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Frank Keuper / Bernhard Hogenschurz (Hrsg.

Professionelles Sales & Service Management


Frank Keuper
Bernhard Hogenschurz (Hrsg.)
Professionelles Sales
& Service Management
Vorsprung durch
konsequente Kundenorientierung
2., aktualisierte
und erweiterte Auflage
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
<http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

Prof. Dr. Frank Keuper ist Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Konver-
genz- und Medienmanagement an der School of Management and Innovation der Steinbeis-Hochschule
Berlin und Herausgeber der betriebswirtschaftlichen Fachzeitschrift Business + Innovation – Steinbeis
Executive Magazin. Weiterhin ist er Direktor und Akademischer Leiter des Sales & Service Research
Center (Kooperationspartner Telekom Shop Vertriebsgesellschaft mbH) und der Business School
T-Vertrieb (Kooperationspartner Telekom Deutschland GmbH).

Bernhard Hogenschurz ist Geschäftsleiter HR bei der Telekom Deutschland GmbH, Bereich Geschäfts-
kunden.

1. Auflage 2008
2. Auflage 2010
Alle Rechte vorbehalten
© Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
Lektorat: Barbara Roscher | Jutta Hinrichsen
Gabler Verlag ist eine Marke von Springer Fachmedien.
Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media.
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berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne
der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jeder-
mann benutzt werden dürften.
Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg
Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier
Printed in Germany

ISBN 978-3-8349-1528-3
Vorwort
Die gegenwärtigen Wettbewerbsbedingungen sind aus Sicht des Sales & Service Manage-
ment vor allem durch eine Internationalisierung des Wettbewerbs gekennzeichnet. Die Globa-
lisierung führt dazu, dass die Wettbewerbsintensität immer weiter steigt. Gleichzeitig haben
sich in den letzten 30 Jahren die Kundenerwartungen massiv verändert. So fordern die Kun-
den auch im Massengeschäft qualitativ hochwertige Produkte, geringe Preise und kurze Lie-
ferfristen. Darüber hinaus ist TIME-Branchen1-übergreifend zunehmend ein Trend zur Indi-
vidualisierung der Produkte festzustellen. Der Konsument wird zum Prosumenten, wobei der
Co-Design-Vorgang umfangreiches Wissen über die immer komplexer werdenden Produkte
erfordert. Die Komplexität der Produkte ist vor allem durch die technologische Konvergenz
(www. konvergenz-management.com) gekennzeichnet, bei der unterschiedliche Basistechno-
logien in einem Produkt miteinander verschmelzen und so ein Systemprodukt mit einer Viel-
zahl an Funktionalitäten entsteht (z. B. Mobiltelefone oder Home-Entertainment-Konzepte).
Gleichzeitig ist branchenübergreifend eine zunehmende Angleichung der Produkte hinsicht-
lich ihres Designs und ihrer Funktionalitäten zu verzeichnen. So ist es oftmals aus funktiona-
ler oder auch aus Design-Sicht unerheblich, ob sich der Kunde für das Produkt A oder B und
damit auch für das Unternehmen A oder B entscheidet. Problematisch ist zudem, dass die
Kundenloyalität gegenüber den bisher präferierten Unternehmen und deren Produkten zu-
nehmend schwindet. Varity Seeking lässt immer häufiger die Kundenbindung erodieren oder
erst gar nicht entstehen. Um die Kunden dennoch an sich zu binden, forcieren die Unterneh-
men zunehmend den technologischen Wandel, weil über First-Mover-Strategien die Innovati-
onskraft eines Unternehmens stark gebrandet wird und damit gleichzeitig Marktbarrieren auf-
gebaut werden können. Positiv korreliert ist damit jedoch eine Verkürzung der Produktle-
benszyklen der immer komplexer werdenden Produkte. Hinzu kommt die allgemeine „Geiz
ist geil!“-Mentalität und der Wunsch nach „Luxus für die Masse“. Smart Shopper zu sein ist
in!

Die skizzierten Entwicklungen im Handel verdeutlichen, dass Unternehmen, die qualitativ


hochwertige Produkte und Leistungen anbieten, zunehmend ihrer Differenzierungswahrneh-
mung beraubt werden. Die einzige nachhaltige Möglichkeit dieses Problem zu lösen, besteht
darin, den kundenindividuellen Service als oberste Maxime im Unternehmen über alle Hie-
rarchie-Ebenen und in allen Funktionsbereichen eines Unternehmens zu verorten und noch
wichtiger, zu leben.

Dabei sind die festzustellenden Zielgruppenverschiebungen im Service-Portfolio eines Unter-


nehmens zu berücksichtigen. Die Vielzahl unbekannter Unbekannte, die den gegenwärtigen
und vor allem den zukünftigen Wettbewerb ausmachen, erfordern eine Kundenbindung über
den persönlichen Zugang und Kontakt zum Kunden. Da nur so wirkliche Barrieren vor den
unbekannten Unbekannten aufgebaut werden können. Wenn schon Produkte und Leistungen
nahezu identisch sind oder aus Sicht des Kunden zumindest identisch erscheinen, dann ist der
kundenindividuelle Service vor, während und nach dem Kauf der zentrale Erfolgsfaktor, um
im Wettbewerb dauerhaft bestehen zu können. Kundenindividueller Service ist nicht imitier-
bar! Hinzu kommt, dass nicht nur der persönliche Kontakt zum Kunden von herausragender
Bedeutung ist, um sich im Wettbewerb erkennbar zu differenzieren, sondern das gesamte
Kaufumfeld. Daher sind zunehmend zielgruppenspezifische Erlebniswelten und Flagship-

1
TIME steht für Telekommunikation, Informationstechnologie, Medien und Entertainment.
VI Vorwort

stores zu implementieren, die dem Kunden über alle Sinne stimulieren. Eine multiple Sinnes-
stimulation lässt zudem das Varity Seeking zunehmend erodieren.

Entsprechend der notwendigen integrierenden Betrachtung von Strategie, Sales und Service
teilt sich die vorliegende 2. Auflage des Sammelbands in vier inhaltliche Bereiche auf.

Teil 1: Marken-Management und Marketing-Management als Erfolgsfaktor

Teil 2: Sales Management als Erfolgsfaktor

Teil 3: Service Management als Erfolgsfaktor

Teil 4: Controlling und IT-Management als Erfolgsfaktoren

Teil 5: Personalmanagement als Erfolgsfaktor

Abbildung 1: Struktur der 2. Auflage des Sammelbands

Der erste Teil des Sammelbands widmet sich dem Marken-Management und Marketing-Ma-
nagement als Erfolgsfaktor einer modernen und nachhaltigen Unternehmensführung. Einlei-
tend widmet sich FRANK KEUPER dem strategischen Denkansatz des Marked-based View von
PORTER und untersucht, inwieweit dieser sich zur Ableitung von Wettbewerbsstrategien im
Allgemeinen und Servicestrategien im Besonderen eignet. MARTIN SONNENSCHEIN, HAGEN
GÖTZ HASTENTEUFEL und FLORIAN DICKGREBER zeigen anschließend die Erfolgsfaktoren für
eine Neuausrichtung des Vertriebs auf. Diese Erfolgsfaktoren sind eine aus der Unterneh-
mensstrategie abgeleitet Vertriebsstrategie, ein daran angepasstes Marktangangsmodell,
Transparenz über die Budgetverwendung und Zielerreichung sowie die Balance operativer
Kontrolle mit vertrieblicher Freiheit. Die Autoren stellen in diesem Zusammenhang den von
A.T. Kearney entwickelten STEP-Ansatz vor, der aufzeigt, wie über die Ausgestaltung der
eruierten Erfolgsfaktoren der Vertrieb professionalisiert und in einen echten Aktivposten
verwandelt werden kann. Die Deutsche Telekom setzt im Vertrieb hingegen auf ein spezielles
Point-of-Sales-Konzept für die junge Zielgruppe. Das dafür entwickelte Konzept und dessen
Umsetzung des 2008 in Berlin eröffneten Shops „4010 – Der Telekom Shop in Mitte“ stellen
IRA SCHOMAKER, MICHAEL ERNER und MARCUS BERLIN vor. Anschließend verdeutlichen
HENRIK RUTENBECK und THORSTEN BALD am Beispiel der Loewe AG, wie eine Markenprofi-
lierung für einen Premium-Produzenten durch werteorientierte Retail-Marketing- und Service-
Konzepte erfolgen kann. Schließlich diskutieren MARTIN STROBEL und STEPHAN WEINGARZ
verhaltenswissenschaftliche Phänomene im Marketing von Finanzdienstleistern.

Der zweite Teil des Sammelbands widmet sich dem Sales Management als Erfolgsfaktor einer
modernen und nachhaltigen Unternehmensführung. Zunächst beschäftigen sich MARKUS
DEUTSCH und RENÉ HANS mit den Vertriebsherausforderungen im regulierten Markt der Ge-
setzlichen Krankenversicherungen. Sie geben einen Überblick über strategische Handlungs-
möglichkeiten und stellen das Vertriebskanalmanagement als zukünftige Kernkompetenz der
Gesetzlichen Krankenversicherung vor. Über den Channel Mix in der Telekommunikation in-
formieren anschließend CHRISTOPH HÜNING und STEPHAN KÖHLER. Die Untersuchung der
Bedeutung des Point of Sale ist dabei zentral. JAN WIESEKE und TILL HAUMANN widmen sich
Vorwort VII

anschließend den Prädikatoren der Preisbereitschaft von Kunden. Sie geben einen Überblick
über den Status-quo der aktuellen Sales- und Service-Forschung.

Der dritte Teil des Sammelbands widmet sich dem Service Management als Erfolgsfaktor ei-
ner modernen und nachhaltigen Unternehmensführung. BERNHARD HOGENSCHURZ, FRANK
KEUPER und ARNE KOCH verdeutlichen in ihrem Beitrag die besondere Bedeutung des Ser-
vice-Gedankens in der TIME-Branche. Anschließend stellt FRANK BAUMGÄRTNER neue Chan-
cen im Service Management durch Sprachbiometrie vor. In seinem Beitrag untersucht er auch
Sprachbiometrie als Effizienz-, Sicherheits- und Servicetreiber. Im Gegensatz dazu erläutert
CARSTEN VON GLAHN das Service Management als Erfolgsfaktor des IT-Offshoring. Insbeson-
dere das Service Management als Hebel zur Reduktion von Unsicherheiten steht dabei im Fo-
kus der Betrachtung. Service Excellence ist das Thema von BERNWARD MÖNCH und MARKUS
GOLLER. Aus der Perspektive der Praxiserfahrung stellen die Autoren die vielfältigen Ansatz-
punkte eines solchen Gesamtkonzepts dar.

Der vierte Teil des Sammelbands widmet sich dem Controlling und dem IT-Management als
Erfolgsfaktoren einer modernen und nachhaltigen Unternehmensführung. Das Thema von
ALEXANDRA ZIGIC und JENS UWE KRÄMER ist die variable Vergütung und das Performance
Management im Vertrieb. Neben der Darstellung von Anforderungen und Gestaltungsformen
der Vertriebsvergütung stellen die Autoren ausführlich ein Praxisbeispiel vor. Mit Value-
based Selling als kundenwertorientierten Verkaufsansatz beschäftigen sich BERND EGGERS
und SEBASTIAN HOLLMANN. Auch sie bereichern ihren Beitrag mit einem konkreten Beispiel
aus der Praxis. Im Gegensatz dazu diskutiert MARTIN GRÜNBLATT das Erfolgspotenzial von
Kooperationen zwischen der Markenartikelindustrie und dem Lebensmitteleinzelhandel im
Hinblick auf eine Service-orientierte Wertschöpfungskette. Anschließend diskutiert WILLMS
BUHSE Enterprise 2.0 und seine positiven Auswirkungen auf das Management einer Organisa-
tion. Diese sieht er insbesondere in der entstehenden Innovationsdynamik und Kreativität, die
die Leistungsfähigkeit eines Unternehmens steigern.

Der letzte Teil des Sammelbands widmet sich dem Personalmanagement als Erfolgsfaktor ei-
ner modernen und nachhaltigen Unternehmensführung. Sowohl MARKUS LECKE als auch
FRANK KEUPER, GITTA HANNIG und KLAUS RIELÄNDER beschäftigen sich in ihren Beiträgen mit
dem Thema Bologna@Telekom. MATTHIAS SAKOWSKI stellt die Business School Telekom Ver-
trieb vor. In allen drei Beiträgen werden die Erfahrungen der Deutschen Telekom mit ihrem
Angebot akademischer berufsbegleitender Weiterbildung für ihre Mitarbeiter vorgestellt. An-
schließend widmen sich GITTA HANNING und FRANZ KRUMM der Entwicklung der Mitarbeiter-
zufriedenheit als Einflussfaktor auf die Kundenzufriedenheit. SABINE SCHWARZ beschäftigt
sich schließlich mit der Reorganisation des Vertriebs. Dabei wird generisch der Einsatz des
Change Management zur Konzeptualisierung und Begleitung einer Vertriebsstrategie darge-
stellt und kritisch reflektiert.

Auch in der 2. Auflage gilt ein besonderer Dank allen Autorinnen und Autoren. Trotz des en-
gen Zeitplans und des in der Literatur nur stiefmütterlich behandelten Themas haben sie mit
außerordentlichem Engagement und in hoher Qualität ihre Beiträge für diesen Sammelband
erstellt.
VIII Vorwort

Die Einhaltung der Projektdurchlaufzeit vom Projektstart im November 2008 bis zur Abgabe
des reproreifen Skripts an den Gabler-Verlag in 2010 war zudem nur möglich, weil wie im-
mer viele „virtuelle Hände“ im Hintergrund agierten.

Vor diesem Hintergrund gilt der außerordentliche Dank der Herausgeber insbesondere Frau
INES WÖLBLING, die als Mitarbeiterin am Sales & Service Research Center Hamburg (Förde-
rer ist die Telekom Shop Vertriebsgesellschaft mbH) der Steinbeis-Hochschule Berlin die
Planung, Koordination und Organisation der mit der Erstellung und Publikation des Sammel-
bands anfallenden Aufgaben übernahm. Daneben stand sie den Autorinnen und Autoren bei
allen Fragen mit Rat und Tat zur Seite.

Besonderen Dank schulden die Herausgeber darüber hinaus auch Frau BARBARA ROSCHER und
Frau JUTTA HINRICHSEN vom Gabler-Verlag für die angenehme Kooperation bei der Publika-
tion dieses Sammelbands.

Hamburg/Bonn, im März 2010

PROF. DR. FRANK KEUPER und BERNHARD HOGENSCHURZ


Inhaltsverzeichnis

Erster Teil

Marken-Management und Marketing-Management


als Erfolgsfaktor 1

Die Implosion des Market-based View 3


FRANK KEUPER
(Steinbeis-Hochschule Berlin)

STEP  Mit Strategie und Transparenz zu mehr Vertriebserfolg 47


MARTIN SONNENSCHEIN, HAGEN GÖTZ HASTENTEUFEL
und FLORIAN DICKGREBER
(A.T. Kearney)

4010  Ein Point-of-Sales-Konzept für die junge Zielgruppe


am Beispiel der Deutschen Telekom AG 71
IRA SCHOMAKER, MICHAEL ERNER und MARCUS BERLIN
(Telekom Shop Vertriebsgesellschaft, Deutsche Telekom Laboratories
und Technische Universität Berlin)

Markenprofilierung durch werteorientierte Retail-Marketing-


und Service-Konzepte am Beispiel der Loewe AG 89
THORSTEN BALD und HENRIK RUTENBECK
(Loewe AG)

Vertrieb und Marketing von Finanzdienstleistungen


aus verhaltenswissenschaftlicher Perspektive 115
MARTIN STROBEL und STEPHAN WEINGARZ
(Akademie Deutscher Genossenschaften)
X Inhaltsverzeichnis

Zweiter Teil

Sales Management als Erfolgsfaktor 133


Vertriebsherausforderungen im regulierten Markt
der Gesetzlichen Krankenversicherungen 135
MARKUS DEUTSCH UND RENÉ HANS
(TellSell Consulting)

Channel Mix in der Telekommunikation  Renaissance des POS? 151


CHRISTOPH HÜNING und STEPHAN KÖHLER
(Lischke Consulting)

Prädikatoren der Preisbereitschaft von Kunden 


Status-quo der aktuellen Sales- und Service-Forschung 169
JAN WIESEKE und TILL HAUMANN
(Ruhr-Universität Bochum)

Dritter Teil

Service Management als Erfolgsfaktor 207


Service als Erfolgsfaktor in der TIME-Branche 209
BERNHARD HOGENSCHURZ, FRANK KEUPER und ARNE KOCH
(Deutsche Telekom, Steinbeis-Hochschule Berlin
und Technische Universität Braunschweig)

Neue Chancen im Service Management durch Sprachbiometrie 233


FRANK BAUMGÄRTNER
(TellSell Consulting)
Inhaltsverzeichnis XI

Service Management als Erfolgsfaktor von Offshoring


und Internationalisierung der IT 259
CARSTEN VON GLAHN
(Siemens)

Service Excellence  Vom Know-how zum Do-how 283


BERNWARD MÖNCH und MARKUS GOLLER
(TMI Training und Consulting)

Vierter Teil

Controlling und IT-Management als Erfolgsfaktoren 309

Variable Vergütung und Performance Management im Vertrieb 311


ALEXANDRA ZIGIC und JENS UWE KRÄMER
(T-Mobile Austria und Deutsche Telekom)

Value-based Selling als kundenwertorientierter Verkaufsansatz 343


BERND EGGERS und SEBASTIAN HOLLMANN
(EGGERS & PARTNER Management Consultants)

Kooperationen zwischen Markenartikelindustrie und


Lebensmitteleinzelhandel zur Optimierung der Wertschöpfungskette 
Konzepte, Status-quo und Perspektiven 363
MARTIN GRÜNBLATT
(Electronic Arts)

Enterprise 2.0 im Management  Frischzellenkur für Sales & Services 405


WILLMS BUHSE
(doubleyYUU)
XII Inhaltsverzeichnis

Fünfter Teil

Personalmanagement als Erfolgsfaktor 419

Bologna@Telekom  Ein Beispiel für die Multioptionalität


des Studierens 421
MARKUS LECKE
(Deutsche Telekom)

Bologna@Telekom  Berufsbegleitende Sales-&-Service-


Studiengänge der Telekom Shop Vertriebsgesellschaft 435
FRANK KEUPER, GITTA HANNIG und KLAUS RIELÄNDER
(Steinbeis-Hochschule Berlin und
Telekom Shop Vertriebsgesellschaft)

Business School Telekom Vertrieb  Erfolgsfaktor Know-how:


Moderne Verkäuferqualifizierung nach akademischem Vorbild
 auch ohne Abitur 445
MATTHIAS SAKOWSKI
(Deutsche Telekom)

Entwicklung der Mitarbeiterzufriedenheit als Einflussfaktor


auf die Kundenzufriedenheit 467
GITTA HANNIG und FRANZ KRUMM
(Telekom Shop Vertriebsgesellschaft)

Reorganisation des Vertriebs – Change-Management-Perspektiven 501


SABINE SCHWARZ
(BearingPoint. Management & Technology Consultants)

Autorenverzeichnis 537

Stichwortverzeichnis 545
Erster Teil

Marken-Management und Marketing-Management


als Erfolgsfaktor
Die Implosion des Market-based View

FRANK KEUPER

Steinbeis-Hochschule Berlin

1 Wettbewerbsstrategische Herausforderungen des Market-based View ............................. 5


1.1 Marktkomplexität..................................................................................................... 5
1.1.1 Nachfrager- und Nachfragerstrukturkomplexität......................................... 7
1.1.2 Massenmarktkomplexität........................................................................... 10
1.2 Konvergenzkomplexität ......................................................................................... 11
1.3 Zwischenfazit......................................................................................................... 14
2 Strategiekontext des Market-based View ........................................................................ 15
3 Grundlagen des Market-based View................................................................................ 19
4 Kritische Betrachtung des Market-based View................................................................ 26
4.1 Methoden- und Strategieschlüssigkeit ................................................................... 26
4.2 Konvexitäts-Konzentrations-Konsistenz-Stabilität ................................................ 31
4.3 Gültigkeit der Generik ........................................................................................... 36
4.4 Nachfrager-, Nachfragerstruktur- und Massenmarktkomplexitätskongruenz ....... 37
4.5 Konvergenzkomplexitätskongruenz....................................................................... 39
5 Wettbewerbsstrategischer und methodischer Zusammenbruch des Market-based View 41
Quellenverzeichnis.................................................................................................................. 42
Die Implosion des Market-based View 5

1 Wettbewerbsstrategische Herausforderungen
des Market-based View

Der Market-based View von PORTER1 ist der in praxi am weitesten verbreitete und in der
Theorie am intensivsten publizierte und herangezogene strategische Denkansatz zur Ablei-
tung von Wettbewerbsstrategien. Aber warum ist dies so? Liegt es an der Klarheit und Ein-
fachheit seines Weltbilds? Ist es die Stabilität seines theoretischen Fundaments? Oder liegt es
daran, dass der Market-based View schlicht zu den ersten strategischen Denkanschauungen
gehört und daher aufgrund seines First-Mover-Charakters weite Verbreitung gefunden hat?
Vor dem Hintergrund und dieser offenen Fragen erscheint eine intensive Methodendiskussion
unumgänglich. Dies ist insofern vor allem für Service-Organisationen und Dienstleistungs-
handelsunternehmen von Bedeutung, als die jeweilige Produkt- und Servicestrategie sich als
Funktionalstrategie aus der gewählten Wettbewerbsstrategie dekomponiert. Leitet z. B. ein
Unternehmen der TIME-Branche (Telekommunikation, Informationstechnologie, Medien,
Entertainment) mithilfe des Market-based View seine Wettbewerbsstrategie ab und dekom-
poniert das Unternehmen aus der gewählten Wettbewerbsstrategie seine Servicestrategie, so
könnte, wenn der Market-based View methodeninhärente Defizite aufweist, sich die gewählte
Servicestrategie als falsch erweisen.

Ziel des Beitrags ist es somit, den Market-based View einer kritischen Methodenanalyse zu
unterziehen. Da Wettbewerbsstrategien die Speerspitze eines Unternehmens zur Handhabung
der relevanten Markt- bzw. Geschäftsfeldkomplexität sind, ist der Ausgangspunkt einer not-
wendigen Methodenanalyse die Marktkomplexität.

1.1 Marktkomplexität2
Die Markt- und die Gesellschaftskomplexität bilden die Umweltkomplexität, die alles um-
fasst, was außerhalb eines Unternehmens für das wirtschaftliche Handeln von Bedeutung ist,3
wobei die Gesellschaftskomplexität vor allem durch die Ausgestaltung und Stabilität der
politischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Systeme sowie durch ökologische und kulturelle
Faktoren definiert wird.4 Gesellschaftskomplexität und Marktkomplexität unterscheiden sich
vor allem darin, dass für ein Unternehmen die Gesellschaftskomplexität im Wesentlichen ein
Datum darstellt, wohingegen zwischen einem Unternehmen und der Marktkomplexität ein
interdependentes Verhältnis besteht.5 Die Marktkomplexität setzt sich aus der Nachfrager-
struktur-, der Nachfrager- sowie der Wettbewerbsstruktur- und der Beschaffungsmarktstruk-
turkomplexität zusammen.6 Während die Nachfragerstrukturkomplexität durch die Unter-
schiedlichkeit der Teilmärkte sowie die Größe und Stabilität der Zielgruppen charakterisiert
ist, wird die Nachfragerkomplexität durch die Anzahl, Vielfältigkeit und Stabilität der Präfe-
renzen der Kunden definiert. Im Gegensatz dazu determinieren die Anzahl und Vielfältigkeit

1
Vgl. PORTER (2000) und PORTER (2008).
2
Die nachfolgenden Ausführungen im Gliederungspunkt 1.1 lehnen sich eng an KEUPER (2004), S. 39 ff., an.
3
Vgl. BEA/HAAS (2005), S. 74 ff.
4
Vgl. PICOT/FREUDENBERG (1998), S. 70 f.
5
Vgl. GERYBADZE (2003), S. 85 ff.
6
Vgl. ADAM (1998), S. 33 ff., PICOT/FREUDENBERG (1998), S. 70 f., und BLISS (2000), S. 5 f.

F. Keuper, B. Hogenschurz (Hrsg.), Professionelles Sales & Service Management,


DOI 10.1007/978-3-8349-8799-0_1,
© Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
6 KEUPER

der Wettbewerber sowie die Stabilität der Wettbewerbsstruktur die Wettbewerbsstrukturkom-


plexität. Eine weitere Komponente der Marktkomplexität ist die Beschaffungsmarktstruktur-
komplexität, die von der Verfügbarkeit der Ressourcen sowie den Beziehungen zu den Liefe-
ranten beeinflusst wird.7

Konvergenzkomplexität

Marktkomplexität Ma rktkomplexität

Nachfrager- Nachfragerstruktur- Nachfrager- Nachfragerstruktur-


komplexität komplexität komplexität komplexität

Beschaffungsmarkt- Wettbewerbsstruktur- Beschaffungsmarkt- Wettbewerbsstruktur-


strukturkomplexität komplexität strukturkomplexität komplexität

Gesellschaftskomplexität

Komplexität des Komplexität des


politischen Systems Wirtschaftssystems
Umweltkomplexität
Komplexität des Komplexität ökologischer
Rechtssystems und kultureller Faktoren

Abbildung 1: Umweltkomplexität8

Zwischen der Markt- und der Gesellschaftskomplexität bestehen vielfältige Beziehungen. So


haben das Wirtschafts- und das Rechtssystem als Determinanten der Gesellschaftskomplexität
z. B. durch Deregulierungsmaßnahmen Einfluss auf die Wettbewerbsstrukturkomplexität.
Umgekehrt führen spezifische Wettbewerbsstrukturen, z. B. Monopolisierungstendenzen,
u. U. zu einer Liberalisierung des Wirtschafts- und Rechtssystems. Auch zwischen den Para-
metern der Marktkomplexität bestehen vielerlei Beziehungen, sodass eine überschneidungs-
freie Differenzierung nicht möglich ist. Beispielsweise hat ein Monopolist im Rahmen der
Wettbewerbsstrukturkomplexität Einfluss auf die Beschaffungsstrukturkomplexität, indem er
z. B. seinen Lieferanten die Lieferung an Wettbewerber untersagt.

Neben den allgemeinen Strukturparametern der Marktkomplexität sind für die Konzeption
einer Wettbewerbsstrategie vor allem die gegenwärtigen wettbewerbsstrategischen Entwick-
lungen von Bedeutung. Hier ist insbesondere die Veränderung der Nachfrage und Nachfrage-
struktur, die branchenübergreifend seit Mitte der 60er Jahre festzustellen ist und unter dem
Begriff Marktwandel subsumiert wird,9 zu nennen.

7
Vgl. PICOT/FREUDENBERG (1998), S. 70 f.
8
Vgl. KEUPER (2004), S. 40.
9
Vgl. DOYLE (1987), S. 125.
Die Implosion des Market-based View 7

1.1.1 Nachfrager- und Nachfragerstrukturkomplexität


Mitte der 60er Jahre setzte der strukturelle Wandel vom Verkäufer- zum Käufermarkt ein,
dessen Initialzündung die gesättigten Grundbedürfnisse bei Sachgütern waren. Während in
ungesättigten Märkten, die eine geringe Kundenorientierung der Leistungsprogramme auf-
weisen, eine hohe Kapazitätsauslastung bei Massenfertigung entscheidend für den Markter-
folg ist, verlangen gesättigte Märkte  bereits 1997 konnten branchenübergreifend ca. 80 %
der Märkte als gesättigt eingestuft werden  danach,10 die richtige Leistungsqualität zum
richtigen Zeitpunkt kostengünstig bereitzustellen.11

Qualität

Kunde

Kosten Zeit

Abbildung 2: Integratives strategisches Erfolgsfaktorendreieck  Kosten, Qualität und


Zeit12

Viele Industriegütermärkte sind von jeher durch heterogene Nachfragebedürfnisse gekenn-


zeichnet. Dies gilt insbesondere für das Anlagen- und System-, aber auch zunehmend für das
Produktgeschäft mit Komponenten.13 Dabei zielt eine Individualisierung der Gebrauchsgüter
im Industriegüterbereich vor allem auf den Auf- und Ausbau singulärer Prozesse ab. Dem-
entsprechend sollen die bezogenen Produktionsfaktoren dazu dienen, firmenspezifische Be-
sonderheiten der Wertaktivitäten zu unterstützen, um als strategisches Erfolgspotenzial14, also
als Bündel aller produkt-marktspezifischen, erfolgsrelevanten Voraussetzungen, das spätes-
tens dann bestehen muss, wenn es um die Erfolgsrealisierung geht, Basis für einen strategi-
schen Wettbewerbsvorteil zu sein. Unter einem strategischen Wettbewerbsvorteil wird dabei
allgemein eine im Vergleich zu den Wettbewerbern überlegene Leistung verstanden, die sich
aus Kundensicht auf ein kaufentscheidendes Merkmal bezieht, die vom Kunden tatsächlich

10
Vgl. STEINBACH (1997), S. 15.
11
Vgl. ROLLBERG (1996), S. 10 ff.
12
KEUPER (2004), S. 41.
13
Vgl. HILDEBRAND (1997), S. 144 ff.
14
Vgl. GÄLWEILER (1990), S. 24.
8 KEUPER

als vorteilhafte Leistung wahrgenommen wird und die für den Initiator dauerhaft ist und so-
mit nicht unmittelbar von Imitatoren substituiert werden kann.15

Neben der steigenden Individualisierung der Gebrauchsgüter zeichnet sich auch bei den Ver-
brauchsgütern im Industriegüterbereich eine zunehmend heterogene Nachfrage ab, weil die
Produktflexibilität als ein sehr wichtiger Wettbewerbsfaktor angesehen wird.16 Letztlich sind
die Gründe für eine Individualisierung der Industriegüternachfrage aber vielschichtig. So ist
z. B. eine Ursache darin zu sehen, dass moderne Organisationsformen anstelle einer Kleintei-
lebeschaffung eine System- oder Modulbeschaffung präferieren  mit der Konsequenz,17 dass
die komplexeren Vorleistungen stärker an die spezifischen Bedürfnisse des Abnehmers ange-
passt werden müssen. Bei der synchronen Beschaffungs- und Produktionsstrategie ist sogar
zunehmend eine Tendenz zur ausschließlichen Beschaffung über einen Zulieferer zu ver-
zeichnen, woraus der Schluss gezogen werden kann, dass eine solche bewusst eingegangene
Abhängigkeit im Wesentlichen nur dann erfolgt, wenn der jeweilige Abnehmer mit ganz
spezifischen Komponenten und Problemlösungen beliefert wird.18

Waren in der Vergangenheit die Abnehmer bereit, Wartezeiten für spezielle Problemlösungen
hinzunehmen, so werden heute Zulieferer gesucht, die Entwicklung, Produktion und Inbe-
triebnahme der Industriegüter in Rekordzeit und kostengünstig ermöglichen.19 Ferner kann
davon ausgegangen werden, dass in dem Maße, in dem die Endkunden auf den Konsumgü-
termärkten individuelle Produkte verlangen, die Hersteller auf ihre Lieferanten ebenfalls mit
Druck in Form einer heterogenen Nachfrage reagieren werden, um so die fragmentierte Kon-
sumgüternachfrage zu befriedigen. Darüber hinaus unterliegen auch die Kaufentscheider der
Unternehmen als Individuen den kognitiven Veränderungen innerhalb der Konsumgüternach-
frage. Entsprechend dem kulturgebundenen Ansatz20, bei dem die Mitarbeiter eines Unterneh-
mens gleichzeitig als Teilnehmer des gesellschaftlichen Umsystems betrachtet werden, er-
scheint es naheliegend, dass der Individualisierungswunsch im privaten Konsum trotz objek-
tiver Herangehensweise bei Kaufentscheidungen im Industriegüterbereich zunehmend inter-
nalisiert wird.

Letztlich zeigt sich, dass die Industriegüternachfrage sowohl heterogen als auch hybrid ist. In
den Blickpunkt der wettbewerbspolitischen Überlegungen tritt damit zunehmend der hybride
Käufer21, der neben einem niedrigen Preis simultan auch eine hohe Qualität sowie eine rasche
und flexible Bedürfnisbefriedigung fordert.

15
Vgl. SIMON (1987), S. 386.
16
Vgl. PILLER (2006), S. 80.
17
Eine Effektivitäts- und Effizienzanalyse verschiedener Beschaffungsstrategien findet sich bei KUHL (1999),
S. 175 ff.
18
Vgl. HILDEBRAND (1997), S. 15.
19
Vgl. PILLER (2006), S. 81. In der Literatur herrscht Uneinigkeit darüber, ob sich im Industriegüterbereich der
Preis oder die Qualität als Entscheidungskriterium in den Vordergrund stellen wird; vgl. hierzu SCHAD (2000),
S. 82.
20
Zum kulturgebundenen Ansatz vgl. OBERG (1963), S. 141 ff.
21
Vgl. GIERL (1989), S. 422.
Die Implosion des Market-based View 9

Auch endkonsumentenseitig wächst die Heterogenität der Kundenanforderungen auf vielen


Märkten zu einer Fragmentierung der Zielgruppen heran mit der Konsequenz,22 dass an die
Stelle von standardisierten Produkten vermehrt kundenindividuelle Produkte und Dienstleis-
tungen treten. Die Gründe für ein hybrides Käuferverhalten in der Konsumgüterindustrie sind
analog zum Kaufverhalten im Industriegüterbereich vielschichtig. So fällt es vielen Kunden
immer schwerer, die angebotenen Leistungen objektiv zu unterscheiden. Die Angleichung der
Produkte äußert sich insbesondere darin, dass die Leistungsmerkmale und das Design stan-
dardisierter Massenware häufig nahezu identisch sind.23

Um der gestiegenen Wettbewerbsintensität auf den Verkäufermärkten entgegentreten zu kön-


nen und sich produktspezifisch von den Wettbewerbern zu differenzieren, zeigen sich demzu-
folge international agierende Unternehmen verstärkt technologie- und innovationsorientiert.
An die Stelle eines Wachstumswettbewerbs tritt dabei zunehmend der viel intensivere Ver-
drängungswettbewerb.24 Dabei liegt das Dilemma darin, dass sich auf der einen Seite durch
die Wettbewerbsdynamik die Marktzyklen verkürzen, dass sich aber auf der anderen Seite
aufgrund der Komplexität der Technologie und der Kundenanforderungen die Entwicklungs-
zeiten und  damit verbunden  auch die Entwicklungskosten erhöhen. Dies bedeutet, dass
bei tendenziell sinkenden Marktanwesenheitszeiten die Möglichkeiten zur Amortisierung der
Entwicklungskosten bzw. zur Realisierung adäquater Gewinne erschwert werden. Nur derje-
nige Anbieter, der sein Produkt zum richtigen Zeitpunkt auf den Markt bringt, kann ein aus-
reichendes Marktvolumen akquirieren. Zudem reicht der Innovationsgrad allein als Differen-
zierungsmöglichkeit gegenüber der Konkurrenz i. d. R. nicht mehr aus, weil aufgrund quanti-
tativer wie auch qualitativer Sättigungstendenzen die Konsumenten häufig dazu neigen, ganze
Produktgenerationen zu überspringen (Leapfrogging-Behavior-Effekt).

Hinzu kommen die steigende Zahl der Einpersonenhaushalte und die Veränderung der Zu-
sammensetzung der Bevölkerung durch internationale Zuwanderungen, die ebenfalls zu einer
heterogeneren Nachfrage führen. Ferner ist festzustellen, dass mit zunehmendem Wohlstand,
der sich u. a. in einem höheren Einkommen, mehr Freizeit sowie einem höheren Bildungsni-
veau manifestiert, der Wunsch nach individuellen Produkten wächst.25 Dieser Trend lässt sich
zum einen mit der Bedürfnispyramide von MASLOW26 und zum anderen durch die soziologisch
begründete Argumentation der Individualisierung untermauern.27 Letztere kommt zu der
Erkenntnis, dass die eintönigen standardisierten Massenprodukte dem menschlichen Bedürf-
nis nach Abwechslung und Neuheit nicht entsprechen. Gerade kaufkräftige Konsumenten
versuchen zunehmend, sich durch eine individuelle Produktwahl zu profilieren bzw. ihre Per-
sönlichkeit hervorzuheben. Der Wunsch nach Abwechslung und Neuheit lässt zudem die
Markentreue zunehmend erodieren, selbst wenn die Konsumenten mit dem Produkt zufrieden
sind (Variety Seeking28), was letztlich zu einer Divergenz der Ansprüche verschiedener Nach-
frager führt (Interindividualisierung).

22
Vgl. WAMSER (2000), S. 22.
23
Vgl. STEINBACH (1997), S. 18.
24
Vgl. PILLER (2006), S. 87.
25
Vgl. PILLER (2006), S. 82.
26
Vgl. MASLOW (1943).
27
Vgl. BECK (1986), S. 206 f.
28
Vgl. hierzu insbesondere BÄNSCH (1995), S. 343.
10 KEUPER

Der gesellschaftliche Wertewandel, der Ausdruck in der Forderung nach mehr Lebensqualität
erhält, die u. a. durch Freizeit- und Arbeitsqualität sowie durch ein ökologisches Bewusstsein
charakterisiert ist, offenbart sich zunehmend in einer verstärkten Hinwendung zur Erlebnis-
und Designorientierung.29 So weisen ca. 20 bis 30 % der Käuferschaft ein hedonistisches
Kaufverhalten auf, das auf individueller Ebene durch kurzfristige und spontane Kaufentschei-
dungen geprägt ist und bei einer aggregierten Betrachtung zu einer heterogenen Nachfrage
führt.30 Durch den wachsenden Freizeitbereich steigt zudem der Wunsch nach einer konsum-
tiven Erlebniswelt, wobei gleichzeitig ein neues Qualitäts- und Funktionsbewusstsein zutage
tritt. Insgesamt ist somit ein deutlicher Wandel in der Gesellschaft weg von der Entweder-
oder- hin zu einer Sowohl-als-auch-Mentalität festzustellen, an dessen Ende eine multioptio-
nale Gesellschaft mit einer in allen Lebenslagen unüberschaubaren Vielzahl von Handlungs-
wünschen steht.31 Charakteristisch für eine solche Gesellschaftsform ist das vagabundierende
Kaufverhalten, das sich darin äußert, dass der Konsument seine Kaufentscheidungen nach
verschiedensten Mustern trifft, die einmal preis- oder qualitätsorientiert, ein anderes Mal
image- oder prestigeorientiert ausgestaltet sein können.32 Damit zielen gegenwärtige Produkte
zunehmend auf Nachfrager, die sich einerseits stark von anderen Konsumenten abheben
(interindividuelle Heterogenität), andererseits aber auch in ihrem eigenen Konsumentenver-
halten inkonsistent sind und stark divergieren (intraindividuelle Heterogenität).33

1.1.2 Massenmarktkomplexität
Die vorangehend skizzierte Darstellung und Analyse der Nachfragerstrukturveränderungen
lässt die Aussage von KOTLER 

„Der Massenmarkt ist tot“34

 in einem anderen Licht erscheinen, sodass sich vielmehr der Sinnspruch formulieren lässt:

„Der Massenmarkt ist nicht tot! Er ist lediglich individualisiert!“

Generell kann sowohl im Rahmen der Industriegüternachfrage als auch auf der Seite der Kon-
sumgüternachfrage aufgrund gesellschaftlicher, kultureller, informations- und kommunika-
tionstechnologischer Entwicklungen eine zunehmende inter- und intraindividuelle Heterogeni-
tät des Abnehmerverhaltens festgestellt werden. Gleichzeitig weist das Kaufverhalten eine
ausgeprägt hybride Struktur auf. Für die Führung und Steuerung von Industrieunternehmen
sind somit die zielsetzungsgerecht zu beeinflussenden strategischen Erfolgsfaktoren Kosten,
Qualität und Zeit gleichzeitig und (nahezu) gleichwertig von Bedeutung. Insofern wird insbe-
sondere in der Zukunft das Ziel der strategischen Unternehmensführung und -steuerung darin
bestehen müssen, durch kontinuierliche Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und der
Wirtschaftlichkeit die langfristige Überlebensfähigkeit und damit den Markterfolg der Unter-

29
Vgl. REICHWALD/PILLER (2000), S. 600.
30
Vgl. PILLER (2006), S. 83.
31
Vgl. KEUPER (2001c), S. 6.
32
Vgl. HILDEBRAND (1997), S. 13. Im Gegensatz zum zeitraumbezogenen Variety Seeking ist vagabundierendes
Kaufverhalten bzw. hybrides Käuferverhalten zeitpunktbezogen; vgl. BÄNSCH (1995), S. 343.
33
Vgl. HAUSER/KRUG (1996), S. 68.
34
Vgl. KOTLER (1989), S. 47.
Die Implosion des Market-based View 11

nehmen zu sichern.35 Dabei kann die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens an der Effek-
tivität und die Wirtschaftlichkeit an der Effizienz sämtlicher Prozesse gemessen werden, was
letztlich bei gleichwertiger Verfolgung von Effektivitäts- und Effizienzgesichtspunkten zu
einer Simultaneitätsstrategie führen muss. Insofern ist es für das „richtige Tun der richtigen
Dinge“ unabdingbar, zielgerichtet und simultan auf die mit der Effektivität und der Effizienz
korrespondierenden strategischen Erfolgsfaktoren Kosten, Qualität und Zeit einzuwirken.

60er/70er Jahre 80er Jahre 90er Jahre 2000er Jahre

Kosten Kosten Kosten Kosten

Qualität Zeit Qualität Zeit Qualität Zeit Qualität Zeit


Vielfalt Vielfalt Vielfalt Vielfalt

Abbildung 3: Entwicklung der Bedeutung der strategischen Erfolgsfaktoren Kosten,


Qualität und Zeit36

1.2 Konvergenzkomplexität
Neben den allgemeinen Veränderungen der Nachfrager- und Nachfragerstruktur- sowie der
Marktkomplexität ist vor allem die seit einigen Jahren zu verzeichnende Konvergenz, die
durch die fortschreitende Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologie
(IuK-Technologie) sowie der Fertigungstechnologie seit Beginn der 90er Jahre offenkundig
wird und Märkte konvergieren und divergieren lässt, von entscheidender Bedeutung für die
Ableitung von Wettbewerbsstrategien.

Allgemein kann im Zusammenhang mit der Diskussion über die Ausgestaltung von Wettbe-
werbsstrategien unter Konvergenz ein „ Prozeß der Interaktion zwischen der Unternehmens-
umwelt bzw. der Wettbewerbsstruktur und der Unternehmensstrategie verstanden werden, der
zur strukturellen Verbindung bislang getrennter Märkte führt“37. Basis für die Verschmelzung
von bestehenden Märkten zu einem neuen Markt ist zum einen die Kombination neuer Tech-
nologien und zum anderen die angebotsinduzierte Bündelung von Teilleistungen und Funkti-
onen sowie das gleichzeitige Vorliegen nachfrageinduzierter Anreize nach dem potenziell
verbundenen Bedarf.38 Insofern sind konvergierende Märkte durch eine Kombination von
Leistungen verschiedener Branchen in Form von Integration und Kooperation oder durch
35
Vgl. MÜLLER (2009).
36
Vgl. KALUZA (1995), S. 1064, erweitert um die 2000er Sichtweise.
37
THIELMANN (2000), S. 9. Eine ähnliche Definition findet sich bei KRIEB (2001), S. 29 f.
38
Vgl. THIELMANN (2000), S. 9.
12 KEUPER

Marktbeziehungen sich komplementierender Unternehmen gekennzeichnet.39 Die Integration


verschiedener Branchen respektive der damit verbundenen Leistungsoptionen geschieht im
Hinblick auf eine mögliche Austauschbarkeit der Leistungen zur Erfüllung von Funktionen in
einem gemeinsamen Markt sowie im Hinblick auf eine mögliche Komplementarität der Leis-
tungen zur Erfüllung neuer Funktionen in einem hybriden bzw. einem neuen hybriden
Markt.40 Basis dieser Entwicklung sind volkswirtschaftliche, gesellschaftliche und technolo-
gische Konvergenztreiber, wie z. B. Deregulierungsmaßnahmen, die zunehmende Tendenz
zur Selbstverwirklichung oder die voranschreitende Digitalisierung bzw. die Entwicklung
immer leistungsfähigerer Technologien.41 Damit Märkte letztlich konvergieren, muss gleich-
zeitig eine technologische, nachfrage- und angebotsseitige Konvergenz vorliegen.42

Technologische Konvergenz beschreibt allgemein die „fortschreitende Diffusion einer Basis-


technologie bzw. bestimmter Prozesse in vielfältige Branchen hinein sowie ihre dortige Ver-
ankerung, wodurch verschiedene Funktionen in eine Leistung integriert bzw. neue Funktiona-
litäten initiiert werden“43. Beispiele für die Konvergenz der Technologien sind die Ver-
schmelzung von Internet und Fernsehen44, die Fixed Mobile Convergence45 (FMC) oder die
Vision des Pervasive Computing46.

Die Integration der Nachfrage verschiedener Bedürfnisgruppen und damit die Eliminierung
bestehender Barrieren zwischen den bisher isolierten Bedarfsgruppen wird als Konvergenz
der Nachfrageseite bezeichnet.47 Entsprechend steht die Konvergenz der Nachfrage in funkti-
onal-äquivalentem Zusammenhang mit der Konvergenz der Technologien.48 Durch die An-
gleichung von Bedarfsstrukturen und Kaufmustern führt eine Integration von Funktionen,
wovon jede einzelne Funktion bereits auf eine bestimmte Bedürfnisbefriedigung abzielt, zu
einer Zusammenfassung ökonomischer Nachfrage.49 Dies setzt jedoch eine entsprechende
Kaufkraft und die Bereitschaft der Konsumenten voraus, Bedürfnisbefriedigung durch Leis-
tungsbündel bzw. neue Funktionen der Bedürfnisbefriedigung nachzufragen.50

39
Vgl. THIELMANN (2000), S. 9.
40
Vgl. DOWLING/LECHNER/THIELMANN (1998), S. 8, und THIELMANN (2000), S. 10.
41
Zu den Konvergenztreibern vgl. ausführlich KEUPER/HANS (2003b), S. 37 ff.
42
Vgl. hierzu ausführlich KEUPER/HANS (2003a), S. 793 ff.
43
KEUPER/HANS (2003), S. 42.
44
Vgl. KEUPER (2002), S. 611 ff.
45
Vgl. KEUPER (2002), S. 612 ff.
46
Das Pervasive Computing zielt auf die leichte Bedienbarkeit von Technologien ab, greift das Bedürfnis nach
Mobilität und nach multimedialen Diensten auf und kann somit als eine Weiterentwicklung der beschriebenen
Konvergenztrends bezeichnet werden. Dieses Konzept wurde bereits Ende der 80er Jahre als Ubiquitous Compu-
ting im ELECTRONICS AND IMAGING LABORATORY von XEROX entwickelt; vgl. WEISER/GOLD (1999). Die Grund-
idee ist, die Informationstechnologie von der Verknüpfung mit Standardrechnern, wie PC oder Notebooks, zu lö-
sen und in die reale Welt und deren Abläufe einzubinden. Insofern kann dieses Konzept als ein gegensätzliches
Prinzip zur virtuellen Realität verstanden werden.
47
Vgl. THIELMANN (2000), S. 11.
48
Vgl. KEUPER/HANS (2003b), S. 55.
49
Vgl. KEUPER (2001b), S. 393.
50
Vgl. THIELMANN (2000), S. 11.
Die Implosion des Market-based View 13

Die Leistungsbündelung von Funktionalitäten und Komponenten aufgrund antizipativer öko-


nomischer Rationalität bzw. die potenzielle Substituierbarkeit von Leistungskomponenten
initiiert die Konvergenz auf der Anbieterseite.51 Nur so können durch einen Wissenstransfer
den verschmelzenden Bedarfsstrukturen adäquate Systemprodukte gegenübergestellt wer-
den.52 Insbesondere die zunehmende Bedeutung von Systemleistungen und die damit einher-
gehende Integration von Sach- und Dienstleistungen erodieren bestehende Branchengrenzen
und stellen starre Kompetenz- und Branchenstrukturen in Frage. Ziel der angebotsseitigen
Konvergenz ist es, durch die Kombination bisher getrennter Aktivitäten, die in unterschiedli-
chen Unternehmen z. T. auf unterschiedlichen Märkten erfolgten, die potenziellen Synergien
für die beteiligten Unternehmen weitestgehend auszuschöpfen. Die angebotseitige Konver-
genz kann dabei wertschöpfungsstufenübergreifend vertikal oder wertkettenübergreifend
horizontal erfolgen.53 Insofern kommt es zu einer Vielzahl horizontaler und vertikaler Koope-
rationsformen, wobei vermehrt auch Kooperationen zwischen Unternehmen stattfinden, die
bisher meist in unterschiedlichen Branchen agierten. Kooperationen von Unternehmen der
gleichen Branche bedingen, dass die Unternehmen sich zunehmend mit dem Freund/Feind-
Gedanken54 befassen müssen, der einerseits eine Konkurrenzsituation auf bestimmten Gebie-
ten und gleichzeitig eine Kooperation auf anderen Gebieten zwischen mehreren Unternehmen
zulässt.55 Der Freund/Feind-Wettbewerb führt jedoch dazu, dass sich bisher bestehende
Freund/Feind-Bilder zunehmend auflösen. Die Konkurrenten von heute können somit die
Verbündeten von morgen sein  und umgekehrt. „Dies entspricht einem ambivalenten Wett-
bewerbsverhältnis zwischen Unternehmen bzw. Branchen, was zu paradoxen Wettbewerbs-
strukturen führen kann.“56

Da die Marktkonvergenz einen Prozess darstellt, sind das kompetitive Paradigma und das
komplementäre Paradigma als zwei konträre Ausprägungen im Rahmen der Konvergenz der
Märkte  „lediglich als Zeitpunktbetrachtung innerhalb der zeitraumbeanspruchenden Kon-
vergenz“57  anzusehen.

Während beim komplementären Paradigma durch die Verschmelzung zweier Märkte ein
neuer dritter, gemeinsamer Markt entsteht (1+1=3), lösen sich beim kompetitiven Paradigma
die ursprünglichen Märkte nahezu vollständig auf, um einen neuen Markt zu generieren
(1+1=1). In beiden Fällen werden komplementäre Leistungen auf Basis einer technologischen
Konvergenz in einem Systemprodukt verbunden und entweder auf dem gemeinsamen, neu
entstandenen Markt oder auf dem neuen Markt angeboten. Charakteristisch für konvergieren-
de Märkte sind die unscharfen und unklaren Marktgrenzen, die darauf zurückzuführen sind,
dass eine eindeutige Produktabgrenzung zwischen verschiedenen Märkten nicht mehr mög-
lich ist. Die Frage, ob z. B. Smart-Clothing-Produkte Kleidungsstücke oder Entertainment-
oder Telekommunikationsprodukte darstellen, ist nicht eindeutig zu beantworten. Dies wäre
aber notwendig, um den Markt für Smart-Clothing-Produkte eindeutig abgrenzen zu können,
damit auf Basis der Marktabgrenzung eine Positionierung mit Hilfe von Wettbewerbsstrate-

51
Vgl. THIELMANN (2000), S. 11.
52
Vgl. KEUPER/HANS (2003b), S. 56.
53
Vgl. KEUPER/HANS (2003b), S. 56.
54
Der Freund/Feind-Gedanke wird auch als Coopetition bezeichnet, wobei Coopetition eine Wortschöpfung aus
Cooperation und Competition ist; vgl. BEST (1990), S. 19.
55
Vgl. SCHAD (2000), S. 197.
56
KEUPER/HANS (2003b), S. 56.
57
KEUPER/HANS (2003b), S. 59.
14 KEUPER

gien erfolgen kann. Zudem besteht auf konvergierenden Märkten eine hohe Unsicherheit
hinsichtlich des Markterfolgs, weil die nachfrageseitige Konvergenz die Nachfrager- und
Nachfragerstrukturkomplexität ansteigen lässt. Ferner entwickeln sich die Marktstrukturen
aufgrund der Dynamik der Konvergenz nur sehr langsam und latent. Häufig divergieren dabei
sogar die Marktstrukturen, bevor sie sich gefestigt haben.

Technologie

Nachfrager Markt Anbieter

Komplementarität Kompetitivität
Kompetitivität

Abbildung 4: Dimensionen und Ausprägungen der Konvergenz58

1.3 Zwischenfazit
„Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Konvergenz der Märkte als ein spezi-
eller Innovationsprozess von Branchen verstanden werden kann, welcher gekennzeichnet ist
durch intensive, branchenübergreifende Wettbewerbsverflechtungen.“59 Dabei erodieren
zunehmend etablierte Branchenstrukturen, was die Lebenszyklen der betroffenen Branchen
dramatisch verkürzt (Divergenz). Wettbewerber von heute können Kooperationspartner von
morgen sein, wobei sich die gegenwärtige Konkurrenzbeziehung u. U. nur auf einen (un-
scharfen dynamischen) Markt bezieht, sodass gleichzeitig auf anderen (unscharfen dynami-
schen) Märkten kooperiert wird (Freund/Feind-Wettbewerb). Zudem können aufgrund der
technologischen, angebots- und nachfrageseitigen Konvergenz sowie der raschen technologi-
schen Diffusion die potenziellen Wettbewerber von morgen, weil sie aus unterschiedlichen
Branchen in einen hybriden, neuen oder bestehenden Markt einbrechen, u. U. nicht verifiziert
werden. Die gegenwärtigen Marktprozesse sind somit durch rasch wechselnde, strukturverän-
dernde Konvergenz und Divergenz gekennzeichnet, was dazu führt, dass sich die bestehenden
Wertschöpfungsketten und Geschäftsmodelle60 evolutionär oder revolutionär transformie-
ren.61

Evolutionäre Veränderungen von Geschäftsmodellen transformieren lediglich lokal Teilberei-


che von Wertschöpfungsketten, sodass die wesentlichen Leistungen und Strukturen einer
Branche erhalten bleiben. Diese Veränderungen stellen den typischen Prozess der ökonomi-
schen Weiterentwicklung dar und traten bereits in der Vergangenheit auf. Kennzeichen evolu-

58
KEUPER/HANS (2003b), S. 60.
59
KEUPER/HANS (2003b), S. 62.
60
Vgl. KEUPER/HANS (2006).
61
Vgl. HAERTSCH (2000), S. 33.
Die Implosion des Market-based View 15

tionärer Veränderungen im Rahmen der Konvergenz ist die Häufigkeit, d. h. die Kürze der
Abstände, mit denen diese schrittweisen Veränderungen auftreten, sowie deren branchen-
übergreifende Ubiquität.

Hinzu kommt, dass evolutionäre Wertschöpfungskettenveränderungen in Abhängigkeit von


der Größe des Unternehmens bzw. des jeweiligen Geschäftsfelds durchaus revolutionär sein
können. Jedoch werden zukünftig evolutionäre Veränderungen weiter an Bedeutung verlie-
ren, weil sich die technologischen Entwicklungen vermehrt in Quantensprüngen vollziehen,
was revolutionäre Veränderungen der Wertschöpfungsketten bedingt. Dabei liegt eine revolu-
tionäre Transformation dann vor, wenn, wie dies die Konvergenz der Märkte initiiert, ganze
Wertschöpfungsketten bzw. große Bereiche von ihnen beeinflusst und durch neue Geschäfts-
modelle ersetzt werden. Dies begründet die große residuale Unsicherheit, die trotz einer de-
taillierten Analyse der Konvergenz der Märkte bestehen bleibt. Besonders emergente Bran-
chen oder Geschäftsfelder, die durch technologische Innovationen getrieben werden, zeichnen
sich dadurch aus, dass lediglich eine Schar von möglichen Zukunftsformen identifiziert wer-
den kann. Diese werden durch eine Vielzahl von Schlüsselvariablen definiert, sodass die
tatsächliche Zukunftsform einer Branche innerhalb des durch die Schlüsselvariablen definier-
ten Bereichs liegt, wobei einzelne, diskrete Szenarien nicht definierbar sind. Im Extremfall
kann auch eine echte Ambiguität vorliegen, bei der mehrere Unsicherheitsdimensionen inter-
agieren, sodass eine Datensituation entsteht, aus der keine Voraussage dahingehend getroffen
werden kann, wohin sich eine Branche bzw. der Markt langfristig entwickeln wird.

Zur komplexen Umfeldsituation von Unternehmen kann somit insgesamt festgehalten wer-
den, dass die gegenwärtige Markt- und Konvergenzkomplexität nicht nur durch eine hetero-
gen-hybride Nachfragestruktur, sondern vor allem auch durch eine hohe Unsicherheit, Dyna-
mik und den Druck, Systemprodukte anbieten zu müssen, gekennzeichnet ist. Systemproduk-
te erfordern aber, wie dargestellt, das Eingehen von Kooperationen (angebotsseitige Kon-
vergenz). Zudem unterstützt die nachfrageseitige Konvergenz die Tendenz einer heterogen-
hybriden Nachfragerstrukturentwicklung, weil im Rahmen der nachfrageseitigen Konvergenz
die Präferenzen unterschiedlicher Nachfragergruppen verschmelzen.

2 Strategiekontext des Market-based View62

Das deutsche Wort Strategie wurde in Anlehnung an den französischen Begriff stratégie
gebildet, der dem altgriechischen strataegeo entstammt, wobei sich das Ursprungswort aus
stratos für Heer und agein für führen zusammensetzt.63 Ursprünglich war Strategie die Kunst
der Staatsführung, wohingegen die begriffliche Einengung auf die Kunst der Kriegsführung,
also auf den Militärbereich, erst später stattfand. Über die Spieltheorie hat der Strategiebegriff
wahrscheinlich erstmals durch VON NEUMANN/MORGENSTERN64 Einzug in die betriebswirt-
schaftliche Literatur gehalten. Allerdings hat sich bislang noch keine einheitliche betriebs-
wirtschaftliche Definition für Strategie herausgebildet.

62
Das nachfolgende zweite Kapitel lehnt sich eng an KEUPER (2004), S. 51 f., an.
63
Vgl. GÄLWEILER (1990), S. 65.
64
Vgl. VON NEUMANN/MORGENSTERN (1947).
16 KEUPER

Unter einer Unternehmensgesamtstrategie wird die globale Wegbeschreibung verstanden, die


planmäßig festlegt, auf welche Weise strategische Erfolgspotenziale aufgebaut bzw. erhalten
werden können, um die sich im Umfeld bietenden Chancen unter weitestgehender Abwen-
dung der Risiken auszuschöpfen, wobei dabei die obersten Unternehmensziele65 mithilfe
strategischer Wettbewerbsvorteile auf den jeweiligen Geschäftsfeldern  verifiziert durch
strategische Erfolgsfaktoren  bestmöglich zu erreichen sind.66 Kosten, Qualität und Zeit sind
hierbei die drei strategischen Erfolgsfaktoren im Strategiekontext.

Q u al ität

KErfolg
un de

K o sten Z eit

Effizienz

Abbildung 5: Erfolgsfaktorendreieck67

Kosten, Qualität und Zeit bilden zudem die Operationalisierung der zwei Seiten des unter-
nehmerischen Erfolgs  nämlich der Effektivität und der Effizienz. Während die Effektivität
darauf abzielt, im Rahmen der marktorientierten Zweckmäßigkeit „die richtigen Dinge zu
tun“, fordert die Effizienz als Wirtschaftlichkeitsdimension, „die Dinge richtig zu tun“.

65
Allgemein können unter Zielen erwünschte Sollzustände verstanden werden; vgl. KIESER/KUBICEK (1992),
S. 10.
66
Vgl. ROLLBERG (1996), S. 13 f. Im Weiteren wird die Strategie adaptiv interpretiert, sodass unterstellt wird, dass
Strategien zwar sich wandelnden Kontextfaktoren anzupassen sind, ihre konkrete Ausgestaltung jedoch nur zum
Teil durch die jeweiligen Umwelterfordernisse determiniert wird. Der andere Teil wird durch Ressourcen des
jeweiligen Unternehmens beeinflusst; vgl. ZÄPFEL/PÖLZ (1987), S. 257.
67
Vgl. KEUPER/OECKING (2008b), S. VII, und KEUPER/OECKING (2008a), S. 487.
Die Implosion des Market-based View 17

Erfolg =
Effektivität Effizienz
Überleben

Abbildung 6: Zielsetzung des strategischen Managements68

Inhaltlich werden somit durch die Unternehmensgesamtstrategie die Geschäftsfelder und


Märkte, in denen das Unternehmen tätig sein möchte, definiert, selektiert sowie die Allokati-
on der Ressourcen auf die verschiedenen Geschäftsfelder so vorgenommen, dass eine vorteil-
hafte gesamtunternehmerische Wettbewerbsposition eingenommen werden kann.69 Darüber
hinaus hat die Unternehmensgesamtstrategie insbesondere die Aufgabe, die dynamische, evo-
lutionäre Entwicklung des Unternehmens sicherzustellen. In der Charakterisierung der Unter-
nehmensgesamtstrategie spiegelt sich deutlich eine ressourcenorientierte Sichtweise wider,
weil sowohl der ressourcenorientierte Ansatz (Resource-based View)70 als auch der darauf
aufbauende Kernkompetenzansatz das Unternehmen als Kombination materieller und imma-
terieller Ressourcen charakterisieren.71 Beide Ansätze fordern, Strategien so zu formulieren,
dass die Ressourcen marktwirksam, also in strategische Wettbewerbsvorteile, charakterisiert
durch strategische Erfolgsfaktoren, transformiert werden (Von-Innen-nach-Außen-Perspek-
tive).72 Darüber hinaus deutet der Aufbau und Erhalt strategischer Erfolgspotenziale mit der
Zielsetzung, strategische Wettbewerbsvorteile zu generieren, zwangsläufig auf einen langfris-
tigen Planungszeitraum hin, was mit der Pfaddeterminiertheit des Kernkompetenzansatzes
korreliert.

Kernkompetenzen sind hochgradig komplexe, organisationale Lernprozesse aufeinander ab-


gestimmter und integrierter Gesamtheiten von Wissen (wie personenabhängiger, intangibler
Fähigkeiten, Technologien, oder wie sich gegenseitig bedingender materieller Aktiva und
organisatorischer Prozesse), die dem Kunden nutzen, geeignet sind, um sich im Wettbewerb
i. w. S. zu differenzieren, dabei schwierig zu imitieren sind und Tore zu neuen Märkten öff-
nen.73 Dementsprechend stellen Kernkompetenzen eine Konfiguration distinktiver Ressour-
cen dar,74 wobei distinktive Ressourcen dadurch gekennzeichnet sind, dass sie einen überle-
genen Kundennutzen stiften und durch Informations-, Transfer- und Replikationsbarrieren
geschützt sind.75 Informationsbarrieren bestehen, wenn ein betrachtetes Unternehmen keine
Erkenntnisse darüber hat, welche Zusammenhänge die eigenen strategischen Wettbewerbs-
vorteile bzw. die der Wettbewerber determinieren. Hingegen basieren Transfer- und Replika-
tionsbarrieren vornehmlich auf Patenten sowie auf der sozialen oder technologischen Kom-

68
Vgl. ROLLBERG (1996), S. 9.
69
Vgl. BECKER (1996), S. 134 f.
70
Vgl. PRAHALAD/HAMEL (1990).
71
Vgl. KEUPER (2008).
72
Vgl. BÖRNER (2000), S. 66.
73
Vgl. BÖRNER (2000), S. 79.
74
Vgl. PRAHALAD/HAMEL (1990), S. 83 f.
75
Vgl. BÖRNER (2000), S. 73.
18 KEUPER

plexität einer Ressource. Die soziale und die technische Komplexität bedingen, dass die Res-
sourcen nur integriert wirksam werden können,76 weil z. B. das Wissen für die Produk-
tionsdurchführung auf viele Mitarbeiter verteilt ist und zudem für eine bestmögliche Produk-
tionsdurchführung vielfältige Maschinen und Parameter koordiniert werden müssen.

Aufgrund seiner strukturellen Offenheit können mithilfe des Resource-based View sowohl
Unternehmensgesamt- als auch Wettbewerbsstrategien abgeleitet werden.

Unternehmen Unternehmensgesamtstrategien

ressourcen- bzw. kernkompetenzgetriebene


Unternehmensgesamtstrategien

Geschäftsfelder Wettbewerbsstrategien, z. B.:

Kostenführerschafts- Hybride Differenzierungs-


strategie Wettbewerbsstrategien strategie

marktorientierte oder ressorcen- bzw. kernkompetenzgetriebene


Wettbewerbsstrategien/Geschäftsfeldstrategien

Betriebliche Funktionsbereiche Funktionalstrategien, z. B.:

Beschaffungs- / Marketing- /
Servicestrategie
Produktionsstrategie Vertriebsstrategie

Wettbewerbsstrategieorientierte oder ressorcen- bzw. kernkompetenzgetriebene


Funktionalstrategien

Abbildung 7: Strategie-Ebene

76
Vgl. BÖRNER (2000), S. 72 f.
Die Implosion des Market-based View 19

Wettbewerbsstrategien explizieren im Gegensatz zu Unternehmensgesamtstrategien die Art


und Weise, mit der ein Unternehmen auf ausgewählten strategischen Geschäftsfeldern (Pro-
dukt-Markt-Kombination) mit Wettbewerbern konkurriert. Insofern wird im Rahmen von
Wettbewerbsstrategien die Frage geklärt, ob das betrachtete Unternehmen sich auf dem aus-
gewählten Geschäftsfeld als Kostenführer, Differenzierer oder hybrider Anbieter leistungs-
seitig positionieren will. Wettbewerbsstrategien haben somit im Gegensatz zu Unternehmens-
strategien immer einen eindeutigen Produkt-Markt-Bezug.

Ist die jeweilige Wettbewerbsstrategie getroffen, sind aus der Wettbewerbsstrategie konsis-
tente Funktionalstrategien für die betrieblichen Funktionsbereiche (z. B. Beschaffung, Pro-
duktion, Absatz und Service) abzuleiten.

3 Grundlagen des Market-based View

Das Ziel marktorientierter Strategieansätze besteht darin, mit Hilfe von Wettbewerbsstrate-
gien unter Beachtung der jeweiligen Wettbewerbssituation in einer Branche bzw. einem Ge-
schäftsfeld strategische Wettbewerbsvorteile zu erreichen. Insofern dient eine Wettbewerbs-
strategie dazu, das bestehende Komplexitätsgefälle zwischen Markt-, konkret Geschäftsfeld-
komplexität, und der Komplexität der strategischen Geschäftseinheit bzw. des Unternehmens
zweck- und zielorientiert zu handhaben. Hierfür ist jedoch eine eindeutige Produkt-Markt-
Abgrenzung bei hinreichender Marktstrukturstabilität zwingend erforderlich.

Der Market-based View, dessen zentraler Vertreter PORTER77 ist und dessen Erkenntnisse auf
den Gedankengängen von MASON (1939)78 und BAIN (1956)79 basieren, stellt einen Outside-in-
Ansatz dar, bei dem ausgehend von der strategischen Positionierung final kurzfristig die
Wertschöpfungskette gestaltet wird. Das dem Market-based View zugrunde liegende Structu-
re-Conduct-Performance-Paradigma von MASON geht dabei davon aus, dass die Marktstruktur
für ein Unternehmen als gegeben anzusehen ist und dass diese Marktstruktur das Verhalten
aller Marktteilnehmer und somit auch das des betrachteten Unternehmens im Markt determi-
niert. Das Verhalten des Unternehmens wiederum beeinflusst dessen Ergebnis. Feedback-
Effekte, also Effekte, durch die das Unternehmen die Marktstruktur beeinflusst, werden nivel-
liert.

Gemäß dem Market-based View erfolgt somit zunächst eine Analyse des möglicherweise
relevanten Markts. Weist der betrachtete Markt eine hinreichende Rentabilität auf, so kann
sich ein Unternehmen innerhalb des relevanten Markts als Kostenführer oder Differenzierer
positionieren. Ausgangspunkt für die Formulierung von Wettbewerbsstrategien ist somit die
Analyse der Branchenstruktur,80 weil die Auswahl der Branche, in der sich das Unternehmen
strategisch positionieren will, maßgeblich für den Unternehmenserfolg verantwortlich ist. Die
Auswahl und Definition definiert somit den Erfolg und die wettbewerbsstrategische Positio-
nierung! Da die direkte Ermittlung der möglichen Rentabilität einer Branche aus Sicht eines

77
Vgl. PORTER (2000) und PORTER (2008).
78
Vgl. MASON (1939).
79
Vgl. BAIN (1956).
80
Vgl. PORTER (2000), S. 33 ff.
20 KEUPER

Unternehmens schwierig ist, wählt der Market-based View den indirekten Weg über die
Branchenstrukturanalyse. Ziel der Branchenstrukturanalyse ist daher die scorebasierte Ermitt-
lung der Branchenattraktivität. Ist eine Branche aus Sicht des planenden Unternehmens at-
traktiv, so wird auch die angestrebte Rentabilität hoch sein, so der lineare Gedankenzusam-
menhang. Die Branchenattraktivität und damit indirekt die Branchenrentabilität wird dabei
nach PORTER durch fünf Wettbewerbskräfte determiniert.81

Das Fünf-Kräfte-Modell verdeutlicht, dass das Gewinnpotenzial einer Branche durch die
Verhandlungsmacht der Lieferanten und der Abnehmer, die Rivalität zwischen den Wettbe-
werbern sowie das mögliche Eintreten von Mitbewerbern in den Markt und die Bedrohung
durch Substitutionsprodukte determiniert wird. Ist z. B. das Branchenwachstum relativ ge-
ring, so ist die Rivalität unter den bestehenden Wettbewerbern hoch und damit die Attraktivi-
tät der Branche gering. Gleiches gilt u. a., wenn weitgehend homogene Produkte im beste-
henden Markt angeboten werden.82 Ferner ist die Bedrohung durch neue Wettbewerber bei-
spielsweise dann besonders groß, wenn die Marktbarrieren, wie z. B. Wissensvorsprünge oder
Kostendegressionseffekte der etablierten Wettbewerber, gering sind. Da neue Wettbewerber
die Produktionskapazitäten erhöhen, um Marktanteile zu gewinnen, führt der Zugang neuer
Wettbewerber i. d. R. zu Preissenkungen und damit zu einer Verschlechterung der Rentabili-
tät und der Attraktivität der Branche. Existieren für die Abnehmer alternative Produkte und
Leistungen (Substitute), so wächst die Wettbewerbsintensität, und die Rentabilität in der be-
trachteten Branche sinkt. Besteht zudem für die Abnehmer die Möglichkeit, im Rahmen einer
Rückwärtsintegration die eigene Fertigungstiefe zu erhöhen, so sinkt die Bedeutung der ex-
tern zu beziehenden Produkte. Gleichzeitig wächst jedoch die Verhandlungsmacht der Ab-
nehmer, wodurch die Branchenattraktivität sinkt.83 Analog zur Entwicklung der Verhand-
lungsmacht der Abnehmer wird das Gewinnpotenzial einer Branche durch die Verhandlungs-
stärke der Lieferanten determiniert.84 Insbesondere wenn die Qualität der Vorleistungen
entscheidend für die Qualität des Enderzeugnisses ist und zudem nur relativ wenige Lieferan-
ten i. d. L. dazu sind, z. B. kurzfristig die benötigten Qualitäten zu liefern, führt dies zu einer
Verstärkung der Wettbewerbsintensität innerhalb einer Branche, wodurch die Branchenattrak-
tivität sinkt. Zudem besteht auf der Lieferantenseite ggf. die Option der Vorwärtsintegration,
wodurch die Rivalität unter den Wettbewerbern intensiviert wird.85

81
Vgl. PORTER (2008), S. 32.
82
Vgl. BOGASCHEWSKY/ROLLBERG (1998), S. 5.
83
Vgl. BOGASCHEWSKY/ROLLBERG (1998), S. 5.
84
Vgl. KEUPER/HANS (2003b), S. 90.
85
Vgl. KEUPER/HANS (2003b), S. 90 f.
Die Implosion des Market-based View 21

Bedrohung durch
potenzielle neue
Konkurrenten

Rivalität unter den

Verhandlungs- Verhandlungs-
stärke der macht der
Lieferanten Abnehmer
Wettbewerbern einer
Branche

Bedrohung durch
Ersatzprodukte
und -dienste

Abbildung 8: Wettbewerbskräfte nach PORTER86

Die Bewertung der fünf wettbewerbsrelevanten Kräfte erfolgt in praxi mithilfe von Scoring-
Modellen, was in den nachfolgenden Abbildungen beispielhaft visualisiert ist.

86
PORTER (2000), S. 29.
22 KEUPER

Kriterium Beschreibung Bewertung

Wert (1=unattraktiv, Gewicht (1=gering, Summe


5=attraktiv) 5=hoch)
Reaktion der Konkurrenz

Economies of Scale

Produktdifferenzierung

Kapitalbedarf

Umstellungskosten für Kunden


(bei Systemwechsel)
Zugang zu Vertriebskanälen

Vertragliche Bindung der


Abnehmer (z. B. Strom,
Telefon)
Staatliche Politik (z. B.
Subventionen)
Gesamtbeurteilung

Abbildung 9: Beispielhafte scorebasierte Ermittlung der Bedrohung durch neue Wettbe-


werber

Kriterium Beschreibung Bewertung

Wert (1=unattraktiv, Gewicht (1=gering, Summe


5=attraktiv) 5=hoch)
Konzentration der Lieferanten

Wert der Produkte (hoher Wert


= sensible Abnehmer)
Standardisierung der Produkte
(differenzierte Produkte = hohe
Umstellungskosten Æ starke
Position der Lieferanten)
Möglichkeit der
Rückwärtsintegration
(Übernahme von Lieferanten)
Markttransparenz

Gesamtbeurteilung

Abbildung 10: Beispielhafte scorebasierte Ermittlung der Verhandlungsmacht der Abnehmer


Die Implosion des Market-based View 23

Kriterium Beschreibung Bewertung

Wert (1=unattraktiv, Gewicht (1=gering, Summe


5=attraktiv) 5=hoch)
Anzahl der Zulieferer

Know-how-Verteilung bei den


Zulieferern
Vorhandene Überkapazitäten

Bedeutung des Zulieferers als


Marke
Rahmenvertragliche Bindung
der Zulieferer
Vertragliche Position der
Zulieferer
Gesamtbeurteilung

Abbildung 11: Beispielhafte scorebasierte Ermittlung der Verhandlungsmacht der Zulieferer

Kriterium Beschreibung Bewertung

Wert (1=unattraktiv, Gewicht (1=gering, Summe


5=attraktiv) 5=hoch)
Anzahl der Produkte

Ähnlichkeit (z. B. Flugreise


versus Bahnreise)
Leistung

Preis

Gesamtbeurteilung

Abbildung 12: Beispielhafte scorebasierte Ermittlung der Bedrohung durch Substitute


24 KEUPER

Kriterium Beschreibung Bewertung

Wert (1=unattraktiv, Gewicht (1=gering, Summe


5=attraktiv) 5=hoch)
Anzahl der Wettbewerber

Wachstum der Branche

Vorhandene Überkapazitäten
(Kapazitätsauslastung)
Heterogener Wettbewerb
(Einhaltung von Spielregeln, z.
B. Preisabsprachen, ist
schwerer)
Höhe der Austrittsbarrieren
(ökonomisch, strategisch,
emotional)
Branchenkultur

Gesamtbeurteilung

Abbildung 13: Beispielhafte scorebasierte Ermittlung der Rivalität unter den Wettbewerbern

Letztlich müssen die in einer Branche agierenden Unternehmen auf Basis der mithilfe des
Fünf-Kräfte-Modells gewonnenen Informationen strategische Verhaltensweisen an den Tag
legen, mit denen sie langfristig erfolgreich sind. Gemäß dem Market-based View kann ein
Unternehmen dabei drei strategische Verhaltensweisen verfolgen. Verfolgt das Unternehmen
eine aggressive Verhaltensstrategie, so wird das Unternehmen versuchen, aktiv Marktanteile
zu gewinnen und den Wettbewerber aus dem Markt zu drängen. Im Gegensatz dazu basiert
eine defensive Verhaltensstrategie darauf, seinen bestehenden Marktanteil zunächst zu halten
und sich aus dem Wettbewerb zwischen den Unternehmen weitestgehend herauszuhalten.
Sind die Wettbewerber durch ihre wettbewerbsstrategischen Aktivitäten geschwächt, kann
das defensiv agierende Unternehmen u. U. leicht ex post Marktanteile gewinnen („Wenn zwei
sich streiten, freut sich der Dritte“). Bei einer proaktiven Verhaltensweise wird das Unter-
nehmen auf Basis der Branchenstrukturanalyse sich frühzeitig entscheiden aus dem betrachte-
ten Markt auszusteigen und in einen neuen Markt einzusteigen. Jede der drei strategischen
Verhaltensweisen kann dabei durch eine Kostenführerschafts- oder Differenzierungsstrategie
umgesetzt, d. h. operationalisiert werden, wobei im Rahmen einer proaktiven Verhaltenswei-
se eine Differenzierungsstrategie zu priorisieren ist, weil das in den Markt eintretende Unter-
nehmen i. d. R. eine wesentlich schlechtere Kostenposition aufweisen wird als etablierte Un-
ternehmen. Damit eine strategische Verhaltensweise und die sie umsetzende Wettbewerbs-
strategie gewählt werden, bedarf es einer Zwei-Zeitpunkt-Betrachtung, die jedoch im ur-
sprünglichen Market-based View nicht vorgesehen ist. Da eine Wettbewerbsstrategie länger-
fristig Kapital bindet und zudem die gewählte Wettbewerbsstrategie i. d. R. nicht kurzfristig
revidierbar ist, muss neben der durchgeführten Status-quo-Branchenattraktivitätsanalyse auch
eine zweite zukunftsgerichtete Analyse stattfinden. Hierbei legt das Strategieteam einen für
das betrachtete Geschäftsfeld vor dem Hintergrund der Geschäftsbereichs- und Unterneh-
mensziele sinnvollen Planungshorizont fest und simuliert anschließend für diesen Zeitpunkt
noch einmal die Branchenattraktivitätsmessung. Wichtig ist dabei, dass über die zukünftigen
Rahmenbedingungen zweckdienliche und sinnvolle Annahmen gesetzt werden. Erst durch
den Vergleich der beiden sich ergebenden Attraktivitätswerte kann entschieden werden, wie
das Unternehmen sich verhalten soll.
Die Implosion des Market-based View 25

Aktuelle Situation Zukünftige Situation


unattraktiv Bedeutung unattraktiv Bedeutung
attraktiv attraktiv
1 2 3 4 5 1 2 3 4 5

Bedrohung durch 1 1 2 Bedrohung durch 1 1 2


potenzielle potenzielle
Konkurrenz Konkurrenz
Bedrohung durch 1 2 8 Bedrohung durch 1 2 2
Ersatzprodukte Ersatzprodukte
Marktmacht der 1 2 8 Marktmacht der 1 2 6
Abnehmer Abnehmer
Marktmacht der 1 1 4 Marktmacht der 1 1 4
Lieferanten Lieferanten
Rivalität des 1 1 3 Rivalität des 1 1 2
Wettbewerbs Wettbewerbs
Summe 7 25 Summe 7 16

Beurteilung der 3,6 Beurteilung der 2,3


Branche Branche

Abbildung 14: Beispielhafte Zwei-Zeitpunkt-Betrachtung

Im Anschluss an die planerisch erfolgte Positionierung im Markt findet die Planung der Er-
folgsposition statt. Konkret bedeutet dies, dass entschieden werden muss, welche Charakteris-
tika der zu positionierende strategische Wettbewerbsvorteil aufweisen soll. Daran anschlie-
ßend wird die Wertschöpfungskette als Ausprägung der strategischen Erfolgspotenziale ope-
rativ ausgestaltet.

Zweck der Unternehmen =


Sicherung der langfristigen
Unternehmensgesamtstrategien
Positionierung Überlebensfähigkeit
im Markt
Maximierung des Wettbewerbsstrategien
unternehmerischen Erfolgs

Effektivität Effizienz

Planung der
Erfolgsposition Qualität Zeit Kosten

Strategischer Wettbewerbsvorteil

Strategisches Erfolgspotenzial
Operative Ausgestaltung
der Wertschöpfungskette
(z. B. der IT) Wertschöpfungskette

Market-based View

Abbildung 15: Struktur des Market-based View87

87
KEUPER (2008), S. 23.
26 KEUPER

4 Kritische Betrachtung des Market-based View

Während vorangehend die elementaren Grundlagen des Market-based View dargestellt wurden,
findet nachfolgend eine kritische Betrachtung des Market-based View anhand von fünf Perspek-
tiven statt.

¾ Methoden- und Strategieschlüssigkeit


¾ Konvexitäts-Konzentrations-Konsistenz-Stabilität
¾ Gültigkeit der Generik
¾ Nachfrager- und Nachfragerstrukturkomplexitätskongruenz
¾ Konvergenzkomplexitätskongruenz

4.1 Methoden- und Strategieschlüssigkeit88


Wie bereits dargelegt, leitet der Market-based View anhand der Informationen des Fünf-
Kräfte-Modells drei strategische Grundhaltungen ab.89

Während die defensive Strategie lediglich darin besteht, mögliche Bedrohungen seitens ver-
schiedener Wettbewerbskräfte abzuwehren, zielt eine offensive Strategie darauf ab, das Kräf-
tegleichgewicht nicht mehr als Datum anzusehen. Insofern beinhaltet eine offensive Strategie
den Aufbau von Marktbarrieren. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, Veränderungen der
Markt- bzw. Branchenstruktur so früh zu erkennen (proaktive Strategie), dass das Unterneh-
men vor der Konkurrenz auf Branchenstrukturveränderungen reagieren kann, um so die eige-
ne Position zu verbessern bzw. die Branche zu verlassen.

Aufbauend auf den drei strategischen Grundhaltungen leitet PORTER vier Wettbewerbsstrate-
gien ab. In Abhängigkeit von der Breite der Marktabdeckung90  weites oder enges Markt-
segment  ergeben sich vier generische Normstrategien  Differenzierung, umfassende Kos-
tenführerschaft, Differenzierungsfokus und Kostenfokus ,91 mit denen ein Unternehmen die
Wettbewerbskräfte so kontrollieren kann, dass sie überdurchschnittliche Erträge erwirtschaf-
tet. Insofern zielen die vier generischen Normstrategien darauf ab, das Gefälle zwischen der
bestehenden Marktkomplexität, charakterisiert durch die heterogen-hybride Nachfrage und die
Konvergenz der Märkte, zu handhaben. Zu beachten ist dabei, dass nach PORTER die Norm-
strategien dichotom sind, sodass er eine erfolgreiche simultane Verfolgung von Differenzie-
rungs- und Kostenführerstrategie ausschließt. Daher handelt es sich bei den klassischen
PORTER`schen Strategietypen um so genannte Nichtsimultaneitätsstrategien.

88
Die nachfolgenden Ausführungen zu Gliederungspunkt 4.1 lehnen sich eng an KEUPER (2004), S. 55 ff., an.
89
Vgl. PORTER (2000), S. 64 ff.
90
Die Ordinate der Matrix beschreibt das Wettbewerbsfeld, d. h. in wie vielen Marktsegmenten einer Branche
konkurriert werden soll.
91
Vgl. PORTER (2008), S. 37 ff.
Die Implosion des Market-based View 27

Wettbewerbsvorteil

Differenzierung Kosten

umfassende
weit
Differenzierung
Kostenführerschaft
Marktabdeckung
Breite der

eng

Differenzierungsfokus Kostenfokus

Abbildung 16: Generische Wettbewerbsstrategien des Market-based View92

Die Strategie der umfassenden Kostenführerschaft strebt gegenüber den Konkurrenzanbietern


eine überlegene Kostenposition bei angemessener, paritätischer Qualität der Leistung an,
sodass es in einer Branche jeweils nur einen Kostenführer geben kann. Da Faktoren wie Qua-
lität der Leistung bzw. Kundennähe lediglich dem marktüblichen Standard entsprechen müs-
sen, weisen sie den Charakter von Nebenbedingungen auf.93 Somit zielt das Streben nach
permanenter Kostenreduktion auf die Schaffung eines komparativen Kostenvorteils ab, wobei
alle intrabetrieblichen (und interbetrieblichen) Bereiche, vornehmlich jedoch die produktions-
orientierte Dimension, optimiert werden. Insofern stellt die umfassende Kostenführerschaft
einen effizienzzentrierten Strategietyp dar. Zudem basiert die Realisierung dieses generischen
Strategietyps auf dem Vertrieb eines weitestgehend homogenen und standardisierten Produkts
in stabilen Märkten, sodass entsprechende Kostendegressionseffekte ausgeschöpft werden
können.

Demgegenüber ist die Differenzierungsstrategie94 ein effektivitätszentrierter Strategietyp, bei


dem durch die Differenzierung des Leistungsangebots branchenweit etwas Einzigartiges ge-
schaffen wird. Analog zur umfassenden Kostenführerschaft gilt auch für die Differenzie-
rungsstrategie, dass eine vollständige oder annähernd paritätische Kostenposition gegenüber
den Konkurrenten bestehen muss.95 Eine Differenzierung von der Konkurrenz kann z. B.
durch eine überlegene Produktqualität, besseren Kundenservice, zusatznutzenstiftende Leis-
tungen, Standortvorteile, höhere Innovationsintensität, bessere Logistikleistungen oder durch
ein hohes technologisches Image erzielt werden. Entsprechend der Vielschichtigkeit der Dif-
ferenzierungsdimensionen können in einer Branche mehrere Differenzierer gleichzeitig er-
folgreich agieren.96 Die Differenzierung geht dabei mit einer abnehmenden Preiselastizität

92
CORSTEN (1998), S. 94.
93
Vgl. CORSTEN (1998), S. 94.
94
Vgl. PORTER (2008), S. 40 f.
95
Vgl. PORTER (2008), S. 41.
96
Vgl. PORTER (2008), S. 41.
28 KEUPER

einher und verschafft dem Unternehmen, sofern die Preise über den Zusatzkosten der Einma-
ligkeit liegen, einen preispolitischen Spielraum. Im Gegensatz zur umfassenden Kostenfüh-
rerschaft setzt die Differenzierungsstrategie nicht bei den betriebswirtschaftlichen Vorausset-
zungen des Anbieters, sondern bei den Bedürfnissen des Nachfragers an.97

Während die umfassende Kostenführerschafts- und die Differenzierungsstrategie auf die ge-
samte Branche abzielen, streben Anhänger der Konzentrations- oder Nischenstrategie durch
Fokussierung der betrieblichen Aktivitäten auf eine spezifische Zielgruppe bzw. Marktnische
ein vorteilhafteres Preis-Nutzen-Verhältnis an, als es diejenigen Konkurrenten anbieten kön-
nen, die ein breites Wettbewerbsfeld bearbeiten.98 Innerhalb der Nische ist jedoch wiederum
entweder eine Kostenführerschafts- oder aber eine Differenzierungsstrategie zu verfolgen.99

PORTER schlägt zur Klärung der Frage, wie ein Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil durch
Kostenführerschaft oder Differenzierung erreichen kann, eine Analyse bzw. Optimierung der
Wertkette vor.100 Die Wertkette gliedert ein Unternehmen in strategisch relevante Tätigkeiten,
um so das Kostenverhalten und die Differenzierungsquellen bewerten zu können, was letzt-
lich einer Optimierung der Wertschöpfung gleichkommt.101 Dabei kann die Wertschöpfung
allgemein als die Differenz der von einer Wirtschaftseinheit geschaffenen und der von ihr
eingesetzten Werte interpretiert werden.102 Innerhalb eines Unternehmens erfolgt die Wert-
schöpfung selten in einem einzigen, ganzheitlich gestalteten Prozess, sondern zumeist gestuft
in mehreren aufeinander folgenden Prozessen. Die Gesamtheit der Wertzuwächse der einzel-
nen Prozesse ergibt die gesamte Wertschöpfung des Unternehmens, wobei diese letztlich auf
fünf generische, primäre Wertaktivitäten (Hauptaktivitäten), die sich mit der physischen Pro-
duktion, dem Verkauf und dem Kundendienst befassen, und auf vier unterstützende, generi-
sche Wertaktivitäten (unterstützende Aktivitäten) zurückzuführen ist.103

Die primären, im eigentlichen Sinne wertschöpfenden generischen Aktivitäten umfassen die


Eingangslogistik, die Operationen (zur Herstellung eines Produkts), das Marketing und den
Vertrieb, die Ausgangslogistik und den Kundendienst. Zu den unterstützenden Aktivitäten
gehören die Unternehmensinfrastruktur, die Personalentwicklung und -verwaltung, die For-
schung und Entwicklung sowie die IuK-Technologie, wobei diese der Aufrechterhaltung der
Primäraktivität dienen und somit grundsätzlich während jeder Primäraktivität anfallen. Darü-
ber hinaus gehört zur Wertschöpfungskette neben den Wertaktivitäten auch die Gewinnspan-
ne, die sich aus der Differenz zwischen den Kosten der Wertschöpfungsaktivitäten und dem
am Markt erzielbaren Preis für das Ergebnis der Wertschöpfungskette ergibt.104

97
Vgl. PILLER (2006), S. 215.
98
Vgl. ROLLBERG (1996), S. 16.
99
Vgl. PORTER (2008), S. 42.
100
Vgl. PORTER (2008), S. 63 ff.
101
Vgl. PORTER (2008), S. 63.
102
Vgl. PORTER (2008), S. 35.
103
Vgl. PORTER (2008), S. 66.
104
Vgl. PORTER (2008), S. 68.
Die Implosion des Market-based View 29

Unternehmensinfrastruktur
unterstützende
Aktivitäten

Personalentwicklung und -verwaltung


Forschung & Entwicklung
Informations- und Kommunikationstechnik
Marketing
Eingangs- Ausgangs- Kunden-
Operationen und
logistik logistik dienst
Vertrieb

Hauptaktivitäten Gewinnspanne

Abbildung 17: Wertschöpfungskette nach PORTER105

Die von PORTER aus der Branchenstruktur abgeleiteten generischen Wettbewerbsstrategien


umfassende Kostenführerschaftsstrategie und die Differenzierungsstrategie bildeten die stra-
tegische Stoßrichtung für die in den 80er und 90er Jahren entwickelten Konzepte zur strategi-
schen Unternehmensführung.

Total
Lean
Kosten Erfolg Qualität Quality
Management
Management

Zeit

Time-based
Management

Abbildung 18: Erfolgsfaktorfokussierung des Lean Management, Total Quality Management


und Time-based Management106

105
PORTER (2008), S. 66.
106
KEUPER (2001c), S. 64.
30 KEUPER

Ziel der drei strategischen Konzepte zur Unternehmensführung ist es, die vier Aktionspara-
meter107 der strategischen Unternehmensführung  Strategie, Organisation, Technologie und
Unternehmenskultur  zielsetzungsgerecht simultan so einzusetzen und auszurichten, dass
sämtliche Prozesse möglichst effektiv unter Beachtung einer zu den Konkurrenten paritäti-
schen Mindesteffizienz oder möglichst effizient unter Beachtung einer zu den Konkurrenten
weitgehend paritätischen Mindesteffektivität dazu beitragen, dass die drei Erfolgsfaktoren
Kosten, Qualität und Zeit, jeweils weitgehend isoliert betrachtet, marktgerecht erfüllt werden.
Dabei ist allen Konzepten zur Führung eines Unternehmens jedoch eine von der jeweils ver-
folgten Wettbewerbsstrategie mehr oder weniger stark ausgeprägte Kundenorientierung zu
eigen, sodass die klassische, produktionsorientierte Wertschöpfungskette nach PORTER in eine
durch die zielgruppenspezifischen Informationen ausgerichtete Wertschöpfungskette trans-
formiert werden muss, in der die Marktinformationen sämtliche Haupt- und unterstützenden
Aktivitäten determinieren und initiieren.

Auf die Bedürfnisse der Zielgruppe ausgerichtete Unternehmensinfrastruktur


unterstützende

Auf die Bedürfnisse der Zielgruppe ausgerichtete


Aktivitäten

Personalentwicklung und -verwaltung


Auf die Bedürfnisse der Zielgruppe ausgerichtete Forschung & Entwicklung

Auf die Bedürfnisse der Zielgruppe ausgerichtete


Informations - und Kommunikationstechnik
Ermittlung
zielgruppen- Ermittlung
spezifischer zielgruppen-
Information spezifischer Auf die Auf die
mithilfe des Information Auf die Bedürfnisse
Bedürfnisse
Marketings/ mithilfe des Bedürfnisse der Ziel-
der Ziel-
Kunden- der Ziel- gruppe aus-
Vertriebs gruppe aus-
dienstes und gruppe aus- gerichtete
und Aus- gerichtete
gerichtete
richtung des Ausrichtung Eingangs- Ausgangs--
Operationen
Marketings/ des Kunden-- logistik logistik
dienstesauf
Vertriebs auf die Ziel--
die gruppe
Zielgruppe
Hauptaktivitäten Gewinnspanne

Abbildung 19: Zielgruppenorientierte Wertschöpfungskette moderner Konzepte der Unter-


nehmensführung108

107
Zu den vier Aktionsparametern der strategischen Unternehmensführung vgl. ausführlich ROLLBERG (1996),
S. 13 ff., BOGASCHEWSKY/ROLLBERG (1998), S. 12 ff., und KEUPER (2001a), S. 21 ff.
108
KEUPER (2004), S. 59.
Die Implosion des Market-based View 31

Während das Lean Management109 vornehmlich darauf abzielt, sämtliche unternehmensinter-


nen Prozesse zu „verschlanken“, d. h. so kostengünstig wie möglich auszugestalten und unter
Beachtung einer marktgerechten Kundenorientierung auszurichten,110 setzt das Total Quality
Management die Qualität respektive die Differenzierung in den Fokus der Betrachtung. Dem-
entsprechend verzichtet das qualitätsorientierte Management auf eine extreme Kostenmini-
mierung und versucht statt dessen, u. U. auch mittels kostenintensiver, aber effektiverer quali-
tätsorientierter Prozesse, die optimale kundenorientierte Qualität vielschichtig und dauerhaft
zu generieren.111 An die Stelle einer Effizienzfokussierung, wie sie im schlanken Manage-
ment vorherrscht, tritt somit eine Effektivitätsfokussierung. Auch das Time-based Manage-
ment112 als zeitorientierter Ansatz repräsentiert ein effektivitätsfokussierendes Unternehmens-
führungskonzept, weil der strategische Erfolgsfaktor Zeit im Hinblick auf eine marktorientier-
te Zweckmäßigkeit interpretiert wird. So zielt das zeitfokussierende Management auf eine
möglichst rasche bzw. termingerechte Bedürfnisbefriedigung, auf eine schnelle Anpassung an
die spezifischen Wünsche des Kunden sowie auf eine schnelle Bereitstellung innovativer
bzw. verbesserter Produkte und Leistungen ab.113 Da alle Unternehmensführungskonzepte ein
Konglomerat aus bekannten Konzepten, Ansätzen und Instrumenten darstellen, bleibt es nicht
aus, dass einzelne Instrumente, isoliert betrachtet, konträr zur generellen Ausrichtung des
jeweiligen Unternehmensführungskonzepts stehen. Nur so ist auch eine paritätische Ausge-
staltung der jeweils „vernachlässigten“ Wettbewerbsdimension unter Beachtung des jeweili-
gen PORTER`schen Strategiefokus` in einem stabilen Markt umsetzbar. Daraus zu folgern, das
schlanke Management oder das qualitätsorientierte Management seien Konzepte zur Unter-
nehmensführung, die eine Kostenführerschaft und eine Differenzierung gleichermaßen und
gleichzeitig verfolgen, ist jedoch unzutreffend.

4.2 Konvexitäts-Konzentrations-Konsistenz-Stabilität114
Der marktorientierte Strategieansatz und insbesondere seine Wettbewerbsstrategien basieren
auf der Unvereinbarkeitshypothese. Die Grundlage der Unvereinbarkeitshypothese bilden
wiederum das Konvexitäts-Konzentrations-Konsistenz-Paradigma (KKK-Paradigma) und die
Hypothese der Generik der Wettbewerbsstrategien.115

109
KRAFCIK verwendete erstmals den Begriff schlanke Produktion; vgl. KRAFCIK (1988), S. 41 f.
110
Demgegenüber sieht ROLLBERG (1996), S. 135 ff., das schlanke Management als ein „neutrales“ Unternehmens-
führungskonzept an, das i. d. L. ist, die jeweils gewählte generische Strategie  umfassende Kostenführerschaft
bzw. Differenzierung  zu unterstützen, wohingegen CORSTEN/WILL (1992) sowie WILL (1996), S. 166 ff., einzel-
nen Elementen und Instrumenten des schlanken Managementkonzepts gleichzeitig Effektivitäts- bzw. Effizienz-
potenziale attestieren. Letzteres ist korrekt, wobei bei integrativer Sichtweise aller Instrumente des schlanken
Managements deutlich die Effizienzfokussierung hervortritt; vgl. KEUPER (2001c), S. 66 ff.
111
Vgl. KEUPER (2001c), S. 102.
112
Vgl. LAUK (1990), S. 82.
113
Vgl. KEUPER (2001c), S. 131.
114
Die nachfolgenden Ausführungen zu Gliederungspunkt 4.2 lehnen sich eng an KEUPER (2004), S. 60 ff., an.
115
Vgl. FLECK (1995), S. 13 ff., und WILL (1996), S. 29 ff.
32 KEUPER

Unternehmen, die keinen Wettbewerbsvorteil generieren können bzw. die gleichzeitig mehrere
Wettbewerbsvorteile aufbauen wollen und somit mehr als eine Wettbewerbsstrategie verfol-
gen, sitzen entsprechend dem marktorientierten Strategieansatz „zwischen den Stühlen“.116
Eine solche Positionierung zwischen den Stühlen, die einer Quasi-Nicht-Positionierung ent-
spricht, ist somit der Garant für eine strategische Mittelmäßigkeit und damit für die Generie-
rung nur unterdurchschnittlicher Ergebnisse.117 Basis dieser Argumentation ist das KKK-
Paradigma118.

Entsprechend der Konvexitätshypothese innerhalb des KKK-Paradigmas, die auch als Markt-
anteilshypothese119 bezeichnet wird, ist eine umfassende Kostenführerschaft, wie bereits er-
läutert, unabdingbar mit einem hohem Marktanteil verbunden, wohingegen eine Fokus- oder
eine Differenzierungsstrategie mit einem niedrigen Marktanteil einhergehen. Während die
Kostenführerschaftsstrategie den hohen Marktanteil benötigt, um größenbedingte Kostende-
gressionseffekte bei der Herstellung standardisierter Massenprodukte zu generieren, basiert
der geringe Marktanteil von Differenzierern häufig auf dem exklusiven Image einer solchen
Strategie.120 Da nur die generischen Wettbewerbsstrategien einen überdurchschnittlichen Er-
folg generieren, ergibt sich nach PORTER eine konvexe Beziehung zwischen der Gesamtkapital-
rentabilität und dem Marktanteil.121

Gesamt-
kapital-
rentabilität

Fokus oder Kostenführerschaft


Differenzierung

Marktanteil

Abbildung 20: Rentabilitäts-Marktanteils-Beziehung nach PORTER122

116
Vgl. PORTER (2000), S. 78 ff.
117
Vgl. FLECK (1995), S. 12.
118
Vgl. FLECK (1995), S. 13 ff.
119
Vgl. BARZEN/WAHLE (1990), S. 107.
120
Vgl. PORTER (2000), S. 74.
121
Vgl. PORTER (2000), S. 81.
122
FLECK (1995), S. 13.
Die Implosion des Market-based View 33

Aus der vorangehenden Abbildung wird deutlich, dass nach PORTER eine umfassende Kosten-
führerschaft unvereinbar mit einer Differenzierungsstrategie ist, weil beide Strategien auf
unterschiedlichen Marktanteilen basieren. Dieser angeblich kausale Zusammenhang wird
jedoch zumindest dadurch teilweise relativiert, dass sich empirisch für unterschiedliche Bran-
chen auch unterschiedliche Regressionsfunktionsverläufe zwischen Gesamtkapitalrentabilität
und Marktanteil nachweisen lassen.123 Insofern kann festgehalten werden, dass ein eindeuti-
ger empirischer Nachweis für die Konvexitätshypothese nicht erbracht werden kann. Dieser
Erkenntnis trägt auch PORTER Rechnung, indem er die Konvexitätshypothese zwar nicht für
alle Branchen postuliert,124 diese respektive die ihr inhärenten unterschiedlichen Marktan-
teilserfordernisse aber gleichwohl für die Unvereinbarkeit der beiden generischen, branchen-
neutralen Strategietypen begründend heranzieht,125 was einen Widerspruch darstellt.

Das Konzentrationsprinzip besagt, dass aus Unternehmenssicht die technologischen und or-
ganisatorischen Produktivitätsgrenzen eine maximale Positionierung bei mehreren Erfolgs-
faktoren limitieren, sodass ein Unternehmen sämtliche Ressourcen, Organisationsstrukturen,
Technologien und die Unternehmenskultur auf einen Wettbewerbsvorteil konzentrieren muss,
um sich auf dem Markt gegenüber den Wettbewerbern adäquat zu positionieren.126 Zentral für
dieses charakterisierte Verhalten ist die Divergenz zwischen effektivitätsorientierten Maß-
nahmen, wie z. B. der Konzeption einer variantenreichen Produktion, dem Aufbau von Flexi-
bilitätspotenzialen oder einem Kundenservice, somit also komplexitätstreibenden Effekten,
und effizienzorientierten Maßnahmen, wie z. B. der Standardisierung von Produkten und Pro-
zessen, somit also komplexitätssenkenden Maßnahmen. Beispielsweise kann ein Unterneh-
men, das eine Kostenführerschaft anstrebt, Spezialmaschinen zur preiswerten Fertigung stan-
dardisierter Produkte auf Basis einfacher Prozesse einsetzen, wohingegen Differenzierer teure
Universalmaschinen und flexible Fertigungssysteme anschaffen müssen, um so kundenindi-
viduelle Varianten (i. d. R. bezogen auf eine Zielgruppe) herzustellen. Insofern werden Un-
ternehmen, die eine Mischstrategie verfolgen, in jedem Segment auf Wettbewerber stoßen,
die sich auf einen Wettbewerbsvorteil konzentriert haben und somit das jeweilige strategische
Erfolgsfaktorpotenzial besser ausschöpfen können. Daher muss sich nach PORTER das Han-
deln (Ressourcenauswahl, Konzeption von Anreizsystemen, Wahl des Führungsstils usw.) auf
die jeweils ausgewählte, generische Wettbewerbsstrategie fokussieren, um eine Spitzenstel-
lung zu gewährleisten.127

Jedoch ist zu hinterfragen, inwieweit die von PORTER postulierte Umstrukturierung der Wert-
kette im Hinblick auf die Verfolgung der jeweiligen Wettbewerbsstrategie zu Inkonsistenzen
in seiner generellen Argumentationskette führen kann. So hat die Branchenstruktur für POR-
TER einen weitgehend statischen Charakter, was lediglich graduelle, aber keinesfalls struktu-
relle Veränderungen zulässt. Daraus folgt, dass die generischen Wettbewerbsstrategien Pla-
zierungsstrategien in einem statischen Markt sind.128 Reorganisiert aber ein Unternehmen
seine Wertkette, so tritt in dem statischen Konzept der generischen Wettbewerbsstrategien
eine dynamische Komponente in den Vordergrund der Betrachtung, was u. U. eine branchen-
strukturverändernde Dynamik nach sich zieht. Damit wäre aber der PORTERsche Strategiean-

123
Vgl. MAUTHE (1984), S. 318 ff.
124
Vgl. PORTER (2000), S. 81.
125
Vgl. PORTER (2000), S. 70 ff.
126
Vgl. PORTER (2000), S. 77 f.
127
Vgl. FLECK (1995), S. 15.
128
Vgl. BÖRNER (2000), S. 61.
34 KEUPER

satz einer rekursiven Selbstzerstörung ausgesetzt. Darüber hinaus gilt für den marktorientier-
ten Strategieansatz, dass zwar einerseits von interbranchenspezifischen Unterschieden hin-
sichtlich der möglichen Rentabilität ausgegangen wird, dass aber andererseits die Wettbe-
werbsstrategien der Differenzierung und der Kostenführerschaft auf relative Interbranchenun-
terschiede zurückgreifen.129 So kann in Abhängigkeit von der Definition der zu betrachtenden
Branche zwar die relative Positionierung im Markt bzw. deren damit jeweils verbundener
Wettbewerbsvorteil unverändert Bestand haben, der Wert des jeweiligen Wettbewerbsvorteils
erodiert jedoch aufgrund der u. U. zurückgegangenen Branchenattraktivität. Letztlich kann
dies bedeuten, dass in einer anders oder neu definierten Branche ein Unternehmen, das im
ursprünglichen Markt als Kostenführer oder Differenzierer agierte, im Extremfall durch die
Neudefinition in die Unrentabilität abdriftet.130

Trotz der postulierten generellen Gültigkeit der Konzentrationshypothese formuliert PORTER


vier Situationen, in denen eine gleichzeitige Realisierung von Kostenführerschaft und Diffe-
renzierung möglich erscheint.131 Zum einen besteht die Option, dass die Konkurrenten selbst
„zwischen die Stühle“ geraten sind, sodass sie auf beiden Feldern (Dimensionen) angreifbar
sind.132 Zum anderen können die Kosten u. U. weitgehend von Markanteilen oder wirtschaft-
lichen Verflechtungen beeinflusst werden, was z. B. bedingen kann, dass über einen hohen
Marktanteil und damit realisierte Kostenvorteile (Erfahrungskurveneffekte, Kostendegressi-
onseffekte usw.) Differenzierungsaktivitäten quersubventioniert werden können. Oder aber
die Fokussierung auf eine Nische ermöglicht es, aufgrund der geringen Komplexität gleich-
zeitig eine Differenzierungs- und Kostenposition einzunehmen.133 Auch ist die Situation
denkbar, dass ein Unternehmen proprietär über organisatorische bzw. technologische Innova-
tionen (Quantensprünge) verfügt, die gleichzeitig kostensparend und differenzierungsstei-
gernd wirken. Die vier Situationen stellen jedoch nach PORTER nur temporäre Alternativen
zur Alternativhypothese dar. Wird hingegen der Vorsprung durch die Nachahmer adaptiert, so
muss sich z. B. das Pionierunternehmen auf eine der beiden generischen Grundpositionen
zurückziehen, um nicht von einem leistungsstarken, eindimensional ausgerichteten Wettbe-
werber überholt zu werden.134 Damit spricht der marktorientierte Strategieansatz Simultanei-
tätsstrategien die Nachhaltigkeit respektive die Dauerhaftigkeit ab.135 Dementsprechend kann
mit einer Simultaneitätsstrategie kein strategischer Wettbewerbsvorteil generiert werden,
weil, wie eingangs erläutert, ein Wettbewerbsvorteil durch die Wichtigkeit mindestens einer
Leistungsdimension, durch die Wahrnehmung und die Dauerhaftigkeit charakterisiert ist.

Letztlich relativiert PORTER seine Konzentrationshypothese jedoch selbst durch die Forde-
rung, die Unternehmen müssten neben dem notwendigen generischen Strategiefokus gleich-
zeitig eine paritätische Position hinsichtlich der jeweils „vernachlässigten“ Wettbewerbsdi-
mension einnehmen. Dies steht jedoch konträr zu der Forderung des marktorientierten Strate-
gieansatzes, dass die Verfolgung einer generischen Wettbewerbsstrategie bedingt, dass die
Ressourcen, Organisationsstrukturen, Technologien und sogar die Unternehmenskultur zwin-
gend, einheitlich und eindeutig auf die Unterstützung des jeweils gewählten Strategiefokus`

129
Vgl. BÖRNER (2000), S. 63.
130
Vgl. BÖRNER (2000), S. 63.
131
Vgl. PORTER (2008), S. 45 ff.
132
Vgl. PORTER (2008), S. 47.
133
Vgl. FLECK (1995), S. 15.
134
Vgl. ROLLBERG (1996), S. 18.
135
Vgl. FLECK (1995), S. 15.
Die Implosion des Market-based View 35

auszurichten sind. Zudem wird auch die Konvexitätshypothese durch die Paritätsnebenbedin-
gung erodiert, weil nun offensichtlich die Marktanteilshypothese dahingehend relativiert wird,
dass z. B. eine Differenzierung wohl doch nicht mehr ausschließlich mit einem geringen
Marktanteil verbunden sein muss. Insofern ist durch die Erosion der Konzentrationshypothese
respektive durch die Forderung, neben dem Strategiefokus eine paritätische Position hinsicht-
lich der vernachlässigten Wettbewerbsdimension einzunehmen, ein inkrementeller Schritt zur
vermeintlich unmöglichen Simultaneität einer Kostenführerschaft und Differenzierung ge-
tan.136

Das Konsistenzprinzip besagt, dass Maßnahmen zur gleichzeitigen Verfolgung unterschiedli-


cher Strategietypen ab einem bestimmten Zeitpunkt zu Zielkonflikten und damit zu Inkonsis-
tenzen führen.137 Wenn also tatsächlich eine prinzipielle Unvereinbarkeit der generischen
Wettbewerbsstrategien vorliegt, dann müsste es sich bei den beiden Vorteilskategorien ent-
weder um End- oder Extrempositionen derselben Dimension oder aber um zwei verschiedene,
jedoch negativ korrelierte Dimensionen handeln. Im Hinblick auf den Ausschluss der ersten
Begründungsvariante für eine prinzipielle Unvereinbarkeit vermuten JONES/BUTLER, dass es
sich bei der zugrundeliegenden Dimension um ein Kostenkontinuum handelt, an dessen je-
weiligen Eckpunkten die beiden generischen Wettbewerbsstrategien lokalisiert sind, was
unabdingbar mit zwei sich gegenseitig ausschließenden Strategietypen verbunden ist.138 Auf
Basis transaktionkostenanalytischer Überlegungen beweisen die Autoren, dass es sich bei
Kostenführerschaft und Differenzierung keinesfalls um zwei divergente Extrempositionen
eines Kontinuums handelt. Vielmehr unterscheiden sich die beiden Strategietypen hinsicht-
lich der Relation von Produktions- und Transaktionskosten, wobei unter Einbeziehung der
Preise die Existenz von Mischstrategien nachgewiesen wird. Auch der zweite Begründungs-
ansatz zweier unabhängiger, jedoch negativ korrelierter Vorteilsdimensionen für die Manifes-
tation der Unvereinbarkeitshypothese hält einer genaueren Betrachtung nicht stand. So weist
KARNANI auf Basis spieltheoretischer Überlegungen für oligopolistische Markt- und Wettbe-
werbsstrukturen nach, dass die Dichotomie zwischen Kostenführerschaft und Differenzierung
nicht zwingend geboten ist. Vielmehr ist der Wettbewerbserfolg auf solchen Märkten in einer
integrierten Kostenführerschafts-Differenzierungsstrategie begründet, wobei die zwei Dimen-
sionen einer solchen integrierten Wettbewerbsstrategie multiplikativ miteinander in Bezie-
hung stehen und sich somit auch in ihrer Wirkung verstärken können.139 Darüber hinaus be-
weist KEUPER im Rahmen systemtheoretisch-kybernetischer Überlegungen, dass eine Naviga-
tion im Effektivitäts-Effizienz-Dilemma derart möglich ist, dass dauerhaft eine hybride
Wettbewerbsposition eingenommen werden kann.140

Insofern bleibt festzuhalten, dass es sich bei den generischen Wettbewerbsstrategien um zwei
unabhängig voneinander existierende Vorteilsdimensionen handelt, was bedingt, dass die
Unvereinbarkeit der Wettbewerbsvorteile „niedrige Kosten“ und „Differenzierung“ nicht
zwingend geboten ist. Damit stellt sich auch die Frage, inwieweit die Kostenführerschaft und
die Differenzierung überhaupt generisch sind.

136
Vgl. FLECK (1995), S. 16.
137
Vgl. SIMON (1988), S. 469 ff.
138
Vgl. JONES/BUTLER (1988), S. 203 ff.
139
Vgl. KARNANI (1984), S. 377 ff.
140
Vgl. KEUPER (2004).
36 KEUPER

4.3 Gültigkeit der Generik141


Terminologisch kann eine generische Wettbewerbsstrategie als unabhängige Variable defi-
niert werden, die zur Rentabilität als abhängiger Variable in einer bestimmten Beziehung
steht, wobei die gewählte generische Wettbewerbsstrategie zu einer Rentabilität führt, die
über dem Branchendurchschnitt liegt.142 Insofern kann die Generik der generischen Wettbe-
werbsstrategien alternativ dahingehend interpretiert werden, dass

¾ die Umweltzustände keinen Einfluss auf die Beziehung zwischen Strategie und Rentabi-
lität haben bzw.
¾ die Umweltzustände als Moderatorvariable fungieren, die zwar die Stärke, nicht aber die
Art der Beziehung verändert, oder aber dass
¾ die Umweltzustände als Moderatorvariable auch die Art der Beziehung zwischen Strate-
gie und Rentabilität verändern.143

Während die erste Hypothese von PORTER logischerweise abgelehnt wird, was sich auch da-
raus begründet, dass er für die Implementierung und Umsetzung eines Strategietyps von
Branche zu Branche unterschiedliche Maßnahmen fordert,144 sollte die dritte Hypothese nicht
gelten, weil andernfalls generische Strategien nur fallweise wirksam wären und somit den
Charakter einer heuristischen Vorgehensweise bekämen. Insofern bleibt letztlich die Erkennt-
nis, „daß der Einsatz einer generischen Wettbewerbsstrategie zu einer Performance führt,
welche über dem Branchendurchschnitt liegt, wobei spezifische Umweltfaktoren als Modera-
torvariable die Stärke, aber nicht die Art der Beziehung“145 verändern. Gleichwohl ist zu
beachten, dass die Aussagen von PORTER selbst diesbezüglich weniger prägnant sind, weil er
davon ausgeht, dass in einigen Branchen weder eine noch mehrere Strategien realisiert wer-
den können, „aber in vielen Branchen die drei Strategietypen rentabel nebeneinander stehen,
solange die Unternehmungen verschiedene Typen verfolgen oder [...] unterschiedliche Aus-
gangspunkte wählen“146.

Dass Simultaneitätsstrategien nicht nur bei Bedarf eine mögliche Option,147 sondern auch einen
Erfolg versprechenden Weg zum Aufbau eines dauerhaften Wettbewerbsvorteils darstellen,
wird in einer Reihe empirischer Untersuchungen belegt.148 Insofern kann die Generik der
generischen Wettbewerbsstrategien nicht als unabdingbares Postulat aufrechterhalten werden;
vielmehr stellen die PORTER`schen Wettbewerbsstrategien  wie auch hybride Wettbewerbs-
strategien  kontextabhängige Strategieoptionen dar mit der Konsequenz, dass die Perfor-
mance jeder Strategie, bedingt durch die Wirkungsweise der Moderatorvariablen, unter-,
über- oder nur durchschnittlich sein kann. Daher wäre sachlich korrekt nicht von generischen
Wettbewerbs-, sondern von Nicht-Simultaneitätsstrategien zu sprechen.

141
Die nachfolgenden Ausführungen zu Gliederungspunkt 4.3 lehnen sich eng an KEUPER (2004), S. 65 f., an.
142
Vgl. zu den nachfolgenden Ausführungen ausführlich FLECK (1995), S. 40 ff.
143
Vgl. FLECK (1995), S. 40.
144
Vgl. PORTER (2008), S. 37 f.
145
FLECK (1995), S. 41.
146
PORTER (2008), S. 49 f.
147
Vgl. CORSTEN (1998), S. 120.
148
Vgl. z. B. KIM/LIM (1988).
Die Implosion des Market-based View 37

Letztlich aber basiert die Auflösung der Generik der generischen Wettbewerbsstrategien
dabei sowohl auf unternehmensexternen Veränderungen, wie z. B. der Entwicklung einer
heterogen-hybriden Nachfrage oder der Konvergenz der Märkte, als auch auf unternehmens-
internen Entwicklungen, wie z. B. neuen Fertigungsverfahren, neuen Organisationskonzepten
und modernen Informations- und Kommunikations-Technologien (IuK-Technologien).

4.4 Nachfrager-, Nachfragerstruktur-


und Massenmarktkomplexitätskongruenz149
Die Analyse der aktuellen Entwicklungen im wettbewerbsstrategischen Umfeld zeigt, dass
sowohl im Industriegüter- als auch im Konsumgüterbereich das Nachfrageverhalten vermehrt
als intra- und interindividuell heterogen-hybrid zu charakterisieren ist, was bedingt, dass eine
zunehmende Individualisierung der Präferenzen der Kunden zu verzeichnen ist. Es reicht
nicht mehr aus, effektivitäts- oder effizienzorientiert am Markt zu agieren; vielmehr fordert
die zunehmend hybride Nachfrage die Simultaneität von Effektivität und Effizienz. Insofern
ist auf vielen Märkten, um adäquate Erträge zu erwirtschaften, eine reine Kostenorientierung
bzw. eine reine Differenzierungsstrategie nicht mehr zwingend Erfolg versprechend. Zwar
versucht PORTER dies dadurch zu berücksichtigen, dass er betont, dass die Konzentration auf
eine der beiden Wettbewerbsstrategien eine annähernde Parität gegenüber den Konkurrenten
bei der jeweils nicht verfolgten Strategiedimension bedingt, womit quasi der erste Schritt im
Hinblick auf eine Simultaneitätsstrategie vollzogen ist, jedoch berücksichtigt dies nur appro-
ximativ das hybride Käuferverhalten, das eine simultane und gleichwertige Erfüllung der
strategischen Erfolgsfaktoren Kosten, Qualität und Zeit fordert. Mindesteffektivität bzw.
Mindesteffizienz, gepaart mit einer markt-kunden-orientierten Effizienz bzw. Effektivität,
reicht daher auf vielen Märkten nicht mehr aus.

Der demografischen Entwicklung hin zu einer Konsumentenschicht, die sich zunehmend über
Produkte profiliert bzw. ihre Persönlichkeit über Produkte hervorhebt, trägt das eher techno-
kratisch ausgerichtete Konzept der monoerfolgsfaktorzentrierten Wettbewerbsstrategien we-
nig Rechnung. So ist die Differenzierung zu stark auf technologische Attribute wie Produkt-
qualität oder Innovationsgrad und zu wenig auf die Präferenzbildung150 der Abnehmer ausge-
richtet. Eine Erlebnis- oder Designorientierung sowie die Möglichkeiten des Marketings, wie
z. B. die Generierung preisorientierter Abnehmer, bleibt unberücksichtigt bzw. wird einer
objektiven Produktdifferenzierung oder einem produktionswirtschaftlichen Kostenvorteil
nachgeordnet.151

Darüber hinaus wird das Problem des Zeitwettbewerbs in den generischen Wettbewerbsstra-
tegien kaum berücksichtigt. Die immer schnellere Diffusion von technologischen Entwick-
lungen lässt Marktbarrieren zunehmend erodieren mit der Folge, dass die Marktanwesen-
heitszeiten der Produkte sich dramatisch verkürzen. Damit wird aber der Kostenführer-
schaftsstrategie in vielen Branchen die Erfolgsgrundlage entzogen. Nur hinreichend stabile
Märkte, in denen homogene und standardisierte Produkte über einen längeren Zeitraum abge-
setzt werden können, ermöglichen es, insbesondere im Produktions- und Logistikbereich

149
Die nachfolgenden Ausführungen zu Gliederungspunkt 4.4 lehnen sich eng an KEUPER (2004), S. 66 ff., an.
150
Zu Profilierungsstrategien auf Basis von Präferenzstrategie und Preis-Mengen-Strategie vgl. MEFFERT (1994),
S. 137.
151
Vgl. PILLER (2006), S. 215.
38 KEUPER

Größenvorteile und Erfahrungskurveneffekte zu realisieren. Darüber hinaus liegt oftmals


aufgrund verfahrenstechnologischer Innovationen eine Schar von Erfahrungskurven vor,
sodass nicht ausschließlich der Marktführer erfahrungskurvenbedingte Kostensenkungspoten-
ziale erschließen kann.152 Zudem ist aufgrund produktionstechnologischer, organisatorischer
und IuK-technologischer Entwicklungen, wie z. B. durch den Einsatz flexibler Fertigungssys-
teme in virtuellen Organisationen, festzustellen, dass das Ausschöpfen erfahrungskurvenbe-
dingter Kostensenkungspotenziale geringere kumulierte Produktionsmengen erfordert. Durch
die Verringerung der optimalen Betriebsgröße können Wettbewerber mit geringen Marktan-
teilen kostenoptimale Positionen einnehmen. Letzteres wird auch durch die zunehmend gesät-
tigten Märkte verstärkt, weil auf stagnierenden Märkten die Kostenstrukturen der Wettbewer-
ber weitgehend homogen sind, was jedoch PORTERs Annahme einer monopolartigen Kosten-
führerschaft widerspricht.153 Insofern bietet es sich in einer solchen Situation an, unter Beibe-
haltung einer günstigen Kostenposition die Differenzierung voranzutreiben.154

Zudem treten im Zeitwettbewerb aufgrund von Sättigungstendenzen häufig Programmüber-


springungseffekte auf, die wiederum der reinen Differenzierungsstrategie die Daseinsberech-
tigung entziehen. So wird der zusätzlich angebotene Nutzen vom Kunden nicht mehr als
„echter Nutzen“ wahrgenommen und honoriert. Dies hat zur Folge, dass ganze Produktgene-
rationen übersprungen werden. In einer solchen Situation bietet es sich dementsprechend an,
unter Beibehaltung einer optimalen Differenzierungsposition die Kostenführerschaft bzw.
eine annähernd äquivalente Position zu erreichen. Zudem treten Zielkonflikte zwischen Diffe-
renzierung und Kostensenkung immer nur dann auf, wenn entweder sämtliche Effizienzpo-
tenziale dauerhaft ausgeschöpft worden sind oder aber das Differenzierungspotenzial im
Hinblick auf die Kundenpräferenzen optimal ausgestaltet ist. Dies ist aber in der Praxis nicht
der Fall, weil zum einen die Differenzierungsstrategie mehrdimensional ist und somit vielfäl-
tige Ansatzpunkte zur Optimierung bietet und zum anderen real niemals alle Unwirtschaft-
lichkeiten beseitigt sein werden. Schließlich kann die Differenzierungsstrategie auch durch
Maßnahmen der Wettbewerber konterkariert werden, wenn wettbewerbsseitige Modifikatio-
nen das Preis-/Leistungsverhältnis derart verändern, dass die Bereitschaft der Nachfrager
abnimmt, für einen höheren Nutzen auch einen höheren Preis zu bezahlen.155

Aufgrund der Marktkomplexität und der ihr inhärenten Marktdynamik kann zudem eine
Branchenanalyse anhand der fünf Wettbewerbskräfte nie vollständig sein.156 Damit stellt sich
insbesondere für dynamische Märkte die Frage, ob eine eindimensionale Strategieentschei-
dung vor dem Hintergrund der Informationsunsicherheit die richtige Entscheidung sein kann
oder ob nicht der konsequente Aufbau einer ressourcen- bzw. kernkompetenzgetriebenen
Differenzierungsposition, die i. d. R. auch schwieriger zu adaptieren ist, unter Beachtung
einer nahezu kostenführerschaftsäquivalenten Position die richtige Antwort ist.

152
Vgl. WILL (1996), S. 37.
153
Vgl. CORSTEN (1998), S. 95.
154
Vgl. PILLER (2006), S. 216.
155
Vgl. KLEINALTENKAMP (1987), S. 36 ff.
156
Vgl. WHITTINGTON (1993), S. 23.
Die Implosion des Market-based View 39

4.5 Konvergenzkomplexitätskongruenz157
Die gegenwärtigen Wirkungen der Konvergenz führen dazu, dass zunehmend bestehende
Marktbarrieren und Branchenstrukturen erodieren, weshalb die Branchenlebenszyklen sich
immer weiter verkürzen. Dies bedingt evolutionäre, vor allem aber revolutionäre Transforma-
tionen der Wertschöpfungsketten bzw. der Geschäftsmodelle. Insofern konvergieren und
divergieren Branchen, noch bevor sie zumindest temporär einen stabilen und transparenten
Zustand erreicht haben.158 Eine analysierbare, hinreichend stabile Branchenstruktur ist aber
die unabdingbare Voraussetzung für die eindimensionale Strategiewahl, wie sie PORTER vor-
schlägt.159 Durch die Dynamik der Branchen und die immer schneller auftretenden Verände-
rungen werden aber eine Zukunftsvorhersage und die Planung einer monolithischen Positio-
nierung praktisch unmöglich.160 Für die Umsetzung einer eindeutigen Kostenführerschafts-
bzw. Differenzierungsstrategie ist eine detaillierte Analyse der Branchenstruktur unumgäng-
lich, weil eine auch nur infinitesimal schlechtere Positionierung nach PORTER schon zu dra-
matischen Ertragseinbußen führen kann. Liegt hingegen eine homogene Dynamik in einem
Geschäftsfeld vor, d. h. existieren strategische Basistrends, wie z. B. die Filialisierung im
Handel, so kann trotz Marktdynamik eine eindeutige Positionierung als Kostenführer bzw. als
Differenzierer verfolgt werden. Allerdings ist eine solchermaßen homogene Dynamik gerade
nicht das Kennzeichen der Konvergenz; vielmehr zeichnet sich die Konvergenz durch ein
hohes Maß an Diskontinuität161 aus. Insofern erscheint es gerade in konvergierenden Märkten
geboten, ein Leistungsbündel durch entsprechende Komplementierer162 so zu schnüren, dass
es kosten-, qualitäts- und zeitorientiert ausgerichtet ist. Die Komplexität eines solchen Leis-
tungsbündels und die Intransparenz der dahintersteckenden Prozesse repräsentieren auch in
Zeiten konvergierender Märkte eine weitaus höhere und dauerhaftere Replikationsbarriere als
eine eindimensionale Strategiewahl, deren Wettbewerbsvorteil rasch durch entsprechende
Kooperationen oder Partnerschaften mit Wettbewerbern oder branchenfremden Unternehmen
egalisiert werden kann. Dementsprechend sinkt auf konvergierenden Märkten durch die Ver-
folgung einer Simultaneitätsstrategie die Imitationsgefahr durch die Wettbewerber. Darüber
hinaus stellen gerade die möglichen Inflexibilitäten, die mit einer Entweder-oder-Strategie
verbunden sind, vor dem Hintergrund konvergierender Märkte ein großes Gefahrenpotenzial
für die strategische Mittelmäßigkeit dar. Gerade die durch die Konvergenz entstehenden fle-
xiblen, integrierten Produkt- und Prozesstechnologien fordern auch flexible, ganzheitliche
und hybride Strategieformen.

PORTER berücksichtigt aber weder die aus der Konvergenz abgeleitete unabdingbare Forde-
rung nach Leistungsbündelung mittels kooperativ-konstituierender Systemprodukte noch den
sich häufig aus der Konvergenz ergebenden Freund/Feind-Wettbewerb. Insofern sind die fünf
Marktkräfte zumindest um eine sechste Kraft, den Komplementierer, zu erweitern, um in
konvergierenden Branchen überhaupt eine Analyse der Struktur zu ermöglichen. Dabei beste-

157
Die nachfolgenden Ausführungen zu Gliederungspunkt 4.5 lehnen sich eng an KEUPER (2004), S. 68 ff., an.
158
PORTER geht davon aus, dass die Konvergenz ein zeitlich begrenztes Kontinuum darstellt, in dem die meisten
Experimente wirtschaftlicher Art fehlschlagen werden, sodass sich nach und nach eine stabile Branche für eine
klare monoerfolgsfaktororientierte Positionierung herausbildet; vgl. PORTER (2001), S. 68 ff.
159
PORTER lässt bei emergierenden Märkten durchaus Dynamik zu; allerdings sind seine strategischen Empfehlun-
gen sehr vage; vgl. PORTER (2000), S. 65 f.
160
Vgl. HAERTSCH (2000), S. 128.
161
Diskontinuität beinhaltet nichtlineare Veränderungen, die durch unterbrochene Handlungs- und Ereignisfolgen
gekennzeichnet sind; vgl. PERICH (1993), S. 95.
162
Vgl. BRANDENBURGER/NALEBUFF (1996), S. 18.
40 KEUPER

hen zwischen komplementierenden Parteien interdependente Beziehungen mit dem Ziel bei-
der Parteien, einen gemeinsamen Markt aufzubauen, wobei jedoch i. d. R. jede Partei einen
möglichst großen Teil des gemeinsamen Markterfolges für sich behalten will.163 Durch die
Machtverlagerung zum Kunden und die zunehmende Spezialisierung der Unternehmen steigt
die Bedeutung der Komplementierer, weil nur so hybride Leistungsbündel (Systemprodukte)
generiert werden können, um den hybriden Käuferpräferenzen gerecht zu werden. Die Be-
rücksichtigung der Komplementierer als sechste Wettbewerbskraft in konvergierenden Märk-
ten unterstreicht die Möglichkeit, dass eine Simultaneität der generischen Strategieoptionen
nicht zwangsläufig zu einem „Sitzen zwischen den Stühlen“ führen muss.164

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Auswirkungen der Konvergenz auf die
fünf Wettbewerbskräfte von PORTER vielschichtig sind. Die Komplexität des Zusammenspiels
zwischen den Komplementierern und den fünf Kräften des Marktes bedingt, dass Wirkungs-
intensität und Wirkungsrichtung ex ante nicht vorhersagbar sind. Insofern muss der Bran-
chenstrukturanalyse generell die Planungsfunktion aufgrund der hohen Dynamik auf konver-
gierenden Märkten in weiten Bereichen abgesprochen werden; vielmehr nehmen Branchen-
strukturmodelle ausschließlich den Charakter eines strukturierenden Analysewerkzeugs für
einen spezifischen Zeitpunkt an.165 Dabei ist zu beachten, dass die Gültigkeit der Analyseer-
gebnisse auf konvergierenden Märkten sehr gering ist.

Die unzureichende Planungsfunktion von Branchenstrukturmodellen wird u. a. in einer Studie


über die Erfolgsfaktoren im Business-to-Consumer-E-Commerce eindeutig belegt.166 Im
Rahmen dieser Studie konnte kein signifikanter Zusammenhang zwischen der allgemeinen
Wettbewerbsintensität, der leistungsbezogenen Wettbewerbsintensität, der preislichen Wett-
bewerbsintensität und dem Erfolg eines Unternehmens gefunden werden.167

Ferner kann das verwendete Bild einer linearen Wertschöpfungskette, bei der die Wertschöp-
fungsschritte in sequentiellem Zusammenhang stehen, vor dem Hintergrund konvergierender
Märkte und der damit verbundenen Zunahme informationsintensiver Güter die vernetzten und
rekursiven Produktionsprozesse, wie sie z. B. in der Medienbranche vorliegen, kaum adäquat
widerspiegeln.168 Vielmehr repräsentieren Wertschöpfungsnetzwerke oder Wertschöpfungs-
kreisläufe häufig den Wertschöpfungsprozess besser als linearisierte Denkmodelle.169 Inso-
fern wird auch die an sich schon kaum zwingend abzuleitende zweifelsfreie Unterscheidung
zwischen primären und sekundären Aktivitäten noch weiter erschwert.

163
Vgl. BRANDENBURGER/NALEBUFF (1996), S. 36.
164
BLECKER bezeichnet im Rahmen seines Konzepts der grenzenlosen Unternehmung die sechste Kraft als
Netzwerkexternalitäten. Dahinter verbirgt sich ebenso wie im Fall des Komplementierers schwerpunktmäßig der
Versuch, über Kooperationsformen den Anforderungen des Marktes adäquat entgegenzutreten. Auf den Wettbe-
werb innerhalb einer Branche wirken sich Kooperationen unterschiedlich aus. So kann z. B. die Wettbewerbsin-
tensität sinken, weil die Unternehmen zur Partizipation neigen und kollusives Verhalten zeigen; vgl. BLECKER
(1999), S. 101. Allerdings führt ein Wettbewerb zwischen kooperativ agierenden Verbünden zu einer extremen
Intensivierung des Wettbewerbs, weil die Marktmacht der wenigen großen Verbünde sehr ausgeprägt ist.
165
Vgl. HAERTSCH (2000), S. 128.
166
Vgl. BÖING (2001), S. 109 ff.
167
Vgl. BÖING (2001), S. 127 ff.
168
Vgl. KEUPER (2001b), S. 395.
169
Vgl. hierzu z. B. die Content-Erstellung von Zeitungs- und Publikumszeitschriftenverlagen in KEUPER (2001b),
S. 395 f.
Die Implosion des Market-based View 41

5 Wettbewerbsstrategischer und methodischer


Zusammenbruch des Market-based View

Vorangehend ging es nicht darum, den Market-based View und dessen „generische“ Wettbe-
werbsstrategien generell zu verwerfen. Nach wie vor besteht die Möglichkeit, dass es stabile,
reife, sich homogen-dynamisch entwickelnde Branchen und Märkte geben kann, in denen
eine outside-in-getriebene Vorgehensweise zur Ableitung einer umfassenden Kostenführer-
schaft oder einer Differenzierung die ausschließlich richtige Strategie ist.

Allerdings sind diese Voraussetzungen gegenwärtig schon selten vorzufinden, und in der
Zukunft werden sie immer seltener anzutreffen sein. Zunehmend werden Unternehmen res-
sourcen- bzw. kernkompetenzgetrieben Simultaneitätsstrategien umsetzen, um sich zu diffe-
renzieren, weil auch in Zukunft mit weiter erodierenden Branchen, lediglich temporär stabilen
Konvergenzergebnissen sowie einer zunehmend heterogen-hybriden Nachfrage sowohl im
Industrie- als auch im Konsumgüterbereich zu rechnen ist. Insofern ist die ressourcen- bzw.
kernkompetenzgetriebene Verfolgung einer Simultaneitätsstrategie zukünftig als eine zentrale
Strategieoption zu sehen, die nicht zwangsläufig zu einem „Sitzen zwischen den Stühlen“
führt,170 sondern die dichotomen Strategietypen ergänzt171.

Zweck der Unternehmen =


Sicherung der langfristigen
Unternehmensgesamtstrategien
Positionierung Überlebensfähigkeit
im Markt
Maximierung des Wettbewerbsstrategien
unternehmerischen Erfolgs

Effektivität Effizienz

Planung der
Erfolgsposition Qualität Zeit Kosten

Strategischer Wettbewerbsvorteil

Pfaddeterminierte, inkrementell Wertschöpfungskette


entwickelbare distinktive
Ressourcen
(z. B. IT im Zusammenspiel mit
anderen Funktionsbereichen) Distinktive Ressourcen

Resource-based View

Abbildung 21: Struktur des Resource-based View172

170
Vgl. CORSTEN (1995), S. 352.
171
Eine andere Auffassung hat FLECK (1995), S. 32.
172
KEUPER (2008), S. 26.
42 KEUPER

Insgesamt kann somit festgehalten werden, dass die PORTER`schen Entweder-oder-Strategien


zwar die Strategiediskussion in Theorie und Praxis geprägt haben, die strategische Eignung
im Hinblick auf die gegenwärtige Marktkomplexität jedoch in weiten Bereichen als eher
gering einzustufen ist. Ferner ist zu attestieren, dass der Modellansatz von PORTER erhebliche
Inkonsistenzen, widersprüchliche Annahmen sowie nicht eindeutig belegbare Hypothesen
aufweist und aus transaktionskostentheoretischer, spieltheoretischer und systemtheoretisch-
kybernetischer Sicht ad absurdum geführt wird.

Letztlich sind die Entweder-oder-Strategien nicht i. d. L., eine heterogen-hybride Nachfrage-


struktur zu berücksichtigen. Auch die sich aus der nicht zutreffenden Dichotomisierungs-
annahme evolutorisch entwickelnde Starrheit des Produktionssystems, das per se nicht darauf
ausgerichtet ist, mehrere strategische Erfolgsfaktoren gleichzeitig zu verfolgen, schränkt das
notwendige Flexibilitätspotenzial auf konvergierenden Märkten stark ein. Insofern haben die
PORTER`schen Wettbewerbsstrategien nur einen geringen Bezug zur gegenwärtigen Markt-
komplexität, sodass  ketzerisch formuliert  sich die Marktorientierung des Market-based
View und der PORTER`schen Wettbewerbsstrategien nicht auf die dem Markt inhärente Kom-
plexität bezieht, wodurch der Kunde zum Vasallen der Strategen wird. Damit wird auch deut-
lich, dass die monoerfolgsfaktorzentrierten Wettbewerbsstrategien von PORTER nicht i. d. L.
sind, das bestehende Komplexitätsgefälle zwischen Marktkomplexität und der Komplexität
eines Unternehmens adäquat zu handhaben.

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STEP – Mit Strategie und Transparenz
zu mehr Vertriebserfolg

MARTIN SONNENSCHEIN, HAGEN GÖTZ HASTENTEUFEL


und FLORIAN DICKGREBER

A.T. Kearney

1 Vertrieb aktuell – Eine Bestandsaufnahme...................................................................... 49


2 Ursachenanalyse .............................................................................................................. 54
3 Erfolgsfaktoren im Vertrieb erkennen ............................................................................. 57
4 STEP – Der Ansatz zu systematischem Vertriebserfolg.................................................. 58
5 Vertriebsstrategie – Was soll im Markt erreicht werden?................................................ 59
6 Go-to-Market – Welche Aufstellung ist zur Erreichung meiner strategischen Ziele
geeignet? .......................................................................................................................... 61
7 Kommerzielles Modell – Wie und mit welcher Profitabilität können die Ziele erreicht
werden?............................................................................................................................ 63
8 Operations – Wie kann die Zielerreichung sichergestellt werden?.................................. 65
9 Enabler – Wie können die Voraussetzungen zur Zielerreichung geschaffen werden? .... 68
10 HR-Entwicklung – Wie wird das optimale Team zur Zielerreichung entwickelt? .......... 68
11 Vertrieb als echter Aktivposten – Klaviatur von Strategie bis Performance.................... 69
Quellenverzeichnis.................................................................................................................. 70
STEP – Strategie und Transparenz für mehr Vertriebserfolg 49

1 Vertrieb aktuell – Eine Bestandsaufnahme

Ab Mitte 2008 waren Vertriebsorganisationen in praktisch allen B2B-Industrien von den


starken Einbrüchen im Auftragseingang geprägt. Insbesondere die produzierenden Industrien
wurden von den Auswirkungen der globalen Krise hart getroffen. Die Effekte setzten sich
auch in vermeintlich krisensichere Infrastruktur-Industrien wie Telekommunikation, Ener-
giewirtschaft und IT-Industrie fort. Einbrüche in der Produktion, bei den Geschäftsreisen und
bei Neuinvestitionen konfrontierten die Außendienste dieser eher wachstumsverwöhnten
Industrien ebenfalls mit neuen Herausforderungen – auch in den Infrastrukturindustrien kann
ein Rückgang in den Auftragseingängen von immer noch um die 10% beobachtet werden
(siehe Abbildung 1). Auch in B2C-orientierten Industrien sind – in abgeschwächter Form –
die Auswirkungen der globalen Krise spürbar geworden. Was bedeutet dies für den Vertrieb?

Umsatzeinbrüche Infrastruktur –
Rückgang der Auftragseingänge in der produzierenden Industrie
Branchen 2009
Elekto-
technik & Metall- Automotive Maschi- IT- Energie-
Telekom-
Textil Chemie Elektronik produkte OEM nenbau Services munikation versorgung

3,0%

18,6%
21,8%
23,5%
26,5%
30,5%
9,0%
35,1% 10,0%

Abbildung 1: Entwicklung Auftragseingang in Deutschland1

Wie eine gemeinsame Studie von ABSATZWIRTSCHAFT und A.T. KEARNEY zeigt,2 liegt die Ant-
wort der Mehrzahl von Unternehmen in einem stärkeren Fokus auf Vertriebseffizienz und
-effektivität, immerhin noch 47% der Unternehmen reagieren mit einer Anpassung der Ver-
triebsziele. Wie die Auswertung ebenfalls zeigt, wollen nur zwischen 25% und 34% der Un-
ternehmen ihre Vertriebsstrategie, ihren Marktangang oder ihre Vertriebspartner strukturell
anpassen (siehe Abbildung 2).

1
Die Abbildung enthält von A. T. KEARNEY aufgearbeitete Daten des STATISTISCHES BUNDESAMTES.
2
Eine gemeinsame Studie von ABSATZWIRTSCHAFT und A.T. KEARNEY mit mehr als 190 Teilnehmern; vgl. ABSATZ-
WIRTSCHAFT (2009).

F. Keuper, B. Hogenschurz (Hrsg.), Professionelles Sales & Service Management,


DOI 10.1007/978-3-8349-8799-0_2,
© Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
50 SONNENSCHEIN/HASTENTEUFEL/DICKGREBER

Frage 1: Welche Stellhebel Ihres Vertriebs passen Sie im Zuge


der Wirtschaftskrise an?
Steigerung der
Vertriebseffizienz 51%
und -effektivitität

Anpassung der 47%


Vertriebsziele

Neuformulierung der 34%


Vertriebsstrategie

Neuer 29%
Marktangang

Anpassung der
Vertriebskanäle und 25%
Vertriebspartner

Anpassung des 19%


Entlohnungssystems

Sonstiges 3%

Abbildung 2: Stellhebel Vertrieb in der Krise

Ein solcher reflexartiger Fokus auf das Performancemanagement des Vertriebs lässt sich
häufig in Krisensituationen beobachten, verhindert aber eine grundlegendere Diskussion um
die Ausrichtung und Aufstellung des Vertriebs. In vielen Unternehmen hat diese Diskussion
bereits vor der Krise begonnen und wird nun von den operativen Problemen überlagert3 –
andere Unternehmen nutzen die Situation aber bewusst, um die Frage zu stellen, wie der Wert
des Vertriebs für das Unternehmen maximiert werden kann. Wie kann der Vertrieb als ein
wirklicher Aktivposten des Unternehmens genutzt werden? Hierbei stellt sich zunächst die
Frage nach der tatsächlichen Performance des Vertriebs, die zunehmend von den anderen
Funktionsbereichen des Unternehmens gestellt wird. Welche Hintergründe haben diese Dis-
kussion und wie lässt sich ihnen begegnen?

Bemisst man die Bedeutung des Vertriebs am Gewicht des Vertriebsbudgets am Gesamtbud-
get eines Unternehmens, so stellt man fest, dass der Anteil der Vertriebsbudgets in vielen
Industrien prozentual wächst. So sind beispielsweise im Mobilfunk bei stagnierenden bzw.
schrumpfenden Umsätzen die Kosten für die Gewinnung neuer Teilnehmer und Verlängerung
von bestehenden Kunden von 25% auf 28% der operativen Kosten gestiegen.4 Dieser Kosten-
ausweitung steht bei vielen Netzbetreibern kein korrespondierender Markterfolg gegenüber,

3
Vgl. A.T. KEARNEY (2009c).
4
Vgl. A.T. KEARNEY (2009b).
STEP – Strategie und Transparenz für mehr Vertriebserfolg 51

da auch der Anteil der Vertriebskosten5 am Umsatz von 14,4% auf 16% vom Umsatz in 2008
gestiegen ist (siehe Abbildung 3).

Eine ähnliche Entwicklung lässt sich in vielen Industrien beobachten und lässt sich in der
Struktur der Einsparprogramme vieler Unternehmen erklären. Während in vielen Funktions-
bereichen des Unternehmens Kostensenkungsmaßnahmen durchgeführt werden, wird „am
Kunden“ also im Vertrieb in der Regel erst relativ spät oder gar nicht gespart.

Split der operativen Gesamtkosten Vertriebskosten als Teil des Umsatzes

+3%
100% 100% 100% 100% 16.0% 16.0%
14.6% 14.9%
Vertriebs- 25% 26% 27% 28%
kosten

Andere
direkte 33% 33% 34% 34%
Kosten

Andere
indirekte 42% 41% 39% 38%
Kosten

2005 2006 2007 2008 2005 2006 2007 2008

Abbildung 3: Entwicklung Vertriebskosten6 im Mobilfunk7

Hinzu kommt die in vielen Märkten stattfindende Saturierung und damit einhergehende Ver-
schärfung des Wettbewerbs, die dazu führt, dass Vertriebsbudgets häufig noch wachsen.
CEOs und COOs, die eine unternehmensübergreifende Perspektive haben, müssen hier je-
doch die Frage der optimalen Budgetverwendung auch im für Einsparmaßnahmen sakrosank-
ten Vertrieb stellen. Diese Frage ist zunehmend berechtigt, wenn man betrachtet, dass Ver-
triebsbudgets oft im Fortschreibungsmodus erstellt werden, also die Mittel des vergangenen
Jahres an die – üblicherweise steigenden – Ziele des neuen Jahres angepasst werden. Hierbei
werden strukturelle Anpassungen unbeachtet gelassen, aber zugleich auch keine Anreize
gesetzt, solche Anpassungen überhaupt vorzunehmen. Wie das Beispiel Privatkundenvertrieb
im Mobilfunk zeigt, führt dies nicht immer zu einer optimalen Mittelverwendung (vgl. Ex-
kurs 1).

5
Vertriebskosten definiert als Summe aller direkten Vertriebskosten (Provisionen, Kommissionen, Werbekosten-
zuschüsse) und indirekten Vertriebskosten (Personal, Miete, externe Dienstleister, etc.).
6
Vertriebskosten definiert als Summe aller direkten Vertriebskosten (Provisionen, Kommissionen, Werbekosten-
zuschüsse) und indirekten Vertriebskosten (Personal, Miete, externe Dienstleister, etc.).
7
A.T. KEARNEY (2009b).
52 SONNENSCHEIN/HASTENTEUFEL/DICKGREBER

Exkurs 1: Kanalentwicklung Mobilfunk

In einer Untersuchung westeuropäischer Telekommunikationsmärkte stellte A.T. KEARNEY


fest, dass entgegen der von allen großen Telekommunikationsunternehmen postulierten
Strategie, die eigenen Vertriebskanäle und dabei insbesondere die eigenen Shops zu stär-
ken, tatsächlich eine Ausweitung der gesamten Vertriebsoberfläche stattgefunden hat (siehe
Abbildung 4). Insbesondere der indirekte Vertrieb hat seine Oberfläche sogar prozentual
fast ähnlich stark steigern können wie der direkte Vertrieb. Diese Entwicklung führt nicht
nur dazu, dass erhebliche Investitionen in den Ausbau des Shop-Netzwerkes nicht zu einem
deutlich höheren Anteil des Kanals am Absatz führen, sondern auch bei stagnierenden
Umsätzen eine sinkende Produktivität des Vertriebs zu beobachten ist.

Netzbetreiber Shops Franchise Shops Handel

+14% 147% +10%


+5% 134%
124% 121% 125%
116%
106% 108%
100% 100% 96% 100%

2005 2006 2007 2008 2005 2006 2007 2008 2005 2006 2007 2008

Abbildung 4: Entwicklung Vertriebsoberfläche Westeuropa8

Neben der außerhalb des Vertriebs oft nicht nachvollziehbaren Budgetplanung und -ver-
wendung besteht ein weiteres Transparenz-Problem, das die Akzeptanz von positiven Ver-
triebsleistungen deutlich erschwert. Vertriebsziele werden – vergleichbar zu den Budgets –
aufbauend auf den Zielen des Vorjahres definiert. Eine übergeordnete Vorgabe aus dem Ge-
schäftsplan wird zwar oft integriert, also bspw. eine Absatz- oder Umsatzsteigerung um x%,
diese ist aber üblicherweise nicht an der Marktentwicklung ausgerichtet. In Projekten zur
Optimierung des Vertriebs stößt A.T. KEARNEY dementsprechend oft auf die Situation, dass
der Vertrieb erneut das historisch beste Ergebnis des Vertriebs feiert, tatsächlich aber im
Wettbewerbsvergleich Marktanteile verloren wurden. Eine Zielerreichung von 120% oder
mehr im Vertrieb und damit verbundene Ausschüttung von Boni und anderen variablen Ge-
haltsbestandteilen steht dabei oft in starkem Widerspruch zu den Gesamtergebnissen des
Unternehmens und der Zielerreichung anderer Bereiche. Nach den Erfahrungen von A.T.
KEARNEY zeigt sich bei einer starren, nicht am Wettbewerbserfolg orientierten Zielsetzung vor
allem gegen Jahresende noch ein weiteres gefährliches Phänomen: Hat der Außendienst seine
Ziele für eine maximale Ausschüttung des variablen Anteils erst erreicht, wird die Marktbe-
arbeitung deutlich zurückgefahren und dem Unternehmen geht Umsatz verloren. Dieses Phä-
nomen stellt sich teilweise bereits im November ein. In einer gemeinsamen Studie von AB-
SATZWIRTSCHAFT und A.T. KEARNEY gaben außerdem immerhin 14% der Unternehmen an,

8
A.T. KEARNEY (2009b).
STEP – Strategie und Transparenz für mehr Vertriebserfolg 53

dass die Ziele in der Krise nach unten korrigiert werden und weitere 17% die Ziele von vorn-
herein so konservativ geplant hatten, dass weitere Anpassungen nicht erforderlich sind9. An
diesen Zahlen wird deutlich, dass über die Anpassung der Ziele Vertriebsorganisationen von
den negativen Ergebnissen des Gesamtunternehmens abgekoppelt werden und zumindest
moderate Zielerfüllung aufweisen können (siehe auch Exkurs 2).

Deutlicher werden die Probleme einer klassischen Vertriebssteuerung aber immer dann, wenn
die Ergebnisse sich nicht wie erwartet einstellen. In einer Vielzahl von Projekten konnte A.T.
KEARNEY feststellen, dass in diesen Fällen auch Mängel in der operativen Steuerung von Ver-
triebsorganisationen zu Tage treten. Diese bestehen vor allem in einer ungenügenden Kennt-
nis und Struktur der Vertriebs-Pipeline, nicht ausreichenden Leads zur Befüllung dieser Pipe-
line und auch einer unzureichenden Kenntnis der Kundenbedürfnisse. Zur Behebung solcher
Probleme wird versucht, mittels Vertriebs-Wettbewerben, speziellen Incentives für Kanäle
oder aber sogar Kostensenkungen durch Veränderungen bei den Back-Office-Prozessen die
Performance kurzfristig zu verbessern. Diese Maßnahmen greifen jedoch insgesamt zu kurz.

Angesichts des starken Fokus` auf operative Performance Steigerung gepaart mit fortge-
schriebenen Vertriebsbudgets und unzureichender Transparenz in der Vertriebssteuerung lässt
sich zusammenfassend von einer oft unzureichenden Professionalisierung des Vertriebs spre-
chen. Bevor ein Ansatz aufgezeigt wird, der nach Erfahrung der Autoren zu einer Professio-
nalisierung des Vertriebs führt, ist noch weitere Ursachenanalyse erforderlich. Als ein positi-
ves Beispiel für eine adäquate Krisenreaktion lässt sich die Reaktion eines großen integrierten
Telekommunikationskonzern anführen, der bei sich abzeichnenden Einbrüchen im Auftrags-
eingang genau nicht mehr einem mehr an Formularen und Kontrolle geantwortet hat, sondern
über eine verbesserte Segmentierung den Produkt-Markt-Fokus verschoben und durch eine
Unterstützung des Vertriebs mit Zielkundenlisten und deren Nutzungsprofil für eine bessere
Transparenz des Außendienstes über seine Kunden gesorgt hat. Hier lässt sich von einer wirk-
lichen Professionalisierung des Vertriebs sprechen.

Exkurs 2: Balance Vertriebs- und Unternehmensziele

Im B2B-Vertrieb eines Anbieters für Dentaltechnologie erreichte der Vertrieb Jahr für Jahr
eine Zielerreichung von über 120%. Die Absätze wurden Jahr für Jahr gesteigert und auch der
Umsatz wuchs kontinuierlich. Aus der Sicht der Unternehmensführung war die Einschätzung
der erzielten Erfolge nicht gleichermaßen positiv, da der Marktanteil kontinuierlich sank. Die
Fortschreibung der Ziele im Vertrieb erfolgte also offensichtlich vorbei am Wachstum des
Marktes und der Entwicklung des Wettbewerbs. Ein Problem auf das aber weder Controlling
noch Strategieabteilung des Unternehmens rechtzeitig aufmerksam geworden waren. Ein
Abgleich mit der Gesamtplanung des Unternehmens hätte hier für Abhilfe sorgen können.

9
Vgl. ABSATZWIRTSCHAFT (2009).
54 SONNENSCHEIN/HASTENTEUFEL/DICKGREBER

2 Ursachenanalyse

In einer branchenübergreifenden Vertriebsstudie mit mehr als 30 Teilnehmern aus der Kon-
sumelektronik, Telekommunikation, Energiewirtschaft und dem High-Tech-Sektor, die so-
wohl den B2B- als auch den B2C-Sektor abdeckte, hat A.T. KEARNEY verschiedene Aspekte
des Vertriebs der beteiligten Unternehmen untersucht. Ein wesentliches Ergebnis dieser Stu-
die war die bei den Teilnehmern unzureichende Definition der Vertriebsstrategie. Bei der
Frage nach der Formulierung einer Vertriebsstrategie wird diese zwar üblicherweise bejaht,
jedoch stellt sich bei Abfrage der definierten Elemente eindeutig heraus, dass Absatz, Umsatz
und Profitabilität die dominierenden Elemente sind. Quantitative Vertriebsziele werden also
mit der Vertriebsstrategie gleichgesetzt.10

Die genannte Studie hat in den Interviews mit den Vertriebsleitern ebenfalls gezeigt, dass sich
die Vertriebsorganisationen deutlich stärker mit der Definition von Zielen und dem operati-
ven Performance-Management auseinandersetzen, als mit den strategischen Fragestellungen
der Produkt-Marktsegmentierung und des Kanalmixes, dem Go-to-Market (siehe Abbildung
5). Ebenfalls unterrepräsentiert sind Fragen der Marktpositionierung, Exklusivität und Ab-
hängigkeit von Kanälen bzw. der Kontrolle über die Kanäle oder die Personalentwicklung.

Bei der Frage nach der Umsetzung der Vertriebsstrategie zeigt sich, dass vor allem die Ab-
satz- und Umsatzelemente operationalisiert werden – nicht aber der Go-to-Market oder aber
die Kompetenzausbildung des Vertriebs. Vergleichbare Ergebnisse zeigen weitere Studien
von A.T. KEARNEY.11

10
Vgl. ABSATZWIRTSCHAFT (2009), bei der die Unternehmen als wesentliche Strategieänderung in der Krise den
stärkeren Fokus auf Vertriebseffizienz und -effektivität nannten.
11
Vgl. ABSATZWIRTSCHAFT (2009).
STEP – Strategie und Transparenz für mehr Vertriebserfolg 55

Wichtigkeit
high 5

Umsatz
Absatz
4 Kundenloyalität
Exklusivität der Kanäle Produkt
Rentabilität
Marktpositionierung Kanalmix
Personalentwicklung
3
Preisniveau/ RabatteKundensegmente Bedeutung direkte
Marktanteil Kanäle vs. Indirekte
Kontrolle der Kanäle
Kanäle
2

low Marke
0
0% 25% 50% 75% 100%
Nennungen

Abbildung 5: Häufigkeit und Wichtigkeit von Elementen der Vertriebsstrategie12

Dieses wenig ausgeprägte Denken in Fragen der Vertriebsstrategie kommt auch im Manage-
ment des Kanalmixes zum Ausdruck. Diese Frage ist aufgrund der nach wie vor großen Do-
minanz des Außendienstes im B2B-Bereich weniger relevant als im Bereich B2C. Es zeigt
sich jedoch, dass auch im Business-Bereich der richtige Kanalmix erfolgsentscheidender
wird. Bei der Frage nach Ausprägung und Bedeutung der Kanalstrategie zeigte besonders die
Telekommunikationsindustrie ein ausgeprägtes Bewusstsein für Fragen der Kanalstrategie.
Dies bezog sich insbesondere auf die Frage der Gewichtung direkter gegenüber indirekten
Kanälen und die Kontrolle dieser Kanäle beziehungsweise entstehende Abhängigkeitsver-
hältnisse. Insbesondere in der Konsumelektronik aber auch in der Energiewirtschaft waren
Fragen der Kanalstrategie aber deutlich unterrepräsentiert – insbesondere in der Konsum-
elektronik zeichnet sich hier jedoch ein starkes Umdenken ab.13 Die Frage nach der strate-
gisch richtigen Ausgestaltung der Kanalstrategie stellt sich nach Beobachtung von A.T.
KEARNEY zunehmend auch im B2B-Bereich. Nur wenige Innovationsführer im B2B-Bereich
denken allerdings bereits strategisch in einem Multi-Kanal-Ansatz, in dem strategische Ver-
triebs-Partnerschaften genauso entwickelt und eingesetzt werden, wie Online Shops und
Affiliate Marketing (siehe Exkurs 3). Studien von A.T. KEARNEY zeigen aber auch, dass Un-
ternehmen zunehmend Krisensituationen nutzen, um den Kanalmix zu ihren Gunsten zu ge-

12
A.T. KEARNEY (2008a).
13
Vgl. A.T. KEARNEY (2008b).
56 SONNENSCHEIN/HASTENTEUFEL/DICKGREBER

stalten und insbesondere ihre Vertriebspartnerschaften neu zu sortieren. So wollen 27% leis-
tungsschwache Vertriebspartner durch neue ersetzen und 24% der befragten Unternehmen ihr
Vertriebspartnermodell grundsätzlich überarbeiten und Partner übernehmen. Immerhin 13%
planen Übernahmen von Vertriebskanälen.14

Exkurs 3: Übernahmepolitik eines Office-Elektronik-Anbieters

Ein Marktführer für Büroausstattung analysierte konsequent seinen Kanalmix und die Profi-
tabilität seiner verschiedenen regionalen Vertriebspartner. In einer Region stieß der Hersteller
auf starke Kanalkonflikte zwischen eigenem Außendienst und dem externen Händler, der
zugleich eine relativ geringe Profitabilität aufwies. Als sich im Zuge der globalen Wirt-
schaftskrise eine finanzielle Instabilität des Händlers zeigte, nutzt der Anbieter diese Gele-
genheit für eine Übernahme. Diese Übernahme war abgestimmt mit der allgemeinen Ver-
triebsstrategie, den eigenen Außendienst zu stärken und dessen Profitabilität zu verbessern.

Die beschriebene fehlende Ausformulierung von Vertriebsstrategien und die fehlende Ope-
rationalisierung der Elemente dieser Strategie führen auch zu einer eindimensionalen Aus-
richtung der Vertriebsziele, die dementsprechend rein auf Absatz und Umsatz ausgerichtet
sind. Die Orientierung an der Wettbewerbsposition – also eine relative Formulierung von
Zielen – findet sich nur bei einer Minderheit der Unternehmen.15 Aber auch unterstützende
Elemente für den Vertriebserfolg sind in der Regel nicht ausreichend in den Vertriebszielen
und Erfolgssystemen verankert. Als Beispiele hierfür sind die Profitabilität der gewonnen
Kunden, die Qualität der Beratung und die Zufriedenheit der Kunden im B2C-Bereich zu
nennen. Im B2B-Bereich sind die unterrepräsentierten Pendants die Pflege der Kundeninfor-
mationen, die Qualität des Vertriebs-Pipeline wie ebenso die Profitabilität der Abschlüsse. Je
größer die Bedeutung in den Erfolgssystemen ist, desto intensiver ist dann auch die Aufmerk-
samkeit mit der der Vertrieb diesen Themen nachkommt.

Als Ursachen für eine unzureichende Vertriebsperformance bzw. auch die fehlende Akzep-
tanz der Leistungen des Vertriebs lassen sich also fehlende strategische Ausrichtung, man-
gelnde Transparenz und teilweise fehlender Fokus auf Effektivität feststellen. Eine erforderli-
che Professionalisierung des Vertriebs muss diesen Unzulänglichkeiten Rechnung tragen.

14
Vgl. ABSATZWIRTSCHAFT (2009).
15
In der gemeinsamen Studie mit der ABSATZWIRTSCHAFT gaben 12% der Unternehmen eine Ausrichtung der Ziele
am Absatzmarktanteil und nur 6% am Umsatzmarktanteil an; vgl. ABSATZWIRTSCHAFT (2009).
STEP – Strategie und Transparenz für mehr Vertriebserfolg 57

3 Erfolgsfaktoren im Vertrieb erkennen

In zahlreichen Projekten in verschiedenen Industrien, ausführlichen Studien und Analysen hat


A.T. KEARNEY die Erfolgsfaktoren im Vertrieb untersucht. Hierbei kristallisierten sich die
folgenden Faktoren heraus (siehe Abbildung 6):

¾ Aus der Unternehmensstrategie abgeleitete Vertriebsstrategie – abgestimmt mit Marke-


tingstrategie
¾ Vertriebsstrategie in Marktangangsmodell operationalisiert und übersetzt in Vertriebs-
budget
¾ Transparenz über die tatsächliche Budgetverwendung
¾ Objektive Messung und Transparenz der Zielerreichung
¾ Performance Management balanciert zwischen vertrieblicher Freiheit und operativer
Kontrolle

Die Erfolgsfaktoren haben eine leicht unterschiedliche Bedeutung im B2B- und im B2C-
Vertrieb. Während im B2B-Vertrieb aufgrund des weniger komplexen Go-to-Market eher die
Fragen der Zielerreichung, des Leistungscontrollings und des Performance Managements im
Mittelpunkt stehen, dominieren im B2C-Vertrieb vor allem die Abstimmung mit der Marke-
tingstrategie, die Umsetzung in den Marktangang und Vertriebsbudgets sowie die Transpa-
renz über die Budgetverwendung.

Bedeutung Un- Weniger Sehr


Mittel Wichtig
Erfolgsfaktoren wichtig wichtig wichtig

Vertriebsstrategieaus Unternehmensstrategie abgeleitet 88%

Vertriebsstrategie abgestimmt mit Marketingstrategie 88%

Go-to-Market abgeleitet aus Vertriebsstrategie 75%

Go-to- Market operationalisiert in Vertriebsbudgets 63%

Transparenz über Budgetverwendung 88%

Objektive Messung der Zielerreichung 88%

Übergreifender Steuerungs- und Managementapproach 63%

Operatives Leistungscontrolling 50%

Balance zwischen Kontrolle und vertrieblicher Freiheit 88%

B2B-Vertrieb B2C-Vertrieb

Abbildung 6: Erfolgsfaktoren im Vertrieb16

Um die aufgezeigten Erfolgsparameter im Management des Vertriebs umzusetzen, ist ein


Umdenken bei Vertriebsleitern gefragt. Performance Management und Leistungscontrolling
bleiben weiterhin zwar wichtige Elemente in der Führung eines Vertriebs – diese müssen
jedoch in ein vielschichtigeres Modell eingebracht werden, das stärker an strategischen Ge-
sichtspunkten orientiert ist. Der Vertrieb kann nur dann stärker in einen hochwertigen Aktiv-

16
A.T. KEARNEY (2008a) (Branchenübergreifende Vertriebsstudie mit Teilnehmern aus Energiewirtschaft, Tele-
kommunikation, High Tech und Konsumelektronik).
58 SONNENSCHEIN/HASTENTEUFEL/DICKGREBER

posten transformiert werden, wenn die Unternehmensstrategie konsequent in eine Vertriebs-


strategie übergeleitet wird, die wiederum abgestimmt ist mit der Marketingstrategie. Operativ
bedeutet dies, dass sich beispielsweise Vertrieb und Marketing konkret abstimmen, welche
Kundensegmente mit welchen Produkten mit welcher Priorität bedient werden sollen. Nur so
lassen sich in der weiteren Folge auch abgestimmte Kommunikations- und Vertriebskampag-
nen erreichen. Die Abstimmung von Werbung und Vertriebsmaßnahmen zeigt nach Erfah-
rung von A.T. KEARNEY relativ verlässlich, inwieweit Marketingstrategie und Vertriebsstrate-
gie aufeinander abgestimmt sind. Die Vertriebsstrategie wiederum muss dann in das passende
Marktangangsmodell übersetzt werden, das mit den entsprechend allokierten Vertriebsmitteln
gesteuert wird. So muss nach Erfahrung der Autoren insbesondere darauf geachtet werden,
dass der angestrebte Kanalmix tatsächlich auch durch die Budgetallokation unterstützt wird.
Durch versteckte Budgets und sonstige Zuwendung an einzelne Kanäle wird oft der Status-
Quo beibehalten. Die vollständige Transparenz über die Verwendung der Budgets und der mit
ihnen erreichten Ziele muss durch einen übergreifenden Management- und Steuerungsansatz
unterstützt werden, der ein operatives Leistungscontrolling gewährleistet. Dabei sollte immer
noch die Balance zwischen Kontrolle und vertrieblicher Freiheit gewährleistet sein. In der
Projektarbeit haben die Autoren festgestellt, dass der gute Vertriebsleiter genau nicht in ei-
nem Kontrollwahn alle Details erfassen muss, sondern die Einhaltung der wichtigen Elemente
seiner Vertriebsstrategie erfasst und den Grad der Kontrolle auch nach der Leistung der ein-
zelnen Vertriebsmitarbeiter variiert.

Welche Veränderungen sind nun konkret gefordert? Der Vertriebsleiter, der seinen Vertrieb
auf Erfolg ausrichten will, muss sich von einem starken Fokus auf das Leistungsmanagement
des Vertriebs abwenden, und seinen Vertrieb entlang eines umfassenden Ansatzes von Ver-
triebsstrategie hin zu den kulturellen Faktoren neu ausrichten.

4 STEP – Der Ansatz zu systematischem Vertriebserfolg

Der von A.T. KEARNEY entwickelte STEP-Ansatz trägt diesen Anforderungen Rechnung.
STEP steht hierbei für die entscheidenden Elemente in jeder Vertriebsorganisation: Strategie,
Transparenz, Effektivität und Personal (siehe Abbildung 7). Der grafische Aufbau des Ansat-
zes spiegelt hierbei die bisher beschriebenen Erkenntnisse wider, dass die strategische Aus-
richtung des Vertriebs und der Marktangang die Grundlage für einen aus Unternehmenssicht
erfolgreichen Vertrieb darstellen. Das Element der Transparenz sorgt für die Umsetzung
dieser strategischen Elemente in die Steuerung der Effektivität und Effizienz. Alle Elemente
bauen auf der Strategie auf.

Unter dem Element Strategie lassen sich die Vertriebsstrategie und das Marktangangsmodell
subsumieren. Hier wird die Frage beantwortet, welche Markt- und Markenpositionierung
erreicht werden soll und welche Produkt-Markt-Segmente in welchen Regionen bedient wer-
den sollen. Ferner werden die Ausgestaltung des Vertriebs hinsichtlich Kanalmix, Vertriebs-
modell und -intensität, Dimensionierung und Abdeckung sowie die Vertriebsorganisation
behandelt.
STEP – Strategie und Transparenz für mehr Vertriebserfolg 59

Im Element Transparenz werden alle Aspekte des kommerziellen Modells des Vertriebs be-
leuchtet. Dies beginnt bei der Gestaltung der Provisions- und Anreiz-Modelle, dem Ver-
triebspartner-System, den Zielsystemen und den Messgrößen sowie der Preisgestaltung.

Unter dem Element Effektivität sind alle operativen Hebel und die unterstützenden Faktoren,
die sog. Enabler zu verstehen. Unter Operations fallen dabei das klassische Performance
Management, das Management der Vertriebs-Pipeline, Vertriebsaktionen sowie das Mana-
gement der Abschlussquoten. Im Bereich der unterstützenden Faktoren sind die IT-Systeme,
die Prozess-Landschaft sowie die Aftersales- und Backoffice-Optimierung eingeordnet.

Das Element Personal beinhaltet die gesamte Personalentwicklung mit dem Aufbau der not-
wendigen Skillsets, dem Training sowie Maßnahmen zur Gestaltung der Vertriebskultur.

Der STEP-Ansatz wurde basierend auf den Erfahrungen der Autoren in zahlreichen Ver-
triebsprojekten in verschiedenen Branchen und den Ergebnissen unterschiedlicher Vertriebs-
studien entwickelt. Auch in der methodischen Anwendung des Ansatzes kommt die deutlich
stärkere Gewichtung von Vertriebsstrategie und Marktangangsmodell im Vergleich zur ope-
rativen Vertriebsoptimierung zum Tragen. Was ist bei der Ausgestaltung der einzelnen Ele-
mente zu beachten?

5 Vertriebsstrategie – Was soll im Markt erreicht werden?

Das Strategie-Element des STEP-Ansatzes umfasst die Vertriebsstrategie selbst sowie die
Ausgestaltung des Marktangangs (siehe Abbildung 7). Gerade die Definition der Vertriebs-
strategie bleibt für viele Unternehmen und Vertriebsleiter ein Buch mit sieben Siegeln. Häu-
fig ist unklar, welche Elemente eine Vertriebsstrategie beinhalten sollte. Dabei sind hier als
grundsätzliche Leitlinien zu positionieren, welche Stellung das Unternehmen im Markt ein-
nehmen und wie die Marke positioniert werden sollte17. So führt beispielsweise eine klare
Festlegung auf eine Positionierung als ein moderner Premium-Anbieter mit Innovationsfüh-
rerschaft auch zu einer entsprechenden Umsetzung in der Vertriebsstrategie beispielsweise
bei der Wahl der Vertriebskanäle und der Gestaltung der Ladenlokale. Beide Strategie-Ele-
mente sind für die spätere Bestimmung von Zielen und Messgrößen wesentliche Ausgangspa-
rameter. Grundlage hierfür ist eine fundamentale Kenntnis des Marktumfelds und der Reife
der Industrie (siehe Exkurs 4).

17
In den Vertriebsstudien von A.T. KEARNEY werden als wesentliche Elemente einer Vertriebsstrategie immer
wieder Umsatz und Absatz genannt.
60 SONNENSCHEIN/HASTENTEUFEL/DICKGREBER

• Training
Enablers • Prozesse
• IT Tools


Effektivität
Performance Management
• Sales Pipeline Management
Operations
• Aftersales Optimierung
• Backoffice Optimierung

HR-Entwicklung

Personal
Kommer- • Kommissionen/ • Zielsysteme
zielles
Modell
Anreizsysteme
• Partner-Modell
Transparenz
• Preissetzung/
Rabatte

• Kanal-Mix Gestaltung • Abdeckung


Go-to-Market • Vertriebsmodell • Ressourcen
• Vertriebsorganisation Dimensionierung
Strategie
• Marktpositionierung • Marken-Position
Vertriebs-
• Produkt-Markt Fokussierung • Skillset Entwicklung
strategie
• Geographischer Fokus

Abbildung 7: STEP – Strategie, Transparenz, Effektivität und Personal

Weiterhin sollten Unternehmen zwingend festlegen, welche Produkt-Markt-Fokussierung sie


wählen, also welche Produkte in welchen Kundensegmenten mit welcher Priorität verkauft
werden sollen. In den Vertriebsprojekten von A.T. KEARNEY zeigt sich, dass diese Frage, die ja
auch in der Marketing-Strategie beantwortet wird, häufig im Vertrieb nicht definiert ist oder
unklar bleibt. In der Regel ist auch ein unzureichender Abgleich mit dem Marketing feststell-
bar. Ein ebenfalls häufig fehlendes Element, das in der Vertriebsstrategie klar umschrieben
werden sollte, ist die Frage der Entwicklung der Fähigkeiten und Fertigkeiten (Skillsets), die
der Vertrieb intern wie extern entwickeln sollte. Wird also in der Vertriebsstrategie definiert,
dass ein stärkerer Fokus auf Lösungsvertrieb erfolgen soll, so muss mit dem bestehenden
Außendienst ein Abgleich erfolgen, welche Mitarbeiter die erforderlichen Fähigkeiten auf-
weisen. Wird hier eine Kompetenzlücke festgestellt, müssen entsprechende Qualifizierungs-
oder Verstärkungsmaßnahmen definiert werden.
STEP – Strategie und Transparenz für mehr Vertriebserfolg 61

Exkurs 4: Anpassung des Go-to-Market Modells and das Marktumfeld

Wie Analysen von A.T. KEARNEY ergeben haben,18 lassen sich verschiedene Priorisierungen
im Marktangang von Unternehmen erkennen (siehe Abbildung 8).

Hierbei beeinflussen Marktwachstum und Marktwettbewerb wesentlich den Fokus, den


Unternehmen setzen müssen. Während im Markttypus des New Product Launch der Fokus
klar auf der Vermarktung des Produkts liegt, muss der Vertrieb dafür Sorge tragen, das
Produkt möglichst breit vermarkten zu können. In der Phase der Transition liegt der
Schwerpunkt klar auf den Vertriebskanälen, um eine optimale Durchsetzung gegenüber
dem Wettbewerb zu erreichen. In der Phase der Maturity also der Marktreife, muss die
Potenzialausschöpfung aller Kundensegmente im Vordergrund stehen, die der Vertrieb
bedienen muss, während in der Phase des Dead End der Schwerpunkt des Vertriebs auf
einer kosteneffizienten Bedienung der Kunden liegen muss.

High
New product launch Transition
Successful new product with lots of growth Competition moves in and
potential, very little competition and an opportunity shareholders demand growth and profits
to satisfy shareholder needs

Customer Customer

Product Channel Product Channel

Product focus to improve quality Channel focus to improve margins,


and meet initial growth expectations and increase revenue and market share
Market
growth
Dead end Mature
Decreased market receptivity reduces growth Obvious growth opportunities have been exploited
and shareholder expectations and there is a lot of competition, but shareholder
while competition intensifies expectations remain high

Customer Customer

Primary focus
Product Channel Product Channel
Secondary focus
Customer focus to develop new products Deep customer focus to stimulate innovation
with better market prospects and new product or business development Not a focus
Low
Low Market challenge High

Abbildung 8: Marktangang von Unternehmen

6 Go-to-Market – Welche Aufstellung ist zur Erreichung


meiner strategischen Ziele geeignet?

In direkter Verbindung mit der Vertriebsstrategie steht die Frage des Marktangangs. Im Rah-
men der Go-to-Market-Definition steht die Frage der Kanal-Mix-Gestaltung an oberster Stel-
le. Welche Kanäle eignen sich dazu, die strategischen Ziele zu erreichen? Welche Gewich-
tung sollten sie dabei einnehmen? Gerade in den letzten Jahren haben sich die verfügbaren
18
Vgl. A.T. KEARNEY (2009a).
62 SONNENSCHEIN/HASTENTEUFEL/DICKGREBER

Vertriebskanäle deutlich erweitert. Dies ist nicht nur im B2C-Bereich mit dem Wachsen der
Online- und Call-Center-Kanäle sowie einer deutlichen Verbreiterung der Handelskanäle der
Fall, sondern auch im B2B-Bereich in dem Internet und Call Center für viele Produkte eben-
falls valide Vertriebskanäle darstellen. Wichtig ist in jedem Fall, den Kanalmix auch quantita-
tiv vorzugeben, da sich ansonsten nicht beabsichtigte parallele Investitionen in verschiedenen
Kanälen einstellen und unkontrollierte Kanalkonflikte entstehen. Basis der Kanal-Mix-Pla-
nung ist natürlich eine Profitabilitätsrechnung der verschiedenen miteinander konkurrieren-
den Kanäle. Zusätzlich sollten aber auch weitere Elemente wie die Frage der Reichweite,
insbesondere günstiger Kanäle wie dem Internet, in den definierten Zielgruppen der Planung
zugrunde gelegt werden, ebenso wie die Frage der angestrebten Marken-Positionierung in den
gewählten Kanälen.

Das Vertriebsmodell ist insbesondere im direkten B2B-Vertrieb relevant: Soll ein Flächenver-
trieb, ein Segment-Modell oder ein Account-Vertrieb gewählt werden? Hier muss nach Erfah-
rung von A.T. KEARNEY insbesondere die Produktstruktur (erklärungsbedürftiges Produkt oder
nicht), die Auftragsgröße und die Marktpositionierung zugrunde gelegt werden. Ist ein Hun-
ter-Farmer-Modell hilfreich oder eher ein integrierter Vertrieb? Hier kann die Positionierung
des Unternehmens bei der Antwort helfen – Angreifer arbeiten oft im Hunter-Farmer-Modell
effizienter. Wie können Vertriebsingenieure oder Produktspezialisten bei einem forcierten
Verkauf eines Produktes helfen? Hier kann beispielsweise eine enge Einbindung in die Ver-
triebsteams mit gemeinsamen Zielen helfen. Diese Fragen gewinnen insbesondere im Ver-
trieb von Multi-Produkt-Unternehmen im Non-Commodity-B2B-Bereich zunehmend an
Bedeutung. Für die Beantwortung der Frage, welches Modell optimal geeignet ist, ist die
Vertriebsstrategie wiederum eine wesentliche Einflussgröße. Kritisch ist weiterhin auch die
Frage der Intensität mit der die einzelnen Kundensegmente bedient werden wollen. Diese
Intensität ergibt sich aus der Produkt-Markt-Fokussierung und hilft dem Vertrieb seine Res-
sourcen- und Zeitaufteilung optimal zu gestalten. Mit der Ausrichtung nach dem Kundenpo-
tenzial können die Ergebnisse optimiert und die Vertriebskosten gemanagt werden.

Exkurs 5: Umstellung auf Potenzial-Segmentierung

Bei der Fragestellung, wie die Vertriebskosten ohne signifikante Auswirkung auf die Kun-
denzufriedenheit und erzielbaren Umsätze gesenkt werden können, stellte ein Klient von
A.T. KEARNEY sein im B2B-Vertrieb verwendetes Segmentierungsmodell um. Die vorher
verwendete Kombination von Unternehmensgröße und Branche wurde ergänzt um eine
Potenzial-Segmentierung. Diese ergänzt verfügbare Daten über die Nutzung von Produk-
ten. So konnten branchen- und größenübergreifend potenzialbasierte Segmente gebildet
werden. Auf das Potenzial der einzelnen Segmente wurde die Betreuungsintensität abge-
stimmt. Potenzialträchtige Unternehmen erhalten fortan eine bessere, weniger potenzial-
trächtigere eine effizientere Betreuung. Im Ergebnis konnte der Klient mit reduziertem
Personalaufwand ein besseres Ergebnis erzielen.

Direkt verknüpft mit der Frage nach Kanalmix und Vertriebsmodell ist die Frage der Ver-
triebsorganisation: Ist eine Aufstellung nach Kanälen, nach Regionen oder besser nach Seg-
menten zu wählen? Eine allgemein gültige Antwort lässt sich hier nicht finden – die Organi-
sationsvarianten sind aus der gewählten Vertriebsstrategie, dem Marktangangs- und dem
Vertriebsmodell und dem vorhandenen Skillset zu validieren und die am besten geeignete
Organisationsform auszuwählen. Häufig sind in frühen Marktphasen Regionen-Modelle, bei
zunehmender Reife Kanalorganisationen und in der Sättigung ein Segmentmodell die richtige
Entscheidung. Die Wahl der passenden Vertriebsorganisation zum gewählten Vertriebsmodell
STEP – Strategie und Transparenz für mehr Vertriebserfolg 63

kann durchaus entscheidenden Einfluss auf den Vertriebserfolg haben. Nach Erfahrung von
A.T. KEARNEY kann beispielsweise eine Segmentorganisation, die in den regionalen Niederlas-
sungen nicht entsprechend aufgegriffen wird, dazu führen, dass der Bereich der KMU19 ver-
nachlässigt wird. Da in den Vertriebsmeetings der Fokus häufig rein auf den großen Projekten
liegt, beginnen auch die auf den Mittelstand ausgerichteten Außendienstler im Großkunden-
Segment aktiv zu werden. Dies führt nicht nur zu einer Vielzahl von Kanalkonflikten führt,
sondern auch zu einem starken Einbrechen der Marktanteile im Segment Mittelstand.

