWng die Geburt vorzeitig ausgelost hatten. Dennoch war die Frau
,s eh:r über Dr. Grofs Nachfrage überrascht. Absichtlich hatte sie in ali den Jah-
ren !l.hren Faschingsbesuch verheimlicht, weil ihre Mutter sie damais vor den
m ôglJchen Folgen gewarnt hatte~ (Verny 1981: 351).

Aus der Sicht einer Psychoanalyse der Sprachentwicklung ist diese


Spekulation nicht haltbar. so sehr ste auch dem allgemein er-
wünscbten plot einer vorgeburtlichen Detektivstory entsprechen
mag. Das ungeborene Kind kann Situationen und Stnneseindrücke
noch nicht kategorisieren, d.h. bekannten JQassen und Strukturen
zuordnen. Es wei13 nicht, was »FascWngstroten« sind. Es mill3te
also seine Wahrnehmungen unbegriffen, d.h. als »Ganze~ speichem
- womit die Informationsverarbeitungs- und Speicherkapazitat des
Gehirns überfordert ware. Zwar kann das menschliche Hirn eine
ungeheure lnfonnationsmenge speichern, aber eben nur in struk.-
tu.rterter Fonn. Eine »Analogaufzeichnung« von Gerauschen tst we-
d er erwünscht noch moglich. Wie kraB unterschiedlich der Bedarf
an Speicherplatz ist, zeigt z.B. die Tatsache, da6 auf der Silber-
schetbe etner CD zwar Hundertttausende von Buchstaben
(struktur1erte, codierte Zetchen), aber nur etwa eine Stunde ana-
loge Mus1k gespetchert werden kann.
Bei nùr regen sich angesichts dieser Frühzeit-Spekulationen
stark.e Zweifel. lch habe oben (s. Kap. 4.4., S. 114) schon die pro-
blematische Frage nach der Rekonstruktion prâverbalen Erlebens
angesprochen. Freilich enthebt uns das nicht der Aufgabe , zu kla-
127
ren, welche faBbaren vorsprachlichen Strukturen eine Rolle spielen
kônnten, um das Phanomen des ungeheuer raschen Sprach·
erwerbs (des Lernbarkeits-Paradoxes, vgl. S. 105) zu erklâren. Weit
vorgewagt in die pranatale Entwicklung hat sich diesbezüglich Ma·
rianne Krüllin ihrem lesenswerten Buch "Die Geburt ist nicht der
Anfang" (Krüll 1989) - ohne allerdtngs, wte die erwahnten Ansâtze,
dem Ungeborenen spekulativ ein erwachsenes Gedachtnis zuzu.
schreiben. In den folgenden Abschnitten werde teh eine Reihe von
Ansatzen diskutieren. Sie gehôren, seten sie nun psychoanalytisch
oder sprachpsychologtsch, zu unterschiedlichsten Positionen in
dem Spektrum, das von der Annalune bio1ogtscher lnstinktm.uster
über angeborene Phantasien, Kognttionen, Transformationsregeln
bis hin zu frühen Lern- und Modulationsprozessen reicht.

Vorzelt: Priinatale Strukturen

Es ist, wie schon gesagt, viel spekuliert worden über das


»Seelenleben des Ungeborenen«. Man hat wtnzigen Fôten prâzise
Erinnerungen zurück bis zum Augenblick der Zeugung zuge.
schrieben, hat ihnen Spracherkennung und die Fâhigkeit unter-
stellt, Gedanken und Gefülùe ihrer Mütter zu lesen. Die letztere
Behauptung, die oft als die überraschendste hingestellt wtrd (Verny
1981: 36), ist aus psychoanalytischer Sicht eher naheliegend und
wahrscheinlicher als die übrigen. Es ist wenig glaubhaft, daB ein
Ungeborenes (oder gar ein befruchtetes Ei) die Erwachsenenspra·
che decodieren kann. Aber daB ein Fôtus ab etnem bestlmmten
Reifegrad Affektsignale aufnimmt und beantwortet, ist ein sehr na.
heliegender Gedanke. DaB er uns überraschend dünkt, liegt vor
·a11em daran, daB 1m erwachsenen Bewu.Btsein das a:ffektive Erie-
ben und die affektive Kommunikation oft der Verdrâ.ngung unter.
liegt. Die Affektsprache, in der Sauglinge und wolù auch Ungebo.
rene erleben und kommunizieren, ist uns Erwachsenen nur
scheinbar unbekannt- tasachtlich leben und kommunizieren auch
wir in dieser :.Sprache«.

Schon seit Darwin geht ein Zweig der psychologischen Forschung von so-
genannten Grundaffekten oder kategortalen Affekten aus, die als im Ansatz an-
geboren betrachtet werden, und aus denen sich spater soziale Signale ent-
wickeln. Sie spiegeln sich in den mimischen Universalien, die in kul-
turübergreifenden Studien nachgewiesen werden konnten. Solche Grundaffekte
sind Freude, Traurtgkeit, Furcht, Zorn, Ekel, Überraschung, Interesse und evtl.
auch Scham (vgl. Kapfuammer 1994).
Stern (1986) fa13t eine über die einzelnen Wahmelunungsrnodalitâten hinaus-
greifende affektive Form des Erlebens unter dem Begriff der »Vitalitatsaffekte«
zusammen. Dabei geht es nicht um die kategorialen Grundaffekte, sondern um
die Qualitât, die Verlaufsfonn affektiven Erlebens. »Diese schwerbestimmbaren
Qualit.aten lassen sich besser mit dynamischen, kinetischen Begriffen charakte-
risieren, Begriffen wie »aufwallend<~<, »verblassend<~<, »flüchtig<~<, ~xplosionsartig<.
»abschwellend<~<, »abklingend«, »berstend<~<, »Sich hinziehend<~< usw. Erlebnisquali-
tâten dieser Art sind für Sauglinge mit Sicherheit spürbar und ta.glich, ja in je-
dem Augenblick von gro.Ber Bedeutung. Diese Gefühle sind es, die durch

128
Veranderungen in den Motivations-, Bedürfnis- und Spannungszustânden ge-
weckt werden« (Stern 1986: 83 f1. Stern beschreibt, wie der Sauglingjede allt:agli-
che Handlung der Mutter unter dem Aspekt dieser Vitalitâtsaffekte wahmimmt
und beantwortet. Dabei geht es nicht nur um die Verlaufsqualitât von Affekten
1.m. Sinne der Theorie der diskreten oder kategorialen Affekte. »Betrachten wtr als
Beispiel einen »Ausbruch« der Wut oder Freude, ein Überfluten mit Licht oder
eine sich beschleunigende Gedankenfolge, eine durch Musik ausgelôste Woge
unerme13licher Gefühle oder eine Drogeninjektion: sie alle werden unter Um-
standen wie ein »Ansturm« erlebt. Sie haben vergleichbare neuronale Feuerungs-
raten, werm auch in unterschiedlichen Teilen des Nervensystems. Die Gefühls-
qualitat jeder dieser einander âhnlichen Veranderungen entspricht dem, was ich
ais den Vitalitâtsaffekt des »AnsturmS« bezeichne« (ebd.: 86). Das, was der Saug-
ling übergreifend über Affekt- und Wahrnehrnungsinhalte erlebt, ist der zeitliche
Verlauf der Aktivierungskonturen. Diese Sprache spricht auch die Mutter, wenn
sie dem Sâugling rhythmisch und in sinkender Lautfolge zuredet, um in zu trô-
sten, oder ibn rhythmisch und mit abfallender Intensitât streichelt. Sie sagt ihm
in zwei Sprachen dasselbe.
Damit ist aber ein Mittel der Verstândigung geschaffen, das weit vor jeder
sprachlichen Organisation im engeren Sinne liegt - olme das sich aber wohl
auch eine solche niemals entwickeln kônnte. Auch diese Verstândigung ist aber
nicht unwandelbar angeboren, wie ein genetisch festgelegtes Reflexmuster.
Vielmehr unterliegt es einer Entwicklung, und diese Entwicklung fmdet in einem
Abstimmungsproze13 zwischen Mutter und Kind statt. So entstehen aus der an-
geborenen Fâhigkeit, Wahrnehmungen unter dem Aspekt des Vitalitâtsaffekts zu
organisieren und sich auf diesem Weg in andere einzufühlen, spezitlsche "Stile"
des Affektausdrucks, analog der Stilentwicklung in der Kunstgeschichte (Stern
1986: 225 tl).

Werm man eine solche Betrachtungsweise an die »Frühzett-Spe-


kulationen.: anlegt, verlieren sie sogleich ihren mystlschen Ein-
schlag und werden zu nachvollziehbaren Eigenschaften der prâ-
verbalen Kommunikation. Werm wir wissen, wie eng Mutter und
Saugling in der ersten Lebenszeit zusammenspie1en - übrigens
auch Vâter und andere Bezugspersonen -, fâllt es uns nicht
schwer, eine â.hnlich dichte Kommunikation auf dieser Ebene auch
zwischen Mutter und Fôtus anzunehmen. Wir müssen dem Saug-
ling keine telepathischen Fàhigkeiten und kein unstofiliches Su-
pergedâchtnis mehr unterstellen. Es genügt, uns se1bst in aller Be-
scheidenheit eine gewisse Beschrânktheit in bezug auf bewuBte
Wahrnehmung von Vitalitàtsaffekten bzw. Stimmungen zugunsten
kategorialer Affekte und konventioneller Zeichen zuzubilligen.
Noch ein weiteres Thema ist mit dieser Auffassung der
pranatalen Kommunikation angeschnitten; die Aktivitat des Kin-
des. Es ist ja nicht nur so, daB der Sâugling die Mutter erlebt und
kennenlernt, sondern auch umgekehrt. Mit setnen Signalen initi-
iert der Fôtus Reaktionsablâufe der Mutter-Kind-Dyade, wie Ute-
rus-Kontraktionen (Milani Comparetti 1981) und selbst den Beginn
des Geburtsvorgangs. Aber darüber hinaus macht sich der Fôtus
durch seine Aktivitâten seiner Mutter bekannt, er 1ôst bei ihr
Phantasten über seinen Charakter aus.

129
Brazelton und Cramer unterstreichen die Gegenseitigkeit des Kennenlernens.
indem sie zelgen, wie eingebettet die Wahrnehmung der fotalen Aktivitiit in den
Phantasieproze.B des Eltern-Werdens ist:
)lndem elie Eltern sich Namen überlegen, Babykleidung aussuchen oder das
Kinderzimmer neu streichen, beginnen sie, sich den Fotus ais Persënlichkeit
vorzustellen. Und dieser macht sich nun bereits auf eigene Weise bemerkbar. Es
bilden sich Zyklen und Muster der fotalen Bewegungen und Aktivitatsgrade he.r-
aus, die für die Mutter erkennbar sind und auf die sie sich allmahlich verlassen
kann. Man kann ihre Reaktionen darauf ais sehr frühe Form der Interaktion
betrachten. Sie wird die Verhaltensmuster deuten und dem zukünftigen Baby
ein bestimmtes Temperament, eine Persënlichkeit, mitunter sogar ein Ge-
schlecht zuschreiben ( ... ). Es ist, als ob sich die Mutter den Fotus ais Persôn-
lichkeit vorstellen müsse, damit er bei der Geburt für sie kein Fremder ist
(Brazelton und Cramer 1989: 37 f).

Der Übergang zur Elterschaft ist ebenso wie der Reifungsprozel3


des Kindes ein Vorgang, der sich auf affektivem und (beinl Er-
wachsenem) unbewuBt-phantasmatischem Niveau abspielt. In
Trawnen und Phantasien der Eltern wtrd, unter Einbeziehung des-
sen, was sie vom K.ind wahrnehmen, ein Bild des K.indes geschaf-
fen. Umgekehrt macht sich auch das Kind ein affektives »Bild~ von
der Mutter, indem es ihre Rhytlunen und Erregungsmuster in sein
»Programm« einspeichert.
Das Verstandnis dieser Prozesse kann s1ch nur zum Teil auf
MôgUchketten emp1r1scher Forschung stützen. Obschon die For-
schung im letzten Jahrzehnt mit technisch avancierten Mitteln die
Reaktions- und Lernmôglichkeiten des Fôtus zu untersuchen ge-
lernt hat, b1eibt das Verstandnis der phantasmatischen lnteraktion
zwischen Fôtus, Mutter, Vater und Umgebung doch auf eine etn-
fühlende Rekonstruktion angewiesen.

5.1. Attachment- und Bonding-Konzept.


Nach diesem Ausfl.ug in die Frühzeit kommen wtr, wenn wtr uns
nun den ersten Lebenswochen zuwenden, in zunehmend emp1riscb
erforschbare Gebiete.
Die Arbeitsgruppe um M. Salter Ainsworth an der John Hop-
kins University in Baltimore hat s1ch in Anwendung des bio1og:tsch
insptrierten Attachment-Konzepts von John Bowlby (1969) aus-
führlich mit diesem Aspekt befaBt. Die Mutter-Kind-Beziehung im
ersten Lebensjahr, untersucht an den differenzierten Kriterien des
»Attachmenti( - Verhaltenskomplexes, wird ais Basis spâterer
kognttiver Entwicklungen begrtffen (vgl. Ainsworth 1969
Ainsworth u.a. 1974, Ainsworth und Bell 1970, Bell 1972). Die
Autortnnen weisen nach, daB positives Attachment-Er1eben zu e1-
ner früheren Herausbildung von konstanten Personbildem und
Objektkonzepten führt (Bell 1972).

130
In der Literatur aus diesem Forschungsgebiet werden, ent-
sprechend den sensiblen Pragungsphasen der Biologie, sensible
Phasen für die Aufnalune der frühen Bindung beschrieben.
Eine solche Phase liegt bereits unmittelbar nach der Geburt.
W enn Mütter gleich nach der Entbindung engen physischen Kon-
takt zu ihrem Neugeborenen aufnehmen kônnen, so führt das zu
einer engeren Bindung der Mutter (bzw. des Vaters) an das Kind
UOaus und Kennell 1976: 80ft). Dieser Unterschied hat auch di-
rekte Auswirkung auf die Sprachentwicklung: Mütter, die in der
fcühen sensiblen Phase Kontakt zu ihrem Kind hatten, stellten ih-
r en Kindern iin Alter von zwei J ahren »doppelt so viele Fragen,
sp.rachen in lângeren, d.h. wortreicheren Sâtzen und gebrauchten
weniger Füllwôrter, mehr Adjektive und weniger Befehlsforrneln als
die Mütter der Kontrollgruppe« (Ringler 1975, zit. nach Klaus und
Kennell 1976: 90). lm Alter von fünf Jahren zeigten die Kinder der
Experimentalgruppe »Signifikant hôhere Intelligenzquotienten und
bessere Resultate in zwei Sprachtests« (ebd.).

5.2. Angeborene Phantasien - eine kognitive Matrix


des Spracherwerbs?
lch hatte oben (s. Seite 98) Chomskys »Language Acquisition De-
vice.: (LAD) bereits kurz skizziert, das von angeborenen llnguisti-
schen Universalien ausgeht. Jetzt môchte ich zum Vergleich auf
etnen Ansatz aus der psychoanalytischen Symboltheorie zurück-
kommen.
Melanie Klein

Auch Melanie Klein, auf deren Symbolbegriff ich schon etngegan-


gen bin (s. Seite 81), geht davon aus, daB symbolgeleitete Ver-
standigung auf prâverbalen Strukturen beruht, die von der biolo-
gtschen Matrix der Frühentwicklung abhangen. Das heU3t nicht
unbedingt, daB sie sozusagen inhaltlich angeboren sein müssen,
wi.e es Melanie Klein oft unterstellt wird. Sie kônnten auch, ohne
a1s Phantasien selbst angebore.n zu sein, kognitive Spiegelungen,
Re.flexe auf Erfahrungen sein, die bei allen menschlichen Sâuglin-
,g en aufgrund ihrer biologtschen Âhnlichkeiten eben auch ahnlich
v:erlaufen. Melanie Klein selbst geht auf diese Frage aber nicht nâ-
her ein. Wie ich an der erwâhnten Stelle ausführlicher gezeigt
habe, nirnmt sie aufgrund ihrer klinschen Erfahrung aus Kinder-
analysen an, da13 die frühesten Ansâtze der Symbolbildung mit der
Abwehr der sadistischen Zerstôrungswünsche gegen Partialobjekte
(Brust, Penis, Vagina) einhergehen. Diese aggressiven Impulse un-
terstellt sie im undifferenzierten Erleben des Sâuglings. Der erste
Schritt der Symbolbildung besteht dann in einer Gleichsetzung
anderer Objekte mit den reaktiv angstbesetzten Partialobjekten.
Dtese Ersetzung pfl.anzt sich dann weiter fort, es entsteht eine im-
131
mer weiter ausgreifende angstgeleitete Gleichsetzung von Objekten
(Klein 1930).
Diese Evolution der Symbolik aus der Angst vor den sadisti-
schen Impulsen kônnte nun durchaus so verstanden werden, a1s
sei dabei keine antwortende Umwelt im Spiel: als entwickelte das
Kind diese Phantasien sozusagen aus sich selbst heraus. Die Mut-
ter erscheint mehr ais ·Objekt von Erwartungen und ais Gegen-
stand von Enttauschungen denn als selbst aktiv, bewuBt und un-
bewuBt, mit dem Kind in einem Dialog stehende Person.

Interaktion archatscher Phantaslen

Melanie Kleins Ansatz wurde spater in eine mehr interaktionistl-


sche Theorie mngewendet (Segal 1957, 1978), indem der ebenfalls
von ihr gepragte Begriff der »projektiven ldentlfikation« mit der
Symbolbildung verbunden wurde. Segal faBt die Projektlve ldentifl-
kation dabei ais Zusanunenspiel von Mutter und Kind auf. In ihrer
zweiten Arbeit zum Thema (Segal 1978) greift sie ein Bild von
Wilfred Bion auf: Die Mutter nimmt als >>Container« die Projektion 1
Identifikation des Kindes an und gibt sie »entgiftet« zurück (vgl.
Bion 1957). Damit ist die Kleinsche Symboltheorie zwar auf einen
InteraktionsprozeB hin erweitert. doch ist der Schrittmacher des
Container · Contained - Prozesses nach wie vor die biologtsche
Matrix der paranoiden Befürchtungen des Kindes. In seinen 1961
vorgelegten Thesen zur Theorie des Denkens vertritt Bion die radi-
kale Konsequenz dieses Ansatzes, indem er die Grundstrukturen
des symbolischen Denkens 1m einzelnen aus der archaischen Be-
zogenheit des Kindes auf sein phantasiertes Objekt ableitet (Bion
1962; s. oben Seite 75). Ich hatte bereits darauf hingeweisen, daB
Bion für den Fall, daB die negative Erfahrung die Frustrationstole-
ranz des Kindes übersteigt, einen interaktionellen Mechanismus
zwischen Mutter und Kind annimmt, den er »Container-Contained«
nennt.
Werm das Kind in einer bestimmten Situation ein Prakonzept aktiviert, etwa die
Erwartung einer guten Brust, diese aber Ln der Realitat nicht geboten wird, sa
hat es grundsatzlich zwei Reaktionsmoglichkeiten. Werm seine Fâhigkeit zum
Ertragen von Versagung schon groJ3 genug ist, kann es Gedanken bilden: z.B.
das innere Bild einer guten Brust. Das Denken dieses Gedankens gibt dem Kind
die Moglichkeit, sich oder die Mutter so zu verândern, daB sein ursprünglicher
Wunsch doch noch in Erfüllung gehen kann. Werm das aber nicht gelingt, wenn
das Kind die Versagung noch nicht ertragen kann, so bricht an dieser Stelle die
Fahigkeit, Gedanken zu denken, zunâchst elnmal zusammen. Statt die Matrix
Prâkonzept-Realerfahrung noch zu denken. wird sie nun wie ein GeschoB be-
handelt, das mit der groJ3tmoglichen Geschwindigkeit aus der Psyche des Kindes
ausgestoJ3en werden soll. •Was ein Gedanke. das Ergebnis der Kreuzung von
Prâkonzeption mit negatlvem Realerlebnis, sein sollte, wird zu einem schlechten
Objekt, ununterscheidbar von einem Ding an sich und nur wert, ausgeschieden
zu werden. Infolgedessen ist auch die Entwicklung eines Denkapparates gestôrt,
und statt dessen kommt es zur hypertrophen Entwicklung des Apparates für
Projektive Identiflzierung. Das Modell, das mir für diese Entwicklung vor-

132
schwebt, ist eine Psyche, die nach dem Prinzip arbeitet: Aussto6en einer
schlechten Brust ist gleich Ernâhrtwerden von elner guten Brust« (ebd.: 428).
Der entscheidende Unterschied in der Entwicklung ist aiso, ob die Psyche sich
angesichts einer negativen Erfahrung entschlie13t, die Versagung zu ertragen
(und damit aus der Erfahrung zu lernen), oder sie zu verleugnen. Wahlt sie den
Weg der Verleugnung, so verwandelt sich das Denken, noch bevor es entsteht
und ais Werkzeug verfügbar wird, in eine Waffe, die den Zweck hat, mittels Aus-
sto.6ung schlechter Objekte die Wirklichkeitserfahrung zu torpedieren.
Dieser Vorgang ist in der Entwicklung des Kindes ein oft wiederholter, natür-
licher Ablauf. Die Frutrationstoleranz kann nicht in jeder Versagungssituation
so gro13 ein, da13 Gedanken anstelle von wütenden Verteidigungskriegen gegen
die Wirklichkeit entstehen kônnen. Bion betrachtet die Projektive ldentifikation,
also den Mechanismus, den das K.ind benützt, um schlechte Objekte und Ge-
danken, die es von schlechten Objekten nicht unterscheiden kann, aus sich
heraus in die Mutter zu verpflanzen, ais eine natürliche Môglichkeit des Kindes,
seine Mutter ais Container zu benützen. ~Ais realistische Aktivitiit sind Projek-
tive Identifizierungen ein Verhalten, das sinnvoll darauf abzielt, in der Mutter
diejenigen Gefühle hervorzurufen, die das Kind loszuwerden wünscht. Wenn das
Kind fühlt, daB es stirbt, so kann es in der Mutter die Furcht wachrufen, daB es
sterbe. Eine ausgegltchene Mutter kann dieses Gefühl akzeptieren und thera-
peutisch darauf reagieren: d.h. in einer Art und Weise, da13 das Kind fühlt, es
erhalte seine angsterfüllte Persônlichkeit zurück, aber in einer nunmehr ertrag-
lichen Form - die Angste werden für die kindliche Persënlichkeit tragbar« (ebd.:
431~: Was aber geschieht, werm die Mutter nicht ~ausgegUchen« genug ist, um
die Angste des Kindes, die in ihr selbst entstehen, in gemâ13igter Form zurück-
zuspiegeln? Das Kind wird zunachst versuchen, durch verstârkte Projektive
Identlfizterung den ansteigenden Spannungspegel auf die Mutter abzuwâlzen,
wobei die nun auftretenden und lm Objekt ausgelësten Angste immer weniger
einfühlbar werden. Unter diesen Bedtngungen ensteht nach Bion ein pathologi-
scher Entwicklungsansatz. Das Kind wird trotz des Mi13lingens der Container-
Funktion ein Bewu13tsein bilden - aber zu früh. Dieses rudlmentare BewuBtsein
baut eben nicht auf der Erfahrung auf, da13 projizierte Angste lm emotionalen
Kontakt benannt werden, sondern auf der Erfahrung, da13 sie mi13verstanden
werden und eskalteren. ~Die innere Entwicklung elnes die Projektive ldentifizie-
rung ablehnenden Objektes bedeu tet, daB das Ki nd anstelle eines verstehenden
ein absichtlich mi13verstehendes Objekt hat - mit dem es identiflziert ist« (ebd.:
432).

Was sind nun die Eigenschaften dieser speziellen Dyade, wenn


man sie aus einer interaktionellen Sicht zu beschreiben versucht?
Bians entscheidender Schrttt über Melanie Kleins Theorie der
Projektiven Identifizierung hinau.~ besteht dartn, daB er sie nicht
nur ais »Entladung« derjenigen Angste, die das Kind selbst nicht
halten kann, als Abladen auf die Mutter betrachtet, sondern daB er
der Mutter die aktive Rolle der Entgtftung zuschreibt, die es erst
ennôglicht, daB das Kind seine Ângste wieder rein1rojizieren kann
(Lazar 1993).
Den Zustand, in dem die Mutter zum »Container« werden
kann .. nennt Bion »Reverie«, also eine Art trâumerischer Aufmerk-
samkeit. Dieser Zustand ist nicht unâhnlich der von Winnicott be-
schriebenen »primâren Mütterlichkeit« (s. Seite 73); doch sieht Bion
die Mutter als einen aktiveren Teilneluner an als Winnicott. Wâh-
rend Winnicott vom »holding envtronment« spricht, etwa 1m Sinne

133
eines tragfàhigen Bodens. hat Bion hier einen sehr aktiven unbe·
wuBten Entgiftungs- und Verarbeitungsvorgang 1m Sinn. Dteser
Gedanke kommt etwa in dem pointiert formulierten Begrtff der
»thinking breast« zum Ausdruck (vgl. Lazar 1993).

Sprachzelchen, psychoanalytisches Symbol und protosym.bolische


Matrlx

DaB die Annalune angeborener Bedeutungen auf Schwierigkeiten


mit der Linguistik stoBt, ist freilich nicht zu übersehen. Denn
Symbole 1m linguistischen oder mathematischen Sinn sind sieher
nur zu einem geringen Teil psychologisch reduzierbar- ihre Haupt-
funktion ist die intersubjektive Verstandigung 1m Rahmen eines
Zeichensystems. Um diesem Einwand gerecht zu werden, hat Ha-
rold P . Blum den Symbolbegriff modifiziert (Blum 1978): Er
unterscheidet zwischen den etgentlichen »psychoanalytischen
Symbolen, die sich auf primarprozeBhafte Ablaufe beziehen, und
den »linguistischen«, die aus psychoanalytischer Sicht dern
Sekundal-prozeB zuzuordnen sind und der Reflexion und der ratlo-
nalen, regelgeleiteten Verstandigung dienen. Er hâlt j.edoch den
Kleinschen Ansatz des Symbolerwerbs insofern aufrecht, als er
beide Typen von Symbolen auf eine gemeinsame undifferenzierte
protosymbollsche Matrlx zurückführt. Blum vermutet den proto-
symbolischen Bezugspunkt entwicklungsgeschichtlich zwischen
dem Übergangsobjekt {Winnicott 1953) und de~. ersten si~
gnifikanten »Nein« (Spitz 1957). also etwa in der Ubungsphase
(Mahler u.a. 1975).

5.3. Aktive Ich-Entwicklung und die Rolle der Spra.c be


Über die Diskussion mn die angeborenen Instinkte oder Phanta-
sien hinaus führen neuere ich-psychologische und interaktlonelle
Ansatze der Psychoanalyse. Hier soll uns zunachst der ich-psy-
chologtsche Ansatz beschaftigen, der die Sprachentwicklung tn
eine komplexe Ich-Entwicklung einbettet. Ich will dazu am bereits
diskutierten Paradigma des aktiven Sauglings anknüpfen (s. Seite.
104).

Aktive Rolle des Klndes

Die aktive Rolle des Kindes beim Spracherwerb hat in der Psycho-
logie vor allem Piaget hervorgehoben (vgl. Samero:ff und Harris
1979). Das Kind lernt Sprache nicht passiv-aufnehmend, sondem
es exploriert aktiv seine Umgebung und »ennittelt.: die Gesetzma-
Btgkeiten der Reizmuster, die es empfangt. Auf diese Weise werden
mimische, gestlsche und vokale Reize 1m1tiert, kreativ erwettert
und korrigtert. Auch in der psychoanalytischen Literatur wird die-
ser Umstand haufig und seit langem betont (z.B. Spitz 1957,

134
Edgcurnbe 1980); doch legt die Psychoanalyse wentger Gewtcht auf
die Entfaltung kognttlver Strukturen als auf die Sozialisatlon durch
Lebenspraxis und kindliche Bedürfnisse (vgl. Lorenzer 1972, Kap.
ill). Die psychoanalytische Perspektive ist von dem Bezug auf das
Kind ais Naturwesen nicht zu trennen (vgl. oben S. 108).
.. Das hat auch Auswtrkungen auf die Versuche empirischer
Uberprüfung. In den psychoanalytischen Direktbeobachtungen
findet eine weniger starke Selektion der Beobachtungsdaten statt
a1s z.B. in den klassischen Studien von Piaget. Der Spracherwerbs-
prozeB verlauft aus psychoanalytlscher Sicht keineswegs isoliert;
Sprache, Motorik, a:ffektive und sensorische Entwicklung sind eng
mttetnander und mit der Ausdifferenzierung des Ich und der Ob-
j,e ktbeziehungen verzahnt. Das g:nt, freillch mit Einschrân.kungen,
auch für die psychoanalytlsche Ich-Psychologte, die von einer ange-
borenen !ch-Autonomie ausgeht.
Vokallsatlon

George Klein (1965) sieht die Entwicklung der Sprache vor allem tn
Zusammenhang mit der intrapsychischen Affektreguiation. Durch
Affektvokalisierungen, die mit Wortvorstellungen verknüpft .. wer-
den, entsteht eine innere Ersatzabfuhr und somit der zur Uber-
prüfung der Wahrnehmung erforderliche Handlungsaufschub. So
kann stch der SekundarprozeB entfalten, der eng mit dem »inneren
Sprechen« verknüpft ist. Klein unterscheidet drei Stufen (inneres
Sprechen, âuBeres Sprechen, Schreiben), die sich durch zuneh-
mende Kontrolliertheit unterschetden. Er wetst darauf hin, daB ein
wesentlicher Aspekt des Sprechens, der zur Affektregulation bei-
tragt, die auditive Rückkopplung ist. Dies zeigt sich, wenn Kinder -
und auch Erwachsene - laut mit sich selbst sprechen, um Gefühle
der Etnsamkeit zu steuem. Deutlich zeigt es sich auch bei der ex-
pertmentellen Unterdrückung der auditiven Rückkopplung. DaB
·wtr unsere eigene Stimme horen, »ist uns so selbstverstandlich wie
die Schwerkratt~ (Klein 1965: 97). Das Horen der etgenen Vokali-
sierung fordert die Sprachentwicklung und die bewuBte Verhal-
tenskontrolle. Schon Freud batte der akusttschen Sphare eine
Sonderrolle eingeraumt und sie - moglicherweise in Anlehnu~g an
das Wernickesche Sprachzentrum - als »Horkappe« an der Uber-
Ich-Position seines Modells des seelischen Apparats angefügt
(Freud 1923b: 252). Isakower ( 1939) betont die Funktion des Hô-
rens für die Über-lch-Entwicklung und für die moralische Orientie-
rung. Klein ( 1965) weist darauf hin, daB die Unterscheidung von
lautem Sprechen und Denken ein Markstein der ldentitâtsent-
wtcklung ist. Bei Krankheitsbtldungen, die mit schwerer Pro-
jektlon, Beziehungswahn (»jeder kann meine Gedanken horen«),
zwanghaftem Sprechen und akustischen Halluzinationen einher-
gehen, zeigt sich ex negativo die Notwendigkeit dieser Differenzte-
rung.

135
In seiner Darstellung des auditorischen Feedback stützt sich
Klein atû Konzepte der zeitgenossischen Verhaltensforschung
(Skinner 1957). Er entwickelt eine Theorie des Monitoring, die zu
modernen psycholinguistischen Modellen der ÂuBerungskontrolle
kompatibel ist (vgl. Fromkin 1973 u.a.).

Sprachentwtcklung und Übergangsobjekt

Eine Erweiterung dieses ich-psychologtschen Modells der Vokalisa-


tion stellt die objektbeziehungstheoretische Arbeit von Beratis u.a.
(1982) dar. An einem Fallbericht über die Behandlung eines psy-
chotischen Jungen in einer psychotherapeutischen Kinderkrippe
zeigen sie, wie die Entstehung von Übergangsobjekten und der Be-
ginn von Separation und Individuation nach Mahler mit dem Be-
ginn der Sprachentwicklung Hand in Hand gehen.
Johnny wurde im Alter von zwei Jahren und vier Monaten zur Therapie ge-
bracht, weil er seine Eltern nicht bemerkte oder erkannte. Er konnte noch kein
Wort sprechen und imitierte noch keine Gesten, wie z.B. Winken. Er zeigte keine
strukturierten lnteressen und konnte noch nicht auf etwas zeigen, das er haben
wollte, sondern zog lediglich seine Eltern zu dem begehrten Gegenstand hin. Er
war hyperaktiv und konnte weder visuell noch taktil Kontak:t aufnehmen. Es
wurde die Diagnose einer autistisch gefarbten infantilen Psychose gestellt.
Das erste Jahr der Behandlung verllef sehr erfolgreich: Johnny entwickelte
einen konsistenten Blickkontakt und Anzeichen von Trennungsangst, wenn die
Therapeutin ihn verlie13. Er begann, einen Satz hôlzerner Bauklôtzchen, die es
sowohl im Therapiezimmer als auch bei ihm zu Hause gab, ais haltgebendes
Objekt zu benützen, wenn die Mutter ilm alleine in der Therapie zurücklie6.
Nach einem hauslichen Unfall in den Sommerferien brachte ihn die Mutter lan-
gere Zeit nicht mehr in die Kinderkrippe; ais er wiederkam, fand er eine neue
Therapeutin vor. Sein Zustand war nun wieder ebenso reduziert wie zu Begt.nn
der Therapie. Doch bereits nach eintgen Wochen begann er, die Kontaktauf-
nahme seiner neuen Therapeutin vorsichtig zu beantworten und in der Folge
auch selbst Kontakt aufzunehmen und reziproke sensomotorische Spiele zu in-
itiieren. Er begann, Spa.13 am eigenen Kôrper zu entwickeln, besah sich im Spie-
gel, fasziniert von der Môglichkeit. sein Spiegelbild auftauchen und verschwin-
den zu sehen. Seine wachsende Fâhigkeit, Selbst und Objekt zu unterscheiden,
zeigte sich in zunehmender Fâhigkeit, mit Angst und Trauer auf Trennungen zu
reagieren.
Er war nun etwa zwei Monate bei der neuen Therapeutin. Bis zu diesem Zeit-
punkt waren seine Lautau13erungen auf ein gutturales Kreischen beschrânkt
gewesen, das keine Korrespondenz zu seiner Befindlichkeit erkennen lleB. Nun
begann er, erstmals auf Tône zu reagteren, die er hôrte, und bald darauf sclùe-
nen auch seine Vokalisationen sich zu differenzieren.
Nachdem er so die Differenzierungs-Subphase nach Mahler durchlaufen
hatte, entwickelte er das Spiel, seine Therapeutin ~spazierenzuführen~. Er führte
sie in die Umgebung der Klinik. voll Neugier und Entdeckerdrang, doch stets
angstllch darauf bedacht, da13 sie in seiner Nâhe blieb. Wâhrend gesunde Kinder
in der Übungsphase nur gelegentlich die Mutter zum ,.Auftanken« brauchen,
schien Johnny sie nur unter der Bedingung elnes konstanten Zuflusses an
Sicherheit wagen zu kônnen. In dieser Phase wurden seine Vokalisationen deut-
lich stimmungsspezifisch: er begrü6te die Therapeutin mit vergnügtem Krei-
schen und konnte, werm der Spaziergang zu Ende ging, trânenreich weinen. Er
konnte auch nun manchmal weglaufen, wenn er nicht umkehren wollte, was ais

136
ein groJ3er Fortschritt in seiner Fahigkeit gesehen wurde, sich abzulôsen und
seine Aggression auszudrücken.
lm Lauf der nâ.chsten Monate begann er- noch ungelenk - zu plappern, ent-
wickelte aber çleutliche Zeigegesten und reagierte auf einfache verbale Aufforde-
rungen. Gleichzeitig versuchte er auf verschiedenen Niveaus, sich selbst zu re-
gulieren. Er nahm eine emotional besetzte Beziehung zu bestimmten Gegenstàn-
den auf, wie z.B. zu einer auserwâhlten Schlafdecke oder zu einer Jacke, die er
immer dann tragen wollte, werm die Mutter oder die Therapeutin nicht da
waren.

Beratis u.a. (1982) beschreiben die Therapie des kleinen Johnny


ais einen Proze13 der Kontaktaufnahme. Dieser Proze13 ist auch von
seiten der Therapeutin in seinen verschiedenen Phasen spürbar.
Zunachst hatte die Therapeutin das Gefühl, in einem »Vakuum« zu
arbeiten. Spater, als Johnny begann, sie wahrzunehmen und erste
Zeichen und Signale mit ihr auszutauschen, veranderte sich dieses
Gefühl. Sie beschrieb es nun als ein Arbeiten »im Dunklen«. Die
entscheidende Verânderung, die mit Johnny vorgtng, UJ?:d die in
der emotionalen Wahrnehmung der Therapeutln den Ubergang
vom Vakuum in das so viel weniger gefâhrliche und erschreckende
J?.unkle ermôglichte, spiegelt sich in der Differenzierung des
Ubergangsobjekts. Wâhrend Johnny in der Anfangsphase seiner
Therapie, in der er noch ganz unbezogen war, harte, dauerhafte
Holzklôtze braucht, die unbelebt sind, aber eine Menge Aggression
aushalten, kann er sich nun mit zunehmender Sicherheit tm Kon-
takt weicheren, kuschligeren Objekten anvertrauen, bis er schlie13-
lich bei der klassischen »Sclunusedecke« landet. Diese Entwicklung
und Differenzierung des Übergangsobjekt findet sich aber nicht
nur in bezug auf die Gegenstande, die Johnny bevorzugte, sondern
sie zeigt sich auch an dem unterschiedlichen Gebrauch, den
Johnny von seinen sich entwickelnden vorsprachlichen und
sprachlichen Vokalisationen macht. Die Arbeit von Beratis u.a.
zeigt am Beispiel einer verzôgerten Sprachentwicklung (bzw. an ei-
nem zeitlichen Ausschnitt dieses Prozesses), wie das Plappem
nacheinander zwei Funktionen annimmt. Zunachst steht das et-
gene Plappern dem Kind als ein stets verfügbares, konsistentes
und affektiv besetzbares Quasi-AuBen zur Verfügung; es eignet
sich sonùt dazu, zum Übergangsobjekt auserkoren zu werden. In
dieser Funktion ermôglicht es dem Kind, differenzierte und inte-
grierte Objektbeziehungen aufzubauen. Werm diese wachsen, so
gewinnt das Plappern eine neue Funktlon. Hand in Hand mit der
Integration und Differenzierung der Objektwelt wird es zur Basis
des kommunikativen Sprechens (vgl. auch Papousek und Papou-
sek 1989).

Ich-Entwlcklung lm Zusammenspiel von Handlung, Phantaste und


Sprache

Etn neuerer, wettgehend ich-psychologtsch orientierter Ansatz fin-


det sich z.B. bei Santostefano (1977). Santostefano formuliert ein

137
Modell der Ich-Entwicklung, in dem sich Handlung, Phantasie und
Sprache ais Ausdrucksmodi für Triebimpulse und -konflikte abia-
sen und überlagem. Er konnte experimentell wahrschei:nlich ma-
chen, daB die kognitive Entwicklung in einer zeitlichen Abfolge d1e-
ser drei Modi verlâuft, und daJ3 innerhalb jedes Ausdrucksmodus
die Entwicklung von der Motorik zur Demotorisierung, von der
Unmittelbarkeit zum Aufschub und von der Nâhe zur Distanz ver-
lâuft. Weiterhin konnte er zeigen, da13 die Tendenz des Ich, einen
der drei Ausdrucksmodi zu bevorzugen, situativ nachhaltig beein-
fluBbar 1st.
Die Entwicklungsrichtung von der unmittelbaren Nâhe zur
Distanz und von der zeitlichen Urunittelbarkeit zum Aufschub ver-
lâuft damit von den direkten zu den indirekten Handlungs- bzw.
Ausdrucksmitteln.

Beispiel für die Abfuhr elnes aggressiven Triebimpulses in verschiedenen


Modi und Formen (nach Santostefano 1977). Um seinen aggressiven Impuls
gegen ein kleines Geschwisterchen auszudrücken, kônnte ein fünt]âhriger
Junge ...

Handlung Phantasie Sprache


Mittel und Ziel ... ibn schlagen
raumlich
und zeitlich
unmittelbar
Ziel unmittelbar, ... ibn mit
Mittel indirekt Babypuder
bestreuen
Ziel mittelbar, ... die Puppe des
Mittel direkt Geschwisters
schlagen
Ziel mittelbar ... die Puppe des ... phantasieren, .. . schreien:
Mittel indirekt Geschwisters daB er das Ge- "lch schlag
mit Puder schwister dich!"
bestreuen schlâgt

Santostefano studierte die im Laboratorium gewonnenen Ergeb-


n1sse an einer eindrucksvollen Langzeituntersuchung. In Santoste-
fanos eigener Terminologie lâBt sich die Entwicklungsabfolge, 1n
der nacheinander die Modi Handlung, Phantasie und Sprache do-
m1n1eren, in folgende Phasen einteilen:

Makro-Aktivitât: Der Handlungsmodus dominiert, das Kind


bewegt seinen Kôrper durch den ganzen Behandlungsraum.
Phantasietatigkeit und Sprechen sind von sekundarer Be-
deutung.

Mikro-Aktivitat: Das Kind bleibt mehr oder weniger an einer


Stelle und tut etwas im nâheren Umkreis. Solche Handlungen

138
sind normalerweise von einer ausgearbeiteten Phantasie be-
stlmmt.
Malrro-Phantasie: Eine ausgearbeitete Phantasie, die von we-
nig oder gar keiner Handlung begleitet ist. Die Phantasie wtrd
zwar verbal mitgetetlt, doch spielt die Sprache nur eine unter-
geordnete Rolle im Dienst der Phantasie.
Makro-Sprache: Es herrscht der Sprachmodus. Es werden
Worter über gegenwartlge oder vergangene Gegenstande und
Ereigntsse in der Realitat geauBert. Phantasie und Hand-
lungsaktivitat ist hier eher begleitend.
Albert kam mit sieben Jahren in die Behandlung des Kinderanalytikers Seba-
stiano Santostefano. Er litt unter starker Impulsivitat und Destruktivitat und
relativem Schulversagen. Sein Ich war (in der Terminologie von Santostefano)
stark handlungsorientiert. Die Analyse laBt sich in sechs Phasen einteilen:
1. Phase (6 Monate): Albert zeigte »Makroaktivitat~. d.h. er teilte sich vorwie-
gend in ausgreifenden korperlich-motorischen Formen mit, die den ganzen
Therapieraum einbewgen. Er war stark impulsiv. lm Lauf der Zeit konsolidierte
sich seine wenig verbalisierte Aktivitat zu grausamen Bestrafungsspielen, in den
Ratman, der Kônig des Rattenlandes, eine hervorragende Rolle innehatte. Gegen
Ende dieser Phase konnte sich Albert-Ratman mit seinem Widersacher Ratman
(dem Guten) verbünden, um gemeinsam Jagd auf bôse Rattenverbrecher zu ma-
chen. Albert war anfânglich gegen die Analyse sehr miBtrauisch und befürch-
tete, sie kônnte ihm seine Geheimnisse entrei.Ben.
2 . Phase (7 Monate, Makroaktivitat): Albert ernennt sich zu ,.<fes Kônigs über-
stem Dienenc und liefert dem Kônig (Analytiker) schlimme Ratten ab, die gna-
denlos enthauptet werden müssen. Auf Anregung des Analytikers wird jedoch
nach und nach die Schwere der Strafe zur Schwere des Vergehens in Beziehung
gesetzt. Albert entwickelt so, mit Hilfe seines neu eingeführten Ich-Ideals
(Analytiker-Kônig). ein weniger archaisches Über-lch. Auf dieser Stufe entwickelt
Albert ein neues Spiel: Er ist jetzt »General Bolthead~, der den bôsen Ratten
»Schwanzdrüsen~ herausschneidet und sie sich selbst in den Anus steckt cxier
sie in Vulkanen hortet, aus denen er sie dann anal heraussaugt. Albert dammt
die bedrohlichen Aspekte dieses Spiels jedoch selbst ein, indem er das Schwanz-
drüsenstehlen verbietet und selbst, ais Mitglied der »Highland Rat Police«, über
die Einhaltung des Verbots wacht.
3. Phase (4 Monate, Makroaktivitat mit Episcxlen von Mikroaktivitat): Albert
ernennt sich zum Leibwâchter des Kônigs. Er schnitzt sich einen Speer
(Mikroaktivitat, manuell), mit dem er dann gro6artig kâmpft (erste phallische
Wünsche, wieder auf makroaktiver Ebene ausgedrückt).
4. Phase (7 Monate, Makrophantasie mit Mikroaktivitat): In dieser Phase war
Albert motortsch ruhig und im Therapieraum eher seBhaft. Dafür entwickelte er
gro6artige Phantasien. Seine Gestalten werden Iangsam menschenâhnlicher: Es
g:ibt ein »Arschmonster~ und ein »Fingermonsten:, die zusammen in einem
,.wilden Hau~ leben und schmutzige Dinge treiben. Sie gehôren einem Wissen-
schaftler, und »Dracula~. ein »menschliches Monster«, pal3t auf sie auf. Spater
kommt wieder eine Elitetruppe ins Spiel, die vom Analytiker geleitete
»Schwadron Silberhengst«, in die Albert-Dracula gern eintreten will, weil er an
den von ihr bewachten Silberruten-Schatz kommen will. Daraus wird aber
nichts, da Albert selbst (als Richter) Draculas Verkleidung durchschaut und ihm
Unehrlichkeit vorwirft. Albert entwickelt in dieser Phase strukturiertere phalli-

139
sche Phantasien und ein funktionierendes, intemalisiertes Über-Ich. Er kann
sich spielerisch mit den Analytiker identiftzieren und mit ihm kooperieren.
5. Phase (7 Monate, Makrophanatasie, Mikroaktivitât und Sprache}: Albert
kann seine Phantasien jetzt irnmer ofter sprachlich vermitteln und muB nicbt
mehr, wie am Anfang der Analyse, dem Analytiker ângstlich Schweigen aufer-
legen. Seine Phantasie wird objekt- und realitatsbezogener. Er beschâftigt sich
mit Schwerterschnitzen und erzahlt dabei Anekdoten von »Teddy~. die kaum ge-
tarnte Berichte über ihn selbst sind. Ein Beispiel: Teddy stand einmal nackt vor
dem Spiegel, und hielt noch einen anderen Spiegel hinter sich, so daB er seine
Pobacken anschauen konnte. Auf diese Weise konnte er ,.alle môglichen Gedan-
ken und Gefühle kriegen~. In der Unterhaltung mit dem Analytiker wird deutlich.
da:B Teddy eigentlich recht fJ.Xiert sei und da:B er geme auf den »Penis Peakc:
klettern würde, aber immer wieder abrutscht, »Weil er manchmal noch seine
Arschsachen macht~.
6. Phase (Makrosprache, abwechselnd mit und unterstützt von Phantasie und!
Handlung): Albert spricht über reale Personen und Ereignisse. Er will für die
Schule einen Aufsatz über Haifische schreiben, die Menschen anfallen, und dis-
kutiert mit dem Analytiker über Madchen . Manchmal fangt er von selbst über
seine früheren analen Phantasien zu reden an.
Schon aus dieser Falldarstellung wird ersichtlich, wie Albert seine Aus-
drucksformen von der reinen Aktivitat über das Phantasieren bis zur phantasie-
und aktivitatsgestützten Sprache differenziert und integriert. lm einzelnen lie.Be
sich auch zeigen, wie bestimmte unbewuBte Themen sich zunachst nur auf der
Aktivitatsebene ankündigen, spâter in Phantasien überführt werden, und erst
zuletzt direkt und bewu13t verbalisiert werden kônnen.

