Sie sind auf Seite 1von 51

D I E STELLUNG DES MENSCHEN IM KOSMOS

Fragt man einen gebildeten Europäer, was er sich bei dem


Worte ((Mensch))denke, so beginnen fast immer drei unter sich
ganz unvereinbare Ideenkreise in seinem Kopfe miteinander in
Spannung zu treten. Es ist einmal der Gedankenkreis der
jüdisch-christlichen Tradition von Adam und Eva, von Schöp-
fung, Paradies und Fall. Es ist zweitens der griechisch-antike
Gedankenkreis, in dem sich zum ersten Mal in der Welt das
Selbstbewußtsein des Menschen zu einem Begriff seiner Son-
derstellung erhob in der These, der Mensch sei Mensch durch
Besitz der «Vernunft», logos, phronesis, ratio, mens - logos be-
deutet hier ebensowohl Rede wie Fähigkeit, das «Was» aller
Dinge zu erfassen; eng verbindet sich mit dieser Anschauung
die Lehre, es liege eine übermenschliche Vernunft auch dem
ganzen All zu Grunde, an der der Mensch, und von allen Wesen
er allein, teilhabe. Der dritte Gedanlcenkreis ist der auch längst
traditional gewordene Gedankenkreis der modernen Natur-
wissenschaft und der genetischen Psychologie, es sei der
Mensch ein sehr spätes Endergebnis der Entwicklung des
Erdplaneten - ein Wesen, das sich von seinen Vorformen in
der Tierwelt nur in dem Komplikationsgrade der Mischungen
von Energien und Fähigkeiten unterscheide, die an sich bereits
in der untermenschlichen Natur vorkommen. Diesen drei
1 Ideenkreisen fehlt jede Einheit untereinander. So besitzen wir
denn eine naturwissenschaftliche, eine philosophische und
eine theologische Anthropologie, die sich nicht umeinander
kümmern - eine einheitliche Idee von1 Menschen aber besitxen wir
I
nicht. Die immer wachsende Vielheit der Spezialwissenschaften,
die sich mit dem Menschen beschäftigen, verdeckt, so wertvoll
diese sein mögen, überdies weit mehr das Wesen des Men-
schen, als daß sie es erleuchtet. Bedenkt man ferner, daß die
genannten drei Ideenkreise der Tradition heute weithin er-
schüttert sind, völlig erschüttert ganz besonders die darwi-
i nistische Lösung des Problems vom Ursprung des Menschen,
so kann man sagen, daß zu keiner Zeit der Geschichte der griff von Dingen bezeichnen, den man dem Begriffe des ((Tie-
Mensch sich so problernatirch geworden ist wie in der Gegen- res überhaupt)) aufs schärfste entgegensetxt, also auch allen
wart. Säuge- und Wirbeltieren; und diesen im selben Maße wie etwa
Ich habe es darum unternommen, auf breitester Grundlage auch dem infusorium Stentor, obgleich doch wohl kaum be-
einen neuen Versuch einer Philosophischen Anthropologie zu streitbar ist, daß das ((Mensch)) genannte Lebewesen einem
geben. I m folgenden seien nur einige Punkte, die das Wesen Schimpansen morphologisch, physiologisch und psycholo-
des Menschen i m Verhältnis su Pfr'anse und Tier, ferner die mefa- gisch unvergleichlich viel ähnlicher ist als Mensch und Schim-
piyische Sonderstellung des Menschen betreffen, erörtert und ein panse einem Infusorium.
kleiner Teil der Resultate angedeutet, zu denen ich gekommen Es ist klar, daß dieser zweite Begriff «Mensch» einen völlig
bin. anderen Sinn, einen ganz anderen Ursprung haben muß als der
erste1. Ich will diesen zweiten Begriff den Wesensbegriff des
Schon das Wort und der Begriff ((Mensch))enthält eine tük- Menschen nennen, im Gegensatz zu dem ersten, natursystema-
kische Zweideutigkeit, ohne deren Durchschauung man die tischen Begriff. O b dieser zweite Begriff, der dem Menschen
Frage der Sonderstellung des Menschen gar nicht angreifen als solchem eine Sonderstellung gibt, die mit jeder anderen Son-
kann. Das Wort soll einmal die Sondermerkmale angeben, die derstellung einer lebendigen Spezies unvergleichbar ist, 2ber-
der Mensch morphologisch als eine Untergruppe der Wirbel- haupt Recht bestehe - das ist unser Thema.
und Säugetierart besitzt. Es ist selbstverständlich, daß, wie
immer das Ergebnis dieser Begriffsbildung aussieht, das als
Mensch bezeichnete Lebewesen nicht nur dem Begriff des I Die Sonderstellung des Menschen kann uns erst deutlich wer-
Tieres untergeordnet bleibt, sondern auch eine verhältnismäßig den, wenn wir den gesamten Aufbau der biopsychischen Welt
sehr kleine Ecke des Tierreiches ausmacht. Das bleibt auch in Augenschein nehmen. Ich gehe dabei aus von einer Stufin-
dann noch der Fall, wenn man den Menschen (was übrigens fo!ge der ps_ychischen Krayte und Fähigkeiten, wie sie die Wissen-
sachlich und begrifflich sehr bestreitbar ist) mit Linne die schaft langsam herausgestellt hat. Was die Grenze des Psy-
((Spitze der Wirbel-Säugetiefreihe)) nennt, da ja auch diese I
chischen betrifft, so fällt sie mit der Grenze des Lebendigen über-
i haupt zusammen'. Neben den objektiven wesensphänomenalen
Spitze wie jede Spitze einer Sache noch zu der Sache gehört, I
deren Spitze sie ist. Völlig unabhängig von einem solchen Be- Eigenschaften der Dinge, die wir «lebendig» nennen, wie
griff, der aufrechten Gang, Umgestaltung der Wirbelsäule, I Selbstbewegung, Selbstformung, Selbstdifferenzierung, Selbst-
begrenzung in zeitlicher und räumlicher Hinsicht, (auf die
Aquilibrierung des Schädels, die mächtige Gehirnentwicklung
des Menschen und die Organumgestaltungen, welche der auf-
rechte Gang zur Folge hatte (wie Greifhand mit opponierba-
! hier nicht eingegangen werden soll), ist die Tatsache, daß Lebe-
Vgl. hierzu den Aufsatz ((ZurIdee des Menschen)) (1914)in «Vom Um-
I
rem Daumen, Rückgang des Kiefers und der Zähne), zur Ein- sturz der Werte)). Hier ist nachgewiesen, daß der traditionelle Begriff des
heit des hlenschen zusammenfaßt, bezeichnet aber dasselbe Menschen durch die Ebenbildlichkeit mit Gott konstituiert wird; daß er
i also die Idee Gottes als Bezugszentrurn voraussetzt.
Wort ((Mensch))in der Sprache des Alltags, und zwar bei allen i ' Die Lehre, das Psychische beginne erst mit dem ((assoziativen Gedächt-
Kulturvölkern, etwas total anderes, daß man kaum ein zweites I nis» oder erst im Tiere - oder gar erst irn Menschen (Descartes) -, hat sich
Wort der menschlichen Sprache finden wird, bei dem eine ! als irrig erwiesen. Willkürlich aber ist es, dem Anorganischen Psychisches
analoge Doppeldeutigkeit vorliegt. Es soll auch einen Inbe- zuzuschreiben.

