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Katholisch-Theologische Fakultät

der Universität Bonn


Seminar für Fundamentaltheologie
apl. Prof. Dr. René Buchholz

EINE OFFENBARUNG
Wintersemestersemester 2014/15

UND VIELE ANTWORTEN?


(aktualisiert / updated: September 2015)

Einführung in die Theologie der


Offenbarung und der Religionen
Inhalt

1. „äußerste Askese jeglichem Offenbarungsglauben gegenüber“.


Vom Ende alter Gewissheiten
a) „Eine Offenbarung, die wahrhaftig wäre…“
Holbachs Einheit von Religions- und Offenbarungskritik
b) Mendelssohn, Lessing und die notwendigen Vernunftwahrheiten
c) Die Persistenz des Heteronomieverdachts

2. Von der Instruktion zur Korrelation


Revisionen des Offenbarungsbegriffs im 20. Jahrhundert
a) Der Mensch ist kein subalterner Befehlsempfänger: Maurice Blondels und Karl
Rahners Abschied von einem instruktionstheoretischen Offenbarungsverständnis
b) Der aufrechte Gang oder: Offenbarung als Korrelation und ‚Entmythologisierung‘
c) Schrift als kristallisierte Traditionsgeschichte – und ihre Verflüssigung
d) Was ist Religion? Systematische Annäherung

3. Religion(en) in der späten Moderne:


historische, soziologische und politische Aspekte
a) „After Babel“:
Das Ende kultureller Homogenität und das Problem der Übersetzung
b) Kolonialistische Erblasten, Globalisierung und kulturalistische Codierungen
c) ‚Soft religion‘: das narzisstische Ich im religiösen Warenhaus
d) ‚Strong religion‘: der Fundamentalismus und die erfundene Tradition

4. Jenseits des Exklusivismus: theologische Modelle


einer Neubewertung nichtchristlicher Religionen
a) Die Öffnung des II. Vatikanischen Konzils: Nostra aetate und Lumen gentium
b) Viele Religionen, aber nur ein Heilsweg: der Exklusivismus
c) Anerkennung des Anderen oder ‚freundliche Übernahme‘?
Das inklusivistische Modell
d) Der eine Gott und die vielen Wege: das pluralistische Modell
e) Ein vierter Weg? Die komparative Theologie oder:
‚Der liebe Gott steckt im Detail‘
f) Kein Privatissimum: Aspekte einer Politischen Theologie der Religionen
2

Kapitel 1
„…äußerste Askese jeglichem
Offenbarungsglauben gegenüber“.
Oder: vom Ende alter Gewissheiten

Paul Henri Thiry d’Holbach (1723-1789): Le christianisme dévoilé (Autoren- und Ortsangabe
sowie Jahreszahl falsch, wahrscheinlich Nancy 1766)

Text: © René Buchholz, September 2015 / Bilder: Wikipedia.org. Das Skript ist nur zum persönlichen Gebrauch bestimmt!
3

a) Problemeröffnung: „Eine Offenbarung, die wahrhaftig wäre…“ Hol-


bachs Einheit von Religions- und Offenbarungskritik Beginnen wir diese Vor-
lesung, deren Gegenstand so oft und vielfach diskutiert wurde, nicht mit einer
längeren, mehr oder weniger eleganten Einleitung, sondern gleich mit einer ful-
minanten Problemeröffnung, wie sie vor etwa 250 Jahren im Rahmen der radi-
kalen Aufklärung Paul Henri Thiry d’Holbach (1723-1789) formulierte, jedoch
ohne in seiner Zeit von den Theologen eine überzeugende Antwort zu erhalten –
was er auch kaum erwartet haben dürfte. „Eine Offenbarung“, schreibt Holbach
in seiner Streitschrift Le Christianisme devoilé, „die wahrhaftig wäre, die von
einem gerechten und gütigen Gott und für alle Menschen notwendig wäre, müß-
te klar genug sein, um auch vom ganzen Menschengeschlecht verstanden zu
werden. Trifft dies aber für die Offenbarung zu, auf die sich der Judaismus und
das Christentum gründen? Die Lehrsätze des Euklid sind für alle verständlich,
die sie verstehen wollen; dieses Werk ruft keinerlei Streitigkeiten unter den Ma-
thematikern hervor. Ist die Bibel auch so klar und verursachen die geoffenbarten
Wahrheiten keine Streitigkeiten unter den Theologen, die sie verkünden? Durch
welches Verhängnis haben die von Gott selbst geoffenbarten Schriften noch
Kommentare nötig, und warum fordern sie die Erleuchtung von oben, um ge-
glaubt und verstanden zu werden? Ist es nicht verwunderlich, daß das, was dazu
dienen soll, alle Menschen zu leiten, von keinem verstanden wird? Ist es nicht
grausam, daß das, was am wichtigsten für sie ist, ihnen am wenigsten bekannt
ist? Alles ist Mysterium, Finsternis, Ungewißheit, Stoff zu Streitigkeiten in einer
Religion, die vom Allerhöchsten verkündet wurde, um das Menschengeschlecht
aufzuklären. Das Alte und das Neue Testament enthalten Wahrheiten, die für die
Menschen wesentlich sind, doch niemand kann sie verstehen.“1 Holbachs An-

1
Holbach 1970: 85f. – Der vollständige Titel der unter dem falschem Verfassernamen Nicolas-Antoine Bou-
langer 1756 mit dem Verlagsort London erschienenen Schrift lautet: Le christianisme dévoilé ou Examen des

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merkung steht nicht am Anfang der Kritik des Offenbarungsbegriffs. Sie blickt
auf die historisch-kritische Analyse Baruch Spinozas zurück und weiß sich mit
vielen Autoren der radikalen Aufklärung verbunden. ist in mehrfacher Hinsicht
für uns von Interesse:
(1) Holbach geht ganz selbstverständlich von einer der großen Offenbarungsreligionen
aus, die von einem Gott sprechen, der den Menschen etwas mitteilt, das zu ihrem Heil
notwendig ist.
(2) Die Heilsnotwendigkeit dieser Offenbarung steht in starker Spannung zu ihrer Ver-
ständlichkeit. Wie kann etwas derart Wichtiges verschlüsselt und unverständlich for-
muliert werden? Kann Gott sich etwa nicht richtig ausdrücken oder beruht der gesamte
Offenbarungsanspruch auf Illusion?
(3) Verständlich, klar und universal gültig sind nur die Aussagen der Mathematik und Ge-
ometrie als Basis weiterer Erkenntnis; die mythische Verkleidung der Offenbarung
aber erschwert ihre menschliche Nachvollziehbarkeit. Warum war diese Form der Mit-
teilung notwendig?
(4) Diese Unverständlichkeit ist Anlass zu endlosen Streitigkeiten, so dass ausgerechnet
dasjenige, das den Menschen zum Heil dienen soll, Quelle ständiger, oft blutiger Kon-
flikte wird. Dürfen wir unsere Hoffnung auf derart unsichere Quellen setzen, wenn
Wissenschaft und Philosophie bessere Lösungen unserer Probleme bieten?
Holbach schrieb seine religionskritischen Abhandlungen zu einer Zeit, in der
Religion durch die zahlreiche in ihrem Namen geführten Kriege – darunter der
Dreißigjährige mit seinen verheerenden Folgen –, einer wachsenden Spannung
zu den Wissenschaften und als ideologische Basis des Ancien Régime in Miss-
kredit geraten war. Die Pluralität der Religionen und Konfessionen ist, folgt man
Holbachs Kritik, in erster Linie eine Gefahr, keine Bereicherung der menschli-
chen Zivilisation und hat ihren Grund im opaken, ja irrationalen Charakter der
Offenbarung. Sie offenbart eigentlich nichts, sondern verbirgt mehr und stiftet
Konfusion. Die Unklarheiten der Interpretation und Aktualisierung unterhalten

principes et des effets de la religion chrétienne. Autor, Erscheinungsjahr- und -ort sind ebenfalls erfunden.
Manfred Naumann hält mit guten Argumenten als Erscheinungsjahr 1766 und als Verlagsort Nancy für sehr
wahrscheinlich (vgl. die Einleitung Manfred Naumanns in Holbach 1970: 5-36, besonders 6-13). Zur hier be-
handelten Thematik vgl. auch das Skript ‚Abenteuer der Immanenz‘ Themen, Ziele und Kontexte neuzeitli-
cher Religionskritik, WS 2014/15 (Homepage Universität Bonn, Katholisch-Theologische Fakultät, Funda-
mentaltheologisches Seminar).

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eine ganze Branche – nämlich Theologen und Priester –, die sich schwerlich
Eindeutigkeit wünschen können, denn sie leben nicht schlecht von den offenen
Fragen und beanspruchen ein Monopol für deren Beantwortung. Die dogmati-
schen Festlegungen nehmen wenig Rücksicht auf ihre Kompatibilität mit dem
geschichtlichen Stand der profanen Erkenntnis, gleichwohl verlangen die religi-
ösen Autoritäten Gehorsam und Unterwerfung. In der Neuzeit ist die Kritik der
Offenbarung mit der Kritik der Religion verbunden, und der Befund, dass es un-
terschiedliche Religionen gibt, die sich auf Offenbarung(en) berufen, jedoch
miteinander nicht vereinbar sind, spricht eher gegen deren Geltungsansprüche.
Die Vernunft ist auf Widerspruchsfreiheit angelegt, die Religionen jedoch sind
einander Häresien. Die Anhänger der einen Religion behandeln diejenigen der
anderen als Ungläubige, verachten sie und zögern oft nicht, gegen sie Gewalt
anzuwenden. Die Durchsetzung religiöser Lehren erfolgt nicht kraft einleuch-
tender Argumente, sondern allein durch autoritative Setzung. Mit Diderot, Vol-
taire und Helvétius gehört auch Holbach zu den scharfen Kritikern der in den
dogmatischen Formulierungen erhobenen Geltungsansprüche. Wie können prob-
lematische Urteile in apodiktischem Ton Gehorsam fordern? Während die unter-
schiedlichen Religionen und Konfessionen mit ihren Behauptungen nur Unfrie-
den stiften, ist es die allen Menschen gemeinsame Vernunft, die uns leiten sollte
und deren Urteile in Fragen auch der moralischen Erkenntnis durch Einsicht
verbindlich werden. In seinem Artikel Irréligieux schreibt Denis Diderot: „la
morale est la même partout. C’est la loi universelle que le doigt de Dieu a gravée
dans tous les cœurs.“2 Man denkt an Kants ‚moralisches Gesetz in mir‘, ge-
schrieben, wie einst die Tafeln des Bundes, mit dem ‚Finger Gottes‘, aber nun –
wie in Dtn 30,14 – in oder auf den Herzen. Es bedarf also keiner eigenen Offen-
barung über das hinaus, was uns durch die Vernunft zugänglich ist, entspre-
chend benötigen wir auch keine definierten Glaubenslehren, die einander und oft
genug auch den Einsichten der Vernunft widersprechen. Der Kampf gegen Of-

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d’Alembert/Diderot 1986b: 190 (Art. Irréligieux).

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fenbarung und Dogma gehört zu den stets wiederkehrenden Motiven der radika-
len Aufklärung. Bissig definiert auch Holbach in der Theologie portative das
Dogma „Was jeder gute Christ glauben muß, wenn er nicht verbrannt werden
will, sei es nun in dieser oder jener Welt. Die Dogmen der Religion sind unab-
änderliche Ratschlüsse Gottes, der seine Meinung nur ändern kann, wenn die
Kirche das tut.“3 Mit anderen Worten: Die Lehrgehalte des christlichen Glau-
bens sind keine geoffenbarten Wahrheiten, sondern Erfindungen. Dies zeigt
schon die Unvereinbarkeit der biblischen Darstellungen mit den Ergebnissen der
Naturwissenschaften – angefangen vom Siebentagewerk der Schöpfung und
dem vorkopernikanischen Weltbild über die wunderbaren Begebenheiten und
göttlichen Eingriffe in die irdischen Abläufe bis zu den phantastischen Szenarien
der Johannesapokalypse.
Aber auch schon in den Anfängen einer historisch-kritischen Analyse der bibli-
schen Bücher erweisen sich die angeblich von Gott diktierten Texte in ihrer vor-
liegenden Form als menschliche Produkte. Wegweisend wurde die Anwendung
genauer Beobachtung und historisch-kritischer Verfahren auf die biblischen
Texte in Baruch Spinozas Theologisch-Politischem Traktat (1670). Spinoza war
sich der Kühnheit seiner Gedanken durchaus bewusst und rechnet mit Wider-
spruch, ja leidenschaftlicher Ablehnung. So schreibt er in seiner Vorrede zum
Tractatus: Da ich bei mir bedachte, daß das natürliche Licht (lumen naturale)
nicht bloß geringgeschätzt, sondern von vielen geradezu als Quelle der Gottlo-
sigkeit verdammt wird (sed a multis tanquam impietetis fontem damnari) daß
menschliche Erdichtung für göttliche Lehre gehalten, Leichtgläubigkeit als
Glaube geschätzt wird, daß die Streitigkeiten der Philosophen in Kirche und
Staat mit aller Leidenschaft geführt werden und daß wütender Haß und Zwist,
durch den die Menschen leicht zu Empörungen verleitet werden, und noch vieles
andere, dessen Aufzählung hier zu weit führen würde, davon die Folge ist, habe
ich mir fest vorgenommen, die Schrift von neuem mit unbefangenem Geist zu

3
Holbach 1970: 222.

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prüfen (Scripturam de novo integro et libero animo examinare) und nichts von
dem anzunehmen oder als Lehre gelten zu lassen, was ich nicht mit voller Klar-
heit in ihr selbst entnehmen könnte. Mit solcher Vorsicht habe ich mir eine Me-
thode gebildet, die heiligen Bücher auszulegen, und mit dieser Methode bin ich
dann vor allem an die Fragen herangetreten: Was ist Prophetie? In welcher Wei-
se hat sich Gott den Propheten geoffenbart? warum waren diese Gott wohlgefäl-
lig? etwa deshalb, weil sie von Gott und Natur erhabene Gedanken hatten? oder
aber bloß wegen ihrer Frömmigkeit?“4 Spinoza wendet sich in diesem längeren
Zitat mit Nachdruck gegen die Herabsetzung der Vernunft (lumen naturale) zur
Quelle des Unglaubens, plädiert für eine selbstständige, vorurteilsfreie und von
allen traditionellen Vorgaben emanzipierte, methodisch exakte Lektüre der
Schrift – hier mag auch die wissenschaftliche Lektüre des Buches der Natur
Vorbild gewesen sein – und nicht zuletzt für eine grundlegende – wir würden
heute sagen: religionsphilosophische oder fundamentaltheologische – Überle-
gung zur Möglichkeit von Offenbarung. Hierbei räumt Spinoza dem menschli-
chen Vorstellungsvermögen eine konstitutive Bedeutung ein, so dass „die Pro-
pheten nur mit Hilfe des Vorstellungsvermögens die Offenbarungen Gottes
empfangen haben, d.h. durch Vermittlung von Worten oder Bildern, sei es von
wirklichen oder imaginären“5, wobei das jeweilige Fassungs- und Vorstellungs-
vermögen bewirkte, dass in Bildern und Rätsel gesprochen wurde und darum die
Propheten „so uneigentlich und dunkel (improprie et obscure) von Gottes Geist
oder Sinn reden“6. Die anthropomorphe Rede von Gott ist insgesamt unange-
messen; Gott kennt keine Leidenschaften wie Menschen und ändert nicht seine
Absichten; Zorn, Hass oder Zuneigung sind Attribute, die nichts mit Gott zu tun
haben, sondern nur Projektionen der Unwissenden sind, auf welche die bibli-
schen Propheten in ihrer Verkündigung Rücksicht nahmen 7. Auch ist Gottes
Macht, von der die Propheten sprechen, nichts Übernatürliches, denn „alles ist ja

4
TTP, praefatio = Spinoza 1989a: 14-17; Spinoza 2012: 66-69.
5
TTP, c. I = Spinoza 1989a: 60/61; Spinoza 2012: 108/109.
6
TTP, c. I = Spinoza 1989a: 62/63; Spinoza 2012: 110/111.
7
Vgl. Ethica, pars I, prop. 15, scholium = Spinoza 1989b: 106-113.

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durch Gottes Macht geschehen. Ja, da die Macht der Natur nichts anderes ist als
Gottes Macht selbst, so erkennen wir sicherlich die Macht Gottes soweit nicht,
als uns die natürlichen Ursachen unbekannt bleiben. Darum ist es töricht, eben
zu der Macht Gottes seine Zuflucht zu nehmen, wenn wir die natürliche Ursache
(causam naturalem) von etwas, d.h. Gottes Macht selbst nicht kennen.“8 Diese
Stelle ist insoweit von erheblicher Tragweite, als dass hier Gottes Macht und
Handeln mit der Natur identifiziert werden, ein Gedanke, den Spinoza ausführ-
lich in der Ethik entfaltet und implizit bereits dem Tractatus zugrunde liegt. Eine
strenge Scheidung zwischen Gott und Natur ist nach Spinoza nicht möglich, so
dass Offenbarung niemals übernatürlichen Ursprungs ist: „Quicquid est, in Deo
est, et nihil sine Deo esse, neque concipi potest. / Alles, was ist, ist in Gott, und
nichts kann ohne Gott seyn oder begriffen werden.“9 Damit ist gerade nicht ge-
meint, dass Gott immer schon als transzendenter Schöpfer mitgedacht werden
muss, sondern dass eine ontologische Differenz zwischen Welt und Gott unzu-
lässig ist, da Gott als eine und einzige Substanz existiert, in welche Denken und
Ausdehnung als Attribute eingeschlossen sind. Entsprechend ist Gott auch nicht
der Lückenbüßer unserer mangelnden Naturerklärung, so dass wir alles zum
Wunder erklären dürften, was wir nach dem derzeitigen Stand der Naturwissen-
schaft nicht ergründen können. Wenn Gott und Natur letztlich identisch sind –
auch wenn wir die Natur als schöpferische Macht und als Vielzahl ihre Gebilde,
Erscheinungen und Zusammenhänge unterscheiden müssen10 –, so kann es
nichts Übernatürliches geben.
Der Theologisch-Politische Traktat und die Ethik bilden eine innere Einheit; sie
verweisen aufeinander. Die Kritik aller supranaturalen Deutungen von Natur
und Geschichte schließt eine Offenbarung nach dem Modell einer Verbalinspira-
tion, der gemäß Gott dem Menschen einzelne Sätze diktiert habe, aus. Was in

8
TTP, c. I = Spinoza 1989a: 60/61; Spinoza 2012: 108/109.
9
Ebd.: pars I, prop. XV =Spinoza 1989b: 106/107.
10
Natura naturans: „id, quod in se est, et per se concipitur, ... Deus, quatenus, ut causa libera, consideratur“;
natura naturata: „id omne, quod ex necessitate Dei naturae, sive uniuscuiusque Dei attributorum sequitur“
(Ethica, cap. I, prop. XXIX, Scholium = Spinoza 1989b:132/133.

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der Ethik metaphysisch erschlossen wird, das wird im Theologisch-Politischen


Traktat historisch-kritisch demonstriert: dass die biblischen Schriften nicht die
Niederschriften göttlicher Diktate sind, sondern menschlichen Einsichten in die
Natur und das Walten Gottes entspringen und mit Gott durch das Vernunftver-
mögen verbunden sind. So ist der Pentateuch, wie Spinoza zu zeigen vermochte,
nicht am Sinai diktiert worden, sondern hat eine über Jahrhunderte dauernde
Genese. Wie etwa kann Mose gegen Ende des Buches Deuteronomium seinen
eigenen Tod darstellen? Warum spricht die Thora von Mose in der dritten Per-
son Singular, wenn er sie doch verfasst haben soll? Wie ist es möglich, dass
Ortsnamen auftauchen, die zur Zeit des Mose noch ungebräuchlich waren? Und
schließlich: Sind Wunder möglich, welche die wissenschaftlich beschreibbare
strenge Ordnung der Natur aufheben? Spinoza kommt nach ausführlicher Ana-
lyse der biblischen Texte zu dem Ergebnis, dass Thora und Propheten nach dem
Exil eine Endredaktion erfahren, und dieser Redaktor vermutlich Esra war, von
dem es heißt „daß er seinen Eifer der Erforschung und Auslegung des göttlichen
Gesetzes zugewandt habe und daß er ein Schriftgelehrter war“11. Die neuere
Exegese hat zwar die Bedeutung Esras nicht derart hoch veranschlagt, doch
kommt Spinoza, was die Zeit der Endredaktion des Pentateuchs und vieler pro-
phetischer Texte betrifft, den Ergebnissen der modernen Bibelforschung, die
große Teile des Pentateuch in die spät- und nachexilische Zeit verlegt, recht na-
he. Auch die weiteren Beobachtungen Spinozas sind beachtlich, wie etwa die
Spätdatierung der Chronikbücher12 und vor allem die Kritik der Evangelien, die,
wie sich rasch zeigte, keine Protokolle der Geschichte Jesu sind: „Wer wird aber
glauben, daß Gott viermal die Geschichte Christi habe erzählen und schriftlich
mitteilen wollen? Allerdings ist in dem einen manches enthalten, was sich in
dem anderen nicht findet, und häufig hilft der eine den anderen verstehen. Dar-
aus darf man aber noch nicht schließen, daß man alles kennen müsse, was von
diesen vier Evangelien berichtet wird, und daß Gott sie auserwählt habe, die Ge-

11
TTP, c. VIII = Spinoza 1989a: 300/301f; Spinoza 2012: 346/347.
12
Vgl. TTP, c. X = Spinoza 1989a: 344-347; Spinoza 2012: 284-387.

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schichte Christi zu schreiben, damit diese besser verstanden werde. Jeder von
ihnen hat sein Evangelium an einem anderen Ort gepredigt, und jeder hat es so,
wie er es predigte, aufgeschrieben, ganz einfach mit der Absicht, die Geschichte
Christi deutlich zu erzählen (historiam Christi dilucide narreret), aber nicht um
die anderen zu erklären.“13 Die Evangelien sind überlieferte Predigten und Theo-
logien einzelner Personen (heute spricht man eher von Gemeinden), aber nicht
das Diktat Gottes. Warum wohl hätte er vier verschiedenen Sekretären vier ver-
schiedene Texte diktieren sollen? „Die Bücher beider Testamente sind nicht auf
ausdrücklichen Befehl zur gleichen Zeit für alle Jahrhunderte geschrieben wor-
den, sondern bei Gelegenheit für bestimmte Menschen“, so das Resümee14. Sie
haben ihren zeitbedingten Anlass, ihren ‚Sitz im Leben‘ und entspringen be-
stimmten (nicht nur) theologischen Interessen ihrer Verfasser. Kurz: Die fundie-
renden Schriften von Judentum und Christentum erwiesen sich am Ende der
Prüfung als ein menschliches Werk, in das auch menschliche Interessen und
Leidenschaften einflossen. Der Anspruch einer wörtlichen Inspiration der
Schrift war dahin; wie aber konnten dann die religiösen Gemeinschaften ange-
sichts der vielen Unsicherheiten, mit denen ihr Glaube behaftet war, noch unbe-
dingten Gehorsam erwarten und im Konfliktfalle Sanktionen verhängen?
Damit ist keineswegs die Autorität der Schrift gänzlich negiert, es kommt aber
darauf an, ihren moralischen Gehalt nicht dadurch zu verdunkeln, dass man an
überkommenen Offenbarungsvorstellungen mit aller Kraft festhält. Es wäre
vermessen, den Wortlaut des Bibeltextes mit der ‚ursprünglichen Offenbarung‘
zu identifizieren. Die Schrift ist nicht unmittelbar Quelle der Wahrheit, finden
sich in ihr doch genügend Stellen, die mit dem Stand der Naturwissenschaft un-
vereinbar sind. Offenbart Gott uns etwa wissenschaftlichen Unsinn? Der An-
spruch einer Verbalinspiration ist unhaltbar; Gott ist vielmehr Urheber der Bibel
„wegen der wahren Religion, die in ihr gelehrt wird, aber nicht etwa deshalb,
weil er den Menschen eine bestimmte Anzahl von Büchern hätte übermitteln

13
TTP, c. XII = Spinoza 1989a: 406/407; Spinoza 2012: 442/443.
14
TTP, c. XII = Spinoza 1989a: 404/405; Spinoza 2012: 440/441.

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wollen.“15. Nicht ihr Wortlaut, der geschichtlichen Veränderungen und Entstel-


lungen unterliegt, sondern ihr Sinn ist göttlich und nicht von menschlichen Un-
zulänglichkeiten depraviert16. Die Regel, Gott über alles zu lieben und den
Nächsten wie sich selbst ist das Fundament jeder wahren Religion, auch durch
Vernunft einsehbar und reduziert, wenn sie befolgt wird, die unzähligen Strei-
tigkeiten. Eine Offenbarung im Sinne einer supranaturalen Mitteilung kann
Spinoza schon von seinem bereits angedeuteten Gottesbegriff her nicht anerken-
nen, denn der Gott Spinozas als Ursache seiner selbst (causa sui17) und imma-
nente Ursache von allem ist frei von personalen Attributen und offenbart sich,
wenn der Begriff überhaupt noch sinnvoll angewendet werden kann, allein der
Vernunft. „Inhaltlich sind Vernunft- und Offenbarungsreligion identisch“18, wie
auch die Ergebnisse der Bibelkritik und der Gottesbegriff Spinozas aufeinander
verweisen und so eine Einheit bilden. Im Grunde vermag die Philosophie die
Wahrheit dessen, was in den biblischen Texten für die breite Masse bildhaft zu
deren Unterweisung erzählt wird, angemessener und präziser zu fassen. Die
einstige ancilla theologiae hat sich emanzipiert und ist zur Herrin geworden19.
Spinozas Gedanken waren auch von der radikalen Aufklärung rezipiert und im
Sinne einer kompromisslosen Kritik der Religion weitergeführt worden. Ende
17. oder Anfang des 18. Jahrhunderts zog ein anonymer Autor einen radikaleren
Schluss aus den Befunden der Bibelkritik: Die Stifter der drei großen Religionen
– Moses, Jesus und Mohammed – seien Betrüger, die einzig aus egoistischen
Motiven heraus handeln und den Menschen lächerliche Vorstellungen von Gott,
der Seele und vom Geist einflößten20. Der im 18. Jahrhundert oft rezipierte
Traité des trois imposteurs nimmt den Kampf gegen jene drei monotheistischen
Religionen auf, die in der Geschichte Europas eine zentrale Rolle spielten. Die
Berufung auf Offenbarungen und Visionen haben keinen realen Grund und die-

15
TTP, c. XII = Spinoza 1989a: 402/403; Spinoza 2012: 438/439; vgl. auch Nadler 2011: 141f.
16
Vgl. TTP c. XII = Spinoza 1989a: 408/409.
17
Vgl. Ethica, pars I, def. 1 = Spinoza 1989b: 86/87.
18
Seckler/Kessler in HFth 2: 21.
19
Vgl. Fraenkel 2008: 13-41, 45-47.
20
Vgl. Traité, Chap. I, §§ 1-2 = Anonymus 1992: 4-7.

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12

nen lediglich der Propaganda. Die Menschen neigten aus Furcht vor der uner-
forschten Natur und aus Unwissenheit dazu, den Erfindungen dieser Leute
Glauben zu schenken und unterwarfen sich ihren Herrschaftsansprüchen. Die
historischen Konstruktionen, die der Verfasser aufbietet, um seine These zu
stützen21, halten einer näheren Kritik kaum stand. Sie zeigen aber, dass schon
früh die Pluralität der Konfessionen, Religionen und Offenbarungsansprüche
Gegenstand einer scharfen Kritik war. Entsprechend muss eine angemessene
Erwiderung die Begründung und Entfaltung des Offenbarungsbegriffs mit einer
solchen Theologie der Religionen verbinden, die diese Vielfalt nicht als ein de-
fizitäres Phänomen und unnötige Komplikation versteht, sondern deren genaue-
re Bedeutung für die Verwirklichung der Offenbarung im Raum der der Ge-
schichte zu bestimmen in der Lage ist.
Wie ein Echo auf den Traité des trois imposteurs klingt Holbachs Urteil über die
Religionen als Beruhigungsmittel, das die Herrschenden ihren Untertanen verab-
reichen: „In der Tat, ich wiederhole es, scheint die Religion überall nur deshalb
eingeführt worden zu sein, um den Fürsten die Mühe zu ersparen, gerecht zu
sein, gute Gesetze zu erlassen und vernünftig zu regieren. Die Religion ist die
Kunst, die Menschen durch Schwärmerei trunken zu machen, um sie daran zu
hindern, sich mit den Übeln zu befassen, mit denen ihre Herrscher sie hienieden
plagen. Mit Hilfe unsichtbarer Mächte, mit denen man ihnen droht, zwingt man
sie, schweigend alles Elend zu erleiden, das ihnen von sichtbaren Mächten zuge-
fügt wird. Man läßt sie hoffen, daß sie in einem anderen Leben glücklicher sein
werden, wenn sie sich mit einem unglücklichen Dasein in dieser Welt abfin-
den.“22 Marx wird rund hundert Jahre später von der Religion als Opium des
Volkes sprechen, wobei das Volk – darauf verweist der Genitiv – schon selbst
nach diesem Opium greift und es ihm nicht eigens verabreicht werden muss. Es
ist der Doppelcharakter der Religion als Betäubungsmittel, als „Seufzer der be-

21
Vgl. ebd.: Chap. III, §§ 10-23.
22
Holbach 1970: 167.

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drängten Kreatur“ und als folgen- und harmloser Protest, der ihr die ‚Volksnähe‘
sichert23.

b) Mendelssohn, Lessing und die notwendigen Vernunftwahrheiten Aber


auch außerhalb einer radikalen Aufklärung, bei Autoren wie Moses Mendels-
sohn (1729-1786) und Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781), steht der Offen-
barungsbegriff unter Heteronomieverdacht. Die sich seit dem Hochmittelalter
abzeichnende und in der Aufklärung sich erheblich verschärfende Krise einer
Autorität, die sich nicht auf Einsicht und Argumente, sondern allein auf göttli-
che Einsetzung und heilige Überlieferung stützt, findet in der moderaten Aufklä-
rung nicht minder wie in der radikalen ihren Ausdruck. Beide Tendenzen, so-
weit ihre strikte Trennung überhaupt möglich ist, kämpfen gegen unerhellte und
als solche irrationale Autorität. Wer einen legitimen Anspruch auf Geltung er-
heben möchte, muss nachvollziehbare, rationale Gründe beibringen und kann
sich nicht auf sein Amt oder alte Überlieferung berufen. Man könnte noch einen
Schritt weiter gehen und feststellen, dass selbst eine Epiphanie die Geltung von
Offenbarung nicht beglaubigen kann, denn entweder gibt es Gründe, auf welche
sich der Geltungsanspruch berufen kann, dann bedarf es aber keiner Erschei-
nung Gottes, oder das Geoffenbarte wird angenommen, weil es durch die Ästhe-
tik göttlicher Macht beeindruckt, was Vernunft und Freiheit des Menschen zu-
wider ist. Ein epiphanisches Offenbarungsverständnis ist damit ebenso zurück-
gewiesen wie ein instruktionstheoretisches24, das den Akzent auf äußerliche
göttliche Belehrung legt. Entsprechend ist auch alle weitere Autorität fragwür-
dig, die aus einem der beiden von der Vernunft als unhaltbar erwiesenen Offen-
barungsmodellen ableitet. Soweit religiöse Autorität, um ihrem Anspruch Nach-
druck zu verleihen, Zwang anwendet oder staatliche Hilfe beansprucht, d.h. die
Macht des besseren Arguments durch das Argument der Macht ersetzt, ähnelt
sie der blinden Natur, die zwar Ursachen folgt, aber keine Gründe vorträgt oder

23
Marx/Engels 1982: 171
24
Zum epiphanischen bzw. instruktionstheoretischen Offenbarungsmodell vgl. Seckler in HFth 2: 43-47.

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zur Diskussion stellt. „Ich weis von keinem Rechte auf Personen und Dinge“,
schreibt 1783 Moses Mendelssohn“, das mit Lehrmeinungen zusammenhänge,
und auf denselben beruhe; das die Menschen erlangen, wenn sie in Absicht auf
ewige Wahrheiten gewissen Sätzen beystimmen, und verlieren, wenn sie nicht
einstimmen können, oder wollen. Am wenigsten weis ich von Rechte und Ge-
walt über Meinungen, die die Religion ertheilen und der Kirche zukommen sol-
len. Die wahre, göttliche Religion maßt sich keine Gewalt über Meinungen und
Urtheile an, giebt und nimmt keinen Anspruch auf irrdische Güter, kein Recht
auf Genuß, Besitz und Eigenthum, kennet keine andere Macht, als die Macht
durch Gründe zu gewinnen, zu überzeugen und durch Ueberzeugung glückselig
zu machen. Die wahre, göttliche Religion bedarf weder Arme noch Finger zu
ihrem Gebrauche; sie ist lauter Geist und Herz.“25 Weder staatliche noch religiö-
se Institutionen haben ein Recht über die Meinungen ihrer Mitmenschen, auch
und gerade nicht über solche, die religiöse Fragen betreffen; „welcher Mensch,
welche Gesellschaft von Menschen darf sich dieses anmaßen?“26 Auch hier gilt
allein die Macht des besseren Arguments. Wenn in Fragen der ‚ewigen Wahr-
heiten‘ nicht dogmatische Setzungen, der Anspruch, etwas auf Befehl hin anzu-
nehmen, sondern Gründe den Ausschlag geben, so setzt dies voraus, dass diese
Wahrheiten vernünftiger Einsicht zugänglich sind. Und in der Tat ist Mendels-
sohn in der Tradition eines Leibniz und Wolff sicher, dass die wichtigsten
Wahrheiten – die Existenz Gottes, die Unsterblichkeit der Seele und die Grund-
lagen der Moral – sich streng beweisen lassen. In dieser Frage ist das Judentum
verbunden mit allen Menschen, die willens und fähig sind, von ihrer Vernunft
freien Gebrauch zu machen. Das Judentum, so Mendelssohn, hat „keine Glau-
bensartikel“ und „niemand ward auf Glaubensartikel beeidigt“ 27; eben weil es
„keine geoffenbarte Religion, sondern geoffenbartes Gesetz“ ist28. Das Judentum

25
Mendelssohn 2009: 89f.
26
Ebd.: 91.
27
Ebd.: 179.
28
Mendelssohn 2009: 351 (An die Freunde Lessings); vgl. Sorkin 2008: 199-206.

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beruht eher auf Vernunft und vernunftgeleiteter Praxis als auf Glauben, der oh-
nehin nicht geboten werden kann.
Mit dem Verzicht auf eine in Offenbarung fundierte ‚jüdische Dogmatik‘ um-
geht Mendelssohn prima facie auch jenes gravierende Problem, das 1777 sein
Freund Gotthold Ephraim Lessing in seiner Schrift Über den Beweis des Geistes
und der Kraft angesprochen hatte. Die universale Gültigkeit der christlichen Of-
fenbarung kann nämlich, so Lessing, durch historische Wahrheit nicht bewiesen
und beglaubigt werden. Selbst wenn man nämlich von allen Fragen der histori-
schen Kritik von Spinoza bis Reimarus einmal absieht, bleibt immer noch das
Problem der allgemeinen Verbindlichkeit partikularer historischer Ereignisse,
wie die Bibel überliefert, oder anders ausgedrückt: Der allgemeine Geltungsan-
spruch, den das Christentum erhebt, steht in stärkster Spannung zur historischen
Kontingenz der biblischen Geschichte(n). „Zufällige Geschichtswahrheiten“, so
Lessing, „können der Beweis von notwendigen Vernunftwahrheiten nie wer-
den.“29 Das Vergangene bleibt partikular und kontingent, es lässt sich nicht mehr
aktuell erleben. Selbst seine wissenschaftliche Rekonstruktion bietet nur Plausi-
bilitäten und entbehrt des Status eines strengen Beweises. Zwischen einer plau-
siblen historischen Konstruktion einerseits und a priori einsehbaren metaphysi-
schen oder moralischen Begriffen besteht eine Differenz, und dieser „garstige
breite Graben“ ist nicht unüberbrückbar – es sei denn durch einen Sprung, eine
, womit aber nur der logische Fehler eines auf Tradi-
tion und ‚historischen Tatsachen‘ beruhenden Offenbarungsglaubens erwiesen
wäre30. Bekanntlich blieb dies nicht Lessings letztes Wort in einer Frage, welche
den universalen Geltungsanspruch des christlichen Offenbarungsglaubens zent-
ral betraf. Indem der Wahrheitsbegriff geschichtlich ‚verflüssigt‘ wurde – ein
Gedanke, der bei Lessing nicht zu ersten Mal auftaucht –, war es möglich, „die
Offenbarung als eine Erziehung des Menschengeschlechts“ zu begreifen31. Nicht

29
Lessing, Werke II: 309; vgl. auch Seckler/Kessler in HFth 2: 25f.
30
Lessing Werke II: 311.
31
Ebd.: 545 (Die Erziehung des Menschengeschlechts, 1777-80, §3).

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die Fixierung auf einzelne geoffenbarte Ereignisse und Sätze, sondern die Tota-
lität der Geschichte muss als fortschreitende Offenbarung Gottes verstanden
werden, bei der allerdings Judentum und Christentum nur einzelne Stufen dar-
stellten und auf „die Zeit eines ewigen Evangeliums“ vorbereiten32. Die moder-
ne evangelische und katholische Theologie hat Lessings Spekulation nicht ein-
fach übernommen; aber die Idee einer geschichtlichen Struktur der Offenbarung
erwies sich, weiterentwickelt von der idealistischen Geschichtsphilosophie
Kants und Hegels, als fruchtbar. Die Verklammerung – nicht Identifikation –
mit der stets ambivalenten menschlichen Freiheitsgeschichte degradierte den
Menschen gerade nicht zu einem passiven Rezipienten von Sätzen und Regula-
tiven, die angeblich Gott selbst gesprochen habe. Menschliche Spontaneität und
Produktivität haben konstitutiven Anteil an den Offenbarungsdokumenten, wenn
Gottes Selbstmitteilung ihren Adressaten erreichen soll – aber diese Überlegun-
gen weisen schon weit auf die Theologie des späten 19. und des 20. Jahrhun-
derts voraus.
Nicht nur die theologischen Zeitgenossen Lessings, auch Mendelssohn ver-
mochte der Erziehung des Menschengeschlechts nur wenig abzugewinnen.
„Nicht die Vervollkommnung des Menschengeschlechts“, schrieb er 1782 in
einem Brief an August Hennings, „ist die Absicht der Natur. Nein! Die Vervoll-
kommnung des Menschen, des Individui. Jeder einzelne Mensch soll seine An-
lagen und Fähigkeiten entwickeln und dadurch immer vollkommener werden
…“33. Eine vollkommene Menschheit als Telos der Geschichte oder ein unendli-
cher Progress böte dem Individuum keine Entwicklungsmöglichkeit mehr, es
„würden die neuen Ankömmlinge keine Gelegenheit finden, ihre Kräfte zu
üben, ihre Anlagen zu entwickeln, und dieses ist gleichwohl wahrer Zwek der
Natur.“34 Die erfüllte Menschheit, die alle ihre Anlagen realisiert hätte, böte
künftige Generationen keine Möglichkeit mehr, sich zu entwickeln und verharrte

32
Ebd.: 561.
33
Mendelssohn 1979: 65, Brief 571.
34
Ebd.

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in ewiger Statik – für den Aufklärer Mendelssohn nicht gerade eine verlockende
Perspektive. Aber auch die vorläufige Rolle, die Lessing dem Judentum zuwies
– eine von der christlichen Theologie nur allzu bekannte Argumentation –
mochte die Reserven Mendelssohn bestärken. Zudem bedurfte es, um die Ver-
nünftigkeit des Judentums zu erweisen, keiner geschichtsphilosophischen Spe-
kulation. Das Judentum gesteht allen Menschen qua Erkenntnis das zu ihrem
Heile Notwendige zu. Wo es um ewige Vernunftwahrheiten geht, spricht, wie
Mendelssohn betont, auch die Bibel nicht vom Glauben, sondern vom Erkennen
und Wissen (so in Dtn 4,39 und 6,4). Mit einer gewissen Spitze gegen die christ-
liche Dogmatik und kirchliche Lehrautorität schreibt Mendelssohn: „Nirgend
wird gesagt: Glaube Israel, so wirst du gesegnet seyn; Zweifle nicht Israel! oder
diese und jene Strafe wird dich verfolgen. Gebot und Verbot, Belohnung und
Strafen sind nur für Handlungen, für Thun und Lassen, die in des Menschen
Willkühr stehen, und durch Begriffe vom Guten und Bösen, also auch von Hoff-
nung und Furcht gelenkt werden.“35 Glauben und Zweifel hingegen gehören al-
lein zum Feld der Erkenntnis. Dasjenige aber, dessen alle Menschen zur ewigen
Seligkeit bedürfen, ist ihnen von Gott durch die Vernunft geoffenbart worden,
dies sind zugleich jene ewigen Wahrheiten, „die der menschlichen Vernunft
nicht nur begreiflich, sondern durch menschliche Kräfte dargethan und bewährt
werden können“36. So bedarf es keiner Mission, keiner Annahme von Glau-
benswahrheiten, die der Vernunft unzugänglich bleiben, sondern es genügt, den
rechten Vernunftgebrauch zu lernen. In die Prüfung der auf Vernunft gegründe-
ten Urteile und Meinungen haben sich weder kirchliche noch staatliche Einrich-
tungen einzumischen37. Das gilt selbstverständlich auch für jüdische Institutio-
nen, und so lehnt Mendelssohn entschieden den Bann (Mrc), den Ausschluss aus
der Gemeinde als Maßnahme der Disziplinierung, entschieden ab. Damit ist die
religiöse Macht jüdischer wie christlicher Inhaber religiöser Ämter auf jenes

35
Mendelssohn 2009: 179.
36
Ebd.: 171.
37
Vgl. Mendelssohn 2009: 159.

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Maß eingeschränkt, das zum Wohlergehen und zur religiösen Entfaltung aller
notwendig ist.
Mendelssohn ist sich durchaus bewusst, dass weder im Staat noch in den beste-
henden Religionsgemeinschaften diese Forderungen Realität angenommen ha-
ben. „Der Despotismus“, schreibt er zu Beginn von Jerusalem, „hat den Vorzug,
daß er bündig ist.“38 Beispielhaft sind ihm Dogmatik und Verfassung der katho-
lischen Kirche: „Euer Gebäude ist aufgeführt, und in allen Theilen desselben
herrscht vollkommene Ruhe. Freilich nur jene fürchterliche Ruhe, wie Mon-
tesquieu sagt, die Abends in einer Festung ist, welche des Nachts mit Sturm
übergehen soll.“39 Nun, die Festung wurde auch mehr als zweihundert Jahre
nach Mendelssohn noch gehalten, aber der Wunsch nach Ruhe ist in manchen
Teilen der katholischen Kirche immer noch unverkennbar, während der Sinn
einer Festung gegen die Moderne nicht wenigen heutigen Zeitgenossen mit
Grund zweifelhaft wurde. Auch für Mendelssohn ist es das Dogma, verbunden
mit der Androhung von Sanktionen, das einer Gemeinschaft vernünftiger Wesen
unwürdig ist. Die Verweigerung des Gehorsams gegenüber einem Anspruch, der
nur die überlieferte Autorität als Grund anzugeben weiß, gehört zu den Charak-
teristika sowohl der radikalen als auch der religiösen Aufklärung. Mendelssohn
ist der Überzeugung, dass das Judentum, eben weil es ‚keine geoffenbarte Reli-
gion‘ ist, auf die unerhellte kirchliche oder gar staatliche Autorität in Fragen des
Glaubens verzichten kann, insofern also ‚aufgeklärter‘ ist als das Christentum.
Für Mendelssohn ist das Judentum eine Religion der Vernunft, welcher die bib-
lischen Texte nicht widersprechen, da die Partikularität biblischer Überlieferung
auch in der Tat nur für Israel respektive das Judentum Geltung beansprucht, aber
die Menschen müssen zu ihrem Heil in dieser und der kommenden Welt kei-
neswegs Juden werden. Das Christentum hat es hier schwerer, da seine Annah-
me nach traditioneller Lehre zwar heilsnotwendig ist, aber die biblische Basis,
auf die sich sein Anspruch gründet, nicht minder partikular ist wie die jüdische.

38
Mendelssohn 2009: 133.
39
Ebd.

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Das Lessingsche Problem ließe sich noch auf einem anderen Weg umgehen,
wenn nämlich, nicht weit entfernt von Überlegungen Spinozas, gezeigt werden
könnte, dass die zentralen Lehren beider Teile der Bibel solche der Vernunftre-
ligion sind und es gar nicht notwendig ist, allein in äußeren Zeugnissen und Au-
toritäten seine Zustimmung zu fundieren, wie Hermann Samuel Reimarus
(1694-1768) in seiner Apologie oder Schutzschrift für die vernünftigen Verehrer
Gottes zeigte, von der 1774 Lessing Auszüge (ursprünglich war ein vollständi-
ger Abdruck der Handschrift vorgesehen40) unter dem Titel Fragmente eines
Ungenannten publizierte und damit eine heftige Kontroverse auslöste. Für
Reimarus ist jegliche Form von Supranaturalismus, d.h. eine durch Wunder und
äußere Zeichen beglaubigte Offenbarung mit der Vernunft unvereinbar. Dass
wir gar „unsere Vernunft gefangen nehmen müssen unter dem Gehorsam des
Glaubens“ – also die Forderung eines sacrificium intellectus – ist biblisch nicht
begründbar und in keiner Weise als göttliche Forderung an uns Menschen aus-
zugeben“41. Die Unterwerfung unter den nicht näher zu prüfenden Offenba-
rungsanspruch wird den Kindern bereits früh in der Form einer „Anleitung zum
blinden Glauben“ anerzogen und findet eine Fortsetzung in den Erwachsenenka-
techesen, welche die Vernunft als verdorben und gefährlich denunzieren. „Die
Vernunft wird ihnen als eine schwache, blinde, verdorbene und verführerische
Leiterin abgemahlt; damit die Zuhörer, welche noch nicht einmal recht wissen,
was Vernunft oder vernünftig heisse, jetzt bange werden, ihre Vernunft zur Er-
kenntnis göttlicher Dinge anzuwenden, weil sie dadurch leicht zu gefährlichen
Irrthümern gebracht werden mögten.“42 Die Prediger haben allen Grund zur Be-
unruhigung, denn die biblischen Texte, die Reimarus eingehend untersucht, bie-
ten Irrtümer, Laster. Lüge und Gräuel ebenso wie „gute Einsichten und heilsame
Lehren, insonderheit was sittliche Pflichten und Tugenden betrifft“43 – und bei-
des mit dem Anspruch, göttliche Offenbarung zu sein. Wer kann hier entschei-

40
Vgl. die Einleitung zu Reimarus 1972a: 16f.
41
Reimarus 1972a: 102.
42
Reimarus 1972a: 67-117, hier: 90 und 97.
43
Reimarus 1972b: 583.

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den, wenn nicht unsere Vernunft? Und könnten wir das, was wahr und richtig ist
in den heiligen Schriften (nicht nur des Christentums) auch durch Nachdenken
und eigenen Vernunftgebrauch ebenso erlangen? Auch wenn Reimarus trotz
seiner Akribie die einzelnen Unterschiede der biblischen Offenbarungsvorstel-
lungen44 kaum hinreichend wahrnahm, so hätte eine solche Differenzierung we-
nig an seiner Skepsis gegenüber einer dem Menschen ‚von außen‘ ergehende
Botschaft geändert, die ihn in Beschlag nimmt und seine Autonomie infrage
stellt, während doch gerade die widersprüchlichen und anstößigen Stellen der
Schrift eine vernünftige Stellungnahme erfordern.
Dass die Botschaft Jesu in ihren von der späteren Tradition nicht schon übermal-
ten Teilen, vor allem seine Morallehre, der Vernunftreligion näher steht als der
späteren Dogmatik und auch seine Botschaft vom Gottesreich auf keine rein
geistige und jenseitige Größe bezogen war, sondern, schon von seinen zeitge-
nössischen jüdischen Voraussetzungen her, auf eine irdische, d.h. auf das Reich
des Messias, als welcher Jesus von seinen Jüngern verehrt wurde45. Und so
meint auch ‚Messias‘ oder ‚Sohn Gottes‘ in seinem frühjüdischen Kontext nicht
eine göttliche Person, sondern ein von Gott zu einem bestimmten Zweck und
mit einer bestimmten Mission beauftragter Mensch, nicht aber die zweite Person
der Trinität. Die ganze spätere Christologie einschließlich der Sünden- und Op-
fertheologie sei dem Neuen Testament noch weitgehend fremd. Gewiss kann
gründliche Prüfung aus den biblischen Schriften die Grundzüge einer Ver-
nunftreligion gewinnen, indem sie die im „tieffen Schlamm und gefährlichen
Klüften“ verborgenen Edelsteine heraufholt, aber hierzu bedarf sie keiner be-
sonderen göttlichen Eingebung, sondern muss nur ihren eigenen Regeln folgen.
Anders als Mendelssohn thematisiert Reimarus die in den biblischen Texten
enthaltenen Gewaltszenen ebenso wie das moralisch anstößige Verhalten einiger
Protagonisten – von den Erzvätern bis zu David. Dies führt zwar nicht, wie bei
heutigen Kritikern des Monotheismus, zu einer Verurteilung dieser religionsge-

44
Vgl. hierzu Pannenberg 1988: 217-234.
45
Vgl. Reimarus 1972b: 43-46.

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schichtlichen Entwicklung als intolerant und gewaltbereit, doch nötigt der Be-
fund nach Reimarus zu einer gründlichen Prüfung der biblischen Quellen. Auch
hier ist es die Vernunft und nicht etwa ein von Gott gegebener Glaube, der die
notwendigen Unterscheidungen vornimmt. Der Offenbarungsanspruch bleibt
gerade angesichts der Deutungsbedürftigkeit der Texte suspekt.
Die Existenz Gottes, die Unsterblichkeit der Seele und die moralischen Normen
lassen sich ohne übernatürliche Offenbarung aus Vernunftgründen erweisen,
darin ist Reimarus mit Mendelssohn einig. Die Beweise basieren auf den Argu-
menten, welche die rationalistische Philosophie seit Descartes über Leibniz und
Wolff entwickelt hatte, wobei man zu geschichtsphilosophischen Überlegungen,
wie sie Lessing anstellte, auf Distanz blieb. Reimarus starb zu früh, um sich mit
der Kantischen Kritik der theologia rationalis auseinandersetzen zu können und
Mendelssohn hatte, wie er selbst in den Morgenstunden (1785) einräumte, die
„Werke … des alles zermalmenden Kants“46 nur oberflächlich gelesen oder über
Dritte zur Kenntnis genommen. Kants Kritik der Gottesbeweise und der Argu-
mente für die Unsterblichkeit der Seele als anmaßende Überschreitung der
Grenzen, welche der theoretischen Vernunft im Unterschied zur praktischen ge-
zogen sind, hätte sowohl die Mendelssohnsche Kompromissformel – geoffen-
bartes Gesetz, nicht geoffenbarte Religion – als auch den Optimismus eines
Reimarus, was die Leistung der theoretischen Vernunft gegenüber dem Offenba-
rungsanspruch betrifft, erschüttert.

d) Die Persistenz des Heteronomieverdachts Kants Einwände gegen die


Beweise vom Dasein Gottes, der menschlichen Freiheit und der Unsterblichkeit
gestattet keineswegs den Sprung in das Reich eines von aller Vernunft und ihren
Einwürfen abgetrennten reinen Glaubens. Dieser wäre dem Verdacht bloßer
Willkür ausgesetzt, als entscheide der Wunsch und Wille zu glauben schon über
den Wahrheitsgehalt dessen, was geglaubt wird. Kants Postulatenlehre in der
Kritik der praktischen Vernunft zeigt, dass er keineswegs gewillt war, die Inhal-

46
Mendelssohn 2009: 219.

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te der alten theologia rationalis dem Irrationalismus und Fideismus zu überlas-


sen. Was einer denkt und glaubt, ist keine Frage des Geschmacks und der bloßen
Willkür, sondern der gründlichen Prüfung.
Einen Schritt weiter oder, besser gesagt, in einem transzendentalen Sinne tiefer,
ging Johann Gottlieb Fichte (1762-1814) in seiner 1792 erschienen Schrift Ver-
such einer Kritik aller Offenbarung. Kritik im Sinne Fichtes und in einem modi-
fizierten Anschluss an die transzendentale Methode Kants meint hier nicht die
pauschale Ablehnung jedes Offenbarungsanspruchs etwa zugunsten einer Ver-
nunftreligion, sondern die Prüfung der Möglichkeitsbedingung von Offenbarung
überhaupt. Es ist also ihre Aufgabe, unter Absehung von der Frage, ob dieser
oder jener Offenbarungsanspruch zu Recht bestehe, „allgemein für jede Offen-
barung gültige Prinzipien aufzustellen“47. Anders ausgedrückt: Fichte möchte
untersuchen, ob so etwas die Vorstellung „von einer durch übernatürliche Kau-
salität von Gott in der Sinnenwelt hervorgebrachten Wirkung, durch welchen er
sich als moralischen Gesetzgeber ankündigt“ überhaupt „a priori möglich“ ist 48.
Wie man sieht kommt hier durchaus im Sinne Kants der praktischen Vernunft
das Primat zu; Gott als Urheber von Wundern und strafende Instanz kann
schwerlich Gegenstand einer transzendentalphilosophischen Reflexion sein. En-
dete diese Untersuchung mit einem negativen Befund, so wäre jeder Anspruch
auf Offenbarung als irrational und vernunftfeindlich erwiesen. Möchte anderer-
seits Fichte Gott Vorschriften machen, wie er sich zu offenbaren habe? Das Ziel
der Überlegungen ist keine Anmaßung der Philosophie, sondern die Entschei-
dung darüber, ob das Vernunftvermögen eines möglichen Adressaten in diesen
Vorgang involviert ist, ob es Voraussetzungen und Bedingungen gibt, welche
die Denkmöglichkeit eröffnen, Offenbarung als einen Vorgang zu begreifen, der
gerade nicht bloß äußerliche, heteronome Setzung ist. Auf die Argumentation
Fichtes kann hier nicht im Detail eingegangen werden, sie verdiente eine eigene
Erörterung im Rahmen eines Seminars. Fragt man nach Kriterien der Göttlich-

47
Fichte 1998: 7.
48
Ebd.: 33.

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keit einer Offenbarung, so ist formal festzuhalten, dass eine Offenbarung, die
durch moralisch zweifelhafte Mittel angekündigt und behauptet wird, niemals
von Gott stammt, sondern menschlicher Phantasie entspringt49. Denn Gott ist
Garant und Urheber einer Moral, deren Imperative freilich der reinen prakti-
schen Vernunft zugänglich sind, ja zum Faktum der Vernunft selbst gehören.
„Jede Offenbarung also muß uns Gott als moralischen Gesetzgeber ankündigen,
und nur von derjenigen, deren Zweck das ist, können wir aus moralischen
Gründen glauben, daß sie von Gott sei.“50 Die Androhung von Strafen und Be-
lohnungen kann niemals Inhalt einer wahren göttlichen Offenbarung sein, da sie
nicht in der Achtung vor dem moralischen Gesetz gründet, sondern im Motiv
des persönlichen Wohlergehens und an heteronome Kriterien gebunden ist.
Kann es aber unter diesen Voraussetzungen überhaupt eine strikt supranaturale
Offenbarung geben, die von der Vernunft des Einzelnen Zustimmung oder gar
unbedingten Gehorsam fordert? Die Antwort Fichtes ist hier eindeutig: „Es ist
also weder moralisch noch theoretisch möglich, daß eine Offenbarung uns Be-
lehrungen gebe, auf die unsre Vernunft nicht ohne sie hätte kommen können und
sollen; und keine Offenbarung kann für dergleichen Belehrungen Glauben for-
dern…“ Aber was muss die Offenbarung dann enthalten, wenn sie als göttliche
soll gelten können? Keineswegs können Wunder, welche Lücken unserer Na-
turerklärung füllen, oder Drohungen göttlichen Ursprungs sein, sondern allein
„das, worauf uns die praktische Vernunft a priori leitet: ein Moralgesetz, und
die Postulate desselben“51. Das mag für diejenigen, die an Wundererzählungen,
göttlichen Eingriffen in die Abläufe von Natur und Geschichte interessiert sind,
sehr ernüchternd klingen, aber jede andere Offenbarungsvorstellung steht unter
Heteronomieverdacht und verweist auf den Menschen als Urheber der Offenba-
rungsinhalte. „Das allgemeine Kriterium der Göttlichkeit einer Religion in Ab-
sicht ihres moralischen Inhalts“, fasst Fichte seine Ausführungen zusammen,

49
Ebd.: 73.
50
Ebd.: 74.
51
Beide Zitate ebd.: 81.

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„ist also folgendes: Nur diejenige Offenbarung, welche ein Prinzip der Moral,
welches mit dem Prinzip der praktischen Vernunft übereinkommt, und lauter
solche moralischen Maximen aufstellt, welche sich davon ableiten lassen, kann
von Gott sein.“52 Wie Fichte seine praktische Philosophie weiterentwickelt und
auf der Grundlage geschichtlicher Intersubjektivität einen neuen Zugang zum
Offenbarungsthema eröffnet, kann im Rahmen dieses Kapitels nicht erörtert
werden. Entscheidend ist, dass der Autonomieanspruch auch für den Offenba-
rungsbegriff normativ wird und damit zum Abschied von eine instruktionstheo-
retischen Modell nötigt.
In die Geschichts- und Religionsphilosophie Georg Wilhelm Hegels (1770-
1831) geht die bisherige Kritik am Offenbarungsbegriff von der Aufklärung bis
zu Fichte ein und wird seine Neufassung fruchtbar gemacht. Die Vergeschichtli-
chung der Offenbarung Gottes seit Lessing erfährt hier eine spekulative Entfal-
tung, in welcher nicht etwa besondere historische Ereignisse oder Dokumente
als Mitteilungen Gottes gedeutet werden, sondern die gesamte Religions- und
Zivilisationsgeschichte der Menschheit wird verstanden als Selbstexplikation
des Absoluten. Natur, Religion und Geschichte sind nicht äußerer Schauplatz
der Offenbarung, sondern ein inneres Moment der Entfaltung Gottes, so dass
man mit einigem Recht von einem Geschichtspantheismus sprechen kann. Den
religionsgeschichtlichen und historischen Kulminationspunkt dieser Entwick-
lung stellt das Christentum dar; „indem durch die christliche Religion das Wesen
Gottes offenbart ist, so ist uns auch der Schlüssel zur Weltgeschichte gegeben,
denn sie ist die Entfaltung seiner Natur zu einem besonderen Element.“53 In
eben diesem Sinne kann die gesamte Geschichte auch als Selbstoffenbarung
Gottes gedeutet werden, denn es stehen nicht einzelne Sätze und Normen im
Zentrum – diese müssten den Menschen bloß äußerlich bleiben –, sondern Gott
als absolute Freiheit, die sich durch die Widersprüche und Leidenschaften hin-
durch, ja sich ihrer bedienend, verwirklicht. „Gott ist“, wie Hegel, einen Gedan-

52
Ebd.: 83; vgl. auch Seckler/Kessler in HFth 2: 26-28.
53
Hegel 1996: 23; Kursivierung: R.B.

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ken Spinozas aufgreifend formuliert, „die absolute Substanz.“ Dies schließt, wie
er sogleich versichert, „Subjektivität nicht aus“; er ist einerseits bei sich selbst,
„reine Beziehung auf sich selbst“54, entäußert sich, denn er ist Tätigkeit und
Wirksamkeit, ist Entwicklung und tritt doch „nicht aus seiner Einheit mit sich
selbst heraus“55. Er ist das sich konkretisierende Allgemeine, die unendliche
Macht, welche in der Natur noch sich äußerlich bleibt, aber in der Geschichte als
sich selbst wissend und realisierend – als causa sui – wirkt. Der Idealismus He-
gels wäre also gründlich missverstanden, wenn die Objektivierung der Selbstof-
fenbarung Gottes überflüssig und alles nur ein Geschehen in der frommen Seele
wäre. So sehr das Vernünftige und Wahre bewusst ergriffen werden muss, so
muss es doch ebenso in die Gestalten der Geschichte eingehen, alle Formen der
Wirklichkeit ergreifen und im historischen Prozess zu sich hin umgestalten. Die
fortschreitende Realisierung dieser Freiheit im Bewusstsein und in den Einrich-
tungen der Menschen ist Gegenstand der Geschichtsphilosophie, die zeigt, dass
alles Geschehen nicht blinden Zufällen unterliegt, sondern auf den „Endzweck
der Welt“56 hin transparent gemacht werden kann. Hegels Geschichtsphilosophie
als Selbstoffenbarung Gottes ist teleologisch angelegt und einer vernünftigen
Rekonstruktion als „Vereinigung von Freiheit und Notwendigkeit“57 zugänglich,
jedenfalls soweit Philosophie und Theologie aus Rücksicht vor der Tradition
sich nicht selbst Denkverbote auferlegen. Von seinen geschichtsphilosophischen
und logischen Grundlagen aus kann Hegel ein umfassendes Tableau der Ge-
schichte, der Kulturen und Religionen entfalten, wobei freilich der gute Ausgang
des historischen Prozesses und die Überlegenheit des Christentums gegenüber
den von Hegel nicht sehr geschätzten orientalischen Kulturen ausgemacht ist. Im
geschichtlichen Prozess zeigt sich, was das ‚Selbst‘ Gottes, das sich in ihm mit-
teilt, ist, hier gewinnt es Konkretion, auch wenn der Sieg der Wahrheit in der
vollständig versöhnten Einheit von Freiheit, Vernunft und Wirklichkeit erreicht

54
Hegel 1983: 269 (Vorlesung über die Philosophie der Religion, 1827).
55
Ebd.: 270.
56
Hegel 1996: 56-59, hier:56.
57
Ebd.: 61.