Motorlk und Klneslk

Eine Sonderstellung in der Erforschung der Aktivitat des Kindes


nehmen die Forschungen zur Motorik und zur Kinesik ein. Schon
Piaget hatte von der »sensomotorischen Intelligenz« gesprochen
(ahnlich McNeill 1979), und es gibt eine Reihe von Forschungsar-
beiten zum Zeigen und Greifen etc. als Wurzeln der Semantik (z.B.
Clark 1978, Spitz 1957, Cali 1980).
Freedman ( 1977) baut seine Theorie der sprachbeglettenden
Kôrpennotorik auf der Beobachtung auf, daB Sprechen irruner von
Bewegungsmustem begleitet ist. Er unterscheidet zwei koordinierte
Systeme, die diese Bewegungsablaufe steuern, naml.ich em
~enaktives kinestsches System« und etn »supportives kinesisehes
System«.
Diese beiden Subsysteme von Bewegungsablaufen beim -~pre­
chen sind den zwei intrapsychischen Dimensionen jedes Au.Be-
rungsaktes zugeordnet: Repriisentieren und Fokussieren. Jede
spraclùiche Mitteilung erfordert vom Sprecher, sich zum einen das,
was er sagen will, zu vergegenwartigen, sich ein inneres Bild ~vor
Augen zu führen« - zum anderen aber auch, stch auf dieses Bild zu
konzentrieren, konkurrierende Wahrnehmungen, Empfindungen
und Gedanken betseite zu stellen. Die beiden Aktivitaten treten tm
Diskurs abwechselnd auf; entsprechend variiert auch das Bewe-
gungsm us ter.

140
Freedman nennt zwei Beispiele: Wenn ein zehnjahriger Junge aufgefordert wird,
einen Hammer zu beschreiben, wird er wahrend des Sprechens mit grô6ter
Wahrscheinlichkeit mit den Handen die Fonn oder die Umrisse eines Hammers
andeuten.
Stellt man ihm dagegen eine Aufgabe wie etwa aus dem Farb-Wort-ln-
terferenzversuch nach Stroop (das Wort ,.Rot~ erscheint in blauer Schrift und die
Vpn. wird aufgefordert, die Farbe der Schrift zu benennen), so wird er mit gro6er
Wahrscheinlichkeit an sich herurnzupfen, mit den Fingern spielen etc.
Die erste Aufgabe forderte von dem Jungen, das zu beschreibende Bild zu
imaginieren, es zu »reprâsentieren~. Die zweite verlangte, eine interferierende
Tendenz, nâmlich das Wortverstândnis des Ausdrucks ,.rot~ auszuschalten und
stattdessen auf die gesuchte Farbqualitât und den zugehôrigen Ausdruck »blau~
zu fokussieren.

Die Funktion der reprâsentierenden Bewegungen beim Sprechen


erschopft sich nach Freedman (1977) n:icht nur in kogrutiven Ope-
ratlonen wie der Vergegenwartigung einzelner Aspekte des Imagi-
nierten, wie Gr6Be, Forrn, Bewegung etc. Darüber hinaus dJenen
sie der »Bestatigung der Existenz des Objekts.« Er nennt sie daher
auch »>bjektzentrierte Bewegungen«. Die fokussierenden Bewegun-
gen, die Berührung des etgenen Korpers, nennt er dagegen
»k6rperzentrierte Bewegungen«. Sie dienen der »Bestatigung der
Grenzen und der Existenz des Se1bst« (Freedman 1977: 114). Beide
Komponenten des Sprechbewegungsverhaltens sind, wie weitere
Untersuchungen belegten, in sich hierarchisch gegUedert und er-
ganzen sich (vgl. auch Clark 1973, 1978, Cali 1980).
Einen besonderen Forschungsakzent setzte die Entdeckung,
die Condon und Sander ( 197 4) machten. Ste führt uns bereits
weiter zum zweiten Schwerpunkt, der frühen Interaktion zwischen
MUtter und Kind als Wurzel vorsprachlicher, sprachbedingender
Interaktionsstrukturen.

5.4. Praverbale Interaktion


Mit der Annahme der Einbindung des Spracherwerbs in die pra-
verbale Interaktion ist ein Moment hinzugekommen, das die mit
etner biologtschen Matrix oder einem LAD verbundenen Probleme
wesentlich entscharft. Denn wenn Symbo1bildung auf einem regel-
haften Interaktionsschema beruht und darauf zurückgretft, so
mu.B ais angeboren nur noch eine Reihe grundlegender Fâhigkeiten
angenommen werden, wie sie zur Entwicklung einer geordneten
Wahrnehmung erforderlich sind, sowie die bekannte Refiexausstat-
tung des Kindes. Wir müssen, werm wir die frühe Interaktion be-
achten, jedoch nicht mehr davon ausgehen, daB Kinder mit ange-
borenen Grammatikkenntnissen oder mit semantischen Universa-
lien wie den Begriffen »Brust~ oder »Penis« auf die Welt kommen.
Die Interaktion ist, folgt man den neueren, überzeugenden
Forschungsansatzen aus der Entwicklungsforschung, die Wiege
der Sprachentwicklung. Gisela Klann-Delius (1990) faBt die For-

141
schungsergebnisse über die Anfange des Dialogs knapp und sehr
prâzise zusammen:
»Anpassung bzw. Entwicklung vollziehen sich als wechselseitige Passung in der
Interaktion. und zwar in verschiedenen Verhaltensmcxlalitaten. Stimmliches
Verhalten spielt dabei eine wichtige Rolle. Anpassung in Form wechselseitiger
Passung ist durch Aspekte des Ausdrucks und der Regulation von Affektlvitât
mitbestimmt. Affektivitat ist zu verstehen ais dynamische und organisierende
Kraft des Wechselspiels.
Die Anpassung an die Umwelt und die Umgestaltung des kindlichen Verhal-
tenspotentials wird durch besondere intuitive Interaktionstechniken der Betreu-
ungsperson verrnittelt. Sie sind samtlich darauf ausgerichtet, die inneren und
auf3eren Ereignisstrome und Empfindungen. denen das Kind ausgesetzt ist,
7.-eitlich zu gliedern; sie zielen darauf ab, die Reizwelt in verarbeitbare, erwart-
bare, strukturierte Einheiten zu organisieren; sie richten sich darauf, Ereignlsse
in zugangliche, das Interesse weckende Einheiten zu formen und sie als Ereig-
nisse zu markieren, die eine thematische Ausgestaltung und auch sprachliche
Darstellung verdienen (... ). Diese Techniken vereinigen in sich die emotlonale
Grundfunktion des Miteinander. des »sharing<~<, und die des Beeinflussens, Un-
terweisens, des »influencing<~<. Diese intuitiven Techniken reagieren stets auf den
affektiven Zustand des Kindes, das macht ihren Erfolg aus. Sie reagteren zudem
sensibel auf die Entwicklungsfortschritte des Kindes: Mütter führen neue An-
forderungen in die Interaktion erst dann ein, wenn ihnen die affektive Basis si-
cher genug erscheint.
Die besonderen interaktiven Erfahrungen ermoglichen es dem Kind, Reprâ.-
sentationen von Menschen zu bilden und die einzelnen lnteraktionen in eine in-
terpersonelle Beziehung zu transformieren. Aus interaktiven Erfahrungen her-
aus entsteht eine neue und andere Art der Organisation und Integration von
Erfahrung, eine überdauemde Reprasentation der anderen Person und des
Selbst. Dieses wiederum ist notwendige Voraussetzung für die Entwicklung von
intramentaler Reziprozitat und .Intentionalitat des Verhalten~ (Klann-Delius
1990: 144 f).

lch will in diesem Abschnitt einige der Befunde, die zu dem eben
skizzierten Bild der Entwicklung 1m Dialog beigetragen haben, na-
her beleuchten.

Der Hortanz

Eine frühe Forschungsarbeit, die viele Wissenschaftler fasziniert


hat, betraf den tnntgen Zusamenhang von sprachlicher Konununi-
kation und winzigen, ott kaum merklichen Sprachbegleitbewegun-
gen. Condon befaBte sich in einer Reihe von Untersuchungen mit
dem Phânomen der sprachsynchronen Spontanbewegungen. Er
konnte durch die genaue Untersuchung von Videoaufnalnnen
nachweisen, da.B sowohl beirn Sprechen wie auch beim Zuhôren
der RedefluB von minimalen Bewegungen des ganzen Kôrpers be-
gleitet wtrd. Diese Bewegungen entsprechen sich bei den Dialog-
partnern, âhnlich wie bei einem Tanz, und stehen auch zum
Rhytlunus des Redeflusses in nachweisbarer Beziehung. Zusam-
men mit Louis W. Sander machte er dann die Entdeckung, da13
dieser »Tanz(( schon bei Neugeborenen ab dem ersten Lebenstag zu
beobachten ist. Diese Befunde führten Condon und Sander zu der
142
Annahme, daB es angeborene, hierarchisch geordnete Rhytlunus-
strukturen gtbt, die jeglicher Konununikation zugrunde liegen.
(Condon und Sander 1974). Zwar konnte die Arbett von Condon
und Sander, die rasch Berühmtheit erlangte, nie repliziert werden,
und man netgt heute dazu, die rhythmischen Parallelen tm frühen
Dialog nicht als angeborene tnterpersonale Synchronizttât aufzu-
fassen, sondern als Ergebnis eines Frage-Antwort-Spiels, das aller-
dings eine sehr fetne und prazise Reizerkennung und -diskriminie-
rung auf beiden Seiten voraussetzt (Stern 1986: 125). Eine Vor-
aussetzung frellich, die durch die ernptrische Forschung über die
Wahrnehmungsfâhigkeit des Sâuglings eindrucksvoll belegt ist
(ebd. und neuerdings Dornes 1993).

Rhythmusanpassung lm Dlalog

Sander griff 1977 die Befunde über den »Hôrtanz..: auf und verband
ste mit etgenen Beobachtungen. Diese eigenen Befunde lagen auf
etner ganzlich neuen Ebene der Beobachtung. Er versuchte nam-
lich, neben den hochfrequenten Mustern, wie sie :iin "Hôrtanz" be-
schrteben worden waren, auch langwelllge, niederfrequente Bewe-
gungsablâufe als Prozesse gegenseitiger Abstirnmung aufzufassen.
Sander postuliert eine "Schnittstelle" zwischen Mutter und Kind,
durch die auf verschiedenen Frequenzbândern Abstimmungspro-
zesse übermittelt werden.
Neben den kurzwelligen "Hôrtanz"-Verlâufen im 101 sec - Bereich wurden auch
1m Bereich etwas Iangsamerer Verlaufe Abstimmungsprozesse zwischen Mutter
und Kind beobachtet, wie z.B. die blitzschnelle Regulation des Blickkontakts, die
.s icb lm Haibsekundenbereich abspielt. Auf der Ebene der zeitlichen Ereignisse
.l m Sekundenbereich findet sich ein interessantes Phanomen, namlich Aktiva-
tlonspertoden von 8-10 Sekunden Dauer. Sie zeigen sich als Unruheschübe in-
nerhalb von REM-Phasen, aber âhnliche Zeitrna6e werden auch für die Auf-
merksamkeitsdauer im Mutter-Kind-Diaiog und für die Phasen heftiger Saug-
bewegungen beim Stillen berichtet. Auch im Minuten- und Stundenband findet
Sander Anhaltspunkte für solche Rhytlunen: Obwohl einzelne Kinder in ihren
Schlafrhythmen stark voneinander abweichen, glbt es doch eine Regularitàt, die
man bei Kindem beobachten kann, die nach Bedarf gefüttert werden, die man
also ihre Schlaf- und Nahrungsbedürfnisse selbst steuern lâJ3t. Je langer ein
Nickerchen dauert, umso Ianger sind die REM-Phasen, und zwar von Anfang an.
Die Gesamtdauer des Schlafs von Fütterung zu Fütterung korreliert also mit der
Dauer der REM-Phasen: ais ob die Schlafdauer von vornherein geplant ware.
SchlieJ3lich untersuchte er die Schlafrhythmisierung tm Verlauf von 24 Stunden
und kam zu dem Ergebnis, da6 die Schlafzeiten zwischen den sechs oder mehr
emzelnen Fütterungen im Tagesverlauf von drei Tage alten Kindern eine klare
Gliederung zeigen. Sie werden zunachst immer kürzer und steigen dann steil an.
Auch hier flndet Sander, sozusagen in Zeitlupe, ein rhythmisches Zu-
sanunenspiel von Mutter und Kind.
Auf allen Ebenen lassen sich Integrationsprozesse über die ersten Le·
bensmonate beobachten, sowohl was die Ausbildung von zeitlich-sequentiellen
Verhaltensablâufen ais auch das Zusammenspiel von synchronen Verhaltens-
aspekten betrifft.

143
Sander betrachtet die Mutter-Kind-Dyade als regulatives Zu-
sammenspiel zweier selbststeuernder Systeme. lm Gegensatz zur
traditionell psychoanalytischen Auffassung wird dabei die Ent-
wtcklung ab ovo als Interaktton tm Sinne einer gegenseittgen regu-
latlven Beelnjlussung verstanden. Sander bezeichnet seinen Ansatz
daher als systemtheoretische Perspektive. Er hebt in der frü.hen
Interaktion vor allem drei Momente hervor, die die Basis für spa-
tere kommunikative Strukturen legen:

(1) Die Anpassung des Wach-Sclùaf-Rhytlunus. Die Mutter muB


1m Verlauf der Sâuglingspflege immer wieder die Richtung der
Zustandsânderung des Kindes erfassen; umgekehrt reagtert
auch das Kind auf Weck- und Einlullungssignale der Mutter.
Durch diesen Einigungsvorgang werden erste Ansatze etner
»Syntax der dyadischen Kommunikation$; begründet.
(2) Mutter und Kind müssen gegenseitig den Aufmerk-
samkeitsfokus des anderen zu erfassen versuchen. Dies ist
nur môglich über eine Integration verschiedener Phasenver-
lâufe. »Bedeutung« heiBt dann ganz allgemein, einen Zustand
mit wetteren Zustanden in Beziehung zu setzen. Das Schreien
des Kindes hat z.B. verschiedene Bedeutung, je nachdem. ob
es zu Anfang oder zu Ende einer Wach- oder Verdauungs-
phase, morgens oder abends auftritt. Die Integration erfordert
Teilnahme und reziproken Austausch. Sie vermittelt den An-
satz eines Konzepts der »Bedeutung«.
(3) In den Phasen relativen Gleichgewichts, in denen Mutter und
Kind nicht miteinander beschâftigt sind, das Kind jedoch
wach ist, erfolgt ein wichtiger Differenzierungsschritt. In die-
sem Befrtedigungszustand, in dem das Kind weder von
endogenen noch von exogenen Stimuli hôherer GroBenord-
nung beunruhigt wird, kann es spielerisch explorteren und
spezifisches feedback erfahren, das ohne Au13enbeeinflussung
aus seinen eigenen Aktionen entsprtngt.

Obwohl die Ansatze von Condon und Sander (sowie auch andere,
z.B. Freedman 1977) groBes Gewicht auf den systemisch-interakti-
ven Charakter des Entwicklungsmodells legen, sind sie doch einer
Kogmtionspsychologte zuzuordnen, in der die Wechselwirkung zwi-
schen Mutter und Kind ausschlieBlich als ein Faktor der kindli-
chen kogmtiven Entwicklung betrachtet wird. Sie treffen sich
1nsofern mit der ich-psychologtschen Position von Santostefano
(1978).

Interaktlon- nlcht nur kognitiv

Aber zurück zum genuin psychoanalytischen Ansatz der Symbol-


und Sprachentwicklung, die über die kognitive Interaktion hinaus -
geht und den Gesamtzusammenhang kognttiver, psychosexueller
und sozialer Entwicklung umfa.Bt.

144
Die interaktionale Betrachtungsweise des Spracherwerbs ist
schon der klassischen Psychoanalyse zentral. Nehmen wir z.B.
Rose EdgcUinbes Formulierung der ersten Phase der Sprachent-
wicklung: »ln den ersten Lebenstagen sind die lautlichen und gesti-
schen Au13erungen des Babys (einschlieBlich Gesichtsausdruck
und Korperbewegungen) entweder Abfuhrprozesse oder angeborene
biologische Mechanismen, die die Bindung zwischen Mutter und
Kind unterstützen. Ohne daB das vom Kind zunâchst intendiert
ware, ziehen sie doch die Aufmerksamkeit der Mutter auf sich. Ihre
Reaktionen (zunachst ihre Handlungen, spâter ihre Worte) bewir-
ken ihre Verstârkung und Differenzierung für das Kind. Bald
lauscht das Baby, beobachtet die Mundbewegungen der Mutter,
erfaBt Laute insbesondere der mütterlichen Rede, die ihrerseits zu
seinen etgenen Produktionen beitragen. Ohne diese Reaktionen des
Objekts entwickeln sich die kindlichen Laute nicht zu kommuni-
katlven LautâuBerungen und Wortern« (Edgcumbe 1980: 82; Übs.
A.H.)
In dieser Formulierung verbirgt sich eine alte Theorie Freuds,
die ich oben (s. Seite 44) schon ausgeführt habe, und auf die auch
Spitz (1957) hinweist: Die Abfuhr durch Vokalinnervation des Kin-
des wtrd von der Mutter ais Zeichen »rniBverstanden~. und dieses
»Mi.Bverstandnis~ ennoglicht die für den Spracherwerb spezifische
Kommunikation (Freud 1950a). Man konnte also schon bei Freud
nachlesen, wie si ch die Annahme protosymbolischer oder pra-
kommunikativer Strukturen zwanglos durch ein Konzept der Mut-
ter-Kind-Interaktion auf triebtheoretischer Basis auflôsen lâBt.

Affektentwtcklung lm Dialog
Verbinden lâBt sich dieser Ansatz mit den Attaclunent-Forschun-
gen (vgl. oben Seite 130) und wetteren Untersuchungen zur frühen
Affektentwicklung, die teh schon 1m Zusammenhang der Methode
der Sauglingsbeobachtung erwâhnt habe (s. oben Seite 119).
Ihren etgentlich psychoanalytischen Schwung bekommen
diese Ergebnisse aber erst, wenn sie konsequent in etnem dyadi-
schen Ansatz gefaBt werden (vgl. Klann-Delius 1990). Diese gegen-
setttge Sicht der kindlichen Entwicklung ist weder in der akademi-
schen Psychologie noch in der Psychoanalyse selbstverstandlich
gewesen. In der Psychoanalyse allerdings war ste vorbereitet durch
die klinische Erfahrung des empathischen Dialogs, und dort be-
sonders durch cines Aspekt, der nach und nach zu einem. der
wtchtigsten Elemente der Behandlungstechnik wurde: das Phâno-
men der Gegenübertragung, das Psychoanalytiker schon relativ
früh beobachteten, aber lange nicht sine ire et studio offentlich zu
d.iskutieren wagten.
Die Haltung der EmpatWe wurde schon ln den Anfangen der Psychoanalyse als
unbewu.Bte, farder liche Einfühlung beschrleben (Kovacs 1911 ). Die Empath1efa-
h1gkeit stellt sowohl eine Voraussetzung des frühen Dialogs ln der Entw1cklung

145
dar (Kaplan 1977) als auch der psychoanalytischen Therapie, was besonders von
der Selbstpsychologen betont wird (Kohut 1977). Freilich unterliegt die Empa-
tWefàhigkeit selbst im Lauf der Entwicklung Reifungs- und Differenzierungspro-
zessen; als undifferenzierte wortlose Einfühlung spiegelt sie immer auch die
Objektwelt des Einfühlenden wied er, und das hei13t, sie kann ais Mittel der Et.n-
füWung in den anderen auch fehlgehen (Shapiro 197 4). Empathie. soviel genügt
festzuhalten, ist eine Vorbedingung der Analyse. aber sie ersetzt sie nicht.
Die Beobachtung. dai3 im analytischen ProzeJ3 eine emotionale und teilweise
auch unbewuJ3te Reaktion und Beteiligung auch auf seiten des Analytikers ent-
steht, batte Freud schon 1910 gemacht. Freilich ware eine offene Diskussion
über dieses Phanomen damals noch zu gef'éihrlich gewesen. Erst seit den fünfzi-
ger Jahren wurde die Gegenübertragung in der behandlungstechnischen, aber
auch in der wissenschaftstheoretischen Diskussion der Psychoanalyse vom
Odium des Unanstancligen bzw. Verzerrenden befreit und als wertvolles Er-
kenntnisinstrument gewürdigt (vgl. Hamburger 1993b; s. auch Seite 122). Da-
mals batte Rêne Spitz begonnen, seine Beobachtungsergebnisse an Sauglingen
vorzulegen. Sie machten deutlich, daJ3 zwischen Mutter und Kind tatsachlich ein
enges Zusammenspiel besteht. Ich habe bereits seine frühe Stellungnahme zum
»Motherese~ zitiert (Seite 65). Seit Spitz sind die psychoanalytischen Forschun-
gen zur frühen Interaktion jedoch weitergegangen und haben im letzten Jahr-
zehnt reiche Früchte getragen.

Ich stelle in den beiden folgenden Abschnitten zwei zusamm.enfas-


sende Darstellungen vor, von denen die eine - das Bu ch von
Brazelton und Cramer - sich dadurch auszeichnet, da13 sie beson-
ders einfühlsam und anschaulich die Phantasien der Mutter be-
schreibt, wâhrend die zweite - das Buch von Daniel Stern · brilliant
die Entwicklung des Selbsterlebens in der Interaktion mit der
Mutter darlegt und dabei eine Fülle von Forschungsbelegen inte-
griert. Dieses Buch ist besonders für diejenigen Psychoanalytiker
eine Fundgrube, die sich in ihrer klinischen Arbeit auf die Selbst-
psychologte von Heinz Kohut stützen. Doch hat es darüber hinaus
auch groBe Wirkung auf die psychoanalytlsche Diskussion in den
Bereichen der Metapsychologte , Entwicklungspsychologte und Be-
handlungstechnik ausgeübt. Man kônnte sagen, da13 es nach der
heftigen Kohut-Diskussion der siebziger und achtztger Jahre (vgl.
Hamburger 1984) nun eine nüchterne Forschungsphase eirùeitet.

Wte das Klnd seine Eltern krlegt

Auch die psychoanalytischen Sâuglingsforscher Brazelton und


Cramer, die teh bereits erwâhnt habe, entwickeln eine Stufenfoige
der frühen Interaktion. Sie unterscheiden vier Stufen, aufbauend
auf einer früheren Arbeit (Brazelton und Als 1979):

( l) Homôostatische Kontrolle (1. bis 10. Lebenstag): Das Neuge-


borene muB zunachst ein Gleichgewtcht zwischen Reizauf-
nahme und eigenen Impulsen errichten. Es stellt die Vorbe-
dingung für die weitere fruchtbare Kommunikation dar. Von
der Mutter erfordert diese Einstellung eine tiefe Einfühlung.
Sie erlebt den Kampf des Neugeborenen mit und freut sich rrùt

146
ibm über jeden kleinen Sieg. »Für die Mutter, die nach den
Anstrengungen der Wehen und Geburt mit ihren eigenen
Trennungsgefühlen, mit Niedergeschlagenheit und Labilltat zu
kampfen hat, muB es eine beruhigende Erfahrung sein zu se-
hen, da.B thr Baby allmâhlich immer besser zurechtkommt~
(Brazelton und Cramer 1989: 139).
(2) Verlangerung der Aufmerksamkeitsdauer (zwette bts achte Le-
benswoche): Nach Erlangung des ersten Gleichgewichts kon-
zentrieren sich die Sauglinge auf die sozialen Signale, die 1h-
nen ihre Umgebung darbietet. »Sie lernen, mit Hilfe der Si-
gnale der Erwachsenen ihre Konzentration zu wahren. Über-
dies setzen sie ihre etgenen, schnell wachsenden Fâh.:igkeiten -
Lâcheln, LautauBerungen, Mimik und motorische Signale -
ein, um ihre Aufnalunebereitschaft zu erkennen zu geben und
der Mutter Reaktionen zu entlocken« (ebd.). Diese Entwick-
lung gtpfelt in der Entwicklung des sozialen Uichlns um die
achte Lebenswoche. Die Mutter entwickelt in dieser Zett ein
neues Selbstbild, für das sie beim Baby, bei den Personen th-
rer Umgebung und in der Erinnernung an ihre eigene Mutter
nach Bestatigung sucht. Sie beginnt, das Verhalten des Babys
durch Locken und Mitziehen zu beeinflussen. »lm Lauf dieser
Entwicklung merkt sie allmâhlich, da13 ihr Wunsch in Erfill-
lung geht, 1lrrem Baby eine unentbehrliche und geliebte Mut-
ter zu sein« (ebd.: 141).
(3) Erprobung der Grenzen (0;3 bis 0;4): Sauglinge und Eltern
begtnnen, im Dialog die Grenzen des Babys zu erproben. »Sie
versuchen, die Fâh.:igkeiten des Babys zu steigern, ( 1) lnfor-
mationen aufzunehmen und auf sie zu reagteren und (2) sich
zurückzuziehen und sein Gleichgewicht wiederzugewinnen.
Dteser Dialog nimmt die Form orgamsterter Spiele an. lm Lauf
des dritten und vierten Lebensmonats bringen sensible Er-
wachsene das Baby an die Grenzen dieser betden Fâh:igkeiten
und geben ilnn dabet Zeit und Gelegenheit wahrzunehmen,
da13 sie diese gesteigerten Fâh.:igkeiten in ihr eigenes Verhal-
tensrepertoire aufgenonunen haben« (ebd). Das Spiel bestatigt
dem Baby sein inneres Kontrollvennogen und seine Fahigkeit,
sich emotional auf sein Gegenüber etnzustellen; der Mutter
bestatigt es, »daB sie fahig ist, ihr Kind zu verstehen und da13
sie vor allem auch in der Lage ist, seine Entwicklung zu for-
dem~. Brazelton und Cramer beschreiben diesen Honeymoon
aus der Sicht der Mutter: »ln demselben Zeitraum wird der
Mutter hâuftg deutlicher denn je bewuBt, da13 sie ein lie bender
Mensch ist. Sie kann ihren Mann und ihre eigene Mutter mit
noch groBerer Inntgkeit lieben. Sobald ihr diese Kraft und
Starke bewuBt ist, weichen die depressiven Gefühle, die sich
nach der Entbindung eingestellt haben, so daB sie die Mutter-
schaft in vollen Zügen genieBen kann~ (ebd.: 142).

147
(4) Entwicklung der Selbstandigkeit (0;4 bis 0;5): Nach ,d ieser
Spielphase kommt ein Abschnitt, in dem zmn einen die ko-
gnitiven Fahigkeiten des Sauglings sprunghaft wachsen: er
entwickelt eine deutliche Kenntnis seiner Umgebung und zeigt
Objektpermanenz. Das Baby beginnt, in den Spielen mit den
Erwachsenen zu »führen~. Es entzieht sich dem Blickkontakt
und wendet sich wieder zu, ais wolle es die Aufmerksamkeit
der Eltern testen. Manchmal wendet es sich auch entschlos-
sen ab, mn eine Überlastung durch die neugewonnene Frei-
heU zu verhindern. Diese Rückzugssignale sind für die Mutter
zunachst schwer zu verkraften. >~Ail die Signale, die sie zuvor
als negative Zeichen zu deuten gelemt hat - Vermeiden des
Blickkontakts, Ausweichen, Abwenden -, werden sie schwer
treffen. Bis sie in der Lage ist, sie als Zeichen der Starke und
als Beweis für die Selbstandigkeit des Babys zu betrachten,
fühlt sie sich wahrscheirùich im Stich gelassen« (ebd.: 145).

Entwicklungsstufen der frühen Interaktion (nach Brazelton und Als 1979


und Brazelton und Cramer 1989)

Phase Entwicklungs- Rolle von Entwicklungsaufgabe


aufgabe Mutter 1 Vater von Mutter 1 Vater
Homoostati- Gleichgewicht Schutz des Babys Einfühlung. Identi-
sche Kontrolle zwischen Reizen vor ReizüberHutung. flzierul)_g mit dem
(0 - 10 Tage) und Reaktionen. Abstimmung des ei- Baby, Oberwindung
Aufmerksamkeit. genen Verhaltens der Trennungs-
mi t der Reizschwelle depression.
des Babys.

Verlangerung Aufnahmebereit- Rhythmusanpas- Mütterliches Selbst-


der Aufmerk- schaft für kom- sung. Verstârkende bild. ldentifizierung
samkeitsdauer plexere Signale. Nachahmung. mit der eigenen
(2.-8. Woche) Eigene Signale. Mutter.
Synchronisierung.
Soziales Uicheln.
Erprobung Gesteigerte ln- Testen der Grenzen Erprobung und Ken-
der Grenzen formationsauf- des Baby~: Gelege n- trolle mütterlicher
3.-4. Mo. nahme. heit zum Uben. Fahigkeiten und Hin-
Entschiedener Spiele. gabe. Liebe.
Rückzug. Spie le.
Entwicklung Spontanes Er- BewuBtsein der Ei- Überwindung der Ver-
der Selbstan- kunden der Um- genstândigk~it unstcherung d urch
digkeit gebung. Rufen. des Babys. Uberlas- die »Manipulationen«
4.·5. Mo. Objektperma- sen der Führungs- des Babys.
nenz. ~Manipu­ rolle im Spiel.
lieren« der
Eltern.

Die Dialogsequenzen gerade in der vierten Phase sind von groBer


klinischer Bedeutung: denn an dieser Stelle fühlen sich manche
Mütter von der beginnenden Selbstandigkeit des Kindes so abge-

148
-
lehnt, daB sie sie ignorieren, überspielen oder mit starken negati-
ven Gefühlen beantworten. Wie sehr sich das Baby seinerseits
danun bemüht, da13 dieses MU3verstandn1s nicht eintrttt, zetgt die
folgende, konstruierte Interaktionssequenz:
»Die Mutter hâlt ihren kleinen Sohn auf dem SchoB, so da.B sie elnander lns Ge-
slcht sehen; eine leise, einladcnde Geste der Mutter bcantwortet das Baby mit
elnem Lacheln oder einer anderen mimischen Reaktion. Die Mutter lâchelt auf-
munternd zurück. Zehn bis fünfzelm Sekunden lang tauschen si.e in konzen-
trierter Interaktion Signale aus. Jeder nimmt den Bewegungsrhytlunus des an-
deren wahr und berücksichtigt den Grad seiner Aufmerksamkeit. SchlieBlich
bricht das Baby die Interaktion ab. Der Kleine sieht - wie zufallig - von der Mut-
ter weg. Oft betrachtet das Baby einen seiner Schuhe. Die Mutter versucht, sei-
nen Blick wieder aufzufangen, indem sie die Signale lntensiviert. Das Baby sieht
an ihr vorbci auf den anderen Schuh. Sie versucht, sich in sein Blickfeld zu
schieben. Das Baby windet sich geschickt zur Seite, um den anderen Schuh zu
betrachten. Valle drei Minuten lang bestimmt das Baby ihr Verhalten, indem es
sie veranlaBt, sich zurückzulehnen und vorzubeugen, wahrend es selbst ab-
wechselnd den rechten und linken Schuh untersucht. Gibt sie aber auf und
sieht weg, la.Bt es augenblicklich von den Schuhen ab, sieht ihr ins Gesicht und
fangt ihren Blick wieder ein. lm verlaBlichen Rahmen i.hrer Interaktlon hat das
Baby seine autkeimende, aber noch unsichere Selbstândigkeit erprobt«
(Brazelton und Cramer 1989: 144).
Es ist leicht vorstellbar, welche intensiven Gefühle eine Mutter haben kann.
werm sie dleses Abwendungsspiel die ersten Male mitmacht. Es wtrd sehr viel
davon abhangen, mit wieviel Humor und Selbstsicherheit sie sich darauf etnlas-
sen kann. Wenn das Baby am SchluB der Sequenz auf einen von Trauer oder
Zorn. verschleierten Blick trifft, so ist genau das miBlungen, worum es in dieser
Phase der Entwicklung geht.

Der amerikanische Entwicklungspsychologe und Psychoanalytiker


Daniel Stem hat die frühen intentionalen ÂuBerungen des Babys
ais Wurzeln der Fahigkeit ZUT Kommunikation und ZUT Konstruk-
tlon des Selbst beschrieben.
Stem beschreibt in mehreren, seit threr Übersetzung auch 1m
deutsche.n Sprachraum sehr bekannt gewordenen Büchern ( 1977,
1986) die Affektentwick.lung im Dialog. Sie wird erst dadrnch mog-
ilich, dai3 die Mutter durch ihre analoge, imitierende oder komple-
mentare Reaktion auf den Affektausdruck des Kindes eine Rück-
meldnng bietet. Dabei muB- das hebt Stern besonders hervor- die
mütterliche Reaktion keineswegs in derselben Affektmodalitât ab-
laufen wie der UTsprüngliche kindliche Affektausdruck, auf den sie
reagiert. lm Gegenteil: die Modulierung der kindlichen Affekte, die
die Mutter durch ihr »Mitspielen« zuwege bringt, hângt ganz eng
damtt zusammen, da13 sie die Affekte nicht nUT in eine andere In-
tensitat überführt, sondern oft auch mit einem anderen, kontra-
stlerenden Affekt beantwortet. Ein deutliches Beispiel dafiir ist das
•lch-bin-jetzt-bôse«-Spiel: In einer gutgelaunten Spielsituatlon run-
zelt die Mutter absichtlich übertrieben die Stim und schaut das
Kind bôse an, so dai3 es die Affektspannung zwischen Lachen und
Erschrecken maximal ausreizen kann. Kurz bevor der Schreck
überhand n1nunt, macht die Mutter durch plôtzliches GHitten der

149
Stirn, Lachen und Umarmen thn wteder gut- was bei den Kindem
oft zu lauten Freudenschreien und dem sofortigen Wunsch nach
Wiederholung des Wechselspiels führt. Durch solche Reaktionen
der Mutter lernt das Ktnd, wte mit einem lebendigen, aktlv
antwortenden Spiegel, erst seine eigenen Affekte erkennen und
vergleichen. Gleichzeitig entsteht in diesem affektiven Dialog auch
ein lebendiges Selbsterleben und ein flexibles und anpassungsfâh:i-
ges Bild vom Anderen.
Der zentrale Begriff, um den Sterns Darstellung organisiert
ist, ist der Begriff des Selbstempfindens. Die folgende Abbildung
zeigt, in welchen Stufen sich nach Stern das Selbstempfinden
entwickelt. Sie sind ntcht als abgeschlossene Stadien, sondem
eher als kritische Entstehungsphasen zu verstehen - Stem selbst
spricht noch vorsichtlger von "Bereichen der Bezogenheit". Die in
den jeweiligen Bereichen erworbenen Strukturen sind zwar erst an
einem bestirmnten Punkt der Entwicklung zuganglich und bauen
aufeinander auf, bestehen danach aber lebenslang weiter.

Bereiche der Bezogenheit (nach Stern ( 1986)

Alter 1 Selbstedeben Objekterleben Erleben und Verhal-


Stufe des Kindes des Kindes ten der Mutter
0-0;2 In-Beziehung-Setzen Auftauchende Erspüren und koope-
auftauchen- von Affekten, senso- Bezogenheit. rative Regulierung
des Selbst motorischen Sche- Sicherun~ sozia- physiologischer
mata, Wahrnelung. ler Jnteraktion. Bedürfnisse.
0;2-0;6 Kôrper-Selbst (Ko- Kern-Bezogenheit. Babysprache. Spiele
Kern- hârenz). Willen (Ur- Erleben kôrper- regulieren Selbsterle-
Selbst heberschaft). Selbst- licher Getrennt- ben und unterstützen
Affektivitat. heit. Unterschied- Jnvariantenbildung.-
Kontinuitat. liche Affekte.
Geschichte.
0;7 -0;9 Subjekthaftigkeit. Intersubjektive Affektabstimmung
subjektives Subjektive mentale Bezogenheit (transmodal).
Selbst Zustande (unbewuBt SubjektivWit des
und non-verbal). Anderen. Intimitât.
1 ;3-1;6 Empfmdung von per- Verbale Bezogen- Aushandeln von Be-
verbales sônlicher Welterfah- heit. Kommuni- deutungen. Versprach- :
Selbst rung. Verbalisieren zierbare Bedeu- lichen von Interaktio-
von Urheberschaft tungen. nen und Empfindung.
und Geschichte.

Wie eng verzahnt das Erleben von Mutter und Sâugling ineinan-
dergreift, und wie unentbehrlich dieses Ineinandergreifen für die
Entwicklung ist, kann man an vielen Entwicklungsszenarien nach-
vollziehen, die Stern in seinem Hauptwerk ( 1986) bespricht. Ich
habe oben schon bei der Besprechung der Vitalitatsaffekte (s. Seite
128) auf d.ieses feine Zusammenspiel Wngewtesen. Hier will ich ein
wetteres Kapitel dieser von Stern beschriebenen Interaktionsse-

150
quenzen aufschlagen. Ich kann es nur stark vereinfacht· darstellen,
was sicherlich ein Verlust ist; denn die ungeheure Fülle von De-
tailbeobachtungen und empirischen Belegen, mit denen Stern
seine Argumentation stützt, fâllt der Vereinfachung notwendi-
gerwetse zum Opfer. Das Beispiel, das teh herausgreifen will, ist
das Zusammenspiel von Mutter und Kind im Bereich der Kem-Be-
zogeiÙleit.
Die Entwicklung des Selbsterlebens 1m Bereich der Kembezogenheit ist charak-
terisiert durch das Erleben von Urheberschaft, Selbstkoharenz, Selbstaffektivitat
und Selbstgeschichtlichkeit. Das Kind erlebt sich als Autor seiner Willkürbewe-
gungen; es erlebt sich als kôrperliches Ganzes, das Gefühle hat, die zu ihm ge-
hôren wie die Rückmeldung der Kôrperbewegungen; und es erlebt sich selbst in
allen drei genannten Bereichen in einer zeitlichen Dauer. Diese vier elementaren
Selbsterfahrungen stellen Invarianten dar, die der saugling aus seinen stets
wechselnden Erfahrungen herausfiltert. Dieser ProzeB kann nur gelingen, wenn
er von den erwachsenen Bezugspersonen aktiv unterstützt wird. Die
»Babysprach~ oder »Ammensprache~ (s. a. Seite 158), die Erwachsene Kindem
gegenüber anwenden, unterstützt sie z.B. darin, Invarianten zu identifizieren.
Die überdeutliche Artikulation und die rnehrfache Wiederholung erleichtert es
dem Kind, Zusarnmenhange zu erkennen. Gleichzeitig wird jede Wiederholung
ein wenig abgewandelt und spielerisch umgeformt. Die Angebote an das Baby
sind wie ein Thema mit Variationen. Dadurch entsteht eine optimale Stimula-
tion: Das Kind wird weder durch zu viel Neues überfordert nœh durch zu ste-
reotype Wiederholung gelangweilt. Das hilft beiden, bei der Sache zu bleiben:
»Wenn Betreuungspersonen jene durch den Saugling ausgelôsten, übertriebenen
Verhaltensweisen zeigen und sie als Thema mit Variationen gestalten, tun sie
dies nicht, damit der Saugling interpersonale Invarianten kennenlemen kann -
dies geschieht zwar, ist aber eigentlich ein Nebenprodukt. Das Verhalten hat
vielmehr den Zweck, dem Saugling zu helfen, sein Erregungsniveau innerhalb
seines Toleranzbereichs zu regulieren (und es sorgt überdies dafür, dai3 die El-
tern sich nicht langweilen}.< (Stern 1986: 111 ). Übrigens ist diese Regulierung
des Erregungsniveaus etwas Gegenseitiges: Auch der Sâugling beeiniluBt das
interaktive Spiel durch Blickrichtung, Mimik und Vokalisierung. Seine Mai3-
nahmen scheinen ebenso deutlich darauf abzuzielen, sein Erregungsniveau 1m
Optimum zu halten. Wenn es zu fade wird, zeigt er auffordernde Signale; wird es
zu stürmisch oder aufregend, so »bremst~ er durch Abwenden des Blickes und
andere Rückzugssignale.
Das Wechselspiel dient also dazu, ein optimales Niveau aufrechtzuerhalten,
in dem der Sâugling seine Selbst-Invatianten identifizieren kann. DaB der In-
teraktionspartner mitspielt, ist dabei von unterschiedlicher Bedeutung. Das
Gefühl der Urheberschcift scheint dem Saugling schon durch seine Selbstwahr-
nehmung deutlich zu werden. Es entsteht z.B., wenn er wiederholt bemerkt, dai3
seinem Handeln · soweit es nicht reflexbedingt ist, und das ist es in dieser kriti-
schen Phase eben immer weniger - ein »Wollen«, ein motorischer Plan voraus-
geht. Auch durch das propriozeptive Feedback seiner Muskelaktivttaten erfah.rt
er bereits ein Gefühl der Autorschaft und erlebt den Unterschied zwischen wiU-
kürlichen und unwillkürlichen Bewegungen. Und schlieBlich erlebt er seine Ur-
heberschaft auch in den Handlungskonsequenzen, die sein Handeln bewtrkt und
die drei bis vier Monate alte Sauglinge durchaus schon mit ihren Handlungen in
eine Kausalbeziehung bringen kônnen. Die zweite wichtige Invariante, die Selbst-
Kohiirenz, scheint schon deutlicher auf das Wechselspiel von Mutter und Kind
gestützt zu sein. Stem zâhlt verschiedene Erfahrungsmerkmale auf, die an der
Entstehung der Selbstkoharenz beteiligt sind; darunter sind einige reflexbedingt,
einige bedürfen der Unterstützung der Mutter: sa ist z.B. die zentrale Erfahrung

151
der Kohlirenz der zeitlichen Struktur eine Erfahrung, die das Kind vor allem an
der Mutter macht, wenn sie spricht und sich dabei bewegt. Sprechen und Bewe-
gen ist immer synchronisiert wie ein Orchester (vgl. Seite 142); wenn Mütter mit
ihren Sâuglingen sprechen, übertreiben und pointieren sie diese »Selbst-Syn-
chronizitât~. was es wiederum dem Baby erleichtert, die Koharenz der zeitlichen
Struktur zu erfahren. Âhnliches gilt für die Invariante der Selbst-Affektivttiit.
Auch die Selbst-Geschtchtltchkelt, die die übrtgen Invarianten in eine zeitliche
Da uer integriert, basiert auf dem dyadischen Zusammenspiel.
Integriert werden diese Invartanten in dem sich bildenden Gedachtnis des
Kindes. Stern fa.Bt das Gedachtnis mit Tulving ( 1972) ais •Episoden-Gedachtn.isc
auf. Nach dieser Theorie sind die Gedachtnisinhalte in Form kleiner szentscher
Einheiten gespeichert, die Informationen über verschiedene Attribute gelebter
Erfahrungen beinhalten, namlich über die mit diesen Erfahrungen verbundenen
Empfindungen, Wahmehmungen, Handlungen, Gedanken, Mfekten und Zielen
und ihren zeitlichen, raumlichen und kausalen Beziehungen untereinander. Zu-
samrnen bilden diese Attribute und Beziehungen jeweils eine kohârente Episode
der Erfahrung. Die Episoden werden gespeichert und im Faile einer ais âhnlich
empfundenen Wiederholung generalisiert; sie begründen die Erwartungen, die
der Sâugling an âhniche Erfahrungssitationen herantragt. Abweichende Wie-
derholungen werden ais Abweichungen gespeichert. Stern bezeichnet die Gene-
ralisierungen ais ~aeneralisierte Interaktionsreprasentanzen4( (~RIG4<). ~rues kôn-
nen also eine Grundeinheit der Reprasentation des Kern-Selbst bilden. RIGs re-
sultleren aus dem unrnittelbaren Eindruck mannigfaltiger, realer Erfahrungen,
und sie integrieren die unterschiedlichen Handlungs-, Wahrnehmungs- und Af-
fekt-Attribute des Kem-Selbst zu einem Ganzen. RIGs kônnen nach besonderen
Attrtbuten geordnet werden, ebenso wie Attribute nach RIGs geordnet werden
kônnen. Jedes bestimmte Attribut, etwa der hedonische Tonus, grenzt die Art
der RIGs, die bei Vorhandensein dieses Attributs wahrscheinlich auftreten wer-
den, ein4< (Stem 1986: 143 f). Stem betont, da.B bei der Organisation des episodi-
schen Gedachtnisses für den Sâugling immer auch der Interaktionspartner eine
Rolle spielt. lm Gegensatz zu manchen psychoanalytischen Theorien, die von
frühen Zustanden der Verschmelzung mit der Mutter ausgehen, meint Stem,
da.B der Andere ais abgegrenzter •Kem-Anderer4( erhalten bleibt, jedoch in einer
spezifischen Funktion ais Figur eines Anderen, der das Selbsterleben reguliert.
Das kann sich anfühlen wie eine Verschmelzung, ist aber keine, denn die kogni-
ttven Unterscheidungsfah.igkeiten des Kindes bleiben dabei ungeschmâlert (vgl.
Stem 1986: v.a. 152-172). Stem nennt diese internalisierte Figur elnes das
Selbsterleben regulierenden Anderen einen ~fâhrten~. Jede Interaktion erin-
nert den Saugling an frühere, âhnliche Interakttonen (evoziert eine RIG) und se-
lektiert aus dieser RIG das Erinnerungsbild elnes ~vozierten Gefâhrten4<. Es wird
mit der aktuellen Wahmehmung des Gefâhrten verglichen. Das Ergebnis dieses
Vergleichs geht in die Speicherung der aktuellen Situation ein, aiso in eine neue,
modiflzierte RI G.
Sieht man sich diesen Vorgang, den ich bisher zur Vereinfachung nur aus der
Perspektive des Sâuglings beschrieben habe, in seiner Gesamtheit an, so weckt
eine spezifische Interaktionsepisode auf beiden Seiten RIGs, aus denen
~vozierte Gefah.rten4( selektiert und aktiviert werden. Auf seiten des Kindes sind
das vor allem RIGs aus Interaktionen mit der Mutter; sie gehôren allesamt zum
»Arbeitsmodell des Sauglings von der Mutter4<. Auf seiten der Mutter gruppieren
sich die evozierten RIGs zu mehreren Arbeitsrnodellen; Stern nennt neben dem
»mütterlichen Arbeitsmodell des Sâugling~ auch das des Selbst, der eigenen
Mutter und des Mannes. Erfahrungen aus diesen lnteraktlonen bzw. ~vozierte
Gefâhrten4< aus diesen Arbeitsmodellen flie.Ben in das subjektive Erleben ein, das
die Mutter vom Sâugling in der augenblicklichen Interaktion entwickelt.

