Inhalt
I. Thema und Methode der Logik 204
1. Der Grundsatz von Hegels System . 204
a) Die Substanz ist Subjekt . . . 206
b) Das Subjekt ist Substanz . . . 212
2. Methode und Darstellung der Logik 219
II. Argumentanalytischer Kommentar zur Logik der Reflexion . 229
1. Umwege zum Wesensbegriff . . . . . 229
a) Das Wesen als Nachfolger des Seins . 230
b) Das Wesentliche . . . .
. . . . 235
c) Der paradoxe Gedanke ,Schein' . . . 237
2. Die Identifikation von Schein und Wesen . 242
a) Bedeutungsverschiebung zum Wesen . 242
b) Die Bestimmtheit des Scheins im Wesen . 252
c) Negationstheoretische Zwischenbetrachtung 261
3. Setzen und Voraussetzen . 273
a) Die Reflexion als Setzen . .
. 273
b) Die Reflexion als Voraussetzen . 277
c) Die Verdoppelung der Reflexion . 281
4. Äußere und bestimmende Reflexion . 289
a) Die Reflexion selbst als Anderes . 289
b) Die Reflexion als äußerliche 296
c) Die Reflexion als bestimmte 300
5. Resultate und Konsequenzen . 304
III. Methode und Aufbau der Logik . 309
204 DIETER HENRICH
Der Satz, der die Einheit von Substanz und Subjekt behauptet, klingt
nicht paradox. Bis zu einem gewissen Grade ist, was er behaupten will,
aufgrund von einigem philosophiegeschichtlichen Wissen und ohne nä
here Kenntnis von Begründungen zu verstehen, die für Hegels System
charakteristisch sind. In solcher Lesart sagt er dann einfach etwa das
selbe, was auf andere Weise auch damit gesagt wird, daß ,Geist' der für
eine Definition des letzten Prinzips alles Wirklichen angemessene Ge
danke ist: Die Substanz muß deshalb als Subjekt gedacht werden, weil
das allem zugrundeliegende Eine eine Tätigkeit ist, die wesentlich Erken
nen und vor allem Erkennen von sich ist. Dies Eine ist nicht nur erkenn
bar und Grund von Erkenntnis, sondern jenes Eine Wirkliche, das durch
sein erkennendes Selbstverhältnis konstituiert ist. In diesem Sinne ist es
Subjekt - aber nicht nur Subjekt, sondern die Wirklichkeit insgesamt
als Subjekt und insofern auch Substanz.
In dieser Interpretation hat aber sowohl ,Substanz', die als ,letztes
Wirkliches' gefaßt ist, als auch ,Subjekt', das ,Wissen von sich' bedeu
tet, einen gegenüber den Definitionen dieser Begriffe, die Hegel mit
Hilfe der von ihm selbst entwickelten Begriffssprache geben kann, stark
reduzierten Sinn. Sie verständigt über ,Substanz' und ,Subjekt' nur ver
mittels der Bedeutungen dieser Termini, welche dem philosophisch Ge
bildeten ohnedies bekannt sind, und läßt Hegels Geistlehre und die
These von der Einheit von Substanz und Subjekt nur vage und unartikuliert
aus diesen Bedeutungen hervorgehen. Auf die formalen Prinzipien, die
Hegels System eine Struktur geben, läßt sie sich nicht ein. Und sie muß
sogar wichtige Bedeutungszüge unberücksichtigt lassen, die den Begrif
fen ,Substanz' und ,Subjekt' schon in einigen Traditionen zukamen, an
denen Hegel sich orientiert hat.
Will man Hegels Grundsatz in dem Sinne verstehen, in dem er kon
zipiert wurde, so muß man ihn spezifischer und entwickelter auffassen;
und man muß eine Kontinuität zwischen den metaphysischen und den
erkenntnistheoretischen Implikationen, die er offenkundig enthält, und
den formalontologischen Begriffen herstellen, die in Hegels Wissen
schaft der Logik entfaltet werden. Aus ihnen gewinnen am Ende alle
Thesen Hegels ihren Sinn und ihre überzeugungskraft. Im folgenden
soll sich erweisen, daß auch die These von der Unabtrennbarkeit von
Subjekt und Substanz eine solche logische Grundbedeutung hat. Um
ihretwillen wird in dieser Einleitung zur Analyse eines Kapitels der
Logik auf Hegels Grundsatz eingegangen. Zeigt sich nämlich, daß sich
die vielen Bedeutungselemente der Begriffe ,Substanz' und ,Subjekt' und
die These von ihrer Unabtrennbarkeit zuletzt um einen solchen forma-
206 DIETER HENRICH
dem Tun, welches das Subjekt ist, kein weiteres Subjekt zurückbleibt,
das nur ,besteht' oder ,zugrundeliegt' und das die Tätigkeit ausübt oder
initiiert.
Wenn nun dieses Tun, welches das Subjekt ist, nicht instantan zu
seinem Ziel und seiner Selbsterfassung kommt, so muß sich der wis
sende Selbstbezug in einer Sequenz von Phasen oder Stufen herstellen.
Ein Tun, das die Phasen durchläuft, wird man als eine Bewegung 2 auf
fassen dürfen. Nach HegE:} ist die selbstbezügliche Aktivität des Subjek
tes nur über eine solche Sequenz zu vollenden. Und so sagt sein Satz,
daß die Substanz zugleich Subjekt sei, daß die singuläre Wirklichkeit
über allem Bewußtsein nichts anderes ist als der, Prozeß ihrer Selbstreali
sierung.
In welchem Sinne auch ein solcher Prozeß, der jede Substanz außerhalb
seiner von seiner Begriffsbestimmung ausschließt, noch einen Begriff
von ,Substanz' erfüllen kann, bleibt auszumachen. In jedem Falle muß
seine Substantialität, wenn sie überhaupt gedacht werden kann, so ge
dacht werden, daß sie sich ,zugleich als Subjekt' und somit im strikten
Sinne als Prozeß fassen läßt. Die Substanz darf also nicht als etwas ver
standen werden, das einen Prozeß nur einleitet oder bedingt. So wäre sie
nicht als Bewegung, sondern nur in irgendeiner Beziehung auf sie be
stimmt. Daraus ergeben sich wichtige Folgerungen für die Natur des
Prozesses : Er kann nicht Entfaltung sein oder Differenzierung von Ur
sprünglichem. Denn Prozesse solcher Art haben Voraussetzungen in
einem von ihnen unabhängigen Bestand, der zu entwickeln und zu ver
vielfältigen ist. Ist solcher Bestand einmal angenommen, so muß man auch
zugeben, daß er, und nicht der Prozeß, primär in die Begriffsbestim
mung eines Absoluten eingeht, das dann aber gar nicht als Subjekt be
stimmbar sein würde. Wenn aber die Substanz Subjekt und wenn somit
das Absolute Geist ist, so folgt: Was immer besteht, ist Moment oder
Produkt eines Prozesses, der ebenso aus sich selbst verständlich und von
nichts in ihm Vorausgesetzten herzuleiten ist wie die tätige Selbstbezie
hung der sich wissenden und in diesem Sichwissen einzig überhaupt wirk
lichen Ichheit.
Eine Selbsterkenntnis, die zugleich als Selbstverwirklichung gedacht ist,
erreicht den von Hegels Grundsatz angezeigten Sinn also offenkundig
insofern, als sie seine auch von subtilen Theorien über Weltgründe und
Ursprungsprinzipien abgesetzte metaphysische Lehre auszusprechen er
laubt. Sie macht aber von den in Hegels Begriff ,Subjekt' gedachten
3 Phän 484.
Hegels Logik der Reflexion 209
Von einer logischen Form, die als solche auch die Eigenschaften von
Subjektivität zeigt, kann allerdings erst dort die Rede sein, wo die Ein
heit der in der Formtätigkeit entwickelten Gegensätze als solche gesichert
ist. In ihr erweist sich dann die Differenz des Gegensätzlichen durchweg
und jederzeit als durch den Einheitssinn von ,Subjektivität' ermöglicht;
der Gedanke der Differenten ist von dem Gedanken ihrer Einheit nicht
abgeschieden. Es ist offenkundig, daß Hegel sich in dieser Auffassung
von ,Subjekt' nicht mehr an KANTS Definition des Subjekts aus dem akti
ven Selbstverhältnis, sondern an FICHTES Theorie von diesem Selbstver
hältnis als einer sich durch Gegensätze entwickelnden Selbstbestimmung
orientiert.
4· In diesem Zusammenhang findet auch Hegels These eine Erklärung,
daß die Substanz nur als Subjekt ,Dasein' oder ,Wirklichkeit' gewinnt. 5
Nur als Subjekt entfaltet die Substanz ihre Bestimmungen und setzt sich
auch selbst als Substanz in Bestimmtheitsverhältnisse zu ihnen. Wäre
sie nicht auch Subjekt, so wäre die Substanz zwar immer noch als die
Einheit und der Grund der Wirklichkeit ihrer Akzidenzien zu denken. Sie
wäre aber zugleich auch als die bloße Selbigkeit des Grundes gegen die
Formtätigkeit und gegen die Negativität ihrer Bestimmungen festzuhal
ten. Sie wäre damit zwar immer noch anderes als die bloße Indifferenz,
das gleichgültige Eine und Bleibende ohne allen Charakter, das ursprüng
liche Ding ohne alle Eigenschaft. Die Bestimmungen blieben ihre Akzi
denzien und deren Verhältnis und Wechsel ihre Form. Dennoch würde
diese Form zu ihr als Substanz so in Beziehung gedacht sein, daß sie die
Substanz selbst und als solche nicht in den Wechsel der Formtätigkeit
einbegreift. Die Substanz als Substanz würde als aller Formtätigkeit, die
doch in ihrem Begriff notwendig mitzudenken ist, zugleich auch entrückt
aufgefaßt. Was aber Dasein hat oder wirklich ist, das muß auch in be
stimmte Verhältnisse eingetreten und selbst ein in sich Bestimmtes und
Entfaltetes sein. Solange sie nicht zugleich als Subjekt gefaßt wird, ist
zwar die Substanz unter Einschluß ihrer Akzidenzien ein Begriff von dem,
was ,Wirklichkeit' heißt. Rein nur als Substanz und im Unterschied zu
ihren Akzidenzien fehlen ihr selbst aber Dasein und Wirklichkeit.
5· Daraus, daß die Substanz als Subjekt in dem, was für ihre Sub
stanzialität als solche konstitutiv ist, der Unterscheidung und Bestim
mung zugänglich sein muß, gewinnt Hegel eine Möglichkeit, auch die
Bedeutung des Wortes ,Subjekt', durch welche die Subjektstelle in der
1 Phi:in 22. 23. 479. 529. Enz § 164. 404. Wichtig zu bemerken ist, daß dieser
Zusammenhang schon in der Jenenser Logik als der grundlegende für die Verstän
digung über das Verhältnis der Substanz zum Subjekt erscheint : GW 7. 80. 140.
Bei dieser Gelegenheit sei angemerkt, daß die einzige Arbeit, welche Hegels Vor
stellungen über das Verhältnis von Substanz zu Subjekt im Detail aufzuklären ver
spri<ht, de facto nur eine (sehr lehrreiche) Untersuchung von Hegels Substanzbegriff
bietet : Andrew 1. Beck: Substance, Subject and Dialectics. In : Tulane Studies in Philo
sophy IX, New Orleans I The Hagne 1960. 109 ff.
7 In der elementaren Verwendungsform des Subjekt-Prädikatsatzes wird an der
Subjektstelle mittels eines singulären Terminus auf ein Einzelnes Bezug genommen,
'
das nur durch Prädikate charakterisiert werden kann, ohne durch sie konstituiert zu
werden.
212 DrETER HENRICH
menhang herstellt, der von den einzelnen Prädikaten je für sich nicht
gestiftet werden kann. In diesem Sinne kann gesagt werden, daß das
Subjekt als Bedeutungseinheit seiner Prädikate in jedem dieser Prä
dikate auch ,in sich reflektiert' ist.
So zeigt sich, daß die logische Form der Subjektstelle im kategorischen
Urteil, unter Hegels Gesichtspunkten aufgefaßt, wirklich dazu geeignet
ist, über den Einheitssinn von Substanzialität hinauszuführen und die
Subjekteinheit doch so zu beschreiben, daß sie auf einen Begriff von der
Substanz angewendet werden kann, die zugleich Subjekt ist. Aus dieser
Art und Weise, den Schritt von der bloßen Substanz zur Substanz als
Subjekt zu begründen, ergeben sich aber auch prinzipielle Konsequenzen
für den Aufbau der Formalontologie in der Wissenschaft der Logik ganz
im allgemeinen. Der Fortgang von der bloßen Substanz hin zur Sub
stanz, die als Subjekt gedacht ist, stellt sich nämlich auch dar als ein
Fortgang vom ontologischen Begriff der Substanz zu einem Begriff von
dem, was ein Urteilssubjekt eigentlich ist, - damit aber auch zu einem
Gedanken vom Urteil, der in die ihm zunächst fremde Rolle überführt
:wurde, als Grundbegriff der Ontologie und sogar der Ontologie des Gei
stes zu fungieren. Was immer nach dem Modell des Urteilssubjektes ge
dacht wird, das ist damit gedacht als eines, aus dem seine Charaktere
wohl bestimmt hervorgehen - und zwar so, daß diese Bestimmungen
nicht nur ihm zugeordnet werden, sondern daß sich die Einheit seiner
als Subjekt in diesen Bestimmungen allererst realisiert. Das Subjekt ist
insofern das "sich in sich selbst Unterscheidende" (Log I. 396). Indem
also die Substanz als Urteilssubjekt gedacht wird, gewinnt auch die
Rede davon, daß sie als Subjekt Negativität sei, eine neue Bedeutung.
Sie ergibt sich daraus, daß die Satzform zur Orientierung über formalon
tologische Sachver�alte eingesetzt worden ist. Auch das, was ,Negativi
tät' heißt, kann nun mit Rücksicht auf die Satzform negativer Sätze
untersucht werden.
des logischen Subjektes folgt dem der Substanz nach und ersetzt ihn als
Grundbegriff vom ,Einen', das das ,Ganze' ist. Ohnehin kann die be
griffliche Fassung dessen, was die Definition von ,Geist' ergibt, nicht durch
bloße Kombination von Elementen zustandekommen. Das epistemische
Verhältnis von Subjekt zur Substanz als Objekt ist auch in diesem Sinne
keine äußerliche Kombination, sondern ein eigentümlicher Einheitsbegriff,
durch den Substanz und Subjekt allerdings in eine Korrelation gebracht
werden. Wenn die Einheit von ,Substanz' und Subjekt im phänomeno
logischen Methodenbegriff also durch dieses Verhältnis garantiert ist,
so muß in der Formet welche die logische Einheit von Substanz und
Subjekt zum Programm macht, eine andere Einheit als jene epistemi
sche im Blick stehen - und somit vermutlich auch eine andere als die
einer Korrelation gleichgewichtiger Elemente. Sie muß aber ebenso Sub
stanz und Subjekt in Einheit zu denken erlauben, wie es das epistemische
Verhältnis in seiner Weise getan hatte. So müßte es sich also erweisen,
daß Substantialität eine Bestimmung ist, die bei der Beschreibung des
logischen Subjektbegriffes notwendigerweise Verwendung zu finden
hat, so daß durch sie die Einheit der Bedeutung von Subjektivität erwei
tert wird - aber nicht durch Hinzufügung eines neuen Momentes, son
dern durch ein Formelement, ohne das der Subjektbegriff nicht als der
Begriff des ,Ganzen' und ,Wahren' fungieren könnte und das, obgleich
es Subjektivität als solche charakterisiert, doch nicht aus dem eigenen
Bedeutungspotential der Definition von ,Subjekt' zu gewinnen wäre.
In einem bestimmten Sinne kann man sagen, daß sich die Substanz
in ihren Akzidenzien manifestiert. Denn zum Begriff der Substanz ge
hört ihre Formtätigkeit. Was eine Substanz ist, bestimmt sich durch
den Einheitszusammenhang und die Regel im Wechsel ihrer Akzidenzien.
Dennoch geht die - Substanz als Substanz nicht in deren Formbestim
mung ein. Sie ist ihr gegenüber gedacht als das, kraft dessen diese Be
stimmung Bestand hat. Ihre Manifestation ist insofern ein Prozeß, für
den die Substantialität als solche zugleich verschlossen bleibt.
Daraus folgt unter anderem, daß sich die Substanz selbst aus prin
zipiellen Gründen niemals in ihren Akzidenzien erfassen kann. Ihre Re
lation zu den Akzidenzien ist nicht die der Selbstreferenz - somit auch
nicht der Selbsterkenntnis. Wissende Selbstbeziehung könnte sie nur dann
werden, wenn sie sich als Substanz in den Prozeß der Wechselbestim
mung einbeziehen lassen würde. Das ist unmöglich, solange sie als die
identische Einheit der Substanz gegenüber der negativen Wechselbezie
hung ihrer Akzidenzien gedacht wird. Der Gedanke vom Verhältnis der
einen und seihen Substanz zur Vielfalt und zum Wechsel der Akziden-
Hegels Logik der Reflexion 215
zien läßt sich noch formaler als eine Version des Gedankens der Bezie
hung zwischen Einheit und Differenz fassen. Er ist derjenige Gedanke
von dieser Beziehung, in dem die Einheit gegenüber der Differenz inso
fern festgehalten wird, als die Einheit als solche unter der Bedingung
steht, daß sie in den Prozeß, durch den die Differenten als solche be
stimmt werden, nicht einzutreten vermag. Im Gedanken von der Sub
stanz ist also unbeschadet dessen, daß sie in wesentlicher Beziehung zu
den Akzidenzien zu denken ist, das Prinzip der Identität dominant. Die
Substanz qua Substanz muß unter der Kategorie der Identität gedacht
werden. Im Unterschied dazu ist für das, was ,Subjekt' heißt, die Nega
tivität die dominante Kategorie. Das Subjekt ist· die Aktivität des Sich
Unterscheidens.
Damit sind die begrifflichen Mittel gewonnen, mit deren Hilfe sich
das Problem, in welchem Sinne die Substanz zugleich als Subjekt zu
denken ist, ganz formal und zugleich auf die prinzipiellste Weise formu
lieren läßt. Diese Formulierung lautet nun so : In welcher Weise sind
Identität und Negativität, Ununterschiedenheit und Selbstunterscheidung
nur Ein Gedanke und die formale Grundlage jedes möglichen Gedankens
vom Ganzen, welches das ,Wahre' ist?
Nun läßt sich auch zeigen, was in den Begriff des Subjektes dadurch
eingebracht wird, daß ,Subjekt' als ein Gedanke gefaßt wird, der zugleich
auch die Bedeutung von ,Substanz' erfüllt. Das Subjekt wird dann als
Substanz gedacht sein, wenn das, was die Substanz als Substanz charak
terisiert, nämlich ihre Selbigkeit gegenüber aller Formtätigkeit und Be
stimmung, in den Gedanken eingebracht wird, der das faßt, was für
,Subjekt' eigentümlich ist, nämlich Unterscheiden, Bestimmen und Form
tätigkeit zu sein. Die These von der Einheit von Substanz und Subjekt
bringt also nicht nur zwei Begriffe, die voneinander zu unterscheiden sind,
in einen Gedanken zusammen. Es zeigt sich vielmehr, daß mit dieser
These zugleich auch ein methodologisches Postulat aufgestellt ist: Ge
gensätzliches muß als Konstitutionsbedingung Eines Gedankens gefaßt
werden. Dennoch ist es nicht mehr schwer zu sehen, wie dieses Postulat
erfüllt werden kann: Das Subjekt ist dann zugleich als Substanz aufge
faßt, wenn es sich als Eines in allem seinem Unterscheiden und Be
stimmen durchzuhalten vermag, das auch ein Sich-von-sich-selbst-Un
terscheiden ist. Weil das Subjekt nicht nur überhaupt Unterscheiden,
sondern Selbstbestimmen und darin Selbstunterscheidung ist, kann und
muß durch den besonderen Gedanken, daß es zugleich Substanz ist, seine
Einheit mit sich ausdrücklich festgehalten werden.
216 DIETER HENRICH
ihnen seine Gleichheit mit sich und somit seine Selbstbestimmung voll
enden.
Diesem Postulat entsprechen bekanntlich Oberzeugungen, zu denen
Hegel früh gelangt war: Daß es zum Wesen des in sich frei gewordenen
Ich gehört, auf seiner Unabhängigkeit nicht zu bestehen, sondern sich
auf Wirkliches einzulassen und an es sich zu binden; daß sich die All
gemeinheit des Rechtsbegriffes nur als systematische Einheit der Institu
tionen eines freien Gemeinwesens verwirklichen läßt, in denen die Bür
ger einen bestimmten Ort beziehen; daß die Vernunftnatur des Staa
tes zudem nur zugleich Init dem individuellen Geist geschichtlicher Völker
hervortritt. Sie blieben gegenwärtig in der Weise, in der Hegel später
auch den Begriff derjenigen Subjekte, die nicht je für sich ,das Wahre'
sein können, also den Gedanken von der Ichheit der Person analysierte:
Die Ichheit ist Einheit von Unterschiedslosigkeit und Unterschiedenheit
der Einzelnen von anderen: Kein Subjekt, das nicht in völliger Abstrak
tion von allen Gegebenheiten der Welt zu sich selbst käme ; aber auch
keines, das sich nicht in eben diesem Gedanken als ein Subjekt konsti
tuierte, das sich von anderen unterscheidet und das damit bereits seine
Bestimmtheit als unterscheidbares Einzelwesen anerkennt. Indem für es
beide Gedanken in dem Begriff, den es von sich hat, ganz untrennbar
sind, erkennt es auch an, daß jede andere Person als Person von ihm
nicht wie ein Gegenstand in die Distanz gebracht werden kann. Der Ge
danke ,Ich' steht gleichermaßen für die Ununterscheidbarkeit einzelner
Personen und für ihre radikale Unterschiedenheit.
So konstituiert also die Einheit von Gleichheit und Gegensätzlichkeit
den Gedanken der selbstbewußten Persönlichkeit. Ihre Definition ist so
mit in derselben Begrifflichkeit erfolgt, die zuvor bei dem Versuch ge
wonnen worden war, den Gedanken von dem Subjekt zu fassen, welches
das ,Wahre' ist. Dies Subjekt läßt sich nicht so wie die selbstbewußte
Person pluralisieren, weil es als das einzige Prinzip von allem, was ist,
zu gelten hat; und als solches kann es ,zugleich' für jene eine Substanz
gelten, deren Begriff SPINOZA einführte. Seine Gleichheit mit sich (Sub
stanz) ist die durchgängige Einheit in aller Bestimmtheit als Negativität
(Subjekt). Es ist also ebenso wie der Begriff der Person nur in einer Onto
logie zu denken, welche Selbstbeziehung und BestimmtheUsbeziehung
oder Identität und Negativität als einen einzigen formalen Sachverhalt
auffaßt. Der Grundsatz Hegels, daß die Substanz zugleich als Subjekt
zu denken sei, gibt seinem System in einer Sprache, die der Metaphy
sik angehört, das Eine Problem auf, diesen Sachverhalt zu begreifen und
zu entfalten.
Hegels Logik der Reflexion 219
- sie muß die definitive sein. Die Wissenschaft der Logik wird nur im
Ausgang von einfachen Gedanken und über eine Reihe weniger diffe
renzierter Fassungen desselben Prinzips die Mittel dazu gewinnen, den
Gedanken von dieser Beziehung in voller Bestimmtheit zu fassen. In
das Programm dieser Theorie geht aber das Interesse daran ein, dieses
Ziel zu erreichen; und die Überzeugung, daß die Substanz-Subjekt-Ein
heit den einigen Weltprozeß zu denken erlaubt, orientiert ihre Analysen
von Beginn an auf formalontologische Elementarverhältnisse von Selbst
beziehung und Gegensätzlichkeit. In der Analyse der Einheit von Sein
und Nichts glaubte Hegel diese Einheit in ihrer elementarsten Form zu
erkennen, die nicht mehr hintergangen werden kann und die somit den
Ausgangspunkt für eine festbegründete logische Entwicklung setzt. Man
kann also, indem man die Bedeutung der These über die Einheit von
Substanz und Subjekt als Ausdruck des ,Wahren' untersucht, einen Leit
faden für die Verständigung über die Absicht und vermittels ihrer auch
über die Grundbegriffe und die Methode von Hegels Wissenschaft der
Logik in die Hand bekommen.
Und so wird denn, aller näheren Untersuchung voraus, auch schon deut
lich, wie wichtig es ist, eine Eigentümlichkeit dieser Methode, von
Hegels sogenannter ,Dialektik', festzuhalten, die selbst denen, die ihm
folgen wollten, schnell aus dem Griff gekommen ist: Entspricht nämlich
der ,Substanz' die Einheit der Sichselbstgleichheit und dem ,Subjekt' die
Gegensätzlichkeit, so ist es Aufgabe der Dialektik, die Einheit der bei
den, und das heißt nicht nur die Einheit von Gegensätzen, sondern viel
mehr die Einheit von Einheit und Gegensätzlichkeit aufzuweisen. Diese
Formulierung entspricht zwar einer schon vom Jenaer Hegel oft gebrauch
ten Programmformel für die Definition des Absoluten. Es muß aber vor
allem darum gehen, ihre methodologische Bedeutung zu erkennen : Die
Sequenz der logischen Stufen im Fortschritt der Dialektik ist in grund
sätzlicher Betrachtung nicht eine Folge von Gegensätzen, die sich auflösen
und Begriffe von Einheiten ergeben, in Beziehung auf die sich dann neue
Gegensätze etablieren. Eine solche Sequenz kann am Ende überhaupt nur
zu einem Begriff führen, der aller Gegensätzlichkeit enthoben ist. Die
Dialektik führt aber zur Einsicht in die Einheit von Substanz und Sub
jekt, also zu einem Gedanken vom Gegensatz - von einem Gegensatz
allerdings, über den hinweg die Einheit der Selbstgleichheit fortbesteht.
In der Sprache der Wissenschaft der Logik sind Namen für diesen Ge
danken von einer Einheit auf der zweiten Stufe, auf der die Einheit von
Einheit und Gegensatz endgültig etabliert ist, ,der Begriff' und zuletzt
,die Idee'. Der Fortgang, der zu deren Definition führt, kann als Fort-
Hegels Logik der Reflexion 221
gang durch Gegensätze erscheinen, weil er ein Fortgang durch eine Se
quenz von ungenügenden Einheitsbegriffen ist, deren Ungenügen sich
eben daran erweist, daß die in ihnen gedachten Bestimmtheitsverhält
nisse gegenüber ihrem Einheitssinn widerständig bleiben. Darum lösen
sich solche Einheitsbegriffe aufgrund der nicht gelungenen Integration der
Gegensätzlichkeit in den Einheitssinn auf.
