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XII (2006), no 19 27

Section IV
Materials for Biographical, Regional and Institutional Studies.

Bernhard H. Bayerlein:
Zwischen Internationale und Gulag.
Präliminarien zur Geschichte der internationalen kommunistischen
Frauenbewegung (1919-1945). Teil 1. 11

Der erste Weltkrieg, die Russische Revolution und die revolutionären Hoffnungen der
Nachkriegskrise waren der Ausgangspunkt dafür, daß sich nach der Gründung der Komintern
im Jahre 1919 Internationalismus bzw. Internationaler Kommunismus, Frauenbewegung und
Feminismus begegneten und sogar eine Symbiose eingingen. Der neue Internationalismus der
Frauen erhielt 1920 eine Organisationsform und zugleich ein Symbol. Das Internationale
Frauensekretariat der Komintern sollte nach dem Beispiel des maßgeblich von Münzenberg
betriebenen Aufbaus der Jugendinternationale auch die revolutionären Frauen weltweit
vereinen. Die erste Generation der Kominternfrauen, die internationalistische
Frauenavantgarde, geriet – vielleicht mit der Ausnahme Clara Zetkins und Alexandra
Kollontajs - weitgehend in Vergessenheit. Wer kennt heute noch Dora Montefiore, die
Französin Lucie Colliard, die Niederländerin Henriette Roland-Holst, die Russinnen Varsenika
Kasparova und Klavdija Nikolaeva oder die Finnin Hanna Malm? Seit den dreißiger Jahren
bestimmten die im Stalinismus geformten Kader oder "sozialistische Heldinnen" wie die
charismatische Dolores Ibarruri ("La Pasionária") oder Ana Pauker die Erinnerungsliteratur.
Diese Frauen der zweiten und dritten Generation sind weitaus besser bekannt, wie auch die
Frauen aus dem Exil und dem antifaschistischen Widerstand der dreißiger und vierziger
Jahre.
Die Frauenpolitik des internationalen Kommunismus folgte spätestens seit Mitte der
Zwanziger Jahre auf eine spezifische Weise den Mäandern der Komintern, die ihrerseits zum
Resonanzboden und Transmissionsriemen der sowjetischen Politik geworden war. Neben
anderen Projekten der Komintern wurde nach den hier geschilderten bemerkenswerten

11 Im ersten Teil der Arbeit liegt der Schwerpunkt auf der politischen Institutionengeschichte, die durch

einige biographische Aspekte ergänzt wird. Im zweiten Teil wird ausführlicher auf die Wirkungs- und
Rezeptionsgeschichte eingegangen. Bei den mit "EKKI" und Datum versehenen Quellenhinweisen handelt
es sich um interne Rundschreiben der Abteilungen und Leitungsorgane des Komintern-Apparats, die im
Teil II aufgeschlüsselt werden.
28 The International Newsletter of Communist Studies Online

Ansätzen die Perspektive einer neuen kommunistischen Fraueninternationale aufgegeben, die


Strukturen der internationalen kommunistischen Frauenbewegung wurden entscheidend
verändert. Erfolge und spektakuläre Aktionen zeigen jedoch auch weiterhin das Potential der
Frauenbewegung.
Noch weniger als ihre Rolle unter den Bolschewiki ist die Arbeit der Frauen in der III.
Internationale einer kritischen Aufarbeitung unterzogen worden. Selbst in dem
vergleichenden und vorbildlichen, von Helmut Gruber und Pamela Graves herausgegebenen
Band, in dem die kommunistische Frauenbewegung in einer Vielzahl von Ländern dargestellt
wird, fehlt der Blick von ganz oben. Dabei zeigt bereits die kommunistische Frauenbewegung
in Deutschland in der Weimarer Republik, daß ohne den Blickwinkel von der Spitze national-
und sozialgeschichtliche Phänomene nicht eingeordnet werden können.
12

In der vorliegenden Skizze können spannende Fragen, bspw. wie die Frauen das Engagement
und den Kampf mit und in der Komintern aufnahmen, in welche Richtung sie ihn orientierten
und wie die männlich dominierten Führungen der Komintern und der KPdSU (b) reagierte und
dieses Engagement beeinflußte, nur angerissen werden. Zutreffend wurde in der Forschung
der Grundwiderspruch kommunistischer Frauenpolitik hervorgehoben, die sich einer
männlichen Übermacht gegenüber zwischen dem Angebot zur unabhängigen Organisierung
spezifischer Fraueninteressen und den Anforderungen der jeweiligen Generallinie der
kommunistischen Parteien bewegte. 13 In den knapp 25 Jahren von 1919 bis 1943, in der die
Komintern existierte, läßt sich tatsächlich auf allen Ebenen der internationalen
Frauenpolitik, der Akteure, Strukturen und Inhalte eine zunehmende Dominanz
parteibürokratischer Mechanismen nachweisen. Die widersprüchliche Entwicklung verlief vom
hoffnungsvollen Beginn des Internationalen Frauensekretariats zu seiner Umwandlung in eine
Kominternabteilung und schließlich zur völligen Auflösung, ein Schicksal, das in den dreißiger
Jahren auch die Frauenabteilungen und Frauenorganisationen der Kommunistischen Parteien
ereilte.
Die international vergleichende Analyse der Frauenpolitik läßt vielleicht noch deutlicher als
in der allgemeinen Betrachtung der Geschichte der Komintern eine äußerst widersprüchliche
Bandbreite erkennen. Sie reicht von der weltweiten Kampagne für die Freigabe der
Abtreibung mit z. Tl. spektakulären Aktionen bis zum Verzicht auf diese Forderung, nicht nur
in der Sowjetunion, sondern auch in Frankreich im Volksfrontjahr 1936; vom auch personell
durch die "Suffragetten"-Tradition in der Komintern repräsentierten Engagement für das
Frauenwahlrecht bis hin zum Verzicht auf seine Durchsetzung bspw. in Frankreich, während
gleichzeitig die kommunistische Partei zur Teilnahme an den Jeanne d'Arc-Festivals aufruft,
14

von der Kollontaj'schen freien Liebe, der sexuellen Revolution Wilhelm Reichs und Daniel
Guérins oder der Sexualreform oder Magnus Hirschfelds bis hin zur Förderung traditioneller

12 Gruber, Helmut; Graves, Pamela (eds.): Women and socialism, socialism and women. Europe between

the two World Wars, New York e.a., Berghahn, 1998. Eine – allerdings rudimentäre und für den Zeitraum
ab 1929 nur kursorische Zusammenfassung in italienischer Sprache: Camparini, Aurelia: Questione
femminile e Terza Internazionale, Bari, De Donato, 1978. (Movimento Operaio. 54). Eine anregendse
Arbeit zum Thema siehe: Weitz, Eric D.: "The Heroic Man and the Ever-Changing Woman. Gender and
Politics in European Communism, 1917-1950." In: Gender and Class in Modern Europe, ed. Laura Levine
Frader and Sonya O. Rose, Ithaca, Cornell University Press, 1996, S. 311-52.
13 Grossmann, Atina: German Communism and New Women. Dilemmas and Contradictions. In:

Gruber/Graves: Women and socialism, S. 135-168.


14 Durch die KP Frankreichs im Wahljahr der Volksfront 1936.
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Großfamilien im Namen der Stärkung der Nation, von der zur Beschränkung der Frau auf die
Familie und einer konservativen bis rückständigen Moral. 15
Das International Frauensekretariat war eine der ersten sogenannten "Internationalen
Zentralleitungen" der Komintern, die, wie die Kommunistische Jugendinternationale oder die
Rote Gewerkschaftsinternationale, im Laufe der Zwanziger Jahre als Massenorganisationen
ausgebaut wurden. 16 Die Frauenstrukturen wurden hingegen nicht ausgebaut, sondern
eingeschränkt und schließlich sogar weitgehend aufgelöst, und die Ansätze einer
Fraueninternationale systematisch zurückgenommen. Die Grundzüge einer für die
Frauenpolitik insgesamt nicht unbedeutenden und für die Komintern paradigmatischen
Entwicklung sollen hier in Kurzform unter Hervorhebung der wichtigsten Akteure in zwei
Teilen zusammengefaßt werden. Weitere Anregungen und Angebote zur Mitarbeit bei der
Erstellung einer über die organisationsgeschichtlichen Aspekte hinausgehenden Darstellung
der Frauengeschichte im Umkreis der Komintern sind hochwillkommen.

15 Bard, Christine; Robert, Jean-Louis: The French Communist Party and Women 1920-1939. From

"Feminism" to Familialism. In: Gruber/Graves, Women and socialism, S. 332.


16 Siehe hierzu: Bayerlein, Bernhard H.: "Das neue Babylon. Strukturen und Netzwerke der

Kommunistischen Internationale und ihre Klassifizierung", Jahrbuch für Historische


Kommunismusforschung (2004), 181-270.
30 The International Newsletter of Communist Studies Online

I. DAS INTERNATIONALE FRAUENSEKRETARIAT – FAST EINE KOMMUNISTISCHE


FRAUENINTERNATIONALE.

Nachdem der Gründungskongreß der Komintern 1919 einen gesonderten Beschluß über die
Notwendigkeit der Heranziehung von Arbeiterinnen zum Kampf für den Sozialismus
angenommen hatte, den Aleksandra Kollontaj auf Initiative von Nadjezda Krupskaja
vorstellte, wurde ein Jahr später, zur Zeit des II. Weltkongresses der Komintern auf einer
ersten improvisierten Konferenz das Internationale Frauensekretariat der Komintern
gegründet (30.7. - 2.8.1920). Zu dieser Zeit war es Konsens in der linken Frauenbewegung,
17

daß in der kapitalistischen Welt die Gleichheit unter den Geschlechtern nicht verwirklicht
werden konnte. Bereits in der sozialdemokratischen II. Internationale hatte die Linke das
Recht auf Abtreibung und Verhütung als demokratisches Grundrecht verteidigt. Nach der
Oktoberrevolution erschien den Bolschewiki die Einbeziehung der Frauen in die
kommunistische Partei, wie es Lenin im Gespräch mit Clara Zetkin sagte, bereits aus Gründen
"revolutionärer Zweckmäßigkeit" dringend notwendig. 18 Bei den männlichen Parteimitgliedern
verlangte er die Abschüttelung der "alten Besitzermentalität" und drängte auf die Herstellung
gesellschaftlicher Bedingungen, die es der Frau erlaubten, aus der "immer gleichen
massakrierenden Anstrengungen des Hauses" und der Unterordnung unter den Mann
herauszukommen. 19 Wie bekannt, sperrte sich Lenin gegen weitergehende Vorstellungen einer
größeren sexuellen Freizügkeit für die Frauen, die Inessa Armand ("Bonina") und Alexandra
Kollontaj an ihn herantrugen.