Die Ressourcendimensionierung und der Grad der Abdeckung mit eigenen und/oder indirek-
ten Kanälen lassen sich potenzialbasiert und kostenorientiert beantworten. Eine solche Di-
mensionierung greift jedoch nach Erfahrung von A.T. KEARNEY deutlich zu kurz. Die Dimen-
sionierung und Abdeckung muss stets auch aus der gewählten Vertriebsstrategie heraus be-
antwortet werden. Eine Potenzialorientierung wie in Exkurs 5 beschrieben, ist ein wesent-
licher Stellhebel für eine kosten- und umsatzoptimierte Dimensionierung des Vertriebs. Bei
einer nicht-potenzialorientierten Segmentierung wird häufig zu viel Zeit auf Kunden verwen-
det werden, die nur geringe Auftragswahrscheinlichkeit haben oder kleine Aufträge schrei-
ben. Dies kann mit einer potenzialorientierten Segmentierung vermieden werden.

7 Kommerzielles Modell – Wie und mit welcher


Profitabilität können die Ziele erreicht werden?

Wie schon bei der Erläuterung der Erfolgsfaktoren im Vertrieb beschrieben, sind die Überset-
zung des Marktangangsmodells in ein Vertriebsbudget und die Transparenz über die Verwen-
dung dieses Budgets mit der objektiven Kontrolle dieser Zielerreichung ein wesentlicher
Faktor für erfolgreiche Vertriebsarbeit (siehe Abbildung 9).

19
KMU: Kleine und mittlere Unternehmen.
64 SONNENSCHEIN/HASTENTEUFEL/DICKGREBER

• Training
Enablers • Prozesse
• IT Tools


Effektivität
Performance Management
• Sales Pipeline Management
Operations
• Aftersales Optimierung
• Backoffice Optimierung

HR-Entwicklung

Personal
Kommer- ¾ Kommissionen/ ¾ Zielsysteme
zielles Anreizsysteme ¾ Preissetzung/
Modell ¾ Partnermodell Rabatte

• Kanal-Mix Gestaltung • Abdeckung


Go-to-Market • Vertriebsmodell • Ressourcen
• Vertriebsorganisation Dimensionierung
Strategie
• Marktpositionierung • Marken-Position
Vertriebs-
• Produkt-Markt Fokussierung • Skillset Entwicklung
strategie
• Geographischer Fokus

Abbildung 9: Transparenz im STEP-Ansatz

Ein wesentliches Element sind hierfür die Kommissions- und Anreizsysteme, die letztlich die
Allokation der Vertriebsbudgets auf die einzelnen Kanäle darstellen. Eine ausreichende
Variabilisierung der Vertriebskosten mit einer klaren Bindung variabler Komponenten an die
Zielerreichung stellt hierbei eine kritische Erfolgskomponente dar. Auch wenn in einer Studie
von A.T. KEARNEY und ABSATZWIRTSCHAFT zu Tage trat, dass immerhin noch 36% der Unter-
nehmen den variablen Anteil ihrer Entlohnung weiter steigern wollen, so ist aus Sicht von
A.T. KEARNEY hier noch eine Weiterentwicklung von Nöten.20 Diese muss bei der Ausgestal-
tung der Zielsysteme erfolgen: Die Abkopplung der Zielerreichung im Vertrieb vom Unter-
nehmenserfolg – wie wir sie bei vielen Klienten erleben – muss aufhören. Der Vertrieb ist an
den gleichen Zielen zu messen, wie das gesamte Unternehmen. Diese Ziele müssen so herun-
ter gebrochen werden, dass variable Komponenten nur dann in umfangreichem Maße ausge-
zahlt werden, wenn auch das Gesamtunternehmen seine Ziele erreicht. Die Zielerreichung
sollte dabei so ausbalanciert sein, dass zwar die Mitarbeiter im Vertrieb ausreichend entlohnt
werden, um nicht zum Wettbewerb zu wechseln, ein Auseinanderfallen der Zielerreichung
zwischen Vertrieb und Gesamtunternehmen aber vermieden wird. Dies bedeutet weiterhin,
dass der Vertrieb nur Ziele bekommt, die er auch erreichen kann. Diese sollten allerdings so
gewählt werden, dass sie mit dem Markterfolg korrespondieren, z. B. also eine Marktanteils-
oder Umsatzanteils-Komponente beinhalten. Werden solche Zielparameter eingeführt, so
besteht auch Transparenz zwischen der Zielerreichung des Vertriebs und dem Rest des Un-
ternehmens.

Auch das Partnermodell sollte direkt in Einklang mit der Vertriebsstrategie und dem gewähl-
ten Marktangangsmodell stehen. Auch stellen wir in vielen Fällen fest, dass in einem falschen
Glauben an die Vertriebsmacht einzelner indirekter Partner und in Folge einer zu starken
Identifizierung der Vertriebsmitarbeiter mit diesen Partnern strategische Konzepte bewusst

20
Vgl. ABSATZWIRTSCHAFT (2009).
STEP – Strategie und Transparenz für mehr Vertriebserfolg 65

oder unbewusst konterkariert werden. So werden Veränderungen im Kommissionsmodell, die


starke Vertriebspartner in ihrer Bedeutung zurückführen sollen, oft durch Nebenabreden der
Partnerbetreuer in ihrer Wirkung abgeschwächt. Das Partnermodell sollte unbedingt in Ein-
klang mit der gewählten strategischen Ausrichtung und Markt- und Marken-Positionierung,
wie auch dem Kanal-Mix-Modell stehen und unabhängig vom Vertriebscontrolling geprüft
werden.

Schließlich ist auch die Frage der Preissetzung und Rabattsysteme eine erfolgskritische Frage
der Transparenz. Nach Erfahrung von A.T. KEARNEY kommt hierbei der Setzung von Preis-
punkten häufig eine große Aufmerksamkeit zu.21 Deutlich weniger Aufmerksamkeit erfährt
die Rabattgewährung. Mit dem Verweis auf die Notwendigkeit eines Rabatts zur Kundenge-
winnung, werden häufig alle diesbezüglichen Fragen abgewehrt und neben den offenen Ra-
batten oft noch zahlreiche verdeckte Rabatte gewährt, die die Profitabilität eines Abschlusses
stark gefährden. Genau hier unterscheiden sich jedoch gute Vertriebe von schlechten Vertrie-
ben: Ein guter Vertrieb kann deutlich besser über die Produktargumentation verkaufen als
über die Rabattgewährung. Dieses Problem lässt sich jedoch nur dann identifizieren, wenn
überhaupt eine Transparenz über die Rabattgewährung besteht. Hier ist das Vertriebscontrol-
ling gefordert Transparenz herzustellen.

Transparenz ist also im gesamten kommerziellen Modell des Vertriebs erforderlich: in den
Kommissions- und Anreizsystemen, in den Zielsystemen und deren Messung, im Partnering
und nicht zuletzt im Pricing und der Rabattgewährung. Berichte zu den einzelnen Elementen
finden sich auch in praktisch jedem Vertrieb. Eine Verknüpfung der einzelnen Berichte in
einem durchgängigen Gerüst, das sich letztlich bis zur Unternehmensstrategie zurückführen
lässt und die Vertriebsleistung in Beziehung zum Wettbewerb setzt, ermöglicht er jedoch erst,
die Frage nach dem Wert des Aktivpostens Vertrieb auch wirklich zu beantworten.

8 Operations – Wie kann die Zielerreichung sichergestellt


werden?

Performance Management wird oft als die Hauptfähigkeit eines guten Vertriebsleiters ange-
sehen – ohne Frage ist es ein Kernelement eines gut funktionierenden Vertriebs, wenn auch
der Erfolg eines Vertriebs noch von weiteren Faktoren abhängig ist. Performance Manage-
ment ist sowohl im B2C- als auch im B2B-Vertrieb gleichermaßen wichtig. Die KPI-bezo-
gene Führung der Mitarbeiter und Steuerung ihrer Flächenpräsenz, ihrer Besuchshäufigkeit,
der Erfolgsquote wie auch die Kontrolle, ob der Vertriebsmitarbeiter in dem ihm zugewiese-
nen Kunden- oder Kanalsegment aktiv ist, sind Kernelemente eines guten Performance Ma-
nagements (siehe Abbildung 10).

21
Vgl. A.T. KEARNEY (2009c).
66 SONNENSCHEIN/HASTENTEUFEL/DICKGREBER

¾ Training
Enablers ¾ Prozesse
¾ IT Tools

¾ Performance Management
¾ Sales Pipeline Management
Operations
¾ Aftersales-Optimierung
¾ Backoffice-Optimierung

HR-Entwicklung

Personal
Kommer- • Kommissionen/ • Zielsysteme
zielles
Modell
Anreizsysteme
• Partner-Modell
Transparenz
• Preissetzung/
Rabatte

• Kanal-Mix Gestaltung • Abdeckung


Go-to-Market • Vertriebsmodell • Ressourcen
• Vertriebsorganisation Dimensionierung
Strategie
• Marktpositionierung • Marken-Position
Vertriebs-
• Produkt-Markt Fokussierung • Skillset Entwicklung
strategie
• Geographischer Fokus

Abbildung 10: Effektivität im STEP-Ansatz

Klassische Vertriebselemente wie die Besuchsplanung und die Kontrolle der Besuchsquote
und -berichte sind weiter unverzichtbare Kernelemente eines Performance Managements.
Häufig jedoch wird Leistungs-Management mit einem Mehr an Kontrolle und damit einem
Mehr an Formularwesen und Berichtsaufwand für den Außendienst und damit einem Weniger
an Zeit für den Kunden gleichgesetzt. Ein wegweisendes Performance Management jedoch
erzielt diese Kontrolleffekte ohne zusätzlichen Aufwand für den Vertriebsmitarbeiter. So
lassen sich mit modernen Vertriebs-Support-Tools aus Routenplanung und Terminplanung
Besuchsberichte automatisch generieren und aus den Einträgen im CRM-System und Bestell-
system werden auch die Kontrolle des Besuchsplans und der durchgeführten Erfolge ermög-
licht. Ein modernes Leistungs-Management-System bietet dem Vertriebsleiter also die Mög-
lichkeit, alle für ihn wirklich relevanten Kenngrößen mit minimaler Zeitbelastung des Au-
ßendienstes zu erhalten.
STEP – Strategie und Transparenz für mehr Vertriebserfolg 67

Exkurs 5: Der „Friday-Review-Call“

Ein IT-Unternehmen, das seine CRM Software mit B2B-Außendienst vertrieb, hatte nur
zwei Berichte für seinen Außendienst eingeführt, die beide im gleichen System verankert
waren. Die Wochenplanung musste jeder Außendienstler bis Montag morgens 09.00 Uhr
zu seinem jeweiligen Regionalleiter gesendet haben und den darauf basierenden Wochener-
folgsbericht bis zum Freitag Mittag. Jeweils Freitag Nachmittags fanden die so genannten
Review-Telefonate für die einzelne Woche statt, die auf den Ergebnis-Reports gegen die
Wochenplanung basierten. Da die Review-Telefonate als Telefonkonferenzen organisiert
waren und die Ergebnisberichte zentral abgelegt waren, konnten die Vertriebsleitung, die
Geschäftsführung und der Eigentümer des Unternehmens jeweils an jedem der regionalen
Vertriebs-Telefonkonferenzen teilnehmen. Hierbei wurde stets der Best Performer heraus-
gehoben und denjenigen, die ihre Ziele verfehlt hatten, sehr operative Fragen zur ihrer
Wochenperformance gestellt. Mit nur zwei Berichten konnte so der Vertrieb effizient und
straff geführt werden.

Ein weiteres wesentliches Element des Effektivitäts-Managements im Vertrieb ist das Mana-
gement der Sales Pipeline. Transparenz über die Anzahl der Aufträge in den verschiedenen
Stufen der Sales Pipeline ist hierbei die notwendige Grundvoraussetzung, auf die Gestaltung
der Pipeline aktiven Einfluss nehmen zu können. Die Sales Pipeline muss also deutlich mehr
Beitrag leisten, als zur reinen Prognose der Umsatz- und Absatzentwicklung – sie muss als
aktives Steuerungselement genutzt werden. So sollten Vergleiche zwischen Kundensegmen-
ten, Regionen und einzelnen Mitarbeitern regelmäßig vorgenommen werden, um Problembe-
reiche identifizieren und Gegenmaßnahmen einleiten zu können. Solche Gegenmaßnahmen
können zum Beispiel in gezielten regionalen Push-Maßnahmen aber auch in Fokus-Aktionen
oder Trainings für einzelne Mitarbeiter bestehen. Als positiven Nebeneffekt erzielt das Pipe-
line Management noch eine Stabilisierung der Absatzentwicklung und lässt bessere Zielerrei-
chungsprognosen zu.

Aftersales- und Backoffice-Optimierung sind Themen, die üblicherweise erst dann in den
Fokus von Vertriebsleitern rücken, wenn die Performance des Vertriebs einbricht. Über Ana-
lysen des Zeiteinsatzes des Außendienstes oder aber auch durch die Rückmeldungen der in-
direkten Kanäle stößt man auf die Probleme der häufig nicht beachteten After-Sales- und
Backoffice-Abteilungen. Einsparungen finden oft in genau den Bereichen statt, die kritisch
für die Performance des Außendienstes oder der Kanäle sind. Backoffice-Mitarbeiter werden
gekürzt – mehr Aufgaben wandern zum Vertrieb; der Kunde wendet sich bei nicht zufrieden-
stellender Performance jedoch in der Regel direkt an den Außendienst bzw. seinen Betreuer.
Dieser beschäftigt sich in der Folge weniger mit neuen Vertriebsaktivitäten als mit dem Ful-
fillment der getätigten Verkäufe und dem Management von Kundenbeschwerden, teilweise
auch mit der Erstellung von Angeboten. Dies führt später häufig zu der Klage, dass der Au-
ßendienst nicht vertriebsorientiert sei – auch wenn er eigentlich keine Chance mehr hat, bei
gekürztem Backoffice seinen Aufgaben nachzukommen. Bei optimaler Unterstützung des
Außendienstes kann dieser seine Angebote einfach aus dem Vertriebssupport-Tool generieren
– richtige Dimensionierung, klare Aufgabenzuteilung und effiziente Prozesse, die sich eben-
falls an KPIs messen lassen müssen, sollten daher im Augenmerk eines jeden Vertriebsleiters
liegen.
68 SONNENSCHEIN/HASTENTEUFEL/DICKGREBER

9 Enabler – Wie können die Voraussetzungen


zur Zielerreichung geschaffen werden?

Schon in den bisherigen Schilderungen wurde deutlich, dass Prozesse, IT-Unterstützung und
das Training der Mitarbeiter ebenfalls wichtig für eine abgerundete Vertriebsleistung sind
(siehe Abbildung 10). Gerade in der IT-Unterstützung des Kundendaten-Managements, der
Angebotserstellung und -verfolgung liegt ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg. Bei allem im
Vertrieb notwendigen Pragmatismus sind die unterstützenden Faktoren genau die falsche
Stelle für Pragmatismus – Professionalisierung ist gefragt. Hierzu gehört das Verwenden
professioneller Vertriebs-Software genauso wie die Einhaltung definierter Prozesse und deren
Verankerung im Zielsystem. Ebenfalls zur Professionalisierung gehört, sich von dem häufig
vorgefundenen Gedanken zu lösen, dass die Anforderungen des Vertriebs nicht in einer not-
wendigen IT Entwicklung enden, die einen großen Zeitbedarf und noch größeren Entwick-
lungsbedarf hat, sondern sich gezielt standardisierte Vertriebs-Software anzuschauen, die
schnell und ohne großen Kapitalbedarf eingesetzt werden können.

10 HR-Entwicklung – Wie wird das optimale Team


zur Zielerreichung entwickelt?

Das Vertriebsteam ist der Schlüssel zur Zielerreichung. Hierzu gehören Starverkäufer genau-
so wie die Teamplayer im Backoffice. Was macht aber eine Vertriebsmannschaft mit höherer
Erfolgswahrscheinlichkeit aus (siehe Abbildung 10)? Aus zahlreichen Projekten und Studien
sehen die Autoren von A.T. KEARNEY als wesentlichen Erfolgsfaktor ein wettbewerbsorientier-
tes Denken und die entsprechende Prägung der Vertriebskultur. Besonders erfolgreiche Ver-
triebe kennzeichnen sich dadurch, dass sie stets am Wettbewerb orientiert sind. Diese Organi-
sationen versuchen, das entscheidende Quantum besser zu sein, während sich stagnierende
Vertriebsorganisationen häufig mehr mit sich selbst beschäftigen. Darüber hinaus stellt die
Analyse des benötigten Fähigkeiten und Fertigkeiten ein wichtiges Personal-Element dar.
Neben der Frage, wie eine Karriere im Vertrieb verläuft, steht die Frage im Vordergrund,
welche Typen von Verkäufern benötigt werden. Der Mix aus verkäuferischer Begabung,
Beziehungs-Managern und technisch versierten Beratern sollte identifiziert werden, um die
benötigte Mannschaft zielgerichtet entwickeln zu können.
STEP – Strategie und Transparenz für mehr Vertriebserfolg 69

¾ Mindset-Entwicklung
• Training
Enablers • Prozesse
• IT Tools


Effektivität
Performance Management
• Sales Pipeline Management
Operations
• Aftersales Optimierung
• Backoffice Optimierung

HR-Entwicklung
Kommer- • Kommissionen/ • Zielsysteme
zielles
Modell
Anreizsysteme
• Partner-Modell
Transparenz
• Preissetzung/
Rabatte

• Kanal-Mix Gestaltung • Abdeckung

¾ HR- Entwicklung
Go-to-Market • Vertriebsmodell • Ressourcen
• Vertriebsorganisation Dimensionierung
Strategie
• Marktpositionierung • Marken-Position

¾ Kultur
Vertriebs-
• Produkt-Markt Fokussierung • Skillset Entwicklung
strategie
• Geographischer Fokus

Abbildung 11: Personal im STEP-Ansatz

11 Vertrieb als echter Aktivposten –


Klaviatur von Strategie bis Performance

Um den Vertrieb in einen Aktivposten zu verwandeln, sollten Vertriebsleiter nicht mehr allein
auf Leistungs-Management fokussieren, sondern ein Vertriebskonzept entwickeln. Die fol-
genden goldenen Regeln sollten Vertriebsleiter beachten, um den Vertrieb als wertvollen
Aktivposten zu positionieren:

¾ Definieren Sie eine Vertriebsstrategie und stimmen Sie diese mit Unternehmens- und
Marketingstrategie ab
¾ Entwickeln Sie ein Marktangangsmodell, das diese Strategie unterstützt
¾ Schaffen Sie Transparenz über Ihre Budgetverwendung und Zielerreichung und messen
diese gegen den Unternehmenserfolg am Markt
¾ Kontrollieren Sie relevante Kenngrößen ohne dem Vertrieb Zeit mit dem Kunden zu
nehmen
¾ Professionalisieren Sie Ihre unterstützenden Faktoren wie Software und Prozesse
¾ Identifizieren Sie Stärken und Schwächen in ihrem Team und entwickeln es dementspre-
chend
70 SONNENSCHEIN/HASTENTEUFEL/DICKGREBER

Quellenverzeichnis

ABSATZWIRTSCHAFT (2009): In der Krise ist mehr Mut gefragt, online: http://www.absatz wirt-
schaft.de/content/_pv/_p/1002910/_t/ft/_b/69283/default.aspx/, Stand: 25.11.2009, Abruf:
19.02.2010.
A.T. KEARNEY (2008a): Branchenübergreifende Vertriebsstudie mit Teilnehmern aus Energie-
wirtschaft, Telekommunikation, High Tech und Konsumelektronik, nicht veröffentlicht,
2008.
A.T. KEARNEY (2008b): Chasing Channels, Countries, and Customers – Consumer Electronics
Manufacturers’ Struggle in Europe, o. O. 2008.
A.T. KEARNEY (2009a): Executive Agenda, Vol. XII, Nr. 2, o. O. 2009.
A.T. KEARNEY (2009b): Global Cost Benchmarking, o. O. 2009.
A.T. KEARNEY (2009c): Umsätze stabilisieren – Wachstum sichern, unveröffentlicht, 2009.
4010 – Ein Point-of-Sales-Konzept für die junge
Zielgruppe am Beispiel der Deutschen Telekom AG

IRA SCHOMAKER, MICHAEL ERNER und MARCUS BERLIN

Telekom Shop Vertriebsgesellschaft, Deutsche Telekom Laboratories


und Technische Universität Berlin

1 Einleitung......................................................................................................................... 73
2 Ausgangssituation............................................................................................................ 73
2.1 Herausforderungen für den Point of Sales ............................................................. 73
2.2 Herausforderungen für die Deutsche Telekom AG................................................ 74
3 Ziele und Aufgaben des Point of Sales ............................................................................ 75
4 4010 – Der Telekom Shop in Mitte: Ein Shopkonzept für die junge Zielgruppe ............ 79
4.1 Umsetzung ............................................................................................................. 80
4.2 Erfolgsmessung und lessons learned...................................................................... 83
4.3 Ausblick ................................................................................................................. 85
5 Zusammenfassung ........................................................................................................... 86
Quellenverzeichnis.................................................................................................................. 86
PoS-Konzept für die junge Zielgruppe der Deutschen Telekom AG 73

1 Einleitung

Das unternehmerische Handeln ist auf die Bedürfnisse der Märkte und Kunden ausgerichtet.
Insbesondere im Marketing und im Vertrieb müssen die individuellen Wünsche der Kunden
in den Mittelpunkt aller Aktivitäten gestellt werden. Hierzu ist es erforderlich, dass sich die
Unternehmen mit den Besonderheiten der jeweiligen Zielgruppen auseinandersetzen und ihre
Unternehmensstrategie fokussiert auf diese ausrichten. Nur so können die unterschiedlichen
Kundengruppen gezielt angesprochen und deren Bedürfnisse optimal befriedigt werden.

Im Folgenden wird ein Shopkonzept beschrieben, das die gezielte Ansprache und besondere
Erlebnisvermittlung der jungen Generation am Point of Sales (PoS) zum Ziel hat und von der
Deutschen Telekom AG (DTAG) entwickelt und umgesetzt wurde. Diese Entwicklung ist
insbesondere vor dem Hintergrund der durch das Internet ausgelösten technologischen und
sozialen Veränderung zu sehen, welche nachhaltigen Einfluss auf die Konzeptgestaltung und
-umsetzung hat.

Im Rahmen des Beitrages werden zunächst die Herausforderungen aufgezeigt, die sich vor
dem Hintergrund der genannten Veränderungen für Marketing und Vertrieb im Allgemeinen
sowie für die DTAG im Besonderen ergeben. Dann werden die allgemeinen Aufgaben des
PoS dargestellt und die spezifischen Zielstellungen der DTAG in den vorgegebenen Rahmen
eingefügt. Anhand dieser Aufgabenstruktur wird ebenfalls die Darstellung der Umsetzung des
Konzeptes sowie der erzielten Ergebnisse vorgenommen. Abschließend erfolgt ein kurzer
Ausblick auf zukünftig anstehende Aktivitäten sowie eine abschließende Zusammenfassung
der Ergebnisse.

2 Ausgangssituation

Im folgenden Abschnitt werden der Einfluss des Internets, die damit einhergehende Vernet-
zung des Marktes sowie die daraus resultierenden Herausforderungen für Marketing und
Vertrieb dargestellt. Vor diesem Hintergrund wird die Situation der DTAG beschrieben und
Erfordernisse für ein neues PoS-Konzept aufgezeigt.

2.1 Herausforderungen für den Point of Sales


Die Verbreitung des Internets stellt Herausforderungen für Marketing und Vertrieb dar. Die
damit einhergehenden technologischen und sozialen Veränderungen erfordern ein Umdenken
bei den Unternehmen selbst und führen darüber hinaus zu veränderten Kundenanforderungen.
Im CLUETRAIN-Manifest wurde diese Entwicklung schon vor einigen Jahren beschrieben und
analysiert1. Dabei wurde aufzeigt, dass die Kunden nur noch bedingt durch die klassischen
Massenkommunikationsmedien Zeitung, Radio und TV angesprochen werden wollen. Viel-
mehr möchten sie als Individuum kontaktiert werden. Zudem erhalten Konsumenten leichter
Zugang zu Informationen über aktuelle technologische Trends und Produkte. In Blogs und

1
Vgl. CLUETRAIN (2001).

F. Keuper, B. Hogenschurz (Hrsg.), Professionelles Sales & Service Management,


DOI 10.1007/978-3-8349-8799-0_3,
© Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
74 SCHOMAKER/ERNER/BERLIN

Communities wie bspw. Facebook werden Meinungen gebildet und Erfahrungen ausge-
tauscht. Die Kunden sind zunehmend besser informiert und anspruchsvoller denn je2. Diesem
Umstand sollte auch am PoS Rechnung getragen werden. Der Kunde weiß genau, was er will,
und erwartet vom Unternehmen, auf diesem hohen Anspruchsniveau abgeholt zu werden.
Dieser Fall trifft insbesondere für die junge Zielgruppe zu.

Nicht nur die Kunden verändern sich durch diese Entwicklung, sondern die Unternehmen
ebenso. So sind elektronische Marktplätze entstanden, die es ermöglichen, eine weltweite
Präsenz aufzubauen und damit die Markenbekanntheit zu erhöhen.

2.2 Herausforderungen für die Deutsche Telekom AG


Die oben beschriebene Entwicklung hat auch Relevanz für die Deutsche Telekom. Diese fo-
kussiert auf Telekommunikationsprodukte und -dienste in der vernetzten und digitalen Welt
wie z. B. IP-TV, Home Media Network und mobiles Internet. Wie Abbildung 1 darstellt, sind
an der Nutzung solch innovativer Web-Produkte vor allem die Kundensegmente bis 35 Jahre
interessiert, während für ältere Segmente diese Produkte niedrigere Relevanz haben.
Webbasierte (innovative) Internetdienste

Klassische Telekommunikationsdienste
hoch

Software-
download
niedrig Haushaltseinkommen

IPTV

Flatrates … Fax

Klassische
Gaming Telefonie

Communitiy-
dienste

20 35 50 65 Alter

Abbildung 1: Nutzungsinteresse von Telekommunikationsprodukten der verschiedenen


Altersgruppen3

Diverse Marktforschungen bescheinigen der DTAG insbesondere in dem jungen Zielsegment


eine hohe Markenbekanntheit sowie eine hohe Leistungsakzeptanz, jedoch geringere Mar-
kenattraktivität und Empfehlungsverhalten.

2
REICHWALD ET AL. (2000), S. 8.
3
Eigene Darstellung, basierend auf der ALLENSBACHER MARKT- UND WERBETRÄGER-ANALYSE (2008).
PoS-Konzept für die junge Zielgruppe der Deutschen Telekom AG 75

Um ihre Marktposition auszubauen, hat sich die Deutsche Telekom entschlossen, verstärkt
diese Kundensegmente für sich zu gewinnen und mit ihren Produkten an sich zu binden. Die
Werte und Bedürfnisse der Zielgruppe in Bezug auf den Konsum von Telekommunikations-
produkten sind in Abbildung 2 dargestellt. Hier ist zu erkennen, dass insbesondere im Ju-
gendsegment Faktoren wie Personalisierung, Innovativität, Design und Community von gro-
ßer Bedeutung sind.

Andere Segmente:
hoch

Zielsegment: ¾ Ältere Modernisierungsverlierer aus dem tra-


ditionellen Segment der Gesellschaft, die mit dem
¾ Jung und unkonventionell rasanten soziokulturellen und technologischen
niedrig Haushaltseinkommen

¾ Am Bildschirm sozialisiert und in der Wandel nicht zurecht kommen


digitalen Welt aufgewachsen ¾ Der nach Sicherheit, Harmonie und Komfort
¾ Experimentierfreudig, neugierig, strebende Mainstream der Gesellschaft
kreativ, ich-bezogen, auf der Suche ¾ Konventionell, pragmatisch, vernünftig, spar-
nach Selbstverwirklichung und sam, bescheiden, aber auch verunsichert
Identität/ Heimat
¾ Keine profilierten Ansprüche an das Medien-
¾ Distanzloses, von Reizhunger geprägtes angebot
Verhältnis zu Medien, Verschmelzung
unmittelbarer Wirklichkeitserfahrung ¾ Überforderung durch das moderne ICT- und
und medial vermittelter Inhalte Medienangebot, Leiden unter Komplexität,
Schnelllebigkeit und Info-Overload
¾ Multimedia-Begeisterung, Networking,
ausgeprägte Computer- und Internet- ¾ Eingeschränktes Interessensspektrum, passive
Expertise Konsumhaltung gegenüber Medien, geringe
Print-, aber weit überdurchschnittliche TV-
Nutzung, Distanz zu Multimedia und Internet

20 35 50 65 Alter

Abbildung 2: Werte und Bedürfnisse der verschiedenen Segmente4

Eine Analyse der aktuellen Kundenstruktur der konzerneigenen Telekom Shops zeigt, dass der
Kunde durchschnittlich Anfang 40 und die jüngere Zielgruppe unterrepräsentiert ist. Um
diese langfristig an das Unternehmen zu binden, pilotiert die DTAG ein PoS-Konzept, wel-
ches insbesondere auf die relevanten Bedürfnisse und Anforderungen der jungen Konsumen-
ten ausgerichtet ist.

3 Ziele und Aufgaben des Point of Sales

Im folgenden Kapitel erfolgt eine Darstellung der allgemeinen Aufgaben und Ziele des PoS,
um den Rahmen für die anschließenden Ausführungen festzulegen. In diesen Kontext werden
die spezifischen Zielsetzungen der DTAG ergänzend eingefügt.

4
Eigene Darstellung, Einordnung basierend auf GRUNER & JAHR (2008) (Bevölkerung 14–64 Jahre, Fälle: 49,93).
76 SCHOMAKER/ERNER/BERLIN

Absatz und Verkauf


Die zentrale Aufgabe des PoS ist der Abverkauf von Produkten und Dienstleistungen des
Unternehmens5. Dies gilt ebenfalls für das Shop-Konzept der DTAG, das im Folgenden im
Vordergrund der Darstellung steht.

In diesem Sinne werden eine Reihe auf Absatz ausgerichteter bzw. daraus abgeleiteter klassi-
scher, betriebswirtschaftlicher Zielgrößen verfolgt. Hierzu zählen insbesondere monetäre
Ziele, anhand derer der Erfolg eines Geschäftes bemessen werden kann, wie Umsatz, De-
ckungsbeitrag, Gewinn und Rentabilität.6

Kundenfrequenz
Verkauf setzt Kontakt mit den Kunden voraus. I. d. S. ist es eine weitere zentrale Aufgabe des
PoS, Kundenfrequenz zu generieren, d. h. Kunden zum Besuch des Ladenlokals zu motivie-
ren.

Die Kundenfrequenz u. a wird durch die klassische Kommunikation in TV, Print und Internet
beeinflusst. Um möglichst viele Personen der gewünschten Zielgruppe in den PoS zu leiten,
ist zudem eine optimale Standortauswahl unerlässlich.7 Eine gute Erreichbarkeit und entspre-
chende Möglichkeiten zur Außendarstellung sind somit weitere Kernanforderungen für die
Wahl des Geschäftsumfeldes.

Um die avisierte jüngere Zielgruppe (bis 36 Jahre) zu erreichen, erfolgte für die Umsetzung
des Shop-Konzeptes die Wahl des Standortes mittels folgender Faktoren:

¾ Junges, urbanes Umfeld


¾ Vorreiter in den Themen: Kultur und Kunst, Mode, Musik
¾ Kreatives Umfeld, in welchem sich „Styleleader“ gerne aufhalten und neue Trends setz-
ten
¾ Abwechslungsreiche Einzelhandelsstruktur mit vielen kleinen individuellen Stores (keine
Filialisten)

Neben den erwähnten quantitativen und monetären Zielgrößen liegt der Fokus des PoS Ma-
nagement, insbesondere vor dem Hintergrund des verfolgten innovativen Marketingansatzes,
auf einer Reihe weiterer qualitativer Zielsetzungen, die im Folgenden näher dargestellt wer-
den.

5
Vgl. SCHRÖDER (2005), S. 201 f.
6
Vgl. PUFAHL (2006), S. 86 f.
7
Vgl. HEINEMANN (2008), S. 73.
PoS-Konzept für die junge Zielgruppe der Deutschen Telekom AG 77

Markendarstellung und Bekanntheitsgrad


Eine weitere Kernaufgabe des PoS ist die positive Darstellung der Marke sowie die damit
verbundene Erhöhung des Bekanntheitsgrades in der Öffentlichkeit.8 Diese wird durch Maß-
nahmen der Kommunikationspolitik9 flankiert. Aufbau und Pflege einer Marke sowie die
damit verbundene Auswahl der Maßnahmen sind insbesondere von der Zielgruppe abhängig.
Wie bereits erläutert, bestätigen diverse Analysen und Umfragen der DTAG eine hohe Mar-
kenbekanntheit und allgemeine Anerkennung als eines der führenden Technologieunterneh-
men Deutschlands. Vor diesem Hintergrund ist ein Ziel der Markenpolitik die Veränderung
der von der Zielgruppe wahrgenommen Technologiemarke hin zur Erlebnismarke und der
Transport des Markenleitbildes an den PoS. Dabei soll im jüngeren Segment die Liebe zur
Marke geweckt und das Image verbessert werden.

Produktpräsentation
Neben der Markendarstellung ist die Präsentation der Produkte und das Schaffen eines er-
kennbareren Grundes, ein Produkt „jetzt und hier“ zu kaufen, eine weitere Aufgabe des PoS. 10
Dazu muss durch das Angebot ein Mehrwert für den Kunden gegenüber der Konkurrenz
geschaffen werden.11

Als Ausdruck der gemeinsamen Herkunft und um dem Kunden die Orientierung bei der Viel-
zahl von Telekommunikationsprodukten zu erleichtern, hat die DTAG bereits vor einigen
Jahren begonnen, ihre diversen Angebotsmarken (Produkte der verschiedenen SBU12) unter
dem „T“ zusammenzufassen.

Zur stärkeren Verankerung der Marke „T“ im „Relevant Set“ der Zielgruppe hat die DTAG
sich dazu entschlossen, im Rahmen einer Pilotierung zu untersuchen, inwieweit es sich lohnt,
das Produktangebot des Konzerns zielgruppenspezifisch zu vermarkten.

Kundenansprache und Erlebnisvermittlung


Um den Kunden exzellent zu beraten und für ihn wichtige Informationen zu den Produkten
bereitzustellen, ist ein hohes Know-how beim Personal erforderlich.13 Tipps und Ratschläge
zur Anwendung des Produktes sind der erste Einstieg in das Gespräch und vermitteln dem
Kunden, dass dieser gut aufgehoben ist.

Über die Kundenansprache hinaus, ist das Schaffen individueller Erlebniswerte eine weitere
Aufgabe des PoS. Dabei werden dem Kunden durch Marketingaktivitäten und Shopgestaltung
spezifische Erlebnisse vermittelt, die seine Wahrnehmung positiv beeinflussen. Demzufolge
soll dem Angebot ein eigenständiges emotionales Profil vermittelt werden, das es von ande-
ren Anbietern abhebt und eindeutig positioniert. Die erlebnisbetonte Ladengestaltung wird oft
vernachlässigt, obwohl der Kunde physisch präsent und somit über alle seine Sinne erreichbar
ist.

8
Vgl. ADJOURI (2002), S. 84 f.
9
Aufgabe der Kommunikationspolitik ist die Übermittlung von Informationen, Bedeutungsinhalten und Bewer-
tungen mit dem Zweck u. a. Einstellungen und Erwartungen zu beeinflussen. Es wird zwischen Massenkommu-
nikation und persönlicher Kommunikation unterschieden; vgl. BALDERJAHN/SCHOLDERER (2000), S. 187.
10
Vgl. FUCHS/UNGER (2007), S. 15.
11
Vgl. HUNSTIGER (2001), S. 39.
12
SBU: Strategic Business Unit (strategische Geschäftseinheit).
13
Vgl. FUCHS/UNGER (2007), S. 218.
78 SCHOMAKER/ERNER/BERLIN

Elementen wie der Gestaltung des Ladenumfeldes, Ladenlayout, Space Utilisation und der
atmosphärischen Ladengestaltung muss besondere Beachtung geschenkt werden.14 Neben der
Ansprache über das Schaufenster oder die Fassade spielt die Raumaufteilung, bspw. in ver-
schiedene Funktionszonen, eine große Rolle in der Wahrnehmung des Kunden. Soziale Fak-
toren, wie die Interaktion zwischen Kunde und Personal, Umgebungsreize, die hauptsächlich
über das Unterbewusstsein wirken und visuelle Komponenten, ästhetischer und funktioneller
Art, sind bei der Gestaltung des Geschäftes zu beachten und sollten auf die ein oder andere
Art umgesetzt werden, um dem Besucher einen bleibenden Eindruck zu vermitteln.15 Zu
berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang, dass Reize von jedem Menschen unterschied-
lich wahrgenommen werden und eine übermäßige Verwendung der beschriebenen Elemente
zu einer Reizüberflutung führen kann.16

Die DTAG hat sich zum Ziel gesetzt, einen Telekom Shop zu gestalten, der speziell die junge
Zielgruppe anspricht. Dem Kunden soll die Möglichkeit gegeben werden, die Produkte in
entspannter Atmosphäre auszuprobieren und kennenzulernen. Der Telekom Shop soll dazu so
flexibel gestaltet werden, dass für die Kunden unterschiedliche Erlebniswelten geschaffen
und vermittelt werden sowie Events unterschiedlicher Art durchgeführt werden können.
Ebenso muss das Personal stets über spezielles Know-how zu den aktuellen Telekommunika-
tionslösungen verfügen, um die Kunden bestmöglich zu beraten.

Community-bildende Maßnahmen
Über die oben dargestellten erlebnisvermittelnden Elemente hinaus sollen spezifische com-
munity-orientierte Aspekte berücksichtigt werden. Generell gilt dabei, dass zielgruppenge-
rechte, maßgeschneiderte und trendige Produktlösungen die Einkaufstättentreue des Kunden
stärken können. Kundenanforderungen müssen deshalb möglichst früh antizipiert und Pro-
dukte an die spezifischen Anforderungen angepasst werden. Dabei bilden Informationen über
die Bedürfnisse17 der Zielkundengruppe Grundlage und Ausgangspunkt jeglicher unterneh-
merischer Tätigkeiten.18 Ein entscheidender Zusatznutzen, der die Bindung an das Unterneh-
men stärkt, ist hierbei die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, wobei insbesondere Faktoren wie
Lifestyle und Prestige eine Rolle spielen.

Das Ziel der Deutschen Telekom ist die offene Konversation, die Wahrnehmung und Verbes-
serung der Kundenkritik und der Aufbau einer stetig wachsenden, zufriedenen Kundenge-
meinschaft. Für die Bildung einer solchen Community ist die Kommunikation der Mitglieder
untereinander eine notwendige Bedingung,19 welche Gemeinsamkeiten bestimmter Ausprä-
gungen20 voraussetzt. Dabei lassen sich hier exemplarisch

14
Vgl. GRÖPPEL (1991), S. 59.
15
Vgl. KROEBER-RIEL/WEINBERG (2003), S. 119 f., und BAKER ET AL. (2002), S. 121.
16
Vgl. LIEBMANN/ZENTES (2001), S. 547, und KOTLER (1973), S. 51 f.
17
Ein Bedürfnis ist der Anfang eines Kaufentscheidungsprozesses und stellt ein Mangelgefühl dar. Dieser Zustand
sollte bewältigt werden, indem die Person verschiedene Alternativen zur Bedürfnisbefriedigung findet und beur-
teilt; vgl. BALDERJAHN/SCHOLDERER (2007), S. 52 f.
18
Vgl. PORTER (1999), S. 34.
19
Vgl. POWAZEK (2001), 17 ff.
20
Vgl. KIM (2000), S. 17.
PoS-Konzept für die junge Zielgruppe der Deutschen Telekom AG 79

¾ geografische
¾ demografische
¾ sachgebietsbezogene
¾ aktivitätsgebundene

Kriterien anführen.

Die DTAG beabsichtigt daher, über eine wachsende Community ihre Markenattraktivität
insbesondere im Zielgruppensegment zu steigern, um sich weiterhin als Marktführer für Pro-
dukte und Dienste in der vernetzten und digitalen Welt zu positionieren.

4 4010 – Der Telekom Shop in Mitte:


Ein Shopkonzept für die junge Zielgruppe

Ende 2007 wurde ein konzernübergreifendes Projektteam mit der Ausarbeitung eines ziel-
gruppenspezifischen Konzeptes und der Umsetzung eines Pilotstandortes beauftragt. Im Juni
des darauffolgenden Jahres wurde das Detailkonzept finalisiert. Die Sanierungs- und Herstel-
lungsarbeiten nahmen drei Monate in Anspruch, so dass der „4010 – Der Telekom Shop in
Mitte“ Anfang Oktober 2008 eröffnet wurde. Ab diesem Zeitpunkt entwickelte das Projekt-
team in enger Zusammenarbeit mit dem Shop-Team und begleitenden Agenturen das Shop-
Konzept stetig weiter, um die Anforderungen und Bedürfnisse des Zielkundensegments bes-
ser kennenzulernen und im Shop umsetzten zu können.
80 SCHOMAKER/ERNER/BERLIN

IMMOBILIE PHASE 1
Recherche, Entscheidung CREDIBILITY

Mindestens 3 Monate
YCS UMSETZUNGSPHASE
Betrieb
Konzeption 8 Wochen
Bespielung
Entwurf ab Entscheidung Immobilie
Updates

ERÖFFNUNG
Beplanung
Evaluation
Beauftragung
Bau

CONTENT-ORGA
6 Wochen PHASE 2
Content PERFORMANCE
Bespielung Integration
Inbetriebnahme Module
Mehr Produkte

IMPLEMENTIERUNG

Abbildung 3: Phasen und zeitliche Abfolge des „Young-am-PoS“-Konzeptes

4.1 Umsetzung
Absatz & Verkauf
Die Erreichung von Verkaufszielen und weiteren damit in Bezug stehenden betriebswirt-
schaftlichen Kennziffern wie Erlöse, Betriebskosten, Deckungsbeitrag und Shop-Rendite,
spielen für die Bewertung des Konzeptes eine wichtige Rolle. Im ersten Halbjahr nach Eröff-
nung stand die Etablierung des PoS über Community-bildende Maßnahmen im Vordergrund
der Aktivitäten. Erst nach und nach verlagerte sich der Fokus hin zu einem stärkeren Einsatz
vertrieblicher Maßnahmen.

Phase 1: Focus Credibility Phase 2: Focus Performance Æ Rollout

Performance:
Absatz

Glaubwürdigkeit treibt Absatz


Credibility: Augenhöhe

Abbildung 4: Mit Steigerung der Glaubwürdigkeit erfolgt auch Absatzsteigerung


PoS-Konzept für die junge Zielgruppe der Deutschen Telekom AG 81

Dieser Ansatz zahlt sich bisher aus. Die aktuelle Absatzentwicklung lässt darauf schließen,
dass die avisierten wirtschaftlichen Ziele für das laufende Jahr erreicht werden.

Kundenfrequenz
Auf der Suche nach einem geeigneten Ort für den 4010 wurden alle in Frage kommenden
Standorte (Köln, Frankfurt und Berlin) sehr genau durch die Konzeptgeber in Zusammenar-
beit mit Standortexperten analysiert. Die Wahl fiel schließlich auf Berlin, genauer in das
Umfeld der Hackeschen Höfe in Berlin-Mitte. Dieses Quartier vereint alle Wunschstandort-
faktoren und zählt gleichzeitig zu den schwierigsten Einzelhandelsstandorten für erfolgreiche
neue Shopkonzepte, da es sich seit den 90er Jahren von einem alternativen Szene-Viertel
immer mehr zu einem gefragten Wohn- und Geschäftsviertel sowie kulturellen Anziehungs-
punkt für junge und urbane Menschen entwickelt hat. In dem Kiez befinden sich neben exqui-
siten Gastronomiebetrieben hochwertige Modeanbieter, zahlreiche Guerilla- bzw. Pop-up-
Stores und Galerien. Wenn in dieser anspruchsvollen Umgebung ein neues Shopkonzept
erfolgreich umgesetzt werden kann, stehen die Chancen gut, dieses bundesweit, unter Be-
rücksichtigung der jeweiligen lokalen Besonderheiten, ebenfalls realisieren zu können.

Markendarstellung und Bekanntheitsgrad


Mit der Eröffnung des „4010 – Der Telekom Shop in Mitte“ wurde die Veränderung der Mar-
ke für den Kunden sichtbar und spürbar umgesetzt: Möbelkonzept, Shopdesign, Kommunika-
tionsmittel, Internetauftritt – alles in einem eigenen Style, aber immer mit einem deutlichen
Bezug zur Deutschen Telekom. Hinter dem Namen 4010 verbirgt sich die RAL-Farbe „Tele-
kom Magenta“. Im Möbelbau und Shopdesign finden sich überall Magenta-Spuren – von der
Innenfarbe der Produktwand, über einen Magenta-Strich auf dem Boden, der sich quer durch
den ganzen Shop zieht bis hin zu einer möglichen magentafarbenen Beleuchtung.

Auf der shopeigenen Homepage (www.4010.com) werden parallel zum 4010 alle aktuellen
Infos zum Shop und Neuigkeiten für die Community kommuniziert.

Produktpräsentation
Wie in allen anderen Telekom Shops des Konzerns werden sämtliche Angebotsmarken im
Concept-Store in Berlin-Mitte vermarktet. Der Unterschied liegt in der Präsentation, die ju-
gendlicher anmutet und stärker auf Trendelemente setzt. Bei Präsentation und Kommunikati-
on beschränkt man sich im 4010 ausschließlich auf die vielfältig verfügbaren Produkte, die in
der Zielgruppe Relevanz besitzen (iPhone, IP-TV, mobiles Internet). Hierbei stehen Produkt-
nutzen, Testing und Service im Fokus. Da das Ziel, der Aufbau einer langfristigen Kunden-
bindung, nur durch Akzeptanz und Glaubwürdigkeit in der Zielgruppe erreicht werden kann,
sucht die DTAG den direkten und offenen Austausch mit seinen Kunden, um direkt auf die
Anregungen reagieren zu können.

Kundenansprache und Erlebnisvermittlung


Neben der reinen Informationsbereitstellung und Schaffung von interaktiven Themenplatt-
formen stehen zur Vermittlung der Erlebniswelten im 4010 weitere zielgruppenrelevante
Themen wie Street Art, Music, Gaming, etc. im Vordergrund.

Dabei erlaubt sowohl die klare Kennzeichnung in Verkaufs- und Loungebereich als auch das
modulare Möbelkonzept eine schnelle und einfache Anpassung an die jeweiligen Themen-
schwerpunkte im Shop. Der Kunde hat die Möglichkeit, tagsüber in entspannter und gemütli-
cher Atmosphäre die Produkte auf Herz und Nieren zu testen oder am Multitouch eigene
Klingeltöne zu kreieren und auf sein Mobiltelefon zu laden. Nach Geschäftsschluss liegt der
82 SCHOMAKER/ERNER/BERLIN

Schwerpunkt auf der Bildung einer eigenen Community. Daher verwandelt sich der 4010
regelmäßig in eine Eventlocation, in der angesagte Künstler und Nachwuchskünstler die Ge-
legenheit haben, ihre Werke oder Musik zu präsentieren. Darüber hinaus nutzt der Telekom-
Konzern seine vielfältigen Sponsoringaktivitäten im Jugendbereich (StreetGigs, Electronic
Beats, etc.), um eine direkte Zuführung und Emotionalisierung zu erreichen.

Community-bildende Maßnahmen
Um den Austausch mit der Zielgruppe aufrecht zu erhalten, verfolgt der 4010 unterschiedli-
che Themenstellungen. Dazu gehört z. B. die Durchführung von regelmäßigen Produkt-
Workshops (z. B. iPhone Sessions, bei denen die neusten Apple-Applikationen vorgestellt
werden), exklusiven Produkt-Previews, MySpace Sessions oder Electronic Beats Gigs mit
angesagten DJs. Die oft wechselnde Dekoration/Shop-Gestaltung regt Passanten und Kunden
an, wiederholt den 4010 zu besuchen und zu schauen, was es Neues gibt.

Ein weiterer wichtiger Baustein für den Aufbau der eigenen Community ist die Integration
von bereits in der Szene sehr gut vernetzten Kooperationspartnern, wie z. B. Designern, die
exklusiv 4010-Motive für T-Shirts kreieren und anschließend im 4010 und über seinen Onli-
ne-Shop vertreiben.

Abbildung 5: Gallery Wall 21

Zudem existiert eine Gallery Wall (siehe Abbildung 5) im 4010, die regelmäßig von meist
Berliner oder internationalen Künstlern neu gestaltet wird, wobei einzig die Themen Tele-
kommunikation, Magenta und/oder 4010 bei der Gestaltung der 7 x 2,5m großen Wand inte-
griert werden müssen.

21
Foto von ANDREAS MEICHSNER (www.andreasmeichsner.de). Gestaltung durch THOMAS MANIG (www.thomas
manig.de).
PoS-Konzept für die junge Zielgruppe der Deutschen Telekom AG 83

In regelmäßigen Abständen werden die Konzeptannahmen und -ziele mittels Markforschung


überprüft. Hierbei kommt nicht nur die klassische Befragung zum Einsatz, sondern Kunden
können Ihre Meinung z. B. an einer Tag Wall hinterlassen. Dabei schafft insbesondere die
Möglichkeit, seine etwaige Kritik an Store, Konzern oder Mitarbeitern direkt mitteilen zu
können, Vertrauen in der Zielgruppe.

4.2 Erfolgsmessung und lessons learned


Absatz & Verkauf
Die Absätze des 4010 wurden konzeptbedingt auf einem niedrigeren Niveau geplant, doch
liegen diese teilweise bereits über dem Planansatz. Insbesondere das Neukundengeschäft ent-
wickelt sich erfreulich: 72% der Abschlüsse im Mobilfunkbereich und 63% im Festnetzbe-
reich entfallen auf Neukunden. Einen Anteil von 60% fällt auf die Kunden unter 36 Jahren, so
dass sich die aufgestellten Erwartungen an die Kundenstruktur des 4010 bisher erfüllten.
(siehe Abbildung 6).

bis 25

15% 26–35
> 55
1%
46–55 In Q1/2009 wird die Zielsetzung im Bereich der
9% 44% Kundenstruktur erreicht:
¾ 15% der Kunden sind jünger als 25 Jahre
und
¾ 44% zwischen 26–35 Jahre alt
30%

36–45

Abbildung 6: Kundenstruktur des 4010

Kundenfrequenz
Die mit der Standortauswahl verbundene Zielsetzung, gezielt Meinungsführer im Bezirk
Mitte anzusprechen, kann als gelungen betrachtet werden. Wie in Abbildung 6 gezeigt, wird
der 4010 hauptsächlich von der angestrebten Zielgruppe, dem Upper-Young-Segment, fre-
quentiert.

Die Entwicklung sowohl der Kundenfrequenz als auch der Friends/Followers auf der 4010-
Homepage bei Facebook22 und Twitter23 belegt, dass das Konzept und die virale Marketing-
strategie vom Zielsegment gut angenommen werden. Als Beleg dafür kann weiterhin gesehen
werden, dass sich die Anzahl der Nutzer der 4010-Homepage innerhalb der ersten Monate
verdoppelt hat und stetig weiter ansteigt. Bei Facebook gehören 60% der „Friends of 4010“
dem avisierten Zielgruppensegment an.

22
Vgl. www.facebook.com/4010berlin.
23
Vgl. www.twitter.com/4010_Shop.
84 SCHOMAKER/ERNER/BERLIN

Markendarstellung und Bekanntheitsgrad


Die Außenwirkung des 4010 war in den ersten Monaten noch nicht attraktiv genug, wurde
dann aber durch eine dem 4010-Style angepasste Außenkennung auffälliger gestaltet, um die
Zielgruppe gezielt in den Shop zu leiten. Ob hier weiterhin Verbesserungspotential besteht,
wird sich in den nächsten Monaten zeigen. Innengestaltung und Dekoration hingegen finden
großen Anklang bei den Kunden und etablieren den Store in Berlin-Mitte als Telekommuni-
kationsshop und gleichzeitig als Eventlocation für die Zielgruppe. Zudem hat sich der 4010
sehr gut in die Community eingefügt und erfreut sich eines hohen Bekanntheitsgrades in der
Region. Dazu trägt auch die gute Vernetzung der Mitarbeiter bei.

Produktpräsentation
Die klare Kennzeichnung des Stores in Verkaufs- und Eventbereich wurde von den Kunden
gut angenommen. Die eigentliche Produktpräsentation im Verkaufsbereich und in den Schau-
fenstern wird stetig angepasst. So sollen künftig weitere „Orientierungshilfen“ in die Pro-
duktpräsentation integriert und im Schaufenster vermehrt auf Angebote hingewiesen werden.
Als nachteilig erwies sich, dass nicht immer alle Produkte aufgrund baulicher Gegebenheiten,
wie Stützen in den Räumen, aus jeder Ecke des Verkaufsraumes sofort gesehen werden kön-
nen. Zur Belebung dieser Bereiche sollen die Flächen durch eine aufmerksamkeitsstarke
Dekoration und die gezielte Nutzung für Kommunikation und Testing aufgewertet werden.
Ebenso wie bei der Markendarstellung ist dieses Ergebnis aus Kundenbefragungen abgeleitet
worden. Festzuhalten bleibt, dass die Produktauswahl genau den Nerv der Zielgruppe trifft
und in diesem Punkt keine Änderungswünsche an das Shopkonzept bestehen.

Kundenansprache und Erlebnisvermittlung


Durch hervorragende Fachkenntnisse der Angestellten entwickelte sich der Shop zum Kom-
petenzzentrum für innovative, bei der Zielgruppe wichtige Schlüsselprodukte. Die Möglich-
keit, alle Endgeräte bei einer Tasse Tee in den Sitzlounges oder am großen Kommunikations-
tisch in Ruhe zu testen, wird von den Kunden ebenso geschätzt wie das Angebot private E-
Mails am kostenfreien Hotspot bearbeiten zu können. Auch die Nutzung des Multitouchs mit
seinen vielfältigen Funktionen wie z. B. kostenlose Downloads von Spielen, Musik, Videos
und selbstgestalteten Klingeltönen oder die Bundesliga-Live-Übertragung jeden Samstag-
nachmittag sind bei der Zielgruppe ein besonderes Highlight.

Durch regelmäßige Veranstaltungen werden zudem gezielt Besucher angelockt und führen zu
einem breiten Echo in lokalen TV- und Radio-Sendern, Blogs, Communities und Social Me-
dia. Festzuhalten ist, dass die Kommunikation über Tageszeitungen nicht zur Ansprache des
gewünschten Publikums führte. Deswegen werden in Zukunft vermehrt Informationen zu
bevorstehenden Events über die stetig wachsende Community gestreut.

So wurde beispielweise die Neugestaltung der Gallery Wall auf diese Weise sehr erfolgreich
über die Community promotet, indem Interessenten sich für die Mitgestaltung der neuen
Gallery Wall über Facebook bewerben konnten.

Community-bildende Maßnahmen
In den ersten Monaten wurde durch diverse Events, wie Ausstellungen, Workshops, etc., der
Bekanntheitsgrad des Shops gesteigert.
PoS-Konzept für die junge Zielgruppe der Deutschen Telekom AG 85

Die Kundenloyalität hat zugenommen, die 4010-Community wurde gestärkt und vergrößert.
Trotz einiger kritischer Anmerkungen zu Anfang erfolgten nun fast ausschließlich positive
Bewertungen über die bekannten Community-Medien und führten somit zu Ausbau und Fes-
tigung der Vernetzung im lokalen Umfeld.

„Feine Businessidee! Ein Telekom-Laden wie kein Mehr Galerie als


anderer. Ja, auch die Telekom geht manchmal andere Shop, mehr Erlebnis
Wege - ein Touch Social Media Marketing und ein wenig
als Verkauf. Page Magazin
Nostalgie. Irgendwie Lounge und irgendwie Shop - egal
wie… einfach eine geniale Idee. Hat Spaß gemacht einen
Vortrag für die Webinale dort zu halten. Und ist inmitten
der ganzen schönen Läden, in denen man auch mal ein
außergewöhnliches Kleidungsstück findet.“ „ich bin begeistert, vom
styling des raums und der
Meyer-Gossner auf Qype
freundlickeit der jungen frau.
sie hat mir unaufdringlich und
klar verständlich tarifstruktur
… in dieser coolen und vertragsdetails erklärt,
Super Geschäftsidee, der Location finden regelmäßig ruhig und sicher, ohne
Laden zeigt, wie cool Telekom musikalische Events statt, marketing-typisches agents-
sein kann. Man fühlt sich wie die ohne gelaber - sehr schön, so sollte
in einer Lounge und will gar Telekommunikation gar kommunikation zwischen
nicht mehr raus. Hier kann nicht möglich wären. kunden und anbieter ablaufen
blog.xonio.com
man sehen und probieren, was …“
Lokalreporter auf Qype
Apple und Co an neuen
Spielzeugen zur
Telekommunikation bereit
stellen. Macht Spaß! ...netter Szenetreff mit toller Gallery Wall im Shop! Und Abends
exrexexrex auf Qype verwandelt sich der Shop in eine Eventlocation. Tolle Sache!!
Laetitia auf Berlin-golocal

Abbildung 7: Stimmen der Kunden

Obwohl die Bekanntheit noch regional begrenzt ist, lässt sich festhalten, dass die Publicity
der Marke und des Shop-Konzepts innerhalb der Community die gesetzten Erwartungen voll
erfüllt.

4.3 Ausblick
Die DTAG rechnet aufgrund des viralen Marketingansatzes mit einer ca. drei-jährigen
„Ramp-up-Phase“ für den Shop. Die Pilotdauer wird in erster Linie für die Überprüfung,
Weiterentwicklung und Anpassung des Konzeptes verwendet. Derzeit wird die Optimierung
der Kundenzuführung in den Store durch eine konzeptkonforme Außenkennung umgesetzt.
Weiterhin werden sowohl die Kundenführung als auch Produktpräsentation und Preisaus-
zeichnung im PoS und den Schaufenstern überarbeitet und angepasst. Darüber hinaus werden
künftig vertriebliche und community-bildende Maßnahmen im Fokus stehen. In diesem Zu-
sammenhang spielt die Weiterentwicklung des eingesetzten Personals eine große Rolle. Die-
ses wird in den nächsten Monaten durch intensives Coaching dabei unterstützt, sowohl die
Kundenansprache als auch das Konzept ohne die Unterstützung externer Agenturen mit neuen
Impulsen und Trends am Leben zu halten.
86 SCHOMAKER/ERNER/BERLIN

5 Zusammenfassung

Mit dem „4010 – Der Telekom Shop“ in Mitte hat die DTAG ein PoS-Konzept speziell für die
junge Zielgruppe realisiert, welches vom avisierten Kundensegment sehr gut angenommen
wird und positiven Einfluss auf das Image des Unternehmens im besagten Segment hat. So-
wohl die bisherige Absatzentwicklung als auch Kundenstruktur und Resonanz der Communi-
ty bescheinigen der DTAG die Richtigkeit der Vorgehensweise. Um das veränderte Marken-
bild langfristig und glaubwürdig zu etablieren, wird der Konzern diesen Konzeptansatz kon-
sequent weiter entwickeln.

In die finale Bewertung des Konzeptes werden neben den originären Zielen eines PoS, Absatz
und Verkauf auch der generelle Erfolg des viralen Marketingansatzes, die Adaption von Tei-
len der 4010-Kommunikationsstrategie in die klassischen Marketingkampagnen und die nati-
onale und/oder internationale Multiplizierbarkeit des Gesamtkonzeptes einfließen.

Quellenverzeichnis

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Markenprofilierung durch werteorientierte
Retail-Marketing- und Service-Konzepte
am Beispiel der Loewe AG

THORSTEN BALD und HENRIK RUTENBECK

Loewe AG

1 Konsequente Markenorientierung als strategische Erfolgsvoraussetzung –


Positionierungsoptionen für Loewe und den Fachhandel ................................................ 91
1.1 Positionierungsoptionen für Industrie und Handel................................................. 93
1.2 Fazit Positionierungsoptionen................................................................................ 98
2 Schärfung des Markenprofils durch wertorientierte Retail-Marketing- und Service-
Konzepte........................................................................................................................ 100
2.1 Premium-Retail-Strategie..................................................................................... 100
2.2 Premium-Service.................................................................................................. 102
2.3 Premium-Kommunikationsmaßnahmen und -schulung ....................................... 103
2.3.1 Premium-Kommunikation ....................................................................... 105
2.3.2 Premium-Schulung .................................................................................. 106
3 Loewe 2015  Premium-Retail- und Premium-Service-Leistung als Werttreiber des
Unternehmenserfolgs ..................................................................................................... 107
3.1 Ausweitung der Flagshipstore-Strategie .............................................................. 107
3.2 Exklusive Kooperationen ..................................................................................... 108
3.3 Customized Services ............................................................................................ 109
4 Fazit ............................................................................................................................... 110
Quellenverzeichnis................................................................................................................ 111
Markenprofilierung durch wertorientierte Retail-Marketing- und Service-Konzepte 91

1 Konsequente Markenorientierung als strategische


Erfolgsvoraussetzung – Positionierungsoptionen
für Loewe und den Fachhandel

„Am Anfang war das Wort.“1 Dabei müsste es richtiger lauten: „Am Anfang war das Bild.“2
Denn Worte sind Vereinbarungen über Bilder. Damit stellen Bilder die Grundlage der Ver-
ständigung und Kommunikation dar. Diese Erkenntnis ist besonders für eine erfolgreiche Füh-
rung von Marken wichtig.3 Marken sind beim Konsumenten letztendlich Vorstellungen und
Bilder über Unternehmen, Produkte und Dienstleistungen. Demnach können (Wert-) Vorstel-
lungen innerhalb von Zielgruppen durch eine adäquate Ausgestaltung des Markenbilds4 maß-
geblich gesteuert und so für eine zielgerichtete Markenprofilierung genutzt werden. Dies setzt
voraus, dass alle Maßnahmen und Kontaktpunkte, die prägenden Einfluss auf das Markenbild
haben, zielgerichtet ausgestaltet und implementiert werden. Die Marken-Implementierung
wird zum Erfolgsschlüssel für ein profiliertes Markenbild und ist damit ein wesentlicher Fak-
tor, der bei der Erhöhung oder Erhaltung des Markenwerts berücksichtigt werden muss.

In diesem praxisinduzierten Beitrag soll am Beispiel der Loewe AG verdeutlicht werden, wie
aus einem konsistenten Markenbild wertorientierte Vertriebs- und Service-Konzepte abgelei-
tet und erfolgreich im Markt implementiert werden können und wie diese im Umkehrschluss
das gewünschte Markenbild weiter schärfen.

Marken5 sind die zentralen immateriellen Wertschöpfer im Unternehmen.6 Ziel einer Marke ist
es, die Leistung eines oder mehrerer Anbieter zu kennzeichnen und von Wettbewerbsangeboten
zu unterscheiden. Als Marken können „alle Zeichen, insbesondere Wörter einschliesslich
Personennamen, Abbildungen, Buchstaben, Zahlen, Hörzeichen, dreidimensionale Gestaltun-
gen einschließlich der Form einer Ware oder ihrer Verpackung sowie sonstiger Aufmachun-
gen einschließlich Farben und Farbzusammenstellungen geschützt werden, die geeignet sind,
Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens von denjenigen anderer Unternehmen zu
unterscheiden.“7

Aber Marke ist nicht gleich Logo. Marken sind weit mehr als die o. a. Definition von § 3 des
Markengesetzes erscheinen lässt. Marken sind Bilder in Köpfen.8 Unter der Marke subsumiert
der Konsument alle positiven und negativen Erfahrungen, die er mit ihr gemacht hat. Marken
sind also Gefäße, die

1
JOHANNES EVANGELIUM 1, Kapitel, Vers 1.
2
Vgl. HEINER (2002), S. 266 ff., und ESCH (2007), S. 1, zur Bedeutung von Zeichen und Symboliken als Grund-
form der Verständigung.
3
Vgl. BLÜMELHUBER (2004), S. 574, zur holistischen Decodierung und valideren Interpretation von Markenbildern.
4
ESCH (2007), S. 17: „Marken sind im Zeitablauf resistent gegen Einflüsse von außen. Vorstellungsbilder zu Mar-
ken bauen sich kaum ab.“ Vgl. ESCH (2007), S. 92, zum Transfer der Markenidentität in ein wahrnehmbares
Markenbild.
5
Vgl. BURMANN/MEFFERT/KOERS (2005), S. 6, BRUHN (2004), S. 19 ff., ESCH (2007), S. 18 f., und KEUPER/HANS
(2003), S. 167, zur Definition einer Marke.
6
Vgl. ESCH/TOMCZAK/KERNSTOCK/LANGNGER (2006), S. 5, WICHERT (2005), S. 17 f., und ESCH (2007) S. 5.
7
§ 3 Abs. 1 MarkenG (1998), S. 40.
8
Vgl. hierzu KEUPER (2009).

F. Keuper, B. Hogenschurz (Hrsg.), Professionelles Sales & Service Management,


DOI 10.1007/978-3-8349-8799-0_4,
© Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
92 BALD/RUTENBECK

¾ Werthaltungen,
¾ Einstellungen
¾ und Orientierungspunkte vermitteln.

Oder anders ausgedrückt: Marken sind kommunikative Erlebniswelten,9 die für Werte stehen,
mit denen sich der Konsument identifiziert. Jeder getätigte Kaufakt stellt einen Akt der Iden-
tifikation dar,10 wodurch der Konsument selbst zum Botschafter der Marke wird.11 Um das
Identifikationspotenzial einer Marke optimal zu nutzen, bedarf es einer Erlebniswelt, die dem
Wesen der Marke – ihren Markenwerten12 – entspricht. Bei der Vermittlung dieser Erlebnis-
welten13 wird das Markenbild als perzeptible Unternehmensidentität zum symbolischen Trä-
ger der Marke.

Um ein Markenbild dauerhaft zu etablieren bedarf es einer ausreichenden Differenzierung der


markenspezifischen Erlebnisdimensionen, die innerhalb einer durchgängig geschlossenen
Erlebniskette14 konsistent und nachhaltig vermittelt werden müssen.

Auf den dargelegten Grundgedanken basiert das Markenbild von Loewe, das unter einer
Dachmarken-Strategie15 subsumiert und geführt wird. Zur strategischen Ausrichtung der Marke
Loewe wurde folgende Vorgehensweise gewählt:16

¾ Die Marke Loewe muss sich auf markenrelevante Kerngeschäftsfelder fokussieren,


¾ das Produkt- und Dienstleistungsangebot sowie markenrelevante Kontaktpunkte homo-
genisieren
¾ und diese möglichst trennscharf bei den Zielgruppen penetrieren.

Diese Vorgehensweise trägt der Forderung nach einer möglichst hohen Eigenständigkeit17 bei
größtmöglicher Durchgängigkeit der Marke Rechnung und sorgt weiterhin dafür, dass alle
Elemente der Erlebniskette zielkonform ausgerichtet werden können. Die Erfahrungen der
letzten Jahre zeigen, dass die konsequente Positionierung des Loewe-Markenbilds eine der

9
Vgl. BLÜMELHUBER (2004), S. 576, zum markenprofilierenden Beitrag aller direkt erlebten Äußerungen der Marke.
10
BURMANN/SCHLEUSENER/WEERS (2005), S. 425: „Gemäß der „Image-Kongruenz“-Hypothese ist die Präferenz
und Kaufabsicht für eine Marke abhängig von deren Image und dem Bild, das der Nachfrager von sich selbst hat
und anderen vermitteln möchte.“
11
Der Konsument wird durch seine Markenentscheidung somit auch von anderen Konsumenten identifiziert; vgl.
LOEWE (2004), o. S.
12
Vgl. BURMANN/MEFFERT (2005b), S. 79, zur Definition des Markenwerts.
13
Vgl. BEKMEIER-FEUERHAHN (2004), S. 883 ff., und ESCH (2007), S. 112, zur zunehmenden Bedeutung erlebnis-
wertorientierter Markenstrategien.
14
Zur Erlebniskette gehören alle markenprägenden Kontaktpunkte und Maßnahmen einer Marke.
15
Vgl. hierzu auch den Gedanken der Dachmarkenstrategie ESCH (2001), S. 484 f.
16
Vgl. LOEWE (2004), o. S.; zur Optionsvielfalt in der markenstrategischen Vorgehensweise vgl. BECKER (2004),
S. 645.
17
Vgl. ESCH (2007), S. 150, und S. 467 ff., zur Differenzierung durch Alleinstellung.
Markenprofilierung durch wertorientierte Retail-Marketing- und Service-Konzepte 93

wesentlichen strategischen Erfolgsvoraussetzungen darstellt, um Produkte oder Dienstleis-


tungen dauerhaft in einem kompetitiven Umfeld erfolgreich zu positionieren.18

1.1 Positionierungsoptionen für Industrie und Handel


Die Loewe AG ist Anbieter für individuelle Home-Entertainment-Systeme im Bereich Home
Consumer Electronics. Damit platziert sich das Unternehmen in der Unterhaltungselektronik-
Branche, die sich wertmäßig im Wesentlichen aus den Bereichen TV, Video und Audio zu-
sammensetzt.

Die Kernmärkte der Loewe AG verteilen sich hauptsächlich paneuropäisch. Der Gesamtmarkt
der Consumer Electronics (CE) in Europa offeriert momentan hohe Wachstumspotenziale. So
steigerte sich der Umsatz von 2003 bis Ende 2006 um 23 % auf 36,7 Mrd. Euro. Die Wachs-
tumsimpulse im CE-Markt generiert hauptsächlich das CTV-Segment19, das 2007 mit
78 % Wertanteil durch LCD-TV-Technologien getrieben wird.20 Das LCD-Segment lässt sich
weiter in groß- und kleinformatige Geräte21 unterteilen, wobei der größte wertmäßige Zu-
wachs fast ausschließlich durch großformatige LCD-TV-Geräte bestimmt wird. In diesem
wesentlichsten Marktsegment hat Loewe nahezu sein gesamtes TV-Produkt-Portfolio positio-
niert.22 Erweitert wird das Produkt-Portfolio durch ergänzende Audio- und Video-Lösungen,
die zu vollintegrierten Home-Cinema-Systemen kombiniert werden können.

Das Wettbewerbsumfeld der Loewe AG ist durch eine hochgradig preisaggressive Vermark-
tung gekennzeichnet. Konkurrenten wie Samsung, Panasonic, LG, Sony oder Sharp erzielen
am Markt sehr viel höhere Absatzvolumina und verfügen durch Größen- und Verbundvorteile
über, im Vergleich zu Loewe, überlegene Kostenstrukturen. Der bestehende Preisverfall ist
auch im großformatigen LCD-TV-Markt als rasant einzustufen. So ging im Zeitraum von einem
Jahr der Marktdurchschnittspreis im LCD-TV-Segment  26“ um mehr als 30 % zurück.23

Die Gefahr durch neue Marktteilnehmer oder durch Substitutionsprodukte ist theoretisch
gegeben, allerdings scheint der CE-Markt relativ hohe Markteintrittsbarrieren aufzubauen.
Dies ist zum einen durch hohe Technologie-Anforderungen und dem damit einhergehenden
Produktions-Know-How begründet. Zum anderen besteht für einen neuen Marktteilnehmer
die Notwendigkeit, entsprechende Vermarktungskanäle im Zugriff zu haben.24

18
Vgl. TROMMSDORF/ASAN/BECKER (2004), S. 544 ff., zur herausragenden Bedeutung der Marken- und Produktpo-
sitionierung; vgl. ESCH (2007), S. 171 f., zur Durchsetzung von Eigenständigkeit auf Basis des Positionierungs-
konzepts.
19
CTV = Color Television
20
GFK (2007a), o. S.
21
Kleinformatig entspricht einer Einteilung  26 Zoll; großformatig entspricht einer Einteilung von > 26 Zoll. Ein
Zoll (in gekürzter Schreibweise 1“) entspricht 2,54 cm.
22
LOEWE (2007a), o. S.
23
GFK (2007a), o. S.
24
In der Vergangenheit sind temporär neue Markteilnehmer mit Abschöpfungsstrategien im CTV-Markt erschienen,
die sich nach maximal zwei bis drei Jahren wieder aus dem Markt verabschiedeten.
94 BALD/RUTENBECK

Die Marke Loewe muss sich also in einem preisaggressiven Wettbewerbsumfeld behaupten,
mit dem klar definierten Ziel25, möglichst lange eine möglichst hohe Preisprämie26 gegenüber
ihren Mitbewerbern im jeweiligen Markt-Segment durchzusetzen. Um dies zu erreichen ist es
notwendig, die Attraktivität der Marke Loewe in den definierten Zielgruppen-Segmenten zu
forcieren, um eine höhere Preisbereitschaft sicherzustellen.

Demnach ist als Ober-Ziel – durch sukzessive Steigerung des Markenwerts27 – die Sicherstel-
lung der langfristigen Überlebensfähigkeit des Unternehmens zu identifizieren. Aus dieser
Zielsetzung lassen sich weitere Unter-Ziele dekomponieren. Loewe verfolgt weiterhin das
Ziel, durch Höher-Positionierung der Marke die Marktführerschaft im Premium-Flat-TV-
Segment kontinuierlich auszubauen, woraus sich folgende, wirtschaftlich sinnvolle Positio-
nierungsoption ergibt: die Premium-Marke28 Loewe muss sich durch eine differenzierende29
Positionierung30 vom Massenmarkt weiter abkoppeln31, um sich vor Imitations- und Preisan-
griffen von Wettbewerbern besser schützen zu können. Dies bedeutet, sich einerseits eindeu-
tig von starken Volumen-Marken wie Philips, Sony, LG oder Sharp abzuheben, und anderer-
seits, den bestehenden Abstand zur Luxusmarke Bang & Olufsen32 sukzessive zu verklei-
nern.33

Zur Zielerreichung muss das Markenbild von Loewe eindeutige, für den Konsumenten wert-
volle Werte vermitteln, die für Loewe-Zielgruppen Identifikations- und Orientierungspunkte
darstellen.34

¾ Minimalistische Formensprache – die Marke Loewe ist zeitlos zurückhaltend und nicht
modisch oder extrovertiert. Dies spiegelt sich besonders im kubistischen, skulpturalen De-
sign der Produkte, aber beispielsweise auch in der Ausgestaltung von Kommunikations-
maßnahmen wider.
¾ Sinnvoller Fortschritt35 – Loewe zeichnet sich durch Innovationen aus, die den Umgang
mit dem Produkt einfacher oder komfortabler machen. Das bedeutet, keine Innovationen
zum Selbstzweck, sondern erst, wenn für den Anwender eine Technologie nach den o. a.

25
Vgl. ESCH (2007), S. 57 ff., BURMANN/MEFFERT (2005a), S. 61, und LINXWEILER (2001), S. 249 f., zur Ausge-
staltung von Markenzielen.
26
Vgl. BURMANN/MEFFERT (2005b), S. 91., zur intendierten Preis-Prämie einer Marke. Vgl. LASLOPP (2005), S. 474,
zur Wahrnehmung des Preis-Premiums.
27
Vgl. BRANDMAYER (2002), S. 132 ff., und ESCH (2001), S. 1061 ff.
28
Definition „Premium-Marke“ innerhalb dieses Beitrags: Eine Premium-Marke verfügt über immaterielle und sub-
stanzielle Werte, die es ermöglichen, ggü. vergleichbaren Produkten am Markt überlegene Preise durchzusetzen. Zur
Unterscheidung von Premium- und Luxusmarke vgl. ESCH (2001), S. 347 ff., MEFFERT/LASSLOP (2004) S. 932 f.,
und HELLMANN (2003), S. 291; zur Definition von Premium-Standards vgl. KEUPER (2004) S. 194.
29
Vgl. LINXWEILER (2001), S. 150, zur Notwendigkeit der Marken-Differenzierung.
30
Vgl. ESCH (2001), S. 245, zur Durchsetzung von Marken-Positionierungsstrategien.
31
Vgl. LASSLOP (2005), S. 47, zur Vorteilsargumentation einer Positionierung durch eine Premium-Marken-Strategie.
32
B&O besetzte nahezu alleine die höchstpreisigen Marktsegmente im CTV-Markt und stellt in der Markenpositi-
onierung für Loewe einen Benchmark dar.
33
Vgl. ESCH (2001), S. 484 f., hierzu auch den Gedanken der Dachmarkenstrategie.
34
Vgl. LINXWEILER (2001), S. 63 und 146 f., zur Bedeutung des Markenkerns und der Markenkernwerte.
35
Vgl. ESCH (2007), S. 190 f.: „(...) Loewe muss die Flachbildschirmtechnologie zweifelsfrei anders interpretieren
als LG, (...)“.
Markenprofilierung durch wertorientierte Retail-Marketing- und Service-Konzepte 95

Parametern einen substanziellen Anwendungsnutzen bietet, hält diese Technologie Ein-


zug in ein Loewe-Produkt.
¾ Exklusive Individualität – Loewe überzeugt durch Individualisierung, in dem sich die
Produkte den Wünschen der Zielgruppen anpassen. Dabei ist die Individualisierungs-
möglichkeit multidimensional ausgerichtet. Loewe-Produkte können in Material und
Aufstelllösungen der Wohnraumsituation angeglichen werden. Sie können aber auch, je
nach technischen Bedürfnissen, konfiguriert oder zu vollintegrierten Systemlösungen kom-
biniert werden.

Minimalistische Sinnvolle Exklusive


Form Innovation Individualität

Abbildung 1: Die Loewe-Markenwerte

Die drei beschriebenen Markenwerte fokussieren augenscheinlich in erster Linie die Produkt-
ausgestaltung. Um die oben genannten Ziele und Werte zu vermitteln, sind aber alle Maß-
nahmen, die mit der Marke Loewe identifiziert werden, an diesen Werten auszurichten.36
Neben inhaltlichen Aspekten spielt dabei das formale Marken-Erscheinungsbild eine zentrale
Rolle. Erst wenn an allen Kontaktpunkten, von der Messe, über das Produkt, dem PoS37-
Auftritt bis hin zum After-Sales-Service, die Loewe-Markenwerte „Beeindruckender Minima-
lismus“, „Sinnvoller Fortschritt“ und „Exklusive Individualität“ auch wahrgenommen wer-
den, kann eine konsistente und attraktive Loewe-Markenwelt38 entstehen.39

36
Vgl. LINXWEILER (2001), S. 258 f., zur Wichtigkeit einer Markenstrategie.
37
PoS = Point of Sale
38
In Analogie hierzu vgl. die Ausführungen zu Marken-Erlebniswelten ESCH (2001) S. 21 f. und S. 185 ff.
39
LOEWE (2007d), S. 10.
96 BALD/RUTENBECK

Die Marke Loewe sendet über ihre Kontaktpunkte zum Konsumenten Versprechen aus, die zu
Erwartungshaltungen führen. Die abgegebenen Versprechen müssen zur Vermeidung von
kognitiven und emotionalen Dissonanzen40 und zur Erreichung einer Markenrendite41 einge-
löst werden. Hierzu ist eine konsistente und markenadäquate Ausgestaltung aller Kontakt-
punkte zwingend notwendig. Aus dieser Betrachtung heraus bewegt sich die Positionierung
der Marke Loewe immer in einem mehrdimensionalen, dynamischen Spannungsfeld teilweise
konträr gepolter Interessenlagen.

Kommunikation

Design Marke Angebote

Verhalten

Abbildung 2: Die Loewe-Markenwerte im Spannungsfeld von Design, Verhalten, Angebote


und Kommunikation

Für den Handel stellen sich die gleichen strategischen Positionierungsoptionen wie für Loe-
we, nur aus einer anderen distributiven Perspektive. Die wirtschaftlichen Rahmenparameter
im Fachhandel ändern sich aufgrund ständigen Technologie-Wandels und starker Preis-
Aggressivität laufend. Das bedeutet, dass der UE-Fachhändler42 sich permanent neuen Gege-
benheiten am Markt anpassen muss, um seine bestehende Position erfolgreich zu verteidigen.
Einerseits ist eine immer stärkere Sättigung des Markts erkennbar, andererseits werden die
Produkte und Dienstleistungen immer vergleichbarer. Seit Mitte der 90er Jahre polarisiert der
Markt zunehmend. Dies hat zur Folge, dass mittlere Preis-Segmente wegbrechen, da der Fo-
kus der Industrie auf der Herstellung preisgünstiger Massenware oder hochpreisiger Pre-
mium-Produkte liegt. Damit sind die klassischen Fachhandelsunternehmen mit zwei diamet-
ral gelagerten Trends konfrontiert, können aber nicht beiden Richtungen simultan folgen. Die
örtlich parallele Vermarktung von teuren Premium- und preisaggressiven Massen-Produkten

40
Vgl. LACHMANN (2002), S. 240.
41
Vgl. LINXWEILER (2001), S. 179.
42
UE = Unterhaltungselektronik
Markenprofilierung durch wertorientierte Retail-Marketing- und Service-Konzepte 97

würde im Fachhandel unweigerlich zu kundenseitigen Vertrauensverlusten führen.43 Weiter-


hin ist eine Strategie der Preisführerschaft mit dazu notwendigen Skaleneffekten aufgrund zu
geringer Abverkaufspotenziale im Fachhandel gegenüber großen Discountern nicht wirt-
schaftlich durchsetzbar. Aus diesem Sachverhalt stellt sich für den UE-Fachhandel exakt die
gleiche Frage wie für Loewe: Wie kann er sich von preisgetriebenen Wettbewerbern differen-
zieren? Und die Antwort ist ebenfalls dieselbe. Die erfolgreichste Positionierungschance für
diesen Distributionskanal liegt in der wertorientierten Premium-Positionierung.

Dabei kann der Fachhandel von zwei sich immer mehr verstärkenden Effekten profitieren:
Der Konsument fühlt sich bei einer Kaufentscheidung für UE-Produkte häufig durch die hohe
Komplexität neuer Technologien, die rasante Innovationsgeschwindigkeit und die immer
kürzeren Produktlebenszyklen in der Kauferwägung und -entscheidung überfordert. Er sieht
sich hierbei mit einer Vielzahl von Fragen konfrontiert: Kommt im nächsten halben Jahr ein
technisch ausgereifteres Produkt auf den Markt, auf das es sich zu warten lohnt? Ist das Neu-
este auch wirklich das Beste für seine Bedürfnisse? Welches Produkt erfüllt seine Anforde-
rungen ideal? Welche Produkt- und Leistungsmerkmale benötigt der Konsument wirklich?
Dies alles sind hochkomplexe, kaufentscheidungsrelevante Fragen, die nur im Fachhandel
adäquat beantwortet werden können. Der Fachhändler schlüpft in die Rolle des „Einkauf-
Vereinfachers“ bzw. Problemlösers und kann so zielgerichtet den jeweiligen Kunden auf ein
Premium-Produkt beraten.

Der zweite wesentliche Aspekt, der für eine erfolgreiche Premium-Positionierung des Fach-
händlers spricht, ist der ungebrochene Trend zur Individualisierung.44 Anspruchsvolle Kon-
sumenten können und wollen sich Differenzierung und damit Premium-Produkte leisten:
Wenn der Massenmarkt für Flat-TV gesättigt ist, wächst der Wunsch auf mehr Differenzie-
rung von der Masse – d. h. auf ein Premium-Fernseherlebnis, wie es nur der Fachhandel in
allen relevanten Dimensionen bieten kann.45 Denn Kunden, die außergewöhnliche Produkte
nachfragen erwarten auch ein entsprechend ausgestaltetes Einkaufsambiente:

¾ Individuelle Beratung statt Schnäppchenjagd,


¾ Edle Raumausstattung statt Wühltisch-Atmosphäre,
¾ und hochklassige Produkt-Kompetenz und Service-Leistung statt langer Kassenschlangen.

Die Kombination von perfektem Service und einem hochwertigen Produkt-Angebot sorgen
im Fachhandel für eine dauerhafte Premium-Positionierung und ermöglichen damit auch
überlegene Margen.46

43
Vgl. hierzu auch die Aspekte der Markenerosion und Markenvertrauen in ESCH (2001), S. 27 ff.; zur Marken-
treue vgl. HELLMANN (2003), S. 125.
44
Vgl. LOEWE (2007f), S. 3.
45
Vgl. LOEWE (2007e), S. 7.
46
Vgl. LOEWE (2007e), S. 12.
98 BALD/RUTENBECK

1.2 Fazit Positionierungsoptionen


Loewe gelang es in den vergangenen Jahren, sich gegen die Regeln der Geiz-ist-geil-domi-
nierten Branche eine exzellente Premium-Position aufzubauen. Mit individuellen Home-
Entertainment-Systemen ist Loewe heute eindeutiger Markenführer in den wichtigsten LCD-
TV-Marktsegmenten.47 Je ruinöser der Preiswettbewerb der großen Massen-Anbieter wird,
desto wichtiger wird der enge Schulterschluss zwischen dem Fachhandel und Loewe. Denn
nur wenn Klasse beim Konsumenten auch deutlich sichtbar ankommt, hat sie eine Chance,
sich durchzusetzen, d. h. nur dann kann die Erlebniskette lückenlos durchlaufen werden.

Marktanteil in Europa Others


LCD-TV ab 2.000 EUR Sony
01-05/2009 (in %) 1,5 % 21,2 %
Samsung
12,2 %

B&O
2,4 % Technisat
2,8 %
Metz
7,6 %

Sharp
1,9 %

Philips
16,5 % Loewe
33,9 %

Abbildung 3: Marktanteile LCD-TV in 2009 auf Basis Umsatz48

47
Vgl. GFK (2009), o. S., Loewe ist in Deutschland in LCD-TV-Marksegmenten > 2.000 € mit 33,9 % Marktanteil
Marktführer.
48
Vgl. GFK (2009), o. S.
Markenprofilierung durch wertorientierte Retail-Marketing- und Service-Konzepte 99

Massen- Rumpf- Individuelle Premium-


Werbung Komm. Service
Service

Preis- Rumpf- Premium Premium-


Promotions Beratung Events Beratung

Discounter Fachhandel
Volumen- Massen- Premium- Premium-
Marken Präsentation Marken Präsentation

Geringe Hohe
Grüne Top-
Angebots- Angebots-
Wiese Location
tiefe tiefe

Abbildung 4: Erlebnisketten im Handel

Die Faktor-Kombination Loewe und Fachhandel ergänzt sich aus den oben genannten Grün-
den ideal: Zum einen bedarf es Fachhändler, die Premium-Produkte angemessen präsentieren,
beraten und verkaufen und zum anderen bedarf es einer starken Marke wie Loewe, die über ihre
Attraktivität und Begehrlichkeit beim Konsument ein entsprechendes Preis-Premium im Markt
durchsetzt.

Preis
(in Euro)

4.500 +
Loewe Fachhandel

4.000

3.500

3.000 Volumenmarken
Discounter

2.500

2.000

1.500

1.000

Wert

Abbildung 5: Positionierungsoptionen Loewe und Fachhandel


100 BALD/RUTENBECK

2 Schärfung des Markenprofils durch wertorientierte


Retail-Marketing- und Service-Konzepte

Die Schärfung des Loewe-Markenprofils erfolgt über alle relevanten Maßnahmen und Kon-
taktpunkte der Erlebniskette mit dem Ziel, ein holistisches Markenbild von Loewe sicherzu-
stellen. Aufgrund der engen Verzahnung zwischen Loewe und dem Fachhandel nehmen
retailbasierte Vermarktungs- und Service-Konzepte am Point of Sale dabei eine zentrale Rolle
ein.49 Die Grundkonzeption und Hauptausprägungen dieser PoS-Konzepte werden im Fol-
genden weitergehend erläutert.

2.1 Premium-Retail-Strategie
Für potenzielle Loewe-Kunden hat der Point of Sale eine ganz besondere Bedeutung. Denn
nur hier können Konsumenten erleben, ob die Marke Loewe einhalten kann, was sie beispiels-
weise in der Kommunikation verspricht. Dabei ist der Blick von Premium-Kunden besonders
kritisch. Sie erwarten vom ersten Eindruck der Schaufenster-Präsentation über das Verkaufs-
gespräch bis hin zum After Sales Service ein adäquates Marken-Erlebnis, das ihre hohen
Erwartungen in die Marke bestätigt.50

Loewe-Produkte und -Dienstleistungen sind durch adäquate Distributionskanäle in europäi-


schen Metropolen sichtbar vertreten. Dabei bekennt sich Loewe über eine selektive Vertriebs-
struktur51 grundsätzlich zum qualifizierten Fachhandel. Zur Verbesserung der Distributions-
qualität, insbesondere zur Erreichung einer durchgängigen, auf hohem Niveau liegenden PoS-
Qualität, werden gezielt Fachhändler so weiterentwickelt, dass sie die Vermarktungs-
Anforderungen einer Premium-Marke erfüllen. Auch die Distributionsdichte wird kontinuier-
lich auf die Premium-Strategie von Loewe abgestimmt.52 Die daraus entstehende Distributi-
onsstruktur ist in drei Kategorien unterteilt:

¾ Loewe-Galerien,
¾ Loewe-PartnerPlus und
¾ Loewe-Partner.

Jeder Händlerstatus korrespondiert mit klaren, von der Marke definierten Vorgaben zu allen
markenrelevanten Themen, von der Außenkennzeichnung über die Angebotsstruktur bis hin
zur Marken- und Produktpräsentation am PoS. Damit wird sichergestellt, dass die Marke
Loewe strahlkräftige Highlights im Markt setzt, und gleichzeitig auch in der Fläche Mindest-
standards einhält. Die Anspruchshaltung der Kunden an eine Premium-Marke muss am Point
of Sale vor allem durch erstklassige Produkte und deren hochwertige Präsentation im Shop

49
Vgl. RUDOLPH (2004), S. 977 ff., zur Bedeutung und zu den Herausforderungen des erfolgreichen Markenmana-
gements im Handel.
50
Vgl. LOEWE (2007b), S. 54.
51
Zu den markenbildenden Eigenschaften selektiver Distributionskonzepte vgl. LASLOPP (2005), S. 486. Vgl.
hierzu zusätzlich auch die Ubiquitätsbetrachtung von HELLMANN (2003), S. 22.
52
Vgl. LOEWE (2006a), o. S.
Markenprofilierung durch wertorientierte Retail-Marketing- und Service-Konzepte 101

bestätigt werden. Loewe kann daher besonders beim Fachhändler seine Kompetenz im Be-
reich individueller Premium-Flat-TV und Audiolösungen unterstreichen und die hohe Wer-
tigkeit von Produkt und Marke vermitteln. Dazu sind von jedem Fachhändler folgende Mini-
mal-Anforderungen zu erfüllen:53

¾ Premium-Präsentation – Loewe-Produkte werden immer sorgfältig und großzügig auf ei-


nem eigenen PoS-Präsentationssystem präsentiert;
¾ Systemangebot – Loewe präsentiert Produktlinien, Produkt-Highlights und Audio-Präsen-
tationen, um das systemische Leistungsspektrum darstellen zu können;
¾ Sortimentsvielfalt – Loewe präsentiert am PoS die Varianz und Individualisierungs-
möglichkeit des Produkt-Portfolios.

Abbildung 6: Loewe-Galerie Anzenhofer in Augsburg

Der Anspruch an Substanz und Design wird am PoS ebenso durch ein premiumadäquates
Umfeld demonstriert. Aus diesem Grund muss der Kunde Loewe-Produkte in einem typi-
schen Umfeld vorfinden, das die Werte der Marke verkörpert. Der erste Eindruck einer Loe-
we-Produktpräsentation am PoS soll deshalb der eines hellen, lichten Farbklimas sein, das die
Produkte mit ihren Materialien und Farben optimal zur Geltung bringt. Die Einrichtung ver-
mittelt den Anspruch einer technisch funktionalen Marke mit einem zeitlos puristischen Stil.54
Die Einführung des Loewe-Shop-in-Shop-Systems seit Ende 2005 war der Auftakt der Loewe-
Retail-Offensive. Es schafft zwei wichtige Voraussetzungen für die Marke Loewe im Handel:
Erstens kreiert es eine eigene Bühne für die Produkte. Zweitens stellt es eine markenkonforme
Produktpräsentation auf kleinstem Raum sicher. Damit ist das Shop-System ein wichtiges
Alleinstellungsmerkmal, um sich in allen Umfeldern gegen die Produkte der Massen-Anbieter
durchsetzen zu können.

53
Vgl. LOEWE (2007b), S. 56 ff.; eine exakte Definition der PoS-Anforderungen je Distributionsstufe ist in der
Loewe-PoS-Guideline fixiert; vgl. LOEWE (2006a), o. S.
54
Vgl. LOEWE (2007b), S. 56 ff., besonders die Durchsetzung und Einhaltung der formalen Gestaltungsrichtlinien
am PoS hat prägenden Einfluss auf das gewünschte Markenbild.
102 BALD/RUTENBECK

2.2 Premium-Service
Zielgruppen, die bereit sind für ein Premium-Produkt überdurchschnittlich viel auszugeben,
sind in der Regel nicht an massentauglichen Angeboten interessiert. Premium-Kunden wollen
exklusive, maßgeschneiderte Lösungen, die genau auf ihre Bedürfnisse abgestimmt sind.
Diesen Trend hat Loewe frühzeitig erkannt und verfügt daher über eine Produktpalette, die
die Vielfalt individueller Konsumentenwünsche bei Flat-TV-Geräten abdeckt und neue Maß-
stäbe in der Branche setzt. Natürlich wachsen damit auch die Variations- und Kombinations-
möglichkeiten; die Anforderungen an Vernetzungsleistungen steigen und auch die technische
Komplexität wird immer größer, was nur durch eine exzellente Beratungsleistung im Fachhan-
del kompensiert werden kann. Die Betreuung der Loewe-Kunden muss genauso individuell und
hochwertig sein, wie das Loewe-Produkt selbst. Der Loewe-Fachhändler hat es in der Hand,
durch Service-Leistung die individuelle Auswahl und alle Komplexität für den Konsumenten
nicht zum Kaufhindernis, sondern zum individuellen Erlebnis zu machen. Erstberatung, Aus-
lieferung, Installation und Inbetriebnahme; laufende Betreuung und professionelle Hilfestel-
lung bei Problemen; Installation von Updates, Wartung sowie gegebenenfalls Demontage und
Entsorgung von Alt-Geräten: Verantwortung, Profession und Dienstleistungsbereitschaft des
Händlers begleiten seinen Kunden über den gesamten Customer-Lifetime-Cycle55 und tragen
damit auch mittel- bis langfristig zu einer stabilen Premium-Positionierung bei.

Dienstleistungs-
qualität
Qualität und Umfang des Loewe-Dienstleistungs-
angebots steigen mit dem Händlerstatus

Premium Plus

Premium

Basis

Dienstleistungsumfang

Abbildung 7: Visualisierung der Loewe-Service-Level

55
Vgl. LOEWE (2007c), S. 4.
Markenprofilierung durch wertorientierte Retail-Marketing- und Service-Konzepte 103

Um der außergewöhnlich hohen Erwartungshaltung an Service-Leistungen von Premium-


Kunden kontinuierlich gerecht werden zu können, verabredet Loewe mit jedem Loewe-
Händler einen verbindlichen Dienstleistungsstandard. Dabei hängen Umfang und Qualität des
Service-Angebots vom jeweiligen Status ab: Die „Basis“-Stufe gilt für alle Händler. Loewe-
PartnerPlus-Händler und Loewe-Galerien garantieren darüber hinausgehende „Premium“-
Dienstleistungen. Und weil exzellenter Service immer individuell gestaltbar sein muss und
immer noch weiter verbessert werden kann, gibt es bei ausgesuchten Fachhändlern das „Pre-
mium-Plus-Service-Paket“: Dies ist ein Katalog aus optionalen Dienstleistungsangeboten, aus
dem jeder Loewe-Händler frei auswählen kann – um auf diese Weise seine persönlichen Ser-
vice-Bestmarken aufzustellen und so ein attraktives Zusatzgeschäft bei zahlungsstarken Ziel-
gruppen zu generieren.56

Service-Level Beschreibung

Basis
Die Service-Stufe Basis sorgt dafür, dass ein gewisses Mindestmaß an Dienstleistungen beim Verkauf von
Loewe-Produkten immer geboten wird. Daran müssen sich alle Loewe-Händler halten, um Enttäuschung
beim Kunden zu vermeiden – und damit auch schlechte Geschäfte. Diese Dienstleistungen sind
weitgehend Bestandteil des Listenverkaufspreises und damit kostenlos. Ausnahme bilden besonders
aufwändig zu realisierende Dienstleistungen, die kostenpflichtig sind. Zum Basis-Service gehört zum
Beispiel die Bedarfsanalyse und Gerätevorführung, eine Loewe-Fachhändlergarantie von 36 Monaten,
Liefer-, Aufstell- und Inbetriebnahme-Service sowie die fachgerechte Entsorgung des
Verpackungsmaterials.

Premium
Die Service-Stufe Premium beinhaltet (im Vergleich zu Basis) ein erweitertes Dienstleistungspaket, das
von allen Loewe-PartnerPlus-Händlern und Loewe-Galerien ohne Ausnahme angeboten wird. Diese
Service-Dienste können dem Kunden zwar grundsätzlich in Rechnung gestellt werden. Doch der
Fachhändler verfügt über die unternehmerische Freiheit, auf eine direkte Berechnung zu verzichten und
die Kosten in ein attraktives Pauschal-Angebot einzubinden. Beispiele für Dienstleistungen der Premium-
Stufe: Garantieverlängerung auf bis zu sechs Jahre, Auslieferung sowie Beratung und Installation in den
Räumen des Kunden auch außerhalb der Geschäftszeiten.

Premium Plus
Die Service-Stufe Premium Plus: ein Katalog von außergewöhnlichen Dienstleistungsangeboten, aus
denen Loewe-Händler je nach Bedarf und Möglichkeiten auswählen können. Die Premium-Plus-
Dienstleistung ist das vom Fachhändler individuell zusammengestellte Hochleistungs-Service-Programm.
Premium-Plus-Dienstleistungen können zwar nicht immer direkt abgerechnet werden, zahlen sich aber für
den Fachhändler mittel- bis langfristig aus: Dazu gehören zum Beispiel die Probeaufstellung beim
Endkunden oder komplette Home-Cinema-Installationen mit individueller Wohnraumgestaltung.

Tabelle 1: FH-Service-Level der Premium-Marke Loewe

2.3 Premium-Kommunikationsmaßnahmen und -schulung


Die Kommunikation und Schulung markenprägender Inhalte bilden eine notwendige Bedin-
gung um das Markenbild am PoS zu visualisieren und durchzusetzen. Der Loewe-Kommu-
nikationsmix muss einerseits die o. a. Forderungen einer konsistenten Markenführung entlang
der Erlebniskette erfüllen und so das gewünschte Markenbild inhaltlich aufladen, andererseits
jedoch auch absatzfördernde Effekte57 generieren, um besonders die retailbasierte Angebots-
leistung von Loewe zu kommunizieren. Diese Aufgaben können durchaus diametral gelagert
sein, woraus sich für die Ausgestaltung des Loewe-Kommunikationsmix` ein komplexes
Allokationsproblem ergibt.58

56
Vgl. LOEWE (2007c), S. 6 ff.
57
Vgl. KOTLER/BLIEMEL (1999), S. 924.
58
Vgl. MEFFERT (1991), S. 120 ff.
104 BALD/RUTENBECK

Die Kommunikationsziele59 leiten sich, unter Berücksichtigung der zielgruppenspezifischen


Ausprägungen, aus den Markenzielen ab.

„Das zentrale Ziel der Kommunikation besteht darin, die Marke Loewe mit eigenständigen
emotionalen und rationalen Mehrwerten aufzuladen, um so innerhalb der Loewe-Zielgruppen
eine höhere Begehrlichkeit zur Marke aufzubauen und damit eine höhere Preisakzeptanz
herzustellen.“ 60

Für Loewe ergeben sich im Kommunikationsbereich dadurch drei wesentliche strategische


Stoßrichtungen:61

¾ Aufwertung der bestehenden Markenposition,


¾ Eroberung von neuen Zielgruppen und
¾ Loyalisierung62 der bestehenden Zielgruppen.

Dieses breite Anforderungsprofil erfordert einen entsprechend gestalteten Zielkorridor von


Sub-Zielen63, der sich für Loewe wie folgt definiert:64

Kommunikationsziel Maßnahmen

Etablierung und Penetration der -Alle markenprägenden Kommunikationsmaßnahmen werden durch Guidelines definiert und somit
Markenwerte gleichgeschaltet.
-Markenrelevante Kommunikationskanäle werden evaluiert und fokussiert. Alle
Kommunikationsbotschaften werden ausschließlich und kontinuierlich über diese Kanäle kommuniziert
und penetriert.

Stärkung der -Das gesamte Erscheinungsbild der Loewe-Kommunikation ist über das Design-Rahmenkonzept definiert
Markenbegehrlichkeit und spiegelt den Anspruch an eine Premiummarke in allen Kommunikationsbereichen wider.
-Innerhalb des CD-Rahmenskonzepts können die Kommunikationsmaßnahmen frei arrangiert werden und
eröffnen so einen notwendigen Kreativitätsspielraum um Durchsetzungsstärke zu zeugen.

Aufmerksamkeitssteigerung und -Die Kommunikationsmaßnahmen sind so ausgestaltet, dass sie in ihrem direkten Umfeld die höchste
Involvierung Alleinstellung entfalten können.
-Alle Kommunikationsmaßnahmen vermitteln die Erlebniswelt von Loewe oder laden dazu ein, in einen
direkten Dialog mit der Marke einzutreten.

Tabelle 2: Kommunikationsziele der Marke Loewe

59
Zur Ableitung von Kommunikationszielen aus Markenzielen vgl. LINXWEILER (2001), S. 174.
60
LOEWE (2006b), o. S.
61
LOEWE (2006b), o. S.
62
Vgl. ESCH (2001), S. 1015 ff., und LINXWEILER (2001), S. 151 ff.
63
Taugliche Kommunikationsziele müssen so konkret formuliert sein, dass der Erfolg der Kommunikation einer
einzelnen Maßnahme direkt zugeordnet werden kann; vgl. KROEBER-RIEL/ESCH (2000), S. 32. Weiterhin müssen sie
ein hohes Maß an kommunikationsbedingter Reagibilität vorweisen und über eine hohe selektive Steuerungskraft
verfügen; vgl. STEFFENHAGEN (1993), S. 288.
64
LOEWE (2006b), o. S.
Markenprofilierung durch wertorientierte Retail-Marketing- und Service-Konzepte 105

2.3.1 Premium-Kommunikation
Neben der Evaluation der richtigen Kommunikationskanäle ist es für eine Premium-Marke
wie Loewe notwendig, den Einsatz und die Ausgestaltung der Kommunikationsmittel65 fest-
zulegen, um so ein möglichst großes zentrales Steuerungsmomentum zu erreichen. Aus den
übergeordneten Zielsetzungen abgeleitet, müssen Kommunikationsmittel von Loewe-Mar-
kenbotschaften, je nach Anlass aber auch produktspezifische oder verkaufsfördernde Inhalte
vermitteln.66 Weiterhin ergeben sich aus unternehmens- oder umweltbedingten Anlässen zu-
sätzliche Anforderungen, die berücksichtigt werden müssen. So sind beispielsweise Ein-
verkaufs- oder Durchverkaufsmaßnahmen des Vertriebes in Richtung Handel und Endkon-
sument werblich zu unterstützen. Oder es ist im Retail-Bereich kommunikativ auf Preissen-
kungen im Markt zu reagieren.67

Aus einer Risikobetrachtung heraus können unkontrolliert gestaltete Kommunikationsmittel


besonders am Point of Sale für eine Premium-Marke markenschädigend und daher ineffektiv
sein.68 Oder sie entwickeln durch unzureichende Kreation nicht ihre volle Kommunikations-
leistung und sind somit ineffizient.69 Massenanbieter haben meist nur ein Argument, das sie
bei substanziell vergleichbaren Produkten am PoS kommunizieren können – den Preis. Für
Loewe ist es deshalb umso wichtiger, die Substanz transparent zu machen, die den ver-
gleichsweise hohen Preis rechtfertigt. Diese Substanz besteht aus führender Technologie, dem
Design-Anspruch und aus dem Status der Marke. Der Einsatz von Loewe-Kennzeichnungs-
und Kommunikationselementen beim Fachhändler erfolgt daher systematisch. So kann der
Kunde die Leistungsbreite und -tiefe des Loewe-Angebots ermessen und er erhält zum Abbau
kognitiver Dissonanzen das bestätigende Gefühl, in eine wertvolle Marke mit dem für ihn
passenden Produkt zu investieren.

Die Retail-Kommunikation von Loewe sorgt am PoS durch aufeinander abgestufte Kommu-
nikationsebenen für eine durchgängige Wertevermittlung:70

¾ Identifikation – Loewe kennzeichnet den PoS eindeutig und dezent als Loewe-Erlebnis-
welt;
¾ Inhaltsvermittlung – Loewe schärft das Markenprofil am PoS gezielt durch Marken-,
Aktions- und Innovationskommunikation;
¾ Leistungstransparenz – Loewe informiert bei jedem Produkt über Preis und dem gegen-
übergestellt über die jeweilige Leistungsfähigkeit aus Kundensicht.

65
Kommunikationsmittel sind Medien, die Informationen, mit oder ohne Zuhilfenahme von Kommunikationskanä-
len, transportieren.
66
Zu Grundüberlegungen zur Markenführung und Werbung vgl. LÖBLER/MARKGRAF (2004) S. 1491 ff., sowie zu
Grundgedanken zur Markenführung und Verkaufsförderung vgl. GEDENK (2004), S. 1513 ff.
67
Vgl. KEUPER (2001), S. 14, zum Begriff der Flexibilität.
68
Hierunter fallen beispielsweise rein preisgetriebene Angebotskommunikation oder auch ausgelobte Preisnachläs-
se.
69
Vgl. KEUPER/HANS (2003), S. 67, und vertiefend KEUPER (2004), S. 1 ff. und S. 90 ff., zur Bedeutung von Effek-
tivität und Effizienz. Vgl. PICOT/DIETL/FRANCK (2005), S. 36, zur Bedeutung der allokativen und internen Effi-
zienz sowie der produktionswirtschaftlichen Gesamteffizienz.
70
Vgl. LOEWE (2007b), S. 60.
106 BALD/RUTENBECK

Unter risikominimierenden Gesichtspunkten stellt sich für eine effektive und effiziente mar-
kenadäquate Kommunikation die Forderung, eine möglichst hohe Kommunikationsleistung
unter kontrollierten Bedingungen sicherzustellen. Diese Kontrolle wird bei Loewe durch ein
entwickeltes und implementiertes CD-Rahmenkonzept71 gewährleistet. Alle Loewe relevanten
Kommunikationsmittel sind innerhalb dieses Rahmenkonzepts in Form von Guidelines72 und
Gestaltungsrastern definiert. In diesen Rastersystemen können auch die retailbasierten Kom-
munikationsmaßnahmen flexibel ausgestaltet werden, um eine höchstmögliche Kommunika-
tionsleistung auch am PoS markenadäquat zu entfalten. Die fachhändlerspezifische Individua-
lisierung der PoS-Kommunikationsmittel erfolgt über eine internetbasierte Transaktionsplatt-
form73, die eine CD-Konformität und kostenoptimierte Produktionsabwicklung sicherstellt.
Die so entwickelten Werbemittel werden dann i. S. einer integrierten Kommunikation74 mit-
einander vernetzt, wodurch sie, durch Nutzung von Synergie-Effekten, zusätzliche Kommu-
nikationsleistung entwickeln.75

2.3.2 Premium-Schulung
Um alle dargestellten Inhalte zur Premium-Positionierung an den Fachhändler mit möglichst
wenig Reibungsverlusten zu transferieren setzt Loewe eine eigene Schulungsdivision76 –
ProCollege – ein. Alle Seminare im Rahmen des ProCollege-Programms vermitteln zielgrup-
pengerecht, was Fachhändler für eine erfolgreiche Markenpräsentation und Kundenbetreuung
am PoS wissen sollten. Damit bildet Loewe-ProCollege eine wichtige Schnittstelle in der
Wissensvermittlung zum Fachhändler und ist zugleich auch direkter Rückkanal, um Feedback
aus dem Markt zu erhalten. Dadurch entsteht ein selbstlernendes System, das von Loewe zur
Justierung und kontinuierlichen Verbesserung von Maßnahmen genutzt wird.

Zum Schulungskatalog von ProCollege gehören Seminare zur Vermittlung der Loewe-Grund-
werte genauso wie anschauliche Beispiele, wie sich diese Werte auch in der Praxis eines Fach-
händlers effektiv umsetzen lassen. Produktmarketing- und Technikseminare vertiefen, welche
Innovationen sich in den individualisierbaren Systemangeboten von Loewe verbergen.77

Besonderes Augenmerk richtet sich auf die Premium-Service-Seminare, um den Fachhandel


auf die steigenden Erwartungen seiner Kunden angemessen vorzubereiten. Innerhalb der Semi-
nare werden u. a. folgende Inhalte vermittelt:78

71
Vgl. LINXWEILER (2001), S. 63, zum Brand Design.
72
Zum Beispiel die PoS-, Literatur-, Online- oder die Loewe-Bildsprache-Guideline.
73
Vgl. www.Loewe-haendler-service.de.
74
Vgl. KROEBER-RIEL/ESCH (2000), S. 101, BRUHN (2004b), S. 1445, und HELLMANN (2003), S. 95. Integrierte
Kommunikation zielt in erster Linie auf ein einheitliches Erscheinungsbild der Marke ab. Durch inhaltliche und
formale Abstimmung der Maßnahmen soll die Markenwahrnehmung beim Konsumenten vereinheitlicht werden.
Vgl. ESCH (2001), S. 611 ff., und BRUHN (1995) S. 97 ff., zur weiteren Bedeutung und Ausgestaltung integrierter
Kommunikationsmaßnahmen.
75
Hierzu ist eine systematische Kommunikationsplanung mit adäquaten Aufbau und Ablaufstrukturen zwingend
notwendig; vgl. hierzu BRUHN (2004b), S. 1445 ff.
76
Der organisatorische Aufbau von Loewe-ProCollge ergibt sich gem. der Anforderung „structure follows stra-
tegy“. SCHULTE-ZURHAUSEN zitiert CHANDLER; vgl. SCHULTE-ZURHAUSEN (2005), S. 324.
77
Vgl. LOEWE (2007c), S. 14.
78
Vgl. LOEWE (2007c), S. 14.
Markenprofilierung durch wertorientierte Retail-Marketing- und Service-Konzepte 107

¾ Premium-Service-Prozesse,
¾ Dienstleistungsfunktion und Dienstleistungsqualität,
¾ Premium-Service-Organisation im Betrieb und Außendienst,
¾ Qualitätsorientierte Führung und Verhalten der Service-Mitarbeiter und
¾ Service Controlling.

Die Premium-Service-Seminare von Loewe-ProCollege richten sich speziell an die Multipli-


katoren im Fachhandel, d. h. Unternehmer, Geschäftsführer und Führungskräfte sowie deren
Service-Mitarbeiter, um auch in diesem kundensensiblen Bereich eine durchgängig geschlos-
sene Erlebniskette sicherzustellen und damit das Markenbild von Loewe nachhaltig zu profi-
lieren.

3 Loewe 2015  Premium-Retail- und Premium-Service-


Leistung als Werttreiber des Unternehmenserfolgs

Der technologische Wandel im UE-Bereich wird auch zukünftig durch immer kürzere Inno-
vationszyklen gekennzeichnet sein. Dies führt dazu, dass technische Innovationen nur kurz-
fristig Wettbewerbsvorteile generieren und der substanzielle Grundnutzen der Produkte im-
mer vergleichbarer und damit substituierbar wird. Für eine Premium-Marke wie Loewe be-
deutet dies, dass durch die generische Produkt-Leistung das Profilierungspotenzial sukzessive
abnimmt. Im Umkehrschluss stellt sich die Frage, wo sich weitere oder neue Profilierungs-
chancen für Loewe ergeben und wie diese für die Marke nutzbar gemacht werden können.

3.1 Ausweitung der Flagshipstore-Strategie


Eine Antwort auf diese Frage ist die konsequente Ausweitung der Loewe-Flagshipstore-Strate-
gie.79 Wenn der substanzielle Produktnutzen austauschbar wird, liegt der größte Positionie-
rungs-Leverage in der Vermittlung immaterieller Mehrwerte.

Die Argumente für den Ausbau der Flagshipstore-Strategie sind schnell zu eruieren: Je wert-
voller die Marke Loewe im Fachhandel präsentiert wird, desto schneller wächst sie – und
desto besser verdient der Fachhändler an ihr. Logische Konsequenz: Kein Geschäftsmodell
verspricht größeren Erfolg als die Loewe-Galerien, weil die Marke Loewe ihre Marken-
Dimensionen nirgendwo sonst so konsequent dem Konsumenten vermitteln kann. Loewe
Galerien erwirtschafteten allein in den ersten zwei Jahren seit der Neustrukturierung der Loe-
we-Distribution Umsatzsteigerungen von über 20 %. Hinzu kommt eine Profitabilität, die
weit über dem Durchschnitt liegt. Und noch ein weiterer Vorteil: Eine Profilbildung, die kei-

79
Vgl. LASLOPP (2005), S. 486 f., zu den wesentlichen Leistungsmerkmalen von Flagshipstore-Konzepten.
108 BALD/RUTENBECK

nen Zweifel am Premium-Status lässt – und damit den Unterschied zur Konkurrenz nicht nur
sofort sichtbar, sondern auch in jedem Moment erlebbar macht.80

Flagshipstores besitzen Leuchtturm-Charakter: Es gibt von ihnen nur eine begrenzte Anzahl,
aber diese sind bereits aus weiter Ferne sichtbar. Daher zielt die Internationalisierungsstrate-
gie von Loewe vor allem auf die Einrichtung solcher „Marken-Leuchttürme“ in internationa-
len Top-Metropolen ab, die als Marken-Hebel im jeweiligen Ländermarkt fungieren und
damit nachhaltiges Wachstum sicherstellen. Die Leuchtkraft der Loewe-Flagshipstores, und
die Anziehungskraft, die sie auf Endkunden ausüben, wird dabei gleichzeitig genutzt, um
positive Abstrahl-Effekte auf die darunter angegliederten Distributionsebenen zu erreichen.
Für den Loewe-Fachhändler muss es ein erstrebenswertes Ziel sein, Loewe-Galerie zu werden
bzw. diesen Status dauerhaft zu behalten.

Anspruch von Loewe ist es, überall dort in Erscheinung treten und attraktiv wahrnehmbar zu
sein, wo sich Zielgruppen-Segmente mit höchster Kaufkraft finden. So ist es nur eine konse-
quente Fortschreibung des Premium-Ansatzes, das Konzept der Flagshipstores in den unter-
schiedlich entwickelten Kernmärkten international zu einer Metropolenstrategie auszuweiten.
So können Markenanspruch und Markenbild selbst bei einer qualitativ schwach ausgebauten
Distributionsstruktur zumindest doch punktuell im Markt platziert werden. Um diesen Effekt
zu verstärken, werden die jeweiligen Stores mit lokal ausgerichteten Marketing-Konzepten
unterstützt.

3.2 Exklusive Kooperationen


Premium-Zielgruppen haben heute und zukünftig Erwartungshaltungen an Exklusiv-Leistun-
gen, die durch Loewe eigene Kompetenzfelder nicht oder nur unvollständig abgedeckt werden
können. Zur Absicherung einer durchgängigen Erlebniskette ist es für Loewe daher sinnvoll,
exklusive Kooperationen einzugehen, die dann latente Erwartungshaltungen von Konsumen-
ten an Zusatzleistungen abdecken können. Neben einem absoluten Alleinstellungsanspruch –
der Exklusivität – sollten solche Kooperationen durch folgende Struktur gekennzeichnet sein:

¾ gegenseitiger Markenfit,81
¾ Erschließung bzw. Ausweitung auf neue Zielgruppen-Segmente,
¾ Kontinuität,82
¾ Vermittlung von Produktnutzen
¾ und synergetische Vernetzbarkeit83 mit anderen Maßnahmen.

80
Vgl. LOEWE (2007e), S. 13.
81
Grundsätzliche Basis bilden zusätzlich die deterministischen Ansätze zum Verhältnis des Organisations- und
Umfeldfits; vgl. hierzu ausführlich SCHREYÖGG (2003), S. 324 ff., und hinsichtlich der Fit-These vgl. SCHREYÖGG
(2003), S. 364.
82
HELLMANN (2003), S. 86 ff.
83
Gemeint sind hier besonders crossmediale Einsatzmöglichkeiten, CRM- und Sales-Konzepte.
Markenprofilierung durch wertorientierte Retail-Marketing- und Service-Konzepte 109

Um den Bedürfnisstrukturen und dem Verhalten von Premium-Zielgruppen zu folgen, koope-


riert Loewe mit Unternehmen verschiedener Bereiche. Beispielsweise sind exklusive Koope-
rationen mit weltweit führenden Design-Hotels ein erfolgreicher Ansatz, in dem diese mit
Loewe-TV-Audio-Video-Produktlösungen bestückt werden. Dies bietet die Möglichkeit, neue
Premium-Zielgruppen in einem markenadäquaten Ambiente von der Raumintegration und der
Design-Kompetenz der Loewe-Produkte zu überzeugen und ggf. zusätzliche Abverkaufs-
effekte zu erzielen. Im Sinne eines vernetzen CRM84-Ansatzes könnten Loewe-Käufer an
speziellen Hotel-Konditionen partizipieren, das auch als zusätzliches Anreizsystem für den
jeweiligen Hotelier nutzbar wäre.85

Innerhalb des Kerngeschäfts wird Loewe im Zuge konvergierender digitaler Medien seine
Home-Entertainment-Systeme für neue digitale Inhalte öffnen. Durch die frühzeitig besetzte
Position im Bereich „Connectivity“ hat die Marke dafür eine starke Ausgangsposition. Hier
kooperiert Loewe bereits mit Unternehmen, die markenadäquaten Content anbieten. Zur Dif-
ferenzierung gegenüber Volumen-Marken wird mit zunehmenden inhaltlichen Möglichkeiten
der TV-Systeme die Benutzerführung an Bedeutung für das Markenprofil gewinnen. Wie das
Beispiel Apple iPhone zeigt, kann eine Usability, die einfach und funktional, und zusätzlich
auch noch markenadäquat ist und Spaß macht, den entscheidenden Premium-Unterschied im
Wettbewerb um die Gunst der Kunden ausmachen.

3.3 Customized Services


Bereits heute ist die wahrgenommene Service-Leistung bei Loewe-Kunden ein wichtiger
Hebel, der die Kundenzufriedenheit und damit letztendlich auch das Markenbild von Loewe
maßgeblich prägt.86 Dieser Leverage wird sich bis 2015 weiter verstärken. Für Loewe bedeu-
tet dies, dass das Premium-Service-Konzept um weitere Dimensionen ausgebaut werden
muss. Dabei ist es wichtig, dass die zukünftigen Service-Konzepte sich noch konsequenter aus
der Marke Loewe heraus ableiten. Einen optimalen Positionierungsansatz bietet der Loewe-
Markenwert „Exklusive Individualität“, der zugleich höchste Zielgruppen-Akzeptanz herstellt.

Damit exklusiv individualisierbare Service-Leistungen wahrgenommen und umgesetzt wer-


den können, müssen strukturelle Voraussetzungen geschaffen sein. Zunächst muss der Kon-
sument identifizieren und verstehen, wenn eine solche Service-Leistung bei ihm durchgeführt
wird. Dazu ist das CD-Rahmenkonzept um inhaltliche und visuelle Elemente in Richtung
„Customized Services“ zu erweitern.87 Je nach Ausprägung ist die bisher fast ausschließlich
über den Fachhandel umgesetzte Service-Kette aufzubrechen. Die neuen Service-Leistungen
würden dann über zentralseitig organisierte Stützpunkte von Loewe aus koordiniert, was eine
größere Durchsetzungsstärke und ein deutlich höheres Qualitätsniveau sicherstellen würde.
Idealer Weise wären solche Stützpunkte direkt mit den Loewe-Flagshipstores verknüpft, was
die Erlebniskette zum Konsumenten verlängern und damit aufwerten würde. Ein weiterer

84
CRM = Customer Relationship Management; In 2009 startete Loewe das großangelegte Projekt der Implemen-
tierung des Loewe-CRM-Systems.
85
Vgl. BÜRKLE (2006), S. 545 ff., zur steigenden strategischen Bedeutung von Customer Services.
86
Vgl. GFK (2007b), o. S. Der Koeffizient zur Weiterempfehlung der Marke ist in der Dimension der wahrgenommen
Service-Leistung bei Loewe-Neukunden im Vergleich zu Loewe-Kennern deutlich am stärksten ausgeprägt.
87
Vgl. STAUSS (2004), S. 107 f., zur Bedeutung und zum Problem der Visualisierung des Markenzeichens und
-vorteils bei Dienstleistungen.
110 BALD/RUTENBECK

Anknüpfungspunkt wäre die Einbindung der Service-Leistung in die exklusiven Kooperati-


onsangebote, um so auch die Vernetzung von CRM-Maßnahmen weiter zu stärken.

Dazu stellt Loewe dem Fachhändler im Rahmen eines neuen CRM-Systems eine Vielzahl an
Kommunikationsmaßnahmen zur Verfügung, die den Dialog zwischen dem Fachhändler und
dem Kunden optimieren. Der Loewe-CRM-Cycle zeigt prototypische Dialogmaßnahmen auf,
mit denen ein Loewe-Fachhändler zukünftig vor, während und nach dem Kauf jeden Kunden
genau im richtigen Moment mit den richtigen Loewe-Angeboten und Services begeistern
kann.

Adresse des Interessenten Adressbestandteile des vollständige Adresse


nicht bekannt Interessenten bekannt des Interessenten bekannt Testinstallation

Beratungsgespräch Zusendung Unterlagen


bei Kunde vor Ort und Service-Scheckheft

Beratungsgespräch Einladung zu Event


im Shop
Kauf

Einladung zum
Beratungsgespräch
Zusendung
Willkommensmailing

personalisierte Delivery-Call

Sales
zur Ermittlung
neuer Katalog
Kommunikation Wunschtermin
Repurchase-Mailing
Kontakt- Infomailing
aufnahme
Auslieferung und
Newsletter Bei Reparatur gleich- Erstinstallation
wertiges Ersatzgerät beim Kunden
allgemeine
Kommunikation
Garantieablauf-Mailing
Nachfass-Call,
Zufriedenheitsabfrage,
Persönliche Geburtstagskarte ggf. Zusatzeinweisung

Call Software-Update

Zusendung Kundenmagazin

Abbildung 8: Prototypischer Loewe-CRM-Cycle

4 Fazit

Ein konsistentes Markenbild ist über alle Kontaktpunkte und Maßnahmen einer Erlebniskette
eine wesentliche Erfolgsvoraussetzung, um eine Premium-Marke in substitutiven oder preis-
aggressiven Wettbewerbsumfeldern dauerhaft und erfolgreich zu positionieren. Aus einem
konsistenten Markenbild können wertorientierte Sales- und Service-Konzepte abgeleitet und
implementiert werden, die dann letztendlich das Markenbild weiter schärfen und so als Wert-
treiber für den zukünftigen Unternehmenserfolg genutzt werden können. Eine holistisch aus-
gestaltete Erlebniskette bildet eine selbstverstärkende Erfolgsspirale aus, die bei konsequen-
tem Management zur Höherpositionierung der Marke und des Markenwerts führt.
Markenprofilierung durch wertorientierte Retail-Marketing- und Service-Konzepte 111

Unternehmen, die sich an kurzfristigen Absatz- und Gewinnzielen orientieren und ihre Marke
Rabatt-Schlachten und breiter Verfügbarkeit preisgeben, senken langfristig ihren Wert. Durch
selektive Distribution, integrierte Inszenierungen und wertorientierter Profilierung gewinnt
eine Marke an Exklusivität. Nur so wird die Begehrlichkeit geschaffen, die für eine Premium-
Marke in preisaggressiven Märkten nachhaltigen Erfolg bedeutet.

langfristig erfolgreiches
Markenbild
überlegene Preis-
Prämie

wertorientierte
eindeutig,
Vermarktung
differenzierende
Markenwerte
konsequente
durchgängige Marken-Imple-
Erlebniskette mentierung

Abbildung 9: Premium-Spirale

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Vertrieb und Marketing von Finanzdienstleistungen
aus verhaltenswissenschaftlicher Perspektive

MARTIN STROBEL und STEPHAN WEINGARZ

Akademie Deutscher Genossenschaften

1 Einführung ..................................................................................................................... 117


2 Verhaltenswissenschaftliche Phänomene ...................................................................... 118
2.1 Heuristisches Entscheidungsverhalten ................................................................. 118
2.1.1 Heuristiken – „Kognitive Daumenregeln“............................................... 118
2.1.2 Repräsentativitätsheuristik....................................................................... 118
2.1.3 Verfügbarkeitsheuristik ........................................................................... 119
2.1.4 Verankerungsheuristik............................................................................. 119
2.2 Kontextabhängigkeit des Entscheidungsverhaltens ............................................. 120
2.2.1 Framing.................................................................................................... 120
2.2.2 Mental Accounting .................................................................................. 123
3 Prospect Theory als Erklärungsansatz ........................................................................... 123
4 Relevanz für den Vertrieb und das Marketing von Finanzdienstleistungen................... 125
5 Konklusion und Ausblick .............................................................................................. 130
Quellenverzeichnis................................................................................................................ 131
Verhaltenswissenschaftliche Perspektive des Marketings von Finanzdienstleistungen 117

1 Einführung

Das alte, von den Gebrüdern GRIMM aufgezeichnete Märchen von Hans im Glück lehrt jedem
Wirtschaftswissenschaftler, der sich dem Erklärungsbild des homo oeconimicus verpflichtet
fühlt, das Grauen: Der kleine Hans erhält nach siebenjähriger Tätigkeit von seinem Herren als
Lohn ein großes Stück Gold, mit dem er sich auf den Heimweg zu seiner Mutter macht. Un-
terwegs bieten sich verschiedene Tauschmöglichkeiten, die er jeweils freudig wahrnimmt:
Das Gold tauscht er gegen ein Pferd, dieses gegen eine Kuh, dieses bereits ältere Tier gegen
ein junges Ferkel, das Schwein gegen eine Gans und diese schließlich gegen einen großen
Schleifstein, der letztendlich ein normaler Feldstein ist. Als dieser in den Brunnen fällt, setzt
Hans bester Laune und völlig unbeschwert seinen Heimweg fort und dankt Gott, dass ihm auf
seinem Weg nach Hause so viel Glück beim Tauschen widerfahren ist. In der Annahme, dass
er in der jeweils gegebenen Situation durch das angebotene Tauschgeschäft einen höheren
Nutzen erzielt, verwandelt die Märchenfigur Hans innerhalb von kurzer Zeit ein großes Stück
Gold in einen wertlosen Feldstein und verliert damit das Vermögen, das ihm sein Meister
überlassen hat.

Was auf den ersten Blick wie die Taten eines homo debiles erscheint, d. h. eines zum wirt-
schaftlich-rationalen Denken und Handeln unfähigen Menschen, erweist sich auf den zweiten
Blick als ein erklärbares Verhaltensmuster, sofern man sich von der Fiktion des rational han-
delnden Menschen in wirtschaftswissenschaftlichen Entscheidungssituationen löst und real
beobachtbares Entscheidungsverhalten in den Mittelpunkt der Betrachtung stellt. In den letz-
ten Jahrzehnten untersuchen Psychologen und Ökonomen im Forschungsbereich der Behavioral
Finance1 (oder thematisch weiter gefasst im Rahmen der Behavioral Economics2) die grund-
legende Frage, warum Menschen fortwährend Entscheidungen treffen, die weder rational
noch konsistent sind und keinem unmittelbaren Eigeninteresse zu folgen scheinen.

Einen wesentlichen Erklärungsansatz, der spezifische Verhaltensweisen im wirtschaftlichen


Handeln von Individuen beleuchtet, liefert die Prospect Theory, die auf die unterschiedliche
individuelle Wahrnehmung bzw. Kodierung eines zu erwartenden Ergebnisses Bezug nimmt.
Im vorgestellten Märchen stuft Hans das Ergebnis jedes Tauschs für sich als Gewinn ein und
entscheidet sich entsprechend für die angebotene Option trotz des jeweils geringeren materi-
ellen Werts. Es liegt zum einen im Charakter der dargestellten Figur begründet, jeweils nur
das Positive in einer Entscheidungssituation wahrzunehmen, zum anderen erhält Hans nach
allen Regeln des klassischen Marketings von seinen Tauschpartnern lediglich die Informatio-
nen, die für einen Tausch sprechen und welche er wiederum ungefiltert in seine Entscheidung
einbezieht. Die gesamte Tauschabfolge folgt damit der Terminologie des Gewinns.

Interessanterweise lässt sich das im Märchen beschriebene Verhaltensmuster bei einer positi-
ven Kodierung der erwarteten Ergebnisse ebenso in der realen Gegenwart im Verhalten von
Anlegern und Nachfragern von Finanzdienstleistungen beobachten. Werden die verschiede-
nen Entscheidungssituationen dagegen in der Terminologie des möglichen Verlusts darge-
stellt, so fallen die Entscheidungen anders aus. In diesem Fall hätten die Gebrüder GRIMM
wahrscheinlich die Geschichte des reichen, aber todunglücklichen Hans erzählen müssen.

1
Vgl. grundlegend SHEFRIN (2000).
2 Vgl. PELZMANN (2006) sowie in populärwissenschaftlicher Darstellung BELSKY/GILOVICH (2007), S. 11 ff.

F. Keuper, B. Hogenschurz (Hrsg.), Professionelles Sales & Service Management,


DOI 10.1007/978-3-8349-8799-0_5,
© Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
118 STROBEL/WEINGARZ

Um die Auswirkungen verhaltenswissenschaftlicher Aspekte auf den Vertrieb und das Mar-
keting von Finanzdienstleistungen aufzuzeigen, werden im Folgenden einzelne Erklärungsan-
sätze für spezifische Verhaltensmuster näher beleuchtet.

2 Verhaltenswissenschaftliche Phänomene

2.1 Heuristisches Entscheidungsverhalten


2.1.1 Heuristiken – „Kognitive Daumenregeln“
Folgendes Beispiel: Auf dem Universitätsgelände begegnet man einem Studenten mit Anzug
und Krawatte, der einen schwarzen Aktenkoffer bei sich trägt. Wie wahrscheinlich ist es, dass
es sich um einen Studenten der Betriebswirtschaft oder um einen Studenten der Germanistik
handelt? Die Mehrzahl der befragten Personen hält es für wahrscheinlicher, dass der Student
BWL studiert, selbst dann, wenn die Zusatzinformation gegeben wird, dass an der Universität
die Anzahl der Germanisten höher als die Anzahl der BWLer ist.3 Dieses Urteil widerspricht
jedoch den Regeln der Wahrscheinlichkeitstheorie. Woran liegt es, dass man dazu tendiert, in
diesem oder ähnlichen Zusammenhängen ein intuitives Wahrscheinlichkeitsurteil zu fällen?

KAHNEMAN und TVERSKY vermuten, dass wir neue Informationen mit den in unserem Ge-
dächtnis gespeicherten „typisierten“ Informationen abgleichen und dieser Vergleich unser
(Wahrscheinlichkeits-)Urteil beeinflusst.4 In diesem Beispiel entspricht der Student eben eher
dem „typischen“ BWL-Studenten als einem „typischen“ Germanisten, die Beschreibung ist
repräsentativ für einen BWLer. Die Repräsentativität verleitet dazu, ein Urteil abzugeben,
dass intuitiv gefällt wird. Das Urteilsvermögen und Entscheidungsverhalten von Personen ist
von einer Vielzahl ähnlicher intuitiver Vorgehensweisen und mentaler Heuristiken geprägt.

Heuristiken sind zunächst einmal einfache Regeln, die sich häufig über einen Prozess aus
„Trial and Error“ gebildet haben oder gelernt wurden und somit nicht zwangsläufig zu fehler-
haften Einschätzungen führen. Heuristische Urteile können durchaus effizient sein, insbeson-
dere in komplexen Situationen, in denen es an weiteren Informationen mangelt. Sie können
aber auch aufgrund ihres Charakters als „Daumenregel“, insbesondere bei Beurteilungen von
unsicheren Ereignissen und Situationen, zu systematisch fehlerhaften oder verzerrten Ein-
schätzungen, so genannten „biases“, führen.

Einige dieser „kognitiven Daumenregeln“ und die daraus resultierenden „biases“ sollen im
Folgenden kurz vorgestellt werden.

2.1.2 Repräsentativitätsheuristik
Die Repräsentativitätsheuristik dient häufig der schnellen Urteilsfindung. Sie wird durch ein
Denkmuster geprägt, das ein Ereignis umso wahrscheinlicher erscheinen lässt, je höher die
Repräsentativität des Ereignisses für den Zusammenhang ist, in dem das Ereignis beurteilt
werden soll. Passt eine Beobachtung gut in ein Schema, so liegt eine hohe Repräsentativität
3
Vgl. JUNGERMANN/PFISTER/FISCHER (1998), S. 166.
4
Vgl. KAHNEMAN/TVERSKY (1972).
Verhaltenswissenschaftliche Perspektive des Marketings von Finanzdienstleistungen 119

vor, liegt hingegen kein passendes Schema vor, so ist die Repräsentativität des Ereignisses
niedrig.5 Die Beurteilung erfolgt dementsprechend anhand von Stereotypen, die Individuen
sich im Laufe des Lebens durch Erfahrung oder Lernen angeeignet haben. Die Urteilsverzer-
rungen aufgrund der Repräsentativitätsheuristik gründen sich zumeist auf Insensitivitäten
bzw. falschen Vorstellungen über Regeln der Wahrscheinlichkeitstheorie: In obigem Beispiel
des BWL-Studenten wird von den beurteilenden Personen die relative Häufigkeit von BWL-
Studenten an der Universität in ihrem Urteil völlig vernachlässigt.6 In diesem Kontext ist
ebenso die falsche Vorstellung einzuordnen, dass Merkmale eines unendlichen Zufallsprozes-
ses auch in kurzen, endlichen Sequenzen zum Ausdruck kommen. Berühmt ist in diesem
Zusammenhang das Beispiel am Roulette-Tisch, die so genannte „gambler’s fallacy“: Nach
einer Serie von neunmal roten Zahlen tendiert man dazu, es für wahrscheinlicher zu halten,
dass als nächstes eine schwarze Zahl kommt, obwohl jede neue Ausspielung unabhängig von
der vorherigen ist und die Ereignisse gleich wahrscheinlich sind.7

Die Repräsentativitätsheuristik führt häufig dazu, dass Wahrscheinlichkeiten von Ereignissen


mit hoher Repräsentativität überschätzt werden sowie kausale Zusammenhänge zwischen
Ereignissen gesehen werden, die nicht bestehen.

2.1.3 Verfügbarkeitsheuristik
Die Verfügbarkeitsheuristik beschreibt die Tendenz, dass das Entscheidungsverhalten von
Menschen durch Informationen beeinflusst wird, die besonders aktuell oder augenfällig sind.
Dies führt dazu, dass Wahrscheinlichkeiten bzw. Häufigkeiten von Ereignissen falsch einge-
schätzt werden, wenn die Ereignisse oder Beispiele ähnlicher Ereignisse aufgrund von Aktua-
lität, Auffälligkeit, Anschaulichkeit, Lebhaftigkeit oder emotionaler Verbundenheit noch
leicht aus dem Gedächtnis abgerufen werden können, mithin verfügbar sind. So überschätzen
die meisten Menschen die Wahrscheinlichkeit, einem Gewaltverbrechen zum Opfer zu fallen
oder einen Unfall mit dem Auto oder dem Flugzeug zu erleiden, weil genügend Beispiele aus
den Medien oder der eigenen Erfahrung aus dem Gedächtnis abrufbar sind.8 Emotionen, die
mit bestimmten Ereignissen verknüpft sind, können die Verfügbarkeit zusätzlich verstärken
und somit auf zukünftiges Entscheidungsverhalten einwirken. Erfolgsverwöhnte Anleger ten-
dieren demnach eher zu positiven Prognosen des Markts, als Anleger, die eine Reihe von
Misserfolgen erlitten haben. Ebenso ist die Stärke der Verfügbarkeit auch situationsbedingt,
so dass persönliche Begegnungen mit Menschen, die ihre Meinung äußern, oft einen großen
Einfluss auf das eigene Entscheidungsverhalten haben.

2.1.4 Verankerungsheuristik
Die Verankerungsheuristik beschreibt die Neigung von Menschen, bei der Verwertung von
Informationen, insbesondere bei Schätzungen und Prognosen, sich zunächst an einem „An-
ker“, d. h. an einem Richtwert zu orientieren. Dies dient als Hilfsmittel für eine schnelle Ur-
teilsfindung. Häufig wird nachfolgend dieser Ursprungswert durch genauere Informations-
verwertung dem „richtigen“ Wert angepasst. Dass die Heuristik der Verankerung zu grundle-

5
Vgl. GOLDBERG/NITSCH (1999), S. 72.
6
Vgl. JUNGERMANN/PFISTER/FISCHER (1998), S. 167 ff.
7
Vgl. TVERSKY/KAHNEMAN (1974). Vgl. zur Bestätigung dieses Verhaltens bei Anlegern die Untersuchungen von
WEBER/CAMERER (1992).
8
Vgl. JUNGERMANN/PFISTER/FISCHER (1998), S. 169 ff.
120 STROBEL/WEINGARZ

genden Fehleinschätzungen führen kann, zeigt folgendes Experiment deutlich.9 Man bittet
Personen, schnell zu beantworten, welchen Wert das folgende Produkt ergibt:

1×2×3×4×5×6×7×8×9×10 = ?

Im Durchschnitt wird ein Wert von 150 angegeben. Fragt man umgekehrt, was das Produkt
von

10×9×8×7×6×5×4×3×2×1 = ?

ergibt, so erhält man einen durchschnittlichen Wert von 900. Die Erklärung für die jeweils
heuristische Wertfindung liegt in dem Setzen des „Ankers“. Während im ersten Fall die 1 als
„Anker“ dient und nach der Multiplikation der ersten Faktoren nach oben extrapoliert wird,
so wird im zweiten Fall die 10 als Ursprungswert benutzt.10 Beide Fragen liefern jedoch auch
bei unterschiedlichen Verankerungen einen Wert, der weit entfernt vom „wahren“ Wert
3.628.800 ist. Dies ist auf einen für die Heuristik typischen schwachen Anpassungsprozess
zurückzuführen. Der gefundene Wert wird überproportional durch die „Verankerung“ be-
stimmt und nicht durch den darauf folgenden Anpassungsprozess.

Gerade im Finanzmarkt-Kontext findet die Verankerungsheuristik häufig in Markt-Einschät-


zungen und Prognosen Anwendung.11

2.2 Kontextabhängigkeit des Entscheidungsverhaltens


2.2.1 Framing
Unter Framing wird das Phänomen verstanden, dass sich die Informationsbeurteilung und
somit das Entscheidungsverhalten von Menschen durch die Darstellung des Entscheidungs-
problems oder der Information beeinflussen lässt. Die unterschiedliche Darstellung einer
objektiv unveränderlichen Information bewirkt eine Veränderung der Präferenzen und resul-
tiert somit unter Umständen in der Wahl einer anderen Alternative oder Lösung eines Ent-
scheidungsproblems. Nach LEVIN/SCHNEIDER/GAETH lassen sich drei Arten von Framing
unterscheiden:12

¾ Attribute Framing
¾ Goal Framing
¾ Risky Choice Framing

Attribute Framing bezieht sich auf das Phänomen, durch die Darstellung von Eigenschaften
die Informationsbeurteilung zu beeinflussen. Diese Tatsache ist für die Kommunikationspoli-
tik von Unternehmen insbesondere im Zusammenhang mit der Präsentation von Produktei-
genschaften relevant. So wurde in einer Studie festgestellt, dass die Versuchspersonen „75%

9
Vgl. KAHNEMAN/TYERSKY (1984).
10
Vgl. JUNGERMANN/PFISTER/FISCHER (1998), S. 171 ff.
11
Vgl. für zahlreiche Beispiele MAAS/WEIBLER (1990).
12
Vgl. LEVIN/SCHNEIDER/GAETH (1998).
Verhaltenswissenschaftliche Perspektive des Marketings von Finanzdienstleistungen 121

fettfreies Rindfleisch“ besser im Geschmack empfanden als eine gleiche Rindfleischprobe,


die mit „25% Fettgehalt“ ausgezeichnet wurde.13

Die Beeinflussung des Entscheidungsverhaltens über die Art der Präsentation von Konse-
quenzen eines bestimmten Verhaltens wird Goal Framing genannt. Durch die unterschiedli-
che Darstellungsform wird die Aufmerksamkeit entweder auf das Erreichen von positiven
oder das Abwenden von negativen Konsequenzen gelenkt. In einer Untersuchung zeigten
MEYEROWITZ/CHAIKEN, dass Frauen eher dazu tendieren, eine Brust-Selbstuntersuchung zur
Früherkennung eines Tumors durchzuführen, wenn sie mit den negativen Folgen einer Unter-
lassung konfrontiert werden, als wenn die positive Konsequenz der erfolgreichen Früherken-
nung dargestellt wird.14 Das negative Goal Framing führt tendenziell eher zu einer intensive-
ren Informationsbewertung als die positive Variante der Darstellung. In weiteren Untersu-
chungen ist die Erkenntnis dahingehend verfeinert worden, dass insbesondere hoch involvierte
Entscheidungsträger wie bspw. Konsumenten von Finanzdienstleistungen oder Gesundheitspro-
dukten stärker von negativem Goal Framing in ihrer Entscheidung beeinflusst werden.15

Das Risky Choice Framing beschäftigt sich wie das Goal Framing mit der Kodierung von
Konsequenzen einer Entscheidung. Diese Art des Framing ruft jedoch unterschiedliches Ver-
halten dadurch hervor, dass Konsequenzen in risikobehafteten Situationen als Gewinne oder
Verluste beschrieben werden. Dadurch können sich die Präferenzen des Entscheidungsträgers
für eine Alternative sogar umkehren. Die Form des Risky Choice Framing lässt sich anschaulich
an dem bekannten Entscheidungsproblem der „Asiatischen Krankheit“ verdeutlichen.16

In der Untersuchung wurden Versuchspersonen mit der Situation konfrontiert, dass eine asia-
tische Krankheit ausgebrochen ist, der erwartungsgemäß 600 Menschen zum Opfer fallen
werden. Die Probanden sollten nun in der Rolle als Gesundheitsminister sich zunächst für
eine aus zwei angebotenen Präventionsmaßnahmen entscheiden. Das erste Programm rettet
200 Menschen mit Sicherheit, das zweite Programm bedeutet mit einer Wahrscheinlichkeit
von 1/3, dass alle Menschen gerettet werden, und mit einer Wahrscheinlichkeit von 2/3, dass
niemand gerettet werden kann. Die meisten Versuchspersonen entschieden sich für die siche-
re Rettung von 200 Personen, also für das erste Programm.

13
Vgl. LEVIN/GAETH (1988).
14
Vgl. MEYEROWITZ/CHAIKEN (1987).
15
Vgl. MAHESWARAN/MEYERS-LEVY (1990).
16
Vgl. TVERSKY/KAHNEMAN (1981). Zur Darstellung vgl. auch JUNGERMANN/PFISTER/FISCHER (1998), S. 227.
122 STROBEL/WEINGARZ

Frame
positives negatives
Alternative Framing Framing

sichere ¾ 200 Menschen werden


¾ 400 Menschen sterben
Alternativen gerettet

¾ Mit p= 1/3 werden 600


¾ Mit p= 1/3 stirbt niemand
Menschen gerettet
und und
risikobehaftete
¾ mit p=2/3 sterben alle 600
Alternativen ¾ mit p=2/3 wird niemand
Menschen
gerettet

Abbildung 1: Entscheidungs-Problem „Asiatische Krankheit“17

Nach der ersten Entscheidung wurden den Probanden zwei neue Optionen zur Entscheidung
vorgelegt. Bei Einsatz des dritten Präventionsprogramms sterben 400 Menschen mit Sicher-
heit, während durch die Wahl des vierten Programms mit einer Wahrscheinlichkeit von 1/3
niemand stirbt und mit einer Wahrscheinlichkeit von 2/3 alle 600 Menschen sterben. Aus diesen
zwei Alternativen wählte die Mehrzahl der Versuchspersonen das vierte Programm.

Bei genauerem Hinsehen wird deutlich, dass aus theoretischer Sicht Indifferenz zwischen den
jeweiligen Alternativen vorherrschen müsste. Der Erwartungswert beträgt im ersten Auswahl-
Problem jeweils 200 Menschen, die gerettet werden können. Trotz gleichem Erwartungswert
wird mehrheitlich die sichere Alternative gewählt.

Umgekehrt verhält es sich im zweiten Auswahlproblem. In beiden Alternativen werden er-


wartungsgemäß 400 Menschen sterben. Hier wird von der Mehrheit die riskante Alternative
bevorzugt. Je nachdem ob die jeweils eintretenden Konsequenzen als „Gewinn“ (Menschen
werden gerettet), oder als „Verlust“ (Menschen sterben) kodiert werden, kommt es zu unter-
schiedlichen Präferenzen und Entscheidungen. Durch die unterschiedliche Art der Präsentati-
on ein und desselben Sachverhalts entscheidet man sich in „Gewinnsituationen“ eher gegen
das Risiko, in „Verlustsituationen“ hingegen wird die risikoreiche Option bevorzugt.18

17
HOMBURG/KROHMER 2006, S. 88.
18
Eine plausible Erklärung für dieses – auf den ersten Blick – inkonsistente Verhalten liefert die Prospect Theory,
vgl. Kapitel 3.
Verhaltenswissenschaftliche Perspektive des Marketings von Finanzdienstleistungen 123

2.2.2 Mental Accounting


Eng verknüpft mit der Feststellung, dass die Art der Präsentation das Entscheidungsverhalten
beeinflusst, ist die Tendenz von Menschen, mentale Konten zu führen.19 Bei der Beurteilung
von Handlungsalternativen greift der Entscheidungsträger auf geistige Konten zurück, die für
verschiedene Verwendungen (z. B. Lebensmittel) oder Vermögensbestandteile (z. B. Ein-
kommen) gebildet worden sind. Im Kontext dieser Form einer mentalen Buchhaltung bewer-
tet das Individuum die Handlungsalternativen als Gewinne oder Verluste. Die Fähigkeit,
mentale Konten zu bilden, kann als ein kognitives Verfahren bezeichnet werden, das Indivi-
duen hilft, Optionen und Ereignisse zu organisieren, zu bewerten und letztlich auch zu kon-
trollieren. Folgendes Beispiel kann den Sachverhalt verdeutlichen:

Zwei Fans planen zu einem Fußballspiel zu gehen. Der erste Fan hat seine Eintrittskarte vor-
her bei einem Gewinnspiel gewonnen, während der zweite Fan seine Eintrittskarte über das
Internet gekauft und bezahlt hat. Am Spieltag sind die Wetterbedingungen derartig schlecht
und die Verkehrslage dementsprechend angespannt, dass beide Fans überlegen, das Fußball-
spiel nicht zu besuchen. Der zweite Fan wird eher dazu tendieren, einen Gegenwert zu seinem
schon mental verbuchten „Verlust“ zu bekommen und somit trotz widriger Umstände zum
Spiel gehen, während der erste Fan eher auf das Spiel verzichten wird, da er den Verzicht
mental nicht als „Verlust“ bucht.20

Die Erkenntnis, dass Menschen dazu neigen, Mental Accounting zu betreiben, ist gerade im
finanzwirtschaftlichen Bereich wertvoll. So wurde nicht nur festgestellt, dass mentale Konten
für unterschiedliche Anlageprodukte (z. B. Sparbuch, festverzinsliche Anlagen oder Aktien)
gebildet werden, sondern diese auch nach zeitlichen Aspekten im Lebenslauf geordnet wer-
den und unter Umständen für einen Zugriff aus Konsumgründen „gesperrt“ sind. Ein Beispiel
hierfür ist das mentale Konto für Anlageprodukte zur Altersvorsorge. Mentale Konten funkti-
onieren dementsprechend als eine Art Selbstkontrollmechanismus. Durch die unabhängige
Betrachtung der unterschiedlichen mentalen Konten kann es dazu kommen, dass ein Gesamt-
portfolio eines Anlegers nicht ausreichend diversifiziert ist.21

3 Prospect Theory als Erklärungsansatz

Viele der festgestellten verhaltenswissenschaftlichen Phänomene lassen sich auf Basis der
Prospect Theory erklären.22 Grundgedanke der Prospect Theory ist der Ersatz der Nutzen-
funktion durch eine Wertfunktion, die die Konsequenzen einer Option in subjektive Werte
transformiert. Diese subjektiven Werte werden zusätzlich relativ zu einem Referenzpunkt be-
wertet. Gleiche Konsequenzen können demnach je nach Wahl des Referenzpunkts einen un-
terschiedlichen subjektiven Wert erhalten. Negative Abweichungen vom Referenzpunkt wer-
den als Verluste wahrgenommen, positive Abweichungen werden hingegen als Gewinne ko-
diert. Der Verlauf der Wertfunktion wird durch spezifische Annahmen charakterisiert: Im

19
Vgl. KAHNEMAN/TVERSKY (1984) und THALER (1985).
20
Vgl. für ein ähnliches Beispiel HOMBURG/KROHMER (2006), S. 90 f.
21
Vgl. SHEFRIN/THALER (1992) sowie THALER (1999).
22
Vgl. KAHNEMAN/TVERSKY (1979).
124 STROBEL/WEINGARZ

Bereich der Gewinne verläuft die Wertfunktion konkav, im Bereich der Verluste hingegen kon-
vex.23

Subjektiv wahrgenommener Wert v

v(x)
Verlust -x

x
Gewinn
Referenzpunkt
v(-x)

Abbildung 2: Wertfunktion der Prospect Theory

Dieser spezifische Verlauf der Wertfunktion bedingt, dass bei gleichem Referenzpunkt Ver-
luste höher bewertet werden als gleich hohe Gewinne. Bezeichnet man x bzw. –x als Gewinn
bzw. Verlust in Relation zum Referenzpunkt und v als den jeweiligen subjektiven Wert, so
lässt sich der Sachverhalt formal darstellen als:

v x  v x

Der konkave Verlauf der Wertfunktion im Bereich der Gewinne wird durch den Umstand
geprägt, dass kleine Differenzen bei niedrigen Gewinnen den subjektiven Wert stark zuneh-
men lassen, während vergleichbare Unterschiede bei hohen Gewinnen den subjektiven Wert
nur unterproportional steigern. So erscheint eben der Unterschied zwischen 10 € und 20 €
größer als zwischen 1.210 € und 1.220 €. Umgekehrt verläuft die Wertfunktion im Verlustbe-
reich konvex. Der Verlust von 1.000 € oder 2.000 € wird in der Differenz stärker bewertet als
der Verlust von 10.000 € oder 11.000 €.

23
Vgl. JUNGERMANN/PFISTER/FISCHER (1998), S. 214 ff.
Verhaltenswissenschaftliche Perspektive des Marketings von Finanzdienstleistungen 125

Anhand der Prospect Theory kann nun die Beeinflussung des Entscheidungsverhaltens durch
Framing am Beispiel der „Asiatischen Krankheit“ näher erläutert werden. Die durch den Ver-
lauf der Wertfunktion bedingte Verlust-Aversion von Individuen begünstigt im negativen
Framing die Bereitschaft Risiken einzugehen, sofern wie im Beispiel die Chance besteht,
Verluste zu verhindern. Dies drückt sich in der Wahl der unsicheren Alternative aus, mit der
die Chance gewahrt wird, mit einer Wahrscheinlichkeit von 1/3 kein Menschenleben durch
die Krankheit zu verlieren. Umgekehrt verhalten sich die Versuchspersonen in einem positi-
ven Frame, hier scheut man die unsichere Gewinnchance. Der subjektive Wert der unsicheren
Alternative ist geringer als der subjektive Wert der sicheren Alternative. Dementsprechend
entscheiden sich die Meisten für das Programm, mit dem 200 Menschen sicher vor der Krank-
heit gerettet werden.24

Durch die Prospect Theory wird ein theoretischer Rahmen geschaffen, wie Entscheidungs-
probleme mental repräsentiert werden. Damit lassen sich einerseits Erklärungen ableiten,
warum Menschen „irrational“ im Sinne der Erwartungsnutzen-Theorie entscheiden. Anderer-
seits liefert die Prospect Theory auch Hinweise dafür, wie Menschen Informationen bewerten,
und kann somit als Basis für die Gestaltung von Produkt-, Preis-, Kommunikations- und Ver-
triebseigenschaften dienen.

4 Relevanz für den Vertrieb und das Marketing


von Finanzdienstleistungen

Institutionen, die Finanzdienstleistungen anbieten, sorgen dafür, den Ausgleich von Anlage-
und Finanzbedarf effizient zu gestalten, indem Informationsbedarfe, Beträge, Fristen und
Risiken von Geldgebern und -nehmern transformiert werden.25 Finanzdienstleistungen unter-
scheiden sich dabei zunächst nicht grundsätzlich von anderen Dienstleistungen. Sie sind
ebenso durch die Abstraktheit der Leistung, Immaterialität, Nicht-Lagerfähigkeit und die
Integration von Erstellung und Konsum sowie dem Problem der Qualitätsschwankung ge-
kennzeichnet.26 Idealtypisch lassen sich drei Kategorien von Finanzdienstleistungen unter-
scheiden:

¾ Vermittlungsleistungen: Abschlussvermittlung von Finanzkontrakten zwischen Geld-


nehmer und Geldgeber.
¾ Informationsleistung: Beratung und Informationsbereitstellung für Geldgeber über die
Existenz, Qualität und Ausgestaltung potenzieller Anlageformen und möglicher Geld-
nehmer.
¾ Leistungen zur Risikoübernahme: Übernahme vertraglich spezifizierter Risiken, denen
die aus der Geldanlage resultierenden Ansprüche unterliegen.27

24
Vgl. HOMBURG/KROHMER (2006), S. 88.
25
Vgl. BITZ (2000), S. 28 ff.
26
Vgl. KÜHLMANN ET AL. (2002), S. 28.
27
Vgl. BITZ (2000), S. 25.
126 STROBEL/WEINGARZ

In diesen drei Kategorien weisen Finanzdienstleistungen im Hinblick auf Vertriebs- und Mar-
keting-Aktivitäten diverse Besonderheiten gegenüber anderen Dienstleistungen oder Kon-
sum- bzw. Gebrauchsgütern auf. Im Nachfrageverhalten ist z. B. häufig keine Eigeninitiative
des Kunden vorhanden, das Bedürfnis nach der finanzwirtschaftlichen Leistung muss in der
Regel erst geweckt werden. Selbst wenn die Dringlichkeit der Bedarfsdeckung durch den
Kunden erkannt und empfunden worden ist, wird die Entscheidung und Handlung oft ver-
drängt. Ebenso zeigt sich der Nutzen-Charakter von Finanzdienstleistungen nur auf abstrakter
Ebene. Finanzdienstleistungen sind unsichtbare und ideelle „Waren“, die häufig durch einen
hohen Komplexitätsgrad und einen geringen Prestigewert gekennzeichnet sind. Dies bedingt
vertriebspolitisch einen gezielt herausgearbeiteten Produktnutzen, der durch die zwingend
erforderliche Mitwirkung des Kunden an der Leistungserstellung auch wenig standardisiert
werden kann. Finanzdienstleistungen erfordern im besonderen Maß ein individuelles Einge-
hen in der Ausgestaltung und dem Vertrieb des Produkts auf unterschiedliche Kundengruppen
bis hin zur „Maßanfertigung“ für einen Kunden. Ein wesentlicher Unterschied zu anderen
Dienstleistungen besteht zudem in der Länge der Vertragsdauer. Bedeutet üblicherweise der
„Verkauf“ das Ende des Wirtschaftsprozesses (evtl. weitergeführt in Form von Kunden-
dienst), so gilt für Finanzdienstleistungen oft, dass der „Verkauf“ lediglich den Vertragsbeginn
kennzeichnet und die Leistungserstellung langfristig angelegt ist. Dies bedingt hohe Service-
Anforderungen im Vertrieb vor und im Anschluss an den Vertragsabschluss.28

Die Besonderheiten von Finanzdienstleistungen legen nahe, dass im Marketing und Vertrieb
insbesondere auf das kunden- und produktgerechte Framing geachtet werden muss. Hierzu ist
es notwendig zu beachten, welches Engagement der Kunde bei der Suche, Aufnahme, Verar-
beitung und Speicherung von Produktinformation eingeht, oder anders ausgedrückt, welche
Art des Involvement der Kunde aktiviert.29 Je nachdem, ob der Kunde langfristig sein Interes-
se an einem Produkt aufrechterhält oder nur vorübergehendes Interesse zeigt, spricht man von
langfristigem oder situativem Involvement. Verbindet der Kunde hingegen besondere Gefüh-
le mit der Kaufentscheidung, so zeigt er ein emotionales Involvement, während ein starkes
Interesse an Informationen in Verbindung mit eigenen Zielvorstellungen und Lernprozessen
eher auf ein kognitives Involvement hinweist. Die Arten des Involvements lassen sich zudem
über den jeweiligen Ausprägungsgrad differenzieren. Investiert der Kunde ein hohes Enga-
gement in die Informationssuche wie z. B. bei der Baufinanzierung oder dem Kauf eines
Hauses, so liegen High-Involvement-Situationen vor. Hohes kognitives Involvement ist zu-
meist bei Kaufentscheidungen zu finden, bei denen die Produkte mit einem hohen Preis ver-
sehen sind und eine Entscheidung mit Risiken verbunden ist. Im Gegensatz hierzu liegt ein
eher passives Informationsverhalten des Kunden bei Produkten vor, deren Kauf gewohn-
heitsmäßig abläuft und die ein geringeres Risiko aufweisen. Hier spricht man von Low-
Involvement-Produkten. Die Kaufentscheidung wird häufig relativ schnell getroffen, weil
dem Produkt eine geringe Relevanz beigemessen wird bzw. der Kunde z. B. aufgrund von
Markenloyalität auf habitualisierte Entscheidungsmuster zurückgreift.

Die Analyse des Involvement des Kunden kann bei der Wahl des richtigen Vertriebswegs für
ein Produkt hilfreich sein. Der Vertriebsweg bestimmt dabei neben der Wahl der Kommuni-
kationsmaßnahmen das Framing für die Kaufentscheidung des Kunden. Als Beispiel soll
folgende Situation dienen: Ein finanzwirtschaftlich wenig interessierter Kunde, der gerade
eine Lebensversicherung ausbezahlt bekommen hat, wird gegenüber Anlage-Informationen
ein hohes Involvement besitzen, das jedoch lediglich situativ ausgeprägt ist. In einer derarti-
28
Vgl. KÜHLMANN ET AL. (2002), S. 26 ff.
29
Zu den unterschiedlichen Arten des Involvements vgl. HOMBURG/KROHMER (2006), S. 38 f.
Verhaltenswissenschaftliche Perspektive des Marketings von Finanzdienstleistungen 127

gen Situation wird die direkte Ansprache und das Angebot eines persönlichen Beratungsge-
sprächs erfolgreicher sein als die Zusendung von Informationsmaterial oder allgemeine Wer-
bung z. B. in Print- oder Onlinemedien. Zunächst erscheint diese Schlussfolgerung banal und
selbstverständlich. Die Herausforderung liegt jedoch in dem gezielten „Filtern“ derartiger
Entscheidungssituationen und dem Segmentieren nach verhaltensähnlichen Mustern der Kun-
dengruppen, um ein bestimmtes Framing für den Vertrieb zu nutzen bzw. in gewissen Gren-
zen zu beeinflussen. Altersvorsorgeprodukte lediglich mit abstrakten Informationen zur Vor-
sorgelücke und Daten der entsprechenden Sparprodukte zu vertreiben erscheint selbst bei
Kunden mit hohem kognitiven Involvement schwierig. Einige Anbieter haben erkannt, dass
es zielführender ist, für die Problematik der staatlichen Alterssicherung zu sensibilisieren und
gleichzeitig über die Beschreibung der Situation und der wiederholten Darstellung der negati-
ven Konsequenzen (Repräsentativität, Goal Framing) eines mangelhaften Sparprozesses die
Verfügbarkeit des Ereignisses beim Kunden zu erhöhen und somit das Involvement für eige-
ne Produktangebote zu steigern.30

Der Verfügbarkeitseffekt kann auch bei der Planung von Beratungsgesprächen und Cross-
Selling-Maßnahmen herangezogen werden. Ein Kunde, der in der Vergangenheit eine schlechte
Produkterfahrung gemacht hat, wird nur schwer von Cross-Selling-Produkten oder vom Wie-
derholungskauf zu überzeugen sein, selbst wenn das entsprechende Produkt inzwischen ver-
bessert wurde. Dies legt nahe, Produktinnovationen und komplexe Produkte nicht forciert im
Neukundengeschäft zu verwenden, sondern vielmehr zu Beginn den Fokus auf renommierte
oder einfache Produkte im Vertrieb zu legen, um zunächst eine hohe Kundenzufriedenheit
herzustellen.

Auch der Beratungsansatz einer ganzheitlichen Finanzplanung ist aus Sicht des Vertriebs
unter Berücksichtigung verhaltenswissenschaftlicher Aspekte kritisch zu betrachten. Es ist
unstrittig, dass zur theoretischen Optimierung des Gesamtvermögens alle Wirkungen und
Wechselwirkungen zugrundliegender Vermögensgegenstände und Verbindlichkeiten zu be-
rücksichtigen sind, jeweils mit Blick auf sich im Zeitverlauf verändernde individuelle Ein-
kommensströme und unter Einschluss persönlicher, rechtlicher und steuerlicher Faktoren.31 In
der Praxis führt dieser hohe Vernetzungsgrad neben der notwendigen Erfassung der Kunden-
daten jedoch zu einer Komplexität, die nicht nur den Kunden, sondern auch den Berater über-
fordern und verunsichern kann. Berücksichtigt man hingegen die Feststellung, dass Menschen
dazu tendieren, mentale Konten zu führen, so erscheint es sinnvoll, auch den Beratungsansatz
für die Finanzplanung des Kunden modular aufzubauen und zunächst einzelne, priorisierte
Bedürfnisse des Kunden zu betrachten, wie beispielsweise die Absicherung gegen Berufsun-
fähigkeit oder die Ausbildungsfinanzierung der Kinder.32 Weitere finanzielle Fragestellungen
werden dann in Nachfolgegesprächen thematisiert. Um die Komplexität auf Seite des Bera-
ters zu reduzieren, ist es folgerichtig, auch die beratungsunterstützenden Systeme wie Com-
puterapplikationen modular zu verwenden, um genau die entsprechenden Informationen und
Einflussgrößen für das finanzielle Entscheidungsproblem des Kunden bereitzuhalten, die
benötigt werden. So kann im Zuge der Beratung auf beiden Seiten ein „information overflow“
vermieden werden.33

30
Vgl. NITSCH (2007a), S. 26.
31
Zur Beschreibung der Grundsätze ordnungsgemäßer Finanzplanung vgl. beispielsweise SPREMANN (1999), S. 295.
32
Vgl. NITSCH (2007a), S. 26, und SPREMANN (1999), S. 298 ff.
33
Vgl. NITSCH (2007b), S. 28.
128 STROBEL/WEINGARZ

Framing-Effekte spielen ebenso wie in Beratungssituationen auch in der Preispolitik eine


herausragende Rolle. Folgendes Beispiel verdeutlicht den Zusammenhang: Während eines
Urlaubs in Kroatien liegt man am Strand und verspürt Appetit auf einen Longdrink. Ein
Freund ist bereit, das Getränk zu besorgen und fragt nach der eigenen Preisbereitschaft für
den Drink. Versetzt man sich nun in ein identisches Szenario am Strand von St. Tropez wird
die Beantwortung der Preisbereitschaft mit großer Wahrscheinlichkeit höher ausfallen.34 Die
Preisbereitschaft wird demnach allein schon von der Preiserwartung verändert, die sich durch
die Wahl der Rahmenbedingungen einer Kaufentscheidung erheblich unterscheiden kann.
Auf den Kontext der Finanzdienstleistungen übertragen, kann es aus ertragsbezogenen Ge-
sichtspunkten sinnvoll sein, die Preise für das gleiche Produkt im Standard-Kundengeschäft
und im Private Banking zu differenzieren, weil die Preiserwartung der Kunden vollkommen
unterschiedlich sein wird.

Neben der Preiserwartung stellen Preisschwellen ein wichtiges Konzept in der Informations-
beurteilung durch Kunden dar. Preisschwellen lassen sich als Preise definieren, bei denen sich
die Preisbeurteilung durch den Kunden sprunghaft verändert.35 Dabei wird angenommen, dass
Preise unterhalb eines bestimmten Preises – meist einer runden Zahl wie 1 € oder 100 € –
günstiger beurteilt werden als bei Erreichen oder kleinem Überschreiten der Preisschwelle.
Aus dem Handel ist die Verwendung von derartigen „gebrochenen“ Preisen, d. h. von Preisen
knapp unterhalb einer Preisschwelle durchaus geläufig. Verhaltenswissenschaftlich lässt sich
argumentieren, dass bei „gebrochenen“ Preisen die erste Ziffer die Preisbeurteilung zum
größten Teil bestimmt, mithin als „Anker“ für die Bewertung gesetzt wird. Der Preis wird
von links nach rechts gelesen und unvollständig verarbeitet, so dass ein auf die Ziffer 9 en-
dender Preis systematisch unterschätzt wird. In der Finanzdienstleistungsbranche sind „ge-
brochene“ Preise nur vereinzelt z. B. in Girokontomodellen vorzufinden.36 Die Herausforde-
rung für das Marketing von Finanzdienstleistungen besteht in diesem Kontext in der Untersu-
chung und Definition von kundensegment- und produktspezifischen Preisgrenzen, um den
Absatz zu stärken bzw. den Einbruch des Absatzes beim Überschreiten von Preisschwellen zu
verhindern.

Ein typisches Phänomen in der Finanzdienstleistungsbranche, insbesondere im Bankwesen ist


die Unübersichtlichkeit und Komplexität der Preis-Leistungs-Verzeichnisse sowie der unzäh-
ligen Preiskomponenten, die zum Teil auch von der Nutzungshäufigkeit abhängen.37 Eine
Lösungsmöglichkeit für dieses „Dilemma“ wird in der Finanzdienstleistungsbranche in einer
Sonderform der Preisdifferenzierung gesehen, der Preisbündelung, auch Bundling genannt.
Diese Form der durchdachten Kombination mehrerer Leistungen und Preise zu einem Ge-
samtpaket ist in anderen Branchen schon lange üblich, z. B. in Form der Pauschalreise oder
der Super-Spar-Menüs von Fast-Food-Anbietern. In der Finanzdienstleistungsbranche findet
man das Bundling häufig in der Kombination von Girokonto, Kreditkarte und Zahlungsver-
kehr. Hinter dem preispolitischen Ansatz der Preisbündelung steht zumeist das Anliegen,
einerseits Synergie-Effekte zu realisieren, wie z. B. die Reduktion der Produktions-, Transak-
tions- oder Informationskosten durch die Verknüpfung der verschiedenen Produkte. Anderer-
seits wird gleichzeitig eine Erhöhung von Umsatz und Erlös durch die Steigerung von Cross-
Selling-Quoten und eine stärkere Kundenbindung erwartet.

34
Vgl. für ähnliche Beispiele THALER (1985) oder HOMBURG/KROHMER (2006), S. 704 f.
35
Vgl. DILLER (2000), S. 168.
36
Vgl. WÜBKER (2006), S. 150, und WÜBKER ET AL. (2007), S. 397 f.
37
Vgl. WÜBKER ET AL. (2007), S. 396.
Verhaltenswissenschaftliche Perspektive des Marketings von Finanzdienstleistungen 129

Aus verhaltenswissenschaftlicher Sicht stellt sich die Frage, wie eine Preisbündelung als
Veränderung des bisherigen Framings das Kundenverhalten beeinflusst bzw. wann es sinnvoll
eingesetzt wird und wie mit „verwandten“ Sachverhalten wie Zusatzleistungen oder Preiszuge-
ständnissen (Sonderpreise, Rabattierungen etc.) umgegangen werden soll.

Aus dem Erklärungsansatz der Prospect Theory lassen sich in Bezug auf diese Fragestellun-
gen verschiedene Implikationen für die Preispolitik ableiten.38 Preise von Produkten verkör-
pern in Analogie zu der voranstehenden Argumentation in Kapitel 3 Verluste gegenüber dem
Status quo (Referenzpunkt). Gegeben seien die Preise PA, PB und PC für drei verschiedene
Finanzdienstleistungen. Die Werte v repräsentieren die subjektiven Werte, die der Kunde den
Preisen zuordnet. In zwei fiktiven Angeboten werden dem Kunden die Finanzdienstleistungen
gebündelt angeboten. Angebot 1 weist jedoch die einzelnen Preise der Finanzdienstleistungen
aus, Angebot 2 gibt nur einen Bündelpreis an. Obwohl beide Angebote den gleichen Gesamt-
preis besitzen, weisen sie bei einem Verhalten nach der Prospect Theory unterschiedliche
subjektive Werte auf. Aus Abbildung 3 wird deutlich, dass der negative subjektive Wert des
Angebots 1 kleiner ist als der subjektive Wert des Angebots 2.

Subjektiv wahrgenommener Wert v

v(GA+GB+GC)
v(GC)
v(GB)
v(GA)
(PA +PB +PC) PC PB PA Gewinn
Verlust GA GB GC (GA +GB +GC)
v(PA)
v(PB)
v(PC)
v(PA+PB+PC)

Abbildung 3: Bewertung von Bundling im Rahmen der Prospect Theory

38
Vgl. hierzu und im Folgenden auch HERRMANN/BAUER (1996), NITZSCH (1998) sowie HOMBURG/KROHMER (2006),
S. 89 f. und S. 734.
130 STROBEL/WEINGARZ

Es erweist sich somit als günstiger, das Produktbündel mit einem Gesamtpreis zu versehen
und aggregiert zu kommunizieren. Formal gilt:

ª¬ v PA  v PB  v PC º¼  ª¬ v PA  PB  PC º¼

Sofern ein Finanzdienstleister dem Kunden hingegen Konditionen anbietet, die als Gewinne
kodiert werden – wie z. B. Preiszugeständnisse oder kostenlose Zusatzleistungen – so verhält
sich der Sachverhalt umgekehrt. Hier erweist es sich als günstiger, die Zusatzleistungen ein-
zeln auszuweisen bzw. einen Preisnachlass auf ein aus verschiedenen Finanzdienstleistungen
bestehendes Produkt zu segregieren. Formal gilt in diesem Fall:

ª¬ v G A  v GB  v GC º¼ ! ª¬ v G A  GB  GC º¼

Sowohl Preiszugeständnisse als auch kostenlose Zusatzleistungen besitzen bei einem Entschei-
dungsverhalten gemäß der Prospect Theory, insbesondere im Absatz von Finanzdienstleistun-
gen, noch weitere Implikationen, die bedacht werden müssen. Da Finanzdienstleistungen zu-
meist im Rahmen einer langfristigen Kundenbeziehung angeboten werden, ist zu bedenken,
dass durch Zusatzleistungen auch der Referenzpunkt des Kunden verändert wird. Zukünftige
Transaktionen werden im Hinblick auf den neuen Bezugspunkt beurteilt. Eine Abweichung
von dem neuen Bezugspunkt durch erneute Bepreisung der zuvor gegebenen Zusatzleistung
wird nun als Verlust kodiert und durch den Verlauf der Wertfunktion im Betrag stärker negativ
bewertet als die zuvor positive Bewertung der Zusatzleistung. Dies führt zu dem bekannten
Umstand, dass einmal gewährte Zugeständnisse wie Rabatte oder Preissenkungen nur schwer
wieder rückgängig zu machen sind. Ähnliche Überlegungen treffen auch auf vorübergehende
Sonderpreisaktionen zu.39

Die Überlegungen zeigen, dass die Preiswirkung auf den Absatz neben den rationalen Kos-
ten-Nutzen-Erwägungen im Rahmen der Kaufentscheidung des Kunden auch von der indivi-
duell ausgeprägten verhaltensabhängigen Wahrnehmung und Beurteilung des Preises ab-
hängt. Dem Umstand, dass Individuen dazu tendieren, von den Erwartungen der klassischen
Preistheorie systematisch abzuweichen, muss in der Preispolitik der Finanzdienstleistungs-
branche Rechnung getragen werden, um mit intelligenten Maßnahmen auf den wettbewerbs-
bedingten Preiskampf in innovativer Weise zu reagieren.

5 Konklusion und Ausblick

Kunden bilden in der Realität keine homogene Masse, sondern differenzieren sich hinsicht-
lich einer Vielzahl unterschiedlicher demographischer, sozioökonomischer und psychologi-
scher Kriterien, die wiederum Rahmenbedingungen hervorrufen, die das Verhalten bei der
Wahrnehmung und Beurteilung von Alternativen vollkommen unterschiedlich ausfallen lassen.
In der Finanzdienstleistungsbranche wird zumeist bei der Markt- und Kundensegmentierung auf
sozioökonomische Kriterien wie Einkommen, Vermögen, Beruf oder Ausbildung zurückgegrif-

39
Vgl. HOMBURG/KROHMER (2006), S. 89 f.
Verhaltenswissenschaftliche Perspektive des Marketings von Finanzdienstleistungen 131

fen und gegebenenfalls um demographische Kriterien wie Alter oder Stellung im Lebenszyklus
ergänzt. Psychologische Kriterien wie Motive, Einstellungen oder Lifestyle-Kriterien erfah-
ren hingegen eine vergleichsweise geringe Berücksichtigung im Marketing von Finanzdienst-
leistungen. Eine Begründung dafür kann darin gesehen werden, dass Finanzprodukte eher ein
geringes emotionales Involvement beim Abnehmer aktivieren und somit die „traditionelle“
Segmentierung gerechtfertigt ist. Betrachtet man jedoch das gesamte Spektrum des absatzpo-
litischen Instrumentariums, so erscheint die intelligente und systematische Verbindung von
psychologischen Kriterien mit sozioökonomischen und demographischen Merkmalen für
geeignet, neue und innovative Segmentierungen für Kommunikationsmaßnahmen, Vertriebs-
wege und Preisgestaltung zu finden und zu nutzen, um segmentspezifisch bisher „stille“
Marktpotenziale auszuschöpfen.

Durch die Kenntnis und Beachtung verhaltenswissenschaftlicher Phänomene können Finanz-


dienstleister einerseits dazu beitragen, durch „irrationales“ Handeln verursachte Nachteile auf
Seiten der Kunden zu reduzieren bzw. zu vermeiden und gleichzeitig die Erkenntnisse nutzen,
um den Absatz über segmentspezifisches Marketing zu forcieren.

Quellenverzeichnis

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Zweiter Teil

Sales Management als Erfolgsfaktor


Vertriebsherausforderungen im regulierten Markt
der Gesetzlichen Krankenversicherungen

MARKUS DEUTSCH und RENÉ HANS

TellSell Consulting

1 Rahmenbedingungen und Veränderungen im deutschen Gesundheitsmarkt ................. 137


2 Überblick zu strategischen Handlungsoptionen für die Gesetzliche
Krankenversicherung ..................................................................................................... 139
2.1 Effizienzsteigerungsstrategien ............................................................................. 139
2.2 Erlössteigerungsstrategien – Aktives Management des Morbi-RSA-
Kundenportfolios ................................................................................................. 140
2.3 Kundenbindungsstrategien................................................................................... 141
2.3.1 Wahltarife ................................................................................................ 141
2.3.2 Zusatzleistungen ...................................................................................... 142
2.3.3 Coaching.................................................................................................. 142
2.3.4 Telemedizinische Leistungen .................................................................. 143
2.3.5 Verblisterung ........................................................................................... 144
3 Vertriebskanalmanagement als zukünftige Kernkompetenz der Gesetzlichen
Krankenversicherung ..................................................................................................... 144
3.1 Kundenbedürfnisse und Endkundenorientierung als Grundlage für
Vertriebskanalmanagement.................................................................................. 145
3.2 Vertriebskanäle und Multiplikatoren ................................................................... 147
3.2.1 Zugang zu Kunden über Unternehmen .................................................... 147
3.2.2 Online Direktvertrieb............................................................................... 147
3.2.3 Online Communities................................................................................ 147
3.2.4 Regionale Multiplikatoren ....................................................................... 148
4 Zusammenfassung und kritischer Ausblick auf mögliche Veränderungen im
Krankenversicherungsmarkt .......................................................................................... 148
Quellenverzeichnis................................................................................................................ 149
Vertrieb im regulierten Markt der Gesetzlichen Krankenversicherungen 137

1 Rahmenbedingungen und Veränderungen im deutschen


Gesundheitsmarkt

Zum 1. Januar 2009 wurde in Deutschland mit dem Gesundheitsfonds die wohl umstrittenste
Maßnahme der letzten Jahrzehnte im Gesundheitsmarkt etabliert. Ob hierdurch ein nachhalti-
ger Durchbruch in der Gesundheitsversorgung, eine politisch getriebene Kompromisslösung
der Großen Koalition oder gar „sozialistische Verhältnisse“ geschaffen wurden, soll an dieser
Stelle nicht näher beleuchtet werden. Vielmehr ist auf die hinter dem Gesundheitsfonds ste-
hende Faktenlage und daraus resultierender Handlungsoptionen für die Gesetzlichen Kran-
kenversicherungen (GKV) einzugehen. Diese stehen seit Start des Gesundheitsfonds vor
folgenden wesentlichen Veränderungen:

1. Einheitlicher Beitragssatz für alle gesetzlich Krankenversicherten


Vor 2009 lag die Spanne der Beitragssätze zwischen 12,0% und 15,5%. Bei einem Einkom-
men von 4.500 € brutto bedeutete dies – bei Wahl der kostengünstigsten Krankenversiche-
rung – 1.500€ Ersparnis im Jahr. Die 70 Millionen Versicherten konnten die Krankenkasse
wechseln, wenn ihnen der Beitragssatz bei ihrer Krankenversicherung zu hoch war. Zwischen
den GKV herrschte häufig ein reger Wettbewerb über den Preis, wenngleich viele Kranken-
versicherungen – z. B. die Techniker Krankenkasse – erfolgreich Differenzierungsstrategien
angewendet haben, um der Preisspirale zu entfliehen. Hierzu zählten zum Beispiel Zusatzleis-
tungen wie Bonuszahlungen für regelmäßige Besuche von Rückenschulen, Kundenmagazine
oder Verbesserung des Kundenservice (Erreichbarkeit, Schnelligkeit der Bearbeitung) im All-
gemeinen.

