Sie sind auf Seite 1von 561

Frank Keuper / Bernhard Hogenschurz (Hrsg.

Professionelles Sales & Service Management


Frank Keuper
Bernhard Hogenschurz (Hrsg.)
Professionelles Sales
& Service Management
Vorsprung durch
konsequente Kundenorientierung
2., aktualisierte
und erweiterte Auflage
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
<http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

Prof. Dr. Frank Keuper ist Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Konver-
genz- und Medienmanagement an der School of Management and Innovation der Steinbeis-Hochschule
Berlin und Herausgeber der betriebswirtschaftlichen Fachzeitschrift Business + Innovation – Steinbeis
Executive Magazin. Weiterhin ist er Direktor und Akademischer Leiter des Sales & Service Research
Center (Kooperationspartner Telekom Shop Vertriebsgesellschaft mbH) und der Business School
T-Vertrieb (Kooperationspartner Telekom Deutschland GmbH).

Bernhard Hogenschurz ist Geschäftsleiter HR bei der Telekom Deutschland GmbH, Bereich Geschäfts-
kunden.

1. Auflage 2008
2. Auflage 2010
Alle Rechte vorbehalten
© Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
Lektorat: Barbara Roscher | Jutta Hinrichsen
Gabler Verlag ist eine Marke von Springer Fachmedien.
Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media.
www.gabler.de
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede
Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne
Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für
Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und
Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk
berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne
der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jeder-
mann benutzt werden dürften.
Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg
Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier
Printed in Germany

ISBN 978-3-8349-1528-3
Vorwort
Die gegenwärtigen Wettbewerbsbedingungen sind aus Sicht des Sales & Service Manage-
ment vor allem durch eine Internationalisierung des Wettbewerbs gekennzeichnet. Die Globa-
lisierung führt dazu, dass die Wettbewerbsintensität immer weiter steigt. Gleichzeitig haben
sich in den letzten 30 Jahren die Kundenerwartungen massiv verändert. So fordern die Kun-
den auch im Massengeschäft qualitativ hochwertige Produkte, geringe Preise und kurze Lie-
ferfristen. Darüber hinaus ist TIME-Branchen1-übergreifend zunehmend ein Trend zur Indi-
vidualisierung der Produkte festzustellen. Der Konsument wird zum Prosumenten, wobei der
Co-Design-Vorgang umfangreiches Wissen über die immer komplexer werdenden Produkte
erfordert. Die Komplexität der Produkte ist vor allem durch die technologische Konvergenz
(www. konvergenz-management.com) gekennzeichnet, bei der unterschiedliche Basistechno-
logien in einem Produkt miteinander verschmelzen und so ein Systemprodukt mit einer Viel-
zahl an Funktionalitäten entsteht (z. B. Mobiltelefone oder Home-Entertainment-Konzepte).
Gleichzeitig ist branchenübergreifend eine zunehmende Angleichung der Produkte hinsicht-
lich ihres Designs und ihrer Funktionalitäten zu verzeichnen. So ist es oftmals aus funktiona-
ler oder auch aus Design-Sicht unerheblich, ob sich der Kunde für das Produkt A oder B und
damit auch für das Unternehmen A oder B entscheidet. Problematisch ist zudem, dass die
Kundenloyalität gegenüber den bisher präferierten Unternehmen und deren Produkten zu-
nehmend schwindet. Varity Seeking lässt immer häufiger die Kundenbindung erodieren oder
erst gar nicht entstehen. Um die Kunden dennoch an sich zu binden, forcieren die Unterneh-
men zunehmend den technologischen Wandel, weil über First-Mover-Strategien die Innovati-
onskraft eines Unternehmens stark gebrandet wird und damit gleichzeitig Marktbarrieren auf-
gebaut werden können. Positiv korreliert ist damit jedoch eine Verkürzung der Produktle-
benszyklen der immer komplexer werdenden Produkte. Hinzu kommt die allgemeine „Geiz
ist geil!“-Mentalität und der Wunsch nach „Luxus für die Masse“. Smart Shopper zu sein ist
in!

Die skizzierten Entwicklungen im Handel verdeutlichen, dass Unternehmen, die qualitativ


hochwertige Produkte und Leistungen anbieten, zunehmend ihrer Differenzierungswahrneh-
mung beraubt werden. Die einzige nachhaltige Möglichkeit dieses Problem zu lösen, besteht
darin, den kundenindividuellen Service als oberste Maxime im Unternehmen über alle Hie-
rarchie-Ebenen und in allen Funktionsbereichen eines Unternehmens zu verorten und noch
wichtiger, zu leben.

Dabei sind die festzustellenden Zielgruppenverschiebungen im Service-Portfolio eines Unter-


nehmens zu berücksichtigen. Die Vielzahl unbekannter Unbekannte, die den gegenwärtigen
und vor allem den zukünftigen Wettbewerb ausmachen, erfordern eine Kundenbindung über
den persönlichen Zugang und Kontakt zum Kunden. Da nur so wirkliche Barrieren vor den
unbekannten Unbekannten aufgebaut werden können. Wenn schon Produkte und Leistungen
nahezu identisch sind oder aus Sicht des Kunden zumindest identisch erscheinen, dann ist der
kundenindividuelle Service vor, während und nach dem Kauf der zentrale Erfolgsfaktor, um
im Wettbewerb dauerhaft bestehen zu können. Kundenindividueller Service ist nicht imitier-
bar! Hinzu kommt, dass nicht nur der persönliche Kontakt zum Kunden von herausragender
Bedeutung ist, um sich im Wettbewerb erkennbar zu differenzieren, sondern das gesamte
Kaufumfeld. Daher sind zunehmend zielgruppenspezifische Erlebniswelten und Flagship-

1
TIME steht für Telekommunikation, Informationstechnologie, Medien und Entertainment.
VI Vorwort

stores zu implementieren, die dem Kunden über alle Sinne stimulieren. Eine multiple Sinnes-
stimulation lässt zudem das Varity Seeking zunehmend erodieren.

Entsprechend der notwendigen integrierenden Betrachtung von Strategie, Sales und Service
teilt sich die vorliegende 2. Auflage des Sammelbands in vier inhaltliche Bereiche auf.

Teil 1: Marken-Management und Marketing-Management als Erfolgsfaktor

Teil 2: Sales Management als Erfolgsfaktor

Teil 3: Service Management als Erfolgsfaktor

Teil 4: Controlling und IT-Management als Erfolgsfaktoren

Teil 5: Personalmanagement als Erfolgsfaktor

Abbildung 1: Struktur der 2. Auflage des Sammelbands

Der erste Teil des Sammelbands widmet sich dem Marken-Management und Marketing-Ma-
nagement als Erfolgsfaktor einer modernen und nachhaltigen Unternehmensführung. Einlei-
tend widmet sich FRANK KEUPER dem strategischen Denkansatz des Marked-based View von
PORTER und untersucht, inwieweit dieser sich zur Ableitung von Wettbewerbsstrategien im
Allgemeinen und Servicestrategien im Besonderen eignet. MARTIN SONNENSCHEIN, HAGEN
GÖTZ HASTENTEUFEL und FLORIAN DICKGREBER zeigen anschließend die Erfolgsfaktoren für
eine Neuausrichtung des Vertriebs auf. Diese Erfolgsfaktoren sind eine aus der Unterneh-
mensstrategie abgeleitet Vertriebsstrategie, ein daran angepasstes Marktangangsmodell,
Transparenz über die Budgetverwendung und Zielerreichung sowie die Balance operativer
Kontrolle mit vertrieblicher Freiheit. Die Autoren stellen in diesem Zusammenhang den von
A.T. Kearney entwickelten STEP-Ansatz vor, der aufzeigt, wie über die Ausgestaltung der
eruierten Erfolgsfaktoren der Vertrieb professionalisiert und in einen echten Aktivposten
verwandelt werden kann. Die Deutsche Telekom setzt im Vertrieb hingegen auf ein spezielles
Point-of-Sales-Konzept für die junge Zielgruppe. Das dafür entwickelte Konzept und dessen
Umsetzung des 2008 in Berlin eröffneten Shops „4010 – Der Telekom Shop in Mitte“ stellen
IRA SCHOMAKER, MICHAEL ERNER und MARCUS BERLIN vor. Anschließend verdeutlichen
HENRIK RUTENBECK und THORSTEN BALD am Beispiel der Loewe AG, wie eine Markenprofi-
lierung für einen Premium-Produzenten durch werteorientierte Retail-Marketing- und Service-
Konzepte erfolgen kann. Schließlich diskutieren MARTIN STROBEL und STEPHAN WEINGARZ
verhaltenswissenschaftliche Phänomene im Marketing von Finanzdienstleistern.

Der zweite Teil des Sammelbands widmet sich dem Sales Management als Erfolgsfaktor einer
modernen und nachhaltigen Unternehmensführung. Zunächst beschäftigen sich MARKUS
DEUTSCH und RENÉ HANS mit den Vertriebsherausforderungen im regulierten Markt der Ge-
setzlichen Krankenversicherungen. Sie geben einen Überblick über strategische Handlungs-
möglichkeiten und stellen das Vertriebskanalmanagement als zukünftige Kernkompetenz der
Gesetzlichen Krankenversicherung vor. Über den Channel Mix in der Telekommunikation in-
formieren anschließend CHRISTOPH HÜNING und STEPHAN KÖHLER. Die Untersuchung der
Bedeutung des Point of Sale ist dabei zentral. JAN WIESEKE und TILL HAUMANN widmen sich
Vorwort VII

anschließend den Prädikatoren der Preisbereitschaft von Kunden. Sie geben einen Überblick
über den Status-quo der aktuellen Sales- und Service-Forschung.

Der dritte Teil des Sammelbands widmet sich dem Service Management als Erfolgsfaktor ei-
ner modernen und nachhaltigen Unternehmensführung. BERNHARD HOGENSCHURZ, FRANK
KEUPER und ARNE KOCH verdeutlichen in ihrem Beitrag die besondere Bedeutung des Ser-
vice-Gedankens in der TIME-Branche. Anschließend stellt FRANK BAUMGÄRTNER neue Chan-
cen im Service Management durch Sprachbiometrie vor. In seinem Beitrag untersucht er auch
Sprachbiometrie als Effizienz-, Sicherheits- und Servicetreiber. Im Gegensatz dazu erläutert
CARSTEN VON GLAHN das Service Management als Erfolgsfaktor des IT-Offshoring. Insbeson-
dere das Service Management als Hebel zur Reduktion von Unsicherheiten steht dabei im Fo-
kus der Betrachtung. Service Excellence ist das Thema von BERNWARD MÖNCH und MARKUS
GOLLER. Aus der Perspektive der Praxiserfahrung stellen die Autoren die vielfältigen Ansatz-
punkte eines solchen Gesamtkonzepts dar.

Der vierte Teil des Sammelbands widmet sich dem Controlling und dem IT-Management als
Erfolgsfaktoren einer modernen und nachhaltigen Unternehmensführung. Das Thema von
ALEXANDRA ZIGIC und JENS UWE KRÄMER ist die variable Vergütung und das Performance
Management im Vertrieb. Neben der Darstellung von Anforderungen und Gestaltungsformen
der Vertriebsvergütung stellen die Autoren ausführlich ein Praxisbeispiel vor. Mit Value-
based Selling als kundenwertorientierten Verkaufsansatz beschäftigen sich BERND EGGERS
und SEBASTIAN HOLLMANN. Auch sie bereichern ihren Beitrag mit einem konkreten Beispiel
aus der Praxis. Im Gegensatz dazu diskutiert MARTIN GRÜNBLATT das Erfolgspotenzial von
Kooperationen zwischen der Markenartikelindustrie und dem Lebensmitteleinzelhandel im
Hinblick auf eine Service-orientierte Wertschöpfungskette. Anschließend diskutiert WILLMS
BUHSE Enterprise 2.0 und seine positiven Auswirkungen auf das Management einer Organisa-
tion. Diese sieht er insbesondere in der entstehenden Innovationsdynamik und Kreativität, die
die Leistungsfähigkeit eines Unternehmens steigern.

Der letzte Teil des Sammelbands widmet sich dem Personalmanagement als Erfolgsfaktor ei-
ner modernen und nachhaltigen Unternehmensführung. Sowohl MARKUS LECKE als auch
FRANK KEUPER, GITTA HANNIG und KLAUS RIELÄNDER beschäftigen sich in ihren Beiträgen mit
dem Thema Bologna@Telekom. MATTHIAS SAKOWSKI stellt die Business School Telekom Ver-
trieb vor. In allen drei Beiträgen werden die Erfahrungen der Deutschen Telekom mit ihrem
Angebot akademischer berufsbegleitender Weiterbildung für ihre Mitarbeiter vorgestellt. An-
schließend widmen sich GITTA HANNING und FRANZ KRUMM der Entwicklung der Mitarbeiter-
zufriedenheit als Einflussfaktor auf die Kundenzufriedenheit. SABINE SCHWARZ beschäftigt
sich schließlich mit der Reorganisation des Vertriebs. Dabei wird generisch der Einsatz des
Change Management zur Konzeptualisierung und Begleitung einer Vertriebsstrategie darge-
stellt und kritisch reflektiert.

Auch in der 2. Auflage gilt ein besonderer Dank allen Autorinnen und Autoren. Trotz des en-
gen Zeitplans und des in der Literatur nur stiefmütterlich behandelten Themas haben sie mit
außerordentlichem Engagement und in hoher Qualität ihre Beiträge für diesen Sammelband
erstellt.
VIII Vorwort

Die Einhaltung der Projektdurchlaufzeit vom Projektstart im November 2008 bis zur Abgabe
des reproreifen Skripts an den Gabler-Verlag in 2010 war zudem nur möglich, weil wie im-
mer viele „virtuelle Hände“ im Hintergrund agierten.

Vor diesem Hintergrund gilt der außerordentliche Dank der Herausgeber insbesondere Frau
INES WÖLBLING, die als Mitarbeiterin am Sales & Service Research Center Hamburg (Förde-
rer ist die Telekom Shop Vertriebsgesellschaft mbH) der Steinbeis-Hochschule Berlin die
Planung, Koordination und Organisation der mit der Erstellung und Publikation des Sammel-
bands anfallenden Aufgaben übernahm. Daneben stand sie den Autorinnen und Autoren bei
allen Fragen mit Rat und Tat zur Seite.

Besonderen Dank schulden die Herausgeber darüber hinaus auch Frau BARBARA ROSCHER und
Frau JUTTA HINRICHSEN vom Gabler-Verlag für die angenehme Kooperation bei der Publika-
tion dieses Sammelbands.

Hamburg/Bonn, im März 2010

PROF. DR. FRANK KEUPER und BERNHARD HOGENSCHURZ


Inhaltsverzeichnis

Erster Teil

Marken-Management und Marketing-Management


als Erfolgsfaktor 1

Die Implosion des Market-based View 3


FRANK KEUPER
(Steinbeis-Hochschule Berlin)

STEP  Mit Strategie und Transparenz zu mehr Vertriebserfolg 47


MARTIN SONNENSCHEIN, HAGEN GÖTZ HASTENTEUFEL
und FLORIAN DICKGREBER
(A.T. Kearney)

4010  Ein Point-of-Sales-Konzept für die junge Zielgruppe


am Beispiel der Deutschen Telekom AG 71
IRA SCHOMAKER, MICHAEL ERNER und MARCUS BERLIN
(Telekom Shop Vertriebsgesellschaft, Deutsche Telekom Laboratories
und Technische Universität Berlin)

Markenprofilierung durch werteorientierte Retail-Marketing-


und Service-Konzepte am Beispiel der Loewe AG 89
THORSTEN BALD und HENRIK RUTENBECK
(Loewe AG)

Vertrieb und Marketing von Finanzdienstleistungen


aus verhaltenswissenschaftlicher Perspektive 115
MARTIN STROBEL und STEPHAN WEINGARZ
(Akademie Deutscher Genossenschaften)
X Inhaltsverzeichnis

Zweiter Teil

Sales Management als Erfolgsfaktor 133


Vertriebsherausforderungen im regulierten Markt
der Gesetzlichen Krankenversicherungen 135
MARKUS DEUTSCH UND RENÉ HANS
(TellSell Consulting)

Channel Mix in der Telekommunikation  Renaissance des POS? 151


CHRISTOPH HÜNING und STEPHAN KÖHLER
(Lischke Consulting)

Prädikatoren der Preisbereitschaft von Kunden 


Status-quo der aktuellen Sales- und Service-Forschung 169
JAN WIESEKE und TILL HAUMANN
(Ruhr-Universität Bochum)

Dritter Teil

Service Management als Erfolgsfaktor 207


Service als Erfolgsfaktor in der TIME-Branche 209
BERNHARD HOGENSCHURZ, FRANK KEUPER und ARNE KOCH
(Deutsche Telekom, Steinbeis-Hochschule Berlin
und Technische Universität Braunschweig)

Neue Chancen im Service Management durch Sprachbiometrie 233


FRANK BAUMGÄRTNER
(TellSell Consulting)
Inhaltsverzeichnis XI

Service Management als Erfolgsfaktor von Offshoring


und Internationalisierung der IT 259
CARSTEN VON GLAHN
(Siemens)

Service Excellence  Vom Know-how zum Do-how 283


BERNWARD MÖNCH und MARKUS GOLLER
(TMI Training und Consulting)

Vierter Teil

Controlling und IT-Management als Erfolgsfaktoren 309

Variable Vergütung und Performance Management im Vertrieb 311


ALEXANDRA ZIGIC und JENS UWE KRÄMER
(T-Mobile Austria und Deutsche Telekom)

Value-based Selling als kundenwertorientierter Verkaufsansatz 343


BERND EGGERS und SEBASTIAN HOLLMANN
(EGGERS & PARTNER Management Consultants)

Kooperationen zwischen Markenartikelindustrie und


Lebensmitteleinzelhandel zur Optimierung der Wertschöpfungskette 
Konzepte, Status-quo und Perspektiven 363
MARTIN GRÜNBLATT
(Electronic Arts)

Enterprise 2.0 im Management  Frischzellenkur für Sales & Services 405


WILLMS BUHSE
(doubleyYUU)
XII Inhaltsverzeichnis

Fünfter Teil

Personalmanagement als Erfolgsfaktor 419

Bologna@Telekom  Ein Beispiel für die Multioptionalität


des Studierens 421
MARKUS LECKE
(Deutsche Telekom)

Bologna@Telekom  Berufsbegleitende Sales-&-Service-


Studiengänge der Telekom Shop Vertriebsgesellschaft 435
FRANK KEUPER, GITTA HANNIG und KLAUS RIELÄNDER
(Steinbeis-Hochschule Berlin und
Telekom Shop Vertriebsgesellschaft)

Business School Telekom Vertrieb  Erfolgsfaktor Know-how:


Moderne Verkäuferqualifizierung nach akademischem Vorbild
 auch ohne Abitur 445
MATTHIAS SAKOWSKI
(Deutsche Telekom)

Entwicklung der Mitarbeiterzufriedenheit als Einflussfaktor


auf die Kundenzufriedenheit 467
GITTA HANNIG und FRANZ KRUMM
(Telekom Shop Vertriebsgesellschaft)

Reorganisation des Vertriebs – Change-Management-Perspektiven 501


SABINE SCHWARZ
(BearingPoint. Management & Technology Consultants)

Autorenverzeichnis 537

Stichwortverzeichnis 545
Erster Teil

Marken-Management und Marketing-Management


als Erfolgsfaktor
Die Implosion des Market-based View

FRANK KEUPER

Steinbeis-Hochschule Berlin

1 Wettbewerbsstrategische Herausforderungen des Market-based View ............................. 5


1.1 Marktkomplexität..................................................................................................... 5
1.1.1 Nachfrager- und Nachfragerstrukturkomplexität......................................... 7
1.1.2 Massenmarktkomplexität........................................................................... 10
1.2 Konvergenzkomplexität ......................................................................................... 11
1.3 Zwischenfazit......................................................................................................... 14
2 Strategiekontext des Market-based View ........................................................................ 15
3 Grundlagen des Market-based View................................................................................ 19
4 Kritische Betrachtung des Market-based View................................................................ 26
4.1 Methoden- und Strategieschlüssigkeit ................................................................... 26
4.2 Konvexitäts-Konzentrations-Konsistenz-Stabilität ................................................ 31
4.3 Gültigkeit der Generik ........................................................................................... 36
4.4 Nachfrager-, Nachfragerstruktur- und Massenmarktkomplexitätskongruenz ....... 37
4.5 Konvergenzkomplexitätskongruenz....................................................................... 39
5 Wettbewerbsstrategischer und methodischer Zusammenbruch des Market-based View 41
Quellenverzeichnis.................................................................................................................. 42
Die Implosion des Market-based View 5

1 Wettbewerbsstrategische Herausforderungen
des Market-based View

Der Market-based View von PORTER1 ist der in praxi am weitesten verbreitete und in der
Theorie am intensivsten publizierte und herangezogene strategische Denkansatz zur Ablei-
tung von Wettbewerbsstrategien. Aber warum ist dies so? Liegt es an der Klarheit und Ein-
fachheit seines Weltbilds? Ist es die Stabilität seines theoretischen Fundaments? Oder liegt es
daran, dass der Market-based View schlicht zu den ersten strategischen Denkanschauungen
gehört und daher aufgrund seines First-Mover-Charakters weite Verbreitung gefunden hat?
Vor dem Hintergrund und dieser offenen Fragen erscheint eine intensive Methodendiskussion
unumgänglich. Dies ist insofern vor allem für Service-Organisationen und Dienstleistungs-
handelsunternehmen von Bedeutung, als die jeweilige Produkt- und Servicestrategie sich als
Funktionalstrategie aus der gewählten Wettbewerbsstrategie dekomponiert. Leitet z. B. ein
Unternehmen der TIME-Branche (Telekommunikation, Informationstechnologie, Medien,
Entertainment) mithilfe des Market-based View seine Wettbewerbsstrategie ab und dekom-
poniert das Unternehmen aus der gewählten Wettbewerbsstrategie seine Servicestrategie, so
könnte, wenn der Market-based View methodeninhärente Defizite aufweist, sich die gewählte
Servicestrategie als falsch erweisen.

Ziel des Beitrags ist es somit, den Market-based View einer kritischen Methodenanalyse zu
unterziehen. Da Wettbewerbsstrategien die Speerspitze eines Unternehmens zur Handhabung
der relevanten Markt- bzw. Geschäftsfeldkomplexität sind, ist der Ausgangspunkt einer not-
wendigen Methodenanalyse die Marktkomplexität.

1.1 Marktkomplexität2
Die Markt- und die Gesellschaftskomplexität bilden die Umweltkomplexität, die alles um-
fasst, was außerhalb eines Unternehmens für das wirtschaftliche Handeln von Bedeutung ist,3
wobei die Gesellschaftskomplexität vor allem durch die Ausgestaltung und Stabilität der
politischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Systeme sowie durch ökologische und kulturelle
Faktoren definiert wird.4 Gesellschaftskomplexität und Marktkomplexität unterscheiden sich
vor allem darin, dass für ein Unternehmen die Gesellschaftskomplexität im Wesentlichen ein
Datum darstellt, wohingegen zwischen einem Unternehmen und der Marktkomplexität ein
interdependentes Verhältnis besteht.5 Die Marktkomplexität setzt sich aus der Nachfrager-
struktur-, der Nachfrager- sowie der Wettbewerbsstruktur- und der Beschaffungsmarktstruk-
turkomplexität zusammen.6 Während die Nachfragerstrukturkomplexität durch die Unter-
schiedlichkeit der Teilmärkte sowie die Größe und Stabilität der Zielgruppen charakterisiert
ist, wird die Nachfragerkomplexität durch die Anzahl, Vielfältigkeit und Stabilität der Präfe-
renzen der Kunden definiert. Im Gegensatz dazu determinieren die Anzahl und Vielfältigkeit

1
Vgl. PORTER (2000) und PORTER (2008).
2
Die nachfolgenden Ausführungen im Gliederungspunkt 1.1 lehnen sich eng an KEUPER (2004), S. 39 ff., an.
3
Vgl. BEA/HAAS (2005), S. 74 ff.
4
Vgl. PICOT/FREUDENBERG (1998), S. 70 f.
5
Vgl. GERYBADZE (2003), S. 85 ff.
6
Vgl. ADAM (1998), S. 33 ff., PICOT/FREUDENBERG (1998), S. 70 f., und BLISS (2000), S. 5 f.

F. Keuper, B. Hogenschurz (Hrsg.), Professionelles Sales & Service Management,


DOI 10.1007/978-3-8349-8799-0_1,
© Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
6 KEUPER

der Wettbewerber sowie die Stabilität der Wettbewerbsstruktur die Wettbewerbsstrukturkom-


plexität. Eine weitere Komponente der Marktkomplexität ist die Beschaffungsmarktstruktur-
komplexität, die von der Verfügbarkeit der Ressourcen sowie den Beziehungen zu den Liefe-
ranten beeinflusst wird.7

Konvergenzkomplexität

Marktkomplexität Ma rktkomplexität

Nachfrager- Nachfragerstruktur- Nachfrager- Nachfragerstruktur-


komplexität komplexität komplexität komplexität

Beschaffungsmarkt- Wettbewerbsstruktur- Beschaffungsmarkt- Wettbewerbsstruktur-


strukturkomplexität komplexität strukturkomplexität komplexität

Gesellschaftskomplexität

Komplexität des Komplexität des


politischen Systems Wirtschaftssystems
Umweltkomplexität
Komplexität des Komplexität ökologischer
Rechtssystems und kultureller Faktoren

Abbildung 1: Umweltkomplexität8

Zwischen der Markt- und der Gesellschaftskomplexität bestehen vielfältige Beziehungen. So


haben das Wirtschafts- und das Rechtssystem als Determinanten der Gesellschaftskomplexität
z. B. durch Deregulierungsmaßnahmen Einfluss auf die Wettbewerbsstrukturkomplexität.
Umgekehrt führen spezifische Wettbewerbsstrukturen, z. B. Monopolisierungstendenzen,
u. U. zu einer Liberalisierung des Wirtschafts- und Rechtssystems. Auch zwischen den Para-
metern der Marktkomplexität bestehen vielerlei Beziehungen, sodass eine überschneidungs-
freie Differenzierung nicht möglich ist. Beispielsweise hat ein Monopolist im Rahmen der
Wettbewerbsstrukturkomplexität Einfluss auf die Beschaffungsstrukturkomplexität, indem er
z. B. seinen Lieferanten die Lieferung an Wettbewerber untersagt.

Neben den allgemeinen Strukturparametern der Marktkomplexität sind für die Konzeption
einer Wettbewerbsstrategie vor allem die gegenwärtigen wettbewerbsstrategischen Entwick-
lungen von Bedeutung. Hier ist insbesondere die Veränderung der Nachfrage und Nachfrage-
struktur, die branchenübergreifend seit Mitte der 60er Jahre festzustellen ist und unter dem
Begriff Marktwandel subsumiert wird,9 zu nennen.

7
Vgl. PICOT/FREUDENBERG (1998), S. 70 f.
8
Vgl. KEUPER (2004), S. 40.
9
Vgl. DOYLE (1987), S. 125.
Die Implosion des Market-based View 7

1.1.1 Nachfrager- und Nachfragerstrukturkomplexität


Mitte der 60er Jahre setzte der strukturelle Wandel vom Verkäufer- zum Käufermarkt ein,
dessen Initialzündung die gesättigten Grundbedürfnisse bei Sachgütern waren. Während in
ungesättigten Märkten, die eine geringe Kundenorientierung der Leistungsprogramme auf-
weisen, eine hohe Kapazitätsauslastung bei Massenfertigung entscheidend für den Markter-
folg ist, verlangen gesättigte Märkte  bereits 1997 konnten branchenübergreifend ca. 80 %
der Märkte als gesättigt eingestuft werden  danach,10 die richtige Leistungsqualität zum
richtigen Zeitpunkt kostengünstig bereitzustellen.11

Qualität

Kunde

Kosten Zeit

Abbildung 2: Integratives strategisches Erfolgsfaktorendreieck  Kosten, Qualität und


Zeit12

Viele Industriegütermärkte sind von jeher durch heterogene Nachfragebedürfnisse gekenn-


zeichnet. Dies gilt insbesondere für das Anlagen- und System-, aber auch zunehmend für das
Produktgeschäft mit Komponenten.13 Dabei zielt eine Individualisierung der Gebrauchsgüter
im Industriegüterbereich vor allem auf den Auf- und Ausbau singulärer Prozesse ab. Dem-
entsprechend sollen die bezogenen Produktionsfaktoren dazu dienen, firmenspezifische Be-
sonderheiten der Wertaktivitäten zu unterstützen, um als strategisches Erfolgspotenzial14, also
als Bündel aller produkt-marktspezifischen, erfolgsrelevanten Voraussetzungen, das spätes-
tens dann bestehen muss, wenn es um die Erfolgsrealisierung geht, Basis für einen strategi-
schen Wettbewerbsvorteil zu sein. Unter einem strategischen Wettbewerbsvorteil wird dabei
allgemein eine im Vergleich zu den Wettbewerbern überlegene Leistung verstanden, die sich
aus Kundensicht auf ein kaufentscheidendes Merkmal bezieht, die vom Kunden tatsächlich

10
Vgl. STEINBACH (1997), S. 15.
11
Vgl. ROLLBERG (1996), S. 10 ff.
12
KEUPER (2004), S. 41.
13
Vgl. HILDEBRAND (1997), S. 144 ff.
14
Vgl. GÄLWEILER (1990), S. 24.
8 KEUPER

als vorteilhafte Leistung wahrgenommen wird und die für den Initiator dauerhaft ist und so-
mit nicht unmittelbar von Imitatoren substituiert werden kann.15

Neben der steigenden Individualisierung der Gebrauchsgüter zeichnet sich auch bei den Ver-
brauchsgütern im Industriegüterbereich eine zunehmend heterogene Nachfrage ab, weil die
Produktflexibilität als ein sehr wichtiger Wettbewerbsfaktor angesehen wird.16 Letztlich sind
die Gründe für eine Individualisierung der Industriegüternachfrage aber vielschichtig. So ist
z. B. eine Ursache darin zu sehen, dass moderne Organisationsformen anstelle einer Kleintei-
lebeschaffung eine System- oder Modulbeschaffung präferieren  mit der Konsequenz,17 dass
die komplexeren Vorleistungen stärker an die spezifischen Bedürfnisse des Abnehmers ange-
passt werden müssen. Bei der synchronen Beschaffungs- und Produktionsstrategie ist sogar
zunehmend eine Tendenz zur ausschließlichen Beschaffung über einen Zulieferer zu ver-
zeichnen, woraus der Schluss gezogen werden kann, dass eine solche bewusst eingegangene
Abhängigkeit im Wesentlichen nur dann erfolgt, wenn der jeweilige Abnehmer mit ganz
spezifischen Komponenten und Problemlösungen beliefert wird.18

Waren in der Vergangenheit die Abnehmer bereit, Wartezeiten für spezielle Problemlösungen
hinzunehmen, so werden heute Zulieferer gesucht, die Entwicklung, Produktion und Inbe-
triebnahme der Industriegüter in Rekordzeit und kostengünstig ermöglichen.19 Ferner kann
davon ausgegangen werden, dass in dem Maße, in dem die Endkunden auf den Konsumgü-
termärkten individuelle Produkte verlangen, die Hersteller auf ihre Lieferanten ebenfalls mit
Druck in Form einer heterogenen Nachfrage reagieren werden, um so die fragmentierte Kon-
sumgüternachfrage zu befriedigen. Darüber hinaus unterliegen auch die Kaufentscheider der
Unternehmen als Individuen den kognitiven Veränderungen innerhalb der Konsumgüternach-
frage. Entsprechend dem kulturgebundenen Ansatz20, bei dem die Mitarbeiter eines Unterneh-
mens gleichzeitig als Teilnehmer des gesellschaftlichen Umsystems betrachtet werden, er-
scheint es naheliegend, dass der Individualisierungswunsch im privaten Konsum trotz objek-
tiver Herangehensweise bei Kaufentscheidungen im Industriegüterbereich zunehmend inter-
nalisiert wird.