Erst seit Herbst 1920 konnte mit den maßgeblich von Clara Zetkin erarbeiteten "Richtlinien für
die kommunistische Frauenbewegung" organisatorisch und politisch auf eine systematische
Fundierung der kommunistischen Frauenarbeit zurückgegriffen werden. Von Beginn an war
das Internationale Frauensekretariat nicht als eine Abteilung des Apparats der Exekutive der
Komintern (EKKI), sondern als eigene "Zentralleitung" mit eigenem Apparat und
entsprechenden, auch öffentlich wirkenden Gremien konzipiert. 20 Das IFS sollte die
Integration und Mitarbeit der Frauen in der Weltpartei der Revolution als gleichberechtigte
Partner ermöglichen.

Die vorbildhaften Frauen- und Familiengesetzgebung der frühen Sowjetunion galt dabei als
Vorbild einer neuen frauenfreundlichen Gesellschaft, durch eine eigenständige Frauenpolitik
mit entsprechenden internationalen Strukturen soll der revolutionäre Kampf zur Erreichung
dieser Gesellschaft verstärkt werden. Von Beginn an ergab sich eine Symbiose der linken
Frauenpolitik der Zweiten Internationale ("Zimmerwalder Frauen") und der russischen
Bolschewiki, die seit der Oktoberrevolution wichtige Umwälzungen in besonders die Frauen
betreffenden Lebensbereichen gesetzlich verankert hatten. Sie betrafen u.a. die Hausarbeit

Nach dem II. Weltkongreß, am 8. August 1920, so bei: Adibekov, Grant M.; šachnazarova, Eleonora N.;
17

Sirinja, Kirill K.: Organizacionnaja Struktura Kominterna, 1919-1943, Moskva, Rosspen, 1997, S. 53.
18 Arendt, Hans-Jürgen: "Das Reichsfrauensekretariat bei der Zentrale der KPD 1919-1923",

Mitteilungsblatt der Forschungsgemeinschaft "Geschichte des Kampfes der Arbeiterklasse um die


Befreiung der Frau", 1 (1986), S. 5-21, hier S. 14.
19 Zit. in: Camparini: Questione femminile, S. 18.

Zum Gründungsdatum vgl.: Svátek, Frantisék: "Gli Organi dirigenti dell'Internazionale Comunista. Loro
20

sviluppo e composizione (1919-1943)", Movimento Operaio e Socialista XXIII (1977), 2-3, S. 304; Kahán,
Vilém: Biographische Notizen, unveröffentl. Manuskript, IISG Amsterdam.
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und Kindererziehung, Kinderkrippen, die Einführung von Waschsalons und öffentlichen


Speisehäusern, die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs, die Einführung der Zivilehe
und der Zivilscheidung. 21 Daß aufgrund der Armut und der Folgen des Kriegskommunismus
zahlreiche dieser Maßnahmen nur auf dem Papier standen und in ganzen Regionen der
Sowjetunion, wie im Kaukasus und den islamischen Gebieten, nicht umgesetzt wurden, wurde
zunächst nicht als zentraler Widerspruch empfunden. Gerade die von der Komintern von
Beginn an unterstützte internationale Kampagne für die Freigabe des
Schwangerschaftsabbruchs gehört wohl zu den größten Erfolgen der Frauenpolitik der
Komintern. Zentrale Argumentation war dabei, daß eine Gesellschaft, die den Frauen keine
auskömmlichen familiären und Erziehungsbedingungen für die Kinder ermögliche, auch von
den Frauen die aus der Mutterschaft resultierenden Pflichten nicht abverlangen dürfe.

Das erste Internationale Frauensekretariat der Komintern.

Nach einer Diskussion der Konferenz im EKKI wurde am 8. November 1920 das erste
Sekretariat des IFS gewählt. Seine Mitglieder wurden die russische Feministin und spätere
Diplomatin Alexandra Kollontaj, die bereits 64 jährige linke Frauenrechtlerin der
internationalen Sozialdemokratie und spätere Kommunistin Clara Zetkin, die bereits in der
englischen Suffragettenbewegung engagierte Frauenrechtlerin und australische Kommunistin
Dora Montefiore, die mit 70 Jahren in die Parteiführung der KP Großbritanniens gewählt
wurde, und die Grande Dame des niederländischen Sozialismus und Gründerin des
Revolutionair-Socialistische Vrouwenbond (RSVB), Henriette Roland-Holst, neben Heleen
Ankersmit herausragende Figur der sozialistischen Frauenbewegung. Montefiore (1851-1933)
war Veteranin der angelsächsischen Frauenbewegung, sie war leitend in der
Suffragettenbewegung tätig, bevor sie in der sozialdemokratischen und dann in der
kommunistischen Internationale wirkte. Nach anderen Quellen bestand das Sekretariat aus 8
Mitgliedern, darunter mit Krupskaja, Kollontaj, Lilina, Samoilova, Stal und Similova 6
Russinnen, und darüber hinaus Roland-Holst und der Schweizerin Rosa Bloch, sowie Clara
Zetkin als Generalsekretärin.
22
Die viel jüngere Rose Smith wurde später die
"Frauenorganisatorin" der KP Großbritanniens. 23

Zu den Aufgaben des IFS gehörten unmittelbar nach seiner Gründung 1920 die Unterstützung
der kommunistischen Parteien bei der Einbeziehung der Frauen in den proletarischen
Klassenkampf, die Ausarbeitung von Fragen der kommunistischen Frauenbewegung und die
Berücksichtigung der Frauen in den Entscheidungen des EKKI oder der Kominternkongresse. 24
Beschlüsse des IFS mußten entsprechend einer vereinbarten Prozedur vom EKKI bestätigt
werden. Als eine der ersten Parteien bildete die KPD entsprechende Strukturen aus und
veröffentlichte hierzu innovative Presseorgane ("Die Sozialistin", "Die Kommunistin"). Zu den
ersten für die Frauenpolitik der KPD zuständigen Frauen gehörten die ehemalige SPD-Linke
und Schwester von Julius Braunthal, Bertha Braunthal, Ketty Guttmann, die von Clara Zetkin

21 Frauenbefreiung und Kommunistische Internationale. Materialien und Dokumente 1919/1928, Wien,

2005, S. 2f. (AGM Arbeitsgruppe Marxismus: Schulungstexte und Materialien. 6).


22 Camparini: Questione femminile, S. 41 (ohne Angabe von Quellen).
23 McIlroy, John; Morgan, Kevin; Campbell, Alan (eds.): Party People. Communist Lives. Explorations in

Biography, London, Lawrence and Wishart, 2001.


Adibekov/šachnazarova/širinja: Organizacionnaja struktura, S. 53.
24
32 The International Newsletter of Communist Studies Online

protegierte Hertha Sturm, die später im IFS eine zentrale internationale Rolle spielte, Edda
Tennenboom (Ps.: Else Baum), Erna Halbe und Martha Arendsee.

Nach Abschluß der II. Internationalen Konferenz kommunistischer Frauen, die am 9.-15. Juni
1921, kurz vor der Eröffnung des III. Weltkongresses der Komintern, stattfand, und 82
Delegierte aus 28 Ländern versammelte (gegen 25 und 19 für die erste Konferenz) wurde am
13. Juli 1921 ein neues aus sechs Frauen bestehendes Sekretariat gewählt: Clara Zetkin wurde
Generalsekretärin, mit ihr arbeiteten Alexandra Kollontaj, die Organisatorin der
Politkommissare der Roten Armee unter Trockij, Varsenika Kasparova, Zinaida Lilina, die wie
Kasparova später der Linken Parteiopposition folgte, die Französin Lucie Colliard sowie als
enge Mitarbeiterin von Clara Zetkin, Hertha Sturm. Kollontaj und Lilina, die später für die
25

Arbeit im ZK der VKP (b) aus dem IFS ausschied, waren für Rußland, Nordeuropa,
Großbritannien und die USA, Lucie Colliard für Westeuropa, Hertha Sturm und Clara Zetkin für
Deutschland und Mitteleuropa zuständig. Neben ihnen gehörte noch Kasparova dem IFS an,
die für die Länder des Ostens zuständig war. 26 Wie Sturm später ausführte, stand die II.
Internationale Frauenkonferenz noch ganz im Zeichen der revolutionären Offensivtheorie, die
erst wenig später, mit dem III. Weltkongreß, zugunsten einer neuen Taktik, der
Einheitsfrontpolitik, verändert wurde. Damals habe man hart gegen ultralinke Ansichten im
Sinne der revolutionären Erhebung um jeden Preis kämpfen müssen. Auch Roland-Holst und
die bereits 1922 verstorbene Bloch seien damals Anhänger der Offensivtheorie gewesen. 27 Die
Frauenkonferenz verabschiedete Thesen über die Methoden und Formen der Arbeit unter den
Frauen der Kommunistischen Parteien, vom Weltkongreß selbst wurden eine "Resolution über
die Formen und Methoden der kommunistischen Arbeit unter den Frauen sowie eine
"Resolution über die internationale Verbindung der Kommunistinnen und das Internationale
Kommunistische Frauensekretariat" verabschiedet.

