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Dieser Abschnitt behandelt nur einen Teil der Bewegungen der zweiten Hälfte der 1980er (z.B. gab es auch
die Studierendenproteste 1987 und die Anti-Waldheim-Bewegung ab 1986). Daß dieser Abschnitt mit „Die
Autonomen " betitelt wird, hat mit dem Widerschein dieser Bewegung in der medialen Öffentlichkeit zu tun. Aber
auch innerhalb dieser Bewegung wird nur jener Bereich behandelt, der besonders mit Hausbesetzungen und den
Anti-Opernball-Demonstrationen dieser Zeit zu tun hatte. Ortsangaben beziehen sich, wenn nicht ausdrücklic
anders erwähnt, auf Wien.
In der zweiten Hälfte der 1980er tauchten die von einer Revolution. Es gab keine Bezugnahme auf
„Autonomen" auch in den Medien außerhalb der revolutionäre Staaten, es waren Unruhen und
Szene auf. Immer wenn es Krawalle gab, waren es Guerillakriege im Trikont und teilweise auch in
die Autonomen. Waren dieselben Teilnehmerinnen Europa, die in ihrer Bedeutung überhöht wurden,
involviert, ohne daß es zu Krawallen kam, wurde um für sich selbst die Gewissheit zu schaffen, daß
von „Jugendlichen" gesprochen. Natürlich haben der herrschende Imperialismus schon in die Enge
die Protagonistinnen, die als Autonome bezeichnet getrieben sei. Zugleich waren viele Texte voll von
wurden, mit dem Mythos der Militanz gespielt, tat- Katastrophismus und Beschreibung der Repression,
sächlich stand und steht aber mehr dahinter, insbe- wie sie (natürlich) gegen revolutionäre Bewegungen
sonders der Anspruch, die Veränderung des eigenen eingesetzt wurde und wird. Kulturell waren die
Lebens mit der Umgestaltung der Gesellschaft zu Autonomen mit der Punkszene verbunden, u.a. weil
verbinden. Während ein Teil der Sozialrevolutionä- diese am stärksten mit ihrem ganzen Leben die Ab-
ren Ideen, die 1968 gemeinsam mit einer Subkultur lehnung des herrschenden Systems ausdrückten.
aufkamen, über die „neuen sozialen Bewegungen" Aber es handelte sich auch um ein gespanntes Ver-
(Alternativbewegung, Frauenbewegung etc.) in den hältnis: die unpolitischen Punks (oft „Suffpunks")
sich umstrukturierenden Kapitalismus integriert hatten ein offenes Verhältnis zur entstehenden
wurde oder zumindest auf dem besten Wege dahin Skinhead-Kultur, die zu einem großem Teil die har-
war, versuchten die Autonomen, das militante, vor- te Musik übernommen hatte und genauso auf Leben
wärtstreibende, umstürzende Element beizubehal- und Vergnügen standen. Die meisten Auseinander-
ten. Neben den trotzkistischen Sekten, die in ihrer setzungen gab es aber wegen sexistischem Verhalten
Fixiertheit auf Machtübernahme im Staat und auf von Teilen der Punkszene, die sich dann auch von
die fordistische Arbeiterinnenklasse vollkommen den „politisch korrekten" Autonomen (von diesen
daneben lagen, blieb für sie als Einzige der Traum manchmal „Automaten" genannt) abgrenzten.
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Das soziale Feld der Autonomen war zeitweise sehr viele neue Leute dazukamen.
ein Netz von Treffpunkten, WGs und Ein- Die Abgrenzungen wirkten sich aber auch
zelpersonen, die in vielen (meist kurzfristi- teilweise untereinander aus. So gab es
gen) Initiativen aktiv wurden. Ein Teil von Rivalitäten zwischen den sozialen Um-
ihnen zog es vor, sich als Anarchistinnen feldern der verschiedenen Treffpunkte (so
zu bezeichnen, andere sahen sich als „Anti- gab es die Rotstilzchens, die Aegidis, die
lmperialistlnnen", die mit dem bewaffneten vomTU-Club).