Hegel faßt die letzte Einheit, welche nicht mehr in einem Gegensatz
gegen die Gegensätzlichkeit zu denken ist, als die ,Allgemeinheit' des
Begriffes. Entsprechend gilt ihm die ,Besonderheit' des Begriffes als die
Variante des Verhältnisses, in dem eines gegen ein anderes bestimmt ist,
in deren Begriff zugleich die Einheit des allgemeinen Begriffes vollständig
,aufgenommen' ist. Das Allgemeine impliziert den Gedanken seiner Spe
zifikation ebenso wie die Spezifikation nur in Beziehung auf ein Allge
meines und durchaus nicht im Gegensatz zu ihm zu denken ist. Sie sind
beide von vornherein so gefaßt, daß ihre Unabtrennbarkeit voneinander
feststeht. Das ,Allgemeine' ist nur der Gedanke der Einheit von Ein
heit und Gegensatz, der gefaßt ist unter dem Gesichtspunkt, daß in allem
Besonderen diejenige Beziehung auf sich erhalten bleibt, welche die des
Allgemeinen ist und welche seine Allgemeinheit definiert. Entspre
chend ist das Besondere derselbe Gedanke, aber gefaßt unter dem Ge
sichtspunkt, daß im Einheitsgedanken Bestimmtheitsbeziehungen einge
schlossen sind. Hat die logische Entwicklung diese Stufe erreicht, so kann
alles, was in ihr noch folgt, nicht mehr dem Nachweis dienen, daß Ent
gegensetzungen in Wahrheit nur Begriffsbestimmungen eines Ganzen
sind. Was noch weiter ausstehen mag, kann einzig die adäquate Auffas
sung von einer Einheit zweiter Stufe sein, die in der erreichten Form
der Begriffsbestimmung bereits als Voraussetzung feststeht und die auch
durchgängig geltend gemacht werden kann.
Nun haben allerdings etwa zwei Drittel der formalontologischen Be
griffe, die in der Wissenschaft der Logik entwickelt werden, ihren Ort
zwischen der elementarsten Einheitsform von Einheit und Gegensatz im
Verhältnis Sein/Nichts und dem Beginn des Teils der Logik, die vor allem
deshalb ,subjektive' Logik heißt, weil sie den logischen Gedanken von ,Sub
jekt' in der Nachfolge von ,Substanz' entfaltet. In diesem logischen
Raum werden die Varianten der Einheit von Einheit und Gegensatz in
anderer Weise gefaßt als innerhalb der Logik des Begriffs. Zu den wich
tigsten Aufgaben einer Interpretation der Wissenschaft der Logik gehört
es aufzuklären, wie sich grundlegend verschiedene Typen einer Auffas
sung der Einheit von Einheit und Gegensatz voneinander abheben lassen
und wie sie sich zu dem Gedanken von ihrer besonderen Einheitsform
222 DIETER HENRICH
der zur Vergebung bereite Geist ihm überhaupt Nachsicht für die Aus
führung seiner Arbeit gewähren muß (Log I. 22). Es besteht aber kein
Anlaß anzunehmen, daß die Schwierigkeiten, vor denen sich Hege! zu
gegebenermaßen sah, solche der Verständigung über die Methode waren
und daß er für spätere Fassungen reflektierende Untersuchungen über
seine Methode vorgesehen hatte. Die Schwierigkeiten, die er einge
stand, sind solche, die sich aus seinem Gegenstand und dem Umfang
seines Materials ergeben (Log I. 22). Dessen wirklichen Zusammenhang
im Ganzen und zugleich in allen Details konsistent und adäquat aufzu
fassen ist mühsam, weil das Denken sich zu der ihm innewohnenden
Konsequenz nur gegen Widerstände durchfindet. Der Philosoph, dessen
Thema sie ist, wird ihrer Komplexion nicht leicht gewachsen sein. Er
ist zudem von traditionellen Lehrmeinungen und einer auf Reflexion be
gründeten Bildung befangen. Solche Schwierigkeiten lassen sich aber durch
Methodologie nicht lösen. Der immanenten Konsequenz der Sache frei
zu folgen und sie vollständig zu artikulieren schien Hege! das einzige me
thodische Postulat von Relevanz für Gang und Schicksal der neuen Dis
ziplin zu sein und somit auch die einzige Anweisung, deren Befolgung
es möglich macht, jene Schwierigkeiten schließlich zu überwinden.
An einer Stelle des Werkes wird dessen Verfahren aber doch zum
Thema in seinem eigenen Gang - nämlich an seinem Ende. Die Logik
schließt mit einer Erörterung über die Methode, in deren Begriff sie ihre
eigene Form zu ihrem Inhalt hat (Log II. 485). So könnte man erwar
ten, daß Hegel am Schluß der Logik die Grundform von deren Fortgang
und deren wichtigste Variationen zur Transparenz gebracht hat. Es ist
auch wirklich dieses Kapitel, in dem sich die klassischen Belege für die
Darstellung der Dialektik finden, insbesondere die Formel von der ersten
und der zweiten Negation und der aus beiden sich ergebenden neuen
Unmittelbarkeit (Log II. 495 ff.).
Diese Formeln werden aber, wie sich schon gezeigt hat, den begriff
lichen Verhältnissen einer Theorie über Einheit von Einheit und Differenz
allenfalls annäherungsweise gerecht. Sie nehmen zwar wohl die Formu
lierungen auf, mit denen Hegel im Gang der Logik eine vorläufige Ober
sicht über die Abfolge der Kategorien in einzelnen Kapiteln gab. Man
kann aber leicht zeigen, und es ist auch schon nachgewiesen worden, daß
diese Obersichten und Ankündigungen keine Interpretationshilfe für den
wirklichen Fortgang des Gedankens innerhalb der in Frage stehenden Ka
pitel geben. Am klarsten ist das für den Fall des ersten Kapitels der
Logik, in dem das Argument im Oberblick mit der wirklich gegebenen
224 DIETER HENRICH
Analyse sogar ganz unvereinbar ist. s Eine ähnliche Situation ergibt sich
aber auch in allen anderen Kapiteln. Die Argumentation, welche einer
Obersicht ihre vorläufige Struktur und Einsichtigkeit gibt, wiederholt
sich nicht im wirklichen Gang des Textes. Und die Argumentation, wel
che sich dort wirklich entwickelt, kann auch nicht einfach als speziellerer
Fall des Typs von Argumentation verstanden werden, dessen sich die
Übersicht bedient. Hege! scheint für die vorläufige und die exoterische
Darstellung der Entwicklung von Gedankenbestimmungen in überblicken
eine eigene Form zu gebrauchen, welche deren wirkliche Form bewußt
unterbietet. Und es scheint gerade diese Argumentationsform zu sein,
auf die er am Schluß der Logik bei der Analyse der Methode zurück
kommt.
Man kann sich klarmachen, daß diese im Prinzip unbefriedigende und
auch unhaltbare Situation in einem gewissen Umfang unvermeidlich ist.
Natürlich kann es Hege! in keinem Fall zulassen, daß die Methode als
Gedanke von einem Verfahren erscheint, das vorab ermittelt und das
dann bei der Analyse von Gedankenbestimmungen nur zur Anwendung
gebracht werden muß. Sieht man aber von der geläufigen und für Hege!
offenkundig irrelevanten Vorstellung von ,Anwendung' ganz ab, so bleibt
noch weiter festzustellen, daß die Methode auch in keinem anderen Sinne
dem Gang der Entfaltung der Idee abstrakt gegenüberstehen kann. Sie ist
gar nichts anderes als die Dynamik dieses Ganges. Stellt man allgemeine
Eigenschaften fest, die sich in seinen verschiedenen Phasen wiederholen,
so sind diese Eigenschaften für den Gang als solchen nicht wesentlicher
als das, was für jede einzelne Phase als solche jeweils spezifisch ist und
was somit in Zusammenfassungen, vor allem in Zusammenfassungen in
der Gestalt einer Formel, nicht eingehen kann. Auch insofern steht
die Logik durchgängig unter dem Immanenzpostulat ihres Ansatzes.
Daraus folgt,_ daß die Logik immer dann, wenn sie ihre Argumenta
tionsform im Singular und doch mit dem Anspruch erläutert, sich auf alle
ihre Analysen zugleich zu beziehen, gar nicht anders als in der Form von
Zusammenfassungen und überblicken sprechen kann, in der für die Ver
stehbarkeit ihres Fortschreitens konstitutive Eigenschaften beiseiteblei
ben müssen. Das gilt notwendig auch für die Darstellung der Methode
an ihrem Ende. In ihr will Hegel nicht etwa das eigentliche Geheimnis
des logischen Fortschritts wie in einem dramatischen Finale enthüllen. Er
muß sich vielmehr auch in dieser Darstellung der Bewegungsform des
8 Vgl. vom Vf. Anfang und Methode der Logik. - In : Hegel im Kontext. Frankfurt
1971.
Hegels Logik der Reflexion 225
Begriffes darauf verlassen, daß deren Natur schon erkannt worden ist
(Log II. 486) . Weil es sich so verhält, kann sie als solche zum Thema
werden, indem Formeln wieder aufgenommen werden, die auch zuvor
schon dem Zwecke der Übersichtlichkeit in der Folge von Schritten einzel
ner Begriffsanalysen dienten. Mit ihrer Hilfe wird das Ganze des Fort
gangs und in ihm seine Modifikationen in der Weise, in der es bereits
durchlaufen ist, erinnert und in seine endgültige Stelle gerückt im Zu
sammenhang des Gedankens von der suisuffizienten Idee, die zugleich
umfassender Prozeß ist. Da diese Idee alle Modifikationen des Fort
gangs auch ihrer Form nach umfaßt, kann am Schluß der Logik über
diese Form nichts ausgesagt werden, was nicht auch schon, indem es
artikuliert wird, dazu tendiert, den Kontext von Gedanken zu verdun
keln, der sein Thema ist. Dem ist in gewissem Maße Rechnung getra
gen, wenn Hegel erklärt, daß am Ende der Logik die Methode als etwas
zu betrachten sei, was eigentlich in den Gang der Entwicklung der
Form selber gehöre (Log II. 485/6.).
Die Mängel in der Aufklärung über das Verfahren der Logik lassen
sich so aber doch nur zu einem Teil rechtfertigen. Es wäre möglich gewe
sen, den Abstand zwischen dem wirklichen Verlauf der Analysen des
Werks und der Form, in der sie in überblick und Rückschau kondensiert
und formalisiert sind, weit schmaler zu halten. So hätte ausdrücklich ge
zeigt werden können, welche Verkürzung der Formen des methodischen
Fortschritts es am ehesten erlaubt, übersieht über ihn zu gewinnen. Damit
würde der Abstand zwischen dem Gang und der Selbstverständigung
der Logik erklärt worden sein; und es wäre zugleich die Aufgabe unter
strichen worden, die Form in ihrer vollen Artikulation und unter Verzicht
auf handliche Universalformeln aufzufassen. Schließlich würde der Zwang
zur Verallgemeinerung es doch nicht ausschließen, den Begriff der Me
thode reicher zu fassen und vor allem ihn so zu fixieren, daß überhaupt
absehbar wird, in welchen Modifikationen sich die Methode ausgestal
ten kann. Dazu sind die Formeln über die ,bestimmte Negation' aber
ungeeignet. Man kann verstehen, daß die Einheit von Gleichgültigkeit
und Bestimmtheit verschiedene Varianten zuläßt. Ist aber nur vom Be
stimmtheitsverhältnis in derjenigen Form die Rede, auf welche die For
mel von der ,bestimmten Negation' zielt, so sieht man nicht, wie dieses
Verhältnis seiner Form nach variiert werden könnte. Jede Darstellung
und Nachfolge Hegels, die sich im Blick auf Hegels eigenes Methoden
kapitel darauf verläßt, sich ihrer und nur ihrer zu bedienen, endet
zwangsläufig in textfernen und gedankenschwachen Formalismen, die
dann auch leidlt als Leerformeln zu disqualifizieren sind.
226 DIETER HENRICH
Daß Hegel dennoch an diesen Formeln festhielt, muß also auch damit
erklärt werden, daß er kein zureichend deutliches Bewußtsein und keine
voll ausgearbeitete Kenntnis von der Methode besaß, die seinen eigenen
Texten ihre Form gibt. Denker, die eine neue theoretische Möglichkeit
entdecken, sind in aller Regel außerstande, die Eigenarten dieser Theo
rie und die Probleme, die sich bei ihrem Aufbau ergeben, ebenso klar
zu fassen wie die Schwächen aller vorangehenden Theorie und die Gründe,
welche auf den neuen Theorieweg zwingen. Was für PLATON und für
l<ANT gilt, scheint für Hegel in erhöhtem Maße zuzutreffen. Es ist auf
fällig genug, daß sich seine Wissenschaft der Logik entfaltet, ohne daß
auch nur an einer Stelle über mögliche Alternativen zu ihrem Aufbau
und Fortschritt irgendwelche Erwägungen angestellt würden. Nirgends
hat Hegel einen Gedankenfortschritt in nachträglicher Betrachtung mit
Rücksicht auf die Argumentationen, aus denen sich dieser Fortschritt
ergeben hat, vollständig zu charakterisieren versucht. Den seltenen Hinwei
sen auf Eigentümlichkeiten der begrifflichen Situation, welche gerade er
reicht ist, fehlt es an Bestimmtheit und Dichtigkeit. Sie sind summarisch
und keine Analysen, sondern Etiketten, welche die Übersicht erleichtern,
und allenfalls Hinweise auf begriffliche Mittel, welche eine Analyse der
Argumentation erlauben würden. Offenbar ist Hegel unvergleichlich viel
mehr um die Ausarbeitung als um die Beschreibung seiner Methode
bemüht. Man gewinnt den Eindruck, daß er auch grundsätzlich außer
stande war, zu einer Beschreibung, die angemessen ist, zu gelangen. Alle
Kraft des Denkens ist von der Aufgabe gefesselt, die in einer langen
Tradition ausgemagerten formalontologischen Begriffe in der Komplexion
zu fassen, die ihnen in Wahrheit eignet, und ihren Ort in der verwickel
ten Dynamik ihres Hervorgehens richtig zu bestimmen. In dieser An
strengung gewinnt Hegel wie von selbst die Definitionen derjenigen
Begriffe, von denen sich herausstellt, daß sie sich über den ge
samten Gang der Wissenschaft der Logik verwenden lassen. Sie sind die
wesentlichsten Explikationsmittel bei der Darstellung der logischen Ge
dankenfortschritte. Können sie auch keine methodologische Universalfor
mel rechtfertigen, so könnten sie doch in einer selbständigen, wenngleich
nachträglichen Analyse der Methode eine Schlüsselrolle spielen. Aber He
gel scheint weder zu versuchen noch scheint es ihm gelingen zu kön
nen, über ihre Eigenart so zu verständigen, daß dabei von ihrem aktuellen
Gebrauch abgesehen ist. Nicht nur der Wissensbegriff des Systems, für
das ,Zusehen' nicht nur die höchste, sondern sogar die einzige Form phi
losophischer Erkenntnis ist, steht dem entgegen, sondern auch die Schwä
che der philosophischen Ausbildung von Hegels Generation. Ihre in Prin-
Hegels Logik der Reflexion 227
bleibt, welche Hegel in der Analyse der Reflexion erreicht hat. Es ist eine
Minimalbedingung für jede Interpretation, daß Hegels Systembegriff so
gefaßt wird, daß sich die Logik der Reflexion ohne Artikulationsverlust
in ihn einschreiben läßt. Nach allem, was gesagt wurde, liegt die Ver
mutung nahe, daß die Logik der Reflexion gegenüber der geläufigen
Vorstellung von der Eigenart seiner Methode einen Oberschuß aufweist.
Ist nämlich Hegels Programm durch die Formel der Einheit von Subjekt
und Substanz beschrieben und zielt dieses Programm auf die Logik des
Begriffs, so muß die Reflexionslogik, in der die Einheit von Einheit und
Differenz als solche direkt zum Thema wird, zumindest einen solchen
Begriff von dieser Einheit entfalten, an den sich die Logik des Begriffs
überhaupt anschließen läßt. Das Programm der Begriffslogik läßt sich
aber, wie sich schon erwiesen hat, mit den Formalitäten der Rede von
der ,bestimmten Negation' sicherlich nicht einmal formal beschreiben. So
wird die Logik der Reflexion nur dann allgemein brauchbare Explika
tionsmittel entwickeln und eine unverlierbare Grundlage für die Logik
des Begriffs legen können, wenn sich zwischen ihr und der Logik des
Begriffs über die Entfernung einer langen Sequenz von Kategorien hin
weg auch eine strukturelle Kontinuität erkennen läßt.
Aus diesem Interesse soll versucht werden, den Text von Hegels Logik
der Reflexion in der Form eines Kommentars aufzuschließen, der vor allem
die Argumente verständlich macht, welche seine Bestimmung und seine
Entwicklung der Begriffe von Reflexion tragen. Dieser Kommentar wird
u Der folgende Kommentar ist, ebenso wie das vorausgehende Kapitel, gänzlich
neu geschrieben worden und gegenüber der ersten Fassung (Hege! im Kontext, a.a.O.
95 ff.) in einigen Punkten auch zu veränderten Thesen gekommen. Insbesondere
ist die Textexegese von B 2, 2-5 und die Auffassung von der Stellung des Abschnitts
über Die äußere Reflexion nicht mehr die der ersten Fassung. Auch wurde der
Versuch gemacht, die Auslegung des Textes und die Rekonstruktion eines Argumen
tes, das den Text am besten abdeckt, von einander getrennt und doch auf einander
bezogen zu halten und beide in der nötigen Ausführlichkeit zu geben. Dadurch ist
der Umfang der Abhandlung auf fast das Dreifache gewachsen. Nur das Schlußkapitel
blieb beinahe ganz unverändert, obgleich auch es hätte verbessert werden sollen.
230 DIETER HENRICH
Die Logik des Wesens beginnt mit zwei Abschnitten, in denen Begriffs
bestimmungen des Wesens gegeben werden, die offensichtlich hinter dem
zurückbleiben, was sich bereits am Ende der Logik des Seins ergeben
hatte. Schon dort hatte Hege! eine Situation erreicht, in der das Postu
lat fest begründet erschien, das Verhältnis von Selbstbeziehung und Be-
Dann wäre aber der Text, auf den sich D. Lachtermans Beitrag bezieht, nicht mehr
so präsentiert gewesen, wie er ihm vorlag. Seit 1971 habe ich die Probleme der
Logik der Reflexion in Seminaren in Heidelberg und an den Universitäten Colum
bia und Harvard diskutiert. Aus diesen Diskussionen ist eine Reihe interessanter
Arbeiten hervorgegangen, von denen die von Hinrich Fink-Eitel und Andrzej Ra
paczynski wahrscheinlich bald veröffentlicht sein werden.
10 Seit der Publikation der ersten Fassung habe ich in zwei Aufsätzen Grund
risse für einen selbständigen Aufbau der Grundargumente von Hegels Logik vorge
tragen : Hegels Grundoperation. In : Der Idealismus und seine Gegenwart. Festschrift
für Werner Marx. Harnburg 1976. 208 ff.; und Formen der Negation in Hegels Lo
gik. In : Hegel-]ahrbuch 1974. 245 ff. Es mag nützlich sein mitzuteilen, daß die vor
liegende neue Fassung von Hegels Logik der Reflexion im wesentlichen 1973 vorlag,
daß sie aber wegen der Verzögerung der Drucklegung 1976 noch einmal überarbeitet
worden ist.
Hegels Logik der Reflexion 231
Alternativen gab, soll deshalb hier gezeigt werden, daß in dem von ihm
erstellten Rahmen ein Schritt direkt von der Indifferenz zur Identität
unmöglich gewesen wäre. In ihm ist die Behandlung von Gedanken, die
hinter die Bedingungen zurückfallen, welche für einen angemessenen
Wesensbegriff bereits in Geltung sind, die notwendige Vorbedingung da
für, daß der Begriff des Wesens überhaupt als bestimmter Gedanke ge
faßt und fortentwickelt werden kann.
Hege! vermeidet es, das Resultat, das er am Schluß der Seinslogik
erreicht, schon in der Terminologie der Wesenslogik zu formulieren. 12
Im Gedanken von der Indifferenz, welche gegen sich selbst indifferent
wird, wird zwar ein negativer Term auf sich selbst angewendet und
insofern ein Fall verdoppelter Negation erreicht. Und die "Negation mit
der Negation", die als sich negierende Negation Bestimmtheit gegen
sich gewinnt, ist der Grundbestand in Hegels Definition des Wesensbe
griffs. Es ist aber nicht möglich, aus dem Gedanken der gegen sich
indifferenten Indifferenz mit der gleichen Sicherheit Folgerungen abzulei
ten wie aus der verdoppelten Negation - es sei denn, die absolute In
differenz wäre zuvor schon als Variante von negierter Negation interpre
tiert worden. Ist jemand gleichgültig gegen seine eigene Gleichgültigkeit,
so ist er damit noch nicht in bestimmten Verhältnissen engagiert. Was
für diese humane Erfahrung gilt, hat seine Entsprechung in der forma
len Ontologie : Die Situation, in der nicht einmal die Unterschiedenheit
unterschieden wird, kann nicht so ohne weiteres für eben dieselbe Situa
tion gehalten werden wie die, in der Unterschiede zur Bestimmtheit kom
men. Es könnte also scheinen, daß Hege! nur im Durchgang durch die
Abschnitte über das Wesentliche und den Schein eine negationstheore
tische Interpretation der absoluten Indifferenz erreichen kann.
Allerdings darf man die Begriffsbildung ,absolute Indifferenz' nicht so
isoliert betrachten. Schon längst hatte sich im Gang der Seinslogik er
geben, daß die Problematik der Logik das Verhältnis von Selbstbezie
hung und BestimmtheUsbeziehung ist. War einmal jene Begriffsbildung
erreicht, so lag es so nahe wie nur möglich, ihre Bedeutung mit Hilfe
der Negationsbegriffe, die gleichfalls längst in Anspruch genommen wor
den waren, so zu fixieren, daß der Begriff des Wesens im direkten Zu
griff erreicht wurde. Der Begriff der absoluten Indifferenz würde in die
ser Fassung alle strukturellen Aspekte aufweisen, welche notwendig sind,
1Z Im Unterschied zur zweiten Auflage der Seinslogik präsentiert die erste Auf
lage der Wissenschaft der Logik das Wesen schon in seinem Hervorgehen in der
negationstheoretischen Sprache der Wesenslogik.
Hegels Logik der Reflexion 233
die volle Bedeutung des Begriffs der absoluten Negativität auf ihn abzu
bilden. Kam ein solcher Übergang von der Seins- zur Wesenslogik dennoch
nicht zustande, so müssen ihm andere Widerstände entgegengewirkt ha
ben.
Sie erklären sich aus der Weise, in der Hegel ,Wesen' als Nachfolger
des Begriffs vom Sein aufzufassen hat. Der Gedanke vom Wesen darf
dem vom Sein nicht nur so nachfolgen, daß er nach ihm eingeführt wird
und daß er seine Stelle übernimmt. Er muß in dem stärkeren Sinn die
Nachfolge von Sein antreten, daß er alle die Charaktere einschließt, welche
die Seinsbestimmungen und insbesondere die letzte Seinsbestimmung ent
wickelt hatten. Er muß sie des weiteren so miteinander verbinden, daß die
Analyse der neuen Begriffsbestimmung ,Wesen' nicht wieder in die Lo
gik des Seins zurücktreibt. Könnte beides nicht gesichert werden, so wäre
Wesen nur ein Vertreter von Sein. Es würde Sein weder voll ersetzen
noch definitiv ablösen können. So muß also vom Wesen gezeigt wer
den, daß nichts von dem, was Sein charakterisierte, im Übergang zum
Wesen schlechtweg nur verloren gegangen ist. Hegel hat also einen guten
Grund, am Beginn der Wesenslogik gleichsam provisorische Definitionen
des Wesens zu untersuchen, in denen noch eine äußerliche Beziehung zu
Sein aufrechterhalten, zugleich aber die Priorität des Wesens grundsätz
lich anerkannt ist. Durch deren Korrektur soll die vollständige Integration
der Seinscharaktere in den Wesensbegriff erreicht werden. Ist die Ver
fassung der Vernunft im Sinne von Hegels Subjektbegriff dynamisch, so
wird man auch ihr im objektiven Sinne und nicht nur dem Philosophen
die Erzeugung von Gedanken zutrauen können, die zu beschreiben sind
als Gedanken der Vernunft im Stadium des Versuches, einen definitiven
Begriff vom Wesen zu gewinnen.
In Hegels Konzept ist aber noch ein weiterer Grund gelegen, der einem
einfachen Übergang vom Seinsbegriff zur internen Entwicklung des We
sens als Negation der Negation widersteht. Nicht nur in der schon be
schriebenen Weise soll nämlich der Wesensbegriff vollgültiger Nach
folger des Seinsbegriffs sein. Denn Wesen folgt dem Sein nicht nur
nach als eine tiefere Fassung derselben Einheit von Selbstbeziehung und
Gegensätzlichkeit, welche auch der Inhalt aller seinslogischen Begriffs
bildungen gewesen ist. Wesen ist vom Sein auch dauerhaft unterschie
den als eine grundsätzliche Alternative zu der Auffassung jener Einheit
im Rahmen der seinslogischen Möglichkeiten. Erst im Übergang zum
Wesen wird einsichtig, daß die Einheit von Selbstgleichheit und Differenz
nur dann erreicht werden kann, wenn von Selbständigkeit der Differen
ten in jeglicher Form vollständig abgelassen wird. In allen Seinskatego-
234 DIETER HENRICH
rien haben die Differenten ,auch' eine Seite, die von ihrem Differenz
verhältnis unabhängig bleibt. 13 Im Wesen hingegen wird zum ersten
Mal einzig dem Negativen als solchen eine Selbständigkeit zugesprochen.
In diesem Sinne ist das Wesen zum ersten Mal ,absolute' Negativität im
vollgültigen Sinn.
Aber dennoch ist das Wesen der Nachfolger des Seins. Nachfolger von
Sein kann es nur sein, wenn es formale Eigenschaften aufweist, welche
denen von ,Sein' entsprechen, Alternative zu ihm aber wiederum nur
dann, wenn es im Gegensatz zu den formalen Eigenschaften bestimmt
wird, welche für Sein charakteristisch waren. Wesen muß sowohl selbst
als das, was Sein entspricht, wie auch als das Wesen gedacht werden,
das dem Sein entgegengesetzt ist. Aber auch noch in diesem Gegensatz
darf das Sein, dem das Wesen gegenübersteht, nicht als von ihm unab
hängig angenommen sein. Es ist als ein Anderes des Wesens zu denken,
welches dennoch allein aus ihm hervorgeht und aus der Kraft des We
sens ihm doch gegenübertritt. Es ist somit zu erwarten, daß das Wesen
als Nachfolger des Seins durch den Terminus ,Sein' in zwei verschiedenen
Weisen charakterisiert werden kann: Als dasselbe wie das Wesen und
als das, was in der Einheit dieses umfassenden Wesensbegriffes dennoch
vom Wesen als solchen unterschieden ist. Die Einheit des Wesensbegriffs
wird sich nur dann erreichen lassen, wenn sich sichern läßt, daß ein und
derselbe Begriff wirklich beide Charaktere aufweisen kann, ohne daß
damit seine Konsistenz verlorengeht.