Letztlich zeigt sich, dass die Industriegüternachfrage sowohl heterogen als auch hybrid ist. In
den Blickpunkt der wettbewerbspolitischen Überlegungen tritt damit zunehmend der hybride
Käufer21, der neben einem niedrigen Preis simultan auch eine hohe Qualität sowie eine rasche
und flexible Bedürfnisbefriedigung fordert.

15
Vgl. SIMON (1987), S. 386.
16
Vgl. PILLER (2006), S. 80.
17
Eine Effektivitäts- und Effizienzanalyse verschiedener Beschaffungsstrategien findet sich bei KUHL (1999),
S. 175 ff.
18
Vgl. HILDEBRAND (1997), S. 15.
19
Vgl. PILLER (2006), S. 81. In der Literatur herrscht Uneinigkeit darüber, ob sich im Industriegüterbereich der
Preis oder die Qualität als Entscheidungskriterium in den Vordergrund stellen wird; vgl. hierzu SCHAD (2000),
S. 82.
20
Zum kulturgebundenen Ansatz vgl. OBERG (1963), S. 141 ff.
21
Vgl. GIERL (1989), S. 422.
Die Implosion des Market-based View 9

Auch endkonsumentenseitig wächst die Heterogenität der Kundenanforderungen auf vielen


Märkten zu einer Fragmentierung der Zielgruppen heran mit der Konsequenz,22 dass an die
Stelle von standardisierten Produkten vermehrt kundenindividuelle Produkte und Dienstleis-
tungen treten. Die Gründe für ein hybrides Käuferverhalten in der Konsumgüterindustrie sind
analog zum Kaufverhalten im Industriegüterbereich vielschichtig. So fällt es vielen Kunden
immer schwerer, die angebotenen Leistungen objektiv zu unterscheiden. Die Angleichung der
Produkte äußert sich insbesondere darin, dass die Leistungsmerkmale und das Design stan-
dardisierter Massenware häufig nahezu identisch sind.23

Um der gestiegenen Wettbewerbsintensität auf den Verkäufermärkten entgegentreten zu kön-


nen und sich produktspezifisch von den Wettbewerbern zu differenzieren, zeigen sich demzu-
folge international agierende Unternehmen verstärkt technologie- und innovationsorientiert.
An die Stelle eines Wachstumswettbewerbs tritt dabei zunehmend der viel intensivere Ver-
drängungswettbewerb.24 Dabei liegt das Dilemma darin, dass sich auf der einen Seite durch
die Wettbewerbsdynamik die Marktzyklen verkürzen, dass sich aber auf der anderen Seite
aufgrund der Komplexität der Technologie und der Kundenanforderungen die Entwicklungs-
zeiten und  damit verbunden  auch die Entwicklungskosten erhöhen. Dies bedeutet, dass
bei tendenziell sinkenden Marktanwesenheitszeiten die Möglichkeiten zur Amortisierung der
Entwicklungskosten bzw. zur Realisierung adäquater Gewinne erschwert werden. Nur derje-
nige Anbieter, der sein Produkt zum richtigen Zeitpunkt auf den Markt bringt, kann ein aus-
reichendes Marktvolumen akquirieren. Zudem reicht der Innovationsgrad allein als Differen-
zierungsmöglichkeit gegenüber der Konkurrenz i. d. R. nicht mehr aus, weil aufgrund quanti-
tativer wie auch qualitativer Sättigungstendenzen die Konsumenten häufig dazu neigen, ganze
Produktgenerationen zu überspringen (Leapfrogging-Behavior-Effekt).

Hinzu kommen die steigende Zahl der Einpersonenhaushalte und die Veränderung der Zu-
sammensetzung der Bevölkerung durch internationale Zuwanderungen, die ebenfalls zu einer
heterogeneren Nachfrage führen. Ferner ist festzustellen, dass mit zunehmendem Wohlstand,
der sich u. a. in einem höheren Einkommen, mehr Freizeit sowie einem höheren Bildungsni-
veau manifestiert, der Wunsch nach individuellen Produkten wächst.25 Dieser Trend lässt sich
zum einen mit der Bedürfnispyramide von MASLOW26 und zum anderen durch die soziologisch
begründete Argumentation der Individualisierung untermauern.27 Letztere kommt zu der
Erkenntnis, dass die eintönigen standardisierten Massenprodukte dem menschlichen Bedürf-
nis nach Abwechslung und Neuheit nicht entsprechen. Gerade kaufkräftige Konsumenten
versuchen zunehmend, sich durch eine individuelle Produktwahl zu profilieren bzw. ihre Per-
sönlichkeit hervorzuheben. Der Wunsch nach Abwechslung und Neuheit lässt zudem die
Markentreue zunehmend erodieren, selbst wenn die Konsumenten mit dem Produkt zufrieden
sind (Variety Seeking28), was letztlich zu einer Divergenz der Ansprüche verschiedener Nach-
frager führt (Interindividualisierung).

22
Vgl. WAMSER (2000), S. 22.
23
Vgl. STEINBACH (1997), S. 18.
24
Vgl. PILLER (2006), S. 87.
25
Vgl. PILLER (2006), S. 82.
26
Vgl. MASLOW (1943).
27
Vgl. BECK (1986), S. 206 f.
28
Vgl. hierzu insbesondere BÄNSCH (1995), S. 343.
10 KEUPER

Der gesellschaftliche Wertewandel, der Ausdruck in der Forderung nach mehr Lebensqualität
erhält, die u. a. durch Freizeit- und Arbeitsqualität sowie durch ein ökologisches Bewusstsein
charakterisiert ist, offenbart sich zunehmend in einer verstärkten Hinwendung zur Erlebnis-
und Designorientierung.29 So weisen ca. 20 bis 30 % der Käuferschaft ein hedonistisches
Kaufverhalten auf, das auf individueller Ebene durch kurzfristige und spontane Kaufentschei-
dungen geprägt ist und bei einer aggregierten Betrachtung zu einer heterogenen Nachfrage
führt.30 Durch den wachsenden Freizeitbereich steigt zudem der Wunsch nach einer konsum-
tiven Erlebniswelt, wobei gleichzeitig ein neues Qualitäts- und Funktionsbewusstsein zutage
tritt. Insgesamt ist somit ein deutlicher Wandel in der Gesellschaft weg von der Entweder-
oder- hin zu einer Sowohl-als-auch-Mentalität festzustellen, an dessen Ende eine multioptio-
nale Gesellschaft mit einer in allen Lebenslagen unüberschaubaren Vielzahl von Handlungs-
wünschen steht.31 Charakteristisch für eine solche Gesellschaftsform ist das vagabundierende
Kaufverhalten, das sich darin äußert, dass der Konsument seine Kaufentscheidungen nach
verschiedensten Mustern trifft, die einmal preis- oder qualitätsorientiert, ein anderes Mal
image- oder prestigeorientiert ausgestaltet sein können.32 Damit zielen gegenwärtige Produkte
zunehmend auf Nachfrager, die sich einerseits stark von anderen Konsumenten abheben
(interindividuelle Heterogenität), andererseits aber auch in ihrem eigenen Konsumentenver-
halten inkonsistent sind und stark divergieren (intraindividuelle Heterogenität).33

1.1.2 Massenmarktkomplexität
Die vorangehend skizzierte Darstellung und Analyse der Nachfragerstrukturveränderungen
lässt die Aussage von KOTLER 

„Der Massenmarkt ist tot“34

 in einem anderen Licht erscheinen, sodass sich vielmehr der Sinnspruch formulieren lässt:

„Der Massenmarkt ist nicht tot! Er ist lediglich individualisiert!“

Generell kann sowohl im Rahmen der Industriegüternachfrage als auch auf der Seite der Kon-
sumgüternachfrage aufgrund gesellschaftlicher, kultureller, informations- und kommunika-
tionstechnologischer Entwicklungen eine zunehmende inter- und intraindividuelle Heterogeni-
tät des Abnehmerverhaltens festgestellt werden. Gleichzeitig weist das Kaufverhalten eine
ausgeprägt hybride Struktur auf. Für die Führung und Steuerung von Industrieunternehmen
sind somit die zielsetzungsgerecht zu beeinflussenden strategischen Erfolgsfaktoren Kosten,
Qualität und Zeit gleichzeitig und (nahezu) gleichwertig von Bedeutung. Insofern wird insbe-
sondere in der Zukunft das Ziel der strategischen Unternehmensführung und -steuerung darin
bestehen müssen, durch kontinuierliche Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und der
Wirtschaftlichkeit die langfristige Überlebensfähigkeit und damit den Markterfolg der Unter-

29
Vgl. REICHWALD/PILLER (2000), S. 600.
30
Vgl. PILLER (2006), S. 83.
31
Vgl. KEUPER (2001c), S. 6.
32
Vgl. HILDEBRAND (1997), S. 13. Im Gegensatz zum zeitraumbezogenen Variety Seeking ist vagabundierendes
Kaufverhalten bzw. hybrides Käuferverhalten zeitpunktbezogen; vgl. BÄNSCH (1995), S. 343.
33
Vgl. HAUSER/KRUG (1996), S. 68.
34
Vgl. KOTLER (1989), S. 47.
Die Implosion des Market-based View 11

nehmen zu sichern.35 Dabei kann die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens an der Effek-
tivität und die Wirtschaftlichkeit an der Effizienz sämtlicher Prozesse gemessen werden, was
letztlich bei gleichwertiger Verfolgung von Effektivitäts- und Effizienzgesichtspunkten zu
einer Simultaneitätsstrategie führen muss. Insofern ist es für das „richtige Tun der richtigen
Dinge“ unabdingbar, zielgerichtet und simultan auf die mit der Effektivität und der Effizienz
korrespondierenden strategischen Erfolgsfaktoren Kosten, Qualität und Zeit einzuwirken.

60er/70er Jahre 80er Jahre 90er Jahre 2000er Jahre

Kosten Kosten Kosten Kosten

Qualität Zeit Qualität Zeit Qualität Zeit Qualität Zeit


Vielfalt Vielfalt Vielfalt Vielfalt

Abbildung 3: Entwicklung der Bedeutung der strategischen Erfolgsfaktoren Kosten,


Qualität und Zeit36

1.2 Konvergenzkomplexität
Neben den allgemeinen Veränderungen der Nachfrager- und Nachfragerstruktur- sowie der
Marktkomplexität ist vor allem die seit einigen Jahren zu verzeichnende Konvergenz, die
durch die fortschreitende Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologie
(IuK-Technologie) sowie der Fertigungstechnologie seit Beginn der 90er Jahre offenkundig
wird und Märkte konvergieren und divergieren lässt, von entscheidender Bedeutung für die
Ableitung von Wettbewerbsstrategien.

Allgemein kann im Zusammenhang mit der Diskussion über die Ausgestaltung von Wettbe-
werbsstrategien unter Konvergenz ein „ Prozeß der Interaktion zwischen der Unternehmens-
umwelt bzw. der Wettbewerbsstruktur und der Unternehmensstrategie verstanden werden, der
zur strukturellen Verbindung bislang getrennter Märkte führt“37. Basis für die Verschmelzung
von bestehenden Märkten zu einem neuen Markt ist zum einen die Kombination neuer Tech-
nologien und zum anderen die angebotsinduzierte Bündelung von Teilleistungen und Funkti-
onen sowie das gleichzeitige Vorliegen nachfrageinduzierter Anreize nach dem potenziell
verbundenen Bedarf.38 Insofern sind konvergierende Märkte durch eine Kombination von
Leistungen verschiedener Branchen in Form von Integration und Kooperation oder durch
35
Vgl. MÜLLER (2009).
36
Vgl. KALUZA (1995), S. 1064, erweitert um die 2000er Sichtweise.
37
THIELMANN (2000), S. 9. Eine ähnliche Definition findet sich bei KRIEB (2001), S. 29 f.
38
Vgl. THIELMANN (2000), S. 9.
12 KEUPER

Marktbeziehungen sich komplementierender Unternehmen gekennzeichnet.39 Die Integration


verschiedener Branchen respektive der damit verbundenen Leistungsoptionen geschieht im
Hinblick auf eine mögliche Austauschbarkeit der Leistungen zur Erfüllung von Funktionen in
einem gemeinsamen Markt sowie im Hinblick auf eine mögliche Komplementarität der Leis-
tungen zur Erfüllung neuer Funktionen in einem hybriden bzw. einem neuen hybriden
Markt.40 Basis dieser Entwicklung sind volkswirtschaftliche, gesellschaftliche und technolo-
gische Konvergenztreiber, wie z. B. Deregulierungsmaßnahmen, die zunehmende Tendenz
zur Selbstverwirklichung oder die voranschreitende Digitalisierung bzw. die Entwicklung
immer leistungsfähigerer Technologien.41 Damit Märkte letztlich konvergieren, muss gleich-
zeitig eine technologische, nachfrage- und angebotsseitige Konvergenz vorliegen.42

Technologische Konvergenz beschreibt allgemein die „fortschreitende Diffusion einer Basis-


technologie bzw. bestimmter Prozesse in vielfältige Branchen hinein sowie ihre dortige Ver-
ankerung, wodurch verschiedene Funktionen in eine Leistung integriert bzw. neue Funktiona-
litäten initiiert werden“43. Beispiele für die Konvergenz der Technologien sind die Ver-
schmelzung von Internet und Fernsehen44, die Fixed Mobile Convergence45 (FMC) oder die
Vision des Pervasive Computing46.

Die Integration der Nachfrage verschiedener Bedürfnisgruppen und damit die Eliminierung
bestehender Barrieren zwischen den bisher isolierten Bedarfsgruppen wird als Konvergenz
der Nachfrageseite bezeichnet.47 Entsprechend steht die Konvergenz der Nachfrage in funkti-
onal-äquivalentem Zusammenhang mit der Konvergenz der Technologien.48 Durch die An-
gleichung von Bedarfsstrukturen und Kaufmustern führt eine Integration von Funktionen,
wovon jede einzelne Funktion bereits auf eine bestimmte Bedürfnisbefriedigung abzielt, zu
einer Zusammenfassung ökonomischer Nachfrage.49 Dies setzt jedoch eine entsprechende
Kaufkraft und die Bereitschaft der Konsumenten voraus, Bedürfnisbefriedigung durch Leis-
tungsbündel bzw. neue Funktionen der Bedürfnisbefriedigung nachzufragen.50

39
Vgl. THIELMANN (2000), S. 9.
40
Vgl. DOWLING/LECHNER/THIELMANN (1998), S. 8, und THIELMANN (2000), S. 10.
41
Zu den Konvergenztreibern vgl. ausführlich KEUPER/HANS (2003b), S. 37 ff.
42
Vgl. hierzu ausführlich KEUPER/HANS (2003a), S. 793 ff.
43
KEUPER/HANS (2003), S. 42.
44
Vgl. KEUPER (2002), S. 611 ff.
45
Vgl. KEUPER (2002), S. 612 ff.
46
Das Pervasive Computing zielt auf die leichte Bedienbarkeit von Technologien ab, greift das Bedürfnis nach
Mobilität und nach multimedialen Diensten auf und kann somit als eine Weiterentwicklung der beschriebenen
Konvergenztrends bezeichnet werden. Dieses Konzept wurde bereits Ende der 80er Jahre als Ubiquitous Compu-
ting im ELECTRONICS AND IMAGING LABORATORY von XEROX entwickelt; vgl. WEISER/GOLD (1999). Die Grund-
idee ist, die Informationstechnologie von der Verknüpfung mit Standardrechnern, wie PC oder Notebooks, zu lö-
sen und in die reale Welt und deren Abläufe einzubinden. Insofern kann dieses Konzept als ein gegensätzliches
Prinzip zur virtuellen Realität verstanden werden.
47
Vgl. THIELMANN (2000), S. 11.
48
Vgl. KEUPER/HANS (2003b), S. 55.
49
Vgl. KEUPER (2001b), S. 393.
50
Vgl. THIELMANN (2000), S. 11.
Die Implosion des Market-based View 13

Die Leistungsbündelung von Funktionalitäten und Komponenten aufgrund antizipativer öko-


nomischer Rationalität bzw. die potenzielle Substituierbarkeit von Leistungskomponenten
initiiert die Konvergenz auf der Anbieterseite.51 Nur so können durch einen Wissenstransfer
den verschmelzenden Bedarfsstrukturen adäquate Systemprodukte gegenübergestellt wer-
den.52 Insbesondere die zunehmende Bedeutung von Systemleistungen und die damit einher-
gehende Integration von Sach- und Dienstleistungen erodieren bestehende Branchengrenzen
und stellen starre Kompetenz- und Branchenstrukturen in Frage. Ziel der angebotsseitigen
Konvergenz ist es, durch die Kombination bisher getrennter Aktivitäten, die in unterschiedli-
chen Unternehmen z. T. auf unterschiedlichen Märkten erfolgten, die potenziellen Synergien
für die beteiligten Unternehmen weitestgehend auszuschöpfen. Die angebotseitige Konver-
genz kann dabei wertschöpfungsstufenübergreifend vertikal oder wertkettenübergreifend
horizontal erfolgen.53 Insofern kommt es zu einer Vielzahl horizontaler und vertikaler Koope-
rationsformen, wobei vermehrt auch Kooperationen zwischen Unternehmen stattfinden, die
bisher meist in unterschiedlichen Branchen agierten. Kooperationen von Unternehmen der
gleichen Branche bedingen, dass die Unternehmen sich zunehmend mit dem Freund/Feind-
Gedanken54 befassen müssen, der einerseits eine Konkurrenzsituation auf bestimmten Gebie-
ten und gleichzeitig eine Kooperation auf anderen Gebieten zwischen mehreren Unternehmen
zulässt.55 Der Freund/Feind-Wettbewerb führt jedoch dazu, dass sich bisher bestehende
Freund/Feind-Bilder zunehmend auflösen. Die Konkurrenten von heute können somit die
Verbündeten von morgen sein  und umgekehrt. „Dies entspricht einem ambivalenten Wett-
bewerbsverhältnis zwischen Unternehmen bzw. Branchen, was zu paradoxen Wettbewerbs-
strukturen führen kann.“56

Da die Marktkonvergenz einen Prozess darstellt, sind das kompetitive Paradigma und das
komplementäre Paradigma als zwei konträre Ausprägungen im Rahmen der Konvergenz der
Märkte  „lediglich als Zeitpunktbetrachtung innerhalb der zeitraumbeanspruchenden Kon-
vergenz“57  anzusehen.

Während beim komplementären Paradigma durch die Verschmelzung zweier Märkte ein
neuer dritter, gemeinsamer Markt entsteht (1+1=3), lösen sich beim kompetitiven Paradigma
die ursprünglichen Märkte nahezu vollständig auf, um einen neuen Markt zu generieren
(1+1=1). In beiden Fällen werden komplementäre Leistungen auf Basis einer technologischen
Konvergenz in einem Systemprodukt verbunden und entweder auf dem gemeinsamen, neu
entstandenen Markt oder auf dem neuen Markt angeboten. Charakteristisch für konvergieren-
de Märkte sind die unscharfen und unklaren Marktgrenzen, die darauf zurückzuführen sind,
dass eine eindeutige Produktabgrenzung zwischen verschiedenen Märkten nicht mehr mög-
lich ist. Die Frage, ob z. B. Smart-Clothing-Produkte Kleidungsstücke oder Entertainment-
oder Telekommunikationsprodukte darstellen, ist nicht eindeutig zu beantworten. Dies wäre
aber notwendig, um den Markt für Smart-Clothing-Produkte eindeutig abgrenzen zu können,
damit auf Basis der Marktabgrenzung eine Positionierung mit Hilfe von Wettbewerbsstrate-

51
Vgl. THIELMANN (2000), S. 11.
52
Vgl. KEUPER/HANS (2003b), S. 56.
53
Vgl. KEUPER/HANS (2003b), S. 56.
54
Der Freund/Feind-Gedanke wird auch als Coopetition bezeichnet, wobei Coopetition eine Wortschöpfung aus
Cooperation und Competition ist; vgl. BEST (1990), S. 19.
55
Vgl. SCHAD (2000), S. 197.
56
KEUPER/HANS (2003b), S. 56.
57
KEUPER/HANS (2003b), S. 59.
14 KEUPER

gien erfolgen kann. Zudem besteht auf konvergierenden Märkten eine hohe Unsicherheit
hinsichtlich des Markterfolgs, weil die nachfrageseitige Konvergenz die Nachfrager- und
Nachfragerstrukturkomplexität ansteigen lässt. Ferner entwickeln sich die Marktstrukturen
aufgrund der Dynamik der Konvergenz nur sehr langsam und latent. Häufig divergieren dabei
sogar die Marktstrukturen, bevor sie sich gefestigt haben.

Technologie

Nachfrager Markt Anbieter

Komplementarität Kompetitivität
Kompetitivität

Abbildung 4: Dimensionen und Ausprägungen der Konvergenz58

1.3 Zwischenfazit
„Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Konvergenz der Märkte als ein spezi-
eller Innovationsprozess von Branchen verstanden werden kann, welcher gekennzeichnet ist
durch intensive, branchenübergreifende Wettbewerbsverflechtungen.“59 Dabei erodieren
zunehmend etablierte Branchenstrukturen, was die Lebenszyklen der betroffenen Branchen
dramatisch verkürzt (Divergenz). Wettbewerber von heute können Kooperationspartner von
morgen sein, wobei sich die gegenwärtige Konkurrenzbeziehung u. U. nur auf einen (un-
scharfen dynamischen) Markt bezieht, sodass gleichzeitig auf anderen (unscharfen dynami-
schen) Märkten kooperiert wird (Freund/Feind-Wettbewerb). Zudem können aufgrund der
technologischen, angebots- und nachfrageseitigen Konvergenz sowie der raschen technologi-
schen Diffusion die potenziellen Wettbewerber von morgen, weil sie aus unterschiedlichen
Branchen in einen hybriden, neuen oder bestehenden Markt einbrechen, u. U. nicht verifiziert
werden. Die gegenwärtigen Marktprozesse sind somit durch rasch wechselnde, strukturverän-
dernde Konvergenz und Divergenz gekennzeichnet, was dazu führt, dass sich die bestehenden
Wertschöpfungsketten und Geschäftsmodelle60 evolutionär oder revolutionär transformie-
ren.61

Evolutionäre Veränderungen von Geschäftsmodellen transformieren lediglich lokal Teilberei-


che von Wertschöpfungsketten, sodass die wesentlichen Leistungen und Strukturen einer
Branche erhalten bleiben. Diese Veränderungen stellen den typischen Prozess der ökonomi-
schen Weiterentwicklung dar und traten bereits in der Vergangenheit auf. Kennzeichen evolu-

58
KEUPER/HANS (2003b), S. 60.
59
KEUPER/HANS (2003b), S. 62.
60
Vgl. KEUPER/HANS (2006).
61
Vgl. HAERTSCH (2000), S. 33.
Die Implosion des Market-based View 15

tionärer Veränderungen im Rahmen der Konvergenz ist die Häufigkeit, d. h. die Kürze der
Abstände, mit denen diese schrittweisen Veränderungen auftreten, sowie deren branchen-
übergreifende Ubiquität.

Hinzu kommt, dass evolutionäre Wertschöpfungskettenveränderungen in Abhängigkeit von


der Größe des Unternehmens bzw. des jeweiligen Geschäftsfelds durchaus revolutionär sein
können. Jedoch werden zukünftig evolutionäre Veränderungen weiter an Bedeutung verlie-
ren, weil sich die technologischen Entwicklungen vermehrt in Quantensprüngen vollziehen,
was revolutionäre Veränderungen der Wertschöpfungsketten bedingt. Dabei liegt eine revolu-
tionäre Transformation dann vor, wenn, wie dies die Konvergenz der Märkte initiiert, ganze
Wertschöpfungsketten bzw. große Bereiche von ihnen beeinflusst und durch neue Geschäfts-
modelle ersetzt werden. Dies begründet die große residuale Unsicherheit, die trotz einer de-
taillierten Analyse der Konvergenz der Märkte bestehen bleibt. Besonders emergente Bran-
chen oder Geschäftsfelder, die durch technologische Innovationen getrieben werden, zeichnen
sich dadurch aus, dass lediglich eine Schar von möglichen Zukunftsformen identifiziert wer-
den kann. Diese werden durch eine Vielzahl von Schlüsselvariablen definiert, sodass die
tatsächliche Zukunftsform einer Branche innerhalb des durch die Schlüsselvariablen definier-
ten Bereichs liegt, wobei einzelne, diskrete Szenarien nicht definierbar sind. Im Extremfall
kann auch eine echte Ambiguität vorliegen, bei der mehrere Unsicherheitsdimensionen inter-
agieren, sodass eine Datensituation entsteht, aus der keine Voraussage dahingehend getroffen
werden kann, wohin sich eine Branche bzw. der Markt langfristig entwickeln wird.

Zur komplexen Umfeldsituation von Unternehmen kann somit insgesamt festgehalten wer-
den, dass die gegenwärtige Markt- und Konvergenzkomplexität nicht nur durch eine hetero-
gen-hybride Nachfragestruktur, sondern vor allem auch durch eine hohe Unsicherheit, Dyna-
mik und den Druck, Systemprodukte anbieten zu müssen, gekennzeichnet ist. Systemproduk-
te erfordern aber, wie dargestellt, das Eingehen von Kooperationen (angebotsseitige Kon-
vergenz). Zudem unterstützt die nachfrageseitige Konvergenz die Tendenz einer heterogen-
hybriden Nachfragerstrukturentwicklung, weil im Rahmen der nachfrageseitigen Konvergenz
die Präferenzen unterschiedlicher Nachfragergruppen verschmelzen.

2 Strategiekontext des Market-based View62

Das deutsche Wort Strategie wurde in Anlehnung an den französischen Begriff stratégie
gebildet, der dem altgriechischen strataegeo entstammt, wobei sich das Ursprungswort aus
stratos für Heer und agein für führen zusammensetzt.63 Ursprünglich war Strategie die Kunst
der Staatsführung, wohingegen die begriffliche Einengung auf die Kunst der Kriegsführung,
also auf den Militärbereich, erst später stattfand. Über die Spieltheorie hat der Strategiebegriff
wahrscheinlich erstmals durch VON NEUMANN/MORGENSTERN64 Einzug in die betriebswirt-
schaftliche Literatur gehalten. Allerdings hat sich bislang noch keine einheitliche betriebs-
wirtschaftliche Definition für Strategie herausgebildet.

62
Das nachfolgende zweite Kapitel lehnt sich eng an KEUPER (2004), S. 51 f., an.
63
Vgl. GÄLWEILER (1990), S. 65.
64
Vgl. VON NEUMANN/MORGENSTERN (1947).
16 KEUPER

Unter einer Unternehmensgesamtstrategie wird die globale Wegbeschreibung verstanden, die


planmäßig festlegt, auf welche Weise strategische Erfolgspotenziale aufgebaut bzw. erhalten
werden können, um die sich im Umfeld bietenden Chancen unter weitestgehender Abwen-
dung der Risiken auszuschöpfen, wobei dabei die obersten Unternehmensziele65 mithilfe
strategischer Wettbewerbsvorteile auf den jeweiligen Geschäftsfeldern  verifiziert durch
strategische Erfolgsfaktoren  bestmöglich zu erreichen sind.66 Kosten, Qualität und Zeit sind
hierbei die drei strategischen Erfolgsfaktoren im Strategiekontext.

Q u al ität

KErfolg
un de

K o sten Z eit

Effizienz

Abbildung 5: Erfolgsfaktorendreieck67

Kosten, Qualität und Zeit bilden zudem die Operationalisierung der zwei Seiten des unter-
nehmerischen Erfolgs  nämlich der Effektivität und der Effizienz. Während die Effektivität
darauf abzielt, im Rahmen der marktorientierten Zweckmäßigkeit „die richtigen Dinge zu
tun“, fordert die Effizienz als Wirtschaftlichkeitsdimension, „die Dinge richtig zu tun“.

65
Allgemein können unter Zielen erwünschte Sollzustände verstanden werden; vgl. KIESER/KUBICEK (1992),
S. 10.
66
Vgl. ROLLBERG (1996), S. 13 f. Im Weiteren wird die Strategie adaptiv interpretiert, sodass unterstellt wird, dass
Strategien zwar sich wandelnden Kontextfaktoren anzupassen sind, ihre konkrete Ausgestaltung jedoch nur zum
Teil durch die jeweiligen Umwelterfordernisse determiniert wird. Der andere Teil wird durch Ressourcen des
jeweiligen Unternehmens beeinflusst; vgl. ZÄPFEL/PÖLZ (1987), S. 257.
67
Vgl. KEUPER/OECKING (2008b), S. VII, und KEUPER/OECKING (2008a), S. 487.
Die Implosion des Market-based View 17

Erfolg =
Effektivität Effizienz
Überleben

Abbildung 6: Zielsetzung des strategischen Managements68

Inhaltlich werden somit durch die Unternehmensgesamtstrategie die Geschäftsfelder und


Märkte, in denen das Unternehmen tätig sein möchte, definiert, selektiert sowie die Allokati-
on der Ressourcen auf die verschiedenen Geschäftsfelder so vorgenommen, dass eine vorteil-
hafte gesamtunternehmerische Wettbewerbsposition eingenommen werden kann.69 Darüber
hinaus hat die Unternehmensgesamtstrategie insbesondere die Aufgabe, die dynamische, evo-
lutionäre Entwicklung des Unternehmens sicherzustellen. In der Charakterisierung der Unter-
nehmensgesamtstrategie spiegelt sich deutlich eine ressourcenorientierte Sichtweise wider,
weil sowohl der ressourcenorientierte Ansatz (Resource-based View)70 als auch der darauf
aufbauende Kernkompetenzansatz das Unternehmen als Kombination materieller und imma-
terieller Ressourcen charakterisieren.71 Beide Ansätze fordern, Strategien so zu formulieren,
dass die Ressourcen marktwirksam, also in strategische Wettbewerbsvorteile, charakterisiert
durch strategische Erfolgsfaktoren, transformiert werden (Von-Innen-nach-Außen-Perspek-
tive).72 Darüber hinaus deutet der Aufbau und Erhalt strategischer Erfolgspotenziale mit der
Zielsetzung, strategische Wettbewerbsvorteile zu generieren, zwangsläufig auf einen langfris-
tigen Planungszeitraum hin, was mit der Pfaddeterminiertheit des Kernkompetenzansatzes
korreliert.

Kernkompetenzen sind hochgradig komplexe, organisationale Lernprozesse aufeinander ab-


gestimmter und integrierter Gesamtheiten von Wissen (wie personenabhängiger, intangibler
Fähigkeiten, Technologien, oder wie sich gegenseitig bedingender materieller Aktiva und
organisatorischer Prozesse), die dem Kunden nutzen, geeignet sind, um sich im Wettbewerb
i. w. S. zu differenzieren, dabei schwierig zu imitieren sind und Tore zu neuen Märkten öff-
nen.73 Dementsprechend stellen Kernkompetenzen eine Konfiguration distinktiver Ressour-
cen dar,74 wobei distinktive Ressourcen dadurch gekennzeichnet sind, dass sie einen überle-
genen Kundennutzen stiften und durch Informations-, Transfer- und Replikationsbarrieren
geschützt sind.75 Informationsbarrieren bestehen, wenn ein betrachtetes Unternehmen keine
Erkenntnisse darüber hat, welche Zusammenhänge die eigenen strategischen Wettbewerbs-
vorteile bzw. die der Wettbewerber determinieren. Hingegen basieren Transfer- und Replika-
tionsbarrieren vornehmlich auf Patenten sowie auf der sozialen oder technologischen Kom-

68
Vgl. ROLLBERG (1996), S. 9.
69
Vgl. BECKER (1996), S. 134 f.
70
Vgl. PRAHALAD/HAMEL (1990).
71
Vgl. KEUPER (2008).
72
Vgl. BÖRNER (2000), S. 66.
73
Vgl. BÖRNER (2000), S. 79.
74
Vgl. PRAHALAD/HAMEL (1990), S. 83 f.
75
Vgl. BÖRNER (2000), S. 73.
18 KEUPER

plexität einer Ressource. Die soziale und die technische Komplexität bedingen, dass die Res-
sourcen nur integriert wirksam werden können,76 weil z. B. das Wissen für die Produk-
tionsdurchführung auf viele Mitarbeiter verteilt ist und zudem für eine bestmögliche Produk-
tionsdurchführung vielfältige Maschinen und Parameter koordiniert werden müssen.