Mit Start des Gesundheitsfonds wurde jeglichem direktem Wettbewerb über den Preis ein
jähes Ende gesetzt. Versicherte und Arbeitgeber entrichten bei einem konsolidierten Beitrags-
satz von 14,9% jeweils anteilig einen Beitrag von 7,45%. Die Beiträge fließen in den neu
geschaffenen Gesundheitsfonds, der wiederum die Beiträge in Form eines Sockelbetrags für
jeden Versicherten an die Krankenversicherungen weiterleitet.

2. Morbiditätsorientierter Risikostrukturausgleich (Morbi RSA)


Mit dem Morbi RSA ergibt sich ein weiteres Kernelement der veränderten Regulierung – eng
verknüpft mit dem Gesundheitsfonds. In der Vergangenheit haben Krankenkassen auf Basis
indirekter Morbiditätsindikatoren (Alter, Geschlecht, Bezug einer Erwerbsminderungsrente)
eine Anspruchsgrundlage für zusätzliche Ausgleichszahlungen infolge der höheren erforder-
lichen Leistungen erworben. Neu ist nun, dass für 80 direkte Indikationen (chronische/
schwerwiegende Erkrankungen) zuzüglich zum Sockelbetrag individuelle, morbiditätsorien-
tierte Risikozuschläge für Versicherte ermittelt werden. Die Eingruppierung der Versicherten
in Morbiditätsgruppen wird dabei auf Basis der Daten des jeweiligen Vorjahres für das aktu-
elle Ausgleichsjahr vorgenommen. In Konsequenz bezieht also eine GKV für Versicherte mit
einem oder mehreren der 80 definierten Indikationen neben dem Sockelbetrag einen Zu-
schlagssatz als Risikoausgleich für die erhöhte Inanspruchnahme von Leistungen.

3. Möglichkeit der Erhebung von Zusatzbeiträgen/Rückerstattung von Beiträgen


Ein wesentliches Wettbewerbselement des Gesundheitsfonds zielt auf die angestrebten Effizi-
enzsteigerungen der GKV ab. Zumindest theoretisch soll es durch Effizienz- bzw. Produktivi-
tätssteigerungen in den internen Abläufen durch eine GKV möglich sein, Beiträge an die
Versicherten rückzuerstatten. Funktioniert das Modell, kommt es über die Rückerstattungen

F. Keuper, B. Hogenschurz (Hrsg.), Professionelles Sales & Service Management,


DOI 10.1007/978-3-8349-8799-0_6,
© Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
138 DEUTSCH/HANS

zumindest indirekt zur Möglichkeit des Preiswettbewerbs. Hierdurch wurde ein wesentlicher
regulatorischer Impuls zur Konsolidierung der GKV-Landschaft gesetzt. Aufgrund der zu-
nehmenden Größe der Krankenkassen sollen bzw. können Skaleneffekte in der Marktbearbei-
tung realisiert werden. Marktkonsolidierungstendenzen der GKV sind seit Anfang der neun-
ziger Jahre (über 1.200 GKV) sichtbar und setzen sich auch mit dem Start des Gesundheits-
fonds fort. Allein zwischen Januar und Mai 2009 ist die Anzahl der Anbieter von 202 auf 196
gesunken.1 Exemplarisch sei die zum Januar 2009 vollzogene Fusion der Techniker Kranken-
kasse mit der IKK Direkt erwähnt, die hierdurch zur mitgliederstärksten Krankenkasse mit
rund 7,1 Millionen Krankenversicherten geworden ist.2 Auch die Fusion der Taunus BKK mit
der BKK Gesundheit zum ersten Oktober 2009 zeigt die Verstärkung der Fusionstendenzen
im Krankenkassenumfeld auf.3

Rückerstattung Versicherte
Krankenkassen, mehr Wahlfreiheit durch Wettbewerb
die gut wirt-
schaften,
können ihren Gesetzliche Krankenkassen
Mitgliedern Bei- mehr Wettbewerb untereinander
träge in Euro zu-
rückerstatten Einheitlicher Beitrag
für alle Versicherten
(inkl. Risikostrukturausgleich)

Gesundheitsfonds

Zahlt Bundeszuschuss aus Prozentualer Prozentualer


Steuermitteln für gesamt- Beitrag + ggf. einheitlicher
gesellschaftliche Auf- 0,9 % Sonderbeitrag Beitrag
gaben der GKV für Kinderlose

Bund Beitragszahler: Arbeitnehmer Arbeitgeber/-innen


+ Deutsche Rentenversicherung + BA

Abbildung 1: Systematik des Gesundheitsfonds

1
Vgl. O. V. (2009a).
2
Vgl. O. V. (2008).
3
Vgl. O. V. (2009d).
Vertrieb im regulierten Markt der Gesetzlichen Krankenversicherungen 139

Trotz der beschriebenen Marktkonsolidierung und eines Überschusses der GKV von rund 1,2
Mrd. € im ersten Quartal 2009 ist in der Branche vielmehr von Zusatzbeiträgen als von Rück-
erstattungen die Rede.4 Der Gesetzgeber bietet so Krankenversicherungen, die nicht mit den
Mitteln aus dem Gesundheitsfonds auskommen, die Möglichkeit, einen Zusatzbeitrag an die
Versicherten zu erheben. Hierzu bestehen zwei Möglichkeiten:

a. Ein pauschaler Zusatzbeitrag kann unabhängig vom Einkommen festgesetzt und darf
maximal 8 Euro pro Monat betragen.
b. Ein einkommensabhängiger Zusatzbeitrag wird individuell für jeden Versicherten er-
rechnet, darf jedoch nicht 1% des Beitragsaufkommens überschreiten.

Aufgrund der Wirtschaftskrise ist die erwartete Welle der Verkündigung von Zusatzbeiträgen
ausgeblieben. Viele Krankenversicherungen haben Investitionen aufgeschoben oder Leistun-
gen weiter eingeschränkt, um nicht zur ersten Generation der Krankenversicherungen zu
gehören, die Zusatzbeiträge erheben. Gleichwohl erwarten Experten ab Herbst 2009 sowie im
Jahr 2010 eine Welle von Zusatzbeiträgen.5

2 Überblick zu strategischen Handlungsoptionen


für die Gesetzliche Krankenversicherung

Zusammenfassend ergibt sich aus den jüngsten Veränderungen eine für GKV prekäre Situati-
on, die neue Handlungsstrategien erfordert. Hierzu stehen nachfolgende Stoßrichtungen zur
Verfügung.

2.1 Effizienzsteigerungsstrategien
Natürlich werden viele GKV ihre Bestrebungen der Marktkonsolidierung fortsetzen und in-
folgedessen versuchen, die verschmolzenen Kostenbasen zu optimieren. Oder aber Kranken-
kassen verfolgen einen eigenständigen Weg und versuchen hierbei allein, ihre Kostenstruktur
zu optimieren.

Neben der Senkung von Administrationskosten könnten diesbezüglich in Zukunft – gerade


aufgrund der fortschreitenden Marktkonsolidierung – verstärkt Managed-Care-Modelle im
Fokus stehen. Charakteristisch dabei ist, dass die Steuerung der Versorgung durch den Kos-
tenträger, d. h. durch die GKV, erfolgt. Managed Care verändert infolgedessen die Arbeitstei-
lung im Gesundheitswesen, das sich durch eine scharfe Trennung zwischen dem medizini-
schen Verantwortungsbereich und der Finanzierungs- und Verwaltungsaufgabe, abgebildet
derzeit durch die Kassenärztliche Vereinigung, auszeichnet. Dabei bedeutet Managed Care,
dass Krankenversicherer selbst mit Leistungserbringern kontrahieren oder zumindest koope-
rieren und somit gegenüber dem jetzigen Modell Effizienzvorteile realisieren.6 Aus Sicht des
4
Vgl. KRÜGER (2009), S. 12 f.
5
Vgl. O. V. (2009b).
6
Vgl. SEITZ/FRITZ (2005), S. 48.
140 DEUTSCH/HANS

Versicherten werden derartige Modelle nur dann zum Erfolg führen, wenn durch Managed
Care die daraus erzielten Effizienzsteigerungen auch über die Beitragsrückerstattungen nach-
haltig spürbar werden. Ansonsten ist davon auszugehen, dass die Resonanz aus Sicht der
Versicherten eher gering bis ablehnend sein wird, da Versicherte bei Managed Care dazu
angehalten sind, Gesundheitsleistungen von Leistungserbringen zu beziehen, mit denen die
zuständige GKV einen Direktvertrag geschlossen hat. Dies schränkt in Konsequenz die Fle-
xibilität des Versicherten ein. Jegliche Effizienzsteigerungsstrategien sind zusammenfassend
zwar notwendig für GKV, werden aber allein nicht erfolgversprechend sein, da die Vorteile
hieraus eher der GKV intern bzw. der Effizienzsteigerung des gesamten Systems dienen als
primär dem Versicherten zugute kommen.

2.2 Erlössteigerungsstrategien – Aktives Management


des Morbi-RSA-Kundenportfolios
In der Vergangenheit galt die Zielgruppe der jungen Erwerbstätigen im Alter von 25 bis 40
Jahren für eine GKV als mit Abstand attraktivstes Segment, da einem stabilen Beitragsauf-
kommen aus dieser Zielgruppe nur ein unterproportionaler Bedarf an Beitragsmitteln gegen-
überstand. Mit dem Morbi RSA dreht sich diese Logik, da durchaus auch chronisch Kranke
mit entsprechendem Morbi-RSA-Zuschlag für eine GKV attraktiv sein können, sofern die aus
dem Gesundheitsfonds bereitgestellten erhöhten Mittel nicht durch die Krankheit aufgezehrt
werden.

Unabhängig davon bietet der Morbi RSA zunächst für GKV die Möglichkeit der Generierung
von Zusatzerlösen. Insofern wird das „Morbi-RSA-orientierte“-Management des Kundenport-
folios zur Kernkompetenz einer GKV, in dem folgende exemplarische Leitfragen zu beant-
worten sind:

¾ Welche Versicherten erhalten derzeit keinen Morbiditätszuschlag, haben jedoch Indikati-


onen bzw. ein krankheitsspezifisches Potenzial für den Morbi RSA?
¾ Welche Versicherten erhalten einen Morbiditätszuschlag, müssten aber höher eingestuft
werden?
¾ Welche Versicherten fallen voraussichtlich in naher Zukunft aus den Zuschlagsgruppen
des Morbi RSA?
¾ Welche Versicherten werden im Verlauf ihrer Erkrankung hohe Kosten verursachen,
haben aber keine krankheitsspezifischen Ausprägungen der Morbi-RSA-Gruppen?
¾ Kann durch Förderung von Präventionsleistungen für den Versicherten und chronisch
Kranken die notwendige Leistung nachhaltig gesenkt werden, ohne dass der Morbi RSA
für den Kranken gänzlich wegfällt?

Das neue Verfahren der Morbi-RSA-Zuteilung verursacht derzeit noch häufig Abgrenzungs-
probleme und eröffnet teilweise Spielräume zur Kurzfristoptimierung der Erlössituation der
GKV. So war schon kurz nach dem Start des Gesundheitsfonds die Rede von Krankenkassen,
die Ärzten einen Bonus von 10€ gewähren, für die Überprüfung der Diagnosen von Patienten
und ein „Upcoding“ gemäß der 80 gelisteten, Morbi-RSA-relevanten Krankheiten.7 Derartige

7
Vgl. O. V. (2009c). Zum Thema Anreize und Upcoding vgl. auch BUSSE (2008).
Vertrieb im regulierten Markt der Gesetzlichen Krankenversicherungen 141

Auswüchse lassen sich aufgrund der gesetzten Anreize nicht vollständig vermeiden, schaden
jedoch dem Image der praktizierenden GKV und werden nachhaltig keine Kundenbindung
versprechen. Damit rücken neben dem Management des Morbi-RSA-Kundenportfolios inno-
vative Aspekte der Kundendifferenzierung in den Vordergrund.

2.3 Kundenbindungsstrategien
Aufgrund des fehlenden direkten Preiswettbewerbs rücken Kundenbindungs- und damit Dif-
ferenzierungsstrategien immer weiter in den Fokus von GKV. Die Differenzierung soll dabei
über zusätzliche Leistungen, innovative Produkte und Kundenbindungsinstrumente erfolgen.
Die Zufriedenheit der Kunden und die Darstellung am Markt rücken entsprechend in das
Zentrum der Kommunikation der Krankenversicherer. Nachfolgend werden einige dieser
Differenzierungsmaßnahmen exemplarisch dargestellt.

2.3.1 Wahltarife
Für die GKV besteht nach Einführung der Wahltarife seit dem 1.4.2007 die Möglichkeit, eine
Reihe von Produkten im Markt zu etablieren. Die Produkte binden teilweise die Kunden für
einen Zeitraum von drei Jahren an einen Tarif. In der Regel stellen diese Produkte eine „Wet-
te in die Zukunft“ dar. Falls keine Erkrankungen eintreten, profitiert der Versicherte von
einem günstigeren Tarif, tritt eine Erkrankung ein, so muss der Versicherte eine gewisse
Summe selbst bezahlen. Ärztliche Leistungen präventiver Art sind dabei jedoch in der Regel
nicht von den Reduktionen betroffen.

Die Versicherten nehmen diese Tarife als nicht besonders attraktiv wahr, was eine geringe
Akzeptanz dieser Tarife zur Folge hat. Laut einer Umfrage des Wissenschaftlichen Instituts
der AOK, Berlin, sehen nur 41% der Befragten Wahltarife als zentrales Merkmal der Kran-
kenkassen.8 Dieses Merkmal landete weit abgeschlagen auf dem letzten Platz nach Erstattung
von Gesundheitskursen, Angebot von eigenen Gesundheitskursen und Bonusprogrammen.

1. Tarife für die Teilnahme an besonderen Versorgungsformen (Disease-


Muss

Management-Programme, integrierte Versorgung, Hausarztzentrierte Versorgung)


2. Krankengeldtarife

3. Selbstbehalttarife
Kann

4. Tarife für Nichtinanspruchnahme von Leistungen


5. Übernahme von der Regelversicherung ausgeschlossener Arzneimittel
6. Variable Kostenerstattungstarife

Abbildung 2: Übersicht über verpflichtende und freiwillige Wahltarife

8
Vgl. ZOK (2009), S. 5.
142 DEUTSCH/HANS

Insbesondere auf die Kundenerwartungen zugeschnittene Wahltarife nach § 53 SGB V bilden


eine entscheidende Grundlage, um neue Kunden zu gewinnen und bestehende Kunden zielge-
richtet zu binden. Neben den für jede gesetzliche Krankenkasse verpflichtenden Wahltarifen
(Hausarzt- und Krankengeldtarife), bieten insbesondere die freiwilligen Wahltarife die not-
wendige Flexibilität, um ein innovatives und attraktives Produktangebot aufzubauen. Für die
Zukunft kann gar von einer weiteren Liberalisierung des SGB ausgegangen werden.

Es sollte auch beachtet werden, dass neben der Möglichkeit Kunden zu gewinnen und zu
binden, ein Risiko besteht, durch die falsche Ausgestaltung oder Adressierung der Wahltarife
hohe Kosten ohne ausreichende Einnahmen zu verursachen. Zum Beispiel kann es passieren,
dass Tarife mit Beitragsrückerstattung insbesondere von den Bestandskunden gewählt wer-
den, die keine Wechselabsichten haben und gleichzeitig keine Leistungen in Anspruch neh-
men.

2.3.2 Zusatzleistungen
Eine Reihe von Gesetzlichen Krankenversicherungen haben bereits in den vergangenen Jah-
ren Maßnahmen zur Kundenbindung ergriffen, indem sie ihren Versicherten insbesondere
präventive Leistungen kostenfrei oder bezuschusst zur Verfügung gestellt haben. Zudem
führten die meisten gesetzlichen Krankenversicherer Bonussysteme ein, die jedoch meistens
nicht als Erfolg zu werten sind. Häufig krankten die Systeme daran, dass zu wenig Events mit
zu niedrigen Punktezahlen zum Sammeln zur Verfügung standen und somit das Interesse der
Versicherten schnell nachließ.

2.3.3 Coaching
Häufig ist die Kommunikation von Seite der Krankenkasse zu den Versicherten negativ ge-
prägt (Tariferhöhungen, Ablehnungen, etc.) In positiven Fällen wie z.B. bei der Übernahme
der Gebühren findet in der Regel kein Dialog statt. Daher haben in der Vergangenheit die
Krankenversicherer immer wieder versucht, eine positive Kommunikation zu den Versicher-
ten aufzubauen. Dies erfolgte insbesondere zu verschiedenen Events (Einschulung, Geburt,
Geburtstage, etc.). Die wenigsten Versicherungen verfolgen dieses System jedoch konse-
quent. Ein Ansatz aus der Schweiz von der dort ansässigen CSS Versicherung sieht hierzu ein
frühzeitiges gesundheitsorientiertes Coaching vor.9 Die Versicherten werden somit sowohl
positiv angesprochen als auch aufbauend auf einen freiwilligen Gesundheitscheck kontinuier-
lich betreut. Die ergriffenen Maßnahmen werden unterstützt, und nach einem festgelegten
Zeitraum erfolgt ein weiterer Gesundheitscheck. So wird aktiv eine Kommunikation zum
Versicherten aufgebaut.

Idealerweise nutzt der Versicherte diesen Kommunikationskanal auch im Schadensfall. Da-


durch können die Versicherten verbessert im Sinne der Krankenkasse gesteuert werden,
gleichzeitig erfährt der Versicherte einen verbesserten Versorgungsgrad.

9
Vgl. CSS GRUPPE (2009).
Vertrieb im regulierten Markt der Gesetzlichen Krankenversicherungen 143

2.3.4 Telemedizinische Leistungen


In einzelnen Fällen beginnen Krankenversicherungen als Differenzierung gegenüber anderen
Versicherern die Kosten für telemedizinische Leistungen10 zu übernehmen. Es handelt sich
dabei in der Regel um koronare Erkrankungen, bei denen Mehrkanal-EKGs ausgeführt und
aus der Distanz überwacht werden.

Die Telemedizin kann in zwei Anwendungsgebiete aufgeteilt werden: zum einen in einen
Doc2Doc-Bereich, in dem eine Telekonsultation, eine Teleausbildung oder eine Telechirurgie
Bestandteil sind. Zum anderen bezieht sich der Doc2Patient-Bereich auf die Kommunikation
zwischen Arzt und Patient, wobei Telediagnostik, Teletherapie, Telemonitoring und Telecare
Anwendung finden. Die Telemedizin bietet Lösungsansätze für das Spannungsverhältnis von
Gesundheit, Lebensqualität und Kosten.

In anderen Ländern, beispielsweise Israel oder den skandinavischen Staaten, sind diese Leis-
tungen deutlich weiter entwickelt und stärker ausgeprägt. Sowohl aus Kostensenkungs- als
auch aus Differenzierungsgründen werden Kosten für telemedizinische Anwendungen künftig
stärker von gesetzlichen Kassen übernommen werden.

Aufgrund der steigenden Prävalenz chronischer Volkskrankheiten wie z. B. Diabetes mellitus,


Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Asthma räumt man dem Telemonitoring ein Marktpotenzi-
al von rund 1,5 Mrd. EUR allein in Deutschland ein.11 Eine Qualitätsverbesserung könnte
durch eine Therapieoptimierung dank engmaschiger Überwachung, Risikoprävention und
Förderung der Compliance sowie durch eine optimale Vernetzung innerhalb der Gesundheits-
strukturen erreicht werden. Durch vermeidbare Krankenhausaufenthalte, z. B. bei Herzinsuf-
fizienz-Patienten, könnten ernorme Kosten gespart werden. Lückenhaftes Wissen der Patien-
ten, fehlende Compliance, ungenügend medikamentöse Einstellung und unzureichende Erfas-
sung der Vitalparameter führen zu einer erhöhten Rehospitalisierungsrate.12

59,8% der Deutschen über 65 Jahre wollen Telemedizin mit altersgerechten Assistenzsyste-
men für ein selbständiges Leben im eigenen Zuhause mit Tele-Homecare und Tele-Moni-
toring nutzen.13 Das Interesse an Alarmsysteme wie Stützsensoren, Herzfrequenz- oder Atem-
stillstandmesser und Erinnerungsfunktionen an die Medikamenteneinnahme sind in diesem
Zusammenhang erstaunlich hoch.

10
Telemedizin ist ein Teilbereich der Telematik im Gesundheitswesen. Unter Telematik versteht man die Verknüp-
fung der Bereiche Telekommunikation und Informatik. Telemedizin bezeichnet die medizinische Diagnose und
Therapie unter Überbrückung einer räumlichen und zeitlichen Distanz, insbesondere zwischen Arzt und Patient,
wobei technische Hilfsmittel wie Telefonie, Telefax, Internet bis hin zu modernsten Kommunikations- und In-
formationstechnologien wie Bildübermittlung eingesetzt werden.
11
Vgl. HÄCKER/REICHWEIN/TURAD (2008), S. 1 ff.
12
Vgl. HÄCKER/REICHWEIN/TURAD (2008), S. 15 f.
13
Vgl. O. V. (2009e).
144 DEUTSCH/HANS

2.3.5 Verblisterung
Seit August 2009 übernehmen die ersten Krankenversicherungen in Deutschland die Kosten
der Verblisterung. Bei der Verblisterung handelt es sich um eine patientenindividuelle Kon-
fektionierung und Portionierung von allen verblisterungsfähigen Medikamenten pro Einnah-
mezeitpunkt in kleinen, luftdicht verschweißten beschrifteten Sachets (Siegelrandbeuteln)
oder Durchdruckverpackungen.

Insbesondere bei multimorbiden Versicherten oder bei spezifischen Krankheitsbildern wie


Parkinson o. ä. profitieren die Versicherten von der einnahmeorientierten Verpackung der
Medikamente. Die Krankenkassen unterstützen dabei die Patienten bei ihrer für sie aufwändi-
gen regelmäßigen Aufteilung der Medikamente und erhöhen zudem die Compliance bei der
Medikamenteneinnahme. Erste Studien sprechen von Kosteneinsparungen durch die Steige-
rung der Compliance in Höhe von 32 bis 1.360 € pro Jahr pro Patient.14 Die Entstehung grö-
ßerer maschineller Verblisterungszentren trägt dieser Entwicklung Rechnung.

Als weiteren Vorteil der Verblisterung zählt die Kosteneinsparung durch Absenkung von
vermeidbaren Komplikationen und einer damit verbundenen Steigerung der Versorgungsqua-
lität sowie Arzneimittelsicherheit. Zudem ist mit einer Reduktion der aus Medikationsfehlern
resultierenden Folgekosten durch eine erneute ärztliche Behandlung und Folgetherapien zu
rechnen. Auch der geringere Arzneimittelverwurf, die möglichst 100%ige Umstellung auf
Generika und die Einsparung von Klinikkosten sind relevante Argumente für Krankenversi-
cherungen.

3 Vertriebskanalmanagement als zukünftige


Kernkompetenz der Gesetzlichen Krankenversicherung

Die Zukunft der GKV wird nach einer Welle der Konsolidierung, bei der in erster Linie das
Halten der attraktiven Kundengruppen im Vordergrund steht, in eine neue Welle der Ver-
triebsaktivitäten bzw. der Kundenbindungsmaßnahmen münden. Bei diesem Konkurrenz-
kampf zwischen den Versicherern mit quasi regulierten Leistungen wird der Erfolg haupt-
sächlich von kommunikativen Differenzierungen und dem geschickten Nutzen der rechtlichen
Spielräume abhängen. Zum einen wird also die kreative Nutzung der oben genannten Mög-
lichkeiten eine wesentliche Rolle spielen, zum anderen werden aber auch neue Formen ver-
trieblicher Aktivitäten gefordert sein. Neben den dazu notwendigen oben beschriebenen
Kompetenzen wird Vertriebskanalmanagement zu einer der zukünftigen Kernkompetenzen
der GKV werden müssen. Dabei verstehen wir unter Vertriebskanalmanagement die proakti-
ve Koordination der Wege, auf denen vertriebliche Kundenkommunikation betrieben wird.

Aktuell bauen die meisten GKV auf ihr regionales Filialnetz und die zentralen Servicecenter.
Diese sind in den besten Fällen über eine zentrale CRM-Software miteinander verbunden.
Auch der Online-Kanal ist bereits in einigen Fällen in die Kundenkommunikationsinfrastruk-
tur integriert.

14
Vgl. LAUERBACH/LÜNGEN/GERBER (2006).
Vertrieb im regulierten Markt der Gesetzlichen Krankenversicherungen 145

Laut der oben bereits erwähnten Untersuchung aus dem aktuellen WIdO-Monitor sehen die
Befragten die Bedeutung der Kommunikationskanäle wie folgt. „Eine Krankenkasse sollte…

…telefonisch immer gut erreichbar sein. 90,0%


... einen persönlichen Ansprechpartner haben. 81,2%
... ein umfassendes Informationsangebot im Internet haben. 73,8%
... eine Geschäftsstelle/Filiale in der Nähe haben. 51,8%“15

Dies zeigt, dass die verschiedenen Vertriebskanäle existent und gut aufeinander abgestimmt
sein müssen.

3.1 Kundenbedürfnisse und Endkundenorientierung als Grundlage


für Vertriebskanalmanagement
Der Erfolg des Vertriebs wird, egal über welchen Kanal dieser künftig erfolgt, immer von der
geeigneten Wahl der differenzierenden Zusatzleistungen und der zielgruppenorientierten
Kommunikation abhängen. Am Anfang einer Neuausrichtung vertrieblicher Aktivitäten steht
daher immer eine ausführliche Segmentierung der möglichen Zielkunden bzw. Zielkunden-
segmente. Die genauen Kenntnisse der Kundenbedürfnisse entscheiden dabei über den Er-
folg. In der Vergangenheit konnten die GKVs nur bedingt auf ihre eigenen Erfahrungen zu-
rückgreifen, da sie über die Verhaltensweisen ihrer Versicherten nur wenig wussten.

Dies ändert sich zunehmend mit Lockerungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen und der
zunehmenden Vertriebsorientierung. Aktuelle Kundensegmentierungen bei Gesetzlichen
Krankenversicherungen reichen für die Anforderungen der vertrieblichen Aktivitäten in den
meisten Fällen nicht aus.

Als Entscheidungskriterium der Endkunden für die Wahl der Gesetzlichen Krankenversiche-
rung stand in der Vergangenheit an erster Stelle die Höhe des Tarifs. Dies hat entscheidend zu
kurzfristig stark steigenden Versichertenzahlen bei kleinen Versicherungen, zumeist Be-
triebskrankenkassen, geführt. Geprägt von einer jeher geringen Wechselbereitschaft wird es
eine Herausforderung, die richtigen Differenzierungsmerkmale passend einzusetzen.16 Her-
auszuheben ist dabei die Möglichkeit der Auszahlung von Boni zum einen auf Basis der Kos-
tenstrukturen innerhalb der Kasse, zum anderen auf Basis der präventiven Leistungen durch
den jeweiligen Versicherten.

15
Vgl. ZOK (2009), S. 5.
16
Vgl. ZOK (2009), S. 4.
146 DEUTSCH/HANS

Innovationsführer Zielfoto
¾ Mit innovativen Lösungen ¾ Nur durch eine sehr klare
lassen sich Kostensenkungen Kundensegmentierung und -
Hoch

realisieren. ansprache möglich.


¾ Primäre Zielgruppe können ¾ Erfordert gefestigte und
z. B. Versicherte mit hohem prozessual integrierte
Risikofaktor Einkommen oder erhöhtem Kooperationen sowie einen
Kundenabwanderung Gesundheitsbewusstsein sein. standardisierten Produktent-
Innovationsgrad

wicklungsprozess.
¾ Bereits kleine Zusatzbeiträge
erhöhen das Risiko der
Kundenabwanderung.
Indifferenz Kostenführer
¾ Effekt wird verstärkt, wenn
Wettbewerber keine ¾ Kunden erkennen keine klare
¾ Deutliche Differenzierung
Leicht

Zusatzbeiträge erheben. Ausrichtung.


durch deutlich
¾ Auf lange Sicht muss sich die überdurchschnittliche
Ansprache in Form von Beitragsrückzahlungen.
Produktdifferenzierung oder
¾ Dauerhafte
Kostenführerschaft
Kostenführerschaft, ansonsten
konkretisieren.
besteht hohe
Abwanderungsgefahr.

Niedrige Signifikante
Zusatzbeitrag 0 Rückzahlung Rückzahlung

Beitragsanpassung je Versicherten

Abbildung 3: Einordnung Innovationsgrad und Beitragsanpassungen bei Gesetzlichen


Krankenversicherungen

Um sich im Gesetzlichen Krankenversicherungsmarkt vom Wettbewerb zu differenzieren,


gibt es zwei mögliche Ausrichtungen. Zum einen die Kostenführerschaft, wobei signifikante
Beitragsrückerstattungen ausgeschüttet werden müssen, und zum anderen die Innovationsfüh-
rerschaft mit individuellen Leistungsangeboten. Bereits geringe Zuzahlungen können dazu
führen, dass Kunden abwandern, besonders dann, wenn keine Differenzierung über die Pro-
dukte vorhanden ist und Wettbewerber keine Zusatzbeiträge erheben. So hat die GBK in
Köln, die erste deutsche Krankenkasse, die einen monatlichen Zusatzbeitrag von 8 € erhebt,
binnen kürzester Zeit nach Ankündigung der Erhebung fünf Prozent seiner Mitglieder verlo-
ren.17

Laut einer Befragung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK, Berlin, liegen die Gründe für
einen Kassenwechsel mit 21,5% der Befragten am höchsten bei der Leistungsunzufrieden-
heit.18 Auf Platz zwei folgt mit 19,8% die Kritik am Beitrag und auf Platz drei mit 12,4% die
Leistungsablehnung. Fast gleichauf folgen: Interesse an speziellen Versorgungsleistungen,
Kritik an Preis-Leistungsverhältnis, Interesse an PKV und kritische Serviceerfahrungen.

Differenzierung und damit vertriebliche Ansätze liegen also vor allem in der Schaffung von
Leistungszufriedenheit, dem Angebot von Zusatzleistungen und der Optimierung des Kun-
denservices.

17
Vgl. KRÜGER (2009), S. 13.
18
Vgl. ZOK (2009), S. 4.
Vertrieb im regulierten Markt der Gesetzlichen Krankenversicherungen 147

3.2 Vertriebskanäle und Multiplikatoren


Neben den klassisch betriebenen Vertriebskanälen suchen Gesetzliche Krankenversicherun-
gen immer mehr nach neuen Möglichkeiten des Kundenzugangs. Wir betrachten hier eine
Auswahl an Möglichkeiten, die neben den klassischen Vertriebswegen künftig eine wachsen-
de Bedeutung haben dürften.

3.2.1 Zugang zu Kunden über Unternehmen


Der Zugang zu betrieblichen Kunden erfolgt in der Regel über Betriebliches Gesundheitsma-
nagement (BGM). Da Unternehmen inzwischen erkannt haben, dass das Gesundheitsbewusst-
sein ihrer Mitarbeiter durch eine Reihe präventiver Maßnahmen gefördert werden kann, su-
chen immer mehr Verantwortliche aus Unternehmen den Kontakt zu Versicherern. Diese
bieten unterschiedliche Leistungen von Einzelmaßnahmen, wie Augenuntersuchungen oder
Erstellungen von Blutbildern über komplett ausgestaltete Gesundheitstage bis hin zu mittel-
fristig geplanten Maßnahmen an. Künftig werden langfristig angelegte Coachingkonzepte die
aktuellen Maßnahmen ergänzen. Der Zugang, den Unternehmen dabei den Versicherern bie-
ten, stellt eine wichtige vertriebliche Basis dar.19

3.2.2 Online Direktvertrieb


Im Rahmen einer umfangreichen Untersuchung hat die Taunus BKK ihre Kunden befragt, ob
es eine Erleichterung wäre, wenn der gesamte Schriftverkehr mit der Taunus BKK, z. B. An-
träge auf Versicherungsleistungen, über das Internet abgewickelt werden könnte. Erstaunli-
cherweise konnten sich bereits 2005 gut 50% der befragten Kunden vorstellen, den Schrift-
verkehr mit ihrer Krankenkasse über das Internet abzuwickeln. Inzwischen verfügt die Tau-
nus BKK über eine eigene echte Internet-Geschäftsstelle, bei der eine Vielzahl an Vorgängen
online ausgeführt werden können.20

Dieses Beispiel zeigt, wie sehr die Versicherten das Internet als Informations- aber inzwi-
schen auch als Transaktionsplattform nutzen. Entscheidend für ein erfolgreiches Vertriebska-
nalportfolio wird daher auch sein, wie gut die Internetplattform ausgebaut und in die gesamte
Kommunikationsinfrastruktur eingebunden ist. Neben den Online Marketingaktivitäten stel-
len Selfservice-Elemente und komfortable, transparente Interaktionen einen Wettbewerbsvor-
teil dar.

3.2.3 Online Communities


Viele Formen von Online Communities, wie Blogs, Foren, etc. tragen inzwischen zur Mei-
nungsbildung bei. Zum großen Teil ersetzen diese Communities die klassische durch eine
elektronische „Mund-zu-Mund“-Propaganda. Gesetzliche Krankenversicherungen können
sich dabei als kompetenter Kommunikationspartner darstellen und im Meinungsbild der po-
tenziellen Zielgruppen etablieren. Dabei spielen neben den klassischen wie www.kranken-
kassenforum.de und themenorientierten Plattformen zunehmend Zielgruppenforen, beispiels-
weise für Läufer, Studenten, Erziehende, etc. eine Rolle.21

19
Vgl. KARTTE/NEUMANN (2009), S. 22 ff.
20
Vgl. TAUNUS BKK (2009), S. 9.
21
Siehe auch www.laufen.de, www.studivz.de oder www.eltern.de.
148 DEUTSCH/HANS

3.2.4 Regionale Multiplikatoren

Da Krankenversicherer häufig starke regionale Ausrichtungen einnehmen, spielen regionale


Multiplikatoren eine bedeutende Rolle. Dabei kann man kommerzielle Multiplikatoren, wie
beispielsweise die Zusammenarbeit mit Sportstudios oder Teilnehmern des zweiten Gesund-
heitsmarktes und nicht kommerziellen Institutionen unterscheiden.

Gerade nicht kommerzielle Institutionen können als Win-Win-Konstellationen in vertrieb-


liche Strategien integriert werden. Dazu eignen sich beispielsweise:

¾ Vereine durch Sponsoring und gemeinsame Durchführung von Veranstaltungen,


¾ Schulen mit spezifischen Sportangeboten für Kinder,
¾ Universitäten über langfristige Partnerschaften.

Dabei wandelt sich die Rolle der regional agierenden vertrieblichen Mitarbeiter der Kranken-
versicherer hin zu „partnering“-orientierten beratenden Mitarbeitern, die mit immer neuen
Konzepten regionale Multiplikatoren und ggf. auch Vertriebspartner unterstützen.

4 Zusammenfassung und kritischer Ausblick auf mögliche


Veränderungen im Krankenversicherungsmarkt

Die vorangegangenen Ausführungen zeigen pointiert die Notwendigkeit einer Verstärkung


der Kundenorientierung und eines aktiven Managements der Vertriebskanäle für eine GKV
dar.

Warum ist dieser Wandel aber so wichtig? Dies lässt sich anhand der von TellSell Consulting
als realistisch erachten Zukunftsvision des deutschen Gesundheitswesens im Jahr 2020 ver-
deutlichen:

¾ Der Markt der Krankenversicherungen hat sich konsolidiert. Es existieren noch zehn bis
zwölf große Gesetzliche Krankenversicherer.
¾ Eine Grundsicherung umfasst Bruchstücke der modernen Behandlungsmöglichkeiten.
Gleichwohl gibt es eine Vielzahl von Leistungen und Leistungserbringern – Ärzte, Phy-
siotherapeuten, Kliniken, etc. – die nur noch über Privatrechnung oder mit Abschluss von
Zusatzversicherungen in Anspruch genommen werden können.
¾ Die Grundsicherung wird über eine Vielzahl im Kern wenig unterscheidbarer Produkte
abgebildet. Die meisten Versicherten verfügen jedoch über eine Zusatzversicherung. Ge-
rade hier findet unter den GKV ein erbitterter Wettbewerb statt, der am Markt zum An-
gebot einer Vielzahl individueller bzw. kundensegmentspezifischer (modularisierter) Zu-
satztarife führt.
¾ Aufgrund des aggressiven Vertriebs von Krankenversicherungsprodukten bilden sich
Gesundheitsnetzwerke mit der jeweiligen GKV als fokalen Akteur, die dem Gesetzlich
Vertrieb im regulierten Markt der Gesetzlichen Krankenversicherungen 149

Versicherten zusätzliche Vorteile generieren.22 Der Versicherte kann z. B. Gesundheits-


leistungen in Gesundheitszentren beziehen, die teilweise Exklusivverträge mit den Kran-
kenkassen geschlossen haben.
¾ Der Versicherte informiert sich nicht nur in der Online Community seines Krankenversi-
cherers über Tarife und Krankheitsbildern, sondern „managed“ auch die individuelle Ge-
sundhistorie über die Online-Plattform. Hier können beispielsweise Patientenakten einge-
sehen und für Ärzte freigeschaltet werden.

Ob sich jede dieser Thesen innerhalb der nächsten Dekade tatsächlich wie dargestellt be-
wahrheitet, bleibt an dieser Stelle offen. Fakt ist jedoch, dass das deutsche Gesundheitswesen
mit deutlichen Tendenzen zum o. g. Zukunftsszenario vor Umbrüchen in allen wesentlichen
Dimensionen eines Marktes (regulatorisches Umfeld, Kunden, Produkte, Wettbewerber,
Kooperationspartner, Technologien) steht. GKV sollten somit in der aktuellen Transformati-
onsphase die Gunst der Stunde nutzen und innovative Kundenbindungs- und Vertriebskanal-
konzepte testen und umsetzen.

Quellenverzeichnis

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und Qualitätsmanagements bei Krankenkassen und Leistungserbringern?, online:
http://www.qmr-kongress.de/download/00_Montag/08_Busse_Morbi_RSA/inhalt.pdf, Stand:
15.09.2008, Abruf: 25.09.2009.
CSS GRUPPE (2009): Informationen zu Leistungen der vivit gesundheits ag, online:
http://www.css.ch/home/css/info-unternehmen/info-unt-gruppe_gesellschaften/info-unt-gru-
gruppengesellschaften/info-unt-gru-grg-vivit.htm, Stand: 30.09.2009, Abruf: 30.09.2009.
HANS, R. (2006): Netzwerk-Controlling – Systemtheoretisch-kybernetische Lenkung in der
TIME-Branche, Berlin 2006.
HÄCKER, J./REICHWEIN, B./TURAD, N. (2008): Telemedizin – Markt, Strategien, Unterneh-
mensbewertung, München 2008.
KARTTE, J./NEUMANN, K.(2009): Roland Berger Strategy Consultants – Studienpräsentation:
Strukturen der Prävention – Die richtigen Programme für die richtigen Bürger, Berlin
2009.
KRÜGER, A. (2009): Vorreiter wider Willen, in: Medbiz Beilage der Financial Times Deutsch-
land, Nr. 10/2009, S. 12–13.
O. V. (2008): Gemeinsame Pressemitteilung der IKK-Direkt und der Techniker Krankenkasse,
online: http://www.tk-online.de/tk/pressemitteilungen/archiv-2008/unternehmen/135452,
Stand: 02.12.2008, Abruf: 25.09.2009.
O. V. (2009a): Gesetzliche Krankenversicherung: Mitglieder, mitversicherte Angehörige,
Beitragssätze und Krankenstand, für Januar bis Mai 2009, online: http://www.bmg.
bund.de, Stand: 09.06.2009, Abruf: 01.08.2009.

22
Zum Thema Unternehmensnetzwerke vgl. HANS (2006).
150 DEUTSCH/HANS

O. V. (2009b): Kassenpatienten müssen höhere Lasten fürchten, in: Financial Times Deutsch-
land, 22.09.2009.
O. V. (2009c): Morbi-RSA: Köhler rüffelt Kassen wegen Bestechung, online: http://www.
aerztlichepraxis.de/artikel_politik_kv_upcoding_123262994068.htm, Stand: 22.01.2009,
Abruf: 25.09.2009.
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fusionieren, Pressemitteilung vom 01.10.2009.
O. V. (2009e): 60 Prozent der Deutschen über 65 Jahre wollen Telemedizin nutzen, Pressemit-
teilung der Bitkom vom 03.05.2009.
SEITZ, R./FRITZ, N. (2005): Managed Care in der gesetzlichen Krankenversicherung – Umset-
zung eines theoretischen Konzepts zur Effizienzsteigerung, in: Zeitschrift für öffentliche
und gemeinwirtschaftliche Unternehmen (ZögU), 2005, Beiheft 33, S. 47–68.
LAUERBACH, K./LÜNGEN, M./GERBER, A. (2006): Auswirkungen des Einsatzes von industriali-
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http://www.uk-koeln.de/kai/igmg/sgmg/2006-05_verblisterung.pdf, Stand: 05.07.2006,
Abruf: 20.05.2009.
TAUNUS BKK (2009): Maxima – Kundenmagazin der Taunus BKK, Ausgabe 2/September
2009, S. 9.
ZOK, K (2009): Erwartungen an die GKV nach Einführung des Gesundheitsfonds Ergebnisse
einer Repräsentativ-Umfrage unter 3.000 GKV-Versicherten, WIdO-Monitor, Wissen-
schaftliches Institut der AOK, Berlin, online: http://wido.de/fileadmin/wido/downloads
/pdf_wido_monitor/wido_mon_erwartungen_an_gkv_0809.pdf, Stand: 2009, Abruf:
25.09.2009.
Channel Mix in der Telekommunikation –
Renaissance des POS?

CHRISTOPH HÜNING und STEPHAN KÖHLER

Lischke Consulting

1 Konvergenz der TIME-Märkte ...................................................................................... 153


1.1 Portfolio-Trends klassischer Telekommunikationsanbieter ................................. 154
1.2 Ausblick: Konvergente Organisationsformen ...................................................... 155
2 Channel Management und Konvergenz......................................................................... 156
2.1 Channel Mix im Telekommunikationsmarkt ....................................................... 156
2.2 Marktsättigung als neue Herausforderung in der Marktbearbeitung.................... 158
2.3 Statusbetrachtung Telekommunikations-Shops ................................................... 160
2.4 Shop-/POS-Optimierung als strategische Aufgabe .............................................. 162
2.4.1 Optimierung in Shops.............................................................................. 162
2.4.2 Marketingmaßnahmen ............................................................................. 162
2.4.3 Regionales Potenzial................................................................................ 163
2.4.4 Systeme & Prozesse................................................................................. 164
2.4.5 Strategie................................................................................................... 164
2.4.6 Ressourcen............................................................................................... 164
3 Steuerung des POS – Ein Ausblick................................................................................ 165
Quellenverzeichnis................................................................................................................ 166
Channel-Mix in der Telekommunikation 153

1 Konvergenz der TIME-Märkte

Die Konvergenz der TIME-Branchen1 ist ein weitreichendes Phänomen. Es wird bereits seit
mehreren Jahren in der Wissenschaft behandelt. Auch die involvierten Unternehmen in der
Praxis stellt es vor Herausforderungen. Basis dieser Dynamik sind zunächst technologisch
induzierte Integrationsmöglichkeiten von Übertragungswegen, Diensten und Devices. Darauf
aufbauend entsteht eine Konvergenz im Nutzungsverhalten und schließlich in den Ge-
schäftsmodellen.

Die Rückschau auf frühere Definitionen zeigt, dass diese auch heute noch relevant sind:

Breitbandige
Übertragungstechnologien
führen zu neuen Diensten und
neuen Preismodellen.

Angebot Nachfrage
¾ Preisgestaltung ¾ Nachfrage nach mobile
¾ Bündelung von Diensten Solutions
Medien
¾ Aufbau und Erweiterung der ¾ Nachfrage nach einfachen
Infrastruktur und integrierten Lösungen
¾ ... ¾ ...
TK IT

Steigende Nachfrage nach


technologisch höherwertigen
Produkten erzeugen eine
Neue Technologien Sogwirkung
Technologie
ermöglichen neue Dienste
¾ Kompressionsmethoden
und neue Preismodelle
¾ IP-Technologie
¾ Breibandübertragungswege
¾ Digitalisierung
¾ ...

Abbildung 1: Konvergenzbereiche2

Für die relevanten Player der TIME-Branchen erwachsen hieraus mehrere Herausforderungen
gleichzeitig:

¾ Management der technologischen Komplexität


¾ Entwicklung und Vermarktung konvergenter Services
¾ Optimierung der Kundenansprache im Sales und Service Management

1
TIME: Telekommunikation, IT, Medien, E-Commerce
2
Vgl. HÜNING/MORATH (2001), S. 196.

F. Keuper, B. Hogenschurz (Hrsg.), Professionelles Sales & Service Management,


DOI 10.1007/978-3-8349-8799-0_7,
© Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
154 HÜNING/KÖHLER

Diese Anforderungen müssen gleichzeitig adressiert, erfüllt und ständig optimiert werden.

Warum behalten Basisaussagen zur Konvergenz auch nach mehreren Jahren ihre Gültigkeit?
Der sich immer weiter beschleunigende Fortschritt in Kombination mit der verbesserten In-
novations- und Reaktionsgeschwindigkeit der Branchenplayer zeigt, dass der Umgang mit
Konvergenz als Dauerzustand akzeptiert wird. Das Konvergenzmanagement auf den genann-
ten Ebenen Technik, Produkt und Kunde ist in den Unternehmen idealerweise als kontinuier-
licher Regelkreis implementiert.

1.1 Portfolio-Trends klassischer Telekommunikationsanbieter


Im ersten Schritt der Konvergenz haben sich Kunden an die Bündelung von Festnetztelefonie
und Internet-Access gewöhnt, während gleichzeitig das Handy bzw. der Mobilfunkvertrag
separat gekauft und als eigenständig wahrgenommen wird. Innerhalb dieser beiden Segmente
fand eine immer stärkere Angleichung der Angebote statt. Aus Konsumentensicht ver-
schwanden Alleinstellungsmerkmale und der Preis wurde zu einem der wichtigsten Entschei-
dungs- und damit Differenzierungsmerkmale.

Bei der folgenden Konvergenzstufe, die nach langer medialer Diskussion aktuell anhand
konkreter Produkte zu beobachten ist, gibt es mehrere parallel zu beobachtende Entwicklun-
gen: „Triple Play“, also Ergänzung von Festnetztelefonie und -internet um TV-Angebote,
sowie „Fixed Mobile Convergence“, im Sinne eines konvergenten Angebots von Festnetz-
und Mobilfunkdiensten.

Funktionserweiterung von Endgeräten und Produkten im Zeitverlauf

Mobilfunk Fernsehen
Sprache Sprache

TV TV
SMS SMS

Organizer Videos Organizer Videos


(I) (I)
(II) (II)
(III) (III)
Internet/ Musik/Radio Internet/ Musik/Radio
E-mail E-mail
Bilder/Fotos/MMS Bilder/Fotos/MMS

Aktuelle Angebote (z. B. iPhone, IPTV)


¾(I): schwache Ausprägung/Eignung
Originäre Angebote (z. B. klassisches TV,
¾(III):starke Ausprägung/Eignung
GSM-Telefonie)

Abbildung 2: Konvergenzprodukte im zeitlichen Vergleich


Channel-Mix in der Telekommunikation 155

Während bis dato noch keinem der entsprechenden Angebote ein durchschlagender Erfolg
gelang, zeigen Konvergenzprodukte angrenzender Branchen umso deutlicher auf, was Kun-
den anspricht, so z. B. das iPhone als multi-konvergentes Produkt. Nicht nur, dass Mobilfunk
und mobiles Internet erstmalig signifikant erfolgreich kombiniert werden. Auch die Integrati-
on von MP3-Player, Kamera und Software-Services (inkl. eigenem Online-Vertriebsweg,
dem App-Store) trifft den Nerv der Kunden.

Die zunehmende Akzeptanz des mobilen Internets ist gleichzeitig Basis für die weitere Integ-
ration neuer Services. Immer stärker setzen Anbieter auf Produkte, die es den Kunden ermög-
lichen, ihre Dienste über mehrere Medien und Zugangsformen zu nutzen und adressieren
diesen Mehrwert aktiv in ihren Marketingbotschaften. So können Kunden über PC, IPTV und
Smartphone auf im Netz gespeicherte Informationen, Adressen oder auch Bilder und Filme
zugreifen (Beispiel: „connected life and work“ der Deutschen Telekom) bzw. diese anderen
zur Verfügung stellen und in Communities austauschen (Beispiel: „Generation Upload“ von
Vodafone).

Am Beispiel des iPhones wird deutlich, dass die Innovation konvergenter Produkte das Zu-
sammenführen bereits existierender Nutzenfunktionen ist.3 Der Markterfolg beruht vor allem
auf einer explizit enthaltenen Kundenorientierung, sprich einem aus Kundensicht gedachten
Design und Usability Ansatz.

1.2 Ausblick: Konvergente Organisationsformen


Während die Entwicklung, Vermarktung und Betreuung konvergenter Produkte noch in der
Startphase ist, sind die betroffenen Anbieter relativ weit, was die organisatorische Anpassung
an die neuen Geschäftmodelle betrifft. Mit der Bündelung von Festnetz- und Mobilfunkein-
heiten greifen die Telekommunikationsanbieter aktuell das Konvergenzkriterium organisato-
risch auf und bilden die relevanten Trends am Markt intern ab. Neben den erhofften Kosten-
einsparungszielen (z. B. Prozesseffizienz, IT-Systeme, Personalbestand) geht es den Unter-
nehmen dabei insbesondere um die Umsetzung der marktseitig nachgefragten Anforderungen.
Somit geht die organisatorische Integration mit der Vereinheitlichung von Marken einher:

¾ Vodafone machte 2008 den Anfang, indem im Rahmen einer Neukonzipierung des Ge-
schäftsmodells die Festnetzmarke Arcor in das Unternehmen eingegliedert und die Mar-
ke 2009 schließlich aufgelöst wurde.
¾ Anfang 2009 zog die Deutsche Telekom mit der Verschmelzung der Bereiche Mobilfunk
(T-Mobile) und Festnetz (T-Home) zu einem einheitlichen Anbieter nach.4
¾ Ebenfalls in 2009 wurde die Telefónica Deutschland in die O2 Germany integriert und
firmiert seitdem auch gegenüber Kunden unter dem O2-Label.

3
Vgl. CHANNELPARTNER (2007).
4
Die Namen der neuen Organisationseinheit sowie der zukünftigen Produktlinien sind zum Zeitpunkt der Erstel-
lung dieses Artikels noch nicht bekannt.
156 HÜNING/KÖHLER

Dies zeigt, dass die Anbieter Konvergenz ernst nehmen und sich für die bevorstehenden Än-
derungen wappnen. Im Kern der Konvergenz wachsen benachbarte Branchen immer stärker
zusammen. Das hat auch ein Eindringen von neuen Konkurrenten zur Folge, die bisher keine
Wettbewerber waren. So hat Apple, wie bereits erwähnt, mit seinen Vermarktungsansätzen
ganz nebenbei klassische Mobilfunk-Geschäftsmodelle verändert. Und im Festnetzbereich
sind es z. B. die Kabelnetzanbieter, die den Telekommunikationsanbietern Konkurrenz im
Bereich Internet Access und Telefonie machen. Dieses Rennen um die Vorherrschaft im Trip-
le Play läuft bereits seit mehreren Jahren und gewinnt aktuell an Tempo – bei weiter offenem
Ausgang.5 Die reine Kombination von Telefonie, Internet und TV-Services aus einer Hand
alleine ist hier jedoch noch kein USP an sich. Es bleibt noch abzuwarten, ob Kunden stärker
auf reine Bandbreiten/Geschwindigkeiten setzen oder sich an Content-basierten Mehrwert-
diensten orientieren.

2 Channel Management und Konvergenz

Unter Berücksichtigung der Auswirkungen von Konvergenz auf Produkte und damit die
Nachfrage der Kunden wird deutlich, dass die Ansprache und Betreuung von Kunden im
jeweiligen Sales Channel differenziert erfolgen muss.

Gleichzeitig sorgt die eintretende Marktsättigung im Mobilfunk und – in einem späteren


Schritt – auch im Breitbandmarkt für eine Refokussierung der Salesaktivitäten. Standen bis-
her Gross Adds bzw. Neukundengewinnung im Fokus, besteht die Kunst nun darin, Be-
standskunden möglichst lange zu halten und während der Zeit ihrer Kundenbeziehung den
Wert bzw. Ertrag zu maximieren (Idee des sog. Customer Lifetime Value).

2.1 Channel Mix im Telekommunikationsmarkt


Telekommunikationsanbieter nutzen mehrere Kanäle für die Ansprache von Neu- und Be-
standskunden:

¾ Shops/Point of Sale (POS)


¾ Online/Internet
¾ Call Center
¾ Indirekte Kanäle

Jeder einzelne dieser Kanäle verfügt über bestimmte Qualitäten, die im Rahmen des Multi-
Channel-Managements zusammengeführt werden. Stetig wandelnde Marksituationen und
Kundenbedürfnisse führen jedoch dazu, dass sich die Gewichtung der Kanäle untereinander
immer wieder neu verschiebt.

5
Zu Details vgl. HÜNING/MORATH (2001), S. 191 ff., und HÜNING/MORATH (2003), S. 169 ff.
Channel-Mix in der Telekommunikation 157

Seit 2009 werden Call Center durch einen stärkeren Kundenschutz im Rahmen des Fernab-
satzrechts (Widerrufsrecht), UWG6 (Verbot sog. „cold calls“) und TKG7 (Verbot der Ruf-
nummernunterdrückung) weniger als Outbound- sondern als Inboundinstrument eingesetzt.
Die individuelle telefonische Beratung des Kunden gewinnt somit an Bedeutung – sein Ein-
verständnis vorausgesetzt. Somit wird dieser Channel stärker im Management von Bestands-
kunden und Interessenten als im klassischen Sales an Relevanz gewinnen.

Das fehlende Produkterlebnis, das den Call-Center-Kanal darüber hinaus trotz seiner räumlich
uneingeschränkten Ansprechbarkeit in seinem Vertriebsnutzen begrenzt, wird über Shops
aufgefangen. Neben der Demonstration von Endgeräten und Produkteigenschaften können
Telekommunikationsanbieter über diesen Kanal eine größere Unternehmensidentität aufbau-
en. Ein wesentlicher Hintergrund für das in jüngerer Zeit wieder vermehrte Auftreten von
eigenen Shops der Anbieter am Markt ist die zunehmende Komplexität und Erklärungsbe-
dürftigkeit von Diensten und Produkten bei gleichzeitig immer kürzer werdenden Lebenszyk-
len. Fachhändler und Verkäufer helfen Kunden bei der Lösung von Problemen bzw. dabei,
die (subjektiv wahrgenommenen) Schwierigkeiten in der Entscheidungsfindung aufzulösen,
wie es auch in angrenzenden Branchen innerhalb des TIME-Segments zu beobachten ist.8

Neben der rein zahlenmäßigen Ausbaustrategie eigener Shops spricht ein weiteres Indiz für
die Bewegung in diesem Kanal: Flagshipstores wie z. B. der Shop 4010 der Deutschen Tele-
kom im Bezirk Berlin-Mitte mit bewegten Bildern, Animationen und Touch Screens für ein
interaktives Kennenlernen der Produkte9 präsentieren Produkte – und damit das Unternehmen –
in einem neuen Kontext und verstärken auf diese Weise ein positives Image innerhalb der
eigenen Zielgruppe bzw. erweitern die potenzielle Zielgruppe durch ein bewusstes Brechen
traditioneller Regeln. Mit diesen neuartigen Shopkonzepten wird der kundenseitige Trend zur
Individualisierung aufgegriffen und ein spezielles Kauferlebnis geschaffen. Um anspruchs-
volle Konsumenten und potentielle Käufer von Premiumprodukten zu locken, verfolgen
Flagshipstores mehrere Zielsetzungen gleichzeitig:

¾ Individueller und kompetenter Service vor Massenabfertigung


¾ Elegantes und auffälliges Design anstelle von einer 0815-Einrichtung
¾ Hochwertige und aktuelle Produkte sowie Top-Service als Hauptdifferenzierungsmerk-
mal.10

Lange Zeit galten Reseller und Partnershops im indirekten Vertriebskanal als probates Mittel,
um eine größtmögliche Flächenpräsenz am Markt zu erreichen. Hier ist eine Trendumkehr zu
beobachten, dahingehend dass die Anbieter wieder verstärkt auf „single brand“ Shops set-
zen.11

6
Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb.
7
Telekommunikationsgesetz.
8
Vgl. BALD/RUTENBECK (2008), S. 44.
9
DEUTSCHE TELEKOM (2008).
10
Vgl. BALD/RUTENBECK (2008), S. 44.
11
Exemplarisch ist hier die Übernahme von 80 Freenet Shops durch O2 Anfang 2009 zu sehen.
158 HÜNING/KÖHLER

Der in den letzten Jahren stark im Fokus liegende Online-Kanal stellt eine weitere Möglich-
keit der Kundengewinnung und -ansprache dar. Über diesen Vertriebsweg werden z. B. mitt-
lerweile 47% aller Mobilfunkgeräte verkauft.12 Einen entscheidenden Anteil an der wachsen-
den Nutzung haben eine steigende Zahl von Haushalten mit Breitbandanschlüssen (37%)
sowie das größere Vertrauen der Kunden in die Zahlungsmodalitäten via Internet.13 Die ent-
scheidenden Vorteile liegen nicht nur in der durchgängigen Erreichbarkeit sondern auch in
der Aktualität abrufbarer Informationen und der Realisierung von Kostenvorteilen durch den
Customer Self Service. Aus Anbietersicht ist der Online Channel darüber hinaus auch eine
gute Möglichkeit, neue Werbeformen kostengünstig und gezielt zu testen bei schneller Reak-
tionsmöglichkeit auf die Resonanz am Markt.

Die Entwicklungstendenzen der Kanäle sind an den aktuell prognostizierten Kundenbedürf-


nissen ausgerichtet. Letztlich entscheidet jedoch der Kunde selbst welchen Kanal er wählt,
um eine möglichst große Informationsvielfalt, hohe Flexibilität in der Entscheidung und
Kaufbequemlichkeit zu erreichen.14

2.2 Marktsättigung als neue Herausforderung in der Marktbearbeitung


Es ist anzunehmen, dass Telekommunikationsanbieter in den kommenden Jahren über ihre
Multi-Channel-Strategie verstärkt den Kundenkontakt als wesentliches Potenzial für Ver-
kaufs- und Kundenbindungsmaßnahmen nutzen werden. Im direkten Kundenkontakt sind
Differenzierungsmaßnahmen am überzeugendsten zu gestalten. Der richtige Channel Mix
gewinnt also vor dem Hintergrund zunehmender Marktsättigung weiter an Bedeutung. Dabei
zu beachten sind die unterschiedlichen Eignungen eines Kanals je nach Zielsetzung:

12
Vgl. CENSIS (2009).
13
Vgl. ECIN (2007).
14
Vgl. BERG (2007), S. 705 ff.
Channel-Mix in der Telekommunikation 159

Anschlüsse (Mio.) und Penetrationsrate in Deutschland 58%


130% 50%
22,6
118%
37% 19,6 Kabelmodem,
107,2 1,7
1,1 Satellit, Powerline
105%
Mobilfunk

Breitband
96,4 15,0
0,6
etc.
85,7 xDSL

Quelle: Bundesnetzagentur /BITKOM, 04/2009

Eignung der Kanäle je Shops + Vertriebs-


Call Center Online
Zielgröße Partnershops partner

Markenkommunikation

Kundennähe

„Churn“-Reduzierung

Serviceintensität

Kostensenkung

hoch mittel niedrig

Abbildung 3: Die Bedeutung des Channel Mix in gesättigten Märkten

Die zunehmende Marktsättigung lässt profitables Wachstum am Telekommunikationsmarkt


immer stärker nur noch durch Rückgewinnung von Kunden der Konkurrenzunternehmen zu.
Es findet absehbar verstärkt eine Umverteilung von Kundenbeziehungen statt, wodurch der
Wirtschaftlichkeitsaspekt an Bedeutung gewinnt. Gleichzeitig wird es wichtig, den Kunden
für neue Services zu begeistern – die reine Umverteilung von Kunden bei sog. Commodity
Dienstleistungen ist im Ergebnis nicht sinnvoll oder sogar kontraproduktiv, wenn die Kosten
der Kundengewinnung zu hoch sind.

Diese Situation stellt die Anbieter im Hinblick auf das Kundenmanagement nicht nur bei der
Wahl des richtigen Sales-Channel-Mixes vor neue Herausforderungen. Die immer geringer
werdenden Unterschiede zwischen Produkten und Dienstleistungen und eine mögliche Zu-
rückhaltung der Käufer aufgrund geringer Kenntnisse über konvergente Medien haben auch
zu einem Umdenken im Bereich des Customer Services geführt. Neben einem produktiven
Beschwerdemanagement versucht der Kundenservice eine verbesserte Betreuung durch Dif-
ferenzierung im Servicelevel herbeizuführen um höhere Preise zu rechtfertigen. In den neuen
Flagshipstores der Anbieter sind die Berater vor Ort darauf geschult, dem Kunden ein auf
seine individuellen Bedürfnisse angepasstes Paket zu offerieren. Die Vermittlung der Vorteile
neuer Dienste und Techniken im Alltag steht dabei an erster Stelle.15

15
Vgl. MARKETING-BOERSE (2009).
160 HÜNING/KÖHLER

Langfristig sind die Anbieter auf eine bessere Kundenbindung fokussiert, da die Kosten der
Kundengewinnung ungleich höher liegen. Zum Ausbau dieser Strategie gehört die kontinuier-
liche Betrachtung einer möglichen ARPU16-Steigerung während der Kundenbeziehung in
Verbindung mit konkreten Kundenbindungsmaßnahmen. Hier dominieren aktuell noch Ra-
battlogiken oder Kooperationen mit etablierten Loyalitätsprogrammen.

2.3 Statusbetrachtung Telekommunikations-Shops


Die aktuellen Shopoffensiven im Telekommunikationsmarkt lassen eine neue Fokussierung
der Provider auf das Handling mit Bestandskunden sowie die Gewinnung neuer, attraktiver
Kundensegmente erkennen. Dass dem Point of Sale in jüngster Zeit eine so große Bedeutung
zukommt, liegt an der Rückbesinnung der Telekommunikationsunternehmen auf die eigene
Marke.

Der POS liegt am Ende einer umfassenden Werbewirkungskette und entscheidet über Erfolg
und Misserfolg der Produkte eines Unternehmens. Vor diesem Hintergrund hat er die Aufga-
be, klare Signale über die Marke zu senden und bedient sich dafür zunehmend neuester High-
Tech Ausstattung (u.a. Multiservice Terminals und Mediapools).

Indirekte Gestaltungselemente, die die Innenarchitektur des Shops betreffen, spielen ebenfalls
eine wichtige Rolle. Mit Farben und stilisierten Markenelementen wird das Ziel verfolgt, die
Corporate Identity des jeweiligen Anbieters zu unterstreichen und sich möglichst aufmerk-
samkeitsstark von der Konkurrenz abzusetzen. Nach wie vor finden sich am Customer Touch
Point aber auch traditionelle Werbemittel wie Produktverpackungen mit Markenlogos, Auf-
steller und Plakate, die zu einer konsistenten Kommunikation beitragen.

Aktuelle Beispiele zur Verdeutlichung der genannten Trends:17

¾ Die Deutsche Telekom, die sich bis 2010 zum Ziel gesetzt hat, 150 der insgesamt 800 ei-
genen Shops einem neuen „Look“ zu unterwerfen, setzt bei ihrer POS-Konzeptionierung
auf ihr Markenversprechen „Erleben was verbindet“. Durch den Einsatz multifunktiona-
ler Technik, also konvergenter Medien, werden die Produkte und Dienstleistungen für
den Kunden vor Ort visuell dargestellt. Mit der Auswertung generierter Kundeninforma-
tionen durch Analysetools wird dem Käufer ein individuelles Angebot zusammengestellt.
Eine der wichtigsten Voraussetzungen dabei ist das Know How und Engagement des
Verkaufsberaters.
¾ Eine Neuausrichtung der anderen Art findet sich bei O2. Das eingesetzte Shopkonzept
„Vibrant“ setzt auf Lichtinszenierung statt High-Tech und verfolgt damit das Ziel die
Orientierung des Kunden im Shop zu optimieren. Eine flächendeckende Verbreitung des
Konzepts plant der Mobilfunkanbieter ab 2010.

16
ARPU: Durchschnittlicher Umsatz pro Kunde.
17
Vgl. HORIZONT (2008).
Channel-Mix in der Telekommunikation 161

Die Anbieter versprechen sich von einer Neukonzipierung, mehrere Zielsetzungen gleichzei-
tig zu adressieren:

¾ Verstärkung des Marken- und Produkterlebnisses


¾ Differenzierung gegenüber dem Wettbewerb
¾ Cross & Up Selling (z. B. FMC- und ICT-Services)
¾ Senkung der Churnrate durch direkte Ansprache von Bestandskunden
¾ Bindung von Impulskäufern und Bestandskunden über Serviceleistungen (z. B. Repara-
tur) oder Sonderaktionen (z. B. Test Voucher).

Den mit einer solch grundlegenden Strategieänderung verbundenen Aufwänden und Investiti-
onen (z. B. Personalaufwand, Ausstattung der Shops, Marketingmaßnahmen, Steuerungs-
komplexität) stehen geplante Mehrumsätze gegenüber. Diese müssen zwingend auf neuarti-
gen Services basieren, für die Kunden höhere Preise akzeptieren, um in Summe ein positives
Ergebnis zu realisieren.

Das Angebot von höherwertigen oder erweiterten Produkten innerhalb des Kundenstamms
mit Hilfe von Up-Selling-Strategien setzt voraus, dass sich Unternehmen im Rahmen der
Shopexpansion klar von der gegenläufigen Marketingstrategie „No Frills“ distanzieren. Diese
gehört(e) zu einem der Schlüsseltrends auf dem Mobilfunkmarkt, bei dem es darum geht, den
gesättigten Markt hinsichtlich spezieller Tarife und Vertriebskonzepte in einzelne Zielgrup-
pen zu zerlegen und – in diesem Fall – die preissensitiven Kundenschichten zu adressieren.18
Beispiele hierfür sind u. a. Congstar von T-Mobile oder Simyo von E-Plus. Von No-Frills
Anbietern wird das reine Basisprodukt bei minimalem technischem Aufwand vermarktet.
Dieses Modell funktioniert allerdings nur mit Kunden, die bereits vor dem Kauf informiert
sind, die also keine Beratung wünschen, sondern sich selbst – zumeist online – mit Produkt-
tests und Tarifvergleichen beschäftigen. Selbstverständlich wird diese Zielgruppe mittel- und
langfristig weiter bestehen und sie wird mit POS-Strategien nicht adressierbar sein. Da die
zugehörigen „No-frills“-Produkte jedoch zumeist auch nicht die margenträchtigen sind, ist es
Ziel der Anbieter, den Anteil dieser Kunden an der gesamten Kundenbasis möglichst gering
zu halten. Alternativ sollten Vertragskunden mit möglichst hohem ARPU ausgebaut werden.

Ähnliches gilt für die Vermarktungsstrategie über Service Provider, die ihre Hochphase in
den 90er Jahren hatten, weil sie am wachsenden Markt von den Mobilfunkunternehmen ein-
gesetzt wurden, um Breite und Präsenz zu erreichen.19 Aus diesem Grund können Service
Provider, die sich im Vertrieb nicht nur auf ein Unternehmen und seine Produkte festlegen,
sogar Schaden bei einem Anbieter hervorrufen, der auf die Rückbesinnung der eigenen Marke
ausgerichtet ist.

18
Vgl. SOLON (2005).
19
Vgl. TELECOMDE (2009).
162 HÜNING/KÖHLER

2.4 Shop-/POS-Optimierung als strategische Aufgabe


Äußere und sichtbare Gestaltungsmerkmale alleine reichen nicht aus, um den Point of Sale
neu zu konzipieren. Eine ganzheitliche Optimierung der Shopgestaltung und –funktionsweise
umfasst zahlreiche Komponenten. Dieses bedeutet ein signifikantes Umdenken für die Anbie-
ter und Shopbetreiber.

Optimierung in
Shops
¾Shopausstattung
¾Layout
¾Aftersales-Service
Marketing-
Ressourcen maßnahmen
¾Zubehör-/Handset-
¾Vertriebsmanage- portfolio ¾Eventmarketing
mentstruktur
¾Zielgruppen-
¾Headcountverteilung ansprache
und Personaleinsatz
¾Salespromotoren Ansatzpunkte zur
Shop-
verbesserung
Strategie Regionales
(Beispiele) Potenzial
¾Kanalmanagement &
Steuerung ¾Kategorisierung der
¾Effektivität Channel- Profitabilität
marketing Systeme und (Frequenz,
¾Flagship Stores zur Abschlussrate,…)
Prozesse
Markenbildung ¾Performancemessung
¾Verkauf /
Abwicklung
¾Gewährleistung,
Kundenservice
¾Admin-Tätigkeiten

Abbildung 4: Verbesserungshebel am POS (exemplarisch)

2.4.1 Optimierung in Shops


Vor Ort ist es für den Kunden entscheidend, wie passend er angesprochen wird und wie gut er
sich betreut fühlt. Hierzu zählen die Optik und Ausstattung der Shops sowie das Maß des
Servicegrads (Kaufberatung, Kaufabwicklung, Reparaturservice, Beschwerdemanagement,
etc.). Nur vom Kunden als positiv bzw. werthaltig wahrgenommene Maßnahmen können
auch umsatzwirksam vermarktet werden.

Ziel eines jeden Kundenkontakts muss sein, dass der Kunde gerne wiederkommt – also der
nächste Kundenkontaktpunkt und langfristig eine echte Kundenbindung.

2.4.2 Marketingmaßnahmen
Im Marketingmix kann an jedem einzelnen POS das direkte Umfeld berücksichtigt werden.
So ist die lokale Klientel bzw. das Laufumfeld für die Maßnahmenplanung wichtig, da nur
wenige Shops (z. B. Flagship-Stores) aufgrund ihrer individuellen Konzepte und der Selten-
heit hinsichtlich ihrer räumlichen Verbreitung Kunden aus größerer Entfernung anziehen.
Channel-Mix in der Telekommunikation 163

Exemplarisch bieten singuläre Events, die auf Klientel und Umgebung abgestimmt sind, eine
ideale Möglichkeit, sich marketingtechnisch zu differenzieren.

2.4.3 Regionales Potenzial


Im Steuerungsprozess der Shops aus Anbietersicht ist eine stärkere Differenzierung zu emp-
fehlen. So existieren regionale Unterschiede zwischen den Shops und dem relevanten Publi-
kumsverkehr, die bei der Bewertung des Sales-Erfolgs berücksichtigt werden müssen. Eine
echte Vergleichbarkeit der individuellen Shop-Performance ist ohne diese Einbeziehung nicht
realistisch darstellbar.

Die relative Performance eines Shops ist also abhängig von der absolut maximal möglichen
Performance – eine Steuerung über absolute Kennzahlen wie Gross Adds ist hier nicht mehr
praktikabel. Bei der Bewertung des Erfolgs je Shop muss unterschieden werden, bis zu wel-
chem Grad er den Erfolg direkt beeinflussen kann und in welchem Maße übergeordnete Fak-
toren wie Markenimage oder Lage dominieren.

Traffic
Potenzialausschöpfung

100%

2 Nur allgemein durch


Anbieter beeinflussbar.

„Traffic HIGH Performer“ „Traffic LOW Performer“

1 Individuell durch Shop


beeinflussbar.

Shopranking
Shop 1 Shop n

Traffic Tatsächlich gemessene Frequenz


Potential- =
ausschöpfung Theoretisch max. Frequenz am Standort

Abbildung 5: Relative Potenzialausschöpfung am POS

Auf diese Weise werden Cluster von Shops gebildet, die auf vergleichbaren Voraussetzungen
aufsetzen und die somit auch vergleichbar sind. In der Praxis sind dies oftmals gerade nicht
nah beieinander liegende Standorte, sondern es empfiehlt sich, diesen Abgleich über die Ge-
samtzahl der bundesweiten Standorte durchzuführen.
164 HÜNING/KÖHLER

Als Vergleichsgrößen innerhalb dieser homogenen Gruppen bieten sich bspw. Frequenz und
Abschlussrate an. Bei (nahezu) gleichen Voraussetzungen hinsichtlich Qualität der Lage,
Kaufkraft und Klientel in der Umgebung etc. kommen die individuellen Fähigkeiten oder
auch Mängel des jeweiligen POS-Managements zum Tragen.

2.4.4 Systeme & Prozesse


Die Abläufe am POS inkl. der damit verbundenen Abbildung in den IT-Systemen sind ein
wichtiger „Hygienefaktor“ für die kundenseitig wahrgenommene Servicequalität. So nützt
eine gute Beratung quasi nichts, wenn beim Abschluss eine Bestellung/Bereitstellung nicht
möglich ist und der Kaufprozess nicht beendet werden kann. Nicht selten bedeutet dies, dass
der gesamte Vorgang gestoppt und damit storniert wird, so dass im Ergebnis alle Aktivitäten
bis zu diesem Zeitpunkt vergebens waren. Folge: Der Kunde geht wahrscheinlich beim nächs-
ten Bedarf in einen Shop der Konkurrenz, als dass er zurück kommt um einen gemeinsamen
zweiten Versuch zu starten.

Eine zukunftssichere IT am POS bietet dagegen die ideale Chance, Prozesse zu einem erfolg-
reichen Abschluss zu bringen und als Einstieg in ein effektives CRM über den gesamten
Zeitraum der Kundenbeziehung zu dienen.

2.4.5 Strategie
Grundlage für sämtliche hier angestellten Betrachtungen ist die Grundsatzentscheidung, den
POS als zentrales Instrument der Sales-Strategie anzunehmen und entsprechende Maßnahmen
anzustoßen.

Die auffälligste strategische Einzelmaßnahme ist die Differenzierung von Flagship-Stores und
„normalen“ Shops. Den zunehmenden Ausbau der Flagships wählen aktuell viele Anbieter als
Maßnahme, um ihre Markenbildung weiter zu intensivieren. Hier sollen sich Kunden inner-
halb einer geschlossenen Markenwelt wohl fühlen, in Verbindung mit dem Gefühl, dass alle
Anforderungen an Produkte und Service bedient werden.

Die Steuerung des Channel Mix inkl. der zugehörigen Marketingmaßnahmenplanung ist
ebenfalls grundlegende Strategiearbeit der Vertriebsorganisationen.

2.4.6 Ressourcen
Die Steuerung der notwendigen Mitarbeiterintensität ist in großem Maße von den zuvor ge-
nannten Faktoren wie Regionalisierung und auch strategischer Ausrichtung abhängig.

So arbeitet ein Flagship-Store immer mit der höchsten relativen Betreuungsintensität gemes-
sen am möglichen Kundenpotenzial. Daneben ist eine Abwägung notwendig, ob regionale
Besonderheiten (z. B. Fußgängerzonen) eine Einbindung personeller Zusatzmaßnahmen sinn-
voll erscheinen lassen.

Generell kommt dem Ressourcenmanagement eine wichtige Rolle bei der Zielerreichung zu,
maximalen Vertriebserfolg zu haben und gleichzeitig die notwendigen Kosten möglichst
gering zu halten.
Channel-Mix in der Telekommunikation 165

3 Steuerung des POS – Ein Ausblick

In der POS-Steuerung wird die Betrachtung von Effizienz und Profitabilität an Bedeutung
gewinnen. So wie in allen Sales Channels sind Gross Adds als einziges Kriterium für Erfolg
nicht mehr relevant.

Vielmehr kommt es darauf an, die richtigen Kunden richtig anzusprechen und sie gut zu be-
treuen. Mit den Stellhebeln Frequenz, Servicegrad und Qualität entsteht eine Orientierung
über den klassischen Massenmarktansatz hinaus.

ARPU
Neukunden
Anzahl
Abschlüsse Wertigkeit
Tarife
POS-
Profitabilität
Conversion Kunden-
Rate
bindung
Kunden-Traffic

Sales Performance
Frequenz Servicegrad Qualität
¾ Markenimage ¾ Anzahl Personal ¾ Verkauf/Beratung
¾ Standort ¾ Betreuungsquote ¾ Verkäufe/Provision
¾ Shopkonzept ¾ Wartezeit ¾ Rolle Verkäufer
¾ Lokale Marketingmaßnahmen ¾ Bearbeitungszeit ¾ Kontinuität Betreuung

Stellhebel

Abbildung 6: Profitabilität als zentrale Steuerungsgröße des POS

Die Steuerung von erfolgreichen Shops zeichnet sich durch mehrdimensionale Modelle aus.
Weder die reine Zahl von Interessenten noch der ARPU oder eine andere Kennzahl für sich
alleine betrachtet reichen aus, um strategische Entscheidungen im Shopbereich zu treffen.

Vielmehr gilt es, die Kombination der relevanten Werttreiber zu analysieren und daraus die
Stellhebel und Maßnahmen abzuleiten, die individuell den maximalen Effekt haben.

Als erfolgreich und zugleich praktikabel hat sich hierbei die Kombination weniger ergebnis-
orientierter Größen gezeigt. Die Bewertung der Abschlussrate erfolgt z. B. idealerweise unter
Berücksichtigung des relativen Potenzials. Auf dieser Basis können dann Steuerungsmecha-
nismen wie FTE-Bemessung (relative Maßeinheit für die Ressourcenkapazität), Marketing-
planung u. a. aufgesetzt werden.
166 HÜNING/KÖHLER

Zu betonen bleibt, dass ein großer Teil des Erfolgs im Shop-Geschäft durch gutes Manage-
ment vor Ort erzielt wird. Anzustreben ist hier die richtige Mischung aus zentraler Steuerung
und lokaler Marktkenntnis. Im nächsten Schritt können dann die Einsichten aus den erfolgrei-
chen POS-Standorten genutzt werden, um einen internen Know-How-Transfer zu initialisie-
ren.

Eine Prognose über den mittel- und langfristigen Erfolg der heutigen Anstrengungen im POS-
Bereich der Telekommunikationsanbieter ist heute nicht valide machbar. Offensichtlich ist,
dass ausgehend von Konvergenz und Marktdynamik der direkte Vertriebsweg wieder an Be-
deutung gewinnt, um die Kunden vor Ort überzeugen zu können. Eine Attraktivität der Pro-
dukte und Tarife muss hierbei als Grundvoraussetzung angesehen werden.

Die Anbieter müssen allerdings auch einplanen, dass weiterhin Interessenten im Anschluss an
die Beratung im Shop den eigentlichen Kauf aus Preisgründen online tätigen werden und
somit ein Verlustgeschäft darstellen. Hier gilt es, mit Nachhaltigkeit im Kundenmanagement
sowie Kompetenz im Beratungsgespräch Mehrwerte aufzuzeigen, die aus Kundensicht wert-
haltig und in anderen Kanälen nicht darstellbar sind.

Quellenverzeichnis

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Prädiktoren der Preisbereitschaft von Kunden –
Status-quo der aktuellen Sales- und Service-
Forschung

JAN WIESEKE und TILL HAUMANN

Ruhr-Universität Bochum

1 Einleitung....................................................................................................................... 171
2 Die Bedeutung der Preisbereitschaft im Dienstleistungs- und Vertriebsmanagement... 172
3 Theoretische Grundlagen der Preisbereitschaft ............................................................. 173
3.1 Begriffsklärung und Abgrenzung von verwandten Konstrukten.......................... 173
3.2 Konzeptualisierung der Preisbereitschaft in der Preisforschung.......................... 174
4 Prädiktoren der Preisbereitschaft ................................................................................... 176
4.1 Konsumentenbezogene Prädiktoren der Preisbereitschaft ................................... 178
4.1.1 Der Einfluss des Einkommens auf die Preisbereitschaft ......................... 178
4.1.2 Der Einfluss des Involvements auf die Preisbereitschaft......................... 178
4.1.3 Der Einfluss der wahrgenommenen Qualität auf die Preisbereitschaft.... 179
4.1.4 Der Einfluss des Produktwissens auf die Preisbereitschaft ..................... 180
4.2 Unternehmensbezogene Prädiktoren der Preisbereitschaft .................................. 185
4.2.1 Beeinflussung der Preisbereitschaft von Konsumenten
durch irrelevante externe Referenzpreise ................................................ 185
4.2.2 Einflüsse der Sonderpreispolitik auf die Preisbereitschaft....................... 186
4.2.3 Mass Customization als Treiber der Preisbereitschaft............................. 187
4.3 Beziehungsbezogene Prädiktoren der Preisbereitschaft....................................... 192
4.3.1 Kundenzufriedenheit als Treiber der Preisbereitschaft............................ 192
4.3.2 Kundenloyalität als Treiber der Preisbereitschaft.................................... 194
4.4 Fazit und Ausblick ............................................................................................... 197
Quellenverzeichnis................................................................................................................ 198
Prädiktoren der Preisbereitschaft von Kunden 171

1 Einleitung

Durch den stetig hohen und weiter steigenden Wettbewerbsdruck sowohl in weiten Teilen der
Industrie als auch im Dienstleistungsbereich stand die Realisierung von Ertragspotenzialen
durch Effizienzsteigerungen und Kostensenkungsprogramme in den letzten Dekaden häufig
im Mittelpunkt der betriebswirtschaftlichen Forschung sowie auch des unternehmerischen
Handelns.1 Beispielhaft für diesen Trend ist die Aussage des CEOs von General Electric,
JEFFREY IMMELT, der als eines seiner wichtigsten Ziele formuliert: „[We] Lower general and
administrative expense as a percentage of sales – I want that to go from 11% to 8% over the
next four years. We’ll have fewer rooftops, fewer divisions, more backroom outsourcing, and
more common platforms and IT systems. We’ll be cutting nongrowth costs as close to the
bone as possible.”2

Allerdings vermehrt sich in letzter Zeit zunehmend die Kritik an der reinen Fokussierung auf
Einsparpotentiale, da deren Realisierung häufig mit einem geringeren Serviceniveau, sinken-
der Kundenzufriedenheit sowie sinkender Kundenloyalität und damit mit einem Absatzrück-
gang einhergeht.3 Überdies zeigen neuere Studien, dass Erträge, die durch Einsparungen
realisiert werden, weniger nachhaltig sind als Erträge, die auf Basis von Umsatzsteigerungen
realisiert werden.4 Vor diesem Hintergrund scheint ein Mentalitätswechsel weg von der rei-
nen Fokussierung auf Kostensenkungsprogramme hin zu Maßnahmen zur Umsatzsteigerung
dringend geboten.

Einer der effektivsten Wege für ein Unternehmen, seine Profitabilität zu verbessern, besteht
darin, seine Produkte zu höheren Preisen zu verkaufen.5 Wie anhand der Ergebnisse einer
Untersuchung von MARN und Kollegen (2004) deutlich wird (siehe Abbildung 1), stellt der
Preis den stärksten Gewinntreiber noch vor, eine Senkung der variablen oder fixen Kosten
sowie einer Absatzsteigerung dar. Problematisch an Preiserhöhungen ist jedoch, dass diese in
aller Regel negative Reaktionen bei den Kunden hervorrufen, was dann wiederum zu einem
Absatzrückgang führt.6 Dies berücksichtigend besteht die einzige Möglichkeit für Unterneh-
men ihre Produkte bei gleichem Absatz zu höheren Preisen zu verkaufen, darin, die Preisbe-
reitschaft ihrer Kunden zu erhöhen.

1
Vgl. z. B. ACHROL (1997), GUMMESSON (1998), KAHN (1998), LEWIN (2001), MINTZBERG (2007) und RUST/
ZAHORIK/KEININGHAM (1995).
2
STEWART (2006), S. 62.
3
Vgl. GRÖNROOS/OJASALO (2004), S. 415, und RUST/MOORMAN/DICKSON (2002), S. 11.
4
Vgl. KRASNIKOV/JAYACHANDRAN (2008), S. 8.
5
Vgl. MARN/ROSIELLO (1992), S. 84.
6
Vgl. ANDERSON/SIMESTER (2008), S. 498 f., und SIVAKUMAR/RAJ (1997), S. 76 ff.

F. Keuper, B. Hogenschurz (Hrsg.), Professionelles Sales & Service Management,


DOI 10.1007/978-3-8349-8799-0_8,
© Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
172 WIESEKE/HAUMANN

Verbesserung um 1%:

Preis Æ 11%

Variable Kosten Æ 7,3%

Volumen Æ 3,7 %

Fixkosten Æ 2,7%

Profitabilitätssteigerung

Abbildung 1: Überblick Profitabilitätstreiber in Anlehnung an MARN/ROEGNER/ZAWADA


20047

Vor diesem Hintergrund ist die herausragende Bedeutung, welche die Einflussfaktoren der
Preisbereitschaft (PB) für die Unternehmenspraxis haben, evident. Im folgenden Kapitel soll
nun speziell auf die Bedeutung der Prädiktoren der Preisbereitschaft im Dienstleistungs- und
Vertriebsmanagement eingegangen werden.

2 Die Bedeutung der Preisbereitschaft


im Dienstleistungs- und Vertriebsmanagement

Besondere Bedeutung kommt der Preisbereitschaft im Dienstleistungs- und Vertriebsmana-


gement zu. Die herausgehobene Bedeutung der Preisbereitschaft im Dienstleistungsmanage-
ment ergibt sich dabei u. a. unmittelbar aus denen dem Dienstleistungsbegriff zugrunde lie-
genden konstituierenden Merkmalen. So führt beispielsweise das Merkmal der Integration des
externen Faktors dazu, dass sich für stark individualisierte Dienstleistungen die Festlegung
einheitlicher Preise als problematisch darstellt.8 Daraus ergibt sich unmittelbar die Chance im
Rahmen einer individualisierten Preispolitik bei Kenntnis der Preisbereitschaft des Kunden,
diese komplett abzuschöpfen und somit die Profitabilität des Unternehmens verglichen mit
einer undifferenzierten Preispolitik zu erhöhen. Entsprechend stellen RUST und CHUNG (2006,
S. 564) hierzu fest: „Different consumers have different reservation prices for different types
of services. […]. A firm improves its profitability when it can observe the reservation prices
of the different consumers.”

7
Datenbasis „Global1200“-Unternehmen.
8
Vgl. MEFFERT/BRUHN (2009), S. 304.
Prädiktoren der Preisbereitschaft von Kunden 173

Eine weitere Besonderheit im Dienstleistungsmanagement liegt in dem mit der Integration


des externen Faktors und der Immaterialität von Dienstleistungen verbundenen erhöhten
Kaufrisiko.9 Ein erhöhtes Kaufrisiko kann sich wiederum auf zwei Arten auf die Preisbereit-
schaft auswirken. Zum Einen ist es möglich, dass der Konsument aufgrund erhöhter Unsi-
cherheit hinsichtlich der Qualität der Dienstleistung den Preis als Qualitätsindikator heran-
zieht, welches eine Steigerung der Preisbereitschaft zur Folge haben kann (vgl. hierzu Kapitel
4.1.3). Zum Anderen kann die Erhöhung eines Risikoabschlags auf den Referenzpreis auf-
grund gesteigerter Unsicherheit dazu führen, dass die Preisbereitschaft des Kunden sinkt (vgl.
hierzu Kapitel 4.1.4).

Eine herausragende Bedeutung kommt der Preisbereitschaft auch im Vertriebsmanagement


zu. Hier stellt sich auf strategischer Ebene beispielsweise die Frage nach der Ausgestaltung
der Rabatt- und Konditionenpolitik im Hinblick auf die Aufrechterhaltung einer hohen Preis-
bereitschaft beim Kunden (vgl. hierzu Abschnitt 4.2.2). Hinsichtlich der Rolle des Kunden-
Kontaktmitarbeiters als Schnittstelle zwischen dem Unternehmen und seinen Kunden ist von
Bedeutung, inwiefern sich die Beziehung des Vertriebsmitarbeiters zu seinen Kunden auf
deren Preisbereitschaft auswirkt (vgl. hierzu z. B. Kapitel 4.3.2). Darüber hinaus stellt sich in
demselben Kontext die Frage, welche Eigenschaften eines Kundenkontaktmitarbeiters in der
Verkaufssituation dazu beitragen, die Preisbereitschaft der Kunden zu steigern (vgl. hierzu
bspw. Kapitel 4.4).

Vor diesem Hintergrund, soll dem Leser im Folgenden – nach einer kurzen Darstellung der
theoretischen Grundlagen der Preisbereitschaft – ein breiter Überblick über den Forschungs-
stand der Prädiktoren der Preisbereitschaft gegeben werden, welcher viele der aufgeworfenen
Fragen beantwortet. Hierauf aufbauend werden am Ende jedes Abschnitts Implikationen für
die Unternehmenspraxis abgeleitet. Der Beitrag schließt mit der Diskussion wichtiger For-
schungslücken zu für Dienstleistungs- und Vertriebsmanagement gleichermaßen wichtigen
Prädiktoren der Preisbereitschaft.

3 Theoretische Grundlagen der Preisbereitschaft

3.1 Begriffsklärung und Abgrenzung von verwandten Konstrukten


Unter der Preisbereitschaft wird im Folgenden der Preis verstanden, den ein Konsument ma-
ximal für ein Produkt oder eine Dienstleistung zu zahlen bereit ist.10 Synonym zu dem Begriff
der Preisbereitschaft werden auch Begriffe wie Zahlungsbereitschaft, Willingness to Pay,
Reservationspreis, Maximalpreis oder Prohibitivpreis verwendet.11

9
Vgl. MEFFERT/BRUHN (2009), S. 43, und KUHLMANN (2001), S. 222 ff., für eine Übersicht.
10
Vgl. z. B. KALISH/NELSON (1991), S. 328, WERTENBROCH/SKIERA (2002), S. 228, und HOMBURG/KOSCHATE
HOYER (2005), S. 85.
11
Vgl. SKIERA/REVENSTORFF (1999), S. 224.
174 WIESEKE/HAUMANN

Obwohl es sich bei der hier verwendeten Definition der Preisbereitschaft um die am weitesten
verbreitete handelt, soll darauf hingewiesen werden, dass es Autoren gibt, welche den Begriff
der Preisbereitschaft anders verwenden. So weisen bspw. WANG, VENKATESH und CHATTERJEE
(2007, S. 200) auf den unterschiedlichen Gebrauch des Begriffs des Reservationspreises hin.
Die Autoren selbst konzeptualisieren die Preisbereitschaft dabei im Gegensatz zu der hier
gewählten punktbezogenen Betrachtung, als Preisspanne.12

Da im weiteren Verlauf des Beitrags auf die mit der Preisbereitschaft verwandten Konstrukte
der Preissensitivität und der Preisakzeptanz zurückgegriffen wird, sollen auch diese Begriffe
kurz erklärt werden. Unter der Preissensitivität kann man den Grad verstehen, zu dem ein
Konsument seine Kaufentscheidung von der Höhe des Preises der Leistung abhängig macht.13
Unter der Preisakzeptanz hingegen versteht man den Bereich zwischen der unteren und obe-
ren absoluten Preisschwelle, in dem ein Konsument einen Kauf des Produktes in Erwägung
zieht.14

3.2 Konzeptualisierung der Preisbereitschaft in der Preisforschung


Die Preisforschung kann in zwei große Teilbereiche untergliedert werden, die „klassische“
Preisforschung und die verhaltenswissenschaftliche Preisforschung (auch behavioral pricing)15.
Entsprechend dieser beiden Säulen der Preisforschung lässt sich auch die Preisbereitschaft auf
zwei Wegen konzeptualisieren.

Die Preisbereitschaft in der klassischen Preisforschung:


Gegenstand der klassischen Preisforschung ist bzw. war die Entwicklung grundlegender an
die Mikroökonomie angelehnter Modelle, die den Zusammenhang zwischen der Preishöhe
und den relevanten Zielgrößen (Absatz, Umsatz, Gewinn) beschreiben bzw. erklären.16 Ein
Schwerpunkt der klassischen Preisforschung, in der die Preisbereitschaft von Bedeutung ist,
besteht in dem Herleiten von Preis-Absatz-Funktionen17. Bei der individuellen Preis-Absatz-
Funktion entspricht die Preisbereitschaft dem Schnittpunkt der Funktion mit der Abszisse.18
Die aggregierte Preis-Absatz-Funktion erhält man hierauf aufbauend durch die Summation
der Mengen bei jedem Preis über alle Konsumenten.19 Sie gibt somit für alle Preise die An-
zahl der Konsumenten an, die eine mindestens gleich hohe oder höhere Preisbereitschaft
besitzen.

12
Vgl. WANG/VENKATESH/CHATTERJEE (2007), S. 201 ff.
13
Vgl. LICHTENSTEIN/BLOCH/BLACK (1988), S. 245, und STOCK (2003), S. 335.
14
Vgl. SIMON (1992), S. 606.
15
Vgl. MONROE (2003), S. 25 und S. 101.
16
Vgl. DILLER (2008), S. 72.
17
Für eine Übersicht über die verschiedenen Arten und Funktionsverläufe von Preis-Absatz-Funktionen vgl. SIMON
(1992), S. 90 ff., sowie DILLER (2008), S. 72 ff.
18
Vgl. SIMON (1992), S. 91.
19
Vgl. SIMON (1992), S. 91.
Prädiktoren der Preisbereitschaft von Kunden 175

Entsprechend der mikroökonomischen Orientierung der „klassischen“ Preisforschung lässt


sich das Konzept der Preis-Absatz-Funktionen und damit die Konzeptualisierung der Preisbe-
reitschaft auf die neoklassische Preistheorie zurückführen.20 Die neoklassische Preistheorie
postuliert, dass Individuen bei gegebenen Preisen sämtlicher Produkte und gegebenen Ein-
kommen ihren Nutzen entsprechend ihrer Präferenzen maximieren.21 Dies führt zu einer indi-
viduellen, in aller Regel monoton fallenden22 Nachfragefunktion. Die Preisbereitschaftsfunk-
tion lässt sich nun als Umkehrfunktion dieser Nachfragefunktion darstellen.23

Die Preisbereitschaft in der Verhaltenswissenschaftlichen Preisforschung:


Während es sich bei der klassischen Preistheorie um eine Stimulus-Response-Betrachtung
handelt, steht bei der verhaltenswissenschaftlichen Preisforschung insbesondere die Aufnah-
me, Verarbeitung und Speicherung preisbezogener Informationen im Vordergrund (S-O-R-
Ansatz).24 Die neuere Forschung auf diesem Gebiet identifiziert dabei den internen Referenz-
preis sowie den Preisakzeptanzbereich als die zentralen Einflussgrößen bei der Preisbeurtei-
lung.25

Die obere Grenze des Preisakzeptanzbereichs, die auch als absolute Preisschwelle bezeichnet
wird, entspricht dabei der Preisbereitschaft eines Konsumenten.26 Während die theoretische
Begründung eines Preisakzeptanzbereichs auf die Assimilations-Kontrast-Theorie zurück-
geht27, wird die Existenz einer oberen (und einer unteren) absoluten Preisschwelle aus den
Ergebnissen der Psychophysik – genauer aus dem WEBER-FECHNER’schen-Gesetz – abgelei-
tet.28 Das WEBER-FECHNER’sche-Gesetz unterstellt dabei eine logarithmische Transformation
objektiver Reizintensitäten in subjektive Empfindungsstärken mit absoluten Empfindungsun-
ter- und -obergrenzen.29 Übertragen auf den Preis konnte auf der Basis des WEBER-FECHNER’
schen-Gesetzes die Existenz absoluter Preisober- und -untergrenzen mehrfach empirisch
nachgewiesen werden.30

20
Vgl. MONROE (2003), S. 25 ff.
21
Vgl. MARSHALL (1890). Für die Annahmen der neoklassischen Preistheorie und deren Gültigkeit vgl. z. B.
MONROE/LEE (1999), S. 219 f.
22
Seltene Ausnahmefälle nicht monoton fallender Nachfragefunktionen (z. B. beim Veblen-Effekt) sollen hier
nicht weiter diskutiert werden.
23
Vgl. SKIERA (1999), S. 25.
24
Vgl. HOMBURG/KOSCHATE (2005), S. 386.
25
Vgl. KOSCHATE (2002), S. 54.
26
Vgl. RAO/SIEBEN (1992), S. 261.
27
Vgl. SHERIF (1963), S. 148 ff., und RAO/SIEBEN (1992), S. 257.
28
Vgl. z. B. MONROE (1973), S. 74.
29
Vgl. DILLER (2008), S. 122.
30
Vgl. z. B. ADAM (1969), S. 82 ff. (erstmals erschienen 1958: Les Réactions du Consomateur devant Le Prix,
Sedes, Paris), MONROE/VEKATESAN (1969), S. 349 f., und STOETZEL (1969), S. 72 f. (erstmals erschienen 1954:
STOETZEL, J./SAUERWEIN, J./DE VULPIAN, A., Reflection (II): French Research: Consumer Studies, in REYNAULD,
P. L. (Hrsg.), La Psychologie Economique, 183–188).
176 WIESEKE/HAUMANN

4 Prädiktoren der Preisbereitschaft

Wie bereits in der Einleitung und Kapitel 2 angedeutet und durch neuere Studien belegt wur-
de, besteht zwischen der Preisbereitschaft der Kunden und dem Markterfolg eines Unterneh-
mens ein positiver Zusammenhang.31 Unmittelbar hieraus gewinnt die Frage Relevanz, wel-
che Faktoren die Preisbereitschaft beeinflussen. Davon ausgehend, ist es erstaunlich, dass
sich die (empirische) Marketingforschung bis zum jetzigen Zeitpunkt nur vereinzelt mit die-
ser Fragestellung auseinandersetzt hat. Ziel des folgenden Abschnitts ist es daher, die bisheri-
gen Forschungsschwerpunkte systematisch darzustellen und, hierauf aufbauend, Ansatzpunk-
te für das Vertriebs- und Dienstleistungsmanagement abzuleiten.

Hierbei wird im Folgenden zwischen konsumentenbezogenen, unternehmensbezogenen und


beziehungsbezogenen Prädiktoren der Preisbereitschaft unterschieden (siehe Abbildung 2).
Während sich konsumentenbezogene Prädiktoren auf Determinanten der Preisbereitschaft
beziehen, die nicht durch einen Anbieter beeinflusst werden können, werden in dem Kapitel
über unternehmensbezogene Prädiktoren Instrumente diskutiert, durch deren Anwendung das
Unternehmen die Preisbereitschaft der Konsumenten verändert. Unter beziehungsbezogenen
Prädiktoren werden schließlich solche Konstrukte verstanden, die sich erst im Verlauf einer
längerfristigen Geschäftsbeziehung zwischen Kunden und Anbieter herausbilden.

31
Vgl. HOMBURG/WIESEKE/HOYER (2009), S. 48, und WIESEKE/DICKMANN (2004), S. 511.
Prädiktoren der Preisbereitschaft von Kunden 177

Prädiktoren der Preisbereitschaft

Konsumentenbezogen Unternehmensbezogen Beziehungsbezogen

Einkommen: Ankerpreise: Kundenzufriedenheit:


¾ A DAM (1958) ¾ KRISTENSEN /G ÄRLING (2000) ¾ A NDERSON (1996)
¾ F OUILHÉ (1960) ¾ A RIELY/LOEWENSTEIN /P RELEC ¾ H UBER/H ERRMANN /WRICKE
¾ G ABOR/G RANGER (1966) (2003) (2001)
¾ H ORSKY (1990) ¾ NUNES /B OATWRIGHT (2004) ¾ H OMBURG/KOSCHATE/H OYER
¾ S IMONSON /D ROLET (2004) (2005)
Involvement: ¾ KRISHNA ET AL. (2006)
¾ CUMMINGS /O STROM (1982) Kundenloyalität:
¾ LICHTENSTEIN /B LOCH/B LACK Sonderpreisaktionen: ¾ KALYANARAM/LITTLE (1994)
(1988) ¾ KRISHNA (1991) ¾ S RINIVASAN /A NDERSON /
¾ D IVINE (1995) ¾ KRISHNA/JOHAR (1996) P ONNAVOL (2002)
¾ P ALMATIER/S CHEER/S TEENKAM P
Konsumentenwissen: (2007)
Mass Customization;
¾ R AO/S IEBEN (1992) ¾ F RANKE/P ILLER (2004)
¾ CORDELL (1997) ¾ S CHREIER (2006) Identifikation des Kunden
¾ F RANKE/S CHREIER (2008) mit dem Unternehmen:
Zahlungsarten: ¾ F RANKE/KEINZ/S TEGER (2009) ¾ H OMBURG/WIESEKE/H OYER
¾ F EINBERG (1986) (2009)
¾ P RELEC /S IMESTER (2001) „Tausche-alt-gegen-neu-
Aktionen“:
Selbstregulation : ¾ ZHU/CHEN /D ASGUPTA (2008)
¾ V OHS /F ABER (2007)

Sozialer Einfluss/Macht:
¾ R UCKER/G ALINSKY (2008)

Forschungslücken

Marktbezogen (Vertriebs-) Mitarbeiterbezogen

z. B. Anzahl verfügbarer Alternativen: z. B. Erkennen von Kundenbedürfnissen:


¾ CHAN /KADIYALI/P ARK (2007) ¾ H OMBURG/WIESEKE/B ORNEM ANN (2009)

z. B. Höhe der Wechselkosten: z. B. Adaptives Verkaufsverhalten:


¾ - ¾ -

Abbildung 2: Überblick über empirische Studien und Forschungslücken der Prädiktoren


der Preisbereitschaft
178 WIESEKE/HAUMANN

4.1 Konsumentenbezogene Prädiktoren der Preisbereitschaft


4.1.1 Der Einfluss des Einkommens auf die Preisbereitschaft
Während es als allgemein bekannt gilt, dass Konsumenten mit geringem Einkommen eine
höhere Preissensitivität aufweisen als Konsumenten mit höherem Einkommen32, wurde ein
positiver Zusammenhang zwischen dem Einkommen und der Preisbereitschaft in der Marke-
tingforschung bisher nur wenig untersucht. Erste (und bisher einzige) wissenschaftliche Ar-
beiten, die direkt den Zusammenhang zwischen Einkommen und Preisbereitschaft untersu-
chen, stammen von ADAM (1969), FOUILHÉ (196933) sowie von GABOR und GRANGER (1966).
ADAM (1969) zeigt, dass die mittlere Preisbereitschaft mit sinkendem Einkommen fällt. Dies
führt er darauf zurück, dass Konsumenten mit geringerem Einkommen im Vergleich zu Kon-
sumenten mit höherem Einkommen bereits geringerpreisige Produkte als Luxusgüter anse-
hen.34 FOUILHÉ (1969), der diesen Effekt in seiner Studie mit Konsumgütern nicht bestätigt
findet, bemerkt hierzu entsprechend, dass der Zusammenhang zwischen Einkommen und
Preisbereitschaft von der Art des Produktes, dem Preis und der Kauffrequenz abhängt.35
GABOR und GRANGER (1966) stützen wiederum die Ergebnisse von ADAM, stellen sie doch
fest, dass sich der Preisakzeptanzbereich bei fallendem Einkommen nach unten verschiebt.36

Neben diesen frühen Arbeiten ist es außerdem die Studie von HORSKY (1990), die den Zu-
sammenhang zwischen Einkommen und Preisbereitschaft betrachtet. HORSKY entwickelt in
seiner Arbeit mehrere Diffusionsmodelle für Gebrauchsgüter, in die er über die Preisbereit-
schaft auch das Einkommen der Konsumenten mit einbezieht. Eine empirische Überprüfung
zeigt, dass die Diffusionsmodelle, die den Zusammenhang zwischen Preisbereitschaft und
Einkommen berücksichtigen, bessere Prognosen des Diffusionsverlaufs ermöglichen als her-
kömmliche Diffusionsmodelle (z. B. Bass-Modell)37. Dies stützt die These eines positiven
Zusammenhangs zwischen Einkommen und Preisbereitschaft (für Erstkäufe). Schließlich
legen auch die Studien, die einen negativen Zusammenhang zwischen Einkommen und der
Preissensitivität für Konsumgüter nachweisen38, im Umkehrschluss einen positiven Zusam-
menhang zwischen Einkommen und Preisbereitschaft nahe.

4.1.2 Der Einfluss des Involvements auf die Preisbereitschaft


Beim Involvement handelt es sich um ein latentes Konstrukt, welches originär aus der Sozial-
psychologie stammt und dort seit langem als Erklärungsgröße für die Urteils- und Einstel-
lungsbildung von großer Bedeutung ist.39 In der Wissenschaft wird je nach Forschungsfokus
zwischen einer Vielzahl verschiedener Arten von Involvement unterschieden.40 Bei der Un-
tersuchung des Zusammenhangs zwischen dem Involvement und der Preisbereitschaft wird
Involvement zumeist als ein produktbezogenes, zeitlich relativ stabiles Konstrukt verstan-
32
Vgl. WAKEFIELD/INMAN (2003), S. 201.
33
Erstmals erschienen 1960: Evaluation Subjective des Prix, Revue Française de Sociologie, 163–172.
34
Vgl. ADAM (1969), S. 81.
35
Vgl. FOUILHÉ (1969), S. 94.
36
Vgl. GABOR/GRANGER (1966), S. 53 f.
37
Vgl. HORSKY (1990), S. 354 ff.
38
Vgl. HOCH ET AL. (1995), S. 27, KALYMAN/PUTLER (1997), S. 174, und WAKEFIELD/INMAN (2003), S. 207.
39
Vgl. SHERIF/CANTRIL (1947), S. 117 ff., SHERIF/SHERIF/NEBERGALL (1965), S. 14 ff., und SHERIF/SHERIF (1967),
S. 119 ff.
40
Für einen Überblick vgl. WRICKE (2000), S. 98.
Prädiktoren der Preisbereitschaft von Kunden 179

den.41 So definieren CUMMINGS und OSTROM (1982) Produktinvolvement als „the general
level of interest in the product or the centrality of the product to the customer’s ego“.42

Konzeptuell wird der Zusammenhang zwischen Involvement und Preisbereitschaft häufig auf
die Assimilations-Kontrast-Theorie zurückgeführt.43 Ausgangspunkt hierfür sind die Erkennt-
nisse von SHERIF, SHERIF und NEBERGALL (1965), die zeigen, dass die Größe des unteren und
oberen Kontrastbereichs mit der Höhe des Involvements einer Person variiert.44 Hierauf auf-
bauend, stellen CUMMINGS und OSTROM (1982, S. 397) die Hypothese auf, dass die Menge
akzeptierter Preise mit dem Involvement steigt. Dieser Schluss überrascht jedoch insofern, als
SHERIF, SHERIF und NEBERGALL (1965, S. 52) feststellen, dass die Größe des Kontrastbereichs
mit dem Involvement steigt und nicht fällt. Insofern ist zu konstatieren, dass sich die Assimi-
lations-Kontrast-Theorie nur bedingt zur Begründung des Zusammenhangs zwischen
Involvement und Preisbereitschaft eignet.45

Dennoch gelingt es CUMMINGS und OSTROM (1982, S. 404), einen signifikanten negativen
Zusammenhang zwischen dem (Produkt-) Involvement eines Konsumenten und der Größe
des oberen Kontrastbereichs nachzuweisen, sodass sie zu dem Schluss kommen: „consumers
who are highly involved with the product are willing to pay a higher price for the product
evidenced by the narrower latitude of rejection-high“.46 Dieses Ergebnis wird auch durch die
Studie von LICHTENSTEIN, BLOCH und BLACK (1988) sowie durch die Arbeit von DIVINE
(1995) bestätigt. Hierbei wird der nachgewiesene Zusammenhang in beiden Studien damit
begründet, dass sich hoch involvierte Konsumenten stärker auf das Produkt und weniger auf
den Preis konzentrieren und daher weniger preisbewusst sind.47 Schließlich lassen auch die
Ergebnisse von HERMANN ET AL. (2004, S. 546), die einen positiven Zusammenhang zwischen
Involvement und Preistoleranz nachweisen, auf einen positiven Zusammenhang zwischen
Involvement und Preisbereitschaft schließen. Zusammenfassend ist auf Basis der empirischen
Ergebnisse zu konstatieren, dass ein positiver Zusammenhang zwischen dem Involvement
eines Konsumenten und seiner Preisbereitschaft besteht. Eine belastbare theoretische Begrün-
dung dieses Zusammenhangs fehlt jedoch bisher.

4.1.3 Der Einfluss der wahrgenommenen Qualität auf die Preisbereitschaft


Die konzeptuelle Grundlage für den Zusammenhang zwischen der wahrgenommenen Qualität
und der Preisbereitschaft liefern die Modelle von DODDS, MONROE und GREWAL (1991) und
ZEITHAML (1988), die in der Wissenschaft große Verbreitung gefunden haben. In beiden der
genannten Modelle wird ein direkter Zusammenhang zwischen der wahrgenommenen Quali-
tät und dem durch den Konsumenten wahrgenommenen Wert des Produkts postuliert. Ausge-
hend davon ist zu erwarten, dass ein Konsument eine umso höhere Preisbereitschaft hat, je
höher der wahrgenommene Nutzen eines Produkts ist.48

41
Vgl. CUMMINGS/OSTROM (1982), S. 396, und LICHTENSTEIN/BLOCH/BLACK (1988), S. 245.
42
CUMMINGS/OSTROM (1982), S. 396.
43
Vgl. SHERIF/HOVLAND (1961) für eine ausführliche Darstellung der Assimilations-Kontrast-Theorie.
44
Vgl. SHERIF/SHERIF/NEBERGALL (1965), S. 52.
45
Vgl. WRICKE (2000), S. 46.
46
Vgl. CUMMINGS/OSTROM (1982), S. 404.
47
Vgl. LICHTENSTEIN/BLOCH/BLACK (1988), S. 249.
48
Vgl. RAO/SIEBEN (1992), S. 259.
180 WIESEKE/HAUMANN

Einen ersten Hinweis für die Richtigkeit dieser These liefert die Studie von ZEITHAML, BERRY
und PARASURAMAN (1996). Dort wird für Gebrauchsgüter und Dienstleistungen gezeigt, dass
ein positiver Zusammenhang zwischen der wahrgenommenen Qualität und der Bereitschaft,
mehr für die Leistung zu zahlen, besteht („Pay More“).49

Eine Bestätigung der These aus dem Konsumgüterbereich liefert die explorative Studie von
NOËL und HANNA (1996). Die Ergebnisse zeigen, dass Konsumenten dazu bereit sind, einen
höheren Preis für Produkte zu zahlen, die sie als qualitativ höherwertig wahrnehmen.50 Aller-
dings ist darauf hinzuweisen, dass NOËL/HANNA (1996, S. 597) Preisbereitschaft als den er-
warteten Kaufpreis (=Preisakzeptanzniveau) operationalisieren. Die Schlussfolgerung von
einer Erhöhung des Preisakzeptanzniveaus auf eine höhere Preisbereitschaft ist jedoch nur
dann unproblematisch, wenn sich die Spanne akzeptabler Preise bei der Verschiebung des
Niveaus nicht ändert. Dies wird von NOËL and HANNA (1996) jedoch nicht untersucht.

Neben diesem direkten Effekt weisen LICHTENSTEIN, BLACK und BLOCH (1988, S. 250) einen
positiven Zusammenhang zwischen dem Gebrauch der Preis-Qualitäts-Heuristik51 und dem
Niveau der Preisakzeptanz nach. Ein solcher Zusammenhang wird auch durch die Ergebnisse
von JOHN, SCOTT und BETTMAN (1986) gestützt. Diese zeigen, dass Konsumenten, die einen
Zusammenhang zwischen Preis und Qualität vermuten, sich bei Konsumgütern im Rahmen
der Produktsuche auf höherpreisige Produkte fokussieren, verglichen mit Konsumenten, die
an einen solchen Zusammenhang nicht glauben.52

Zusammenfassend kann auf Basis der diskutierten Arbeiten festgestellt werden, dass ein posi-
tiver Zusammenhang zwischen der Qualität, sei sie nun objektiv gegeben oder nur auf Basis
der Preis-Qualitäts-Heuristik vermutet, und der Preisbereitschaft naheliegt. Eine Untersu-
chung, die sich diesbezüglich explizit auf die hier (und in der Wissenschaft am häufigsten)
verwendete Definition der Preisbereitschaft bezieht, liegt jedoch nicht vor.

4.1.4 Der Einfluss des Produktwissens auf die Preisbereitschaft53


Hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen dem Produktwissen und der Preisbereitschaft
liegen in der Literatur bisher widersprüchliche Ergebnisse vor. So vermuten RAO und SIEBEN
(1992), auf Arbeiten zur Produktbewertung von Konsumenten bei fehlender Information54
aufbauend, dass der Abschlag, den ein Konsument aufgrund fehlender Information auf einen
gegebenen (externen) Referenzpreis vornimmt, mit zunehmendem Konsumentenwissen klei-
ner wird.55 Daraus folgt, dass die Preisbereitschaft mit steigendem Konsumentenwissen so-

49
Vgl. ZEITHAML/BERRY/PARASURAMAN (1996), S. 40 f.
50
Vgl. NOËL/HANNA (1996), S. 600.
51
Unter der Preis-Qualitäts-Heuristik versteht man, dass Konsumenten aufgrund von unvollständiger Information
den Preis als Indikator für die Qualität eines Produkts heranziehen; vgl. MONROE (2003), S. 159 ff.
52
Vgl. JOHN/SCOTT/BETTMAN (1986), S. 42 und S. 44 f.
53
Auf die Betrachtung eines möglichen indirekten Effekts des Produktwissens auf die Preisbereitschaft soll hier
aufgrund mangelnder konketer empirischer Studien verzichtet werden. Detaillierter wird ein solcher Zusammen-
hang bei RAO und SIEBEN (1992), MONROE und DODDS (1988) und CORDELL (1997) diskutiert.
54
Models of Inferred Information; vgl. für einen Überblick JOHNSON/LEVIN (1985), S. 170 f.
55
Vgl. RAO/SIEBEN (1992), S. 259 f.
Prädiktoren der Preisbereitschaft von Kunden 181

lange zunehmen sollte, bis der Referenzpreis (in Form des höchsten Preises im Markt) er-
reicht wird. 56 Die empirische Überprüfung der Autoren bestätigt diese These.57

CORDELL (1997) zeigt hingegen, dass bei einer starken Preis-Qualitäts-Beziehung die Preisbe-
reitschaft mit dem Konsumentenwissen abnimmt.58 CORDELL (1997) begründet diesen Zu-
sammenhang damit, dass das Produktwissen auch die Verteilung der Preise im Markt um-
fasst, sodass ein Konsument mit hohem Produktwissen bei einer gegebenen Kaufsituation
dieses Wissen nutzt, um einen Mehrwert für sich zu generieren.59 Eine mögliche Erklärung
für diese widersprüchlichen Ergebnisse liegt gemäß CORDELL (1997) darin, dass er im Gegen-
satz zu RAO und SIEBEN (1992) eine starke Marke in seinem Experiment verwendet, sodass
die Unsicherheit der Konsumenten (die nach RAO/SIEBEN [1992, S. 259] die Ursache für eine
geringere Preisbereitschaft ist) gering ist.60

Prädiktor Implikation für die Unternehmenspraxis


¾ Konsumenten mit höherem Einkommen besitzen i.d.R. eine höhere Preisbereitschaft.
Preisdiskriminierung in Abhängigkeit vom Einkommen und Kundensegmentierung an-
hand des Einkommens bieten die Möglichkeit, die Preisbereitschaft der Konsumenten
Einkommen optimal abzuschöpfen.
¾ Die Stärke des Zusammenhangs zwischen Einkommen und Preisbereitschaft hängt
entscheidend von der Art des Produktes ab. Bei schnell drehenden Konsumgütern ist ein
Zusammenhang selten gegeben.
¾ Hoch involvierte Kunden haben häufig eine höhere Preisbereitschaft. Die Messung des
Involvements im Rahmen der Marktforschung sowie Schulung der Vertriebsmitarbeiter
Involvement
im Erkennen hoch involvierter Konsumenten kann zu einer Steigerung des Verkaufser-
folgs führen.
¾ Wenn Konsumenten ein Produkt als qualitativ hochwertig wahrnehmen, sind sie häufig
bereit, dafür mehr zu bezahlen. Entscheidend ist hierbei, dass das Produkt nicht zwin-
Wahrgenommene
gend objektiv qualitativ hochwertig sein muss, sondern dass es als solches wahrgenom-
Qualität
men wird. Diesbezügliche Anpassungen der Verpackung sowie der Kommunikations-
maßnahmen können zur Akzeptanz höherer Preise auf Kundenseite beitragen.
¾ Die empirische Marketingforschung kommt hier zu unterschiedlichen Ergebnissen. Ein
entscheidender Faktor, ob Konsumentenwissen die Preisbereitschaft erhöht oder senkt
scheint die mit dem Produkt verbundene Unsicherheit zu sein. Gerade bei Dienstleistun-
gen – bei denen die Unsicherheit der Konsumenten tendenziell hoch ist – sollten daher
Maßnahmen ergriffen werden, um das Konsumentenwissen zu erhöhen, um hiermit wie-
Kundenwissen
derum eine Erhöhung der Preisbereitschaft zu erreichen. Bei physischen Produkten mit
hoher Markenstärke – und damit tendenziell niedrigerem wahrgenommenem Risiko –
sollten Kommunikationsmaßnahmen anstatt auf Wissensvermittlung stärker auf den
Transport positiver Emotionen ausgerichtet sein, um die Preisbereitschaft der Konsu-
menten nicht zu unterminieren.

Tabelle 1: Praxisimplikationen der Forschung zu konsumentenbezogenen Prädiktoren


der Preisbereitschaft

56
Unter der Bedingung, dass das Budget des Konsumenten dies zulässt.
57
Vgl. RAO/SIEBEN (1992), S. 260 und S. 265.
58
Vgl. CORDELL (1997), S. 252.
59
Vgl. CORDELL (1997), S. 246.
60
Vgl. CORDELL (1997), S. 256.
182 WIESEKE/HAUMANN

Autoren Charakteristika der empi-


Zentrale Ergebnisse
(Jahr) rischen Analyse
Einkommen Æ Preisbereitschaft/Preisakzeptanz/Preispremium
ADAM 1969 bzw. ¾ Direkte Befragung (offen) ¾ Nachweis oberer und unterer absoluter Preisschwellen.
1958 ¾ n = 450 (Hausfrauen) ¾ S-förmiger Verlauf der Preisschwellenfunktion.
¾ Produktkategorie: Ge- ¾ Mittelwerte der Preisschwellenfunktion sind bei geringerem
brauchsgüter Einkommen niedriger.
¾ Methodik:  (qualitativ)
FOUILHÉ 1969 bzw. ¾ Direkte Befragung (offen) ¾ Korrelationen zwischen oberen bzw. unteren absoluten
1960 ¾ n = 316 (Hausfrauen) Preisschwellen bei verschiedenen Produkten (r=.34; r=43).
¾ Produktkategorie: Ver- ¾ Signifikanter (signifikant) Effekt des Alters auf absolute
brauchsgüter Preisschwellen.
¾ Methodik: Korrelationen, ¾ Kein signifikanter Unterschied hinsichtlich der absoluten
t-Test Preisschwellen zwischen Arbeitern und Angestellten
(~Einkommen).
¾ Signifikant positiver Einfluss der Werbung auf absolute
Preisschwellen.
Prädiktoren der Preisbereitschaft von Kunden 183

GABOR/GRANGER ¾ Direkte Befragung (1) ¾ Nachweis oberer und unterer absoluter Preisschwellen.
1966 (offen) ¾ Logarithmischer Verlauf der Preisschwellenfunktion.
¾ Direkte Befragung (2) ¾ Akzeptierter Preisbereich wird mit fallendem Einkommen
(geschlossen „mit follow- kleiner.
up“) ¾ Untere absolute Preisschwelle fällt stärker mit sinkendem
¾ n = 3192 Einkommen als obere absolute Preisschwelle.
¾ Produktkategorie: Ge- & ¾ Rückgang der Nachfrage bei zu geringen Preisen Æ Preis
Verbrauchsgüter als Qualitätsindikator.
¾ Methodik: Korrelation,
Regressionsanalyse
HORSKY 1990 ¾ Marktdaten ¾ Diffusionsmodelle, die den Zusammenhang zwischen
¾ Haushaltseinkommen Einkommen und Preisbereitschaft (PB) berücksichtigen,
(Löhne) in den USA liefern bessere Ergebnisse hinsichtlich des Diffusionsver-
(1946-79) laufs, als Diffusionsmodelle, die dies nicht tun.
¾ Produktkategorie: Ge-
brauchsgüter
¾ Methodik: (Nichtlineare)
Regression
Involvement Æ Preisbereitschaft/Preisakzeptanz/Preispremium
CUMMINGS/ ¾ Direkte Befragung (ge- ¾ Bei hohem Involvement werden signifikant weniger Preise
OSTROM 1982 schlossen) als zu hoch abgelehnt als bei niedrigem Involvement.
¾ n = 57 ¾ Bei hohem Involvement werden signifikant mehr Preise als
¾ Produktkategorie: Ge- zu niedrig abgelehnt als bei niedrigem Involvement.
brauchsgüter ¾ Kein signifikanter Unterschied des Akzeptanzbereichs bei
¾ Methodik: MAONVA hohem vs. niedrigem Involvement.
DEVINE 1995 ¾ Befragung (offen) ¾ Signifikant positiver Effekt des Involvements auf die PB.
¾ n = 183 ¾ Signifikant negativer Effekt des Involvements auf die
¾ Produktkategorie: Ge- Größe des Toleranzbereichs der Attributsausprägungen.
brauchsgüter ¾ Kein signifikanter Effekt des Involvements auf die Größe
¾ Methodik: Strukturglei- des Consideration Set.
chungsmodell ¾ Signifikant positiver Effekt der PB auf die Größe des
Consideration Sets.
¾ Signifikant positiver Effekt der Größe des Toleranzbereichs
der Attributsausprägungen auf die Größe des Consideration
Set.
184 WIESEKE/HAUMANN

Autoren Charakteristika der empiri-


Zentrale Ergebnisse
(Jahr) schen Analyse
Wahrgenommene Qualität Æ Preisbereitschaft/Preisakzeptanz/ Preispremium
LICHTENSTEIN/ ¾ Direkte Befragung (offen) ¾ Signifikant positiver Zusammenhang zwischen dem
BLOCH/BLACK ¾ n = 452 Involvement und der Nutzung der Preis-Qualitäts-Heuristik
1988 ¾ Produktkategorie: Ge- (P-Q-H).
brauchsgüter ¾ Signifikant positiver Effekt der Nutzung der P-Q-H auf das
¾ Methodik: Strukturglei- Preisakzeptanzniveau.
chungs-modell ¾ Signifikant positiver Effekt des Involvements auf das Preis-
akzeptanzniveau.
¾ Signifikant negativer Effekt des Preisbewusstseins auf das
Preisakzeptanzniveau und den Preisakzeptanzbereich.
NOËL/HANNA ¾ Direkte Befragung (offen) ¾ Teilnehmer sind bereit, signifikant mehr für ein Produkt zu
1996 ¾ n = 39 bezahlen, dessen Qualität als hoch eingestuft wurde (geo-
¾ Produktkategorie: Ver- metrisches Mittel der erwarteten Preise wird hier als Preisbe-
brauchsgüter reitschaft interpretiert).
¾ Methodik: Regressionsana-
lyse
ZEITHAML/ ¾ Befragung ¾ Nachweis, dass der funktionale Zusammenhang zwischen
BERRY/ ¾ n = 3069 (Handelsunter- der Qualität und der Breitschaft mehr zu zahlen unterschied-
PARASURAMAN nehmen, Versicherungen, lich für verschiedene Qualitätsniveaus ist.
1996 Computer-Hersteller) ¾ Signifikant positiver Effekt der Qualität auf die Bereitschaft
mehr zu zahlen, wenn die Qualität innerhalb des Akzeptanz-
bereichs liegt.
¾ (Signifikant) schwächerer Effekt der Qualität auf die Bereit-
schaft mehr zu zahlen, wenn das Qualitätsniveau oberhalb
des Akzeptanzbereichs liegt.
Konsumentenwissen Æ Preisbereitschaft/Preisakzeptanz/ Preispremium
RAO/SIEBEN 1992 Studie 1 & 2: Studie 1:
¾ Direkte Befragung (offen) ¾ Obere und untere absolute Preisschwelle steigen mit zuneh-
¾ n1 = 84, n2=48 mendem Produktwissen.
¾ Produktkategorie: Ge- ¾ Die auf intrinsische vs. extrinsische Informationen verwen-
brauchsgüter dete Zeit nimmt mit steigendem Produktwissen zunächst zu
¾ Methodik: Regressionsana- und dann wieder ab (umgekehrt U-förmiger Funktionsver-
lyse lauf).
¾ Studie 1 und 2 unterschei- Studie 2:
den sich außerdem in der ¾ Bestätigung der Ergebnisse aus Studie 1 hinsichtlich der mit
Höhe eines im Probelauf dem Produktwissen steigenden oberen und unteren Preis-
präsentierten externen Refe- schwelle.
renzpreises Vergleich Studie 1/2:
¾ Vergleich zwischen Studie 1 und 2 impliziert, dass ein
externer Referenzpreis Einfluss auf die PB der Probanden
hat.
CORDELL 1997 ¾ Direkte Befragung (offen; ¾ Probanden mit höherem (subj. bzw. obj.) Produktwissen
mit „follow-up“) haben eine signifikant niedrigere PB als Probanden mit ge-
¾ n = 289 ringem Wissen.
¾ Produktkategorie: Ge- ¾ Das Produktwissen moderiert (positiv) den Zusammenhang
brauchsgüter zwischen Markenbekanntheit und PB.
¾ Methodik: ANCOVA ¾ Probanden mit hohem unterscheiden sich von Probanden mit
geringem Produktwissen z. T. hinsichtlich der Einschätzung
der Wichtigkeit von Marke, Herkunftsland und Geschäft.

Tabelle 2: Übersicht ausgewählter Forschungsergebnisse konsumentenbezogener


Prädiktoren der Preisbereitschaft
Prädiktoren der Preisbereitschaft von Kunden 185

4.2 Unternehmensbezogene Prädiktoren der Preisbereitschaft


4.2.1 Beeinflussung der Preisbereitschaft von Konsumenten durch irrelevante
externe Referenzpreise
Die Kritik von BACKHAUS aufgreifend, soll in dem vorliegenden Beitrag zwischen verschie-
denen Arten von externen Referenzpreisen unterschieden werden.61 So wird im Folgenden der
Einfluss solcher Referenzpreise auf die Preisbereitschaft untersucht, die zwar weder von den
Konsumenten noch von den Produzenten als relevant für das interessierende Produkt erachtet
werden,62 von Letzteren allerdings dennoch systematisch dazu eingesetzt werden können, um
die Preisbereitschaft der Konsumenten (positiv) zu beeinflussen.63 Abschnitt 4.2.2 beschäftigt
sich hingegen mit der Wirkung von externen Referenzpreisen, die vom Hersteller im Rahmen
der Sonderpreispolitik gezielt kommuniziert werden, bei denen jedoch keine Änderung der
Preisbereitschaft intendiert ist.

Die Hypothese, dass irrelevante Preise einen (positiven) Einfluss auf die Preisbereitschaft
haben, hat konzeptuell ihren Ursprung in der bedeutenden Arbeit von TVERSKY und
KAHNEMAN (1974). Die Autoren zeigen dort, dass ein numerisches Urteil einer Person von
einem zuvor dargebotenen irrelevanten Anker beeinflusst wird: „people make estimates by
starting from an initial value that is adjusted to yield a final answer [and] […] adjustments are
typically insufficient“64. Dieses Phänomen wird als „Anchor and Adjustment“-Heuristik be-
zeichnet.65

Empirische Evidenz für einen positiven Zusammenhang zwischen irrelevanten Ankern und
der Preisbereitschaft liefern die Studien von ARIELY, LOEWENSTEIN und PRELEC (2003),
KRISTENSEN und GÄRLING (2000), NUNES und BOATWRIGHT (2004) sowie SIMONSON und
DROLET (2004; siehe Tabelle 4). NUNES und BOATWRIGHT (2004) zeigen dabei als einzige,
dass auch die (zufällig wahrgenommenen) Preise anderer Produkte als Anker dienen können.
Überdies untersuchen sie, unter welchen Umständen es zu einem Effekt irrelevanter externer
Referenzpreise auf die Preisbereitschaft kommt bzw. wann dieser verstärkt auftritt. Diesbe-
züglich kommen sie zu folgenden Ergebnissen:

¾ Es ist weder notwendig, dass der irrelevante Preis im Fokus der Aufmerksamkeit des
Konsumenten liegt noch dass dieser einen bewussten Vergleich zwischen dem irrelevan-
ten und dem relevanten Preis vornimmt, damit der irrelevante Preis die Preisbereitschaft
beeinflusst.66
¾ Die Passung/Anwendbarkeit des zufälligen Preises in der Kaufsituation hat einen positi-
ven moderierenden Effekt auf den Zusammenhang zwischen dem zufälligen Preis und
der Preisbereitschaft.67

61
Vgl. Vorwort ESCHWEILER (2006), S. V.
62
Vgl. NUNES/BOATWRIGHT (2004), S. 457.
63
Vgl. KRISHNA ET AL. (2006), S. 188 f.
64
TVERSKY/KAHENMAN (1974), S. 1128.
65
Für eine Übersicht der seitdem zahlreich erschienen Arbeiten zur „Anchoring and Adjustment“-Heuristik sei auf
den Beitrag von CHAPMAN und JOHNSON (2002) verwiesen.
66
Vgl. NUNES/BOATWRIGHT (2004), S. 460.
67
Vgl. NUNES/BOATWRIGHT (2004), S. 462.
186 WIESEKE/HAUMANN

¾ Die Wahrscheinlichkeit, dass ein hoher irrelevanter Preis die Preisbereitschaft eines Kon-
sumenten beeinflusst, ist dann am größten, wenn der Konsument unmittelbar vor der
Preisbereitschaftsentscheidung mit diesem konfrontiert wird.68

Die theoretische Erklärung für den moderierenden Einfluss der Kontingenz auf den Zusam-
menhang zwischen Ankerpreis und Preisbereitschaft (Ergebnis 3) liegt nach KRISHNA ET AL.
(2006) in der höheren Zugänglichkeit der Information. So zeigen die Autoren in ihrer Studie
zum Einfluss sehr hoch bepreister Produkte auf die Preisbereitschaft für ein Zielprodukt, dass
der Effekt der zeitlichen und räumlichen Nähe auf den Zusammenhang zwischen Ankerpreis
und Preisbereitschaft durch die Zugänglichkeit der Information vollständig mediiert wird.69

SIMONSON und DROLET (2004) leisten neben dem empirischen Nachweis, dass irrelevante
Anker einen Einfluss auf die Preisbereitschaft haben können, auch einen Beitrag zur Erklä-
rung, unter welchen Umständen dies der Fall ist. Ursache für den Effekt eines irrelevanten
Ankers auf die Preisbereitschaft ist nach Meinung der Autoren dabei die Unsicherheit eines
Konsumenten hinsichtlich der Beurteilung des individuellen Werts, den ein Produkt für die-
sen hat. Diese Argumentation ist auch konsistent mit den Ergebnissen von RAO und SIEBEN
(1992), die einen moderierenden Einfluss des Produktwissens auf den Zusammenhang zwi-
schen Referenzpreis und Preisbereitschaft nachweisen.70

4.2.2 Einflüsse der Sonderpreispolitik auf die Preisbereitschaft


Der intensive Einsatz konsumentengerichteter Preis-Promotions71 im Rahmen der Sonder-
preispolitik wird in der Marketingforschung zum Teil kritisch beurteilt.72 Ein Grund hierfür
ist die Feststellung, dass der vermehrte Einsatz von Preis-Promotions zu einer höheren Preis-
sensitivität der Konsumenten führt,73 welches (insbesondere auf lange Sicht) zu einer negati-
ven Bilanz hinsichtlich der Profitabilität solcher Aktionen führen kann.74 Eine mögliche Ur-
sache für eine aufgrund von Preis-Promotions erhöhte Preissensitivität ist darin zu sehen, dass
der (beworbene) Sonderpreis zu einer Absenkung des internen Referenzpreises führen kann.75
Dies ist insofern von Bedeutung für die Preisbereitschaft, als ein abgesenkter Referenzpreis
bei Konstanz aller anderen Faktoren auch zu einer Absenkung der Preisbereitschaft führen
sollte.76 Dies bedeutet, dass nicht nur die Preissensitivität durch Preis-Promotions erhöht,
sondern auch die Preisbereitschaft durch sie gesenkt wird. Empirisch wird dies durch die
Arbeiten von KRISHNA (1991) sowie KRISHNA und JOHAR (1996; vgl. Tabelle 4 für Details)
belegt. KRISHNA (1991) zeigt diesbezüglich, dass, wenn Konsumenten den Eindruck haben,
eine Marke sei selten Gegenstand von Sonderpreisaktionen, diese eine höhere Preisbereit-

68
Vgl. NUNES/BOATWRIGHT (2004), S. 461 f.
69
Vgl. KRISHNA ET AL. (2006), S. 181 und S. 184.
70
Vgl. RAO/SIEBEN (1992), S. 267.
71
Unter Preis-Promotions werden zeitlich befristete Maßnahmen wie Sonderangebote, Sonderpackungen, Treuera-
batte, Coupons sowie Rückerstattungen verstanden; vgl. GEDENK (2002), S. 11 und S. 19.
72
Vgl. GEDENK (2002), S. 290 und S. 293, und DILLER (2008), S. 359.
73
Vgl. KOPALLE/MELA/MARSH (1999), S. 326, JEDIDI/MELA/GUPTA (1999), S. 9 f. und S. 18, und HAN/GUPTA/
LEHMANN (2001), S. 446.
74
Vgl. z. B. ABRAHAM/LODISH (1990), S. 51, und JEDIDI/MELA/ GUPTA (1999), S. 16 f.
75
Vgl. KALYANARAM/WINER (1995), S. 166 f.
76
Vgl. MONROE (1973), S. 75.
Prädiktoren der Preisbereitschaft von Kunden 187

schaft aufweisen, als wenn sie der Ansicht sind, die Marke würde häufig zu besonderen Kon-
ditionen angeboten.77

4.2.3 Mass Customization als Treiber der Preisbereitschaft


Der Ausdruck „Mass Customization“ verbindet die zunächst gegensätzlich wirkenden Begrif-
fe der „Mass Production“ und der „Customization“.78 Ziel des Konzepts der Mass Customiza-
tion ist (entsprechend der Synthese aus beiden Begriffen) „the developing, producing, market-
ing and delivering of affordable goods and services with enough variety and customization
that nearly everyone finds exactly what they want“.79 In der Praxis hat das Konzept insbeson-
dere auch aufgrund der technischen Möglichkeiten, die das Internet bietet80, in den letzten
Jahren an Bedeutung gewonnen und ist überdies Gegenstand zahlreicher aktueller For-
schungsarbeiten im Marketing.81

Bereits früh haben Wind und MAHAJAN (1997) die Bedeutung von Mass Customization er-
kannt und daher festgestellt: „From a marketing research point of view, the focus is no longer
on conjoint analysis studies leading to the identification of an optimal product or product line,
but rather on the […] premium, if any, customers are willing to pay for a customized design
versus an off-the-shelf product“. Die hierin implizierte Frage, ob Konsumenten eine höhere
Preisbereitschaft für kundenindividuell gefertigte Produkte als für Standardprodukte aufwei-
sen, versuchen FRANKE und PILLER (2004) zu beantworten. Die Autoren stellen hierzu fest,
dass die Preisbereitschaft von Konsumenten für eine von ihnen gestaltete Uhr um im Mittel
mehr als doppelt so hoch ist wie für vergleichbare Standard-Uhren (WTP = 109%).82 Dieses
Ergebnis wird auch von SCHREIER (2006) anhand von drei weiteren Experimenten bestätigt
(vgl. Tabelle 4), welches zur Verallgemeinerungsfähigkeit des Zusammenhangs beiträgt.

In einem nächsten Schritt stellt sich nun die Frage, auf welche Ursachen der positive Effekt
der Mass Customization auf die Preisbereitschaft zurückzuführen ist. Allgemein werden in
der Literatur zur Mass Customization zwei Faktoren diskutiert, die eine Steigerung des Werts
eines individuellen Produkts im Vergleich zu einem Standardprodukt für einen Konsumenten
liefern. Dies sind:

¾ Die höhere Übereinstimmung der Ästhetik und Funktionalität des Produkts mit den Prä-
ferenzen des Konsumenten83 und
¾ Die empfundene Einzigartigkeit bzw. die Möglichkeit der Differenzierung von anderen
Konsumenten.84

77
Vgl. KRISHNA (1991), S. 449.
78
Vgl. PILLER (2006), S. 154.
79
PINE (1993), S. 44.
80
Vgl. AGARWAL/KUMARESH/MERCER (2001), S. 62.
81
Vgl. z. B. DELLAERT/STREMERSCH (2005), PILLER (2006), RANDALL/TERWIESCH/ULRICH (2007), sowie FRANKE/
SCHREIER (2008) für eine ausführliche Übersicht.
82
Vgl. FRANKE/PILLER (2004), S. 410 f.
83
Vgl. z. B. DELLAERT/STREMERSCH (2005), S. 220 und S. 225, und RANDALL/TERWIESCH/ULRICH (2007), S. 268.
84
Vgl. z. B. LYNN/HARRIS (1997), S. 604 f., und SCHREIER (2006), S. 323 f.
188 WIESEKE/HAUMANN

Diese Argumente aufgreifend, zeigen FRANKE und SCHREIER (2008) in einer aktuellen Studie,
dass ein signifikant positiver Zusammenhang zwischen den beiden Konstrukten „aesthetic
and functional fit“ und „perceived uniqueness“ auf der einen Seite und der zusätzlichen
Preisbereitschaft für ein individuelles Produkt (PB) auf der anderen Seite besteht.85 Der
Zusammenhang zwischen „perceived uniqueness“ und der zusätzlichen Preisbereitschaft wird
dabei durch die „need for uniqueness86“ eines Konsumenten (positiv) moderiert. Auf Basis
dieser Ergebnisse stellt sich jedoch abschließend die Frage, inwieweit ein positiver Zusam-
menhang zwischen der kundenindividuellen Fertigung und der Preisbereitschaft auf Produkte
beschränkt ist, die zum Ausdruck der eigenen Persönlichkeit dienen und bei denen daher die
Einzigartigkeit von großer Bedeutung ist.

Prädiktor Implikation für die Unternehmenspraxis


¾ Der positive Zusammenhang zwischen hohen irrelevanten Referenzpreisen und der Preisbe-
reitschaft der Konsumenten impliziert, dass Unternehmen ihre günstigeren Produkte in ei-
nem hochpreisigen Umfeld positionieren sollten. Hierbei wird der Spillover-Effekt durch die
Irrelevante exter-
Ähnlichkeit zwischen Referenzprodukt und Zielprodukt verstärkt.
ne Referenzpreise
¾ Ferner besteht die Möglichkeit über eine line extension um ein hochpreisiges „Luxus-“
Produkt, das optimale Referenzprodukt für niedrigpreisigere Produkte zu schaffen. Überdies
werten diese Produkte auch das Markenimage insgesamt auf.
¾ Wie die empirische Forschung zeigt, wirkt sich sowohl die Häufigkeit von Sonderpreisakti-
Sonderpreis- onen wie auch (mittelbar) die Rabatthöhe negativ auf die Preisbereitschaft von Konsumenten
aktionen aus. Dies aufgreifend, ist die Vorteilhaftigkeit einer „every day low price“-Strategie, wie sie
bereits bei Discountern weit verbreitet ist, zu prüfen.
¾ Die Herstellung kundenindividueller Produkte stellt ein enormes Potenzial zur Steigerung
Mass der Preisbereitschaft von Konsumenten dar. Vor dem Hintergrund von Steigerungsraten von
Customization bis zu über 100%, sollten Unternehmen prüfen inwiefern sich Produkte oder Produktkompo-
nenten kundenindividuell fertigen lassen.

Tabelle 3: Praxisimplikationen der Forschung zu unternehmensbezogenen Prädiktoren


der Preisbereitschaft

85
Vgl. FRANKE/SCHREIER (2008), S. 100 und S. 102.
86
„Need for uniqueness“ kann nach TIAN, BEARDEN und HUNTER (2001) verstanden werden als „an individual's
pursuit of differentness relative to others that is achieved through the acquisition, utilization, and disposition of
consumer goods for the purpose of developing and enhancing one's personal and social identity“; vgl. TIAN/
BEARDEN/HUNTER 2001, S. 50.
Prädiktoren der Preisbereitschaft von Kunden 189

Irrelevante Ankerpreise Æ Preisbereitschaft/Preisakzeptanz/Preispremium


KRISTENSEN/ Studie 1 & 2: Studie 1:
GÄRLING ¾ Direkte Befragung (offen) ¾ Teilnehmer in der Bedingung mit dem hohen Anker weisen eine
2000 ¾ n1 = 96, n2 = 64 im Mittel wesentlich höhere PB auf als Teilnehmer in der Be-
¾ Produktkategorie: Ge- dingung mit niedrigem Anker.
brauchsgüter Studie 2:
¾ Methodik: ANOVA, ¾ Bestätigung des Ergebnisses aus Studie 1.
ANCOVA ¾ Teilnehmer in der Bedingung mit einem hohen ersten Angebot
weisen eine signifikant höhere PB auf, als Teilnehmer in der
Bedingung mit einem niedrigen ersten Angebot.
¾ Sowohl der irrelevante Anker, als auch das erste Angebot haben
einen signifikanten Einfluss auf das Verhandlungsergebnis.
ARIELY/ ¾ BDM-Mechanismus ¾ Signifikante Korrelation zwischen der Höhe der letzten zwei
LOEWEN- ¾ n = 55 Ziffern der Sozialversicherungsnummer und der angegebenen
STEIN/ ¾ Produktkategorie: Ge- PB.
PRELEC87 brauchsgüter ¾ Die Probanden des obersten Quintils der Verteilung der letzten
2003 ¾ Methodik: Korrelation zwei Ziffern der Sozialversicherungsnummer. sind im Mittel
bereit mehr als dreimal soviel zu bezahlen wie Probanden des
untersten Quintils.
NUNES/ Studie 1, 2 & 3: Studie 1:
BOATWRIGHT ¾ BDM-Mechanismus, ¾ Probanden geben bei hohem Ankerpreis eine signifikant höhere
2004 Vickrey-Auktion & Analyse PB an, als bei einem niedrigen Ankerpreis.
von Marktdaten ¾ Nur 7% der Probanden gaben nach der Untersuchung an, dass
¾ n1 = 60, n2 = 560, n3 = 1477 der Ankerpreis sie beeinflusst haben könnte.
¾ Produktkategorie: Ge- Studie 2:
brauchsgüter & konsumtive ¾ Probanden die als letztes mit einem hohen Anker konfrontiert
Dienstleistungen wurden, haben eine signifikant höhere PB als Probanden in der
¾ Methodik: t-Test, Regressi- Kontrollgruppe.
onsanalyse Studie 3:
¾ Ein irrelevanter Anker hat einen signifikanten Effekt auf das
gezahlte Preispremium.
SIMONSON/ Studie 1: Studie 1:
DROLET88 ¾ Direkte Befragung (offen) ¾ Signifikanter Effekt des irrelevanten Ankers auf die PB.
2004 ¾ n1 = 468, n2 = 256, n3 =178 ¾ Geringerer Effekt des irrelevanten Ankers auf die PB, wenn die
¾ Produktkategorie: Ge- Probanden ihre PB begründen müssen.
brauchsgüter Studie 2:
¾ Methodik: ANOVA, Regres- ¾ Bestätigung des Effekts des irrelevanten Ankers auf die PB der
sionsanalyse Probanden.
¾ Kein signifikanter Effekt des irrelevanten Ankers auf die PB, bei
Salienz hinsichtlich der Unsicherheit beim Kauf.
Studie3:
¾ Information über den geschätzten Marktpreis hat keinen signifi-
kanten Einfluss auf den Zusammenhang zwischen irrelevantem
Anker und PB.

87
Hierbei soll nur das 1. Experiment dargestellt werden, da es sich als einziges auf die Preisbereitschaft von Kon-
sumenten bezieht.
88
Studie 4 der Autoren wird hier nicht betrachtet, da diese sich lediglich auf die „Willingness to Accept“ bezieht.
190 WIESEKE/HAUMANN

Charakteristika der empiri-


Autoren Zentrale Ergebnisse
schen Analyse
Irrelevante Ankerpreise Æ Preisbereitschaft/Preisakzeptanz/ Preispremium
KRISHNA ET. AL Studie 1: Studie 1:
2006 ¾ Direkte Befragung (offen) ¾ Positiver Zusammenhang zwischen der Verwandtschaft des
¾ n1 = 162, n2 = 197, n3 = 72 sehr hoch bepreisten Produkts und der PB für die Zielprodukt-
¾ Produktkategorie: Ge- kategorie.
brauchsgüter ¾ Positiver Zusammenhang zwischen der Kontiguität zwischen
¾ Methodik: ANOVA, Reg- dem sehr hoch bepreisten Produkt und der PB für die Zielpro-
ressionsanalyse duktkategorie.
¾ Der Effekt der Kontiguität auf die PB für die Zielproduktkate-
gorie wird vollständig durch die Zugänglichkeit des sehr hohen
Ankerpreises mediiert.
Studie 2:
¾ Signifikant positive Dreifachinteraktion zwischen Kontiguität,
Verwandtschaft und Ankerpreis impliziert, dass der Einfluss
der Verwandtschaft auf den Einfluss des Ankerpreises größer
ist bei hoher im Vgl. zu niedriger Kontiguität.
¾ Eine separate Analyse der Daten aus der Bedingung mit sehr
hohem Ankerpreis liefert einen Hinweis dafür, dass die Konti-
guität einen signifikant positiven moderierenden Einfluss auf
den Zusammenhang zwischen Verwandtschaft und PB hat.
Studie 3:
¾ Positiver direkter Effekt des (hohen vgl. mit dem moderaten)
Ankerpreises und der Verwandtschaft auf die PB.
¾ Im Gegensatz zu Studie 1 und 2 ist weder der direkte Effekt der
Kontiguität noch der Interaktionseffekt zwischen Kontiguität
und Ankerpreis signifikant.
¾ Die Ergebnisse zeigen darüber hinaus, dass der positive Effekt
der Kontiguität auf die Bedingungen bei hoher Verwandtschaft
beschränkt ist. Dies weist darauf hin, dass die Kontiguität einen
positiv moderierenden Einfluss auf den Zusammenhang zwi-
schen Verwandtschaft und PB haben kann.
Sonderpreise Æ Preisbereitschaft/Preisakzeptanz/ Preispremium

KRISHNA 1991 ¾ Direkte Befragung (offen) ¾ Signifikant negativer Zusammenhang zwischen der wahrge-
¾ n = 159 nommenen Häufigkeit von Sonderpreisaktionen und der PB
¾ Produktkategorie: Ver- (r2=-.51).
brauchsgüter ¾ Die Anzahl der Teilnehmer, deren PB dem Sonderpreis ent-
¾ Methodik: t-Test, Korrelati- spricht ist, signifikant höher bei häufigen (im Vgl. zu seltenen)
on, Regressionsanalyse Sonderpreisaktionen (28% vs. 10%).
¾ Bei regelmäßigen Sonderpreisaktionen wird deren Häufigkeit
durch die Teilnehmer exakter erinnert als bei zufälligen Son-
derpreisaktionen.
KRISHNA/JOHAR Studie 1, 2, 3 & 4: Studie 1, 2 & 3:
1996 ¾ Direkte Befragung (offen) ¾ Die wahrgenommene Häufigkeit von Sonderpreisaktionen ist
¾ n1 = 96, n2 = 60, n3 = 60, signifikant höher für Sonderpreisaktionen mit hohen im Vgl. zu
n4 = 47 Sonderpreisaktionen mit niedrigeren Rabatten.
¾ Produktkategorie: Ver- ¾ Die wahrgenommene Häufigkeit von Sonderpreisaktionen ist
brauchsgüter signifikant höher beim Einsatz von 2 Sonderpreisen (im Vgl.
¾ Methodik: ANOVA, zur Verwendung von einem Sonderpreis).
Wilcoxon-Vorzeichen- ¾ Die PB der Probanden ist signifikant, höher wenn 2 Sonder-
Rang-Test, 2-Test, Regres- preise eingesetzt werden (vgl. mit dem Einsatz eines Sonder-
sion preises.
Studie 4 (Langzeitstudie: 12 Wochen):
¾ Studie 4 bestätigt die Ergebnisse der Studien 1, 2 und 3.
Prädiktoren der Preisbereitschaft von Kunden 191

Charakteristika der empiri-


Autoren Zentrale Ergebnisse
schen Analyse
Mass Customization Æ Preisbereitschaft/Preisakzeptanz/ Preispremium

FRANKE/ Studie1,2, 3 & 4: Studie 1 & 3:


PILLER 2004 ¾ Direkte Befragung (offen), ¾ Die PB der Teilnehmer für die selbst gestaltete Uhr ist im Mittel
Vickrey-Auktion mehr als doppelt so hoch wie die PB für die Standard-Uhren.
¾ Produktkategorie: Ge- Studie 2 & 4:
brauchsgüter ¾ Kein signifikanter Unterschied zwischen der PB für individuell
¾ n1 =165, n2 = 248, n3 = 102, (aber nicht vom Teilnehmer) gestaltete Uhren und der PB für
n4 = 202 Standard-Uhren.
¾ Methodik: Entropieanalyse,
paarweiser t- Test
SCHREIER ¾ Vickrey-Auktion ¾ PB für die selbst gestalteten Produkte liegt signifikant höher als
2006 ¾ n = 185 die PB für das entsprechende Standardprodukt.
¾ Produktkategorie: Ge- ¾ PB (Handy Cover) = 207%
brauchsgüter ¾ PB (T-Shirt) = 113%
¾ Methodik: ANOVA, Korre- ¾ PB (Schal) = 106%
lation
FRANKE/ ¾ Vickrey Auktion ¾ Schwach signifikant positiver Effekt der ästhetischen und funk-
SCHREIER ¾ n = 127 tionalen Übereinstimmung auf PB.
2008 ¾ Produktkategorie: Ge- ¾ Schwach signifikant positiver Effekt der wahrgenommenen
brauchsgüter Einzigartigkeit auf PB.
¾ Methodik: Struktur- ¾ Zusammenhang zwischen der wahrgenommenen Einzigartigkeit
gleichungsmodell, multiple und PB wird durch den Wunsch nach einzigartigen Produkten
hierarchische Regression positiv moderiert.
FRANKE/ Studie 1: Studie 1:
KEINZ/ ¾ Offene Befragung mit follow 89
¾ Die PB (EZP, KI ) für kundenindividuell gefertigte Produkte
STEGER 2009 up ist höher als für segmentspezifische Produkte und Massenpro-
¾ n = 1589 dukte.
¾ Produktkategorie: Ge- ¾ Je höher die Übereinstimmung zwischen geäußerten Präferenzen
brauchsgüter und Produktmerkmalen, desto höher ist die PB (EZP, KI).
¾ Methodik: t-test, (moderier- ¾ Das Ausmaß der Einsicht in die eigenen Präferenzen sowie die
te) Regressionsanalyse Fähigkeit, seine Präferenzen zu artikulieren, moderieren positiv
Studie 2: den Zusammenhang zwischen der Übereinstimmung zwischen
¾ Offene Befragung geäußerten Präferenzen und Produktmerkmalen und der PB
¾ n = 1039 (EZP, KI).
¾ Produktkategorie: Ge- & ¾ Involvement moderiert den Zusammenhang zwischen der Über-
Verbrauchsgüter einstimmung zwischen geäußerten Präferenzen und Produkt-
¾ Methodik: t-test, Struktur- merkmalen und der PB (EZP, KI) nicht signifikant.
gleichungsmodell Studie 1:
¾ Bestätigung der Ergebnisse aus Studie 1 (exkl. Involvement).
¾ Involvement moderiert positiv den Zusammenhang zwischen der
Übereinstimmung zwischen geäußerten Präferenzen und Pro-
90
duktmerkmalen und der PB (U).

Tabelle 4: Übersicht ausgewählter Forschungsergebnisse unternehmensbezogener


Prädiktoren der Preisbereitschaft

89
EZP = Einstellung zum Produkt; KI = Kaufintention
90
PB = Preisbereitschaft kundenindividuelles Produkt - Preisbereitschaft Standardprodukt.
U = Nutzen kundenindividuelles Produkt - Nutzen Standardprodukt.
192 WIESEKE/HAUMANN

4.3 Beziehungsbezogene Prädiktoren der Preisbereitschaft


4.3.1 Kundenzufriedenheit als Treiber der Preisbereitschaft
Kundenzufriedenheit, häufig definiert als „a postconsumption evaluation dependent on
perceived quality or value, expectations, and confirmation/disconfirmation-degree (if any) of
discrepancy between actual and expected quality“91, wird in der Marketingforschung als eine
der zentralen Determinanten des Markterfolgs eines Unternehmens angesehen. So stellen
HAUSER, SIMESTER und WERNERFELT (1994, S. 330) heraus: „[…] customer satisfaction meas-
ures are an indicator of future profit […]“. KEININGHAM, MUNN und EVANS (2003, S. 37)
bestätigen diese Sichtweise durch die Feststellung: „[…] both practioners and academics have
accepted the premise that customer satisfaction results in customer behavior patterns that
positively affect business results“.

Die einhellige Meinung der Wichtigkeit der Kundenzufriedenheit ist dabei die Konsequenz
aus einer Vielzahl von Forschungsarbeiten, die die Auswirkungen der Kundenzufriedenheit
auf andere Konstrukte (hierunter auch die Preisbereitschaft) untersucht haben.92 Eine zentrale
Erkenntnis dieses Forschungszweigs ist der positive Zusammenhang zwischen der Kundenzu-
friedenheit und dem (Kapital-) Markterfolg eines Unternehmens.93 Eine mögliche Ursache für
diesen Zusammenhang könnte darin liegen, dass zufriedenere Kunden eine höhere Preisbe-
reitschaft aufweisen. Theoretisch lässt sich ein solcher Zusammenhang sowohl aus der Mik-
roökonomie wie auch aus der Equity-Theorie herleiten.94 Auf erstere bezieht sich ANDERSON
(1996). Hierbei leitet er aus der Aussage MARSHALLs (1890, S. 124), dass die Differenz zwi-
schen Preisbereitschaft und bezahltem Preis (Konsumentenrente) das ökonomische Maß für
Zufriedenheit darstellt, die Hypothese eines positiven Zusammenhangs zwischen der (kumu-
lativen) Zufriedenheit eines Konsumenten und dessen Preisakzeptanz95 ab.

HOMBURG, KOSCHATE und HOYER (2005, S. 85) hingegen wählen mit der Bezugnahme auf die
Equity-Theorie einen verhaltenswissenschaftlichen Ansatz. Kernaussage der Equity-Theorie
ist, dass Konsumenten nach Gerechtigkeit in Austauschbeziehungen im Sinne gleicher Input-
Outcome-Verhältnisse zwischen den an der Transaktion beteiligten Personen streben.96 Über-
tragen auf den hier diskutierten Zusammenhang, bedeutet dies, dass ein Konsument für ein
hohes Zufriedenheitsniveau auch bereit ist, mehr zu bezahlen, da hierdurch ein „faires“ Aus-
tauschverhältnis hergestellt wird.97

Der erste empirische Beleg für einen positiven Zusammenhang stammt, wie erwähnt, von
ANDERSON (1996). Dieser kommt bei einer regressionsanalytischen Untersuchung der Daten
des „Swedish Customer Satisfaction Barometer“98 zu dem Ergebnis, dass die Preisakzeptanz
mit steigender Zufriedenheit zunimmt.99 Dieses Ergebnis wird von WRICKE (2000) bestätigt,

91
ANDERSON (1994), S. 20.
92
Für eine Übersicht vgl. LUO/HOMBURG (2007), S. 134.
93
Vgl. ANDERSON/FORNELL/RUST (1997), S. 138 f., ANDERSON/FORNELL/MAZVANCHERY (2004), S. 177, und
GRUCA/REGO (2005), S. 120 ff.
94
Vgl. ANDERSON (1996), S. 266, und HOMBURG/KOSCHATE/HOYER (2005), S. 85.
95
hier: Der vom Konsumenten höchste akzeptierte Preis bevor dieser den Anbieter wechselt; vgl. ANDERSON
(1996), S. 265.
96
Vgl. ADAMS (1965), S. 273, und WALSTER/WALSTER/BERSCHEID (1978), S. 6 ff.
97
Vgl. HOMBURG/KOSCHATE/HOYER (2005), S. 85.
98
Vgl. FORNELL (1992).
99
Vgl. ANDERSON (1996), S. 269 f.
Prädiktoren der Preisbereitschaft von Kunden 193

der einen schwach signifikanten Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Preisto-


leranz nachweist (b=.07, p<0.1).100

Eine erste Arbeit, die den Zusammenhang auf Basis der hier verwendeten Definition der
Preisbereitschaft untersucht, stammt von HUBER, HERMANN und WRICKE (2001).101 Den Auto-
ren gelingt es hierbei anhand von Daten aus der Hotelbranche, einen positiven Zusammen-
hang zwischen Kundenzufriedenheit und Preisbereitschaft nachzuweisen.102 Neben diesem
allgemeinen Zusammenhang, analysieren HUBER, HERMANN und WRICKE (2001) auch die
funktionale Form dieses Zusammenhangs. Hierbei unterstellen sie aufbauend auf den Ergeb-
nissen der Assimilations-Kontrast-Theorie103 einen umgekehrt S-förmigen Verlauf des Zu-
sammenhangs zwischen der Kundenzufriedenheit (Abszisse) und der Preisbereitschaft (Ordi-
nate) und weisen diesen auch empirisch nach.104

Die Ergebnisse der Studie von HOMBURG, KOSCHATE und HOYER (2005, S. 89/91) bestätigen
die Ergebnisse von HUBER, HERMANN und WRICKE (2001) sowohl hinsichtlich des allgemein
positiven Zusammenhangs wie auch hinsichtlich des Funktionsverlaufs und tragen damit zur
Generalisierbarkeit des Zusammenhangs bei. Im Gegensatz zu der Vorgängerstudie leiten
HOMBURG, KOSCHATE, HOYER (2005) den umgekehrt S-förmigen Verlauf der Preisbereit-
schafts-funktion aus der „disappointment theory“ ab.105 Kernaussage der Theorie ist, dass
zusätzlich zu einem Basisnutzen der Konsequenz einer Entscheidung ein von der Differenz
zwischen erwarteter und eingetretener Konsequenz abhängender zusätzlicher positiver oder
negativer psychologischer Nutzen hinzukommt.106 Ist die Konsequenz besser als erwartet, so
ist der Zusatznutzen positiv; ist die Konsequenz hingegen schlechter als erwartet, so ist der
Zusatznutzen negativ.107 Hinsichtlich des Ausmaßes des Zusatznutzens postulieren LOOMES
und SUDGEN (1986, S. 272), dass die Höhe des (positiven/negativen) Zusatznutzens mit der
Diskrepanz zwischen Erwartungen und Konsequenzen zunimmt. Überträgt man die Erkennt-
nisse der „disappointment theory“ auf den Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit
und Preisbereitschaft, so erhält man den von HOMBURG, KOSCHATE und HOYER (2005, S. 86)
vermuteten und empirisch bestätigten umgekehrt S-förmigen Funktionsverlauf. Schließlich
zeigen Homburg, KOSCHATE und HOYER (2005) außerdem, dass der Zusammenhang zwischen
Kundenzufriedenheit und Preisbereitschaft umso stärker ist, je mehr sich das Zufriedenheits-
urteil von einem transaktionsbezogenen Urteil hin zu einem auf mehreren Erlebnissen basie-
renden Urteil entwickelt.108

100
Vgl. WRICKE (2000), S. 203.
101
Vgl. für eine identische empirische Untersuchung ADAM ET AL. (2002).
102
Vgl. HUBER/HERMANN/WRICKE (2001), S. 164 f.
103
Vgl. SHERIF/HOVLAND (1961).
104
Vgl. HUBER/HERMANN/WRICKE (2001), S. 163.
105
Vgl. BELL (1985), und LOOMES/SUDGEN (1986).
106
Vgl. LOOMES/SUDGEN (1986), 271 f.
107
Vgl. BELL (1985), S. 5.
108
Vgl. HOMBURG/KOSCHATE/HOYER (2005), S. 92.
194 WIESEKE/HAUMANN

4.3.2 Kundenloyalität als Treiber der Preisbereitschaft


Es ist intuitiv einsichtig, dass Kundenzufriedenheit eine notwendige (wenn auch nicht hinrei-
chende) Bedingung für die Loyalität von Kunden ist.109 Die Ergebnisse des vorherigen Ab-
schnitts berücksichtigend, legt dies den Schluss nahe, dass auch zwischen Kundenloyalität
und Preisbereitschaft ein positiver Zusammenhang besteht. Eine weitere konzeptuelle Erklä-
rung für einen positiven Zusammenhang zwischen der Loyalität und der Preisbereitschaft von
Konsumenten besteht darüber hinaus darin, dass loyale Konsumenten mehr auf die Produkt-
eigenschaften/-vorteile und weniger auf den Preis fokussiert sind.110

Einen ersten empirischen Hinweis für den unterstellten Zusammenhang liefern die Studien,
die einen negativen Zusammenhang zwischen der Loyalität von Konsumenten und deren
Preissensitivität nachweisen.111 KRISHNAMURTHI und PAPATLA (2003, S. 133) stellen für diesen
Forschungszweig zusammenfassend fest: „The results, to date, indicate that loyalty does in-
deed raise the price that consumers are willing to pay for a brand“.

Darüber hinaus weisen SRINIVASAN, ANDERSON und PONNAVOLU (2002, S. 47) sowie
PALMATIER, SCHEER und STEENKAMP (2007, S.191) einen positiven Zusammenhang zwischen
der Kundenloyalität und der Bereitschaft von Kunden nach, mehr für ein Produkt zu bezah-
len.

KALYANARAM und LITTLE (1994, S. 415) können überdies einen positiven Effekt zwischen der
Kundenloyalität und der Spannweite akzeptabler Preise nachweisen, welches ebenfalls für
den hier unterstellten Zusammenhang spricht.

REINARTZ und KUMAR (2000) kommen hingegen zu anderen Ergebnissen. So weisen sie in
ihrer Studie nach, dass es nicht die langfristig loyalen, sondern die Kunden mit einer kurzen
Beziehung zum Anbieterunternehmen sind, die die höheren Preise zahlen.112 Dieses von den
restlichen abweichende Ergebnis mag dabei jedoch auch darauf zurückzuführen sein, dass
REINARTZ und KUMAR die tatsächlich bezahlten Preise betrachten, die sich nur bedingt für
Rückschlüsse auf die Preisbereitschaft eignen.113

109
Vgl. HOMBURG/BECKER/HENTSCHEL (2008), S. 103.
110
Vgl. z. B. KALYANARAM/LITTLE (1994), S. 409, und SRINIVASAN/ANDERSON/PONNAVOLU (2002), S. 45.
111
Vgl. z. B. KRISHNAMURTHI/RAJ (1991), S. 178 ff., und WERNERFELT (1991), S. 239.
112
Vgl. REINARTZ/KUMAR (2000), S. 28.
113
Vgl. SKIERA/REVENSTORFF (1999), S. 224.
Prädiktoren der Preisbereitschaft von Kunden 195

Prädiktor Implikation für die Unternehmenspraxis


¾ Die Funktion zwischen Kundenzufriedenheit und der Preisbereitschaft verläuft umgekehrt S-
Kunden-
förmig. Dies impliziert, dass Unternehmen die Preisbereitschaft ihrer zufriedenen Kunden
zufriedenheit
durch eine nur geringe Zufriedenheitssteigerung beträchtlich erhöhen können.
¾ Kundenloyalität gegenüber dem Unternehmen als auch gegenüber dem Vertriebsmitarbeiter
haben einen positiven Einfluss auf die Bereitschaft von Kunden ein Preispremium zu zahlen.
Hierbei impliziert der positive Effekt der Loyalität zum Mitarbeiter, dass Unternehmen der
Kundenloyalität Bindung erfolgreicher Vertriebsmitarbeiter hohes Gewicht beimessen sollten. Da zwischen-
menschliche Bindungen häufig stärkere und nachhaltige Effekte erzielen als Beziehungen
zwischen Kunden und Unternehmen, sollte (insbesondere im B2B-Kontext) der Kontakt der
Vertriebsmitarbeiter mit den Kunden gefördert werden.
¾ Kunden, die sich mit dem Unternehmen identifizieren, sind häufig bereit, höhere Preise zu
zahlen. Da Kundenidentifikation (anders als Kundenzufriedenheit) darüber hinaus dazu bei-
Kunden-
tragen kann, dass Kunden Mängel und Fehler des Produkts bzw. im Dienstleistungs-
identifikation
erstellungsprozess eher akzeptieren ohne abzuwandern, sollte dem Aufbau von Kundeniden-
(vgl. S. 25)
tifikation (z. B. durch Brand-Communities und Events) stärkere Bedeutung in der Unter-
nehmenspraxis zukommen.

Tabelle 5: Praxisimplikationen der Forschung zu beziehungsbezogenen Prädiktoren


der Preisbereitschaft

Charakteristika der empiri-


Autoren Zentrale Ergebnisse
schen Analyse
Kundenzufriedenheit Æ Preisbereitschaft/Preisakzeptanz/ Preispremium
ANDERSON ¾ Direkte Befragung/ Daten ¾ Signifikant positiver Zusammenhang zwischen Kundenzufrie-
1996 des schwedischen Kunden- denheit und Preistoleranz (PT).
zufriedenheitsindex (vgl. ¾ Ein Zufriedenheitsanstieg um 1% impliziert einen Anstieg der
Fornell 1992) PT um 0,6%.
¾ n = 475 ¾ Es besteht ein schwach signifikant positiver Zusammenhang
¾ Produktkategorie: Ge- & zwischen der Marktkonzentration in einer Branche und der PT
Verbrauchsgüter der Kunden.
¾ Methodik: Regressionsanaly- ¾ Der Zusammenhang zwischen Marktkonzentration und PT
se deutet darauf hin, dass ein negativer Zusammenhang zwischen
der Wettbewerbsintensität und der PT bestehen kann.
HUBER/ ¾ Indirekte Befragung/ ¾ Signifikant positiver Zusammenhang zwischen Kundenzufrie-
HERRMANN/ Conjoint-Analyse denheit und PB.
WRICKE 2001 ¾ n = 378 ¾ Umgekehrt S-förmiger Funktionsverlauf der PB in Abhängigkeit
¾ Produktkategorie: konsumti- der Kundenzufriedenheit wird bestätigt.
ve Dienstleistung
¾ Methodik: (Nichtlin.) Reg-
ressionsanalyse
196 WIESEKE/HAUMANN

HOMBURG/ Studie 1: Studie 1/2:


KOSCHATE/ ¾ Experiment/Direkte Befra- ¾ Signifikant positiver Zusammenhang zwischen Kundenzufrie-
HOYER 2005 gung (offen), BDM- denheit und PB.
Mechanismus ¾ Umgekehrt S-förmiger Funktionsverlauf der PB in Abhängigkeit
¾ n1 = 80, n1 = 157 der Kundenzufriedenheit wird in beiden Studien nachgewiesen.
¾ Produktkategorie: konsumti- Studie 2:
ve Dienstleistung & Ge- ƒ Der nichtlineare Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit
brauchsgüter und PB wird mit der Anzahl positiver Erlebnisse stärke.
¾ Methodik: Regression
Æ Preisbereitschaft/Preisakzeptanz/ Preispremium
KundenloyalitätÆ
KALYNARAM/ ¾ Marktdaten ¾ Existenz des Preisakzeptanzbereichs wird bestätigt.
LITTLE 1994 ¾ n (Produkt 1) = 3828 (Käu- ¾ Positiver Zusammenhang zwischen der Markenloyalität und der
fe) Größe der Preisakzeptanzspanne.
¾ n (Produkt 2) =2562 (Käufe) ¾ Positiver Zusammenhang zwischen dem Referenzpreisniveau
¾ Produktkategorie: Ver- und der Größe der Preisakzeptanzspanne.
brauchsgüter ¾ Negativer Effekt der Kauffrequenz auf die Größe der Preisak-
¾ Methodik: Logistische zeptanzspanne.
Regression
SRINIVASAN/ ¾ Direkte Befragung (ge- ¾ Signifikant positiver Effekt von E-Loyalty auf die Bereitschaft
ANDERSON/ schlossen) einen höheren Preis zu bezahlen.
PONNAVOLU ¾ n = 1211 ¾ Signifikant positiver Effekt von E-Loyalty auf das Weiteremp-
2002112 ¾ Produkte: keine Angaben fehlungsverhalten von Kunden.
(Kunden von Onlineanbie- ¾ Schwach signifikant negativer Effekt von E-Loyalty auf die
tern und -shops) Intensität der Suche nach Alternativen.
¾ Methodik: Regressionsanaly-
se
KundenloyalitätÆ Preisbereitschaft/Preisakzeptanz/ Preispremium
PALMATIER/ ¾ Schriftliche Befragung ¾ Loyalität gegenüber dem Anbieterunternehmen hat einen signi-
SCHEER/ ¾ n =362 fikant positiven Effekt auf die Bereitschaft der Kunden, ein
STEENKAMP ¾ Produkt: Investitionsgüter Preispremium im Vergleich zum Wettbewerb zu zahlen.
2007114 ¾ Methodik: Struktur- ¾ Loyalität gegenüber dem Vertriebsmitarbeiter hat ebenfalls
gleichungsmodell einen signifikant positiven Effekt auf die Bereitschaft der Kun-
den, ein Preispremium im Vergleich zum Wettbewerb zu zahlen.
KundenidentifikationÆ Preisbereitschaft/Preisakzeptanz/ Preispremium

HOMBURG/ ¾ Direkte Befragung (ge- Analyse 1:


WIESEKE/ schlossen) ¾ Signifikant positiver Effekt der Identifikation eines Kunden mit
HOYER ¾ n (Mitarbeiter) = 258 einer Firma und der PB.
2009115 ¾ n (Kunden) = 597 Analyse 2:
¾ Produktkategorie: konsumti- ¾ Signifikant positiver Effekt der PB auf den finanziellen Erfolg
ve Dienstleistung einer Firma.
¾ Methodik: Mehrebenregres-
sion (Analyse 1), OLS-
Regression (Analyse 2)

Tabelle 6: Übersicht ausgewählter Forschungsergebnisse beziehungsbezogener Prädi-


ktoren der Preisbereitschaft

114
Hier wird lediglich der Teil des Modells betrachtet, der sich mit den Konsequenzen der Kundenloyalität befasst.
115
Hier wird lediglich der Teil des Modells betrachtet, der sich auf die Preisbereitschaft bezieht.
Prädiktoren der Preisbereitschaft von Kunden 197

4.4 Fazit und Ausblick


Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Preisbereitschaft der Kunden eine für den
finanziellen Erfolg eines Unternehmens zentrale Variable darstellt.116 Hierbei ist neben der
Kenntnis der Höhe der Preisbereitschaft (z. B. im Rahmen der Produktbündelung)117, die
Identifikation der Treiber der Preisbereitschaft von herausgehobener Bedeutung für die be-
triebswirtschaftliche Forschung als auch für die Unternehmenspraxis.118

Vor diesem Hintergrund ist es erstaunlich, dass – obwohl einige Untersuchungen zu konsum-
entenbezogenen, unternehmensbezogenen und beziehungsbezogenen Prädiktoren der Preisbe-
reitschaft von Kunden vorliegen – Studien zu bedeutenden Forschungsfeldern bisher fehlen.
Insbesondere sind hier die Identifikation marktbezogener sowie (vertriebs-) mitarbeiterbezo-
gener Prädiktoren der Preisbereitschaft zu nennen (vgl. auch Abbildung 2).

Hinsichtlich der markbezogenen Prädiktoren der Preisbereitschaft sind als potenziell zu iden-
tifizieren Einflussfaktoren bspw. die Höhe der Wechselkosten oder die Anzahl verfügbarer
Alternativprodukte zu sehen. So finden CHAN, KADIYALI und PARK (2007, S. 332) im Rahmen
einer Untersuchung von Online-Auktionen, einen positiven Zusammenhang zwischen der
Anzahl gleicher offerierter Produkte auf der Online Plattform und der Preisbereitschaft.

Betrachtet man die Frage, wie Mitarbeiter die Preisbereitschaft von Kunden beeinflussen
können, so stellen Verkaufstechniken wie das adaptive Verkaufsverhalten oder aber auch die
Fähigkeit, die Bedürfnisse des Kunden im Verkaufsgesprächs zu erkennen, mögliche Prädik-
toren dar. So zeigen bspw. HOMBURG, WIESEKE und BORNEMANN (2009, S. 73) in einer aktuel-
len Studie, dass sich die Fähigkeit eines Vertriebsmitarbeiters, die Bedürfnisse seines Kunden
akkurat einzuschätzen, positiv auf dessen Preisbereitschaft für eine Dienstleistung auswirkt.

Forschungsbedarf besteht jedoch nicht nur hinsichtlich dieser bisher (bis auf die genannten
Ausnahmen) völlig vernachlässigten Forschungsgebiete, sondern auch hinsichtlich der in
diesem Beitrag identifizierten Forschungszweige. So bedarf es bspw. hinsichtlich der kon-
sumentenbezogenen Prädiktoren der Klärung der widersprüchlichen Ergebnisse der Untersu-
chungen zum Einfluss des Involvements auf die Preisbereitschaft der Kunden. Ein gangbarer
Weg wäre hier die Aufnahme der Markenstärke oder des wahrgenommenen Kaufrisikos als
mögliche Moderatoren in das Modell.

Hinsichtlich der unternehmensbezogenen Prädiktoren der Preisbereitschaft liefert insbesonde-


re die Mass Customization Ansatzpunkte für weitere Forschungsarbeiten. So wurde in den
bisherigen Arbeiten die Kritik hinsichtlich der hohen Komplexität von Mass-Customization-
Systemen außen vor gelassen.119 Hierbei wäre es interessant zu erfahren, ob und inwieweit
die wahrgenommene Komplexität eines Mass-Customization-Systems den Zusammenhang
zwischen der kundenindividuellen Fertigung und der Preisbereitschaft negativ beeinflusst.
Darüber hinaus bietet die Fragestellung nach der Auswirkung der Innovationsintensität eines
Unternehmens auf die Preisbereitschaft ein interessantes Feld für zukünftige Forschungsar-
beiten. So kommen in einer ersten Studie SANDVIK und SANDVIK (2003, S. 366) zu dem Er-

116
Vgl. HOMBURG/WIESEKE/HOYER (2009), S. 47 f.
117
Vgl. RUST/CHUNG (2006), S. 564.
118
Vgl. HOMBURG/KOSCHATE/HOYER (2005), S. 84.
119
Vgl. HUFFMAN/KAHN (1998), S. 492, und DELLAERT/STREMERESCH (2005), S. 225.
198 WIESEKE/HAUMANN

gebnis, dass sich die Einführung neuer Produkte positiv auf ein relatives Preispremium aus-
wirkt.

Bezüglich der beziehungsbezogenen Prädiktoren der Preisbereitschaft könnte man zudem, die
Bedenken von REINARTZ und KUMAR (2000) aufgreifend, der Frage nachgehen, inwieweit sich
der positive Effekt der Kundenzufriedenheit auf die Preisbereitschaft von dem der Kundenlo-
yalität unterscheidet oder ob die Messung des letzteren Effekts lediglich die Konsequenz
daraus ist, dass die Kundenzufriedenheit eine notwendige Bedingung für die Loyalität von
Kunden darstellt. Überdies ist zu klären, ob und inwieweit sich andere beziehungsbezogene
Konstrukte positiv auf die Preisbereitschaft auswirken. So weisen HOMBURG, WIESEKE und
HOYER (2009, S. 47) in einer aktuellen Studie einen positiven Zusammenhang zwischen der
Identifikation der Kunden mit dem Anbieterunternehmen und deren Preisbereitschaft nach.
CHAN, KADIYALI und PARK (2007, S. 330) zeigen in der bereits erwähnten Untersuchung über-
dies, dass sich eine positive Reputation des Anbieters positiv auf die Preisbereitschaft von
Konsumenten bei Online-Auktionen auswirkt.

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Dritter Teil

Service Management als Erfolgsfaktor


Service als Erfolgsfaktor in der TIME-Branche

BERNHARD HOGENSCHURZ, FRANK KEUPER und ARNE KOCH

Deutsche Telekom, Steinbeis-Hochschule Berlin


und Technische Universität Braunschweig

1 Einleitung....................................................................................................................... 211
2 TIME-Branche............................................................................................................... 212
2.1 Marktseitige Charakteristika und Herausforderungen ......................................... 212
2.2 Produktseitige Charakteristika und Herausforderungen....................................... 214
3 Schlussfolgerungen – Unsicherheit und Variety Seeking .............................................. 216
3.1 Unsicherheit ......................................................................................................... 216
3.2 Variety Seeking.................................................................................................... 217
4 Erfolgsfaktorentheorie ................................................................................................... 217
4.1 Kosten .................................................................................................................. 219
4.2 Zeit ....................................................................................................................... 219
4.3 Qualität................................................................................................................. 220
5 Service in der TIME-Branche........................................................................................ 221
5.1 Service als Schlüssel zum Erfolg ......................................................................... 221
5.1.1 Erlebniswelten ......................................................................................... 222
5.1.2 Digitale Erlebniswelten der TIME-Branche ............................................ 223
5.1.3 Flagshipstores .......................................................................................... 224
5.2 Wandel vom Konsumenten zum Prosumenten .................................................... 226
6 Fazit ............................................................................................................................... 227
Quellenverzeichnis................................................................................................................ 228
Service als Erfolgsfaktor in der TIME-Branche 211

1 Einleitung

Gegenwärtig ist ein starker Trend zu beobachten, weg von preisaggressiven Werbeslogans, wie
z. B. „Geiz ist geil!“1, der häufig bereits zur Beschreibung der in der Gesellschaft vorherr-
schenden Spar-Mentalität galt. Aktuell wird der Fokus auf den Bereich Service als Zusatzleis-
tung mit höchstmöglicher Qualität gelegt. Slogans wie „Bei uns fühlt sich der Kunde noch
wie König“2, oder der Auftritt der Deutschen Telekom als Service-Unternehmen, das sich klar
vom aggressiven Preiskampf innerhalb der Telekommunikations-, Informationstechnologie-,
Medien- und Entertainment-Branche (TIME-Branche) distanziert.