II
Wesen nicht nur Gegenstände für äußere Beobachter sind, son- sen in es nach den Grundrichtungen «oben» und «unten», dem
dern auch ein Fürsich- 1rnd1nneseinbesitzen,.in dem sie sich sel- Lichte und der Erde zu, hingeordnet, aber doch nur auf das
ber inne werden, ein für sie wesentliches Merkmal - ein Merk- unspex$+erte Ganp dieser medialen Richtungen, auf mögliche
mal, von dem man zeigen kann, daß es mit den objektiven Widerstände und Wirklichkeiten - wichtig für das Leben des
Phänomenen des Lebens an Struktur und Ablaufsform die pflanzlichen Organismus - in ihnen, nicht aber auf bestimmte
innigste Seinsgemeinschaft besitzt. Es ist die psychische Seite Umweltbestandteile und -reize, denen besondere Sinnesquali-
der Selbständigkeit, Selbstbewegung etc. des Lebewesens täten und Bildelemente entsprächen. Die Pflanze reagiert z. B.
überhaupt - das ps_ychischeUrphänonzen des Lebens. spezifisch auf die Intensität der Lichtstrahlen, nicht aber dif-
ferent auf Farben und Strahlrichtungen. Nach eingehenden
Die unterste Stufe des Psychischen - zugleich der Dampf, der neueren Untersuchungen des holländischen Botanikers Blaauw
bis in die lichtesten Höhen geistiger Tätigkeit alles treibt, auch kann man der Pflanze keine spezifischen Tropismen, keine
noch den reinsten Denkakten und zartesten Akten lichter Güte Empfindung, auch nicht die kleinsten Anfänge eines Reflex-
die Tätigkeitsenergie liefert - bildet der bewußtlose, empfin- bogens, keine Assoziationen und bedingten Reflexe zuschrei-
dungs- und vorstellungslo~e((Gefiihlsdrang)). I n ihm ist «Ge- ben, und eben darum auch keinerlei «Sinnesorgane», wie sie
fühl» und «Trieb» (der als solcher stets bereits eine spezifische Haberlandt zu umgrenzen gesucht hat. Die durch Reize aus-
Richtung und Zielhaftigkeit «nach» etwas, 2.B. Nahrung, gelösten Bewegungserscheinungen, die man früher auf solche
Sexualbefriedigung, hat) noch nicht geschieden. Ein bloßes Dinge bezog, haben sich als Bestandteile jener allgemeinen
«Hinzu», 2.B. zum Licht, und «Vonweg», eine objektlose Lust Wachstumsbewegungen der Pflanze erwiesen. Fragen wir, was der
und ein objektloses Leiden sind seine zwei einzigen Zuständ- allgemeinste Begriff der «Emp/ind~rng)ist - bei höheren Tieren
lichkeiten. Scharf geschieden ist der Gefühlsdrang aber be- dürften die durch die Blutdrüsen auf das Gehirn ausgeübten
reits von den Kraftzentren und -feldern, die den transbewuß- Reize die primitivsten Empfindungen darstellen und sowohl
ten Bildern zugrunde Liegen, die wir «anorganische» Körper den Organempfindungen als den von Außenvorgängen zu-
nennen; diesen kann ein Innesein in keinem Sinne zugespro- gehenden Empfindungen zu Grunde liegen -, so ist es der
chen werden. Begriff einer spezifischen Riickmeln'rrng eines augenblicklichen
Diese erste Stufe des seelischen Werdeseins, wie sie sich im Organ- und Bewegungszustandes des Lebewesens an ein
Gefühlsdrang darstellt, müssen und dürfen wir schon der Zentrum und eine Modifizierbarkeit der je im nächsten Zeit-
P j a n ~ ezuweisen. Der Eindruck, der Pflanze mangele ein moment folgenden Bewegungen kraft dieser Rückmeldung.
Innenzustand, rührt nur von der Langsamkeit ihrer Lebens- Im Sinne dieser Begriffsbestimmung besitzt die Pflanze keine
vorgänge her; vor der Zeitlupe verschwindet dieser Eindruck Empfindung, kein über die Abhängigkeit ihrer 1,ebenszu-
vollkommen. Keineswegs aber geht es an, wie dies Fechner stände vom Ganzen ihrer Vorgeschichte hinausgehendes spe-
getan hat, der Pflanze auch bereits ((Empfindung))und «Be- zifisches ((Gedächtnis)) und keine eigentliche Lernfähigkeit,
wußtsein)) zuzueignen. Wer wie Fechner Empfindung und wie solche auch die einfachsten Infusorien an den Tag legen.
Bewußtsein als die elementarsten Grundbestandteile des Psy- Untersuchungen, die vermeintlich bei Pflanzen bedingte Re-
chischen ansieht - es geschieht dies mit Unrecht -, der müßte flexe und eine gewisse Dressierbarkeit feststellten, dürften in
der Pflanze die Beseeltheit absprechen. Zwar ist der Gefühls- die Irre gegangen sein.
drang der Pflanze bereits auf ihr Medium, auf ein Hineinwach- Von dem, was wir bei Tieren ((Triebleben))nennen, ist in der
I2
Pflanze nur der allgemeine Drang qu Wach~fumund ForfpJan- Denn Bewußtsein wird erst in der primitiven re-flexio der
qung in den Gefühlsdrang eingeschlossen. Daß Leben nicht Empfindung, und zwar stets gelegentlich auftretender Wider-
wesentlich «Wille zur Macht)) ist, sondern der Drang zu sfände - alles Bewußtsein gründet in Leiden und alle höheren
Fortpflanzung und Tod der Urdrang alles Lebens, beweist Stufen des Bewußtseins in steigendem Leiden - gegenüber der
daher die Pflanze am klarsten. Weder wählt sie spontan ihre ursprünglichen spontanen Bewegung. Mit dem Bewußtsein,
Nahrung, noch verhält sie sich in der Befruchtung aktiv: sie mit der Empfindung fehlt der Pflanze alle Lebens«wachheit»,
wird durch Wind, Vögel und Insekten passiv befruchtet, und die ja aus der Wächterfunktion der Empfindung erst heraus-
da sie die Nahrung, deren sie bedarf, im allgemeinen aus anor- wächst. Empfindungen zu entbehren aber vermag die Pflanze
ganischem Material selbst bereitet, das überall in gewissem eben nur darum, weil sie - der größte Chemiker unter den
Maße vorhanden ist, hat sie es ja auch nicht nötig, sich wie das Lebewesen - ihr organisches Aufbaumaterial aus den anorga-
Tier an bestimmte Orte zu begeben, um Nahrung zu finden. nischen Substanzen selber bereitet. So geht in Ernährung und
Daß die Pflanze nicht den Spielraum der spontanen Ortsbewe- Wachstum, Fortpflanzung und T o d (ohne artspezihierte Le-
gung des Tieres hat, daß sie keine spezifische Empfindung, bensdauer) ihr Dasein auf.
keinen spezifischen Trieb, keine Assoziation, keinen bedingten Jedoch findet sich bereits im pflanzlichen Dasein das Urphä-
Reflex, kein eigentliches Macht- und Nervensystem besitzt, ist nomen des Au~druckrr,eine gewisse Physiognomik ihrer I m e n -
ein Ganqes von Mängeln, das vollständig klar und eindeutig aus zustände, der Zuständlichkeiten des Gefühlsdrangs als des
ihrer Seim-Struktur zu begreifen ist. Man kann zeigen: Hätte Innenseins ihres Lebens, wie matt, kraftvoll, üppig, arm. Der
die Pflanze nur eines von diesen Dingen, s o müßte sie auch das «Ausdruck» ist eben ein Urphänomen des Lebens - keineswegs,
andere und alle anderen haben. Da es keine Empfindung ohne wie Darwin meinte, ein Inbegriff atavistischer Zweckhand-
Triebimpuls und Mitanheben einer motorischen Aktion gibt, lungen. Was dagegen der Pflanze ganz fehlt, das sind die
muß da, wo das Machtsystem fehlt, auch ein System von Kundgabefunktionen, die wir bei allen Tieren finden, die allen
Empfindungen fehlen *. Die hfaniiigfalrigkeit der Sinnes- Verkehr der Tiere miteinander bestimmen, und die das Tier
qualitäten, die ein tierischer Organismus besitzt, ist nie größer bereits weitgehend unabhängig machen von der unmittelbaren
als die Mannigfaltigkeit seiner spontanen Beweglichkeit - und Anwesenheit der Dinge, die für es lebenswichtig sind. Erst
eine Funktion der letzteren. beim Menschen baut sich auf Ausdrucks- und Kundgabe-
Die wesenhafre Richtung des Lebens, die das Wort ((pflanz- funktionen die Darstellungs- und Nennfunktion der Zeichen
lich», «vegetativ» bezeichnet - daß wir es hier nicht mit empi- auf. Das für alle Tiere, die in Gruppen leben, wesentliche Dop-
rischen Begriffen zu tun haben, beweisen die mannigfachen pelprinzip von Pionier und Gefolgschaft, Vormachen und
Ubergangserscheinungen zwischen Pflanze und Tier, die schon Nachmachen, finden wir in der pflanzlichen Welt nicht.
Aristoteles kannte -, ist ein ganz nach außen gerichtetcr Auf Grqnd der mangelnden Zenfralisierq des pflanzlichen
Drang. Daher sprechc ich bei der Pflanze von «ekrrta/ischen~» Lebens, besonders des Fehlens eines Nervensystems, ist die
Gefühlsdrang, um dicses totale Fehlen einer dem tierischen Abhängigkeit der Organe und Organfunktionen bei der
Leben eigenen Rück~//eldirng von Organzuständen an ein Pflanze von Hause aus inniger als bei dem Tiere: Jeder Reiz
Zentrum, dieses völlige Fehlen eiricr Rückwendung des Le- ändert auf Grund des reizleitenden Gewebesystemes der
bens in sich selbst, einer noch so primitiven re-flexio, eines Pflanze in höherem Maße den ganren Lebenszustand, als es
noch so schwach «bewußten» Innenzustandes zu bezeichnen. beim Tiere der Fall ist. Einer mechanischen Lebenserklärung
ist die Pflanze daher schwerer, nicht leichter zugänglich als das Zeiten kontinuierlich durchschneidenden Feuer nicht unter-
Tier (im allgemeinen). Denn erst mit der Zunahme der Zen- hielte- selbst die einfachste Empfindung ist nie bloße Folge des
tralisierung des Nervensystems im Tiere wächst auch die Un- Reizes, sondern immer auch Funktion einer trzebhajten Auf-
abhängigkeit seiner Teilreaktionen - und damit eine gewisse merksamkeit. Gleichzeitig stellt der Drang die Einheit aller
Annäherung des tierischen Körpers an die Maschinenstruktur. reich gegliederten Triebe und Affekte des Menschen dar. Nach
Ferner ist die Individualisierung, d.h. das Mai3 der räum- neueren Forschern dürfte er im Gehirnstamm des hienschen,
lichen und zeitlichen Geschlossenheit, bei der Pflanze weit der wahrscheinlich auch Zentralstelle für die die leiblichen und
geringer als beim Tiere. Da die Pflanze keiner aktiven Anpas- seelischen Vorgänge vermittelnden endokrinen Drüsenfuilk-
sung an die tote und lebendige Umwelt fähig ist, darf man bei tionen ist, lokalisiert sein. Der Gefühlsdrang ist auch im hfen-
den gleichwohl bestehenden teleoklinen Beziehungen, die sie schen das Subjekt jenes primären V4deerstand~-erlebnisses,das
zur anorganischen Zusammensetzung ihres Milieus, ferner zu die Wurzel alles Habens von ((Realität)),von «IVirklzchkeit»ist,
Insekten, Vögeln etc. hat, sagen, daß die Pflanze für die hinter insbesondere auch der Einheit und des allen vorstellenden
allen morphologischen Bilderscheinungen stehende Einheit Funktionen vorangängigen Eindrucks der Wirklichkeit. Vor-
des Lebens im metaphysischen Sinne, und für den allmählichen stellen und mittelbares Denken (Schließen) können uns nie
Werdecharakter aller Arten von Formbildungen des Lebens etwas anderes als das «Sosein» und ((Anderssein))dieser Wirk-
an geschlossenen Stoff- und Energiekomplexen in höherem lichkeit indizieren. Sie selbst als ((Wirklichsein)) des Wirkli-
Maße bürge als das Tier. Ganz und gar versagt für ihre For- chen ist uns nur in einem mit Angst verbundenen allgemeinen
men wie für ihre Verhaltungsweisen das von den Darwinisten Widerstande bzw. einem Erlebnis des Widerstandes gegeben1,
wie den Theisten so maßlos ÜberschätzteNützlichkeitsprinzip - Organologisch stellt das vor allem die Nahrungsverteilung
als sei in einem objektiv-teleologischen Sinne die Pflanze «für» regelnde vegetative Nervensystem, wie schon sein Name sagt,
das Tier, das Tier «für» den Menschen da, als sei ein ?weck- im Menschen die noch in ihm vorhandene Pflanzlichkeit dar.
haftes Streben in der Natur auf den Menschen hin -, ganz und Eine periodische Energieentziehung am animalischen, das
gar auch der Lamarckismus. Die überaus reichen Formen ihrer äußere Machtverhalten regelnden System zu Gunsten des vege-
blättrigen Teile weisen in ihrer Fülle noch eindringlicher als tativen ist wahrscheinlich die Grundbedingung der Rhythmik
die Formen- und Farbenfülle der Tiere auf ein phantasievoll der Schlaf- und Wachzustände. Insofern ist der Schlaf ein
spielendes und nur ästhetisch regelndes Prinzip in der unbe- relativ pflanzlicher Zustand des Menschen. I m Weibe,,,bei
kannten Wurzel des Lebens hin. ausgeprägten Ackerbaustämmen (im Gegensatz zu Tiyküch-
Diese erste Stufe der Innenseite des Lebens, der Gefihls- tern und Nomaden), in dem ganzen (nichtjüdischen) Asien
drang, ist nicht nur in allen Tieren, sondern auch im Menschen scheint das pflanzliche Prinzip (wie schon Fechner bemerkt)
noch vorhanden (Der Mensch - wir werden es sehen - faßt ja im Menschen zu überwiegen.
alle Wesensstufen des Daseins überhaupt, und insbesondere
des Lebens, in sich zusammen und, wenigstens den Wesens- Als die ?weite seelische Wesensform, die dem undifferenzierten
regionen nach, kommt in ihm die ganze Natur zur konzen- ekstatischen Gefühlsdrang in der objektiven Stufenordnung
triertesten Einheit ihres Seins). Es gibt keine Empfindung, Vgl. meine Abhandlungen ((Erkenntnisund Arbeit))in «Die Wissens-
keine Wahrnehmung, keine Vorstellung, hinter der nicht der formen und die Gesellschaft)) (1926) und «Idealismus - Realismus))im
dunkle Drang stünde, die er mit seinem die Schlaf- und Wach- Philosophischen Anzeiger, 2. Jahrg., H. 3 , Bonn 1927.
16
des seelischen Lebens folgt, haben wir das anzusehen, was wir Rhythmus ablaufen. Auf den festen Rhythmus kommt es an,
als «Instinkt» bezeichnen - ein seiner Deutung und seinem nicht etwa auf die Organe, die zu diesem Verhalten benutzt
Sinne nach sehr umstrittenes dunkles Wort. Wir entgehen werden und die bei Wegnahme dieses oder jenes Organs wech-
dieser Dunkelheit dadurch, daß wir uns aller Definition mit seln können; auch nicht auf die Kombination einzelner Bewe-
psychologischen Begriffen zunächst enthalten und den In- gungen, die je nach der Ausgangslage des tierischen Körpers
stinkt (wie auch die folgenden Wcsensstufen) ausschließlich bei gleicher Aufgabe und Leistung wechseln können. Die
vom sog. Verhalten des Lebewesens aus definieren. Das «Ver- amechanische Natur des Instinktes, die Unmöglichkeit, ihn auf
halten» eines Lebewesens ist immer Gegenstand äußerer Beob- kombinierte Einzel- oder Kettenreflexe (wie Loeb auf «Tro-
achtung und möglicher Beschreibung. Es ist unabhängig von pismen») zurückzuführen, ist dadurch gesichert. Solchen
den physiologischen Bewegungseinheiten, die es tragen, fest- Rhythmus, solche Zeitgestalt, deren Teile sich gegenseitig
stellbar, und ebenso feststellbar, ohne daß (physikalische oder fordern, besitzen die durch Assoziation, Ubung, Gewöhnung -
chemische) Reizbegriffe bei seiner Charakteristik eingeführt nach dem Prinzip, das Jennings das von «Versuch und Irr-
werden. Wir vermögen unabhängig und uor aller, sei es physio- tum» genannt hat - erworbenen, gleichfalls sinnvollen Bewe-
logischen, sei es psychologischen, kausalen Erklärung Einhei- gungen nicht. Die Simbeziehung braucht nicht auf gegenwär-
ten und Veränderungen des Verhaltens eines Lebewesens bei tige Situationen zu gehen, sondern kann auch auf zeitlich und
veränderlichen Umgebungsbestandteilen festzustellen und ge- räumlich weit entfernte abzielen. Ein Tier bereitet z. B. für den
winnen damit gesetzliche Beziehungen, die insofern bereits Winter oder für die Eiablage etwas sinnvoll vor, obgleich man
sinnerfüllt sind, als sie ganzheitlichen teleoklinen Charakter nachweisen kann, daß es als Individuum ähnliche Situationen
tragen. Es ist ein Irrtum der ((Behavioristen)),wenn sie in den noch nie erlebte, und daß auch Kundgabe, Tradition, Nachah-
Begriff des Verhaltens bereits den physiologischen Hergang mung von Artgenossen dabei ausgeschaltet ist; es verhält sich
seines Zustandekommens aufnehmen. Wertvoll an dem Be- so, wie sich nach der Quantentheorie schon das Elektron ver-
griff ist gerade dies, daß es einp~_ychopbyisch
indifferenter Begriff hält: «als ob» es einen künftigen Zustand vorhersähe.
ist. D. h. jedes Verhalten ist immer auch Ausdruck von Innen- Ein weiteres Merkmal des instinktiven Verhaltens ist, daß es
zuständen; denn es gibt kein Innerseelisches, das sich nicht im nur auf solche typisch wiederkehrende Situationenanspricht, die
Verhalten umittelbar oder mittelbar «ausdrückt». Es kann für das Artleben als solches, nicht für die Sondererfahrung des
und muß daher immer doppelt erklärt werden, psychologisch Individuums bedeutsam sind. Der Instinkt ist stets art-dienlich,
und physiologisch zugleich; es ist gleich falsch, die psycholo- sei es der eigenen, sei es der fremden Art, mit der die eigene
gische Erklärung der physiologischen wie die letztere der Art in einer wichtigen Lebensbeziehung steht (Ameisen und
ersteren vorzuziehen. Das «Verhalten» ist das deskriptiv Gäste; Gallenbildungen der Pflanzen; Insekten und Vögel, die
«mittlere» Beobachtungsfeld, von dem wir auszugehen haben. die Pflanzen befruchten). Dieses Merkmal scheidet das in-
In diesem Sinne nennen wir «instinktiv» ein Verhalten, das stinktive Verhalten erstens scharf von «Selbstdressur» durch
folgende Merkmale besitzt: Es muß erstens sinnnzajfig sein, d. h. «Versuch und Irrtum)) und allem «Lernen», zweitens von allem
so sein, daß es für das Ganxe des Lebensträgers selbst, seine «Verstandes»gebrauch, die beide, wie wir sehen werden, pri-
Ernährung sowie Fortpflanzung, oder das Ganze anderer mär individual-, und nicht artdienlich sind. Das instinktive
Lebensträger (d. h. eigendienlich oder fremddienlich) teleoklin Verhalten ist daher niemals eine Reaktion auf die von Indivi-
ist. Und es muß zweitens nach einem festen, unveränderlichen duum zu Individuum wechselnden speziellen Inhalte der Um-
I8
welt, sondern je nur auf eine ganz besondere Struktur, eine Der Instinkt ist also schon der Morphogenesis der Lebewesen
arttypische Anordnung der möglichen Umweltteile. Während selbst eingegliedert und im engsten Zusammenhang mit den
die speziellen Inhalte weitgehendst ausgewechselt werden kön- gestaltenden physiologischen Funktionen tätig, welche die
nen, ohne daß der Instinkt beirrt wird und zu Fehlhandlungen Strukturformen des Tierkörpers erst bilden.
führt, wird die kleinste Änderung der Struktur Beirrungen zur Sehr wichtig ist das Verhältnis des Instinktes zu den Emp-
Folge haben. Das ist es, was man als «Starrheit» des Instinktes findungen, zur Tätigkeit der Sinnesfunktionen und -Organe,
bezeichnet, im Unterschied zu den überaus plastischen Ver- auch zum Gedächtnis. Daß Instinkte erst durch äußere Sinnes-
haltungsweisen, die auf Dressur, Selbstdressur und auf Intelli- erfahrungen entstehen (Sensualismus), ist ausgeschlossen. Der
genz beruhen. In seinem gewaltigen Werke «Souvenirs Ento- Empfindungsreiz löst den rhythmisch festen Ablauf der in-
mologiques» hat J.-H. Fabre eine überwältigende Mannigfal- stinktiven Tätigkeit nur aus, ohne seinen So-Ablauf zu deter-
tigkeit solch instinktiven Verhaltens mit größter Präzision ge- minieren. Geruchsempfindungsreize, optische Emphdungs-
geben. Dieser Artdienlichkeit entspricht es, daß der Instinkt in reize können dabei dieselbe Tätigkeit auslösen - es müssen also
seinen Grundzügen angeboren und erblich ist, und zwar als spe- nicht einmal Empfindungen derselben Modalität, geschweige
zifiziertes Verhaltungsvermögen selbst, nicht nur als allge- denn derselben Qualität sein, die diese Auslösung besorgen.
meines Erwerbungsvermögen von Verhaltungsweisen, wie Wohl aber gilt der umgekehrte Satz: Was ein Tier vorstellen
es natürlich auch Gewöhnbarkeit, Dressierbarkeit und Ver- und empfinden kann, ist durch den Bezug seiner angeborenen
ständigkeit sind. Die Angeborenheit besagt indessen nicht, Instinkte zur Umweltstruktur a priori beherrscht und bestimmt.
daß das instinktiv zu nennende Verhalten sich sogleich nach Dasselbe gilt von seinen Gedächtnisreproduktionen: sie erfol-
der Geburt abspielen müßte, sondern bedeutet nur, daß es be- gen stets im Sinne und im Rahmen seiner vorherrschenden
stimmten Wachstums- und Reifeperioden, eventuell sogar ver- Instinktaufgaben, ihrer Oberdetermination, und erst in se-
schiedenen Formen der Tiere (bei Polymorphismus) zugeord- kundärer Weise ist die Häufigkeit der assoziativen Verknüp-
net ist. fungen der bedingten Reflexe und der Ubungen von Bedeu-
Sehr wichtig als Merkmal des Instinktes ist endlich, daß tung. Das Tier, das sehen und hören kann, sieht und hört nur
er ein Verhalten darstellt, das von der Zahl der Versuche, das, was für sein instinktives Verhalten bedeutsam ist - auch
die ein Tier macht, um einer Situation zu begegnen, unabhän- bei gleichen Reizen und sensorischen Bedingungen der Emp-
gig ist: in diesem Sinne kann er als von vornherein «fertig» 5 findung. Alle afferenten Nervenbahnen und Rezeptionsorgane
bezeichnet werden. So wenig wie die eigentliche Organisation für Reize haben sich auch entwicklungsgeschichtlich erst nach
des Tieres durch kleine differentielle Variationsschritte ent- der Anlage von efferenten Nervenbahnen und Erfolgsorganen
standen gedacht werden kann, ebensowenig der Instinkt durch P
gebildet. Noch im Menschen liegt dem Sehen der Trieb zum
Addition erfolgreicher Teilbewegungen. Wohl ist der In- Sehen, und diesem der allgemeine Wachtrieb zu Grunde; der
stinkt durch Erfahrung und Lernen spezialisierbar, wie man Schlaftrieb sperrt Sinnesorgane und -funktionen zu. SO ist
2.B. an den Instinkten der Jagdtiere sieht, denen zwar das Gedächtnis wie Sinnesleben ganz vom Instinkt gleichsam
Jagen auf ein bestimmtes Wild, nicht aber die Kunst, es er- umschlossen, in ihn eingesenkt. Die sog. «Trieb»handlungen
folgreich auszuüben, angeboren ist. Das aber, was Ubung und des Menschen sind darin das absolute Gegenteil der Instinkt-
Erfahrung hier leistet, entspricht immer nur gleichsam den handlung, daß sie, ganzheitlich betrachtet, ganz sinnlos sein
Variationen einer Melodie, nicht der Erwerbung einer neuen. können (2.B. die Sucht nach Rauschgift).
21
welche auch morphologisch eine ganz andere und viel starrere keit dar, die wir als «asso~iatives Gedächtnis)) (Mneme) be-
Grundlage ihrer Organisation besitzen als die höheren Tiere, zeichnen. Diese Fähigkeit kommt keineswegs allen Lebewesen
die Instinkte am vollkommensten besitzen, kaum aber Zeichen I zu; sie fehlt den Pflanzen, wie schon Aristoteles gesehen hat.
eines verständigen (intelligenten) Verhaltens von sich geben, Zusprechen müssen wir sie jedem Lebewesen, dessen Verhal-
dagegen der Mensch als plastischer Säugetiertypus, bei dem die ten sich auf Grund früheren Verhaltens gleicher Art in einer
Intelligenz und nicht minder das assoziative Gedächtnis am lebensdienlichen, also sinnvollen Weise langsam und stetig
höchsten entwickelt ist, stark ~urückgebildeteInstinkte besitzt. Y abändert, d. h. so, daß das jeweilige Maß, in welchem sein Ver-
Auf alle Fälle ist die seelische Grundform des Instinktes an die halten sinnvoller wird, in strenger Abhängigkeit steht von der
tierische und in atavistischen Resten an die menschliche Form Zahl der Versuche oder der sog. Probierbewegungen. DaJ ein
des Lebens geknüpft. Tier überhaupt spontan Probierbewegungen macht (auch die
Versucht man das instinktive Verhalten psychisch zu deuten, spontanen Spielbewegungen z. B. der jungen Hunde und Pferde
so stellt es eine untrennbare Einheit von Vor- Wissen und Hand- lassen sich dazu rechnen), daß es ferner die Bewegungen zu
lung dar, sodaß niemals m ~ b rWissen gegeben ist, als in den wiederholen tendiert, gleichgültig, ob sie Lust oder Unlust im
nächsten Schritt der Handlung gleichzeitig eingeht. Zwar Gefolge haben, beruht nicht auf dem Gedächtnis, sondern ist
liegt schon der Anfang der Trennung von Sensation und aller Reproduktion Voraussetzung: ein selbst eingeborener
Renktion vor (Keflexbogen), aber es besteht noch der engste Trieb (Wiederholungstrieb). Daß es aber diejenigen Bewe-
Zusammenhang beider in der Funktion. Ferner ist das Wissen, gungen, die hierbei Erfolg hatten für irgend eine positive
das ~ I T IInstinkte liegt, nicht sowohl ein Wissen durch Vorstel- Triebbefriedigung, später häufiger zu wiederholen sucht -
lungen und Bilder oder gar durch Gedanken, sondern ein sodaß sie sich in ihm ((fixieren))- als diejenigen, die Mißerfolg
Fiihlcn wertbetonter und nach Werteindrücken differenzierter, hatten, ist eben die Grundtatsache, die wir mit dem Prinzip
anziehender und abstoßender Widerstände. Von ((eingeborenen von ((Erfolg und Irrtum)) bezeichnen. Wo wir solche Tat-
Vorstellungen)) bei Instinkten zu reden, wie es Reimarus ge- sachen finden, sprechen wir von «Sfbung», wo es sich nur um
tan hat, hat also keinen Sinn. das Quantitative handelt, von «Erwerbung» von Gewohnhei-
Im Verhältnis zum Gefühlsdrang ist der Instinkt bereits ten in qualitativer Hinsicht, je nachdem von Selbstdressur
zwar auf artmäßig hänjig wiederkehrende, aber doch spe&ische - oder, wenn der Mensch eingreift, von Fremddressur.
inhaltlich verschiedene, daher nicht ohne Wahrnehmung gege- Diese psychische und physiologische Fähigkeit allem organi-
bene - Bestandteile der Umwelt gerichtet. Er stellt als solcher schen Leben zuzusprechen (wie Hering und Semon wollten),
eine zunehmende Spezialisierung des Gefühlsdrangs und seiner wäre richtig nur, wenn man damit sagen will, daß das Ver-
Qualitäten dar. halten alles Lebendigen niemals nur von dem zeitlich unmittel-
bar vorgehenden Zustand des Organismus, sondern von seiner
Unter den zwei Verhaltungsweisen, die, wie wir sahen, beide ganzen Vorgeschichte abhängig ist, daß Lebendiges - im Un-
ursprünglich aus dem instinktiven Verhalten hervorgehen, das terschied vom (phänomenal) Toten - keine streng soseinsidenti-
((gewohnheitsmäßige)) und das ((intelligente)) Verhalten, stellt schen Zustände besitzt, daß also gleiche Ursachen und gleiche
das ({gewohnheitsmäßige))- die dritte psychische Form, die Wirkungen hier nicht vorkommen. Es ist aber falsch, wenn man
wir unterscheiden - den Inbegriff der Tatsachen der Asso- damit meint, daß spezielle sensomotorische Verhaltungsweisen
ziation, Reproduktion, des bedingten Reflexes, d. h. jene Fähig- bei allem Lebendigen einen bestimmenden Einfluß auf den
zj
psychisches Leben immer mehr rein gewohnheitsmaJ&e Verbin- artig geschossenem Bau zeigen es am wenigsten, die Tiere von
dungen von Vorstellungen und Verhaltungsweisen hervor: plastischer, wenig starrer Organisation mit großer breiter
der hiensch wird im Altern immer mehr der Sklave der Ge- Kombinierbarkeit immer neuer Bewegungen aus Teilbewegun-
wohnheit. (Ferner folgen die Assoziationen von Einselvorstel- gen (Säuge- und Wirbeltiere) zeigen es am schärfsten. I m hfen-
lungen genetisch den Komplexassoziationen, die ihrerseits dem schen nimmt das Prinzip der Assoziation, Reproduktion, die
instinktiven Ablauf noch näher stehen.) Genau so wie die größte Ausdehnung an. Eng verbindet sich das Prinzip vom
iiüchterne Wahrnehmung von Tatbeständen ohne Phantasie- ersten Augenblick seines Auftretens an mit der Handlungs- und
überschuß bzw. ohne mythische Verarbeitung ein Spätphä- Bewegungsnachahmzing auf Grund des Affektausdruckes und
nomen der seelischen Entwicklung ist für den einzelnen bzw. der Signale der Artgenossen. «Nachahmung» und «Kopieren»
für ganze Völker - das ganze Leben der Völker in ihrer mytho- sind nur Spezialisierungen jenes Wiederholungstriebes, ange-
logischen Jugendperiode, nicht minder das seelische Leben wandt auf fremde.r Verhalfen und Erleben, der zunächst eigenen
des Kindes ist überwuchert und zugedeckt von der spontanen Verhaltungsweisen und Erlebnissen gegenüber tätig ist und
ursprünglichen Trieb- und Wunschphantasie -, so ist auch die sozusagen den Dampf alles reproduktiven Gedächtnisses dar-
(gehirnphysiologisch sehr hoch lokalisierte) assoziative Ver- stellt. Durch die Verknüpfung beider Erscheinungen bildet
bindung ein solches Spätphänomen'. Sie ist also nichts weniger sich erst die wichtige Tatsache der ((Tradition)),die zu der biolo-
als ein Elementarphänomen, zu dem später synthetisierende gischen «Vererbung» eine ganz neue Dinlension der Bestim-
Bindungen durch ein sog. ((beziehendes Denken)) oder eine mung des tierischen Verhaltens durch die Vergangenheit des
«Oberseele» träten. Lebens der Artgenossen hinzubringt, jedoch von aller freibe-
Das assoziative Gedächtnis ist auch darin nie «rein», daß es, wußten ((Erinnerung))an Vergangenes (Anamnesis) und von
wie sich gezeigt hat, fast keine Assoziation gibt, die ganz ohne aller Überlieferung auf Grund von Zeichen, Quellen, Doku-
intellektuellen Einschlag ist. Niemals findet sich der Fail, daß menten, (allem Geschichtswissen) aufs allerschärfste geschieden
der Übergang von assoziativer Zufallsreaktion zu sinnmäßiger werden muß. Während diese letzteren Formen nur dem Men-
Reaktion streng stetig mit der Zahl der Versuche wächst. Die schen eigentümlich sind, tritt die Tradition schon in den Hor-
Kurven zeigen fast immer Unstetigkeit, und zwar in dem den, Rudeln und sonstigen Gesellschaftsformen der Tiere auf:
Sinne, daß die Wendung von Zufall zu Sinn schon etwas auch hier lernt»« die Herde, was die Pioniere vormachen, und
frcher eintritt, als das reine Prinzip von «Versuch und Irrtum)) vermag es kommenden Generationen zu überliefern.
nach den Wahrscheinlichkeitsregeln erwarten läßt - so, als Ein gewisser «Fortschritt» ist daher schon durch die Tradi-
sei durch die Zahl der Versuche so etwas wie «Einsicht» ge- tion möglich. Doch beruht alle echte menschliche Entwicklung
weckt worden. wesentlich auf einem zunehmenden Abbau der Tradition. Be-
Das Prinzip des assoziativen Gedächtnisses ist in irgend wußte «Erinnerung» an individuelle, einmalig erlebte Ge-
einem Grade bereits bereits bei allen Tieren tätig und stellt sich schehnisse und stetige Identifikation einer Mehrheit von Erin-
als unmittelbare Folge des Auftretens des Rejexbogens, der nerungsakten untereinander auf ein und dasselbe Vergangene
Scheidung des sensorischen vom motorischen Systeme dar. I n hin ist nur dem Menschen eigen; sie stellt stets die Auflösung,
der Größe seiner Verbreitung gibt es aber gewaltige Unter- ja die eigentliche Tötung der lebendigen Tradition dar. Die
schiede. Die typischen Instinkttiere (Gliedertiere) mit ketten- tradierten Inhalte sind uns ja gleichwohl stets als ((gegenwärti-
' Vgl. hienu meine Abhandlung ((Erkenntnis und Arbeit)), Abschn. V. ge» gegeben, sind zeitlich undatiert; sie erweisen sich als wirk-
28
Sam auf unser gegenwärtiges Tun, ohne aber selbst dabei in ein mächtiges Werkzeug der Befreiung.Es schafft eine ganz neue
einer bestimmten Zeitdistanz gegen~tändlichzu werden: die Ver- Dimension des Reicherwerdens des Lebens.
gangenheit ~uggeriertuns mehr in der Tradition, als daß wir um Das gilt auch für die Triebe, Gefühle, Affekte. Der vom In-
sie wissen1». Die Abtragung der Traditionsgewalt schreitet in stinkt entbundene Trieb erscheint relativ schon bei den höheren
der menschlichen Geschichte zunehmend fort; sie ist eine Lei- Tieren - damit freilich auch der Horizont der Maßlosigkeit: er
stung der Ratio, die stets in ein und demselben Akte einen tra- wird schon hier mögliche Lustquelle, unabhängig vom Ganzen
dierten Inhalt objektiviert und in die Vergangenheit, in die er der Lebenserfordernisse. Nur solange z. B. der Sexualimpuls
gehört, gleichsam xurückwirft - damit den Boden freimachend eingebettet ist in die tiefe Rhythmik der mit dem Wandel der
für je neue Entdeckungen und Erfindungen. Die sehr langsame Natur einhergehenden Brunstzeiten, ist er ein unbestechlicher
Abtragung der Wirksamkeit all dieser Mächte, welche «die Ge- i
wohnheit zur Amme des Menschen machen)), ist ein wesentli-
cher Teil aller Geschichte. Der Druck, den die Tradition auf
unser Verhalten vorbewußt ausübt, nimmt in der Geschichte
~~ Diener des Lebens. Herausgelöst aus der instinktivenRhythmik,
wird er mehr und mehr selbständigeQuelle der L u t - und kann
schon bei höheren Tieren, insbesondere bei gezähmten, den
biologischen Sinn seines Daseins weit überwuchern (z. B. Ona-
durch die fortschreitende Geschichtswi~~en~chaft zunehmend nie bei Affen, Hunden). Wird das Triebleben, das ursprünglich
ab. i
i durchaus auf Verhaltungsweisen und Güter, und keineswegs auf
Die Wirksamkeit des assoziativen Prinzips bedeutet im Auf- die Lust als Gefühl gerichtet ist, vom Menschen prinzipiell als
bau der psychischen Welt zugleich Zerfall des Instinktes und
seiner Art von «Sinn» und Fortschritt der Zentralisierung und
Ii Lustquelle benutzt, wie in allem Hedonismus, so haben wir es
mit einer spätenDekadenzerscheinungdes menschlichenLebens
gleichzeitigen Mechanisierung des organischen Lebens. Sie zu tun. Die rein auf die Lust gerichteteLebenshaltung stellt eine
.I
bedeutet ferner zunehmende Herau~/Ömngdes organischen Indi- ausgesprochene Alterserscheinung des individuellen wie des
I
v i d m aus der Artgebundenheit und der anpassungslosen ! Völker-Lebens dar, wie etwa der alte, «den Tropfen kostende))
Starrheit des Instinktes. Denn erst durch den Fortschritt dieses Trinker und analoge Erscheinungen im Erotischen bezeugen.
Prinzips vermag das Individuum sich je neuen, d. h. nicht-art- 1 Ebenso ist die Trennung der höheren und niederen seelischen
typischen Situationen anzupassen. Es hört damit auf, nichts
weiter zu sein als ein Durchgangspunkt von Fortpflanzungs-
1 Funktionsfreuden von der Zustandslust der Triebbefriedigung
und das Überwuchern der Zustandslust über die vitalen und
Prozessen. Ist das Prinzip der Assoziation im Verhältnis zur geistigen Funktionsfreuden eine Alterserscheinung *. Das
praktischen Intelligenz (wie wir sehen werden) noch ein rela- ((Lustprinzip))ist also nichts Ursprüngliches, wie der Hedonis-
tive~Prinzip der Starrheit und Gewohnheit - ein ((konservati- mus, ein Bruder des Sensualismus, meint, sondern Folge erst
ves Prinzip))-, so ist es im Verhältnis zum Instinkt also bereits gesteigerter assoziativer Intelligenz. Erst im Menschen nimmt
' Die Suggestion, nach P. Schilder wahrscheinlich auch die Hypnose, ijt 1 diese Isolierbarkeit des Triebes aus dem instinktiven Verhalten
eine schon in der Tierwelt weit verbreitete Erscheinung; letztere dürfte als und die Trennbarkeit von Funktions- und Zustandslust die
Hilfsfunktion der Begattung entstanden sein und diente wohl zuerst dem ungeheuerlichsten Formen an, so daß man mit Recht gesagt hat,
Ziele, das Weibchen in den Zustand der Lethargie zu versetzen. Die Sugge-
der Mensch könne immer mehr oder weniger als ein Tier sein,
stion ist eine primäre Erscheinung gegenüber der «Mitteilung)>,z.B.eines
Urteils, dessen Sach-Sinnverhalt selbst im ((Verstehen))erfai3t wird. Dieses niemals aber - ein Tier.
letztere Verstehen von gemeinten Sachverhalten, die in einem sprachlichen
1
Satz beurteilt werden, findet sich nur beim Menschen.
I
Wo immer die Natur diese neue psychische Form des assozia- wäre. Positiv ausgedrückt: als Einsicht in einen Sachverhalt
tiven Gedächtnisses aus sich hervorgehen ließ, hat sie, wie ich (seinem Dasein und zufälligen Sosein nach) auf Grund eines
schon andeutete, zugleich das Korrektiv für ihre Gefahren Beziehungsgefüges, dessen Fundamente zu einem Teil in der
schon in die ersten Anlagen dieser Fähigkeit mit hineingelegt. Erfahrung gegeben sind, zum anderen Teile antizipatorisch in
Dieses Korrektiv ist nichts anderes als die prinzipiell noch orga- der Vorstellung, z. B. auf einer bestimmten Stufe optischer An-
nifch gebundenepraktide Intelligenz, wie wir sie nennen wollen - schauung, hinzu ergänzt werden. Für dieses nicht reproduk-
die vierte Wesensform des psychischen Lebens. Eng mit ihr ein- tive, sondernproduktive Denken ist also kennzeichnend immer
her geht die, ebenso noch organisch gebundene, Wahlfähigkeit die Antizipation, das Vorher-Haben eines neuen, nie erlebten
und Wahlhandlung, die Vorzugsfähigkeit zwischen Gütern Tatbestandes (pro-videntia, Klugheit, Schlauheit, List).
und die über den bloßen Geschlechtstrieb hinausgehende Vor- Der Unterschied der Intelligenz gegenüber dem assoziativen
zugsfähigkeit zwischen den Artgenossen im Prozeß der Fort- Gedächtnis liegt klar zu Tage: Die zu erfassende Situation, der
pflanzung (Anfänge des Eros) *. im Verhalten praktisch Rechnung zu tragen ist, ist nicht nur
Auch das «intelligente» Verhalten können wir definieren zu- artneu und atypisch, sondern vor allem auch dem Indivihm
nächst ohne Hinblick auf die psychischen Vorgänge. Ein Lebe- «neu». Ein solches objektiv sinnvolles Verhalten erfolgt plötz-
wesen verhält sich <<intelligent»,wenn es ohne Probierversuche lich, und zeitlich vor neuen Probierversuchen und unabhäng?<von
oder je neu hinzutretende Probierversuche ein sinngemäßes - der Zahl der vorhergehenden Versuche. Schon im Ausdruck
sei es «kluges», sei es das Ziel zwar verfehlendes, aber doch drückt sich diese Plötzlichkeit aus, 2.B. im Aufleuchten des
merkbar anstrebendes, d. h. «törichtes» («töricht» kann nur Auges des Tieres, was Wolfgang Köhler sehr plastisch als Aus-
sein, wer intelligent ist) - Verhalten neuen, weder art- noch indi- druck eines «Aha»-Erlebnisses deutet. Ferner: Nicht Verbin-
vidualtypischen Situationen gegenüber vollzieht, und zwar dungen von Erlebnissen, die nur gleichzeitig gegeben waren
plötzlich und vor allem unabhängig von der An@/ der vorher ge- oder in ihren Teilen partiell identisch d. h. ähnlich sind, rufen
machten Versuche, eine triebhaft bestimmte Aufgabe zu lösen. hier die neue Vorstellung hervor, die eine Lösung der Aufgabe
Wir sprechen von ((organisch gebundener))Intelligenz, solange enthält; auch nicht feste, typisch wiederkehrende Gestaltstruk-
als das innere und äußere Verfahren, welches das Lebewesen turen der Umwelt lösen das intelligente Verhalten aus - viel-
einschlägt, im Dienste einer 'rriebregung oder einer Bedürfnis- mehr sind es vom Triebziel determinierte, gleichsam alrsge-
stillung steht, und wir nennen diese Intelligenz auch «prak- wählte Sachbeziehungen der wahrgenommenen einzelnen Umwelt-
tisch)), da ihr Endsinn immer ein Handeln ist, durch das der teile zueinander, welche das Aufspringen der neuen Vorstellung
Organismus sein Trieb-Ziel erreicht (bzw. verfehlt). Dieselbe zur Folge haben: Beziehungen wie gleich, ähnlich, analo,0 zu X,
Intelligenz kann beim Menschen in den Dienst spezifisch gei- hfittelfunktion zur Erreichung von etwas, Ursache von etwas.
~tigerZiele gestellt werden; erst dann erhebt sie sich über O b das Tier, insbesondere die höchstorganisierten Menschen-
Schlauheit und List. affen, die Schimpansen, die hier geschilderte Stufe des psychi-
Gehen wir auf die psychische Seite hinüber, so können wir schen Lebens erreicht haben oder nicht, darüber herrscht heute
Intelligenz definieren als die plötzlich aufspringende Einficht in ein verwickelter und unerledigter Streit, der hier nur ober-
einen zusammenhängenden Such- und Wertverhalt innerhalb der flächlich berührt werden kann. Seit Wolfgang Köhler seine, auf
Umwelt, der weder direkt wahrnehmbar gegeben ist noch auch der deutschen Versuchsstation in Teneriffa mit erstaunlicher
je vorher wahrgenommen wurde, d. h. reproduktiv verfügbar Geduld, Genauigkeit und Ingeniosität vorgenommenen, lang-
32
jährigen Versiiche mit Schimpansen veröffentlicht hat1, ist die- ßepugscharakter «Ding zum Fruchtholen)) erhalten; nicht also
ser Streit nicht verstummt, an dem sich fast alle Psychologen nur wirkliche Stöcke, dic den Astcn ährilich sind, an denen im
beteiligt haben. Mit vollem Recht spricht meines Erachtens normalen Baumlebeii des Tieres Früchte hängen - das könnte
Köhler seinen Versuchstieren einfachste Intelligenzhandlungen noch als Instinkt gedeutet werden -, sondern auch ein Stück
im oben definierten Sinne zu. Andere Forscher bestreiten sie - Draht, Strohhalme, eine Strohhutkrempe, eine Ilecke, die das
fast jeder sucht mit anderen Gründen die alte Lehre zu stützen, 'l'ier aus seinem Schlafraum holt, um eine direkt nicht erreich-
es komme den Tieren nichts weiter zu als assoziatives Gedächt- bare, außerhalb des Käfigs liegende Frucht heranzuziehen:
n i s und Instinkt, und es sei Intelligenz auch schon als primitive
kurz alles, was die abstrakte Vorstellung ((beweglich und lang-
Schlußfolgerung (ohne Zeichen) ein, ja das Monopol des Men- gestreckt)) erfüllt. Die Triebdynamik im Tiere selbst ist es, die
schen. Die Köhlerschen Versuche bestanden darin, daß zwi- sich hier zu versachlichen und in die Umgebungsbestandteile
schen Triebziel (z. B. eine Frucht) undTier steigend verwickelte liinein zu erl~i~iternbeginnt. Der betreffende Gegenstand, den
Umwege oder Hindernisse oder als mögliche «Werkzeuge» das Tier gebraucht, erhält dcn (allerdings nur okkasionellen)
dienende Gegenstände (Kisten, Seile, Stöcke, mehrere ineinan- dynamischen Funktions\&-erteines «\Y'erkzeugs», eines ((etwas
der schiebbare Stöcke, Stöcke, die erst herbeizuschaffen oder
zur Annäheruns der Fruclit)); er erhält den Charakter der sinn-
als solche zu präparieren waren) eingeschoben wurden und mäßigen Gerichtettieit auf das optisch gegebene, stark aufleuch-
dann beobachtet wurde, ob, wie und mit welchen vermutlichen tende Ziel hin: das Seil, der Stock selbst scheint sich dem Tiere
psychischen Funktionen das Tier nun sein Triebziel zu errei- auf das Ziel hin zu «richten», wenn nicht hinzubewegen. Bei
chen wisse und wo hier die genau bestimmbaren Grenzen seiner der viel größeren Nachgiebigkeit des tierischen (auch des kind-
Leistungsfähigkeit liegen. Die Versuche erwiesen nach meiner lichen und primitiv-mensclilichen) optischen Komplexes für
Ansicht klar, daß die Leistungen derTiere nicht alle aus Instink- f Begicrderi, Triebe, \Vunschziele ist es nicht ausgeschlossen, daß
ten und dazutretenden assoziativen Vorgängen (Gedächtnis- diese Verlagerung gleichsam des Triebimpulses in die Umwelt-
komponenten vorhandener Vorstellungsverbindungen) abge- dinge hinein («als wollten diese selber alle zur Frucht hin)), nicht
leitet werden können, daß vielmehr in einigen Fällen echte In- nur das Tier) auch optische Bewegungserscheinungen des
telligenphandlungen vorliegen. Stockes in die Richtung der Frucht auftreten läßt (eine Er-
Was an solch praktisch-organisch gebundener Intelligenz scheinung, die E. R. Jaensch für die optischen Anschauungs-
vorzuliegen scheint, sei kurz skizziert: Indem das Triebziel, bilder bei Kindern nachwies). Das Kausal- oder E'irkphänomen
z. B. eine Frucht, dem Tiere optisch aufleuchtet und sich gegen- - ein dynamisches Phänomen, das keineswegs in ein regelmäßi-
über dem optischen Umwelt-Felde scharf abhebt und verselb- ges Nacheinander der Erscheinungen aufgeht, wie Hume ver-
ständig, bilden sich alle Gegebenheiten, die die Umwelt des meinte - dürften wir hier in seinem ersten Ursprung belau-
Tieres enthält, eigenartig um, insbesondere das ganze optische schen: als ein Phänomen, das in der I/ergegenständichutlg der er-
Feld zwischen Tier und Frucht. Es strukturiert sich in seinen lebten Triebharrdlz~r~qskar,sa/ität
auf die Dinge der Umwelt beruht
Sachbezügen so, erhält ein derartiges relativ ((abstraktes))Relief, und hier mit ~thIittcl))sei~~
noch vollständig zusammenfällt. Ge-
daß Dinge, die, für sich wahrgenommen, dem Tier entweder
wiß findet die beschriebene Umstrukturierung beim Tiere nicht
gleichgültig oder als «etwas zum Beißen)),«etwas zum Spielen)), durch bewußte, reflexive Tätiskeit statt, sondern durch eine
«etwas zum Schlafen)) erscheinen, den abstrakten 4namischen Art anschaulicher IJmstellring der Umweltgegebenheiten selbst.
' In den Abhandi. d. Preuss. Akad. der Wissenschaften, Berlin 1917/18 Aber es ist doch echte Intelligenz, Erfindung, und nicht nur
34 31
Instinkt und Gewohnheit. Der große Unterschied der Bega- dem Menschen Intelligenz und Wahl vorbehalten und sie dem
bung der Tiere zu solchem Verhalten bestatigt übrigens den Tiere absprechen: sie erkennen zwar einen überquantitiven Un-
intelligenten (nichtinstinktiven) Charakter dieser Handlungen. terschied, einen Wesensunterschied an, behaupten ihn aber da,
Für Wahl und Wahlhandlung gilt ähnliches. Es ist irrig, dem wo nach meiner Ansicht kein Wesensunterschied vorliegt. Die
Tiere die Wahlhandlung abzusprechen, zu meinen, daß immer anderen, insbesondere alle Evolutionisten der Darwin- und La-
nur der je stärkere Einzeltrieb es (nach dem Resultantenprin- marckschule, lehnen mit Darwin, G. Schwalbe und auch mit
zip) bewege. Das Tier ist kein Triebmechanismus, so wenig als W. Köhler einen letzten Unterschied zwischen Mensch und
es ein Instinktautomatismus und Assoziations- und Reflexme- Tier ab, eben weil das Tier auch bereits Intelligenz besitze; sie
chanismus ist. Nicht nur sind seine Triebimpulse nach führen- hängen damit in irgendeiner Form der großen Einheitslehre
den Obertrieben und ausführenden Unter- und Hilfstrieben, vom Menschen an, die ich als Theorie des «homo faber)) be-
ferner nach Trieben zu allgemeineren und spezielleren Leistun- zeichne, und kennen selbstverständlich dann auch keinerlei
gen bereits scharf gegliedert - es vermag darüber hinaus auch metaphysisches Sein, keine Metaphysik des Menschen, d. h.
von seinem Triebsentrim her, das es (im Gegensatz zur Pflanze) kein ausgezeichnetes Verhältnis, das der Mensch als solcher
entsprechend dem Maß der Einheitsstrukrur seines Nerven- zum Weltgrund besäße.
systems hat, spontan in seine Triebkonstellation einzugreifen Was mich betrifft, so weise ich beide Lehren zurück. Ich be-
und, bis zu einer gewissen Grenze, nahewinkende Vorteile zu haupte: Das Wesen des Menschen und das, was man seine
meiden, um zeitlich entferntere und nur auf Umwegen zu ge- «Sonderstellung» nennen kann, steht hoch über dem, was man In-
winnende, aber größere Vorteile zu erreichen. Das, was das telligenz und Wahlfähigkeit nennt, und würde auch nicht er-
Tier sicher nicht hat, ist erst jenes Vorziehen zwischen IY'erten reicht, wenn man sich diese Intelligenz und Wahlfähigkeit
selbst - z. B. das Vorziehen des Nützlichen als Wert vor dem quantitativ beliebig, ja bis ins Unendliche gesteigert vorstellte1.
Angenehmen als Wert, unabhängig von den einzelnen konkre- Aber auch das wäre verfehlt, wenn man sich das Neue, das den
ten Giiterdingen, -und die eng dazugehörige ((Gesinnung*». In Menschen zum Menschen macht, nur dächte als eine zu den
allem Affektiven steht das Tier dem Menschen sogar noch viel psychischen Stufen: Gefühlsdrang, Instinkt, assoziatives Ge-
näher als in Bezug auf Intelligenz. Geschenk, Hilfsbereitschaft, dächtnis, Intelligenz und Wahl noch hinzukommende neue
Versöhnung und ähnliches kann man bereits bei Tieren finden. Wesensstufe p.ychischer und der Vitalsphäre angehöriger Funk-
tionen und Fähigkeiten, die zu erkennen also in der Kompetenz
der Psychologie und Biologie läge.
Hier aber erhebt sich nun die für unser ganzes ProbIem ent- Das neue Prinzip steht auJerha/b alles dessen, was wir «Le-
scheidende Frage: Besteht dann, wenn dem Tiere bereits Intelli- ben)) im weitesten Sinne nennen können. Das, was den Men-
genz zukommt, überhaupt noch mehr als ein nur gradueller Un- schen allein zum «Menschen» macht, ist nicht eine neue Stufe
terschied zwischen Mensch und Tier - besteht dann noch ein des Lebens - erst recht nicht nur eine Stufe der einen Manifesta-
Wesensunterschied? Oder aber gibt es über die bisher behandcl- tionsform dieses Lebens, der «Psyche» -, sondern es ist ein
ten Wesensstufen hinaus noch etwas ganz anderes imMenschen, allem undjedem Leben überhaupt, auch dem Leben im Menschen ent-
ihm spezifisch Zukommendes, was durch Wahl und Intelligenz
überhaupt nicht getroffen urid erschöpft ist?
' Zwischen einem klugen Schimpansen und Edison, dieser nur als Tech-
niker genommen, besteht nur ein - allerdings sehr großer - gradueIler Un-
Hier scheiden sich die Wege am schärfsten. Die einen wollen terschied.