Kampf der Metropolenguerilla, besonders
der RAF (Rote Armee Fraktion) sympathi- Immer wieder gab es die Erfahrung der
sierten, wieder andere wollten sich gar eigenen Schwäche. So tauchte immer der
nicht einordnen lassen, waren nur (Polit- Anspuch auf, noch besser organisiert, noch
)Punks oder Hausbesetzerinnen. Entstan- militanter zu werden, was aber für die ent-
den ist diese Struktur aus den Spontis, aus sprechenden Personen dann wieder stärke-
der Jugend- und Hausbesetzerlnnen- re Abgrenzung nach außen bedeutete. So
bewegung und Aktivistinnen aus dem ist es auch nicht verwunderlich, daß insbe-
Umfeld des Kultur- und Kommunikations- sonders der Teil der Szene, der sich auf den
zentrums Gassergasse (GAGA), das 1983 Antiimperialismus berief, den Leninismus
geräumt wurde. Immer mehr setzte sich wiederentdeckte, damit die Organisation in
auch die Vermummung durch, nicht unbe- einer kaderartigen Avantgarde-Partei. Die
dingt wegen illegaler Aktionen, sondern Antiimperialistlnnen sahen sich in Zu-
auch, weil die Gefahr bestand, von Nazis sammenhang mit den bewaffneten Kämp-
und Stapo erkannt und gefilmt zu werden. fen in Westeuropa (und der ganzen Welt),
Von einem Teil der Szene wurde ein Fetisch ihr Orientierungspunkt war die RAF. Eine
daraus gemacht, weil mensch in der Gruppe Lieblingsmetapher dieser sozialen Zusam-
vermummt gefährlicher ausschaut als menhänge war immer „eine Front (mit der
mensch ist. Guerilla)", was die eigenen, als unwichtig
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empfundenen Aktionen aufwertete. Durch
Bis auf die schon erwähnten Anarchist- die Gemeinsamkeit gegen den Imperialis-
innen und Antumpenahstlnnen gab es mus wurde die Sowjetunion positiver be-
kaum politische Identitätsbildung. Mensch werteten als von „anderen" Autonomen
traf sich in Lokalen und auf Konzerten und oder die Anarchistinnen. Der kleine Teil,
Demonstrationen, besetzte Häuser oder der nach dem Zusammenbruch des „Kom-
beteiligte sich an Plenas. Politische munismus" in Osteuropa diese Ideologie
Diskussionen wurden durch eine Struktur- beibehielt, orientierte sich an bewaffneten
debatte ergänzt. Das betraf technische Kämpfen wie den der PKK, die in der
Elemente von Rechtshilfe und Demosanis Türkei für ein unabhängiges Kurdistan
bis hin zu Handwerkerinnen, die Repara- kämpfte, oder an den maoistischen Grup-
turen durchführten oder die Häuser verbar- pen, die sich um den Sendero Luminoso in
rikadierten. Ein Teil der Szene war beschäf- Peru in der RIM (Revolutionary
tigt, Plenas durchzuführen, die es auf ver- International Movement) zusammenge-
schiedenen Ebenen gab (von Hausplenas schlossen hatten. Sie blieben aber
und Autonomenplenas bis zu offenen Einzelpersonen, die als die aktivsten Teile
Treffen, wo aber meistens auch die gleichen Plenas mit ihrem neu entdeckten Stalinis-
Leute anwesend waren). Oft blieb keine mus oder der Verherrlichung jedes reaktio-
Zeit für theoretische Diskussionen. nären antiimperialistischen Kampfes nerv-
ten, aber für die technische Organisation
Die nicht vorhandene politische Bedeutung gewannen.
Identität förderte ein ausgeprägtes Wir-
Bewußtsein auf einer anderen Ebene. Da Eine Diskussion, die immer wieder auf-
das Autonom-Sein auch kulturellen Aus- brach, war die des Antisexismus. Wobei es
druck fand, wurde oft bereits durch die Äu- (so wie überall) keine echte Diskussion
ßerlichkeit der Bekleidung gezeigt, daß gab. Wenn es sexuelle Übergriffe gab, wur-
mensch dazugehört (und andere nicht). den die entsprechenden Männer ausge-
Durch die permanente Bedrohung durch schlossen, es ging selten um die Diskussion
Repression entstand zeitweise ein Klima der Machtverhältnisse, sondern nur um
der Paranoia, das die Abgrenzung nach au- Aus- und Abgrenzungen. Teilweise wurde
ßen noch verstärkte. Oberflächlich gesehen das auch für interne Machtkämpfe benutzt.