152
Dieses Bild des »lnteraktionsgeschehens als Brücke zwischen den
beiden subjektiven Welten der Mutter und des Kindes« paBt gut
zur psychoanalytisch-interaktionellen Theorie. Zwar enthâlt es eine
Kritik an den Theorieaspekten der Verschmelzung und der Sym-
biose, die es durch eine di:fferenzierte Interaktion von psychischen
Tellstrukturen ersetzt. Doch stellt diese Kritik keine Verwerfung
der Psychoanalyse dar, sondem konnte als empirische Bestatigung
verstanden werden (vgl. auch Lichtenberg 1983, Ciompi 1982 und
Dornes 1993).
Affect attunement
Der Bereich der Bezogenheit, der s1ch nach dem eben geschilderten
Kern-Se1bst als nâchstes entwickelt, tst nach Stern das »Subjektive
Se1bst«. Es ist gekennzeichnet von der begtnnenden Subjekthaftig-
keit. lm Mitte1punkt der Interaktionen, die für die Auspragung die-
ser Struktur des Erlebens bedeutsam sind, steht die Affektab-
stimmung. Stern versteht darunter das Zusammenspiel von Affekt-
auBerungen des Kindes und der Antwort der Mutter, und zwar ein
ganz bestimmtes Zusammensp1el. Die Reziprozitât der Verhaltens-
we1sen von Mutter und Kind ist von vielen Sâuglingsforschern be-
obachtet und beschrieben worden; so haben z.B. Mechthild und
Hanns Papousek (vgl. Papousek und Papousek 1989) den Aus-
tausch von vokalen Gesten zwischen Mutter und Kind etngehend
beschrieben. Stem legt jedoch besonderes Gewicht auf den trans-
modalen Austausch, d.h. es sptelen nicht nur die Beantwortung
von Gesten nùt Gesten oder Tonen mit Tonen eine Rolle. sondern
die Spiege1ung etnes bestinunten Intensttâtsverlaufs in einem an-
deren Modus des Ausdrucksverhaltens. Das folgende Beispiel mag
veranschaulichen, worum es hier geht:
»Ein neun Monate altes Madchen gerat beim Anblick eines Spielzeugs in helle
Aufregung und streckt die Hand nach ihm aus. Als sie es ergreift, lâ.Bt sie ein
verzücktes, stolzes ~Aaaah!~ vemehmen und blickt ihre Mutter an. Die Mutter
erwidert den Blick, zieht die Schultem hoch und führt mit dem Oberkorper
elnen prachtigen Shimmy auf, wie eine Go-go-Tânzerin. Der Shimmy dauert nur
etwa so lange wie das ~Aaaah!~ des Mâdchens, ist aber von der gleichen Freude,
Erregung und Intensitât erfüllt.c (Stem 1986: 200).
Dieses Beispiel zeigt, wie ein spontaner Affektausdruck des Kindes in einem
anderen Modus von der Mutter beantwortet wird. Die Antwort ist fein abge-
stimmt auf Dauer, Intensitât und Intensitâtsverlauf des Spontanausdrucks des
Kindes.

lm etnzelnen laBt sich die Übereinstimmung überprüfen an den


Parametern Intensitât, Intensitâtskontur, Takt, Rhytlrmus, Da uer.
Gestalt. Stern ist der Auffassung, daB der Gegenstand der M-
fektabstimmung nicht die etgentlichen »diskreten Affekte« wie
Freude, Wut etc. sind, sondem die bereits beschriebenen
:.Vitalitâtsaffekte« (s. oben Seite 128). Die Abstlmmung ist auch
n1cht eine Interaktionssequenz, die erst auf bestinunte, hervorge-

153
hobene ÂuBerungen des Kindes hin anhebt, sondern ein fortwah-
render, ununterbrochener ProzeJ3 der gegenseitlgen Orientierung
(vgl. Stern 1986: 224).
Diese Ausdifferenzierung eines Abstlmrnungsprozesses ist
nach Stern eine der wichtigsten Vorbedingungen der Sprachent-
wicklung. »Werm man sich die Entwicklung als einen von der
Nachahmung über Analogte und Metapher zu Symbolen fort-
schreitenden Proze.B vorstellt, dann vermittelt die Phase, in der
sich das subjektive Selbst herausbildet, die Erfahrung mit der
Analogie in Form von Abstimmungen, und dies stellt einen ent-
scheidenden Schritt zur Anwendung von Symbolen dar« Stern
1986: 230).
lm Gegensatz zu verhaltensbezogenen Auffassungen, die leicht
dem Fehler verfallen, einzelne beobachtbare Verhaltensausschnitte
in ihrer isolierten Entwicklung zu beobachten, zeigt Sterns psycho-
analytischer Ansatz, wie eng vernetzt die affektlve mit der sprachli-
chen Entwicklung ist, wie die Affekte selbst von den Grundmelo-
dien der Vitalitatsa:ffekte durchzogen sind und wie wichtig ihre In-
tegration in das Selbsterleben ist. Und nicht zuletzt macht er deut-
lich, da.B Interaktion ein unentbehrlicher Blickwinkel ist - und
zwar nicht nur die Interaktion auf der Ebene des spezifischen Ver-
haltens, sondern auch auf der Ebene der Phantasien und Affekte,
die von ihrer eigenen Lebensgesch1chte mitbestlmrnt sind. In die-
sem Sinne bezeichnet Dornes die Affektabstimmung sogar ais
»Transmissionsriemen elterlicher Phantasien« (Dornes 1993: 156).

5.5. Übergang zur verbalen Interaktion


Brazelton und Cramer haben in ihrem bereits ausführlich zitierten
Buch eine ganze Reihe von Fallvignetten ausgeführt, die Szenarten
der imagtnaren Interaktion zwischen der Mutter und dem praver-
balen Saugling aufzeigen. Sie machen dabei eindrucksvoll deutlich,
wie wesentlich die vergangenen Beziehungserfahrungen der Eltern
auf ihre Interpretation des kindichen Verhaltens einwtrken und auf
diesem Weg die Entwicklung mitbestlmmen. Die affektive Abstim-
mung erfolgt auf beiden Seiten unter dem Leitbild einer Phantaste
über das Selbst ebenso wte über den Anderen, und diese wiederUDl
ist bedingt durch mehrere subjektive Faktoren: durch die Affekt-
lage, das Erregungsniveau und die aktivierten episodischen Erin-
nerungen auf beiden Seiten, und damit auch durch die zurücklie-
genden Erfahrungen nicht nur der Eltem, sondern auch des Saug-
lings selbst.
Aus ail den geschilderten Feinabstimmungen auf verschie-
denen Ebenen, »Frequenzbandern« und Affektmodalitâten ergtbt
sich für das Kind eine sehr spezifische Grundlage für den Erwerb
der Sprache 1m engeren Sinn. Kein Kind kônnte sprechen lemen,
kein sprachlicher Dialog ware einzufadeln und aufrechtzuerhalten,

154
wenn nicht die Grundprinzipien bereits in der unglaublich intensi-
ven, einfühlungs- und intuttionsgeleiteten Schule des vorsprachli-
chen Dialogs gelernt worden waren. Dieser Dialog findet bis zum
Begtnn der verbalen Komrnuntkation und darüber hinaus rund um
die Uhr statt; die Schlaf- wie die Wachpertoden leisten ihren Bei-
trag dazu; sein Begtnn laBt sich bis vor die Geburt zurückdatieren.
Er ist die dichteste "Programmierungsarbeit", die wtr kermen, und
mehr ais das: denn er ist gegenseittg. Er verandert alle Beteillgten.
Welche Grundprinzipien sind es nun, die in dieser Zeit ent-
stehen? Klann-Delius (1990) zâhlt die folgenden Prinzipien der
Rede auf, die als Grundqualifikationen zur Kommunikation gelten:
Wechselse:tttgkeit, Intentionalitat, Zweckgebundenhe1t, Personen-
gebundenheit, Intersubjektiv1tât (Wissen darum. daB auch der an-
dere Redeintentionen hat). Erst die Beherrschung dieser Grund-
prinzipien des Dialogs machen es dem Kind môglich, eine verbale
Sprache zu lernen und anzuwenden.

Alfektiver Dialog und die Entwicklung der Intentionaliti:it und des


Selbstkonzepts

Die Modulierung von Affekten und die Strukturierung früher


Objektreprâsentanzen finden also irn Dialog statt. Wie aber führt,
genau betrachtet, diese Dialogbeziehung zur Bildung sprachlicher
Strukturen? Auch hierzu finden sich im Umkreis der psychoanaly-
tlsch 1nsp1rierten Sâuglingsbeobachtung interessante Theoriean-
sâtze. John Dore leitet aus dem affektiven Dialog zwischen Mutter
und K1nd die Bildung intentionaler Sprechakte ab. Voraussetzung
dieses Entwicklungsschrittes ist nach Dore das Erreichen einiger
der oben beschriebenen prâverbalen Fâhigkeiten: Das gezielte
Greifen nach Objekten, direkter Ausdruck von Affekten und auf-
merksame Wahrnehmung von ÀuBerungen der Bezugsperson so-
wie Reaktion darauf. Unter diesen Bedingungen kommt nach Dore
ein zweistufiger Dialog zustande, der sich wie folgt beschreiben
laBt (der Einfachheit halber wird hier von »Mutter« und »Baby« ge-
sprochen; Dore postuliert die Gültigkeit dieses Ablaufs aber auch,
werm der Vater oder andere Bezugspersonen die Stelle der Mutter
eirmehmen):

(1) Affekt-matching im Sinne von Stern (1977, 1985). Durch diese


Interaktion wtrd der ursprüngliche Affektausdruck für das
K1nd sowohl (durch die Imitation) beobachtbar als auch
(durch die KontrastierungJ abgrenzbar. Dore postuliert, daJ3
sich dabei auch ein wesentlicher Schritt in Richtung Sprach-
entwicklung ergtbt: durch das matching werden die primâren
Affektausdrücke des K1ndes zu Intentlonen. Das K1nd entdeckt
in der mütterlichen Reaktion eine beobachtbare Geste für das,
was es fühlt. Diese Geste kann es sich merken und sie repro-
duzieren - und damit ist aus dem spontanen Affektausdruck
auf dem Weg über die Reaktion der Mutter ein reproduzierba-
155
res inneres Ausdrucksbtld, ein Zeichen, geworden. 21 Das al-
lein würde aber noch nicht erklaren, warum das Kind diese
Zeichen auch verwendet, also sich in Richtung der sprachlt-
chen Kommunikation weiterentwickelt. Erst aus der Situation
des Korifllkts ergtbt sich der Übergang zmn Wort. Freilich er-
hebt sich wieder die Frage: warum benützt das Baby die neu-
gewonnene Intentionalitat? Wozu client ibm die zusatzllche
Môgllchkeit, die Mutter anzuschreten? Dore sieht den Nutzen
für das Kind darin, daB in der konflikthaften Interaktlon die
Gemeinsamkeit bedroht ist und Angst entsteht. Hat in die~er
angsterfüllten Situation das Kind die Môglichkeit, setnen Ar-
ger tntentional auszudrücken, so fordert es damit die Mutter
zu einem positlven Affekt-matching auf. In die Sprache der
Erwachsenen übersetzt: »Siehst du, wie wütend ich bin?~- Der
intentionale .Argerausdruck erlaubt dem Kind, die Beziehung
zu testen.

»Konflikt entsteht, werm das kommunikative matchlng der


Bezugsperson dem Affektzustand des Babys zuwiderlâuft.
Zum Beisp1e1: das Baby versucht, einen Gegenstand in den
Mund zu stecken, und die Mutter verhindert es; das fülrrt
dazu, daB das Baby einen »Protest~-Affekt ausdrückt, durch
eine p1ôtzliche, hohe, vokalartige LautauBerung, begleitet von
offensichtlich argerlichem Armwedeln; die Bezugsperson weist
das Baby zurück mit einem deutlich argerlichen »willst du
wohl aufhoren deine Mutter anzuplarren!~; was das Baby mit
einem noch hôheren, auBerst heftigen »Protest~ beantwortet.
(. .. ) Das Kind kann das Verhalten der Bezugsperson (das
Verbot) natürlich nicht als Form seines ursprüngllchen M-
fekts erkennen. Sein Protest ist ausge1ôst durch das Verbot -
d.h., sein Pro test ist ein unmitte1barer Ausdruck eines negatl-
ven Affekts, der eine analoge Reaktion auf die negative Hand-
lung des Verbots darstellt. Daf3 hier die Bezugsperson Inten-
tionen beim Baby induziert, wird noch deutlicher in der fol-
genden Runde dieser Interaktion: Nach dem matching von in-
tensiven Verboten und Protesten senkt die Bezugsperson ih-
ren Ton und sagt wiederholt: »Nein, habe teh gesagt~ und zieht
ibm den Gegenstand wieder weg. Das Baby protestiert wütend
und schaut die Bezugsperson dabei an. Es wirkt, als habe es
in diesem Moment, durch den Eingriff der Bezugsperson, sei-
nen negativen Affekt bemerkt und kônne ihn nun zum ersten
Mal ausdrücken wollen. ( ... ) Durch solche Konflikte werden
bestimmte, motlvierte Affektausdrücke in Ausdrucks-
intentionen transformiert (Dore 1983: 169 O.

21 Die Âhnlichkeit dieser Theorie mit der Objektbeziehungstheorie ist


unübersehbar. Vgl. dazu oben Ka p. 1.3 .. besonders Seite 75

156
(2) Dteser Vorgang begründet zwar intentionale Alde, er genügt
aber noch ntcht für die Sprachentwicklung. Dore postuliert
einen zweiten Schritt: Indem die Bezugsperson auf die 1nten-
tionalen Ausdrücke des Kindes wiederum 1m Sinne etnes
matching reagtert, verbindet sie diese mit konventionellen
Sprachformen. lm Unterschied zum ersten Schrttt geht es hier
nicht mehr um die Anpassung des Affekts selbst - dieser ist
dem Kind bereits deutlich und kann tntentional ausgedrückt
werden - sondern um die Anpassung der Form des Affektaus-
drucks an die (Sprach- bzw. Ausdrucks-) Konvention. Auch
dieser Schritt spielt sich noch vor der Festlegung bestimmter
Worter für bestimmte Inhalte ab; was hier geleistet wird, ist
lediglich die Ablosung der Ausdrucksform von der konkreten
Intention, so wie zuvor die konkrete Intention vom konkreten
Spontanausdruck abgelost wurde. Um das zuwege zu bringen,
mu13 das K.ind nicht nur von der kognttiven Verarbeitung und
vom phonologtschen Inventar her verschiedene Affektaus-
drücke (z.B. ZustimmungsauBerungen und AblelmungsauBe-
rungen) auseinanderhalten konnen. Es mu.B auch einen Part-
ner haben, der einer kon:fljkthaften intentionalen Lautau13e-
rung eine konventionelle Sprachform entgegenhalt - konflikt-
haft deshalb, weil 1m Fall des positiven matching das Kind
nicht gezwungen ist, die Angst vor Verlust der Einheit mit
dem Anderen durch Anpassung zu bewilltigen. 22

Die LautâuBerungen, von denen Dore hier spricht, sind weder refe-
rentielle Lautâu13erungen (z.B. Worte) noch reine Plapperlaute,
sondern au.Berlich wohlabgegrenzte, in âhnl:icher Form in ver-
gleichbaren Situationen wiederkehrende Lautgebtlde. Dore nennt
sie »indexikalische Ausdrücke« oder »primitive Sprechakte« (Dore
1975) und unterscheidet mehrere Formen. Der ersten der hier be-
sprochenen Stufen ordnet er die · »Affekt-Indexikale« zu; sie stellen
unmittelbare Affektausdrücke von noch sehr schwankender Fonn
mit intentionalem Charakter dar (»intending-in-expressing«). Der
zweiten Stufe ordnet er die »formalen lndexikale« zu, die stabtler
und der Ewachsenensprache naher sind; sie werden in milderem
Ton vorgebracht und tragen deutlicheren Hinweischarakter. Sie
sollen einen Affekt gegenüber anderen zum Ausdruck zu bringen
(»intending-to-express«). Dennoch kann man sie noch nicht als se-
mantische Wortgebilde auffassen, da sie semantisch weit überge-
neralisiert sind. Um zum Wort zu werden, müssen sie wettere Be-
dingungen erfüllen.

22 Dore weist selbst auf die Folgen dieser Situation für die Entwicklung von
Jch-Identitât und Sozialkompetenz hin. Es ist entscheidend, da.B auch die
aggressiven oder negativen Âu13erungen des Kindes noch sprachltch
beantwortet werden, da.B also das Kind durch seinen Protest keinen Ab-
bruch der Kommunikation provoziert.

157
»Motherese« - Ammensprache und Elnführunssltuation

Seit den siebztger Jahren wurde der praverbale und nonverbale


Dialog zwischen Mutter und Kind Gegenstand einer immer diffe-
renzierter beobachtenden entwicklungspsycho~.ogischen For-
schung. Es war bekannt, daB schon die ersten AuBerungen des
Kindes von Erwachsenen ganz unwillkürlich mit e1ner überdeutli-
chen, überzeichneten »Ammensprache~ beantwortet bzw. hervor-
gelockt werden (Snow 1972; vgl. auch Snow 1986). Diese Bereit-
schaft, dem Kind, das den Gebrauch des Zeichensystems Sprache
erst erlernt, mit einer besonderen, vereinfachten Version dieses
Zeichensystems zu begegnen, beschrânkt sich aber ni.cht auf die
Sprache. Wie Daniel Stern (1977) zusammenfassend darstellt, legt
die Mutter (bzw. Pflegeperson) einem sehr kleinen Kind gegenüber
automatisch besondere, überdeutliche, zeitlich und raumlich aus-
gedehnte und wiederholte Formen von Mimik, Gestlk, Vokalisation,
Blickverhalten, Gesichtsprâsentation und Abstandsregulierung an
den Tag. Nur sind diese Formen des Einspielens von Interaktions-
sequenzen nicht immer mit den spater gültigen Regeln vereinbar.
So wird z.B. die zwischen Erwachsenen gültige Distanznorm, das
»Bleib-rnir-vom-Leib«, 1m Kontakt mit einem Baby regehnaBig un-
terschritten. Obwohl schon sehr kleine Kinder durchaus eine sol-
che Naheschranke besitzen, wird ste von der Mutter nicht respek-
tiert, sondern - gerade 1m Gegenteil- stândig durchbrochen. Stem
sieht den Sinn dieser Regelverletzung darin, dem K.ind einen groBe-
ren soztalen Spielraum zu verschaffen und es auf »Spatere affiliatt-
ve Verhaltensweisen wie Küssen und Kosen« vorzubereiten (Stem
1977: 32). Die Vorstellung, das »motherese(( sei so etwas wte erne
vereinfachte Ausgabe der Erwachsenensprache, wird durch solche
Befunde widerlegt. Es ist vielmehr eine sehr spezifische, den Be-
dürfntssen und der kognitiven Entwicklung des Kindes angepaBte
:.Programm1ersprache((.
Adamson und Bakeman ( 1984) haben in etner Untersuchung
z. B. den Anteil von dire kt zetgenden Hinweisen auf sich selbst und
auf Objekte (wie z.B. »Da ist die Marna«, Klappern mit Rassel etc.)
mit konventionell-ze1chenhaften Hinweisen verglichen (z.B. Zetgen
auf etnen Gegenstand). Sie fanden, daB sich zwischen dem 6. und
dem 18. Lebensmonat des Kindes eine Umkehrung ereignet: ste-
hen zunachst die Aktlonen 1m Vordergrund, mit denen die Mutter
die Aufmerksamkeit des Sauglings auf sich selbst und auf Objekte
lenkt, so treten etwa ab dem Begtnn des zweiten Lebensjahres zei-
chenhafte, konventionelle Hinweise auf Objekte in den Vorder-
grund. »Einem. etwa sechs Monate alten Kind zeigte die Mutter eine
belebte. etgentliche Welt. Sie betonte, wenn sie etwas taten, dem
K.ind gegenüber meist sich selbst und 1hre soztalen Bezüge. Gtng es
um Gegenstande, so wurden sie meist »lebendig«, mit Tônen und
BewegUngen. ( ... ) Demgegenüber wirkten die Mütter alterer K.inder
wentger wie Stars in einer sozialen Beziehung; sie glichen eher Er-

158
zâhlerinnen, dJe über die Welt ber1chten, dJe s1e und das K1nd um-
gibt (Adamson und Bakeman 1984: 476; vgl. auch Adarnson und
Bakeman 1985, Bakeman und Adamson 1984, 1986).
Das »motherese«, auf das René Spitz schon 1957 hingewiesen
hat, kann psychoanalytisch als Teilaspekt der »primâren Mütter-
lichkeit« (Winnicott) gesehen werden (s. oben S. 73). Auch hier zeigt
sich, daB nicht eine tsolierte lingutstische Kompetenz, sondern eine
situative Interaktion betrachtet wird, in der nicht nur sprachliche,
sondem auch affektive Momente eine Rolle spielen. Der »Gebrauch«
des Objekts, verstanden als Beziehungsaufnalune, ist die Wurzel
des Lemens.
Fatherese?

Es ist etwas Merkwürdiges an der eingeführten Bezeichnung


:.motherese«, und Katherine Snow bemangelt es folgerichtig: »Sie
erweckt den irreführenden Eindruck, daB nur Mütter auf eine spe-
zielle Weise zu Kindern sprechen würden« (Snow 1986: 69).
Tatsachlich kônnen auch Vater in den vorsprachlichen Dialog mit
Kindern dieser Altersstufe eintreten und ihnen die Stimuli bieten,
die sie für ihre Entwicklung brauchen - eine eigentlich selbstver-
standliche Bemerkung, an der das einzig erstaunliche ist, da13 sie
so selten in Betracht gezogen wird und in weiten Bereichen der
Entwicklungspsychologte und auch der Psychoanalyse noch nicht
dazu geführt hat, da13 vom Vater die Rede ist.
Nun ist aber Vaterschaft in Beziehung auf einen Saugling eine
Dimension des Erlebens und Verhaltens. die in unserer Kultur und
Gesellschaft fast vôllig ausgeblendet wird. Bis in die Gegenwart
ztert sogar Fachverô.ffentlichungen das Vorurteil, daB Mânner, vom
Gebâren biologtsch ausgeschlossen, auch nur geringen seelischen
Anteil an der Entwicklung des Neugeborenen nehmen kônnen
(Belege bei Metzker 1990). Der wirksame AusschluB scheint jedoch
nicht so sehr biologtscher Natur zu sein als vielmehr aus der ge-
schlechtsspezifischen Sozialisation der Buben zu resultieren. Das
überlieferte mfuuùiche Ideal unterstützt kaum die regressive Zu-
wendung zu frühkindlichen Bedürfnissen. Dabei kann man bei
kleinen Buben, werm sie mit Babies spielen, durchaus ein sehr ad-
àquates Verhaltensrepertoire beobachten. Es ware also den Vatern
durchaus in die Wiege gelegt: jeder Vater war schlieBlich einmal
Sohn etner Mutter, mit der er si ch identifiziert und die er für ihre
Mütterlichkeit bewundert hat. Mindestens aus dieser Lebenserfah-
rung stehen 1hm Erlebens- und Verhaltensmuster zu Gebote , die
Aspekte des :.Bemutterns« mnfassen. Tatsachlich zeigt die Saug-
lingsforschung, daB auch eiWachsene Mànner, nicht anders als
Frauen, die Signale des Sàuglings aufnelunen und unwillkürlich
adaquat beantworten (Pruett 1983, 1985, Fthenakis 1985). Der
Unterschied , der in den meisten Familien dennoch besteht, liegt
dartn, daB Frauen in der Regel mehr bewuBtes Vergnügen, Stolz

159
und Selbstachtung daraus beziehen, ein Baby zu bemuttern. Dte-
ser Unterschied ist aber nicht eine Folge der mangelnden primaren
Beziehung des Vaters zum K.ind, sondern der Tatsache, daB Buben
die Aspekte der früheren Mütterlichkeit kaum in ihr spâteres
mannl:iches lch-Ideal zu integrteren lemen und ab einem be-
stimmten Zeitpunkt anfangen, sich dieser Fâhigkeiten zu schâmen.
Die Untersuchungen von Pruett (1983, 1985) belegen jedoch, daB
dieser kleine Unterschied durchaus heilbar ist.
Freilich kann es nicht darum gehen, die prtmare Beziehung
des Vaters zum Kind einfach mit der der Mutter gleichzusetzen.
Empirische Beobachtungen zeigen z.B. ein durchaus unterschied-
liches Spielverhalten. Werm teh hier darauf hinweise, daB es auch
so etwas wie ein ~Fatherese~ gtbt, dann meine teh damtt eine für
das Kind gleichermaBen adaquate, jedoch in ihren spezifischen
Gestaltung durchaus mânnlich-speziftsche Art, auf die ÂuBerun-
gen des kleinen Kindes zu reagteren und sie zu unterstützen. Diese
Baby-gemâBe Vatersprache basiert auf einer nicht wentger tiefen,
jedoch anders gefarbten Verbundenheit mit dem Kind als die von
Winnicott beschriebene ~primare Mütterlichkeit~ (vgl. oben Seite
73). Es spricht nichts dagegen, âhnliche Überlegungen über eine
:.prtmare Vaterlichkeit~ anzustellen (Metzker 1990).
Auf die Unterschiedllchkeit der Sprachen zwischen dem Kind
und seinen beiden Eltern weist auch der Harvard-Analytiker James
Herzog lùn, und er ergânzt sie um eine Beobachtung: daB nâmllch
auch vom Geschlecht des Kindes ein EinfluB auf den sich etablie-
renden Dialog ausgeht. Herzog untersuchte zunâchst den Unter-
schied zwischen den elterlichen Interaktions- und Sprachangebo-
ten. Die :~tMuttersprache~ identiftzierte er als die Sprache der Em-
pathie. Mütter stellen sich eher »homôostatlsch~ auf das ein, was
das Kind tut, wâhrend Vâter eher »disruptiv~ das Kind zu einer
neuen Aktlvitàt auffordern und ilun dadurch die Erfahrung des
Umstellens vermitteln. In einer Langzeitbeobachtung an mehreren
Famillen stellte er jedoch fest, daB das Verhalten der Vater von den
Kindern mitbestimmt wird, und zwar interessanterweise mehr von
den Madchen als von den Buben. Buben, so beobachtete Herzog,
lassen sich das Programm des Vaters williger gefallen, wâhrend
Mâdchen ihm deutlicher ihre Wünsche und Vorlieben zu verstehen
geben. Interessant ist, daB die Vâter sich offenbar thre Lektlon
merken: wenn sie nach dem Mâdchen als zwettes Kind einen Bu-
ben bekonunen, so stellen sie sich auf ihn wesentlich sensibler ein
als sonst auf ers te Kinder, seten es Buben oder Mâdchen - aber
auch empathischer als auf zweite Kinder, werm der Vorganger etn
Bub war. Herzog fa13t diese Beobachtung in dem Satz zusanunen:
Mâdchen haben die angeborene Fâhigkeit, ihre Vater die Mutter-
sprache zu lehren (Herzog 1991 ).

160
Materlallstlsche Sozlalisatlonstheorle

Der tnteraktionstheoretischen Fassung von Sprach- und M-


fektentwicklung geht es beileibe nicht »nur~ darum, eine elegante
empirtsche Theorie aufzustellen. Welche theoretisch-philo-
sophische Bedeutung dieser Punkt hat, zeigt Alfred Lorenzers Mo-
dell einer materialistischen Sozialisationstheorie, in der dem
Spracherwerb eine hervorragende Bedeutung zukommt. Die
prâverbalen Interaktionsstrukturen, auf denen der Spracherwerb
basiert, sind nach Lorenzer gesellschaftlich bedingt und werden in
der Mutter-Kind-Dyade durchgesetzt. Lorenzer beschreibt die Mut-
ter-Kind-Dyade als »Einigungssituation~. in der zwischen den
biologtschen Bedürfnissen des Kindes und den lebensgeschichtlich
angeeigneten Interaktionsschemata, die die Mutter mitbringt, eine
Wechselbeziehung hergestellt wird. In der Eintgungssituation wer-
den kindliche (und, so ware zu erganzen, auch mütterliche) Be-
dürfnisse befriedigt, aber auch kanalisiert. Dies erfolgt in etnem
gestischen Zusammenspiel, in »Kôrperbewegungen, Handgriffen,
Gesten~ (Lorenzer 1972: 49). Die oben bereits referierten Direktbe-
obachtungsergebntsse fügen sich in dieses Interaktionskonzept
mühelos ein. Auf diesem Weg werden feste Interaktionsformen,
R.ituale ausgehandelt, die die auftretenden Bedürfntsspannungen
regulieren und kanalisieren. Alle diese Schritte vollziehen sich
noch 1In vorsprachlichen Raum. Mithin trifft die Einführung von
Sprache auf eine differenzierte praverbale Interaktionsstruktur. Die
Dyade, d.h. die eingespielte Interaktion zwischen Mutter und Kind,
ist .Form und Gegenstand der Sprachverwendung: was als erstes
benannt wird, ist die Beziehung. Gegenstande sind in der ur-
sprünglichen Einführungssituation von Sprache für das Kind
ebensowenig abgrenzbar wie ein lch. Durch das Wort, das durch
seinen Doppelcharakter als akustische und propriozeptive Wahr-
nehmung die Triebtmpulse mit der externen Reizlage 1m Rahmen
einer Sprechhandlung verbindet, wird die bislang unbewuBte
Interakttonsform benannt und verfügbar. Dur ch das Dazwischen-
treten des Symbols wird die Mutter-Kind-Dyade aufgespalten. Zwar
meint die »lnitialprâdikation« immer die dyadische Beziehung, doch
wird diese Beziehung, indem sie, z.B. als »Marna«, benannt wird,
relativiert. Die Entfaltung der symbolischen Reprâsentanzenwelt
vollzieht sich nach Lorenzer iin Wechselschritt von Differenzierung
und Integration, sozusagen als dialektische Entfaltung der Initial-
pradikation; mit ihr entfaltet sich auch die ursprüngliche Dyade
zur Objektwelt. Dieser Proze6lâ6t sich an der Bedeutungsentwick-
lung des Wortes »Marna« veranschaulichen (vgl. unten S. 175).

Rttuale

Wie eine illustration von Lorenzers »Einigungss1tuation4( liest sich


die Studie von Paul M. Brinich ( 1982). Aufmerksam gemacht durch
Beobachtungen an seinem Sohn Pauli, entwickelte Brinich das
161
Konzept des »Rituals«. Er beobachtete, daB sich zwischen Mutter
und Kind eine rituelle Fütterungsinteraktion entwickelt, die mit je-
der Wiederholung koordinierter wird. Die erste Zetchenverwendung
des Kindes entsteht auf der Ebene des Signalreizes: das Kind
nimmt Telle des Rituals, z.B. Vorbereitungen etc., als Anzeichen
des Ganzen und entwickelt somit ein primâTes Symbol. Dazu
komrnt jedoch, da.B die Mutter dem Kind sein Signalverstândnis
anmerkt, indem sie sich empathisch in seine Bedürfnislage ein-
fühlt. Die Mutter steht in einer narzi.Btischen ldentifikation mit
dem Kind, die in ihr nonverbale Ertnnerungen aus ihrer etgenen
Kindheit mobillsiert. Sie kommuniziert also mit dem Kind auf der
Basis seines praverbalen, »Sensomotorischen« Denkens (s.a.
Winnicott 1956; »Prtmare Mütterlichkeit«, s. S. 73), und stellt ibm
dabei parallel zu seiner kognttiven Entwicklung einen tmmer gro-
Beren Zeichenvorrat zur Verfügung. Dennoch wird das prâverbale
Ritual nicht aufgegeben, sondern es bleibt unterhalb der sich bil-
denden Ebene symbolischer Bedeutungszuordnung erhalten.
Brinich bezeichnet aufgrund seiner Überlegungen, mit einer Pointe
gegen Chomsky, die Mutter als »Meantng Acquisition Deviee« des
Kindes.
Priisentatlve Symbolik

Bisher habe teh in der Darstellung der theoretischen Position von


.A lfred Lorenzer vor allem auf seine Schriften der frühen siebztger
Jahre Bezug genommen , tn denen er seine Sozialisations-, Symbol-
und Sprachtheorie entwickelt. lm Fortgang von Lorenzers theoreti-
scher Arbe1t zeigt stch eine Tendenz zur Verfeinerung und Differen-
zierung der Entwicklungslogtk der Sprache und zur Dezentralisie-
rung der Theorie. Vorsprachliche und auBersprachliche Strukturen
erhalten mehr Gewicht als bisher. Warin den frühen Schriften al-
les Vorsprachliche in bezug auf Sprache diskutiert, so daB leicht
der Eindruck einer teleologtschen, au.f Sprache abzielenden Ent-
wtcklungstheorte entstehen konnte, so wird in Lorenzers neueren
Arbeiten die nichtsprachliche Kommunikation als eigenstandige
Entwicklungslinie ernstgenommen. In den Schriften der achtziger
Jahre befaBt sich Lorenzer schwerpunktrna13ig mit einem Gebiet
der Kommunikation, das der etgentlichen Sprache vorgeordnet ist:
mit der »prâsentativen Symbolik«, der Kunst und Liter atur, die je-
doch auch 1m Alltagsverhalten vertreten ist, etwa in Gestik, Tanz
und Ritual.
Er bezieht sich dabei auf einen von der Sprachphilosophin
Susanne K. Langer eingeführten Typ der Symbolbedeutung, nam-
lich die »prâsentative SymboHk«. Langer greift Gedankengange der
sprachanalytischen Philosophie um Russell, Wittgenstein und
Carnap auf, werm sie darauf hinweist, daB neben der denotativen
Wetse, in der Worter Bedeutung vermitteln, noch ein zwei~~r Typ
von Syrnbolen 1n Betracht konunt. Ausgangspunkt dieser Uberle-

162
gungen war das phflosophische Problem der Ambiguitât von Aus-
sagen, dem man d_~ch eine Strategie der Desambiguterung beizu-
konunen suchte. Ahnlich versuchte man auch das Problem von
Aussagen zu losen, die zwar bedeu tungsvoll, aber siiliÙos sind,
weil sie ntcht überprüfbar sind, wie etwa der Ausdruck »Gott ist
grofi«. »Unseren Logtkern zufolge sind solche Strukturen als
:.Ausdruck« in einem anderen Sinne zu behandeln, nfunl:ich als
»Ausdruck« von Emotionen, Gefühlen, Wünschen. Sie sind keine
Symbole für Denkvorgange, sondern Symptome des Innenlebens
wie Weinen und Lachen, Brwnmeln oder F1uchen« (Langer 1942:
90). Solche »Symptome des Innenlebens« werden 1m Gegensatz zu
den bedeutungstragenden Symbolen der Sprache auch »Anzeichen«
genannt (vgl. dazu unten Seite 208). Langer wendet sich dagegen,
die Sprache vorschnell mit der diskurstven Logik gleichzusetzen.
Sie verweist auf »eine noch unerforschte Môglichkeit echter Se-
mantik jenseits der Grenzen der diskursiven Sprache« (Langer
1942: 93), denn unter der Forderung einer desambtguierten Spra-
che »erscheint es ganz unglaubhaft, daB trgendjemand überhaupt
je etwas zu sagen oder die Satze anderer zu verstehen vermôchte.
Bestenfalls ist das menschliche Denken eine winzige, durch die
Grammatik begrenzte Insel inmitten eines Meers von Gefühl ... « -
~olange w1r annehmen, da13 nur das wissenschaftliche oder
»materiale« (halbwissenschaftliche) Denken wirklich zur Erkenntnis
der Welt befahigt ist, bleibt dieses sonderbare BUd des getstigen
Lebens bestehen. Und solange wir nur den diskursiven Symbolis-
mus als Trager von ldeen anerkennen, muB »Denken« in diesem
beschrankten Sinn als unsere einztge getsttge Tatigkeit angesehen
werden. Sie begtnnt und endigt mit der Sprache; ohne wentgstens
die E1emente einer wissenschaftlich exakten Grammatik mul3 Be-
greifen unmôglich sein. Eine Theorie, die so sonderbare Konse-
quenzen impliziert, ist selber bereits verdachttg. Der Irrtum aber,
den sie in sich birgt, liegt ntcht in dem Gedankengang als solchem.
Er liegt vielmehr in der Voraussetzung, von der die Theorie aus-
geht: daB nâmlich jeder artlkulierte Symbolismus diskursiv sei«
(Langer 1942: 94).
Neben dem diskursiven Symbolsystem der Sprache identifi-
ziert Langer eine prâsentatlve Symbolik, die sich weder auf Begriffe
reduziert noch sich 1m Anzeichen erschôpft, sondem die mit der
sinnlichen Vielfalt von Gegenstanden einhergeht: »Sprache 1m
strengen Sinne ist ihrem Wesen nach diskursiv; sie besttzt perma-
nente Bedeutungseinheiten, die zu gr~Beren EilÙleiten verbunden
werden kônnen; sie hat festgelegte Aquivalenzen, die Definition
und Übersetzung moglich machen; ihre Konnotationen sind allge-
mein, so da13 nichtverbale Alde, wie Zeigen, Blicken oder betontes
Verândem der Stlmme notig sind, um ihren Ausdrücken spezifi-
sche Denotationen zuzuweisen. Alle diese hervorstechenden Züge
unterscheiden sie vom »wortlosen« Symbolismus, der ntchtdiskur-
stv und unübersetzbar ist, keine Definitionen innerhalb seines ei-

163
genen Systems zulaBt und das Allgemeine direkt nicht vennitteln
kann. Die durch die Sprache übertragenen Bedeutungen werden
nacheinander verstanden und dann durch den ais Diskurs be-
zeichneten Vorgang zu einem Ganzen zusammengefaBt; die Be-
deutungen aller anderen symbolischen Elemente, die zusanunen
ein groBeres, arti.kuliertes Symbol bilden, werden nur durch die
Bedeutung des Ganzen verstanden, durch ihre Beziehungen inner-
halb der ganzheitlichen Struktur. DaB sie überhaupt als Symbole
fungteren, liegt daran, daB sie alle zu einer stmultanen, integralen
Prasentati.on gehôren. Wir wollen diese Art von Semantik
,.prasentati.ven Symbolismus~ nennen, um seine Wesensverschie-
denheit vom diskursiven Symbolismus ( ... ) zu charakterisieren«
(Langer 1942: 103; vgl. auch Kap. 8.4., Seite 208).

5.6. »Schreien hilft ihm wirklich sehr.:


Der Psychoanalytiker Donald W. Winnicott, einer der originellsten
Denker seiner Zunft, hat in einem Kapite1 über das Schreien des
Sa uglings eine differenzierte Schilderung der vielen unter-
schiedl1chen Bedeutungen gegeben, die diese früheste LautauBe-
rung haben kann. Man spürt in seiner packenden, anrührenden
Schilderung, mehr ais man ihn abstrakt benennen kann, den an-
deren Duktus der englischen Schule der Objektbeziehungstheorte,
tm Vergleich etwa mit Freuds philosophischer Spekulation oder
den systernatlsierenden Darstellungen der lch-Psycho1ogen. Allein
in dem trockenen Satz: »Schreien hilft ihnen wirklich sehr~ fühlt
man den englischen Hmnor, den Winnicott so unverwechselbar
und mit so überzeugendem Erfolg als Verstandigungsbrücke
sowohl zu den kleinsten Kindern als auch zu ihren Müttem
benützt hat. Und wenn er etwa ausführt: ,.Qer Schrei des
Schmerzes ist an sich nicht angenelun für das Kind, und niemand
würde auf diesen Gedanken kommen, denn er ruft in jedem Men-
schen sofort das Gefühl hervor, da13 etwas dagegen ge tan werden
muB~ ( 1969: 54), so entsteht nicht nur ein lebendiges Bild von ei-
nem 1nneren Zustand, sondern eine wte se1bstverstandl1che Ein-
bettung dieses Zustands in auBere Beziehungen. Vielleicht bringt
gerade Winn1cotts anspielungsreiche Sprache das Kunststück zu-
wege, von inneren Objektbeziehungen, also von psychischen Re-
alltàten zu sprechen und. gleichzettig von realer Interaktion.
Winnicott umreiBt meisterhaft die schwebende Zweiheit, in der
Mutter und Kind, sich gegensettig phantasierend, nùteinander um-
gehen. Erst werm man sich diesen Hintergrund klarmacht. wird
der Nutzen deutlich, der aus Winnicotts semantischer Klassifika-
tion des Schreiens erwachst. Winnicott unterscheidet:

Schreien ais Befiiedigung, als Vergnügen an einer kôrperti-


chen Funktion; dieses Schreien 1st nicht alarrn1erend, es lôst
in einer erfahrenen Mutter nicht den Impuls aus, einzugreifen.
164
Schreien ais Zeichen von Schmerz, Hunger oder Angstlichkeit.

Schreien ais Zeichen von Wut und Ârger ist dagegen etwas
anderes: »Ein wütender Sâugling ist durch und durch Persan.
Er weiB, was er will, er wei.B, wie er es bekonunen kônnte , und
er weigert sich, die Hoffnung aufzugeben« (1969: 57).

Schreien ais Zeichen von Trauer. In diesem »musikalischen«


Schreien unterhâlt sich das Kind mit sich selbst u:nd verge-
genwârtigt sich das verlorene Objekt.
Winnicott schildert ein Beispiel für das traurige Weinen: Ein achtzehn Monate
altes Mâdchen, das extrem an seiner Adoptivmutter hing, brach in trauriges
Weinen aus, als diese nach ihrem ersten vierzehntàgigen Urlaub wieder heim-
kehrte. »Was tat es, als seine Mutter wieder da war? .~s batte auf sie losgehen
und sie beU3en mogen. (. .. )Aber dies Kind legte seine Armche n um den Hals der
Mutter und schluchzte. Wie sollte die Mutter diesen Vorgang verstehe n? Wenn
sie es mit Worten batte sagen sollen, was sie erfreulicherweise nicht tat, hatte
sie etwa gesagt: »Nur ich bin deine gute Mutter. Du warst erschrœken, als du
merktest, daf3 du mich haf3test, weil ich von dir fortgegangen war. Nicht nur das ,
du hattest das Gefühl, daf3 ich dich verlassen hatte, weil du etwas Bëses getan
ba.ttest, oder weil du zu viel von mir ve rlangtest oder weil du m ich haf3test, ehe
ich fortgtng: so meintest du, da13 du die Ursache für mein Fortgehen seiest - du
meintest, ich sei für immer gegangen. Erst als icb zurück war, und du deine
Anne um meinen Hals Iegen konntest, konntest du erkennen, da13 du selbst
mich fortschicken wolltest, selbst als ich nœh bei dir war. Durch deine Traurig-
keit erwarbst du das Recht, deine Arme um meinen Hals zu legen, weil du da-
durch zeigtest, da13 du das Gefühl hattest, es war dein Fehler, wenn es dir weh
tat , da13 ich fortging. Tatsachlich fühltest du dicb schuldig, als seiest du die Ur-
sache von allem BOsen in d e r Welt, wàhrend du in Wirklichkeit nur ein wentg die
Ursache für mein Fortgehen warst. Kleine Kinder sind mühsam , aber Mütter er-
warten es nicht anders und wollen es so haben. Weil du besonders abhangig von
mir warst, warst du besonders geeignet, mich erschôpft zu machen; aber teh
hatte mich entschlossen, dicb zu adoptieren und ich werde es dir nie übel neh-
men. werm teh deinetwegen erschëpft bin ... ~
.J a, all dies kënnte sie gesagt haben, aber zum Glück tat sie es nicht, und in
der Tat erschienen diese Gedanken nie in ihrem Kopf. Sie war viel zu sehr damlt
beschaftigt, ihr kleines Madchen zu streicheln~ (Winnicott 1969: 60).

6.7. Artikulation
ln diesem Abschnitt soll es, 1m AnschluB an Winnicotts einfühl-
same Beschreibung der ersten Lau tâu13erung, wn ein Phânomen
gehen, das mit Worten schwer zu beschreiben ist. Stellen Sie sich
vor, Sie stehen am Wickeltisch eines zwei bis sechs Monate alten,
ausgeruhten und gesattigten Sâuglings. Sind Sie dort? Gut. Sie
werden vermu tlich dieses Buch jetzt schon zur Seite gelegt und
fasziniert den Dialog mit dem Kind aufgenonunen haben, denn es
hat Sie mit einer Fülle von Prust-, Gurr- und Blubberlauten. klei-
nen Quietschern und vielerlei anderen Lauten begrüBt, alles be-

165
gleitet von aufmerksamen Blicken und hefttgem Rudem. Und Sie
werden nicht umhin gekonnt haben, dieses Verhalten au6erst
kommunikativ zu finden. Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden Ste
mit einer seltsam hohen, überartikulierten Stimme das Baby 1m1-
tieren, und auch das Baby wtrd Sie nachmachen - oder zunùndest
werden Sie c!:as glauben. Das Eindrucksvollste an diesem Vorgang
ist die tiefe Uberzeugung von »Sinn« und »Verstandigung«, die uns
in dieser Situation erfüllt.
Artikulationsjorschung

Die Erforschung der kindlichen Artikulationen war sc~on früh e:in.


wichtiges Anliegen der Psycholingutstik (vgl. die gute Ubersicht bei
Kegel 1974: Kap. 11.1). Wie allerdings auch Kege1 kritisch anmerkt.
war sie immer dem Problem der Verzerrung in Richtung der Er-
wachsenensprache ausgesetzt. Schon die Absicht, vorsprachliche
LautauBerungen zu erforschen, impliziert, daB diese Lautau13erun-
gen eben im Hinblick auf ein erst spater entwickeltes System,
nàmlich die Sprache, interpretiert werden. Die Schwierigkeit be-
gtnnt schon bei der Transkriptlon. Se1bst die dem Gehôrten a.tn
nachsten kommende Umschrift, nfunlich in ein phonetisches Al-
phabet, stellt einen interpretierenden Eingriff dar. Denn in Wirk-
lichkeit sprechen auch Erwachsene keine wohlartikulierten und
abgegrenzten Phoneme, sondern ein Kontinuum, aus dem erst der
Hôrer die gemeinten Phoneme heraushôrt. Das ist normalerweise
unprob1ematisch. Schwiertger wtrd es bei der Kindersprache: denn
hier steht es ja gerade zur Debatte, ob das Kind bestlmmte Pho-
neme bilden will - und sie nur undeutlich bildet - oder ob es an-
dere Impulse und Absichten mit seinem Gep1apper verfo1gt, die je-
doch die umstehenden Erwachsenen mit ihrem Jubel über etne
,.geglückte« Aussprache vollig tgnorieren. Denn einem Vater dürfte
es schlechthin unmôglich sein, aus der Sequenz (Spuckeblase) bl-
blb (Spuckeblase) la (Spuckeblase) bi-papa (Spuckeblase) etwas an-
deres herauszuhôren als den mit Mühe ge1ungenen Versuch, Papa
zu sagen. Man kann von einem Erwachsenen, der in einer Sprach-
welt lebt und der eine von Benennungen vermittelte emotionale Be-
ziehung zu seinem Kind sucht, nicht verlangen, da13 er das bl-papa
nur für den fehlgeschlagenen Versuch hait, eine we1tere Spucke·
blase zu bilden.
Die frühen LautauBerungen werden gründlich miBverstanden.
werm man sie in bezug auf die spater einsetzende Artikulation dis-
kreter Phoneme als ,.vorlaufer« sieht. Freilich sind sie das, einer-
seits. Doch wird man ihnen nicht gerecht, werm man sie in einem
teleologtschen Modell als Etüden betrachtet. Wenn wir sie in ihrem
etgenen Recht untersuchen wollen, müssen wir zunachst festhal-
ten, daB das Âu.Bem von Lauten von Geburt an ein Vorgang ist,
der aufs 1nn1gste mit einer Reihe anderer Innervationen verbunden
ist (vgl. Ptagets Begriff der Sensomotorik, s. unten Seite 215). In

166
klaren Worten sprach mein Sohn Jakob nach einer Beobachtung
seines neugeborenen kleinen Bruders diesen ZusammelÙlang aus:
>tEr denkt mit den FüBen«

Lautmalerel

Die strukturelle Wende hat der Lingutstik ein unermeJ311ches For-


schungsgebiet eroffnet. Doch hat sie, wie alle Paradigmenwechsel,
auch Fragen verschwinden lassen. In der Forschung ist es ahnlich
wie in der menschllchen Entwicklung: was man eben überwunden
hat, gilt als veraltet, kindisch, peinlich. Eine solche Frage ist die
der Lautmalerei. Die klassische Sprachwissenschaft hatte in ihrer
Suche nach dem »natürlichen« Ursprung der Wortbedeutungen un-
ermüdlich den onomatopoetischen Wortern nachgespürt.
Werm man sich mit der frühen Artikulation von Sauglingen
befaBt, begtnnt man sich unwillkürlich mit der sinnlich-konununi-
kativen Qualitât von Lauten zu beschaftigen. Die psychoanalyti-
sche Klassik beschaftigte sich gerne mit Fragen wie der nach dem
~exuellen Ursprung der Sprache« (Sachs 1911, Sperber 1912,
Bemy 1913) und leitete die frühe Lautbildung aus frühen Triebau-
J3erungen ab oder brachte sie in urunittelbaren Zusanunenhang
mit diskreten Affekten. Noch Rangen (1963) betrachtet z.B. das na-
sale /n/ als Ausdruck der Ambivalenz. Ohne die Relevanz des
Lautsymbolismus vollig zu leugnen, will ich hier doch den Stand-
punkt vertreten, daB eine allzu direkte Zuordnung von frühen
Lautbildungen mit diskreten Affekten jedenfalls dann vorellig ist,
wenn sie nicht die Situation einbezieht, in der der Laut geauBert
wird. Eine »absolute« Zuordnung von Lautgestalt und Bedeutungs-
kern ist mit der modernen, interaktionellen Psychoanalyse nicht
vereinbar.
lm 19. Jahrhundert war die Überzeugung noch weit verbreitet,
daB Laute eine »natürliche« Beziehung zu ihrer Bedeutung haben.
Schon die Entwicklung der Historischen Sprachwissenschaft setzte
diesem Glauben ein Ende - vielleicht allerdings ein zu radikales.
Denn nach wie vor scheint es unbestreitbar, daB manche Laute
tatsachlich ganz bestimmte Assoziationen hervorrufen, unabhangig
von der Bedeutung des Wortes, dessen Teil sie bilden. Shapiro
( 1979: 21) zitiert Experimente, die semantische Einschatzungen
siruùoser Silhen untersuchen.
Auf die Frage: ~Ist Bim grôBer oder kleiner als Barn?~ antwortet eine signiflkante
Mehrzahl von Versuchspersonen mit )tkleiner~. Bei einem Zuordnungsversuch
wird ~Bim« von den meisten Menschen der Alternative ~Maus<C< zugeordnet, wall -
rend »Barn« mit ~Elefant« verbunden wird. Solche Befunde gelten freilich nur in
einem beschrankten Rahmen, sie sind kaum generalisierbar.
Deutlicher wird der Zusammenhang, wenn die Suche nicht mehr dem
»natürlichen« Zusammenhang zwischen einem Laut und einem auBeren Gegen-
stand gilt, sondern dem Bezug, den ein Laut auf eine Befindlichkeit hat. Lewis
( 1936) unterscheidet die frühesten LautbiJdungen in zwei Gruppen, in Lautc des
:..BehagenS« und Laute des ~unbehagens~.