Aufgrund seiner strukturellen Offenheit können mithilfe des Resource-based View sowohl
Unternehmensgesamt- als auch Wettbewerbsstrategien abgeleitet werden.

Unternehmen Unternehmensgesamtstrategien

ressourcen- bzw. kernkompetenzgetriebene


Unternehmensgesamtstrategien

Geschäftsfelder Wettbewerbsstrategien, z. B.:

Kostenführerschafts- Hybride Differenzierungs-


strategie Wettbewerbsstrategien strategie

marktorientierte oder ressorcen- bzw. kernkompetenzgetriebene


Wettbewerbsstrategien/Geschäftsfeldstrategien

Betriebliche Funktionsbereiche Funktionalstrategien, z. B.:

Beschaffungs- / Marketing- /
Servicestrategie
Produktionsstrategie Vertriebsstrategie

Wettbewerbsstrategieorientierte oder ressorcen- bzw. kernkompetenzgetriebene


Funktionalstrategien

Abbildung 7: Strategie-Ebene

76
Vgl. BÖRNER (2000), S. 72 f.
Die Implosion des Market-based View 19

Wettbewerbsstrategien explizieren im Gegensatz zu Unternehmensgesamtstrategien die Art


und Weise, mit der ein Unternehmen auf ausgewählten strategischen Geschäftsfeldern (Pro-
dukt-Markt-Kombination) mit Wettbewerbern konkurriert. Insofern wird im Rahmen von
Wettbewerbsstrategien die Frage geklärt, ob das betrachtete Unternehmen sich auf dem aus-
gewählten Geschäftsfeld als Kostenführer, Differenzierer oder hybrider Anbieter leistungs-
seitig positionieren will. Wettbewerbsstrategien haben somit im Gegensatz zu Unternehmens-
strategien immer einen eindeutigen Produkt-Markt-Bezug.

Ist die jeweilige Wettbewerbsstrategie getroffen, sind aus der Wettbewerbsstrategie konsis-
tente Funktionalstrategien für die betrieblichen Funktionsbereiche (z. B. Beschaffung, Pro-
duktion, Absatz und Service) abzuleiten.

3 Grundlagen des Market-based View

Das Ziel marktorientierter Strategieansätze besteht darin, mit Hilfe von Wettbewerbsstrate-
gien unter Beachtung der jeweiligen Wettbewerbssituation in einer Branche bzw. einem Ge-
schäftsfeld strategische Wettbewerbsvorteile zu erreichen. Insofern dient eine Wettbewerbs-
strategie dazu, das bestehende Komplexitätsgefälle zwischen Markt-, konkret Geschäftsfeld-
komplexität, und der Komplexität der strategischen Geschäftseinheit bzw. des Unternehmens
zweck- und zielorientiert zu handhaben. Hierfür ist jedoch eine eindeutige Produkt-Markt-
Abgrenzung bei hinreichender Marktstrukturstabilität zwingend erforderlich.

Der Market-based View, dessen zentraler Vertreter PORTER77 ist und dessen Erkenntnisse auf
den Gedankengängen von MASON (1939)78 und BAIN (1956)79 basieren, stellt einen Outside-in-
Ansatz dar, bei dem ausgehend von der strategischen Positionierung final kurzfristig die
Wertschöpfungskette gestaltet wird. Das dem Market-based View zugrunde liegende Structu-
re-Conduct-Performance-Paradigma von MASON geht dabei davon aus, dass die Marktstruktur
für ein Unternehmen als gegeben anzusehen ist und dass diese Marktstruktur das Verhalten
aller Marktteilnehmer und somit auch das des betrachteten Unternehmens im Markt determi-
niert. Das Verhalten des Unternehmens wiederum beeinflusst dessen Ergebnis. Feedback-
Effekte, also Effekte, durch die das Unternehmen die Marktstruktur beeinflusst, werden nivel-
liert.

Gemäß dem Market-based View erfolgt somit zunächst eine Analyse des möglicherweise
relevanten Markts. Weist der betrachtete Markt eine hinreichende Rentabilität auf, so kann
sich ein Unternehmen innerhalb des relevanten Markts als Kostenführer oder Differenzierer
positionieren. Ausgangspunkt für die Formulierung von Wettbewerbsstrategien ist somit die
Analyse der Branchenstruktur,80 weil die Auswahl der Branche, in der sich das Unternehmen
strategisch positionieren will, maßgeblich für den Unternehmenserfolg verantwortlich ist. Die
Auswahl und Definition definiert somit den Erfolg und die wettbewerbsstrategische Positio-
nierung! Da die direkte Ermittlung der möglichen Rentabilität einer Branche aus Sicht eines

77
Vgl. PORTER (2000) und PORTER (2008).
78
Vgl. MASON (1939).
79
Vgl. BAIN (1956).
80
Vgl. PORTER (2000), S. 33 ff.
20 KEUPER

Unternehmens schwierig ist, wählt der Market-based View den indirekten Weg über die
Branchenstrukturanalyse. Ziel der Branchenstrukturanalyse ist daher die scorebasierte Ermitt-
lung der Branchenattraktivität. Ist eine Branche aus Sicht des planenden Unternehmens at-
traktiv, so wird auch die angestrebte Rentabilität hoch sein, so der lineare Gedankenzusam-
menhang. Die Branchenattraktivität und damit indirekt die Branchenrentabilität wird dabei
nach PORTER durch fünf Wettbewerbskräfte determiniert.81

Das Fünf-Kräfte-Modell verdeutlicht, dass das Gewinnpotenzial einer Branche durch die
Verhandlungsmacht der Lieferanten und der Abnehmer, die Rivalität zwischen den Wettbe-
werbern sowie das mögliche Eintreten von Mitbewerbern in den Markt und die Bedrohung
durch Substitutionsprodukte determiniert wird. Ist z. B. das Branchenwachstum relativ ge-
ring, so ist die Rivalität unter den bestehenden Wettbewerbern hoch und damit die Attraktivi-
tät der Branche gering. Gleiches gilt u. a., wenn weitgehend homogene Produkte im beste-
henden Markt angeboten werden.82 Ferner ist die Bedrohung durch neue Wettbewerber bei-
spielsweise dann besonders groß, wenn die Marktbarrieren, wie z. B. Wissensvorsprünge oder
Kostendegressionseffekte der etablierten Wettbewerber, gering sind. Da neue Wettbewerber
die Produktionskapazitäten erhöhen, um Marktanteile zu gewinnen, führt der Zugang neuer
Wettbewerber i. d. R. zu Preissenkungen und damit zu einer Verschlechterung der Rentabili-
tät und der Attraktivität der Branche. Existieren für die Abnehmer alternative Produkte und
Leistungen (Substitute), so wächst die Wettbewerbsintensität, und die Rentabilität in der be-
trachteten Branche sinkt. Besteht zudem für die Abnehmer die Möglichkeit, im Rahmen einer
Rückwärtsintegration die eigene Fertigungstiefe zu erhöhen, so sinkt die Bedeutung der ex-
tern zu beziehenden Produkte. Gleichzeitig wächst jedoch die Verhandlungsmacht der Ab-
nehmer, wodurch die Branchenattraktivität sinkt.83 Analog zur Entwicklung der Verhand-
lungsmacht der Abnehmer wird das Gewinnpotenzial einer Branche durch die Verhandlungs-
stärke der Lieferanten determiniert.84 Insbesondere wenn die Qualität der Vorleistungen
entscheidend für die Qualität des Enderzeugnisses ist und zudem nur relativ wenige Lieferan-
ten i. d. L. dazu sind, z. B. kurzfristig die benötigten Qualitäten zu liefern, führt dies zu einer
Verstärkung der Wettbewerbsintensität innerhalb einer Branche, wodurch die Branchenattrak-
tivität sinkt. Zudem besteht auf der Lieferantenseite ggf. die Option der Vorwärtsintegration,
wodurch die Rivalität unter den Wettbewerbern intensiviert wird.85

81
Vgl. PORTER (2008), S. 32.
82
Vgl. BOGASCHEWSKY/ROLLBERG (1998), S. 5.
83
Vgl. BOGASCHEWSKY/ROLLBERG (1998), S. 5.
84
Vgl. KEUPER/HANS (2003b), S. 90.
85
Vgl. KEUPER/HANS (2003b), S. 90 f.
Die Implosion des Market-based View 21

Bedrohung durch
potenzielle neue
Konkurrenten

Rivalität unter den

Verhandlungs- Verhandlungs-
stärke der macht der
Lieferanten Abnehmer
Wettbewerbern einer
Branche

Bedrohung durch
Ersatzprodukte
und -dienste

Abbildung 8: Wettbewerbskräfte nach PORTER86

Die Bewertung der fünf wettbewerbsrelevanten Kräfte erfolgt in praxi mithilfe von Scoring-
Modellen, was in den nachfolgenden Abbildungen beispielhaft visualisiert ist.

86
PORTER (2000), S. 29.
22 KEUPER

Kriterium Beschreibung Bewertung

Wert (1=unattraktiv, Gewicht (1=gering, Summe


5=attraktiv) 5=hoch)
Reaktion der Konkurrenz

Economies of Scale

Produktdifferenzierung

Kapitalbedarf

Umstellungskosten für Kunden


(bei Systemwechsel)
Zugang zu Vertriebskanälen

Vertragliche Bindung der


Abnehmer (z. B. Strom,
Telefon)
Staatliche Politik (z. B.
Subventionen)
Gesamtbeurteilung

Abbildung 9: Beispielhafte scorebasierte Ermittlung der Bedrohung durch neue Wettbe-


werber

Kriterium Beschreibung Bewertung

Wert (1=unattraktiv, Gewicht (1=gering, Summe


5=attraktiv) 5=hoch)
Konzentration der Lieferanten

Wert der Produkte (hoher Wert


= sensible Abnehmer)
Standardisierung der Produkte
(differenzierte Produkte = hohe
Umstellungskosten Æ starke
Position der Lieferanten)
Möglichkeit der
Rückwärtsintegration
(Übernahme von Lieferanten)
Markttransparenz

Gesamtbeurteilung

Abbildung 10: Beispielhafte scorebasierte Ermittlung der Verhandlungsmacht der Abnehmer


Die Implosion des Market-based View 23

Kriterium Beschreibung Bewertung

Wert (1=unattraktiv, Gewicht (1=gering, Summe


5=attraktiv) 5=hoch)
Anzahl der Zulieferer

Know-how-Verteilung bei den


Zulieferern
Vorhandene Überkapazitäten

Bedeutung des Zulieferers als


Marke
Rahmenvertragliche Bindung
der Zulieferer
Vertragliche Position der
Zulieferer
Gesamtbeurteilung

Abbildung 11: Beispielhafte scorebasierte Ermittlung der Verhandlungsmacht der Zulieferer

Kriterium Beschreibung Bewertung

Wert (1=unattraktiv, Gewicht (1=gering, Summe


5=attraktiv) 5=hoch)
Anzahl der Produkte

Ähnlichkeit (z. B. Flugreise


versus Bahnreise)
Leistung

Preis

Gesamtbeurteilung

Abbildung 12: Beispielhafte scorebasierte Ermittlung der Bedrohung durch Substitute


24 KEUPER

Kriterium Beschreibung Bewertung

Wert (1=unattraktiv, Gewicht (1=gering, Summe


5=attraktiv) 5=hoch)
Anzahl der Wettbewerber

Wachstum der Branche

Vorhandene Überkapazitäten
(Kapazitätsauslastung)
Heterogener Wettbewerb
(Einhaltung von Spielregeln, z.
B. Preisabsprachen, ist
schwerer)
Höhe der Austrittsbarrieren
(ökonomisch, strategisch,
emotional)
Branchenkultur

Gesamtbeurteilung

Abbildung 13: Beispielhafte scorebasierte Ermittlung der Rivalität unter den Wettbewerbern

Letztlich müssen die in einer Branche agierenden Unternehmen auf Basis der mithilfe des
Fünf-Kräfte-Modells gewonnenen Informationen strategische Verhaltensweisen an den Tag
legen, mit denen sie langfristig erfolgreich sind. Gemäß dem Market-based View kann ein
Unternehmen dabei drei strategische Verhaltensweisen verfolgen. Verfolgt das Unternehmen
eine aggressive Verhaltensstrategie, so wird das Unternehmen versuchen, aktiv Marktanteile
zu gewinnen und den Wettbewerber aus dem Markt zu drängen. Im Gegensatz dazu basiert
eine defensive Verhaltensstrategie darauf, seinen bestehenden Marktanteil zunächst zu halten
und sich aus dem Wettbewerb zwischen den Unternehmen weitestgehend herauszuhalten.
Sind die Wettbewerber durch ihre wettbewerbsstrategischen Aktivitäten geschwächt, kann
das defensiv agierende Unternehmen u. U. leicht ex post Marktanteile gewinnen („Wenn zwei
sich streiten, freut sich der Dritte“). Bei einer proaktiven Verhaltensweise wird das Unter-
nehmen auf Basis der Branchenstrukturanalyse sich frühzeitig entscheiden aus dem betrachte-
ten Markt auszusteigen und in einen neuen Markt einzusteigen. Jede der drei strategischen
Verhaltensweisen kann dabei durch eine Kostenführerschafts- oder Differenzierungsstrategie
umgesetzt, d. h. operationalisiert werden, wobei im Rahmen einer proaktiven Verhaltenswei-
se eine Differenzierungsstrategie zu priorisieren ist, weil das in den Markt eintretende Unter-
nehmen i. d. R. eine wesentlich schlechtere Kostenposition aufweisen wird als etablierte Un-
ternehmen. Damit eine strategische Verhaltensweise und die sie umsetzende Wettbewerbs-
strategie gewählt werden, bedarf es einer Zwei-Zeitpunkt-Betrachtung, die jedoch im ur-
sprünglichen Market-based View nicht vorgesehen ist. Da eine Wettbewerbsstrategie länger-
fristig Kapital bindet und zudem die gewählte Wettbewerbsstrategie i. d. R. nicht kurzfristig
revidierbar ist, muss neben der durchgeführten Status-quo-Branchenattraktivitätsanalyse auch
eine zweite zukunftsgerichtete Analyse stattfinden. Hierbei legt das Strategieteam einen für
das betrachtete Geschäftsfeld vor dem Hintergrund der Geschäftsbereichs- und Unterneh-
mensziele sinnvollen Planungshorizont fest und simuliert anschließend für diesen Zeitpunkt
noch einmal die Branchenattraktivitätsmessung. Wichtig ist dabei, dass über die zukünftigen
Rahmenbedingungen zweckdienliche und sinnvolle Annahmen gesetzt werden. Erst durch
den Vergleich der beiden sich ergebenden Attraktivitätswerte kann entschieden werden, wie
das Unternehmen sich verhalten soll.
Die Implosion des Market-based View 25

Aktuelle Situation Zukünftige Situation


unattraktiv Bedeutung unattraktiv Bedeutung
attraktiv attraktiv
1 2 3 4 5 1 2 3 4 5

Bedrohung durch 1 1 2 Bedrohung durch 1 1 2


potenzielle potenzielle
Konkurrenz Konkurrenz
Bedrohung durch 1 2 8 Bedrohung durch 1 2 2
Ersatzprodukte Ersatzprodukte
Marktmacht der 1 2 8 Marktmacht der 1 2 6
Abnehmer Abnehmer
Marktmacht der 1 1 4 Marktmacht der 1 1 4
Lieferanten Lieferanten
Rivalität des 1 1 3 Rivalität des 1 1 2
Wettbewerbs Wettbewerbs
Summe 7 25 Summe 7 16

Beurteilung der 3,6 Beurteilung der 2,3


Branche Branche

Abbildung 14: Beispielhafte Zwei-Zeitpunkt-Betrachtung

Im Anschluss an die planerisch erfolgte Positionierung im Markt findet die Planung der Er-
folgsposition statt. Konkret bedeutet dies, dass entschieden werden muss, welche Charakteris-
tika der zu positionierende strategische Wettbewerbsvorteil aufweisen soll. Daran anschlie-
ßend wird die Wertschöpfungskette als Ausprägung der strategischen Erfolgspotenziale ope-
rativ ausgestaltet.

Zweck der Unternehmen =


Sicherung der langfristigen
Unternehmensgesamtstrategien
Positionierung Überlebensfähigkeit
im Markt
Maximierung des Wettbewerbsstrategien
unternehmerischen Erfolgs

Effektivität Effizienz

Planung der
Erfolgsposition Qualität Zeit Kosten

Strategischer Wettbewerbsvorteil

Strategisches Erfolgspotenzial
Operative Ausgestaltung
der Wertschöpfungskette
(z. B. der IT) Wertschöpfungskette

Market-based View

Abbildung 15: Struktur des Market-based View87

87
KEUPER (2008), S. 23.
26 KEUPER

4 Kritische Betrachtung des Market-based View

Während vorangehend die elementaren Grundlagen des Market-based View dargestellt wurden,
findet nachfolgend eine kritische Betrachtung des Market-based View anhand von fünf Perspek-
tiven statt.

¾ Methoden- und Strategieschlüssigkeit


¾ Konvexitäts-Konzentrations-Konsistenz-Stabilität
¾ Gültigkeit der Generik
¾ Nachfrager- und Nachfragerstrukturkomplexitätskongruenz
¾ Konvergenzkomplexitätskongruenz

4.1 Methoden- und Strategieschlüssigkeit88


Wie bereits dargelegt, leitet der Market-based View anhand der Informationen des Fünf-
Kräfte-Modells drei strategische Grundhaltungen ab.89

Während die defensive Strategie lediglich darin besteht, mögliche Bedrohungen seitens ver-
schiedener Wettbewerbskräfte abzuwehren, zielt eine offensive Strategie darauf ab, das Kräf-
tegleichgewicht nicht mehr als Datum anzusehen. Insofern beinhaltet eine offensive Strategie
den Aufbau von Marktbarrieren. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, Veränderungen der
Markt- bzw. Branchenstruktur so früh zu erkennen (proaktive Strategie), dass das Unterneh-
men vor der Konkurrenz auf Branchenstrukturveränderungen reagieren kann, um so die eige-
ne Position zu verbessern bzw. die Branche zu verlassen.

Aufbauend auf den drei strategischen Grundhaltungen leitet PORTER vier Wettbewerbsstrate-
gien ab. In Abhängigkeit von der Breite der Marktabdeckung90  weites oder enges Markt-
segment  ergeben sich vier generische Normstrategien  Differenzierung, umfassende Kos-
tenführerschaft, Differenzierungsfokus und Kostenfokus ,91 mit denen ein Unternehmen die
Wettbewerbskräfte so kontrollieren kann, dass sie überdurchschnittliche Erträge erwirtschaf-
tet. Insofern zielen die vier generischen Normstrategien darauf ab, das Gefälle zwischen der
bestehenden Marktkomplexität, charakterisiert durch die heterogen-hybride Nachfrage und die
Konvergenz der Märkte, zu handhaben. Zu beachten ist dabei, dass nach PORTER die Norm-
strategien dichotom sind, sodass er eine erfolgreiche simultane Verfolgung von Differenzie-
rungs- und Kostenführerstrategie ausschließt. Daher handelt es sich bei den klassischen
PORTER`schen Strategietypen um so genannte Nichtsimultaneitätsstrategien.

88
Die nachfolgenden Ausführungen zu Gliederungspunkt 4.1 lehnen sich eng an KEUPER (2004), S. 55 ff., an.
89
Vgl. PORTER (2000), S. 64 ff.
90
Die Ordinate der Matrix beschreibt das Wettbewerbsfeld, d. h. in wie vielen Marktsegmenten einer Branche
konkurriert werden soll.
91
Vgl. PORTER (2008), S. 37 ff.
Die Implosion des Market-based View 27

Wettbewerbsvorteil

Differenzierung Kosten

umfassende
weit
Differenzierung
Kostenführerschaft
Marktabdeckung
Breite der

eng

Differenzierungsfokus Kostenfokus

Abbildung 16: Generische Wettbewerbsstrategien des Market-based View92

Die Strategie der umfassenden Kostenführerschaft strebt gegenüber den Konkurrenzanbietern


eine überlegene Kostenposition bei angemessener, paritätischer Qualität der Leistung an,
sodass es in einer Branche jeweils nur einen Kostenführer geben kann. Da Faktoren wie Qua-
lität der Leistung bzw. Kundennähe lediglich dem marktüblichen Standard entsprechen müs-
sen, weisen sie den Charakter von Nebenbedingungen auf.93 Somit zielt das Streben nach
permanenter Kostenreduktion auf die Schaffung eines komparativen Kostenvorteils ab, wobei
alle intrabetrieblichen (und interbetrieblichen) Bereiche, vornehmlich jedoch die produktions-
orientierte Dimension, optimiert werden. Insofern stellt die umfassende Kostenführerschaft
einen effizienzzentrierten Strategietyp dar. Zudem basiert die Realisierung dieses generischen
Strategietyps auf dem Vertrieb eines weitestgehend homogenen und standardisierten Produkts
in stabilen Märkten, sodass entsprechende Kostendegressionseffekte ausgeschöpft werden
können.

Demgegenüber ist die Differenzierungsstrategie94 ein effektivitätszentrierter Strategietyp, bei


dem durch die Differenzierung des Leistungsangebots branchenweit etwas Einzigartiges ge-
schaffen wird. Analog zur umfassenden Kostenführerschaft gilt auch für die Differenzie-
rungsstrategie, dass eine vollständige oder annähernd paritätische Kostenposition gegenüber
den Konkurrenten bestehen muss.95 Eine Differenzierung von der Konkurrenz kann z. B.
durch eine überlegene Produktqualität, besseren Kundenservice, zusatznutzenstiftende Leis-
tungen, Standortvorteile, höhere Innovationsintensität, bessere Logistikleistungen oder durch
ein hohes technologisches Image erzielt werden. Entsprechend der Vielschichtigkeit der Dif-
ferenzierungsdimensionen können in einer Branche mehrere Differenzierer gleichzeitig er-
folgreich agieren.96 Die Differenzierung geht dabei mit einer abnehmenden Preiselastizität

92
CORSTEN (1998), S. 94.
93
Vgl. CORSTEN (1998), S. 94.
94
Vgl. PORTER (2008), S. 40 f.
95
Vgl. PORTER (2008), S. 41.
96
Vgl. PORTER (2008), S. 41.
28 KEUPER

einher und verschafft dem Unternehmen, sofern die Preise über den Zusatzkosten der Einma-
ligkeit liegen, einen preispolitischen Spielraum. Im Gegensatz zur umfassenden Kostenfüh-
rerschaft setzt die Differenzierungsstrategie nicht bei den betriebswirtschaftlichen Vorausset-
zungen des Anbieters, sondern bei den Bedürfnissen des Nachfragers an.97

Während die umfassende Kostenführerschafts- und die Differenzierungsstrategie auf die ge-
samte Branche abzielen, streben Anhänger der Konzentrations- oder Nischenstrategie durch
Fokussierung der betrieblichen Aktivitäten auf eine spezifische Zielgruppe bzw. Marktnische
ein vorteilhafteres Preis-Nutzen-Verhältnis an, als es diejenigen Konkurrenten anbieten kön-
nen, die ein breites Wettbewerbsfeld bearbeiten.98 Innerhalb der Nische ist jedoch wiederum
entweder eine Kostenführerschafts- oder aber eine Differenzierungsstrategie zu verfolgen.99

PORTER schlägt zur Klärung der Frage, wie ein Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil durch
Kostenführerschaft oder Differenzierung erreichen kann, eine Analyse bzw. Optimierung der
Wertkette vor.100 Die Wertkette gliedert ein Unternehmen in strategisch relevante Tätigkeiten,
um so das Kostenverhalten und die Differenzierungsquellen bewerten zu können, was letzt-
lich einer Optimierung der Wertschöpfung gleichkommt.101 Dabei kann die Wertschöpfung
allgemein als die Differenz der von einer Wirtschaftseinheit geschaffenen und der von ihr
eingesetzten Werte interpretiert werden.102 Innerhalb eines Unternehmens erfolgt die Wert-
schöpfung selten in einem einzigen, ganzheitlich gestalteten Prozess, sondern zumeist gestuft
in mehreren aufeinander folgenden Prozessen. Die Gesamtheit der Wertzuwächse der einzel-
nen Prozesse ergibt die gesamte Wertschöpfung des Unternehmens, wobei diese letztlich auf
fünf generische, primäre Wertaktivitäten (Hauptaktivitäten), die sich mit der physischen Pro-
duktion, dem Verkauf und dem Kundendienst befassen, und auf vier unterstützende, generi-
sche Wertaktivitäten (unterstützende Aktivitäten) zurückzuführen ist.103

Die primären, im eigentlichen Sinne wertschöpfenden generischen Aktivitäten umfassen die


Eingangslogistik, die Operationen (zur Herstellung eines Produkts), das Marketing und den
Vertrieb, die Ausgangslogistik und den Kundendienst. Zu den unterstützenden Aktivitäten
gehören die Unternehmensinfrastruktur, die Personalentwicklung und -verwaltung, die For-
schung und Entwicklung sowie die IuK-Technologie, wobei diese der Aufrechterhaltung der
Primäraktivität dienen und somit grundsätzlich während jeder Primäraktivität anfallen. Darü-
ber hinaus gehört zur Wertschöpfungskette neben den Wertaktivitäten auch die Gewinnspan-
ne, die sich aus der Differenz zwischen den Kosten der Wertschöpfungsaktivitäten und dem
am Markt erzielbaren Preis für das Ergebnis der Wertschöpfungskette ergibt.104

97
Vgl. PILLER (2006), S. 215.
98
Vgl. ROLLBERG (1996), S. 16.
99
Vgl. PORTER (2008), S. 42.
100
Vgl. PORTER (2008), S. 63 ff.
101
Vgl. PORTER (2008), S. 63.
102
Vgl. PORTER (2008), S. 35.
103
Vgl. PORTER (2008), S. 66.
104
Vgl. PORTER (2008), S. 68.
Die Implosion des Market-based View 29

Unternehmensinfrastruktur
unterstützende
Aktivitäten

Personalentwicklung und -verwaltung


Forschung & Entwicklung
Informations- und Kommunikationstechnik
Marketing
Eingangs- Ausgangs- Kunden-
Operationen und
logistik logistik dienst
Vertrieb

Hauptaktivitäten Gewinnspanne

Abbildung 17: Wertschöpfungskette nach PORTER105

Die von PORTER aus der Branchenstruktur abgeleiteten generischen Wettbewerbsstrategien


umfassende Kostenführerschaftsstrategie und die Differenzierungsstrategie bildeten die stra-
tegische Stoßrichtung für die in den 80er und 90er Jahren entwickelten Konzepte zur strategi-
schen Unternehmensführung.

Total
Lean
Kosten Erfolg Qualität Quality
Management
Management

Zeit

Time-based
Management

Abbildung 18: Erfolgsfaktorfokussierung des Lean Management, Total Quality Management


und Time-based Management106

105
PORTER (2008), S. 66.
106
KEUPER (2001c), S. 64.
30 KEUPER

Ziel der drei strategischen Konzepte zur Unternehmensführung ist es, die vier Aktionspara-
meter107 der strategischen Unternehmensführung  Strategie, Organisation, Technologie und
Unternehmenskultur  zielsetzungsgerecht simultan so einzusetzen und auszurichten, dass
sämtliche Prozesse möglichst effektiv unter Beachtung einer zu den Konkurrenten paritäti-
schen Mindesteffizienz oder möglichst effizient unter Beachtung einer zu den Konkurrenten
weitgehend paritätischen Mindesteffektivität dazu beitragen, dass die drei Erfolgsfaktoren
Kosten, Qualität und Zeit, jeweils weitgehend isoliert betrachtet, marktgerecht erfüllt werden.
Dabei ist allen Konzepten zur Führung eines Unternehmens jedoch eine von der jeweils ver-
folgten Wettbewerbsstrategie mehr oder weniger stark ausgeprägte Kundenorientierung zu
eigen, sodass die klassische, produktionsorientierte Wertschöpfungskette nach PORTER in eine
durch die zielgruppenspezifischen Informationen ausgerichtete Wertschöpfungskette trans-
formiert werden muss, in der die Marktinformationen sämtliche Haupt- und unterstützenden
Aktivitäten determinieren und initiieren.

Auf die Bedürfnisse der Zielgruppe ausgerichtete Unternehmensinfrastruktur


unterstützende

Auf die Bedürfnisse der Zielgruppe ausgerichtete


Aktivitäten

Personalentwicklung und -verwaltung


Auf die Bedürfnisse der Zielgruppe ausgerichtete Forschung & Entwicklung

Auf die Bedürfnisse der Zielgruppe ausgerichtete


Informations - und Kommunikationstechnik
Ermittlung
zielgruppen- Ermittlung
spezifischer zielgruppen-
Information spezifischer Auf die Auf die
mithilfe des Information Auf die Bedürfnisse
Bedürfnisse
Marketings/ mithilfe des Bedürfnisse der Ziel-
der Ziel-
Kunden- der Ziel- gruppe aus-
Vertriebs gruppe aus-
dienstes und gruppe aus- gerichtete
und Aus- gerichtete
gerichtete
richtung des Ausrichtung Eingangs- Ausgangs--
Operationen
Marketings/ des Kunden-- logistik logistik
dienstesauf
Vertriebs auf die Ziel--
die gruppe
Zielgruppe
Hauptaktivitäten Gewinnspanne

Abbildung 19: Zielgruppenorientierte Wertschöpfungskette moderner Konzepte der Unter-


nehmensführung108

107
Zu den vier Aktionsparametern der strategischen Unternehmensführung vgl. ausführlich ROLLBERG (1996),
S. 13 ff., BOGASCHEWSKY/ROLLBERG (1998), S. 12 ff., und KEUPER (2001a), S. 21 ff.
108
KEUPER (2004), S. 59.
Die Implosion des Market-based View 31

Während das Lean Management109 vornehmlich darauf abzielt, sämtliche unternehmensinter-


nen Prozesse zu „verschlanken“, d. h. so kostengünstig wie möglich auszugestalten und unter
Beachtung einer marktgerechten Kundenorientierung auszurichten,110 setzt das Total Quality
Management die Qualität respektive die Differenzierung in den Fokus der Betrachtung. Dem-
entsprechend verzichtet das qualitätsorientierte Management auf eine extreme Kostenmini-
mierung und versucht statt dessen, u. U. auch mittels kostenintensiver, aber effektiverer quali-
tätsorientierter Prozesse, die optimale kundenorientierte Qualität vielschichtig und dauerhaft
zu generieren.111 An die Stelle einer Effizienzfokussierung, wie sie im schlanken Manage-
ment vorherrscht, tritt somit eine Effektivitätsfokussierung. Auch das Time-based Manage-
ment112 als zeitorientierter Ansatz repräsentiert ein effektivitätsfokussierendes Unternehmens-
führungskonzept, weil der strategische Erfolgsfaktor Zeit im Hinblick auf eine marktorientier-
te Zweckmäßigkeit interpretiert wird. So zielt das zeitfokussierende Management auf eine
möglichst rasche bzw. termingerechte Bedürfnisbefriedigung, auf eine schnelle Anpassung an
die spezifischen Wünsche des Kunden sowie auf eine schnelle Bereitstellung innovativer
bzw. verbesserter Produkte und Leistungen ab.113 Da alle Unternehmensführungskonzepte ein
Konglomerat aus bekannten Konzepten, Ansätzen und Instrumenten darstellen, bleibt es nicht
aus, dass einzelne Instrumente, isoliert betrachtet, konträr zur generellen Ausrichtung des
jeweiligen Unternehmensführungskonzepts stehen. Nur so ist auch eine paritätische Ausge-
staltung der jeweils „vernachlässigten“ Wettbewerbsdimension unter Beachtung des jeweili-
gen PORTER`schen Strategiefokus` in einem stabilen Markt umsetzbar. Daraus zu folgern, das
schlanke Management oder das qualitätsorientierte Management seien Konzepte zur Unter-
nehmensführung, die eine Kostenführerschaft und eine Differenzierung gleichermaßen und
gleichzeitig verfolgen, ist jedoch unzutreffend.