Der wirtschafts- und gesellschaftspolitische Wandel von einer reinen Industrie- zu einer inte-
grierten Informations- und Dienstleistungsgesellschaft führte zu einer Verschmelzung von der
„Old Economy“ und der „New Economy“ mit dem Ergebnis einer so genannten „Converged
Economy“. Die Hauptantriebskräfte dieser entstandenen integrierten Informations-, Dienstleis-
tungs- und Industriegesellschaft bilden hierbei die digitalen Erlebniswelten E-Business, M-
Business und T-Business. Die Deregulierung und Liberalisierung im Telekommunikations-
sektor auf der einen und die zunehmende Digitalisierung und Leistungssteigerung in der Ent-
wicklung von Speicher- und Datenübertragungstechnologien auf der anderen Seite führte
insbesondere zu einer Konvergenz innerhalb der TIME-Branche, mit dem Ergebnis der Mul-
timedia-Branche. Diese Entwicklung wurde parallel verstärkt durch das Wachsen einer so
genannten Multi-Options-Gesellschaft, mit einer heterogen-hybriden Nachfragestruktur.3

In der ökonomischen Realität stehen die Unternehmen vor verschiedenen Herausforderungen


insbesondere vor dem Hintergrund nahezu vollständig gesättigter Märkte und einem sich stän-
dig wandelnden Nachfrage-Verhalten. Der vorliegende Beitrag verfolgt das Ziel, zunächst einen
kurzen Überblick zur TIME-Branche und der mit ihr eng verknüpften bzw. einhergehenden
Konvergenz zu geben. Der Markt auf der einen und das Produkt auf der anderen Seite sind
Quellen vielfältiger Herausforderungen für Unternehmen der TIME-Branche. Im Folgenden
werden diese gesondert betrachtet und aus der Betrachtung Implikationen und Schlussfolge-
rungen abgeleitet. Nach einer Einführung in die allgemeine Erfolgsfaktorentheorie anhand
des strategischen Erfolgsfaktorendreiecks (Kosten, Qualität und Zeit) erfolgt dann eine Ei-
nordnung des Service als zentrale Ausprägung des Erfolgsfaktors Qualität in der TIME-
Branche. Hierzu werden des Weiteren Entwicklungen bzw. Tendenzen auf der Anbieterseite
in Form der Schaffung von Erlebniswelten oder dem Angebot von Flagshipstores und dem
Wandel auf Konsumentenseite hin zum Prosumenten näher beleuchtet.4

1
Durch die Hamburger Werbeagentur Jung von Matt 2003 geprägter Werbeslogan für die Einzelhandelskette
Saturn. Der Slogan ist mittlerweile nicht mehr in Gebrauch.
2
Werbespruch von Euronics.
3
Vgl. KEUPER (2004), S. VII.
4
Vgl. KEUPER ET AL. (2009).

F. Keuper, B. Hogenschurz (Hrsg.), Professionelles Sales & Service Management,


DOI 10.1007/978-3-8349-8799-0_9,
© Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
212 HOGENSCHURZ/KEUPER/KOCH

2 TIME-Branche

Die Unternehmen der TIME-Branche5 unterliegen bereits seit Anfang der 90er Jahre einem
starken Trend der leistungsbezogenen Kooperation über die Unternehmensgrenzen hinaus.6
Die Kooperationen bedingen eine Vielzahl von Verknüpfungen, die bisherige Branchengrenzen
verschwimmen und Multimedia-Wertschöpfungs-Netzwerke entstehen lassen.7 Eine Ver-
schmelzung von Märkten bedingt durch das strategische Verhalten von Unternehmen inner-
halb der Märkte, wird dabei als Märktekonvergenz bezeichnet.8

Allgemein bezeichnet Konvergenz jedoch die Übereinstimmung von Meinungen und Merk-
malen bei genetisch verschiedenen Lebewesen, das „Nach-Innen-Schielen“ der Augen, das
rechnerische Annähern an einen Grenzwert oder auch das Sich-Schneiden von Lichtstrahlen.9
Wirtschaftlich betrachtet beschreibt Konvergenz allerdings „die interaktionistische Beziehung
zwischen Wettbewerbsstruktur und der Unternehm[en]sgesamt[…]strategie, welche zu einer
Verbindung, Verschmelzung bzw. Annäherung bislang getrennter Märkte führt“10. Diese markt-
seitige Verschmelzung geht dabei automatisch mit einer produktseitigen Verschmelzung des
Angebots-Portfolios der Unternehmen einher, das wiederrum eine marktseitige Verschmel-
zung verlangt. BRÖSEL und KEUPER definieren dies als Konvergenz-Dilemma („zu entwi-
ckelnde konvergente Produkte konvergieren Märkte, konvergierende Märkte bedingen kon-
vergente Produkte“11). Dieser Ansicht folgend wird in den folgenden Kapiteln unterstellt,
dass die Unternehmen der TIME-Branche sowohl einem marktseitigen als auch einem pro-
duktseitigen Konvergenztrend unterliegen, der die TIME-Branche einerseits charakterisiert
und andererseits vor neue Herausforderungen stellt.

2.1 Marktseitige Charakteristika und Herausforderungen


Wird ausschließlich die marktseitige Konvergenz der TIME-Branche beleuchtet, so resultiert
daraus eine starke Kopplung der verschiedenen Wertschöpfungsketten,12 wie Abbildung 1 am
Beispiel der Wertschöpfungsketten eines Medien-Unternehmens und eines Informationstechno-
logie-Unternehmens deutlich macht.

5
Vgl. BRÖSEL/KEUPER (2004), S.VIII.
6
Vgl. HANS (2006), S. 1.
7
Vgl. KEUPER/HANS (2003), S. 56 ff.
8
Vgl. HANS (2006), S. 1.
9
Vgl. DUDEN (2007), S. 998.
10
BRÖSEL/KEUPER (2006), S.VIII.
11
BRÖSEL/KEUPER (2004), S. VIII.
12
Vgl. HANS (2006), S.108.
Service als Erfolgsfaktor in der TIME-Branche 213

Konventionelle Kopplung
Mögliche, neue Kopplung
Wertschöpfungskette des Informationstechnologiesektors

Entwicklung/ Entwicklung/ Entwicklung/


Hersterllung Hertsellung Hertsellung
Hardware Betriebssystem- Anwendungs-
Produkte Software software
Vertrieb,
Kunden-
Beratung,
service
Schulung
Entwicklung/
Entwicklung/Herstellung Herstellung
Peripherie-Geräte und Software Nachrüst-
komponenten

Informations- Inhalte-
beschaffung erstellung Distribution,
Druck- Verviel- Kunden-
Vertrieb,
vorbereitung fältigung service
Marketing
Anzeigen- Inhalte-
marketing erstellung

Wertschöpfungskette des Mediensektors am Beispiel des Teilsektors Print

Abbildung 1: Konventionelle und mögliche neue Kopplungen der Wertschöpfungsketten


von Unternehmen der TIME-Branche13

Kopplungen von Wertschöpfungsketten erfordern in erster Linie eine Kooperation von Un-
ternehmen über die Branchen-Grenzen hinaus. Diese Kooperation wird realisiert durch einen
entsprechenden Kooperationsvertrag, der Informations-Asymmetrien mangels Know-how
verursachen kann. Informations-Asymmetrien bilden die Grundlage opportunistischen Han-
delns für den Fall, dass die Asymmetrien von einem der Vertragspartner erkannt werden.14
Darauf aufbauend lässt sich konstatieren, dass Unternehmen der TIME-Branche zur nachhal-
tig erfolgreichen Teilnahme an Wertschöpfungs-Netzwerken eine ausreichende Informations-
versorgung sicherstellen müssen, die die Basis der Planung, Steuerung und Kontrolle der eige-
nen Kooperationen und der Beziehungen zwischen zwei externen Kooperationspartnern bildet.15

Ein zweites typisches Charakteristikum der TIME-Branche, das aufgrund der marktseitigen
Konvergenz entsteht, ist die Abnahme der Kundenloyalität begründet durch die erleichterte
Informationsbeschaffung über Branchengrenzen hinweg und die zunehmende produktseitige
Funktionsintegration und -angleichung, die auf eine Zusammenfassung ökonomischer Nach-
frage auf bisher separierten Märkten führt.16 Beispielsweise kann ein Konsument, der einen
MP3-Player (als Produkt der Medienbranche) kaufen möchte, durch einen „Click“ im Internet
(Inhalte ebenfalls als Produkt der Medien-Branche) Informationen über ein Telefon (als Pro-
dukt der Telekommunikations-Branche) generieren, dass wiederrum die Funktion eines MP3-
Players enthält, und somit ein konvergiertes Produkt auf einem konvergierenden Markt dar-

13
Darstellung der Wertschöpfungsketten in Anlehnung an ZERDICK ET AL. (2001), S. 62., und S. 136.
14
Vgl. BREUER/BREUER (2008), S. 111.
15
Vgl. HANS (2006), S. 2.
16
Vgl. KEUPER (2001b), S. 393.
214 HOGENSCHURZ/KEUPER/KOCH

stellt.17 In letzter Konsequenz folgt aus dieser Betrachtung, dass Unternehmen der TIME-
Branche neue Alleinstellungsmerkmale identifizieren müssen, die über die eigentlichen
tangiblen und audio-visuellen Eigenschaften des Produkts hinausgehen. Denkbar wären an
dieser Stelle eine Verbesserung und Individualisierung der Kundenbetreuung und des After
Sales Management sowie eine allgemeine Optimierung des Service Management.

2.2 Produktseitige Charakteristika und Herausforderungen


Wird ausschließlich produktseitige Konvergenz betrachtet, so ist darin die Verschmelzung der
Funktionen von Produkten bzw. die oben beschriebene, verstärkte Funktionsintegration und
die damit einhergehende Konvergenz des strategischen Produkt-Portfolios der Kooperations-
partner subsummiert, die als Ziel die Kombination komplementärer Leistungen zur Erzeugung
eines gemeinsamen Systemprodukts verfolgen.18 Dies impliziert auch eine relative Erhöhung
der Variantenvielfalt und damit auch eine Erhöhung der varianteninduzierten Komplexität.19
Als eine Herausforderung aus diesen Bedingungen an Unternehmen der TIME-Branche resul-
tiert die ständige strategische Neuauslegung und Optimierung des eigenen Produkt-Portfolios
sowie ein zuverlässiges Variantenmanagement.

Als eine zweite Konsequenz aus der Erhöhung der Variantenvielfalt folgt außerdem eine
Verminderung der Absatzmenge pro Variante.20 Da die durch Rüstzeiten sowie Einzelferti-
gung beeinflussten Fixkosten ein Minimum nicht unterschreiten können, bedeutet dies auch
eine relative Erhöhung der Stückkosten. Dies führt entweder zu steigenden Marktpreisen21,
die sich auf einem Markt mit hoher Konkurrenz und geringen Markteintrittsbarrieren beson-
ders negativ auswirken können, oder einer Veränderung respektive Anpassung der Vertriebs-
bzw. Marketingstrategie. Als Beispiel hierfür sei ein Hersteller von Druckern und Druckzu-
behör genannt. Durch die zunehmende Vielfalt an Druckern, beispielsweise Laser, Tinten-
strahl, mit Cardreader, mit Kopierfunktion, mit integriertem Fax, etc. sinken die Absatzzahlen
einzelner Varianten. Dies führt dazu, dass durch die Verkaufspreise die Deckungsbeiträge
häufig nicht erreicht werden, um potenzielle Kunden nicht über zu hohe Einstiegpreise abzu-
schrecken. Der eigentliche Gewinn wird anschließend mit dem Vertrieb des Zubehörs erzielt,
zum Beispiel mit dem Verkauf von Druckertinte.

Durch die Konvergenz von Produkten auf konvergierenden Märkten erklärt sich auch die
verhältnismäßige Verkürzung der Time-to-Market und damit sowohl der technischen Innova-
tionszyklen als auch des Produktlebenszyklus insgesamt. Dies begründet sich in erster Linie
durch die konvergierende Nachfrage der Konsumenten,22 durch die innerhalb kürzester Zeit
ein neuer Bedarf entsteht,23 der durch eine Funktionsintegration in ein bestehendes Produkt
gedeckt werden kann. Dadurch sind Unternehmen gezwungen, sowohl bestehende bzw. be-
reits angebotene Funktionen und Dienstleistungen zu optimieren als auch neue Funktionen

17
Beispiel des Mobiltelefons mit MP3-Player und Internetfunktion etc. Vgl. BRÖSEL/KEUPER (2006), S. VIII.
18
Vgl. THIELMANN (2000), S. 9, WIRTZ (2000), S. 5, und HANS (2006), S. 110.
19
Vgl. KEUPER (1999), S. 1 f.
20
Vgl. KEUPER (1999), S. 2.
21
Vgl. hierzu die Grundlagen der Deckungsbeitragsrechnung, in GREVE (2001), S. 87 ff., ZIEGENBEIN (2004),
S. 461 ff., und HORVATH (2009), S. 417 ff.
22
Vgl. HANS (2006), S. 119 ff.
23
Vgl. KRIEB (2001), S. 62 ff.
Service als Erfolgsfaktor in der TIME-Branche 215

und Dienstleistungen permanent hinzuzufügen. Dies erfordert einerseits ein ausgewogenes


und zeitoptimales Innovationsmanagement und andererseits ein hinreichendes Qualitätsma-
nagement.

Steigende
Anzahl an
Kooperationen

Sinkende Steigende
Kundenloyalität Variantenanzahl

Kürzer
werdende Sinkende
Produktlebens- Absatzmengen
pro Variante
zyklen

Abbildung 2: Herausforderungen an Unternehmen der TIME-Branche

Die bisher genannten Aspekte der Konvergenz und die aus ihnen entstehenden Herausforde-
rungen für Unternehmen sind in Abbildung 2 zusammengefasst dargestellt.
216 HOGENSCHURZ/KEUPER/KOCH

3 Schlussfolgerungen – Unsicherheit und Variety Seeking

Aus den im vorangegangenen Kapitel dargestellten Charakteristika der TIME-Branche ent-


stehen zwei Aspekte, denen die TIME-Branche zusätzlich unterliegt. Diese sind Unsicherheit
und Variety Seeking.

3.1 Unsicherheit
Die meisten betriebswirtschaftlichen Entscheidungsmodelle vereinfachen die Realität, indem
Sie von geschlossenen Entscheidungsfeldern ausgehen.24 Realiter ist die betriebliche Entschei-
dungsfindung aber gerade durch Unsicherheit geprägt. Unsicherheit beschreibt das nicht sichere
Eintreten eines Ereignisses oder die Veränderung eines Zustands und wird durch Wahrschein-
lichkeitsfunktionen visualisiert.25 Sie entsteht immer aufgrund von Informations-Asymmetrien
bzw. unvollkommenen Informationen und existiert sowohl auf Seiten der Unternehmen als
auch auf Seiten der Kunden.

Seitens des Unternehmens besteht in erster Linie Unsicherheit über die Entwicklung und den
Erfolg von Kooperationen jeglicher Art. Dieser Aspekt wird durch die in Kapitel 2.1 be-
schriebene, steigende Anzahl strategischer Kooperationen verstärkt und beeinflusst maßgeb-
lich die Investitionspolitik des Unternehmens. Zusätzlich wird die Investitionspolitik über Unsi-
cherheiten über die Entwicklung des Marktes beeinflusst. Da die Marktentwicklung vor dem
Hintergrund konvergierender Märkte schlecht vorherzusagen ist, ist das Unternehmen ge-
zwungen, kurzfristigen Markttrends nachzugeben und permanente, von spontanen Marktver-
änderungen nicht betroffene Alleinstellungsmerkmale zu identifizieren.

Unsicherheit auf Seiten des Kunden lässt sich in Ereignisunsicherheit und Marktunsicherheit
unterscheiden, wobei sich Marktunsicherheit weiter in Verhaltensunsicherheit und Qualitäts-
unsicherheit unterteilen lässt.26 Ereignisunsicherheit beschreibt die Unsicherheit über die
Veränderung von Umweltzuständen im Allgemeinen. Marktunsicherheit beinhaltet dagegen
speziell die Unsicherheit über wichtige Produktdaten der Anbieter. Hierbei umfasst die Ver-
haltensunsicherheit das Antizipieren opportunistischen Verhaltens der Anbieter gegenüber
den Nachfragen seitens der Nachfrager.27 Qualitätsunsicherheit bezieht sich darüber hinaus
auf die nicht sicher im Voraus zu beurteilende, tatsächliche Qualität der Produkte der ver-
schiedene Anbieter.28 Vor allem auf Märkten mit vielen Anbietern und vielen, sich ähnelnden
Produkten wird dieser Effekt durch unklare Abgrenzungen und Anhäufung von Plagiaten
verstärkt. Zur Vermeidung dieser Kundenunsicherheit auf Grund von Informationsasymmet-
rien sind neue Wege der Information des Kunden seitens des Unternehmens notwendig. Diese
Mehrinformation ist ein vom Unternehmen zu erbringender Service und kann, falls die In-
formationsversorgung über die der direkten Konkurrenten hinaus geht, als neues, permanen-
tes Alleinstellungsmerkmal betrachtet werden.

24
Vgl. HEUER/LÖHR (2003), S. 47.
25
Vgl. zur stochastischen Unsicherheit KEUPER (2001a), S. 265.
26
Vgl. HOMBURG/KROHMER (2009), S. 58 f.
27
Vgl. zur Verhaltensunsicherheit WEIBER/ADLER (1995).
28
Vgl. HOMBURG/KROHMER (2009), S. 58.
Service als Erfolgsfaktor in der TIME-Branche 217

3.2 Variety Seeking


Durch die ständig abnehmende Kundenloyalität auf konvergierenden Märkten und die per-
manente Funktionsintegration und damit Reizbildung entsteht das Variety Seeking, als eine
neue Form des Konsumentenverhaltens.29 Die Suche nach Abwechslung und Einzigartigkeit
veranlasst den Konsumenten dabei, vor allem bei Produkt-Wiederkäufen, das Produkt oder die
Marke zu wechseln. Dabei hängt die Wahrscheinlichkeit des Produktwechsels nach FOSCHT/
SWOBODA maßgeblich von folgenden Faktoren ab:

¾ Hohe Anzahl der zur Verfügung stehenden Alternativen,


¾ Kurze Wiederkaufszeit,
¾ Geringes Produkt-Involvement und
¾ Geringer wahrgenommener Unterschied zwischen den Produkten.

Der Wunsch nach Abwechslung entsteht hier vor allem durch die zu geringe Stimulierung des
Konsumenten bezogen auf ein bestimmtes Produkt.30 Daraus folgt, dass die permanente Iden-
tifizierung neuer Alleinstellungsmerkmale oder die Identifizierung eines permanenten Allein-
stellungsmerkmals dem Trend des Variety Seeking entgegenwirkt, indem es den Konsumen-
ten über einen langen Zeitraum hinweg stimuliert und somit einen echten Wettbewerbsvorteil
für Unternehmen der TIME-Branche darstellt.

4 Erfolgsfaktorentheorie

Die generischen marktorientierten strategischen Erfolgsfaktoren sind Kosten, Qualität und


Zeit. Hierbei beschreiben die Kosten  als Wirtschaftlichkeitskriterium und somit als Effizi-
enzkriterium – den bewerteten Güterverzehr der betrieblichen Leistungserbringung. Der Fak-
tor Qualität – als Effektivitätskriterium – charakterisiert in diesem Kontext die kundenseitig
erwünschte Qualität der unternehmensseitigen Leistung. Die Zeit als drittes Element im stra-
tegischen Erfolgsfaktorendreieck ist gleichzeitig Effektivitäts- und Effizienzkriterium, indem
sie einerseits die Geschwindigkeit des Prozessablaufs, und andererseits die Flexibilität eines
Unternehmens beschreibt.31

Die drei strategischen Erfolgsfaktoren werden über die vom Unternehmen verfolgte Wettbe-
werbsstrategie abgebildet und auf diesem Wege mit den Konstrukten Effektivität und Effizi-
enz, als zwei Seiten des Unternehmenserfolgs, verknüpft (siehe Abbildung 3).32 In diesem
Zusammenhang wird ein strategischer Wettbewerbsvorteil allgemeinhin definiert als eine
dem Wettbewerb überlegene Leistung, die sich aus Kundensicht auf ein wesentliches bzw.
entscheidendes Merkmal der Leistung bezieht, und vom Kunden schließlich als tatsächlich

29
Vgl. KEUPER (2004), S. 44.
30
Vgl. FOSCHT/SWOBODA (2007), S. 58.
31
Vgl. KEUPER (2004) zur näheren Einordnung und Definition der Begriffe Effektivität und Effizienz.
32
Vgl. KEUPER (2004), S. 3.
218 HOGENSCHURZ/KEUPER/KOCH

vorteilhafte Leistung eingestuft wird. Für das Unternehmen ist diese Leistung durch Dauer-
haftigkeit gekennzeichnet und somit nicht direkt imitierbar bzw. substituierbar.33

Zeit

Kunde

Kosten Qualität

Abbildung 3: Integratives Erfolgsfaktorendreieck34

Aufgrund sowohl gesellschaftlicher, kultureller als auch informations- und kommunikations-


technologischer Entwicklungen kristallisiert sich mehr und mehr eine inter- und intra-
individuelle Heterogenität des abnehmerseitigen Verhaltens heraus. Dabei ist zugleich eine
hybride Struktur des Kaufverhaltens zu beobachten.35 Die drei strategischen Erfolgsfaktoren
Kosten, Qualität und Zeit sind in diesem Zusammenhang bei der Führung und Steuerung von
Unternehmen gleichzeitig und gleichwertig von Bedeutung. Das Ziel einer strategischen Un-
ternehmensführung und -steuerung sollte demnach eine kontinuierliche Verbesserung der
Wettbewerbsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit gleichermaßen sein, wobei die Wirtschaftlich-
keit an der Effizienz sämtlicher Prozesse und die Wettbewerbsfähigkeit an ihrer Effektivität
gemessen werden kann.36

Zur Entwicklung der strategischen Erfolgsfaktorenforschung sei bemerkt, dass in den 60er
Jahren weithin eine reine voneinander losgelöste Konzentration und Orientierung auf Kosten
und Produktivität bestand. In den 70er und 80er Jahren entwickelte sich dann eine parallele
Kosten- und Qualitätsorientierung. Es ist zu erkennen, dass in der Vergangenheit die strategi-
schen Ziele eines Unternehmens als miteinander konkurrierende Ziele betrachtet wurden.
Aktuell hingegen zeichnet sich eine simultane Kosten-, Qualitäts- und Zeitorientierung ab.37
Insofern sind die strategischen Erfolgsfaktoren in der heutigen Betrachtung zu komplementä-
ren, anstatt miteinander konkurrierenden Zielen, avanciert.

33
Vgl. SIMON (1987), S. 386.
34
Vgl. KEUPER/HANS (2003), S. 73.
35
Vgl. KEUPER (2004), S. 41 ff. zur näheren Darstellung und Analyse der Nachfragestrukturveränderungen.
36
Vgl. KEUPER (2004), S 45.
37
Vgl. KEUPER (2001a), S. 12.
Service als Erfolgsfaktor in der TIME-Branche 219

4.1 Kosten
Mit diesen bereits erläuterten Evolutionsschritten der strategischen Erfolgsfaktoren begann
bereits in den 60er Jahren ein Marktwandel vom Verkäufer- zum Käufermarkt, hervorgerufen
durch weithin gesättigte Grundbedürfnisse im Bereich der Sachgüter. Auf ungesättigten
Märkten, d. h. auf Verkäufermärkten, herrscht nahezu keine Kundenorientierung und es wird
bereits mit einer Mindesteffektivität unternehmerischer Erfolg erzielt. Der Markt wird dann
ausschließlich von Seiten der Anbieter beeinflusst. Hingegen werden auf Käufermärkten Pro-
dukte und Services durch die Ansprüche der Kunden bestimmt. Es ist klar erkennbar, dass es
heutzutage darum geht, auf gesättigten Märkten die richtige Leistungsqualität zum richtigen
Zeitpunkt möglichst kostengünstig zur Verfügung zu stellen,38 um langfristig erfolgreich zu
sein.

Der strategische Erfolgsfaktor Kosten, als klassisches Kriterium der Wirtschaftlichkeit, stellt
somit auf Verkäufermärkten den ausschlaggebenden Erfolgsfaktor dar. Allgemein beschrei-
ben Kosten39 den bewerteten Güterverzehr für die betriebliche Leitungserstellung. Auf den
heutzutage vorherrschenden gesättigten Märkten haben sich die Herausforderungen für die
Unternehmen deutlich gewandelt – sie müssen wie bereits erwähnt ex ante alle drei strategi-
schen Erfolgsfaktoren erfüllen, d. h. höchste Qualität kundenorientiert, kosten- und zeiteffizi-
ent anbieten.40

4.2 Zeit
Einhergehend mit der beschriebenen größtenteils vorherrschenden Marktsättigung ist auch die
Wettbewerbsintensität gestiegen. Durch diese Dynamisierung des Wettbewerbs und der damit
einhergehenden begrenzten Produktlebenszeiten bzw. verkürzten Produktlebenszyklen sowie
einer immer stärker ausgeprägten Angleichung der Produkte (siehe Kapitel 2.1), ist eine aktu-
ell verstärkte Konzentration auf den Erfolgsfaktor Zeit zu beobachten. Es entsteht ein regel-
rechter Zeitwettbewerb41, der durch die Forderung der Konsumenten nach umgehender Erfül-
lung ihrer Bedürfnisse verschärft wird. Der strategische Erfolgsfaktor Zeit beschreibt einer-
seits die Schnelligkeit der Befriedigung der konsumentenseitigen Bedürfnisse bzw. Anfor-
derungen und andererseits die Flexibilität der Reaktion auf Veränderungen im unternehmeri-
schen Umfeld.42

Der Erfolgsfaktor Zeit kann wie bereits erwähnt nicht eindeutig als Effizienz- oder Effektivi-
tätskriterium eingestuft werden und weist somit einen hybriden Charakter auf.43 Verkürzte
Abwicklungszeiten wirken z. B. positiv auf die Qualität einer Leistung ein und steigern in
der Konsequenz die Effektivität eines Systems, gleichzeitig wird aufgrund verkürzter Ab-
wicklungszeiten i. a. der Mitteleinsatz in Systemen reduziert, woraus wiederum eine Kosten-
reduktion und damit eine gesteigerte Effizienz des Systems, resultiert. An dieser Stelle wird

38
Vgl. ROLLBERG (1996), S. 10 f.
39
Vgl. LAYER (1967), S. 21 ff. für eine genaue Einordnung und Definition des Kostenbegriffs.
40
Vgl. KEUPER (2001a), S. 13.
41
Vgl. KEUPER (2001a), S. 129 ff. zur näheren Betrachtung des Time-based Management.
42
Vgl. BOGASCHEWSKY/ROLLBERG (1998), S. 10, und KEUPER (1999), S. 132.
43
Vgl. BOGASCHEWSKY/ROLLBERG (1998), S. 10, und KEUPER (1999), S. 132.
220 HOGENSCHURZ/KEUPER/KOCH

erkennbar, dass Effektivität auf eine marktorientierte Zweckmäßigkeit und Effizienz auf den
Mitteleinsatz abzielt.44

4.3 Qualität
Qualität als bereits eingeordnetes Effektivitätskriterium hat als strategischer Erfolgsfaktor
zum Ziel, die richtige vom Kunden gewünschte anstatt einer maximal möglichen Qualität zu
bieten, weil lediglich die vom Kunden akzeptierte und schließlich wahrgenommene Qualität
ausschlaggebend ist für den Erfolg. Die unternehmerische Strategie einer Qualitätsführer-
schaft stellt in diesem Zusammenhang eine Möglichkeit dar, eine positive Abgrenzung vom
Wettbewerb zu erzielen und somit eine Abwendung vom Preiskampf zu erreichen. 45 Dement-
sprechend erfolgt die Abgrenzung zur Konkurrenz auf Qualitäts- anstatt auf Preis-Ebene. Studi-
en (u. a. die Profit-Impact-of-Market-Strategies (PIMS)-Studie vom Strategic Planning Institute)
belegen, dass Unternehmen, die sich aufgrund ihrer angebotenen hohen Qualität von der
Konkurrenz abheben, sowohl einen höheren Return on Investment (ROI) als auch einen höhe-
ren Return on Sales (ROS) erzielen.46

Der Faktor Qualität wird allgemein definiert, als die Fähigkeit eines Unternehmens, seine
internen und externen Kunden (kundenorientierte Betrachtung) auf den folgenden Ebenen
kontinuierlich, individuell, vollständig und dauerhaft zu befriedigen:

¾ Produkt,
¾ Prozess,
¾ Service,
¾ Kontakt und Kommunikation.47

Qualität ist daher ein multidimensionaler strategischer Erfolgsfaktor,48 und es werden beim
ganzheitlichen Qualitätsbegriff technisch-funktionale und zusätzlich subjektiv wahrgenom-
mene, Zusatznutzen stiftende Eigenschaften beachtet.49 Diese kundenorientierte Qualitätsbe-
trachtung ist eng verknüpft mit der Kundenzufriedenheit, d. h. Qualität ergibt sich aus der
Differenz der kundenseitigen Anforderungen und der anbieterseitigen Erfüllung dieser Erwar-
tungen bzw. Anforderungen.50 Kundenzufriedenheit resultiert dann aus einer Erfüllung bzw.
dem Übertreffen von Konsumentenerwartungen.51 Hieraus ergibt sich Qualität als das Ergeb-
nis eines Abgleichs von Soll- und Ist-Zustand, wohingegen eine Kundenzufriedenheit oder im
negativen Fall die Unzufriedenheit sich aus der Bewertung dieses Abgleichs ergibt.52

44
Vgl. KEUPER (2001a), S. 14.
45
Vgl. KEUPER (2001a), S. 13.
46
Vgl. BUZZLE/GALE (1989), S. 91.
47
Vgl. KEUPER (2002), S. 134.
48
Vgl. PORTER (1999), S. 41. Die Begriffe Qualität und Differenzierung weisen demnach eine inhaltlich ähnliche
Ausgestaltung auf.
49
Vgl. KEUPER (2001a), S 13.
50
Vgl. BRUHN (2008), S. 39 ff.
51
Vgl. BRUHN (2008), S. 8 f.
52
Vgl. REINECKE/TOMCZAK (2006), S. 997 f.
Service als Erfolgsfaktor in der TIME-Branche 221

Kundenzufriedenheit spielt eine wichtige Rolle im Rahmen der Kundenbindung, weil zufrie-
dene Kunden eine stärkere Neigung haben, bei dem bereits bekannten und positiv bewerteten
Anbieter erneut zu kaufen bzw. einen Service in Anspruch zu nehmen. Des Weiteren können
zufriedene Kunden als Multiplikatoren durch Mund-zu-Mund-Werbung den Anbieter weiter-
empfehlen.53

5 Service in der TIME-Branche

Die marktseitigen und produktseitigen Charakteristika der TIME-Branche (siehe Kapitel 2.1
und 2.2) und die allgemeinen Entwicklungen auf diesen beiden Seiten bedingen, dass Service
insbesondere eine Möglichkeit bzw. eine zentrale Ausprägung des Erfolgsfaktors Qualität zur
Differenzierung gegenüber dem Wettbewerb darstellt und zum Alleinstellungsmerkmal wer-
den kann.

5.1 Service als Schlüssel zum Erfolg


Aktuell kann ein Anbieter auf nahezu gesättigten Märkten – ca. 80 % der Märkte sind als
gesättigt einzustufen54  mit geringen Preisdifferenzen und sich stetig angleichenden Produk-
ten der einzelnen Anbieter insbesondere in der TIME-Branche Qualitätsunterschiede und
somit Wettbewerbsvorteile kaum noch über produktspezifische Qualität erzielen. Den Kun-
den fällt es schwer die angebotenen Leistungen der verschiedenen Anbieter objektiv zu unter-
scheiden; dieses Phänomen der Angleichung der Produkte, wird vor allem durch identische
Merkmale und Designs standardisierter Massenware deutlich.55

Hier wird evident, dass das entscheidende Kriterium zur Differenzierung in den produktbe-
gleitenden Leistungen – dem Service – steckt, z. B. Finanzierungs- und Versicherungsange-
bote, Garantieleistungen, Entsorgung usw. Neben einer fachlichen Beratung vor und während
des Kaufs fällt insbesondere der intensiven Betreuung nach der Lieferung, z. B. Installation
oder Inbetriebnahme, eine wichtige Bedeutung zu.56

In der bestehenden Literatur existieren diverse Versuche den Begriff des Service zu definie-
ren, jedoch hat sich bisher keine einheitliche Betrachtung/Begriffsbestimmung durchgesetzt.
Üblicherweise stellen die Intangibilität, Intransparenz, Immaterialität, der prozessuale Charakter
der Leistungserstellung, die Individualität, das höhere Risiko bei Inanspruchnahme bzw. Kauf,
Nichtlagerfähigkeit, der Absatz vor Leistungserstellung und die problematische Quantifizie-
rung des Werts die konstitutiven Merkmale zur Beschreibung bzw. Einordnung des Begriffs
Service dar.57 BRUHN und MEFFERT definieren Dienstleistungen als „selbstständige, marktfä-
hige Leistungen, die mit der Bereitstellung und/oder dem Einsatz von Leistungsfähigkeiten

53
Vgl. HOMBURG/GIERING/HENTSCHEL (2008), S. 111.
54
Vgl. STEINBACH (1997), S. 15.
55
Vgl. STEINBACH (1997), S. 18.
56
Vgl. KEUPER (2001a), S. 103.
57
Vgl. KÜHNAPFEL (1995), S. 22 ff.
222 HOGENSCHURZ/KEUPER/KOCH

verbunden sind, interne und externe Faktoren werden im Rahmen der Leistungserstellung
kombiniert sowie die Faktorenkombination des Anbieters wird mit dem Ziel eingesetzt, kun-
dennutzenstiftende Wirkung zu erzielen“58.

Es ist deutlich zu erkennen, dass dem Service eine wesentliche Rolle zukommt, um sich von
der Konkurrenz abzugrenzen und darüber hinaus eine möglichst hohe Kundenzufriedenheit
zu erreichen und schließlich einen Wettbewerbsvorteil59 zu generieren. Den Unternehmen
steht hierbei ein breites Spektrum an Instrumenten zur Verfügung, das materielle Produkt mit
immateriellen Leistungen – Service  zu ergänzen (siehe Abbildung 4).

Zeitpunkt der
Leistung Pre-Sales-Leistung While-Sales-Leistung After-Sales-Leistung
Service-Art

Technisch ƒ technische Beratung ƒ Installation ƒ Wartung


ƒ Projektausarbeitung ƒ Montage ƒ Inspektion
ƒ Projektierung ƒ Rücknahme von Altgeräten ƒ Reparatur
ƒ Hotline
ƒ Schulungen
ƒ Ersatzteilversorgung

Kaufmännisch ƒ Produktberatung ƒ Verpackung ƒ Umtauschrecht


ƒ Werbung ƒ Zahlungsvereinbarungen ƒ Lieferservice
ƒ Marketing ƒ Telefonberatung ƒ Beschwerdetelefon
ƒ Hotline

Abbildung 4: Service-Instrumente60

5.1.1 Erlebniswelten
Ein stetiger Wertewandel in der Gesellschaft prägt das Konsumverhalten, Wahlverhalten,
Freizeitverhalten und die Orientierung im Arbeitsbereich; hieraus resultiert, dass sich die
Konsum- und Freizeitwelten der Menschen in den vergangenen Jahren stets verändert haben.
Es ist eine verstärkte Freizeit- bzw. Erlebnisorientierung und Designorientierung zu beobachten,
die sich insbesondere in den Wertorientierungen des Hedonismus (z. B. Genuss, Abenteuer,
Spannung, Abwechslung, Ausleben emotionaler Bedürfnisse) und des Individualismus (z. B.
Kreativität, Spontaneität, Selbstverwirklichung, Ungebundenheit, Eigenständigkeit)61 wieder-
finden lassen.62 2030 % der Konsumenten weisen ein hedonistisches Kaufverhalten auf. Dies
ist auf individueller Ebene durch kurzfristige und spontane Kaufentscheidungen geprägt und
führt demnach bei Aggregation zu einer heterogenen Nachfragestruktur.63 Einhergehend mit

58
BRUHN/MEFFERT (2001), S. 3.
59
Vgl. SIMON (1988), S. 464 f. zur näheren Betrachtung und Einordnung des strategischen Wettbewerbsvorteil.
60
Vgl. BRÖCHER (1997), S. 106.
61
Vgl. hierzu nähere Ausführungen der Sinus-Milieu Studien unter http://www.sinus-sociovision.de.
62
Vgl. HENNINGS (2000), S. 55 f.
63
Vgl. PILLER (2006), S. 45.
Service als Erfolgsfaktor in der TIME-Branche 223

einem gesteigerten Freizeitwert nimmt auch der verstärkte Wunsch nach einer so genannten
konsumtiven Erlebniswelt zu.64

Die Generierung eines erlebnisorientierten Kaufumfelds bietet für Unternehmen bzw. Händ-
ler insbesondere auf gesättigten Märkten eine Möglichkeit zur Differenzierung gegenüber den
Wettbewerbern. Hierbei existiert die Möglichkeit der Entwicklung erlebnisorientierter Ein-
kaufsstätten bzw. einer erlebnisorientierten Gestaltung des Verkaufsraums, d. h. es steht der
Einkaufsprozess im Vordergrund der Betrachtung und nicht das eigentliche Produkt.65

Erlebniswelten sollen beim Konsumenten eine positive Stimmung erzeugen, mit dem Ziel einer
ebenfalls positiven Rückwirkung auf das Image des Unternehmens bzw. Händlers. Um diese
Ziele zu erreichen, ist es notwendig Erlebnisse zu bieten, d. h. es müssen über die Kaufbefrie-
digung hinaus zusätzliche Motive des Kunden befriedigt werden.66 Das Einkaufsverhalten wird
neben ganz rationalen Bedürfnissen zur Befriedigung bzw. Beseitigung eines Mangels gegen-
wärtig stark von Emotionen und Erlebnissen gesteuert. Mit zunehmendem Wohlstand der
Gesellschaft, u. a. repräsentiert durch ein höheres Bildungsniveau, gestiegene Einkommen
und mehr Freizeit, steigt das Streben nach individuellen Produkten67 und Kaufmotive wie
Lust, Erregung und Neugier gewinnen immer mehr an Bedeutung. Studien belegen, dass insbe-
sondere eine angenehme Atmosphäre als Beurteilungskriterium eines Erlebniswerts herangezo-
gen wird.68 Eine Erlebnisorientierung wird somit durch eine emotionale Gestaltung des Point of
Sale (POS) erzielt, z. B. durch besondere Lichteffekte, Musik, Düfte und generell durch das
Store-Layout.69

5.1.2 Digitale Erlebniswelten der TIME-Branche


Auf dem Weg hin zu kundenbezogenen Virtualisierungs-Strategien von Unternehmen, sind die
digitalen Erlebniswelten E-Business, M-Business und T-Business zu erwähnen.

E-Business bzw. E-Commerce beinhaltet alle Formen der elektronischen Geschäftsabwicklung


über öffentliche oder private Computer-Netzwerke (z. B. das Internet).70 Somit wird unter E-
Business die Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien zur elektronischen
Integration und Verzahnung unterschiedlicher Wertschöpfungsketten und unternehmensüber-
greifender Geschäftsprozesse sowie das digitale Management von Geschäftsbeziehungen, ver-
standen.71 Der elektronische Handel in Deutschland erfuhr in den letzten Jahren ein stetiges
Wachstum. So lag 2006 der Wert der eingekauften Waren im Internet durch private Verbrau-
cher bei 46 Milliarden Euro und überstieg damit das Vorjahresniveau um 44 % bzw. 14 Mil-
liarden Euro. Bis zum Ende des Jahrzehnts wird ein stetiges Wachstum prognostiziert, so dass
Privatkunden 145 Milliarden Euro Umsatz über den elektronischen Handel abwickeln wer-
den. Ein starkes Wachstum zeigt sich ebenfalls im Business-to-Business E-Commerce. Hier

64
Vgl. KEUPER (2004), S. 44.
65
Vgl. BRUHN/HOMBURG, (2004), S. 232 f.
66
Vgl. GRUBER (2004), S. 37 f.
67
Vgl. PILLER (2006), S. 45.
68
Vgl. TROMMSDORFF (2009), S. 66 ff.
69
Vgl. BRUHN/HOMBURG, (2001), S. 194.
70
Vgl. HERMANN/SAUTER (1999), S. 14.
71
Vgl. KEUPER (2001a), S. 377.
224 HOGENSCHURZ/KEUPER/KOCH

lag der Umsatz im Jahr 2006 bei 392 Milliarden Euro und steigt bis 2010 auf 636 Milliarden
Euro an.72

Ein spezieller Teilbereich des E-Business ist das M-Business, das Transaktionen über mobile
Endgeräte wie z. B. Mobiltelefon oder Personal Digital Assistant (PDA) beinhaltet.73 Der Markt
für M-Business wird somit dadurch determiniert, inwieweit die Bevölkerung mit mobilen End-
geräten ausgestattet ist und ob sie hierbei Technologien nutzt, die hohe Potenziale für das M-
Business beinhalten. Diese Voraussetzungen sind in Deutschland gegeben: Nach einer Studie
der BBDO Consulting werden bis zum Jahr 2010 ca. 90 % der Bevölkerung ein Mobiltelefon
nutzen, zudem wird die Anzahl an Personen, welche UMTS nutzen, bis zu diesem Zeitpunkt auf
fast 35 Millionen steigen.74

T-Business oder T-Commerce kann als umsatzrelevante Transaktion definiert werden, die über
das Medium TV als Distributionskanal abgewickelt werden. T-Business beschreibt damit nicht
lediglich den Austausch von PC und TV als Medium im Vergleich zum E-Business. Einerseits
subsummiert T-Business klassische Pay-TV-Angebote, On-Demand-Angebote, d. h. den Abruf
von Angeboten bzw. Filmen zu individuell bestimmbarer Zeit und andererseits das TV-Gerät
als Online-Device (z. B. Streaming, Online-Gaming, Fast Internet, Mail und iTV), d. h. das
TV-Gerät entwickelt sich zur regelrechten Kommunikationsinfrastruktur.75 Dieser Trend wird
insbesondere durch die Tatsache, dass das TV-Gerät bzw. Fernsehen das am meisten verbreitete
Medium in deutschen Haushalten ist, verstärkt.

Somit wird T-Commerce zum dritten Baustein einer komplementären Erlebniswelt, welche
eine channel-übergreifende (E-/M- und T-Business) Kunden-Fokussierung ermöglicht, und sich
aufgrund der herrschenden Konvergenz76 zu einem C-Business (Converged Business) entwi-
ckelt.

5.1.3 Flagshipstores
Im Gegensatz zu Erlebniswelten steht bei so genannten Flagshipstores das Markenerlebnis
– das Produkt, der Service – im Vordergrund. Flagshipstores beschreiben exklusive Geschäf-
te, die das gesamte Sortiment einer Marke anbieten. Diese sind meist nur in geringer Anzahl in
repräsentativer Lage in internationalen Großstädten verortet. Sie sind geprägt durch eine exklu-
sive Gestaltung, um die Identität und den Lifestyle der (Luxus-)Marke zu vermitteln sowie
qualitative Standards zu setzen und somit selbst zum Markenimage und zur Kundenbindung
beizutragen.

In dieser Art von Geschäften geht es primär um die Atmosphäre; nicht der Verkauf sondern
dass Marken-Erlebnis steht im Vordergrund, wodurch eine emotionale Bindung bei den Kun-
den aufgebaut werden soll. Es wird ein exklusives Kauf-Erlebnis geboten, dies bezieht einer-
seits das Streben der Kunden nach Erlebnis mit ein und andererseits spricht es das Phänomen
„die Marke fühlen“ am POS an.

72
Vgl. online BITKOM (2006).
73
Vgl. BUSE (2002), S. 9.
74
Vgl. BBDO (2001), S. 2
75
Vgl. HÜNING/MORATH (2003), S. 171.
76
Vgl. KEUPER (2004), S. 47 ff. zum Begriff der Konvergenz.
Service als Erfolgsfaktor in der TIME-Branche 225

Der Marke kommt eine hohe Bedeutung zu, insbesondere vor dem Hintergrund, dass eine aus-
geprägte Tendenz, vor allem im Kreis der kaufkräftigen Konsumenten, zu beobachten ist, sich
durch eine individuelle Produktwahl zu profilieren. In diesem Zusammenhang ist jedoch
ebenfalls ein stärker ausgeprägter Wunsch nach Neuheit und Abwechslung zu beobachten,
wodurch tendenziell die Markentreue an Bedeutung verliert (siehe Kapitel 3.2 zu Variety
Seeking),77 umso mehr muss auf ein markenkonformes Auftreten auf allen Ebenen im Unter-
nehmen geachtet werden.

Eine Marke ist die Summe aller Vorstellungen, die ein Markenname oder ein Markenzeichen
bei den Kunden hervorruft bzw. hervorrufen soll, um die Produkte oder Services des Unter-
nehmens von denen der Konkurrenz zu differenzieren.78 Diese Vorstellungen in den Köpfen
der Kunden werden durch Namen, Begriffe, Zeichen, Logos, Symbole oder auch durch Kom-
binationen geprägt und zur Identifikation und als Orientierung bei der Produkt- oder Service-
auswahl genutzt. Ein Produkt bzw. Service kann nur dann erfolgreich sein, wenn es/er die
Konsumenten-bezogenen Anforderungen bzw. Funktionen der Marke in hohem Maß erfüllt.79

Eine Marke stellt ein Versprechen an die Kunden dar, gleichbleibende Qualität zu gewährleis-
ten. Wenn eine Marke es erfolgreich geschafft hat, ein positives Bild und Assoziationen bei
den Konsumenten zu prägen, muss dies stringent auf allen Ebenen kommuniziert und gelebt
werden, so dass die Zielpersonen dieses konforme Bild beibehalten. Am POS stellt sich hier-
bei die Herausforderung für Unternehmen die Produkte und produktbegleitenden Services mar-
kenkonform anzubieten und zu präsentieren. Der Kunde muss in allen Bereichen die Marke
erleben bzw. fühlen.

Die Schnittstelle zwischen Marke und Kunde liegt somit bei den Mitarbeitern eines Unterneh-
mens. Das Markenversprechen, das durch das Unternehmen aufgebaut wird, darf nicht durch
diese Marken-Botschafter getrübt werden. Um ein Markenimage erfolgreich zu vermarkten, ist
es zwingend notwendig, dass auch die Mitarbeiter des Unternehmens nach der eigenen Marke
handeln. Wenn eine Marke z. B. für Einfachheit steht, dann erfordert die Marken-Konformität,
dass sich diese Eigenschaft auch in allen Prozessen mit dem Kunden widerspiegelt z. B. bei der
Service-Abwicklung sowie bei der Ansprache der Kunden.80

77
Vgl. KEUPER (2004), S. 44.
78
Vgl. BRUHN/HOMBURG (2004), S. 478 f.
79
Vgl. BRUHN/HOMBURG (2004), S. 478 f..
80
Vgl. ESCH (2006), S. 20.
226 HOGENSCHURZ/KEUPER/KOCH

5.2 Wandel vom Konsumenten zum Prosumenten


Ein weiterer Trend beherrscht aktuell insbesondere auch die TIME-Branche – die Verschmel-
zung des Konsumenten und des Produzenten, d. h. ein so genannter Prosument tritt auf dem
Markt auf.

An die Stelle standardisierter Produkte steht der Kunde zunehmend individualisierbaren ab-
gestimmte Produkten bzw. Services gegenüber. Dieser Trend kann mithilfe der Bedürfnispy-
ramide von MASLOW81 und durch eine soziologisch begründete Argumentation der Individua-
lisierung argumentativ untermauert werden.82 Entsprechend dieser beiden Sichtweisen werden
standardisierte Massenprodukte als Widerspruch zum eigentlichen menschlichen Bedürfnis
nach Abwechslung und Neuheit angesehen. Insbesondere im Kreis der kaufkräftigen Konsu-
menten herrscht ein Streben nach Profilierung durch eine individuelle Produktwahl.83

Der aktuelle Verbraucher ist somit häufig nicht mehr nur Konsument, sondern vor allem
Prosument84. Das heißt, dass der Kunde zum Co-Designer der Produkte und Services wird. Er
kauft und nutzt die Produkte nicht lediglich, sondern liefert gleichzeitig Informationen für ihre
Verbesserung und Konfiguration. Die Marke wird hierbei zur Nebensache, der Kunde wählt
individuell und schnell; statt produkt- ist der Kunde nutzenorientiert, aufgeklärt und vom
Informationsüberangebot tendenziell abgeschreckt. Unternehmen sind daher gezwungen auf
die Wünsche der Verbraucher nach individuellen Produkten und individueller Beratung ein-
zugehen.85

So ist z. B. in der Medien-Branche eine Abkehr vom reinen Konsum der Medieninhalte zu
beobachten, d. h der Konsument wird auch hier zum aktiven Mitgestalter. Dementsprechend
bieten nutzengenerierte Inhalte in Applikationen (z. B. Wikis, Podcasts und Blogs) die Mög-
lichkeit, das Internet inhaltlich zu bestimmen, d. h. die Nutzer werden befähigt, auf Botschaf-
ten der Medienmarken aktiv (z. B. durch Bewertungen) in Form von User Generated Content
zu reagieren. Die entstehende Kommunikation zwischen den Unternehmen und ihrer aufge-
klärten Kundschaft findet im Medium Internet nahezu auf Augenhöhe statt.86 Es findet eine
Art Rollentausch der eigentlichen Produzenten und Konsumenten statt, wodurch die Medien-
landschaft aktuell stark geprägt wird.

81
Vgl. MASLOW (1943).
82
Vgl. SCITOVSKY (1989), S. 210 ff., und BECK (2007), S. 206 f.
83
Vgl. KEUPER (2004), S. 44.
84
Der Begriff des Prosumenten wurde erstmals vom Futurologen ALVIN TOFFLER im Jahr 1970 beschrieben, Vgl.
TOFFLER (1970).
85
Vgl. online BDV BUND DER VERBRAUCHER E. V. (2005).
86
Vgl. ECK (2007), S. 21.
Service als Erfolgsfaktor in der TIME-Branche 227

Klassisch: Unternehmen Nutzer

Inhalte Inhalte Inhalte Inhalte


erstellen bündeln distribuieren konsumieren

Aktuell: Nutzer Nutzer

Abbildung 4: Ehemalige und aktuelle Rollenverteilung der Unternehmen und Nutzer87

6 Fazit

Die dargelegte Betrachtung des Service als Ausprägung des Erfolgsfaktors Qualität in der
TIME-Branche macht deutlich, dass vor dem Hintergrund markt- und produktseitiger Heraus-
forderungen einerseits und diverser Veränderungen auf Anbieter- sowie Nachfrager-Seite an-
dererseits, Service als effizientes und effektives Differenzierungskriterium für Unternehmen
auf nahezu gesättigten Märkten mit hoher Wettbewerbsintensität eingestuft werden kann. Der
Wandel hin zur starken Individualisierung und damit einhergehenden Entwicklung des so
genannten Prosumenten sowie Netzwerkeffekte und ein ausgeprägter Coopetition-Wettbe-
werb ermöglichen es Unternehmen, hybride Positionen einzunehmen. Die wachsende Dyna-
mik insbesondere in der TIME-Branche bedingt demzufolge, dass Unternehmen ein verstärk-
tes Augenmerk auf das Service Management legen müssen.

Es wurde gezeigt, dass insbesondere die produktbegleitenden Leistungen  der Service – in


Medienunternehmen bzw. in der sich ständig entwickelnden und wandelnden TIME-Branche
als Erfolgsfaktor gelten, um sich vom preisaggressiven Wettbewerb abzusetzen und den Kun-
den einen Mehrwert zu bieten. Dabei kann Service in verschiedener Ausgestaltung auftreten
z. B. in Form von Finanzierungs- und Versicherungsangeboten, Garantieleistungen, Entsor-
gung von Altgeräten u. v. m.

87
Vgl. online HESS (2007), S. 9.
228 HOGENSCHURZ/KEUPER/KOCH

Des Weiteren subsummiert Service eine umfangreiche Beratung durch die Mitarbeiter vor,
während und nach dem Kauf. Die so genannten Erlebniswelten auf der einen Seite und Platt-
formen für ein exklusives Marken-Erlebnis, z. B. Flagshipstores auf der anderen Seite bieten
einen zusätzlichen Nutzen für die Kunden. So steht bei den erstgenannten Formen der Prozess
des Kaufs im Vordergrund wohingegen in den Exklusivgeschäften des Flagshipstores der
Fokus auf dem angebotenen Produkt bzw. dem begleitenden Service liegt.

Insbesondere die Mitarbeiter, die als Marken-Botschafter agieren, stellen eine herausragende
Rolle im Service Management dar. Sie sind häufig diejenigen, an denen der Service eines Un-
ternehmens durch den Kunden bewertet wird.

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Neue Chancen im Service Management
durch Sprachbiometrie

FRANK BAUMGÄRTNER

TellSell Consulting

1 Ausgangslage: Die Service-Center-Industrie im Spagat zwischen Kostenoptimierung


und Serviceverbesserung ............................................................................................... 235
2 Biometrische Anwendungen im Überblick.................................................................... 237
2.1 Biometrische Anwendungsformen....................................................................... 237
2.2 Einsatzgebiete biometrischer Anwendungen ....................................................... 239
2.3 Marktvolumen biometrischer Anwendungen....................................................... 242
3 Sprachbiometrische Anwendungen sind marktfähig für das Service Management ....... 243
3.1 Funktionsweise sprachbiometrischer Anwendungen ........................................... 243
3.2 Rechtliche und gefühlte Sicherheitsaspekte von sprachbiometrischen
Anwendungen ...................................................................................................... 245
3.3 Sprachbiometrische Anwendungen im Überblick................................................ 246
3.3.1 Anwendungscluster: Nutzung vertraulicher Daten durch Dritte
(Kundenschnittstelle)............................................................................... 247
3.3.2 Anwendungscluster: Bestell-, Leistungs- und/oder Zahlungsvorgänge... 248
3.3.3 Anwendungscluster: Sicherheitsschlüssel für vertrauliche
Informationen und Vorgänge (Self-Service-Automation) ....................... 249
3.3.4 Anwendungscluster: Weitere Anwendungsformen der Sprachbiometrie 250
3.4 Vor- und Nachteile sprachbiometrischer Anwendungen aus Sicht der Nutzer
und Betreiber........................................................................................................ 250
4 Diffusionsmodell für die Verbreitung der Sprachbiometrie durch ein Trust Center...... 251
5 Blick in die Zukunft: Anwendungen der Sprachbiometrie als Effizienz-, Sicherheits-
und Servicetreiber .......................................................................................................... 255
Quellenverzeichnis................................................................................................................ 257
Service Management durch Sprachbiometrie 235

1 Ausgangslage: Die Service-Center-Industrie im Spagat


zwischen Kostenoptimierung und Serviceverbesserung

Service Center sind heute nicht nur betriebswirtschaftlich, sondern auch volkswirtschaftlich
relevant. Allein in Deutschland arbeiten hier inzwischen rund 330.000 Mitarbeiter an der
Schnittstelle zwischen Unternehmen und Kunden. 2013 werden es bereits 384.000 sein1. In
ganz Europa liegt die Zahl der Service-Center-Mitarbeiter bei 2,29 Mio., bis 2013 wird diese
Zahl auf 2,59 Mio. steigen.2 Für die deutsche, heute sehr personalintensive Service-Center-
Industrie ist der Kostendruck hoch – nicht zuletzt vor dem Hintergrund steigender Lohnkos-
ten im Call-Center-Segment. So liegt die durchschnittliche Lohnsumme pro Stunde in Europa
zwischen 21 und 25 EUR.3 Der direkte Vergleich mit Ländern wie Tschechien (13,50 EUR),
Polen (13 EUR), Mexiko (11,50 EUR) oder Russland (7 EUR) macht den eklatanten Lohnun-
terschied deutlich – und das vor allem, weil überall vergleichbar einfache Routinetätigkeiten
mit ähnlichem Qualitätsniveau abgewickelt werden können.

Daraus ergeben sich für die Service Operations zwei miteinander verbundene strategische
Herausforderungen. Zum einen sind Service-Anwendungen an der Kundenschnittstelle ein
wichtiges Differenzierungsmerkmal im Markt: Unternehmen wollen durch immer bessere
Erreichbarkeit, immer schnellere Fallbearbeitung und immer besser ausgebildete Mitarbeiter
bei ihren Kunden punkten. Gleichzeitig erwarten Kunden immer mehr von ihnen, auch weil
Service-Unternehmen durch Testberichte zunehmend vergleichbar werden. Dieser Wettbe-
werb erzeugt zum anderen auch einen wachsenden Kostendruck. Wer die Nase vorn haben
will, muss also nicht nur besser und schneller werden, sondern auch effizienter.

Während die Professionalisierung der Service Center Ende der 80er Jahre mit externen Out-
sourcing-Centern erst begann, waren die 90er Jahre geprägt von technologischen Innovatio-
nen: Automatic Call Distribution (ACD), Computer Technologie Integration (CTI), Interacti-
ve Voice Response (IVR) und Databasemanagement bzw. Customer Relationship Manage-
ment (CRM) sind nur einige der Neuerungen, die den Kunden einen immer besseren, vor
allem telefonischen Service brachten und Effizienzgewinne generierten. Das Aktien-
Informationsforum, das im Rahmen des Börsengangs der Deutschen Telekom entstand, löste
seinerzeit als Benchmark eine Welle der weiteren Virtualisierung und Industrialisierung der
Call Center aus: In diesem Forum registrierten sich immerhin vier Mio. Aktieninteressierte,
und ca. 12 Mio. Anrufe wurden in vier Monaten in vier internen und acht externen Call-
Centern abgewickelt. Wachsende Investitionen in Prozessverbesserungen und Technologien
zur verteilten (Kunden-)Datenverfügbarkeit ermöglichten den Betrieb von virtuellen Service-
Centern, also von Centern an unterschiedlichsten nationalen und internationalen Standorten.
Ab Ende der 90er Jahre begannen Unternehmen damit, viele Pre- und Aftersales-Services
komplett über das Internet abzuwickeln. Dies führte zunächst dazu, dass „Internet“ und
„Sprache“ oft in unterschiedlichen unternehmerischen Organisationseinheiten angesiedelt
waren, deren Re-Integration inzwischen in vollem Gange ist.

1
Vgl. DATABOOK (2008).
2
Vgl. DATAMONITOR (2008b).
3
Vgl. DATAMONITOR (2008a).

F. Keuper, B. Hogenschurz (Hrsg.), Professionelles Sales & Service Management,


DOI 10.1007/978-3-8349-8799-0_10,
© Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
236 BAUMGÄRTNER

Steigende Kosten für Personal, die Fraud-Vermeidung und einen wachsenden Schulungsbe-
darf der Mitarbeiter konnten jedoch nicht durch Kostensenkungen ausgeglichen werden, die
mit neuen Technologien, Steuerungstools, Prozessverbesserungen und dem Near- und
Offshoring verbunden sind. In diesem Wettrennen siegen die Kostensteigerungen regelmäßig
über die Einsparungen durch Prozessverbesserungen.

Mittlerweile geht der Trend – auch getrieben durch Veränderungen der mobilen Endgeräte –
klar dahin, alle Medien wieder zu integrieren, sodass der Kunde in Zukunft medienunabhän-
gig mit dem Unternehmen kommunizieren kann. Entsprechende Prozess- und Steuerungsme-
thoden rangieren heute auf der Evolutions- und Business-Development-Agenda für einen
besseren und effizienteren Kundenservice weit oben.

Evolutionsstufen

Self- und Trusted- Sprachbiometrische


Anwendungen
Servicestrategien
Virtuelle
„Automation“ Workflows

Virtuelle Service- Outsourcing im Near-


Center- und Offshoring
Landschaften Inhouse und Outsourcing
„Virtualisierung“ als virtuelle Gesamtheit

Medienunabhängige Servicestrategien
„Konvergenz“; Fallbearbeitung unabhängig
Technologische von Medien
und prozessuale CTI-, IVR-, ACD-
„Technologie- Technologien
dominanz“ Kundengesamtsicht ermöglicht fall-
abschließende Bearbeitung am Telefon

Aufbau professioneller Call-Center


Industrie und im und außerhalb des Unternehmen(s)
Professionalisierung
„Marktentstehung“ Zusammenführung von Telefonzentralen

1985 1990 1995 2000 2005 2010 ff

Abbildung 1: Effizienz- und Kostenoptimierungen im Service Center im Zeitablauf

Ein Thema stand und steht im Service Management aber immer wieder im Fokus: Wie ist der
Anrufer zuverlässig und in kürzester Zeit zu identifizieren und wie kann ein Agent dessen
Daten und Vorgänge schnell auf den Bildschirm bekommen? Hinzu kommt eine neue Her-
ausforderung: der Schutz persönlicher Daten in der Kundenbetreuung und die Vermeidung
von Identitätsdiebstahl.

Insgesamt bewegt sich das Service Management also in dem Spannungsfeld, einen exzellen-
ten Service zu bieten, gleichzeitig effizient und kostenoptimiert zu wirtschaften und zudem
Daten und Identität der Kunden zu schützen. Im Zuge wachsender Self Automation und der
umfassenden Transaktionsabwicklung einschließlich automatisierter Bezahlfunktionen rückt
damit die Sprachbiometrie („Voice Biometrics“) in den Fokus. Denn sie adressiert alle drei
Dimensionen gleichzeitig: Kostensenkung, Serviceverbesserung und Datensicherheit.
Service Management durch Sprachbiometrie 237

Heute werden immer mehr Transaktionen komplett über Telefon oder Internet abgewickelt –
etwa Bankgeschäfte, Kontenabfragen, Homeshopping und Bestellungen, um nur ein paar zu
nennen. Auch Bürger und Staat kommunizieren zunehmend telefonisch miteinander. Alle
Transaktionen, die mit einer Zahlung oder Leistung verbunden sind, erhöhen erheblich die
Komplexität der jeweiligen Prozesskette. Authentifizierungen, Bonitätsprüfungen, Scorings,
Bezahlabwicklungen und Inkasso sind Prozessschritte, die bewältigt werden müssen – stets
verbunden mit einem wirksamen Schutz vor betrügerischer Manipulation.

2 Biometrische Anwendungen im Überblick

Die Kriminalität nimmt zu – die Bundesagentur für Arbeit meldet z. B. den Doppelbezug von
Leistungen im großen Stil. Die BILD-Zeitung titelt: „Hunderte Staatsdiener kassieren doppel-
tes Kindergeld“ – der Schaden betrage 6,5 Mio. EUR. Andere Schlagzeilen aus der BILD
lauten: „Telekom: Über 17 Mio. Datensätze geklaut“, „Schäuble verspricht mehr Härte gegen
Datenklau – 21 Mio. Kontodaten geklaut“ und „Passwortklau! Wie gefährdet sind die User-
Spamer“. In diesen Meldungen sind auch Warnungen enthalten: „Wer sogar für seine Online-
Geldgeschäfte das gleiche Passwort verwendet wie für harmlose Blogs, öffnet Hackern Tür
und Tor – und die eigenen Konten!“ Nach Angaben des BKA ist ein massiver Anstieg der
Manipulationen an Geldautomaten zu verzeichnen – 2008 um 78% im Vergleich zum Vor-
jahr. Demnach sind rund 2.400 der insgesamt 50.000 Geldautomaten in Deutschland betrof-
fen. Durch den Missbrauch gefälschter Debitkarten entstand nach Schätzungen des BKA ein
Schaden von über 40 Mio. EUR. Verhindert werden könnte dies durch eine Authentifizierung
mit Hilfe biometrischer Daten.

Eine Authentifizierung ist überall dort erforderlich, wo der Zugang zu bestimmten Daten und
Räumlichkeiten nicht der Allgemeinheit gewährt werden soll, sondern nur einem bestimmten
Personenkreis. Die Authentifizierung – also die Überprüfung, ob die behauptete Identität mit
der tatsächlichen übereinstimmt – ist damit eines der großen Sicherheitsziele im Informati-
onszeitalter.

2.1 Biometrische Anwendungsformen


„Biometrie“ leitet sich aus dem griechischen „bios” (Leben) und „metron” (messen) ab. Mit
Hilfe biometrischer Verfahren werden Körper- und Verhaltensmerkmale hard- und software-
unterstützt automatisch analysiert und abgeglichen – etwa Merkmale des Fingerabdrucks, der
Iris, der Retina, der Stimme, der Unterschrift, des Gangs, der Gestik oder der Gesichtsmimik.
Biometrische Verfahren sind deshalb so vielversprechend, weil jeder Mensch individuelle
biometrische Merkmale hat. Sie sind nicht nur mittelbar personenbezogen, sondern auch
unmittelbar personengebunden, was sie von Wissens- und Besitzelementen (wie z. B. PIN
und Karte) unterscheidet. Zudem können sie im Unterschied zu Passwörtern und EC-Karten
nicht verloren gehen oder anderen Personen übertragen bzw. weitergegeben werden und sie
können und müssen nicht geheim gehalten werden. Biometrische Daten hat der „Besitzer“
jederzeit und an allen Orten bei sich.
238 BAUMGÄRTNER

Gesichts-
Stimme Fingerabdruck Retinatastung
erkennung
Betrieb Mittel Hoch Sehr hoch Gering
Kosten Investi-
Gering Mittel Mittel Mittel
tion
Ausrüstung am
Nein Ja Ja Ja
Access Point
Sicherheit/
Sehr Hoch Sehr hoch Sehr hoch Hoch
Genauigkeit
Anwender-
Sehr gut Mittel Mäßig Hoch
freundlichkeit
Anwesenheit des
„Trägers“ Nein Ja Ja Ja
erforderlich

Abbildung 2: Gegenüberstellung der unterschiedlichen Biometrieverfahren4

Die verschiedenen biometrischen Verfahren haben nicht alle die gleichen Anwendungs- und
Sicherheitsstandards – verglichen mit anderen Identifizierungsverfahren sind sie jedoch stets
sicherer.

Unterschieden werden biometrische Verfahren und Systeme. Ein biometrisches Verfahren ist
ein Mechanismus zur Authentifizierung eines Menschen über seine persönlichen biologischen
Eigenschaften mit Hilfe entsprechender Erkennungsgeräte. Ein biometrisches System ist ein
kombiniertes Hard- und Software-Gefüge zur biometrischen Identifikation oder biometri-
schen Verifikation der Identität, das biometrische Verfahren verwendet. Dabei folgt die bio-
metrische Erkennung stets einem einheitlichen Prinzip mit folgenden Komponenten – und
zwar unabhängig von ihrem oft sehr individuellen technologischen Aufbau:

¾ Personalisierung oder Registrierung des Nutzers (Enrolment),


¾ Erfassung der biometrisch relevanten Eigenschaften der Person,
¾ Erstellung von Datensätzen (Templates),
¾ Vergleich der aktuell präsentierten mit den zuvor abgespeicherten Daten (Matching).

Jede Anwendung ist jedoch nur dann effizient, wenn eine kritische Zahl von Menschen an der
erstmaligen Erfassung und Speicherung der biometrischen Merkmale, dem Enrolment, teil-
nimmt oder – bei kleinen Anwendungen – nur ein ausgewählter Personenkreis daran teilneh-
men darf. Die Daten, die das Enrolment liefert, können dann mit den Daten verglichen wer-
den, die im Rahmen der jeweiligen Anwendung aktuell generiert werden. Ein solches
Enrolment kann auf gesetzlicher Basis oder im Zuge einer freiwilligen Registrierung erfolgen
– je nach Anwendungsgebiet. Vor allem bei einer unfreiwilligen Registrierung sind wir mit-
ten in der öffentlichen Diskussion über Datenschutz und den „gläsernen Bürger“.

4
Vgl. HERDA (2008) und OGDEN (2008).
Service Management durch Sprachbiometrie 239

2.2 Einsatzgebiete biometrischer Anwendungen


Heute werden biometrische Verfahren in den unterschiedlichsten Konstellationen eingesetzt:
im privaten Umfeld, in Unternehmen und Organisationen und – hier wird künftig ein
Schwerpunkt liegen – im öffentlichen Umfeld. Alle biometrischen Anwendungen beruhen auf
relativ einfachen Techniken. Ihrer Einführung stehen vor allem emotionale Barrieren entge-
gen.

Im privaten Lebensbereich können biometrische Anwendungen die Verfügung über die per-
sönlichen Daten sichern. Damit ist ein Zugewinn an Convenience und Sicherheit verbunden,
aber auch ein Paradigmenwechsel: vom Haben und Wissen (Karte und PIN) zum Sein (Bio-
metrie). Zumindest muss dabei dem Bundesdatenschutzgesetz gefolgt werden, weitere Regeln
können auf freiwilliger Basis im Rahmen der geschlossenen Nutzergruppen ausgehandelt
werden.

Eine naheliegende und vielversprechende Lösung ist z. B. die private Zugangskontrolle zum
eigenen Heim. Schon bald wird es möglich sein, Häuser nur noch mit dem Fingerabdruck
oder der Voice-Identifikation an der Haustür zu öffnen oder zu schließen. Damit lassen sich
auch Alarmanlagen ein- und ausschalten oder Swimmingpools „kindersicher“ machen. Verlo-
rene Schlüssel gehören dann der Vergangenheit an – ebenso wie die bisher üblichen Dauer-
karten, etwa für den „Erlebnis-Zoo Hannover“: Dort wurden an den Eingängen neben den
Kartenlesern digitale Kameras für eine schnelle Gesichtserkennung installiert. Sie erlauben es
Dauerkarteninhabern, schnell und einfach den Zoo zu betreten, und verhindern, dass Karten
missbräuchlich übertragen werden. Auf die gleiche Weise kann Personen der Zugang zu Ein-
richtungen oder Gebäuden selektiv gestattet werden: Casinos kommen ihrer gesetzlichen
Überwachungspflicht mit einer automatischen Gesichtserkennung nach, wenn sie registrierte
Gäste über die Casino-Karten-Nummer und die „Gesichtsverifikation“ eindeutig identifizie-
ren können. Anschließend kann der Zugang entweder erlaubt oder auf Wunsch des Gastes,
z. B. wegen eines erhöhten Suchtpotenzials, verweigert werden.

Um beispielsweise die Computerarbeitsplätze an einem Hamburger Gymnasium zu schützen,


hat die Schulleitung als Zugangskontrolle eine biometrische „Fingerabdruck-Schleuse“ einge-
führt. Die Schüler müssen nicht auf eine Aufsichtsperson warten, brauchen weder Schlüssel
noch Chipkarte und können jederzeit die Räume betreten.

Biometrische Daten können jedoch auch im Rahmen finanzieller Transaktionen eine Rolle
spielen. Eine EDEKA-Regionalgemeinschaft will in ihren Märkten innovative Zahlungssys-
teme einsetzen, die sich die biometrische Einmaligkeit des Fingerabdrucks zunutze machen.
Das System befindet sich zurzeit im Flächen-Rollout – im Vorfeld haben sich schriftlich
150.000 Teilnehmer zur Erfassung aller zahlungsrelevanten Daten bereit erklärt. Der Bezahl-
vorgang „per Fingerabdruck“ ist simpel: An der Kasse wird nicht nur die Ware gescannt,
sondern auch der Fingerabdruck, der anschließend mit einem zuvor registrierten Datensatz
verglichen wird. Stimmen beide überein, werden die notwendigen Daten zur Zahlungsab-
wicklung an die Kasse zurückgegeben und der Zahlungsvorgang wird abgeschlossen. Eine
Kombination aus Bezahlmöglichkeit und Kundenkarte wäre zusätzlich denkbar. Heute schon
können die Kunden des Kundenclubs eines zehn Fachgeschäfte umfassenden Mode- und
Sportcenters „per Fingerabdruck“ Bonuspunkte sammeln. So kann die altbewährte Kunden-
karte ersetzt werden.
240 BAUMGÄRTNER

Der Einsatz in Unternehmen und Organisationen betrifft vor allem die Zugangssicherung –
nur zuvor definierte Personen erhalten nur zu gewissen Zeiten Zugang zu bestimmten Orten.
Dazu werden Rollen und Identitäten verwaltet und mit individuellen Kennungen und Berech-
tigungen verbunden. Den rechtlichen Rahmen setzt das jeweilige Innenverhältnis zwischen
Unternehmen und Mitarbeitern. Die Verbindlichkeit gesetzlicher Vorgaben wird durch eine
möglicherweise verpflichtende Teilnahme an einer geschlossenen Benutzergruppe nicht tan-
giert.

Per Fingerabdruck wurde während der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 zunächst die Zu-
gangskontrolle am Mitarbeitereingang der „adidas World of Football“ am Berliner Reichstag
abgewickelt. In ausländischen Stadien werden bereits – gekoppelt mit einer Dauerkarte –
biometrische Daten bei der Zugangskontrolle im großen Stil eingesetzt. Während der Olym-
pischen Spiele 2006 in Turin konnte das „Deutsche Haus“ – nach einer Akkreditierung – nur
mit einem Ausweis betreten werden, der neben einem Foto einen Fingerabdruck enthielt.
Auch niederländische Fußballstadien erproben den Zugang mit biometrischen Verfahren.
Dazu wird eine Blacklist aller mit Stadionverbot belegten Personen erstellt. Es wird nicht
mehr lange dauern, bis biometrische Daten grundsätzlich den Zugang zu Großveranstaltungen
regeln.

Der Deutsche Sparkassenverband schützt seine Hochsicherheitsbereiche mittels Zugangskon-


trolle auf Basis von Fingerabdrücken. Und während bei der „Allianz Spanien“ früher jeder
Mitarbeiter durchschnittlich sechs Passwörter brauchte, um sich in den IT-Systemen zu be-
wegen, sind viele dieser Zugangsberechtigungen heute an den Fingerabdruck des Mitarbeiters
gekoppelt – ein klarer Effizienz- und Komfort-Gewinn. Einige Privatbanken bedienen sich
biometrischer Zugangs- und Zeiterfassungssysteme. Die schweizerische Privatbank Pictet &
Cie. nutzt die Iris- und die 3D-Gesichtserkennung zur Identifikation bei Zugangsberechtigun-
gen. Tests bestätigten nicht nur die nahezu vollständige Fehlerfreiheit dieser Verfahren, son-
dern auch eine hohe Akzeptanz durch die Beschäftigten. Ähnliche Erfahrungen – verbunden
mit erheblichen Kosteneinsparungen – machen auch verschiedene Kliniken und das nieder-
sächsische Justizministerium.

Sehr spannend – und politisch – wird die Diskussion über den Einsatz biometrischer Anwen-
dungen im hoheitlichen Bereich. Weitgehend akzeptiert sind sie in der Kriminaltechnik. Im
Luftverkehr sowie bei der Sicherung der EU-Außengrenzen werden sie mit der veränderten
Sicherheitslage und dem Schutz der Bürger begründet. Auch hier herrscht noch weitgehend
Konsens. Ohne manuelle Grenzkontrolle können mit Hilfe automatisierter, biometriege-
stützter Verfahren am Flughafen Frankfurt/Main im Non-Schengen-Flugverkehr Personen die
Grenze passieren, deren Ein- und Ausreise grenzpolizeilich unproblematisch ist. Bislang
haben sich mehr als 20.000 Passagiere freiwillig für diese Einreiseform registrieren lassen.
Insgesamt passieren nach Angaben der Financial Times Deutschland (FTD) jährlich knapp
800 Mio. Reisende die Kontrollstellen der EU. Jede herkömmliche Ausweiskontrolle kostet
durchschnittlich 3,68 Dollar. Mit automatisierten Kontrollen lässt sich viel Geld sparen, denn
sie kosten pro Person nur noch 0,16 Dollar.

Pakistan nutzt seit 2004 eine der größten Gesichtserkennungsdatenbanken weltweit und hat
im Rahmen des nationalen Personal- und Reisepassprogramms eine Bilddatenbank mit der-
zeit 50 Mio. Einträgen aufgebaut. Bei jedem Antrag für einen neuen Ausweis wird damit die
Identität des Antragsstellers überprüft, um zu verhindern, dass Dokumente an falsche Perso-
nen bzw. Mehrfachausweise an die gleiche Person ausgestellt werden. Auch deutsche Aus-
landsvertretungen setzen derartige Verfahren ein.
Service Management durch Sprachbiometrie 241

Biometrische Daten von Fingern, Gesicht und der Unterschrift von 200.000 im Ausland le-
benden Deutschen wurden dazu anlässlich von Reisepassanträgen verarbeitet und auf einer
einheitlichen Plattform abgelegt. Die Regierung des brasilianischen Bundesstaates Rio de
Janeiro überprüft Fingerabdrücke, die bei jedem Personalausweisantrag aufgenommen wer-
den, über ein Automated Fingerprint Identification System (AFIS). Nach neun Jahren sind
inzwischen sechs Mio. Personen in dieser Datenbank und täglich kommen 5.000 weitere
hinzu. Jedes Jahr werden dadurch 15.000 falsche Identitäten aufgedeckt. Die Polizeibehörde
in Pinellas County, Florida, setzt in der Strafverfolgung bereits seit 2000 die Gesichtserken-
nung zur Identifizierung von Straftätern ein. All diese Anwendungen zeigen, dass biometri-
sche Verfahren mit ihrer geringen Fehlertoleranz schon heute massenmarktfähig sind.

Biometrische Anwendungen können auch ein Instrument sein, um Bürger-Behördenkontakte,


aber auch Kontakte zwischen Bürgern und Unternehmen zu erleichtern. Hier setzt die sehr
emotionale Diskussion um den gläsernen Bürger ein, obwohl eines unstrittig ist: Der Einsatz
biometrischer Anwendungen kann helfen, Bürgerdienste unabhängig von Ort und Zeit online
und telefonisch anzubieten und rechtssicher auszuführen. Missbräuche würden erheblich
reduziert, da jedes biometrische Merkmal nur einmal benutzt werden kann und damit die
doppelte Inanspruchnahme von Leistungen ausgeschlossen ist. Allein in Deutschland könnten
so Milliardenschäden verhindert werden. Auch bei Wahlen oder zur Besucherkontrolle in
Einrichtungen mit hohem Schutzbedarf sind biometrische Verfahren denkbar.

Die gesetzlichen Rahmenbedingungen in diesem regulierten Umfeld müssen noch weitgehend


definiert und einer politischen Diskussion unterzogen werden. Derartige Bedenken gibt es
allerdings in anderen Ländern nur bedingt: Beispielsweise bietet die mexikanische Steuerbe-
hörde Unternehmen die Möglichkeit, Transaktionen elektronisch abzuwickeln. Dazu wird
eine elektronische Signatur an eine physische Person vergeben, die für die juristische Person,
das Unternehmen, zeichnet. So kann einerseits der Unternehmer bequemer seine Geschäfte
mit den Steuerbehörden erledigen. Gleichzeitig aber wird verhindert, dass er sein Unterneh-
men in den Konkurs führt und unter anderer Firmierung – ohne seine Steuerschulden zu be-
gleichen – wieder eröffnet. Interessant ist auch, dass es in Mexiko landesweit 147 Erfassungs-
stellen zur Registrierung gibt. Ein erstes Land, das die Biometrie zur flächendeckenden Au-
thentifizierung einführen will?

Ein Zwischenfazit ist zu ziehen: Biometrische Anwendungen existieren bereits an vielen Stel-
len und werden sukzessive Teil unseres Lebens. Die Verfahren sind – auch bei größeren bio-
metrischen Datenbeständen – sicher, komfortabel und bieten für viele Nutzer einen erkennba-
ren Mehrwert. Bisher gängige Authentifizierungsverfahren (Besitz und Wissen) sind oft nicht
mehr zweckmäßig und werden schrittweise durch biometrische Verfahren ersetzt. Für Unter-
nehmen, die im größeren Stil auf diese Anwendungen setzen, stehen Sicherheitsaspekte und
Prozessoptimierungen, also Kosteneinsparungen im Vordergrund. Häufig ist damit auch ein
reibungsloserer Geschäftsbetrieb verbunden.
242 BAUMGÄRTNER

2.3 Marktvolumen biometrischer Anwendungen


Weltweit wird der Biometrie-Markt bis 2010 auf 4,4 Mrd. EUR wachsen, nicht zuletzt weil
biometrische Methoden prozessübergreifend einsetzbar sind. In Deutschland stellen knapp
100 Unternehmen biometrische Produkte her oder integrieren biometrische Systeme. Für ihre
Umsätze prognostiziert der ITK-Branchenverband BITKOM in einer aktuellen Studie eine
Steigerung von derzeit 120 Mio. auf 300 Mio. EUR im Jahr 2010.

Das entspricht einer jährlichen Wachstumsrate von 28%. Als größter europäischer Markt für
biometrische Verfahren ist Deutschland auf dem Gebiet der Gesichtserkennung weltweit
führend.

Umsatzentwicklung biometrische Industrie weltweit Technologieanteil


am deutschen
Biometriemarkt 2006
10.000 9.368
9.000
5% Sonstige
7.846
8.000 7% Handgeometrie
7.000 6.581 8% Stimme
6.000 5.423
10% Iris/Retina
5.000 4.356
4.000 3.422 22%
3.200 Gesicht
3.000 2.500
1.800
2.000
1.000
48% Fingerabdruck
0
2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014

Mio. EUR

Abbildung 3: Wachstumsmarkt Biometrie5

Der Biometrie-Markt ist kein kapitalintensiver Markt, denn die Anwendungen sind im Ver-
gleich zu anderen Technologien relativ preiswert. So können Biometrie-Anwendungen in
Unternehmen bereits für wenige Hunderttausend EUR eingesetzt werden. Sprachbiometrie-
Anwendungen sind mit wenigen Zehntausend EUR sogar noch günstiger.

Und die Technologien entwickeln sich rasant weiter. So versprechen dreidimensionale Er-
kennungssysteme erhebliche Leistungssteigerungen vor allem bei Zugangs- und Grenzkon-
trollen. Laufende 3D-Entwicklungsprojekte werden der Biometrie einen weiteren Schub ge-
ben: Indem sie exakte Informationen zum Profil sowie zu Gesichtsfarbe und -struktur kombi-
nieren, können 3D-Erkennungssysteme Positionsänderungen besser verarbeiten. Insgesamt
werden diese neuen Systeme die biometrische Erkennung noch sicherer machen und damit
ihre Durchsetzung forcieren. Verbesserte Protokolle helfen darüber hinaus, letzte Fehler aus-
zumerzen und die Sicherheit noch weiter zu steigern. Der Markt für biometrische Technolo-

5
Vgl. INTERNATIONAL BIOMETRIC GROUP (2008) und BITKOM (2009a).
Service Management durch Sprachbiometrie 243

gien ist stark von politischen Entscheidungen betroffen. Deshalb werden staatlich nachgefrag-
te Anwendungen hier auch künftig ein wesentlicher Treiber und ihr Anteil von heute 45% am
Biometrie-Markt weitgehend stabil bleiben.6

3 Sprachbiometrische Anwendungen sind marktfähig


für das Service Management

Beim Autofahren, bei Gesundheitsdienstleistern oder bei der Polizei werden sprachbiometri-
sche Anwendungen bereits ebenso häufig eingesetzt wie bei PC-Anwendungen und Mobilte-
lefonen: Beispielsweise werden dabei Texte in Sprache oder Sprache in Texte umgewandelt.
Sprachbiometrische Anwendungen sind im Alltag angekommen, zumal sie wichtige Bedürf-
nisse nach Komfort, Sicherheit und einem guten Kosten-/Nutzenverhältnis erfüllen.

3.1 Funktionsweise sprachbiometrischer Anwendungen


Sprachbiometrische Anwendungen basieren auf dem gleichen Prinzip wie alle anderen bio-
metrischen Anwendungen: Nach der Personalisierung und Registrierung des Nutzers im Sys-
tem und nachdem die entsprechenden Datensätze (Voice Print) erfasst und gespeichert sind,
folgt das Matching: Dabei werden zwecks Identifizierung/Authentifizierung die aktuell prä-
sentierten mit den zuvor abgespeicherten Daten verglichen.

Diese Methode macht sich die Tatsache zunutze, dass die Stimme eines Menschen ebenso
einmalig und unverwechselbar ist wie sein Fingerabdruck. Allgemein unterscheidet man
zwischen „Verifikation“ und „Identifikation“. Die Verifikation überprüft durch Abgleich mit
einem zuvor registrierten Stimmprofil, ob ein Anrufer derjenige ist, der er zu sein vorgibt. Ein
Stimmprofil ist eine verschlüsselte Datenmatrix, in der die stabilen Charakteristika der Stim-
me eines Sprechers dargestellt werden. Beim Abgleich wird geprüft, ob das Stimmprofil des
Anrufers mit der Datenmatrix in der Stimmprofil-Datei übereinstimmt (1:1 Vergleich).7 Ist
dies der Fall, wird der Anrufer ins System gelassen, andernfalls wird der Zugang verweigert.8

Dabei erfolgt nicht einfach ein Matching zwischen einem aufgezeichneten und dann „live“
gesprochenen Wort oder Satz, sondern die Stimme selbst wird auf akustische Übereinstim-
mungen hin analysiert. Die untersuchten Merkmale können nicht nachgeahmt werden und
sind ausreichend tolerant, um mit Hilfe einprogrammierter Algorithmen zu erkennen, ob sich
die Stimme vorübergehend auf Grund einer Erkältung, der Umgebungsgeräusche oder der
aktuellen emotionalen Befindlichkeit verändert hat.9 Denn ein Voice Print enthält mehr Cha-
rakteristika und Daten als nur spezifische Merkmale wie Frequenzspektrum, Akzent, Sprech-
geschwindigkeit, Satzrhythmus, Aussprache der Wörter und deren Betonung. Vielmehr cha-
rakterisiert sich die Stimme jedes Menschen auch aus seiner Physiologie, wozu Größe der

6
Vgl. BITKOM (2009a).
7
Vgl. STEIMEL (2008).
8
Vgl. FRÖHLICH 2008).
9
Vgl. STEIMEL (2008).
244 BAUMGÄRTNER

Nasenhöhle, Länge der Stimmbänder oder Geschlecht gehören. All das zusammengenommen
macht sie einzigartig.10

Um zu verhindern, dass das System ausgetrickst wird, indem einfach eine Stimmaufnahme
abgespielt wird, ist ein Challenge-Response-Verfahren integriert. Es fordert den Anrufer zur
Wiederholung zufällig generierter, also nicht vorhersehbarer Zahlen und Wortkombinationen
auf.

Anrufer Service-Center

 Schwellenwert
ja Durchführung
der
Matching? nein Transaktion
< Schwel- Challenge-Response-Verfahren
ja lenwert
Rückfrage System, z. B.:
Wie lautet Name der Mutter?
nein

Ende

1. Durchlauf 2. Durchlauf, wenn Schwellenwert nicht bei Authentifizierung nicht erreicht wurde

Abbildung 4: Ablauf einer sprachbiometrischen Authentifizierung

Der Hauptvorteil sprachbiometrischer Anwendungen besteht darin, dass sich der Träger des
biometrischen Merkmals nicht an dem Ort befinden muss, an dem die Transaktion oder Au-
thentifizierung ausgeführt wird. Deshalb wird Sprachbiometrie vor allem über das Telefon
oder zunehmend in Kombination über das Internet eingesetzt.

Der Betreiber solcher Systeme kann im Rahmen des Toleranzschwellen-Managements (Thre-


shold-Management) je nach Transaktion den Schwellenwert selbst bestimmen. Abgestufte
Toleranzschwellen geben ihm die Möglichkeit, zu Gunsten der höheren Sicherheit häufigere
Challenge-Response-Verfahren einzubauen, bei denen neben der Stimmverifikation mehr-
schichtige inhaltliche Sprachbäume abgefragt werden.

10
Vgl. HERDA (2008).
Service Management durch Sprachbiometrie 245

3.2 Rechtliche und gefühlte Sicherheitsaspekte


von sprachbiometrischen Anwendungen
Wer biometrische Systeme im privaten bzw. im staatlichen, nicht verpflichtenden Bereich
einsetzt, muss dabei eine Vielzahl von Vorschriften und Rechtsgrundlagen beachten. Sie
reichen vom Datenschutzrecht über spezielle Signaturvorschriften aus dem Signaturgesetz bis
zum Strafrecht und zu Fragen der Arbeitnehmermitbestimmung und des Urheberrechts. Wäh-
rend beispielsweise das Signaturgesetz bewusst technikoffen formuliert ist, wird in der Ver-
ordnung zum Gesetz (SigV) ausdrücklich der Einsatz biometrischer Verfahren ermöglicht:
Um den Signaturschlüssel zu sichern, hat der Signaturschlüssel-Inhaber die Wahl, sich vor
dessen Anwendung entweder in herkömmlicher Weise durch „Besitz und Wissen“ (etwa
Karte und Geheimzahl) oder aber „durch den Besitz und ein oder mehrere biometrische
Merkmale“ zu identifizieren.11 Ergänzend gibt die Verordnung ein bestimmtes Sicherheitsni-
veau vor: Bei der Anwendung eines biometrischen Verfahrens muss „hinreichend sicherge-
stellt sein, dass eine unbefugte Nutzung des Signaturschlüssels ausgeschlossen ist und eine
dem wissensbasierten Verfahren gleichwertige Sicherheit gegeben“ ist.12 Zur Sprachbiometrie
existiert im Signaturgesetz keine besondere Rechtsvorschrift. Demnach ist sie gleichberech-
tigt zu allen anderen biometrischen Anwendungsformen.

Während es also keine harten rechtlichen „Stopper“ für den Einsatz (sprach-) biometrischer
Anwendungsformen gibt, spielt für die Nutzer die „gefühlte Sicherheit“ eine bedeutende
Rolle, denn es halten sich eine Reihe von Vorurteilen. Dazu einige Zitate aus der Tagesschau:
„… geringere Genauigkeit, da die Stimme gefälscht werden kann oder von der Stimmung
oder einer eventuellen Erkältung des Sprechers abhängig ist…“; „… auch die Qualität der
Leitung und Hintergrundgeräusche können das Ergebnis beeinflussen…“13

Wie fast jede neue Technologie wird auch diese erst einmal mit Skepsis betrachtet. Die Folge:
Der zukünftige Einsatz ist auch – oder vor allem – eine Marketingaufgabe. Die oben zitierten
Aussagen treffen objektiv nicht zu, dennoch muss die „gefühlte Sicherheit“ bei den Nutzern
erst erzeugt werden. Das Produkt „Voiceldent“ erhielt 2007 vom Bundesamt für Sicherheit in
der Informationstechnik (BSI) als erstes sprachbiometrisches Verifizierungs-System das
Deutsche IT-Sicherheitszertifikat, was die Relevanz zur Aufklärung unterstreicht.

Eine Umfrage von Infratest-dimap ergab, dass 72% der Deutschen sich „sehr große“ Sorgen
um den Missbrauch von Daten machen.14 Mit jedem weiteren Fall von Datenmissbrauch
wächst der Druck auf Unternehmen, verbesserte Verfahren des Datenschutzes und damit der
Zugangskontrolle zu Daten anzubieten. Zum Thema „gefühlte Sicherheit“ gehört deshalb
auch eine Kommunikationsaufgabe: Das generelle Verständnis des Vorgangs der sprachbio-
metrischen Authentifizierung ist zu verbessern. Art und Umfang der Datenspeicherung, Maß-
nahmen zur Verhinderung von Missbrauch und vor allem Zugriffsrechte beim Betreiber sind
transparent zu machen. Hier ist – um den Anwendungen zum Durchbruch zu verhelfen – in
der Tat noch viel Aufklärungsarbeit notwendig.

11
Vgl. § 15 Abs. 1 SigV.
12
Vgl. § 15 Abs. 1 SigV.
13
Vgl. TAGESSCHAU (2008).
14
Vgl. INFRATEST DIMAP (2008).
246 BAUMGÄRTNER

3.3 Sprachbiometrische Anwendungen im Überblick


Zunächst sei auf ein speziell deutsches Marktproblem im Zusammenhang mit sprachtechno-
logischen Anwendungen hingewiesen. Bereits Mitte der 90er Jahre wurden einige Sprachan-
wendungen auf dem Markt platziert, die noch nicht wirklich marktfähig und kompliziert zu
bedienen waren. Dazu gehörte die Bahnauskunft. Sie war seinerzeit für die Presse ein gefun-
denes Fressen, um die ungeliebte Technologie der Lächerlichkeit preiszugeben.

Auch Sprachanwendungen in Automobilen waren bei ihrer Einführung noch nicht ausgereift.
Viele Nutzer haben also bereits schlechte Erfahrungen mit derartigen Anwendungen und
werden deshalb negativ reagieren: „Nein, das kenne ich schon, das will ich nicht …“ Diese
Hürden müssen im ersten Schritt durch Marketing- und Aufklärungsmaßnahmen überwunden
werden.

Weltweit haben sich die Einsatzfelder für Sprachbiometrie bisher von unternehmensinternen
bis zu Konsumenten-Anwendungen entwickelt. In Deutschland allerdings sind sie im Ver-
gleich zu Nordamerika und Asien/Pazifik besonders auf dem Gebiet der Konsumenten-
Anwendungen noch recht bescheiden.15

Nutzung vertraulicher Daten


durch Agenten oder dritte
Personen
(Kundenschnittstelle)
Distanz

Identifikation im Auslösen von Bestell-,


not-face-to-face- Leistungs- und/oder
Service Zahlungsvorgängen

Sicherheitsschlüssel für
vertrauliche Informationen
und Vorgänge (Self-Service-
Automation)

Öffentliche
Vor Ort

Veranstaltungen
Zugangskontrolle
Gesonderte
Sicherheitsbereiche

Abbildung 5: Clusterung der Anwendungsfelder für Sprachbiometrie

Soweit heute absehbar, beziehen sich mögliche große Anwendungsbereiche im Service-


Bereich auf mehrere Stufen von Transaktions- oder Service-Aspekten. Sprachbiometrische
Anwendungen sind überall dort die sicherste Identifikationsmethode, wo sich jemand über ein
nicht-persönliches Medium identifizieren muss. Vor allem, wenn es um Bestell- oder Bezahl-
vorgänge via Telefon oder Internet geht, kann durch Sprachbiometrie Datenmissbrauch ver-
hindert werden. Ein weiterer Einsatzbereich ist der Zugang zu eigenen vertraulichen Daten
wie Passwörtern, PINs oder Kontonummern. Bei allgemeinen Zugangskontrollen, wo die

15
Vgl. STEIMEL (2008).
Service Management durch Sprachbiometrie 247

Authentifizierung nicht zwangsläufig über den Kommunikationskanal Telefon abläuft, kon-


kurrieren sprachbiometrische Anwendungen mit anderen biometrischen Verfahren. In Ser-
vice-Centern eröffnet die Identifikation mittels Stimme ein enormes Sicherheits-, Effizienz-
und Service-Potenzial. Um Datendiebstahl effektiv zu bekämpfen und die Benutzerfreund-
lichkeit zu erhalten sowie für eine erhöhte Convenience des Kunden werden immer mehr
Unternehmen auf sprachbiometrische Authentifizierungsmaßnahmen setzen.

3.3.1 Anwendungscluster: Nutzung vertraulicher Daten durch Dritte


(Kundenschnittstelle)
Die Übereinstimmung einer behaupteten mit der tatsächlichen Identität gehört heute neben
Vertraulichkeit, Integrität und Verfügbarkeit zu den herausragenden Sicherheitszielen in
modernen Service-Centern. Dieses Ziel kann mit Hilfe der Sprachbiometrie erreicht werden.
Daneben sind vor allem Kosten- und Service-Aspekte die wichtigsten Argumente für ihren
Einsatz.

Kostensenkungs-Aspekte können bei Service- und Vertriebsprozessen verkürzte Live-Ope-


rator-Prozesszeiten sein: Ein Anrufer wird aufgrund seiner Stimme identifiziert und seine
Daten erscheinen bei dem Agenten sofort auf dem Bildschirm. TD Waterhouse in Kanada hat
mit Sprachbiometrie die Anrufdauer pro Agent im Call Center um mindestens 30 Sekunden
reduziert. Das Unternehmen kann schon kurz nach der Implementierung eine immense Kos-
ten-Einsparung nachweisen.16 Ruft mit einer bestimmten Rufnummer nur eine Person an (und
ist sichergestellt, dass nicht z. B. andere Familienmitglieder die gleiche Nummer verwenden)
und nutzt diese Person immer nur diese eine Rufnummer, funktioniert die Rufnummerner-
kennung recht gut. Doch die Stimmverifikation ist wesentlich sicherer, und der Prozess ist
genauer. Denn damit ist zweifelsfrei klar, wer anruft – egal von welchem Telefon.

Service-Prozesse elektronisch, also per Sprachcomputer oder in Verbindung mit dem Internet
abzuwickeln, senkt ebenfalls die Kosten. Ein Beispiel dafür wäre der Kunde, der etwas per
Internet bestellt und sich dazu über seine Stimme authentifiziert. Ein weiteres wäre der Kun-
de, der mit dem Sprachcomputer ein Airline-Ticket bucht und dann auch per Stimmauthenti-
fizierung in das Flugzeug einsteigt. Externe Außendienstmitarbeiter können über Sprachap-
plikation Zugriff auf Kundendatensätze, beispielsweise auf Adressen und Leistungsumfänge
der Verträge von Kunden erhalten, wie z. B. die 10.000 Außendienstmitarbeiter der Volksfür-
sorge-Versicherungsgruppe.17 Die größten Potenziale zur Kostensenkung bieten telefonische
und internetbasierte Kundenschnittstellen, über die Transaktionen durchgeführt werden und
die der Fraud-Detection unterliegen. Hier wird eine sichere Identifikation der Anrufer den
Missbrauch nachhaltig verringern.

Den Service-Aspekt verdeutlicht der Blick in andere Länder, wo bereits – im Gegensatz zu


Deutschland – große Konsumentenanwendungen auf Sprachbiometrie-Systemen aufgebaut
wurden. Ein gutes Beispiel ist Bell Canada. Das Unternehmen bietet bei allen Kundenhot-
lines für Festnetz-, Mobilfunk-, Internet- und TV-Dienste die schnelle biometrische Authenti-
fizierung über den Satz „At Bell, my voice is my password!“ an. Einen eindrucksvollen Be-
weis für die steigende Akzeptanz dieses Systems auf Nutzerseite liefern die 16.000 Neuan-

16
Expertengespräch mit Michael-Maria Bommer, General Manager DACH (2009).
17
Vgl. STEIMEL (2008).
248 BAUMGÄRTNER

meldungen pro Woche, die zeigen, dass Sprachbiometrie massenmarkttauglich geworden ist. 18
Auch das Thema der automatisierten Selbstbedienung wird durch die sichere Identifizierung
einen neuen Schub erhalten.

Ein zentrales Argument für Stimmbiometrie bleiben Sicherheits- und Datenschutzaspekte.


Zuverlässigkeit und Sicherheit haben mittlerweile maßgeblichen Einfluss auf Kundenent-
scheidungen: Ein Serviceunternehmen wird Vertrauen schaffen, wenn seine Call-Center-
Agenten zu bestimmten Systemdaten nur dann Zugang erhalten, wenn der Kunde dies mittels
Stimmverifizierung erlaubt. Im medizinischen Bereich können stimmbiometrisch identifizier-
ten Anrufern Auskünfte am Telefon gegeben werden, und selbst für Behörden ergeben sich
hier Chancen. Ein Mitarbeiter kann durch einen Anruf überprüfen, ob sich ein bestimmter
Leistungsempfänger zu Hause aufhält, denn der Angerufene kann sich über seine Stimme
identifizieren. Auch die Möglichkeit, den Stand eines Gerichtsverfahrens telefonisch abzufra-
gen oder Zugriff auf automatisierte Behördenleistungen zu erhalten – ohne lästigen und zeit-
raubenden Schriftverkehr19 – wäre absolut neu und innovativ.

3.3.2 Anwendungscluster: Bestell-, Leistungs- und/oder Zahlungsvorgänge


Mit der Zeit wird die Abwicklung von Bezahlvorgängen durch moderne biometrische Au-
thentifizierungsmaßnahmen sicherer werden. Während im Jahre 1975 noch mit Schecks, ab
1980 mit Kreditkarten in Kombination mit PINs und Passwörtern gezahlt wurde, wird diese
Palette künftig um die Möglichkeit der „Zahlung mit der Stimme“ ergänzt.20 Am Point of
Sales wird sie wohl noch auf sich warten lassen, aber dort, wo der Zahler nicht vor Ort ist,
wird diese sichere Möglichkeit zu zahlen an Bedeutung gewinnen. In den Niederlanden kön-
nen bereits rund vier Mio. ABN-AMRO-Kunden Kontoabfragen und Überweisungen mittels
Sprachidentifizierung tätigen.21 In den Vereinigten Emiraten betreibt eine Bank nur noch
Banking über Voice-Applikationen. Künftig wird Bestell-, Zahlungs- oder anderen kritischen
Transaktionen immer häufiger eine Stimmverifikation vorgeschaltet sein. Damit übernimmt
die biometrische Authentifizierung zunehmend eine „Enabler“-Funktion. Die Freigabe eines
Zahlungsvorgangs durch Stimmverifizierung kann langfristig die ortsungebundene Kreditkar-
tenzahlung ersetzen. Viele Transaktionen können künftig medienbruchfrei am Telefon abge-
wickelt werden.

Beim Teleshopping (VoicePay-TV) oder beim Einkauf im Internet kann eine Ware oder ein
Service per Anruf mit Voice-Identifikation gekauft, geliefert und bezahlt werden. Der Vorteil
der schnelleren Abwicklung im Vergleich zur herkömmlichen Überweisung ist klar.22 Eine
Anwendung aus England unterstreicht das: Sieht der Kunde in einem Werbespot im TV oder
im Internet ein Produkt, das er kaufen möchte, ruft er unter der kostenfreien Hotline an, nennt
den Produkt-Code und „unterschreibt“ den Auftrag mit seiner Stimme.

18
Vgl. HERDA (2008) und STEIMEL (2008).
19
Vgl. EGOVERNMENT COMPUTING (2009).
20
Vgl. FRÖHLICH (2008) und OGDEN (2008).
21
Vgl. HERDA (2008).
22
Vgl. FRÖHLICH (2008) und OGDEN (2008).
Service Management durch Sprachbiometrie 249

Auch Überweisungen zwischen Unternehmen oder Privatpersonen werden einfacher: Der


erste Teilnehmer identifiziert sich über das Telefon, ruft anschließend den zweiten an, der die
Überweisung erhalten soll. Dieser identifiziert sich ebenfalls via Stimmverifikation und bestä-
tigt seine Absicht, das Geld anzunehmen. Dabei können die Angaben von Kontodaten entfal-
len. Auch Zahlungen ohne EC-Karte werden damit sicherer. Statt die PIN-Nummer der EC-
Karte einzugeben, tippt man seine Handynummer ein, wird angerufen, identifiziert sich und
der Bezahlvorgang wird gestartet. Das Prinzip funktioniert ebenso gut am Geldautomaten wie
beim Online- oder Internet-Banking.23

Der Verbreitungsgrad dieser Zahlungsform wird von einer ganzen Reihe externer Rahmenbe-
dingungen abhängen. Das Potenzial, mit biometrischen Verfahren die Plastikkarten abzulö-
sen, ist aber jedenfalls vorhanden.

3.3.3 Anwendungscluster: Sicherheitsschlüssel für vertrauliche Informationen


und Vorgänge (Self-Service-Automation)
Vergessen oder verlieren Kunden ihre Passwörter, verursacht dies enorme Kosten. Eine Be-
fragung der Münchener Nuance Communications GmbH ergab, dass mehr als 50% der Be-
fragten schon mal ihre Passwörter vergessen haben.24 Mehrere Konten, die Passwörter erfor-
dern, sind jedoch heute die Regel. Nach Angaben des statistischen Bundesamtes verfügte
2004 jeder Bundesbürger im Schnitt über sechs Passwörter; heute sind es nach Einschätzung
des derzeitigen Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, PETER
SCHAAR, schon mehr als zwölf – Tendenz steigend! Dabei werden manche Passwörter doppelt
verwendet. Das wiederum birgt für die Nutzer ein enormes Sicherheitsrisiko und verursacht
beispielsweise durch Scheck- und Kreditkartenbetrug oder Passwort-Klau im Internet enorme
volkswirtschaftliche Schäden. Rund 9% der deutschen Bevölkerung (4,9 Mio. Menschen)
wurden bereits Opfer betrügerischer Zugriffe auf ihr Konto.25

Die Stimmverifikation wird seit einigen Jahren erfolgreich im IT-Help Desk für den so ge-
nannten „Passwort Reset“ im Self Service eingesetzt, zum Beispiel von Firmen wie IBM,
Swisscom und der VW-Bank. Die mehr als 4.100 Kunden des Volkswagen Financial Service
erhalten seit August 2004 insgesamt monatlich ca. 700 stimmverifizierte Passwort Resets.
Das erspart ihnen, sich umständlich und zeitaufwändig via Werks- oder Personalausweis zu
authentifizieren. Der Effizienzgewinn lässt sich klar beziffern: Es werden 15 Minuten Bear-
beitungszeit und 15 EUR Bearbeitungskosten pro Vorgang eingespart.

Auch die Swisscom stellt ihren 18.000 Mitarbeitern mit Hilfe der Stimmverifikation neue
Passwörter zur Verfügung, und zwar wahlweise auf Deutsch, Englisch, Italienisch oder Fran-
zösisch.26 Neben einem Passwort Reset kann der Nutzer über seine Stimme weitere vertrauli-
che Informationen selbstständig steuern. Er kann seine Kontostände prüfen, Bestellungen und
Reservierungen ändern, Dienste stornieren, sich in Computersystemen anmelden, über eine
neue Adresse oder den veränderten Familienstand informieren. All dies kann er bereits heute
über PINs und Passwörter – allerdings unter einem gewissen und nicht zu vernachlässigenden
Sicherheitsrisiko.

23
Vgl. FRÖHLICH (2008).
24
Vgl. FRÖHLICH (2008).
25
Vgl. ESTA.
26
Vgl. HERDA (2008).
250 BAUMGÄRTNER

3.3.4 Anwendungscluster: Weitere Anwendungsformen der Sprachbiometrie


Wie andere biometrische Anwendungsformen lässt sich auch die Sprachbiometrie bei der
Zugangsberechtigung zu Firmengebäuden, Spielbanken, Bibliotheken, Privathäusern oder
öffentlichen Plätzen einsetzen. Vereinfacht wird dies dadurch, dass heute in 75% aller ausge-
lieferten Handys, in vier Mio. Autos und auf etwa zehn Mio. PND`s bereits Sprachapplikatio-
nen und Sprachsteuerungstools implementiert sind.
Es wird nicht lange dauern, bis die bestehenden biometrischen Systeme in der Lage sind,
Alter, Geschlecht oder Sprache eines Anrufers zu identifizieren. Dies ermöglicht eine kun-
denindividuelle Ansprache – auch von anonymen Anrufern – und bietet einen klaren Nutzen
für Marketingmaßnahmen wie z. B. spezifische Werbung oder Routing der Anrufer auf Basis
einer Kundensegmentierung.27

In der Verbrechensbekämpfung hat die Sprachbiometrie schon jetzt den Vorteil, dass sogar
mehrsprachige Stimmbilder identifiziert und zugeordnet werden können. Das ist besonders
vor dem Hintergrund des zunehmenden internationalen Terrorismus von Bedeutung. Hier
spielt die remote Einsetzbarkeit (ohne physische Präsenz) der Sprache und die hohe Identifi-
kationsgeschwindigkeit gegenüber traditionellen Vorgehensweisen eine besondere Rolle.

3.4 Vor- und Nachteile sprachbiometrischer Anwendungen aus Sicht


der Nutzer und Betreiber
Sprachbiometrische Anwendungen liefern überall dort einen Mehrwert, wo sensible Transak-
tionen durchgeführt oder hohe Sicherheitsstandards gefordert werden, ohne dass dies „face-
to-face“ stattfinden kann. Die Vorteile liegen klar auf der Hand: Das Verfahren ist einfach,
sicher, kostengünstig und benutzerfreundlich. Und es entspricht dem Zeitgeist und dem Ver-
langen der Bürger nach Datensicherheit und Betrugsvermeidung. Hinzu kommt, dass auch
Analphabeten und Ausländer, die der Landessprache nicht mächtig sind, damit z. B. Banking-
oder Bestellvorgänge abwickeln können.

Allerdings sind zunächst emotionale Hürden zu überwinden: Zum einen gibt es in Deutsch-
land eine tief sitzende Abneigung gegen automatisierte Systeme und eine andauernde Diskus-
sion über den „gläsernen Bürger“. Die Menschen tun sich schwer, ihre „Voice Prints“ Unter-
nehmen zu überlassen, solange für sie nicht transparent ist, was damit geschieht. Ein Teufels-
kreis: Die Angst vor Missbrauch der „Voice Prints“ ermöglicht den Missbrauch anderer
Daten. Keine leichte Diskussion. Mit jedem veröffentlichten Fall von Datendiebstahl wird sie
intensiver – aber nicht unbedingt einfacher. Eine offensive Positionierung der Sicherheits-
und Datenschutzaspekte kann zu ihrer Versachlichung beitragen.

27
Vgl. HERDA (2008).
Service Management durch Sprachbiometrie 251

Qualitätsdruck
¾Neue Produkte/Services anbieten
Sprachbiometrische Anwendungen

¾Sichere Vermeidung des Datenmissbrauchs durch Dritte und


durch externe Agenten

¾Schnellere und zuverlässige Identifikation des Anrufers im nicht


persönlichen Kontakt
¾Bezahl- und Bestelltransaktionen schneller und effizienter
abwickelbar

Kostendruck
¾Vermeiden erheblicher Datenmissbrauchsfälle durch
zweifelsfreie Zuordnung
¾Im Vergleich zu anderen biometrischen Verfahren
kostengünstiger und einfacher in der Anwendung

Abbildung 6: Vorteile durch sprachbiometrische Anwendungen im Service Management

Technologisch sind sprachbiometrische Anwendungen zwar anspruchsvoll, aber ihre Integra-


tion in eine bereits vorhandene IT-/TK-Umgebung erfordert einen relativ geringen Finanz-,
Implementierungs- und Entwicklungsaufwand. Sprachbiometrie ist technisch leichter um-
setzbar als andere biometrische Verfahren. Viele Sprachmodule werden als Standardsoftware
angeboten und erlauben einen kurzfristig kalkulierbaren Return on Investment. Dabei sind ein
skalier- und kalkulierbarer Rollout sowie eine einfache Pilotphase möglich. Zudem ist das
System an allen Wochentagen rund um die Uhr verfügbar – eines der Hauptargumente für die
Nutzung automatisierter Systeme. Laut einer Studie von Nuance Communications empfinden
91% der Befragten die Hinterlegung des Stimmprofils – sie dauert nur 2–3 Minuten – als sehr
einfach.28

4 Diffusionsmodell für die Verbreitung


der Sprachbiometrie durch ein Trust Center

In diesem Beitrag wurden bereits einige der vielfältigen Einsatzmöglichkeiten sprachbiomet-


rischer Verfahren genannt. Zwei Kernfragen müssen beantwortet werden, um die potenzielle
Diffusionsgeschwindigkeit der Sprachbiometrie einschätzen zu können: Wo werden die Voi-
ce Prints gespeichert – an einer zentralen Stelle für viele Anbieter (1:n) oder bei den jeweili-
gen Unternehmen (1:1)? Und wie wird die (doppelt) kritische Masse an Betreibern und Nut-
zern am schnellsten generiert?

28
Vgl. FRÖHLICH (2008).
252 BAUMGÄRTNER

Eine Möglichkeit könnte so aussehen: Jedes interessierte Unternehmen baut seine eigene
Voice-Print-Datenbank auf, ohne Austausch mit den Datenbanken anderer Unternehmen.
Dabei sind die Standardprodukte kein Problem, die gibt es preisgünstig als „white label“ zu
kaufen. Aber zum einen müsste jedes Unternehmen relativ hohe Kosten für das Enrolment –
insbesondere Marketing, Aufklärung, Erstregistrierung sowie Aufbau und Pflege der Anwen-
dungen – allein tragen. Und andererseits würden sich erfahrungsgemäß zunächst nur ver-
gleichsweise wenige Kunden für einen oder mehrere Services in dieser Authentifizierungs-
form bei jedem Unternehmen registrieren. Wollen mehrere Unternehmen den gleichen Kun-
den für die schnelle Authentifizierung per Sprache gewinnen, muss jedes Einzelne diesen
Aufwand betreiben und der Kunde seine Stimme jedes Mal neu registrieren lassen. Das Er-
gebnis wären viele 1:1-Beziehungen zwischen Kunden und Unternehmen, und die sprachbi-
ometrischen Anwendungsformen kämen nur sehr langsam zum Durchbruch.

Da ein grundlegender Hinderungsgrund zur Teilnahme an (sprach-)biometrischen Verfahren


mangelndes Vertrauen in die Sicherheit der Voice Prints ist, muss an diesem Punkt angesetzt
werden. Die Lösung könnte in der Einführung von „Trust-Centern“ oder Zertifizierungs-
dienstleistern (ZDA) liegen, bei denen Voice Prints grundsätzlich gespeichert werden. Dort
wären sie für viele Betreiber und Anwendungen (1:n) nutzbar. Nur dann, so die These des
Autors, werden sich sprachbiometrische Anwendungsformen in Deutschland für den Mas-
senmarkt durchsetzen. Dieses Geschäftsmodell entspricht dem von Kreditkarteninstituten,
Auskunftsdienstleistern (Schufa, Creditreform) oder von multiplen Kundenloyalitätspro-
grammen wie Payback oder HappyDigits.

Einer oder wenige neutrale Dienstleister – private Organisationen, halbstaatliche oder staatli-
che Institutionen oder PPP-Konstrukte – würden nach diesem Modell 1:n-Beziehungen auf-
bauen. Jeder Kunde würde seinen Voice Print nur einmal zentral ablegen und könnte ihn dann
für viele Anwendungen nutzen. Schafft es so ein solches Trust Center beispielsweise, eine
Million Nutzer auf einer solchen Datenbank zu registrieren, sollte der Durchbruch geschafft
sein. Danach werden immer mehr Akzeptanzstellen die Vorteile der Sprachauthentifizierung
anwenden.

Unterm Strich führt das – ähnlich der Erfahrung mit Kreditkarten – zu Vorteilen für alle Be-
teiligten: Weil die Transaktionen eines Nutzers über viele Stationen hinweg verfolgt werden
können, kann Missbrauch verhindert oder weitgehend reduziert werden. Bei der Registrierung
kann sichergestellt werden, dass der abgelegte Voice Print tatsächlich mit der behaupteten
Identität übereinstimmt. Und da im Idealfall nur ein Trust Center existiert, sind Doppelregist-
rierungen ausgeschlossen. Mit jeder Transaktion wird das System lernen und die Nuancen des
Voice Prints immer besser ausschöpfen. Es kann auch nicht vorkommen, dass ein und diesel-
be Person zwei Voice Prints mit unterschiedlichen Identitäten koppelt. Dies wäre beispiels-
weise ein Risiko, wenn es unterschiedliche 1:1-Beziehungen gäbe.
Service Management durch Sprachbiometrie 253

Krankenkassen/
Banken Versicherungen Online-Dienste Behörden Öffentliche Plätze
¾ Transaktionsabwicklung ¾ Krankenakte ¾ Portaldienste ¾ Finanzämter ¾Flughafen/
bei Bank oder über ¾ Statusabfrage ¾ FSK 18- ¾ Bundesagentur Airlines
Zahlungsdienstleister ¾… Prüfung für Arbeit ¾Massenveran-
¾ Statusabfragen ¾… ¾ Self-Automation staltungen
¾ Banking the Non-banked ¾… ¾…

Schnittstellen
Kiosksystem/
POS WEB Geldautomaten Callcenter …
Terminals

Zentraler Voice-Daten-Pool Sprachbiometrie-Anwendung Transaktionsplattform

Endkunden/Nutzer

Abbildung 7: Beispiele für sprachbiometrische Anwendungen in Trust-Centern

Für Unternehmen ergibt sich aus dem Trust-Center-Modell der zusätzliche Vorteil, dass wei-
tere Daten – Umzüge, Veränderung des Kauf- oder Reiseverhaltens etc. – erkennbar, also
marketing- oder vorbeugetechnisch nutzbar werden. Für den Besitzer der „Voice-Print“ ergibt
sich neben dem nur einmaligen Registriervorgang vor allem ein großer Vorteil: Er kann mit
einer einzigen Transaktion, also sehr schnell, alle Daten wieder löschen, indem er die Regist-
rierung bei dem Trust Center rückgängig macht.

Ein Trust Center wäre demnach abhängig davon, dass ihm viele Registrierte vertrauen und
über eine lange Zeit hinweg dort ihren Voice Print verwalten lassen. Allein diese Tatsache
wird dafür sorgen, dass dieses alle datenschutzrechtlichen und mit dem Inhaber des „Voice
Prints“ vereinbarten Nutzungsbedingungen streng befolgt. Dies ist die Sicherheitsgarantie
gegenüber dem Nutzer und bedeutet nicht nur Kontrolle über die eigenen biometrischen Da-
ten, sondern auch eine größere Sicherheit, als würde er vielen unterschiedlichen Unternehmen
jeweils einen separaten Voice Print überlassen.

Die IT-Systeme der Unternehmen wären in diesem Modell direkt mit jenen im Trust Center
gekoppelt. Damit wäre ein Nutzer, noch ehe der Agent im Call Center den Hörer abnimmt,
bereits identifiziert. In Bankfilialen, Behörden usw. könnte beispielsweise der Kunde über die
Sprache identifiziert werden, sobald er den Schalterraum betritt.
254 BAUMGÄRTNER

Je mehr … Je mehr …

desto mehr …
Akzeptanzstellen
Nachfrager
und Services
desto mehr …

zunehmende Erträge
desto mehr … desto mehr …
im Trust Center
desto mehr …
desto mehr … gefühlte Sicherheit
desto mehr …
Convenience

Je mehr …

Abbildung 8: Schaffung der doppelt-kritischen Masse

Ähnlich wie einst bei der Einführung der Kreditkarten wird es zunächst das Problem geben,
gleichzeitig Nachfrage und Angebot zu generieren. Erst ab einer kritischen Masse wird ein
solches System zum Selbstläufer. Je prominenter die ersten Akzeptanzstellen, desto schneller
wird sich das System etablieren: Kontrolliert beispielsweise eine Institution wie die Bundes-
agentur für Arbeit oder eine Krankenversicherung den Datenaustausch mit ihren Leistungsbe-
ziehern über Sprachbiometrie, dann wird sehr schnell eine ausreichende Anzahl an Nutzern
registriert sein.

Allerdings wächst schon jetzt mit jedem Datenmissbrauch und Identitätsdiebstahl die Nach-
frage nach sicheren Systemen. Eine breit angelegte Aufklärungskampagne könnte einem
Trust Center dabei helfen, weitere Teilnehmer zu gewinnen, sowohl auf Seiten der Anbieter
wie der Nutzer.

Die Erstregistrierung könnte auch per Telefon stattfinden. Dann lernt das System mit jeder
Transaktion und gibt dem Voice Print sukzessive immer mehr Rechte frei. Ein Beispiel: Ein
Nutzer sieht ein Plakat zum Kauf von Konzertkarten mit einer Telefonnummer, über die er
sich auch für die Authentifizierung per Sprache anmelden kann. In Verbindung mit seiner
Kreditkarten-Nummer (Name, Adresse, etc. sind damit bekannt) gibt er seinen Voice Print ab.
Diesen kann er dann zunächst für kleinere Transaktionen nutzen, aber mit jeder weiteren
Kreditkartenabbuchung und Zahlung steigt die Sicherheit, dass angegebene Person und
Stimme identisch sind. Ein Enrolment, ohne dass der Nutzer dafür zu einer öffentlichen Be-
hörde oder in ein Büro gehen muss, um sich langwierig registrieren zu lassen.
Service Management durch Sprachbiometrie 255

5 Blick in die Zukunft: Anwendungen der Sprachbiometrie


als Effizienz-, Sicherheits- und Servicetreiber

Klassische Authentifizierungsverfahren haben keineswegs ausgedient. Allerdings werden


biometrische Verfahren auf Grund ihrer mannigfaltigen Vorteile in einer digitalisierten Welt
einen immer höheren Stellenwert gewinnen, wo es darum geht, Personen zweifelsfrei zu
identifizieren. Die technischen Rahmenbedingungen sind vorhanden und der Druck, weitere
Sicherheitsverfahren zu entwickeln, wächst in Zeiten von Betrug und Anschlägen. Der Markt
für biometrische Anwendungen kann in den nächsten Jahren zweistellige Wachstumsraten
erreichen.

Sprachbiometrische Verfahren sind immer dort gefragt, wo der Nutzer nicht vor Ort sein kann
und die Medien Telefon und Internet genutzt werden, um Transaktionen durchzuführen. Hier
bietet Sprachbiometrie bei bestimmten Anwendungen Convenience, Sicherheit und für den
Betreiber ein gutes Kosten-/Nutzenverhältnis. Vielversprechende Weiterentwicklungen wer-
den zu weiteren Innovationen führen.29

Eine Nachfrage nach professionellen Zertifizierungsdienstleistungen für sprachbiometrische


Anwendungen existiert bereits. Zu einer massenmarktfähigen Anwendung entwickelt sich die
Sprachbiometrie aber erst, wenn zum einen ein vertrauenswürdiges Angebot an Akzeptanz-
stellen und zum anderen eine ausreichend große Nachfrage auf Nutzerseite vorhanden ist,
also Menschen, die bereit sind, ihren Voice Print zentral speichern zu lassen. Das Geschäfts-
modell Trust Center muss in Deutschland – idealerweise von wenigen Playern – etabliert
werden, damit sich die Nutzerzahlen aus dem System heraus selbst generieren, um schnell die
doppelt-kritische Masse zu generieren. Die größten Umsetzungschancen für dieses Modell
dürften bei einem Big Player (Image-/Kompetenzausweitung) oder in Kombination mit der
öffentlichen Hand in Form eines PPP-Konstruktes liegen. Ein weiterer Marktbeschleuniger
wird Mobile Commerce bzw. die Weiterentwicklung der Endgeräte sein.

Nun stellt sich die Frage, warum es für Sprachbiometrie in Deutschland bislang keinen Mas-
senmarkt gibt. Zum einen liegt dies in dem „First-Mover“-Problem für höhervolumige Kon-
sumentenanwendung begründet. Als noch junges Sicherheitsverfahren, dessen Image bisher
durch angloamerikanische Anbieter geprägt wurde und das auf Konsumentenseite einen noch
geringen Bekanntheitsgrad hat, wird sie zunächst skeptisch betrachtet. Die bereits skizzierte
öffentliche Diskussion trägt ein Übriges bei. Die „gefühlte Sicherheit“ ist heute noch gering.
Ein weiterer neuralgischer Punkt ist die „sektorale“ Kenntnis über die Potenziale der Sprach-
biometrie in den Technikabteilungen von Großunternehmen. Das Thema wird dort heute noch
zu techniklastig diskutiert. Hinzu kommen – auf Grund von generellen Vorurteilen gegen
Sprachanwendungen – Bedenken, Kunden mit Sprachautomatisierung zu konfrontieren.

Andererseits wollen Kunden Informationen schnell und unkompliziert erhalten. Mit einer
bequemen und schnellen Verifizierung durch eine intelligente Spracherkennung am Telefon
kann es gelingen, ihre anspruchsvollen Serviceerwartungen zu erfüllen. Zugangskontrolle und
individualisierte Services wie Passwort Reset werden dabei einen gewichtigen Raum einneh-
men, die Marktdurchdringung aber nicht nachhaltig forcieren, da hier das Marktsegment zu

29
Vgl. HERDA (2008).
256 BAUMGÄRTNER

klein ist. Vielmehr werden die Anwendungen an der Kundenschnittstelle – via Internet oder
Telefon – von entscheidender Bedeutung für die Penetration dieses Servicetools sein.

Allerdings gibt es heute nur wenige massentaugliche sprachbiometrische Anwendungen. Sie


stehen insgesamt noch am Anfang und es wird eine Weile dauern, bis sie einen sicheren Platz
in unserem Alltag haben werden. Eine TellSell-Consulting-Studie rechnet damit, dass eines
der folgenden drei Entwicklungsszenarien in den nächsten drei Jahren Wirklichkeit wird:

Anzahl Betreiber- Unternehmen Anzahl Anzahl Trust


(> 100.000 Nutzer) (< 10.000 Nutzer) Gesamtnutzer Center

Konservativ
3-5 neu 100 < 500.000 > 30

Realistisch
5-10 neu 200 1-2 Mio. 5-6

Optimistisch
10-20 neu 800 > 3 Mio. 1-2
(Mehrfachregistrierungen sind möglich)

Abbildung 9: Szenarien zur Marktentwicklung in den nächsten drei Jahren30

In der Realität wird die Entwicklung sehr davon abhängen, wie viele Unternehmen an der
Kundenschnittstelle eine solche Anwendung im Endkonsumentengeschäft einsetzen. Es ist
realistisch, dass etwa fünf bis zehn Unternehmen für großvolumige Prozesse die Authentifi-
zierung per Sprache nutzen werden. Das impliziert Trust Center mit bis zu zwei Millionen
registrierter Nutzer. Dies vorausgesetzt, werden sprachbiometrische Anwendungen in den
fünf darauf folgenden Jahren zum Teil unserer alltäglichen Service-Kultur geworden sein.
Tritt der konservative Fall ein, nämlich dass fast jedes Unternehmen seine eigene Voice-
Print-Datenbank etabliert und es keine zentrale Registrierung der Voice Prints gibt, dann
werden sprachbiometrische Anwendungen noch lange ein Nischenprodukt bleiben.

30
Markteinschätzung auf Basis von Expertengesprächen und Gesprächen mit interessierten Unternehmen und
Organisationen Q 3 und Q4 2008.
Service Management durch Sprachbiometrie 257

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Service Management als Erfolgsfaktor von
Offshoring und Internationalisierung der IT

CARSTEN VON GLAHN

Siemens

1 IT-Offshoring im internationalen Kontext..................................................................... 261


2 IT-Offshoring im gestalterischen Kontext ..................................................................... 262
2.1 Leistungsformen des IT-Offshoring..................................................................... 262
2.2 Erscheinungsformen des IT-Offshoring............................................................... 263
2.3 Aufstellungsformen des IT-Offshoring................................................................ 263
3 Service Management zur Reduzierung von Unsicherheiten beim IT-Offshoring.......... 265
3.1 Unsicherheiten beim IT-Offshoring ..................................................................... 265
3.2 Intermediation durch das Service Management beim IT-Offshoring................... 266
3.2.1 Bedeutungsänderung von Intermediation ................................................ 266
3.2.2 Abgrenzung von Service Management und Intermediation..................... 268
3.2.3 Vertrauenswürdigkeit des Service Managements .................................... 269
3.3 Vergütung des Service Management beim IT-Offshoring ................................... 270
4 Service Management aus Prozess-Sicht beim IT-Offshoring ....................................... 272
4.1 Grundlagen des Service Managements aus Prozess-Sicht ................................... 273
4.2 Intermediation des Service Managements beim IT-Offshoring ........................... 275
4.3 Aktionsspielraum des Service Managements beim IT-Offshoring ...................... 276
5 Schlussbemerkung ......................................................................................................... 278
Quellenverzeichnis................................................................................................................ 279
Service Management als Erfolgsfaktor 261

1 IT-Offshoring im internationalen Kontext

Der Trend des Offshoring erzeugte in den vergangenen Jahren eine Reihe von kontroversen
Debatten, insbesondere im IT-Sektor.1 Populistische Schlagzeilen wie zum Beispiel „If your
work can be done at a computer, it probably can be done overseas for less“ tragen zum nega-
tiven Image des Offshoring- (oder – synonym – Offshore-) Begriffs erheblich bei.2 Nüchtern
betrachtet, handelt es sich beim Offshoring um die Verlagerung von transaktionsintensiven
Leistungen an geografisch entfernt gelegene Standorte. Die Beweggründe für die Außenverga-
be solcher Leistungen sind sehr vielschichtig und reichen von dem schnellen Zugriff auf ex-
terne Kapazitäten und deren flexible Adaption an sich ändernde Umweltzustände über die
Suche nach spezifischem Wissen und Erfahrungen bis zur Realisierung von Kostenvorteilen.
Die Motivation zum IT-Offshoring, also die Erstellung beispielsweise von Back-Office-, Soft-
wareprogrammierungs- oder Call-Center-Leistungen in so genannten Offshore-Regionen,3 ist
nicht zwangsläufig, wie vielfach behauptet,4 ein Resultat von ausschließlichen Bestrebungen
zur Reduzierung der Leistungserstellungskosten aufgrund eines generell niedrigeren Gehalts-
niveaus im Verhältnis zum Ursprungsland. Der um die Jahrtausendwende in Deutschland
herrschende Fachkräftemangel im IT-Sektor war ein maßgeblicher Faktor, der zur Verlage-
rung von IT-spezifischen Entwicklungsprojekten beispielsweise nach Indien führte.5 Niedrige
Personalkosten der Offshore-Standorte entwickelten sich jedoch über die Zeit teilweise zu
einem primären Standortvorteil. So sind Länder wie Indien, Indonesien, aber auch osteuropäi-
sche Staaten zum Synonym für Offshoring geworden.

Das Phänomen Internationalisierung, also die Aufnahme grenzüberschreitender Aktivitäten,


betrifft heutzutage nicht nur einzelne Unternehmen, die ihr Aktionsfeld länderübergreifend
ausdehnen, sondern eine Vielzahl von Branchen. Der Merkmalskategorie Internationalisierung
wird insofern ein besonderes Gewicht bei der Untersuchung von IT-Offshoring eingeräumt,
weil die im Rahmen der Internationalisierung durchgeführten grenzüberschreitenden Aktivitä-
ten in doppelter Hinsicht beeinflusst werden. Zum einen spielen vorteilstheoretische Überlegun-
gen eine zu berücksichtigende Rolle, zum anderen sind geografische Rahmenbedingungen wie
z. B. die Standortwahl zu bedenken.6

Das für diesen Beitrag relevante Verständnis von Service Management umfasst die Gesamtheit
von Maßnahmen und Methoden, die notwendig sind, um eine möglichst effektive und effizi-
ente Bereitstellung von IT-Leistungen durch Unternehmen in Offshore-Regionen und einen
ebensolchen Konsum durch abnehmende Unternehmen zu fördern.

1
Vgl. ALLWEYER/BESTHORN/SCHAAF (2004), S. 6 f.
2
Vgl. BLINDER (2007), S. B1.
3
Vgl. VON GLAHN/KEUPER (2006), S. 23.
4
Vgl. FARRELL (2003), S. 1.
5
Vgl. zu den folgenden Ausführungen BEXTEN ET AL. (2006), S. 8.
6
QUINN/COOKE/KRIS (2000), S. 217.

F. Keuper, B. Hogenschurz (Hrsg.), Professionelles Sales & Service Management,


DOI 10.1007/978-3-8349-8799-0_11,
© Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
262 VON GLAHN

2 IT-Offshoring im gestalterischen Kontext

Zur begrifflichen Einordnung des IT-Offshoring wird einleitend zwischen Leistungs-, Erschei-
nungs- und Aufstellungsformen unterschieden. Diese Dimensionen sind grundsätzlich unab-
hängig voneinander interpretierbar und in ihren Ausprägungen beliebig kombinierbar. Während
die Leistungsformen auf das Auslagerungsportfolio eingehen, setzen sich die Erscheinungsfor-
men mit dem Leistungsumfang der „offshore“ bereitgestellten Informationstechnologie ausein-
ander. Die Aufstellungsformen zeigen alternative organisatorische Möglichkeiten zur Verwirk-
lichung eines Offshore-Vorhabens.

2.1 Leistungsformen des IT-Offshoring


Was als transnationale Verlagerung einfacher IT-Leistungen, wie zum Beispiel der telefoni-
schen Annahme und Weiterleitung kundenspezifischer Bedienungsprobleme von Applikatio-
nen und der Auslagerung von einfachen Programmierprojekten, begann, hat sich in den ver-
gangenen Jahren grundlegend geändert.7 Mittlerweile reicht das Spektrum der am IT-Offshore-
Markt angeboten Leistungen von der einfachen informationstechnologischen Beratung bis zur
Durchführung komplexer Projekte der Applikationsentwicklung und der Übernahme ganzer
Geschäftsprozesse.8 Folgerichtig konstatiert DÜCK9 dem IT-Offshoring mittlerweile ein „Spek-
trum ohne Tabus“. AMBERG schlägt in Bezug auf das IT-Offshoring eine Klassifizierung in die
Leistungsbereitstellung von IT-Infrastruktur, die Applikationsentwicklung und den Betrieb
von Geschäftsprozessen vor:10

¾ Leistungsbereitstellung von IT-Infrastruktur: Diese IT-Offshore-Alternative beinhaltet


hauptsächlich die Bereitstellung von Hardware- und Applikationskomponenten in den Ka-
tegorien Desktop, Rechenzentrum, Netzwerk und Sprachübertragung.
¾ Applikationsentwicklung: Hierbei handelt es sich in erster Linie um die Programmierung von
individualisierten Softwarekomponenten zur Erweiterung oder Ergänzung bestehender pro-
prietärer oder standardisierter Applikationen.
¾ Betrieb von Geschäftsprozessen: Der Betrieb von Geschäftsprozessen durch einen Anbie-
ter aus einer Offshore-Region beinhaltet vorzugsweise Sekundäraktivitäten des auslagern-
den Unternehmens, ist jedoch aufgrund des prozessorientierten Charakters dieser Leistung
nicht trennscharf auf die Informationstechnologie beschränkt.

Die Reihenfolge der gezeigten Klassifizierung von Leistungsformen des IT-Offshoring reprä-
sentiert zugleich die jeweilige Bindungsintensität von Anbieter und Nachfrager und ist damit
ein Indiz für die Langfristigkeit der Geschäftsbeziehung.

7
Vgl. BÖHM (2003), S. 1 ff.
8
Vgl. SPARROW (2003), S. 6.
9
Vgl. DÜCK (2004) o. S.
10
Vgl. AMBERG (2004b), S. 3 ff.
Service Management als Erfolgsfaktor 263

2.2 Erscheinungsformen des IT-Offshoring


Der Umfang als wesentliche Determinante der Erscheinungsformen der an einen IT-Offshore-
Anbieter zu übertragenden Aufgaben prägt die Unterscheidung in das totale Offshoring und
das partielle Offshoring von Informationstechnologie.11

¾ Totales IT-Offshoring: Beim totalen IT-Offshoring wird der Tätigkeitskomplex der IT in


vollem Umfang, d. h. einschließlich aller untergeordneten Verrichtungen, die eine Einheit
zuvor eigenständig erbracht hat, an einen unternehmensexternen Offshore-Anbieter ausge-
lagert. Diese Form des IT-Offshoring beinhaltet neben der Ressourcen- und IT-Leistungs-
übernahme ebenfalls die Verantwortung für den Betrieb und die Betreuung der gesamten
IT. Der Begriff total darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Entscheidungs-
befugnis zum Offshoring sowie die Kontrolle des transnationalen IT-Leistungsbezugs bei
der Unternehmenseinheit verbleibt, also nicht vergeben wird.
¾ Partielles IT-Offshoring: Hingegen werden beim partiellen IT-Offshoring nur dezidierte
informationstechnologische Funktionen externalisiert, wie z. B. die IT-Leistungserbringung
der in Unternehmenseinheiten verwendeten Standardapplikationen.12 Die restlichen mit der
IT verbundenen Aktivitäten werden weiterhin unternehmensintern ausgeübt.13 Teilweise
geht diese auch als selektives IT-Offshoring bezeichnete Erscheinungsform nicht mit der
Überführung von Mitarbeitern einher,14 das zu erheblichen Vorteilen aus arbeits- und ge-
sellschaftsrechtlicher Sicht führen kann.

Beide Erscheinungsformen sind einzelfallspezifisch hinsichtlich der zu erwartenden Effekti-


vitäts- und Effizienzvorteile zu beurteilen. So bietet das partielle IT-Offshoring Flexibilitäts-
vorzüge bei Veränderungen der allgemeinen Marktbedingungen, während im Gegensatz zum
totalen IT-Offshoring Abstriche bei der Realisierung von Fixkostendegressionseffekten auf
Seiten des Nachfragers einzukalkulieren sind.15 Wie der nachfolgende Gliederungspunkt zeigen
wird, eignen sich nicht alle organisatorischen Aufstellungsformen für das totale, jedoch für
das partielle IT-Offshoring.

2.3 Aufstellungsformen des IT-Offshoring


Die Entscheidung, ob und in welcher Form ein IT-Offshore-Projekt für ein Unternehmen in-
frage kommt, hängt wiederum von dem angestrebten Integrationsgrad zwischen Nachfrager
und IT-Offshore-Anbieter ab. Das Spektrum der Alternativen reicht vom so genannten
Greenfield-Ansatz, der einen hierarchieorientierten Realisierungsansatz repräsentiert, bis zum
marktorientierten Auslagerungsansatz:16

11
Wird an dieser Stelle unter IT-Offshoring eine standortspezifische Form der IT-Auslagerung verstanden, kann
das Verständnis von ZAHN/BARTH/HERTWECK im Folgenden analog Anwendung finden, vgl. ZAHN/BARTH/HERT-
WECK (1999), S. 8 f.
12
Vgl. LACITY/HIRSCHHEIM (1995), S. 4.
13
Vgl. DIBBERN/GÜTTLER/HEINZL (2001), S. 676 ff.
14
Vgl. MAYER/SÖBBING (2004), S. 26 f.
15
Vgl. AMBERG (2004b), S. 13.
16
Vgl. VON GLAHN (2007), S. 355 f.
264 VON GLAHN

¾ Greenfield-Ansatz:17 Diese Alternative entspricht dem Aufbau neuer – bisher im Unter-


nehmen nicht vorhandener – Lokationen der Erbringung von IT-Leistungen in Offshore-
Regionen. In abgewandelter Form tritt dieser Ansatz in Erscheinung, wenn bestehende
Unternehmensstandorte als interne IT-Offshore-Anbieter umgebaut werden. Nach erfolg-
reicher Errichtung handelt es sich um einen internen Anbieter von IT-Leistungen, der
sowohl organisatorisch als auch rechtlich vollständig in das Unternehmen integriert ist.
¾ Akquisitionsansatz:18 Hierbei handelt es sich um den Erwerb (von Teilen), z. B. um die
Übernahme von vorhandenen Offshore-Lokationen anderer Unternehmen. Die anschlie-
ßende Gründung einer Tochtergesellschaft, die i. d. R. eine gewisse wirtschaftliche Selbst-
ständigkeit genießt, bringt dem akquirierenden Unternehmen nach gründlicher Evaluierung
ggf. auch steuerliche Vorteile.
¾ Kooperationsansatz:19 Als dritter Weg zur Errichtung von IT-Offshore-spezifischen Struk-
turen ist zudem die unternehmensübergreifende Kooperation denkbar. Dieser Ansatz ist
als strategische Allianz – und v. a. in der Ausprägung als Joint Venture – aus Konzern-
sicht von Bedeutung.20 Hierbei bringen u. a. sowohl das IT-leistungsnachfragende Unter-
nehmen als auch ein bestehender – entweder aufstrebender oder bereits etablierter – IT-
Offshore-Anbieter Kapital, Mitarbeiter und sonstige Ressourcen in das gemeinsam ge-
gründete Kooperationsunternehmen ein.
¾ Auslagerungsansatz: Informationstechnologische Auslagerung bezeichnet als Konsequenz
der reinen Marktorientierung den Vorgang funktionaler und interorganisationaler Arbeits-
teilung durch Übertragung von IT-Aktivitäten an rechtlich selbstständige und vermö-
gensgegenständlich mit dem übertragenden Unternehmen nicht verbundene IT-Offshore-
Anbieter. Eine durch IT-Auslagerung verfolgte Reduzierung der IT-Leistungstiefe zur
Erzeugung von Wettbewerbsvorteilen durch Ausnutzung zwischenbetrieblicher Speziali-
sierungseffekte wird zumeist auf Grundlage von rechtsverbindlichen Vertragswerken ge-
regelt. Weiterhin ist von einer längerfristigen oder sogar permanenten Übertragung an ei-
nen oder mehrere IT-Offshore-Anbieter auszugehen.21

Unabhängig von der Form der gestalterischen Ausprägung des IT-Offshoring stellt sich aus
nachfragender Unternehmenssicht die Frage nach dem bzw. den geeigneten IT-Offshore-
Anbietern, der Auswahl möglichst effektiver und effizienter Interaktionsgestaltungen sowie
der Einschränkung potentieller Risiken bei gleichzeitiger Beibehaltung notwendiger Flexibili-
tätsfreiheitsgrade. Hierfür eignet sich der Rückgriff auf bzw. die Etablierung eines IT-Off-
shore-spezifischen Service Managers (oder – synonym – IT-Offshore-Mittlers), der als Mit-
telsmann und Vertrauen schaffender Dritter zwischen Nachfrager und IT-Offshore-Anbietern
fungiert.

17
Vgl. BUCKLEY (1993), S. 20.
18
Vgl. JANSEN (2001), S. 47 ff.
19
Vgl. BANKHOFER (2003), S. 39.
20
Vgl. SÖBBING (2002), S. 28 f.
21
Vgl. BRUCH (1998), S. 17.
Service Management als Erfolgsfaktor 265

3 Service Management zur Reduzierung


von Unsicherheiten beim IT-Offshoring

Unzweifelhaft ist die Auslagerung von IT-Leistungen in Offshore-Regionen mit positiven Ef-
fekten verbunden, die die unternehmerische Effektivität und Effizienz verbessern können. Zual-
lererst ist die finanzielle Vorteilserwartung zu nennen, die aus einer potenziellen Reduzierung
der IT-Kosten bei der informationstechnologischen Erstellung und Bereitstellung resultiert.
Zudem spielen die mögliche Umwandlung von Fix- in variable Kosten, eine verbesserte Kos-
tenkontrolle, -transparenz, -planbarkeit sowie positive Liquiditäts- und Investitionsvermei-
dungseffekte eine vorrangige Rolle.22 Die typischerweise angeführten strategischen Chancen,
die unter dem Begriff IT-Offshoring subsumiert werden, unterscheiden sich zumeist kaum
von denen der IT-Auslagerung und reichen von der Flexibilisierung des unternehmerischen
Handlungsrahmens bis zur Fokussierung auf wettbewerbsrelevante und absatzspezifische
Kernelemente.23 Während der Grad der Vorteilhaftigkeit des IT-Offshoring unermüdlich in
der Literatur diskutiert wird,24 sind es vor allem die aus Risiken resultierenden Unsicherheiten
der IT-Auslagerung in Offshore-Regionen und die möglichen Mechanismen bzw. Ansätze zur
Eindämmung dieser Unwägbarkeiten, die sich noch in den analytischen Anfängen befinden.

3.1 Unsicherheiten beim IT-Offshoring


Die Bindung an einen oder mehrere Anbieter von IT-Offshore-Leistungen und die hiermit
verbundenen Unsicherheiten stehen grundsätzlich im engen Zusammenhang mit dem Wandel
maßgeblicher Bereiche der globalen Umweltbedingungen und den nur bedingt vorhandenen
Einflussmöglichkeiten dieser Teilbereiche. Hierzu zählen insbesondere technologische, ma-
kroökonomische, sozio-kulturelle, ökologische und politisch-rechtliche Rahmenbedingungen,
die in erster Linie sog. externe Risiken aus Sicht des Abnehmers von IT-Leistungen aus
Offshore-Regionen darstellen.25 Es sind folglich nicht nur die nahe liegenden und viel zitier-
ten Risiken wie z. B. Wissensverluste und finanzielle Beständigkeit des Anbieters zu evaluie-
ren, sondern auch Faktoren der politischen Stabilität und der Kommunikationsmöglichkeiten
aufgrund von Zeitverschiebungen und kulturellen Unterschieden zu berücksichtigen.26 Ein
weiterer maßgeblicher Unsicherheitsfaktor betrifft die wirtschaftliche Interaktionsbeziehung
zwischen dem Nachfrager und dem IT-Offshore-Anbieter. Diese auch als Prinzipal und Agent
bezeichneten Interaktionspartner stehen in einer besonderen Beziehung zueinander, die nicht
nur Chancen bietet. Hierbei führt der Agent (IT-Offshore-Anbieter) Aktionen im Auftrag des
Prinzipals (Nachfrager von IT-Leistungen) durch, wobei der Prinzipal die Aktionen des Agen-
ten nicht uneingeschränkt beobachten und kontrollieren kann. So ist z. B. die wahre Leistungs-
fähigkeit eines IT-Offshore-Anbieters erst nach Abschluss der vertraglichen Abmachung
nachvollziehbar. Der Agent kann in diesem Fall seinen Informationsvorsprung für eigene
Interessen und suboptimal, d. h. zuungunsten des Prinzipals einsetzen.27 Der Kunde kann ebenso

22
Vgl. BÖHM (2003), S. 2 ff., und AMBERG (2004a), S. 1 ff.
23
Vgl. u. a. SCHOMANN/BLOECH (2005), S. 232.
24
Vgl. u. a. BLUNDEN (2004), S. 81 ff., und DAVIS (2005), S. 80 ff.
25
Zum Begriff der umweltbedingten Risiken vgl. u. a. STEINMANN/SCHREYÖGG (2000), S. 162 ff.
26
Vgl. u. a. VON GLAHN (2007), S. 343 ff.
27
Vgl. AKERLOF (1970), S. 488 ff.
266 VON GLAHN

durch teilweise irreversible Vorleistungen z. B. in Form von Investitionen zur Etablierung der
Transaktionsbeziehung in eine ungünstige Lage gebracht werden. Nach Vertragsabschluss
gerät der Nachfrager u. U. in eine Abhängigkeit vom IT-Offshore-Anbieter, weil er nun auf
dessen Auftragserfüllung angewiesen ist.28 Neben solchen die geschäftliche Partnerwahl be-
treffenden Unsicherheiten geht der Nachfrager weitere Risiken bei der Suche und Auswahl der
bestmöglichen IT-Leistungen, der Optimierung der Vertragsgestaltung und -abwicklung sowie
bei der transnationalen Aufgabenabstimmung ein. Zur Erhöhung der Kalkulierbarkeit der bei-
spielhaft erläuterten Risiken sowie zur Relaxierung der damit verbundenen, vor allem abneh-
merspezifischen Unsicherheiten wird nachfolgend die Etablierung eines marktorientierten Ser-
vice Managers für IT-Offshore-Leistungen vorgestellt.

3.2 Intermediation durch das Service Management beim IT-Offshoring


Mit der Idee des Service Managers wird eine Variante des marktlichen Intermediärs für Infor-
mationstechnologie beim IT-Offshoring analysiert. Gerade weil Intermediäre eine marktliche
Ordnungsinstanz einnehmen können, spielen ihre Funktionen teilweise auch für die Effektivi-
täts- und Effizienzerhöhung im IT-Offshore-Umfeld eine gewichtige Rolle.29

3.2.1 Bedeutungsänderung von Intermediation


Bereits im Jahre 1767 wird der Handel mithilfe von Zwischennachfragern und Zwischenanbie-
tern – und damit unter Berücksichtigung von Intermediären30 – in der Kette marktlicher Aktio-
nen erwähnt.31 Hat sich der Fokus des Einsatzes intermediärer Funktionen vom ursprünglichen
Gütermarkt auf Finanzmärkte und im letzen Jahrzehnt auf so genannte elektronische Märkte
ausgedehnt, so ist auch die wissenschaftliche Diskussion zur Intermediationsthematik wieder
intensiviert worden. Überschattet wird die Fundierung dieser Thematik und damit eine Ab-
grenzung von Service Manager und Intermediär durch die Debatte um den Sinn und die Not-
wendigkeit des Handels, der als „Produktivitätsstreit“ die handelswirtschaftliche Literatur schon
über Jahrzehnte beschäftigt.32 Bedingt durch die zunehmende Leistungsfähigkeit und Verfüg-
barkeit informations- und kommunikationstechnologischer Infrastrukturen, wie sie z. B. im
Rahmen des elektronischen Handels33 aufgebaut werden, sind seit den 90er Jahren deutliche
Veränderungen der Organisation und Koordination handelswirtschaftlicher Aktivitäten er-
kennbar, die der Diskussion um Intermediäre eine neue Facette verleihen.

Die Entwicklung dieser bereits sichtbaren Bedeutungsveränderungen von Intermediären wird


in Theorie und Praxis teilweise sehr widersprüchlich interpretiert,34 indem einerseits der Dis-
intermediation als Umgehung von Intermediären und andererseits der Funktionsanreicherung
von Intermediären ein jeweiliger Bedeutungsgewinn attestiert wird (siehe Abbildung 1).

28
Vgl. FRANKE (1993), S. 39.
29
Vgl. VON GLAHN (2007), S. 272 ff.
30
Zum Begriff des Intermediärs vgl. u. a. BALIGH/RICHARTZ (1967), S. 118 ff.
31
Vgl. STEUART (1767), o. S.
32
Vgl. MATTMÜLLER (1993), S. 78.
33
Zum Begriff des elektronischen Handels vgl. u. a. MALONE/YATES/BENJAMIN (1987), S. 484 ff.
34
Vgl. SCHODER (2000), S. 20 ff.
Service Management als Erfolgsfaktor 267

Anbieter Intermediär 1 Intermediär 2 Nachfrager

Disintermediation
Intermediation

Anbieter Intermediär 2 Nachfrager

Anbieter Nachfrager

Abbildung 1: Modell der (Dis-)Intermediation35

Disintermediationsthese:36 Aus der Sicht einer Wertschöpfungskette führt eine unmittelbare


Koordination zwischen Anbieter und Nachfrager unter Verwendung der Informationstechnolo-
gie z. B. bei mehrstufigen Handels- und Vertriebsebenen zu einer Verschlankung bzw.
Disintermediation einzelner oder aller Zwischenhandelsstufen und lässt folglich eine Redu-
zierung aggregierter Kosten erwarten. Funktionen, die Intermediäre ausüben, werden unter
veränderten marktlichen Bedingungen teilweise obsolet. Es wird also eine zunehmende Nei-
gung zur Substitution traditioneller Träger intermedialer Aktivitäten durch vollständig infor-
mationstechnologisch realisierte und automatisierte Intermediäre erwartet. Infolgedessen sind
zwei elementare Ursachen für die Disintermediation verantwortlich: Entweder besteht kein
markt-licher Bedarf an den vom Intermediär erbrachten Ergebnissen, oder die Intermediati-
onsaktivitäten werden von anderen Stufen der Wertschöpfungskette wahrgenommen bzw.
informationstechnologisch substituiert.37

Intermediationsthese: Analog zur Disintermediationsthese lässt sich die These der Intermedia-
tion vertreten. Wo immer die relevante Literatur die Notwendigkeit der Intermediation theore-
tisch begründet, greift sie auf das Konstrukt bestehender oder zu erwartender Spannungen zu-
rück, die aufgrund unterschiedlicher Ursachen zwischen Anbietern und Nachfragern am Markt
entstehen und einer Überbrückung bedürfen, um dem Modell der Arbeitsteiligkeit zwischen
Unternehmen beim Erstellungsprozess Rechnung zu tragen.38 SCHÄFER spricht in diesem Zu-
sammenhang von vier grundlegenden Spannungsarten, die mithilfe der Intermediation
relaxierbar sind:39 Dies sind räumliche Spannungen, die z. B. durch die lokale Trennung von
Herstellung und Verbrauch entstehen, oder zeitliche Spannungen, die z. B. durch Unterschie-
de zwischen Herstellungszeitpunkt und Konsum z. B. nachgefragter IT-Leistungen entstehen.
Ferner zählen hierzu quantitative, d. h. mengenbezogene Spannungen sowie qualitative Ab-
weichungen der Vorstellungen zwischen Anbieter und Nachfrager. Solche Spannungen bilden
wiederum die Grundlage zur Definition spezifischer Intermediationsfunktionen, wie z. B. der

35
In Anlehnung an WIGAND/BENJAMIN (1995) o. S.
36
Vgl. zu den folgenden Ausführungen SCHODER (2000), S. 10 ff.
37
Vgl. WIGAND (1997), S. 1 ff.
38
Vgl. SEYFFERT (1951), S. 9 ff.
39
Vgl. SCHÄFER (1966), S. 286 f.
268 VON GLAHN

Risikoabschwächungs-40 oder der Kontraktorfunktion41, sowie einer Reihe von näher zu spezi-
fizierenden Aktionsfeldern, in denen ein Intermediär einen Nutzen stiften kann.

Dieser Beitrag stützt seine Erkenntnisse hauptsächlich auf die Intermediationsthese, weil diese
den Versuch zulässt, einen Service Manager auf dem IT-Offshore-Markt zur effektiven und
effizienten Bereitstellung von IT-Leistungen zu institutionalisieren.

3.2.2 Abgrenzung von Service Management und Intermediation


Ein Abbau räumlicher, zeitlicher, qualitativer und quantitativer Divergenzen zwischen Markt-
akteuren wird aus Effektivitäts- und Effizienzgründen i. d. R. als notwendig erachtet, rechtfer-
tigt jedoch nicht zwangsläufig die Existenz von Intermediären, die als Akteure im marktlichen
Geschehen charakterisiert werden können, aufgrund von Informationsunvollkommenheiten zwi-
schen Unternehmen i. w. S. vermitteln, das Funktionieren eines Markts verbessern bzw. erst
ermöglichen und somit marktliche Dysfunktionalitäten überwinden helfen.42

Neben den Erstellern und Konsumenten sind durchaus auch weitere Marktbeteiligte in der Lage,
die zur Spannungsüberbrückung notwendigen Funktionen zu übernehmen.43 Somit wird deut-
lich, dass sich Intermediäre als Nutzen stiftende Institutionen in ständiger Konkurrenz mit ande-
ren an der spezifischen Wertschöpfungskette beteiligten Marktakteuren befinden und sich zur
langfristigen Überlebensfähigkeit auf ein effektives und effizientes Handeln zu konzentrieren
haben. Neben der Positionierung als „neutraler“ Dritter vertreten sie die Ersteller- und die Kon-
sumentenseite z. B. in Form von Finanzmaklern und Auktionshäusern. Das allgemeine Rollen-
verständnis von informationstechnologischen Intermediären reicht von44

¾ Distributoren, die marktliche Angebote bzw. Nachfragen bündeln und dabei IT-Kompo-
nenten kaufen oder verkaufen, ohne eine unmittelbare besondere Wertschöpfung vorzu-
nehmen,45 über
¾ Koordinatoren, die zwischen gegenüberstehenden Marktseiten Ressourcen suchen und ver-
mitteln,46 über
¾ Moderatoren, die marktliche Transparenz durch Übermittlung von Informationen zwischen
Anbietern und Nachfragern erzeugen, divergierende Präferenzen kanalisieren und aufei-
nander abstimmen und so zur Kontaktreduzierung der beteiligten Transaktionspartner
entscheidend beitragen,47 bis zu
¾ Aggregatoren und Transformatoren, die spezifische (IT-)Komponenten auswählen, zu-
sammenführen und in neuartige, d. h. mit erweiterter Funktionalität ausgestattete (informa-
tionstechnologische) Leistungen umwandeln, sodass die aggregierten und transformierten

40
Vgl. BIGLAISER/FRIEDMANN (1994), S. 509 ff.
41
Vgl. WÄGLI/KNOLMAYER (2003), S. 213 ff.
42
Vgl. SCHODER (2000), S. 14 ff., und KEUPER/VON GLAHN (2005), S. 448.
43
Vgl. HEDDERICH (1986), S. 485.
44
Vgl. VON GLAHN (2007), S. 276 f.
45
Vgl. DEMSETZ (1968), S. 33 ff.
46
Vgl. MALONE/YATES/BENJAMIN (1987), S. 484 ff.
47
Vgl. WIGAND/BENJAMIN (1995), o. S.
Service Management als Erfolgsfaktor 269

Ergebnisse mehr Funktionalitäten aufweisen als die Summe der einzelnen ursprünglichen
Bestandteile.48

Zur Präzisierung werden marktliche IT-Offshore-Mittler als Service Manager bezeichnet, die
– je nach Geschäftsvorfall – die Rolle eines Distributors, eines Moderators und eines Koordi-
nators einnehmen. Ein Service Manager, der speziell für das IT-Offshoring eingesetzt wird,
kann zwar im marktlichen Prozess Aggregatoren bzw. Transformatoren – wie z. B. Systemin-
tegratoren – einbinden, er wird jedoch diese Rollen nicht eigenständig übernehmen.

Märkte sind i. d. R. weder vollständig homogen noch uneingeschränkt transparent, sodass eine
oder mehrere marktliche Grundvoraussetzungen nicht erfüllt werden, wie etwa freier Marktzu-
gang von Transaktionspartnern, einheitliche Marktpreise von gehandelten IT-Leistungen, voll-
ständige und gleichartige Information über das relevante Marktgeschehen, IT-Leistungsauswahl
nach objektiven Aspekten, unbeschränkte marktliche Kapazitäten sowie Transparenz preisli-
cher Verbundvorteile. Vor diesem Hintergrund ist eine wesentliche Legitimation des an dieser
Stelle analysierten Service Managers die Existenz von unvollkommenen Märkten.

3.2.3 Vertrauenswürdigkeit des Service Managements


Wie LUHMANN und ZELLNER ausführen, wird Vertrauen bei Interaktionen als die Einstellung
gegenüber anderen Individuen wie auch Unternehmen interpretiert, dass bei diesen sowohl
die Bereitschaft als auch die Kompetenz vorliegen, die in sie gestellten Erwartungen zu erfül-
len.49 Auf diese Weise wird ein Zustand in die Zukunft projiziert, der den Beteiligten als sicher
erscheint, sodass Vertrauen zunehmend zum Gegenstand wirtschaftlicher Betrachtungen er-
wächst. Als vertrauenswürdige Dritte (Trusted Third Parties) kommen prinzipiell alle Institu-
tionen in Betracht, denen für die Abwicklung und Bereitstellung nachfolgend angesprochener
Funktionen hinreichend Vertrauen entgegengebracht wird:50

¾ Gewährleistungsfunktion: Der vertrauenswürdige Dritte kann als Gewährleistungsfaktor


bei der Erbringung von IT-Leistungen aus Offshore-Regionen auftreten. Entweder über-
nimmt er für den eigentlichen Anbieter Garantien einer unbedingten Vertragseinhaltung,
oder er tritt bei Ausfall oder Schlechterfüllung für die (wirtschaftlichen) Risiken wie etwa
den Ausgleich von Haftungsfolgeschäden ein. In diesem Fall übernimmt der Service Ma-
nager eine qualitätsbezogene Versicherungs- oder Bürgenfunktion.
¾ Aktivierungsfunktion: Diese auch unter dem Begriff Enabling bekannte Funktion ermög-
licht überhaupt erst ökonomisch relevante Interaktionsbeziehungen zwischen anbietenden
und nachfragenden Unternehmen. Eine der essenziellen Ideen dieser Funktion ist es, dass
sich die in Interaktionsbeziehung tretenden Parteien gegenseitig nicht zu kennen brauchen,
sofern sich beide dem eingeschalteten Dritten anvertrauen, der eine Interaktionsbeziehung
damit überhaupt erst aktiviert.
¾ Schutzfunktion: Vertrauenswürdige Dritte verstehen sich als Bereitsteller von Sicherheitsga-
rantien und als Bewahrer sog. Schutzziele. Intermediäre Sicherheitsgarantien umfassen alle
im Rahmen der geschäftlichen Anbahnungs-, Vereinbarungs-, Abwicklungs- und After-
Sales-Phase auftretenden sicherheitsrelevanten Anforderungen, die zur Erlangung und Ge-

48
Vgl. BAILEY (1998), S. 36 f.
49
Vgl. ZELLNER (2003), S. 175 ff.
50
Vgl. SCHODER (2000), S. 57 f.
270 VON GLAHN

währleistung von Vertrauen i. w. S. führen.51 So gelten die vertraulich ausgetauschten Infor-


mationen, die von Transaktionspartnern eingeforderte Anonymität sowie die Übertragungs-
integrität in Form unmanipulierter Weiterleitung von Informationen als typische Beispiele
in diesem Kontext.52

Auf Grundlage der zuvor beschriebenen Funktionen wird ein Service Manager auf dem IT-
Offshore-Markt als vertrauenswürdiger Dritter eingesetzt, um die beteiligten Akteure vor dem
opportunistischen Verhalten anderer Marktbeteiligter zu schützen53 und gleichzeitig als „Dreh-
scheibe“ des informationstechnologischen Wissens am Markt zu fungieren.

3.3 Vergütung des Service Management beim IT-Offshoring


Bevor auf Basis der Prozess-Sicht beim IT-Offshoring die Legitimation des Service Mana-
gements, die z. B. in der Einsparung von Ressourcen aufseiten der Anbieter von IT-Kompo-
nenten bzw. aufseiten der Nachfrager von IT-Leistungen und in wertsteigernden, transakti-
onsbedingten Effizienzvorteilen liegen kann, analysiert wird,54 sind zunächst die Quellen und
die Partner einer möglichen Vergütung für ein IT-Offshore-spezifisches Service Management
festzulegen (siehe Abbildung 2), um aus erlösorientierter Sichtweise seine Existenzberechti-
gung zu untermauern.55

Für einen Service Manager kommen grundsätzlich drei Vergütungsquellen infrage, die in
direkter Form aus der Vermittlung von IT-Leistungen aus Offshore-Regionen und in indirek-
ter Form aus dem Verkauf von Kontakten bzw. als Informationen resultieren.56 Diese Vergü-
tungskategorien können entweder isoliert oder auch kombiniert vorkommen.

51
Vgl. WITTENBERG/HESS (2002), S. 113 ff.
52
Vgl. SCHODER/MÜLLER (1999), S. 614 f.
53
Vgl. BAILEY (1998), S. 39.
54
Vgl. GÜMBEL (1985), S. 193.
55
Vgl. SKIERA/LAMBRECHT (2002), S. 860.
56
Vgl. SKIERA/LAMBRECHT (2002), S. 859 ff.
Service Management als Erfolgsfaktor 271

1 Vergütungsquelle
(Vergütungsform)

IT-Offshore- Kontakte/
Leistung Informationen
(direkt) (indirekt)

Transaktions-
Transaktions-
unabhängig-
abhängigkeit
keit
Transaktionsdauer Einmaligkeit
Transaktionsvolumen Periodizität
...

2 Vergütungs-
partner

Nachfrager Anbieter

Unternehmen IT-Offshore-Anbieter
... IT-Komponentenlieferanten
...

Abbildung 2: Systematik der Vergütungsformen für das Service Management57

Bei direkten Vergütungsformen stammen die Einnahmen des Service Managers unmittelbar
von den Nachfragern der IT-Leistungen oder auch von den Anbietern der IT-Komponenten,
zwischen denen ein Service Manager für IT-Offshore-Leistungen positioniert ist. Bei den
indirekten Vergütungsformen bietet der Service Manager Informationen und Kontakte für
eine (monetäre) Gegenleistung an. Die indirekte Vergütungsquelle Informationen kommt also
57
In Anlehnung an ZERDICK ET AL. (2001), S. 26, und VON GLAHN (2007), S. 281.
272 VON GLAHN

im Rahmen der Bereitstellung von IT-Offshore-Leistungen zum Einsatz, wenn der Service
Manager Erlöse aus dem Verkauf von nutzerbasierten IT-leistungs- und/oder IT-Offshore-
spezifischen Informationen erzielen kann. Hierbei beschränkt sich der angestrebte Handlungs-
rahmen nicht ausschließlich auf die Informationstechnologie. So kann es z. B. das Interesse der
Führung eines nachfragenden Unternehmens sein, Informationen zum Profil bestimmter Einhei-
ten an Benchmarking- oder Marketing-Agenturen weiterzuleiten, um eine positive Marktposi-
tionierung mittelbar zu beeinflussen. Auf die ebenfalls indirekte Vergütungsquelle Kontakt
greifen Marktakteure zurück, wenn sie den Kontakt zu Unternehmenseinheiten suchen.58 Diese
Vergütungsquelle erfordert jedoch eine enge Abstimmung zwischen Service Management und
jeweiliger Unternehmensführung sowie den betroffenen unternehmerischen Einheiten, um
eine effektive und effiziente Kommunikationspolitik zu gewährleisten. Während es sich bei
den indirekten Vergütungsformen für einen Service Manager um eher sekundäre Erlösquellen
handelt, liegt der Handlungsschwerpunkt auf den direkten, d. h. durch die Bereitstellung von IT-
Leistungen aus Offshore-Regionen erzielten Vergütungen. Diese unterteilen sich in transakti-
onsabhängige und transaktionsunabhängige Vergütungsvarianten.59

¾ Die transaktionsabhängige Variante setzt u. a. beim Volumen der von den Unternehmen
nachgefragten IT-Offshore-Leistungen an oder bei der Dauer (der jeweiligen Interakti-
onsvereinbarung), für die ein Zugriff auf die IT-Leistungen eingeräumt wird.
¾ Bei der transaktionsunabhängigen Variante steht die Höhe der zu entrichtenden Vergütung
in keinem Zusammenhang zur Dauer oder zum Volumen der Nutzung von IT-Offshore-
Leistungen. Vielmehr gibt es einmalige Gebühren, mit denen das Recht zur Bereitstellung
von IT-Leistungen erworben wird. Auch besteht die Möglichkeit, periodische Zahlungen
wie u. a. Lizenzgebühren von den relevanten Interaktionsparteien einzufordern, die z. B.
monatlich anfallen.

Sofern die Vergütungsquellen identifiziert sind, ist nachfolgend zu entscheiden, von welchem
Interaktionspartner eine Vergütung verlangt wird. Nachfragerseitig sind auf IT-Offshore-Markt
insbesondere die Einheiten als Nachfrager von direkten oder indirekten Leistungen des Service
Managers zu nennen, während anbieterseitig der IT-Offshore-Anbieter sowie IT-Komponen-
tenlieferanten als Vergütungspartner determiniert werden können.

4 Service Management aus Prozess-Sicht


beim IT-Offshoring

Eine prozessuale Fundierung wird an dieser Stelle aus zwei Gründen durchgeführt. Zum ei-
nen liegt die organisatorische Gestaltung von Prozessen dem Service-Management-Gedanken
zugrunde, sofern eine unabdingbare Voraussetzung erfüllt wird, nämlich die Abgrenzung
primärer von sekundären Prozessen. Zum anderen findet vor und während des Erstellungs-
bzw. Aggregationsprozesses beim Service-Management-Ansatz eine hohe Interaktion zwischen
den IT-leistungsnachfragenden Kunden, dem Service Manager und den IT-Offshore-Anbietern,
die entweder komplette IT-Leistungen oder nur bestimmte IT-Komponenten zuliefern, statt.

58
Vgl. PICOT/REICHWALD/WIGAND (2003), S. 366.
59
Vgl. zu den folgenden Ausführungen u. a. WIRTZ (2001), S. 214 f.
Service Management als Erfolgsfaktor 273

Somit kommt dem Erstellungsprozess neben dem Transaktionsergebnis eine besondere Bedeu-
tung zu.

4.1 Grundlagen des Service Managements aus Prozess-Sicht


Prozesse werden in der betriebswirtschaftlichen Literatur sehr unterschiedlich definiert und
aus verschiedenartigen Blickwinkeln betrachtet.60 Es wird an dieser Stelle nicht angestrebt, den
zahlreich existierenden Prozessdefinitionen eine weitere hinzuzufügen. Hingegen werden
insbesondere die Gemeinsamkeiten verschiedenartiger Begriffsauffassungen zum allgemei-
nen Service-Management-spezifischen Prozessverständnis für IT-Offshore-Leistungen zu-
sammengefasst (siehe Abbildung 3).61

Input Distribution Output


Koordination, Moderation

Aggrega tion und Transformation


IT-Leistung
Vor- IT-Komponenten
Vor-
gänger
Effektor
gänger F1 F2 Fn Rezeptor
Tätigkeiten

Informa tionsverarbeitung (Informationen)


Informationen
Aktionsträger

Abbildung 3: Prozess des Service Managements62

Die Abbildung illustriert die prozessualen Charakteristika im Überblick. Grundsätzlich existiert


bzw. existieren zu Service-Management-spezifischen Prozessen im Einzelnen:63

¾ Aktionsträger, die allein oder kombiniert in Aktion treten, um Erstellungs- und Bereitstel-
lungsprozesse von IT-Offshore-Leistungen zu steuern, zu kontrollieren und zu verantwor-
ten.64
¾ Erfolgsfaktoren wie Kosten, Qualität und Zeit, die eine Zielorientiertheit bei der Durch-
führung von Service-Management-relevanten IT-Offshore-Prozessen repräsentieren. Die-
se können allen Prozessen zugewiesen werden, die wiederum einen direkten Bezug zu den
Erfolgsfaktoren haben und hinsichtlich ihres Zielerreichungsgrades messbar sind.65

60
Vgl. VAN DE VEN (1992), S. 170 ff.
61
Zum Begriff des Prozesses vgl. u. a. GAITANIDES (1983), S. 74 f.
62
In Anlehnung an ZERDICK ET AL. (2001), S. 26.
63
Vgl. u. a. KEUPER (2001), S. 31.
64
Vgl. BEA/SCHNAITMANN (1995), S. 280.
65
Vgl. u. a. DAVENPORT (1993), S. 6.
274 VON GLAHN

¾ Mindestens ein IT-Offshore-leistungsspezifischer Effektor, von dem der Input bezogen


wird, und wenigstens ein Rezeptor, an den das Prozessergebnis in Form von IT-Leistungen
weitergeleitet wird. Die Notwendigkeit einer Wertgenerierung durch den Prozessablauf
leitet sich aus der Erfüllung der Anforderungen des Nachfolgers ab, für den der Output
bedürfnisgerecht und von Wert zu sein hat.66
¾ Mindestens eine, jedoch i. d. R. mehrere betriebswirtschaftlich relevante IT-Komponenten,
die im Verlauf eine Veränderung durch Umformung erfahren und zumindest teilweise aus
Offshore-Regionen bereitgestellt werden. Das Ergebnis der Aggregation und Transforma-
tion stellt mindestens eine IT-Leistung dar und dient wiederum als Input für den nachfol-
genden Prozess.67
¾ Eine zeitlich logische Abfolge von miteinander verketteten Tätigkeiten einer Umwand-
lung, die in sich inhaltlich abgeschlossen sind. Der Service-Management-Prozess wird
durch das Eintreten eines Ereignisses initialisiert, d. h. er hat einen definierten Beginn. Des-
gleichen wird er nach Erfüllung der zugrunde liegenden Aufgabe wieder determiniert, so-
dass er nach Erreichen des Umwandlungsergebnisses beendet wird.68
¾ Vorgegebene Methoden, die spezifisch stringent determinierbar sind. Diese stellen für die
Aktionsträger das Regelwerk zur Durchführung der Service-Management-spezifischen
Prozesse für IT-Offshore-Leistungen dar.
¾ Ein Input-Output-Verhältnis, das durch eine Umwandlung von Informationen und/oder
IT-Komponenten zustande kommt. Dieses Verhältnis von eindeutig festlegbarem Input
und durch Umwandlung, Umformung oder Umgestaltung erzeugtem, spezifischem Out-
put legt die Höhe der erzielten Wertschöpfung fest.69

Mithilfe dieses Prozessverständnisses zur Erzeugung von IT-Offshore-Leistungen wird im Wei-


teren die prozessuale Einordnung des Service Managements in den relevanten Wertschöpfungs-
prozess nachvollziehbar. Sobald eine prozessuale Orientierung im Vordergrund der Service-
Management-spezifischen Betrachtung steht, werden verschiedenartige, inhaltlich aber in
Beziehung zueinander stehende Tätigkeiten zu ganzheitlichen Prozessen gebündelt:

Service-Management-spezifische Prozesse zur Erstellung und Bereitstellung von IT-Offshore-


Leistungen lassen sich als zielorientierte, wiederholbare Tätigkeits-, Aktivitäts-, Handlungs-
oder Aufgabenfolgen definieren, die objektbezogen in einem zeitlich-logischen Zusammen-
hang stehen, ein messbares Input-Output-Verhältnis ausweisen, durch Aktionsträger nach spe-
zifischen Methoden vollzogen werden und in Austauschbeziehungen zu Vorgängern und Nach-
folgern stehen.70

66
Vgl. DAVENPORT/SHORT (1990), S. 11 ff.
67
Vgl. ROSEMANN (1996), S. 9 f. Das Service Management für IT-Offshore-Leistungen erfüllt Koordinations-,
Moderations- und Distributionsfunktionen bzw. vermittelt Aggregations- und Transformationsfunktionen mit ei-
nem transnationalen Handlungsspielraum. Ein solches Intermediationsverständnis schließt jedoch auf keinen Fall
die Integration von lokalen oder sogar unternehmensintern erstellten IT-Komponenten aus.
68
Vgl. u. a. DAVENPORT (1993), S. 5.
69
Vgl. u. a. FROMM (1992), S. 7.
70
Vgl. u. a. DAVENPORT (1993), S. 5.
Service Management als Erfolgsfaktor 275

4.2 Intermediation des Service Managements beim IT-Offshoring


Zur Überbrückung marktlicher Diskrepanzen ist aus Sicht des Service Managements sowohl
die Nachfrage- als auch die Lieferantenperspektive zu berücksichtigen. Während Kunden
generell zur Befriedigung ihrer informationstechnologischen Bedürfnisse eine Problemlösung
erwarten, stehen lokale und transnational agierende IT-Komponentenlieferanten und IT-Off-
shore-Center, die ganzheitliche IT-infrastrukturelle Leistungspakete wie z. B. Rechenzen-
trumskapazitäten anbieten, bereit, um diese qualitativen und quantitativen Ansprüche zu be-
friedigen (siehe Abbildung 4).

Nachfrager mit
lokaler Orientierung
IT-Offshore-
Center A
Nachfrager mit
nationaler Orientierung
IT-Offshore- Distri- Mode- Koordi-
Center B butor rator nator
Nachfrager mit
Service regionaler Orientierung
IT-Komponen- Management
tenlieferant X
Nachfrager mit
kontinentaler Orientierung
IT-Komponen-
tenlieferant Y
Nachfrager mit
Aggregation/ globaler Orientierung
Transformation

Abbildung 4: Modell der Service-Management-Intermediation71

Ein speziell für IT-Offshore-Leistungen eingesetzter Mittler regelt das Interaktionsverhältnis


zwischen Lieferanten und Nachfragern, deren Aktionsradius von der lokalen bis zur globalen
Orientierung reicht. Service Manager in diesem spezifischen Kontext neutralisieren einerseits
die auftretenden marktlichen Spannungen und regeln andererseits den Markt für IT-Offshore-
Leistungen. Der IT-Offshore-Mittler übernimmt stellvertretend für die Erbringer von IT-Kom-
ponenten und IT-Offshore-Centern den Aufbau von direkten Interaktionsbeziehungen i. S. einer
Anreicherung kundenindividueller bzw. informationstechnologisch relevanter Erkenntnisse.
Weiterhin widmet sich ein Service Manager der Identifikation von marktlichen Nachfragern
mit gleichen Bedürfnisstrukturen, um eine Vereinheitlichung von IT-Offshore-Leistungen zu
erzeugen. Dies führt zur Erstellung eines uniformierten IT-Offshore-Leistungsportfolios. Auf
diese Weise können die durch die Wertschöpfung des Service Managements erzeugten Kos-
ten i. S. der Effizienz des Gesamtsystems – bestehend aus Anbietern, Service Management
und Nachfragern – überkompensiert werden.72

71
In Anlehnung an ZERDICK ET AL. (2001), S. 26, und KEUPER/VON GLAHN (2005), S. 451.
72
Vgl. zu den nachfolgenden Ausführungen VON GLAHN (2007), S. 316 ff.
276 VON GLAHN

Lieferantenseitig folgt hieraus für das Service Management ein konfigurationsspezifischer


Aufwand. Notwendige informationstechnologische Komponenten werden sowohl von IT-
Offshore-Centern (A, B) als auch von IT-Komponentenlieferanten (X, Y) bereitgestellt. Aus der
Sicht eines Kunden entsteht ein Vertrauens- und Qualitätsrisiko, weil dieser vorab zumeist das
technologische Zusammenspiel der IT-Komponenten mehrerer Zulieferer nicht oder nur teil-
weise einschätzen kann. Das Spektrum potenzieller IT-Komponentenlieferanten reicht von
Plattform- und Technologieanbietern über Betreiber von Call-Centern bis zu Applikations- und
Netzwerkherstellern. Zudem übernehmen sog. Systemintegratoren Beratungsaufgaben für tech-
nologische Schnittstellenentwicklungen und das Zusammenführen verschiedenartiger IT-
Komponenten. Ein Service Manager bedient sich hierfür eines oder mehrerer IT-Offshore-
Center, das bzw. die den operativen Betrieb und die Betreuung der IT-Offshore-Leistungen in
den gewünschten geografischen Wirkungskreisen sicherstellen und dabei Aufgaben der tech-
nologischen Aggregation und Transformation übernehmen.

Abnehmerseitig entsteht der Aufwand implementierungs- und betriebsbedingter Interaktionen


mit den einzelnen Unternehmen. Ein Service Manager hat die Komplexität zu beherrschen, die
sich aus der Überführung IT-infrastruktureller Gegebenheiten in einen IT-Offshore-basierten
Modus ergeben. Der Mittler identifiziert demnach aus bedarfsorientierten Gesichtspunkten IT-
Komponenten, um diese als bzw. in vereinheitlichte informationstechnologische Bündel zu
aggregieren bzw. zu transformieren und über eine hinreichend ausgelegte IT-Infrastruktur
standortindividuell den abnehmenden Unternehmen anzubieten. Hinzu kommt auch aus der
Sicht eines Abnehmers ein Vertrauens- und Qualitätsrisiko, weil er nicht vollständig das frikti-
onsfreie technologische Zusammenspiel der IT-Komponenten mehrerer informationstechno-
logischer Lieferanten einschätzen kann. Das Service Management für IT-Offshore-Leistungen
übernimmt damit gegenüber Abnehmern und Nachfragern die Aufgabe des Effektivitäts- und
Effizienzgaranten, um eine Bereitstellung von IT-Leistungen im lokalen, nationalen, regiona-
len, kontinentalen oder globalen Kontext zu gewährleisten.

Sofern sich der Einsatz eines solchen Mittlers auf dem Markt der IT-Offshore-Leistungen als
die Effektivität und Effizienz fördernd erweist, sind bestimmte im Folgenden analysierte Kom-
petenzen im Aktionsspielraum des Service Managements zu verankern.