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ist. Das Wahre muss bewusste Wirklichkeit werden, sonst ist es das Wahre
(noch) nicht. Sein, Bewusstsein und Wahrheit müssen eine versöhnte Einheit
bilden, eine Weg, der durch Entzweiung, Leidenschaften und Untergänge führt.
Hegel dachte Offenbarung konsequent als Geschichte der Selbstmitteilung
Gottes derart, dass im Gang der Geschichte Gott sich selbst erschließt (und Ge-
schichte somit nicht bloß ein äußeres Gewand ist) und rechtfertigt. Selbst die
Offenbarungs- und Religionskritik der Aufklärung kann als notwendiges Mo-
ment dieses Prozesses begriffen werden, insofern die unangemessenen Vorstel-
lungen von Gott und seiner Offenbarung abgewiesen und ein geläutertes Be-
wusstsein an deren Stelle tritt. Die Versöhnung, von der Hegel sprach und die
seiner eigenen Philosophie gemäß nicht nur in Gedanken, sondern in der ge-
schichtlichen Realität stattfinden musste, blieb freilich aus und die Rechtferti-
gung des geschichtlichen Grauens, der Negativität als notwendiger Durchgang
und Teil der Selbsterschließung Gottes musste mehr und mehr als zynisch er-
scheinen. Die Versicherung, dass das Wirkliche vernünftig sei und umgekehrt58,
verliert ihre Plausibilität nicht etwa durch kleinliche Kritik, sondern durch die
Nöte und Widersprüche ausgerechnet der avanciertesten geschichtlichen Er-
scheinung, der bürgerlichen Gesellschaft. Sie war die bereits zu Hegels Lebzei-
ten von tiefen, in ihrer Mitte generierten sozialen Gegensätzen geprägt, ein sozi-
aler Sprengsatz, dessen Gewalt in den späteren Jahrzehnten nach Hegels Tod
noch deutlicher wurde. Die gesamte Geschichte zu deuten als Selbstoffenbarung
des Absoluten verklärt die Leiden anstatt sie zu ändern, wie bald schon Marx es
der Hegelschen Theorie vorwarf. Zudem degradierte sie den Einzelnen zum blo-
ßen Moment des Gesamtprozesses und allenfalls die so genannten ‚weltge-
schichtlichen Individuen‘ kamen auf ihre Kosten, währen die große Masse der
Menschen lediglich das zum Verbrauch bestimmte Material darstellte. Der Af-
fekt gegen den ethischen Einspruch entspringt dem Einverständnis mit der Welt
wie sie ist und degradiert den Geist, dessen Macht Hegel in der Geschichtsphilo-

58
Vgl. Hegel 2009: 14. An anderer Stelle heißt es: „Das was ist zu begreifen, ist die Aufgabe der Philosophie,
denn das was ist, ist die Vernunft.“ (ebd.: 15)

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sophie preist, zum subalternen Beamten der Weltgeschichte, der sich damit be-
gnügt, der Macht des Bestehenden zu dienen und das Wirkliche als vernunftkon-
form zu rechtfertigen. Auch der Gottesbegriff bleibt gezeichnet vom Willen zum
System. Ist einmal die unendliche Differenz von Gott und Welt eingeebnet, so
wird, bei aller innerer Vielfalt der geschichtlichen Formen und Wirklichkeiten,
Gott selbst Teil des Weltprozesses und zugleich seine Rechtfertigung: die Welt-
geschichte ist das Weltgericht. Wenn andererseits das religiöse Bewusstsein sich
nicht in das bloße Gefühl, in die Irrationalität flüchten wollte – ein Eskapismus,
der mit Recht zur Zielscheibe der Polemik Hegels wurde –, bedurfte es einer an-
deren Begründung des Offenbarungsanspruchs, der die kritischen Einwürfe der
Aufklärung ebenso wie Hegels geschichtsphilosophische Verflüssigung der gött-
lichen Mitteilung aufgriff, ohne jedoch deren totalisierenden Ansatz zu über-
nehmen.
Als Alternative zum Irrationalismus einerseits und zum Idealismus der nachkan-
tischen Philosophie andererseits bot sich auch die Analyse der menschlichen
Existenz an, die gerade inmitten ihrer Fragwürdigkeit und Not eine Verwiesen-
heit auf das sich mitteilende Absolute erkannte, ohne doch der Philosophie das
letzte Wort in dieser Frage zu überlassen: Die Affirmation der Offenbarung ist
nicht das Ergebnis einer zwingenden Schlussfolgerung, sondern, wie es bei
Søren Kierkegaard (1833-1855) heißt, eines Sprungs, der alle bisherigen Sicher-
heiten hinter sich lässt und zu dem der Einzelne sich entschließen muss59. „Des
Glaubens Schluß“, heißt es in den Philosophischen Brocken, „ist nicht Schluß,
sondern Entschluß, und daher ist der Zweifel ausgeschlossen60. Sowohl der radi-
kale Gestus dieser Theorie als auch Kierkegaards helle, beißende Kritik der bür-
gerlichen Religion und ihrer unglaubwürdigen saturierten Beamten, wie sie in
seiner Zeitschrift Der Augenblick formuliert wurde, sprach eine junge Gegenra-
tion an, der die Ideale des bürgerlich geprägten langen 19. Jahrhunderts zweifel-
haft waren. Die Welt der Väter, gegen die man zu rebellieren begann, ging

59
Vgl Kierkegaard 2003.
60
Ebd.: 80.

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schließlich im I. Weltkrieg unwiederbringlich zugrunde – ebenso wie die bishe-


rigen Gewissheiten. Angesichts dessen schien Kierkegaards Sprung in den Of-
fenbarungsglauben keinen hohen Preis zu fordern. Es ist dieser Gedanke, der in
der dialektischen Theologie eines Karl Barth oder Rudolf Bultmann ins Zentrum
des Offenbarungsbegriffs und der Glaubensanalyse rückt und der in der religiö-
sen Renaissance seit Beginn des 20. Jahrhunderts eine große Rolle spielen sollte.
Und es ist der spezifische Charakter dieses Sprungs, sei es aus der existenziellen
Verzweiflung, sei es aus dem Bedürfnis nach Sinn und Orientierung heraus, der
im Gegenzug auf eine scharfe und keineswegs unberechtigte Kritik stieß, die
noch im kompromisslosen, antibürgerlichen Gestus Kierkegaards und seiner
Nachfolger ein affirmatives, ja autoritäres Moment entdeckte.
1957, als die Dialektische Theologie ebenso wie die katholische Kierkegaard-
und Heidegger-Rezeption ihren Zenit erreicht hatten, formulierte der Frankfurter
Philosoph Theodor W. Adorno (1903-1969) seine prinzipiellen Bedenken ge-
genüber dem Offenbarungsglauben, der aus seiner Sicht mehr dem Wunsch und
dem bloßen Willen entspringt als einer noch von Thomas geforderten intellektu-
ell redlichen Zustimmung. Erinnert wird an die Debatten des 17. und 18. Jahr-
hunderts, dem Zeitalter der Aufklärung also, die im 20. Jahrhundert vorschnell
als ‚überwunden‘ galt, während doch eher ihre Argumente vergessen oder ver-
drängt als widerlegt waren. „Der Streit über die Offenbarung“, konstatiert A-
dorno knapp, „wurde im achtzehnten Jahrhundert durchgekämpft. Im neunzehn-
ten ist er, als bereits negativ entschiedener, eigentlich schon in Vergessenheit
geraten.“61 Davon profitiere die Renaissance des Offenbarungsglaubens. Mit
klarem Blick wird die Berufung auf das Bedürfnis nach Bindung, Orientierung
und Sinn als Wunschdenken erkannt; „nicht die Wahrheit und Authentizität von
Offenbarung entscheidet, sondern das Bedürfnis nach Orientierung, der Rück-
halt am festen Vorgegebenen; auch die Hoffnung, man könne durch den Ent-
schluß der entzauberten Welt jenen Sinn einhauchen, unter dessen Abwesenheit

61
Adorno, GS 10: 608.

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man so lange leidet, wie man als bloßer Zuschauer aufs Sinnlose hinstarrt.“62
Adorno, der sich 1931 beim evangelischen Theologen und Philosophen Paul Til-
lich mit einer Arbeit über Kierkegaard habilitiert hatte, waren die Motive, die zu
einer Erneuerung des Offenbarungsglaubens führten, nicht unbekannt. Von
Kierkegaard her kannte er auch das Motiv der Paradoxie, als wäre die Spannung
zur Vernunft schon Ausweis der Wahrheit. Es ist der Einzelne, der sich dem Of-
fenbarungsanspruch aus freier Entscheidung unterwirft und so seine Autonomie
preisgibt, um sich andererseits wieder zu gewinnen. „Der Irrationalismus von
Offenbarungsreligion heute“, kommentiert Adorno, „kommt zum Ausdruck in
der zentralen Stellung des Begriffs der religiösen Paradoxie.“63 Je weniger Of-
fenbarung auf rationale Argumente sich stützen kann, desto stärker wird der pa-
radoxale Charakter des Glaubens und des Glaubensaktes betont. Es ist die Sehn-
sucht nach Autorität, nachdem die soziale Verbindlichkeit des Glaubens im Zu-
ge des Säkularisierungsprozesses zumindest im urbanen Raum zerfiel und mit
ihr die Milieus als soziale Träger.
„Ist einmal Religion nicht länger Volksreligion, nicht länger im Hegelschen Sinne substan-
tiell, wofern sie das überhaupt je gewesen ist, so wird sie zu einem unverbindlich Ergriffe-
nen, einer autoritären Weltanschauung, in der Zwang und Willkür sich verschränken.“64
Das einzelne Subjekt übernimmt nun, was einmal als sozialer Konsens verbürgt,
in Tradition, Kult und Brauch gelebt wurde, ist mit dieser Aufgabe aber überfor-
dert. Substantiell im Sinne Hegels – worauf Adorno im Zitat hinweist – ist nur
das, was nicht etwa im einsamen Herzen, in Gefühl und Wunsch des Individu-
ums gründet, sondern im sozialen Verband, in der Gesellschaft selbst akzeptiert
und gelebt wird. Erst in der Einheit von Individuum und Gesellschaft ist Religi-
on fest, wenn auch keineswegs für alle Zeiten verankert. Eben diese Einheit zer-
brach in einem längeren Prozess vom Hochmittelalter über die Frühe Neuzeit bis
zur Moderne. Die biblischen Texte repräsentierten, wie auch Rudolf Bultmann

62
Ebd.: 610.
63
Ebd.: 613.
64
Ebd.: 614.

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konstatierte65, ein anderes Weltbild als dasjenige, das die Naturwissenschaften


erschlossen haben; das Verhältnis von Individuum und verbindlicher Religion
war ein anderes, viel stärker auf dem Autoritätsanspruch himmlischer und irdi-
scher Herrschaft basierend. Das neuzeitliche Prinzip der Subjektivität, die Ten-
denz, nichts als verbindlich und gültig anzuerkennen, das nicht vor dem auto-
nomen Gedanken ausweisen kann, ist mit dem überlieferten instruktionstheoreti-
schen Offenbarungsverständnis unvereinbar. Das objektive Moment des Glau-
bens, wie es sich im sozialen Verband und im Anspruch der Lehre, im Dogma,
darstellt, stößt damit an seine Grenzen. Wo es durch äußeren Druck aufrecht-
erhalten wird, nimmt es offen vernunftfeindliche Züge an; wo es hingegen durch
bloße Willkür affirmiert wird, zergeht sein Anspruch auf Wahrheit und Verbind-
lichkeit. Indem sich das Individuum sei es dem Offenbarungsanspruch unmittel-
bar, sei es einer kirchlichen Autorität als vermittelnde Instanz unterwirft, zerstört
es im willkürlichen Akt die beanspruchte Objektivität. Der Relativismus, den
auch jüngere lehramtliche Stellungnahmen als bedrohliche Tendenz der Moder-
ne darstellen, eignet implizit schon jedem ‚Sprung‘, jeder den Zweifel negieren-
den ‚Entscheidung‘, denn hier ist das Subjekt als Individuum Grund und Grenze
der beanspruchten Wahrheit.
Selbst im jüdischen Kontext, wo der Glaube eine geringere Rolle spielt als im
Christentum, hat es die Thora als Lebensordnung und Lehre schwer, ihre Ver-
bindlichkeit weiterhin zu erhalten, wenn die sie begründenden Erzählungen
(Narrative) im Licht der historischen Kritik und Archäologie sich in hohem Ma-
ße als frei ausgestaltete Legenden, ja als literarische Fiktion erweisen. Auch da-
rauf spielt Adorno an, wenn er schreibt: „Denn die Frage, woher die Autorität
der Lehre stammt, ist nicht gelöst, sondern abgeschnitten, sobald einmal das
haggadische vom halachischen Element ganz sich lossagte.“66 Angesichts der
desolaten Situation des Offenbarungsglaubens, dem einzig der Wunsch nach
Sinn inmitten der sinnlosen verwalteten, nur noch von technischen und ökono-

65
Vgl. Bultmann 1988: 12-20.
66
Adorno, GS 10: 614.

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mischen Imperativen geprägten Welt noch ein schwaches Leben einhauchen


kann, wird man ihm eher durch eine ἐποχή der so oft beschworenen Entschei-
dung gerecht. Was schließlich das Bedürfnis nach Orientierung betrifft, so
herrscht gerade in den modernen kapitalistischen Gesellschaften, in denen der
einzelnen sein Leben ganz nach äußeren, von der Ökonomie vorgegeben und
zugleich internalisierten Kriterien ausrichten muss, zu viel an Orientierung. Die
Leere, die dadurch entsteht, kann nicht durch willkürliche Setzung eines Sinnes
kompensiert werden. „Darum“, resümiert Adorno, „sehe ich keine andere Mög-
lichkeit als äußerste Askese jeglichem Offenbarungsglauben gegenüber, äußers-
te Treue zum Bilderverbot, weit über das hinaus, was es einmal an Ort und Stel-
le meinte.“67

67
Ebd.: 616.

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Th. W. Adorno:
Vernunft und
Offenbarung

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Kapitel 2
Von der Instruktion zur Korrelation
Revisionen des Offenbarungsbegriffs
im 20. Jahrhundert

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a) Der Mensch ist kein subalterner Befehlsempfänger: Maurice Blondels


und Karl Rahners Abschied von einem instruktionstheoretischen Offenba-
rungsverständnis Angesichts des neuzeitlichen Heteronomieverdachts gegen-
über der Offenbarungstheologie reicht es nicht, entweder lediglich die Wider-
spruchslosigkeit von Vernunft und Offenbarung herauszustellen oder gar im an-
tiphilosophischen Ressentiment dialektischer Theologie den ungeschützten
Sprung in den Glauben zu fordern, als würde nicht durch diese Willkür das Sub-
jekt selbst zum unerhellten Grund des eigenen Glaubens. Adornos scharfe Kritik
hat diesen Weg mit Recht als unredlich denunziert und versperrt. Die wachsende
Bedeutung, welche die Religionsphilosophie gegenüber dem gelebten und sozial
verankerten Glauben heute spielt, entspringt, wie auch Adorno wusste, keinem
Zufall. Wenn die frühere soziale Plausibilität des Glaubens, in welcher sich
Weltbild, soziale Ordnung, Katechese und – im katholischen Raum meist rudi-
mentäre – Bibellektüre zu einem einigermaßen zusammenhängenden Bild füg-
ten, weder durch bloße Entscheidung – also Willkür –, noch durch äußere Auto-
rität, gar Zwang ersetzt werden kann, so bleibt nur der Weg der Überzeugung,
einer Hinführung durch Argumente, die nirgendwo anders als in der endlichen
Vernunft und ihrer Konstitution ihren Anhalt haben können. „Aus diesem Grun-
de“, konstatiert der französische Philosoph Maurice Blondel (1861-1949), „darf
man angesichts der großen Umwälzungen die im Lauf der Jahrhunderte neue
Perspektiven heraufführten, nicht voreilig von Verirrungen, ‚Fehlsichten‘ oder
‚Krankheiten der Vernunft‘ sprechen. Aus den individuellen Irrtümern, den ver-
kürzten Sichten und den menschlichen Schwächen einzelner Denker hebt sich
nach und nach Gottes Plan in der Führung der Menschheit heraus. Was die Men-
schen von sich aus zu diesem Werk gemeinsamen Wachsens beisteuern, ist nie
bedeutungslos oder völlig abseits der Wege, auf denen die Wahrheit uns auf-

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geht. In unserem Handeln und Denken ist immer ein Teil, der unsere Ansichten
und Reflexionen übersteigt.“68 Blondels Vertrauen in die über ihre eigenen
Grenzen hinausweisende Dynamik der Vernunft und eine die Um- und Abwege
unseres Denkens und Handelns einbeziehende göttliche Fügung emanzipierte
ihn von der antimodernen Furcht, die lehramtliche Äußerungen ebenso wie
manche Stellungnahmen von Theologen leitete, den katholischen Diskurs vom
damaligen philosophischen weitegehend abkoppelte und für viele Zeitgenossen
zum Inbegriff der Rückständigkeit werden ließ. Demgegenüber galt es, in einem
durchaus kritischen Sinne à jour zu sein, denn nicht die explizite Affinität der
Philosophie zum Glauben, sondern ihr Wahrheitsgehalt und ihr argumentatives
Gewicht entscheiden über ihre Relevanz; Philosophie wählt man nicht aus in
wie einem Warenhaus. Den Heteronomieverdacht bestätigt die Theologie eher
dadurch, dass sie die Augen verschließt, die moderne Philosophie verurteilt und,
wie es bei Blondel heißt, aus „dem schöpferischen Leben“ heraustritt69. Dabei
war es weniger die Kritik der radikalen Aufklärung, die Blondel vor Augen
stand, als die idealistische Philosophie, die seit Fichte den Offenbarungsbegriff
zur Selbstbewegung des Denkens und zu einem Primat des Bewusstseins vermit-
telte. Dabei ist ihm die Problematik, ja der illusionäre Charakter eines Denkens,
welches beansprucht, die ‚Wirklichkeit‘ von einem Punkt aus nicht bloß zu re-
konstruieren, sondern zu erzeugen oder dem Denken einzuverleiben, durchaus
bewusst70. „Und alles verstehen, alles erklären“ heißt es in Blondels Spinozis-
mus-Aufsatz, „bedeutet das Kontingente und sogar das Irrationale in den Not-
wendigkeitsraster der Vernunft einzutragen, bedeutet in einem gewissen Sinn,
alles zu rechtfertigen.“71 Andererseits ist jeder Anspruch, der vom Denken die
ungeprüfte Unterwerfung fordert, nicht erst seit Kant, sondern spätestens seit der
Frühaufklärung – Descartes und Spinoza – als vernunftfeindlich und destruktiv
mit Grund abgewiesen worden. Ein Glaube, der sich allein dem Opfer der Ver-

68
Blondel 1974: 130; zu Blondel vgl. auch Verweyen 2000: 233-239.
69
Blondel 1974: 131.
70
Blondel 1992: 41-67.
71
Ebd.: 30.

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nunft verdankt, ist nichts als ein schwach verhüllter Nihilismus. Es kommt also
darauf an, über eine immanente Kritik und nicht durch eine pauschale Abwei-
sung des neuzeitlichen Autonomieanspruchs, über die Illusionen des Idealismus
hinauszugelangen. Entsprechend dieser Einsicht kann auch die Offenbarung
Gottes nur dann mehr und anderes sein als bloß ein weiteres Oktroi inmitten ei-
ner Existenz, die von zahlreichen Fremdbestimmungen entstellt ist, wenn es in-
nerhalb unserer endlichen Vernunft eine Disposition für sie gibt, wenn unser
theoretisches und praktisches Vermögen als ein auf Selbstbestimmung angeleg-
tes offen ist für die Selbstmitteilung Gottes: „Die Frage nach der subjektiven
Disposition ist … vorranging, wesentlich und überzeitlich, wenn anders es
stimmt, daß das menschliche Handeln in seiner Reichweite mit der Gottes syn-
chron ist.“72 Den Aufweis und die Analyse dieser Disposition auf der Basis des
Autonomieanspruchs des Denkens nennt Blondel die immanente Methode; d.h.
ihr Gegenstand ist die spezifische Konstitution endlicher Vernunft, nicht ein von
außen an sie herangetragener Wahrheitsanspruch73. Ihr Gegenstück ist die Ver-
hältnisbestimmung von Offenbarung, Glaube und Vernunft in der (Neu-) Scho-
lastik, der gemäß die Vernunft der ‚Übernatur’ lediglich nur Zulieferdienste leis-
tet. Zwar hat sie ihr eigenes Reich, für das sie zuständig ist, doch ist damit auch
ihre Grenze klar markiert: Es fehlt eine ihr immanente Hinordnung auf die
Selbstzusage Gottes; Offenbarung und Glaube bilden eine Sphäre sui generis:
„Zu Beginn, das heißt für die Scholastik“, schreibt Blondel, „überlagern sich die
natürliche und die übernatürliche Ordnung – die eine der anderen in aufsteigen-
der Hierarchie untergeordnet –, indem sie sich berühren. Es gibt gewissermaßen
drei Stockwerke. Unten ist die Vernunft ganz bei sich selbst, mundus traditur
disputationem homninum [Die Welt ist dem menschlichen Disput anheimgege-
ben, Qoh 3,11, Vulgata]. Oben offenbart der Glaube allein uns das Geheimnis
des göttlichen und des zum göttlichen Festmahl geladenen menschlichen Le-
bens. In der Mitte befindet sich eine Ebene der Verständigung oder gegenseiti-

72
Blondel 1974: 130.
73
Vgl. ebd.: 143-148.

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gen Begegnung: Hier entdeckt die Vernunft auf unvollständige Weise die wich-
tigsten natürlichen Wahrheiten, die der Glaube weiterhin erhellt und befestigt.
Hier ist es auch, wo dank dieser Gemeinsamkeit erkannter Objekte zwei Strö-
mungen verschiedenen Ursprungs zusammenfließen und ihre Wasser mischen,
ohne daß ihr Unterschied sich verwischt.“74

Die Statik des ‚Drei-Stockwerke-Modells‘ wird der spezifischen Verfassung


endlichen, d.h. leiblich und geschichtlich verfassten Geistes und dessen imma-
nenten Bewegungsgesetzen kaum gerecht; die Autonomie des Denkens und ei-
nes von Vernunft geleiteten Handelns wird kaum berücksichtigt, vor allem aber
ignoriert es die bereits geschilderten Probleme, die sich aus der historisch-
kritischen Erforschung der Schrift und kirchlichen Lehrentwicklung ergaben.
Die Lösung des Problems liegt jedoch nicht darin, die Differenz von ‚natürlich‘
und ‚übernatürlich‘ in einer Vernunftreligion aufzuheben, sondern in dem Auf-
weis, dass die faktische Verfassung menschlicher Praxis offen ist für eine
Selbstmitteilung Gottes, wie er es ausführlich in seiner Studie L’Action (1893)

74
Ebd.: 131f.

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darlegte. Blondels Analyse setzt also nicht voraus, dass die Offenbarung „als
eine völlig empirische Gegebenheit ganz von außen“ komme, die zudem Wort
für Wort der Schrift zu entnehmen sei – als solche müsste sie „völlig uneinsich-
tig“ bleiben75 –, sondern beim möglichen Empfänger einer göttlichen Selbstmit-
teilung und in diesem Sinne ‚immanent‘. Insofern die Frage nach der Dispositi-
on und subjektiven Möglichkeitsbedingung des Offenbarungsrezipienten gestellt
wird, ist von einer transzendentalen Reflexion zu sprechen. Menschliche Praxis
lässt sich weder begreifen als absolut freie, voraussetzungslose, alle Wirklich-
keit generierende Handlung, noch lässt sie sich einfach „auf die bloßen Phäno-
mene zurückführen, die die positive Wissenschaft bestimmt“76. Unsere leibhafte
Konstitution zeigt an, dass wir nicht absolute Aktion sind, sondern „eine Passi-
vität, die zwar für seine Aktion nicht undurchdringlich ist, die ihr aber nicht un-
mittelbar verbunden ist. … In mir ist etwas, das mein ist das mir aber immer en-
ger verbunden werden muß, das dennoch nicht ich bin.“77 Im Leib meldet sich
etwas Nahes und zugleich Fremdes, Eigenes und doch Widerständiges, es mel-
det sich „die Empfindung des materiellen Widerstandes“, und zwar nicht erst in
unserer näheren Umgebung, sondern in uns selbst, die zugleich „eine neue Quel-
le spontaner Aktivität“ wird78. Die Bedürfnisstruktur unseres Leibes nötigt zum
Handeln; das passive Moment geht über in ein aktives, und zwar so, dass eben
diese Aktivität ohne das passive nicht möglich ist. Mit diesem Argument wurde
bereits bei Feuerbach die Absolutsetzung der Handlung, wie sie etwa im Idea-
lismus Fichtes erscheint, relativiert: „Der Philosoph“, schreibt Feuerbach, „muß
das im Denken, was nicht philosophiert, was vielmehr gegen die Philosophie ist,
nicht dem abstrakten Denken opponiert, das also, was bei Hegel zur Anmerkung
herabgesetzt ist, in den Text der Philosophie aufnehmen.“79 Es ist das sinnliche

75
Zitate: Blondel 1965: 420.
76
Ebd.: 110; vgl. Verweyen 2000: 234.
77
Blondel 1965: 180.
78
Ebd.: 181.
79
Feuerbach, Werke 9: 254.

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Element, das von unserem Leib untrennbar ist, das Feuerbach rehabilitieren
wollte. Es vermittelt uns zur Welt und zu den Mitmenschen.
„Das Ich ist beleibt – heißt aber nichts anderes als: das Ich ist nicht nur ein activum, son-
dern auch passivum. Und es ist falsch, diese Passivität des Ich unmittelbar aus seiner Akti-
vität ableiten zu wollen. Im Gegenteil: Das passivum des Ich ist das activum des Objekts.
Weil auch das Objekt tätig ist, leidet das Ich – ein Leiden, dessen sich übrigens das Ich
nicht zu schämen hat, denn das Objekt gehört selbst zum innersten Wesen des Ich. …
Durch den Leib ist Ich nicht Ich, sondern Objekt. Im Leib sein heißt in der Welt sein. So-
viel Sinne – soviel Poren, soviel Blößen. Der Leib ist nichts als das poröse Ich.“80

Blondel legt den Akzent nicht ebenso emphatisch auf die sinnlich-soziale Kon-
stitution des Menschen wie Feuerbach, doch ist auch für ihn die die Beziehung
zur Wirklichkeit aber wesentlich eine praktische, durch den Leib vermittelte und
geradezu von ihm ernötigte. Darin liegt auch beschlossen, dass für uns Sein
nichts Abstraktes und Statisches ist, sondern durch die Aktion, durch Praxis ein
sich Veränderndes, es ist plastisch. Blondel geht nicht so weit wie Marx, der von
einem ‚Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur‘ spricht81, aber die Dynamik
der Aktion lässt das Sein nicht unberührt, das sowohl als ein in sich Differen-
ziertes als auch Modellierbares und mit vielen Potentialen Ausgestattetes in den
Raum menschlicher Aktion tritt, so wenig es andererseits von dieser vollständig
konstituiert oder ‚gesetzt‘ wird.
Wichtig für Blondels Argumentation ist nun, dass menschliche Praxis über das
jeweils Gegebene und durch sie Realisierte hinausweist: „In unserem Denken
und Tun besteht ein ständiges Mißverhältnis zwischen Objekt und Denken, zwi-
schen Werk und Wollen. Immerfort wird das gedachte Ideal durch die tatsächli-
che Ausführung überholt, und immer bleibt die erlangte Wirklichkeit hinter ei-
nem immer wieder neu erstehenden Ideal zurück. Abwechselnd kommt das
Denken dem Tun zuvor und das Tun dem Denken; also müssen Wirklichkeit
und Ideal zusammenfallen, da uns diese Identität faktisch gegeben ist, sie ist uns

80
Ebd.: 150f.
81
Vgl. Marx 1987: 76 und 192.

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indes nur gegeben, um uns alsbald wieder zu entgehen.“82 Mit Blondel lässt sich
also von einer Transzendenz der Aktion sprechen, insofern die Aktion ja kein
vom antizipierenden, prüfenden und kontrollierenden Denken abgespaltenes Da-
sein führt, sondern menschliche Praxis steht die Einheit von Denken und Hand-
lung bildet. Denken ist als Denken bereits Praxis, wie umgekehrt Praxis nicht
blinder Reflex auf einen äußeren Impuls ist, sondern der Übergang des Gedan-
kens in eine Wirklichkeit oder besser: das Denken gibt sich in der leibhaften
Ausführung erst die ganze Wirklichkeit, so dass es erst im anderen, dem Stoffli-
chen, Geschichtlichen, zu sich selbst und zu seiner Wahrheit gelangt. Ein Den-
ken, das ganz bei sich bliebe, sich nicht in ein Tun hinein entäußerte, bliebe un-
befriedigt, ja letztlich sinnlos, so wenig die existierenden Handlungsbedingun-
gen schon die Grenzen des Denkens schlechthin vorgeben. Aber keine Aktion
schöpft das Potential des Wirklichen vollständig aus wie sie umgekehrt auch
nicht das Ideal unverkürzt in die Wirklichkeit umsetzt. Und doch zehrt die Pra-
xis von einer letzten Identität, einem Punkt, in dem Wirklichkeit und Ideal zur
Identität und Ruhe gelangen und der nicht in uns selbst zu liegen scheint. „So
ziehen wir“, konstatiert Blondel, „weder das Licht für unser Denken noch die
Kraft für unser Tun aus uns selbst. Die im Grunde unseres Bewußtseins einge-
schlossene Kraft, die Wahrheit, die uns inniger zu eigen ist als unser eigenes Er-
kennen, die Macht, die jedem Augenblick unserer Entwicklung das an Kraft, an
Raum und an Klarheit schenkt, was notwendig ist, all das ist in uns, ohne von
uns zu sein. Dieses Geheimnis drängt sich uns in seiner Wirklichkeit nur auf,
indem wir zugleich in ihm eine Macht und eine Weisheit entdecken, die uns un-
endlich überragen.“83 Entscheidend ist, dass diese Verwiesenheit auf ein Unbe-
dingtes als Grund und Ziel vernunftgeleiteter Praxis nichts ist, das an uns von
außen herangetragen wird als etwas Fremdes, sondern in uns sich findet als un-
sere „innerste Erfahrung“84, nahe und fern zugleich. Von ‚Geheimnis‘ kann

82
Blondel 1965: 370.
83
Ebd.: 371.
84
Ebd:: 372.

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Blondel hier sprechen, da dieser Grund eigentlich Abgrund ist, von unserem
Denken und Tun niemals adäquat einholbar, ohne doch bloß irrationaler Rest
des Denkens zu sein oder ihm geradezu feindlich – etwa als dessen Negation –
gegenüberzustehen. Auch fordert dieses Geheimnis nicht die Unterwerfung,
denn es braucht als Gegenwärtiges sich nichts zu unterwerfen. Es ist als Bedin-
gung der Möglichkeit und Erfüllung denkender Praxis und Denkpraxis, dieser
nicht schlechthin transzendent, ohne doch in der Immanenz des Bewusstseins
aufzugehen. Mit anderen Worten: „Die Aktion vollendet sich nicht in der natür-
lichen Ordnung.“ Sie vermag ihre Potentiale weder vollständig auszuschöpfen,
noch das Ideal widerspruchslos mit der Wirklichkeit in Einklang zu bringen; sie
erfüllt ihre Selbsttranszendenz nicht von sich aus. Wenn Blondel hier den Be-
griff des Übernatürlichen einführt, so ist er auf Widerspruch gefasst, denn ist
„nicht schon der bloße Name des Übernatürlichen ein Ärgernis für die Ver-
nunft?“85 Dies wäre es dann, wenn dieses Übernatürliche ein ihr gänzlich Äußer-
liches und Fremdes wäre. Dass es von ihr nicht erzeugt, nicht konstituiert wer-
den kann und damit nicht mit ihr und ihrer Bewegung identisch ist, bedeutet
noch keineswegs, dass seine Annahme nicht auch eine Basis in ihrer eigenen
Dynamik habe. Wir hatten ja gesehen, dass die Bewegung der Aktion in ihren
eigenen Erzeugungen und erreichten Zielen nicht zum Stillstand und zu keiner
Erfüllung kommt, gleichwohl aber ein Unbedingtes in ihrer Dynamik vorausge-
setzt ist, das wesentlich Antwort und darin gerade nicht ihr eigenes, prinzipiell
überbietbares Erzeugnis ist. „Wenn es sie gibt, muß die göttliche Offenbarung
sich als unabhängig von der menschlichen Initiative erweisen.“ Es folgt ein
dunkler Satz, der auf den ersten Blick alle bisherigen Anstrengungen, den Hete-
ronomieverdacht begründet abzuweisen, zunichtemacht: „Sie muß einen Akt der
Unterwerfung fordern, etwas anderes an die Stelle unseres Denkens und Wol-
lens, ein Eingeständnis des Unvermögens unserer Vernunft, so sehr, daß die
Vernunft eine Offenbarung als falsch erachten mußte, die von uns dieses unver-

85
Beide Zitate ebd.: 415.

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meidliche Opfer nicht forderte.“86 Das letzte Ziel der Aktion, d.h. die Erfüllung
endlicher, aber vernünftiger Praxis liegt nicht innerhalb ihres eigenes Aktionsra-
dius oder ihres eigenen Horizonts, sondern muss sich aus eigener Initiative ihr
öffnen. Das Ziel darf nicht ein bloß Gesetztes, sich der Macht der Praxis Ver-
danktes sein, das prinzipiell überbietbar ist und von einer künftig realisierten
Wirklichkeit überholt wird. „Um die Natur zu vollenden und das Streben des
Menschen um Abschluß zu bringen, reichen der Mensch und die Natur nicht
aus.“87 Mensch und Natur bleiben in ihrer Wechselseitigkeit Teil eines Reiches
der Notwendigkeit auch noch da, wo menschliche Praxis sich sukzessive Frei-
räume schafft, über das bloß Hier und Jetzt ebenso wie über das jeweils Erreich-
te hinausgeht. Die Dynamik der Immanenz – menschliche Vernunft und Aktion
– nötigt dazu, über sich hinauszugehen, ohne doch den erfüllenden Abschluss
realisieren zu können. Blondels problematische Rede von der Unterwerfung zielt
möglicherweise zu früh und unvermittelt auf den normativen Charakter der Leh-
re (des Dogmas) und bestimmt den Glauben in einer Terminologie, die an vor-
moderne Formen der Autorität und an ein von ihm selbst zumindest in nuce
überwundenes theologisches Paradigma erinnert. „Bei aller Kritik am neuscho-
lastischen ‚Extrinsezismus‘“, schreibt Hansjürgen Verweyen mit Recht, „war M.
Blondel theologisch doch noch weitgehend vom Begriff einer ‚übernatürlichen
Offenbarung‘ im Sinne eines hermeneutisch nicht vermittelbaren ‚depositum‘
von Glaubenslehren und -vorschriften bestimmt.“88 Intendiert ist im Gedanken-
gang Blondels aber die bleibende Differenz von praktischer Vernunft und Akti-
on einerseits und sich schenkender Erfüllung andererseits, die, das ist kritisch
anzumerken, nicht in der Vermittlung von Sätzen und Vorschriften bestehen
kann. Diese Differenz kann aber auch nicht in einer Totalität aufgehoben wer-
den, die das Resultat einer endlichen Denkbewegung oder einer bestimmten
Praxis ist. Die äußerste Nähe des Unbedingten wird nicht noch einmal von ei-

86
Beide Zitate ebd.: 424.
87
Ebd.: 426.
88
Verweyen 2000: 25.

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nem Dritten überwölbt oder in die alles Differierende aufhebende Dynamik des
Subjekts als Eigenes gleichsam eingesogen. Vernünftige Erkenntnis und Praxis
können nicht als Verdauungsvorgang gedacht werden, der das Andere sich as-
similiert. Dass aber diese Nähe des Unbedingten, wenn sie denn gewährt wird,
nicht nur in einer dem Geist äußeren geschichtlichen und leiblichen Vermittlung
existiert, sondern in der Geschichte selbst sich zeigen und bewahrheiten muss,
darauf deutet schon Blondels Analyse der Aktion, die gerade von der leiblichen
Konstitution des Menschen ihren Ausgang nimmt. Und dies gilt selbstverständ-
lich auch für den Glauben, der gerade darum nicht bloß Unterwerfung sein kann,
weil er in der Geschichte sich als sichtbaren Zeichen einer Befreiung und Selbst-
ständigkeit des Menschen gegenüber allen selbst gesetzten Formen der Hetero-
nomie bewähren muss. Unterwerfung ist immer und ohne jede Ausnahme die
Entsprechung zu blinder Herrschaft; jene verhält sich komplementär zu dieser.
Als nicht bloß Gesetztes muss Offenbarung etwas sein, das unerhellte Herrschaft
– die des Menschen ebenso wie diejenige, die Menschen in Gott projizierten –
durchbricht, richtet und aufhebt. Damit bildet die Aktion als Einheit von Rezep-
tivität und Spontaneität auch ein konstitutives Element jeder geschichtlichen
Konkretion der Offenbarung (Kulte, Normen, Heilige Schriften, spätere Traditi-
onen und Alltag), die so erst im Raum des Endlichen vernehmbar wird.

In mancher Hinsicht konsequenter als Blondel greift die Denkbewegung der


transzendentalen Theologie Karl Rahners die neuzeitliche Freiheitsemphase und
Anthropozentrik auf, und macht sie fruchtbar für einen „Aufweis der Hingeord-
netheit des Menschen auf Offenbarung“89. Rufen wir uns noch einmal den schon
im Fichte-Kapitel auftauchenden Begriff transzendental im Unterschied zu
transzendent in Erinnerung: Immanuel Kant hatte ihn zur Charakterisierung sei-
ner Methode oder besser: Erkenntniskritik definiert: „Ich nenne alle Erkenntniß
transcendental, die sich nicht sowohl mit Gegenständen, sondern mit unserer
Erkenntnißart von Gegenständen, so fern diese a priori möglich sein soll, über-

89
Verweyen 2000: 113.

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haupt beschäftigt.“90 Kant versucht, die Bedingung der Möglichkeit unserer Ge-
genstandserkenntnis zu analysieren; Rahner geht mit Blondel und Joseph
Maréchal (1878-1944) noch hinter diese erkenntniskritische Frage Kants zurück,
insofern der tragende Grund und das implizit – eben a priori – vorausgesetzt Ziel
der alle Erkenntnis und Praxis bestimmenden Dynamik aufgezeigt werden soll.
Denn dass Praxis und Erkenntnis nichts Statisches sondern ein Dynamisches,
das scheinbar Gegebene Transzendierendes darstellen, haben wir schon bei
Blondel gesehen. Auch Rahner möchte also nicht durch eine willkürliche Be-
grenzung der Kritik, sondern gerade durch ihre Potenzierung die Offenheit des
Menschen für eine mögliche Selbstzusage Gottes aufweisen. Der Rückzug ins
selbst gewählte Ghetto oder in die Provinz als angeblich heile Welt bietet für
Rahner so wenig wie für Blondel die Lösung jener Probleme, die seit Aufklä-
rung und Moderne für den Offenbarungsbegriff entstanden sind. „Die Theolo-
gie“, so ließe sich mit Adorno ergänzen, „wird nicht von jenen gerettet, bei de-
nen Nietzsche und Baudelaire noch nicht sich herumgesprochen haben.“ 91 Wenn
innerhalb unserer eigenen rationalen, leiblichen und geschichtlichen Konstituti-
on eine Affinität zur Selbstzusage Gottes nicht demonstriert werden kann, bleibt
alle Rede von Offenbarung letzten Endes nichtig. Auch für Rahner erschließt
sich die Frage nach der subjektiven Disposition (Blondel) erst einer transzenden-
talen Analyse endlichen, also materiell und geschichtlich vermittelten Geistes.
Offenbarungstheologie hat also, in Rahners eigenen Worten, „als inneres Mo-
ment und Bedingung ihrer Möglichkeit den transzendental-unbegrenzten Hori-
zont des menschlichen Geistes, von dem her so etwas wie Gott überhaupt ver-
standen werden kann“92, während die anthropologische Frage erst im absoluten
Ziel endlichen Geistes ihre Antwort findet, eine Antwort freilich, die geschenkt
wird, d.h. sich aus Freiheit darbietet und nur so der freie Geist eine aus Freiheit
ergehende Antwort und Erfüllung erfährt. Wenn also in einem letzten Sinne, wie

90
Kant KrV: B 25 = Kant 1911b: 43.
91
Adorno GS 14: 135.
92
Rahner MySal II: 409.

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Rahner kühn formuliert, „der Anthropozentrismus und der Theozentrismus das


Gleiche sind“93, so ist die Selbstoffenbarung Gottes doch nicht aus der geistigen
Dynamik ableitbar, sondern bildet deren Erfüllung gerade als freie Gewährung
absoluter Nähe des absolut Verschiedenen. Gegenstand der Analyse kann darum
nur die Möglichkeitsbedingung der Rezeption einer solchen ungeschuldeten
Selbstmitteilung sein, nicht aber die Deduktion ihrer geschichtlichen Faktizität.
Dass an einem bestimmte Punkt der Geschichte das Volk Israel gleichsam im
Angesicht seines Gottes als ein freies konstituiert wird und dass in der Regie-
rungszeit des Kaisers Augustus Jesus von Nazareth geboren und unter Pontius
Pilatus gekreuzigt und auferweckt wird, ist aus der transzendentalen Analyse
weder ableitbar noch wird derartiges von ihr beansprucht94.
In diesem Zusammenhang kommt dem Begriff der transzendentalen Erfahrung
eine hohe Bedeutung zu. Er bezeichnet die Erfahrung der Entschränktheit des
gleichwohl endlichen Geistes in jedem einzelnen Erkenntnisakt, aber auch in
jedem impliziten oder expliziten Rückgriff auf ein Unbedingtes, wie etwa in ei-
nem kategorischen ethischen Anspruch, in der emphatischen Liebe oder im Ein-
spruch dagegen, dass der Tod das letzte Wort behält. Hier nun die komplexe
Formulierung aus dem Grundkurs des Glaubens95:

A „Sie ist eine Erfahrung, weil dieses Wissen unthematischer, aber unausweichli-
cher Art Moment und Bedingung der Möglichkeit jedweder konkreten Erfahrung
irgendeines beliebigen Gegenstandes ist.“

B „Diese Erfahrung wird transzendentale Erfahrung genannt, weil sie zu den not-
wendigen und unaufhebbaren Strukturen des erkennenden Subjekts gehört und
weil sie gerade in dem Überstieg über eine bestimmte Gruppe von möglichen Ge-
genständen, von Kategorien besteht.“

C „Die transzendentale Erfahrung ist eine Erfahrung der Transzendenz, in welcher
Erfahrung die Struktur des Subjekts und damit auch die letzte Struktur aller denk-

93
Rahner IG 1, 40.
94
Vgl. Vorgrimler 2004: 158f.
95
Rahner GK: 31f; vgl. auch Waldenfels 2005: 155-159.

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baren Gegenstände der Erkenntnis in einem und in Identität gegeben ist. Natürlich
ist diese transzendentale Erfahrung nicht bloß eine solche der reinen Erkenntnis,
sondern auch des Willens und der Freiheit, denen derselbe Charakter der Trans-
zendentalität zukommt, so daß grundsätzlich immer nach dem Woraufhin und
Wovonher des Subjekts als eines Wissenden und als eines Freien in einem gefragt
werden kann.“

Diese Stelle, die sich terminologisch auf die frühen Studien Geist in Welt und
Hörer des Wortes bezieht, verdient genauere Beachtung. Rahner klärt hier nicht
nur das Verhältnis von Transzendenz und Transzendentalität, sondern er weist
bereits auf den Gottesbegriff voraus. Jene transzendentale Erfahrung, fügt Rah-
ner wenig später hinzu, ist nämlich „ein gleichsam anonymes und unthemati-
sches Wissen von Gott“96, und zwar gerade nicht als Wissen von einem Einzel-
gegenstand, sondern, durch alle partikulare Erkenntnis vermittelt, als der absolu-
te Horizont, woraufhin die Bewegung des Geistes zielt. Der Mensch ist, so die
Pointe dieser Argumentation, nicht trotz, sondern gerade in seiner sinnlich ver-
mittelten Erkenntnis „reine Geöffnetheit für schlechthin alles, für das Sein über-
haupt“97. Endliche Erkenntnis ist, wie Rahner in seiner Studie zur Erkenntnisme-
taphysik des Thomas zeigt, nicht als simple intentio recta zu verstehen, sondern
als „Insichkehren des Erkennenden“: „reditio in seipsum“ 98. Die in diesem Be-
griff enthaltene dynamische Einheit von Spontaneität und Rezeptivität,
Beisichsein und Sein-bei-anderem umfasst mehr als nur die synthetische Einheit
der Apperzeption99. Der Mensch ist bei sich einzig durch die Vermittlung sinnli-
cher Erkenntnis hindurch. Sinnlichkeit – die nicht schlechthin mit Rezeptivität
identisch ist –, Identität und Transzendenz gehören als Möglichkeitsbedingung
des Prozesses endlicher Erkenntnis zusammen. Alle Einzelerkenntnis hat ihren
‘Ort’ im Subjekt und greift zugleich über die Partikularität der Gegenstände
notwendig hinaus, sie ist „als vorgreifend auf das schlechthin Unendliche ausge-
96
Ebd.: 32
97
Ebd.: 31.
98
GW 98-110/1H 56f.
99
„Das: Ich denke“, so Kant, „muß alle meine Vorstellungen begleiten können“ (Immanuel Kant: Kritik der
reinen Vernunft, hrsg. von Raymund Schmidt synoptische Ausgabe von A und B, Hamburg 1976, B 131).

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richtet“100. So spricht Rahner auch von der „Hinbewegung des Geistes auf die
absolute Weite aller möglichen Gegenstände, eine Bewegung, in der die Einzel-
gegenstände gleichsam als Einzelmomente dieser Zielbewegung ergriffen und so
im Vorblick auf diese absolute Weite des Erkennbaren wissend erfaßt wer-
den.“101. Jene „absolute Weite“, und Selbstüberschreitung des Denkens er-
schöpft sich weder im regulativen Gebrauch – als „Begriff der empirischen Ein-
heit alles Denkens“102 und als „Weltbegriff überhaupt“103 – noch, wie im Neu-
kanatianismus, in der leeren Unendlichkeit des Gegenstandsbereichs als eines
ewig „Aufgegebenen“104. Als Bedingung der Möglichkeit, Endlichkeit über-
haupt zu erfassen, geht der Vorgriff vielmehr über die Gesamtheit der endlichen
Gegenstandswelt hinaus105. Wenn nun die geistige Dynamik nicht im Nichts
terminieren soll, so entspricht ihr einzig ein absolutes Ziel106, das Rahner – in
einem riskanten Schluss auf die ontologische Ebene – näherhin als das in jedem
Erkenntnisakt affirmierte „Sein Gottes“ bestimmt 107, wobei Gott weder für ein
anonymes Weltgesetz steht, noch im Hegelschen Sinne das sich durch die Parti-
kularität hindurch realisierende Absolute bezeichnet, sondern das in unendlicher
Differenz sich vom Menschen unterscheidende personale Gegenüber, seine Ab-
kunft und Zukunft108. Die Transzendenz der Schöpfung in ihrer Einheit von
Geist und Materie109 ebenso wie diejenige des Menschen kann nicht als äußere
Gegenstandsbestimmung gedacht werden; Transzendenz ist keineswegs etwas,
das den Menschen ‚auch noch‘ neben anderen Merkmalen kennzeichnet, „son-
dern Grund und Bedingung der Möglichkeit eines innerweltlichen personalen

100
Rahner GW: 146.
101
Rahner HW 279.
102
Kant KrV: A 682 / B 710.
103
Ebd.: A 684 / B 712.
104
Vgl. Natorp 1910: 18.
105
Rahner HW: 181 / 282. - Zu dieser an Blondel und vor allem Maréchal orientierten Argumentation der Früh-
schriften vgl. Raffelt/ Verweyen 1997: 28-50.
106
Vgl. Rahner GW: 146.
107
Rahner HW 181. – Nach der zutreffenderen Einsicht Blondels hingegen entscheidet „die immanente Set-
zung des Transzendentalen, selbst des Übernatürlichen, nicht vorweg über die transzendente Realität der
immanenten Setzung“ (Blondel 1974: 145)
108
Vgl. Rahner GK: 83.
109
Vgl. Vorgrimler 2004: 160f.

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Daseins“110; folglich wird auch die unbegrenzte Frage, die der Mensch ist, „von
Gott selbst als absolute Antwort erfüllt und beantwortet.“111
Damit ist allerdings die Transzendenz des Menschen noch unzureichend be-
stimmt, denn der Mensch ist ja nicht reiner Geist, sondern wesentlich somatisch
und geschichtlich verfasst. Das bedeutet, er ist nicht nur Spontaneität und Akti-
vität, sondern als sinnlich-materielles Wesen auch Rezeptivität und noch nicht
realisierte Potenzialität, wobei es auffällt, dass Rahner – zumindest im Frühwerk
– Materie als materia prima thomistisch auf reine Passivität und leere Seinsmög-
lichkeit reduziert und vom spezifisch stofflichen Moment ausdrücklich ab-
sieht112. Erst in der Auseinandersetzung mit dem modernen evolutiven Naturver-
ständnis gelangt Rahner zu einem reicheren, zuweilen an Teilhard de Chardin
oder Ernst Bloch erinnernden Begriff der Materie113. Geschichte – nicht die
„abstrakte ‘Innerlichkeit’“114 – ist der ‘Ort’, an welchem der Mensch als ein of-
fenes, unabgeschlossenes Wesen sich selbst realisiert und so das bloß Faktische
sowohl erkennend als auch handelnd überschreitet. Rahners Begriff menschli-
cher Transzendenz integriert die Dynamik endlicher Erkenntnis in diejenige ei-
ner bewussten Praxis. Die mundane Wirklichkeit ist nicht bloß Gegenstand der
Kontemplation. Für den Menschen ist Welt vielmehr etwas, das er durch Verän-
derung erst zu seiner Welt macht. Rahner kennt durchaus einen ‘Primat der Pra-
xis’, unter dem die Selbsttranszendenz des Menschen steht. Diese ist, wie wir
sahen, nicht identisch mit dem Infinitesimalprinzip: Erfüllt und vollendet wird
diese aktive Selbsttranszendenz nicht in der leeren Unendlichkeit, sie zielt viel-
mehr „auf die absolute Wirklichkeit Gottes als des unendlichen Geheimnis-
ses“115; ein Ziel, das in jedem Akt der Überschreitung des ‘Gegebenen’ als Mög-
lichkeitsbedingung thematisch oder unthematisch vorausgesetzt ist, ihn trägt,
sich aber zugleich dem beherrschenden Zugriff des Subjekts entzieht. Als leib-

110
Rahner ST VI: 69f.
111
Rahner GK: 175.
112
Rahner HW: 1153f / 2152f.
113
Vgl. Rahner ST VI: 185-214; GK: 180-202.
114
Rahner ST VIII: 576.
115
Rahner ST V: 195.

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lich-geschichtliches Wesen ist der Mensch ein möglicher ‘Hörer des Wortes’.
Wenn Rahner in diesem Zusammenhang von einem ‚übernatürlichen Existenti-
al‘ spricht, so meint er damit, dass faktisch (aber eben nicht notwendig) die geis-
tige Dynamik des Menschen finalisiert ist auf die Antwort und Erfüllung durch
Gott hin. ‚Übernatürlich‘ meint hier nichts Wunderbares oder Geschichtsjensei-
tiges, sondern die freie und ungeschuldete Ausrichtung des Menschen auf die
Selbstmitteilung Gottes hin – und eben dies meint Gnade116. Dies hat Konse-
quenzen für die spezifische Gestalt der Offenbarung: Wenn nämlich diese freie,
durch die Verfassung des endlichen Geistes nicht schon einklagbare Selbstmit-
teilung Gottes an den Menschen ergeht, so erreicht sie ihren Adressaten nur in
der Geschichte, und zwar leiblich konkretisiert117. Die inkarnatorische Zuspit-
zung und christologische Fokussierung vorwegnehmend kann Rahner den Men-
schen „definieren als das, was entsteht, wenn die Selbstaussage Gottes, sein
Wort, in das Leere des gottlosen Nichts liebend hinausgesagt wird“118.

Die Transzendentalität des Menschen, d.h. seine auf Gott hin eröffnete und fina-
lisierte leiblich-geistige Dynamik, vollzieht sich innerhalb der Geschichte, und
116
Vgl. Rahner ST I: 340; Vorgrimler 2004: 171-182.
117
Vgl. hierzu Rahner GK: 143-177.; siehe auch Vorgrimler 2004: 202-207.
118
Rahner GK: 223.

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insofern ist die ‚transzendentale Offenbarung‘ keine von der geschichtlich erge-
henden verschiedene, sondern bildet in analytischer Hinsicht einen Aspekt der
Offenbarung als ganzer. Transzendentalität und Geschichtlichkeit des Menschen
bedingen sich, wie Rahner betont, gegenseitig119. Anders als Rahners Zeitgenos-
se und ‚Rivale‘ Hans Urs von Balthasar geht Rahner nicht von der Evidenz der
Offenbarungsgestalt aus, die sich jenseits aller philosophischer und anthropolo-
gischer Begründungszusammenhänge erschließt120, sondern versucht im Gegen-
teil die anthropologischen Voraussetzungen des Offenbarungsrezipienten aufzu-
zeigen, die aber erstens nicht identisch sind mit seinem faktischen Selbstver-
ständnis (das sogar in Widerspruch stehen kann zu seiner Transzendentalität)
und zweitens immer schon umfangen sind von der Gnade Gottes – so zumindest
in den späteren Schriften Rahners. Der Mensch steht ‚immer schon‘ unter der
Gnade, nicht verstanden als punktuelle Zuwendung etwa in Wundern und Visio-
nen, sondern „als Selbstmitteilung Gottes an die endliche Kreatur, Unmittelbar-
keit zu Gott, Dynamik auf die Teilnahme am Leben Gottes als des über alle end-
liche und sterbliche Kreatur Erhabenen“121. Die Konkretion und darin die fakti-
sche Annahme (oder Ablehnung) dieser Selbstmitteilung Gottes geschieht in der
Geschichte, und eben dies nennt Rahner die ‚kategoriale‘ Offenbarung122. Dass
Offenbarung nicht bloß im ‚Modus des Angebotes‘ verbleibt oder sich ganz auf
die Transzendentalität des Menschen beschränkt, sondern geschichtlich manifest
wird, gehört wesentlich zu ihr und zu ihrer Bewahrheitung. Die Wahrheit Gottes
existiert nicht ausschließlich, ja noch nicht einmal in erster Linie in der logi-
schen Form des Urteils, sondern manifestiert sich im Raum der Geschichte, in
den sozialen Beziehungen der Menschen. Dass sie auch als Norm und Gesetz
objektiviert wird, hängt damit eng zusammen, ein Aspekt, der uns später noch
beschäftigen wird. Die geschichtliche Verfassung der Selbstmitteilung Gottes
und diejenige ihres Adressaten sind also eng aufeinander bezogen, wobei die

119
Vgl. Rahner ST VI: 70; Eicher 1977: 386-401; Hoff 2007: 22.
120
Vgl. Balthasar 1988: 413-444; Eicher 1977: 319-343.
121
Rahner ST VI: 68.
122
Vgl. Rahner GK: 157-165; vgl. auch Vorgrimler 2004: 204f.