36 37
gepgesetqtes Printip: eine echte neue Wesenstatsache, die als «Widerstands»- und Reaktionszentren seiner Umwelt, die das
solche überhaupt nicht auf die ((naturliche Lebeiisevolution» Tier allein hat und in die es ekstatisch aufgeht, zu ((Gegenstän-
zurückgeführt werden kann, sondern, wenn auf etwas, nur auf den» zu erheben und das Sosein dieser Gegenstände prinzipiell
den obersten einen Grund der Dinge selbst zurückfällt: auf den- selbst zu erfassen, ohne dieBeschränkung, die diese Gegenstands-
selben Grund, dessen eine große hlanifestation das «Leben» ist. welt oder ihre Gegebenheit durch das vitale Triebsystem und
Schon die Griechen behaupteten ein solches Prinzip und die ihm vorgelagerten Sinnesfunktionen und Sinnesorgane er-
nannten es «Vernunft1».Wir wollen lieber ein umfassenderes fährt.
Wort für jenes X gebrauchen, ein Wort, das wohl den Begriff Geist ist daher Sachlichkeit, Bestimmbarkeit durch das So-
«Vernunft» mitumfaßt, aber neben dem «/deendenkerr» auch sein von Sachen selbst. Geist «hat» nur ein zu vollendeter
eine bestimmte Art der «-4nschardung»,die von Urphänomenen Sachlichkeit fähiges Lebewesen. Schärfer gesagt: Nur ein sol-
oder Wesensgehalten, ferner eine bestimmte Klasse volitiver und ches Wesen ist «Trager» des Geistes, dessen prinzipieller Ver-
emotionaler Akte wie Güte, Liebe, Reue, Ehrfurcht, geistige kehr mit der Wirklichkeit außerhalb seiner wie mit sich selber
Verwunderung, Seligkeit und Verzweiflung, die freie Ent- sich im Verhältnis zum Tiere mit Einschluß seiner Intelligenz
scheidung mitumfaßt -: das Wort <<Geist».Das Aktzentrum dynamisch geradezu utngekehrt hat.
aber, in dem Geist innerhalb endlicher Seinssphären erscheint, Was ist diese «Umkehrung»?
bezeichnen wir als «Person», in scharfem Unterschied zu allen Beim Tiere - o b hoch oder niedriger organisiert - geht jede
funktionellen Leberiszentren, die nach innen betrachtet auch Handlung, jede Reaktion, die es vollzieht, auch die ((intelli-
«seelische» Zentren heißen. gente)), aus von einer physiologischen Zuständlichkeit seines
Was aber ist nun,jener «Geist», jenes neue und so entscheidende Nervensystems, der auf der psychischen Seite Instinkte, Trieb-
Prinzip? Selten ist mit einem Worte so viel Unfug getrieben impulse und sinnliche Wahrnehmungen zugeordnet sind. Was
worden-einemworte, bei dem sich nur wenige etwas Bestimm- für die Instinkte und Triebe nicht interessant ist, ist auch nicht
tes denken. Stellen wir hier an die Spitze des Geistbegriffes gegeben, und was gegeben ist, ist dem Tier gegeben nur als
seine besondere W'issensfunktion, die Art Wissen, die nur er Widerstandszentrurn für sein Verlangen und seinverabscheuen,
geben kann, dann ist die Grundbestimmung eines geistigen d. h. für das Tier als biologisches Zentrum. Der Ausgang von
Wesens, wie immer es psychophysisch beschaff'en sei, seine exi- der physiologisch-psychischen Z~(ständlichkeitist also immer der
stentielle Entbundenheit I1omO<fanisch~n,seine Freiheit, Ablösbar- erste Akt des Dramas eines tierischen Verhaltens zu seiner Um-
keit - oder doch die seines Daseinszentrums - v!,n dem Bann, welt. Die Umweltstruktur ist dabei der physiologischen und
von dem Druck, von der Abhängigkeit vom Or-~anischen,vom indirekt morphologischen Eigenart des Tieres, ist seiner Trieb-
«Leben» urid allem, was zum Leben gehört - also auch von und Sinnesstruktur, die eine strenge funktionelle Einheit bil-
seiner eigenen triebhaften «Intelligenz». den, genau und -vollständig «geschlossen» angemessen. Alles,
Ein «geistiges>>Wesen ist also nicht mehr trieb- und umurelt- was das Tier merken und fassen kann von seiner Umwelt, liegt
gebunden, sondern «umweltfrei» und, wie wir es nennen wol- in den sicheren Zäunen und Grenqen seiner Utnweltstruktur. Der
len, (tuelfoffen»: Ein solches Wesen hat (,Welt>>.Ein solches zweite Akt des Dramas des tierischen Verhaltens ist irgendeine
Wesen vermag ferner die auch ihm ursprünglich gegebenen Setzung realer Veränderung der Umwelt durch eine Reaktion
Vgl. Julius Stenze1 «Der Ursprung des Geistbegriffes bei den Griechen» des Tieres in Richtung auf sein leitendes Triebziel. Der dritte
in der Zeitschrift «Die Antike». Akt ist die dadurch rnitveränderte physiologisch-psychische
38 37
Zuständlichkeit. Der Verlauf des tierischen Verhaltens hat stets (bzw. zu einem Symbol der Welt), deren der Mensch fähig ist,
die Form: vermag das Tier nicht zu vollziehen, nicht die Umwandlung
der affekt- und triebumgrenzten «Widerstands»zentren zu
((Gegenständen)). Gegenstand-Sein ist also die formalste Kate-
Ganz anders ein Wesen, das «Geist» hat. Ein solches ist - wenn gorie der logischen Seite des Geistes. Ich möchte sagen, das
und soweit es sich seines Geistes sozusagen auch bedient - Tier hängt zu wesentlich an und in der seinen organischen Zu-
eines Verhaltens fähig, das eine genau entgegengesetrte Ver- ständen entsprechenden Lebenswirklichkeit drin, um sie je
laufsform besitzt. Der erste Akt dieses neuen Dramas, des ((gegenständlich))zu fassen. Wohl lebt das Tier nicht mehr ab-
menschlichen Dramas ist :Das Verhalten wird vom puren Sosein solut ekstatisch in seine Umwelt hinein (wie der empfindungs-,
eines zum Gegenstand erhobenen Anschauungs- oder Vorstel- vorstellungs- und bewußtlose Gefühlsdrang der Pflanze in ihr
lungskomplexes «motiviert», und dies prinzipiell unabhängig Medium hinein, ohne alle Rückmeldung der Eigenzustände des
von der physiologischen und psychischen Zuständlichkeit des Organismus nach innen); es ist sich selbst durch die Trennung
menschlichen Organismus, unabhängig von seinen Triebim- von Sensorium und Motorium und durch die stete Rückmel-
pulsen und der gerade in ihnen aufleuchtenden, stets modal dung seiner jeweiligen sensuellen Inhalte gleichsam zurückge-
(optisch oder akustisch usw.) bestimmten sinnlichen Außen- geben: es besitzt ein «Leibschema». Der Umwelt gegenüber
seite der Umwelt. Der zweite Akt des Dramas ist freie, d. h. aber verhält sich das Tier immer noch ekstatisch -auch da noch,
vom Personzentrum ausgehende Hemmung eines Triebimpul- wo es sich «intelligent» verhält. Und seine Intelligenz bleibt
Ses, bzw. Enthemmung eines zuerst zurückgehaltenen Trieb- organisch-triebhaft-praktisch gebunden.
impulses (und einer entsprechenden Reaktion). Der dritte Akt Der geistige Akt, wie ihn der Mensch vollziehen kann, ist im
ist eine als selbstwertig und endgültig erlebte Veränderung der Gegensatz zu der einfachen Rückmeldung des tierischen Leib-
Gegenständlichkeit einer Sache. Die Form eines solchen Ver- Schemas und seiner Inhalte wesensgebunden an eine zweite Di-
haltens ist die der «Weltofenheit», der prinzipiellen Abschütte- mension und Stufe des Reflexaktes. Wir wollen diesen Akt
lung des Umweltbannes : «Sammlung» nennen und ihn und sein Ziel, das Ziel dieses
«Sichsammelns», zusammenfassend ((Bewußtsein des geistigen
Aktzentrums von sich selbst)) oder «SelbstbetvuJ'tsein» nennen.
Dieses Verhalten ist, wo es einmal konstitutionell vorhanden Das Tier hat Bewußtsein, im Unterschied von der Pflanze, aber
ist, seiner Natur nach unbegrenzt erweiterungsfähig - so weit es hat kein Selbstbewußtsein, wie schon Leibniz gesehen hat.
eben, als die «Welt» vorhandener Sachen reicht. Es besitzt sich nicht, ist seiner nicht mächtig - und deshalb auch
Der Mensch ist das X, das sich in unbegrenrtem 2lfaJ'e «tveltofen» seiner nicht bewußt.
uerhalten kann. Menschwerdung ist Erhebung zur Weltoffenheit Sammlung, Selbstbewußtsein, und Gegenstandsfähigkeit des
kraft des Geistes. ursprünglichen Triebwiderstandes bilden eine einrige unyerreay-
Das Tier hat keine ((Gegenstände)):es lebt in seine Umwelt bare Strzlktur, die als solche erst dem Menschen eigen ist.
ekstatisch hinein, die es gleichsam wie eine Schnecke ihr Haus Mit diesem Selbstbewußtwerden, dieser neuen Zurückbeu-
als Struktur überall hinträgt, wohin es geht - es vermag diese gung und Zentrierung seiner Existenz, die der Geist möglich
Umwelt nicht zum Gegenstand zu machen. Die eigenartige macht, ist auch das ptveite Wesensmerkmal des Menschen gege-
Fernstellung, diese Distanzierung der «Umwelt» zur «Welt» ben. Kraft seines Geistes vermag das Wesen, das wir «Mensch»
nennen, nicht nur die Umwelt in die Dimension des Weltseins welt als Einheit bezeichnen, bis zu Molekülen, Atomen und
zu erweitern und Widerstände gegenständlich zu machen, son- Elektronen, ist ausschließlich abhängig von unserer Macht, die
dern es vermag auch - und das ist das Merkwürdigste - seine Korper realiter oder doch gedanklich zu zerteilen. Jede anorga-
eigene p/yiologische und pvchische Beschaffenheit und jedes ein- nische Körpereinheit ist es nur relativ auf eine bestimmte Ge-
zelne psychische Erlebnis, jede einzelne seiner vitalen Funktio- setzlichkeit ihres Wirkens auf andere Körper. Die unräumli-
nen selbst wieder gegenstäntllich zu machen. Nur darum vermag chen, aber die Erscheinung der Ausdehnung in der Zeit setzen-
dieses Wesen auch sein Leben frei von sich zu werfen. Das Tier den Kraftzentren, die wir den Körperbildern metaphysisch zu-
hört und sieht - aber ohne zu wissen, daj3es hört und sieht. Die grunde zu legen haben, sind Zentren gegenseitig aufeinander
Psyche des Tieres funktioniert, lebt - aber das Tier ist kein wirkender Kräftepunkte, in denen die Kraftlinien eines Feldes
möglicher Psychologe und Physiologe! Wir müssen an sehr zusammenlaufen. Ein Lebewesen dagegen ist stets ein ontisches
seltene ekstatische Zustände des Menschen denken - bei ab- Zentrum und bildet stets selbst «seine» raumzeitliche Einheit
ebbender Hypnose, bei Einnahme bestimmter Rauschgifte, bei und Individualität; sie stammt nicht wie beim anorganischen
gewissen, denGeist bewußt (d. h. schon mit Hilfe des Geistes) Gebilde von Gnaden unserer selbst biologisch bedingten Zu-
inaktivierenden Techniken z. B. orgiastischer Kulte aller Art -, sammenfassung. Es ist ein X, das sich selbst begrenzt; es hat
um uns einigermaßen in den Normalzustand des Tieres hinein- «Individualität» - es zerteilen heißt es vernichten, sein Wesen
zuversetzen. Auch seine Triebimpulse erlebt das Tier nicht als und Dasein aufheben. Dem Gefühlsdrang der Pflanse ist ein
seine Triebe, sondern als dynamische Züge und Abstoßungen, Zentrurn zu eigen und ein Medium, in das, relativ in seinem
die von den Dingen der Umu~eltselber ausgehen. Sogar der pri- Wachstum ungeschlossen, das pflanzliche Lebewesen hineinge-
mitive Mensch, der in gewissen seelischen Eigenschaften dem setzt ist ohne Rückmeldung seiner verschiedenen Zustände an
Tiere noch nahe steht, sagt noch nicht «ich verabscheue dieses sein Zentrum; aber ein «Innesein» überhaupt und damit Be-
Ding», sondern «das Ding ist tabu». Für das tierische Bewußt- seeltheit besitzt die Pflanze. I m Tiere ist Empfindung und Be-
sein gibt es nur diese von den Umweltgebilden ausgehenden wußtsein und damit verbunden eine zentrale Rückmeldestelle
Lockungen und Abstoßungen. Der Affe, der plötzlich hierhin, der wechselnden Zustände seines Organismus und eine Modifi-
dann dorthin springt, lebt sozusagen in lauter punktuellen Ek- zierbarkeit seines Zentrums durch diese Rückmeldungvorhan-
stasen. (Pathologische Ideenflucht des Menschen.) Einen die den: es ist sich schon ein zweites Mal gegeben. Der Mensch aber
Triebimpulse und ihren Wechsel überdauernden «Willen», der ist es kraft seines Geistes noch ein drittes Mal: imselbstbewußt-
Kontinuität im Wandel seiner psychophysischen Zustände be- sein und in der Vergegenständlichung seiner psychischen Vor-
wahren kann, hat das Tier nicht. Ein Tier kommt immer sozu- gänge und seines sensomotorischen Apparates. Die «Person»
sagen woanders an, als es ursprünglich «will». Es ist tief und im Menschen muß dabei als das Zentrum gedacht werden, das
richtig, wenn Nietzsche sagt «Der Mensch ist das Tier, das uer- über dem Gegensatz von Organismus und Umwelt erhaben ist.
sprechen kann». Ist das nicht, als gäbe es eine Stufenleiter, auf der ein urseien-
Vier Wesensstufen sind es, in denen alles Seiende in Bezug des Sein sich im Aufbau der Welt immer mehr auf sich selbst
auf sein Inne- und Selbstsein erscheint. Anorganische Gebilde zurückbeugt, um auf immer höheren Stufen und in immer
haben ein solches Inne- und Selbstsein überhaupt nicht; sie neuen Dimensionen sich seiner inne zu werden - um schließiich
haben kein Zentrum, das zu ihnen ontisch gehörte, daher auch im Menschen sich selbstganz zu haben und zu erfassen?
kein Medium, keine Umwelt. Was wir in dieser Gegenstands- Aus dieser Seinsstruktur des Menschen - seiner Selbstgege-
42
benheit, seiner Fähigkeit, seine Umwelt und sein ganzes psychi- Dingen und ihrer Wahrnehmung gibt. Vor allem aber: es fehlt
sches und physisches Sein und beider Kausalrelation sich zum jene besondere Art von Selbstzentriertheit, die alle Sinnesdaten
Gegenstande zu machen - lassen sich eine Reihe menschlicher Be- mit ihren zugehörigen Triebimpulsen zusammenfaßt und sie
sonderheiten verständlich machen, von denen ich einige kurz an- auf eine substanzartig geordnete «Welt» bezieht. Dem Tiere
führe. fehlt eben, wie ich eingehend andernorts * nachgewiesen habe,
Nur der Mensch hat die vollausgeprägte konkrete Ding- und I ein eigentlicher «Weltrazltn», der unabhängig von des Tieres
Substanskiztegorie. Das Tier besitzt sie nicht. Eine Spinne, die eigenen Ortsbewegungen als stabiler Hintergrund verharrte.
lauernd in ihrem Netze in dessen Knotenpunkt sitzt, stürzt E s fehlen ihm ebenso die «Leerforn~en» von Raum und Zeit,
sich sofort auf die hlücke, die sich entfernt von ihr in das Netz in die hineingesetzt der Mensch die Dinge und Ereignisse pri-
verfängt und deren Anwesenheit sich ihr wahrscheinlich an mär auffaßt. Sie sind nur einem (geistigen) Wesen möglich, des-
einem Zug durch den Tastsinn verrät; bringt man aber die sen Triebunbefriedig~rngstets überschzissig ist über seine Befrie-
Mücke in eine Entfernung, die innerhalb des Reiches ihrer Seh- ! digung. «Leer» nennen wir ursprünglich das L~nerfülltbleiben
weite liegt, so ergreift die Spinne sofort die Flucht (H, Volkelts I unserer triebhaften Erwartung - die erste «Leere)>ist gleich-
Spinnenversuch) : es ist ein underes \X7esen für sie, was sie sieht sam die Leere unseres Herzens.
- und was sie tastet, und sie vermag Sehraum und Tast-Hand- 1 Die Wurzel der allen äußeren Sensationen uorhergehendeil
lungsraum (kinästhetischen Raum) ebensowenig zu identifi- 1' merischlichen Raum- und Zeitanschauung liegt in der organi-
zieren wie die darin befindlichen Dinge. Auch die höchsten schen spontanen Bewegungs- und Tunsmöglichkeit in einer
Tiere haben die Dingkategorie nicht vollständig. Ein Affe, dem bestimmten Ordrliing. Die Tatsache, daß, wie man an bestimm-
man eine Banane halbgeschält in die Hand gibt, flieht vor ihr, ten Ausfallerscl-ieinungen nacliweisen konnte, der Tastraum
während er sie ganz geschält frißt, ungeschält aber selber schält dem optischen Raum niclit direkt zugeordnet ist, sondern die
und dann frißt: das Ding «Banane» hat sich nicht für das Tier Zuordnung nur durch die Vermittlung der kinästhetischen
«verändert», es hat sich in ein anderes (werwandelt)). Offenbar Empfindungen erfolgt, weist auch darauf hin, daß die Leer-
fehlt dem Tier ein Zentrum, von dem aus es die psychophysi- form des Raumes weni~stensals noch ungeformte ((Räumlich-
schen Funktionen seines Sehens, Hörens, Riechens, Greifens, keit» im Menschen schon zfordem Bewußtwerden irgendwelcher
Tastens und die sich in ihnen darstellenden Seh-, Hör-, Sensationen erlebt wird auf Grund der erlebten Bewegirng-
Schmeck-, Geruchs- und Tastdinge auf ein und dasselbe konkrete antriebe und des Kbnnenserlebnisses, sie hervorzubringen
Gegenstands-Ding, auf einen identischen Realitätskern zu be- (denn es sind ja jene Beaegungsantriebe, die an erster Stelle die
ziehen vermöchte. kinästhetischen Empfindungen zur Folge haben).Dieser primi-
Der Mensch hat ferner von vornherein einen einigen Raum. tive Be\x.egungsraum, das «Herumbewußtsein», bleibt auch
Was z. B. der operierte Blindgeborene lernt, ist nicht eine Zu- noch bestehen, wenn der optische Raum, in dem allein die ste-
sammensetzung ursprünglich geschiedener «Räume», wie Tast- tige gleichzeitige Mannigfaltigkeit «Ausdehnung» gegeben ist,
raum, Sehraum, Hörraum, kinästhetischer Raum, zu einer Raum- vollstindig abgebaut wird. Im Ubergang vom Tier zum Men-
anschauung, sondern nur die Identifizierung seiner Sinnesdaten schen finden wir also eine vollständige Umkehrung von «leer»
als Symbole und Eigenschaften für das an einem Ort seiende eine und «voll», und zwar sowohl der Zeit als dem Raume nach.
Ding. Dem Tiere aber fehlt wiederum die zentrale Funktion, Obgleich die höheren Tiere raumartige Mannigfaltigkeiten be-
die einen einigen Raum als eine feste Form vor den einzelnen sitzen (die primitivsten haben wohl nur zeitliche Eindrücke),
41
sind diese doch nicht homogen, d. h. so, daß die Orte als vorge- gungen nicht zum Gegenstand zu machen imstande ist, so daß
gebenes Stellensystem in der optischen Sphäre fix bleiben und er seine eigene Körperlage als veränderliches Moment in seine
sich von den erfüllenden Qualitäten und Bewegungen der Um- Raumanschauung einbeziehen könnte und mit dem Zufalle
weltgebilde scharf loslösen. Nur die höchste Optik des Men- seiner Stellung gleichsam instinktiv so zu rechnen lernte, wie
schen (aufrechter Gang!) besitzt dies System; er kann es aber es der Mensch auch ohne Wissenschaft vermag. Diese Leistung
in pathologischen Fällen verlieren, sodaß nur der sozusagen des Menschen ist nur der Anfang dessen, was er in der Wissen-
((Urraum)),das ((Herumerlebnis))übrig bleibt. Das Tier vermag schaft fortsetzt. Denn das ist das Große der menschlichen Wis-
die Leerformen des Raumes und der Zeit so wenig von be- senschaft, daß der Mensch in ihr mit seiner Zufallsstellung im
stimmten Inhaltlichkeiten der Umweltdinge loszulösen wie die Universum, mit sich selbst und seinem ganzen physischen und
«Zahl» von einer als größer oder kleiner in den Dingen selbst psychischen Apparat gleichwie mit einem fremden Dinge, das
liegenden <<Anzahl».Es lebt ganz in die konkrete Wirklichkeit in strengen Kausalverknüpfungen zu anderen Dingen steht,
seiner jeweiligen Gegenwart hinein. Erst wenn - im Menschen immer umfassender su rechnen lernt und damit langsam ein Bild
- die in Bewegungsimpulse sich umsetzenden Trieberu~art~rn~en der Welt selbst zu gewinnen weiß, das und dessen Gegenstände
das t'bergewicbt haben über all das, was faktische Trieberfül- und deren Gesetze von seiner psychophysischen Organisation,
lung in einer Wahrnehmung oder Empfindung ist, findet das seinen menschlichen Sinnen und deren Schwellen, seinen Be-
überaus seltsame Phänomen statt, daß die räumliche «Leere», dürfnissen und deren Interessen an den Dingen ganz und gar
und analog die zeitliche, allen möglichen Inhalten der Wahr- unrlblJah& sind- die also im Wechsel all seiner Stellungen im
nehmungen und der gesamten Dingwelt als vorhergehend, als Universum, seiner Zustände, Artorganisationen und Sinnes-
«zu Grunde liegend)) erscheint. So blickt der Mensch, ohne es erlebnisse konstant bleiben.
zu ahnen, seine eigene Herzensleere als eine ((unendliche Leere» Der Mensch allein - sofern er Person ist - vermag sich über
des Raumes und der Zeit an, als o b diese auch bestünden, wenn sich - als Lebewesen - enlpor~uscb2l~ingen und von einem Zen-
es gar keine Dinge gäbe! Erst sehr spat korrigiert die Wissen- trum gleichsam jenseits der raumzeitlichen Welt aus alles, dar-
schaft diese ungeheure Täuschung der natürlichen Weltan- unter auch sich selbst, zum Gegenstande seiner Erkenntnis zu
schauung, in dem sie lehrt, daß Raum und Zcit nur Ordnungen, machen. So ist der Mensch als Geistwesen das sich selber als
nur Lage- und Sukzessionsmöglichkeiten der Dznte sind und Lebewesen und der Welt überlegene Wesen. Als solches ist er
außer und unabhängig von diesen keinen Bestand haben. auch der Ironie und des Humors fähig, die stets eine Erhebung
Auch den <<Wrltraum», sagte ich, hat das Tier konstitutiv über das eigene Dasein einschließen.
nicht. Ein Hund mag jahrelang in einem Garten leben und an Das Zentrum aber, von dem aus der hlensch die Akte voll-
jeder Stelle des Gartens schon häufig gewesen sein - er wird zieht, durch welche er seinen Leib und seine Psyche vergegen-
sich niemals ein Gesamtbild des Gartens und der von seiner ständlicht, die Welt in ihrer räumlichen .und zeitlichen Fülle
Körperlage unabhängigen Anordnung dcr Bäume, Sträucher gegenständlich macht - es kann nicht selljst ein «Teil» eben
usw. machen können, wie klcin lind groß der Garten auch sei. dieser Welt sein, kann also auch kein bestimmtes Irgendwo und
E r hat nur //,ait seinen Bewegungen wcchsclnde ((Umwelträumo), Irgendwann besitzen: es kann nur im obersten Seitzsgr~lndeselbst
die er nicht auf den ganzen, von seiner Iiörperstellung unab- gelegen sein.
hängigen Gartenraum zu Iioordinieren vermag. Der Grund ist Schon Kant hat in seiner tiefen Lehre von der transzenden-
eben der, daß das Tier seinen eigenen Leib und dessen Bewe- talen Apperzeption jene neue Einheit des cogitxrc, clic ((Bedin-
46
gung ist aller möglichen Erfahrung und darum auch aller Ge- wir auf Grund des unverbrüchlichen Wesenszusammenhanges
genstände der Erfahrung)) - nicht nur der äußeren, sondern von Akt und Idee anzunehmen haben, wenn wir überhaupt
auch jener inneren Erfahrung, durch die uns unser eigenes In- eine in dieser Welt sich realisierende Ideenordnung unabhän-
nenleben zugänglich wird -, im weseiltlichen klargestellt. E r gig vom menschlichen Bewußtsein annehmen und dem Ur-
hat damit zuerst den «Geist» über die «Psyche» erhoben und seienden selbst als eines seiner Attribute zuschreiben - können
ausdrücklich geleugnet, daß der Geist nur eine Funktions- wir nur durch illit~~oll~ugTeil gewinnen: an einer K'esensord-
gruppe einer sog. ((Seelensubstanz))sei - die nur unberechtigter nung, soweit es sich um den erkennenden Geist, an einer ob-
Verdinglirhung der aktualen J:.inheit des Geistes ihre fiktive An- jektiven Wertordnung, soweit es sich um den liebenden Geist,
nahme verdanke. an einer Zielordnung des Weltprozesses, soweit es sich um den
Damit haben wir eine dritte wichtige Bestimmung des Gei- Geist als wollenden handelt. Die ältere, seit Augustinus herr-
stes bezeichnet: Der Geist ist das einzige Sein, das selbst gegen- schende Ideenphilosophie hatte cideae ante res» angenommen,
stand~~~nfäb& ist - er ist reine, pure Aktualität, hat sein Sein nur eine «Vorsehung» und einen Plan der Weltschöpfung schon
im freien Vollxug seiner Akte. Das Zentrum des Geistes, die vor dem Wirklichsein der Welt. Aber die Ideen sind nicht
«Person)),ist also weder gegenständliches noch dingliches Sein, «vor», nicht «in» und nicht ((nach)) den Dingen, sondern
sondern nur ein stetig selbst sich vollziehendes (wesenhaft be- <<mit»ihnen und werden nur im Akte der stetigen Weltreali-
stimmtes) Ordnungsgefüge von Akten. Die Person ist nur irr ihren sierung (creatio continua) im ewigen Geiste erzeugt. Darum
Akten und durch sie *. Seelisches vollzieht ((sich selbst)> nicht: ist auch unser hlitvollzug dieser Akte nicht ein bloßes Auf-
es ist eine Ereignisreihe <<in»der Zeit, der wir eben aus dem finden oder Entdecken eines von uns unabhangig Seienden
Zentrum unseres Geistes heraus noch prinzipiell zuzuschauen und Wesenden, sondern ein wahres Alithervorbriilgen, ein
vermögen, die wir in der inneren Wahrnehmung und Beob- Miterzeugen der dem ewigen Logos und der ewigen Liebe
achtung noch gegenständlich machen können. Alles Seelische und dem ewigen Willen zugeordneten Wesenheiten, Ideen,
ist gegenstandsfähig - nicht aber der Geistesakt, die Intentio, Werte und Ziele aus dem Zentrum und Ursprung der Dinge
das die seelischen Vorgänge selbst noch Schauende. Zum selbst heraus.
Sein unserer Person können wir uns nur samn~eln,zu ihm hin Y
uns konzentrieren - nicht aber es objektivieren. Auch fremde
Personen sind als Personen nicht gegenstandsfähig. (In die- Wollen wir uns die Besonderheit, die Eigenartigkeit dessen,
sem Sinne sagt Goethe von Lili, er habe «sie zu sehr geliebt)), was wir «Geist» nennen, noch im einzelnen klarer machen, so
als daß er sie habe ctbeobachten)) können). Nur dadurch kön- knüpfen wir am besten an einen spezifisch geistigen Akt an,
nen wir an ihnen wissenden Anteil gewinnen, daß wir ihre den A k t der Ideierung. Es ist ein von aller technischen Intelli-
freien Akte nach- und mitvollziehen durch das, was ein armes genz, allem mittelbaren, schlußfolgernden «Denken», dessen
Wort ((Gefolgschaft)) nennt, oder durch jenes nur durch die erste Anfänge wir schon dem Tiere zuwiesen, völlig verschie-
Haltung der geistigen Liebe mögliche ((Verstehen)), das dener Akt. Ein Problem der Intelligenz wäre beispielsweise
äußerstes Gegenteil aller Vergegenständlichung ist, uns niit folgendes: Ich habe jetzt hier Schmerz im Arm - wie ist er
dem Wollen, der Liebe einer Person - und dadurch mit ihr entstanden, wie kann er beseitigt werden? Das festzustellen
selbst - wie wir zu sagen pflegen, «identifizieren».* wäre eine Aufgabe der positiven Wissenschaft, der Physiologie,
Auch an den Akten jenes einen übersingulären Geistes - den der Psychologie, der Medizin. Ich kann aber denselben
48 49
Schmerz in einer distanteren, besinnlichen, kontemplativen
folgerungen, wie sie die Intelligenz anstellt, die essentiellen
Haltung zu diesem selben Erlebnis auch als «BeLrpieO) fassen
Beschaffenheiten und Aufbauformen der Welt an je einem
für den höchst seltsamen und höchst verwunderlichenWesens-
Beispiel der betreffenden Wesensregion miterfassen. Das Wis-
verhalt, daß diese Welt überhaupt schmerz-, übel- und leid-
sen aber, das wir so gewinnen, gilt, obschon an einem Beispiel
befleckt ist; dann werde ich anders fragen: Was ist denn
gewonnen, in unendlicher Allgemeinheit von a//en mäglichen
eigentlich «der Jchmera selbst)) abgesehen davon, daß ich ihn
Dingen, die dieses Wesens sind, und, ganz unabhängig von
jetzt hier habe - und wie muß der Grund der Dinge be-
unseren menschlichen Zufallssinnen und der Art und dem
schaffen sein, daß so etwas wie «Schmerzüberhaupt~~möglichist ?
Maße ihrer Erregbarkeit, für alle möglichen geistigen Subjekte,
Ein großartiges Beispiel für solch einen ideierenden Akt
die über dasselbe Material denken'. Einsichten, die wir so ge-
gibt die bekannte Bekehrungsgeschichte Buddhas: Der Prinz
winnen, gelten also hinaus über die Grenzen unserer sinnlichen
sieht einen Armen, einen Kranken, einen Toten, nachdem er im
Erfahrungen; sie gelten nicht nur für diese wirklich daseiende
Palaste des Vaters jahrelang allen negativen Eindrücken fern-
Welt, sondern für alle möglichen Welten. Wir nennen sie in
gehalten ward; er erfaßt aber jene drei zufälligen ((jetzt-hier-
der Schulsprache «a priori)).
so-seienden)) Tatsachen sofort als bloße Beispiele für eine an
Zwei sehr verschiedene Funktionen erfüllen solche Wesens-
ihnen erfaßbare essentielle Weltbeschaffenheit. Descartes suchte
erkenntnisse. Für die positiven Wissenschaften, deren Feld durch
sich die essentia des Körpers und seinen Wesensaufbau an
die Prüfbarkeit ihrer reduzierten Sätze vermittels Beobachtung
einem Stück Wachs klar zu machen - das ist eine andere Frage,
und Messung streng umgrenzt ist, bilden sie die obersten
als wenn 2.B. ein Chemiker einen bestimmten Körper auf
Voraussetzungen, die Axiome, die in den Grenzen der allge-
seine Bestandteile hin untersucht. Eindringliche Beispiele für
meinsten Gegenstandslogik für alle Gebiete je besondere
Fragen essentieller Art bietet die gesamte Mathematik. Das
Gruppen ausmachen und die Richtung einer fruchtbaren Beob-
Tier hat vage Mengenvorstellungen, die aber ganz an den
achtung, Induktion und Deduktion durch Intelligenz und
wahrgenommenen Dingen, ihrer Gestalt, Gruppierung etc.
diskursives Denken allererst weisen. Für die philosophische
haften bleiben. Der Mensch erst vermag die Dreiheit als «An-
Metapbsik aber, deren Endziel die Erkenntnis des absolut
zahl)) von drei Dingen von diesen Dingen loszulösen und mit
seienden Seins ist, bilden die Wesenserkenntnisse die ((Fenster
der «Zahl» 3 als einem selbständigen Gegenstand nach dem
ins Absolute)), wie Hege1 treffend und bildhaft sagt. Denn
inneren Erzeugungsgesetz der Reihe solcher Gegenstände zu
jedes echte Wesen, das die Vernunft in der Welt findet, kann
operieren. Was so die Mathematik findet an Sätzen über die
weder selbst noch kann das Dasein von «etwas» solchen We-
Beziehungen der unsinnlichen Mannigfaltigkeiten, die sie
sens auf empirische Ursachen endlicher Art zurückgeführt
untersucht, das ist -wenn heute nicht, so morgen - seltsamer-
werden. Es kann nur, soweit es Wesen ist, dem einen übersin-
weise der strengsten Anwendung fähig auf alle realen Dinge,
gulären Geiste als dem Attribut des übersingulären seienden
die in der (in Axiomen definierten) Mannigfaltigkeit stehen.
Ens a se zugeschrieben werden, und alles Dasein eines solchen
Das alles sind Fragen, wie sie der Geist als solcher stellt -
Wesens überhaupt als eine Setzung des ewigen Dranges als
nicht die schlußfolgernde Intelligenz, die nur Mittel geben
seines zweiten Attributs aufgefaßt werden.
kann, sie zu lösen. Nichts dergleichen vermag das Tier.
Ideieren heißt also, unabhängig von der Größe und Zahl der ' Der Mensch besitzt also sehr wohl jenen «intellectus archetypus)),den
Kant, der ihn nur als ((Grenzbegriff))anerkannte, ihm bestritt - Goethe
Beobachtungen, die wir machen, und von induktiven Schluß-
50
i aber ihm ausdrücklich zubilligte.
Diese Fähigkeit der Trennung von IVesen und Dasein macht das
nichts anderes meint auch Edmund Husserl, wenn er die
Grundmerkmal des menschlichen Geistes aus, das alle anderen
Ideenerkenntnis an eine «phänomenologische Reduktion)),d. h. eine
Merkmale erst fundiert. Nicht daß er Wissen hat, ist dem Men-
«Durchstreichung» oder eine ((Einklammerung))des zufälligen
schen wesentlich, wie schon Leibniz sagte, sondern daß er
Daseinskoeffizienten der Weltdinge knüpft, um ihre «essentia»
Apriori-Wissen hat oder es z u erwerben fähig ist. Eine «kon-
zu gewinnen. Freilich kann ich der Theorie dieser Reduktion
stante» Vernunftorganisation, wie sie Kant angenommen hat,
bei Husserl im einzelnen nicht zustimmen, wohl aber zugeben,
gibt es dabei keineswegs; sie unterliegt vielmehr prinzipiell
daß in ihr der Akt gemeint ist, der den menschlichen Geist
dem geschichtlichen Wandel. Nur die Vernunft selbst als An-
recht eigentlich definiert.
lage und Fähigkeit, durch Funktionalisierung neuer Wesens-
Will man wissen, wie dieser Akt der Reduktion erfolgt, so
einsichten - welche führende Pioniere der Menschheit an den
muß man zunächst wissen, worin unser U~irklichkeitserlebnis
erfahrbaren Tatsachen finden und die von der Menge nach-
eigentlich bestcht. Es gibt für den Wirklichkeitseindruck nicht
und mitvollzogen werden - auch immer neue Denk- und An-
eine besondere angebbare Sensation (hart, fest, etc.). Auch die
schauungs-, Li-ebens- und Wertungsformen zu bilden und zu
Wahrnehmung, die Erinnerung, das Denken und alle mög-
gestalten, ist konstant.
lichen perzeptiven Akte vermögen uns diesen Eindruck nicht
Wollen wir von hier aus tiefer in das Wesen des Menschen
zu verschaffen: was sie geben, ist immer nur das @ufällige)
dringen, so haben wir uns das G'tfige dtr Akte vorzustellen,
Sosein der Dinge, niemals ihr Dasein. Was uns das Dasein
die zum Akt der Ideierungfuhren. Bewußt oder unbewußt voll-
(= Wirklichsein) gibt, das ist vielmehr das Erlebnis des
zieht der Mensch dabei eine Technik, die man als (versuchs-<
Widerstandes der schon erschlossenen Weltsphäre - und diesen
weise) Aufhebung des Wirklichkeitscharakters der Dinge, der
Widerstand gibt es nur für unser strebendes, für unser trieb-
Welt bezeichnen kann. In diesem Versuch, in dieser Technik
haftes Leben, für unseren zentralen Lebensdrang *. Nicht ein
der Wesenserfassung schält sich der Logos der Wesenheiten
Schluß führt etwa zur Realsetzung der Außenwelt (die als
aus der konkreten, sinnfälligen Dingu-elt - sofern sie schon
Sphäre 2.B. auch im Traume besteht), nicht der anschauliche
«Gegenstand» geworden - heraus. Das Tier, wir sahen es, lebt
Gehalt der Wahrnehmung (wie die «Formen», «Gestalten»)
ganz im Konkreten und in der Wirklichkeit. Mit aller Wirk-
gibt uns das Realitätserlebnis, niclit dic Gegenständlichkeit
lichkeit ist jenachdem eine Stelle im Raum und eine Stelle in
(die ja auch Phantasiertes hat), nicht die fixe Stelle im Raume
der Zeit, ein Jetzt und Hier, ferner ein zufälliges Sosein ver-
in der Bewegung der Aufmerksamkeit usw., - sondern der
bunden, wie es die sinnliche Wahrnehmung je von einem
erlebte Widerstandseindruck gegen die unterste, primitivste, wie
«Aspekt» aus gibt.
wir sahen, selbst der Pflanze noch zukommende Stufe des see-
Mensch sein heißt: dieser Art Wirklichkeit ein kräftiges
lischen Lebens, den ((Gefühlsdrang)),gegen unser nach allen
«Nein» entgegenschleudern. Das hat Buddha gewußt, wenn er
Richtungen ausgreifendes, immer, auch im Schlafe und inden
sagt, ((herrlich sei es, jedes Ding zu schauen, furchtbar es zu
letzten Stufen der Bewußtlosigkeit noch tätiges Triebzentrum.
sein», und eine Technik der Entwirklichung der Welt und des
I n der streng geregelten Ordnung seiner Bestandteile (Farbe,
Selbst entwickelte. Das hat Platon gewußt, wenn er die Ideen-
Gestalt, Ausdehnung etc.), in der sich, sowohl objektiv wie bei
schau an eine Abwendung der Seele von dem sinnlichen Ge-
seiner Wahrnehmung für uns, irgendein körperliches Ding auf-
halt der Dinge knüpft und an eine Einkehr der Seele in sich
baut - eine Ordnung, die wir 2.B. beim pathologischen Abbau
selbst, um hier die ((Ursprünge)) der Dinge zu finden. Und
der Wahrnehmungsfähigkeit studieren können -, ist keines
12
ursprünglicher als die Realität bzw. das erlebte Realitätsmo- men wohnen)). Denn alle Wirklichkeit, schon weil sie Wirk-
ment. Lasset für ein Bewußtsein alle Farben und sinnlichen lichkeit ist, und ganz gleichgültig, was sie ist, ist für jedes le-
Materien verbleichen, alle Gestalten und Beziehungen zer- bendige Wesen zunächst ein hemmender, beengender Druck
gehen, alle dinglichen Einheitsformen verschweben - das, was und die «reine» Angst (ohne jedes Objekt) ihr Korrelat. Dieser
schließlich gleichsam nackt und von jeder Art der Beschafien- im Grunde asketische A k t der Entwirklichung kann, wenn
heit frei und ledig noch bleiben wird, das ist der machtvolle Dasein «Widerstand» ist, nur in der Aufhebung, in der Außer-
Eindruck der Realität, der Wirklichkeitseindruck der Welt. kraftsetzung eben jenes Lebensdranges bestehen, im Verhältnis
Das ursprüngliche Wirklichkeitserlebnis als Erlebnis des ,
zu dem die Welt vor allem als Widerstand erscheint, und der
Widerstandes der Welt geht also allem Be-wußtsein, geht aller zugleich die Bedingung ist aller sinnlichen Wahrnehmung des
Vor-stellung, aller Wahr-nehmung vorher. Auch die aufdring- zufälligen Jetzt-Hier-So. Darum, weil Triebe und Sinne zu-
lichste sinnliche Wahrnehmung ist niemals bloß bedingt durch sammengehören, meint Platon, es sei Philosophieren ein «euri-
den' Reiz und den normalen Vorgang im Nervensystem: eine ges Ersterben)) - und darum ist jeder ausgeprägte Rationalis-
triebhafte Zuwendung, sei es Verlangen oder Abscheu, muß mus letzten Endes auf das ((asketische Ideal» gegründet.
gleichfalls vorhanden sein, wenn es auch nur zur einfachsten Diesen Akt der Entwirklichung aber kann nur eben jenes
Empfindung kommen soll. Da also ein Impuls unseres Lebens Sein vollziehen, das wir «Geist» nennen. Nur der Geist in seiner
dranges die unumgängliche Mitbedingung ist für alle möglichen Form als reiner «Wille» kann durch einen Willensakt - und
Empfindungen und Wahrnehmungen, können die Wider- das heißt: Hemmung~akf- die Inaktualisierung jenes Gefühls-
stände, welche die den Körperbildern der Umwelt zugrunde- drangzentrums bewirken, das wir als den Zugang zum Wirk-
liegenden Kraftzentren und -felder - die «Sinnesbilder» selbst lichsein des Wirklichen erkannten.
sind ja gänzlich unwirksam - auf unseren Lebensdrang aus- Der Mensch ist das Lebewesen, das kraft seines Geistes sich
üben, bereits an einer Stelle des zeitlichen Prozesses einer urer- zu seinem Leben, das heftig es durchschauert, prinzipiell
denden möglichen Wahrnehmung erlebt werden, wo es zu asketisch - die eigenen Triebimpulse unterdrückend und ver-
einer bewußten «Bild»wahrnehmung noch nicht gekommen drängend, d.h. ihnen Nahrung durch Wahrnehmungsbilder
ist. Das Realitätserlebnis ist also all unserer ((Vorstellung))der und Vorstellungen versagend - verhalten kann. Mit dem Tiere
Welt nicht nach-, sondern vorgegeben. verglichen, das immer «Ja» zum Wirklichsein sagt - auch da
Was also heißt dann dieses «Nein», von dem ich sprach? noch, wo es verabscheut und flieht -, ist der Mensch der «Nein-
Was heißt es, die Welt «entwirklichen» oder die Kielt «ideieren»? sagenkönner)),der «Asket des Lebens)),der ewige Protestant gegen
Es heißt nicht, wie Husserl meint, das (schon in jeder natür- alle bloße Wirklichkeit. Das ist ganz unabhängig von Welt-
lichen Wahrnehmung liegende) Existenzurteil zurückhalten; anschauungs- und Wertfragen; o b man (etwa im Sinne Bud-
das Urteil: «A ist real» fordert ja in seinem Prädikat selbst eine dhas, der auf alle Fälle diese Frage wie kaum ein anderer tief
Erlebnisfüllung, wenn «real» nicht ein leeres Wort sein soll. beantwortet hat) diesen Aufschwung des Geistes zur unwirk-
Es heißt vielmehr, das Reaiifatsmomenf selbst versuchsweise lichen Sphäre der Essenzen als Endgültigkeitsziel sucht, weil
(für uns) aufheben, jenen ganzen, ungeteilten machtvollen man Realität selbst schon als Übel wertet («omne ens est ma-
Realitätseindruck mit seinem affektiven Korrelat annihilieren lum))), oder ob man aus der Sphäre der Essenzen - wie ich es
- heißt, jene ((Angst des Irdischen)) beseitigen, die, wie Schiller für recht halte - immer wieder zurück zur Wirklichkeit und
sagt, «dahin» nur ist «in jenen Regionen, wo die reinen For- ihrem Jetzt-Hier-Sosein zu kehren sucht, um sie besser zu
I4 II
machen (Dasein zunächst indifferent nehmend gegenüber gut
Belieferung mit Energie und damit seine Maniftstafionsföhigkeit
und schlecht) und in dieser ewigen Rh)-tliniik zwischen Idee- bedingt. Der Geist ist, wie wir bereits sagten, in letzter Linie
Realität, Geist-Drang - in dem Ausgleild ihrer immerwähren- 4
ein Attribut des Seienden selbst, das im Menschen manifest
den Spannung - das wahre Leben und die wahre Bestinjnlung wird in der Konzentrationseinheit der sich zu sich «sammeln-
der Afensr.6en sieht. den» Person. Aber als solcher ist der Geist in seiner «reinen»
Auf alle Fälle ist der Mensch- imverhältnis zuml'iere, dessen Form urspriing/ich rch/erhihin ohne alle «iMacht», «Krajt», «Tä-
Daseindasverkörperte Philisterium ist - der ewige <<Faust», die !
ti'keit)). Um irgendeinen noch so kleinen Grad von Kraft und
bestia cupidissima rerum novarum, nie sich beruhigend mit der Tätigkeit zu gewinnen, muß jene Askere, jene Triebverdrän-
ihn umringenden Wirklichkeit, immer begierig, die Schranken
gung und gleichzeitige Sublirnierzrng hintukommen.
seines Jetzt-klier-So-seins zu durchbrechen, immer strebend, Von hier aus gewinnen wir Einsicht in xwei Möglichlteiten
i
die Wirklichkeit, die ihn umgibt, zu tr~tls~endieren - darunter
der Auffassung des Geistes, die in der Geschichte der Mensch-
auch seine eigene jexeilige Selbstwirklichkeit. In diesem Sinne
idee eine fundamentale Rolle spielen. Die erste dieser Theorien,
sieht auch Sigmund Freud im hlenschen den ((Triebverdrän- die die Griechen ausgebildet haben, spricht dem Geiste selbst
gcrx1. Und nur weil er das ist, - durch dieses nicht gelegent- nicht nur eine eigentümliche Wesenheit und Autonomie, son-
liche, sondern konsfihfionrlle ,tKein» zum Triebe - kann der
dern auch Kraft und Tätigkeit (voC; x o ~ ~ - r t x 6 cja) ,das Höchst-
hfensch seine W'ahrnehmiingswelt durch ein ideelles Gedan- 'l maß von Macht und Kraft zu - wir nennen sie die «k/assische
kenreich überbauen, andererseits eben hierd~irchseinem ihm ein- Theorie)) vom Menschen. Sie ist Bestandteil einer Gesam~welt-
wohnendenGeistedieir1 den vcrdrängtenTriebenschlummernde
anschauung, die behauptet, daß das von vornherein beste-
Enrrgie steigcnd zuführen. D. h. der Mensch kann seine Trieb- hende und durch den Werdeprozeß der Geschichte unver-
energie zu geistiger Tätigkeit «sr,blir/~ieren». änderliche Sein der Welt (Kosmos) sogebaut sei, daß die je hiihe-
renFormen des Seins von der Gottheit bis zur materia brura auch
die je mächtigeren, kraftvolleren, also die kausierendenseinswei-
Hier aber erhebt sich wiederum eine entscheidende Frage:
Sen sind. Der Höhepunkt einer solchen Welt ist der geistige und
Entsflringt durch diese Askesc, Verdriingung, Sublimierung, allmächtige, der eben durch seinen Geist auch allmächtige Gott.
erst der Geist', oder erhält er durch sie nur seine Energie? Ist Die zweite entgegengesetzte Lehre, die wir die <tne<<ative
diese innere Technik - wenngleich durch das «non fiat» des
Theorie» des Menschen nennen, vertritt umgekehrt die Meinung,
triebhemmenden \\'ollens selbst schon bedingt - nur eine daß der Geist selbst - soweit dieser Begriff dann überhaupt zu-
Dispositionsschaffung für die Manifestation des Geistes im gelassen wird -, daß zum mindesten alle (<kulturerzeugenden»
Menschen, oder aber entspringt der Geist seinem Wesen, Tätigkeiten des Menschen, alle logischen, moralischen, ästhe-
seinen Prinzipien und seinen Gesetzen nach erst durch diese tisch-schauenden und künstlerisch-bildenden Akte, ausschließ-
Art Verdrängung, Sublimierung? lich durch jenes «Nein» erst erstehen.
Nach meiner Uberzeugung ist durch jene negative Tätig- Beide Theorien weise ich zurück. Ich behaupte, daß der
keit, jenes «Nein» zur Wirklichkeit, jene Abstellung, Inakti- Geist zwar eigenes Wesen und Gesetzlichkeit hat, aber keiner-
vierung, der Wirklichkeit und Bild gebenden Triebzentren lei ursprüngliche Eigenenergie; daß zwar durch jenen nega-
keineswegs das Sein des Geirtes, sondern nur gleichsam seine tiven Akt des (selbst schon geistigen) triebhemmerlden Wol-
' Vgl. «Jenseits des Lustprinzips)). lens die Energisierung des von Hause aus ohnmächtigen, nur
17
in einer Gruppe von reinen ((Intentionen))bestehenden Gei- Zeugung der Kulturwelt von einem Wesensunterschied von
stes erfolge - nicht aber hierdurch der Geist allererst ctent- Mensch und Tier rechtfertigen kann. E r hat Schopenhauers
spri~lge)).
- .- Lehre zu der These erweitert, das ((Prinzip der Menschlichkeit))
nenne ich einige (in sich liege ausschließlich darin, daß der Mensch seine Organe aus
Buddhas ErIn- dem Lebenskampf der Individual- und Arterhaltung ((auszu-
sungslehre, Schopenhauers Lehre von der ((Selbstnegation des schalten))gewußt habe zu Gunsten des Werkzeugs, der Sprache,
Willens zum Leben)), ferner das beachtenswerte Buch von der Begrigsbildung, welch letztere er auf die Ausschaltung der
Paul Alsberg «Das Menschhcitsrätsel)), endlich auch die Sinnesorgane und -funktionen und auf das Machsche Prinzip
Spätlehre Sigmund Freuds, besonders in ((Jenseits des Lust- einer möglichsten ((Ersparnis))sinnlicher Inhalte zurückführt.
prinzips)). Ausdrücklich weist Alsberg es ab, den Menschen durch Geist
Für Buddha, der mit unvergleichlicher Tiefe erkannte, daß und Vernunft erst zu definieren. Die Vernunft, die er fälsch-
Wirklichkeitsgegebenheit Leiden am Widerstande ist, endet lich - wie sein Lehrer Schopenhauer - nur als diskursives Den-
der Sinn des menschlichen Daseins in der Erlöschung seiner ken, insbesondere als Begriffsbildung kennt, ist ihm eine
als Begierdesubjekt bzw. in der Erwirkung einer nur noch ge- Folge der Sprache, nicht ihre Wurzel; die Sprache selbst sieht
schauten Wesenswelt, d. h. der Nichtsheit, oder mythologisch er als ((immaterielles Werkzeug)) zwecks Ausschaltung der
ausgedrückt: des ((Nirwana)). Eine positive Idee des Geistes Arbeit der Sinnesorgane an. Als Grund für die Entstehung
besitzt Buddha nicht, weder im Menschen noch im Welt- dieses ((Prinzips der ~Menschlichkeit)),diese Tendenz des Le-
grunde. Nur eine Technik der Erkenntnis und des leidenüber- bens, seine Organe auszuschalten und ((Werkzeuge))und ((Zei-
windenden ((heiligen Wissens)) und die kausale Ordnung, in chen)) an die Stelle der lebendigen Organfunktionen zu setzen,
der, bei Ausübung der Technik der Entwirklichung, durch damit auch als Grund der steigenden ((Vergehirnlichung))des
innere Aufhebung der Begier, dessen, was er den ((Durst)) Menschen im morphologischen und physiologischen Sinne,
nennt, die sinnliche Wirklichkeitswelt und die Leib- und See- sieht Alsberg die besonders rnancfelbafte Organanpassung des
lenvorgänge dahinschwinden - die sinnlichen Qualitäten, die Menschen an seine Umwelt an: Mangel an Greiffuß, Kletter-
Gestalten, die Relationen, Räumlichkeit und Zeitlichkeit des fuß, Klauen, Eckzähnen, Haarkleid usw., d. h. den Mangel an
Seins Stück für Stück wegfallen -, hat er tiefsinnig erkannt *. jenen spezifischen Organanpassungen, die seine nächsten An-
Schopenhauer sieht das Wesensmerkmal der Verschieden- verwandten, die Xienschenaffen, besitzen. Das, was man
heit von Tier und Mensch ausschließlich darin, daß das Tier «Geist» nennt, ist also für Alsberg nur ein spät entstandenes
jene «erlösende» Negation des Willens zum Leben nicht zu Surrogat für mangelnde Organanpassung - man könnte im
vollziehen vermag, die der Mensch in seinen höchsten Exem- Sinne Alfred Adlers, der auf diese Weise gewisse Hochbega-
plaren vollziehen kann, - jene Negation, die Schopenhauer wie bungen des Menschen erklärt, sagen: eine Üb~rkorn~ensation
seinem Lehrer Bouterwek der Quell ist aller ((höheren For- konstitutioneller Organminderwertigkeit der Menschenart.
men» des Bewußtseins und Wissens in Metaphysik, Kunst, Auch die Spätlehre Freuds gehört, wie ich sagte, in den
Mitleidsethos. Kreis der negativen Theorie des Menschen. Die Worte ((Trieb-
Alsberg, ein Schüler Schopenhauers, erkennt sehr richtig, und Affektverdrängung)) hatte sogar schon Schopenhauer aus-
daß weder ein morphologisches noch ein physiologisches noch drücklich gebraucht, um, wie er sich ausdrückt, bestimmte
ein empirisch-psychologisches Merkmal die allgemeine Uber- ((Wahnformen)) zu erklären. E s ist bekannt, wie großartig
59
Freud diesen Gedanken für die Entstehung der Neurose aus- Thesen einseitiger, nur auf Lebenswerte bezogener «Psychi-
gebaut hat. Aber nach Freud sollen diese selben Triebverän- ker» - wenn ich den alten Unterschied von Psychiker und
derungen, die nach der einen Richtung die Neurose erklären Pneumatiker hier anwenden darf. Selbst Buddha war ein aus-
sollen, für den Fall, daß die verdrängte Energie der Triebe geprägter Psychiker. Ich bin sogar der Meinung, daß die ge-
«sublimiert» wird, nichts weniger hervorbringen als die Fä- samte indische Kultur die s p e z i k h griechische
~ + - --und abend-
higkeit zu jeder Art höherer Kulturgestaltung, ja, wie Freud Iändische Kategori-e des..oGeistes» nicht besaß. Alle indischen
ausdrücklich sagt, die SpeqiJitar der menschlichen Koilstitution Systeme sind entweder positiver oder negativer Biologismus,
selbst. So heißt es ausdrücklich: «Die bisherige Entwicklung und dies sowohl der Eigenart des Anorganischen gegenüber,
des Menschen scheint mir keiner anderen Erklärung zu be- wie der Eigenart des Geistigen. Doch dies nebenbei.
dürfen als die der Tiere, und was man an einer hlinderzahl von Der Grundmangel jeder A n von negativer Theorie des Gei-
menschlichen Individuen als rastlosen Drang zu weiterer Ver- stes ist die Tatsache, daß sie keine Spur Antwort auf die fun-
vollkommnung beobachtet, läßt sich ungezwungen als Folge damentalen Fragen gibt: Wa.r denn im Menschen negiert, was
der Triebverdrängung verstehen, auf welcher das LVertvollste denn verneint den Willen zum Leben, was verdrängt Triebe?
an der menschlichen Kultur aufgebaut ist1». Man hat noch viel Und aus welchem verschiedenen Letztgrunde wird die ver-
zu wenig darauf geachtet, daß der späte Freud, seit Aufstel- drängte Triebenergie das eine Mal Neurose, das andere Mal zu
lung seiner dualistischen Lehre von den zwei Grundtrieben kulturgestaltender Tätigkeit sublimiert*. Wohin wird subli-
Libido und Todestrieb, nicht nur mit Schopenhauer, sondern miert? Und wieso stimmen die Prinzipien des Geistes (zum
selbst direkt mit Buddhas Lehre einen seltsamen, zuweilen zu mindestens partiell) mit den Seinsprinzipien überein? Endlich:
klarer Bewußtheit gelangenden Zusammenhang gewinnt. Wozu wird sublimiert, verdrängt, der Lebenswille negiert -
Nach beider Lehre sind im Grunde alle Formen des Daseins, um welcher Endwerte und Endziele willen? Auch Alsberg