In der Literatur werden die Dokumente als allgemeine Kodifizierung und Theoretisierung der
bisherigen Erfahrungen gewertet (Manfred Scharinger), noch nicht als perspektivische und
systematische Handlungsanleitung für revolutionäre Frauenarbeit. Gleichwohl markierte das
Jahr 1921 einen Höhepunkt der internationalen Tätigkeit des IFS. Bereits vor der
internationalen Konferenz fand ein Kongreß der Frauen des Orients mit 45 Versammelten
statt, die Arbeit nach Osten blieb unter der Leitung Kasparovas ein Schwerpunkt des IFS. Wie
eine türkische Delegierte auf dem im Herbst stattfindenden Ersten Kongreß der Völker des
Ostens in Baku äußerte, kämpfe man nicht nur dafür, ohne Kopftuch auf die Straße zu
gehen. Zu den spektakulärsten und bis heute nachwirkenden Aktivitäten gehörte die
28

Einführung des Internationalen Frauentags. Zu Ehren der Rolle der Frauen in der Russischen
Revolution wurde 1921 in Fortsetzung einer Tradition der Zweiten Internationale auf
Vorschlag bulgarischer Frauen an das Sekretariat der Internationale Frauentag als weltweiter
Gedenktag eingeführt, der auf den 8. März gelegt wurde.

Ibid. Bei Camparini zusätzlich die Russin Lilina. Siehe: Camparini: Questione femminile, S. 41.
25

Kahán, Vilém: Unveröfftl. Manuskript zur Komintern-Struktur, IISG Amsterdam.


26

Inprekorr (1926), Nr. 52, S. 732 ( H. Sturm).


27

28 Camparini: Questione femminile, S. 45.


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Internationalisierung: Von Moskau nach Berlin.

Ein weiterer Beschluß trug maßgeblich zur Internationalisierung der Aktivitäten bei. Ein
Beschluß des Präsidiums des EKKI vom 6. März 1922 29 besagte: "Die Verlegung des
Frauensekretariats nach Berlin wird für notwendig erachtet. Die Organisation soll unter der
Verantwortung der K.P.D. selbständig als Organ des EKKI und nicht der KPD arbeiten. Alle
organisatorischen Fragen, die mit der Verlegung des Sekretariats in Verbindung stehen,
sollen der Organisationskommission übergeben werden. Als unbedingt notwendig wird die
Beibehaltung der Ostabteilung in Moskau befunden. Die Leiterin dieser Abteilung soll in der
Exekutive eine beratende Stimme haben." 30 Offenbar nach Abschluß des Transfers wurde am
17. Mai 1922 S. Smidovic vom Präsidium des EKKI als Vertreterin der RSFSR in das IFS
kooptiert. 31 Den Arbeiten einiger Spezialisten zufolge sei das Sekretariat, das von Zetkin,
Colliard und Sturm geleitet wurde, bereits im Januar-Februar 1922 nach Berlin transferiert
worden, als Leiterin der Ostabteilung sei Kasparova in der Sowjetunion geblieben. 32 Die
Entscheidung wurde vom Präsidium des EKKI am 6.3.1922 unter Anwesenheit von Zetkin,
Kasparova und Kollontaj bestätigt, nicht ohne den Hinweis auf die Notwendigkeit einer engen
Verbindung mit dem Exekutivkomitee der Komintern – und nicht der KPD. 33 Zu dieser Zeit
bestanden bereits in Deutschland, Österreich, der Tschechoslowakei, Bulgarien, den
Niederlanden, der Schweiz Finnland, Norwegen, Schweden und Italien Komitees für die
Propaganda unter den Frauen, ähnliche Strukturen oder sogar Frauenabteilungen der
kommunistischen Parteien, wie die von Helen Crawford, einer Glasgower "Suffragette"
geleitete Frauenabteilung bei der KP Großbritanniens. Das Hauptaugenmerk richtete man auf
die - oftmals noch in Verbindung mit den Zentralorganen der Parteien erfolgenden –
Förderung der Frauenpresse. In einem Brief des brillanten Intellektuellen und Mitbegründers
der KP Frankreichs, Boris Souvarine an Lucie Colliard und Marthe Bigot wird die Einrichtung
zusätzlicher Verbindungen nach Moskau angemahnt, neben den zum Berliner Sekretariat. 34

Für den IV. Weltkongreß der Komintern erarbeitete das IFS auf der Basis von Referaten von
Clara Zetkin, der promovierten Politikwissenschaftlerin Hertha Sturm, Smidovic und
Kasparova einen Thesenentwurf aus. Er trug den Titel "Die internationale Frauenbewegung
und der IV. Kongreß der Komintern", auf dieser Grundlage verabschiedete der Weltkongreß
eine entsprechende Resolution. 35 Nach dem Kongreß änderte sich das Aufgabenspektrum des
IFS, das tendenziell stärker auf eine eigenständigere Fraueninternationale orientiert wurde.
Statt mittelbar über die Komintern-Sektionen zu wirken, sollten die Arbeiterinnen und
Hausfrauen nun auf direktem Wege in die politischen Kampagnen der Komintern oder der

Auf der II. Internationalen Frauenkonferenz, nach: Adibekov/Šachnazarova/Širinja: Organizacionnaja


29

struktura, S. 53. Die Angaben decken sich mit denen Kaháns und Sváteks, denen zufolge das IFS bereits
Anfang 1922 nach Berlin transferiert wurde.
Bericht über die Tätigkeit des Präsidiums und der Exekutive der Kommunistischen Internationale für
30

die Zeit vom 6. März bis 11. Juni 1922, Hamburg, Verlag der Kommunistischen Internationale C. Hoym
Nachf., 1922, S. 1.
Adibekov/Šachnazarova/Širinja: Organizacionnaja struktura, S. 53.
31

Svátek: Gli Organi dirigenti, S. 304; Kahán: Unveröfftl. Manuskript zur Komintern-Struktur.
32

33 Bericht über die Tätigkeit des Präsidiums, S. 1; Camparini: Questione femminile, S. 64f.

Kahan-Materialien, IISG Amsterdam, Dok. vom 14.12.1921.


34

Bericht über die Tätigkeit des Präsidiums, S. 78.


35
34 The International Newsletter of Communist Studies Online

sympathisierenden Massenorganisationen einbezogen und die agitatorisch-aufklärerische


Arbeit unter den Frauen verstärkt werden. 36 Entsprechend ist für die Zeit unmittelbar nach
dem IV. Weltkongreß von einer breitgefächerten Aktivität die Rede, hervorgehoben werden
eigenständige Frauenkampagnen durch das Sekretariat und die Ostabteilung. 37 Es ist wohl kein
Zufall , daß die Entfaltung der internationalen Frauenarbeit mit der von Lenin und Trockij
gegen die sog. "ultralinken" Widerstände in der Komintern durchgesetzten
"Einheitsfrontpolitik" einen Höhepunkt erreichten. Unmittelbar nach dem Kongreß wurde auch
die Entscheidung über den Transfer nach Berlin bestätigt - "zur Leitung der Arbeit unter den
Frauen der Länder Westeuropas und in Amerika". Die Ostabteilung des Frauensekretariats
sollte die Arbeit im Nahen, Mittleren und Fernen Osten sowie in den östlichen
Sowjetrepubliken betreuen. Hierzu hieß es im Tätigkeitsbericht des EKKI: "Diese Abteilung
bleibt in Moskau und arbeitet laut Beschluss des Organisationsbüros des EKKI vom 2.1.1923
als Teil des Internationalen Frauensekretariats im engen Kontakt mit der Ostabteilung des
EKKI, indem sie ihre Tätigkeit mit der der Ostabteilung koordiniert und den Apparat der
letzteren ausnutzt."
38

Die Frauenorganisationen wurden unmittelbar in die revolutionären Pläne der Komintern und
des russischen Politbüros integriert. So wurde am 14.10.1923 eine Reichsfrauenkonferenz
einberufen, mit Frauen aus Frankreich, England, Schweiz, die gemeinsam die Kampagne zur
Vorbereitung des "Deutschen Oktober" durchführen sollten. 39 Der in Europa weit verbreiteten
Revolutionserwartung dieser Zeit entsprach – wie es die Reportagen von Larissa Reissner
zeigen – die Überzeugung, daß ohne eine starke Beteiligung der Frauen die revolutionären
Ziele verfehlen, und nur eine politische Revolution, nicht jedoch eine tiefe gesellschaftliche
Umwälzung mit sich bringen würden. 40

II. DIE "BOLSCHEWISIERUNG" DER FRAUENPOLITIK UND DIE LIQUIDIERUNG DES


INTERNATIONALEN FRAUENSEKRETARIATS.

Berlin oder Moskau?

Mit der Niederlage des "Deutschen Oktober" und der beginnenden Umstellung der
Gesamtorientierung der russischen Führung auf die Verteidigung des "Sozialismus in einem
Land" in den Jahren 1924/1925 änderte sich auch die Frauenpolitik der Komintern. Damit
verbunden war die Absage an Idee und organisatorische Annäherung an eine wie auch immer
geartete Fraueninternationale. Eine der zentralen Maßnahmen war die Auflösung des
Internationalen Frauensekretariats und die Eingliederung der Frauenpolitik in den Apparat des
EKKI. Doch die Frauenpolitik offenbarte nun unterschiedliche Phänomene, die nicht unbedingt
in einem logischen Verhältnis zueinander stehen mußten. Organisatorisch und inhaltlich fand

Ibid.
36

Bericht der Exekutive der Kommunistischen Internationale. 15. Dezember 1922 - 15. Mai 1923. Hrsg.
37

vom Sekretariat des EKKI, Moskau, Verlag des EKKI, 1923, S. 15 f.


Ibid., S. 15.
38

39 Arendt: Das Reichsfrauensekretariat, S. 13.


40 Siehe das schöne Zitat in: Bard, Christine; Robert, Jean-Louis: " The French Communist Party and

Women, 1920-1939. From "feminism" to familialism". In: Gruber/Graves: Women and Socialism,
Socialism and Women, S. 321-347, hier: S. 335.
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mit dem neuen Ziel der Frauendelegierten-Versammlungen eine Russifizierung statt, zugleich
erfolgte organisatorisch einerseits eine Diversifizierung durch die Schaffung von speziellen
sympathisierenden Organisationen. Andererseits bestätigte siich der Russifizierungstrend
durch die Umwandlung der Strukturen und ihre Inkorporierung in den russisch dominierten
Apparat der Komintern.

Bezeichnenderweise gab es Bestrebungen, den Transfer nach Berlin wieder zurückzunehmen.