Diese theoretische Problemlage tritt in der Wissenschaft der Logik
im Übergang zum Wesen aus Gründen auf, die für keine andere Pas
sage der Logik zutreffen. Am Beginn der Logik und bei der Entwicklung
des Seinsbegriffs sind noch gar keine grundlegenden Alternativen logi
scher Entwicklung erreicht, die zu einander in Beziehung zu bringen wä
ren. Im Übergang zur Logik des Begriffs ist der Einheitsbegriff des
Wesens schon vorauszusetzen. Es geht nur noch darum, die Weise, in der
die Einheit von Einheit und Gegensätzlichkeit in Beziehung auf Sein und
Wesen gedacht wird, so zu fassen, daß sie eine harmonische Entwicklung
erlaubt. Sie löst die interne Produktion von Gegensätzen ab, welche für
den Fortgang der Wesenslogik charakteristisch bleibt und bringt so einen
Modus des Fortgangs in die letzte Stufe der Logik ein, der dem wieder
näher kommt, der der Seinslogik eigentümlich ist. Die Grundkonzeption
eines Einheitsbegriffes, der aus sich selbst heraus auf eine Alternative zu
1 3 Vgl. Reiner Wiehl: Platos Ontologie in Hegels Logik des Seins. In: Regel-Stu
dien 3. 1965. 157 ff.
Hegels Logik der Reflexion 235
sich bezogen ist, muß auch die Begriffslogik als ihren eigenen Aus
gangspunkt aus der Logik des Wesens übernehmen.
Die Beziehung der Nachfolge von Wesen zu Sein läßt sich in einer
Sprache, die etwas größere Distanz zu Hegel hält, auch wie folgt be
schreiben: Theorien, welche eine ihnen vorausgehende Theorie in deren
eigenem Problembereich und innerhalb derselben Theorieform ablösen,
haben fast immer einen größeren Komplexionsgrad als ihre Vorgänger.
Sie können auch einen größeren Anwendungsbereich haben. Ist dies letz
tere der Fall, so müssen sie in zweierlei Sinn als Nachfolger ihrer Vor
gänger genommen werden. In einem Sinn sind sie als Ganze Nach
folger. Denn die Probleme, welche die frühere Theorie aufwarf, können
nun nur noch im Rahmen der Grundtheoreme der neuen Theorie eine Lö
sung finden. Das Lösungspotential der früheren Theorie wurde nicht nur
auf einem erweiterten Gebiet bewährt, sondern es mußte umgekehrt eine
Theorie mit notwendig erweitertem Anwendungsbereich entwickelt wer
den, weil sich die frühere Theorie, die aus inneren Gründen auf einen
engeren Anwendungsbereich beschränkt war, als prinzipiell unhaltbar er
wiesen hatte. In einem anderen Sinn ist die neue Theorie aber nicht als
ganze, sondern durch eine ihrer Teiltheorien Nachfolger der vorausge
henden : Der Bereich, für den die Vorgängertheorie galt, muß auch in der
neuen Theorie als solcher erkennbar, ausgegrenzt und abgedeckt sein; und
es muß möglich sein, die Begriffsbildung der vorausgehenden Theorie
und ihren, wie immer vorläufigen, theoretischen Erfolg in den Begriffen
der Nachfolgetheorie zu interpretieren. So ist also die neue Theorie Nach
folger in einer Doppelrolle. Das Verhältnis von Hegels Logik des Wesens
zur Logik des Seins entspricht ganz diesem Verhältnis und weist nur
die zusätzliche eigentümliche Eigenschaft auf, daß zwischen der We
senstheorie als ganzer und der Seinstheorie, welche zu einem Teil der
Wesenstheorie geworden ist, auch ein Gegensatzverhältnis bestehen blei
ben muß. Auch dieses Verhältnis muß also aus der Einheit des Wesens
begriffes zu entwickeln sein.
b. Das Wesentliche.
Man versteht nun leicht, warum Hegel nicht in einem Schritt vom letz
ten Kapitel der Seinslogik zu dem Wesensbegriff übergehen konnte, der
die absolute Indifferenz als verdoppelte Negation und als absolute Ne
gativität interpretiert. Ein Wesensbegriff, der wirklich die Nachfolge von
Sein antreten und wahren kann, läßt sich nur erreichen, wenn in seine
eigene Bestimmung sein doppeltes Verhältnis zu seinem Vorgänger auf-
236 DIETER HENRICH
genommen werden kann. Die Experimente mit den Gedanken ,Das We
sentliche und das Unwesentliche' und ,Der Schein' sind die beiden Etap
pen des Weges, auf denen Hegel zu diesem Ziel kommt. Es ist deshalb
nicht zufällig oder von Nachteil, daß sie formalontologische Begriffsbil
dungen anzeigen, in denen das Wesen noch in einer äußeren Beziehung
dem Sein gegenüber verharrt. Können Beziehungen dieser Art in die De
finition des Wesensbegriffes als Momente von dessen interner Entwick
lung eingebracht werden, so ist eben damit ein angemessener Wesensbe
griff etabliert.
Es ist nun näher darzulegen, wie Hegel den Begriff des Wesens als
eine Begriffsform gewinnt, die sich im angegebenen Sinn aus sich selbst
heraus differenzieren läßt. Er geht aus von einem noch ganz und gar
undifferenzierten Wesensbegriff, der gefaßt ist lediglich als diejenige Be
griffsbestimmung, welche die gesamte "Sphäre" des Seins suspendiert.
Solange noch nicht deutlich ist, auf welche Weise ein Wesensbegriff das
Sein auch enthalten kann, ist natürlich gar nicht zu vermeiden, daß der
Wesensbegriff dem Sein in dem Verhältnis der Andersheit gegenüber
steht. Solange der Wesensbegriff in ein solches Verhältnis von Einern zu
Anderem lediglich eingetragen werden kann, wird er auch nur dem An
spruch nach an die Stelle von Sein treten, während er in Wahrheit noch
unter seinslogischen Bedingungen stehengeblieben ist. Denn die äußerliche
Beziehung zweier Anderer ist elementarer Fall eines seinslogischen Ver
hältnisses. Es muß Aufgabe der folgenden Entwicklung sein, sich den
durch den Abschluß der Seinslogik gerechtfertigten Anspruch des Wesens
begriffs gegen diese Verhältnisse durchsetzen zu lassen. Das geschieht
über eine Reihe von Korrekturen, welche die Selbstgenügsamkeit des
Wesensbegriffes in einer Situation wiederherstellen, in welcher der Ge
danke von seiner nur äußeren Beziehung auf das Sein als sein Anderes
seinerseits weiterbestimmt worden ist. Wann immer es möglich wird, das
Andere des Wesens, das äußerliche Sein, in solcher näher bestimmten
Fassung in die Definition des Wesensbegriffes einzubringen, dann ist
auch der Wesensbegriff selbst reicher und in Richtung auf seine Selbst
genügsamkeit angemessener bestimmt - bis schließlich die Äußerlichkeit
der Beziehung auf Anderes ganz entfallen kann.
Das ,Wesentliche' ist, wie gesagt, der Gedanke vorn Wesen, in dem
Wesen nichts ist als das, was zum Sein in der Beziehung der Negation
steht. Das Andere des Wesens ist das unwesentliche Seiende. Hege!
kann leicht zeigen, daß auch das Wesen damit als ein bloßes Dasein
aufgefaßt ist, so daß sich also Wesentliches und Unwesentliches als zwei
Daseiende von gleichem Rang erweisen. Ein Dasein aber ist nicht
Hegels Logik der Reflexion 237
keit selbst negiert ist. Wo Äußerlichkeit entfällt, da muß also die verdop
pelte Negation gedacht werden.
So kann das Wesen 11absolute Negativität" genannt werden (A 4,
6/7). In dieser Version von Negativität ist allerdings genau genommen
noch gar kein negationstheoretisches Korrelat zur absoluten Indifferenz
erreicht. Denn diese Indifferenz ist indifferent gegen sich, während die
Negation der Bestimmtheit, welche ihrerseits die Einheit des Seins negiert,
noch nicht als selbstbezügliche Negation, sondern nur als wiederholte Ne
gation zu denken ist. Dennoch ergibt sich wirklich in der Ausführung der
vom Schluß der Seinslogik freigesetzten Perspektive nunmehr ein be
deutender Fortschritt: Im folgenden Versuch, einen selbstgenügsamen We
sensbegriff zu gewinnen, muß das Sein, das auch weiterhin in Beziehung
auf Wesen zu denken ist, durch einen Gedanken von der zweimaligen
Negation gefaßt werden. Und es ist diese wiederholte Negation, durch die
das Wesen zugleich in Obereinstimmung mit seiner Minimalbestimmung
steht und eine Beziehung zu Sein begründet. Der Begriff eines Seins in
Beziehung auf das Wesen, das durch zweimalige Negation konstituiert
wird, ist der Schein : Der Schein ist zu denken als das Andere (1.. Nega
tion) des Wesens, das als solches immer schon aufgehoben (2. Nega
tion) ist.
Mit der Konzeption dieses Gedankens von Schein wird der zweite
Versuch gemacht, den Begriff des Wesens als Nachfolger des Seins zu
entwickeln. Was ,Schein' heißt, muß in der Korrektur der Defekte der
vorausgehenden Begrifflichkeil vom ,Wesentlichen' festgelegt werden.
Schein ist das Sein im Wesen insofern, als ihm keine Unmittelbarkeit
bleibt, kraft deren es gegen das Wesen stehen könnte. Alles Sein, und
somit alle Unmittelbarkeit, ist durch seinen Nachfolger, das Wesen, sus
pendiert. In diesem Sinne ist Sein nun nur noch Nichtigkeit: Was nich
tig ist, bleibt zwar zu unterscheiden von dem, was es gar nicht gibt. Da
aber nichts an ihm ist, was selbständig bestehen könnte, so ist es nicht
nur stets negiert, sondern besteht auch nur, insofern es negiert ist. Sol
ches Scheindasein haben haltlose Meinungen und Halluzinationen, aber
auch Institutionen ohne Funktion und Charaktere ohne Substanz, von
denen man sagt, daß sie ,leer', ,gleich Null' oder ,Nullen' sind. Sie sind
nur, insofern sie immer schon und durchaus aufgehoben sind. Hege!
nimmt auf solche Gegebenheiten Bezug, indem er zugleich deutlich macht,
daß es schwierig ist, zu begreifen, was doch unleugbar ist: daß solches
Nichtige überhaupt ,vorkommt' und somit in die Welt und nicht zum
Unwirklichen gehört.
Hegels Logik der Reflexion 239
auf logische Fortentwicklung bietet, durch einen Rückgriff auf die Logik
der Andersheit aufzubauen. Da Sein Andersheit ist und Sein im Schein
durch das Wesen aufgehoben wurde, kann die Logik der Andersheit nur
dann zu einer Logik des Scheins verhelfen, wenn sie umformuliert wird.
In der Logik der Andersheit (Log I. 105/6) hatte Hegel gezeigt, daß jedes
Seiende Etwas nur ist in seiner Beziehung auf Anderes - so sehr, daß das
Etwas diese Beziehung in sich selbst hat, wodurch es sich, wie Hegel in
glücklosem Etymologisieren behauptet, ,verändert'. Das Etwas weist aber
neben dieser Beziehung stets auch eine von der Beziehung auf Anderes
abzuhebende Unmittelbarkeit und Gleichheit mit sich auf, so daß es auch
noch in der Veränderung es selbst und darin weiterhin gegen Anders
heit bestimmt bleibt. Insofern es diese Unmittelbarkeit hat, hat es ein
,An-sich-Sein' und ist nicht schlechtweg nur ein Sein für Anderes.
Dem Schein kann nun aber keinesfalls durchaus Ansichsein zukommen.
Er ist schlechtweg in seinem Anderen, dem Wesen, aufgehoben; so daß
er sich nicht in Gleichheit mit sich gegen das Wesen durchhalten kann.
Wie kann er also überhaupt unter dem Titel ,Andersheit' zum Thema
gemacht werden? - Eine der Formulierungen, mit denen Hegel das Etwas
in seiner Beziehung zum Anderen zu fassen gesucht hatte, war die, daß
diese Beziehung das Moment seines ,Nichtdaseins' sei (Log I. 107; Log I.
1. Aufl. 53). Wenn Dasein das einfache Sein mit einer Bestimmtheit vor
aller Beziehung auf Anderes ist, so ist eben dieses Dasein in sich auch
Nichtdasein. Denn auch eine solche Beziehung ist ein Element in seiner
Definition. Dieses Moment des Nichtdaseins kann auch dem Schein als
Moment zukommen. Im Sein war allerdings dem Nichtdasein im Etwas
das Dasein als Ansichsein koordiniert. Im Schein, dem Sein und somit
Gleichheit mit sich fehlen, kann dem Nichtdasein keine solche Unmit
telbarkeit gegenüberstehen. Er ist Nichtdasein durchaus. Mit Beziehung
auf nur eines der beiden Momente im Anderen läßt sich aber ein formal
ontologisches Prinzip über eine Analogie zur Logik des Etwas nicht eta
blieren. Und Nichtdasein allein konstituiert ein solches Prinzip ohnehin
in gar keinem Fall.
Hegel muß deshalb die Umformung der Logik des Anderen zur Logik
des Scheins weiterführen und in sie auch noch das zweite Moment der
Andersheit, nämlich die Unmittelbarkeit, einbringen. Da die Bedingungen,
unter denen die Untersuchung begann, es ausschließen, daß die Unmit
telbarkeit der Beziehung auf Anderes gegenübertritt, kann sie nur unter
der Voraussetzung der uneingeschränkten und grundlegenden Charakte
risierung des Scheins als Nichtdasein in die Definition des Scheins ein
geführt werden. Also kann der Schein Unmittelbarkeit nur in eben der-
Hegels Logik der Reflexion 241
16 Die folgende triadische Unterscheidung ist eine andere als die um wenige Zei
len vorausgehende.
Hegels Logik der Reflexion 243
Hegel läßt nun die Entdeckung der Einheit von Sein und Wesen im
Wesensbegriff dadurch geschehen, daß er die Differenz von Schein und
Sein als bloß imaginär darstellt. Der Schein ist nichts, was am Wesen
nur auftritt und zu unterscheiden ist. Er ist nur eine Bestimmung im
Wesensbegriff - nicht ein Rest, der neben dem, was das Wesen defi
niert, zurückgeblieben ist, sondern für diese Definition selbst konstitutiv.
Und auch noch das, was ihn vom Wesen unterscheidet, und daß er
überhaupt von ihm unterschieden ist, läßt sich vollständig aus eben die
sem Wesensbegriff aufklären.
Hegels Nachweis von der Nichtunterschiedenheit von Schein und Wesen
hat in den wichtigsten Teilen nicht die Form einer formellen Herlei
tung. Er kann sie nicht haben, da sich mit ihm zugleich der Wesensbe
griff allererst konsolidiert. Er braucht sie auch nicht zu haben, da kraft
des Endes der Seinslogik schon das Faktum feststeht, daß Sein zu Wesen
geworden ist, so daß nur noch auszumachen bleibt, auf welche Weise der
Seinssinn im Wesensbegriff erhalten bleibt. Für das Verständnis des Ver
fahrens der Logik insgesamt hat es große Wichtigkeit, sich deutlich zu
machen, welche Form Hegel diesem Nachweis gegeben hat. Denn nur
weil er nicht unter den Regeln deduktiver Ableitung erfolgt, kann er den
Sinn der formalontologischen Begriffe, von denen er ausgeht und mit
denen er arbeitet, erweitern und konsolidieren und dabei doch metho
disch kontrolliert bleiben. Hegel selbst sagt, er könne nur "zeigen", daß
die Bestimmungen, welche den Schein vom Wesen unterscheiden, Be
stimmungen des Wesens selbst sind (B 2, 1., 6). ,Zeigen' ist zwar ein Wort,
das auch auf Beweisverfahren anzuwenden ist. Der letzte Schritt im Nach
weis der Einheit von Schein und Wesen muß, so wird sich ergeben, auch
wirklich überlegungen anstellen, die in einen Deduktionszusammenhang
gehören. Dennoch scheint sich Hegel, wenn er von ,nur zeigen' oder ,Auf
zeigen' (B 2, 7, 1.4) spricht, im klaren über den eigentümlichen Charakter
-
des Verfahrens zu sein, das an dieser Stelle einzig am Platze ist, und
das er auch wirklich gebraucht.
Nichtigkeit (1.) und Unmittelbarkeit (2) sind die beiden Momente des
Scheins, und zwar so, daß die Nichtigkeit dadurch charakterisiert werden
kann, daß sie unmittelbar ist. Soll sich zeigen, daß Schein nichts außer
dem Wesen ist, so müssen diese beiden Momente als Momente in einem
definitiven Wesensbegriff aufzufassen sein. Da aber auch der Unterschied
zwischen nachfolgenden und vorhergehenden Grundbestimmungen im
Begriff der nachfolgenden festgehalten werden muß, müßte der defi
nitive Wesensbegriff eine Unterscheidung (3) seiner von ebendemselben
Schein einbegreifen. Die Unterscheidung des Wesens vom Schein, seine
Hegels Logik der Reflexion 245
Bestimmtheit gegen das Wesen, kann man als drittes Moment im Schein
begriff aufführen. In einem Sinne machen allerdings bereits die ersten
beiden Momente den ganzen Begriff vom Schein aus, wobei es sich von
selbst versteht, daß in der Situation, in der vom Schein aus ein definitiver
Begriff vom Wesen gewonnen werden soll und in der somit ihr Verhält
nis noch in Frage steht, dieser Schein auch vom Wesen unterschieden
wird. Insofern tritt der Schein dann, wenn auch dieser dritte Aspekt
seiner Bestimmtheit gegen das Wesen im Wesen aufgehoben wird, in die
sem Wesen zweimal hervor; indem das Wesen selbst die beiden Mo
mente des Scheins besitzt und zusätzlich Schein samt diesen beiden Mo
menten auch gegen sich selbst bestimmt. Es läßt sich absehen, daß sich
aus einer solchen Situation weitere Komplikationen im Wesensbegriff er
geben werden.
Innerhalb des Unterabschnittes ,Der Schein' ist Hegels Argumentation
aber allein von der Absicht geleitet, es überzeugend zu machen, daß der
Gedanke ,Schein' gänzlich in dem Gedanken vom Wesen aufgeht. Sowohl
die beiden Charaktere, durch die der Schein an ihm selbst gedacht wird,
als auch sein dritter Charakter, ein Bestimmtes gegen das Wesen zu
sein, fallen als Charaktere, die den Schein äußerlich gegen das Wesen un
terscheiden können, gänzlich dahin. Gemäß der Dreizahl der Charaktere
des Scheines muß Hegels Aufweis, daß der Schein gegenüber dem Wesens
begriff keinen Restbestand für sich zurückbehalten kann, dreigliedrig aus
fallen (B 2). Ist er geführt, so ist der Schein und über ihn auch das
Sein mit dem Wesen identifiziert worden. Der Schein ist dann nichts mehr
als derjenige Schein, welcher das Wesen selbst ist.
Hege! zeigt ohne besondere Anstrengung, daß die Nichtigkeit des
Scheins nichts anderes ist als die negative Natur des Wesens. Und auch
der in seinen Folgen so wichtige Nachweis, daß die Unmittelbarkeit des
Scheins keine andere als die eigene Unmittelbarkeit des Wesens ist, er
folgt in auffälliger Kürze. Daß Hege! so verfährt, hat seinen Grund
in einer besonderen Strategie fortzuschreiten, die sehr schwer zu durch·
schauen und auch schwer darzustellen ist. Es ist hier zunächst zu zeigen,
aus welchen Gründen die Identifikation der beiden Scheincharaktere mit
dem Wesen möglich ist, und danach, in welch besonderer Weise und
warum sie so erfolgt.
Der Schein ist Nichtigkeit, und diesem Moment entspricht, daß das
Wesen durchaus Negation ist. Daß das Wesen absolute Negativität
sei, hatte zuvor schon vielfach behauptet werden können. Daß es ganz in
diesem Negationsbegriff aufgeht, war bisher nur in der Vorrede zur
Wesenslogik, somit möglicherweise auch nur im Vorgriff gesagt worden
246 DIETER HENRICH
(Log II. 4/5). Hegel kann es jetzt definitiv aussprechen, indem er einer
seits auf den reinen Negationssinn der absoluten Indifferenz und an
dererseits auf den Begriff des Wesens zurückgreift, so wie er sich im
Vorhergehenden als Negation teils des unwesentlichen Daseins, teils des
Scheines ergeben hatte. Daß Wesen nichts als Negation sein kann, leuch
tet dennoch nicht ein, bevor das zweite Moment des Scheines mit ihm
identifiziert ist. Denn was kann es heißen, unabhängig von allem Ande
ren und doch nichts als Negation zu sein? Selbst die zweimal verwendete
Negation setzt doch voraus, daß irgendetwas Anderes das primär Ne
gierte ist.
Die Unmittelbarkeit des Scheins mit dem Wesen zu identifizieren, muß
noch schwerer fallen. Denn es war die Unmittelbarkeit des Scheines, nicht
seine Nichtigkeit, wodurch er eine gegen das Wesen unabhängige Seite
beanspruchen konnte. Und Unmittelbarkeit ist ganz im allgemeinen als
der Gegenbegriff zur Negation aufzufassen. Was unmittelbar ist, ist in
sofern nicht vermittelt, also nicht mittels eines Andem und somit grund
sätzlich der Relation enthoben, die für Hegel den primären Sinn des
Negationsbegriffes ausmacht: der Bestimmtheit. Zwar ist Unmittelbares
in anderer Hinsicht auch Bestimmtes - dadurch nämlich, daß der Begriff
der Unmittelbarkeit ein negativer Begriff ist. Aber sofern etwas unmittel
bar ist, ist es bisher stets als von aller Bestimmtheit frei gedacht worden.
Das Unmittelbare ist somit zunächst einmal auch das Unbestimmte und
allenfalls als solches, als Unbestimmtes, bestimmt, aber auch damit
(begrifflich) sicher nicht mit Negativität identisch.
Die Unmittelbarkeit läßt sich aber auch in anderer Weise fassen -
immer noch in Korrelation zur Bestimmtheit, aber nicht mehr einfach nur
durch deren Exklusion. Hegel nennt sie dann ,Gleichheit mit sich' und
charakterisiert sie damit durch eine Beziehung, welche in Selbstbezie
hung umgewendet ist. In dieser Fassung hatte ,Unmittelbarkeit' schon
ganz am Anfang der Seinslogik geholfen, den Gedanken ,Sein' einzufüh
ren (Log I. 66, 5, 2). Dort mußte ganz undeutlich bleiben, wie ein Ge
danke, der katexochen Unbestimmtheit meint, in einer Sprache einge
führt und festgehalten werden kann, die sich an Beziehung und somit
grundsätzlich audt an Beziehung auf Unterscheidbares orientiert. Aber
gerade dieser Aspekt in der Definition von Unmittelbarkeit erlaubt es
nun, dem Wesen, das durchaus Negativität ist, auch Unmittelbarkeit
in dem strengen Sinne zuzusprechen, den dieser Terminus durch seine
Definition erhielt.
Das Wesen ist nichts als Negation. Wenn eben dieses Wesen durch
Unmittelbarkeit soll charakterisiert werden können, so muß das heißen,
Hegels Logik der Reflexion 247
daß die Negation in Gleichheit mit sich gedacht werden kann. Da Nega
tion wesentlich Beziehung auf Anderes ist, kann sie in Gleichheit mit sich
nur dann sein, wenn sie als Negation und somit negativ auf sich selbst
bezogen ist - wenn die Negation sich selbst ein Anderes ist. Dazu muß
sie als verdoppelte, in der Verdoppelung aber als selbstbezüglich gedacht
werden.
Es liegt ganz nahe, diesen Schritt zu tun. Denn ohnehin war das Wesen
als Einheit der ersten und der zweiten Negation zu denken, und es war
unklar geblieben, wie es als solche doppelte Negation überhaupt das:
ganze Wesen sein kann. Ist die Negation nicht nur verdoppelt, sondern
in der Verdoppelung selbstbezüglich, so ist damit eine Möglichkeit sicht
bar gemacht, das Wesen wirklich als Negation lind als nichts weiter als
sie zu denken. Damit kann die Identifikation der Nichtigkeit des Schei
nes, die vorausging, einen festen Sinn erhalten, während zugleich die
Unmittelbarkeit des Scheines mit dem Wesen identifiziert wird. In die
sem Sinn ist das Wesen von nun an als ,unendliche' Negativität zu den
ken, die ihre Grenzen nur aus sich produziert, und als ,absolute' Negati
vität, die alle Bestimmtheit gegen die Negation aus eben dieser Nega
tion hervorgehen läßt.
Auf solche Weise hat Hege! beide Aufgaben in Einem Gang gelöst:
Die eine Aufgabe, einen wohlbestimmten Wesensbegriff zu gewinnen,
der sich allem Anschein nach aus sich selbst weiterentwickeln läßt, stellte
sich in der Situation, die am Abschluß der Seinslogik eintrat. Die andere
Aufgabe war die der Überwindung der Äußerlichkeit zwischen den Re
sten des Seins und dem Wesensbegriff, die solange fortbestehen mußte,
wie Wesen noch nicht als Nadtfolger des Seins fest etabliert war. Da
die zweite Aufgabe sich nur daraus ergab, daß die erste im Umweg über
Gedanken vom Wesen, die offenkundig vorläufige waren, in Angriff ge
nommen werden sollte, überrascht es auch nicht, daß beide Aufgaben am
Ende in einem Zug gelöst werden können.
Es ist aber weiterhin auf das Verfahren zu achten, mittels dessen
diese Lösung bewerkstelligt wurde. Daß dem Wesen Unmittelbarkeit zu
zusprechen ist, war nicht abzuleiten, sondern nur aufzuzeigen. Nun
stellt sich des weiteren heraus, daß dieser Aufweis von ganz besorrde
rer Art ist. Denn die Unmittelbarkeit des Seins wird nicht auch im We
sen entdeckt s o wie etwa Uran in einer Gesteinsprobe. Was im Wesen
Unmittelbarkeit heißt, entspricht nämlich in zwei Hi:iJ.sichten gar nicht
der ursprünglich gegebenen Definition dieses Begriffes. Denn die Selbst
beziehung des Wesens hat eine wirkliche Differenz in sich; und sie ist
auch nicht Unmittelbarkeit gegen die Vermittlung. Die Negation, die sich
248 DIETER HENRICH
nur negativ auf sich selbst beziehen kann, ist nicht die harmonische Un
unterschiedenheit jener Unmittelbarkeit, welche Hege! die ,einfache'
nannte (Log I. 54· Nbg. 77 u. v. a.). Und da sie die Unmittelbarkeit ist,
welche gerade der Negation in ihrer Selbstbeziehung eignet, ist sie sicher
allem voran etwas an der Negation und nicht einfach nur ihr entgegen.
Bisher schien Unmittelbarkeit Vermittlungslosigkeit zu meinen. Nun stellt
Hege! gerade die absolute Vermittlung unter denselben Begriff.