4.2 Konvexitäts-Konzentrations-Konsistenz-Stabilität114
Der marktorientierte Strategieansatz und insbesondere seine Wettbewerbsstrategien basieren
auf der Unvereinbarkeitshypothese. Die Grundlage der Unvereinbarkeitshypothese bilden
wiederum das Konvexitäts-Konzentrations-Konsistenz-Paradigma (KKK-Paradigma) und die
Hypothese der Generik der Wettbewerbsstrategien.115

109
KRAFCIK verwendete erstmals den Begriff schlanke Produktion; vgl. KRAFCIK (1988), S. 41 f.
110
Demgegenüber sieht ROLLBERG (1996), S. 135 ff., das schlanke Management als ein „neutrales“ Unternehmens-
führungskonzept an, das i. d. L. ist, die jeweils gewählte generische Strategie  umfassende Kostenführerschaft
bzw. Differenzierung  zu unterstützen, wohingegen CORSTEN/WILL (1992) sowie WILL (1996), S. 166 ff., einzel-
nen Elementen und Instrumenten des schlanken Managementkonzepts gleichzeitig Effektivitäts- bzw. Effizienz-
potenziale attestieren. Letzteres ist korrekt, wobei bei integrativer Sichtweise aller Instrumente des schlanken
Managements deutlich die Effizienzfokussierung hervortritt; vgl. KEUPER (2001c), S. 66 ff.
111
Vgl. KEUPER (2001c), S. 102.
112
Vgl. LAUK (1990), S. 82.
113
Vgl. KEUPER (2001c), S. 131.
114
Die nachfolgenden Ausführungen zu Gliederungspunkt 4.2 lehnen sich eng an KEUPER (2004), S. 60 ff., an.
115
Vgl. FLECK (1995), S. 13 ff., und WILL (1996), S. 29 ff.
32 KEUPER

Unternehmen, die keinen Wettbewerbsvorteil generieren können bzw. die gleichzeitig mehrere
Wettbewerbsvorteile aufbauen wollen und somit mehr als eine Wettbewerbsstrategie verfol-
gen, sitzen entsprechend dem marktorientierten Strategieansatz „zwischen den Stühlen“.116
Eine solche Positionierung zwischen den Stühlen, die einer Quasi-Nicht-Positionierung ent-
spricht, ist somit der Garant für eine strategische Mittelmäßigkeit und damit für die Generie-
rung nur unterdurchschnittlicher Ergebnisse.117 Basis dieser Argumentation ist das KKK-
Paradigma118.

Entsprechend der Konvexitätshypothese innerhalb des KKK-Paradigmas, die auch als Markt-
anteilshypothese119 bezeichnet wird, ist eine umfassende Kostenführerschaft, wie bereits er-
läutert, unabdingbar mit einem hohem Marktanteil verbunden, wohingegen eine Fokus- oder
eine Differenzierungsstrategie mit einem niedrigen Marktanteil einhergehen. Während die
Kostenführerschaftsstrategie den hohen Marktanteil benötigt, um größenbedingte Kostende-
gressionseffekte bei der Herstellung standardisierter Massenprodukte zu generieren, basiert
der geringe Marktanteil von Differenzierern häufig auf dem exklusiven Image einer solchen
Strategie.120 Da nur die generischen Wettbewerbsstrategien einen überdurchschnittlichen Er-
folg generieren, ergibt sich nach PORTER eine konvexe Beziehung zwischen der Gesamtkapital-
rentabilität und dem Marktanteil.121

Gesamt-
kapital-
rentabilität

Fokus oder Kostenführerschaft


Differenzierung

Marktanteil

Abbildung 20: Rentabilitäts-Marktanteils-Beziehung nach PORTER122

116
Vgl. PORTER (2000), S. 78 ff.
117
Vgl. FLECK (1995), S. 12.
118
Vgl. FLECK (1995), S. 13 ff.
119
Vgl. BARZEN/WAHLE (1990), S. 107.
120
Vgl. PORTER (2000), S. 74.
121
Vgl. PORTER (2000), S. 81.
122
FLECK (1995), S. 13.
Die Implosion des Market-based View 33

Aus der vorangehenden Abbildung wird deutlich, dass nach PORTER eine umfassende Kosten-
führerschaft unvereinbar mit einer Differenzierungsstrategie ist, weil beide Strategien auf
unterschiedlichen Marktanteilen basieren. Dieser angeblich kausale Zusammenhang wird
jedoch zumindest dadurch teilweise relativiert, dass sich empirisch für unterschiedliche Bran-
chen auch unterschiedliche Regressionsfunktionsverläufe zwischen Gesamtkapitalrentabilität
und Marktanteil nachweisen lassen.123 Insofern kann festgehalten werden, dass ein eindeuti-
ger empirischer Nachweis für die Konvexitätshypothese nicht erbracht werden kann. Dieser
Erkenntnis trägt auch PORTER Rechnung, indem er die Konvexitätshypothese zwar nicht für
alle Branchen postuliert,124 diese respektive die ihr inhärenten unterschiedlichen Marktan-
teilserfordernisse aber gleichwohl für die Unvereinbarkeit der beiden generischen, branchen-
neutralen Strategietypen begründend heranzieht,125 was einen Widerspruch darstellt.

Das Konzentrationsprinzip besagt, dass aus Unternehmenssicht die technologischen und or-
ganisatorischen Produktivitätsgrenzen eine maximale Positionierung bei mehreren Erfolgs-
faktoren limitieren, sodass ein Unternehmen sämtliche Ressourcen, Organisationsstrukturen,
Technologien und die Unternehmenskultur auf einen Wettbewerbsvorteil konzentrieren muss,
um sich auf dem Markt gegenüber den Wettbewerbern adäquat zu positionieren.126 Zentral für
dieses charakterisierte Verhalten ist die Divergenz zwischen effektivitätsorientierten Maß-
nahmen, wie z. B. der Konzeption einer variantenreichen Produktion, dem Aufbau von Flexi-
bilitätspotenzialen oder einem Kundenservice, somit also komplexitätstreibenden Effekten,
und effizienzorientierten Maßnahmen, wie z. B. der Standardisierung von Produkten und Pro-
zessen, somit also komplexitätssenkenden Maßnahmen. Beispielsweise kann ein Unterneh-
men, das eine Kostenführerschaft anstrebt, Spezialmaschinen zur preiswerten Fertigung stan-
dardisierter Produkte auf Basis einfacher Prozesse einsetzen, wohingegen Differenzierer teure
Universalmaschinen und flexible Fertigungssysteme anschaffen müssen, um so kundenindi-
viduelle Varianten (i. d. R. bezogen auf eine Zielgruppe) herzustellen. Insofern werden Un-
ternehmen, die eine Mischstrategie verfolgen, in jedem Segment auf Wettbewerber stoßen,
die sich auf einen Wettbewerbsvorteil konzentriert haben und somit das jeweilige strategische
Erfolgsfaktorpotenzial besser ausschöpfen können. Daher muss sich nach PORTER das Han-
deln (Ressourcenauswahl, Konzeption von Anreizsystemen, Wahl des Führungsstils usw.) auf
die jeweils ausgewählte, generische Wettbewerbsstrategie fokussieren, um eine Spitzenstel-
lung zu gewährleisten.127

Jedoch ist zu hinterfragen, inwieweit die von PORTER postulierte Umstrukturierung der Wert-
kette im Hinblick auf die Verfolgung der jeweiligen Wettbewerbsstrategie zu Inkonsistenzen
in seiner generellen Argumentationskette führen kann. So hat die Branchenstruktur für POR-
TER einen weitgehend statischen Charakter, was lediglich graduelle, aber keinesfalls struktu-
relle Veränderungen zulässt. Daraus folgt, dass die generischen Wettbewerbsstrategien Pla-
zierungsstrategien in einem statischen Markt sind.128 Reorganisiert aber ein Unternehmen
seine Wertkette, so tritt in dem statischen Konzept der generischen Wettbewerbsstrategien
eine dynamische Komponente in den Vordergrund der Betrachtung, was u. U. eine branchen-
strukturverändernde Dynamik nach sich zieht. Damit wäre aber der PORTERsche Strategiean-

123
Vgl. MAUTHE (1984), S. 318 ff.
124
Vgl. PORTER (2000), S. 81.
125
Vgl. PORTER (2000), S. 70 ff.
126
Vgl. PORTER (2000), S. 77 f.
127
Vgl. FLECK (1995), S. 15.
128
Vgl. BÖRNER (2000), S. 61.
34 KEUPER

satz einer rekursiven Selbstzerstörung ausgesetzt. Darüber hinaus gilt für den marktorientier-
ten Strategieansatz, dass zwar einerseits von interbranchenspezifischen Unterschieden hin-
sichtlich der möglichen Rentabilität ausgegangen wird, dass aber andererseits die Wettbe-
werbsstrategien der Differenzierung und der Kostenführerschaft auf relative Interbranchenun-
terschiede zurückgreifen.129 So kann in Abhängigkeit von der Definition der zu betrachtenden
Branche zwar die relative Positionierung im Markt bzw. deren damit jeweils verbundener
Wettbewerbsvorteil unverändert Bestand haben, der Wert des jeweiligen Wettbewerbsvorteils
erodiert jedoch aufgrund der u. U. zurückgegangenen Branchenattraktivität. Letztlich kann
dies bedeuten, dass in einer anders oder neu definierten Branche ein Unternehmen, das im
ursprünglichen Markt als Kostenführer oder Differenzierer agierte, im Extremfall durch die
Neudefinition in die Unrentabilität abdriftet.130

Trotz der postulierten generellen Gültigkeit der Konzentrationshypothese formuliert PORTER


vier Situationen, in denen eine gleichzeitige Realisierung von Kostenführerschaft und Diffe-
renzierung möglich erscheint.131 Zum einen besteht die Option, dass die Konkurrenten selbst
„zwischen die Stühle“ geraten sind, sodass sie auf beiden Feldern (Dimensionen) angreifbar
sind.132 Zum anderen können die Kosten u. U. weitgehend von Markanteilen oder wirtschaft-
lichen Verflechtungen beeinflusst werden, was z. B. bedingen kann, dass über einen hohen
Marktanteil und damit realisierte Kostenvorteile (Erfahrungskurveneffekte, Kostendegressi-
onseffekte usw.) Differenzierungsaktivitäten quersubventioniert werden können. Oder aber
die Fokussierung auf eine Nische ermöglicht es, aufgrund der geringen Komplexität gleich-
zeitig eine Differenzierungs- und Kostenposition einzunehmen.133 Auch ist die Situation
denkbar, dass ein Unternehmen proprietär über organisatorische bzw. technologische Innova-
tionen (Quantensprünge) verfügt, die gleichzeitig kostensparend und differenzierungsstei-
gernd wirken. Die vier Situationen stellen jedoch nach PORTER nur temporäre Alternativen
zur Alternativhypothese dar. Wird hingegen der Vorsprung durch die Nachahmer adaptiert, so
muss sich z. B. das Pionierunternehmen auf eine der beiden generischen Grundpositionen
zurückziehen, um nicht von einem leistungsstarken, eindimensional ausgerichteten Wettbe-
werber überholt zu werden.134 Damit spricht der marktorientierte Strategieansatz Simultanei-
tätsstrategien die Nachhaltigkeit respektive die Dauerhaftigkeit ab.135 Dementsprechend kann
mit einer Simultaneitätsstrategie kein strategischer Wettbewerbsvorteil generiert werden,
weil, wie eingangs erläutert, ein Wettbewerbsvorteil durch die Wichtigkeit mindestens einer
Leistungsdimension, durch die Wahrnehmung und die Dauerhaftigkeit charakterisiert ist.

Letztlich relativiert PORTER seine Konzentrationshypothese jedoch selbst durch die Forde-
rung, die Unternehmen müssten neben dem notwendigen generischen Strategiefokus gleich-
zeitig eine paritätische Position hinsichtlich der jeweils „vernachlässigten“ Wettbewerbsdi-
mension einnehmen. Dies steht jedoch konträr zu der Forderung des marktorientierten Strate-
gieansatzes, dass die Verfolgung einer generischen Wettbewerbsstrategie bedingt, dass die
Ressourcen, Organisationsstrukturen, Technologien und sogar die Unternehmenskultur zwin-
gend, einheitlich und eindeutig auf die Unterstützung des jeweils gewählten Strategiefokus`

129
Vgl. BÖRNER (2000), S. 63.
130
Vgl. BÖRNER (2000), S. 63.
131
Vgl. PORTER (2008), S. 45 ff.
132
Vgl. PORTER (2008), S. 47.
133
Vgl. FLECK (1995), S. 15.
134
Vgl. ROLLBERG (1996), S. 18.
135
Vgl. FLECK (1995), S. 15.
Die Implosion des Market-based View 35

auszurichten sind. Zudem wird auch die Konvexitätshypothese durch die Paritätsnebenbedin-
gung erodiert, weil nun offensichtlich die Marktanteilshypothese dahingehend relativiert wird,
dass z. B. eine Differenzierung wohl doch nicht mehr ausschließlich mit einem geringen
Marktanteil verbunden sein muss. Insofern ist durch die Erosion der Konzentrationshypothese
respektive durch die Forderung, neben dem Strategiefokus eine paritätische Position hinsicht-
lich der vernachlässigten Wettbewerbsdimension einzunehmen, ein inkrementeller Schritt zur
vermeintlich unmöglichen Simultaneität einer Kostenführerschaft und Differenzierung ge-
tan.136

Das Konsistenzprinzip besagt, dass Maßnahmen zur gleichzeitigen Verfolgung unterschiedli-


cher Strategietypen ab einem bestimmten Zeitpunkt zu Zielkonflikten und damit zu Inkonsis-
tenzen führen.137 Wenn also tatsächlich eine prinzipielle Unvereinbarkeit der generischen
Wettbewerbsstrategien vorliegt, dann müsste es sich bei den beiden Vorteilskategorien ent-
weder um End- oder Extrempositionen derselben Dimension oder aber um zwei verschiedene,
jedoch negativ korrelierte Dimensionen handeln. Im Hinblick auf den Ausschluss der ersten
Begründungsvariante für eine prinzipielle Unvereinbarkeit vermuten JONES/BUTLER, dass es
sich bei der zugrundeliegenden Dimension um ein Kostenkontinuum handelt, an dessen je-
weiligen Eckpunkten die beiden generischen Wettbewerbsstrategien lokalisiert sind, was
unabdingbar mit zwei sich gegenseitig ausschließenden Strategietypen verbunden ist.138 Auf
Basis transaktionkostenanalytischer Überlegungen beweisen die Autoren, dass es sich bei
Kostenführerschaft und Differenzierung keinesfalls um zwei divergente Extrempositionen
eines Kontinuums handelt. Vielmehr unterscheiden sich die beiden Strategietypen hinsicht-
lich der Relation von Produktions- und Transaktionskosten, wobei unter Einbeziehung der
Preise die Existenz von Mischstrategien nachgewiesen wird. Auch der zweite Begründungs-
ansatz zweier unabhängiger, jedoch negativ korrelierter Vorteilsdimensionen für die Manifes-
tation der Unvereinbarkeitshypothese hält einer genaueren Betrachtung nicht stand. So weist
KARNANI auf Basis spieltheoretischer Überlegungen für oligopolistische Markt- und Wettbe-
werbsstrukturen nach, dass die Dichotomie zwischen Kostenführerschaft und Differenzierung
nicht zwingend geboten ist. Vielmehr ist der Wettbewerbserfolg auf solchen Märkten in einer
integrierten Kostenführerschafts-Differenzierungsstrategie begründet, wobei die zwei Dimen-
sionen einer solchen integrierten Wettbewerbsstrategie multiplikativ miteinander in Bezie-
hung stehen und sich somit auch in ihrer Wirkung verstärken können.139 Darüber hinaus be-
weist KEUPER im Rahmen systemtheoretisch-kybernetischer Überlegungen, dass eine Naviga-
tion im Effektivitäts-Effizienz-Dilemma derart möglich ist, dass dauerhaft eine hybride
Wettbewerbsposition eingenommen werden kann.140

Insofern bleibt festzuhalten, dass es sich bei den generischen Wettbewerbsstrategien um zwei
unabhängig voneinander existierende Vorteilsdimensionen handelt, was bedingt, dass die
Unvereinbarkeit der Wettbewerbsvorteile „niedrige Kosten“ und „Differenzierung“ nicht
zwingend geboten ist. Damit stellt sich auch die Frage, inwieweit die Kostenführerschaft und
die Differenzierung überhaupt generisch sind.

136
Vgl. FLECK (1995), S. 16.
137
Vgl. SIMON (1988), S. 469 ff.
138
Vgl. JONES/BUTLER (1988), S. 203 ff.
139
Vgl. KARNANI (1984), S. 377 ff.
140
Vgl. KEUPER (2004).
36 KEUPER

4.3 Gültigkeit der Generik141


Terminologisch kann eine generische Wettbewerbsstrategie als unabhängige Variable defi-
niert werden, die zur Rentabilität als abhängiger Variable in einer bestimmten Beziehung
steht, wobei die gewählte generische Wettbewerbsstrategie zu einer Rentabilität führt, die
über dem Branchendurchschnitt liegt.142 Insofern kann die Generik der generischen Wettbe-
werbsstrategien alternativ dahingehend interpretiert werden, dass

¾ die Umweltzustände keinen Einfluss auf die Beziehung zwischen Strategie und Rentabi-
lität haben bzw.
¾ die Umweltzustände als Moderatorvariable fungieren, die zwar die Stärke, nicht aber die
Art der Beziehung verändert, oder aber dass
¾ die Umweltzustände als Moderatorvariable auch die Art der Beziehung zwischen Strate-
gie und Rentabilität verändern.143

Während die erste Hypothese von PORTER logischerweise abgelehnt wird, was sich auch da-
raus begründet, dass er für die Implementierung und Umsetzung eines Strategietyps von
Branche zu Branche unterschiedliche Maßnahmen fordert,144 sollte die dritte Hypothese nicht
gelten, weil andernfalls generische Strategien nur fallweise wirksam wären und somit den
Charakter einer heuristischen Vorgehensweise bekämen. Insofern bleibt letztlich die Erkennt-
nis, „daß der Einsatz einer generischen Wettbewerbsstrategie zu einer Performance führt,
welche über dem Branchendurchschnitt liegt, wobei spezifische Umweltfaktoren als Modera-
torvariable die Stärke, aber nicht die Art der Beziehung“145 verändern. Gleichwohl ist zu
beachten, dass die Aussagen von PORTER selbst diesbezüglich weniger prägnant sind, weil er
davon ausgeht, dass in einigen Branchen weder eine noch mehrere Strategien realisiert wer-
den können, „aber in vielen Branchen die drei Strategietypen rentabel nebeneinander stehen,
solange die Unternehmungen verschiedene Typen verfolgen oder [...] unterschiedliche Aus-
gangspunkte wählen“146.

Dass Simultaneitätsstrategien nicht nur bei Bedarf eine mögliche Option,147 sondern auch einen
Erfolg versprechenden Weg zum Aufbau eines dauerhaften Wettbewerbsvorteils darstellen,
wird in einer Reihe empirischer Untersuchungen belegt.148 Insofern kann die Generik der
generischen Wettbewerbsstrategien nicht als unabdingbares Postulat aufrechterhalten werden;
vielmehr stellen die PORTER`schen Wettbewerbsstrategien  wie auch hybride Wettbewerbs-
strategien  kontextabhängige Strategieoptionen dar mit der Konsequenz, dass die Perfor-
mance jeder Strategie, bedingt durch die Wirkungsweise der Moderatorvariablen, unter-,
über- oder nur durchschnittlich sein kann. Daher wäre sachlich korrekt nicht von generischen
Wettbewerbs-, sondern von Nicht-Simultaneitätsstrategien zu sprechen.

141
Die nachfolgenden Ausführungen zu Gliederungspunkt 4.3 lehnen sich eng an KEUPER (2004), S. 65 f., an.
142
Vgl. zu den nachfolgenden Ausführungen ausführlich FLECK (1995), S. 40 ff.
143
Vgl. FLECK (1995), S. 40.
144
Vgl. PORTER (2008), S. 37 f.
145
FLECK (1995), S. 41.
146
PORTER (2008), S. 49 f.
147
Vgl. CORSTEN (1998), S. 120.
148
Vgl. z. B. KIM/LIM (1988).
Die Implosion des Market-based View 37

Letztlich aber basiert die Auflösung der Generik der generischen Wettbewerbsstrategien
dabei sowohl auf unternehmensexternen Veränderungen, wie z. B. der Entwicklung einer
heterogen-hybriden Nachfrage oder der Konvergenz der Märkte, als auch auf unternehmens-
internen Entwicklungen, wie z. B. neuen Fertigungsverfahren, neuen Organisationskonzepten
und modernen Informations- und Kommunikations-Technologien (IuK-Technologien).

4.4 Nachfrager-, Nachfragerstruktur-


und Massenmarktkomplexitätskongruenz149
Die Analyse der aktuellen Entwicklungen im wettbewerbsstrategischen Umfeld zeigt, dass
sowohl im Industriegüter- als auch im Konsumgüterbereich das Nachfrageverhalten vermehrt
als intra- und interindividuell heterogen-hybrid zu charakterisieren ist, was bedingt, dass eine
zunehmende Individualisierung der Präferenzen der Kunden zu verzeichnen ist. Es reicht
nicht mehr aus, effektivitäts- oder effizienzorientiert am Markt zu agieren; vielmehr fordert
die zunehmend hybride Nachfrage die Simultaneität von Effektivität und Effizienz. Insofern
ist auf vielen Märkten, um adäquate Erträge zu erwirtschaften, eine reine Kostenorientierung
bzw. eine reine Differenzierungsstrategie nicht mehr zwingend Erfolg versprechend. Zwar
versucht PORTER dies dadurch zu berücksichtigen, dass er betont, dass die Konzentration auf
eine der beiden Wettbewerbsstrategien eine annähernde Parität gegenüber den Konkurrenten
bei der jeweils nicht verfolgten Strategiedimension bedingt, womit quasi der erste Schritt im
Hinblick auf eine Simultaneitätsstrategie vollzogen ist, jedoch berücksichtigt dies nur appro-
ximativ das hybride Käuferverhalten, das eine simultane und gleichwertige Erfüllung der
strategischen Erfolgsfaktoren Kosten, Qualität und Zeit fordert. Mindesteffektivität bzw.
Mindesteffizienz, gepaart mit einer markt-kunden-orientierten Effizienz bzw. Effektivität,
reicht daher auf vielen Märkten nicht mehr aus.

Der demografischen Entwicklung hin zu einer Konsumentenschicht, die sich zunehmend über
Produkte profiliert bzw. ihre Persönlichkeit über Produkte hervorhebt, trägt das eher techno-
kratisch ausgerichtete Konzept der monoerfolgsfaktorzentrierten Wettbewerbsstrategien we-
nig Rechnung. So ist die Differenzierung zu stark auf technologische Attribute wie Produkt-
qualität oder Innovationsgrad und zu wenig auf die Präferenzbildung150 der Abnehmer ausge-
richtet. Eine Erlebnis- oder Designorientierung sowie die Möglichkeiten des Marketings, wie
z. B. die Generierung preisorientierter Abnehmer, bleibt unberücksichtigt bzw. wird einer
objektiven Produktdifferenzierung oder einem produktionswirtschaftlichen Kostenvorteil
nachgeordnet.151

Darüber hinaus wird das Problem des Zeitwettbewerbs in den generischen Wettbewerbsstra-
tegien kaum berücksichtigt. Die immer schnellere Diffusion von technologischen Entwick-
lungen lässt Marktbarrieren zunehmend erodieren mit der Folge, dass die Marktanwesen-
heitszeiten der Produkte sich dramatisch verkürzen. Damit wird aber der Kostenführer-
schaftsstrategie in vielen Branchen die Erfolgsgrundlage entzogen. Nur hinreichend stabile
Märkte, in denen homogene und standardisierte Produkte über einen längeren Zeitraum abge-
setzt werden können, ermöglichen es, insbesondere im Produktions- und Logistikbereich

149
Die nachfolgenden Ausführungen zu Gliederungspunkt 4.4 lehnen sich eng an KEUPER (2004), S. 66 ff., an.
150
Zu Profilierungsstrategien auf Basis von Präferenzstrategie und Preis-Mengen-Strategie vgl. MEFFERT (1994),
S. 137.
151
Vgl. PILLER (2006), S. 215.
38 KEUPER

Größenvorteile und Erfahrungskurveneffekte zu realisieren. Darüber hinaus liegt oftmals


aufgrund verfahrenstechnologischer Innovationen eine Schar von Erfahrungskurven vor,
sodass nicht ausschließlich der Marktführer erfahrungskurvenbedingte Kostensenkungspoten-
ziale erschließen kann.152 Zudem ist aufgrund produktionstechnologischer, organisatorischer
und IuK-technologischer Entwicklungen, wie z. B. durch den Einsatz flexibler Fertigungssys-
teme in virtuellen Organisationen, festzustellen, dass das Ausschöpfen erfahrungskurvenbe-
dingter Kostensenkungspotenziale geringere kumulierte Produktionsmengen erfordert. Durch
die Verringerung der optimalen Betriebsgröße können Wettbewerber mit geringen Marktan-
teilen kostenoptimale Positionen einnehmen. Letzteres wird auch durch die zunehmend gesät-
tigten Märkte verstärkt, weil auf stagnierenden Märkten die Kostenstrukturen der Wettbewer-
ber weitgehend homogen sind, was jedoch PORTERs Annahme einer monopolartigen Kosten-
führerschaft widerspricht.153 Insofern bietet es sich in einer solchen Situation an, unter Beibe-
haltung einer günstigen Kostenposition die Differenzierung voranzutreiben.154

Zudem treten im Zeitwettbewerb aufgrund von Sättigungstendenzen häufig Programmüber-


springungseffekte auf, die wiederum der reinen Differenzierungsstrategie die Daseinsberech-
tigung entziehen. So wird der zusätzlich angebotene Nutzen vom Kunden nicht mehr als
„echter Nutzen“ wahrgenommen und honoriert. Dies hat zur Folge, dass ganze Produktgene-
rationen übersprungen werden. In einer solchen Situation bietet es sich dementsprechend an,
unter Beibehaltung einer optimalen Differenzierungsposition die Kostenführerschaft bzw.
eine annähernd äquivalente Position zu erreichen. Zudem treten Zielkonflikte zwischen Diffe-
renzierung und Kostensenkung immer nur dann auf, wenn entweder sämtliche Effizienzpo-
tenziale dauerhaft ausgeschöpft worden sind oder aber das Differenzierungspotenzial im
Hinblick auf die Kundenpräferenzen optimal ausgestaltet ist. Dies ist aber in der Praxis nicht
der Fall, weil zum einen die Differenzierungsstrategie mehrdimensional ist und somit vielfäl-
tige Ansatzpunkte zur Optimierung bietet und zum anderen real niemals alle Unwirtschaft-
lichkeiten beseitigt sein werden. Schließlich kann die Differenzierungsstrategie auch durch
Maßnahmen der Wettbewerber konterkariert werden, wenn wettbewerbsseitige Modifikatio-
nen das Preis-/Leistungsverhältnis derart verändern, dass die Bereitschaft der Nachfrager
abnimmt, für einen höheren Nutzen auch einen höheren Preis zu bezahlen.155

Aufgrund der Marktkomplexität und der ihr inhärenten Marktdynamik kann zudem eine
Branchenanalyse anhand der fünf Wettbewerbskräfte nie vollständig sein.156 Damit stellt sich
insbesondere für dynamische Märkte die Frage, ob eine eindimensionale Strategieentschei-
dung vor dem Hintergrund der Informationsunsicherheit die richtige Entscheidung sein kann
oder ob nicht der konsequente Aufbau einer ressourcen- bzw. kernkompetenzgetriebenen
Differenzierungsposition, die i. d. R. auch schwieriger zu adaptieren ist, unter Beachtung
einer nahezu kostenführerschaftsäquivalenten Position die richtige Antwort ist.

152
Vgl. WILL (1996), S. 37.
153
Vgl. CORSTEN (1998), S. 95.
154
Vgl. PILLER (2006), S. 216.
155
Vgl. KLEINALTENKAMP (1987), S. 36 ff.
156
Vgl. WHITTINGTON (1993), S. 23.
Die Implosion des Market-based View 39

4.5 Konvergenzkomplexitätskongruenz157
Die gegenwärtigen Wirkungen der Konvergenz führen dazu, dass zunehmend bestehende
Marktbarrieren und Branchenstrukturen erodieren, weshalb die Branchenlebenszyklen sich
immer weiter verkürzen. Dies bedingt evolutionäre, vor allem aber revolutionäre Transforma-
tionen der Wertschöpfungsketten bzw. der Geschäftsmodelle. Insofern konvergieren und
divergieren Branchen, noch bevor sie zumindest temporär einen stabilen und transparenten
Zustand erreicht haben.158 Eine analysierbare, hinreichend stabile Branchenstruktur ist aber
die unabdingbare Voraussetzung für die eindimensionale Strategiewahl, wie sie PORTER vor-
schlägt.159 Durch die Dynamik der Branchen und die immer schneller auftretenden Verände-
rungen werden aber eine Zukunftsvorhersage und die Planung einer monolithischen Positio-
nierung praktisch unmöglich.160 Für die Umsetzung einer eindeutigen Kostenführerschafts-
bzw. Differenzierungsstrategie ist eine detaillierte Analyse der Branchenstruktur unumgäng-
lich, weil eine auch nur infinitesimal schlechtere Positionierung nach PORTER schon zu dra-
matischen Ertragseinbußen führen kann. Liegt hingegen eine homogene Dynamik in einem
Geschäftsfeld vor, d. h. existieren strategische Basistrends, wie z. B. die Filialisierung im
Handel, so kann trotz Marktdynamik eine eindeutige Positionierung als Kostenführer bzw. als
Differenzierer verfolgt werden. Allerdings ist eine solchermaßen homogene Dynamik gerade
nicht das Kennzeichen der Konvergenz; vielmehr zeichnet sich die Konvergenz durch ein
hohes Maß an Diskontinuität161 aus. Insofern erscheint es gerade in konvergierenden Märkten
geboten, ein Leistungsbündel durch entsprechende Komplementierer162 so zu schnüren, dass
es kosten-, qualitäts- und zeitorientiert ausgerichtet ist. Die Komplexität eines solchen Leis-
tungsbündels und die Intransparenz der dahintersteckenden Prozesse repräsentieren auch in
Zeiten konvergierender Märkte eine weitaus höhere und dauerhaftere Replikationsbarriere als
eine eindimensionale Strategiewahl, deren Wettbewerbsvorteil rasch durch entsprechende
Kooperationen oder Partnerschaften mit Wettbewerbern oder branchenfremden Unternehmen
egalisiert werden kann. Dementsprechend sinkt auf konvergierenden Märkten durch die Ver-
folgung einer Simultaneitätsstrategie die Imitationsgefahr durch die Wettbewerber. Darüber
hinaus stellen gerade die möglichen Inflexibilitäten, die mit einer Entweder-oder-Strategie
verbunden sind, vor dem Hintergrund konvergierender Märkte ein großes Gefahrenpotenzial
für die strategische Mittelmäßigkeit dar. Gerade die durch die Konvergenz entstehenden fle-
xiblen, integrierten Produkt- und Prozesstechnologien fordern auch flexible, ganzheitliche
und hybride Strategieformen.