Die III. Internationale Frauenkonferenz (11.-19. Juli 1924) fand ebenfalls erst kurz nach dem
V. Weltkongreß, und nicht, wie es bisher Brauch war, während des Kongresses statt. Ein
weiteres Anzeichen für die beginnende "Bolschewisierung" der Frauenarbeit kann darin
gesehen werden, daß der Kongreß eine eigene Resolution zur Frauenpolitik nicht mehr
verabschiedete. Die Konferenz der "Bolschewisierung" der Frauenbewegung wählte Clara
Zetkin wiederum zur Generalsekretärin des IFS; Kasparova, Klavdija Nikolaeva und Hertha
Sturm wurden zu internationalen Sekretärinnen gewählt, Nikolaeva, die wenig später für die
41

von Zinov'ev und Kamenev angeleitete sog. "Leningrader Opposition" Partei ergriff, wurde
Vertreterin der UdSSR. 42 Die Leitung des IFS, zumindest die Westabteilung unter Hertha
Sturm, blieb vorerst noch in Berlin; es gab also entweder keine Entscheidung über einen
Rücktransfer nach Moskau oder eine solche Entscheidung wurde nicht in die Tat umgesetzt. In
der Zeitspanne von 1923 bis 1925 vertrat Hertha Sturm das Sekretariat. 43 Am 9. Juli 1926
wurde sie darüber hinaus durch das Präsidium des EKKI zur Vertreterin des IFS im EKKI
gewählt, und durfte somit auch an Sitzungen des EKKI-Präsidiums teilnehmen. 44 Zu den
neugeschaffenen Gremien gehörte u.a. die von Clara Zetkin geleitete "Sektion zur Erforschung
der Theorie und Praxis der internationalen Frauenbewegung" bei der Kommunistischen
Akademie in Moskau. Ihre wissenschaftliche Sekretärin war Edda Tennenboom.

Russifizierung und "Frauen-Delegiertenversammlungen".

Während des V. EKKI-Plenums fand vom 5.-6. April 1925 eine vom Frauensekretariat
zusammen mit der Organisationsabteilung des EKKI vorbereitete Organisationskonferenz über
die Frauenarbeit der Komintern statt. Sie stand unter der Leitung des EKKI-Sekretärs I. R.
Kornblum und zeitigte eine scharfe Opposition seitens der Delegierten der westlichen Länder
gegen die dort vorgetragenen neuen organisatorischen Vorschläge. Es regte sich Widerstand
45

gegen die Übernahme der russischen Praktiken, die Diskussion spitzte sich vor allem um das
Konzept der Frauen-Delegiertenversammlungen zu, das der kommunistischen Frauenbewegung
aufoktroyiert wurde. Zwar als Instrument zur Inkorporierung der sog. "parteilosen" Frauen
konzipiert, lief dies auf die russische Praxis hinaus, die gesamte Frauenbewegung um die
kommunistischen Zellen herum zu gruppieren, wobei die Betriebszellen bspw. in den
westeuropäischen kommunistischen Parteien noch gar nicht bestanden. Die Frauen sollten
mittels dieser Kreise von Zellengruppen daraufhin in Delegiertenversammlungen auf lokaler,
regionaler und nationaler Ebene, in Konferenzen zusammengefaßt werden. Es leuchtet ein,
daß die Frauenbewegung, die sich allein schon aus soziologischen Gründen (Rolle der
Hausfrauen, der Angestellten, der landwirtschaftlich beschäftigten Frauen, die bspw. In

Kahán: Unveröfftl. Manuskript zur Komintern-Struktur.


41

Adibekov/Šachnazarova/Širinja: Organizacionnaja struktura, S. 78.


42

Siehe EKKI-Frauensekretariat, 25.5.1925.


43

Adibekov/Šachnazarova/Širinja: Organizacionnaja struktura, S. 122.


44

Kahán: Unveröfftl. Manuskript zur Komintern-Struktur.


45
36 The International Newsletter of Communist Studies Online

Deutschland noch den größten Teil der arbeitenden Frauen ausmachten) nicht auf das
sektiererische Modell der Frauen-Delegiertenversammlungen stützen konnte, was
organisatorisch zur Zersplitterung und der Autonomisierung der Delegiertenbewegung zur
Folge hätte.

In einem gewissen Widerspruch zu den Zentralisierungsbestrebungen innerhalb der Komintern


standen die in etwa gleichzeitig unternommenen und zum Teil erfolgreichen Versuche, unter
der Obhut der kommunistischen Parteien in anderen Ländern besondere Frauenorganisationen
und – im Rahmen der Internationalen Arbeiterhilfe bspw. – besondere Frauenorganisationen
für spezielle Zwecke zu schaffen. Entsprechende Bestrebungen sind ein deutlicher Hinweis auf
die Attraktivität und Mobilisierungschancen der Frauenorgane, die von Frauenaktivitäten in
zahlreichen Ländern getragen wurden, darunter der denkwürdige und erfolgreiche Streik der
Sardinenarbeiterinnen im bretonischen Hafen Douarnenez im Jahre 1925, in dem nicht zuletzt
Lucie Colliard maßgeblich intervenierte. In Deutschland wurde Ende 1925 der Rote Frauen-
und Mädchenbund gegründet, vermutlich gerade noch rechtzeitig, bevor allgemeine nationale
Frauenorganisationen in den einzelnen Ländern von der Komintern nicht mehr "genehmigt"
wurden. Die KPD war allgemein das große Vorbild. Im Jahre 1928 waren 17 % der 130 000 KPD-
Mitglieder Frauen, der Prozentsatz war damit höher als in der KP der Sowjetunion (!).
46

Allerdings ging seit 1923 zugleich der Anteil der Frauenstimmen bei den Wahlen für die KPD,
der 1924 noch bei beträchtlichen 11,2 5 gelegen hatte (17,1 % männliche Stimmen) erheblich
zurück. 47 Die relativ höchste Anzahl von weiblichen Parteimitgliedern wurde mit 20 % von der
KP der Tschechoslowakei erreicht, dicht gefolgt von der der KP Norwegens (19,7%). Es folgten
die KP der Schweiz (13%) und die KP Englands (14,2 %). 48 In der KP Frankreichs betrug der
Prozentsatz 1924 nur 3-4 %, er fiel 1926 auf 1,7 % und 1929 sogar auf 0,6 %. Ähnliche Werte –
auf einer noch viel schmaleren Mitgliederbasis und einer geographisch einseitigen
Konzentration auf den Norden - galten für die KP Italiens. 49 In den 30er Jahren gab es in der
KPI kein weibliches ZK-Mitglied mehr. Über die Frauen als Akteure sagen diese Zahlen
natürlich nur wenig aus. Insgesamt gelang aufgrund des Charismas und der
Füherinnenpersönlichkeiten, der Radikalisierung und Revolutionserwartungen von unten in der
Nachkriegskrise sowie dem Institution Building der Komintern trotz der genannten Schwächen
der Aufbau einer handlungswirksamen internationalen kommunistischen Frauenbewegung.

1926 – Der definitive Umschwung in der internationalen Frauenpolitik.

Der eigentliche Umschwung erfolgte erst Anfang 1926 im Rahmen des VI. Plenums des EKKI
und der im Mai/Juni folgenden internationalen Frauenkonferenz. Der beschleunigte
Reorganisationsprozeß endete mit der Auflösung des IFS als eigenständiger "Zentralleitung".
Ihre Umbenennung in Frauenabteilung signalisierte die Herabstufung ihres Status, sie war
fortan eine der zahlreichen Abteilungen des Kominternapparats. Eine Reihe von Spuren
verweisen darauf, daß dieser Prozeß nicht ohne Widerstand seitens der engagierten
Vertreterinnen des Frauensekretariats erfolgte, ja daß sich die Frauenpolitik der Komintern

46 Die in den Berichten der Komintern gemachten Angaben schwanken zwischen 14 und 17%.
47 Grossmann: German Communism, S. 139.
48 Camparini: Questione femminile, S. 109f.
49 Bard/Robert: The French Communist Party and Women 1920-1939, S. 323f.
XII (2006), no 19 37

zu einem Zankapfel ersten Ranges entwickelte und auch in die russische Parteidiskussion
hineinwirkte.

Die Frauen-Delegiertenversammlungen wurden auch auf dem VI. EKKI-Plenum weiter


diskutiert, wo Clara Zetkin letztmals als Sekretärin des IFS - unterstützt von Hertha Sturm -
einen oppositionellen Standpunkt gegenüber den u.a. von Otto Kuusinen vertretenen
organisatorischen Vorstellungen einnahm. 50 Auch die Umsetzung der
Delegiertenversammlungen zeigten eine gewisse Resistenz der hiermit befaßten Frauenkreise
an; so kam es etwa dazu, daß die Versammlungen nicht immer im angestrebten Sinn
funktionierten. Statt zur Inkorporierung in die Partei nutzten sie die Frauen, um die
brennenden Probleme der Geburtenkontrolle, Abtreibung und der Entwicklung von
Überlebensstrategien für die Familien zu diskutieren, dies selbstvertändlicherweise gerade
auch im Rahmen der Organisationen der IAH. 51

Ein erster Beschluß, das IFS den übrigen funktionalen EKKI-Abteilungen gleichzustellen,
erfolgte vermutlich bereits auf dem VI. Plenum des EKKI im März 1926. 52 Das Präsidium des
EKKI soll aufgrund von Befürchtungen, politisch überbordet zu werden, den
Auflösungsbeschluß durchgesetzt haben. 53 Im Tätigkeitsbericht des EKKI wird folgerichtig auch
auf eine "stärkere Mitarbeit der leitenden Organe des EKKI" nebst einer "strafferen
Zusammenarbeit mit den übrigen Organen des EKKI" hervorgehoben, was auf eine bisher
relativ autonome Tätigkeit schließen läßt. 54 Der Streit über die Frauen-
Delegiertenversammlungen wurde offensichtlich mit einer organisatorischen Maßnahme
bürokratisch beendet, die die Autonomie der Frauenstrukturen der Komintern erheblich
einschränkte. Eine "engere Verbindung mit den Ostsektionen", eine "personelle Verstärkung
der Abteilung", eine "stärkere Internationalität in der Führung" bei gleichzeitiger "Befestigung
der Verbindung zwischen der Frauenabteilung der KP der Sowjetunion mit der
Frauenabteilung des EKKI und den Sektionen im Westen und Osten", dies alles sind weitere
Punkte, die als Verbesserung der Arbeit genannt werden. Auch im personellen Einfluß wurde
nun der russische Faktor in der Frauenpolitik der Komintern maßgeblich. Neuer Kopf der
Frauenabteilung wurde bis 1932 eine verantwortliche Funktionärin der Frauenabteilung
(Zenotdel) des russischen ZK, Varvara Mojrova. Ihre Nachfolgerin wurde Klavdija Kirsanova. 55

Wie bereits für andere Sektoren erprobt, fand auch für Frauenarbeit eine Art Fachtagung in
Moskau statt, die IV. Internationale Beratung für die Arbeit unter den Frauen (29. Mai - 10.
Juni 1926). Von Palmiro Togliatti als Sekretär des EKKI geleitet, sollte sie den Prozeß der
Umorganisierung auch politisch in die neue Richtung wenden. Ungewöhnlich und auf eine
gewisse Bedeutung hinweisend, die man der Frauenpolitik zubilligte, ist die vorherige
Organisierung einer sogenannten Beratung über die Arbeit unter den Frauen beim Plenum der
Erweiterten Exekutive, die am 8. und 9. März 1926 stattfand. 56 Während die Frauenabteilung

Kahán: Unveröfftl. Manuskript zur Komintern-Struktur.