~
von materiellen Dingen an über Pflanze, Tier, Mensch bis zu muß man fragen: Was ist es denn, was die Organausschaltung
dem das ((heilige Wissen)) besitzenden Weisen, gleichsam leistet, was die materiellen und immateriellen Werkzeuge er-
Gruppen eines erstarrten Festzuges in die stille Nichtsheit, in findet? Und werden die Organe denn wirklich «ausgeschal-
I tet» - und nur um derselben Werte und Ziele willen, die auch
den ewigen Tod. Ist doch nach Freud - der (fälschlich, wie ich
glaube,) demOrganismus überhaupt eine Tendenz schlechthin- dem Tiere eigen sind: zur Individual- und Arterhaltung auf
niger Soseinserhalfilng, eine Tendenz zur Ruhelage, zu Reiz- dieser Erdrinde? Das «Bedürfnis» allein, das schon Lamarck
schutz und Reizverweigerung beilegt - schon das Macht- für die Organneubildung so maßlos überschätzte, wenn er es
System, das beim Ticre (im Gegensatz zur Pflanze) zu den Er- selbst als letzte Ursache auch seiner eigenen Befriedigung an-
nährungs-, Wachstums- und Fortpflanzungssystemen hinzu- sieht, genügt keineswegs als Erklärung. Und warum starb
tritt und sich zwischen sie und die Umwelt einschaltet, eine denn diese organisch so schlecht angepaßte Art, die «Mensch»
relative Leistung des im Grunde sadistischen, zerstörerischen I
heißt, nicht aus, wie Hunderte anderer Arten auch ausstarben?
Todestriebes als der Ursehnsucht des Lebens «ins Anorga- Wie war es möglich, daß dieses schon fast zum Tode ver- /
nische zurück)). urteilte Wesen, dieses kranke, zurückgebliebene, leidende Tier
Auch nicht einer dieser Thesen der ((negativen Theorie)) des mit der Grundhaltung ängstlicher Selbstumhüllung, des '
Geistes kann ich meine Zustimmung geben. E s sind lauter ! Selbstschutzes seiner schlecht angepaßten, überverletzlichen
' Vgl. ((Jenseitsdes Lustprinzips))( r g r g ) , S. 40. 1
Organe, sich in das ((Prinzip der Menschlichkeit)) und damit :
60 i 61
in die Zivilisation und Kultur rettete - und das heißt doch: in das Endziel ist wieder etwas Positives: die Macht- und Tätig-
das Prinzip eines objektiven Fortschritts und Wachstums der keitsgewinnung des Geistes, das innere Freier- und Selbstän-
Sinngebilde des objektiven Geistes? Wie rettete es sich aus digerwerden, sagen wir kurz: die Verlzhendigirng des Geistes.
dieser «Sackgasse» (die ich als solche rein biologisch zugebe) Das allein verdient rechtmäßig «Sublimierung» des 1,ebens
einer Lebensrichtung? Sicher doch nicht durch Vernunft, durch zum Geiste genannt zu werden --nicht aber ein mystischer Vor-
Geist, der ja erst durch Askese, Verdrängung, Organausschal- garig, der den Geist aus der T r i e b ~ e r d r ä n g u nentspringen
~
tung entsprungen sein soll! Man hat gesagt, der Mensch habe lassen und neue geistige Qualitäten schaffen soll.
einen Triebüberschuß als ursprüngliches Artmerkmal und Damit kommen wir zur «klassischen» Theorie des Geistes
daher habe er verdrängen müssen (A. Seidel*); aber dieser zurück. Sie ist, wie ich schon sagte, ebenso falsch wie die «ne-
Triebüberschuß dürfte doch wohl gerade umgekehrt erst die gative)) Theorie; da sie aber fast die gesamte Philosophie des
Folge der bereits vollzogenen Triebveränderung sein - und Abendlandes beherrscht, ist ihr Irrtum ein viel gefährlicherer.
keineswegs ihre Ursache! Diese Theorie mit ihrem Ursprung im griechischen Geist- und
Ideenbegriff ist die Lehre von der Selbstmacht der Idee, ihrer
tritt,das^^^
Die negative Theorie setzt eben in jeder Form, in der sie auf-
sie erklärt werden soll, immer schon vor-
aus: den Gei~t,- e Vernunft, eine eigene selbständige Gesetz-
ursprünglichen Kraft und Tätigkeit, ihrer Wirkfähigkeit, - die die
Griechen zuerst konzipierten und die durch sie hindurch zu
lichkeit desCeistes und die teilweise Identität seiner Prinzi- einer Grundauffassung des größten Teiles des abendländi-
pien mit denen des Seins selbst. Eben der Geist ist es, der be- schen Bürgertums geworden ist1.
reits die Triebverdrängung einleitet, indem der idee- und wert- O b diese klassische Theorie des Geistes auftritt bei Platon
geleitete geistige «Wille» den idee-wertwiderstreitenden Im- und Aristoteles, wo die «Ideen» bzw. die «Formen» zugleich
pulsen des Trieblebens die zu einer Triebhandlung notwen- als gestaltende Kräfe auftreten, die aus einem 6v bzw. dem
digen Vorstellungen versagt, andererseits den lauernden Trie- «Möglichsein« der prima materia die Weltdirige formen; ob
ben idee- und wertangemessene Vorstellungen gleichsam wie sie in der theistischen Form jüdisch-christlicher Religiosität
Köder vor Augen stellt, um die Triebimpulse so zu koordi- erscheint, die Gott nur «reinen Geist)) sein läßt und ihm als
nieren, daß sie das geistgesetrte Willenprojekt ausführen, in Wirk- solchen nicht nur Leitung und Lenkung (Hemmen und Gut-
lichkeit überführen. Diesen Grundvorgang nennen wir (den- hemmen), sondern einen positiven schöpferischen, ja sogar all-
hng», die in einem «Hemmen» (non fiat) und ((Enthemmen mächtigen Willen beilegt; o b sie in mehr pantheistischer Form
(non non fiat) von Triebimpulsen durch den geistigen Willen auftritt, wie bei Fichte oder in Hegels Panlogismus, nach wel-
besteht, und «Leitung» die Vorhaltung - gleichsam - der Idee chem die Weltgeschichte auf der Selbstexplikation der gött-
und des Wertes selbst, die dann je erst durch die Triebbewe- lichen Idee nach einem Gesetz der Dialektik beruhen soll, der
gungen sich verwirklichen. Was aber der Geist nicht vermag, Mensch in seinem Kerne nur das werdende Selbstbewußtsein,
ii ist dies: selbst irgendwelche Triebenergie erreugen oder auf- das werdende Bewußtsein der Freiheit ist, das die ewige gei-
\ heben, vergrößern oder verkleinern. Er vermag nur je ver- stige Gottheit von sich selbst in ihm, in seiner Geschichte,
' schiedene Triebgestalten hervorzurufen, die eben das den Or- gewinnt - überall und immer krankt die klassische Theorie an
/
ganismus handelnd vollziehen lassen, was er, der Geist, Soziologisch ist also die klassische Theorie eine Klassenideologie, die
«will». Aber nicht nur diese durch die Vorstellungsregulation Ideologie einer Oberklasse, des Burgertums. Vgl. ineine ((Probleme einer
vermittelte, vom Geiste ausgehende Triebregulation - auch
I Soziologie des Wissens)) a.a.0.