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Offenbarungsgeschichte und die Weltgeschichte zwar nicht identisch sind, wohl


aber koexistieren. Offenbarungsgeschichte ist nicht Überhöhung und Bestäti-
gung der Weltgeschichte mit ihren Grausamkeiten, ihrer Schuld und unerfüllten
oder versäumten Möglichkeiten; sie ist aber auch nicht jenseits der Weltge-
schichte als ‚Übergeschichte‘ anzusiedeln, sondern in ihr als Gericht, Verhei-
ßung und Erfüllung123. Diese geschichtliche Konkretion ist nun nicht schon
identisch mit der biblischen Offenbarungsgeschichte, die vielmehr einen enge-
ren Aspekt der kategorialen Offenbarung bildet. Der universale Heilswille Got-
tes beschränkt sich nicht auf den zeitlich und geographisch engen Raum bibli-
scher Geschichte, sondern ist von Anfang an ausgerichtet auf die gesamte
Menschheit. Damit öffnet sich der Blick auch auf die übrigen Religionen vor
oder neben dem Christentum, die nicht erst nachträglich ‚von außen‘ mehr
schlecht als recht zum Offenbarungsbegriff vermittelt werden müssen. Nimmt
man den Begriff einer über die Grenzen der biblisch bezeugte Offenbarung hin-
ausgehenden kategorialen Offenbarung, in welcher die Transzendentalität des
Menschen konkretisiert wird, ernst, so müssen auch die anderen Religionen auf
eine noch näher zu bestimmende Weise Heilswege sein. Dass diese Heilswege
für Rahner nicht im Sinne einer pluralistischen Theologie der Religionen völlig
gleichwertig nebeneinander stehen, folgt schon aus der Endgültigkeit einer Of-
fenbarung, in der die Selbstzusage Gottes sowohl gegeben als auch auf mensch-
licher Seite frei und in Solidarität mit gesamten Menschheit angenommen wur-
de, und eben dies ist auf unüberbietbare Weise geschehen in Christus „dem
Gottmenschen, in dem die Selbstzusage Gottes an die Welt, deren geschichtliche
Vermittlung und deren Annahme durch den Menschen unvermischt und unge-
trennt absolut eins geworden sind“124. Aus dieser an das Konzil von Chalkedon
(451) erinnernden Formulierung folgt für Rahner keineswegs, dass die nicht-
christlichen Religionen nur eine Ansammlung von Irrtümern sind, über die eine
eifrige und eifernde Mission aufklären und die Irrenden hinausführen müsse.

123
Vgl. hierzu Rahner ST V: 115-135.
124
Rahner ST VI: 71.

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Die Annahme der ein und für allemal geschenkten Zuwendung Gottes kann auch
in anderen Religionen erfolgen, ja selbst außerhalb einer explizit affirmierten
positiven Religion; ein Gedanke, der Rahners berühmt-berüchtigten Theorie des
anonymen Christentums zugrunde liegt125. Sie nimmt das soeben Gesagte nicht
zurück, sondern rechnet vielmehr damit, dass das, was in Christus (und nur hier)
geschehen ist, sich in seiner nicht auf das explizite Christentum beschränkt, son-
dern implizit auch an anderen Orten und Zeiten der Geschichte wirkte und voll-
zogen wurde. Implizit meint, dass der Bezug auf das christliche Heil in der Per-
son Jesu nicht ausdrücklich, sehr wohl aber faktisch, der Sache nach, gegeben
ist. Ebenso ist es möglich, dass wichtige Aspekte der Offenbarung in Christus
sich auch in anderen Religionen und Kulturen finden, wenn auch nicht unter ei-
nem explizit christlichen Vorzeichen, sondern, wie Rahner es nennt ‚unthema-
tisch‘. Rahner reflektiert, wie Peter Eicher es zutreffend formuliert, die göttliche
Gnade und Offenbarung „nicht mehr als das geschichtlich greifbare sakramenta-
le Wort im Raum der Kirche“, wie noch in seinen Frühschriften, „sondern als
die je schon ergangene gnadenhaft-übernatürliche Auflichtung der menschlichen
Existenzialität, als transzendentale Offenbarungsgeschichte, dergegenüber ihre
äußerlich kategoriale Erscheinung zum objektivierenden Moment dieser inneren
Gnadengeschichte mit den Menschen wird“126. Man wird allerdings zurückhal-
tenden als Eicher von einer ‚äußeren kategorialen Erscheinung‘ dieser transzen-
dentalen Offenbarung sprechen müssen, denn dieses ‚Äußere‘ ist selbst notwen-
diger Bestandteil einer Offenbarung, die geschichtlich wirklich und wirksam
sein will. Die ‚Objektivierung‘ der transzendentalen Offenbarung in ihren diffe-
renten Formen ist die Antwort auf die definitive Selbstzusage Gottes, die nur so
auch ein inneres Moment der ambivalenten Geschichte sein kann. Insofern die
transzendentale Offenbarung gegenüber der kategorialen und ‚amtlichen‘ kein
schlechterdings Selbstständiges ist, sondern nur in ihr als ein wesentliches Mo-
ment der Offenbarung insgesamt gesehen werden kann, bleibt sie auch innerlich

125
Vgl. Rahner ST VI: 545-554; VIII: 187-212; XII: 76-84; Vorgimler 2004: 182-188, Hoff 2007: 261-265.
126
Eicher 1977: 385.

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verwiesen auf die unterschiedlichen geglückten oder weniger geglückten Kon-


kretionen. Es ist nicht falsch, angesichts dieses Befundes selbst für die Heilige
Schrift eine Ambivalenz anzunehmen, insofern sie teilhat an der Ambivalenz
des historischen Prozesses, in dem sie entstanden ist. Ihre Irrtumslosigkeit, denkt
man hier Rahner weiter, kann sich also nicht auf jeden einzelnen Satz erstre-
cken, wie es noch innerhalb eines vormodernen instruktionstheoretischen Of-
fenbarungsmodells beansprucht wurde. Gleichwohl bleibt die Schrift gegen alle
Depravation und Verhärtung doch die geglückte und sich als von Gott geführt
wissende, d.h. explizite „Selbstauslegung der transzendentalen Selbstmitteilung
Gottes in der Geschichte“ – nicht mehr, aber auch nicht weniger127.

b) Der aufrechte Gang oder: Offenbarung als Korrelation und Entmytholo-


gisierung Zu den Schwierigkeiten des hier skizzierten transzendentalen Of-
fenbarungsbegriffs Rahners gehört die Frage, wie die geschichtlichen Konkreti-
onen im engeren Sinne – also die biblischen Traditionen und ihre nachfolgenden
Deutungen – zu eben dieser Eröffnetheit und Dynamisierung der leiblich-
geschichtlichen Existenz des Menschen vermittelt sind. Rahners Aussagen blei-
ben eher formal, und so überrascht Peter Eichers Kritik nicht: „Die Tradition
wird zur Funktion religiöser Subjektivität, nicht aber steht die religiöse Subjek-
tivität in Funktion zur Inhaltlichkeit von Tradition.“128 Ähnlich hatte schon vor-
her Hans Urs von Balthasar gefragt, „ob die objektive Fundierung der spezifisch
christlichen Tatsache hier ebensogut gelingt wie die subjektive, und ob nicht die
ganze Richtung immer wieder von einem heimlichen und gelegentlich auch of-
fenen Philosophismus bedroht wird, wo das innere Mass des strebenden Geistes,
mag es auch nur als ‚Leere‘ und ‚Hohlraum’, als ‚cor inquietum‘, als potentia
oboedentialis‘ usf. gefasst werden, irgendwie doch zum Mass der Offenbarung
gemacht wird“129. Ist es aber, um von Balthasars unglückliche Etikette aufzu-
greifen, ein ‚Philosophismus‘, wenn nach der Fähigkeit und Möglichkeit (oder
127
Rahner GK: 159.
128
Eicher 1977: 403.
129
Balthasar 1988: 142.

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Befähigung und Ermöglichung) eines Offenbarungsrezipienten gefragt wird?


Die Fähigkeit, auf die Selbstoffenbarung Gottes zu hören, sie aufnehmen zu
können (eben als potentiua oboedentialis) ist, wie schon erwähnt, nicht identisch
mit einem bestimmtem Vorverständnis. Der völlige Verzicht auf die Demonstra-
tion anthropologischer Voraussetzungen der Offenbarungsrezeption führt auf
eine subtile Weise zurück in jene Heteronomie, von der die Menschen seit der
Aufklärung befreit werden sollten. Wendet man dagegen mit einigem Recht ein,
dass auch die Versuche, das neuzeitliche Freiheitspathos in geschichtliche und
politische Realität zu überführen, neue Abhängigkeiten schufen oder, in den
Worten der Dialektik der Aufklärung, „die Glückgüter selbst zu Elementen des
Unglücks“ wurden130, so rechtfertigt dies nicht die Beschwörung unerhellter Au-
torität und den Rückfall hinter Kant und Hegel. Die Kritik eben jener Subjektivi-
tät, die auch für die Selbstmitteilung Gottes prinzipiell offen sein soll, ist nur als
Selbstkritik der Vernunft möglich, die so sich auch zu überschreiten vermag,
nicht jedoch als Unterwerfung unter äußere und äußerlich bleibende Autoritäten
– und sei es die der Schrift und der kirchlichen Lehrtradition.
Wenn andererseits die Schrift in beiden Teilen „der geglückteste Fall der not-
wendigen Selbstauslegung der transzendentalen Offenbarung“ ist, wie Rahner
versichert131, so müsste man wohl über Kriterien verfügen, um die Depravatio-
nen von der angemessen Objektivation unterscheiden zu können, so dass trans-
zendentale und kategoriale Offenbarung eine ungeschmälerte Einheit bilden.
Was einer bestimmten Zeit als unproblematisch erschien, kann eine spätere als
anstößig und unannehmbar beurteilen. In einer kühnen Engführung reduziert
Rahner dieses Kriterium für die gesamte Schrift auf Christus als „Möglichkeit
einer radikalen Scheidung zwischen der im Vollsinn und in Reinheit gegebenen
kategorialen Offenbarungsgeschichte und deren menschlichen Ersatzbildungen
und Mißdeutungen“, weshalb „die Geschichte des Alten Bundes seit Abraham
unmittelbare Vorgeschichte Jesu ist“, aber keine selbstständige Bedeutung ha-

130
Adorno GS 3: 15.
131
Rahner GK: 159.

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ben kann132. Es ist für Rahner in der Tat die Offenbarung in Christus, auf die hin
alle Selbstüberschreitung endlichen Geistes immer schon eröffnet ist, und die
jede andere inner- wie außerbiblische Konkretion der Offenbarung überbietet.
Übersehen wird hier auch, dass die Vermittlung eines Wissens von Christus über
die Schrift läuft, wenn nicht eine bloße Christusidee das Kriterium der Unter-
scheidung abgeben soll. Zu dieser Schrift gehört das Alte Testament, vor dem
das Neue sich ausweisen musste, das bleibende und nicht bloß vorläufige Resul-
tate zeitigte und damit nicht nur Vorgeschichte Christi ist. Selbst eine transzen-
dentale Christologie bleibt verwiesen auf die geschichtliche Gestalt, von deren
Deutungen in der Schrift aus zurückgefragt wird nach den Möglichkeitsbedin-
gungen eines absoluten Heilsvermittlers. Das Kriterium selbst liegt nicht von
Anfang von an vor und unterliegt auch im Neuen Testament einem Werdepro-
zess, wobei innerkanonisch, wie die späteren christologischen Streitigkeiten im
4. und 5. Jahrhundert deutlich zeigen, keineswegs schon ein klares, über jeden
Zweifel erhabenes Unterscheidungsmerkmal vorliegt.
Der Grund für diese bleibende Mehrdeutigkeit und den sich verändernden, aber
niemals verschwindenden Diskussionsbedarf ist die Struktur der kategorialen
Offenbarung selbst, die weder die individualisierte stille Selbstauslegung und
Konkretisierung der menschlichen Transzendentalität ist, noch mit einem Au-
genblick in ihrer von aller Ambivalenz und Depravation freien Gestalt vorliegt,
sondern als gott-menschliche Korrelation im Rahmen zwischenmenschlicher
Interaktion und der Geschichte mit allen ihren Ambivalenzen angesehen werden
muss. Wenn Gott, wie Rahner immer wieder hervorhebt, das Woraufhin der Dy-
namik endlichen Geistes ist, das als das ganz Andere von eben diesem Geist
nicht gesetzt und seinem Bereich einverleibt werden kann, so lässt sich sinnvoll
von Gott nur in Relationen sprechen. Vielleicht weniger der Rahnersche Aus-
griff auf Sein überhaupt (das aus der Perspektive Wittgensteins eher im Ver-
dacht eines substantivierten und hypostasierten Hilfsverbs steht), sondern das

132
Zitate: Rahner GK: 161 und ST XII: 234; kritisch dazu Buchholz 2011: 193.

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Unbedingte, das in zwischenmenschlichen Relationen vorausgesetzt wird, deutet


auf die Transzendentalität des Menschen im Sinne einer über sich hinauswei-
senden und jedem einzelnen emphatischen Akt zugrunde liegenden Dynamik. In
der zwischenmenschlichen Korrelation wäre gott-menschliche Korrelation un-
thematisch supponiert. Auch die Rede von der Selbstoffenbarung Gottes, die
gerade gegenüber dem älteren instruktionstheoretischen Offenbarungsmodell auf
die alle Einzelsätze übersteigende sich entäußernde Liebe Gottes zielt, bleibt
abstrakt und wird zur bloßen Floskel, wenn jenes ‚Selbst‘ Gottes nicht innerge-
schichtlich, d.h. innerhalb eines Interaktionszusammenhangs konkretisiert wird.
„Was das Wort ‚Gott’ bedeutet“, schreibt auch der Kölner Fundamentaltheologe
Hans-Joachim Höhn treffend, „erweist sich in besonderen ‚Umstandsbestim-
mungen’ des Daseins“133 – und diese Umstandsbestimmungen sind nichts ande-
res als geschichtlich determinierte Relationen. Kristallisation oder narrativer
Ausdruck dieser stets deutungsbedürftigen und gedeuteten Korrelation bilden
die biblischen Texte als – mit Rahner gesprochen – deren geglückter Fall.
Dass die Selbstoffenbarung Gottes ein „interpersonales Geschehen“ ist134, beton-
te auch das II. Vatikanische Konzil in der Dogmatischen Konstitution Dei ver-
bum, wobei es das Ziel ist, dass der Mensch „der göttlichen Natur teilhaftig ge-
macht“ werde, d.h. am Leben Gottes partizipieren solle135. Unübersehbar ist
auch die christologische Pointierung des Textes, denn die gesamte Heilsge-
schichte läuft zu auf Christus „als Fülle der ganzen Offenbarung / plentitudo to-
tius revelationis“136. Die wechselseitige Erhellung der Taten und Worte, welche
die geschichtlich konkretisierte Offenbarung kennzeichnet137, ist allerdings
kaum sinnvoll denkbar ohne den aktiven menschlichen Teil in der Form einer
deutenden Erzählung (nicht des theologischen Diskurses), als welche die bibli-
schen Schriften angesehen werden können. Wohl hält der Text der Konstitution

133
Höhn 2008: 90. Zu den philosophischen Grundlagen Höhns vgl. ders. 2011: 109-149 (§7).
134
Waldenfels 2005: 103-202, hier: 194.
135
Vgl. DV Nr. 2.
136
Ebd; nochmals in DV Nr. 4.
137
Vgl. DV Nr. 2.

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fest, dass „Gott in der Heiligen Schrift durch Menschen nach Menschenart ge-
sprochen hat“, was zum Verständnis der Schrift auch eine gründliche Erfor-
schung der Zeitumstände des Hagiographen und der literarischen Gattung erfor-
dert138. Indessen bleibt ungeklärt, ob die menschliche Sprache sowie das Denk-
und Vorstellungsvermögen der jeweiligen Zeit mehr sind als nur eine zufällige
Einkleidung des göttlichen Wortes. Theologisch bilden Spontaneität und Rezep-
tivität doch gerade eine innere Einheit sowohl im Empfang der Offenbarung als
auch in ihrer Weitergabe, so dass der ‚menschliche Anteil‘ konstitutiv für das
Offenbarungsgeschehen selbst ist. Nicht in wünschenswerter Klarheit erscheint
auch die Überwindung des ‚Drei-Stockwerke-Modells‘. Zwar distanziert sich
das Konzil mit dem Gedanken der Selbstoffenbarung Gottes von einem instruk-
tionstheoretischen Offenbarungsverständnis, doch wird die Alternative dazu
nicht ausführlich genug dargelegt. Der Konzilstext setzt eine ‚natürliche Offen-
barung‘, oder besser: eine rationale Erkenntnis Gottes „aus den geschaffenen
Dingen“ voraus – ein Gedanke, der durchaus auf der Linie des I. Vatikanums
liegt und sich auch ausdrücklich auf Dei filius bezieht139. Das genaue Verständ-
nis einer gnadenhaft (also ‚übernatürlich‘) eröffneten Dynamik endlichen Geis-
tes mit Blick auf den Empfang der Offenbarung bleibt aber weitgehend dunkel.
So scheint es, dass die gott-menschliche Korrelation zwar die Grundidee von
Dei verbum bildet, aber theologisch weder hinreichend erhellt noch in allen Tei-
len des Textes gleichermaßen im Blick behalten wurde. Dei Verbum war ein be-
achtlicher Anfang in der offenbarungstheologischen Rezeption neuzeitlichen
Denkens durch das Lehramt – aber eben doch erst ein Anfang.
Offenbarung als Korrelation und Deutung ist ein Modell, das der evangelische
Theologie und Philosoph Paul Tillich (1886-1965) und vor ihm der Philosoph
Herman Cohen (1842-1918) entwickelt haben. Bei Cohen geschah dies mit
Blick auf die Bedeutung des Judentums und seines ethischen Monotheismusʼ,
was seinem religionsphilosophischen Hauptwerk den Namen gab: Religion der

138
Vgl. DV Cap. Nr. 12 und 13.
139
Vgl. DV Cap. I, Nr. 6 und Dei filius, Nr. 2 = DH 3005.

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Vernunft aus den Quellen des Judentums (1919/21929). In strenger Abgrenzung


zum Pantheismus Spinozas und den mythischen Traditionen, die Cohen nicht
minder dem Pantheismus zurechnet, entwickelt Cohen seinen Offenbarungsbe-
griff. Gefährdet doch die Identifikation von Gott und Natur, sei sie noch so sub-
til in sich differenziert, die Freiheit und Selbstständigkeit des Menschen, welche
die Grundlage der Ethik bilden soll. Entsprechend ist festzuhalten: „Ebenso wie
Gott soll auch der Mensch erhalten bleiben.“140 Wohl begründet die Schöpfung
eine Asymmetrie, insofern der Mensch nicht aus sich selbst heraus existiert,
sondern immer, auch in den Aktionen seiner Freiheit, Geschöpf bleibt; aber weil
jede ontologische Identifikation des Menschen mit der absoluten Substanz ver-
mieden wird, bleibt gleichsam ‚Raum‘ für eine Relation oder besser Korrelation
zwischen Gott und Mensch, als deren Niederschlag die Offenbarungstexte zu
deuten sind. In dieser Beziehung wächst der Mensch als vernünftiges Wesen
heran, das um seine spezifische Verfassung auch weiß und sie in der Wahrneh-
mung der Verantwortung auch vollzieht. Die Konstitution des „Vernunftwesens
des Menschen“ im Gang der Offenbarung schließt nicht nur jede „wunderhafte
Anomalie“, sondern auch jede mystische oder pantheistische Verschmelzung
des endlichen Bewusstseins mit dem Absoluten aus. Es ist vielmehr „der allge-
meinste Sinn der Offenbarung: daß Gott in Verhältnis tritt zum Menschen“141.
„Die Korrelation mit dem Menschen“, heißt es an anderer Stelle, „ist nicht die
Korrelation mit der Natur. So unterscheidet sich der Monotheismus vom Panthe-
ismus.“142 Der Anspruch, eine Religion der Vernunft aus den jüdischen Quellen
heraus darzustellen, schließt eine Kulmination in Christus natürlich aus; die bib-
lische Geschichte ist nicht Vorgeschichte des Christusereignisses wie bei Rah-
ner. Vielmehr rücken die hebräische Bibel (vor allem Propheten und Thora) so-
wie die rabbinische Literatur in das Zentrum der Aufmerksamkeit einer gott-
menschlichen Beziehung, welche den Menschen nicht als blinden Befehlsemp-

140
Cohen 1915a: 134.
141
Cohen 1929: 82f.
142
Cohen 1915a: 136f.

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fänger, sondern als Vernunftwesen zur Grundlage hat. Geschichte – gerade auch
als Befreiungsgeschichte –, Ethik und Recht bilden Sphären, in denen die leben-
dige Beziehung zwischen Gott und Israel, Gott und Menschheit eine fassbare
Gestalt annimmt. Dieses Korrelationsverhältnis bestimmt auch die Regulative
der Thora, wie es umgekehrt erst durch diese Regulative als eine befreiende, das
Leben ordnende und strukturierende Macht erfahrbar wird: So verwandelt nach
Cohen die von Gott in Lev 19,1 geforderte Heiligkeit Israels „alle mythische
Heiligkeit mit einem Schlage in die neue Bedeutung der Sittlichkeit. … Und die
Erteilung, wie die Lösung dieser Aufgabe, wird nur bedingt durch die Korrelati-
on zwischen Mensch und Gott.“143 In deren geschichtlicher Konkretion gewin-
nen die Offenbarungsdokumente Gestalt, in denen sich die Entwicklung zum
ethischen Monotheismus mit seiner Entfatalisierung und Entmythologisierung
von Natur, Politik und Geschichte niederschlägt, und die wesentlich von den
Propheten vorangetrieben wird, die bei allem Patriotismus doch wahre „messia-
nische Weltbürger“ sind144. Ihr Gott beschränkt sich in seiner Zuständigkeit
nicht auf Israel, sondern ist zugleich derjenige der Menschheit, auf welche die
gott-menschliche Korrelation sich ausweitet; der Einheit Gottes entspricht die
Einheit der Menschheit: „Nicht um Gott dreht sich der Propheten Sinn, ihr
Trachten und ihr Handeln, noch auch um den Menschen in seinem empirischen
Dasein, als Volk und Staat, sondern ein neuer Mensch, die Menschheit wird ihr
Begriff vom Menschen. Und mit diesem neuen Menschenbegriffe vernichten sie
die Götterwelt und entdecken und offenbaren den Einzigen Gott der Einen
Menschheit.“145 Diese Beziehung realisiert sich nach Cohen aber nicht nur in der
sittlichen Forderung, im Gebot, sondern ebenso im performativen Akt des Ge-
bets; das larSy imD (Dtn 6,4f) repräsentiert beides in höchster Verdichtung. Das
Gebet ist weder Ausdruck des ‚Gefühls schlechthinniger Abhängigkeit‘ im Sin-
ne Schleiermachers, noch zielt es im Sinne einer bestimmten Mystik auf die

143
Cohen 1915b: 8f.
144
Cohen 1929: 26.
145
Cohen 1915: 33.

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Verschmelzung von Endlichem und Unendlichem. Als die „eigentliche Sprache


der Religion“, ja als „die Sprachhandlung …, in welcher der Wille lebendig wird
in allen Mitteln des Denkens“ ist es „die Grundkraft der religiösen Idealisierung,
welche die Welt der Gemeinschaft von Gott und Mensch, welche die Korrelati-
on fordert, stets von neuem hervorbringt und befestigt“146.
Der Gedanke einer gott-menschlichen Korrelation findet sich – ohne jeden Be-
zug auf Hermann Cohen– auch bei Paul Tillich, wobei Gegenstand und theolo-
gische Methode eng aufeinander bezogen sind, insofern die Beziehung „zwi-
schen Gott und Mensch“, wie Tillich betont, eine Korrelation „auch nach der
Seite des Erkennens“ ist. „Gott antwortet auf die Fragen des Menschen, und un-
ter dem Eindruck von Gottes Antworten stellt der Mensch sein Fragen. Die The-
ologie formuliert die in der menschlichen Existenz beschlossenen Fragen, und
die Theologie formuliert die in der göttlichen Selbstbekundung liegenden Ant-
worten in Richtung der Fragen, die in der menschlichen Existenz liegen. … Die
im Offenbarungsereignis liegenden Antworten sind nur sinnvoll, sofern sie in
Korrelation stehen mit Fragen, die das Ganze unserer Existenz betreffen, also
mit existentiellen Fragen. Nur wer die Erschütterung der Vergänglichkeit, die
Angst, in der er seiner Endlichkeit gewahr wurde, die Drohung des Nichtseins,
kann verstehen, was der Gottesgedanke meint. Nur wer die tragische Zweideu-
tigkeit unserer geschichtlichen Existenz erfahren und den Sinn des Daseins völ-
lig in Frage gestellt hat, kann begreifen, was das Symbol des Reiches Gottes
aussagen will. Die Offenbarung beantwortet Fragen, die je und je gestellt wor-
den sind, und immer wieder gestellt werden, da wir selbst diese Fragen sind.“147
Insofern ist es durchaus richtig, wenn Tillich von einer engen Beziehung zwi-
schen theologischer Methode und Bewegung und Struktur der Sache, d.h. des
Offenbarungsgeschehens spricht, ja die theologische Reflexion gehört selbst zur
‚Sache‘, insofern zwar die kanonischen Texte abgeschlossen sind, nicht jedoch
die in der Offenbarung liegende Dynamik. Tillich setzt das Modell der Korrela-

146
Cohen 1929: 463.
147
Tillich ST I: 73-80, hier: 75f; vgl. auch Ringleben 2003: 15-24.

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tion kritisch ab von einem supranaturalistischen (in der Sprache Rahners und
Blondels: extrinsezistischen), demgemäß, wie erinnerlich, die Offenbarung
durch äußere wunderbare Zeichen und Mitteilungen beglaubigt und autorisiert
wird; aber auch von einem naturalistischen Modell, das die Offenbarung bruch-
los aus „dem natürlichen Zustand des Menschen“ deduziert, darüber aber ver-
gisst, dass dieser ‚natürlich Zustand‘ nicht klar und durchsichtig, sondern eher
fraglich und von Brüchen gekennzeichnet ist. Ebenso unbefriedigt bleibt nach
Tillich das von der katholischen Neuscholastik vertretene ‚dualistische Modell‘,
das am ehesten dem Zwei- oder Dreistockwerke-Modell Blondels entspricht148.
Trotz dieser Abgrenzungen von älteren Modellen und der positiven Bestimmung
des eigenen bleibt bei Tillich der Begriff der Korrelation unterbestimmt. Er be-
zieht sich ja keineswegs nur auf ein Frage-Antwort-Modell, sondern beinhaltet
auch, dass im Zuge der Offenbarung Fragen korrigiert, modifiziert oder als
falsch gestellt sogar verschwinden. Nicht nur der Mensch, auch Gott hat nach
biblischem Verständnis Fragen, zuweilen sogar sehr unangenehme und peinliche
wie bereits die an Kain gerichtete, wo sein Bruder Abel sei (vgl. Gen 4,9). Dass
die menschliche Faktizität und Normalität Gegenstand des Gerichts ist, verur-
teilt und zugleich neu ausgerichtet wird, sollte man nicht übersehen, zumal sie
dem Gedanken der Korrelation keineswegs widerspricht, sondern ihn eher ver-
tieft. Hermann Cohen hat gerade diesen Aspekt deutlicher herausgearbeitet als
Tillich. Der Mensch ist sich nicht bloß Frage als ein vom Tode oder vom
‚Nichts‘ Bedrohter, sondern auch hinsichtlich seiner sozialen Verfassung, seiner
Haltung zu den Mitmenschen usw. Diese Fragen beantwortet Gott zwar nicht
direkt – alle Gottesreden der Bibel sind zunächst menschliche Reden – wohl
aber entstehen die Antworten im Kontext dieses Korrelationsverhältnisses, das
so auch seine näheren Bestimmungen erhält. Es ist der Ausbruch aus einer my-
thischen, d.h. vom Schicksal bestimmten Welt, einer Welt, in der – leider bis
heute – die sozialen Verhältnisse schicksalhafte Züge annehmen, obwohl sie von

148
Vgl. Tillich ST I: 79f.

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Menschen gemacht sind. Die Depotenzierung der falschen Götter und mythi-
schen Mächte – von Pharao bis zum Tod als der letzten Macht, der niemand zu
entrinnen scheint – gehört zu einem wesentlichen Merkmal dieser Korrelation,
in der das erste Gebot zu Bewusstsein kommt und soziale Gestalt annimmt. In
diesem Sinne ließe sich auch von einer Ermöglichung menschlicher Transzen-
denz sprechen, die kein leerer Begriff, keine Phrase sein soll, sondern mit end-
lich-geschichtlicher Bedeutung verbunden sein muss.
Unter dieser Voraussetzung lässt sich gerade der kontrafaktische, kritische und
fremdartige Zug der Offenbarung, den Karl Barth mit Recht hervorhob, mit ei-
nem differenzierten Modell der Korrelation durchaus verbinden. Es kennt näm-
lich als Durchkreuzung allzu vertrauter Wege, Herrschaftsformen und gesell-
schaftlicher Zustände sehr wohl das „Zwischenhineinkommen“, wie Barth das
nicht Planmäßige und Erwartbare des Wortes Gottes nennt149. Es ist eben nicht
die göttliche Bestätigung der menschlichen Ordnung und sei es der angeblich
gottgewollten, sondern deren Infragestellung150. Damit wird allerdings das Mo-
ment der Vermittlung – einschließlich all seiner möglichen und realen Zweideu-
tigkeiten – nicht schon annulliert. Die reine Offenbarung oder revelatio immedi-
ata als „das Reden Gottes an sich“151 bleibt ein Grenzbegriff der Theologie, der
darauf verweist, dass Gott und seine Zuwendung zum Menschen weder inner-
halb der Vermittlung noch innerhalb der menschlichen Sphäre aufgehen und so
zu einem bloßen Moment menschlicher Geschichte und Gesellschaft werden.
Nur unter dieser Voraussetzung ist die revelatio immediata mehr als ein bloßer
Begriffsfetisch, den die Theologie kreiert, um im nächsten Moment den mensch-
lichen Fingerabdruck von ihm abzuwischen und so zu tun als sei die Offenba-
rung Gottes tatsächlich ‚vom Himmel gefallen‘. Die Sehnsucht nach Unmittel-
barkeit verleitet das Denken nicht selten dazu, seine eigenen Produkte anzube-
ten, die sich doch der Abstraktion von allen innerweltlichen, menschlichen Be-

149
Vgl. Barth 1982: 98; zu Barth siehe v. Stosch 2010: 65-69.
150
Vgl. Barth 1982: 97 und 99f.
151
Ebd.: 67.

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stimmungen verdanken. In der Kritik theologischer Begriffsfetische müssen wir


so weit gehen, auch noch die Rede vom Wort Gottes unter Anthropomorphis-
mus-Verdacht zu stellen Vernehmbare, verstehbare und deutbare Worte können
immer nur menschliche sein; die Selbstmitteilung Gottes in ihrer ungebroche-
nen, unendlichen Fülle und Alterität wäre entweder für den Menschen gänzlich
unverständlich oder sogar im Zusammenprall von Endlichem und Unendlichem
destruktiv. Darum bleibt es bei der Korrelation, in welcher das Unbedingte zu-
gleich ergriffen, vorausgesetzt und ausdifferenziert wird, so dass Handlung,
Sprache, Schrift und soziale Gruppen entstehen und die Gott in seiner Offenba-
rung gleichsam Wohnung nimmt unter Menschen. In der gott-menschlichen
Korrelation, nicht jenseits von ihr, nicht außerhalb der problematischen und
zweideutigen Geschichte, lässt sich das erahnen, was über die normative Kraft
des Faktischen hinausweist und das Bestehende prüft, ja richtet.
Rahners Frage nach dem Kriterium gelungener Auslegung der transzendentalen
Selbstmitteilung Gottes in der Geschichte käme mithilfe eines korrelativen Mo-
dells ihrer Antwort deutlich näher. Wenn mit der Selbstmitteilung Gottes in ihrer
leiblich-geschichtlichen Konkretion und zugleich der menschlichen Annahme
eben dieser Selbstoffenbarung etwas Fassbares gemeint sein soll, so genügt
nicht der Hinweis auf die Gestalt Christi. Sie steht vielmehr in einer Kontinuität
zu einer Offenbarungsgeschichte, in der das ‚Selbst‘ Gottes negativ wie positiv
stärker konturiert, nicht aber ausgeschöpft wird: Es zeigt sich nicht zuletzt in der
Entmachtung mythischer Schicksalsmächte, die den Alltag der Menschen eben-
so wie ihre politischen und ökonomischen Einrichtungen beherrschen, die dafür
sorgen dass die von Menschen ‚gemachte‘ Geschichte eine unmenschliche Ver-
anstaltung – Hegels berühmte Schlachtbank – wird und die im alles vernichten-
den Tod ihr Telos haben. Es sind aber Mächte, die ihren Sitz nicht im Himmel
beziehen und keine Schickungen Gottes sind, sondern Produkte von Menschen,
denen ihre eigenen Hervorbringungen als machtvolle äußere Instanzen fremd
und äußerlich gegenüberstehen. Offenbarung, einmal geschichtlich ausbuchsta-

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biert, bedeutet also die Entfatalisierung des menschlichen Daseins, die Entzau-
berung einer Wirklichkeit, die sich in einem Traumschlaf befindet, der Monster
hervorbringt. Die Welt taucht in der Offenbarung gerade nicht in eine phantas-
magorische Illusion ein, sondern erwacht aus ihr. „Gott“, schreibt Hermann Co-
hen nicht ohne Pathos, „ist kein Schicksalsbegriff“152, seine geschichtliche Of-
fenbarung ist die Befreiung der Menschen von den alten Abhängigkeiten und
selbst geschmiedeten Ketten; alle Korrelation zwischen Gott und Mensch ist da-
rum nicht einfach ein Frage-Antwort-Spiel, sondern gewinnt Konturen als Kri-
tik, die nicht das Opfer unserer ohnehin schwachen Vernunft fordert, sondern
deren Kraft zur Unterscheidung eher steigert. In den biblischen Schriften fand
dies, wie wir nun sehen werden, einen frühen Niederschlag.

c) Schrift als kristallisierte Traditionsgeschichte – und ihre Verflüssi-


gung Damit sind unsere Überlegungen wieder zur Schrift als zwar inspirier-
tes, aber von Menschen verfasstes Dokument der gott-menschlichen Korrelation
zurückgekehrt. Der Text, in dem die Selbstmitteilung Gottes erst Bedeutung ge-
winnt, ist in seiner vorliegenden kanonischen Gestalt zwar begrenzt, aber hin-
sichtlich seines Ursprungs und seiner weiteren Entfaltungsmöglichkeiten unend-
lich – wenn auch nicht beliebig: Geschichtliche Erfahrung begrenzt oder besser:
bestimmt die konkreten Entfaltungen des unendlichen Deutungspotenzials des
göttlichen Wortes (wenn überhaupt dieser anthropomorphe Begriff des ‚Wortes‘
hier verwendet werden darf). Keine Beliebigkeit also, kein harmlosen Spiel der
Deutungen und Bedeutungen, sondern Erhellung dessen, was es geschichtlich
geschlagen hat. Darauf zielen nicht nur die Mahnungen der Propheten, sondern
ebenso die narrativen Teile der Bibel, welche die – wie es bei Jan Assmann
heißt – fundierenden Geschichten Israels (und, denken wir an die Osternachtli-
turgie, auch des Christentums) bilden. Im Unterschied zu den übrigen altorienta-
lischen Kulturen „setzt Israel einen geschichtlichen Mythos ein und verinner-
licht dadurch sein geschichtliches Werden ...“ Die mit Nachdruck geforderte Er-

152
Cohen 1929: 26.

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innerung gilt einem Ereignis, das inner- nicht vorgeschichtlich angesiedelt wird.
Vom Raum verlagert sich der Schwerpunkt auf die Zeit; „an die Stelle einer
Semiotisierung des Kosmos tritt die Semiotisierung der Geschichte“153 Diese
‚Semiotisierung der Geschichte‘ geschah und geschieht spätestens seit der früh-
nachexilischen Zeit im Zeichen der Einzigkeit Gottes. Sie ist nicht nur ein erst in
der nachexilischen Zeit ausformuliertes und sich durchsetzendes Bekenntnis,
sondern bezeichnet auch eine bestimmte Form der Relationen zwischen Gott
und Menschen ebenso wie zwischen den Menschen untereinander. „Die Einheit
Gottes“, schreibt Frank Crüsemann, „mußte in einer Durcharbeitung der gesam-
ten Realität in einer Neudefinition jeder Wirklichkeit Gestalt gewinnen.“154 Die
Welt, auf welche sich auch der Polytheismus bezog, wird also nicht abstrakt ne-
giert oder spiritualisiert, sondern – theoretisch wie praktisch – neu geordnet. In
der kanonischen Endgestalt, die auch die Aufmerksamkeit der Leser lenkt und
die Lesart älterer Traditionen zu bestimmen versucht, liegt ein Gegenmodell zur
Normalität vor, das auch von der christlichen Theologie zu entdecken ist. Die
Regulative, das ‚Gesetz’, werden profiliert als „contre-loi“, wie Esther Benbassa
und Jean Christophe Attias dies treffend bezeichnen155. Dieses Gegen-Gesetz ist
eine Absage an jene Regeln, welche die bisherige historische und gesellschaftli-
che Normalität prägen. Inmitten der Geschichte artikuliert sich das Andere zur
Geschichte und ihren vermeintlichen Gesetzen; „vor allem die hartnäckige Ab-
lehnung einer politischen und sozialen Ordnung“, die, wie Emmanuel Levinas
schreibt, „nach wie vor keine Rücksicht auf die Schwachen nimmt und kein Mit-
leid mit den Besiegten hat, die sich als unerbittliche Weltgeschichte einer offen-
sichtlich unerlösten Welt abspielt. Ererbtes Dissidententum, Halsstarrigkeit,
Hintersinn, Widerstand gegen den reinen Sachzwang, Störfaktor.“156 Ähnlich
und den Gedanken Levinasʼ hier eng verwandt konstatierte auf christlicher Seite
153
Beide Zitate: Assmann 1999: 78. Yosef Hayim Yerushalmi möchte in Ermangelung eines besseres Begriffs
„von einem „Geschichtsmidrasch sprechen. Es ist, als wäre Geschichte zu einem Text geworden, der sich
durch eine Hermeneutik auslegen ließ, die sich aus den Grundprämissen des israelitischen Glaubens ganz na-
türlich und wie von selbst ergab.“ (Yerushalmi 1993: 93)
154
Frank Crüsemann 1997: 424; vgl. ders. 2003: 38-48.
155
Benbassa / Attias 2002: 90.
156
Levinas 2005: 9.

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Henri de Lubac: Im Monotheismus, wie er sich in den biblischen Traditionen


herausbildete, „behauptet sich der einzige Gott mit einer grimmigen Ausschließ-
lichkeit: ‘Gott allein ist Gott’. Er ist nicht das Ergebnis irgendeiner Verdichtung
noch irgendeines Synkretismus, weder eines intellektuellen noch politischen. Er
stellt eine Weltordnung auf und heiligt sie. Zu diesem Gott gelangt man nicht
über andere Götter, sondern muß sich zu ihm bekehren, indem man die Götzen-
bilder zerschlägt – die von Hand geschnitzten, wie die im Herzen geschmiede-
ten“157. Dieses in der Thora Gestalt gewinnende Gegenmodell zur Normalität,
welches das Verbot einschließt, sich von Gott ein Bild zu machen und sich sei-
ner im (magisch besetzten) Bild zu bemächtigen, umfasst negativ das „Verbot,
das Falsche als Gott anzurufen, das Endliche als das Unendliche, die Lüge als
Wahrheit“158 und positiv einen alternativen way of life, wie er in der Thora kon-
turiert und neutestamentlich keineswegs revoziert wird159. „Die Tora“, so kann
man mit Frank Crüsemann zusammenfassen, „gehört damit gerade in ihrer gro-
ßen thematischen Breite und Vielfalt zur Kontur des biblischen Gottes.“160
Reflektierte geschichtliche Erfahrung, theologischer wie ethischer Anspruch und
Hoffnungen werden Text einzig in einem bestimmten sozialen Raum. Es ent-
standen also nicht zuerst die Schrift in ihrer vorliegenden Gestalt und nach ihr
die Kirche bzw. das rabbinische Judentum. Die Genese der Schrift(en) und die
Genese der beiden Gemeinschaften sind vielmehr eng miteinander verbunden.
Schriften verbindlichen Gehalts verdanken sich dem Interesse eines bestimmten
sozialen Verbandes, in unserem Falle den unterschiedlichen religiösen Gruppen
im Alten Israel und im Frühjudentum, der Kirche und der Synagoge. Der Kanon
heiliger Schriften umfasst in beiden Gemeinschaften unterschiedliche Texte: Im
Judentum nimmt gegen 100 n. Chr. der ‫תורה( תנ’’ך‬, ‫ נביאים‬und ‫ כתובים‬/ Thora,
Propheten und Schriften), die hebräische Bibel, erste Gestalt an. Der masoreti-

157
Lubac 1992: 24f.
158
Max Horkheimer / Theodor W. Adorno, Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente (1944/47), in:
Adorno GS 3, hier: 40.
159
Vgl. hierzu Buchholz 2011: 201-204.
160
Frank Crüsemann in Kampling/Weinrich 2003: 119.

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sche Text mit Leseanleitungen, Masora parva, Masora magna und Vokalzeichen
liegt aber erst einige Jahrhunderte später vor und ist wohl nicht zu trennen von
der Entwicklung der beiden Religionsgemeinschaften. Er orientiert sich nicht in
Umfang und Aufbau an der Septuaginta, die in den Griechisch sprechenden
Gemeinden der Diaspora eine größere Rolle spielte und im frühen Christentum
ein hohes Ansehen genoss. Die Septuaginta, die ihren Namen gemäß des
Aristeasbriefes von den 70, genauer: 72 Übersetzern empfing, entstand seit dem
dritten vorchristlichen Jahrhundert bis in neutestamentliche Zeit hinein. Es han-
delt sich um die umfassendste, aber nicht einzige Übersetzung biblischer Texte
ins Griechische. Sie bestimmt den ersten Teil des katholischen Kanons, wie er
auf dem Trienter Konzil (1545-1563) definiert wurde161, während die evangeli-
schen Kirchen sich auf den Textumfang der hebräischen Bibel beschränkten.
Neben den griechischen Übersetzungen gibt es auch Übertragungen biblischer
Schriften ins Aramäische (Targum, Targumim), jener Sprache, die zur Zeit Jesu
in Palästina gesprochen wurde und in der auch in späteren Jahrhunderten weite
Teile des Talmud verfasst wurden. Zu nennen sind vor allem der Targum Onke-
los, eine aramäische Übersetzung des Pentateuchs, und der Targum Jonathan,
eine Übersetzung der Propheten.
Die Entstehung der Schrift ist ein wesentlicher Aspekt der bleibenden geschicht-
lichen Präsenz der Offenbarung: als notwendige Bedingung der Überlieferung
und als Ausbildung ihrer normativen Seite ist die Schriftwerdung anzusehen,
wobei sich mit ihr auch Elemente einer Zensur verbinden, die eine Reihe von
Traditionen in den außerkanonischen, kryptischen Bereich verbannt. Die Inte-
ressen, unter denen das geschieht, sind keineswegs unproblematisch und durch-
aus diskutabel. Kanonische Entscheidungen sind nicht selten das Ergebnis be-
stehender Konflikte und begründen das Monopol einer bestimmten Lesart. So-
weit dem jüdischen und christlichen Offenbarungsverständnis auch normative
Aspekte eignen, ist die praktisch-leibliche Seite mit der Schriftwerdung eng ver-

161
Vgl. DH 1501.

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bunden, kann aber durch sie nicht einfach ersetzt werden: das Wort muss sich
verleiblichen, und zwar nicht nur aus christlicher Sicht. In den sozialen Formen
– christliche wie jüdische Ortsgemeinden und ihre Verbindung untereinander –
soll Offenbarung eine das Leben prägende Kraft erhalten und die Wirklichkeit
verändern. Erst in dieser von praktischen Erfordernissen angestoßenen Ausdiffe-
renzierung kann die Schrift mehr sein als ein im Grunde beliebiger Text. Tradi-
tionen, d.h. Interpretationen generieren aufgrund praktischer Bedürfnisse neue
Traditionen usf., wobei nicht jeder Tradition gleiches Gewicht zukommt. Im
Raum der frühen Kirche einerseits und des entstehenden rabbinischen Juden-
tums andererseits vollendet sich der Kanon der hebräischen Bibel bzw. ihrer
Übersetzungen (christlich). Die Thora liegt in ihrer heutigen Gestalt bereits vor,
das Corpus prophetischer Schriften ist im ersten nachchristlichen Jahrhundert in
großen Teilen vollendet, strittig sind noch einige Zeit Bücher der Weisheitslite-
ratur. Ein besiegelter Kanon, wie er für die drei monotheistischen Religionen
kennzeichnend ist, verdankt seine Entstehung letztlich ebenfalls einem Konsens
darüber, welche Texte als inspiriert und verbindlich gelten, doch steht der ein-
mal festgelegte Umfang nicht mehr zur Disposition, sondern erfährt seine Aktu-
alisierung durch schöpferische Interpretation, die, wie in der rabbinischen Lite-
ratur oder der Auslegung der Kirchenväter, dem Wortlaut des Textes sogar zu-
widerlaufen kann.
Das Neue Testament entsteht später erst – man hatte ja schon Heilige Schrift –
und es dauerte geraume Zeit, bis der neutestamentliche Kanon konsensfähig ist.
Die Notwendigkeit zu einer kanonischen Entscheidung ergab sich vor allem
durch die markionitische und gnostische Abwertung des Alten Testaments und
die Zensur, die Markion im zweiten Jahrhundert an neutestamentlichen Texten
übte: Für ihn war das Alte Testament nur das Zeugnis eines kleinlichen, unter-
geordnetes Gottes und konnte nicht den Status einer normativen Offenbarung
beanspruchen. Von den neutestamentlichen Schriften übernahm Markion ledig-
lich ein überarbeitetes Lukasevangelium und Teile der Paulusbriefe. Die kirchli-

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che Distanzierung von Markion und ihr Bekenntnis zum Alten Testament bein-
haltete jedoch nicht automatisch eine Anerkennung des Judentums, vielmehr
betrachtete sich die christliche Kirche bis in die Moderne hinein als Nachfolge-
rin Israels (verus Israel) und einzig legitime Interpretin des Alten Testaments,
das sie mit einer kühnen Hermeneutik als praeparatio evangelii las. Entspre-
chend diente der Kanon auch als Abgrenzung vom Judentum und von bestimm-
ten judenchristlichen Gruppen.
Am Ende des langen Prozesses der Kanongenese steht ein Corpus von Schriften,
das die kirchliche Überlieferung als vom göttlichen Geist inspiriert ansieht. Für
die katholische Kirche bildet sie zusammen mit der lebendigen Entwicklung der
Tradition eine normative Quelle theologischer Erkenntnis, für die evangelische
Kirche ist die Schrift die einzige (sola scriptura) Autorität, an der Kirche, Theo-
logie und Verkündigung sich zu orientieren haben. Was aber genau meint nun
Inspiration der Schrift? Der Streit zwischen Juden und Christen, Markioniten,
Gnostikern und kirchlicher Orthodoxie ging ja um heilige Texte, die Gott zum
Urheber haben sollen. Karl Rahner hatte schon in den fünfziger Jahren einen
Vorschlag gemacht, wie angesichts der langen historischen Entstehungszeit, der
unterschiedlichen Interessen und Urheberschaften der Schriften noch von Inspi-
ration gesprochen werden kann. Die Ansicht, dass Gott den menschlichen Ver-
fassern der biblischen Bücher den Text Wort für Wort eingibt, ist seit der Früh-
aufklärung historisch und philosophisch unhaltbar geworden; sie wird heute nur
noch in fundamentalistischen Kreisen vertreten. Für Rahner sind die Schriftge-
nese und die Genese der Kirche nicht voneinander zu trennen. Die Entstehung
der Urkirche gehört selbst zur eschatologischen Tat Gottes; sie ist von Gott ge-
stiftet, insofern sie, wie wir schon sahen, „die greifbare Repräsentanz seines
freien, siegreichen, unbedingten Heilswillens”162 mitsamt seiner freien mensch-
lichen Annahme darstellt. Und im Raum dieser geisterfüllten Urkirche als nor-
mativem Anfang entsteht das Neue Testament. Dieses ist zwar entfaltetes Wort

162
Rahner 1958, 47

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70

Gottes, aber „ebenso ursprünglich Selbstdarstellung des Glaubens der Kirche,


schriftliche Konkretisierung dessen ..., was die Urkirche glaubte und was glau-
bend sie sich selbst konstituierte.“ Die Genese von Schrift und Kirche muss
strikt als Einheit angesehen werden, d.h. die „Schriften des Neuen Bundes ent-
stehen als Lebensvollzüge der Kirche“163 und werden später im Kanon von an-
deren schriftlichen Traditionen der Urkirche und des frühen Christentums be-
wusst abgegrenzt. „Die Schriftinspiration“, fasst Rahner zusammen, „ist nur ...
einfach die Kirchenurheberschaft Gottes, insofern diese sich gerade auf jenes
konstitutive Element der Urkirche als solcher bezieht, das eben die Schrift ist.“
(ebd. 58) Dem in der Urkirche repräsentierten Anfang und den dort ausgebilde-
ten Überlieferungen kommt bleibende Bedeutung zu: In ihr entsteht die Brief-
und Evangelienliteratur, die später kanonische Geltung erlangt, und auf die Ur-
kirche führen sich, zuweilen in historisch kühner Konstruktion, spätere Traditio-
nen zurück, die damit als apostolisch legitimiert sind.
Freilich: Auch die Urkirche empfängt bekanntlich heilige Schriften, und es fällt
auf, dass Rahner zögert, jene normative, schriftgenerierende Bedeutung, die er
der Urkirche attestiert, auch Israel als erwähltem Gottesvolk zuzubilligen – eine
Schwierigkeit, die schon an anderer Stelle in Rahners Charakterisierung des Al-
ten Testaments als bloße Vorgeschichte des Neuen, respektive des Christuser-
eignisses auffiel. Die Urkirche setzte ganz selbstverständlich die heiligen Schrif-
ten Israels voraus, wenn auch wohl in Fassungen der Septuaginta. Als ‘schrift-
gemäß’ musste sich ja ihr eigener Anspruch ausweisen lassen. Das Modell einer
normativen, inspirierten und das göttliche Wort entfaltenden Schrift lag, wie
auch Meinrad Limbeck gegen Rahner einwendet, der Urkirche bereits vor und
prägte entscheidend ihren Lebensvollzug164. Sie war keineswegs frei, der Bibel
Israels, die (in welcher konkreten Gestalt und Übersetzung auch immer) der
Botschaft Jesu zugrunde lag, ihre Anerkennung zu verweigern, ohne ihre eigene
Basis zu zerstören. Es reicht darum nicht, im Alten Testament lediglich die

163
Rahner 1958 56.
164
Vgl. Limbeck in HFTh 4: 51f, Anm. 70.

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„Vorgeschichte der Kirche“165 zu sehen, die doch selbst erst Anfang und nicht
schon realisierte Erfüllung ist. Das Alte oder, in Erich Zengers Worten, das Ers-
te Testament bildet die gültige Norm der neutestamentlichen Autoren. Die Kir-
che trug dem Rechnung, indem sie das Alte Testament weder nur auszugsweise
übernahm, noch seinen Text christlich überarbeitete, sondern es als ganzes dem
Neuen voranstellte, so dass das Christentum über eine zweigeteilte Bibel ver-
fügt, deren erster, umfangreicherer Teil nicht im Raum der Urkirche entstand,
sondern in Israel, auf das die Kirche, die keineswegs dessen ‘Erbschaft’ antritt,
bleibend verwiesen ist. Dies bedeutet in der Konsequenz, dass das Neue Testa-
ment im Lichte des Alten Testaments zu lesen ist – und nicht umgekehrt. Es
bleibt abzuwarten, ob sich in der christlichen Hermeneutik diese Einsicht, die
dem kanongeschichtlichen Befund entspringt, durchsetzen wird.
Nicht nur die Schrift, auch die sie aktualisierende Tradition hat in der Kirche
ihren Ort. Wie die Schrift selbst nichts ist als kristallisierte Traditionsgeschichte,
die in jeder Generation verflüssigt und gemäß den veränderten historischen Be-
dingungen aktualisiert werden muss, so unterliegt auch die nachbiblische Tradi-
tion entsprechenden Veränderungen. „Weil der Buchstabe fest ist und kein Jota
geändert werden darf“, schreibt Jan Assmann, „weil aber andererseits die Welt
des Menschen fortwährender Änderung unterworfen ist, besteht eine Distanz
zwischen festgestelltem Text und wandelbarer Wirklichkeit, die nur durch Deu-
tung zu überbrücken ist.“166 Dies produziert eine Fülle von Deutungen und
Überlieferungen; ohne den fixierten Textbestand anzutasten, generiert die situa-
tionsbezogene Deutung eine heterogene Traditionsgeschichte. Schrift als gleich-
sam kristallisierte Traditionsgeschichte bedarf der weiteren Deutung, der Kom-
mentare, die jenes ‚Kristall‘ wieder verflüssigen und so aktualisieren. Dieser
Umstand ist auch von der systematischen Theologie zu reflektieren, wenn der
Begriff einer Selbstmitteilung Gottes keine Leerformel sein, sondern – ohne in
ein instruktionstheoretisches Offenbarungsverständnis zurückzufallen – qualita-

165
Rahner 1958, 61.
166
Assmann 2000, 59.

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tiv bestimmt und die geschichtlich determinierte gott-menschliche Relation mit


verstehbarem Inhalt gefüllt werden soll.

d) Was ist Religion? Systematische Annäherung Aber über die ‚amtliche


Offenbarung‘ oder das ‚amtliche Offenbarungsdokument‘ hinaus objektiviert
sich die Selbstmitteilung Gottes, die sich auf alle Menschen bezieht, auch in an-
deren kulturellen Kontexten, worauf Rahner hinwies und was im II. Vatikani-
schen Konzil auch lehramtlich bekräftigt wurde167. Insofern wird man kaum mit
Karl Barth ‚die‘ Religion – bei aller Ambivalenz, die ihr eignet – als „Unglau-
be“, d.h. als eine bestimmte Form der menschlichen Selbstbehauptung gegen-
über Gott ansehen können168. Abgesehen davon, dass es keine innergeschichtli-
che Größe gibt, die aller Zweideutigkeit enthobenen wäre und jeder Sprung in
die Unmittelbarkeit einer ungetrübten Nähe zu Gott auf bloßem Wunsch beruht,
wird es schwierig anzugeben, was denn die Alternative zur Religion darstelle:
die Offenbarung als deren Aufhebung169; der Glaube des Einzelnen oder der
Kirche? Aber die Offenbarung ohne einen Anhalt in der sozialen Wirklichkeit,
in der sie doch verwandelnd sich manifestieren soll, bleibt nichtig und für den
Glauben gilt ähnliches: er bleibt Fiktion, wen er nicht eine ‚objektive‘, empiri-
sche Größe wird. Folgt man hingegen einem korrelativen Modell, dann könnte
man Religionen bestimmten als Objektivationen, in den sich die gott-
menschliche Beziehung verwirklicht, soziale Gestalt gewinnt und so konkreti-
siert. Damit haben wir aber einer möglichen Antwort auf die Frage, was Religi-
on sei, schon weit vorausgegriffen. Wenn wir nicht den alten Verdacht der Auf-
klärung, Religion sei eine Erfindung schlauer Betrüger, die von den Ängsten
und der Unwissenheit der Massen profitieren wollen, wiederholen möchten, so
werden wir rasch feststellen, dass eine Definition von Religion überaus schwie-
rig ist. Eine Rückführung des lateinischen Wortes religio auf die Bedeutung von
‚Bindung‘ oder ‚Verbindung mit Gott‘ führt nicht sehr weit. Der moderne Reli-

167
Vgl. etwa Nostra aetate Nr. 1; Lumen gentium Nr.15 und 16.
168
Vgl. Barth KD I/2: 324-356.
169
Vgl. ebd.

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gionsbegriff lässt sich zudem nicht einfach in die Vergangenheit projizieren. Der
Antike war jene weitgehende Differenzierung der Gesellschaft in Kultur, Politik,
Wirtschaft und eben Religion mit ihrer jeweiligen Eigenlogik noch fremd; Reli-
gion umfasste vielmehr alle Bereiche des individuellen wie gesellschaftlichen
Lebens und war nicht, wie in den modernen Gesellschaften, einer eigenen Sphä-
re vorbehalten, wo sie zwar ihren verfassungsgemäß garantierten Freiraum hat,
aber auch in der Gefahr steht, im Bereich privater Beliebigkeit und Unverbind-
lichkeit neutralisiert zu werden. Aber auch die spezifische Gestalt, die Religion
im okzidentalen oder mediterranen Kontext gewonnen hat, lässt sich nicht ein-
fach auf andere Phänomene übertragen; so kann ein personaler Gottesbegriff im
Sinne der monotheistischen Religionen kaum als Basis etwa für den Buddhis-
mus vorausgesetzt werden; selbst wenn man die Bezeichnung des Buddhismus
als ‚atheistisch‘ ablehnt170. Für ihn spielt eine sei es plural sich darstellende, sei
es Einzigkeit beanspruchende Gottheit keine grundlegende Rolle – ein Umstand,
der uns noch bei der Diskussion pluralistischer Religionstheologien beschäftigen
wird.
Mit der neuzeitlichen Wendung zum Subjekt einerseits und den Fortschritten der
historischen Forschung andererseits werden in rascher Folge unterschiedliche
Definitionen von Religion entwickelt, von denen jedoch keine dauerhaft kon-
sensfähig und konkurrenzlos wurde; ja es ist fraglich, ob man überhaupt von Re-
ligion im Singular sprechen dürfe oder nicht doch besser von ‚religiösen Tradi-
tionen‘, was nicht nur der Vielfalt von Religionen Rechnung trägt, sondern auch
der Pluralität innerhalb bestimmter religiöser Makrogebilden. Der Singular be-
ansprucht bereits, dass es ein religiöses ‚Basisphänomen‘ gibt, das man entwe-
der auf ein ursprüngliches Erlebnis oder auf das Selbstbewusstsein, auf eine re-
flexiven Vorgang also, zurückführt. Mit dem Primat des Geistes innerhalb des

170
So Waldenfels im Artikel Gott VIII, LexRel: 231. Alfred Weil erinnert an die Schwierigkeit, den Buddhis-
mus „nach gewohnten westlichen Denkmustern“ einzuordnen: „Weil er auf einen andere, höhere und freiere
realität Bezug nimmt, kann er als Religion gelten. Insoweit er die Daseinswirklichkeit systematisch reflek-
tiert, ist er auch Philosophie, und als System der Selbstbeobachtung genauso Psychologie.“ (Waldenfels/Weil
2005: 196)

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idealistischen Diskurses erhält Religion als eine bestimmte Stufe der Entwick-
lung auch ihren Ort. Sie ist, wie Hegel in seinen Vorlesung zur Philosophie der
Religion darlegte, „das Bewußtsein des an und für sich Wahren“ oder, wie es
wenig später präzisierend heißt, „das Bewußtsein des Göttlichen“171. Insofern
bildet die Religion eine Stufe des absoluten Geistes und gründet nicht im Irrati-
onalen, sondern in der Selbstbewegung und geschichtlichen Selbstexplikation
des Geistes. Zu diesen Selbstexplikationen gehört der ‚objektive Geist‘, wie er
sich geschichtlich und institutionell in der bürgerlichen Gesellschaft, im Staat
und im Verhältnis der Staaten zueinander darstellt, aber auch die Kunst, die, wie
die Religion auf das Moment der Sinnlichkeit verweisen bleibt. „Der Begriff der
Religion in ihrem spekulativen, absoluten Sinn genommen“, kann Hegel an an-
derer Stelle formulieren, „ist der Begriff des Geistes, der seines Wesens, seiner
selbst bewußt ist172.“ Religionsphänomenologisch lassen sich die bestimmte Re-
ligion und die offenbare Religion unterscheiden. In ihren historischen und sozia-
len Formen, d.h. in Institution und Kult gibt sich die Religion ihre Bestimmung
als ein sichtbares, substantielles, im Leben der Menschen Phänomen; als offen-
bare aber ist das, was in der bestimmten Religion zwar an sich, aber noch nicht
dem Bewusstsein nach gegeben ist, erkannt worden – und darum offenbar173.
Allerdings hat das religiöse Bewusstsein seinen Inhalt nicht schon angemessen
im Begriff erfasst, sondern lediglich in den unterschiedlichen sinnlichen Objek-
tivationen. „Für das nicht philosophische Bewußtsein“, konstatiert Hegel, „ist
der Geist eben Gegenstand in sinnlicher Weise, in der Vorstellung.“174 So stellt
für Hegel die Religion schwerlich die höchste Stufe des sich mit dem Absoluten
zusammenschließenden Bewusstseins des Einzelwesens oder eines sozialen
Verbandes dar. Erst die Philosophie bringt auf den Begriff, was in der Religion
lediglich angeschaut und vorgestellt wird. Andererseits ist sie doch nicht bloße

171
Hegel 1983: 113 und 118.
172
Ebd.: 55.
173
Vgl. ebd.: 56-60 und 115.
174
Ebd.: 60.

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Anschauung, sondern durchaus Erkenntnis, wenn auch durch die Anschauung


vermittelt oder besser: in ihr symbolisiert.
Den Akzent auf dem irrationalen Aspekt zumindest als Anfang des religiösen
Bewusstseins finden wir bei Friedrich Schleiermacher, der ihn gegen den epis-
temologischen Charakter der Religion bei Hegel pointiert. Religion ist in einem
ersten Schritt die Beziehung zum Absoluten in Gefühl und Sinnlichkeit, die
Verbindung mit der Totalität, sie ist, wie es in der zweiten Rede Über die Reli-
gion (1799) heißt „Sinn und Geschmack fürs Unendliche“ oder auch das „Ge-
fühl des Unendlichen“175. Sie steht nicht im Dienst der Moral, ist weder deren
Anhängsel, noch der symbolische Ausdruck moralischen Bewusstseins, sondern
bildet ein Reich sui generis. Mit Blick auf die Schöpfungstheologie und die
bleibende Abhängigkeit alles Seienden vom Absoluten kann Schleiermacher in
seiner Glaubenslehre (21830/31) die Religion auch bestimmen als das ‚Gefühl
schlechthinniger Abhängigkeit‘176. Zu nennen sind aber sowohl verwandte Ge-
fühle wie Ehrfurcht, Demut und Dankbarkeit gegenüber dem Göttlichen oder
dem Universum (als Verschränkung von Gott und Welt), wie Schleiermacher
die unbestimmte Attraktion durch die höhere Macht auch nennt177, als auch Ge-
fühle der Erhebung und der Selbstüberschreitung. Ob es sich um eine personal
gedachte Gottheit, einen Weltengrund oder eine personalisierte Natur handelt,
ist an diesem Punkt der Reflexion noch nicht entschieden. Aber dabei bleibt die
Religion nicht stehen. Weil der Einzelne den unendlichen Gehalt der Religion
niemals ganz erfassen kann und der Mensch sozial verfasst ist, wird die Religion
„notwendig auch gesellig“, sie ist keine bloß individuelle Erhebung des Gemüts
zum Absoluten178. Ferner ist sie nicht in ihrer vollständigen Entfaltung mit ei-
nem Mal vorhanden, sondern kennt verschiedene Stufen; man kann also von ei-
ner Evolution der Religion sprechen179. Es wäre also verfehlt, Schleiermacher

175
Schleiermacher 2008: 44 und 51.
176
Vgl. Schleiermacher 1999a: 171, §32.
177
Vgl. Schleiermacher 2008: 76-80.
178
Ebd.: 115.
179
Vgl. ebd.: 86-90.