Damit verschiebt sich aber die Bedeutung dieses Begriffes. Aus der
ursprünglichen Bedeutung scheidet aus, daß Unmittelbarkeit stets der
Vermittlung gegenübersteht. Diese Bestimmung wird durch eine andere
ersetzt, die der Unmittelbarkeit zwar auch seither schon zukam, aber in
einer Interpretation, welche an die jetzt entfallene Bestimmung gebunden
war : Die Unmittelbarkeit des Wesens ist ein Charakter suisuffizienter
Vermittlung, ein Charakter in deren Selbstbeziehung. Selbstbeziehung,
welche bisher die nur ,Gleichheit mit sich' der Unmittelbarkeit gegenüber
der Negation als Beziehung auf Anderes war, wird nun zum generellen
Charakter zweier Gedanken von Unmittelbarkeit - der ,einfachen' Un
mittelbarkeit gegen die Negation und der ,reflektierten' Unmittelbar
keit des Wesens, das selbst nichts als Negation und somit absolute Nega
tivität ist. In der Folge sollen sie abgekürzt als U1 und U2 bezeichnet
werden. Aber beide Unmittelbarkeiten werden nicht etwa nur voneinan
der untersdlieden. Wenn die scheinbar einfache Unmittelbarkeit des
Scheins (U1) aus der reflektierten Unmittelbarkeit des Wesens (U2)
interpretiert wird, so ist damit behauptet, daß es legitim ist, die Bedeu
tung der Unmittelbarkeit des Seins zur Bedeutung der Unmittelbarkeit
des Wesens zu vers·chieben.
Diese Bedeutungsverschiebung geschieht wohl motiviert. Sie geschieht
aber offenkundig nicht mit der Zwangsläufigkeit deduktiver Logik und
auch nicht aufgrund der Entdeckung von unabweisbaren Anwendungs
fällen, welche zugleich bisher unbekannte Eigenschaften aufweisen und
deshalb dazu zwingen können, die Bedeutung eines empirischen Be
griffes zu erweitern. Gäbe es nicht den theoretischen Zwang, den Seins
begriff auf den Wesensbegriff zu reduzieren, so wäre es leicht, die bei
den Fälle von Unmittelbarkeit dauerhaft als ,Beziehungslosigkeit' und
als ,Selbstbeziehung' voneinander zu unterscheiden. Denn die Rede von
Selbstbeziehung als Gleichheit mit sich hat im Bereich der Logik des
Seins ohnehin einen ganz anderen Status als in der Logik des Wesens.
Nur im Wesen ist das, von dem gesagt wird, es stehe in Selbstbezie-
Hegels Logik der Reflexion 249
hung, zweifellos an ihm selbst ein Beziehungsbegriff. Nur hier steht also
fest, daß die Interpretation der Unmittelbarkeit durch Selbstbeziehung
nicht nur ein Mittel der Beschreibung, sondern ein formalontologischer
Sachverhalt ist. 16 Da aber aus der Analyse des Seins und seiner ersten
Unmittelbarkeit hervorging, daß Sein kein definitiver Gedanke ist und
in welcher Richtung seine Entwicklung zu einem neuen Prinzip vonstatten
geht, welches die Nachfolge von Sein antreten kann, ist aus dieser Logik
auch die Perspektive vorgegeben, die nur ausgezogen wird, wenn sich
die Bedeutung von Unmittelbarkeit erweitert und verschiebt.
In das Arsenal einfacher Waffen der Hegelkritik gehört seit jeher der
Vorwurf, daß seine Beweise auf Homol).ymien beruhen und somit er
schlichen sind. Für diese Kritik wäre der Anfang der Wesenslogik ein
noch nicht genutzter MusterfalL Man könnte leicht versuchen, ihn als
Prozedur zu entlarven, die Homonymie im Begriff der Unmittelbarkeit
des Wesens zu verschleiern und zugleich auszubeuten. Versteht man aber
Stellenwert und Zusammenhang dieses Textes, so wird auch klar, warum
er sich selbst nur als Aufweis statt als Beweis bezeichnet und daß seine
Untersuchung nicht Implikationen wohlbestimmter Bedeutungen entfal
tet, sondern eine Bedeutung wohlmotiviert verändert. Der Gedanke des
Wesens kann dem des Seins nur dann nachfolgen, wenn zugleich die
Bedeutung von Sein als Unmittelbarkeit eine Fortbestimmung erfährt.
Freilich ist diese Fortbestimmung nicht irgendeine von der Art umgangs
sprachlicher oder erfahrungswissenschaftlicher Bedeutungsverschiebungen.
Denn sie bestimmt Unmittelbarkeit in einer Weise, die bisher in ihrem
Begriff nicht nur nicht vorgesehen, sondern sogar notwendig ausgeschlos
sen schien. Andererseits bringt sie nicht von Grund aus neue Bedeu
tungselemente ein, sondern führt nur zu einer neuen und überraschenden
Verbindung von Bedeutungselementen, die zuvor schon eingeführt wa
ren, aber so, daß eine Kombination zwischen ihnen zugleich ausdrücklich
ausgeschlossen war. Auf ihre besonderen Eigenschaften ist später zurück
zukommen. 17
In einem mit der Bedeutungsverschiebung ist der Wesensbegriff als
selbstbezügliche Negation festgestellt. Damit ergibt sich auch das alle
folgenden Schritte beherrschende Problem, wie dieses Verhältnis einer
Negation, die negativ auf sich bezogen ist, im einzelnen zu beschrei
ben und welche Folgerungen aus ihm zu ziehen sind. Auch für die Ver
ständigung über die Wissenschaft der Logik in ihrem Gesamtzus ammen-
18 Anders als am Anfang der Logik, vgl. den in Anm. 8 zitierten Aufsatz.
11 Vgl. unten 266 ff.
250 DIETER HENRICH
hang hängt von seiner Lösung alles Entscheidende ab. Denn eine solche
Lösung wird auch die Grundzüge des logischen Sinnes von Hegels These
über die Einheit von Subjekt und Substanz auszuarbeiten und aufzuklä
ren haben. Daß Hegels Fähigkeit, über logische Verhältnisse aus der Di
stanz Rechenschaft zu geben, in den engsten Grenzen und weit hinter
seiner Virtuosität zurückbleibt, solche Verhältnisse wirklich zu entwickeln,
zeigt sich am deutlichsten daran, daß er sich über die innere Verfassung
der absoluten Negativität und über Formen und Möglichkeiten von Ab
leitungen aus ihr praktisch völlig ausschweigt. Die wenigen Bemerkun
gen, zu denen er gelegentlich veranlaßt wurde, geben ihre Auskunft nicht
nach und aus einer Bemühung um eine Aufklärung in übersehbarer und
vollständiger Schrittfolge, die auch mögliche Einreden im Sinn behält.
Und selbst noch die Zusammenfassung im Methodenkapitel läßt alle ent
scheidenden Fragen offen und verfehlt, wie gezeigt wurde, sogar ein
Fundament der Negationstheorie, ohne welche die Wissenschaft der Logik
nicht frei nachvollzogen werden kann. Daß in den ersten Abschnitten
der Entfaltung des Wesensbegriffs jede negationstheoretische Untersu
chung ausblieb und offenbar ausbleiben mußte, erschwert nicht nur den
Anfang des ,schwersten TeUes' (Enz § 114) der Logik über das Not
wendige hinaus - es hat auch den Text Hegels um viel von der inneren
Klarheit gebracht, welche der Entwurf der Gedanken sehr wohl zuge
lassen hätte, die in ihm entfaltet werden.
Darum wird es nötig werden, sich wenigstens die ersten Elemente des
Argumentpotentials im Gedanken einer absoluten Negativität in Über
einstimmung mit Hegels Gedankengang, aber abstrakt vor Augen zu brin
gen. Die Interpretation der einzelnen Abschnitte des Textes hat dann
festzustellen, in welchem Umfang Hegel jeweils von diesem Argument
potential Gebrauch macht und welche Gründe ihn dazu bewogen. Nur so
kann man die Logik des Gedankens der selbstbezüglichen Negation von
der Dynamik der Entfaltung des Textes unterscheiden und für die Ver
fassung des Textes Gründe von verschiedener Art abgeben : Negations
theoretische, argumentationsstrategische und solche, die sich daraus erge
ben, daß Hege! seine eigene Gedankenführung nur ungenügend methodo
logisch durchzuarbeiten vermochte.
Zuvor soll noch die Beobachtung festgehalten werden, daß Hegel in
dem Abschnitt, in dem er die Bedeutungsidentifikation von Schein mit
Wesen vollzieht, offenbar in seiner Sprache nur ein Minimum negations
theoretischer Aussagen in Anspruch nehmen will. Die Nichtigkeit des
Scheines wird mit der "negativen Natur" des Wesens (B 2, 2{ 5) identi
fiziert; und Unmittelbarkeit wird dem Wesen in Beziehung auf seine
Hegels Logik der Reflexion 251
tive des Seins anzusprechen, um so zu zeigen, daß Wesen vom Sein her
in dessen Sprache zu fassen ist. Wie dem auch sei - von Intentionen des
Autors ganz abgesehen hat die terminologische Ökonomie Hegels für den
Fortgang der Entwicklung des Wesensbegriffes j edenfalls den Vorteil,
vorerst von einer Ausführung über den Negationssinn des Wesensbe
griffes und von seiner Entwicklung zu entlasten. Die Identifikation von
Sein mit Wesen, deren wichtigstes Instrument die Bedeutungsverschie
bung von U1 zu U2 ist, kann zum Abschluß kommen, ohne daß die
Bewegung in Gang gesetzt wird, welche sich daraus notwendig ergeben
muß, daß im Wesen die Negation selbst der Negation unterliegt. Im Ab
schnitt, der den Titel ,der Schein' trägt, läßt Hege! die Konsequenzen, die
aus dem Gedanken der selbstbezüglichen Negation zu ziehen sind, nur
gerade so weit freikommen, wie es für den Nachweis unvermeidlich ist,
daß der Schein nichts als der eigene Schein des Wesens sein kann, -
und zwar auch dort, wo seine Formulierungen zwangsläufig über dies
minimale, aber höchst gewichtige Ergebnis hinausgreifen müssen. Die
eigentliche Entwicklung des Begriffes der selbstbezüglich verdoppelten
Negation gehört in den Abschnitt über ,die Reflexion'.
Aber noch ist Hegels Aufweis, daß der Schein nicht vom Wesen ver
schieden ist, nicht vollständig nachgezeichnet worden. Er hatte selbst drei
Resultate unterschieden, die in diesem Nachweis erreicht werden müs
sen : Nichtigkeit und Unmittelbarkeit des Scheines müssen zu Momen
ten des Wesens werden, und es zeigte sich, daß diese Resultate nur in
einem Zug zu erzielen sind. Als Drittes bleibt zu zeigen, daß das Be
stimmtheitsverhältnis zwischen Schein und Wesen "im Wesen selbst
aufgehoben ist" (B 2, 1, 9ho). ,Aufheben' hat die bekannten drei Be
deutungen, scheint aber hier mit dem Akzent auf ,eliminieren' gebraucht
zu sein. Am Ende der Absätze B 2, 4 und B 2, 5 und wieder am Ende
des gesamten Abschnittes über den Schein (B 2, 7) formuliert Hege! als
Resultat, daß nun gezeigt sei, inwiefern die Bestimmtheit gegen das We
sen im Wesen aufgehoben worden sei. Diese Betonung entspricht der
Rolle des Unterabschnitts über den Schein, der in der Transposition des
Scheins einen suisuffizienten Wesensbegriff erreichen soll. Indem Hege!
diesen Abschnitt deutlich auf eine solche Rolle beschränkt, rückt er eine
andere Aufgabe in den Hintergrund, die dennoch, soll die Hauptauf
gabe gelöst werden, nicht ganz unberücksichtigt bleiben darf. Sie hat
aber in Wahrheit das größere systematische Interesse. Denn wenn sie
Hegels Logik der Reflexion 253
gelöst wird, so ist damit auch eine wichtige Grundlage gelegt, von der
aus sich die Wesenslogik entfalten kann : Der Schein muß nicht nur im
Wesensbegriff als ein Selbstständiges eliminiert werden : Soll der We
sensbegriff selbstgenügsam sein, so muß weiter auch gezeigt werden, wie
die Differenz zwischen Wesen und Schein, von der die Logik des Scheins
ausging, aus dem Begriff des Wesens selbst verständlich gemacht wer
den kann. Die äußerliche Differenz des Scheins gegen das Wesen muß
zwar verschwinden. Soll Schein aber überhaupt verständlich sein, so
muß eine Differenz von Schein gegen Wesen innerhalb des vollstän
dig entfalteten Wesensbegriffs restituiert werden können.
Daß das Wesen der Schein ist, steht ohnehin fest. Das Interesse daran
.
zu zeigen, daß die Bestimmtheit des Scheines gegen das Wesen entfällt,
kann also nicht vom Zweifel herrühren, ob diese Bestimmtheit aufgeho
ben ist. Es kann nur ein Interesse daran sein zu verstehen, wie das Wesen
die Selbständigkeit des Scheines entfallen läßt. Wer das wirklich einsieht,
wird aber zugleich auch schon begreifen, auf welche Weise der Schein
aus dem Wesen hervorgeht. Denn er wird eben deshalb aufgehoben, weil
er die Bestimmtheit des Wesens ist, welche das Wesen aus der Logik
seiner Definition als absolute Negativität annimmt. Ist der Ursprung
des Scheins deutlich gemacht, so sind Grund und Hergang seines Entfal
lens gleichfalls im Prinzip schon bekannt. So könnte sich ein Nachweis,
daß die Bestimmtheit des Scheines aufgehoben ist, der aus dem Interesse
daran erfolgt zu verstehen, wie diese Bestimmtheit entfällt, darauf
konzentrieren, seinen Ursprung im Wesen aufzuzeigen. In einem solchen
Aufweis würden jedoch notwendigerweise die internen Probleme der Ent
wicklung des Wesensbegriffes zur Dominanz kommen. Im Unterabschnitt
,der Schein' ist Hegel aber einzig an dem Problem der Aufhebung des
zuvor noch als bedingt selbständig gedachten Scheines in das Wesen in
teressiert. Die Ökonomie seines Textplanes legte es also nahe, das
Prinzipielle in dem logischen Vorgang, kraft dessen der Schein entfällt,
auf andere Weise und so zu verdeutlichen, daß sein Hervorgang aus dem
Wesen nicht vollständig ausgearbeitet werden muß. Darum beschränkt
er auch dort, wo nicht nur das Faktum, sondern auch der Prozeß der Auf
hebung des Scheines in Frage steht, die Entwicklung des Wesensbegriffes
auf ein unumgängliches Minimum. Daraus erklärt es sich dann, daß in
Hegels Text an so entscheidender Stelle alle negationstheoretischen Er
örterungen verkürzt sind und unbestimmt bleiben.
Hegel führt den Nachweis, daß die Bestimmtheit des Scheins entfällt,
in zwei einander korrespondierenden Absätzen. Im ersten geht er vom
Wesen als Ansichsein aus und zeigt, wie die Bestimmtheit des Scheins
254 DIETER HENRICH
in ihm entfällt (B 2, 4). Der andere beginnt mit dem Begriff des Scheins
und zeigt, daß dessen Unmittelbarkeit, kraft deren er gegen das Wesen
bestimmt war, die eigene Unmittelbarkeit des Wesens ist (B 2, 5). Die bei
den Momente des Scheins, von denen schon klar ist, daß sie Momente des
Wesens sind, werden also noch einmal unter dem Gesichtspunkt ihres
Eingangs in das Wesen zum Thema gemacht. Wer sich vor allem für die
innere Entwicklung des Wesensbegriffs interessiert, dem ist es erlaubt,
beide Abschnitte auch als einander korrespondierende Skizzen der logi
schen Entwicklung des Wesens hin zu interner Bestimmtheit zu lesen.
Mehr als Skizzen können sie schon allein aufgrund ihres Stellenwertes
für Hegels Textdisposition nicht sein. In welchem Sinn sie es sind, muß
noch ausgemacht werden.
Diesen beiden Skizzen voraus, welche den dritten Gang des Aufweises
leisten, daß der Schein der eigene Schein des Wesens ist, hat Hegel schon
ein Resultat der beiden ersten Gänge formuliert, das auch hier vorab
festgehalten werden muß : Die Nichtigkeit des Scheines ist als Ansichsein
(Bestehen) des Wesens dessen eines Moment, seine Unmittelbarkeit ist als
reflektierte und somit von der Negation nicht freigehaltene sein anderes
(B 2, 3, 1-5). Diese beiden Momente sind Aspekte der einen Wesensstruk
tur. Die Selbstbeziehung (U2) des Wesens ist eben das, kraft dessen
die Negation ein Ansichsein haben kann. Waren die Unmittelbarkeit und
die Negation als Andersheit zuvor nur in Beziehung auf voneinander
Getrenntes zu bringen, so konstituieren sie jetzt Eines und sind insofern
harmonisch verbunden. Ihrer Bedeutung nach bleiben sie aber dennoch
verschiedene Gedanken : Unmittelbarkeit meint Selbstbeziehung und Ne
gation meint ausschließende Beziehung auf Anderes. Und die Negation
bleibt Ausschlußbeziehung auch dort, wo sie in Selbstbeziehung gebracht
wird, so wie die Selbstbeziehung für das, dem sie zugesprochen wird, den
Ausschluß der Beziehung zu anderem bedeutet. Auf die formellste denk
bare Weise kann man sich schon durch eine Reflexion auf die Wortbe
deutungen von ,Negation' und ,Unmittelbarkeit' mit der Aussicht ver
traut machen, daß der G edanke der absoluten Negativität eine neue
Konfliktsituation generieren muß, über die er sich selbst in seine weitere
Entwicklung treibt. Schon dort, wo Hegel nur die Einheit der beiden
Momente im Wesensbegriff festzustellen hätte, bemerkt er auch, daß
Sein im Wesen eine Bestimmung gegen die Vermittlung sei (B 2, 2, 18).
In einem gewissen Sinne ist Unmittelbarkeit als Selbstbeziehung des We
sens sogar mehr noch als einfache Unmittelbarkeit in einem Gegensatz
zu denken : Vom Gedanken der einfachen Unmittelbarkeit konnte man
wenigstens meinen, daß er unter Absehen von aller Beziehung auf Be-
Hegels Logik der Reflexion 255
nicht auf die Interpretation des Textes zu beschränken, sondern sie mit
eigenen Überlegungen über das Potential zu Argumenten zu ergän
zen, das die negationstheoretischen Begriffe des Textes de facto enthalten.
Zunächst sollen die drei Absätze des Textes betrachtet werden, in denen
Hegel zeigen will, wie die Bestimmtheit des Scheines im Wesen aufge
hoben ist (B 2, 4-6). Obwohl sie rein grammatisch einfach gebaut und
von Zweideutigkeiten frei sind, können sie doch vor schwerste Probleme
stellen, wenn man sie unter der Voraussetzung liest, daß in ihnen eine
voll ausgearbeitete Negationstheorie zur Geltung gebracht ist. Deren
Schritte wären dann in wenige Sätze zusammengepreßt, und es käme dar
auf an, ihren Sinn der kargen sprachlichen Umsetzung wieder abzuge
winnen. In Wahrheit stehen Hegels Absätze noch ganz unter dem Postu
lat gedanklicher Ökonomie, das für den ganzen Obergang des Scheins in
das Wesen gilt. Im Scheinabschnitt ist das Wesen zwar nach seinem wirk
lichen Begriff, aber immer noch unmittelbar gedacht; seine interne Ent
wicklung ist unter dem Titel ,die Reflexion' zu untersuchen. Es wirkt
sich auch aus, daß die Teile des Aufweises, daß der Schein nicht vom
Wesen unterschieden ist, parallel zueinander stehen, obwohl sie im Text
wegen der linearen Anordnung des normalen Buchdrucks einander fol
gen. Der letzte Teil des Aufweises, der zeigt, daß die Bestimmtheit des
Scheins gegen das Wesen aufgehoben ist (B 2, 6), setzt parallel zum An
fang des Aufweises ein, daß die Momente des Scheins ebendieselben wie
die Momente des Wesens sind (B 2, 3).
Der erste Gang im Rahmen des letzten Aufweises geschieht in den ab
schließenden drei Sätzen von B 2, 4 : 11Die Negativität ist die Negativität
an sich; sie ist ihre Beziehung auf sich, so ist sie an sich Unmittelbarkeit;
aber sie ist negative Beziehung auf sich, abstoßendes Negieren ihrer selbst,
so ist die an sich seiende Unmittelbarkeit das Negative oder Bestimmte
gegen sie. Aber diese Bestimmtheit ist selbst die absolute Negativität und
dies Bestimmen, das unmittelbar als Bestimmen das Aufheben seiner
selbst, Rückkehr in sich ist". Dieser Absatz hat nur dann einen klaren und
einfachen Sinn, wenn man davon ausgeht, daß sein erster Satz ebenso wie
der Anfang des vorausgehenden Aufweises noch keinen voll ausgearbei
teten Gedanken der absoluten Negativität voraussetzt. Er setzt nur voraus,
daß die Negativität als solche Ansichsein hat. Was es bedeutet, daß sie es
hat, bleibt unausgesprochen. Es wird sogar die der absoluten Negativität
selbst eigene Dynamik so dargestellt, daß sie von der Negativität als blo
ßem Ansichsein ausgeht und ihren Charakter, Negativität zu sein, über
haupt erst im Ausgang von diesem Ansichsein entwickelt. Hat die Nega
tivität in einer unbestimmten Weise Ansichsein und insofern Unmittelbar-
Hegels Logik der Reflexion 257
keit, so versteht sich auch, wieso diese Unmittelbarkeit durch die logische
Form eben dieser Negativität auch als Unmittelbarkeit aufgehoben werden
muß. Denn die Negation als Negativität ist negative Beziehung auf sich.
Sie setzt sich also sich selbst entgegen. Hat sie also Unmittelbarkeit, so ist
sie auch dieser Unmittelbarkeit entgegengesetzt, die damit zu einer Be
stimmtheit wird gegen die Negativität, insofern diese sich entgegengesetzt
ist, oder vielmehr zu einer Bestimmtheit gegen die Negativität in dem,
wodurch diese negativ auf sich selbst bezogen ist.
Die Bestimmtheit der Unmittelbarkeit der Negativität gegen diese
selbst ist nun aber nur eine Folge von dem, was die Negativität, insofern
sie ,absolute' genannt werden kann, ohnehin selbst ist. Als solche be
stimmt sie sich gegen sich - setzt sich (die Negation oder Bestimmtheit)
sich selbst (als dem Negativen oder Bestimmten) entgegen. Darum ist
sie eben deshalb, weil das Bestimmte, dem sie gegenübersteht, sie selbst
ist und weil dies Bestimmte nur deshalb ihr gegenübersteht, weil sie
absolute Negativität ist, zugleich das Aufheben dieses Bestimmens. Das
Bestimmtheitsverhältnis ist zugleich Selbstverhältnis.
In der Abfolge dieser drei Sätze ergibt sich eine Entwicklung daraus,
daß die Negativität im ersten Satz nur als Negativität an sich auftritt.
Nur deshalb kann sie im zweiten Satz als Abstoßen von sich und damit
auch als Abstoßen von ihrer eigenen Unmittelbarkeit gedacht werden,
worauf dann im dritten ihre eigentliche Unmittelbarkeit erreicht wird, wel
che das Selbstverhältnis ihrer Vermittlung ist. Im Sinne dieses dritten
Satzes ist die Negativität "identische Einheit der absoluten Negativltät
und der Unmittelbarkeit" (B 2, 4, 7/8). Würde man unter Negativität
schon im ersten Satz die sich negierende Negativität zu verstehen haben,
so könnte man die These des zweiten Satzes, daß die Negativität jener
unmittelbar entgegengesetzt ist, nur über Umwege verstehen. Das " so"
in der Mitte dieses Satzes müßte dann aus nicht einmal erwähnten,
geschweige denn ausgeführten Argumenten begründet sein. Ist die Un
mittelbarkeit des Wesens im ersten Satz aber wirklich die unbestimmte,
nur ansichseiende, so folgt direkt aus dem, was ausdrücklich gesagt wird,
daß in der Negativität auch eine negative Beziehung auf ihre eigene (an
sich seiende) Unmittelbarkeit eintreten muß. 18
18 Mit dieser Textexegese verlieren Einwände ihren Ansatzpunkt, die mit Recht
gegen die Interpretation in der ersten Fassung dieser Abhandlung vorgebracht wor
den sind, und ebenso die Einwände gegen Interpretationsalternativen, welche auf
der gleichen Ebene wie die der ersten Fassung einsetzen. Der Text läßt sich über
haupt nur dann konsistent machen, wenn man den besonderen Status seiner noch
vorläufigen Argumentation beachtet.
258 DIETER HENRICH
Der folgende Absatz läßt sich nur mit größeren Schwierigkeiten durch
eine analoge Interpretation erschließen. Er beginnt mit einer Rekapitu
lation der Momente des Scheines : Der Schein ist etwas durchaus Nega
tives, Nichtiges, das zwar ein Sein hat, aber nicht aus sich, sondern in
einem Anderen. Nach allem Vorausgehenden darf gesagt werden, daß der
Schein nicht nur zweifache, sondern selbstbezüglich verdoppelte Nega
tion ist - ein an ihm selbst Unselbständiges deshalb, weil er ein "in sich
zurückgehendes Negatives" ist. Hegel bemüht sich allerdings nicht darum,
im einzelnen zu zeigen, daß sich alle Charaktere des Scheins aus der
selbstbezüglichen Negation herleiten lassen, wodurch erst gezeigt wäre,
daß der Schein mit selbstbezüglich verdoppelter Negation identisch und
nicht etwa nur irgendein Fall von ihr ist. Er will lediglich zeigen, daß
das am Schein, wodurch er eine Unmittelbarkeit, 11ein Sein" (B 2, 5, 1.)
hat, nicht etwa die Folgerung erzwingt, daß er für das Wesen unauf
hebbar gegen das Wesen bestimmt ist.
In diesem Teil des Nachweises fehlt es nun aber an der durchaus mög
lichen Präzision in der Führung der Argumente. Hege! stellt zunächst
fest, daß die Beziehung des Negativen auf sich seine 19 Unmittelbarkeit
genannt werden kann (U2). Er fährt dann aber fort, daß diese Unmittel
barkeit ein Anderes sei als das Negative - und zwar nicht nur etwas,
das man von dem einfachen Negativen unterscheiden kann, sondern sein
Anderes in dem durch die Seinslogik terminologisch festgelegten stärke
ren Sinn: Sie ist die Bestimmtheit des Negativen gegen sich "oder sie ist
die Negation gegen das Negative" (B 2, 5, 8) . Zwischen Unmittelbarem
und Negativem besteht also ein Verhältnis, das dem zwischen dem Schein
und dem, in dem er sein Sein hat, also seiner Negation zumindest irgend
wie entspricht.
Zwischen dem Satz "sie (die Unmittelbarkeit) ist ein Anderes als es
(das Negative) selbst" (B 2, 5, 6/7) und dem Satz des vorausgehenden
Absatzes "so ist die an sich seiende Unmittelbarkeit das Negative und
Bestimmte gegen sie" (B 2, 4, 12/1.3) besteht Übereinstimmung, was
ihren Stellenwert im Gang der jeweiligen Argumentation betrifft. Wäh
rend aber im vorausgehenden Absatz die Begründung des entsprechenden
Satzes deshalb leichtfiet weil die Unmittelbarkeit, gegen welche die Ne
gation gesetzt wurde, nur die ansichseiende war, wird nun ausdrück
lich von der Unmittelbarkeit, die in der Selbstbeziehung der Negation
besteht, behauptet, daß sie ein Anderes sei als die Negation. So müßte
die Begründung des Satzes auch ganz anders lauten. Es ist aber nicht
19 Das Wort seine in B 2, 5, 6. ist auf das Negative in der vorhergehenden
Zeile und nicht auf den Schein zu beziehen.