50

51 Grossmann: German Communism, S. 140.


52 Camparini: Questione femminile, S. 99.
53 Vgl.: Tätigkeitsbericht der Exekutive. 1925-1926. Ein Jahr Arbeit und Kampf, Hamburg, C. Hoym

Nachf., 1926, S. 32; Camparini: Questione femminile, S. 99f.


Bericht, Februar-November 1922, S. 32.
54

Kahán: Biographische Notizen. Die Rede ist hier von Mojrova als einer "dubiosen Figur".
55

EKKI-Frauenberatung, 8.-9.3.1926.
56
38 The International Newsletter of Communist Studies Online

von Sturm, Kasparova sowie der bekannten Kunstkritikerin und KPD-Funktionärin Gertrud (C.
G. L.) Alexander repräsentiert wurde, war das Sekretariat des EKKI durch den zeitweise der
Leningrader Opposition angehörenden Agitprop-Funktionär Isak Kornblum, und die
Organisationsabteilung durch Eugen Fried vertreten, der später zur grauen Eminenz der KP
Frankreichs und Leiters des Kominternapparats in Westeuropa bei Ausbruch des Zweiten
Weltkriegs werden sollte . Die Beratung legte auf Grund eines vorliegenden schriftlichen
Entwurfs die Tagesordnung für die IV. Internationale Frauenkonferenz in Mai/Juni fest und
diskutierte sogenannte Leitsätze über Formen und Methoden der Arbeit unter den
Frauenmassen. 57

Bolschewisierung der Frauenpolitik.

Im Rahmen der Diskussionen auf der Beratung kam es - wie auf dem Plenum - in der
Frauenfrage zu einer scharfen Diskussion über die Rolle der Frauen-
Delegiertenversammlungen einerseits, und die Rolle der außerparteilichen
Frauenorganisationen andererseits. Soweit bisher zu rekonstruieren, waren sich die Frauen
einig in der Forderung nach einer raschen Einführung der Frauen-Delegiertenversammlungen.
Eine "linke" Opposition, die durch Kasparova und die finnische Delegierte Hanna Malm
vertreten war, verlangte gerade in diesem Punkt einen weitaus offensiveren Kurs und warf
sowohl Aino Kuusinen als auch Hertha Sturm als Berichterstatterin der Frauenabteilung vor,
lediglich einen formalen Kompromiß in dieser Frage anzustreben. In der zweiten Frage
wiederum forderte Sturm gegen Kuusinen die Möglichkeit des Aufbaus von
Frauenorganisationen bzw. die der Intervention der Kommunisten im Rahmen der
außerparteilichen Massenorganisationen der Frauen. 58 Ein Kompromiß in dieser Frage wurde
weder auf dem Plenum, noch während der Frauenberatung erreicht, zumal sich Kasparova
gegen eine Verallgemeinerung des Prinzips der Frauenorganisationen ausgesprochen hatte.
Der eigentliche Hintergrund der Auseinandersetzungen – die in dieser oder ähnlicher Form
auch noch in den dreißiger Jahren andauerten – bestand wohl darin, daß die sowjetische
Führung, vermittelt über die Komintern auch die Frauen-Delegiertenversammlungen als
potentiell unkontrollierbar fürchteten, sobald sie aus dem System des "demokratische
Zentralismus" herausfielen und statt dessen bspw. bei Hausfrauen Erfolg hatten und das
Gemeinschaftsgefühl der Frauen stärkten. 59 Die Parteiführungen warnten vor einem Scheitern
der Bolschewisierung und dem Abdriften in den bürgerlichen Feminismus, für die Revolution,
die sie selbst nicht mehr intendierten, seien in Partei oder Gewerkschaft organisierte
Fabrikarbeiterinnen notwendig, nicht jedoch Hausfrauen oder Angestellte. Typisch für die
Bolschewisierungsphase war die Kritik der Wahlrechtsbewegung in der KP Frankreichs, die sich
vor allem an Marthe Bigot festmachte. Die 1878 geborene Lehrerin, die nach dem Ersten
Weltkrieg maßgeblich die Frauenkomitees für einen dauerhaften Frieden ("Comité des
femmes pour la paix permanente"), und den Aufbau einer Vereinigung universitärer Frauen
("Fédération Féministe Universitaire") bestimmte und 1919 Verfasserin des Manifestes für das
Frauenwahlrecht war, wurde von Rosa Michel, der Geliebten Walter Ulbrichts, scharf
kritisiert. In einer zu "98 - 99%" aus Männern bestehenden Partei rückte sie ihr Engagement für

Ibid.
57

Siehe u. a. Inprekorr (1926), Nr. 52, S. 759 ff.


58

59 Grossmann: German Communism, 153.


XII (2006), no 19 39

das Frauenwahlrecht in die Nähe der bürgerlichen Frauenorganisationen, die auf Dauer nur
das bürgerliche Regime stabilisieren könnten. 60
Ein Zusatzantrag von Hertha Sturm zur Resolution der sogenannten Massen-Kommission des
EKKI wurde nach einer persönlichen Erklärung abgelehnt, 61 so daß in der Resolution nur das
Prinzip der Delegiertenversammlungen festgehalten wurde. 62 Die hierzu ausgearbeiteten
ausführlichen Thesen wurden vermutlich dem Orgbüro vorgelegt, allerdings erst nach der IV.
Internationalen Frauenkonferenz Ende Mai - Anfang Juni 1926, auf der die gegensätzlichen
Standpunkte in etwas modifizierter Form erneut aufeinandertrafen.
Die Konferenz unterzog die Arbeit des IFS im Rahmen der im EKKI gewährten
Handlungsmöglichkeiten einer deutlichen Kritik. Festgestellt wurde das Fehlen eines
elementaren Instruktionsapparates sowie eines regelmäßigen Bulletins, der Mangel an
systematischen und intensiven Beziehungen sowohl zu den Sektionen als auch dem übrigen
Apparat des EKKI. Das IFS schien zu dieser Zeit als einzige Verbindung zu den Parteien über
die Möglichkeit (unregelmäßig erscheinender) sogenannter Rundschreiben verfügt zu haben.
Ein solches mit der Nr. 22 bezeichnetes Rundschreiben vom 8. Mai 1926, das neben der
Leiterin der Frauenabteilung H. Sturm vom zuständigen Sekretär des EKKI, Togliatti,
unterzeichnet ist, diente beispielsweise zur Verstärkung der Aktivitäten unter den Frauen der
Solidaritätsaktionen für den Generalstreik in England. 63
Die Frauenkonferenz kann - auf diesen Punkt deuten die verstärkte Anwesenheit von
Mitgliedern des ZK-Frauenapparates der russischen Partei einerseits und der
Organisationsabteilung des EKKI andererseits hin - als Beginn der Übernahme der
Frauenpolitik russischen Typs gelten. Neben der Einführung des Prinzips der Frauen-
Delegiertenversammlungen betraf dies Maßnahmen zur "Bolschewisierung" der Frauenpolitik
wie den Aufbau eines Parteiapparates für die Frauenpolitik in den verschiedenen Parteien, die
Umstellung auf Betriebszellen, die Konzentrierung auf die Frauen in den Betrieben usw. In der
Frage der sogenannten außerparteilichen Massenorganisationen wurde insofern ein
Kompromiß erzielt, als in der diesbezüglichen Resolution zwar die - in allen Bereichen der
Tätigkeit der Komintern geltende - Fraktionsarbeit auch für diese Organisationen
(Hausfrauen, Mädchenvereine, Arbeiterfrauenligen in den angelsächsischen Ländern) Geltung
finden sollte. Doch der bürokratisch-zentralistische Disziplinierung der kommunistischen
Frauenarbeit äußerte sich neben der Auflösung des IFS auch darin, die Schaffung neuer
Frauenorganisationen durch die Kommunisten, entgegen den ursprünglichen Richtlinien der
Frauenabteilung, zu untersagen - mit Ausnahme der Kolonialländer und der Länder des
Ostens. Solches wurde in recht scharfen Tönen begründet: "In den Ländern Westeuropas und
Amerikas ist die Schaffung neuer allgemeiner Frauenorganisationen auf Initiative der
kommunistischen Partei nicht zu empfehlen. Dagegen ist es durchaus zulässig, in Anknüpfung
an die jeweiligen aktuellen wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse, proletarische
Frauenorganisationen für bestimmte Aktionszwecke zu schaffen. Der Aufbau und die
Tätigkeit dieser Organisationen sind so zu gestalten, dass sie als Hilfsmittel zur Stärkung der
allgemeinen Klassenorganisationen des Proletariats wirken. Die Entscheidung über die
Schaffung solcher Organisationen obliegt dem Z.K. der Partei. Dieses ist verpflichtet, die
Frauenabteilung des EKKI darüber ausführlich zu unterrichten." 64

60 Bard/Robert: French Communist Party, 338.


Inprekorr (1926), Nr. 52, S. 735.
61

Inprekorr (1926), Nr. 68, S. 1065.