167
Die Unbehagenslaute sind zu anfang vokalahnlich in ihrer Qualitiit, changte-
ren über verschiedene /e/ -Laute; sie werden vorn gepre13t ausgestoJ3en, schrtll
und ôfters nasal. Bald beginnen im Strom der Mi13behagensschreie konsonantl-
sche Laute aufzutauchen wie /1/, /w/ und /ng/. lm drttten Stadium kommen
labiale und dentale Konsonanten wie /rn/ und /n/ zum Vorschein. In der Ent-
wicklung der Behagenslaute gibt es drei weithin entsprechende Stadien.
Zunachst sind die rudimentiiren, vokaiaJmlichen Behangensau&rungen viel
weniger deutlich und klar bestimmt als die frühen MiBfallens-Schreie. Die Laute
der Zufrtedenheit sind offene, hinten ausgestoBene Vokaie, mehr wie /a/, fol
und /u/, entspannt in ihrer QualWH und selten, werm überhaupt, nasal. Werm
dann die ersten konsonantenartigen Laute der Befriedigung aufzutauchen be-
ginnen, werden auch diese meist im hinteren Teil der Mundhôhle artikuliert, wie
/g/, /x/, /k/ und /r 1. Das dritte Stadium umfa13t das Erscheinen von Labial-
und Dentallauten, die meistens nicht nasal sind, wie /p/. /b/, /tl, !dl, gele-
gentUch nasal wie /rn/ und /n/ (Lewis 1936: 15).
Lewis verbindet diese lautlichen Differenzen mit korperlich-muskularen Ab-
H:iufen in Zust.i:inden des Behagens und des M:i13behagens. Die Anspannung und
das Bedürfnis, die Lautstarke zu steigem, führen bei Lauten des Mü3behagens
zu gepre13ter und nasaler Vokalisierung. Die frühen Konsonanten des Mü3beha-
gens erklârt Lewis als eine Folge der intermittierenden Pausen beim Schreien: je
nachdem, wo der Luftstrom unterbrochen wird, entstehen unterschiedliche kon-
sonantenâhnliche Laute. Das dritte Stadium, die nasalen Labiale /rn/ und /n/ .,
erklârt er ais die Vorwegnahme und Vokalisierung der Saugbewegung (ein Ge-
danke, den schon Sabine Spielrein 1922 formuUert batte; vgl. unten Seite 175).
Die Behagenslaute dagegen werden aus dem Zustand der befriedigten Ent-
spannung erklârt. »Mit schlaff geofinetem Mund, der hintere Teil der Zunge ge-
gen den weichen Gaumen gedrückt, werden vokallihnliche Laute im hinteren
Munde erzeugt« (Lewis 1936: 21 ). Das gilt auch für die im zweiten Stadium auf-
tretenden hinteren Konsonanten; auch diese entstehen in den Pausen. :.Wenn
das Kind bei stimrnlichen ÂuBerungen innehâlt, um Atem zu holen, werden
momentan vollst:ândige oder zeitweillge Verschlüsse ais konsonantenâhnlicbe
Laute gehërt.« Die Labiale und Dentale des drttten Stadiums der ÂuJ3erung des
Behagens leitet Lewis wie die des Mi.Bbehagens aus der Saugbewegung ab - nur
hier nicht ais ungeduldige Vorwegnahme, sondern ais zufriedene Wiederholung
(ebd.: 22).

Es tst nach diesen Befunden sicher nicht von der Hand zu weisen,
da:B schon auf der Ebene der Lautbildung affektiv-emotionale Ko-
dierungen assoziiert sind, die für die Sprachentwicklung bedeut-
sam sind und auch in der Erwachsenensprache eine Rolle spielen.
Die psychoanalytische Untersuchung der Sprache Erwachsener
br1ngt nicht selten eine lautmalerische Ebene htnter der konven-
tionell-denotattven Bedeutungsebene zurn Vorschein.

Prosodie

Auch eUe Prosodie, also der Tonfall und Tonverlauf beim Sprechen.
1st tn der Linguistik der Sprachentwicklung weniger berücksichtigt
worden als sie es verdient hatte. Wer die Erfahrung gemacht hat.
wte ein Ktnd sprechen lernt, weill, wie unmittelbar die ersten Ver-
balisierungen an den ausdrucksvollen Stngsang der praverbalen
Phase anschlief3en und wie sie zutiefst von 1hm durchdrungen

168
sind. Die Tonfolge, die Melodie beim Sprechen, ist einer der frühe-
sten Bedeutungstrager.
Wie sehr die Melodie beirn Erwerb der ersten sprachlichen Bedeutungen im Vor-
dergrund stehen kann - übrigens je nach Temperament des Kindes verschieden -
hat mir mein zweiter Sohn Anton beigebracht. Ais er begonnen hatte, seine El-
tern zu benennen, entwickelten wir den Ehrgeiz, ihm nun auch den Namen sei-
nes gro13en Bruders Jakob beizubrtngen. Wir zeigten auf ihn, Wiederholten oft
und oft: »Jakob« und ~er Jako~ - was dem keinen Anton zwar ein sehr interes-
siertes Gesicht entlockte, aber keine Tône. Bis er schlie6lich, unseren Tonfall
imitierend, verkündete: »Da-dâa-dO«. Dabei blieb es - so hiei3 sein Bruder noch
lange. Wirklich so? Es kommt auf den Standpunkt an. Anton sagte nâmlich mal
»Da-duu-da..:, dann Wieder Di-dii-di..: oder »Ba-buu-bu..:. Oder er summte »Mm-
mmm-m«. Nur bereits »besetzt~ Lautfolgen wie »Da-baa-ba« lieB er aus, wenn er
seinen Bruder rufen wollte.
Werm man Phoneme für die bedeutungsunterscheidenden Elemente des
Wortes hlilt - Anton tat das offensichtlich nicht -, so wird man nur ein Kau-
derwelsch in diesen Variationen sehen. Einem offeneren Beobachter hingegen
zeigte sich bald, daB Anton auf die Tonfolge und den Rhythmus Wert legte. Er
batte für seinen Bruder nicht einen Namen irn Sinne der Erwachsenensprache,
sondern ein Lied gefunden. Wahrscheinlich hatte er ihn auch trommeln oder
pfeifen kônnen.

Die Psychoanalyse hat in ihrem Interesse an der szenischen Di-


mension eine Reihe von Beobachtungen zusanunengetragen, die
das Sprechverhalten und die durch die Prosodie übermittelte Mit-
teilung an den Zuhôrer betreffen, und sie mit den aktivierten 1n-
nerpsychischen Konfliktstrukturen in Verbindung gesetzt. So
schildert z.B. Glover (1924) die Einflüsse, die das orale Erleben auf
den Sprechstil haben kann. Er »kann von extremem Wortreichtum
bts zu extremer Schweigsamkeit variieren; Worter flieBen in
gleichmaBigem Strom heraus oder es gtbt eine Tendenz, bei be-
stimmten Phrasen zu verharren, die wie Leckerbissen behandelt
werden und auf der Zunge zergehen. Sehr charaktertstisch ist
auch die Ambivalenz bei Auswahl und Gebrauch von Worten. Man
ftndet hier einen deutlichen Vorzug von Wortern, die orale Aktlvitat
beschreiben, vor allem BeiBen. Der Effekt wird meist als »scharfes
Sprechen.c bezeichnet.c (Glover 1924: 33, zit. nach Klein 1965: 92).
Eine Fülle von Belegen zu diesem Thema findet sich in Untersu-
chungen über das Stottern (vgl. Anzieu 1977, Barrau 1977,
Barbara 1982, Glauber 1982, Krause 1981).
Die prosodische Sprachqualitat entwickelt sich früher als die
Mitteilungsfunktlon; sie bildet die »Hülle~. die spater mit Wortbe-
deutungen aufgefüllt wird. Shapiro ( 1979: 82) weist darauf hin,
welch brettes Affektregister Babies durch Melodie, Tonart und Ton-
hohe ihrer ÂuBerungen vermitteln kônnen: Ungeduld, fordemdes
Verlangen, Fragen, Zufriedenheit, Glück. Der Wunsch auch er-
wachsener Patienten, im wortlosen Verstehen aufgehoben zu sein,
ist nach Shapiro (1979 82) aus der Regression in diese frühe M-
fektkommunikation zu verstehen, und ebenso die paranoide Ten-
denz, die ÀuBerungen e1nes Gesprachspartners nach dem Tonfall

169
statt nach dem Inhalt zu beurteilen. Eine Tendenz, die, wie teh
anfügen môchte, auch bei gesunden Etwachsenen erhalten bleibt
und von hôchster kommunikativer Bedeu tung ist. Das Paranoide
sehe ich hier wemger in der Beachtung der Prosodie al~ vielrnehr in
ihrer Verkennung 1m Dienste einer persekutorischen Ubertragung.
Es ist vielleicht von Interesse, da13 gerade die Tatsache der Verken-
nung prosodischer Signale, die 1m Gesprach mit psychotischen
Patienten auffâllt, in einem engen Zusammenhang mit der
Frühstôrung dieser Patienten stehen kônnte. Bei meiner Darstel-
1ung der Vokalisierung (s. oben Seite 135) habe ich bereits einige
Arbeiten erwâhnt, die die Wichtigkeit des :.inneren Hôrens« für die
Affektkontrolle und die Errichtung differenzierter und tntegrterter
Objektbeziehungen betonen (Balkanyi 1964, Klein 1965, Beratis
u.a. 1982).

6. Zur Entwicklung der Semantik

Die Entw1cklung der Semantik, d.h. der EIWerb einer be-


deutungsvollen Sprache, ist aufs engste mit der allgemeinen ko-
gnitiven Entw1cklung verknüpft. Das Beispiel, an dem die psy-
cholinguistische Forschung gern die Entwicklung der Semantik
studiert, ist der Erwerb von Wortbedeutungen. lm folgenden Kapi-
tel soli es zunâchst um eine grundsâtzlichere Frage gehen: n~ch
tun die Entstehung bedeutungsvoller, auf etwas hinweisender Au-
13erungen 1m allgemeinen. Semantik also ais Âufierungssemantik
verstanden, als die Lehre von sprachlichen Bedeutungen über-
haupt. Wie entwickelt sich die Fahigkeit, Bedeutungen zu erken-
nen und sprachlich mitzuteilen? Diese Frage steht in einem engen
Zusammenhang mit der noch wnfassenderen Fragestellung der
Pragmatik, auf die ich 1m nâchsten Kapitel eingehen werde. Auf die
Wortsemantik werde ich dann 1m übemâchsten Kapitel wieder zu-
rückkonunen.

6.1. Ein psychoanalytisches Referenzmodell


Ich habe oben (S. 92) als eines der grundlegenden Modelle, auf
dem die moderne Bedeutungslehre au:fbaut. das semiotische Oret-
eck in der Fonnulierung von Ogden und Richards (1923) vorge-
stellt. Auch habe :teh bereits einige Beitrage der Psychoanalyse zu
diesem Modell erwâhnt. Es wird nun Zeit, sich dem Modell der Re-
ferenz etwas genauer zuzuwenden. Ich werde versuchen, ein sol-
ches Modell schrittweise zu entwickeln, indem ich, ausgehend vom
klassischen sernJotlschen Dre:teck, die zusatzlichen psychoanalytl-
schen Differenzterungen einführe.

170
Das Freudsche Zwel-Schlchten-Modell der Bedeutung
Schon Freud ging in seiner frühen Semantiktheorie davon aus, daB
Bedeutung in ihrer tiefsten Schicht die Wiederbelebung einer ge-
speicherten Erfahrung ist; er führte den Begriff der »halluzinato-
rischen Wunscherfüllung« ein. Das ist ein Vorgang, bei dem schon
das Auftreten einer Bedürfnisspannung genügt, um die gespei-
cherten Befriedigungserfahrungen abzurufen. Freillch ist solche
Wunscherfüllung nicht wtrklich sattigend; sie führt daller auch,
weil trotz des halluzinierten Befriedigungsakts die Satttgung aus-
bleibt, zu Unmut und Geschrei. Erst dadurch (durch Herbeiholen
der Mutter) wtrd eine wtrkliche Wunscherfüllung moglich gemacht,
und erst im Vergleich dieser mit der Halluzination erwirbt das Kind
nach und nach einen Begriff von Realitat. Einzig im Traum ist
nach Freud die halluzinatorische Wunscherfüllung noch lebendig:
sie ist es, die uns hilft, unter Umgehung des realitatskundigen wa-
chen Ich unsere Wünsche in Form von Bildern zu erleben. Dteses
Modell bindet je de Bedeu tung an Engramme leibUcher Erfahrung
und postuliert, daB unter der Schicht der vom RealitatsbewuBtsein
kontrollierten, nachprüfbaren Bedeutungen eine zwette Schicht
halluzinierbarer Bedeutungen liegt.

A.ffekthalttgkelt und szenische Resonanz

Die tlefere, halluzinatorische Schicht von Bedeutung ist intensiv


mit Affekten verbunden. lhre Alfekthalttgkeit erst erm6glicht das
Modell der »Trawndeu tung«. Affekte wiederum entstehen a us
Beziehungserfahrungen. Damit konunt ein zwetter Aspekt tns
Spiel, den ich szenlsche Resonanz nennen will. Auch aus der Sicht
der psychoanalytlschen Objektbeziehungstheorie ist die »Bedeu-
tung.:, die 1m semiotischen Dreieck zwischen Zeichen und Bezeich-
netem steht, kein beliebiges Etikett, sondem eine psychische Re-
prasentanz aus einer Ergânzungsreihe von aufeinander auf-
bauenden Reprâsentanzen. Sie ist die aktuelle Manifestation eines
gewachsenen Bedeutungskerns.
Wenn w1r also versuchen wollen, ein psychoanalytisches Refe-
renzdreieck zu zeichnen, so mü.Bten wtr an die Stelle der »Bedeu-
tung.: den Begriff »Bedeutung, resultlerend aus affektiver Bezie-
hungserfahrung« einsetzen. Die moderne Psychoanalyse postuliert,
daB psychische Reprâsentanzen durchweg szenisch sind, d.h. sie
enthalten jeweils -je nach dem Reifegrad der für das Individuum
erlebbaren Objektbeziehung - alle Pole der Interaktion aus der
Sicht des Individuums. Auch Nelson (1983) ist der Ansicht, daJ3 die
ersten Reprâsentanzen der Au13enwelt als szenische »Skripte« ge-
speichert werden und daB die ersten Worter- wie auch bei Piaget-
Telle der zugehortgen Handlungsmuster sind.
Man konnte demzufolge das Dreieck in einem ersten Schritt
so modifizieren, daJ3 an die Stelle des Bedeutungsbegriffs ein sze-
nisch·affektiver Bedeutungsbegriff etngesetzt wtrd. Die szenische
171
Struktur wird hier angedeutet durch die Beziehung des »Subjekts«
(S) zu den »inneren Objekten« (0).

Zeichenform Bezeichnetes

Eplgenetische Struktur

Mit dieser Differenzierung ist es aber nicht getan. Wie bereits an-
gedeutet, ist die verinnerlichte »Szene« je nach Entwicklungsstand
hôchst unterschiedlich ausdifferenziert. Lebt das Neugeborene
noch in einem postulierten »Autlsmus« (S)23, so gelangt es bald zur
Ausbildung eines symbiotlschen Erlebens, in dem die frühen, noch
unintegrterten Wahrnehmungen des mütterlichen Objekts als Ein-
heit mit dem Selbst erfahren werden (S-0). Mit dem Auftreten von
kontingenten Lust- und Unlusterfahrungen wird das Baby zusam-
mengehôrige positive S-0-EilÙleiten von negativen S-0-Einheiten
abtrennen. Dteses Schema wird im Lauf der fortschreitenden Rei-
fung und sozialen Erfahrung zunachst in der S-0-Achse, dann in
der +/- - Achse differenziert bzw. integriert. Man kônnte, wenn
man diese aufetnander autbauenden Stufen der Entwicklung der
Objektbeztehungen berückstchtigt, das Schema noch einmal de-
tailliert zetchnen:

23 Der Begriff des sogenannten ,.pnmaren Autismu&< ist, wie ich schon
mehrfach erwahnt habe, in den letzten Jahren scharfer Kritik unterzogen
worden (vgl. zusammenfassend Dames 1993). Ich verwende ihn lùer den-
noch, nicht um ein ,..reizlose&c Frühstadium zu postulieren, sondem um
die Erfahrungsqualitât zu erhalten, die in dem Begrt1J steckt. Aus dem
Umgang mit Neugeborenen wird sclmell deutlich, wie sehr s.ie - bei aller
frühen Neugier - doch nach innen gewandt wirken. Sie haben eine ganz
besondere Ausstrahlung, die sie »wie von elnem anderen Stem« wirken
la..Bt. oder, etwas herabsetzend formuliert, >Pautistisch«. lch habe oben im
Abschnitt über die Methode der psychoanalytischen Direktbeobachtung
meinen Standpunkt dazu bereits angedeutet (vgl. oben Seite 114).

172
Symbiose /
/
/
/
/
Spaltung /
/
/ /
/ /
/
/
/ /
Ambivalenz/ / /
Identitat / /
/ /
/ /
/
/
/
/
/
Triangulierung /
/

Bedeutung

Physlologlsche und soziologlsche Aspekte

Freillch ist das Referenzdreieck immer noch nicht vollstandig: ge-


naugenoiiilllen rnüBte ich noch die Bedingungen des Leibes und
der Urnwelt als Wirkfaktoren einführen. Ein Zeichen »bedeuteh
eben nur unter bestimmten physiologtschen bzw. AuBenwelt-Be-
dingungen etwas. Man kann sich leicht vorstellen, daB der Begriff
•Torte.: bei einem satten Konditor ganz andere semantische Pro-
zesse auslôst als bei einem hungrtgen Partygast. Und weiter rnü13te
teh darauf hinweisen, da13 auch diese Bedingungen, ebenso wie
übrigens die Positlonen »Zeichen« und »Bezeichnetes«, selbst in eine
historische Achse zu stellen sind. Die Zeichnung würde dann aller-
dings etwas verwtrrend werden.

6.2. Entwicklung der .Aufierungssemantik


Obwohl ja das Kind üblicherweise mit Einzelwôrtern zu sprechen
be~t. ist die Frage, die teh hier behandeln will, eher der Satz-
oder Auj3erungssemantik als der Wortsernantik zuzuordnen - denn
die Einzelwôrter zu Begtnn des Sprechens fungteren als Satze, sind
sog. EinwortauBerungen. In der linguistlschen und psycholingui-
stischen Literatur wird es allgernein für notig gehalten, die Frage
der Semantikentwicklung interdisziplinar, d.h. in einer Zusam-
menarbeit von Linguisten und Psychologen anzugehen. Der Lin-

173
gutst alleine kônnte nfunlich nur sprachliche Merkmalskataloge
aufstellen, etwa in welcher Reihenfolge AuBerungen welchen se-
mantischen Komplexitatsgrades usw. ausgesprochen werden.
Die Psychollngutstik hat die Auftretensreihenfolge von.
bedeutungsvollen ÂuBerungen eingehend untersucht; Greenfield
und Smith (1976) ennittelten z.B., daJ3 zuerst selbstbewegte Q ,e -
genstande vom Kind benannt werden, dann aktiv Bewegtes, dann
erst Statisches. Bloom (1968) stellte fest, daB zuerst Relationsinfor-
mationen (fort - da) und Handlungsabsichten artikullert werden~
noch bevor eine Benennungsabsicht erkennbar 1st. Shaptro ( 1979:
20) hob unter Berufung auf Werner und Kaplan (1963) hervor, daB
die frühesten Bedeutungen auf einer natürllchen Relation von Lau-
ten und Gegenstânden aufgebaut sind. Ein aus solchen Untersu-
chungen ermitteltes Modell der Semantikentwicklung mufi aber
nicht die psycWsche Entwicklung der Kinder widerspiegeln - viel-
leicht beschreibt es nur die Vorstellung der EIWachsenen von dem.,
was die K.inder sagen wollen (Howe 1976, zit. nach Szagun.
1980/41991: 116).
An dieser Stelle laBt sich ein Zusammenhang herstellen zur
Entwicklungstheorie der Psychoanalyse: sie befa13t sich ja etnge-
hend damit, was Kinder welchen Alters erleben, denken, »sagen
wollen«. Am Beispiel einiger psychoanalytischer Arbeiten soli dieser
Brückenschlag verdeutlicht werden.

6.3. Früheste Bedeutungen


Aus der tch-psychologtschen Perspektive befa13te sich Anny Katan.
( 1961) mit der Frage der Reihenfolge früher Verbalisierungen. Sie
entnimmt ihrer kllnischen Erfahrung, daB Verballsierungen von
externen Wahrnehmungen den Verballsterungen innerer (Affekt-)
Wahrnehmungen zettlich v~!ausgehen. Innerhalb der Affektverball-
sterungen treten zunachst AuBerungen auf, die Schmerz bzw. Ver-
letzung bedeu ten, spater erst Verbalisierungen von Furcht oder
Schrecken, und wied er wesentllch spâter Ausdrücke für Traurtg-
keit, Aufregung, Freude und Ârger.
Dieses Ergebnis ist für den Psychoanalytiker zunâchst ver-
blüffend. Weshalb sollen Affekte erst spater verballsiert werden a1s
Gegenstânde der AuBenwelt? Der Begriff der Verballsierung muB
jedoch genau genomrnen werden. Tatsachlich werden verbale Be-
nennungen, also Benennungen mit konventionellen Zeichenketten,
die lm Lexikon der natürlichen Sprache enthalten sind, zunâchst
im Mutter-Kind-Dialog anhand externer Gegenstânde etngeübt.
Betrachtet man dagegen die spontan-privatsprachlichen LautauBe-
rungen, so geht dem deiktischen Bezug auf Au13enwelt-Gegen-
stânde eine lange Phase von Affekt-Verlautbarungen voraus.
Nelson (1973: 25) stellt fest, da13 »mommy~ das haufigste unter
den ersten zehn Wôrtern bei den von ihr untersuchten Kindem

174
war, danach folgten »daddy~ und »dog~. Horton und Sharp (1984)
interpretieren diese Befunde so: ~e haufigsten ersten Wôrter be-
zeichnen trostende Objekte, die Ubergangsobjekte werden. Damit
wiederholt das einjâhrige Kind die selbstberuhigenden frühen Vo-
kalisationen des Sauglings auf semantischer Ebene: nun dienen
ilnn nicht mehr Laute, sondern Worter als Übergangsphanomene
(s.a. Seite 220).

»Marna« oder Namnam?

Psychoanalyse und Psycholinguistik stimmen darin überein, da13


das semantische Konzept der Mutter als eines der frühesten Kon-
zepte anzusehen 1st. Wte ntcht anders zu erwarten, hat der Begrtff
,.Mruna~ Tradition in der psychoanalytischen Theorie der Semantik-
entwicklung. Schon 1922 beschaftigte sich die russische Psycho-
analytikerin Sabina Spielrein24 mit der Entstehung der Worte Papa
und Marna. Sie geht dabei ausführlich auf den Stand der phoneti-
schen Theorie der Zeit ein. Sie postuliert über die Bedingung der
Aussprache-Einfachheit hinaus noch eine besondere Bedingung
dafür, daB »Marna« eines der haufigsten ersten Wôrter und über-
dies in verschiedensten Sprachen anzutreffen sei. Sie führt es
nâmlich auf eine von Vokalisation begleitete Saugbewegung zu-
rück, betrachtet es als eine Reproduktlon des Saugakts, die zu-
nachst die •autistische« Funktion hat, die Sauglust zu evozieren,
spater die ,.magtsche«, die Brust herbeizuzaubern, und erst im
drttten Stadium eine sozial-kommunikative Bezeichnungsfunktion
übernimmt. Analog dazu leitet sie »Papa« ebenfalls aus dem Saug-
akt ab, stellt jedoch noch die folgende Beobachtung daneben: die
frühen »baba~-Plapperlaute seien bei Sauglingen eher als Ausdruck
spielerischer Zufriedenheit zu beobachten, wâhrend die »m6m6«-
Laute bedürftiger, ..dringlicher wirken. Sie vermutet deshalb, da13
die frühen »Papa«-AuBerungen »eher dem Zeitpunkte entsprechen,
wo das gesattigte Kind mit der Brust spielt, sie bald auslassend,
bald wieder auffangend« (Spielrein 1922: 1 79). Âhnltch argumentie-
ren Greenson ( 1954) und Lewis ( 1936). Diese Art der Darstellung
ist typisch für die klassische psychoanalytische Theorie der
Sprachentwicklung. Aus der Einfühlung in die Triebbedürfnisse
des Kindes werden Hypothesen über die Entwicklung abgeleitet.

»Marna« oder: Die Integration auj der Stuje


der Subjekt-Objekt-Aujspaltung
Die moderne Psychoanalyse integriert das Triebkonzept in eine In-
teraktionstheorie. Das Hilit sich am Beispiel von Alfred Lorenzer

24 Sie wurde als Theoretikerin erst spat entdeckt bzw. rehabilitiert; eine
Abstinenzverletzung thres Lehranalytikers C .G. Jung hatte dazu geführt,
da:B sie weitgehend totgeschwiegen wurde. Übrigens war sie die Lehr-
analytik:erin von Jean Piaget.

175
(1972) zeigen, der das gleiche Thema aus der Sicht einer
materialistischen Soziallsationstheorie behandelt.
ln seinem Buch »Zur Begründung einer materialistischen.
Soziallsationstheorie« ( 1972) stellt Lorenzer exemplarisch etn Mo-
dell der Bedeutungsentwicklung des Wortes »Marna« vor, das sich
mit den Entwicklungsmodellen der modernen Objektbeziehungs.-
theorie deckt. Er geht davon aus, daB das Wort »Marna« zunâchst
sowohl als Pradikator für wârmespendend-befriedigende als auch
für kalt-frustrierende Interaktionen gebraucht wird, und da6 das
Kind dann mit Einführung der hortzontalen Objekt-Objekt-Diffe-
renzierung (Marna - Nicht-Marna) und der vertikalen Objekt-Sub-
jekt-Differenzierung (liebe bzw. bose Marna - liebes bzw. bôses
Nicht-Mama-Subjekt) diese Pradikation inuner differenzierter ver-
wendet, bis es schlieBlich die resultierenden Pradikatoren »liebe
Marna« und »bose Marna« integriert und zu einem arnbivalenten
»Mama«-Begriff kornmt.

6.4. Deixis
In den vorigen Abschnitten habe ich die Entwicklung der frühesten
Bedeutungen besprochen. An dieser Stelle begegnen sich die vor-
sprachliche und die sprachliche Welterfahrung. Die Welt, so
kônnte man sagen, in der das Kind bisher gelebt hat, bekonunt
unwiderruilich eine sprachliche Form. Vorher unbenannte situa-
tive Erfahrungszusammenhange werden nun durch sprachlich ko-
dierte Bedeutungen geregelt. Wenn ich nach dieser Initiation 1ns
Sprachsystem etwas benenne, dann ist es 1mmer schon e1n Be-
nennen 1m Sprachhorizont.
lst es das wtrklich? Ein Aspekt des Benennens auch in der
entwickelten Sprache scheint über diesen Horizont hinauszugret-
fen: die Deixis. Unter Deixis versteht man »die Lokalisierung und
ldentifikation von Personen, Objekten, Ereigntssen, Prozessen und
Handlungen, über die gesprochen oder auf die referiert wi.J;:d. in
Relation zu dern zeitlich-raurnlichen Kontext, der durch den AuBe-
rungsakt und die Teilnalune von nonnalerweise einem Sprecher
und wenigstens einem Adressaten gescha:ffen und aufrechterhalten
wird« (Lyons 1977: 249). In dem Satz Gestern war delne Schwester
da steckt eine ganze Reihe von Bezügen auf die Situation, in der er
geauBert wird. Ohne diese Bezüge wâre der Satz vollkommen un-
verstândlich bzw. undeutbar. Wenn ich ihn z.B. auf einem Zettel in
einer Telefonzelle notiert finde, habe ich ke1ne Ahnung, wessen
Schwester wo und warm war. Deiktlsche Begrtffe sind solche, de-
ren Bedeutung von der raumzeitlichen Position des Sprechers ab-
hângig sind. Die Geste »<las da~ ist nur sinnvollim Zusanunenhang
mit einem gedachten ~ich hier~ und kann nur von diesem aus 1n-
terpretiert werden; 1m Gegensatz dazu ist eine nicht-deiktlsche Be-
n ennung, wie etwa »der Marienplatz~ von der Position des Spre-

176
chers unabhangtg. Die Geschichte von den Schildbürgern, die ihre
Glocke versenkten, illustriert das Problem der Deixis: Die Kerbe tm
Bootsrand ist ein Zeichen, das nur relativ zur Position des Bootes
stnnvollist; es ist kein unabhangtger »Name~ für das Versteck der
Glocke.
Die Deixis hat Sprachplùlosophen und Psycholinguisten be-
schaftigt, und vor allem die Ltnguisten haben kein geringes Pro-
blem mit 1hr bei der Konstruktion einer Semantiktheorie. Ich will
hier auf die linguistischen Lôsungsvorschlage nicht eingehen. Sie
laufen samtlich darauf hinaus - und müssen es, denn das ist die
Aufgabe der Linguistik - den auBertextuellen Aspekt der Bedeu-
tung konstant zu halten bzw. auszuklammem. Schwieriger haben
es da die Psycholingutsten. Durch ihre Aufgabenstellung sind sie
darauf verwtesen, die Verarbeitung auch nichtsprachlicher Fakto-
ren einzubeziehen. Die Entwicklung des deiktischen Systems ist in
vielen Verôffentlichungen diskutiert worden (vgl. z.B. Bruner
1975a,b, Clark 1978, Spitz 1957, Cali 1980, Bloorn 1968,
Crapanzano 1981 ).

Del.ds oder Rejerenz? Über die Schriftlichkeit der Welt

Aus einer prinzipiellen Sicht greift Crapanzano ( 1981) das Problem


der Deixis auf. Für ihn ist sie nicht nur eine Hilfsfunktion, um Au-
13erungen, die aus dem Wortlaut unverstandlich bleiben, korrekt
interpretieren zu kënnen - sie ist vielmehr eine weitere Grund-
funktion der Sprache, die neben der Referenz steht bzw. ihr zu-
grundeliegt.
Das Gegensatzpaar Deixis - Referenz versteht Crapanzano in
einem weiten Sinn: danach ist die Referenzfunktion der Sprache
das, »worauf sich ein Symbol bezieht und was es bezeichnet~. wàh-
rend die deik~sche Funktion zusammenfallt mit der pragmatlschen
Achse. Jede AuBerung hat diese zwei Aspekte: zum einen den Ge-
genstand, den sie bezeichnet, zum anderen den Ort des Sprechens,
den sie markiert.
In einer kritischen Lektüre von Freuds »Bruchstück einer Hy-
sterie-Analyse~ (1905e) ermtttelt Crapanzano zwei grundsâtzliche
Haltungen: die Traumanalyse, die sich ais Exegese eines »heiligen
Textes~ versteht, und das - 1m FaU Dora rniBgiückte - Verstândnis
der Übertragung, bei der Freud von »Neuaufiagen, Nachbildungen.:
spricht. Die Haltung dern Traum gegenüber verdankt sich der refe-
rentiellen Sicht. Diese Sicht ist die Betrachtungsweise, die Freud
mit Vorliebe verwendet. Er folgt darin der Ideologie des westlichen
Denkens, Sprache lediglich auf ihre referentielle Ebene hin zu
achten, und die pragmatisch-deiktische Funktion, also die Auswir-
kung auf die Au6erungssituation, auBer acht zu lassen. Weil Freud
dieser Bedeutungsprâferenz unterliegt, verkennt er die deiktische
bzw. Übertragungs-Komponente von Doras Mittetlungen.

177
.. Freilich: hat Freud nicht gerade am Scheitem tm Fall Dora die
Ubertragung entdeckt und fonnullert? Ja und netn. Crapanzano
führt aus, daB Freud auch in seinen spateren Formulierungen zur
Übertragung auf einer Text-Metaphorik bestehe. Die Übertragung
ist und bleibt ihm der unvollkommene Ausdruck etnes Ur-Textes,.
etner verschütteten Referenz. »Freuds Text- oder Referenzmodell
von Sprache erlaubte ilun nicht, den Unterschied zwischen de.r
deiktischen und der Referenzfunktion von Sprache zu würdigen«
(Crapanzano 1981: 389). Crapanzano wendet diese Asynunetrte 1ns
Allgemetne, und das tst die Stelle, die uns tnteresstert: Er zitlert
eine Arbeit des Kulturanthropologen Walter Ong ( 1970), der ver-
deutltcht, daB das Ausetnandertreten von Referenz und Deixis eine
Folge der Verschriftlichung unserer Kultur tst. Crapanzano zitiert
ihn mit der Feststellung, daB in schriftlosen Kulturen das Wort
»ein Ereignts in der Klangwelt (tst), welches das Bewufitsetn in dte
Lage versetzt, eine Beziehung zwischen der Wirklichkeit und stch
selbst herzustellen« und fâhrt fort: »In Kulturen ohne Schrift bildet
das Wort mit seinem Kontext eine Etnheit. Wahrheit wird - ganz
unmittelbar - als Ereignis ernpfunden. Wiederholung und Erinne-
rung bezieht sich (... ) auf eine Thematik, nicht wie in Kulturen ID.it
schriftlicher Überlieferung, auf einen Wortlaut« (Crapanzano 1981:
392).

Zelgen und Greifen etc. als Wurzeln der Semantlk

Jerome Bruner, der sich mit den Vorstadien der sprachlichen


Konununikation beschaftigt hat (vgl. unten Seite 196), sieht vor
allem drei Verhaltensweisen, die dem sprachlichen Bezug auf die
aui3eren Gegenstiinde vorausgehen und auf denen er autbaut:
Htnwelse, Verhaltensdeixls und Benennungen.

( 1) Als ers te Hinwetsgesten des Babys sieht Bruner die Koordinie-


rung der Blickrichtung von Mutter und Kind, die tn den ersten
Lebensmonaten begtnnt: dabei stellt sich zuerst die Mutter auf
das Kind ein. Das Baby lemt, die Mutter mit Blicken auf et-
was hinzuweisen. Spater bauen auf diesen primitiven Htnwe.i -
sen Gesten vom Greifen über das gerichtete Greifen bis hin
zum Zeigen auf.
(2) Die zweite Entwicklungslinie zieht Bruner von der verhal-
tensmâBtgen oder personalen Detxis zur sprachlichen De1xls:
In dialogtschen Spielen mit Rollenumkehr, etwa 1m Guck-
guck-Spiel oder bei Geben-und-Nehmen, bei denen zwtschen
Mutter und Kind die Rollen hin- und herwechseln, baut das
Kind die deiktischen Kategorten des Personenbezugs (teh vs .
du) und der râunùichen Orientierung auf (hier 1dort). Beide
Teilnehmer markieren die Posttionen des Wechselspiels
stimmlich und schaffen dafür die Voraussetzung für di.e Ent-
stehung sprachlicher deiktischer Partikel.

178
1(3) Das Benennen ensteht ebenfalls schon vor dem Spracherwerb.
Benennungsspiele wie »WO ist die Nase?.: vermttteln dem Kind
die Kenntnis der Benennungsfunktion. Das Kind entwickelt
bereits früh Vokalisierungen mit Bezeichnungsfunktion, die
nur in Anwesenheit der Bezugspersonen oder nur bei einem
spezifischen Ereignts verwendet werden. Solche speziellen Vo-
kalisierungen sind oft sichtlich mit freudiger Erregung beglei-
tet, sie werden oft von den Eltern übernommen und halten
sich lange 1m Wortschatz des Kindes.

An diesem Modellist z.B. von Dore ( 1978) kritisiert worden, daB es


die sozialen Muster der praverbalen Interaktion zu »Vorlaufern.: der
Sprache macht und dadurch weder diesen Phanomenen noch der
Sprache gerecht wird. Ote Entwicklung der soztalen Interaktion
nur als Vorlaufer der Sprache anzusehen, wâre ein logozentrisches
Millverstandnis. Und umgekehrt kann man auch die Sprache nicht
allein aus den Konununikationsabsichten erkHiren: schon die Exi-
stenz des entwickelten Sprachsystems, insbesondere seiner syn-
taktischen und begrifflichen Ebene, geht weit über die individuelle
Kommunikationsabsicht hinaus und laBt sich nur historisch erklâ-
ren. Insofern ware die eins-zu-eins-Verbindung von Sprachent-
wicklung und früher Interaktion zwischen Mutter und Kind auch
etn psychologtstisches M1Bverstandnis.
De.l xlsstorung und Pronominalumkehr

Auf dem von Wendeler ( 1984) als unterstem Funktionsniveau ge-


kennzeichneten Entwicklungsstand bei autlstlschen Patlenten fâllt
neben dem Ausbleiben sprachlicher Mitteilungen auf, daB diese
Patienten auch nicht mit dem Zeigefinger auf etwas deuten kôn-
nen. Sie entwickeln dagegen ein Verhalten, das bei gesunden Kin-
dern, wenn überhaupt, nur kurzfristig auftritt: um eine Bezugs-
person auf etwas hinzuweisen, nelunen sie sie an der Hand und
führen sie zu dem zu bezeichnenden Objekt. Die Hand des Er-
wachsenen wird als Werkzeug gebraucht (s. unten Seite 189).
Ein weiteres Çharakteristikum der autistischen Sprache ist
die Vertauschung der Pronomina »ich« und »du((. Bettelheim ( 1967)
sieht darin ein Zeichen für das fehlende lch-Bewu.Btsein autisti-
scher Kinder. Bartolucci und Albers (197 4) bringen die Pronomi-
nall.unkehr in Zusanunenhang mit dem Fehlen deiktischer Hin-
wetsgestik. Wie oben ausgeführt, sind deiktische Begrtffe nur in-
terpretierbar in bezug auf die Position des Sprechers bzw. Zeichen-
gebers. An der Pronominalumkehr und dem Fehlen deiktischer
Hinweisgestik zeigt sich die basale Semantikstôrung bei au-
tistischen Patienten: sie verwenden deiktische Begriffe wie Eigen-
nam.e n.

179
6.5. Wortspiele
Erinnem Sie sich? Ich habe Sie auf Sette 165 an den Wtcke1tlsch
geschickt. Werm Sie sich vergegenwarttgen, was Ste dort erlebt ha-
ben, so werden Sie mir ohne Mühe in den nachsten Abschnitt dJe-
ser Überlegungen folgen kônnen. Ste haben dort kein Kind gese-
hen, das stch »entwickelt~. sondern ein splelendes Kind. Es spielt
mit Handen, FüBen, Spuckeblasen und Lauten. Und es spielt mit
Ihnen. Vielletcht tst sett Seite 165 geraume Zeit vergangen, und
das Kind lauft schon munter herum und fangt an, eigene Wôrter
zu bilden? Das macht nichts, denn auch spater noch, werm die
ersten Worter »ins Spiel komrnen~. tst dieser Charakter unüber-
sehbar.
Wâhrend ich diese Zeilen schreibe, zeigt mir Anton - ich habe ihn schon zitiert.
er tst jetzt gerade 16 Monate ait - aufs schonste, was teh meine: er steht neben
mir und singt sein Lieblingslied: »Hopahopara.tta~ in ewiger Wiederholung. Dazu
wippt er wie immer in den Knien. Aber hore ich da nicht eine Verânderung? Es
kUngt wie *Ûpa-opa-ratta~. Ja, deutlich: Aus >tHoppa« ist *Ûpa~ geworden. Und
Anton scheint es auch zu bemerken, probiert hin und her zwischen den beiden
ahnlichen Lauten, bis er schlieBlich begreift , was für ein prâchtiges Spiel er da
gefunden hat. In eln Lied kann er seinen Opa und das Spiel, das dieser natürllch
unermüdlich mit ihm gespielt hat, zusammensingen! Und schon geht es welter:
statt nun, wie sonst immer, in den Knlen zu wlppen, schaukelt Anton nun .m it
gestreckten Beinen nach rechts und links, schaut mich herausfordemd an: und
prompt muJ3 ich lachen - denn was er nun da vormacht, ist unverkennbar der
leicht schaukelnde Gang seines GroBvaters. Wir sind uns einig: Sprechen macht
Spa13.

Splel ais methodlsche Kategorle

Sie sehen also ein spielendes Kind, nicht etn Kind, das »sich ent-
wickelt«. Diese Unterscheidung ist nicht trivial. Werm wir das Ver-
halten des Ktndes in Richtung auf ein Entwicklungsziel in-
terpretieren, verkennen wir seine Etgenbezüglichkeit, sein für-~~ch ­
selbst-sein. Schon Friedrich Schiller hat 1n seinem Brtefen »Uber
die âsthetische Erziehung des Menschen~ ( 1795) die Katego!.'Ïe des
Spiels an eine zentrale Stelle seiner anthropo1ogischen Uberle-
gungen gestellt. Das Spiel vermittelt dort zwischen dem sinnlichen
Trieb, dessen Zweck das blo.Be Leben tst, und dem Formtrteb, der
es tn elne ge1stige Gestalt überführen wül. Ohne einen au13eren
Zweck zu verfolgen, wtrd im Sp1el doch eine Fonn geschaffen. Aus
dieser vermittelnden Kategorte leitet Schiller demnach auch den
Begrtff der Freiheit ab.
Vielleicht erschetnt es lhnen zu weit ausgeholt, wenn teh Sie
bts in die Begrifllichkeit des deutschen Idealismus h1ne1n führe .
Aber wir berühren· an dieser Stene wieder die Perspektive der Psy-
choanalyse: Auch in der Psychoanalyse wird der rationale Dtskurs
in etnen spielertschen verwandelt, die Wôrter werden aus ihrem
Herrschaftsgefüge befreit, in das ste sich unter dem Druck der So-

180
zialisation geschickt haben, und dem spielerischen Abenteuer der
freien Assoziatlon anvertraut. Psychoanalytische Erkenntnis zielt
gerade anf den im Sinne Schillers spielerischen, d.h. inneren
Formgesetzen folgenden ZusanuneiÙlang der Lebensau.Berungen.
Ambigultdt

Auf die Ambiguitat von Wort- und Satzbedeutungen bin ich schon
bei der Darstellung von Freuds Sprachtheorie eingegangen. In sei-
nen Studien über den Witz und die Psychopathologie des Alltagsle-
bens hat Freud diesen Phânomenen groBere Aufmerksamkeit ge-
widmet als die Linguistlk seiner Zeit. Wenn ich mich hier mit der
Sprachentwicklung auseinandersetze, ist dieser Hinweis von be-
sonderer Bedeutung. Denn das Spiel mit Ambtguttaten ist ein
durchaus lustvoller Bestandteil der Sprachentwicklung. Ich habe
bereits oben Antons lustlge Verwandlung von Hopahopard.tta in
Opa-Opa-ralta erzâhlt. Solche Beispiele sind allen Eltern vertraut.
Die Psycholinguistlk kann aus solchen Beispielen etwas wich-
tiges lernen. Die desambiguierte Sprache des Erwachsenen ist kei-
nesfalls das selbstverstandliche Muster der Sprachentwicklung.
Wir müssen damit rechnen, daB Kinder das Sprechen zu allerlei
anderem Schabernack verwenden als dazu, sich korrekt und
unm113verstandlich mitzuteilen. Eines der handicaps der sprach-
psychologtschen und linguistischen Forschung ist stets die Isolie-
ru.ng des Forschungsgegenstandes. Untersucht man z.B. die Wort-
semantik, so wtrd man auf Wôrter Bezug nehmen. Was aber ent-
sprtcht dem Konzept »Wort« in der inneren Realitat des Kindes, das
eben erst sprechen lernt? Wtr würden in die Irre gehen und uns
einer adultomorphen Betrachtungsweise schuldig machen, werm
wir nach »Vorlaufern« von Wôrtern suchen würden. Vielmehr legt
es gerade die psychoanalytische Sichtweise nahe, einen ganz spe-
zifischen, eben nicht-erwachsenen Umgang des Kindes mit den
W:Ortern anzunehrnen.
Eine Parallele zwischen der Sprachentwicklung und be-
stimmten pathologtschen Phanomenen zeigt zum Beispiel die psy-
choanalytische Theorie des konkretistischen Wortgebrauchs. Sie
basiert auf Freuds Beobachtungen zu den sprachlichen Besonder-
heiten der Psychotiker und hat eine Reihe we1terer Untersuchun-
gen hervorgebracht (s. unten Seite 186).
Wir müssen aber nicht die Pathologie bemühen, um zu zeigen,
da6 der spielerische Wortgebrauch mühelos syntaktische Grenzen
und Kategorten überspringt. Die Psychoanalyse kermt viele Bei-
spiele, an denen- um mit Karl Valentin zu sprechen, der selbst ein
Genie der stillen Wortverdrehung war - die »Querdenkerei« des
Wortspiels augenfâllig wird.
Sirota ( 1969) berichtet z.B. von dem Wortspiel urine - you 're ln. Ein zweijahriger
Junge war, nachdem er das Wort urine zum erstenmal gehôrt hatte, so er-
.s chrocken, daB er eine Toilettenphobie entwickelte: er war überzeugt, er würde

181
beim Versuch des Urinierens ins Topfchen fallen und darin verschwinden. Die-
ses Symptom batte aber eine Vorgeschichte. Samuel batte in Alter von 18 Mo-
naten begonnen, aufs Tëpfchen zu gehen; batte es jedoch nach einer Auseinan-
dersetzung mit seiner Mutter - er batte sie gebissen - wieder aufgegeben, weil er
befürchtete, ein Lëwe würde herausspringen und ibn beU3en. Diese Projektion
konnten seine (offenbar psychoanalytisch gebildeten) Eltem mit ilun besprechen.
und seine Angst legte sich. Mit 27 Monaten brauchte er tagsüber keine Windel
mehr. Plôtzlich aber weigerte er sich strikt und begann einzunassen: es kostete
den ratlosen Vater ein lângeres Gesprach mit seinem Sohn, bis er Samuels Mi.6-
verstandnis );>urine - you're in.., begriffen batte und aufkUiren konnte. Samuel
lacbte, erklarte: »That silly. Me not go in potty. Wee wee go in potty« und fa.Bte
wieder Vertrauen in sein Tôpfchen.
Sirota analysiert dieses Material welter; Beü3-Episcx:len beim Stillen, ein Gips-
verband zur Korrektur einer Schienbein-Fehlstellung mit 8 Monaten, die Geburt
eines Bruders mit zwei Jahren und daran anschlie13end intensive Beschâfttgung
mit dem Geschlechtsunterschied zwischen seiner Mutter und ibm waren die
wichttgsten Stationen. Ohne diese Analyse hier im einzelnen nacbzuerzâhlen.
kann für unser Thema doch so viel festgehalten werden: die Reaktlon auf den
Gleichklang der Worte urine und you're ln zeigt den gemeinhin unentdeckten
Reichtum der Assoziationen, die an der Lautgestalt eines Ausdrucks hangen
kann.