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eine individualistische Engführung und Enthistorisierung der Religion zu unter-


stellen. Deren Fundierung in der „R e g i o n d e s G e f ü h l s “180 stieß allerdings
auf die vehemente Kritik Hegels, der an Polemik nicht sparte: „Gründet sich Re-
ligion im Menschen nur auf ein Gefühl, so hat solches richtig keine weitere Be-
stimmung, als das G e f ü h l s e i n e r A b h ä n g i g k e i t zu sein, und so wäre der
Hund der beste Christ denn er trägt dieses am stärksten in sich und lebt vor-
nehmlich in diesem Gefühle. Auch Erlösungsgefühle hat der Hund, wenn sei-
nem Hunger durch einen Knochen Befriedigung wird.“181 Man mag zweifeln ob
damit die Religionsphilosophie Schleiermachers adäquat getroffen wird, zumal
das Gefühl im Fortgang der religiösen Evolution nicht das letzte Wort behält.
Dennoch ist Hegels Kritik nicht von der Hand zu weisen: Gefühle bleiben ambi-
valent, und die Reduzierung der Religion auf das Gefühl der Abhängigkeit ver-
kennt das zentrale Element der Kritik und der Befreiung zumindest in den bibli-
schen Traditionen. Ob diese Befreiung sich primär auf den Geist bezieht, wie
Hegel versichert, ist eher unwahrscheinlich, gewiss ist aber die leider auch heute
wieder verbreitete „Misologie“, d.h. „die Verachtung und der Haß des Denkens“
ein schlechtes und wenig solides Fundament der Religion182. Dass sie eng ver-
bunden ist mit Erkenntnis, durchaus Pflichten gegen den Anderen lehrt und die-
se ihr keineswegs äußerlich sind, wie Schleiermacher meint, wurde mit Grund
u.a. von Hermann Cohen und Emmanuel Levinas vorgetragen. Das Bedürfnis,
der Religion ein eigenes Reich, eine eigene Kompetenz zu sichern, darin sie
ganz bei sich selbst und gleichsam zu Hause ist, kommt erst im bürgerlichen
Zeitalter auf, wo neben Natur- und Geschichtswissenschaft, Philosophie und
Kunst auch der Religion ein Platz gesichert werden soll. Der Preis dafür ist frei-
lich hoch, denn sie wird aller epistemologischen, moralischen, kritischen und
politischen Vermittlungen beraubt.

180
Hegel 1997: 75.
181
Ebd.: 77f.
182
Ebd.: 78.

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Radikaler noch als Schleiermacher reklamierte Rudolf Otto das Irrationale als
wesentlicher Bestandteil der Religion. In strikter Abgrenzung vom rationalisti-
schen Religionsbegriff rückt Otto das Heilige im Sinne des Erhabenen in das
Zentrum des Interesses. Das bewunderte, faszinierende und in seiner Gewalt und
bleibenden Rätselhaftigkeit auch zu fürchtende Heilige, eben das mysterium
tremendum et fascinosum183, stifte einen Ordnung sui generis, und zwar, ähnlich
der Argumentation Schleiermachers, jenseits der Moral, deren Regeln es sogar
aufheben kann und fordert, was Menschen zu fordern niemals gestattet ist. Im
archaischen Verständnis des Heiligen ist die „Ohnmacht gegenüber der Über-
macht“ die „eigene Nichtigkeit“ gegenüber der göttlichen „majestas“184 reprä-
sentiert. Otto beschränkte den Befund des Irrationalen nicht auf das Alte Testa-
ment und die Schriften des Alten Orients, sondern auch auf das Neue Testament,
das bei aller Rationalisierung das Numinose keineswegs ausscheidet185. Auch
die paulinische Prädestinationslehre befindet sich, so Otto, „auf schlechterdings
irrationalem Gebiete“186. Die Prädestinationslehre entspringt dem Gefühl, vor
der göttlichen Majestät, die keiner Rechtfertigung ihrer Ratschlüsse bedarf, in
den Staub zu sinken187. Der Souverän befindet auch hier über den Ausnahmezu-
stand. Man mag fragen, ob diese Intensivierung des Gefühls schlechthinniger
Abhängigkeit den richtigen Schlüssel zur Deutung alt- und neutestamentlichen
bildet; religionswissenschaftlich und theologisch jedenfalls fand Otto vielfach
eine positive Aufnahme. Dass in älteren Vorstellungen Gott und seine Offenba-
rungen Merkmale des Heiligen aufweisen, wie Otto sie entfaltete, ist unver-
kennbar. Sie reichen auch noch bis in die biblischen Schriften, denkt man etwa
an die Bindung Isaaks in Gen 22 – ein Text, der aber schon das ‚Heilige‘ sorg-
fältig reflektiert und darum einer gründlichen Exegese bedarf –, an Furcht und
Zittern, mit denen Israel sich der Gottesoffenbarung am Sinai nähert oder die

183
Vgl. Otto 1936: 13-37, 42-52.
184
Ebd.: 23f.
185
Ebd.: 102-115, hier: 102.
186
Ebd.: 107.
187
Vgl. ebd.: 109.

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ambivalenten Gefühle, mit der Menschen im AT und NT auf die Engel reagie-
ren. Aber bei diesem Befund bleibt es nicht. Die erste Schöpfungserzählung
stellt den Menschen als selbstständiges Wesen vor; Abraham verhandelt in Gen
18 souverän mit Gott um die Schonung Sodoms, wenn wenigstens 10 Gerechte
sich dort finden lassen, denn unmöglich kann Gott Gerechte und Ungerechte
gleichermaßen dem Untergang weihen. Kühn erinnert er und Gott an dessen ei-
gene Gerechtigkeit: „Sollte sich der Richter über die ganze Erde nicht an das
Recht halten?“ (Gen 18,25) Im Buch Exodus schließt Gott mit Israel einen
Bund. Auch wenn die Initiative von Gott ausgeht, so haben wir es doch mit einer
Rechtsfigur zu tun, die nicht allein Israel, sondern auch Gott bindet und ver-
pflichtet. Der Mensch wird Gott gegenüber ‚vertragsmündig‘. Die Umkehrpre-
digt der Propheten wäre sinnlos, wenn die Ratschlüsse Gottes das Schicksal des
Menschen besiegelten. Die Fähigkeit, Unrecht einzusehen und das Leben des
Einzelnen wie der ganzen Gesellschaft nach anderen Kriterien auszurichten,
reicht über ein bloßes Untertanenbewusstsein hinaus. Das alles lässt sich aber in
Ottos Schema von Faszination und Furcht schwerlich einfügen, und weitere Bei-
spiele lassen sich mit Leichtigkeit finden. Auch fragt es sich, ob Ottos Begriff
des Heiligen die unterschiedlichen Phänomene der außerbiblischen Religionsge-
schichte angemessen integrieren kann. Gab und gibt es nicht Beispiele, wo in-
nerhalb der religiösen Vorstellungswelt ‚Furcht und Zittern‘ überwunden wer-
den? Passt etwa der Buddhismus in diese Konzeption? Schwerlich lässt sich die
Kategorie des Heiligen aus den religionswissenschaftlichen und theologischen
Diskursen verbannen188, aber sie muss doch umfassender bestimmt werden und
personale wie moralische Elemente in sich fassen, die in weiterer Entwicklung
die dämonischen Züge relativieren: Aus der launischen Naturgottheit wird der
oder das Andere, das, wie bei Emmanuel Levinas, dem menschlichen Zugriff,
dem Herrschaftsanspruch, sich entzieht und nur als ‚Spur‘ wahrgenommen wird.
„Der geoffenbarte Gott unserer jüdisch-christlichen Spiritualität“, schreibt Le-

188
Vgl. Wolfgang Gantke, Artikel Heilig, in NHthG 2: 94-103.

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vinas, „bewahrt die ganze Unendlichkeit seiner Abwesenheit, die in der persona-
len Ordnung selbst ist. Er zeigt sich nur in seiner Spur, wie in Kapitel 33 des
Exodus. Zu ihm hingehen heißt nicht, dieser Spur, die kein Zeichen ist, folgen,
sondern auf die Anderen zugehen, die sich in der Spur halten.“189 Damit ist kein
umfassender und für alle gültiger Religionsbegriff entwickelt, sondern ein Cha-
rakteristikum der biblischen Religion und ihres Gottes. Dieser ist aber nach Le-
vinas als mysterium tremendum et fascinosum nur unzureichend bestimmt.
So bleibt für ‚Religion‘ zunächst nur eine sehr vage Bestimmung als umfassende
Deutung des Lebens, die dessen Grund und Ursprung zu klären versucht und auf
ein absolutes Ziel verweist, dem das Leben sowohl des Individuums als auch der
Gruppe zugeordnet ist, wobei Grund und Ziel auch normative Auswirkungen für
die spezifische Lebensführung haben. Welcher Art dieses Ziel ist – es kann ge-
wiss nicht für alle Religionen im Sinne einer jüdischen oder christlichen Escha-
tologie bestimmt werden – muss hier offen bleiben. Auch ist hier nicht schon
entschieden, ob diese absolute, Grund und Ziel umfangende Dimension personal
zu denken ist, ja noch nicht einmal, ob ihm jenseits des menschlichen Denkens
und der religiösen Gruppen überhaupt eine – wie auch immer zu denkende –
Wirklichkeit entspricht. Im Sinne einer rein funktional orientierten soziologi-
schen Theorie der Religion, wie sie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts
u.a. von Niklas Luhmann vertreten wurde, genügt es auch, ihre Bedeutung für
ein bestimmtes Sozialgefüge oder für das Individuum – etwa als Kompensation
unaufhebbarer Kontingenz – aufzuzeigen. Der Gottesbegriff ist in dieser Sicht-
weise eine Kontingenzformel unter möglichen anderen, die darauf abzielt, eine
nicht zu bewältigende Komplexität – wie Leiderfahrung, unverständliche Zufäl-
le, die Frage nach einem umfassenden Sinn – in einen verstehbaren und auch
praxisrelevanten Code zu überführen190. Aber auch hier ist das Ergebnis, wie
Luhmann konstatiert, keineswegs klar und eindeutig: „Die Weltreligionen ha-
ben, könnte man sagen, mit Kontingenzformeln für die Religion experimentiert

189
Levinas 1992: 235.
190
Vgl. Luhmann 2000, 147-154.

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und sind nicht zu einem einhelligen Ergebnis gelangt.“191 Der Buddhismus und
die monotheistischen Religionen haben, so Luhmann, mit einer Erlösungsper-
spektive auf unterschiedliche Weise anspruchsvolle Modelle der Kontingenzbe-
wältigung entwickelt. Die theistischen, insbesondere monotheistischen Religio-
nen verfügen mit der ‚Gottesformel‘ auch über Unterscheidungsmerkmale, wel-
che der Wirklichkeit einen verstehbaren Sinn verleihen: Jenseits/Diesseits,
Gott/Welt, Sein/Schein, gut/schlecht, endlich/unendlich, kontingent/notwendig
usw.192 Weitere Überlegungen jedoch, die sich auf den möglichen Wahrheitsge-
halt der Religion richten, gehören nicht mehr zum Bereich einer funktional-
deskriptiv orientierten soziologischen Theorie der Religion. Wahrheit und Funk-
tionalität mögen differieren, doch ist die Überprüfung der religiösen Geltungs-
ansprüche für Luhmann nicht Aufgabe der Soziologie. Die Theologie freilich
kann sich mit dieser Beschränkung der Perspektive nicht begnügen, auch wenn
eine selbstkritische, über die Systemtheorie hinausweisende Aufdeckung der
spezifischen Funktion von Religion ganz wesentlich zu ihrem Geschäft gehört.
Sie muss nach der Geltung von Religionen, Normen und Offenbarung(en) fra-
gen; sie muss dafür sogar die Möglichkeit in Kauf nehmen, dass bestimmte
Antworten mit dem Kriterium optimaler Kontingenzbewältigung und gesell-
schaftlicher Funktionalität kollidieren. Es kennzeichnet gerade die Geschichte
des Monotheismus, dass er sich mit kontrafaktischen Erinnerungen und Normen
verbindet, unbequem ist und von daher bereits ein Unbehagen provoziert. Ver-
traute Orientierungen werden zweifelhaft und alte Normen problematisch.
Kommen wir zum Schluss dieses Kapitels: Wenn mit Rahner, wie wir gesehen
haben, Religion die Objektivierung oder auch Übersetzung der transzendentalen
Offenbarung ins innerweltlich Fassbare und Vollziehbare darstellt, ohne dass
diese Offenbarung den innerweltlichen Verhältnissen untergeordnet oder einfach
akkommodiert wird, so können wir Religion theologisch auch als jenen Prozess
verstehen, in dem die Dynamik endlichen Geistes mehr oder weniger gelungen

191
Ebd.: 150.
192
Vgl. ebd.: 159-168.

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zu selbst kommt. Dies gilt nicht exklusiv für die biblische Offenbarungsge-
schichte, sondern auch für die vor- und außerbiblische Religionsgeschichte. Wir
können dies auch im Sinne eines korrelativen Modells der Offenbarung behaup-
ten, insofern hier die Relation zwischen Gott und Mensch sich nicht ausschließ-
lich im ethischen (vernunftgeleitete Moral) und spirituellen (Gebet) Sinne ab-
spielt, sondern auch in vielen anderen Formen der Kultur und des alltäglichen
Lebens, innerhalb derer diese Korrelation sich konkretisiert. Dies alles erinnert
und vorausgesetzt, bleibt aber doch die Frage, weshalb die Selbstmitteilung Got-
tes nur im zeitlich und geographisch engen Raum der Bibel auf eine geglückte
Weise objektiviert wird, während alle anderen Formen defizient bleiben, wenn
auch nicht außerhalb des göttlichen Heilswillens existieren. Verweist man auf
den Beistand des Heiligen Geistes in Israel und der frühen Kirche, so verschiebt
sich das Problem nur: Warum wird der Geist so ‚sparsam‘ und für eine kleine
erwählte ‚Elite‘ ausgegossen? Wir können es auch eingedenk der Kritik
d’Holbachs formulieren: Weshalb unterstützt Gott mit seinem Geist nicht alle
menschlichen Konkretionen seiner Offenbarung, so dass in allen Kulturen und
Regionen der Welt das, was zum Heil notwendig ist, auch explizit gewusst und
nicht nur implizit vollzogen wird? Warum muss es neben dem Christentum noch
andere Religionen geben? Doch schwerlich deswegen, weil in anderen Teilen
der Welt eine angemessene und ‚geglückte‘ Objektivierung der transzendentalen
Selbstmitteilung Gottes unmöglich ist oder sich die kirchliche Verkündigung um
so leuchtender von allen Depravationen abhebt. Versuchen wir eine möglich
Antwort als Frage: Haben vielleicht in anderen Kulturen Menschen erfolgreicher
oder besser Teile oder Aspekte der Offenbarung realisiert als es den mediterra-
nen, mittel- und nordeuropäischen? Ist in den biblischen Traditionen die Offen-
barung zwar definitiv in ihrem zentralen Gehalt konkretisiert, nicht aber in ihrer
möglichen Fülle, in der sie doch zu allen Menschen kommen soll? Dann wäre es
möglicherweise verfehlt, in den anderen Religion und ihren Kulturen nur eine
depravierte oder nur bedingt gelungene Objektivierung der Offenbarung zu se-

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hen. Wenn, wie das Zweite Vatikanum in Nostra aetate Nr. 2 festhält, die Kir-
che nichts von dem verwirft, „was in diesen Religionen heilig ist“ sowie deren
„Gebote und Lehren …einen Strahl jener Wahrheit wiedergeben, die alle Men-
schen erleuchtet“193, so ist es nicht unangemessen, mit Jacques Dupuis von „co-
members and co-builders of the Reign of God“ zu sprechen194. Die Diskussion
dieser These einschließlich der Frage, wie Dupuis zugleich die christozentrische
Perspektive bewahren möchte, bleibt dem vierten Kapitel vorbehalten. Zunächst
ist die Situation der Religion(en) in der späten Moderne in mehreren Schritten
genauer zu untersuchen, denn sie bildet den historisch-gesellschaftlichen Zu-
sammenhang einer Theologie der Religionen, wie sie seit der zweiten Hälfte des
20. Jahrhunderts entwickelt wurde. Von der Erfahrung einer den Sprachen ana-
logen Pluralität, die im Zeitalter der Globalisierung auch deutlicher ins Bewusst-
seins tritt, über das belastende Erbe des europäischen Kolonialismus bis hin zu
den unterschiedlichen Formen einer verfehlten Antwort auf die Moderne, wie
sie Flucht in die Wellness-Religionen (soft religion) einerseits und die funda-
mentalistischen Entwicklungen (strong religion) andererseits darstellen.

193
NA 2,2; siehe auch Dupuis 2011: 162-165 mit weiteren lehramtlichen Belegen.
194
Dupuis 2011: 344-346, hier: 344.

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Kapitel 3
3. Religion(en) in der späten Moderne:
historische, soziologische und politische Aspekte

P. Brueghel: Der Turm von Babel

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84

a) „After Babel“: Das Ende kultureller Homogenität und das Problem


der ‘Übersetzung’ Die folgenden Überlegungen stehen unter einer Überschrift,
die der deutsch-amerikanische Kulturtheoretiker und Literaturwissenschaftler
George Steiner für eines seiner berühmtesten Bücher gewählt hat: After Babel /
Nach Babel. Was nun für Steiner primär auf Sprache bezogen ist, soll hier auf
die Religionen ausgedehnt werden, insofern sie Versprachlichung und soziale
Objektivierung der Offenbarung sind. Die Formen, in denen Welt sich uns dar-
stellt, sind wesentlich sprachlicher Art, was zugleich bedeutet, dass es ‘nach Ba-
bel’ sehr unterschiedliche sprachliche Welten gibt. Bevor wir diesen Gedanken
weiter verfolgen, muss noch auf eine wichtige Bedeutung der Sprache(n) hin-
gewiesen werden, die Steiner mit gleichem Nachdruck herausarbeitet:
„Durch das wundersame … Vermögen der Grammatiken ist es möglich, den Tatsachen zu
widersprechen und ‚Wenn‘-Sätze sowie vor allem Formen des Futurums zu bilden, die
die menschliche Spezies dazu befähigen, zu hoffen und weit über das Ende des Individu-
ums hinauszureichen. Wir dauern fort, wir dauern schöpferisch fort dank unserer gebiete-
rischen Fähigkeit ‚nein‘ zur Wirklichkeit zu sagen, Fiktionen des anderen, der Erträum-
ten, des Erwünschten und des Erwarteten zu konstruieren, um unser Bewußtsein darin
heimisch zu machen. In genau diesem Sinne sind das Utopische und das Messianische
syntaktische Figuren.“195

Wir haben es also mit einer Form der menschlichen Selbsttranszendenz zu tun,
die bei Blondel oder Rahner eher vernachlässigt wurde, während es doch die
Sprache ist, die
 erstens eine Form des sozialen Raums bildet,
 zweitens die Möglichkeit einer Negation der vorgegebenen Möglichkeit
auch logisch und grammatisch eröffnet und

195
Steiner 1994: VIIf.

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 drittens eine utopische, ja Steiner scheut sich nicht zu sagen: messianische


Dimension besitzt, insofern das Futurum zur grammatische Struktur der
Sprache(n) – wie auch immer konstruiert – gehört. „Ich bin sicher“,
schreibt Steiner, „dass nur der Mensch eine Grammatik der Zukünftigkeit
zustande bringen konnte, wie immer die proto- oder metasprachlichen Sig-
nalsysteme anderer Arten beschaffen sein mögen.“196
Die Sprache schließt uns mit der Vergangenheit als Gedächtnisraum einerseits
und mit dem noch Unerfüllten, ja Unerfüllbaren und nicht schon vollständig De-
terminierten der Zukunft zusammen. „Jede menschliche Sprache“, konstatiert
Steiner“, erschließt sich die Welt auf eine andere Weise. ... Jede Sprache – und
es gibt keine ‚kleinen‘ oder geringeren Sprachen – bildet sich einen Satz mögli-
cher Welten und Geographien des Gedächtnisses.“197 Damit stellt jede Sprache
einen Kosmos dar, sie bildet einen „je eigenen ‚Geist‘“ aus198, und verfügt über
einen bestimmten Zugang zur Wirklichkeit, der nicht durch einen anderen er-
setzt werden kann: „Keine zwei Sprachen, keine zwei Dialekte oder lokalen Idi-
ome innerhalb einer Sprache“, schreibt George Steiner, der eine ungewöhnliche
Lesart von Gen 2,19f und 11 vorschlägt, „identifizieren, bezeichnen, beschrei-
ben ihre Welten auf dieselbe Weise.“199 Der Gedanke einer allen Menschen einst
gemeinsamen ‘Ursprache’ (dieser Status wurde dem Hebräischen nicht nur von
Kabbalisten zugesprochen), die in viele unterschiedliche Sprachen gleichsam
auseinanderbrach, ist sprachhistorisch schwerlich zu verifizieren200, zeigt aber
deutlich, dass schon früh die Sprachenvielfalt als Problem empfunden wurde.
„Die Ursprache“ meint der Semiotiker Umberto Eco, „war nicht eine einzige,
sondern die Gesamtheit aller Sprachen.“201 Dem könnte so sein, jedenfalls erge-
ben sich mannigfaltige Symbolisierungen der Wirklichkeit, die zwar nicht
schlechthin inkommensurabel sind, deren jede aber doch eine zunächst eigene

196
Steiner 1994: 175.
197
Ebd.: VIII.
198
Eco 1995: 120.
199
Steiner 2002: 116; vgl. auch ders. 1994, 50ff.
200
Vgl. hierzu auch Eco 1995: 38-46, 84-126,
201
Ebd. 357.

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Welt darstellt. Dies bedeutet negativ: „Der Tod einer Sprache ... ist der Tod ei-
ner Welt.“202 ‘Babel’, die Vielfalt der Sprachen, steht nach Steiner nicht für ei-
nen Verlust, sondern für einen Gewinn an Wirklichkeit. „Weit davon entfernt,
ein Fluch zu sein, stellte das über die menschliche Spezies ausgeschüttete Füll-
horn verschiedener Sprachen einen Segen ohne Ende dar.“203
Ist aber bei dieser Fülle des Segens noch eine Verständigung zwischen den
Sprachwelten möglich? Nun steht Babel nicht nur für deren Trennung, sondern
auch für die Vermittlung, Erhaltung und Verbreitung dieser Welten in der Über-
setzung; sie „ist der Sauerstoff begrenzter Sprachgemeinschaften und vernach-
lässigter Traditionen“. Sie lebt von der Supposition eines sprachlichen Sinns, der
im fremdsprachigen Text analysierend erschlossen und in die „angestammte
Sprache“ zurücktransportiert wird. Der letzte Akt aber muss die Wiedergutma-
chung sein für das gewaltsame Eindringen in den fremdsprachigen Text, als
welches sich die Analyse darstellt. Der Text bleibt „in einem greifbaren Sinne
reicher, erfüllter zurück als zuvor“. Die Übersetzung entbindet bislang unbe-
kannte oder unbeachtete Potenziale des Textes, kurz: „Was ein wahrhaft inspi-
rierter (sehr seltener) Akt der Übersetzung ist, bietet“, wie Steiner es paradox
formuliert, „etwas Neues, das schon da war.“204
In einem ähnlichen Sinne ließe sich sagen, dass wir religionsphänomenologisch
in einer Situation ‚after Babel’ leben, d.h. in einer Situation, in der uns die Man-
nigfaltigkeit der Religionen und kulturellen Überlieferungen überhaupt in ihrer
ganzen Tragweite bewusst wird205. Sie liegen nicht mehr jenseits einer weitge-
hend in sich geschlossenen Kultur, sondern rücken über ältere Medien wie Pres-
se und Fernsehen, aber auch über Internet und soziale Netzwerke näher, freilich
ohne sich ‚physisch‘ zu berühren. Das ändert sich erst im Zuge großer Migrati-
onsbewegungen vor allem aus politisch und ökonomisch unsicheren Regionen in
die urbanen Räume der wohlhabenden Länder und Wirtschaftsblöcke. Umge-

202
Steiner 2002: 135; vgl. Steiner 1994: VIII.
203
Ebd.: 112.
204
Beide Zitate: Ebd.: 133. zur Deutung und Bedeutung des Übersetzens vgl. auch Eco 1995: 349-355.
205
Vgl. Franziskus I., EG: Nr. 41, 71-75, 117; Waldenfels 2014: 125-129.

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kehrt gibt es ‚Migration‘ vor allem temporär: als Tourismus mit zensiertem
Blick, als Entwicklungshelfer staatlicher Einrichtungen und NGOʼs sowie als
Mitarbeiter international agierender Unternehmen. Diese ‚temporäre Migration‘
geschieht in den überwiegenden Fällen freiwillig und ohne ein größeres ökono-
misches Risiko. Mit im Gepäck auch der unfreiwilligen Migranten sind die kul-
turellen Symbole, Traditionen und Deutungen, die jeweilige Religion einge-
schlossen. Damit entstehen neue Möglichkeiten, oft aber auch Probleme, die
nicht nur solche der Übersetzung sind, sondern ihren Ursprung auch in der man-
gelnden Bereitschaft haben, sich neuem zu öffnen oder – in der aufnehmenden
Gesellschaft – auf das Ideal kulturell-religiöser Homogenität zu verzichten. In
diesem neuen Verhältnis der Kulturen und Religionen zueinander, ein Verhält-
nis, das von den ökonomischen Voraussetzungen niemals getrennt werden kann,
nehmen auch die Religionen intensiver voneinander Kenntnis, begreifen sich
wechselseitig als mögliche Alternativen und sind zugleich genötigt, das Phäno-
men eines religiösen Pluralismus, der in einigen Religionen auf engem Raum
existiert, theologisch zu verarbeiten. Dies geschieht meistes im eigenen religiös-
theologischen Referenzsystem, das aber allmählich einen Transformationspro-
zess durchläuft, der in seinen Auswirkungen und Infragestellungen vertrauter
lebensweltlicher Bezüge durchaus als Krise erfahren werden kann. Im besten
Falle kommt es zu einer veränderten Kodierung des jeweiligen individuellen und
kollektiven religiösen Bewusstseins, im ungünstigen Falle zu massiven Blocka-
den und aus dem Wunsch geborenen Bildern der normativen Anfänge. Für eine
Theologie der Religionen, die für die eigene Religion keine exklusive Heilsrele-
vanz reklamiert, bleibt aber die Bestimmung der Religionen als nachbabyloni-
sche Sprache(n) der Offenbarung bestehen. Sie können in diesem Zusammen-
hang verstanden werden als
 Übersetzung der (ursprünglichen) Selbstoffenbarung Gottes in den endlichen Raum der
Geschichte;
 als endliche und kulturabhängige Symbolisierung des Unendlichen in Kult, heiligen
Texten und Institutionen;
 als ihrerseits wechselseitig übersetzungsbedürftige Symbolwelten.

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Natürlich bedeutet dies – analog zur Sprache206 – nicht, dass einst eine Einheits-
religion, etwa ein Urmonotheismus, geherrscht habe, die später sich auflöste,
sondern dass wir mit den modernen Nachrichten- und Verkehrstechniken all-
mählich ein Bewusstsein davon gewonnen haben, dass die okzidentale Kultur
und Religion nur eine unter vielen ist. In jüngster Zeit zerbricht auch das Mono-
pol, welches das Christentum im europäischen und anglo-amerikanischen Kon-
text für sich lange Zeit beanspruchte: Es wird als ein religiöser Geltungsan-
spruch neben anderen wahrgenommen, und dabei tritt es mehr und mehr in
Konkurrenz etwa zu Hinduismus und Buddhismus. Letzterer erfreut sich im ur-
banen Umfeld wachsenden Interesses und gilt bei vielen Zeitgenossen als ‚und-
ogmatisch’, tolerant und historisch weniger belastet.
Auch hier ergibt sich sowohl für die Inkulturation des Christentums außerhalb
Europas und Nordamerikas als auch für die multireligiöse Situation in den einst
christlich geprägten Gesellschaften die Frage der Übersetzung. Die optimisti-
sche Perspektive wäre im Sinne Steiners das ‚Neue, das schon da war’207, die
pessimistische hingegen eine Beschädigung der religiösen ‚Texte‘, die auf unter-
schiedliche Weise erfolgen kann: als vorschnelle Neutralisierung des Wider-
ständigen, als vorschnelle Identifikation des Fremden mit schon Bekanntem und
Eigenem, d.h. als falsche Aneignung oder auch als politische Instrumentalisie-
rung, wenn nämlich soziale Konflikte und politische Enttäuschungen religiös
symbolisiert werden. Die Rückkehr zu teilweise problematisch gewordenen reli-
giösen Traditionen wird als Lösung für nahezu alle Probleme ausgegeben, wobei
nicht nur die Traditionen eng interpretiert werden, sondern die gesamte Religion
gleichsam neu konstruiert wird. An bestimmten fundamentalistischen Tenden-
zen des Islam, aber nicht nur an ihm, lässt sich dies derzeit beobachten. Aziz Al-
Azmeh spricht von einer „phantasmagorischen, unbefleckten Wirklichkeit, die
vor der verkommenen Gegenwart bestanden habe“, und „zur Grundlage eines

206
Es ist wohl kaum Zufall, dass die vergleichende Religionswissenschaft sich fast parallel zur vergleichenden
Sprachwissenschaft entwickelte und – wie einer der Pioniere beider Disziplinen, Max Müller – auf die Er-
gebnisse der Sprachwissenschaft rekurriert; vgl. Müller 1882: 8-13.
207
Steiner 2002: 133.

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politischen und sozialen Programms“ werde208; ein Problem das uns später noch
beschäftigen wird.
Auf das Ende der kulturellen Homogenität kann aber auch mit einer ‚Waren-
haus-Mentalität‘ reagiert werden, die sich aus allen Religionen, Traditionen und
Kulturen eine individuelle Mélange herstellt. Die Bedürfnisse des Einzelnen, als
wären sie nicht ihrerseits sozial und historisch vermittelt, werden zum unhinter-
fragbaren Kriterium erhoben. Es geht nicht mehr um Übersetzung der diversen
religiösen Symbolisierungen, Sprachen und Kontexte, sondern um Instrumenta-
lisierung: als Fitmacher und Freizeitspaß. Originäre und kontextabhängige Be-
deutungen spielen hierbei keine Rolle. Diese soft religion wird uns an anderer
Stelle noch näher interessieren. In einer kurzen Zwischenüberlegung soll an die
kolonialistischen Erblasten ebenso wie diejenigen des Kalten Kriegs erinnert
werden, denn eben diese beeinflussen bis heute hohem Maße das Verhältnis der
Religionen, Kulturen und Gesellschaften zueinander.

b) Kolonialistische Erblasten und Globalisierung Es wäre eine Illusion


zu glauben, die Verbindung und der Kontakt der unterschiedlichen Kulturen und
Religionen habe sich durchgehend über friedlichen Austausch von Waren voll-
zogen. Machtstreben, Eroberung, Plünderung und Zerstörung gehören faktisch
zu den interkulturellen ‚Kontakten‘ und sind fester Bestandteil der kollektiven
Gedächtnisse – wenn auch bei Tätern und Opfern auf unterschiedliche Weise.
Während für das christlich geprägte Europa das Jahr 1492 vor allem mit der
‚Entdeckung‘ Amerikas durch Kolumbus verbunden ist, blieb für seine jüdi-
schen Bewohner die Vertreibung aus Spanien im Gedächtnis und für die Ein-
wohner des frisch entdeckten Kontinents der Beginn kriegerischer Auseinander-
setzungen und eine langen Geschichte der Ausbeutung und Zwangschristianisie-
rung. So wurde oft nicht übersetzt, sondern das Fremde und Andere ausgelöscht
oder neutralisiert, einverleibt und zum Objekt der Exploitation degradiert. In den
wirtschaftlichen Verbindungen Europas zum arabischen Kulturkreis spielte im

208
Al-Azmeh 1996: 24 / Al Azmeh 2009: 8.

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Zuge der Kolonisierung, Unterwerfung und Aufteilung Afrikas der Sklavenhan-


del eine nicht unbedeutende Rolle. Die Herabwürdigung anderer Kulturen und
Religionen zu bloßem ‚Heidentum‘ gab die Bewohner frei nicht nur zur Mission
(die meist auf eine Europäisierung hinauslief), sondern für die Interessen der
neuen Herren, die sich souverän die Bodenschätze, der Anbauflächen und der
menschlichen Arbeitskraft bedienten. Die Herrschaftsansprüche der europäi-
schen Mächte stießen durchaus auf Widerstand, der brutal gebrochen wurde und
eine Verschärfung der Sanktionen und eine Intensivierung der Unterwerfungs-
praxis zur Folge hatte209. Aber trotz der militärischen Erfolge sowie des fortge-
schrittenen ökonomischen, technischen und administrativen Stands blieben
durchaus Zweifel zumindest an der moralischen Überlegenheit der europäischen
Kultur, die der Dominikaner und Bischof von Chiapas, Bartolomé de Las Casas
(1474-1566), schon 1552 in seinem Bericht über die Verwüstung der Westindi-
schen Länder formulierte. Las Casas schilderte ausführlich die Raubzüge der
Spanier, die ganze Landstriche entvölkerten. „Seit vierzig Jahren haben sie unter
ihnen [den Einwohnern der Insel Hispaniola, R.B.] nichts anderes getan, und
noch bis auf den heutigen Tag tun sie nichts anders, als daß sie dieselben zerflei-
schen, erwürgen, peinigen, martern und foltern, und sie durch tausenderlei selt-
samer Qualen … auf die grausamste Art vertilgen.“210 Es ist weniger der Glau-
benseifer als die Gewinnsucht, wie Las Casas konstatiert, der dieses unmensch-
liche Verhalten entspringt; Kultur und Barbarei, dies lässt sich seinen Darstel-
lungen entnehmen, liegen oft eng beieinander und bringen sich wechselseitig
hervor. „Die einzige und wahre Grundursache, warum die Christen eine so un-
geheure Menge schuldloser Menschen ermordeten und zugrunde richteten, war
bloß diese, daß sie ihr Gold in ihre Gewalt zu bekommen suchten.“211 Die Infer-
iorisierung der Bewohner erleichterte ihre Ausbeutung und Vernichtung. „Unter
der kolonialen Herrschaft“, schreibt Hans Magnus Enzensberger in seinem

209
Vgl. hierzu etwa Las Casas 1966: 11-13. In welchem Maße auch die Erforschung anderer Ethnien und Kul-
turen in enger Verbindung mit deren Eroberung und Plünderung stand, zeigte Burke 2014: 33-40.
210
Las Casas 1966: 7.
211
Ebd.: 9.

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Nachwort treffend, „wird der Satz, nicht der Mörder, sondern der Ermordete sei
schuldig, zur herrschenden Maxime. Der ‚Eingeborene‘ ist von vornherein ein
potentieller Verbrecher, der in Schach gehalten werden muß, ein Hochverräter,
der die staatliche Ordnung bedroht“, und zwar noch bevor er irgendwelchen Wi-
derstand leistet212. Man weiß zu gut, dass die Praxis der Unterjochung und Ex-
ploitation Widerstand provozieren wird. Gewiss lebten die Bewohner der kolo-
nialisierten Kontinente und Regionen nicht in traumhaften Gesellschaften; sie
waren nicht die besseren Menschen voller Unschuld und Friedfertigkeit. Die
Ausführungen von Las Casas vermitteln zuweilen einen solchen Eindruck, wenn
er sie beschreibt als „folgsam, äußerst treu, … demütig, geduldig, friedliebend
und ruhig“213. Indessen wird daraus schwerlich ein prinzipieller Einwand gegen
den Kurzgefaßten Bericht, denn keineswegs müssen Menschen alle diese idealen
Eigenschaften besitzen, um anerkannt und nicht ausgebeutet und ermordet zu
werden. Die enge Verbindung von Mission, Eroberung und Exploitation hat das
Ansehen des Christentums in vielen Teilen der Welt geschmälert und provozier-
te in Gesellschaften wie China oder Japan auf staatlicher Seite heftige Abwehr.
Seit dem 19. Jahrhundert besetzten die europäischen Großmächte auch die
früheren Machtpositionen multiethnischer Großgebilde wie sich am Schicksal
des zerfallenden Osmanischen Reiches zeigt, dessen Provinzen, die heute den
Irak, Syrien, Israel, Palästina, Jordanien, Ägypten und Teile des Maghreb um-
fassten, sich England und Frankreich aufteilten. Im Zuge des Kalten Krieges
wurden auch nach dem Ende der großen Kolonialimperien die neu entstandenen
Staaten in Mittel- und Lateinamerika, Südostasien, Afrika und im Nahen Osten,
deren Grenzen oft ohne Rücksicht auf ethnische Zusammensetzung mit dem Li-
neal auf der Landkarte gezogen wurden, Objekt geostrategischer Interessen der
beiden rivalisierenden Supermächte Sowjetunion und USA mit ihren jeweiligen
Verbündeten. Dabei standen nicht Demokratisierung und Entwicklung im Zent-
rum, sondern die Ausdehnung der jeweiligen Einflusssphären in der Dritten

212
Enzensberger in Las Casas 1966: 146.
213
Las Casas 1966: 5.

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Welt. Diktaturen wurden eingerichtet, unterstützt, legitimiert oder – je nach poli-


tischem Kalkül – bekämpft. An die Stelle der christlichen Mission traten die
Verbreitung und Verteidigung der Demokratie resp. des Sozialismus ohne Rück-
sicht auf die Geschichte, die Kultur und die Traditionen des jeweiligen Landes.
Demokratie und Menschrechte entsprangen meist nicht – wie in Europa und den
USA – einem endogenen Prozess, sondern waren ‚Importwaren‘, die nur wohl-
dosiert und zuweilen auch gar nicht zu jenen kamen, die von ihnen hätten profi-
tieren sollen. Befreiungsbewegungen in vielen Teilen der Dritten Welt und die
lateinamerikanische Theologie der Befreiung versuchten, jenseits des strategi-
schen Kalküls der Supermächte eigene Entwicklungsprogramme, die Freiheit
und soziale Gerechtigkeit gleichermaßen berücksichtigen, zu realisieren, sich
sowohl vom Joch politisch-wirtschaftlicher Abhängigkeit als auch von den halb-
feudalen Verhältnissen im eigenen Land zu befreien; Themen, die unter dem
Stichwort der Evangelisierung auch theologisch rezipiert und von Papst Fran-
ziskus aufgegriffen wurden214. Die verschiedenen Befreiungsbewegungen ope-
rierten freilich nicht außerhalb der komplexen politischen und wirtschaftlichen
Konstellationen, wie sie dem Kalten Krieg und einer halbherzigen Entkoloniali-
sierung entsprangen, zumal sie auf finanzielle und logistische Unterstützung an-
gewiesen waren. Mochte sich die Sowjetunion als großzügiger Förderer dieser
Bewegungen präsentieren, so waren es auch hier primär geostrategische Erwä-
gungen, welche die Politik bestimmten, so dass manche Konflikte künstlich ver-
längert und verschärft wurden, während jene Regierungen, welche die alten ab-
lösten oft weder Wohlstand noch Demokratie realisierten. Die Folgen des Kalten
Krieges, der wohl etwas vorschnell für beendet erklärt wurde, sind auch nach
dem Zerfall der Sowjetunion bis heute deutlich zu spüren und wirken sich auf
die aktuellen sozialen, politischen, ökonomischen und religiösen Auseinander-
setzungen aus, die sich auf den Territorien der ehemaligen Kolonien und Ein-
flusssphären Europas abspielen.

214
Vgl. etwa Gutièrrez 1992: 141-151; ferner Papst Franziskus, EG: Nr. 52-75, dazu erläuternd Waldenfels
2014: 131-138.

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Dem eurozentrischen Verständnis steht heute nicht selten die Berufung auf die
eigenen Wurzeln entgegen, wobei leicht übersehen wird, dass auch die außereu-
ropäischen Kulturen keineswegs unschuldig dastehen. Das osmanische Reich
war wie seine Vorgänger, das Byzantinische und das Römische Imperium, das
Ergebnis von Eroberungen und forcierter Expansion. Die Kulturen der Maya
und Azteken kannten gesellschaftliche Hierarchien und Kriege, und auch die
ostasiatischen Kulturen waren, bevor sie Objekte europäischer Expansionsstra-
tegien wurden, keineswegs Horte des Friedens und der Gerechtigkeit. Dieser
Befund rechtfertigt selbstverständlich nicht den europäischen Imperialismus,
aber es wäre historisch naiv, hier idealisierte Gegenbilder zu Europa und den
Vereinigten Staaten konstruieren zu wollen. Heute sind alle Kontinente längst
Teil eines Prozesses nicht nur ökonomischer, sondern, in ihrem Zuge, auch kul-
tureller Globalisierung geworden, der nicht mehr rückgängig gemacht werden
kann, wohl aber vernünftigen Zielen unterworfen werden muss, wenn nicht
abermals menschlich Gesetztes zum Schicksal verklärt werden soll215. Globali-
sierung ist ja nicht nur negativ zu sehen: sie bedeutet das Ende eines Provinzia-
lismus, eine Erweiterung des Horizonts und stellt die technischen Mittel bereit,
den Reichtum gleichmäßiger zu verteilen. Je stärker aber die ökonomischen
Kräfte des Globalisierungsprozesses den Menschen äußerlich und dunkel blei-
ben, je mehr sie demokratischer Steuerung sich entziehen, desto größer die Ge-
fahr einer weltweit wachsenden Ungleichheit zwischen den Kontinenten und
innerhalb der Gesellschaften einerseits und einer rückwärtsgewandten, ohn-
mächtigen Rebellion gegen diesen Prozess andererseits. Verschärfend kommt
noch hinzu, dass im Prozess der vor allem ökonomisch vorangetrieben Globali-
sierung die Kulturen und Religionen zwar enger verbunden werden, sie aber ei-
ner fortschreitenden Kolonialisierung instrumenteller Vernunft ausgesetzt sind,
die wenig Rücksicht auf Selbstverständnisse, Differenzierungen und nicht zu-
letzt den Eigensinn der kulturell-religiösen Texte nimmt. An die Stelle der Inter-

215
Zum Globalisierungsprozess vgl. ausführlich Ozankom 2012, 125-198.

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textualität und der komplizierten Übersetzungsarbeit tritt die Dekontextualisie-


rung. Sie entfernt Religionen oder einzelne Versatzstücke aus ihrem ursprüngli-
chen Zusammenhang und wirft sie als Konsumartikel auf den Markt vor allem
westlicher Konsumenten von ‚Lebenssinn‘. Dieser Prozess bleibt natürlich nicht
unbemerkt, und umso energischer werden die religiösen und kulturellen Überlie-
ferungen gerade gegen diese neue Form des ‚Imperialismus‘ verteidigt, selbst
um den Preis einer kulturalistischen Engführung und einer gefährlichen Essenti-
alisierung kultureller Differenzen: aus dem Eigensinn wird Starrsinn, historisch
Gewordenes verhärtet sich zum unwandelbaren Wesen216. Insbesondere funda-
mentalistische Bewegungen nehmen solche kulturalistischen Essentialisierungen
vor und deklarieren sie zum antiimperialistischen Widerstand Eine Theologie
der Religionen entfaltet sich nicht jenseits solcher Konfliktfelder in einem apoli-
tischen, geschichtlich neutralen Raum, sie muss sich vielmehr Rechenschaft ab-
legen über die historischen Lasten und Interessen, die aktuellen Verwerfungen.

c) Soft Religion: das narzisstische Ich im religiösen Warenhaus Mit ih-


rer oben angedeuteten Dekontextualisierung teilen die Religionen in der Moder-
ne das Schicksal ihrer Anhänger, die sich nicht minder in unterschiedlichen Rol-
len und Funktionen wiederfinden, die schwerlich noch eine Kontinuität der Per-
son zulassen. Olivier Roy sieht in der „Deterritorialisierung und Dekulturati-
on“217 religiöser Überlieferungen und ihre Auslieferung an den Markt218 eine
Ursache primär des modernen Fundamentalismus (strong religion); sie sind aber
ebenso die Basis für den Fundamentalismus in seiner lächelnden Variante, der
soft religion. Fragen der Geltung, des Sinns, der inneren Kohärenz und Wahrheit
jenseits eines funktionalen Zusammenhangs kommen gar nicht erst auf oder
werden als autoritäre Einmischung in die eigenen religiösen Angelegenheiten
abgewiesen. Die Ablehnung institutionalisierter Autorität und aller von traditio-

216
Vgl. Al-Azmeh 2009: 17-39.
217
Roy 2010: 25-30; vgl. zu diesem und dem folgenden Unterkapitel das Skript Religiöser Nihilismus. Funda-
mentalismus in den monotheistischen Religionen, WS 2012/13, überarbeitet WS 2014/15 (Homepage Univer-
sität Bonn, Katholisch-Theologische Fakultät, Fundamentaltheologisches Seminar).
218
Vgl. Roy 2010: 221-256.

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nellen Autoritäten vorgetragenen Geltungsansprüchen verbindet die Soft Religi-


on mit der Aufklärung – und scheidet sie zugleich von ihr. Während Aufklärung
den Widerspruch zwischen prätendierter Autorität und kategorischer Behaup-
tung einerseits und argumentativer Einlösung dieses Anspruchs andererseits zum
Gegenstand der Kritik machte, liegen argumentative Vermittlungen des Glau-
bens gänzlich außerhalb der soft religion. Im Zentrum stehen Befindlichkeiten,
nicht aber der Glaube, moralische Urteile oder gar ein Gott, der möglicherweise
das Handeln der Menschen nicht uneingeschränkt billigt. Dem way of life
kommt zwar zentrale Bedeutung zu, aber er ist ganz zurückgeworfen auf das
Subjekt, das in seinem Mittelpunkt steht und doch schon seine Selbstvermark-
tung verinnerlicht hat: Die scheinbar selbstgewählte Lebensform ist der verin-
nerlichte Warencharakter des Ich, die Originalität, welche der Umwelt sugge-
riert wird, nur Schein.
Hier rächt sich der neuzeitliche Rückzug der Religion auf den reinen Glauben
und die Innerlichkeit des Individuums, das ungestört bleiben möchte mit sich
und seinem Gott (sofern es seiner noch bedarf). Die Verbindlichkeit, welche
einmal die sozialen Bezüge der Religion und ihre Verankerung in der Gesell-
schaft garantierten, soll nun durch einen freien Akt des Subjekts kompensiert
werden. Die Verabsolutierung des Entscheidungsbegriffs seit Kierkegaard, seine
Verankerung jenseits des Arguments, führt bei aller Dramatik und Emphase des
Aktes zu einer Beliebigkeit des Gegenstandes und der qualitativen Bestimmung
des Resultats. Die soft religion kann daran anknüpfen, wenngleich sie Dramatik
und Ernst der Entscheidung stark abschwächte, die dem Wellness-Interesse eher
entgegensteht. Was von Kierkegaard bis zur Dialektischen Theologie mit höchs-
ter theologischer Dignität versehen wurde, der etwas plakativ inszenierte Ring-
kampf des Individuums mit seinen Zweifeln und schließlich seine Unterwerfung
unter das Gericht Gottes, erhält nun den Charme eines netten Bummels durch
die Angebote der Weltreligionen. Als solche lassen sie sich, ansprechend ver-
packt, kaufen und konsumieren; auch Religion wurde Teil der universalen Kul-

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turindustrie, die, wie Theodor W. Adorno konstatierte, „das Profitmotiv blank


auf die geistigen Gebilde“ überträgt219. In der von Max Horkheimer und Theo-
dor Adorno gemeinsam verfassten Dialektik der Aufklärung fällt der Begriff
‚Kulturindustrie‘ zum ersten Mal220. Dass Kunst, Literatur, Musik den Charakter
einer Ware annehmen, ist nichts Neues; Künstler suchten stets Auftraggeber, um
physisch zu überleben. In der Kulturindustrie ist der Blick auf den angezielten
Absatz jedoch konstitutiv für die Entstehung der Werke selbst, die sich auf Gü-
ter des mittleren und gehobenen Konsums reduzieren. Mochten einst religiöse
Vorgaben, moralische Tabus und nicht zuletzt die Launen der Mäzene die künst-
lerische Freiheit bedrohen oder real einschränken, so wird in der Kulturindustrie
die ästhetische Freiheit zugunsten der Absetzbarkeit gar nicht erst angestrebt.
Ein ähnliches Schicksal ereilt auch die Religion, die übergeht in Sinnindustrie.
Ihre Gehalte werden unabhängig von ihrem einst oder jetzt erhobenen Anspruch
auf Geltung so aufbereitet, dass ihrem Konsum kaum Hindernisse entgegenste-
hen. Dies gilt nicht bloß für die Anbieter synthetischen Lebenssinns, sondern
auch für Konsumenten, die eine Gegenleistung erwarten für ihr Geld oder auch
nur den emotionalen Aufwand, den sie erbringen. Yoga & Meditation, Jesus &
Buddha, Astrologie & Mandala, Sufismus & Kabbala, Metempsychose & leib-
hafte Spiritualität, Liebe & Alleinheit fungieren für sich oder in beliebiger
Kombination als marktgängige Gebrauchsartikel der Wellnesskultur. Religion
ist die Etappe inmitten des bellum omnium contra omnes, damit aber auch Teil
des Krieges und nicht diesem jenseitig. Kosmische Harmonien sollen schließlich
über die irdischen Antagonismen, deren gesellschaftlicher Ursprung kaum noch
reflektiert wird, hinweghelfen. Die Frage, ob diese religiösen und mystischen
Versatzstücke in sich plausibel oder noch miteinander kompatibel sind, tritt bei
Anbietern und Konsumenten zugunsten der Verwertbarkeit zurück. Das tangiert
auch den Gehalt religiöser Traditionen: Während etwa die Wiedergeburt in den
asiatischen Religionen und in der Kabbala keineswegs positiv besetzt ist, er-

219
Adorno GS 10:: 338; Buchholz 1996; ders. 2009:125-135.
220
Vgl. Horkheimer / Adorno , Dialektik der Aufklärung = Adorno GS 3: 141-191.