Hegels Logik der Reflexion 259
möglich, aus den Ressourcen des Absatzes selbst eine solche Begründung
zu entwickeln, die überzeugt. Sie könnte rein terminologisch gegeben
werden : Die Rede von der Beziehung des Negativen auf sich ist nicht
selbst ein Terminus mit einer negativen Bedeutung. Sie meint nichts als
Selbstbeziehung und ist insofern ein Anderes als die Rede von "dem
Negativen". Dann leuchtet aber nicht ein, daß sich die Unmittelbarkeit
als Negation auf das Negative bezieht und so zum absoluten Aufheben
der Bestimmtheit selbst (B 2, 5, 10) führt. Ähnliches gilt für den Fall, daß
man Unmittelbarkeit (qua U2) und Vermittlung als voneinander ver
schiedene Aspekte versteht, die beide, und zwar unabhängig voneinander,
berücksichtigt werden müssen, wenn man die _Form der absoluten Nega
tivität beschreiben will. Zwar ist es richtig, daß die Negation der Nega
tion in Einem sowohl Selbstbeziehung als auch Bestimmtheitsbeziehung
ist. Diese Struktureigenschaften der Negation der Negation stehen aber
allenfalls auf der Ebene der Beschreibung und nicht in dem, was be
schrieben wird, in einem Gegensatz zueinander. Aus solch einem Gegen
satz folgt nicht, daß die Negation im Beschriebenen zur Unmittelbarkeit
in einem Bestimmtheitsverhältnis steht - daß also "sie" (B 2, 5, 7) die
Bestimmtheit des Negativen gegen sich ist.
Man kann den Satz "Die Beziehung des Negativen . . . auf sich ist seine
Unmittelbarkeit" (B 2, 5, 5/6) auch ein wenig anders lesen. Sein Sinn
läßt sich dann in folgender überlegung entfalten: Unmittelbarkeit (U 2)
tritt dadurch ein, daß das Negative auf sich selbst bezogen wird und das
Negative somit der Negation unterliegt. Es ist die Negation nur in ihrem
zweiten Auftritt, die es bewirkt, daß sie verdoppelt und so das Negative
seinem eigenen Prinzip unterstellt wird. Keineswegs ohne und zweifel
los durch diese zweite Negation und somit dadurch, daß sie sich negativ
auf das Negative bezieht, ergibt sich die Unmittelbarkeit und ebenso
dies, daß das Negative gegen sich Bestimmtheit hat. Insofern läßt sich
sagen, daß das Sichbeziehen der zweiten Negation auf die erste die
Unmittelbarkeit ist. Da aber die Negation als solche durch ein solches
Beziehen, und zwar ein negatives Beziehen definiert werden muß, kann
man sagen, daß das Negative seiner Negation und Bestimmtheit als dem
gegenübersteht, was zugleich die Unmittelbarkeit des Negativen ist. Da
für, daß dies der Sinn ist, der durch Hegels Kopf ging und seine Feder
führte, gibt es nur einen kleinen, aber doch einigermaßen sicheren Hin
weis : Er nennt nicht das Negative, insofern es negiert wird - wie es
doch naheläge -, sondern die Negation dieses Negativen dasjenige Glied
in der Bestimmtheit gegen sich, welches auch ,Unmittelbarkeit' genannt
260 DIETER HENRICH
werden kann: "sie ist die Negation gegen das Negative" (B 2, 5, 8). Diese
überraschende Zuordnung des aktiven Glieds, das die Beziehung stiftet,
zur Unmittelbarkeit macht nur Sinn, wenn sie im Rahmen des dargelegten
Sinnzusammenhanges erfolgt.
Hegels Text ist also im Lichte dieser Begründung wohl verständ
lichi aber sie ist weder elegant noch zwingend. Man muß nämlich offen
kundig zweierlei voneinander auch dann unterscheiden, wenn es nur auf
grund ein und desselben Umstandes eintritt. Die Negation als aussagen
logische Konstante ist eine einstellige Relation. Um von Negation
reden zu können, braucht man stets nur irgend etwas, das negiert wird,
und eben dies sein Negiertsein. Dies führt dazu, daß auch dann noch,
wenn die Negation selbstbezüglich gemacht wird, zwischen ihr als ne
gierter und ihr als negierender unterschieden werden kann. Nur dadurch,
daß sie sich negiert, kann sie in Beziehung zu sich sein. Und insofern ist
ihre Selbstbeziehung wirklich davon abhängig, daß sie sich als negie
rende auf sich wendet. Sie kann nicht dadurch, daß sie negiert ist, selbst
bezüglich sein. Daraus läßt sich nun aber nicht folgern, daß die als Selbst
beziehung interpretierte Unmittelbarkeit allein der Seite der negierenden
Negation zugeschlagen werden darf. Ist die Unmittelbarkeit Selbstbezie
hung, so eben deshalb, weil die Negation qua negierende und die Nega
tion qua negierte dieselbe Negation sind. Aus diesem Gedanken von
Selbstbezüglichkeif mag man später herleiten können, daß eine der beiden
Seiten der Negation kraft und aufgrund ihrer Selbstbeziehung die Form
jener Unmittelbarkeit annimmt, welche die des Scheines und die der ,ein
fachen' Unmittelbarkeit, der unmittelbaren ,Seite' war. Aber eine solche
Folgerung wäre allererst aus dem Gedanken der selbstbezüglichen Nega
tion zu gewinnen. Sie hätte somit auch einen ganz anderen Status als Hegels
Folgerung, daß die neue Unmittelbarkeit des Wesens mit der negieren
den Seite der selbstbezüglichen Negation von vornherein identisch ist.
Steht die Negation in wirklicher Selbstbeziehung, so ist ihr nur als gan
zer die Unmittelbarkeit des Wesens zuzusprechen - nicht ihr in einem
formellen Aspekt ihrer Selbstbezüglichkeit, nämlich als negierender Ne
gation. Kommt umgekehrt nur einer Seite in der Selbstbeziehung die
Unmittelbarkeit zu, so bestünde entweder gar keine Unmittelbarkeit des
Wesens oder es würde aus der selbstbezüglichen Negation und deren es
sentieller Unmittelbarkeit eine Form der einfachen Unmittelbarkeit zu
rückgewonnen. Hegel hat Mittel zu einer solchen Ableitung in der Hand.
Er hat sie an dieser Stelle aber nicht eingesetzt und weiß überhaupt nicht,
sie systematisch zu gebrauchen.
Hegels Logik der Reflexion 261
c. Negationstheoretische Zwischenbetrachtung.
gungen der negativen Aussage und ihre Beziehung zum Gebrauch negativer und in
compatibler Prädikate noch nicht hat überzeugend aufgeklärt werden können.
262 DIETER HENRICH
sich auf nichts als sich selbst bezieht, ist eben darum ein Anderes als die
Andersheit.
In diesem Gedanken ist nun offenkundig das für die aussagenlogische
Negation charakteristische Moment des Aufhebens oder Eliminierens ent
halten, das der Andersheit in ihrem normalen Gebrauch ganz abgeht.
Denn wenn die Andersheit kraft ihrer selbst etwas anderes als die Anders
heit ist, so ist eben damit gar keine Andersheit mehr gegeben. Gleichwohl
muß aber auch gesagt werden, daß dies Andere der Andersheit auch in
einer normalen Beziehung zu der Andersheit selbst steht, durch deren
Selbstbezug es notwendig wurde, das Andere der Andersheit zu denken.
Das Andere der Andersheit ist also nicht ·das ganz und gar Beziehungs
lose. Es ist das Beziehungslose, welches zum Bezogenen, zum Anderen
das ,ganz' Andere ist. Die Selbstbeziehung und die Differenz der Unver
einbarkeit sind also gleichermaßen formelle Eigenschaften des Gedan
kens der absoluten Negativität, der aus der Negationsform der Anders
heit gebildet worden ist. So zeigt sich, daß er ganz unmittelbar die for
male Problematik aus sich hervorgehen läßt, die in Hegels Systemprinzip
der Einheit von Substanz und Subjekt aufgelöst sein soll. Und es zeigt
sich des weiteren, daß auch Hegels spekulative Sprache eigentlich geradezu
mit Leichtigkeit und doch unter Kontrolle aus diesem Gedanken heraus
wiedergewonnen werden kann. Was immer man über die Bedingungen
denken mag, unter denen sie zustandekommt - Methode und Verständ
lichkeit sind ihr nicht abzusprechen.
Der Gedanke der absoluten Negativität als absoluter Andersheit ist
nun in Beziehung zu bringen zu der Problematik, mit der sich die Exe
gese von Hegels Text bisher vor allem zu befassen hatte, - der Proble
matik der Beziehung zwischen Schein und Wesen. Daß das Wesen selbst
der Schein und daß die Bestimmtheit des Scheins gegen das Wesen auf
gehoben ist, meint : Die Unmittelbarkeit des Scheins kann dem Wesen
zugesprochen werden; und was den Schein vom Wesen unterscheidet,
kann aus dem Wesen begriffen werden als eines, das kraft des Wesens
entfällt. Solange man vom Schein ausgeht, ist der Wegfall des Scheins von
Interesse. Geht man aber vom Begriff des Wesens aus, so muß zunächst
sein Entstehen und erst in Beziehung auf es sein Wegfall verständlich ge
macht werden. Der Gedanke vom Wesen entspricht dem Gedanken von
der selbstbezüglich verdoppelten Negationsform ,Andersheit' - gegenüber
der Seinslogik in vollständigerer, gegenüber der Begriffslogik in anfäng
licher Formulierung. So muß sich also in Beziehung auf ihn auch das Ver
hältnis von Schein und Wesen aufklären.
266 DIETER HENKICH
Im Übergang vom Schein zum Wesen war die Bedeutung von ,Unmit
telbarkeit' so verschoben worden, daß Unmittelbarkeit als Selbstbezie
hung des Wesens verstanden werden konnte (U2) - somit also auch
als Andersheit, insofern diese auf sich angewendet ist. Kraft ihrer Selbst
beziehung ist aber Andersheit ebensowohl entfallen. Sie ist nicht Anders
heit, sondern das Andere von Andersheit, also das, was in keiner Weise
ein Anderes ist. Dieses Andere nicht gegenüber einem Anderen, sondern
gegenüber der Andersheit, das insofern aller Relation auf Anderes entho
ben scheint, ist aber seiner Bedeutung nach ununterscheidbar von dem,
was zuvor ,einfache Unmittelbarkeit' (U1) genannt worden war, - der
Gedanke von einer Situation, die nicht durch Abgrenzung gegen eine an
dere zu charakterisieren ist. Und so zeigt es sich, daß aus der reflektier
ten Unmittelbarkeit die einfache Unmittelbarkeit wiederum hervorgeht.
Sie geht allerdings nur insofern hervor, als die reflektierte Unmittelbar
keit in Ansatz gebracht ist; und sie bleibt damit in einer Weise, die ge
nauer zu bestimmen wäre, zugleich auf sie als auf ihr Anderes, wenn
gleich als ein ,ganz Anderes', bezogen. Drückt man diesen Sachverhalt in
der Sprache der Logik des Scheins aus, so ergibt sich diese Formulie
rung : Das Wesen ist der Schein (U2), das dadurch in ihm selbst scheint,
daß es die einfache Unmittelbarkeit des Scheines (U1) als das Negative
und Bestimmte gegen sich hat und insofern zugleich in seinem eigenen
Begriffe aufhebt.
Hier tritt nun die Rede von der Unmittelbarkeit unter drei Bedingun
gen auf: 1.. Unmittelbarkeit (U2) ist die Selbstbeziehung des Wesens;
seine Gleichheit mit sich; 2 . Unmittelbarkeit (U1) tritt kraft der Selbst
beziehung des Wesens und an Stelle des Wesens ein. Denn wenn das An
dere als solches nicht es selbst, sondern ein Anderes als Andersheit ist,
so ist es eben deshalb einfache Unmittelbarkeit. 3· Da aber diese ein
fache Unmittelbarkeit nur- kraft der Selbstbeziehung des Wesens ist, be
steht sie auch nur in Beziehung auf diese. Sie ist von ihrem Gegenteil ab
hängige und darum nicht einfache Unmittelbarkeit, sondern aufgehobene
einfache Unmittelbarkeit. Zwischen ihr und dem Wesen tritt dieselbe Be
ziehung wieder ein, die schon zwischen dem Wesen und jenem Schein
bestanden hatte, der die vom Wesen stets schon aufgehobene Unmit
telbarkeit war.
Man kann diese drei Etappen der Entwicklung des Wesensbegriffes
auch in den folgenden mnemotechnischen Kurzformen festhalten:
1.. N - N = U2 reflektierte Unmittelbarkeit als Beziehung der Nega
tion auf sich.
Hegels Logik der Reflexion 267
weniger Eins Null ist. So läßt sich also zwischen dem Wesen als U2
und dem Wesen als U1 auch eine logische Abfolge konstatieren, die auch
den Sinn bestimmt, in dem an ihrem Ende von ,einfacher Unmittelbar
keit' gesprochen wird, die somit hier wesentlich ein Resultat ist.
Die Bedeutungsverschiebung erfolgt im Gegensinn zu der Richtung
dieser logischen Abfolge. Sie kann aber dennoch mit deren Hilfe begrün
det werden. Denn wenn das, von dem aus die Verschiebung erfolgt,
aus dem, zu dem hin sie erfolgt, so hervortritt, daß das, aus dem es her
vortritt, ganz in das Hervorgehende eingeht, so ist es auch angemessen,
den Terminus, der das Hervorgehende bezeichnet, auf das anzuwenden,
aus dem es hervorgeht, - sofern dieser rerminus überhaupt nur beide
bezeichnen kann. Auf diese Weise ergibt sich eine nachträgliche Verstän
digung über die Bedeutungsverschiebung, in der sie auf dem Hinter
grund des Prozesses interpretiert wird, in dem das Wesen auch in der
Erzeugung seines eigenen Gegenteils ständig nur auf sich bezogen bleibt.
Die Art und Weise dieser Beziehung muß aber noch näher betrachtet
werden. Über die Bedeutungsverschiebung wird der Schein mit dem
Wesen so identifiziert, daß der Unterschied zwischen beiden entfällt. So
ist also die Bedeutungsverschiebung der logischen Abfolge vom Wesen zur
einfachen Unmittelbarkeit nicht nur dadurch entgegengesetzt, daß sie im
gegenläufigen Sinn den Term U1 durch den Term U2 ersetzt. Sie
stellt in Einem damit auch die These auf, daß der Schein ins Wesen
transponiert wird und daß seine Bestimmtheit gegen das Wesen ver
schwindet. Das Andere des Wesens ist einfache Unmittelbarkeit. Die Be
gründung für die Bedeutungsverschiebung übersetzt den Schein in die
Wesenform. Nur dadurch, daß die einfache Unmittelbarkeit über die Be
deutungsverschiebung zur Gleichheit des Wesens mit sich werden kann,
kann auch die einfache Unmittelbarkeit als die Unmittelbarkeit des We
sens erscheinen.
Nun hat sich dafür, daß die Bedeutungsverschiebung als gerechtfertigt
anerkannt wird, ein subsidiärer Grund aus der Entwicklung der Wesen
form gewinnen lassen. Ist dieser Grund aber wirklich ein Grund dafür,
die Bedeutungsverschiebung einleuchtend zu finden, so bestätigt er da
mit notwendigerweise auch, daß U1 nicht nur mit U2 identisch ist,
sondern daß diese Identitätsthese bedeutet, daß U1 ins Wesen überführt,
von U2 aufgehoben wird. So wird der logischen Abfolge, die von U2
ausging, die umgekehrte Abfolge zugeordnet, in der U1 wieder zu U2
wird. So wie zuvor die Negation in der selbstbezüglichen Verdoppelung
verschwand, verschwindet nun umgekehrt die einfache Unmittelbarkeit
in dieser absoluten Negativität. Insofern kann es zu einer einfachen Un-
270 DIETER HENRICH
dem Resultat, daß sidt zwar das Wesen selbst in sein Anderes setzen
kann, daß sich das Wesen ·damit aber auch an sein Anderes verliert. Aus
diesem Verlust entfaltet sich die Logik der Reflexionsbestimmungen. Erst
der Gedanke vom Grund bringt Selbstbeziehung und Bestimmtheit in
einer Weise zusammen, weldte die Selbstbeziehung der Bestimmtheit
nicht unterordnen muß. So öffnet sich also erst mit dem ,Grund' die
Aussicht auf einen Gedanken, in dem die Selbstbeziehung des Wesens
mit einem Bestimmtheitsverhältnis zwischen zwei Fällen zusammenge
dacht werden könnte, die gegeneinander Andere und doch beide Wesen
sind.
als solche Unmittelbarkeit und Gleichheit mit sich hat, ist zugleich "die
aufgehobene Negation und die aufgehobene Rückkehr in sich" (C I, 5,
5/6). Eines bezieht sich dann auf sich selbst, wenn es das Beziehen, das
es als solches ist, in sich zurückwendet, also das, was in seinem Beziehen
von ihm ,ausgeht', in sich zurückkehren läßt. So ist es als Rückkehr
Reflexion. 22 Kehrt aber die Beziehung ,Negation' als solche in sich zu
rück, so ist eben gerade das auch ihre Selbstauslöschung. In ihr läßt sie
ihr Anderes hervorgehen, das sich nun als das erweist, was sie selbst ist.
Daß die Reflexion so sich aufhebt und sich zugleich in ihr Anderes ver
setzt, ist das Prinzip, welches der setzenden, der äußeren und der be
stimmenden Reflexion gemeinsam zugrunde liegt. In die setzende geht es,
so wird sich zeigen, aber nur in einem besonderen und eingeschränkten
Sinn und insofern ein, als diese Reflexion zugleich auch voraussetzende
ist. Weitere Differenzen in der Weise, wie die Selbstaufhebung des We
sens in den Gedanken von seiner Form berücksichtigt sein kann, ergeben
sich daraus, daß das Andere des Wesens zwar im Prinzip stets als das We
sen selbst zu denken ist, daß dieser Gedanke aber nicht unbedingt als Ele
ment in der weiteren Entwicklung des Wesensbegriffes wirksam sein muß.
Er wird es, wie gesagt, erst im Begriff der bestimmenden Reflexion und
kann es auch nicht früher werden.
Zunächst sind aber der Begriff und die Form der setzenden Reflexion
aufzuklären. ,Gesetztsein' ist Hegels Gegenbegriff zu ,Ansichsein' und
gegen diesen Gedanken durch zwei Eigenschaften unterschieden: (a)
Was gesetzt ist, ist nicht selbständig; (b) ferner ist es im Unters<:hied zum
undifferenziert an sich Seienden in Bestimmtheitsverhältnissen zu den
ken. Diese Eigenschaften sind nicht unabhängig voneinander. Denn eben
weil das Ansichseiende nicht in Beziehung auf Anderes ist, kann es das
Unbestimmte sein. Schon aus diesen Definitionen folgt, daß die einfache
Unmittelbarkeit nicht als gesetzte aufgefaßt werden darf. Denn als gesetzte
ist sie weder einfaches Sein mit sich noch allen Bestimmtheitsverhältnis
sen entzogen. Ist nun Wesen als setzende Reflexion zu denken und tritt
in seiner Form einfache Unmittelbarkeit hervor, so muß sie als Schein
gedeutet werden - damit in Wahrheit aber als aufgehoben und, - inso
fern sie gesetzt und aufgehoben ist - als reflektierte Unmittelbarkeit.
Inwiefern der Prozeß der Reflexion am Beginn der Wesenslogik von einer
immer schon aufgehobenen Unmittelbarkeit dennoch ausgehen konnte und
22 Dies ist auch der nächstliegende Grund dafür, über die verdoppelte Negation
Mit diesem Argument läßt sich allerdings kaum deutlich machen, daß
diese selbstzerstörensehe Unmittelbarkeit eben diejenige Unmittelbarkeit
ist, welche der Schein war, von der udie reflektierende Bewegung an
zufangen schien" (C I, 4, :t:o) . Denn dazu müßte nicht nur gezeigt wer
den, daß alle Unmittelbarkeit im Formzusammenhang des Wesens auf
gehobene Unmittelbarkeit ist, sondern weiter noch, daß solche Unmit
telbarkeit zugleich gegen das Wesen gesetzt sein kann, so daß sie auch
in dieser Beziehung als zugleich immer schon aufgehoben zu denken ist.
Daß die Unmittelbarkeit in der Selbstbeziehung des Wesens immer sich
selbst zerstört, besagt zwar wohl, daß sie reflektiert und im angege
benen Sinne auch, daß sie negativ gegen sich bestimmt ist. Damit ist aber
noch nicht gesagt, daß die reflektierte Unmittelbarkeit, welche aus der
Selbstbeziehung des Wesens hervorgeht, als Schein aufgehoben wird und
somit als etwas, von dem zwar die Bewegung der Reflexion nicht wirklich
anfangen kann, das aber dennoch den Anschein einer Unabhängigkeit
gegen das Wesen sehr wohl bietet.
Hegels Text enthält Spuren, die sich als Hinweise auf eine solche weiter
gehende Entfaltung der Negationsstruktur der setzenden Reflexion le
sen lassen. So sagt Hegel, daß die Unmittelbarkeit des Wesens "das Auf
heben des Negativen" sei (C I, 4, 2/3). Diese Formel läßt sich leicht
als ·die Aussage verstehen, daß dann, wenn die Negation auf sich selbst
bezogen wird, diese Negation wegfällt und daß damit Unmittelbarkeit
eintritt, welche als solche gesetzte Unmittelbarkeit ist. Nach dem negations
theoretischen Modell, das zuvor ausgearbeitet wurde und dessen Begriff
von der Negation die Andersheit ist, kann gesagt werden, daß das
Negative, welches zu sich selbst das Andere ist, nur die einfache Unmittel
barkeit gegen das Wesen sein kann, die aber zugleich abhängig und des
halb als einfache aufgehoben und insofern gesetzte, reflektierte Unmittel
barkeit ist. Man würde sich gern davon überzeugen, daß diese nega
tionstheoretische Herleitung Hegels Text unterstellt werden muß. Der
Text setzt dieser Interpretation auch keinen Widerstand entgegen. Aber er
enthält zu wenige und keine zwingenden Gründe, über die schwächere
Interpretation hinauszugehen, durch die er gleichfalls durchgängig ab
gedeckt werden kann. In ihrem Rahmen hat die Wendung, daß die Un
mittelbarkeit ,das Aufheben des Negativen' sei, einen bescheidenen Sinn :
Nur dort, wo die Beziehung von Einem zu einem Anderen entfällt, durch
das es bestimmt wird, kann überhaupt von Unmittelbarkeit die Rede sein.
Es muß also das Negative aufgehoben sein, wo immer Unmittelbarkeit ist.
Die Unmittelbarkeit des Wesens, als Rückwendung des Negativen in sich,
Hegels Logik der Reflexion 277
sorgt selbst dafür, daß diese Bedingung für Unmittelbarkeit erfüllt ist.
Sieht man ein, daß man sich, was Hegels Text betrifft, auf diese beschei
denere Interpretation zu beschränken hat, so folgt daraus, daß Hegels Ana
lyse der setzenden Reflexion nur in abstracto nachweist, daß alle Unmit
telbarkeit, welche mit und aus der Selbstbeziehung des Negativen ent
springt, einzig reflektierte Unmittelbarkeit sein kann. Auf welche mög
licherweise vielfältige Weise in dieser Selbstbeziehung Unmittelbarkeit
hervorgeht, bleibt dann von der Analyse der voraussetzenden Reflexion
aufzuklären. In den folgenden Kapiteln der Wesenslogik versteht Hegel
aber mit Gewißheit das Setzen als jenen Akt, in dem Eines von einem
von ihm Verschiedenen als ein rein nur durch und gegen es Bestimmtes
·
hervorgebracht wird. 23
der Interpretation jener Wendung in der Analyse des Setzens, die soeben
erwogen worden ist. Er muß unter allen Umständen meinen, daß die Ne
gation sich in der Selbstbeziehung eliminiert. Er muß nicht darüber hin
aus auch noch bestimmen, welche logische Situation aus dem Wegfall der
Negation hervorgeht.
Statt das Unmittelbare gegenüber dem Wesen aus der selbstbezüg
lichen Negation herzuleiten, stellt Hege! nur einfach fest, daß die Refle
xion Aufheben des Unmittelbaren sei, welches ihr Anderes ist. So war
die Reflexion von Beginn an gedacht worden. Unterdessen hatte die
Analyse des Setzens darüber hinaus klargemacht, daß dies Andere nur
in einem strikten Sinn das Andere des Wesens, nämlich die von ihm ge
setzte Unmittelbarkeit sein kann. Insofern ist dies Unmittelbare nichts
als das Negative des Wesens, das gegen es Bestimmte - das Gesetztsein.
Gegen die in diesem ,nichts als' artikulierte Einschränkung stellt sich nun
die für die Form des Voraussetzens spezifische negationstheoretische
Überlegung : In der Selbstbeziehung der Negation entfallen alle negativen
Verhältnisse. Sofern also etwas als das Andere des Wesens, als Negatives
gegen es in der Reflexion gesetzt worden ist, so muß in eben dieser Refle
xion auch dessen negatives Verhältnis gegen die Reflexion aufgehoben
werden. Denn auch dieses Verhältnis entfällt durch die Negation, der alles
Negative als solches unterliegt. Die Reflexion setzt, weil durch sie das
Unmittelbare ist. Sie setzt das Unmittelbare aber zunächst nur in dem
Sinne als Schein, daß nichts ist als das Andere seiner selbst und eines, das
als Unmittelbares immer schon vom Wesen negiert ist. Als voraussetzende
läßt die Reflexion aber dem Unmittelbaren eine nicht nur momentane oder
imaginäre Selbständigkeit zuwachsen. Das Unmittelbare bleibt ein gesetz
tes. Aber es ist dadurch als unabhängig gesetzt, daß seine Eigenschaft,
nichts als Negatives des Wesens zu sein, vom Wesen negiert wird. Die
Reflexion ist "Negation des Negativen als des Negativen" (C I, 5, 1.0,
hervorgh. v. Vf.). Das Gesetzte ist nicht mehr nur das Negative des
setzenden Wesens. Sein negativer Charakter ist selbst negiert. Es ist als
unabhängig, und eben das heißt voraus-gesetzt. Somit kann in einem bisher
unbekannten, aber doch haltbaren Sinn gesagt werden, daß es, unbescha
det dessen, daß es gesetzt ist, dennoch Unmittelbares ist.
Mit dieser komplizierten überlegung ist Hegels Text und Gedanken
gang noch immer nicht vollständig transparent gemacht. Man sieht das
daran, daß sie bisher ein Element noch nicht erreicht hat, das in der ge
wöhnlichen Bedeutung von ,Voraussetzung' dominiert. Auch Hegel muß
darauf Wert legen, dies Element festzuhalten, wenn er den Grund des
Scheines, über den der Weg zum Begriff des Wesens führt, im Wesen
Hegels Logik der Reflexion 279
selbst auffinden will : Die Voraussetzung ist zwar verstanden als das
Setzen von etwas, das gesetzt ist als unabhängig von dem, aufgrund des
sen es gesetzt ist, - das also ist, wenn auch das Setzen aufgehoben ist
oder, wie im Wesen, sich selbst als solches aufhebt. Damit ist aber noch
nicht gesagt, daß das Vorausgesetzte auch wiederum in Beziehung
zur Reflexion gesetzt ist, so daß die Reflexion nunmehr auf es als auf
seine Voraussetzung reflektiert. Das Vorausgesetzte ist als unabhängig
von dem gesetzt, durch das es vorausgesetzt wird; - zudem ist es aber
auch gesetzt als selbständiger Ausgang für die Reflexion des Setzenden
und insofern als wesentlich auf es bezogen.