PORTER berücksichtigt aber weder die aus der Konvergenz abgeleitete unabdingbare Forde-
rung nach Leistungsbündelung mittels kooperativ-konstituierender Systemprodukte noch den
sich häufig aus der Konvergenz ergebenden Freund/Feind-Wettbewerb. Insofern sind die fünf
Marktkräfte zumindest um eine sechste Kraft, den Komplementierer, zu erweitern, um in
konvergierenden Branchen überhaupt eine Analyse der Struktur zu ermöglichen. Dabei beste-

157
Die nachfolgenden Ausführungen zu Gliederungspunkt 4.5 lehnen sich eng an KEUPER (2004), S. 68 ff., an.
158
PORTER geht davon aus, dass die Konvergenz ein zeitlich begrenztes Kontinuum darstellt, in dem die meisten
Experimente wirtschaftlicher Art fehlschlagen werden, sodass sich nach und nach eine stabile Branche für eine
klare monoerfolgsfaktororientierte Positionierung herausbildet; vgl. PORTER (2001), S. 68 ff.
159
PORTER lässt bei emergierenden Märkten durchaus Dynamik zu; allerdings sind seine strategischen Empfehlun-
gen sehr vage; vgl. PORTER (2000), S. 65 f.
160
Vgl. HAERTSCH (2000), S. 128.
161
Diskontinuität beinhaltet nichtlineare Veränderungen, die durch unterbrochene Handlungs- und Ereignisfolgen
gekennzeichnet sind; vgl. PERICH (1993), S. 95.
162
Vgl. BRANDENBURGER/NALEBUFF (1996), S. 18.
40 KEUPER

hen zwischen komplementierenden Parteien interdependente Beziehungen mit dem Ziel bei-
der Parteien, einen gemeinsamen Markt aufzubauen, wobei jedoch i. d. R. jede Partei einen
möglichst großen Teil des gemeinsamen Markterfolges für sich behalten will.163 Durch die
Machtverlagerung zum Kunden und die zunehmende Spezialisierung der Unternehmen steigt
die Bedeutung der Komplementierer, weil nur so hybride Leistungsbündel (Systemprodukte)
generiert werden können, um den hybriden Käuferpräferenzen gerecht zu werden. Die Be-
rücksichtigung der Komplementierer als sechste Wettbewerbskraft in konvergierenden Märk-
ten unterstreicht die Möglichkeit, dass eine Simultaneität der generischen Strategieoptionen
nicht zwangsläufig zu einem „Sitzen zwischen den Stühlen“ führen muss.164

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Auswirkungen der Konvergenz auf die
fünf Wettbewerbskräfte von PORTER vielschichtig sind. Die Komplexität des Zusammenspiels
zwischen den Komplementierern und den fünf Kräften des Marktes bedingt, dass Wirkungs-
intensität und Wirkungsrichtung ex ante nicht vorhersagbar sind. Insofern muss der Bran-
chenstrukturanalyse generell die Planungsfunktion aufgrund der hohen Dynamik auf konver-
gierenden Märkten in weiten Bereichen abgesprochen werden; vielmehr nehmen Branchen-
strukturmodelle ausschließlich den Charakter eines strukturierenden Analysewerkzeugs für
einen spezifischen Zeitpunkt an.165 Dabei ist zu beachten, dass die Gültigkeit der Analyseer-
gebnisse auf konvergierenden Märkten sehr gering ist.

Die unzureichende Planungsfunktion von Branchenstrukturmodellen wird u. a. in einer Studie


über die Erfolgsfaktoren im Business-to-Consumer-E-Commerce eindeutig belegt.166 Im
Rahmen dieser Studie konnte kein signifikanter Zusammenhang zwischen der allgemeinen
Wettbewerbsintensität, der leistungsbezogenen Wettbewerbsintensität, der preislichen Wett-
bewerbsintensität und dem Erfolg eines Unternehmens gefunden werden.167

Ferner kann das verwendete Bild einer linearen Wertschöpfungskette, bei der die Wertschöp-
fungsschritte in sequentiellem Zusammenhang stehen, vor dem Hintergrund konvergierender
Märkte und der damit verbundenen Zunahme informationsintensiver Güter die vernetzten und
rekursiven Produktionsprozesse, wie sie z. B. in der Medienbranche vorliegen, kaum adäquat
widerspiegeln.168 Vielmehr repräsentieren Wertschöpfungsnetzwerke oder Wertschöpfungs-
kreisläufe häufig den Wertschöpfungsprozess besser als linearisierte Denkmodelle.169 Inso-
fern wird auch die an sich schon kaum zwingend abzuleitende zweifelsfreie Unterscheidung
zwischen primären und sekundären Aktivitäten noch weiter erschwert.

163
Vgl. BRANDENBURGER/NALEBUFF (1996), S. 36.
164
BLECKER bezeichnet im Rahmen seines Konzepts der grenzenlosen Unternehmung die sechste Kraft als
Netzwerkexternalitäten. Dahinter verbirgt sich ebenso wie im Fall des Komplementierers schwerpunktmäßig der
Versuch, über Kooperationsformen den Anforderungen des Marktes adäquat entgegenzutreten. Auf den Wettbe-
werb innerhalb einer Branche wirken sich Kooperationen unterschiedlich aus. So kann z. B. die Wettbewerbsin-
tensität sinken, weil die Unternehmen zur Partizipation neigen und kollusives Verhalten zeigen; vgl. BLECKER
(1999), S. 101. Allerdings führt ein Wettbewerb zwischen kooperativ agierenden Verbünden zu einer extremen
Intensivierung des Wettbewerbs, weil die Marktmacht der wenigen großen Verbünde sehr ausgeprägt ist.
165
Vgl. HAERTSCH (2000), S. 128.
166
Vgl. BÖING (2001), S. 109 ff.
167
Vgl. BÖING (2001), S. 127 ff.
168
Vgl. KEUPER (2001b), S. 395.
169
Vgl. hierzu z. B. die Content-Erstellung von Zeitungs- und Publikumszeitschriftenverlagen in KEUPER (2001b),
S. 395 f.
Die Implosion des Market-based View 41

5 Wettbewerbsstrategischer und methodischer


Zusammenbruch des Market-based View

Vorangehend ging es nicht darum, den Market-based View und dessen „generische“ Wettbe-
werbsstrategien generell zu verwerfen. Nach wie vor besteht die Möglichkeit, dass es stabile,
reife, sich homogen-dynamisch entwickelnde Branchen und Märkte geben kann, in denen
eine outside-in-getriebene Vorgehensweise zur Ableitung einer umfassenden Kostenführer-
schaft oder einer Differenzierung die ausschließlich richtige Strategie ist.

Allerdings sind diese Voraussetzungen gegenwärtig schon selten vorzufinden, und in der
Zukunft werden sie immer seltener anzutreffen sein. Zunehmend werden Unternehmen res-
sourcen- bzw. kernkompetenzgetrieben Simultaneitätsstrategien umsetzen, um sich zu diffe-
renzieren, weil auch in Zukunft mit weiter erodierenden Branchen, lediglich temporär stabilen
Konvergenzergebnissen sowie einer zunehmend heterogen-hybriden Nachfrage sowohl im
Industrie- als auch im Konsumgüterbereich zu rechnen ist. Insofern ist die ressourcen- bzw.
kernkompetenzgetriebene Verfolgung einer Simultaneitätsstrategie zukünftig als eine zentrale
Strategieoption zu sehen, die nicht zwangsläufig zu einem „Sitzen zwischen den Stühlen“
führt,170 sondern die dichotomen Strategietypen ergänzt171.

Zweck der Unternehmen =


Sicherung der langfristigen
Unternehmensgesamtstrategien
Positionierung Überlebensfähigkeit
im Markt
Maximierung des Wettbewerbsstrategien
unternehmerischen Erfolgs

Effektivität Effizienz

Planung der
Erfolgsposition Qualität Zeit Kosten

Strategischer Wettbewerbsvorteil

Pfaddeterminierte, inkrementell Wertschöpfungskette


entwickelbare distinktive
Ressourcen
(z. B. IT im Zusammenspiel mit
anderen Funktionsbereichen) Distinktive Ressourcen

Resource-based View

Abbildung 21: Struktur des Resource-based View172

170
Vgl. CORSTEN (1995), S. 352.
171
Eine andere Auffassung hat FLECK (1995), S. 32.
172
KEUPER (2008), S. 26.
42 KEUPER

Insgesamt kann somit festgehalten werden, dass die PORTER`schen Entweder-oder-Strategien


zwar die Strategiediskussion in Theorie und Praxis geprägt haben, die strategische Eignung
im Hinblick auf die gegenwärtige Marktkomplexität jedoch in weiten Bereichen als eher
gering einzustufen ist. Ferner ist zu attestieren, dass der Modellansatz von PORTER erhebliche
Inkonsistenzen, widersprüchliche Annahmen sowie nicht eindeutig belegbare Hypothesen
aufweist und aus transaktionskostentheoretischer, spieltheoretischer und systemtheoretisch-
kybernetischer Sicht ad absurdum geführt wird.

Letztlich sind die Entweder-oder-Strategien nicht i. d. L., eine heterogen-hybride Nachfrage-


struktur zu berücksichtigen. Auch die sich aus der nicht zutreffenden Dichotomisierungs-
annahme evolutorisch entwickelnde Starrheit des Produktionssystems, das per se nicht darauf
ausgerichtet ist, mehrere strategische Erfolgsfaktoren gleichzeitig zu verfolgen, schränkt das
notwendige Flexibilitätspotenzial auf konvergierenden Märkten stark ein. Insofern haben die
PORTER`schen Wettbewerbsstrategien nur einen geringen Bezug zur gegenwärtigen Markt-
komplexität, sodass  ketzerisch formuliert  sich die Marktorientierung des Market-based
View und der PORTER`schen Wettbewerbsstrategien nicht auf die dem Markt inhärente Kom-
plexität bezieht, wodurch der Kunde zum Vasallen der Strategen wird. Damit wird auch deut-
lich, dass die monoerfolgsfaktorzentrierten Wettbewerbsstrategien von PORTER nicht i. d. L.
sind, das bestehende Komplexitätsgefälle zwischen Marktkomplexität und der Komplexität
eines Unternehmens adäquat zu handhaben.

Quellenverzeichnis

ADAM, D. (1998): Produktionsmanagement, Wiesbaden 1998.


BÄNSCH, A. (1995): Variety Seeking, in: GfK-Jahrbuch der Absatz- und Verbrauchs-
forschung, 1995, S. 342365.
BAIN, J. S. (1956): Barriers to New Competition. Cambridge 1956.
BARZEN, D./WAHLE, P. (1990): Das PIMS-Programm, in: Harvard Business Manager, 1990,
Nr. 1, S.100109.
BEA, F. X./HAAS, J. (2005): Strategisches Management, 4. Auflage, Stuttgart 2005.
BECK, U. (1986): Risikogesellschaft, Frankfurt a. M. 1986.
BECKER, A. (1996): Rationalität strategischer Entscheidungsprozesse, Wiesbaden 1996.
BEST, M. H. (1990): The New Competition, Cambridge 1990.
BLECKER, T. (1999): Unternehmen ohne Grenzen, Wiesbaden 1999.
BLISS, C. (2000): Management von Komplexität, Wiesbaden 2000.
BÖING, C. (2001): Erfolgsfaktoren im Business-to-Consumer-E-Commerce, Wiesbaden 2001.
BÖRNER, C. J. (2000): Strategisches Bankmanagement, München/Wien 2000.
BOGASCHEWSKY, R./ROLLBERG, R. (1998): Prozeßorientiertes Management, Berlin et al. 1998.
BRANDENBURGER, A. M./NALEBUFF, B. J. (1996): Co-opetition, Boston 1996.
Die Implosion des Market-based View 43

CORSTEN, H. (1995): Wettbewerbsstrategien, in: CORSTEN, H./REISS, M. (Hrsg.), Handbuch


Unternehmensführung, Wiesbaden 1995, S. 341353.
CORSTEN, H. (1998): Grundlagen der Wettbewerbsstrategie, Stuttgart/Leipzig 1998.
CORSTEN, H./WILL, T. (1992): Simultaneität von Kostenführerschaft und Differenzierung
durch neue informationstechnologische und arbeitsorganisatorische Produktionskonzepte,
Diskussionsbeiträge der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät Ingolstadt, Nr. 25, Ingol-
stadt 1992.
DOWLING, M./LECHNER, C./THIELMANN, B. (1998): Branchenstrukturanalyse in konvergieren-
den Märkten, schriftlicher Beitrag, 22. Workshop der Kommission Organisation im Ver-
band der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft, Freie Universität Berlin, Berlin 1998.
DOYLE, P. (1987): Marketing and the British Chief Executive, in: Journal of Marketing Man-
agement, 1987, Nr. 2, S. 121132.
FLECK, A. (1995): Hybride Wettbewerbsstrategien, Wiesbaden 1995.
GÄLWEILER, A. (1990): Strategische Unternehmensführung, 2. Auflage, Frankfurt a. M. 1990.
GERYBADZE, A. (2003): Strategisches Management und dynamische Konfiguration der Unter-
nehmens-Umwelt-Beziehungen, in: LEISTEN, R./KRCAL, H.-C. (Hrsg.), Nachhaltige Unter-
nehmensführung, Wiesbaden 2003, S. 83100.
GIERL, H. (1989): Individualisierung und Konsum, in: Markenartikel, 1989, S. 422428.
HAERTSCH, P. (2000): Wettbewerbsstrategien für Electronic Commerce, 2. Auflage, Lohmar/
Köln 2000.
HAUSER, U./KRUG, C. (1996): „Unsere Nächte sind farbiger als eure Tage“, in: Stern, 1996,
Nr. 2, S. 4670.
HILDEBRAND, V. G. (1997): Individualisierung als strategische Option der Marktbearbeitung,
Wiesbaden 1997.
JONES, G. R./BUTLER, J. E. (1988): Cost, Revenue, and Business-Level Strategy, in: Academy
of Management Review, 1988, S. 202213.
KALUZA, B. (1995): Zeitmanagement, in: CORSTEN, H. (Hrsg.), Lexikon der Betriebswirt-
schaftslehre, 3. Auflage, München/Wien 1995, S. 10641071.
KARNANI, A. (1984): Generic Competetive Strategies, in: Sloan Management Review, 1984,
S. 322349.
KEUPER, F. (2001a): eSig, in: KEUPER, F. (Hrsg.), Strategic E-Business, Wiesbaden 2001,
S. 443480.
KEUPER, F. (2001b): Multimedia Supply Chain Management am Beispiel von Zeitungs- und
Publikumszeitschriftenverlagen, in: Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis, 2001,
S. 392410.
KEUPER, F. (2001c): Strategisches Management, München/Wien 2001.
KEUPER, F. (2002): Convergence-based View, in: KEUPER, F. (Hrsg.), Electronic Business
und Mobile Business, Wiesbaden 2002, S. 603654.
44 KEUPER

KEUPER, F. (2004): Kybernetische Simultaneitätsstrategie  Navigation im Effektivitäts-Effi-


zienz-Dilemma, Berlin 2004.
KEUPER, F. (2008): IT-Management im Kontext des Strategie-Struktur-Zusammenhangs, in:
KEUPER, F./SCHOMANN, M./GRIMM, R. (Hrsg.), Strategisches IT-Management vs. IT-ge-
stütztes strategisches Management, Wiesbaden 2008, S. 1338.
KEUPER, F./HANS, R. (2003a): Multimedia-Management, Wiesbaden 2003.
KEUPER, F./HANS, R. (2003b): Strategisches Konvergenz-Management, in: WIRTZ, B. W.
(Hrsg.), Handbuch Medien- und Multimediamanagement, Wiesbaden 2003, S. 793834.
KEUPER, F./HANS, R. (2006): Erlösformen in Geschäftsmodellen der Medienbranche, in:
SCHOLZ, CHR. (Hrsg.), Handbuch Medienmanagement, Berlin et al. 2006, S. 393415.
KEUPER, F./OECKING, C. (2008a): Shared Service Center – The First and the Next Generation,
in: KEUPER, F./OECKING, C. (Hrsg.), Corporate Shared Services  Bereitstellung von
Dienstleistungen im Konzern, 2. Auflage, Wiesbaden 2008, S. 475502.
KEUPER, F./OECKING, C. (2008b): Vorwort zur zweiten Auflage, in: KEUPER, F./OECKING, C.
(Hrsg.), Corporate Shared Services  Bereitstellung von Dienstleistungen im Konzern,
2. Auflage, Wiesbaden 2008, S. VIXII.
KIESER, A /KUBICEK, H. (1992): Organisation, 3. Auflage, Berlin/New York 1992.
KIM, L./LIM, Y. (1988): Environment, Generic Strategies and Performance in a Rapidly De-
veloping Country, in: Academy of Management Journal, 1988, S. 802827.
KLEINALTENKAMP, M. (1987): Die Dynamisierung strategischer Marketing-Konzepte  eine
kritische Würdigung des „Outpacing Strategies“-Ansatzes von Gilbert und Strebel, in:
Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung, 1987, S. 3152.
KOTLER, P. (1989): From Mass Marketing to Mass Customization, in: Planning Review, 1989,
Nr. 5, S. 1013 und S. 4748.
KRIEB, M. (2001): Medienkonvergenz und Unternehmensstrategie, Frankfurt a. M. et al. 2001.
KUHL, M. (1999): Wettbewerbsvorteile durch Supply Management, Wiesbaden 1999.
LAUK, K. J. (1990): Strategisches Controlling und Organizational Leverage, in: HORVÁTH, P.
(Hrsg.), Steuerungsunterstützung durch das Controlling, Stuttgart 1990, S. 7589.
MASLOW, A. H. (1943): A Theory of Human Motivation, in: Psychological Review, 1943,
S. 370396.
MASON, E. S. (1939): Price and Production Policies of Large-Scale Enterprises, in: American
Economic Review, 1939, Teil 2, S. 6174.
MAUTHE, K. D. (1984): Strategische Analyse, Hersching 1984.
MEFFERT, H. (1994a): Erfolgreiches Marketing in der Rezession, Wien 1994.
MÜLLER, A. (2009): Erfolgsfaktoren im Crossmedia-Publishing, Berlin 2009.
NEUMANN, J. VON/MORGENSTERN, O. (1947): Theory of Games and Economic Behavior,
Princeton 1947.
OBERG, W. (1963): Cross-Cultural Perspectives on Management Principles, in: The Academy
of Management Review, 1963, S. 129143.
Die Implosion des Market-based View 45

PERICH, R. (1993): Unternehmensdynamik, 2. Auflage, Bern et al. 1993.


PICOT, A./FREUDENBERG, H. (1998): Neue organisatorische Ansätze zum Umgang mit Kom-
plexität, in: ADAM, D. (Hrsg.), Komplexitätsmanagement, Schriften zur Unternehmensfüh-
rung, Band 61, Wiesbaden 1989, S. 6886.
PILLER, F. T. (2006): Mass Customization, 4. Auflage, Wiesbaden 2006.
PORTER, M. E. (2000): Wettbewerbsstrategie  Methoden zur Analyse von Branchen und
Konkurrenten, 11. Auflage, Frankfurt a. M./New York 2000.
PORTER, M. E. (2001): Strategy and the Internet, in: Harvard Business Review, 2001, Nr. 3,
S. 6378.
PORTER, M. E. (2008): Wettbewerbsvorteile, 6. Auflage, Frankfurt a. M./New York 2008.
PRAHALAD, C. K./HAMEL, G. (1990): The Core Competence of the Corporation, in: Harvard
Business Review, 1990, Nr. 3, S. 7991.
REICHWALD, R./PILLER, F. T. (2000): Produktionsnetzwerke für Mass Customization, in:
KALUZA, B. (Hrsg.), Produktions- und Logistikmanagement in virtuellen Unternehmen und
Unternehmensnetzwerken, Berlin et al. 2000, S. 599628.
ROLLBERG, R. (1996a): Lean Management und CIM aus Sicht der strategischen Unter-
nehmensführung, Wiesbaden 1996.
SCHAD, H. (2000): Interorganisatorisches Business Process Redesign vor dem Hintergrund der
Entwicklungen im Bereich Electronic Commerce, Bamberg 2000.
SIMON, H. A. (1987): Schwächen bei der Umsetzung strategischer Wettbewerbsvorteile, in:
DICHTL, E./GERKE, W./KIESER, A. (Hrsg.), Innovation und Wettbewerbsfähigkeit, Wiesba-
den 1987, S. 367379.
SIMON, H. A. (1988): Management strategischer Wettbewerbsvorteile, in: Zeitschrift für Be-
triebswirtschaft, 1988, S. 461480.
STEINBACH, R. F. (1997): Integratives Qualitäts-, Zeit- und Kostenmanagement, Frankfurt a. M.
et al. 1997.
THIELMANN, B. (2000): Strategisches Innovationsmanagement in konvergierenden Märkten,
Wiesbaden 2000.
WAMSER, C. (2000): Electronic Commerce, in: WAMSER, C. (Hrsg.), Electronic Commerce,
München 2000, S. 327.
WEISER, M./GOLD, R. (1999): The Origins of Ubiquitous Computing Research at PARC in the
Late 1980s, online: http://www.research.ibm.com/journal/sj/384/weiser.html, Stand: 1999,
Abruf: 24.11.2000.
WHITTINGTON, R. (1993): What is Strategy  and does it Matter?, London 1993.
WILL, T. (1996): Wettbewerbsvorteile durch Simultaneität von Kostenführerschaft und Diffe-
renzierung, Frankfurt a. M. et al. 1996.
ZÄPFEL, G./PÖLZ, W. (1987): Zur Analyse von Wettbewerbsvorteilen einer strategischen Ge-
schäftseinheit, in: Marketing für Forschung und Praxis, 1987, S. 257265.
STEP – Mit Strategie und Transparenz
zu mehr Vertriebserfolg

MARTIN SONNENSCHEIN, HAGEN GÖTZ HASTENTEUFEL


und FLORIAN DICKGREBER

A.T. Kearney

1 Vertrieb aktuell – Eine Bestandsaufnahme...................................................................... 49


2 Ursachenanalyse .............................................................................................................. 54
3 Erfolgsfaktoren im Vertrieb erkennen ............................................................................. 57
4 STEP – Der Ansatz zu systematischem Vertriebserfolg.................................................. 58
5 Vertriebsstrategie – Was soll im Markt erreicht werden?................................................ 59
6 Go-to-Market – Welche Aufstellung ist zur Erreichung meiner strategischen Ziele
geeignet? .......................................................................................................................... 61
7 Kommerzielles Modell – Wie und mit welcher Profitabilität können die Ziele erreicht
werden?............................................................................................................................ 63
8 Operations – Wie kann die Zielerreichung sichergestellt werden?.................................. 65
9 Enabler – Wie können die Voraussetzungen zur Zielerreichung geschaffen werden? .... 68
10 HR-Entwicklung – Wie wird das optimale Team zur Zielerreichung entwickelt? .......... 68
11 Vertrieb als echter Aktivposten – Klaviatur von Strategie bis Performance.................... 69
Quellenverzeichnis.................................................................................................................. 70
STEP – Strategie und Transparenz für mehr Vertriebserfolg 49

1 Vertrieb aktuell – Eine Bestandsaufnahme

Ab Mitte 2008 waren Vertriebsorganisationen in praktisch allen B2B-Industrien von den


starken Einbrüchen im Auftragseingang geprägt. Insbesondere die produzierenden Industrien
wurden von den Auswirkungen der globalen Krise hart getroffen. Die Effekte setzten sich
auch in vermeintlich krisensichere Infrastruktur-Industrien wie Telekommunikation, Ener-
giewirtschaft und IT-Industrie fort. Einbrüche in der Produktion, bei den Geschäftsreisen und
bei Neuinvestitionen konfrontierten die Außendienste dieser eher wachstumsverwöhnten
Industrien ebenfalls mit neuen Herausforderungen – auch in den Infrastrukturindustrien kann
ein Rückgang in den Auftragseingängen von immer noch um die 10% beobachtet werden
(siehe Abbildung 1). Auch in B2C-orientierten Industrien sind – in abgeschwächter Form –
die Auswirkungen der globalen Krise spürbar geworden. Was bedeutet dies für den Vertrieb?

Umsatzeinbrüche Infrastruktur –
Rückgang der Auftragseingänge in der produzierenden Industrie
Branchen 2009
Elekto-
technik & Metall- Automotive Maschi- IT- Energie-
Telekom-
Textil Chemie Elektronik produkte OEM nenbau Services munikation versorgung

3,0%

18,6%
21,8%
23,5%
26,5%
30,5%
9,0%
35,1% 10,0%

Abbildung 1: Entwicklung Auftragseingang in Deutschland1

Wie eine gemeinsame Studie von ABSATZWIRTSCHAFT und A.T. KEARNEY zeigt,2 liegt die Ant-
wort der Mehrzahl von Unternehmen in einem stärkeren Fokus auf Vertriebseffizienz und
-effektivität, immerhin noch 47% der Unternehmen reagieren mit einer Anpassung der Ver-
triebsziele. Wie die Auswertung ebenfalls zeigt, wollen nur zwischen 25% und 34% der Un-
ternehmen ihre Vertriebsstrategie, ihren Marktangang oder ihre Vertriebspartner strukturell
anpassen (siehe Abbildung 2).

1
Die Abbildung enthält von A. T. KEARNEY aufgearbeitete Daten des STATISTISCHES BUNDESAMTES.
2
Eine gemeinsame Studie von ABSATZWIRTSCHAFT und A.T. KEARNEY mit mehr als 190 Teilnehmern; vgl. ABSATZ-
WIRTSCHAFT (2009).

F. Keuper, B. Hogenschurz (Hrsg.), Professionelles Sales & Service Management,


DOI 10.1007/978-3-8349-8799-0_2,
© Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
50 SONNENSCHEIN/HASTENTEUFEL/DICKGREBER

Frage 1: Welche Stellhebel Ihres Vertriebs passen Sie im Zuge


der Wirtschaftskrise an?
Steigerung der
Vertriebseffizienz 51%
und -effektivitität

Anpassung der 47%


Vertriebsziele

Neuformulierung der 34%


Vertriebsstrategie

Neuer 29%
Marktangang

Anpassung der
Vertriebskanäle und 25%
Vertriebspartner

Anpassung des 19%


Entlohnungssystems

Sonstiges 3%

Abbildung 2: Stellhebel Vertrieb in der Krise

Ein solcher reflexartiger Fokus auf das Performancemanagement des Vertriebs lässt sich
häufig in Krisensituationen beobachten, verhindert aber eine grundlegendere Diskussion um
die Ausrichtung und Aufstellung des Vertriebs. In vielen Unternehmen hat diese Diskussion
bereits vor der Krise begonnen und wird nun von den operativen Problemen überlagert3 –
andere Unternehmen nutzen die Situation aber bewusst, um die Frage zu stellen, wie der Wert
des Vertriebs für das Unternehmen maximiert werden kann. Wie kann der Vertrieb als ein
wirklicher Aktivposten des Unternehmens genutzt werden? Hierbei stellt sich zunächst die
Frage nach der tatsächlichen Performance des Vertriebs, die zunehmend von den anderen
Funktionsbereichen des Unternehmens gestellt wird. Welche Hintergründe haben diese Dis-
kussion und wie lässt sich ihnen begegnen?

Bemisst man die Bedeutung des Vertriebs am Gewicht des Vertriebsbudgets am Gesamtbud-
get eines Unternehmens, so stellt man fest, dass der Anteil der Vertriebsbudgets in vielen
Industrien prozentual wächst. So sind beispielsweise im Mobilfunk bei stagnierenden bzw.
schrumpfenden Umsätzen die Kosten für die Gewinnung neuer Teilnehmer und Verlängerung
von bestehenden Kunden von 25% auf 28% der operativen Kosten gestiegen.4 Dieser Kosten-
ausweitung steht bei vielen Netzbetreibern kein korrespondierender Markterfolg gegenüber,

3
Vgl. A.T. KEARNEY (2009c).
4
Vgl. A.T. KEARNEY (2009b).
STEP – Strategie und Transparenz für mehr Vertriebserfolg 51

da auch der Anteil der Vertriebskosten5 am Umsatz von 14,4% auf 16% vom Umsatz in 2008
gestiegen ist (siehe Abbildung 3).

Eine ähnliche Entwicklung lässt sich in vielen Industrien beobachten und lässt sich in der
Struktur der Einsparprogramme vieler Unternehmen erklären. Während in vielen Funktions-
bereichen des Unternehmens Kostensenkungsmaßnahmen durchgeführt werden, wird „am
Kunden“ also im Vertrieb in der Regel erst relativ spät oder gar nicht gespart.

Split der operativen Gesamtkosten Vertriebskosten als Teil des Umsatzes

+3%
100% 100% 100% 100% 16.0% 16.0%
14.6% 14.9%
Vertriebs- 25% 26% 27% 28%
kosten

Andere
direkte 33% 33% 34% 34%
Kosten

Andere
indirekte 42% 41% 39% 38%
Kosten

2005 2006 2007 2008 2005 2006 2007 2008

Abbildung 3: Entwicklung Vertriebskosten6 im Mobilfunk7

Hinzu kommt die in vielen Märkten stattfindende Saturierung und damit einhergehende Ver-
schärfung des Wettbewerbs, die dazu führt, dass Vertriebsbudgets häufig noch wachsen.
CEOs und COOs, die eine unternehmensübergreifende Perspektive haben, müssen hier je-
doch die Frage der optimalen Budgetverwendung auch im für Einsparmaßnahmen sakrosank-
ten Vertrieb stellen. Diese Frage ist zunehmend berechtigt, wenn man betrachtet, dass Ver-
triebsbudgets oft im Fortschreibungsmodus erstellt werden, also die Mittel des vergangenen
Jahres an die – üblicherweise steigenden – Ziele des neuen Jahres angepasst werden. Hierbei
werden strukturelle Anpassungen unbeachtet gelassen, aber zugleich auch keine Anreize
gesetzt, solche Anpassungen überhaupt vorzunehmen. Wie das Beispiel Privatkundenvertrieb
im Mobilfunk zeigt, führt dies nicht immer zu einer optimalen Mittelverwendung (vgl. Ex-
kurs 1).