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scheint im Westen der Zirkel von Geburt, Tod und Wiedergeburt als weitere
Chance zur Optimierung. Was einmal gegen die „verwilderte Selbsterhaltung“221
gerichtet war, wird nun von ihr vereinnahmt und in sein Gegenteil verkehrt.
Freilich gilt, was Max Horkheimer zur Selbsterhaltung des Individuums schon
1947 schrieb: „Das Thema dieser Zeit ist Selbstbehauptung, während es gar kein
Selbst zu erhalten gibt.“222
Zugleich verschwinden die kritischen Potenziale nicht nur der biblischen Religi-
onen, während die verbleibenden Restbestände der palliativen Therapie des
spätmodernen Subjekts dienen. Die Rede von Transzendenz verdeckt, dass in
Wahrheit nichts überschritten wird. Das Nomen ‚Transzendenz‘ verweist auf
einen Akt des Überschreitens. Schon die unbefangenen theologische Rede von
‚der‘ Transzendenz hat das vergessen und verdinglicht, was einmal als Akt ge-
dacht war. Als Warenzeichen der Sinnindustrie ist sie Teil des schicksalhaften
Zusammenhangs der Welt und fungiert als Öl im Getriebe. Die Verschleifung
religiöser Unterschiede und Geltungsansprüche, die Unfähigkeit, sich rational
mit ihnen auseinanderzusetzen, kennzeichnet eine von kulturindustriellen Stan-
dards geprägte Religiosität entscheidend. Sie lebt weniger von bestimmten reli-
giösen Merkmalen als vielmehr von der religiösen Aura, die einmal jene Sphäre
bezeichnete, in der Gott und Mensch in eine Beziehung zueinander traten. Aura-
tisch aufgeladen waren nicht nur Haine, Altäre und Tempel, sondern auch die
Abbilder der Götter. Da das Abbild leicht an die Stelle des Abgebildeten treten
kann, entstand in den monotheistischen Religionen nicht nur das mehrfach ein-
geschärfte Verbot, Kultbilder anzufertigen, sondern auch ein ambivalentes Ver-
hältnis zur Aura. Sie geht spätestens nach der Zerstörung des Tempels auf den
Text der Thora über, der aber, weil er „nicht im Himmel“ ist, sondern den Men-
schen nah (Dtn 30,12), ihrer Deutung überantwortet wird. In der Moderne
emanzipiert sich die Kunst von ihren Anfängen in Fetisch und Kultbild, indem

221
Adorno GS 6: 285.
222
Horkheimer GS 6:136.

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sie das auratische Moment und mit ihm den ästhetischen Schein sowohl festhält
als auch – durch das Einbekenntnis des ‚Gemachten’ – zerstört223.
Vor dergleichen Überlegungen werden die Religionskonsumenten sorgfältig ab-
geschirmt; sie sollen nicht überfordert, sondern mit der verlangten Ware belie-
fert werden. In der kulturindustriellen Zurichtung der Religion ist Aura Kult oh-
ne Gott, Offenbarung ohne Offenbarer und Geoffenbartes, die Rückkehr zu ei-
nem Verständnis des Heiligen, von dem man im Grunde weiß, dass seine Stunde
längst geschlagen hat; „Fetischismus ist Glaube wider besseres Wissen“224.
Nicht mehr besitzt der Fetisch eine Aura wie in früheren Jahrtausenden, sondern
die Aura wird zum Fetisch, den man anbetet. Die Aura ist gleichsam das Geld
kulturindustrieller Religion, insofern sie von aller Konkretion abstrahiert, so
dass die Religionen oder einzelne Elemente einander konvertibel sind. Dies
wiederum ist die Bedingung dafür, dass auf dem Markt der Religionen ein An-
gebot im Wortsinne sich rechnet. Die Spur entschwindender Transzendenz wird
verdinglicht und in kleinen Portionen an die Fans verkauft, während sie ganz
entspannt im Hier und Jetzt mit dem gesellschaftlichen Kosmos verschmelzen,
als dessen ephemerer Teil sie sich ohnehin erfahren. Von der zerfallenden Aura
zehren auch die charismatischen Führer, die ihre sinnstiftenden Konzerne eben-
so souverän regieren wie ihre Jünger. Diese praktizieren die Unterwerfung als
Erfolgs- und Überlebensstrategie im beruflichen Alltag, hier aber erhält sie ihre
religiöse Weihe und höhere Bestimmung. Entgegen dem eigenen Anspruch ent-
fernt sich kulturindustrielle Religiosität nicht einen Augenblick von der gesell-
schaftlichen Rationalität, sondern reproduziert sie in allen ihren Erscheinungen.
Sie ratifiziert den Weltlauf mit seinen Zwängen und Ungerechtigkeiten oder
verabschiedet sich spirituell von ihm. So ist sichergestellt, dass die bedrängte
Kreatur nicht zu laut seufzt und die verordnete gute Laune gefährdet.
Im großen Warenhaus der Sinnindustrie ist für viele und vieles Platz, nur nicht
für den Zweifel. Dessen Ausschluss verbindet sie mit ihrem scheinbaren Gegen-

223
Vgl. Adorno GS 7: 408f, 460f; Buchholz 1996; 2009: 131-135.
224
Türcke 2003: 159.

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teil, der ‚strong religion‘. In der Tendenz, „sich gegen den erreichten Stand
menschlichen Bewusstseins, also gegen besseres Wissen und gegen die eigenen
Zweifel zu immunisieren“225, berühren sich die Extreme. Der ausgeprägte antiin-
tellektuelle Habitus beider Phänomene gründet in der Furcht, die bunte Vielfalt
des einen und die mühsam errungene Gewissheit des anderen könnten sich im
Laufe der Reflexion als Schein erweisen. Abwehr kennzeichnet darum das Ver-
hältnis zur Rationalität als kritische Instanz. Was sich als höheres oder erweiter-
tes Bewusstsein ausgibt – der Rückzug entweder auf Gefühl und Anschauung
oder auf unerhellte Autorität – ist, in Wahrheit Zeichen einer Regression.
Fundamentalistisch sind auf ihre Weise beide Richtungen, denn Fundamenta-
lismus ist das Bestreben, als grundlegend angesehene, aber nicht evidente Gel-
tungsansprüche oder bestimmte identitätsstiftende Praktiken dem Zweifel und
der rationalen Argumentation prinzipiell zu entziehen (s.u.). Auch die Anhänger
der soft religion weisen Fragen nach vernünftigen Gründen als dem Gegenstand
unangemessen energisch von sich, und was als ‚soft‘ daherkommt, erweist sich
dem, der den Zweifel offen ausspricht, rasch als strong. Das Subjekt ist nicht Ort
der Erkenntnis, sondern der bornierten Selbstbezüglichkeit; mystische Erlebnis-
se und religiöse Anschauungen, so abstrus sie sein mögen, sind Besitzstände, an
die sich das regredierende Individuum verzweifelt klammert und die zu hinter-
fragen an Frevel grenzt. Buntheit und Toleranz haben ihre Grenzen, wo die ver-
anstaltete religiöse Ergriffenheit und die erlösende Funktion kulturindustrieller
Religion bezweifelt werden. So wenden sich nicht wenige Zeitgenossen lieber
dem scheinbar Eindeutigen und Klaren zu, wo sie – wenn auch um den Preis des
eigenen Vernunftgebrauchs – nicht nur eine ganze ‚Weltanschauung‘ frei Haus
erhalten, sondern dazu noch ein Kollektiv als Familienersatz.

d) Strong religion: der Fundamentalismus und die erfundene Tradition


Vielleicht leben wir zu Beginn des 21. Jahrhunderts in einer fundamentalisti-
schen Ära, von der ungewiss ist, wie lange sie dauern wird, welche Folgen sie

225
Türcke 2003: 53.

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für viele Regionen und Bevölkerungen zeitigt und nicht zuletzt welche Konse-
quenzen sich für das künftige Image der Religion(en) ergeben. Der Fundamenta-
lismus226 ist heute mit einigem Grund bei vielen Zeitgenossen übel beleumdet,
während zu Beginn seiner ‚Karriere‘ das Wort Fundamentalist keineswegs ne-
gative Konnotationen hatte. Anfang des 20. Jahrhunderts bezeichnete sich so
stolz eine Gruppe von Protestanten in den USA, die mit Sorge ein säkulares Be-
wusstsein in der Gesellschaft auf dem Vormarsch und das Christentum in der
Defensive sahen227. Von 1910 bis 1915 erschienen 4 Bände eines von Reuben
Archer Torrey und Clarence Dixon edierten und von einem kalifornischen Öl-
milliardär gesponserten Werkes mit dem Titel The Fundamentals. A Testimony
tot he Truth. Die Absicht dieses zwölfbändigen Werkes war nichts geringeres als
die Verteidigung der Grundlagen des christlichen Glaubens und der göttlichen
Mission Amerikas gegen vielfache moderne Gefährdungen, die bis heute zum
Bedrohungsszenario des Fundamentalismus gehören228:

1. Eine dezidiert säkulare Gesellschaft, wie sie sich zunehmend in West- und Mit-
teleuropa sowie in den Vereinigten Staaten herausbildete, ist nicht nur gekennzeichnet
durch eine institutionelle, sondern ebenso durch eine weltanschauliche Trennung von
Staat und (christlichen) Religionsgemeinschaften. Das Christentum verliert damit das
gesellschaftliche Deutungsmonopol und sieht sich ‚Konkurrenzprojekten‘ ausgesetzt,
die aus staatlicher Sicht prinzipiell gleichberechtigt sind. Fundamentalistische Bewe-
gungen reagieren darauf mit einer exklusivistischen Sicht auf die übrigen Religionen
und sind bestrebt, zumindest die einstige kulturelle Vorrangstellung der eigenen Reli-
gion zu restaurieren.
2 Die historisch-kritische Erforschung der Heiligen Schrift seit Baruch Spinoza
erwies die Vorstellung einer wörtlichen Schriftinspiration als unannehmbar. Spinozas
theologisch-politischer Traktat schränkte zudem Umfang und Gewissheit religiöser
Geltungsansprüche strikt ein und relativierte damit den bislang dominanten Status des
Christentums zugunsten einer religiös toleranten Gesellschaft. Gewissheit vermitteln
weder Schrift noch Tradition, sondern rationale Verfahren, die sich auf evidente Prin-
zipien gründen und auf äußeren Zwang verzichten können. Entsprechend ist jeder Au-
toritätsanspruchs zurückzuweisen, der rational nicht hinreichend ausgewiesen werden
kann. Die fundamentalistische Reaktion besteht in einer – zuweilen scharfsinnigen –
Zurückweisung des universalen Leitungsansprungs der Vernunft, die als schwache,

226
Vgl. auch Ozankom 2012: 157-171.
227
Vgl. Hoff 2001: 339-351; 2007: 94f.
228
Vgl. Türcke 2003: 15-25.

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durch die Sünde verderbte Instanz mit dieser Aufgabe überfordert ist und sich selbst-
herrlich aufspreizt, ja sich zur obersten Instanz gegenüber Bibel, Koran oder Lehramt
aufwirft. Im Konfliktfall entscheidet der durch die von Gott unmittelbar inspirierte Au-
torität recht geleitete Glaube229.
3 Die fortschreitende Kritik unerhellter Autorität in Staat, Gemeinde und
Familie ebenso wie die funktionale Legitimierung von Herrschaft in der Moderne
drängen traditionale Herrschaftstypen zurück. Weder politische noch religiöse Autorität
kann damit länger ungeprüft Geltung beanspruchen. Fundamentalistische Gruppen rea-
gieren darauf durch die starke Betonung der – oft charismatisch begründeten – Lei-
tungsvollmacht230 und angeblich von Gott gewollten paternalistischen Strukturen in
Familie und Gesellschaft mit klar definierten Rollen und Kompetenzen231.
4 Darwins Theorie der biologischen Evolution, die mit einem wörtlichen Ver-
ständnis der biblischen Schöpfungserzählungen unvereinbar ist, fordert auch eine teleo-
logische Sicht heraus, die im Menschen den Kulminationspunkt und Endzweck der
Schöpfung erblickt. Die Erinnerung an die tierische Basis der menschlichen Spezies
wird zu einer schweren ‚Kränkung‘, auf welche vor allem der protestantische Funda-
mentalismus mit energischer Abwehr reagiert.
5 Der psychoanalytische Ansatz Freuds zeigte, dass das ‚Ich‘ nicht Herr im eige-
nen Hause ist, sondern auf ein somatisches Substrat verwiesen bleibt, das tief in die
psychische Struktur hineinreicht. Die zentrale Rolle, die er dem Sexualtrieb und der mit
ihm zusammenhängen psychischen Dynamik zuwies, musste ein Denken provozieren,
welches in der Sexualität das Einfallstor der Sünde erblickte, die folglich, wenn schon
nicht abzutöten, doch wenigstens zu unterdrücken ist. Zudem steht die Psychoanalyse
im Verdacht, einer permissiven Gesellschaft zuzuarbeiten und die moralischen Grund-
lagen des Sozialen zu untergraben.

Gegen diese moderne Infragestellung der christlichen Leitkultur galt es sich zu


wappnen, zumal der raffinierte Gegner eine geradezu verführerische Macht vor
allem auf die junge Generation auszuüben schien. Schwerlich ließ sich überse-
hen, dass die Erosion der religiösen Überlieferung auch ihre befreienden Aspek-
te hatte. Der protestantische Fundamentalismus, wie er in den USA zu Beginn
des 20. Jahrhunderts Konturen annahm, glaubte die religiöse Krise der Moderne
nur bewältigen zu können, wenn eine Reihe christlicher Lehren von jedem
Zweifel ausgeschlossen wurden. Dazu gehört an erster Stelle die Irrtumslosig-
keit und wörtliche Inspiration der Schrift. Während vormoderne Deutungen die-
se Sicht grundsätzlich teilen, kennen sie eine weitaus größere Vielfalt an Inter-
229
Vgl. Werbick 1996: 142-150.
230
Vgl. Almond et al. 2003: 142-144.
231
Vgl. Ruthven 2007: 59-80.

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pretationsmöglichkeiten. Es ist keineswegs vermessen zu behaupten, dass die


Vielzahl der möglichen Deutungen das Modell der Verbalinspiration tendenziell
unterläuft. Anders ist hier die fundamentalistische Position: Die Bibel ist sowohl
die gegen alle Anfechtungen zu verteidigende wörtliche Offenbarung Gottes als
auch oberste Instanz im Feldzug gegen die Moderne (und den eigenen Zweifel),
der Eindeutigkeit und klare Orientierung verlangt. Aufwendige Differenzierun-
gen sind fehl am Platze, wenn es darauf ankommt die Feinde abzuwehren, die zu
endzeitlichen Bedrohungen anwachsen, die der bald wiederkehrende Christus
definitiv besiegen wird. Angesichts alternativer Deutungen zum Christentum gilt
also die klare Unterscheidung der Geister. Man scheut auch ein Kulturkampfs-
zenario nicht, denn das Ende liegt in nicht allzu weiter Ferne. Evangelisierung,
d.h. Mission in großem Maßstab ist das Gebot der Stunde, damit wenigstens ei-
nige gerettet werden können, nicht nur unter der wachsenden Zahl von Agnosti-
kern, sondern auch unter den Anhängern anderer Religionen und Konfessionen.
Fast zeitgleich mit der Ausbildung des protestantischen Fundamentalismus
sind in der katholischen Kirche integralistische Tendenzen festzustellen, die
trotz mancher Reserven auch lehramtliche Entscheidungen und Maßnahmen be-
einflussten232. So standen der Syllabus Pius IX. und das I. Vatikanische Konzil
standen im Zeichen einer Abwehr der Moderne. Nachdrücklich distanzierte sich
das Lehramt vom Modell einer partizipatorischen, egalitären Gesellschaftsord-
nung (sei sie liberal oder sozialistisch konzipiert) und von der in vielen europäi-
schen Staaten des 19. Jahrhunderts umgesetzten Forderung nach Religionsfrei-
heit. Abgewehrt wurde die verfassungsrechtlich verankerte Trennung von Reli-
gion und Staat und auf wissenschaftlichem Gebiet die Anwendung moderner
Methoden der Geschichtswissenschaft auf Bibel und Dogmengeschichte. Deren
Ablehnung hielt bis 1943 katholische Exegeten von einer ernsthaften wissen-
schaftlichen Erforschung der Schrift ab. Offensichtlich wurde in der Methodik
der Geschichtswissenschaft eine größere Bedrohung des überlieferten Glaubens

232
Vgl. Coleman in Kaplan 1992: 84.

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gesehen als in der Evolutionsbiologie Darwins, schien sie doch die Autorität von
Schrift, Tradition und Lehramt zu relativieren. So war die Antwort der päpstli-
chen Bibelkommission auf die Frage, ob die Zweiquellenhypothese bei der exe-
getischen Arbeit am Neuen Testament zulässig sei, ein klares „Nein“233. Der
Blick auf die Entstehung der Kirche, ihrer Strukturen und Lehren mit den Mit-
teln moderner historischer Forschung wurde geradezu als Angriff auf die Sub-
stanz des Katholizismus gewertet, zumal sie die Bestrebungen einer kirchlichen
Uniformierung unter Leitung des Bischofs von Rom234 zu unterminieren drohte.
Entsprechend unnachgiebig war die Haltung gegenüber jenen Theologen, die
eine Annäherung an die moderne Bibelwissenschaft und Dogmengeschichte ver-
suchten. Was man im Rückblick als eine bestimmte Richtung des Reformkatho-
lizismus bezeichnen könnte, erhielt damals das abwertende Etikett Modernis-
mus. Das Dekret Lamentabili vom 3. Juli 1907235 und die Verurteilung verschie-
dener von Pius X in seiner Enzyklika Pascendi (8. September 1907) als ‚moder-
nistisch‘ bezeichneter Ansichten236 bildeten einen ersten Höhepunkt im Streit
um den so genannten Modernismus. Dem Rundumschlag der Enzyklika – die
Verurteilung reichte von den methodischen Voraussetzungen historisch-kriti-
scher Exegese237 über den Inspirationsbegriff238 bis zu prima facie irrationalisti-
schen Fundierungen von Religion und Offenbarung239 – konnte nur eine strikt
am neuscholastischen Paradigma orientierte Theologie entkommen; auch vor-
sichtige Experimente waren gefährlich. Die strikte Ablehnung der historisch-
kritischen Erforschung der Schrift ging, wo Pascendi noch Zweifel oder Lücken
gelassen haben mochte, aus den zwischen 1908-1914 erteilten Antworten der
Bibelkommission klar hervor240, deren Autorität zu beachten 1907 mit dem

233
Vgl. DH 3578.
234
Vgl. Roy 2010: 287.
235
Vgl. DH 3401-3466.
236
Vgl. DH 3475-3500; Neuner 2009: 91-112.
237
DH 3494ff.
238
DH 3490f.
239
DH 3477f.
240
Vgl. DH 3505ff.

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Motu Proprio Praestantia Scripturae nachdrücklich angemahnt wurde241. Nicht


alles, was lehramtlich abgelehnt wurde, stellte gegenüber der Neuscholastik ei-
nen theologischen Fortschritt dar (gerade der antirationalistische Affekt vieler
‚Modernisten‘ war durchaus problematisch), aber eine offene Diskussion der
Argumente, die von der verurteilten Theologie vorgetragen wurden, war damit
nahezu unmöglich.
Gleichwohl regredierte die katholische Kirche nicht insgesamt auf den Stand
einer fundamentalistischen Gemeinschaft; spätestens nach 1918 setzten sich Re-
formkräfte zäh und geduldig gegen manchen Widerstand durch und schufen eine
Theologie, die das Konzil vorbereitete. Völlig überraschend war diese Entwick-
lung nicht, denn trotz des tiefen Misstrauens gegen Moderne und Reform hielt
das I. Vatikanische Konzil an der Notwendigkeit einer rationalen Vermittlung
des Glaubens fest – auch wenn man damals überzeugt war, in der Scholastik,
vor allem in der Synthese des Thomas von Aquin, sei alles Notwendige im
Grunde gesagt und die Philosophie der Neuzeit eher ein fortschreitender Abfall
von diesem Höhepunkt. Auch hier wies die weitere Forschungsarbeit den Weg
zu einem differenzierteren Bild von Mittelalter und Neuzeit. Die katholische
Exegese holte, nachdem sie am aktuellen Diskurs der Bibelwissenschaft partizi-
pieren konnte, den Forschungsstand rasch auf arbeitet heute zusammen mit
evangelischen und jüdischen Wissenschaftlern an ambitionierten Projekten. Es
war aber wohl von Anfang an illusionär, dass alle Gruppen der Kirche den kon-
ziliaren Reformprozess nach 1965 unterstützten. Was noch wenige Jahrzehnte
mit Vehemenz verfochten wurde, konnte aus der Sicht traditionalistischer Kreise
nicht plötzlich falsch werden. Kollegialität statt strikter Hierarchie, Gewissens-
und Religionsfreiheit, Hinwendung der Kirche zur Welt: Waren diese Neuerun-
gen nicht mit Recht als häretisch verurteilt worden? Nun aber fanden sich derar-
tige Ansichten auch noch in den Dokumenten eines Konzils, das nicht etwa die
Versammlung einiger Schismatiker war, sondern vom Papst selbst einberufen

241
DH 3503.

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wurde. Erzbischof Marcel Lefebvre und seinen Anhängern erschien dies als Ab-
fall vom wahren kirchlichen Auftrag, und Lefebvre formulierte Mitte der siebzi-
ger Jahre seine Anklage gegen das Konzil und die von ihm angestoßenen Re-
formen242. „Da diese Reform, warnt Lefebvre, „vom Liberalismus und vom Mo-
dernismus ausgeht, ist sie völlig vergiftet. Sie stammt aus der Häresie und führt
zur Häresie.“243 Man wird sich fragen, wie angesichts dessen eine Integration
der Piusbruderschaft in die nachkonziliare Kirche möglich sein soll. Die zumin-
dest eingeschränkte Anerkennung anderer Religionen, die positive Würdigung
einer demokratischen Gesellschaftsordnung, die Akzeptanz autonomer ‚Kultur-
sachbereiche‘ und der Abschied vom christlichen Europa – dies alles ist mit dem
Gesellschaftsmodell des vor- und nachkonziliaren Integralismus unvereinbar:
„Der Fundamentalist steht für eine totale Religion, für eine Gesellschaft als tota-
le religiöse Institution. Er ist damit nicht einfach ein Konservativer, sondern ein
erklärter Gegner der Moderne.“244 Indessen beschränken sich die tiefen Reser-
ven gegenüber dem jüngsten Konzil und den Entwicklungen in Europa nicht nur
auf die Mitglieder der zum Bruch bereiten Priesterbruderschaft Sankt Pius X,
die sich mit Bedacht nach dem ‚Antimodernismus-Papst‘ benennt. Die Furcht
vor einer relativistischen Verflüchtigung des Christentums in den pluralistischen
Gesellschaften und eines völligen Verlustes der lehramtlichen Autorität treibt
auch manche Amtsträger um und motivierte vielleicht die Aufhebung der Ex-
kommunikation von vier Bischöfen der Bruderschaft Pius X. am 21. Januar
2009. Sie löste innerhalb wie außerhalb der katholischen Kirche Irritationen und
heftige Kontroversen aus, zumal ihr in keiner Weise eine Anerkennung der Be-
schlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils und des nachkonziliaren Reform-
prozesses durch die Piusbruderschaft vorausgegangen oder erkennbar war. (vgl.
http://www.vatican.va/roman_curia/congregations/cbishops/documents/rc_con_
cbishops_doc_20090121_remissione-scomunica_ge.html)245.

242
Vgl. Lefebvre 2009; Almond et al. 2003: 25f.
243
Lefebvre 1992: 166.
244
Ebertz 2009: 138.
245
Letzter Zugriff: 03/11/2015; Neuner 2009: 175-184.
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Ebenso heftig wie im evangelischen und katholischen Christentum verläuft für


Judentum und Islam der Prozess einer bewussten Neusituierung der eigenen
Gemeinschaft in der Moderne. Der Streit zwischen Orthodoxie und Reformju-
dentum im 19. Jahrhundert hatte thematisch manche Parallele zu entsprechenden
innerchristlichen Debatten. Die Anwendung der historisch-kritischen Methode
auf die fundierenden Texte und Traditionen, der Abschied von einem instrukti-
onstheoretischen Offenbarungsmodell und die Reform der Liturgie provozierte
emotionale Reaktionen, zumal die Halakha mehr noch als bestimmte Lehrinhalte
eine zentrale Funktion für die jüdische Identität hatte und bis heute hat. Das
Spektrum der Gegenbewegung reicht von einer für die uneingeschränkte Parti-
zipation an der bürgerlichen Gesellschaft durchaus offenen und (in Grenzen)
entwicklungsfähigen Neoorthodoxie eines Samson Raphael Hirsch bis zu Ge-
meinschaften, die sich selbst von ihrer jüdischen Umwelt isolieren, um ein Ju-
dentum zu leben, von sie glauben, dass es bereits in biblischer Zeit exakt so
praktiziert wurde. Die ultra-orthodoxen Haredim wiederum sind überzeugt, dass
das vormoderne osteuropäische Judentum der authentische Ausdruck des Juden-
tums schlechthin sei246. In einigen Vierteln New Yorks, vor allem aber in Israel
birgt diese Fixierung auf angebliche jüdische ‚Fundamentals‘, die absolute Au-
torität genießen, erhebliches Konfliktpotenzial, zumal anders denkenden Juden
ihr Judentum abgesprochen wird und Deutungshoheiten beansprucht werden, die
selbst von Orthodoxen nicht akzeptiert werden. Weil die eigene Auffassung der
Halakha nicht vom jüdischen Umfeld geteilt wird, lebt man sowohl in New
York als auch in Israel in Galus bei Yidn247. Der Staat Israel ist in den Augen
vieler ultraorthodoxer Gruppen eine menschliche Anmaßung, bleibt es doch dem
Messias vorbehalten, die Diaspora zu beenden und einen jüdischen Staat zu
gründen. Dem entspricht eine strikt antizionistische Haltung, zumal der Zionis-
mus sich als durchaus säkular verstand. Der strikten Abgrenzung gegen die sä-
kulare Welt entspricht eine strenge Kontrolle des alltäglichen Lebens nach in-

246
Vgl. Menachem Friedman in Kaplan 1992: 164; Almond et al. 2003: 60.
247
Vgl. Almond et al. 2003: 23f.

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nen. Gemeinsam ist auch diesen fundamentalistischen Gruppen die Konstruktion


einer idealisierten normativen Vergangenheit, von der sich die Mehrheit des
heutigen Judentums zum Schaden der Gemeinschaft entfernt habe.
Von diesen ultraorthodoxen Richtungen unterscheiden sich die nationalreligiö-
sen Gruppen deutlich, die zu den längerfristigen Folgen des Sechstagekrieges
(1967) gehören. Der Sieg Israels über die arabischen Gegner gestattete eine Be-
setzung des im UNO-Teilungsbeschluss der arabischen Seite zugesprochenen
Territoriums des einstigen britischen Mandatsgebietes. Was aus Sicht der säku-
laren israelischen Regierung zeitlich befristet war und den Sicherheitsinteressen
diente, wurde bei einigen Gruppen in einer prekären Verbindung von Nationa-
lismus und religiösem Fundamentalismus – wie im „Gush Emunim“ („Block der
Gläubigen“ oder „Getreuen“) – geradezu messianisch aufgeladen248. Der auf
wunderbare Weise gewonnene Sechstagekrieg führte die Gruppe, „headed by
Rabbi Kook the Younger“ über ihre bescheidenen Anfänge weit hinaus 249. Die
Gründung des Staates (1948) bezeichnet nach deren Deutung nur den ersten
Kulminationspunkt eines Erlösungsgeschehens, das mit der Besiedlung Palästi-
nas ab den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts einsetzte, und sich bis heute
fortsetzt in der jüdischen Besiedlung des gesamten Territoriums, das in der Bibel
den zwölf Stämmen zugesprochen wurde. Die fundamentalistische Lesart des im
biblischen Text keineswegs eindeutigen Grenzverlaufs birgt ein hohes außen-
wie innenpolitisches Konfliktpotenzial. An die Stelle der militärischen Besat-
zung tritt die Besiedlung und Annexion des Westjordanlandes, und jeder territo-
riale Kompromiss mit der arabischen Seite stellt aus Sicht des nationalreligiösen
Fundamentalismus einen Verrat dar. Zur Militanz tendierte auch die von Meїr
Kahane (1932-1990) bis zu seinem gewaltsamen Ende ideologisch geleitete Be-
wegung Kach (so!). Ihre Anfänge liegen in den USA wo Kahane die Jewish De-
fense Leage gründete, eine gegen antijüdische Aktionen gerichtete paramilitäri-
sche Organisation. Nach Kahanes Alija entwickelte sich mit Kach eine radikale

248
Vgl. Almond et. al. 2003: 160f.
249
Ebd.: 161.

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Bewegung, die ihre ethnozentrische, ja rassistisch gefärbte Ideologie durch eine


fundamentalistische Auslegung von Bibel und Halakha zu stützen versucht. Zum
Programm gehört auch die Exklusion der arabischen Bevölkerung – „first exclu-
sion from Jewish neighborhoods and business, and later, from the Land of Israel
alltogether“250. Für einen jüdischen säkularen und demokratischen Staat bilden
diese militanten Gruppen eine ernste Gefahr, wie nicht nur die zahlreichen An-
schläge auf Palästinenser, sondern auch die Ermordung des israelischen Minis-
terpräsidenten Yitzchak Rabin am 4. November 1995 zeigen.
Der Fundamentalismus im Islam teilt mit den christlichen und jüdischen Formen
die Tendenz zu einer eindeutigen Interpretation der (wörtlich geoffenbarten)
fundierenden Texte, die eine ganze Tradition unterschiedlicher oder gegenläufi-
ger Deutungen (und Lebensformen) ausschließt. Dabei gilt schon für den Koran,
dass er „nicht monophon angelegt ist, sondern polyphon: Aus ihm sprechen vie-
le Stimmen.“251 Die Offenbarung als Wort Gottes beschränkt sich auch nicht auf
den Koran, es „erschöpft sich nicht in einem Buch“252. Die konkrete Gestalt des
Koran verdankt sich menschlicher Bearbeitung, und so spricht der Text nicht mit
einer Stimme253. Der seit den frühesten Anfängen des Islam sich entwickelnde
Pluralismus der Tradition wird im Fundamentalismus jedoch enggeführt auf eine
bestimmte Deutung, die hinreichend Sicherheit gibt und für den Kampf gegen
die Moderne oder bestimmte Aspekte der Moderne besonders geeignet zu sein
scheint. Diese Eindeutigkeit und Homogenität wird projiziert in eine normative
goldene Vergangenheit, die nach Möglichkeit wieder hergestellt werden soll254.
Deren Verlust soll bedingt sein durch falsche innerislamische Entwicklungen,
vor allem aber durch das Ende seiner kulturellen und politischen Vorrangstel-
lung. Traumatisch wirkte sich der zunehmende Machtverlust des osmanischen
Reiches seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts aus. Sie wurde, worauf

250
Almond et.al. 2003: 162.
251
Abu Zaid/Sezgin 2008: 65.
252
Ebd.: 69, unter Hinweis auf Sure 31,27 und 18,109.
253
Vgl. ebd.: 77, 206.
254
Vgl. ebd.: 211f.

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Bernard Lewis mit Recht hinweist, „im Jahre 1798 handgreiflich demonstriert,
als ein französisches Expeditionskorps unter dem Oberbefehl eines jungen Ge-
nerals namens Napoleon Bonaparte Ägypten eroberte, besetzte und regierte. Die
Lektion war bitter und unmissverständlich: schon eine kleine europäische
Streitmacht genügte, um ungestraft in Kerngebiete der islamischen Sphäre ein-
zufallen.“255 Dieser Befund wird m.E. in Edward Saids Studie zum Orientalis-
mus nicht angemessen berücksichtigt. Die unbestrittene Möglichkeit, „dass sich
orientalistische Theorien politisch nutzen lassen“ – also die europäische Kon-
struktion des Orients256 kolonialistischen Interessen zuarbeitet, ändert nichts da-
ran, dass der gesamte Orient technisch, ökonomisch und militärisch gegenüber
dem Westen zurückblieb und zur leichten Beute werden konnte, so dass Kultu-
ren, die sich ihrerseits dem Westen als überlegen einstuften, eine schwere nar-
zisstische Kränkung erlitten.
Von dieser Zeit an bis weit in das 20. Jahrhundert hinein blieben das Osmani-
sche Reich und der Iran Spielbälle der europäischen Großmächte Frankreich,
Großbritannien und Russland. Eine wirksame Gegenmacht auf islamischer Seite
gegen diese Entwicklung gab es nicht, vielmehr zeigte sich, „wie hilflos die
muslimischen Staaten den europäischen Mächten gegenüberstanden“257. Der
arabische wie der türkische Nationalismus führten schließlich dazu, dass aus der
Konkursmasse des Osmanischen Reiches neue selbstständige Staaten – oft mit
einem dezidiert säkularen Régime – entstanden, die schließlich der französi-
schen und britischen Kolonialherrschaft in der Region ein Ende setzten. Mit der
grundlegend veränderten politischen Konstellation nach 1945 gerieten die neu
gegründeten Nationalstaaten jedoch in den Einflussbereich der beiden Konkur-
renten des Kalten Krieges, USA und UdSSR. Nicht nur Lateinamerika und Süd-
ostasien, sondern auch der Maghreb sowie der Nahe und Mittlere Osten gerieten
in das Visier strategischer Interessen der neuen Großmächte. Die Gründung und

255
Lewis 2001: 29; vgl. Ruthven 2007: 24.
256
Said 2012: 117, der eine andere Auffassung vertritt als Bernard Lewis.
257
Lewis 2001: 30f.

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Existenz des Staates Israel 1948 wurde von den arabischen Nachbarn im Kon-
text der imperialistischen Interessen der alten Kolonialmächte und vor allem der
Vereinigten Staaten gedeutet, während man die Möglichkeit, ob ein jüdischer
Staat in der Region jenseits geopolitischer Strategien eine Legitimität haben
könne, nicht ernsthaft erwogen wurde. Die Emanzipation der Juden vom Status
einer Minderheit, die nur eingeschränkt Rechte beanspruchen konnte und unter
einer teils strengeren, teils lockeren Aufsicht stand, wurde als Provokation emp-
funden; besiegelte sie doch den Verlust des einstigen Glanzes, der mit histori-
schem Abstand immer blendender wurde. Der erfolgreich aus Europa in die ara-
bische Welt exportierte Antisemitismus bestimmte bereits die Haltung mancher
arabischer Religionsführer und Politiker seit den ersten Dezennien des 20. Jahr-
hunderts. Dies und die damit verbundene strikte Ablehnung der jüdischen Be-
siedlung Palästinas (die sich nach 1948 im Kampf gegen den jüdischen Staat
fortsetzte) führten nicht nur den Großmufti von Jerusalem, Haj Muhammad
Amim el-Husseini (1893-1974), während des II. Weltkriegs in eine große Nähe
zum NS-Regime – bis hin zur offenen Kollaboration258. So versicherte el-
Husseini in einem Brief vom 27. Oktober 1943 Heinrich Himmler, dass die [!]
Araber und Muslime fest entschlossen seien, „den Kampf gegen die Juden und
ihre Helfershelfer Seite an Seite mit Deutschland und seinen Verbündeten bis
zum endgültigen Siege durchzuführen“259. Dieser Kampf war keineswegs bloß
rhetorischer Art. Schon im August 1929 war es zu schweren Ausschreitungen
gegen die jüdische Bevölkerung in Jerusalem, Safed und Hebron gekommen. El-
Husseini spielte in der „Islamisierung“ des Konflikts zwischen Arabern und Ju-
den in den dreißiger Jahren eine zentrale Rolle260. Zugleich wuchs der Druck auf
die arabische Bevölkerung, sich durch Kleidung und Verhalten deutlich von den
Europäern abzusetzen261. Der Antisemitismus wurde – über die säkularen Re-

258
Vgl. Mallmann / Cüppers 2011: 11-68.
259
el-Husseini in Herzl et. al. 2004: 187.
260
Vgl. Mallmann / Cüppers 2011: 19-21.
261
Vgl. ebd.: 32-38.

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gimes nach dem Ende des britischen Imperiums hinaus – schließlich integraler
Bestandteil des Islamismus.
Im Schatten von forcierter Modernisierung, Kolonialismus, Postkolonialismus
und – nach 1945 – Kaltem Krieg entwickelten sich religiöse Gruppen, die sich
bewusst nicht nur als Alternative zu den meist autoritären säkularen Regierun-
gen vieler arabischer Staaten sahen, sondern auch als Widerstand und Protest
„gegen den Eros des Kapitalismus“262. Eine Überwindung der erlittenen Krän-
kung wurde nicht von einer Modernisierung und Demokratisierung der Gesell-
schaften, sondern von einer Renaissance des Islam erwartet, eines Islam, wie er
in den Anfangen geherrscht haben soll und dem die verlorene ruhmreiche politi-
sche wie kulturelle Überlegenheit über den Westen zu verdanken war. Der Ko-
ran in einer sehr engen Auslegung wurde zur Lösung aller Probleme. Die Etab-
lierung religiös ausgerichteter sozialer Netzwerke wie etwa der 1928 gegründe-
ten Muslimbruderschaft sprach gerade Bevölkerungsgruppen an, die von der
bisherigen Modernisierung kaum profitiert hatten, und Intellektuelle, die auf der
Suche einer klaren Identität waren, durch die man sich vom ‚westlichen Imperia-
lismus‘ abgrenzen konnte. Die Rückgewinnung der Tradition, die regelmäßige
Lektüre und Rezitation des Koran, die Vermeidung des diesseitigen, säkularen
Weges, welcher mit seiner Umwertung aller Werte der heutigen Zivilisation
nichts als Leid brachte, die Mahnung, Kasinos und Alkohol aus dem Weg zu
gehen, den Kontakt mit dezidiert säkularen Zeitgenossen und vor allem verfüh-
rerischen Zeitgenossinnen zu meiden, gehört zu jenen Ratschlagen, die der Be-
gründer der Muslimbruderschaft, Hasan al-Banna (1906-1949) in seinem Brief
an einen muslimischen Studenten erteilt263. Anstatt sich derart ablenken zu las-
sen, hat der wahre Muslim sich dem ständigen Kampf zu widmen, und das
schließt auch die Möglichkeit eines gewaltsamen Endes für die Sache Allahs
ein, wie Al Bannah in seiner Schrift Jihad – a comprehensive view betont. ‚Jihad
bedeutet hier nicht etwa in einem allgemeinen Sinne ‚Anstrengung‘, die jedem

262
Hoff 2007: 97.
263
Vgl. al-Banna 1995: 15f; zu al-Banna vgl. auch Krämer 2005: 296f.

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Gläubigen auferlegt ist, sondern meint ausdrücklich den engeren Sinn eines
‚Zeugnisses‘, das den eignen Tod einschließt. Dem Märtyrer winkt nicht nur das
hohe Ansehen innerhalb der muslimischen Gemeinschaft (ummah), sondern
auch das Glück im Jenseits. So lesen wir in der kleinen Schrift al-Bannas über
den Jihad:
„My brothers! The ummah that knows how to die a noble and honorable death is granted
an exalted life in this world and eternal felicity in the next. Degradation and dishonor are
the results of the love of this world and the fear of death. Therefore prepare for jihad and
be the lovers of death. Life itself shall come searching after you.
My brother, you should know that one day you will face death and this ominous event can
only occur once. If you suffer on this occasion in the way of Allah, it will be to your bene-
fit in this world and your reward in the next.” (Epilog von al-Banna)
(Source: http://www.2muslims.com/directory/Detailed/226270.shtml)264
Die Internet-Version des Textes, welche die Internatioal Muslim Platform bietet,
schickt ein Vorwort voraus, das al-Bannas Hochschätzung des Jihad unter-
streicht und in den Kontext eines umfassenden Bedrohungsszenarios stellt. Wei-
te Teile der Welt und insbesondere die muslimischen Gemeinschaften sind das
Objekt finsterer politischer und ökonomischer Mächte, gegen die zu kämpfen
ruhmreich ist; ein Kampf, der das Selbstopfer einschließt. Die Hoffnung auf eine
Belohnung im Jenseits verbindet sich mit einer für westliche Leser befremdli-
chen Liebe zum Tod; ein Aspekt, der bei heutigen Selbstmordattentätern eine
bedeutende Rolle spielt. Wer einmal diese Sicht teilt, lässt sich weder von einem
hohen Risiko, dass die Aktion misslingt, noch von angedrohten Strafen oder
Rücksichten auf Unschuldige abschrecken.
Die Gleichheit der Geschlechter, die im Vorwort angedeutet wird (Männern und
Frauen sollen ja zum Jihad bereit sein) endet freilich beim Opfer des eigenen
Lebens für Gott. Auf die verführerische Macht jener Frauen, welche die tradierte
oder vom Fundamentalismus als traditionell angesehene Konstruktion des Ge-
schlechterverhältnisses nicht anerkennen, hatte al-Banna schon hingewiesen.
Die sorgfältige Kontrolle der zahlreichen Restriktionen unterworfenen Frauen
und die Naturalisierung bzw. Theologisierung der herrschenden Genderverhält-

264
Letzter Zugriff 11/28/2014.

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nisse – also das, was der französische Soziologe Pierre Bourdieu „die männliche
Soziodizee“ nennt265 – gehört allerdings nicht nur zum islamischen Fundamenta-
lismus, sondern ist einem jeglichen wesentlich. Er profitiert von der bisherigen
„geschichtlichen Enthistorisierungsarbeit“266, und setzt sie fort, was nur gelingt,
wenn das Denken einer scharfen Zensur unterworfen wird und Frauen – unter
Androhung von Sanktionen – lediglich einen limitierten Zugang zu Bildungsein-
richtungen haben. Mit der Fähigkeit, angeblich natürliche oder von Gott begrün-
dete Strukturen als historisch geworden zu durchschauen, verfliegt der Zauber
einer ewigen Ordnung und mit ihr die Evidenz des fundamentalistischen Wahr-
heitsanspruchs. In der spezifischen Codierung des Genderverhältnisse ist der
antimoderne Impetus des Fundamentalismus geradezu verdichtet267.
Indessen ist das Verhältnis der meisten Fundamentalisten zur Moderne keines-
wegs so eindeutig ablehnend, wie man es zunächst annehmen möchte; „we must
also recognize both their ambivalent attitude toward modern science and their
simultaneous selective adoption of its methods.“268 Schon im amerikanischen
Fundamentalismus verbinden sich ein nahezu unerschütterlicher Glaube an die
Segnungen des freien Marktes und des unaufhaltsamen technischen Fortschritts
mit vormodernen religiösen Deutungsmustern. Aber auch der islamische Fun-
damentalismus, der diesen Fortschrittglauben nicht teilt, profitiert von Internet,
Facebook, Twitter, Fersehen und den nach wie vor wichtigen Printmedien. Wer
sich nicht aus der Öffentlichkeit in einen kontemplativen Raum zurückzieht,
sondern bestrebt ist, Anhänger zu gewinnen und die Gesellschaft zu transformie-
ren, ist ebenso auf eine möglichst breite Kommunikation angewiesen und auf
eine moderne Logistik. Zu den Errungenschaften der Moderne, deren sich auch
Fundamentalisten souverän bedienen, gehören die Medien als Mittel der Propa-
ganda. In deren Darstellung bildet der Gegner die tiefschwarze Folie, vor der
sich die eigene Gemeinschaft mit ihren Regeln leuchtend abhebt. Auf die gegne-

265
Bourdieu 2005: 44.
266
Ebd.: 144.
267
Vgl. Ruthven 2007: 59-80.
268
Almond et al. 2003: 11.

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rische Seite gehören Muslime, welche die islamistische Koranauslegung und die
daraus sich ergebende Lebensführung nicht teilen, die Trennung von Religion,
Staat und Gesellschaft befürworten und durchaus am modernen urbanen Leben
partizipieren möchten. Sie sind Opfer von Diffamierungen und nicht selten offe-
ner Gewalt, bilden sie doch gleichsam die ‚fünfte Kolonne‘ des imperialisti-
schen Westens269. Forderungen nach Demokratie, Orientierung an wissenschaft-
lichen Standards, Bildung und Abbau genderspezifischer Ungleichbehandlung
werden als westliche Propaganda diffamiert oder – wie in der Islamischen Re-
publik Iran – nur wohldosiert umgesetzt. Die anti-imperialistische Pointierung
des islamischen Fundamentalismus verlieh diesen Gruppen den Schein eines
legitimen Widerstandes, der sie mit anderen, eher dem linken Spektrum angehö-
renden Befreiungsbewegungen in Lateinamerika, Asien und Afrika in eine Ver-
bindung bringt. In der Tat profitieren viele islamistischen Bewegungen davon,
dass die monotheistischen Religionen ein hohes soziales Ethos entwickelten, das
mit den neoliberalen ‚Reformen‘, wie sie auch vielen Schwellenländern nach-
drücklich empfohlen werden. nicht kompatibel ist. Sowohl der Rückzug des
Staates aus der Wirtschaft (Deregulierung) als auch die rigorose Austeritätspoli-
tik (‚solider Haushalt‘) haben dramatische Auswirkungen für die Unterschicht
und die stets vom sozialen Abstieg bedrohte Mittelschicht. Zusammen mit einer
hohen Korruption – von der politischen Klasse (die sich von der Austeritätsdis-
ziplin ausnimmt) bis hinab zu den unteren Beamten, – sorgen die Verhältnisse
für eine steigende Unzufriedenheit, die sich im so genannten ‚arabischen Früh-
ling‘, dessen Blüten inzwischen verwelkten, entlud. Gut ausgebildete, an einer
demokratischen säkularen Gesellschaft interessierte, im eigenen Land von Ar-
beitslosigkeit bedrohte junge Leute ebenso wie Teile der Unterschichten und
Anhänger islamistischer Heilslehren bildeten eine vorübergehende fragile Koali-
tion gegen die eher säkular orientierten autoritären Regimes. Manches spricht
dafür, dass fundamentalistische zumindest mittelfristig von den Unruhen profi-

269
Vgl. ebd.: 102f.

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tieren; halten sie doch die gedemütigten Unter- und Mittelschichten die einfa-
chen Rezepte bereit. Die Rückkehr zu einem als ‚ursprünglich‘ angesehenen Is-
lam (der historisch so nie existierte270) wird innenpolitisch als Sieg des Volkes
und außenpolitisch als Emanzipation von der Diktatur des globalisierten Mark-
tes und des westlichen Imperialismus dargestellt (so in Artikel 22 der Hamas-
Charta: http://www.mideastweb.org/hamas.htm)271. Die Muslimbruderschaft ebenso
wie Hamas unterhalten Sozialeinrichtungen, mit deren Hilfe die breite Schicht
der Modernisierungsverlierer und Teile der ökonomisch prekären und politisch
schwachen, jedoch ambitionierten Mittelschicht für die eigene Sache gewonnen
werden können. Zugleich halten der militante Antiamerikanismus und der Anti-
semitismus ein willkommenes Feindbild bereit. Dies ist sicher kein ‚linkes‘ Pro-
jekt, sondern, wie die europäische Geschichte zeigt, durchaus Strategie einer
Revolution ‚von rechts‘.
Der kleine Rundgang durch eine bizarre Welt zeigt, dass die präzisere Bestim-
mung dessen, was das Phänomen Fundamentalismus ausmacht, welche sozialen,
religiösen und historischen Ursachen es hat und welche Rolle der Fundamenta-
lismus im psychischen Haushalt seiner Anhänger spielt, keineswegs ein rein
akademisches Thema ist: Vielmehr steht dieser Versuch sowohl im Interesse
einer Selbstverständigung moderner Demokratien als auch reformorientierter
Religionsgemeinschaften. John Coleman schlug eine für weitere Überlegungen
hilfreiche Definition des Fundamentalismus vor, die einige der bislang ange-
sprochenen Merkmale enthält:
„Fundamentalism should not be equated, tout court, with either traditionalism or conserva-
tism, both of which exist in nonfundamentalist forms. Indeed fundamentalism itself is a
modern phenomenon, an aggressive reassertion of elements of traditionalism in the fight
against modernity. For purposes of this essay I will define fundamentalism an innovating
and aggressive form of traditionalism based on a literal and hermeneutically privileged fo-
cus of authority: a book, a set of customs, an interpreting institution such as the papacy or
the Twelve Apostles in Mormonism.”272

270
Vgl. Al-Azmeh 2009: 8.
271
Letzter Zugriff: 01/05/2015.
272
Coleman in Kaplan 1992: 75; Hervorhebung: R.B.

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Die in der Moderne angefochtene religiöse Autorität mit ihrer identitätsstiften-


den Funktion wird jenseits rationaler (Gegen-) Argumente affirmiert. Der gebo-
rene Feind der so mühsam erkämpften Gewissheit ist mithin der Zweifel. Daraus
ergibt sich ein zweiter Definitionsversuch:
Den religiösen und kulturellen Fundamentalismus kennzeichnet wesentlich, dass bestimm-
te Autoritäten (Schriften, Personen, Institutionen, Traditionen) vom Zweifel implizit oder
explizit ausgenommen werden. Ebenso entschieden lehnt man die Rekonstruktion ihrer
historischen Genese, mit der sich die Einsicht in die mögliche Wandelbarkeit verbindet, ab.
Zur Abwehr gehört auch die aggressive Haltung gegenüber Personen und Gruppen, die den
mühsam unterdrückten Zweifel offen aussprechen und mit starken Argumenten stützen.
Autoritätsfixierung und Abwehr gehören zum Habitus des Fundamentalismus.
Dies hat natürlich auch Konsequenzen für eine Theologie der Religionen: So-
weit andere Religionen zur Infragestellung der eigenen Identität oder vielmehr
deren Konstruktion führen oder auch nur die Möglichkeit dazu besteht, be-
schränkt sich die Haltung ihnen gegenüber auf Abwehr. Nur Mitglieder der ei-
genen religiösen Gemeinschaft haben Aussicht auf Heil, während Dissidenten
und Angehörige anderer Religionen entweder vom Heil gänzlich ausgeschlossen
sind oder aber – so die moderatere Position – sich im ‚letzten Augenblick, d.h.
angesichts des göttlichen Gerichtes, noch bekehren, ihrem bisherigen Glauben
abschwören und den früheren Lebenswandel tief bereuen. Keine andere Religion
oder Konfession als einzig die eigene bezeichnet einen Weg zum Heil, keine
andere erfreut sich der göttlichen Zuwendung und Verheißung. Die strong reli-
gion bleibt darum einer exklusivistischen Position verhaftet, die übrigens von
den drei monotheistischen Religionen auch in Antike und Mittelalter keineswegs
durchgehend vertreten wurde. Auch hier ist die Vergangenheit das Resultat einer
von gegenwärtigen Wünschen und Ängsten geleiteten Konstruktion.
Auf katholischer Seite bedurfte es einiger Zeit, bis erstens theologische Modelle
vorlagen, die auf überzeugende Weise die Möglichkeitsbedingung eines Heil
auch der Anderen darzulegen vermochten, und zweitens das Lehramt eine solche
Positionsänderung auch offiziell nachvollzog.

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Kapitel 4
Jenseits des Exklusivismus:
theologische Modelle einer Neubewertung
nichtchristlicher Religionen

Eröffnung des zweiten Vatikanischen Konzils im Petersdom am 11. Oktober 1962 (Foto: AZ)

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a). Die Öffnung des II. Vatikanischen Konzils: ‚Nostra aetate‘ und ‚Lu-
men gentium‘. Die katholische Kirche war, wie wir sahen, keineswegs frei
von fundamentalistischen Versuchungen, auch wenn sie andererseits an der
Notwendigkeit einer rationalen Vermittlung des Glaubens festhielt, die freilich
im 19. Jahrhundert noch an vormodernen Modellen orientiert war und die neu-
zeitlichen Entwicklungen energisch abwehrte. Erst auf dem Zweiten Vatikani-
schen Konzil (1962-1965) begann die überfällige Öffnung zur Moderne auch auf
lehramtlicher Seite, eine Öffnung, die freilich auf bedeutende Vorarbeiten von
Theologen wie Karl Rahner, Henri de Lubac, Hans Urs von Balthasar, Marie-
Dominique Chenu, Yves Congar und Edward Schillebeeckx zurückgreifen
konnte273. Es waren jene Theologen, die beabsichtigten, „to reconnect Catholic
theology with the reality of the faith and with the concrete everyday life“274, ein
Programm, das auf Gaudium et spes vorausweist und die theologischen Grund-
lagen eines solchen Textes detailliert erarbeitete. Allerdings setzte das Konzil,
wie Karl Rahner mit Recht betonte, „den Anfang für den Aggiornamento“, es
war also nur ein „Anfang des Anfangs“275. Bahnbrechend waren die pastorale
Konstitution über die Kirche in der Welt von heute (Gaudium et spes), die Er-
klärung über die Religionsfreiheit (Dignitatis humanae) und – von grundlegen-
der Bedeutung für eine Theologie der Religionen – die Erklärung über das Ver-
hältnis zu den nichtchristlichen Religionen Nostra aetate; die mit 2221 Ja – ge-
gen 88 Nein-Stimmen am 28. Oktober 1965 angenommen und verkündet wurde.
Kardinal Agostino Bea (1881-1968) hatte das Dokument maßgeblich vorange-
trieben. Ursprünglich war es konzipiert als Erklärung über das Verhältnis der

273
Vgl. ausführlich Mettepenningen 2010: 41-138.
274
Ebd.: 37.
275
Rahner 1966: 14.

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Kirche zum Judentum, seine Urfassung von 1962 – von Johannes XXIII. ange-
stoßen – bestand noch aus einem gegen den Antisemitismus gerichteten Text.
Dieses Schema wurde nicht nur wegen des Drucks arabischer Staaten zurückge-
zogen. Auch der Versuch, es in das Schema über den Ökumenismus einzuglie-
dern, scheiterte und so wurde ein neuer Text 1964 erarbeitet, der auch das Ver-
hältnis zu den übrigen nichtchristlichen Religionen zum Gegenstand hat. Dieser
Entwurf wurde im Grundsatz angenommen, auch wenn das Gefälle von NA Nr.
4 zu den übrigen Passagen nicht zu übersehen ist.
Bereits in der Nr. 1 konstatiert Nostra aetate eine Tendenz zur one world („In
unserer Zeit, in der sich das Menschengeschlecht von Tag zu Tag enger eint /
Nostra aetate in qua genus humanum in dies arctius unitur) die ihren Ursprung
und auch ihre Berechtigung in dem einen Gott hat (1,1), dessen Güte und Heils-
ratschlüsse sich auf alle Menschen erstrecken. Alle Religionen sind Antwortver-
suche auf „die ungelösten Rätsel des menschlichen Daseins“, wobei das Konzil
hier noch offen lässt, ob auch die übrigen nichtchristlichen Religionen auf die
Selbstoffenbarung Gottes zurückgehen oder menschliche Produkte sind. Die
Kirche“, heißt es schon deutlicher in Kapitel 2,2, „verwirft nichts von dem ab,
was in diesen Religionen wahr und heilig ist“ und bei aller Differenz zum
Christentum doch „einen Strahl jener Wahrheit erkennen lassen, die alle Men-
schen erleuchtet“. Dieser Satz kann, wie weiter oben schon angedeutet, so aus-
gelegt werden, dass prinzipiell die Möglichkeit einer vorgängigen Offenbarung
Gottes an alle Menschen konzediert wird (wie immer diese genau zu denken ist),
die sich in anderen Religionen – wenn auch in defizienter Form – objektiviert.
Damit ist hier nachdrücklicher als in anderen Dokumenten des Konzils wie etwa
in LG 16 „the existence of authentic values in the religious traditions themsel-
ves“ festgehalten worden276. Die anschließende Mahnung zu „Gespräch und Zu-
sammenarbeit“ mit den Angehörigen anderer Religionen gründet nicht nur im
Bewusstsein der zusammenwachsenden Menschheit bei zu respektierender reli-

276
Dupuis 2005: 164.

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giöser und kultureller Differenzierung, sondern in der Offenbarung Gottes


selbst, die im Christusereignis zwar ihren unüberbietbaren Höhepunkt hat277,
aber auf dieses nicht völlig begrenzt ist278. Auch wenn das Zweite Vatikanische
Konzil mit Paul Knitter als ‚Meilenstein‘ auf dem Weg der katholischen Kirche
zu den nichtchristlichen Religionen bezeichnet werden kann, so bleibt doch die
spezifisch theologische Qualität eben jener Religionen nicht hinreichend be-
stimmt und lässt auch eher restriktive Deutungen zu279. Auch hier bestätigt sich
Rahners Bemerkung, das Konzil sei erst der Anfang des Anfangs, wo mutige
Schritte sich ebenso finden wie Vorsicht und Reserven.
Innerhalb der konkreten Verhältnisbestimmungen zu den einzelnen Religionen
bleiben die Ausführungen zum Islam allzu knapp und summarisch. Sie fallen
merkwürdig unscharf aus, verweisen auf den Glauben an den einzigen Gott,
„den lebendigen und in sich seienden, barmherzigen und allmächtigen, den
Schöpfer des Himmels und der Erde“, die Anerkennung Jesu „zwar nicht als
Gott“, aber als Prophet und die Hochschätzung Marias280, doch fehlt eine tiefere
theologische Durchdringung, was besonders auffällt, wenn man diese Ausfüh-
rungen mit der Nummer 4 vergleicht, welche die Klärung des Verhältnisses der
Kirche zum Judentum beinhaltet. Was Nostra aetate für viele Zeitgenossen zu
einem wegweisenden Text werden ließ, war der Abschied sowohl von der ‚Got-
tesmordbehauptung‘ als auch von der Substitutionstheorie, der gemäß Gott Isra-
el nach seiner Ablehnung und Tötung Jesu verworfen habe und an nun die Kir-
che als das neue Israel an dessen Stelle trat. Die Substitutionstheorie bestimmte
nicht nur die Theologie, sondern auch Katechese und Alltagsreligiosität. Sie war
Teil der christlichen Sozialisation und Identität bis weit in die Moderne hinein.
Mit dieser über viele Jahrhunderte festgehaltenen Sicht brach nun das Konzil:

Erstens betont das Konzil eine allen Differenzen vorausgehende geistliche Verbunden-
heit mit dem Judentum von Abraham her, durch die Schriften des sog. Alten Testa-

277
Vgl. Die Verbum Nr. 4.
278
Vgl. Dupuis 2005: 164.
279
Vgl. Knitter 2010: 75-79; Dupuis 2005: 165-168.
280
Nostra aetate Nr. 3.

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ments und nicht zuletzt durch die Zugehörigkeit Jesu und der ersten Jünger zum jüdi-
schen Volk.
Zweitens verurteilt das Konzil jeglichen Antisemitismus, wie auch immer er sich zu legi-
timieren versucht.
Drittens distanziert es sich von jener Tradition, welche pauschal damalige oder gar heuti-
ge Juden für den Tod Jesu verantwortlich macht.
Viertens betont es gegenüber der Substitutionstheorie die bleibende Erwählung Israels;
ein Punkt, der auch von der Dogmatischen Konstitution Lumen Gentium281 unter Be-
rufung auf Röm 11,28f herausgestellt wurde.

Damit diese Erklärung nicht wirkungslos verhalle, werden Prediger und Kate-
cheten ermahnt, sich vor jedweder Diskriminierung des Judentums, die nunmehr
als Verfälschung des Glaubens gewertet wird, zu hüten. Der Artikel 5 geht über
das christlich-jüdische Verhältnis hinaus und verwirft „jede Diskriminierung
eines Menschen oder jeden Gewaltakt gegen ihn um seiner Rasse oder Farbe,
seines Standes oder seiner Religion willen“; „jeder Theorie oder Praxis“ wird
„das Fundament entzogen, die zwischen Mensch und Mensch, zwischen Volk
und Volk bezüglich der Menschenwürde und der daraus fließenden Rechte einen
Unterschied macht“. Trotz mancher Kompromisse und kurz vor der Abstim-
mung vorgenommener Abschwächungen war für Gerhard Riegner, der für den
Jüdischen Weltkongress als Beobachter am II. Vatikanischen Konzil teilge-
nommen hatte, Nostra aetate ein „wirklicher Anfang, eine beispiellose Erneue-
rung“. Allerdings sind, wie auch Riegner konstatiert und oben bereits angemerkt
wurde, die Abschnitte über die anderen nichtchristlichen Religionen, „dem Text
über die Juden aufgepfropft worden und lassen nicht den gleichen Grad an Re-
flexion und Ausarbeitung erkennen“ 282.
Ein weiterer, für unsere Frage nach einer Theologie der Religionen relevanter
lehramtlicher Text ist die Dogmatische Konstitution über die Kirche, Lumen
Gentium. Der Text vermeidet schon zu Beginn in Nr. 1 eine ekklesiozentrische
Perspektive: Das Licht der Völker (lumen gentium) ist eben nicht die Kirche,
281
Vgl. Lumen gentium Nr. 16.
282
Vgl. Riegner 2001: 383 und 354.