4.3 Aktionsspielraum des Service Managements beim IT-Offshoring


Ein Mittler für IT-Offshore-Leistungen ist für Tätigkeiten verantwortlich, die er entweder
selbst ausführt oder vergibt. Im Vordergrund der Tätigkeiten des IT-Offshore-spezifischen
Service Managements stehen die Bildung von Markttransparenz, die Informationsversorgung
beteiligter Transaktionspartner, die Adressierung kundenspezifischer Erwartungen,73 die Ent-
bündelung der Anforderungen der Nachfrager, die Berücksichtigung unterschiedlicher geo-
grafischer Wirkungskreise der Abnehmer, die kundenspezifische Anforderungsbewertung sowie
die Zuordnung dieser informationstechnologischen Teilaktivitäten bzw. Komponenten auf
Spezialisten. Service Manager verhandeln und vereinbaren mit den informationstechnologi-
schen Anbietern die Abnahme erzeugter IT-Komponenten. Neben dem Angebot dieser IT-
Komponenten liegt ein weiterer Schwerpunkt ihres Handelns in der beratenden Tätigkeit als
Experten. Dabei ist von vorrangigem Interesse, welche IT-Leistungen den individuellen Präfe-
renzen der Empfänger bei gleichzeitiger Vorteilsvermittlung der Verwendung bestimmter

73
Vgl. BRUHN (2000), S. 1031 ff.
Service Management als Erfolgsfaktor 277

Standards entsprechen. Folgende Tätigkeiten eines IT-Offshore-Mittlers mit prozessualem Cha-


rakter bedürfen besonderer Erwähnung:74

Such- und Bewertungstätigkeit: Ein Service Manager kann die Suche nach und die Evaluation
von (potenziellen) IT-Komponenten, die Vereinheitlichung des Aufbaus von IT-Leistungen
und die Distribution von Kundeninformationen übernehmen, die Aufschluss über das Spek-
trum der IT-Offshore-Leistungen sowie die preislich bzw. technologisch vorteilhafte Ver-
wendung geben. Nachfrager nutzen diese Erfahrung und das Wissen, anstatt selbst kosten-
und zeitintensiv nach geeigneten IT-Leistungen zu suchen.75 Informationstechnologische
Komponentenlieferanten erhalten Hinweise über die Bedürfnisstrukturen der potenziellen,
teilweise transnational verteilten Konsumenten, um ihr Angebotsprofil im Wettbewerb zu
vergleichen und um Rückschlüsse auf die eigene IT-Leistungs- und Preispolitik zu ziehen.

Sortimentstätigkeit: Durch die Bildung von Sortimenten offeriert der Service Manager eine
Zusammenstellung aus den Angeboten mehrerer IT-Komponentenlieferanten und IT-Off-
shore-Centern, die wiederum das Offshore-spezifische IT-Leistungsportfolio bilden. Hierbei
ist von vorrangigem Interesse, die ausgearbeiteten IT-Leistungsangebote mit den individuel-
len Präferenzen der IT-Leistungsempfänger in Einklang zu bringen. Eine angemessene Adres-
sierung kundenspezifischer Erwartungen, die Entbündelung der Anforderungen und deren Zu-
ordnung zu (potenziellen) IT-Komponentenanbietern und IT-Offshore-Centern sind hierzu not-
wendig.

Expertentätigkeit: Der Service Manager kann den Kunden überdies Ansätze aufzeigen, seine
Bedürfnisse und Anforderungen an die Informationstechnologie zu präzisieren, sofern er seine
Präferenzen nicht vollständig definiert hat. Insofern existiert mangels Fachwissen eine
Evidenzproblematik, wenn eine Einheit nicht in der Lage ist, Spezifikationen notwendiger IT-
Leistungen zu formulieren.76 In diesem Fall greift ein IT-Offshore-Mittler direkt und aktiv in
die Kaufentscheidung des Abnehmers ein.

Kontraktortätigkeit: Die Tätigkeiten des Kontraktors, der mit beiden Marktseiten, d. h. mit
Anbietern und Nachfragern, Verträge schließt, umfassen die Abwicklungskonditionen z. B.
Zahlungsbedingungen, Garantien, (Verrechnungs-)Preise, Erbringungsumfang und -qualität.77
Zudem werden rechtliche Voraussetzungen für die Transaktion geklärt und damit die Grundla-
gen für die Transaktionsabwicklung geschaffen. Daneben vereinbart ein IT-Offshore-Mittler mit
den Lieferanten die Transformation in IT-Leistungen mithilfe von Kapazitäten oder Verwer-
tungsrechten, z. B. durch Lizenzierung einer Applikationsnutzung.

Zeitüberbrückungstätigkeit: Diese Tätigkeit setzt bei der Kontraktorfunktion des Service Mana-
gements an. Ein Ausgleich zeitlicher Inkongruenzen zwischen Erstellung und Konsum von IT-
Offshore-Leistungen wird mit dieser Tätigkeit angestrebt. Im Gegensatz zur produktionssyn-
chronen Beschaffung in der Fertigungsindustrie78 ist die friktionsfreie Verfügbarkeit von IT-
Offshore-Leistungen vorrangig ein infrastrukturelles und vertragliches Problem. Sofern kun-
denspezifische Anforderungen existieren, die z. B. über infrastrukturelle Übertragungskapazi-

74
Vgl. u. a. BAILEY (1998), S. 34 ff.
75
Vgl. KOBAYASHI-HILLARY (2005), S. 250 f.
76
Vgl. ENGELHARDT/SCHWAB (1982), S. 510 ff.
77
Vgl. SCHMID (1993), S. 467 f.
78
Vgl. WILDEMANN (1992), S. 392.
278 VON GLAHN

täten hinausgehen, sind ggf. Zusatzleistungen über den Aufbau solcher Strukturen zu verein-
baren. Ansonsten sind die Verfügbarkeitszeiten von IT-Leistungen mit den Bedürfnissen der
Nachfrager abzustimmen und in Vertragsvereinbarungen niederzuschreiben.

Raumüberbrückungstätigkeit: Eine wesentliche Tätigkeit des Service Managers im Rahmen


des IT-Offshoring besteht in der Überbrückung räumlicher Distanzen zwischen Erstellung
und Bereitstellung. Diese Funktion des Service Managers ist für Kunden und Zulieferer ein
Hilfsmittel, um geografische Distanzen, sprachliche Verständigungsprobleme und unterschied-
liche Informationsstände auszugleichen und damit die Kommunikation zwischen den Transak-
tionspartnern zu vereinfachen. Auch wenn nach CAIRNCROSS79 die Raumüberwindungskosten
und damit die Entfernung bei der IT-Leistungsbereitstellung eine immer untergeordnetere
Rolle spielen, so ist doch ein Automatismus bezüglich der Generierung von Wettbewerbsvor-
teilen durch IT-Offshoring nicht gegeben.80

Risikoreduzierungstätigkeit: Wie zuvor erläutert, bestehen spezifische, insbesondere kunden-


spezifische Risiken, die mithilfe eines Service Managers für IT-Offshore-Leistungen relaxiert
werden können. Das vom marktlichen Mittler übernommene Risikomanagement besteht in der
rechtzeitigen Identifizierung und Adressierung relevanter IT-Offshore-Risiken, die für die
wettbewerbliche Positionierung eines Unternehmens von Bedeutung sein können. Auch wenn
unter der Beachtung der Wirtschaftlichkeit nicht alle Unsicherheiten, die aus der Auslagerung
von Leistungen an IT-Offshore-Anbieter resultieren, in gleichem Maße Berücksichtigung finden
können, so kann der Service Manager doch besonders hohe Risikopotenziale beachten. So kön-
nen spezielle Rückgabe- und Umtauschrechte oder Garantien für Zusatz- und Anpassungsleis-
tungen eingeräumt werden, die das Abnehmerrisiko reduzieren. Damit stellt der IT-Offshore-
Mittler ein auf Fremdbedarfsdeckung ausgerichtetes, wirtschaftlich selbstständiges Hand-
lungsgebilde dar und ist folglich Träger eigener ökonomischer Risiken.

5 Schlussbemerkung

Werden die Gestaltungsparameter des IT-Offshoring sowie die prozessualen Charakteristika


eines marktorientierten Service Managements i. S. der Intermediation zwischen Nachfragern
von IT-Leistungen und IT-Offshore-Anbietern rekapituliert, lässt sich feststellen, dass sich
ein vielschichtiger Aktionsspielraum für den IT-Offshore-Mittler abzeichnet, sodass neben
marktlichen Unterstützungstätigkeiten eine Vertrauens- und Risikoreduzierungsfunktion wahr-
genommen werden kann. Diese Einzeltätigkeiten werden zwar teilweise parallel durchgeführt,
bedingen jedoch eine zeitliche Abfolge in sich schlüssiger, logischer und somit prozessorien-
tierter Ereignisse. Der IT-Offshore-orientierte Service Manager wird ständig mit dem Um-
stand konfrontiert, ausgeschaltet zu werden, sobald er die Erfüllung seiner Tätigkeiten nicht
mehr effektiv und effizient i. S. der anderen Marktakteure erbringt. Eine solche Effektivitäts-
und Effizienzmessung wird anhand berechenbarer Erfolgsparameter erfolgen, die zwischen
den Marktteilnehmern zu bewerten sind.

79
Vgl. CAIRNCROSS (1997), S. 1 ff.
80
Vgl. BONGARTZ (2003), S. 226 f.
Service Management als Erfolgsfaktor 279

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Service Excellence –
Vom Know-how zum Do-how

BERNWARD MÖNCH und MARKUS GOLLER

TMI Training und Consulting

1 Einleitung....................................................................................................................... 285
2 Services und Servicing  Ein verhaltensrelevantes Verständnis von Service
Excellence...................................................................................................................... 287
2.1 Services und Servicing......................................................................................... 287
2.2 Service-Geber im Gefühl-mach-Business............................................................ 290
3 Der strategische Rahmen  Das Can-Do als Mittler zwischen Know-how und
Do-how .......................................................................................................................... 291
3.1 Service Excellence als strategisches Differenzierungspotenzial .......................... 291
3.2 Strategische Eckpunkte einer Service Excellence................................................ 292
3.2.1 Eckpunkt 1: Im Zweifel entscheidet der Mitarbeiter für den Kunden
und gegen den Prozess............................................................................. 293
3.2.2 Eckpunkt 2: Service Excellence nach außen bedingt Service Excellence
nach innen................................................................................................ 295
3.2.3 Eckpunkt 3: Von Kunden lernen, was exzellenter Service ist ................. 296
3.2.4 Eckpunkt 4: Handlungsfelder für Kundenüberraschungen definieren..... 297
4 Branded Customer Service  Der Mitarbeiter als Marke............................................... 298
5 Change zu Service Excellence ....................................................................................... 300
5.1 Ausgangsschwierigkeiten der Veränderung zur Service Excellence ................... 300
5.2 Service Leadership............................................................................................... 301
5.3 Service Feedback ................................................................................................. 303
5.4 Kompetenzbasierte Einstellungsänderung ........................................................... 303
5.5 Private Parallelbeispiele als Methodik schmunzelnder Selbsterkenntnis............. 304
5.6 Service-Erlebnisse kreieren.................................................................................. 305
5.7 Ausgewogenheit von Grundeinstellung und Verhaltensnorm.............................. 305
6 Nachhaltigkeit erzeugen ................................................................................................ 306
7 Fazit ............................................................................................................................... 307
Quellenverzeichnis................................................................................................................ 308
Service Excellence 285

1 Einleitung

Mit Service ist es wie mit Fußball: Zumeist sind wir Zuschauer, fühlen uns aber doch wie ein
Bundestrainer und haben Ratschläge für die Akteure parat. Wir sehen genau, wie man es
besser machen könnte und schütteln bisweilen verständnislos den Kopf, warum die Akteure
auf dem Feld nicht einfach das machen, was für uns aus einiger Entfernung doch so plausibel
und naheliegend erscheint. Warum nur setzen die Aktiven nicht einfach und selbstverständ-
lich das um, was wir mit etwas Abstand alle als so naheliegend und einfach erkennen – im
Fußball und im Service?

Es war Anfang des Jahres, an einem späten Nachmittag, als ich mich fragte, warum sich die
Mitarbeiterin an der Rezeption nicht einfach entschuldigte, nachdem ich mich über mein
Hotelzimmer beschwert hatte. Nur eine Viertelstunde vorher hatte ich das Zimmer zum ersten
Mal betreten. Handtücher, Bett, Hotelbar – alles noch so, wie es der vorherige Gast verlassen
hatte. Offensichtlich hatte der Zimmerservice vergessen, das Zimmer frisch herzurichten. Ein
berechtigter Grund für eine Beschwerde und – wie ich fand – ein Grund für das Hotel, sich zu
entschuldigen. Die Reaktion der Empfangsdame war dagegen ein zögerliches Wegschauen,
rechtfertigende Versuche einer Erklärung, ausweichendes Suchen nach einem neuen Zimmer.
Aber kein Wort der Entschuldigung.

Hätte man die Rezeptionistin außerhalb dieser Situation (vielleicht in einem Seminar) gefragt
„Wie gehen Sie kundenorientiert mit einer solchen Beschwerde um?“, sie hätte mit einer
Selbstverständlichkeit, die womöglich einen Unterton der Empörung ob der Frage enthalten
hätte, geantwortet „Selbstverständlich entschuldige ich mich zuerst für den Fehler unseres Hau-
ses und sorge dann für eine schnelle Lösung.“ Gewusst hätte sie, was zu tun ist, trotzdem hat
sie es in der Situation selbst nicht getan: Nicht eine einzige Variation des Wörtchens „Ent-
schuldigung“ hat Sie über die Lippen gebracht.

In dieser Diskrepanz zwischen Wissen und Tun liegt eine grundlegende Herausforderung auf
dem Weg zur Service Excellence: Wie kann aus dem bekannten Allgemeinwissen über Service
ein konkret und konsequent umgesetztes Service-Verhalten gemacht werden? Oder anders ge-
fragt: Wie können Unternehmen Service Excellence leben und erlebbar machen – verlässlich
und durchgängig? Wie also gelingt es, den entscheidenden Schritt vom Know-how zum Do-
how zu gehen?

Diesem Beitrag liegt die Überzeugung zu Grunde, dass für die Entwicklung eines konsequent
exzellenten Serviceverhaltens vom Know-how zum Do-how eine Gesamtperspektive einge-
nommen werden muss, die weit mehr als ein singuläres Verhaltenstraining umfasst. Wer
Service-exzellentes Verhalten etablieren möchte sollte nicht dem Missverständnis erliegen, er
müsse sich ausschließlich um ein Serviceseminar kümmern. Alltagspraktische und pfiffige
Verhaltenstrainings sind notwendige, nicht aber hinreichende Ansatzpunkte einer Verhaltens-
änderung im Service. Sie müssen eingebettet sein in eine verhaltensorientierte Gesamtstrate-
gie von Service Excellence.

F. Keuper, B. Hogenschurz (Hrsg.), Professionelles Sales & Service Management,


DOI 10.1007/978-3-8349-8799-0_12,
© Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
286 MÖNCH/GOLLER

Zu dieser Gesamtstrategie gehören mindestens folgende Ansatzpunkte:

¾ Etablierung eines verhaltensrelevanten Verständnisses von Service,


¾ Entscheidung und Bewusstmachung über die strategische Relevanz von Service Excel-
lence als Differenzierungsmerkmal am Markt,
¾ Wegweisung und Absicherung des Service-Verhaltens für Mitarbeiter durch eine klare
Festlegung strategischer Eckpunkte zur Service Excellence,
¾ Vernetzung von Service und Branding durch die Fokussierung auf ein markenkongruen-
tes Verständnis von Serviceverhalten,
¾ Initiierung von Verhaltensänderungen durch unterschiedliche Ansatzpunkte eines Change
hin zu Service Excellence
¾ Etablierung einer Service-Leadership-Verantwortung unter den Führungskräften,
¾ dauerhafte Etablierung der Veränderungen durch die Nutzung unterschiedlicher Instru-
mente zur Sicherung der Nachhaltigkeit.

Verhaltens-
orientiertes
Service-
Verständnis
Methoden
Strategische
zur
Nachhaltig- Bedeutung
keit von Service

Service
Excellence
Service Strategische
Leadership Eckpunkte

Ansatz- Branded
punkte Customer
Change Service

Abbildung 1: Gesamtperspektivische Ansatzpunkte für eine verhaltensorientierte Entwick-


lung von Service Excellence vom Know-how zum Do-how.

Entsprechend wird in Kapitel 2 „Services und Servicing“ darauf eingegangen, in welcher


Weise bereits das Grundverständnis von Service entscheidend dafür ist, ob Service-Verhalten
im Kundenkontakt tatsächlich gelebt wird. Im Kapitel 3 wird der strategische Rahmen auf
dem Weg hin zur Service Excellence in Form von vier verhaltensrelevanten Eckpunkten
diskutiert. Im Kapitel 4 „Branded Customer Service“ geht es um eine Schärfung des Service-
Verhaltens im Sinne eines markenkongruenten Service-Verhaltens („Mitarbeiter als Marke“).
Service Excellence 287

Im Kapitel 5 „Change zu Service Excellence“ werden methodische Ansatzpunkte für die


Veränderung hin zur Service Excellence beschrieben. Von besonderer Bedeutung ist die Ser-
vice-Leadership-Verantwortung der Führungskräfte. Abschließend zeigt das Kapitel 6 „Nach-
haltigkeit erzeugen“ auf, wie verändertes Service-Verhalten durch begleitende Maßnahmen
dauerhaft gesichert werden kann.

2 Services und Servicing  Ein verhaltensrelevantes


Verständnis von Service Excellence

2.1 Services und Servicing


Die Frage, ob Service Excellence von Mitarbeitern im Alltag gelebt und von Kunden erlebt wird
ist wesentlich davon abhängig, wie das im Unternehmen vorherrschende Grundverständnis von
Service geprägt ist. Notwendig ist ein verhaltens- und emotionsbasiertes Service-Verständnis.
Allzu oft dominiert allerdings einseitig ein prozessbasiertes bzw. technisches Verständnis von
Service Excellence.

Ohne einen Diskurs in die vielfältige definitorische Begriffsgeschichte des Wortes „Service“
vornehmen zu wollen, sind folgende zwei Aspekte zentral: Service als Dienstleistungsangebot
und Service als Verhalten.

Den Unterscheid kann man problemlos in einem Alltagsexperiment in einer Fußgängerzone


verdeutlichen. Bitten sie beliebige Menschen, ihnen ein Beispiel für guten „Service“ zu nennen.
Sie erhalten eine ganze Reihe von Nennungen, die sich auf Lieferservice, Reparaturservice,
technischen Service, Service-Hotlines, kostenlose Zusatzangebote wie z. B. Tracking-Sys-
teme im Paketversand beziehen. Gemeinsam ist diesen Nennungen, dass sie als Service-
Produkt unternehmerisch organisierbar, planbar, kalkulierbar, zum Teil automatisierbar und
prinzipiell auch verkaufbar sind. Ob die Service-Leistungen dieser Art in Anspruch genom-
men werden oder nicht, liegt in der Entscheidung des Kunden.

Sie erhalten auf das Stichwort „Service“ in der Fußgängerzone aber ebenso eine große Anzahl
von Nennungen, die sich auf die Freundlichkeit der Bedienung, auf das Gefühl einer beson-
ders individuellen Betreuung, auf einen Eindruck des Kümmerns, auf den Sympathie-Faktor
in der Begegnung, schlicht auf die Art und Weise des Kontakts beziehen. Dieser Aspekt von
Service stellt kein Produkt dar, sondern ist das Service-Verhalten des einzelnen Mitarbeiters,
die persönliche Begegnung von Kunde und Service-Geber, von Mensch zu Mensch.

Zur besseren Unterscheidung dieser beiden Aspekte differenzieren wir zwischen Services als
den Dienstleistungen, die ein Kunde in Anspruch nehmen kann und dem Servicing als der Art
und Weise, wie Mitarbeiter und Kunden im Verhalten miteinander umgehen. Services sind
definierte Dienstleistungsangebote (= Was), Servicing ist das Service-Verhalten (= Wie). Ser-
vices sind einfach beschreibbar und vergleichbar. Servicing dagegen ist schwerer fassbar.
288 MÖNCH/GOLLER

Services Servicing
= =
Dienstleistungsangebote Verhalten, Art und Weise des
Umgangs

Beispiele: Lieferservice, technischer Beispiele: Freundlichkeit, Verständnis,


Service, Service-Hotline Engagement

Verantwortung: Unternehmen Verantwortung: Mitarbeiter

Abbildung 2: Unterscheidung von Services und Servicing

Die Unterscheidung von Services und Servicing ist deshalb zentral und wichtig, weil oftmals
ein Ungleichgewicht beider Aspekte zu beobachten ist. Viele Unternehmen investieren zwar
sehr viel Energie in die Organisation und Abwicklung der Services, vernachlässigen darüber
allzu oft aber eine professionelle Weiterentwicklung des Servicing. Wird beispielsweise die
Einführung eines neuen Umtauschservices mit detaillierten Prozessbeschreibungen dokumen-
tiert und organisatorisch perfektioniert, wird im Bezug auf das Servicing oftmals darauf ver-
traut, dass die Mitarbeiter es schon von alleine hinbekommen. Wenn Service Excellence, also
das Erfüllen und Übertreffen von Kundenerwartungen, das Ziel ist, dann müssen nicht nur die
Services, sondern ebenso auch das Servicing mit Leidenschaft und Excellence betrieben wer-
den.

Diese unausgewogene Betonung der Services auf Kosten des Servicing birgt eine zentrale
Gefahr in sich: Die Verantwortungsübernahme des einzelnen Mitarbeiters für Service Excel-
lence geht verloren und wird allzu leicht auf Systeme und Prozesse abgewälzt. Ein Beispiel
dafür kann häufig bei der Einführung von Customer-Relationship-Management-(CRM)-Sys-
temen beobachtet werden. Die Prozesse und die Software sind aufs Beste mit viel Aufwand
durchdacht – das ist und bleibt auch wichtig. Im direkten Kontakt mit dem Kunden am Point
of Sale werden die Informationen aber kaum genutzt, um damit ein passgenaues und indivi-
duell herausgehobenes Service-Erlebnis für den Kunden zu gestalten. Nur wer hier in seinem
Service-Verständnis nicht nur allgemein von Service spricht, sondern differenziert auch das
Servicing im Fokus behält, wird Service Excellence erreichen.

Schauen wir uns diesen zentralen Effekt der Verantwortungs-Diffusion für Service Excellen-
ce bei der einseitigen Betonung der Services auf Kosten des Servicing etwas detaillierter an.
Service Excellence 289

¾ Gefahr 1: Die Kreativität für die Ausgestaltung von Serviceangeboten wird einseitig auf
Unternehmensstrategen abgewälzt. Einzelne Services werden in der Regel vom Unterneh-
men organisiert, nicht vom einzelnen Mitarbeiter. Lieferservice, Installationsservice, Ku-
lanzregelungen, Umtauschservice, Verpackungsservice u. v. m. – all das stellt das Unter-
nehmen zur Verfügung, nicht der einzelne Mitarbeiter. Wenn Service Excellence vor allem
im Sinne der Services verstanden wird, dann klingt der Aufruf nach Service-Verbes-
serungen in den Ohren der Mitarbeiter vor allem danach, dass irgendwelche Unternehmens-
Strategen gefordert sind, sich einen neuen Service auszudenken. Eine Initiative für Ser-
vice Excellence klingt dann schnell nach dem Motto: „Mal abwarten, was sie sich jetzt
für einen neuen Service ausdenken.“ Das Problem einer einseitigen Betonung der Ser-
vices auf Kosten des Servicing liegt also darin, dass Mitarbeiter deutlich zu wenig Pri-
märverantwortung für das Service-Erlebnis des Kunden übernehmen. Die Ausgestaltung
der Service Excellence wird vom Mitarbeiter an das Unternehmen „delegiert.“ Service
Excellence wird reduziert auf die Entwicklung neuer Service-Angebote durch das Unter-
nehmen.
¾ Gefahr 2: Die Verantwortung für die Kommunikation der Service-Angebote wird auf die
Marketingabteilung abgewälzt. Wenn Service Excellence vor allem als das unternehmens-
seitige Anbieten einzelner Services verstanden wird, dann wird die Kommunikation von
Serviceleistungen primär als Aufgabe der Marketingabteilung betrachtet. Das Problem:
vorhandene Services werden von den Mitarbeitern am Point of Sale (PoS) im direkten
Kundenkontakt nicht aktiv und konsequent genug angeboten. Zu beobachten ist, dass
Mitarbeiter zwar auf Nachfrage hin einzelne Services erklären können, die Hauptverant-
wortung für exzellente Service-Erlebnisse des Kunden aber immer noch zu sehr auf Unter-
nehmens- und zu wenig auf Mitarbeiterseite gesehen wird.
¾ Gefahr 3: Service Excellence wird vor allem als Prozesstreue verstanden. Mitarbeiter ver-
stehen ihre Verantwortung für Service Excellence vor allem in dem Einhalten der Standard-
Service-Prozesse. Die Gefahr besteht darin, dass Kreativität und das individuelle Zufrie-
denstellen von Kundenwünschen nicht mehr möglich ist. Es ist häufig zu beobachten,
dass Mitarbeiter primär von der Sorge getrieben sind, auf keinen Fall gegen einen defi-
nierten Prozess zu verstoßen anstatt eine individuelle Problemlösung für den Kunden zu
ermöglichen. Eine dominante Sorge vor Prozessfehlern erstickt die Entfaltung von Ser-
vice Excellence.

Die beschriebenen Effekte zeigen deutlich die Gefahren einer einseitigen Überbetonung der
Services gegenüber dem Servicing. Wer undifferenziert von Service Excellence spricht läuft
Gefahr, die Verantwortung der Mitarbeiter für das Gestalten von Service Excellence im direk-
ten Kundenkontakt nicht ausreichend genug zu thematisieren und auf ein bloßes Anbieten der
Services zu reduzieren. Mit dem verhaltensorientierten Begriff des Servicing wird genau dies
geleistet: Servicing liegt klar in der Gestaltungsverantwortung jedes einzelnen Mitarbeiters.
Der Begriff erhöht die Fokussierung und Verantwortung der Mitarbeiter auf gelebte Service
Excellence. Die Unterscheidung von Services und Servicing legt somit die Basis für ein ver-
haltensorientiertes Verständnis von Service Excellence.
290 MÖNCH/GOLLER

2.2 Service-Geber im Gefühl-mach-Business


Kunden unterscheiden in der Regel nicht trennschaft und analytisch zwischen Services und
Servicing. Für sie ist der Service eines Unternehmens vor allem ein Service-Erlebnis. Die
Komplexität dessen, was vom Service des Unternehmens beim Kunden als gefühltes Erlebnis
ankommt, lässt sich in der Regel schwer definieren, macht aber gerade darin eines deutlich:
Service ist das individuelle Erlebnis oder Gefühl eines Service-Nehmers beim Kontakt mit dem
Service-Geber. Service ist ein Gefühl. Man kann Menschen nicht alleine argumentativ davon
überzeugen, dass sie einen guten Service erhalten, sie müssen es auch als solchen empfinden.

Wenn Service ein Gefühl ist, dann bedeutet das für Service-Geber, dass sie in erster Linie
Gefühlsmacher sind. Service-Geber arbeiten im Gefühl-mach-Business. Exzellenten Service
geben heißt, positive Emotionen hervor zu rufen.

Was sind das für Emotionen? Service Excellence ist das Gefühl, außergewöhnlich gut betreut
zu werden. Es ist das Vertrauen des Kunden in die Integrität und Loyalität des Service-
Gebers, dass dieser in des Kunden Interesse handelt. Service Excellence ist das Gefühl, als
Kunde wertgeschätzt und individuell behandelt zu werden. Service Excellence signalisiert
Freude, Dankbarkeit und Lust, mit Kunden zusammen zu sein. Service Excellence übertrifft
einfache Zufriedenheit mit einem Aspekt von Überraschung.

Das Verständnis von Service als einem Gefühl verdeutlicht zudem ein weiteres Mal die Rele-
vanz der Unterscheidung von Services und Servicing. Das Gefühl von exzellentem Service
lässt sich nicht alleine mit einzelnen Service-Angeboten erzeugen. Das Gefühl von Service
Excellence bedarf eines professionellen Servicing. Wenn etwa der außergewöhnliche Liefer-
service eines Händlers mit den mürrischen Worten „Ja, zur Not liefern wir es auch nach Hau-
se“ angeboten wird, ist das weit entfernt von einer Service Excellence. Ganz anders, wenn der
Händler anbietet: „Sehr gerne liefern wir die Ware heute Nachmittag nach Hause. Sollen wir
diese schwere Tüte aus Ihrem Samstagseinkauf auch direkt mitschicken lassen?“

Weil Service ein gefühltes Erlebnis ist, können mit einem exzellenten Servicing sogar Mängel
in den Services (teil-)kompensiert werden. Seit Jahren etwa geht ein Freund in einen Friseur-
laden, der zwar weder Kaffee, Zeitungsauswahl, Musik oder besondere Preise anbietet, in
dem er sich aber durch die netten Gespräche wie zuhause fühlt.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die begriffliche Unterscheidung von Services und
Servicing dazu beiträgt, das teils diffuse Verständnis von Service klar in einen Angebotsas-
pekt und einen verhaltensrelevanten Aspekt zu trennen. Nur wer ein verhaltensrelevantes
Verständnis von Service Excellence etabliert, wird den Weg vom Know-how zum Do-how
erfolgreich beschreiten. Das verhaltens- und emotionsorientierte Verständnis von Service Excel-
lence verdeutlicht: „Ich bin verantwortlicher Gefühlsmacher“.
Service Excellence 291

3 Der strategische Rahmen  Das Can-Do als Mittler zwischen


Know-how und Do-how

Die Grundannahme dieses Beitrags liegt darin, dass eine Verhaltensänderung vom Know-how
zum Do-how einer Service Excellence nur im Kontext einer Gesamtstrategie mit mehreren
Ansatzpunkten gelingt. Nachdem die Bedeutung eines verhaltens- und emotionsbasierten
Verständnisses von Service Excellence in der Unterscheidung von Services und Servicing
grundgelegt wurde, geht es nun um den strategischen Rahmen, der die Eckpunkte service-
exzellenten Verhaltens beschreibt.

Bevor Mitarbeiter Service Excellence umsetzen, muss deutlich werden, welche Eckpunkte
den Rahmen abstecken sollen, in dem Service Excellence gestaltet werden soll und kann. Wer
sich bewegen soll, braucht anfangs ein Geländer. Ermutigung braucht deshalb auch Sicher-
heit. Daher ist die Beantwortung der Can-Do-Frage: „Was kann/soll/darf ich machen?“ der
Mittler zwischen Know-how und Do-how.

Know-How Do-How
Can-Do
Ich weiß, was zu tun Ich kann/darf/soll tun Ich mache es
ist

Abbildung 3: Can-Do als Mittler zwischen Know-how und Do-how

Wie sieht ein solcher strategischer Rahmen im Hinblick auf Service-Verhalten aus? Er sollte
mindestens folgende zwei Punkte verdeutlichen:

1. das strategische Differenzierungspotenzial von Service Excellence am Markt und


2. die strategischen Eckpunkte der Service Excellence.

3.1 Service Excellence als strategisches Differenzierungspotenzial


Der strategische Rahmen von Service Excellence dient zuallererst dazu, Klarheit über die
Bedeutung von Service im Kontext der Unternehmensstrategie zu schaffen. Service Excellen-
ce hat das Potenzial, ein eigenständiges, differenzierendes Merkmal gegenüber Mitbewerbern
am Markt zu sein. Dies gilt spätestens dann, wenn der Wettbewerb in der reifen Phase des
Produktzyklus` angelangt ist, so dass aufgrund großer Ähnlichkeit durch Produkte kaum mehr
ein Vorteil zu erlangen ist.1

1
Vgl. DAVIDOW/UTTAL (1995), S. 50 ff., und online: MERCER MANAGEMENT CONSULTING (2007).
292 MÖNCH/GOLLER

Für den Erfolg einer derartigen Differenzierungsstrategie sind zwei Punkte entscheidend:

1. Das Management des Unternehmens muss sich mit strategischer Prägnanz und Konsequenz
für den Ansatz einer Differenzierung durch Service Excellence entscheiden. Eine solche
Entscheidung gibt dem Thema Service eine langfristige Perspektive, einen übergreifenden
Einfluss und ein Gewicht in Prioritätenentscheidungen. Service als Strategie hat Einfluss
auf die Organisation, die Prozesse, die Preise, etc., auf alle zentralen Bereiche eines Un-
ternehmens. Es geht darum, sich eine „Vision von Perfektion zu schaffen, die sich auf den
Kunden konzentriert“2, ohne alles und jedes machen zu wollen. Es ist die Entscheidung, so
gut zu sein, dass man sich abhebt.
2. Den Mitarbeitern muss die strategische Bedeutung der Service Excellence klar und täg-
lich präsent sein. Allzu oft ist Mitarbeitern nicht ausreichend bewusst, wie entscheidend
ihr Service-Verhalten ist und wie sehr der Erfolg des Unternehmens davon abhängig ist.
Servicing wird oft nur als flüchtiger Augenblick von nachrangiger Bedeutung banalisiert.
Im Zweifel werden Produkte und Preise als wichtiger angesehen. Wenn Service aber
Strategie ist, ist genau das Gegenteil richtig. Service Excellence als Differenzierungsstrate-
gie ist keine Garnitur, sondern Hauptspeise. Ob Service Excellence durchgängig und mit
Begeisterung gelebt wird, ist auf der gleichen Ebene anzusiedeln, ob ein Produkt lieferbar
ist oder nicht. Bei den Servicings darf es keine „Lieferschwierigkeiten“ geben.

Ein gutes Beispiel dafür, wie man sich auf Basis eines strategischen Premiumanspruches von
Service am Markt selbst durch Servicedetails differenzieren kann, bietet BMW Schweiz: Bei
einer Probefahrt reservieren ausgewählte Autohäuser namentlich einen Parkplatz für den Pro-
befahrer. Auf Wunsch erhält der Kunde für die Probefahrt eine Auswahl von CDs mit seiner
Lieblingsmusik. Ein ganz besonderer Service besteht darin, dass das Navigationssystem Kunden
während ihrer Probefahrt zu einem besonders stilvollen Café leitet, in dem ein frischer Espresso
kostenlos genossen werden kann. Hier entstehen kreative Servicedetails auf der Basis einer
Service-Strategie.

Wenn Service Excellence als Differenzierungsstrategie vom Management konsequent getra-


gen und bei den Mitarbeitern mit nicht zu unterschätzender Bedeutung klar im Bewusstsein
präsent ist, ist die Festlegung eines Service-Rahmens notwendig. Er beantwortet die Frage
„Was kann/darf/soll ich als Mitarbeiter tun?“ Wie sehen solche strategischen Eckpunkte aus?

3.2 Strategische Eckpunkte einer Service Excellence


Verhaltensänderungen im Service-Bereich werden nur dann zum Erfolg führen, wenn das
Verhalten durch strategische Eckpunkte entsprechend abgesteckt, unterstützt und ermöglicht
wird. Die Eckpunkte schaffen den Rahmen, innerhalb dessen service-exzellentes Verhalten
ermöglicht wird. Sie machen deutlich, wo es hingeht, was gemacht werden kann – Can Do!

Folgende strategische Eckpunkte sind für das Beschreiten des Weges vom Know-how zum
Do-how zentral:

2
BLANCHARD/BOWLES (2000), S. 42.
Service Excellence 293

¾ Eckpunkt 1: Im Zweifel entscheidet der Mitarbeiter für den Kunden und gegen den Prozess,
¾ Eckpunkt 2: Service Excellence nach außen bedingt Service Excellence nach innen,
¾ Eckpunkt 3: Von Kunden lernen, was exzellenter Service ist und
¾ Eckpunkt 4: Handlungsfelder für Kundenüberraschungen definieren.

3.2.1 Eckpunkt 1: Im Zweifel entscheidet der Mitarbeiter für den Kunden


und gegen den Prozess
Kennen sie als Kunde den Satz „Ich würde Ihnen ja gerne helfen, aber ich darf leider nicht.“
Wie oft steht einem guten Kundenservice ein Standard-Prozess im Wege? Zur Verbesserung
solcher Situationen sind in der Regel zwei Strategien möglich: (1) Man versucht durch eine
Prozess-Modulierung und -Differenzierung die Standard-Prozesse serviceorientierter zu gestal-
ten. Diese Strategie führt in der Regel zu einem Mehr an Prozessen. (2) Man lässt im Zweifel
Ausnahmen gegen den Standard-Prozess zu und ermöglicht so ein individuelles Vorgehen für
den Kunden.

Eine zu hohe Prozesslastigkeit ist hinderlich für eine Service-Orientierung. Service Excellen-
ce ist von Natur aus individuell, sie verlangt kreative Problemlösung statt Sorge um Prozess-
Konformität. Wer Excellence im Sinne überraschender Wow-Effekte erzielen möchte, wird dies
nur partiell mit Hilfe von Standard-Prozessen erreichen. Hierzu zwei Beispiele:

¾ Nach dem Online-Abschluss eines neuen DSL-Vertrags bekommt der Kunden den Router
per Post zugesandt. Weil der Router nicht funktioniert, geht der Kunde in den entsprechen-
den Laden des Anbieters und will ihn umtauschen. Obwohl im Shop gleiche Router vor-
handen sind, erklärt der Mitarbeiter, dass ein Umtausch im Shop nicht möglich ist. Be-
gründung: Der Prozess sieht vor, dass bei online abgeschlossenen Verträgen defekte Geräte
nur per Rückversand reklamiert werden können.
¾ Wer sich aufgrund von Bahnverspätungen eine Entschädigungsgutschrift ausstellen lassen
möchte und sich dazu mit Wartezeit an einem normalen Bahnschalter anstellt, wird zuerst
wieder zurück zum ServicePoint geschickt. Hier wartet der Kunde in der Regel wieder,
nur um sich die Verspätung bescheinigen zu lassen. Daraufhin kann er sich – nach einer
weiteren Wartezeit – die Gutschrift am Bahnschalter ausstellen lassen. Beschwert sich
der Kunde über diesen komplizierten Prozess, erhält er zu Antwort, dass der Prozess es
so vorschreibt. Das Ergebnis: Zugverspätung plus 30 Minuten Wartezeit für den Prozess.

Mitarbeiter, die Ihr Verhalten dem Kunden gegenüber primär davon leiten lassen, nur ja nicht
gegen einen standardisierten Prozess zu verstoßen, werden in ihrem Verhalten nicht frei sein
für ein leidenschaftliches Anbieten von Service Excellence. Nun können Mitarbeiter selbst
sich die Freiheit natürlich nicht geben, dazu bedarf es der strategischen Eckpunkte.

Welche Auswirkungen hat der strategische Eckpunkt „Im Zweifel für den Kunden und gegen
den Prozess“ auf (a) die Prozesse, (b) die Mitarbeiter, (c) die Führungskräfte und (d) die Or-
ganisation?
294 MÖNCH/GOLLER

(a) Was bedeutet der Eckpunkt Nr.1 für die Prozesse im Unternehmen?
Mit der Formulierung des Eckpunkts „Im Zweifel für den Kunden und gegen den Pro-
zess“ sollen die Standard-Prozesse keineswegs abgeschafft und das Vorgehen einer Be-
liebigkeit Preis gegeben werden. Standardprozesse sind notwendig und hilfreich, bilden
eine Entlastung für Mitarbeiter und ermöglichen eine effiziente Organisation von Ser-
vice-Leistungen. Im Zweifel – und der tritt immer dann auf, wenn eine einfache Lösung
für den Kunden am Prozess vorbei möglich ist und damit Unzufriedenheit verhindert und
Begeisterung hervorgerufen wird – muss der Mitarbeiter in seiner Verantwortung für die
Loyalität des Kunden gegen den Prozess entscheiden können. Kundenloyalität erreicht man
nicht durch interne Prozesskonformität, sondern durch Kunden, die mit einem Gefühl der
Begeisterung den Laden verlassen.
(b) Was bedeutet der Eckpunkt Nr.1 für Mitarbeiter?
Er bedeutet für den Mitarbeiter mehr Verantwortung und Zutrauen in seine Arbeit. Mit
der Formulierung des Eckpunkts traut das Unternehmen seinen Mitarbeitern zu, verant-
wortungsvolle Entscheidungen für Kunden zu treffen. Er ist das ausgesprochene Vertrauen
in die situative Entscheidungskompetenz und in das Urteilsvermögen der Mitarbeiter, im-
mer im Blick auf die Gesamtverantwortung für den Erfolg eines Unternehmens.
(c) Was bedeutet der Eckpunkt Nr.1 für Führungskräfte?
Aufgabe der Führungskräfte ist es, die Mitarbeiter zur Nutzung ihres Spielraumes für die
Kunden zu ermutigen. Der Fokus der Führungskräfte liegt nicht primär darauf, ob Mitarbei-
ter etwas richtig machen, sondern darauf, ob sie etwas gut machen  nämlich Kunden einen
exzellenten Service zu bieten. Aufgabe der Führungskraft ist es, Entscheidungen im Sinne
des Eckpunkts gemeinsam mit dem Mitarbeiter zu reflektieren. Auch dann, wenn sich im
Nachhinein herausstellt, dass der Mitarbeiter besser anders agiert hätte, sollte die Füh-
rungskraft das Bemühen um eine gute Kundenlösung positiv wertschätzen.

Beispiel: Nach der berechtigten Beschwerde eines Kunden und einer erkennbaren Kün-
digungsbereitschaft gewährt der Mitarbeiter dem Kunden eine Kulanzgutschrift, die laut
Prozess über seine Verfügungsgewalt hinausgeht und von der Führungskraft hätte ge-
nehmigt werden müssen – diese war aber gerade in Mittagspause. Selbst wenn die Füh-
rungskraft die Höhe der Kulanz im Nachhinein als zu hoch kritisiert, muss ihre Botschaft
an den Mitarbeiter lauten: „Auch wenn ich Sie bitte, in dieser Einzelfrage demnächst an-
ders zu entscheiden, war Ihr Bemühen, den Kunden durch einen schnellen und guten
Service zufrieden zu stellen richtig. Trauen Sie sich weiterhin dies zu leben. Einzelfälle
werden wir immer gemeinsam klären können.“
(d) Was bedeutet der Eckpunkt Nr.1 für die Organisation?
Auch Abteilungen ohne direkten Kundenkontakt wie etwa das Controlling oder die Revi-
sion müssen den Eckpunkt „Im Zweifel für den Kunden und gegen den Prozess“ mittra-
gen. Es gilt unbedingt zu verhindern, dass im Nachhinein eine langwierig rechtfertigende
Diskussion über die Abweichung vom Standardprozess einsetzt. Deshalb: Controlling
und Revision frühzeitig in die Service Excellence einbinden und den strategischen Rah-
men des Unternehmens klären.
Service Excellence 295

3.2.2 Eckpunkt 2: Service Excellence nach außen bedingt Service Excellence


nach innen
Woraus entsteht die Motivation und Lust eines Mitarbeiters, für Kunden exzellente Service-
Erlebnisse zu schaffen? Sie entsteht aus einer grundlegenden Service-Atmosphäre heraus, die
dann entsteht, wenn Menschen selber die Erfahrung von Service machen. Und das ist am
einfachsten intern möglich. Wer selbst einen exzellenten Service erlebt, verfügt nicht nur über
einen breiten Pool von Service-Beispielen, sondern wird sich automatisch an den gesetzten
und erlebten Standards orientieren. Insofern hat Service Excellence eine ansteckende Wirkung.
Wenn eine Person selbst freundlich behandelt wird, dann wird auch sie im nächsten Kontakt
ihr Gegenüber freundlich und zuvorkommend behandeln. Und umgekehrt: Wer selbst soeben
als Kunde schlechten Service erlebt hat, der wird auch selbst nicht in der Stimmung sein, einen
Top-Service zu geben. Die Erfahrungen, die wir selbst machen, wirken sich auf unser eigenes
Verhalten aus.

Aus dieser Erkenntnis heraus ergibt sich der zweite Eckpunkt: Service Excellence nach außen
bedingt Service Excellence nach innen. Eine Top-Service-Qualität nach außen gegenüber
dem Kunden wird dauerhaft niemals besser sein können als der Service, der nach innen gelebt
wird. Nur wenn Mitarbeiter und Führungskräfte untereinander Servicing in Form von Leiden-
schaft, Perspektivenübernahme, Unterstützung, Wertschätzung und Spaß im Miteinander
leben, werden sie in der Lage sein, dies auch einem externen Kunden zu vermitteln.

Der psychologische Mechanismus, der über die Service-Atmosphäre den internen mit dem
externen Service derart eng miteinander verbindet, ist ein doppelter. Zum einen ist es ein Me-
chanismus der Stimmungsübertragung, in dem sich die durch ein positives Service-Erlebnis
induzierte positive Stimmung auf das eigene Verhalten, die Divergenz des Denkens und somit
auf die Kreativität auswirkt. Zum anderen ist es ein Mechanismus, der über Beispieleffekte
seine Wirkung entfaltet. Je konkreter und zahlreicher unsere Ideen darüber sind, was Service
Excellence bedeutet, desto einfacher fällt es uns, in verschiedenen Situationen beispielkon-
form zu handeln.

Im Folgenden sind ein paar Beispiele für internen Service aufgeführt:

¾ Bei der Besprechung des Managers mit seiner Assistentin fragt der Manager, was die
Assistentin trinken möchte und geht selbst Glas und Getränk in der Küche besorgen.
¾ Die Führungskraft im Handel zeigt deutliche Präsenz im Ladenlokal und unterstützt die
Mitarbeiter durch ein enges Feedback und in der Suche nach alternativen Verhaltensweisen
in schwierigen Situationen. Die Führungskraft versteht diese Tätigkeit primär nicht als
Kontrolle, sondern als unterstützende Service-Funktion für die Mitarbeiter. Führung ist
Service.
¾ Nicht die obersten Manager erhalten zuerst die neuesten Produkte, sondern die Mitarbei-
ter am Point of Sale. Viel zu oft ist zu beobachten, dass die Führungsetage zwar stolz die
neuesten Geräte zeigt, die Mitarbeiter im Shop aber regelmäßig zu spät oder in zu gerin-
ger Anzahl an die neuen Geräte kommen.
¾ Ein Kollege möchte sich einen Kaffee holen. In der allgemeinen Kaffeeküche stellt er
fest, dass in der Kanne nur noch eine letzte Tasse Kaffee ist. Statt sich mit einem Glück-
pilzgefühl einfach die letzte Tasse zu nehmen, brüht er neuen Kaffee auf und sagt den
Kollegen Bescheid, dass frischer Kaffee fertig ist.
296 MÖNCH/GOLLER

Wer intern eine hohe Service-Qualität lebt und damit eine Service-Atmosphäre schafft, wird
auch extern die Motivation und Lust zu exzellentem Service-Verhalten stärken. Die Motivati-
on, selbst gemachte Erfahrungen mit gleicher Begeisterung weiterzugeben und auszuprobie-
ren, trägt wesentlich dazu bei, ein abstraktes Know-how von Service Excellence in ein be-
geisterndes Do-how zu übertragen.

3.2.3 Eckpunkt 3: Von Kunden lernen, was exzellenter Service ist


Wer kann besser definieren was Kunden begeistert, als die Kunden selbst? Deshalb ist das Ler-
nen von Kunden die beste und günstigste Beratung auf dem Weg zur Service Excellence.

Wenn es um die Entwicklung neuer Produkte geht, sind Unternehmen schon lange mit Hilfe
von Marktforschungs-Methoden sehr nah mit ihrem Ohr an den Wünschen des Kunden. Das
gleiche sollte auch bei der Weiterentwicklung der Services wie auch der Servicings gesche-
hen. Sowohl im individuellen Bereich (Welchen Service wünscht sich Kunde X?), wie auch
im übergreifend-strategischen Bereich (Welchen Service wünschen sich unsere Kunden?)
lernen Unternehmen bislang zu wenig von ihren Kunden.

Ein ausgesprochen gutes Beispiel für das Lernen von Kunden im Service ist die Hotel- und
Gastronomie-Branche. Wer häufig in Hotels übernachtet bemerkt, dass es in immer mehr
Hotelzimmern neben überteuerten Minibars auch Wasserkocher für kostenlose Tee- und Kaf-
feegetränke gibt. Auch die Laptopsteckdose in Hotelsafes ist ein Wunsch von Kunden. Ein
ganz besonders hervorragendes Beispiel eines Lernens von Kunden stellt folgende Begeben-
heit dar: Ein Geschäftsreisender hat sich daran gewöhnt, nach Betreten des Hotelzimmers
immer zuerst vom Schreibtisch sämtliche Prospekte, Flyer, Zeitschriften, Schildchen und
Infomappen wegzuräumen, damit er dort arbeiten kann. Bei mehrtägigen Aufenthalten ist er
es bereits gewohnt, die Prozedur jeden Abend wieder aufs Neue zu wiederholen, weil der
Zimmer-Service tagsüber alles wieder ordentlich auf dem Schreibtisch drapiert hat. Umso
überraschter war er, als er nach dem Wochenende wieder das Hotelzimmer bezog: Sämtliche
Tische waren frei von Prospekten. Nur ein einzelner handgeschriebener Zettel lag auf dem
Tisch: „Ich habe bemerkt, dass Sie die Informationsprospekte lieber gebündelt an der Seite
liegen haben. Falls Sie Informationen benötigen, finden Sie die Prospekte in der Schublade
Ihres Schreibtisches.“ Hier hatte ein ganz besonders aufmerksamer Mensch wahrgenommen,
was Service Excellence heißt. Service Excellence durch Lernen vom Kunden.

Das Lernen vom Kunden sollte sich unbedingt auch auf das Servicing beziehen, z. B. auf den
Umgang mit Warteschlangen. Die meisten Kunden berichten, dass die Aufnahme eines Blick-
kontaktes entlang der wartenden Schlange keineswegs als weitere Verzögerung angesehen wird
(dies ist die Sorge vieler Mitarbeiter am Point of Sale), sondern als eine positive Form der
Wertschätzung. Lernen von den Kunden heißt: Lieber konsequent den Blickkontakt zu den
Wartenden halten, als aus einer Hektik heraus den Blick nur auf den augenblicklichen Kunden
zu fixieren.

Ein Lernen von Kunden braucht auf der Prozessseite entsprechende Wege, damit die Ideen
und Wünsche der Kunden auch tatsächlich abgeschöpft werden und im Unternehmen an-
kommen. Kundennachbefragungen oder eine systematische Auswertung von Beschwerde-
gründen sind hierzu mögliche Ansätze. Ein sicherer Weg ist es auch, bei Mitarbeitern darauf
zu hören, über welche angeblich übertriebenen Service-Wünsche von Kunden sie stöhnen.
Man erkennt diese Situationen an Mitarbeitersätzen wie „Unverschämt, was die Kunden erwar-
Service Excellence 297

ten!“ oder „Früher waren die Leute noch bescheidener.“ Wer hier genau hinhört statt zu stöh-
nen, lernt vom Kunden Service Excellence.

Der Eckpunkt Nr. 3 „Lernen von Kunden“ macht noch ein weiteres deutlich: Service Excel-
lence ist nicht eine Frage der Quantität von Service-Angeboten, sondern eine Frage der Quali-
tät, Außergewöhnlichkeit und Passgenauigkeit von Service. Excellence entsteht nicht durch
möglichst viele Service-Angebote. Nur wer bereit ist, von Kunden individuell zu lernen, wird
in der Lage sein, Excellence zu kreieren, nämlich das Gefühl, überraschend individuell, be-
geisternd passgenau und vorausschauend lösungsorientiert zu agieren.

3.2.4 Eckpunkt 4: Handlungsfelder für Kundenüberraschungen definieren


Ein letzter Punkt fehlt noch im strategischen Rahmen des Can-Do, um das Know-how zum
Do-how zu entwickeln, um Service Excellence zu leben. Es ist die Definition vorrangiger
Handlungsfelder, in denen ein Unternehmen Service Excellence etablieren möchte.

Was sind solche Handlungsfelder? Handlungsfelder der Service Excellence sind abgrenzbare
und definierte Schwerpunktsituationen, in denen Mitarbeiter durch ein entsprechend begeis-
terndes Verhalten außergewöhnliche Service-Erlebnisse kreieren sollen. Handlungsfelder
können bestimmte Augenblicke oder Einzelsituationen sein, die sich mit einem Kunden im
Verlauf des Kontaktes ergeben. Handlungsfelder können sich auch aus bestimmten Personen-
gruppen ergeben. Beispiele für Handlungsfelder sind:

¾ die Begrüßungssituation im Laden,


¾ die Wartezeit vor einem Schalter,
¾ die Abgabe einer Beschwerde,
¾ die Übergabe eines Produktes an den Kunden,
¾ Eltern mit Kindern etc.

Die BMW-Autohäuser in der Schweiz haben sich beispielsweise die Handlungsfelder „Probe-
fahrt“ und „Auslieferung“ als Schwerpunktbereiche aktueller Service-Excellence-Maßnahmen
herausgegriffen.

Warum ist es notwendig Handlungsfelder zu definieren? Die Handlungsfelder machen Ser-


vice Excellence konkreter. Sie bewirken Klarheit für Mitarbeiter, in welchen Situationen es
auf ein Top-Verhalten ankommt, um Service-Begeisterung zu bewirken. Handlungsfelder
umgehen somit ein diffuses „Wir wollen überall und allgemein im Service besser werden.“
Handlungsfelder stellen eine Priorisierung von Situationen dar. Handlungsfelder haben Signal-
wirkung: „Achtung – jetzt exzellenten Service leisten.“

Wichtig ist eine sorgfältige Auswahl der Handlungsfelder nach folgenden Kriterien:

¾ Relevanz der Situation für die Wahrnehmung der Service-Qualität aus Kundensicht. Wäh-
len sie solche Situationen als Handlungsfelder aus, die den größten Einfluss auf die Ser-
vice-Begeisterung von Kunden haben. Wenn man in der Versicherungs-Branche weiß, dass
die Beratung im Schadensfall einen ganz besonders großen Einfluss auf das Service-
Erlebnis hat, dann sollte man genau diese Beratungssituation als Handlungsfeld definieren.
298 MÖNCH/GOLLER

¾ Häufigkeit, mit der ein Handlungsfeld auftritt. Wählen sie Situationen aus, die standard-
mäßig auftreten, so dass es eine ausreichend hohe Anzahl von Chancen gibt, das Erlebnis
von Service Excellence zu produzieren.

Verändertes Verhalten lässt sich aufgrund der begrenzten Ressourcen unserer Aufmerksam-
keit nur in wenigen Bereichen zeitgleich mit Erfolg umsetzen. Es sollten deshalb für den
ersten Schritt nicht mehr als drei Handlungsfelder ausgewählt werden.

Das vorliegende Kapitel sollte deutlich machen, dass eine nachhaltige Verhaltensänderung hin
zur Service Excellence einen strategischen Rahmen voraussetzt. Aufgabe dieses Rahmens ist es,
die strategische Bedeutung eines service-exzellenten Verhaltens herauszustellen und den Mitar-
beitern in Form von Eckpunkten eine Orientierung zu geben, was sie tun können:

¾ Mitarbeiter können sich im Zweifel für den Kunden und gegen den Prozess entscheiden,
¾ Mitarbeiter können dadurch einen besseren Service nach außen geben, indem sie intern
Service Excellence leben,
¾ Mitarbeiter können von Kunden lernen und
¾ Mitarbeiter können sich auf die definierten Handlungsfelder konzentrieren.

Das strategische Differenzierungspotenzial von Service Excellence und die Eckpunkte sind
umso wirkungsvoller, je prägnanter und einzigartiger Service Excellence definiert ist. Um den
Unterschied zwischen generischer Service Excellence und einzigartiger Service Excellence zu
definieren, hilft eine Verzahnung von Branding und Service Excellence, wie es dem Konzept
des Branded Customer Service zugrunde liegt.

4 Branded Customer Service  Der Mitarbeiter als Marke

Was haben Markenimage und Service Excellence miteinander zu tun? Die Marke spezifiziert
Service Excellence für ein Unternehmen auf einzigartige Weise und definiert die Differenz zur
generischen Service Excellence. Service Excellence wiederum macht das Markenimage greifbar
und konkret, indem es für eine Übersetzung des Images in ein markenkongruentes Servicever-
halten sorgt. In der Kombination geht es also um (marken-)spezifisches Verhalten. In diesem
Sinne kann gesagt werden: Der Mitarbeiter ist mit seinem Serviceverhalten die Marke.

Ein einfaches Beispiel demonstriert die spezifizierende Wirkung der Marke auf das Servicever-
halten: Service bei BMW, der Freude verbreiten will, ist anders, als Service in einem Ritz-
Carlton Hotel, der ein Gentleman-Gefühl schaffen möchte; ersterer ist verspielter, letzterer ist
exklusiver. Das heißt, Servicegeber müssen sich unterschiedlich verhalten.

Es ist ein Missverständnis, wenn das Markenimage von Handelsunternehmen alleine mit
einem Logo oder einer Werbung, einem Produkt oder einem Design verbunden wird. Das
Image einer Handelsmarke wird wesentlich davon geprägt, welche konkreten Erlebnisse
Kunden mit einer Marke haben. Wer kreiert diese Erlebnisse? Es sind vor allem die Mitarbeiter,
die durch ihr Verhalten Erlebnisse produzieren, die der Kunde mit der Marke verbindet.
Service Excellence 299

„Branded Customer Service“ nennen BARLOW und STEWART diese verhaltensorientierte Verbin-
dung von Marke und Service.3

Widerspricht das Serviceverhalten eines Mitarbeiters dem Markenimage, dann werden wo-
möglich Hunderttausende von Euro in den Sand gesetzt, die dafür ausgegeben wurden, die
gewünschte Wahrnehmung und Empfindung der Marke zu etablieren. Betrachten wir das
Phänomen anhand eines Negativbeispiels:

Auf der Suche nach einer neuen Geldanlage ging die Kundin in eine Bank, die damit wirbt,
„Die Beraterbank“ zu sein. Bereits nach zwei Minuten präsentierte der Kundenberater die,
wie er sagte ‚optimale Anlage‘. Verwundert darüber, wie der Kundenberater denn eine für sie
optimale Anlage finden könnte, ohne dass er grundlegende Fragen über Anlagevolumen,
Zeithorizont, etc. gestellt hatte, fragte die Kundin nach Alternativen. Der Berater bestand
darauf, dass sein Angebot das Beste für sie sei.

Auch bei anderen Banken wäre dies zweifelsohne eine schlechte Beratung gewesen. Ange-
sichts des Markenversprechens „Beraterbank“ wirkt sich das Verhalten des Mitarbeiters al-
lerdings dramatisch auf die Marke aus. Im Zweifel haben das Verhalten eines Mitarbeiters
und die konkrete Erfahrung eines Kunden einen weitaus größeren Einfluss auf das Marken-
image als jede Broschüre oder Werbung. Dies liegt darin begründet, dass Markenimage und
Service-Erlebnis in einem Verhältnis aus Versprechen und Einlösung stehen. Entspricht das
Verhalten des Mitarbeiters nicht dem, was die Marke verspricht, sprechen BARLOW und
STEWART von einem Off-brand-Verhalten. Egal, ob es ein Unternehmen ist, das laut Werbung
ein „Kommunikationsprofi“ ist, dessen Mitarbeiter aber kaum den Mund aufbekommen oder
ein Geschäft, das zwar mit einem Poster „Kunden zuerst“ wirbt, an dessen Informationsschal-
ter man aber regelmäßig warten muss, bis die Kollegen erst untereinander ihre Themen ge-
klärt haben, immer führt das Verhalten der Mitarbeiter dazu, dass das Versprechen der Marke
unglaubwürdig wird.

Schafft es ein Mitarbeiter dagegen in seinem Verhalten beim Kunden ein markenkongruentes
Erlebnis zu kreieren, spricht man von einem On-brand-Verhalten. Wenn der Serviceberater in
einem BMW-Autohaus Spaß und Freude ausstrahlt, dann macht dieser Mitarbeiter in seinem
Verhalten die „Freude am Fahren“ glaubwürdig und überzeugend. Ein Customer-Service, der
„gebranded“ ist, macht das Spezifische einer Marke lebendig.

Ein Branded Customer Service hilft den Weg vom Know-how zum Do-how zu gehen, weil
Service Excellence markenbezogen spezifiziert werden kann und gleichzeitig das Servicever-
halten durch die Markenrelevanz bedeutungsmäßig aufgewertet wird.

3
Vgl. BARLOW/STEWART (2004).
300 MÖNCH/GOLLER

5 Change zu Service Excellence

Auf dem Weg vom Know-how zum Do-how einer Service Excellence wurde gezeigt, dass
neben einem verhaltensrelevanten Verständnis in der Unterscheidung von Services und
Servicing vor allem ein strategischer Rahmen notwendig ist. Dieser stellt die strategische
Bedeutung von Service heraus und definiert Eckpunkte, durch die service-exzellentes Verhal-
ten herausgefordert und ermutigt wird. Eine weitere Schärfung von Service hin zur Excellen-
ce wurde durch eine Verknüpfung mit dem Branding-Thema erreicht, so dass Service Excel-
lence nun als markenkongruentes Serviceverhalten spezifiziert wird. Im nun folgenden Kapitel
werden aus unserer Sicht zentrale methodische Ansatzpunkte eines Change Managements hin
zur Service Excellence vorgestellt.

5.1 Ausgangsschwierigkeiten der Veränderung zur Service Excellence


Voraussetzung für eine Veränderung hin zur Service Excellence auf Ebene der Organisation
ist die Veränderung von Menschen hin zur Service Excellence. Ohne persönliche Verände-
rungen gibt es keine Veränderung der Organisation insgesamt. Eine persönliche Veränderung
setzt aber Menschen voraus, die mit Blick auf Ihr Serviceverhalten von sich sagen „Ich muss
mich anders verhalten.“ Eine Erkenntnis, die weder banal noch weit verbreitet ist, denn wer
Erfahrung mit Trainingsmaßnahmen auf diesem Gebiet hat, wird die Grundschwierigkeit
kennen, wenn man das Thema „Service“ anspricht: Die Reaktion der Teilnehmer ist oftmals
eine Mischung von selbstverständlich-gelangweilter Zustimmung („Kennen wir schon“), em-
pört-beleidigter Reaktion („Machen wir schon lange“) und einer unterschätzenden Banalisie-
rung der Umsetzungsschwierigkeit („Ja, kein Problem“). Kennen wir – machen wir – ja kein
Problem. Weil wir Dinge kennen, glauben wir, dass wir sie auch tun. Ein Fehlschluss: Das
Know-how ist keineswegs selbstverständlich ein Do-how.

Hinzu kommt, dass sich oftmals jeder Einzelne besser glaubt, als die Organisation insgesamt.
Eine solche Gesamteinschätzung hemmt den Impuls „Ich muss mich anders verhalten“ und
verweist eher auf eine Veränderungsnotwendigkeit an anderer Stelle, seien es andere Perso-
nen oder die Organisation.

In Großunternehmen mag zudem das Phänomen eines dependenten Verhaltens in Organisati-


onen hinzukommen. Dependentes Verhalten zeigt sich darin, notwendige Veränderungen
nicht anzugehen, weil man das Gefühl einer geringen Selbstwirksamkeit und stattdessen einer
großen Fremdbestimmung durch die Organisation hat. Interessanterweise tritt dependentes
Verhalten auch in der mittleren und oberen Führungsebene von Großunternehmen auf, wo
man eigentlich davon ausgehen könnte, dass hier die Gestalter und Einflussnehmer des Un-
ternehmens sitzen. Die Komplexität einer Großorganisation scheint jedoch ein Gefühl von
Abhängigkeit zu erzeugen, das gerade bei bereichsübergreifenden Fragen zu Hilflosigkeit und
Tatenlosigkeit führt. Auch hier stehen wir wieder vor dem Problem, Know-how in Do-how zu
übersetzen.

Die Herausforderungen bei der Veränderung von Service-Verhalten hin zu einer Excellence
bestehen also darin:
Service Excellence 301

¾ Eine kritisch-ehrliche Selbstreflexion hinsichtlich eines konsequenten „Doings“ anzuregen


und für die Differenz von Know-how und Do-how zu sensibilisieren, so dass die Erkennt-
nis „Ich muss mich anders verhalten“ wächst.
¾ Die Verhaltensweisen nicht im Detail statisch-gängelnd vorzuschreiben, sondern aus
einer Grundeinstellung heraus individuell und passgenau entstehen zu lassen.
¾ Eine Konsequenz und Verlässlichkeit zu erzeugen, so dass das Service-Versprechen dem
Kunden gegenüber eingelöst wird.
¾ Die eigene Grundeinstellung mit Lust und Begeisterung am Service zu stärken, so dass
Service-Begeisterung für Kunden von innen nach außen entsteht.

Welche Ansatzpunkte zur Verhaltensänderung sind angesichts dieser Herausforderungen be-


sonders erfolgsversprechend, um Service-Verhalten nachhaltig zu verändern? Wenn im Folgen-
den Standardmaßnahmen wie Rollenspiele, Gruppendiskussionen, Fallstudien und ähnliches
nicht erwähnt werden, dann vor allem deshalb, weil diese singulären Trainingsmethoden inzwi-
schen weitestgehend bekannt und in kundenindividuell angepassten Settings selbstverständlich
genutzt werden. Unser Fokus liegt auf ausgewählten Ansatzpunkten, die nach unserer Erfahrung
besonders wichtig sind.

5.2 Service Leadership


Für die Veränderung einer Service-Kultur als Grundlage für eine umfassende Entwicklung
hin zu einer nachhaltigen Service Excellence ist eine Fokussierung auf das Management und
die Führungskräfte entscheidend. Der umgekehrte Weg eines Ansatzpunktes bei den Mitar-
beitern am Point of Sale und im direkten Kundenkontakt ist sehr viel weniger nachhaltig und
wird schnell an organisationale Grenzen stoßen. Entscheidend ist deshalb ein Service Leader-
ship durch die Führungskräfte; sie gestalten das Unternehmen und geben Richtungen vor.
Service Excellence zu entwickeln ist Führungsaufgabe.

Service Leadership bedeutet:

¾ Vorbild sein im eigenen serviceorientierten Verhalten,


¾ Mitarbeiter zu einem serviceorientierten Verhalten anzuleiten und zu motivieren und
¾ Initiativen zu einer Verbesserung der Servicequalität im Unternehmen – auch bereichs-
übergreifend – zu ergreifen und zum Erfolg zu bringen.

Wie entwickelt man Service Leadership in einer etablierten Führungsmannschaft? Für ein
tiefgreifendes und wirkungsvolles Verständnis von Service Leadership ist es notwendig, dass
sich die Führungskräfte über einen längeren Zeitraum, beispielsweise in einem campusartigen
Format, mit dem Thema auseinandersetzen. In diesem campusartigen Format lassen sich auch
über Jahre hinweg verschiedene Veranstaltungen integrieren, die dem Management eine in-
tensive Beschäftigung mit Ihrer Service Leadership ermöglichen.

Zentrale Elemente dieses campusartigen Lernformates für Führungskräfte sind aus unserer
Sicht:
302 MÖNCH/GOLLER

¾ Eine Auftaktveranstaltung, die das Thema Service Excellence mit einer positiven Auf-
bruchsstimmung versieht und für den Einzelnen emotionalisiert. Ein solches Involvement
in das Thema erreicht man u. a. durch eine aktive und erfahrungsbildende Einbindung der
Teilnehmer in die Veranstaltung. Ein Beispiel hierzu wäre, dass die Teilnehmer in Grup-
pen in einen Service Contest treten, in dem sie selbst in den Pausen den Kollegen Service
geben und auch von Kollegen empfangen. Bekommen die Führungskräfte den Cappucci-
no an den Mann oder das Kanapee an die Bedürfnisse der Kunden angepasst? Die Füh-
rungskräfte erfahren in dieser Veranstaltung, dass Service geben Spaß machen kann. Nur
wer Service mit Freude erlebt, ist in der Lage Service Excellence zu kreieren.
¾ Eine Praxiserfahrung, in der die Führungskräfte selbst im direkten Kontakt mit den Kun-
den des Unternehmens Service geben. Diese Praxiserfahrung beispielsweise am Point of
Sale oder einem Call Center sollte so angelegt sein, dass die Führungskräfte selber mit
dem Kunden ins Gespräch kommen, nicht nur den Mitarbeitern dabei zuschauen. Die
Manager lernen hier Service selbst zu geben, die Leistungen der Mitarbeiter vor Ort an-
zuerkennen und die Auswirkungen Ihrer Management- und Prozessentscheidungen abzu-
schätzen. Hier wird sichtbar, was wie ankommt oder was nötig wäre.
¾ Ein Workshop, in dem Führungskräfte eigene Initiativen zur Verbesserung des Service in
Ihren Verantwortungsbereichen aufsetzen und mit Kollegen diskutieren. Wir haben Con-
troller erlebt, die sich hier erstmals Gedanken darüber gemacht haben, wie Zahlenabfra-
gen so aufbereitet sein sollten, dass Sie vom internen Kunden schnell verstanden und
ausgefüllt werden können. Oder Vertriebsabteilungen, die erstmals eine integrierte Pro-
duktpräsentation für Kunden angedacht haben.
¾ Eine Simulation einer Unternehmenssituation, in der Führungskräfte servicerelevante
Alltagssituationen bewältigen müssen und in deren Ablauf sie mehrmals persönliches
Feedback zu allen drei Aspekten Ihres Service-Leadership-Verhaltens bekommen. Durch
eine in hohem Grade an die Realität angelehnte Simulation erhält das Feedback eine
Qualität und Tiefe, die Führungskräfte auf Ihrer Ebene normalerweise in der Art nicht
erhalten. Hier lernen die Führungskräfte wie serviceorientiert sie sich tatsächlich verhal-
ten haben und wie sehr sie es geschafft haben Service Excellence zu führen.
¾ Einen Teamimpuls, durch den die Führungskräfte anfangen, mit ihren Teams systema-
tisch das Thema Service Excellence zu besprechen und umzusetzen. Hier lernen die Füh-
rungskräfte, dass Sie die Verantwortung für Service Leadership in ihrem Team wahr-
nehmen müssen und nicht einfach an ein Service-Seminar der Personalentwicklung dele-
gieren können.

Ziel all dieser Lernelemente im campusartigen Setting ist es, das Service-Leadership-Ver-
halten des Managements und der Führungskräfte nachhaltig zu entwickeln. Entscheidend ist,
dass die Elemente allesamt so aufgebaut sind, dass sie die Personen auch mit ihren Emotionen
so ansprechen, dass sie Service führen und Führung als Service verstehen. Das campusartige
Setting bietet die Möglichkeit, auch für schulungserfahrene Manager innovative Lernformate
mit größtmöglicher Intensität und persönlichem Mehrwert zu schaffen.
Service Excellence 303

5.3 Service Feedback


Ein weiterer wichtiger Ansatzpunkt in der Entwicklung von Service Excellence als Do-how
ist Feedback zum persönlichen Serviceverhalten. Damit ist nicht primär ein kollektives Feed-
back über Kennzahlen oder aggregierte Umfragewerte gemeint, sondern vor allem ein indivi-
duelles Feedback zum persönlichen Service-(Leadership-)Verhalten.

Merken Sie noch, wenn Sie Besprechungsräume stets aus Eile unaufgeräumt verlassen, ob-
wohl die Bitte notiert ist, die Gläser zusammenzustellen? Merken Sie, dass Sie im Kunden-
kontakt bei Standardproblemen schnell den Eindruck von „Ich weiß schon, was Sie wollen“
vermitteln, ohne dem Kunden die Möglichkeit zu geben, sein individuelles Problem und sei-
nen Frust zu schildern? Merken Sie noch, wenn Sie Kollegen in der Suche nach Lösungen für
Kunden ständig ausbremsen, weil Sie immer auf ungeschriebene Regeln hinweisen ohne aus
der Perspektive der Kundenorientierung heraus auch nur die Existenz der „Regel“ zu überprü-
fen? Merken Sie, welchen Eindruck Sie hinterlassen, wenn Sie die Kundenschelte eines Kol-
legen unkommentiert lassen?

Feedback hilft, blinde Flecken zu beleuchten, Verhaltensroutinen zu durchbrechen und Ver-


besserungspotenzial zu erkennen. Optimal ist eine Kombination aus professionellem Feed-
back externer Coaches und dem internen Feedback durch Kollegen oder Führungskräfte im
Rahmen ihrer Service-Leadership-Verantwortung.

5.4 Kompetenzbasierte Einstellungsänderung


Der Ansatzpunkt einer kompetenzbasierten Einstellungsänderung zielt auf die Situation, dass
Mitarbeiter bestimmte Services nicht aktiv genug anbieten, weil sie von der Service-Leistung
nicht vollends überzeugt sind. „Weil etwas nicht klappt, weil es Beschwerden gab, weil im-
mer folgende Einwände kommen …“ – so oder ähnlich mögen Mitarbeiter ihre Zurückhal-
tung gegenüber dem Service begründen. Hinter dieser skeptischen Einstellung liegt jedoch oft
eine Unsicherheit im Verhalten: Wie soll ich es machen? In vielen Fällen gründet die Einstel-
lung in einer mangelnden Kompetenz im Verhalten.

Ein Praxisbeispiel: Versicherungssachbearbeiter haben zunehmend die Aufgabe, Schäden


nicht nur zu regulieren, sondern einen besonderen Schadensservice (Hol- & Bring-Service,
Werkstattservice, etc.) anzubieten. Abgesehen davon, dass es für viele Sachbearbeiter eine
ungewohnte Aufgabe ist, Dienstleistungen aktiv anzubieten, ist die Grundeinstellung der Mit-
arbeiter oftmals skeptisch. Es werden eine Reihe von Argumenten angeführt, warum der Scha-
densservice nicht gut genug sei. Der Schulungsansatz war nichtsdestotrotz weniger an einer
argumentativen Arbeit an der Einstellung ausgerichtet, sondern vielmehr an der kommunikativ-
verkäuferischen Kompetenz. Das erstaunliche Ergebnis nach der Schulung: Nicht nur die
Kompetenz hatte sich deutlich verbessert, sondern auch die Einstellung der Mitarbeiter zu den
Service-Leistungen war positiver.

Das hochinteressante Phänomen, das hier sichtbar wird, ist die Beeinflussung von Einstellungen
nicht über argumentative Rhetorik und überzeugende Argumente, sondern mittels Verhaltens-
schulung. Es liegt die Hypothese nahe, dass kritische Einstellungen zu Servicing-Standards oder
Service-Angeboten nicht nur aus einer mangelnden argumentativen Überzeugung, sondern
ebenso aus einer zu geringen Kompetenz gespeist werden. Die Einstellung ist gefärbt von
304 MÖNCH/GOLLER

dem intuitiven Gefühl, nicht gut genug zu sein, von der Angst sich zu blamieren oder zu ver-
sagen. Sozial und emotional gesehen ist es dann einfacher von seiner Einstellung her gegen
ein Service-Produkt zu sein, als sich und anderen einzugestehen, dass die praktische Kompe-
tenz für das Anbieten der Services nicht ausreichend ist.

Für die Frage eines Ansatzpunktes zur Entwicklung von Service Excellence heißt dies: Auch
wenn die Barriere auf dem Weg vom Know-how zum Do-how oberflächlich betrachtet im Be-
reich der Einstellung zu liegen scheint, sollte man statt einer einseitig argumentativen Herange-
hensweise ebenso eine praktisch-verhaltensorientierte Vorgehensweise wählen. Frei nach dem
Motto: „Lerne wie es geht, dann findest Du es auch besser.“

5.5 Private Parallelbeispiele als Methodik schmunzelnder


Selbsterkenntnis
Verhaltensänderung setzt die kritische Selbsterkenntnis voraus, dass das eigene Verhalten nicht
dem entspricht, wie es wünschenswert ist. Diese Diskrepanz-Erkenntnis ist vom Grundsatz her
aversiv, so dass zuerst einmal die Bereitschaft für eine kritische Auseinandersetzung etabliert
werden muss. Dies zu erreichen ist Ziel des Ansatzpunktes der privaten Parallelbeispiele, bei
dem den Teilnehmern auf eine sportliche und lustige Art und Weise ein Spiegel vorgehalten wird.
Im Folgenden zwei Beispiele für diese Methodik:

Wenn Sie über Service Excellence sprechen, erzählen Sie von Ihrer letzten Geburtstagsparty.
Sie stellt ein hervorragendes Beispiel für Service Excellence dar, sowohl was die Services, als
auch was das Servicing angeht. Alle Services sind top. Wenn Sie wissen, dass ein Freund
besonders gerne Malzbier trinkt, besorgen Sie selbstverständlich im Vorfeld Malzbier (An-
knüpfungspunkt „Wir lernen von Kunden.“). Wenn das Malzbier um 23 Uhr leer ist, werden
sie alles in Bewegung setzen, um auch am späten Samstagabend weitere Flaschen Malzbier zu
besorgen. Zur Not engagieren Sie den Nachbarsjungen, um zur entfernt liegenden Tankstelle zu
gehen. Sie werden sicherlich nicht sagen „Oh, da hatten wir wohl einen Fehler im Vorberei-
tungsprozess, der Prozess muss dann mal überarbeitet werden.“ (Anknüpfungspunkt: „Bei
Fehlern individuelles Engagement statt Prozessschelte“). Bei der Begrüßung bleiben Sie nicht
einfach sitzen, sondern stehen auf, gehen auf den Gast zu und vermitteln ihm die Botschaft:
Schön, dass Du da bist. Ich freue mich.“ (Anknüpfungspunkt: „Begrüßungen besonders ge-
stalten“). Selbstverständlich sorgen Sie dafür, dass sich Ihre Gäste wohlfühlen. Sie werden
sehr kreativ darin sein, Stimmungen und Atmosphären zu beeinflussen (Anknüpfungspunkt:
„Wir sind Gefühlsmacher, Leidenschaft ist unser Business“). Im Vergleich von privater und
beruflicher Situation werden die meisten Teilnehmer Ihr Verbesserungspotenzial im berufli-
chen Kontext spüren.

Aus dem Themenbereich „Wertschätzung und Anerkennung“ eine weitere Verdeutlichung


der Technik privater Parallelbeispiele. Stellen Sie sich vor, Ihr Kind sitzt abends vor dem Fern-
sehen. Sie gehen um 17.45 Uhr ins Wohnzimmer und kündigen an, dass die Familie um 18 Uhr
gemeinsam Abend essen möchte. Wird Ihr Kind pünktlich um 18 Uhr in der Küche sein? In
den meisten Fällen vermutlich nicht, weshalb Eltern in der Regel nochmal ins Wohnzimmer
gehen, den Fernseher ausschalten und das Kind aufgrund der nicht eingehaltenen Absprache
tadelnd in die Küche schicken. Was aber würden Sie sagen, wenn Ihr Kind pünktlich um 18 Uhr
den Fernseher ausgeschaltet hätte und am Küchentisch säße? Ob es sich auch die Hände gewa-
schen hat? Oder würden Sie es zuerst dafür loben, dass es ganz von alleine pünktlich in die
Service Excellence 305

Küche gekommen ist? In der Regel merken die Teilnehmer an diesem Bespiel, dass ihnen die
Kritik eher auf der Zunge liegt als die Anerkennung.

Die methodische Wirkung der privaten Parallelbeispiele basiert darauf, dass Teilnehmer über
eine erzählte Figur schmunzeln, in Wirklichkeit aber sich selbst kritisch wieder erkennen. Die
Akzeptanz der Erkenntnis „Ich muss mich anders verhalten.“ fällt im privaten Bereich einfa-
cher, als in dem durch Selbstbehauptung bestimmten beruflichen Bereich.

5.6 Service-Erlebnisse kreieren


Service ist ein Gefühl  ist ein Erlebnis. Exzellentes Service-Verhalten erwächst aus der selbst
erlebten Erfahrung von Service. Um Service tatsächlich vom Know-how zum Do-how zu ent-
wickeln, müssen Menschen konkret und selbst Service Excellence erfahren. Ein weiterer
Ansatzpunkt besteht darin, konsequent bei allen Unternehmensveranstaltungen auf einen
besonderen Service zu achten. Bei Schulungen könnte man beispielsweise auf folgende Punk-
te achten:

¾ Jeder Teilnehmer wird bewusst mit einem Lächeln und einem Handschlag begrüßt. Der
Trainer kennt vorher die Namen der Teilnehmer, um schnell eine persönliche Ansprache zu
gewährleisten.
¾ Den Teilnehmern wird eine Tasse Kaffee eingegossen, anstatt nur auf die Kaffeekannen zu
verweisen.
¾ Es können besondere Serviceleistungen für die Teilnehmer organisiert werden, z. B.
Hostessen, die mit Eis rumgehen, das die Teilnehmer kostenlos genießen können.
¾ Bei Großgruppenveranstaltungen können ein Schuhputzservice oder Massagesessel organi-
siert werden.

Das Erleben von Service am eigenen Leibe, das Gefühl für einen Moment verwöhnt zu wer-
den, das empfundene Schmeicheln mit außergewöhnlichen Überraschungen, all das trägt dazu
bei, die Transferleistung vom Wissen in ein Tun zu erhöhen. Es inspiriert zu eigenem Ser-
vice-Verhalten.

5.7 Ausgewogenheit von Grundeinstellung und Verhaltensnorm


Wenn Service-Verhalten verändert werden soll, müssen zwei Aspekte angesprochen werden:
zum einen konkrete Verhaltensnormen, zum anderen die Grundeinstellung. Beides muss sich
methodisch die Waage halten.

Konkret beschriebenes Verhalten erleichtert die direkte Umsetzung. Durch ein regelmäßiges
Einüben wird das Verhalten zur Routine, zum Do-how. Wenn ein Mitarbeiter gebeten wird,
beim Betreten des Büros durch einen Kunden aufzustehen, hinter dem Schreibtisch hervor zu
kommen, ihm die Hand zu geben und zu lächeln, dann wird damit ein derart konkretes Ver-
halten vorgegeben, dass es fast schon schwer ist, es nicht umzusetzen. Detaillierte Verhal-
tensnormen werden vor allem kurzfristig konsequent und mit Erfolg umgesetzt. Sie alleine
reichen allerdings kaum aus, um ein service-exzellentes Verhalten zu etablieren.
306 MÖNCH/GOLLER

Service Excellence erwächst aus einer Grundeinstellung – aus der Lust, Begeisterung und Moti-
vation für Service. Mitarbeiter müssen Service nicht nur machen müssen, sondern in erster Linie
machen wollen. Nachhaltig wirksame Verhaltensänderungen müssen daher aus einer verän-
derten Einstellung erwachsen. Deshalb ist eine Ausgewogenheit zwischen einerseits einem Trai-
ning konkret vorgegebener Verhaltensweisen und andererseits einer Ansprache einer Grundein-
stellung erfolgsentscheidend.

Es ist ähnlich wie im privaten Bereich: Wer seinen Kindern Respekt vor älteren Mitbürgern
beibringen möchte, wird dies nicht alleine dadurch erreichen, dass die Kinder lernen in einem
vollen Bus den Platz frei zu machen. Wer als Eltern von seinen Kindern derart singuläre Ver-
haltensweisen einfordert, wird damit zwar vielleicht ein konsequentes Aufstehen seiner Kinder
im Bus erreichen, nicht aber insgesamt respektvolle Verhaltensweisen auch in anderen Situatio-
nen, etwa das Hochtragen schwerer Einkaufstaschen. Werte und Grundeinstellungen werden
nicht dadurch verändert, dass einzelne Verhaltensweisen bis ins Detail vorgeschrieben wer-
den, sondern dadurch, dass die grundsätzliche Einstellung und der Wert thematisiert werden,
beispielhaft verdeutlicht an Einzelfällen.

Wenn Service-Verhalten verändert werden soll, muss eine ausgewogene Balance zwischen
der Vorgabe konkreter Verhaltensweisen und der Thematisierung von Service Excellence als
Grundeinstellung und Wert sichergestellt werden.

6 Nachhaltigkeit erzeugen

Die Erfahrung bei der Initiierung von Verhaltensänderungen zeigt, dass ein erster Erfolg noch
kein Garant für eine nachhaltige und dauerhafte Veränderung des Service-Verhaltens ist. So
wichtig und entscheidend die Anfangseuphorie für das Überwinden routinierter Gewohnheiten
ist, so notwendig ist es auch, darüber hinaus Maßnahmen für eine langfristige Integration der
Service Excellence zu etablieren. Welche Maßnahmen können Unternehmen ergreifen, um das
Thema Service Excellence dauerhaft und nachhaltig zum Erfolg zu führen?

¾ Etablierung von Service Excellence als Dauerthema. Service Excellence eignet sich nicht
als Projektthema, das nach Beendigung von einem anderen Thema abgelöst wird. Regel-
mäßige Strategiesitzungen zu dem Thema sind entscheidend. Ebenso die konsequente In-
tegration des Themas in den aktiven Führungsalltag, wie es bereits unter dem Stichwort
Service Leadership beschrieben wurde. Regelmäßige Service-Impulse der internen
Kommunikation helfen, dass sich Mitarbeiter abwechslungsreich und kreativ, aber doch
kontinuierlich mit dem Thema auseinander setzen müssen. Dem Thema Dauerhaftigkeit
geben ist ebenso wichtig wie ein regelmäßiges Training im Sport. So wie Sportler auch
nach Jahren immer noch das gleiche trainieren, so muss auch ein Unternehmen das Thema
zu einem Dauerthema machen um Spitzenleistungen zu halten.
¾ Kontinuierliches Coaching vor Ort. Individuell unterstützende Tätigkeit der Führungs-
kräfte als Wahrnehmung ihrer Service-Leadership-Verantwortung.
Service Excellence 307

¾ Konsequentes Umsetzen der strategischen Eckpunkte und definierten Handlungsfelder.


Die strategischen Eckpunkte sollten standardmäßig in alle Management-Analysen und
Geschäftsführungsrunden einfließen. Service Excellence muss zum strategischen Alltags-
thema der obersten Managementebenen werden.
¾ Evaluation der Praxisumsetzung von Service Excellence. Services und Servicing lassen
sich messen und quantifizieren. Hier empfiehlt es sich, klassische Evaluationsmethoden
wie etwa Mystery-Shopping, Nachbefragung von Sales- und auch von Service-Kunden
mittels der Computer Assisted Interview Technique (CATI) oder mit Hilfe des einfach
anzuwendenden Net Promotor Scores (NPS)4 vorzunehmen.
¾ Einsatz von Transfertools. Pfiffige Transfertools können die Nachhaltigkeit an entschei-
dender Stelle unterstützen. Ein Beispiel dafür ist die „Service-Lupe“, die einzelne Mitarbei-
ter gemeinsam mit dem Arbeitsauftrag erhalten, das Service-Verhalten heute besonders
scharf im Fokus zu halten und den Kollegen dazu abends Rückmeldung zu geben. Die Ser-
vice-Lupen sind nicht nur thematische Reminder, sondern sorgen auch dafür, dass sich je-
der einmal für das Thema besonders verantwortlich fühlt.
¾ Einbeziehung der Service Excellence in das Zielvereinbarungs- und Provisionssystem.
Service Excellence sollte unbedingt in das Zielvereinbarungssystem einbezogen werden
und damit auch variable Gehaltsanteile an die Erreichung des Zieles gebunden werden.
¾ Incentivierung von Service Excellence. Im Sales-Bereich ist es durchaus üblich, den
erfolgreichsten Verkäufern einmal im Jahr ein besonderes Incentive zu geben. Service
Excellence und Sales Excellence sollten hier gleichwertig behandelt werden. Warum sollte
das Team der besten Verkäufer für eine Woche nach New York fliegen, das beste Service-
Team sich aber mit einer Flasche Sekt zufrieden geben?

Wenn Know-how zum Do-how vorangetrieben werden soll, bedarf es ausreichend Energie,
nicht nur für den Anstoß einer initialen Veränderung, sondern auch für langfristige Nachhaltig-
keitsmaßnahmen. Das Management von Veränderungen ist fast wie das Gießen einer Glocke
aus alten Werkzeugen. Wer aus Werkzeugen eine Glocke machen möchte, sollte während des
ganzen Glockengusses auf keinen Fall die Energiezufuhr unterbrechen – dann hat er weder
Werkzeuge, noch eine Glocke, sondern nur einen unförmigen Haufen Metall. Wenn Verände-
rungen initiiert werden sollen, sollte ganz analog während des kompletten Veränderungs-
zeitraums ausreichend Energie zur Verfügung gestellt werden. Wenn – einmal angefangen – die
Energie ausgeht, kann ein Unternehmen nicht einfach zum Ursprungszustand zurückkehren. Es
bleibt in einem bizarren Zwischenzustand.

7 Fazit

Vom Know-how zum Do-how – Für die Herausforderung, Service Excellence zu einem be-
geisternden Erlebnis für den Kunden zu machen, ist ein Gesamtkonzept notwendig, das weit
mehr als nur ein einfaches, schnelles Servicetraining umfasst. In diesem Beitrag wurden aus der
Perspektive der Praxiserfahrung die vielfältigen Ansatzpunkte eines solchen Gesamtkonzeptes

4
Vgl. REICHHELD (2006).
308 MÖNCH/GOLLER

dargestellt. Service Excellence ist eine Strategie, Service Excellence ist ein Gefühl, Service
Excellence ist eine Grundeinstellung.

Service Excellence braucht eine klare verhaltensbezogene Nuance, was durch die Unterschei-
dung von Services und Servicing sicher gestellt ist. Die Verantwortung des Unternehmens ist
es, dass Mitarbeiter um die strategische Wichtigkeit ihres Verhaltens in all den kleinen Au-
genblicken wissen und sich auf die strategischen Eckpunkte verlassen können, die als Rahmen
den Spielraum des Excellence-Verhaltens abstecken. Eine einzigartige Note bekommt der Ser-
vice eines Unternehmens dadurch, dass er gebrandet wird. Voraussetzung für einen Change hin
zur Service Excellence im Unternehmen ist die persönliche Selbsterkenntnis „Ich muss mich
anders verhalten“. Die Entwicklung von Service Leadership der Führungskräfte ist dabei einer
der wichtigsten Ansatzpunkte. Das Unternehmen muss sich mit Penetranz und Freundlichkeit
um Nachhaltigkeit kümmern, dann wird sich das Know-how in ein Do-how wandeln. Service
Excellence braucht vor allem selbstbewusste, kreative und aufmerksame Mitarbeiter.

Wer profitiert letztlich von Service Excellence? Die häufigste Antwort ist: die Kunden. Ent-
scheidend ist jedoch, dass vor allem die Mitarbeiter und Service-Geber selbst profitieren. Sie
sind es, die durch Service Excellence ihren eigenen alltäglichen, menschlichen Begegnungen
im Service einen Wert und eine außergewöhnliche Qualität geben. Die Mitarbeiter selbst sind
es, die mit ihrer Einstellung zu sich, zu ihrer Zeit und zu Menschen den vollen Nutzen von
Service Excellence ausschöpfen. Es geht letztlich um persönliche Qualität für einen Selbst.

Quellenverzeichnis

BARLOW, J./STEWART, P. (2004): Branded Customer Service – The new competitive edge, San
Francisco 2004.
BLANCHARD, K./BOWLES, S. (2000): Wie man Kunden begeistert – Der Dienst am Kunden als
A und O des Erfolges, Hamburg 2000.
DAVIDOW, W./UTTAL, B. (1995): Service Total – Mit perfektem Dienst am Kunden die Kon-
kurrenz schlagen, München 1995.
MERCER MANAGEMENT CONSULTING (2007): Studie: Customer Excellence im Festnetz – Ana-
lyse der Kundenzufriedenheit mit Festnetzanbietern in Europa, online: http://www.mer-
cermc.de/veroeffentlichungen/alle_veroeffentlichungen/branchenkompetenz/telekommuni
kation_medien_it/layout_veroeffentlichungen/article/mercer_studie_customer_excellence
_im_festnetz-1.html, Stand: 13.03.2007, Abruf: 25.06.2007.
MITTERER, S./BRICE, N. (2007): Brand Alchemy – Developing successful brands from the
inside out, Dublin 2007.
REICHHELD, F. (2006): Die ultimative Frage. Mit dem Net Promoter Score zu loyalen Kunden
und profitablem Wachstum, München 2006.
ZANETTI, D. (2005): Kundenverblüffung – Kreative Tipps, wie Sie ihre Kunden nachhaltig an
sich binden, Frankfurt 2005.
Vierter Teil

Controlling und IT-Management als Erfolgsfaktoren


Variable Vergütung
und Performance Management im Vertrieb

ALEXANDRA ZIGIC und JENS UWE KRÄMER

T-Mobile Austria und Deutsche Telekom

1 Einführung ..................................................................................................................... 313


2 Anforderungen an eine effektive Modellgestaltung der Vertriebsvergütung................. 316
3 Gestaltungsformen der Vertriebsvergütung ................................................................... 317
3.1 Sales-Commission-Plan ....................................................................................... 317
3.2 Sales-Provisionsplan ............................................................................................ 318
3.3 Sales-Bonus-Plan ................................................................................................. 318
3.4 Sales-Incentive-Plan............................................................................................. 318
3.5 Prämien ................................................................................................................ 319
3.6 Erfolgsbeteiligung................................................................................................ 319
4 Fallbeispiel „Performance Management“ ...................................................................... 319
4.1 Human Resource als Enabler der Strategie .......................................................... 320
4.2 Analysephase ....................................................................................................... 320
4.2.1 T-Mobile Austria ..................................................................................... 321
4.2.2 Marktumfeld ............................................................................................ 321
4.2.3 Interne Organisation ................................................................................ 323
4.2.4 Ziel- und Vergütungssysteme .................................................................. 323
4.2.5 Ergebnisse der Analysephase .................................................................. 326
4.3 Projektauftrag....................................................................................................... 326
4.4 Konzeptionierung und Detailausarbeitung........................................................... 327
4.4.1 Konzepterstellung.................................................................................... 328
4.4.2 Abstimmung in der Konzeptphase........................................................... 328
4.4.3 Definition der Zielindikatoren ................................................................. 328
4.4.4 Messung der KPI ..................................................................................... 331
4.4.5 Erarbeitung der neuen variablen Gehaltssysteme und Berechnung
von Transferszenarios.............................................................................. 332
4.4.6 Unterstützung durch e-HR....................................................................... 334
4.4.7 Lösungen für die identifizierten Problemfelder ....................................... 335
4.4.8 Kommunikation ....................................................................................... 336
4.4.9 Betriebsvereinbarungen und Gesamtpaket .............................................. 337
4.5 Implementierung und Auswirkungen................................................................... 338
4.6 Key Learnings...................................................................................................... 339
5 Schlussbetrachtung ........................................................................................................ 340
Quellenverzeichnis................................................................................................................ 341
Variable Vergütung und Performance Management im Vertrieb 313

1 Einführung

In Zeiten hoher wirtschaftlicher Turbulenzen ist die Vertriebsvergütung gerade durch die
erfolgsabhängige Bezahlung von Bankern in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Hohe
Bonuszahlungen trotz negativer Gesamtunternehmensergebnisse werfen öffentlichkeitswirk-
sam viele Fragen auf und stellen zum Teil die Gesamtheit variabler Vergütungssysteme an
den Pranger. Mit gebührender Distanz zu fragwürdigen Bonusmodellen aus der Investment-
Banking-Branche stellt der folgende Beitrag die allgemeinen Grundzüge der Vertriebsvergü-
tung vor. Interessanterweise liegt häufig in großen Konzernumfeldern die Verantwortung für
die Vergütung der Sales Force nicht in den Compensation-&-Benefits-Bereichen. Das Zu-
sammenwirken von Compensation-&-Benefits-Managern mit den meist in Sales-&-Custo-
mer-Service-Einheiten agierenden Sales-Incentive-Spezialisten ist erfolgskritisch für eine
durchgehende gesunde Gesamtvergütungslandschaft. Besondere Bedeutung erfährt dieses bei
der Nutzung von Synergien, Wissen und Best Practices in internationalen Umfeldern. Im
Deutsche-Telekom-Konzern hat sich dabei die vom Autor etablierte „International Compen-
sation & Benefits Community“ bewährt, die es ermöglicht, länderübergreifend ein gemeinsa-
mes Verständnis von Prozessen, Inhalten und Best Practice Sharing nutzbar zu machen. Vor-
wegnehmend sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Voraussetzung für ein erfolgreiches
Vergütungsmanagement die Klarheit über die verwendeten Begrifflichkeiten und deren Inhal-
te sowie Transparenz über Strukturen und Prozesse ist. Fehlt diese Klarheit, so scheitern
Incentivemodelle meist schon an der fehlenden Definition der Begrifflichkeit „On Target
Earnings“.

Grundlegend steht hinter der Idee der variablen Bezahlung der Ansatz, Leistung dort zu be-
lohnen, wo sie generiert wird und wirkt und Mitarbeiter am Unternehmenserfolg teilhaben zu
lassen, also ein sinnvolles Verhältnis zwischen individueller Performance und Company Per-
formance herzustellen und zu vergüten (Performance Management). In der Neuauflage des
Sammelbands erweitern wir die allgemeinen Basisinformationen über Vertriebsvergütung um
ein reales Fallbeispiel aus Österreich, welches neue Wege des Performance Management auf-
zeigt und langfristig neben einer, im Sinne des Total-Workforce-Management-Ansatzes, bes-
seren Planbarkeit von Kosten, vor allem eine hohe Motivation bei betroffenen Mitarbeitern
und involvierten Sozialpartnern erzeugt. Dabei wird deutlich, dass es zwar im Vertrieb auf
Schnelligkeit und Flexibilität in der Ausgestaltung der KPI1 geht, gleichzeitig jedoch eine
langfristige Steuerung der Kosten bei gleichzeitiger Motivation der Mitarbeiter unabdingbar
ist.

In modernen Unternehmen ist unter Ausrichtung der Personalstrategie auf die Unternehmens-
strategie die Vergütung so ausgestaltet, dass sowohl die Erreichung individueller Ziele als
auch die Erreichung von Unternehmenszielen sinnvoll unterstützt werden. Dies gilt insbeson-
dere für die Vergütung im Vertrieb. Unterschiedliche Faktoren sind bei der Betrachtung von
Vergütungssystematiken zu berücksichtigen, damit die Vergütung den von ihr erwarteten
Beitrag zum Erfolg eines Unternehmens leistet. Im Vertrieb ist es wichtig, Produkte oder
Dienstleistungen wirtschaftlich sinnvoll zu veräußern und Vertriebserfolge mittelbar und
unmittelbar zu vergüten. Erfolg und Misserfolg im Vertrieb sind dabei meist schnell sichtbar,
sowohl im Absatz als auch im Entgelt der Vertriebsmitarbeiter.

1
KPI: Key Performance Indicators.

F. Keuper, B. Hogenschurz (Hrsg.), Professionelles Sales & Service Management,


DOI 10.1007/978-3-8349-8799-0_13,
© Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
314 ZIGIC/KRÄMER

Grundlegend stellt Vertriebsvergütung eine spezifische variable Vergütung dar. Variable


Vergütung ist durch vier wesentliche Hauptelemente charakterisiert (siehe Abbildung 1).

Vergütungselement Bestandteile Purpose

¾ Festes Grundgehalt Wettbewerbsfähige


Grundbarvergütung ¾ Merits leistungsbezogene
¾ Reguläre Gehaltsanpassungen Vergütung

Variable ¾ Bonus-Pläne Kurzfristige Motivation


Vergütung ¾ Sales-Programme (short term)

¾ Prämien Motivation zur


Equity ¾ (Total-)Equity-Programme langfristigen Leistung im
Sinne des Unternehmens

¾ Betriebliche Altersversorgung
Gesundheit, finanzielle
Benefits ¾ Lebens-/Unfallversicherung
Sicherheit
¾ Sonstige freiwillige Leistungen

Abbildung 1: Vier Hauptelemente variabler Vergütung

Im Folgenden wird auf die grundlegenden leistungs- und erfolgsbezogenen Modelle der Ver-
triebsvergütung eingegangen. Es sei erwähnt, dass auf die Messbarkeit und auf das Control-
ling von Vertriebserfolgen hier nicht eingegangen wird, diese jedoch ebenfalls in einer um-
fassenderen Betrachtung dringend berücksichtigt werden müssen. Erwähnt sei, dass neben der
Barvergütung auch Nebenleistungen für eine allumfassende Betrachtung von Vergütung, im
Sinne eines Total-Compensation-Ansatzes einbezogen werden müssten, worauf hier jedoch
verzichtet wird. Gerade für Vertriebler stellt z. B. das Geschäftsfahrzeug (company car) einen
wesentlichen Anreiz und Bestandteil des Vergütungspakets dar und die Gewährung eines
(funktionsbezogenen) Geschäftsfahrzeugs erfolgt in der Regel schon ab geringeren Hierar-
chie-Ebenen als bei Nicht-Vertriebsfunktionen.

Vergütung wird häufig emotional wahrgenommen und als gerecht oder ungerecht empfunden
und kann dabei motivieren oder demotivieren. Die Vertriebsvergütung eröffnet durch ihre
Variabilität wertvolle Chancen, um den Vertrieb gezielt zu steuern und die Ergebnisorientie-
rung der Mitarbeiter zu erhöhen. Die positiven Effekte einer schlüssig an der Unternehmens-
strategie ausgerichteten Vergütungssystematik sind immens und spiegeln die Leistungsorien-
tierung wider. Dabei sichert die Variabilität eines Teils der Vergütung eine gezielte Personal-
kostensteuerung (siehe auch Abbildung 2).
Variable Vergütung und Performance Management im Vertrieb 315

Ertrag Personalkosten
( €) ( €)
Eine variable Vergütung, die Leistung belohnt und
Mitarbeiter am Unternehmenserfolg beteiligt.
Eine marktkonforme Entgeltstruktur, um Leistungsträger
rekrutieren und halten zu können Personalkosten
(unbeweglich)

Ertrag

Personalkosten
(flexibel)

Zeitachse

Abbildung 2: Sinnhaftigkeit und Ziel eines variablen Vergütungssystems

So wird z. B. durch eindeutige Zielvorgaben das Verkaufsverhalten auf die strategischen


Marktbearbeitungsziele ausgerichtet.

Ein gewollter strategischer Effekt ist durch die Gewährung von überdurchschnittlichen Ver-
dienstmöglichkeiten bei überdurchschnittlicher Zielerreichung die Gewinnung und das Halten
von Leistungsträgern. Zudem führt ein Zielsystem zur Vermeidung von Reibungsverlusten
zwischen Vertriebseinheiten, Vertriebswegen und Vertriebsfunktionen; abgestimmte, koope-
rierende Ressourcen im Vertrieb erhöhen die Marktdurchdringung bei niedrigeren Kosten.

Letztlich ermöglicht eine gut aufgesetzte Vertriebsvergütung ein professionelles Kostenma-


nagement, weil die Vertriebskosten bei Nicht- oder Übererreichung der Vertriebsziele ent-
sprechend sinken oder steigen – „Atmung“ entsprechend der Auftragslage. Ausgangspunkt
jeglicher Überlegung zur Einführung einer Vertriebsvergütung muss somit die Frage sein,
welche Ziele durch die besondere Incentivierung erreicht werden sollen. Gilt es, die Absatz-
zahlen bestimmter Produkte zu erhöhen, die Neukundengewinnung besonders zu fördern, den
Erhalt von Bestandskunden zu honorieren oder Cross Selling von Produkten/Leistungen aus
unterschiedlichen Unternehmensbereichen zu erhöhen? Aus der Beantwortung dieser Fragen
ergeben sich die Erfolgsindikatoren, an denen die Zielerreichung gemessen wird.
316 ZIGIC/KRÄMER

Verantwortung Erfolgsindikator
Markterfolg Umsatz
Profitabilität etablierter/neuer Produkte Deckungsbeitrag/EBITDA
Profitabilität des Unternehmens Operating Profit Marge/EBITDA
Kundenzufriedenheit Ergebnis Kundenbefragung
Produktqualität Anzahl Fehlerteile

Abbildung 3: Übersicht über mögliche Erfolgsindikatoren

Ein weiterer wesentlicher Aspekt, der bei der Gestaltung eines Vertriebsvergütungsmodells
beachtet werden muss, ist die Kostenwirksamkeit. Es sollte vor der finalen Ausgestaltung
eines Modells immer auch eine Analyse der üblichen Vergütungsmodelle der Mitbewerber
am Markt erfolgen. So sollte das Fix- bzw. Basisgehalt zuzüglich der Cash-Incentivierung bei
angemessener Leistungserbringung im Bereich des Marktüblichen liegen. Einerseits befindet
sich das Unternehmen im Wettbewerb am Markt und muss mit seiner Preisgestaltung und
somit seiner Kostenstruktur wettbewerbsfähig sein. Im Vergleich zum Markt führen jedoch
hohe/teure Modelle dazu, dass sich die Vertriebskosten erhöhen, was sich ultimativ auf die
Preisgestaltung und somit auf die Wettbewerbsfähigkeit auswirkt. Im Vergleich zum Markt
können relativ geringe Ausschüttungen wiederum dazu führen, dass das Unternehmen Leis-
tungsträger bzw. Key Player an die Konkurrenten verliert, mit allen damit verbundenen mög-
lichen Folgen (z. B. Kundenverlust, Rekrutierungskosten, usw.). In der Regel ist bei Ver-
triebsvergütungsmodellen der variable Anteil am Gesamtentgelt höher als bei Nichtvertriebs-
modellen.

2 Anforderungen an eine effektive Modellgestaltung


der Vertriebsvergütung

Um die Akzeptanz und damit den Erfolg des Modells zu gewährleisten, sind bei den Vorüber-
legungen zur Ausgestaltung eines Vertriebsvergütungsmodells einige grundlegende Anforde-
rungen zu berücksichtigen:

Einfachheit der Ausgestaltung – „Keep it simple“: Die Plangestaltung muss so einfach wie
irgend möglich gehalten werden. Der Inhalt – sowohl die verfolgten Ziele als auch die Syste-
matik der Berechnung der Incentives – muss für alle Mitarbeiter nachvollziehbar sein.

Messbarkeit der Ziele – „You cannot reward what you don´t measure“: Der Zielerreichungs-
grad muss anhand ausgewählter und im Vorfeld festgelegter Erfolgsindikatoren eindeutig
messbar sein (z. B. Stückzahlen, Deckungsbeitrag, EBITDA, Marktanteil, Kundenzufrieden-
heit als Ergebnis von Kundenumfragen, usw.).

Individuelle Zurechenbarkeit: Die Mitarbeiter müssen in der Lage sein, durch individuelles
bzw. teamorientiertes Handeln den Grad der Zielerreichung aktiv zu beeinflussen.
Variable Vergütung und Performance Management im Vertrieb 317

Anspruchsvolle Zielsetzung: Die Ziele des Plans müssen anspruchsvoll definiert werden, d. h.
nur Top Performer können (i. d. R. max. 10 % aller Mitarbeiter) eine Maximalzielerreichung
erlangen.

Transparenz: Die vergütungsrelevanten Ziele müssen dokumentiert, kommuniziert und für


alle Teilnehmer zugänglich sein.

Kongruenz der Zielsetzungen einzelner Pläne: Sofern unterschiedliche Vertriebs-Incentives


zur Anwendung kommen, müssen die Ziele der einzelnen Pläne miteinander kompatibel sein.
Sonst besteht die Gefahr, dass im Unternehmen gegenläufige Verhaltensweisen gefördert/
honoriert werden, welche der Gesamtstrategie entgegenlaufen.

Aktualität: Es muss darauf geachtet werden, dass die in einem Modell hinterlegten Ziele re-
gelmäßig überprüft und dann auch angepasst werden können. Dabei muss die Laufzeit lang
genug sein, so dass der Mitarbeiter mit seinen Aktivitäten zur Zielerreichung beitragen kann
und somit für ihn eine gewisse Planbarkeit entsteht, gleichzeitig muss sie kurz genug sein,
damit das Unternehmen auf sich ändernde Rahmenbedingungen adäquat reagieren kann.
Häufig werden Vertriebsziele quartals- oder gar monatsweise überprüft und ggf. angepasst.

3 Gestaltungsformen der Vertriebsvergütung

Vergütungssysteme können verschiedenartig ausgestaltet werden. Wichtig ist dabei, sich über
die Zielsetzungen der zu gestaltenden Vergütungssysteme im Klaren zu sein. Hier hat es sich
in der Praxis erwiesen, dass es hauptsächlich um folgendes geht,

¾ Vergütungsgerechtigkeit (Markt und Leistung), Wettbewerbsfähigkeit,


¾ Transparenz, also Einfachheit und Verständlichkeit,
¾ Motivation und Verbindlichkeit,
¾ eine von der wirtschaftlichen Entwicklung des Unternehmens abhängige Flexibilität und
¾ eine im Einklang mit den Unternehmenszielen stehende Kalkulierbarkeit.

sicherzustellen bzw. zu unterstützen.

Im Folgenden soll auf die wichtigsten Gestaltungsmöglichkeiten von Vertriebsvergütung ein-


gegangen werden.

3.1 Sales-Commission-Plan
Ein Kommissionsplan wird üblicherweise in Bereichen genutzt, in denen ein Standardprodukt
in einem wettbewerbsintensiven Markt verkauft wird und der Haupttreiber das Absatzvolu-
men ist. Wesentliches Merkmal eines Sales-Commission-Plans ist, dass der gewährte Kom-
missionsprozentsatz für alle Mitarbeiter gleich ist (z. B. ab 1.000 verkaufte Stück => 1%
Kommission). Bei diesem Plan ist zu beachten, dass eine Steigerung des Absatzvolumens
318 ZIGIC/KRÄMER

nicht unbedingt auch den Unternehmenserfolg steigert (z. B. Erzielung hoher Absatzzahlen
durch Einräumung von Sonderrabatten). Vor diesem Hintergrund sollte ggf. eher der Kosten-
deckungsbeitrag/EBITDA als Erfolgsindikator genutzt werden.

Bei Kommissionsplänen gibt es üblicherweise drei Ausgestaltungen:

¾ Flatrate, d. h. der Kommissions-Prozentsatz ist gleichbleibend, unabhängig von der Höhe


des Volumens (z. B. immer 1% unabhängig von dem abgesetzten Volumen),
¾ Ramped, d. h. der Kommissionssatz ändert sich (progressiv oder regressiv), bei Errei-
chung bestimmter Grenzen (z. B. 1.000 => 1%, ab 5.000 => 2%, ab 10.000 => 1,5%),
¾ Variable, d. h. der Kommissions-Prozentsatz wird gewährt in Abhängigkeit der Gesamt-
performance des Mitarbeiters (Gefahr der so genannten Gutsherrenmanier bei Zielerrei-
chung).

3.2 Sales-Provisionsplan
Die Provision ist entstanden aus der Handelsvertretervergütung und ist heute noch im Ver-
triebsaußendienst zu finden. Es handelt sich hierbei im Kern um eine Erfolgsvergütung, die
als Anteil an erzielten quantitativen Erfolgen (z. B. Absatzzahlen) ausgezahlt wird. Der Pro-
visionssatz ist einheitlich für alle Mitarbeiter. Dieses Modell ist sehr einfach in der Gestal-
tung, jedoch ist in diesem Modell hier das Potenzial des Verantwortungsgebiets ausschlagge-
bend für die Einkommens-Chancen, nicht unbedingt die individuelle Performance.

3.3 Sales-Bonus-Plan
Im Unterschied zu einem Kommissionsplan ist ein Sales-Bonus-Plan ein vertraglich zugesi-
cherter Bonus, der bei Erreichen der im Vorfeld vereinbarten Ziele gezahlt wird. Hier werden
oftmals „harte“ Verkaufsziele (z. B. EBITDA, Auftragseingang) mit „weichen“, eher qualita-
tiv orientierten Zielen (z. B. Kundenzufriedenheit) gekoppelt. Es besteht beim Bonusplan
auch die Möglichkeit, Team- oder Unternehmensziele zu integrieren und somit die interne
Zusammenarbeit zur Gesamtzielerreichung zu steuern und zu fördern. Die „Spielregeln“ zur
Bonus-Ermittlung müssen in jedem Fall offengelegt sein. Im Unterschied zu Kommissions-
plänen werden bei Boni-Plänen individuelle bzw. teambezogene Ziele (Quota) definiert, de-
ren Erreichung dann honoriert wird.

3.4 Sales-Incentive-Plan
Bei einem Sales-Incentive-Plan gestaltet sich der Anreiz nicht durch eine monetäre Zahlung
an den Mitarbeiter, sondern in Form der Gewährung von besonderen Reisen, Preisen, öffent-
lichen Auszeichnungen (z. B. Verkäufer des Monats) u. ä. Diese Form wird oft als Ergänzung
zu einem monetär gestalteten Plan genutzt.
Variable Vergütung und Performance Management im Vertrieb 319

3.5 Prämien
Prämien sind ein der Art, aber nicht notwendigerweise der Höhe nach zugesagter variabler
Einkommensbestandteil. Die Zusage erfolgt häufig auf Basis von Maximalprämien (z. B.
Erreichen vordefinierter Absatzzahlen oder Produktionszahlen). Zum Beispiel gibt es bei
Überschreiten von 10.000 abgesetzten Stück die Prämie X, bei Überschreiten von 20.000 die
Summe Y, usw. Als Steuerungsinstrument sind Prämien kaum geeignet, weil nur die Ziele,
nicht aber die Art und Weise vorgegeben wird.

3.6 Erfolgsbeteiligung
Ebenfalls üblich ist eine Beteiligung am Unternehmenserfolg (i. d. R. gemessen an der Er-
tragsgröße). Dies bedeutet für das Unternehmen eine harte Kosten-Variabilisierung (eine
Erfolgsbeteiligung entfällt bei schlechten Ergebnissen), dies ermöglicht keine individuelle
Differenzierung nach Leistung oder Ergebnisbeitrag.

4 Fallbeispiel „Performance Management“

Im Folgenden werden die verschiedenen Facetten der Vertriebsvergütung sowie der damit
verbundenen leistungsgerechten Bezahlung (Pay for Performance) am Beispiel der Einfüh-
rung eines neuen Vergütungssystems bei der T-Mobile Austria geschildert. Sehr deutlich wird
dabei die Bedeutung, die dem Personalbereich als strategischen Partner des Business zu-
kommt.

ULRICH2 meint, dass HR in vier Bereichen herausragende Leistungen erbringen kann:

¾ HR soll ein Partner für die Geschäftsleitung und die Fachbereiche bei der Realisierung
der Strategie werden.
¾ HR soll ein Experte in der Arbeitsorganisation und -ausführung werden und administra-
tive Effizienz liefern, um sicherzustellen, dass die Kosten reduziert werden, die Qualität
aber beibehalten wird.
¾ HR soll ein Vermittler der Mitarbeitenden sein, ihre Anliegen energisch gegenüber der
Geschäftsleitung vertreten und gleichzeitig daran arbeiten, die Leistungen der Mitarbei-
tenden, deren Commitment und ihre Fähigkeit Ergebnisse zu liefern, zu erhöhen.
¾ HR sollte ein Vertreter für die ständige Veränderung sein, Prozesse gestalten und eine
Kultur ermöglichen, die zusammen die Veränderungskompetenz der Organisation ver-
bessert.

2
Zitiert in ARMSTRONG/BARON (2002), S. 125.
320 ZIGIC/KRÄMER

4.1 Human Resource als Enabler der Strategie


Was bedeutet Strategie? In einer einfachen, aber deutlichen Aussage von DRUCKER sind dies
„all decisions on business objectives and on the means to reach them“3 und, in erweiterter
Form, Maßnahmen, um einen Wettbewerbsvorteil zu schaffen. Dies geschieht durch eine
Definition von strategischen Absichten und einer Ressourcenzuordnung zu den sich bietenden
Möglichkeiten. Wenn diese Zuordnung adäquat getroffen wurde, spricht man vom „strategic
fit“.

Ein Wettbewerbsvorteil entsteht dann, wenn ein Unternehmen einen (Mehr-)Wert für dessen
Kunden erbringt. Langfristige Wettbewerbsvorteile bestehen dann, wenn sich das Unterneh-
men durch nicht leicht imitierbare Kombinationen an charakteristischen Ressourcen von den
Konkurrenten bzw. Mitbewerbern unterscheidet.4

Performance Management wird als strategischer und integrierter Ansatz definiert, um lang
anhaltenden Erfolg zu gewährleisten durch die Erhöhung der Leistung und Verbesserung der
Fähigkeiten der Mitarbeitenden. Die strategische Seite des Performance Management zeigt
sich darin, dass es sich mit den übergreifenden Aufgabenstellungen der Organisation beschäf-
tigen muss und der allgemeinen Richtung, in welche die Organisation sich bewegen soll, um
die langfristigen Ziele zu erreichen.

Performance-Management-Strategien sollen durch Verständnis der Organisation jene Mittel


und Systeme bereitstellen, die aus geplanten Zielen, Standards und Kompetenzanforderungen
bestehen, um von der Organisation, den Teams und Mitarbeitenden bessere Resultate zu er-
halten, also kurz, damit die richtigen Dinge erfolgreich getan werden.5

Die Grundaufgabe des Performance Management liegt also in der Ermöglichung der Leistung
der Akteure in der Organisation durch Bereitstellung der richtigen Systeme, was ein umfas-
sendes Verständnis sowohl der Organisation selbst, deren Visionen, Strategien und kurzfristi-
gen Zielsetzungen, der internen Strukturen und Mitarbeitenden, Stakeholdern als auch deren
Marktumfeld betrifft. Performance Management soll für die vorliegende Fallbeschreibung in
die Teilbereiche Zielemanagement, Vergütungsmanagement und Kompetenzmanagement
gegliedert werden, wobei das bestehende System für Kompetenzmanagement im Zuge des
hier beschriebenen Projekts nicht geändert wurde.

4.2 Analysephase
Die Forderung, das bestehende System der variablen Gehaltsbestandteile zu überarbeiten
entstand bei T-Mobile Austria, als im Zuge der Auszahlung des Jahresincentives, d. h. des
variablen Gehaltsbestandteiles, 2007 zum wiederholten Mal hauptsächlich Kritik aus den
Reihen der Mitarbeitenden rückgemeldet wurde. Trotz einer hohen Auszahlungssumme für
variable Gehaltsbestandteile konnten weder Mitarbeitermotivation noch eine durchgängige
Steuerung des Unternehmens durch die bestehenden Zielsysteme erreicht werden, im Gegen-
teil waren diese Systeme sogar der Grund der Unzufriedenheit. Human Resources erhielt

3
DRUCKER (1954).
4
Vgl. ARMSTRONG/BARON (2002), S. 26 ff.
5
Vgl. ARMSTRONG/BARON (2002), S. 169 f.
Variable Vergütung und Performance Management im Vertrieb 321

daher im Frühjahr 2008 den Auftrag, die bestehenden variablen Gehaltssysteme und das Zie-
lemanagement zu überarbeiten und zu optimieren.

Begonnen wurde mit einer Analyse der bestehenden Systeme, Umwelt- und Einflussfaktoren.
Unter folgenden Rahmenbedingungen befand bzw. befindet sich T-Mobile Austria als die
Neugestaltung des Ziele- und Vergütungsmanagements begonnen bzw. durchgeführt wurde.

4.2.1 T-Mobile Austria


T-Mobile Austria gehört der Gruppe der Deutschen Telekom AG an. Sie besteht in der heuti-
gen Form aus zwei Vorgängerbetrieben: max.mobil, gegründet 1996, sowie tele.ring Telekom
Service GmbH, die 1999 die Konzession für Mobilfunk erhalten hatte. Im April 2002 wurde
max.mobil zu T-Mobile Austria, tele.ring wurde im April 2006 nach Zugeständnissen an die
anderen Mobilfunkanbieter, die in Österreich tätig waren, mit T-Mobile verschmolzen.6 Die
Deutsche Telekom AG ist international in Europa und in den USA tätig und ist bezogen auf
die Umsätze der viertgrößte Telekommunikationskonzern weltweit.7

Seit dem Merger zwischen T-Mobile und tele.ring besteht eine Zwei-Marken-Strategie unter
dem Dach von T-Mobile: T-Mobile für den Qualitätskundenmarkt mit innovativen Produkten
und Services, tele.ring für preisbewusste Kunden.

T-Mobile hat derzeit ca. 1.500 Mitarbeiter und erzielte 1,08 Mrd. EUR Umsatz im Jahr 2008.8
Bis vor Kurzem war die Altersstruktur jünger als in den anderen Unternehmen der Branche,
was gut mit dem Pioniergeist, der zu Beginn der Tätigkeit der jungen Organisationen vorherr-
schend war, und mit der innovativen, technikintensiven Branche zusammenpasst. Trotz des
weiterhin durch Dynamik geprägten Umfeldes kann T-Mobile Austria in den letzten beiden
Jahren sowohl in den internen Strukturen, Organisationen und Prozessen als auch in der
Marktpositionierung als gefestigt angesehen werden.

4.2.2 Marktumfeld
Für das Verständnis der Wettbewerbssituation und auch für das Projekt als solches ist die
Betrachtung des Marktumfeldes notwendig. Denn einerseits stehen die Unternehmen in Kon-
kurrenz zueinander um die Kunden, andererseits sind sie auch in Bezug auf die Mitarbeiten-
den in einer Konkurrenzsituation, denn in wichtigen Bereichen werden sehr ähnliche Qualifi-
kationen benötigt und der potenzielle Arbeitgeber sollte sich von den Mitbewerbern positiv
abheben, damit die Entscheidung der möglichen Kandidaten auf das eigene Unternehmen
fällt.

4.2.2.1 Mobilfunkmarkt
Der Mobilfunkmarkt in Österreich ist einer der am stärksten umkämpften Mobilfunkmärkte in
Europa. Der Markt ist übersättigt, die Mobilfunkpenetration (berechnet aus der Anzahl der
aktivierten SIM-Karten dividiert durch die Bevölkerungszahl) in Österreich ist seit Jahren
steigend und betrug im 4. Quartal 2008 129%. Der Jahresumsatz 2008 im Bereich Mobilfunk
6
Vgl. EC EUROPA (2006), RTR (2009a) und T-MOBILE AUSTRIA (2009).
7
Vgl. FORTUNE (2009).
8
Vgl. T-MOBILE AUSTRIA (2009a).
322 ZIGIC/KRÄMER

lag unter jenem von 2007. Gleichzeitig stieg die Anzahl der Gesprächsminuten, begründet
wahrscheinlich in den Angeboten an Freiminuten- oder Pauschaltarifen.9

Seit Jahren herrscht ein aggressiver Preiskampf, bei welchem sowohl die Endgeräte stark ge-
stützt wurden als auch die monatliche Grundgebühr immer wieder als temporärer Anreiz
gesenkt oder für eine Anzahl von Monaten komplett auf diese verzichtet wird. Bei den Ange-
boten wird in der Sprachtelefonie zwischen Vertrags- und Prepaid-Kunden unterschieden,
wobei das Verhältnis etwa 2:1 beträgt.10 Der Mobilfunkmarkt in Österreich ist von einem
anfänglichen Wachstums- zu einem Verdrängungsmarkt geworden.

Auf dem österreichischen Mobilfunkmarkt operieren folgende Anbieter:

¾ Mobilkom Austria: Marktführer in Österreich mit einem Marktanteil von rund 42%.11
100% im Eigentum der Telekom Austria, hat seit 2003 Vodafone als strategischen Part-
ner. 12 Operiert in denselben Segmenten wie T-Mobile Austria.

Die Mobilkom Austria ist mit folgenden Marken am österreichischen Markt vertreten:

¾ A1 für Qualitäts-Mobilfunk
¾ BOB als Billigmarke
¾ One/Orange: 2007 wurde One, der drittgrößte Mobilfunkanbieter, von Mid Europa Part-
ners (65%) und Orange (35%) erworben, Ende 2008 erfolgte die medienwirksame Um-
wandlung von ONE in Orange, deren Eigentümer Mid Europa Partners (65%) und
Orange (35%) sind, Mitarbeiteranzahl Ende 2008: ca. 800.13

Orange ist mit folgenden Marken am österreichischen Markt vertreten:

¾ Orange
¾ Yesss! als Billigmarke
¾ H3G Austria: „Drei“ ist der kleinste Anbieter auf dem österreichischen Mobilfunkmarkt
und fokussiert sich auf Multimedia und UMTS. Eigentümer ist Hutchinson Wahampoa
Limited mit Sitz in Hongkong. H3G hat 460 Mitarbeitende,14 Umsatzzahlen werden nicht
bekannt gegeben.

H3G ist mit folgender Marke am österreichischen Markt vertreten:

¾ „3“

9
Vgl. RTR (2009b), S. 19 ff.
10
Vgl. RTR (2009b), S. 25.
11
Vgl. RTR (2009b), S. 27.
12
Vgl. MOBILKOM (2009).
13
Vgl. ORANGE (2009).
14
Vgl. H3G (2009).
Variable Vergütung und Performance Management im Vertrieb 323

4.2.2.2 Mitarbeitermarkt
Die Analyse des Vergleichsmarktes hat ergeben, dass in T-Mobile Austria die variablen Ge-
haltsbestandteile im Durchschnitt höher waren als in anderen Unternehmen. Verglichen wur-
den dabei die Prozentsätze vom Jahresgrundgehalt in den einzelnen Hierarchiestufen, die bei
einer Zielerreichung von 100% erzielt werden können. Das bei T-Mobile Austria überwie-
gend bestehende höhere Verhältnis zwischen variablem und fixem Gehaltsbestandteil wurde
nicht als Wettbewerbsvorteil gesehen, weshalb dies Gegenstand der Veränderung werden
konnte.

4.2.3 Interne Organisation


T-Mobile Austria ist in sechs Ressorts aufgeteilt: In das Verkaufsressort als Größtes, welches
jene Abteilungen beinhaltet, die direkten Kundenkontakt haben wie Customer Care, die Shop-
Organisation, den Geschäftskundenbereich und die sonstigen Vertriebskanäle sowie die Ver-
triebssteuerung. Die weiteren Ressorts sind das dem Geschäftsführer unterstellte Ressort mit
z. B. Kommunikations- und Rechtsabteilung, das Finanz-, Technologie-, Marketing- und Hu-
man-Resources-Ressort als die Bereiche mit jenen Funktionen, die nicht direkt mit dem Kun-
den in Kontakt treten.

Die Mitarbeitenden sind die wichtigste Ressource im Unternehmen. Der Unternehmenserfolg


ist abhängig von der Leistungsbereitschaft und dem Einsatz jedes/jeder Einzelnen, vor allem
auch im Kontakt zu den Kunden. Motivierte Mitarbeitende, die wissen, worauf sie ihren Ar-
beitseinsatz fokussieren sollen und dann auch angemessen für ihre Leistung vergütet werden,
ist das Ziel von Performance- und Vergütungsmanagement.

4.2.4 Ziel- und Vergütungssysteme


Die bestehenden Vergütungssysteme wurden evaluiert und als erstes Ergebnis wurde sichtbar,
dass 27 verschiedene Ausprägungen von variablen Vergütungssystemen bestanden. Diese
wurden von den Mitarbeitenden als intransparent und unfair empfunden. Gleichzeitig gab es
vor allem in den Funktionen, die keinen Kundenkontakt hatten, die Erwartungshaltung, dass
für gute, solide Arbeit eine Zielerreichung und daher Auszahlung von deutlich über 100%
angemessen wäre. Die ursprüngliche Konzeption, dass 100% eine angemessene Auszah-
lungsgröße für eine vollständige Erfüllung der gesetzten Ziele ist, wurde so nicht mehr in der
Organisation gelebt. Dies stand im Kontrast zu den immer schwieriger werdenden Marktge-
gebenheiten.

Oben wurden bereits die unterschiedlichen variablen Systeme erwähnt, die im Folgenden
kurz beschrieben werden.

4.2.4.1 Funktionen, die keinen direkten Kontakt zum Kunden haben,


sowie Leitungsfunktionen im Customer-Care-Bereich
Wie unter 4.2.1. beschrieben, erfolgte die Verschmelzung der beiden unterschiedlichen Un-
ternehmen zur jetzigen T-Mobile Austria im Jahr 2006. In dem einen Unternehmen gab es im
Vergleich zum Markt hohe Ziel-Incentives (siehe auch Kapitel 4.2.2.2.), d. h. das Verhältnis
zwischen fixen und variablen Gehaltsbestandteilen, die bei 100% Zielerreichung ausgezahlt
werden, zeigte höhere variable Anteile als bei den Vergleichsunternehmen. Die maximale
Höhe der variablen Anteile war in den Dienstverträgen festgelegt.
324 ZIGIC/KRÄMER

Das andere Vorgängerunternehmen hatte den Mitarbeitenden keine %-Zusage gemacht, son-
dern unterschiedliche variable Beträge bei entsprechender Zielerreichung ausgezahlt. Im
Zuge des Mergers wurde versucht, diese unterschiedlichen Ansätze zu vereinheitlichen, so-
dass alle Mitarbeitenden, die nicht im direkten Kundenkontakt tätig waren, eine Zusage hat-
ten, dass ein bestimmter Prozentsatz vom Grundgehalt als variablen Gehaltsbestandteil bei
maximaler Zielerreichung ausgezahlt werden würde. Allerdings waren die Prozentsätze so
unterschiedlich, was bedeutete, dass bspw. Mitarbeitende in derselben Hierarchiestufe und
derselben Funktion mit derselben Zielerreichung extreme Unterschiede in der Höhe des vari-
ablen Gehaltsbestandteils hatten.

Was jedoch nicht fixiert war, war der Auszahlungsprozentsatz für 100% Zielerreichung, was
zum Ergebnis hatte, dass dieser jährlich von der Geschäftsleitung angepasst werden konnte
und auch wurde. So gab es für jeden dieser Zielprozentsätze und je nach festgelegtem Ziel-
wert bei 100% Zielerreichung eine unter Umständen jährlich andere, hinterlegte Kurve mit
Auszahlungsprozentsätzen.

Zusätzlich gab es auch Verträge, die ein Zielgehalt mit unterschiedlichen Verhältnissen zwi-
schen fixen und variablen Gehaltsbestandteilen bei 100% Zielerreichung (Jahreszielgehalt –
„On Target Earnings“) vorsahen.

Die zwischen Vorgesetztem/Vorgesetzter und den Mitarbeitenden vereinbarten Ziele wurden


auf einem Formular als Bestandteile eines strukturierten Mitarbeitergesprächs erfasst, das
zusätzlich auch die Zielerreichung des vorangegangenen Jahres, eine Kompetenzeinschät-
zung, Feedback an den Vorgesetzten/die Vorgesetzte und einen Entwicklungsplan enthielt.
Die Ziele sollten in den unteren Ebenen jeweils einen Beitrag zur Erreichung der Unterneh-
mensziele leisten, es erfolgte eine Aufteilung in funktionale Ziele und Entwicklungs- bzw.
Führungsziele. Zusätzlich floss dann die Unternehmenszielerreichung in die Berechnung der
Gesamtzielerreichung ein, allerdings nicht für alle Ausprägungen der Incentive-Systeme. Eine
Transparenz außerhalb des unmittelbar eigenen Bereiches war generell nicht gegeben.

4.2.4.2 Shop-Mitarbeitende
Für die Shop-Organisation gab es ein eigenes variables Vergütungsmodell, das auf der Mes-
sung ausschließlich von Teamzielen, die die Verkaufstätigkeit und den eigenen Shop betra-
fen, aufbauten. Ein festgesetzter Anteil bestand aus persönlichen Zielen.

Shopleiter erhielten im Unterschied zu den Shop-Mitarbeitenden, die einen maximalen vari-


ablen Anteil bezogen auf das Grundgehalt ohne Möglichkeit einer Übererreichung von Zielen
hatten, ein Sales-Modell mit hinterlegter Auszahlungskurve. Die Auszahlungshäufigkeiten
der variablen Gehaltsbestandteile von Shopleitern und Shopmitarbeitenden waren ebenfalls
unterschiedlich.

4.2.4.3 Außendienst-Mitarbeitende
Im Außendienst gab es für die unterschiedlichen Kanäle bzw. Kundengruppen, die von den
Mitarbeitern betreut wurden, als Vergütungsmodell ein Sales-Modell. Zum Großteil gab es
Auszahlungsober- und -untergrenzen, wobei bei diesen Modellen die Untergrenzen als fixe
Minimalauszahlungen definiert waren.
Variable Vergütung und Performance Management im Vertrieb 325

Ebenfalls je nach Kanal bzw. Kundengruppe waren unterschiedliche Auszahlungskurven und


Ziele hinterlegt.

4.2.4.4 Customer-Care-Mitarbeitende
Im Customer-Care-Bereich waren – nach einer Einarbeitungsphase – variable Auszahlungen
auf Basis von Leistungspunkten vorgesehen. Die mögliche Höhe dieser variablen Ziel- und
maximal möglichen Auszahlungen waren mit einem Entwicklungsmodell verknüpft, d. h. je
höher die Qualifikation desto höher waren die zugesagten Ziel- und Maximalauszahlungen,
wieder abhängig von der Zielerreichung.

Gemessen wurden Teamziele, die die Performance im Call Center betrafen. Ab einer be-
stimmten Höhe des Zielprozentsatzes flossen auch Unternehmensziele in die Bewertung ein.

4.2.4.5 Zielsetzung allgemein


Zum Teil wurden Ziele gesetzt, die zu wenig oder nicht relevant für die Unternehmenszieler-
reichung sind: Vor allem in den Sales-Bereichen wurden Erfolgskriterien verwendet, deren
Messung zwar mit den vorhandenen Reporting-Systemen durchgeführt werden konnte und
auch der gängigen Marktpraxis entsprachen. Tatsächlich waren diese aber nicht ausreichend
aussagekräftig (z. B. eine Anzahl von verkauften SIM-Karten sagt nichts über die Umsatzge-
nerierung aus, es kann sich auch um eine SIM-Karte für einen Kopierer handeln, welche bloß
einmal jährlich einen Zählerstand übermittelt) und eine strategische Steuerung war aufgrund
der quantitativen, aber nicht spezifizierten Zielsetzungen nicht möglich.

Eine zusätzliche Herausforderung stellt die allgemeine Natur der verkauften Dienstleistung
dar, da die Bewertung abgeschlossener Verträge schwierig ist, wenn die Umsätze, die mit die-
sen Verträgen erzielt werden können, oft aufgrund von Grundgebührbefreiungen in den ersten
Monaten, einer hohen Unterstützung für die Geräte oder fixierten Tarifen unabhängig vom
telefonierten Volumen erst viel später gemacht werden.

Bei der Zielgestaltung im Customer Care und in den Shops war in den Betriebsvereinbarun-
gen festgelegt, dass Ziele ausschließlich auf Teamebene gemessen werden konnten (mit Aus-
nahme der persönlichen Ziele), daher war keine Differenzierung zwischen den Leistungen der
einzelnen Mitarbeitenden möglich. Bei solchen Systemen besteht die Gefahr, dass weniger
leistende Mitarbeitende von der Leistung der anderen profitieren und der Anreiz für die Mit-
arbeitenden, die eine hohe Einsatzbereitschaft haben, dadurch nicht mehr entsprechend gege-
ben ist.

4.2.4.6 Betriebsrat und rechtliche Voraussetzungen


Als sehr wichtiger Stakeholder in diesem Zusammenhang ist der Betriebsrat, der als Vertreter
der Arbeitnehmer fungiert, anzusehen.

Vergütungsbestandteile, welche den Mitarbeitenden per Dienstvertrag zugesagt waren, kön-


nen nur mit Zustimmung jedes einzelnen Mitarbeitenden geändert werden. Hinzu kam, dass
es sich um variable Vergütungssysteme handelt, die bereits mit Betriebsvereinbarungen ein-
geführt gewesen sind, sodass für eine Änderung die vorhergehende Zustimmung des Be-
triebsrates notwendig war.
326 ZIGIC/KRÄMER

4.2.5 Ergebnisse der Analysephase


Die Analyse der internen und externen Ausgangssituation zeigte unterschiedliche Gründe für
die Unzufriedenheit bei den Mitarbeitenden und zusätzlich einen Verbesserungsbedarf bei
den Erfolgsfaktoren, mit welchen die Zielerreichung gemessen worden ist, um die Ausrich-
tung auf die Unternehmenszielsetzungen sicherzustellen. Auch die stringente Zielsetzung
über die unterschiedlichen Ebenen war verbesserungsbedürftig.

Identifiziertes Problem Grund Einflussbereich

Zielemanagement in Verbindung Es gibt 27 verschiedene Geschichte der T-Mobile Austria:


mit variablen Vergütungen Ausprägungen von variablen Merger/Vergütungsmanagement
werden von den Mitarbeitenden Vergütungssystemen, die nicht durch
als unfair wahrgenommen z. B. Hierarchiestufen sondern durch
die Historie begründet sind
Zielemanagement wird von den Zielelogik ist nicht ausreichend Zielemanagement
Mitarbeitenden als intransparent bekannt, Verbindung zu den
wahrgenommen Unternehmens- oder
Organisationszielen wird nicht
gesehen
Individuelle Zielerreichungen Verbindung zwischen individuellen Zielemanagement und variable
werden als zu gering empfunden, und Unternehmenszielen ist nicht Vergütungssysteme
obwohl allgemeine sichtbar; Unternehmen hat
Unternehmenszielerreichung das Möglichkeit, den Zielwert zu
nicht widerspiegelt bestimmen
Hohe Emotionalität, wenn über Relativ hoher variabler Betrag im Mitarbeitermarkt/variable
variable Gehaltsbestandteile Vergleich zur Grundvergütung, über Vergütungssysteme
diskutiert wird den diskutiert wird

Messung von Zielen, die zu Zum Teil aufgrund fehlender Zielemanagement/Reporting


wenig Relevanz hatten Reporting-Systeme wurden Systems
Erfolgskriterien definiert, die messbar
waren

Abbildung 4: Analyse der Ist-Situation

Abbildung 4 zeigt eine Übersicht über die identifizierten Probleme, die Gründe dafür sowie
aus welchem Einflussbereich das Problem stammt.

4.3 Projektauftrag
Nachdem die Analyse beendet und die Problemfelder identifiziert worden waren, erging fol-
gender Projektauftrag an die HR-Abteilung:

¾ Vereinheitlichung und Adaptierung der bestehenden variablen Entgeltsysteme, mit ge-


ringeren variablen Anteilen für die Bereiche, die keine direkten Verkaufsaufgaben haben.
¾ Die gesamte Organisation soll zu einer Hochleistungsorganisation mit tatsächlichem
„Pay for Performance“ werden, d. h. jeder/jede soll leistungsgerecht vergütet werden.
Variable Vergütung und Performance Management im Vertrieb 327

¾ Es sollen neue Systeme eingeführt und keine „Reparaturen“ an alten Systemen durchge-
führt werden, um auch bei den Mitarbeitenden eine Aufbruchstimmung und das Gefühl,
„etwas Neues, Besseres“ zu haben erzeugen, einhergehend mit einer neuen Führungskul-
tur.
¾ Ausarbeitung von Transferszenarien von bestehenden zu den neuen Systemen, Umstel-
lung aller Dienstverträge und Betriebsvereinbarungen.
¾ Einführung eines stringenten Zielemanagements, das die Kaskadierung der Unterneh-
mensziele auf alle Funktionen und in alle Ebenen sicherstellt. Es soll praktikabel, trans-
parent, einfach und effektiv sein und eine gerechte Basis für die Auszahlung der variab-
len Gehaltsbestandteile bieten.
¾ In den Bereichen, in welchen die Anpassung der Steuerung unterjährig notwendig ist,
soll diese Anpassung der Ziele ermöglicht werden.
¾ Die Bereiche, die im direkten Vertrieb tätig sind, sollen stärker durch strategische Ziel-
setzung gelenkt werden und gleichzeitig für hohe aber auch unterdurchschnittliche
Zielerreichungen adäquat vergütet werden.
¾ Kosten der neuen Systeme bei 100% Zielerreichung entspricht den Kosten der alten Sys-
teme bei 100% Zielerreichung.
¾ Einführung per 1.1.2009

4.4 Konzeptionierung und Detailausarbeitung


Performance Management ist die kontinuierliche Aufgabe des Linienmanagements und der
Mitarbeitenden, Human Resources agiert als Unterstützer, der das am besten passende Re-
gelwerk vorgibt. Klares Ziel des Projekts ist die Bereitstellung der Ziel- und Vergütungssys-
teme und Transferszenarien und die technische Unterstützung sowie Einschulung und Be-
treuung während der Implementierungsphase. Die Zielelogik und Zielesets sollen in enger
Zusammenarbeit mit den Fachbereichen erstellt werden. Danach soll der laufende Betrieb
vom Linienmanagement verantwortet werden, mit Unterstützung durch die HR-Business-
Partner und das HR Service Delivery Center sowie dem Zielemanager.

Das Projektteam wurde daher wie folgt aufgestellt: Der Leiter des Competence Center Hu-
man Resources Management hatte die Projektleitung inne, Projektinhaber war der Human
Resources Director, Projektsponsor der Geschäftsführer. Im Steering Committee vertreten
waren auch der Betriebsrat sowie der Finance Director.

Das Kernteam bestand aus Vertretern der Funktionen Compensation & Benefits, HR Control-
ling, HR Business Partnering, e-HR und HR Development.

Zusätzlich waren eine Kommunikationsfunktion, Vertreter aus den Bereichen Sales und Cus-
tomer Service sowie aus Marketing und Funktionen aus Controlling und Technik involviert.
328 ZIGIC/KRÄMER

4.4.1 Konzepterstellung
Bereits während der Analysephase wurden die ersten Grobkonzepte für die neuen variablen
Gehaltssysteme und Zielsysteme erstellt, da sich die einzuschlagende Richtung bereits ab-
zeichnete. Das zentrale Element war die neue Zielsetzungslogik mit einer Kaskadierung auf
alle darunterliegenden Ebenen.

Die Einteilung der Systeme selbst wurde, anders als davor, nicht mehr nach Abteilungen
vorgenommen, sondern nach der Aufgabe der jeweiligen Position. Da ein Ziel war, die Un-
ternehmenszielerreichung durch Fokussierung auf die Verkaufstätigkeiten zu unterstützen,
wurde ein Fokus auf die Funktionen, die im Verkauf tätig sind, gelegt und entsprechende
Ziel- und Anreizsysteme entwickelt.

Für folgende Funktionsgruppen wurde jeweils ein eigenes Performance-System ausgearbeitet:

¾ Im Shopverkauf tätige Mitarbeitende


¾ Im Customer-Care-Bereich beschäftigte Mitarbeitende mit Verkaufstätigkeit
¾ Im Außendienst tätige Mitarbeitende
¾ Mitarbeitende, die keine Verkaufstätigkeit ausführen, wobei bei dieser Gruppe von der
Vergütungsseite her eine Unterscheidung in Führungskräfte und Mitarbeitende gemacht
wurde, die zugrundeliegende Zielsetzungslogik ist aber für beide gleich.

4.4.2 Abstimmung in der Konzeptphase


Während der gesamten Projektlaufzeit erfolgten regelmäßige Abstimmungen mit der Ge-
schäftsleitung und auf internationaler Ebene mit den Stakeholdern in der Muttergesellschaft.

Der Betriebsrat wurde von der Projektleitung schon in einem relativ frühen Stadium einge-
bunden, was sich als richtige Entscheidung herausstellte. Ziel war auch da die Erarbeitung
eines Gesamtpakets, das Vorteile für Arbeitnehmer/Arbeitnehmerinnen und das Unternehmen
hat.

4.4.3 Definition der Zielindikatoren


Zur Erarbeitung der neuen KPI wurden Workshops mit Delegierten aus den einzelnen Fach-
bereichen mit Verkaufstätigkeit durchgeführt. Leitfragen bei der Definition der KPI waren:

¾ Welche KPI sind für die Erreichung der Unternehmensziele relevant und wie sollen sie
gewichtet werden?
¾ Wie kann die Arbeitskraft der Mitarbeitenden auf die richtigen Tätigkeiten kanalisiert
und dadurch die Steuerung des gesamten Unternehmens realisiert werden?
¾ Wie kann man die Ziele so flexibel gestalten, dass man auch kurzfristig notwendigen
Anpassungsbedarf abbilden kann?
¾ Wie können die Ziele für alle Mitarbeitenden verständlich gestaltet werden und die so
genannte „Line of Sight“, d. h. wie sich der Beitrag jedes/jeder einzelnen auf die Errei-
Variable Vergütung und Performance Management im Vertrieb 329

chung der Unternehmensziele auswirkt, ein Verständnis des „großen Ganzen“ erhöht
werden? 15
¾ Wie können die Zielerreichungen gemessen werden?
¾ Wie werden Teamziele und Individualziele am besten kombiniert?

4.4.3.1 Ziele im Verkaufsbereich


Erstmals wurde bei allen Funktionen, die im Verkauf tätig sind, ein einheitlicher KPI, der
direkt die Vision des Unternehmens repräsentiert, eingeführt. Dieser KPI unterstreicht den in
der Unternehmensstrategie vorgesehenen Wandel der Positionierung und misst in einer stan-
dardisierten, allgemein gültigen Weise die Umsetzung dieser Vision in der täglichen Ver-
kaufsarbeit.

In ähnlicher Weise wurde der gesamte Verkaufsbereich auf relevante KPI, die die Verkaufstä-
tigkeit selbst betreffen, umgestellt, welche auch die Spezifika der vertriebenen Produkte, d. h.
Einnahmen aus den Gebühren, die in der Zukunft liegen, entsprechend abbilden können. Mit
dem Abgehen von der SIM-basierten Steuerung zu KPI, die mehr Aussage und die Möglich-
keit zur Steuerung für das Unternehmen bieten, ist T-Mobile Austria ein Vorreiter im Markt.

Bei der Zusammenstellung der KPI-Sets wurde ein jeweils angemessenes Verhältnis zwi-
schen quantitativen und qualitativen Zielen erarbeitet.

Lange diskutiert wurde die Sinnhaftigkeit bzw. Angemessenheit von Einzelzielen im Ver-
gleich zu den Teamzielen. Die Messung von Einzelzielen war bislang im Shop- und im Cus-
tomer-Care-Bereich von Seiten des Betriebsrates nicht gestattet. Im Zuge der Verhandlungen
teilte der Betriebsrat dann die Meinung des Unternehmens, dass ein Teil der Ziele auf Team-
ebene, ein Teil aber auch auf Einzelpersonen ausgewertet werden sollte.

Durch eine Aufteilung der Ziele in einerseits einen Teil, der Teamziele und persönliche Ent-
wicklungsziele enthält, und einen zweiten, der sich auf die individuelle Leistung von Einzel-
personen bezieht und eine starke strategische Steuerungsfunktion beinhaltet, sowie der Ver-
knüpfung mit den entsprechenden variablen Gehaltsbestandteilen in Verbindung mit der
Möglichkeit der unterjährigen Anpassung dieser Ziele wurden Steuerung und Flexibilität
optimiert und auch die Transparenz und Verständlichkeit und die „Line of Sight“ sicherge-
stellt.

In den Verkaufsbereichen gab es bislang Einschränkungen der maximal möglichen Zielerrei-


chung – zum Teil bei 100% – sowie zum Teil fixierte Untergrenzen der Auszahlung. Um die
Leistungsorientierung zu unterstützen, wurden fixierte Untergrenzen abgeschafft und die
Obergrenzen bei den Verkaufszielen gestrichen. Mit den neuen Modellen ist daher bei ent-
sprechendem Einsatz und Leistung eine signifikante Erhöhung des persönlichen Einkommens
erzielbar.

15
Vgl. AUSTRALIAN INSTITUTE OF COMPANY DIRECTORS (1998).
330 ZIGIC/KRÄMER

4.4.3.2 Ziele für Funktionen, die nicht im Verkaufsbereich liegen


Für die Ziele, die nicht im Verkaufsbereich liegen, wurde eine Zielekaskade (siehe Abbildung
5) eingeführt, die als Basis jene Ziele verwendet, die die Geschäftsleitung von der Mutterge-
sellschaft erhält. Diese werden in funktionale und individuelle Ziele aufgeteilt, wobei die
individuellen Ziele des Vorgesetzten jeweils die funktionalen Ziele der nächsten Ebene bil-
den. Dadurch ist einerseits gewährleistet, dass die Ziele der jeweiligen darüber liegenden
Ebene bekannt sind und andererseits, dass zur Erreichung dieser funktionalen Ziele angemes-
sene individuelle Ziele vereinbart werden, da ja beide Erreichungen bewertet und unmittelbar
in die Auszahlung einberechnet werden. Individuelle Führungs- und Entwicklungsziele wer-
den nicht kaskadiert.

Die Kaskadierung zeigt zusätzlich allen Mitarbeitenden die Ziele des/der Vorgesetzten und
gibt die Sicherheit, dass diese in direkter Linie von jenen der Geschäftsleitung abgeleitet sind.

Das Ergebnis dieser Gestaltung ist eine Transparenz, die dem/der Mitarbeitenden genau zeigt,
was die eigenen Aufgaben sind, was die Vorgaben in dem Bereich und für das Unternehmen
als Ganzes sind und daher den Beitrag jedes/jeder Einzelnen zum Unternehmenserfolg sicht-
bar und nachvollziehbar macht.

Bei der Messung der Zielerreichung ist die prozessuale Trennung von Zielerreichung und
Auszahlung eine maßgebliche Neuerung, die zur Gerechtigkeit des Systems beiträgt: Indivi-
duelle und funktionale Zielerreichung werden als für die Mitarbeitenden sichtbarer, direkt be-
einflussbarer Bezugspunkt gemessen, daher bezieht sich dieser Wert auf die eigene Leistung
und bietet ein valides Feedback für im Unternehmen tätige Personen selbst.

Für die Berechnung der Auszahlungshöhe der variablen Gehaltsbestandteile ist zuerst die
Unternehmenszielerreichung maßgeblich, die als Faktor die allgemeine Ausschüttungshöhe
bestimmt, d. h. wie viel Geld für die Verteilung vorhanden ist (Bonus-Logik). Die individu-
ell/funktionale Zielerreichung wirkt als individuelle Stellgröße für die Auszahlung, die sich
direkt auf die erbrachte Leistung bezieht.
Variable Vergütung und Performance Management im Vertrieb 331

FUNKTIONALE ZIELE
INDIVIDUELLE ZIELE
FÜHRUNGS- UND ENTWICKLUNGSZIELE

I n dividual targets In dividual targets In dividual targets In dividual targets

Geschäftsleitung 1. Berichtsebene 2. Berichtsebene Gruppenleiter Mitarbeitende

Abbildung 5: Zielekaskade

4.4.4 Messung der KPI


Resultat der Workshops war eine Definition von KPI und deren Gewichtung im Ziele-Set der
einzelnen Verkaufsbereiche. Anhand dieser Messgrößen kann der Fortschritt der Erfüllung
der als relevant für die Unternehmenszielerreichung und in weiterer Folge der Erreichung der
Unternehmensstrategie und Hinarbeitung zur Vision des Unternehmens erachteten Kriterien
gemessen werden. Gleichzeitig bilden sie auch die Basis dafür, dass sie nach der tatsächliche
Zielsetzung, d. h. der Hinterlegung mit Zielwerten, die T-Mobile-Austria-„SMART“-Prinzi-
pien erfüllen, d. h.:

¾ Spezifisch: Welche konkreten Resultate erwartet die Führungskraft?


¾ Messbar: Woran ist messbar/erkennbar/beobachtbar, dass das Ziel erreicht ist?
¾ Angemessen: Ist das Ziel einerseits ambitioniert, andererseits aber auch realistisch und
erreichbar?
¾ Realistisch/Relevant: Ist für die/den Mitarbeitende/Mitarbeitenden nachvollziehbar, wa-
rum das Ziel erreicht werden soll?
¾ Terminiert: Bis wann soll das Ziel erreicht/soll das Ergebnis erzielt werden?16

Für einen Teil dieser KPI gab es bis zu diesem Zeitpunkt keine technischen Möglichkeiten
zur Messung. Messung und Reporting der KPI wurde aber explizit als Nicht-Ziel dieses Pro-
jekts definiert, daher resultierte aus dem HR-Performance-Management-Projekt ein weiteres
Projekt: die Umstellung bzw. Einführung von entsprechenden Mess- und Reportingsystemen,

16
Vgl. T-MOBILE AUSTRIA (2009b).
332 ZIGIC/KRÄMER

die in die bestehende IT-Struktur eingegliedert werden mussten und zum Teil eine Änderung
der Geschäftsprozesse zur Folge hatte.

4.4.5 Erarbeitung der neuen variablen Gehaltssysteme und Berechnung


von Transferszenarios
Im Folgenden wird die Erarbeitung der neuen variablen Gehaltssysteme beschrieben sowie
die Berechnung und Ausgestaltung der Angebote an die Mitarbeitenden zum Wechsel von
den bestehenden in die neuen variablen Gehaltssysteme.

4.4.5.1 Funktionen ohne Verkaufstätigkeit


Die Neugestaltung der variablen Gehaltssysteme war der eigentliche Ausgangspunkt des
Projekts, da sich die Unzufriedenheit der Mitarbeitenden stark darauf bezog und die Mitarbei-
tenden durch den generell hohen variablen Anteil am Gesamtgehalt entsprechend sensibel
und emotional reagierten. Die Kritikpunkte, die die variablen Gehaltsbestandteile betrafen,
waren vorrangig in den Bereichen ohne Verkaufsfunktion gegeben, da hier parallel unter-
schiedliche Aufteilung von variablen zu fixen Gehaltsbestandteilen vorlagen, das Unterneh-
men jährlich die Möglichkeit hatte, den Zielprozentsatz bei 100% Zielerreichung zu bestim-
men und die Kurven, die jedem einzelnen Zielprozentsatz hinterlegt waren und die Auszah-
lung bestimmten, für die Mitarbeitenden schwer nachvollziehbar waren. Gleichzeitig musste
aufgrund der viel zu hohen Zielerreichung, die auch nicht die Unternehmenszielerreichung
widerspiegelte, oft nachkorrigiert werden.

Es wurde eine Neueinteilung der Zugehörigkeit zu den Vergütungssystemen vorgenommen,


da nun auch jene Bereiche des Customer Care, die keine direkte Verkaufstätigkeit hatten, in
dieses Modell eingegliedert wurden.

Es gab auch einige wenige Mitarbeitende, die gar keinen variablen Gehaltsbestandteil hatten
und Vereinbarungen von Jahreszielgehältern mit festgelegten Aufteilungen in fixen und vari-
ablen Gehaltsbestandteil.

Auf Basis von Marktbenchmarks und internen Angemessenheitsüberlegungen wurde ein Ziel-
prozentsatz für den variablen Gehaltsbestandteil der Mitarbeitenden und ein Jahreszielgehalt
mit festgelegtem Verhältnis zwischen fixen und variablen Gehaltsbestandteilen für die Füh-
rungskräfte erarbeitet. Dieser Zielprozentsatz für die Mitarbeitenden lag wesentlich niedriger
als der bisherige Zielprozentsatz des Großteils der Mitarbeitenden in dieser Gruppe. Bei den
Führungskräften wurde der variable Anteil erhöht.

Dieser variable Anteil wurde in der Höhe gewählt, dass einerseits aufgrund der geringeren
Höhe ein Großteil der Emotionalität aus den Zieldiskussionen genommen werden kann. So
soll der Schritt in Richtung eines Leistungsmanagements, dessen Zielerreichung nicht mehr
so stark von den finanziellen Auswirkungen bestimmt wird, sondern tatsächlich auf die er-
brachte Leistung fokussieren kann, also „Pay for Performance“ ermöglicht werden.

Gleichzeitig wurde der variable Gehaltsbestandteil so hoch gewählt, dass ein Leistungsanreiz
gegeben ist und eine Übererfüllung der Ziele auch finanziell angemessen anerkannt werden
kann.
Variable Vergütung und Performance Management im Vertrieb 333

Die Basis für die Transferangebote zum Übertritt von den bestehenden in die neuen Systeme
wurde – nach verschiedenen Ansätzen und Versuchen – durch eine angemessene Festsetzung
des Zielprozentsatzes bei 100% Zielerreichung und einer darauffolgenden Berechnung der
jeweiligen Jahreszielgehälter ermittelt. Da das gesamte System fair sein sollte, wurde die fol-
gende Regelung angewendet:

Das ermittelte Jahreszielgehalt wurde in die neuen fixen und variablen Gehaltsbestandteile
umgerechnet. Beim Großteil der Mitarbeitenden war das neu berechnete Bruttomonatsgehalt
höher als das bisherige Bruttomonatsgehalt bei gleichem Jahreszielgehalt. Die Mitarbeitenden
hatten daher die Vorteile, dass sie vom Jänner 2009 das – noch dazu um den Kollektivvertrag
erhöhte – Bruttomonatsgehalt laufend ausbezahlt bekommen konnten. Der variable Anteil
war der neue, einheitliche aber geringere Prozentsatz vom Jahresgrundgehalt. Zusätzlich
konnte dadurch eine steuerliche Besserstellung erzielt werden, da die maximale Höhe der
steuerbegünstigt auszuzahlenden Sonderzahlungen durch die Höhe der laufenden Bezüge
bestimmt und daher erhöht wurde.

In jenen Fällen, in denen die Neuaufteilung des Jahreszielgehaltes in ein geringeres Brutto-
monatsgehalt als bisher resultiert hätte, d. h. jene Mitarbeitende, die bisher einen geringeren
oder gar keinen variablen Anteil hatten, wurde das Bruttomonatsgehalt gleich gelassen und
der variable Anteil aufgefüllt.

Ergebnis davon ist, dass jeder Mitarbeitende, der das Angebot zum Wechsel des Systems
annimmt, bezogen auf das individuelle Grundgehalt denselben Anteil an variablem Gehalt hat
und daher jeder die selbe Chance hat, durch die Leistung die Höhe der variablen Auszahlung
zu beeinflussen.

Die Berechnung der Auszahlung nach Beendigung der Beurteilungsperiode wird unter Zu-
grundelegung der Basis für den variablen Gehaltsbestandteil durch Multiplikation mit der
funktional/individuellen Zielerreichung und der Unternehmenszielerreichung ermittelt.

4.4.5.2 Shop und Customer Care mit Verkaufsfunktion


Diese beiden Funktionen können gemeinsam betrachtet werden, da hier sehr ähnliche Model-
le angewendet werden. Im Sinne der erwünschten Stärkung der Verkaufsbereiche wurden hier
zusätzliche Möglichkeiten geschaffen, bei entsprechender Leistung mehr zu verdienen. Zu-
sätzlich wurden bestehende Zielerreichungsgrenzen entweder erhöht oder ganz gestrichen.

In diesen Bereichen wurde eine Kombination aus variablen Gehaltsbestandteilen gewählt, die
jeweils den gewünschten Steuerungseffekt bieten und mit den Ziele-Sets optimal abgestimmt
sind, aber im Unterschied zu vorher für alle gleich sind. Zusätzliche Transparenz wird da-
durch erzielt, dass die Mitarbeitenden genaue Informationen haben und sich den einen Teil
der variablen Vergütung tagesgenau selbst ausrechnen können.

Die Grundlage für den Transfer in die neuen Systeme war ebenfalls die Grundannahme, dass
keine Verringerungen im Bruttomonatsgehalt stattfanden, sehr wohl aber mindestens die
variablen Anteile bei 100% Zielerreichung wie in den Vorgängermodellen erzielt werden
konnten.
334 ZIGIC/KRÄMER

4.4.5.3 Außendienst-Mitarbeitende
In der zugrundeliegenden Art der variablen Vergütung wurde in diesem Bereich generell
keine Veränderung vorgenommen. Der große Unterschied zur bisherigen Handhabung ist,
dass auch hier die tatsächliche Leistung zur Auszahlung kommt und allfällige Unter- und
Obergrenzen abgeschafft wurden. Auch in der Gestaltung der Relation zwischen Zielerrei-
chung und Auszahlung wurde eine signifikante Vereinfachung eingeführt.

4.4.5.4 Transferberechnungen
Eine Herausforderung war die Berechnung und nachfolgende Gestaltung der Transfer- und
Übertrittsangebote. Die Veränderung betraf die gesamte Organisation und durch eine neue
Einteilung der Geltungsbereiche der variablen Vergütungssysteme war auch die Notwendig-
keit gegeben, „Quertransferszenarien“ für die 27 bestehenden Systeme in die jeweiligen Ziel-
systeme zu berechnen, was insgesamt knapp 60 verschiedene Transferformeln ergab.

Um jene Mitarbeitenden, die von einem hohen variablen Anteil zu einem höheren Grundge-
halt im Austausch zu einem niedrigeren variablen Anteil umsteigen konnten und bisher eine
kontinuierlich hohe Leistung gezeigt hatten, durch die geringere Möglichkeit, mit dieser Leis-
tung die Gesamtvergütung zu erhöhen, nicht zu benachteiligen, wurde in den Transferberech-
nungen auch diese kontinuierlich hohe Leistung eingerechnet und entsprechend berücksich-
tigt.

4.4.6 Unterstützung durch e-HR


e-HR hatte eine signifikante unterstützende Funktion in der Einführung dieses Projekts, diese
Maßnahmen werden nachfolgend beschrieben.

4.4.6.1 Tool im Intranet – Transfer


Bereits zu Beginn des Projekts wurde e-HR, d. h. jene HR-Funktion, die sich mit der Planung,
Umsetzung und Organisation der Automatisierung und des effizienten Einsatzes von elektro-
nischen Systemen und Tools beschäftigt, in das Projekt involviert. Da die gesamten Mitarbei-
tenden der T-Mobile Austria durch den Wechsel der Vergütungssysteme betroffen sein wür-
den, stand fest, dass dies nur mittels eines elektronischen Tools zu bewerkstelligen war.

Da der Zeitrahmen des Projekts von Beginn an sehr eng gesetzt war, mussten die notwendi-
gen Ausarbeitungen der Anforderungen, Beauftragungen und Vorarbeitungen der Inhaltsge-
staltung zum Großteil bereits getätigt werden, noch bevor die Systeme finalisiert waren.

Das Übertritts-Tool stand den Mitarbeitenden im internen Mitarbeiterportal ab 1. Dezember,


direkt nach den Kommunikationsveranstaltungen, zur Verfügung und enthielt folgende Be-
standteile für jedes einzelne Transfermodell:

¾ Information über bisherige Vergütungszusammenstellung und das neue Vergütungsange-


bot, Informationen über das System selbst
¾ Berechnungsmöglichkeit der individuellen Auszahlungshöhe des variablen Gehaltsbe-
standteils, wenn unterschiedliche Zielerreichungen eingegeben werden
Variable Vergütung und Performance Management im Vertrieb 335

¾ Steuerliche Effekte der Umstellung anhand eines Musterbeispiels


¾ Vergleich von Brutto- und Nettogehaltszahlungen in System alt und System neu anhand
von drei Beispielrechnungen
¾ Der Sideletter, der im Falle der Entscheidung zum Umstieg unterschrieben werden muss-
te, wurde angezeigt und konnte aus dem Tool ausgedruckt und unterschrieben werden.

Die Berechnungen wurden im Tool auf Basis der SAP-Daten vorgenommen und wurden nach
Jahreswechsel mit den aktuellen, durch den Kollektivvertrag erhöhten Gehaltsdaten ange-
passt. Die Vorgesetzten hatten die Möglichkeit, ihre Mitarbeitenden zu sehen und für Re-
portingzwecke waren Kontrollkästchen vorgesehen, die angehakt werden konnten, um einen
Überblick zu haben, bei wem bereits Informationsgespräche stattgefunden haben, Ablehnung
oder Zusage und ob der unterschriebene Sideletter bereits in HR eingetroffen ist.

Das Tool wurde von Mitarbeitenden, Führungskräften und auch dem Betriebsrat sehr gut
angenommen und war bis zum Ende der Übertrittsperiode online. Ein absoluter Vorteil für
die Kommunikation war, dass Businesspartner, HR, Führungskräfte und Mitarbeitende die
gleiche Datenbasis verwendeten und daher in der Lage waren, umfassende, einheitliche und
nachvollziehbare Informationen für die Mitarbeiterberatungsgespräche zu verwenden und
daher professionell und kompetent zu arbeiten.

4.4.6.2 Zielemanagement-Tool
Im Zuge des Projekts wurde von e-HR für den Bereich der Mitarbeitenden ohne Verkaufs-
funktion, die mittels der neuen Zielkaskade verzielt werden, ein elektronisches Zielemanage-
ment-Tool eingeführt, das für einbezogene Führungskräfte und Mitarbeitende ebenfalls im
Mitarbeiterportal zugänglich ist.

Das Zielemanagement-Tool erfüllt die wichtige Aufgabe, die neue Kaskadierung erstens ad-
ministrierbar und zweitens sichtbar zu machen, wodurch die geforderte Transparenz erfüllt
wird. Die funktionalen Ziele des jeweiligen Vorgesetzten können in einem Arbeitsschritt an
die Mitarbeitenden weitergegeben werden, die vereinbarten Ziele werden von beiden bestä-
tigt.

In dem Tool ist die Möglichkeit gegeben, eine Zielebibliothek anzulegen, die im ersten Jahr
begonnen wurde und in den folgenden weiterverwendet und ergänzt werden kann. Unterjäh-
rige Reviews sowie die Endbewertung können durchgeführt werden. Am Ende des Leistungs-
zeitraums erfolgt eine automatische Auswertung der Zielerreichungen, die die Grundlage für
die Auszahlung des variablen Gehaltsbestandteils bildet.

4.4.7 Lösungen für die identifizierten Problemfelder


Durch die Einschränkung auf wenige KPI, einfache Verständlichkeit der Zielgrößen und de-
ren Messung, Nachvollziehbarkeit der Berechnung und hohen Transparenz sowie der zeitna-
hen Auswertung der KPI für die einzelnen Funktionen ist es gelungen, ein für die Mitarbei-
tenden faires, verständliches und lebbares, für die Organisation adäquat steuerndes und für
die Verwaltung leichter administrierbares Performance Management zu gestalten.
336 ZIGIC/KRÄMER

In Bezug auf die Zielsetzung wird auch im laufenden Betrieb ein spezieller Fokus darauf
gelegt, dass die Ziele ambitioniert gesetzt werden, aber erreichbar sind und – was auch in der
Mitarbeiterkommunikation immer betont worden ist – eine Normalisierung der Zielerrei-
chung durch eine realistische Bewertung dieser Zielerreichung erreicht werden soll. Eine
100%ige Zielerreichung bedeutet daher die vollständige Erreichung von ambitionierten Zie-
len in der Beurteilungsperiode.

Die folgende Abbildung zeigt, wie die Problemfelder, die in Abbildung 4 identifiziert worden
sind, gelöst wurden:

Identifiziertes Problem Einflussbereich Lösung

Zielemanagement in Verbindung Geschichte der T-Mobile Vereinheitlichung variable


mit variablen Vergütungen Austria: Gehaltsbestandteile für Mitarbeitende
werden von den Mitarbeitenden Merger/Vergütungsmanagement bzw. Führungskräfte
als unfair wahrgenommen

Zielemanagement wird von den Zielemanagement Zielekaskadierung bzw. Festsetzung


Mitarbeitenden als intransparent von klaren KPI-Sets, klare „Line of
wahrgenommen Sight“

Individuelle Zielerreichungen Zielemanagement und variable Präzise, einfache


werden als zu gering empfunden, Vergütungssysteme Berechnungsformeln,
obwohl allgemeine Unternehmenszielerreichung als
Unternehmenszielerreichung das Berechnungsfaktor, Einzelauswertung
nicht widerspiegelt im Verkaufsbereich
Hohe Emotionalität, wenn über Mitarbeitermarkt/variable Im Nicht-Verkaufsbereich: variable
variable Gehaltsbestandteile Vergütungssysteme Anteile werden gesenkt, dafür die
diskutiert wird Grundgehälter angehoben,
Vereinheitlichung der variablen
Bestandteile je Bereich
Messung von Zielen, die zu Zielemanagement/Reporting Zieleset mit relevanten KPIserarbeitet,
wenig Relevanz hatten Systems definiert und gemessen

Abbildung 6: Lösungen

4.4.8 Kommunikation
„Communication is Key“: wenn Performance Management erfolgreich sein soll, muss ein
umfassendes Verständnis aller Mitarbeitenden die neuen Ziel- und variablen Vergütungssys-
teme betreffend gewährleistet werden, was während der gesamten Projektlaufzeit ein Leitsatz
war.

Folgende Informationsschritte und Veranstaltungen wurden durchgeführt:

¾ Information und Schulungen innerhalb der Human-Resources-Abteilung, um die Rolle


als primäre Auskunftsgeber ausfüllen zu können, laufende Besprechungen, um die Vor-
gangsweise bei neu aufgetretenen Fragestellungen abzustimmen.
Variable Vergütung und Performance Management im Vertrieb 337

¾ Information und Schulung der Führungskräfte, einerseits in ihrer Rolle als jene, die selbst
in ein neues Zielesystem wechselten und ein Übertrittsangebot in das neue variable Ver-
gütungssystem erhielten, andererseits in ihrer Rolle als Ansprechpersonen für die Mitar-
beitenden. Der Besuch von zwei Schulungsveranstaltungen pro Führungskraft war ver-
pflichtend – bei dieser Gruppe wurde bewusst auf Redundanz geachtet, da Führungskräf-
te die Multiplikatoren im Unternehmen sind. Sie sind die ersten Ansprechpartner für die
Mitarbeitenden und deren Commitment ein wichtiger Faktor in diesem Change-Projekt.
¾ Informationsveranstaltungen für die Mitarbeitenden, die je nach neuem Zielesystem und
Ressort eingeteilt wurden, und in welchen der Director des jeweiligen Ressorts, der Hu-
man Resources Director, der Projektleiter sowie der Betriebsrat die Systeme vorstellten.
Diese Informationsveranstaltung wurde auch auf dem dezentralen Customer-Care-
Standort gemacht.
¾ Für die Mitarbeitenden in den Shops und im Customer Care wurde je ein Informationsvi-
deo produziert und im Intranet verfügbar gemacht.
¾ Es wurden Informationsbroschüren gedruckt und aufgelegt bzw. ausgeteilt und ver-
schickt.
¾ Der Betriebsrat stand für Beratungen zur Verfügung.
¾ Im Mitarbeiterportal wurde ein Informations-Tool zur Verfügung gestellt.
¾ Für Zielvereinbarungen in Bereichen ohne Verkaufstätigkeit wurde ein Zielemanage-
ment-Tool online gestellt.
¾ Im Falle von Anfragen, die nicht vom HR Service Delivery Center/Payroll, den Vorge-
setzten oder Führungskräften beantwortet werden konnte, stand ein 2nd Level Support
zur Verfügung.

4.4.9 Betriebsvereinbarungen und Gesamtpaket


Wie bereits oben beschrieben, ist ohne die Zustimmung der Arbeitnehmervertretung, also des
Betriebsrats, keine Änderung der variablen Gehaltssysteme unbedingt notwendig. Um ein
offenes und konstruktives Verhandlungsklima zu schaffen und auch die ambitionierten Zeit-
pläne einhalten zu können, fanden die ersten Gespräche mit dem Betriebsrat bereits frühzeitig
zu Beginn des Projekts statt. Während der Detailausarbeitunsphase erfolgten bereits Verhand-
lungen, deren Ergebnisse in die Konzeption einflossen. Als Resultat ausgedehnter Verhand-
lungsrunden konnte schlussendlich über die Forderungen des Betriebsrats und die Vorstellun-
gen des Unternehmens mittels eines Pakets an Maßnahmen bzw. Änderungen Einigung er-
zielt werden:

Vorteilhaft für den Verhandlungslauf war, dass ein Modell für die Transferberechnungen für
jede/jeden individuellen Mitarbeitende/Mitarbeitenden zur Verfügung stand, die eine Projek-
tion mit unterschiedlich einzustellenden Parametern ermöglichte, um die Auswirkungen für
die Einzelnen und das Unternehmen unter verschiedenen Modellannahmen zu zeigen.

Die gesamten Systemänderungen wurden als Gesamtpaket gesehen: Es wurden vier Betriebs-
vereinbarungen zu den fünf verschiedenen variablen Ziel- und Gehaltssystemen vereinbart,
von denen eine als Richtlinie auch für die Bereichsleiter gilt. Zusätzlich wurden noch zwei
andere Betriebsvereinbarungen adaptiert.
338 ZIGIC/KRÄMER

Im Gegenzug akzeptierte der Betriebsrat die vorgeschlagene neue Berechnungsweise und


Zielesystematik, die – da die vorangegangenen Betriebsvereinbarungen keine weitere Gültig-
keit mehr haben – auch für jene gelten, die sich nicht zu einer Änderung des variablen Ge-
haltsbestandteils entschließen. Daher wurde – unabhängig von der Transferquote – eine ein-
heitliche Steuerung des Unternehmens durch die generelle Anwendung der Zielesysteme
ermöglicht. Die Berechnungsbasis für den variablen Gehaltsbestandteil bleibt für jene, die im
alten System bleiben, laut Dienstvertrag unverändert.

Weiters können nun Einzelauswertungen in den Verkaufsorganisationen vorgenommen wer-


den, die vom Unternehmen als wichtiger Schritt zur Steuerung angesehen werden.

Betriebsrat und Unternehmen haben faire, transparente und planungssichere neue Ziel- und
variable Vergütungssysteme vereinbart. Diese Überzeugung von den Vorteilen der neuen
Systeme, nicht zuletzt da für die Mitarbeitenden auch steuerliche Verbesserungen greifen und
daher höhere Nettoauszahlungen zu erwarten sind, resultierte in einer eindeutige Empfehlung
zum Übertritt von Seiten des Betriebsrates an die Mitarbeitenden.

Der Betriebsrat wirkte bei alle Informationsveranstaltungen sehr konstruktiv mit und bot auch
Beratungen an. Mit Sicherheit war die positive Haltung und Kommunikation des Betriebsra-
tes eine sehr starke Motivation für die Mitarbeitenden, das Transferangebot anzunehmen.

4.5 Implementierung und Auswirkungen


Die Mitarbeitenden hatten die Möglichkeit, vom 1. Dezember 2008 bis 31. März 2009 einen
Sideletter zu unterzeichnen, der den Dienstvertrag im Hinblick auf den entsprechenden vari-
ablen Gehaltsbestandteil per 1.1.2009 abänderte.

Als großer Erfolg des Change-Projekts, das mit der Änderung aller Ziel- und variabler Vergü-
tungsverträge und daher auch aller Dienstverträge beauftragt war, kann gewertet werden, dass
über 96% der Mitarbeitenden das Transferangebot angenommen und in das neue Vergütungs-
system gewechselt sind.

Die Zielsetzung 2009 erfolgte nach den neuen Systematiken und bis dato sind bereits die
ersten Auswirkungen bekannt:
¾ In den Verkaufsbereichen konnte ein seit einiger Zeit versuchtes, aber bislang nicht er-
reichtes strategisches Fokusziel erreicht werden.
¾ Die Steuerung in Shops und in den verkaufenden Bereichen des Customer Care kann als
gelungen bezeichnet werden.
¾ Die bei den Informationsveranstaltungen, den Beratungsgesprächen und schließlich na-
türlich der Übertrittsquote merkbare positive Stimmung hat sich auch in Mitarbeiterzu-
friedenheitsumfragen gezeigt: Bei den regelmäßig durchgeführten internen Umfragen
stieg die Mitarbeiterzufriedenheit zwischen Oktober 2008 und April 2009 um 16 Pro-
zentpunkte an, für das das Performance-Management-Projekt sicherlich als mitentschei-
dend angesehen werden kann.17

17
Vgl. SPIRIT@TELEKOM (2009).
Variable Vergütung und Performance Management im Vertrieb 339

Die Neukonzeptionierung und Implementierung war mit Ende März 2009 abgeschlossen und
wurde vom Projektmanagement an die zuständigen Funktionen, die für den laufenden Betrieb
verantwortlich sind, übergeben.

4.6 Key Learnings


Bei einem massiven Change-Projekt können aus diesem Projektablauf folgende Key Lear-
nings mitgenommen werden:

¾ Sobald ein Problem sichtbar wird, sollte eine umfassende Lösung in Angriff genommen
werden – kleine „Reparaturarbeiten“ helfen wenig.
¾ Wichtig ist, vor der Konzeption die Gründe für das bestehende Problem genau zu analy-
sieren und die Lösung dieser Probleme zu bieten.
¾ Kein Zurückschrecken vor anfänglich scheinbar unmöglichen Lösungen – wenn diese der
richtige Weg für das Unternehmen sind, wird sich Unterstützung für die Vorschläge fin-
den.
¾ Kritisches Hinterfragen von Abläufen oder Systemen auch außerhalb der HR-Systeme.
¾ Laufende Abstimmung während der Feinkonzeption mit den relevanten Entscheidungs-
gremien, damit etwaige Kurskorrekturen sofort vorgenommen werden können (siehe Ab-
bildung 7).
¾ Frühzeitige Einbindung des Betriebsrats. (siehe Abbildung 7).
¾ Umfassende Kommunikation ist der Schlüssel für eine erfolgreiche Einführung und den
langfristigen Erfolg des Performance Management.
¾ Einsatz von den aktuellsten elektronischen Tools bei der Mitarbeiterberatung.
340 ZIGIC/KRÄMER

Standard-Projektzyklus vs. Best-Practice-Projektzyklus

Regelbetrieb Regelbetrieb

Problem- Problem-
erkenntnis erkenntnis

Analyse
Analyse
Machbarkeit
Machbarkeit
Grobkonzept

Geschäftsführung
Konzept Grobkonzept

Betriebsrat
Geschäftsleitung
Geschäftsführung Konzept

Betriebsrat Implementierung
Implementierung
Kommunikation
Kommunikation
Go Live
Go Live

Regelbetrieb Regelbetrieb

Abbildung 7: Vergleich Standard-Projektzyklus mit jenem des beschriebenen Projekts

5 Schlussbetrachtung

Das Fallbeispiel aus Österreich verdeutlicht die hohe Komplexität des Zusammenwirkens
zwischen der Personalfunktion und dem Umsatz generierenden Business mit dem Ergebnis,
dass eindeutig der in der Erstauflage dieses Sammelbands prognostizierte Trend von kompli-
zierten hin zu simplen, verständlichen Vergütungssystemen vollzogen ist.18 Die Verknüpfung
individueller und unternehmensrelevanter Ziele führt zu einer stärkeren Bindung der Mitar-
beiter an das Unternehmen und fördert die Wirtschaftlichkeit der Vertriebserfolge, d. h. auch,
dass „Verkauf um jeden Preis“ endthematisiert ist und Vergütungssysteme ihren variablen
Anteil aus den wirtschaftlichen Erfolgen speisen, wobei Unternehmen mit Langzeitorientie-
rung diese Systeme gewissermaßen „vorfinanzieren“. Dennoch gilt: Wo kein Vertriebserfolg,
da auch keine variable Zahlung. Vergütungssysteme, die Leistung und Qualität von Arbeit in
den Mittelpunkt stellen, sind heute allgemeiner Bestandteil der Personalstrategien von Unter-
nehmen und fast 80% von in einer Gallup-Studie befragten Personal-Entscheider sind davon
überzeugt, dass die neben der Grundbarvergütung möglichen Zahlungen dazu beitragen, Mit-
arbeiter zu mehr Leitung und zu besserer Arbeit zu motivieren. Die Verschiedenartigkeit der

18
Vgl. KRÄMER (2008), S. 287 ff.
Variable Vergütung und Performance Management im Vertrieb 341

Gestaltungsformen von Vertriebsvergütung macht es schwierig, die Vertriebsvergütung eines


Unternehmens mit dem Markt (also dem Wettbewerb) zu vergleichen. Solche Marktverglei-
che, auch Benchmark-Studien genannt, finden in der Vertriebsbranche meist als geschlossene
Studien statt, zu deren Ergebnissen Unternehmen nur Zugang erhalten, wenn sie selbst Daten
einspielen, also teilnehmen.