In genau diesem Sinne war Unmittelbarkeit, sofern sie Schein ist,
im Wesen vorausgesetzt - Unmittelbarkeit, die zu negieren und die
immer schon negiert ist, von der aber auch die Bewegung des Wesens
anhebt. Diesen Schein mußte Hegel wieder erreichen und aus dem Wesen
selbst verstehen. Inzwischen hat er auch alle Mittel beigebracht, das
formale Verhältnis, das für den Schein am Anfang der Wesensanalyse
galt, aus dem selbstgenügsamen Wesensbegriff wiederherzustellen. Denn
in der voraussetzenden Reflexion wurde durch die Reflexion die Folge
ordnung umgekehrt, die zwischen Reflexion und Unmittelbarkeit im
Setzen bestanden hatte. Als Setzen entspricht die Reflexion dem, was in
der Relation von Bedingung und Bedingtem die Bedingung ist. Im Vor
aussetzen macht sie sich aber dadurch zu einem Analogon des Beding
ten, daß sie sich als Negation aufhebt und ihr Anderes als unabhängig
so setzt, daß für den Fall, daß das Vorausgesetzte überhaupt in ein Ver
hältnis zur aufgehobenen Reflexion kommt, in der Bestimmung dieses
Verhältnisses zu berücksichtigen ist, daß das Unmittelbare ein Selbständi
ges ist - die Reflexion in Beziehung auf es also das bloß Negative. Nun
muß die Reflexion sich aber ohnehin zum Vorausgesetzten als dem un
abhängig Gesetzten auch in Beziehung setzen. Denn sie ist Setzen und
Setzen auch, insofern sie Voraussetzen ist. Eine Unmittelbarkeit, die
als unabhängig gesetzt wird, ist somit in jedem Fall auch bestimmte und
somit aufgehobene Unmittelbarkeit. Ist sie aber einmal als unabhängig
gesetzt, so kann sie nur in der Weise von der Reflexion aufgehoben sein,
daß die Reflexion sich gegen sie als ein ihr Vorausgehendes wendet und
sie somit als ihre Voraussetzung aufhebt. Das Unmittelbare ist in diesem
Sinne ,vorgefunden' (C I, 6, 5/6). Was da aber vorgefunden wird, ist
doch nur die Unmittelbarkeit, die aus dem Wesen hervorgeht und die
von ihm, insofern es Selbstaufhebung ist, für sich selbst vorausgesetzt
ist. Hegel faßt die ganze Form der Einen Reflexion, die Setzen sowohl
280 DIETER HENRICH
selbst ist, genau bestimmt sein wird, so wird auch der logische Fort
schritt von der setzenden zur bestimmenden Reflexion begriffen sein.
Dieser Fortschritt geschieht in zwei Phasen. Erst deren zweite führt zur
Verdoppelung des Wesens in zwei gleichberechtigte und einander nur
noch koordinierte Wesensfälle. Zuvor wird aber innerhalb der Logik
von Setzen und Voraussetzen eine Form der Verdoppelung der Reflexion
erreicht, in welcher der Schein seinem Anderen noch subordiniert bleibt.
Fragt man sich, wie die Bedingung der Identität von Schein und Wesen
nach der Restitution des Scheines aus dem Wesen zu erfüllen ist, so muß
man beachten, daß zwischen der Situation im Übergang zum Wesen und
der anderen Situation, in der sich der Argumentationsgang vom Wesen
zum Schein zurückwendete, ein wichtiger Unterschied besteht. Die Iden
tität von Schein und Wesen war über eineBedeutungsverschiebung gewon
nen worden. Identität ist zwar eine symmetrische Relation. Wenn aber
eine Identitätsbehauptung von einer solchen Bedeutungsverschiebung ab
hängig ist, so ist es trotz der Symmetrie der Identitätsrelation nicht mehr
möglich, die Identität des zweiten mit dem ersten Relatum in genau
derselben Weise zu behaupten wie die des ersten mit dem zweiten. Denn
die Verschiebung selbst ist nicht so begründet, daß sie ohne weiteres
auch in beiden Richtungen erfolgen kann. Und so kann die Identitätsbe
hauptung, die von ihr abhängt, auch einen Sinn haben, der von der
Tatsache affiziert ist, daß eine Bedeutungsverschiebung stattfand. Sind
die beiden Relata in der Identitätsrelation A und B, so kann die Identi
tätsbehauptung möglicherweise nur dies besagen : Wo immer A zu den
ken ist, da kann A durch B ersetzt werden; und wo immer B zu denken
ist, da ist auch einA zu denken, welches durchB ersetzt wird.
Berücksichtigt man das, so stellt sich heraus, daß der Gedankengang,
der von der Reflexion zum Schein zurückleitet, grundsätzlich in zweier
lei Weise die Situation wiederherstellen kann, in der früher die Identi
fikation von Schein und Wesen stattfand. Von dem wiederhergestellten
Schein gegen das Wesen kann zu sagen sein, er sei das Wesen insofern,
als das Wesen stets an seine Stelle tritt. Es kann aber auch von ihm
zu sagen sein, daß er als Schein eben dasselbe ist wie das Wesen, in dem
er aufgehoben ist, - und dies auch für eine Betrachtung, die von dem
allerdings notwendigen Aspekt abstrahiert, daß er durch das Wesen auf
gehoben ist. Die Voraussetzung, welche Hegel für den weiteren Gang der
Logik in Anspruch nimmt, ist die der Identität von Schein und Wesen
in dieser zweiten und stärkeren Form. In dieser Form geht sie aber über
den genauen Sinn der Identitätsthese hinaus, welche im Abschnitt ,Der
Schein' begründet worden war. Die schwächere Form der Rückkehr
Hegels Logik der Reflexion 283
28
Vgl. oben 238. 247. Unten 287.
284 DIETER HENRICH
dies Letztere und also eine formale Entwicklung im Sinn. Denn er be
zeichnet den Schein nicht einfach nur abstrakt als das, was auch das
Wesen ist, sondern er beschreibt ihn als Wesen mit eben den Termen,
welche durch die Analyse des Wesens gerechtfertigt erscheinen, die er
in der setzenden Reflexion ausgearbeitet hat. Und nirgends greift er
ausdrücklich auf den allgemeinen Satz zurück, daß der Schein das Wesen
ist, um mit ihm die Identifikation zu begründen.
2. Man muß also nach der Begründung suchen, welche sich aus einer
Analyse des Wesensbegriffes für die rückläufige Identifikation des We
sens mit dem Schein gewinnen läßt. Die Anweisung, wo allein man sie
finden kann, ist durch den Wesensbegriff selbst gegeben: Schein ist dann
Wesen, wenn er sich negierende Negation ist. Diese Anweisung führt so
gleich ganz in die Nähe von Hegels eigener Intention, so wie sie sich im
Text geltend macht. Der Schein ist das Wesen, weil er Unmittelbarkeit
gegen das Wesen und somit ein Negatives ist, das sich insofern selbst
aufhebt, als es in sich haltlose Unmittelbarkeit ist. Eine solche Formulie
rung kann aber wiederum in verschiedenen Zusammenhängen legitim
werden. Es muß der angegeben werden, der ihr im Rahmen der Wissen
schaft der Logik die stärkste Begründung gibt.
2 a. Das Gesetztsein hebt sich selbst auf in einem ganz formalen
Sinn. Denn dieser Terminus meint eine Unmittelbarkeit gegenüber dem
Wesen, die aber doch eine solche Unmittelbarkeit gar nicht sein kann, weil
sie nur die durch die Selbstnegation des Wesens hervorgebrachte Be
stimmtheit des Wesens ist. Sie ist somit reflektierte Unmittelbarkeit, die
zu ihrem eigenen Anderen wird. Das Andere seiner selbst, das Negative
gegen das Negative, ist aber die Definition des Wesens. Der Mangel die
ser Begründung liegt in der Weise, wie die Selbstbeziehung verstanden
wird, in welcher sich der Schein als Negatives negiert. Er ist negativ auf
sich bezogen, weil sein Begriff unvereinbare Momente zusammenzwingt.
Insofern ist er nicht, wie anfänglich der Schein, nur durch das Wesen
aufgehoben. Er hebt sich selbst auf. Aber seine Selbstaufhebung folgt
nicht aus der Selbstbezüglichkeil des Negativen, das er ist. Die Negation
der Negation, die er ist, ist zwar die negative Selbstbeziehung des
Scheines, aber nicht die negative Selbstbeziehung des Negativen als sol
chen - also auch nicht die absolute Negativität. Obgleich der Schein
wirklich als negative Selbstbeziehung gedacht wird, ist doch in dieser
Selbstbezüglichkeil die Beziehung der beiden Negativen aufeinander
nicht als Selbstbeziehung gedacht. Die Identifikation von Wesen und
Schein kann somit kraft ihrer auch nicht zureichend begründet werden.
286 DIETER HENRICH
die Identifikation herzuleiten, führt somit nicht zum Ziel, sondern nur
in seine Nähe. An seiner Stelle sollte versucht werden, aus der Form
des Wesens eine Begründung zu führen, welche einsichtig macht, daß sein
Anderes nur als es selbst gedacht werden kann. Dazu kann der negations
theoretische Ansatz dienen, der schon ausgearbeitet worden ist. Er ver
langt es allerdings, Hegels Negationsbegriff so klar und eindeutig gegen
andere Formen der Negation abgegrenzt zu fassen, wie es der Text der
Wissenschaft der Logik selbst nicht erlaubt.
Nimmt man an, daß das Wesen Negation der Negation im Sinne des
gegen sich selbst Anderen ist, so folgt aus diesem Gedanken unmittel
bar, daß man das Wesen strikt als sein eigenes Anderes denken muß.
Zwar muß das Andere zuerst zu sich selbst in Beziehung gebracht wer
den. Von dieser Operation geht alles aus, was über die absolute Negati
vität gesagt werden kann, die hier absolute Andersheit ist. Damit, daß
diese Beziehung gedacht wird, ist dann aber eodem actu auch schon der
Gedanke erreicht, daß das Wesen als dasjenige aufzufassen ist, welches
zum Anderen selbst nur das Andere ist. So ist es also, was in keiner
Weise Negation ist, also einfache Unmittelbarkeit. Damit ist aber be
reits eine Identifikation von Schein und Wesen begründet. Freilich ist es
für diese Identifikation charakteristisch, daß sie gerade nicht zeigt, inwie
fern das, was doch selbst als Wesen gedacht werden muß, seinerseits
doppelte Negation ist. Tritt es doch gerade als einfache Unmittelbarkeit
gegen das Wesen hervor. Und dennoch steht unumgänglich fest : als
solche ist es das Wesen. Zuvor war es die Aufgabe einer Begründung der
Identifikation, sozusagen ab ovo die Behauptung zu rechtfertigen, daß
der Schein das Wesen sei. In der neuen Situation kann aber davon aus
gegangen werden, daß der Schein das Wesen ist. Es bleibt nur noch zu
zeigen, in welchem Sinne das, was ohnehin das Wesen ist, als selbstbe
zügliche Negation aufzufassen ist, obgleich es doch als Unmittelbarkeit
gegen das Wesen hervorgetreten war.
In dieser Situation hat die Meinung, man müsse nur die Bedeutungs
verschiebung im Gegensinn zu ihrer urspriinglichen Richtung gebrau
chen, um zu zeigen, daß der Schein selbstbezügliche Negation sein
muß, ein noch größeres Recht als zuvor. Denn sie braucht nun gar nicht
die Identifikation zu begründen, sondern ihr nur den Inhalt zu geben,
den sie aus der Unabweisbarkeit des Gedankens, daß die Negation das
Andere ihrer selbst sei, noch nicht hatte gewinnen können. Man muß
sich aber doch nicht ganz auf diesen Zwang verlassen, der jetzt in aller
Eindeutigkeit eingetreten ist. Der Gedanke des Wesens als das gegen sich
Hegels Logik der Reflexion 287
Bestimmte läßt noch einen Schritt zu, der den Bereich rein formaler Ent·
wick.lung nicht überschreitet. Es steht fest, daß das Unmittelbare gegen
das Wesen auch als einfache Unmittelbarkeit das Wesen selbst ist.
Ferner steht fest, daß es als solches Gesetztsein ist und daß somit das
Andere des Wesens von diesem Wesen auch je schon aufgehoben ist. Ist
das Unmittelbare aber als das Andere des Wesens ebensowohl das
Wesen selbst, so kann die Negation durch das Wesen, der es immer
schon unterliegt, ihm nicht von einem Anderen auferlegt sein. Insofern
der Schein ohnehin das Wesen ist, ist sein Aufgehobensein im Wesen,
welches aus seinem Gesetztsein folgt, dennoch seine Selbstbeziehung. Die
reflektierte Unmittelbarkeit des Scheins ist somit ebenso selbstbezüglich
negierte Negation wie das Wesen, dessen Gesetztsein sie ist.
Dieser Duktus einer Begründung wird Hegel kaum deutlich vor Augen
gekommen sein, da er nur aus der Deutlichkeit negationstheoretischer
überlegungen entwickelt werden kann. Er läßt sich aber der Linienfüh
rung in der Sequenz von Hegels Thesen nahezu fugenlos zuordnen: Die
Negation negiert sich. So ist sie Unmittelbarkeit als Gesetztsein. Diese
Unmittelbarkeit ist im Wesen aufgehobene Unmittelbarkeit. Aber eben
dies, daß die Unmittelbarkeit im Wesen aufgehoben ist, ist ihre eigene
negative Selbstbeziehung. So ist das Gesetztsein selbst das Wesen.
Es bleibt nun nur noch zu beachten, daß der Schein trotz dieser aus der
Form des Wesens gewonnenen Identifikation mit dem Wesen doch dem
Wesen nicht als ein anderer Fall von Wesen gegenübersteht. Der Schein
ist das Wesen, insofern er durch sich aufgehoben ist. Nichts anderes ist
das Wesen; denn es ist das gegen sich Negative. Beide heben sich also
gleichermaßen selbst auf. Aber sie sind nicht gleichwertig. Vom Schein
aus kann man den Wesensbegriff nicht in der Weise gewinnen, in der der
Schein sich als Konsequenz des Wesens zeigt. Man muß vom Wesen aus
gehen und es als selbstbezügliche Negation fassen. Daraus folgt der
Schein als gesetzte Unmittelbarkeit. Daß auch er negiertes Negatives ist,
zeigt sich nur in einer Betrachtung, welche festhält, daß alles vom Wesen
Gesetze in ihm auch aufgehoben ist. In dies Resultat läßt sich dann der
andere Satz eintragen, daß das Gesetzte aber das Wesen selbst ist. Und
darum ist dieser Schein gleichfalls selbstbezügliche Negation. Das Wesen
ist Negation und selbstbezügliche Negation. Darum gibt es Anderes als
alle Negation. Aber auch dies Andere ist durch die Negation, welche das
Wesen ist, aufgehoben. Da es aber selbst Wesen ist, muß auch dieses Auf
heben sein eigenes Aufheben sein.
Ordnet man den Auftritten der Negation in dieser Reihe Zahlen zu,
so ist das Wesen (1.) Negation, die (2 ) sich negiert und damit (3) das
288 DIETER HENRICH
Andere ihrer selbst ist. Dies Andere ist als Gesetztsein im Wesen, das
nichts als Negation ist, wiederum aufgehoben. In dieser Reihe ist
also das Wesen durch die Beziehung von 2 auf 1., der Schein aber durch
die Beziehung von 1. auf 3 zu lokalisieren. Schein und Wesen, die beide
sich negierende Negationen sind, stehen sich also nicht gegenüber, son
dern sie schließen sich wiederum zum Kreis und koinzidieren an einer
Stelle.
Darin liegt auch die Schwäche der Identifikation von Schein und Wesen
aus der formalen Entwicklung, die vorgetragen wurde. Sie ließe sich ver
meiden, wenn man die formale Entwicklung nur soweit führt, bis die
Identität von Wesen und Schein aus dem Gedanken der Bestimmtheit
gegen sich feststeht, und aufgrund ihrer die Bedeutungsverschiebung
rückläufig in Kraft setzt. Diese Argumentation liefe auf den Gedanken
gang heraus, der zuvor (als 1..) zu abstrakt und vom Text nicht begrün
det erschien.
Blickt man zurück auf Hegels Text, so hat dieser Aufbau des Gedan
kens auch den Nachteil, daß er die Bestimmtheit des Wesens gegen sich
selbst zu früh erreicht. Im Textabschnitt über die setzende Reflexion sind
der Reflexion aber zwei Eigenschaften zugleich zugesprochen: Der
Schein ist unmittelbar aufgehoben, und alles Voraussetzen ist ebensowohl
Setzen, der Schein somit durchaus Gesetztsein. Insofern ist die Reflexion
eine Bewegung "von Nichts zu Nichts" . Unbeschadet dessen kann der
Schein aber unter der Voraussetzung der Identifikation von Schein und
Wesen als Wesen beschrieben werden. Beide Eigenschaften zusammen
werden am ehesten von der Rekonstruktion der Identitätsthese über
Wesen und Schein begründet, welches allein aufgrund der formalen Eigen
schaften der negierten Negation ausgeführt wird. Sind Wesen und
Schein beide negierte Negationen und koinzidieren sie doch in einem ihrer
Elemente, so können sie nicht ohne Weiteres als selbstbezügliche Andere
gegeneinander festgehalten werden. Damit tritt aufs Neue das Problem
hervor, das schon in der negationstheoretischen Zwischenbetrachtung er
reicht worden war: Wie kann der Schein als Wesen und zugleich gegen
das Wesen bestimmt, und zwar als Wesen gegen das Wesen bestimmt,
gedacht werden? Erst in einem solchen Verhältnis tritt das Wesen wirklich
zweimal auf und steht so zu sich selbst in Beziehung. Dann sind die beiden
Fälle der Negation der Negation aber auch nicht mehr als solche zu fas
sen, die sich unmittelbar in einander aufheben. Sie behaupten und fixie
ren sich nun gegen ihr Korrelat, das somit in einem neuen Sinn ein
Anderes ist. Die folgenden Interpretationen werden zu zeigen haben,
daß der Schritt aus den Grenzen der Logik der setzenden Reflexion
Hegels Logik der Reflexion 289
den Einschub der äußeren nur verzögert zu sein, wodurch sich die Wie
derholung der Argumentation, die ihn einleitet, erklären würde.
Der Konsequenz dieser Erwägung kann man überhaupt nur dann aus
weichen, wenn es möglich wird, zwischen dem Schritt von der setzenden
Reflexion zur Beschreibung von Wesen und Schein als identisch und zu
gleich Andere gegeneinander und dem Schritt von der äußeren zur be
stimmenden Reflexion einen logischen Unterschied zu erkennen - entge
gen dem Anschein ununterscheidbarer Argumentpotentiale im Text, aber
in Obereinstimmung mit Hegels Anspruch, der schon aus der Gliederung
seines Textes unter drei gleichgewichtige Kategorientitel hervorgeht. Der
Nachweis, daß ein solcher Unterschied besteht, würde zugleich auch einen
Unterschied zwischen dem letzten Resultat der Analyse der setzenden
Reflexion auf der einen Seite und dem Gedanken der bestimmenden Re
flexion auf der anderen Seite ergeben. Zwischen beiden stünde die äußere
Reflexion nicht nur als Exkurs, sondern als logische Kategorie, durch die
zugleich Kategorien spezifiziert werden können. Im übrigen war es
Hegels Absicht, auch dem Denken, das er das "subjektive" nennt, ein
formales Fundament zuzuordnen, das dieses Denken gegenüber allen etwa
vergleichbaren Strukturen vollständig determiniert, das also nicht nur
ein Allgemeines ist, in dem das Eigentümliche intelligenter Prozesse noch
ungedacht bleibt. Auch diese Absicht verlangt eine rein logische Loka
lisierung des Gedankens der äußeren Reflexion. Will man beide Schwie
rigkeiten auflösen und äußere und bestimmende Reflexion in ein solches
Verhältnis bringen, so muß sich die Interpretation zunächst dem Abschnitt
des Textes zuwenden, in dem die letzte Folgerung aus der Analyse des
Setzens abgeleitet und in Einem damit der Obergang zur äußeren Re
flexion erreicht wird : dem Schlußabschnitt der "setzenden Reflexion"
(C I, 9).
Dieses Textstück ist erneut auf eine Weise komprimiert, die seinem
sachlichen Gewicht ganz unangemessen ist und das in hohem Maße dazu
beiträgt, daß wichtige Züge in Hegels Gedanken eher entdeckt als nur
verstanden werden müssen. Im Nachsatz zu einem Satz, der nichts als
ein Resurne zu bieten scheint, wird zunächst die Identifikation von
Schein und Wesen eingebracht : Das Gesetztsein ist nicht verschieden von
der Reflexion, aber nicht nur in dem Sinne, daß es nichts ist außerhalb
der Rückkehr der Reflexion in sich, sondern so, daß es mit diesem
Rückkehren identisch ist (C I, 9, 4). Alle Argumente, welche diese Iden
tifikation begründen, stehen aus dem Vorhergehenden längst bereit; auch
ist die Identifikation schon so oft vollzogen worden, daß sie hier ohne
Verweis auf irgend ein Argument und in diesem Sinne wie ein Resurne
Hegels Logik der Reflexion 293
auftreten kann. Damit ist aber das Entscheidende verstellt, daß erst hier
die Identifikation in einer Weise erfolgt, die einen Fortschritt im Gedanken
zur Folge hat. Denn zusammen mit einem Argument, das im Gange der
Analyse der setzenden Reflexion stets hätte aufgebracht werden kön
nen, das aber nun nicht mehr zurückzuhalten ist, und das den Problem
bestand der Reflexionsanalyse grundsätzlich erweitert, bringt sie den Be
griff der Reflexion selbst in eine ganz neue Stellung.
"Aber (das Gesetztsein) ist zugleich bestimmt als Negatives, als unmit
telbar gegen eines, also gegen ein Anderes. So ist die Reflexion bestimmt."
Dieser einfach scheinende Satz, der zum Aufatmen in einem sonst be
klemmend dichten Text verführt, steht doch wiederum für eine dichte
Argumentation. Daß das Gesetztsein, obwohl innerhalb des Wesens, ein
Negatives gegen es ist, sagt nichts Neues, sondern wiederholt seine Defi
nition. In ihrem Sinne ist es als ein Anderes gegen das Wesen zu denken.
Nun war aber seine Andersheit, eben weil es Gesetztsein im Wesen ist,
immer zugleich auch als eine aufgehobene gedacht. Nur das Wesen
selbst konnte das Korrelat zum Gesetztsein in der Relation der Andersheit
sein. Aber eben weil das Andere bloß Gesetztsein ist, konnte das Wesen
in Wahrheit nicht in die Stellung einer externen Beziehung zu dem kom
men, was doch durch es und in ihm ist. Als stets auch schon negiertes
Negatives war dies Andere nur verschwindende Andersheit in der Rück
kehr. Auch die voraussetzende Reflexion änderte daran nichts, da Vor
aussetzen selbst Setzen ist und jedenfalls nur in Einem mit dem Setzen
stattfindet, das Aufheben ist. Das Wesen war, metaphorisch gesagt, im
Abstoßen von sich jeweils zugleich auch schon auf sich selber zurück
gestoßen. Darum war das Gesetztsein schließlich auch als das Andere
seiner selbst zu beschreiben, dessen negative Beziehung zum Wesen in
seinem Begriff schon negiert ist : Als bloßer Schein war es, sozusagen,
auch bloß der Schein von Andersheit. Mit scheinhafter Andersheit ist
aber das, was aus der Definition des Wesens folgt, nicht zu erfüllen.
Das Wesen ist das Andere seiner selbst. Wie sehr also auch alles, was es
setzt, in seiner Einheit bleiben und somit aufgehoben sein muß, so muß
es doch auch zu einer Relation von Andersheit oder Bestimmtheit inner
halb dieser Einheit kommen. Gleichwohl hält die setzende Reflexion nur
die Konsequenz aus dem Wesensbegriff angemessen fest, derzufolge
alles Andere des Wesens ursprünglich aufgehoben ist. Das Gesetzte muß
aber ebenso als sein Korrelat gedacht werden können und sogar zuvor
als solches gedacht werden, damit es überhaupt im Ernst Beziehung auf
sich gewinnen kann, die etwas anderes ist als die Unmittelbarkeit seines
Aufgehobenseins. Selbstbeziehung ist Beziehung auf sich als Ausschluß
294 DIETER HENRICH
alles Andersseins. Und solche Beziehung auf sich konnte dem Gesetzten
im Wesen bislang nicht zugesprochen werden. Es war zwar als Selbst
aufhebung aus sich und aufgrund seiner, aber zugleich auch als reine
Selbstaufhebung ins Wesen gedacht. Es ist nun jedoch auch als bestimmt
auch gegen das Wesen zu denken. Und die Analyse der Reflexion hat die
Konsequenzen dieses Gedankens zu entfalten.
Er muß sogleich zur Folge haben, daß das Wesen, die Reflexion selbst,
zum ersten Male als Anderes eines Anderen zu beschreiben ist. Zuvor
war das Gesetztsein zwar Anderes gewesen, aber nur transitorisch. Denn
von dem Wesen, seinem Korrelat, mußte stets zugleich gesagt werden,
daß es den Schein der Unmittelbarkeit setzt und aufhebt. Damit war
aber auch die Andersheit, welche ihm als Wesen insofern zuzuschreiben
war, als das Gesetztsein Unmittelbarkeit gegen das Wesen und somit
Anderes gegen ein Anderes ist, nur ein Moment im Wesen, und zwar
ein immer schon entfallenes Moment. Vom Wesen selber ließ sich jeden
falls nicht sagen, daß auch es Anderes sei, nämlich gegen das Gesetzt
sein. Dies aber hätte man sollen sagen können. Denn nur gegenüber
einem, das selbst ein Anderes ist, könnte der Schein auf andere Weise
als allein in seiner Vergänglichkeit ein Anderes sein.
Nun aber ist das Gesetztsein als das Wesen selbst zu denken. Dabei
bleibt es Gesetztsein - im Wesen Aufgehobenes. Der Gedanke, daß es
als solches dennoch ein Anderes des Wesens ist, ist aber inzwischen da
durch bestärkt worden, daß das Gesetztsein mit dem Wesen zu identifi
zieren war. Damit steht es unter dem Postulat, ebenso wie das Wesen
Gleichheit mit sich zu sein. Auch die Gleichheit des Wesens mit sich ist
zwar Gleichheit des Negativen und somit die Gleichheit von einem, das
sich selbst aufhebt. Diese Selbstaufhebung ist aber sein eigener Begriff
und der Grund zu der Folgerung, daß alles, was in dieser Aufhebung ge
setzt ist, auch in die Einheit des selbstbezüglichen Negativen, welche
das Wesen ist, zurückgeht. über die Identifikation von Schein und We
sen war inzwischen zwar auch der Schein als verdoppelte Negation aufge
faßt worden. Seine Selbstbeziehung war jedoch bisher nur als eine Funk
tion der Rückkehr des Wesens in sich interpretiert. So hatte sie einen
gegenüber der Selbstbeziehung des Wesens ganz anderen Stellenwert.