Âluùiche Beispiele hatte bereits Freud vorgetragen, am bekannte-


sten wohl die Anspielung elnes Traums, in dem es gen Italien gtng..
an Genitallen (Freud 1900a: 237).

6.6. Euphemismus, Benennungsscham und


geschlechtsspezifische Sozialisation
Aus Untersuchungen der Benennung von erogenen Korperzonen
kann gefolgert werden, daB schon der Akt der Benennung selbs.t
ein nicht-trtvialer Schrttt ist: Sanders und Robinson (1979) ver-
muten, daB es auf diesem Gebiet aus Schamgründen ein groBes
Bedürfnis nach Euphem1smen gtbt, wogegen Comog ( 1986) den
spteler1sch-1ntlmen Charakter der von 1hr untersuchten Kosena-
men für Geschlechtsteile betont.
Bereits 1958 bemerkte Sylvan Keiser bei mehreren Patientinnen mit dem
übereinstimmenden Symptom einer vermeintlichen Einschrânkung der abstrak:-
ten Denkfahigkeit, daB sie ein Kërperbild entwickelt hatten, in dem Vagina und
Anus nicht integriert waren. Bei allen seinen Patienten stellte sich heraus, da6
sie diese »unsichtbaren4(, inneren erogenen Zonen verleugnet hatten und da-
durch mit dem qualenden Gefühl lebten, innere Zusammenhànge nicht be-
greifen zu kônnen bzw. ihre abstrakten Denkleistungen ebenso verleugneten, in-
dem ste z.B . behaupteten, alles was sie wü13ten, auswendig gelemt zu haben.
Eine ahnliche Auswirkung auf die Entwicklung des Kôrperbildes lie13e sich er-
warten, wenn die Verleugnung bestimmter Kôrperzonen durch systematische
Fehl- ode r Nichtbenennung in der Interal<tion stattfindet. Tatsâchlich sind sol-
che Befunde gerade im Zusammenhang mit Forschungen zur geschlechtsspezi-
fischen Sozialisation erhoben worden (Sanders und Robinson 1979).
ln ne uerer Zelt sind eine Relhe von Studien über die spezifische Auswirkung
der Sexualeuphemismen auf die psychosexuelle Entwicklung der Frau ersclùe-
nen. Lerner (1976) macht elterliche Fehlbenennungen der weiblichen Genitalien

182
fur die Entstehung neurotischer Symptome und ~Penisneid..:-Phantasien
vera:ntwortlich. Kestenberg ( 1968, 1988) weist auf die Rolle der semantischen
Verwirrung bei der Benennung der weiblichen Geschlechtsteile (wie ~tushy~ für
Anus und Vulva) für die Entstehung von gestôrten Kôrperschemata hin.
Bemstein ( 1990) hat gezeigt, da.J3 ein Zusammenhang zwischen Kôrpererleben
und Sprachentwicklung aber auch in anderer Richtung wirksam sein kann: die
relative »Diffusitât« der sexuellen Erregung beim kleinen Madchen kônnte zu ei-
ner beschleunigten Sprachentwicklung führen (vgl. Mertens 1992).

Herzog ( 1991) vertritt die These, daB es eine gesclùechtsspezifische


Aufgabe kletner Mâdchen sei, den Vater in den Raum der Mutter-
~prache einzuführen. Er geht von der Muttersprache als jenem
Ubergangsraum aus, in dem Mutter und Saugung - gleich ob
Junge oder Mâdchen - es lernen, Affekte und Befindllchkeiten zu
erkennen, auszutauschen und zu spiegeln (s.o. Kap. 5.4., 141).
Dem kletnen Mâdchen schreibt er die durch ldentifikation mit dem
mütterlichen Ich-ldeal erworbene Fâhigkeit zu, das eher disruptive,
Neues einführende Spielverhalten des Vaters stârker in Richtung
auf etnfühlende Stgnalerkennung zu modifizieren als kleine Jungen
dies tun. Mâdchen erscheinen hier ais geborene »Lehrmeistertnnen
der Intimttat~.
Diese Untersuchungen berühren natürlich das weite The-
menfeld der geschlechtsspezifischen Soztalisation. Freuds Theorien
der psychosexuellen Entwicklung des Mâdchens sind inzwtschen
so ausführlich kritisiert, da13 eine ins einzelne gehende Darstellung
sich hier erübrigt (vgl. Rohde-Dachser 1991 , Mertens 1992, 1994).
Ledtglich den sprachspezifischen Aspekt will ich hier hervorheben.
Es geht dabeiim Kern darum, zu überprüfen, ob die unterschiedli-
che Entwicklung von Jungen und Mâdchen eine notwendige Folge
des biologtschen Geschlechtsunterschiedes tst oder eine Konse-
quenz der gesellschaftlichen Interpretation dieses Unterschieds.
Die neuere Psychoanalyse hat stch eindeutig für die letztere Posi-
tion entschieden. Die Kem-Gesclùechtsidentitât des Mâdchens
entwickelt sich demnach nicht dadurch, daB es nach der
:.Entdeckung~ des Geschlechtsunterschiedes verstimmt seine Pe-
nislostgkeit zur Kenntnis nimmt, sondern sie beginnt viel früher tm
Spiegel der bewuBten und unbewu13ten Zuschreibungen durch die
Eltern. Der Penisneid, einst als seelisches Urgestein der we1bl1chen
Entwicklung betrachtet, 1st nicht auf das weibliche Gesclùecht be-
scbrânkt - denn auch Mrumer konnen ihre K6rperl1chke1t als nar-
zi.:Btische Krânkung und Benachteillgung erleben.
lm Einzelfall tauchen in Analysen zwar Penisneid-Gefühle auf, und es kônnte
nJ.cht die Aufgabe der Psychoanalyse sein, sie zu leugnen - cloch auch nicht, sie
unanalysiert stehen zu lassen.
Martin A. Silverman (1981) berichtet von der Analyse einer Patientin Anfang
zwanzig. die unter Depression, Frigiditât und phobischen Zwangsgedanken litt,
ihrem Mann kônnte etwas zustoi3en. Ihre Ehe war sadomasochistisch gepragt.
Die Patientin war einzige Tochter von drei Kindern; di~. Brüder wurden von der
Mutter ganz offensichtlich bevorzugt, ihre sexuellen Ubergriffe gegenüber der
PaUentin gedu1det. Seit der Geburt des jüngeren Bruders gab es heftige Essens-

183
kâmpfe mit der Mutter. Erschwert wurde diese Auseinandersetzung dadurch.
da13 die Mutter an einem Iangsam wachsenden Hirntumor nùt epileptischen An-
féillen litt. Der Vater zeigte nur vorübergehend Interesse für sie, als er in der Vor-
schulzeit bemerkte, da13 sie schon lesen konnte, zog sich aber bald wieder zu-
rück. Nach einem Traum, in dem ihre Klitoris zu einem grof3en Penis ausge-
wachsen war, mit dem sie die Buben in die Flucht schlug, erinnerte sie sich in
der Analyse, wie sie sich in jener Zeit nùt dem Unterschied der Genitalien be-
schâftigt hatte. Sie hatte mit Nachbarskindern die nnterschiedlichen Arten des
Pinkelns erprobt und mit einer Freundin Fleischstücke kleingehackt, von denen
sie behauptete, es seien Penisse. In der Schule weigerte sie sich standhaft, siCh
zum Schwimmen zu entkleiden. ,.Penisneid« schien an diesem Punkt der Analyse
die adaquate Bezeichnung für den unbewu13ten Konflikt der Patientin. Die Ana-
lyse ging aber welter. Sie begann in der Übertragung auf den Analytiker die
Wünsche an ihren Vater zu entdecken, die sich auf Anerkennung nnd rnild-
erotische Nahe rtchteten. Sie ertnnerte die Freude, ihrem Vater, werm er einge-
schlafen war, sanft das Haar zu kâmmen, und den Stolz über seine Buchge-
schenke, als sie so früh lesen gelemt hatte. Auftauchende ëdipale Wünsche. die
sie durch eine Gleichsetzung der Anîalle ihrer Mutter mit nâchtlichen sexuellen
Erlebnissen erheblich dramatisierte, erschreckten sie sehr. Die Analyse führte
im Ergebnis dazu, da13 die Patientin sich aus der sadomasochistischen Bezie-
hung befreite, selbstandig und sexuell erlebnisfiliig wurde und die Depression
nachlief3. Sie verstand nun, da13 der :.Penisneid« ebenso wie die Symptome, die
sie in die Behandlung geführt hatten, ihren Schuldgefühlen wegen ihrer eigenen
ëdipalen und praëdipalen Wünsche entstammte: ~em Schuldgefühl über àen
Wunsch, gesund und glücklich zu sein, obwohl die Krankheit ihrer Mutter un-
heilbar war; Angst, die Kontrolle zu verlleren, sowohl auf pragenitalem Niveau
ais auch aufgrund der Gleichsetzung von Orgasmus nnd den nâchtlichen
Anfa.llen der Mutter; Wut auf ihre Famille, die sie ais Bürger zweiter Klasse be-
handelt hatte, dessen Gefühle nicht zâhlten; und eine Aschenputtel-artige Erotl-
sterung von Schmerz und Angst.«

lch habe Silvermans Fallvtgnette hier zitiert, weil sie zeigt. wie
leicht auch tn der Psychoanalyse eine individuelle Leidensge-
schichte mit einer Vokabel wie dem Penisneid zu etikettiert werden
kônnte, und wie die Analyse - nicht die Verleugnung - solcher Ge-
fülùe letztlich zur Auflôsung des Symptoms weiterführt. Wâre die
Analyse beim. Penisnetd stehengeblieben, sa batte die Behandlung
wahl nJcht .z ur Heilung führen kônnen, denn sie batte die syste-
matische Fehlbenennung, die Gleichsetzung von Weiblichkeit mit
Unterwürfigkeit und Krankhett, die diese Patientin in ihrer Lebens-
geschichte aufbauen mu.Bte, nur wiederholt.
Felùbenennung, das zeigt dieses Beispiel, ist also nicht nur
auf der Ebene der wortsemantischen Zuordnung von Namen und
Gegenstanden anzusiedeln, sondem tst etn grundlegender Var-
gang, in dem praverbale Rollenmuster und Selbstanteile in die ver-
bale. benannte Welt überführt werden. Rahde-Dachser (1991) weist
unter Berufung auf Stem (1986) darauf hin, da6 mit der Übertra-
gung der ktncllichen Welterlahrung in den spraclùichen Kade zwar
dJe Kommuntkatiansmôglichkeit sprunghaft ansteigt, daB aber da-
bei die Erfahrungen auch schematisiert und auf vorgegebene
Strukturen reduziert werden. Rahde-Dachser ist der Auffassung,
da13 ein wichttger Aspekt dieser sekundaren Schematisierung auch

184
bere1tl:1egende Klischees der Geschlechterd1fferenzterung sind. Die
Spaltung zwischen der :.bosen Mutter~ und der »guten Mutter«, die
die psychoanalytische Objektbez1ehungstheor1e zugrundelegt, ist
nach ihrer Auffassung keine archaische, vorsprachliche Phantasie,
die sozusagen in das neue GefâB der Sprache gefüllt wird, sondern
sie kommt erst sekundar durch die Versprachlichung zustande.
Erst die binare Struktur des Sprachsystems erlaubt und erzwtngt
die Organisation von Erfahrungen in gut/bose - Kategorten. Die
Entdeckung und Benennung des biologtschen Geschlechtsunter-
schieds brtngt für Jungen wie Mâdchen den einschneidenden Ver-
lust der Erfahrung von Ganzheit - sowohl inhaltlich, denn sie be-
greifen nun, daB es zwei Sorten Menschen gtbt, ais auch formai,
denn sie sind, seit sie begonnen haben, vom Baum der
(sprachlichen) Erkenntnis zu essen, zwn Unterscheiden und zurn
Benennen verurteilt. Die praverbale, ganzheitliche Erfahrung tst
nicht langer der Modus des BewuBtseins. Unterschiedlich, je nach
1hren Moglichkeiten, sich als »wie die Mutter~ oder »nicht wie die
Mutter~ zu begreifen, bewâltlgen Mâdchen und Jungen diese Er-
fahrung mit der Entwicklung von Selbst- und Objektreprasentan-
zen, die die spâtere Welt der (konflikthaften) Objektbeziehungen
charakterisieren. Sprachentwicklung, Bildung der Objektwelt und
geschlechtsspezifischer Sozialisation hangen also aufs engste zu-
sammen.
Diese Überlegungen zur spezifischen Entwicklung von Jungen
und Mâdchen sind aber nicht nur deswegen wichtlg, um die Psy-
choanalyse von ihrem ursprünglichen androzentr1schen Weltbild
zu befreien. Sie bilden auch einen sehr grundsâtzlichen Alùlalts-
punkt für eine Psychoanalyse der semantischen Entwicklung tm
allgemeinen. Sie lieBen sich zu einer Theorie des Euphernismus
oder der systematischen Fehlbenennung verallgeme1nern. Die
Theorie von Alfred Lorenzer, die von einer Ersetzungsbeziehung
zwtschen Symbol und Klischee ausgeht. konnte eine theoretlsche
Grundlage dafür bereitstellen, welche paradigmatlschen Ketten 1m
Lauf der Entwicklung gewâhlt werden, um bestimmten sozialen
lnteraktlonsformen Genüge zu tun. Die lexikalische Struktur der
Sprache konnte sowohl in der Geschichte des Subjekts als auch in
der groBeren sprachgeschichtlichen Dimension von solchen eu-
phemistlschen Ersetzungsbeziehungen gegliedert sein. Dieser
Standpunkt ware mit der psychoanalytlschen Kulturtheorte, wie
sie nach Freuds frühen Ansâtzen vor allem Elias ausfonnultert hat,
durchaus vereinbar (vgl. auch Arango 1989, Gauger 1986).

185
6. 7. Semantikstôrungen
Um die Bettrage der Psychoanalyse zur Entwicklung der Semantlk
in den Zusammenhang der klinischen Erfahrung zu stellen.
mochte ich abschlieBend noch einige Beitrâge aus der Pathologie
anfügen.

6. 7 .1. Spracheigentümlichkeiten bei Frühstôrungen


Schon Freud hat, wie oben beschrieben, einen wesentlichen Teil
seiner Sprachtheorie an den klinischen Besonderheiten der Spra-
che sclùzophrener Patienten herausgearbeitet. Diese sind spâter
eingehend untersucht worden, und zwar nicht nur von psycho-
analytischer Seite (vgl. z.B. Boyer 1977, Searles 1961, Ciompl
1982, Bion 1955, 1957, 1962, vgl. auch Goeppert und Goeppert
1973: 43 ff.). Eine Darstellung kann ich hier nicht geben; es sallen
uns nur einige Phanomene und ihre Diskussion in der Psychoana-
lyse beschattigen.
In einer Literaturübersicht zeigt Maher (1972), daf3 syntaktl-
sche Aspekte bei der schizophrenen Sprache eine untergeordnete
Rolle spielen. Aus der Tatsache, daB auch in der schizophrenen
Sprachzerstorung die einmal gelernten syntaktischen Prtnzipien
gewahrt bleiben, zieht Shapiro (1979: 57) den SchluB, daB auto-
nome lch-Funktionen von motlvationalen Konfl.ikten unterschieden
werden konnen. Die Ausnahme von dieser Regel Uefert die Bestâtl-
gung für den SchluB: lediglich bei kincllichen Schizophrenien fin-
den sich Syntax-Storungen, und zwar sowohl vorübergehend als
auch langfristig (Shapiro, Huebner und Campbell 1974).
Laffal (1965, 1967) sieht das Charakteristische der psychotl-
schen Sprache im Überwiegen der Abfuhrfunktion über die Mittei-
lungsfunktion. Er verdeutlicht das am Beispiel der Glossolalie, des
»Sprechens in Zungen~.
lt}n religlôser Ekstase àuBert der Redner plëtzlich »von Gott eingegeben~ Worte
einer frcmden Sprache, die er selber nicht versteht. Der so »in Zungen« Spre-
chende hat dann eln Gefühl gëttlicher Insplration. Wlr dürfen annelunen, daB
dtese Reden, bei denen Verstandlichkeit und Sinnbezug ebenfalls verlorengegan-
gen sind, der Abfuhr von psychischer Energie dienen, die an Wünsche und Kon-
flikte gebunden ist. Durch solche Glossolalie kommt etwas, was das Individuum
nicht in Wort:e kleiden kann, nahe an die BewuBtseinsoberflache. Da die speztfi-
schen. sozial verstàndlichen Sprachsyrnbole fortgefallen sind, werden Scham,
Schuld, Vcrzweiflung und Angst, die mëglicherweise mit dem Aussprechen nor-
maler Sprache einhergehen würden, vermieden, wiihrend der Betreffende selbst
fühlt, er habe das Unaussprechliche ausgedrückt. Die Vorstellung gëttlicher In-
spiration gibt Uun das Gefühl, er sei frei von den Banden gewôhnlicher Konflikte
und unbefriedigter Bedürfnisse, die sonst alle binden und Angst und Schuldge-
fühl erwecken« (Laffal 1967: 891).

Eine selbstandige Diskussion rankte sich in der franz6sischen Psy-


choanalyse um die psychotische Sprache. Die Darstellung von Gort
186
( 1977b) baut auf Tausks Arbeit Ȇber die Entstehung des
Beeinfl.ussungsapparates in der Schizophrenie« ( 1919) auf. Er führt
aus. wie der Sprachcode ais »Bedeutungsmaschine« die korperliche
Erfahrung verdoppelt. Diese sprachliche Erfahrung wird von
autistischen Ktndern zunâchst als Korper entdeckt. Auch Deleuze
und Guattart ( 1972) sprechen der schizophrenen Sprache in ihrer
Ftgur des »SchizO« besondere Erkenntniskraft zu.
Freilich ist die instrumentelle Verwendung der Sprache nicht
auf die Psychose beschrankt. Helmut Hinz (1989) schfidert am
Fallbericht der Analyse einer frühgestorten Patientin, wie die
pragmatische Dimension, also die Hier~und~Jetzt~Wirkung des
Sprechens, zum zentralen Kriterium des Sprechverhaltens werden
kann. Er verbindet diese Beobachtung mit dem Begriff der Projek-
tlven Identljlzlerung.

:.Die Patientin redete schnell und war motorisch unruhig (Fingerschnippen,


plôtzliches, kurzzeitlges Aufsitzen, plôtzliches Auf-die-Toilette-Rennen). Sie re-
dete meist nur stichwortartig und wirr, berührte zwischen den Gedan-
kensprüngen alles nur flüchtig. So entstand ein chaotisches, detailreiches Asso-
ziationsgemisch, das an eine assoziative Lockerung und/oder Ideenflucht den-
ken lieB. •lch komme mir wie beim Frauenarzt oder Urologen vor. Ich mache eine
Demenz durch. lch kann nur Banalitâten sagen. Ich bin gar nicht analysierbar,
mein Gehim ist formlos, eine Qualle. lch bin ein Nichts.i< Sie nahm selbst wahr,
wie schwer verstândlich sie sich au13erte, wenn sie immer wieder feststellte, wie
:.wirrig und dumpftgi( sie spreche. Das l1e.6 mir wenig Platz zum Reden. Nach lan-
gerer Zeit nahm ich schlie13lich an, es sei für die Patientin derzeit am wichtig-
sten, •wtrrtg.<, namlich nicht faBbar und verstehbar zu sein. Sich verstanden zu
fühlen, war tief ersehnt und hochgradig angstbesetzt. Nichts zu verstehen, kei-
nen roten Faden zu haben, verwirrt zu sein, war ein vorherrschendes Gefühl in
der Gegenübertragung.i<
Hinz begreift das Reden der Patientin nicht als Versuch, Inhalte zu kommuni-
zieren, sondern eine Situation herzustellen, in der Platz für ihr Unverstanden-
sein ist. Das Reden stellt im Handlungsdialog eine Raumforderung dar. Erst als
der Analytiker durch die Wahrnehmung seiner eigenen Gegenübertragungs-Ge-
fühle bemerkte, da6 dies das Anliegen der Patientin war, konnte er es adaquat
benennen . .Sie sei eine >ISeelen-Amôbe ohne Membrani<, sagte mir die Patientin,
und bedeutete mir damit, da.6 sie erhoffe, in der Beziehung zu mir eine Mem-
bran zu finden, die einen Behalter für ihre chaotischen und verwirrenden Im-
pulse, Gefühle, Gedanken und Vorstellungen bilden kônnte. Ais es môglich war,
aus der Position der projektiven ldentifizierung heraus die Befindlichkeit der Pa-
tientin zu benennen, konnte sich aus dieser erregten, chaotischen Gefühls- und
Gedankenwirrnis beeindruckend klar eine ruhige BefindUchkeit einstellen,
zunâchst allerdings nur für Augenblick~ (Hinz 1989: 614 tn.

An diesem Fallbericht zeigt Hinz, wie die Patientin Worte ais sinn-
entleerte Hülsen benutzte, um ihre Angst vor dem Verstandenwer-
den, das die Gefahr einer unertrâglichen Abhangtgkeit und Ver-
letztbarkeit 1n sich barg, in Schach zu halten. Dieser Wortgebrauch
batte sich :.zu etner automatisierten Schutzmaschinerte verselb~
stândigt, die sie zur Vermeidung einer lebendigen Beziehung in
Betr1eb halten mu.Bte~ (ebd.). Besonders angstbesetzt waren ihre ei-
genen Wünsche. ~ie bewirkte durch manchmal kabarettistisch

187
anmutende Soli, daB ihre sehnsüchtigen Wünsche, ilrr Elend, ihre
Suche nach Hilfe weiterhin verfehlt wurden. Die Deutung von
Wünschen, gleiclunâBig, sorgfàltig. achtsam und pflegllch behan-
delt zu werden. weckte starke Schamgefühle, die doppelt, durch
Sexualisierung und durch Schamlosigkeit in Formulierungen über
thre sexuellen Erfahrungen, abgewertet wurden. Sie sagte zum
Beispiel »Beutelwarze~ und »Kloake~ für mànnliches und weibliches
Genttale und »Abgang~ für Orgasmus.~ Dieser entwertende Umgang
mit den eigenen Wünschen führte dazu, daB sprachliche Verstân·-
digung selbst mitunter verzweifelt angegriffen und zerstort wurde.
Die Patientin wuBte sich vor dem gefürchteten (und insgehebn
gleichzettig erhofften) emotlonalen Kontakt nicht anders zu schü t-
zen. Spater entwickelte die Patientin eine Phase sadistischer Ag-
gresston gegenüber dem Analytlker, die ebenfalls hoch angstbesetzt
war. Auch hier wurde das Reden zum Instrument, zum Gescho.B.
das diesmal darauf abzielte, den Analytiker zu verletzten und zu
lahmen und ihm dadurch die Unertragllchkeit des destruktiven
Anteils der Patientln buchstablich am eigenen Leib spüren zu las-
sen. Auch hier war wiederum nur das Verstandnis der Szene der
Schlüssel zum adaquaten Benennen, das in dem Satz gipfelte: »Ich
will ntcht, daB Sie so mit mir umgehen~- ein Satz, der der Patlen-
ttn Erletchterung und Abstand zu ilrrem aggressiven Agieren ver-
schaffte. Ich will den wetteren, aufregenden Verlauf dieser langjâh-
ngen Behandlung hier nicht weiter schildern- beide, Patientln und
Analytiker, hatten noch schmerzhafte Lernprozesse zu durchlau-
fen. SchlieBlich etablierte sich eine Ebene sprachlicher Verstând1-
gung, in der Sprache nicht mehr nur instrumentell, sondem zur
Verstiindjgung in einer lebendigen Beziehung verwendet werden
konnte.

6. 7 .2. Autismus
Die umfassende Kommunikationsstôrung autistischer Kinder
drückt sich deutlich auch in einer Storung der sprachlichen Kom-
m unikatlonsfahigkett aus. Freilich ist diese nicht stereotyp·
Wendeler (1984) unterscheidet vter Fah.Jgkettsniveaus, ille von vôl-
ligem Fehlen aktiver sprachlicher Mittellung bts zu scheinbarer
Normalitat reichen. Hier seien nur einige ausgewahlte Phanomene
b ehandelt, dJe Rückschlüsse auf ille Psychoanalyse der Sprachent-
wicklung erlauben. 25
Echolalie, dle unmittelbare oder zeitlich verzogerte wortllche
Wiederholung des Gehôrten 1rn gleichen Tonfall, spielt in der
Sprachentwicklung etne wichtlge Rolle. Bel gesunden Kindem ver-
Uert sie si ch bis zum dritten Lebensjahr, wâhrend sie bei autisti-
sch en Kindem zu diesem ZeUpunkt besonders .z u- und erst in der
25 Für Vorarbettcn zu diesern Kapitel danke i.ch Frau Dipl. -Psych. Beate
Kelle r: vgl. Kelle r 1989.

188
Adoleszenz wieder abnimmt (DeMyer 1979). Man kann von der
Verrnutung ausgehen, daB die wort- und tongleiche Wiederholung
elnen Versuch darstellt, sich vor Überflutung zu schützen und
Er'lebtes zu integrieren, indem die Hôrsituation mehrfach
wiederholt wird.
Auf die Deixisstorung bin ich bereits oben eingegangen (s.
oben Sette 179); es handelt sich dabei um das auffâllige Phâno-
men, daB autistische Kinder nicht auf etwas deuten, sondem lieber
den Erwachsenen an der Hand nehmen und hinführen. Ich batte
dieses Verhalten etwas ausführlicher bereits am Fall des kleinen
Johrmy geschildert (s. oben Seite 136). Es zetgt, daB das Kind nicht
ln der Lage 1st, etwas Gemeintes sich selbst als einen »Gegen-
Stand~ »gegenüber zu stellen~. der au13erhalb seiner selbst ist und
doch nicht :.fort~. Es ist auBerstande, 1m Zeigen das Mittelbare, die
Trennung vom Gegenstand und gleichzeitig die Verbindung zu ihm
herzustellen. Und auch in einem zweiten Sinn kann es das
Mittelbare nicht herstellen: würde es auf etwas zetgen, so müBte es
lnnerlich davon ausgehen, daB sein Zeigen 1m Verstandnis
desjenigen, dem es etwas zeigt, ein dem eigenen Eindruck analoges
oder korrespondierendes Bild auslôst. Die semantlschen
Voraussetzungen des Zeigens sind also:
(1) »Das da.: ist mir nicht unmittelbar, aber mtttelbar verfügbar;
teh kann es nicht berühren, aber »be-deuten.: und
(2) »Das da~ ist etwas, dessen Bedeutung ich Dir vennitteln kann.
Werm teh auf es zetge, so he113t das, daB Du wissen wirst, was
lch damit meine. Vielleicht ist der Kern dieser zweiten Voraus-
setzung
(3) die Stcherheit, daB »Das da« in Dir ein Bild meines Wunsches
auslôsen wird, meines Verlangens nach »dem da«, und daB Du
mir helfen wirst, diesen Wunsch zu stillen.

lm Zeigen steckt also das Gefühl der sicheren Verfügbarkeit eines


differenzierten und integrterten Objekts und einer gemeinsamen
Bedeutungswelt.
Frith ( 1978) beschreibt ebenfalls die autlstische Sprachsto-
rung als spezifisches semantisches Defizit; Stnnverstehen, das auf
Phantaste oder Einbildungsvermogen, a1so auf der Verfügbarkett
hypothetischer Vorstellungen beruht, das steht den autistischen
Patlenten nicht zur Verfügung. Die Semantikstôrung tritt demzu-
folge vor allem da auf, wo mtttelbares oder uneigentliches Verste-
ben erfordert ist, wie z.B. bei ironischen oder humorvollen Aussa-
gen, bei Sentenzen oder auch bei offenkundigen Lügen. Autistische
Menschen nehmen und meinen das Gesagte metst wôrtlich. Auch
dlese Beobachtung kônnte aus psychoanalytischer Sicht rn:Jt der
Pathologie der Objektbeziehungen in Verbindung gebracht werden.
die ich beretts angesprochen habe: mit dem Fehlen des inn.e ren
B:lldes von etner Welt, in der sinnvolle und hilfreiche Interaktionen

189
durch Bezug auf geteilte Bedeutungen stattflnden kônnen und in
der Wünsche geau13ert, verstanden und erfüllt werden. Es wâre
spannend - und es gtbt auch Vorarbeiten dazu - die Entwicklung
dieser semantischen Lücke in der Interaktion zwischen Eltern und
Kind herauszuarbeiten. Bettelheim ( 1967) sieht dartn die Folge e.i~
nes Entwicklungsdeftz.\ts. das verbunden ist mit der Entfremdung
des Kindes von seinern eigen en Korper. Die defizitare Entwtcklung
des Korperbfldes verhindert den Aufbau sprachlicher Subjektre-
prâsentanzen. Aus der Sicht einer interaktiontstischen Psycho-
analyse kônnte man anfügen: die Storung in der Entwicldung des
BUdes vom verlangenden und gestillten Kôrper bedingt auch auf
seiten der Eltem Ratlosigkeit und Verwirrung. Es 1st schwer. ein
Kind emotional zu verstehen, das auf die für den Erwachsenen
einfachsten und basalsten semantischen Schemata, wie sie z.B. tn
den kôrperbezogenen Sclunuse- und Neckspielen stecken, nicht
m1t dem erwarteten AusmaB und Verlauf freudiger Erregung rea-
giert. Umgekehrt hindert die Ratlostgkeit und Verwirrung der El~
tern betm Kind die Errichtung eben dieser semantischen Sche-
mata. Die Entwicklung der autistischen Kommunikationsbanier~e
1st also wohl, wie die gesunde Entwicklung auch, nur als Wechsel -
spiel zu verstehen.

7. Sprechen im Handlungsbezug: Pragmatik

Auf beinahe allen Streifzügen durch die Psychoanalyse der Sprach-


entwicklung, auf die ich Sie tm Laufe der vorstehenden Kapitel
nlitnelunen durfte, sind wir einem Begriff begegnet, der also wohl
zentral zu sein schetnt: der Interaktton. W1e w1r es auch drehen
und wenden, die Bezogenheit des sprechenlemenden Kindes auf
die Umgebung spr1ngt uns inuner wieder in die Augen.
lm folgenden Kapitel geht es nun darum, einen radikalen
Schritt in Richtung dieses begrifllichen Monolithen zu tun und uns
anzusehen, was es mit der Interaktion auf sich hat. Radikal ist
dJeser Schrttt insofern, als es dabei nicht langer nur um Sprache
g ht. Wir werden gewabr, wie untrennbar etngebettet sprachli.c he
AuBerungen in interaktive Handlungsvollzüge sind.
Auch die Unguistik ist auf diesen Punkt gestoBen. Die Refe-
renzsemantlk beschaftigt sich nach Wunderlich (1973) mit der
Frage: ,.wte nehmen die Sprecher Bezug auf eUe 1m wesentlicben
wahrnelunbare Umwelt, so da6 der Partner jeweils welB, von wei-
chen Teilen dJeser Umwelt, die - das muB man voraussetzen - auch
ihm .z ugànglich ist, die Rede ist? Und wte kann ein Sprecher ande-
rerselts neue Welten tn den Dtskurs eirlfültren (als angenommene
oder vorgestellte Welten, als Traumwelten, ais Welten zukünftiger
Ereig:nisse oder erwünschter Wertordnungen) und dann die Geg~n-

190
stânde setner Aussagen innerhalb dieser neu konstituterten Welt
positionieren und aufeinander beziehen?« (Wunderlich 1973: 102).
Schon die Bedeutung einer Aussage kann also oft ntcht ohne
Rückgrtff auf Gegenstânde der AuBenwelt, auf die sie Bezug
nttnmt, verstanden werden. Solche Aussagen beztehen sich auf die
von Sprecher und Hôrer geteilte Situation. Bestimmte Wortklassen
und auBerungs begleitende Ereignisse hab en ausschlieBlich oder
tefiwetse diese Funktion als »Situationsabhangige Referenzmittel«,
Dâmlich Htnwetsgesten, bestlmmte Artikel, Pronomina, Demon-
strat::tva, Kennzeichnungen und deiktische Ausdrücke wie »hier«,
»dort«, »jetzt« etc.
In einen allgemeineren Bezugsrahmen gestellt, also über die
b lo.6 e Wortbedeutung Wnaus, hangt dieser Situations- oder Welt-
bezug des Sprechens damit zusammen, daB Sprechen auch eine
Form des Handelns ist. Mit diesem Aspekt: »Was bewirkt eine
sprachliche AuBerung in der Welt?« beschaftigt sich die Pragmattk
(Morris 1938).

Sprechakte

Fragt man jemandem nach einem beliebigen Beispiel für etnen


d eutschen Satz, so wird man meist einen einfachen Aussagesatz
d er Form Otto holt Obst zur Antwort bekommen. Das ist so, weil
1d iese Satze die »einfachsten« sind - zumindest in unserem durch-
schntttlichen grammatischen Weltbild. Sie sind aber keineswegs
dlle hâuftgsten. Werm man jemandem ein Tonbandgerat umhangen
würde, das einen ganzen Tag lang alle seine ÂuBerungen auf-
nttnmt, und am Abend die Satztypen analysieren würde, so kfunen
wabrscheinlich sehr viel mehr Frage-, Imperativ- bzw. Aufforde-
rungssatze, aber auch unvollstandige Aussagesatze heraus als
»e1nfache« Aussagen, die allerdtngs in der geschriebenen Sprache,
sei sie nun infonnativer, wissenschaftlich-reflexiver oder erzâhleri-
scher Gattung, die Mehrhett bilden. In ihrer mündlichen Verwen-
d ung ist Sprache Bestandteil von Handlungsvollzügen, si.e ist
konnnunikatives Handeln. Es ware unnotig und stôrend. sie so zu
verwenden, als sei sie nicht in die selbstverstândlichen Vorausset-
zungen der Situation etngebettet. Sprachliche ÂuBerungen kônnen
ais kommunikative Handlungen ganz unterschiedliche Funktion
baben: sie kônnen Aussagen, Fragen, Befehle übennitteln und sie
kônnen Beziehungen impliz1t oder expliztt definieren.
Austin unterscheidet in seinem Buch mit dem geflügelten Titel
·How ~o Do Things With Words« ( 1962) drei »Akte«, die eine sprach-
Ucbe Auf3erung enthalten kann (vereinfacht zusammengefaBt nach
Wunderlich 1974 ):
lmmer einen lokutlonaren Akt (der seinerseits aus drei Akten
besteht: einem phonetlschen Akt, nâmlich der LautâuBer ung,
einem phatlschen Akt, nfunlich dem ÂuBern von sprachlich
kodierten Wôrtern in einer grammatisch kodierten Anor dnun g
191
und Intonation, und einem rhettschen Akt, namlich Âu.6em
einer bestlmmten Bedeutung>

Immer einen lllokuttoni:iren Akt, namlich eine Beetnflussung


des Zuhorers 1m Rahmen von Konventionen und dadurch eine
Veranderung der soztalen Situation

Manchmal einen perlokutlni:iren Akt, namlich eine nicht kon-


ventionell geregelte, evtl. aber durchaus beabsichtigte Wtr-
kung auf die Gefühle, Gedanken und Handlungen des Zuho-
rers (z.B. Errnunterung, Krânkung etc.)

Wenn wir nùteinander sprechen, nehmen wir imrner Bezug auf die
als bekannt vorausgesetzten Situationsbestandteile. Diesen Aspekt
der Detxls hatte teh schon angesprochen: In dem Beispiel »Wann
wlrd die Mondlandung übertragen?« - »Morgen« steckt ein delkt:j.-
scher Bezug auf einen von Frager und Antworter zum gleichen
Zettpunkt lokalisiertes MoRGEN. Das wtrd deutlich, werm wir das
Beispiel etwas verandern: »Wann wlrd die Mondlandung übertra-
gen?« - »Um sleben~ kann beretts doppelsinnig sein, wenn es ein.
Ausschnitt aus einem Telefongesprach zwischen München und
New York ist: dann wâre nârrùich anzugeben, auf welche Ortszeit
stch der Antwortende bezieht.
Sprachllche Âu13erungen kormen aber auch Auffordenmgs-
charakter haben, der auf der Ebene der Semantik nicht nachwets-
bar tst. Deutltch wird das an dem oft genannten Betspiel -.Es zieht
Das konnte ein Aussagesatz sein, der mit etnem einfachen »Ja~ be-
antwortbar wâre. Werm allerdings zwtschen Sprecher und Ange -
sprochenem ein Autoritatsgefa.Ile oder sonst eine Beziehung be-
steht, in der der Sprecher Anspruch darauf hat, daB der Angespro -
chene die Ursache der Zugluft beseitigt, so kann es auch eine Auf-
forderung sein, die man umschreiben kormte rrùt ~chllej3 da.s Fen-
ster!«
Der gtetche Satz kann auch a1s Betspiel fur einen d!.itten
kommunikativen A.kt d.Jenen: die Prëisupposltion. Bestlmmte Au.Be-
rungen unterstellen einen Sachverhalt, d.h. sie behaupten :ihn
ohne thn expllztt zu behaupten, sie setzen seine Gülttgkeit etnfach
voraus. Diese Âu13erungsfunktlon tst vor allem in der Rhetortk be-
lJebt, und olme sie konnte keine Zeltung leben. Der Satz: »Die PoU~
zel wurde wegen lhres besonnenen Einsatzes gelobt« unter s tellt.
daB d er Einsatz besonnen war. Da13 er das unterstellt und ntc ht
etwa b eh a uptet, erkennt man daran, da13 selbst bei einer Negation
des S atzes die Unterstellung gülttg bletbt: »Die Pollzel wurde wegen
lhres besonnenen .Elnsatzes nLcht gelobt« enthalt dJeselbe Voraus -
setzung: der Einsatz war besonnen. Um Prâsupposttionen z.~ wi-
d er s prech e n , mu.B man auf ein metasprachliches, also die AuBe-
rung selbs t zurn Gegenstand nehmendes Verfahren zurückgretfen:
..Sie sch relben, die Pollzel sel wegen thres besonnenen Elnsatz,es

192
ge,l obt worden. Die darln unterstellte Behauptung, der Etnsatz seL
besonnen gewesen, tr![[t aber nlcht zu«. Diese Art von Widerspruch
fin.det stch daher auch haufig in den Gegendarstellungs-Spalten
von Zeitungen.
Eine ahnlich vertrackte Unterstellung kann der Beispielsatz »Es zieht« enthalten,
werm nâmlich nicht ganz klar ist, ob das Autoritâtsgefcille, das den Satz zur
Aufforderung macht, tatsachlich gegeben ist, er aber so vorgebracht wird, daB er
als etnfache Aussage auch kaum gemeint sein kann. »Es zteht«, von einem Er-
wachsenen einem gleichberechtigten Erwachsenen gegenüber geauBert, in einem
Zinlmer mit offenem Fenster, wobei beide gleicherma&n Gelegenheit hatten, das
Fenster zu schlie13en, enthlilt die pragmatische Prasupposition: »Unsere Bezie-
lrung tst so, dq/3, wenn teh sage »Es zieht«, für dlch klar sein mufi, daj3 dies eine
Aufforderung an dieh tst, das Fenster zu sehlilj3en, d.h. also, teh kann dir etwas
befehlen«. Einer solchen impliziten Aufforderung zu widersprechen, ist hôchst
aufwendig. Es Wird daher, werm überhaupt, in einer ebenfalls pragmatischen
Zurückweisung in Form eines »Ja und?« geschehen, das expliziert hellien kônnte:
•lch fordere dich auf, die Implikationen deiner Aussage explizit zu machen, denn
teh uerstehe sie nleht« - Aber das ist natürlich eine Schutzbehauptung: der Ant-
wortende weU3 in der Szene, die ich soeben ausgemalt habe, durchaus, da13 er
übertrumpft werden soli, und indem er so tut, als verstehe er das gar nicht, si-
gnallsiert er implizit: »Ich kann die implizite Bedeutung deiner Aussage nlcht ak-
zepUeren., denn unsere Beziehung tst nlcht so, dafi, wenn du sagst »Es ztehl«, für
mlch klar sein mtlj3, dqj3 dies eine Aufforderung an mich ist, das Fenster zu
schl.lefien, d.h. also, du hast mir nichts zu befehlen«.

D1ese Beisp1ele, die sich natürlich beliebig vermehren und differen-


zieren lieBen, sind nur zur Veranschaulichung einer Thematlk her-
ausgegrtffen, die in der Linguistik einen gro.Ben Forschungsbereich
darstellt. Aufbauend auf den Arbeiten von Morris ( 1938, 1946,
1964), Austin (1962) und Searle (1969) sind eine Reihe von For-
schungsarbeiten entstanden, auf die ich hier aber nicht weiter ein-
gehen will.

Dle Aujmerksamkeit der Psychoanalyse richtet sich auf den Hand-


lungsaspekt des Sprechens

DJe pragmatische Dimension ist in der Psychoanalyse von jeher be-


sonders beachtet worden. Es macht geradezu die psychoanalytl-
scbe Haltung aus, neben der syntaktisch-semantischen Dechiffr1e-
rung von Mitteilungen auch ihren sttuativen Stellenwert zu beach-
ten; rucht: »Was meint der Patient ?«, sondern: :.was will er mir da-
mit sagen?« Hinter dem Diskurs die in :.prâsentativer Symbolik«
Jch entfaltende unbewuBte Szene aufzuspüren, ist das eigentliche
Element des Analytikers. Das kann er allerdings nur, wenn er an-
derersetts 1m analytischen Setting auch eine Art pragmattsches
Moratorium etnhalt: so wtrd er z.B. die Âu.Berung »lch bln so wü-
tend auj Sie, lch konnte Sie ermorden« ntcht in erster Linie ais Dro-
hung auffasen, sondern darin auch das Vertrauen spüren, mit dem
lhm. der Patient Auskunft über seine Gefühle gibt.

193
Lorenzer ( l970b) hat drei Ebenen des Verstehens in der Psy-
choanalyse unterschieden: Logtsches Verstehen, psychologiscbes
Verstehen oder Nacherleben und szenisches Verstehen. Ich will.
diese Unterscheidung an einem Fallbeispiel von Lorenzer verdeuW-
chen:
Der Patient ist 46 Jahre, verheiratet, wissenschaftlicher Mitarbeiter :in einem
technischen Betrieb. Er kam zur Analyse wegen elnes Examensversagens. Aus-
schnitt aus dem Protokoll der 149. Stunde:
,..Habe den ganzen Samstag lm Labor verbracht, sei abends vôllig erledigt ge-
wesen. Habe seine Methode nochmals von A bis Z durchgerechnet und daon
Messungen an einer Probeapparatur angestellt -es stimme alles, und auf diese
Weise sei das Gerat ausführbar. Sein Problem sei ja nun gewesen, ob er nach
der Zurückweisung durch den Betriebsingenieur seine Ergebnisse für sich be-
halten oder ob er sie direkt dem Finneninhaber vorlegen soUe. Dieser set wohl in
erster Linie an der Sachfrage interessiert, andererseits· habe er, der Patient, docb
Skrupel, weil er als der Neuling in der Firma dann den geschâtzten langjahrigen.
Betriebsingenieur übergehe und letztlich blamiere. Der Lôsung dieses Problems
sei er jedoch enthoben worden, ais der Inhaber unerwartet am Samstag ins La-
bor gekommen sei und sich erkundigt habe, woran er arbeite. Da habe er ll'u:n
vorsichtig, unter Venneidung aller Dinge, seine Überlegungen und Ergebnisse
dargestellt. Der lnhaber sei sehr interessiert gewesen und habe ihm vorgeschJa.-
gen, da6 am Montag eine Konferenz zusammen mit dem Betriebsingenieur über
das Gerât abgehalten werden soUte: diese Konferenz habe heute stattgefu.nden.
Die Schwiertgkelt dabei sei gewesen, dai3 keiner von den beiden anderen die
neuesten elektronischen Schaltungen in ihren physikalischen Grundlag~
kenne, die er doch auf der Hochschule gelemt habe. Ohne in die Details gehen
zu wollen, die der Analytiker ja auch nicht verstehen kanne: der Ausgang sei
gcwesen, dai3 der Firmeninhaber den Auftrag gegeben habe, der Betriebsi.Qge~
nieur soUe mit der Methode des Patienten und mit seiner eigenen Methode \Vel-
terbauen. Es sei ihm diese Entscheidung ais KompromiB vorgekommen, bei. der
einerseits die Sachfrage und andererseits die persëmliche Seite berücksichtlgt
werden soUte. Der Inhaber und qer Ingenieur hatten nach Ende der Konferenz
noch weiter gesprochen, worüber, wisse er allerdings nicht.: (Lorenzer 1970b:
152 o.

In der ersten Ebene, dem logischen Verstehen, sind es die lokutlo-


naren Al<te nach Searle, aber auch die konventlonell-illokutionaren
Akte wie Aufforde.r ung, Frage etc., die wie in jedem anderen Ge-
spràch vom Analyti.k er korrekt verstanden werden müssen, Ulil.
Verstandigung zu ennôgUchen. ,.Der Betriebslngenieur hat melne
Ergebntsse zurü.ckgewlesen« mu.B zunachst eirunal als sinnvoller
Satz verstanden werden.
In der zwetten Ebene sind es die Gefühle des Patienten, dJ'e
der Analytlker durch einen Akt der psychologischen Einfühlung
.nachvollz1ehen karm: wenn er mit traurigem und niedergeschla-
genem. Ausdruck sagt: -,.Der Betrtebstngenieur hat meine Ergebnlsse
zurückgewlesen«,. so wtrd dem Analytiker deutlich, daB ihn dieser
Vorfall bedrückt. Aus der naheren Schilderung kann er auch ent-
nehmen, warum: er befürchtet naml.ich, den Kollegen zu krànken
und 1hn zu blamieren, wodurch er sich seine Feindschaft zuztehen
kônnte. Nach Searle k.ô nnte dieser AuBerungsaspekt zu den be-

194
wuBtseinsfâhigen ÂuBerungsintentionen gehoren, die sich auf die
G efühle des Angesprochenen richten, ohne doch fester Bestandteil
d er Redekonvention zu sein: also zum perlokutionâren Akt. Diese
~Gefühle môchte der Patient dem Analytiker übennttteln.
Die etgentlich für die Psychoanalyse relevante Ebene des Ver-
s tehens tst nach Lorenzer aber erst die dritte, das szenische Ver-
st,e hen. Dieses szenische Verstehen ergtbt si ch dar a us, daB der
An.alytiker logtsches und psychologtsches Verstehen anwendet, je-
doch gleichzeitig in der Schwebe hillt; er verwendet sie als Material
~ eine darunterliegende Schicht, die 1rn Zusanunenspiel von
Ubertragung und qegenübertragung erst deutlich werden lâBt,
welche unbewuj3te AuBerungS»absicht« der Patient dadurch über-
m.Jttelt, daB er sie wie eine Szene zwtschen si ch und dem Analyti-
ker wteder entstehen làf3t. Auf dieser Ebene lautet die Frage des
Analytikers nicht mehr: »welche Stimmung drückt der Patient
d ureh seinen Satz aus?«, sondern: »in welche Position will mich der
P atient. unbewuBt mit seiner Erzillùung bringen; welche Gefülùe 1m
Hier und Jetzt, die aus seiner verdrangten Erinnerungsszene
stammen, werden durch diesen Satz zwischen uns wtederbelebt?
Auf die Erzâhlung des Patienten hin formulier te der Analytiker die folgende
Deutung: »Sie haben auch den Wunsch, ich môge mit Ihrem Vater sprechen. der
a uf lhre Darstellungen nicht eingeht, und ihn von der Richtigkeit Ihrer Auffas-
sungen überzeugen, aber Sie fürchten auch, da.B ich dann faute Kompromisse
schlleBe und Sie über meine Kontakte zum Vater letztlich im Unklaren lasse«
(Lorenzer 1970b: 153).