Ein wichtiger Aspekt sei abschließend erwähnt: Bei aller Variabilität der Vergütung ist es
wichtig, ein gesundes Maß zwischen der, die soziale Sicherung schaffenden, Grundbarvergü-
tung und den, den Erfolg und die Leistungen vergütenden, variablen Verdienstmöglichkeiten
zu finden. Es hat sich in der Praxis gezeigt, dass Unternehmen, die ohne Fixgehalt, also 100%
variabel vergütet haben, ein „Schattenfesteinkommen“ definiert haben. Dies erfolgte durch
Umsatz-Umschreibungen von erfolgreichen auf weniger erfolgreiche Mitarbeiter oder durch
unternehmensinterne Verrechnung von Leistungen. Solch eine Konterkarierung von Leis-
tungsmotivation führt in der Regel zu sehr hohem Vertriebsdruck, der nur die Stärksten über-
leben lässt und Kollateralschäden, wie Abwanderung hoch qualifizierter aber demotivierter
Mitarbeiter verursacht. Dass hinter jeder Personalnummer auch ein Mensch steht, darf man
also bei aller vergütungstheoretischer Diskussion nicht vergessen. Gerade dies wurde im hier
beschriebenen Fallbeispiel vorbildlich berücksichtigt. Das Management der Erwartungshal-
tungen (managing expectations) und die Steuerung der Widerspiegelung von Vertriebserfolg
in der Vergütung der Mitarbeiter ist eine der Hauptaufgaben von Compensation-&-Benefit-
Experten in (Vertriebs-)Unternehmen. Vertriebsvergütung ist als variables Modell zu einem
strategischen Steuerungsinstrument, das Unternehmensstrategien unterstützt, geworden und
kann die Personalarbeit und insbesondere die Personalkosten signifikant beeinflussen.

Daher gilt an dieser Stelle ein Plädoyer der Erweiterung der Ausbildungsangebote zu qualifi-
zierten Compensation-&-Benefits-Managern in Deutschland. Diese Ausbildung wird zur Zeit
nur punktuell als Zusatz-Qualifizierung angeboten, so dass der „klassische“ Weg zum Com-
pensation-&-Benefits-Manager meist noch über die auf Human Resources spezialisierten Un-
ternehmensberatungen wie zum Beispiel Watson Wyatt, Towers Perrin, Hewitt Associates,
MercerHR, Hay Group und Kienbaum oder über „Learning by Doing“ führt. Diese Situation
macht es Unternehmen schwer, geeignete und erfahrene Kandidaten für die wichtige Rolle
der Vergütungsexperten zu finden. Hier sollten Unternehmen jedoch keine Kompromisse
eingehen und ein professionelles Vergütungsmanagement sicherstellen. Ein erster Schritt in
Richtung Verbesserung dieser Situation ist die in 2008 erfolgte Gründung der beratungsunab-
hängigen Rewards-Academy (www.rewards-academy.de), die sich sehr intensiv für die Aus-
und Weiterbildung von Compensation-&-Benefits Managern und die Einführung von Quali-
tätsstandards bei Vergütungssystemen, -strukturen und -prozessen engagiert.

Quellenverzeichnis

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Value-based Selling als kundenwertorientierter
Verkaufsansatz

BERND EGGERS und SEBASTIAN HOLLMANN

EGGERS & PARTNER Management Consultants

1 Nutzen eines wertorientierten Verkaufsansatzes auf Kunden- und Anbieterseite ......... 345
2 Von STEEP zu SWOT: Gewinnung relevanter Kundeninformationen mit Hilfe der
Outside-In-Analyse........................................................................................................ 346
2.1 Instrumente der Umwelt- und Unternehmensanalyse .......................................... 346
2.1.1 STEEP-Analyse zur Betrachtung der globalen Unternehmensumwelt.... 346
2.1.2 Analyse der Branchenstruktur und -dynamik mittels PORTERs
„Five Forces“-Modell .............................................................................. 347
2.1.3 Spezifische Marktpositionierung des Unternehmens
im Wettbewerbsportfolio ......................................................................... 348
2.1.4 Wertschöpfungskette eines Unternehmens als wertorientierte
Betrachtungsweise des Geschäftssystems ............................................... 350
2.2 Identifikation von Chancen und Risiken durch Zusammenführen von
Unternehmens- und Marktbetrachtung in der SWOT-Analyse............................ 351
3 Von der Outside-In-Analyse zur kundenspezifischen Value Message im Angebot ...... 352
3.1 Angebotsvorbereitung: Der „Issue Tree“ als Methode zur Ableitung von
Verkaufsstory und weitergehendem Analysebedarf............................................. 352
3.2 Nutzenfokussierte Angebotsformulierung unter Berücksichtigung des Buying
Center................................................................................................................... 354
3.3 Angebotsnachverfolgung und wertorientierte Verhandlungsführung .................. 355
4 Verdeutlichung der Value-based-Selling-Methodik anhand eines konkreten
Fallbeispiels ................................................................................................................... 356
5 Fazit und Ausblick ......................................................................................................... 360
Quellenverzeichnis................................................................................................................ 361
Value-based Selling als kundenwertorientierter Verkaufsansatz 345

1 Nutzen eines wertorientierten Verkaufsansatzes


auf Kunden- und Anbieterseite

Bedingt durch die fortschreitende Angleichung einzelner Produkte oder Dienstleistungen fällt
es Unternehmen und Endkunden zunehmend schwerer, eine in ihrer spezifischen Situation
optimale Kaufentscheidung zu treffen. Daran ändert auch die durch das Internet verstärkte
Transparenz auf den Absatz- und Beschaffungsmärkten nichts – das Gegenteil ist der Fall:
Die zum Teil unüberschaubare Fülle möglicher Anbieter und die auf Grund erhöhter Transpa-
renz zunehmende Angleichung der Preise forcieren diese Entwicklung zusehends.

Die Entscheidung zum Kauf beruht demnach immer seltener auf spezifischen Eigenschaften
des Produktes bzw. der Dienstleistung oder seinem/ihrem Preis – vielmehr wird von Kunden-
seite danach gefragt, welche individuellen Vorteile sich aus dem Kauf ergeben.1 Neben dem
„Value from the Customer“, der dem Anbieter unter anderem in Form des gezahlten Preises
zufließt, geht es daher beim „Value-based-Selling“-Ansatz darum, den konkreten Mehrwert
für den Kunden, den „Value to the Customer“ herauszuarbeiten.2 Dieser beruht zum einen auf
dem unmittelbar gebotenen Nutzen (z. B. Optimierung von Geschäftsprozessen) sowie dem
langfristigen Wertsteigerungspotenzial (z. B. Generierung nachhaltiger Wettbewerbsvortei-
le).3 Gelingt es dem Anbieter, diesen Kundennutzen hinreichend transparent darzustellen,
profitiert jedoch auch er selbst, denn durch einen hohen Nutzen gelingt es ihm viel eher, den
geforderten Preis im Verhandlungsprozess aufrechtzuerhalten, da der Kunde auf Grund seines
eigenen Vorteils merkt, dass das Produkt diesen „wert ist“.

Bevor es jedoch möglich ist, diese Kundenvorteile zu kommunizieren, müssen sie erst einmal
durch zielführende Analysen herausgearbeitet werden. Diese Analysen sind für jeden poten-
ziellen Kunden individuell durchzuführen – ein Prozess, der viel Arbeit mit sich bringt, aber
mindestens einen ebensogroßen Nutzen verspricht. Als zentrale Analysetools sollen dabei die
Instrumente der Outside-In-Analyse vorgestellt werden, die zu einem Großteil auf den Über-
legungen von MICHAEL E. PORTER beruhen. Diese Tools sollen in Abschnitt 2 dargestellt
werden, bevor sich Abschnitt 3 mit der wertbezogenen Angebotserstellung befasst. Hier wer-
den die durchgeführten Analysen in ein konkretes Angebot überführt und der Interaktionspro-
zess zwischen Anbieter und Kunde bzw. Buying Center einer genauen Betrachtung unterzo-
gen.

1
Vgl. SCHMÄH (2008), S. 38.
2
Der Ansatz des Value Based Selling oder auch des Value Based Management als grundlegende Ausrichtung der
Unternehmensführung geht somit über den weit verbreiteten Shareholder-Value-Ansatz hinaus, der den Ansprü-
chen der Anteilseigner eine alleinige Dominanz zuspricht; vgl. EGGERS (2006), S. 114 f.
3
Vgl. SCHMÄH (2006), S. 38 ff., und SCHMÄH (2008), S. 38 f.

F. Keuper, B. Hogenschurz (Hrsg.), Professionelles Sales & Service Management,


DOI 10.1007/978-3-8349-8799-0_14,
© Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
346 EGGERS /HOLLMANN

2 Von STEEP zu SWOT: Gewinnung relevanter


Kundeninformationen mit Hilfe der Outside-In-Analyse

Das Ziel der „Value-based-Selling“-Methodik ist es, den Nutzen der angebotenen Produkte
bzw. Dienstleistungen gegenüber dem Angebotsempfänger noch stärker als bisher zu verdeut-
lichen. Grundlage hierfür ist eine konsequente Ausrichtung auf ein Denken von der Seite des
jeweiligen Kunden her. Für einen wertorientierten Verkaufsansatz ist es daher unerlässlich,
die spezifische Situation des Kunden genau zu analysieren, um dessen individuellen Bedarf
bestimmen zu können. Hierfür gibt es zwei Möglichkeiten: Zum einen können die benötigten
Informationen im direkten Gespräch mit dem Kunden gewonnen werden, was in Abschnitt 3
näher behandelt wird. Zum anderen stellt die so genannte Outside-In-Analyse, die im Folgen-
den dargestellt wird, eine geeignete Methodik zur zielgerichteten Informationsgewinnung dar
und dient darüber hinaus auch der Vorbereitung auf das Kundengespräch.

Die so gewonnenen Informationen münden in eine ganzheitliche Gegenüberstellung von ent-


sprechenden Stärken und Schwächen des Unternehmens mit den sich im Markt bietenden
Gelegenheiten und Gefahren. Auf diese Weise werden Chancen und Risiken identifiziert, die
die wesentliche Grundlage einer kundenwertorientierten Angebotserstellung bilden.

2.1 Instrumente der Umwelt- und Unternehmensanalyse


Um die wertschöpfenden Aktivitäten des Unternehmens einordnen und bewerten zu können,
findet im Rahmen der „Outside-In-Analyse“ neben einer Untersuchung des Unternehmens
selbst zusätzlich eine Betrachtung des relevanten Umfeldes statt. Neben einer Analyse der
volkswirtschaftlichen Einflussfaktoren ökonomischer, ökologischer, sozialer, politischer und
technologischer Art, stehen insbesondere die Betrachtung der jeweiligen Branche und die
spezifische Wettbewerbspositionierung des Unternehmens im Fokus.4 Auf der Grundlage
dieser Informationen erfolgt eine Analyse der unternehmerischen Wertschöpfungskette, die
eine Betrachtung der Effektivität und Effizienz der Geschäftsprozesse ermöglicht.

2.1.1 STEEP-Analyse zur Betrachtung der globalen Unternehmensumwelt


Die Aufspaltung der globalen Unternehmensumwelt in soziale, technologische, ökonomische,
ökologische und politisch-rechtliche Faktoren (STEEP) kann als eine Weiterentwicklung
früherer Ansätze wie PEST oder auch SEPT angesehen werden.5 Bedingt durch die zuneh-
mende Sensibilisierung der Bevölkerung für ökologische Themen wird eine Betrachtung
dieses Einflussfaktors bei der Entscheidungsfindung auch für Unternehmen immer wichtiger.

Alle diese Frameworks basieren auf der Überlegung, dass die Aktivitäten eines Unterneh-
mens immer in Abhängigkeit von den makroökonomischen Rahmenbedingungen betrachtet
und bewertet werden müssen und zugleich maßgeblich durch diese beeinflusst werden. In der
Tat gab es in der Vergangenheit zahlreiche Beispiele für politisch-rechtliche Regulierungen,
die immense Auswirkungen auf unterschiedliche Branchen hatten wie z. B. die Deregulierung

4
Vgl. JUNG/BRUCK/QUARG (2008), S. 294.
5
Zur STEEP-Analyse vgl. VOROS (2001).
Value-based Selling als kundenwertorientierter Verkaufsansatz 347

des Marktes für Sportwetten, die Preisfestsetzungen für Mobilfunkanbieter durch die Europä-
ische Kommission oder auch die Regulierungen für Strom- und Gasanbieter. Dabei kommt
ihnen sowohl eine deskriptive als auch eine normative Funktion zu: Neben der Verortung
einer Branche oder eines Unternehmens in seiner Umwelt dienen sie ebenso einer Bewertung
der Realisierbarkeit unternehmerischer Pläne.

Die STEEP-Analyse ist daher sehr gut geeignet, wenn es darum geht, allgemeine Trends oder
Entwicklungen auf Märkten zu beobachten und einzuordnen. Mit ihrer Hilfe lassen sich gut
verwertbare Aussagen über mögliche Gelegenheiten oder Gefahren für die spätere SWOT-
Analyse generieren. Aufgrund dessen, dass sich mittels der STEEP-Analyse jedoch nur sehr
globale Einordnungen oder Bewertungen vornehmen lassen, gilt es, Branche, Markt und
Unternehmen vor der Angebotserstellung einer weitergehenden Betrachtung zu unterziehen.

2.1.2 Analyse der Branchenstruktur und -dynamik mittels PORTERs


„Five Forces“-Modell
Die Profitabilität und damit die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens kann immer nur in
Abhängigkeit anderer situativer Faktoren beurteilt werden, denn nur vor dem Hintergrund
anderer Branchenaktivitäten kann eine sinnvolle Einordnung und Bewertung der unternehme-
rischen Aktivitäten erfolgen. Ein mögliches Framework für eine solche Analyse stellt das in
der nachfolgenden Abbildung 1 dargestellte „Five-Forces“-Modell von PORTER dar.

Das Modell identifiziert neben dem brancheninternen Wettbewerb vor allem die Bedrohung
durch neue Wettbewerber oder Ersatzprodukte sowie die Verhandlungsmacht von Lieferanten
und Abnehmern als wesentliche Einflussgrößen auf die Profitabilität des Unternehmens.6

Für eine kundenindividuelle Angebotserstellung ist es wichtig, die richtigen „Stellhebel“ zur
Maximierung des Kundenwertes zu identifizieren. Der brancheninterne Wettbewerb kann
beispielweise durch die Zahl der konkurrierenden Unternehmen, deren Produktportfolio und
Produkt- bzw. Marketingstrategien oder auch ihren Kostenstrukturen abhängen. Ansatzpunkte
für eine Steigerung des Kundenwertes reichen von einem Target-Costing-Programm bis hin
zu einer Änderung der Produktstrategie und sind daher ohne eine Einbeziehung der übrigen
Einflussfaktoren nicht eindeutig identifizierbar.

6
Vgl. hierzu und zum Folgenden PORTER (1991), S. 100 ff., und PORTER (1999), S. 33 ff.
348 EGGERS /HOLLMANN

Bedrohung durch potenzielle neue Wettbewerber

Verhandlungsmacht Brancheninterner Verhandlungsmacht


der Lieferanten Wettbewerb der Abnehmer

Bedrohung durch Ersatzprodukte

Abbildung 1: PORTERs Modell der fünf Triebkräfte des Branchenwettbewerbs7

Die Verhandlungsmacht der Lieferanten und Abnehmer hängt wiederum von deren Konzen-
tration, Umstellungskosten für den jeweiligen Abnehmer, vertikalen Konzentrationsbestre-
bungen oder auch möglichen Substitutionsprodukten ab. Diese wiederum werden, ein gutes
Preis-/Leistungsverhältnis vorausgesetzt, wiederum nur für Kunden mit einer bestimmten
Substitutionsneigung interessant sein, die auch durch den potenziellen Eintritt neuer Mitbe-
werber und das damit verbundene Produktangebot beeinflusst wird. Diese stellen, je nach
Produktportfolio oder Kostenstruktur ein nicht unerhebliches Risiko dar. Eine günstige Kos-
tenstruktur ermöglicht eine Penetrationsstrategie, während hochwertige Produkte mit einem
guten Preis-/Leistungsverhältnis zu einer Abschöpfung möglicher Gewinne führen können.
Ob potenzielle Wettbewerber in die Branche können, hängt jedoch nicht zuletzt von den
Markteintrittsbarrieren wie z. B. erforderlichen Investitionen oder den Möglichkeiten zum
Aufbau eines eigenen Vertriebsnetzes ab.

Es wird deutlich, dass eine zielführende Ableitung von Einzelanalysen eine genaue Untersu-
chung der Positionierung des jeweiligen Unternehmens innerhalb der Branche sowie seiner
spezifischen Strukturen voraussetzt, worauf im Folgenden näher eingegangen wird.

2.1.3 Spezifische Marktpositionierung des Unternehmens


im Wettbewerbsportfolio
Um in der Auseinandersetzung mit den zuvor beschriebenen fünf Wettbewerbskräften nach-
haltige Wettbewerbsvorteile generieren zu können, können sich Unternehmen in verschiede-
ner Hinsicht strategisch positionieren. Vor der Betrachtung des konkreten Unternehmens ist
es daher sinnvoll, auf einer mittleren Untersuchungsebene die Einordnung des Unternehmens
in die zuvor betrachtete Branche vorzunehmen. Die jeweilige Marktpositionierung kann dabei
über die Art des Wettbewerbsvorteils (Kostenführerschaft vs. Differenzierungsstrategie) und
die Breite der Wettbewerbsposition (Teilmarkt/Nische vs. Gesamtmarkt) vorgenommen wer-
den, wie Abbildung 2 verdeutlicht. Diese Strategiealternativen zielen darauf ab, durch Kon-
zentration der Aktivitäten auf einen Schwerpunkt, Wettbewerber zu übertreffen und den
Markteintritt weiterer Unternehmen zu erschweren.8

7
Eigene Darstellung in Anlehnung an PORTER (1991), S. 101.
8
Vgl. zum Folgenden PORTER (1999), S. 70 ff., und EGGERS (2006), S. 92 f.
Value-based Selling als kundenwertorientierter Verkaufsansatz 349

¾ Kostenführerschaftsstrategie: Die Voraussetzung dafür, durchgängig niedrigere Preise


als die Wettbewerber anbieten zu können, beruht beispielsweise auf einem ausreichend
hohen Marktanteil oder guten Einkaufskonditionen sowie effizienten Produktionsprozes-
sen, die auf Lernkurveneffekten basieren. Unternehmen, die diese Strategie verfolgen,
zeichnen sich durch ein günstiges und effizientes Vertriebssystem sowie eine strenge
Kostenkontrolle, ggf. sogar durch die konsequente Anwendung des Target-Costing-
Prinzips aus. Auf diese Weise können sie einerseits überdurchschnittliche Erträge erzie-
len und sich zum anderen gegen potenzielle Wettbewerber schützen. Allerdings ist darauf
zu achten, dass Produktqualität und Service nicht unter den niedrigen Kosten leiden.
¾ Differenzierungsstrategie: Die Fähigkeit von Unternehmen, sich durch die Herausstel-
lung eines besonderen Merkmals (z. B. Qualität oder Service) am Markt durchzusetzen,
beruht auf der Kompensation beispielsweise der Preissensitivität der Kunden durch eben
diese einmaligen Attribute. Häufig zeichnen sich solche Unternehmen durch eine beson-
ders exklusive Qualität der angebotenen Produkte aus, im Bekleidungssegment z. B.
HUGO BOSS oder Polo Ralph Lauren. Durch eine Unique Selling Proposition wird eine
hohe Kundenbindung und -loyalität erreicht, die das Unternehmen gegen die anderen
Wettbewerbskräfte abschirmt. Hierfür sind ein gutes Marketing und qualifiziertes Perso-
nal unabdingbar. Entscheidend für die Nachhaltigkeit des Wettbewerbsvorteils ist es je-
doch, auch die Kostenseite langfristig nicht aus den Augen zu verlieren.

Art des Wettbewerbsvorteils

Abhebung durch niedrige Preise Profilierung durch qualitative


aufgrund reduzierter Kosten Alleinstellungsmerkmale

Kostenführerschafts- Differenzierungs-
Wettbewerbsposition

Gesamt-
markt strategie strategie
Breite der

Fokus- bzw. Nischenstrategie


Spezieller
Teilmarkt Nischenorientierte Nischenorientierte
Preisstrategie Differenzierungsstrategie

Abbildung 2: Portfolio möglicher Wettbewerbsstrategien9

¾ Fokus-/Nischenstrategie: Diese Strategiealternative beruht auf der Annahme, dass sich


eines der beiden oben genannten Ziele bei der Konzentration auf ein spezielles Markt-
segment insb. für Unternehmen, die nicht über einen hinreichenden Größenvorteil verfü-
gen, noch einfacher und schneller erreichen lässt.

9
Eigene Darstellung in Anlehnung an PORTER (1999), S. 75.
350 EGGERS /HOLLMANN

2.1.4 Wertschöpfungskette eines Unternehmens als wertorientierte


Betrachtungsweise des Geschäftssystems
Die spezifische Wettbewerbsstrategie ist die Ausgangsposition für die Definition und Abstim-
mung der individuellen Geschäftsprozesse eines Unternehmens. Je höher die Produktivität
dieser Aktivitäten ist (Kostenführerschaft), bzw. je (kunden-)individueller diese ausgerichtet
sind (Differenzierung), desto höher ist die Wahrscheinlichkeit für die Erreichung eines Wett-
bewerbsvorteils gegenüber der Konkurrenz.10 Das von Porter konzipierte Modell der Wert-
schöpfungskette, das in Abbildung 3 dargestellt wird, stellt die primären und unterstützenden
Aktivitäten des unternehmerischen Geschäftssystems dar.11

Die klassischen Unternehmensaktivitäten Einkauf, Produktion und Absatz werden durch


sekundäre Prozesse wie z. B. Personalwirtschaft oder Technologieentwicklung unterstützt
und leisten so einen Beitrag zur Profitabilität des Unternehmens. Es existieren somit vielfache
Verflechtungen innerhalb der Wertschöpfungskette: Beispielsweise führen eine gute Perso-
nalentwicklung sowie der effiziente Einsatz von Technologien zu einer gesteigerten Qualität
des Kundendienstes.

Unternehmensinfrastruktur

Personalwirtschaft

Technologieentwicklung

Beschaffung

Eingangs- Operationen Marketing Ausgangs- Kunden-


logistik & Vertrieb logistik dienst

Abbildung 3: Wertschöpfungskette nach PORTER12

Je besser diese Prozesse definiert und aufeinander abgestimmt sind, desto höher fällt nicht nur
die Gewinnspanne des Unternehmens aus. Auf diese Weise wird auch der Wert für den Kun-
den unmittelbar gesteigert, da das Unternehmen in der Lage ist, das Produkt zu günstigeren
Preisen und/oder mit einer besseren Qualität anzubieten. Mit Hilfe branchenspezifischer
Benchmarkings lassen sich bezüglich der Prozessabstimmung oftmals Best Practices iden-
tifizieren und ggf. sogar Einsparpotenziale konkret beziffern: „Beispiele von Wettbewerbern
zeigen, dass Sie durch die Umstellung Ihrer Lagerverwaltungssoftware eine zusätzliche

10
PORTER nimmt hiermit implizit eine Verknüpfung von markt- und ressourcenorientiertem Ansatz vor; vgl.
EGGERS (2009), S. 93. Durch die Abstimmung von Ressourcen und Prozessen gelingt es Unternehmen zum ei-
nen, Barrieren gegenüber Wettbewerbern zu errichten und so Wettbewerbsvorteile zu erlangen. Zum anderen
verschafft ihm diese Abstimmung eine Wahlmöglichkeit der optimalen Wettbewerbsstrategie.
11
Vgl. hierzu und zum Folgenden PORTER (1991), S. 102 f., und JUNG/BRUCK/QUARG (2008), S. 312 ff.
12
Vgl. PORTER (1991), S. 103.
Value-based Selling als kundenwertorientierter Verkaufsansatz 351

Kostenersparnis von 5% realisieren können.“ Die Analyse der Wertkettenschöpfungskette


liefert insofern konkrete Ansatzpunkte für eine nähere Betrachtung der Stärken und Schwä-
chen des Unternehmens:13 „The systematic examination of individual value activities can lead
to a better understanding of a corporation’s strengths and weakness.“14

2.2 Identifikation von Chancen und Risiken durch Zusammenführen


von Unternehmens- und Marktbetrachtung in der SWOT-Analyse
Nach der Betrachtung des Unternehmens und seiner Positionierung innerhalb der spezifischen
Wettbewerbssituation gilt es, die gewonnenden Informationen sinnvoll zusammenzuführen,
um mögliche Chancen und Risiken abzuleiten. Diese bilden die Grundlage für die Formu-
lierung kundenwertbezogener Value Messages, in dem dem potenziellen Kunden der Nutzen
des angebotenen Produktes bzw. der Dienstleistung transparent gemacht wird.

Hierzu werden, wie in Abbildung 4 dargestellt, die in der Betrachtung des Unternehmens
identifizierten Stärken (z. B. hohe Qualität der angebotenen Produkte) und Schwächen (z. B.
hohe Kosten durch ineffiziente Abstimmung der primären und unterstützenden Aktivitäten)
den sich aus der Marktanalyse ergebenen Gelegenheiten (z. B. niedrige Preissensitivität der
Abnehmer bei qualitativ hochwertigen High-Interest-Produkten) und Gefahren (z. B. erhöhter
Preisdruck durch Kooperation von Wettbewerbern) gegenübergestellt. Aus der Kombination
von Stärken und Gelegenheiten auf der einen, respektive Schwächen und Gefahren auf der
anderen Seite lassen sich potenzielle Chancen bzw. Risiken ableiten.

Phänomene aus der aufgabenbezogenen und globalen Umwelt


Unternehmungsinterne
Phänomene

Gelegenheiten (opportunities) Gefahren (threats)

Stärken
(strengths)
CHANCEN

Schwächen
RISIKEN
(weaknesses)

Abbildung 4: SWOT-Analyse zur Identifikation von Chancen und Risiken15

¾ Chance, z. B.: Durch hohe Produktqualität Verbesserung der Wettbewerbssituation auf-


grund von niedriger Preissensitivität der Kunden.
¾ Risiko, z. B.: Der hohe Preisdruck der Wettbewerber führt aufgrund schlechter eigener
Kostenstrukturen zu einer Verschlechterung der Wettbewerbssituation.

13
Vgl. EGGERS (2009), S. 93 f.
14
HUNGER/WHEELEN (2000), S. 86.
15
Vgl. EGGERS (1994), S. 50.
352 EGGERS /HOLLMANN

Ein Produkt bzw. eine Dienstleistung weist dann einen hohen Wert für den Kunden auf, wenn
sein/ihr Kundennutzen genau an diesen Stellen ansetzt, d. h. wenn der Kunde hierdurch in die
Lage versetzt wird, Chancen zu ergreifen oder Risiken rechtzeitig entgegenzuwirken.

Die identifizierten Chancen und Risiken stellen somit die Anknüpfungspunkte für konkrete
Maßnahmen (z. B. Umsatzsteigerungs- oder Kostensenkungsprogramm) dar. Dabei ist auch
zu beachten, dass durch sorgfältiges Abwägen von Chancen und Risiken stets auch die
„Chancen infolge von Risiken“ und die „Risiken infolge von Chancen“ zu bedenken sind.
Denn Chancen und Risiken sind oft als bipolares Begriffspaar nicht eindeutig zu identifizie-
ren. Das folgende Kapitel dient daher der Identifikation von Anknüpfungspunkten für konkre-
te Maßnahmen und deren Überführung in das Angebot bis hin zum Interaktionsprozess im
Kundengespräch.

3 Von der Outside-In-Analyse zur kundenspezifischen


Value Message im Angebot

Grundsätzlich lassen sich – je nachdem, ob im Vorfeld eine gezielte Angebotsplanung erfolgt


und ob der Kunde in die Erstellung des Angebotes einbezogen wird – unterschiedliche Ange-
botsformen unterscheiden. Wird im Vorfeld keine genaue Analyse des Kunden vorgenom-
men, spricht man von einem Massenangebot (ohne Kontakt zum Kunden) bzw. Ad-hoc-
Angebot. Nach durchgeführtem „Account Planning“ lassen sich Outside-In-Angebote und
kooperative Angebote differenzieren.

Zur Erstellung eines Outside-In-Angebotes können die im vorherigen Abschnitt vorgestellten


Analysetools verwendet werden. Bei der Abgabe eines kooperativen Angebotes hingegen ist
aufgrund des individuellen Einbezugs des Kunden die Wahrscheinlichkeit eines Abschlusses
höher. Wann immer möglich, sollte man sich daher die Mühe machen, den Kunden in die
Erstellung des Angebotes einzubeziehen, beispielweise in Form eines Kurzworkshops.

3.1 Angebotsvorbereitung: Der „Issue Tree“ als Methode zur Ableitung


von Verkaufsstory und weitergehendem Analysebedarf
Im Rahmen der Angebotsvorbereitung werden die Ergebnisse der SWOT-Analyse ausgewer-
tet. Vor der konkreten Gestaltung des Angebotes sind dabei folgende Fragen zu beantworten:

¾ Welche Ansatzpunkte für Verbesserungen ergeben sich aus den im Rahmen der SWOT-
Analyse identifizierten Chancen und Risiken?
¾ Durch welche unserer Produkte können wir dem Kunden hier einen konkreten Mehrwert
bieten?
¾ Lässt sich dieser Mehrwert ggf. sogar quantifizieren, beispielsweise: „Durch die Opti-
mierung Ihrer Prozesse A, B und C können Sie Ihren Gewinn um 8 bis 10% steigern“?
Value-based Selling als kundenwertorientierter Verkaufsansatz 353

¾ Welche Informationsdefizite bestehen ggf. noch? Welche weitergehenden Analysen (z. B.


Betrachtung relevanter Finanzkennzahlen wie EBIT, ROI, etc.) sind notwendig, um diese
Informationslücken zu schließen?

Als Tool zur Beantwortung dieser Fragen dient der so genannte „Issue Tree“, in dem die
wesentlichen Herausforderungen des Kunden aufgespalten und analysiert werden. Das Er-
gebnis einer SWOT-Analyse könnte, wie in Abbildung 5 dargestellt, beispielsweise lauten:
„Durch die zunehmende Liberalisierung des Marktes für Sportwetten sieht sich der staatliche
Wettanbieter XY einem zunehmenden Druck durch private Anbieter aus dem Ausland ausge-
setzt“. Bedingt wird dies durch die Schwäche, dass staatliche Wettanbieter sehr viel geringere
Quoten anbieten können als private und marktseitig durch die Gefahr, dass die Zielgruppe nur
eine äußerst geringe Loyalität aufweist. Es stellt sich die Frage, wie diese Herausforderung
weiter herunter gebrochen werden kann, um konkrete Ansatzpunkte zu identifizieren. Als
Kriterium hierfür können in der Regel alle „W-Fragen“ dienen, in diesem Fall die Frage nach
dem „Warum?“. Im Beispiel zeigt sich, dass sich der Markt durch den Eintritt neuer Wettbe-
werber, die zum Teil zu erheblich geringeren Kosten anbieten können, tiefgreifend verändert.
Bisherige Produkte und Vertriebskanäle sind nicht länger ausreichend, um den veränderten
Bedürfnissen der Zielgruppe gerecht zu werden.

Durch die zunehmende Liberalisierung des Marktes für Sportwetten sieht sich der staatliche
Wettanbieter XY einem zunehmenden Druck durch private Anbieter aus dem Ausland ausgesetzt.

Das Verbraucherverhalten Die angebotenen Produkte Die bisherigen Vertriebs-


Der Kostendruck steigt.
verändert sich zusehends. sind nicht wettbewerbsfähig. kanäle reichen nicht aus.

Geringe Quoten sind Produkte sind Konkurrenz Umsätze


Loyalität der … nur sehr zu wenig durch Online- … sind …
Kunden gering dynamisch Angebote rückläufig

Abbildung 5: Issue Tree zur argumentativen Aufspaltung des Kundenproblems

Aus der Struktur des Issue Trees lassen sich anschließend erste Ansatzpunkte für die Formu-
lierung einer konsistenten Verkaufsstory identifizieren. Die Verkaufsstory ist die Argumenta-
tionsstruktur mit Hilfe derer der Nutzen des Angebotes für den Kunden transparent gemacht
werden soll. Je besser dies gelingt, d. h. je größer der wahrgenommene Nutzen aus Sicht des
Kunden ist, desto höher ist auch die Wahrscheinlichkeit, den ursprünglich geforderten Preis
tatsächlich erzielen zu können. Eine gute Verkaufsstory beginnt mit der kundenspezifischen
Value Message und ist daher die essentielle Grundlage eines erfolgreichen Angebots. Wie sie
in den Angebotstext überführt wird, wird im folgenden Abschnitt näher erläutert.

Sollten sich, wie in der Abbildung angedeutet, auf der untersten Argumentationsebene des
Issue Trees mögliche Informationslücken ergeben, so sind weitergehende Analysen zur
Schließung dieser notwendig. Um ein zielführendes Kostensenkungsprogramm durchführen
zu können, müssen beispielsweise weitergehende Analysen der Kostensituation durchgeführt
werden, die Situation der Verbraucher ließe sich anhand von Marktstudien genauer betrach-
ten. Während sich einige dieser Informationen durch Desk Research generieren lassen,
354 EGGERS /HOLLMANN

kommt man bei anderen Informationsdefiziten nicht ohne die Einbindung des betreffenden
Kunden („kooperatives Angebot“) aus. Für den Einbezug des Kunden in die Angebotserstel-
lung bieten sich dabei grundsätzlich zwei alternative Vorgehensweisen an:

¾ die Durchführung von Interviews mit den betroffenen Verwendern und Fachkräften auf
der einen sowie den finalen Entscheidern und ihren Beratern auf der anderen Seite sowie
¾ die Durchführung eines Vertriebsworkshops mit den relevanten Beteiligten.

3.2 Nutzenfokussierte Angebotsformulierung unter Berücksichtigung


des Buying Center
Bevor die Verkaufsstory in den eigentlichen Angebotstext überführt wird, empfiehlt sich eine
genauere Betrachtung der am Entscheidungsprozess beteiligten Personen. Durch eine indivi-
duelle Ansprache und Einbindung dieser kann die Wahrscheinlichkeit der Kaufentscheidung
gesteigert werden. Im so genannten Buying Center lassen sich dabei idealtypisch folgende
Rollen unterscheiden:16

¾ Verwender (User): Benutzer der zu beschaffenden Leistung,


¾ Einkäufer (Buyer): holen Angebote ein und tätigen Kaufabschlüsse,
¾ Beeinflusser (Influencer): geben Ratschläge und Empfehlungen, sind jedoch nicht am
Kaufprozess beteiligt,
¾ Entscheider (Decider): bestimmen über die Auftragsvergabe,
¾ Informationsselektierer (Gatekeeper): steuern den Informationsfluss.

Für die zielgerichtete Angebotserstellung, ebenso wie für die nachfolgenden Verhandlungs-
gespräche, sind in einem ersten Schritt die Struktur des jeweiligen Buying Centers sowie die
an der Kaufentscheidung beteiligten Personen zu bestimmen. Jede dieser Personen sollte
gemäß ihres Informationsbeschaffungsverhaltens angesprochen werden. Während sich bei-
spielsweise die Anwender in der Regel sehr stark für die Details eines Produktes interessie-
ren, ist der Einkäufer eher am Preis und der Entscheider an der Amortisationsdauer des In-
vestments interessiert. Dabei ist zu beachten, dass die Beschaffung in Großunternehmen häu-
fig durch technologische Anforderungen bedingt ist, weshalb die entscheidungsrelevanten
Rollen in der Regel durch Fachkräfte bekleidet werden, die sich stärker für technische Belan-
ge interessieren. Für die Auswahl der individuellen Ansprachestrategie ist zudem wichtig,
dass sich informations- und beratungsintensive Kaufentscheidungen meist über einen länge-
ren Zeitraum erstrecken, was dazu führt, dass die Beteiligten ggf. zu sehr unterschiedlichen
Zeitpunkten in den Prozess eingebunden sind.17

16
Vgl. hierzu und zum Folgenden VOETH/BRINKMANN (2006), S. 288 ff. Die Anzahl der beteiligten Personen und
die Zusammensetzung des Buying Centers kann dabei je nach Art und Umfang der Entscheidung variieren.
17
Vgl. LANGNER (2004), S. 329 f.
Value-based Selling als kundenwertorientierter Verkaufsansatz 355

Da die Verkaufsstory die Einleitung und das Gerüst des späteren Angebotes bildet, sollte sie
stets in einer empfängerorientierten Sprache formuliert werden. Je nachdem, wer auf Kunden-
seite in die Kaufentscheidung einbezogen ist, bietet es sich daher an, bezüglich der Kommu-
nikation auf dessen individuelle Bedürfnisse einzugehen. Möchte beispielsweise ein Ent-
scheider schon zu Beginn des Angebotes zügig über die relevanten Vorteile informiert wer-
den, ist ein anderer ggf. dankbar dafür, durch eine ausführliche Einleitung noch einmal auf
die bestehenden Herausforderungen hingewiesen zu werden. Dabei ist jedoch immer darauf
zu achten, den potenziellen Kunden nicht schon zu Beginn des Angebotes mit Details zu
überfordern. Selbstverständlich ist es unmöglich, es allen Beteiligten recht zu machen. Durch
eine gute Verkaufsstory und eine konsistente Strukturierung des Angebotes ist es jedoch
möglich, eine weitestgehende Befriedigung der unterschiedlichen Informationsbedürfnisse zu
erreichen. Dabei nimmt die Value Message, die den Nutzen für den Kunden in einem präzise
formulierten Satz auf den Punkt bringt, eine zentrale Rolle ein: Durch sie gelingt es, aus der
„Helikopterperspektive“ einen Überblick über die angebotene Leistung und ihren Mehrwert
zu erzeugen und dem Kunden so einen Anreiz zum Weiterlesen zu geben. Um den Kunden in
seiner individuellen Situation „abzuholen“ ist es jedoch empfehlenswert, das jeweilige Pro-
dukt bzw. die Dienstleistung nicht zu schnell als Lösung des Problems zu präsentieren. Viel-
mehr gilt es, nicht das angebotene Produkt, sondern seinen Nutzen in den Vordergrund der
Argumentation zu rücken. Als zielführend hat sich bei der Nutzenargumentation innerhalb
des Angebotes folgender Dreischritt erwiesen:

1. Um den Kunden „dort abzuholen, wo er steht“, ist es ratsam, nach der Value Message in
der gebotenen Kürze und Prägnanz die (im Vorfeld analysierte) gegenwärtige Situation
darzustellen (ohne dem Kunden dabei sein eigenes Geschäft zu erklären).
2. Wie gut man seine „Hausaufgaben“ im Account Planning gemacht hat, zeigt sich, wenn
es darum geht, die Herausforderungen darzulegen, die sich für den Kunden zukünftig er-
geben können. Durch diesen Zwischenschritt, der die Ergebnisse der SWOT-Analyse
aufgreift, werden dem Kunden mögliche Chancen und Risiken vor Augen geführt. Zum
einen zeugt dies von der Bereitschaft, sich intensiv mit der Situation und den Bedürfnis-
sen des Kunden auseinanderzusetzen. Zum anderen erleichtert es ihm das Verständnis,
warum gerade in seiner Situation die angebotene Lösung die richtige ist.
3. Als letzten Schritt gilt es, die zu Beginn des Angebots präsentierte Value Message noch
einmal aufzugreifen und argumentativ zu untermauern. Im Idealfall zeigt man daher ge-
nau auf, wie sich die herausgearbeiteten Chancen und Risiken durch das angebotene Pro-
dukt ergreifen oder abwehren lassen.18

3.3 Angebotsnachverfolgung und wertorientierte Verhandlungsführung


Wie bereits erwähnt, ist es auch für die Nachverfolgung und Verhandlung des Angebotes
unerlässlich, die Strukturen und Beteiligten des jeweiligen Buying Center genau zu betrach-
ten. Ein Angebot mag noch so stringent vorbereitet, durchdacht und präsentiert worden sein –
ob es jedoch angenommen wird, hängt an Ende nicht immer nur von der Wahrnehmung des
Nutzens ab. Oftmals spielen auch andere Faktoren eine Rolle, wie beispielsweise politische
Interessen oder Budgetrestriktionen. Eine gründliche Buying-Center-Analyse kann in diesem
Fall helfen, die Motive der beteiligten Personen, wie beispielsweise die Demonstration der

18
Vgl. Abschnitt 2.2.
356 EGGERS /HOLLMANN

eigenen Macht oder auch Bereichsegoismen, besser einzuschätzen und eventuelle „hidden
agendas“ zu erahnen. Im Fall einer Budgetrestriktion stellt sich – getreu dem Leitsatz „Ist der
Preis zu schwer, muss mehr Nutzen her“ die Frage, ob sich ggf. der nächsthöhere Entscheider
vom Nutzen des Produktes bzw. der Dienstleistung überzeugen lässt.

Generell gilt es, mit sachlicher Kritik am eigenen Angebot wertschätzend und chancenorien-
tiert umzugehen. Eine treffende Analyse in der Account-Planning-Phase vorausgesetzt, spie-
gelt die Kritik des Kunden in aller Regel nicht seine generelle Unzufriedenheit mit dem je-
weiligen Produkt wider, sondern ist vielmehr Ausdruck eines partiellen Optimierungsbedarfs.
Insofern ist die vorgebrachte Kritik an dieser Stelle als „kostenfreie Beratung“ für die Ver-
triebsorganisation zu sehen, die diese als Ausgangspunkt verstehen sollte, um ihre Leistungen
zu optimieren und die zugehörige Nutzenargumentation gezielt weiter zu schärfen.

4 Verdeutlichung der Value-based-Selling-Methodik


anhand eines konkreten Fallbeispiels

Als Fallbeispiel für die Darstellung des Vorgehens mit Hilfe der Value-Based-Selling-
Methode wurde ein fiktives Unternehmen im Bereich IT-Consulting gewählt. Zielkunde ist
ein Hersteller von mobilen Navigationsgeräten, die mobNAV AG. Dieser Markt scheint be-
sonders gut geeignet, da die beteiligten Unternehmen durch die zunehmende Macht der Kon-
sumenten in den letzten Jahren stark auf die kundenindividuelle Anpassung ihrer Endgeräte
gesetzt haben. Die mobNAV AG verkauft ihre Endgeräte, die hauptsächlich für den Betrieb in
Pkw konzipiert sind, europaweit über Vertriebsgesellschaften in den einzelnen Ländern. Im
Folgenden soll mittels eines zielführenden Account Planning festgestellt werden, welchen IT-
Bedarf die mobNAV AG zur Optimierung ihrer Prozesse aufweist. Dieser soll anschließende
in eine Verkaufsstory überführt werden.

STEEP-Faktoren: Neben den gegenwärtigen Entwicklungen auf den globalen Finanzmärkten,


die sich auch auf die Zahlungsbereitschaft der Verbraucher auswirken, sind wesentliche Ein-
flüsse insbesondere von technischer Seite zu erwarten. Der Markt für mobile Navigationsge-
räte ist vor allem durch schnellen technologischen Wandel gekennzeichnet, der die Unter-
nehmen vor die Herausforderung stellt, Trends frühzeitig zu erkennen und voranzutreiben.
Das Verpassen von Innovationen könnte zu einem Wettbewerbsnachteil führen, der nur unter
erheblichen finanziellen Anstrengungen aufzuholen ist.

Branchenstruktur: Es handelt sich um einen sehr dynamischen Markt mit einer hohen Wett-
bewerbsintensität, der gegenwärtig unter mehreren Anbietern aufgeteilt ist. Dies hat zur Fol-
ge, dass die Verhandlungsmacht möglicher Lieferanten (wie beispielsweise Zulieferern von
Kartenmaterial oder Speicherkarten) stark ausgeprägt ist. Die wichtigsten Konkurrenten sind
Garmin, TomTom, Nokia und Magellan Navigation. Neue Wettbewerber könnten insbesonde-
re dann eine Gefahr darstellen, wenn es ihnen gelingt, technische Innovationen schnell und
gezielt voranzutreiben und so aktuelle Produkte aus dem Markt zu drängen. Allerdings stellen
die hohen Fixkosten vor allem für Start-ups eine hohe Markteintrittsbarriere dar, sodass die
Wahrscheinlichkeit für den Eintritt neuer Wettbewerber eher als gering einzustufen ist. Be-
dingt durch die geringe Bedeutung des Markenimages weisen die Endverbraucher eine eher
geringe Loyalität auf. Durch die Informationsdichte des Internets können sie einzelne Geräte
Value-based Selling als kundenwertorientierter Verkaufsansatz 357

der unterschiedlichen Hersteller mit geringem Aufwand vergleichen und schnell die jeweils
günstigsten Preise, die zum Teil unter der Preisempfehlung der Hersteller liegen, finden.
Nachdem der Trend bei Pkw-Navigationssystemen aufgrund des immer noch hohen Preises
stationärer Systeme in den letzten Jahren stark zugunsten mobiler Endgeräte ging, gehören
aufgrund des technischen Fortschritts Navigationssysteme zunehmend zur Basisausstattung
vieler Neuwagen im Mittelklassesegment, sodass die Nachfrage nach mobilen Geräten star-
ken Schwankungen ausgesetzt ist. Darüber hinaus kann auch die neueste Generation von
Mobiltelefonen bereits als mobiles Navigationsgerät genutzt werden. Wie in allen technolo-
gisch geprägten Märkten ist über die nächsten Jahre ein konstanter Preisverfall zu erwarten.
Zudem tragen kurze Produktlebenszyklen dazu bei, dass Unternehmen ohne die notwendige
Flexibilität und Innovationsfähigkeit einmal erworbene Wettbewerbsvorteile sehr schnell
wieder verlieren können. Viele Unternehmen konzentrieren sich daher auf ihre Kernkompe-
tenzen und bemühen sich, die übrigen Prozesse outzusourcen. Es finden zahlreiche M&A-
Aktivitäten in Bezug auf Zulieferer oder kleinere Mitbewerber statt, wie beispielsweise die in
2007 anvisierte Übernahme des Kartenherstellers Tele Atlas zeigt. Dabei richten einige Zulie-
ferer ihre Aktivitäten vermehrt auch auf andere mobile Endgeräte wie beispielsweise PDA
oder Smartphones aus.

Wettbewerbsstrategie: Nach einem steilen Anstieg der Umsätze in den Jahren 2002 bis 2006
findet gegenwärtig ein Konsolidierungsprozess statt, der sich – bedingt durch die Krise der
globalen Finanzmärkte – in den nächsten Jahren fortsetzen wird. Erwartet wird ein moderates
Wachstum des Marktes von jährlich etwa 2,5%. Aufgrund der engen Schnittstellen von Hard-,
Software und Services verlangt der Wettbewerb zunehmend nach neuen Geschäftsmodellen,
die sich noch stärker als bisher an den Bedürfnissen der Verbraucher orientieren. Wie bereits
erwähnt, stellt eine Positionierung über den Endgerätepreis aufgrund des starken Preisverfalls
und der schwankenden Nachfrage eine immense Herausforderung dar. Die mobNAV AG
strebt daher, wie jedoch auch die Mehrzahl der übrigen Anbieter, eine herausragende Pro-
duktqualität als Alleinstellungsmerkmal an. Die Verbraucher sollen über ein einfaches Hand-
ling der Geräte und die Qualität des Kartenmaterials von den Produkten überzeugt werden.
Daher strebt die mobNAV AG strategische Kooperationen mit unterschiedlichen Zulieferern
an.

Wertschöpfungskette. Aufgrund der hohen Dynamik und der damit einhergehenden Flexibili-
tät innerhalb des Marktes sind konventionelle Wertschöpfungsketten eher die Ausnahme.
Durch die starke Konzentration auf Kernkompetenzen existieren vielmehr zahlreiche Netz-
werke von strategisch miteinander verbundenen Partnerunternehmen, die vor- und nachgela-
gerte horizontale Aktivitäten outsourcen. Für den zukünftigen Erfolg der mobNAV AG, die
sich in ihrer Wertschöpfung seit kurzem auf die Prozesse F&E, Vertrieb und Marketing kon-
zentriert und alle weiteren Aktivitäten ausgelagert hat, ist daher insbesondere das effektive
und effiziente Management ihres Zulieferer-Netzwerkes entscheidend.

SWOT-Analyse: Nachfolgend sollen exemplarisch die wichtigsten Aspekte, die sich aus der
Betrachtung des Unternehmens (Stärken und Schwächen) sowie des Marktes (Gelegenheiten
und Gefahren) ergeben, dargestellt werden.

¾ Stärken: qualifizierte und motivierte Mitarbeiter im Bereich der Kernaktivitäten; hohes


Investitionsvolumen im Bereich F&E sowie Innovationsmanagement; geringe Fixkosten
durch Auslagerung der Produktionsaktivitäten; effektives Vertriebsnetz
358 EGGERS /HOLLMANN

¾ Schwächen: bisher noch geringer Marktanteil und Bekanntheitsgrad (fehlende Unique


Selling Proposition); fehlende Erfahrung im Bereich strategischer Kooperationen; Pro-
zesse mit den Zulieferern sind noch nicht optimal definiert und abgestimmt
¾ Gelegenheiten: Expansion auf weitere Märkte mit Hilfe strategischer Partner; Akquisiti-
on zusätzlicher Kooperationspartner; Nutzung der eigenen F&E-Kenntnisse für Produkt-
innovationen
¾ Gefahren: veränderte Bedürfnisse der Verbraucher; Verpassen technologischer Innovati-
onen; Substitution durch „stationäre“ Navigationsgeräte im Pkw-Segment; Eintritt neuer
Wettbewerber über strategische Kooperationen; zunehmende Verhandlungsmacht von
Zulieferern durch Eintritt neuer Wettbewerber; Anhalten der globalen Finanzkrise

Aus der Kombination von Stärken und Gelegenheiten auf der einen sowie Schwächen und
Gefahren auf der anderen Seite ergeben sich für die mobNAV AG mögliche Chancen und
Risiken, von denen die zentralen hier exemplarisch angeführt werden:

¾ Chancen: Erarbeiten von Wettbewerbsvorteilen durch Vorantreiben von innovativen


Produktideen; Ausdehnung des Vertriebes auf weitere Märkte unter Nutzung bestehender
und potenzieller strategischer Partner
¾ Risiken: Abspringen von Kooperationspartnern aufgrund ineffizienter Netzwerkstruktu-
ren; Umsatzeinbrüche aufgrund fehlender Unique Selling Proposition bei verändertem
Verbraucherverhalten

Zur Identifikation des IT-Bedarfes der mobNAV AG sollen neben den identifizierten Chancen
ebenso die aufgeführten Risiken dienen, die dafür positiv umformuliert als Chance begriffen
werden können: 1) Bindung und Akquisition von Kooperationspartnern durch effektive und
effizient abgestimmte Netzwerkstrukturen und -prozesse; 2) Herausarbeitung einer konsisten-
ten Unique Selling Proposition auf Basis des geänderten Konsumentenverhaltens zur Siche-
rung und Steigerung des Umsatzes.

Issue Tree: Im nächsten Schritt sind aus den Ergebnissen der SWOT-Analyse Ansatzpunkte
für mögliche IT-Optimierungen, die die mobNAV AG bei der Umsetzung der identifizierten
Chancen unterstützen können, zu extrahieren. SWOT-Issues mit IT-Bezug sind vor allem:

¾ Effektive und effiziente Abstimmung des Netzwerkmanagements zur konsequenten Aus-


schöpfung von Synergien und ggf. deren Transfer in neue Märkte
¾ Stärkere Kundenorientierung zur Erhöhung des Bekanntheitsgrades und zum Aufbau von
langfristiger Kundenbindung durch hohe Produkt- und Servicequalität

Anschließend werden diese Aspekte im Issue Tree in eine konsistente Struktur überführt, aus
der sich anschließend die kundenindividuelle Verkaufsstory ableiten lässt.
Value-based Selling als kundenwertorientierter Verkaufsansatz 359

Im hoch komplexen und dynamischen Markt für mobile Navigationsgeräte ist es der
mobNAV AG bisher nicht gelungen, nachhaltige Wettbewerbsvorteile zu generieren.

Fehlende Alleinstellungsmerkmale bei Fehlende Prozesseffizienz im


Keine langfristigen Kundenbeziehungen
Produkten strategischen Netzwerk

Starke Nach- Keine


Wenig Innovative Geringer Bekannt- Geringe Kunden- Synergien werden
frageschwan- abgestimmten
Produkte heitsgrad loyalität nicht gehoben
kungen Systeme

Ansatzpunkte für CRM-Software Ansatzpunkte für ERP-Software

Abbildung 6: Issue Tree zur Darstellung der Situation der mobNAV AG

Aus der untersten Ebene des Issue Trees ergibt sich ein weitergehender Analysebedarf bezüg-
lich der Expansionsmöglichkeiten auf neuen Märkten. Ebenso ist das Konsumentenverhalten
anhand einer Marktstudie einer weitergehenden Betrachtung zu unterziehen. Aus den relevan-
ten SWOT-Issues lassen sich jedoch zwei konkrete Ansatzpunkte mit IT-Bezug identifizie-
ren: Die effektive und effizientere Abstimmung des Zulieferer-Netzwerkes ließe sich durch
die Implementierung eines einheitlichen Enterprise-Resource-Planning-Systems (ERP) bzw.
durch die bessere Verzahnung der einzelnen Systeme erreichen. Mit Hilfe einer optimierten
Customer-Relationship-Management-Software (CRM) könnten die Kundenbeziehungspro-
zesse systematischer und verbrauchernäher gestaltet werden. Mit Hilfe entsprechender Kun-
dendatenbanken lassen sich auch Akquisitionsvorhaben gezielter steuern und der Bekannt-
heitsgrad der Marke mobNAV AG sukzessive steigern.

Verkaufsstory: Für beide Maßnahmen ist abschließend eine kundenwertorientierte Verkaufs-


story zu entwickeln. Dieses Vorgehen soll am Beispiel der optimierten Prozesse innerhalb des
Lieferanten-Netzwerkes dargestellt werden. Als Value Message ließe sich demnach formulie-
ren: „Durch die gezieltere Abstimmung der ERP-Systeme oder die Einführung eines einheit-
lichen Systems ließen sich die Prozesse innerhalb des Netzwerkes effektiver und effizienter
gestalten und so zusätzliche Synergien realisieren.“ Wie in Abschnitt 3.2 dargestellt, sollte
zuerst einmal die gegenwärtige Situation in der gebotenen Kürze und Prägnanz skizziert wer-
den: „Bislang verwenden alle Partner innerhalb des strategischen Netzwerkes unterschiedli-
che Systeme zur Ressourcenplanung.“ In einem zweiten Schritt wird – auf Basis der SWOT-
Ergebnisse – gefolgert, welche Auswirkungen dies zukünftig haben könnte: „Auf einem
hochkomplexen und dynamischen Markt ist es ohne effektive und effizient gestalteten Pro-
zesse innerhalb des strategischen Netzwerks nicht möglich, Wettbewerbsvorteile zu generie-
ren oder bestehende langfristig zu erhalten. Dies kann dazu führen, dass Kooperationspartner
abwandern und macht eine Expansion auf lukrative Märkte unmöglich.“ Auf diese Weise
wird den Entscheidern der mobNAV AG plakativ der Nutzen eines einheitlichen ERP-Systems
verdeutlicht. Im letzten Schritt gilt es daher, dieses noch einmal hervorzuheben: „Als langjäh-
riger Anbieter von IT-Systemen können wir die mobNAV AG beim weiteren Ausbau eines
optimal konfigurierten strategischen Netzwerkes unterstützen. Durch klar definierte und
effizient abgestimmte Prozesse wird die mobNAV AG in die Lage versetzt, gemeinsam mit
ihren Kooperationspartnern langfristige Wettbewerbsvorteile zu sichern und gemeinsam erar-
beitetes Know-how in weitere lukrative Märkte zu transferieren. um nachhaltig zu wachsen.“
360 EGGERS /HOLLMANN

Diese Art der Ansprache ist – wie bereits erwähnt – trotz ihres allgemeinen Charakters sehr
gut geeignet, auch unterschiedliche Informationsbedürfnisse zu bedienen. Im Verlauf des
Angebotes sind diese Aussagen durch weitergehende Informationen zu belegen und zu kon-
kretisieren. Wann immer jedoch genauere Informationen bezüglich der Buying-Center-
Mitglieder verfügbar sind, lohnt es sich, die Verkaufsstory – insbesondere im persönlichen
Verkaufsgespräch – noch stärker auf die Präferenzen der jeweiligen Person abzustimmen. Als
hilfreich hat sich hierbei unter anderem die Nutzung unterschiedlicher Persönlichkeitstypolo-
gien zur Einordnung des Gesprächspartners erwiesen.

5 Fazit und Ausblick

Der vorliegende Beitrag befasst sich mit den bislang häufig ungenutzten Potenzialen eines
kundenwertorientierten Verkaufsansatzes. Ausgehend von einer globalen Betrachtung makro-
ökonomischer Variablen fokussiert die Value-based-Selling-Methodik im Account Planning
Branche und Markt des Zielkunden, bevor schließlich das spezifische Geschäftssystem als
Abbildung der individuellen Wertschöpfungssystematik analysiert wird. Beide Betrach-
tungsweisen werden in der SWOT-Analyse zusammengefasst und durch den Issue Tree in
eine überzeugende Verkaufsstory überführt. Auf diese Weise lassen sich sowohl für den An-
bieter als auch für den Kunden langfristige Vorteile generieren. Um langfristig am Markt
bestehen zu können, wird daher zukünftig eine noch stärkere Orientierung an den individuel-
len Bedürfnissen der Kunden erforderlich sein.

Trotzdem gelingt es gegenwärtig nur sehr wenigen Anbietern, den Nutzen ihres Produktes
oder ihrer Dienstleistung konsistent und überzeugend herauszustellen. Dies liegt zum einen
darin begründet, dass hierfür oftmals zusätzlicher Aufwand erforderlich ist, den viele Anbie-
ter oder am Ende auch der einzelne Vertriebsmitarbeiter scheuen. Sie konzentrieren sich da-
her zumeist auf unfokussierte Ad-hoc-Angebote anstatt sich mit der spezifischen Situation
möglicher Zielkunden auseinanderzusetzen und so ihre Verkaufschancen um ein Vielfaches
zu steigern. Dabei verkennen sie, dass der Value-Based-Selling-Ansatz nicht nur Value to the
Customer liefert, sondern auch einen erhöhten Value from the Customer generiert. Langfristi-
ge Kundenbindung und ein erhöhtes Vertrauen ermöglichen ein effektives und vor allem
effizientes Nachkaufmarketing, da die Kosten für eine erneute Kaufanbahnung reduziert wer-
den.
Value-based Selling als kundenwertorientierter Verkaufsansatz 361

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Kooperationen zwischen Markenartikelindustrie
und Lebensmitteleinzelhandel zur Optimierung
der Wertschöpfungskette –
Konzepte, Status-quo und Perspektiven

MARTIN GRÜNBLATT

Electronic Arts

1 Ausgangssituation in der Lebensmitteldistribution........................................................ 365


2 Voraussetzungen für Kooperationen zwischen Industrie und Handel ........................... 368
3 Ausprägungen vertikaler Kooperationen in der Lebensmitteldistribution ..................... 369
3.1 Vertikale Kooperationen im Bereich der Distribution und Logistik .................... 369
3.2 Vertikale Kooperationen im Bereich Marketing und Vertrieb............................. 374
3.2.1 Category-Management-Konzept.............................................................. 374
3.2.2 Abgrenzung von Category Management (CM), Efficient Consumer
Response (ECR) und Collaborative Planning, Forecasting
and Replenishment (CPFR) ..................................................................... 378
4 Diffusionsgrad vertikaler Kooperationen in der Deutschen Konsumgüter-Wirtschaft –
Ausgewählte Ergebnisse einer empirischen Untersuchung ........................................... 384
4.1 Ziele der Befragung und Charakteristika der befragten Stichprobe ..................... 384
4.2 Einfluss von Unternehmensgröße und Infrastruktur zur Nutzung von
Abverkaufsdaten des Handels .............................................................................. 386
4.3 Ökonomische Interpretation der Ergebnisse ........................................................ 390
4.4 Divergenzen im Kooperations-Verhalten zwischen Industrie und Handel .......... 392
4.5 Technische und methodische Probleme von vertikalen Kooperationen............... 394
4.6 Ansätze zur Lösung der Probleme in Industrie und Handel................................. 397
5 Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse der Untersuchung.............................. 398
Quellenverzeichnis................................................................................................................ 399
Kooperationen zwischen Markenartikelindustrie und Lebensmitteleinzelhandel 365

1 Ausgangssituation in der Lebensmitteldistribution

Die zunehmende Internationalisierung des Lebensmittelhandels hat in den letzten Jahren dazu
geführt, dass die Unternehmenskonzentration nicht nur im deutschen Lebensmittelhandel,
sondern auch auf europäischer Ebene stattfindet.1 Innerhalb der letzten 20 Jahre verdoppelten
die „Top 5“Handelsunternehmen im deutschen und im europäischen Lebensmittelhandel
ihren Anteil am Gesamtumsatz. Bis zum Jahr 2010 wird prognostiziert, dass die „Top 5“ des
deutschen Lebensmittelhandels einen Umsatzanteil von über 80% erreichen werden.2 Auf
europäischer Ebene wird hingegen angenommen, dass bis zum Jahr 2010 die „Top 5“ des
europäischen Lebensmittelhandels einen Umsatzanteil von ca. 50% erzielen werden.

Ein wesentliches Ziel des zunehmenden internen und externen Wachstums aus Sicht des Le-
bensmittelhandels ist letztlich eine Konzentration der Bezugsmengen, um an günstigere Ein-
kaufskonditionen bei den Lieferanten zu gelangen. Diese Entwicklung wurde insbesondere
durch die gesetzliche Aufhebung der Preisbindung der so genannten „zweiten Hand“ im Jahr
1974 begünstigt, bei der die Autonomie der Festlegung der Endabnehmerpreise in die Hände
des Lebensmittelhandels überging.3 Neben dem steigenden Kostendruck bei den Lieferanten,
der durch hohe Preisnachlässe oder sonstige Zugeständnisse hervorgerufen wird, nimmt deren
Abhängigkeit vom Lebensmittelhandel durch die größer werdenden Absatz- bzw. Bezugsan-
teile einzelner Handelsunternehmen immer mehr zu. So kommt es nicht selten vor, dass die
Bezugsanteile der „Top 5“ des Lebensmitteleinzelhandels bei einzelnen Lieferanten zwischen
50% und 80% betragen.4

Die zunehmende Unternehmenskonzentration im deutschen Lebensmittelhandel hat einerseits


zu einer höheren „Marktmacht“ des Lebensmittelhandels auf dem Beschaffungsmarkt ge-
führt, andererseits wird seit geraumer Zeit beobachtet, dass der Marktanteil der Handelsmar-
ken in Deutschland kontinuierlich steigt. In den letzten 25 Jahren hat sich der Marktanteil der
Handelsmarken in der Bundesrepublik Deutschland von 11,7% auf 36,1% mehr als verdrei-
facht.5 Dies deutet darauf hin, dass der Lebensmittelhandel auf dem Absatzmarkt seine
„Marktmacht“ gegenüber der Industrie kontinuierlich ausgebaut hat. Die deutsche Industrie
räumt dem Lebensmittelhandel im europäischen Vergleich die größten Rabatte ein. Trotz
dieses Umstands erwirtschaftet der Lebensmittelhandel in der Bundesrepublik Deutschland
die niedrigsten Umsatzrenditen. Diese betragen zwischen 1% und 2%.6 Ursächlich für dieses
Dilemma ist mitunter die hohe Preissensibilität der Konsumenten. Als Ursache und Folge dieser
Haltung seitens der Konsumenten ist der Anstieg des Umsatzanteils der Discount-Unternehmen
zu Lasten des traditionellen Lebensmittelhandels zu sehen.7 Diese Tatsache führt dazu, dass aus

1
Vgl. IRI/ROLAND BERGER/GFK (2002), S. 26 f., zur Veranschaulichung der Konzentrationsprozesse im deutschen
und im europäischen Lebensmittelhandel.
2
Vgl. M+M EURODATA (2002), S. II, 5, zur Prognose des Umsatzanteils der „Top 5“ des deutschen Lebensmit-
telhandels.
3
Vgl. OLBRICH (2001), S. 33, zur tiefer gehenden Erläuterung der Konsequenzen der Aufhebung der Preisbindung
der zweiten Hand auf die Beziehung zwischen Industrie und Handel.
4
Vgl. OLBRICH (2001), S. 1.
5 Vgl. GFK (2000) und GFK (2006), S. 11, für eine Langzeitstudie über die Entwicklung der Marktanteile von
Handels- und Herstellermarken in Deutschland.
6 Vgl. FIGGEN (1999), S. 181.
7 Vgl. OLBRICH (2001), S. 12.

F. Keuper, B. Hogenschurz (Hrsg.), Professionelles Sales & Service Management,


DOI 10.1007/978-3-8349-8799-0_15,
© Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
366 GRÜNBLATT

Sicht des traditionellen Lebensmittelhandels der Preis immer mehr in den Mittelpunkt der
Marketingstrategien rückt.

Das niedrige Preisniveau im deutschen Lebensmittelhandel erhöht den Kostendruck sowohl


im Lebensmittelhandel als auch in der Industrie. Der Lebensmittelhandel versucht die Distri-
butionskosten zu Lasten der Herstellergewinne zu senken. Die Industrie hingegen versucht,
die Produktions- und Vertriebskosten zu Lasten der Gewinne der Rohstofflieferanten, der
Vorlieferanten und des Lebensmittelhandels zu verringern. Diese Vorgehensweise des Le-
bensmittelhandels und der Industrie hat gewisse Grenzen. Kostensenkungs-Potenziale durch
Effektivitäts- und Effizienz-Steigerungen können aus Sicht der Industrie und des Handels mit
den traditionellen Distributions-, Absatz- und Marketingstrategien, bei denen jedes Industrie-
und Handelsunternehmen die eigene Wertschöpfungskette allein optimiert, kaum realisiert
werden. Die eigenen Bemühungen von Industrie und Handel, die logistischen („Supply Side“)
und die vertrieblichen Prozesse („Demand Side“) entlang der Wertschöpfungskette zu opti-
mieren, führen nicht selten zu erheblichen Konflikt-Potenzialen.

Als Konflikt-Potenziale im Bereich der Logistik („Supply Side“) seien folgende genannt:

¾ Die Industrie versucht durch große Produktionsmengen Kostensenkungs-Potenziale zu


realisieren. Bei großen Produktionsmengen können die Kosteneinsparungen in der Industrie
allerdings nur dann realisiert werden, wenn Lager- und Transportkosten möglichst vermie-
den werden. Dies setzt also voraus, dass der Handel große Mengen abnimmt. Bleibt die
Nachfrage des Handels aus, entstehen aus Sicht der Industrie hohe Lager- und Kapital-
bindungskosten. Auf der anderen Seite versucht der Handel durch große Abnahmemen-
gen günstigere Konditionen zu erreichen.
¾ Der Handel ist seinerseits auch bemüht, die Lagerkosten möglichst gering zu halten. In
diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass zu viel bestellte Ware Lager- und Kapital-
bindungskosten im Handel verursacht. Zu wenig bestellte Ware führt hingegen zu „Out-
of-Stock“-Situationen und somit auch zu entgangenen Umsätzen in den Verkaufsstellen.
Dieses Problem wird z. T. auch dadurch erschwert, dass einige Waren (z. B. in der Frische)
eine begrenzte Regal-Lebensdauer besitzen. Hier können häufig „Restposten-Verluste“ auf-
treten, die auf den Verfall der Ware oder auf zu geringe Rest-Haltbarkeit zurückzuführen
sind. Beim Verfall der Ware darf (kann) diese nicht mehr verkauft werden und muss des-
halb entsorgt werden. In diesem Fall entstehen aus Sicht des Lebensmittelhandels Ent-
sorgungskosten. Bei einer zu geringen Rest-Haltbarkeit der Ware hingegen werden häu-
fig Preisnachlässe gewährt, damit wenigstens ein Teil der Wareneinstandskosten einge-
nommen und die Entsorgungskosten der betreffenden Ware vermieden werden können.

Als Konflikt-Potenziale im Bereich der Vermarktung („Demand Side“) seien folgende genannt:

¾ Durch die Zusammenstellung unterschiedlicher Warengruppen, die aus den Produkten


mehrerer Hersteller bestehen, versucht der Handel den Engpass „Regalplatz“ optimal zu
nutzen. Die Industrie hingegen ist an einer adäquaten Präsentation ihrer Produkte und
Marken oder an einer vollständigen Platzierung ihres Produktionsprogramms interes-
siert.8 Der Handel ist allerdings nicht in der Lage, alle von der Industrie angebotenen
Produkte und Varianten zu listen. Er ist aufgrund begrenzter Verkaufsflächengröße ge-
zwungen, aus den Angeboten auszuwählen. Der Handel ist bei ähnlichen Produkten und

8
Vgl. FEIGE/TOMCZAK (1995), S. 3.
Kooperationen zwischen Markenartikelindustrie und Lebensmitteleinzelhandel 367

gleichem Wareneinstandspreis indifferent, welche Produkte er listet. Wenn sich die de-
ckungsbeitragsorientierte Verkaufsflächen-Produktivität steigern lässt, ist der Handel zu-
meist bereit, Produkte unterschiedlicher Hersteller gegeneinander auszutauschen.9
¾ Der Handel ist nicht nur an einem niedrigen Wareneinstandspreis interessiert, sondern
auch an einer hohen Lagerumschlagshäufigkeit. Diese wird nicht selten zu Lasten des
Stückdeckungsbeitrags erzielt. Die Möglichkeit der Mischkalkulation im Handel ermög-
licht sogar den Verkauf von einzelnen Artikeln unter dem Wareneinstandspreis. Niedrige
Verkaufspreise im Handel erhöhen die Kundenfrequenz und somit u. U. auch den Ge-
samtumsatz. Die Industrie hingegen ist an einem hohen Stückdeckungsbeitrag und somit
auch an einem hohen Abgabepreis interessiert. Dieser kann u. U. zu einer relativ gerin-
gen Lagerumschlagshäufigkeit im Handel führen. Zudem schützen stabile Verkaufspreise
und relativ hohe „Preislagen“ u. U. das Image von Markenprodukten der Industrie.
¾ In anderen Fällen sind die Senkungen von Verkaufspreisen von der Industrie gewollt. In
diesem Zusammenhang erhält der Handel nicht selten Rabatte, Werbekosten-Zuschüsse
und sonstige Werbematerialien von der Industrie, damit der Handel eigene Verkaufsför-
derungs-Maßnahmen („Handelspromotions“) durchführen kann. Allerdings bestehen aus
Sicht der Industrie Konflikte und Enttäuschungen bei der Aushandlung, Durchsetzung und
Kontrolle von Verkaufsförderungs-Maßnahmen. Die von der Industrie eingesetzten Mittel
und Gelder werden häufig nur zu Bruchteilen für die Durchführung von Verkaufsförde-
rungs-Maßnahmen eingesetzt.10
¾ Aus Sicht der Industrie sind nicht nur niedrige Verkaufspreise problematisch, sondern
auch zu hohe Verkaufspreise. Da die endgültige Preisfestsetzung in der Hand des Handels
liegt, kann der Handel z. B. die Verkaufspreise von Herstellermarken künstlich erhöhen,
um bei den Nachfragern die Preisgünstigkeit eigener Handelsmarken deutlicher hervor-
heben zu können.11 Dieses Preissetzungs-Verhalten des Handels wird als „umbrella
pricing“ bezeichnet.

Trotz bestehender Konflikt-Potenziale zwischen Industrie und Handel lässt sich in der Unter-
nehmenspraxis eine Bedeutungszunahme von Hersteller-Handelskooperationen, so genannte
vertikale Kooperationen oder Wertschöpfungspartnerschaften, beobachten. Ursächlich für
diese Entwicklung ist häufig die Erkenntnis, dass Kostensenkungs-Potenziale in den Berei-
chen Logistik und Vertrieb innerhalb des eigenen Unternehmens nicht mehr oder kaum noch
möglich sind. Mit anderen Worten: die individuellen Bemühungen zur Optimierung der eige-
nen Wertschöpfungskette stoßen an ihre Grenzen.

9
Vgl. BATTENFELD (2001), S. 91, zur Veranschaulichung der Konfliktpotenziale zwischen Industrie und Handel
im Rahmen eines kooperativen Category Management.
10
Vgl. KAAS (1995), S. 84, zu den Konflikten zwischen Industrie und Handel bei der Durchführung von Verkaufs-
förderungsmaßnahmen.
11
Vgl. OLBRICH (2002), S. 22, zur Diskussion der Nutzung von Markenartikeln als Preisschirm.
368 GRÜNBLATT

2 Voraussetzungen für Kooperationen


zwischen Industrie und Handel

Ausgangspunkt von Kooperationen zwischen Industrie und Handel, so genannte vertikale


Kooperationen, stellen eine Restrukturierung der Wertschöpfungskette dar. Im Rahmen dieser
Restrukturierung werden die einzelnen Wertschöpfungsketten des Handels und der Industrie
in eine einzige Wertschöpfungskette oder Versorgungskette zusammengefasst. Das gemein-
same Vorgehen der Industrie und des Handels soll insbesondere dazu dienen, höhere Res-
sourcen und besseres Know-How zu erhalten, als wenn jedes Unternehmen einzeln agieren
müsste. Die Kooperationen zwischen Industrie und Handel können sich sowohl auf einzelne
Bereiche der Wertschöpfungskette (z. B. Logistik oder Vertrieb) als auch auf die gesamte
Wertschöpfungskette beziehen. Die Zusammenarbeit zwischen Industrie und Handel soll die
„Gewinnsituation“ der kooperierenden Industrie- und Handelsunternehmen verbessern („Win-
Win“-Situation) und bestehende Konflikt-Potenziale verringern. Neben der Verbesserung der
„Gewinnsituation“ und der Verringerung von Konflikt-Potenzialen zwischen den kooperie-
renden Industrie- und Handelsunternehmen soll der Konsument im Mittelpunkt der Optimie-
rungs-Maßnahmen stehen. Alle Optimierungs-Aktivitäten sollen auf die Befriedigung von
Konsumentenbedürfnissen zielen. In diesem Zusammenhang wird auch von „consumer-dri-
ven“-Aktivitäten gesprochen.

Eine weitere wesentliche Voraussetzung für die Durchführung derartiger Kooperationen stellt
die automatische Erfassung von Abverkaufsdaten des Einzelhandels sowie die Weitergabe der
im Einzelhandel erhobenen Abverkaufsdaten an kooperierende Industrieunternehmen dar.12
Diese Maßnahme ist u. a. deshalb wichtig, weil die kooperierenden Hersteller die erhaltenen
Daten analysieren sollen, um Konsumentenbedürfnisse zu erkennen (z. B. Trends) und diese
bei der Konzeption von Optimierungsansätzen zu berücksichtigen. Die Übermittlung von
Informationen an die Industrie setzt den Einsatz von Informations- und Kommunikations-
technologien wie z. B. „Electronic Data Interchange“ (EDI), „Internet“ und „Extranets“ für
den bi- und multilateralen Datenaustausch voraus. Darüber hinaus sollte ein gewisses Maß an
„Vertrauen“ zwischen den Kooperationspartnern vorhanden sein, weil z. T. sensible Daten
ausgetauscht werden, die den Anreiz zu opportunistischem Verhalten erhöhen können.

Mit Blick auf die Übermittlung von Informationen zwischen Industrie und Handel kann auch
der Einsatz von Standards für die Nachrichtenübermittlung (z. B. EANCOM) den Datenaus-
tausch zwischen Industrie und Handel deutlich vereinfachen. Seit geraumer Zeit tauschen
Unternehmen aus Industrie und Handel Artikel- und Bestelldaten über Extranets aus.13 Mit
Blick auf den Austausch von Informationen bietet das Internet im Vergleich zu den EDI-
Systemen den Vorteil, dass Kompatibilitätsprobleme, die häufig durch die Nutzung unter-
schiedlicher EDI-Systeme auftreten, vermieden werden können. In jüngster Zeit wird aller-
dings in der Bundesrepublik Deutschland beobachtet, dass Handelsunternehmen ihren Liefe-
ranten zunehmend auch Abverkaufsdaten über das Internet zur Verfügung stellen.14 Im Ge-
genzug erhalten die Händler von den Herstellern für die Nutzung der Extranets in der Regel
eine monetäre Leistung in Form von Gebühren oder anderen finanziellen „Zugeständnissen“.

12
Vgl. WIEBE (1990), S. 147 ff.
13
Vgl. SPAAN (2000), S. 8 ff., zum Nutzungsgrad von Extranets in der Deutschen Unternehmenspraxis.
14
Vgl. ECR-D-A-CH/PRICEWATERHOUSE CONSULTING (2002), S. 16, zur Nutzung von Extranets für die Bereitstel-
lung von Abverkaufsdaten des Handels.
Kooperationen zwischen Markenartikelindustrie und Lebensmitteleinzelhandel 369

Handelsunternehmen, die über Extranets Abverkaufsdaten an ihre Lieferanten zur Verfügung


stellen, sind z. B. Metro, Düsseldorf, REWE, Düsseldorf, dm-drogerie markt GmbH & Co.
KG, Karlsruhe und Dirk Rossmann GmbH, Burgwedel.

Die Extranets der Händler verfügen in der Regel auch über „Tools“, die es den Herstellern
ermöglichen, Abverkaufsdaten einzelner Produkte und Produktgruppen in Form von Stan-
dard- und individuellen Berichten (Reports) abzurufen. Unter einem Report wird die Analyse
einer Zielgröße (z. B. Absatz, Umsatz oder Distributionsgrad) unter Berücksichtigung eines
oder mehrerer zusätzlicher „Kriterien“ verstanden. Zu diesen Kriterien zählen z. B. einzelne
Artikel (EAN-Nummer) oder Artikelgruppen sowie Hersteller. Die Anwender können in diesem
Zusammenhang z. B. auch die Regionen und Verkaufsstellen sowie den Zeitrahmen und die
gewünschten Artikelinformationen bestimmen, die der „Report“ beinhalten soll. Darüber hin-
aus werden in einigen Extranets Analysetools integriert, so dass Abverkaufsdaten für be-
stimmte Zwecke ausgewertet werden können. Beispiele für derartige Extranets sind das Ex-
tranet der Handelsunternehmen Dirk Rossmann GmbH und dm-drogerie markt GmbH & Co. KG.
Rossmann stellt in seinem Extranet das Tool Analyzer für Ad-hoc-Analysen und dm-drogerie
markt das Tool Manugistics, das u. a. Verkaufsprognosen erstellen kann, zur Verfügung.15

3 Ausprägungen vertikaler Kooperationen


in der Lebensmitteldistribution

3.1 Vertikale Kooperationen im Bereich der Distribution und Logistik


Für vertikale Kooperationen in den Bereichen der Distribution und Logistik stellt die Anpas-
sung des Angebots an die tatsächliche Nachfrage im Einzelhandel ein zentrales Ziel dar.
Hierdurch sollen Effizienz-Steigerungen in der Distribution und in der Logistik erzielt wer-
den, die insgesamt zu Kostensenkungen führen können. Um dieses Ziel zu erreichen, werden
in der Konsumgüterwirtschaft zunehmend „Just-in-time“-gerichtete Distributions- und Lo-
gistikkonzepte genutzt. Die Grundidee des Just-in-Time-Konzepts wurde bereits in den
1950er Jahren von der Automobilindustrie in den USA und Japan genutzt, um die Kosten der
Produktion zu senken. In den 1960er und den 1970er Jahren wurden erste EDV-Systeme zur
Implementierung des Just-in-Time-Prinzips, so genannte Produktionsplanungs- und Produkti-
onssteuerungs-Systeme (PPS-Systeme), entwickelt.16 Diese EDV-Systeme sollten den men-
genmäßigen und zeitlichen Ablauf der Produktion auf der Basis erwarteter und/oder vorlie-
gender Kundenaufträge planen und steuern. Hierbei wurden auch die verfügbaren Produkti-
onskapazitäten berücksichtigt.

Das „Just-in-Time“-Konzept wurde allerdings erst in den 1980er Jahren durch das Kanban-
Verfahren von TAIICHI OHNO bekannt, der dieses Verfahren bei der Toyota Motor Company
auch praktisch umgesetzt hat.17 Das Kanban-Verfahren unterscheidet sich von dem traditio-
nellen PPS-Systemen im Wesentlichen dadurch, dass die Werkstücke nicht entsprechend dem
Produktionsfluss vor der nächsten Verarbeitungsstufe warten, sondern das Signal zur Weiter-

15
Vgl. KRAUSS/NIPPEN (1999), S. 94 f.
16
Vgl. SANIDAS (2002), S. 13 ff., zu dem Einsatz des „Just-in-Time“-Konzepts in der Nachkriegszeit.
17
Vgl. OHNO (1988) zur tiefer gehenden Darstellung des Kanban-Verfahrens.
370 GRÜNBLATT

verarbeitung eines Werkstücks von der nachgelagerten Verarbeitungsstufe ausgelöst wird.


Das Kanban-Verfahren ist auch eng mit dem Begriff „Lean Production“ verbunden. Das
bedeutet, dass Hersteller für die Produktion mit möglichst geringen Lagerbeständen auskom-
men sollen. Durch das Kanban-Verfahren sollen nicht nur Lagerbestände reduziert, sondern
auch die Durchlaufzeiten in der Produktion verringert werden.

Das Just-in-Time-Konzept wurde in der Konsumgüter-Wirtschaft erstmalig Mitte und Ende


der 1970er Jahre von der US-amerikanischen Textil- und Bekleidungs-Industrie übernom-
men.18 In der Textil- und Bekleidungs-Industrie ist die Prognostizierbarkeit der zukünftigen
Nachfrage aufgrund verschiedener Faktoren (z. B. Trends, Saisonalität, Individualität der
Kundenwünsche und kurze Produktlebenszyklen) besonders schwierig. Auf dieses Phänomen
reagieren die einzelnen Wirtschaftsstufen (Rohstofflieferanten, Textilindustrie  Vorlieferan-
ten  Bekleidungsindustrie und Bekleidungshandel) in der Wertschöpfungskette mit höheren
Lagerbeständen, um auf Nachfrageänderungen reagieren zu können.19 Diese Vorgehensweise
führt in der Regel zu höheren Lager- und Vorrats-Investitionen in den einzelnen Wirtschafts-
stufen. Vor diesem Hintergrund führte der US-amerikanische Bekleidungshersteller DuPont
eine Studie zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der US-amerikanischen Textil- und
Bekleidungs-Industrie durch. Hierbei wurde festgestellt, dass die Dauer zwischen der Herstel-
lung der Fasern und dem Verkauf der fertigen Textil- und Bekleidungserzeugnisse in einer
Verkaufsstelle von 66 auf 21 Kalenderwochen gesenkt werden konnte. Darüber hinaus wurde
ermittelt, dass etwa die Hälfte der 25 Mrd. US $ gespart werden konnten, die pro Jahr durch
zu hohe Bestände, Preisreduzierungen wegen der Lagerung falscher Produkte sowie durch
Absatzeinbußen und „Out-of-Stock“-Situationen auftreten.20 Die Ergebnisse dieser Studie
lieferten die Grundlagen für das Konzept Quick Response.21

Das zentrale Merkmal des Quick-Response-Konzepts ist, dass die Impulse für die Produktion
und Vermarktung von Produkten nicht mehr von der Industrie ausgehen (so genannte Push-
Strategie), sondern von den Kaufvorgängen der Konsumenten ausgelöst werden (so genannte
Pull-Strategie). Dieser Grundgedanke entspricht dem Prinzip des Kanban-Verfahrens. Durch
die Erfassung und Analyse der Abverkaufsdaten des Handels sollen Industrie und Handel in
der Lage sein, zu bestimmen, welche Produkte in welchen Mengen produziert und angeboten
werden sollen.

18
Vgl. MARTELL (1991), S. 24, und LOWSON/KING/HUNTER (1999), S. 87 ff.
19
Vgl. HUNTER (1990), S. 42 f., und PINNEKAMP (1993), S. 350.
20
Vgl. KURT SALMON ASSOCIATES (1993), S. 19: Die Ergebnisse der Studie von DuPont wurden im Jahr 1985 von der
US-amerikanischen Unternehmensberatung Kurt Salomon Associates im Rahmen einer von der US-amerikanischen
Textilproduzenten-Gruppe „Crafted with pride in U.S.A.“ (CWPUSA) in Auftrag gegebenen Studie aufgegriffen
und beurteilt. Die Ergebnisse der Kurt Salmon Associates Studie übertrafen die Ergebnisse der DuPont-Studie. Bei
den drei Pilot-Projekten in dieser Studie wurde ein Mehrabsatz von 2530%, eine Erhöhung der Lagerumschlags-
häufigkeit um 30% und eine Verbesserung der Verfügbarkeit der Ware um 2025% erzielt.
21
Vgl. MARTELL (1991), S. 24.
Kooperationen zwischen Markenartikelindustrie und Lebensmitteleinzelhandel 371

Die wesentlichen Zielsetzungen des Quick-Response-Konzepts sind:22

¾ Verkürzung der Reaktions-(Liefer-)zeiten der Unternehmen in der Industrie,


¾ Reduktion der Lagerbestände und Vorratsinvestitionen in den einzelnen Wirtschafts-
stufen entlang der Wertschöpfungskette,
¾ Erhöhung der Verfügbarkeit von Produkten im Einzelhandel,
¾ Vermeidung von „Out-of-Stock“-Situationen sowie
¾ Erhöhung der Wettbewerbsvorteile einer Branche gegenüber ausländischen Produzenten.

Mit der Entwicklung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien in den 1970er und
den 1980er Jahren wurden die Voraussetzungen für die Nutzung des Quick-Response-Konzepts
deutlich verbessert. In diesem Zusammenhang sind neben der Scanning-Technologie die so
genannten „enabling Technologies“, wie Electronic Data Interchange (EDI), Electronic Fund
Transfer (EFT) und Internet, zu nennen.23

Die Abbildung 1 zeigt den idealtypischen Prozessablauf des Quick Response. Die artikelge-
naue Erfassung der Abverkäufe im Einzelhandel bildet den Ausgangspunkt des Quick-
Response-Prozesses. Die erhobenen Daten werden kontinuierlich an die Hersteller mittels
enabling Technologies übermittelt. Im Idealfall werden die Abverkaufsdaten auch an die
Vorlieferanten und Rohstofflieferanten („Upstream“-Bereich) übertragen. Auf der Grundlage
der übermittelten Abverkaufsdaten können Hersteller die Absatzmengen mit ihren Lagerab-
gangsdaten vergleichen, um so Produktionsmengen und -laufzeiten besser zu planen.24 Ähnli-
ches gilt aus Sicht der Vor- und Rohstofflieferanten mit Blick auf die Produktionsplanung
von Vorprodukten und auf die Beschaffung von Rohstoffen. Es ist auch denkbar, dass in ein
Quick-Response-System Spediteure und Transportunternehmen integriert werden können.
Durch den Erhalt von Abverkaufsdaten können diese die Transportkapazitäten und die Tou-
ren rechtzeitig planen, so dass Lieferungsengpässe vermieden werden können.

22
Zu den Zielen des „Quick Response“-Konzepts vgl. NAGEL (1991), S. 15 ff., KINCADE/CASSILL/WILLIAMSON
(1993), S. 147 ff., PIATER (1997), S. 10 f., KOTZAB/SCHNEDLITZ (1998), S. 357, DIEKMANN (2001), S. 54 f., und
FISSAHN/AUMANN (2001), S. 61 ff.
23
Vgl. NAGEL (1991), S. 57 ff.
24
Vgl. PINNEKAMP (1993), S. 350 ff., und DEKKER ET AL. (2002), S. 3 ff., zur Darstellung einiger Beispiele von
„Quick-Response“-Anwendungen.
372 GRÜNBLATT

Transport-/Tourenplanung
Spediteure/
Transportunternehmen

Rohstoffliefera nten
Wa renlieferung

Vorliefera nten

Einzelhandel

Hersteller Handelszentrale Endabnehmer


Verka uf

Gewinnung von
Scanningdaten

Übermittlung
von Informationen

EDI-Systeme

Beschaffungsplanung Bestell-/Produktionsplanung Bestell-/Lieferplanung

Upstream-Bereich Downstream-Bereich

Abbildung 1: Idealtypischer Prozessablauf des Quick Response25

Die Übertragung von Informationen vom Point of Sale an die übrigen Teilnehmer der Wert-
schöpfungskette (Hersteller, Vorlieferanten, Rohstofflieferanten und Logistikunternehmen)
bietet die Möglichkeit, das Angebot einzelner Unternehmen entlang der Wertschöpfungskette
an die „tatsächliche“ Nachfrage anzupassen. Hierdurch können insbesondere Effizienzvorteile
im Rahmen der Distribution und Logistik realisiert werden. Mit Blick auf die Synchronisation
der Produktion in der Industrie mit der Nachfrage im Einzelhandel nimmt die Bedeutung der
Absatzprognose zu, weil Industrieunternehmen Änderungen der Nachfrage besser antizipie-
ren und somit schneller auf diese reagieren können. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen,
dass für eine genaue Planung der zukünftigen Produktions- und Bestellmengen in Industrie
und Handel nicht nur Abverkaufsdaten, sondern auch Lagerbestandsdaten und Informationen
über geplante Verkaufsförderungs-Maßnahmen im Einzelhandel notwendig sind. Die Umset-
zung des Quick Response setzt somit die Übermittlung von zahlreichen Informationen an die
Industrie und deren Vor- und Rohstofflieferanten sowie Logistikunternehmen voraus.

25
Vgl. POIRER/REITER (1997), S. 84 ff.
Kooperationen zwischen Markenartikelindustrie und Lebensmitteleinzelhandel 373

Das Quick Response gilt als Vorläufer des Vendor Managed Inventory (VMI). Das Vendor
Managed Inventory ist eines der bekanntesten Konzepte zur unternehmensübergreifenden
Koordination der Nachschubversorgung im Handel, bei dem der Hersteller (Lieferant) die
Disposition der Lagerbestände des Handels durchführt.26 Das VMI-Konzept wurde bereits
Anfang der 1980er Jahre in den USA entwickelt.27 Die wesentlichen Unterschiede zwischen
dem QR-Konzept und dem VMI-Konzept sind, dass beim Quick Response alle an der Wert-
schöpfungskette beteiligten Unternehmen mit Informationen versorgt werden sollen. Bei dem
VMI hingegen wird lediglich versucht, den Warenfluss zwischen zwei Unternehmen (Händ-
ler/Hersteller) zu verbessern.28 Darüber hinaus wird im Rahmen des VMI die Lagerbestands-
führung des Handels dem Hersteller überlassen.

Das Vendor Managed Inventory zeichnet sich insbesondere dadurch aus, dass

¾ zahlreiche Informationen des Händlers an einen Hersteller übermittelt werden,


¾ die Lagerbestände des Handels in der Zuständigkeit eines Herstellers sind und
¾ die Häufigkeit der Produktanlieferung erhöht wird.

Bei dem VMI werden unter Berücksichtigung der getätigten Abverkäufe im Handel, des Wa-
renabflusses im Distributionslager, der Lagerbestände, Bestandsänderungen sowie Informati-
onen über geplante Verkaufsförderungs-Maßnahmen am Point of Sale kontinuierlich Nachbe-
stellungen durch den Hersteller ausgelöst. Die Nachschubversorgung soll somit möglichst auf
der Grundlage der „tatsächlichen“ Nachfrage gesteuert werden.29 Der Hersteller ist ebenfalls
für die Lieferung der bestellten Produkte an den Handel verantwortlich. Um Probleme, die
durch die Übermittlung der notwendigen Bestandsinformationen an den Hersteller auftreten
können, zu vermeiden, übernimmt der Hersteller auch die Verwaltung der Bestandsdaten des
Handels. Durch die zahlreichen Informationen und durch die Erhöhung der Lieferhäufigkeit
soll der Hersteller in der Lage sein, die Sicherheitsbestände des Handels abzubauen und die
Verfügbarkeit von Produkten in den Verkaufsstellen zu verbessern.

Weitere Varianten des Vendor Managed Inventory stellen das Co-Managed Inventory (CMI)
und das Buyer Managed Inventory (BMI) dar. Während beim CMI nur bestimmte Bestellvor-
gänge an den Hersteller übertragen werden, verbleibt der Bestellvorgang beim BMI in der
Zuständigkeit des Handels.30

26
Vgl. CHRISTIANSEN (1999), S. 2 ff., und SIMACEK (1999), S. 129 ff., zur Analyse der Nutzenpotenziale von
„Vendor Managed Inventory“/„Continuous Replenishment“.
27
Vgl. BRUCE/IRELAND (2002), S. 3.
28
Vgl. KOTZAB (1997), S. 141.
29
Vgl. z. B. VON DER HEYDT (1998), S. 74 ff., und WERNERS/THORN (2002), S. 700 ff., zur tiefer gehenden Illustra-
tion des „Vendor Managed Inventory“.
30
Vgl. SIMACEK (1999), S. 133 ff., und BRUCE/IRELAND (2002), S. 3 ff.
374 GRÜNBLATT

3.2 Vertikale Kooperationen im Bereich Marketing und Vertrieb


3.2.1 Category-Management-Konzept
Das Konzept des Category Management (CM) wurde ursprünglich Mitte der 1980er Jahre in
der US-amerikanischen Unternehmenspraxis bekannt. Einige Autoren führen das Konzept des
Category Management auf das US-amerikanische Unternehmen Procter & Gamble zurück.31
Nach diesem Konzept soll die Führung der Warengruppen nicht von unterschiedlichen Funk-
tionen (z. B. Einkauf, Logistik, Marketing und Finanzen) wahrgenommen werden, sondern
jede Warengruppe soll als strategische Geschäftseinheit angesehen werden.32 Ein besonderes
Merkmal des Category Management ist die Zusammenarbeit zwischen Industrie und Handel
zum Zwecke der Optimierung der Categories. Hierbei soll sich insbesondere die Gewinnsitu-
ation beider Kooperationspartner verbessern.

Da einzelne Handelsunternehmen in der Regel mehrere Tausende von Artikeln führen, kann
aus Sicht des Handels die Aufteilung des Sortiments in kleinere Planungseinheiten (z. B.
Warengruppen) insgesamt zu einer Effizienz-Erhöhung der Analyse-, Planungs-, Durchfüh-
rungs- und Kontrollaufgaben im Rahmen der Sortimentspolitik führen. Hierdurch nehmen
allerdings die Dezentralisation und somit auch der Aufwand für die Koordination der sorti-
mentspolitischen Aufgaben im Unternehmen zu. Um den höheren Koordinationsaufwand be-
wältigen zu können, werden von Industrie und Handel so genannte Category Manager einge-
setzt. Die Category Manager sind in der Regel u. a. für den Einkauf, die Logistik, die Finanzen
und die Vermarktung der Categories zuständig. Nach Auffassung von Global Standard one
Germany (GS1, Köln) (ehemals Centrale für Coorganisation) sollen die Category Manager
des Handels für die Koordination und Überwachung des Gesamtprozesses des Category Ma-
nagement verantwortlich sein.33 Die Category Manager der Industrie hingegen sollen viel-
mehr in einzelnen Kooperations-Schritten beratend tätig sein.

Industrieunternehmen, die dem Handel Category Manager zur Verfügung stellen, werden auch
als „Category Captain“ bezeichnet. Category Captains werden überwiegend jene Industrieun-
ternehmen, die aus Sicht des Handels für eine bestimmte Category eine besondere Rolle spielen.
Diese werden von dem Handel nach bestimmten Kriterien ausgewählt. Wesentliche Kriterien
für die Auswahl eines Category Captain sind u. a. der Sortiments- und Umsatzanteil der Marken
und Produkte, die ein bestimmtes Industrie-Unternehmen innerhalb der entsprechenden
Category besitzt oder das Know-How des betreffenden Industrie-Unternehmens zur Durchfüh-
rung von CM-Projekten.34 Als Category Captain ist das betreffende Industrieunternehmen für
alle Artikel einer Category zuständig, hierzu zählen auch Konkurrenzprodukte.

Global Standard one Germany definiert das Category Management als „einen gemeinsamen
Prozess der Händler und Hersteller, bei dem Produkt- und Service-Kategorien als strategische
Geschäftseinheiten geführt werden, um durch die Erhöhung des Kundennutzens Ergebnisver-
besserungen zu erzielen.“35 Ein höherer Kundennutzen kann nur erreicht werden, wenn die
Bedürfnisse der Nachfrager bekannt sind und diese von Industrie und Handel berücksichtigt

31
Vgl. ZENOR (1994), S. 202.
32
Vgl. PRETZEL (1996), S. 23, und KABUTH/BURGER (1998), S. 126.
33
Vgl. WAGENER (2002), S. 39.
34
Vgl. z. B. BEHRENDS (1995), S. 22 ff., LINGENFELDER/MILSTREY/LAUER (1999), S. 103, und GROSSWEISCHEDE
(2000), S. 178 ff., für eine Auflistung möglicher Kriterien für die Auswahl von Category Captains.
35
WAGENER (2002), S. 39.
Kooperationen zwischen Markenartikelindustrie und Lebensmitteleinzelhandel 375

werden.36 Im Mittelpunkt des Category Managemen steht somit die Analyse des Nachfrage-
Verhaltens. Erst durch die Analyse des Nachfrage-Verhaltens kann der Bedarf der Nachfrager
ermittelt und die Categories geplant und effizient gesteuert werden.

Bei der Durchführung des Category Management können Industrie- und Handelsunternehmen
verschiedene Ziele verfolgen. In der Literatur wird eine Vielzahl von potenziellen Zielen
diskutiert, die Industrie- und Handelsunternehmen im Rahmen des Category Management
verfolgen können.37 Diese Ziele sind in der Regel komplementär. Hierbei lassen sich die
formulierten Ziele nach ihrer Bedeutung in Ober- und Unterziele unterscheiden. Zu den häu-
fig diskutierten Oberzielen des Category Management zählen z. B. die Erhöhung des Ge-
winns, die Sicherung/Erhöhung von Marktanteilen und die Verbesserung der Zusammenarbeit
zwischen Industrie und Handel im Rahmen der Versorgung. Die Unterziele dienen im Wesent-
lichen der Erreichung der formulierten Oberziele. Unterziele der Industrie können z. B. die
Stärkung der Einflussnahme am Point of Sale, die Verbesserung der Nachschubversorgung, die
Erhöhung der Effizienz von Verkaufsförderungs-Maßnahmen und die Erzielung von Wettbe-
werbsvorteilen durch Informationsvorsprung sein. Aus Sicht der kooperierenden Handelsunter-
nehmen hingegen stellen z. B. die Erhöhung der Verkaufsflächenproduktivität, die Verbesse-
rung der Logistik sowie die Stärkung der Kundenbindung durch zielgruppen-/standortgerechte
Sortiments-Strukturen wesentliche Unterziele des Category Management dar.

In der Unternehmenspraxis kommt es nicht selten vor, dass einzelne Industrieunternehmen


mit mehreren Handelsunternehmen kooperieren, weil ihre Produkte von mehreren Handels-
unternehmen gelistet werden. Andererseits listen Handelsunternehmen Produkte verschiede-
ner Industrieunternehmen. Deshalb müssen häufig Handelsunternehmen mit mehreren
Category Managern unterschiedlicher Industrieunternehmen kooperieren. Je nach Heterogeni-
tät des Leistungsprogramms der Industrieunternehmen kann es auch dazu kommen, dass einzel-
ne Industrieunternehmen Category Captains in verschiedenen Categories eines Handels-
unterneh-mens werden können und somit auch mehrere Category Manager zur Verfügung stel-
len müssen.

Damit entsprechende Kooperationen im Rahmen des Category Management effizient durch-


geführt werden können, ist es von großer Bedeutung, dass der Prozessablauf und die Inhalte
von Category Management präzisiert und im Sinne von Standards formuliert werden. Dies
soll dazu führen, dass Konflikte zwischen Industrie und Handel bei der Durchführung von
Category Management vermieden werden können.

In der Deutschen Konsumgüter-Wirtschaft hat sich das von dem Category-Management-


Subkomitee des „Joint Industry Project on Efficient Consumer Response“ (JIP on ECR) und
den US-amerikanischen Unternehmensberatungen The Partnering Group Inc. und Retail
Directions Inc. entwickelte Category-Management-Modell (1995) weitgehend etabliert.38

36
Vgl. kritisch FELLER (2001), S. 205 ff., zur Bedeutung der Analyse des Kaufverhaltens und der Steuerung von
Categories.
37
Vgl. z. B. BEHRENDS (1994), S. 111 ff., FELD (1998), S. 43, HAHNE (1998), S. 55 ff., und BATTENFELD (2001), S. 90
ff., zur Illustration der Ziele von „Category Management“ aus Sicht der Industrie und des Handels.
38
Das JIP on ECR, auch ECR USA bezeichnet, wurde im Jahr 1993 gegründet. Diesem Komitee gehören US
handels- und industrieseitige Organisationen (z. B. Food Marketing Institute (FMI) und Grocery Manufacturers
of America (GMA)) sowie führende Industrie- und Handelsunternehmen der US-amerikanischen Konsumgüter-
wirtschaft an, die sich mit ECR-relevanten Aspekten und Fragestellungen befassen. Vgl. KIERNAN (1995), S. 131 f.,
und von der HEYDT (1998), S. 40 und 60. Zu den zentralen Aspekten des ECR-Ansatzes gehört auch das
Category Management, das häufig mit den drei marketingorientierten ECR-Basisstrategien (Efficient Assortment
376 GRÜNBLATT

Dieses CM-Modell wird von Global Standard one Germany auch als Kategorie-Geschäfts-
planungs-Prozess bezeichnet und wird seit einiger Zeit als Standard angesehen.39 Nach dem
CM-Modell von JIP on ECR umfasst der idealtypische CM-Prozess acht Schritte (siehe Ab-
bildung 2).

Category-Definition

Category-Überprüfung Category-Rolle

Category-Plan 7 CM-Prozess Category-Bewertung

Category-Taktiken Category-Leistungsanalyse

Category-Strategie

Abbildung 2: Idealtypischer Prozessablauf des Category Management40

Der CM-Prozess beginnt mit der Category-Definition. In diesem ersten Schritt soll die Zuge-
hörigkeit einzelner Artikel zu einer Category festgelegt werden. Zu diesem Zweck werden
Artikel nach bestimmten Kriterien zu Gruppen zusammengefasst. Da zur Definition einer
Category verschiedene Aspekte berücksichtigt werden können, kann die Zusammensetzung
der Artikel in einer Category deutlich von der Definition der traditionellen Warengruppen des
Handels abweichen.41 Diese Kriterien können z. B. nachfrager- (z. B. Verwendungszweck so-
wie Verbund- und Substitutions-Beziehungen), hersteller- (z. B. Marken) oder handelsbezogen
(SB- und Bedienungs-Sortiment) sein. Wesentlich bei der Definition einer Category ist jedoch,
dass die Nachfrager die darin enthaltenen Artikel als zusammengehörend wahrnehmen.

(EA), Efficient Promotion (EP) und Efficient Product Introductions (EPI)) zur Optimierung der Versorgungsket-
te im Bereich der Demand-Side gleichgesetzt wird.
39
Vgl. HAHNE (1998), S. 59 ff., und WAGENER (2002), S. 40, zur Darstellung des CM-Prozessablaufes. Abweichende
CM-Prozessabläufe finden sich z. B. bei PRETZEL (1996), S. 23 f., SPEER (1999), S. 226, und STEFANESCU (1999),
S. 263.
40
Vgl. ECR EUROPE (1997), S. 21.
41
Vgl. PSCHENNY/SCHMALENSTROER (1999), S. 149, SCHRÖDER/FELLER/GROSSSCHWEIDE (2000), S. 59, und ZIELKE
(2001), S. 100 f.
Kooperationen zwischen Markenartikelindustrie und Lebensmitteleinzelhandel 377

Der zweite Schritt befasst sich mit der Definition der Category-Rolle. In diesem Schritt soll
die Bedeutung der Category für das betreffende Handelsunternehmen festgelegt werden. Von
dem JIP on ECR werden fünf verschiedene Category-Rollen vorgegeben.42 Diese sind die
Profilierung-, die Routine-, die saisonale Profilierung-, die Ergänzung- und die saisonale Er-
gänzung-Category. Die Festlegung der Category-Rollen ist mit Blick auf die Zuordnung der
Ressourcen von großer Bedeutung.

Die Category-Bewertung umfasst die Aufbereitung und Analyse von Informationen, die zur
Beurteilung der gegenwärtigen Leistung der Category notwendig sind. Hier sollen mögliche
Stärken und Schwächen der Category quantifiziert werden.

In einem engen Zusammenhang mit der Rolle der Category und unter Berücksichtigung der
Ergebnisse der Category-Bewertung erfolgt im Rahmen der Category-Leistungsanalyse die
Definition von Category-Zielen. Diese Ziele sollen von Industrie und Handel gemeinsam for-
muliert werden und den Category Managern als Vorgaben dienen (z. B. Erhöhung der Ver-
kaufsflächen-Produktivität).

Die Bestimmung von Category-Strategien resultiert aus der Formulierung der Category-Ziele
(z. B. Erhöhung des durchschnittlichen Warenkorbwerts oder Steigerung der Käuferfrequenz
in der Category). Bei der Formulierung der Category-Strategien sind allerdings auch die Ge-
samtstrategien der betreffenden Industrie- und Handelsunternehmen (z. B. Preispositionierung)
zu beachten. Hier sollten im Vorfeld ein Nachfrager- und ein category-bezogenes Käuferprofil
ermittelt werden, um festzustellen, ob die Käufer in der zu betrachtenden Category sich von den
regulären Kunden des betreffenden Handelsunternehmens deutlich unterscheiden.

Nach der Formulierung der Category-Strategien werden die einzelnen Handlungen, so ge-
nannte Category-Taktiken, festgelegt. Diese können sich aus mehreren zwischen Industrie
und Handel vereinbarten Aktionsfeldern des Category Management ergeben. Zu den bekann-
testen Aktionsfeldern des Category Management gehören die Sortimentspolitik, die Regal-
Präsentation, die Preispolitik und die Verkaufsförderung. Die Aktionsfelder des Category
Management richten sich im Wesentlichen auf die Steuerung der Prozesse im Zusammenhang
mit dem Vertrieb und der Vermarktung von Produkten im Handel. In diesem Zusammenhang
spricht man auch von der Demand-Side der Versorgungskette. Logistische Aufgaben (Supply-
Side) hingegen werden von dem Category Manager eher selten wahrgenommen (z. B. Analyse
der Bevorratung und der Nachschubversorgung der Artikel in der Category).

Nachdem die einzelnen Category-Taktiken ausgewählt werden, muss ein Umsetzungsplan er-
stellt werden. In dem Umsetzungsplan werden Zeiträume und Zuständigkeiten für einzelne
Handlungen vereinbart.

Die Category-Überprüfung schließt den CM-Prozess ab. In diesem Schritt findet eine konti-
nuierliche Kontrolle des Umsetzungsplans statt. Soll- und Ist-Vergleiche der erreichten
Category-Leistungsziele sollen jährlich durchgeführt werden, um mögliche Anpassungen der
Pläne frühzeitig vornehmen zu können. Darüber hinaus sollen wesentliche Kennzahlen der
Category vierteljährlich kontrolliert werden.

42
Vgl. ECR EUROPE (1997), S. 21.
378 GRÜNBLATT

An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass der hier skizzierte idealtypische Category-
Management-Prozess hauptsächlich der Vereinheitlichung der Prozessabläufe im Rahmen
von CM-Kooperationen dienen soll. Die Inhalte einzelner Prozessabläufe des Category Ma-
nagement hingegen werden z. T. nicht näher präzisiert. Zwar existieren bereits von dem JIP
on ECR einige Handlungsempfehlungen für die Bestimmung der Category-Rollen und für die
Formulierung von Category-Strategien und -Taktiken, jedoch haben die Schritte Category-
Bewertung und Category-Leistungsanalyse weniger Beachtung gefunden. Hier ist vor allem
eine detaillierte Auflistung von Kriterien notwendig, nach denen die Categories bewertet
werden sollen. In diesem Zusammenhang werden häufig Kennzahlen genannt.43 Gerade bei
der Nutzung von Kennzahlen zur Bewertung von Artikeln und Sortimentsausschnitten können
zahlreiche Normierungsprobleme auftreten, die einen Vergleich der errechneten Kennzahlen
erschweren. Neben den Bewertungskriterien fehlt es auch an Vorgaben für Category-Infor-
mationen, die der Handel dem Industriepartner zur Verfügung stellen soll. Gerade die Vielfalt
und die Agreggation der Daten spielt bei der Gewinnung von Kundeninformationen eine
wesentliche Rolle.44 Ähnliche Dokumentationsdefizite treten im Zusammenhang mit den
Verfahren, die zur Analyse und Auswertung der Category-Informationen im Rahmen der
Category-Leistungsanalyse eingesetzt werden sollen.

3.2.2 Abgrenzung von Category Management (CM), Efficient Consumer


Response (ECR) und Collaborative Planning, Forecasting
and Replenishment (CPFR)
Das Konzept des Efficient Consumer Response hat in den letzten Jahren sowohl in der Wis-
senschaft als auch in der Unternehmenspraxis große Beachtung gefunden. Das ECR stellt
einen Ansatz zur Optimierung der gesamten Wertschöpfungskette dar, bei dem Effizienz-
Steigerungen und somit auch Kostensenkungs-Potenziale durch gemeinsame Initiative und
enge Zusammenarbeit zwischen Handel und Industrie erzielt werden sollen.45

Auch wenn die Grundgedanken des Quick Response und des Vendor Managed Inventory in
das ECR-Konzept einfließen, unterscheiden sich diese Konzepte dadurch, dass im Rahmen
des ECR-Konzepts nicht nur die Logistik („Supply-Side“), sondern auch das Marketing
(„Demand-Side“) berücksichtigt wird.

Das ECR-Konzept wurde in den USA Anfang der 1990er Jahre durch die Studie der Unterneh-
mensberatung Kurt Salomon Associates bekannt. Im Rahmen dieser Studie wurden für die US-
amerikanische Wirtschaft Kostensenkungs-Potenziale durch die Kooperation zwischen Industrie
und Handel in Höhe von bis zu 10,8% prognostiziert.46 Dabei setzten sich diese Kostensen-
kungs-Potenziale aus Einsparungs-Potenzialen im Bereich der Logistik (Supply Side) (4,1%)
und im Bereich des Marketing (Demand Side) (6,7%) zusammen. Für die Bundesrepublik
Deutschland hingegen wurden im Rahmen weiterer Studien über die Übertragbarkeit des ECR-
Ansatzes auf die europäischen Märkte Kostensenkungs-Potenziale zwischen 3,4% und 7,3%

43
Vgl. LINGENFELDER/MILSTREY/LAUER (1999), S. 96, und SCHRÖDER/FELLER/GROOSSWEISCHEDE (2000), S. 61.
44
Vgl. OLBRICH/GRÜNBLATT (2006), S. 114 f.
45
Vgl. z. B. TÖPFER (1995), S. 187 f., zur Definition des ECR-Ansatz.
46
Vgl. KURT SALOMON ASSOCIATES (1993), S. 30.
Kooperationen zwischen Markenartikelindustrie und Lebensmitteleinzelhandel 379

prognostiziert.47 Ein wesentlicher Grund für die höheren Einsparungs-Potenziale in den USA ist
insbesondere in den größeren Lagerbeständen entlang der Wertschöpfungskette zu sehen.48

Eine exakte Abgrenzung der Inhalte von ECR-Aufgaben in den Bereichen Logistik und Mar-
keting ist aufgrund der unterschiedlichen Kooperationsvarianten und -ziele sehr problema-
tisch. So können sich einige ECR-Kooperationen auf die Bereiche Logistik und Marketing
erstrecken, während sich andere ECR-Kooperationen lediglich auf einzelne Aufgaben im
Rahmen der Logistik und/oder Marketing beschränken können.49

Im Mittelpunkt der ECR-Aktivitäten der Industrie und des Handels steht der Konsument,
dessen Bedürfnisse es in effizienter Form zu befriedigen gilt. Ausgangspunkt für die Entwick-
lung der unterschiedlichen Maßnahmen zur Optimierung der Wertschöpfungskette ist die Über-
mittlung von Abverkaufsdaten des Handels an die Industrie und ihre Vorlieferanten.50

Die Ziele des ECR-Konzepts im Bereich der Logistik entsprechen im Wesentlichen den Zie-
len der Logistik-Konzepte Quick Response und Vendor Managed Inventory.51 Im Bereich des
Marketing soll die Zusammenarbeit zwischen Industrie und Handel u. a. zu einer Verbesse-
rung der Planung, Gestaltung und Kontrolle von Verkaufsförderungs-Maßnahmen führen.
Darüber hinaus sollen durch die Zusammenarbeit zwischen Industrie und Handel die Kontrol-
le des Sortiments und die Neuprodukteinführungen effizienter durchgeführt werden.52

Das ECR-Konzept umfasst insgesamt vier Basisstrategien:53 Efficient Replenishment,


Efficient Assortment, Efficient Promotion und Efficient Product Introduction. Diese werden
nachfolgend kurz erläutert.

In der Literatur wird Efficient Replenishment (ERP) als Sammelbegriff für mehrere Just-in-
Time-gerichtete Logistik-Konzepte verwendet. Zu diesen Konzepten zählen u. a. Continuous-
Replenishment-Programme (CRP), Vendor Managed Inventory (VMI) und Cross-Docking.54
Diese Logistik-Konzepte stehen für den nachfragegesteuerten Waren-Nachschub und sollen
ähnlich wie das Quick Response zu Bestandsreduktion, geringerer Kapitalbindung, weniger
Handling- und Logistikkosten sowie zur Vermeidung von Out-of-Stock-Situationen im Han-
del führen. Während CRP und VMI in der Literatur synonym verwendet werden, geht es
beim Cross-Docking darum, dass die vom Hersteller gelieferte Ware nicht in das Lager des
Handels eingelagert, sondern direkt nach Empfang und Kommissionierung an die Verkaufs-

47
Vgl. COCA COLA RETAILING RESEARCH GROUP EUROPE (1994) und COOPERS & LYBRAND (1996) zu den Einspa-
rungspotenzialen von ECR in Europa.
48
Vgl. TÖPFER (1995), S. 188, und KATSARAS/SCHAMEL (1999), S. 18 ff. zur Vertiefung der Unterschiede in den
Einsparungspotenzialen durch ECR in den USA und in der Bundesrepublik Deutschland.
49
Vgl. z. B. COCA COLA RETAILING RESEARCH GROUP (1994), S. 91 ff., SCHLÄPFER (1999), S. 44 ff., MEI (1999),
S. 141 ff., PSCHENNY/SCHMALENSTROER (1999), S. 148 ff., SPEER (1999), S. 222 ff., und KALMBACH (2000),
S. 261 ff., zur Darstellung einiger Beispiele von ECR-Kooperationen.
50
Vgl. KURT SALMON ASSOCIATES (1993), S. 28 f., TÖPFER (1995), S. 189 f., HALLIER (1995), S. 45 f., und KOTZAB
(1997), S. 175 f., zur Darstellung des ECR-Prozesses.
51
Vgl. z. B. KOTZAB (1997), S. 176 ff., und TÖPFER (1999), S. 363, zu den Zielen des ECR-Konzepts im Bereich
der Logistik.
52
Vgl. z. B. BISHOP (1997), S. 1 ff., MEI (1999), S. 141 ff., PSCHENNY/SCHMALENSTROER (1999), S. 157 f., und
SPEER (1999), S. 223 f., zu den Zielen des ECR-Konzepts im Bereich des Marketing.
53
Vgl. KURT SALOMON ASSOCIATES (1993), S. 29 ff.
54
Vgl. z. B. CACHON/FISHER (1997), S. 266 ff., und KRAUS/NIPPEN (1999), S. 92 ff.
380 GRÜNBLATT

stellen ausgeliefert wird. Hierdurch sollen Lagerbestände reduziert und die maximale Lebens-
dauer der Frischware besser ausgenutzt werden.

Im Rahmen des Efficient Assortment richten sich die gemeinsamen Bemühungen des Handels
und der Industrie auf die Verbesserung der Sortimentszusammensetzung, Warenpräsentation
und -platzierung. Diese Maßnahmen sollen insbesondere zu einer Erhöhung der Verkaufs-
und Regalflächen-Produktivität des Handels beitragen. Zu diesem Zweck können
Abverkaufsdaten des Handels im Rahmen von so genannten Space-Management-Systemen
und bei Methoden der Direkten-Produkt-Rentabilität (DPR) eingesetzt werden.

Im Prinzip können die Aufgaben des Efficient Assortment der traditionellen Sortiments-
Kontrolle des Handels zugeordnet werden. Der wesentliche Unterschied zwischen der traditi-
onellen Sortiments-Kontrolle und des Efficient Assortment besteht darin, dass der Hersteller
bestimmte sortimentsorientierte Kontrollaufgaben übernimmt. Zu diesen Aufgaben gehören
z. B. die Umsatz- und Absatzanalyse bestimmter Warengruppen oder die Analyse von Preisen
und Platzierungen. Damit die Industrie die Sortimente des Handels analysieren kann, ist es
notwendig, dass die Industrie Abverkaufsdaten des Handels erhält. Detaillierte Analysen im
Rahmen der Sortiments-Kontrolle können allerdings häufig nur unter Heranziehung von ta-
gesgenauen Abverkaufsdaten und zusätzlichen Informationen über die Verkaufsstellen (z. B.
Betriebsform und Verkaufsflächengröße) durchgeführt werden.

Im Mittelpunkt des Efficient Promotion steht die Zusammenarbeit zwischen Hersteller und
Handel bei der Entwicklung, Durchführung und Kontrolle von Verkaufsförderungs-Maßnah-
men im Handel.55 Die Absprachen zwischen Industrie und Handel sollen zu Effizienz- und
somit auch zu Rationalisierungs-Steigerungen führen. So wird z. B. sichergestellt, dass zu Be-
ginn einer Sonderaktion die Aktionsware am Point of Sale verfügbar ist. Weitere Vorteile sollen
sich z. B. durch die Vermeidung von Sonderverpackungen für Aktionsware und somit auch von
zusätzlichen Handlungskosten ergeben.

Im Rahmen des Efficient Product Introduction beziehen sich die gemeinsamen Aktivitäten
der Hersteller und des Handels auf die Verbesserung der Produktentwicklung und der -neu-
einführung.56

Die gemeinsame Analyse von Abverkaufsdaten erfolgreicher Produkte kann Anregungen für
sinnvolle Produkt-Modifikationen liefern. Darüber hinaus können mit Hilfe von Trendanaly-
sen Änderungen der Kaufgewohnheiten ermittelt werden, die zur Entwicklung innovativer
Produkte und Produktlinien beitragen können. Die kontinuierliche Analyse der Abverkaufs-
daten des Handels soll auch dazu dienen, die Einführung von Flops und somit auch die Kapi-
talbindungskosten zu reduzieren.

Das Konzept Collaborative Planning, Forecasting and Replenishment (CPFR) wurde von der
Voluntary Interindustry Commerce Standards (VICS) Association im Jahr 1997 entwickelt.
Die non-profit-gerichtete Organisation VICS wurde im Jahr 1986 gegründet und setzt sich
zusammen aus führenden US-amerikanischen Industrieunternehmen (z. B. Gillette, Mars und
Nestlé), Handelsunternehmen (z. B. Wal*Mart, Kmart und Walgreen) und Unternehmen aus
der IT-Branche (z. B. IBM, CPGMarket und Transora). Die zentrale Aufgabe der VICS-

55
Vgl. EUROHANDELSINSTITUT E.V. (1999), S. 3.
56
Vgl. COCA COLA RETAILING SEARCH GROUP (1994), S. 107 ff., VON DER HEYDT (1998), S. 149 ff., und MEI
(1999), S. 141 ff., zu den Nutzenpotenzialen des Efficient Product Introduction.
Kooperationen zwischen Markenartikelindustrie und Lebensmitteleinzelhandel 381

Association ist die Verbesserung der Waren- und Informationsströme entlang der Wert-
schöpfungskette.

Das Konzept Collaborative Planning, Forecasting and Replenishment wird in der Literatur als
eine Weiterentwicklung des Efficient-Consumer-Response-Ansatzes (ECR) gesehen.57 Aller-
dings wurden bereits in den 1970er Jahren unter dem Begriff Short-Term-Strategy-Planning
(STSP) ähnliche Konzepte diskutiert.58

Den Kern des CPFR-Konzeptes stellt das „C“ („Collaboration“) dar. Durch die kooperative
Nutzung der notwendigen Informationen (z. B. Produktionspläne, Lagerbestands-Informationen
und Abverkaufsdaten) sollen die Zielsetzungen des CPFR-Konzepts erreicht werden. Die zen-
tralen Zielsetzungen des CPFR-Konzepts sind im Wesentlichen die gleichen wie die Zielset-
zungen des ECR-Konzepts.59

Unterschiede zwischen dem ECR- und dem CPFR-Ansatz sollen teilweise in der Vorgehens-
weise und in der Methodik vorliegen. In der Literatur werden einige Unterschiede zwischen
dem ECR- und dem CPFR-Ansatz genannt:

¾ „Durch die Verknüpfung der bisher isoliert betrachteten Demand- und der Supply-Side-
Themen können Synergieeffekte hergestellt werden.“60
¾ „Der quantitative Aspekt der Planung (Planning) ist jedoch beim CPFR-Modell stärker
ausgeprägt, und es kommt das Element der Prognose (Forecasting) neu hinzu. Außerdem
bezieht CPFR nicht nur die Händler-Hersteller-Beziehung, sondern auch die Unter-
lieferanten mit ein. Im Weiteren stützt sich das CPFR-Modell auf Business-to-Business-
Plattformen und angebundene EDV-Systeme im gesamten Produktions- und Logistik-
Kreislauf ab. Herausragende Pfeiler sind der Planungs- und der Prognoseprozess.“61
¾ „Wie schon die Teilbereiche von ECR sind auch die einzelnen CPFR-Prozess-Schritte
nicht wirklich neu. Neu ist lediglich der Gedanke, diese Wirtschaftsstufen übergreifend
durchzuführen und so einerseits die isolierten Funktionen Marketing und Logistik zu-
sammenzuführen, andererseits ein größeres Gesamtkonzept von der strategischen Pla-
nung bis zur operativen Umsetzung zu erhalten.“62

Das CPFR-Konzept umfasst mehrere Stufen, die in einer systematischen Reihenfolge ablau-
fen. Jede einzelne Stufe des CPFR-Prozesses umfasst eine unterschiedliche Anzahl an festge-
legten und detaillierten Prozessabläufen. Der CPFR-Prozess umfasst insgesamt 57 verschie-
dene Prozessabläufe.63 In einer grob vereinfachten Darstellung lässt sich das CPFR-Konzept
in einem neunstufigen Prozess darstellen (siehe Abbildung 3).

57
Vgl. SEIFERT (2002), S. 15 ff., BAUER/GÖRTZ (2002), S. 17, HAMBUCH (2002), S. 58, STOCKER (2002), S. 847 f.,
und TREECK (2002), S. 34.
58
Vgl. HANAN/AMSTUTZ (1974), S. 50 f.
59
Vgl. INDUSTRY DIRECTIONS/SYNCRA SYSTEMS (2000), S. 6 f., REDA (2000), S. 22 ff., ECR D-A-CH (2001), S. 3,
BRUCE/IRELAND (2002), S. 7, und HAMBUCH (2002), S. 58, zu den Zielen und Nutzenpotenzialen des CPFR-
Konzepts.
60
TREECK (2002), S. 35.
61
STOCKER (2002), S. 847.
62
BAUER/GÖRTZ (2002), S. 37.
63
Vgl. VICS ASSOCIATION (2002).
382 GRÜNBLATT

Der CPFR-Prozess ist so aufgebaut, dass zwischen den einzelnen Stufen eine Rückkopplung
stattfinden muss. Die ersten zwei Stufen bilden die Planung (Collaborative Planning), die
darauf folgenden sechs Stufen hingegen umfassen die Prognose (Collaborative Forecasting)
und die letzte Stufe stellt die Bestandsführung (Collaborative Replenishment) dar. Mit zu-
nehmendem Voranschreiten des CPFR-Prozesses nimmt die Tragweite der auf den einzelnen
Stufen getroffenen Entscheidungen ab (siehe Abbildung 3).

Die erste Stufe des CPFR-Prozesses umfasst die Festlegung der Rahmenbedingungen für die
Durchführung der Kooperation. In dieser Stufe sollen u. a. strategische Ziele der Kooperation
vereinbart und die zur Verfügung stehenden Ressourcen festgelegt werden. Darüber hinaus
sollen die Zuständigkeiten der Kooperationspartner geklärt, Kriterien zur Messung der er-
reichten Kooperations-Ziele bestimmt und Art und Umfang der zu benötigenden Informatio-
nen vereinbart werden.

Collaborative Planning
Übereinkunft zur Kooperation 1

Entwicklung eines gemeinsamen


Geschäftsplans 2

Collaborative Forecasting
4 Identifikation von
Ausnahmegrößen
Erhebung zusätzlicher
Erstellung der Absatzprognose 3
5 Informationen

Identifikation von
Ausnahmegrößen 7
Erstellung der Auftragsprognose 6 Erhebung zusätzlicher
Informationen 8

Collaborative Replenishment
Konsument Produktionsplanung

Point of Sale Auftragsgenerierung Produktion

9
Wareneingang Belieferung Auftragsabwicklung

Zeitrahmen nimmt ab
Aufgabe Händler kooperative Aufgaben Aufgabe Hersteller

Abbildung 3: CPFR-Prozess64

64
Vgl. HELLINGRATH (1999), S. 83.
Kooperationen zwischen Markenartikelindustrie und Lebensmitteleinzelhandel 383

In der zweiten Phase sollen Hersteller und Händler einen gemeinsamen Geschäftsplan entwi-
ckeln. Hier werden insbesondere Informationen über Unternehmensstrategien und Geschäfts-
pläne der Beteiligten ausgetauscht. Der Prozessablauf in dieser Stufe entspricht weitgehend
dem Prozessablauf des Category-Management-Modells des JIP on ECR.65 Diese Stufe des
CPFR-Prozesses bildet also die Schnittstelle zwischen der Demand- und der Supply-Side.

In der dritten Stufe wird eine Absatzprognose erstellt, die auch als Bedarfsprognose des Han-
dels interpretiert werden kann. Zur Erstellung von Absatzprognosen müssen einige wichtige
Aspekte beachtet werden. Zunächst ist zu prüfen, welche Daten in welcher Form vorliegen, weil
der Typ und das Aggregationsniveau der vorliegenden Daten die Güte der Prognose beeinflus-
sen können. Im Idealfall sollten tagesgenaue Abverkaufsdaten des Einzelhandels verwendet
werden. Zu stark aggregierte Daten erschweren einerseits die Ermittlung von Out-of-Stock-
Situationen, andererseits können Reaktionen der Nachfrager auf kurzfristige Verkaufsförde-
rungen kaum noch ermittelt werden.66 Darüber hinaus sollten im Rahmen der Absatzprognose
nicht nur die Absatzmengen aus dem Normal-Geschäft, sondern auch die Absatzmengen aus
dem Aktionsgeschäft berücksichtigt werden.67

In der vierten Phase sollen Händler und Hersteller jene Ausnahmegrößen (Faktoren) ermit-
teln, die u. U. kurz- bzw. mittelfristig einen Einfluss auf den Absatz haben können. Zu diesen
Ausnahmegrößen gehören z. B. Veränderung des Nachfrage-Verhaltens sowie Schließung/
Neueröffnung von Verkaufsstellen. Diese Ausnahmegrößen sollen in die Absatzprognose inte-
griert werden, um deren Güte zu verbessern. Einige dieser Ausnahmegrößen lassen sich mit
Hilfe eigener Informationen häufig nicht oder nur schwer messen (z. B. Trends). Vor diesem
Hintergrund sollen Händler und Industrie in der fünften Phase zusätzliche Informationen
heranziehen (z. B. Entwicklung demographischer Daten) und/oder selbst erheben (z. B. Be-
fragung der Nachfrager am Point of Sale) und auswerten, um die betreffenden Ausnahmegrö-
ßen quantifizieren zu können.

Auf der Grundlage der verbesserten Absatzprognose wird in der sechsten Stufe eine Auftrags-
prognose erstellt. Auf der Grundlage der Auftragsprognose soll der Hersteller in der Lage sein,
seine Produktionsplanung und die damit verbundenen Ressourcen zeitig abstimmen zu können.

In der siebten Phase sollen Händler und Hersteller prüfen, ob kurz- bzw. mittelfristig Ausnah-
me-Größen auftreten können, die die Auftragshöhe beeinflussen. Zu diesen Ausnahme-
Größen zählen z. B. Veränderungen der Produktions-Kapazitäten, Lieferprobleme bei den
Vorlieferanten sowie Schließung/Neueröffnung von Verkaufsstellen. In der anschließenden
Phase sollen Informationen über diese Ausnahmen erhoben und berücksichtigt werden, um
die Wirkung der Ausnahme-Größen auf die Auftragshöhe quantifizieren zu können. Mit Hilfe
der quantifizierten Ausnahme-Größen soll nun die Auftragsprognose verbessert werden.

In der letzten Stufe wird auf der Grundlage der verbesserten Auftragsprognose die Bestellung
beim Hersteller ausgelöst. Der Hersteller ist für die Auftragsabwicklung zuständig. Nach
Fertigstellung der bestellten Ware wird der Händler (i. d. R. die Handelszentrale) beliefert,
der dann für die Belieferung seiner eigenen Verkaufsstellen verantwortlich ist.

65
Vgl. VICS ASSOCIATION (2002), S. 7 f.
66
Vgl. GRÜNBLATT (2004), S. 235 ff.
67
Vgl. KATZ (2000), S. 78 ff., zur Darstellung der Absatzprognose im Rahmen des CPFR.
384 GRÜNBLATT

In den USA wurden bereits die ersten Pilotprojekte Mitte der 1990er Jahre erfolgreich abge-
schlossen.68 In der Bundesrepublik Deutschland starteten die ersten Pilotprojekte etwa 5 Jahre
später. Auch in Deutchland wurden gute Ergebnisse erreicht.69

An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass in der Literatur zu ECR und CPFR die Vor- und
Rohstofflieferanten (Upstream-Bereich) sowie Logistikunternehmen zumeist nicht berück-
sichtigt werden.70 Ein wesentlicher Grund für diesen Umstand ist u. U. auf die bereits genann-
ten Probleme der Vor- und Rohstofflieferanten (z. B. geringe Ressourcen und schwache Infra-
struktur zur Nutzung von Abverkaufsdaten) zurückzuführen.71

4 Diffusionsgrad vertikaler Kooperationen


in der Deutschen Konsumgüter-Wirtschaft –
Ausgewählte Ergebnisse einer empirischen Untersuchung

4.1 Ziele der Befragung und Charakteristika der befragten Stichprobe


Im Jahr 2003 wurde eine Befragung zum Thema „vertikale Kooperationen in der Unterneh-
menspraxis“ von der FernUniversität Hagen durchgeführt.72 Ein wesentliches Ziel dieser
Befragung war der Diffusionsgrad von vertikalen Kooperationen in der Lebensmitteldistribu-
tion zu ermitteln. Im Jahr 2005 wurde diese Befragung in Zusammenarbeit mit der Münchner
Unternehmensberatung Gruppe Nymphenburg Consult AG wiederholt. Im Folgenden werden
die wesentlichen Ergebnisse dieser Befragungen vorgestellt.

An der Befragung im Jahre 2005 (2003) nahmen 29 (23) Unternehmen des Lebensmittelein-
zelhandels teil. Von den befragten Industrieunternehmen waren 32 (24) Unternehmen der
Lebensmittelindustrie, 24 (22) der Chemie- und Pharmaindustrie und 9 (6) der Textil- und
Bekleidungsindustrie zuzuordnen.

Die befragten Handelsunternehmen der Stichprobe erzielten 2005 einen Jahresumsatz in


Höhe von 110,23 Mrd. €. Dies stellt ein Umsatzanteil von 81,17% des Gesamtumsatzes im
Deutschen institutionellen Lebensmittelhandel dar (135,8 Mrd. €).73

68
Vgl. VICS ASSOCIATION (1999), S. 30 ff. Beispiele für CPFR-Kooperationen in den USA sind z. B. die Koopera-
tion zwischen Nabisco Inc. und Wegmans Food Markets; Kimberly-Clark und Kmart; Wal*Mart und Sara Lee
Branded Apparel.
69
Vgl. TREECK (2002), S. 36 f. Beispiele für CPFR-Kooperationen in der Bundesrepublik Deutschland sind z. B.
die Kooperationen zwischen Procter & Gamble und Metro AG, Henkel Wasch- und Reinigungsmittel GmbH und
dm-drogerie markt GmbH + Co. KG, Johnson & Johnson und Metro AG sowie Rewe Zentral AG und Mann &
Schröder GmbH.
70
Vgl. z. B. HENSCHE (1991), S. 290 ff., KOTZAB (1997), S. 132 f., FERNIE (1999), S. 176 und SARX/TREECK (2000),
S. 29 f.
71
Vgl. SULLIVAN/KANG (1999), S. 4 ff. zur Analyse der Adaption von „Quick Response“ in der Unternehmenspraxis.
72
Vgl. GRÜNBLATT (2005), S. 27 ff.
73
Vgl. ACNIELSEN (2006), S. 10.
Kooperationen zwischen Markenartikelindustrie und Lebensmitteleinzelhandel 385

Die befragten Industrieunternehmen der Lebensmittel-Branche erzielten im Jahr 2005 einen


Umsatz in Höhe von 63,22 Mrd. €. Dies stellt ein Umsatzanteil von 47,36% des Gesamtum-
satzes in der Deutschen Lebensmittelindustrie dar (133,5 Mrd. €).74

Textil- und
Bekleidungs-
Industrie
Lebensmittel- 9,6% (9)
Industrie
34% (32)

Chemie- und
Pharma-
Industrie
25,5% (24)

Institutioneller
Einzelhandel
30,9% (29)

Abbildung 4: Stichprobe

Die befragten Chemie- und Pharma-Unternehmen erzielten im Jahr 2005 einen Umsatz in Höhe
von 83,13 Mrd. €. Dies entspricht einem Umsatzanteil von 54,40% des Gesamtumsatzes der
Deutschen Chemie- und Pharmaindustrie (152,8 Mrd. €).75

Die befragten Unternehmen der Textil- und Bekleidungsindustrie erzielten einen Jahresumsatz
in Höhe von 2,01 Mrd. €. Der Gesamtumsatz der Deutschen Textil- und Bekleidungs-Industrie
betrug im Jahr 2005 22,16 Mrd. €. Der Umsatzanteil der befragten Unternehmen beträgt somit
9,07%.76

74
Vgl. BVE (2006).
75
Vgl. VCI (2006), S. 16.
76
Vgl. GTM (2006).
386 GRÜNBLATT

4.2 Einfluss von Unternehmensgröße und Infrastruktur


zur Nutzung von Abverkaufsdaten des Handels
Eine wesentliche Einflussgröße auf die Anzahl von vertikalen Kooperationen, die ein Unter-
nehmen durchführt, ist die Unternehmensgröße. Großunternehmen nutzen in der Regel Ab-
verkaufsdaten häufiger und intensiver als kleinere Unternehmen und deshalb besitzen sie ein
besseres Know-How zur Analyse von Abverkaufsdaten.77

Aus Sicht des Handels stellen Großunternehmen der Industrie häufig geeignete Kooperations-
partner dar, weil sie mit Blick auf gelistete Artikel nicht selten zu einem relativ hohen Umsatz
im Handel beitragen. Der hohe Marktanteil des betreffenden Industrieunternehmens ist in der
Regel auf ein hohes Know-How im Rahmen des Marketing und der Marktforschung zurück-
zuführen. Es liegt die Vermutung nahe, dass Handelsunternehmen Kooperationen mit Groß-
unternehmen der Industrie bevorzugen, um von diesem Know-How profitieren zu können.

Ein ähnliches Verhalten ist aus Sicht von Industrieunternehmen denkbar. Neben dem potenzi-
ellen Know-How-Gewinn ist für Industrieunternehmen ebenfalls wichtig, dass große Han-
delsunternehmen in der Regel eine größere Distributionsquote als kleinere Handelsunterneh-
men ermöglichen. Kooperationen mit großen Handelsunternehmen können somit zu einer
Sicherung der bereits erzielten Distributionsquote oder zu einer Erhöhung der Distributions-
quote der eigenen Produkte beitragen. Deshalb ist es auch denkbar, dass Industrieunterneh-
men Kooperationen mit großen Handelsunternehmen auch dann eingehen, wenn das Know-
How des potenziellen Handelspartners vergleichsweise gering ist.

Eine weitere wesentliche Einflussgröße für die Anzahl der vertikalen Kooperationen eines
Unternehmens stellt die vorhandene Infrastruktur zur Nutzung und Analyse von Abverkaufs-
und Kundendaten des Einzelhandels dar. Unternehmen, die keine oder eine schwache Infra-
struktur aufweisen, können in der Regel die Nutzen-Potenziale von vertikalen Kooperationen
nicht oder nicht in vollem Umfang ausschöpfen, weil u. U. die notwendigen Daten nicht aus-
getauscht oder nicht ausgewertet werden können.

Wesentliche Instrumente, die die Nutzung von Abverkaufsdaten in einem Unternehmen för-
dern, stellen insbesondere die Weiterbildung der betreffenden Mitarbeiter, die Installation
eines entsprechenden EDV-Systems (z. B. EDI-Systeme und Extranets) und der Einsatz von
computergestützten Analyse-Verfahren dar. Unter computergestützte Analyse-Verfahren sind
im i. e. S. Softwarepakete (z. B. Oracle, Apollo, CatMan) gemeint, mit deren Hilfe Abver-
kaufsdaten ausgewertet werden können.

Im Folgenden wird der Einfluss der Infrastruktur zur Nutzung und Analyse von Abverkaufs-
daten und der Unternehmensgröße auf die Anzahl der Kooperationen eines Unternehmens
untersucht. Zu diesem Zweck wird eine Clusterzentrenanalyse durchgeführt. Für die Opera-
tionalisierung der Infrastruktur wird die Summe der eingesetzten Instrumente (Weiterbildung,
EDV-System, computergestützte Analyse-Verfahren) verwendet, wobei jedes Instrument als
gleichwertig angesehen wird. Für die Operationalisierung der Unternehmensgröße hingegen
wird der erzielte Jahresumsatz herangezogen.

77
Vgl. GRÜNBLATT (2004), S. 166 ff.
Kooperationen zwischen Markenartikelindustrie und Lebensmitteleinzelhandel 387

Wenn insgesamt n Cluster gebildet werden sollen, werden die Werte der ersten n Unternehmen
als provisorische Clusterzentren angesehen (siehe erste Tabelle in Abbildung 5). Anschließend
werden die übrigen Unternehmen daraufhin untersucht, ob sie bessere Clusterzentren als die
ersten n Fälle abgeben. Das provisorische Clusterzentrum wird dann ausgetauscht, wenn ein
anderer Fall eine höhere Distanz zu dem ihm am nächsten gelegenen Clusterzentrum aufweist.
Als Distanzmaß wird die Euklidische Distanz verwendet.

Anfängliche Clusterzentren
Cluster
1 2 3
Anzahl der Kooperationen ,00 50,00 20,00
Infrastruktur 1,00 3,00 3,00
Jahresumsatz in Mrd. € 2,00 10,00 9,00

Iterationsprotokoll a
Änderung in Clusterzentren
Iteration 1 2 3
1 4,844 5,000 2,288
2 ,270 ,000 ,702
3 ,374 ,000 1,217
4 ,239 ,000 ,858
5 ,240 ,000 1,000
6 ,128 ,000 ,597
7 ,000 ,000 ,000
a. Erzielte Konvergenz aufgrund keiner oder geringer Distanzänderung. Die
maximale Distanz, um die ein Zentrum verändert wurde, ist ,000. Die
aktuelle Iteration ist 7. Die minimale Distanz zwischen anfänglichen
Zentren ist 21,095.

Clusterzentren der endgültigen Lösung


Cluster
1 2 3
Anzahl der Kooperationen 4,64 45,00 22,06
Infrastruktur 1,45 3,00 2,68
Jahresumsatz in Mrd. € 3,60 8,70 5,63

Abbildung 5: Clusterzentrenanalyse

Die Fälle, die die höchste Distanz (Heterogenität) zwischen den Clusterzentren erzeugen, bil-
den die Ausgangswerte für die Zuordnung der Objekte (Unternehmen) zu den einzelnen Clus-
tern im ersten Iterationsschritt (siehe mittlere Tabelle in Abbildung 5). Die Tabelle mit der
Überschrift Iterationsprotokoll zeigt die einzelnen Schritte bei der Zuordnung der Unterneh-
388 GRÜNBLATT

men zu den einzelnen Clustern. Bei jedem Iterationsschritt werden die Unternehmen erneut
einem Cluster zugeordnet. Anhand der Zuordnungswerte werden die Clusterzentren erneut
berechnet. Die Abweichungen zwischen dem vorherigen und dem neuen Clusterzentrum wer-
den nach jedem Iterationsschritt berechnet (siehe mittlere Tabelle in Abbildung 5). Die Stärke
der Veränderungen bei den Clusterzentren nimmt mit jedem Iterationsprozess ab. In dem vor-
liegenden Fall wurde der Iterationsprozess nach der siebten Iteration beendet, weil die siebte
Zuteilung der Unternehmen keine Veränderung der Clusterzentren mehr bewirkt hat (Verän-
derung: 0,000).

Die untere Tabelle in Abbildung 5 zeigt das Endergebnis der Clusteranalyse. Die errechneten
Werte für die Anzahl der Kooperationen, den Entwicklungsstand der Infrastruktur und den
Jahresumsatz sind in jedem Cluster unterschiedlich.

Distanz zwischen Clusterzentren der endgültigen Lösung


Cluster 1 2 3
1 6,020 2,247
2 6,020 8,908
3 2,247 8,908

ANOVA
Cluster Fehler
Mittel der Mittel der
Quadrate df Quadrate df F Sig.
Jahresumsatz in Mrd. € 165,183 2 7,127 91 23,176 ,000
Anzahl der Kooperationen 3193,695 2 21,746 91 146,871 ,000
Infrastruktur 8,695 2 ,905 72 9,611 ,000

Anzahl der Fälle in jedem Cluster


Cluster 1 60,000
2 7,000
3 27,000
Gültig 94,000
Fehlend ,000

Abbildung 6: Ausmaß der Heterogenität zwischen den Clustern

Um das Ausmaß der Heterogenität zwischen den gebildeten Clustern zu ermitteln, müssen u. a.
die Distanzen zwischen den Clustern herangezogen werden.

Die erste Tabelle in Abbildung 6 zeigt die euklidischen Distanzen zwischen den ermittelten
Clusterzentren. Es ist offensichtlich, dass sich die Cluster 2 und 3 mit Blick auf die gewählten
Variablen am stärksten unterscheiden (größte Distanz). Die Cluster 1 und 3 hingegen liegen
vergleichsweise enger beieinander und sind deshalb ähnlicher.
Kooperationen zwischen Markenartikelindustrie und Lebensmitteleinzelhandel 389

Die Ergebnisse der Varianzanalyse (ANOVA) zeigen, dass sich die Mittelwerte der einzelnen
Variablen Anzahl der Kooperationen, Infrastruktur und Jahresumsatz in den drei Clustern
signifikant unterscheiden. Dies deutet daraufhin, dass sich die ermittelten Cluster ebenfalls
signifikant unterscheiden. Mit Blick auf die Ermittlung der Cluster ist nicht nur die Heteroge-
nität der Cluster von Bedeutung, sondern auch die Größe der einzelnen Cluster. Die untere
Tabelle in Abbildung 6 zeigt die Anzahl der Fälle, die jedem Cluster zugeordnet wurden. Das
erste Cluster umfasst 60, das zweite Cluster 7 und das dritte Cluster 27 Unternehmen.

50,0
7,5%
45,0 Leaders

40,0

Leaders
Anzahl der Kooperationen (2004-2005)

35,0

30,0

25,0
63,8%

20,0
Followers
15,0 Followers

28,7%
10,0 3,0
Laggards Laggards 2,5

2,0
1,5
5,0 1,0
0,5
0,0
9,0 7,5 6,0 4,5 3,0 1,5
Jahresumsatz in Mrd. Euro
*Clusterzentren (2003)

Abbildung 7: Positionierung und Interpretation der Cluster

Die Abbildung 7 zeigt die Positionierung der drei Cluster in einem mehrdimensionalen Raum.
Zur Positionierung der Cluster werden die errechneten Werte der Clusterzentren aus der unte-
ren Tabelle der Abbildung 6 verwendet. Die Größe der einzelnen Cluster wird durch die An-
zahl der Fälle bestimmt. Die Pfeile zeigen zeitliche Veränderung der Position der Clusterzen-
tren im Vergleich zu 2003 auf.
390 GRÜNBLATT

Die einzelnen Cluster zeigen Unternehmensgruppen, die sich hinsichtlich der Variablen Infra-
struktur, Jahresumsatz und Anzahl der Kooperationen ähneln. Cluster 1 umfasst 63,8% der
Unternehmen ein. Die Unternehmen in diesem Cluster gehen vergleichsweise weniger verti-
kale Kooperationen ein als die Unternehmen aus Cluster 2 (im Durchschnitt 11,0 Kooperatio-
nen pro Jahr). Darüber hinaus besitzen sie im Durchschnitt eine schwächere Infrastruktur
(zwischen zwei und drei Instrumenten) und erzielen einen geringeren Jahresumsatz (ca. 5,6
Mrd. Euro) als die Unternehmen aus Cluster 2.

Cluster 2 umfasst hingegen 7,5% der befragten Unternehmen. Diese führen die höchste An-
zahl an vertikalen Kooperationen durch (im Durchschnitt 22,5 Kooperationen pro Jahr), be-
sitzen eine sehr gute Infrastruktur zur Nutzung und Analyse von Abverkaufs- und Kundenda-
ten des Einzelhandels (alle drei Instrumente) und erzielen einen relativ hohen Jahresumsatz
(im Durchschnitt ca. 8,7 Mrd. Euro).

Cluster 3 setzt sich aus 28,7% der befragten Unternehmen zusammen. Diese Gruppe der
Unternehmen geht die wenigsten vertikalen Kooperationen ein (im Durchschnitt 2,3 Koopera-
tionen pro Jahr). Zudem weist sie im Vergleich die schwächste Infrastruktur (im Durchschnitt
ein Instrument) auf und erzielt im Durchschnitt den geringsten Jahresumsatz (im Durchschnitt
3,6 Mrd. Euro).

4.3 Ökonomische Interpretation der Ergebnisse


Gemäß der Diffusions- und Adoptions-Theorie kann die aktuelle Situation der Nutzung von
vertikalen Kooperationen in der deutschen Konsumgüter-Wirtschaft wie folgt skizziert werden:

¾ Cluster 2: 7,4% der Unternehmen sind so genannte Leaders,


¾ Cluster 1: 63,8% der Unternehmen sind so genannte Verfolger,
¾ Cluster 3: 28,7% der Unternehmen sind so genannte Nachzügler.

Eine relativ kleine Gruppe von Industrie- und Handelsunternehmen (Cluster 2) nimmt die
Rolle von so genannten Leaders (Innovatoren) ein. Die Implementierung von vertikalen Ko-
operationen auf dem Gebiet der Nutzung von Abverkaufsdaten setzt nicht selten einen mittel-
bis langfristigen Zeitrahmen voraus, weil zuerst ein gewisses Vertrauen zwischen den Koope-
rationspartnern aufgebaut werden muss. Das Vertrauen stellt vielfach eine wesentliche Vo-
raussetzung dafür dar, dass Informationen (z. B. Abverkaufsdaten) kontinuierlich ausge-
tauscht werden können. Wird dieser zeitliche Aspekt von vertikalen Kooperationen berücksich-
tigt, so liegt die Vermutung nahe, dass die Unternehmen aus Cluster 2 durch die frühe
Übernahme und die Weiterentwicklung von innovativen Ansätzen zur vertikalen Kooperation
(z. B. CM, ECR und CPFR) einen größeren Erfahrungsvorsprung als die übrigen Unterneh-
men erzielen konnten. Die gewonnene Erfahrung dieser Unternehmen dürfte eine Eintritts-
barriere für die übrigen Unternehmen bilden, da die Erfahrung auf dem Gebiet der kooperati-
ven Nutzung von Abverkaufsdaten in zahlreichen Fällen ein wesentliches Kriterium für die
Auswahl von Kooperationspartnern darstellt.
Kooperationen zwischen Markenartikelindustrie und Lebensmitteleinzelhandel 391

Die breite Masse (Cluster 1) hingegen stellt die Gruppe der Verfolger (Followers) dar. Diese
Unternehmen versuchen die Lücke zu den Leaders zu schließen. Sie haben vermutlich später
mit der Durchführung von vertikalen Kooperationen als die Leaders begonnen. Demzufolge
besitzen sie weniger Erfahrung.

Etwa ein Drittel der Unternehmen (Cluster 3) stellt die Gruppe der Nachzügler (Laggards)
dar. Diese Unternehmen haben mit der Durchführung von vertikalen Kooperationen noch
nicht oder u. U. sehr spät begonnen. Zudem verfügt diese Gruppe von Unternehmen über eine
vergleichsweise schwache Infrastruktur zur Nutzung und Analyse von Abverkaufs- und Kun-
dendaten des Einzelhandels. Deshalb ist zu erwarten, dass diese Unternehmen noch nicht
viele und nicht umfangreiche Kooperationen (z. B. ECR und CPFR) eingehen können.

Betrachtet man die Veränderung der Position der Cluster im Zeitverlauf, so kann man deut-
lich erkennen, dass umsatzstärkere Unternehmen sich zunehmend mit dem Thema „vertikale
Kooperationen“ beschäftigen (siehe horizontale Verschiebung der Clusterzentren). Darüber
hinaus zeigt sich, dass die Anzahl der Kooperationen insgesamt deutlich zugenommen hat
(höhere Kooperations-Intensität). Dies gilt insbesondere für die Gruppe der Leaders (von 12,5
auf 22,5) und für die Gruppe der Followers (von 5,5 auf 11,0). Zudem lässt sich feststellen,
dass die Gruppe der Verfolger ihre Infrastruktur zur Nutzung der Abverkaufsdaten des Han-
dels deutlich verbessert haben (von 1,97 auf 2,68). Die Infrastruktur der Nachzügler zur Nut-
zung der Abverkaufsdaten des Handels ist mit 1,45 immer noch deutlich schwächer ausge-
prägt.

Darüber hinaus lassen die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung vermuten, dass ein
positiver Zusammenhang zwischen der Unternehmensgröße und dem Entwicklungsstand der
Infrastruktur eines Unternehmens gegeben sein muss, da der Einfluss der Unternehmensgröße
und der Infrastruktur auf die Anzahl der durchgeführten vertikalen Kooperationen eines Un-
ternehmens offensichtlich am größten ist, wenn die Ausprägungen beider Einflussgrößen
auch groß sind.

Als Fazit kann festgestellt werden: Derzeit können die Kostensenkungs-Potenziale in der
kooperativen Distribution und Logistik sowie die Effizienzvorteile im Rahmen des kooperati-
ven Marketing durch Kooperationen nicht voll ausgeschöpft werden, weil der Diffusionsgrad
derartiger Kooperationen in der deutschen Konsumgüterwirtschaft noch zu gering ist. Dies
gilt insbesondere bei kleinen und mittelständischen Unternehmen.

Die Ergebnisse lassen auch erkennen, dass Kooperationen am häufigsten zustande kommen,
wenn die Kooperations-Teilnehmer relativ „groß“ sind und über eine vergleichsweise gute
Infrastruktur zur Nutzung von Abverkaufsdaten verfügen. Diese Konstellation bietet für die
Kooperations-Teilnehmer offensichtlich die besten Voraussetzungen für eine so genannte
Win-Win-Situation. Gleichzeitig verdeutlicht dieses Szenario, dass Großunternehmen ihre
Wettbewerbsposition gegenüber KMUs weiter verbessern können. Dieses Kooperations-
Verhalten von Industrie und Handel kann somit weitere Konzentrations- und Abschmelzungs-
Prozesse in der deutschen Konsumgüter-Wirtschaft zur Folge haben.
392 GRÜNBLATT

4.4 Divergenzen im Kooperations-Verhalten


zwischen Industrie und Handel
Ein wesentlicher Aspekt, der neben der Infrastruktur zur Nutzung von Abverkaufsdaten des
Handels und der Unternehmensgröße die Anzahl der durchgeführten Kooperationen beein-
flusst, ist die Kooperations-Bereitschaft und das Kooperations-Verhalten.

Auf einer Skala zwischen 1 (sehr hoch) bis 7 (sehr niedrig) bewerteten 43,1% der befragten
Industrieunternehmen den Nutzen von Kooperationen mit dem Handel auf dem Gebiet der
Nutzung von Abverkaufsdaten als sehr hoch. Bei den befragten Handelsunternehmen waren
es nur 31,0%. Besonders auffallend ist die Tatsache, dass die befragten Industrie und Han-
delsunternehmen den Nutzen von Kooperationen deutlich positiver bewerteten als im Jahr
2003 (siehe Abbildung 8). Insgesamt unterscheiden sich die Bewertungen der Industrie und
des Handels hinsichtlich des Nutzens von Kooperationen nur geringfügig. Die Industrie beur-
teilt den Nutzen von Kooperationen im Durchschnitt mit 1,8 (hoch bis sehr hoch). Handelsun-
ternehmen hingegen schätzen den Nutzen von Kooperationen im Durchschnitt mit 2,1 (hoch)
etwas geringer ein.

Wie beurteilen Sie den Nutzen von Kooperationen zwischen Industrie und Handel?

41,6% (+6,8%)
sehr hoch (+4,7%)
31,0%

30,8% (+2,5%)
hoch
31,0% (+4,7%)

24,6%
befriedigend (+0,7%)
24,2%
(-2,1%)

1,5%
gerade noch befriedigend
6,9% (-5,0%)
(+1,6%)

1,5% (-0,7%)
ausreichend
6,9% (-3,6%)

0,0% (-4,3%)
gerade noch ausreichend n=94
0,0% (±0,0%)

Industrie
0,0% (±0,0%)
sehr niedrig
0,0% (-5,3%) Handel

Werte in Klammern (Veränderung in %-Punkte vs. 2003)

Abbildung 8: Nutzen von vertikalen Kooperationen


Kooperationen zwischen Markenartikelindustrie und Lebensmitteleinzelhandel 393

Sind weitere Kooperationen mit der Industrie/dem Handel geplant?

16,9% (-14,7%)
Handel
83,1%

(-9,8%)

Industrie
100,0%
nein
ja

0,0% 20,0% 40,0% 60,0% 80,0% 100,0%


Werte in Klammern (Veränderung in %-Pkte. vs. 2003)

Abbildung 9: Planung zukünftiger Kooperationen

Unternehmen, die während der letzten zwei Jahre keine Kooperationen mit dem Handel/der
Industrie durchführten, bewerteten den Nutzen von Kooperationen deutlich geringer mit
(2,51) befriedigend als die übrigen Unternehmen mit (1,94) hoch. Zu den Unternehmen, die
keine Kooperationen durchführten, gehören 10,0% (vs. 35% im Jahr 2003) der befragten
Handelsunternehmen. Dies lässt u. U. darauf schließen, dass der Unterschied in der Bewer-
tung des Nutzens von Kooperationen auf dem Gebiet der Nutzung von Abverkaufsdaten u. a.
auf die geringe Erfahrung des Handels in diesem Bereich zurückzuführen ist.

Besonders auffallend in diesem Zusammenhang ist auch die Tatsache, dass der Handel hin-
sichtlich der Planung zukünftiger Kooperations-Projekte mit der Industrie zurückhaltend ist.
16,9% der befragten Handelsunternehmen planen derzeit keine (weiteren) Kooperationen mit
der Industrie. Bei den befragten Industrieunternehmen hingegen planen alle Hersteller zu-
künftig Kooperationen mit dem Handel einzugehen (siehe Abbildung 9).

Die Nutzen-Potenziale von Kooperationen zwischen Industrie und Handel scheinen in der
handelsbetrieblichen Praxis, insbesondere bei kleinen und mittelständischen Handelsunter-
nehmen, z. T. nicht ausreichend bekannt zu sein. Hier müssten die betreffenden Handelsunter-
nehmen noch intensiver über die Nutzen-Potenziale derartiger Kooperationen aufgeklärt wer-
den. Als geeignete Institutionen für die Aufhellung des Nutzens von Kooperationen zwischen
Industrie und Handel kommen aus Sicht des Handels insbesondere der Verband Euro-
Handelsinstitut e. V. (EHI, Köln) und Global Standard one Germany (GS1, Köln) in Frage.
394 GRÜNBLATT

4.5 Technische und methodische Probleme


von vertikalen Kooperationen
Wesentliche Faktoren, die die Durchführung von vertikalen Kooperationen in der Unterneh-
menspraxis hemmen, sind im Wesentlichen ungelöste technische und methodische Probleme,
die im Zusammenhang mit der Nutzung von Abverkaufsdaten des Handels für logistische und
vertriebliche Aufgaben stehen. Abbildung 10 zeigt aus Sicht der Industrie und des Handels
die wesentlichen technischen und methodischen Probleme von Kooperationen zwischen In-
dustrie und Handel.

Aus Sicht der Industrie sind die hohen Kosten für die Datenbeschaffung und -analyse sowie
der Zugang zu den Daten des Handels die gravierenden Probleme. Weitere Probleme ergeben
sich durch die aufwendige Aufbereitung und Auswertung der Daten sowie durch das fehlende
Personal für die Auswertung der Daten. Diese letzt genannten Aspekte betreffen allerdings
auch den Handel (siehe Abbildung 10).

Darüber hinaus nannten jeweils 26,1% und 8,7% der befragten Handelsunternehmen die fehlen-
den EDI-Standards und die fehlende EAN-Codierung für Frischware als wichtige Probleme des
Austauschs und Nutzung von Informationen. Demgegenüber nannten jeweils 9,6% und 15,4%
der befragten Industrieunternehmen die geringe Datenqualität und die unterschiedlichen Daten-
formate als weitere Probleme der kooperativen Nutzung von Abverkaufsdaten.

Erhebliche Unterschiede zwischen Industrie und Handel hinsichtlich der Wahrnehmung der
Probleme der Nutzung von Abverkaufsdaten treten hauptsächlich im Zusammenhang mit den
Kosten und dem Zugang zu den Daten des Handels auf. Die Industrie empfindet im Vergleich
zu dem Handel die hohen Kosten für die Beschaffung und Auswertung der Daten sowie den
z. T. schweren Zugang zu den Daten als wesentliche Probleme der Nutzung von Abver-
kaufsdaten des Handels.

Mit Blick auf die Erforschung von Analyseverfahren und die Entwicklung von Software zur
Verbesserung der Datenanalyse verspüren sowohl die befragten Industrie- als auch die be-
fragten Handelsunternehmen einen ähnlich hohen Handlungsbedarf (siehe Abbildung 11).
Mit Blick auf einen einfachen und kostengünstigen Zugang zu den Daten und auf die Verbes-
serung der Schulung und Weiterbildung der betreffenden Mitarbeiter hingegen treten deutli-
che Unterschiede in der Bewertung zwischen den befragten Industrie- und Handelsunterneh-
men auf.
Kooperationen zwischen Markenartikelindustrie und Lebensmitteleinzelhandel 395

Worin sehen Sie die wesentlichen Probleme von Kooperationen


zwischen Industrie und Handel?
trifft Zustimmungsgrad trifft gar
Problemfelder voll zu nicht zu
1 2 3 4 5 6 7

Vorgegebene Kategorien
Hohe Kosten***

Zugang zu den Daten***


Konfliktpotenzial zw.
Industrie und Handel
Schwierigkeiten bei der
Umsetzung der
Ergebnisse
Aufwendige
Aufbereitung und
Auswertung der Daten
Fehlendes Personal für
die Auswertung
der Daten
Geringer Nutzen durch
geringe Möglichkeiten
der Datenanalyse
Manipulations-
Spielräume der Daten

andere: andere:
Freiwillige Angaben
Freiwillige Angaben (Ha ndel)
(26,1%) (Industrie)
Fehlende EDI-Standards (9,6%) Geringe Datenqualität

Fehlende EAN-Codie- (15,4%) Unterschiedliche


rung für Frischware (8,7%) Datenformate

Handel Industrie
*** Sig. D < 0,01

Abbildung 10: Technische und methodische Probleme von Kooperationen zwischen Indu-
strie und Handel

9,6% der befragten Industrieunternehmen nannten die Entwicklung von Tools zur Aufberei-
tung und Verknüpfung unterschiedlicher Datenformate sowie die Vereinheitlichung und Ver-
besserung der Datenformate und der Datenqualität als wesentliche Maßnahmen zur Verbesse-
rung der Nutzung von Abverkaufsdaten des Handels. Von den befragten Handelsunternehmen
sahen jeweils 26,7% und 21,7% die Standardisierung von EDI-Systemen und die Verbesse-
396 GRÜNBLATT

rung der EAN-Codierung für Frischware als wesentliche Schritte zur Förderung von Koope-
rationen zwischen Industrie und Handel in der Lebensmitteldistribution (siehe Abbildung 11).

Was müsste sich aus Ihrer Sicht tun, damit die Analyse von Informationen im Rahmen
von Kooperationen zwischen Industrie und Handel verbessert wird?
trifft Zustimmungsgrad trifft gar
Verbesserungsansätze voll zu nicht zu
1 2 3 4 5 6 7

Vorgegebene Kategorien
Einfacher und
Kostengünstiger Zugang zu
den Daten***
Intensivierung der Erfor-
Schung neuer Verfahren zur
Analyse der Daten

Entwicklung von Software


zur Auswertung der Daten

Schulungs- und Weiterbil-


dungsmöglichkeiten der
betreffenden Mitarbeiter**

andere: andere:
freiwillige Angaben (Handel) freiwillige Angaben (Industrie)
(26,1%)
Verbesserung der (9,6%) Entwicklung von Tools zur
EAN-Codierung für Aufbereitung/Verknüpfung
Frischware unterschiedlicher
Datenformate
Standardisierung von (21,7%)
EDI-Systemen Vereinheitlichung und
(9,6%) Verbesserung der
Datenformate und -qualität
Handel Industrie
*** Sig. D < 0,01
** Sig. D < 0,05

Abbildung 11: Handlungsbedarf auf dem Gebiet des Informations- und Datenmanagement
Kooperationen zwischen Markenartikelindustrie und Lebensmitteleinzelhandel 397

4.6 Ansätze zur Lösung der Probleme in Industrie und Handel


Wesentliche Ansätze zur Lösung der skizzierten Probleme der Industrie und des Handels im
Rahmen der kooperativen Nutzung von Abverkaufsdaten sind:

¾ Die Durchsetzung von EDI-Standards im Rahmen des bi- und multilateralen Datenaus-
tauschs zwischen Industrie und Handel sollte weiter intensiviert werden.
¾ Ein zentraler und frei zugänglicher Datenpool (Marktplatz) sollte eingerichtet werden,
um damit auch technologische Standards für die Datenformate und -qualität durchzuset-
zen. Der Austausch von Stamm- und Abverkaufsdaten zwischen Handels- und Industrie-
unternehmen sollte auf diese Weise erleichtert und die damit verbundenen Kosten der
Datenbeschaffung und des Datentransfers gesenkt werden.
¾ Die Erforschung von praxisorientierten Verfahren zur Analyse von Abverkaufsdaten
sollte intensiviert werden, um die Nutzen-Potenziale von vertikalen Kooperationen bes-
ser ausschöpfen zu können.
¾ Die Ausbildung von Personal für die Analyse und Auswertung der Daten sollte intensi-
viert werden.
¾ Eine Verbesserung der Qualifikation der betreffenden Mitarbeiter im Bereich der Analy-
se und Auswertung von Abverkaufsdaten kann u. U. durch die Erarbeitung von Inhalten
und Richtlinien zur Schaffung eines neuen Berufsbilds (z. B. Abverkaufsdaten-Analyst,
Abverkaufsdaten-Manager) erreicht werden.
¾ Weitere Maßnahmen zur Verbesserung der Qualifikation der betreffenden Mitarbeiter
stellen z. B. der multilaterale Transfer von Know-How zwischen Unternehmen und die
Intensivierung der Zusammenarbeit von Unternehmenspraxis und Forschungsinstituten
dar. In den USA werden derartige Kooperationen zwischen Unternehmenspraxis und For-
schungsinstituten seit Jahren mit relativ gutem Erfolg durchgeführt. Neben dem Transfer
von Know-How können solche Kooperationen zur Verbesserung der Qualifikation zu-
künftiger Nachwuchsmanager führen, da die Ausbildung an die Qualifikationsspezifika
der Unternehmenspraxis angepasst werden kann.
¾ Die EAN-Codierung für Frischwaren sollte mit Blick auf die automatisierte artikelgenaue
Abverkaufsdatenerfassung verbessert werden. Darüber hinaus sollten EAN-Standards für
die Codierung von Frischwaren durchgesetzt und verbreitet werden. Dies würde dann
u. U. wesentlich dazu beitragen, die kooperative Nutzung von Abverkaufsdaten in die-
sem Bereich zu verbessern, da entsprechende Warengruppen traditionelle Kundenfre-
quenzbringer im Lebensmittelhandel darstellen und damit für den Handel, aber auch für
die Lieferanten, von existenzieller Bedeutung sind.
398 GRÜNBLATT

5 Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse


der Untersuchung

Kleine und mittelständische Unternehmen haben auf dem Gebiet der Nutzung von Abver-
kaufsdaten gegenüber Großunternehmen einen vergleichsweise hohen Nachholbedarf. Die
Ursachen für die geringe Nutzung von Abverkaufsdaten und somit auch für die geringe An-
zahl an bi- und multilateralen Kooperationen von kleinen und mittelständischen Unternehmen
liegen hauptsächlich in der vergleichsweise schwachen Infrastruktur zur Nutzung von Abver-
kaufsdaten in diesen Unternehmen. Eine Verbesserung der Nutzung von Abverkaufsdaten in
kleinen und mittelständischen Unternehmen kann nur erreicht werden, wenn diese Unterneh-
men ihre Infrastruktur zur Nutzung von Abverkaufsdaten deutlich verbessern.

Mit Blick auf die kooperative Nutzung von Abverkaufsdaten lässt sich feststellen, dass die
Mehrheit der befragten Industrieunternehmen Abverkaufsdaten des Einzelhandels erhalten
und nutzen. Die kooperative Nutzung von Abverkaufsdaten hat noch keine kritische Masse
erreicht. Einige Industrie- und Handelsunternehmen haben auf dem Gebiet der kooperativen
Nutzung von Abverkaufsdaten immer noch zu wenig Erfahrung.

Darüber hinaus ist anzunehmen, dass einige Handelsunternehmen Abverkaufsdaten nicht an


alle gelisteten Hersteller zur Verfügung stellen möchten.78 Auf diese Art und Weise können
Industrieunternehmen nur einen Teil ihres Angebots mit der Nachfrage synchronisieren, weil
diese nicht von allen belieferten Handelsunternehmen Abverkaufsdaten erhalten können. Zu
wenig produzierte Mengen führen zu Problemen in der Warennachschub-Versorgung (z. B.
verspätete Warenlieferungen).

Der noch geringe Diffusionsgrad von Kooperationen zwischen Industrie und Handel in der
deutschen Lebensmittel-Distribution führt dazu, dass mögliche Kostensenkungs-Potenziale in
den Bereichen Distribution, Logistik, Marketing und Vertrieb nicht voll ausgeschöpft werden
können.

Ein weiteres Problem in diesem Zusammenhang stellt auch die relativ schwache Einbindung
von Vor- und Rohstofflieferanten sowie von Spediteuren und Transportunternehmen in derar-
tige Kooperationen dar. Die Kostensenkungs-Potenziale in diesem Bereich der Wertschöpf-
ungskette können somit nicht ausgenutzt werden. Ein erster Ansatz zur Integration der Vor-
und Rohstofflieferanten im Rahmen von vertikalen Distributions- und Logistik-Kooperatio-
nen stellt die Entwicklung von Extranets für den bi- und multilateralen Datenaustausch zwi-
schen Industrie und Vorlieferanten dar. Allerdings werden diese Extranets in der Bundesre-
publik Deutschland kaum genutzt.79

Die Nutzen-Potenziale der Abverkaufsdaten des Handels im Rahmen von vertikalen Distribu-
tions- und Logistik-Kooperationen können erst dann besser ausgeschöpft werden, wenn die
Infrastruktur zur Nutzung von Abverkaufsdaten des Handels nicht nur im Downstream-
Bereich (Hersteller und Händler), sondern auch im Upstream-Bereich (Vorlieferanten und

78
Vgl. PÖTZL/SCHNECKENBURGER (1999), S. 44 f., zur Analyse der Auswirkungen des Informationsaustausches auf
das ,Machtgefüge‘ zwischen Industrie und Handel.
79
Vgl. ECR-D-A-CH/PRICEWATERHOUSE CONSULTING (2002), S. 21.
Kooperationen zwischen Markenartikelindustrie und Lebensmitteleinzelhandel 399

Rohstofflieferanten) der Wertschöpfungskette und in der Transportlogistik deutlich verbessert


wird.

Sowohl die Industrie als auch der Handel sehen das größte Nutzen-Potenzial von Kooperatio-
nen im Category Management. Ca. 17% der befragten Handelsunternehmen planen zukünftig
keine Kooperationen mit der Industrie durchzuführen. Eine Intensivierung von Kooperationen
zwischen Industrie und Handel kann erreicht werden, wenn es gelingt, die betreffenden Han-
delsunternehmen stärker von den entsprechenden Nutzen-Potenzialen zu überzeugen.

Die Angaben der befragten Industrie- und Handelsunternehmen zu den methodischen und
technischen Problemen bei Kooperationen lassen erkennen, dass Industrie und Handel z. T.
unterschiedliche Probleme besitzen und deshalb hinsichtlich der Verbesserung des Informati-
ons- und Datenmanagement z. T. unterschiedliche Handlungsbedürfnisse verspüren. Die
Industrie sieht den größten Handlungsbedarf im Bereich der Verbesserung des Zugangs zu
den Daten des Handels. Hier steht die Senkung der Kosten für die Datenbeschaffung im Vor-
dergrund. Der Handel hingegen empfindet den größten Handlungsbedarf im Bereich der
Schulung und Weiterbildung der betreffenden Mitarbeiter.

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Enterprise 2.0 im Management –
Frischzellenkur für Sales & Services

WILLMS BUHSE

doubleYUU

1 Warum Enterprise 2.0? .................................................................................................. 407


2 Die Kunst loszulassen – Der Einfluss auf Leadership und Kommunikation ................. 408
3 Den Wandel gestalten: Der Weg zum Enterprise 2.0 .................................................... 409
4 Einführung: Projekt und Prozess ................................................................................... 410
5 Maßnahmen ................................................................................................................... 411
5.1 Change Agents ..................................................................................................... 411
5.2 Re-Mentoring....................................................................................................... 412
5.3 OpenSpaces.......................................................................................................... 412
5.4 E2.0-JAM Session................................................................................................ 413
6 Das Ziel – Die Einbeziehung des Kunden durch Open Innovation ............................... 414
6.1 1. Ebene: Support................................................................................................. 414
6.2 2. Ebene: Feedback .............................................................................................. 415
6.3 3. Ebene: Voting .................................................................................................. 415
6.4 4. Ebene: Stellungnahme...................................................................................... 415
6.5 crowdSPRING – Globaler Einkauf von Artwork ................................................. 415
7 Open Innovation braucht Enterprise 2.0 ........................................................................ 416
Weiterführende Literatur zum Thema Enterprise 2.0 ........................................................... 417
Enterprise 2.0 im Management 407

1 Warum Enterprise 2.0?

Gäbe es ein Rezept, einer Sales- und Serviceorganisation den Esprit, den Enthusiasmus, den
Erfindungsreichtum, die Leistungsbereitschaft, den Unternehmergeist und die Motivation
eines Startups dauerhaft einzuimpfen – was wäre diese Medizin wert? Wo bekommt man eine
solche Frischzellenkur für die Unternehmenskultur?

Gibt es einen Weg, das intellektuelle Vermögen aller Mitarbeiter, ihre speziellen Kenntnisse
und Erfahrungen über Organisations- und Ländergrenzen hinweg anzuzapfen? Kann man
dieses Potenzial in einen echten Wettbewerbsvorteil verwandeln?

Die Antwort auf diese Fragen heißt Enterprise 2.0.

Der Begriff Enterprise 2.0 geht auf einen Aufsatz des Harvard-Professors ANDREW P. MCAFEE
aus dem Jahr 2006 zurück. Darin beschreibt er, wie ursprünglich für das Internet entwickelte
Social Software im Unternehmenskontext eingesetzt werden kann. Der Schwerpunkt liegt in
dem ersten Aufsatz jedoch auf der Technologie – nämlich der Beschreibung von Blog, Wikis,
etc. In diesem Beitrag geht es hingegen um die Auswirkungen auf das Management einer
Organisation. Dadurch wird der Raum für eine erfolgreiche Selbstorganisation und hier-
archiefreie Kommunikation geschaffen. Die daraus entstehende Innovationsdynamik und
Kreativität steigert die Leistungsfähigkeit des Unternehmens.

Je besser die Vernetzung ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit für neue Lösungsmuster.
Im Enterprise 2.0 bedeutet Wissensmanagement nicht, das ganze Wissen eines Unternehmens
in Datenbanken zu dokumentieren, sondern die Wissensträger und -nachfrager situativ zu
vernetzen. In dieser enormen Steigerung der kollektiven Intelligenz liegt der eigentliche Pro-
duktivitätssprung. Der kann gerade bei international aufgestellten, dezentral organisierten
Organisationen gewaltig sein.

Was kann das im Unternehmensalltag konkret bedeuten?

Das ist die Geschichte von Phil, einem englischen Vertriebler, der für das Hamburger Soft-
warehaus CoreMedia in Moskau unterwegs war. Es war das Ende einer der schlechteren Tage
für Phil und sein Flieger hatte Verspätung. Phil nutzte die Zeit, um in einen internen Blog zu
schreiben, dass sein Vertriebsvorhaben nicht so gut angekommen sei. Er fügte dem Text noch
seine Präsentation hinzu. Wenige Stunden später reagierte Lydia, eine Entwicklerin aus Ham-
burg, die Phil nicht kannte, auf seinen Blogeintrag. Sie war als Russin besonders motiviert,
ihr Unternehmen in ihrer Heimat doch erfolgreich zu sehen. Nachdem sie sich die Präsentati-
on angesehen hatte, antwortete sie, dass einige Begriffe missverständlich übersetzt worden
seien. Phil meldete sich sofort bei Lydia. Beide machten einen weiteren Kundenbesuch und
gewannen einen Deal über mehrere Hunderttausend Euro. Ohne den Blogeintrag hätte es
diesen Erfolg nicht gegeben.

F. Keuper, B. Hogenschurz (Hrsg.), Professionelles Sales & Service Management,


DOI 10.1007/978-3-8349-8799-0_16,
© Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
408 BUHSE

2 Die Kunst loszulassen –


Der Einfluss auf Leadership und Kommunikation

Diese Entwicklung konfrontiert allerdings auch die Führungsetagen mit neuen Herausforde-
rungen. Manager müssen anders führen, damit Mitarbeiter selbstorganisierter arbeiten kön-
nen. Unter den Prinzipien von Enterprise 2.0

¾ Offenheit,
¾ Transparenz und
¾ Vernetzung

funktioniert Führung über Informationsvorsprung und Macht nicht mehr. Manager sind in
diesem Umfeld als Impulsgeber und Vorbilder gefordert, die den Rahmen selbstorganisierter
Arbeit definieren. Neben die Hierarchie tritt die vernetzte Organisation. Die neue Aufgabe
der Führungskräfte heißt, diese beiden Welten parallel zu managen.

Unternehmen, die Enterprise-2.0-Technologien einsetzen, erzielen damit einen nachhaltigen


Wettbewerbsvorteil. Die technologische Basis dafür ist ausgereift, allgemein verfügbar und
vergleichsweise günstig zu haben. Beispiele dafür sind Wikis, Blogs oder soziale Netzwerke.
Gleichzeitig erwarten qualifizierte Berufseinsteiger heute die Verfügbarkeit sozialer Software
am Arbeitsplatz. Für sie gehört vernetztes Arbeiten und hierarchiefreie Kommunikation zur
Sozialisation. Sie verbinden moderne Informationstechnologie mit einem innovativen Unter-
nehmen. Für etwa zwei Drittel ist dies laut einer aktuellen Accenture-Studie ein wesentliches
Kriterium bei der Wahl des Arbeitsplatzes. Die Digital Natives, die Internetgeneration die
jetzt in die Unternehmen drängt, fordert diese neue Arbeitswelt massiv ein.

„Das Auftreten und Selbstbewusstsein der Digital Natives entzaubert die Eliten und alten
Hierarchien“ (MEINOLF ELLERS, Geschäftsführer dpa mediatec).

Enterprise 2.0 bedeutet eine Frischzellenkur für jedes Traditionsunternehmen. Damit verbun-
den ist ein Modernisierungsschub in der Unternehmenskultur, im Führungs- und Manage-
mentstil. Enterprise 2.0 kann helfen, schneller bessere Antwortstrategien für die Herausforde-
rungen dynamischer und komplexer Märkte zu finden. Enterprise-2.0-Unternehmen verfügen
über einen Wettbewerbsvorteil, weil es ihnen besser gelingt, die Potenziale ihrer Mitarbeiter
zu erschließen. Dieses Angebot an unternehmerischer Partizipation macht sie als Arbeitgeber
attraktiv.
Enterprise 2.0 im Management 409

3 Den Wandel gestalten: Der Weg zum Enterprise 2.0

Soziale Software im Unternehmenseinsatz ist nur so gut, wie die Mitarbeiter, die sie benut-
zen. Erst über die erfolgreiche Anwendung entfaltet sie ihr Potenzial für das Unternehmen.
Bei der Einführung kommt es darauf an, nicht nur eine kleine Avantgarde für die Plattform fit
zu machen. Das Motto muss sein: Mit der Mannschaft ins Ziel.

Für eine Enterprise-2.0-Implementierung bedeutet das: Erst der zielgerichtete Einsatz eines
maßgeschneiderten Change-Management-Programms parallel zur Einführung der technologi-
schen Plattform stellt den nachhaltigen Erfolg sicher.