62

EKKI-Frauenabteilung, 8.5.1926.
63

Inprekorr (1926), Nr. 115, S. 1963, Hervorhebung im Original.


64
40 The International Newsletter of Communist Studies Online

Der Beschluß erklärt die auf den ersten Blick erstaunliche Tatsache, warum außer der KPD von
keiner Partei in keinem weiteren Land eine "allgemeine" Frauenorganisationen geschaffen
wurden. Allerdings wurden zugleich als eine Art Ventil neue organisatorische Handlungsräume
für Frauen geschaffen. Besonderns Willi Münzenberg nutzte den Beschluß zur Gründung
spezifischer frauenbezogener Organisationen im Rahmen der Internationalen Arbeiterhilfe.
Das offizielle Zentralorgan, die Zeitschrift "Die Kommunistische Fraueninternationale" wurde
1925 eingestellt. Die Korrespondenz aus Moskau erfolgte in Form direkter Anschreiben an die
Frauenabteilungen oder "internationalen Korrespondentinnen" der Parteien und auch in Form
von Rundschreiben entsprechend dem Modell der übrigen Abteilungen des EKKI. So z. B.
beschäftigte sich ein vom 8. Mai 1926 datiertes Rundschreiben (Nr. 22) der Frauenabteilung
mit der laufenden Unterstützungsaktion für den englischen Bergarbeiterstreik und ein
weiteres internes Rundschreiben (Nr. 28, ca. Juli 1927) mit den Problemen der Intervention in
den Frauenorganisationen der Genossenschaften. 65

Frauenabteilung in Moskau statt Internationalem Frauensekretariat in Berlin.

Angesichts dieser Bedingungen muß die Frage aufgeworfen werden, ob die Funktionärinnen
der Komintern überhaupt noch zu einer solchen systematischen Aktivität in der Lage waren,
und inwieweit es gelingen konnte, den internationalen Apparat der Frauenabteilung so zu
verstärken, daß die Vielzahl der bis ins kleinste Detail vorgesehenen besonders
organisatorischen Maßnahmen überhaupt erst greifen konnten. Die kleineren Parteien, die
sich einen eigenen Frauenapparat kaum leisten konnten, fielen aus diesem für die
"Bolschewisierung" typischen Schema ohnehin heraus. Die Zeitschrift des IFS, deren
Erscheinen eingestellt wurde, entsprach zudem als theoretische Revue nicht den
Notwendigkeiten eines - wie es Alexander formulierte - problemlos zu erstellenden Bulletins
zu Fragen der unmittelbaren Intervention kommunistischer Frauen. 66 Die Rückverlegung des
IFS von Berlin nach Moskau sei, wie H. Sturm betonte, aus Gründen der Verstärkung der
politischen Leitung erfolgt. Eine weitere russische Genossin, die die Verbindung zur
Frauenabteilung des ZK der VKP (b) hielt, sollte neben einem französischen und einem
englischen Parteimitglied die Struktur verstärken. 67 "Der ganze Apparat des EKKI ist nach dem
letzten Plenum reorganisiert worden. Dadurch erhält das EKKI eine systematische und
intensive Verbindung mit den Sektionen und die Frauenabteilung eine engere Fühlung mit
dem übrigen Apparat des EKKI.", so Hertha Sturm. 68

Sowohl was den Leitungsapparat der Frauenabteilung als auch was das Bulletin der
Frauenabteilung angeht, scheint es also Verbesserungen gegeben zu haben. Unklar bleibt,
inwieweit die besonders von Kasparova geforderte Schaffung eines Instruktionsapparates
umgesetzt wurde. Bisher war man, wie der Bericht der Frauenabteilung auf der Konferenz
zeigte, weitgehend auf die individuelle Behandlung der Probleme mit den Sektionen
angewiesen. 69 Im Umfeld der IV. Internationalen Frauenkonferenz war auch die Rede von
neuen Praktikantinnen für die Arbeit der Abteilung. Der Frauenabteilung angegliedert wurde

EKKI-Frauenabteilung, 8.5.1926, und 1927, unterzeichnet von C. G. L. Alexander.


65

Inprekorr (1926), Sondernr. 9, S. 605 f.


66

Ibid.
67

Ibid.
68

Inprekorr (1926), Sondernr. 22, S. 434 (H. Sturm).


69
XII (2006), no 19 41

darüber hinaus je eine verantwortliche Genossin für die Frauensektionen der KUTV sowie der
Sun-Yatsen-Universität. 70 Daß die Umorganisierung der Sektion mit einer stärkeren
Zentralisierung einherging und insofern gegen Tendenzen eigenständigerer Entwicklungen der
Frauenorganisationen gerichtet war, mag folgendes Berichtszitat verdeutlichen: "In einer
Reihe von Sektionen wurden die Ergebnisse der internationalen Beratung, Arbeitspläne und
bestimmte Kampagnen der zentralen Frauenabteilungen in der Partei durchberaten, und in
Verbindung mit den Parteitagen wurden besondere Konferenzen bzw. Kommissionen für die
Arbeit unter den Frauen abgehalten oder vorbereitet. Neben diesen Fortschritten sind
folgende Schwächen und Abweichungen zu konstatieren. In der Tschechoslowakei sind einige
Absonderungstendenzen der Frauenabteilungen und Genossinnen von der Partei noch nicht
völlig überwunden. In England traten neuerdings Neigungen zur Verselbständigung der
Kommunistinnen in der Partei auf, bis zur Gründung von ”Frauensektionen” nach dem Muster
der Labour Party. Die Frauenabteilung führte einen zielklaren Kampf dagegen. In Schweden
zeigten sich in einer der zentralen Frauenabteilungen Tendenzen oder Nachklänge einer
Auffassung, daß die Eingliederung der Arbeit unter den Frauen der Gesamtpartei besondere
Organe und Methoden für diese Arbeit überflüssig mache." 71 Die vom Organsiationsbüro des
EKKI bestätigten Thesen der Beratung wurden in der Inprekorr veröffentlicht. 72

Was die Bedeutung der Nicht-Kaderorganisationen für die Frauenbewegung anging, kam es nur
in Deutschland zur Ausgestaltung eines zumindest dreigliedrigen fächerartigen Systems
frauenspezifischer Organisationsräume, darunter der RFMB sowie die Frauen- Delegierten und
Konferenzbewegung als Kampf- bzw. Parteiorganisationen und die sympathisierenden
Massenorganisationen bzw. sympathisierende Organisationen für spezielle Belange im
Sozialwesen, der Familien und Sexualberatung u.a.m. Synergieeffekte sorgtn für
Verbindungen zur Liga zum Schutz der Mütter und Sexualreform (terminus üb.) Helene
Stöckers oder der üb. Magnus Hirschfelds, sie reichten bis zur Ernährungsreform
("Lebensreform" -Bewegung), Hygiene, Immunologie und Graphologie, natürliche Gesundheit,
Sport und moderne Hausbaukonzepte. 73 Eine Reihe dieser Organisationen wurde unter dem
gemeinsamen Dach der Arbeitsgemeinschaft sozialpolitischer Organisationen, (ARSO)
zusammengeschlossen, die später auch die Hauptträger der sozialen Kampagnen und der - von
Martha Arendsee als ZK –Mitglied "angeleiteten" - Abtreibungskampagnen waren. 74 In anderen
Ländern mit traditionell nur schwacher weiblicher Präsenz überstieg, wie in Frankreich, die
Bedeutung ähnlicher Organisationen bei weitem die der Frauenabteilung der Partei. Hier sei
nur auf die Union fraternelle des femmes contre la guerre impérialiste unter der Leitung der

70
Tätigkeitsbericht der Exekutive der Kommunistischen Internationale. Februar-November 1926,
Hamburg-Berlin, C. Hoym Nachfolger, o.D. (1926), S. 32.
Ibid., 34.
71

Inprekorr, Nr. 69, 26.10.1926.


72

73 Grossmann: German Communism, S. 142f.


74 Höhepunkt war die (insgesamt allerdings erfolglose) Kampagne zur Abschaffung des § 218, die unter

der Losung "Dein Körper gehört Dir" nach der Verhaftung der beiden Ärzte Else Kienle und Friedrich
Wolf durchgeführt wurde. Grossmann bemerkt hierzu, die KPD habe sich eher unerwartet in der
Avantgarderolle einer Bewegung wiedergefunden, die die ökonomische und politische Emanzipation der
Frau mit dem Recht aller Frauen (nicht nur der am meisten unterdrückten und sozial benachteilgsten)
verband, über ihren Körper selbst zu bestimmen. Siehe: Grossmann: German Communism, S. 144f.
42 The International Newsletter of Communist Studies Online

Bankangestellten Antoinette Gilles (gegr. 1927) oder des Frauenweltkomitees gegen Krieg und
Faschismus hingewiesen. 75

III. DIE "DRITTE PERIODE":


SOZIALFASCHISMUS, STALINISMUS UND RADIKALISIERUNG DER FRAUENPOLITIK.