Wird aber, wie es nötig ist, der Schein auch mit dem Wesen als selbstge
nügsame Selbstbeziehung des Negativen und somit im Blick auf dessen
Einheit nur mit sich mit dem Wesen identifiziert, so gewinnt er damit
auch eine innere Stabilität gegen das, in Beziehung auf das er zugleich
nur Gesetztsein ist.
Hegels Logik der Reflexion 295
diese Annahme voreilig ist, so nahe sie auch von Hegel - seinen eigenen
Intentionen entgegen - gelegt sein mag. 28 Daß die Reflexion nun be
stimmt ist, sagt vorerst nur, daß sie gegen eines, das selbst Reflexion ist,
in die Beziehung der Äußerlichkeit gekommen ist. Noch besteht das Po
stulat, sie auch in dieser Beziehung als Setzen zu denken. In der Refle
xionsbestimmung wird sich dagegen eine vollständige Dominanz des
Gesetztseins über die Reflexion ergeben.
:s Mit dieser These nimmt diese Abhandlung eine These ihrer ersten Fassung
zurück.
Hegels Logik der Reflexion 297
struktion. Sie etabliert eine Bedingung, unter der in der Folge jeder Ge
danke von der Einheit des Wesens steht, die sich aber in den Kreisgang
der Entwicklung der selbstbezüglichen Negation nicht einfach einfügt.
So zwingt sie dazu, die Beziehung von Wesen und Schein, von Selbst
beziehung und Bestimmtheit neu zu konzipieren.
Ein Ansatz zu einer solchen Konzeption ist in dem Begriff der Nega
tion gegeben, der auch für den Aufbau des Kreisgangs der Reflexion vor
ausgesetzt werden mußte : Die Negation, deren Selbstbeziehung das We
sen ist, ist an ihr selbst ebensowohl das Aufheben der einfachen Unmittel
barkeit. Wo immer von Reflexion die Rede ist und wo mit deren Defini
tion zugleich ein Unmittelbares einzuführen ist, kann die Reflexion stets
als Aufheben dieser Unmittelbarkeit gefaßt werden. Bei der Herleitung
der äußeren Reflexion macht Hege! von dieser Möglichkeit Gebrauch.
Leider versucht er aber nicht einmal, die Zusammenhänge durchsichtig
zu machen, die ihn zur Definition der äußeren Reflexion führen, sondern
führt sie rein thetisch in einer einzigen Wendung ein (C I, 9, 8}. Der
Übergang kann aber dennoch einleuchtend gemacht werden; und der
nächste Absatz soll zeigen, auf welche Weise dies geschehen kann. Er läßt
sich allerdings nicht über eine Deduktion direkt aus der Form der doppel
ten Negation gewinnen. Das ist schon deshalb unmöglich, weil sich der
Unterschied zwischen dem Schein als selbstbezüglich nur in seinem Ver
schwinden und dem Schein, der gegen das Wesen eine Selbstbeziehung
besitzt, mit Hilfe des Gedankens der selbstbezüglichen Andersheit gar
nicht mehr fassen läßt. Dem Anderen des Wesens muß solche ,stabile'
Selbstbezüglichkeit zugesprochen werden, eben weil es nur so als Anderes
überhaupt zu fassen ist, ohne daß sich diese Form seiner Selbstbeziehung
negationstheoretisch interpretieren ließe. Nur der Grund für die Annahme
solcher Selbstbezüglichkeit, nicht der Aufschluß über ihre innere Verfas
sung, läßt sich mit den Mitteln verstehen, die aus dem Gedanken der
selbstbezüglichen Andersheit direkt zu gewinnen sind.
Geht man aber davon aus, daß das Gesetztsein Stabilität gegen das
Wesen gewonnen hat, so lassen sich die beiden Schritte rechtfertigen, die
zur Definition der äußeren Reflexion führen. Denn die Beziehung zwi
schen der Reflexion und einem Gesetztsein, das Stabilität gegen das We
sen gewonnen hat, kann man nur im Anschluß an die Definition von
Voraussetzung begreifen. Die aber war definiert worden als das Gesetzt
sein, welches aus der Selbstaufhebung der Reflexion entsteht. Die Re
flexion aber, die zu einem Gesetztsein in Beziehung tritt, das besteht,
insofern die Reflexion entfallen ist, kann nur von diesem Gesetztsein als
einem solchen, das ihr voraus ist, ,anfangen' (C I, 9, 8}. Und da sie
298 DIETER HENRICH
von einem Gesetztsein, das selbst die Reflexion ist und deshalb Stabilität
hat, nicht so ausgehen kann, daß sie es zugleich in sich zurückbringt (auf
hebt), bleibt dieses Anheben von Etwas selbst eine stabile Form der Re
flexion als solcher. In diesem Sinne reflektiert sie nun auf ihr Anderes.
So läßt sich der Gedanke von der äußeren Reflexion also sehr wohl als
eine Kategorie aus logischen Überlegungen gewinnen, die nicht vom Vor
wissen über die mentale Form äußeren Reflektierens schlechtweg abhängig
sind. Dennoch hat Hegel in dem Dreischritt, der zu dieser Begriffsbe
stimmung führt, die gesamte Problemlage der Logik auf bedeutsame Weise
verlagert. Bisher war es stets möglich gewesen, wenn neue Implikationen
des Wesensbegriffs entwickelt wurden, die vorausgehenden logischen
Eigenschaften dieses Begriffs ohne Ausnahme und gleichzeitig festzuhal
ten. Formeln wie die vom absoluten Gegenstoß waren erfolgreiche Ver
suche, auch gegenläufige, miteinander anscheinend unvereinbare Charak
tere des Wesens in einem Gedanken zu integrieren. Dieser Gedanke ver
langt aber eine Identifikation von Wesen und Schein, in der sie beide
als Andere gegeneinander festgehalten sind. Damit ist nun zunächst auch
die Grenze der Möglichkeit überschritten, in einer einzigen Struktur alle
Implikationen des Wesensbegriffes integriert zu halten und manifest zu
machen. Hegel kommt erneut in die Situation, welche die ganze Dimen
sion der seinslogischen Kategorienanalyse beherrschte, nämlich über eine
Kategorie so sprechen zu müssen, daß der Gedanke dieser Kategorie die
Bedingungen, unter denen er allein artikulierbar ist, nicht vollständig zum
Ausdruck bringt. Der Gedanke des Wesens setzt Implikationen frei, die
gegenläufig sind und die nicht durch eine einsinnige formale Entfaltung
des Wesensbegriffes in diesem Begriff zus ammengehalten werden kön
nen. Darum wird es von nun an die Aufgabe der Logik sein, diesen Impli
kationen nachzugehen und zugleich einen Begriff vom Wesen teils fest
zuhalten, teils aber überhaupt erst anzustreben, der die gleichgewichtige
Legitimität dieser Implikationen ausdrücklich zu machen erlaubt. Ein sol
cher Begriff, nicht nur als Grundlage der Einheit des Sinnes von Wesen in
noch unvollendeter Explikation, sondern als eine in der Logik selber the
matische Kategorie, wird erst mit der Kategorie des Grundes erreicht. Diese
Kategorie hat also auch eine Funktion höherer Ordnung gegenüber dem
einfachen Wesensbegriff : der Wesensbegriff wird in ihr nicht nur weiter
entwickelt. Sie faßt den Wesensbegriff erneut in der Einheit seiner
Implikationen, die von nun an je für sich nur unvollständige Konzeptionen
seiner inneren Bestimmtheit sind.
Als erster ist der Gedanke der äußeren Reflexion notwendig unvoll
ständig und zwar in folgendem Sinne : Er leitet sich aus der Verdoppelung
Hegels Logik der Reflexion 299
des Wesens durch die Identifikation von Wesen und Schein und aus der
Notwendigkeit her, die Reflexion gleichzeitig auch weiterhin als ein Set
zen zu denken. Da sie nun eine Voraussetzung hat, die ihre Bestimmt
heit ausmacht, kann ihr Setzen kein Setzen ihrer Bestimmtheit im Gan
zen sein. Denn damit wäre die Bestimmtheit neuerlich aufgehoben, wel
che sich ihrerseits aus dem Wesenscharakter auch der Unmittelbarkeit er
gab, ebenso wie ihr Anderes Reflexion in sich zu sein. So erscheint nun die
Reflexion in der einseitigen Stellung, ihr Setzen nur unter der Bedingung
des Bestandes einer Voraussetzung und gegen diese in Gang bringen zu
können. Das aber heißt wiederum, daß diese neue Form der Reflexion im
Begriff ihres Setzens und als eine Implikation des Sinnes dieses Setzens
nicht zu erkennen geben kann, daß das, in Beziehung worauf sie setzt, gar
nichts anderes ist als sie selbst. Ihr Setzen hat seine Form aufgrund
der Einheit des Wesenssinnes in Reflexion und Voraussetzung. Aber
eben darum setzt sie nurmehr unter Ausschluß dieser Prämisse. Fak
tisch bezieht sich die äußere Reflexion nur auf sich selbst in ihrem Anderen.
Aber ihr Beziehen muß dieses Andere durchaus nur als Anderes und
somit als ihr eigenes Nichtsein annehmen.
Dennoch darf die Analyse nicht vergessen, daß dieses Nichtsein
wirklich das Wesen selbst ist. Der Begriff der äußeren Reflexion ist
sozusagen das Dokument einer theoretischen Situation, in der sich nicht
einsehen läßt, wie beides, die Äußerlichkeit der Reflexion gegen sich und
ihre Selbstbeziehung in ihrer Verdoppelung, in einem Gedanken zugleich
gefaßt werden könnten. Es ist deshalb kein Verfehlen der wichtigsten Ein
sicht, wenn mit der Verdoppelung der Reflexion unmittelbar auch ihre
Veräußerlichung und mit der wiederum eine theoretische Situation eintritt,
in der die Reflexion nur verkürzt gefaßt werden kann. Der Schritt zur
Selbstverdoppelung der Reflexion ist Implikation des Wesensbegriffes,
aber kein vom Wesensbegriff selbst noch logisch beherrschbarer Gedanke.
Erst die Logik des Begriffes wird zu sagen vermögen, wie doppelte Refle
xion eigentlich zu denken sei - was In-seinem-Anderen-bei-sich-selbst
sein eigentlich heißt.
Es soll hier offen bleiben, ob Hegel imstande ist, die wichtigsten Eigen
schaften jenes intelligenten Prozesses, den er analog zur 11äußeren Re
" "
flexion der Logik "äußerliches Reflektieren nennt, mit rein logischen
Argumenten herzuleiten. Man sieht leicht, daß seine Absichten und An
sprüche im Text, was dies betrifft, weitgehen, - ebenso aber auch, daß
seine Anstrengungen unzureichend sind, solche Ansprüche durch Nach
weise zu fundieren. Es bleibt jedenfalls festzuhalten, daß die logischen
Mittel, die Hegel in etwa zur Verfügung stehen, nicht unmittelbar aus
300 DrETER HENRICH
Dieser Zustand ist noch nicht vom Übergang zur bestimmenden Re
flexion zu erwarten. Zwar wird in ihm die Beziehung der Reflexion auf
sich als bloße Voraussetzung korrigiert. Das Ergebnis dieser Korrektur
ist aber eine andere Begrenztheit : die Reflexion unter den beiden Refle-
Hegels Logik der Reflexion 301
entfiel, daß sie sich von dem in ihr vorausgesetzten Anderen nicht wei
ter unterscheiden ließ.
Das Aufheben der Äußerlichkeit, das Zusammengehen der Reflexion
mit dem Unmittelbaren, 11ist die wesentliche Unmittelbarkeit" (C II, 4,
18/19). Damit ist die bestimmende Reflexion die "außer sich gekom
mene Reflexion" (C III, 2, 3, n). Die Unmittelbarkeit_ die doch die des
Wesens ist und die nur insofern als Gesetztsein gedacht werden kann, ist,
wie Regel weiter sagt, " das Herrschende" im Wesensbegriff geworden.
Diese Situation läßt sich überhaupt nur denken, wenn man einen We
sensbegriff, der die Bedingung des Gedankens von einem zur Herrschaft
gekommenen Gesetztsein liefert, von dem Gedanken vom Wesen un
terscheidet, der nun als "wesentliche Unmittelbarkeit" zum Thema wird.
Der erste muß die Bestimmtheit der Begriffe garantieren, in denen der
zweite gefaßt ist. Denn kein Gesetztsein läßt sich denken, dem nicht ein
Wesen zugeordnet wäre, dessen Negatives und nur dessen Negatives es
ist. Die Weise, in der nun dieses Gesetztsein mit seinem Anderen identi
fiziert gehalten werden soll, schließt es aber aus, diese Bedingung in die
Analyse einzubeziehen. Eine solche Analyse muß deshalb notwendig
unvollständig bleiben, obgleich sie vollständig die Implikationen eines We
sensbegriffes unter eben der Bedingung darstellen mag, daß die Unmit
telbarkeit als wesentlich und diese als Wesen im Ganzen gedacht werden
soll und muß. Diese Aufgabe folgte aus dem überstieg über die äußere
Reflexion. Man kann sie auch als die Aufgabe beschreiben, die Reflexion
nunmehr selbst als Äußerlichkeit zu denken, wobei Äußerlichkeit nicht
ihre Relation zur eigenen Voraussetzung, sondern ihre interne Bedingung
ist. In diesem Sinne ist bestimmende Reflexion ein "absolutes Voraus
setzen" (C III, 2, 14). Und in diesem Sinne ist ein solcher Gedanke auch nur
über den der äußeren Reflexion zu erreichen. So zeigt sich wiederum,
daß die äußere Reflexion nicht nur Abweg, sondern Beginn der neuen
Problemdimension der Logik ist.
Die Reflexionsbestimmungen werden generell definiert als ,Gesetzt
sein, das in sich reflektiert ist' (Log II. 23, 1, 8 ff. u. v. a.). In dieser
Formel sind die logischen lmplikationen der bestimmenden Reflexion aus
gesprochen. Diese Reflexionsform ist ein Gedanke vom Wesen als Ge
setztsein. Gesetztsein ist Negation gegen eines. So hat diese Reflexion
immer eine Bestimmtheit an sich. Damit ist sie auf ein Anderes bezogen.
Doch kann dies Andere nicht die Reflexion ganz allgemein und in abstracto
sein. Denn die steht nun unter der Herrschaft der Unmittelbarkeit. Viel
mehr ist die Unmittelbarkeit selbst die Reflexion.
Hegels Logik der Reflexion 303
Als solche schließt sie alle Beziehung auf anderes von sich aus und ist
Beziehung nur auf sich, Gleichheit mit sich. Denn das ist der Sinn von Re
flexion als Unmittelbarkeit. Aber es ist doch die Reflexion als Gesetzt
sein und nur als Gesetztsein gedacht worden. Wenn damit auch nicht
mehr gedacht werden kann, kraft wessen solches Gesetztsein überhaupt
ist, so muß doch gedacht bleiben, was den Sinn von Gesetztsein notwendig
ausmacht: Unmittelbarkeit, die zugleich nur Bestimmtheit ist. Als solche
hat das Gesetztsein immer ein Anderes, dessen Negatives es ist. Inso
fern ist jede Reflexionsbestimmung der Gedanke von einem in sich Re
flektierten, das zugleich ein Korrelat ist.
Nun ist aber das Gesetztsein Reflexion in sich. Als solches muß es seine
Beziehung auf dieses Negative auch ausschließen. Als Reflexion stellt es
sich gegen sein Korrelat, das in ihm qua Gesetztsein mitzudenken ist. So
" "
" fixiert sich , wie Hegel sagt, " das Gesetztsein zur Bestimmung (C 111, 2,
2, 8), Bestimmung aber ist internes Sichsetzen gegen die eigene Grenze.
In diesem Sinne ist die Identität Fall einer sich bestimmenden Reflexion.
Sie ist Gleichheit mit sich, ohne allen Unterschied und damit ein von dem
in diesem Ausschluß Ausgeschlossenen bestimmter Gedanke, aber eben
darum auch Setzen der Identität mit der Bestimmung, Gleichheit mit
sich gegen die Grenze im Unterschied zu sein.
Es läßt sich nun leicht einsehen, daß damit auch das Negative dieser Be
stimmung, da es das Negative des Wesens ist, als Reflexion in sich gegen
die rein negative Beziehung auf sein Anderes gedacht werden muß. Denn
das Wesen kann nicht Gesetztsein bleiben, wenn die Bestimmtheit, die es
als solches in sich aufzunehmen und zur Bestimmung zu internalisieren
hat, etwas anderes wäre als das Wesen selber. Da aber das Wesen Gesetzt
sein ist, so ist auch sein Anderes, das es bestimmt, da es wiederum Wesen
sein muß, Wesen als Gesetztsein - so wie es selbst. In diesem Wider
spiel der Reflexion jeweils zu dem Negativen ihres Gesetztseins ist die
Reflexion nunmehr in Äquivalenz verdoppelt. So bleibt die Verdoppelung
erhalten, die aus der Identifikation des Wesens mit dem Schein hervor
gegangen war. Nur die Begrenzung ist aufgehoben, in die sie sogleich als
äußere Reflexion geraten war.
Das Wesen als Gesetztsein hat je ein Korrelat, welches selber jeweils
Wesen ist. Es erfüllt die Bedingung, daß nichts als Gesetztsein zu denken
ist, das nicht auch Bestimmtheit hat. Aber in "Gesetztsein" war ursprüng
lich mehr gedacht als nur die Korrelation bestimmter Wesensfälle, die
zugleich ihre Bestimmtheit in Gleichheit mit sich transformieren. Ihm lag
die abstrakte Gleichheit eines Wesens, das Setzen ist, zugrunde. Dieser
abstrakte Wesensbegriff ist noch nicht restituiert. Er kann es nicht
304 DrETER HENRICH
werden, so lange die Resultate dominant bleiben, die daraus folgten, daß
die Reflexion sich äußerlich geworden war. Auch wird er sich nur resti
tuieren lassen, wenn die Einheit des Wesens auch noch in der Verdop
pelung äquivalenter Reflexionsfälle artikulierbar wird - als eine Einheit
aber, die mehr ist als die faktische Korrelation der Reflexionsfälle. Das
Wesen, dessen Gesetztsein die Korrelation der Reflexionsfälle ist, wird
Hegel unter dem Titel "Grund" zu denken versuchen. Aber auch im
Grund sind Selbstbeziehung und Beziehung auf Anderes nicht so zusam
menzubringen, daß der Gedanke der Selbstbeziehung den vollständig
entfalteten Gedanken der Andersheit in sich aufnehmen und festhalten
könnte. Hegel meint, daß dies zuerst und definitiv der Begriff des Begrif
fes vermag.
Hegels Thesen und Positionen. Vgl. Peter Rohs : Form und Grund. - In : Regel
Studien. Beiheft 6. 1969. Der seit der ersten Auflage dieser Untersuchung erschienene
Kommentar zur Wesenslogik von Bruno Liebrucks (,Sprache und Bewußtsein', Band 6,
Teil 2, Frankfurt und Bern 1974) hält sich von einer Aufklärung Hegelischer Argu
mentation und Gedankenführung noch weit mehr entfernt.
306 DIETER HENRICH
schehen kann, ist schon dargelegt worden. Welche Konzeption von einem
formalen Objekt, das eine spekulative Verfassung hat, es ist, die
Hegels Analysen leitet, hat in der Analyse dieses zentralen Abschnittes
der Logik am leidltesten deutlich werden können.
Der Begriff der Reflexion ist, so wie jeder logische Grundbegriff_ ein
Begriff von einem Verhältnis von Selbstbeziehung und Andersheit. Er ist
derjenige Begriff von ihrem Verhältnis, mit dem versucht wird, die Ein
heit dieser beiden logischen Formen ohne jede weitere Voraussetzung zu
fassen. Nur an der Stelle des ganzen logischen Prozesses, den die Logik
der Reflexion einnimmt, ist der Versuch gerechtfertigt und aussichtsreich,
das ,Wahre' dadurch zu denken, daß der Gedanke der Andersheit rein für
sich dem anderen Prinzip direkt und ohne weitere Rücksicht unterstellt
wird, das im Gedanken der Unmittelbarkeit als Selbstbeziehung gefaßt
ist. Darf man der Selbstbeziehung auch den Gedanken der Einheit und
der Andersheit den der Differenz zuordnen, so sucht Hegel unter dem
Titel ,Reflexion' die Einheit in der Differenz als solcher und somit eine
Differenz, in der sich die Einheit nicht verliert.
In der Logik geht es um nichts anderes als darum, einen Zusammen
hang dieser Art definitiv zu fassen - ihn als den letzten Horizont aus
zuweisen, in dem alles, was sich verstehen läßt, seine Verständlichkeit
findet. Dieser Zusammenhang hat eine ganz andere Form als das, was in
der Regel ,Dialektik' heißt. Er ist nicht der Gedanke von einem letzten
Definitiven, das über eine Sequenz beschränkter Gedanken schließlich
erschlossen wird - somit nicht der Gedanke dessen, was bleibt jenseits
aller bestimmten Negation. Sofern von bestimmter Negation in diesem
Zusammenhang die Rede sein kann, ist sie nichts als dasjenige Verhältnis,
welches auch Andersheit genannt werden kann und was somit das eine
Element der spekulativen Grundform und somit weiter dasjenige ist, das
als nicht verschieden von der Einheit der Selbstbeziehung begriffen wer
den muß. Hegels Logik faßt allerdings die Relation der Bestimmtheit als
ein Prinzip von Fortbestimmung und Folgerung auf; es ist die Grundlage
von logischen Abfolgen und Entwicklungen auch über Gegensätze. Diese
Entwicklungen ergeben sich aber - auch in der Logik der Reflexion -
deswegen, weil sich der Entwurf des Gedankens, Selbstbeziehung und
Andersheit in Einem und als konstitutive Momente einer einzigen logischen
Form zu denken, in einem ersten Schritt nicht ausführen läßt. Und das
Wahre, welches jene Einheit ist, ist das Ganze eben deshalb, weil es sich
erweist, daß die Selbstbeziehung der Andersheit den Gedanken von allen
denkbaren Verhältnissen der Einheit und der Andersheit voraussetzt oder
nach sich zieht und in jedem Falle einbegreift. Das Ganze ist eben darum
Hegels Logik der Reflexion 307
Bewegung und Prozeß, weil jene Einheit, welche die Reflexion ganz unmit
telbar zu begreifen versucht, in Wahrheit nur im Durchgang durch alle
Einheitsbegriffe und Bestimmtheitsformen zu haltbarer Bestimmtheit kom
men kann. Die Einheitsbegriffe der Logik, welche die Problematik ihrer ein
zelnen Kapitel konstituieren, stehen in einer Sequenz, in der die folgenden
die Konzeptionen der Einheit von Selbstbeziehung und Andersheit, die
ihnen vorausgingen, korrigieren und in der die grundlegend neuen Ein
heitsbegriffe so gefaßt sind, daß sie ihr eigenes Verhältnis zu ihren Vor
gängern einschließen. Nur so ist es auch möglich, daß die abschließende
Einheitskonzeption des Begriffes (als Idee), welche das spekulative Grund
problem der Einheit der scheinbar unvereinbaren Gedanken von Selbst
beziehung und Andersheit auflöst, die Gedanken aller anderen Konzeptio
nen in sich einbegreift. Und so ist der Begriff als Begriff eines Prozesses
der Inbegriff dessen, was ihm vorausging und was zu ihm führt. Auch
für das Wesen, das als Reflexion das Sein in der Form des Scheins und
dann der gesetzten Voraussetzung restituiert, war die Beziehung auf
seine Herkunft Teil der Definition seiner Form.
Man kann die Position der idealistischen Philosophie in zwei Sätzen
formulieren, welche die Form methodischer Anweisungen haben, - und
zwar so, daß sie FICHTES und Hegels System über alle Differenzen glei
chermaßen charakterisieren : 1. Die erste Aufgabe der Philosophie, aus der
die Lösung aller anderen zu gewinnen sein wird, ist die richtige Auffas
sung der auch noch im Gedanken der Selbstbeziehung gelegenen Diffe
renz. 2. Es ist nicht zu erwarten, daß eine Selbstbeziehung gedacht wer
den kann, welche sich über eine einfache Differenz oder gar als Aus
schluß aller Differenz herstellt. Denn es gibt keine unmittelbare und doch
geschlossene Selbstbeziehung. Wirkliche Selbstbeziehung schließt vielmehr
die Entfaltung der in ihr gelegenen Differenz in eine Form ein, die so
komplex ist, daß sie vom Ganzen dessen, was überhaupt ist, seiner Form
nach nicht mehr unterschieden werden kann. Insofern ist das ,Wahre'
gleichermaßen ,das Ganze' und ,das Subjekt'.
Hegels Logik der Reflexion ist einbezogen in ein System, das auf die
ser Überzeugung beruht und das sie begründen soll. An ihrem Gang ist
ihr Stellenwert deutlich abzulesen : Der einfachste denkbare Gedanke einer
fugenlosen Einheit von Selbstbeziehung und Andersheit wird als Resul
tat aus langen Untersuchungsgängen gewonnen, die ihm vorausliegen. Er
steht von vornherein unter dem Postulat, seine eigenen Voraussetzungen
zu rekonstruieren. Insofern ist er auch von Beginn an als ein Gedanke
zum Thema gemacht, aus dem sich andere Gedanken generieren lassen.
Indem seine lmplikationen über eine formale Entwicklung ausgearbeitet
308 DrETER HENRICH
werden, stellt sich dann aber heraus, daß aus ihm Konsequenzen folgen,
die nicht mehr im Rahmen einer einzigen Form der Ableitung beherrscht
werden können. Diese Ableitungsform ist die Entwicklung des Gedankens
der auf sich selbst bezogenen Andersheit. Aus ihm ergeben sich Konse
quenzen, die sich nur mit veränderten formalen Mitteln in die Definition
des Wesens einbeziehen lassen. Der Gedanke vom Wesen selbst als
Reflexion muß nun so gedacht werden, daß er unter den Bedingungen
eines in Wahrheit doch von ihm Abhängigen steht. Die Selbstbeziehung
der Negation wird so nur als die Gleichheit dessen mit sich gefaßt, was aus
dem Wesen als Gesetztsein hergeleitet worden war. Es ist von vornherein
klar, daß diese Situation nicht endgültig sein kann oder daß sie das
Ende des Projektes der Wissenschaft der Logik bedeutet. Wenn aber die
Einheit des Wesens aus seinem Verlust an sein Anderes soll wiederge
wonnen werden, so kann sie nicht mehr jene einfache Einheit von Selbst
beziehung und Andersheit sein, aus der sich auf formale Weise der Ge
danke der Reflexion als Einheit von Wesen und Schein gewinnen ließ.
Ein solcher Einheitsgedanke vom Wesen wird Rücksicht nehmen müssen
auf die Ergebnisse der Analysen, die seinem Auftritt vorangingen, und
insbesondere darauf, daß in diesen Analysen, deren Resultate er in sich
integrieren muß, der Einheitssinn des Wesens in Wahrheit verloren war.