5
Vertriebskosten definiert als Summe aller direkten Vertriebskosten (Provisionen, Kommissionen, Werbekosten-
zuschüsse) und indirekten Vertriebskosten (Personal, Miete, externe Dienstleister, etc.).
6
Vertriebskosten definiert als Summe aller direkten Vertriebskosten (Provisionen, Kommissionen, Werbekosten-
zuschüsse) und indirekten Vertriebskosten (Personal, Miete, externe Dienstleister, etc.).
7
A.T. KEARNEY (2009b).
52 SONNENSCHEIN/HASTENTEUFEL/DICKGREBER

Exkurs 1: Kanalentwicklung Mobilfunk

In einer Untersuchung westeuropäischer Telekommunikationsmärkte stellte A.T. KEARNEY


fest, dass entgegen der von allen großen Telekommunikationsunternehmen postulierten
Strategie, die eigenen Vertriebskanäle und dabei insbesondere die eigenen Shops zu stär-
ken, tatsächlich eine Ausweitung der gesamten Vertriebsoberfläche stattgefunden hat (siehe
Abbildung 4). Insbesondere der indirekte Vertrieb hat seine Oberfläche sogar prozentual
fast ähnlich stark steigern können wie der direkte Vertrieb. Diese Entwicklung führt nicht
nur dazu, dass erhebliche Investitionen in den Ausbau des Shop-Netzwerkes nicht zu einem
deutlich höheren Anteil des Kanals am Absatz führen, sondern auch bei stagnierenden
Umsätzen eine sinkende Produktivität des Vertriebs zu beobachten ist.

Netzbetreiber Shops Franchise Shops Handel

+14% 147% +10%


+5% 134%
124% 121% 125%
116%
106% 108%
100% 100% 96% 100%

2005 2006 2007 2008 2005 2006 2007 2008 2005 2006 2007 2008

Abbildung 4: Entwicklung Vertriebsoberfläche Westeuropa8

Neben der außerhalb des Vertriebs oft nicht nachvollziehbaren Budgetplanung und -ver-
wendung besteht ein weiteres Transparenz-Problem, das die Akzeptanz von positiven Ver-
triebsleistungen deutlich erschwert. Vertriebsziele werden – vergleichbar zu den Budgets –
aufbauend auf den Zielen des Vorjahres definiert. Eine übergeordnete Vorgabe aus dem Ge-
schäftsplan wird zwar oft integriert, also bspw. eine Absatz- oder Umsatzsteigerung um x%,
diese ist aber üblicherweise nicht an der Marktentwicklung ausgerichtet. In Projekten zur
Optimierung des Vertriebs stößt A.T. KEARNEY dementsprechend oft auf die Situation, dass
der Vertrieb erneut das historisch beste Ergebnis des Vertriebs feiert, tatsächlich aber im
Wettbewerbsvergleich Marktanteile verloren wurden. Eine Zielerreichung von 120% oder
mehr im Vertrieb und damit verbundene Ausschüttung von Boni und anderen variablen Ge-
haltsbestandteilen steht dabei oft in starkem Widerspruch zu den Gesamtergebnissen des
Unternehmens und der Zielerreichung anderer Bereiche. Nach den Erfahrungen von A.T.
KEARNEY zeigt sich bei einer starren, nicht am Wettbewerbserfolg orientierten Zielsetzung vor
allem gegen Jahresende noch ein weiteres gefährliches Phänomen: Hat der Außendienst seine
Ziele für eine maximale Ausschüttung des variablen Anteils erst erreicht, wird die Marktbe-
arbeitung deutlich zurückgefahren und dem Unternehmen geht Umsatz verloren. Dieses Phä-
nomen stellt sich teilweise bereits im November ein. In einer gemeinsamen Studie von AB-
SATZWIRTSCHAFT und A.T. KEARNEY gaben außerdem immerhin 14% der Unternehmen an,

8
A.T. KEARNEY (2009b).
STEP – Strategie und Transparenz für mehr Vertriebserfolg 53

dass die Ziele in der Krise nach unten korrigiert werden und weitere 17% die Ziele von vorn-
herein so konservativ geplant hatten, dass weitere Anpassungen nicht erforderlich sind9. An
diesen Zahlen wird deutlich, dass über die Anpassung der Ziele Vertriebsorganisationen von
den negativen Ergebnissen des Gesamtunternehmens abgekoppelt werden und zumindest
moderate Zielerfüllung aufweisen können (siehe auch Exkurs 2).

Deutlicher werden die Probleme einer klassischen Vertriebssteuerung aber immer dann, wenn
die Ergebnisse sich nicht wie erwartet einstellen. In einer Vielzahl von Projekten konnte A.T.
KEARNEY feststellen, dass in diesen Fällen auch Mängel in der operativen Steuerung von Ver-
triebsorganisationen zu Tage treten. Diese bestehen vor allem in einer ungenügenden Kennt-
nis und Struktur der Vertriebs-Pipeline, nicht ausreichenden Leads zur Befüllung dieser Pipe-
line und auch einer unzureichenden Kenntnis der Kundenbedürfnisse. Zur Behebung solcher
Probleme wird versucht, mittels Vertriebs-Wettbewerben, speziellen Incentives für Kanäle
oder aber sogar Kostensenkungen durch Veränderungen bei den Back-Office-Prozessen die
Performance kurzfristig zu verbessern. Diese Maßnahmen greifen jedoch insgesamt zu kurz.

Angesichts des starken Fokus` auf operative Performance Steigerung gepaart mit fortge-
schriebenen Vertriebsbudgets und unzureichender Transparenz in der Vertriebssteuerung lässt
sich zusammenfassend von einer oft unzureichenden Professionalisierung des Vertriebs spre-
chen. Bevor ein Ansatz aufgezeigt wird, der nach Erfahrung der Autoren zu einer Professio-
nalisierung des Vertriebs führt, ist noch weitere Ursachenanalyse erforderlich. Als ein positi-
ves Beispiel für eine adäquate Krisenreaktion lässt sich die Reaktion eines großen integrierten
Telekommunikationskonzern anführen, der bei sich abzeichnenden Einbrüchen im Auftrags-
eingang genau nicht mehr einem mehr an Formularen und Kontrolle geantwortet hat, sondern
über eine verbesserte Segmentierung den Produkt-Markt-Fokus verschoben und durch eine
Unterstützung des Vertriebs mit Zielkundenlisten und deren Nutzungsprofil für eine bessere
Transparenz des Außendienstes über seine Kunden gesorgt hat. Hier lässt sich von einer wirk-
lichen Professionalisierung des Vertriebs sprechen.

Exkurs 2: Balance Vertriebs- und Unternehmensziele

Im B2B-Vertrieb eines Anbieters für Dentaltechnologie erreichte der Vertrieb Jahr für Jahr
eine Zielerreichung von über 120%. Die Absätze wurden Jahr für Jahr gesteigert und auch der
Umsatz wuchs kontinuierlich. Aus der Sicht der Unternehmensführung war die Einschätzung
der erzielten Erfolge nicht gleichermaßen positiv, da der Marktanteil kontinuierlich sank. Die
Fortschreibung der Ziele im Vertrieb erfolgte also offensichtlich vorbei am Wachstum des
Marktes und der Entwicklung des Wettbewerbs. Ein Problem auf das aber weder Controlling
noch Strategieabteilung des Unternehmens rechtzeitig aufmerksam geworden waren. Ein
Abgleich mit der Gesamtplanung des Unternehmens hätte hier für Abhilfe sorgen können.

9
Vgl. ABSATZWIRTSCHAFT (2009).
54 SONNENSCHEIN/HASTENTEUFEL/DICKGREBER

2 Ursachenanalyse

In einer branchenübergreifenden Vertriebsstudie mit mehr als 30 Teilnehmern aus der Kon-
sumelektronik, Telekommunikation, Energiewirtschaft und dem High-Tech-Sektor, die so-
wohl den B2B- als auch den B2C-Sektor abdeckte, hat A.T. KEARNEY verschiedene Aspekte
des Vertriebs der beteiligten Unternehmen untersucht. Ein wesentliches Ergebnis dieser Stu-
die war die bei den Teilnehmern unzureichende Definition der Vertriebsstrategie. Bei der
Frage nach der Formulierung einer Vertriebsstrategie wird diese zwar üblicherweise bejaht,
jedoch stellt sich bei Abfrage der definierten Elemente eindeutig heraus, dass Absatz, Umsatz
und Profitabilität die dominierenden Elemente sind. Quantitative Vertriebsziele werden also
mit der Vertriebsstrategie gleichgesetzt.10

Die genannte Studie hat in den Interviews mit den Vertriebsleitern ebenfalls gezeigt, dass sich
die Vertriebsorganisationen deutlich stärker mit der Definition von Zielen und dem operati-
ven Performance-Management auseinandersetzen, als mit den strategischen Fragestellungen
der Produkt-Marktsegmentierung und des Kanalmixes, dem Go-to-Market (siehe Abbildung
5). Ebenfalls unterrepräsentiert sind Fragen der Marktpositionierung, Exklusivität und Ab-
hängigkeit von Kanälen bzw. der Kontrolle über die Kanäle oder die Personalentwicklung.

Bei der Frage nach der Umsetzung der Vertriebsstrategie zeigt sich, dass vor allem die Ab-
satz- und Umsatzelemente operationalisiert werden – nicht aber der Go-to-Market oder aber
die Kompetenzausbildung des Vertriebs. Vergleichbare Ergebnisse zeigen weitere Studien
von A.T. KEARNEY.11

10
Vgl. ABSATZWIRTSCHAFT (2009), bei der die Unternehmen als wesentliche Strategieänderung in der Krise den
stärkeren Fokus auf Vertriebseffizienz und -effektivität nannten.
11
Vgl. ABSATZWIRTSCHAFT (2009).
STEP – Strategie und Transparenz für mehr Vertriebserfolg 55

Wichtigkeit
high 5

Umsatz
Absatz
4 Kundenloyalität
Exklusivität der Kanäle Produkt
Rentabilität
Marktpositionierung Kanalmix
Personalentwicklung
3
Preisniveau/ RabatteKundensegmente Bedeutung direkte
Marktanteil Kanäle vs. Indirekte
Kontrolle der Kanäle
Kanäle
2

low Marke
0
0% 25% 50% 75% 100%
Nennungen

Abbildung 5: Häufigkeit und Wichtigkeit von Elementen der Vertriebsstrategie12

Dieses wenig ausgeprägte Denken in Fragen der Vertriebsstrategie kommt auch im Manage-
ment des Kanalmixes zum Ausdruck. Diese Frage ist aufgrund der nach wie vor großen Do-
minanz des Außendienstes im B2B-Bereich weniger relevant als im Bereich B2C. Es zeigt
sich jedoch, dass auch im Business-Bereich der richtige Kanalmix erfolgsentscheidender
wird. Bei der Frage nach Ausprägung und Bedeutung der Kanalstrategie zeigte besonders die
Telekommunikationsindustrie ein ausgeprägtes Bewusstsein für Fragen der Kanalstrategie.
Dies bezog sich insbesondere auf die Frage der Gewichtung direkter gegenüber indirekten
Kanälen und die Kontrolle dieser Kanäle beziehungsweise entstehende Abhängigkeitsver-
hältnisse. Insbesondere in der Konsumelektronik aber auch in der Energiewirtschaft waren
Fragen der Kanalstrategie aber deutlich unterrepräsentiert – insbesondere in der Konsum-
elektronik zeichnet sich hier jedoch ein starkes Umdenken ab.13 Die Frage nach der strate-
gisch richtigen Ausgestaltung der Kanalstrategie stellt sich nach Beobachtung von A.T.
KEARNEY zunehmend auch im B2B-Bereich. Nur wenige Innovationsführer im B2B-Bereich
denken allerdings bereits strategisch in einem Multi-Kanal-Ansatz, in dem strategische Ver-
triebs-Partnerschaften genauso entwickelt und eingesetzt werden, wie Online Shops und
Affiliate Marketing (siehe Exkurs 3). Studien von A.T. KEARNEY zeigen aber auch, dass Un-
ternehmen zunehmend Krisensituationen nutzen, um den Kanalmix zu ihren Gunsten zu ge-

12
A.T. KEARNEY (2008a).
13
Vgl. A.T. KEARNEY (2008b).
56 SONNENSCHEIN/HASTENTEUFEL/DICKGREBER

stalten und insbesondere ihre Vertriebspartnerschaften neu zu sortieren. So wollen 27% leis-
tungsschwache Vertriebspartner durch neue ersetzen und 24% der befragten Unternehmen ihr
Vertriebspartnermodell grundsätzlich überarbeiten und Partner übernehmen. Immerhin 13%
planen Übernahmen von Vertriebskanälen.14

Exkurs 3: Übernahmepolitik eines Office-Elektronik-Anbieters

Ein Marktführer für Büroausstattung analysierte konsequent seinen Kanalmix und die Profi-
tabilität seiner verschiedenen regionalen Vertriebspartner. In einer Region stieß der Hersteller
auf starke Kanalkonflikte zwischen eigenem Außendienst und dem externen Händler, der
zugleich eine relativ geringe Profitabilität aufwies. Als sich im Zuge der globalen Wirt-
schaftskrise eine finanzielle Instabilität des Händlers zeigte, nutzt der Anbieter diese Gele-
genheit für eine Übernahme. Diese Übernahme war abgestimmt mit der allgemeinen Ver-
triebsstrategie, den eigenen Außendienst zu stärken und dessen Profitabilität zu verbessern.

Die beschriebene fehlende Ausformulierung von Vertriebsstrategien und die fehlende Ope-
rationalisierung der Elemente dieser Strategie führen auch zu einer eindimensionalen Aus-
richtung der Vertriebsziele, die dementsprechend rein auf Absatz und Umsatz ausgerichtet
sind. Die Orientierung an der Wettbewerbsposition – also eine relative Formulierung von
Zielen – findet sich nur bei einer Minderheit der Unternehmen.15 Aber auch unterstützende
Elemente für den Vertriebserfolg sind in der Regel nicht ausreichend in den Vertriebszielen
und Erfolgssystemen verankert. Als Beispiele hierfür sind die Profitabilität der gewonnen
Kunden, die Qualität der Beratung und die Zufriedenheit der Kunden im B2C-Bereich zu
nennen. Im B2B-Bereich sind die unterrepräsentierten Pendants die Pflege der Kundeninfor-
mationen, die Qualität des Vertriebs-Pipeline wie ebenso die Profitabilität der Abschlüsse. Je
größer die Bedeutung in den Erfolgssystemen ist, desto intensiver ist dann auch die Aufmerk-
samkeit mit der der Vertrieb diesen Themen nachkommt.

Als Ursachen für eine unzureichende Vertriebsperformance bzw. auch die fehlende Akzep-
tanz der Leistungen des Vertriebs lassen sich also fehlende strategische Ausrichtung, man-
gelnde Transparenz und teilweise fehlender Fokus auf Effektivität feststellen. Eine erforderli-
che Professionalisierung des Vertriebs muss diesen Unzulänglichkeiten Rechnung tragen.

14
Vgl. ABSATZWIRTSCHAFT (2009).
15
In der gemeinsamen Studie mit der ABSATZWIRTSCHAFT gaben 12% der Unternehmen eine Ausrichtung der Ziele
am Absatzmarktanteil und nur 6% am Umsatzmarktanteil an; vgl. ABSATZWIRTSCHAFT (2009).
STEP – Strategie und Transparenz für mehr Vertriebserfolg 57

3 Erfolgsfaktoren im Vertrieb erkennen

In zahlreichen Projekten in verschiedenen Industrien, ausführlichen Studien und Analysen hat


A.T. KEARNEY die Erfolgsfaktoren im Vertrieb untersucht. Hierbei kristallisierten sich die
folgenden Faktoren heraus (siehe Abbildung 6):

¾ Aus der Unternehmensstrategie abgeleitete Vertriebsstrategie – abgestimmt mit Marke-


tingstrategie
¾ Vertriebsstrategie in Marktangangsmodell operationalisiert und übersetzt in Vertriebs-
budget
¾ Transparenz über die tatsächliche Budgetverwendung
¾ Objektive Messung und Transparenz der Zielerreichung
¾ Performance Management balanciert zwischen vertrieblicher Freiheit und operativer
Kontrolle

Die Erfolgsfaktoren haben eine leicht unterschiedliche Bedeutung im B2B- und im B2C-
Vertrieb. Während im B2B-Vertrieb aufgrund des weniger komplexen Go-to-Market eher die
Fragen der Zielerreichung, des Leistungscontrollings und des Performance Managements im
Mittelpunkt stehen, dominieren im B2C-Vertrieb vor allem die Abstimmung mit der Marke-
tingstrategie, die Umsetzung in den Marktangang und Vertriebsbudgets sowie die Transpa-
renz über die Budgetverwendung.

Bedeutung Un- Weniger Sehr


Mittel Wichtig
Erfolgsfaktoren wichtig wichtig wichtig

Vertriebsstrategieaus Unternehmensstrategie abgeleitet 88%

Vertriebsstrategie abgestimmt mit Marketingstrategie 88%

Go-to-Market abgeleitet aus Vertriebsstrategie 75%

Go-to- Market operationalisiert in Vertriebsbudgets 63%

Transparenz über Budgetverwendung 88%

Objektive Messung der Zielerreichung 88%

Übergreifender Steuerungs- und Managementapproach 63%

Operatives Leistungscontrolling 50%

Balance zwischen Kontrolle und vertrieblicher Freiheit 88%

B2B-Vertrieb B2C-Vertrieb

Abbildung 6: Erfolgsfaktoren im Vertrieb16

Um die aufgezeigten Erfolgsparameter im Management des Vertriebs umzusetzen, ist ein


Umdenken bei Vertriebsleitern gefragt. Performance Management und Leistungscontrolling
bleiben weiterhin zwar wichtige Elemente in der Führung eines Vertriebs – diese müssen
jedoch in ein vielschichtigeres Modell eingebracht werden, das stärker an strategischen Ge-
sichtspunkten orientiert ist. Der Vertrieb kann nur dann stärker in einen hochwertigen Aktiv-

16
A.T. KEARNEY (2008a) (Branchenübergreifende Vertriebsstudie mit Teilnehmern aus Energiewirtschaft, Tele-
kommunikation, High Tech und Konsumelektronik).
58 SONNENSCHEIN/HASTENTEUFEL/DICKGREBER

posten transformiert werden, wenn die Unternehmensstrategie konsequent in eine Vertriebs-


strategie übergeleitet wird, die wiederum abgestimmt ist mit der Marketingstrategie. Operativ
bedeutet dies, dass sich beispielsweise Vertrieb und Marketing konkret abstimmen, welche
Kundensegmente mit welchen Produkten mit welcher Priorität bedient werden sollen. Nur so
lassen sich in der weiteren Folge auch abgestimmte Kommunikations- und Vertriebskampag-
nen erreichen. Die Abstimmung von Werbung und Vertriebsmaßnahmen zeigt nach Erfah-
rung von A.T. KEARNEY relativ verlässlich, inwieweit Marketingstrategie und Vertriebsstrate-
gie aufeinander abgestimmt sind. Die Vertriebsstrategie wiederum muss dann in das passende
Marktangangsmodell übersetzt werden, das mit den entsprechend allokierten Vertriebsmitteln
gesteuert wird. So muss nach Erfahrung der Autoren insbesondere darauf geachtet werden,
dass der angestrebte Kanalmix tatsächlich auch durch die Budgetallokation unterstützt wird.
Durch versteckte Budgets und sonstige Zuwendung an einzelne Kanäle wird oft der Status-
Quo beibehalten. Die vollständige Transparenz über die Verwendung der Budgets und der mit
ihnen erreichten Ziele muss durch einen übergreifenden Management- und Steuerungsansatz
unterstützt werden, der ein operatives Leistungscontrolling gewährleistet. Dabei sollte immer
noch die Balance zwischen Kontrolle und vertrieblicher Freiheit gewährleistet sein. In der
Projektarbeit haben die Autoren festgestellt, dass der gute Vertriebsleiter genau nicht in ei-
nem Kontrollwahn alle Details erfassen muss, sondern die Einhaltung der wichtigen Elemente
seiner Vertriebsstrategie erfasst und den Grad der Kontrolle auch nach der Leistung der ein-
zelnen Vertriebsmitarbeiter variiert.

Welche Veränderungen sind nun konkret gefordert? Der Vertriebsleiter, der seinen Vertrieb
auf Erfolg ausrichten will, muss sich von einem starken Fokus auf das Leistungsmanagement
des Vertriebs abwenden, und seinen Vertrieb entlang eines umfassenden Ansatzes von Ver-
triebsstrategie hin zu den kulturellen Faktoren neu ausrichten.

4 STEP – Der Ansatz zu systematischem Vertriebserfolg

Der von A.T. KEARNEY entwickelte STEP-Ansatz trägt diesen Anforderungen Rechnung.
STEP steht hierbei für die entscheidenden Elemente in jeder Vertriebsorganisation: Strategie,
Transparenz, Effektivität und Personal (siehe Abbildung 7). Der grafische Aufbau des Ansat-
zes spiegelt hierbei die bisher beschriebenen Erkenntnisse wider, dass die strategische Aus-
richtung des Vertriebs und der Marktangang die Grundlage für einen aus Unternehmenssicht
erfolgreichen Vertrieb darstellen. Das Element der Transparenz sorgt für die Umsetzung
dieser strategischen Elemente in die Steuerung der Effektivität und Effizienz. Alle Elemente
bauen auf der Strategie auf.

Unter dem Element Strategie lassen sich die Vertriebsstrategie und das Marktangangsmodell
subsumieren. Hier wird die Frage beantwortet, welche Markt- und Markenpositionierung
erreicht werden soll und welche Produkt-Markt-Segmente in welchen Regionen bedient wer-
den sollen. Ferner werden die Ausgestaltung des Vertriebs hinsichtlich Kanalmix, Vertriebs-
modell und -intensität, Dimensionierung und Abdeckung sowie die Vertriebsorganisation
behandelt.
STEP – Strategie und Transparenz für mehr Vertriebserfolg 59

Im Element Transparenz werden alle Aspekte des kommerziellen Modells des Vertriebs be-
leuchtet. Dies beginnt bei der Gestaltung der Provisions- und Anreiz-Modelle, dem Ver-
triebspartner-System, den Zielsystemen und den Messgrößen sowie der Preisgestaltung.

Unter dem Element Effektivität sind alle operativen Hebel und die unterstützenden Faktoren,
die sog. Enabler zu verstehen. Unter Operations fallen dabei das klassische Performance
Management, das Management der Vertriebs-Pipeline, Vertriebsaktionen sowie das Mana-
gement der Abschlussquoten. Im Bereich der unterstützenden Faktoren sind die IT-Systeme,
die Prozess-Landschaft sowie die Aftersales- und Backoffice-Optimierung eingeordnet.

Das Element Personal beinhaltet die gesamte Personalentwicklung mit dem Aufbau der not-
wendigen Skillsets, dem Training sowie Maßnahmen zur Gestaltung der Vertriebskultur.

Der STEP-Ansatz wurde basierend auf den Erfahrungen der Autoren in zahlreichen Ver-
triebsprojekten in verschiedenen Branchen und den Ergebnissen unterschiedlicher Vertriebs-
studien entwickelt. Auch in der methodischen Anwendung des Ansatzes kommt die deutlich
stärkere Gewichtung von Vertriebsstrategie und Marktangangsmodell im Vergleich zur ope-
rativen Vertriebsoptimierung zum Tragen. Was ist bei der Ausgestaltung der einzelnen Ele-
mente zu beachten?

5 Vertriebsstrategie – Was soll im Markt erreicht werden?

Das Strategie-Element des STEP-Ansatzes umfasst die Vertriebsstrategie selbst sowie die
Ausgestaltung des Marktangangs (siehe Abbildung 7). Gerade die Definition der Vertriebs-
strategie bleibt für viele Unternehmen und Vertriebsleiter ein Buch mit sieben Siegeln. Häu-
fig ist unklar, welche Elemente eine Vertriebsstrategie beinhalten sollte. Dabei sind hier als
grundsätzliche Leitlinien zu positionieren, welche Stellung das Unternehmen im Markt ein-
nehmen und wie die Marke positioniert werden sollte17. So führt beispielsweise eine klare
Festlegung auf eine Positionierung als ein moderner Premium-Anbieter mit Innovationsfüh-
rerschaft auch zu einer entsprechenden Umsetzung in der Vertriebsstrategie beispielsweise
bei der Wahl der Vertriebskanäle und der Gestaltung der Ladenlokale. Beide Strategie-Ele-
mente sind für die spätere Bestimmung von Zielen und Messgrößen wesentliche Ausgangspa-
rameter. Grundlage hierfür ist eine fundamentale Kenntnis des Marktumfelds und der Reife
der Industrie (siehe Exkurs 4).

17
In den Vertriebsstudien von A.T. KEARNEY werden als wesentliche Elemente einer Vertriebsstrategie immer
wieder Umsatz und Absatz genannt.
60 SONNENSCHEIN/HASTENTEUFEL/DICKGREBER

• Training
Enablers • Prozesse
• IT Tools


Effektivität
Performance Management
• Sales Pipeline Management
Operations
• Aftersales Optimierung
• Backoffice Optimierung

HR-Entwicklung

Personal
Kommer- • Kommissionen/ • Zielsysteme
zielles
Modell
Anreizsysteme
• Partner-Modell
Transparenz
• Preissetzung/
Rabatte

• Kanal-Mix Gestaltung • Abdeckung


Go-to-Market • Vertriebsmodell • Ressourcen
• Vertriebsorganisation Dimensionierung
Strategie
• Marktpositionierung • Marken-Position
Vertriebs-
• Produkt-Markt Fokussierung • Skillset Entwicklung
strategie
• Geographischer Fokus

Abbildung 7: STEP – Strategie, Transparenz, Effektivität und Personal

Weiterhin sollten Unternehmen zwingend festlegen, welche Produkt-Markt-Fokussierung sie


wählen, also welche Produkte in welchen Kundensegmenten mit welcher Priorität verkauft
werden sollen. In den Vertriebsprojekten von A.T. KEARNEY zeigt sich, dass diese Frage, die ja
auch in der Marketing-Strategie beantwortet wird, häufig im Vertrieb nicht definiert ist oder
unklar bleibt. In der Regel ist auch ein unzureichender Abgleich mit dem Marketing feststell-
bar. Ein ebenfalls häufig fehlendes Element, das in der Vertriebsstrategie klar umschrieben
werden sollte, ist die Frage der Entwicklung der Fähigkeiten und Fertigkeiten (Skillsets), die
der Vertrieb intern wie extern entwickeln sollte. Wird also in der Vertriebsstrategie definiert,
dass ein stärkerer Fokus auf Lösungsvertrieb erfolgen soll, so muss mit dem bestehenden
Außendienst ein Abgleich erfolgen, welche Mitarbeiter die erforderlichen Fähigkeiten auf-
weisen. Wird hier eine Kompetenzlücke festgestellt, müssen entsprechende Qualifizierungs-
oder Verstärkungsmaßnahmen definiert werden.
STEP – Strategie und Transparenz für mehr Vertriebserfolg 61

Exkurs 4: Anpassung des Go-to-Market Modells and das Marktumfeld

Wie Analysen von A.T. KEARNEY ergeben haben,18 lassen sich verschiedene Priorisierungen
im Marktangang von Unternehmen erkennen (siehe Abbildung 8).

Hierbei beeinflussen Marktwachstum und Marktwettbewerb wesentlich den Fokus, den


Unternehmen setzen müssen. Während im Markttypus des New Product Launch der Fokus
klar auf der Vermarktung des Produkts liegt, muss der Vertrieb dafür Sorge tragen, das
Produkt möglichst breit vermarkten zu können. In der Phase der Transition liegt der
Schwerpunkt klar auf den Vertriebskanälen, um eine optimale Durchsetzung gegenüber
dem Wettbewerb zu erreichen. In der Phase der Maturity also der Marktreife, muss die
Potenzialausschöpfung aller Kundensegmente im Vordergrund stehen, die der Vertrieb
bedienen muss, während in der Phase des Dead End der Schwerpunkt des Vertriebs auf
einer kosteneffizienten Bedienung der Kunden liegen muss.

High
New product launch Transition
Successful new product with lots of growth Competition moves in and
potential, very little competition and an opportunity shareholders demand growth and profits
to satisfy shareholder needs

Customer Customer

Product Channel Product Channel

Product focus to improve quality Channel focus to improve margins,


and meet initial growth expectations and increase revenue and market share
Market
growth
Dead end Mature
Decreased market receptivity reduces growth Obvious growth opportunities have been exploited
and shareholder expectations and there is a lot of competition, but shareholder
while competition intensifies expectations remain high

Customer Customer

Primary focus
Product Channel Product Channel
Secondary focus
Customer focus to develop new products Deep customer focus to stimulate innovation
with better market prospects and new product or business development Not a focus
Low
Low Market challenge High

Abbildung 8: Marktangang von Unternehmen

6 Go-to-Market – Welche Aufstellung ist zur Erreichung


meiner strategischen Ziele geeignet?

In direkter Verbindung mit der Vertriebsstrategie steht die Frage des Marktangangs. Im Rah-
men der Go-to-Market-Definition steht die Frage der Kanal-Mix-Gestaltung an oberster Stel-
le. Welche Kanäle eignen sich dazu, die strategischen Ziele zu erreichen? Welche Gewich-
tung sollten sie dabei einnehmen? Gerade in den letzten Jahren haben sich die verfügbaren
18
Vgl. A.T. KEARNEY (2009a).
62 SONNENSCHEIN/HASTENTEUFEL/DICKGREBER

Vertriebskanäle deutlich erweitert. Dies ist nicht nur im B2C-Bereich mit dem Wachsen der
Online- und Call-Center-Kanäle sowie einer deutlichen Verbreiterung der Handelskanäle der
Fall, sondern auch im B2B-Bereich in dem Internet und Call Center für viele Produkte eben-
falls valide Vertriebskanäle darstellen. Wichtig ist in jedem Fall, den Kanalmix auch quantita-
tiv vorzugeben, da sich ansonsten nicht beabsichtigte parallele Investitionen in verschiedenen
Kanälen einstellen und unkontrollierte Kanalkonflikte entstehen. Basis der Kanal-Mix-Pla-
nung ist natürlich eine Profitabilitätsrechnung der verschiedenen miteinander konkurrieren-
den Kanäle. Zusätzlich sollten aber auch weitere Elemente wie die Frage der Reichweite,
insbesondere günstiger Kanäle wie dem Internet, in den definierten Zielgruppen der Planung
zugrunde gelegt werden, ebenso wie die Frage der angestrebten Marken-Positionierung in den
gewählten Kanälen.

Das Vertriebsmodell ist insbesondere im direkten B2B-Vertrieb relevant: Soll ein Flächenver-
trieb, ein Segment-Modell oder ein Account-Vertrieb gewählt werden? Hier muss nach Erfah-
rung von A.T. KEARNEY insbesondere die Produktstruktur (erklärungsbedürftiges Produkt oder
nicht), die Auftragsgröße und die Marktpositionierung zugrunde gelegt werden. Ist ein Hun-
ter-Farmer-Modell hilfreich oder eher ein integrierter Vertrieb? Hier kann die Positionierung
des Unternehmens bei der Antwort helfen – Angreifer arbeiten oft im Hunter-Farmer-Modell
effizienter. Wie können Vertriebsingenieure oder Produktspezialisten bei einem forcierten
Verkauf eines Produktes helfen? Hier kann beispielsweise eine enge Einbindung in die Ver-
triebsteams mit gemeinsamen Zielen helfen. Diese Fragen gewinnen insbesondere im Ver-
trieb von Multi-Produkt-Unternehmen im Non-Commodity-B2B-Bereich zunehmend an
Bedeutung. Für die Beantwortung der Frage, welches Modell optimal geeignet ist, ist die
Vertriebsstrategie wiederum eine wesentliche Einflussgröße. Kritisch ist weiterhin auch die
Frage der Intensität mit der die einzelnen Kundensegmente bedient werden wollen. Diese
Intensität ergibt sich aus der Produkt-Markt-Fokussierung und hilft dem Vertrieb seine Res-
sourcen- und Zeitaufteilung optimal zu gestalten. Mit der Ausrichtung nach dem Kundenpo-
tenzial können die Ergebnisse optimiert und die Vertriebskosten gemanagt werden.