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sondern Christus, während die Kirche „in Christus gleichsam das Sakrament
(veluti sacramentum) bzw. Zeichen und Werkzeug (sigmum et enstrumenten)
für die innigste Vereinigung mit Gott und für die Einheit des ganzen Menschen-
geschlechts ist“. Ausgehend von dieser Christozentrik wendet sich der Text erst
in einem nächsten Schritt der römisch-katholischen Kirche zu, um in der Nr. 15
den Blick auf die übrigen Kirchen und Gemeinschaften zu weiten. Nr. 16.
Schließlich befasst sich mit denjenigen, „die das Evangelium noch nicht emp-
fangen haben“. Sie bilden nicht etwa eine amorphe Masse außerhalb der christli-
chen Gemeinschaft(en), sondern sind auf das Gottesvolk, als welches sich die
Kirche versteht, „auf verschiedene Weise hingeordnet“:

 „In erster Linie jenes Volk, dem der Bund und die Verheißungen gegeben
worden sind und aus dem Christus dem Fleische nach geboren ist (Röm
9,4.5.), dieses seiner Erwählung nach um der Väter willen so teuere
Volk: die Gaben und die Berufung Gottes nämlich sind ohne Reue (Röm
11,28.29).
 Der Heilswille umfaßt aber auch die, welche den Schöpfer anerkennen,
besonders die Muslim, die sich zum Glauben Abrahams bekennen und
mit uns den einen Gott anbeten, den barmherzigen, der die Menschen am
Jüngsten Tag richten wird.
 Aber auch zu den anderen, die in Schatten und Bildern den unbekannten
Gott suchen, auch solchen ist Gott nicht ferne, da er allen Leben und
Atem gibt (Apg 17,25-28) und als Erlöser will, daß alle Menschen geret-
tet werden (1 Tim 2,4). Wer nämlich das Evangelium Christi und seine
Kirche ohne Schuld nicht kennt, Gott aber aus ehrlichem Herzen sucht,
seinen im Anruf des Gewissens erkannten Willen unter dem Einfluß der
Gnade in der Tat zu erfüllen trachtet, kann das ewigen Heil erlangen.“
 Die göttliche Vorsehung verweigert auch denen das zum Heil Notwendi-
ge nicht, die ohne Schuld noch nicht zur ausdrücklichen Anerkennung
Gottes gekommen sind, jedoch, nicht ohne die göttliche Gnade, ein rech-

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tes Leben zu führen sich bemühen. Was sich nämlich an Gutem und
Wahrem bei ihnen findet, wird von der Kirche als Vorbereitung für die
Frohbotschaft und als Gabe dessen geschätzt, der jeden Menschen er-
leuchtet, damit er schließlich das Leben habe.“

Man könnte ein Modell konzentrischer Kreise entwerfen, in dessen Zentrum


Christus steht, um den herum in unterschiedlicher Entfernung die übrigen Reli-
gionen gruppiert sind. Nicht vergessen werden auch jene, die keiner Religion
zugeordnet werden können oder dies ausdrücklich ablehnen, wohl aber „nicht
ohne die göttliche Gnade, ein rechtes Leben zu führen sich bemühen“, wie es im
Text heißt. Damit erstreckt sich die Gnade Gottes weit über die Grenzen der ka-
tholischen Kirche, ja des Christentums hinaus. Der Text bestätigt auf seine Wei-
se den universalen Heilswillen Gottes.

In der Mitte stehen Christus und


seine Kirche als Gottesvolk; da-
rum gruppieren sich

1. Kreis: Juden
2. Kreis: Muslime
3. Kreis: andere Religionen
4. Kreis: Nichtgläubige
(Atheisten, Agnostiker,
‚Menschen guten Willens’)

Die Perspektive, die Lumen gentium 16 einnimmt ist weder innerhalb der christ-
lichen Theologie, noch (was kaum überraschen dürfte) außerhalb des christli-
chen Kontextes unumstritten. So wichtig der Abschied von einer simplen Ekkle-
siozentrik auch ist, so trifft der Text schwerlich das Selbstverständnis nicht-
christlicher Gesprächspartner. Tatsächlich ist er auch eher zu lesen als eine in-
nerkirchliche Verständigung mit Ziel, die irreversible Zusage Gottes an alle
Menschen, d.h. über die sichtbaren Grenzen der römisch-katholischen Kirche

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hinaus, lehramtlich festzuhalten. Wie genau dies zu denken ist, bleibt allerdings
dunkel; es ist diese Unschärfe der Argumentation auf die Rahner in seinen Aus-
führungen zum anonymen oder impliziten Christentum hinweist und die er mit
seiner Theorie des übernatürlichen Existentials schon früher grundgelegt hatte.
Für heutige TheologInnen – jedenfalls außerhalb fundamentalistischer Strö-
mungen – sind diese Lehren des Konzils mehr oder weniger selbstverständlich,
für die damaligen Zeitgenossen bedeutete es eine sehr weitgehende Neuerung,
die zugleich weitere Perspektiven eröffnete. Man wird diesen zunächst zögerli-
chen und gegen zähe Widerstände erkämpften Abschied von einer antijüdischen
Theologie nur im Zusammenhang einer Neupositionierung der katholischen Kir-
che in der Moderne verstehen können. Die Reserven auch des römischen Lehr-
amtes gegenüber der ‘bürgerlichen Verbesserung’, d.h. der Emanzipation der
Juden im Laufe des 19. Jahrhunderts, die Pflege oder gar Revitalisierung alter
Vorurteile und die bedenkliche Toleranz gegenüber antisemitischen Tendenzen
waren Teil einer Abwehr der philosophischen, politischen und ökonomischen
Entwicklungen seit der Frühen Neuzeit und verstärkt seit der Französischen Re-
volution. Dieser ‘antimoderne Habitus’ verlor erst im Umfeld des II. Vatika-
nums seine die kirchliche Lehre und Diplomatie prägende Kraft, und es bleibt zu
hoffen, dass im Zuge einer Annäherung des Vatikans an die traditionalistische
Priesterbruderschaft St. Pius X, die gerade die Erklärung zu den nichtchristli-
chen Religionen, zur Religionsfreiheit und nicht zuletzt zum Verhältnis von ka-
tholischer Kirche und Moderne, wie sie programmatischen in Gaudium es spes
formuliert wurde, vehement ablehnt, diese Errungenschaften nicht zur Dispositi-
on gestellt werden. Trotz der deutlichen Absicht Papst Franziskusʼ, die auf dem
Konzil begonnene Arbeit des Aggiornamento fortzuführen und zu verhindern,
dass der Anfang des Anfangs auch schon das Ende war, so bleiben immer noch
massive Widerstände nicht nur in fundamentalistischen Kreisen zu überwinden
und schwierige theologischen Fragen zu lösen.

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b) Viele Religionen, aber nur ein Heilsweg: der Exklusivismus Um den


Umbruch zu verstehen, den eine Theologie auslöste, die den nichtchristlichen
Religionen ausdrücklich eine theologische Bedeutung beimaß und sie in eine
umfassende Theologie der Offenbarung integrierte, ist es sinnvoll, alternative
Modelle in den Blick zu nehmen, die auf katholischer Seite bis zum Konzil eine
starke Stellung in der Schultheologie behaupteten und in modifizierter Form so-
wohl von katholischen als auch von evangelischen Theologen bis heute vertreten
werden. Es handelt sich um den in der theologischen Diskussion so genannten
Exklusivismus. Er betont die Heilsnotwendigkeit allein (exklusiv) des Christen-
tums, und zwar in katholischer Lesart begrenzt auf die römisch-katholische Kir-
che als einzige authentische Tradentin und Interpretin des ‚depositum fidei‘. Die
klassische lehramtliche Formulierung dieser Position (die ihre lehramtlichen
Vorläufer hat) findet sich in den Beschlüssen des Konzils von Florenz in der
Bulle Cantate Domino aus dem Jahr 1442; dort heißt es:
„Firmiter credit, profitetur et praedicat ‚nullus extra catholicam Ecclesiam exis-
tentes‘ non solum paganos‘, sed nec Iudaeos aut haereticos atque schismaticos
aeternae vitae posse fieri participes sed in ignem aeternum ituros...“ / „Sie [die

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Kirche, R.B.] glaubt fest, bekennt und verkündet, daß niemand, der sich außer-
halb der katholischen Kirche befindet, nicht nur (keine) Heiden, sondern auch
keine Juden, Häretiker und Schismatiker des ewigen Lebens teilhaftig werden
können, sondern daß sie in das ewige Feuer wandern werden...“ – es sei denn, so
fügt die Bulle hinzu, sie schließen sich vor ihrem Lebensende noch der Kirche
an283. Das sind deutliche Worte, und die Verfasser sind sich der Wirkung dieser
pointierten Formulierung durchaus bewusst, wenn sie unterstreichen, dass nur in
der Einheit mit dem Leib der Kirche auch die Sakramente, das Fasten, die Al-
mosen und „die übrigen Werke der Frömmigkeit“ zum Heil gereichen. Man
sieht leicht, wie weit der Weg von hier aus zu Lumen Gentium ist. Ein Dialog
mit nichtchristlichen Religionen kann eigentlich nur ein Ziel verfolgen: die Be-
kehrung und Taufe der Nichtchristen, ja Christen, die sich darum nicht bemü-
hen, werden schuldig an der ewigen Verdammnis anderer. Auch wenn der Ge-
danke einer ‚Begierdetaufe‘, d.h. die Möglichkeit, dass ein Nichtchrist in seinem
Leben etwas von dem, was im Christentum explizit zur Entfaltung kommt in
hohem Maße realisiert, diese rigorose Position des Florentiner Konzils etwas
abschwächt, so bleibt doch der Eindruck eines konsequenten und intransigenten
Exklusivismus, der in dieser radikalen Form auch von vielen Kirchenvätern
nicht vertreten wurde. Es zeigt sich an diesem Konzilstext, dass kirchenpoliti-
sche Fragen wie die Unionsverhandlungen mit Byzanz und anderen Kirchen des
Ostens auch die Formulierungen dogmatisch relevanter Entscheidungen beein-
flussen und bis in das 20. Jahrhundert hinein sich auswirkten.
Nun muss eine exklusivistische Position nicht in jedem Falle denen, die nicht in
der Kirche sind, den Verlust des Heils in Aussicht stellen. Denkbar auch, dass
der universale Heilswille Gottes dem Menschen unbekannte Wege kennt. Einen
exklusivistischen Standpunkt – und hier handelt es sich wirklich eingestande-
nermaßen um ein Standpunktdenken – nimmt auch eine Theologie ein, die ande-
ren Religionen jeden positiven Bezug zur Offenbarung Gottes abspricht und sie

283
DH 1351 (vgl. auch schon DH 802); dazu Dupuis 2005: 93-96; zum Exklusivismus vgl. Knitter 2010: 19-
49; Schmidt-Leukel 2005: 96-127; Höhn 2011: 325; von Stosch 2012: 62-87; Ozankom 2012: 222.

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als bloße Selbstbehauptung des Menschen Gott gegenüber, d.h. als Unglauben,
wertet, wie etwa Karl Barth im § 17 seiner Kirchlichen Dogmatik. Die Diskussi-
on mit anderen Religionen ist auch für Barth selbstverständlich möglich – aber
nicht auf theologischer Ebene. Denn hier kann es nicht um den Vergleich der
Religionen gehen, auch nicht um die Frage, was das Christentum anderen Reli-
gion voraus haben könnte; das Christentum ist für Barth nicht in einem evoluti-
onistischen Sinne der Höhepunkt der religionsgeschichtlichen Entwicklung, wie
teilweise Vertreter der religionsgeschichtlichen Schule und der liberalen Theo-
logie sahen. Die Selbstoffenbarung Gottes in Christus ist Gericht und Aufhe-
bung der Religion; denn diese „ist Unglaube; Religion ist eine Angelegenheit,
man muß geradezu sagen: die Angelegenheit des gottlosen Menschen“ Warum?
„In religion“, fasst Paul Knitter die Sicht Barths zusammen, „humans try to ‚get
into act‘ with their own words and beliefs and rituals and laws – and in the end,
mess up God’s action.“284 Dies ist, wie Barth präzisiert, „keine Bestreitung des
Guten, Wahren und Schönen“285; es ist die Beurteilung der Religion streng vom
Standpunkt der Offenbarung her, die dem Menschen widerfährt, ihn richtet und
erst so frei macht. Alle Gottesbilder aber, die die Religionen oder Philosophien
entwickeln, verdanken sich dem Versuch des Menschen außerhalb der Offenba-
rung ein eigenes Reich und Recht zu begründen, ein der Offenbarung „wider-
sprechendes Tun“286. Greift nämlich, wie Barth weiter ausführt, „der Mensch
von sich aus nach der Wahrheit, so greift er von vornherein daneben. Er tut dann
nicht das, was er tun müßte, wenn die Wahrheit zu ihm kommt. Er glaubt dann
nämlich nicht. Würde er glauben, so würde er hören; in der Religion redet er
aber. Würde er glauben, so würde er sich etwas schenken lassen; in der Religion
aber nimmt er sich etwas. Würde er glauben, so würde er Gott selbst für Gott
eintreten lassen; in der Religion aber wagt er jenes Greifen nach Gott. Weil sie
dieses Greifen ist, darum ist die Religion Widerspruch gegen die Offenbarung,

284
Knitter 2010: 25.
285
Barth KD I/2: 327; zur Bewertung Barths aus dem Blickwinkel einer pluralistischen Theologie der Religio-
nen vgl. Knitter 2010: 23-26; Schmidt-Leukel 2005: 69, 124-126.
286
Barth KD I/2:: 330.

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der konzentrierte Ausdruck des menschlichen Unglaubens, d.h. die dem Glauben
gerade entgegengesetzte Haltung und Handlung.“287. Die Wahrheit Gottes – und
damit Gott selbst – kommt auf den Menschen zu, nicht umgekehrt der Mensch
auf Gott. Was der Mensch in seiner Bewegung auf Gott hin erlangt, ist „durch-
gehend und gänzlich eine Fiktion, die mit Gott selbst nicht nur wenig, sondern
nichts zu tun hat, ein Gegengott, der erst als solcher erkannt werden und fallen
muß, wenn die Wahrheit zu ihm kommt...“ Soweit Religion im Banne menschli-
cher Selbstbehauptung bleibt, verfällt sie vollständig der Feuerbachschen Pro-
jektionshypothese, ist der Gott der Religion das in den Himmel projizierte
menschliche Wesen oder besser: Unwesen. „Die Offenbarung“, heißt es noch-
mals pointiert, „knüpft nicht an die schon vorhandene und betätigte Religion des
Menschen, sondern sie widerspricht ihr, wie zuvor die Religion der Offenbarung
widersprach, sie hebt sie auf, wie zuvor schon die Religion die Offenbarung
aufhob.“288 Man muss wohl von einem ausgesprochen ‘autoritären’ Modell der
Offenbarung sprechen, das Gottes Handeln und das Handeln des Menschen nur
alternativ sehen kann: Aus sich heraus vermag der Mensch nichts zu tun als sich
der Selbstdarbietung Gottes gläubig zu unterwerfen und das Gericht über ihn,
das sie zugleich ist, als gerecht anzunehmen. Dass faktisch alle Bemühungen des
Menschen auf Gott hin nur Formen menschlicher Selbstbehauptung sind, ist
freilich, wie Barth ausdrücklich feststellt, „nicht im Wesen und Begriff des
Menschen“289, wohl aber in seinem Status als Sünder begründet, aber auch dies
ist eine Wahrheit, die der Mensch nicht in sich selbst findet, sondern die ihm erst
von der Offenbarung gesagt werden muss. Diese Argumentation bewegt sich in
einem Zirkel: Dass der Mensch Sünder ist und als solcher niemals von sich aus
zur Wahrheit Gottes gelangen kann, sagt ihm erst die Offenbarung, der er sich
vorab unterwerfen muss, um sein eigenes Unvermögen und seinen eigenen Sta-
tus als verdammt und verloren zu erkennen. Glaube ist im strengen Sinne Un-

287
Ebd.
288
Ebd.: 331.
289
Ebd.: 336.

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terwerfung unter das Urteil Gottes. Jene Offenbarung aber ist in Jesus Christus
fokussiert, das heißt, „daß unsere Rechtfertigung und unsere Heiligung und un-
sere Bekehrung und unsere Errettung in Jesus Christus ein für allemal geschehen
und vollbracht ist“, und zwar durch den Austausch des Sünders mit der Heilig-
keit und Gerechtigkeit Christi290. Barth denkt hier die Stellvertretung Christi als
Tausch des Gerechten mit dem Schicksal des Sünders, ein Akt, der erst die voll-
ständige Rechtfertigung dessen bewirkt, der sich nicht mehr am eigenen Schopfe
aus dem selbst verschuldeten Sumpf ziehen kann. Diese Handeln Gottes erreicht
den Sünder im Wort der Verkündigung, in das hinein sich die Heilstat Christi
verlängert, d.h. in der Verkündigung ergeht an den Menschen das Wort Gottes,
dem er sich gehorsam zu unterwerfen hat.
Eine nähere Begründung für das Verkündigte kann der Mensch nicht for-
dern, denn jeder Bezug zu seinem Selbstverständnis ist per definitionem abge-
schnitten; Offenbarung ist ja dessen Aufhebung, sie knüpft an keine menschli-
che Voraussetzung an. Welchen Formen der menschlichen Vermittlung das
Wort durchlaufen hat, seine Geschichte und seine Geltung, die es beanspruchen
kann, sind nicht die Fragen Barths; im Wort der Verkündigung spricht mich
Gott an und fordert meine Entscheidung. Barths Theologie bricht, und zwar
vollständig, mit jedem Versuch einer Glaubensbegründung, die immer nur
Selbstbehauptung des Menschen sein kann. Der Glaube ist, ähnlich dem Ver-
ständnis Kierkegaards, ein Wagnis, ein Sprung aus dem zum Scheitern verurteil-
ten Bemühungen des Menschen, zu denen alle Formen von Kultur, Philosophie
und Religion gehören. Übersehen wird von Barth jedoch, wie Wolfhart Pannen-
bergs und Hansjürgen Verweyen mit Recht einwenden, „daß die Positivität der
Offenbarung keine Alternative zum Subjektivismus in der Theologie darstellt,
sondern vielmehr als theologische Position dessen äußerste Zuspitzung bedeu-
tet“291. Der Dezisionismus, der jenem Sprung in den Glauben eignet, so die Kri-
tik Pannenbergs, zerstört gerade den Anspruch auf Objektivität und Autorität,

290
Ebd.
291
Pannenberg 1973: 274; vgl. auch Verweyen 2000: 41f.

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der sich doch mit dem Offenbarungsbegriff verbindet und den Barth mit allem
Nachdruck verteidigt. Denn wenn jeder Rekurs auf ein ‚Vorverständnis’, sei es
religiöser, sei es philosophischer Art, als der Offenbarung gänzlich unangemes-
sen zurückgewiesen wird, wird das Subjekt selbst zum irrationalen Grund seines
Glaubens. Das bloße Wort der Verkündigung erreicht mich zunächst als ein
Wort der Menschen und nicht als göttliche Anrede; woraufhin aber kann diesem
Wort geglaubt werden, das im Zeitalter von Werbung und Propaganda eines un-
ter vielen ist? Im Akt der Unterwerfung unter einen völlig fremden Anspruch
erlebt das Subjekt seinen letzten heimlichen Triumph, indem es selbst Ursprung
und Souverän einer Entscheidung ist, die es in keiner Weise mehr vor anderen
zu verantworten braucht. Der Ausschluss rationaler Gründe und Kriterien besitzt
bedenkliche Affinitäten zu autoritären Ideologien der ersten Hälfte des 20. Jahr-
hunderts. Nicht zuletzt solche Bedenken sind es, die die Barthsche Antithese
von Religion und Rationalität einerseits und Offenbarung andererseits kaum als
letzte Auskunft gelten lassen können.
Eine Theologie der Religionen wäre unter der Voraussetzung Barths eigentlich
nur möglich als Theologie einer bestimmten Form des Unglaubens, eben der Re-
ligion, neben der ebenbürtig die Philosophie auf der Anklagebank Platz nehmen
darf. Damit ist über die Heilsmöglichkeit außerhalb des Christentums noch nicht
entschieden in dem Sinne, dass Menschen außerhalb des ausdrücklichen Glau-
bens an Christus verloren seien, so dass Klaus von Stosch zutreffend Barths Po-
sition als ‚offenen Exklusivismus‘ bezeichnet292. Die im Grunde nicht ausweis-
bare Prämisse, dass schlechterdings alles, was der Mensch nicht aus dem Glau-
ben an Christus tut, nur Ausdruck seines Selbstbehauptungswillens gegenüber
Gott ist, verurteilt alle kulturellen Phänomene – nicht nur die vor- und außer-
christlichen – ebenso wie die Geisteswissenschaften von oben weg. Was gegen
sie vorzubringen ist, ist eigentlich nur eines: dass sie nicht im Glauben Grund
und Richtschnur haben. Kann es neben einem expliziten christlichen Glauben

292
Vgl. von Stosch 2012: 73-76.

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überhaupt noch Gültiges geben? Bekanntlich schärfte Barths kompromisslose


Theozentrik seine Kritik gegenüber allen Versuchen von Theologie und Kirche,
sich nach 1933 dem neuen Regime zu akkommodieren und jene problematische
Fusion von Neuheidentum, Gegenaufklärung, Antisemitismus und einem umin-
terpretierten Christentum zu betreiben, wie sie in der ‚Glaubensbewegung Deut-
scher Christen‘ traurige Realität wurde. Hier trat Religion ohne Zweifel in den
Dienst eines verbrecherischen Systems, ein Akt, den man durchaus als moderne
Form des Götzendienstes auffassen kann. Darüber hinaus ist Barth durchaus zu
konzedieren, dass Gottes Offenbarung gegenüber allen menschlichen Hervor-
bringungen und Absicherungen einen Eigenstand bewahrt und zu ihnen in ein
kritisches Verhältnis tritt. Es gibt also das Moment der Unterbrechung dessen,
was in der Geschichte als ein allzu Selbstverständliches sich etablierte, Unrecht,
das nur deshalb den Schein des Normalen und Üblichen annahm, weil es schon
lange existierte und von allen praktiziert wurde. Offenbarung ist immer auch
Gericht – und nicht bloß Bestätigung. Wenn aber schlechthin alles, worin endli-
cher Geist seinen Ausdruck – sich objektiviert – nichts ist als Ausdruck des Un-
glaubens und der Selbstbehauptung gegenüber Gott, so verliert der Glaube jede
Form einer geschichtlichen Konkretion. Das Wort Gottes in seiner absoluten
Fülle bleibt ohne die menschliche, geschichtliche Vermittlung abstrakt und
gänzlich unverständlich; kurt: ein theologischer Begriffsfetisch. Es ist sinnlos
von göttlicher Offenbarung zu sprechen jenseits des bereits menschlich konkre-
tisierten Textes, sowenig sie darin auch aufgeht. Bei Barth eignet dem der Reli-
gion schroff gegenüber gestellten Wort Gottes und dem ihm gemäßen Glauben
etwas Unwirkliches, Chimärisches. Ob der Glaube so je in einem Menschen o-
der in einer Gemeinschaft existierte, ist höchst zweifelhaft, aber für Barth im
Grunde irrelevant. Ohne eine Rückbindung an menschliche Praxis und Ge-
schichte aber, so ambivalent alle diese Objektivationen auch sind, erschöpft sich
die theologische Radikalität Barths im leeren Gestus. An entscheidender Stelle
gebricht es der ‚Dialektischen Theologie’ eben an der Dialektik, die nämlich

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niemals mit abstrakten Antithesen sich begnügt, sondern auf der Vermittlung
beider beharrt. Die Antwort auf die Frage, ob es eine Theozentrik geben könne,
die zwar richtend aber nicht vernichtend die Phänomene außerhalb des explizi-
ten christlichen Glaubens anerkannt, führt notwendig über die Abstraktionen der
‚Dialektischen Theologie’ hinaus.
In einer ähnlichen Weise ist auch Thomas Rusters These einer Entflechtung von
Christentum und Religion geprägt von Barths vorschneller Identifizierung der
Religion mit Unglauben, was Ruster auch in scharfen Gegensatz zu Vertretern
einer pluralistischen Theologie der Religionen führt293. Religion als Dienst am
vertrauten Gott, der ein Produkt des auf unterschiedlichen Ebenen sich manifes-
tierenden menschlichen Willens zur Macht ist, muss darum mit großer Skepsis
betrachtet werden294. Mit Recht wendet sich Ruster hier gegen ein Vorgehen,
das Gott, sei es nach dem Herrschaftsanspruch der Vernunft, den Regeln des
Marktes oder auch des spätmodernen Bedürfnisses nach Harmonie, konstruiert
und damit dem biblischen Gottesverständnis nicht gerecht wird. Entsprechend
kritisiert er auch allzu irenische Töne in interreligiösen Diskussionen, in denen
das Verhältnis der Religionen zueinander nach dem Bilde der Marktökonomie
gedacht wird – „verschiedene Anbieter der gleichen Ware in verschiedener Ver-
packung sitzen sich gegenüber“295 – und die scheinbar anstößige Züge des bibli-
schen Gottes unter Hinweis darauf, dass doch alle Menschen denselben Gott an-
beten, unterschlagen oder wegretuchiert werden.
Nun möchte auch Ruster – wie übrigens schon Barth – nicht einfach zurück zum
alten Exklusivitätsanspruch mit seinen Verketzerungen und aggressiven Ab-
grenzungen296. Alle Kritik, so Ruster, richtet sich zuerst gegen die Götzen, d.h.
die selbstgeschmiedeten Gottesbilder des Christentums und erst in zweiter Linie
gegen diejenigen der anderen Religionen297. Wir haben es hier also nicht mit ei-

293
Ruster 2000: 194-198.
294
Vgl. ebd.: 28-85.
295
Ebd.: 197.
296
Vgl. ebd.
297
Ebd.: 197f.

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nem grimmigen Exklusivismus alten Stils zu tun, sondern mit einer Religions-
kritik von innen, die allerdings die tiefe Tendenz hat, Religion ebenfalls von al-
len empirischen Elementen, die ihr notwendig eignen und nicht frei sind von
erheblichen Deformationen, zu reinigen. Der fremde Gott, den Ruster gegen alle
Versuche einer Vereinnahmung und Verharmlosung verteidigt, ist am Ende so
weltlos wie der Glaube, der ihm entspricht. Der biblische Gott ist aber nicht der
fremde und fremd bleibende Gott; seine Inkommensurabilität, die Unmöglich-
keit, ihn menschlichen Interessen unterzuordnen und sich ein Bild von ihm zu
machen, schließt nicht aus, dass er in die Geschichte seines Volkes und der
Menschen involviert ist, und zwar in einem Maße, das der philosophischen Re-
flexion, die die Unveränderbarkeit Gottes betonte, suspekt blieb. Die Kritik der
menschlichen Verhältnisse und der ihnen entsprechenden Gottesbilder läuft
nicht notwendig auf eine restlose Entwertung dessen hinaus, was Menschen ge-
schichtlich hervorgerbacht haben und worin endlicher Geist notwendig sich ma-
nifestiert. Das Wort Gottes, das seinen Rezipienten zur völligen Passivität und
Unterwerfung verurteilt, kehrt, was biblisch undenkbar ist, unverrichteter Dinge
zu seinem Urheber zurück.
Die Offenbarung Gottes muss, wenn sie, salopp formuliert, ‘ankommen’ soll,
die Alterität und den Selbststand des Menschen (er mag Sünder sein oder Ge-
rechter oder, wie wohl in dem meisten Fällen, eine trübe Mischung aus beidem)
anerkennen. Wäre dieser durch die Sünde nicht bloß erheblich beeinträchtigt,
sondern aufgehoben, so gewönne diese eine quasi-ontologische Qualität, ein
Gedanke, der alle Rede von Schöpfung letztlich zunichte machte. Denn die
menschliche Autonomie ist nicht schon Ausdruck einer Rebellion gegen Gott,
sondern begründet in der Schöpfung, die bekanntlich keine göttliche Emanation
darstellt, sondern einen Akt, in dem Gott etwas von ihm selbst gänzlich Ver-
schiedenes und Eigenständiges in Freiheit setzt. Der Schöpfungsbegriff ist da-
rum auch keineswegs ein harmloser theologischer Zierrat; er hat zwei wichtige
Konsequenzen: Am Anfang steht nicht die absolute Identität, aus der heraus sich

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die Vielfalt des Seienden entwickelt, sondern eine von Gott selbst gesetzte Dif-
ferenz, die sich nicht noch einmal auf Identität reduzieren lässt. Alle Selbstmit-
teilung Gottes gilt zweitens einem von Gott wesentlich Verschiedenen, dessen
spezifische Beschaffenheit Bedingung der Möglichkeit dafür ist, dass die göttli-
che Offenbarung überhaupt einen Rezipienten findet. Im endlichen, d.h. ge-
schichtlich und somatisch vermittelten Geist erst steht Gott ein Partner gegen-
über, dem E r sich mitzuteilen vermag und der sich umgekehrt dieser Mitteilung
öffnen oder verschießen kann. In jedem Falle aber ist die Andersheit und Eigen-
ständigkeit des Menschen Voraussetzung der Offenbarung auch dann noch,
wenn faktisch die gesamte Geschichte der Menschen und ihr Verhalten im
Schatten der Sünde stehen. An eben diese Einsicht knüpft nicht nur das Offenba-
rungsverständnis Karl Rahners an, sondern auch der Inklusivismus.

c) Anerkennung des Anderen oder ‚freundliche Übernahme‘? Das inklusi-


vistische Modell Dass der Ausschluss des anders Glaubenden und dessen
pauschale Verurteilung keine angemessene Antwort auf die Erfahrung religiöser
Pluralität ist, war bereits im 12. Jahrhundert Pierre Abailard (oder Petrus Aba-
elardus, 1079-1142) bewusst. In seinem Gespräch eines Philosophen, eines Ju-
den und eines Christen (1141) lässt Abailard den Philosophen, der gegenüber
Juden und Christen die Position dessen vertritt, der sich nicht schon im Besitz
der einzigen Wahrheit wähnt, sagen:
„Diese Leute versteigen sich oft in solchen Wahnsinn, daß sie sich nicht schämen, das,
was sie gestehen, nicht begreifen zu können, zu glauben bekennen; als bestünde der
Glaube eher in einer Äußerung von Worten als im Verständnis der Seele und als sei es
mehr Sache des Mundes als des Herzens. Sie rühmen sich daher auf höchste, wenn sie so
Gewaltiges zu glauben scheinen, was man weder in der Sprache erörtern noch im Geiste
erfassen könne. Sie macht die Einzigartigkeit ihrer eigenen Glaubensrichtung so anma-
ßend und hochmütig, daß sie urteilen, wen auch immer sie im Glauben von sich getrennt

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gesehen hätten, der sei der Barmherzigkeit Gottes entfremdet, und, während alle anderen
verdammt seien, sich als einzig selig preisen.“298
Dem Judentum (und weiten Teilen der christlichen Väterliteratur) lässt sich die-
ser Exklusivismus sicher nicht pauschal unterstellen, wohl aber schienen im
Zeitalter der Reconquista die Fronten verhärtet. Die aufs Lippenbekenntnis be-
schränkten, fern aller Einsicht apodiktisch behaupteten Glaubensaussagen der
Offenbarungsreligionen (die aus der argumentativen Not eine fideistische Tu-
gend machen) verbinden sich mit einem exklusiven Heilsanspruch für die je-
weils eigene Position, der nicht nur maßlos und arrogant ist, sondern auch kon-
fliktträchtig. Abailard, dem noch lange ein Image als Ketzer anhaftete, musste
noch einige Jahrhunderte auf eine theologisch angemessene Antwort warten,
und es zeigt sich auch hier, dass eine Theologie der Religionen nicht sinnvoll
betrieben werden kann, ohne dass sie zu einem argumentativ gehaltvollen Of-
fenbarungsbegriff vermittelt ist. Eben dies versuchten auf katholischer Seite im
20. Jahrhundert die inklusivistischen Modelle zu leisten, mit denen sich die im-
pliziten Voraussetzungen der oben erläuterten Konzilsdokumente ebenso wie
Namen aus deren theologischem Umfeld wie Karl Rahner, Jacques Dupuis oder
auch Hans Küng verbinden. Sie setzen sich nicht nur von den Einseitigkeiten
einer antimodern pointierten katholischen Schultheologie kritisch ab, sondern
entwickeln auch einen anderen Begriff von Offenbarung als Karl Barth auf
evangelischer Seite und gelangen darum auch zu einem anderen Urteil über die
nichtchristlichen Religionen. Kurz gesagt, verbindet der Inklusivismus die Beto-
nung der Einzigkeit und Endgültigkeit der Selbstoffenbarung Gottes in Jesus
Christus mit dem universalen Heilswillen Gottes, der durch die Partikularität des
Geschehens in Zeit und Raum konkretisiert, aber nicht begrenzt wird. Der Ge-
danke ist neu nur in seiner Durchführung, seiner lehramtlichen Rezeption in LG
16 und vor allem in der Dringlichkeit mit der er sich stellt; seine Anfänge aber
reichen erheblich weiter zurück: Jacques Dupuis (1923-2004) kann immerhin

298
Abailard 1995: 18/19. – Einen weiteren Beitrag zum Frieden zwischen den Religionen – unter Beibehaltung
der Differenzen – leistete im Mittelalter Ramon Llull (1232-1316); vgl. Dupuis 2001: 105-107.

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auf eine Tradition verweisen, die weit über die Kirchenväter299 bis in das Alte
Testament zurückreicht, wie er anhand der Priesterschrift, prophetischer Texte
und nicht zuletzt der Weisheitsliteratur nachweist300. Man denke etwa an den
Noachbund und die Bezeichnung des Noach als gerecht in seiner Generation
(Gen 6,9 und 7,1). Das Alte Testament kennt Gerechte unter den Völkern und
die spätere jüdische Tradition ist ihm – bis heute – darin gefolgt. Man muss also
nicht Jude werden, um an der kommenden Welt zu partizipieren. Die Weisheit
Gottes, die vom Menschen erkannt und praktiziert werden kann, ist nicht nur auf
Israel beschränkt. Viele Schriften der Weisheitsliteratur und spätere rabbinische
Texte haben die Tendenz, Hokhma und Thora in große Nähe zu rücken oder gar
miteinander zu identifizieren. Sie sind von Gott vor der Welt erschaffen und
dienten Ihm als Medium der Schöpfung: „Der Herr hat mich erschaffen“, so
spricht die Weisheit, „im Anfang seiner Wege, vor seinen Werken in der Urzeit;
in frühester Zeit wurde ich gebildet, am Anfang beim Ursprung der Erde. ... Ich
war seine resp. Gottes Freude Tag für Tag und spielte vor ihm allezeit.“ (Spr
8,22-31) Die Differenz zwischen Schöpfer und Geschöpf wird auch hier nicht
verwischt, wir es nicht mit einer vorweggenommen Trinitätslehre zu tun, aber
als erstes Geschöpft vor der Welt und den Menschen kommt ihr doch eine au-
ßerordentliche Bedeutung zu und ihre Rede in der ersten Person Singular
schwankt zwischen Metapher und Hypostase.
Weisheit, Thora und Wort Gottes wurden schließlich in der alexandrinischen
Schule mit dem neuplatonischen Logos-Begriff verbunden, so dass die bibli-
schen Schriften auch philosophisch erschlossen werden konnten. Mochten sie
sich zunächst an Israel wenden, so war ihr Gehalt doch von universaler Bedeu-
tung. Gott wirkt nach Philo von Alexandrien (1. Hälfte des 1. Jahrh.) „nicht un-
mittelbar auf die Welt“, sondern, wie Julius Guttmann schreibt, „durch Vermitt-
lung der von ihm ausgehenden Kräfte, deren oberster der Logos ist“301. Als In-

299
Vgl. Dupuis 2005, 53-83.
300
Vgl. ebd.: 31-45.
301
Guttmann 2000: 63.

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begriff der Ideen, mit personalen Zügen ausgestattet, stellt er eine eigentümliche
Verbindung von platonischer Philosophie und jüdischer Engellehre dar. Schöp-
fung und Offenbarung sind durch den Logos vermittelt, wobei Philos Offenba-
rungsverständnis sich weitet auf alle Menschen. Unverkürzt und auf vollkom-
mene Weise kommt die Offenbarung Gottes in der hrvt zur Geltung. „Die mosa-
ische Lehre ist für ihn der Inbegriff aller Wahrheit und enthält in sich Alles, was
die Wissenschaft zu erkennen vermag.“302 In abgestufter, das heißt: defizienter
Weise aber findet sie sich auch außerhalb des Judentums.
Während die rabbinische Tradition einen anderen Weg einschlug und Philos
keineswegs unkritische Assimilation an die griechische Philosophie nicht expli-
zit mitvollzog, rezipierten vor allem die Kirchenväter die Schule von Alexandri-
en, wenn auch unter ihrem spezifisch christlichen Blickwinkel. Unter Berufung
auf die Logos-Theologie des Prologs in Joh 1,1-18 ließ sich auch die christliche
Botschaft zum universalen Logos des Neuplatonismus und zur Weisheitstraditi-
on Israels vermitteln, wobei man vor bedenklichen Allegoresen nicht zurück-
schreckte. Die von Johannes und Philo inspirierten Logos-Spekulationen der
Kirchenväter betreffen aber auch das Verhältnis des Christentums zu vor- und
außerchristlichen Religionen ebenso wie zu den heidnischen Philosophien. Bei
Justin dem Martyrer, also schon im zweiten Jahrhundert, findet sich der Gedan-
ke, dass gleichsam Logos-Samen, sich auch bei heidnischen Philosophen und
Dichtern finden. Die neuplatonische und stoische Idee des Logos spermatikós
erhält aber eine spezifisch christliche Deutung auf dem Hintergrund des Johan-
nesprologs. Der Gedanke, dass alles von Gott durch den Logos geworden ist
(Joh 1,3), besitzt eine universalistische Perspektive, die durch die Konkretion
der Fleischwerdung des Logos in Christus (Joh 1,14) nicht aufgehoben wird. So
war implizit auch schon in der Philosophie eines Sokrates, Plato oder in der stoi-
schen Moralphilosophie der Logos am Werk, der in seiner Fülle und unge-
schmälert erst durch Christus offenbar wurde303. Damit ist auch schon gesagt,

302
Ebd. 69.
303
Vgl. Dupuis 2001: 58f.

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weshalb die Philosophen einander so oft widersprochen haben und nicht leicht
zu harmonisieren sind: Da sie den Logos nur teilweise, bruchstückhaft erfasst
haben, kamen sie zu unterschiedlichen Ergebnissen. Dupuis unterscheidet bei
Justin drei Formen des religiösen Wissens: (1) dasjenige der Völker, (2) der Ju-
den und (3) der Christen, wobei allein letztere in vollem Umfang am einzigen
und wahren Logos partizipieren. So können auch die Angehörigen der Völker,
soweit sie sich ein gerechtes Leben zu führen bemühen (also nicht nur die Philo-
sophen und Dichter), aufgrund ihres – wenn auch defizienten – Anteils am Lo-
gos Christen genannt werden304. Karl Rahners berühmte These vom anonymen
Christentum ist also keineswegs präzedenzlos in der Theologiegeschichte. Ähn-
liches mochte auch Irenäus von Lyon vorschweben, als er im vierten Buch ge-
gen die Häresien feststellte, dass sich das Wort durch die Schöpfung geoffenbart
habe „und durch die Welt den Herrn als Weltenbauer und durch das Geschöpf
den als Bildner, der es geschaffen hat“305.
Schon dieser erste, noch sehr oberflächliche Blick auf die Theologiegeschichte
zeigt bereits, dass der Inklusivismus den Exklusivismus nicht einfach historisch
ablöst, sondern beide Modelle, wenn auch mit unterschiedlicher Akzeptanz,
meist parallel existierten. Sie bezeichnen unterschiedliche Reaktionen christli-
cher Gruppen und Theologien auf ein überwiegend nicht christliches oder nicht
mehr christliches Umfeld. Exklusivistische Positionen müssen nicht notwendig
auch in ein kulturelles und religiöses Ghetto führen, sie sprechen aber den au-
ßerchristlichen Kulturen und Religionen jede theologische Relevanz ab und si-
cher so auf eine sehr problematische Weise die eigene Identität. Gewonnen wird
damit eine hohe Sensibilität gegenüber vorschnellen Assimilationsversuchen
und ein kritischer Blick auf die eigene Umwelt, wie sich an der Offenbarungs-
und Religionstheologie Barths zeigen ließ. Verloren aber geht auf diese Weise
jede Möglichkeit, anders als durch zuweilen sogar polemische Abgrenzung und
theologische Abwertung des Anderen auf die schwierige Situation als Minder-

304
Ebd.: 59.
305
Adv. Haer. IV,6,6; dazu Dupuis 2001: 60-66.

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heit zu reagieren. Der Exklusivismus droht leicht, in eine fundamentalistische


Selbstisolation abzugleiten; der Abgrenzung nach außen entspricht meist eine
massive soziale Kontrolle nach innen, die früher oder später zu internen Kon-
flikten führt.
Die andere Möglichkeit einer eigenen Situierung besteht darin, die nichtchristli-
che Umwelt als Vorstufe des Christentums oder als implizit christlich zu inter-
pretieren und damit der eigenen Deutung zu unterwerfen. Dass im 20. Jahrhun-
dert der Inklusivismus bedeutende theologische Vertreter fand, wundert ange-
sichts der im ersten Teil dargestellten historischen und gesellschaftlichen Ent-
wicklungen nicht. Er wirkt gegenüber dem Exklusivismus weltoffener und theo-
logisch oft anspruchsvoller. Ihm liegt ein Offenbarungsverständnis zu Grunde,
das allen Nachdruck auf den universalen Heilswillen Gottes legt, ohne doch den
eigenen Heilsweg nur als einen beliebigen unter vielen anderen anzusehen. Die
vorsichtige lehramtliche Annäherung an diese Position ist in Nostra aetate und
in Lumen gentium Nr. 16 dokumentiert. Eines der einflussreichsten inklusivisti-
schen Modelle, das die nur unzureichend durchgearbeitete Position des Konzils
weiterführt – das lässt die Frage, wie denn genauer die Heilsmöglichkeit außer-
halb der katholischen Kirche und des Christentums zu denken sei –, ist dasjenige
Karl Rahners. In seinem Aufsatz Kirche, Kirchen und Religionen attestiert Rah-
ner den nichtchristlichen Religionen vor Christus, dass „sie ‚an sich‘ und grund-
sätzlich durchaus als von Gott positiv gewollte, legitime Heilswege anerkannt
werden“ können“306. Denn sie sind nicht einfach Ausdruck „menschlicher Spe-
kulation, menschlicher Depravation“, sondern – hier unterscheidet sich Rahner
von Barth grundlegend – „in ihnen allen“ ist „die gnadenhafte dynamische Be-
wegung des Menschen auf den dreifaltigen Gott am Werke“. In einem ähnlichen
Sinne schrieb Rahner in einer stark vom zeitgenössischen Existentialismus ge-
prägten Sprache schon früher:

306
Rahner ST VIII: 355-394, hier: 370; zu Rahners umstrittener These vom anonymen Christentum vgl. auch
Vorgimler 2004: 182-188.

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„Vollzieht somit der Mensch als geistige Person in der totalen Entscheidung über sich
selbst seine ‚Natur‘, so ist diese personale Entscheidung konkret immer auch unthema-
tisch eine Stellungnahme für oder gegen die übernatürliche Berufung des Menschen zur
Teilnahme am Leben des dreifaltigen Gottes.“307

Mit jener ‚unthematischen Stellungnahme‘ war bereits die These des ‚anony-
men‘ Christentums der Sache nach gegeben und bedurfte einer spezifischen
Pointierung auf die Theologie der Religionen hin. Wenn Rahner Natur hier in
Anführungszeichen setzt, so ist damit im Sinne des schon mehrfach erwähnten
übernatürlichen Existentials die je schon gnadenhaft erhobene Natur gemeint,
nicht der theologische ‚Restbegriff‘ einer natura pura jenseits des Raumes, den
die göttliche Selbstmitteilung eröffnet. Nicht nur die außer-, sondern auch die
vorchristlichen Religionen sind Objektivationen der transzendentalen Offenba-
rung oder des übernatürlichen Existentials308. Wäre hier nicht die christologi-
sche und trinitarische Fokussierung jener übernatürlichen Dynamik ausgespro-
chen, so könnte man fast meinen, Rahner vertrete für die außerchristlichen Reli-
gionen vor Christus geradezu eine pluralistische Theologie. Die ganze Anlage
der übernatürlichen, d.h. gnadenhaften Finalisierung des Menschen und seiner
Transzendenz auf die freie Selbstmitteilung hin aber schließt auch vor Christus
eine solche plurale Position aus. Denn zu dieser freien Selbstmitteilung als end-
gültige gehört nach Rahner wesentlich die Annahme und Realisierung durch den
Menschen. Das Christusereignis ist ja nicht nur eine weitere Selbstbekundung
Gottes unter vielen anderen, sondern auch die Annahme in Endgültigkeit, ohne
die alle Selbstmitteilung ein Wort ins Leere bliebe. Menschwerdung, wenn sie
nicht bloße Verkleidung oder Drapierung des göttlichen Wortes sein soll, ist sei-
ne Entäußerung an das Nichtgöttliche, Menschliche und in einem seine freie
Annahme. Die Menschwerdung Gottes ist nach Rahner gerade „der einmalig
höchste Fall des Wesensvollzugs der menschlichen Wirklichkeit, der darin be-

307
Rahner ST II: 88.
308
Rahner ST VIII: 370.

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steht, daß der Mensch ist, indem er sich weggibt“309. Die Inkarnation Gottes wä-
re damit zugleich die Vollendung der Menschwerdung des Menschen, wie ja
nach Rahner der Mensch definiert werden kann als das, „was entsteht, wenn die
Selbstaussage Gottes, sein Wort, in das Leere des gottlosen Nichts liebend hin-
ausgesagt wird“310. Insofern alle emphatischen, Unbedingtheit beanspruchenden
Akte der Freiheit auf eine leiblich-geschichtliche Endgültigkeit vorausgreifen
und diese erst in Christus definitiv zugesagt und angekommen ist, muss vor oder
außerhalb des Christentums nicht bloß von anonymen Theisten sondern eben
doch von anonymen Christen gesprochen werden. Angesichts dieser inkarnato-
rischen Pointierung der Heilsgeschichte können die vor- und außerchristlichen
Religionen, eben weil ihnen das ausdrückliche Bewusstsein vom endgültigen
Heil fehlt, nur vorbereitende, nicht uneingeschränkt gültige Wege sein. Sie fin-
den erst in der absoluten geschichtlichen Heilszusage ihre Antwort, verlieren
damit aber auch ihre weitere Berechtigung. Rahner hält auch unmissverständlich
fest, „daß diese außerchristlichen Religionen ‚an sich‘ und grundsätzlich abge-
schafft und überholt sind durch die Ankunft Christi, durch seinen Tod und durch
seine Auferstehung“311. Damit ist freilich „noch nicht eindeutig etwas über den
Zeitpunkt ausgesagt, in dem diese Religionen konkret aufhören, ein legitimer
Heilsweg für bestimmte Menschen zu sein“312. Zu denken ist hier zunächst da-
ran, dass auch Jahrhunderte nach Christus die Botschaft noch nicht zu allen
Völkern gekommen ist und an den Einzelnen auf eine sein Gewissen ver-
pflichtende Weise herantritt. Nur wenn letzteres geschieht, ist auch für den Ein-
zelnen die bisherige Religion als Heilsweg aufgehoben313. Wann konkret dies
aber geschieht, lässt sich ‚von außen‘ nicht präzise angeben. In einem ähnlichen
Sinn argumentierte Rahner auch schon in einem Vortrag unter dem Titel Das
Christentum und die nichtchristlichen Religionen aus dem Jahr 1961314. Die ers-

309
Rahner ST IV: 142.
310
Ebd.: 150; Rahner 1976: 223.
311
Rahner ST VIII: 371.
312
Ebd.
313
Ebd.: 372.
314
Vgl. Rahner ST V: 136-158.

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te These hält in pointierter Weise den Anspruch des Christentums gegenüber den
anderen Religionen fest: Es versteht sich, so Rahner, „als die für alle Menschen
bestimmte, absolute Religion, die keine andere als gleichberechtigt neben sich
anerkennen kann“315. Auch wenn gilt, so jedoch die zweite These, dass es kein
Heil an Christus vorbei gibt, eben weil es durch ihn definitiv angekommen ist316,
so bleibt zu beachten, dass dieses Heil den Menschen nicht völlig unvorbereitet
trifft. Er ist vielmehr auf das ihn erfüllende Ziel gnadenhaft finalisiert, wie schon
zum übernatürlichen Existential ausgeführt wurde. Damit kommt auch den Reli-
gionen vor und außerhalb des Christentums ein bedeutend höherer Stellenwert
zu als ihnen der Exklusivismus einräumt: Sie sind nicht bloßer Ausdruck erb-
sündlicher Depravation (gegen Barth); als Konkretionen eben jener übernatürli-
chen Hinordnung auf die definitive Selbstzusage Gottes sind sie heilsbedeutsam
und es finden sich auch in ihnen gnadenhafte Momente317. Darum sind gemäß
der dritten These die Angehören der anderen Religionen keineswegs einfach als
Nichtchristen zu bezeichnen, sie sind vielmehr anonyme Christen. Heil kann al-
so auch außerhalb der Kirche gefunden werden, sie ist „keine exklusive Ge-
meinschaft der Heilsanwärter“318; vorausgesetzt wird von Rahner allerdings,
dass dieses Heil kein anderes ist als jenes, das durch Christus irreversibel in der
Geschichte ‚angekommen‘ ist319. Der bestehende weltanschauliche und religiöse
Pluralismus, dem Rahner sich im Spätwerk ausführlicher widmet320, ist in dieser
Weltzeit nicht aufzuheben. So können auch nach Christus Menschen durchaus
ohne Schuld bei ihrer überlieferten Religion bleiben, wenn sie von der Verkün-
digung nicht zentral und in einer verpflichtenden Weise getroffen werden. Kon-
zediert ist, dass das Christentum nicht alle Menschen erreicht bzw. erreichen
kann – entweder aus geographischen und historischen Gründen oder eben weil
die Verkündigung nicht jeden zu überzeugen vermag – aus welchen Gründen

315
Ebd.: 139.
316
Ebd.: 145.
317
Ebd.: 154.
318
Ebd.: 156.
319
Vgl. ebd.: 154-156.
320
Vgl. Rahner ST XV: 84-91.

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auch immer. Damit ist für Rahner gesichert, dass es nicht nur vorchristlich, son-
dern auch nachchristlich ein anonymes Christentum gibt, obwohl – heilsge-
schichtlich betrachtet – die nichtchristlichen Religionen eigentlich ihre raison
d’être verloren haben. Insofern wird man auch nur eingeschränkt von einer An-
erkennung der nichtchristlichen Religionen sprechen können. Sie sind Heilswe-
ge, aber dieses Heil ist christlich bestimmt und verstanden. Man könnte von ei-
ner ‚freundlichen Übernahme‘ anderer Religionen im Dienste christlicher
Selbstvergewisserung sprechen. Ihr Wahrheitsgehalt kann immer nur ein Anteil
an der christlichen Wahrheit sein, den es in den nichtchristlichen Religionen le-
diglich unthematisch gibt. Das Selbstverständnis eben dieser Religionen spielt
für ihren Status als Heilsweg keine konstitutive Rolle. „In the end“, wendet Paul
Knitter ein, „no matter how fruitful the work of the Spirit might be in other reli-
gions, no matter how many genuinely holy people are found within them – per-
sons walking along other religious paths do not really know where they are go-
ing; they don‘t really know who they are. This is because for Rahner, as for the
Evangelicals, there is an only in his theology: only Jesus Christ is the final cause
of salvation.“321 Knitters letzte Bemerkung leitet implizit zu der von ihm präfe-
rierten pluralistischen Perspektive über, deutet aber auf ein gravierendes Prob-
lem inklusivistischer Argumentation: Kann es eine theologische Anerkennung
nichtchristlicher Religionen geben, wenn allein Christus der Weg ist? Mögen die
Religionen ihr Verständnis von Erlösung, vom Ziel, das es zu erreichen gilt,
vom personalen oder nichtpersonalen Charakter des Absoluten im eigenen Be-
reich und untereinander diskutieren, mögen sie dabei auch ihr eigens kritischen
Potenzial herausarbeiten und weiter schärfen, so gilt nach Bertram Stubenrauch,
der Knitters Bedenken zu bestätigen scheint: „Aber nur vom Christusereignis
her gewinnt diese Anstrengung ihren theologischen Sinn. … In Christus und im
Pneuma, das die Welt durchwaltet, sind alle Religionen, deren Absicht lauter ist,
an der menschlichen Gottesbeschreibung beteiligt.“322 Schon der erste Teil des

321
Knitter 2010: 74.
322
Stubenrauch in Müller 1998: 366f.

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Zitats ist geradezu kürzeste Formulierung einer inklusivistischen Sicht. Um auf


George Steiners Überlegungen zu Babel zurückzukommen: Können andere
Sprachen tatsächlich Welt angemessen erschließen und legitim eine eigene Per-
spektive begründeten, wenn es nur eine Sprache als Referenzmodell gibt?
Schwerlich ließe sich noch von Übersetzungen im Sinne Steiners sprechen, die
von einer prinzipiellen Gleichwertigkeit der Sprachen ausgeht, sondern eher von
Klarstellungen, insofern es nur eine letztlich normative Sprache gibt. Können, so
die Übertragung, andere Religionen eine angemessene Sprache/Symbolisierung
der an alle Menschen gerichteten Selbstmitteilung Gottes darstellen, wenn es nur
eine Religion gibt, in der (1) die eine tatsächliche, ‚wahre‘ Wirklichkeit auch
explizit gewusst wird und (2) auch angemessen symbolisiert wird? Hier hinter-
lässt der Inklusivismus, Rahners Theorie des anonymen oder impliziten Chris-
tentums eingeschlossen, ungelöste Fragen, auch dann, wenn man Rahners Theo-
rie primär als Diskurs zur innerchristlichen Selbstverständigung interpretiert.
Auch für Rahners jüngeren Mitbruder, Jacques Dupuis, bleibt Christus einzigar-
tig und konstitutiv für das Heil aller Menschen, „the human face of god“323. Alle
Formen außerchristlicher Religionen sind demgegenüber nur unvollständige Ge-
sichter des göttlichen Mysteriums, denn, so Dupuis mit Joh 1,18, „niemand hat
jemals den Vater gesehen als allein der Sohn“324. Deutlicher jedoch als Rahner
ist für Dupuis der religiöse Pluralismus nicht nur als Faktum zu akzeptieren, ihm
kommt auch eine positive Bedeutung zu, was für eine Theologie der Religionen
auch methodische Konsequenzen haben muss: „The method of such a theology
would have to be inductive, which meant dialogical and comparative, in keeping
with the hermeneutical code from context to text and vice versa.“325 So sieht
Klaus von Stosch die Religionstheologie Dupuisʼ aufgrund ihrer „Verbindung
der qualitativen Einzigkeit Jesu Christi mit der positiven Würdigung religiöser
Pluralität“ zutreffend „an der Nahtstelle zwischen Inklusivismus und Pluralis-

323
Dupuis 2005: 294-304; zu Depuis vgl. von Stosch 2012: 117-122.
324
Dupuis 2005: 279.
325
Ebd.: 385.

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mus“ positioniert326. Eben dieser Befund dürfte wohl auch die lehramtlichen Be-
denken provoziert haben. Andere Religionen sind mehr als Samenkörner und
Vorstufen des Christentums, sie verhalten sich komplementär zu ihm327, was
voraussetzt, dass im geschichtlich greifbaren Christentum die Wahrheit zumin-
dest noch nicht vollendet für alle Menschen offenbar zutage liegt. Insofern kön-
nen Christen von anderen Religionen lernen, auch wenn diese Religionen ihrer-
seits die Selbstzusage Gottes, wie sie in Christus gekommen ist, nicht ergänzen
oder etwas völlig Neues hinzufügen. Es bleibt also eine theologisch nicht auf-
hebbare Asymmetrie innerhalb der interreligiösen Komplementarität: Der Lern-
prozess etwa, den Christen durchlaufen, bezieht sich nämlich letztlich nur auf
die Möglichkeit, das, was in Christus geschichtlich endgültig gekommen ist, ge-
nauer zu verstehen und zu entfalten. Dies kann möglicherweise in anderen Reli-
gionen sogar geschichtlich besser zum Ausdruck gekommen sein als im Chris-
tentum. Dupuis zögert aber – und zwar nicht erst seit seinem Konflikt mit dem
Lehramt und der Notifikation der Glaubenskongregation328 –, den anderen Reli-
gionen einen eigenen, von der Offenbarung in Christus unabhängigen Status
einzuräumen, was wohl auch den Schritt zum Pluralismus bedeutet hätte. Ent-
sprechend wird ihm etwa von Perry Schmidt-Leukel Inkonsequenz und seinem
Modell Inkonsistenz bescheinigt: Er könne die Wertschätzung anderer Religio-
nen und die konstitutive Heilsbedeutung Christi – für Dupuis die beiden Brenn-
punkte einer Ellipse – nicht zu einem überzeugenden Konzept vereinigen. Das
Scheitern des Inklusivismus bei Rahner und Dupuis ist aus der Sicht pluralisti-
scher Religionstheologen nicht im Unvermögen der Person, sondern in der Sa-
che begründet, es wird verbunden, was einander unaufhebbar widerspricht329.
Aber auch aus der Sicht einer komparativen Theologie der Religionen (s.u.)
bleiben die von Dupuisʼ verwendeten Maßstäbe interreligiös nicht hinreichend

326
Von Stosch 2012: 117.
327
Vgl. ebd.: 326-329.
328
Vgl. Dupuis 2005: 434-438(Appendix1); auch auf der Homepage des Vatikans:
http://www.vatican.va/roman_curia/congregations/cfaith/documents/rc_con_cfaith_doc_20010124_dupuis_
en.html (letzter Zugriff: 12/04/2014).
329
Vgl. Schmidt-Leukel 2005: 147-149.