E s soli hier nicht darum gehen, ob diese Deutung, die auf den er-
sten Blick befremdlich erscheinen mag, zutrifft oder nicht. Sie
stützt sich auch nicht auf das Matertal der Stunde alletn, sondern
auf die Beziehung, die sich in 148 vorausgehenden Stunden ent-
wlckelt hat. Hier soU das Beispiel nur der Illustration der Ebene
d es szenischen Verstehens dienen, in dem über die logtsche und
dle psychologtsche Ebene hinaus das Erzahlte als Struktur ver-
s tanden wird, die der Analytiker aufgrund seiner Betelligung an
der Situation ais Wiederholung einer infantilen Situation erkennt
und. deutet.
Freilich gehen in die Deutung ntcht nur die verbalen Mittet-
lungen des Gesamtprozesses ein, sondern genauso die paraverba-
len und situatlven Informationen. Um die pragmatische Kommuni-
katlonsebene zu dechiffrieren, wird das Gesagte ztrm Handlungs-
k ontext ln Beziehung gesetzt. Gestik, Mimik, Tonfall, situattve Um-
stânde und das gemetnsame Wissen über Beziehungen und Ver-
bâltnisse, auf die sich das Gesagte bezieht, die es voraussetzt oder
unterschlagt, steuern Hinweise ztu pragmatischen Dekodierung
bel.

195
Entwlcklungsaspekte der Pragmatik

Jerome Bruner (1975b) faBt die Bemühungen zusammen, dJ.e


Sprachentwicklungsforschung von der Beschrankung auf die
Syntax zu befreien und sie in Zusarnmenhang mit der Entwicklung
der kommunikativen Kornpetenz zu stellen - auch in ihren vor-
und nichtspraclùichen Formen. Er pladiert dafür. »die Be-
schrânktheit auf syntaktische Fragestellungen zu überwinden.
einrnal genau zu untersuchen, wie das Kind die Aufgabe lôst, an-
deren seine Wünsche und seine Ziele zu vermitteln, um entweder
Unterstützung oder gemeinsarnes Handeln zu erreichen. Genau
dies führt zur Herausbildung von Sprechakten, die entwickelt wur-
den, um »mit Wortern Dinge zu tun4< (Austin 1962)4< (Bruner 1975b::
43). Er führt die Anfange der gezielten Verstandigung auf und ord-
net sie aufeinander fo1genden Interaktionsmodi zu.

Bruner (1975b): Frühe Modi des kommunikativen Austauschs

Alter demand request exchange reciprocal


mode mode mode mode
0;3 angeborener
Ausdruck von
Unbehagen:
verlangende
Schreie. BU-
dung einer
Antworterwar-
tung
,.stilisiertes-<,
weniger intensi-
ves Schreien mit
Pausen für Ant-
wortetwartung
0 .; 8 Wünsche nach
GegensLinden
werden gestisch
und lautlich
geau.Bert. Imita·
tion, RoUentausch.
1 ;0 komplementâre ..
wechselnde
Rollenverteilung
mit deutlkhen
Vokalisierungen

Diese Betrachtungsweise der Entwicklung der kommunikativen


Kompetenz ist mit psychoanalytischen Ansatzen sehr gut zu ver-
binden .. Ich werde ln den fo1genden Abschnitten dJeses Kap1tels an
zwe1 Betspi.e len, nârnl:ich an der Verneinung und an der Lüge, die
Dimension der Pragmatik in der Psychoanalyse der sprachlichen
Soz1ali ation darzustellen versuchen.

196
7.1. Nein und Ja

Ich habe das Werk von René Spitz bereits einführend erwahnt (s.
oben Kap. 2.2.3., Seite 64). Hier will ich nun das Versprochene
etnlôsen und eine seiner Arbeiten naher in Augenschein nelunen,
tn der es um die Entwicklung der Negation geht.
Wahrend Freud ( 1925h) die Verneinung nur als Urte1lsprozef3
des Erwachsenen beschrieben hat, untersucht Spitz (1957) in sei-
ner Arbeit :.Nein und Ja. Die Ursprünge der menschllchen Kom-
munikation.,; die Entwicklung basaler semantischer Kategorien 1m
Feld der Interaktion zwischen Mutter und Kind. Insbesondere stu-
dJert er die Genese der Bejahungs- und Verneinungsgestik, also
von Kopf:n.Jcken und -schütteln.
Kopfschütteln

Spitz vergleicht mit der Geste des Kopfschüttelns zwei frühe,


phânomenologtsch âhnliche Bewegungsmuster: die »negattven ze-
pb.alogyrtschen Bewegungen1< der von thm beobachteten Hospita-
Usmus-Kinder und die angeborenen Suchbewegungen des Saug-
lin.gs. In beiden Fâllen lâBt sich ein deutliches Kopfschütteln, das
der absichtlichen »Nein«-Gestik ahnelt, beobachten- nur daB es 1m
Falle der Suchbewegungen ein Appetenzverhalten darstellt, im Fall
der negativen zephalogyrtschen Bewegungen der Hospitalismus-
Kinder eine Wetgerung, werm auch nicht eine absichtliche Vernei-
nung. Erst die bewu13te Verneinung durch Kopfschütteln ist als
~ertchtete Mitteilung« ein »intentionales Signal« (Spitz 1957: 35).
Dtese -semantiscbe1< Verneinung tritt aber erst nach dem 15. Le-
bensmonat auf, und zwar in Folge einer Identifizierung mit den Ge-
sten der Bezugsperson.
Den scheinbaren Widerspruch zwischen dem suchenden und
dem verwetgernden Kopfschütteln lôst Spitz dadurch auf, daB er in
den Schüttelbewegungen der Hospitalismus-Kinder eine Regres-
s ion erbllckt: Durch den Versuch der Kontaktaufnalune geraten, so
seine Hypothese, diese Kinder unter Spannung. »Die Kinder versu-
chen dann, die Spannung durch Regression zu vennindern (... )
und zwar regredieren sie auf eine Form der Spannungsminderung,
dJe sie in ihren ersten Lebenswochen benutzten: die Suchbewe-
gungen, al.so das horizontale Hin- und Herwenden des Kopfes~.
(Spitz 1957: 36). DaB das aussieht wie eine Vemeinung, ist ein
Zufall; freilich etn Zufall, der für das Kind extreme Konsequenzen
haben kann. In der folgenden Passage almen w1r die Tragweite die·
ser Theorte 2 6 für die Frage der Entstehung des Autismus: »Durch

26 An diesem Beispiel ist deutlich die Komplexitàt zu sehen, die psychoanaly -


tische Theoreme oft auszeichnet: Spitz' Analyse der zephalogyrischen Kopf-
bewegungen von Hospitalismus-Kindem ist gleichenna13en bezogen a u f
kognitlve und affektive Entwicklung wie auf soziale lnteraktion und bezie h t
ln beiden Bereichen den klinisch-pathologtschen Aspekt mit ein.

197
die Àhnlichkeit der beiden Verhaltensweisen ist der erwachsene
Betrachter versucht, auch die negativen zephalogyrischen Bewe-
gungen ais Ablehnung seiner Annaherung oder als Negativismus
zu deuten. Dies ist jedoch eine adultomorphe Reaktion. Die ze-
phalogyctschen Bewegungen sind alles andere als ein semantiscbes
Zeichen, sie sind eine Regression auf ein Stadium, für welches eine
gerichtete Kommunikation noch undenkbar ist~ (ebd.).
Das semantische Kopfschütteln, die Verneinung, ist dagegen
eine reife lch-Leistung und setzt ein hoheres Niveau der Ich-Funk-
tionen voraus. Sie wtrd erworben durch den von Anna Freud
( 1936) beschriebenen Abwehrrnechanismus der :.ldentiftzterung mit
dem Angreifer~. »Der Aggressor tst 1n diesem Falle das versagende
Objekt, dem nun sein eigenes »Nein~ an den Kopf geworfen wtrd
(ebd.: 44). In einer minutiosen Analyse von FUmaufnahmen des
Verbotsvorgangs ennittelt Spitz, daB das Kind zwar das Verbot als
solches erkennt, den Affekt des Erwachsenen jedoch nur sehr vage
als »gegen mi ch~ wahrnehmen kann. Diesen A:ffekt kann es zusam-
men mit der Vemeinungsgeste nun erstmals gegen den Erwachse-
nen wenden; es erreicht damit eln neues Niveau von Autonomie,
gleichzettig wird dadurch eine neue Qualitat der Denkvorgange des
Kindes ermoglicht. Hatte es vorher zur Verleugnung gegrtffen (z.B .
im Du-siehst-mich-nicht-Spiel), so ist es mit der offenen Veme1 ~
nung in der Lage , die Subjekt-Objekt-Trennung kognttiv prasent .z u
halten. Dies wiederum tst eine Vorbedingung des abstrakten Den-
kens, das sich ebenfalls in Folge des gestischen »Nein« zu ent-
wickeln beginnt.
Wie verhâlt s1ch nun aber das semantlsche Kopfschütteln zu
den frühen, angeborenen Suchbewegungen? - Spitz legt zunacbst
dar, daB die Suchbewegung ais vorbereitender Reflex zu unter-
scheiden s ei von den etgentlich bedürfnisbefriedigenden oralen Re-
flexen wte Saugen und Lecken. lm Gegensatz zu diesen wtrd das
taktlle Suchen auch bald aufgegeben und durch visuelles Suchen
ersetzt; dabei bleibt es aber mit der eigentlichen oralen Befiiedi.-
gung assozilert. In den aufgegebenen Suchbewegungen sieht Spitz
ein motortsches Schema, das sich zur Wiederbelebung in kommu-
nikative n Interaktionen besser eignet als die bedürfnisbefriedigen-
d n Reflex e selbst: •Die Kommunikation 1st eine Umwegsfunktlon
und die unmtttelbare Bedürfnisbefrtedigung begünstigt die Ent-
wtc klung von Umwegsfunktionen n1cht4< (ebd.: 58). Darüber hinaus
ist die Suchbewegung nicht trgend ein Reflexschema, sondem es
1 t das f:rüheste koordinierte , zielgerichtete und erfolgsspezifische
Verhaltensschema. Interessanterweise entspricht cUesem frühen
Hlnstreb en ketn ruuù:tch koordiniertes Wegstreben. Insofem tst das
Suchverhalten als Schema der ,.flejahung~ die :.Matrix des semantl-
s h n Verh al tens~ (Spitz 1957: 77).
Aufgrund wetterer ethologtscher und kl1n1scher Befunde re -
konstruiert Spitz nun den Weg. der die semantische Vemetnung
mit d rn ew gung muster des Kopfschüttelns verbindet.

198
. Eine Zwischenstufe auf diesem Weg ist das Vermeidungsver-
halten. das um den dritten Lebensmonat auftritt: wahrend die ur-
sprüngliche Suchbewegung zu diesem Zeitpunkt weitgehend ver-
blaBt ist - das Kind ftndet die Brust jetzt durch Koordtnation von
Motortk und visueller Wahrnehmung - bekundet es jetzt einen
Wunsch nach Beendigung der Mahlzeit durch energtsches Wegdre-
hen des Kopfes.
Damit ist die Kette von der zephalogyrischen Suchbewegung
.z um semantischen Nein geschlossen. In ihr verschmelzen die Ab-
wendung des Kopfes mit den früheren, zur Abwehr von Unlust-
spannung regressiv wtederbelebten Engrammen von Hinwendung
und Kontaktaufnalune.

Kopfnlcken

Âhnlich prâzise Beobachtungen wte beim Kop~schütteln legt René


Spitz seiner Analyse des Kopfnickens zugrunde. Er beobachtet
beinl Saugakt mechanische, rhythmische Nickbewegungen, die
wtederbelebt werden zu aktiven Nickbewegungen, wenn dem Kind
die Brustwarze entzogen wtrd. »Die GescWchte des Kopfnickens ist
etwas anders ais die des Kopfschüttelns. Das Suchen mittels Kopf-
drehbewegungen ist ein angeborenes, biologtsches Verhalten mit
einer langen, in die Phylogenese htneinreichenden Geschichte. Das
Kopfnicken ist ntcht angeboren. Der korperliche Apparat dafür ist
zwar potentiell vorhanden, aber die Verhaltensweise selbst entsteht
ontogenetisch. Aber auch das Kopfnicken hat anfangs keinerlet
psychische Motive, sondern rein mechanische Gründe. Erst 1m
Laufe der Entwicklung, nach dem dritten Monat, machen sich psy-
cbische Motive die Kopfnickbewegung für ihre Zwecke nutzbar«
(Spitz 1957: 90). lm Unterschied zum Kopfschütteln tst das Ntcken
tnnJger mit dem ursprünglichen Triebziel, der Annaherung. ver-
bunden (Spitz 1957: Kap. Xl).
Vom Kommando zur Aufforderung: Der Fall Martin
ln der neueren Diskussion wtrd die Entwicklung der Negation ais
Betspiel oft tm Zusammenhang der objektbeziehungstheoretischen
Betrachtung der Sprachentwicklung genannt. Bergman und
Chemack ( 1982) beschreiben die Fallgeschichte des vierjâhrigen
psychotischen Martin.
Ais Martin in Therapie kam, gab er Satzmelodien ahnliche Plapperlaute von sich,
ve~endete jedoch keine Wôrter bis auf einige Ausdrücke, die er im Fernsehen
auf~hnappt batte und die er standig wiederholte. AuBerdem hatte er einlge
!ldlosynkratlsche Wortschôpfungen, z.B. ~taka taka~. was »Captain America« hieB.
Err klammerte sich extrem an seine Mutter, schien im Kôrperkontakt fast mit ihr
verschmelzen zu wollen, eine symbiotische Beziehung, die auch die Mutter mlt-
aglerte. Wenn er nicht in Kôrperkontakt mit ihr war, zeigte er autistlsche, eintô·
mg perseverterende Spielaktivitaten; die Mutter versank dann in passives
Bruten. bis einer von beiden wieder die symbiotische Versclunelz ung h erzu -

199
stellen versuchte. Nach Aussage der Mutter hatte Martin zwar bereits mit sech.s
Monaten sein erstes Wort gesagt, mit 12 Monaten Narnen für die Familienm.it-
glieder gehabt, dies jedoch mit 18 Monaten wieder aufgegeben und durch Zetge-
gesten ersetzt.
Diagnostisch wurde dieses Syndrom ais symbiotische Psychose im Sinn van
Mahler ( 1968) aufgefa.Bt, mit der Einschrânkung, daB - nach den neueren
Forschungen der Babybeobachtung - dieser Zustand nicht durch das Verblelben
in einer vorkommunikativen ~symbiotischen Phase.:, sondern durch das Schef-
tem elner aktiven Beziehungsaufnahme im praverbalen Dialog zu erklâren seL
Diese atiologische Unterscheidung führte zu einem verânderten Therapieansa.tt:
das Kind wurde zunachst in einen Handlungsdialog mit dem Therapeuten ei.n-
geführt, durch Sptegeln, Spielen etc., wobei gleichzeitlg der praverbale, aktlv-
reziproke Austausch zwischen Mutter und Kind geférdert wurde.
Martins wenige objektbezogene À.u&rungen bedeuteten stets das absolute
Habenwollen bestlmmter Gegenstande - wenn man sie ihm dann brachte, schien
er das nlcht als Reaktlon auf sein geauBertes Verlangen aufzufassen. sondem
ais Bestandtcil des Kommandos. Er hatte ersichtlich kein BewuBtsein von einem
Kommuntkationspartner, nicht einmal von einem bedürfnisbefrtedtgenden Ob-
jekt, sondem schlen dem Phantasma einer omnipotenten Wunscherfüllung zu
huldigen. Der erste therapeutische Schritt bestand in der Etablierung einer Be-
ziehung zu elnem bedürfnisbefrledigenden Objekt, begleitet von Spiegelungen
der LautauBerungen des Patienten und Verballsierung seiner gestischen Kom-
mandos, um so erste Vorfonnen einer dialogischen Beziehung aufzubauen. Es
entwickelte sich eln Spiel von gegenseitlgem Nachsagen. Charakteristlsch fûr
dlese erste Behandlungsphase war das »YeS«-Spiel: Martin konnte mitten in
e.l ncr Spielaktivltat mltunter plôtzlich aufsprtngen, mehrmals freudig ~Yes!.: ru:fen
und darauf bcstehen, da13 die anderen es nachsagten. Dies war lange vor der
crstcn Vcrwendung von »yes.c als Antwort auf eine Frage; auch die Negation hatte
cr zu dlesem Zeitpunkt noch nicht verwendet. Bergman und Chernack lnterpre-
Ue ren dlese proklamatorlsche Verwendung des Ja-Partikels ais ~as Ja. das dJe
Abwcscnheit jedes mëglichen Nein bedeutete, jeder môglichen Grenze, Begren-
zung oder Unterscheidung zwischen ihm und der Welt, zwischen dem Selbst und
dcm Andcren« (Bergman und Chernack 1982: 592). Seinen ersten be-
schreibenden Satz au13erte Martln nach einem Jahr Therapie: er versteckte e1n
B uklôtzchcn, halte es wieder hervor und sagte (bezogen auf ein ausgeschie-
d nes Teammttglled): ,.Jean went bye-by~. Dabei imitlerte er frappierend genau
dJ Stimmc seincr TherapeuUn. Daran. 7-e.lgt sich eine erste SymboUsieruqg von
Trcnnung, unlcrslützl durch die lnkorporation der Stimme der Therapeutin_
Dcnnoch war cs bis zur sprunghaften Zunalune seiner Sprachentwicklung noch
c rfordc rU h, daB Martln sein von Fragmentierung bedrohtes Selbstbild stabili-
sl rte. Auch hlcrfür ve rwendete er u.a. die Bauklôtzchen, die er mit Vorbedacht
zu Hause lie J3, um dann in der Therapiestunde ihre Abwesenheit zu beklagen.
Die s Spiel mündete in eine erste Selbstbenennung. Er entwlckelte ein Gefühl
für sein Eigentum. begann seine Zeichnungen zu bewundem, und gebrauchte
e rst:rnaltg e ln kommunikatives •Nein«- ailerdings noch tange kein kommunikatl-
-.Jac. •DLe DtfTcrenzierung. die Identiflzierung und die Reprasentanzen waren
n h ni h l slabU. Trennungskonflikte waren noch immer überproportionaL
Dur h d a s Ne lnsagcn zcigte cr, da:B er slch von der Mutter trennen konnte, abe;r
lnrl rn c r nur •Ncinc sagtc. zcigte e r, daB er es nur konnte, wenn er es ganz allein
Umm n konnte« (cbd.: 595). Die Anerkennung des Dialogpartners im Ja, das
Konz pt d r Einh H in der Ve rschiedenheil, war ihm noch nicht mëgllch. Das
Wo rt •Y trat crst Lm zweltcn Theraplejahr wieder auf; gleichzeitig begann er.
Fr t U n und zu bcantworten und Geschehnisse von auBerhalb der
Th r pl zu hrcfbcn .

200
lin Vergletch zur normalen Sprachentwicklung wtrd die Wortver-
wendung des psychotischen Martin als eine Fonn der verbalen Ge-
stensprache beschrieben. Er lernte zwar Worter, konnte sie aber
wegen der Storung der Subjekt-Objekt-Abgrenzung ntcht progres-
stv .nutzen. Wâhrend beim gesunden Kind die Laute und Gesten in
den Dialog etngebunden sind, kommunikative Bedeutung haben,
dJe durch den Erwerb bedeutungstragender Wôrter erweitert wer-
den. konnte der prâverbale Dialog bei Martin auch durch die me-
chanische Verwendung wortfonniger ÂuBerungen nicht hergestellt
oder überfonnt werden.
Bergman und Chernack sehen Martins Sprachentwicklung im
K.ontinuUlll von •Conunands« zu »Requests«. Erstere fassen ste auf
ais nicht-dialogtsche, auf halluzinatorischer Wunscherfüllung auf-
bauende idiosynkratische Benennungen. Einen âhnlichen Stellen-
wert haben auch Echolalie und sinnlose Silhen, die eine man-
gelnde Trennung von Subjekt- und Objektreprasentanzen anzei-
gen. h?:t Gegensatz dazu verstehen sie unter »Requests« dialogbezo -
gene AuBerungsformen wie Fragen, Antworten, Beschretbungen,
Unterhaltungen. Martin konnte den Übergang erst bewâltigen,
nachdem er sich einen »Übergangsraum« geschaffen hatte, in dem
er traumattsche Trennungserfahrungen spielerisch symbolisch
darstellen, d.h. in zunâchst kontrollierbarer Weise erleben konnte.

7 .2. Wahrheit und Lüge


Sprechen und ..sprache im Handlungskontext - einige der damit
verbundenen Uberlegungen und Beobachtungen habe ich jetzt
dargestellt; und doch wissen w1r immer noch nicht recht, was aus
der Perspektive der Pragmatik Sprache von Nicht-Sprache unter-
scheidet. Aus anderen Perspektiven ist das eitùeuchtender. So z.B.
aus der Semantik, wo sprachfonnige Akte des Bedeutens ausge-
zetchnet sind durch ihre Konventionalitât, Einbindung ins Sprach-
system, Regelhafttgkeit usw. Was aber unterschetdet eine Sprech-
handlung von einer gestischen Handung?

satze sind wahrheltsjiihlg


Ich bin bereits oben, in der Einleitung zu diesem Kapitel, auf die
Sprechakttheorie eingegangen (s. oben Seite 191 ). Aus dieser Sicht
1st es die Funktlon eines Aussagesatzes, wahrhettsfâhtg zu s ein.
D.h .• etn Deklarativsatz kann grundsâtzlich wahr oder falsch sein.
Der Satz Der Mond tst aus Kiise tst zwar nach dem Stand unserer
astrophysikaltschen Kenntnisse unzutreffend, aber der Satz ist
korrekt. Diese Bestinunung gilt unabhangtg davon, ob in der uns
bekannten Welt ein Entscheidungskriterium existiert. Auch Gott ist
allmiichttg ist ein Aussagesatz, der wahr oder falsch s ein kann,
selbst werm es uns nicht gelingen dürfte, hierüber eine Entsch 1·
dung zu fâllen. Schl1mrner noch steht es mit den berühmten Para -
201
doxa, wie z.B. lch lüge. Obwohl hier der Wahrheitswert nicht nur
aus empirischen, sondern aus logischen Gründen unbestimmbar
ist, ist es doch ein ~wahrheitsfi:ih.1ger~ Aussagesatz.
Dartn unterscheiden sich Satze von Gesten: eine Geste ist
niemals wahr oder falsch, sie ist da, sie bedeutet m6glicherweise
etwas, doch sie konstituiert keinen Zusamrnenhang, der auf seine
Wahrheit oder Falschheit hin beurteilt werden konnte - wenn man
einmal von konventionellen Gesten absieht, die aber nur Ersatz,
Symbol für einen Aussagesatz sind. Auch andere Modi des Spre-
chens, wie Frage, Irnperativ etc., sind nicht wahrheitsfahig.
Werm also im folgenden davon die Rede sein wtrd, was Lüge
bedeutet, so vor dem Hintergrund, daB Wahrheit oder Wahrhe11s-
fahiglœ1t ein konstituierender Faktor des aussagenden Sprechens
ist.

Sprache und Lüge

Lars Gustafsson (1979) behandelt in einer sprachkritischen Arbeit


d1e Positlonen der »Sprachlichen Extremisten~ Friedrich Nietzsche,
Alexander Bryan Johnson und Fritz Mautlmer. Er zeigt, da.B deren
gemetnsamer Zug der Illusionscharakter der Sprache 1st; das
sprachliche Universum ist in allen drei - unterschledlichen - Sich-
ten n:icht nur keine Abbildung der Welt, sondern es ist eine syst~e­
mattsche Tauschung über die Welt. An H.C. Andersons Marche.n.
von des Kaisers neuen Kleidern zeigt er, wie der Tauschungszu-
sammenhang funktion:iert. Mtch tnteressiert daran unter anderem
sein Hinweis auf Freud und Marx, deren philosophischen Syste-
men eUe Kritik des falschen Bewu13tse1ns gemeinsam ist. »Falsches
BewuBtsein~. das hetBt ein Bewu13tse1n, das in einer tnteressenge-
leiteten Tendenz zur systemattschen Tauschung befangen ist. lm
Marxschen Konzept des :.Klassenbewu.Btsei.ns~ ist gedacht, daB ge-
wtsser Verhâltnisse nur gewahr wird. wer in einer bestlmmten
ôkonomischen Situation steht (herausgearbeitet von Lukacs 1923)1.
Und auch Freud postuliert nut setner Annahrne der Abwehrmecba-
nJsmen, daB das Bewu13tse1n vom Sein bestimmt wird, daB es fal-
sche Aussagen akzeptiert, weil es die Wahrheit nicht ertragt. Dtese
F:igur r ekonstruiert Gustafsson auch bei den drei genannten Auto·
r en . lch will hier nur den Htnwets aufgreifen, dai3 die Entwick:lung
der Sprache auch mit der Entwicklung der Lüge. der systematl-
h n Irreführung e1nhergeht.
Nun tst Lars Gustafsson nicht nur Sprachphilosoph, sondem
auch e1n Romancier von hohem Rang. In etnem setner bekannte-
ten Romane findet sich eine autobiographische Passage über die
Entwtcklung der Sprache - verbunden mit einer frühen Erinnerung
aus dem zwetten Lebensjahr. seinem Umzug an die Pistolgatan m.
Sto kholm. Es 1st wahrschetnlich etn Vorrecht des Dichters, der
ein L b n lang den sinnlichen Aspekten der Sprache Aufmerk-
. amk tt ch nkt, sich so genau an das etgene Sprechenlemen. an

202
seine fiiihen »Stinunen~ ertnnem zu kônnen. In ihrer ungewôhnli-
chen, immer wteder neu ansetzenden Schretbwetse zeugt diese
Stelle anschaulich von diesem Erinnem.
•Das Reden ist Wanne, Mütterlichkeit, Wiege. Das Reden ist Form. mütter-
Uche Kraft. Und schon damais, 1939, habe ich beim Reden manchmai das
Gefülù (ich sitze oft auf der Toilette und rede ununterbrochen mit mir
selbst), da6 nicht ich es bin, der redet, sondern da6 jemand in mir redet,
etwas das so ursprünglich ist, da13 es alter ist ais die altesten Bilder.
(Der Umzug zur anderen Stra&nseite hinüber: ich trage allein eine Back-
rolle und habe Schwierigkeiten beim Laufen, weil ich gerade erst laufen ge-
lemt habe: 1937)
Da.s Reden ist etwas Weibliches, ist das Weibliche in mir. Zu reden,
(und spater zu schreiben)
bedeutet die einztge Geborgenheit, die einzige Warme, die es in der Welt
glbt.
Und angesichts dieses ~plôtzlieh4<, dieses ~Imperfekt54<, gtbt es nur einen
Ausweg, eine Verteidigung: und das tst das Reden.
Irgendwo an der Pistolgatan beginnt das Reden, dann wird es tmmer mehr,
je weiter man kommt, es wâchst zu einem Gemurmel an, ja es wird immer
111ehr (und ihr habt keine Ahnung, wie die Sttmmen mit den Jahren an
Stârke und Zahl zugenommen haben)
Das Reden: ich ertnnere mich genau an meine Stimmen. Die erste ist so
klein und schrill, daB sie weder mânnlich noch weiblieh ist, sie gleieht der
eines Vogels. Und dann kommt eine Zeit, eine schreckliche, quaivoll genie-
rende Zeit, wo teh mit einer kleinen, einer absiehtlieh kindliehen Sttmme
rede, obwohl teh schon zur Sehule gehe: teh will mich so klein wie môglich
machen, so unbedeutend, da13 niemand mtch entdeekt. Und natürlich ist
das Ergebnis gerade umgekehrt; man findet mich komisch, fremd, wie ein
seltsames Tier, das sich bei Menschen etngeschlichen hat und das red en
kann. Und teh staune noch heute über die Toleranz, mit der man mir be-
gegnete. Man rniBhandelte mich nur ein klein wenig, man lachte mich aus,
aber nur ein klein wenig4< (Gustafsson 1971: 78) .

.l.mlnt man die beiden Stellen zusammen, so entsteht wte in etner


Vision das Bild von den beiden Aspekten der Sprache: von threr
sekundaren, entfremdeten und entfremdenden Funktlon, in der sie
ais Lüge erscheint, weil ste die ursprüngliche All-Einheit des Erle-
bens benennend zerlegt; aber auch von ihrer Identltat stlftenden
Funktion. in der sie Einheit erst 1m erwachenden Ich als bewuBt
erlebbare konstituiert. Eigentlich sind, liest man genau, beide Sei-
ten schon in dem Romanzttat enthalten und aufs dichteste ver-
mtscht: die Verstellung, die die einztge Geborgenheit bietet. Aber
dJe sprachphilosophische Reflexion hilft uns, ste bewuBt auseinan ·
derzuhalten, sie künstlich zu trennen. um 1hr Zusammengefügt-
setn besser zu verstehen. So oszilliert auch die Psychoanalyse stets
zwischen mimetischem Aufnelunen der komplexen Erfahrungs-
wtrklichkeit und der analytisch-begr1filichen Trennung. zwtsc~en
poetischer und theoretischer Darstellung. Sprache und Luge
stehen also in etnem tnneren Bedingungsverhilltnis.
Auch Stern ( 1986) hat auf den Doppelcharakter der Sprache
tm EntwicklungsprozeB hingewtesen. Zum einen schafft ste Nâhe

203
und Verbundenheit, indem sie >Kl:te Veretnigung zweier Subjektlvi-
tâten in einem gemeinsamen Symbolsystem~ bewirkt (Stem 1986:
244), zum anderen sieht er auch »die zweite Schneide des Schwer-
tes: die entfremdende Wirkung der Sprache auf Se1bster1eben und.
Zusammengehorigkeit~ (ebd.: 247) .

.Stellen wir uns var, wie ein Kind einen Fleck gelben Sonnenlichts an der Wand
wahrnimmt. Es wtrd die Intensitat, Warme, Fonn, Helligkeit, Annehmlich.keit
und andere amodale Aspekte des Flecks erfassen. Der Tatsa.che, daJ3 das Licht
gelb ist, kommt dabei weder eine prtmare noch überhaput eine Bedeutung zu.
lndem das IGnd den Fleck betrachtet und ihn (... ) empfindend wahmimmt, ist es
in einem globalen Erleben gefangen, in dem ein Gemisch aller amodalen Eigen-
schaften, der primâren Wahrnehmungsqualitaten, des Lichtflecks zusammen-
klingt - seine Int:ensit:at, Wanne usw. Um diese in hohem MaJ3 flexible, omnt-
dimensionale Perspektive auf den Fleck beizubehalten, mu13 das Kind für ali jene
spezifischen (sekundare und tertiâre Eigenschaften wie die Farbe) Eigenschaften
blind bleiben, die den Sinnesmodus, über den der Fleck wahrgenommen wird
spezifizieren. Das Kind darf nicht bemerken, es darf ihm nicht bewuBt werde~
daB es sich um eln visuelles Erleben handelt. Genau dazu aber wird es durch
die Sprache gezwungen. Irgend jemand tritt ins Zimmer und sagt: »>h, sleh mal.
das gelbe Sonnenllchtf.,; Die Worte sondern in diesem Fall genau diejenigen
Etgenschaften a us, dJe das Erleben in einem einzigen Sinnesmod us verank:em.
lndem sie es an Worte binden, wtrd das Erleben von dem amodalen Wahrneh-
mungsstrom isoliert, dem es ursprünglich angehôrte. Auf diese Weise vennag die
Sprache das amodal-globale Erleben aufzubrechen, so da13 seine Kontinu1tât
bcctntriichUgt wird .
lm Lauf der Entwicklung geschieht nun wahrscheinlich folgendes: Die
sprachHche Version solcher Wahrnehmungen, in diesem Fall »gelbes Son-
nenUcht.,;, wird zur offiziellen Version, wiihrend die amodale Version
•untertaucht« und nur dann wieder zum Vorschein kommt, wenn besondere
Umst.â.nde die Domlnanz der sprachUchen Version aufwiegen oder zunichte
machen. Solche Bedingungen kônnen durch bestimrnte kontemplative und
e motlonaJe Zustiinde eintreten oder durch bestimrnte Kunstwerke evoziert wer-
den ... « (Stern 1986: 250).

Sagt also die verwtrrende Wahrheit über die Sprache jener Kreter ,
der sich mJt dem Satz »Alle Kreter lügen« selbst bezichtigte, zugleich
zu lügen und die Wahrheit zu sagen? So sehr Wahrheit und Lüge
ihrer Herkunft nach verschwistert sein mogen, so gegensâtzliche
Wirkungen entfalten sie m1tunter. Lüge a1s bewuBte Tauschung ist
eine sehr spezifische Fonn des Sprechens, und sie ver1etzt eine
zentrale soziale Konvention. VerscWedene psychoanalytische Auto -
~. n haben sich, vor allem im Zusammenhang mit der Analyse von
Uber-Ich-Storungen, Frühstôrungen und Charakterpathologten,
mit der Lüge befaBt und innerpsychische Konstellationen illu-
striert, dte 1ügenhaftes Sprechen und Denken bedingen (Kemberg
1975, 1976, 1984, Wurmser 1987, 1989, Bion 1970).

204
8. Wortsemantik

Nachdem ich in den letzten beiden Kapiteln das Problem der Ent-
wicklung von Bedeutungen in einen umfassenden Ralunen der
sp!r achlichen und ntchtsprachlichen Kommunikation gestellt habe,
will ich jetzt Wieder zurück zu einer Betrachtungswetse, deren Dis-
kussion noch aussteht. In der klassischen Sprachwissenschaft,
ebenso wie in der frühen Psychoanalyse, wurde das Bedeutungs-
problem vor allem auf der Ebene von Wortbedeutungen studiert.
Vor der strukturalistischen Wende war die Frage, wie die Worter zu
den Gegenstânden, die sie bezeichnen, in Beztehung stehen, Mtttel-
punkt sprachwissenschaftlicher Forschung. Lassen Sie mich
zunâchst zetgen, was die Psychoanalyse zu dieser ldasstschen Fra-
gestellung beizutragen hat.

8.1. Von der Intention zum Wort


Dore ( 1983), dessen Beschreibung des Übergangs vom umnittelba-
ren Affektausdruck zum intentionalen und zum intendierten Af-
fektausdruck oben ausführlich besprochen worden ist (vgl. oben
Kap. 5.5., besonders Seite 155), kennzeichnet auch den nachsten
Schritt, die Ebene des Wortes. Im Unterschied zu den Lautâui3e-
TUJ:Igen, die noch ntcht als Worte gelten kônnen, den affektiven und
fonnalen Indextkalen, sind Wôrter Teil eines strukturierten Gan-
zen. Dore verlâBt sich aber nicht, wie in der Kognitlons-
wissenschaft und weithin in der Psycholinguistik üblich, auf se-
mantlsche Merkmale, um festzulegen, was etn strukturterter Wort-
schatz tst.

Was ist ein Wort?


ln der Sprachwtssenschaft gtbt es eine alte Dtskussion, was ein
Wort 1st. Man kônnte es sich einfach machen und sagen: ein Wort
ist eine Bezeichnung für ein Ding. Aber das wâre aus vielen Grün-
den .z u einfach. Man kann schon deshalb eine Wortbedeutung
mcht vom bezeichneten Gegenstand her definieren, weil es offen-
stchtUch auch Worter für nur gedachte Dinge gtbt, wte z.B. für
E:Inhomer usw. Und weil auch die Dinge, die man anfassen kann,
keineswegs zum Ma13stab der sie bezeichnenden Worter genonuuen
werden konnen. So tst zum Beispiel ein beinamputierter Elefant
hni:ner noch ein Elefant und kann auch so genannt werden, auch
wenn das Merkmal <vierbetnig> sicher zu den dem Wort Elefant
zuzuschreibenden Merkmalen gehort. Von der Extension , also der
Menge der bezeichneten oder bezeichenbaren Gegenstande her,
kann also eine Wortbedeutung ntcht definiert werden. Ote derze1-
tige Losung !autet: Wortbedeutungen werden durch ihre Intenslon
205
bestimmt; Wôrter bezeichnen nicht Gegenstànde, sondem Kon-
zepte. Sie haben eine 1nnere Bedeutungsstruktur. In der Praxis
andert dtese theoretische Unterscheidung aber wenig. Meist wtrd 1n
der Linguistik doch einern Wort eine Menge von Merk-
malskomponenten (semantic features) zugeschrieben, die aus einer
idealtypischen Betrachtung der bezeichneten Gegenstande abge-
leitet ist. Was dabei wegfâllt, ist die psychologtsche Dimension des
»Meinens«. Stellt man sich die Frage, was die Intension eines Wor-
tes mit der Intention eines Sprechers dieses Wortes gemein hat. so
gelangt man schnell zurück zur Schaltstelle der Entstehung von
Wôrtern aus prâverbalen Âufierungen. Und hier ist die Psychologie
gefragt, und zwar die Psychologie des ganzen Kindes, nicht nur
seines Sprachapparats.
Die meisten linguistischen Wortschatztheorten kranken
daran, daB sie schon voraussetzen müssen, was zu erklaren e:l-
gentlich ihr Ziel ware: nfunlich den Begriff des Wortes. Um über-
haupt angeben zu kônnen, was ein Wort ist - 1m Gegensatz etwa zu
einem »lndexikal« i.S.v. Dore - mufi teh eine Theorie haben, in der
die kommunikative Etgenschaft einer Âu13erung beschrteben wtrd,,
die man Wort nennen kann.
Es kann nicht genügen, zu sagen, das Wort Femsehturm bezeiclme ein Konzept
mit den Merkmalen <anorganisch> <künstlich> <Architektur> . . . <hoch>
<schlank> <femsehturmartig> usw. Vielmehr mu13 ich angeben konnen, was. bei
der Benützung dleser Lautkette: Fernsehturm, in der Welt passiert.

Freillch steht die Wortschatztheorie mit diesem Problem nicht al-


lein da; es ist ganz allgemein eine Etgenschaft der Ltngutstlk, dafi,
sie Sprache voraussetzt; sonst würde sie sich auch 1n kaum 16s-
bare spekulative Ursprungsbetrachtungen verlieren. Es ist sozusa-
gen ihr Arbeitsboden. Dennoch ist es oft unbefriedigend, sich auf
dtesem Boden zu wissen, vor allem wenn die Theoreme, die auf
ihm entwickelt werden, plôtzlich zur Definition der Wtrklichke:lt
werden und entsprechende Rückwtrkungen entfalten. Die Wissen-
schaft ist gut beraten, sich ihres hypothetischen Status bewu.Bt zu
blelben. lm Falle der Wortschatztheorie ist der Rückgrtff auf die
psychoanalytlsche Beschreibung affektiver, 1ntra- und intersub-
jektlver bedeutungsbildender Prozesse eine Môglichke1t, den For-
malismus zu erden.
John Dore, dessen Aufsatz über die affektive Basis der Kom-
muntkation ich oben besprochen habe, hat in e1ner früheren Arbe1t
vers~.cht, die Bedeutung von Wortvorlâufern durch Rückgriff auf
die AuBerungssituation zu charakter1s1eren. lm Gegensatz zu
Bruners Theorie der Kommuntkationsabsicht lâuft der Ansatz von
Dore auf eine Theorie der Sprechabsicht hinaus. Er bezieht sich
auf die von Austin und Searle begründete Lehre vom Sprechakt (s.
oben Seite 191). Dore unterscheidet ~dsâtzlich - wie Searle
( 1969) - zwet Aspekte jeder sprachlichen AuBerung:

206
( 1) den semantlschen Gehalt (Searle batte das die Proposition ge-
nannt) und
(2.) den lntenttonalen Gehalt (was bei Searle die lllokutioniire Kraft
war).

Dtese beiden Komponenten unterscheidet Dore (1975) auch 1m


»p11m1tiven Sprechakt~ am Anfang der Sprachentwicklung. So sieht
er den semantischen Gehalt tn »rudimentâren referentiellen Aus-
drücken~ wie z.B. wau-wau, wâhrend er den zweiten Aspekt in der
»PI1Initiven Kraft« von Intonationsmustern, Begleitaktivitâten, aber
auch situativen Kontexten und mütterlichen Antworten sieht, die
1ntentionale Gehalte wte benennen, antworten, fordem, rufen, grü-
Ben, protestleren usw. zum Ausdruck brtngen kann.
Kritisch laBt sich zu diesem Vorschlag anmerken, daB er
m oglicherweise, wie alle »Vor1aufer«-Theorien, adultomorph ist:
v1eUeicht hat nâmlich ein Kind ganz andere Sprech-Intentionen als
diejenigen, die die Erwachsenen, deren Wahrnehmungsfàhigkeit
für sprachliche oder vorsprachliche Signale durch das Regelsystem
o rgantsiert, aber eben auch etngeengt wtrd, in die frühen Au13erun-
gen hineinlesen.

8.3. Ein Wort ist eine nach Ma6gabe


alltagspraktischer Verbindlichkeit
interpretierte Intention
ln der bereits zitierten spateren Arbeit, die sich metnes Erachtens
dem Adultomorphismus-Vorwurf wentger aussetzt, greift John
Dore ( 1983) zur Unterscheidung zwischen den Indexikalen, die nur
tn der Dyade gelten, und verbindlichen Wortau13erungen auf die
E thnomethodologte zurück. Nach Garfinkel (1967) sind Alltagsakti-
vUâten diejenigen Aktivitâten, die für die Mitglieder etner Ge-
sellschaft 1n praktischen Zusanunenhângen durchschaubar sind.
E r nennt sie »Verbindlich~.
Für Dore ergeben sich Worter als Folge tnterpretierter Int en-
tlonen, und zwar »Verbindlich(( interpretiert. Dore verzichtet darauf,
wie Chomsky angeborene lingutstische Strukturen zu postulieren.
Dieses 1nnerpsych1sche Konstrukt ersetzt er durch den konse-
q uenten Bezug auf die Interaktion 1m ProzeB des Spracherwerbs.
Setne Annahme lautet. kurz formuliert: Die Wortverwendung geht
der Wortbedeutung voraus. Worter entstehen durch den Gebrauch
p râverbaler, »indexikalischer(( ÂuBerungsfonnen durch da s Kind.
ihre Revis1on durch die Bezugsperson und die kognttive Anpa ssung
des Kindes an diese revtdierte Form. »Die Dyade (von Bezugsp erson
und K1nd) co-konstruiert das Lexikon des Babys~ (Dore 1983: 18 0) .

20 7
8.4. Vom Anzeichen zum Symbol: Anale Modalita~ und
Entwicklung der Fihigkeit zur Reprisentation
Susanne K. Langer ( 1942), von deren Symboltheone oben (SeJt.e
162) schon die Rede war s1eht den entsche1denden Schritt in der
Entw1cklung zum bedeutungsvollen Spreehen 1m Übergang VOD1
»Anzeiehen~ zum »Syrnbol«. Ohne auf ihre Symboltheorte noch ein.-
mal einzugehen, willieh hier nur diesen Unterseh1ed kurz s.ktz.zle-
ren und an einem Beispiel beleuehten. »Ein Anzeichen zetgt: das
(vergangene, gegenwârtige oder zukünfttge) Vorhandensein elnes
Dinges, eines Ereignisses oder einer Saehlage an. Nasse Stra6en.
sind ein Anzeichen dafür, daB es geregnet hat. Das Prasseln au:C
dem Daeh ist ein Anzeichen dafür, daB es regnet. Das Fallen des
Barometers oder der Hof des Mondes ist ein Anzeiehen dafür, daB
es regnen wird« (Langer 1942: 65). Anzeiehen und ihre Geg~­
stande stehen in einer festen paarweisen Beziehung zuetnander
Diese Beziehung haben sie aber nur aus der Sicht etnes Subjekts
für das sie in Beziehung stehen, und das bestimmt, welches von
den Beiden das Anzeiehen, welches der Gegenstand sein soll. Das
Anzeichen ist das Verfügbare, der Gegenstand das Interessante
»Werm wir uns für das Wetter von morgen interessieren, so sind dt -
augenblicklichen Wettererseheinungen, wenn man sie mit den fü.r
morgen zu erwartenden in Zusammenhang bringt, Anzeichen für
uns. Der Hof des Mondes oder Federwolken sind als sole be be-
langlos, aber als stchtbare. vorhandene Etnzelheiten, die mit etwas
Wichtigem, aber noch nicht Gegenwartigem in Zusammenhang g -
sehen werden, haben sie »Bedeutung«. Ohne das Subjekt, ohne den
Deutenden, wâren Zeichen und Objekte auswechselbar~ (L~
1942: 66). Solche Anzeichen kônnen auch künstliehe Signale setn.
und sowolù Tiere als auch Menschen orientleren sieh in ihrern
Verhalten an ihnen. lm Gegensatz dazu tst die Beziebung ernes
Symbols zu seinem. Gegenstand abstrakter: »Ein Terminus, der ais
Symbol und nieht als Anzeiehen verwendet wird, ruft ketn der An-
wesenheit seines Gegenstandes angemessenes Verhalten hervor
Wenn teh sage Napoleon, so wtrd sich tùemand vor dem Eroberer
Europas verneigen, als batte teh ihn vorgestellt, man wtrd blo6 an.
ihn denk.e n. (. .. ) Symbole sind tùcht Stellvertreter ihrer Geg~­
stande, sondern Vehikel für die Vorstellung von Gegenstânde ,
(ebd.: 68 t). Wôrter kônnen sowolù Symbole ais auch Anzeich '
sein ; das tst etwa bei Etgennamen der Fall, wenn sie ais Rufnam
verwendet werden. In dieser Etgenschaft sind sie Teil d
»animalischen Intelligenu, die Menschen und Tieren etgen ist; aber
in Uuer syrnbolischen Eigenschaft sind sie Teil des dem Mensch
vorbehaltenen Denkens in Vorstellungen. Langer veransehaulich
den Unterschied an einem Beisptel: »Werm man zu etnem Hund ~
den Namen seines Herrn, Jakob, sagt, so wtrd der Hund den Laut
a1 Anzeichen deuten und nach Jakob Ausschau halten. Sagt man

208
den Namen zu einem Menschen, der jemand kermt, der Jakob
hetBt, so Wird er fragen: Was tst mit Jakob?« (Langer 1942: 70).
Dementsprechend ist der Übergang vom Anzeichen zum Sym-
bol der entscheidende Schritt in der Sprachentwicklung. Langer
veranschaulicht ihn an einem Text, der in der Sprachentwick-
lungsforschung oft zitiert und analysiert worden tst: dem autobio-
graphischen Bericht der taubstummen Helen Keller ( 1902). Die
entscheidende Episode ist die folgende:
Annie Sullivan, Helen Kellers Lehrerin, batte ihrer Schülerin eine Art Zei-
chensprache beigebracht: sie schrieb Wôrter in ilu-e Hand, und Helen Keller
batte begriffen, da13 diese Empftndungen ihrer Handflâche mit Gegenstânden der
Au.6enwelt korrespondierten - jedoch nicht im Sinne einer Bezeichnung, sondem
in unmittelbarem Zusammenhang mit Erfahrungen oder Erwartungen. So ver-
wendete sie Becher, Mllch und trlnken synonym, werm sie trank oder durstlg
w:ar.
Um diese Verwirrung zu klâren, lie6 Miss Sullivan Helen ihren Becher mit
Wasser füllen, und buchstabierte ihr wâhrenddessen W-a-s-s-e-r in die Hand. In
Helen Kellers Autobiographie liest sich das so:
•Wir gmgen den Pfad zum Brunnenhaus hinunter, angezogen vom Duft des
Oei.l3blatts, mit dem es überwachsen war. Jernand pumpte gerade Wasser, und
meine Lehrerin hielt rneine Hand unter den Strahl. Ais der kühle Strorn über
meine Hand flo6, schrieb sie in die andere das Wort Wasser, erst langsam, dann
schnell. Ich hielt still, rneine ganze Aufrnerksamkeit konzentrierte sich auJ die
Bewegung ihrer Finger. Plôtzlich empfand teh ein nebelhaftes Bewu13tsein wie
von etwas Vergessenem- den Schauer elnes wiederkehrenden Gedankens- und
trgendwie offenbarte sich mir das Mysteriurn der Sprache. Da wu6te teh auf
einmal, da13 W-a-s-s-e-r jenes wunderbare kühle Etwas meinte, welches mir
über die Hand floB. Dieses Iebendige Wort erweckte meine Seele, schenkte thr
Licht, Hoffnung, Freude, und machte ste frei! Es gab zwar noch Schranken, aber
sLe lie6en sich mit der Zeit beseitigen. Ich verlieB das Brunnenhaus voiler
Lerneifer. Jedes Ding hatte einen Namen, und jeder Name ge bar e inen neuen
Oeda:nken«.

ln d.tesem Moment war für Helen Keller das Wort Wasser vorn An-
.z eichen fur etnen Erfahrungsgegenstand WASSER zum Symbol für
elne Vorstellung <Wasser> geworden.
Es 1st freilich problematisch, aus diesem LernprozeB auf die
normale Sprachentwicklung Rückschlüsse zu zlehen. Helen Keller
batte erst 1m Alter von 19 Monaten die Seh- und HôrfâhJgkeit ver-
lor en. Erste Ansatze der Sprachentwicklung hatte sie bereits ge-
zetgt. die sich jedoch in den folgenden fürû Jahren wieder verloren.
Zum Zeitpun.kt des Wasser- Ereigntsses war sie knapp steben
Jahre alt. Dennoch: es 1st wohl nur den auBergewôhnlichen Um-
stânden dieses besonderen Falles zu verdanken. daB w1r eine auto·
b1ographische Schilderung des Vorgangs der Symbolbildung besit-
z.e n. Selbst wenn er sich nicht ohne weiteres verallgemeinem lâBt.
o konnte er doch Fragen aufwerfen, die auch für die normale
Sprachentwtcklung von Bedeutung sein kônnen. Welcher psychi.-
che yorgang mag es aus psychoanalytischer Sicht sein, der die-
sem Ubergang entspricht?