Die drei Säulen auf denen der Erfolg ruht sind: Qualifikation, Partizipation und Kommunika-
tion.

Partizipation: Partizipative Elemente sind unerlässlich für die Identifikation und Motivation.
„Nicht gehört“ zu werden nennen Mitarbeiter deutscher Unternehmen als einen der drei wich-
tigsten Gründe für ihre Unzufriedenheit. Gerade beim Thema Enterprise 2.0 liegt es in der
Natur der Sache, Partizipation und Selbstorganisation explizit zum Gegenstand und Thema
des Begleitprogramms zu machen.

Kommunikation: Aus jedem Projekt, aus jeder zielgerichteten Veränderung resultiert ein zu-
sätzlicher Kommunikationsbedarf bei den Führungskräften und Mitarbeitern. Die Kunst be-
steht darin, diesen im Vorfeld systematisch zu ermitteln und in einem zweckmäßigen Mix aus
Mitteln und Maßnahmen über den gesamten Projektverlauf abzubilden.

Qualifikation: Der konkrete Qualifikationsbedarf für die einzelnen Anwendergruppen lässt


sich aus der Change-Impact-Analyse ableiten. Ein transparentes und aktiv kommuniziertes
Programm qualifizierender Maßnahmen wirkt von Anfang an dem „Gefühl“ von Überforde-
rung entgegen. Gemeint sind hier weniger Technik-Schulungen sondern praxisnahe Personal-
entwicklung und Vermittlung von Enterprise-2.0-Methodenkompetenz.

Eines der zentralen Phänomene, dessen Nichtbeachtung in der unternehmerischen Praxis


regelmäßig für Probleme sorgt, ist die Asynchronität des Wandels. Gemeint ist hier die unter-
schiedliche Veränderungsgeschwindigkeit von IT-Systemen, der Organisation und der Kultur
eines Unternehmens. Technologischer Wandel vollzieht sich ungleich schneller als der sozia-
ler Systeme. Lernkurven von Menschen sind so individuell wie die Menschen selbst. Das
Beharren auf Althergebrachtem ist an sich ein völlig natürliches Phänomen. Revolutionären
technologischen Entwicklungen steht ein evolutionärer Adaptionsprozess gegenüber.

Folgende Ziele lassen sich für einen begleitenden Change-Management-Ansatz zur Einfüh-
rung von Enterprise-2.0-Technologie ableiten:

¾ Erzielen eines kulturellen Wandels im Gleichschritt mit der Einführung der Plattform
¾ Nachhaltige Umsetzung der Prinzipien von Enterprise 2.0 in Führung und Organisation
¾ Verkürzung/Beschleunigung der Umsetzungs- und damit der Projektlaufzeit durch recht-
zeitige Einleitung von Change-Maßnahmen.
¾ Frühzeitiges Erkennen und Beseitigen von Hindernissen und Widerständen
410 BUHSE

Die Transformation eines „klassisch“ geführten Unternehmens in ein Enterprise 2.0 stellt
insbesondere die Führungskräfte aller Ebenen vor eine besondere Herausforderung. Die Prin-
zipien des Enterprise 2.0 verändern zwangsläufig den Führungsstil. Um diesen Prozess im
Sinne von Leadership- und Managemententwicklung adäquat zu begleiten, ist eine präzise
Analyse angezeigt. Das geeignete Instrumentarium liefert eine nach Betroffenheit, Bedeutung
der Veränderung und Einstellung zur Veränderung differenzierende Stakeholder-Analyse.
Wobei als Stakeholder in Anlehnung an die „Machtschule“ von MINTZBERG all die Gruppen
und Personen bezeichnet werden können, welche bei Zielkonflikten eine spezifische und
konkrete Interessenlage aufweisen.

Dieser Schritt liefert eine Analyse der verschiedenen Anspruchsgruppen sowie eine Einschät-
zung zu deren Befindlichkeiten und Anforderungen. Der oder die mit der Analyse Beauftragte
erstellt also eine Liste mit den Anspruchsgruppen, die betroffen sein werden, überlegt, wie
deren Einstellung zur Veränderung sein könnte und identifiziert Einzelmaßnahmen für den
Umgang mit diesen Akteuren.

4 Einführung: Projekt und Prozess

Im Vergleich zu anderen technologiegetriebenen Projekten zielen Enterprise-2.0-Transfor-


mationen deutlich stärker auf die Veränderung der Unternehmenskultur. Zugespitzt formuliert
geht es viel weniger um die termingerechte Einführung einer revolutionären Technologie-
plattform per Big bang als vielmehr um die Verankerung eines evolutionären Wandels in der
Unternehmenskultur. Nicht die Einführung des technischen Systems, sondern der Wandel des
„sozialen Systems“ ist letztlich der Maßstab für den betriebswirtschaftlichen Erfolg.

Als Konsequenz für das Projektmanagement folgt daraus ein deutlich adaptiv orientierter,
situativ angepasster Ansatz. Streng programmorientierte bis ins letzte Detail durchgeplante
Vorgehensweisen erweisen sich, so die Erfahrungswerte in der Praxis, als weniger hilfreich.
Enterprise 2.0 bedeutet also nicht nur eine gewisse Offenheit in Bezug auf das Ergebnis,
sondern auch in der Organisation und bei der Steuerung des Transformationsprozesses.

Die Umsetzung selbst findet in Teilprojekten oder Projektgruppen statt:

¾ Technologie (mit möglichen Unterprojekten zu den einzelnen Komponenten) sorgt für


die technische Umsetzung der Anforderungen mit Blick auf Funktionalität und Usability
sowie die Integration der Plattformen.
¾ Kommunikation und Community Management sorgt für die interne und externe Begeis-
terung für das Thema Enterprise 2.0, Berichterstattung, Podcasts, etc.
¾ Qualifikation und Managemententwicklung sorgt dafür, dass die Werte von Enterprise
2.0 von den Führungskräften und Mitarbeitern verstanden, gelebt und wertgeschätzt wer-
den.
Enterprise 2.0 im Management 411

Die Einführung von Enterprise 2.0 ist kein Selbstzweck. Natürlich gibt es bei solchen Vorha-
ben immer auch Skeptiker und Zweifler. Daher ist konsequente Ausrichtung an der Vision
und den Zielen der Organisation so wichtig. Es geht buchstäblich darum, so schnell wie mög-
lich so viel Mitarbeiter und Führungskräfte wie möglich für Enterprise 2.0 zu gewinnen. Der
beste Weg dazu ist, die dringlichsten Fragestellungen und Herausforderungen für das Unter-
nehmen aus der Perspektive der Belegschaft in den Fokus zu nehmen und im Zuge des Pro-
jektes zu bearbeiten. Das schafft Identifikation und Involvement. Typische Beispiele für sol-
che Piloten sind:

¾ Motivation in unsicheren Zeiten (Standortverlagerung, Umsatzeinbruch)


¾ Neu-Aufstellung von Teams (Ausgründungen, Strategische Ausrichtung)
¾ Steigerung der Marktorientierung (Öffnung zum Kunden, Verbindung von R&D und
Vertrieb)
¾ Innovationsoffensive (neue Märkte, Produkteinführungen, Innovationsführerschaft)
¾ Hochdynamische Marktveränderungen (Internet für die Medienindustrie, Absatzkrise,
etc.)

5 Maßnahmen

Aus einer Vielzahl von möglichen begleitenden Maßnahmen auf dem Weg zum Enterprise
2.0 haben sich in der Vergangenheit einige als besonders wirksam herausgestellt, die nachfol-
gend beschrieben werden.

5.1 Change Agents


Change Agents haben eine besondere Bedeutung für den Change-Prozess. Besonders geeignet
für diese Rolle sind kommunikationsstarke Nachwuchskräfte mit einem guten Gespür für die
Ziele des Enterprise 2.0. In der Praxis wird die Wahl vorzugsweise auf „Digital Natives“
fallen, junge Leute, die die Welt ohne Internet nicht mehr kennengelernt haben.

Die Change Agents haben monatlich einen kurzen Slot auf Vorstands- oder Lenkungsaus-
schuss-Ebene, um über ein Ampelsystem (strukturiert) zum Fortschritt der unternehmenswei-
ten Umsetzung zu berichten. Sie sind damit sozusagen das „schlechte Gewissen“ in der Um-
setzung und sprechen Missstände an.

Schon allein die Existenz von Change Agents verhindert in den meisten Fällen eine Brems-
wirkung im Mittelmanagement, die die Change Agents ja einen direkten Draht zum Vor-
stand/Lenkungsausschuss haben.

„Upps. Jetzt verstehe ich erst die Bedeutung der Change Agents. Wie raffiniert.“ (MARTIN
PAKENDORF, CoreMedia).
412 BUHSE

5.2 Re-Mentoring
Re-Mentoring bedeutet, „Digital Natives“ coachen als Protagonisten der Prinzipien von En-
terprise 2.0 gestandene Führungskräfte. Sinnbildlich treffen hier Kapuzenpullies auf Anzug-
träger. Für einen tatsächlich produktiven Austausch ist es wichtig, dass er auf gleicher Au-
genhöhe stattfindet.

Die jungen Menschen, die heute als Digital Natives aufwachsen, verfügen über ein Wissen,
das erfolgsrelevant wird und das sich Führungskräfte, die heutige Führungsgeneration, nie-
mals wird aneignen können. Dennoch besetzen die Führungskräfte von heute Schlüsselrollen
auf dem Weg zur Enterprise 2.0: Sie müssen die Wege finden, dieses Wissen für ihr
Untenehmen zu erschließen und zu nutzen. Deshalb müssen diese erkennen, dass Wege ge-
funden werden müssen, um dieses Wissen für ihr Unternehmen nutzen zu können (Dr.
MICHAEL HEUSER, T-Systems).

5.3 OpenSpaces
Die Open-Space-Methode wurde in USA von HARRISON OWEN um 1985 „entdeckt“ und hat
sich als Werkzeug für das Einüben der hierarchiefreie Kommunikation und Selbstorganisati-
on im Enterprise 2.0 bewährt. In diesem Zusammenhang wurde sie erstmals vom Hamburger
Softwareunternehmen CoreMedia eingesetzt. OpenSpace ist eine Methode zur (Un-)Struk-
turierung von Besprechungen und Konferenzen. Sie eignet sich für Gruppen von etwa acht
bis 2.000 Teilnehmern. Die Dauer eines OpenSpaces variiert entsprechend von vier Stunden
bis hin zu drei Tagen.

Charakteristisch ist die inhaltliche und formale Offenheit: Die Teilnehmer geben eigene
Themen ins Plenum und gestalten dazu je eine Arbeitsgruppe. In dieser werden mögliche
Lösungen erarbeitet. Die Ergebnisse werden am Schluss gesammelt. Wichtig ist ein Steuer-
kreis, der für die anschließende Umsetzung sorgt.

Ziel ist, in kurzer Zeit mit einer großen Zahl von Menschen zu einem umfassenderen Thema
eine Aufbruchsstimmung zu erzeugen, zu nutzen oder zu vertiefen. Wesentliche Teilthemen
werden innovativ und lösungsorientiert besprochen. Aus den wichtigsten entstehen konkrete
Projekte. Ein OpenSpace kann in kurzer Zeit eine große Vielfalt von konkreten Maßnahmen
produzieren.

Entscheidend ist die richtige Auswahl der Teilnehmer. Sie müssen direkt betroffen und moti-
viert sein, etwas zu unternehmen. Es sollen möglichst unterschiedliche Teilnehmer eingela-
den werden (Berufsgruppen, Verantwortungsbereiche, Alter, etc.), darunter die wesentlichen
Meinungsmacher und Multiplikatoren. Die Teilnahme muss freiwillig sein.

Statt eines klassischen Management-Meetings mit Powerpoint-Vorträgen ging Alcatel-Lucent


einen anderen Weg. Ein OpenSpace mit den 80 Top-Managern Deutschland sowie 40 interne
und externe Digital Natives erarbeiten gemeinsam neue Projektideen, um das Unternehmen in
die Zukunft zu führen. Ergebnis: Wenige Tage später wurde vom Vorstand entschieden, 13
von 15 Ideen als Projekte weiterzuführen. Warum? Weil sich auf dem OpenSpace nicht nur
die Teams bereits gefunden hatten, sondern auch erste konkrete Lösungsideen vorlagen. Zu
Enterprise 2.0 im Management 413

den Ideen gehörte auch, einen OpenSpace mit den besten Kunden zu veranstalten, um ge-
meinsam Lösungen für die Zukunft zu entwickeln.

Beispielhafter Ablauf eines doubleYUU OpenSpace:

1. Energie aufnehmen: Jeweils zwei Teilnehmer, die sich möglichst wenig kennen, inter-
viewen sich gegenseitig zu einem Thema und veröffentlichen ihre Erkenntnisse für alle
sichtbar an Pinnwänden.
2. Anschließend bilden alle Teilnehmer einen Kreis. Der Moderator „öffnet den Raum“.
3. Inhalte und Organisation ergeben sich aus den Anliegen der Teilnehmenden. Jeder kann
ein Thema einbringen und die Verantwortung dafür übernehmen.
4. Die Themen werden an großen Packpapier-Wänden dokumentiert. Alle Teilnehmer kön-
nen sich nun frei zu Themen zuordnen.
5. Gruppenarbeitsphase: Die Teilnehmenden arbeiten in dieser Zeit selbstorganisiert, gelei-
tet vom Gesetz der zwei Füße und den Grundsätzen des Verfahrens. Die „Einladenden“
der Arbeitsgruppen werden gebeten, die Ergebnisse der Gruppenarbeit zu dokumentieren,
damit sie auch den anderen Teilnehmenden zur Verfügung gestellt werden können.
6. In einer Auswertungs- und Planungsphase interviewt der Moderator die Gruppen zu ihren
Ergebnissen. Alle Teilnehmer können auf Karten Feedback geben sowie sich äußern, ob
sie das Projekt unterstützen bzw. sogar mitarbeiten wollen.
7. Den „Raum schließen“: Abschluss-, Feedback- und Reflektionsrunde.

5.4 E2.0-JAM Session


Unter einer E2.0-JAM Session versteht man eine auf zwei bis drei Tage begrenzte offene,
transparente, intensive Online-Diskussion mit aktiver Moderation. Mit beeindruckenden Er-
gebnissen wurde diese Methode als erstes von IBM angewandt.

The history of Jams:

Since 2001, IBM has used jams to involve its more than 300,000 employees around the
world in far-reaching exploration and problem-solving. ValuesJam in 2003 gave IBM's
workforce the opportunity to redefine the core IBM values for the first time in nearly 100
years. During IBM's 2006 Innovation JamTM – the largest IBM online brainstorming ses-
sion ever held – IBM brought together more than 150,000 people from 104 countries and
67 companies. As a result, 10 new IBM businesses were launched with seed investment
totaling $100 million. (https://www.collaborationjam.com/)

E2.0 JAM Sessions sind besonders geeignet, um unmittelbar nach der Roll-out-Phase die
erfolgreiche Anwendung von Enterprise-2.0-Technologie im Unternehmen zu demonstrieren.
Hier können die so genannten „quick wins“, die motivierenden (und legitimierenden) Er-
folgsgeschichten entstehen.
414 BUHSE

Bei NEC wird ein JAM zur Einführung durchgeführt, sprich an zwei Tagen wird statt Schu-
lungsmaßnahmen ein großer Raum mit vielen Rechnern zur Verfügung gestellt, an denen die
Mitarbeiter selber bloggen können, Hilfe bekommen und sich zu verschiedenen Inhalten
austauschen können. Zu den Inhalten gehört insbesondere das Thema „welche Werte verbin-
den uns“.

6 Das Ziel – Die Einbeziehung des Kunden durch


Open Innovation

Die oben beschriebenen Maßnahmen haben eine wichtige Wirkung: Sie erhöhen die Offen-
heit und Transparenz des Unternehmens.

Die wahre Kunst ist es jedoch, sich als Unternehmen ebenso transparent und offen auch nach
außen zu zeigen und seine Kunden in das Enterprise 2.0 einzubinden.

Diesen Trend nennt man Open Innovation – und meint damit die Einbindung von Kunden in
den Produktentwicklungsprozess. Der Begriff Open Innovation geht auf HENRY CHESBROUGH
von der Haas School of Business an der University of California in Berkeley zurück. Der
Treiber von Open Innovation ist der steigende Wettbewerbsdruck durch die Globalisierung,
der zu kürzeren Produktlebenszyklen und steigendem Innovationsdruck führt.

Aber nur wenn eine Organisation die Werte des Enterprise 2.0 verinnerlicht hat – und damit
meine ich zu vorderst das Management – kann diese Öffnung zum Kunden auch gewinnbrin-
gend gelingen. Andernfalls droht eine Marketing-Plakatur so wie sie Unternehmen wie Voda-
fone erleben mussten. Die positiven Beispiele sind hingegen Dell Ideastorm oder auch die
Entstehung des neuen Fiat 500.

Beteiligen Sie Ihre Kunden über das Web an der Entwicklung neuer Produkte, entstehen
rasch Unmengen an Daten, Informationen und Ideen, bei denen man schnell den Überblick
verliert. Um dieses Problem zu umgehen, sollten Sie den Dialog mit den Kunden über mehre-
re Ebenen führen.

6.1 1. Ebene: Support


Bevor ein Kunde einen Fehler kritisiert, der vielleicht bei ihm selbst liegt oder aufgrund eines
Missgeschicks entstanden ist, sollten Sie Ihrem Kunden beratend zur Seite stehen und ihm
zeigen, wie er mit Ihren Produkten am besten umgeht. Sie könnten dies zum Beispiel in Form
eines Forums machen, wo auch externe Fachleute Tipps und Tricks zu Ihren Produkten abge-
ben können. Damit Ihr Forum wirklich zu einem Erfolg wird, sollten Sie den Support kunden-
freundlich und leichtverständlich gestalten, das Support-Angebot breit bewerben und objektiv
und fair bleiben. Kritische Fragen und Fehler sollten nicht ignoriert oder entfernt werden.
Damit ist es möglich, einen großen Teil der Kundenanfragen und Probleme zu lösen. Alle
Kunden, die Sie über diese Ebene nicht erreichen, können an die nächste Ebene übergeben
werden.
Enterprise 2.0 im Management 415

6.2 2. Ebene: Feedback


Eine Feedback-Plattform gibt Ihren Kunden einen öffentlichen Raum, um Ideen, Vorstellun-
gen und Wünsche an das Unternehmen zu äußern. Sie sollten einen Rahmen setzen und Ein-
gaben auf eine bestimmte Zeichenanzahl begrenzen, da weder Sie noch andere Kunden Zeit
haben, einen Aufsatz zu einem bestimmten Thema zu lesen, wenn es zunächst nur darum
geht, einen ersten Überblick zu gewinnen. Zudem sollten Sie eine Funktion einführen, die
anhand der verwendeten Schlagwörter überprüft, ob eine ähnliche Idee bereits bei Ihnen vor-
liegt, und den Schreiber gegebenenfalls darauf hinweisen. So vermeiden Sie Duplikate. Im
Ergebnis entstehen lange Listen mit Ideen und Wünschen Ihrer Kunden, die Sie nach beliebi-
gen Kriterien sortieren können.

6.3 3. Ebene: Voting


Unsortiert bringt Ihnen das Feedback reichlich wenig. Eine manuelle Auswahl häufig genann-
ter Themen wäre sehr zeitintensiv. Daher empfiehlt sich eine weitere Sortierung über
Votings. Anstatt einen bestimmten Beitrag erneut in Textform zu dokumentieren, können
Kunden Beiträgen, denen sie zustimmen, schnell und effektiv ihre Stimme geben, um diesen
damit weiter nach oben in die Liste zu bringen. So werden die relevantesten Punkte, die Ihre
Kunden am meisten beschäftigen, nach oben gerückt.

6.4 4. Ebene: Stellungnahme


Jetzt ist es an Ihnen, mit den gefilterten Informationen zu arbeiten und entsprechende Schritte
einzuleiten. Wenn Sie eine Verbesserung in einem Bereich erreicht haben, der zuvor kritisiert
wurde, können Sie diesen Fortschritt nun dokumentieren und veröffentlichen, so dass alle
Kunden sehen, was sich getan hat.

Mit Sicherheit wird es auch Themen oder Wünsche geben, die Sie nicht erfüllen können,
selbst wenn es noch so schön wäre. Dafür werden Sie mit Sicherheit auch Ihre Gründe haben
– wenn dem so ist, dann nennen Sie diese doch einfach. Wenn Sie gut argumentieren, werden
Ihnen Ihre Kunden mit Sicherheit nicht böse sein.

6.5 crowdSPRING – Globaler Einkauf von Artwork


Ein großartiges Beispiel für die Kraft von Open Innovation ist crowdSPRING. Das amerika-
nische Start-Up betreibt einen Online-Marktplatz für Kreativ-Dienstleistungen. Auf der
CrowdSPRING-Plattform sind weltweit rund 12.000 Kreative registriert. Einkäufer von Art-
work können über CrowdSPRING einen Auftrag ausschreiben, zum Beispiel für ein Logo.
Zur Gründung meines Unternehmens doubleYUU habe ich es selber einfach ausprobiert. Es
geht ganz einfach: Nachfrager stellen auf www.crowdspring.com ein Briefing ein. Sie müssen
dafür fünf einfache Fragen beantworten:

¾ Was Sie über uns wissen sollten


¾ Das ist es, was wir brauchen
416 BUHSE

¾ Unsere Zielgruppe sind


¾ Uns gefallen diese Designs
¾ Was wir unbedingt wollen, und was auf keinen Fall

Anschließend legt man fest, wie viel Zeit man den Designern geben will (in meinem Testfall
waren es acht Tage) und wie hoch das Honorar für die Ausschreibung sein soll (300 Dollar).
Kommt es zu einem Auftrag, berechnet der Online-Marktplatz 15% des Kreativhonorars (in
unserem Fall 45 Dollar) für die Vernetzung von Kreativen und Käufern.

Kaum war eine Stunde vergangen, erschien bereits der erste Entwurf auf der Plattform. Als
Nachfrager kann man jeden Entwurf direkt kommentieren. Der Kommentar wird für alle
Besucher der Plattform sichtbar. Acht Tage später lag eine Auswahl von 74 Logos vor. De-
signern aus aller Welt hatten sich an der Ausschreibung beteiligt – einige eher amateurhaft,
die meisten sehr professionell. Am Ende fiel die Wahl auf das Logo von Giovanni, einem
Grafiker aus der spanischen Stadt Floria. Er lieferte alle Vektordaten des Logos. Für Giovanni
ein schöner Nebenverdienst, für uns ein innovatives Logo zum Preis von 345 Dollar.

345 Dollar für ein Logo – ist das nun das Ende der Werbewirtschaft? Wohl nicht, aber Onli-
ne-Marktplätze wie CrowdSPRING werden die Agenturwelt verändern. Einerseits stehen
Agenturen über Plattformen wie CrowdSPRING im globalen Wettbewerb mit professionellen
Kreativen, andererseits können sie sich selbst dieses Kreativ-Pools bedienen. Und weil es so
einfach geworden ist, werden sich mehr Menschen ihre eigenen Logos entwerfen lassen.
Damit wächst auch der Markt für kreative Leistungen. Und das belebt die Wirtschaft.

7 Open Innovation braucht Enterprise 2.0

Eigentlich ist Open Innovation ein alter Hut. Begriffe wie „Kaizen“ und „Kontinuierlicher
Verbesserungsprozess“ stehen dafür, dass Unternehmen bereits seit langer Zeit mit ihren
Mitarbeitern und Kunden sprechen, um ihre Produkte kontinuierlich zu verbessern. Doch
nicht nur die Fantasie eines Digital Natives, sondern auch die Beispiele aus der Praxis doku-
mentieren, dass das Web 2.0 eine neue Dimension markiert. Es eröffnet die technische Mög-
lichkeit, eine sehr große Zahl von Kunden gleichzeitig zu befragen und ihr Feedback in au-
ßerordentlich kurzer Zeit zu aggregieren. Damit ermöglicht das neue Medium viel kürzere
Rückkopplungsschleifen als die bislang üblichen Verfahren. Es beschleunigt Entwicklungs-
zyklen und erlaubt eine Breite der Beteiligung von Kunden am Innovationsprozess, die bisher
schlichtweg unmöglich war.

Open Innovation und Enteprise 2.0 stehen in unmittelbarer Wechselwirkung: Erst wenn Un-
ternehmenskultur, Organisation und IT-Infrastruktur von Unternehmen zum Enterprise 2.0
herangereift sind, welche das Web 2.0 für den direkten Dialog von Mitarbeitern, Partnern und
Kunden nutzt, können sich die Kräfte von Open Innovation voll entfalten und echte Wettbe-
werbsvorsprünge erzeugen. Ich jedenfalls freue mich schon jetzt über die Aussicht auf diese
lebendige Zukunft. Lassen Sie uns doch mit einem OpenSpace starten.
Enterprise 2.0 im Management 417

Weiterführende Literatur zum Thema Enterprise 2.0

BUHSE, W./REINHARD, U. (Hrsg.) (2009): DNAdigital – Wenn Anzugträger auf Kapuzenpullis


treffen – Die Kunst aufeinander zuzugehen, Heidelberg 2009; online: www.dnadigital.de.
BUHSE, W./STAMER, S. (2008): Enterprise 2.0 – Die Kunst loszulassen, Berlin 2008; online:
http://www.diekunstloszulassen.de.
MCAFEE, A. (2009): New Collaborative Tools for Your Organization's Toughest Challenges,
Boston 2009.
WILLIAMS, A. D./TAPSCOTT, D. (2007): Wikinomics – die Revolution im Netz, München 2007.
SUROWIECKI, J. (2007): Die Weisheit der Vielen, München 2007.
Fünfter Teil

Personalmanagement als Erfolgsfaktor


Bologna@Telekom –
Ein Beispiel für die Multioptionalität des Studierens

MARKUS LECKE

Deutsche Telekom

1 Einleitung....................................................................................................................... 423
2 Ein kurzer Blick in die Bildungspolitik ......................................................................... 423
3 Bachelor Welcome – Offene Türen in der Wirtschaft ................................................... 424
3.1 Wirklich nur Kinderkrankheiten? Hauptkritikpunkte der Reformer .................... 425
4 Personalstrategie mit Blick auf Bologna........................................................................ 425
5 Bologna@Telekom – Beitrag zum Lebenslangen Lernen ............................................. 428
5.1 Rahmenbedingungen............................................................................................ 429
5.2 Förderung............................................................................................................. 431
5.3 Pilotierung des berufsbegleitenden Studiums bei der Telekom ........................... 431
5.4 Ausbau des Angebots im Jahr 2010 ..................................................................... 432
6 Fazit ............................................................................................................................... 433
Quellenverzeichnis................................................................................................................ 433
Bologna@Telekom 423

1 Einleitung

Im Jahr 2006 erkannte die Telekom Shop Vertriebsgesellschaft (TSG) der Deutschen Telekom
zuerst die Chance, die sich durch die Bologna-Reform für eine gestufte akademische Weiter-
bildung von Mitarbeitern bietet. Mit einem Studienangebot im Sales-&-Service-Bereich bot
die TSG engagierten Mitarbeitern einen berufsbegleitenden Bachelor bzw. Master in Koope-
ration mit der Steinbeis-Hochschule Berlin an. Damit wurde erstmals das Studieren neben
dem Beruf systematisch als Entwicklungsangebot in einem Konzernbereich der Deutschen
Telekom aufgebaut.

2009 hat der Konzern aus den Erfahrungen des Vertriebs gelernt und die Vorteile der schon
seit Ende der neunziger Jahre im Konzern vorhandenen dualen Studienangebote zu einem
neuen Gesamtbildungsangebot zusammengefasst. Auf Grund des Fachkräftemangels aber
auch des deutlich steigenden Interesses bei Schülern sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
an akademischer Bildung wurden duale Studienangebote deutlich erhöht und berufsbegleiten-
de Studienangebote analog zum Sales-&-Service-Beispiel konzernweit ausgebaut.

Unter dem Stichwort „Bologna@Telekom“ fördert der Konzern duales und berufsbegleiten-
des Studieren durch eine Vielzahl von Studienangeboten und stellt dafür konzernweite Rege-
lungen zur Verfügung. Der folgende Beitrag geht schwerpunktmäßig auf die berufsbegleiten-
den Angebote und deren Rolle in der Konzernpersonalentwicklung ein.

2 Ein kurzer Blick in die Bildungspolitik

Die Bildungsminister von 29 europäischen Staaten unterzeichneten am 19. Juni 1999 im


italienischen Bologna ein Abkommen zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Hoch-
schulraums. Dieses sieht eine Umsetzung der Kernziele der dort verabschiedeten Bologna-
Erklärung bis zum Jahr 2010 vor: Hierzu zählen die internationale Vergleichbarkeit der Ab-
schlüsse sowie ein effizienteres, praxisorientiertes Studium mit geringen Abbrecherquoten.
Im Vordergrund stehen zudem der Erwerb arbeitsmarktrelevanter Qualifikationen und ein
vereinfachter Zugang zu Auslandssemestern. Die Mobilität der Studierenden soll gesteigert,
ihre Beschäftigungsfähigkeit nach dem Abschluss deutlich erhöht werden. Im Zuge der Um-
setzung der Bologna-Erklärung wurden unter anderem ein zweistufiges System der Studien-
abschlüsse, Bachelor- und Master-Abschlüsse, sowie ein Leistungspunktesystem eingeführt.
Integrierte Studien-, Ausbildungs- und Forschungsprogramme sollen ausgebaut, die Zusam-
menarbeit zwischen Hochschulen verstärkt gefördert werden.

Zehn Jahre nach Unterzeichnung des Abkommens stehen die Bologna-Erklärung und ihre
Umsetzung in Deutschland auf dem Prüfstand. Sie werden sehr kontrovers diskutiert und
anhaltend kritisiert. Anlass zum Protest bei Studenten geben vor allem die Verdichtung des
Lernstoffs auf eine geringe Semesterzahl, wachsender Noten- und Klausurendruck sowie die
steigende Lern- und Arbeitsbelastung der Studenten. Die Studiengänge seien verschult, Wis-
sen werde nur kurzzeitig für Prüfungen auswendig gelernt, Zeit und Freiraum zur Entfaltung
eigener Interessensschwerpunkte der Studierenden bleibe kaum, so die allgemeine Kritik.

F. Keuper, B. Hogenschurz (Hrsg.), Professionelles Sales & Service Management,


DOI 10.1007/978-3-8349-8799-0_17,
© Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
424 LECKE

Als Reaktion auf die jüngsten, anhaltenden Proteste der Studierenden hat die Kultusminister-
konferenz gemeinsam mit der Hochschulministerkonferenz am 10. Dezember 2009 zur Ver-
besserung der Studierbarkeit deutscher Hochschulstudiengänge beschlossen,

¾ die Prüfungsbelastungen zu reduzieren, indem grundsätzlich nicht mehr als eine Prüfung
pro Modul vorgesehen wird,
¾ die Arbeitsbelastung für die Studierenden zu überprüfen und ein realistisches und ver-
tretbares Maß zu gewährleisten,
¾ die Anerkennung der Prüfungsleistungen zwischen den Hochschulen national und inter-
national zu vereinfachen, um die Mobilität der Studierenden zu gewährleisten,
¾ die ländergemeinsamen Strukturvorgaben für die Bachelor- und Masterstudiengänge
weitgehend zu flexibilisieren und
¾ keine über die ländergemeinsamen Strukturvorgaben hinausgehenden spezifischen Län-
derregelungen zu treffen, die die Gestaltungsfreiheit der Hochschulen einengen.1

Damit wurden weitere entscheidende Weichen für ein „Bologna 2.0“ gestellt. Wichtig ist,
dass Politik, Hochschulen und Wirtschaft weiterhin gemeinsam an der Umsetzung dieser
kolossalen Reform arbeiten und die Chancen der neuen gestuften Studienstruktur nutzen.

3 Bachelor Welcome – Offene Türen in der Wirtschaft

Wie aber steht die deutsche Wirtschaft neben Studierendenprotesten und Bildungsdebatten
den neuen Abschlüssen und den Absolventen gegenüber? Die Unternehmen sollen von der
verbesserten Beschäftigungsfähigkeit, von einem kurzen und praxisnahen Studium ebenso
profitieren wie die Absolventen selbst. Die deutsche Wirtschaft steht zum Bologna-Prozess
und seinen Zielen, bemängelt aber auch offensichtliche Defizite in der Umsetzung dieser
grundsätzlich zutiefst sinnvollen Reform. Eine Reform der Reform sei daher zwingend erfor-
derlich, ein „Bologna 2.0“.

1
Vgl. KONFERENZ DER REKTOREN UND PRÄSIDENTEN DER HOCHSCHULEN IN DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND
(2009).
Bologna@Telekom 425

3.1 Wirklich nur Kinderkrankheiten?


Hauptkritikpunkte der Reformer
Neben den genannten Argumenten der Studierenden zur Straffung der Studieninhalte, die
dazu führe, dass man zum „Jäger und Sammler der Kreditpunkte“ werde, bringen auch die
Unternehmen weitere Kritikpunkte an, wie z. B.:

¾ Miserable und lieblose Umsetzung insbesondere in den MINT-Fächern


¾ Mangelnder Employability-Fokus des Bachelor-Studiums
¾ Exzellenz der Lehre vernachlässigt – keine „Bologna-Professuren“ – keine „Bologna-
Didaktik“
¾ Totale Vernachlässigung des Weiterbildungsmarktes

Um ihre grundsätzliche Zustimmung zu Bologna und den neuen Studienmodellen deutlich zu


machen und von Unternehmensseite aus die Bereitschaft zu signalisieren, auch Bachelor-
Absolventen gute Chancen für den Berufseinstieg und langfristige Beschäftigung zu bieten,
unterzeichneten Personalvorstände führender deutscher Wirtschaftsunternehmen im Juni 2008
die Erklärung „Bachelor Welcome – MINT-Nachwuchs sichern!“. Neben dem klaren Be-
kenntnis zur neuen Studienordnung und ihren Absolventen enthält die Erklärung Forderungen
an Hochschulen, Bund und Länder, die eine Verbesserung der bisher im Rahmen der Bolog-
na-Reform vorgenommenen Umstrukturierungen der deutschen Hochschullandschaft herbei-
führen sollen. Ziel ist es vor allem, langfristig hochqualifizierten Nachwuchs in den Fächern
Mathematik und Informatik, in den Naturwissenschaften und in technischen Fachbereichen
(MINT) auszubilden. Besonders in diesen Fachrichtungen bestehe ein erheblicher Fachkräf-
temangel auf dem Arbeitsmarkt und demzufolge auch in den Unternehmen. Neben einer Ver-
besserung der Studienbedingungen und der Gewährleistung ausreichender Studienplätze in
diesen Bereichen fordern die Unternehmen eine stärker praxisorientierte Ausrichtung der
Studiengänge, die unter anderem durch eine intensive Kooperation zwischen Hochschulen
und Wirtschaft zustande kommen soll. Eine Verringerung der Abbrecherquote durch bessere
Betreuung während des Studiums gehört ebenso zu den Forderungen wie die stärkere Förde-
rung von Schülern aus bildungsfernen Schichten und Migrantenfamilien.

Es zeigt sich also eine klare Erwartungshaltung aber auch eine Zusage von Seiten der Unter-
nehmen, die Bologna-Reform und besonders den Bachelor-Abschluss zu unterstützen. Dies
gelingt gut und dauerhaft durch eine feste Verankerung in der Personalstrategie und beson-
ders der Rekrutierungsstrategie. Das folgende Kapitel geht auf diesen Aspekt besonders ein.

4 Personalstrategie mit Blick auf Bologna

Mit vier strategischen Handlungsfeldern verfolgt die Deutsche Telekom das Ziel „Konzen-
trieren und gezielt wachsen“, um damit zu einem internationalen Marktführer für vernetztes
Leben und Arbeiten zu werden. Um den Anforderungen in den unterschiedlichen Segmenten
des Telekommunikationsmarktes gezielt zu begegnen, konzentriert sich die Konzernstrategie
der Deutschen Telekom auf vier zentrale Handlungsfelder:
426 LECKE

¾ Verbessern der Wettbewerbsfähigkeit in Deutschland sowie Mittel- und Osteuropa


¾ Wachstum im Ausland durch Mobilfunk
¾ Mobilisieren des Internets
¾ Aufbau netzzentrierter ICT

Daran orientieren sich die vier Stoßrichtungen für die Personalarbeit des Konzerns sowie
deren Handlungsschwerpunkte. Über diese sogenannten „HR Big X“ treibt der Konzern den
Umbau der eigenen Organisation zum „Partner in Business“ voran und beschleunigt den
Transformationsprozess des Unternehmens zum kundenorientierten Servicekonzern. Aus-
gangspunkt der strategischen Konzeption des Personalbereiches der Deutschen Telekom und
seiner Ausrichtung ist die HR-Mission „HR – Your Partner in Business“.

Diese definiert vier Eckpfeiler und die dazugehörigen „Big X“, aus denen sich die strategi-
schen Initiativen und Projekte des Konzerns ergeben.

¾ „Add Value“ durch eine wettbewerbsfähige Belegschaft


dahinter verbergen sich die Ausformung der Servicegesellschaften des Konzerns, die
Neuaufstellung des Geschäftskundenbereiches sowie die bedarfsgerechte Struktur der
Berufsausbildung als wichtigste Nachwuchsquelle.
¾ „Enable Transformation“ durch Servicekultur
meint den konsequenten Ausbau der Servicekultur der Mitarbeiter, vorgelebt durch die
Führungskräfte des Konzerns.
¾ „Best People“ durch die Talent-Agenda
definiert die Maßnahmen zur Erhöhung der Arbeitgeberattraktivität, insbesondere in
Deutschland. Besonderer Fokus liegt auf der Befüllung der Talentpipeline durch attrakti-
ve Einstiegs- sowie Entwicklungsangebote für Nachwuchs-, Fach- und Führungskräfte.
¾ „HR@Excellence“ durch die Reorganisation des Personalbereiches
beinhaltet alle Maßnahmen zum Aufstellen des Personalbereiches als anerkannten Part-
ner für das Business.

Mit der Talent Agenda realisiert der HR-Bereich der Deutschen Telekom ein langfristig orien-
tiertes „Best People“-Konzept. Auf dieser Basis rekrutiert der Konzern Talente von außen
sowie aus der internen Ausbildung und gewährleistet damit eine konsequente „Talentpipe-
line“ aus den eigenen Reihen. Konzernweit durchgängige Prozesse der Personalentwicklung
fördern qualifiziertes Fach- und Führungspersonal sowie talentierten Nachwuchs für die Zu-
kunftsfähigkeit des Konzerns.

Dieses Ziel wird allerdings nur erreicht, wenn eine Voraussetzung erfüllt ist: Ein hervorra-
gendes Arbeitgeberimage. Dies ist zum einen durch attraktive Jobangebote zu erreichen, noch
mehr aber durch nach außen sichtbare Entwicklungsangebote für Fach- und Führungskräfte,
eingebettet in einen transparenten und schlüssigen Prozess.
Bologna@Telekom 427

Die Grundsystematik der Personalentwicklung wird in dem sogenannten Beschäftigungsle-


benszyklus dargestellt, der alle Elemente systematischer Personalentwicklung enthält. Von
der Ansprache bis hin zur Förderung lassen sich Prozesse und Produkte der Personalentwick-
lung in diesem Kreislauf beschreiben. Die eingefügte Grafik stellt beispielhaft Produkte der
Personalentwicklung neben dem berufsbegleitenden Studium dar.

¾ Personal-Marketing ¾ ABC-Analysen
1. 2. ¾ Kandidaten-Interviews
¾ Externe/interne Job-Börsen
Ansprache Auswahl
¾ Externes/internes Research ¾ Assessment Center

¾ Gezielte Be-Förderung Berufs- ¾ Ausbildung und duales


Bester 6. 3. Studium
¾ Talent Management Be-Förderung begleitendes Integration ¾ Start up! für Trainees
¾ Nachfolge-Management Studium ¾ Jump in! für Professionals

¾ On the job: z. B. X-Change ¾ Target Management


¾ Near the job: Coaching & 5. 4. ¾ Performance & Potential
Mentoring Entwicklung Bindung Review
¾ Off the job: Programme für
Fach- und Führungskräfte

Abbildung 1: Beschäftigungslebenszyklus

Die Entwicklungsangebote für Fach- und Führungskräfte im Konzern lassen sich alle diesem
Kreislauf zuordnen. Exemplarisch sind dies z. B. die sogenannten „Leadership Development
Programs“ für Führungskräfte, die eine neue Funktion übernommen haben sowie entspre-
chende Programme für Experten. Zu nennen wären hier beispielsweise die „Professional
Programs“. Beide Programme dienen der Förderung von Talenten unter den Fach- und Füh-
rungskräften und sind damit im Sinne der Personalentwicklung dem „Spitzensport“ zuzuord-
nen. Zu den Angeboten des „Breitensports“, also denen, die für alle Mitarbeiter angeboten
werden, gehört die klassische Weiterbildung, die z. B. mit über 23.000 Seminaren und mehr
als 155.000 Teilnehmern im Inlandskonzern 2008 einen wesentlich größeren Anteil einnahm
als der „Spitzensport“.

Gerade in diesem Segment, in dem es darum geht, die Beschäftigungsfähigkeit der Mitarbei-
ter systematisch auszubauen, fehlte es bisher besonders an Weiterbildungsangeboten, die
auch einen akademischen und damit allgemein anerkannten Abschluss liefern. Hinzu kommt
ein besonders in der IT-Branche zu beobachtender Akademisierungstrend und der zunehmen-
de Wunsch von Mitarbeitern, sich eigeninitiativ, auch außerhalb der Arbeitszeit, weiterzubil-
den.

Nach den durchweg positiven Erfahrungen mit dualen Studienangeboten seit Ende der 90er
Jahre und den ersten Erfahrungen mit berufsbegleitenden Angeboten im Sales&Service-
Bereich entschied sich der Konzern zum Ende des Jahres 2008, ein konzernweites berufsbe-
gleitendes Studienangebot aufzubauen. Ausschlaggebend für diese Entscheidung waren vier
Hauptgründe:
428 LECKE

¾ Zum einen geht es um das Schließen der so genannten Fachkräftelücke, durch die – so
prognostiziert eine Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) – im Jahr 2020
rund 230.000 Ingenieure, Naturwissenschaftler und Techniker in Deutschland fehlen
werden. Diesen Fachkräftemangel spürt die IT-Branche auch heute schon.
¾ Weiter ist eine starke Zunahme der Nachfragen von Auszubildenden aber auch Bachelor-
Studenten nach weiterführenden Studienmöglichkeiten, die neben dem Job angeboten
werden, zu erkennen. Neben der Darstellung von Karrierepfaden sind also auch die aka-
demischen Weiterbildungsangebote ein wichtiges Bindungsinstrument, um Azubis und
auch duale Studenten nach deren Ausbildungsabschluss im Unternehmen zu halten.
¾ Berufsbegleitendes Studieren bedeutet immer auch eine hohe Eigeninvestition des Ler-
nenden, z. B. durch das „Opfern“ von viel Freizeit, um das Studienziel zu erreichen. Die-
se Motivation, einen „Co-Invest“ in die eigene Bildung einzubringen, will der Konzern
bewusst fördern, damit eine neue, mehr intrinsische, Lernkultur entsteht.
¾ Bildungspolitisch setzt die Deutsche Telekom damit ein wichtiges Signal zur Umsetzung
der gerade 2009 umstrittenen gestuften Studienstruktur, des Bologna-Prozesses. Sie zeigt
damit, dass ein Transferieren der neuen Abschlüsse Bachelor und Master auf die Unter-
nehmensstruktur erfolgreich funktioniert und gut in die Personalentwicklung integrierbar
ist.

Mit „Bologna@Telekom“ wurde somit ein Entwicklungsangebot geschaffen, welches dem


Mitarbeiter, dem Konzern, aber in Zeiten der Bildungsreformen in Deutschland auch der
politischen Umsetzung dienen soll.

5 Bologna@Telekom – Beitrag zum Lebenslangen Lernen

Wie aber lässt sich der Bologna-Prozess nun erfolgreich innerhalb eines Unternehmens etab-
lieren? Nach Beginn der Konzeptionsphase Ende 2008, bietet die Telekom seit dem Winter-
semester 2009 sehr guten Mitarbeitern im Inlandskonzern eine Förderung für berufsbeglei-
tendes Studieren. In Kooperation mit verschiedenen Hochschulen erlaubt das Modell Mitar-
beitern den Erwerb eines Bachelor- oder Master-Abschlusses neben dem Berufsalltag. Eine
Weiterqualifizierung mit hohem Praxisbezug, die im Sinne des Lebenslangen Lernens sowohl
der Beschäftigungsfähigkeit des Mitarbeiters als auch seiner persönlichen Weiterentwicklung
Rechnung trägt. Damit schafft das Unternehmen eine Perspektive für auslernende Auszubil-
dende und Bachelor-Studenten der dualen Studiengänge, aber auch für Mitarbeiter, die schon
länger im Konzern tätig sind und sich akademisch weiterbilden wollen. Der Konzern folgt
einem Modell, welches durch seine „Multioptionalität“ auch dem Ansatz des Lebenslangen
Lernens gerecht wird, denn Altersbeschränkungen gibt es nicht.
Bologna@Telekom 429

Management &
...in anderer ...in anderer Experten-karriere
Disziplin Disziplin mit berufs-
Zertifizierte begleitender Master-
& Bachelor-Option
Berufs- Berufs-
begleitender begleitender Management-
Master Master
(in der gleichen (in der gleichen
Disziplin) Disziplin) & Experten- Go Ahead!

qualifizierung

Praxis Praxis

Berufs- Berufs-
begleitender begleitender Praxis Praxis
Bachelor Bachelor
Die
Talent
Student Pipeline
Praxis Praxis Club
füllen

Duale Duale
(Dualer)
Berufs- Berufs- Abschluss
Bachelor
ausbildung ausbildung

Option 1 Option 2 Option 3 Option 4

Abbildung 2: Gesamtstruktur Bologna@Telekom

5.1 Rahmenbedingungen
Zu den Rahmenbedingungen des Angebotes gehören die zeitliche und auch finanzielle Förde-
rung der Studierenden an ausgewählten Hochschulen in ausgewählten Studiengängen. Diese
wurden, wie bei Weiterbildungsregelungen in Großunternehmen üblich, über eine Konzern-
betriebsvereinbarung festgelegt, die den Umfang der zeitlichen und finanziellen Förderung
sowie die Kriterien der Auswahl von Mitarbeitern aber auch geeigneten Hochschulen regelt.
Im Falle der Auswahl von Hochschulen spielten folgende Kriterien eine Rolle, die den Erfor-
dernissen des berufsbegleitenden Studierens Rechnung tragen sollen:

¾ Berufsbegleitendes Angebot vorhanden


¾ Staatliche Anerkennung und Akkreditierung vorhanden
¾ Inhaltliche Ausrichtung entspricht Bedarf
¾ Räumliche Struktur der Hochschule entspricht Nachfrage (Regionalität, Campus, Fern-
Uni)
¾ Erfahrungen aus bestehenden Kooperationen
¾ Kundenorientierung und Flexibilität (z. B. inhaltlich, organisatorisch, methodisch) der
Hochschule sind ausgeprägt
¾ Kosten- /Nutzen-Verhältnis ist angemessen
430 LECKE

¾ Methodik, Lernform, Studienverlauf (z. B. Präsenzphasen außerhalb der Arbeitszeit)


müssen ein berufsbegleitendes Lernen optimal unterstützen
¾ Ggf. gute Position in Hochschulrankings

Entsprechend dieser Auswahl wurde eine Recherche durchgeführt, die den Fokus hauptsäch-
lich auf private Hochschulen lenkte, die in Einzelfällen seit vielen Jahren Erfahrungen mit
berufsbegleitenden Studiengängen vorweisen konnten. Ausschlaggebend für die Auswahl war
auch die Flexibilität des Studienangebotes an verschiedenen Standorten im Bundesgebiet.
Ebenfalls von hoher Bedeutung war ein bewusster Mix unterschiedlicher Studienformen, um
den verschiedenen Lerntypen unter den Studierenden methodisch und organisatorisch gerecht
zu werden. Die Abbildung 4 zeigt verschiedene Studienmodelle und erläutert deren Eigen-
schaften.

1 2 3
Präsenzmodell „Blockmodell“ Fernstudium
¾ Präsenzstudium an der ¾ Präsenzstudium an der ¾ Selbststudium auf
Hochschule oder deren Hochschule oder deren Basis von Lern-
Standorten mit Standorten, materialien
regelmäßigen Präsenzzeiten als („Studienbriefe“)
Präsenzzeiten Blockveranstaltung ¾ Geringe Präsenzzeiten
¾ Präsenzzeiten abends ¾ Blockveranstaltungen i. d. R. Sa.
(ab 18 Uhr) und/oder beziehen i. d. R. das ¾ i. d. R. kombiniert mit
am Wochenende) Wochenende mit ein Unterstützung durch
¾ i. d. R. kombiniert mit (z. B. Do.-So. oder Lernplattform
Unterstützung durch So.-So.) ¾ Großer Gestaltungs-
Lernplattform ¾ i. d. R. kombiniert mit spielraum des
¾ Setzt Nähe zum Unterstützung durch Studierenden, setzt
Studienort voraus Lernplattform aber sehr hohe
Selbstdisziplin voraus
(Eigenständiges
Lernen)

Abbildung 3: Berufsbegleitende Studienformen

Die Auswahl fiel auf Hochschulen, durch deren inhaltliche und organisatorische Ausrichtung
alle aufgeführten Modelle angeboten werden können. Dadurch ist eine sehr flexible Gestal-
tung des Studienangebotes für die Mitarbeiter im Bundesgebiet gegeben, gleichzeitig ist die
Abstimmung mit unterschiedlichsten Arbeitszeitmodellen möglich. Alle Studiengänge kom-
binieren Präsenzphasen an den Hochschulen, die speziell an den Bedürfnissen Berufstätiger
ausgerichtet sind, mit virtuellem Lernen auf der Basis neuer Informations- und Kommunika-
tionsmedien.
Bologna@Telekom 431

5.2 Förderung
Der Kernbestandteil der Konzernbetriebsvereinbarung regelt die zeitliche und finanzielle
Förderung von berufsbegleitend studierenden Mitarbeitern. Dabei war es der Deutschen Tele-
kom besonders wichtig, dass Unternehmen und Mitarbeiter je einen Anteil zu der Weiterent-
wicklung beitragen, um die Kultur der Eigeninitiative in den Ausbau der eigenen Bildung zu
fördern. Konkret wurden eine zeitliche und eine finanzielle Unterstützung definiert sowie
Voraussetzungen für eine Förderung verabschiedet. Zur inhaltlichen Ausrichtung der Studi-
engänge erfolgte eine Ableitung aus der qualitativen Personalplanung, die einen mittel- bis
langfristigen Bedarf in den Studienrichtungen Wirtschaftsinformatik, Informations- und Tele-
kommunikationstechnik sowie Betriebswirtschaftslehre mit dem Fokus Vertrieb prognosti-
ziert.

Im Falle der Regelung des Telekom-Konzerns gelten folgende Eckpunkte:

Berufsbegleitende Bachelor & Master

Beschreibung Ausgewählte Hochschulen mit


Kooperationsverträgen

Studiengänge Informations- und Kommunikationstechnik


Wirtschaftsinformatik
Betriebswirtschaftslehre (Sales & Service)

Umfang der Förderung über gesamte 50% zentrale Förderung aus „Fördertopf“
Studiendauer (bei definierter Obergrenze)
10 Tage Freistellung für Prüfungstage je Studienjahr

Voraussetzungen Konzernzugehörigkeit mind. 2 Jahre,


Leistungsträger, Erfüllung der
Hochschulzugangsvoraussetzungen

Abbildung 4: Förderrahmen

5.3 Pilotierung des berufsbegleitenden Studiums bei der Telekom


Die Pilotphase des konzernweiten berufsbegleitenden Studiums mit Förderung durch die
Telekom ist im Wintersemester 2009 an der konzerneigenen Hochschule für Telekommunika-
tion in Leipzig sowie an der Steinbeis-Hochschule Berlin erfolgreich gestartet. Rund 70 Stu-
denten haben Bachelor- und auch Master-Studiengänge in den Fächern Telekommunikations-
informatik, Wirtschaftsinformatik sowie Sales & Service aufgenommen.
432 LECKE

Damit wurde 2009 das Ziel erreicht, ein konzernweites Angebot für das berufsbegleitende
Studium sichtbar zu etablieren. Sichtbar vor allem für die auslernenden Nachwuchskräfte der
beruflichen Ausbildung sowie der dualen Studiengänge, die dadurch ein Stück mehr Bindung
für eine Entwicklung innerhalb des Unternehmens erhalten sollen.

Die folgende Darstellung zeigt beispielhaft, wie eine solche „Talentpipeline“ aussehen kann.
Hier ist auch das Wechselspiel von akademischen und fachlichen Qualifizierungsschritten
aufgeführt.

Fachexperte Management-
Level 4–5 Level 2–3
(Berufsbegleitender)
Master
Fachexperte Management-
Level 2–3 Level 1
(Duales) (Berufsbegleitender)
Studium Bachelor
Fachexperte
Level 1
Betriebliche Weiterbildung Betriebliche
Bildungs- Talent-
Pipeline Fachkraft Pipeline
Duale
Ausbildung

Führungs-
Aus-/Weiterbildung Fachkarriere
Karriere

Abbildung 5: Beispiel Verzahnung Bildungspipeline mit Talentpipeline

5.4 Ausbau des Angebots im Jahr 2010


2010 wird das Angebot des Unternehmens für berufsbegleitende Studiengänge deutlich er-
weitert. Waren es in der Pilotierungsphase zunächst nur zwei Hochschulen mit vier Studien-
gängen, so werden im Wintersemester 2010/2011 voraussichtlich 18 Bachelor- und Master-
Studiengänge an fünf Hochschulen angeboten. Dieses Angebot deckt die Bandbreite der oben
genannten Fachgebiete sehr gut ab, vor allem das Angebot an Master-Studiengängen wird
erweitert. Hierdurch wird der immer größer werdenden Zahl an Bachelor-Absolventen aus
internen Studienangeboten aber auch externen Hochschulabsolventen eine attraktive Perspek-
tive geboten, die z. B. aus dem Berufseinstieg und einem später folgenden, nicht konsekuti-
ven Master besteht. Gleichzeitig wird das Unternehmen den Zusagen der Bachelor-Welcome-
Erklärungen im besonderen Maße gerecht und zeigt einmal mehr, dass der Bachelor ein be-
rufsbefähigender Abschluss ist.
Bologna@Telekom 433

Die nach heutigem Stand geplante Weiterentwicklung des Angebots in Rahmen von „Bolog-
na@Telekom“ wird zukünftig den Aspekt der Internationalisierung aufgreifen sowie mit ei-
nem Promotionsangebot das Bologna-Bild abrunden.

6 Fazit

Eine abschließende Betrachtung der bisherigen Erfahrungen und Ergebnisse lässt die Frage
zu, ob sich der Aufwand der Förderung berufsbegleitender Studienangebote für ein Unter-
nehmen lohnt. Da die Initiative „Bologna@Telekom“ durch den Start im Wintersemester
2009 bis heute noch keine Absolventen hervorgebracht hat, kann die Frage bezogen auf das
Endergebnis „ausgebildeter Student“ noch nicht beantwortet werden. Bezogen auf das Inte-
resse der Mitarbeiter sowie der Fach- und Führungskräfte aber sehr wohl.

Mit zunehmender Kommunikation des neuen, freiwilligen Bildungsangebots nehmen Nach-


fragen und Äußerungen zu konkreten Studienwünschen deutlich zu. Eine erste Evaluations-
runde mit berufsbegleitend Studierenden im ersten Semester ließ erkennen, dass trotz zeitlich
hoher Belastung ein überaus hohes Engagement vorhanden ist. Gleichzeitig haben die Stu-
denten das feste Ziel des Studienabschlusses in der Regelstudienzeit von 6 Semestern beim
Bachelor im Blick. Eine Einstellung, die bei Präsenzstudenten nicht immer vorhanden ist.

Es zeigt sich also, dass die im Kapitel 4 genannten Hauptgründe zutreffend sind und berufs-
begleitende und freiwillige Bildungsangebote mehr und mehr auf fruchtbaren Boden fallen.
Auch der Aspekt der zum Teil eigenen Finanzierung wird nicht als unzumutbare Belastung
empfunden. Dies lässt den Schluss zu, dass sich die Bildungskultur ändert und auch ändern
muss. Ziel muss es sein, sich von einer Konsumentenhaltung und dem Wunsch der „Beriese-
lung“ mit Informationen, hin zu einer „Prosumenten-Haltung“, in der Lernende eine aktive
Rolle bei der Gestaltung der eigenen Lernbiografie einnehmen, zu bewegen. Der Bologna-
Prozess und besonders die beschriebene Realisierung in berufsbegleitender Form, eingebettet
in die Personalentwicklung eines Unternehmens, bietet hervorragende Chancen dazu. Dies
hat sich in der Eingangs beschrieben Umsetzung im Sales&Service-Bereich bereits gezeigt,
im Gesamtkonzern steht der Prozess noch vor der Bewährungsprobe. Insofern ist Bologna
zum einen eine kolossale Hochschulreform, zum anderen, bei guter Umsetzung, ein Segen für
die Personalentwicklung im akademischen Bereich.

Quellenverzeichnis

KONFERENZ DER REKTOREN UND PRÄSIDENTEN DER HOCHSCHULEN IN DER BUNDESREPUBLIK


DEUTSCHLAND (Hrsg.) (2009): Pressemitteilung „Kultusministerkonferenz und Hochschul-
rektorenkonferenz handeln gemeinsam! Anlässlich des gemeinsamen Treffens von Hoch-
schulrektorenkonferenz und Kultusministerkonferenz“, online: http://www.hrk.de/de/
download/dateien/PM_HRK_KMK.pdf, Stand: 10.12.2009, Abruf: 02.02.2010.
Bologna@Telekom –
Berufsbegleitende Sales-&-Service-Studiengänge
der Telekom Shop Vertriebsgesellschaft

FRANK KEUPER, GITTA HANNIG und KLAUS RIELÄNDER

Steinbeis-Hochschule Berlin und Telekom Shop Vertriebsgesellschaft

1 Mangelware Manager .................................................................................................... 437


2 Systematisches Talent Management .............................................................................. 438
3 Erfolgsfaktoren der Sales-&-Service-Studiengänge ...................................................... 439
3.1 Erfolgsfaktor Konvergenz von Theorie und Praxis.............................................. 440
3.2 Erfolgsfaktor Neutralität der entwickelten Curricula ........................................... 440
3.3 Erfolgsfaktor Projekt- und Transferstudium ........................................................ 440
3.4 Erfolgsfaktor Studierbarkeit................................................................................. 441
3.5 Erfolgsfaktor Betreuung....................................................................................... 441
3.6 Erfolgsfaktor Flexibilität...................................................................................... 442
4 Rollout und Perspektiven............................................................................................... 442
Quellenverzeichnis................................................................................................................ 443
Berufsbegleitende Sales-&-Service-Studiengänge 437

1 Mangelware Manager

Die Mangelware Manager, besonders im Handel, stellt die Wirtschaft und damit die Unter-
nehmen zunehmend vor strategische und existenzielle Herausforderungen. Der steigenden
Komplexität der Produkte und Dienstleistungen, die es zu vermarkten gilt, der zunehmenden
Dynamik, Instabilität und Innovationskraft der Märkte sowie der erheblich gestiegenen Wett-
bewerbsintensität kann nur begegnet werden, wenn qualifizierte Manager in ausreichendem
Maße zur Verfügung stehen. Vor dem Hintergrund der Angleichung und der Komplexität der
Produkte und Dienstleistungen wird das kundenorientierte Sales & Service Management zum
strategischen Differenzierungsmerkmal im Wettbewerb. Ohne Manager ist jedoch ein solches
Sales & Service Management schwer vorstellbar. Demzufolge ist es eine Grundvoraussetzung
für den Unternehmenserfolg, hinreichend qualifizierte Sales-&-Service-orientierte Manager
zur Verfügung zu haben (B-to-B-to-C-Problematik des Handels). Die Akquisition unterneh-
mensexterner, gut qualifizierter Manager gestaltet sich jedoch für den Handel gerade bei der
Besetzung unterer Hierarchie-Positionen schwierig. Eine Ursache hierfür ist das Image- und
Branding-Problem des Handels. So genießt der Handel gegenüber anderen Branchen, wie
etwa der Versicherungs-, Automobil- oder der Technologiebranche, ein eher negatives Image.
Hinzu kommt die dramatische demographische Entwicklung in der Bundesrepublik Deutsch-
land, die auf der Nachfragerseite zu veränderten Zielgruppenstrukturen (wachsende Bedeu-
tung der konsumtiven älteren Menschen) und auf der Angebotsseite zu einer deutlichen Über-
alterung der Management-Ebenen führt. Es ist somit zu attestieren, dass die Führungsetagen
vieler Handelsunternehmen beängstigend dünn besetzt sind. Trotz weltweiter Finanz- und
Wirtschaftskrise und rückläufigen Wachstums steigt somit der Bedarf an qualifizierten
Nachwuchstalenten. Die Nachfrage nach High Potentials ist somit ungebrochen hoch. Folg-
lich besteht ein starker Wettbewerb um die Talente (War for Talents). Aus dem skizzierten
War for Talents lassen sich für die Telekom Shop Vertriebsgesellschaft (TSG) zwei strategi-
sche Personalziele deutlich erkennen. Zum einen gilt es, die Attraktivität der TSG als Arbeit-
geber weiter zu steigern, um zukünftig im War for Talents bestehen zu können. Zum anderen
gilt es, die eigenen Mitarbeiter zu incentivieren, ihre Loyalität gegenüber der TSG und der
Deutschen Telekom weiter zu steigern und insbesondere das bereits vorliegende, hohe praxis-
nahe Vertriebswissen weiter auszubauen und auf ein stabiles fachliches Fundament zu stellen.
Insofern ist es das Ziel der TSG, akademische Studienprogramme anzubieten, die das bereits
vorhandene, hohe praxisnahe Vertriebswissen um theoriegeleitetes und praxisorientiertes
Methoden-, Sales-&-Service- und Management-Wissen bereichern. So kann das bestehende
Vertriebswissen für zukünftige Managementaufgaben nutzbar gemacht werden. Gleichzeitig
können hierdurch sowohl die besten externen Mitarbeiter geworben als auch die besten inter-
nen Mitarbeiter an die TSG gebunden werden. Da das praxisnahe Vertriebswissen auf den
unteren Hierarchie-Ebenen der TSG insbesondere in den Telekom-Shops verortet ist, liegt es
im Rahmen des Talent Management nahe, ein akademisches Weiterbildungsprogramm auf-
zubauen, das es Einzelhandelskaufleuten und Führungskräften ohne einen akademischen
Erstabschluss und sogar ohne Abitur ermöglicht, berufsbegleitend „Sales & Service zu studie-
ren“. Das Talent Management wird somit zu einem zentralen Erfolgsfaktor für den War for
Talents und ist gleichzeitig auch Enabler für das Sales & Service Management. Neben den
universitären Studiengängen steht innerhalb der TSG und der Deutschen Telekom allgemein
ein umfassender Qualifizierungs- und Personalentwicklungskatalog zur Verfügung, um Fach-
und Führungskarrieren systematisch zu fördern. Das berufsbegleitende Studium ist hier ein
integraler Bestandteil.

F. Keuper, B. Hogenschurz (Hrsg.), Professionelles Sales & Service Management,


DOI 10.1007/978-3-8349-8799-0_18,
© Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
438 KEUPER/HANNIG/RIELÄNDER

„Die Not des Personalvorstandes hat mich Bologna aber aus drei Gründen schätzen ge-
lehrt:

1. Ein europäischer Arbeitsmarkt braucht zwingend einen europäischen Bildungsmarkt


2. Eine alternde Gesellschaft braucht möglichst viele, qualifizierte Hochschulabsolven-
ten, ja einen Breitensport der Bildung am Anfang des Lebensbogens
3. Eine wissensbasierte Volkswirtschaft braucht funktionsfähige Strukturen wissenschaft-
licher Weiterbildung“1

2 Systematisches Talent Management

Um dem War for Talents mithilfe eines akademischen Bildungsprogramms Rechnung zu


tragen, stellte sich für die TSG zunächst die Frage, ob ggf. bestehende Standard-Programme
gängiger Weiterbildungsanbieter zum Einsatz kommen oder ob auf die Erfordernisse der TSG
ein kundenindividuell gestaltetes Programm im Rahmen einer Kooperation mit einer Hoch-
schule entwickelt werden sollte. Eine rein kostenorientierte Betrachtung hätte eindeutig für
die Nutzung eines Standard-Programms eines Weiterbildungsanbieters gesprochen. Jedoch
sprachen zwei Aspekte klar gegen eine solche Nutzung. Zum einen gab und gibt es im
Weiterbildungsmarkt kein Studienprogramm mit dem Fokus Sales & Service auf universitä-
rem Niveau, zum anderen erforderte der aus den Markenwerten und der Personalstrategie der
TSG abgeleitete Qualifizierungsanspruch ein auf das Unternehmen angepasstes, qualitativ
hochwertiges Studienangebot.

„Die Hochschulen müssen dringend die Studierbarkeit aller Bachelor-Studiengänge si-


cherstellen. […] Die Unternehmen sind gefordert, ihre Anstrengungen zu vervielfachen
und ihre Personalkonzepte zügig auf die neuen Absolventen auszurichten.“2

Im Rahmen einer Analyse unterschiedlicher Hochschulen zeigte sich deutlich, dass die TSG
und die Steinbeis-Hochschule Berlin (SHB) einen nahezu 100%-igen Marken- und Philoso-
phiefit aufwiesen, sodass eine Kooperation eine echte Win-Win-Situation generieren würde.

1
SATTELBERGER (2009a).
2
SATTELBERGER (2009b).
Berufsbegleitende Sales-&-Service-Studiengänge 439

TSG SHB
Unternehmenstyp: Privatwirtschaftliches Unternehmenstyp: Privatwirtschaftliches
Unternehmen Unternehmen, eine Hochschule, die
geführt wird wie ein Unternehmen
Markencharakter: Premium-Dienstleister Markencharakter: Premium-Dienstleister
und Marktführer und größte private Hochschule mit
universitärem Charakter
Ziel: Berufsbegleitende Studiengänge mit Ziel: Ausschließlich berufsbegleitende
Sales-&-Service-Management-Schwerpunkt nichtakademische und akademische
Studienangebote gemäß dem dualen
Bildungsansatz; Konzeption von
Corporate-Programmen
Programmcharakter: Theoriegeleitete und Programmcharakter: Theoriegeleitete
praxisinduzierte Ausbildung auf Top-Niveau und praxisinduzierte Ausbildung auf
mit Fokus auf die Lösung unternehmens- Top-Niveau mit Fokus auf den Theorie-
interner Herausforderungen und Wissenstransfer in die Praxis
Tabelle 1: Marken- und Philosphiefit von TSG und SHB

3 Erfolgsfaktoren der Sales-&-Service-Studiengänge

Der aus dem Selbstverständnis eines Premiumdienstleisters wie der Deutschen Telekom und
damit auch der TSG abgeleitete Qualifizierungsanspruch und der aus der konzernweiten Per-
sonalstrategie klar skizzierte Weiterbildungsweg führte in Kombination mit den eingangs
skizzierten markt- und unternehmensinduzierten Qualifizierungsanforderungen zu einem Set
von Erfolgsfaktoren für die Umsetzung, Implementierung und Nachhaltigkeit der zu entwi-
ckelnden Studienangebote. Aus Sicht der TSG sind für den Aufbau eines systematischen, be-
rufsbegleitenden, mehrstufigen Qualifizierungssystems daher folgende Erfolgsfaktoren von
zentraler Bedeutung:

1. Theoriegeleitete und praxisinduzierte Wissensvermittlung auf Top-Niveau (Konvergenz


von Theorie und Praxis)
2. Partnerschaftliche Entwicklung neutraler Curricula (Neutralität der entwickelten Curricu-
la)
3. Enge Verzahnung von Theorie und Praxis durch Transferprojekte in der TSG (Projekt-
und Transferstudium)
4. Berücksichtigung saisonaler und berufsbedingter Herausforderungen bei der Studienver-
laufsplanung (Studierbarkeit)
5. Intensive, flexible und kontinuierliche Betreuung der Studenten durch fachlich top-
qualifizierte wissenschaftliche Mitarbeiter mit Berufserfahrung und optimales Be-
treuungsverhältnis von Studenten zu Dozenten/Betreuern (Betreuung)
6. Flexible und individuelle Abstimmung zwischen TSG und SHB (Flexibilität)
440 KEUPER/HANNIG/RIELÄNDER

3.1 Erfolgsfaktor Konvergenz von Theorie und Praxis


Im Fokus der Betrachtung liegt bei den berufsbegleitenden Sales-&-Service-Studiengängen
die Konvergenz von Theorie und Praxis. Dies spiegelt sich im Studium sowohl inhaltlich als
auch bei der Wahl der Dozenten wider. So werden in Fallbeispielen, Cases, Präsentationen
und aufeinander aufbauenden Studienarbeiten kontinuierlich Theorie und Praxis miteinander
verbunden. Nur hierdurch erleben die Studenten, dass es nichts Praktischeres gibt als eine
gute Theorie. Dabei ist das Studium im Bachelor-Programm grob in die beiden Cluster Gene-
ral Management und Service Management aufgeteilt. Während im General Management die
klassischen betriebswirtschaftlichen Teildisziplinen wie Kosten-, Finanz-, Organisations-,
Personalmanagement usw. vermittelt werden, liegt der Fokus im Sales & Service Manage-
ment auf TSG-relevanten Themen wie etwa dem Vertriebs-, Kunden-, Konvergenz-, Quali-
täts-, POS- und Service-Management sowie Handelsmarketing usw. Eine ähnliche Struktur
existiert auch im Master-Programm, hier allerdings auf Executive-Niveau. Bei den wissen-
schaftlichen Dozenten wird darüber hinaus darauf geachtet, dass diese neben einer Top-
Qualifikation und Reputation auch über eine hinreichende Praxiserfahrung in Führungspositi-
onen verfügen. Ebenso müssen die praxisorientierten Dozenten über einen adäquaten akade-
mischen Hintergrund verfügen. Hinzu kommen eine Vielzahl an Kaminabenden und Gastvor-
trägen, in denen Praktiker aus unterschiedlichen Branchen, aber auch top Führungskräfte aus
der TSG die Studenten über den Tellerrand schauen lassen.

3.2 Erfolgsfaktor Neutralität der entwickelten Curricula


Einen weiteren zentralen Faktor für den Erfolg und die Nachhaltigkeit der Studienprogramme
stellen die von der TSG und der SHB gemeinsam entwickelten Curricula dar. Von besonderer
Bedeutung ist dabei, dass zwar die Themengebiete und -inhalte gemeinsam entwickelt, aber
TSG-neutral ausgestaltet worden sind. Insofern studieren die Studenten nicht allein die
„TSG-Welt“. Vielmehr erwerben sie einen akkreditierten, international vergleichbaren Ba-
chelor- oder einen Master-Abschluss mit Fokus auf Sales & Service Management. Diese
Neutralität bei den Lehrinhalten ermöglicht es den Studenten, über das eigene Unternehmen
hinaus zu blicken, neues Wissen aufzunehmen, Parallelen in anderen Branchen zu erkennen
und dadurch Innovationen im Konzern voranzutreiben.

3.3 Erfolgsfaktor Projekt- und Transferstudium


Da die TSG vor vielfältigen Herausforderungen steht, ist es ein Anliegen der Studienpro-
gramme, kontinuierlich Lösungsvorschläge durch das Projekt- und Transferstudium zu gene-
rieren. Dadurch, dass bei einem Großteil der Seminare und Vorlesungen der unmittelbare
Wissenstransfer in die Praxis und damit in die TSG bereits seitens der SHB gefordert wird und
zudem über die Laufzeit des Studiums im Idealfall durchgängig ein Praxisprojekt umgesetzt
wird, entstehen vielfältige Lösungsvorschläge, -ansätze und -konzepte sowie quasi unterneh-
mensinterne Beratungsprojekte, die die bestehenden Effektivitäts- und Effizienzpotenziale in
der TSG heben können. Die wissenschaftlichen Ausarbeitungen der Studenten haben somit
immer einen direkten TSG- bzw. Deutsche-Telekom-Bezug. Angewandte statt Elfenbeinturm-
Forschung heißt hier die oberste Maxime.
Berufsbegleitende Sales-&-Service-Studiengänge 441

3.4 Erfolgsfaktor Studierbarkeit


Einen weiteren eher operativen, gleichwohl wichtigen Aspekt stellt die Studierbarkeit der
Studiengänge dar. So unterliegt das Tagesgeschäft der TSG saisonalen Schwankungen. Insbe-
sondere die Mitarbeiter in vertriebsnahen Bereichen haben mit unterschiedlichen Belastungs-
zyklen zu planen. Insofern wurde ein Studiengangsverlaufsplan entwickelt, der einerseits den
Akkreditierungsvorgaben entspricht, andererseits aber auch saisonbedingten Engpässen bei
den Studenten, wie z. B. im Weihnachtsgeschäft, Rechnung trägt. Zudem gilt es die Rüstzei-
ten und die Logistikkosten für die Studenten möglichst gering zu halten. Insofern entwickel-
ten TSG und SHB gemeinsam Präsenzblöcke in Berlin und in Stuttgart, die diesen Spagat
ermöglichen.

3.5 Erfolgsfaktor Betreuung


Von Anfang an war es nicht das Ziel, ein virtuelles Studium oder ein reines Fernstudium zu
konzipieren, das zwar wesentlich kostengünstiger gewesen wäre, bei dem die Studenten aber
u. U. höchstens mit „Avataren“ in Kontakt gekommen wären. Der persönliche Kontakt mit
Persönlichkeiten schafft Persönlichkeiten, und dies macht den Unterschied im Wettbewerb.
Dies war und ist die oberste Maxime der Sales-&-Service-Studiengänge der TSG-SHB-
Kooperation.

„Die Einheit von Forschung und Lehre ist in Zeiten der Massenuniversität längst überholt,
ja kann bei Betreuungsquoten von 1 zu 100 gar nicht mehr gegeben sein!“3

Dementsprechend wurde seitens der TSG bewusst in Betreuungskapazität investiert, um den


Studenten persönliche, top qualifizierte Betreuer zur Seite zu stellen. Diese Aufgabe über-
nehmen wissenschaftliche Mitarbeiter, die alle über einen universitären betriebswirtschaftli-
chen Diplom-Abschluss verfügen und an der Steinbeis-Hochschule promovieren. Wichtig
dabei ist, dass alle wissenschaftlichen Mitarbeiter, die die Sales-&-Service-Studienprogram-
me betreuen, auch über eine umfangreiche berufliche Erfahrung verfügen. Nur so ist gewähr-
leistet, dass bei Fragestellungen aus der Praxis im Rahmen des studienbegleitenden Projekts
Student und Betreuer sowohl bei praxisorientierten als auch bei theoriegeleiteten Fragestel-
lungen immer auf Augenhöhe diskutieren. Die wissenschaftlichen Mitarbeiter sind ferner für
die Planung, Durchführung und Kontrolle der Studiengänge verantwortlich. Während der
Präsenztage im Studium sind die wissenschaftlichen Mitarbeiter zudem vor Ort, um neben
dem Dozenten für Fragen und Hinweise zur Verfügung zu stehen. Sprechstunden gibt es
nicht; die Betreuung erfolgt kontinuierlich und flexibel über die gesamte Laufzeit eines Jah-
res. Dabei wird ein Betreuungsverhältnis aufgebaut, das eine individuelle Betreuung der Stu-
denten jederzeit ermöglicht. Um den Studenten darüber hinaus auch das Gefühl zu vermitteln,
dass sie organisatorisch an der Hochschule verortet sind, wurde das Sales & Service Research
Center (SSRC) an der School of Management and Innovation (SMI) der SHB gegründet. Hier
sind die betreuenden wissenschaftlichen Mitarbeiter organisatorisch aufgehängt. Im Rahmen
der dort betreuten Promotionsprojekte können zudem TSG- und Deutsche-Telekom-relevante
Fragestellungen analysiert und gelöst werden.

3
SATTELBERGER (2009c).
442 KEUPER/HANNIG/RIELÄNDER

3.6 Erfolgsfaktor Flexibilität


Um die alltäglichen Abstimmungsherausforderungen zwischen der TSG und SHB schnell und
unbürokratisch im Rahmen hochschulrahmenrechtlicher und hochschulrechtlicher Vorgaben
zu ermöglichen, finden wöchentliche Telefonkonferenzen und Abstimmungstreffen statt. Die
Treffen bieten sich nicht nur an, um die Programme im beiderseitigen Interesse zu steuern,
sondern auch, um die Programme kontinuierlich zu optimieren und weiterzuentwickeln. Da-
rüber hinaus ergeben sich vielfältige gemeinsame Aktivitäten, auch über das eigentliche Stu-
dienprogramm hinaus, wie z. B. gemeinsame Publikationen, Kaminabende usw., die wiede-
rum zu beiderseitigem Nutzen sind.

4 Rollout und Perspektiven

Der Erfolg der Sales-&-Service-Studiengänge zeigt sich in verschiedenen Dimensionen und


ist messbar. Erstens lösen die Transferprojekte bestehende Fragestellungen innerhalb der
TSG/Deutschen Telekom und verbessern so die Allokation von Ressourcen. Zweitens werden
die sehr guten und guten Studenten aus dem Bachelor-Programm, die überwiegend in den
Telekom-Shops beschäftigt sind, in der TSG-Zentrale und den Regionalleitungen in Projekten
temporär eingesetzt, um es ihnen zu ermöglichen, ihr Wissen auch innerbetrieblich zu erwei-
tern und sich für zukünftige Führungsverantwortung zu wappnen. Gleichzeitig wird hierdurch
auch die Zentrale durch marktnahes Vertriebswissen „infiltriert“. Darüber hinaus sprechen die
sehr positiven Meinungen der Studenten über die Programme eine eindeutige Sprache und
dies, obwohl bei weitem nicht jeder Student das Programm schafft. Die hohe Qualität der von
der TSG und der SHB gemeinsam entwickelten Programme führte schon im Jahr 2009 dazu,
dass auch Studenten aus dem Geschäftskundenbereich der Deutschen Telekom zu den Studen-
ten der TSG dazugestoßen sind (quasi ein „akademisches One-Company-Projekt“). Auch
gründeten im Jahr 2009 die SHB und die T-Mobile Deutschland GmbH die Business School
T-Vertrieb, die sich der Qualifizierung externer Deutsche-Telekom-Kooperationspartner wid-
met und in deren Kern auch die von der SHB und der TSG gemeinsam entwickelten Sales-&-
Service-Studiengänge angeboten werden sollen.

Die Perspektiven der Kooperation sind noch vielfältig. So werden die bestehenden Sales-&-
Service-BBA- und Sales-&-Service-MBA-Programme durch entsprechende Bachelor-of-
Arts- und Master-of-Arts-Programme subsitutiert, um den Fokus der Ausbildung weg von der
Führungs- hin zu einer Expertenlaufbahn zu verschieben. Die Verknüpfung von Studenten
mit der Rekrutierung von Experten und Führungskräften innerhalb der TSG und des Konzerns
ist integraler Bestandteil der Personalentwicklungsstrategie der TSG. Für einen Großteil der
Studenten des ersten Bachelor-Jahrgangs haben ihre Bemühungen schon zu einem Karriere-
schritt geführt, der für die meisten ohne ein Studium nicht möglich gewesen wäre. Das be-
rufsbegleitende Studienprogramm der TSG eröffnet somit sowohl hervorragende Perspektiven
für die Mitarbeiter als auch für das Unternehmen im War for Talents.

Die produktive Kooperation zwischen der TSG und der SHB hat im gesamten Unternehmen
nachhaltig Schule gemacht. Mit der Initiative Bologna@Telekom werden berufsbegleitende
Studiengänge für Telekom-Mitarbeiter inzwischen konzernweit angeboten. Der Bachelor- und
Masterstudiengang Sales & Service an der SHB ist dabei fester Bestandteil des durch das
Berufsbegleitende Sales-&-Service-Studiengänge 443

Unternehmen geförderten Studienangebots. Dieses wurde im Rahmen der Initiative auf weite-
re Studiengänge der SHB ausgeweitet. Neben berufsbegleitenden Studienmöglichkeiten in
den Fachrichtungen Telekommunikations- und Wirtschaftsinformatik an der Telekom-eigenen
Hochschule in Leipzig werden zukünftig außerdem berufsbegleitende Bachelor- und Maste-
Studiengänge an weiteren Kooperationshochschulen angeboten.

Quellenverzeichnis

HOGENSCHURZ, B./HANNIG, G. (2009): Die Bedeutung von Change Management bei der Be-
wältigung von tiefgreifenden Veränderungen in Unternehmen, in: KEUPER, F./PUCHTA, D.
(Hrsg.), Deutschland 20 Jahre nach dem Mauerfall  Rückblick und Ausblick, Wiesbaden
2009, S. 225242.
KEUPER, F./HOGENSCHURZ, B. (Hrsg.) (2008): Sales and Service  Management, Marketing,
Promotion und Performance, Wiesbaden 2008.
SAKOWSKI, M. (2010): Business School Telekom Vertrieb  Erfolgsfaktor Know-how:
Moderne Verkäuferqualifizierung nach akademischen Vorbild – auch ohne Abitur, in:
KEUPER, F./HOGENSCHURZ, B. (Hrsg.), Professionelles Sales & Service Management  Vor-
sprung durch konsequente Kundenorientierung, 2. Auflage, Wiesbaden 2010, S. 445466.
SATTELBERGER, T. (2009a): http://www.bda-online.de/www/arbeitgeber.nsf/res/10_Jahre
_Bologna_Sattelberger.pdf/$file/10_Jahre_Bologna_Sattelberger.pdf: Grußwort – 10 Jah-
re Bologna, Abruf: 26.11.2009.
SATTELBERGER, T. (2009b): Tagung "10 Jahre Bologna – Wo stehen wir?" am 8. Juli 2009 in
Berlin, online: http://www.stifterverband.org/presse/pressemitteilungen/2009_07_08_bo
logna/in dex. html, Stand: 08.07.2009, Abruf: 26.11.2009.
SATTELBERGER, T. (2009c): http://www.bda-online.de/www/arbeitgeber.nsf/res/10_Jahre_Bo
logna_Sattelberger.pdf/$file/10_Jahre_Bologna_Sattelberger.pdf: Grußwort – 10 Jahre
Bologna, Abruf: 26.11.2009.
Business School Telekom Vertrieb 
Erfolgsfaktor Know-how:
Moderne Verkäuferqualifizierung nach
akademischem Vorbild – auch ohne Abitur

MATTHIAS SAKOWSKI

Deutsche Telekom

1 Aktuelle Situation der Verkäuferweiterbildung im Telekommunikationsmarkt............ 447


1.1 Verkäufer  Anforderungen und Erwartungen .................................................... 447
1.2 Der Qualifizierungsprozess als Regelkreis .......................................................... 450
2 Resultierende Fragestellungen ....................................................................................... 452
3 Resultierender Ansatz: Business School Telekom Vertrieb .......................................... 454
3.1 Prinzip und Aufbau .............................................................................................. 454
3.2 Partner.................................................................................................................. 455
4 Qualifizierung als Wettbewerbsvorteil .......................................................................... 457
5 Die Stufen der Business School Telekom Vertrieb........................................................ 457
5.1 Stufe I: POS-Manager Sales & Service................................................................ 457
5.2 Stufe II: Executive POS-Manager Sales & Service ............................................. 462
5.3 Stufe III: Bachelor bzw. Master in Sales & Service Management....................... 463
6 Ausblick......................................................................................................................... 466
Quellenverzeichnis................................................................................................................ 466
Business School Telekom Vertrieb – Erfolgsfaktor Know-how 447

1 Aktuelle Situation der Verkäuferweiterbildung


im Telekommunikationsmarkt

Der Telekommunikationsmarkt hat sich in den letzten zehn Jahren rasant verändert. Die An-
forderungen an die Verkäufer und damit auch an die Weiterbildungsmaßnahmen sind parallel
zu dieser Entwicklung gestiegen. Die Halbwertszeit eines Trainingskonzeptes hat sich somit
stetig verringert. Heute müssen die Produktkenntnisse aufgrund der kurzen Innovationszyklen
ständig erweitert werden. Das Festnetz und das Mobilfunknetz sind mit dem Internet zusam-
mengewachsen, wodurch ein vernetztes Leben und Arbeiten möglich geworden ist. Das hat
den Telekommunikationsmarkt und damit das Qualifizierungsgeschäft im Telekommunikati-
onsmarkt verändert. Heute müssen mehr Menschen denn je in einem sehr kurzen Zeitraum
qualifiziert werden. Dadurch entsteht eine höhere Anzahl an Ausfalltagen verbunden mit
einem Produktionsrückgang. Die Schnelligkeit der Umsetzung hat eine natürliche Grenze:
Ressourcen. Ob Manntage intern oder Budget für externe Manntage etc. – aus der Erfahrung
heraus entsteht hier ein Engpass.

Allerdings sind Fachkompetenz und Produktkenntnis alleine heute kein Alleinstellungsmerk-


mal mehr. Gute Verkäufer liefern intuitiv mehr. Sie überzeugen mit Persönlichkeit und ihrem
individuellen Verkaufs- und Kommunikationsstil.

Mit der Business School Telekom Vertrieb wurde aus den folgenden Betrachtungen ein neuer
vielversprechender Ansatz entwickelt.

1.1 Verkäufer  Anforderungen und Erwartungen


1.1.1 Erforderliche Kompetenzen
Die wichtigsten Kompetenzen für einen Verkäufer sind:

¾ persönliche Kompetenz (z. B. Selbstreflexion, Wirkung auf andere),


¾ Verkaufskompetenz (z. B. Anwendung der Verkaufstechniken),
¾ Produktkompetenz (z. B. Endgeräte, Dienste, Tarife) und
¾ Selbstlernkompetenz (z. B. wie lerne ich für mich optimal?).

Die Selbstlernkompetenz spielte in der Gesamtbetrachtung bisher keine oder nur eine geringe
Rolle. Doch vor dem Hintergrund der kurzen Innovationszyklen wird diese Komponente
immer wichtiger.

In vielen Fällen ist der persönliche Bezug zum Lernen durch unterschiedliche Institutionen
neutral bis sehr negativ belegt. Lernen wird oft nicht in Verbindung mit Erfolg, sondern in
Verbindung mit Misserfolg gebracht.

Kompetenzen sind nicht naturgegeben, sie können erworben werden. Grundlage sind die
eigenen Präferenzen und ein mehr oder weniger großer Aufwand, um die gewünschte Kom-
petenz zu erhalten. Die Präferenzen für die unterschiedlichen Bereiche sind in der Persönlich-
keit des Menschen verankert.

F. Keuper, B. Hogenschurz (Hrsg.), Professionelles Sales & Service Management,


DOI 10.1007/978-3-8349-8799-0_19,
© Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
448 SAKOWSKI

Durch das eigene Lernen und stetige Üben kann die gewünschte Kompetenz erworben und/
oder erhöht werden.

1.1.2 Gestiegene Anforderungen durch Innovationen


und das Zusammenwachsen von Technologien (TIME)
Konvergenz von Festnetz, Mobilfunk und Internet: Zu Beginn der Mobilfunk-Ära gab es eine
überschaubare Anzahl an Endgeräten, Funktionen und Softwareapplikationen. Daher waren
die Zusammenhänge in der Produkte-/Dienste-Welt überschaubar. Im Bereich der Festnetz-
produkte sah das auch vor zehn Jahren nicht anders aus. ISDN, DSL, entsprechende Router,
Telekommunikationsanlagen etc., zum Teil mit erklärungsbedürftigen Anwendungen wie CTI
(Computer Telephone Integration), waren schon damals Grund vieler Irrungen und Wirrun-
gen.

Ausschließlich einige wenige Unternehmen und Technik-Freaks waren schon frühzeitig in


der Lage, eine minimale Verknüpfung zwischen Mobilfunk, Festnetz und Internet durchzu-
führen, wenn auch mit Spezialwissen und teilweise hohem Aufwand. So gab es die ersten
Verknüpfungen zwischen Notebook und Mobiltelefon über Infrarot. Es gab den ersten Web-
space für Office-Anwendungen im Internet zum Planen von Terminen, Kontakten und Mails.
Oder Anwendungen, die über den Desktop downgeloaded und dann nach Desktop-Synchro-
nisation in dem mobilen Endgerät genutzt werden konnten.

Im Zeitalter von iPhone, iTunes, Web’n’Walk als mobilem Internet und Entertain ist der
Wunsch nach Konvergenz Wirklichkeit geworden. „Immer und überall Zugang zu meiner
Welt“1  vernetztes Leben und Arbeiten. Da ist es gleichgültig, wann oder wie ein Foto er-
stellt worden ist. Es lässt sich überall verwenden, über jedes Device, sei es über das Mobilte-
lefon oder den PC, und dies zeitunabhängig. Das Gleiche gilt für die Musik. Aber auch im
B2B-Bereich ist es keine Frage mehr, ob die Mail „mobil“ oder „fest“ versendet wird. Hier
hat die Konvergenz schon Einzug gehalten.

Komplexere Zusammenhänge: Die Konvergenz der Produkte führt zwangsläufig zu einer


höheren Komplexität, weil verschiedene Standards ineinandergreifen (z.B. HD-Fernsehen,
Netzwerkfunktionalität, unterschiedliche Betriebssysteme). Für den Anwender ergeben sich
ganz neue Möglichkeiten, jederzeit und überall auf persönliche Kontakte, Mails, Fotos, Vi-
deos und Musik zuzugreifen – gleichgültig ob vom Mobiltelefon oder Fernseher. Jeder findet
die für sich richtige Lösung, die optimalen Endgeräte, die geniale Applikation und den opti-
malen Tarif.

Ein Einstieg in diese Welt kann dem Kunden am besten dann gelingen, wenn ihm ein Verkäu-
fer mit Durchblick zur Seite steht, der im persönlichen Gespräch individuelle Bedürfnisse und
passende Produktkombinationen herausarbeitet.

Problematisch dabei ist, dass sich der Produktlebenszyklus ständig verkürzt, die Anzahl der
Applikationen steigt etc.; technische Neuerungen bringen darüber hinaus neue Impulse und
neue Themen. Für den Verkäufer kann es schon eine Herausforderung darstellen, hier immer
am Ball zu sein.

1
Werbeslogan der Deutschen Telekom.
Business School Telekom Vertrieb – Erfolgsfaktor Know-how 449

Die Welt innerhalb des Telekommunikationsmarktes soll jedoch in Zukunft einfacher werden.
Für diejenigen, die als Pioniere der Welt von morgen im Point of Sale (POS) die Zukunft und
ein „besseres Leben“ verkaufen, bedeutet das aber, mit der Innovationsgeschwindigkeit mit-
zuhalten, sie von Anfang an zu begleiten. Das ist in dieser Phase durchaus sehr anspruchsvoll.

Ein erklärungsbedürftiges Produkt erfordert daher auch eine gute Qualifizierung des Verkäu-
fers.

Um für den Kunden ein gutes Angebot mit sofort erkennbarem Nutzen zuschneiden zu kön-
nen, ist ein fundiertes Wissen im Bereich Mobilfunk und Festnetz erforderlich, zum Teil auch
Spezialwissen.

Der Qualifizierungsansatz muss verändert werden.

1.1.3 Erwartungen des Verkäufers  Feldstudie und Interviews


Mit Handelspartnern der Deutschen Telekom wurde in mehreren Regionen eine Feldstudie
durchgeführt. Ein Ergebnis war die Erwartung der Verkäufer an die Inhalte von Qualifizie-
rungsmaßnahmen in den Bereichen:

¾ Produkte/Dienste
¾ Verkauf
¾ Persönlichkeit
¾ (Lernen)

Produkte/Dienste: Je nach Einstiegszeitpunkt des Verkäufers werden hier Grundlagen für den
Einsteiger, d. h. zum Teil auch Informationen zu technischen Grundlagen aktueller Produkte
und Dienste, erwartet, jedoch auch Grundlagen für zukünftige Anwendungen. Zum theoreti-
schen Background kommen die praktischen Übungen, z.B. die Konfiguration von Endgeräten
und das Testen von Anwendungen.

Verkauf: Hier gilt das Gleiche. Je nach Einstiegszeitpunkt sind Grundlagen des Verkaufens
sowie darauf aufbauend besondere Techniken und Ansätze erforderlich. Kenntnisse über die
Königsdisziplinen im Verkauf wie „Up-Selling“ und „Cross-Selling“ werden ebenfalls von
dem Verkäufer gewünscht.

Persönlichkeit: Von allgemeinen Kommunikationsthemen bis zur „persönlichen Wirkung“.

Lernen: Zu diesem Thema gab es keinerlei Nennungen. Das ist nicht sehr erstaunlich, weil
das Thema Lernen bzw. Steigerung der Lernkompetenz bislang in den wenigsten Schulen
gelehrt wurde. Doch Lernen ist überlebenswichtig, in Schule, Beruf und auch in der Freizeit,
denn nur wer weiß, wie er effizient und nachhaltig lernen kann, wird im Zeitalter der
Informationsflut auch bestehen können.
450 SAKOWSKI

1.2 Der Qualifizierungsprozess als Regelkreis


Ein Qualifizierungsprojekt ist von unterschiedlichen Einflussgrößen abhängig. Um eine gute
Systematik, Übersicht und Steuerungsmöglichkeit zu erreichen, wurde im Folgenden das
einfache Modell eines Regelkreises inklusive der Aussteuerung von Störgrößen zu einem sys-
tematischen Ansatz eines Qualifizierungsprojektes bestimmt. Gerade bei größeren Trainings-
reihen und komplexeren Qualifizierungsprojekten ist dieser Ansatz aus der Steuer- und
Regelungstechnik ideal zum Aufbau eines in sich geschlossenen Qualifizierungssystems.

Das erforderliche Konzept zur Qualifizierung muss dynamisch sein und fortlaufend angepasst
werden, weil sich die Rahmenparameter im Laufe des Qualifizierungszyklus ändern können.
Bei dieser Betrachtung erfolgt eine Harmonisierung der unterschiedlichen Größen, z.B. der
unterschiedlichen Ziele. Obwohl das Thema trivial ist, kommt es in der Praxis immer wieder
zu erheblichen Störungen. Eine Steuerung ist daher notwendig.

1.2.1 Input
Als Input werden die folgenden Größen definiert:

¾ Zielgruppe(n) und Ziele


¾ Inhalte (Produkt, Verkauf, Brand, Service, …)
¾ zeitlicher Rahmen
¾ Ressourcen

Zielgruppe(n) und Ziele: Hierzu gehören Art und Größe der Zielgruppen in der Planungspha-
se. In Abhängigkeit von den möglichen unterschiedlichen Zielgruppen müssen die einzelnen
Ziele (Abteilungen, Partner, individuelle Ziele) abgeglichen und harmonisiert werden.

Inhalte (Produkt, Verkauf, Brand, Service, …): Die aktuellen Inhalte können in ihrer Ausprä-
gung und ihren Schwerpunkten aufgrund der unterschiedlichen Anforderungen der Beteilig-
ten bzw. der Aufgabenstellungen je Zielgruppe voneinander abweichen.

Zeitlicher Rahmen: Das Gleiche gilt auch für den zeitlichen Rahmen der spezifischen Qualifi-
zierungsmaßnahmen, der natürlich von den Schwerpunkten der Inhalte abhängig ist. Darüber
hinaus haben die unterschiedlichen Zielgruppen z.B. aufgrund von Arbeitszeiten/Dienst-
plänen, ggf. auch Reisezeiten, unterschiedliche Anforderungen an den zeitlichen Rahmen,
wie Beginn, Dauer und Ende der Maßnahme.

Ressourcen: Hier wird zwischen Trainertagen bzw. Manntagen in den Bereichen eLearning,
Support etc. und Budget unterschieden. Nicht zur Verfügung stehende interne Ressourcen
können durch Budget und internes Projektmanagement plus externe Ressourcen aufgefüllt
werden, sofern der Markt das zulässt. Endliche Ressourcen beeinflussen den zeitlichen Ver-
lauf, die Dauer und die Intensität der Maßnahmen.
Business School Telekom Vertrieb – Erfolgsfaktor Know-how 451

1.2.2 Output-Evaluation
Als Output werden folgende Größen definiert:

¾ Status der Maßnahmen, Zielerreichung


¾ Status der Teilnehmer
¾ Ressourcenoptimierung

Status der Maßnahmen: Neben der Anzahl der bereits durchgeführten Maßnahmen und quali-
fizierten Teilnehmer inklusive der Teilnahmequote als quantitativer Betrachtung werden als
qualitative Komponente die Feedbacks der Teilnehmer betrachtet. Die aktuelle Zielerreichung
außerhalb der Qualifizierungsmaßnahmen, z.B. die Absatzleistung innerhalb des POS, sollte
zwingend ebenfalls Bestandteil der evaluierten Größen sein.

Status der Teilnehmer: Dazu zählen die aktuelle Stimmungslage bzw. ein Feedback der Teil-
nehmer, wie das Konzept bzw. die Umsetzung erlebt wird. Ziel einer Qualifizierung ist u.a.
eine Verhaltensänderung. Um das zu gewährleisten, steht die aktuelle Stimmungslage und
Motivation der Teilnehmer und damit auch die Identifikation mit dem Unternehmen und
seinen Produkten/Diensten an erster Stelle. Hinzu kommt das Know-how bzw. der Know-
how-Zuwachs, der mit Hilfe einer direkten Lernzielkontrolle oder eines nachgelagerten Tests
ermittelt werden muss. Um aber den Teilnehmerstatus ganzheitlich ermitteln zu können, sind
zwei weitere Informationen wichtig: der Stand des Teilnehmers auf der Timeline der Qua-
lifizierungsmaßnahme sowie der Status der Umsetzung des Gelernten im POS.

Ressourcenoptimierung: Neben den oben genannten, sehr teilnehmerzentrierten Themen ist


die Evaluierung der eingesetzten Ressourcen erforderlich, d. h. die Feststellung, wie wir-
kungsvoll z. B. der Einsatz eines programmierten eLearnings oder von Trainern zum Zeit-
punkt X ist.

1.2.3 Einflüsse auf den Qualifizierungsprozess


Ist das System wie oben definiert, so lassen sich sämtliche Abweichungen sowie Änderungen
der Rahmenparameter als Störgröße definieren. Für diese Störgrößen können in einer Art
Gedankenexperiment von vornherein Gegenmaßnahmen definiert werden. Das System muss
dazu in der Lage sein, direkt zu reagieren auf:

¾ Änderung der Zielgruppen/der gesamten Teilnehmerzahl


¾ Ausfall von Ressourcen
¾ Änderungen des Marktes/der Portfolios

Änderung der Zielgruppen/der gesamten Teilnehmerzahl: Durchaus üblich sind Änderungen


innerhalb einer Zielgruppe durch Fluktuation. Darüber hinaus zeigt die Praxis, dass gerade in
größeren strategischen und/oder bundesweiten Maßnahmen die Anzahl der Zielgruppen und
damit auch die Gesamzahl der Teilnehmer schwanken kann. Hierdurch werden zusätzliche
Maßnahmen erforderlich, und es erfolgen Änderungen hinsichtlich der Umsetzung. Damit
existiert ein ständiger Planungsprozess.
452 SAKOWSKI

Ausfall von Ressourcen: Neben der Dynamik der Zielgruppen können Ressourcen ungeplant
aufgrund von Fluktuation, Krankheit bzw. zusätzlichen Anforderungen aus dem Markt etc.
entfallen. Die Planung muss überarbeitet werden.

Änderungen des Marktes/der Portfolios: Änderung der Produkte, der Kommunikation, führen
zu einer Änderung der Inhalte, Unterlagen und aller anderen Materialien für Teilnehmer und
Trainer. Hierbei sind ggf. weitere Maßnahmen erforderlich.

Die oben genannten Faktoren führen zu einem Qualifizierungssystem, das nur unter optima-
len Bedingungen stabil ist, die real aber selten vorkommen. Ein neuer Ansatz soll diese Stabi-
lität sicherstellen.

2 Resultierende Fragestellungen

Um ein System zu erhalten, das den oben genannten Anforderungen genügt, wurden zu Be-
ginn die folgenden Fragestellungen als Bedingung formuliert. Aus den Antworten ergaben
sich die Grundbausteine eines vollkommen neuen und ganzheitlichen Qualifizierungsansat-
zes.

¾ Wie kann eine Stabilisierung des Systems erreicht werden? Wie kann dabei die Evalua-
tion erfolgen?
¾ Wie kann das System im Hinblick auf Präsenztage optimiert werden?
¾ Wie können weitere Kundenpotenziale erschlossen werden?
¾ Wie kann der Teilnehmer in die Lage versetzt werden, mit der Dynamik des Marktes mit-
zuhalten?
¾ Durch welche Ansätze kann der Teilnehmer sich selbst und seine Performance optimie-
ren?
¾ Wie kann eine hohe Motivation aufgebaut und aufrechterhalten werden?
¾ Welche Faktoren beeinflussen positiv die Partnerschaft mit dem Handel?

Wie kann eine Stabilisierung des Systems erreicht werden? Wie kann dabei die Evaluation
erfolgen?
Das neue System muss transparent und evaluierbar sein. Es muss außerdem skalierbar sein,
d. h. es muss in Grenzen gegenüber einer Zielgruppenerweiterung oder einer Änderung der
Inhalte stabil sein.

Stabilität wird durch Ausregelung von Störgrößen erreicht. Um das zu ermöglichen, wird ein
Evaluationskonzept benötigt, so dass alle Einflussfaktoren jederzeit transparent sind:

Stand der Teilnehmer in der Timeline durch ein Punktesystem. Die aktuelle Stimmungsla-
ge/Motivation soll durch ein Stimmungsbarometer auf der Grundlage der Feedbackbögen
ermittelt werden, das Know-how bzw. der Know-how-Zuwachs durch Online-Tests. Der
Status der Umsetzung im POS wird durch eine Umfrage unter den beteiligten Studenten und
Business School Telekom Vertrieb – Erfolgsfaktor Know-how 453

deren Vorgesetzen erhoben. Letzteres erfolgte im Jahr 2009 durch eine Marktforschungsana-
lyse eines externen Instituts. Darüber hinaus steht den Teilnehmern ein Studienbuch inklusive
eines Absatzstatus auf freiwilliger Basis zur Verfügung. Parallel erfolgt die Validierung der
Zielerreichung auf der Grundlage einer Absatzmessung.

Wie kann das System im Hinblick auf Präsenztage optimiert werden?


Präsenzmaßnahmen und damit Aktivitäten von Trainern müssen durch eine Aktivitätsver-
schiebung zum Teilnehmer hin verlagert werden, d.h. es findet eine Verschiebung von Prä-
senzmaßnahmen zu anderen Formen der Wissensvermittlung statt. Im Mittelpunkt steht die
Aktivierung und Optimierung der Selbstlernkompetenz der Verkäufer.

Wie können weitere Kundenpotenziale erschlossen werden? Ein wichtiger Hebel im POS ist
das Verkaufsgespräch und damit der Verkäufer mit seiner Persönlichkeit. Unter dem Motto
„Sich selbst und andere besser kennenlernen“ soll das Verkaufsgespräch optimiert werden.
Hier wird das Persönlichkeitsprofil „Insights Discovery“ eingesetzt, das Verhaltenspräferen-
zen von Verkäufern im Sales-Prozess einen angemessenen Raum gibt.

Wie kann der Teilnehmer in die Lage versetzt werden, mit der Dynamik des Marktes mitzu-
halten?
Der Verkäufer muss sich mit dem Lernen als neuem Wissensgebiet vertraut machen. Die
Erfahrung zeigt, dass dieses so wichtige Thema, das die Grundlage für unser Überleben dar-
stellt, meist an den Erfahrungen in der Schule festgemacht wird. Das Lernen beginnt aber
schon vor der Geburt und begleitet den Menschen sein Leben lang. Es wird immer wichtiger
zu wissen, wie Lernen funktioniert.2 Der Ansatz für aktivierendes Lernen macht das Lernen
zu einem freudigen Erlebnis und ermöglicht es dem Verkäufer auch nach länger vergangener
Schulzeit, sich in einer ganz neuen Weise mit dem Aufbau von Wissen zu beschäftigen.

„Es geht nicht darum, schneller zu lernen. Es geht darum, den Lernbedarf besser zu definie-
ren, die Lernprozesse besser zu aktivieren und dadurch bessere Ergebnisse zu bewirken.“3

Durch welche Ansätze kann der Teilnehmer sich selbst für seine beruflichen Aufgaben opti-
mieren?
Durch die Arbeit an sich selbst. Durch das Persönlichkeitsprofil bekommt er eine solide Aus-
gangsbasis. Er wird in die Lage versetzt, an seinen eigenen beruflichen Themen zu arbeiten.
Dabei lernt er, sich und andere besser zu verstehen. Mit dem oben genannten neuen Lernan-
satz können die eigenen Ziele dann auch erreicht werden, auch außerhalb der Berufswelt, was
für viele Menschen eine zusätzliche Motivation bedeutet.

Wie kann eine hohe Motivation aufgebaut und aufrechterhalten werden?


Erfolgsfaktor ist die Kombination von eigener Motivation  sei sie intrinsisch oder extrin-
sisch  mit einem soliden und seriösen, aber auch verpflichtenden Rahmen. Am Ende steht
ein hochwertiger Beleg für das Geleistete, ein hochwertiges Zertifikat einer Hochschule und
der Deutschen Telekom, das jeder Teilnehmer bzw. jeder Student erhält wird. Hieraus ent-
stand die Kooperation mit der Steinbeis-Hochschule Berlin.

2
Vgl. SPITZER (2007), S. 227 ff.
3
ROSE/GILL/MONNET (1999), S. 8.
454 SAKOWSKI

Welche Faktoren beeinflussen positiv die Partnerschaft zum Handel?


Zum einen ist es eine vertrauensvolle und ehrliche Zusammenarbeit, zum anderen das
Commitment zu einer langfristig werteorientierten Partnerschaft.

Eine spezielle noch nie dagewesene Verkäuferausbildung, ein hochwertiges Zertifikat in zwei
Varianten – eine für den Studenten, die andere für den POS und damit für den Vertriebspart-
ner.

3 Resultierender Ansatz: Business School Telekom Vertrieb

Als Resultat aus diesen Antworten ergibt sich der ganzheitliche Ansatz einer modernen sowie
effektiven und effizienten Verkäuferqualifizierung: ein hochwertiges Qualifizierungssystem,
das einerseits Stabilität verspricht, andererseits aber sehr schnell auf die Dynamik des Mark-
tes reagieren kann. Gut, besser, am besten – die Business School Telekom Vertrieb bietet
einzigartige Möglichkeiten, neue Ziele zu erreichen und dabei sogar persönliche Grenzen zu
überschreiten.

3.1 Prinzip und Aufbau


Die Business School Telekom Vertrieb ist ein dreistufiges ganzheitliches und in sich geschlos-
senes Qualifizierungssystem. Wer mit der Business School Telekom Vertrieb startet, hat alle
Möglichkeiten auch ohne Abitur. So beginnt die Stufe I mit einer speziellen neuartigen
Verkäuferqualifizierung. Die Stufe II wird es in unterschiedlichen Ausprägungen geben: einer
kaufmännischen, die wahlweise mehr oder weniger akademisch geprägt ist, und einer techni-
schen. Die akademisch-kaufmännische Ausbildung wird im Weiteren noch erläutert; sie bil-
det die Vorstufe zu einem später möglichen Bachelor- und ggf. auch Master-Studiengang.
Diese beiden Optionen der Stufe III bilden den Abschluss, wobei auch eine Promotion durch-
aus möglich sein kann.

Die Studierenden der Business School Telekom Vertrieb lernen mit innovativen Methoden.
Sie können je nach Stufe I bis III gezielt Spitzen-Know-how aufbauen. Der Fokus liegt dabei
auf der persönlichen Weiterentwicklung.

Neuartig für dieses Telekom-Weiterbildungsprogramm ist außerdem der Abschluss. Jede der
drei Stufen der Business School Telekom Vertrieb wird durch das Zertifikat einer anerkannten
Hochschule honoriert. Die verschiedenen Bildungsabschlüsse können einem Studenten der
Business School Telekom Vertrieb neue Karrierechancen eröffnen.
Business School Telekom Vertrieb – Erfolgsfaktor Know-how 455

Gewinnen, Entwickeln und Binden

Qua lität – Brand – Motivation – Performa nce

Dreistufiges Konzept Verkaufspotenziale Eigene Grenzen BSTV/Steinbeis-Zertifika t


mit den Inhalten:
ausschöpfen überschreiten
Verkauf
Persönlichkeit best!
Produkt & Dienste
Bra nd, Service, Lernen ,… better

Aufeinander aufba uendes


Angebot + good

Studieren ohne Abitur


Launch der Stufe I Cross-Selling Up-Selling
a m 28.04.09

Abbildung 1: Prinzip der Business School Telekom Vertrieb

3.2 Partner
Um den Konzeptansatz möglichst zielsicher zu gestalten, wurden aufgrund der vorhandenen
Fragestellungen direkt zu Beginn externe Partner mit unterschiedlichen Schwerpunkten defi-
niert:

¾ Steinbeis-Hochschule Berlin (Stufe I–III)


¾ Insights Group Deutschland GmbH (Stufe I–II)
¾ ALS Aktivierende LernSysteme GmbH (Stufe I–II)
¾ Breuer & Wardin Verlagskontor GmbH (Stufe I–II)

Steinbeis-Hochschule Berlin: Ein Partner sollte für eine neue Qualität innerhalb der Qualifi-
zierungsmaßnahmen sorgen und das komplette Programm inhaltlich begleiten und zertifizie-
ren. Nach gründlicher Überlegung sollte es eine universitäre Hochschule sein – einerseits um
ein durchgängiges mehrstufiges System zu schaffen, das praktisch von der „Grundschule“ bis
zum Doktortitel alles beinhaltet, was Weiterbildung zu bieten hat, zum anderen um einen
Garanten für höchste Qualität zu haben. Mit der „School of Management and Innovation
(SMI)“ der Steinbeis-Hochschule Berlin (SHB) zertifiziert Deutschlands größte Privatuniver-
sität und eine der bedeutendsten deutschen Hochschulen für postgraduale Master-Studien-
gänge den Studienabschluss der Business School Telekom Vertrieb. Das Besondere an der
School of Management and Innovation ist, dass sie sich konsequent an der innovativen Arbeit
von Fach- und Führungskräften ausrichtet.
456 SAKOWSKI

Insights Group Deutschland GmbH: Ebenfalls aus dem oben genannten Fragen- und Antwort-
Komplex ergab sich die Notwendigkeit, mit einem Persönlichkeitsprofil zu arbeiten. Neben
Persönlichkeitsmodellen wie DISG, Bio-Strukturanalyse, H.D.I., LIFO und anderen beinhal-
tet das Modell Insights Discovery ein Verkäuferprofil. Die Insights Group bietet damit der
Persönlichkeitsdisposition des Sales Professional in ihren Sales-Performance-Programmen
einen angemessen Raum. Die Grundlage dieses bewährten Modells, das weltweit in über 30
Ländern und 25 Sprachen etabliert ist, stammt von C. G. Jung.

Die ALS Aktivierende LernSysteme GmbH (Flensburg) gehört unter der Leitung von Claudia
Monnet und Prof. Dr. Wolfgang J. Linker seit Mitte der 90er Jahre zur internationalen Riege
der Trainer, Forscher und Entwickler, die an der Frage arbeiten: „Wie übertragen wir all die
Erkenntnisse über wirksames Lernen und Lehren in die Praxis?“ Heute ist Accelerated Lear-
ning ein Sammelbegriff. Dabei hat die wörtliche Bedeutung „beschleunigtes Lernen“ zu vie-
len Missverständnissen geführt. Es geht nicht darum, schneller zu lernen, sondern darum, den
Lernbedarf besser zu definieren, die Lernprozesse besser zu aktivieren und dadurch bessere
Ergebnisse zu bewirken. Das führt in der Tat häufig zu erstaunlichen Beschleunigungen des
Lernprozesses; der Schwerpunkt ist aber das Aktivieren. Deshalb haben wir das deutsche
Pendant „aktivierendes Lernen“ gewählt. Darunter verstehen wir Folgendes:

¾ Aktivierendes Lernen ist streng auf Nützlichkeit ausgerichtet. Auch ältere Forschungser-
gebnisse sind deshalb willkommen, sofern sie nachweislich unseren Lern- und Denkfä-
higkeiten zuträglich sind.
¾ Aktivierendes Lernen ist offen für neue Ergebnisse aus der Gehirnforschung und steht für
die permanente Bereitschaft, zu korrigieren und zu ergänzen.
¾ Aktivierendes Lernen entwickelt Methoden für Menschen, um gesicherte Ergebnisse in
klassischen Lern- und Entwicklungssituationen zu nutzen.
¾ Aktivierendes Lernen regt an, tatsächlich etwas zu tun. Deutliche Verbesserungen sind
wichtiger als Perfektion.4

Die Breuer & Wardin Verlagskontor GmbH ist ein Spezialanbieter im Bereich der Weiterbil-
dung. Der Verlag bietet eine Vielzahl an Medien für Führungskräfte und Mitarbeiter an. Im
Consulting berät das Unternehmen Firmen bei der Planung und Umsetzung von Schulungs-
maßnahmen. Der Schwerpunkt liegt im Bereich des Blended Learning. Hier können die Ex-
perten des Verlagskontors eine 12-jährige Erfahrung vorweisen. Dreh- und Angelpunkt ist bei
allen Projekten die gehirngerechte Aufbereitung der Inhalte durch hochqualifizierte Taskfor-
ce-Einheiten. Durch die Anwendung spezieller, praxiserprobter Lerntechniken wird dabei der
Wissenstransfer sichergestellt und berücksichtigt, dass Lernen am effizientesten geschieht,
wenn die Lernenden mit Spaß bei der Sache sind.

4
Vgl. ROSE/GILL/MONNET (1999), S. 8.
Business School Telekom Vertrieb – Erfolgsfaktor Know-how 457

4 Qualifizierung als Wettbewerbsvorteil

Werden die Ansätze der Business School und des regulären Trainings miteinander kombi-
niert, so entsteht ein Qualifizierungsansatz der für Qualität und Quantität steht. Je nach The-
mengebiet kann Qualifizierung dosiert werden. Dieser variable Ansatz ist im Markt bisher
nicht vorhanden. Geschwindigkeit und Stabilität dieses Qualifizierungssystem sind ein klarer
Wettbewerbsvorteil.

Regelqualifizierung im Handel über


Produkte & Dienste
Business School Telekom Vertrieb

Verkäufer/
PoS-Leiter
beschäftigen
sich in der
Freizeit mit
Training unseren ¾ akademischer Partner für alle
Produkten/ Studienbriefe Stufen: School of Manage-
Diensten Qualifizie- ment and Innovation (SMI)
rungsvertrag ¾ Fester Rahmen:
mit Vertriebs- ¾ Punktesystem als
Produkte/Dienste Voraussetzung für
Produkte/Dienste partner
Verkauf/ Zertifikat

+
Verkauf
Persönlichkeit/ Zertifikat ¾ Selbstverpflichtung der
Lernen einer Verkäufer
Vorlesungen
Hochschule ¾ Aktivierung der Selbstlern-
kompetenz über Ergebnisse
eLearning aktueller Gehirnforschung
Netzwerk
eLearning • Mentoren
+ online Tests • Lerngruppen

Abbildung 2: Qualifizierung zum Wettbewerbsvorteil ausbauen

5 Die Stufen der Business School Telekom Vertrieb

Die Business School Telekom Vertrieb besteht aus drei Stufen, jede mit eigenen Schwerpunk-
ten und eigenen Zielen sowie einem entsprechenden Zertifikat.

5.1 Stufe I: POS-Manager Sales & Service


Diese Stufe richtet sich im weitesten Sinne an Verkäufer und hat das Ziel, die Studierenden
auf künftige Aufgaben vorzubereiten. Bei Fachhandelspartnern, die aufgrund ihrer Größe
keine eigene Personalentwicklung besitzen, kann die Business School Telekom Vertrieb mit
der Stufe I eine vergleichbare Funktion übernehmen.
458 SAKOWSKI

5.1.1 Ziele und Inhalte


Gut, besser, am besten – die Business School Telekom Vertrieb bietet dem Verkäufer einzig-
artige Möglichkeiten, neue Ziele zu erreichen und dabei sogar persönliche Grenzen zu über-
schreiten. Daher sind die Ziele:

¾ Erfolgreicher verkaufen
¾ Erhöhung der Service- und Beratungsqualität
¾ Verbesserung der Kundenzufriedenheit
¾ Persönliche Entwicklung des Verkäufers
¾ Intensive Bindung zum Vertriebspartner
¾ Zertifikat für ausgezeichnete Leistung

Mit dem erfolgreichen Abschluss einer Qualifizierungsstufe erhält der Student ein gemeinsa-
mes Zertifikat der Deutschen Telekom und der Steinbeis-Hochschule Berlin.

Die Inhalte orientieren sich an den Anforderungen aus dem POS. Neben den Inhalten zu
Produkten und Diensten stehen folgende Themen mit den jeweiligen Schwerpunkten im Vor-
dergrund:

Persönlichkeit:

¾ Das Insights® Discovery Profil


¾ Kunden erkennen
¾ Einstellungen
¾ Grenzen überwinden
¾ Ziele setzen und persönliche Erfolgskontrolle
¾ Gehirngerecht vorgehen, Lernen ist einfach

Verkaufen:

¾ Körpersprache und Kundentypen


¾ Kundentypen an der Körpersprache erkennen
¾ Persönlichkeit und Verkauf
¾ Die Phasen des Verkaufsprozesses

Unter der Betreuung des persönlichen Mentors beginnt eine aktive Phase des Selbstlernens
und des Lernens in Gruppen.
Business School Telekom Vertrieb – Erfolgsfaktor Know-how 459

5.1.2 Methoden
Jeder Mensch lernt anders. Für die vielen unterschiedlichen Lerntypen und Lernziele hält die
Business School Telekom Vertrieb viele innovative Maßnahmen bereit. So kommen z. B.
neben Vorlesungen in Selbstlernphasen und Lerngruppen auch andere Lernmethoden zum
Einsatz.

¾ Vorlesungen und Übungen


¾ Studienbriefe
¾ eLearning
¾ Lerngruppen

Das Lernen soll Spaß machen. Ziele sollen dabei erreichbar sein, auch wenn sie hochgesteckt
sind.

Die Business School Telekom Vertrieb setzt deswegen auf neue Lernmethoden. So können
selbst komplexe Inhalte intensiv, aber auf angenehme Weise erarbeitet werden und bleiben
auch mühelos haften.5 Jeder kann fast alles erreichen, fast alles lernen. Dafür müssen jedoch
verschiedene Voraussetzungen vorhanden sein: Ein stabiler Rahmen, eine entspannte Atmo-
sphäre, in der sich der Lernende gut konzentrieren kann, sind zentrale Voraussetzungen für
den Lernerfolg.

Je besser der Lernprozess in den Verkaufsalltag eingebunden ist und je öfter das Gelernte
direkt angewendet wird, desto nachhaltiger ist der Effekt. Die Business School Telekom Ver-
trieb arbeitet mit einer Vielzahl von Lernkanälen – passend zum Inhalt, der praxisnah vermit-
telt werden soll, und passend zum jeweiligen Studenten. Dieser kann das Angebot aktiv und
mit größtmöglicher Selbstlernkompetenz in der oben genannten Form nutzen. Die Studenten
erhalten dabei eine Rundumbetreuung.

Die Studenten der Business School Telekom Vertrieb werden durch ihre Weiterbildung konti-
nuierlich begleitet. So besteht permanent die Möglichkeit zum Austausch, zur Orientierung
und zur Hilfestellung. Jedem Studenten steht ein persönlicher Mentor aus dem Trainingsbe-
reich zur Seite.

Außerdem ist er mit Studienbeginn Teil eines aktiven Telekom-Netzwerks, bestehend aus:

¾ anderen Verkäufern
¾ anderen Vertriebspartnern
¾ Vertriebsbeauftragten
¾ Trainern (Stufe I, II, III)
¾ Dozenten der Hochschule (Stufe II, III)
¾ Führungskräften des Telekom Vertriebes

5
Vgl. COYLE (2009), S. 1 ff.
460 SAKOWSKI

Dieses Netz ist aus Erfahrung, Wissen und dem Willen zum gemeinsamen Erfolg geknüpft
und sorgt für Verbindlichkeit und Zusammengehörigkeit unter dem Dach der Deutschen Te-
lekom.

5.1.3 Selbsteinschätzung als Wegweiser


Selbsteinschätzung alleine reicht als stabile Grundlage für einen persönlichen Wegweiser
nicht aus. Dabei sind gerade folgende Fragen wichtig:

¾ Wer bin ich?


¾ Wie wirke ich eigentlich auf meine Umwelt und insbesondere auf meine Kunden?
¾ Wie kann ich andere besser verstehen und meine Stärken im Verkauf besser einsetzen?
¾ Was kann ich anders machen, um noch erfolgreicher zu sein?

Um eine stabile Basis für die persönliche Entwicklung zu erhalten, wurde eine spezielle Pro-
filanalyse in der Business School Telekom Vertrieb eingesetzt: das Insights-Discovery-Präfe-
renz-Profil.

Jeder Studierende erhält ein persönliches und individuelles schriftliches Profil. Dieses Profil
macht die Stärken und Schwächen, aber auch das Potenzial eines jeden Studierenden für ihn
selbst transparent. Somit hat jeder Studierende eine stabile Ausgangslage, an der er sich ori-
entieren kann.

Um eine individuelle, ganzheitliche Standortanalyse als Startpunkt für sich zu erhalten, be-
trachtet der Studierende neben dem Aspekt Persönlichkeit und persönliche Stärken auch die
folgenden Bereiche:

¾ Absatz/Umsatz
¾ Verkauf
¾ Produkte/Dienste

Hierbei wird der Studierende von der Business School Telekom Vertrieb unterstützt.

5.1.4 Zieldefinition als Selbstverpflichtung


Alle Studierenden definieren ihre eigenen Ziele, die sie mit der Business School Telekom
Vertrieb erreichen wollen. Sie geben sich selbst die Richtung vor. Dazu stellt sich jeder Stu-
dierende die folgenden Fragen:

¾ Wie gut bin ich?


¾ Wie viel besser kann ich werden?
¾ Was erreiche ich im besten Fall?
Business School Telekom Vertrieb – Erfolgsfaktor Know-how 461

Ausgehend vom Ist-Zustand bestimmt der Studierende das individuelle Ziel. Darüber hinaus
gibt es einen Bereich, der als „Kann“ bezeichnet wird und bei Überschreitung der eigenen
Grenzen erreicht wird. Jeder Studierende trägt im Good-Better-Best-Konzept für sich selbst
die Verantwortung.

5.1.5 Evaluation und Zertifizierung


Die Studierenden werden bei der Erreichung ihrer Ziele durch einen stabilen Rahmen unter-
stützt. Grundlage dafür ist

¾ ein Qualifizierungsvertrag mit dem Vertriebspartner sowie


¾ ein Punktesystem.

Der Qualifizierungsvertrag beinhaltet die Verpflichtung des Partners bzw. seines Verkäufers,
an den Veranstaltungen, Studienbriefen und Tests auch teilzunehmen.

Punktesystem: Für jede Leistung, d. h. Teilnahme an einer Vorlesung, Online-Test, Bearbei-


tung der Studienbriefe, erhält der Studierende eine bestimmte Punktzahl und einen Leis-
tungsnachweis, der von der Deutschen Telekom und der Steinbeis-Hochschule Berlin ge-
zeichnet ist. Für die Teilnahme an einer Vorlesung erhält er bereits für die Beteiligung eine
bestimmte Anzahl an Punkten. Die Tests und die bearbeiteten Studienbriefe werden
individuell bewertet und bepunktet. Der Student weiß somit jederzeit, wo er leistungsmäßig
steht. Auch die Business School Telekom Vertrieb hat einen Überblick über den Status des
entsprechenden Jahrgangs.

Das Punktesystem ist Bestandteil des Evaluationskonzeptes, das im aktuellen Jahrgang 2009
aus folgenden Positionen besteht:

¾ Punktesystem
¾ Stimmungsbarometer
¾ Know-how-Check
¾ Umsetzung des Gelernten
¾ Absatz/Umsatz

Die Zertifizierung erfolgt durch die Deutsche Telekom und die Steinbeis-Hochschule Berlin.
Grundlage ist die erreichte Punktzahl.

5.1.6 Dauer und Zugangsvoraussetzungen


Die Stufe I dauert von Februar bis Oktober eines jeden Jahres, d.h. 9 Monate. Die Zulassung
erfolgt nach Rücksprache mit den Vertriebsverantwortlichen im Telekom Vertrieb sowie mit
dem Fachhandelspartner, einem erfolgreichen Online-Selbsttest sowie einer förmlichen Be-
werbung bei der Business School Telekom Vertrieb.
462 SAKOWSKI

5.2 Stufe II: Executive POS-Manager Sales & Service


Die Stufe II hat das Ziel, die Studierenden für künftige Aufgaben vorzubereiten. Bei Fach-
handelspartnern, die aufgrund ihrer Größe keine eigene Personalentwicklung besitzen, kann
die Business School Telekom Vertrieb mit der Stufe II eine vergleichbare Funktion überneh-
men.

Für die Stufe II gibt es bisher eine kaufmännische akademische Richtung, die erstmals mit
dem Jahrgang 2010 startet.

5.2.1 Ziele und Inhalte


Die Stufe Executive POS-Manager Sales & Service konzentriert sich auf den Aufbau und die
Weiterentwicklung von persönlichen und fachlichen Kompetenzen im Hinblick auch auf
spätere Führungsaufgaben im Handel. Inhaltliche Bestandteile der Stufe II sind daher:

Mitarbeiterführung:

¾ Grundlagen
¾ Konfliktmanagement
¾ Mitarbeitergespräche
¾ Motivation/Demotivation
¾ Coaching der Mitarbeiter

Allgemeine Betriebswirtschaftslehre:

¾ Unternehmerische Grundlagen
¾ Unternehmenszwecke und -ziele
¾ Planung und Entscheidung
¾ Betriebliches Rechnungswesen im Unternehmen

Unternehmensführung:

¾ Finanzbuchhaltung/Bilanzierung
¾ Kosten- und Leistungsrechnung
¾ Konvergenzmanagement
¾ Marketing
¾ Investition und Finanzierung
¾ Organisations- und Personalmanagement
¾ Trends und Entwicklungen
¾ Projektarbeit
Business School Telekom Vertrieb – Erfolgsfaktor Know-how 463

5.2.2 Methoden
Bei dieser Stufe steht die Funktion als Nachwuchs-Führungspersönlichkeit im Mittelpunkt.
Die Schwerpunktvermittlung erfolgt in der Praxis durch:

¾ Seminare
¾ Workshops
¾ Coachings
¾ Abschlussarbeit (betreut durch Dozenten der Steinbeis-Hochschule Berlin)

5.2.3 Zertifizierung
Die Zertifizierung erfolgt durch die Deutsche Telekom und die Steinbeis-Hochschule Berlin.
Die Studierenden erhalten zusätzlich ein separates Hochschulzertifikat, anrechenbar auf das
Studium Sales & Service Bachelor of Business Administration an der Steinbeis-Hochschule
Berlin.

5.2.4 Dauer und Zugangsvoraussetzungen


Zugangsvoraussetzung ist der erfolgreiche Abschluss der Stufe I beziehungsweise ggf. ver-
gleichbare Leistungen. Zusätzlich findet ein Aufnahmegespräch mit Vertretern der Deutschen
Telekom sowie der Steinbeis-Hochschule Berlin statt. Die Studiendauer beträgt ca. 9 Monate
und endet pünktlich zum Jahresendgeschäft. Die Anzahl der Studierenden pro Jahrgang liegt
zwischen 25 und 35.

5.3 Stufe III: Bachelor bzw. Master in Sales & Service Management
Die dritte Stufe der Business School Telekom Vertrieb ebnet der erfahrenen Nachwuchs-
Führungskraft den Weg ins höhere Management. An der Steinbeis-Hochschule Berlin mit
dem zentralen Studienort Berlin – beim Master of Business Administration zum Teil auch in
Mailand oder New York – erfolgt der Einstieg in ein marketing- und serviceorientiertes
Hochschulstudium, das speziell auf die Erfordernisse der Deutschen Telekom ausgerichtet ist.
Die BBA- und MBA-Programme sind in enger Zusammenarbeit mit der Telekom Shop
Vertriebsgesellschaft entwickelt und etabliert worden. Dabei handelt es sich um eine
akademische und praxisorientierte Ausbildung auf internationalem Niveau. Den Abschluss
der Stufe bildet das akkreditierte Zertifikat Sales & Service BBA/MBA:

¾ Bachelor of Business Administration in Sales & Service Management


¾ Master of Business Administration in Sales & Service Management

Zudem werden in naher Zukunft gemeinsam mit der Steinbeis-Hochschule Berlin Bachelor-
und Master-of-Arts-Studienprogramme im Bereich Sales & Service Management entwickelt
und umgesetzt.
464 SAKOWSKI

5.3.1 Bachelor of Business Administration in Sales & Service Management


Betriebswirtschaftliches Grundstudium:

¾ Allgemeine Betriebswirtschaftslehre
¾ Volkswirtschaftslehre
¾ Wirtschaftsmathematik
¾ Finanzbuchhaltung
¾ Bilanzen, Marketing
¾ Unternehmensführung
¾ Organisationsmanagement
¾ Kosten- und Leistungsrechnung
¾ Investition und Finanzierung
¾ Controlling

Fachspezifisches Studium:

¾ Modul I:
Trends/Entwicklungen
TIME- und Konvergenzmanagement
Handelsmarketing
¾ Modul II:
Servicemanagement
Controlling
¾ Modul III:
Vertriebsmanagement
Kundenmanagement
Qualitätsmanagement

5.3.2 Master of Business Administration in Sales & Service Management


General Management:

¾ Economics
¾ Law
¾ Entrepreneurship
¾ Project Management
¾ Marketing
¾ Strategy
¾ Accounting
Business School Telekom Vertrieb – Erfolgsfaktor Know-how 465

¾ Corporate Finance
¾ International Management
¾ Organization
¾ Leadership
¾ Competencies

Sales & Service Management:

¾ Modul I: Controlling (advanced stage)


¾ Modul II: Market-oriented Business
¾ Modul III: Customer Satisfaction Management
¾ Modul IV: Organizational Management (advanced stage)
¾ Modul V: Strategic Management (advanced stage)

5.3.3 Dauer und Zugangsvoraussetzungen


Neben den persönlichen Voraussetzungen für den BBA/MBA wie z. B. Neugierde, Begeiste-
rungsfähigkeit, Selbstständigkeit und Kommunikationsfähigkeit ist eine hohe Disziplin, Un-
terstützung durch das berufliche und familiäre Umfeld sowie eine gesicherte Finanzierung
notwendig.

Die berufsbegleitende Studiendauer beträgt beim BBA drei Jahre, beim MBA zwei Jahre. Die
Teilnehmerzahlen sind in beiden Studienrichtungen begrenzt. Zugangsvoraussetzungen sind
der Abschluss der Stufe II und eine erfolgreiche Hochschulbewerbung an der School of Ma-
nagement and Innovation/Steinbeis-Hochschule Berlin sowie

BBA:

¾ mittlere Reife mit abgeschlossener Berufsausbildung und 4 Jahre Berufspraxis oder


¾ Abitur oder Fachhochschulreife und 2 Jahre Berufspraxis;

MBA:

¾ abgeschlossenes Studium (Hochschule oder nach individueller Prüfung Berufsakademie).

Die Zertifizierung innerhalb der Business School Telekom Vertrieb erfolgt durch die Deutsche
Telekom und die Steinbeis-Hochschule Berlin. Die Absolventen erhalten darüber hinaus den
Hochschulabschluss Sales & Service BBA/MBA.
466 SAKOWSKI

6 Ausblick

Die Business School Telekom Vertrieb stellt über das Studium hinaus ein breit aufgestelltes
Netzwerk zwischen den Studierenden und den Mitarbeitern der Deutschen Telekom dar.

Innerhalb dieses Netzwerkes profitieren die Studierenden auch nach ihrem Abschluss von
Angeboten des Bildungsnetzes und ihren persönlichen Kontakten zu anderen Studenten, Ver-
triebspartnern und Mitarbeitern der Deutschen Telekom.

Quellenverzeichnis

COYLE, D. (2009): Die Talentlüge – Warum wir (fast) alles erreichen können, Bergisch Glad-
bach 2009.
CREAJOUR (Hrsg.) (2009): Toolbox, online: http://www.creajour.de/toolbox/kreativetypolo
gien/kreativepraeferenzen.html, Stand: 28.07.2009, Abruf: 28.07.2009.
ROSE, C./GILL, M. J./MONNET, C. (1999): MASTER-haft trainieren – Trainings- & Entwick-
lungsprogramm, Flensburg 1999.
SPITZER, M. (2007): Lernen – Gehirnforschung und die Schule des Lebens, Berlin/Heidelberg
2007.
Entwicklung der Mitarbeiterzufriedenheit
als Einflussfaktor auf die Kundenzufriedenheit

GITTA HANNIG und FRANZ KRUMM

Telekom Shop Vertriebsgesellschaft

1 Einleitung....................................................................................................................... 469
2 Aktuelle Herausforderungen für den Telekommunikationsfachhandel ......................... 470
3 Die Bedeutung der Mitarbeiterzufriedenheit und Kundenzufriedenheit als
unternehmerische Zielgrößen......................................................................................... 471
4 Systematik und Fachbegriffe in Theorie und Unternehmenspraxis ............................... 473
4.1 Erklärungsmodelle zur Entstehung von Zufriedenheit......................................... 473
4.1.1 Das Confirmation/Disconfirmation-Paradigma (C/D-Paradigma) .......... 474
4.1.2 Die Zwei-Faktoren-Theorie von HERZBERG ET AL. .................................. 475
4.1.3 Das Modell von KANO ............................................................................. 476
4.1.4 Die Equity-Theorie nach ADAMS .............................................................. 478
4.2 Mitarbeiterzufriedenheit am Point of Sale ........................................................... 479
4.2.1 Allgemeine Bestimmungsfaktoren der Mitarbeiterzufriedenheit............. 479
4.2.2 Die Mitarbeiterbefragung als Analyseinstrument .................................... 480
4.3 Kundenzufriedenheit am Point of Sale................................................................. 483
4.3.1 Allgemeine Bestimmungsfaktoren der Kundenzufriedenheit.................. 483
4.3.2 Messung der Kundenzufriedenheit durch ACCI...................................... 484
5 Wirkungszusammenhänge zwischen Mitarbeiter- und Kundenzufriedenheit................ 486
5.1 Ausgewählte Untersuchungen in der Literatur..................................................... 486
5.2 Das Wirkungsmodell für den Point of Sale.......................................................... 488
6 Entwicklungsfelder zur nachhaltigen Steigerung der Kundenzufriedenheit im
Telekommunikationsfachhandel .................................................................................... 490
6.1 Führung................................................................................................................ 490
6.1.1 Die Führungskraft als Erfolgsmanager .................................................... 490
6.1.2 Führung und Coaching von Mitarbeitern................................................. 491
6.2 Tätigkeit und Qualität .......................................................................................... 492
6.3 Unternehmenskultur............................................................................................. 494
6.4 Strategie und Senior-Management ....................................................................... 495
6.5 Prozesse und Strukturen....................................................................................... 495
7 Fazit und Empfehlung.................................................................................................... 496
Quellenverzeichnis................................................................................................................ 498
Entwicklung der Mitarbeiterzufriedenheit 469

1 Einleitung

Wenn man die offiziellen Kundenzahlen der Mobilfunk-Netzbetreiber in Deutschland addiert,


kommt man zum Ergebnis, dass der deutsche Mobilfunkmarkt aus mindestens 120 % Markt-
volumen besteht (ADAM RIESE würde sich wundern). Diese Tatsache verdeutlicht, dass die
Marktdurchdringung mit Mobilfunktelefonen weit fortgeschritten ist und der Markt zuneh-
mend durch einen Verdrängungswettbewerb geprägt wird. Das fordert Unternehmen heraus,
neue Differenzierungspotentiale zu erschließen und diese durch – neben den finanzwirtschaft-
lichen Steuerungsgrößen – qualitative Zielgrößen wie z. B. Kundenzufriedenheit in ihrem
Zielsystem zu verankern.

Die Bemühungen um Kundenzufriedenheit gewinnen an Bedeutung, wenn man sich vor Au-
gen führt, dass die Vertragsbindung im Mobilfunksektor zwischen dem Provider und Kunden
in der Regel nach 2 Jahren auslaufen und diese Kunden mit subventionierten Angeboten oder
gar „Wechselprämien“ umworben werden. Zudem gibt es Erfahrungswerte auch aus anderen
Branchen, dass es ca. fünfmal teurer ist, einen neuen Kunden zu gewinnen, als einen Be-
standskunden zu halten.

Ebenso ist es unstrittig, dass in einem dynamischen Wettbewerbsumfeld, in dem sich Produk-
te und Dienstleistungen nur schwer differenzieren lassen, der Faktor Mensch als entscheiden-
der Wettbewerbsvorteil angesehen wird. Die durch Marktveränderungen induzierten organi-
satorischen Veränderungen im Unternehmen lassen sich nur dann effizient umsetzen, wenn
die Mitarbeiter aktiv den Wandel vorantreiben. In diesem Zusammenhang stellen Motivation,
Flexibilität und Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter zentrale Erfolgsfaktoren dar. Diese
werden durch Mitarbeiterbefragungen im Hinblick auf die Zufriedenheit der Mitarbeiter ana-
lysiert. Die dabei zugrundeliegende Annahme geht davon aus, dass sich Arbeitnehmer, die
mit ihrer Arbeit zufrieden sind, engagiert im Arbeitsalltag einbringen und hohe Leistungen
erzielen; besonders im Vertrieb als „people business“ wirken sich Verbesserungen in den
genannten Erfolgsfaktoren unmittelbar auf den Erfolg aus.

In der Praxis großer Konzerne werden die Befragungen/Analysen der Zufriedenheit von Kun-
den und Mitarbeitern durch unterschiedliche Geschäftsführungsbereiche (Markforschung,
Personalentwicklung) angestoßen, die jeweils einen anderen Fokus haben. Demzufolge findet
häufig keine systematische Zusammenführung der Erkenntnisse sowie der Nutzung von Sy-
nergien in der Entwicklung von Maßnahmen statt.

Der vorliegende Beitrag verfolgt die Zielsetzung, den Zusammenhang zwischen Mitarbeiter-
und Kundenzufriedenheit aufzuzeigen und Optimierungsmaßnahmen für den Point of Sale
abzuleiten. Dabei orientieren sich die Überlegungen an folgenden drei Fragestellungen:

¾ Welche Faktoren bestimmen die „Mitarbeiterzufriedenheit“ und „Kundenzufriedenheit“


im Handel?
¾ Welche Einflussfaktoren beeinflussen gleichermaßen die Mitarbeiter- und Kundenzufrie-
denheit und können als Handlungsfelder in der Personalentwicklung/Vertriebsqualifizie-
rung aufgegriffen werden?
¾ Welche Entwicklungs- und Vertriebsqualifizierungen steigern signifikant die Mitarbeiter-
und Kundenzufriedenheit?

F. Keuper, B. Hogenschurz (Hrsg.), Professionelles Sales & Service Management,


DOI 10.1007/978-3-8349-8799-0_20,
© Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
470 HANNIG/KRUMM

Im zweiten Kapitel werden Herausforderungen beschrieben, die für Verkäufer im Shop Rah-
menbedingungen darstellen und ständig im Wandel begriffen sind. Anschließend werden die
Auswirkungen der Mitarbeiter- und Kundenzufriedenheit für die unternehmerische Praxis
skizziert. Das folgende Kapitel umfasst die Darstellung der Fachbegriffe und Erklärungsmo-
delle sowie ein Beispiel zur Messung der Kunden-/Mitarbeiterzufriedenheit. Im fünften Kapi-
tel werden die Zusammenhänge zwischen den Konstrukten auf der Grundlage von Erkennt-
nissen in der Literatur und aus der Sicht des Praktikers herausgearbeitet. Danach werden
Lösungsansätze zur Vertriebsqualifizierung im Handel beschrieben, die in gleicher Weise
sowohl die Mitarbeiterzufriedenheit als auch die Kundenzufriedenheit verbessern. Das letzte
Kapitel fasst mit dem Fazit die Erkenntnisse zusammen.

2 Aktuelle Herausforderungen
für den Telekommunikationsfachhandel

Vergleicht man die heutige Erlebniswelt im Fachhandel mit dem Auftritt vor 10 Jahren, dann
lässt sich auf faszinierende Weise nachvollziehen, welche rasante Entwicklung im Telekom-
munikationsmarkt stattgefunden hat. Die heutigen Key-Angebote wie Fernsehen über das
Internet (Entertain) oder MP3 Player mit Videofunktion inklusive Internetzugang und Telefon
(iPhone) zeigen eindrucksvoll, dass es die klassische Telekommunikationsbranche im frühe-
ren Verständnis der Übertragung von analogen oder digitalen Informationen via Draht oder
Funk nicht mehr gibt. In den heutigen Angeboten wachsen die Telekommunikations-, Infor-
mationstechnologie, Medien- und Entertainmentbranche (TIME Branche) zusammen (Kon-
vergenz).1

Die Mitarbeiter am Point of Sale sehen sich im Kontext dieser Entwicklungen folgenden
Herausforderungen gegenüber: neue Produktwelten entstehen, Kundenbedürfnisse ändern
sich sowie die Prozess- und Systemlandschaften im Arbeitsalltag entwickeln sich weiter.

Spätestens seit große Lebensmitteldiscounter oder Tageszeitungen eigene Mobilfunkangebote


bzw. -tarife anbieten, wurden für den Kunden extrem günstige Preissignale vermittelt und der
Wechsel zu einem anderen Anbieter im Sinne des „Impulskaufs“ ermöglicht. Auf der Herstel-
lerseite verstärken Anbieter ihre Vermarktungsbemühungen wie. z. B. lokale Kabelnetzbe-
treiber oder auch neue Marktteilnehmer wie Google oder Apple, die mit neuen Geschäftsmo-
dellen aufwarten. Auch wenn man in Teilbereichen des klassischen Telekommunikations-
marktes von einer Marktsättigung sprechen kann, eröffnen technologische Innovationen und
Konvergenz neue Geschäftsideen und schaffen damit neue Märkte und Wachstum.

Kunden profitieren von diesen Entwicklungen, indem sie heute ein Mini-Notebook für einen
Euro inklusive USB-Stick erwerben können, um z. B. über Twitter gleich seinen Freunden
den günstigen Erwerb mitzuteilen. Diese dynamischen Entwicklungen können jedoch nur von
einer kleinen Gruppe von Innovatoren oder „early adaptors“ nachvollzogen werden. Die
Marken- und Technikbegeisterten stehen bei der Einführung eines neuen iPhones zwei Stun-
den vor Shop-Eröffnung an, um eines der begehrten Geräte zu kaufen. Auf der anderen Seite
betonen viele Kunden, dass sie „nur telefonieren“ oder ihre E-Mails abfragen möchten. Das

1
Vgl. KEUPER/HANS (2003), S. 36 ff.
Entwicklung der Mitarbeiterzufriedenheit 471

Know-how und die Affinität zu den neuen Produktwelten differieren in einzelnen Kunden-
segmenten sehr stark. Diese für ein erfolgreiches Verkaufsgespräch wichtigen Voraussetzun-
gen zu erkennen und sich zielgerichtet darauf einzustellen, erfordert vom Verkäufer eine
schnelle und präzise Einschätzung des Kunden, um gezielt auf seine Wünsche einzugehen
(Adaptive Selling).2

Die technischen, organisatorischen und marktseitigen Veränderungen bedingen eine ständige


Weiterentwicklung der Systeme zur Auftragsabwicklung. In der Vertriebspraxis hat dies zur
Folge, dass der Verkäufer Kundendaten in webbasierten CRM-Systemen erfasst, um eine
ganzheitliche Sicht auf den Kunden sicherzustellen. Für einen „Vollblutverkäufer“ sind diese
komplexen administrativen Tätigkeiten nicht motivierend. Insbesondere, wenn ein Software-
Release vorgenommen wurde und das System nicht stabil und performant läuft. Dabei besteht
die Gefahr, dass sich der Verkäufer überwiegend auf die Eingabe der Kundendaten konzen-
triert und in der Interaktion mit dem Kunden die Chancen für eine tiefgehende Bedarfsanalyse
oder auch nur für das Beziehungsmanagement nicht nutzt. Dieses Dilemma zwischen der
geforderten Kundenorientierung einerseits und der notwendigen Prozesstreue und der damit
verbundenen Konzentration auf Systeme kann negative Auswirkungen auf das gewünschte
Ideal des „Erlebniskaufs“ haben.

Die sich stärker differenzierenden Kundenerwartungen, dynamische Entwicklungen auf der


Technologie-/Anbieterseite und komplexe Prozesslandschaften in der Auftragserfassung dür-
fen das perfekte Kundenerlebnis am Point of Sale nicht beeinträchtigen. Daher muss sich
jedes Verkaufsteam regelmäßig diesen Herausforderungen stellen und sich im übertragenen
Sinne neu erfinden. In diesem Prozess geht es darum, das eigene Rollenverständnis zu reflek-
tieren und kritisch zu fragen, ob das Beziehungsmanagement zum Kunden und die Kommu-
nikation als moment of truth tatsächlich genutzt werden, die Kundenerwartungen zu übertref-
fen und den Kunden zum dauerhaften Fan zu begeistern. Des Weiteren dient das Bewusstma-
chen der eigenen Angebote und Stärken im Wettbewerbsvergleich dazu, die Beziehungen
zwischen der Unternehmensmarke und dem Kunden über das Verkäuferverhalten zu festigen
und die Markenwerte erlebbar zu machen (Verkäufer als Markenbotschafter).

3 Die Bedeutung der Mitarbeiterzufriedenheit


und Kundenzufriedenheit als unternehmerische
Zielgrößen

Vor dem Hintergrund des scharfen Wettbewerbs mit anderen Anbietern und einer Kund-
schaft, die täglich mit Werbebotschaften3 „beatmet“ wird, ist ein Unternehmen heute gerade-
zu verdammt, eine intensive emotionale Beziehung zum Kunden mit dem Ziel aufzubauen,
ihn gegenüber den Attacken der Wettbewerber zu immunisieren und zum Botschafter für die
eigene Marke zu machen. „In their quest for sustained success […] more and more companies
are attempting to build deep, meaningful, long-term relationships with their customers.“4

2
Vgl. HOMBURG/SCHÄFER/SCHNEIDER (2003), S. 249 ff.
3
In 2007 über 3,9 Mio TV Spots, über 85.000 beworbene Produkte (Interne Informationen aus der Marktforschung)
4
BHATTACHARYA/SEN (2003), S. 76.
472 HANNIG/KRUMM

Daher ist es strategisch zwingend notwendig, die Kundenzufriedenheit als einen Indikator für
das zukünftige (Kauf-)Verhalten der Kunden systematisch und regelmäßig zu untersuchen.5
Kundenzufriedenheit wird dabei als Ergebnis eines Soll-Ist-Vergleichs verstanden; das Soll
repräsentiert die Erwartungen des Kunden an die Leistung, das Ist die wahrgenommene Leis-
tung.6 Die Analysen geben wertvolle Rückschlüsse und liefern Ansatzpunkte über die eigenen
Stärken und Schwächen aus Kundenperspektive.

Ist der Kunde mit den Service- und Produktleistungen zufrieden und fühlt sich dem Unter-
nehmen emotional verbunden, besteht eine hohe Chance, dass er bei neuen Angeboten oder
Vertragsverlängerungen dem Anbieter „die Treue hält“ und seinen Vertrag verlängert. Au-
ßerdem ist er auch eher bereit, zusätzliche Produkte/Dienste aus dem Portfolio zu kaufen
(Cross Buying), mehr zu bezahlen und Produkte zu nutzen, mit denen er bisher keine Erfah-
rungen gemacht hat.7 So kauft der mobile Geschäftsmann nicht nur ein neues Mobiltelefon,
sondern erwirbt und nutzt zusätzlich ein Mini-Notebook mit Internetzugang, um seine Mails
komfortabel von unterwegs abzufragen.

Die Weiterempfehlung des Unternehmens durch den begeisterten Kunden (Kunde als Fan
oder Botschafter) kann als die wirtschaftlichste und glaubwürdigste Form der Werbung ange-
sehen werden.8 Umgekehrt werden negative Erlebnisse mit einem Anbieter mehrfach weiter-
erzählt als positive Erlebnisse. Zu Recht stellt daher der Net Promoter Score (NPS) als Index
für die Weiterempfehlungsabsicht eine wichtige Kennzahl für den zukünftigen Erfolg im
Markt dar.

Die Mitarbeiterzufriedenheit gilt besonders in servicenahen Bereichen als wichtige Einfluss-


größe auf die Qualität der internen Zusammenarbeit und des kundenorientierten Verhaltens.
Untersuchungen belegen den Einfluss der Mitarbeiterzufriedenheit auf das Commitment mit
dem Unternehmen und den Beziehungen innerhalb und zwischen den Organisationseinheiten;
außerdem können positive Effekte auf die Leistungsbereitschaft und Arbeitsergebnisse nach-
gewiesen werden.9

Messbar werden die Wirkungen der Mitarbeiterzufriedenheit beispielsweise in der sog.


Gesundheitsquote. Je unbefriedigender Mitarbeiter ihre Tätigkeit und Rahmenbedingungen
erleben, desto mehr kann davon ausgegangen werden, dass der Krankenstand steigt.10 Das
kann in einem Verkaufsteam sowohl zu einem Rückgang der Umsätze als auch zu einer Stei-
gerung der Kosten (z. B. Aushilfskräfte) führen.

In Produktkategorien, nach denen von Seiten des Kunden keine oder nur eine geringe Nach-
frage besteht, weil der Kunde beispielsweise die Produkte nicht kennt, korrelieren die Absatz-
leistungen am Point of Sale sehr stark mit der Motivation des Verkaufspersonals. „Es gibt
Tage, da bin ich richtig gut drauf und es läuft wie geschmiert“ zeigt, dass die Befindlichkeit
und positive Grundstimmung der Verkäufer sehr große Auswirkungen auf die Kaufbereit-
schaft und Kaufentscheidung des Kunden haben.

5
Vgl. KAPLAN/ NORTON (1997), S. 68.
6
Vgl. SCHWETJE (1999), S. 13.
7
Vgl. STOCK (2007), S. 1 ff., und HOMBURG/KOSCHATE/WAYNE (2005), S. 84 ff.
8
Vgl. LANGNER (2005), S. 16, und EGGERT/HELM/GARNEFELD (2007), S. 233.
9
Vgl. WOLF (2005), S. 1 ff.
10
Vgl. STOCK (2007), S. 18.
Entwicklung der Mitarbeiterzufriedenheit 473

Es lässt sich prägnant der direkte Zusammenhang zwischen der eigenen Zufriedenheit und
dem Verhalten im Team feststellen. Das äußert sich z. B. in einem freundlichen und wert-
schätzenden Verhalten und der aktiven Weitergabe von erfolgsrelevanten Informationen. Als
Dauerbrenner unter den Schwachpunkten in Teams und Organisationseinheiten erweist sich
immer wieder der unbefriedigende Informationsfluss bzw. das Informationsmanagement.
Steigt man in diese Thematik tiefer ein, zeigt sich schnell, dass informelle Informationsbezie-
hungen, die auf einer persönlichen und positiven Beziehung gründen, sehr effizient funktio-
nieren. Insofern muss in diesem Zusammenhang immer auch die Zufriedenheit im Team und
die Einstellung der Teammitglieder zueinander transparent gemacht werden, um die wirkli-
chen Hebel für eine Verbesserung zu erkennen.

Je mehr sich Mitarbeiter mit dem Unternehmen und den Rahmenbedingungen des Arbeits-
platzes identifizieren, desto souveräner und flexibler reagieren sie in kritischen Situationen,
wenn z. B. ein System ausfällt oder die Lieferfähigkeit von beworbenen Produkten nicht
sichergestellt ist. Wenn die Identifikation fehlt, kann schnell eine gereizte Stimmung entste-
hen, so dass aus „einer Fliege ein Elefant“ gemacht wird, produktive Lösungsansätze nicht in
den Sinn kommen und man nicht das Beste aus der Situation macht. Sowohl im Team als
auch gegenüber dem Kunden leidet dann die verkaufsfördernde Atmosphäre, die sich schnell
in sinkenden Absätzen oder nachlassender Kundenzufriedenheit über längere Zeit nieder-
schlägt.

4 Systematik und Fachbegriffe in Theorie


und Unternehmenspraxis

4.1 Erklärungsmodelle zur Entstehung von Zufriedenheit


Es gibt eine unübersehbare Vielzahl von Veröffentlichungen in der Wissenschaft und Unter-
nehmenspraxis sowie unterschiedliche Aussagen und Schlussfolgerungen zur Zufriedenheit
von Kunden und Mitarbeiter. Abhängig von der Wissenschaftsdisziplin und den Untersu-
chungszielen werden bei der Herleitung des Zufriedenheitskonstruktes unterschiedliche Per-
spektiven und Ansätze gewählt. In der Literatur werden zur Erklärung der psychischen Vor-
gänge bei der Entstehung von Zufriedenheit folgende Kategorien von Theorien bzw. Model-
len verwendet:11

1. Prozesstheorien erklären die Handlungen bzw. Handlungsabsichten als Folge der Bewer-
tung von Alternativen und Ergebnissen. Dabei werden die kognitiven und affektiven Prozesse
eines Menschen beschrieben, die beim Anstreben eines Ziels ablaufen. Als Basismodell wird
im Rahmen der Zufriedenheitsforschung und -messung das C/D-Paradigma (Confirmation-
Disconfirmation-Paradigma) verwendet.12

11
Vgl. WOLF (2005), S. 23 ff.
12
Vgl. WINTER (2005), S. 15 ff.
474 HANNIG/KRUMM

2. Inhaltstheorien erklären Handlungen bzw. Handlungsabsichten auf der Grundlage von


Bedürfnissen. Dabei werden unterschiedliche Klassen von Bedürfnissen gebildet. Die promi-
nentesten Modelle stammen von ABRAHAM MASLOW (Bedürfnispyramide) und von FREDERIK
HERZBERG (2 Faktoren Theorie).13 Um zu erkennen, was Kunden wirklich begeistert, liefert
NORIAKI KANO ein anschauliches Modell.

3. Austauschtheorien/Gerechtigkeitstheorien erklären den Zusammenhang zwischen der


wahrgenommenen Verteilung von Belohnung und deren Auswirkungen, was zu einem Gefühl
der Gerechtigkeit/Ungerechtigkeit führt. Damit wird das Prinzip „Wie Du mir, so ich Dir“
erklärt. Sehr bekannt ist die Equity-Theorie nach ADAMS.14

Nachfolgend werden zu den aufgeführten Kategorien vier theoretische Modelle dargestellt,


die im weiteren Verlauf als Erklärungsmodelle dienen.

4.1.1 Das Confirmation/Disconfirmation-Paradigma (C/D-Paradigma)


Den meisten Untersuchungen zur Zufriedenheit von Kunden und Mitarbeitern liegt als theore-
tischer Bezugsrahmen ein Konzept zugrunde, in welchem Zufriedenheit als das Ergebnis
eines Vergleichsprozesses zwischen wahrgenommener und erwarteter Leistung verstanden
wird. Dieser Prozess der Zufriedenheitsbildung wird im C/D-Paradigma beschrieben. Dem-
nach kann unter Kundenzufriedenheit das Ergebnis eines komplexen psychischen Vergleichs-
prozesses verstanden werden. Hierbei vergleicht der Kunde seine Erfahrungen beim Ge-
brauch eines Sachgutes oder einer Dienstleistung (Ist-Leistung) mit einem Vergleichsstandard
(Soll-Leistung). Kundenzufriedenheit entsteht, wenn der Vergleichsstandard durch die Erfah-
rung des Kunden mindestens erreicht oder aber übertroffen wird.15 Die Ausprägung der Mit-
arbeiterzufriedenheit wird äquivalent definiert als Diskrepanz zwischen erwarteten bzw. er-
wünschten Bedingungen der Arbeit (Soll) und den wahrgenommenen, realistischen Bedin-
gungen (Ist).

IST > SOLL


Wahrgenommene
Leistung Positive Hohe Zufriedenheit
Diskonfirmation
(IST-Leistung)
IST = SOLL
Vergleichs- Zufriedenheit
prozess Konfirmation

Erwartungs- IST < SOLL


haltung Unzufriedenheit
(SOLL-Leistung) Negative
Diskonfirmation

Abbildung 1: Das C/D-Paradigma16

13
Vgl. WINTER (2005), S. 20 ff.
14
Vgl. KOSCHATE (2002), S. 74.
15
Vgl. HOMBURG/STOCK (2006), S. 20, und SCHWETJE (1999), S. 13.
16
Vgl. HOMBURG/GIERING/HENTSCHEL (1999), S 176.
Entwicklung der Mitarbeiterzufriedenheit 475

Verschiedene Einflussfaktoren prägen die Erwartungshaltung des Kunden (Soll-Leistung),


wie z. B. seine Bedürfnisse, das Anspruchsniveau, die bisherigen Erfahrungen mit den Pro-
dukten, das Wissen über Angebote anderer Anbieter, Empfehlungen durch Bekannte, Werbe-
aussagen und Versprechen des Unternehmens, Informationen aus den Medien, die persönli-
che Situation des Kunden etc.. Da sich diese Einflussfaktoren und damit die Erwartungshal-
tung des Kunden im Zeitablauf ändern, unterliegt damit auch die subjektive Bewertung der –
im Zeitablauf gleichen – Leistungen einem Wandel; somit muss die Kundenzufriedenheit als
dynamisches Konstrukt betrachtet werden.17

4.1.2 Die Zwei-Faktoren-Theorie von HERZBERG ET AL.


Die Zwei-Faktoren-Theorie von HERZBERG, MAUSNER und SNYDERMANN (1959) beschäftigt
sich mit den Rahmenbedingungen für die Entstehung von Arbeitszufriedenheit bzw. -unzu-
friedenheit. Grundlage bildet eine Befragung von Angestellten zu Arbeitserlebnissen, mit
denen sie angenehme oder unangenehme Gefühle verbinden. Bei der faktorenanalytischen
Auswertung kamen die Forscher zum Ergebnis, dass es zwei Gruppen von Faktoren der Ar-
beitssituation gibt, die in jeweils eine Richtung wirken: entweder forcieren diese die Arbeits-
zufriedenheit (Satisfier) oder Arbeitsunzufriedenheit (Dissatisfier). Arbeitszufriedenheit und
Arbeitsunzufriedenheit werden daher als zwei unabhängige Dimensionen betrachtet.18

Dissatisfier Satisfier

Bezahlung
Kollegen
Führen zu
Zufriedenheit
Vorgesetzter
Arbeitsbedingungen Leistungserfolg
Arbeitsplatzsicherheit Anerkennung
Unternehmenspolitik Arbeitsinhalte
etc. Verantwortung
Aufstiegsmöglichkeiten
Führen zu Persönliche
Unzufriedenheit Weiterentwicklung

Faktoren, die starke Faktoren, die starke


Unzufriedenheit bewirken Zufriedenheit bewirken
(Hygienefaktoren) (Motivatoren)

Abbildung 2: Die Zwei-Faktoren-Theorie von HERZBERG ET AL.19

17
Vgl. HOMBURG/STOCK (2006), S. 27.
18
Vgl. SCHWETJE (1999), S. 23 ff.
19
Vgl. BAUER/NEUMANN/LANGE (2004), S. 7.
476 HANNIG/KRUMM

Der wichtige Beitrag der Theorie liegt in der Beschreibung und Wirkungsweise der Hygiene-
faktoren und Motivatoren. Die Hygienefaktoren werden den Dimensionen „unzufrieden“ und
„nicht-unzufrieden“ zugeordnet und führen bei optimaler Erfüllung nicht zu Zufriedenheit,
sondern zu einem neutralen Zustand, den man als „Nichtunzufriedenheit“ bezeichnet. Mit
Hygienefaktoren lässt sich also lediglich Unzufriedenheit vermeiden. Die Motivatoren bewer-
tet man in den Ausprägungen „zufrieden“ und „nicht-zufrieden“ und führen bei optimaler
Ausgestaltung in der Praxis zur echten Zufriedenheit von Mitarbeitern. Werden die Erwar-
tungen hinsichtlich der Motivatoren nicht erfüllt, entsteht keine (ausgeprägte) Unzufrieden-
heit. Kritische Anmerkungen in der Literatur beziehen sich auf die Vereinfachung des
Zufriedenheitsbegriffs und strikte Klassifizierung der Faktoren in zwei Kategorien.20

Für die Praxis bietet die Zwei-Faktoren-Theorie von HERZBERG ein anschauliches und leicht
nachvollziehbares Modell, um die Motivation und Stimmung in Verkaufsteams zu analysie-
ren und blinde Flecken im Führungsverständnis aufzuzeigen. Die Aussage des Chefs „dafür
werden Sie doch bezahlt“ führt eben nicht zu einer echten Steigerung des Engagements und
der Freundlichkeit. Gerade die Bedeutung von variabler materieller Entlohnung, leistungsab-
hängigen Provisionen etc. als Bestandteile der Vertriebssteuerung in der heutigen Praxis kön-
nen vor dem Hintergrund dieses Modells durchaus kritisch hinterfragt werden.

4.1.3 Das Modell von KANO


In der Logik der Zwei-Faktoren-Theorie von HERZBERG (mit Blick auf Mitarbeiter) entwi-
ckelte KANO ein Modell, das Hinweise auf die Einflussfaktoren für die Zufriedenheit von
Kunden gibt. Die Faktoren werden nach der Stärke ihres Einflusses auf die Kundenzufrieden-
heit in drei unterschiedliche Arten klassifiziert:21

Basisanforderungen (expected requirements) umfassen die Leistungen, die der Kunde als
selbstverständlich voraussetzt und nicht explizit verlangt. Werden diese Erwartungen nicht
erfüllt, entsteht Unzufriedenheit. Werden sie erfüllt, werden sie nicht durch besondere Zufrie-
denheit honoriert, sondern als selbstverständlich wahrgenommen. Ein Beispiel: Möchte ein
Kunde DSL oder Mobilfunk nutzen, erwartet er, dass die Technik funktioniert. Ist dieses der
Fall, wird der Kunde nicht begeistert von dieser Erfahrung berichten und die Mitarbeiter im
Shop beglückwünschen.

Leistungsanforderungen (normal requirements) werden vom Kunden ausdrücklich verlangt.


Werden diese bewusst formulierten Anforderungen nicht erfüllt, entsteht massive Unzufrie-
denheit. Bei Erfüllung stellt sich eine moderate Zufriedenheit ein, wobei die Leistung des
Unternehmens als austauschbar wahrgenommen wird. Hat also ein Kunde ein konkretes Bera-
tungs- und Serviceanliegen und werden seine Erwartungen erfüllt, führt das zu einer modera-
ten Zufriedenheit.

Begeisterungsfaktoren (delightful requirements) sind Eigenschaften, die der Kunde nicht


erwartet, ihn positiv überraschen und den Wert der Leistung in seinen Augen erhöhen. Die
Begeisterungsfaktoren sind dazu geeignet, das Produkt oder die Dienstleistung „spürbar“ vom
Wettbewerber abzuheben. Finden diese Faktoren im Kundenkontakt nicht statt, wird der
Kunde nicht unzufrieden sein. Gelingt es aber, Begeisterungsmomente im Kundenkontakt zu

20
Vgl. WINTER (2005), S. 23 ff.
21
Vgl. HALLER (2002), S. 42 ff., und SAUERWEIN (2000), S. 25 ff.
Entwicklung der Mitarbeiterzufriedenheit 477

schaffen und die Erwartungen des Kunden weit zu übertreffen, hebt man sich deutlich vom
Wettbewerber ab und gewinnt einen Kunden als Fan und Botschafter für das Unternehmen.
Im Zeitablauf verändert sich die Klassifizierung der Faktoren: Begeisterungsfaktoren werden
möglicherweise vom Mitbewerber kopiert und irgendwann als Basisfaktoren als selbstver-
ständlich vorausgesetzt. So kann man die klassische „Tasse Kaffee“ während einer Beratung
heute nicht mehr als innovativ bezeichnen.

Das Modell veranschaulicht eindrücklich, dass die Erfüllung von Basisanforderungen keine
Kundenbegeisterung schafft. Damit sind die Mitarbeiter am Point of Sale herausgefordert, in
jedem Kundenkontakt einzigartige und begeisternde Erlebnisse zu vermitteln, die möglichst
nicht kopierbar und finanziell überschaubar sind. Die Begeisterung gelingt umso besser, je
präziser der Verkäufer die Kundenbedürfnisse und -motive erfasst und damit Nutzenaspekte
von Kommunikationslösungen aufzeigen kann, an die der Kunde noch nicht gedacht hat. Je
umfassender die Nutzenerkenntnis und damit die Zufriedenheit, desto höher auch die Bereit-
schaft, zusätzliche Angebote (Cross Buying) zu kaufen. Wir wissen aus internen Marktfor-
schungsuntersuchungen, dass Kunden mit zusätzlichen Käufen (Cross Buying) tendenziell
zufriedener sind als Kunden, die lediglich ihr Anliegen lösen und „zufrieden“ den Shop ver-
lassen.

Kunde zufrieden

Begeisterungsfaktoren Leistungsfaktoren
¾ Nicht erwartet ¾ Spezifiziert
¾ Nicht ausgesprochen ¾ Ausgesprochen
¾ Noch nicht bewusst ¾ Bewusst

Anforderungen nicht erfüllt Anforderungen erfüllt

Basisfaktoren
¾ Selbstverständlich
¾ Nicht ausgesprochen
¾ (fast) nicht mehr bewusst

Kunde unzufrieden

Abbildung 3: Das KANO-Modell22

22
Vgl. BEGER/BLAUTH/BOGER/BOLSTER/BURCHILL/DUMOUCHEL/POULIOT/RICHTER/RUBINOFF/SHEN/TIMKO/
WALDEN (1993), S. 26.
478 HANNIG/KRUMM

4.1.4 Die Equity-Theorie nach ADAMS


Die Equitity-Theorie von ADAMS (1965), die auch als „Gerechtigkeitstheorie“ bezeichnet
wird, geht von dem Ansatz aus, dass Menschen sich ständig in sozialen Austauschsituationen
befinden, wobei sie einen Einsatz (Input) leisten und im Gegenzug einen Ertrag (Outcome)
erhalten. Dabei wird von den Beteiligten überprüft, ob Aufwand und Ertrag gerecht verteilt
sind. Die in diesem Prozess entstehende Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit entspricht der
gefühlten Gerechtigkeit hinsichtlich der Verteilung von Aufwand und Ertrag. Der Aufwand
umfasst nicht nur materielle Kosten (Geld), sondern auch immaterielle Aufwendungen wie
Zeit, Anstrengungen und Verzicht. Der Ertrag umfasst ebenfalls materielle und immaterielle
Dimensionen.23

Zwei Beispiele: Besucht ein Kunde den Shop, so investiert er Zeit und Geld für die Anreise
zuzüglich möglicher Parkhausgebühren, nimmt mögliche Wartezeiten im Shop in Kauf und
investiert die Zeit für den Kontakt mit dem Verkäufer. Zusätzlich wird der Kaufpreis fällig.
Auf der Ertragsseite erhält der Kunde wertvolle Erkenntnisse in der Beratung, die ihm Sicher-
heit über die richtige Entscheidung und „ein gutes Gefühl“ vermitteln; er erhält ein Produkt
oder eine Dienstleistung, die er täglich nutzen kann und das Leben erleichtert und weiteren
persönlichen Nutzen stiftet.

Ein Beschäftigter eines Unternehmens stellt seine (Arbeits-)zeit, Aufmerksamkeit, Energie


und seine Kompetenzen zur Verfügung, um im Rahmen seiner Arbeit die erwarteten Ergeb-
nisse zu erzielen. Als Ertrag erhält er seinen Lohn/Gehalt, die Sozialleistungen und – im
günstigen Fall – eine hohe Befriedigung durch eine interessante und erfüllende Tätigkeit
(siehe auch Motivatoren bei HERZBERG).

Die Equity-Theorie bietet ein anerkanntes und flexibles Erklärungsmodell für unterschiedli-
che Situationen an, in denen Menschen interagieren: sowohl zur Analyse der Mitarbeiterzu-
friedenheit und Leistungsbereitschaft im Verkauf als auch zur Erklärung der Dynamik im
Kontakt zwischen Verkäufer und Kunde. Grundgedanken dabei sind Prinzipien der subjekti-
ven Gerechtigkeit eines Mitarbeiters oder Kunden und das Bestreben, bei einer gefühlten
Ungerechtigkeit eine ausgleichende Gerechtigkeit herzustellen. Erfährt beispielsweise ein
Verkäufer über eine längere Zeit keine Rückmeldung über sein Verhalten im Kundenkontakt,
obwohl er sich anstrengt, erhält er nach dem Verständnis der Theorie also keinen Ertrag (po-
sitive Wertschätzung, Lob durch Vorgesetzten). Wahrscheinlich wird er auf Dauer seinen
eigenen Einsatz reduzieren, da sein Engagement „keinen interessiert“. Auch wird ein Kunde,
der vor der Beratung schon 20 Minuten Wartezeit investiert hat, eine besondere Zuwendung
(Entschuldigung für die Wartezeit) erwarten, damit er seine Aufwands-Ertragsrelation als
angemessen empfindet.

Die dargestellten theoretischen Modelle zur Erklärung der Entstehung von Zufriedenheit
werden im sechsten Kapitel aufgegriffen, um die Relevanz und Wirksamkeit von Qualifizie-
rungsmaßnahmen zur Steigerung der Mitarbeiter-/Kundenzufriedenheit aufzuzeigen.

23
Vgl. KOSCHATE (2002), S. 74 ff.
Entwicklung der Mitarbeiterzufriedenheit 479

4.2 Mitarbeiterzufriedenheit am Point of Sale


4.2.1 Allgemeine Bestimmungsfaktoren der Mitarbeiterzufriedenheit
Die Messung der Mitarbeiterzufriedenheit bzw. Arbeitszufriedenheit (Mitarbeiterzufrieden-
heit und Arbeitszufriedenheit werden in der Literatur vielfach synonym verwendet24) im
deutschsprachigen Raum wurde grundlegend durch den Arbeitsbeschreibungsbogen (ABB)
von NEUBERGER/ALLERBECK geprägt.25 Im ABB werden folgende Zufriedenheitsdimensionen
branchenübergreifend aufgeführt: Tätigkeit (Inhalte, Abwechslungsreichtum, Anforderungs-
gehalt), Arbeitszeit, Entlohnung, Kollegen, Führungskräfte, Organisation, berufliche Ent-
wicklung, Arbeitsplatzsicherheit. Winter führt in ihrer Studie zur Messung der Mitarbeiterzu-
friedenheit zwei weitere Dimensionen ein, die besonders bei Verkaufs- und Beratungstätig-
keiten im Handel eine wichtige Rolle spielen: 26

¾ Wahrgenommene Kundenzufriedenheit
¾ Unternehmensleitbild

In einem Shop mit mehreren hundert Kundenkontakten pro Tag ist es nachvollziehbar, dass
die vom Verkäufer wahrgenommene Kundenzufriedenheit sehr stark die eigene Stimmung
beeinflusst, sowohl positiv als auch – in Reklamations- und Beschwerdefällen – negativ.
SCHWETJE belegt in seiner Untersuchung im Warenhausbereich, dass die Wirkung der wahr-
genommenen Kundenzufriedenheit auf die Mitarbeiterzufriedenheit eindeutig nachweisbar
ist, während in umgekehrter Richtung kein signifikanter Zusammenhang feststellbar ist.27

Das Unternehmensleitbild beinhaltet die Vorstellungen über die Werte und Verhaltensgrund-
sätze der Organisation und stellt damit den Identifikationsrahmen für das persönliche Verhal-
ten im Kundenkontakt dar. In empirischen Untersuchungen konnte eine positive Korrelation
zwischen der Zufriedenheit von Mitarbeitern und der Identifikation mit dem Leitbild sowie
dem damit verbundenen Vertrauen in die Organisation nachgewiesen werden.28 Die Analyse
von besonders erfolgreichen Verkaufsteams zeigt, dass sich die Mitarbeiter – zusätzlich zur
Identifikation mit dem Gesamtunternehmen – als eine „Marke“ im lokalen Wettbewerbsum-
feld verstehen, mit der sie sich identifizieren und eine unverwechselbare Teamkultur kreieren.

In Handelsunternehmen sind Top-Verkäufer erst wirklich zufrieden, wenn sie Ziele maximal
erreichen und bei Verkaufswettbewerben „absahnen“. Die vorherrschende Einstellung ist der
Wille zu gewinnen, woraus bei eintretendem Erfolg die persönliche Zufriedenheit entsteht.

24
Vgl. VOM HOLTZ (1998), S. 27.
25
Vgl. SCHWETJ (1999), S. 59, und WINTER (2005), S. 27.
26
Vgl. WINTER (2005), S. 32 f.
27
Vgl. SCHWETJE (1999), S. 215 f.
28
Vgl. WINTER (2005), S. 33, und BAUER/NEUMANN/LANGE (2004), S 26.
480 HANNIG/KRUMM

4.2.2 Die Mitarbeiterbefragung als Analyseinstrument


Aus unternehmerischer Perspektive ist die Beschäftigung mit dem Thema Mitarbeiterzufrie-
denheit kein Selbstzweck, sondern soll letzten Endes einen positiven Beitrag zu mehr Wirt-
schaftlichkeit liefern.29 Lag in den 70er Jahren der Fokus von Mitarbeiterbefragungen auf der
Analyse des Arbeitsklimas und der Zufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen, so hat sich seit
den 90er Jahren ein anderes Grundverständnis durchgesetzt. Mit Blick auf die Globalisierung
und den damit verbunden Veränderungen in Unternehmen erfuhr die Bereitschaft der Mitar-
beiter, Change-Prozesse aktiv mit zu gestalten und sich im Sinne des organizational
citizenship zu verhalten, eine völlig neue Bedeutung. Deshalb geht es bei Mitarbeiterbefra-
gungen der heutigen Generation weniger um die Zufriedenheit als Einstellung, sondern mehr
um verhaltensorientierte Faktoren.30

Die im folgenden beispielhaft dargestellte Mitarbeiterbefragung basiert auf dem Paradigma


der „High Performance Organisation“, das davon ausgeht, dass die Leistung des Unterneh-
mens im Wesentlichen durch folgende drei Faktoren bestimmt wird: 31

¾ Das Engagement der Mitarbeiter


¾ Die organisatorischen Rahmenbedingungen
¾ Die Fokussierung auf Unternehmensziele und -strategie

Das Engagement umschreibt die kognitive und emotionale Verbundenheit, die Mitarbeiter mit
ihrer Tätigkeit, Organisation, ihren Kollegen und Vorgesetzten fühlen und die sie zu besonde-
ren Anstrengungen motiviert. Als verhaltensrelevante Einstellung steht das Engagement im
direkten Verhältnis zur persönlichen Arbeitsleistung.

Die organisatorischen Rahmenbedingungen einer „High Performance Organisation“ beziehen


sich auf die folgenden Dimensionen:

¾ eine klare, fokussierte, am Kunden orientierte Strategie


¾ flache, flexible, schnelle Organisationsstrukturen
¾ eine ausgeprägte Leistungskultur
¾ ein hohes Qualitätsniveau im täglichen Betrieb

Die Fokussierung auf Unternehmensziele und -strategien bedingt, dass die Ziele und die Aus-
richtung der Bereiche konsequent abgestimmt und heruntergebrochen werden bis zu jedem
Einzelnen, der den eigenen Beitrag für das Gesamtergebnis verinnerlicht.

Abgeleitet aus der Unternehmensausrichtung und den strategischen Herausforderungen wer-


den im vorliegenden Beispiel als Zielgrößen der Befragung das Engagement und Servicever-
halten definiert. Aus den Antworten der Belegschaft zu einem differenzierten Fragebogen
könne mittels PLS (Partial-Least-Square-Ansatz zur Analyse kausaler Wirkungszusammen-
hänge) neun Einflussgrößen ermittelt werden, die auf beide Zielgrößen einwirken.

29
Vgl. BAUER/NEUMANN/LANGE (2004), S. 1 f.
30
Vgl. FREIBURG (2009), S. 56.
31
Vgl. GFK TRUSTMARK.
Entwicklung der Mitarbeiterzufriedenheit 481

Einflussgrößen Zielgrößen der


Befragung

¾ Tätigkeit und Qualität


¾ Prozesse und Strukturen
¾ Unternehmenskultur
¾ Strategie
¾Serviceverhalten
Leadership

¾
Führung/

Senior Management
¾
¾
Empowerment
Wissenstransfer und berufliche
¾Engagement
Entwicklung
¾ Nächst höhere Führungskraft

Abbildung 4: Einflussgrößen und Zielgrößen der Mitarbeiterbefragung

Die Einflussgrößen lassen sich in zwei Kategorien unterteilen: Zum einen wirkt die Dimensi-
on Führung/Leadership als Einflussgröße auf alle acht organisatorischen Rahmenbedingun-
gen im Unternehmen. Gemeint ist hier die direkte Führungskraft. Darüber hinaus werden in
der Kategorie „Einflussgrößen“ weitere Führungshierarchien aufgeführt: Das Senior Mana-
gement bezieht sich auf die oberste Ebene des Managements, also die Ebene der Geschäfts-
führung. Mit der „nächst höheren Führungskraft“ ist der Vorgesetzte des eigenen Chefs ge-
meint. Die acht Einflussgrößen definieren die organisatorischen Rahmenbedingungen und
bilden für jeden Mitarbeiter den Kontext, innerhalb dessen er sein Serviceverhalten und En-
gagement entfaltet.

Einflussfaktoren Gewichteter Einfluss auf


Engagement Serviceverhalten

Strategie
Tätigkeit und Qualität
Senior Management
Unternehmenskultur
Wissenstransfer/berufl.
Entwicklung
Prozesse und Strukturen
Empowerment
Nächsthöhere Führungskraft

Abbildung 5: Gewichtung der Einflussfaktoren auf Engagement und Serviceverhalten für


eine Organisationseinheit
482 HANNIG/KRUMM

In den weiteren Berechnungen wurde die Stärke einzelner Einflussfaktoren auf die Zielgrößen
Engagement und Serviceverhalten innerhalb einer Betrachtungs-/Organisationseinheit ermit-
telt. Die Ausprägungen umfassten sowohl die persönliche Wichtigkeit des jeweiligen Items
als auch deren Erfüllung im Arbeitsalltag. Somit konnten unter Beibehaltung eines bundes-
weiten Unternehmensstandards die individuellen Besonderheiten unterschiedlicher Unter-
nehmenseinheiten berücksichtig werden. Damit können die tatsächlichen Treiber für Verbes-
serungsmaßnahmen zum aktuellen Zeitpunkt optimal ermittelt werden.