war es erstaunlich, daß immer wieder und Es war klar, daß sich mann (und frau) gegen
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Sexismus und Patriarchat aussprach, aber nigen Treffpunkten verbunden, einer davon
die realen Machtverhältnisse zwischen war das Rotstilzchen, das nach dem Abriß
Männern und Frauen wurden nur am Rande der GAGA ein wichtiger Kommunikations-
(und wenn, dann eher unter Frauen) disku- knoten wurde und ab 1986 ein expliziter
tiert. Das war mit ein Grund dafür, warum Treffpunkt der Autonomen. Ein weiterer
sich ein Teil der Frauen in Frauen- Kommunikationsraum war der TU-Club,
zusammenhänge zurückzog. Ein Versuch, der zwar offiziell von der Hochschüler-
sich mit Sexismus auseinanderzusetzen, bil- Innenschaft der TU organisiert wurde, tat-
dete die Diskussion um die triple oppres- sächlich aber von einem Kollektiv, das die-
sion. Einerseits wurden in diesem Modell sen Treffpunkt als Lokal und Kommunika-
die netzwerkartigen Verknüpfungen der tionszentrum in Selbstverwaltung führte.
Macht reflektiert: die Macht ist überall und Ab November 1988 gab es auch einen bis
geht bis in unsere Körper. Andererseits 1994 existierenden Infoladen am
wurde die Unterdrückung in den drei Margaretengürtel. Der wichtigste Brenn-
Hauptelementen Klassismus, Rassismus punkt wurde aber für einige Jahre das be-
und Sexismus gesehen, gegen die gleich- setzte Haus in der Aegidigasse 13 (vgl. un-
wertig gekämpft werden müsse. ten).
Rolle spielten - von den antiimperialisti- mer die Hoden, (vgl. linke Nr. 4, 29. 2. \
schen Demonstrationen gegen den Militär- 1984). In den nächsten Wochen kam es zu
schlag der USA gegen Libyen 1986 bis zum zahlreichen Vorladungen bei der Polizei an-
Widerstand gegen Abfangjäger, aber auch hand von Filmmaterial, das von Beamt-
im Kampf gegen Sozialabbau im Zusam- Ihnen in Zivil gemacht wurde, und zu einer
menhang mit der Studierendenbewegung Reihe von Anzeigen. Ein Grund mehr für
1987. die Verwendung von Vermummung.
Immer wieder erschienen kurzlebige Anfang 1985 war das Bild der Polizei in
Zeitungen Diskussionsbulletin Autonomie der Öffentlichkeit etwas angeknackst. Im
1983, Autonom 1984, notkühlung Ende Dezember 1984 hatten sie in Hainburg ge-
1984, Anfang 1985, Permanente Eskalation prügelt, wo es sich doch nur um brave
1986, Autonomes Stadtinfo 1987, einen Staatsbürgerinnen handelte. Im Jänner
kurzfristigen Höhepunkt erreichte die 1985 fand dann der Prozeß wegen der
Zeitungsproduktion nach der Räumung der Räumung der GAGA statt. Ein Teil der
Aegidi im Herbst 1988: Besetzerinneninfo, Angeklagten wurde freigesprochen, nur
Anti. Im Herbst 1988 wurde auch das die, die Aussagen bei der Polizei gemacht
TATblatt mit der Nummer minus 101 ge- hatten, konnten verurteilt werden. In der
gründet, geplant als Zweitageszeitung. Das Szene wurde das als eine Bestätigung der
war allerdings doch ein bißchen zu hoch Kampagne für Aussageverweigerung gese-
gegriffen, das TATblatt wurde zu einem hen (linke Nr. 3, 13.2.1985). Die Reaktion
zweiwöchigem Informationsblatt der auto- der Polizei folgte im März 1985. Ein
nomen Szene, weniger sporadisch produ- Sprayer wurde erwischt und daraufhin
ziert als die früheren Zeitschriften und be- gleich wieder freigelassen. Im Anschluß an
steht bis heute. Die Szene war auch mit ei- eine neuerliche Festnahme wurde eine gan-