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ausgewiesen und bedürfen hinsichtlich ihrer genaueren Bedeutung im jeweiligen


religiösen, kulturellen und historischen Zusammenhang einer sorgfältigen Ana-
lyse. Bedeutungen sind nicht in einem absoluten Sinn je schon gegeben, sondern
kontextabhängig und historisch variabel selbst innerhalb einer einzigen Religion
oder Konfession330.

d) Der eine Gott und die vielen Wege: das pluralistische Modell Die
von Rahner und Dupuis so emphatisch festgehaltene Endgültigkeit und Irrever-
sibilität der Heilszusage, die mit Leben, Tod und Auferstehung Jesu als Anbruch
der neuen Schöpfung manifest wurde, kennt freilich ein Noch-nicht, von dem
Rahner auch mehrfach ausführlich spricht331. Die Schöpfung ist nicht schon im
vollendeten, erlösten Stande, der Auferweckte selbst hat, wie schon Paulus in 1
Kor 15 einschärfte, noch eine Zukunft. Darum ist der konkrete Verlauf der wei-
teren Geschichte keineswegs schon absehbar. Ihre jeweiligen Formen und Struk-
turen werden freilich durch den hoffenden Ausgriff auf die absolute Zukunft
stets neu relativiert und dürfen sich nicht absolut setzen332. Es ist also ein von
Gott nicht mehr revozierter Anfang gemacht, auf den aber eine Geschichte folgt,
von deren Dauer und Verlauf die ersten Christen wohl kaum eine Vorstellung
hatten. Dass nach der konstantinischen Wende die römischen und griechischen
Kulte allmählich von der geschichtlichen Oberfläche verschwanden – ob sie
nicht subkutan weiterwirkten, ist eine interessante Frage –, mochte den Eindruck
eines unaufhaltsamen Siegeszuges des Christentums erwecken. Man wusste
nichts oder doch nur wenig von den anderen Religionen vor allem in Asien, die
an Lebendigkeit und kultureller Wirksamkeit nichts einbüßten. Mit der Entste-
hung einer neuen, ihrerseits Endgültigkeit beanspruchenden Religion, des Is-
lams, stieß auch das Christentum auf Grenzen, die sogar langsam enger wurden,
denn weite Teile des christlich gewordenen Weltkreises wurden vom Islam ero-
bert. Alles diese Entwicklungen lagen völlig außerhalb des Horizonts biblischer

330
Von Stosch 2012: 122.
331
Vgl. ST VIII: 555-609.
332
Ebd.: 577f.

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Naherwartung. Auf Grenzen stieß in der Neuzeit auch die christliche Mission
nach anfänglichen Erfolgen auch in Asien, wo Versuche, der anderen Kultur
sich zu assimilieren, auf lehramtliche Widerstände stießen und die Kombination
von Mission und Kolonisation sich schließlich als fatal erwies und scharfe Maß-
nahmen gegen Christen provozierte.
Auch das Judentum lebte – obwohl von christlicher Seite mehrfach tot gesagt
und unter denkbar schwierigen Voraussetzungen weiter. Auch in einer mehrheit-
lich christlich oder islamisch geprägten Gesellschaft entwickelte es eine reiche,
differenzierte religiöse Tradition mit ihren bewahrenden, kreativen und auch kri-
tischen Aspekten: angefangen von den rabbinischen Schriften über die Platon-
und Aristoteles-Rezeption im Mittelalter, die Kabbala und schließlich der Re-
zeption der europäischen Aufklärung Ende des 18. Jahrhunderts. Verfolgungen
im Namen des Messias Jesus werden auf jüdischer Seite als endgültige Falsifi-
kation der christlichen Botschaft gewertet.
Die Rede von der alle Menschen, Kulturen und Epochen umgreifenden Endgül-
tigkeit des Heils in Jesus Christus behauptet also mehr, als hic et nunc eingelöst
werden kann. Jedenfalls scheint es, als stünde der christliche Anspruch ange-
sichts einer innerweltlich wohl kaum aufhebbaren Pluralität von Religionen ei-
nerseits und der alle vergangenen Katastrophen überbietenden Schrecken des 20.
Jahrhunderts andererseits (die auch ihre christliche Vorgeschichte haben), zum
empirischen Befund in einem kaum noch auszuräumenden Widerspruch. Der
transzendentale Ansatz, auf dem Rahners Inklusivismus basiert, setzt sich dem
Verdacht einer Verdrängungsstrategie aus, den Rahners Schüler Johann Baptist
Metz schon in den siebziger Jahren artikulierte333. Der Versuch, dem Christen-
tum „durch Transzendentalisierung eine Art Omnipräsenz“ zu verleihen, sichert
dessen zunehmend bedrohte Identität auf Kosten des gewaltsam integrierten Be-
sonderen und ignoriert die aller Versöhnung spottenden geschichtlichen Brü-
che334.

333
Vgl. Metz 1992: 152-164.
334
Ebd.: 161 und 158.

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Es sind also wesentlich zwei Befunde, die auch die inklusivistische Position zu-
nehmend der Kritik aussetzen: Eine differenziertere Wahrnehmung der unter-
schiedlichen religiösen Traditionen und ihres Reichtums zwingt dazu, so die
pluralistische Religionstheologie, deren Eigenrecht unabhängig vom Christen-
tum anzuerkennen; gleichzeitig betont die neue Politische Theologie den tiefen
Widerspruch zwischen der anwachsenden geschichtlichen Negativität und dem
Anspruch einer nicht bloß verheißenen, sondern bereits irreversibel in Gang ge-
kommenen Erlösung in Jesus Christus als dem unüberbietbaren Höhepunkt der
Heilsgeschichte. Beide Befunde werden uns in diesem und im nächsten Teil
noch eingehender beschäftigen.
Die Anerkennung des Eigenrechts anderer Religionen – und zwar unabhängig
von einer christlichen ‚Platzanweisung‘ – wurde zunehmend von Theologen aus
dem angelsächsischen Raum gefordert. Die von Perry Schmidt-Leukel so ge-
nannte religionstheologische Doppelfrage –
(1) Wie versteht und beurteilt das Christentum andere Religionen und
(2) Wie versteht und beurteilt das Christentum sich selbst angesichts der anderen Religio-
nen335

– wurde von den Vertretern einer pluralistischen Religionstheologie so beant-


wortet, dass das Christentum im Zusammenhang einer an alle Menschen erge-
henden Selbstbekundung Gottes steht, die sich dann aber auf unterschiedliche
Weise geschichtlich konkretisiert. Die Offenbarung in Jesus Christus ist damit
weder der absolute Höhepunkt der Heilsgeschichte, auf den die menschliche
Selbsttranszendenz bezogen ist als ihre definitive Erfüllung, noch ist er die
Überbietung aller anderen religionsgeschichtlichen Phänomene, sondern er bil-
det lediglich eine neben anderen Formen der Objektivation göttlicher Offenba-
rung, die durchaus gleichberechtigt nebeneinander stehen. Die entscheidende
Differenz zum Inklusivismus liegt prima facie in der Bedeutung, welche für die
pluralistische Religionstheologie die Christologie hat, wie etwa John Hicks Kri-

335
Schmidt Leukel 2005: 34.

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tik an Rahners These eines anonymen Christentums zeigt. Sie stelle nur auf den
ersten Blick eine kühne Erneuerung der Theologie dar, während in Wahrheit
doch auch hier nur das Christentum die wahre Religion sei, die von den Nicht-
christen eben implizit affirmiert werde336. Hick spricht von einem „ad hoc-
Kunstgriff“, denn es sei letztlich ebenso „leicht – und genauso willkürlich –
gläubige Christen als anonyme Muslime und anonyme Hindus zu bezeichnen
wie gläubige Hindus oder Muslime als anonyme Christen“337. Dies ist in beson-
derem Maße mit Blick auf den Islam von Bedeutung, da dieser mit dem Chris-
tentum konkurriert in dem Anspruch, eine letztgültige und unüberbietbare Of-
fenbarung empfangen zu haben. Eine solche Sicht, so Hick, sei im Grunde der
letzte Versuch, das Selbstverständnis des Christentums als der absoluten Religi-
on zu retten und gleichzeitig der Einsicht in die wahrscheinlich nicht aufhebbare
Pluralität der Religionen Rechnung zu tragen. Mit dem Begriff der ‚absoluten
Religion‘ verweist Hick auf die von Hegel über Troeltsch bis in die Gegenwart
reichende Diskussion über den Superioritätsanspruch des Christentums338. Die
Rede von der Absolutheit des Christentums ist, worauf Ernst Troeltsch (1865-
1923) ausdrücklich verweist, jüngeren Ursprungs:
„Der Ausdruck ‚Absolutheit‘ entstammt der modernen evolutionistischen Apologetik und
hat nur unter ihren Voraussetzungen einen bestimmten Sinn, insofern er den Horizont der
allgemeinen Religionsgeschichte, die Anerkennung aller nichtchristlichen Religionen als
relativer Wahrheiten und die Konstruktion des Christentums als der diese relativen Wahr-
heiten zu der absoluten vollendenden Gestalt der Religion einschliesst. Der Ausdruck,
seine Voraussetzungen und sein Inhalt sind also durch und durch moderne Schulbegriffe
und gerade durch die Nivellierung alles menschlichen Geschehens in der modernen Histo-
rie bedingt.“339

Der Begriff antwortet also auf eine Verlegenheit, die dadurch entsteht, dass sich
das Christentum mit einem immer deutlicher ins Bewusstsein tretenden religiö-

336
Vgl. Hick 2002: 38.
337
Ebd.: 31.
338
Vgl. Waldenfels 2005: 210-214.
339
Troeltsch 1902: 9.

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sen Pluralismus einerseits und den Ergebnissen der modernen Kulturwissen-


schaften andererseits auseinandersetzen muss. In diesem Prozess zergeht die
Absolutheit des Christentums, wie sie für ein naives Verständnis gegeben war,
d.h. das Christentum verliert seine Konkurrenzlosigkeit, Selbstverständlichkeit
und lebensweltliche Evidenz340. Aber auch die Überführung des ‚naiven Abso-
lutheitsanspruchs‘ in einen philosophisch und argumentativ besser gesicherten
vermag nicht zu überzeugen. So pointierte Troeltsch gegen Hegels anspruchs-
vollen spekulativen Rettungsversuch des christlichen Überlegenheitsanspruchs
den historischen Befund, der eine Teleologie innerhalb der Religionsgeschichte
nicht erkennen lasse341. Insofern aber das Christentum primär „auf einer über-
wältigenden Kundgebung Gottes in den großen Propheten und deren Innenle-
ben“ beruht oder, wie es wenig später heißt, es sich „der Selbsterschließung Got-
tes im Kern des Gewissens und nicht der Richtigkeit des Denkens und Bewei-
sens verdankt“, gibt es so etwas wie eine Allgemeingültigkeit oder eine zweite
„naive Absolutheit des Christentums“342. Die darin vorausgesetzte Vereinigung
der Individualität (des historisch bestimmten, in sich differenzierten Christen-
tums) mit dem Allgemeinen wurde Troeltsch allerdings bald schon zweifel-
haft343. Seine spätere Position, die der weiter vorangetrieben Kritik an einer vor-
schnellen Vereinigung von historischer Individualität der Religion mit der abso-
luten, allgemein verbindlichen Wahrheit entspringt, kommt einer pluralistischen
Theologie der Religionen recht nahe, wenn er schreibt, dass die absolute Wahr-
heit als Zusammenschluss von Individualität und Allgemeinheit „nicht in einer
der historischen Religionen selbst schon liegen kann, sondern daß sie alle in eine
gemeinsame Richtung deuten und alle aus innerem Antrieb in eine unbekannte
letzte Höhe streben, wo allein erst die letzte Einheit und das Objektiv-Absolute
liegen kann“344. Nach Abailards Collationes sive Dialogus und vor allem Les-

340
Vgl. ebd.: 96-100.
341
Vgl. Troeltsch 1902: 40-42; Troeltsch 1924: 66-70.
342
Troeltsch 1924: 73.
343
Vgl. ebd.: 75.
344
Ebd.: 82.

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sings Ringparabel im Nathan345 legt auch Troeltsch ein nicht nur von der Philo-
sophie, sondern mehr noch von der historischen Forschung und ihren Differen-
zierungen inspiriertes Plädoyer für den Verzicht auf einen theologischen Abso-
lutheitsanspruch vor. Die heutige pluralistische Theologie der Religionen ist also
nicht präzedenzlos, worauf auch Perry Schmidt-Leukel mit Blick auf Troeltsch
verweist346. Dieser Problemlage entspricht, wie Schmidt-Leukel und John Hick
argumentieren, nur ein weitgehender Wechsel der Perspektive. Hick spricht in
einer an Kant erinnernden Metapher347 von einer fälligen wahrhaft kopernikani-
schen Wende in der Theologie der Religionen: Wie in der Astronomie das Dog-
ma von der Geozentrik aufgegeben wurde, so muss auch das „Dogma, wonach
das Christentum das Zentrum bildet“, ersetzt werden durch den Gedanken, „dass
Gott der Mittelpunkt ist und alle Religionen der Menschheit, einschließlich un-
serer eigenen, ihm dienen und um ihn kreisen“348. Die bisherige christozentri-
sche Perspektive, die sich übrigens auch bei Rahners Inklusivismus mit dem Ab-
solutheitsanspruch eng verbindet349, wird damit ersetzt durch eine theozentri-
sche, einmal vorausgesetzt, dass tatsächlich alle Religionen um Gott kreisen.
Das hat erhebliche Auswirkungen auf das Verhältnis zur Christologie. Hick plä-
diert denn auch konsequent für eine metaphorische Deutung der Inkarnation in
Jesus Christus. „Wenn ein Mensch“, so Hick, „in seinem Leben eine bestimmte
Wahrheit oder einen bestimmten Wert ganz und gar verwirklicht, dann ist es
völlig natürlich, in metaphorischer Weise davon zu sprechen, dass sich diese
Wahrheit oder dieser Wert in seinem Leben verkörpert bzw. inkarniert hat“.
Eben dies kann, so Hick, von Jesus gesagt werden, was hingegen nicht bedeutet,
345
Vgl. Lessing, Werke I: 531-534.
346
Vgl. Schmidt-Leukel 2005: 167f.
347
„Man versuche es daher einmal, ob wir nicht in den Aufgaben der Metaphysik damit besser fortkommen, daß
wir annehmen, die Gegenstände müssen sich an unserem Erkenntniß richten, welches so schon besser nach
der verlangten Möglichkeit einer Erkenntniß derselben a priori zusammenstimmt, die über Gegenstände, ehe
sie uns gegeben werden etwas festsetzen soll. Es ist hiemit eben so, als mit den ersten Gedanken des Coper-
nicus bewandt, der, nachdem es mit der Erklärung der Himmelsbewegungen nicht gut fort wollte, wenn er
annahm, das Ganze Sternenheer drehe sich um den Zuschauer, versuchte, ob es nicht besser gelingen möchte,
wenn er den Zuschauer sich drehen und dagegen die Sterne in Ruhe ließ.“ (KrV: B XVI = Kant 1911b: 12)
348
Hick 2002: 40; vgl. auch ebd.: 76-79; vgl. auch Stubenrauch in Müller 1998: 359-364.
349
„Wenn das Christentum Christus ist, die absolute Tat Gottes am Menschen, in der Gott sich selbst gibt, dann
kann das Christentum und so die Kirche auf den Anspruch eines Absolutheitscharakters und auf eine univer-
sale Sendung nicht verzichten.“ (Rahner ST VIII: 339)

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„dass er von derselben Substanz wie Gott, der Vater, war oder dass er zwei voll-
ständige Naturen, eine menschliche und eine göttliche, besaß“350. Die Aufgabe,
Gottheit und Menschheit jeweils ungeschmälert festzuhalten, sei auch „nach fast
2000 Jahren christlicher Reflexion“ nicht befriedigend gelöst worden351. Auf der
Ebene einer Tatsachenbehauptung und in Kategorien einer Substanzmetaphysik
ist nach Hick eine Lösung auch nicht zu erwarten, denn die Rede von Inkarnati-
on sei mythologisch, d.h. symbolisch oder metaphorisch zu verstehen. „Denn
der Grund dafür“, so Hick, „dass es niemals gelungen ist, die wörtliche Bedeu-
tung der Inkarnationsidee zu bestimmen, liegt einfach darin, dass sie keine wört-
liche Bedeutung hat.“352 Was aber besagt dann deren poetische oder metaphori-
sche Bedeutung näherhin? „Man kann“, schreibt Hick, „durch sie ausdrücken,
dass Jesus unser lebendiger Kontakt zum transzendenten Gott ist. In seiner Ge-
genwart erfahren wir uns in der Gegenwart Gottes. Wir glauben, dass er auf eine
so wahrhafte Weise Gottes Diener ist, dass, wenn wir als seine Jünger leben, wir
zugleich nach dem Willen Gottes leben.“ Das schließt auch die Möglichkeit an-
derer Heilswege nicht nur außerhalb des sichtbaren Christentums, sondern auch
außerhalb der Offenbarung in Jesus explizit ein. „Wir können sagen“, schreibt
Hick zusammenfassend, „dass in Christus Heil ist, ohne sagen zu müssen, dass
es Heil nur in Christus gibt.“353 Dies richtet sich nicht bloß gegen exklusivisti-
sche, sondern ebenso gegen inklusivistische Positionen, die nach Hicks Auffas-
sung ebenfalls nur begrenzt dialogfähig sind, weil sie die Legitimität anderer
Religionen nicht uneingeschränkt festhalten.
Hicks Überlegungen zielen nicht auf eine Welteinheitsreligion, die er nicht für
„erstrebenswert“ hält, sie visieren vielmehr einen Zustand an, in dem „die ver-
schiedenen Traditionen sich selbst und einander nicht länger als rivalisierende
ideologische Gemeinschaften betrachten“. Die bereits angesprochene ‚nachba-
bylonische’ Situation der Religionen wird positiv bewertet; alle Religionen re-

350
Beide Zitate: Hick 2002: 32.
351
Ebd. 81.
352
Ebd. 82.
353
Beide Zitate: ebd.

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präsentierten unterschiedliche und geschichtsmächtig gewordene Typen religiö-


ser Erfahrung, unter denen Hick drei Grundtypen unterscheidet:
1. die Erfahrung des Absoluten als Person, die mit einem Willen ausgestattet ist;
2. die Erfahrung des gesamten Universums als einer Manifestation göttlicher Realität
(Naturmystik und kosmische Mystik) und
3. eine apersonale Erfahrung des Absoluten, wobei das Selbst, das diese Erfahrung
macht, seinerseits in der göttlichen Realität aufgeht354.

Insofern es sich hier aber um Erfahrungen handelt, die bereits sprachlich vermit-
telt und damit durch ein gewisses Maß an Reflexion gebrochen sind, muss noch
etwas angenommen werden, das gleichsam ‚hinter’ diesen Erfahrungen steht
und nicht unmittelbar benannt werden kann. Sieht man von der Naturmystik
einmal ab, die ja nicht ganz eindeutig ist und auch auf ein personal gedachtes
Absolutes bezogen werden kann, so bleiben für Hick und Schmidt-Leukel eigent-
lich nur zwei Typen übrig, die sich religionsgeschichtlich weiter ausdifferenzie-
ren: die personal und die apersonal objektivierte Erfahrung des Absoluten oder
Realen. Ersterer entsprechen eher die drei monotheistischen Religionen, letzterer
Teile der asiatischen Religionen, vor allem der Buddhismus. Auf jeden Fall
handelt es sich um sprachlich vermittelte Bilder eines Absoluten, das diese Bil-
der weit übersteigt355. Hick bemüht hier ausführlicher den Vergleich mit der Er-
kenntnistheorie Kants: Wie in der Gegenstandserkenntnis dem Subjekt konstitu-
tive Bedeutung bei der Ordnung der phänomenalen Wirklichkeit zukommt, so
kommt ihm eine solche auch bei der Gotteserfahrung – von der Kant freilich
nicht sprach – eine ähnlich Funktion zu. Wird die Gegenstandswelt von uns
vermittels der Kategorien aufgebaut – Substanz, Kausalität, Quantität, Qualität
etc. –, so baut sich die religiöse Welt durch die unterschiedlichen Gottesbilder
auf, die, als kulturell und geschichtlich entsprungene, religiöse Erfahrung konsti-
tuieren356. Die Differenz zu Kant sollte allerdings nicht übersehen werden: Wäh-
rend Kant die Kategorien als die unsere Erkenntnis strukturierenden Begriffe mit
354
Vgl. ebd. 102f.
355
Hick 2002, 113-126; Schmidt-Leukel 2005, 466-477.
356
Hick 2002, 113-118.

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der Vernunft selbst als gegeben ansieht, sind die Gottesbilder nicht einfach ein
Faktum der Vernunft, sondern als strukturierende Elemente selbst schon ge-
schichtlich entsprungen, kulturell geformt. Inwieweit dies nicht auch für die Ka-
tegorien gilt, kann hier nicht weiter diskutiert werden. In beiden Fällen aber
können wir über eine Welt jenseits dieses Vermittlungsgefüges keine gültige
Aussage machen, eben weil eine jede schon die subjektive Apparatur voraus-
setzt, von der doch abstrahiert werden soll.
Wir haben es sowohl erkenntnistheoretisch als auch religionsepistemologisch
bereits mit Phänomenen zu tun, während die von uns postulierte noumenale
Wirklichkeit unerreichbar bleibt, in den Worten Hicks: „Gott, wie die Menschen
ihn kennen, ist nicht Gott an sich, sondern Gott in Beziehung zur Menschheit,
vorgestellt und erfahren in den Begriffen einer konkreten, begrenzten Tradition
religiöser Erkenntnis und Reaktion.“357 Gott an sich bleibt unerkennbar, insofern
hatte auch Jesus Christus für ihn nicht Gott in seiner unverstellten Wirklichkeit
gezeigt. Alle Aussagen über Gott sind immer schon subjektiv vermittelt, d.h.
entweder Bilder oder – als Begriffe – gleichsam abstrahierte Bilder. Die prinzi-
pielle Unerkennbarkeit Gottes wird durch keine Religion überwunden, sondern
durch die Pluralität der Religionen eher bestätigt. Dass es unterschiedliche Reli-
gionen gibt mit untereinander oft kaum vereinbaren Vorstellungen und Zielen,
ist kein Unfall oder eine von Menschen verschuldete verzerrte Überlieferung der
‚wahren‘ Offenbarung, sondern gründet ‚in der Sache selbst‘, Keine Religion,
auch nicht das Christentum, kann darum für sich Letztgültigkeit beanspruchen,
als wäre sie die Empfängerin einer unüberbietbaren Offenbarung Gottes. Halten
wir einen Augenblick inne: Wenn Hick die noumenale Wirklichkeit oder das
‚Ding an sich‘ umstandslos mit Gott identifiziert, so hätte Kant wohl schwerlich
zugestimmt, denn über die Existenz Gottes vermögen wir nach Kant kraft der
theoretischen Vernunft keine positive oder negative Aussage zu machen. Hicks
erkenntnistheoretische Unbekümmertheit – mal will es scheinen als werde die

357
Ebd.: 117.

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alte intentio recta erneuert und alle Erkenntnis vorkritisch an einer ‚gegebenen‘
Wirklichkeit gemessen, mal wird der kritische Idealismus Kants bemüht, um die
Unmöglichkeit einer adäquaten Erkenntnis Gottes durch ein einziges religiöses
Symbolsystem darzulegen – ist mit Recht von Klaus von Stosch moniert wor-
den358. Woher nimmt Hick die Kenntnis erstens von einer erfahrbaren absoluten
Wirklichkeit und zweitens von der Inadäquatheit aller religiösen Symbolisierun-
gen? Gibt es einen Standpunkt jenseits dieser Symbolwelten, von dem aus Nähe
und Ferne zum Objekt zu beurteilen sind?
An der Erfahrbarkeit und extramentalen Existenz eines – wie auch immer zu
denkenden – Absoluten oder ‚absolut Realen‘ hält auch die pluralistische Theo-
logie fest, insofern sie Theologie bleiben will, auch wenn die Modelle, mit de-
nen die Behauptung begründet werden soll, innertheologisch keineswegs kon-
sensfähig sind. Dies gilt auch für Tradition negativer Theologie, der sich die plu-
ralistische Theologie der Religionen besonders verbunden weiß. Die theologia
negativa reicht bis in die Antike zurück, man denke etwa an die neuplatonische
Philosophie und an den von ihr beeinflussten (Pseudo-)Dionysios Areopagita,
den „Kronzeugen der ‚negativen Theologie‘“359. Aber auch die mittelalterlichen
Zeugen sind beachtlich: In der Philosophie des Maimonides (1135/38-1204), der
auch von christlichen Autoren wie Albert, Thomas, Meister Eckart und Nikolaus
Cusanus rezipiert wurde, kommt der neuplatonisch inspirierten und biblisch un-
termauerten negativen Theologie eine wichtige Funktion zu, nämlich den Mono-
theismus ungeschmälert festzuhalten (was sich wohl auch gegen christliche
Deutungen richtet) und vor menschlichen Projektionen zu bewahren. Das Ange-
sicht Gottes kann nach Ex 33,23 kein Mensch, nicht einmal Moshe, schauen;
seine Bitte wird von Gott zurückgewiesen, lediglich den ‚Rücken‘ Gottes darf er
sehen. Maimonides zieht daraus in den Kapiteln 21 und 54 des ersten Buchs sei-
nes Moreh Nevuchim (Führer der Verwirrten) weitreichende philosophische
Folgerungen: Was nämlich als Attribute Gottes angesehen wird, also als Aussa-

358
Vgl. von Stosch 2012: 29-42. – Diese Kritik wird gilt aber nur eingeschränkt für Perry Schmidt-Leukel.
359
Schmidt-Leukel 2005, 203.

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gen über sein Wesen, betrifft in Wahrheit lediglich Bezeichnungen sind, die aus
seinen Werken und Taten geschlossen werden. „So oft nämlich irgendeine einer
[Gottes, R.B.] Wirkungen erkannt wird, wird Gott eine Eigenschaft beigelegt,
von welcher diese Wirkung herkommt, und mit einem Namen benannt, der von
dieser Wirkung abgeleitet ist.“360 Von den Wirkungen aber auf das Wesen zu
schließen, ist unzulässig, ja es ist sogar unmöglich, auch nur von einer Ähnlich-
keit zwischen Gott und seinen Geschöpfen zu sprechen. Eine Analogielehre, wie
sie später von Thomas entwickeln wird, und die bei größerer Unähnlichkeit doch
eine Ähnlichkeit konzediert, ist Maimonides fremd. Alle Begriffe, die wir auf
Gott anwenden, gelten nur in einem homonymen Sinne und dürfen nicht unmit-
telbar als Attribute seines Wesens angesehen werden361. So sind eigentlich nur
negative Aussagen von Gott möglich, ihm kommt, wie Maimonides betont, „auf
keinerlei Weise ein positives Attribut zu. In der Tat sind es die verneinenden
Aussagen, denen wir uns bedienen müssen, um das Denken zu dem hinzuleiten,
was wir in Bezug auf Gott glauben müssen, weil aus ihnen in keiner wie immer
gearteten Weise die Vorstellung einer Vielheit in Gott entstehen kann...“ 362
Mit Blick auf die christliche Trinitätslehre vertritt Nikolaus Cusanus (1401-
1464) zwar nicht mit der gleichen Konsequenz wie Maimonides eine negative
Theologie, aber man merkt unschwer, dass er ihr in seiner docta ignorantia den
Vorzug vor allen affirmativen Aussagen gibt, von denen zwar das Denken sei-
nen Ausgang nimmt, die sich aber doch als unzureichend, ja als gefährlich er-
weisen. Es gibt sogar eine sacra ignorantia, die uns die „Unausprechlichkeit
Gottes gelehrt“ hat, so dass es mit Dionysos und Maimonides angemessener ist,
wenn wir von Gott „alles Geschöpfliche abstreifen und verneinen“363. Ohne die
negative Theologie, so Cusanus, kann Gott „nicht als der unendliche Gott ver-
ehrt“ werden, „sondern vielmehr als Geschöpf [non coleretur ut deus infinitus,
sed potius ut creatura]. Eine solche Gottesvorstellung aber ist Götzendienst

360
Moreh I, 54 = Maimonides 1972, Band I: 181.
361
Vgl. I, 56.57.
362
I,58.
363
De docta ignor., I,26,87. = Nikolaus von Kues 2002, Band 1: 110f.

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364
[idolatria], der dem Bilde gibt, was nur der Wahrheit gebührt.“ Auch hier
geht es darum, den Gottesbegriff rein von aller endlichen Beimischung zu hal-
ten. Selbst für die Lehre von der Trinität gilt: Unter „dem Gesichtspunkt der Un-
endlichkeit ist Gott weder Eines noch vieles. Vom Standpunkt der negativen
Theologie findet sich in Gott nichts als Unendlichkeit. Ihr zufolge ist er darum
weder in dieser, noch in der künftigen Welt erkennbar, da jedes Geschöpf, wel-
ches das unendliche Licht nicht zu erfassen vermag, ihm gegenüber Finsternis
ist. Er ist vielmehr nur sich selbst bekannt [sed sibi solus notus est].“365 Gott
bleibt also auch im Stande der visio beatifica ein Geheimnis, weil die Differenz
von Schöpfer und Geschöpf durch die Erlösung nicht aufgehoben wird. Die uni-
o, von der im dritten Teil der docta ignorantia gesprochen wird, ist nicht Identi-
tät, sondern, nach dem Vorbild der hypostatischen Union Einheit des bleibend
Verschiedenen366.
Die negative Theologie des Cusaners neutralisiert freilich nicht die Christologie
zur bloßen Metapher im Sinne Hicks; hier gehen wohl die ‚gelehrte Unwissen-
heit‘ und die pluralistische Religionstheologie verschiedene Wege. In Christus
ist die Wahrheit unseres Leibes und unseres Geistes erst ganz zu sich gekom-
men, „ut sit una Christi humanitas in omnibus hominibus et unus Christi spiritus
in omnibus spiritibus“, damit am Ende „ein Christus aus allen sei“367. Wie im
Menschen die ganze Schöpfung repräsentiert ist – er ist geradezu ein Mikro-
kosmos „aut parva mundus“368 –, so ist in Christus die Wahrheit unseres Leibes
und Geistes realisiert. In ihm ist der Mensch und im Menschen die ganze Schöp-
fung versöhnt und geeint. Mag dies in der Kirche als Leib Christi bewusst sein,
so zielen die Gedanken des Cusaners im Grunde schon auf die ganze Mensch-
heit. Ausdrücklich vollzog diese Wendung, wie Ernst Cassirer zeigte, der Plato-
niker Marsilio Ficino (1433-1499). Seine Religionsphilosophie besitzt schon

364
I,26,86;= Nikolaus von Kues 2002, Band 1: 108-111, hier: 110f.
365
Nikolaus von Kues, De docta ignorantia: I,26,88 = Nikolaus von Kues 2002: Band 1: 112f.
366
Nikolaus von Kues, De docta ignorantia: III,260f
367
Nikolaus von Kues, De docta ignorantia: III,256
368
Nikolaus von Kues, De docta ignorantia: III,198.

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stärkere Affinitäten nicht nur zu inklusivistischen, sondern auch zu pluralisti-


schen Modellen. Der Religionsbegriff, so Cassirer, wird „nicht ausschließlich in
einer einzelnen Glaubensform, sondern in der Gesamtheit der historischen Glau-
bensformen verkörpert“369. Vorausgesetzt ist hier ein Offenbarungsbegriff, des-
sen Einheit „nicht anders als im Ganzen der Geschichte und in der Totalität ihrer
Gestaltungen zu suchen ist“370. Der geographisch und historisch erweiterte Hori-
zont hatte auch theologisch und religionsphilosophisch erhebliche Folgen. Es
scheint, dass für die ‚Avantgarde‘ des 15. Jahrhunderts exklusivistische Positio-
nen nicht mehr nachvollziehbar waren.
In der modernen pluralistischen Religionstheologie, zu der wir nun wieder zu-
rückkehren, wurde die negative Theologie, wie Schmidt-Leukel feststellt, „die
erste und grundlegende Voraussetzung“371. Schärfer noch als die meisten Dis-
kurse in Mittelalter und Renaissance, auf die sie sich beruft und deren Linien sie
konsequent auszieht, wird die völlige Transzendenz, Unbegreiflichkeit und Un-
ausprechlichkeit Gottes betont. Keine der bestehenden Religionen kann bean-
spruchen, ein letztgültiges Wissen über Gott, sein Wesen und seine Pläne – letz-
teres ist bereits ein Anthropomorphismus – zu besitzen. Das schließt aber die
Möglichkeit einer bestimmten Erfahrung, die man mit dem schlechthin trans-
zendenten Absoluten machen kann, nicht aus372, wobei alle Erzählungen, Bilder
und Texte, die eine solche Erfahrung zum Ausdruck bringen, bereits deren not-
wendige, aber niemals adäquate Objektivationen sind. Mit anderen Worten: Es
gibt zwar Offenbarung im Sinne einer Selbsterschließung des Absoluten, diese
ist aber nicht – hier stimmen die pluralistischen Theologen Rahner zu – eine
Mitteilung von Sätzen oder fertigen Inhalten, sondern eben Gott selbst, der aber
auch als der sich Offenbarende zugleich das Mysterium im strikten Sinne des
Begriffs bleibt. „Gott muss immer als jene Realität bestimmt werden, die alle
369
Cassirer 1994: 75.
370
Ebd. 76.
371
Schmidt-Leukel 2005: 195-211, hier: 207. Außerhalb einer Theologie der Religionen besitzt die lange Tra-
dition der negativen Theologie natürlich auch eine hohe Bedeutung – als Kontrollinstanz und in ideologie-
kritischer Absicht; vgl. Alois Halbmayr: Gottesrede als Einspruch. Das ideologiekritische Potential negati-
ver Theologie (in Halbmayr / Hoff 2008: 186-208).
372
Vgl. Schmidt-Leukel 2005: 219.

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begrifflichen Eingrenzungen und alle notwendigerweise endlichen Vorstellun-


gen übersteigt.“373 Auch Schmidt-Leukel knüpft an das Faktum menschlicher
Transzendenz an: dass nämlich der Mensch sich nicht in der Ordnung seiner
empirischen Erfahrungen und der intelligenten Befriedigung seiner Bedürfnisse
erschöpft, sondern diese endlichen Bereiche jeweils übersteigt und auf eine Er-
füllung vorgreift, deren Existenz im strengen Sinne freilich nicht schon bewie-
sen ist. Könnte es nicht sein, dass uns unsere eigene Vernunft narrt? Zumindest
aber ist die Ausrichtung auf eine absolute Wirklichkeit nicht widervernünftig,
sondern in der spezifischen Verfassung endlichen Geistes angelegt, ein Gedan-
ke, der von Rahners transzendentaltheologischer Grundlegung von Anthropolo-
gie und Offenbarung seinen Ausgang nehmen kann. Das in den Kategorien einer
auf Beherrschung ausgerichteten Rationalität nicht erfassbare Woraufhin
menschlicher Transzendenz bleibt, wie Rahner in einem berühmten Essay zeigt,
unaufhebbar Geheimnis und nicht etwa ein prinzipiell auflösbares Rätsel. Mit
Geheimnis ist also weder ein bloß vorläufig noch nicht Erkanntes gemeint, eine
Lücke in unserem Wissen, die bald geschlossen werden kann, noch ein Denk-
verbot oder eine quasi-mythische Gewalt. Der Begriff bezeichnet vielmehr die
nicht adäquat einholbare, unverfügbare Basis und Erfüllung aller in Denken und
vernünftiger Praxis vollzogenen Transzendenz des Menschen. Insofern dieses
Geheimnis in jedem – gerade auch alltäglichen – Akt der Selbstüberschreitung
unthematisch affirmiert wird, stellt dessen Erfahrung nichts Extraordinäres dar,
das etwa nur wenigen auserwählten Mystikern sich erschließt, sondern etwas
Selbstverständliches374. Der Begriff des Geheimnisses verwandelt also die Theo-
logie nicht in eine Arkanwissenschaft oder stellt sie auf eine irrationale Basis,
sondern erinnert das Denken insgesamt an einen ‚Primat des Objekts‘, d.h. an
die Unverfügbarkeit des alle geistige Dynamik Erfüllenden. Der Zusammenhang
von transzendentaler Erfahrung und Geheimnis verweist auf die Erbschaft nega-

373
Ebd.: 218.
374
Vgl. Karl Rahner: Über den Begriff des Geheimnisses in der katholischen Theologie (Rahner ST IV: 51-99;
zum Konnex von transzendentaler Erfahrung und Geheimnis vgl. ebd.: 68-81).

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tiver Theologie im Denken Karl Rahners, was hier in seinen fundamentaltheolo-


gischen und dogmatischen Konsequenzen nicht weiter erörtert werden kann.
Schmidt-Leukels Argumentation bleibt an spekulativer Tiefe zwar hinter derje-
nigen Rahners zurück, zielt aber auch auf eben jene nicht schon im Begriff ein-
holbare und adäquat darstellbarbare Erfüllung menschlicher Selbstüberschrei-
tung und scheint von daher besser fundiert als die Argumentation John Hicks. In
den Religionen wird eben dies, wie defizitär auch immer (das gilt auch für
christliche Objektiviationen transzendentaler Erfahrung), explizit375. Damit ist
allerdings nicht schon entschieden, ob sich Religion auf eine leere, personale
oder apersonale Unendlichkeit erstreckt. Eine leere Unendlichkeit wäre die ewig
unbefriedigte Selbsttranszendenz des Menschen – eine wenig erhebende Per-
spektive. So bleiben noch die beiden anderen, bereits von John Hick thematisier-
ten Möglichkeiten, die in den drei großen monotheistischen Religionen einer-
seits und im Buddhismus andererseits ihre prägnanteste Realisierung erfuhren.
Die erheblichen Unterschiede der Objektivation der ursprünglichen Transzen-
denzerfahrung führt Hick auf die jeweiligen kulturellen Kontexte zurück376, die
jedoch, so muss man hinzufügen, in vormodernen Gesellschaften niemals ohne
religiöse Codierung existieren. Damit ist allerdings Rahners inklusivistische Po-
sition zugunsten einer pluralistischen aufgegeben worden, eine Konsequenz, die
Hick, Schmidt-Leukel und Knitter auch explizit ziehen.
Muss man aber nicht im Sinne dieses Gedankengangs, um zu vermeiden, allen
Religionen heimlich doch noch eine theistische Option zu unterschieben, besser
von den diversen Erfahrungen und Wirkungen des Absoluten sprechen? Dies
wäre eine moderne Verlängerung jener Überlegungen, die schon Maimonides im
Führer der Verwirrten anstellte: Alle angeblichen Attribute Gottes seien in
Wahrheit nur seine Wirkungen auf uns. Die entscheidende Erfahrung aber, die
nach Paul Knitter (und ähnlich auch nach John Hick) sich in den Religionen

375
Perry Schmidt-Leukel verweist in diesem Zusammenhang auch explizit auf Anselm von Canterbury und Karl
Rahner (vgl. Schmidt-Leukel 2005: 197f), während er Rahners Begriff der transzendentalen Erfahrung für
seine Ausführungen zur religiösen Erfahrung (vgl. ebd.: 217-224) nicht fruchtbar macht.
376
Vgl. Hick 2002: 96.

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ausdrücke, sei die Erfahrung der Befreiung und so spreche man besser nicht von
Theozentrik, sondern von Soteriozentrik, von der aus eine pluralistische Theolo-
gie der Religionen entwickelt werden könne. Nicht ός, sondern ί wäre
demnach die angemessene Kategorie religiöser Erfahrung377. Dies bedeute, so
Knitter, nicht notwendig die Preisgabe einer transzendenten Wirklichkeit, viel-
mehr handele es sich um den Versuch, die alle Religionen verbindende Heilser-
fahrung angemessen auszudrücken378. Im Hintergrund steht hier nicht nur die
Befürchtung, theozentrische Ansätze unterstellten allen Religionen ein persona-
les Gottesverständnis; Knitter möchte zugleich eine Theologie der Religionen
mit einer Theologie der Befreiung fusionieren, und zwar so, dass Befreiung
nicht bloß ein weiterer Aspekt der Transzendenzerfahrung ist, sondern einer jeg-
lichen inhäriert. Die Frage ist freilich, ob man in allen Religionen unter Befrei-
ung dasselbe versteht oder nicht doch das Verhältnis zur materiellen, geschicht-
lichen Welt entscheidend den Begriff von Befreiung bestimmt. Kann eine Theo-
zentrik auf die prinzipielle Unerkennbarkeit des Absoluten verweisen und offen
bleiben für ganz unterschiedliche Symbolisierungen, so ist Befreiung von An-
fang an bezogen auf eine konkrete historische Situation und ihre Bewertung,
wenn sie nicht ein völlig abstrakter Begriff, im Grunde ein Fetisch werden soll;
es gibt keine Befreiung ‚schlechthin‘. Der nachdrücklich formulierte Einspruch
gegen Leid und Unrecht, die Geschichte als Ort, an dem der Kampf gegen bei-
des geführt wird, leitet sich historisch doch eher von einem biblisch geprägten
Denken ab. Macht es nicht einen erheblichen Unterschied, ob ein personal ge-
dachter, geschichtlich involvierter Gott ein geknechtetes Volk von seinen Unter-
drückern befreit und in ein Land führt, in dem Milch und Honig fließen oder ob
die Befreiung sich eher auf dem Weg nach innen vollzieht in fortschreitender
Negation allen auf einen Gegenstand gerichteten Wollens bis hin zum Verlö-
schen des Subjekts eben jenes Wollens? Gerade an diesem Punkt wird man er-

377
Vgl. Knitter 1997: 187.
378
Vgl. Knitter 1997: 186.

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heblichen interreligiösen Kontroversen zu rechnen haben, gerade wenn man den


Befreiungsbegriff so ernst nimmt, wie Knitter es mit Recht fordert.
Ob nun theozentrisch oder soteriozentrisch begründet, verweist die pluralistische
Religionstheologie auf ein Problem, das exklusivistische und inklusivistische
Modelle in der Tat kaum gelöst haben: Der Exklusivismus ist vollziehbar im
Grunde nur als Sprung in den – jede andere religiöse Form verwerfenden –
Glauben und konzipiert diesen als Dezisionismus. Der Inklusivismus Rahners
und Dupuis’ bietet zwar eine anspruchsvolle religionsphilosophische Grundlage
des Glaubens und eine Alternative zum Exklusivismus, hat aber Schwierigkei-
ten, wenn es um die Frage geht, warum gerade die kategoriale, besondere Of-
fenbarungsgeschichte, wie sie im Alten und Neuen Testament bezeugt ist, die
von aller schuldhaften Zweideutigkeit und Depravation freie, schlechthin ge-
glückte „Selbstauslegung der transzendentalen Selbstmitteilung Gottes in der
Geschichte“ sein soll, die „sich mit Recht als von Gott gesteuert und geführt
weiß“379. Das Kriterium ist nach Rahner im Christusereignis zu sehen380, inso-
fern eben hier Selbstzusage Gottes, freie menschliche Annahme und der Beginn
der Neuschöpfung in einem geschehen sind381. Dass es aber in jenem Jesus von
Nazareth geschichtlich sich ereignet hat, ist transzendental nicht ableitbar.
Nochmals sei betont, dass Rahner nicht die begonnene Erlösung in Jesus Chris-
tus transzendental ‚konstruiert‘, sondern die Bedingung der Möglichkeit des im
Glauben angenommene Geschehens rekonstruiert. Der Vorwurf einer zirkulären
Struktur ist damit nicht völlig von der Hand zu weisen, braucht von Rahner aber
auch nicht gescheut zu werden, denn er beansprucht keineswegs, eine anthropo-
logische Deduktion des geschichtlichen Ereignisses zu liefern. Dass jene voll-
kommene Übereignung der eigenen Freiheit in ihrer Finalisierung auf die abso-
lute Fülle in Gott durch Jesus Christus geschehen ist und so umgekehrt die Liebe
Gottes in ihm geschichtlich unüberbietbar sichtbar wurde, ist nicht Ergebnis ei-

379
Rahner 1976: 159.
380
Ebd.: 161.
381
Vgl. ebd.: 208-211.

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ner anthropologischen Reflexion, aber wohl auch nicht einer historisch-


kritischen Analyse des Neuen Testaments.
Die Ablehnung jener hier beanspruchten Endgültigkeit ist, unabhängig von einer
metaphysischen oder symbolischen Deutung der christologischen Formel von
Chalkedon, die Grundlage einer pluralistischen Theologie der Religionen, wie
Perry Schmidt-Leukel es auch unmissverständlich sagt382. Eine symbolische oder
mythologische Deutung der Christologie im Sinne Hicks gründet nicht nur im
Zweifel an der traditionellen Sprache der Christologie, sondern ist auch Folge
einer Relativierung des christlichen Erlösungsanspruchs. Wenn es mehrere,
grundsätzlich gleichwertige Objektivationen der Transzendenzerfahrung gibt,
die ja zu dieser nicht erst nachträglich hinzutreten, ist die Offenbarung in Jesus
Christus nicht die endgültige – und umgekehrt. Inkarnation ist nicht das einma-
lige Ereignis der Selbstmitteilung Gottes in Christus, sondern ein Grundzug der
Offenbarung, womit sicherlich etwas Richtiges erkannt wird383, denn ohne eine
leibliche und geschichtliche Rezeption und Konkretion der Selbstmitteilung
Gottes bliebe diese schlechthin wirkungslos. Jesus war auch nach Schmidt-
Leukel Mittler der göttlichen Offenbarung, aber doch nicht so dass ein endlicher
Mensch den unendlichen Gott erschöpfend zur Darstellung gebracht hätte, was,
so Schmidt-Leukel auch nach der Ansicht des Thomas unmöglich ist384. Darum
sei grundsätzlich damit zu rechnen, dass auf ähnliche Weise wie Jesus, „aber in
kulturell und religiös völlig anderen Kontexten, andere Menschen ebenfalls in
vergleichbarer Offenheit für die göttliche Wirklichkeit gelebt und durch ihr Le-
ben und ihre Lehren, wenn auch in ganz anderer Form, zu Mittlern göttlicher
Selbsterschließung geworden sind“385.
Gleichwohl möchte Schmidt-Leukel auf den Christus-Titel und die damit ver-
bundene Heilsrelevanz Christi nicht völlig verzichten: „Aus pluralistischer
Sicht“, schreibt er, „kann auch die Auffassung akzeptiert werden, dass Christus

382
Schmidt-Leukel 2005, 277.
383
Vgl. ebd. 291-296.
384
Vgl. Schmidt-Leukel 2005: 295f, unter Berufung auf STh III, q3, a7.
385
Schmidt-Leukel 2005: 296.

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die Ursache allen Heiles ist, wenn dabei unter ‚Christus‘ im Sinne vieler Kir-
chenväter der universale Logos verstanden wird. Wenn Christus gleich ‚Logos‘
ist und ‚Logos‘ (das göttliche ‚Wort‘) die universale Selbsterschließung Gottes
meint, dann ist die Aussage, Christus sei die Ursache allen Heils, lediglich die
spezielle christliche Formulierung der allgemeinen Aussage, dass die Selbster-
schließung Gottes die Ursache allen Heils ist.“386 Diese Überlegungen sind nicht
weit entfernt von den Logos-Spekulationen eines Philo und der alexandrinischen
Schule, die ja auch viele Kirchenväter beeinflusste. Allerdings spricht Schmidt-
Leukel hier noch von der ‚Selbsterschließung Gottes‘ und verbleibt damit im
Sprachspiel eines expliziten Theismus, während in der modernen Logos-Inter-
pretation dessen personale Form ebenso ausgeschlossen wird wie die von den
Vätern betonte Einmaligkeit seiner Inkarnation.
Man wird kaum bestreiten können, dass sich mit der pluralistischen Religions-
theologie, wie sie hier skizziert wurde, eine grundlegende Neuinterpretation des
Christentums verbindet, die, würde sie zu einer umfassenden kirchengeschichtli-
chen Tendenz, auf eine im Detail noch gar nicht absehbare Transformation des
bisher bekannten Christentums hinausliefe. Sie beinhaltet vor allem den Ab-
schied von dem Anspruch, die letzte und endgültige Offenbarung Gottes zu sein
(auch wenn die Evidenz des Gottesreiches noch aussteht), auf die alle Geschich-
te, Religion und Kultur implizit oder explizit bezogen bleibt. Pluralistische The-
ologie der Religionen impliziert, wie Klaus von Stosch es formuliert: „die Preis-
gabe von orthodoxer Christologie und Trinitätstheologie“387. Andererseits gibt
es eine Reihe von Gründen, die heute der pluralistischen Religionstheologie ein
hohes Maß an Plausibilität verleihen:

 die Einsicht in die absolute Transzendenz und Unverfügbarkeit Gottes als Basis
pluralistischer Religionstheologie konvergiert mit einer verbreiteten Skepsis gegen-
über dogmatischen Formulierungen und Definitionen;

386
Ebd.: 275f.
387
Vgl. von Stosch 2012: 42-55.

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 die faszinierende Erfahrung des Reichtums anderer Religionen und die Notwen-
digkeit einer interreligiösen Verständigung auf ‚Augenhöhe’ angesichts einer langen
und oft blutigen Geschichte des christlichen Überlegenheitsanspruchs;
 das Ende kultureller Homogenität und fester religiöser Identitäten, ein Prozess, der
sowohl zur Öffnung des Horizonts als auch zu fundamentalistischer Regression füh-
ren kann;
 und schließlich die zu lange strapazierte Hoffnung auf die vollständige Einlösung
der christlichen Verheißungen und des hohen Anspruchs einer endgültigen, erfül-
lenden Offenbarung, von der geschichtlich leider nicht viel sichtbar geworden ist.

Lehramtlich gibt es auch nachkonziliar gegen die pluralistische Theologie der


Religionen erhebliche Vorbehalte, die nicht nur einzelnen Ausprägungen dieses
Modells gelten, sondern auf eine prinzipielle Ablehnung hinauslaufen, wie deut-
lich aus der Erklärung Dominus Iesus (2000) hervorgeht. In der Nr. 4 richtet sich
die Kritik der Glaubenskongregation ausdrücklich gegen die Pluralistische
Theologie der Religionen und bescheinigt ihr eine relativistische Sicht:
„Die immer währende missionarische Verkündigung der Kirche wird heute durch relati-
vistische Theorien gefährdet, die den religiösen Pluralismus nicht nur de facto, sondern
auch de iure (oder prinzipiell) rechtfertigen wollen. In der Folge werden Wahrheiten als
überholt betrachtet, wie etwa der endgültige und vollständige Charakter der Offenbarung
Jesu Christi, die Natur des christlichen Glaubens im Verhältnis zu der inneren Überzeu-
gung in den anderen Religionen, die Inspiration der Bücher der Heiligen Schrift, die per-
sonale Einheit zwischen dem ewigen Wort und Jesus von Nazareth, die Einheit der Heils-
ordnung des Fleisch gewordenen Wortes und des Heiligen Geistes, die Einzigkeit und die
Heilsuniversalität Jesu Christi, die universale Heilsmittlerschaft der Kirche, die Untrenn-
barkeit – wenn auch Unterscheidbarkeit – zwischen dem Reich Gottes, dem Reich Christi
und der Kirche, die Subsistenz der einen Kirche Christi in der katholischen Kirche.“ 388

Es fällt auf, dass in den Relativismus-Verdacht jede Theologie gerät, die nicht
nur die – wohl schwerlich bestreitbare – Faktizität eines religiösen Pluralismus
zum Gegenstand hat („de facto“), sondern auch seine theologische Rechtferti-
gung („de iure“). Diese Formulierung ist entweder missverständlich, insofern
388
Dominus Iesus, Nr. 4. – Der Text ist auch auf der Homepage des Vatikans zugänglich:
http://www.vatican.va/roman_curia/congregations/cfaith/documents/rc_con_cfaith_doc_20000806_dominus-iesus_ge.html (letzter Zugriff: 18.12.2014)

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sie auch inklusivistische Modelle einschließt, die nichtchristliche Religionen


ausdrücklich als Heilswege anerkennen, selbst wenn dieses Heil explizit kein
anderes als das durch Christus begründete ist, oder die Erklärung steuert in Ab-
wehr des von ihr diagnostizierten Relativismus auf einen offenen Exklusivismus
zu. An dieser Stelle ist eine Entscheidung dieser Frage kaum möglich. Mit Recht
erkennt die Glaubenskongregation die theologische und religionsphilosophische
Basis der Pluralistischen Theologie der Religionen in der negativen Theologie,
der gemäß, wie es knapp und leider auch stark verkürzend heißt, „die göttliche
Wahrheit nicht fassbar und nicht aussprechbar ist, nicht einmal durch die christ-
liche Offenbarung“389. Gegenüber jener epistemologischen und ästhetischen (im
Sinne der Wahrnehmungslehre) Skepsis „muss vor allem der endgültige und
vollständige Charakter der Offenbarung Jesu Christi bekräftigt werden“, der so-
dann in Nr. 5 ausgeführt wird. Der Text fordert mit Hinwies auf Joh 14,6 und
die ungebrochene lehramtliche Tradition dazu auf, „fest zu glauben, dass im
Mysterium Jesu Christi, des Fleisch gewordenen Sohnes Gottes …, die Fülle der
göttlichen Wahrheit geoffenbart ist“390. Andere Religionen mögen Elemente die-
ser Wahrheit enthalten, doch sind sie niemals der christlichen Wahrheit ebenbür-
tig, die erst die ganze Fülle der göttlichen Offenbarung zugänglich macht und
von ihr getragen ist. „Im Gegensatz zum Glauben der Kirche“ mahnt die Erklä-
rung nochmals, „steht deshalb die Meinung, die Offenbarung Jesu Christi sei
begrenzt, unvollständig, unvollkommen und komplementär zu jener in den ande-
ren Religionen. Der tiefste Grund dieser Meinung liegt in der Behauptung, dass
die Wahrheit über Gott in seiner Globalität und Vollständigkeit von keiner ge-
schichtlichen Religion, also auch nicht vom Christentum und nicht einmal von
Jesus Christus, erfasst und kundgetan werden könne. Diese Auffassung wider-
spricht radikal den vorausgehenden Glaubensaussagen, gemäß denen in Jesus
Christus das Heilsmysterium Gottes ganz und vollständig geoffenbart ist.“391

389
Ebd.
390
Dominus Iesus, Nr. 5.
391
Dominus Iesus, Nr. 5.

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Abgelehnt wird damit ausdrücklich auch jede Form von Komplementarität von
Christentum und nichtchristlichen Religionen, wie sie auch in bestimmten inklu-
sivistischen Positionen zumindest hinsichtlich ihrer Voraussetzungen und Kon-
sequenzen genauer durchdacht wird. Zur Pluralistischen Theologie der Religio-
nen ist damit die Kommunikation abgebrochen worden und eine Theologie,
welche orthodox bleiben will, ist hier eindeutig positiv wie negativ festgelegt.
Eine grundlegende Änderung dieser lehramtlichen Position ist in der nächsten Zeit
kaum zu erwarten.
Indessen fallen die biblischen (vor allem neutestamentlichen) und theologiege-
schichtlichen Belege für die eigene Position bei Vertretern des Pluralismus deut-
lich magerer aus als bei ihren Gegnern, und die breiter belegbare negative Theolo-
gie als ‚Basistheorie’ mündete in der Tradition zumindest faktisch nicht in eine
pluralistische Position. Andererseits öffneten sich weite Teile der katholischen und
evangelischen Theologie gegenüber dem Judentum in einem Maße, das die Auf-
merksamkeit pluralistischer Religionstheologen weckte: Man nahm von der Ju-
denmission und der Substitutionstheorie Abschied und unterstrich in den wichtigs-
ten Dokumenten den bleibenden Bund Gottes mit Israel, auch wenn Juden in Jesus
von Nazareth nicht den Messias und die definitive Selbstmitteilung Gottes sehen.
Gibt es also in mindestens einem Fall Heil an Christus vorbei? Der Nachdruck auf
der bleibenden Erwählung Israels, der sich in den einschlägigen Texten findet, er-
weckt in der Tat eher den Eindruck als werde ein im Bund mit Abraham und am
Sinai begründeter eigener Heilsweg für Israel vorausgesetzt, was von paradigmati-
scher Bedeutung wäre, jedoch die Ausführungen von Dominus Iesus relativieren
müsste. Umgekehrt wird von jüdischer Seite der Verzicht auf eine ‚hohe Christo-
logie’ und den christlichen Überlegenheitsanspruch, die bislang das Verhältnis
beider Religionen stark belasteten, positiv bewertet392. Wenn nun, so Schmidt-

392
Vgl. Dabru emet. Text unter http://www.icjs.org/what/njsp/dabruemet.html (letzter Zugriff: 16. 12. 2014);
dazu die Beiträge in Kampling/Weinreich 2003; siehe auch Schmidt-Leukel 2005: 338-343. Es wäre allerdings
auf jüdischer Seite eine Illusion zu glauben, dass die katholische Kirche von lehramtlicher Seite für das Juden-
tum ein Heil jenseits von Christus konzedieren würde. Dominus Iesus schließt jedenfalls eine solche Perspektive
aus. Das Judentum ist nicht Objekt einer aktiven Mission, doch bleibt der von Christus eröffnete Weg der einzi-
ge, dessen Wahrheit und Gültigkeit am Ende der Tage erkannt wird.