63
demselben Irrtum, den abzutun der Menschheit die schwer- konstant so geordnet sei, das die höheren Seinsformen nicht
sten Erfahrungen kostet: es besitze Geist und Idee eine ur- nur an Sinn und Wert, sondern - hier beginnt der Irrtum -
sprüngliche Selbstmacht - er sei auch ohne den Lebensdrang ein auch an Kraft und h h h t ~zrnehmen,je höher sie sind. Für uns ist
mächtiges, ja allmächtiges I'rinzip. Hier beginnt das relative es ein ebenso großer Irrtum, die je höhere Seinsform - 2.B.
Recht der großen Gegner der klassischen Lehre, der Trieb- das Leben gegenüber dem Anorganischen, das Bewußtsein
naturalisten, von Epikur, Hobbes, Machiavell, Lamettrie bis gegenüber dem unbewußten Leben, den Geist im Verhältnis zu
zu Schopenhaiier, Marx und Freud, die aber in ihrer reaktiven den untermenschlichen Bewußtseinsformen im Menschen selbst
Opposirion gegen die klassische Lehre ihrerseits gerade die und außerhalb des Menschen - genetisch entsprungen zu denken
Wahrheit preisgaben, die in dieser Lehre liegt: die Autonomie aus Prozessen, die zu den niedrigeren Seinsformen gehören
des Geistes in seiner Essentia und seinen Gesetzen, - damit (Materialismus und Naturalismus), wie umgekehrt anzuneh-
aber ihre eigene Theorie, wie jede Theorie überhaupt, entwer- men, die höheren Seinsformen seien Ursacht. der niedrigeren, es
tend. Denn die Autonomie des Geistes ist die oberste Voraus- gebe 2.B. eine Lebenskraft, eine Bewußtseinstätigkeit, einen
setzung für die Idee der «Wahrheit» und ihre mögliche Er- von Hause aus mächtigen tätigen Geist (Vitalismus und Idealis-
kennbarkeit. mus). Führt die negative Theorie zu falscher mechanistischer
Die klassische Lehre tritt vor allem in swei Hauptfornzen Allerklärung, so führt die klassische Lehre zu dem haltlosen
auf: in der Lehre von der geistigen Seelensubstanz im Men- Un-Sinn einer sog. «teleologischen» Weltanschauung, wie sie
schen und in jenen Lehren, nach denen nur ein einziger Geist die gesamte theistischePhilosophiedes Abendlandes beherrscht.
existierr, im Verhälinis zu dem alle einzelnen Geister nur Modi Sehr treffend drückt den gleichen Gedanken, den ich bereits in
oder Tätigkeitszentren dieses Geistes sind (Averroes, Spinoza, meiner «Ethik» vertreten habe, Nikolai Hartmann aus: «Die
Kant, Fichte, Hegel, Schelling, V. Hartmann). Die Substanz- höheren Seins- und Wertkategorien sind von Hause aus die
lehre der Seele beruht auf der unberechtigten Anwendung der schwächeren)).
äußeren Dingkategorie oder, in ihrer älteren Form, der orga- Der Kräfte- und Wirkstrom, der allein Dasein und zufälliges
nismenhaften Scheidung und Anwendung der Kategorien von Sosein zu setzen vermag, läuft in der Welt, die wir bewohnen,
«StoA» und «Form» auf das Verhältnis von Leib und Seele nicht von oben nach unten, sondern von unten nach oben! In
(Thomas von Aquin). Beide Anwendungen kosmologischer stolzester Unabhängigkeit steht die anorganische Welt in ihrer
Kategorien auf das zentrale Sein des Menschen verfehlen ihr Eigengesetzlichkeit da - an ganz wenigen Punkten so etwas
Ziel. Das geistige Aktzeni-rum, die Person des Menschen, ist wie «Lebendiges» enthaltend. In stolzer Unabhängigkeit steht
keine Substanz, sondern eine monarchische Anordnung von Pflanze und Tier dem Menschen gegenüber, wobei das Tier
Akten, unter denen je einer die Führung und Leitung besitzt weit mehr vom Dasein der Pflanze abhängig ist als umgekehrt:
und auf denjenigen Wert und die Idee gerichtet ist, mit denen die tierische Lebensrichtung bedeutet gegenüber der pflanz-
der Mensch sich je «identifiziert«. lichen Richtung nicht nur einen Gewinn, sondern auch einen
Aber sehen wir von der Kritik der Einzelgestaltungen dieser Verlust, da sie den direkten Verkehr mit dem Anorganischen
Lehre ab. Der Grundirrtum, aus dem die «klassische» Theorie nicht mehr besitzt, den die Pflanze durch ihre Art der Ernäh-
in ihrer Gesamtheit stammt, ist ein tiefer, grundsätzlicher, mit rung hat. In analoger Unabhängigkeit steht in der Geschichte
dem ganzen Weltbild zusammenhängender Irrtum: anzuneh- des Menschen die Masse als solche in der Eigengesetzlichkeit
men, daß diese Welt, in der wir leben, von Hause aus und ihrer historisch trägen Bewegungen da gegenüber den hö-
65
heren Formen des menschlichen Daseins. Fast nur wie ein und die Wesensregionen der Weltgestaltung - verwirklicht
glücklicher, gnadenreicher Zufall erscheint es zunächst un-, aber wird sie durch ein anderes Prinzip, das ebenso ursprüng-
Seren endlichen Augen, wenn die Erde oder irgendein ferner lich wie das geistige dem Crseienden eigen ist: durch das reali-
Stern «lebensreif»wird: reif, Leben zu tragen, oder wenn der tätschaffende und die zufälligen Bilder bestimmende Prinzip,
eigengesetzliche Zug menschlicher Massenbewegungen in eine das wir «Drang» bzw. bilderschaffende ((Drangphantasien
Richtung gerät, in der die Masse den Genius auch nur zu dulden nennen.
vermag - geschweige denn darüber hinaus ihre Interessen und Das Mächtigste, was es in der Welt gibt, sind die ideen-,
Leidenschaften seine Ideen und Werte aufzunehmen vermö- formen- und gestalt<tblinden»Kraftxentren der anorganischen
gen, um sich durch sie befruchten zu lassen. Welch seltener Welt als unterste Wirkpunkte dieses Dranges. Nach einer im-
Glücksfall, wenn in dieser Welt der sittlich Gutwillige und mer stärker sich verbreitenden Auffassung unserer heutigen
Gutgesinnte auch Erfolg hat - das erreicht, was wir «histo- theoretischen Physik unterliegen diese Zentren walirschein-
rische Größe)) nennen, d.h. erhebliche Wirkmacht auf die lich überhaupt keiner ontischen Gesetzlichkeit in ihrem Zu-
Geschichte I Kurz und selten sind die Blüteperioden der Kultur und Gegeneinander, sondern nur einer Zufallsgesetzliclikeit
in der menschlichen Geschichte. Kur? und selten ist das Schöne in statistischer Art. Erst der Mensch als Lebewesen bringt - nicht
seiner Zartheit und Verletxlicbkeit. aus rationaler, sondern biologischer Notwendigkeit, d. h. um
Das ursprünglich aller Macht, aller Wirksamkeit Bare ist handeln zu können - dadurch, daß seine Sinnesorgane und -funk-
gerade der Geist, je reiner er Geist ist. tionen mehr die regelmäßigen als die unregelmäßigen Vor-
Die wahre, ursprüngliche Anordnung der Beziehungen, die gänge der Welt indizieren, jene ((Naturgesetzlichkeit)) in die
zwischen den höheren bzw. niederen Seinsformen und Wert- Welt hinein, die der Verstand nachher abliest. Nicht das Ge-
kategorien und den Kräften und Mächten bestehen, in welchen setz ist es, das hinter dem Chaos von Zufall und Willkür im
sich diese Formen verwirklichen, ist gekennzeichnet mit dem ontologischen Sinne liegt, sondern das Chaos ist es, das sich
Satze: «Mächtig ist mprünglich das Niedrige, ohnmächtig das hinter dem Gesetz formalmechanischer Art türmt! Würde sich
Höchste)). Jede höhere Seinsform ist im Verhältnis zu der nie- die Lehre, daß alle Katurgesetzlichkeiten im letzten Grunde
drigeren relativ kraftlos - und sie verwirklicht sich nicht durch nur statistische Bedeutung haben, daß alle Naturvorgänge
ihre eigenen Kräfte, sondern durch die Kräfte der niedrigeren. (auch in der Mikrosphäre) schon Gesamtvorgänge sind, die aus
Der Lebensprozeß, an sich ein gestalteter Vorgang in der Zeit der 'VCrechselwirkung willkürlicher Krafteinheiten resultieren,
von eigener Struktur, wird verwirklicht ausschließlich durch die durchsetzen, so würde unser gesamtes Naturbild eine unge-
Stoffe und Kräfte der anorganischen Welt. Ganz analog steht heure Wandlung erfahren: Als die wahren ontischen Gesetze
der Geist zum L e b ~ n .Wohl kann der Geist durch den Prozeß erwiesen sich dann die sog. Gestaltgesetxe, d. h. Gesetze, die eine
der Sublimierung Macht gewinnen, können die Lebenstriebe gewisse Zeitrhythrnik des Geschehens und, von ihr abhängig
in seine Gesetzlichkeit und in die Ideen- und Sinnstruktur, die wieder, gewisse statische Gestalten des körperlichen Daseins
er leitend ihnen vorhält, eingehen (oder nicht eingehen) vorschreiben'. Und da innerhalb der Lebenssphäre, sowohl
und im Verlaufe dieses Eingehens und Durchdringens in In- der physiologischen wie der psychischen, sicher nur Gesetze von
dividuum und Geschichte dem Geiste Kraft ver-leihen - aber von der Art der Gestaltgesetze (obzwar nicht notwendig nur die ma-
Hause aus und ursprünglich hat der Geist keine eigene Energie. Die l Vgl. meine Ausführungen in der Abhandlung ((Erkenntnisund Arbeit)),
höhere Seinsform ((determiniert)) wohl sozusagen das Wesen Abschn. V.
66
terialen Gesetze der Physik) gelten, so würde die Gesetzlich- fassung von der Bedeutung des menschlichen Geistes und
keit der Natur durch diese Auffassung wieder ein streng ein- Willens auf den Gang geschichtlicher Dinge zu eigen machen.
heitliche. Geist und Wollen des Menschen kann - ich sagte es - nie
Dann aber wäre es nicht ausgeschlossen, den Begriff der mehr bedeuten als «LRitung» und «Lenkung».* Und das bedeutet
«Sublimierung» auf allei Weltgeschehen zu formalisieren. immer nur, daß der Geist als solcher den Triebmächten Ideen
Sublimierung fände dann in jedem Grundvorgang statt, durch vorhält, und das Wollen den Triebimpulsen - die schon vor-
den Kräfte einer niedrigeren Sphäre des Seins im Werdeprozeß handen sein müssen - solche Vorstellungen zuwendet oder
der Welt allmählich in den Dienst eines höher gestalteten Seins entzieht, die die Verwirklichung dieser Ideen konkretisieren
und Werdens gestellt würden, wie z. B. die zwischen den Elek- können. Ursprüngliche determinierende Lenkdetermination
tronen sich abspielenden Kräfte in den Dienst der Atom- hat also das zentrale geistige Wollen nicht auf die Triebe selbst,
gestalt, oder die innerhalb der anorganischen Welt tätigen sondern auf die Abwandlung der Vorstellungen. Ein direkter
Kräfte in den Dienst der Lebensitruktur. Die Menschwerdung Kampf des reinen Willens gegen die Triebmächte, d. h. ohne
und die Geistwerdung müßte dann als der bislang letzte Subli- solche Vorhaltung von Ideen bzw. Zuwendung oder Ent-
n~ierungi~lorgungder Natur angesehen werden - gleichzeitig sich ziehung von Vorstellungen, ist eine Unmöglichkeit. Wo er
äußernd in der immer größeren Zuwendung der vom Organis- intendiert wird, regt er im Gegenteil die Triebe weit mehr in
mus aufgenommenen äußeren Energien an die komplizierte- ihrer einseitigen Richtung auf. Das ist schon die Erfahrung des
sten Prozesse, die wir kennen, die Erregungsprozesse der Ge- Paulus gewesen, wenn er sagt, das Gesetz gehe umher wie ein
hirnrinde, und in dem analogen psychischen Vorgang der brüllender Löwe, um die Menschen mit Sünde anzufallen. (In
Triebsublimierung als Umsetzung der Triebenergie in «gei- jüngster Zeit hat u.a. William James über diesen Punkt tiefe
stige)) Tätigkeit. Bemerkungen gemacht.) Das Wollen erwirkt immer das Ge-
Den gleichen Vorgang der Auseinandersetzung von Geiit und genteil von dem, was es will, wenn es sich, anstatt einen hö-
Leben treffen wir in anderer Form wieder in der Menschen- heren Wert zu intendieren, dessen Verwirklichung das Schlechte
geschichte an. Sicher gilt für sie nicht die These Hegels, daß sie vergessen läßt und die Energie des Menschen anxieht, auf die
auf einer Explikation bloßer Ideen auseinander beruhe, viel- bloße Bekämpfung, Negierung eines Triebes richtet, dessen
mehr durchaus der Satz von Kar1 Marx, daß Ideen, die keine Ziel als «schlecht» vor dem Gewissen steht. So muß der
Interessen und Leidenschaften hinter sich haben - und das Mensch auch sich selber dulden lernen - auch diejenigen Nei-
heißt: Mächte, die aus der Vital- und Triebiphäre des Men- gungen, die er als schlecht und verderblich in sich erkennt.
schen stammen -, sich in der Weltgeschichte unweigerlich zu E r darf sie nicht durch direkten Kampf angreifen, sondern
«blamieren»pflegen.' Trotzdem aber zeigt die Geschichte eine . muß sie indirekt überwinden lernen durch Einsatz seiner
im großen und ganzen zunehmende Ermächtigung der Vernunft, Energie für wertvolle Aufgaben, die sein Gewissen als gut
aber eben nur durch und auf Grund einer zunehmenden und trefflich erkennt und die ihm zugänglich sind. In der
Aneignung der Ideen und Werte durch die großen triebhaften Lehre vom «Nichtwiderstand» gegen das Böse schlummert,
Gruppentendenzen und die Interessenverzahnungen zwischen wie schon Spinoza in seiner «Ethik»so tiefsinnig ausgeführt hat,
ihnen. Auch hier müssen wir uns eine weit bescheidenere Auf- eine große Wahrheit.
I Ich habe dies eingehend in meinen ((Problemen einer Wissenssoziolo- Unter diesen Begriff der Sublimierung gebracht, stellt die
gie» gezeigt; s. Teil I Menschwerdung, wie ich schon sagte, die uns bekannte höch~te
I