In der Analyse werden Gemeinsamkeiten, aber auch starke Unterschiede in der Gewichtung
der Einflussfaktoren deutlich, woraus sich Indikationen für die Entwicklung von Optimie-
rungsmaßnahmen, Führung von Verkaufsteams und Qualifikation der Mitarbeiter ableiten
lassen.

1. Priorität: 2. Priorität:
hoch
Weiter so! Stärken ausbauen
1. … 1. …
2. … 2. …
3. … 3. …
Bewertung

3. Priorität: 1. Priorität:
Im Auge behalten Handeln!
1. … 1. …
2. … 2. …

3. … 3. …

niedrig Einfluss auf das Engagement/Serviceverhalten hoch

Abbildung 6: Ableitung von Optimierungsmaßnahmen in Abhängigkeit der Wichtigkeit


und Bewertung der Treiber für Engagement und Serviceverhalten

In der Praxis beginnt die eigentliche Arbeit, wenn die Ergebnisse gemeinsam mit Teams und
Führungskräften analysiert und ausgewertet werden. In Workshops weicht die anfängliche
Skepsis über die Bewertungen einer zunehmenden Neugier auf zusätzliche Erkenntnisse, die
man über die (unbewussten) Annahmen und Wirkung der eigenen Führung gewinnt.

Beispielsweise wird das Verhalten im Kundenkontakt – neben den Erfordernissen der Tätig-
keit – am zweitstärksten durch die Unternehmenskultur bzw. Führungskultur beeinflusst.
Verhalten sich Verkäufer nicht in der gewünschten Weise (z. B. in der Phase der Bedarfsana-
lyse oder Cross Selling), besteht in der Praxis die Tendenz, Schulungen nachzufragen; die
Entwicklung der Mitarbeiterzufriedenheit 483

Ursachen für das Verhalten werden in der mangelnden Handlungskompetenz des Einzelnen
gesehen. Auch das Training on the Job bzw. Coaching beruht auf der Annahme, dass der
Einzelne sein Verhalten reflektieren und neue Verhaltensweisen einüben kann. Ändert sich
jedoch nicht die Teamkultur, profitiert mittelfristig von der Qualifikationsmaßnahme nur der
Trainer oder Coach. Die seit vielen Jahren erhobene Forderung nach Nachhaltigkeit ist in
diesem Zusammenhang keine Frage ausgefeilter Qualifikations- und Schulungskonzepten,
sondern der Kulturentwicklung für Teams und Unternehmen.

Eine weitere interessante Einsicht bietet die Gewichtung der „Prozesse und Strukturen“ auf
das Engagement. Komplexe Prozesse beeinflussen in hohem Maße das Serviceverhalten,
beeinträchtigen aber kaum das Engagement. Der Eindruck in der Praxis lässt vermuten, dass
bei idealen Prozessen auch das Engagement viel höher sein müsste und dass mangelhafte
Prozesse zur Demotivation führen würden. Beim Vergleich von unterschiedlichen Teams
kommt man jedoch zur verblüffenden Erkenntnis, dass die subjektiven Bewertungen von
Systemproblemen beträchtlich voneinander abweichen. Die These „gute Prozesse – hohes
Engagement“ stimmt also nur bedingt. Andererseits kann man davon ausgehen, dass Prozess-
hemmnisse während der Kundenberatung die Kundenzufriedenheit beeinträchtigen, was sich
wiederum negativ auf den Verkäufer auswirkt.

Ein wesentlicher Treiber für hohes Engagement ist die Kenntnis der Unternehmensstrategie
und der Zusammenhang zur eigenen Tätigkeit, d. h. die Sinnhaftigkeit der eigenen Tätigkeit
im größeren Kontext wird erkannt.

Im Verlauf der weiteren Untersuchung wird der Fokus auf die wichtigsten verhaltensrelevan-
ten Einflussfaktoren gelegt: Führung, Tätigkeit und Qualität, Unternehmenskultur, Prozesse
und Strukturen. Als weiterer Faktor, der den höchsten Einfluss auf das Engagement hat und
auch für das Verhalten bedeutsam ist, wird die Strategie beleuchtet.

4.3 Kundenzufriedenheit am Point of Sale


4.3.1 Allgemeine Bestimmungsfaktoren der Kundenzufriedenheit
Die Sicherung und Steigerung der Kundenzufriedenheit als unternehmerische Ziel- und
Steuerungsgröße ist für den langfristigen Erfolg eines Unternehmens überlebenswichtig. Wie
in Kapitel 3 ausgeführt, führt eine hohe Kundenzufriedenheit zu positiven Effekten wie Erhö-
hung der Loyalität und Zahlungsbereitschaft (u. a. Cross Buying) von Kunden, höherer Wei-
terempfehlungsabsicht, Immunisierung gegenüber dem Wettbewerb und damit letztlich zu
einer höheren Unternehmensprofitabilität.

Zur Ermittlung der Kundenzufriedenheit haben sich in der Literatur – im Gegensatz zur Mit-
arbeiterzufriedenheit – keine einheitlichen und branchenübergreifenden Bestimmungsfakto-
ren herausgebildet.32 Zu unterschiedlich sind die Einflussfaktoren in Abhängigkeit von Pro-
dukten und der Kaufprozesse.33 Im Deutschen Kundenbarometer, das die Kundenzufrieden-
heit im Warenhausbereich untersucht, werden folgenden Zufriedenheitstreiber untersucht:
Sortiment, Preise, Beratung und persönliche Interaktion, Standort bzw. Erreichbarkeit,

32
Vgl. SCHARNBACHER/KIEFER (1998), S. 5.
33
Vgl. WINTER (2005), S. 33.
484 HANNIG/KRUMM

tangibles Umfeld, Zuverlässigkeit, Zusatzleistungen, Werbung und Kassen.34 Einen wichtigen


Einflussfaktor stellt im Telekommunikationsmarkt die Prozessqualität (Freischaltungszeiten
von Aufträgen etc.) dar.

Für den beratungsintensiven Point of Sale im Telekommunikationsmarkt können die Treiber


der Kundenzufriedenheit 4 Kategorien zugeordnet werden:35

¾ Qualität der Produkte/Dienste (Netzqualität, Produktportfolio etc.)


¾ Qualität des Service (Erreichbarkeit und Qualität der Hotline, Umzugsservice, Garantie-
leistungen etc.)
¾ Qualität der Prozesse (Rechnungsstellungen, Bereitstellungszeiten etc.)
¾ Qualität der Interaktion (Beratungskompetenz und Freundlichkeit der Mitarbeiter etc.)

Bei komplexen Produkt- und Dienstleistungsangeboten kann der Kunde in der Regel die
Qualität der einzelnen Bestandteile nur begrenzt beurteilen, weshalb die Interaktion mit dem
Mitarbeiter in den Vordergrund tritt. Das kundenorientierte Verhalten des Verkäufers wird
damit umso bedeutsamer für die Entwicklung der Kundenzufriedenheit, je weniger der Kunde
das Angebot überblicken und die Qualität bewerten kann.36 Je länger die Interaktion zwischen
Verkäufer und Kunde dauert, desto mehr steigt bei positivem Gesprächsverlauf die Zufrie-
denheit des Kunden mit dem Verkäufer und gewinnt im Rahmen der Gesamtzufriedenheit an
Bedeutung.37 Umgekehrt steigt bei negativem Gesprächsverlauf die Unzufriedenheit des
Kunden.

Kundenzufriedenheit im Kontakt mit dem Verkaufspersonal entsteht, wenn die folgenden


Anforderungen erfüllt werden: Freundlichkeit, Beratungskompetenz, Erscheinungsbild und
Verfügbarkeit des Personals.38

4.3.2 Messung der Kundenzufriedenheit durch ACCI


Um jedem Kunden ein hervorragendes Service- und Verkaufserlebnis zu bieten, sollte die
Kundenzufriedenheit systematisch und regelmäßig gemessen werden, beispielsweise durch
ACCI (After Contact Customer Interview). Dabei werden zufällig ausgewählte Kunden in-
nerhalb einer Woche nach dem Shopbesuch angerufen und befragt, um Erkenntnisse für die
Qualität der Interaktion zwischen Verkäufer und Kunde sowie der Lösungsqualität (Service &
Prozesse) im Kundenkontakt zu erhalten. Des Weiteren können bedarfsweise Sonderuntersu-
chungen zu aktuellen Problemstellungen durchgeführt werden. Die Fragen orientieren sich an
Einflussfaktoren bzw. Auswirkungen der Kundenzufriedenheit und können sich auf folgende
Dimensionen beziehen:

34
Vgl. MEYER/DORNBACH (1996), S. 90 f.
35
Vgl. STOCK (2007), S. 2, und KEUPER (2002), S. 134.
36
Vgl. BRUHN/STAUSS (2000), S. 23.
37
Vgl. PRICE/ARNOULD/DEIBLER (1995), S. 46 f., und SCHWETJE (1999), S. 208.
38
Vgl. SCHWETJE (1999), S. 52.
Entwicklung der Mitarbeiterzufriedenheit 485

¾ Gesamtzufriedenheit mit dem Shopbesuch (Gesamteindruck)


¾ Zufriedenheit mit der Beratung
¾ Weiterempfehlungsabsicht – Net Promoter Score (NPS)
¾ Single Contact Resolution Rate (SCRR – sofortige Lösung eines Service-Anliegens)
¾ Zufriedenheit mit der Wartezeit
¾ Cross-Selling-Aktivitäten

Die Ergebnisse spiegeln das Feedback der Kunden über ihre Beratungs- und Kauferlebnisse
im Shop wider. Durch den Quervergleich mit anderen Shop-Ergebnissen lassen sich Effekte
herausfiltern, die nicht durch den einzelnen Shop beeinflussbar sind. Somit hat jede Füh-
rungskraft eine Datenbasis, um die Stärken und individuellen Schwachstellen für das perfekte
Kundenerlebnis zu erkennen und ggf. zu beheben. Für den einzelnen Shop liefern die Daten
im Zeitablauf eine transparente Rückmeldung über die Wirksamkeit von eingeleiteten Maß-
nahmen, um die Qualitätsparameter zu verbessern.

Als wichtige Größe für die Ausprägung der Kundenzufriedenheit hat sich der NPS (Net Pro-
moter Score) als Index für die Weiterempfehlungsabsicht entwickelt. Mit einer einzigen Zahl
lassen sich Rückschlüsse auf die Service- und Verkaufsqualität der Verkaufsteams ziehen.

In speziellen Auswertungen kann eine positive Korrelation zwischen Cross-Selling-Ansätzen


und Kundenzufriedenheit festgestellt werden. Dieser Zusammenhang lässt sich über das En-
gagement und die Beratungskompetenz des Verkäufers erklären: Der Kunde wird bedarfsge-
recht und proaktiv beraten und erkennt im Gespräch neue, persönliche Lösungsmöglichkeiten
und Nutzenaspekte im Hinblick auf Kommunikationslösungen. Damit steigt seine Kauf- und
Zahlungsbereitschaft und führt zu einer echten Win-Win-Situation, wenn er die Kaufent-
scheidung trifft. Diese Erkenntnis relativiert die hin und wieder von Verkäufern geäußerten
Vorbehalte am „produkt- bzw. absatzorientierten“ Zielsystem im Verkauf, was als Aufforde-
rung wahrgenommen werden kann, dem „Kunden etwas aufschwatzen“ zu müssen. Entschei-
dend ist, wie flexibel und kundenorientiert der Verkäufer agiert.

In Anlehnung an die Systematik von HERZBERG (Hygienefaktoren – Motivatoren) wurden


Kunden auf ihre verhaltensrelevante Einstellung nach dem Besuch befragt: welche Erlebnisse
sie zum nächsten Kauf im Shop motivieren bzw. welche Erlebnisse sie veranlassen, den Shop
nicht mehr zu besuchen. Rund 33% der Kunden, die das nächste Produkt wieder im Shop
kaufen, werden durch die kompetente Beratung motiviert. Für rund 37% der Kunden, die
keinen Kauf mehr im Shop beabsichtigen, besteht der Grund in der zu langen Wartezeit. Da-
raus lässt sich ablesen, dass der Wunsch des Kunden „nicht warten müssen“ einen Hygiene-
faktor darstellt, dessen Nichterfüllung zu extremer Unzufriedenheit führen kann. Ein effizien-
tes und einladendes Kundenmanagement ist somit die Voraussetzung für erfolgreiche Bera-
tungs- und Verkaufserlebnisse. Für den ersten Eindruck gibt es keine zweite Chance.
486 HANNIG/KRUMM

5 Wirkungszusammenhänge zwischen Mitarbeiter-


und Kundenzufriedenheit

5.1 Ausgewählte Untersuchungen in der Literatur


Auf die Frage, ob es eine positive Korrelation zwischen Mitarbeiter- und Kundenzufrieden-
heit gibt, wird man intuitiv einen Zusammenhang unterstellen. Je zufriedener und motivierter
der Mitarbeiter, desto positiver der Einfluss auf die Kundenzufriedenheit. Die wissenschaftli-
chen Untersuchungen in den letzten 10 Jahren kommen in dieser Frage zu unterschiedlichen
Ergebnissen: es gibt sowohl Untersuchungen, in denen ein signifikanter Zusammenhang
zwischen der Gesamtzufriedenheit von Mitarbeitern und Kunden nachgewiesen wird als auch
Schlussfolgerungen, dass kein Zusammenhang existiert. Die Ursache für die unterschiedli-
chen Befunde liegt in der Komplexität des Konstrukts Mitarbeiterzufriedenheit und in den
verschiedenen Ansätzen zur Theorie- und Modellbildung.39

Aus kommunikationspsychologischer Perspektive findet bei der Begegnung von Menschen


immer eine gegenseitige Beeinflussung statt, die eine bewusste und/oder unbewusste Auswir-
kung auf die emotionale Befindlichkeit haben. „Man kann nicht nicht kommunizieren“, so
das Axiom von PAUL WATZLAWICK.40 Selbst das Schweigen zwischen zwei Menschen kann
manchmal mehr bewirken als viele Worte. Das persönliche Verhalten bildet also ein wichti-
ges Wirkungselement zur gegenseitigen Beeinflussung und damit zur Beeinflussung der
Zufriedenheitskonstrukte.

Mitarbeiter-
verhalten

b b
Das Verhalten als
„Wirkungselement“
Mitarbeiter- Kunden-
zur Beeinflussung der
zufriedenheit zufriedenheit
Zufriedenheit

Kundenverhalten

Abbildung 7: Modell zum verhaltensorientierten Zusammenhang zwischen Mitarbeiter-


und Kundenzufriedenheit41

39
Vgl. STOCK (2007), S. 39 ff.
40
Vgl. WATZLAWICK/BEAVIN/JACKSON (1996), S. 53.
41
Vgl. WINTER (2005), S. 84.
Entwicklung der Mitarbeiterzufriedenheit 487

WINTER versteht die Zufriedenheiten als „multiattributive Konstrukte“ (Mitarbeiter- und Kun-
denzufriedenheit setzen sich aus einer Reihe von Dimensionen bzw. Teilzufriedenheiten zu-
sammen) und untersucht die Wechselwirkungen zwischen Teilzufriedenheiten. Sie kommt in
ihrer mehrebenenanalytischen Untersuchung zu dem Ergebnis, dass bestimmte Dimensionen
der Mitarbeiterzufriedenheit das Mitarbeiterverhalten signifikant beeinflussen, das auf den
Kunden wirkt. Dieser wiederum erlebt das Verhalten des Mitarbeiters und verhält sich adä-
quat (in der Regel nach dem Prinzip der Equity Theorie: wie du mir, so ich dir). Der Mitarbei-
ter nimmt das Kundenverhalten wahr und schließt daraus auf dessen Zufriedenheit, was sich
wiederum auf die eigene Befindlichkeit bzw. Zufriedenheit auswirkt.

Im Einzelnen beeinflussen sich folgende personenbezogenen Faktoren gegenseitig:

¾ Mitarbeiterbezogene Dimensionen der Kundenzufriedenheit


¾ Mitarbeiterverhalten (vom Kunden wahrgenommene Servicebereitschaft, Freund-
lichkeit und Beratungskompetenz)
¾ Mitarbeiterverfügbarkeit (Anzahl der verfügbaren Mitarbeiter, Wartezeit)
¾ Einflussfaktoren auf die Mitarbeiterzufriedenheit, die sich positiv und messbar im kun-
denorientierten Verhalten manifestieren, sind:
¾ Die Zufriedenheit der Mitarbeiter mit den Kollegen
¾ Die Identifikation mit dem Unternehmensleitbild
¾ Die Zufriedenheit mit der Kundenorientierung des Unternehmens
¾ Die wahrgenommene Kundenzufriedenheit

Aus Gründen der Einfachheit wird in den folgenden Ausführungen der Einfluss von moderie-
renden Effekten durch Faktoren, die auf den Interaktionsprozess einwirken, vernachlässigt.
Diese betreffen Gegebenheiten, auf die der Verkäufer keinen Einfluss hat wie z. B. der Al-
tersunterschied zwischen Verkäufer und Kunde, die Dauer der Beziehung zwischen Verkäu-
fer und Kunde, spezielle Erwartungen und Bedürfnisse des Kunden, aktuelle Pressemeldun-
gen zum Unternehmen etc.42

Das Modell (Abbildung 7) bietet eine ganzheitliche Sicht auf die Interaktion zwischen Ver-
käufer und Kunde und eröffnet neue Ansätze zur nachhaltigen Qualitätssteigerung im Kun-
denkontakt. In diesem Grundverständnis können die Erkenntnisse aus der Analyse von Mitar-
beiter- und Kundenbefragungen zusammengeführt werden.

42
Vgl. STOCK (2007), S. 92.
488 HANNIG/KRUMM

5.2 Das Wirkungsmodell für den Point of Sale


Aufbauend auf dem Wirkungsmodell von Winter lassen sich Ergebnisse aus Mitarbeiter- und
Kundenbefragungen in einem differenzierten Gesamtmodell für den Point of Sale zusammen-
fassen.

¾ Tätigkeit / Qualität ¾ Beratungsqualität


Verhalten Zufriedenheit
¾ Unternehmenskultur ¾ Wartezeit

b b
¾ Prozesse / Strukturen ¾ SCRR
¾ … ¾ Cross Selling
Aktivitäten
Mitarbeiter Kunde ¾ …

¾ Strategie
¾ Weiterempfehlung
¾ Tätigkeit / Qualität Engagement Verhalten ¾ Willingness to pay
¾ Senior Management
¾ Cross Buying
¾ …
¾ Wiederkauf
Operationalisierte Operationalisierte ¾ …
Zielgrößen der Zielgrößen der
Mitarbeiterzufriedenheit Kundenzufriedenheit

Abbildung 8: Verhaltensorientierter Zusammenhang zwischen den mitarbeiterrelevanten


Einflussfaktoren und den kundenbezogenen Ergebnissen

Die Darstellung geht von der Annahme aus, dass ein hohes Engagement des Mitarbeiters
(Organizational Commitment) sich in einem ausgeprägten kundenorientierten Verhalten äu-
ßert. Im Idealfall resultiert daraus eine hohe Kundenzufriedenheit, die sich im Kaufverhalten
und einer hohen Empfehlungsbereitschaft ausdrückt.

Aus Gründen der Übersichtlichkeit werden die jeweils drei wichtigsten Treiber für das Ver-
halten (Tätigkeit/Qualität, Unternehmenskultur, Prozesse/Strukturen) und Engagement (Stra-
tegie, Tätigkeit/Qualität, Senior Management) der Mitarbeiter in abnehmender Stärke aufge-
führt.

Im Kontakt zwischen Verkäufer und Kunde resultiert die Zufriedenheit des Kunden überwie-
gend aus dem Verhalten des Verkäufers. In der Kundenbefragung (ACCI) können die folgen-
den Zufriedenheitsdimensionen abgefragt werden:

¾ Beratungsqualität: Kompetenz und Umgang mit dem Kunden


¾ Wartezeit: Die „gefühlte“ Wartezeit ist geringer, wenn der Kunde direkt beim Betreten
des Shops wahrgenommen und begrüßt wird. Allerdings kann eine zu hohe Wartezeit
durch Freundlichkeit nicht kompensiert werden
¾ SCRR: Lösung für sein Anliegen im direkten Kontakt mit dem Verkäufer
¾ Cross-Selling-Aktivitäten: Bemühen des Verkäufers, aktiv zusätzliche Lösungen aufzu-
zeigen
Entwicklung der Mitarbeiterzufriedenheit 489

Die Weiterempfehlungsabsicht dokumentiert die Bereitschaft des Kunden nach dem Shop
Besuch, Freunden und Bekannten gegenüber als Multiplikator und Botschafter für die Ange-
bote oder einen Shop Besuch aufzutreten. Die Weiterempfehlungsabsicht ist deshalb so wich-
tig, weil sie das (beabsichtigte) Verhalten des Kunden beleuchtet und – wie in Kapitel 4.3
erläutert – als wichtige Kenngröße (NPS) der Kundenzufriedenheit verwendet wird. Die
Kundenzufriedenheit kann zu einer höheren Kauf- und Zahlungsbereitschaft (Willingness to
Pay, Cross Buying, Wiederkauf) führen, die dem Verkäufer wiederum den Erfolg seiner Be-
ratungsqualität bestätigt und eine verstärkende Wirkung auf seine Motivation ausübt. Nichts
motiviert eben mehr als Erfolg.

Die Wirkung des Kundenverhaltens auf das Engagement und die Zufriedenheit des Verkäu-
fers wird in der Praxis nach den Erfahrungen der Verfasser unterschätzt. Es gibt wissenschaft-
liche Untersuchungen, die zum Schluss kommen, dass die Wirkung der Kundenzufriedenheit
auf die Verkäuferzufriedenheit nachweisbar ist, jedoch kein signifikanter Zusammenhang in
der Wirkung der Verkäuferzufriedenheit auf die Kundenzufriedenheit existiert.43 Gerade in
schwierigen Situationen ist es nachvollziehbar, dass unfreundliche oder aggressive Kunden zu
hohen emotionalen Belastungen des Verkäufers führen und sein Engagement beeinträchtigen
können. Schafft es der Verkäufer nicht, die belastenden Situationen zu reflektieren und zu
verarbeiten, kann dies zu einer Vermeidungstendenz führen, die sich in einem „Rückzug auf
die Sachebene“ im Kundenkontakt manifestiert. Damit sind die Voraussetzungen für Kun-
denbegeisterung nicht mehr vorhanden. Positive Kundenerlebnisse können also nur dann auf
Dauer geschaffen werden, wenn Verkaufsteams auch in der Lage sind, mit den schwierigen
Situationen lösungsorientiert umzugehen.

Die simultane Analyse der Mitarbeiter- und Kundenbefragung eröffnet neue, integrative Lö-
sungsansätze für die zentrale Frage, die sich Personalentwickler, Vertriebstrainer und Füh-
rungskräfte in Retail – Organisationen täglich stellen: Wie kann das Kundenerlebnis und die
Kundenzufriedenheit im Kontakt mit dem Verkäufer am Point of Sale nachhaltig gesteigert
werden?

Wenn man kritisch werbewirksame Schlagworte wie Kundenbegeisterung, Kundenloyalität,


Customer Satisfaction, Customer Delight etc. sowie die Lösungsansätze hinterfragt, die durch
Beratungs- und Trainingsunternehmen angepriesen werden, wird man schnell ernüchtert; oft
werden nur der Kontakt zwischen Verkäufer und Kunde isoliert betrachtet und dem Verkäu-
fer die ultimativen Gesprächstechniken antrainiert, die entweder schnell im Alltag verpuffen
oder von vorneherein durch Verkäufer abgelehnt werden („das passt nicht zu mir!“). Im Lich-
te der oben dargestellten Wirkungszusammenhänge ist eine umfassendere Perspektive erfor-
derlich.

Im folgenden werden daher Ansätze aufgezeigt, wie signifikante organisatorische Einfluss-


faktoren auf das Engagement und Verhalten von Vertriebsmitarbeitern in Konzepten der
Personalentwicklung und -qualifizierung integriert werden können mit dem Ziel, nachhaltig
„perfekte Kundenerlebnisse“ zu gewährleisten und zu intensivieren.

43
Vgl. SCHWETJE (1999), S. 217.
490 HANNIG/KRUMM

6 Entwicklungsfelder zur nachhaltigen Steigerung


der Kundenzufriedenheit im
Telekommunikationsfachhandel

6.1 Führung
Man kann heutzutage den Eindruck gewinnen, dass immer mehr Tätigkeiten in Unternehmen
als „Führungsaufgabe“ deklariert werden: angefangen von der Steuerung und individuellen
Entwicklung der Mitarbeiter, Einhaltung des Code of Conduct und von Prozessen, Entwick-
lung von Diversity, Prozessbegleiter für Change Management, Sicherstellung der organisato-
rischen Rahmenbedingungen im Alltag, Unternehmer vor Ort, Verantwortung für den wirt-
schaftlichen Erfolg, Vorbild sein, Coaching und vieles mehr. Die exemplarische Aussage
eines Shop Leiters „einen Tod muss ich im Alltag immer sterben“ zeigt, dass die Vielzahl der
Ansprüche nicht gleichzeitig erfüllt werden kann.

Das gefühlte Dilemma von Führungskräften im operativen Vertriebsalltag besteht darin, dass
Zeit und Ressourcen begrenzt sind und gleichzeitig man „für alles“ verantwortlich ist. Über-
spitzt formuliert, man läuft den Anforderungen hinterher und betätigt sich als Feuerlöscher.
Von einem euphorischen Team, das darauf brennt, jeden Kunden zu begeistern, ist man dann
weit entfernt.

Daher ist es sinnvoll, mit Shop-Managern in Workshops die Herausforderungen zu reflektie-


ren und Lösungsansätze zu erarbeiten. Leitfragen dafür können sein:

¾ Was sind die „Erfolgstreiber“ für den Shop?


¾ Was sind konkret meine (Führungs-) Aufgaben?
¾ Wie organisiere ich den perfekten Tag im Shop?

6.1.1 Die Führungskraft als Erfolgsmanager


Um die eigenen Ressourcen optimal im Interesse des Shop-Erfolgs einzusetzen, bedarf es
einer inhaltlichen Klärung, welche Aufgaben täglich anfallen und welchen Beitrag zum Er-
folg sie leisten. Dabei lassen sich die Vielzahl an Tätigkeiten in Anlehnung an das Modell
von HERZBERG zur Arbeitszufriedenheit (Hygienefaktoren, Motivatoren) zwei Kategorien
zuordnen.

Die operativen Voraussetzungen umfassen täglich anfallende Aufgaben, die (fehlerfrei) erle-
digt werden müssen, um den Betrieb aufrecht zu erhalten. Diese Aufgaben stellen Erfolgsvo-
raussetzungen dar, haben jedoch keinen unmittelbaren Einfluss auf den Erfolg. Die Themen
Absatz, Wirtschaftlichkeit, Qualität und Performance sind echte „Erfolgsbringer“ und müssen
von der Führungskraft täglich analysiert, auf Optimierungspotentiale überprüft und entspre-
chend umgesetzt werden.
Entwicklung der Mitarbeiterzufriedenheit 491

Erfolg

Umsatz Kosten Qualität Performance

¾ Lösungs- ¾ Aktionen ¾ ACCI ¾ meine Rolle


orientierung
¾ Kosten ¾ Mystery-Shopping ¾ Verkäufer-
¾ Stückzahlen performance
¾ Ressourcen ¾ Auftragsqualität
¾ Key-Produkte ¾ Teamperformance

Operative Voraussetzungen

¾ Kasse ¾ Storecheck ¾ IT Systeme


¾etc.
¾ Logistik ¾ Personalplanung

Abbildung 9: Die Erfolgsrelevanz von Aufgabenfeldern im Shop Management

Die Erfahrung in der Reflexion dieses Modells mit Shop Leitern beweist, dass es immer wie-
der – auch bei erfahrenen Führungskräften – erforderlich ist, die eigene Rolle und das eigene
Zeitmanagement kritisch zu hinterfragen und zu prüfen, ob die Aufgabenerfüllung im Alltag
nicht besser bzw. effizienter erfolgen kann. Die ständigen kleinen Veränderungen im organi-
satorischen Umfeld sind Treiber für die Notwendigkeit, sich aktiv und regelmäßig auf den
„Management-Prüfstand“ zu begeben und Optimierungen in Angriff zu nehmen.

6.1.2 Führung und Coaching von Mitarbeitern


Während es sich bei der Rolle des Erfolgsmanagers mehr um die aktive Gestaltung der ab-
lauforganisatorischen Rahmenbedingungen handelt, zielt die Führung und das Coaching der
Mitarbeiter – den „Erfolgslieferanten“ für begeisterte Kunden – auf die Steigerung der Kom-
petenzen (Leistungsfähigkeit) und Motivation des Verkaufsteams ab. Auch bei dieser Kern-
aufgabe hat es sich bewährt, ein effektives und praxiserprobtes Modell als Standard für die
operative Führung im Shop zu implementieren.
492 HANNIG/KRUMM

Auf der Grundlage des Modells von PAUL HERSEY und KENNETH H. BLANCHARD „Situatives
Führen“ lassen sich aus den Dimensionen „Kompetenz“ und „Motivation“ vier Typen von
Mitarbeitern klassifizieren, auf die jeweils ein optimaler Führungsstil abgeleitet werden
kann:44

¾ Motivation hoch, Kompetenz hoch: Der High Performer im Shop; braucht hohe Selbst-
ständigkeit und Vertrauen des Chefs, der sich eher in der Rolle des Kollegen oder Men-
tors sehen sollte
¾ Motivation hoch, Kompetenz niedrig: Typisch dafür ist der junge Verkäufer; er benötigt
Informationen und Unterstützung darüber, wie gute Arbeit aussieht und wie seine Leis-
tung bewertet wird, Aktionspläne, Training on the job, häufiges Feedback
¾ Motivation niedrig, Kompetenz hoch: Benötigt Anerkennung für seine hohe Kompetenz
und die Möglichkeit, über seine Bedenken zu sprechen; Chef als Mentor und Gesprächs-
partner für die Beseitigung von Hindernissen
¾ Motivation niedrig, Kompetenz niedrig: Benötigt klare Ziele und Perspektiven; häufig
Feedback und Ermutigung; Aktionspläne und Training on the job; ggf. grundsätzliche
Prüfung, ob sich nicht außerhalb des momentanen Arbeitsumfeldes geeignete Entwick-
lungsperspektiven eröffnen

Das persönliche Coaching und Training on the Job ist die effektivste Methode, individuelle
Optimierungspotentiale von Mitarbeitern zu erkennen, Lösungsmöglichkeiten zu entwickeln
und direkt einzuüben. Das tägliche Feedback der Führungskraft zum kundenorientierten Ver-
halten im Shop ist „Breakfast for Champions“45.

Die größte Herausforderung im Arbeitsalltag besteht jedoch darin, Freiräume für das Coa-
ching der Mitarbeiter zu schaffen. Daher bilden ein hoher Grad an Selbstorganisation und
-disziplin sowie Klarheit über die erfolgsrelevanten Aufgaben unabdingbare Voraussetzungen
dafür, als „Trainer“ die eigene Mannschaft zum Erfolg zu führen.

6.2 Tätigkeit und Qualität


Die Tätigkeit der Mitarbeiter Telekommunikationsfachhandel ist gekennzeichnet durch eine
sehr hohe Bandbreite von unterschiedlichen Kundenanliegen, die zu bearbeiten sind. Die
Kaufanliegen können sich auf das komplette Telekom Sortiment rund um Mobilfunk und
Festnetz mit den dahinterliegenden Tarifkombinationen erstrecken. Weitere Anliegen, die
sich nicht primär auf den Kauf beziehen beinhalten administrative Aufgaben (z. B. Bankände-
rungen etc.), Servicefälle (z. B. Software- oder Hardwareprobleme), Rechnungsklärungen,
Beschwerden oder Störungen sowie Beratungen zu Tarifen oder technischen Fragen.

44
Vgl. HENTZE/KAMMEL/LINDERT (2005), S. 292 ff.
45
Vgl. SATTELBERGER (2005), S. VI.
Entwicklung der Mitarbeiterzufriedenheit 493

Je komplexer die Anliegen, umso herausfordernder ist es für den Verkäufer, dem Kunden
eine befriedigende Lösung zu bieten. Die Problemdiagnose beispielsweise bei einem Laptop,
mit dem der Kunde nicht mehr mobil seine E-Mails abfragen kann, gestaltet sich möglicher-
weise sehr zeitaufwändig; Zeit, die ihm ggf. für weitere Kundenberatungen fehlt, um Ver-
kaufsabschlüsse zu erzielen.

Ziele
¾ Absatzziele
¾ Qualitätsziele
¾ Kennzahlen

Verhalten

b
Produkte/Dienste ¾ Verkaufsprozess auf der
¾ Komplettes Sortiment Grundlage von
¾ Tarifwelten
definierten Parametern
¾ Kombinations- ¾ Freundlichkeit, Geduld,
möglichkeiten
Empathie
¾ Aktionen

Systeme / Prozesse
¾ Systeme zur
Auftragserfassung
¾ Schnittstellen zu anderen
Unternehmenseinheiten
¾ Serviceprozesse

Abbildung 10: Der Mitarbeiter am Point of Sale im Spannungsfeld verschiedener Anforde-


rungen

Es gehört zu den täglichen Aufgaben der Führungskraft im Shop, die mitarbeiterbezogenen


Erfolgsvoraussetzungen im Hinblick auf Systeme/Prozesse, Produkte und Dienste, Ziele und
Verhalten sicherzustellen. Bestehen auch nur in einem dieser vier Felder Defizite hinsichtlich
der Kompetenz (beherrscht der Verkäufer die neuen Produkte/Produkte in der Vermarktung)
und Motivation (ist der Verkäufer motiviert, bestimmte Fokus-Produkte anzusprechen oder
hat er Hemmnisse), kann keine optimale Performance entstehen – sowohl im Kundeninteresse
als auch im Unternehmensinteresse. Es ist wichtig, immer wieder das individuelle Können
und Wollen zu überprüfen und bei Bedarf zu verbessern.

Wer die in der Abbildung 10 dargestellten Anforderungen erfüllt, bietet dem Kunden im
Verständnis des KANO-Modells Basis- bzw. Leistungsfaktoren an. Je präziser und systemati-
scher der Shop Manager Tätigkeitsfelder mit seinem Team thematisiert und schwierige Punk-
te nicht unter den Teppich kehrt, sondern für einen offenen und lösungsorientierten Informa-
tionsaustausch sorgt, desto besser entwickelt sich im Team eine „Gewinnerkultur“ – der
Nährboden für Kundenbegeisterung. Eine Kultur, die Spontaneität fördert und echte Kunden-
494 HANNIG/KRUMM

begeisterung erzeugt, weil im Verkaufsgespräch überraschende Nutzenaspekte dem Kunden


aufgezeigt werden, die er nicht erwartet hat und zu Aha-Erlebnissen führen.

6.3 Unternehmenskultur
Nicht die auf Hochglanzprospekten mit schönen Worten formulierten Grundsätze prägen die
Teamkultur im Shop, sondern die tägliche Art und Weise, wie man Leistung anerkennt, offen
Feedback gibt, Lernen aus Fehlern ermöglicht, Konflikte klärt oder vermeidet, wem man aus
dem Weg geht etc. Die Kultur in einem Unternehmen oder Team äußert sich in den unge-
schriebenen Spielregeln, wie man miteinander und mit dem Kunden umgeht.

Die Kultur stiftenden Normen und Werte prägen überwiegend unbewusst die Zusammenar-
beit im Alltag. Daher erfährt man mehr über die Kultur einer Organisationseinheit, wenn man
mehr die nonverbale Kommunikation beachtet als die verbale. Es kann sein, dass auf der
Sachebene im Team „alles richtig gemacht“ wird; jedoch beschleicht den Beobachter oder
Kunden in manchen Situationen ein merkwürdiges Gefühl über die Stimmung der Verkäufer,
das sich im zurückhaltenden Kaufverhalten der Kunden niederschlägt.

Nimmt man sich die Zeit für ein Training zur Verbesserung der Zusammenarbeit oder Team-
kultur, kommt zum Vorschein, was bisher unter der Oberfläche verborgen war (Eisberg-
Prinzip). Versteckte Konflikte, nicht verarbeitete Vorfälle in der Vergangenheit, unterschied-
liche Auffassungen, Wahrnehmungen und dergleichen werden thematisiert und offen disku-
tiert. Der Prozess ist dabei wichtiger als der Inhalt: für manchen Mitarbeiter ist es eine neue
Erfahrung, offen die eigene Meinung wiederzugeben, ohne Nachteile befürchten zu müssen.
So wie ein Auto regelmäßig vom TÜV auf Fahrtauglichkeit überprüft wird (auch wenn keine
Probleme vorliegen), so sollte sich jedes Team in bestimmten Zeitabständen einem „Kultur-
TÜV“ unterziehen.

Die hohe Bedeutung der Kultur im Unternehmen/Team lässt sich sehr anschaulich mit der
Equity-Theorie von ADAMS begründen: Wenn der Beschäftigte nur wenig Wertschätzung und
Aufmerksamkeit erfährt, wird er das gleiche Verhaltensmuster sowohl im Kontakt mit Kolle-
gen als auch mit Kunden an den Tag legen. Damit wird eine subjektive Gerechtigkeit in den
Austauschbeziehungen hergestellt. Eine positive Verhaltensänderung wird demnach nur statt-
finden, wenn sich die erlebte Wertschätzung und Kultur verbessert.

Daher ist die stetige Pflege und Weiterentwicklung der Kultur eine Daueraufgabe für jede
Führungskraft und sollte einer gewissen Systematik folgen. Bezogen auf einen Shop stellen
sich folgende Leitfragen, die beispielsweise in einem Workshop aufgegriffen werden können:

¾ Was ist die Vision des Gesamtunternehmens?


¾ Was trägt unser Shop zur Erreichung der Vision bei?
¾ Was zeichnet unseren Shop besonders aus?
¾ Wie beschreiben wir unser ideales „Kundenerlebnis“?
¾ Welche Regeln und Grundsätze prägen unsere Zusammenarbeit?
¾ Welche Kompetenzen und Zuständigkeiten haben wir in unserem Team?
Entwicklung der Mitarbeiterzufriedenheit 495

Bei allen Diskussionen über Kultur kommt man früher oder später auf die Bedeutung der
Führungskraft als Vorbild. Nicht was der Chef sagt, ist maßgebend, sondern was er tut. Bezo-
gen auf die Kultur gilt der Grundsatz: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.

6.4 Strategie und Senior-Management


In der Praxis wird tendenziell das vorhandene Wissen der Mitarbeiter über die Strategie der
obersten Führungsebene (Senior Management) überschätzt. Für Strategen in der Zentrale, die
sich mit der zukunftsorientierten Ausrichtung des Unternehmens beschäftigen, ist es häufig
ernüchternd, wie wenig davon an der Basis wirklich ankommt. Daher zielt eine Frage in der
Mitarbeiterbefragung darauf ab, ob der Mitarbeiter den Zusammenhang zwischen seiner täg-
lichen Arbeit und der Unternehmensstrategie kennt und versteht.

Wie wichtig die Kenntnis der Strategie und deren Verbindung zur täglichen Arbeit ist, ver-
mag treffend die Geschichte der drei Bauarbeiter verdeutlichen, die vor vielen hundert Jahren
am Bau des Kölner Doms mitgewirkt haben. Die Bauarbeiter wurden gefragt, was sie hier auf
der Baustelle machen. Der Erste antwortete unzufrieden: „Ich haue Steine zurecht“; der Zwei-
te erwiderte gleichgültig: „Ich verdiene hier mein Geld“; der Dritte unterbrach sein fröhliches
Pfeifen und meinte: „Ich helfe hier mit, dass ein großartiger Dom entsteht“.

Es ist intuitiv nachvollziehbar, dass im Falle von auftretenden Schwierigkeiten unser fröhlich
pfeifender Bauarbeiter in größeren Zusammenhängen denkend konstruktiv nach neuen Lö-
sungen suchen und erfolgreicher sein wird. Sein Engagement zahlt sich dann besonders aus,
wenn unvorhergesehene Dinge passieren. Diese Analogie kann man heute mit wissenschaftli-
chen Methoden belegen; die Kenntnis der Strategie und des Zusammenhangs zur eigenen
Tätigkeit (Identifikation mit der Strategie) ist der stärkste Treiber für das Engagement im
Sinne des Organizational Commitment (siehe auch Abbildung 5).46

Die Strategie wird durch das Senior Management verkörpert. Es lohnt sich daher immer,
wenn möglichst vielen Mitarbeitern die Strategie direkt durch die Verantwortlichen darge-
stellt und erläutert wird. „It is personalities, not principles, that move the age“ (Oscar Wilde).
Daher sollte jedes Qualifikationsprogramm auch ein Format beinhalten, in dem Mitarbeitern
eine umfassende Perspektive über die Strategie, Umsetzungskonzepte und die Verbindung zur
eigenen Arbeit vermittelt wird. Wenn dann noch die Veranstaltung mit pfiffigen Methoden
zur Aktivierung und eigenen Beteiligung angereichert wird, schafft man eine wirksame Emo-
tionalisierung und Identifikation mit der Strategie und dem Management, die im Führungsall-
tag als positiver Anker immer wieder angesprochen werden kann.

6.5 Prozesse und Strukturen


Es gehört offensichtlich zu den Mythen unserer Zeit, dass der Fortschritt in der Informations-
technologie das Leben leichter und einfacher macht. Wer am Point of Sale komplexe Systeme
und Prozesse zur Auftragserfassung, Warenwirtschaft, Logistik, CRM, Verfügbarkeitsprü-
fungen etc. souverän beherrscht, hat schon die erste Hürde auf dem Weg zur Kundenbegeiste-
rung überwunden. Hingegen gehört es zu den sportlichen Herausforderungen im Verkäuf-

46
Vgl. BÖHM (2008), S. 127 f.
496 HANNIG/KRUMM

eralltag, wenn einfache Bedienvorgänge viele Minuten Zeit und volle Konzentration in An-
spruch nehmen, was die Interaktion und das Eingehen auf die Kundenwünsche beeinträchtigt
und damit Kauflust des Kunden hemmt.

Prozesse und Strukturen müssen Verkäufer unterstützen, die Bedürfnisse der Kunden effektiv
zu erfüllen und können daher den „Hygienefaktoren“ zugeordnet werden. Funktionieren diese
nicht oder nur unbefriedigend, wird der Kunde (extrem) unzufrieden und beeinflusst über
seine zunehmend unfreundliche Kommunikation die Zufriedenheit des Verkäufers. Werden
diese negativen Kundenerlebnisse im Kontext komplexer Prozesse nicht reflektiert, kann eine
gefährliche Vermeidungstendenz entstehen: nach dem Grundsatz „gebranntes Kind scheut das
Feuer“ werden „prozesskritische“ Angebote nur noch auf ausdrückliches Nachfragen des
Kunden angeboten, unabhängig davon, ob es dafür Provisionen gibt oder nicht. Mit Hinweis
auf die schwache Zielerreichung in der betreffenden Produktkategorie appellieren die Füh-
rungskräfte an die Leistungsbereitschaft; bietet nun der Verkäufer mit einem mulmigen
Bauchgefühl das Produkt aktiv an und es geht wieder schief, ist die „Self Fulfilling Prophecy“
in der subjektiven Wirklichkeit des Verkäufers fest verankert („bei dem Produkt x geht alles
schief“) 47.

Leider werden mit dieser inneren Einstellung die kleinen Fortschritte in der Verbesserung der
Prozesse nicht mehr wahrgenommen. Mit Verblüffung nehmen die „Vermeider“ irgendwann
in einem Meeting oder Workshop zur Kenntnis, dass andere Verkäufer sehr erfolgreich sind,
weil sie die Optimierungen kennen und nutzen. Nur in der Begegnung mit erfolgreichen Kol-
leginnen und Kollegen kann die zu einem Glaubenssatz manifestierte Erfahrung („wenn der
Prozess funktionieren würde, dann kann ich das Produkt verkaufen“) aufgelöst werden.

Prozesse und Strukturen müssen funktionieren und tun es nicht immer; mit dieser Paradoxie
müssen Führungskräfte möglichst souverän und gelassen umgehen. Die Erfahrung zeigt, dass
bei gleichen Problemen der gefühlte Frust in den Shops sehr unterschiedliche Ausprägungen
hat. Diese Situationen sind der Lackmus-Test für Führungskräfte, die dafür sorgen, dass Mit-
arbeiter die Hintergründe und den größeren Zusammenhang erkennen sowie konstruktiv die
Situation nutzen. Daher gilt es, auch schon kleine Verbesserungen und Best Practices regel-
mäßig auf die Agenda in den Besprechungen zu setzen.

7 Fazit und Empfehlung

Mitarbeiter- und Kundenbefragungen werden in der Unternehmenspraxis meist durch unter-


schiedliche Organisationseinheiten konzipiert und durchgeführt, was zur Folge hat, dass die
jeweiligen Erkenntnisse nicht zusammengeführt werden. Damit vergibt man sich die Chance,
Optimierungsmaßnahmen zu bündeln und abzustimmen, die sowohl auf die Mitarbeiter- als
auch Kundenzufriedenheit einzahlen.

47
Vgl. WATZLAWICK (1988), S. 57 ff.
Entwicklung der Mitarbeiterzufriedenheit 497

In den Ausführungen wurden zur Erklärung der Entstehung von Zufriedenheit das Con-
firmation-Disconfirmation-Paradigma sowie Modelle von HERZBERG, KANO und ADAMS her-
angezogen. Es zeigte sich, dass insbesondere die Zufriedenheit der Mitarbeiter ein sehr kom-
plexes Konstrukt darstellt. Daher liefert eine pauschale Betrachtung der Mitarbeiter- und
Kundenzufriedenheit keine Erkenntnisse für effektive und nachhaltige Optimierungsansätze
zur Verbesserung des Kundenerlebnisses. Es ist immer erforderlich, in eine detaillierte Ana-
lyse einzelner Zufriedenheitsdimensionen einzusteigen.

Das serviceorientierte Verhalten von Mitarbeitern wird wesentlich durch die Tätigkeit und
Qualität, Unternehmenskultur sowie der Prozesse und Strukturen beeinflusst. Das Engage-
ment wiederum hängt am stärksten von der Unternehmensstrategie, Tätigkeit und Qualität
sowie dem Senior Management ab. Diese Rahmenfaktoren werden durch die direkte Füh-
rungskraft beeinflusst, die den höchsten Einfluss auf das Engagement und Serviceverhalten
der Mitarbeiter hat. Der Kunde ist äußerst zufrieden und zeigt das auch in einem entsprechen-
den Kauf- und Empfehlungserhalten, wenn er nicht warten muss, die Mitarbeiter sich kompe-
tent und freundlich verhalten und bemühen, dem Kunden eine optimale Lösung (inkl. Cross
Selling) zu bieten.

Diese Erkenntnisse aus Mitarbeiter- und Kundenbefragungen wurden in ein Wirkungsmodell


für den Point of Sale integriert, das die wechselseitige Beeinflussung der Teil-Zufriedenheits-
dimensionen aufzeigt und damit Ansatzpunkte für nachhaltige Optimierungsmaßnahmen
liefert.

Die Analyse der wechselseitigen Einflussfaktoren auf die Zufriedenheiten führen zu einer
neuen Sicht auf den Verkaufsprozess: Der Verkäufer-Kundenkontakt kann als „Erlebnis-
raum“ betrachtet werden, in dem sich die Akteure wechselseitig beeinflussen. Die Atmosphä-
re wird durch die Einstellungen (Zufriedenheiten) und daraus resultierenden Verhaltenswei-
sen geprägt, was die Kaufbereitschaft des Kunden – insbesondere im Hinblick auf Cross
Buying und innovative Angebote – beeinflusst und steuert. Mit anderen Worten: der abge-
nutzte Begriff des „Erlebniskaufs“ basiert u. a. auf der positiven Stimmung im Verkaufsteam,
die dem Kunden über das exzellente Verkäuferverhalten eine „tolles Gefühl“ vermittelt. Hier
liegt also ein wichtiger Schlüssel für die zukünftigen Verkaufserfolge im Handel.

Die wichtigsten Hebel zur gleichzeitigen Steigerung der Mitarbeiter- und Kundenzufrieden-
heit beziehen sich auf die Führung im Unternehmen, Einstellung zur Tätigkeit, Kultur im
Team bzw. Unternehmen, Kenntnis der Strategie, Wahrnehmung des Senior-Managements
und Beherrschung der Prozesse und Strukturen.

Für das Management der Mitarbeiterzufriedenheit im Hinblick auf das kundenorientierte


Service-Verhalten und Engagement gibt es keine Zauberformel. Es ist jedoch schon viel ge-
wonnen, wenn die Analysen und Erkenntnisse der durch unterschiedliche Organisationsein-
heiten initiierten Untersuchungen zusammengeführt und effektive Aktivitäten abgeleitet wer-
den, die in ihrer Wirkung sich ergänzen.

Die Führungskräfte sind besonders gefordert, neben den „harten“ Themen im Alltag wie z. B.
Personaleinsatzplanung, Organisation, Absatzplanung und Monitoring sich intensiv mit der
Qualität und Zufriedenheit des Verkaufspersonals auseinanderzusetzen. Dabei sind die HR
Bereiche aufgefordert, mit Diagnose- und Entwicklungsinstrumenten, die auf die Anforde-
rungen im Handel ausgerichtet sind, zu unterstützen. Wie so oft im Leben sind das Wissen
und die erforderlichen Tools vorhanden, diese jedoch konsequent anzuwenden und umzuset-
498 HANNIG/KRUMM

zen, erfordert höchste Disziplin. Daher ist eine Leistungskultur vonnöten, die – basierend auf
einem mit der Unternehmensstrategie verzahnten Gesamtkonzept – systematisch und regel-
mäßig die Awareness auf die Umsetzung sicherstellt.

Die Umsetzung der dargestellten Erkenntnisse und vorgeschlagenen Maßnahmen bilden den
Brückenschlag für Vermarktungserfolge: viele Millionen Euro, die in Werbung, Kommunika-
tion, Sponsoring, Events usw. investiert werden, verbrennen innerhalb von Sekunden, wenn
am Point of Sale im Augenblick der Wahrheit die Kundenerwartungen nicht erfüllt werden.
Dieses letzte Bindeglied zwischen Anbieter und Nachfrager muss von der Vision eines per-
fekten Einkaufserlebnisses geprägt sein. Daher ist die systematische Analyse der Mitarbeiter-
und Kundenzufriedenheit keine lästige Pflichtübung, sondern hat höchste Priorität für Gewin-
ner im Telekommunikationsmarkt.

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Reorganisation des Vertriebs –
Change-Management-Perspektiven

SABINE SCHWARZ

BearingPoint. Management & Technology Consultants

1 Einleitung.................................................................................................................503
2 Ansätze zur Vertriebs-Reorganisation und zum Change Management....................503
3 Entwicklung der Vertriebsstrategie unter Change-Management-Begleitung...........506
3.1 Entwicklung der Vertriebsstrategie................................................................506
3.1.1 Kundensegmentierung .......................................................................507
3.1.2 Ziele, Strategie und Wertargumentation ............................................507
3.1.3 Vertriebskanal-Struktur .....................................................................508
3.1.4 Typische Ansatzpunkte für Change Management .............................509
3.2 Change Management......................................................................................509
3.2.1 Organisatorische Risiko-Analyse ......................................................510
3.2.2 Vision ................................................................................................514
3.2.3 Change-Plan ......................................................................................515
3.2.4 Einbindung der Führung ....................................................................517
4 Change Management während der Vertriebstransformation ...................................518
4.1 Entwicklung und Anpassung der Vertriebsorganisation ................................518
4.1.1 Organisationsstruktur.........................................................................518
4.1.2 Prozesse .............................................................................................523
4.1.3 Typische Ansatzpunkte für Change Management .............................524
4.2 Change Management......................................................................................524
4.2.1 Einbindung und Kommunikation ......................................................524
4.2.2 Anpassung der Organisation (1) ........................................................526
5 Change Management im Rahmen eines nachhaltigen Vertriebsmanagements........528
5.1 Zielsystem......................................................................................................528
5.2 Anreiz- und Vergütungssystem......................................................................529
5.2.1 Typische Ansatzpunkte für Change Management .............................530
5.3 Change Management......................................................................................530
5.3.1 Anpassung der Organisation (2) ........................................................530
5.3.2 Mitarbeiterqualifizierung...................................................................532
6 Sales Effectiveness und Change Management – komplementär zum Erfolg...........534
Quellenverzeichnis..........................................................................................................535
Reorganisation des Vertriebs 503

1 Einleitung

Selbst die besten Vertriebsstrategien scheitern, wenn nicht während der Implementierung
sorgfältig auf die Belange der Kunden und Vertriebsmitarbeiter geachtet wird: Beide könnten
sich in einer als unruhig und ggf. störend empfundenen Übergangsphase anderen Lieferanten
und Arbeitgebern zuwenden. Wird jedoch die Einführung der neuen Vertriebsstrategie von
einem professionellen Change Management begleitet, kann die neue Vertriebsorganisation
zum Erfolg für die Kunden, den Vertrieb und somit das Unternehmen werden.

Zunächst werden die beiden Ansätze zur Veränderung einer Vertriebsorganisation und zum
Change Management im Überblick dargestellt. Anschließend werden beide Ansätze integriert
und die in den jeweiligen Phasen auftretenden fachlichen und überfachlichen, d. h. personen-
bezogenen, Fragestellungen sowie Maßnahmen erläutert.

2 Ansätze zur Vertriebs-Reorganisation


und zum Change Management

Als Basis für die Erläuterung der Funktion des Change Managements im Rahmen von Verän-
derungsprozessen in der Vertriebsorganisation eines Unternehmens dient die Darstellung des
Sales-Effectiveness-Ansatzes. Dieser Ansatz beinhaltet die drei Phasen

¾ Vertriebsstrategie (Fokus),
¾ Vertriebstransformation (Ausrichtung) und
¾ Vertriebs-Management (Nachhaltigkeit).

Nach Aufstellen einer Projektorganisation und eines Projektplans werden die drei Phasen
Vertriebsstrategie, Vertriebstransformation und Vertriebs-Management zeitlich nacheinander,
gleichwohl überlappend, bearbeitet.

Ein Sales-Effectiveness-Projekt in dargestelltem, inhaltlichem Umfang zieht Veränderungen


in nahezu allen Bereichen einer Vertriebsorganisation nach sich. Aufgabe des Change Mana-
gements ist, diese Veränderungen vorzubereiten, proaktiv zu begleiten und so einen entschei-
denden Beitrag zur Erreichung der Projekt-, der Vertriebs- und damit der Unternehmensziele zu
leisten.

F. Keuper, B. Hogenschurz (Hrsg.), Professionelles Sales & Service Management,


DOI 10.1007/978-3-8349-8799-0_21,
© Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
504 SCHWARZ

Vertriebs- Vertriebs-
Vertriebsstrategie
transformation Management
¾ Kundensegmente
definieren
¾ Organisationsstrukturen ¾ Zielsystem anpassen
¾ Strategische Ziele anpassen
¾ Anreiz-/Vergütungssystem
definieren
¾ Prozesse anpassen anpassen
¾ Vertriebsstrategie ableiten
¾ Außendienst optimieren ¾ Vertriebsplanung
¾ Positionierung und optimieren
¾ Innendienst optimieren
Wertargumentation
¾ Vertriebs-Controlling
spezifizieren
optimieren
¾ Vertriebskanal-Struktur
entwickeln

Fokus Ausrichtung Nachhaltigkeit

Abbildung 1: Der Sales-Effectiveness-Ansatz vereint strategische Fokussierung mit nach-


haltiger Transformation1

Der Beitrag von Change Management in einer Vertriebs-Restrukturierung erstreckt sich in-
tern auf die von der Veränderung betroffenen Mitarbeiter  sei es, dass sie an der Definition
der Vertriebsstrategie mitwirken, sei es, dass sie sich von der Umsetzung/der Transformation
her mit einem veränderten Aufgaben- und Arbeitsumfeld konfrontiert sehen. Extern sind die
Kunden betroffen, die eine Änderung im Vertrieb unterschiedlich bewerten und sanktionieren;
andere externe Gruppen seien hier nicht weiter angesprochen.

Aus diesem Grund gilt es, bereits vor bzw. während der ersten Schritte in der Strategie und
entsprechenden konzeptionellen Entwicklung

1. eine organisatorische Risiko-Analyse (Ermittlung von projektunterstützenden sowie


behindernden Faktoren) durchzuführen,
2. eine Projekt-Vision (Aufzeigen des Projektziels und des zu erwartenden Projektnutzens
bzw. der drohenden Nachteile bei Unterlassen des Projekts) zu entwickeln,
3. die Führung (Eskalationsstufen sowie positive und konstruktive Sanktionen während des
Projektverlaufs) einzubinden,
4. den vorläufigen Change-Plan (Abstimmung der Change-Aktivitäten mit dem fachlichen
(Sales-)Projektplan) zu erstellen und
5. a) auf Basis der Risiko-Analyse, des Projekt-Leitbilds und der Einbindung der Führungs-
ebenen einen Kommunikationsplan zu entwickeln.

1
Vgl. BEARINGPOINT (2009).
Reorganisation des Vertriebs 505

Während des Projektverlaufs sind

5. b) der Kommunikationsplan ggf. anzupassen und umzusetzen,


6. in enger Abstimmung mit dem fachlichen Team die organisatorischen Anpassungen
(Änderungen in Aufbau-/Ablauforganisation und deren HR2-Implikationen) zu planen
und vorzunehmen sowie
7. die Mitarbeiterqualifikation vorzubereiten und durchzuführen.

Der Ansatz besteht aus diesen sieben Schritten, die auf jedes Projekt individuell zugeschnitten
werden, sich zum Teil überlappen und gegenseitig beeinflussen. In der folgenden Abbildung
sind sie im kreisförmigen Verlauf dargestellt, da ihre Ergebnisse im Projektverlauf ggf. über-
prüft und angepasst werden müssen.

Identifizierung und Bewer- Wohin gehen wir?


tung potenzieller Risiken / Warum müssen wir dorthin gehen?
c Hemmnisse und unter- Warum sollte ich mitmachen? d
stützender Faktoren Welche messbaren Vorteile
Organisa- Leitbild und werden erwartet?
torische Vorteile
Risiken

i Grobplanung des
e
Erst- und Folge- CM-Vorgehens auf
Mitarbeiter- Der Ansatz federt Change- Basis von Risiko und
qualifizierung der Qualifizie- Risiken ab und passt die Plan Leitbild, Verzahnung
Mitarbeiter
rung Organisation an, um er- mit fachlichem Pro-
folgreich und nachhaltig jektplan
zu implementieren so-
wie messbare Ergeb-
nisse zu erzielen
Organisato- Einbindung
h rische Aus- der Füh- f
richtung rung Entwicklung von Bereit-
Anpassung der Struk- schaft und Verantwortung
turen und Prozesse inkl. in der gesamten Organisation
Personalwirtschaft
Kommunikation

g Einbeziehen der Betroffenen

Abbildung 2: Der Change-Management-Ansatz besteht aus sieben Schritten3

Im Projektverlauf arbeiten das fachliche und das Change-Projekt-Team eng miteinander, um


die betroffenen Personen(-gruppen) sowohl hinsichtlich ihrer fachlichen Kenntnisse als auch
im Hinblick auf ihre Befindlichkeiten zeitgerecht zu adressieren und einzubinden.

In Abbildung 2 sind die drei fachlichen und die sieben Change-Management-Phasen im


Überblick dargestellt. Da es sich um eine idealisierte, fachliche Abfolge handelt, wurde auf
die Darstellung der Interdependenzen und iterativen Schritte in der Abbildung verzichtet.

2
HR: Human Resources.
3
Vgl. BEARINGPOINT (2009).
506 SCHWARZ

Projektverlauf (t)

Vertriebsstrategie
Vertrieb

Vertriebs-
transformation
Vertriebs-
management
Organisatorische
Risiko-Analyse

Vision und Leitbild


Change Management

Change-Plan

Einbindung der
Führung

Kommunikation

Organisatorische
Ausrichtung
Mitarbeiter-
Qualifizierung

Abbildung 3: Change Management wird in den einzelnen Phasen der Vertriebs-Optimierung


differenziert eingesetzt4

In Abbildung 3 ist dargestellt, wie die Phasen des fachlichen Projekts (Vertrieb) und diejeni-
gen des überfachlichen Projekts (Change Management) zeitlich zueinander liegen.

3 Entwicklung der Vertriebsstrategie


unter Change-Management-Begleitung

3.1 Entwicklung der Vertriebsstrategie


Die Notwendigkeit einer umfassenden strategischen Neuausrichtung der Vertriebsorgani-
sation kann in externen und internen Faktoren begründet liegen. Externe Faktoren sind etwa
veränderte Rahmenbedingungen bei Kunden oder Wettbewerbern. Interne Faktoren stellen
zum Beispiel Gewinn- und Profitabilitätsdefizite dar. In der Regel verursacht ein Zusammen-
spiel mehrerer Faktoren die Notwendigkeit einer strategischen Neuausrichtung. Gerade aber
die Unterschreitung von Gewinn- und Profitabilitätszielen ist hierfür oftmals die treibende
Kraft. In Folge ist die funktionale Vertriebsstrategie auf die veränderten strategischen Rah-
menbedingungen und Anforderungen hin zu überprüfen und anzupassen. Häufig sind Ver-
triebsmannschaften geprägt von mengenorientiertem Verkaufsdenken oder historisch ge-
wachsenen Kundenbetreuungsstrategien, die nun nicht mehr mit den aktuellen internen und
externen Anforderungen an den Vertrieb übereinstimmen. Im Folgenden werden die einzel-

4
Vgl. BEARINGPOINT (2009).
Reorganisation des Vertriebs 507

nen Elemente bei Überprüfung und Anpassung der Vertriebsstrategie kurz skizziert und bei-
spielhaft typische, kritische Veränderungsprozesse aufgezeigt:

¾ Kundensegmentierung,
¾ Ziele, Strategie und Wertargumentation,
¾ Vertriebskanal-Struktur.

3.1.1 Kundensegmentierung
Zentraler Ausgangspunkt ist eine auf die Ziele und Strategie eines Unternehmens ausgerichte-
te Segmentierung der (aktuellen und potenziellen) Kunden in den relevanten Märkten. Eine
aussagekräftige Segmentierung stellt die notwendige Grundlage für die Definition von Ziel-
kunden-Segmenten und die gezielte Ausrichtung der vertrieblichen Aktivitäten auf die ein-
zelnen Segmente dar. Beispielhaft seien die Definition von zielgruppenspezifischen Produkt-/
Service-Angeboten oder die Entwicklung von maßgeschneiderten Kundenbetreuungs-Strate-
gien genannt. Dabei stehen – je nach Ausgangslage und Problemstellung – unterschiedliche
Segmentierungs-Methoden zur Verfügung.

Nach unseren Erfahrungen liegen Vertriebs-Managern oft nur bedingt aussagekräftige Kun-
den-Segmentierungen vor. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Eine mangelnde Kenntnis der
Endkunden aufgrund eines Informationsverlustes über mehrstufige Vertriebskanäle hinweg
ist dabei oft zu beobachten.

Veränderungsprozess
Bereits in diesem Schritt gilt es, die Implikationen der veränderten strategischen Rahmenbe-
dingungen in dem zu definierenden Segmentierungs-Ansatz zu berücksichtigen. Die Ver-
triebs-Manager müssen sich von altbekannten Routinen bei Analyse, Bewertung und Segmen-
tierung ihrer Märkte und Kunden lösen und aktiv an der Neugestaltung mitwirken. Gerade bei
„altgedienten Vertriebshaudegen“ formiert sich hier häufig Widerstand, der im Rahmen von
Change-Management-Maßnahmen gezielt adressiert werden sollte.

3.1.2 Ziele, Strategie und Wertargumentation


Ausgehend von der Kunden-Segmentierung sieht der Sales-Effectiveness-Ansatz vor, Ver-
triebsziele, Vertriebsstrategie und Wertargumentation zu entwickeln (siehe Abbildung 1).

Aus den Unternehmenszielen werden die strategischen Zielsetzungen des Vertriebs über eine
systematische Zielkaskadierung abgeleitet. Zahlreiche Vertriebsorganisationen haben dabei in
den letzten Jahren die Ablösung von mengenorientierten Zielen hin zu profitabilitätsorientier-
ten Zielen erfahren. Die Vertriebsziele dienen als Orientierungsgrößen für die Überprüfung
und Anpassung der funktionalen Vertriebsstrategie. Diese beantwortet die Fragestellung, wie
und wann die definierten Vertriebsziele erreicht werden sollen. Gegenstand sind (u. a.) die
Definition von strategischen Initiativen (Maßnahmenpaketen), die Zuordnung von finanziel-
len und personellen Ressourcen sowie die Festlegung eines Zeitplans. In diesem Zusammen-
hang erfolgt auch die Definition von strategiekonformen und potenzialorientierten Zielkun-
den-Gruppen auf Basis der erfolgten Segmentierung.
508 SCHWARZ

Für die einzelnen Zielkunden-Segmente ist schließlich die jeweilige Positionierungsstrategie


und vertriebliche Wertargumentation anzupassen bzw. zu entwickeln. Folgende Fragen sind
(u. a.) zu beantworten:

¾ Wie positionieren sich die Wettbewerber bei den einzelnen Kunden-Gruppen? Mit wel-
chen Wertargumentationen treten sie an die Kunden-Gruppen heran?
¾ Welche Produkte und Services sollen den einzelnen Kunden-Segmenten mit ihren spezi-
fischen Nutzen- und Bedarfsstrukturen angeboten werden?
¾ Mit welchen Nutzen-Versprechen und Botschaften werden die Angebote versehen?
¾ Welche „Unique Selling Proposition“ relativ zum Wettbewerb kann den einzelnen Kun-
den-Gruppen damit geboten werden?

Ergebnis des Prozesses zur Entwicklung der Vertriebsstrategie ist eine aus der Unternehmens-
strategie abgeleitete, zielgruppenorientierte funktionale Wettbewerbsstrategie im Vertrieb mit
eindeutiger Wertargumentation gegenüber den einzelnen Zielkunden-Gruppen.

Veränderungsprozess
Gerade im Rahmen der Konzeption und Formulierung der strategischen Ziele und der Ver-
triebsstrategie ist es erfolgskritisch, die maßgeblichen Entscheidungsträger des oberen und
mittleren Managements im Vertrieb, aber auch des oberen Managements benachbarter Funk-
tionsbereiche wie etwa Marketing oder Logistik von den Veränderungen zu überzeugen und zu
aktiven Vertretern der Veränderungen innerhalb der Organisation zu machen. Rückendeckung
und Promotion durch das Top-Management sind hierfür die Voraussetzung.

3.1.3 Vertriebskanal-Struktur
Die Ausgestaltung der zukünftigen Vertriebskanal-Struktur stellt eine weitere entscheidende
strategische Weichenstellung im Vertriebs-Management dar. Die einzelnen Vertriebskanäle –
genauer, die darin handelnden Institutionen/Personen  sind schließlich dafür verantwortlich,
das Nutzen-Angebot eines Unternehmens zum „Point of Consumption“ und damit zum End-
kunden zu bringen. Ein Vertriebskanal erbringt dabei Services gegenüber dem Kunden, die
maßgeblichen Einfluss darauf haben, wie ein Nutzen-Angebot verkauft wird. Folgende we-
sentliche Schritte werden bei Überprüfung bzw. Aufbau von Vertriebskanälen im Rahmen
eines Sales-Effectiveness-Projekts typischerweise durchlaufen:5

¾ Segmentierung: Definition der Service-Anforderungen jedes Kunden-Segments an die


Vertriebskanäle,
¾ Konfiguration: Soll-Definition des Nutzen-optimalen Vertriebskanals je Kunden-
Segment sowie Definition von effektiven und effizienten Strukturen innerhalb eines Ka-
nals und der handelnden Partner (z. B. Premium- versus Niedrigpreis-Einzelhandels-
kette),
¾ GAP-Analyse: Vergleichende Analyse der Soll-Konfiguration mit der bestehenden Kon-
figuration, Identifikation von Abweichungen von der Soll-Konfiguration und Entwick-
lung von Maßnahmen, um die Lücke zu schließen,

5
Vgl. COUGHLAN ET AL. (2006), S. 29 ff.
Reorganisation des Vertriebs 509

¾ Umsetzung: Wesentliche Herausforderungen sind ein ausgewogenes Management der


verschiedenen Vertriebskanalpartner sowie die weitgehende Vermeidung von Kanalkon-
flikten (z. B. Zielkonflikt, Verantwortlichkeitskonflikt).

Veränderungsprozess
Neben dem „Buy In“ des oberen und mittleren Managements ist es in diesem Schritt erforder-
lich, die strategisch wichtigen Vertriebskanalpartner frühzeitig und aktiv in den Verände-
rungsprozess einzubeziehen. Sie können zum Einen wertvolle Beiträge zum Optimierungs-
prozess leisten und zum Anderen einfacher für die anstehenden Veränderungen gewonnen
werden. Im Vorfeld der Umsetzung sind schließlich auch die (End-)Kunden über die Verän-
derungen in deren Beschaffungswegen zu informieren. Strategisch besonders wichtige (End-)
Kunden sollten ebenfalls in die Entwicklung der Soll-Vertriebskanal-Konfiguration einbezogen
werden.

3.1.4 Typische Ansatzpunkte für Change Management


Bereits die kurze Skizzierung der inhaltlichen Vorgehensweise zur Optimierung und Anpas-
sung der Vertriebsstrategie zeigt die Notwendigkeit eines systematischen Change Manage-
ment. Typische Ansatzpunkte sind:

¾ Veränderungsbereitschaft in der oberen und mittleren Führungsebene – inklusive der


Bereitschaft zur Wahrnehmung einer Multiplikatoren-Rolle innerhalb der Vertriebsorga-
nisation,
¾ Analyse und Vorbereitung der Mitarbeiter auf die Veränderungsprozesse – bereits vor
Eintreten der Veränderungen – und
¾ Veränderungsbereitschaft bei sonstigen wichtigen Stakeholdern wie etwa Vertriebspart-
nern, Kooperationspartnern oder strategisch wichtigen (End-)Kunden.

3.2 Change Management


Change Management adressiert die überfachlichen, personenbezogenen Themen, um die erfolg-
reiche Umsetzung der angestrebten Änderungen im Vertrieb in organisatorischem, prozessbe-
zogenem oder technologiegetriebenem Hinblick zu fördern. Change Management unterstützt
die betroffenen Mitarbeiter und Kunden darin, den Zweck und die Vorteile der Veränderung
zu verstehen, um auf Basis gemeinsamer Absprachen entschlossen das gesetzte Ziel zu ver-
folgen bzw. aus Kundensicht die Lieferantenbeziehung über die Veränderung hinweg beizu-
behalten.

Change Management kann jedoch keine Garantie dafür bieten, dass alle betroffenen Mitarbei-
ter bzw. Kunden einig das Unternehmensziel bzw. die neue Vertriebsstrategie verfolgen oder
gutheißen; es wird in der Regel Mitarbeiter und Kunden geben, die sich diesem Wandel den-
noch verweigern. Auch um die Gefahr durch Abwandern von Vertriebsmitarbeitern und Kun-
den während des Projektzeitraums bestmöglich zu erkennen und abzufedern, erfolgt schon wäh-
rend der Entwicklung der Vertriebsstrategie die organisatorische Risiko-Analyse.
510 SCHWARZ

3.2.1 Organisatorische Risiko-Analyse


Gegenstand der organisatorischen Risiko-Analyse ist die Identifizierung und Bewertung po-
tenzieller Risiken und Hemmnisse sowie unterstützender Faktoren, aber auch die Erarbeitung
eines Plans zum Gegensteuern. Die Analyse ist ausgerichtet auf

¾ Größe/Komplexität des Projektes,


¾ Bereitschaft der Organisation insgesamt, den Wandel zu vollziehen,
¾ Bereitschaft/Akzeptanz seitens der Mitarbeiter und Kunden (Bereiche, Gruppen, Teams)
(Stakeholder-Analyse).

Größe und Komplexität


In der Analyse der Größe und Komplexität des Vertriebs-Projektes werden zehn Risiko-
Aspekte betrachtet, die sich auf die Organisation insgesamt beziehen, und von Vertretern der
Unternehmensführung sowie der Projektleitung in Interviews mit Bewertungen versehen.6

Größe und Komplexität der Veränderung (Werte: niedrig, mittel, hoch) Beispiel
Aspekt niedriges Risiko Bewertung höchstes Risiko
a. Anzahl involvierter Stakeholder einer hoch viele

b. Einwirkung auf Kernkompetenzen niedrig mittel hoch

Anzahl der vom Projekt betroffenen


c. wenige mittel viele
Personen
erforderlicher Wandel in
d. begrenzt hoch stark
Fähigkeiten/Verhalten
e. Parallele Projekte begrenzt niedrig stark
Erforderliche funktions-
f. begrenzt mittel stark
übergreifende Koordination
g. Zeithorizont weit hoch komprimiert
Verbindung zwischen
h. Performance/Ergebnissen und klar hoch unklar
Veränderung
i. Anzahl involvierter Dritter 0 hoch viele
j. Anzahl Lokationen eine mittel viele

Abbildung 4: Die Risiken aufgrund der Größe und Komplexität des Vertriebs-Projektes
werden systematisch bewertet7

6
Vgl. SCHWARZ (2009), S. 128 ff.
7
Vgl. BEARINGPOINT (2009).
Reorganisation des Vertriebs 511

Vertriebs-Reorganisationen müssen in einem engen Zeithorizont durchgeführt werden, Kun-


den dürfen nicht zum Wettbewerb abwandern: Zwei Beispiele für hohe Risiken (g und i in
Abbildung 4).

Bereitschaft zum Wandel


Anschließend wird über zehn weitere Fragen die Bereitschaft der Organisation, den Wandel
konstruktiv mit zu tragen, bewertet.

Bereitschaft zum Wandel (Werte: niedrig, mittel, hoch) Beispiel


Aspekt niedriges Risiko Bewertung höchstes Risiko
Management Konsens -
a. hoch hoch niedrig
Veränderungsbedarf
Management Konsens - zukünftige
b. hoch mittel niedrig
Vision
c. Stakeholder Commitment hoch mittel niedrig
Verständnis für den
d. stark mittel begrenzt
Veränderungsbedarf
erforderliche kulturelle
e. niedrig hoch stark
Transformation
f. parallel laufende Projekte keine mittel viele
Projekt-Historie (Wandel in
g. positiv mittel negativ
Vergangenheit) in Organisation
h. bereitgestellte Ressourcen viele hoch begrenzt
i. Potenzieller Personalabbau beschränkt niedrig stark
Risiko, dass Mitarbeiter des
j. niedrig hoch hoch
Unternehmens kündigen

Abbildung 5: Die Risiken aufgrund der Bereitschaft der Organisation zum Wandel wer-
den ebenso systematisch bewertet8

Wenn das Management sich über die neue Vertriebsstrategie nicht einig ist, die kulturelle
Transformation sowie das Risiko, dass Vertriebler kündigen, unterschätzt werden, ist der
Projekterfolg stark gefährdet (Beispiele für drei hohe Risiken).

Stakeholder-Analyse
In der Stakeholder-Analyse werden die Einflussmöglichkeiten verschiedener Gruppierungen
auf das Projekt mit der jeweiligen Akzeptanz- und Unterstützungsbereitschaft kombiniert
dargestellt.

8
Vgl. BEARINGPOINT (2009).
512 SCHWARZ

Stakeholder-Analyse
Stakeholder-Analyse

4,00 11 6 17 21 2
engagieren und 24 1

einbeziehen
3,50 (Risiko) 22 Champions

3,00 16 14 20 18 10

9
2,50 23
Impact
Impact

4 8
19
2,00 3 25
7
26
5
1,50 12
27
15
13
1,00

bei Bedarf einbeziehen Infos (informiert halten)


0,50
0,50 1,00 1,50 2,00 2,50 3,00 3,50 4,00
Commitment
Commitment

Abbildung 6: Die unterschiedlichen Haltungen und Einflüsse werden ersichtlich und


müssen adressiert werden9

Als „Champions“ werden diejenigen Personen/Gruppen (in der Abbildung nummeriert) be-
zeichnet, deren Einfluss groß und deren „Commitment“ hoch sind, sie können das Projekt aus
ihrer Position heraus vorantreiben. Diejenigen, deren Einfluss zwar geringer, aber deren
Commitment ebenfalls hoch ist, werden informiert gehalten; sie können in ihren Bereichen
positiv verstärkend und als Multiplikatoren wirken. Personen/Gruppen mit geringem Einfluss
und niedrigem Commitment werden bei Bedarf einbezogen, damit sie dem Projekt nicht be-
wusst oder unbewusst schaden. Stakeholder mit hohem Einfluss und wenig Commitment stellen
 je nach Verantwortungs- und Projektbereich  Risiken dar; sie müssen „missioniert“, enga-
giert und einbezogen werden.

Häufig fallen gute Vertriebsmitarbeiter und Kunden in das Risikofeld. Kunden, die von orga-
nisatorischen Veränderungen im Vertrieb erfahren, könnten sich folgende Fragen stellen:10

¾ Muss ich dem neuen Betreuer wieder alles erläutern, was der Vorgänger bereits über
meine Wünsche und mein Unternehmen weiß?
¾ Werden wir unsere Geschäfte zukünftig anders abschließen müssen?
¾ Wird mir der neue Vertreter zusagen?
¾ Könnten die Änderungen im Vertrieb ein Zeichen dafür sein, dass die Lage im Unter-
nehmen kritisch ist?

9
Vgl. BEARINGPOINT (2009).
10
Vgl. LORIMER/SINHA/ZOLTNERS (2004), S. 350 und S. 361.
Reorganisation des Vertriebs 513

¾ Sollte ich die organisatorischen Veränderungen zum Anlass nehmen, den Lieferanten zu
wechseln?

Vertriebsmitarbeiter, die sich mit Änderungen konfrontiert sehen, überlegen etwa:11

¾ Wie wird die Vertriebsstrategie sich auf meine Arbeit auswirken?


¾ Werde ich mein Einkommen und meine Perspektiven halten können?
¾ Werde ich umziehen müssen?
¾ Wird man mir kündigen?

Diese Beispiele verdeutlichen, dass das Unternehmen, wenn es diese beiden Stakeholder-
Gruppen vernachlässigt, riskiert, Kunden und Vertriebsmitarbeiter zumindest zu demotivie-
ren, wenn nicht gar zu verlieren.

Inhaltlich erstreckt sich die organisatorische Risiko-Analyse auf die sieben Change-Manage-
ment-Schritte. Eine ausführliche Analyse findet in Form von Interviews, Erhebungen und
Workshops statt. Die Ergebnisse werden in Bezug auf die jeweiligen Change-Management-
Schritte aufbereitet und dort genutzt. Die obigen Beispiele müssen in der Kommunikation
klar adressiert werden, um Bedenken auszuräumen.

Basierend auf den Ergebnissen der Risiko-Analyse wird der Risiko-Management-Plan  ein
Maßnahmenplan zum Abfedern, „Managen“ der ermittelten Risiken (siehe Stichworte in der
Abbildung) sowie ggf. zum Eskalieren von Fragestellungen  erstellt und mit der Unterneh-
mensführung abgestimmt.

Während der Projektdauer muss die Bewertung der Risiken laufend überprüft und angepasst
werden; Ziel ist es, alle Bewertungen nach Durchführung der skizzierten Maßnahmen zumin-
dest auf ein mittleres Risiko anheben zu können (siehe Dreieck in Abbildung 6).

11
Vgl. LORIMER/SINHA/ZOLTNERS (2004), S. 350.
514 SCHWARZ

Bewer- Change Risiken in Stichworten Beispiel


Schritt
tung Fokus (Stand: Projektbeginn)
Sehr viele verschiedene Stakeholder und Betroffene, die von
höchster Bedeutung für die Unternehmensexistenz sind; potenzieller
Verlust von
Organisatorische
hoch – Kunden (Großkunden, Vertriebs-Partner, Endkunden ...)
Risiken
– Mitarbeitern im Vertrieb (alle Ebenen)
Überzeugung von Mitarbeitern in Marketing, Logistik, Betriebsrat

Leitbild und Erarbeitung eines überzeugenden Leitbilds sowie der Vorteile je


hoch Stakeholder-Gruppe und der Nachteile im Falle der Nicht-
Vorteile Durchführung des Projekts
Sorgfältige zeitliche Abstimmung der Change-Maßnahmen,
Projektdauer minimieren
Change-Plan mittel Verfügbare Ressourcen für das Projekt, auch Vertreter des Vertriebs
und Vertriebskanal-Partner sowie bedeutsamer (End-)kunden
Anzahl der betroffenen Lokationen/Niederlassungen hoch

Einbindung Einbindung der Unternehmensleitung sowie der Führungsebene


hoch Vertrieb, Marketing, Logistik zur aktiven „Vermarktung“ des
der Führung Projekts sowie für Eskalationen

Sorgfältige Planung der Kernbotschaften je Stakeholder-Gruppe, der


Kommunikationskanäle und -instrumente, der zeitlichen Taktung
(intern und extern)
Kommunikation mittel
Aufbau einer Zwei-Wege-Kommunikation für Input an Projekt-
Team

Organisatorische Vergütungsmodelle anpassen; bei Produkt- und/oder Gebietswechsel


hoch Übergangslösungen implementieren, um
Ausrichtung Motivation/Einkommenssituation guter Vertriebler zu erhalten

Mitarbeiter- Schulungskonzept zeitgerecht entwickeln; als Trainer Vertriebler


normal einbinden
Qualifizierung

normales Risiko mittleres Risiko hohes Risiko

Abbildung 7: Die Risiken werden für jeden Change-Schritt identifiziert und im Projekt-
verlauf neu bewertet12

3.2.2 Vision
Das Vertriebsprojekt muss dem von der Unternehmensführung erarbeiteten und kommuni-
zierten übergreifenden Unternehmensziel entsprechen, soll es nicht schon aus Gründen der
Inkompatibilität scheitern. Die Projekt-Vision erläutert das Projektziel in allgemeiner Form
und bindet das Projekt in das Unternehmensziel widerspruchsfrei ein. Hier werden Elemente
und Argumente sowohl aus der Vertriebsstrategie als auch der Wertargumentation genutzt.
Da die Projekt-Vision jedermann verständlich sein muss, ist es empfehlenswert, sie in prägnan-
ter Kürze, etwa als „30-Sekunden-Statement“ zu formulieren. Die Vision muss Antworten ge-
ben auf die Fragen:

¾ Wohin gehen wir?


¾ Warum müssen wir dorthin gehen?

12
Vgl. BEARINGPOINT (2009).
Reorganisation des Vertriebs 515

Gemäß den betroffenen Stakeholder-Gruppen wird die Vision in einem zweiten Schritt mit
messbaren Vorteilen, die über die neue Vertriebsstrategie erzielt werden sollen, auf Unterneh-
mensebene, auf Bereichs- oder Abteilungsebene sowie je Stakeholder-Gruppe versehen; hier-
durch entsteht das Projekt-Leitbild.

Für einige Gruppierungen können auch klare Nachteile ohne für sie individuell wahrnehmba-
re, ausgleichende Vorteile enthalten sein, etwa bei Freisetzungen von Personal, geänderten
Zuständigkeiten (Kunden, Produkte, Regionen) oder zusätzlichem Dokumentationsaufwand.
Gerade altgediente Vertriebler verweigern sich häufig Aufgaben, die sie persönlich als nicht
umsatzfördernd oder ohne direkte positive Auswirkungen auf ihre Vergütung ansehen. Kun-
den könnten die Reorganisation zum Anlass nehmen, den Lieferanten zu wechseln. Im Leit-
bild muss detailliert mit qualitativen und quantitativen Argumenten geantwortet werden:

¾ Welche messbaren Vorteile für das Unternehmen, den Bereich, den Vertrieb werden
erwartet?
¾ Warum sollte ich als Mitarbeiter mitmachen?
¾ Warum sollte ich als Kunde diesen Lieferanten beibehalten?
¾ Welche Vorteile bietet die neue Vertriebsstrategie mir als Kunden?

Die Ergebnisse sind ein schlüssiges Statement zum Projekt sowie qualitative und quantitative
Begründungen. Sie werden mit der Unternehmensführung abgestimmt, die sich an diese „Sprech-
weise“ auch selbst hält, und stellen damit die Kernelemente für die Kommunikation dar.

3.2.3 Change-Plan
Auf Basis der organisatorische Risiko-Analyse, der Projekt-Vision und dem Leitbild wird der
Grobentwurf für den Change-Plan erstellt. Dieser Entwurf wird mit dem/den fachlichen Teil-
projekt/en abgestimmt, damit dessen/deren Meilensteine aufgenommen werden können. So-
dann können die einzelnen Change-Management-Maßnahmen eingepflegt werden. Die Schritte
der Abbildung 3 werden dann detailliert und auf Aktivitäten herunter gebrochen (siehe Ab-
bildung 7).
516 SCHWARZ

Projektverlauf (t)

Vertriebsstrategie
Vertrieb

Vertriebs-
transformation
Vertriebs-
management
Organisatorische
Risiko-Analyse

Vision und Leitbild


Change Management

Change-Plan

Einbindung der
Führung

Kommunikation

Organisatorische
Ausrichtung
Mitarbeiter-
Qualifizierung

Abbildung 8: Die Schritte 4 bis 7 werden detailliert geplant und laufend angepasst (gestri-
chelt umrahmter Bereich)13

Der Change-Plan ist eine vorläufige Landkarte, die die Unternehmensführung und Projektlei-
tung über die Change-Management-Aktivitäten im Projekt-Geschehen informiert. Als „leben-
des Dokument“ wird der Plan im Projektverlauf den Erfordernissen angepasst (siehe auch Ab-
bildung 8).

13
Vgl. BEARINGPOINT (2009).
Reorganisation des Vertriebs 517

Abbildung 9: Ein Beispiel zeigt eine Feinplanung in MS Project14

3.2.4 Einbindung der Führung


Nur wenn die Unternehmensführung aktiv in das Projekt eingebunden ist, kann das Projekt
erfolgreich abgeschlossen werden; ein Aussitzen des Projekts oder Kündigungen seitens
nachrangiger Managementebenen und betroffener (Vertriebs-)Mitarbeiter werden verhindert
oder zumindest reduziert. Auch in die Kommunikation nach außen, etwa zu bedeutsamen
Kunden, ist die Unternehmensführung zu involvieren. Es gilt also in diesem Schritt, Verände-
rungsbereitschaft, Verantwortung sowie aktives Engagement in der Führungsebene zu gene-
rieren und einzufordern: Veränderung lässt sich nicht delegieren, Vorbilder sind gefragt
(Stakeholder-Analyse, Gruppe „Champions“). Ebenso werden diejenigen Führungsebenen
selektiert, deren kritische Parteien unbedingt umgestimmt und deren positiv-passive Parteien
fallweise zur Mitarbeit gewonnen werden müssen (Gruppe „Risiko“).

Aufgabe der Champions im Projektverlauf ist es, sich zur Motivation und Anerkennung, aber
auch zur Sanktion und bei Eskalationen in einem zeitlich limitierten Rahmen verfügbar zu
halten. Sichtbare, engagierte Top-Manager, besonders mit Vertriebs-Zuständigkeit, unter-
mauern die Bedeutung des Projekts für das Unternehmen und wirken auf ein hohes Umset-
zungstempo hin.

14
Vgl. BEARINGPOINT (2009).
518 SCHWARZ

Von ihnen wird erwartet:

¾ „Das Projekt wird stattfinden bzw. die Veränderungen werden umgesetzt“. Die Führung
muss in ihrer Vorbildfunktion verdeutlichen, dass es keine Alternative, etwa Abwarten
oder Aussitzen, gibt; sie zeigt ihr „Commitment to Action“.
¾ Die Unternehmensführung soll die Aufmerksamkeit der Mitarbeiter auf die Lösung des
Problems, also Neuausrichtung des Vertriebs, richten, um kontraproduktive Diskussionen
und Gerüchte über die Vorteilhaftigkeit des Projekts als solchem zu minimieren: Die
Vertriebsstrategie ist definiert und stimmig mit der Unternehmensstrategie.
¾ Die oberste Führungsebene(n) soll(en) in der externen Kommunikation mitwirken, um
Hauptvertriebspartner und -kunden einzubinden und über die Projektdauer hinweg zu
halten.
¾ Das Top-Management muss über den gesamten Transformationsprozess hinweg enga-
giert und sichtbar bleiben, also als vorbildliche, engagierte Stakeholder das Einbeziehen
der betroffenen Mitarbeiter vorleben.

Das Ergebnis ist ein nach innen wie nach außen sichtbares, aktives Top-Management-Team, das
Strategie und Umsetzung vertritt und vorantreibt sowie für Eskalationen zur Verfügung steht.

4 Change Management
während der Vertriebstransformation

4.1 Entwicklung und Anpassung der Vertriebsorganisation


Die veränderte vertriebs- und vertriebskanalstrategische Ausrichtung machen entsprechende
Anpassungen und Optimierungen in der vertrieblichen Aufbau- und Ablauforganisation er-
forderlich. Dies bedeutet sowohl für Führungskräfte und Mitarbeiter im Vertrieb (Außen-
dienst, Innendienst, etc.) als auch für Vertriebspartner und nicht zuletzt Kunden weit reichen-
de Veränderungen. Wird dieser Veränderungsprozess in Konzeption und Umsetzung effektiv
vollzogen, so können und sollen daraus für die genannten Stakeholder Nutzeneffekte resultie-
ren, die sich letztlich positiv auf das Vertriebs- und Unternehmensergebnis auswirken. Vor
dem Hintergrund der großen Reichweite der Veränderungen in der Vertriebsorganisation
kommt Change Management in dieser Phase eine besondere Bedeutung zu.

4.1.1 Organisationsstruktur
In der vertrieblichen Organisationsstruktur ist definiert, wie die Vertriebsmannschaft die
Vertriebsstrategie umsetzt. In den folgenden Ausführungen sollen die wesentlichen Schritte
zu Optimierung und Anpassung einer Außendienst-Organisation skizziert werden. Obwohl
die Innendienst-Organisation ebenfalls auf die veränderten Rahmenbedingungen hin zu opti-
mieren und anzupassen ist, soll dies hier nicht näher betrachtet werden. Wesentliche Gestal-
tungselemente bei Optimierung und Anpassung einer Außendienst-Organisation sind
Reorganisation des Vertriebs 519

¾ Aufbauorganisation, Rollen und Mechanismen sowie


¾ Größe und Gebiete.

Aufbauorganisation, Rollen und Mechanismen


Im Rahmen der strategiekonformen Optimierung und Anpassung von Aufbauorganisation,
Rollen und Mechanismen wird festgelegt,

¾ welche Aufgaben zukünftig wahrgenommen werden,


¾ wie die Aufgaben in Funktionen/Stellen gebündelt werden,
¾ wie die Stellen in Berichtslinien zusammenhängen („Organisations-Charts“),
¾ welche Rollen und Aufgaben die einzelnen Stellen erfüllen sollen und
¾ welche Koordinations- und Kontroll-Mechanismen einzurichten sind.

Zur inhaltlichen Ausarbeitung der aufgeführten Gestaltungselemente erfolgt zunächst eine


interne Analyse der Ist-Situation in der Vertriebsorganisation. Daneben werden eine externe
Analyse des aktuellen Status und der relevanten Trends bezüglich Vertriebsorganisationen bei
Wettbewerbern und Kunden durchgeführt sowie ein Benchmarking geeigneter Vertriebsorga-
nisationen zur Identifikation einer „Best-in-Class“-Konfiguration erstellt. Aus diesen Analy-
sen können schließlich die strategischen Anforderungskriterien an die Soll-Vertriebs-
organisation definiert werden. Die genannten Analysen bilden auch das Informations-Fun-
dament, um alternative Soll-Organisationsstrukturen zu entwickeln. Die Strukturen werden
bezüglich ihrer wesentlichen Charakteristika beschrieben und gegen die strategischen Anfor-
derungskriterien mit Hilfe eines Scoring-Modells bewertet. So kann systematisch und nach-
vollziehbar die beste Soll-Vertriebsorganisation identifiziert werden, die nach Beschlussfas-
sung durch die zuständigen Gremien im weiteren Projektverlauf zu implementieren ist.

Größe und Gebiete


Im Rahmen der strategiekonformen Ausrichtung von Größe und Gebieten wird für die Soll-
Vertriebsorganisation festgelegt,

¾ wie einzelne Kunden(gruppen) inhaltlich bearbeitet werden,


¾ mit welchem zeitlichen Aufwand die einzelnen Kunden(gruppen) bearbeitet werden,
¾ welche personellen Kapazitäten in welchen Rollen/Funktionen insgesamt benötigt wer-
den,
¾ wie die einzelnen Kunden in Verkaufsgebiete eingeteilt werden und
¾ welcher Vertriebsmitarbeiter welches Gebiet und welche Kunden betreut.

Die Vertriebsmannschaft eines Unternehmens sollte dabei als Investition betrachtet werden:
Das Unternehmen investiert Kapital in die Vertriebsmannschaft, die ihrerseits dafür verant-
wortlich ist, Produkte und Kunden effektiv zu managen sowie Umsätze und Gewinne zu
erwirtschaften. Die personelle Kapazität (Größe) einer Vertriebsmannschaft stellt dabei einen
wesentlichen Einflussfaktor auf Umsatz und Kosten dar. Die „richtige“ personelle Kapazität
je Funktion/Rolle zu finden, ist eine komplexe Entscheidung, die von der KundenSegmentie-
rung, der Vertriebsstrategie, der gewählten Struktur sowie der Marktbearbeitungs- und Kun-
denbetreuungsstrategie abhängt. Eine verstärkte Ausrichtung der Vertriebsmannschaft nach
520 SCHWARZ

Vertriebskanälen kann beispielsweise dazu führen, dass die Außendienst-Mitarbeiter nach


Vertriebskanälen und nicht mehr nach Regionen eingesetzt werden. Je nach Anzahl und regi-
onaler Ausdehnung der Vertriebskanäle resultiert daraus eine regionale Mehrfach-Betreuung:
Erhöhter personeller Kapazitätsbedarf im Außendienst kann die Folge sein.

Ausgangspunkt zur Festlegung von Größe und Gebieten stellen die Kunden dar. Folgende drei
Schritte werden typischerweise durchlaufen:

¾ Kundenbetreuungsstrategie,
¾ Kapazitätsmodellierung und -festlegung sowie
¾ Gebietsoptimierung.

Kundenbetreuungsstrategie
Ausgehend von der Kunden-Segmentierung erfolgt mit Hilfe von weiterführenden, segmentspe-
zifischen Analysen zu Bedürfnissen, Potenzialen und Kaufverhalten eine Bewertung und
Priorisierung der einzelnen Kunden-Segmente bezüglich Art und Intensität der vertrieblichen
Bearbeitung. Ergebnis ist eine segmentspezifische Kundenbetreuungsstrategie, die festlegt,
welche Kunden-Gruppen mit welchen Mitteln und welchem zeitlichen Aufwand bearbeitet
werden (Coverage Plan).

Im Detail unterscheidet das Vorgehen zwischen Kunden-Segmenten, deren Verkaufsprozesse


(a) häufig in der gleichen Weise ablaufen und eine geringe Komplexität aufweisen sowie deren
Verkaufsprozesse (b) nur einmalig ablaufen, lange dauern und eine hohe Komplexität aufwei-
sen.

Kapazitätsmodellierung und -festlegung


Die tatsächliche kapazitative Größe der Vertriebsmannschaft wird auf Basis der definierten
Kundenbetreuungsstrategie (Coverage Plan) und davon abweichender Szenarien festgelegt.
Dies erfolgt über eine Kapazitätsmodellierung auf Basis der Kunden-Grundgesamtheit: Jedem
Kunden werden über dessen Zugehörigkeit zu einem Segment die jeweiligen Betreuungspara-
meter zugeordnet (z. B. durchschnittliche Kontaktfrequenz, durchschnittliche Kontaktdauer,
durchschnittliche Reisezeit, Kontakt durch bestimmte Funktion etc.).

Über eine Bottom-Up-Kalkulation kann schließlich die personelle Kapazität errechnet werden,
die zur Verfolgung der Betreuungsstrategie notwendig ist. Sollte sich ein zu hoher kapazitativer
Aufwand ergeben  was in der Praxis häufig der Fall ist , ist die Betreuungsstrategie für ein-
zelne Segmente zu überprüfen und entsprechend anzupassen. Schließlich rechtfertigen sich
zusätzliche Kapazitäten in der Vertriebsmannschaft ökonomisch nur solange, wie der Grenzum-
satz der zusätzlichen Kapazität die Grenzkosten deren Einsatzes übersteigt.

Die Ergebnisse der Bottom-Up-Kalkulation sollten deshalb immer durch entsprechende Top-
Down-Kalkulationen (Grenzbetrachtungen) überprüft werden. In dieser Phase wird in der Regel
die obere Führungsebene des Vertriebs mit einbezogen, fallweise auch die mittlere Führungs-
ebene.
Reorganisation des Vertriebs 521

Gebietsoptimierung
Im Rahmen der Gebietsoptimierung werden Kunden und die mit ihnen verbunden Verkaufsak-
tivitäten zu Gebieten und damit Vertriebsmitarbeitern zugeordnet. Gerade historisch gewachse-
ne Verkaufsgebiete weisen oft deutliche Schwächen etwa in Ausgewogenheit der Kapazitäts-
auslastung zwischen den Gebieten oder in der Konformität mit der Kundenbetreuungsstrategie
auf. In Folge können Kunden nicht effektiv betreut und Potenziale nicht realisiert werden. Für
die Durchführung der Gebietsoptimierung werden zunächst die relevanten Ziele definiert.

Mit Hilfe geeigneter Gebietsoptimierungs-Software wird anschließend eine erste Soll-


Konfiguration der Gebiete unter Berücksichtigung der definierten Ziele erstellt. Diese wird von
Vertriebs-Managern überprüft und angepasst.

Auf dieser Basis wird wiederum eine neue, softwarebasierte Soll-Konfiguration der Gebiete
erstellt. Dieser Prozess wird solange durchlaufen, bis eine geeignete Soll-Konfiguration gefun-
den ist.

Die enge Einbindung der Vertriebs-Manager stellt die Akzeptanz der neuen Gebiete und Kun-
denzuordnungen sicher. Denn: Das höchste Gut der Vertriebsarbeit wird im Rahmen der Ge-
bietsoptimierung zumindest teilweise verändert  die Mitarbeiter-Kunden-Beziehung. Kunden
können im Zuge von Gebietsänderungen und/oder Gebietsneubildungen anderen Vertriebsmit-
arbeitern zugeordnet werden. Gerade bei intakten Mitarbeiter-Kunden-Beziehungen sind diese
Übergänge proaktiv zu managen, um damit Kunden- und/oder Umsatzverluste zu vermeiden. In
dieser Phase werden in der Regel die obere und mittlere Führungsebene des Vertriebs mit ein-
bezogen.

Die definierten Soll-Strukturen ziehen im Rahmen ihrer Umsetzung weit reichende Verände-
rungen nahezu in der gesamten Vertriebsorganisation nach sich, die es durch professionelles
Change Management zu begleiten gilt.

Veränderungsprozess
Die Veränderungen in der Vertriebsorganisation betreffen Mitarbeiter und Führungskräfte im
Vertrieb, Mitarbeiter in anderen Unternehmensbereichen, die mit der Vertriebsorganisation
zusammen arbeiten sowie Kunden. Es ist offensichtlich, dass ein effektives Management des
Übergangs von der bisherigen auf die neue Vertriebsorganisation kritisch für den Erfolg des
gesamten Veränderungsprozesses ist. Dabei ist neben der rational-sachlichen Ebene insbe-
sondere auch die emotionale Ebene bei Mitarbeitern und Kunden zu berücksichtigen und mit
geeigneten Maßnahmen anzusprechen:

¾ Mitarbeiter im Vertrieb,
¾ Führungskräfte im Vertrieb,
¾ Mitarbeiter anderer Unternehmensbereiche,
¾ Kunden,
¾ sonstige Partner.
522 SCHWARZ

Mitarbeiter im Vertrieb
Wesentliche Herausforderungen für die einzelnen Stakeholder-Gruppen im Rahmen des Ver-
änderungsprozesses können sein:15

¾ Sicherheit des Arbeitsplatzes,


¾ andere Einordnung in der Organisation (Über-/Unterordnung),
¾ andere Funktion und Rolle, anderes Aufgabenspektrum,
¾ anderer regionaler Fokus, ggf. Umzug,
¾ andere Kunden (neue Kundenbeziehungen aufnehmen, alte Kundenbeziehungen aufge-
ben bzw. übergeben),
¾ neue Entwicklungsperspektiven und -bedarfe (z. B. Schulungs-Maßnahmen) und
¾ Auswirkungen auf die Höhe der Vergütung.

Bei jedem einzelnen Mitarbeiter verursachen die möglichen Veränderungen Unsicherheit


über das individuelle Ausmaß und die persönlichen Konsequenzen der Veränderungen. Kon-
sequenzen und Wahrnehmung des Veränderungsprozesses beeinflussen maßgeblich die zu-
künftige Motivation und Moral in der Vertriebsmannschaft. Durch geeignete Change-Manage-
ment-Maßnahmen sind positive Auswirkungen effektiv zu kommunizieren und etwaige nega-
tive Auswirkungen proaktiv zu adressieren. Mitarbeiter, die den Veränderungen dennoch ab-
wehrend gegenüber stehen, zeigen dabei typischerweise folgende verschiedene Verhaltens-
muster:

¾ Sie zeigen und kommunizieren ihre Opposition offen und passen ihr Verhalten entspre-
chend an (z. B. Reduzierung des Arbeitseinsatzes).
¾ Sie zeigen „stille“ Opposition, indem sie zwar ihre Einstellung nicht offen kommunizie-
ren, aber Motivation, Moral und Loyalität entsprechend reduzieren.
¾ Sie verlassen das Unternehmen und nehmen ggf. Kunden mit.

Vor diesem Hintergrund ist bei einem Veränderungsprozess im Vertrieb besonders auf die
Motivation und Loyalität der besten Vertriebsmitarbeiter sowie der wertvollsten Kunden zu
achten.

Führungskräfte im Vertrieb
Für Führungskräfte im Vertrieb gelten prinzipiell dieselben Herausforderungen wie für deren
Vertriebsmitarbeiter. Stärker ausgeprägt ist allerdings die Befürchtung vor Verlust von Ein-
fluss und Macht im Zuge der Veränderungen. Darüber hinaus ist die entscheidende Rolle der
Führungskräfte zu betonen, die Veränderungen vorzuleben, aktiv an die Vertriebsmannschaft
zu kommunizieren und diese bei der Umsetzung zu coachen.

Mitarbeiter anderer Unternehmensbereiche


Die Veränderungen in der Vertriebsorganisation bedeuten ggf. zusätzlichen Aufwand sowie
veränderte Rollen und Aufgabenspektren für Mitarbeiter in anderen Unternehmensbereichen
wie etwa im Controlling, im Personalwesen, in der IT-Abteilung oder im Marketing.

15
Vgl. LORIMER/SINHA/ZOLTNERS (2004), S. 350 ff.
Reorganisation des Vertriebs 523

Kunden
Kunden sehen sich folgenden Veränderungen gegenüber:

¾ Neue Kundenbetreuer,
¾ andere Betreuungsintensität und
¾ andere inhaltliche Betreuung (z. B. durch Verlust des Status „Premium-Kunde“).

Jede organisatorische Veränderung in der Vertriebsmannschaft hat Auswirkungen auf die


Kunden. Ein professionelles Change Management stellt sicher, dass die Kunden frühzeitig
über die für sie relevanten Auswirkungen der Transformation informiert werden. Ziel muss es
sein, durch die Transformation gerade die strategisch wichtigen Kundenbeziehungen zu stär-
ken und den Service-Level strategiekonform zu erhöhen.

Sonstige Partner
Gerade wenn Versetzungen und/oder Freisetzungen die Transformation im Vertrieb beglei-
ten, ist frühzeitig im Projekt Kontakt zu Arbeitnehmervertretern wie Betriebs- oder Personal-
rat und ggf. Gewerkschaften aufzunehmen. Als Protagonisten im Change-Management-
Prozess spielen die Arbeitnehmervertreter eine wesentliche Rolle, um die Mitarbeiter für die
Veränderungen zu gewinnen („Buy In“).

4.1.2 Prozesse
Vor dem Hintergrund der veränderten strategischen Ausrichtung im Vertrieb und der damit
einhergehenden strukturellen Optimierungen und Anpassungen ist eine weitere zentrale Di-
mension des Vertriebsmanagements zu berücksichtigen: Die Vertriebsprozesse. Sie sind ne-
ben der Organisationsstruktur auf ihre strategische Konformität und etwaige Anpassungs- und
Optimierungsbedarfe hin zu überprüfen. Vier wesentliche Phasen werden dabei durchlaufen:

¾ Definition der zu überprüfenden Prozesse: Auf Basis der angestrebten Veränderungen


werden die Vertriebsprozesse daraufhin überprüft, ob
¾ sie bezüglich Definition und Erfüllungsgrad ihrer Leistungsindikatoren strategiekon-
form sind und
¾ weitere Anpassungsbedarfe vor dem Hintergrund der strukturellen Änderungen in
der Vertriebsorganisation bestehen. Das Ergebnis ist eine Liste der zu optimierenden
Vertriebsprozesse.
¾ Aufnahme der Ist-Prozesse und Identifikation von Optimierungsansätzen: Die selektier-
ten Prozesse werden in ihrer bestehenden Konfiguration dokumentiert. Interfunktional
besetzte Teams identifizieren dabei Anpassungs- und Optimierungsbedarf.
¾ Modellierung der Soll-Prozesse: In wiederum interfunktional besetzten Teams werden
die Soll-Prozesse modelliert und beschrieben. Dabei sind die im vorherigen Schritt iden-
tifizierten Anpassungs- und Optimierungsbedarfe zu berücksichtigen.
¾ Implementierung der Soll-Prozesse: Zentrales Steuerungsinstrument für die Implementie-
rung ist der Umsetzungsplan, in welchem Arbeitspakete und Maßnahmen, Verantwort-
lichkeiten sowie Anfang- und Ende-Daten definiert sind.
524 SCHWARZ

Bei den zu betrachtenden Prozessen kann es sich sowohl um vertriebliche Kernprozesse wie
etwa Neukunden-Akquisition oder Auftragsabwicklung handeln als auch um unterstützende
Prozesse wie etwa Spesenabrechnung oder Einstellung neuer Mitarbeiter. Vergleichbar zu
den Veränderungen in der Organisationsstruktur hat auch die Veränderung der Vertriebspro-
zesse starken Einfluss auf die zukünftigen Rollen, Aufgaben und Arbeitsweisen der Ver-
triebsmannschaft.

Veränderungsprozess
Durch Prozessoptimierung verursachte Veränderungen und deren Auswirkungen auf die Ver-
triebsmannschaft sind prinzipiell vergleichbar mit der Optimierung der Organisationsstruktur
(siehe Kapitel 4.1.1); an dieser Stelle sei deshalb auf die dortigen Ausführungen verwiesen.

4.1.3 Typische Ansatzpunkte für Change Management


Gerade im Rahmen der Vertriebstransformation spielt das Change Management eine tragende
Rolle: Intelligente Soll-Konzepte sind lediglich die notwendige Bedingung, deren effektive
Umsetzung jedoch die hinreichende Bedingung für den Erfolg eines Transformationsprojek-
tes. Typische Ansatzpunkte für das Change Management seien im Folgenden skizziert:

¾ Sachliches und emotionales Commitment der Führungskräfte im Vertrieb zu den Verän-


derungen erreichen; die Führungskräfte spielen als Multiplikatoren und Coaches im Ver-
änderungsprozess eine zentrale Rolle.
¾ Sachliches und emotionales Commitment der Vertriebsmitarbeiter erreichen; Motivation
und Moral sollen sich zumindest nicht verschlechtern, idealerweise sich verbessern;
Chancen aufzeigen.
¾ Unsicherheiten bei den Führungskräften und Vertriebsmitarbeitern individuell adressie-
ren und idealerweise zerstreuen; Chancen aufzeigen.
¾ Unsicherheiten bei den Kunden individuell adressieren und idealerweise zerstreuen;
Chancen aufzeigen.
¾ Arbeitnehmervertreter frühzeitig einbinden und sachliches wie emotionales „Commit-
ment“ erwirken; die Arbeitnehmervertreter spielen als Multiplikatoren im Veränderungs-
prozess eine wichtige Rolle.

4.2 Change Management


4.2.1 Einbindung und Kommunikation
Ziel der Einbindung und Kommunikation ist, das Verständnis, die Zustimmung und Unter-
stützung für das Projekt bei Kunden, im Vertrieb sowie bei den weiteren betroffenen Mitar-
beitern zu entwickeln und zu erhalten sowie potenzielle Widerstände abzufedern.

Ausgehend von der Stakeholder-Analyse wird je Gruppe erarbeitet, in welchem Ausmaß sie
ins Projektgeschehen eingebunden werden soll. Das Ausmaß reicht von reiner Information bis
hin zur Mitarbeit im Vertriebsprojekt.
Reorganisation des Vertriebs 525

Da während der Veränderung von Vertriebsstrukturen die Kunden und Vertriebsmitarbeiter


(inkl. deren Führung) die größten Risikopotenziale darstellen, müssen Vertreter beider Grup-
pen aktiv im Projekt mitarbeiten  idealerweise sowohl in der Phase der Strategiefindung, in
der Vertriebstransformation als auch beim Design des Vertriebsmanagements. Durch die
Mitarbeit beider Risikogruppen kann erreicht werden, dass

¾ wichtige fachliche Aspekte dieser Gruppen in die Transformation aufgenommen werden,


¾ alle Ansätze von „Praktikern“ gesichtet und somit fast qualitätsgesichert werden,
¾ die Mitarbeit per se die Bindung an das Unternehmen steigert,
¾ die mitgestalteten Ansätze und Ergebnisse mit hoher Akzeptanz einhergehen,
¾ die involvierten Kunden und Mitarbeiter als Multiplikatoren in ihren jeweiligen Gruppen
wirken und
¾ in Summe: das Ergebnis fachlich besser und der Verlust an Kunden und Vertriebsmit-
arbeitern geringer ausfallen.

Für die Mitglieder der beiden Risikogruppen, die nicht an der Projektarbeit teilnehmen (kön-
nen), müssen im Sinne einer Zwei-Wege-Kommunikation Veranstaltungen und flankierende
weitere Kommunikationsinstrumente entwickelt werden. Auch diese Stakeholder müssen
ehrliche, relevante, bedeutungsvolle Informationen zeitgerecht erhalten; ihre Fragen sollen
adressiert, Unsicherheiten reduziert, ihre Reaktionen aufgenommen und beeinflusst sowie die
Erwartungen gesteuert werden.

Aufgrund der direkten Gesprächs- und Diskussionsmöglichkeiten haben sich Veranstaltungen


(„Face to Face“) mit zwischenmenschlichem Kontakt bewährt. Als Beispiele für Veranstal-
tungen fachlicher und auch informeller Art seien angeführt:

¾ Informations- und Diskussionsveranstaltungen seitens des Top-Managements mit größe-


ren Gruppen, z. B. Vertretern der Kundenseite und des eigenen Vertriebs:
¾ Aufzeigen der Vorteile des eingeschlagenen Wegs,
¾ Wohlwollende Aufnahme von Mitarbeiterproblemen und
¾ Vermittlung von Nähe und gemeinsamem Handeln.
¾ Workshops mit der zweiten Management-Ebene der Kundenseite sowie des eigenen
Vertriebs:
¾ Information zum Stand des Transformationsprojekts,
¾ Einholen von konstruktiven Ideen und Zustimmung und
¾ Bitte um Unterrichtung von und Diskussion mit den jeweils unterstellten Bereichen.
¾ Funktionsbezogene Veranstaltungen des Transformations-Teams für den/die Vertriebsbe-
reich(e), soweit die dazugehörigen Mitarbeiter nicht in die Projektarbeit involviert sind:
¾ Förderung von Offenheit und Vertrauen durch fachliche Information,
¾ ggf. Aufnahme von konstruktiven Ideen und
¾ Reduzierung rein politisch oder emotional bedingter Reaktionen.
526 SCHWARZ

¾ Motivationsveranstaltungen nicht-fachlicher Art, etwa nach Erreichen von Meilenstei-


nen, mit
¾ Kurzinformationen zu den Vorteilen der Strategie und zum Transformationsstand
und
¾ sportlichen, kulturellen oder anderen Aktivitäten als Anerkennung der geleisteten
Arbeit und Loyalität während der Transformation.

Zwar können Veranstaltungen über den zwischenmenschlichen Kontakt („Face to Face“)


meist höhere Akzeptanz der Veränderungen als eine Kommunikation über digitale oder Print-
Medien hervorrufen, aber sie sind zeit- und kostenintensiv. Auf begleitende digitale oder
Print-Informationen – auch an Kunden – sollte deshalb nicht verzichtet werden.16

Es soll aus Change-Management-Sicht nochmals betont werden, dass in Vertriebsprojekten

¾ die Risiken in den Gruppen der Kunden und der Vertriebsmitarbeiter liegen,
¾ die Einbindung der Führung sich deshalb primär auf Aktivitäten für diese Gruppen erstreckt,
¾ sich die Einbindung in die Transformationsarbeit und die Kommunikation primär an die
Gruppen Vertriebsmitarbeiter und Kunden richten und
¾ die Vertriebstransformation so schnell wie möglich durchgeführt werden sollte, um den
Risikogruppen bald ein neues, stabiles Umfeld bzw. stabile Beziehungen zu ermöglichen.

Für das „Buy In“ der Vertriebsmitarbeiter sind Aufmerksamkeit seitens der Unternehmens-
führung, Kommunikation und Mitwirkung am Projekt zwar notwendig, hinreichend hingegen
sind erst Lösungen im Bereich Vergütung und berufliche Entwicklung, die sich sowohl auf
die Dauer des Übergangs von der bisherigen zur neuen Vertriebsstruktur als auch auf die
Zukunft in der neuen Struktur erstrecken (siehe Kapitel 5.2.1). Diese Lösungen sollten ebenso
gemeinsam erarbeitet bzw. den Vertriebs-Kollegen zeitnah kommuniziert werden, um deren
Motivation in der Übergangsphase zu stärken.

Für alle weiteren Stakeholder sei auf die Schritte zur Entwicklung des Kommunikationskon-
zepts und des -plans sowie die allgemein bekannten Kommunikationsinstrumente verwiesen.17

4.2.2 Anpassung der Organisation (1)


Mitarbeit im Projekt18
Um hervorragende Mitarbeiter aus dem Vertrieb dazu zu bewegen, ihre Kenntnisse und Er-
fahrungen in ein Vertriebsprojekt einzubringen, ist es erforderlich, ihre Mitwirkung im Pro-
jekt gemäß den gültigen HR-Prozessen für die Dauer des Projekts sicherzustellen. Nicht nur
emotional möchte ein Vertriebler lieber verkaufen, statt Konzepte erstellen, rational gehen
ihm erfolgsabhängige Vergütungsbestandteile verloren. Die Projektarbeit muss sowohl in
seiner Zielvereinbarung als auch in seiner Beurteilung verankert werden, zusätzlich sollten
ihm Prämien für erfolgreiche Projektarbeit in Aussicht gestellt werden, die zumindest die
Höhe seiner erfolgsabhängigen Vergütung in der Vergangenheit erreichen.
16
Vgl. detailliertere Ausführungen: SCHWARZ (2006), S. 390 ff.
17
Vgl. SCHWARZ (2006), S. 390 ff.
18
Vgl. SCHWARZ./COKBUDAK (2007), S. 48 ff.
Reorganisation des Vertriebs 527

Allokation der Vertriebsmitarbeiter


Vertriebsstrategie und -transformation zeigen nicht nur Veränderungen in der abstrakten
Aufbau- und Prozessorganisation, neue Zuständigkeiten für Kunden, Regionen, Produkte und
Vertriebskanäle können zum Teil erhebliche Einkommenseinbußen bei den stark erfolgsab-
hängig bezahlten Vertrieblern verursachen, wenngleich auch Chancen eröffnen. Widerstände
können entsprechend groß und (innere) Kündigungen die Folge sein.

Zielführend ist,

¾ die Mitarbeiter-Allokation transparent nach Prinzipien vorzunehmen, etwa nach Kunden


oder Produktexpertise einerseits oder nach „Retention of excellent Sales Force“ anderer-
seits,19
¾ die Zuweisung von Mitarbeitern zu den neu definierten Stellen gedanklich von den Ein-
kommensfragen zu trennen,
¾ das Überleitungsgespräch rein fachlich unter der Prämisse zu führen, dass die Verände-
rung von einer beidseitig befriedigenden und fairen finanziellen Lösung begleitet werden
wird,
¾ die Gespräche unter vier Augen (persönlicher Vorgesetzter und betroffener Vertriebsmit-
arbeiter) zu führen,
¾ dem Vorgesetzten Argumentationshilfen für fachliche Fragen im Mitarbeitergespräch
vom Projektteam zur Verfügung stellen zu lassen, um in einem ersten Schritt die fachli-
che Zustimmung des Mitarbeiters (dessen „Buy In“) zu erlangen (Vergütungsfragen, die
mit der Implementierung des Vertriebskonzepts einhergehen, werden im Kapitel 5.3.1
behandelt).

Nur über das „Commitment“ des Mitarbeiters können auch die Kundenbeziehungen erhalten
bleiben. Kunden, die von Vertriebsveränderungen aus dritter Quelle erfahren, könnten beunru-
higt oder verärgert sein. Um besonders bei Top-Kunden Friktionen im Übergangsprozess zu
vermeiden oder zu minimieren, sollen nach erfolgter Zuteilung der bisherige und der zukünftige
Betreuer gemeinsam die Kunden aufsuchen, um

¾ den neuen Betreuer vorzustellen,


¾ dem Kunden eine gemeinsame Betreuung für einen bestimmten Zeitraum zuzusagen,20
¾ die vertrieblichen Änderungen und daraus resultierenden Vorteile für ihn nochmals erläu-
tern und
¾ das „Commitment“ der Lieferfirma zu betonen und zu zeigen.

Nur ein sorgfältiger Übergang der Vertriebsmitarbeiter und damit einhergehend eine ebenso sorg-
fältige Überleitung der Kunden können die über die Vertriebsstrategie angestrebten Erfolge her-
vorbringen.

19
Vgl. LORIMER/SINHA/ZOLTNERS (2004), S. 347.
20
Vgl. LORIMER/SINHA/ZOLTNERS (2004), S. 351.
528 SCHWARZ

5 Change Management im Rahmen eines nachhaltigen


Vertriebsmanagements

5.1 Zielsystem
Neben den in Kapitel 4.1 beschriebenen Herausforderungen im Rahmen der (einmaligen)
Vertriebstransformation ist für einen nachhaltigen Erfolg entscheidend, die wesentlichen
Elemente und Instrumente eines kontinuierlichen Vertriebsmanagements auf ihre Strategie-
konformität hin zu überprüfen und neu auszurichten. Zwei zentrale Elemente der Mitarbeiter-
führung seien hier beispielhaft genannt und im Folgenden skizziert:

¾ Zielsystem und
¾ Anreiz- und Vergütungssystem.

Auf weitere Elemente eines nachhaltigen Vertriebsmanagements wie Vertriebsplanung und


Vertriebs-Controlling soll nicht näher eingegangen werden.

Für eine strategische Neuausrichtung der Vertriebsorganisation ist das vertriebliche Zielsys-
tem über alle Bereiche und Funktionen im Vertrieb hinweg strategiekonform zu entwickeln
bzw. anzupassen. Nur so können die Führungskräfte und Mitarbeiter konsequent auf die Un-
ternehmens- und Vertriebsziele hin ausgerichtet und geführt werden. Grundlage der „Führung
mit Zielen“ ist dabei, dass die Mitarbeiter die Unternehmens-, Vertriebs- sowie ihre individu-
ellen Ziele verstehen und akzeptieren  und so eine weitgehende Synchronisierung der ver-
trieblichen mit den individuellen Zielen und Interessen erreicht wird. Im Rahmen des Sales-
Effectiveness-Ansatzes wird eine Kaskadierung der Vertriebsziele sowie der Ziele der einzel-
nen Funktionen von den Unternehmenszielen herab im Sinne des Balanced-Scorecard-An-
satzes empfohlen.21

Es ist darauf zu achten, dass die Zieldefinition nicht ausschließlich Top Down erfolgt, son-
dern die Mitarbeiter in die Formulierung der Ziele aktiv mit einbezogen werden. Dies ge-
währleistet ein geeignetes Maß an Akzeptanz der Ziele.

Der zielorientierte Führungsprozess umfasst drei Phasen:

¾ Zielvereinbarung: Ziele sollen informieren und motivieren. Voraussetzung dafür ist eine
eindeutige Zielformulierung für die einzelnen Funktionen im Vertrieb sowie eine realisti-
sche Erreichbarkeit und Messbarkeit der Ziele. Die Mitarbeiter müssen die Ziele verste-
hen und ihren Einfluss auf die Zielerreichung einschätzen können. Nur so ist sicherge-
stellt, dass die Vertriebsmitarbeiter die vertrieblichen Ziele in ihr individuelles Zielsys-
tem übernehmen und diese verfolgen. Im Rahmen von individuellen Mitarbeiterge-
sprächen werden die persönlichen Ziele partizipativ zwischen Führungskraft und Mitar-
beiter vereinbart.

21
Vgl. SCHWARZ (2008), S. 10 f., und übergreifend zum Balanced-Scorecard-Ansatz KAPLAN/NORTON (1997).
Reorganisation des Vertriebs 529

¾ Steuerung der Zielerreichung: Die Führungskraft „coacht“ kontinuierlich „on the Job“
die Vertriebsmitarbeiter bei der Erfüllung deren Arbeitsaufgaben. Hierzu sind geeignete
Personalentwicklungsmaßnahmen mit dem Mitarbeiter zu definieren und durchzuführen
 insbesondere bei veränderten Aufgaben und Anforderungen.
¾ Ergebniskontrolle und Feedback: In Mitarbeitergesprächen erfolgt eine regelmäßige
Überprüfung des erreichten Leistungsniveaus des Vertriebsmitarbeiters anhand der ver-
einbarten Ziele. Neben diesen rein sachlichen Analysen werden auch gegenseitige Erfah-
rungen und Wünsche offen gelegt, diskutiert und ggf. in die Zielvereinbarung aufge-
nommen.

5.2 Anreiz- und Vergütungssystem


Gerade in absatznahen Bereichen wie dem Vertrieb stellen erfolgsabhängige Anreiz-/Vergü-
tungssysteme ein geeignetes Instrument dar, um (u. a.) die Synchronisierung der vertrieb-
lichen Ziele des Unternehmens mit den individuellen Zielen der Vertriebsmitarbeiter zu errei-
chen. Der erwartete Effekt ist dabei umso größer, je höher der variable, erfolgsabhängige
Vergütungsbestandteil ist. Im Außendienst sind derartige Anreiz-/Vergütungssysteme bereits
weit verbreitet. Jedoch zeigen sich in der operativen Ausgestaltung und Konsequenz der An-
wendung oft Schwächen, etwa in einer nicht-stringenten Kaskadierung der Ziele eines Au-
ßendienstmitarbeiters aus den Vertriebs- und Unternehmenszielen.

Kritisch ist zu überprüfen, inwieweit andere Bereiche der Vertriebsorganisation wie der In-
nendienst über eindeutige Zielvereinbarungen und darauf aufbauenden Anreiz-/Vergütungs-
systemen gesteuert werden. Gerade vor dem Hintergrund eines zunehmend verkaufsaktiv
tätigen Innendienstes ist eine Steuerung und Anreizgestaltung, die auf das System des Außen-
dienstes abgestimmt ist, zu empfehlen.

Im Folgenden seien die drei wesentlichen Schritte zur Anpassung und Entwicklung eines
Anreiz- und Vergütungssystems umrissen:

¾ Analyse und Bewertung des bestehenden Anreiz-/Vergütungssystems


¾ inhaltliche Charakteristika der bisher eingesetzten Anreiz-/Vergütungssysteme (Zie-
le, Vergütungsformen, Vergütungssystematik),
¾ Wahrnehmungen und Erfahrungen der Mitarbeiter sowie
¾ mit den Anreiz-/ Vergütungssystemen verbundene Kosteneffekte.
¾ Entwicklung/Anpassung eines neuen Anreiz-/Vergütungssystems
¾ Zielsetzung des neuen Systems,
¾ variable Vergütungsformen,
¾ Vergütungssystematik sowie
¾ Kosten-Nutzen-Auswirkungen des neuen Systems.
530 SCHWARZ

¾ Umsetzung des neuen Anreiz-/Vergütungssystems:


¾ Die Umsetzung erfolgt auf Basis eines detaillierten Umsetzungsplans. Wesentlich ist
die frühzeitige Einbindung der Arbeitnehmervertreter  idealerweise bereits in der
Entwicklungsphase  sowie die ausführliche Information und Schulung der Mitar-
beiter im neuen Anreiz-/Vergütungssystem.

Veränderungsprozesse
Mit der Einführung eines neuen Ziel-/Anreiz- und Vergütungssystems soll von den Füh-
rungskräften und Mitarbeitern im Vertrieb eine Verhaltensänderung zu Gunsten der nun prio-
risierten Ziele erreicht werden. Dies kann für die betroffenen Mitarbeiter bedeuten, dass sie
von bewährten Gewohnheiten und bekannten Vergütungs-Mechanismen Abschied nehmen
müssen  mit all ihren Vor- und Nachteilen. Es ist Aufgabe des Change Management, die
interne Akzeptanz des neuen Ziel-/Anreiz- und Vergütungssystems durch geeignete Maßnah-
men zu fördern.

Wegen der ggf. signifikanten finanziellen Auswirkungen auf den Einzelnen, etwa bei Erhö-
hung des Anteils der erfolgsabhängigen Vergütungsbestandteile bei gleichzeitiger Reduzie-
rung des Festgehalts, kann die Opposition mancher Vertriebsmitarbeiter sehr hartnäckig aus-
fallen. Diese richtet sich oft gegen eine vermeintlich mangelnde Messbarkeit und individuelle
Beeinflussbarkeit der Ziele und der Zielerreichung. Mit einer sorgfältigen Konzeption des
Ziel-/Anreiz-/Vergütungssystems sowie einer entsprechenden Kommunikation kann diesen
Einwänden begegnet werden.

5.2.1 Typische Ansatzpunkte für Change Management


Im Rahmen des nachhaltigen Vertriebsmanagements und der dabei eingesetzten Führungsin-
strumente ergibt sich folgender wesentlicher Handlungsbedarf für das Change Management:

¾ „Commitment“ der Führungskräfte zu den Veränderungen im Ziel- sowie Anreiz-/Vergü-


tungssystem; die Führungskräfte spielen als Multiplikatoren in der Mitarbeiterkom-
munikation eine entscheidende Rolle,
¾ „Commitment“ der Mitarbeiter für einen nachhaltigen Erfolg des Projektes und
¾ frühzeitige Einbindung und „Buy In“ der Arbeitnehmervertreter.

5.3 Change Management


5.3.1 Anpassung der Organisation (2)
Entwicklung und Akzeptanz neuer Vergütungssysteme
Ein Ziel-/Anreiz-/Vergütungssystem muss von den Betroffenen akzeptiert und gelebt werden,
sollen die Vertriebsmitarbeiter ihre Kunden bestmöglich im Sinne der Vertriebsstrategie be-
treuen und entsprechende Umsätze erzielen. Zu diesem Zweck müssen aus überfachlichen
Gründen
Reorganisation des Vertriebs 531

¾ Vertreter der Vertriebsmitarbeiter, des Management und der Personalvertretung(en) so-


wie der Personalabteilung in die Entwicklung des Systems einbezogen werden,
¾ die Top-Führungskräfte im Rahmen ihrer Vorbild-Funktion und Führungsverantwortung
das System sichtbar und wahrnehmbar kommunizieren und
¾ die jeweiligen Vorgesetzten ihr Versprechen (beidseitig befriedigende und faire finanzi-
elle Lösung), das sie im Gespräch mit ihren Mitarbeitern anlässlich der Zuweisung von
Kunden, Regionen und Produkten gegeben haben, einlösen (siehe Kapitel 4.2.2, Absatz:
Allokation der Vertriebsmitarbeiter).

Vergütung in der Übergangsphase


Damit das zukünftige System auf Akzeptanz stößt, müssen zunächst Vergütungsregelungen
für den Übergang geschaffen werden. Einige Vertriebler, die sich neuen Kunden, Regionen
oder Produkten zuwenden müssen, werden zunächst nicht mehr das (variable) Einkommen
erzielen können wie zuvor, als sie ihre Kenntnisse und Erfahrungen in einem erschlossenen
Umfeld nutzen konnten. Gleichermaßen eröffnen sich Chancen für andere Vertriebsmit-
arbeiter. Ein Übergangsmodell könnte vorsehen, dass sowohl der bisherige als auch der zu-
künftige Betreuer noch für diejenigen Abschlüsse eine Vergütung erhalten, die der bisherige
Betreuer vor der Reorganisation initialisiert hat und für die er nach Abschluss der Übergangs-
phase nicht mehr zuständig ist. Dies dient zugleich der Kundenbindung, da über Teilung der
Provision der bisherige und der zukünftige Betreuer ein gemeinsames Ziel – die sorgfältige
Kundenüberleitung – verfolgen22.

In diesem Modell erhalten Vertriebsmitarbeiter einen Provisions-Mix aus Abschlüssen mit


„alten“ und „neuen“ Kunden, der für einen bestimmten Zeitraum ihnen ein gewisses Maß an
finanzieller Unterstützung beim Aufbau der neuen Kundenbeziehungen gibt. In einer Variante
dieses Modells erhält der ehemaligen Betreuer für eine Übergangszeit einen Anteil an allen
Provisionen aus dem überführten Account.

Wenn Vertriebsmitarbeiter ihre Kunden überführt haben, um sich neuen Produkten oder neu-
en Regionen zuzuwenden, sie also für das Unternehmen neue Kundenbeziehungen aufbauen,
dürfte es für sie ungleich schwieriger sein, ihr bisheriges Einkommen zu erzielen. In einem
Alternativ-Modell erhalten diese Mitarbeiter Ausgleichszahlungen für Perioden bis zu einem
Jahr, die die Einkommenslücke schließen23.

Für den Change Manager ist die Vergütung der Vertriebsmitarbeiter der kritische Erfolgsfak-
tor in einem Vertriebs-Redesign, um Mitarbeiter und Kunden zu halten: Der Change Manager
muss Vertreter des Vertriebs in die Entwicklung des Vergütungsmodells aktiv einbinden, um
eine hohe Akzeptanz des zukünftigen wie auch des Übergangssystems zu erzielen. Eine ent-
sprechende Unterstützung der obersten Führungsebene (Genehmigung des Vergütungsmo-
dells und entsprechender Mittel) ist unerlässlich.

22
Vgl. LORIMER/SINHA/ZOLTNERS (2004), S. 355.
23
Vgl. LORIMER/SINHA/ZOLTNERS (2004), S. 359.
532 SCHWARZ

Weitere Prozessänderungen
Mit den Änderungen der Zuständigkeiten im Vertrieb ändert sich nicht nur das Vergütungs-
system; es müssen ggf. ebenso angepasst werden:24

¾ Kennzahlen, die der Vergütung unterliegen,


¾ das Reporting und der Zugriff auf diese Werte,
¾ Informationsflüsse, Genehmigungsverfahren, ggf. unter Einsatz neuer Software,
¾ Vertriebsunterstützung, z. B. Research zu Kunden, Regionen,
¾ Stellenbeschreibungen und Anforderungsprofile,
¾ Zielvereinbarung und Beurteilung,
¾ Karrierepfade und
¾ Recruitingprofile.

Auch diese Prozesse müssen mit Vertretern des Vertriebs und den entsprechend betroffenen
Abteilungen (z. B. Personalwesen, Rechnungswesen/Controlling) entwickelt und abgestimmt
werden. Wichtig ist hierbei, dass alle Prozesse auf das Unternehmensziel und das Vertriebs-
ziel hin ausgerichtet sind, damit Zielkonflikte, etwa aufgrund von gegensätzlich formulierten
Kennziffern, vermieden werden.

5.3.2 Mitarbeiterqualifizierung
Den Handlungsbedarf in Vergütung und Ausbildung stellt Abbildung 10 dar. Vertriebs-Mit-
arbeiter, die für die neue Position nicht die geeignete Qualifikation aufweisen und für die die
Veränderung keine ausreichenden Chancen bietet, werden als „Verlierer“ das Unternehmen
verlassen. Mitarbeiter mit passender, hoher Qualifikation und attraktiven Kunden/Produkten/
Regionen werden die Veränderung als „Gewinner“ mittragen.

Für qualifizierte Mitarbeiter, die in Märkten mit niedrigen Chancen arbeiten sollen, müssen
die Rollen und/oder die Vergütung angepasst werden: Sie werden nach dem Sinn bzw. nach
neuen Definitionen fragen und gemäß den Antworten ihre persönlichen Entscheidungen tref-
fen.

Schließlich müssen Mitarbeiter für chancenreiche Accounts ausgebildet werden, sofern sie die
erforderlichen Fähigkeiten noch nicht aufweisen. Für beide Gruppen müssen die Anpassungs-
Maßnahmen schnell und präzise erfolgen, wenn Friktionen vermieden werden sollen.25

24
Vgl. SCHWARZ (2008), S. 13 f. und S. 20 f.
25
Vgl. LORIMER/SINHA/ZOLTNERS (2004), S. 353 f.
Reorganisation des Vertriebs 533

hoch
 Aufgabe,
 Funktion, „Gewinner“
 Vergütung
Fähigkeiten

Training,
„Verlierer“
Coaching
niedrig

Chancen
niedrig hoch
 = Veränderung

Abbildung 10: Fähigkeiten und Chancen der Mitarbeiter müssen erkannt und gesteuert
werden

Für das Training bedeutet dies, dass schon frühzeitig im Projekt

¾ der Trainingsbedarf (als Abweichung von den Ist- zu den Soll-Kenntnissen, fachlich und
in Bezug auf die unterstützenden Prozesse),
¾ die Trainingsstrategie (Präsenztraining, e-Learning, Studium nach Unterlagen, Coaching
on-the-Job),
¾ die Trainer (intern, extern),
¾ die Materialien (digital, print) und
¾ die virtuellen und/oder physischen Orte (Intranet, Schulungsräume)

entwickelt, bestimmt, rekrutiert bzw. eingerichtet werden müssen.

Vertriebler wollen und sollen nur in minimalem Umfang aus dem Geschäft herausgelöst wer-
den, deshalb empfiehlt sich ein so genannter Blended-Learning-Ansatz, der Präsenz-Training,
Studium nach Unterlagen, e-Learning sowie Training-on-the-Job in sich vereinigt.

Die Schulungsinhalte werden besonders gut vermittelt und aufgenommen, wenn als Trainer
diejenigen Vertriebsmitarbeiter auftreten, die an der Entwicklung der Systeme und Prozesse
im Projekt mitgearbeitet haben. Wenn dies nicht möglich ist, sollten sie zumindest die Trainer
in einem Train-the-Trainer-Ansatz schulen.
534 SCHWARZ

In Verbindung mit einer präzise gesteuerten Kommunikation und einem als fair empfundenen
Vergütungssystem kann das Training die erforderliche Nachhaltigkeit im Vertriebs-Redesign
und damit das Erreichen des Unternehmensziels gewährleisten.

6 Sales Effectiveness und Change Management –


komplementär zum Erfolg

Reorganisation des Vertriebs – Change-Management-Perspektiven26: In der Vertriebsstrategie


wurden die Themen „Kunden“ und „Vertriebskanal“ dargestellt sowie über eine Wertargumen-
tation mit dem Unternehmensziel verknüpft. Nach einer Risiko-Analyse und Formulierung der
Vertriebs-Vision wurde die Rolle der Unternehmensführung im Projekt erläutert, deren Enga-
gement in einem solchen unternehmenskritischen Vorhaben unerlässlich ist.

Wenn die Strategie im Rahmen der Vertriebstransformation implementiert wird, stehen Orga-
nisation und Prozesse, meist mit entsprechender Anpassung der Informations-Technologie im
Vordergrund. Da die Key-Stakeholder (Vertriebsmitarbeiter und Kunden) von z. T. gravie-
renden Veränderungen betroffen sind, sind Mitwirkung bzw. zumindest eine Zwei-Wege-
Kommunikation notwendig und erfolgskritisch, um eine höchstmögliche Akzeptanz seitens
der Betroffenen zu generieren. Zusätzlich muss sich der Veränderungsprozess in angepassten
HR-Prozessen widerspiegeln.

Das Vertriebs-Management dient nicht nur der Steuerung des Vertriebs gemäß der neuen
Strategie, sondern ist über das Ziel-, Anreiz- und Vergütungssystem dasjenige Element, das
die Vertriebsmitarbeiter an ihre Aufgabe und das Unternehmen bindet – somit auch die Kun-
den. Eine breite Akzeptanz der Performance-Größen und des damit einhergehenden Vergü-
tungs- und Karriere-Modells sowie eine entsprechende Kommunikation und Ausbildung sind
die hinreichenden Bedingungen, um die Strategie zu einem nachhaltigen Erfolg für das Un-
ternehmen werden zu lassen.

Eine zügige Implementierung unter Einbeziehung der Unternehmensführung und Beteiligung


der Vertriebsmitarbeiter und Kunden minimiert Unsicherheiten während der Übergangsphase.
Wird die Einführung einer neuen Vertriebsstrategie und eines neuen Vertriebsmanagements von
einem auf die Kundensituation zugeschnittenen Change Management begleitet, das die Ver-
haltensweisen der Betroffenen zielbezogen adressiert, kann die neue Vertriebsstruktur zum
Erfolg für die Kunden, den Vertrieb und somit das Unternehmen werden.

26
Am Beitrag in der 1. Auflage hat MATTHIAS AICHELE als Co-Autor mitgewirkt.
Reorganisation des Vertriebs 535

Quellenverzeichnis

BEARINGPOINT (2009): Nichtveröffentlichte Unternehmenspräsentationen, Frankfurt 2009.


COUGHLAN, A. T./ANDERSON, E./STERN, L. W./EL-ANSARY, A. I. (2006): Marketing Channels, 7.
Auflage, New Jersey, 2006.
KAPLAN, R., NORTON, D. (1997): Balanced Scorecard – Strategien erfolgreich umsetzen, Stutt-
gart 1997.
LORIMER, S./SINHA, P./ZOLTNERS, A. (2004): Sales Force Design for Strategic Advantage, New
York, 2004.
SCHWARZ, S. (2006): Change Management oder die Integration von Mitarbeitern in einem
fusionierenden Unternehmen, in: KEUPER, F./HÄFNER, M./VON GLAHN, C. (Hrsg.), Der
M&A-Prozess – Konzepte, Ansätze, und Strategien für die Pre- und Post-Phase, Wiesba-
den 2006, S. 367–411.
SCHWARZ, S. (2008): Change Management im Rahmen einer Finance Transformation, in:
KEUPER, F./NEUMANN, F. (Hrsg.), Finance Transformation – Strategien, Konzepte und In-
strumente, Wiesbaden 2008, S. 3–23.
SCHWARZ, S. (2009): Wissens- und Informationsmanagement – Change-Management-
Perspektiven, in: KEUPER, F./NEUMANN, F. (Hrsg.), Wissens- und Informationsmanage-
ment – Strategien, Organisation und Prozesse, Wiesbaden 2009, S. 119–145.
SCHWARZ, S./AICHELE, M. (2008): Sales & Service Management – Change Management und
verhaltenspsychologische Perspektiven, in: KEUPER, F./HOGENSCHURZ, B. (Hrsg.), Sales &
Service – Management, Marketing, Promotion und Performance, Wiesbaden 2007,
S. 435–464.
SCHWARZ, S./COKBUDAK, E. (2007): Führung als kritischer Erfolgsfaktor im Change Manage-
ment, in: KEUPER, F./GROTEN, H. (Hrsg.), Nachhaltiges Change Management, Wiesbaden
2007, S. 31–57.
Autorenverzeichnis

BALD, THORSTEN: BBA, MBA, geb. 1970, Head of Brand Management & CRM Loewe Opta
GmbH, während des Studiums dreijährige Tätigkeit als Key-Account-Manager auf
Agenturseite, seit 2000 bei Loewe, zunächst verantwortlich für die Markenkommuni-
kation, seit 2004 gemeinsam mit Henrik Rutenbeck maßgeblich an der Repositionie-
rung der Marke Loewe beteiligt, seit 2006 als Head of Brand Management verantwort-
lich für die Entwicklung und Implementierung der Marken- und Kreativstrategie sowie
für die Steuerung des Agenturnetzwerkes, seit 01.01.2009 zusätzlich Leiter des Aufbaus
und der Implementierung des Customer Relationship Managements von Loewe, www.
loewe.de.

BAUMGÄRTNER, FRANK: Dr. rer. pol., Dipl.-Kfm., geb. 1962, seit 1997 Geschäftsführender
Gesellschafter bei der TellSell Consulting GmbH, die führende Unternehmensberatung
für Konzeption und Umsetzung von Business-Development- und Wachstumsstrategien
mit Büros in Frankfurt (Hauptsitz), Zug, Wien und Peking (TellSell Consulting wurde
von CAPITAL und MANAGER MAGAZIN jeweils zum Hidden Champion im Busi-
ness Development ausgezeichnet), 1984: Abschluss Ausbildung zum Industriekauf-
mann, 1989: Abschluss zum Diplom-Kaufmann, Studium an der Universität Trier mit
Schwerpunkt Marketing, 1994: Promotion an der Universität Kassel, Fachbereich Wirt-
schaftswissenschaften (Prof. Dr. A. Töpfer) und Einstieg bei TellSell Consulting, Mit-
herausgeber des Standardwerks „Public Private Partnerships in Deutschland“ sowie viel-
fältige Veröffentlichungen zu den Themen Business Development, Service-Center und
-strategien, www.tellsell.de.

BERLIN, MARCUS: Dipl.-Ing., geb. 1981, Studium des Wirtschaftsingenieurwesens mit dem
Schwerpunkt Informations- und Kommunikationssysteme an der Technischen Univer-
sität Berlin, zweijährige Mitarbeit bei einer studentischen IT-Beratung, seit 2007: Tä-
tigkeit im Innovation Development bei der Deutschen Telekom Laboratories, Arbeits-
schwerpunkt: Integration von Telekommunikationsdiensten ins Fahrzeug, Fokus der
Forschungsaktivitäten: Qualitätsmanagement von Innovationsvorhaben – Analyse von
Methoden und Werkzeugen hinsichtlich ihrer Eignung und Einsetzbarkeit innerhalb
des Innovationsmanagements, www.laboratories.telekom.com.

BUHSE, WILLMS: Dr. rer. pol., geb. 1970, Enterprise-2.0-Experte und Gründer von doubleYUU
in Hamburg, einem auf Web 2.0 spezialisierten Beratungsunternehmen, zuvor Inhaber
von führenden Positionen bei dem Deutsche Telekom Internet-Venture CoreMedia, bei
Bertelsmann, Roland Berger und Reemtsma, international gefragter Referent und Mithe-
rausgeber von dem Standardwerk „Enterprise 2.0 – die Kunst loszulassen“, www.
doubleyuu.com.

DEUTSCH, MARKUS: Dipl.-Math., geb. 1963, Managing Partner der TellSell Consulting
GmbH, Frankfurt, Arbeitsgebiete: Business Development, Unternehmensgründung,
Marketing und Vertrieb, Schwerpunktbranchen: Gesundheitswesen, Versicherungen
und IKT, Veröffentlichte Bücher: IT für Unternehmensgründer, Die ECommerce-
Studie, Electronic Commerce und Unternehmenserfolg mit EDI (alle Vieweg-Teubner
Verlag, Wiesbaden), Dozent an der Steinbeis-Hochschule Berlin, Verwaltungsrat der
GoEco AG, Zug, www.tellsell.de.

F. Keuper, B. Hogenschurz (Hrsg.), Professionelles Sales & Service Management,


DOI 10.1007/978-3-8349-8799-0,
© Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
538 Autorenverzeichnis

DICKGREBER, FLORIAN: Dr. rer. pol., Dipl.-Wirtsch.-Ing., geb. 1971, Principal und Mitglied
der Communications & High Tech Practice sowie der Marketing & Sales Practice von
A.T. Kearney, Schwerpunkte: Beratung von Unternehmen der Telekommunikations-
und Hightech-Branche sowie der Konsumgüterelektronik in Fragestellungen der Ver-
triebsstrategie, der Kanalmixplanung, der Gestaltung neuer Vertriebskanäle sowie der
operativen Performance-Steigerung im Vertrieb sowohl im Privat- als auch im Ge-
schäftskundensegment, 1990–1997 Studium des Wirtschaftsingenieurwesens, Fach-
richtung Maschinenbau an der Technischen Universität Darmstadt, www.atkearney.de.

EGGERS, BERND: Dr. rer. pol. habil., Dipl.-Ök., geb. 1961, Geschäftsführender Partner von
EGGERS & PARTNER Management Consultants mit Sitz in Hannover und Berlin,
Schwerpunkte: Strategieentwicklung, Vertriebsberatung und -training, Change Mana-
gement sowie Führung/Leadership, Autor/Herausgeber von neun Büchern sowie zahl-
reichen Beiträgen in Fachzeitschriften und Sammelbänden zu diversen Management-
themen, Privatdozent an der Leibniz Universität Hannover sowie Visiting Professor an
der GISMA Business School, Mitglied im Beirat eines Verlagshauses, Habilitation
zum Thema „Integratives Medienmanagement“ (2006) sowie Promotion über „Ganz-
heitlich-vernetzendes Management“ (1994), 1996–1998: Projektleiter bei McKinsey &
Company, Inc. in Frankfurt am Main, 1994–1996: Director Human Resources bei der
Bertelsmann AG in Gütersloh, www.eggers-partner.de.

ERNER, MICHAEL: Dr. rer. soc. oec., geb. 1963, Studium der Volks- und Betriebswirtschafts-
lehre in Bonn, Köln und Paris, Promotion am Lehrstuhl für Strategische Unterneh-
mensführung und Controlling in Klagenfurt, währenddessen Berater für die Kienbaum
Management Consulting AG, seit 1994 durchgängig in Seniormanagementfunktionen
bei der Deutschen Telekom, darunter als Vertriebscontroller und Key Account Mana-
ger, Marketingleiter im International Business Development sowie mehrfach als Leiter
Unternehmensstrategie resp. Produktmanagement, währenddessen fünfjährige Tätig-
keit in Auslandsgesellschaften, aktuell: Leiter Innovation Development, AutoMobile
bei den „Deutsche Telekom Laboratories“ in Berlin mit Forschungsschwerpunkt im
Bereich des Innovationsmanagement und -marketing, www.laboratories.telekom.com.

VON GLAHN, CARSTEN: Dr. rer. pol., Dipl.-Ing., Dipl.-Wirtsch.-Ing., geb. 1968, Director of
Finance & Controlling für Data Center bei der Siemens AG, IT Solutions and Services in
Atlanta, GA, USA, davor Program Director Shared Services für die Siemens AG in Nord
Amerika, KPMG Consulting, Beratungsschwerpunkte: Strategische Kooperations-
planung, Organisationstransformationen, Überleitungen von HGB nach US-GAAP, Busi-
ness Planung und Unternehmensgründung, Forschung und Lehre an der Universität Ham-
burg, der Technischen Universität München und der Syracuse University, School of In-
formation Studies, Syracuse, New York, Forschungsgebiete und Publikationen zu den
Schwerpunkten Luft- und Raumfahrttechnik, eCommerce, Zentralisation, Shared Ser-
vices, Outsourcing, Offshoring, Leasing, Finance & Con-trolling, konzerninterne Märkte,
Service Management, Wissensmanagement, Portale, Brokerkonzeptionen und Füh-
rungstheorien.
Autorenverzeichnis 539

GOLLER, MARKUS: Dipl-Psych., Dipl-Theol., geb. 1973, Seniorberater TMI Training und Con-
sulting GmbH, Bonn, Beratungs- und Arbeitsschwerpunkte: Entwicklung von Service-
Excellence und Service-Leadership, Wertschöpfung von Customer-Relationship-
Management(CRM)-Systemen im Kundenkontakt, Führungskräfte-Coaching, Persön-
liche Effektivität und Selbstmanagement mit Outlook bzw. Lotus Notes, Aktives Scha-
denmanagement bei Versicherungen, Innovative Lernkonzepte, www.tmi-germany.de.

GRÜNBLATT, MARTIN: Dr. rer. pol., geb. 1972, Leiter Category Management und Trade Marke-
ting Electronic Arts Inc., nach Studium der Betriebswirtschaftslehre Tätigkeit als Juni-
or Sales Manager bei dem Kosmetikhersteller Davis S. A. in Santiago de Chile, danach
Promotion zum Dr. rer pol. am Lehrstuhl für Marketing der Fern-Universität Hagen,
anschließend Senior Consultant bei der Unternehmensberatung Gruppe Nymphenburg
Retail GmbH, verantwortlich für Beratungsprojekte im Bereich Retail und FMCG-Indus-
trie und später Category Manager bei der Schwartauer Werke GmbH & Co.KGaA, ver-
antwortlich für die Bereiche „Frische“ und „Convenience“, seit 01/2009 Leiter Category
Management und Trade Marketing bei Electronic Arts Inc. in Madrid, verantwortlich
für die Marketingstrategie des Unternehmens im spanischen und portugiesischen Groß-
und Einzelhandel, www.ea.com.

HANNIG, GITTA: Rechtsanwältin, geb. 1974, Leiterin des Bereichs „HR Development und
Vertriebsqualifizierung“ der Telekom Shop Vertriebsgesellschaft, diverse Funktionen
im Konzern Deutsche Telekom in den Bereichen Servicestrategie, Personal- und Kul-
turentwicklung sowie Compensation & Benefits, Unternehmens- und Managementbe-
ratung im Bereich Führungskräftevergütung/-motivation, www.telekom.com.

HANS, RENÉ: Dr. rer. pol., Dipl.-Kfm., geb. 1975, Unternehmensberater bei der TellSell Con-
sulting GmbH in Frankfurt, Arbeitsgebiete: Business Development, Reorganisation
von Vertriebsorganisationen, Interimsmanagement in Vertriebsorganisationen, Schwer-
punktbranchen: Gesundheitswesen, Konsumgüter, Public Private Partnerships, Dozent
an der Steinbeis-Hochschule Berlin sowie an der Berufsakademie Hamburg,
www.tellsell.de.

HASTENTEUFEL, HAGEN GÖTZ: Dr. rer. oec., Dipl.-Ing., geb. 1969, Vice President und Partner
von A.T. Kearney, seit 1997 weltweite Beratung von Unternehmen vorwiegend der Te-
lekommunikations- und High-Tech-Industrie in den Bereichen Marketing, Vertrieb
und Kundenservice sowie bei umfassenden unternehmensweiten Transformations- und
Restrukturierungsthemen, www.atkearney.de.

HAUMANN, TILL: Dipl.-Kfm., geb. 1984, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für


angewandte Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Marketing, Ruhr-Universität Bo-
chum, 10/2004–12/2008: Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Universität Mann-
heim, Arbeits- und Forschungsgebiete: Vertriebsmanagement, Persönlicher Verkauf,
Preismanagement, Organisationales Verhalten, www.ruhr-uni-marketing-lehrstuhl.de/.
540 Autorenverzeichnis

HOGENSCHURZ, BERNHARD: Ass. jur., geb. 1960, Geschäftsleiter HR bei der Deutschen Tele-
kom AG, Bereich Geschäftskunden, verantwortlich für die Kernbereiche HR, Organi-
sation und Service. Maßgeblicher Gestalter der Kooperation der Telekom Shop Ver-
triebsgesellschaft mbH mit der Steinbeis-Hochschule Berlin zur Schaffung einer Cor-
porate University mit Bachelor und Master-Studiengängen auf dem Gebiet des Sales &
Service Management. Vertreter der Interessen der Deutschen Telekom AG, Geschäfts-
kunden, im Rahmen der Kooperation mit der Steinbeis-Hochschule Berlin und zuständig
für die strategische Positionierung und Ausgestaltung des Sales & Service Research Cen-
ter im Advisory Board und Arbeitsausschuss.

HOLLMANN, SEBASTIAN: Dipl.-Ök., geb. 1983, Junior Berater bei EGGERS & PARTNER
Management Consultants mit Sitz in Hannover und Berlin; Schwerpunkte: Strategie-
entwicklung, Mehrwertkommunikation im Vertrieb, Führung/Leadership, Change Ma-
nagement, 2003–2008: Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Leibniz Univer-
sität Hannover, seit 2009 Promotion am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften
der Leibniz Universität Hannover zum Thema Nachhaltige Mitarbeiterführung, www.
eggers-partner.de.

HÜNING, CHRISTOPH: Dipl. Wirtschaftsmathematiker, geb. 1972, Business Development Ma-


nager im Bereich TIME von Lischke Consulting, Schwerpunkte: Beratung von Unter-
nehmen der Telekommunikations- und Medienbranche im Rahmen von Organisations-
projekten sowie Strategietransformationen, 1992–1999: Studium der Wirtschaftsma-
thematik an den Universitäten Bielefeld und Hamburg, 1999–2004: Managing
Consultant bei Diebold Consulting und Detecon International im Bereich TIME, 2005–
2006: Key Account Manager für internationale ISPs bei Telefónica Deutschland,
www.lischke.com.

KEUPER, FRANK: Prof. Dr. rer. pol. habil., Dipl.-Kfm., geb. 1966, Inhaber des Lehrstuhls für
Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Konvergenz- und Medienmanagement an der
School of Management and Innovation der Steinbeis-Hochschule Berlin, Herausgeber
und Geschäftsführer der betriebswirtschaftlichen Fachzeitschrift „Business+Innovation
 Steinbeis Executive Magazin“, Geschäftsführer und Akademischer Leiter des Sales
& Service Research Center Hamburg an der Steinbeis-Hochschule Berlin (Förderer:
Telekom Shop Vertriebsgesellschaft mbH) sowie der T-Mobile Business School
T-Vertrieb, Gastprofessor u. a. an der Universität Tai’an (Provinz Shandong/China),
diverse Dozenturen an europäischen Hochschulen, Assoziierter Partner bei inRESTRUCT
 ein Mitglied der iKnowledge Group, 10/200208/2004 Vertretungsprofessur für Be-
triebswirtschaftslehre, insb. Risikomanagement und Controlling, Fachbereich Rechts-
und Wirtschaftswissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Promotion
und Habilitation an der Universität Hamburg sowie Studium an der Westfälischen
Wilhelms-Universität zu Münster, Arbeits- und Forschungsgebiete: Investitions- und
Finanzierungstheorie, Planungs- und Entscheidungstheorie, Produktion, Medienmana-
gement, Kostenmanagement, Strategisches Management, Konvergenzmanagement,
Kybernetik, Systemtheorie, Unternehmensplanung und -steuerung, Sales & Service
Management, IT-Service Management, www.konvergenz-management.com.

KOCH, ARNE: Dipl. Wirtsch.-Ing., geb. 1980, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für
Controlling und Unternehmensrechnung, Technische Universität Braunschweig,
www.controlling-tubs.de.
Autorenverzeichnis 541

KÖHLER, STEPHAN: Dipl.-Ing. Oec., Magister Wirtschaftswissenschaften, geb. 1967, Ge-


schäftsführer und Partner für den Bereich TIME und die Practice Group Procurement
von Lischke Consulting, Schwerpunkte: Beratung von Unternehmen in Fragestellun-
gen der Organisationsentwicklung, Business Excellence und strategischem Sourcing,
1988–1994: Studium des Wirtschaftsingenieurwesens an der TU Hamburg Harburg,
1991–1992: Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Universität Paris XIII Dau-
phine, seit 1995: unterschiedliche Stationen bei Lischke Consulting, www.lischke.com.

KRÄMER, JENS UWE: Dipl. Soz.wiss., Dr. phil., geb. 1966, Sozialwissenschaftler mit den
Schwerpunkten empirische Sozialforschung und später zusätzlich Sozialpsychologie,
akademische Stationen u. a. Humboldt-Universität zu Berlin, Wissenschaftszentrum
Berlin für Sozialforschung und Mannheim Business School (ESSEC Paris-Singapore),
seit 2005 beschäftigt bei der Deutsche Telekom AG im Bereich Human Resources In-
ternational/Competence Center Human Resources Management/Leiter Compensation
& Benefits International, Lead und Gründer der internationalen Compensation & Benefits
Community davor u. a. Unternehmensberater bei Watson Wyatt Worldwide (Head of
Central & East Europe Survey Unit, Brussels) und Caliper Europe (Country Manager
D-A-CH & CEE), Mitglied des European Council on Compensation & Benefits und
Initiator der Rewards-Academy (www.rewards-academy.de), www.telekom.com.

KRUMM, FRANZ: Dipl.-Kfm., geb. 1960, Leiter der Abteilung „Coaching und Führungskultur“
der Telekom Shop Vertriebsgesellschaft, zuvor langjährige Managementfunktionen in
der Vertriebsunterstützung und -qualifizierung der T-Mobile, Tätigkeit im Konsumgü-
tervertrieb, aktuelle Schwerpunkte: Service - und Führungskultur im stationären Han-
del, Emotionales Verkaufen, Behavioral Branding, www.telekom.com.

LECKE, MARKUS: Studium der Nachrichtentechnik an der Fachhochschule Lippe, seit 1995 bei
der Deutschen Telekom, 1995–1999 Sachbearbeiter für Ausbildungskonzepte, danach
Fachverantwortlicher für gewerblich-technische Ausbildung, ab 1999 Leitung für das
bezirkliche Management Ausbildung, 2002–2005 als Regionalleiter Ausbildung Region
West verantwortlich für die Telekom-Ausbildung in NRW, Rheinland-Pfalz und Hessen,
seit Herbst 2005 in der Konzernzentrale der Deutschen Telekom AG in Bonn, zunächst
als Senior Experte im Zentralbereich Human Resources Development verantwortlich
für die Themen Nachwuchskräftestrategie und Bildungspolitik im Konzern, seit Früh-
jahr 2009 Leiter eines Teams für Bildungspolitik und verantwortlich für die konzernei-
gene Fachhochschule sowie das Projekt zur Einführung berufsbegleitender Studienan-
gebote, Mitarbeit in bildungspolitischen Gremien auf nationaler und europäischer Ebe-
ne, www.telekom.com/your-chance.

MÖNCH, BERNWARD: geb. 1958, Geschäftsführender Gesellschafter TMI Training und Consul-
ting GmbH, Bonn, Top-Management Beratung und Coaching, International Key-
Notes-Speaking, Beratungs- und Arbeitsschwerpunkte: Organisationsentwicklung und
innovative Lernkonzepte zur Service-Excellence und Veränderung von Service-Kultur,
Branded Customer Service, Etablierung von Service-Leadership, Wertschöpfung von
Customer-Relationship-Management(CRM)-Systemen im Kundenkontakt, Change
Strategien und Veränderungsprozesse, Führungskräfte-Coaching und Management-
Entwicklung, www.tmi-germany.de.
542 Autorenverzeichnis

RIELÄNDER, KLAUS: Dr. phil., Magister Artium (M.A.), Sozial- und Kulturwissenschaftler,
geb. 1962, verantwortlich im Bereich „HR Development und Vertriebsqualifizierung“
der Telekom Shop Vertriebsgesellschaft mbH für berufsbegleitende Studiengänge, ver-
schiedene Funktionen im Konzern Deutsche Telekom in den Bereichen Produktmana-
gement, Geschäftskundenmarketing, Vertriebsqualifizierung, Servicestrategie und Per-
sonalentwicklung, www.telekom.com.

RUTENBECK, HENRIK: geb. 1959, Leiter Marketing Loewe Opta GmbH, nach Studium und
Ausbildung Tätigkeit bei Nokia Bochum in der Abteilung Technische Medien: Organi-
sation von Messen, Unterstützung von Fernsehsendungen und Sport-Großveranstal-
tungen, seit 1990 zunächst Leiter der Werbe-, später der Marketingabteilung bei Nokia
Bochum, letzteres bereits als Mitglied des Führungskreises der Nokia Consumer Elect-
ronics, anschließend bei der Deutschen Telekom AG verantwortlich für den Aufbau
der Digital-TV-Aktivitäten in der Breitbandkabel-Sparte, seit 1998 Bereichsleiter Mul-
timedia bei Loewe, zwei Jahre später Übernahme des Bereichs Unternehmensstrategie
und Marketingkommunikation bei Loewe, seit 2004 verantwortlich für den Gesamtbe-
reich Marketing, maßgebliche Mitwirkung bei der Entwicklung und Umsetzung der
Turnaround-Strategie im Unternehmen Loewe, Verantwortungsbereiche: Neuausrich-
tung von Loewe zur Premium-Marke, Definition der Produkt-Strategie sowie nationale
und internationale Kommunikation, www.loewe.de.

SAKOWSKI, MATTHIAS: Dipl.-Ing., geb. 1963, Studium der Elektrotechnik mit Schwerpunkt
Nachrichtentechnik, Studium der Physik und Pädagogik, Lehramtsstudium Sek. II für
Berufsbildende Schulen, Spezialist Strategie Vertriebstraining und Business Develop-
ment bei der T-Mobile Deutschland GmbH, davor Leiter Vertriebstraining der T-
Mobile Deutschland GmbH, Entwicklungsingenieur bei Vaillant im Remscheid, Ar-
beitsschwerpunkte: Strategie, Interdisziplinäre Qualifizierungsprojekte, KPIs in der
Weiterbildung, Entwicklung neuer Qualifizierungsansätze, Neuste Lehr- und Lernme-
thoden, www.telekom.com.

SCHOMAKER, IRA: geb. 1967, Ausbildung zur Kommunikationswirtin an der Werbefachlichen


Akademie in Köln, Studium der Volkswirtschaftslehre in Bonn, anschließend mehrere
Jahre Abteilungsleiterin und Einkäuferin im textilen Einzelhandel, u. a. bei der Anson´s
Herrenhaus KG, seit 2001: Projektmanagerin bei der Deutschen Telekom AG in ver-
schiedenen Bereichen, aktuell: Spezialistin für neue Vertriebswege in der Telekom
Shop Vertriebsgesellschaft mbH, hier u. a. Betreuung des Projekts „4010 – Der Tele-
kom Shop in Mitte“, www.telekom.com.

SCHWARZ, SABINE: Dr. rer. pol., Dipl.-Volkswirtin, Bankkauffrau, geb. 1954, Senior Manage-
rin bei der Management- und Technologieberatung BearingPoint GmbH, Frankfurt, in
der Business Unit Commercial Services, Bereich Business Strategy & Transformation,
Schwerpunkte: Change Management und Transformation, bis 1998 auch Bank-Strategie,
-Marketing und -Controlling, 1975–1980 Studium der Volkswirtschaft an der Universi-
tät Freiburg, 1980–1985 Promotionsstudium und Assistententätigkeit am Lehrstuhl für
Finanzwissenschaften der Universität Freiburg, 1985–1990 Prokuristin der Vereins-
und Westbank AG, Hamburg, Tätigkeitsschwerpunkte: Kunden-, Filial- und Produkt-
Controlling, Strategie, 1981–1989: Dozentin an den Berufsakademien in Villingen-
Schwenningen und Lörrach sowie der Bankakademie in Hamburg, Tätigkeitsschwer-
punkt: Volkswirtschaftslehre, www.bearingpoint.de.
Autorenverzeichnis 543

SONNENSCHEIN, MARTIN: Dr. rer. oec., Dipl.-Wirtsch.-Ing., geb. 1964, Zentraleuropa-Chef von
A.T. Kearney, Branchenschwerpunkte liegen in Telecommunications, Hightech, Con-
sumer Electronics und Electronic Media zu Themen wie Strategie, Wachstum, Vertriebs-
effektivität und -management, Effizienz, Kostenmanagement und Organisationstrans-
formationen, Co-Autor verschiedener Bücher, u. a. von „Digital Value Network“,
„Ne(x)t Economy“, „Innovative Regulierung“, „Fünf Wege zu organischem Wachstum“
und „Customer Energy“, 1990–2000 in verschiedenen Geschäftsführungspositionen füh-
render Telekommunikations- und Dienstleistungsunternehmen tätig, www.atkearney.de.

STROBEL, MARTIN: Dipl.-Kfm., geb. 1970, Studium der Europäischen Wirtschaft und Betriebs-
wirtschaftslehre an der Universität Bamberg und an der Universidad Barcelona,
19982003: Mitarbeiter am Lehrstuhl für Finanzwirtschaft an der Universität Bam-
berg, Freiberuflicher Dozent mit Lehraufträgen an Universitäten und Weiterbildungs-
einrichtungen mit den Themenschwerpunkten Investition und Finanzierung, Portfolio-
Management, Alterssicherung und finanzwirtschaftliche Entscheidungstheorie, seit 2005:
Tätigkeiten an der Akademie Deutscher Genossenschaften (ADG) auf Schloss Monta-
baur mit den Schwerpunkten Vorstandsqualifizierung und Finanzsystementwicklungs-
hilfe, www.adgonline.de.

WEINGARZ, STEPHAN: Dr. phil., Dipl.-Volkswirt, geb. 1966, Studium der Volkswirtschaftsleh-
re in Bonn, Toulouse und Regensburg, 19941998: Wissenschaftlicher Mitarbeiter am
Lehrstuhl für Politikwissenschaft an der Universität Regensburg, Forschungsschwer-
punkt: Transformationstheorien am Beispiel der neuen Bundesländer, 20002003: Re-
ferent beim Bundesverband der Volksbanken und Raiffeisenbanken im Bereich Strate-
gie, seit 2004: Tätigkeiten an der Akademie Deutscher Genossenschaften (ADG) auf
Schloss Montabaur mit dem Schwerpunkt Vorstandsqualifizierung, www.adgonline.de.

WIESEKE, JAN: Prof. Dr., Dipl.-Psych., geb. 1974, Inhaber des Lehrstuhls für angewandte
Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Marketing, Ruhr-Universität Bochum, Heraus-
geber der betriebswirtschaftlichen Fachzeitschrift „British Journal of Management“, Pub-
likationen in führenden Fachzeitschriften wie dem Journal of Marketing, dem Journal of
the Academy of Marketing Science und dem Journal of Management Studies, Arbeits-
und Forschungsgebiete: Anwendung psychologischer Theorien im Marketing, Ver-
triebsmanagement, Dienstleistungsmanagement, Internes Marketing, Organisationales
Verhalten, www.ruhr-uni-marketing-lehrstuhl.de/.

ZIGIC, ALEXANDRA: Maga., geb. 1974, Abschluss der Wirtschaftsuniversität Wien, Spezialisie-
rungsgebiete Human Resources Management und Klein- und Mittelbetriebe, beschäf-
tigt bei T-Mobile Austria GmbH im Bereich Human Resources/Competence Center
Personnel Management/Compensation & Benefits seit April 2008, davor: Novartis In-
stitutes for BioMedical Research GmbH ebenfalls im Bereich Compensation &
Benefits, Projekte: Neueinführung/Änderung variabler Vergütungssysteme, Einfüh-
rung von Pensionskassenlösungen mit Transfer, HR Metrics, Karrieresysteme, Mit-
glied im Kernteam des im Artikel beschriebenen Performance Management Projekts,
Projektleitung: Marcus Schlobach, Abteilungsleiter Competence Center Personnel Ma-
nagement; Gesamtverantwortung: Joachim Burger, Human Resources Director TMA,
www.t-mobile.at.
Stichwortverzeichnis

A E
Angebotsformulierung 343 ff. ECR  Efficient Consumer Response
Anreiz 11, 51 ff., 140 ff., 314 ff., 355, Effektivität 8 ff., 49 ff., 105, 162, 217 ff.,
368, 501 ff. 263 ff., 346, 366, 440
Anreizsystem 33, 60 ff., 109, 328 Efficient Consumer Response 363 ff.
Authentifizierung 237 ff. Einkommen 9, 74 ff., 123 ff., 137 ff.,
169 ff., 223, 318 ff., 513 ff.
eLearning 450 ff.
B Enterprise 2.0 405 ff.
Behavioral Economics 117 ff. Erfolgsbeteiligung 311 ff.
Bezahlvorgang 239 ff. Erfolgsfaktor 1 ff., 7 ff., 47 ff., 86, 133,
Biometrie 233 ff. 207, 209 ff., 258 ff., 309, 326, 404, 419,
Bologna-Prozess 424 ff. 435 ff., 445 ff., 469ff., 531 ff.
Branchenstrukturanalyse 20 ff. Erlebniskette 92 ff.
Branded Customer Service 283 ff.
BSTV  Business School Telekom Ver-
trieb F
Business School Telekom Vertrieb 443, Fachkräftelücke 428
445 ff. Finanzdienstleistung 115 ff.
Fixed Mobile Convergence 12, 154, 161
Flagship Store 162 ff.
C FMC  Fixed Mobile Convergence
Call Center 62, 156 ff., 235 ff., 261 ff., Förderung 105 ff., 140, 200, 367 ff., 421 ff.
302 ff. Framing 115 ff., 361
Category Management 93, 363 ff., 505 Frischzellenkur 405 ff.
C/D-Paradigma 467 ff. Führung 10 ff., 57 ff., 91 ff., 167, 218,
Change Agents 405 ff. 272, 295, 331, 374, 408, 467, 501 ff.
Change Management 300, 409, 443, 490,
501 ff.
Channel Management 151 ff. G
CM  Category Management Generik 3 ff., 144
Co-Invest 428 Gesundheitsfonds 137 ff.
Collaborative Planning, Forecasting and GKV  Krankenversicherung, Gesetzli-
Replenishment 363 ff. che
Community 75 ff., 149, 166, 313, 410 Go-to-Market 47 ff.
CPFR  Collaborative Planning, Fore-
casting and Replenishment
Credibility 363 ff. I
Customer Relationship Management 109, Internationalisierung 108, 259 ff., 365,
235, 288, 359 433
Involvement 126 ff., 169 ff., 217, 302,
411
D
Deutsche Telekom 71 ff., 155 ff., 209,
311 ff., 421 ff., 440 ff., 445 ff. J
JAM 405 ff.

F. Keuper, B. Hogenschurz (Hrsg.), Professionelles Sales & Service Management,


DOI 10.1007/978-3-8349-8799-0,
© Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
546 Stichwortverzeichnis

K Markenpositionierung 58, 94
Kanalmix 54 ff. Markenprofil 86 ff., 89 ff., 166
Kano-Modell 417 ff. Markenstrategie 92 ff.
Kommunikation 29 ff., 58, 76 ff., 89 ff., Marktangang 49 ff.
120 ff., 141 ff., 181, 220 ff., 245 ff., Marktkomplexität 3 ff.
265 ff., 289 ff., 311 ff., 355, 405 ff., 433, Mental Accounting 115 ff.
447 ff., 471 ff., 501 ff. Mentor 457 ff., 492
Konsumentenwissen 177 ff. Mitarbeiter 8 ff., 58 ff., 83 ff., 107 ff.,
Konsumgüterwirtschaft 369 ff. 147 ff., 164, 173 ff., 225 ff., 235 ff.,
Kooperationen, vertikale 363 ff. 263 ff., 283 ff., 313 ff., 357 ff., 386 ff.,
Krankenversicherung, Gesetzliche 135 ff. 407 ff., 423 ff., 437 ff., 456 ff., 467 ff.,
Kunden 5 ff., 50 ff., 73 ff., 97 ff., 126 ff., 501 ff.
135 ff., 154 ff., 169 ff., 214 ff., 235 ff., Mitarbeiterzufriedenheit 339, 467 ff.
272 ff., 283 ff., 320 ff., 343 ff., 377 ff., Morbi RSA 135 ff.
405 ff., 440, 448 ff., 469 ff., 503 ff. Multioptionalität 421 ff.
Kundenbegeisterung 477 ff.
Kundenidentifikation 195 ff.
Kundenloyalität 55, 85, 169 ff., 213 ff., O
252 ff. 294, 359, 490 Offshoring 236 ff., 259 ff.
Kundennutzen 17, 222, 345 ff., 374 Open Innovation 405 ff.
Kundenorientierung 7 ff., 148, 155, 219, Open Space 412
303, 358, 403, 429, 443, 471 ff. Organisation 5 ff., 49 ff., 107 ff., 151 ff.,
Kundenschnittstelle 87, 233 ff. 235 ff., 264 ff., 288 ff., 311 ff., 356 ff.,
Kundenwert 343 ff. 374 ff., 407 ff., 426, 440, 462 ff., 472 ff.,
Kundenzufriedenheit 62, 109, 127, 169 ff., 501 ff.
220 ff., 308, 316 ff., 458, 467 ff. Outside-In-Analyse 343 ff.

L P
Leadership 283 ff., 405 ff., 427, 465, 481 Partizipation 40, 408 ff.
Lebensmitteldistribution 363 ff. Performance Management 54 ff., 311 ff.
Lernen 119, 252, 283 ff., 421 ff., 447 ff., Personalentwicklung 28 ff., 54 ff., 302,
494 350, 409, 423 ff., 437 ff., 457 ff.,
Lernformat 301 ff. 469 ff., 529
Lernphasen 459 Personalstrategie 313 ff., 421 ff., 438 ff.
Point of Sale 71 ff., 95 ff., 156 ff., 223,
248 ff., 288 ff., 372 ff., 401 ff., 445 ff,
M 467 ff.
Managed Care 139 ff. POS  Point of Sale
Management 1 ff., 17 ff., 50 ff., 76 ff., POS-Manager 445 ff.
100 ff., 133, 135 ff., 151 ff., 169 ff., POS-Steuerung 165
207, 214 ff., 233 ff., 259 ff., 288 ff., POS-Strategie 161
309, 311 ff., 343 ff., 363 ff., 405 ff., Prämie 94 ff., 311 ff., 469, 526
419, 427 ff., 435 ff., 445 ff., 467 ff., Preisbereitschaft 94, 128, 169 ff.
501 ff. Preispolitik 128 ff., 169 ff., 277, 377
Mass Customization 44 ff., 169 ff., 230 Premium-Dienstleister 439
Marke 1, 9 ff., 55 ff., 74 ff., 89 ff., 126, Prospect Theory 115 ff.
155 ff., 181 ff., 224 ff., 283 ff., 321 ff., Prozess 7 ff., 53 ff., 78, 107, 118 ff., 146,
356 ff., 365 ff., 438 ff., 470 ff., 151 ff., 195, 217 ff., 235 ff., 259 ff.,
Marken-Management 1
Stichwortverzeichnis 547

283 ff., 313 ff., 345 ff., 365 ff., 405 ff., Telekommunikation 5 ff., 49 ff., 74 ff.,
424 ff., 445 ff., 467 ff., 501 ff. 143, 151 ff., 211 ff., 257, 321, 425 ff.,
443, 445 ff., 467 ff.
Telekommunikationsfachhandel 467 ff.
Q Telemedizin 135 ff.
Qualifikation 321 ff., 397, 409 ff., 423, TIME-Branche 5, 149, 153, 209 ff.
440, 482 ff., 505 ff. Transferstudium 435 ff.
Transparenz 47 ff., 265 ff., 313 ff., 345,
408 ff.
R Triple Play 154 ff.
Referenzpreis 169 ff. Trust Center 233
Repräsentativitätsheuristik 115 ff.
Resource-based View 17 ff.
Retail-Marketing 89 ff., 166 U
Upcoding 140 ff.
Unternehmensführung 10 ff., 53, 218 ff.,
S 272, 345, 399, 462 ff., 510 ff.
Sales 60 ff., 71 ff., 108 f., 133, 153 ff., Unternehmensgesamtstrategie 16 ff.
169 ff., 214 ff., 248, 269, 307, 311 ff., Unternehmenskultur 30 ff., 407 ff., 467 ff.
401, 405 ff., 423 ff., 435 ff., 445 ff.,
499 ff., 501 ff.
Sales Channel Mix 159 V
Service 5 ff., 81, 89 ff., 126, 153 ff., Value-based Selling 343 ff.
169 ff., 207, 209 ff., 233 ff., 259 ff., Value Message 343 ff.
283 ff., 313 ff., 349 ff., 374 ff., 431, Veränderung 6 ff., 53 ff., 73 ff., 120 ff.,
437 ff., 445 ff., 472 ff., 508 ff. 135 ff., 214 ff., 236 ff., 263 ff., 283 ff.,
Service Center 44, 233 ff. 319 ff., 383 ff., 409 ff., 443, 469 ff.,
Sales Effectiveness 501 ff. 503 ff.
Service Excellence 283 ff. Verankerungsheuristik 115 ff.
Servicing 283 ff. Verblisterung 135 ff.
Servicekultur 426 Verfügbarkeitsheuristik 115 ff.
Service Leadership 283 ff. Vergütungssystem 311 ff., 501 ff.
Servicestrategie 5 ff., 236 Verhalten 19 ff., 96 ff., 117 ff., 211 ff.,
Shopkonzept, zielgruppenspezifisches 285 ff., 363 ff., 473 ff.
71 ff., 157 ff. Verifizierung 245 ff.
Sonderpreispolitik 169 ff. Verkauf 28, 62 ff., 76 ff., 103, 126,
Sprachbiometrie 233 ff. 162 ff., 214 ff., 270 ff., 328 ff., 370 ff.,
STEP 47 ff. 447 ff.
Studenten 118 ff., 147, 423 ff., 439 ff., Vertrieb 27 ff., 47 ff., 73 ff., 91 ff., 115 ff.,
452 ff. 135 ff., 161 ff., 176 ff., 213 ff., 313 ff.,
Studienbriefe 430, 457 ff. 350 ff., 363 ff., 411, 423 ff., 440 ff.,
Studium, berufsbegleitendes 279, 400 ff., 445 ff., 469 ff., 501 ff.
421 ff., 435 ff., 463 ff., 533 Vertriebsvergütung 311 ff.
Vertriebskanalmanagement 135 ff.
Vertriebsmitarbeiter 58 ff., 173 ff., 313,
T 360, 490, 503 ff.
Talent Management 427, 435 ff. Vertriebsstrategie 18, 47 ff., 501 ff.
Talent Pipeline 429 Vertriebstransformation 501 ff.
Vision 12, 292, 320 ff.,411, 494 ff., 501 ff.
548 Stichwortverzeichnis

W
Wahltarife 135 ff.
Wertschöpfungskette 14 ff., 212 ff., 267 ff.,
343 ff., 363 ff.
Wettbewerbsstrategie 5 ff., 217, 349 ff.,
508
Wettbewerbsstrategie, hybride 18 ff.

Y
Young Segment 83

Z
Zertifikat 453 ff.
Zielsystem 59 ff., 315 ff., 469 ff., 501 ff.

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