Exkurs 5: Umstellung auf Potenzial-Segmentierung

Bei der Fragestellung, wie die Vertriebskosten ohne signifikante Auswirkung auf die Kun-
denzufriedenheit und erzielbaren Umsätze gesenkt werden können, stellte ein Klient von
A.T. KEARNEY sein im B2B-Vertrieb verwendetes Segmentierungsmodell um. Die vorher
verwendete Kombination von Unternehmensgröße und Branche wurde ergänzt um eine
Potenzial-Segmentierung. Diese ergänzt verfügbare Daten über die Nutzung von Produk-
ten. So konnten branchen- und größenübergreifend potenzialbasierte Segmente gebildet
werden. Auf das Potenzial der einzelnen Segmente wurde die Betreuungsintensität abge-
stimmt. Potenzialträchtige Unternehmen erhalten fortan eine bessere, weniger potenzial-
trächtigere eine effizientere Betreuung. Im Ergebnis konnte der Klient mit reduziertem
Personalaufwand ein besseres Ergebnis erzielen.

Direkt verknüpft mit der Frage nach Kanalmix und Vertriebsmodell ist die Frage der Ver-
triebsorganisation: Ist eine Aufstellung nach Kanälen, nach Regionen oder besser nach Seg-
menten zu wählen? Eine allgemein gültige Antwort lässt sich hier nicht finden – die Organi-
sationsvarianten sind aus der gewählten Vertriebsstrategie, dem Marktangangs- und dem
Vertriebsmodell und dem vorhandenen Skillset zu validieren und die am besten geeignete
Organisationsform auszuwählen. Häufig sind in frühen Marktphasen Regionen-Modelle, bei
zunehmender Reife Kanalorganisationen und in der Sättigung ein Segmentmodell die richtige
Entscheidung. Die Wahl der passenden Vertriebsorganisation zum gewählten Vertriebsmodell
STEP – Strategie und Transparenz für mehr Vertriebserfolg 63

kann durchaus entscheidenden Einfluss auf den Vertriebserfolg haben. Nach Erfahrung von
A.T. KEARNEY kann beispielsweise eine Segmentorganisation, die in den regionalen Niederlas-
sungen nicht entsprechend aufgegriffen wird, dazu führen, dass der Bereich der KMU19 ver-
nachlässigt wird. Da in den Vertriebsmeetings der Fokus häufig rein auf den großen Projekten
liegt, beginnen auch die auf den Mittelstand ausgerichteten Außendienstler im Großkunden-
Segment aktiv zu werden. Dies führt nicht nur zu einer Vielzahl von Kanalkonflikten führt,
sondern auch zu einem starken Einbrechen der Marktanteile im Segment Mittelstand.

Die Ressourcendimensionierung und der Grad der Abdeckung mit eigenen und/oder indirek-
ten Kanälen lassen sich potenzialbasiert und kostenorientiert beantworten. Eine solche Di-
mensionierung greift jedoch nach Erfahrung von A.T. KEARNEY deutlich zu kurz. Die Dimen-
sionierung und Abdeckung muss stets auch aus der gewählten Vertriebsstrategie heraus be-
antwortet werden. Eine Potenzialorientierung wie in Exkurs 5 beschrieben, ist ein wesent-
licher Stellhebel für eine kosten- und umsatzoptimierte Dimensionierung des Vertriebs. Bei
einer nicht-potenzialorientierten Segmentierung wird häufig zu viel Zeit auf Kunden verwen-
det werden, die nur geringe Auftragswahrscheinlichkeit haben oder kleine Aufträge schrei-
ben. Dies kann mit einer potenzialorientierten Segmentierung vermieden werden.

7 Kommerzielles Modell – Wie und mit welcher


Profitabilität können die Ziele erreicht werden?

Wie schon bei der Erläuterung der Erfolgsfaktoren im Vertrieb beschrieben, sind die Überset-
zung des Marktangangsmodells in ein Vertriebsbudget und die Transparenz über die Verwen-
dung dieses Budgets mit der objektiven Kontrolle dieser Zielerreichung ein wesentlicher
Faktor für erfolgreiche Vertriebsarbeit (siehe Abbildung 9).

19
KMU: Kleine und mittlere Unternehmen.
64 SONNENSCHEIN/HASTENTEUFEL/DICKGREBER

• Training
Enablers • Prozesse
• IT Tools


Effektivität
Performance Management
• Sales Pipeline Management
Operations
• Aftersales Optimierung
• Backoffice Optimierung

HR-Entwicklung

Personal
Kommer- ¾ Kommissionen/ ¾ Zielsysteme
zielles Anreizsysteme ¾ Preissetzung/
Modell ¾ Partnermodell Rabatte

• Kanal-Mix Gestaltung • Abdeckung


Go-to-Market • Vertriebsmodell • Ressourcen
• Vertriebsorganisation Dimensionierung
Strategie
• Marktpositionierung • Marken-Position
Vertriebs-
• Produkt-Markt Fokussierung • Skillset Entwicklung
strategie
• Geographischer Fokus

Abbildung 9: Transparenz im STEP-Ansatz

Ein wesentliches Element sind hierfür die Kommissions- und Anreizsysteme, die letztlich die
Allokation der Vertriebsbudgets auf die einzelnen Kanäle darstellen. Eine ausreichende
Variabilisierung der Vertriebskosten mit einer klaren Bindung variabler Komponenten an die
Zielerreichung stellt hierbei eine kritische Erfolgskomponente dar. Auch wenn in einer Studie
von A.T. KEARNEY und ABSATZWIRTSCHAFT zu Tage trat, dass immerhin noch 36% der Unter-
nehmen den variablen Anteil ihrer Entlohnung weiter steigern wollen, so ist aus Sicht von
A.T. KEARNEY hier noch eine Weiterentwicklung von Nöten.20 Diese muss bei der Ausgestal-
tung der Zielsysteme erfolgen: Die Abkopplung der Zielerreichung im Vertrieb vom Unter-
nehmenserfolg – wie wir sie bei vielen Klienten erleben – muss aufhören. Der Vertrieb ist an
den gleichen Zielen zu messen, wie das gesamte Unternehmen. Diese Ziele müssen so herun-
ter gebrochen werden, dass variable Komponenten nur dann in umfangreichem Maße ausge-
zahlt werden, wenn auch das Gesamtunternehmen seine Ziele erreicht. Die Zielerreichung
sollte dabei so ausbalanciert sein, dass zwar die Mitarbeiter im Vertrieb ausreichend entlohnt
werden, um nicht zum Wettbewerb zu wechseln, ein Auseinanderfallen der Zielerreichung
zwischen Vertrieb und Gesamtunternehmen aber vermieden wird. Dies bedeutet weiterhin,
dass der Vertrieb nur Ziele bekommt, die er auch erreichen kann. Diese sollten allerdings so
gewählt werden, dass sie mit dem Markterfolg korrespondieren, z. B. also eine Marktanteils-
oder Umsatzanteils-Komponente beinhalten. Werden solche Zielparameter eingeführt, so
besteht auch Transparenz zwischen der Zielerreichung des Vertriebs und dem Rest des Un-
ternehmens.

Auch das Partnermodell sollte direkt in Einklang mit der Vertriebsstrategie und dem gewähl-
ten Marktangangsmodell stehen. Auch stellen wir in vielen Fällen fest, dass in einem falschen
Glauben an die Vertriebsmacht einzelner indirekter Partner und in Folge einer zu starken
Identifizierung der Vertriebsmitarbeiter mit diesen Partnern strategische Konzepte bewusst

20
Vgl. ABSATZWIRTSCHAFT (2009).
STEP – Strategie und Transparenz für mehr Vertriebserfolg 65

oder unbewusst konterkariert werden. So werden Veränderungen im Kommissionsmodell, die


starke Vertriebspartner in ihrer Bedeutung zurückführen sollen, oft durch Nebenabreden der
Partnerbetreuer in ihrer Wirkung abgeschwächt. Das Partnermodell sollte unbedingt in Ein-
klang mit der gewählten strategischen Ausrichtung und Markt- und Marken-Positionierung,
wie auch dem Kanal-Mix-Modell stehen und unabhängig vom Vertriebscontrolling geprüft
werden.

Schließlich ist auch die Frage der Preissetzung und Rabattsysteme eine erfolgskritische Frage
der Transparenz. Nach Erfahrung von A.T. KEARNEY kommt hierbei der Setzung von Preis-
punkten häufig eine große Aufmerksamkeit zu.21 Deutlich weniger Aufmerksamkeit erfährt
die Rabattgewährung. Mit dem Verweis auf die Notwendigkeit eines Rabatts zur Kundenge-
winnung, werden häufig alle diesbezüglichen Fragen abgewehrt und neben den offenen Ra-
batten oft noch zahlreiche verdeckte Rabatte gewährt, die die Profitabilität eines Abschlusses
stark gefährden. Genau hier unterscheiden sich jedoch gute Vertriebe von schlechten Vertrie-
ben: Ein guter Vertrieb kann deutlich besser über die Produktargumentation verkaufen als
über die Rabattgewährung. Dieses Problem lässt sich jedoch nur dann identifizieren, wenn
überhaupt eine Transparenz über die Rabattgewährung besteht. Hier ist das Vertriebscontrol-
ling gefordert Transparenz herzustellen.

Transparenz ist also im gesamten kommerziellen Modell des Vertriebs erforderlich: in den
Kommissions- und Anreizsystemen, in den Zielsystemen und deren Messung, im Partnering
und nicht zuletzt im Pricing und der Rabattgewährung. Berichte zu den einzelnen Elementen
finden sich auch in praktisch jedem Vertrieb. Eine Verknüpfung der einzelnen Berichte in
einem durchgängigen Gerüst, das sich letztlich bis zur Unternehmensstrategie zurückführen
lässt und die Vertriebsleistung in Beziehung zum Wettbewerb setzt, ermöglicht er jedoch erst,
die Frage nach dem Wert des Aktivpostens Vertrieb auch wirklich zu beantworten.

8 Operations – Wie kann die Zielerreichung sichergestellt


werden?

Performance Management wird oft als die Hauptfähigkeit eines guten Vertriebsleiters ange-
sehen – ohne Frage ist es ein Kernelement eines gut funktionierenden Vertriebs, wenn auch
der Erfolg eines Vertriebs noch von weiteren Faktoren abhängig ist. Performance Manage-
ment ist sowohl im B2C- als auch im B2B-Vertrieb gleichermaßen wichtig. Die KPI-bezo-
gene Führung der Mitarbeiter und Steuerung ihrer Flächenpräsenz, ihrer Besuchshäufigkeit,
der Erfolgsquote wie auch die Kontrolle, ob der Vertriebsmitarbeiter in dem ihm zugewiese-
nen Kunden- oder Kanalsegment aktiv ist, sind Kernelemente eines guten Performance Ma-
nagements (siehe Abbildung 10).

21
Vgl. A.T. KEARNEY (2009c).
66 SONNENSCHEIN/HASTENTEUFEL/DICKGREBER

¾ Training
Enablers ¾ Prozesse
¾ IT Tools

¾ Performance Management
¾ Sales Pipeline Management
Operations
¾ Aftersales-Optimierung
¾ Backoffice-Optimierung

HR-Entwicklung

Personal
Kommer- • Kommissionen/ • Zielsysteme
zielles
Modell
Anreizsysteme
• Partner-Modell
Transparenz
• Preissetzung/
Rabatte

• Kanal-Mix Gestaltung • Abdeckung


Go-to-Market • Vertriebsmodell • Ressourcen
• Vertriebsorganisation Dimensionierung
Strategie
• Marktpositionierung • Marken-Position
Vertriebs-
• Produkt-Markt Fokussierung • Skillset Entwicklung
strategie
• Geographischer Fokus

Abbildung 10: Effektivität im STEP-Ansatz

Klassische Vertriebselemente wie die Besuchsplanung und die Kontrolle der Besuchsquote
und -berichte sind weiter unverzichtbare Kernelemente eines Performance Managements.
Häufig jedoch wird Leistungs-Management mit einem Mehr an Kontrolle und damit einem
Mehr an Formularwesen und Berichtsaufwand für den Außendienst und damit einem Weniger
an Zeit für den Kunden gleichgesetzt. Ein wegweisendes Performance Management jedoch
erzielt diese Kontrolleffekte ohne zusätzlichen Aufwand für den Vertriebsmitarbeiter. So
lassen sich mit modernen Vertriebs-Support-Tools aus Routenplanung und Terminplanung
Besuchsberichte automatisch generieren und aus den Einträgen im CRM-System und Bestell-
system werden auch die Kontrolle des Besuchsplans und der durchgeführten Erfolge ermög-
licht. Ein modernes Leistungs-Management-System bietet dem Vertriebsleiter also die Mög-
lichkeit, alle für ihn wirklich relevanten Kenngrößen mit minimaler Zeitbelastung des Au-
ßendienstes zu erhalten.
STEP – Strategie und Transparenz für mehr Vertriebserfolg 67

Exkurs 5: Der „Friday-Review-Call“

Ein IT-Unternehmen, das seine CRM Software mit B2B-Außendienst vertrieb, hatte nur
zwei Berichte für seinen Außendienst eingeführt, die beide im gleichen System verankert
waren. Die Wochenplanung musste jeder Außendienstler bis Montag morgens 09.00 Uhr
zu seinem jeweiligen Regionalleiter gesendet haben und den darauf basierenden Wochener-
folgsbericht bis zum Freitag Mittag. Jeweils Freitag Nachmittags fanden die so genannten
Review-Telefonate für die einzelne Woche statt, die auf den Ergebnis-Reports gegen die
Wochenplanung basierten. Da die Review-Telefonate als Telefonkonferenzen organisiert
waren und die Ergebnisberichte zentral abgelegt waren, konnten die Vertriebsleitung, die
Geschäftsführung und der Eigentümer des Unternehmens jeweils an jedem der regionalen
Vertriebs-Telefonkonferenzen teilnehmen. Hierbei wurde stets der Best Performer heraus-
gehoben und denjenigen, die ihre Ziele verfehlt hatten, sehr operative Fragen zur ihrer
Wochenperformance gestellt. Mit nur zwei Berichten konnte so der Vertrieb effizient und
straff geführt werden.

Ein weiteres wesentliches Element des Effektivitäts-Managements im Vertrieb ist das Mana-
gement der Sales Pipeline. Transparenz über die Anzahl der Aufträge in den verschiedenen
Stufen der Sales Pipeline ist hierbei die notwendige Grundvoraussetzung, auf die Gestaltung
der Pipeline aktiven Einfluss nehmen zu können. Die Sales Pipeline muss also deutlich mehr
Beitrag leisten, als zur reinen Prognose der Umsatz- und Absatzentwicklung – sie muss als
aktives Steuerungselement genutzt werden. So sollten Vergleiche zwischen Kundensegmen-
ten, Regionen und einzelnen Mitarbeitern regelmäßig vorgenommen werden, um Problembe-
reiche identifizieren und Gegenmaßnahmen einleiten zu können. Solche Gegenmaßnahmen
können zum Beispiel in gezielten regionalen Push-Maßnahmen aber auch in Fokus-Aktionen
oder Trainings für einzelne Mitarbeiter bestehen. Als positiven Nebeneffekt erzielt das Pipe-
line Management noch eine Stabilisierung der Absatzentwicklung und lässt bessere Zielerrei-
chungsprognosen zu.

Aftersales- und Backoffice-Optimierung sind Themen, die üblicherweise erst dann in den
Fokus von Vertriebsleitern rücken, wenn die Performance des Vertriebs einbricht. Über Ana-
lysen des Zeiteinsatzes des Außendienstes oder aber auch durch die Rückmeldungen der in-
direkten Kanäle stößt man auf die Probleme der häufig nicht beachteten After-Sales- und
Backoffice-Abteilungen. Einsparungen finden oft in genau den Bereichen statt, die kritisch
für die Performance des Außendienstes oder der Kanäle sind. Backoffice-Mitarbeiter werden
gekürzt – mehr Aufgaben wandern zum Vertrieb; der Kunde wendet sich bei nicht zufrieden-
stellender Performance jedoch in der Regel direkt an den Außendienst bzw. seinen Betreuer.
Dieser beschäftigt sich in der Folge weniger mit neuen Vertriebsaktivitäten als mit dem Ful-
fillment der getätigten Verkäufe und dem Management von Kundenbeschwerden, teilweise
auch mit der Erstellung von Angeboten. Dies führt später häufig zu der Klage, dass der Au-
ßendienst nicht vertriebsorientiert sei – auch wenn er eigentlich keine Chance mehr hat, bei
gekürztem Backoffice seinen Aufgaben nachzukommen. Bei optimaler Unterstützung des
Außendienstes kann dieser seine Angebote einfach aus dem Vertriebssupport-Tool generieren
– richtige Dimensionierung, klare Aufgabenzuteilung und effiziente Prozesse, die sich eben-
falls an KPIs messen lassen müssen, sollten daher im Augenmerk eines jeden Vertriebsleiters
liegen.
68 SONNENSCHEIN/HASTENTEUFEL/DICKGREBER

9 Enabler – Wie können die Voraussetzungen


zur Zielerreichung geschaffen werden?

Schon in den bisherigen Schilderungen wurde deutlich, dass Prozesse, IT-Unterstützung und
das Training der Mitarbeiter ebenfalls wichtig für eine abgerundete Vertriebsleistung sind
(siehe Abbildung 10). Gerade in der IT-Unterstützung des Kundendaten-Managements, der
Angebotserstellung und -verfolgung liegt ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg. Bei allem im
Vertrieb notwendigen Pragmatismus sind die unterstützenden Faktoren genau die falsche
Stelle für Pragmatismus – Professionalisierung ist gefragt. Hierzu gehört das Verwenden
professioneller Vertriebs-Software genauso wie die Einhaltung definierter Prozesse und deren
Verankerung im Zielsystem. Ebenfalls zur Professionalisierung gehört, sich von dem häufig
vorgefundenen Gedanken zu lösen, dass die Anforderungen des Vertriebs nicht in einer not-
wendigen IT Entwicklung enden, die einen großen Zeitbedarf und noch größeren Entwick-
lungsbedarf hat, sondern sich gezielt standardisierte Vertriebs-Software anzuschauen, die
schnell und ohne großen Kapitalbedarf eingesetzt werden können.

10 HR-Entwicklung – Wie wird das optimale Team


zur Zielerreichung entwickelt?

Das Vertriebsteam ist der Schlüssel zur Zielerreichung. Hierzu gehören Starverkäufer genau-
so wie die Teamplayer im Backoffice. Was macht aber eine Vertriebsmannschaft mit höherer
Erfolgswahrscheinlichkeit aus (siehe Abbildung 10)? Aus zahlreichen Projekten und Studien
sehen die Autoren von A.T. KEARNEY als wesentlichen Erfolgsfaktor ein wettbewerbsorientier-
tes Denken und die entsprechende Prägung der Vertriebskultur. Besonders erfolgreiche Ver-
triebe kennzeichnen sich dadurch, dass sie stets am Wettbewerb orientiert sind. Diese Organi-
sationen versuchen, das entscheidende Quantum besser zu sein, während sich stagnierende
Vertriebsorganisationen häufig mehr mit sich selbst beschäftigen. Darüber hinaus stellt die
Analyse des benötigten Fähigkeiten und Fertigkeiten ein wichtiges Personal-Element dar.
Neben der Frage, wie eine Karriere im Vertrieb verläuft, steht die Frage im Vordergrund,
welche Typen von Verkäufern benötigt werden. Der Mix aus verkäuferischer Begabung,
Beziehungs-Managern und technisch versierten Beratern sollte identifiziert werden, um die
benötigte Mannschaft zielgerichtet entwickeln zu können.
STEP – Strategie und Transparenz für mehr Vertriebserfolg 69

¾ Mindset-Entwicklung
• Training
Enablers • Prozesse
• IT Tools


Effektivität
Performance Management
• Sales Pipeline Management
Operations
• Aftersales Optimierung
• Backoffice Optimierung

HR-Entwicklung
Kommer- • Kommissionen/ • Zielsysteme
zielles
Modell
Anreizsysteme
• Partner-Modell
Transparenz
• Preissetzung/
Rabatte

• Kanal-Mix Gestaltung • Abdeckung

¾ HR- Entwicklung
Go-to-Market • Vertriebsmodell • Ressourcen
• Vertriebsorganisation Dimensionierung
Strategie
• Marktpositionierung • Marken-Position

¾ Kultur
Vertriebs-
• Produkt-Markt Fokussierung • Skillset Entwicklung
strategie
• Geographischer Fokus

Abbildung 11: Personal im STEP-Ansatz

11 Vertrieb als echter Aktivposten –


Klaviatur von Strategie bis Performance

Um den Vertrieb in einen Aktivposten zu verwandeln, sollten Vertriebsleiter nicht mehr allein
auf Leistungs-Management fokussieren, sondern ein Vertriebskonzept entwickeln. Die fol-
genden goldenen Regeln sollten Vertriebsleiter beachten, um den Vertrieb als wertvollen
Aktivposten zu positionieren:

¾ Definieren Sie eine Vertriebsstrategie und stimmen Sie diese mit Unternehmens- und
Marketingstrategie ab
¾ Entwickeln Sie ein Marktangangsmodell, das diese Strategie unterstützt
¾ Schaffen Sie Transparenz über Ihre Budgetverwendung und Zielerreichung und messen
diese gegen den Unternehmenserfolg am Markt
¾ Kontrollieren Sie relevante Kenngrößen ohne dem Vertrieb Zeit mit dem Kunden zu
nehmen
¾ Professionalisieren Sie Ihre unterstützenden Faktoren wie Software und Prozesse
¾ Identifizieren Sie Stärken und Schwächen in ihrem Team und entwickeln es dementspre-
chend
70 SONNENSCHEIN/HASTENTEUFEL/DICKGREBER

Quellenverzeichnis

ABSATZWIRTSCHAFT (2009): In der Krise ist mehr Mut gefragt, online: http://www.absatz wirt-
schaft.de/content/_pv/_p/1002910/_t/ft/_b/69283/default.aspx/, Stand: 25.11.2009, Abruf:
19.02.2010.
A.T. KEARNEY (2008a): Branchenübergreifende Vertriebsstudie mit Teilnehmern aus Energie-
wirtschaft, Telekommunikation, High Tech und Konsumelektronik, nicht veröffentlicht,
2008.
A.T. KEARNEY (2008b): Chasing Channels, Countries, and Customers – Consumer Electronics
Manufacturers’ Struggle in Europe, o. O. 2008.
A.T. KEARNEY (2009a): Executive Agenda, Vol. XII, Nr. 2, o. O. 2009.
A.T. KEARNEY (2009b): Global Cost Benchmarking, o. O. 2009.
A.T. KEARNEY (2009c): Umsätze stabilisieren – Wachstum sichern, unveröffentlicht, 2009.
4010 – Ein Point-of-Sales-Konzept für die junge
Zielgruppe am Beispiel der Deutschen Telekom AG

IRA SCHOMAKER, MICHAEL ERNER und MARCUS BERLIN

Telekom Shop Vertriebsgesellschaft, Deutsche Telekom Laboratories


und Technische Universität Berlin

1 Einleitung......................................................................................................................... 73
2 Ausgangssituation............................................................................................................ 73
2.1 Herausforderungen für den Point of Sales ............................................................. 73
2.2 Herausforderungen für die Deutsche Telekom AG................................................ 74
3 Ziele und Aufgaben des Point of Sales ............................................................................ 75
4 4010 – Der Telekom Shop in Mitte: Ein Shopkonzept für die junge Zielgruppe ............ 79
4.1 Umsetzung ............................................................................................................. 80
4.2 Erfolgsmessung und lessons learned...................................................................... 83
4.3 Ausblick ................................................................................................................. 85
5 Zusammenfassung ........................................................................................................... 86
Quellenverzeichnis.................................................................................................................. 86
PoS-Konzept für die junge Zielgruppe der Deutschen Telekom AG 73

1 Einleitung

Das unternehmerische Handeln ist auf die Bedürfnisse der Märkte und Kunden ausgerichtet.
Insbesondere im Marketing und im Vertrieb müssen die individuellen Wünsche der Kunden
in den Mittelpunkt aller Aktivitäten gestellt werden. Hierzu ist es erforderlich, dass sich die
Unternehmen mit den Besonderheiten der jeweiligen Zielgruppen auseinandersetzen und ihre
Unternehmensstrategie fokussiert auf diese ausrichten. Nur so können die unterschiedlichen
Kundengruppen gezielt angesprochen und deren Bedürfnisse optimal befriedigt werden.

Im Folgenden wird ein Shopkonzept beschrieben, das die gezielte Ansprache und besondere
Erlebnisvermittlung der jungen Generation am Point of Sales (PoS) zum Ziel hat und von der
Deutschen Telekom AG (DTAG) entwickelt und umgesetzt wurde. Diese Entwicklung ist
insbesondere vor dem Hintergrund der durch das Internet ausgelösten technologischen und
sozialen Veränderung zu sehen, welche nachhaltigen Einfluss auf die Konzeptgestaltung und
-umsetzung hat.

Im Rahmen des Beitrages werden zunächst die Herausforderungen aufgezeigt, die sich vor
dem Hintergrund der genannten Veränderungen für Marketing und Vertrieb im Allgemeinen
sowie für die DTAG im Besonderen ergeben. Dann werden die allgemeinen Aufgaben des
PoS dargestellt und die spezifischen Zielstellungen der DTAG in den vorgegebenen Rahmen
eingefügt. Anhand dieser Aufgabenstruktur wird ebenfalls die Darstellung der Umsetzung des
Konzeptes sowie der erzielten Ergebnisse vorgenommen. Abschließend erfolgt ein kurzer
Ausblick auf zukünftig anstehende Aktivitäten sowie eine abschließende Zusammenfassung
der Ergebnisse.

2 Ausgangssituation

Im folgenden Abschnitt werden der Einfluss des Internets, die damit einhergehende Vernet-
zung des Marktes sowie die daraus resultierenden Herausforderungen für Marketing und
Vertrieb dargestellt. Vor diesem Hintergrund wird die Situation der DTAG beschrieben und
Erfordernisse für ein neues PoS-Konzept aufgezeigt.

2.1 Herausforderungen für den Point of Sales


Die Verbreitung des Internets stellt Herausforderungen für Marketing und Vertrieb dar. Die
damit einhergehenden technologischen und sozialen Veränderungen erfordern ein Umdenken
bei den Unternehmen selbst und führen darüber hinaus zu veränderten Kundenanforderungen.
Im CLUETRAIN-Manifest wurde diese Entwicklung schon vor einigen Jahren beschrieben und
analysiert1. Dabei wurde aufzeigt, dass die Kunden nur noch bedingt durch die klassischen
Massenkommunikationsmedien Zeitung, Radio und TV angesprochen werden wollen. Viel-
mehr möchten sie als Individuum kontaktiert werden. Zudem erhalten Konsumenten leichter
Zugang zu Informationen über aktuelle technologische Trends und Produkte. In Blogs und

1
Vgl. CLUETRAIN (2001).

F. Keuper, B. Hogenschurz (Hrsg.), Professionelles Sales & Service Management,


DOI 10.1007/978-3-8349-8799-0_3,
© Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
74 SCHOMAKER/ERNER/BERLIN

Communities wie bspw. Facebook werden Meinungen gebildet und Erfahrungen ausge-
tauscht. Die Kunden sind zunehmend besser informiert und anspruchsvoller denn je2. Diesem
Umstand sollte auch am PoS Rechnung getragen werden. Der Kunde weiß genau, was er will,
und erwartet vom Unternehmen, auf diesem hohen Anspruchsniveau abgeholt zu werden.
Dieser Fall trifft insbesondere für die junge Zielgruppe zu.

Nicht nur die Kunden verändern sich durch diese Entwicklung, sondern die Unternehmen
ebenso. So sind elektronische Marktplätze entstanden, die es ermöglichen, eine weltweite
Präsenz aufzubauen und damit die Markenbekanntheit zu erhöhen.

2.2 Herausforderungen für die Deutsche Telekom AG


Die oben beschriebene Entwicklung hat auch Relevanz für die Deutsche Telekom. Diese fo-
kussiert auf Telekommunikationsprodukte und -dienste in der vernetzten und digitalen Welt
wie z. B. IP-TV, Home Media Network und mobiles Internet. Wie Abbildung 1 darstellt, sind
an der Nutzung solch innovativer Web-Produkte vor allem die Kundensegmente bis 35 Jahre
interessiert, während für ältere Segmente diese Produkte niedrigere Relevanz haben.
Webbasierte (innovative) Internetdienste

Klassische Telekommunikationsdienste
hoch

Software-
download
niedrig Haushaltseinkommen

IPTV

Flatrates … Fax

Klassische
Gaming Telefonie

Communitiy-
dienste

20 35 50 65 Alter

Abbildung 1: Nutzungsinteresse von Telekommunikationsprodukten der verschiedenen


Altersgruppen3

Diverse Marktforschungen bescheinigen der DTAG insbesondere in dem jungen Zielsegment


eine hohe Markenbekanntheit sowie eine hohe Leistungsakzeptanz, jedoch geringere Mar-
kenattraktivität und Empfehlungsverhalten.

2
REICHWALD ET AL. (2000), S. 8.
3
Eigene Darstellung, basierend auf der ALLENSBACHER MARKT- UND WERBETRÄGER-ANALYSE (2008).
PoS-Konzept für die junge Zielgruppe der Deutschen Telekom AG 75

Um ihre Marktposition auszubauen, hat sich die Deutsche Telekom entschlossen, verstärkt
diese Kundensegmente für sich zu gewinnen und mit ihren Produkten an sich zu binden. Die
Werte und Bedürfnisse der Zielgruppe in Bezug auf den Konsum von Telekommunikations-
produkten sind in Abbildung 2 dargestellt. Hier ist zu erkennen, dass insbesondere im Ju-
gendsegment Faktoren wie Personalisierung, Innovativität, Design und Community von gro-
ßer Bedeutung sind.

Andere Segmente:
hoch

Zielsegment: ¾ Ältere Modernisierungsverlierer aus dem tra-


ditionellen Segment der Gesellschaft, die mit dem
¾ Jung und unkonventionell rasanten soziokulturellen und technologischen
niedrig Haushaltseinkommen

¾ Am Bildschirm sozialisiert und in der Wandel nicht zurecht kommen


digitalen Welt aufgewachsen ¾ Der nach Sicherheit, Harmonie und Komfort
¾ Experimentierfreudig, neugierig, strebende Mainstream der Gesellschaft
kreativ, ich-bezogen, auf der Suche ¾ Konventionell, pragmatisch, vernünftig, spar-
nach Selbstverwirklichung und sam, bescheiden, aber auch verunsichert
Identität/ Heimat
¾ Keine profilierten Ansprüche an das Medien-
¾ Distanzloses, von Reizhunger geprägtes angebot
Verhältnis zu Medien, Verschmelzung
unmittelbarer Wirklichkeitserfahrung ¾ Überforderung durch das moderne ICT- und
und medial vermittelter Inhalte Medienangebot, Leiden unter Komplexität,
Schnelllebigkeit und Info-Overload
¾ Multimedia-Begeisterung, Networking,
ausgeprägte Computer- und Internet- ¾ Eingeschränktes Interessensspektrum, passive
Expertise Konsumhaltung gegenüber Medien, geringe
Print-, aber weit überdurchschnittliche TV-
Nutzung, Distanz zu Multimedia und Internet

20 35 50 65 Alter

Abbildung 2: Werte und Bedürfnisse der verschiedenen Segmente4

Eine Analyse der aktuellen Kundenstruktur der konzerneigenen Telekom Shops zeigt, dass der
Kunde durchschnittlich Anfang 40 und die jüngere Zielgruppe unterrepräsentiert ist. Um
diese langfristig an das Unternehmen zu binden, pilotiert die DTAG ein PoS-Konzept, wel-
ches insbesondere auf die relevanten Bedürfnisse und Anforderungen der jungen Konsumen-
ten ausgerichtet ist.