68
69
Sublimierz~ng- und zugleich die innigste Ein@ng aller Wesens- im Drange der Geschichte der Welt im Menschen und durch
regionen der Nafz~rdar. Denn der Mensch faßt alle U'esensstufen den Menschen die ewige deitas verwirklicht. Und nur im selben
d e j Daseins überhaupt, insbcsondere des Lebens in sich zu- Maße kann dieser - an sich zeitlose, aber sich für endliches Er-
sammen - wenigstens den W'esensregionen, niclit deren zu- leben zeithaft darstellende - Prozeß seinem Ziele, der Selbst-
fälliger Ausgest:ilrung und noch weniger quantitativer Ver- verwirklichung der Gottheit, näher rücken, als das, was wir die
teilung nach. Vor einem \Veltbild, wie es hier angedeutet ist, ((Welt» nennen, der vollkommene Leib der ewigen Substanz
zergeht der Gegensatz, der so viele Jahrhunderte beherrscht geworden sein wird.
hat: der Gcgensatz einer «teleologischen» und «mechanischen» Erst in der Bewegung dieses gewaltigen Wettersturmes, der
Erklärung der Weltwirklichkeirl. die «Welt» ist, kann eine Angleichung der Ordnung der Seinsfor-
Dieser Gedankengang kann auch vor dem höchsten Sein, men und der Werte an die tatsächlich wirksamen Mächte und
dem U'eltgrunde, nicht stille halten. Auch das Sein, das nur umgekehrt dieser an jene erfolgen. J a im Verlauf dieser Ent-
((durchsich selbst))ist und von dem alles andere abhängt, kann, uricklung kann eine allmähliche Umkehrrrng des ursprünglichen
sofern ihm das Attribut des «Gei.rtes» zugesprochen wird, als Verhältnisses eintreten, nach welchen die höheren Seinsformen
geistiges Sein keinerlei ursprüngliche Macht oder Kraft be- die schwächeren, die niedrigeren die stärkeren sind. Anders
sitzen. Es ist vielmehr jenes andere Attribut, die «natura na- ausgedrückt : Die gegenseitige Durchdrirrg/lng des ursprünglich
fnrcrnsn im höchsten Sein, der allmächtige, mit unendlichen ohnmächtigen Geistes und des ursprünglich dämonischen,
J3ildern geladene «Drang», der die Wirklichkeit und das durch d.h. gegenüber allen geistigen Ideen und Werten blinden
\K1esensgeserze und Ideen niemals eindeutig bestimmte zufäl- Dranges: die werdende Ideierung und Vergeisftyung der Drang-
lige Sosein diescr Wirklichkeit zu verantworten hat. Nennen sale, die hinter den Bildern der Dinge stehen, und die gleich-
wir das rein geistige Attribut im obersten Grunde alles end- zeitige Ermächtigung d. h. Verlebendigung des Geistes ist das
lichen Seins «deitas», so kommt ihr, kommt dem, was wir den Ziel und Ende endlichen Seins und Geschehens. Der Theis-
«Geist» und die «Gott-heit» in diesem Grunde nennen, kei- mus stellt es fälschlicherweise an seinen Ausgangspunkt.
nerlei positive schöpferische hlacht zu. Der Gedanke einer
«Weltschöpfung aus nichrsn zerfällt vor dieser Folgerung.
Wenn in dem «Sein durch sich selbst» diese Urspannung rson Wir sind ein wenig hoch gestiegen. Kehren wir zurück zu dem
Geist und Drang gelegen ist, dann muß das Verhältnis dieses der Erfahrung näher liegenden Proiilem der menschlicherz Natur.
Seins zur Welt ein anderes sein. Wir drücken dies aus, wenn Für die Neuzeit hat die klassische Theorie des Menschen ihre
wir sagen:Der Grund der Dinge mußte, wenn er seine deitas, wirksamste Form gefunden in der /,ehre des Descartes, die
die in ihr angelegte Ideen- und Wertfülle ver~~irklichen wollte, wir eigentlich erst in jüngster Zeit abzuschütteln im Begriff
den weltschaffenden Drang enthemmen, um im zeithaften.Ab- sind. Dadurch, daß er alle Substanzen in «denkende» oder
lauf des Weltprozesses sich selbst zu verwirklichen - er mußte ((ausgedehnte))einteilte und lehrte, dxß der Mcnsch allein von
den Weltprozeß sozusagen in Kauf nehmen, um in und durch allen Wesen aus diesen beiden in \Y.'echselwirkun~stehenden
den zeithaften Ablauf dieses Prozesses sein Vi'esen zu verwirk- Substanzen bestehe, hat Descartes in das abendländische Be-
lichen. Und nur in dem Maße wird das «Sein-durch-sich» zu wußtsein ein ganzes Heer von Irrtümern schwerster Art über
einem Sein, das würdig wäre, göttliches Dasein zu heißen, als es die menschliche Natur eingeführt. hlußte er doch auf Grund
Vgl. dazu meine Abhandlung ((Erkenntnisund Arbeit)) a.a.0. dieser Einteilung selbst den Un-Sinn in Kauf nehmen, allen
Pflanzen und Tieren die psychische Natur abzusprechen, und zwischen den Sensationen und dem Triebleben vermittelt. Fer-
den «Schein» der Beseelung von Tier und Pflanze, den die ner hat sich das System der Rlutdrüsen ohne Ausgang (Schild-
ganze Zeit vor ihm für Wirklichkeit genommen hatte, durch drüse, Keimdrüse, Hypophyse, Nebenniere), deren Funktions-
anthropopathische «Einfühlung>)unserer Lebensgefühle in die art das menschliche Triebleben und die Affektivität, ferner Hö-
äußeren Bilder der organischen Natur erklären - und alles, was hen- und Breitenwuchs, Riesen- und Zwergwuchs, wahrschein-
nicht menschliches BewuJtsein und Denken ist, rein mecha- lich auch die Rassencharaktere determiniert, 21s die eigentliche
nisch erklären. Nicht nur die widersinnigste Ubersteigerung Vermittlungsstelle zwischendem ganzen Organismus, samt seiner
der «Sonderstellung» des Menschen, seine Herausreißung aus Gestaltungsform, und jenem kleinen anhängenden Teil des See-
den Mutterarmen der Natur war die Folge - auch die Grund- lenlebens erwiesen, den wir «Wachbewußtsein» nennen. Es ist
kategorie des Lebens und seiner Urphänomene wurde dadurch der ganre Körper, der heute wieder das physiologische Parallel-
mit einem Federstrich einfach aus der weit herausgeworfen. feld der seelischen Geschehnisse geworden ist, keineswegs nur
Die Welt besteht für Descartes aus nichts als aus «denkenden» das Gehirn. Von einer so äußerlichen Zusammenbindung einer
Punkten und einem gewaltigen, mathematisch zu erforschen- Seelensubstanz mit einer Körpersubstanz, wie sie Descartes an-
den Mechanismus. Wertvoll an der Lehre Descartes ist nur nahm, kann gar nicht mehr ernstlich die Rede sein.
eines: die neue Autonomie und Souveränität des Geistes (aller- Die Philosophen, Mediziner, Naturforscher, die sich heute
dings bei ihm auf Ratio reduziert und diese mit Intelligenz ver- mit dem Problem fion Leib und Seele beschäftigen, konvergieren
mischt), die Erkenntnis der C'berlegenheit des Geistes über alles immer mehr zur Einheit einer Grundanschauung : Ein und das-
Organische und Nur-Lebendige, die er bei der mittelalterlichen selbe Leben ist es, das in seinem Innesein pgchische, in seinem
Identifizierung der forma corporeitatis mit der Geistseele nicht Sein für andere leibliche Formgestaltung besitzt. Man führe ge-
besaß. Alles andere ist größte Verkehrtheit. gendiese Einheit nicht als Argumentan, daß das «Ich» doch «ein-
Daß es eine örtlich bestimmte Seelensubstanz, wie sie Des- fach» und eins sei, der Körper aber ein verwickelter «Zellen-
cartes annimmt (Zirbeldrüse), nicht gibt, ist schon aus dem Staat». Die heutige Physiologie hat die Zellenstaatvorstellung
Grunde selbstverständlich, daß es weder im Gehirn noch sonst- vollständig abgebaut, wie sie auch mit der Grundanschauung
wo im menschlichen Leibe eine Zentralstelle gibt, in der alle gebrochen hat, daß die Funktionen des Nervensystems nur
sensiblen Nervenfasern zusammenlaufen und sich alle nervösen summativ, also nicht-ganzheitlich zusammenträfen und jeweilig
Prozesse treffen. Auch das ist grundfalsch an derDescarteslschen streng örtlich und morphologisch in ihrem Ausgangspunkte
Lehre, daß das Psychische nur in «Bewußtsein» bestehe und bestimmt seien. Hält man freilich wie Descartes den physischen
ausschließlich an die Großhirnrinde gebunden sei. Eingehen- Organismus für eine Art Maschine, und zwar in dem starren
de psychiatrische Forschungen haben gezeigt, daß die für die Sinne der alten, heute schon von der theoretischen Physik und
Grundlage des menschlichen ((Charakters))ausschlaggebenden Chemie selber überwundenen und zum alten Eisen geworfenen
psychischen Funktionen, insbesondere alles, was zum Trieble- mechanischen Naturlehre des Galilei-Newton-Zeitalters, über-
ben und zur Affektivität gehört - die wir ja als Grund- und Ur- sieht man andererseits wie Descartes und alle, die ihm folgten,
form des Psychischen erkannt haben -, seine physiologischen auf der psychischen Seite die Selbständigkeit und (sicher nach-
Parallelprozesse überhaupt nicht im Großhirn, sondern in der gewiesene) Priorität des gesamten Trieb- und Affektlebens vor
Hirnstammgegend hat, teils im zentralen Höhlengrau des drit- allen «bewußten» Vorstellungsbildern; schränkt man alles See-
ten Ventrikels, teils im Thalamus, der als zentrale Schaltung lenleben auf das Wachbewußtsein ein, die gewaltigen Abspal-
73
tungen ganzer zusammenhängender Funktionsgruppen des durch den LebensproseJ, und daß in der Entwicklung die von
seelischen Geschehens vom Bewußtseins-Ich, vom einheitlichen den Betriebsfunktionen der Organe scharf zu scheidenden «ge-
Ichganzen übersehend wie die bekannten Spaltungserscheinun- staltenden Funktionen)) es sind, welche die statischen (anato-
gen des Bewußtseins-Ich selber; leugnet man ferner die Affekt- mischen) Formen des organischen Stoffes unter Mitwirkung
verdrängung und übersieht man die für ganze Lebenssphasen der chemisch-physikalischen «Situation» erst hervorbringen.
möglichen Amnesien, dann kommt man allerdings auf den Mit Recht haben der Heidelberger Anatom H. Braus und von
falschen Gegensats: hier Einheit und Einfachheit ursprünglicher der Physiologie her A. V. Tschermak diesen Gedanken in den
Art, dort nur Vielheit erst sekundär verbundener Körperteile Mittelpunkt ihrer Forschungen gestellt. hlan darf sagen, daß
und in ihnen erst fundierter Prozesse; hier eine Seelensubstanz, sich diese Auffassung heute in allen ivissenschaften durchsetzt,
dort unendlichviele körperliche Einzelsubstanzen. Dieses über- die es mit dem berühmten Problem zu tun haben. Der alte
zentralistische Seelenbild ist genau so irrig wie das übermecha- «psychomechanische Parallelismus» von ((Leib und Seele)) ge-
nistische Bild des physiologischen Geschehens, das sich die hört heute genau so zum alten Eisen wie die durch Lotze aufge-
ältere Physiologie gemacht hat. frischte «Wechselwirkungslehre» oder die scholastische Lehre
I m äußersten Gegensatz zu all diesen Theorien dürfen wir von der Seele als «forma corporeitatis)).
sagen : Der ph_vsiologischeund der p~ychischeLebensproseJ sind onto- Die Kluft, die Descartes, durch seinen Dualismus von Aus-
logisch streng identisch (wie es schon Kant vermutet hatte). Sie dehnung und Bewußtsein als Substanzen, zwischen Körper und
sind nur phänomenal nersrhieden - aber auch phänomenal streng Seele aufgerichtet hatte, hat sich heute fast bis zur Greifbarkeit
identisch in den Strukturgesetzen und in der Rhythmik ihres der Einheit des Lebens geschlossen. Wenn ein Hund ein Stück
Ablaufs Beide Prozesse sind amechanisch, die physiologischen Fleisch sieht und derweil bestimmte Magensäfte sich in seinem
sowohl wie die psychischen, beide sind teleoklin und auf Ganz- hfagen bilden, so ist das für Descartes, der aus der Seele das ge-
heit eingestellt. Die physiologischen Prozesse sind es um so samte Trieb- und Affektleben herauswarf und gleichzeitig eine
mehr, je niedriger (nicht also je höher) die Segmente des Nerven- rein chemisch-physikalische Erklärung der Lebenserscheinun-
systems sind, in denen sie ablaufen; die psychischen Prozesse gen auch ihren Strukturgesetzen nach forderte, ein absolutes
sind gleichfalls um so ganzheitlicher und zielhafter, je primitiver Wunder. Warum? Weil er auf der seelischen Seite den Triebim-
sie sind. Beide Prozesse sind nur zwei Seiten des nach seiner Ge- 'puls des Appetites ausschaltet, der im selben Sinne eine Bedin-
4
staltung und nach dem Zusammenspiel seiner Funktionen einen gung für das Zustandekommen der optischen Wahrnehmung
übermechanischen Lebensvorganges. des Fressens durch das Tier ist, wie es auch der äußere Reiz ist
Was wir also «physiologisch» und «psychologisch» nennen, (der überdies niemals, wie Descartes glaubt, Bedingung des
sind nur zwei Seiten der Betrachtung eines und desselben Lebens- Inhalts der Wahrnehmung, sondern nur der ]etrt-hier-Wahr-
tlorganges. Es gibt eine ((Biologievon innen)) und eine ((Biologie n~hmr4ngdieses Inhalts ist, der als Teil des Iiörper«bildes» von
von außen)). Die Biologie von außen schreitet in der Erkennt- allem «Bewußtsein» ganz unabhängig besteht *, - und weil er
nis von der Fortnstruktur des Organismus zu den eigentlichen auf der anderen, ph"sio1ogischen Seite die Magensaftbildung,
Lebensprosessen fort, darf aber nie vergessen, daß jede lebendige die dem Appetit entspricht, nicht für einen echten, in der phy-
Form von den letztunterscheidbaren Zellelementen an über siologischen Funktionseinheit und ihrer Struktur verwurzelten
Zellen, Gewebe, Organe bis zum ganzen Organismus hinauf in Lebensvorgang hält, sondern für einen Vorgang, der ganz unab-
jedem Augenblick dynamisch getragen und neu geformt ist hängig vom zentralen Nervensystem rein chemikalisch im Ma-