So wird er nicht in der Weise durch rein formale Entwicklung aus dem,
was ,Reflexionsbestimmung' hieß, hervorgehen können, wie der Schein
aus dem als Reflexion gedachten Wesen. Die Weise, in der er sich ergibt,
muß der Veränderung der theoretischen Situation beim Übergang zur
bestimmenden Reflexion entsprechen. In ihm mußte die im formalen Ob
jekt ,Reflexion' nicht mehr auflösbare Spannung, die zwischen der Anders
heit des Scheines gegen das Wesen und seiner instantanen Selbstaufhe
bung bestand, durch eine neue Konzeption der Einheit der Reflexion auf
gehoben werden.
Eine Logik der Reflexion wäre überhaupt nicht zu entwickeln gewesen,
wenn nicht zu Beginn der Wesenslogik die Bedeutungsverschiebung im
Gedanken ,Unmittelbarkeit' wohlbegründet hätte stattfinden können. Die
ser theoretische Vorgang ist sicherlich verschieden von dem anderen,
in dem die Reflexionslogik aus dem Bereich heraustritt, den sie durch
formale Entfaltung des Gedankens der selbstbezüglichen Negation aus
füllen kann. Beide stimmen aber in dem miteinander überein, wodurch
sich die formale Entwicklung der Reflexionsform von ihnen beiden unter
scheidet: Sie ergeben sich nicht über die Ausarbeitungen der lmplikatio
nen eines bereits eingeführten und wohldefinierten Gedankens, sondern
sie etablieren neue Einheitsgedanken, die der Gesamtproblematik einer
Hegels Logik der Reflexion 309
aber gezeigt, daß Wolken eben solche Mengen sind. Darum ist es auch
sinnvoll, die Bedeutung von ,Wolke', in der Wolken als kontinuierliche
Gebilde, nicht als Aggregat, vorgestellt sind, durch die Bedeutung ,Ag
gregat von sehr kleinen Wassertropfen' zu ersetzen.
Ein anderes Beispiel ist die Bedeutungsverschiebung im Begriff ,Erde',
der einmal wesentlich durch seinen Gegensatz zum Begriff ,Stern' be
stimmt war, nun aber etwas meint, das zur Klasse der Sterne gehört. In
beiden Beispielen wird ein Begriff durch Bedeutungsverschiebung in die
Klasse derer einbezogen, deren Begriff er zunächst entgegengesetzt war.
Unter seltenen Umständen kann es auch geschehen, daß die Referenten
eines Begriffes, die einer Klasse von Objekten entgegengesetzt worden
waren, durch Bedeutungsverschiebungen zu den einzigen Referenten die
ser Klasse werden. Beispiele dafür sind einige Bedeutungswandlungen
im Begriff der Freiheit. Wenn zunächst die Freien die sind, die nicht
vom Willen anderer abhängig und somit die, die keine Sklaven sind,
so kann sich in veränderter Perspektive zeigen, daß allein den Sklaven das
Prädikat, frei zu sein, wirklich zukommt. Eine solche Bedeutungsver
schiebung kann man eine ,radikale' nennen.
Alle diese Beispiele sind Fälle von Bedeutungswandel in empirischen
Begriffen. Bei Theorien, in denen Begriffe durch implizite Definitionen
eingeführt werden können, findet sich noch ein anderer Fall von Be
deutungsverschiebung. Seine Eigenart ist schwerer zu kennzeichnen.
Man wird aber sagen können, daß ganze Theorien ebenso aufeinander
folgen können wie Bedeutungen, die schon in einzelnen Sätzen ohne Theo
rielast zu gebrauchen sind. Ein Begriff in einer Theorie T2 ersetzt dann
die Bedeutung eines Begriffes C in der Theorie Ti, die ihm vorausgeht,
wenn er a. in T2 formale Eigenschaften hat, die denen, die C in Ti hat,
ähnlich sind, und wenn er b. die Fälle, in denen C in Ti gebraucht wurde,
innerhalb von T2 zu beschreiben erlaubt. Diese Kriterien können sehr
viel genauer entwickelt werden. Si Sie geben dann auch Anlaß zu Kon
troversen, welche die gegenwärtige Situation in der Wissenschaftstheorie
weitgehend beherrschen. 32 Auch in rudimentärer Fassung reichen sie aber
3 1 Ich verweise auf die Diskussion, die sich im Anschluß an einen Aufsatz von
Arthur Fine im Journal of Philosophy. Vol. 64. 231 ff., vor allem im British Journal
for the Philosophy of Science entwickelt hat. Vgl. aber auch Mary Hesse: Fine's
Criteria of Meaning Change. - In : Journal of Philosophy. Januar 1968.
32 Im Zusammenhang mit der Kritik an den radikalen Theorien vom Bedeutungs
wandel theoretischer Begriffe, die vor allem von Thomas Kuhn und Feyerabend ver
treten werden, und deren Verteidigung gegen diese Kritik (Literatur bei Jerzy Giedy
min : The Paradox of Meaning Variance. - In : British Journal for the Philosophy
of Science. 21. 1970).
312 DJETER HENRICH
33 Der Begriff wurde von Sellars eingeführt und von Feigl akzeptiert. Vgl.
Feigl: The Mental and the Physical. Postscripts 1967. 141/2. Die Diskussion über
die Möglichkeit, Bewußtseinszustände mit Gehirnzuständen zu identifizieren, ist bei
nahe nichts anderes als eine Diskussion über die Verwendung des Begriffs der Iden
tität unter nichtanalytischen Bedingungen. Sie findet also im seihen Zusammen
hang wie die in Anm. 31 genannte Diskussion statt. Eine Verbindung zwischen beiden
ist aber bisher nicht zustande gekommen.
34 Das Problem der Kombinierbarkeit der in der Logik entwickelten Begriffe ist
von Hegel nirgends behandelt worden. Dennoch setzt er in den Realphilosophien stän
dig voraus, daß sie, und zwar in geregelter Form, kombiniert werden können. Dies
Problem ist übrigens nur das vielleicht wichtigste unter vielen, die sich noch stellen,
wenn die Probleme des logischen Prozesses aufgeklärt sind. Im Unterschied zur
Logik als Grundtheorie und der Metatheorie, die ihre Methodenprobleme erörtert, las
sen sie sich als Probleme logischer Sekundärtheorie klassifizieren.
Hegels Logik der Reflexion 313
weils zum invariablen Kern einer Ontologie zu gehören hat und wann eine
Ontologie nicht nur ergänzt und verfeinert, sondern durch eine ganz an
dere ersetzt worden ist. Hegel selbst meinte, daß die Logik der Reflexion
den Kern jener Ontologie untersucht, die LEIBNIZ im Auge hat.
Die Besonderheit der Bedeutungsverschiebung, aus der sie sich ergibt,
ist als ,radikal' und ,theoretisch' noch nicht vollständig ermittelt. Theo
retische Nachfolgerbegriffe ersetzen ihre Vorgänger komplett und haben
innerhalb T2 durchaus Exklusivrecht. Sie schließen den Gebrauch der
Prädikate aus, die im Vorgängerbegriff gedacht waren, der Tt angehörte.
Gerade das trifft nicht zu für den Fall der Bedeutungsverschiebung zur
Reflexionslogik Denn hier ist die Bedeutungsverschiebung nicht nur die
Voraussetzung dafür, daß der Begriff des Wesens als Nachfolger von
,Sein' eingeführt werden kann. Sie wird zugleich zu einem Bestandteil
von dessen eigener Bedeutung. Denn im voll entwickelten Begriff des
Wesens wird ,Unmittelbarkeit' eben nicht nur der Selbstbeziehung der
Negation zugesprochen. Auch ihr Produkt ist Unmittelbarkeit, und zwar
genau in demselben Sinne, in dem Unmittelbarkeit in der Vorgängertheo
rie der Wesenslogik der Vermittlung entgegengesetzt worden war. So
tritt also Unmittelbarkeit im Wesensbegriff zweimal auf - einmal in der
Bedeutung, die sich durch die Verschiebung ergab, zum anderen in der
ursprünglichen Bedeutung von ,Unmittelbarkeit' vor der Verschiebung
- nur so, daß der Auftritt dieser Bedeutung im Wesensbegriff vom Auf
tritt der ,Unmittelbarkeit' in der verschobenen Bedeutung abhängig ist.
Denn der Fall von Ut ist gegeben, weil die Negation negiert und somit
der Fall von U2 gegeben ist.
Diese Abhängigkeit besteht nur insofern, als die Reflexionslogik als
Nachfolgertheorie der Seinslogik auftritt. Geht man einfach nur von der
negierten Negation aus, dann ergibt sich zwar Unmittelbarkeit, die eben
so aufgehoben und vermittelt ist. Wie gezeigt wurde, ergibt sich aber
nicht, daß diese Unmittelbarkeit identisch mit der Reflexionsstruktur ist
und daß aus diesem Grunde der negierten Negation selbst das Prädikat,
unmittelbar zu sein, zugesprochen werden muß. Dann allerdings er
gäbe sich auch gar nicht der volle und autonome Begriff des Wesens.
Daß Ut = U2, ist nicht ein Resultat der bloßen Analyse der negierten
Negation und ihres Setzens. Es gehört zu den Voraussetzungen dieser
Analyse, wenn anders sie den Begriff der bestimmenden Reflexion erge
ben soll. In der Regel gibt Hegel zwar seinem Argument einen anderen
Anschein. Untersucht man aber seinen Text genauer, besonders die Rolle
der Einleitung in die Wesenslogik mittels der Analyse des Scheines, so
stellt sich der wahre Sachverhalt heraus. Die Bedeutungsverschiebung ist
314 DrETER HENRICH
also nicht etwa deshalb ein Teil der Wesenslogik, weil sie in einem
ihrer Theoreme begründet ist, sondern deshalb, weil sie als ein Postu
lat fungiert, aufgrund dessen allein diese Logik in eine selbständige Ent
wicklung kommt.
Auch in dieser Funktion geht sie aber der Reflexionslogik nicht nur vor
aus, gleichsam wie eine ihrer historischen Bedingungen im Prozeß der
Theoriegeschichte. Sie gehört zu ihr. Anders könnte auch gar nicht ,Un
mittelbarkeit' innerhalb der Wesensstruktur in zweierlei Bedeutung und
doch als Bezeichnung desselben Wesens, als Gesetztsein und als Reflek
tiertsein, auftreten.
Die für Hegels Dialektik typischen Inkonsistenzen ergeben sich nicht
erst dadurch, daß Unmittelbarkeit in der Wesensstruktur zweimal vor
kommt - mit der Selbstbeziehung identisch und ihr entgegengesetzt.
Auch schon darin, daß die Unmittelbarkeit zur seihen Zeit als nur gesetzt
und als durchaus vorausgesetzt gedacht werden muß, ist eine solche In
konsistenz gelegen. Wohl aber ergibt sich die Inkonsistenz, die für die
Wesenslogik eigentümlich ist, durch die Bedeutungsverschiebung, die in
sie integriert wurde.
Ist eine Theorie oder ein Theoriekern schlechtweg inkonsistent, so ver
liert er schon dadurch jede bestimmte Bedeutung. Denn aus Inkonsisten
zen ergeben sich widersprüchliche Sätze mit gleichem Wahrheitsanspruch,
aus denen sich dann Beliebiges folgern läßt. Es muß deshalb versucht
werden, die Inkonsistenz zu beherrschen. Das kann dadurch gesche
hen, daß sie eigenen Regeln unterworfen wird, die es ausschließen, daß
von den inkonsistenten Begriffen innerhalb der Theorie beliebig Gebrauch
gemacht wird. Eine solche Regel wird anzugeben haben, unter welchen
Bedingungen von der Ununterschiedenheit der beiden Bedeutungen und
unter welchen von ihrem Unterschied auszugehen ist. Dann ergeben sich
zwar immer noch widersprüchliche Sätze. Sie ergeben sich aber so, daß es
sinnvoll ist, sich in ihrem Kontext nach Regeln zu bewegen, und zu wei
teren Sätzen fortzuschreiten. Sollte sich erweisen, daß es unvermeidbar
ist, in der Dimension einer Theorie möglicher Ontologien so zu verfah
ren, so wäre damit auch das Verfahren Hegels gerechtfertigt, das er spe
kulative Logik nennt. Die allgemeinen Probleme, die sich bei der Ana
lyse dieses Verfahrens - zahlreich und komplex - ergeben, sind hier nicht
abzuhandeln. 35
Gleichwohl muß die Untersuchung in einen weiteren Zusammenhang
gebracht werden. Denn es bleibt weiter aufzuklären, unter welchen Be-
Behauptung und jeder Bestreitung. Darum kann aber auch die negierte
Negation nur in einer Perspektive, die schon die der bestimmenden Re
flexion ist, als Nachfolgerbegriff der Indifferenz auftreten.
Dieser Begriff muß freilich nicht erst von weit her geholt oder ganz
neu entwickelt werden. Im Gange der Seinslogik wurde er stets benutzt
und offenbar benötigt. Es ist aber wichtig, sich klarzumachen, daß er
dort nicht Gegenstand der Analyse war. Er diente lediglich dazu, die
Relationen hervorzuheben und zu bezeichnen, die sich in den einzelnen
Kategorien des Seins intern ergeben hatten. Keine dieser Relationen war
allein durch die Negation der Negation konstruiert worden. Stets gab es
besondere Voraussetzungen. Deren Existenz läßt sich daran erkennen, daß
die Negation eines Negativen niemals nur das Korrelat der Negation er
gab, sondern stets ein in einem spezifischeren Sinne unmittelbar Be
stimmtes - etwa Qualität unter Qualitäten, ein anderes Eins, bestimmte
Quantität. 37
Dieser Umstand läßt sich mittels der Struktur erklären, die in der Logik
der Reflexion bekanntgemacht wurde : Die negierte Negation produziert
sich eine Voraussetzung; und in dieser Voraussetzung setzt sie sich ferner
auch sich selber voraus. Sieht man vom Gesichtspunkt dieser Analyse aus
auf die Logik des Seins zurück, so wird verständlich, wieso die Explika
tionsmittel einerseits wirklich geeignet waren, einen Gedankenfortschritt
begrifflich zu artikulieren, - aber auch, wieso sie ihn nicht vollständig
fassen konnten. Was in der verstandenen Reflexion die Voraussetzung
ihrer durch sich selber ist, muß in der Seinslogik als Korrespondenz zwi
schen den Explikationsmitteln und der Begriffskorrelation erscheinen,
die nicht restlos in der Begriffsstruktur der Explikationsmittel aufgeht.
Die vollständige Analyse der Explikationsmittel hat aber Vorausset
zungen in der Entwicklung dieser Korrespondenz im Sein bis zur Ein
sicht in die Mängel, die innerhalb ihrer grundsätzlich nicht behoben werden
können. Erst nachdem die Indifferenz erreicht und in die Aporie entwickelt
wurde, sieht Hegel die Möglichkeit, die negierte Negation als Nachfolger
begriff einer seinslogischen Kategorie einzuführen, somit als Thema,
nicht als Operationsregel seiner Logik.
Aus ihrer Vorgeschichte als methodisches Instrument haben sich aber
doch zwei Kriterien ergeben, unter denen die negierte Negation nunmehr
zu entwickeln ist :
1. Sie muß erstens als eine Operation genommen werden, welche die
Negation nicht nur wegfallen läßt, sondern ein Anderes des Negativen
88 Das Kapitel Fürsichsein in der Seinslogik enthält Passagen, die durchaus mit
Hilfe der Begriffe Setzen und Voraussetzen aufgebaut sind (Log I, 159, 2; 162, 2, 4 ff.;
auch 167/8). Hegel leitet in dieses Kapitel auch so ein, daß es schwierig wird, die
Dynamik seiner Entwicklung von der des Wesens zu unterscheiden. (Log I, 147, 1,
16 ff.)
Daraus ergibt sich die Interpretationsaufgabe, das Verhältnis des Fürsichseins zum
Wesen aufzuklären. Durch folgende Beobachtung wird diese Aufgabe noch kompli
ziert : Hegel hat die Terminologie der bestimmenden Reflexion erst in der zweiten
Auflage in das Kapitel Fürsichsein eingearbeitet. Alle Abschnitte, die Reflexions
terme enthalten, fehlen in der ersten Auflage entweder gänzlich, oder sie sind um
geschrieben worden, vornehmlich um der Einführung dieser Terme willen.
Das könnte zu der Vermutung führen, Hegel habe zur Zeit der Neufassung der
Logik die Strukturen der Reflexion in das Fürsichsein übertragen wollen; wir
wüßten nicht, welche Folgerungen er daraus bei der Analyse der Reflexion ziehen
wollte, für die es eine zweite Auflage nicht gibt. Ließe sich diese Vermutung erhärten,
so wäre sie tödlich für die hier vertretenen Thesen.
Doch läßt sich zeigen, daß Hegel selber darauf bedacht war, den Unterschied
zum Wesen festzuhalten. In der übersieht der zweiten Auflage über seinen Gedan
kengang (Log I, 154, 2, 9 ff.) sagt er, daß im Fürsichsein die Form der Unmittel
barkeit insofern gewahrt wird, als jedes Moment als eine eigene, seiende Bestimmung
zu setzen ist.
In welcher Beziehung aber logische Explikationsform und Unmittelbarkeit der Mo
mente im rekonstruierten Fürsichsein zueinander stehen, das auszumachen, bleibt
eine der erheblichsten Schwierigkeiten für das Verständnis der Seinslogik Man muß
fragen, ob es Hegel gelungen ist, die Explikationsmittel der ersten Auflage voll
ständig durch Reflexionsterme zu ersetzen, obgleich er nicht alle Passagen umge
schrieben hat. Gelang es ihm nicht, so wird man die Reflexionsterminologie als eine
Erläuterung früherer Explikationsmittel verstehen müssen, also als eine Art von Ex
plikation zweiter Stufe, oder festzustellen haben, daß in dem Kapitel eine ambi
valente Situation herrscht. Sie würde den Wunsch Hegels noch verständlicher machen,
die Zeit zu vielen weiteren Umarbeitungen zu haben.
Hegels Logik der Reflexion 319
notwendig macht. So ergibt sich ein interessantes Resultat, das die eigen
tümliche Stellung der Reflexionslogik bezeichnet : Die Struktur, die in
der ganzen Logik als methodische Operationsregel fungiert, läßt sich
selber nur analysieren, wenn sie im Zusammenhang der Logik durch
motivierte Bedeutungsidentifikation eingeführt worden ist. Die Voraus
setzung der ganzen Logik hat selber deren ersten Teil zur Vorausset
zung.
Dieser Satz ist nicht billiger Tiefsinn oder eine für Hegels Pro
gramm vernichtende Absurdität - dann jedenfalls nicht, wenn sich in
der Logik Bedeutungen fortbestimmen, nicht nur lmplikationen von Prä
missen zeigen. Geht man von einem elementaren, noch höchst unbestimm
ten Bedeutungssystem aus, so werden sich in ihm interne Relationen fin
den lassen, die mit den Mitteln, die das Bedeutungssystem selbst anbietet,
nicht werden beschrieben werden können. In einer Theorie der Sequenz
von Ontologiekernen sollen sie aber beschrieben werden. Dabei wird man
Mittel benutzen müssen, die zunächst ganz unanalysiert bleiben. Es ist
nicht sinnlos anzunehmen, daß im Fortgang der Sequenz eine Stufe er
reicht wird, auf der nunmehr auch diese Mittel zu beschreiben sind. Daß
die Mittel, die nun beschrieben werden, allgemein verwendet werden
konnten, wird wenigstens zum Teil dadurch verständlich, daß sie nun
als Nachfolger der ganzen Struktur der Seinslogik zum Thema werden,
die zuvor Gegenstand der Beschreibung war. Daß sie nicht früher be
schrieben werden konnten, ergibt sich daraus, daß sie als Nachfolger
erst auftreten können, wenn sie um weitere Elemente ergänzt und somit
zu einer autonomen, nicht nur einer methodischen Struktur gemacht wur
den.
In der Logik der Reflexion ist ein Ontologiekern zum ersten Mal zu
gleich Methodenbegriff der Theorie jener Bedeutungssequenz, innerhalb
deren er sich ergeben hat. Man weiß, daß Hegel gerade an dieser Selbst
beziehung seiner Theorie interessiert war. Es ist auch gar nicht zu be
streiten, daß eine letzte Theorie nur unter Einschluß solcher Selbstbezie
hung definiert und konzipiert werden kann. 40 Die Frage, wie sich die
reale Möglichkeit einer solchen Theorie sichern läßt, gehört zu den Pro
blemen, von denen hier abzusehen ist. -
Aber hier kann noch - in einer formalen Skizze - angegeben werden,
welche Stellung die Reflexionslogik im Ganzen ihres Kontextes einnimmt.
Hegel meint, der Anfang der Bedeutungssequenz der Logik mache ein Be-
40 Vgl. Frederic B. Fitch : Symbolic Logic. New York 1952. 217 ff.; ders., Universal
Metalanguage s for Philosophy. - In: Review of Metaphysics. 1964. 396 ff.; sowie die
Beiträge in R. L. Martin (ed.), The Paradox of the Liar. New Haven 1970.
Hegels Logik der Reflexion 321
griffspaar, das sich noch gar nicht explizieren läßt, über das also auch nur
negativ, als über eines gesprochen werden kann, das nicht zu charakteri
sieren ist. In der Sache hat er es schon als unbezogene Zweiheit von Nega
tion und Unmittelbarkeit konzipiert. Weil sie unbezogen sind, sollen sie
auch ununterscheidbar sein. Sie ergeben sich, wenn man nach dem Ein
fachsten in der Bedeutungsfolge, dem gänzlich Unbestimmten sucht. In
der Theorie sind sie aber nur festzuhalten, wenn die Methode des Fest
haltens und die festgehaltene Sache von ganz verschiedener Struktur
sind.
Auch in den folgenden Schritten bleibt die Methode der Sache gegen
über in Differenz, und zwar in dreifachem Sinne : 1. Als Theorie der
Bedeutungswandlung kann die Methode ohnehin nicht in ihrer Sache auf
gehen. 2. Aber auch die logischen Strukturen, auf die hin die behandelte
Sache beschrieben wird und die den Übergang von Extrem zu Extrem in
einem Ontologiekern leiten, fassen den beschriebenen Sachverhalt nicht
vollständig. Stets bleibt ein Bedeutungsüberschuß, der nur realisiert, aber
nicht durch formales Operieren erzwungen werden kann. 3· Der Methode
bleibt auch ein Spielraum, die Richtung zu bestimmen, in der Versuche
gemacht werden sollen, die jeweils verbliebenen Inkonsistenzen zu stabi
lisieren und einen Ontologiekern von höherer Bestimmtheit als Nachfolger
zu gewinnen. Diese Versuche geschehen zwar nicht beliebig, sondern sind
von der analysierten Sache motiviert. Analytisch erzwungen sind sie aber
nicht.
Im Gang der Seinslogik wird der Spielraum für solche Versuche immer
weiter eingeengt. Darüber hinaus ist im Fürsichsein eine Struktur erreicht,
die es notwendig zu machen scheint, den ganzen logischen Bestand, der in
der Reflexion entwickelt werden wird, zu ihrer Beschreibung aufzubieten.
Daß sie dennoch nicht mit ihm identisch ist, zeigt vor allem das Ergebnis.
In ihm läßt sich nicht festhalten, was allein durch die Bedeutungsidentifi
kation im Wesen gesichert werden könnte. Die Unmittelbarkeit tritt in
der Differenz zur Vermittlung erneut hervor, der Gebrauch der Methode
in der Differenz zur Sache ist fortzusetzen.
Der Übergang zum Wesen wurde ausführlich untersucht. Wäre im Über
gang die Methode nicht von der Sache verschieden, so wäre er niemals zu
wege zu bringen. Die Bedeutungsidentifikation läßt sich nur als Fort
gang im Sinne dessen verstehen und begründen, was zuvor schon zustande
gekommen war. Im Sinne der Deduktion gibt es für sie keinen Beweis.
Ist aber die Identifikation erfolgt und das Axiom der Wesenslogik eta
bliert, das sich aus ihr ergibt, so wird der Fortschritt der Logik immanent.
Der Unterschied zwischen der Logik als Theorie und ihrem Thema bleibt
322 DIETER HENRICH
zwar bestehen; doch die Differenz zwischen dem Thema und den Expli
kationsmitteln der Theorie verschwindet. Zur Explikation steht nunmehr
nur die Relation zwischen Vermittlung und Unmittelbarkeit an, die
reine Struktur der negierten Negation. Sie ist Thema der Logik in dem
Teil, der hier analysiert wurde.
Aber auch der Begriff der negierten Negation treibt bald in eine Lage,
in der er sich einer stabilen Auffassung entzieht und in der Inkonsistenzen
entstehen. Es erweist sich also als notwendig, die Differenz zwischen
Theorie und Sache wieder eintreten zu lassen. Neue Gedanken müssen
sich ergeben. In ihnen müßte das ,Zugleich' von Vermittlung und Un
mittelbarkeit im Wesen durch eine bestimmte Relation ersetzt werden. So
ist etwa das Verhältnis des Grundes ein Begriff vom Wesen, insofern
es Scheinen ist, also ein Begriff, der den Charakter dessen bezeichnet, was
in der Logik der Reflexion geschah. Das bedeutet aber, daß sich nach dem
Abschluß der Reflexionslogik auch die Differenz zwischen Methode und
Thema in einem veränderten Sinne wiederherstellt. Die lnadaequanz zwi
schen Thema und Explikationsmittel bezeichnet von nun an immer auch
einen Mangel in der Verständigung über das Explikationsmittel sel
ber. Der vollständige Begriff von dem Zusammenhang steht noch aus,
in dem die doppelte Negation Resultate haben kann.
Erst nachdem sie die Reflexion untersucht hat, kann die Logik deshalb
Aussicht darauf machen, auch die Grundzüge ihrer selbst als Wissenschaft
noch in ihrem eigenen Gange zu erreichen und festzustellen. Denn dafür
ist natürlich vorauszusetzen, daß sie ihre Explikationsmittel schon zum
Thema hat, auch daß sie sie in einen Zusammenhang bringen kann,
der die Mittel noch umgreift und der sie auch kontinuierlich als Thema
weiterer Bestimmung festhält. Vom variablen Gebrauch von Regeln
kann nur gesprochen werden, wenn die Regeln selbst bereits bekannt und
festgehalten sind.
Selbst die Logik des Begriffs bleibt in diesem Sinne insgesamt auf die
Reflexionslogik bezogen. Im Urteil hat sie zwar einen neuen Anhalt für
eine Entwicklung nach eigenen Regeln. Hegel versteht bekanntlich die
Copula grundsätzlich als Behauptung der Identität. Darum ist er imstande,
sie als Forderung der Angleichung der Modi des Begriffs aufzufassen,
die im Urteil in geordneter Folge die Stelle der Bedingung und die des
Bedingten besetzen. Weil sie ein eigenes Kriterium der spekulativen Ent
wicklung besitzt, konnte die Urteilslogik als geheimer Motor des ganzen
logischen Prozesses angesehen werden. 41 Dann muß man aber igno
rieren, daß schon die Weise, in der Hegel ,Allgemeinheit' und ,Besonder-
41 Vgl. die Arbeit von W. Albrecht. zit. Anm. 39.
Hegels Logik der Reflexion 323