209
Bleich (1976) stellt die Rolle der Analitât in den Vordergrund_
Die Entwicklung der analen Modalitât spielt eine auslosende Rolle
für die Entwicklung des Denkens in Reprâsentanzen. Die Erlah-
rung der Trennung von den etgenen Ausscheidungen stellt etne
korperliche Erfahrungsmatrix bereit für die Verinnerlichung der
Wahrnehmung, daB etwas zuerst »ZU ibm« und dann »nicht zu ilun:«
gehôrt. Damit begtnnt das Kind, Abgegrenztheit und eigenen Willen
emotional zu erleben. Die Fâhigkeit zur Reprâsentation begtnnt :mit
der retentiv-analen Phase. Aus der Erfahrung des Zurückhaltens
und Doch-hergeben-müssens entsprtngt zunachst das Gefühl des
Verlustes (vergletchbar dem Verlust des geliebten Objekts). das
kompensiert wird durch die symbollsche Reprasentation. Die Ge-
burt des Symbols aus dem Abgrenzungskonllikt veranschaullcht
Bleich auch an dem bereits zitierten Bericht von Helen Keller.
Bleich bemerkt, da13 in Helen Kellers Bericht unmittelbar vor der Wasser-
Episode von einer schweren Auseinandersetzung mit ihrer Lehrertn die Rede ist.
Es hatte einen Kampf gegeben, weil Helen immer Becher und Wasser durchein-
ander gebracht hatte. Ais Miss Sullivan nach einer Pause nun erneut versuchte.
anhand zweier Puppen die semantische Abstraktion des buchstabierten d-o-1-l
zu verdeutlichen, bekam das Kind einen seiner heftigen, eigentllch schon weit-
gehend übeiWundenen Wutausbrüche und warf eine Puppe zu Boden, so da.B sie
zerbrach. »Voiler Vergnügen spürte ich die Scherben der zerbrochenen Puppe an
meinen Fill3en. Ich fühlte nach meinem Ausbruch weder Trauer noch Reue. lch
hatte die Puppe sowieso nie gemochto~<, schreibt Helen Keller selbst. Bleich kom-
mentiert diese Episode als Separationsschritt, als Versuch, sich gegen die ein-
dringende fremde Sprachwelt abzugrenzen und zur Wehr zu setzen - aber auch
als Angst vor dem sich entwickelnden neuen Selbst, das auf Wutausbrüche ver-
zichten gelemt hatte und eigentlich schon weit genug war, einen leichteren
Umgang mit der Lehrer.i n zu pflegen. Helen war gleichzeitig von dem Wunsch
nach Abgrenzung und dem Wunsch nach Wiedervereinigung erfüllt. Für diese
Interpretation sprtcht auch der Fortgang der Episode. Nach dem Wasser-Erleb-
nis ist elnes der ersten Dinge, nach denen Helen fragt, der Name ihrer Lehrerin -
und sie beginnt, Reue zu fühlen wegen der zerbrochenen Puppe. Mit dem
Bewu.Btsein von Bedeutung geht die Erfahrung von Getrenntheit und Verbun-
denheit einher. Es ennôglicht Impulskontrolle und die Entwicklung differenzier-
ter und integrierter Affekte.
In dem Brief. in dem Miss Sullivan. die Wasser-Episode beschreibt, steht
auch: ~sie stahl sich aus eigenem Antrteb in meine Arme und kü6te mich zum
ersten Mal. Ich dachte mein Herz müBte zersprtngen, so voll war es von Freude.«

Nach Bleichs Auffassung tst dieser Übergang von der Regression


auf sensomotrische Schemata der Abgrenzung (Wutausbruch.
Wegschleudern) zur symbolischen Reprâsenation der Regelfall; das
Besondere an Helen Kellers Fall ist. daB dieser Übergang wegen
der masstven Entwicklungsverzogerung erst so spât auftrat.

210
8.5. Bemerkungen zur lexikalischen Entwicklung
Ich habe in vielen Abschnitten dieses Buches hervorgehoben, daB
ein entscheidender Schritt sowohlin der Entw1cklung der Sprach-
wissenschaft ais auch der Psychoanalyse die Einführung des Sy-
stemgedankens war. Dementsprechend mochte teh hier noch et-
nige Gedanken über die Entwicklung des Wortschatzes als eines 1n
sich geordneten Systems anfügen.
Ahnlich der Entwicklung des Phoneminventars (Jakobson
1944) entwickelt sich auch der Wortschatzumfang exponentiell
(Berry 1969), und zwar in explosionsartigen Schüben. Solche Phâ-
nomene sind für den Psychoanalytiker interessant, denn sie legen
nahe, daB es sich um Schwell.ensituationen der Entwicklung han-
delt - und für die interessiert er sich, nicht nur unter der Perspek-
tive der Entwtcklung einer speziellen kognitiven Fâhigkeit, sondern
a1s »Organisatoren« (Spitz) der Entwicklung, die kognitive, affektive
und interaktive Momente der Entwicklung der Psychosexualitat
ebenso wte der Objektbeziehungen umfassen.
Sehen w1r den Kindern bei der Arbeit zu: jeder neue Eindruck,
der benannt werden soll, wtrd mit den vorhandenen lexikalischen
Strukturen verglichen und subsumiert; oft mit einem fragenden
Blick in Richtung Eltern, der anzeigt, dafi sich das Kind seiner Zu-
ordnung nicht ganz sicher ist und von seinen Sprachlehrern Zu-
stimmung oder Verbesserung erwartet. Gerade in diesem Stadium
der »Benennungswut« tritt es am o:ffensten zu tage, mit welchem
Eifer und welcher Lust Lernvorgange vom Kind selbst initiiert wer-
den. Es kann auch sehr vergnüglich sein, dabei einen BUck in die
Werkstatt des Sprachlehrlings zu tun: nach welchen Kriterien wird
zugeordnet und subsumiert? Welche Aspekte werden als relevante,
welche ais irrelevante Unterscheidungskriterien genommen? Auch
in dieser frühen Entscheidung liegt bereits, darauf will teh noch
einmal ausdrücklich hinweisen, ein wichtiger Sozialisierungs-
schritt. Eine Kultur rekrutiert sich aus Wortern, und es ist weder
gleichgültig noch wirkungslos für das Funktionieren dieser Kultur
und für das Schicksal derer, die in ihr aufwachsen. welche Klassen
von Phanomenen unter einem Begriff zusammengefaBt werden.
Gerade die Andersartigkeit der Klassifizierung ist es, die die Er-
forschung fremder Kulturen so schwierig und spannend macht.
»Nur für einige der potentiellen Erlebnisse des Individuums liefert die jeweilige
Kultur Wôrter; andere sind unnennbar und fallen dadurch der Vergessenheit
anheim. Umgekehrt karm das lndividuum aus trgendwelchen Gründen sein
bewuf3tes Erleben auf einen Ausschnitt dessen beschrânken, was seine Kultur
ihm zur Verfügung stellt. In diesem Licht erscheint es durchaus sinnvoll, nicht
zu fragen, ob das Erleben die Sprache oder die Sprache das Erleben formt,
sondern warum eine bestimmte Gesellschaft gewisse Züge der verfügbaren
erlebnismâBig-sprachlichen Môglichkeiten begünstigt, andere nicht, und warum
der einzelne aus dem, was die Gesellschaft begünstigt, das eine oder andere
auswâhlt« (Laffal 1967:893).

211
Aber zurück zur Entwicklung. Ein Beispiel, wie überlegt die Zu-
ordnung neuer Eindrücke in das vorhandene Begrtffsraster vor
stch geht, lieferte mir vor einigen Jahren mein Sohn Jakob:
J a kob batte gerade neben den Alltagsfloskeln des frühen EinwortstadJums, wie
Marna, Papa , Ham-ham usw. begonnen, auch andere Eindrücke zu benennen.
Angc fangen hatte das mit dem Besuch elnes Hundes, dessen LebhaftigkeU er
sehr lustig fand, und den er Wawa getauft hatte, ein Wort, das er noch Wochen
danach voUe r Thriumph und Hochgefühl wiederholte. Sein zweites Wort, auch
anJà/3Uch elnes beeindruckenden Besuchs erworben, lautete Bebl. Seit er nun
diese beldcn Wôrter beherrschte - das kann man so sagen, denn er hatte s .ie
wirklich durch endloses Wiederholen. Vor-sich-Hinsingen und kraftiges Beteu -
e rn gezâhrn t und sie an sich gewôhnt, so dai3 sie ihm nun überall h1n folgten -
widmete e r sich der schwiertgen und erfüllenden Aufgabe, herauszufinden, was
d e nn alles Wawa und was Bebt sei. So nannte er z.B. alle Fotografien, egal wen
sie da rs tellte n. Bebi. Ich erklarte mir das so, da13 die KJeinheit der abgebildeten
Figuren fü r die Klasse <Be bi> und die Ruhe des Stückchens Papier irn Gegen-
s a tz zum Be wegt.cn gegen die Klasse <Wawa> sprachen. Spater verallgemeinerte
er weiler. und zwar nicht nach dem ModeU der VergëBerung der Klassen, son-
d e rn e r e rwe iterte sie sozusagen k e ttenfôrmig: Bebi waren nun nicht mehr nur
a Ue k.leinen Dinge, sondern auch aUe Dinge, die man anschauen konnte wie
F'otografle n , ode r durch die man hindurchsah, wie etwa ein Kaleidoskop oder e in
Ring. B ebl hatte also (vorübergehen.d} dJe Merkmale <Anschauen> und
<Durc hschaucn> in seinen Bedeutungshof mit aufgenommen.
Dann vcrlor sich aUmahlich die Klassenbildung - bzw. sie wurde wohl so
komplc.x , da.B sie für mi.c h nicht mehr nachvollziehbar war . Jeder Eindruck
b rachte ja cln ncucs Element hin.zu, das môgücherweise 1n den Kriterienkata log
mit aufgenomme n werde n konnte. Mit jedem Eindruck konnte die semantische
Tanzprozesslon cine n e ue R.lchtung bekommen, an deren Spltze Jakob sicb ,
ge folgt von elncm Sammelsurium von Gegenstanden , durch die Welt bewegte,
und voUe r Glüc k abwechselnd Wawa und Bebi hinausposaunte. Freilich blle b
das nicht lange so. Neue Wërter kame n hinzu , das Begriffsgerüst wurde au.fge-
te ilt, diffe re nziert und durch Synonyme verstrebt.
Wie tief allerdings je ne er sten Kri terien noch wirksam waren, erfuhren wir ,
ais Jako b tn dieser Zeit zum e rsten Mal bewu13t das Meer sah . Es war e in
bedeckter Tag, das Meer war unruhig. Er lief darauf zu , hielt kurz vor deu
anbrand c nden Zungcn inne, Ue B selnen BUck nachden.klich über die WeUen
schwe UI n und man konn te ihm de utllch an.merken , daB er tief in setnem kleine n
Wortschatz n ach elne m Name n für dies ungeheuer Neue suchte. SchlieBlich
ra nd c r lhn und ve rkündete ibn mit Nachdruck: Waw a!

Au führUch hat sich Eve Clark ( 1973) mit diesem Phanomen der
:.Überdehnung.: befaBt und versucht, es auf der Basis einer Theorie
d -r se.m ant1sch e n Merkmale zu erklaren. Wenn man, so glaubt si.e,.
die unterschi.edllchen Gegenstânde, die das Ki.nd mit demselben
Wort b ez ichnet, m.ite inander vergle1cht, so erhalt man als Durch-
clmitts m e ng~ d en Bedeut ungskern. Dem wi.derspricht freillch d i e
Erfahrung, daB die Ge neralls lerung oft in Form von :.Ketten« v o·r
ich g h t (w1e auch oben :in Jakobs Be1sp1el), in denen s1ch kein
durchgang:tge semantisches Merkmal findet. Katherine Nelson
( 197 4) erklart das Phânomen - eher an Ptaget orientiert - damJt.
daB zun· ch st als :.Kem der Wortbedeutung« e1ne Funktlonserfah-
run g g p J h rt wird (z.B. Bali = <rollb. <hüpft>), und da.B erst

212
spâter eine Verallgemeinerung vorgenommen wird auf Kontexte,
die unabhangtg sind von der ursprünglichen Funktionserfahrung.
Interessant für uns ist daran der Aspekt der Bezogenheit auf per-
sônliche und praktische Erfahrung. Dieser Ansatz ist erfahrungs-
nâher und er1aubt eher eine psychoanalytische Interpretation als
der Ansatz der semantlschen Merkmale. Ohne Wer auf die umfang-
retche Diskussion einzugehen, wie Überdehnungsdaten in der
Sprachentwicklungsforschung erklart werden (eine gute Darstel-
lung findet sich bei Szagun 1980141991, Kap. 5 ), will ich doch a1s
Tenor festhalten, da13 offenbar eine einfache Merkmalsadditlon
ebensowentg zur Erklârung taugt wte die Isolierung eines semanti-
schel! Kerns 1m Sinne einer Funktionserfahrung. Es wird deutlich,
d.aB Uberdelmungen abhângig sind von der Situation und von der
Stlnunung des Kindes, also gar nicht durch einen Vergleich Wort-
Gegenstand begriffen werden kônnen.
An dieser Stelle kann, so glaube ich, mit Gewinn aus der Sicht
der Psychoanalyse argumentlert werden: Überdehnungen sind nur
zu verstehen, werm die emotionale Bedeutung des Wortes für das
.K Jnd gesehen wtrd. Die Absicht der Bezeichnung ist sekundâr;
deshalb kônnen an Bezeichnung or1entierte Semantiktheor1en kein
k:lares Btld ergeben. Was Anton macht, werm er voiler Hingabe und
V:erzückung da Bali! haucht, tst eine Liebeserklarung - und warum
sollte diese1be Liebe nicht einem absolut nicht ballfônnigen Motiv
auf dem Bezug der Wickelkommode gelten?

ln. den ersten Satzen dieses Buches habe ich behauptet: Sprache
unterscheidet den Menschen vom Tier. Das war vielleicht zu
forsch. Alpha, Gua, Washoe, Sara, Lana und Nim kônnten ais
Vertreter der Gilde sprechender ScWmpansen Einspruch erheben.
SchlieBllch haben ste es - allerdings wegen der etngeschrânkten
Beweglichkeit ihres Kehlkopfes in Zeichensprache - auf ein lnven-
tar von über 300 Ze1chen gebracht, mit dem ste ihren Betreuern so
komple~e Wünsche wie den nach orangefarbenem Coca-Cola
ü bennitteln kônnen. Ich will ihren Protesten zuvorkommen und
meme Behauptung revidieren. Es sind gewtsse Aspekte der Spra-
che, die zumindest auf dem heutigen Forschungsstand bei Tieren
ntcht gefunden werden. Die Verwendung konventioneller Zeichen
mag tratnierbar sein, schwerer schon ihre abstrakte, also von un~
m lttelbaren situativen }3edingungen abgehobene Benutzung, wie
ste ais Wort-Spie1, als Uberprüfen von Ertnnerungen oder Ausma~
len von Wünschen bei Kindern beobachtbar 1st. Auch 1exikalisc h e
Abstraktionen bereiten den Schimpansen Schwiertgkeiten. Die für
KJnder charakteristischen :.Überdehnungsfehler~ fallen weg.

21 3
Interessanterweise ist es bisher nicht môglich gewesen, syn-
taktische Prozesse bei Tieren zu beobachten, also die gezielte und
geordnete Kombination von Zeichen, so daB aus dieser Kombtna-
tion Bedeutung entsteht.27

Erst syntaktlsch organlslerte Semantlk lst Sprache.

Sprache im engeren Sinne beginnt erst mit der Granunatik. Einfa-


che Zeichen, die in einem eins-zu-eins-Verhâltnis zum Bezeichne-
ten stehen (set es ein Gegenstand der AuBenwelt oder ein psych1-
sches Phanomen, wie z.B. die Stimmungsbekundungen, die man
bei Tieren findet), sind zwar Mitteilungen, aber eben keine sprach-
lichen Mitteilungen. Es fehlt ihnen der Systemcharakter. Sprache
ist eine Mitteilung 1m etgentlichen Sinne erst dann, werm sie regel-
haft aus E1ementen konstruiert ist und zwar derart, daB die Kom-
bination der E1emente wesentlich ist. Erst durch diesen Kombina-
tionseffekt, bei dem die isolierte Bedeutung der E1emente relativ
zurücktrttt Wnter ihrer Verknüpfung, entfaltet die Sprache ihren
Charakter eines offenen, unabschlie13baren und reflexiven Sy-
stems.
Zwar beobachten wir schon bei den EinwortauBerungen sol-
che systematischen Aspekte. Schon die ersten semantischen
Schritte sind rege1ge1eitet. Dennoch macht die Sprachentwicklung
einen Sprung, sobald AuBerungen auftreten, die aus mehreren
Etnzelausdrücken zusammengesetzt sind.

9.1. Der Übergang von Einwortâu6erungen zu Satzen -


ein Reifungsproze6?
Etwa zwischen dem 18. und de1n 36. Lebensmonat geschieht etwas
Neues. In kurzer Zeit produziert das Kind eine Fülle von syntak-
tisch konstruierten Mehrwortau13erungen. Lenne berg ( 1967)
betont, daB der Beginn dieses Entwicklungsschubs zwar in unter-
schiedlichem Alter erfolgt, jedoch im Einzelfall stets mit der Fâhig-
keit, frei zu gehen, verbunden ist. Aus diesem Zusammenhang und
vielen anderen Be1egen schlieBt Lenneberg, daB die Entwicklung
des Sprechens von autonomen Reifungsprozessen gesteuert sei (s.
oben Seite 106).
Hier allerdings ist die Psychoanalyse anderer Metnung. Es
scheint mir sinnvoll, bevor man eine direkte Korre1ation von
sprachlicher Oberflache und bio1ogischer Reifung postuliert,
zunachst mit gro13er Aufmerksamkett diejenigen Prozesse zu stu-
dieren, die zwischen den beiden Polen ablaufen. Der Btologtsmus
in der Sprachentwicklungspsychologte begeht einen âhnlichen
KurzschluB, ais wollte man von der Bildschirrn-Darstellung eines

27 lch lasse es bei dieser einfachen Defmition von Syntax. Nâheres s. Bartsch
u .a. (1977)

214
Cornpu terprogramms direkt auf den Prozessortyp schlieBen. Sicher
haben Programme auch Hardware-technische Voraussetzungen,
doch genügen diese alleine nicht, um das Bild zu erzeugen. Es ist
sogar môglich, Hardware-Mangel zu kompensieren. Das menschli-
che Zentralnervensystem ist mehr als alle bekannten Rechner dazu
geetgnet, solche kompensierenden Prozesse auszuführen. Man
kann also sagen: die Physiologie bestimmt in etnem gewissen
Rahmen die Funktionsmoglichkeit, doch ist dieser Rahmen eben so
weit, daB eine direkte Korrelation keinen Sinn macht.
Wir müssen uns also nach anderen Ansatzen umsehen, wie
die Entwicklung der gramrnatischen - also der »eigentlichen~ -
Sprache erklart werden kann. Ein moglicher Losungsweg ist die
genetlsche Entwicklungspsychologte von Jean Piaget.

9.2. Sensomotorik, Objektbegriff und die Entwicklung


der Zweiwortsatze
Gegenüber der Position, die Sprachentwicklung sei von einem au-
tonomen ReifungsprozeB gesteuert, konnte man mit Piaget argu-
mentieren, daB sensomotorische Entwicklung und Sprachentwick-
1ung nicht zufilllig parallel verlaufen, sondern in einem engen,
nachvollziehbaren Zusammenhang stehen. Sensomotorik ist das
Erkennen der Welt mittels Handlung. Sie verlauft nach Piaget in
einer gesetzmaBigen Abfolge. Parallel dazu geht die Entwicklung
des Objektbegriffs.

Entwicklungsstadien der Sensomotorlk und des Objektbegrljfs nach


Piaget

Es kann an dieser Stelle nicht darum gehen, das komplexe Modell


von Piagets Entwicklungspsychologte a~~uhandeln. Ich beschranke
mich daher auf einen orientierenden Uberblick (vgl. auch Piaget
1926, 1937, 1945, Wolff 1960, Oerter und Montada 1982, Flavell
1977).

( 1) lm ersten Lebensmonat werden Reflexe adaptiert. Der Saug-


ling ist ausgestattet mit Reflexen, die z.T. nur durch Reifung
veranderbar sind, z.T. jedoch durch Erfahrung modiftzterbar .
Letztere bilden die Bausteine der kognttiven Entwtcklung.
Diese Reflexe bilden die (bzw. korrespondieren mit den) ersten
kognttlven Schemata des Neugeborenen. Darüberhinaus gtbt
es eine angeborene Tendenz, neue externe Stimuli durch Wie-
derholung zu asstmilleren (= reproduktive Assimilation).
(2) lm zweiten bis vierten Lebensmonat werden die Reflexsche-
mata koordintert. Die sensomotortschen Schemata werden
durch Wiederholen weiter differenztert und generalisiert. Es

215
beginnt der ProzeB der Integration einzelner Schemata, z.B.
optlscher und akustlscher oder taktiler, zu funktionalen Ein-
heiten. So entstehen die "primaren Reaktionskreise" durch
Hinzufügen neuer motorischer Komponenten zum origtnalen
Reflex. Die Vernetzung dieser Reaktionskretse (z.B. Auslosung
einer optlsch-motorischen Abfolge durch eine akustische
Wahrnelunung) bildet die ersten erworbenen Adaptionen.

Gegenstande werden mit den Augen verfolgt, aber noch nicht


gesucht.

(3) Vom vierten bis achten Lebensmonat versucht das Kind spie-
lertsch, überraschende und interessante, durch eigene Aktlo-
nen hervorgerufene Effekte zu wiederholen. Dtese zufalligen
Nebeneffekte der primaren Reaktlonskreise werden an die
primaren Schemata assimil1ert und führen zur Etablierung
sekundàrer Reaktionskreise. Darüberhinaus versucht das
Kind auch, Ereignisse durch Anwendung von Schemata zu
wiederholen, auf deren Auftreten es keinen EinfluB hat. Der
Saugung beg:tnnt nun, Interesse an auBeren Objekten zu zei-
gen. Beginn der Imitation.

In Bezug auf Objekte wird nun die Bewegungsrichtung antizi-


piert, und eine kurze und begrenzte visuelle Suche nach ver-
schwundenen Gegenstanden eingeleitet.

(4) Bis gegen Ende des ersten Lebensjahres zeigt das Kind ab-
stchtliches Zweck-Mittel-Verhalten, d.h., es werden Umwege
ais Mittel zum Zweck etngeschlagen. Die sekundaren Sche-
mata werden koordiniert und auf neue Situationen angewandt
(ein vertrautes Ziel kann jetzt auch unter unvertrauten Um-
standen verfolgt werden). AuBerdem kann das Kind jetzt ·e inen
zeitlichen Aufschub zwischen Zielwahrnehmung und Zielerrei-
chung hinnehmen. Bei Überwtegen von Akkommodation: Die
Suche nach Zweck-Mittel-Handlungsablaufen, d.h., die hierar-
chische Integration komplexer Schemata lauft ais ernsthafter,
sehr bemühter Zielerretchungsproze13 ab. Es finden sich erste
Ansatze zum Nachahrnungslernen. Bei Überwiegen von Assi-
milation: Das Mittel kann zum Selbstzweck werden; die Inte-
gration lauft dann spielerisch. als lustvolles Wiederholen eines
erkannten Zusammenhangs ab.

Wenn man einen Gegenstand vor den Augen des Kindes ver-
steckt, so greift es danach, jedoch ohne klares Bewu13tsein des
Gegenstandes, sondern eher an motorische Muster gekoppelt.

(5) In der ersten Halfte des zweiten Lebensjahres kann man


zweckgerichtete, akkomodative Exploration und aktlves Expe-
rimentieren beobachten. Das zweckvolle Verhalten ist nicht

216
mehr so stark an bekannte Schemata gebunden, es nimmt
den Charakter freien Experimentierens an. Das Kind findet
neue J.\,Uttel zu vertrauten Zwecken. Die bereits auf der 4.
Stufe stimulusunabhangtg gewordenen, in ein Werarchisches
Zweck-Mtttel-Verhilltnis einbindbaren, sekundaren Reaktions-
kreise werden jetzt systematisch variiert. Dadurch erwirbt das
Kind übergeordnete, tertiare Reaktionskreise. Bei Überwiegen
von Akkommodation: Genaue und hingebungsvolle Nachah-
mung von Handlungsvorbildern. Bei Überwiegen von Assimi-
lation: kunstvoll - spielerisches Komplizieren einfacher Reak-
tionen ohne Nutzeffekt.
Das Kind unternimmt jetzt eine gezielte Suche nach dem ver-
borgenen Gegenstand. Allerdings hat es noch kein BewuBtsein
einer verborgenen Bewegung oder Handlung.
(6) Die zweite Hâlfte des zweiten Lebensjahres ist vom Begtnn der
symbolischen Reprasentation gepragt. Das Kind zeigt aufge-
schobene Nachahmung und symbolisches Spiel. Das Erfinden
neuer Mittel durch mentale Kombinationen setzt Anfange der
symbolischen Reprasentation voraus. Wenn Assimilation und
Akkommodation 1m Gleichgewtcht sind. entsteht in di~sem
Stadium die adaptierte, sensomotorische Intelligenz. Bei Uber-
wtegen von Akkomodation: Durch die Fah.igkeit zur Symboli-
sierung und das begtnnende evokative Gedâchtnis wird
aufgeschobene Nachahmung môgli<:~· Man findet Imitation
groBerer Handlungssequenzen. Bei Uberwiegen von Assimila-
tion: Die Symbolfunktlon ennôglicht ein symbolisches Spiel,
ein "So-tun-als-ob". Die sensomotrische Stufe endet ntlt dem
Beginn der semtotischen Funktion.
Auch der Objektbegriff ist voll entwickelt (Objektpermanenz).
Der Gegenstand wird auch nach kompliziertem, mehrmalig
verborgenem Verstecken an allen môglichen Orten gesucht
und das Verstecken getstig tmagtniert.

ZweiwortâuBerungen setzen regelma131g voraus, daB Objektpenna-


nenz vorhanden ist, d.h., daB das K.ind die Vorstellung eines Ge-
genstandes festhalten kann, auch wenn dieser ntcht in seinem Ge-
sichtsfeld liegt. Sprache entsteht erst mit der Entwicklung der
Symbolfunktion bzw. Reprâsentation. Dafür spricht auch eine em-
pirische Beobachtung: nfunlich, daB in den ersten ZweiwortâuBe-
rungen die Kategorte des Vorhandensetns und Ntcht-Vorhanden-
setns (fort und da) eine zentrale Rolle spielen.

217
Lernschritte auf dem Weg zur syntakttschen Kombtnatton
lm Ralunen einer kindbezogen-dynamischen Theorie der Entwick-
lung der frühen Syntax unterscheidet Ann Peters (1986) die folgen-
den Lernschritte:
( 1) Die Entwicklung der Satzstruktur baut auf einer Menge noch
unverbundener Items auf. Diese werden jedoch ab einer
»kritlschen Menge« aufgrund einer angeborenen Tendenz zur
Bildung von systematischen Hypothesen aufeinander bezogen.
(2) Die ersten MehrwortauBerungen zetgen keine relevante An-
ordnungsstruktur. Die frühen Strukturen sind rein seman-
tisch. Auch werden diese frühen Strukturen nicht fortent-
wickelt 1m Sinne einer Differenzierung oder Verfeinerung. son-
dern sie werden permanent vollstandig revidiert bzw. revolu-
tioniert. An dieser Stelle setzen persônlichkeitsspezifische
Lernstrategten ein. Manche Kinder neigen dazu, kleine Ele-
mente spielerisch miteinander zu kombinieren. Andere finden
eher Gefallen daran, groBe Elemente zu analysieren. Diese
beiden Strategten, die analytische und die holistlsche Strate-
gie, werden spater parallel eingesetzt.
(3) Nun erst entstehen erste Strukturen von prasyntaktischer Art,
nfunlich die Erweiterung von Einwortbegriffen durch simùose
Silben, das Nachplappern ganzer Phrasen und das funktionale
Nebeneinandersetzen von Einwortphrasen.
Ein Beispiel für dieses Stadium ist z.B. der Eineinhalbjahrige,
der mit ausgestrecketen Ânnchen fordert: damama - amarm!
Diese Aufforderung ist eine Kombination aus zwei auch sonst
hauftg gebrauchten EinwortâuBerungen des Kindes. Da.B die
beiden EinwortâuBerungen damama bzw. amarm scheinbar
bereits um den bestimmten Artikel bzw. eine Prâposition er-
weitert scheinen, bedeutet aber rucht, daB sie schon eine
syntaktische Binnenstruktur aufweisen, denn die beiden Er-
wetterungen da und am sind noch ntcht fret kombinterbar. Sie
treten nur als Erweiterung von marna bzw. arm hinzu, ohne
deren Bedeutung zu modifizieren.
(4) Nachdem die mittlere Sat.zlange drei und mehr Elemente um-
faBt, werden morphologische Elemente etngeführt. Die furik-
tlonale Nebeneinanderset.zung wird syntaktistert. Auch tnner-
halb von Phrasen tst jetzt eine syntaktische Gliederung zu be-
obachten, auch werm diese nicht unbedingt der Syntax der
Erwachsenensprache entspricht. Es gtbt auch in diesem Sta-
dium unterschiedliche Lernstrategten, nâmlich die pronom1-
nal-holisttsche und die nominal-analytische, die parallel ver-
folgt werden. Es entwickeln sich Strukturschemata und Wort-

218
klassen. Die Strukturschemata entstehen durch vertikal-sub-
sumierende und horizontal-additive Integration von syn-
taktlschen Mustern, die Wortklassen durch semantische und
dis tribu tionale Klassenbild ung.

Diese knappe Darstellung einer Theorie der frühen Syntaxent-


wicklung zeigt eine Reihe von Bezügen zur psychoanalytischen
Entwicklungstheorie. Auch die Psychoanalyse geht von der Koexi-
stenz revolutlonierender (konilikthafter) und additiv-integrierender
Entwicklungsprozesse aus. Und auch sie nimmt an, daB die se-
mantische Struktur die frühere ist. Allerdings begmnt ihre eigentli-
che Arbeit erst an diesem Punkt. Denn »semantisch~ heiBt aus
psychoanalytischer Sicht eben, daB hier die Gesamtheit des Erle-
bens und Phantasierens im Rahmen sich entwickelnder Objektbe-
ziehungen, Selbstkonzepte und lch-Funktionen gesehen werden
mu.B.

9.3. Mfekt und Objekt. Zur Psychoanalyse der Syntax


Aus psychologischer Sicht ist Gramma-
tlk ein abgekürzter Code zur Verstândi-
gung in der emotionalen Zeichen-
sprache innerhalb der menschlichen
Kommunikatlon, sei es in gesprochener
und gehôrter, sei es in geschriebener
und gelesener Sprache.
(Veszy-Wagner 1972: 126)

Lilla Veszy-Wagner, auf deren Beschreibung eines Falles von Syn-


tax-Pathologte ich weiter unten zu sprechen konunen werde (s.
Sette 226), hat in dem hier als Motta zitierten Satz eine sehr einfa-
che Gleichung von Grammatik und emotionaler Kommunikation
aufgestellt. Das ist auf den ersten BUck nicht sehr einleuchtend.
Grammatik soll ausgerechnet Gefühlsmittetlung sein? Sicher ist sie
es nicht ausschlieBlich, und insofern ist Veszy-Wagners Formulie-
rung wolù allzu knapp. Aber iimnerhin enthaJ.t ste einen Aspekt,
der die Piagetsche Bedingung der Objektpermanenz in einen groBe-
ren Bezugsralunen stellt: das Stichwort »emotional~.

Übergangsobjekt und emotlonale Kommuntkatlon

Bleich (1976) hat sich aus dieser Perspektive mit Piaget auseinan-
dergesetzt. Er macht geltend, daB nicht nur das Denken in Repra-
sentanzen, sondem auch affektive Entwicklungsmomente mit dem
Übergang zu syntaktisch gegliederten ÀuBerungsstrukturen zu-
sanunenhangen. Er vertritt den Standpunkt, daB die an biologt-
scher Tiefenstruktur-Reifung oder an kognttiv -sensomotorischer
Entwicklung interessierten Forschungen den semantischen Aspekt
der frühen Mehrwortsatze vernachlâssigen. Die Psychoanalyse

219
ninunt hierzu eine ganz gegensatzliche Position ein. Sie geht davon
aus, daB Inhaltsaspekte die zentralen Orgarusatoren menschlichen
Spracherwerbs sind; freillch ist damit nicht so sehr der bewu.Bte
propositionale Gehalt einer .Âu13erung, das Denotat .~ines Wortes
gemeint, sondern die emotionale Bedeutung, die die AuBerung für
den Sprecher hat. Diese personliche Bedeutung kann sich in vtelen
verschiedenen Oberfl.achenformen realtsieren und ist daher einer
am manlfesten Ausdruck ortentierten Forschung nicht zuganglich.
So kann z.B. das Übergangsobjekt (Winnicott) verschiedenste Formen an-
nehmen, vom Kuscheltier über die Schmusedecke bis zum Daurnen oder zu ei-
nem vertrauten Geruch oder Gerausch, und es kann viele Namen haben; im
psychischen Haushalt des Kindes, in seiner sich entfaltenden Welt der Objekt-
beziehungen hat es doch einen vergleichbaren Stellenwert.
Die Forschung mul3 also berücksichtigen, da13 1hr Gegenstand hier kein âu-
J3erlich fa13barer, sondern ein innerpsychischer Gegenstand ist. Der besondere,
persônliche Organisator ,.übergangsobjekt« wird nicht sichtbar, wenn man etwa
~le Rolle des Teddybaren in der Entwicklung« untersucht, sondern eben erst,
wenn man die psychoanalytische Kategorie des Übergangsobjekts heranzieht, die
auf einer Theorie der emotionalen Relevanz des Erlebens von Autonomie und
Abhangigkeit sowie von Verschmelzung und Getrenntheit in den Objektbezie-
hungen beruht und es erlaubt, unterschiedlichste Auspragungen miteinander in
Beziehung zu setzen (vgl. oben Seite 71 ).

J?.leich ( 1976) übertragt die Erklarungskraft .~er Theorie des


Ubergangsobjekts auf die frühesten verbalen Au13erungen. Aus
empirischen Daten, nach denen var allem die Worter Mama, weg
und personspezifische Bezeichnungen für trgendein besetztes Ob-
jekt, wte z.B. ein Spielzeug haufige Bestandteile der frühesten
ZweiwortauBerungen sind, schlieBt er: »Die wichtigsten Merkmale
all dieser Beispiele sind: die Anwesenheit des libidinosen Objekts,
ein permanentes Objekt und die K~ndgabe des Verschwindens«
(Bleich 1976: 55). Aus diesen frühen AuBerungen, die hauftg signi-
fikante Elemente der Beziehung des Kindes zur Mutter und der
zwtschen ihnen sich anbahnenden ersten Ablôsung enthalten
(ertnnern w1r uns: das Kind hat soeben laufen gelernt!), entwickelt
sich ein hauf1g mU beiderseitiger Passion gepflegtes Benennungs-
spiel. In den immer wtederholten Runden dieses Spiels lemt das
Kind, Bedeutung zu teilen: es benennt nun nicht mehr blo.6 für
sich, sondern richtet seine ÂuBerungen gezielt an die Mutter. Da-
mit gerat, aus der Sicht der Psychoanalyse der Objektbeziehungen,
das Losungsschema für den mit der Fah:igkeit des Gehens verbun-
denen Ablosungskonllikt ins Blickfeld. Die Bereitschaft der Mutter,
liebevoll das Spiel der Benennung mitzuspielen und sich als Adres-
saten einzubrtngen, legt beim Kind die Wurzel einer Erfahrung von
Gegensettigkeit. Bei genauer Beobachtung ist der Übergang zum
~stolzen4<, gerichteten Benennen unübersehbar. ~Der affektive Ver-
lust und die affektive Gegenwart sowohl des libidtnôsen Objekts als
auch bestimmter materieller Objekte spielen eine motivierende
Rolle für die Entwtcklung der lebenswtchtigen kognitiven Vorstel-

220
Iungsschemata. Die kognitive Komponente der Fahigkeit, die Mut-
ter zu erkennen, einen Begrtlf von thr zu btlden, wtrd am Anfang
des Denkens in Vorstellungen und der Sprachentwicklung ange-
stachelt durch die Notwendigkeit, den affektiven Verlust zu bewâl-
ttgen. Dieser ist das Motiv dafür, die Fâhigkeit zur Vorstellung ab-
wesender Objekte zu entwickeln~ (ebd.).
Dieser Entwicklungsschrttt zu Objektpermanenz, Benennung
und abstrakter Reprasentation, den wtr bereits an Bleichs Kom-
mentar zur Autobiographie von Helen Keller besprochen haben (s.
Seite 21 0), betrifft aber auch die Entwicklung der Syntax. Werm
das Kind d.iese mentale Trennung erreicht hat, kann es feststellen:
,.Marna weg-c< - und in dem Satz ist wie durch einen Zauber Marna
trotzdem da. Er symbollsiert den Abschied, den erst das Ertnnern
erlaubt. und verbindet in seiner sprachlichen Fonn die Anwesen-
heit (Marna) und die Abwesenheit des Objekts (weg).

Freuds implizite Grammatlktheorle

Shapiro (1979: 54 fi) sieht in Freuds Werk eine implizite Theorie


der Syntax. Schon in der Unterscheidung zwtschen PrimarprozeB
und SekundarprozeB wtrd eine Zweischichtigkeit etngeführt, deren
wichtigstes Unterscheidungsmerkmal die frete Verschiebbarkeit
von Besetzungen auf dem Primarproze13niveau gegenüber der Ord·
nung und Kombinierbarkeit der psychischen Elemente auf dem
SekundârprozeBniveau ist. Auf letzterem Niveau herrscht also eine
syn.taktische Sturktur. Insbesondere in der »Traumdeutung4( zeigt
Freud eine lnteraktion beider Ebenen; ein zunachst strukturierter
•Traumgedanke-c< wird durch Dazwischentreten des Zensors ent-
stellt und nachtraglich dur ch die Traumarbeit wied er neu struktu-
r1ert. (vgl. oben Kap. 2.1.3., Seite 44 und Edelson 1972, 1975).
Auch in Freuds Triebbegriff sieht Shapiro einen 1mpliziten
Hinweis darauf, wie er sich die Produktion syntaktisch organtsier-
ter Sâtze vorstellt. Freud unterscheidet zwischen Triebquelle.
Trtebwunsch und Triebobjekt. »Nach Freud ist die Quelle eines
Triebes ein korperlicher Reiz (Spannungszustand); sein Ziel ist die
Aufhebung dieses Spannungszustandes; am Objekt oder dank die-
sem kann der Trieb sein Ziel erreichen~ (Laplanche und Pontalis
1967: 526). Innerpsychisch ist der Trieb ais Wunsch reprasentlert,
ein auf eine Zielvorstellung hin gerichtete Vorstellung, wobei die
Zielvorstellung aktiv oder passiv sein kann; der Wunsch ist mit ei-
ner Objektreprasentanz verbunden. Die ailgemeinste Form elnes
Wunsches !autet also: »Ich will etwas tun oder von jemandem er-
balten~. Diese Fonnulierung enthâlt nach Shapiro eine grammati-
sche Struktur. Jenseits ihrer individuellen Entstehungsgesch1chte
werden Wünsche demnach 1mmer in einer grammatischen Fonn
reprasentiert. Es ware freillch voreillg. wollte man daraus den
SchluB ziehen, die grammatische Struktur Subjekt- Verb-Obj~kt sei
etwas Angeborenes, eine blanke Widerspiegelung der Bedürfnis-

221
struktur des Menschen. Erinnem wtr uns in diesem Zu-
sanunenhang an die bereits besprochene interaktionelle Auffas-
sung der frühesten menschlichen Âu13erungen. Was der Sâugling
als »expressive~ Signale im Sinne von Bühler von sich gtbt, hat ge-
wiB noch keine grammatische Form. Erst das interaktionelle
»MiBverstândnis~. die Zuschr~~bung einer Appellfunktlon durch die
Pflegeperson, verleiht dieser Au13erung den Status einer Aussage.
Und nur in diesem Zusammenspiel wird aus dem vieldeutigen
Riibiiiih der ersten Wochen ein Gib mir zu trinken. Das Kind wird
noch viele Monate dieses MiBverstândisses benotigen, urn zu ler-
nen, welcher Bedürfniszustand mit welcher Art von LautâuBerung
kommuniziert werden kann. Erst Hand in Hand mit diesem Proze13
findet auch die innerpsychische Kodierung statt, an deren Ende
dann die »grammatlschen~ Wünsche stehen.

Syntaxstorung und talking cure - das Sprach-Leiden der Anna O.

DaB die Psychopathologie, mit der sich die Psychoanalyse befaBt.


oft etwas mit Storungen der sprachlichen Kommunikatlonsîâhig-
keit zu tun hat, wird nach allem bisher Gesagten kein
überraschender Befund mehr sein. Als deutliches Beispiel môchte
ich noch eimal Anna O. zitieren, jene Patientin, die mit Josef
Breuer zusammen im Jahr 1881 die »kathartische Methode~
entwickelte, eine Beein:flussung neurotischer Symptome durch
Aussprechen. Schon ihr Leiden war ein in hohem Ma.Be sprachll-
ches. Breuer beschreibt ihre Sprach-Symptomatik als Wortfin-
dungs- und Syntaxstorung.
•Zuerst beobachtete man, daB ihr Worte fehlten, allmàhlich nahm das zu. Dann
verlor ihr Sprechen alle Grammatik, jede Syntax, die ganze Konjugatlon des
Verbums; sie gebrauchte schlle13llch nur falsch, meist aus schwachen Particip-
praeteriti gebildete Infinitive, keinen Artikel. In weiterer Entwicklung fehlten 1hr
auch die Worte fast ganz, sie suchte dieselben mühsam aus 4 - 5 Spr:achen
zusammen und war dabei kaum mehr verstândlich. ( ... )
Zwei Wochen lang bestand volliger Muttsmus, bei fortwahrenden ange-
strengten Versuchen zu sprechen wurde kein Laut vorgebracht. Hier wurde nWl
zuerst der psychische Mechanismus der Stôrung klar. Sie hatte sich, wie ich
wu13te, über etwas sehr gekrânkt und beschlossen, nichts davon zu sagen. Ais
ich das erriet und sie zwang, davon zu reden, fiel die Hemmung weg, die vorher
auch jede andere Âu13erung unmôglich gemacht hatte. ( .. . )
Die Paraphasie wich, aber ste sprach jetzt nur Engllsch, doch anscheinend,
ohne es zu wissen; zankte mit der Wârterin, die sie natürlich nicht verstand: erst
mehrere Monate spàter gelang es mir, sie zu überzeugen, daB sie Englisch rede.
Doch. verstand ste selbst noch ihre Deutsch sprechende Umgebung. Nur in Mo-
menten groBer Angst versagte die Sprache vollstândig oder sie mischte die
verschiedensten Idiome durcheinander. In den allerbesten, freiesten Stunden
sprach sie Franzôsisch oder ltalienisch« (Breuer und Freud 1895: 23).

Das ist eine Beobachtung von Seltenheitswert. Shapiro (1979: 57)


hait Syntax-Stôrungen für eine Symptomatik, die sich (abgesehen
von neurologtschen Storungen) nur im schizophrenen »Wortsalab:

222
und bei kindlichen Entwicklungs-Retardationen findet. Freilich ist
bei Anna O. wohl die Syntax selbst nicht auBer Kraft gesetzt; sie
macht vielmehr »Überdehnungsfehler«, wie den »falschen« Infinitiv.
Sowett manaus Breuers Andeutung rekonstruieren kann, mill3te
sie z.B. das Partizip Perfekt des schwachen Verbs lieben. also ge-
Uebt, entweder infinitivisch verwendet haben, oder sie bildete dar-
aus einen Infinitiv, z.B. *gelleben. Falls die von Breuer diagnosti-
zierte Storung der Syntax weiter reichte, konnte man sie bei Anna
O. entweder als Hinweis auf eine zugrundeliegede neurologtsche
Storung auffassen oder ais Ausdruck einer borderline-hysterischen
Inszenierung, in der die extrem sprachbegabte Patientin ihr zen-
traies Ausdrucksmittel, eben die Sprache, einem symbolischen
Zerstorungsproze13 unterwirft. Die letztere Interpretation wird da-
durch gestützt, daB die Sprachsymptomatik- im Gegensatz zu den
übrtgen. umfanglichen Beschwerden der Patientin (vgl. Htrsch-
müller 1978) nach Einführung der »talking cure« verschwand.
Es wâre faszinierend, den Fall der Anna O. hier unter Ge-
sichtspunkten der Sprachpathologie weiter zu verfolgen, auch aus
wissenschaftshistorischen Gründen - man denke nur daran, da13
es die Patientin war, an deren Beispiel die erste Theorie der Über-
tragung formuliert wurde; und »Übertragung« hie13, bevor der Be-
~ in unserer Zeit zum analytischen Gemeinplatz wurde,
,ubersetzung« von einer Sprache in eine andere. Ich will aber dar-
auf verzichten, urn mich weiteren Aspekten der Syntax zuzuwen-
den.