74
gen abläuft, sobald nur die Speise in den Magen gelangt ist. Was nen immer wieder herzustellen (der stets ((Betrogene)), das
aber würde Descartes dazu sagen, wenn man ihm Heyders Fest- ewige «Opfer» usw.).
stellung vor Augen führte, daß sogar die bloße Suggestion des Nach meiner Meinung ist der Forschung heute geradezu das
Essens einer Speise die gleiche Wirkung nach sich ziehen kann methodische Ziel zu stellen, im weitesten Maße zu prüfen, wie-
wie das wirkliche Essen? Man sieht den Fehler - Descartes' weit die gleichen Verhaltungsweisen des Organismus einmal
Grundfehler -: das Triebvstern in Mensch und Tier (trotz seiner durch physikalisch-chemische Reize von außen her, ein andermal
Schrift über die «Passiones») völlig zu übersehen, das eben die durch psychische Reizung: Suggestion, Hypnose, alle Art von
Einheit ausmacht und die Vermittlung bildet zwischen jeder Psychotherapie, Veränderung der gesellschaftlichen Umgebung
echten Lebensbewegung und den Inhalten des Bewußtseins. (von der viel mehr Krankheiten abhängen, als man ahnt) her-
E r und alle ältere Physiologie hält die physiologische Funk- beigeführt und abgeändert werden können. Hüten wir uns
tionseinheit für ein Punkt für Punkt im Sinne eines formalme- also gar sehr vor einer falschen Übersteigerung ausschließlich
chanischen Nahewirkungsprinzips von irgendwelchen morpho- physiologischer Erklärungen. Es kann ein Magengeschwür
logisch schon vollständig bestimmten, starren Teilen des orga- nach unserer heuiigenErfahrung ebensowohl psychisch bedingt
nischen Körpers je ausgehendes und so gut wie völlig mecha- sein wie durch einen gewissen chemisch-physikalischen Prozeß
nisch determiniertes Geschehen. Das aber ist sie eben nicht. Die - und nicht nur Nervenkrankheiten, sondern auch organische
physiologische «Funktion» ist ihrem Grundbegriff nach eine Erkrankungen haben je ganz bestimmte psychische Korrelate.
selbständige rhythmisierte Ablaufsgestalt, eine dynamische Auch quantitativ können wir beide Arten unseres Einflusses
Zeitgestalt, die keineswegs von Hause aus örtlich starr gebun- auf den eigentlichen einheitlichen Lebensprozeß - den durch den
den ist, die sich vielmehr weitgehend an den vorhandenen Zell- Korridor des Bewußtseins und den durch den Korridor der
Substraten ihr Funktionsfeld aussondern,ja allererstgestalten kann. äußeren Reizung (P. Schilder) - so abwägen, daß wir in dem
Eine summative Organreaktion bestimmter und starrer ,4rt be- selben Maße mit der einen Reizung sparen, als wir die andere
steht auch bei denjenigen physiologischen Funktionen nicht, mehr verwenden. Sexuelle Erregung kann durch Einnahme
die keinerlei Bewußtseinskorrelat besitzen; ja sie besteht, wie gewisser Mittel ebensowohl herbeigeführt werden wie durch
man neuerdings gezeigt hat, nicht einmal für so einfache Re- unzüchtige Bilder und Lektüre. Selbst der fundamentale Le-
flexe wie den Patellarreflex (Kniescheibenreflex). Auch physio- bensvorgang, der «Tod» heißt, kann durch einen plötzlichen
logisch kann der Organismus dieselben Ziele erreichen bei Affektschock ebensowohl herbeigeführt werden wie durch
weitgehender Auswechslung der körperlichen Strukturen und einen Pistolenschuß. Das alles sind nur verschiedene Zugangs-
Substrate, mit denen er arbeitet, auch bei Ablenkung durch eine weisen, die wir in unserer Erfahrung und Lenkung zu ein und
neue Ursache. Phänomenologisch ist ferner das physiologische demselben ontisch einheitlichen LebensproxeJ haben. Auch die
Verfahren genau so «sinngemäß» wie das psychische bzw. die höchsten psychischen Funktionen wie das sog. beziehende
bewußten Abläufe, und diese oft genau so «dumm» wie die Denken entziehen sich einer strengen physiologischen Paralle-
organischen Abläufe. Wenn z. B. bei Regenerationsvorgän- lisierung nicht. Endlich müssen nach unserer Lehre auch die
gen des Organismus an der Wundstelle zwei Köpfe anstatt des geistigen Akte, da und sofern sie ihre ganze Tätigkeitsenergie
einen entstehen, so finden wir dasselbe in Fällen derwiederher- aus der lebendigen Triebsphäre beziehen und ohne irgendeine
stellung eines psychischen Komplexes nach Gegebenheit eines «Energie» sich für unsere Erfahrung, auch für die eigene, nicht
Teiles, in dem blinden Wiederholungstrieb z. B., analoge Sze- manifestieren können, stets ein physiologisches und psychisches
Parallelglied besitzen. Daß sich die abendländische K'issen- I Dieser Vorgang stellt aber nur das ph_vsiologische Korrelat für
schaft vom Menschen als Naturwissenschaft und Medizin vor I
eben den Vorgang im Menschen dar, den wir in psychologi-
allem mit der Körperseite des Menschen beschäftigt, die Lebens- scher Sprache «Verdrängung»und ((Sublimierung))nennen. Wäh-
vorgänge in erster Linie durch den Korridor von außen her zu rend der menschliche Organismus in seinen sensomotorischen
beeinflußen gesucht hat, ist eine Teilerscheinung des überaus Funktionen dem Tiere nicht wesentlich überlegen ist, ist die
einseitigen Interesses, das der abendländischen Technik über- Energieverteilung zwischen seinem Großhirn und allen sonsti-
haupt eigen ist. Wenn uns die Lebensvorgänge von außen her gen Organsystemen eine vollständig andere. Das menschliche
um so viel zugänglicher erscheinen als über den Korridor des Gehirn genießt den unbedingten Vorzug in der Ernährung in
Bewußtseins, so braucht das eben nicht auf dem tatsächlichen einem viel ausgedehnteren Maße als das tierische Gehirn - ge-
Verhältnis zwischen Psyche und Physis zu beruhen, sondern nießt ihn, daes die intensivstenund vielseitigsten Energiegefälle
kann in einem jahrhundertelang einseitig eingestellten Interesse besitzt und eine Verlaufsform seiner Erregungen, die rein ört-
begründet sein. Die indische Medizin etwa zeigt die entgegen- lich viel weniger starr umgrenzt ist (Goldstein). Bei allgemeiner
gesetzte, nicht minder einseitige ps_ychische Einstellung.* Assimilationshemmung wird das Gehirn xuletxt gehemmt und,
Das psychophysische Leben ist eins1 - und diese Einheit ist verglichen mit anderen Organen, am wenigsten. Die Rinde des
eine Tatsache, die für alle Lebewesen gilt; also auch für den menschlichen Großhirns bewahrt und konzentriert die ganze
Menschen. Den Menschen seinem Seelenleben nach mehr als Lebensgeschichte des Organismus und seine Vorgeschichte. D a
gradweise vom Tier zu trennen, seiner Leibseele eine besondere jeder Sonderablauf der Erregungen im Gehirn je die ganxe Er-
Art von Herkunft und künftigem Schicksal zuzuschreiben, wie regungsstruktur wandelt, kann nie «derselbe» Verlauf physio-
es der theistische Kreationismus und die herkömmliche Lehre logisch wiederkehren - ein Tatbestand, der genau dem Grund-
von der Unsterblichkeit tut, dazu besteht nicht der mindeste gesetz psychischer Kausalität entspricht, daß nur die ganxe Er-
Grund. Die Mendelschen Gesetze bestehen für den Aufbau des lebniskette in der Vergangenheit, niemals nur der zeitlich vor-
psychischen Charakters in dem selben Maße wie für irgend- angehende Einzelvorgang, das folgende psychische Geschehen
welche körperlichen Merkmale. Die vorhandenen Verschieden- erklärt. Da die Erregungen in der Rinde nie aufhören, auch im
heiten zwischen Mensch und Tier im Ablauf der psychischen Schlafe nicht, und die Strukturelemente in jedem Augenblick
Funktionen sind allerdings sehr erheblich - aber sehr erheblich, neu auferbaut werden, so ist ein mächtiger PhantasieüberschuJ -
und zwar weit erheblicher als die morphologischen Unter- der auch ohne äußere Reize weiterströmt, bei Abbau des Wach-
schiede zwischen Tier und Mensch, sind auch die physiologi- bewußtseins und seiner Zensur (Freud) sofort hervortritt, der
schen Unterschiede. Es wird beim Menschen im Verhältnis ferner, wie ich andernorts zeigte, als durchaus ursprünglich an-
zum Tier ein unverhältnismäßig großer Mehrteil des gesamten zusehen ist und durch die Sinneswahrnehmung nur zunehmend
Assimilationsmaterials zur Bildung nervöser Substanz ver- eincqeschränkt, nicht aber hervorgebracht wird - auch psycholo-
braucht; die Ausbeute aber dieses Materials für Form- und gisch zu erwarten: der seelische Strom läuft ebenso kontinuier-
Strukturbildung anatomisch sichtbarer Einheiten ist dabei auf- lich (nicht unterbrochen wie das Wachbewußtsein) wie die
fälliggering: ein im Verhältnis zum Tier sehr großer Teil dieses physiologische Erregungskette durch den Rhythmus von
Materials wandelt sich in rein funktionelle Gehirnenergie um. Schlaf- und Wachzuständen hindurch. Das Gehirn scheint beim
Menschen auch in höherem Maße als beim Tiere das eigentliche
Letzte ph~losophischeVertiefung dieser Theorie muß ich mir hier ver-
sagen. ' Vgl. «Erkenntnis und Arbeit)) a.a.O., Abschn. V B.
elemente in besonderer Dichte zusammenhängen. In beiden schichtslehre hineingearbeitet, hat insbesondere Kar1 M a n die
Lehren, hier wie dort, wird das formal-mechanische Prin- analoge Auffassung vertreten, daß der Mensch nicht sowohl
zip bis auf die äußerste Spitze getrieben, nur mit dem Unter- die Geschichte mache, als vielmehr die Geschichte den Men-
schied, daß das eine Mal die Empfindungsvorgänge aus Vor- schen jeweilig verschieden gestalte, und zwar an erster Stelle
gängen verstanden werden sollen, die nach den Prinzipien der die Wirtschaftsgeschichte, die Geschichte der ((materiellen Pro-
physikalischen Mechanik verlaufen, während das andere Mal - duktionsverhältnisse)). Nach dieser Auffassung kommt der Ge-
die Grundbegriffe der anorganischen Naturwissenschaft aus schichte der geistigen Hervorbringungen in Kunst, Wissen-
den als letzte Gegebenheiten geltenden Empfindungsdaten und schaft, Philosophie, Recht usw. eine innere Eigenlogik und
aus den Gesetzen der Vorstellungsassoziation (mit Einschluß Kontinuität überhaupt nicht zu. Diese Kontinuität und cigent-
aller Substanz- und Kausalbegriffe) allererst hergeleitet werden. liche Kausalität ist ganz und gar in den Ablauf der Wirtschafts-
Der Fehler beider Typen der mechanistischen Theorie aber ist es, formen verlegt, von denen nach Marx jede ausgeprägte histo-
das Wesen des Lebens in seiner Eigenart und Eigengesetzlich- rische Form eine eigentümliche geistige Welt als den bekannten
keit zu übersehen. «oberbau» zur Folge hat1. Die Auffassung des Menschen als
Die zweite Abart der naturalistischen Theorie, die vitalisti- eines primär vom Machttrieb und Geltungstrieb beherrschten
sche, macht im Gegensatz zum formal-mechanischen Typus die Wesens ist geschichtlich besonders von Machiavelli, Thoinas
Kategorie des ((Lebens))zur Urkategorie der Gesamtauffassung Hobbes und den großen Politikern des absoluten Staates ausge-
des hIenschen und damit auch des Geistes,- die Tragweite des gangen und hat in Neuzeit und Gegenwart ihre Fortsetzung in
1.ebensprinzips weit überschätzend. Der menschliche Geist soll der.Machtlehre Friedrich Nietzsches und, mehr nach der medi-
sich in letzter Linie aus dem menschlichen Triebleben als dessen zinisch-psychologischen Seite hin, in Aifred Adlers Lehre vom
spätes «Entwicklungsprodukt» vollständig verstehen lassen. So Primat des Geltungstriebes gefunden. Die dritte mögliche natu-
will der englisch-amerikanische Pragmatismus (erst C. S. Peirce, raiistische Auffassung ist diejenige, die das geistige Leben als
dann William James, F. C. Schiller und J. Dewey) die Denkfor- Form sublimierter Libido auffaßt, als deren Symbolik und luf-
men und Denkgesetz aus den jeweiligen Arbeitsformen des Men- tigen Uberbau, und damit auch die ganze menschliche Kultur
schen ableiten («homo faber))). So will Nietzsche in seinem und ihre Erzeugnisse als Produkt verdrängter und sublimierter
«Willen zur Macht)) die Denkformen als notwendige lebens- Libido ansieht. Hatte schon Schopenhauer die Geschlechtsliebe
wichtige Funktionen aus dem Machttrieb des Lebens verständ- als den ((Brennpunkt des Willens zum Leben)) bezeichnet, ohne
lich machen; in etwas veränderter Weise ist ihm hierin neuer- indes dem Naturalismus vollständig zu verfallen - daran hin-
dings Hans Vaihinger gefolgt'. Überblickt man die Gesamtheit derte ihn seine negative Theorie des Menschen -, so hat der
der hierher gehörigen Auffassungen, so findet man drei Unter- frühe Freud, der noch keinen selbständigen Todestrieb an-
typen dieser naturalistisch-vitalistischen Menschenidee, je nahm, diese Auffassung des Menschen bis in die äußersten Kon-
nachdem das System der Nahrungstriebe, das der Fortpfinqungs- sequenzen ausgebaut'.
und Geschlechtstriebe oder das der Machttriebe für das ur- Alle diese naturalistischen Lehren, seien sie des mechanischen
spriingliche und leitende System des menschlichen Trieblebens
1 Vgl. meine Kritik des historischen Materialismus in «Probleme einer
überhaupt gehalten wird. «Der Mensch ist, was er ißt» hat Vogt
Soziologie des Wissens))a.a.0.
grob erklärt. Unvergleichlich vertieft und in die Hegelsche Ge- ' Vgl. meine Kritik der Freudschen Liebestheorie in meinem Buche
' Vgl. zu Obigem meine Abhandlung ((Erkenntnisund Arbeit))a.a.0. «Wesen und Formen der Sympathie))'.
Einen solchen dynamischen und feindlichen Gegensatz zwi- fenden Tätigkeiten der Vitalseele geistige Tätigkeiten einge-
schen Leben und Geist anzunehmen verbietet uns schon die setzt werden, erstere in der Tat weitgehend gestört werden.Ein-
eine Tatsache, da13 dem Geist als solchem überhaupt keinerlei fache Grundsymptome solcher Art sind z. B. die Störung des
Kraft und Macht, keine ursprüngliche Tätigkeitsenergie zu- Herzschlags, des Atems und anderer ganz- oder halbautomati-
kommt, durch die er diese c<Zerstorung» allererst vollziehen scher Tätigkeiten durch die Aufmerksamkeit; fernerstörungen,
könnte. Was Klages in seinen an feinen Beobachtungen reichen , die entstehen, wenn sich der Wille direkt gegen die Triebim-
Schriften an wirklich beklagenswerten Erscheinungen ge- pulse richtet, anstatt sich je neuen wertbetonten Inhalten zuzu-
schichtlicher Spätkultur anführt, ist nicht dem «Geiste» zur wenden. Das aber, was Klages hier «Geist» nennt, das ist in
Last zu legen, sondern in Wirklichkeit auf einen Vorgang zu- Wirklichkeit nicht der Geist, sondern nur die komplizierte
rückzuführen, den ich «¿ibersublin/ierung» nenne * - auf einen ((technische Intelligenz)) (im Sinne unserer vorhergehenden
Zustand so übermäßiger Vergehirnlichung des Menschen, daß Ausführungen). Gerade er, der schärfste Gegner aller positivi-
auf Grundseiner und als Reaktionauf ihn jeweilig die bewußt ro- stischen Menschenauffassung, aller Auffassung des Menschen
mantische Flucht in einen (meist vermeintlich in der Geschichte als «homo faber)), wird in diesem fundamentalen Punkte ein
gefundenen) Zustand einsetzt, in welchem diese ¿'bersublimir- iinkritischer Schüler der Grundanschauung, die er im übrigen
rung, inbesondere das Ubermaß der diskursiven intellektuellen so scharf bekämpft.
Tätigkeit noch nicht vorliegt. Eine solche Fluchtbewegung Geist und Lebensindaufeinander hingeordnet - es ist ein Grundirr-
war schon die dionysische Bewegung in Griechenland, war tum, sie in eine ursprüngliche Feindschaft, in einen ursprüng-
ferner die hellenistische Dogmatik, die das klassische Griechen- lichen Kampfzustand zu bringen.
tum mit ähnlichen Augen sah, wie die deutsche Romantik das «Wer das Tiefstegedacht, liebt das Lebendigste)).
Mittelalter gesehen hat. Daß solche Geschichtsbilder weitest-
gehend auf einer durch die eigene Uberintellektualisierung ge-
borenen Sehnsucht nach «Jugend und Primitivität)) beruhen, Es ist Aufgabe einer Philosophischen Anthropologie, genau zu
mit der geschichtlichen Wirklichkeit aber nie übereinstimmen, zeigen, wie aus der Grundstruktur des Menschseins, wie sie in
das scheint mir Klages nicht genug zu würdigen. Auch ver- unseren Ausführungen nur kurz umschrieben wurde, alle spe-
kennt er, daß überall da, wo das Dionysische und die dionysi- zifischen Monopole, Leistungen und Werke des Menschen her-
sche Form des menschlichen Daseins ursprünglich und naiv vorgehen: so Sprache, Gewissen, Werkzeug, Waffe, Ideen von
ist - und das ist sie vollständig niemals, da, wir sahen es, die Recht und Unrecht, Staat, Führung, die darstellenden Funktio-
ausdrückliche 'I'riebenthemmung ebensosehr vom Geiste aus nen der Künste, Mythos, Religion, Wissenschaft, Geschicht-
eingeleitet ist wie die rationale Triebaskese (das Tier kennt lichkeit und Gesellschaftlichkeit. Darauf kann hier nicht einge-
einen solch enthemmten Zustand nicht) -, der dionysische Zu- gangen werden. Wohl aber soll noch der Blick gelenkt sein
stand selber auf einer komplizierten be~vrgtenWillenstechnik auf die Folgerungen, die sich aus dem Gesagtem für das meta-
beruht, d. h. mit demselben «Geiste» arbeitet, der ausgeschaltet phyhche Verhältnis des Menschen p m Grunde der Dinge ergeben.
werden soll. Es ist eine der schönsten Früchte des sukzessiven Aufbaus der
Eine andere Gruppe von Erscheinungen, die Klages als Fol- menschlichen Natur aus den ihr untergeordnete Daseinsstufen,
gen der zerstörerischen Macht des Geistes ansieht, besteht dar- wie er hier zu geben versucht wurde, daß man zeigen kann, mit
in, daß überall, wo gegenüber gemeinhin automatisch ablau- welch innerer Notwendigkeit der Mensch in demselben Augen-
86 87
blicke, in dem er durch Welt- und-~-zlbstbewußtseinund durch
nicht nur die Erfüllung dieser Sphäre mit bestimmten Annah-
Vergegenständlichung auch seiner eigenen psychophysischen
men und Glaubensgedanken, sondern den Ursprung dieser
Natur - den spezifischen Grundmerkmalen des Geistes -
Sphäre selbst, so fiele also dieser ihr Ursprung mit der hiensch-
«Mensch» geworden ist, auch die formalste Idee eines überwelt-
werdung selbst vollständig in cins zusammen.
lichen unendlichen und absoluten Seins erfassen muß. Hat sich
Der Mensch muß den eigenartigen Zufdll, die Kontingenz der
der Mensch - das gehört ja zu seinem Wesen, ist der Akt der T&sache, «daß überhaupt Welt ist und nicht vielmehr nicht ist» und
Menschwerdung selbst - einmal aus der gesamten Natur her- «daß er selbst ist und nicht t'ielm~hrnicht ist *D,mit anschaulicher
ausgestellt und sie zu seinem «Gegenstande» gemacht, so muß
Notwendigkeit in demselben Augenblicke entdecken, wo er
er sich gleichsam erschauernd umwenden und fragen: !(Wo sich überhaupt der Welt und seiner selbst bewußt geworden
stehe ich denn selbst? Was ist denn mein Standort?)) E r kann ist. Daher ist es ein vollständiger Irrtum, das «Ich bin» (Des-
nicht eigentlich mehr sagen: «Ich bin ein Teil der Welt, bin von
cartes) oder das «Die Welt ist» (Thomas von Aquin) dem all-
ihr umschlossen)) - denn das aktuale Sein seines Geistes und gemeinen Satz « E s gibt absolutes Sein» vorhergehen zu lassen
seiner Person ist sogar den Formen des Seins dieser «Welt» in und die Sphäre des ~ b s o l u i e nallererst durch Schlußfolgerung
Raum und Zeit überlegen.
aus jenen Seinsarten erreichen zu wollen. Welt-, Selbst- und Got-
So jchaut er gleichsam bei dieser Umwendung hinein ins tesbewzlptsein bilden eine unzerreißbare Struktureinheit - genau
Nichts: er entdeckt in diesem Blicke gleichsam die Möglichkeit so wie Transzendenz des Gegenstandes und Selbstbewußtsein
des «absoluten Nichts)) - und dies treibt ihn weiter zu der Frage : in eben dem selben Akte, der ((dritten Reflexio)), entspringen.
«Warum ist überhaupt eine Welt, warum und wieso bin (ich) Im selben Augenblicke, da jenes «Nein, Nein» zur konkreten
überhaupt))? * Wirklichkeit der Umwelt eintrat, in welchem sich das geistige
I
Man erfasse die strenge VesensnotwendigkeitdiesesZusammenhangs, aktuale Sein und seine ideellen Gegenstände konstituierten;
der zwischen dem Welt-, dem Selbst- und dem formalen Got- genau in dem selben Augenblicke, da das weltoffene Verhalten
tesbewußtsein des Menschen besteht - wobei «Gott» hier nur und die nie ruhende Sucht entstand, grenzenlos in die entdeckte
als ein mit dem Prädikat «heilig» versehenes «Sein durch sich Weltsphäre vorzudringen und sich bei keiner Gegebenheit zu
selbst)) erfaßt wird, das tausendfältige bunteste Ausfüllungen beruhigen; genau im selben Augenblicke, da der werdende
annehmen kann. Die Sphäre aber eines absoluten Seins über- Mensch die Methoden alles ihm vorhergehenden tierischen
haupt, gleichgültig, ob sie dem Erleben oder Erkennen zugäng- Lebens, der Umwelt angepaßt zu werden oder ihr sich anzu:
lich ist oder nicht, gehört ebenso konstitutivzum Wesen des Men- passen, zerbrach und die umgekehrte Richtung einschlug: die
schen wie sein Selbstbewußtsein und sein Weltbewußtsein. Anpassung der entdeckten Welt an sich und sein organisch
Was Wilhelm V, Humboldt von der Sprache gesagt hat, daß der stabii gewordenes Leben; in genau dem selben Augenblicke,
Mensch sie darum nicht habe «erfinden» können, da der Mensch da sich der «Mensch» aus der «Natur» herausstellte und sie zum
nur durch die Sprache Mensch ist, das gilt mit genau derselben Gegenstand seiner Herrschaft und des neuen Kunst- und Zei-
Strenge für die formale Seinssphäre eines alle endlichen Erfah- chenprinzips machte, - in ebendemselben Augenblicke mußte der
rungsinhalte und das zentrale Sein des Menschen selbst über- Mensch auch sein Zentrum irgendwie auperhalb und jenseits der
ragenden, schlechthin in sich selbständigen Seins von Ehr- Welt verankern. Konnte er sich doch nicht mehr als einfachen
furcht gebietender Heiligkeit. Versteht man unter den Worten «Teil» oder als einfaches «Glied» der Welt erfassen, über die er
((Ursprung der Religion)) und ((Ursprung der Metaphysik)) sich so kühn gestellt hatte1
88
89
Nach dieser Entdeckung der Weltkontingenz und des selt- Mensch einen «Bund» mit Gott schloß, nachdem Gott ein Volk
samen Zufalls seines nun weltexxentriscb gewordenen Seins- bestimmter Art zu dem seinigen erkoren hatte. (Älteres Juden-
kernes war dem Menschen noch ein doppeltes Verhalten mög- tum.) Oder: Der Mensch erscheint je nach der Struktur der
lich: Er konnte sich darüber tlerwundern (%aup&(~rv)und seinen Gesellschaft als «Sklave Gottes)), der mit List und niedriger
erkennenden Geist in Bewegung setzen, das Absolute xu ei$a~- Prostration sich vor ihm niederwirft, ihn durch Bitten und
Jen und sick in es einzpgliedern - das ist der Ursprung der Meta- Drohungen oder mit magischen Mitteln zu bewegen suchend.
pbysik jeder Art; sehr spät erst in der Geschichte ist sie aufge- I n etwas höherer Form erscheint er sich als der «getreueKnecht»
treten und nur bei wenigen Völkern. Er konnte aber auch aus des obersten souveränen «Herrn». Die höchste und reinste Vor-
dem unbezwinglichen Drang nach Bergung - nicht nur seines stellung, die in den Grenzen des Monotheismus möglich ist,
Einzel-Seins, sondern zuvörderst seiner ganzen Gruppe - auf erreicht die Idee der «Kindschaft»aller Menschen im Verhältnis
Grund und mit Hilfe des ungeheuren Phantasieüberschusses, zu Gott-«Vater», vermittelt durch den wesensgleichen «Sohn»,
der von vornherein im Gegensatz zum Tiere in ihm angelegt der den Menschen Gott in seinem inneren Wesen verkündigt
ist, diese Seinssphäre mit beliebigen Gestalten bevölkern, um und selber mit göttlicher Autorität ihnen gewisse Glaubens-
sich in deren Macht durch Kult und Ritus hineinzubergen, um meinungen und Gebote vorschreibt. 'Alle Ideen solcher Art
etwas von Schutz und Hilfe «hinter sich» zu bekommen, da er müssen wir für unsere philosophische Betrachtung des Ver-
im Grundakt seiner Naturentfremdung und -vergegenständli- hältnisses des Menschen zum obersten Grunde zurückweisen;
chung - und dem gleichzeitigen Werden seines Selbstseins und müssen es schon darum, weil wir die theistische Voraussetzung
Selbstbewußtseins -ins pure Nichts zu fallen schien. Die Über- leugnen: einen geistigen, in seiner Geistigkeit allmächtigen
windung dieses Nihilismus in der Form solcher ßergungen, persönlichen Gott. Für uns liegt das Grundverhältnis des Men-
Stützungen ist das, was wir Religion nennen. Sie ist primär Grup- schen xum Velfgrunddarin, daß dieser Grund sich im Menschen -
pen-.und Qolksreligion. Sie ward erst später, gemeinsam mit der als solcher sowohl als Geist- wie als Lebewesen nur je ein
dem Ursprung des Staates, ((Stifterreligion*». So sicher, wie Teilzentrum des Geistes und Dranges des ((Durch-sich-Seien-
die Welt primär als Widerstand für unser praktisches Dasein im denn ist - ich sage: sich im Menschen selbst unmittelbar erfaßt
Leben gegeben ist, früher denn als Cegen~tandder Erkenntnis, und verwirklicht.
eben so sicher mußten auch alle diese Gedanken- und Vorstel- Es ist der alte Gedanke Spinozas, Hegels und vieler anderer:
lungsgebilde über die neuentdeckte Sphäre, die dem Menschen Das Urseiende wird sich im Menschen seiner selbst inne in
Kraft leihen, sich in der Welt zu behaupten - solche Hilfe demselben Akte, in dem der Mensch sich in ihm gegründet
leistet der Menschheit primär der «Mythos», später die sich aus schaut. Wir müssen nur diesen bisher viel zu einseitig intellek-
ihm herausschälende «Religion» -, geschichtlich vorhergehen tualistisch vertretenen Gedanken dahin umgestalten, daß dieses
allen vornehmlich auf Wahrheit ausgerichteten Erkenntnissen Sich-gegründet-Wissen erst eine Folge ist der aktiven Einsetxung
(oder Versuchen zu solchen) von der Art der Metaphysik. unseres Seinspentrums für die ideale Forderung der Deitas und des
Nehmen wir ein paar Haupttypen der religiösen Ideen, die Versuches, sie zu vollstrecken und in dieser Vollstreckung den
sich der Mensch von dem Verhältnis zwischen sich und einem aus dem Urgrunde werdenden «Gott» als die steigende Durch-
obersten Grund-Sein der Dinge gebildet hat, und beschränken dringung von Gebt und Drang allerer~tmifxuerxeugen.
wir uns dabei auf die Stufe des abendländisch-kleinasiatischen Der Ort dieser Selbstverwirklichung, sagen wir: gleichsam
Monotheismus. Da finden wir Vorstellungen wie die, daß der jener Selbstvergottung, die das Durch-sich-seiende-Sein sucht
und um deren Werden willen es die Welt als eine «Geschichte» Besinnung durchbrochen hätte. Wir setzen an die Stelle jener
in Kauf nahm - das eben i ~der t Mensch, das menschliche Selbst halb kindlich, halb schwächlich distanzierenden Beziehung des
und das menschliche Herz. Sie sind der einzige Ort der Gott- Menschen zur Gottheit, wie sie in den objektiuierenden und dar-
werdung, der uns zugänglich ist - aber ein wahrer Teildieses tran- um ausweichenden Beziehungen der Kontemplation, der An-
qendenten P r o ~ e m ~ e J b rDenn
t . obzwar alle Dinge im Sinne einer betung, des Bittgebetes gegeben sind, den elementaren A k t des
kontinuierlichen Kreation in jeder Sekunde aus dem Durch- persönlichen Einsatxes des Menschen für die Gottheit, die Selbst-
sich-seienden-Sein hervorgehen aus der funktionellen Einheit identifixierung mit ihrer geistigen Aktrichtung in jedem Sinne.
des Zusammenspiels von Drang und Geist, so sind doch erst Das letzte wirkliche «Sein» des Durch-sich-Seienden ist nicht
imMenschen und seinem Selbst diese beiden- uns erkennbaren - gegenstandsfähig - so wenig wie das Sein einer Fremdperson.
Attribute des Ens per se lebendig aufeinander bezogen. Der Man kann an seinem Leben und seiner geistigen Aktualität
Mensch ist ihr Treffpunkt, und in ihm wird der Logos, «nach» teilhaben nur durch Mitvollxug, nur durch den A k t des Einsatxes
welchem die Welt gebildet ist, mitvollziehbarer Akt. Von vorn- und der tätigen Identifizierung. Zur Stützung des Menschen,
herein also ist nach unserer Anschauung Mensch- und Gott- zur bloßen Ergänzung seiner Schwächen und Bedürfnisse, die
werdung gegenseitig aufeinander angewiesen. So wenig der es immer wieder zu einem «Gegenstande» machen wollen, ist
Mensch zu seiner Bestimmung gelangen kann, ohne sich als das absolute Sein nicht da.
Glied jener beiden Attribute des obersten Seins und dieses Wohl aber gibt es auch für ,uns eine «Stützung»: es ist die
Seins sich selbst einwohnend zu wissen, so wenig das Ens a se Stützung auf das gesamte Werk der Wertverwitklichung der
ohne Mitwirkung des Menschen. bisherigen Weltgeschichte, so weit es das Werden der «Gott-
Geist und Drang, die beiden Attribute des Seins, sie sind, ab- heit» zu einem «Gotte» bereits gefördert hat. Nur suche man
gesehen von ihrer erst werdenden gegenseitigen Durchdrin- in letzter 1-inie nie theoretische Gewißheiten, die diesem Selbst-
gung - als Ziel -, auch in sich nicht fertig: sie wachsen an sich einsatz vorhergehen sollen. Erst im EinJatx der Person selbst ist
selbst eben in diesen ihren Manifestationen in der Geschichte des die Möglichkeit eröffnet,um das Sein des Durch-sich-Seienden auch
menschlichen Geistes und in der Evolution des Lebens der Welt. «wissen».
Man wird mir sagen und man hat mir in der Tat gesagt, es sei
dem Menschen nicht möglich, einen unfertigen Gott, einen
werdenden Gott zu ertragen. Meine Antwort darauf ist, daß
Metaphysik keine Versicherungsanstalt ist für schwache, stüt-
zungsbedürftige Menschen. Sie setzt bereits einen kräftigen,
hochgemuten Sinn im Menschen voraus. Darum ist es auch
wohlverständlich, daß der Mensch erst im Laufe seiner Ent-
wicklung und seiner Selbsterkenntnis zu jenem Bewußtsein
seines Mitkämpfertums, seines Miterwirkens der Gottheit
kommt. Das Bedürfnis der Bergung und der Stützung auf eine
außermenschliche und außerweltliche Allmacht, die mit Güte
und Weisheit identisch gesetzt wird, ist zu groß, als daß es in
Zeiten der Unmündigkeit nicht alle Dämme des Sinnes und der
ZUR SECHSTEN AUFLAGE ANMERKUNGEN