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Leukel, unter Berufung auf die unbestreitbare religionsgeschichtliche und theolo-


gische Nähe von Judentum und Christentum keine „inklusivistische Allianz“ zwi-
schen beiden Religionen angestrebt werden soll, lässt sich auch gegenüber den an-
deren Religionen der christliche Absolutheitsanspruch nicht länger aufrecht erhal-
ten, und es ist mit der Möglichkeit zu rechnen, dass auch sie gültige Heilswege
darstellen393. Die Fragen, auf die Schmidt-Leukel Theologie und Lehramt aufmerk-
sam macht, sind durchaus von Gewicht, und die Diskussion kann – trotz Dominus
Iesus – in keiner Weise als abgeschlossen betrachtet werden.
Die pluralistische Theologie der Religionen gewinnt viel, vermag sie doch die
Gleichrangigkeit und Ebenbürtigkeit der Gesprächspartner uneingeschränkt fest-
zuhalten. Auch ist sie keine Repristination der Vernunftreligion des 18. Jahr-
hunderts, sondern denkt die übernatürliche Bestimmung des Menschen, den uni-
versalen Heilswillen des transzendenten Absoluten konsequent weiter. Man
könnte sie durchaus als anspruchsvolle Erwiderung auf Holbachs Spott über den
Offenbarungsbegriff und seine Unklarheiten interpretieren. Der Preis für die so
gewonnene Offenheit ist freilich hoch: Diese Konzeption lässt sich nur noch
schwer von einer Konkurserklärung der spezifisch christlichen Hoffnung – dass
nämlich in diesem einen das Heil der Menschheit, ja der ganzen Schöpfung, de-
finitiv angebrochen sei – unterscheiden. Zudem bleibt der von Schmidt-Leukel
so oft strapazierte Begriff des Heils eher vage und nur in dieser Unbestimmtheit
– ähnlich Knitters Begriff der Befreiung – ist er für eine pluralistische Theologie
der Religionen geeignet, die nicht nur den absoluten Geltungsanspruch des
Christentums, sondern auch jeder anderen Religion, sofern er dort überhaupt er-
hoben wird, einschränkt. Ob dies nichtchristlichen Gesprächspartnern die gebüh-
rende Achtung zollt – wovon Hick, Knitter und Schmidt-Leukel überzeugt sind
–, oder eher, wie Klaus von Stosch meint, zusammen mit dem Inklusivismus als
Ergebnis „eines liberalen Universalismus und damit [!] eines westlichen kultu-
rellen Hegemonialstrebens“394 zu sehen ist, sei dahingestellt. Die lehramtlichen

393
Vgl. Schmidt-Leukel 2005: 322-328.
394
Von Stosch 2012: 61.

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Reserven sind angesichts der verbleibenden Fragen nicht einfach als Zeichen
einer rückwärtsgewandten Theologie der Religionen zu deuten, der es an Kon-
sequenz und Courage fehlt. Sie registrieren auf ihre Weise einen Paradigmen-
wechsel in der Theologie der Religionen, dessen Konsequenzen sehr weit rei-
chen. Als massive Intervention droht Dominus Iesus aber auch die fällige Dis-
kussion zu blockieren, indem Ergebnisse präjudiziert werden, so dass es nur
noch auf den Weg ankommt, das vorgegebene Ziel zu erreichen.

e) Ein vierter Weg? Die komparative Theologie oder: ‚Der liebe Gott
steckt im Detail‘ Die logisch möglichen Varianten einer entfalteten umfas-
senden Theologie der Religionen sind damit genannt395, wenn auch nicht in allen
internen Varianten vollständig dargestellt. Das Ergebnis bleibt unbefriedigend,
denn keinem der drei Basismodelle scheint es zu gelingen, die Anerkennung des
Fremden und Anderen und den Unbedingtheitsanspruch des Christentums ohne
Einschränkung festzuhalten. Gibt es einen Ausweg aus dieser Aporie? Der für
nicht wenige Zeitgenossen attraktive pluralistische Weg stellt, wie wir gesehen
haben, die universale Geltung der Erlösungstat Christi zur Disposition; indessen
kann der christliche Glaube, so Klaus von Stosch, „nicht darauf verzichten, die
Heilsuniversalität Christi in dem Sinne zu behaupten, dass Jesus von Nazareth
als normative, irreversible und unüberbietbare Gestaltwerdung der allen Men-
schen zu allen Zeiten geltenden bedingungslosen Selbstzusage geglaubt wird.
Damit behauptet er beides: die einmalige Besonderheit Jesu Christi und die be-
dingungslose Liebe jedes Menschen“396. Aber eben dieser Glaube ist nur in be-
stimmten Epochen und eng begrenzten Lebenswelten evident, er bedarf der in-
ternen wie externen Rechtfertigung und Entfaltung; intern, insofern das Chris-
tentum kein monolithischer Block ist, sondern konfessionelle Differenzen mit
unterschiedlichen theologischen ‚Sprachen‘ aufweist; extern, weil hier über-

395
„Jenseits einer atheistisch/naturalistischen Position“, so Schmidt-Leukel, „kann es sich hierbei aus christli-
cher Sicht nur um eine Variante des Exklusivismus, des Inklusivismus und des Pluralismus handeln.“
(Schmidt-Leukel 2005: 95)
396
Von Stosch 2010: 93f; vgl. auch Knitter 2010: 211-213.

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haupt durch Vergleich und Übersetzung im Detail eine Verständigungsbasis mit


anderen, uns zunehmend näher rückenden Religionen gefunden werden kann,
welche jedoch die religionstheologischen ‚Großerzählungen‘ nicht bieten. We-
der innerchristlich noch außerchristlich ist unumstritten, was genau mit dem
christlichen Anspruch genau gemeint ist und auf welches Verständnis sich An-
nahme, Kritik oder Ablehnung gründen. Umgekehrt ist auch das Selbstverständ-
nis anderer Religionen zu allen Zeiten, in allen Regionen und allen Gruppen
keineswegs identisch. Um Fragen der Geltung, der Praxis und der sozialen Ge-
stalt der Religionen beantworten zu können, sind übergreifende Modelle einer
Theologie der Religionen wenig hilfreich: erstens sind sie miteinander nicht
kompatibel, zweitens sind sie vor allem mit den Problemen ihrer Begründung
beschäftigt und weniger mit den Religionen in ihren kulturellen, historischen,
spirituellen und sozialen Konkretionen; drittens sind alle Argumente, die für o-
der gegen die drei Ansätze sprechen, ausgetauscht worden, ohne dass sich ein
klares Ergebnis abzeichnet.
Dieser Befund spricht für ein Moratorium der ‚religionstheologischen Großer-
zählungen‘, und in der Tat plädiert Klaus von Stosch für eine solche Pause, de-
ren Dauer ebenso offen ist wie die Rückkehr zu einer umfassenden Theologie
der Religionen397. Dies bedeutet aber gerade keinen theologischen Stillstand, die
‚Pause‘ wird vielmehr genutzt, um sich „dem konkreten Einzelfall und damit
spezifischen Feldern der Auseinandersetzung“398 zu widmen; an anderer Stelle
spricht von Stosch auch von der mikrologischen Ebene oder der mikrologischen
Vorgehensweise399. Es werden keine pauschalen Werturteile über Religionen
getroffen, sondern die unterschiedlichen religiösen Traditionen und Theologien,
„in denen die kognitiven Elemente von Religionen bestimmt sind“400, müssen
sowohl innerhalb einer Religion (denn bereits hier gibt es gravierende Unter-

397
Vgl. von Stosch 2012: 222.
398
Von Stosch 2002, 307.
399
Vgl. von Stosch: Komparative Theologie als Hauptaufgabe der Theologie der Zukunft, in: Bernhardt / von
Stosch 2009: 15-33, hier: 20-22; von Stosch 2010: 95.
400
Von Stosch 2012: 224.

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schiede) als auch mit Elementen anderer Religionen auf synchroner und dia-
chroner Ebene verglichen werden, ein Vergleich, der sowohl einzelne Inhalte als
auch Strukturen umfasst. So können sich in religiösen Phänomenen, die inhalt-
lich stark differieren, durchaus ähnliche Strukturen finden. „Nach einer solchen
Hinwendung zum Einzelfall wird aber nicht mehr allgemein über Religion
nachgedacht, sondern über konkrete religiöse Überzeugungen, und deshalb
scheint es mir sinnvoller, die dann erfolgenden theologischen Überlegungen
nicht der Theologie der Religionen zuzuordnen, sondern der Komparativen The-
ologie.“401 Natürlich wird man nicht behaupten können, dass die Komparative
Theologie voraussetzungslos arbeite; die theologischen und religionsphilosophi-
schen Auffassungen der einzelnen TheologInnen fließen in die Forschungsarbeit
ein und bedürfen ihrerseits der Kritik402.
Eben dies bildet in aller Kürze das Programm einer Komparativen Theologie der
Religionen, wie sie im angelsächsischen Raum bereits u.a. von Francis Clooney,
James Fredericks und Robert Neville entwickelt wurde403. Sie alle beanspruchen
nicht, eine vierte religionstheologische Großerzählung zu entwickeln, sondern
ein methodisches Programm oder eine theologische Praxis, auf deren Basis ein
interreligiöser Dialog gehaltvoll getrieben und von Sachkenntnis getragen sein
kann. Gegenüber den unterschiedlichen religiösen Sprachen soll keine ‚Meta-
sprache‘ entwickelt, sondern die einzelnen religiösen ‚Sprachspiele‘ selbst (die-
se verstanden als kontextbezogene Gesamtheit „der Sprache und der Tätigkeiten,
mit denen sie verwoben ist“404) im Prozess des Dialogs verglichen und – wenn
möglich – zueinander vermittelt werden. „Voraussetzung dafür ist natürlich eine
detaillierte Kenntnis nicht nur der eigenen, sondern auch der theologischen Posi-
tion des bzw. der Anderen.“405 Dabei ist zu beachten, dass die unterschiedlichen
Religionen ihrerseits hochgradig differenzierte Gebilde sind, so dass globale
401
Von Stosch 2012: 219. Von Stosch erinnert in diesem Zusammenhang an Wittgensteins Rede von der „Tie-
fengrammatik“ im Unterschied zur „Oberflächengrammatik“ (vgl. Wittgenstein 1995: 478f [Nr. 664]).
402
Vgl. Robert Cummings Neville: Philosophische Grundlagen und Methoden der Komparativen Theologie, in:
Bernhardt / von Stosch 2009: 35-54. Hier: 48-54; von Stosch 2012: 221f.
403
Vgl. hierzu auch die Darstellung bei Knitter 2010: 205-215.
404
Wittgenstein 1995: 241.
405
Von Stosch in Bernhardt / von Stosch 2009: 15-33, hier: 23.

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Theorien über das Judentum, den Islam, das Christentum, den Hinduismus oder
den Buddhismus wenig zur Verständigung beitragen. Sehr schön belegt dies von
Stosch am Beispiel von Judentum und Islam im Unterschied zum Christentum:
Während im Christentum die Einheit der Glaubenden, d.h. der innere Zusam-
menhang der Glaubenslehre und des Bekenntnisses konstitutiv ist, entsteht im
Judentum die Einheit „nicht durch ein gemeinsames Bekenntnis, sondern durch
das gemeinsame Befolgen der Tora“406. Im Islam stehen die ethische und ästhe-
tische Rekonstruktion des Koran im Zentrum, wobei gerade hier ein Vergleich
mit dem Judentum nahe liegt, Parallelen und Differenzen aufgezeigt werden
können. Zu beachten sind auch die unterschiedlichen Richtungen innerhalb der
beiden Religionen, die je eigene Ausprägungen des Offenbarungsverständnisses
kennen407. Für das Verhältnis von Christentum und Islam mildert gerade eine
mikrologische Untersuchung der (gelebten) Traditionen einen scharfen Gegen-
satz beider Religionen ohne die Differenzen und die je eigenen Ansprüche ein-
zuebnen. „Denn auch wenn man daran festhält, dass Gott sich in Jesus von Na-
zareth in unüberbietbarer, irreversibler, definitiver und normativer Weise den
Menschen zugesagt hat, schließt das nicht aus, dass sich derselbe Gott an ande-
rer Stelle in seiner Schönheit zeigt und durch seine Schönheit um die Liebe und
Hingabe des Menschen wirbt.“408 Es kann also in einer anderen Religion – hier
im Islam – ein Aspekt der Offenbarung bewusst und im Fortgang der Tradition
entfaltet werden, die im Christentum nicht explizit wurde, ohne dass dieser Be-
fund dem christlichen Anspruch und Selbstverständnis widerspricht.
Auf den ersten Blick scheinen sich hier Einsichten der Komparativen Theologie
mit dem – allerdings inklusivistischen – Modell eines Jacques Dupuis zu berüh-
ren. Unübersehbar ist aber auch, dass von Stosch sich, anders als Dupuis, eines
übergreifenden Erklärungsansatzes (‚Modell‘) enthält zugunsten eines möglichst

406
Von Stosch 2010: 107. – Ein anderes Thema, an dem die Fruchtbarkeit und kritische Kraft der komparativen
Methode sich erweisen kann, ist die Ausgestaltung Abrahams in der hebräischen Bibel, im Judentum, im
Christentum und im Islam, die oft apologetischen Interessen folgt und nicht zu harmonisieren ist vgl. etwa
Levenson 2012, dazu Buchholz 2014.
407
Vgl. von Stosch 2010: 109-119.
408
Ebd.: 119f.

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differenzierten Vergleichs der verschiedenen Theologien, Traditionen und Prak-


tiken. Und hier liegt ohne Zweifel eine Stärke der Komparativen Theologie.
Während für ein übergreifendes Modell oft das bloße Faktum des Pluralismus
genügt, um die Denkbewegung zur Beantwortung der Frage nach einer spezi-
fisch theologischen Bewertung eben dieses Pluralismus in Gang zu setzen,
mahnt die Komparative Theologie dazu, sich den religiösen Phänomen selbst
zuzuwenden, sie in ihrer inneren synchronen wie diachronen Differenzierung
wahrzunehmen und auf ihre sozialen Träger zu beziehen. Nicht ‚der Mensch‘,
‚die Religion‘, ‚die Transzendenz‘ oder ‚das Heil‘ in ihrer summarischen Fas-
sung, sondern die unterschiedlichen Ausprägungen menschlicher Transzendenz,
die von der der ‚immanenten‘ Verfassung keineswegs zu trennen sind, stehen im
Zentrum der Aufmerksamkeit. Komparative Theologie erfordert nicht nur eine
gründliche Kenntnis der unterschiedlichen Religionen und ihrer spezifischen
Ausprägungen, sondern auch eine gemeinsame Forschungsarbeit mit jenen, die
diesen verschiedenen Traditionen angehören. Die nichtchristlichen Religionen
hören auf, exotische Gegenstände theologischer und religionswissenschaftlicher
Forschung zu sein; Menschen unterschiedlicher Religionen werden von Objek-
ten zu kooperierenden Subjekten einer Forschungsarbeit, die zugleich ein wech-
selseitiger Lernprozess ist. Während gerade in der systematischen Theologie die
Menschen als lebendige, vergesellschaftete und in bestimmten religiösen wie
kulturellen Kontexten stehende Wesen allenfalls in Fußnoten vorkommen, gera-
ten sie hier in den Fokus des Interesses409.
Damit deutet sich allerdings auch ein Problem an, denn es muss sich zeigen, ob
dieses ambitionierte Konzept einer mikrologisch verfahrenden und Kompatibili-
täten untersuchenden komparativen Theologie erstens eine uneingeschränkt
überzeugende Alternative zu den bisherigen Theologien der Religion darstellt
und zweitens auf Dauer einer zumindest impliziten Entscheidung zugunsten ei-

409
Für das Judentum hatte André Neher dies sehr schön auf den Punkt gebracht: „Es gibt kein Judentum ohne
Juden.“ (Neher 1995: 10) Und diese Juden sind weder isolierte Individuen, noch auf eine abstrakte Ich-Du-
Beziehung reduzierbaren Existenzen, sondern sie stehen in einer Traditionen und in sozialen Verbindungen,
die ihnen nicht etwa äußerlich sind, sondern als konstitutiv angesehen werden müssen.

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nes der drei religionstheologischen Grundmodelle entgehen kann. Mit ihrer For-
derung, nicht von oben weg im Sinne einer vorgefassten Theorie sich den religi-
ösen Phänomenen zu widmen, greift sie einen Gedanken auf, mit dem bereits
Hegels Phänomenologie des Geistes einsetzte, dass nämlich die Wissenschaft
ganz „bey der Sache ist und sich ihr hingibt“410. Sie soll sich „an der Sache
selbst“411 abarbeiten, ihrer Bewegung folgen, jenseits der vorgefassten Meinun-
gen und Urteile. Unübersehbar ist aber auch, dass die Komparative Theologie
als religionsphänomenologische und theologische Feldforschung412 weitgehend
auf das spekulative Moment verzichten möchte, um sich ganz auf das ‚Material‘
und auf die unterschiedlichen Gesprächspartner zu konzentrieren, ja der Ver-
zicht auf religionsphilosophische Reflexionen wird zum Kriterium der Objekti-
vität, wie umgekehrt jede an die spekulative Tradition erinnernde Überschrei-
tung des in sich differenzierten empirischen Materials in den Verdacht des Vor-
urteils oder vielleicht gar im Sinne Wittgensteins einer „Verhexung unseres Ver-
standes durch die Mittel der Sprache“413 gerät, insofern, auf unseren Zusammen-
hang bezogen, theologische Sprache unscharf, d.h. abgelöst von ihrer spezifi-
schen ‚Grammatik‘ oder den Regeln ihres Gebrauchs innerhalb eines spezifi-
schen kulturell-religiösen Sprachspiels gebraucht wird. Auch wenn die Wahr-
heitsfrage nicht sistiert wird, so bleibt sie doch stets nur bezogen auf streng ein-
gegrenzte einzelne Phänomene und enthält sich einer umfassenderen Wertung.
„Die Philosophie“ schreibt Wittgenstein in den Philosophischen Untersuchun-
gen, „darf den tatsächlichen Gebrauch der Sprache in keiner Weise antasten, sie
kann ihn am Ende also nur beschreiben. Sie kann ihn auch nicht begründen. Sie
läßt alles, wie es ist.“414 Das schließt, bezogen auf die ‚Grammatik‘ der Religio-
nen, jede Form einer ‚freundlichen‘ oder ‚feindlichen‘ Übernahme ebenso aus
wie alles Besserwissen unter globaler Perspektive. Es kommt darauf an, die ein-

410
Hegel 1980: 11.
411
Ebd.: 53.
412
Zum Begriff der Feldforschung vgl. Burke 2014: 40-52.
413
Wittgenstein 1995: 299 (Nr. 109). Zur Spätphilosophie Wittgensteins vgl. Kenny 2007: 137-143; zu ihrer
möglichen theologischen Adaptation vgl. von Stosch 2001: 96-112, ders. 2012: 175-193.
414
Wittgenstein 1995: 302 (Nr. 124).

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zelnen Bedeutungen in ihrem spezifischen Gebrauch zu erschließen und zu ver-


gleichen, denn nur auf dieser Klärung kann ein interreligiöser Dialog aufbauen.
Die Anerkennung der anderen Religion wird nicht abgeleitet aus einem ‚Wesen‘
dieser oder jener Religion, ebenso wenig aus einer a priori feststehenden Theo-
logie der Religionen, sondern sie liegt dem gesamten Verfahren zugrunde415.
Allerdings fragt es sich, ob die religiösen Phänomene sowohl religionswissen-
schaftlich als auch theologisch auf der Basis einer ausschließlich mikrologischen
Methode angemessen zur Darstellung gelangen. Um die Schlüsselmetapher aus
Adornos Antrittsvorlesung aufzugreifen416: Wie in den bisherigen Formen einer
Theologie der Religionen der Schlüssel zu groß war, um die Phänomene aufzu-
schließen, so könnte er sich in der Komparativen Theologie als zu klein erwei-
sen. Das je Einzelne ist überhaupt erst verstehbar in dem Kontext, in dem es
steht, sein Spezifisches entfaltet und in der Auseinandersetzung mit seinem Um-
feld zugleich verändert. Denn das je Einzelne ist nicht in einem statischen Sinne,
sondern es bewegt sich synchron wie diachron. Wirklichkeit – soziale, kulturel-
le, politische und religiöse – ist verstehbar nur als Text, in dem das Einzelne be-
deutet – ein Gedanke, der dem späten Wittgenstein keineswegs fern lag. Damit
ist aber nicht nur der engere Kontext gemeint, sondern auch der weitere Zu-
sammenhang, und zwar selbst dann, wenn die ‚Webmuster‘ des Textes wech-
seln. Deutungen und „Hintergrundannahmen“, die jeder „zum großen Teil mit
den Menschen seiner Sprachgemeinschaft teilt“417, haben ihrerseits eine Genese,
die in die kulturellen ‚Sprachspiele‘ selbst konstitutiv eingeht, von der aber in
der Wittgensteinschen Philosophie abstrahiert wird, da hier die Beschreibung im
Zentrum des Interesses steht. Religionen und Zivilisationen ‚haben‘ nicht nur
eine Geschichte als ein ihnen äußeres ‚Kleid‘, sondern ihre Geschichte geht kon-
stitutiv in ihr Webmuster ein; im kleinsten Detail ist ihre Geschichte monadolo-
gisch aufgespeichert. Die ‚Grammatiken‘ der Texte (und hierzu gehören auch

415
Die Fruchtbarkeit dieser Zugangsweise muss sich in Studien zu unterschiedlichen Problemfeldern bewähren,
so etwa in der Reihe Beiträge zur Komparativen Theologie, die von Stosch herausgibt.
416
Vgl. Adorno, Die Aktualität der Philosophie = Adorno GS 1: 325-344, hier: 340f.
417
Von Stosch 2012: 178.

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die Religionen) als deutende ‚Lektüre‘ des Wirklichen verändern sich im Zu-
sammenspiel mit anderen ‚Texten‘. Texte bilden ‚Wirklichkeit‘ nicht einfach ab,
sondern machen sie lesbar auf Bedeutung hin; Wirklichkeit wird erst im und
durch den Text bedeutsam. Es ist darum auch kein Sakrileg, nach der Bedeutung
einzelner Elemente in einem größeren Zusammenhang zu fragen oder, auf unser
Thema bezogen: zu erörtern, was das Faktum religiöser Pluralität für eine
christliche Theologie bedeutet, welchen Sinn es theologisch hat, dass auch post
Christum natum Religionen (wie der Islam) entstanden sind, sich fortentwickel-
ten, eigene Symbolwelten entwickelten und Geltungsansprüche erhoben. Eine
solche Frage (deren Beantwortung eine Theologie der Religionen impliziert) ist
nur dann sinnlos, wenn die einzelnen religiösen Phänomene und ‚Grammatiken‘
in einem absoluten Sinne für sich stehen.
Entsprechend fordern Autoren unterschiedlicher Richtungen wie Claude Ozan-
kom418 oder Perry Schmidt-Leukel, „dass die komparative Arbeit für die religi-
onstheologischen Problemstellungen offen, ja mehr noch, sensibel bleibt“, denn
wozu, „sollen diese durchaus fruchtbaren Hinweise dienen, wenn nicht letztend-
lich dazu, ihren Teil zu einer religionstheologischen Entscheidung beizutragen,
bei der es eben unausweichlich darum geht, ob solche Kompatibilitäten nun im
Sinne des Inklusivismus oder des Pluralismus zu deuten sind oder ob die even-
tuelle Inkompatibilität nicht doch eher den Exklusivismus stützt“419. Wenn
Klaus von Stosch für das Christentum reklamiert, Gott habe sich in Jesus Chris-
tus unüberbietbar, universal und irreversibel geoffenbart, so hat dieser theologi-
sche Satz in seiner apodiktischen Form und Universalität Implikationen, die ei-
nem übergreifenden religionstheologischen Modell – also einer Theologie der
Religionen – sehr nahe kommen. Anderenfalls handelte es sich um eine verglei-
chende Religionswissenschaft, die ebenfalls für das Christentum den Anspruch
einer Unüberbietbarkeit der göttlichen Selbstmitteilung in Christus deskriptiv
konstatieren kann, aber er steht jenseits aller Wertung und geprüften Geltung

418
Vgl. Ozankom 2007: : 376-378; ders. 2012: 225-228.
419
Schmidt Leukel 2005: 93f.

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neben anderen Ansprüchen. In der Tat war während der Anfangsphase im 19.
Jahrhundert die ‚Komparative Theologie‘ nicht so eindeutig der konfessionellen
Theologie oder der konfessionell unabhängig operierenden vergleichenden Reli-
gionswissenschaft zuzuordnen; entsprechend unscharf war noch die Terminolo-
gie. So erhielt 1868 der Orientalist und Religionswissenschaftler Max Müller
(1823-1900) in Oxford einen Lehrstuhl für Comparative Theology420. Heute
würde man die Disziplin, die Müller in Oxford vertrat, eher Vergleichende Reli-
gionswissenschaft nennen. Eines seiner bekanntesten Werke, Introduction to the
Science of Religion (1873; new edition 1882) nennt zwar die Komparative Theo-
logie im Titel nicht, erkennt in ihr aber eine zukunftsweisende Teildisziplin, die
einen zentralen Platz in der entstehenden Religionswissenschaft beanspruchen
darf, d.h. „the science of religion is divided into two parts; the former, which has
to deal with the historical forms of religion, is called Comparative Theology, the
latter, which has to explain the conditions under which religion, whether in its
highest or its lowest form, is possible, is called Theoretic Theology.”421 Die Fra-
ge nach der Bedingung der Möglich-
keit von Religion verweist auf die
transzendentale Argumentationsfigur,
und in der Tat erinnert Müller explizit
an die Tradition von Leibniz bis
Kant. In der Konstitution menschli-
cher Vernunft selbst liegt eine Ver-
wiesenheit auf das Unendliche, die
in einer eigenen Reflexion – eben der
Theoretic Theology – zu thematisieren ist. Müllers Betonung der Objektivität
und Unparteilichkeit religionswissenschaftlicher Arbeit422 läuft also – worauf
Hugh Nicholson mit Recht aufmerksam machte423 – nicht darauf hinaus, philo-

420
Vgl. Burke 2012: 74 / Burke 2014: 88.
421
Müller 1882: 16f; deutsche Übersetzung: Müller 1876: 19.
422
Vgl. Müller 1882: 7f; deutsche Übersetzung: Müller 1976: 8f.
423
Vgl. Nicholson 2011: 22f.

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sophische und theologische Interessen gänzlich zu eliminieren. Dabei bleibt er


allerdings nicht nur einer konfessionell gebundenen Theologie gegenüber skep-
tisch, sondern räumt auch die Möglichkeit ein, dass die Fragen der Theoretic
Theology eines Tages als überholt angesehen werden könnten und die Compara-
tive Theology, der er als neuer Disziplin sich in seinem Werk hauptsächlich
widmen möchte, ihre ältere Kollegin ablöst424. Die Theoretic Theology ist in
Müllers Verständnis und Terminologie noch nicht exklusiv auf die Religionsphi-
losophie bezogen, sondern schließt auch Reflexionen ein, die heute etwa als Er-
schließung und Begründung des Offenbarungsbegriffs im Kontext der Funda-
mentaltheologie vertraut sind. Indessen zeichnet sich bereits im 19. Jahrhundert
der Konflikt ab zwischen einer gewissen positivistischen Engführung religions-
wissenschaftlicher Forschung einerseits und einer eher spekulativen religions-
philosophischen Frage nach der Möglichkeitsbedingung von Religion und reli-
giösem Bewusstsein andererseits. Gleichwohl verschwindet das spekulative
Moment aus Müllers Verständnis von Religionswissenschaft noch nicht gänz-
lich. Im heutigen Selbstverständnis einer wissenschaftlichen Beschäftigung mit
Religion außerhalb konfessioneller Theologien wird die Theoretic Theology
Müllers der Religionsphilosophie zugewiesen, während die Vergleichende Reli-
gionswissenschaft – Müllers Comparative Theology – sich eher am Ideal histo-
risch und empirisch arbeitender Wissenschaften orientiert.
Es scheint, als hätte das spannungsreiche Verhältnis von Comparative und The-
oretic Theology in der frühen science of religion eine Entsprechung auf der Ebe-
ne der aktuellen konfessionellen Theologie, und zwar in der Kontroverse zwi-
schen von Stosch und den Vertretern einer Theologie der Religionen. Die Frage
nach Grund und Geltung religiöser Traditionen lässt sich nicht einfach mit dem
Hinweis auf die empirisch-mikrologische Forschung abweisen. Sobald ein be-
stimmtes Bekenntnis Fragen nach Geltung, Stellenwert und Begründung provo-
ziert, sind die Grenzen einer rein mikrologisch-komparativ verfahrenden Theo-

424
Vgl. Müller 1882: 17; deutsche Übersetzung: Müller 1876: 20.

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logie, so fruchtbar sie sich als Methode auch erweist, überschritten; mit andern
Worten: Die Bekenntnisse selbst haben systematisch-spekulative Implikationen,
die von Stosch noch in der Rekonstruktionen eines modernen Offenbarungsver-
ständnisses entfaltete425. Dem steht in der Entfaltung des Programms Kompara-
tiver Theologie der – scheinbar selbstbewusst und irritationsfest vorgetragene –
Abschied von einer spekulativ begründeten Theologie der Religionen gegen-
über, der freilich nicht ganz so konsequent durchgehalten wird, wie er verbal
daherkommt. Als konfessionelle Theologie bleibt auch für die Komparative
Theologie der Universalitätsanspruch christlicher Soteriologie und Eschatologie
normativ und die entsprechenden Konsequenzen daraus werden durch eine reli-
gionstheologische ἐποχή nicht benannt, sondern eher umgangen. Schmidt-
Leukel verweist darauf, dass von Stosch in früheren Publikationen die Errun-
genschaften einer Theologie der Religionen nicht pauschal bestritten hatte426.
Und selbst in seiner ausführlichen Entfaltung des Programms sowie der episte-
mologischen Voraussetzungen und der Methoden Komparativer Theologie geht
von Stosch in seiner Diskussion der Christologie sowie jüdischer und christli-
cher Soteriologie in eine Argumentation über, die starke Affinitäten zu einem
‚offenen Inklusivismus‘ aufweist427. Dass „die Parusie Christi, dessen eschato-
logisches Antlitz weder die Kirche noch Israel kennen, … das entscheidende
noch ausstehende Ereignis für Juden und Christen“ darstelle, kann nur aus
christlicher Perspektive, und auch hier nur in einem inklusivistischen Referenz-
425
Vgl. von Stosch 2010: 46-73.
426
Vgl. etwa von Stosch 2002: 308 (Anm. 40), wo er mahnt, man solle „damit vorsichtig sein, die Errungen-
schaften der traditionellen Modellbildung der Theologie der Religionen gänzlich zugunsten der Mikrologie
komparativer Theologie aufzugeben. So kann man sicherlich im Gedächtnis behalten, daß es nicht a priori
falsch ist, wenn wir uns als Christinnen und Christen von den anderen das Bild machen, daß sie durch eine
anonyme Beziehung zu Jesus Christus ihr Heil wirken. Wichtig ist es dabei nur zu sehen, daß sich uns die
Bedeutung dieser Kennzeichnung wegen ihres grammatischen Charakters erst durch Korrelationsversuche er-
schließt, die auch andere Bilder als akzeptabel erscheinen lassen können. Insofern können wir für den Frem-
den zwar mitunter nur durch die Kennzeichnung aus dem Eigenen heraus eine Hoffnungsperspektive entwi-
ckeln, und es ist m.E. legitim, wenn eine Glaubensgemeinschaft als ganze eine solche Hoffnungsperspektive
formuliert.“ Vgl. zu dieser Stelle Schmidt-Leukel 2005: 94f.
427
Vgl. von Stosch 2012: 271-282. So ist auch die Forderung, „die gesamte christliche Dogmatik so zu formu-
lieren, ‚dass sie die bleibende Erwählung Israels einschließt‘“ und auch nicht auf eine „qualitative Überbie-
tung (oder gar Aufhebung) der Offenbarung an das Judentum“ hinausläuft (ebd.: 281f), kein Spezifikum
Komparativer Theologie, sondern mit einem offenen Inklusivismus, der die Möglichkeit von Offenbarung
und Heil auch in anderen Religionen prinzipiell anerkennt, durchaus vereinbar. Für das Judentum kann etwa
auf die grundlegenden Studien Josef Wohlmuths verwiesen werden.

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system, überzeugen428. Von Stosch schwächt in einer Fußnote seine Position ab,
wenn er schreibt, „dass man christlicherseits gar nicht so sehr auf der ausdrück-
lichen Identifikation dieses Messias mit Christus drängen sollte“ und verweist
mit Recht darauf, dass nicht alle jüdische Hoffnungen „in Christus abgegolten“
sind429. Eine solche Auffassung kommt einer – zumindest auf das Judentum be-
zogenen – pluralistischen Position mit komparativen Korrekturen schon recht
nahe. Was Francis Clooney betrifft, so konnte Schmidt-Leukel überzeugend dar-
legen, dass, bei aller Bedeutung detaillierter Analysen, doch eine Affinität zu
inklusivistischen Positionen besteht, „da sie sowohl die Treue zu den universa-
len Ansprüchen der eigenen religiösen Tradition als auch die Anerkennung von
Wahrheit jenseits der konfessionellen Grenzen Rechnung trage“430. Bezeichnet
es aber einen Fortschritt über das religionstheologische Dilemma, wenn die
Theologie der Religionen gleichsam ‚unter dem Ladentisch‘ gehandelt wird?
Vielleicht ist die Komparative Theologie, paradox ausgedrückt, eine produktive
Resignation: Angesichts dessen, dass eine mit dem Lehramt konforme Theolo-
gie der Religionen als inklusivistische stets den Beigeschmack einer ‚freundli-
chen Übernahme‘ hat, vertagt man die Frage, was die Religionen theologisch
(für-) einander sind ad calendas graecas und erfreut sich des ungeheuren Reich-
tums der religiösen Traditionen (einschließlich ihrer Heterogenität), der in ge-
meinsamer Forschungsarbeit und ohne klandestine Kolonialisierung des Ande-
ren sich erschließt. Von der Realisierung des Programms Komparativer Theolo-
gie darf man noch viel erwarten, aber es gibt aber eine ausgesparte Mitte, etwas,
worüber ‚man‘ nicht spricht, weil es peinlich wäre und das gerade so in beson-
derer Weise präsent ist. Würde es explizit, liefe dies in der Konsequenz genau
darauf hinaus, wogegen von Stosch sich so nachdrücklich und gegenüber eini-
gen Autoren zuweilen in gereiztem Ton wendet: die Übernahme einer sorgfältig
ausgearbeiteten und praktizierten komparativen Methode als eine Korrektur und

428
Von Stosch 2012: 278.
429
Vgl. ebd.: Anm. 64
430
Schmidt-Leukel 2005: 93 unter Verweis auf Francis Clooney: Theology After Vedanta. An Experiment in
Comparative Theology, Albany 1993, 194f.

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ständige Kontrolle bestehender religionstheologischer Basismodelle, die weiter-


hin ihre Gültigkeit behalten, da Zweifel bleiben, ob der Anspruch der Kompara-
tiven Theologie, eine theologische Alternative zu den Großerzählungen Exklusi-
vismus, Inklusivismus und Pluralismus zu bilden, argumentativ eingelöst wurde,
ja sich überhaupt einlösen lässt.
Nicht unerwähnt bleiben soll, dass die Komparative Theologie keineswegs das
einzige Modell ist, das sich jenseits von Exklusivismus, Inklusivismus und Plu-
ralismus ansiedelt, Hans-Joachim Höhns Transversale Theologie der Religionen
zeigt. Wie für die inklusivistischen und pluralistischen Konzeptionen ist auch
für Höhn das Heilshandeln Gottes keineswegs beschränkt auf das explizite
Christentum: „Wo sich die Anerkennung des anderen Menschen als Person frei
macht von Hintergedanken und Einschränkungen, wird gleichsam anonym und
inkognito das Menschen- und Gottesverhältnis Jesu vergegenwärtigt.“431 Höhn
möchte nun keineswegs Rahners These vom ‚anonymen Christentum’ repristi-
nieren, um damit die detaillierte Auseinandersetzung mit dem religiösen Plura-
lismus zu unterlaufen. Wenn aber mit dem II. Vatikanischen Konzil die Univer-
salität von Gottes Heilswillen festzuhalten ist und sich auch in nichtchristlichen
Religionen manifestiert, und so kann ein Christentum, das sich selbst ernst
nimmt, schwerlich exklusivistische Positionen vertreten432. Es liefe auf die Ne-
gation des universalen Heilswillens Gottes hinaus, wenn der Zugang zum Heil
davon abhinge, in welchen kulturellen und religiösen Kontext jemand zufällig
hineingeboren wird433. Bedeutet dies aber umgekehrt, dass angesichts der religi-
ösen Vielfalt alle Religionen uneingeschränkt im Sinn einer pluralistischen The-
ologie der Religionen gleichwertige Heilswege darstellen und das Christentum
nur ein beliebiger unter vielen ist? Dies kollidiert prima facie hart mit dem Un-
überbietbarkeitsanspruch des Christentums, während umgekehrt die inklusivisti-
schen Modelle diesen Anspruch wahren und zugleich gegenüber den anderen

431
Höhn 2011: 282.
432
Ebd.: 310-313, 340, 343f
433
Vgl. ebd.: 294f.

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Religionen eine größere Offenheit zeigen. Deren Grenzen werden allerdings


sichtbar, wo konstatiert wird, dass die „außerchristlichen Religionen ‚an sich’
und grundsätzlich abgeschafft und überholt sind durch die Ankunft Christi“,
wenn auch bis zum Augenblick nicht klar sein mag, wann genau diese Religio-
nen „aufhören, ein Heilsweg für bestimmte Menschen zu sein“. Sie können die-
se Funktion nur ausüben als implizites Christentum, während sie das explizite im
besten Falle um einige Aspekte bereichern434. Wenn die bisherigen drei Modelle
einer Theologie der Religionen in ihrer ‚programmatischen Absolutsetzung‘435
nicht überzeugen können, was bildet dann die Alternative?
„Partikular, einmalig und unwiederholbar“, so Höhn, „ist die Offenbarung seiner (des
Christentums, R.B.) Botschaft in der Gegebenheitsweise unbedingter (inter-)personaler
Zuwendung mitsamt ihrer materialen Unüberbietbarkeit. Universal ist der in dieser Zu-
wendung offenbar werdende unbedingte Wille Gottes zur Gemeinschaft mit allen Men-
schen, d.h. auch mit jenen, die niemals in Kontakt mit dem Christentum kamen oder kom-
men werden. Ihnen wird daher das Moment seiner Unbedingtheit als in einer anderen, mit
der christlichen unverrechenbaren (d.h. ‚a-personalen’) Gegebenheitsweise erschlossen ge-
dacht werden müssen“436

Unüberbietbarkeit und Einzigartigkeit bedeutet weder Exklusivität noch die


christliche Vereinnahmung anderer Religionen. Ihnen wird vielmehr eine heils-
geschichtliche raison d’être zuerkannt, die nicht schon von der kultischen und
theologischen Symbolisierung im expliziten Christentum abgeleitet ist. Die per-
sonale Form, in welcher die Unbedingtheit des göttlichen Heilswillens im Chris-
tentum als geoffenbart bekannt wird, ist ihrem spezifischen Gehalt nach zwar
weder wiederholbar noch durch eine weitere zu überbieten, doch schließt dies
aber die Möglichkeit ein, dass in anderen Religionen diese Unbedingtheit in ei-
ner Form festgehalten ist, die weder eine heilsgeschichtliche Notlösung und ma-
teriale Depravation der ‚wahren‘ Offenbarung darstellt und durch das Christen-

434
Zitate: Rahner ST VIII, 355-373, hier: 371.
435
Höhn 2011: 343.
436
Ebd.: 346f.

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tum überholt ist, noch lediglich eine „materiale Ergänzung“437 des christlichen
Offenbarungsverständnisses bezeichnet. Wohl kann „von den nichtchristlichen
Religionen nicht etwas gelernt werden, was nicht prinzipiell auch in Jesus Chris-
tus gesagt ist“438, doch schließt das nicht notwendig ein, dass der ganze Reich-
tum dessen, was die Gemeinschaft Gottes mit dem Menschen bedeutet, im empi-
rischen Christentum mit seinen kulturellen Grenzen auch adäquat, unverkürzt,
unmissverständlich gelebt und gelehrt wird. Mehr noch: Der einmal manifestier-
te Heilswille Gottes übersteigt seine jeweils positiv gegebenen Objektivationen
oder geschichtlichen Verwirklichungen (sonst wäre er nicht göttlich, sondern
bloß endlich), so dass keine der bestehenden Religionen für sich beanspruchen
kann, ihn exklusiv oder inklusiv für sich als festen, statischen Besitz zu bean-
spruchen. Die Offenbarung Gottes steht quer zu allen vorschnellen und petrifi-
zierten Heilsgewissheiten und verflüssigt sie, ihre Dynamik ist also nicht gleich-
förmig universal. sondern transversal (von lat.: quer, schräg). Wenn das Unbe-
dingte in den bedingten Formen zur Erscheinung kommt, so ist keine der Er-
scheinungen schon aufgrund ihrer Endlichkeit der vollkommene Ausdruck des
Unbedingten. Das bedeutet aber auch, dass die anderen Religionen nicht einfach
das verzerrte Spiegelbild des propriuim christianum sind439, sondern in ihnen ein
eigenständiges, aber auch interreligiös vermittelbares Moment des Heilshan-
delns Gottes zum Ausdruck kommt, ohne dass damit das Christentum zu einer
beliebigen Religion unter anderen würde. Dieses Modell einer transversalen
Theologie der Religionen bringt das Wahrheitsmoment, das in den drei religi-
onstheologischen Grundtypen erstarrt ist, wieder in Fluss, verhindert falsche
Verabsolutierungen und erschließt neue Dimensionen des göttlichen Handelns.
Die transversale Theologie der Religionen besitzt eine größere ‚Freiheit zum
Objekt‘ und bleibt skeptisch gegenüber einer religionstheologischen Metatheo-

437
Ebd.: 344.
438
Von Stosch 2012: 288, der sich hier auch auf Höhn 2011: 329 beruft.
439
Das bedeutet umgekehrt natürlich auch nicht, dass sie eine von Depravationen freie Objektivation des göttli-
chen Heilswillens sind. In den interreligiösen Diskussionen und Debatten sind auch solche Depravationen,
von denen das Christentum sich nicht ausnehmen kann, zu thematisieren.

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rie, welche die Differenzen und Gemeinsamkeiten der Religionen eher neutrali-
siert als präzise herausarbeitet und diskutiert. Tatsächlich lässt sich Höhns Mo-
del nicht eindeutig einer inklusivistischen oder pluralistischen Position zuord-
nen, es unterläuft die vielfach konstatierte Dichotomie beider Modelle, ohne auf
eine spezifisch theologische Argumentation zu verzichten. Insofern aber die Un-
überbietbarkeit der in Christus eröffneten Gemeinschaft Gottes mit den Men-
schen festgehalten wird, bleibt denn doch eine Affinität zum Inklusivismus, den
man insofern als ‚offen‘ bezeichnen muss, als dass die nichtchristlichen Religio-
nen keineswegs bloß depravierte Formen des christlichen Heilsweges darstellen.

f) Kein Privatissimum: Aspekte einer Politischen Theologie der Religionen


Höhns Modell, das mit der Methodologie einer Komparativen Theologie durch-
aus vereinbar ist, wird man vielleicht weniger als ein fertiges Ganzes betrachten
können, sondern eher als work in progress oder als Experiment. Anstelle eines
religionstheologischen Moratoriums bietet es wechselnde Versuchsanordnungen
und arbeitet sich bei aller Nähe zum Inklusivismus am Faktum des religiösen
Pluralismus, der uneinholbaren Transzendenz Gottes und des eschatologischen
Vorbehalts ab. Insofern ist es auch nicht unproblematisch, von einer Selbstof-
fenbarung Gottes zu sprechen, als wäre im Endlichen, das unendliche Wesen
Gottes vollständig gegenwärtig, erschlossen und ‚begriffen‘. Gott offenbart sich,
wie Karl Rahner immer wieder mit Recht betonte als das uneinholbare Geheim-
nis, und damit überwiegt doch das negative Moment innerhalb dieser Selbstof-
fenbarung, die nur dann kein neuer theologischer Begriffsfetisch ist, wenn sie
sich innerhalb der gott-menschlichen respektive der zwischenmenschlichen Re-
lationen konkretisiert. Gott verheißt und gewährt nicht seine Emanation ins End-
liche oder die Heimholung des Endlichen in sein Pleroma, sondern die größt-
mögliche Nähe des absolut Verschiedenen, und dies ist auch in der theologi-
schen Bewertung religiöser Pluralität von Bedeutung. Wenn überhaupt eine
Theologie der Religionen geboten werden soll (was sich für den Exklusivismus
im Grunde erübrigt), so verläuft die Debatte auch weiterhin zwischen dem in-

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klusivistischen und pluralistischen Modell, wobei Höhn immerhin einer Lösung


des Dilemmas näher kommt als jedes der beiden Modelle für sich genommen.
Die transversale Theologie der Religionen verflüssigt fixe Identitäten, die sug-
gerieren, wir lebten schon am Ende der Tage und überschauten die Totalität der
gesamten Religionsgeschichte im Licht des vollendeten Gottesreiches. Eben
weil damit zu rechnen ist, dass die Transzendenz Gottes und seines Reiches über
jede erlangte historisch-kulturelle und doktrinäre Identität hinausweist, bleibt ein
negatives Moment, das nicht religionstheologisch aufgehoben werden kann.
Eben dies ist ein weiterer Grund dafür, dass Höhn aller ‚dogmatischen Voll-
mundigkeit‘440 gegenüber, die dem Dialog der Religionen wenig förderlich ist,
skeptisch bleibt.
Aber weder eine transversale Theologie der Religionen noch eine Komparative
Theologie wird jenseits der gesellschaftlichen und politischen Vermittlungen
betrieben oder kann von ihnen als Bedingungen der religiösen Phänomene abs-
trahieren. An den sich wandelnden Identitäten der Religionen hat der soziale und
politische Kontext konstitutiven Anteil. Nimmt man eine Theorie einer Offenba-
rung ernst, der gemäß die Selbstmitteilung Gottes aufgrund der spezifischen
Konstitution der Rezipienten erst durch religiös-kulturelle Objektivationen les-
bar und lebbar wird, so dürfen Glaube, Religion. Politik und Kultur nicht als
schlechthin separate Bereiche angesehen werden. Ferner ist mit Jürgen Mane-
mann daran zu erinnern, dass „Versuche, die Ebene des Glaubens und der Gnade
von der der Geschichte und der natürlichen Ordnung zu trennen“ zum Scheitern
verurteilt sind441. Sie verurteilen den Glauben zu einer chimärischen Existenz in
einem imaginären, von allen Zweideutigkeiten freien Raum und spiritualisieren
die Religion entweder oder sie erklären im Sinne Barths als Ausdruck des wi-
dergöttlichen, sündigen Menschen. Aber in einer gesellschaftstheoretisch erwei-
terten und modifizierten Frage nach dem ‚Hörer des Wortes‘, der doch dieses

440
Vgl. Höhn 2008: 90.
441
Jürgen Manemann: Kritik als zentrales Moment des Glaubens. Zur gesellschaftskritischen Dimension der
Fundamentaltheologie, in Müller 1998: 217-241, hier: 217.

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‚Wort‘ als homo politicus et oeconomicus in einen menschlichen ‚Code‘ konkre-


tisiert, dürfen die Subjekte der Religionen als geschichtlich-politische442 nicht
ausgeblendet werden443. Und auch Religion ist mindestens faktisch, ja von den
biblischen Traditionen her sogar bewusst und intendiert politisch. Der Begriff
‚politisch‘ bedeutet allerdings mit Blick auf moderne demokratische, säkulare
und pluralistische Gesellschaften nicht, dass eine bestimmte Religion einer Ge-
sellschaft als normativ oktroyiert oder integralistische Gesellschaftsmodelle
wiederbelebt werden sollen. Theologie muss aber im Gedächtnis behalten, dass
die Anfänge des biblischen Monotheismus von einer prophetischen Kritik der
jeweiligen Gesellschaft untrennbar sind und dass diese enge Verbindung nicht
etwa zu den ‚Eierschalen‘ der Entstehungszeit gehört, die man später abwerfen
kann, sondern konstitutiv in den Glauben an den einen und einzigen Gott ein-
gingen und sein ‚Webmuster‘ in der Folgezeit bestimmten. So sind Gesell-
schaftskritik und die Reflexion gesellschaftlicher Funktion von Religion wesent-
liche Bestandteile der Fundamentaltheologie444, insofern sie sich versteht
- als theologisch-philosophische Begründung und Verteidigung der im Chris-
tentum erhobenen Geltungsansprüche im Interesse einer nachvollziehbaren
immanenten Rationalität des Glaubens,
- als Vermittlungsdisziplin zu anderen Wissenschaften,
- als kritische Erhellung der religiösen, politischen und sozialen Kontexte des
Christentums in den unterschiedlichen Regionen,
- als theologische Grundlagenwissenschaft und
- als detaillierte Ausführung interreligiöser Kommunikation.

442
Man wende nicht ein, dass das Subjekt der Religion Gott allein sei. Ein solcher Einwand setzt eine unmittel-
bare, im Grunde instruktionstheoretisch gedachte Offenbarung als Stiftung der Religion und der Religions-
gemeinschaft voraus, die sich noch auf die kleinsten Details erstreckt. Insofern aber Religion theologisch eine
Objektivation der Offenbarung ist (und nicht diese unmittelbar), kommt den religiösen Symbolisierungen in
Text, Kult, Institution und Alltag als konkreter Ausformung der Selbstmitteilung Gottes und als schöpferi-
sche Antwort der Menschen zentrale Bedeutung zu. Die Vielfalt sowohl des Christentums als auch der nicht-
christlichen Religionen zeigt, wie hoch dieser kreative Anteil veranschlagt werden muss.
443
Für das Christentum hatte dies Johann Baptist Metz unter dem Begriff der ‚Neuen Politischen Theologie‘
angestoßen; vgl. Metz 1992: 45-90, ders. 2006: 151-157.
444
Vgl. Manemann in Müller 1998: 217-241.

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Für unseren Zusammenhang sind vor allem die zuletzt genannten Aspekte von
großer Bedeutung: Religionen existieren nicht jenseits einer bestimmten Gesell-
schaft, sondern erfüllen bewusst, unbewusst oder geradezu ‚bewusst-unbewusst
einen gesellschaftliche Funktionen, über die sie nur selten uneingeschränkt ent-
scheiden können. Diese Funktionen fließen in die normativen mündlichen,
schriftlichen und kultischen Traditionen ein, reichen sogar bis in die jeweilige
Spiritualität und bestimmen oft Reichweite wie Grenzen des inter-religiösen Di-
alogs. Sowenig Religionen in diesen Funktionen aufgehen, sowenig kann in re-
ligionswissenschaftlichen, -soziologischen und theologischen Reflexionen von
ihnen abstrahiert werden. Umgekehrt erschließt sich das kritische Potenzial von
Religionen erst einem genauen Blick auf die Gesellschaften, in denen sie sich
bewegen und auf die sie sich beziehen.
Eine politische Theologie der Religionen fügt zu den bestehenden drei Basismo-
dellen weder ein weiteres hinzu, noch erklärt sie alle Theologie der Religionen
im Sinne der Komparativen Theologie für überholt. Vielmehr muss jede Theo-
logie der Religionen, jede komparative Untersuchung und die Klärung dessen,
was etwa der Begriff der Gastfreundschaft im Kontext einer Theologie der Reli-
gionen angesichts wachsender ideologischer Essentialisierungen kultureller, re-
ligiöser und politischer ‚Identitäten‘ bedeutet445, zugleich eine kritische poli-
tisch-gesellschaftliche Reflexion sein, die auch noch die Rolle der Forschenden
einbezieht. Zugleich wird sie die theologischen Geltungs- und Wahrheitsfragen
nicht ausblenden, sondern mit gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen Re-
ligionen existieren, in einen Zusammenhang bringen. Insofern ist die Erhellung
des historischen und sozialen Kontextes keine bloße Zutat, sondern gehört we-
sentlich zu einer Theologie der Religionen. Sowohl für die Religion selbst als
auch für ihre die theologische Reflexion ihrer Vielfalt (als Theologie der Religi-

445
Vgl. Ozankom 2012: 230-233. Wie dringlich die Einbeziehung politischer (Fehl-) Entwicklungen in die reli-
gionstheologischen Reflexionen ist, zeigt etwa ein Blick auf die starken Reserven gegenüber dem Islam und
Muslimen in den kontinentaleuropäischen Gesellschaften, wo von ‚Gastfreundschaft‘ nur sehr eingeschränkt
gesprochen werden kann und die Integration in das ideologisch hoch aufgeladene ‚Abendland‘ zunehmend
schwierig wird; siehe hierzu Nussbaum 2012: 1-58.

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onen) gilt allerdings die Differenz von Genese / Funktion und Geltung. Die Rol-
le, die einzelne Religionen oder religiöse Traditionen zu einer bestimmten Zeit
spielten oder gegenwärtig spielen, ist kein Schlusswort in der Wahrheits- und
Geltungsfrage. Das gilt auch für die Theologie der Religionen: Wenn etwa
Klaus von Stosch, wie oben angeführt, meint, die inklusivistischen und pluralis-
tischen Modelle seien das Ergebnis eines „liberalen Universalismus“, den er
umstandslos mit einem ‚westlichen kulturellen Hegemonialstreben‘ identifi-
ziert446, so ist damit noch nicht die Geltung dieser Modelle entschieden. Auch
wenn die historischen Bedingungen, auf die sie antworten, in ihr Webmuster
eingeschrieben sind, so ist die Universalität der Ansätze nicht per se schon Aus-
druck eines Hegemonialstrebens, solange für Differenzen und Anerkennung des
oder der Anderen Raum bleibt. Die Furcht um die eigene (christliche) Identität
findet gewiss in den inklusivistischen Modellen stärker ihren Ausdruck als in
den pluralistischen, so dass die Versuche, eine Relativierung der eigenen Gel-
tungsansprüche abzuwehren hier kaum überraschen. Auch in diesen Fragen ist
die Debatte zwischen Inklusivismus und Pluralismus trotz der lehramtlichen
Vorgaben argumentativ noch nicht entschieden. Angesichts des keineswegs er-
hebenden Befundes, dass die vom Christentum verkündete, in Christus realisier-
te und antizipierte Erlösung, im Raum unserer geschichtlichen Erfahrung keinen
evidenten Anhalt hat und der Überhang des ‚Noch-nicht‘ nach rund zweitausend
Jahren gegenüber der einstigen Naherwartung geradezu erdrückend ist, gehört
die dogmatisch-soteriologische Bescheidenheit auch im interreligiösen Diskurs
zur intellektuellen Redlichkeit der Theologen.
Für das aktuelle Verhältnis von Christentum und Islam schließlich ist zu beach-
ten, dass beide Religionen ihre einstige Stellung als Mehrheitsglaube und ‚herr-
schende Religionen‘, die ihren jeweiligen kulturellen Raum beinahe unange-
fochten prägten, verloren haben und neu ‚zur Disposition stehen‘. Sie verlieren
ihre frühere Dominanz in immer rascherem Tempo und müssen sich auf eine

446
Von Stosch 2012: 61.

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egalitäre Koexistenz mit anderen Religionen einstellen. Darunter sind auch sol-
che Religionen, die einst nur geduldet waren und deren Entfaltung Einschrän-
kungen unterworfen war. Für die islamische Welt kommt die Kränkung hinzu,
Gegenstand imperialer und realpolitischer Strategien seitens jener Mächte ge-
worden zu sein, denen man einst selbstbewusst einen niedrigen kulturellen und
oft auch religiösen Stand zuschrieb. Die Regeln und Prinzipien, nach denen das
Zusammenleben der Religionen sich ausrichtet, sind nur zu einem Teil von
ihnen selbst und aus ihren eigenen Ressourcen entwickelt worden. Sowohl in
Europa als auch in Nordamerika spielen Traditionen der Aufklärung mit einer
mehr (Frankreich) oder weniger stark ausgeprägten (Deutschland) Entflechtung
von Religion und Politik sowie einer Säkularisierung im Sinne einer von religiö-
sen Vorgaben unabhängige Entwicklung der gesellschaftlichen Subsysteme eine
große Rolle. Das bedeutet keineswegs, dass etwa jenes von Martha Nussbaum
entwickelte Prinzip von „equal respect for conscience“ mit seiner Basis in der
gleichen Würde aller Menschen447 sich nicht zu den religiösen Traditionen ver-
mitteln lasse; aber es wird schwierig sein, hier für Islam und Christentum eigene
‚Copyrights‘ zu reklamieren. Der interreligiöse Dialog spielt sich auch in diesem
Kontext ab, und anstatt zu hoffen, gegenüber der säkularen Gesellschaft verlore-
nes Terrain zurück zu gewinnen, ist es sinnvoller, in ihr einen Selbststand zu
gewinnen, der es ermöglicht, dass die eigene Stimme jenseits von Fundamenta-
lismus, Assimilation und vorschneller Apologetik für ein vernunftgeleitetes,
qualifiziertes Urteil steht und auch außerhalb der jeweiligen Religionsgemein-
schaften wahrgenommen wird. In diesem Kontext könnte sich Religion – gerade
auch in der von Holbach bespöttelten pluralen Struktur – als das erweisen, was
Johann Baptist Metz ihr attestierte: als „Unterbrechung“448 jener infamen Nor-
malität, die sich von der Idee einer menschenwürdigen Welt weit entfernt hat.
„Die tödliche Krankheit der Religion“, schreibt Metz, „ist nicht Naivität, son-
dern Banalität. Banal kann Religion werden, wenn sie in ihren Kommentaren

447
Vgl. Nussbaum 2012: 59-97.
448
Metz 1992: 192; ders. 2006: 143-150.

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zum Leben nur das verdoppelt, was ohne sie – und nicht selten gegen sie - ohne-
hin zum modernen Konsens wurde.“449 Diese These, die ein kritisches Potenzial
der Religionen voraussetzt, ist durchaus geeignet, interreligiös diskutiert und
geprüft zu werden. Ob jenes kritische Potential, auf das Metz setzt, aber Wirk-
lichkeit wird, liegt nicht allein bei der Theologie, sondern bei den sozialen Trä-
gern der Religionen, die, so scheint es, ihren Platz in der Moderne jenseits blo-
ßer Assimilation und fundamentalistischem Nihilismus noch finden müssen.

449
Metz 2006: 146.

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Text: © René Buchholz, September 2015 / Bilder: Wikipedia.org. Das Skript ist nur zum persönlichen Gebrauch bestimmt!

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