Daß die Frauenpolitik mit dem VI. Weltkongreß im Jahre 1928 und den vorhergehenden
Programmberatungen der Komintern nicht völlig aus den offiziellen beschlußfassenden
Organen und dem Programm der Komintern verschwand, ist dem Engagement Clara Zetkins zu
verdanken. Die kranke alte Dame des deutschen Sozialismus kritisierte scharf die
Nichterwähnung der Frauen im Programmentwurf, sie bombardierte förmlich die
Programmkommission mit Änderungsvorschlägen und hielt noch einmal fest, daß die
Beteiligung der "Frauenmassen" nicht nur als quantitativer Zustrom für die Revolution,
sondern auch als entscheidender qualitativer Faktor zu bewerten sei. 76 Doch, wie es der
italienische Historiker Ernesto Ragionieri formulierte, stellte Zetkins Beitrag eine der letzten
Bekräftigungen der angesichts der bürokratischen stalinistischen Welle zunehmend
entwerteten moralischen, juristischen Grundsätze dar, aus denen die Ideale der
Frauenemanzipation gespeist wurden. 77 Das Programm selbst kodifizierte noch einmal die
Ziele der Frauenemanzipation und der Gleichheit zwischen den Geschlechtern, wies jedoch
darauf hin, daß ihre Erfüllung – wohl wissend um die Explosivität des Engagements der Frauen
– nur nach dem Sieg der Revolution und des Aufbaus des Sozialismus möglich sei. Die
Komintern übernahm die sowjetische Politik, deren Bestreben es war, die politische und
gesellschaftliche Rolle der Frau zwar zu kodifizieren, jedoch weder theoretisch noch praktisch
das Aufbrechen des Verhältnisses von Mann und Frau als Katalysator des sozialen und
politischen Fortschritts zu beschleunigen. 78

Zugleich wuchs der Einfluß der bei den ZK's der kommunistischen Parteien eingerichteten
Frauenabteilungen weiter, was durch Einzelstudien zu belegen wäre. Daß 1929 aufgrund
innerparteilicher Kämpfe die Frauenabteilung des ZK der VKP (b) aufgelöst wurde - Kaganovic
fiel die Aufgabe zu, die Auflösungsmaßnahme zu begründen - ist ein weiterer Hinweis. 79
Tatsächlich kann der Beschluß des ZK vom 5.1.1930 über die Liquidierung aller Zenotdel als
Reaktion auf das Phänomen der Frauenresistenz erklärt werden – auch innerhalb der
kommunistischen Parteiapparate selbst. In Ermangelung anderer Organe waren die von ganz
oben bis in die kleinsten regionalen Verästelungen der Sowjetunion eingerichteten
Frauenabteilungen bei den Parteileitungen waren zu einer wichtigen Artikulationsmöglichkeit
der Frauen und zur Opposition gegen das administrative Kommandosystem geworden.
Offensichtlich haben selbst die Frauen-Delegiertenversammlungen eine eigene Dynamik
entfaltet und man Angst vor der Initiative der Frauen. Statt der "nicht mehr zeitgemäßen"
Frauenabteilungen wurden zunächst spezielle Frauensektionen in den Agitations- und
Propagandaabteilungen geschaffen. Eine Aufwertung der Frauenpresse wurde vorgeschlagen,

75 Bard/Robert: The French Communist Party, S. 328.


76 Camparini: Questione femminile, S. 111.
77 Ernesto Ragionieri: Il programma dell'Internazionale comunista, Studi storici XIII (1972), 4, S. 708f.
78 Vgl. hierzu: Camparini: Questione femminile, S. 123.

Adibekov/Šachnazarova/Širinja: Organizacionnaja struktura, S. 164.


79
XII (2006), no 19 43

die 1930 geschätzte 2 Millionen Leserpublikum hatten. De facto wurde auch hier
"vereinheitlicht", Einschränkungen ergaben sich durch die Einstellung von
Spartenzeitschriften, bspw. für Mode. 80

Krise, Radikalisierung und Frauen-Delegiertenversammlungen.

Die Folgen der Weltwirtschaftskrise, die Suche nach Auswegen aus der Verarmung großer
Bevölkerungsteile, die die Frauen besonders hart traf, führte – wie es gerade das Beispiel der
KPD aufzeigt, zu einer Art Reflexhandlung breiter Schichten der Mitglieder. Bei bereits
erfolgter Stalinisierung auf Parteiebene ergab sich sowohl "von oben" (Fall Neumann), als auch
"von unten" sich eine neue Suche nach Auswegen, teilweise sogar eine neue theoretischen
Hinterfragung, die mit praktischen Umsetzungsversuche frauenspezifischer Maßnahmen
verbunden war. Das Engagement der Frauen im Ruhreisenstreik 1929 ist hierfür ein wichtiger
Beleg.

Diese teilweise unscharfen Phänomene kontrastierten bereits mit den aus Moskau über die
Kominternführung ausgesandten Signalen, die einen Kurs der nationalistischen Anpassung an
die Nationalsozialisten und exemplarischer Aktionen vorzogen. Auf der Parteiebene drückte
sich dies in einer zugleich endogenen (als künstliche "Revolutionsspielerei") und exogenen
("allgemeine Verschärfung, Straßenkämpfe, etc.) Radikalisierung aus. Die KPD, die in Sachen
Frauen-Delegiertenversammlungen führend war, organisierte vom 19. -20.10.1929 den Ersten
Reichskongreß werktätiger Frauen in Berlin. 81 Der Auftritt Thälmanns zeigte den Grad der
Verengung der Frauenpolitik an, die de facto zum Anhängsel der revolutionären Fantasien der
KPD-Führung geworden war. Als Hauptaufgabe wies man den Frauen zu (seit 1927 war Helene
Overlach Leiterin der Frauenabteilung des ZK der KPD), jede Möglichkeit nutzen, um die
Unzufriedenheit in den Betrieben zu schüren. Das sowjetische Frauenbild wurde nun verstärkt
importiert, doch hinter dem Stoßbrigadinnen- und Athletinnen-Mythos tendierte die
Leitvorstellung im Unterschied zur frühen Sowjetunion zur traditionelle Frauenrolle als Mutter
und Hausfrau, der allerdings mit Hilfe der neuen technologischen Errungenschaften das Leben
vereinfacht werden sollte. Von einer Überwindung des traditionellen Mann-Frau-Verhältnisses
war nicht mehr die Rede, was bereits in dieser Übergangsphase auf die Umkehrung der
Familienpolitik in der Sowjetunion Mitte der dreißiger Jahre hinwies. Auf diesem Hintergrund
wirkten fortschrittliche Organisationen Nischen fernab von der Parteikontrolle aus, die bspw.
unter juristischer und psychologischer Betreuung die sexuellen Probleme der Jugendlichen
berieten. Gerade zu Beginn der dreißiger Jahre war "Komintern-Berlin" (Schlögel) ein eigener

80 Daškova, Tat`jana: "'Rabotnicu – v massy'. Politika social'nogo modelirovanija v sovetskich ženskich

žurnalach 1930-ch godov", Novoe Literaturnoe Obozrenie (2001), Nr. 50, S. 184-192
(http://www.nlo.magazine.ru/reporter/31.html).

80 Karsten Müller: Zu den frauenpolitischen Aktivitäten der Kommunistischen Internationale unter den

neuen Kampfbedingungen während der Weltwirtschaftskrise Ende der 20er/Anfang der 30er Jahre,
Mitteilungsblatt der Forschungsgemeinschaft "Geschichte des Kampfes der Arbeiterklasse um die
Befreiung der Frau" (1984), Heft 1, S. 21-48., S. 31.
44 The International Newsletter of Communist Studies Online

Kosmos, der nicht nur Partei-, Kaderorganisationen, sondern eine Vielzahl intermediärer
Organisationen einschloß, darunter auch Sportverbände, Abendschulen (MASCH), und
experimentelle Bildungsstätten, Reformgymnasien (Karl-Marx-Schule in Neukölln) oder die
vom "Sex-Doktor" Max Hodann geleitete Eugenische Abteilung für Mutter und Kind und die
Sexualberatungsstelle Hodanns im von Prof. Magnus Hirschfeld geleiteten Berliner Institut für
Sexualwissenschaft schloß.

Zugleich war die Frauenpolitik der Komintern zu einer internen Angelegenheit der
weitgefächerten internationalen Bürokratie geworden. Vom 12.-16.8.1930 fand eine
Internationale Konferenz der Leiterinnen der Frauenabteilungen der Zentralkomitees der
kommunistischen Parteien ("Frauenleiterinnenkonferenz") in Moskau (üb.) statt. Neu war hier
die Betonung auf der Arbeit unter den Frauen auf dem Lande. 82 Die frauenpolitischen
Aktivitäten wurden auch organisatorisch auf die Betriebs- und Gewerkschaftsebene verlagert,
während in der stalinistischen Sowjetunion die Integration der Frauen in die Arbeitswelt
forciert und das Regime, im Unterschied zur postrevolutionären Periode, ein besonderes
Augenmerk auf die Rolle der Frau in der Familie legte, die staatliche Kontrolle über die
ehelichen Beziehungen verstärkte und gleichzeitig die Ausübung der Frauenrechte
(Abtreibung, Scheidung u.a.m.) zurückgeschraubt wurden. Die Europäische Kommunistische
Frauenberatung, die in Moskau im August 1930 83 stattfand, wurde vom Internationalen
Frauenkomitee der Roten Gewerkschafts-Internationale einberufen.
Die Tagesordnungspunkte vermitteln ein anschauliches Bild über die neuen Prioritäten. Die
Verlagerung auf die Betriebe wurde dabei ohne Scheu positiv als Möglichkeit gesehen, die
Spontaneität der Frauenbewegung einzuschränken, wie es u.a. Vasil'ev in seinem Referat
betonte."
• Die Arbeiterin in der Produktion und im Klassenkampf (1).
• Die organisierten Formen und Methoden der Arbeit unter den Arbeiterinnen (2).
• Die Frauenarbeit und der Aufbau der Lebensweise in der Sowjetunion (3).
• Die Frauen- und Kinderarbeit in den kolonialen und halbkolonialen Ländern (4).
• Die Verbindungen zwischen den Frauen der kapitalistischen Ländern und Sowjetfrauen (4).

Um die Frauenarbeit unter kommunistische Führung zu stellen und ihren häufig spontanen
Charakter abzubauen, sollte die bereits erfolgte Wendung zu den Betrieben durch einen
weiteren Ausbau der kommunistisch organisierten Delegiertinnenversammlungen verstärkt
fortgesetzt werden. In welchem Ausmaß die Frauen instrumentalisiert werden sollten, zeigt
die Bemerkung, daß zur Erreichung dieses Ziels und der Arbeit in den Betriebszellen der
Terror kein Hindernis sein dürfe. 84 Die Frauenpolitik wurde im Rahmen des
Mehrfrontenkampfes gegen links und rechts, gegen sozialdemokratische und bürgerliche
Frauenorganisationen, gegen trotzkistische und anarchistische Ansätze instrumentalisiert. Es
erstaunt nicht, daß unter den zumeist künstlich aufgeheizten Handlungsbedingungen die
Anbindung der Frauenzeitschriften der einzelnen Parteien sowie "Vernachlässigungen" der
Arbeit zugunsten der Delegiertenversammlungen der anderen Schichten arbeitender Frauen,
wie der Landarbeiterinnen, Bäuerinnen, Heimarbeiterinnen, weiblichen Angestellten,

82 Karsten Müller: Zu den frauenpolitischen Aktivitäten der Kommunistischen Internationale, S. 24.


83 Ibid., S. 29f.
84 Ibid., S. 30.
XII (2006), no 19 45

Arbeiterfrauen moniert wurden. 85 Auf Vorschlag des Sekretariats des EKKI vom 2. Oktober
1935 wurde vermutlich als flankierende Maßnahme zur Entfaltung des Massenterrors in der
Sowjetunion qua Beschluß des Präsidiums des EKKI vom 13. Oktober 1935 schließlich auch die
Frauenabteilung des EKKI aufgelöst. 86

Frauenelite der Komintern und Frauenwiderstand gegen den Stalinismus: Ansätze für die
vergleichende biographische Forschung.