Die Schrift «Die Stellung des Menschen im Kosmos)) erscheint


in ihrer 6. Auflage nunmehr im Francke Verlag, in welchem
G,,, Der Band C'om U m r f u r der
~ Werte liegt in 4. Auflage 195 5 im
auch die Gesammelten Werke Max Schelers veröffentlicht Francke Verlag vor (mit einem Anhang, Sachregister etc.); s.
werden. Der Text der in den - für Herausgabe wie Druck- Gesammelte Werke hfax Schelers (herausgegeben von hlaria
legung schwierigen - ersten Nachkriegsjahren erschienenen 4. Scheler), Bd. 3.
und I. Auflage ist durchgesehen, und seinerzeit unterlaufende D e r Formalirmur in der E t h i k und die materiale D-erfefhik ist in 4.,
Unstimmigkeiten sind ausgemerzt worden. - Die (nicht über- durchgesehener Auflage mit einem Anhang (Sachregister etc.)
lieferte) ctInhalts»angabe ist für diesen Neudruck neu formu- , 11954 im Franckc Verlag erschienen; vyl. Gesammelte Werke
liert worden. Bd. 2.

MARIASCHELER Das Sjmpafhiebrrch des Verfassers (5. Aufl. 1948, FrankfurtIhI.)


wird in 6. Auflage im Francke Verlag wieder veroffentlicht
n e r d e n als Bd. 7 der Gesammelten Werke hIax Schelers.
Der Band Die Wirrenrjormen wrd rlie Gerellrchaft enthält die bei-
den grbßeren Abhandlungen ((Probleme einer Soziologie des
\Vissens» und ((Erkenntnis und Arbeic. Eine Scudie uber Wert
und Grenzen des pragmatischen Motivs in der Erkenntnis der
Welt)). (Außerdem die Arbeit ((Universität und Volkshoch-
schule)).) Die z., durchgeseliene Auflase (mit Zusätzen und
einem Anhang) ist 1960 in1 Francke Verlag erschienen; s. Ge-
sammelte Werke Bd. 8.
Die kleinerer, in der Vorrede des Verfassers zitierten Arbeiten
((hicnsch und Geschichte)), «Der Mensch im Weltalter des Aus-
gleichs)) (vom Verfasser geänderter Titel) und «Die Formen
des Wissens und dic Bildung» ( v g l dorc die eingehenden An-
merkungen, in denen der Verfasser aufschlußreiche Hinwcise
auf die geplanten Werke ((Philosophische Anthropologie))
und ((Metaphysik))gibt) sind nach dem Tode des Verfassers in
Philosophische KY~tanschuuuirg,Bonn 1929, veroffentlicht worden;
, unter dem gleichen 'Titel in den Dalp-Taschenbuchern Bd. 301,
Francke Verlag. Die Aufsätze werden in Bd. 9 der Gesammel-
ten Werke aufgenommen werden.

1 4 : ~Vgl. a.a.0. die Abhandlung ((Erkenntnis und Arbeit)), Ab-


schnitt V.

~7~ desgl.
7js1 Vgl. ((Erkenntnis und Arbeit)) a. a. 0.; s. Sachregister.
3 1 % Vgl.
~ zu «Fühlen» (als Funktion) und «Gefühl» (als Zustand)
in Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik, Ab- 78„ Vgl. auch ((Probleme einer Soziologie des Wissens)) a. a. 0.
schnitt V2; S. Sachregister der 4. Auflage 1934, Ges. W. Bd. 2. und den Aufsatz « V o m Sinn des Leides)) a. a . 0.

3zi2 Vgl. über ((Geschlechtstrieb))und «Geschlechtsliebe» in Weren 86„ Vgl. zu «Ubersublimierung» (und«Resublimierung»)den oben
und Formen der Sympathie (s. Sachregister); ferner die nachge- zu S. 6 zitierten Aufsatz «Der Mensch im Zeitalter des Aus-
lassene Abhandlung «Von Scham und Schamgefühl)), erstma- gleichs)) (1927) a. a. 0.
lig veröffentlicht in Schriften aur dem Nachlaß, Berlin 1933, 88„ Vgl in V o m Ewigen im .$ienscben, ( I . Aufl. 1921 ; 4. Aufl.
2. Auflage 1 9 ~ im
7 Francke Verlag in Schriften aur dem Nachlaß 89, 1954, Ges. W. Bd. 5) in der Abhandlung «Vom Wesen der
Bd. I ((Zur Ethik und Erkenntnislehre)); s. Gesammelte Werke Philosophie)) (1917) das Kapitel «Der Gegenstand der Philo-
Bd. 10. sophie)), und in der Abhandlung ((Probleme der Religion)) (s.
36„ Vgl. zu «Werte» und «Güter», bzw. ((Gesinnung)),in Der For- Sachregister)
malirrnur in der Ethik ur~ddie materiale Werietbik, a. a. 0 . ; s. Sach-
gora Vgl. ((Probleme einer Soziologie des Wissens)), s. Sachregister.
register.
4ya Vgl. zum folgenden die Abhandlung «Idealirrnur - Realirmw))
im «Philosophischen Anzeiger)), Bonn 1927, 2. Jahrg., H. 3.
48„ Vgl. zu «Person» in Der Formali~rnusin der E t h i k und die mate-
riale Wertethik, Abschnitt V1 A 3.
48„ Vgl. zu Fremdperson - Verstehen « Wesen und Formen der Sym-
pathie)), Teil C . Vom fremden Ich.
~3~~Vgl. zum folgenden ((Erkenntnis und Arbeit)) a.a.O., Ab-
schnitt V.
y8„ Vgl. den Aufsatz«VomSinndes Leides)) (1917, erweitert I ~ Z Z ) ,
aufgenommen in Schrifen pur Sopiologie und Welfanrchauungrlehre,
1923, 2. Auflage 1962 im FranckeVerlag ;s. Gesammelte Werke
Bd. 6.
61„ Vgl. das Kapitel « Z u Freuds Ontogenie)) in IE."eren und For-
men der Sympathie (bereits in der Erstauflage von 1913 "Zur
Phänomenologie und Theorie der Sympathiegefühlc und von
Liebe und Haß))).

62, Vgl. die (von H . Prinzhorn herausgegebene) nachgelassene


Schrift des jungen Alfred Seidel ((Bewußtsein als Verhängnis)).
Bonn 1927.
694 Vgl. die oben zu S. 6 zitierte Schrift «Die Formen des Wis-
sens und die Bildung)) (1925), vor allem auch die Anmrrkun-
gen des Vsrfassers.
PERSONENVERZEICHNIS Schilder, P., 30, 77 Spengler, 0..85
1 Schiller, F. C., 82
Schiller, Fr., 54
Spinoza, B., 64, 69, 84, 91
Stenzel, J., 38
Adler, A., 59, 83
Alsberg, P., 58f, 61
Heyder, 76
Hobbes, Th., 64, 83
I Schopenhauer, A., 58, 59, 60, 64,
83
Thomas von Aquin, 64, 75, 89
Tschennak, A. V., 75
Alverdes, Fr., 2 2 , 23 Hölderiin, Fr., 87 Schwalbe, G., 37 Vaihinger, H., 8 2
Aristoteles, 14, 25, 63 Humboldt. W. V., 88 Seidel, A., 62 Vogt, K., 82
Augustinus, 49 Hurne, D., 27, 35, 81 Sernon, R., 25 Volkelt, H., 44
Averroes, 64 Husserl, E., 53, 54 I Spencer, H., 2 2 Wundt, W., 22, z j
Bachofen, J. J., 85 Jaensch, E. R., 35
Blaauw, A. H., 13 James, W., 69, 82
Bouterwek, Fr., 58 Jennings, H. S., 19, 22, 80
Braus, H., 75 Jung, C. G., 85
Buddha, 50, 52, 56, 58, 60, 61 Kant, 1.. 47, 51, 64, 74
Bühler, K., 23 Klages, L., 84ff
Buytendijk, Fr. J . J., 23 Köhler, W., j 3 f, 37
Dacque, E., 85 Lamarck, J. de, 16, 37, 61
Darwin, Ch., 9, I 5, 16, 37 Larnettrie, J . de, 64, 81
Dernokrit, 81 Leibniz, G. W., 41, 52
Descartes, R., 11, 50, 71ff, 75A, Lessing, Th., 85
89 Lime, K. V., 10
Dewey, J., 82 Locke, J., 27
Driesch, H,. 80 Loeb, J., 19, zz
Epikur, 64, 81 Loue, H., 75
Fabre, J. H., 20 Lucretius Carus, 81
Fechner, Th., 12, 17 Mach, E., 59, 81
Fichte, J . G., 63, 64 Machiavelli, N., 64, 83
Freud, S., 15, 59f, 61, 63, 64. 79. Marx, K., 64, 68, 83
83 Mendel, Gr., 78
Frobenius, L., 85 Mill, J . St.. 27
Galilei, G., 73 Newton, I., 73
Goethe, J. W., 48, 51 Nietzsche, Fr., 43, 82, 83
Goldstein, K., 79 Paulus, 69
Iiaberlandt, G., 13 Pawlow, J. P., 26
Hartrnann, E. V., 64 Peirce, C. S., 82
Hartrnam, N.. 65 : Platon, 55
Hegel, G. W.F., 51,63,64, 68, 82, Prinzhorn, H., 85
91 Reimarus, H. S., 24
Hering, Ew., 25 Schelling, Fr. W., 64
INHALT
I

Vorrede zur ersten Auflage (1928) .................. 1 'I


Einleitung: Die Selbstproblematik des Menschen in der
Gegenwart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
Der Aufbau der psychischen Welt: ((Gefühlsdrang)), «In-
stinkt)), «assoziatives Gedächtnis)), ((praktische In-
telligenz)) - und Pflanze, Tier, Mensch . . . . . . . . . . . . . 11
Das neue Prinzip : der «Geist». ((Weltoffenheit)), Selbst-
bewußtsein, reine Aktualität des Geistes. Der Wesens-
unterschied von Mensch und Tier . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
Der Akt der Ideierung als ein spezifisch geistiger Akt.
Wesenserkenntnis und Wirklichkeitserlebnis. Der
Mensch: der ((Neinsagenkönnern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 I

Das Problem der «Sublimierung» : die ursprüngliche


Ohnmacht des Geistes und seine Ermächtigung. Kritik
der «klassischen» und der ((negativen))Lehre des Men-
schen. Sublimierung als Weltvorgang . . . . . . . . . . . . . . . 16
Die Einheit Leib-Seele (Kritik Descartes) und der ontische
Gegensatz Geist-Leben (Kritik der naturalistischen Leh-
ren vom Menschen und der Lehre von L. Klages) . . . . 7'
Mensch und Weltgrund. Ursprung der Religion. Ursprung
der Metaphysik .................................. 87

Zur sechsten Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94


Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
Personenverzeichnis ................................ 98

Das könnte Ihnen auch gefallen