9.4. Pradikation
Machen wir uns also noch einmal klar, was ein Satz einer natürli-
chen Sprache eigentlich ist. Naiv konnte man meinen: ein Satz ist
'e ine Aussage. Es sagt etwas aus. Vielleicht konnte .m an sogar sa-
gen: er sagt etwas über etwas aus. Damit batte man dem Satz eine
logtsche Form zugewiesen, nâmlich die Form der Pradikation. Das
wâre allerd.ings schon eine ziemlich kühne Festlegung - denn es
besteht sicher kein Mangel an moglichen Satzen der deutschen
Sprache, die sich nur gewaltsam in dieses Schema pressen lassen
würden. Lleben Ste Brahms? oder Alles Kohl! - sind das Aussagen
tm Sinne einer Prâdikation?
Obwohl gerade solche Beispiele die Granunatik der natürli-
chen Sprache vor schwierige Aufgaben stellen, steht dennoch das
Modell der Pradikation für die meisten Granunatiken Pate. So wer-
den 1n allen generativen Grammatiken tieferliegende Pradikationen
als Basis der manifesten Satzstruktur angesehen. Chomskys
Generative Transformationsgrammatlk z.B. geht von logtschen
Tiefenstrukturen aus. Diese Tiefenstrukturen stellen syntaktische
Schemata bereit, aus denen dann mit Hilfe von Transformationen
wohlgeformte Satzstrukturen gebildet bzw. selektiert werden. In

223
diesem Modell ist nicht die Semantik, sondem die Syntax primâr
(vgl. Chomsky 1965, 1975 und alle etnschlagtgen Etnführungs-
werke). Auch andere Granunatiken, wie etwa die Generative Se-
mantik von Lakofi (vgl. Abraham und Btnntck 21979) oder die
Kategorialgrammatiken (vgl. Bartsch u.a. 1977, Bartsch und
Vennemann 1983, Montague und Schnelle 1972, Vennemann und
Jacobs 1982) gehen davon aus, daB Satzstrukturen mit 1ogtschen
Strukturen zusammenhangen. Es gtbt zwischen diesen Theorten
gewichttge Unterschtede bezüglich der zugrundeliegenden Logtlc
Denn 1ogtsche Strukturen müssen nicht unbedingt vom Typ der
Prâdikation sein. Zur Konstruktion des 1ogischen Gehalts von Sat-
zen der natürlJchen Sprache sind modal- und tntensionallogtsche
Ansatze erforderlich (vgl. Allwood u.a. 1977). Allerdings tst die Pra-
dikation eine der wichtigsten 1ogtschen Operationen.
Bruner (1975b: 50 f) unterscheidet drei Funktionen der Pra-
dikation: »(a) etwas an einem Gegenstand zu spezifizieren, der
explizit oder tmpliztt ist; (b) dies so zu tun, daB der gemetnte Ge-
genstand und seine Kommentierung getrennt ausgedrückt werden
kônnen (z.B. »John ist ein Junge~ un~ »John hat einen Hut~); (c)
etwas so zu spezifizieren, dal3 es einer Uberprüfung des Wahrheits-
wertes unterzogen werden kann oder einfacher gesagt. der Nega-
tion zuganglich ist.~
Welches sind nun die psychologischen Voraussetzungen der
Prâdikation? Am Beispiel Marna weg habe ich bereits oben (s. Seite
220) gezeigt, wie die syntaktische Fonn des Satzes seine Vergegen-
wârtigung und das BewuBtsein des affektiven Verlustes verbindet.
lm Satz sind Anwesenheit und Abwesenheit vereint. Um einen sol-
chen Satz aussprechen zu kônnen, mu.B das Kind zwei psychologt-
sche Voraussetzungen erfüllen: es mu.B das abwesende Objekt
mindestens vorübergehend durch eine Imago, ein inneres Bild er-
setzen kônnen - und es muB die Fâhigkeit haben, nach dem Objekt
zu rufen, sich also seine Abwesenheit zu vergegenwartigen. Bleich
( 1976) veranschaulicht das am Doppe1sinn des englischen Wortes
:.recan~. das als re-cali sowohl mit zurückrufen als mit erlnnern
übersetzt werden kônnte. »lndem es das abwesende Objekt be-
nennt, pradiziert das Kind auf seine frühere Anwesenheit: »Mami
weg~. Derselbe Akt prâdiziert spâtere Anwesenheit auf gegenwarttge
Abwesenheit. Das Schema »weg~ und das Schema »Marna~ werden
unabhângtg verbunden und zueinander in Beziehung gesetzt. Es
ist nach meiner Auffassung Chomskys zentrale Entdeckung, daB
aUe Sprachen kulturunabhangig auf Transformationen cines einfa-
chen Grundverfahrens der Prâdikation beruhen. Deshalb glaube
ich, da6 der Akt der Pradikation der Schlüssel zum Artspezifischen
des Spracherwerbs ist~ (Bleich 1976: 56).
Es wurden ln der psycholingutstischen Literatur mehrere
Grundmuster der kindlichen Grammatik beschrteben. lm Zwei-
wortstadium beobachtete man z.B. Abfolgeregularttâten zwischen
hauftg wiederholten •Angelwortemof( (»Pivotsof() und (je nach Pivot) re-

224
gehnâBig vor- oder nachgestellten Wortern aus offenen Kl.assen
(»>~~n«). Diese sog. Pivot-Open-Struktur (Braine 1963) schien
zunachst sogar universal zu sein; spatere Forschungsergebnisse
relativierten diese Armahme jedoch stark. Weder die »Regeln« der
Wortstellung waren konstant noch Uei3 sich die Zuordnung von
Wôrtern zur »Pivot«- oder »Open«-Kl.asse problemlos vornehmen.
Die Granunatik der Zweiwortsâtze begann sich stârker auf inhalt-
lich-semantische Aspekte und auf die Einbeziehung des Kontexts
zu stützen (Bloom 1968, vgl. Szagun 1980/41991).
Weiterhin erklarungsbedürftig blieb aber dennoch die offen-
sieht!Jehe Asymmetrie der meisten ZweiwortâuBerungen: eine sol-
che AuBerungen besteht meist aus zwet auch 1m Ton ganz unter-
schiedlieh prasentierten Wortern, von denen eines ein gangtges, oft
Wiederholtes Wort ist und das andere wie dazugestellt wtrkt. Bleich
benennt sie mit Htlfe der rhetorisehen Struktur von »tapie« und
~onunent«. »In seiner prâsyntaktischen Phase hat das Kind dureh
sein Benennungsverhalten die Klasse der »tapies« erlernt, aber
eben nur diese. Werm es das Denken in Vorstellungen lernt, so
lernt es eine neue und notwendigerweise damit verknüpfte Kl.asse
kermen, »Comment«, die etnen neuen, stereoskopischen Blick auf
das »tapie« erm6glicht und dem Kind die Sieherheit gtbt zu wissen,
was mit dem fehlenden »tapie« geschieht. (... ) Ohne diese Fâhigkeit
kann das Kind das »tapie« nur benennen, werm es unmittelbar an-
wesend ist oder sein Auftauchen unmittelbar bevorsteht« (B1e1ch
1976: 56).

Prddlkation und Reprèisentatlon

Es stellt sich nun die psychoanalytisehe Frage, an welchem Punkt


der Entwicklung der Objektbeziehungen das Kind diese entschei-
dende Fah.tgkeit zur Reprasentation und damit zur Prâdikation er-
wtrbt. Wir haben oben (Kap. 8.4., s. Seite 208) gesehen, da13 die
Entwicklung der Fâhigkeit von bedeutungsvollem Sprechen und
Sprachverstehen- man sollte die Reihenfolge eigentlich wnkehren,
denn das Sprachverstehen geht ja dem Sprechenkonnen voraus -
mit der Fâhigkeit zur Reprâsentatian zusammenhangt.
Jerome Bruner hebt in seinen einflui3reichen Arbeiten hervor,
da6 die Fâhigkeit zur PradJkation auf vorspraehlich etngeübten
Inter~tionsmustern aufgebaut ist (s. auch Seite 196).
Almlich wie Piaget, dach 1m Gegensatz zu ihm an Interaktio-
nen orientiert, ermittelt Bruner vorsprachlich etngeübte Aspekte
der Pradikation. Dabei sieht er vor allem die erste der oben (Seite
224) genannten drei Funktionen der Pradikation ais diejenige an,
die schon 1m praverbalen Zusammenspiel von Mutter und Kind
entsteht. Einen ersten Vorlaufer macht er bereits tm ersten Le-
benshalbjahr aus: das Kind sucht, werm es mU etwas beschaftigt
tst, an kritischen Punkten den BUck der Mutter. Bruner s1eht das
a1s einen »H1nweis auf den Gegenstand der gemeinsamen Hand -

225
lung~ und damit als »einfachste Form von Kommentierung~ (Bruner
1975b: 51). Um den neunten Monat kommt verstârkend die
»proklamative Vokalisation~ hinzu, etn spielbegleitendes und »kom-
mentierendes~ Plappern. Noch spâter kann das Kind einzelne
Gegenstânde hochhalten, um sie der Mutter zu zeigen.
Wie teh oben bereits ausgeführt habe (s. Seite 21 0), unter-
stretcht Bleich (1976) die Rolle der analen Modalitât für die Prâdi-
kationsfâhigkeit.

9.5. lch sterbe, wenn ich heirate: Tempi und Modi im


Horizont der Neurose
Am Fallbeispiel elnes Patlenten, der seinen gro13en berullichen Er-
folg unter anderem der Fillligkeit verdan.kte, sich im Imperativ und
Indikativ perfekt verstandigen zu kônnen, der jedoch unfâhig war,
Wünsche und Sorgen 1m Optativ und Konjunktiv auszudrücken,
untersucht Lilla Veszy-Wagner die Rolle dieser beiden grammatl-
schen Kategorien. Sie sieht dabei einen inneren Zusammenhang
auch zur Form des Futurs.
Der Patient, um den es hier geht, war Mitte 40, unverheiratet und erfolgreich. In
Deutschland geboren, war er schon als Kind nach England gekommen. Er litt an
h~hondrisch-depressiven Beschwerden, »fühlte sich verfolgt, zeigte einen
massiven Weiblichkeitskomplex (war jedoch weder manifest noch latent homo-
sexuell), wollte sich »rein« erhalten, um genitale oder sonstige »lnfektionen« zu
vermeiden etc.« (Veszy- Wagner 1972: 127). Seine Kastrationsbefürchtungen
hingen mit einem realen organischen Leiden zusammen, das er jedoch vollstan-
dig verleugnete. Er »grübelte viel und litt unter Angstphantasien über seine
Zukunft. Diese kreisten hauptsachlich um die Vorstellung, was geschehen
würde, wenn er heiratete. Diese Angst war paranoid und enthielt hypochondrt-
sche Kastrationsphantasien. Die »tooliche Gefahr« bestand darin, daB er »in die
Falle ginge«; das konnte dadurch vermieden werden, da13 er sich :.auf nichts
einUeB«. (. .. ) Seine Angstreaktion in der Form des Sich-Zurückziehens war mit
ausführlichen Phantaslen gepaart. wie er der Gefahr begegnen, die Frau
abwehren soUte, die- so hoffte er doch wieder- hlnter ihm her war« (ebd. : 131 O.
Interessant war, dal3 seine Phantasien ausschlie13lich um die Zukunft
krcisten, die e r sich vor allem als ein Gefangen- und Kastriertwerden vorstellte.
Die Gegenwart erlebte er dagegen auffallend angstfrei: :.ln Situationen. in denen
andcre normalerweise mit Angst reagteren würden, registrierte er die moglichen
Gefahren manchmal überhaupt nicht und machte etnen gleichgültigen
Eindruck, als gehe er durch die Gegenwart wie durch ein Vakuum« (ebd.: 132).
Die Zukunft, die er so fürchtete , beschrteb er jedoch merkwürdigerweise im
Prasens.

Veszy-Wagner konstatiert zunâchst, daB dieser Patient nicht nur


sprachlich, sondern auch psychisch nicht in der Lage ist, das Fu-
tur zu bilden: ihm mangelt die Erfahrung einer zuverlâssigen,
begehbaren Zukunft; konkret manifestlerte sich bei tlun dieses
MiBtrauen in der Angst vor der Fortpflanzung:

226
Er •war übrtgens peinlich darauf bedacht. keine K.inder zu zeugen. Seine Art, die
Kastrationsângste weit in die Zukunft zu verlegen und sie dem Konjunktiv -
gewissen Bedingungen- zu unterwerfen. war zugleich undifferenziert und über-
differenziert: er distanzierte sich, indem er die Kastratlon von einer Bedingung
abhângtg machte, die zugleich ein Verdammungsurteil lst - allerdings kein
absolutes, sondern ein konditionales. Wenn es mir gelang, seine
Aufmerksamkeit auf diese Tatsache zu lenken, fühlte er sich entschieden
erleichtert, werm auch nie für lange. Ich mochte hypothetlsch annehmen, da13
diese Erleichterung aus einer momentanen Gewahrung des Realitâtscharakters
anstelle des bisher erlebten Phantasiecharakters seiner Angste resultierte, d.h.
aus dem Gewahrwerden, da.B er den Kontakt mit der Realit.ât noch nicht ganz
verloren batte, auch wenn diese Realit.ât Unlust erzeugte. Gleichzeitig aber wollte
er es nicht wahrhaben, da.B seine Angst eine »Prâsens-Realitat~ sei, weil er sie
( ... ) als Abwehr aufrechterhalten mu13te, damit sein Schutzwall gegen seine
libidinôsen Strebungen in Zukunft nicht geschwâcht werde. Diese Wünsche
erlebte er einerseits als gefâhrlich, andererselts gelang es 1hm aber, sie auf das
ftktive, weibliche Wesen zu verschieben, das ihm in seiner Phantasie gefahrlich
werden würde, falls er sie heiraten soUte. Das Prâsens Indikativ, das ihm wegen
der implizierten Konfrontation mit den realen Hintergründen seiner Krankheit
Uruust bereitete, wurde so in die Konditionalforrn, den Konjunktiv.
umgewandelt, der( ... ) tatsâchlich die Modalitâten der Unsicherheit, des Zôgems
und des Zweifels an sich selbst ausdrückt. A11 dies empfand der Patient
gegenüber der Zukunft, die ihn wegen seiner Ich-Schwâche furchterregend
deucht. Dem Unbewu13ten des Patienten nach mü13te all dies zur
konjunktivischen Modalitat seines Prasens gehôren; für sein Bewu13tsein batte
es sich jedoch in eine besondere Art des Futururns verschoben, das ich
»Verhlingnis-Futurum~ nennen rnôchte. da es in seinen Phan.t asien sich in den
Indikativ verwandelte, sobald die Bedingung des Konjunktivs erfüllt wâre. d .h.,
werm er heiratete. In der Grarnmatik dieses Patienten würde dieser Sachverhalt
fo1genderma13en forrriulie~t sein: Jch sterbe, wenn teh helrate« (Veszy-Wagner
1972: 133 f).
Dabei benützte er den konditionalen Partikel if. Er phantasierte die Zukunft
als ein Verhangnts, analog einer abgeschlossenen Vergangenheit. Psychisch
lebte er in der zeitlosen ,.vor-Zeit~ elnes Sauglings, »dem Zustand des beim
Sâugling fehlenden Zeitempftndens und zugleich seiner glücklichen
Zufriedenheit wâhrend der Nahrungsaufnahme. Die panische Angst hingegen,
die bel der Vorstellung ,.keine Brust« ausbricht, ist die emotlonale Keimzelle des
.Sich-Sorgen-MachenS«. Meine Hypothese besagt, dafi Traumen die »Vor-Zelt«
vemlchten und in »Antl-Zelt« verwandeln~ (ebd.: 138). lm Gegensatz zum
entwickelten Zeitsinn des gesunden Erwachsenen, der ein Ergebnis des
Indivtduationsprozesses ist und den Zustand der symbiotischen Zettlosigkeit
ablôst, ist der Patient aufgrund seiner frühen Traumatisierung in der Zeit
verloren. Ihm fehlt der Sinn für die Identitât seines früheren und seines
gegenwartlgen Selbst, und die Zukurût erscheint ihm bloB als Verhângnis. Das
hat auch Folgen für die Gegenwart. Wâhrend der Gesunde seine Wünsche als
gegenwârtlge Wünsche - im Optativ - und als Mogllchkeiten - im Konjunktiv - for-
mulleren kann, entwirft der Kranke »seine Wunschtraume entweder für die
fernste Zukunft (ein »tausendjahrtges Reich«), oder sie sind eindeutig ~­
erfüllbar; oder er retrojiziert sie auf eine Weise in die Vergangenheit (die fruhe
Kindheit), daB der Schmerz über ihre Unwiederbringlichkeit die Ertnnerung an
1ustvolle Erlebnisse überschattet« (ebd.: 143). Diese Urûâhigkeit, einen auf die
begehbare Zukunft gerichteten Wunsch zu entwickeln, führt Veszy-Wagner auf
eine gestôrte Oralit.ât zurück. Ein oral verwôhntes, oft überfüttertes Kind hat
keine Gelegenheit, sich auf der Ebene des oralen Modus als autonom erleben zu
kônnen und einen Zeitbegriff zu entwickeln, der mit seinen Kôrpersignalen
einhergeht. Es wird die Konfrontation mit den Zeitregeln der Reinlichkeitserzie-

227
hung als Zumutung erleben, da es nie einen oralen Zeitrhythmus von Hunger
und Sattigung entwickeln konnte.

Diese Fallvignette illustriert für mi ch sehr anschaulich, wte gram-


matlsche Kategorte, hier am Beispiel der Tempi und Mod1, ais Aus-
druck der psychischen Struktur und der seelischen Entwicklung
verstanden werden kônnen.
Auch andere syntaktische Kategorten kônnten in ihrem Bezug
auf den Affekthaushalt untersucht werden. Zwar liegen nur verein-
zelte Untersuchungen darüber vor, doch weist z.B. Shapiro darauf
hin, daB es persônllchkeitsspezifische Vorlieben für den Gebrauch
passivisch formulierter S~itze geben kônnte. Er beruft sich auf Un-
tersuchungen von Freedman und Steingart ( 1975) und Rosen
( 1977), die einen Zusammenhang zwischen syntaktisch-stilisti-
schen Charakteristika und Persônlichkeitsstruktur nahelegen
(Shapiro 1979: 57 fi). Sharpless (1985) zeigt. wie sich dte ldentt-
tatsbildung 1m Erwerb von Personalpronomina niederschlagt.
Spero ( 1990) beschreibt in einer Fallstudie die neurotische, prtvat-
sprachliche Besetzung eines Genus-Partikels (der fern. Endsilbe
hebr. -heh). Die Patientin hatte, wie sich in der Analyse ergab!. die-
sen Partikel in einer Art fetischistischem Sprachgebrauch ais Aqui-
valent ihrer Pahntasien über den Penis ihres Vaters verwendet.

9.6. Grammatik des UnbeW'tlfiten


lch hatte oben ais Motto Lilla Veszy-Wagner (1972) mit ihrer knap-
pen Feststellung zitiert, Grammatik sei ein abgekürzter Code zur
Verstandigung in der emotionalen Zeichensprache. Vielleicht ist
nach den vorstehenden Abschnitten dtese Position als eine kurze
und pointierte Zusammenfassung der psychoanalytischen Sicht
verstândlich geworden. Meltzer (1984) bringt diesen Standpunkt
vorzüglich zum Ausdruck:
»Der Drang des Kindes nach Sprachwerwerb und -gebrauch bekommt seine
formalen Elemente sowohl durch die Identifikationsprozesse als auch durch
Untcrricht im Benennen von seiten der Eltern. Trotzdem hat die Beziehung des
Kindes zur Welt au13erer Objekte eindeutig für es selbst sekundare Bedeutung
gegenüber seinem Interesse an emotionalen Beziehungen, besonders zu den
Eltern als Objekten von gefühlsma.Biger Wichtigkeit. Zweifellos gibt das Kind
gewisse Laute von sich, die für seinen Gemütszustand symptomatisch sind, und
diese konne n von Mutter und Vater intuitiv verstanden werden, aber dieser
Vorgang liegt au.Be.rhalb seines Mitteilungsdrangs. Es ist unverkennbar, da13 das
kle ine Kind die Musik der diskursiven Rede hervorzubringen beginnt, bevor es
...elnzelne Worter aussprechen Kànn, abgesehen von den erslen ursprüilgilêlien
-ve rsuchen d e r Bene nnung wie Ma-ma und da-da. Der Vorgang des Lallens cxier
d e s Spie le ns mit Vokale n ist anderen Spielvorgangen auffallend ahnlich, und in
diesen gcht es, wie wir sicher wissen, um seine Gefühlsbeziehungen und seine
Ve rsuche . über sie nachzudenken. (Meltzer 1984: 23).

228
Diese Auffassung der Sprache ais Mittel, Gefühlszustande zu
begreifen und zu kommunizieren, fübrt Meltzer zu etner
Sprachtheorte, die von einer zweistufigen Entwtcklung ausgeht: 1m
Inneren ist Sprache »eine Funktion der unbewuBten Phantas1e, die
Projektive Identifikation als thre Kommun1kationswe1se verwendet.
Die lnhalte der Mttteilungen sind Gemütsverfassungen. Ihre Kom-
munikationsmJttel sind 1m Gronde prtmitiv, nfunlich Gesang und
Tanz(( (Meltzer 1984: 131 ). Sprache 1n diesem Sinn ist weit alter ais
die Wortsprache; sie wurzelt in prâhistorischen Verstand.igungs-
fonnen auf rhytlunischer und melod.ioser Grundlage, die sich al-
lerdings in jeder Mutter-Kind-Interaktion wtederholen und deshaib
zur Grunderfahrung jedes Menschen gehoren. D1ese innere Spra-
che wtrd erst sehr viel spater in die »âuBere(( Sprache übersetzt, in
der es um die Beschreibung der auBeren Welt geht. Meltzer be-
trachtet die Grammatik oder Syntax ais einen festen Bestandteil
der inneren Sprache: »Nach unserer Theorie steht die Granunatik
1n einer absolut festen Beziehung zur Sprache der unbewuBten
Phantasie, etwa in derselben Weise wte eine Tonleiter zu einem
Musikstück(( (Meltzer 1984: 132). Diese Auffassung von der Gram-
matik ais etn abstraktes System formalisierter Denkoperationen,
das die basalen emotionalen Austauschprozesse abbildet, steht
nach Meltzer in Übereinstimmung mit der formalisierten
Transformatlonsgrammatik von Chomsky: »ln diesem Stnne hat
Chomsky mit seiner Ansicht recht, daB Granunatik Sprache
»erzeugt((, aber nicht wegen der Existenz einer Reihe von :.Regelno~<,
dJe von der Bedeutung abgetrennt sind. Vielmehr bestimmt eine
Reihe von Grundbedeu tungen in bezug auf Zett, Rawn, Persan und
logtsche Operattonen die Umwandlun von limerer Sprache min-
eres p er alis erung(( e er unter-
e cht unbedingt in dessen Sinne
- eine :.Oberflachengrammatik« und eine »Tiefengranunatik«. »Die
(unbewuBte) Tiefengranunatik umfafit die phonemtsch-morphemi-
schen Elemente der Vokallsation in allen musikalischen Aspekten
(einschlieBltch der Aspekte von Haltung und Gebarden, die mit
Tanz und Dramatisierung verbunden sind) wie auch die logtschen
Operatlonen der Syntax, die aus der Nebeneinanderstellung zu
entnehmen sind, die die Abfolge der unbewuBten Phantasie eut-
hait. Die Oberflachengrammatik enthalt ali jene Abwandlungen der
Vokallsation, die die Mitteilung von Informationen über die Au-
Benwelt erfordert, damit die vielen moglichen Fonnen der Zwei-
deutigkeit- und daher Verwirrung- so gering wte moglich gehalten
werden konnen« (ebd.: 136).

229
10. Sprachentwicklung im Kontext anderer
Entwicklungslinien

Freud hatte einen engen Zusanunenhang zwischen Sprache und


Denken postuliert. Die Organisation des Ich ist als Trager der
Urteilsfunktion eng mit der Sprachlichkeit verknüpft. Dieser
theoretische Ansatz, der kennzeiclmend für die Psychoanalyse
bleibt, hat unterschiedliche Ausformungen gefunden.
lch habe bereits bei der Darstellung der lch-Psychologte erlâutert,
wie die Ich-Psychologen den Zusanunenhang zwischen Sprache
und Denken fassen (s. Seite 55) und die Ansâtze von Hartmann
und Rapaport vorgestellt. lm Gegensatz zu dieser ich-
psychologtschen Auffassung des Zusammenhangs von Sprache
und Denk.e n steht die Theorie von Jacques Lacan, die ich schon
mehnnals erwâhnt habe (s. Seite 22, 84).
Lacans erste analytische Schrift, »Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunk-
tion«, ist ein Vorlâufer seiner spateren, radikaleren Positionen. Lacan zeigt darin,
daJ3 das menschliche Kleinkind, werm es sein Spiegelbild ais Bild erkannt hat
(etwa ab dem 6. Lebensmonat), voU Freude mit diesem Bild zu spielen beginnt-
wahrend ein Schimpanse ab diesem Zeitpunkt das Interesse an seinem Spiegel-
bild verliert . .Er begründet diesen Unterschied mit der angeborenen menschli-
chen Fâhigkett, stch als .Einheit zu erleben. Das Kind, das aufgrund semer moto-
ri.schen Unreife noch nicht in der Lage ist, über Bewegungsablâufe diese Ich-
Identit:ât zu btlden, kann sie erst durch die optische Wahrnehmung des Spiegel-
bildes berstellen . .Es ist geradezu die Wurzel der gespaltenen Identitât des Men-
schen, daB sie rucht aus der Erfahrnng von Einheit hervorgeht, sondern erst aus
einer durch die Erfahrung von Nicht-lch konstituierten Einheit. »lch ist ein An-
derer« - diesen Satz habe ich bereits zitiert als den existentialistischen Kem von
Lacans Theorie (zwar enthâlt gerade die hier besprochene Arbeit auch eine herbe
Existentialismus-Kritik entha.It - sie wirkt aber eher kollegial). Er verdeutlicht
sich am Spiegelstadium emeut, wenn das Kind sich als »lch« erst im Spiegel er-
kennt. und zwar in dem Moment, in dem es das Spiegelbild als :.Nicht-lch« be-
greift. Mit dem Eintritt in die Bildung des Ich durch das Spiegelbild, weit iiber
die leibliche Erfahrungsmoglichkeit hinaus, springt beim Menschen die von nun
an nicht mehr auszuschaltende Struktur seines Denkens und seiner Erfahnmg
an, die immer vom Moment der Antizipation bestimmt sein wird und lmmer im
Zwiespalt steht. »Der Augenblick, in dem sich das Spiegelstadium vollendet (... )
lâBt auf entscheidende Weise das ganze menschliche Wissen in die Vermittlung
durch das Begehren des Anderen umkippen, konstituiert seine Objekte in ab-
strakter Gleichwertigkeit durch die Konkurrenz der anderen und macht aus dem
Ich lje) jenen Apparat, für den jede instinktive Regung auch dann eine Gefahr
bedeutet, wenn sie einem natürlichen ReifungsprozeB entspricht..: (Lacan 1949:
68) . .Es gtbt also auch diese tieferliegende Ebene: die instinktiven Regungen, die
Phantasien, die die leibhaftige Erfahrung des Klndes spiegeln - sie stehen im Ge-
gensatz zu dem Erleben von Einhett und Ganzheit. mit dem das Kind jubelnd
sein narzU3tisches Ideal-Ich im Spiegel begrü13t. Diese Phantasien kommen in
Traumcn und im psychotischen Erleben als Zerstückelungs- und Fragmentle-
rungsbilder zum Vorschein. Sie stellen das a us dem Spiegelbild geborene Selbst-
erleben des Ich (mol) in Frage und rufen Angst hervor.

230
Aus dieser basalen Gespaltenheit des Subjekts lâBt sich Lacans
Verstândnis der Sprachentwicklung ableiten: ais eines Weges, der,
getrieben vom Begehren des Ich lje), 1mmer neue Ftguren des 1ma-
gtnâren Selbst (mol} hervorbrtngt - in deren Brüchen und Sprün-
gen, in deren Verbiegungen und Euphemismen sich doch das Be-
gehren kundtut.
Auch die Verbindung von Sprache und Traum 1st ein Aspekt,
unter dem die Sprachentwicklung aus psychoanalytischer Sicht
betrachtet werden kann. Edelsons Versuch der Parallelisierung von
sprachlicher Ttefenstruktur und Traumproduktion (s. Seite 98; vgl.
auch Hamburger 1987) wtrkt zwar noch etwas gezwungen; doch
soUte gerade angestchts der sehr detaillierten und aufwendigen
Ansatze zur Computersimulation von Schlaftraumprozessen (Moser
u.a. 1980, Leuzinger-Bohleber 1987, Leuztnger-Bolùeber u.a.
1992) davon ausgegangen werden, da13 aus dieser Begegnung von
Cognitive Science und Psychoanalyse noch manche fruchtbare
Hypothese für die Spracherwerbsforschung erwachsen kann.
Eine weitere Perspektive betrifft die Entfaltung von Subjekti-
vitat und Selbsterleben. Aus dieser Sicht tst die Entwicklung der
Sprache ein Meilenstein für die Herausbildung der Identltat. Ich
bin auf diesen Aspekt oft zu sprechen gekonunen, insbesondere 1m
Zusammenhang mit der Bildung der Ich-Identltat und der
Objektbeztehungen. ln diesem Zusammenhang ist auch das Thema
der geschlechtsspezifischen Sozialisation von besonderer
Bedeutung. Da die psychoanalytische SelbstpsychologJe (wenn ich
diesen Begriff einmal nicht auf Kohut und seine Schiller begrenze,
sondern in einem wetteren Sinne verwende) sich auf viele Gebiete
des Verhaltens und Erlebens anwenden la.Bt, lieBen sich diese
Beispiele beliebig erganzen. Dore weist z.B. 1n seiner !.\flalyse der
Herausbildung intentlonaler und konventioneller AuBerungen
darauf hin, daB die Gestaltung von verstandlichen Fonnen
intentionalen Affektausdrucks 1m Dialog gleichzeitig die Wurzel der
lch-Identitât darstellt (vgl. oben Seite 155).
Von groBer Bedeutung ist der Entwicklungszusamrnenhang
von Sprache und Objektbeziehung. Schon in der kognitiven Psy-
chologie wird mit dem Begriff der Objektpermanenz auf diesen Zu-
sanunenhang hingewiesen (vgl. Piaget, s. Seite 215, 108). Die Ich-
Psychoanalytiker (wte Wolff, Spitz, s. Seite 60, 64) erganzten diesen
Ansatz zunachst um seine affektive Komponente und untersuchten
die selbststimulierende und selbstbestatigende Funktion der vokal-
auditiven Rückkopplung. Die psychoanalytische O~jektbeziehungs­
theorie bringt mit der Formulierung des Begriffs »Ubergangsobjekt«
eine entscheidende Wendung in die Diskussion, die es erlaubt, die
Entfaltung der sprachlichen Kompetenz als einen Prozei3 zu
begreifen, der mit der Entwicklung integrterter und differenzierter
Objektbez1ehungen d1alektisch verzahnt tst. Ich habe eiruge
wichtige Arbeiten zu diesem Thema vorgestellt (vgl. auch Weich
1978).

231
Nachwort

Ich hatte Sie zu Beg:trm auf einen Pendelflug zwischen zwei ausein-
andergedrifteten Kontinenten eingeladen. Sie werden bemerkt ha-
ben, daB wir auf viele mogliche Landeplatze auf beiden Seiten ver-
zichten mu13ten und Dinge nur kurz überflogen haben, die sich ei-
gentlich zu erwandem gelohnt hatten. Andererseits haben Sie viel-
leicht überraschenderweise manche Reste einer gemeinsarnen
Kultur entdeckt, die den Forschergetst beflügeln. Und nicht zuletzt
haben Sie auch florierende Handelsgesellschaften besucht und Be-
reiche von groBem gegenseitigen Interesse kennengelernt.
Werm dieses Buch Sie neugterig gemacht haben sollte auf
einen Dialog, so muB ich Sie frellich auch warnen. Er wird nicht
eitûach sein. Meltzers Vorschlage für eine Psychoanalyse der
Syntax z.B. mogen dem linguistisch gebildeten Leser verwirrend
erscheinen. Mit vielen Analytikern teilt Meltzer die Neigung, Be-
griffe aus Nachbarwissenschaften zur Fonnulierung seiner au-
thentischen psychoanalytischen Einsichten zu verwenden. Diese
Begrifilichkeit ist zwar hochst anschaulich und erhellt oft schlag-
lichtartig den interdisziplinâren Zusammenhang, doch erfordert sie
zur Aufnahme des Dialogs eine doppelte Rückübersetzung: zuerst
müssen Begriffe wte »Tiefengrammatik« oder' »phonemtsch-mor-
phemische Elemente« zurückübersetzt werden in die Sprache der
Psychoanalyse, und das he1i3t in ihre klinische Erfahrung, bevor
der Linguist die Moglichkeit hat, sie mit seinen Begrtffen in Ver-
btndung zu bringen. Dieses Verstândtgungshindernis ist auch
nicht durch einen blanken WillensentschluB zu beheben. Psycho-
analytiker, die versucht haben, ihre Erfahrung so zu formulieren.
da13 die Kompatibilitàt zu anderen Wissenschaften gesichert war.
haben oft damit zu kâmpfen gehabt, daB das Etgentliche ihrer kli-
nischen Erfahrung in der stertlisierten Sprache der nomotheti-
schen Wissenschaft untergtng. Der Dialog zwischen Psychoanalyse
und Lingutstik sollte durchaus von beiden Seiten in der etgenen
Sprache geführt werden, selbst werm das Probleme der Verstândi-
gung mit sich bringt.
Ich habe in diesem Buch versucht, einige der Gedanken-
strange dieses Dialogs so wett zu verdolmetschen, daB zumindest
der Wunsch entstehen konnte, sich nâher kennenzulernen. Ein
solcher Dialog mag uns umso leichter fallen, als die Erforscher der
Kindersprache, seien es Psychoanalytiker, Entwicklungspsycholo-
gen, Linguisten oder Padagogen, zumindest als Prtvatpersonen si-
cher eines verbindet: die Hingabe an ein faszinierendes Thema.
Wenn der Psychoanalytiker, aufbauend auf dieser Gemeinsamkeit,
dabet nur die Ennutigung an Forscher - und Eltern, die allemal
Forscher sind - in die Waagschale werfen dürfte: »SchlieBen Sie
lhre eigenen Gefühle nicht aus der Beobachtung aus!~ - er wâre es
bereits zufrieden.

232
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Schreibweisen

Wôrter oder Ausdrücke, die ais Beispiele dienen, werden 1m allge-


meinen kursiv geschrieben, werm der gesprochene oder geschrie-
bene Ausd.ruck gemeint ist, z.B. Nacht oder Weil der Mond aus
Kiise lst, regnet es Quark ..
Ist nur die Lautgestalt gemeint, sa wtrd dies durch eirûache
Unterstreichung kenntlich gemacht (Nacht, Kase). Ich benütze
keine Lautschrift, sondern die nâherungsweise Umschrift z.B. [e]
zur Bezeichnung einzelner Lau te und 1e 1 zur Bezeichnung
einzelner Phoneme.
Der semantische Gehalt, also das mit dem Wort Gemeinte,
steht ebenso wte semantische Elemente in spitzen Klanunem:
<Nacht>, <dunkel>, <sonnenlos>. Soll hingegen der mit dem Wort
bezeichnete Gegenstand gekennzeichnet werden, so schreibe ich
NACHT.
Ungranunatische Beispiele werden mit einem vorausgesetzten
Astertsken (*) gekennzeichnet. Wenn es um verschiedene Grô.Ben-
ordnungen von Ungrammatizttât geht, wtrd der grundlegendere
Fehler mit mehreren Asterisken gekennzeichnet.

250
Personenregister

A Brinich 16lf.
Abel 17f. Broca 38, 40
Abraham 46, 97 Brücke 42
Adamson 158f. Bruner 177f., 196, 206,224 ff.
Adomo 57 Burlingham 115
Ainsworth 119f., 130
Aitchison 64, 98, 125 c
Albers 179 Cali 140, 177
Allwood 224 Campbell 186
Ais 146, 148 Carnap 83, 162
Amacher 42 Chemack 199 ff.
Anderson 202 Chomsky 93, 98 ff., 104, 113, 125,
Anna o. 19 162. 223f.. 229
Anzieu 69, 110 Ciompi 109f., 153, 186
Anzieu,A 169 Clahsen 98
Apfelbaum 57 Clark 140,177, 212
Arango 185 Cobliner 1 10
Atldn 56,63,96,98 Coleman 116
Austin 191, 193 Condon 141 ff.
Comog 182
B Cramer 66 ff., 104, 12lf., 130, 146
Bakeman 158f. ff., 154
Balkânyi 63, 65, 96, 170 Crapanzano 177f.
Barbara 169 Cremerius 25f., 29
Barrau 169
Bartolucci 179 D
Bartsch 224 D'Ambrosio 27
Basch 109 Dahmer 13
Baumgart 73, 116 Darwin 128
.B aurtedl 31 DeMyer 189
Bell 119, 130 Decarie 110
Benveniste 18 Deleuze 187
Beratis 136f., 170 Derrida 33, 50f., 84
Beres 83f. Deutsch 31
Bergman 199 ff. Devereux 124
Bernstein 24, 183 Dore 155 ff., 205 ff., 231
Berny 167 Dornes 30, 116, 143, 153f.
Berry 211
Bettelheim 179, 190 E
Bion 75f., 82, 96, 132 ff., 186, 204 Eagle 16, 118
Bleich 210, 219f., 224 ff. Eco 92
Bloom 174, 177, 225 Edelheit 56, 96, 98
Blum 77, 134 Edelson 98, 100, 113, 221. 231
Bowlby 102, 119, 125, 130 Edgcumbe 135, 145
Boyer 186 Ehlich 32
Braine 225 Ekman 31
Brazelton 66 ff., 104, 12lf., 130, Elias 185
146 ff., 154 Ellenberger 45
Breuer 12, 19, 104, 222 Erdheim 13

251
Erikson 60 fi., 64 Hartmann 58f., 62, 96, 115, 230
Escalona 104 Hayden 27
Exner 42 Haynal 109
Heinz 57
F Herdieckerhoff 31
Fanshe1 32 Herzog 65, 160, 183
Feniche1 31 Hinz 187
Ferenczi 25, 30f.. 81, 89 Hirschmüller 223
Flader 32 Hoppe 42
Flavell 104, 215 Horton 96, 174
Flie.6, W. 11 Howe 174
Forrester 39 Huebner 186
Fraiberg 67
Frank 22 1
Freedman 140f., 144, 228 lsakower 135
Frege 83
Freud, A. 25, 115, 198 J
Freud, S. lifT., 16f., 18f., 25, 31ff., Jackson 39, 4lf.
64f., 69f., 77ff., 83ff., 88f., 90, Jacobs 31, 224
97fT., 104, 107, 109, 113, 115, Jakobson 126,211
135, 145f., 164, 171, 177, 178, Janov 127
181fT., 197, 202, 22lf., 230 Jappe 46
Freud, W.E. 116 Johnson 202
Frith 189 Jones 25,79,89,91 , 97
Fromkin 57, 136 Joseph 42
Fthenakis 159 Jung 60
Furman 65, 96
K
G Kapfhammer 63, 128
Gadamer 14 Kaplan 146, 174
Galin 42 Katan 62, 96, 174
Garfinkel 207 Kegel 64, 125, 166
Gauger 16, 20, 51 fT., 185 Keiser 182
Glauber 169 Keller 27, 209, 210, 221
Glover 169 Kennell 131
Goebel 79, 91 Kemberg 16, 204
Goeppert 18, 31. 64, 186 Kestenberg 183
Gorl 96, 186 Kevin 27
Gorlich 79 Klann-Delius 141f., 145, 155
Granzow 29 Klaus 131
Greenacre 104, 114 Klein, G. 16, 56f. , 63, 102, 135f.,
Greenberg 94 169f.
Green field 17 4 Klein, M. 60, 75ff., 8lff., 131ff.
Greenson 175 Kôhle 32
Grimm 106, 125 Kôhler-Weisker 115
Grof 127 Kônig 78
Grünbaum 102 Kohut 16,30,58,146,231
Grunert 31 Kovacs 145
Guattari 187 Krause 169
Gustafsson 202f. Kris 115f.
Krüll 104, 128
H Kubie 42
Haas 85 ff. Kutter 55, 57
Habermas 102
Hamburger 19, 34, 43, 146, 231 L
Harris 134 Labov 32

252
Lacan 22f., 33, 78, 84ff., 91, 98, N
230f. Nelson 171. 174,212
Laffal 186, 211 Neyraut 20
Lakoff 100, 224 Nietzsche 202
Lang 30,33,85 Nitsch-Berg 109
Langer 21, 83, 162fT., 208f. Nitschke 118
Laplanche 221 Noy 91
Lazar 133f. Nunberg 55, 57f.
Leavy 99
Lebovici 66, 68f. 116 0
Lenneberg 104,106,107,214 Oerter 215
Lerner 182 Ogden 92, 97, 170
Leuschner 39 Ong 178
Leuzinger-Bohleber 114, 231 Orban 24,30
Lévi-Strauss 84 Oskaar 95
Lewis 167f., 175 Ostow 42
Lichtenberg 30, 104, 153
Lipowatz 87 p
Litowitz 77, 97, 100 Pagel 33, 84
Loewenstein 62 Papousek 137, 153
Lorenze 123 Peller 63
Lorenzer 15, 19, 21, 24, 33, 47, 78f., Peters 218
89f. 105, 113, 123f., 135, 161f., Piaget 60, 62, 69, 104f., 108fT., 119,
175f., 185, 194f. 125, 134f., 140, 166, 171,212.
Lukacs 202 215,219,225,231
Lurta 42 Piattelli.-Palmarini 104
Lyons 176 Pohl 102
Pontalis 221
M Provence 116
Maher 186 Pruett 159f.
Malùer 116,134,136.200
Marcuse 13 R
Marx 39, 107, 202 Rangen 95, 167
Masling 118 Rank 31, 127
Mauthner 202 Rapaport 59, 96, 230
McDougall 24 Raspe 32
McLaughlin 31 Reik 22
McNeill 140 Reimann 11
Meissner 77, 105 Reiser 42
Meltzer 228f., 232 Rempp 24
Menne 24 Richards 78, 92, 97, 170
Mertens 25,29,31,45,62, 114, Richter 67
122, 183 Ricoeur 102
Mesmer 21 Ringler 131
Metzker 159f. Robinson 182
Meynert 37, 39, 42 Rohde-Dachser 183f.
Milani Comparetti 129 Rosen 56,96,98,228
Miller 42 Rosolato 20, 90f.
Mitscherlich 24 Russell 83, 162
Montada 215
Montague 224 s
Monis 193 Sachs 167
Moser 24, 231 Saling 41
Muck 24 Samerofi 134
Müller-Braunschweig 31 Sander 14 l ff.
Sanders 182

253
Sandler 109 Streeck 32
Santostefano 63, 137ff., 144 Str<X>p 141
Saussure 18f., 52, 93, 97 Sullivan 209
Schafer 16 Sulloway 51
Schefien 31 Szagun 64, 101, 125, 174,225
Schilder 31
Schiller 180 T
Schmidt 79 Tausk 46, 187
Schneider 109f. Tômmel 34
Schnelle 224 Trautner 64
Schrôter 24 Tu1vtng 152
Searle l93f.. 206
Searles 186 v
Segal 132 Van Dam 77
Shapiro 27, 56, 64, 95ff., 108, 110, Vennemann 224
146, 167, 169, 174, 186, 221f., Verny 127, 128
228 Veszy-Wagner 219, 226ff.
Sharp 96, 174
Sharpless 228 w
Silverman 104, 183f., Walsh 52, 63
Simon 18,95 Weich 231
Sirota 18lf.. WeiB 33
Skinner 99, 136 Wendeler 179, 188
Smith 174 Werner 174
Snow 158f. Wemicke 36ff., 40, 42, 135
Solms 41 Werthmann 102
Sou1é 116 Will 21
Speidel 113 Winnicott 70ff., 115, 133f., 159,
Sperber 79, 167 162, 164f.,220
Sperling 67 Winson 42
Spero 23, 228 Wittgenstein 83, 162
Spielrein 168, 175 Wolff 59f., 62, 215, 231
Spitz 56, 64f. 95, 104, 116, 134, Wunderlich 190f.
140, 145f., 159, 177, 197ff. 211, Wurmser 204
231 Wygotski 11 0
Steingart 228
Stekel 78f. z
Stern 30, 70, 73, 104, 118, 128f. Ztmmer 64
143, 146, 149ff., 158, 184, 203f.

254
fACHVERLAG FÜR MEDIZIN, PSYCHOLOGIE UND KR.ANKENPFLEGE

Ludwig Haesler Janet Sayers


Psychoanalyse - Mütterlichkeit in der
therapeutische Methode Psychoanalyse:
und Wissenschaft vom Helene Deutsch, Karen Horney,
Menschen Anna Freund, Melanie Klein
Herausgegeben und mit einer
1994. 308 Seiten.
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ISBN 3-17-012960-0
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Mertens.1994. 248 Seiten.
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Werk vermittelt einen umfassen- ISBN 3-17-011782-3
den Überblick über die
Psychoanalyse und ihre weit Allein die Biographien dieser vier
gespannten Anwendungsfelder. bekannten Psychoanalytikerinnen
Ausgehend vom zentralen sind eine spannende Lektüre an
Erfahrungs- und Erkenntnisfeld sich. Saysers geht aber über
der Psychoanalyse stellt der eine bloBe biographische Ab-
Autor die Bedingungen, Elemente handlung weit hinaus. Sie zeigt
und Strukturen der komplexen auf , wie Freuds patriarchalische
.
Prozesse menschlicher Sichtweise von jeder d1eser
Verstandigung und ihre mbgli- Frauen - selbst von seiner
chen Stbrungen dar. Tochter Anna- unterlaufen,
Danach folgen Untersuchungen abgeandert, ja sogar revidiert
zur Psychoanalyse der künstleri- wurde und wieviel diese Frauen,
schen Kreativitat der Literatur, jede auf ihre Weise, zur moder-
bildenden Kunst. Musik, des nen Psychoanalyse beigetrage_n .
Marchens, des Mythos und der haben. Es ist ihr spezifisch welbll-
Religion sowie zur Psychoanalyse cher Beitrag und vor allem die
gesellschaftlicher Bedingungen Erlahrung des ,Mutterseins", die
und Verhaltnisse. zu neuen Beobachtungen und zur
Weiterentwickung der klassi-
schen Theorie Freuds geführt
haben.

Kohlhammer
Kohlhammer Verlag · 70549 Stuttgart
Psychoanalytische Entwicklungspsychologie
Herausgegeben von
W. Mertens und Chr. Rohde-Dachser

Aus psychoanalytischer Sicht beleuchtet di eser Band die wichtige


Frage der Entwicklung menschlicher Sprache. Dem Leser gibt er
ein en urnfassend en überblick über den derzeitigen Wissensstand
und berücksichtigt dabei auch aktuelle Forschungsergebnisse.
Zunachst diskutiert der Autor Grundfragen des Verhaltnisses von
Sprache und Psychoanalyse, um spater einzelne Strange der
sp rachlichen Sozialisation (Entwicklung von Semantik, Syntax und
Pragmatik) zu erlautern- haufig an klinische n Fallbeispielen.

Dr. Andreas Hamburger arbeitet ais Psychoanalytiker in frei er


Praxis und war bis 1993 Akademischer Rat am Institut fur Klini sche
Psychologie der Universitat München.

ISBN 3-17-012548-6

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