Die vergleichende Betrachtung der Lebensschicksale der hier erfaßten wichtigsten weiblichen
Akteure im Umkreis der Komintern bestätigt die hier angedeutete Entwicklung auf eine
frappierende Weise. Im Rückblick stellt sich heraus, daß die Mehrzahl der leitenden Frauen,
darunter die Russin Varsenika Kasparova und die deutsche Hertha Sturm (die in der Literatur
fälschlicherweise als Pseudonym von Elena Stasova gegeben wurde) unter Stalin entweder in
politische Ungnade gefallen oder sogar in den offenen kommunistischen Widerstand gegen die
Bürokratisierung der Sowjetunion und der Komintern gegangen sind. Einige von ihnen,
darunter Kasparova und Malm wurden Opfer des Terrors. 87 Bemerkenswert und in der
Literatur kaum berücksichtigt ist, daß von den bisher erfaßten leitend in der internationalen
kommunistischen Bewegung tätigen Frauen die Hälfte in das oppositionell-kommunistische
Lager überging, davon die meisten in das der antistalinistischen Linken.
Die aus dem russisch-finnischen Adel stammende Kollontaj war Mitbegründerin der radikal für
die Demokratisierung der Sowjetunion kämpfenden "Arbeiteropposition", die vor allem wegen
ihrer Verteidigung der freien Liebe bekannt wurde, sie verlor bereits in der ersten Hälfte der
zwanziger Jahre ihre kritische Sicht auf die sowjetische Realität und ordnete sich aus
Gründen, die noch nicht eindeutig erforscht sind, als Diplomatin der Stalinschen Politik unter.
Kasparova engagierte sich noch während ihrer Tätigkeit in der Frauenabteilung in exponierter
Position für die Linke ("trotzkistische") Opposition in der Sowjetunion genauso wie Klavdija
Nikolaeva, die sich 1926 zwar von der vereinigten Opposition lossagte, später jedoch
verhaftet und deportiert wurde (anderen Quellen zufolge soll sie allerdings 1939 noch ZK-
Mitglied gewesen sein).
Die Deutsche Hertha Sturm, die rechte Hand von Clara Zetkin im Frauensekretariat war, galt
nach ihrer Rückkehr aus Moskau als "Rechtsabweichlerin" und wurde nicht mehr von der KPD
herangezogen. Sie schloß sich nach Hitlers Machteroberung dem Widerstand der
linkssozialistischen Gruppe "Neu Beginnen" an. 1936 wurde sie von den Nationalsozialisten
verurteilt, beging einen Selbstmordversuch und verstarb vermutlich bei einem Bombenangriff.
Aino Kuusinen, die erste Frau des Kominternfunktionärs Otto Kuusinen, wurde neben der
Frauenabteilung u.a. in der Presseabteilung der Komintern und später in der
Auslandsaufklärung der Roten Armee eingesetzt und später nach Vorkuta deportiert. Erst 1965
konnte sie über Finnland in die USA fliehen. Hanna Malm, die Frau des finnischen Parteifühers
Kullervo Manner, arbeitete ebenfalls im Kominternapparat weiter, bevor sie 1935 verhaftet
wurde. Ihr letztes bisher überliefertes Lebenszeichen ist ein aus 1936 überlieferter Brief. Die
französische Lehrerin Marthe Bigot war 1923 Leiterin der Frauensektion der KP Frankreichs. In
dieser Funktion ging sie in Opposition zur Parteiführung, sie verteidigte öffentlich den von
Trockij im Herbst 1923 geforderten "Neuen Kurs" gegen die Vertreter der Parteibürokratie in

85 Ibid., S. 33.
Die Entwicklung der Frauenabteilung in ihrer Endphase wird im zweiten Teil des Aufsatzes erörtert.
86

Karsten Müller: Zu den frauenpolitischen Aktivitäten, S. 33.


87
46 The International Newsletter of Communist Studies Online

der Sowjetunion. Auch weiterhin blieb sie in der trotzkistischen Bewegung. Die ebenfalls der
sozialistischen französischen Lehrerschaft entstammende Lucie Colliard, die die
Frauenpropaganda in der KP Frankreichs erst verwurzelt hatte, ging ebenfalls zur linken
kommunistischen Opposition. U.a. arbeitete sie später mit André Breton in der Zeitschrift "La
Révolution prolétarienne" zusammen. Weiterhin erwähnenswert ist, daß eine der wenigen
weiblichen ZK-Mitglieder der KP Frankreichs, Marguerite Faussecave, die 1926 "La femme dans
la sociéte capitaliste" publizierte, 1928 ausgeschlossen wurde und sich daraufhin ebenfalls der
Linken Opposition (Trotzkisten) anschloß.

Klavdija Kirsanova wurde nach ihrer Mitarbeit im Frauensekretariat als Leiterin der
Internationalen Leninschule verhaftet, auch C. G. L. (Gertrud) Alexander, unter Franz
Mehring Vorkriegsredakteurin des theoretischen Organs der Sozialdemokratie Die neue Zeit
und einflußreiche Kunstsachverständige der KPD, arbeitete später in der Sowjetunion u. a. als
Bevollmächtigte für die Hauptverwaltung für Literatur. Auch sie soll während der
Säuberungen verhaftet worden sein, die sie jedoch überlebte. Sie starb 1967 in der DDR.
Zinaida Lilina, die zweite Frau Zinov'evs, starb bereits im Jahre 1929. Die Dimitrov-
Tagebücher haben aufgedeckt, daß auch die "Genossin Absolut" des ZK-Apparats, Elena D.
Stasova, selbst als linientreue Stalin-Anhängerin, die in Deutschland maßgeblich am Sturz
Ruth Fischers als Parteivorsitzende der KPD beteiligt war, nur knapp an einer Verhaftung
vorbeischlitterte. 88 Kirsanova und Stasova wurden 1937 gleichzeitig ihrer Funktionen
enthoben. Gegen Clara Zetkin, die offen auf Seiten der "Rechtsopposition" und Bucharins
stand, ging man vermutlich wegen Ihres Ansehens und ihres hohen Alters nicht mit
bürokratisch-administrativen Mitteln vor. Noch am 28. September 1928 wurde sie vom
Politsekretariat des EKKI nach der Umwandlung zur Leiterin der Frauenabteilung ernannt.
Ihre Stellvertreterin und de facto Leiterin des Frauensekretariats wurde Varvara Mojrova, die
auch Mitglied des EKKI-Präsidiums war, später auch Präsidentin des russischen Roten Kreuzes
und des Roten Halbmonds. Zeitzeugenberichten zufolge soll auch sie verhaftet worden sein.
Die 1872 geborene Smidovic, wie Nikolaeva Leiterin der Frauenabteilung des ZK der VKP (b),
starb bereits im Jahre 1934. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang , daß auch Helene
Overlach, die Stalin und der Sowjetunion treue Leiterin der Frauenabteilung beim ZK der KPD
im Herbst 1931, noch während sie die größte Massenkampagne für die Abschaffung des § 218
der Weimarer Republik leitete, in die Sowjetunion abkommandiert wurde. Eine
Heilbehandlung diente offensichtlich als Vorwand.

Die meisten der von Herkunft und Vorstellungshorizont äußerst heterogene und zumeist
bereits in der internationalen sozialistischen Bewegung oder der nationalen
Frauenbewegungen verankerten Frauen der ersten Frauengeneration der Komintern, die das
Rückrad und das Renommee des Internationalen Frauensekretariats bildeten, überlebten wie
das IFS selbst die "Bolschewisierung" nicht. Als ob es eines historischen Belegs für ihr mutiges
Engagement und ihrer internationalistischen Überzeugung bedürfe, ging eine Mehrheit von
ihnen in den Widerstand gegen den offiziellen Kurs der Sowjetunion und die neue
"bolschewisierte" Frauenpolitik unter Zinov'ev, Bucharin und Stalin. Zusammen mit der
internationalistischen Frauenavantgarde wurden nicht nur der Feminismus über Bord
geworfen, sondern auch die vielfältigen Traditionslinien, die sie mit der Avantgarde der

88 Georgi Dimitroff. Tagebücher 1933-1943. Hrsg. von Bernhard H. Bayerlein. Aus dem Russischen und

Bulgarischen von Wladislaw Hedeler und Birgit Schliewenz, vol. I, Berlin, Aufbau, 2000, S. 165, 167.
XII (2006), no 19 47

internationalen sozialen und politischen Frauenbewegung verbanden. Unter diesem Aspekt


betrachtet, verwundert es nicht, wenn sich in der Rückschau die Geschichte der Frauenelite
der Komintern als eigenständiger Frauenwiderstand – gegen die Konsequenzen des
Kapitalismus und der Armut für die Frauen einerseits und gegen den rückschrittlixche
Gewaltherrschaft des Stalinismus andererseits entpuppt. Die zweite und drittte Generation
der Komintern-Frauen wurde bereits in den stalinisierten kommunistischen Parteien
sozialisiert. Während die erste Generation der kommunistisch-internationalistischen Frauen,
vielleicht mit Ausnahme wie Aleksandra Kollontaj und Clara Zetkin vergessen wurde,
überlebte der von einem anderen Frauentypus repräsentierte Parteikader und der Mythos der
kommunistisch-stalinistischen Heldin. 89

89 Siehe hierzu genauer im zweiten Teil in Ausgabe 20 (2007), The International Newsletter of

Communist Studies.

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