3 Ziele und Aufgaben des Point of Sales

Im folgenden Kapitel erfolgt eine Darstellung der allgemeinen Aufgaben und Ziele des PoS,
um den Rahmen für die anschließenden Ausführungen festzulegen. In diesen Kontext werden
die spezifischen Zielsetzungen der DTAG ergänzend eingefügt.

4
Eigene Darstellung, Einordnung basierend auf GRUNER & JAHR (2008) (Bevölkerung 14–64 Jahre, Fälle: 49,93).
76 SCHOMAKER/ERNER/BERLIN

Absatz und Verkauf


Die zentrale Aufgabe des PoS ist der Abverkauf von Produkten und Dienstleistungen des
Unternehmens5. Dies gilt ebenfalls für das Shop-Konzept der DTAG, das im Folgenden im
Vordergrund der Darstellung steht.

In diesem Sinne werden eine Reihe auf Absatz ausgerichteter bzw. daraus abgeleiteter klassi-
scher, betriebswirtschaftlicher Zielgrößen verfolgt. Hierzu zählen insbesondere monetäre
Ziele, anhand derer der Erfolg eines Geschäftes bemessen werden kann, wie Umsatz, De-
ckungsbeitrag, Gewinn und Rentabilität.6

Kundenfrequenz
Verkauf setzt Kontakt mit den Kunden voraus. I. d. S. ist es eine weitere zentrale Aufgabe des
PoS, Kundenfrequenz zu generieren, d. h. Kunden zum Besuch des Ladenlokals zu motivie-
ren.

Die Kundenfrequenz u. a wird durch die klassische Kommunikation in TV, Print und Internet
beeinflusst. Um möglichst viele Personen der gewünschten Zielgruppe in den PoS zu leiten,
ist zudem eine optimale Standortauswahl unerlässlich.7 Eine gute Erreichbarkeit und entspre-
chende Möglichkeiten zur Außendarstellung sind somit weitere Kernanforderungen für die
Wahl des Geschäftsumfeldes.

Um die avisierte jüngere Zielgruppe (bis 36 Jahre) zu erreichen, erfolgte für die Umsetzung
des Shop-Konzeptes die Wahl des Standortes mittels folgender Faktoren:

¾ Junges, urbanes Umfeld


¾ Vorreiter in den Themen: Kultur und Kunst, Mode, Musik
¾ Kreatives Umfeld, in welchem sich „Styleleader“ gerne aufhalten und neue Trends setz-
ten
¾ Abwechslungsreiche Einzelhandelsstruktur mit vielen kleinen individuellen Stores (keine
Filialisten)

Neben den erwähnten quantitativen und monetären Zielgrößen liegt der Fokus des PoS Ma-
nagement, insbesondere vor dem Hintergrund des verfolgten innovativen Marketingansatzes,
auf einer Reihe weiterer qualitativer Zielsetzungen, die im Folgenden näher dargestellt wer-
den.

5
Vgl. SCHRÖDER (2005), S. 201 f.
6
Vgl. PUFAHL (2006), S. 86 f.
7
Vgl. HEINEMANN (2008), S. 73.
PoS-Konzept für die junge Zielgruppe der Deutschen Telekom AG 77

Markendarstellung und Bekanntheitsgrad


Eine weitere Kernaufgabe des PoS ist die positive Darstellung der Marke sowie die damit
verbundene Erhöhung des Bekanntheitsgrades in der Öffentlichkeit.8 Diese wird durch Maß-
nahmen der Kommunikationspolitik9 flankiert. Aufbau und Pflege einer Marke sowie die
damit verbundene Auswahl der Maßnahmen sind insbesondere von der Zielgruppe abhängig.
Wie bereits erläutert, bestätigen diverse Analysen und Umfragen der DTAG eine hohe Mar-
kenbekanntheit und allgemeine Anerkennung als eines der führenden Technologieunterneh-
men Deutschlands. Vor diesem Hintergrund ist ein Ziel der Markenpolitik die Veränderung
der von der Zielgruppe wahrgenommen Technologiemarke hin zur Erlebnismarke und der
Transport des Markenleitbildes an den PoS. Dabei soll im jüngeren Segment die Liebe zur
Marke geweckt und das Image verbessert werden.

Produktpräsentation
Neben der Markendarstellung ist die Präsentation der Produkte und das Schaffen eines er-
kennbareren Grundes, ein Produkt „jetzt und hier“ zu kaufen, eine weitere Aufgabe des PoS. 10
Dazu muss durch das Angebot ein Mehrwert für den Kunden gegenüber der Konkurrenz
geschaffen werden.11

Als Ausdruck der gemeinsamen Herkunft und um dem Kunden die Orientierung bei der Viel-
zahl von Telekommunikationsprodukten zu erleichtern, hat die DTAG bereits vor einigen
Jahren begonnen, ihre diversen Angebotsmarken (Produkte der verschiedenen SBU12) unter
dem „T“ zusammenzufassen.

Zur stärkeren Verankerung der Marke „T“ im „Relevant Set“ der Zielgruppe hat die DTAG
sich dazu entschlossen, im Rahmen einer Pilotierung zu untersuchen, inwieweit es sich lohnt,
das Produktangebot des Konzerns zielgruppenspezifisch zu vermarkten.

Kundenansprache und Erlebnisvermittlung


Um den Kunden exzellent zu beraten und für ihn wichtige Informationen zu den Produkten
bereitzustellen, ist ein hohes Know-how beim Personal erforderlich.13 Tipps und Ratschläge
zur Anwendung des Produktes sind der erste Einstieg in das Gespräch und vermitteln dem
Kunden, dass dieser gut aufgehoben ist.

Über die Kundenansprache hinaus, ist das Schaffen individueller Erlebniswerte eine weitere
Aufgabe des PoS. Dabei werden dem Kunden durch Marketingaktivitäten und Shopgestaltung
spezifische Erlebnisse vermittelt, die seine Wahrnehmung positiv beeinflussen. Demzufolge
soll dem Angebot ein eigenständiges emotionales Profil vermittelt werden, das es von ande-
ren Anbietern abhebt und eindeutig positioniert. Die erlebnisbetonte Ladengestaltung wird oft
vernachlässigt, obwohl der Kunde physisch präsent und somit über alle seine Sinne erreichbar
ist.

8
Vgl. ADJOURI (2002), S. 84 f.
9
Aufgabe der Kommunikationspolitik ist die Übermittlung von Informationen, Bedeutungsinhalten und Bewer-
tungen mit dem Zweck u. a. Einstellungen und Erwartungen zu beeinflussen. Es wird zwischen Massenkommu-
nikation und persönlicher Kommunikation unterschieden; vgl. BALDERJAHN/SCHOLDERER (2000), S. 187.
10
Vgl. FUCHS/UNGER (2007), S. 15.
11
Vgl. HUNSTIGER (2001), S. 39.
12
SBU: Strategic Business Unit (strategische Geschäftseinheit).
13
Vgl. FUCHS/UNGER (2007), S. 218.
78 SCHOMAKER/ERNER/BERLIN

Elementen wie der Gestaltung des Ladenumfeldes, Ladenlayout, Space Utilisation und der
atmosphärischen Ladengestaltung muss besondere Beachtung geschenkt werden.14 Neben der
Ansprache über das Schaufenster oder die Fassade spielt die Raumaufteilung, bspw. in ver-
schiedene Funktionszonen, eine große Rolle in der Wahrnehmung des Kunden. Soziale Fak-
toren, wie die Interaktion zwischen Kunde und Personal, Umgebungsreize, die hauptsächlich
über das Unterbewusstsein wirken und visuelle Komponenten, ästhetischer und funktioneller
Art, sind bei der Gestaltung des Geschäftes zu beachten und sollten auf die ein oder andere
Art umgesetzt werden, um dem Besucher einen bleibenden Eindruck zu vermitteln.15 Zu
berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang, dass Reize von jedem Menschen unterschied-
lich wahrgenommen werden und eine übermäßige Verwendung der beschriebenen Elemente
zu einer Reizüberflutung führen kann.16

Die DTAG hat sich zum Ziel gesetzt, einen Telekom Shop zu gestalten, der speziell die junge
Zielgruppe anspricht. Dem Kunden soll die Möglichkeit gegeben werden, die Produkte in
entspannter Atmosphäre auszuprobieren und kennenzulernen. Der Telekom Shop soll dazu so
flexibel gestaltet werden, dass für die Kunden unterschiedliche Erlebniswelten geschaffen
und vermittelt werden sowie Events unterschiedlicher Art durchgeführt werden können.
Ebenso muss das Personal stets über spezielles Know-how zu den aktuellen Telekommunika-
tionslösungen verfügen, um die Kunden bestmöglich zu beraten.

Community-bildende Maßnahmen
Über die oben dargestellten erlebnisvermittelnden Elemente hinaus sollen spezifische com-
munity-orientierte Aspekte berücksichtigt werden. Generell gilt dabei, dass zielgruppenge-
rechte, maßgeschneiderte und trendige Produktlösungen die Einkaufstättentreue des Kunden
stärken können. Kundenanforderungen müssen deshalb möglichst früh antizipiert und Pro-
dukte an die spezifischen Anforderungen angepasst werden. Dabei bilden Informationen über
die Bedürfnisse17 der Zielkundengruppe Grundlage und Ausgangspunkt jeglicher unterneh-
merischer Tätigkeiten.18 Ein entscheidender Zusatznutzen, der die Bindung an das Unterneh-
men stärkt, ist hierbei die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, wobei insbesondere Faktoren wie
Lifestyle und Prestige eine Rolle spielen.

Das Ziel der Deutschen Telekom ist die offene Konversation, die Wahrnehmung und Verbes-
serung der Kundenkritik und der Aufbau einer stetig wachsenden, zufriedenen Kundenge-
meinschaft. Für die Bildung einer solchen Community ist die Kommunikation der Mitglieder
untereinander eine notwendige Bedingung,19 welche Gemeinsamkeiten bestimmter Ausprä-
gungen20 voraussetzt. Dabei lassen sich hier exemplarisch

14
Vgl. GRÖPPEL (1991), S. 59.
15
Vgl. KROEBER-RIEL/WEINBERG (2003), S. 119 f., und BAKER ET AL. (2002), S. 121.
16
Vgl. LIEBMANN/ZENTES (2001), S. 547, und KOTLER (1973), S. 51 f.
17
Ein Bedürfnis ist der Anfang eines Kaufentscheidungsprozesses und stellt ein Mangelgefühl dar. Dieser Zustand
sollte bewältigt werden, indem die Person verschiedene Alternativen zur Bedürfnisbefriedigung findet und beur-
teilt; vgl. BALDERJAHN/SCHOLDERER (2007), S. 52 f.
18
Vgl. PORTER (1999), S. 34.
19
Vgl. POWAZEK (2001), 17 ff.
20
Vgl. KIM (2000), S. 17.
PoS-Konzept für die junge Zielgruppe der Deutschen Telekom AG 79

¾ geografische
¾ demografische
¾ sachgebietsbezogene
¾ aktivitätsgebundene

Kriterien anführen.

Die DTAG beabsichtigt daher, über eine wachsende Community ihre Markenattraktivität
insbesondere im Zielgruppensegment zu steigern, um sich weiterhin als Marktführer für Pro-
dukte und Dienste in der vernetzten und digitalen Welt zu positionieren.

4 4010 – Der Telekom Shop in Mitte:


Ein Shopkonzept für die junge Zielgruppe

Ende 2007 wurde ein konzernübergreifendes Projektteam mit der Ausarbeitung eines ziel-
gruppenspezifischen Konzeptes und der Umsetzung eines Pilotstandortes beauftragt. Im Juni
des darauffolgenden Jahres wurde das Detailkonzept finalisiert. Die Sanierungs- und Herstel-
lungsarbeiten nahmen drei Monate in Anspruch, so dass der „4010 – Der Telekom Shop in
Mitte“ Anfang Oktober 2008 eröffnet wurde. Ab diesem Zeitpunkt entwickelte das Projekt-
team in enger Zusammenarbeit mit dem Shop-Team und begleitenden Agenturen das Shop-
Konzept stetig weiter, um die Anforderungen und Bedürfnisse des Zielkundensegments bes-
ser kennenzulernen und im Shop umsetzten zu können.
80 SCHOMAKER/ERNER/BERLIN

IMMOBILIE PHASE 1
Recherche, Entscheidung CREDIBILITY

Mindestens 3 Monate
YCS UMSETZUNGSPHASE
Betrieb
Konzeption 8 Wochen
Bespielung
Entwurf ab Entscheidung Immobilie
Updates

ERÖFFNUNG
Beplanung
Evaluation
Beauftragung
Bau

CONTENT-ORGA
6 Wochen PHASE 2
Content PERFORMANCE
Bespielung Integration
Inbetriebnahme Module
Mehr Produkte

IMPLEMENTIERUNG

Abbildung 3: Phasen und zeitliche Abfolge des „Young-am-PoS“-Konzeptes

4.1 Umsetzung
Absatz & Verkauf
Die Erreichung von Verkaufszielen und weiteren damit in Bezug stehenden betriebswirt-
schaftlichen Kennziffern wie Erlöse, Betriebskosten, Deckungsbeitrag und Shop-Rendite,
spielen für die Bewertung des Konzeptes eine wichtige Rolle. Im ersten Halbjahr nach Eröff-
nung stand die Etablierung des PoS über Community-bildende Maßnahmen im Vordergrund
der Aktivitäten. Erst nach und nach verlagerte sich der Fokus hin zu einem stärkeren Einsatz
vertrieblicher Maßnahmen.

Phase 1: Focus Credibility Phase 2: Focus Performance Æ Rollout

Performance:
Absatz

Glaubwürdigkeit treibt Absatz


Credibility: Augenhöhe

Abbildung 4: Mit Steigerung der Glaubwürdigkeit erfolgt auch Absatzsteigerung


PoS-Konzept für die junge Zielgruppe der Deutschen Telekom AG 81

Dieser Ansatz zahlt sich bisher aus. Die aktuelle Absatzentwicklung lässt darauf schließen,
dass die avisierten wirtschaftlichen Ziele für das laufende Jahr erreicht werden.

Kundenfrequenz
Auf der Suche nach einem geeigneten Ort für den 4010 wurden alle in Frage kommenden
Standorte (Köln, Frankfurt und Berlin) sehr genau durch die Konzeptgeber in Zusammenar-
beit mit Standortexperten analysiert. Die Wahl fiel schließlich auf Berlin, genauer in das
Umfeld der Hackeschen Höfe in Berlin-Mitte. Dieses Quartier vereint alle Wunschstandort-
faktoren und zählt gleichzeitig zu den schwierigsten Einzelhandelsstandorten für erfolgreiche
neue Shopkonzepte, da es sich seit den 90er Jahren von einem alternativen Szene-Viertel
immer mehr zu einem gefragten Wohn- und Geschäftsviertel sowie kulturellen Anziehungs-
punkt für junge und urbane Menschen entwickelt hat. In dem Kiez befinden sich neben exqui-
siten Gastronomiebetrieben hochwertige Modeanbieter, zahlreiche Guerilla- bzw. Pop-up-
Stores und Galerien. Wenn in dieser anspruchsvollen Umgebung ein neues Shopkonzept
erfolgreich umgesetzt werden kann, stehen die Chancen gut, dieses bundesweit, unter Be-
rücksichtigung der jeweiligen lokalen Besonderheiten, ebenfalls realisieren zu können.

Markendarstellung und Bekanntheitsgrad


Mit der Eröffnung des „4010 – Der Telekom Shop in Mitte“ wurde die Veränderung der Mar-
ke für den Kunden sichtbar und spürbar umgesetzt: Möbelkonzept, Shopdesign, Kommunika-
tionsmittel, Internetauftritt – alles in einem eigenen Style, aber immer mit einem deutlichen
Bezug zur Deutschen Telekom. Hinter dem Namen 4010 verbirgt sich die RAL-Farbe „Tele-
kom Magenta“. Im Möbelbau und Shopdesign finden sich überall Magenta-Spuren – von der
Innenfarbe der Produktwand, über einen Magenta-Strich auf dem Boden, der sich quer durch
den ganzen Shop zieht bis hin zu einer möglichen magentafarbenen Beleuchtung.

Auf der shopeigenen Homepage (www.4010.com) werden parallel zum 4010 alle aktuellen
Infos zum Shop und Neuigkeiten für die Community kommuniziert.

Produktpräsentation
Wie in allen anderen Telekom Shops des Konzerns werden sämtliche Angebotsmarken im
Concept-Store in Berlin-Mitte vermarktet. Der Unterschied liegt in der Präsentation, die ju-
gendlicher anmutet und stärker auf Trendelemente setzt. Bei Präsentation und Kommunikati-
on beschränkt man sich im 4010 ausschließlich auf die vielfältig verfügbaren Produkte, die in
der Zielgruppe Relevanz besitzen (iPhone, IP-TV, mobiles Internet). Hierbei stehen Produkt-
nutzen, Testing und Service im Fokus. Da das Ziel, der Aufbau einer langfristigen Kunden-
bindung, nur durch Akzeptanz und Glaubwürdigkeit in der Zielgruppe erreicht werden kann,
sucht die DTAG den direkten und offenen Austausch mit seinen Kunden, um direkt auf die
Anregungen reagieren zu können.

Kundenansprache und Erlebnisvermittlung


Neben der reinen Informationsbereitstellung und Schaffung von interaktiven Themenplatt-
formen stehen zur Vermittlung der Erlebniswelten im 4010 weitere zielgruppenrelevante
Themen wie Street Art, Music, Gaming, etc. im Vordergrund.

Dabei erlaubt sowohl die klare Kennzeichnung in Verkaufs- und Loungebereich als auch das
modulare Möbelkonzept eine schnelle und einfache Anpassung an die jeweiligen Themen-
schwerpunkte im Shop. Der Kunde hat die Möglichkeit, tagsüber in entspannter und gemütli-
cher Atmosphäre die Produkte auf Herz und Nieren zu testen oder am Multitouch eigene
Klingeltöne zu kreieren und auf sein Mobiltelefon zu laden. Nach Geschäftsschluss liegt der
82 SCHOMAKER/ERNER/BERLIN

Schwerpunkt auf der Bildung einer eigenen Community. Daher verwandelt sich der 4010
regelmäßig in eine Eventlocation, in der angesagte Künstler und Nachwuchskünstler die Ge-
legenheit haben, ihre Werke oder Musik zu präsentieren. Darüber hinaus nutzt der Telekom-
Konzern seine vielfältigen Sponsoringaktivitäten im Jugendbereich (StreetGigs, Electronic
Beats, etc.), um eine direkte Zuführung und Emotionalisierung zu erreichen.

Community-bildende Maßnahmen
Um den Austausch mit der Zielgruppe aufrecht zu erhalten, verfolgt der 4010 unterschiedli-
che Themenstellungen. Dazu gehört z. B. die Durchführung von regelmäßigen Produkt-
Workshops (z. B. iPhone Sessions, bei denen die neusten Apple-Applikationen vorgestellt
werden), exklusiven Produkt-Previews, MySpace Sessions oder Electronic Beats Gigs mit
angesagten DJs. Die oft wechselnde Dekoration/Shop-Gestaltung regt Passanten und Kunden
an, wiederholt den 4010 zu besuchen und zu schauen, was es Neues gibt.

Ein weiterer wichtiger Baustein für den Aufbau der eigenen Community ist die Integration
von bereits in der Szene sehr gut vernetzten Kooperationspartnern, wie z. B. Designern, die
exklusiv 4010-Motive für T-Shirts kreieren und anschließend im 4010 und über seinen Onli-
ne-Shop vertreiben.

Abbildung 5: Gallery Wall 21

Zudem existiert eine Gallery Wall (siehe Abbildung 5) im 4010, die regelmäßig von meist
Berliner oder internationalen Künstlern neu gestaltet wird, wobei einzig die Themen Tele-
kommunikation, Magenta und/oder 4010 bei der Gestaltung der 7 x 2,5m großen Wand inte-
griert werden müssen.

21
Foto von ANDREAS MEICHSNER (www.andreasmeichsner.de). Gestaltung durch THOMAS MANIG (www.thomas
manig.de).
PoS-Konzept für die junge Zielgruppe der Deutschen Telekom AG 83

In regelmäßigen Abständen werden die Konzeptannahmen und -ziele mittels Markforschung


überprüft. Hierbei kommt nicht nur die klassische Befragung zum Einsatz, sondern Kunden
können Ihre Meinung z. B. an einer Tag Wall hinterlassen. Dabei schafft insbesondere die
Möglichkeit, seine etwaige Kritik an Store, Konzern oder Mitarbeitern direkt mitteilen zu
können, Vertrauen in der Zielgruppe.

4.2 Erfolgsmessung und lessons learned


Absatz & Verkauf
Die Absätze des 4010 wurden konzeptbedingt auf einem niedrigeren Niveau geplant, doch
liegen diese teilweise bereits über dem Planansatz. Insbesondere das Neukundengeschäft ent-
wickelt sich erfreulich: 72% der Abschlüsse im Mobilfunkbereich und 63% im Festnetzbe-
reich entfallen auf Neukunden. Einen Anteil von 60% fällt auf die Kunden unter 36 Jahren, so
dass sich die aufgestellten Erwartungen an die Kundenstruktur des 4010 bisher erfüllten.
(siehe Abbildung 6).

bis 25

15% 26–35
> 55
1%
46–55 In Q1/2009 wird die Zielsetzung im Bereich der
9% 44% Kundenstruktur erreicht:
¾ 15% der Kunden sind jünger als 25 Jahre
und
¾ 44% zwischen 26–35 Jahre alt
30%

36–45

Abbildung 6: Kundenstruktur des 4010

Kundenfrequenz
Die mit der Standortauswahl verbundene Zielsetzung, gezielt Meinungsführer im Bezirk
Mitte anzusprechen, kann als gelungen betrachtet werden. Wie in Abbildung 6 gezeigt, wird
der 4010 hauptsächlich von der angestrebten Zielgruppe, dem Upper-Young-Segment, fre-
quentiert.

Die Entwicklung sowohl der Kundenfrequenz als auch der Friends/Followers auf der 4010-
Homepage bei Facebook22 und Twitter23 belegt, dass das Konzept und die virale Marketing-
strategie vom Zielsegment gut angenommen werden. Als Beleg dafür kann weiterhin gesehen
werden, dass sich die Anzahl der Nutzer der 4010-Homepage innerhalb der ersten Monate
verdoppelt hat und stetig weiter ansteigt. Bei Facebook gehören 60% der „Friends of 4010“
dem avisierten Zielgruppensegment an.

22
Vgl. www.facebook.com/4010berlin.
23
Vgl. www.twitter.com/4010_Shop.
84 SCHOMAKER/ERNER/BERLIN

Markendarstellung und Bekanntheitsgrad


Die Außenwirkung des 4010 war in den ersten Monaten noch nicht attraktiv genug, wurde
dann aber durch eine dem 4010-Style angepasste Außenkennung auffälliger gestaltet, um die
Zielgruppe gezielt in den Shop zu leiten. Ob hier weiterhin Verbesserungspotential besteht,
wird sich in den nächsten Monaten zeigen. Innengestaltung und Dekoration hingegen finden
großen Anklang bei den Kunden und etablieren den Store in Berlin-Mitte als Telekommuni-
kationsshop und gleichzeitig als Eventlocation für die Zielgruppe. Zudem hat sich der 4010
sehr gut in die Community eingefügt und erfreut sich eines hohen Bekanntheitsgrades in der
Region. Dazu trägt auch die gute Vernetzung der Mitarbeiter bei.

Produktpräsentation
Die klare Kennzeichnung des Stores in Verkaufs- und Eventbereich wurde von den Kunden
gut angenommen. Die eigentliche Produktpräsentation im Verkaufsbereich und in den Schau-
fenstern wird stetig angepasst. So sollen künftig weitere „Orientierungshilfen“ in die Pro-
duktpräsentation integriert und im Schaufenster vermehrt auf Angebote hingewiesen werden.
Als nachteilig erwies sich, dass nicht immer alle Produkte aufgrund baulicher Gegebenheiten,
wie Stützen in den Räumen, aus jeder Ecke des Verkaufsraumes sofort gesehen werden kön-
nen. Zur Belebung dieser Bereiche sollen die Flächen durch eine aufmerksamkeitsstarke
Dekoration und die gezielte Nutzung für Kommunikation und Testing aufgewertet werden.
Ebenso wie bei der Markendarstellung ist dieses Ergebnis aus Kundenbefragungen abgeleitet
worden. Festzuhalten bleibt, dass die Produktauswahl genau den Nerv der Zielgruppe trifft
und in diesem Punkt keine Änderungswünsche an das Shopkonzept bestehen.

Kundenansprache und Erlebnisvermittlung


Durch hervorragende Fachkenntnisse der Angestellten entwickelte sich der Shop zum Kom-
petenzzentrum für innovative, bei der Zielgruppe wichtige Schlüsselprodukte. Die Möglich-
keit, alle Endgeräte bei einer Tasse Tee in den Sitzlounges oder am großen Kommunikations-
tisch in Ruhe zu testen, wird von den Kunden ebenso geschätzt wie das Angebot private E-
Mails am kostenfreien Hotspot bearbeiten zu können. Auch die Nutzung des Multitouchs mit
seinen vielfältigen Funktionen wie z. B. kostenlose Downloads von Spielen, Musik, Videos
und selbstgestalteten Klingeltönen oder die Bundesliga-Live-Übertragung jeden Samstag-
nachmittag sind bei der Zielgruppe ein besonderes Highlight.

Durch regelmäßige Veranstaltungen werden zudem gezielt Besucher angelockt und führen zu
einem breiten Echo in lokalen TV- und Radio-Sendern, Blogs, Communities und Social Me-
dia. Festzuhalten ist, dass die Kommunikation über Tageszeitungen nicht zur Ansprache des
gewünschten Publikums führte. Deswegen werden in Zukunft vermehrt Informationen zu
bevorstehenden Events über die stetig wachsende Community gestreut.

So wurde beispielweise die Neugestaltung der Gallery Wall auf diese Weise sehr erfolgreich
über die Community promotet, indem Interessenten sich für die Mitgestaltung der neuen
Gallery Wall über Facebook bewerben konnten.

Community-bildende Maßnahmen
In den ersten Monaten wurde durch diverse Events, wie Ausstellungen, Workshops, etc., der
Bekanntheitsgrad des Shops gesteigert.
PoS-Konzept für die junge Zielgruppe der Deutschen Telekom AG 85

Die Kundenloyalität hat zugenommen, die 4010-Community wurde gestärkt und vergrößert.
Trotz einiger kritischer Anmerkungen zu Anfang erfolgten nun fast ausschließlich positive
Bewertungen über die bekannten Community-Medien und führten somit zu Ausbau und Fes-
tigung der Vernetzung im lokalen Umfeld.

„Feine Businessidee! Ein Telekom-Laden wie kein Mehr Galerie als


anderer. Ja, auch die Telekom geht manchmal andere Shop, mehr Erlebnis
Wege - ein Touch Social Media Marketing und ein wenig
als Verkauf. Page Magazin
Nostalgie. Irgendwie Lounge und irgendwie Shop - egal
wie… einfach eine geniale Idee. Hat Spaß gemacht einen
Vortrag für die Webinale dort zu halten. Und ist inmitten
der ganzen schönen Läden, in denen man auch mal ein
außergewöhnliches Kleidungsstück findet.“ „ich bin begeistert, vom
styling des raums und der
Meyer-Gossner auf Qype
freundlickeit der jungen frau.
sie hat mir unaufdringlich und
klar verständlich tarifstruktur
… in dieser coolen und vertragsdetails erklärt,
Super Geschäftsidee, der Location finden regelmäßig ruhig und sicher, ohne
Laden zeigt, wie cool Telekom musikalische Events statt, marketing-typisches agents-
sein kann. Man fühlt sich wie die ohne gelaber - sehr schön, so sollte
in einer Lounge und will gar Telekommunikation gar kommunikation zwischen
nicht mehr raus. Hier kann nicht möglich wären. kunden und anbieter ablaufen
blog.xonio.com
man sehen und probieren, was …“
Lokalreporter auf Qype
Apple und Co an neuen
Spielzeugen zur
Telekommunikation bereit
stellen. Macht Spaß! ...netter Szenetreff mit toller Gallery Wall im Shop! Und Abends
exrexexrex auf Qype verwandelt sich der Shop in eine Eventlocation. Tolle Sache!!
Laetitia auf Berlin-golocal

Abbildung 7: Stimmen der Kunden

Obwohl die Bekanntheit noch regional begrenzt ist, lässt sich festhalten, dass die Publicity
der Marke und des Shop-Konzepts innerhalb der Community die gesetzten Erwartungen voll
erfüllt.

4.3 Ausblick
Die DTAG rechnet aufgrund des viralen Marketingansatzes mit einer ca. drei-jährigen
„Ramp-up-Phase“ für den Shop. Die Pilotdauer wird in erster Linie für die Überprüfung,
Weiterentwicklung und Anpassung des Konzeptes verwendet. Derzeit wird die Optimierung
der Kundenzuführung in den Store durch eine konzeptkonforme Außenkennung umgesetzt.
Weiterhin werden sowohl die Kundenführung als auch Produktpräsentation und Preisaus-
zeichnung im PoS und den Schaufenstern überarbeitet und angepasst. Darüber hinaus werden
künftig vertriebliche und community-bildende Maßnahmen im Fokus stehen. In diesem Zu-
sammenhang spielt die Weiterentwicklung des eingesetzten Personals eine große Rolle. Die-
ses wird in den nächsten Monaten durch intensives Coaching dabei unterstützt, sowohl die
Kundenansprache als auch das Konzept ohne die Unterstützung externer Agenturen mit neuen
Impulsen und Trends am Leben zu halten.
86 SCHOMAKER/ERNER/BERLIN

5 Zusammenfassung

Mit dem „4010 – Der Telekom Shop“ in Mitte hat die DTAG ein PoS-Konzept speziell für die
junge Zielgruppe realisiert, welches vom avisierten Kundensegment sehr gut angenommen
wird und positiven Einfluss auf das Image des Unternehmens im besagten Segment hat. So-
wohl die bisherige Absatzentwicklung als auch Kundenstruktur und Resonanz der Communi-
ty bescheinigen der DTAG die Richtigkeit der Vorgehensweise. Um das veränderte Marken-
bild langfristig und glaubwürdig zu etablieren, wird der Konzern diesen Konzeptansatz kon-
sequent weiter entwickeln.

In die finale Bewertung des Konzeptes werden neben den originären Zielen eines PoS, Absatz
und Verkauf auch der generelle Erfolg des viralen Marketingansatzes, die Adaption von Tei-
len der 4010-Kommunikationsstrategie in die klassischen Marketingkampagnen und die nati-
onale und/oder internationale Multiplizierbarkeit des Gesamtkonzeptes einfließen.

Quellenverzeichnis

ADJOURI, N. (2002): Die Marke als Botschafter, Wiesbaden 2002.


ALLENSBACHER MARKT- UND WERBETRÄGER-ANALYSE (2008): online: http://de.statista.com/
statistik/diagramm/studie/100056/filter/100526/fcode/1,2,3,4,5,6,7/umfrage/interesse-an-
moderner-telekommunikation/, Stand: 08.07.2008, Abruf: 30.07.2008.
BAKER, J./PARASURAMAN, A./GREWAL, D. (2002): The Influence of Multiple Store Environment
Cues on Perceived Merchandise Value and Patronage Intensions, in: Journal of Market-
ing, 2002, S. 120–141.
BALDERJAHN, I./SCHOLDERER, J. (2007): Konsumentenverhalten und Marketing – Grundlagen
für Strategien und Maßnahmen, Stuttgart 2007.
CLUETRAIN (2001): online: www.cluetrain.de, Stand: 11.03.2001, Abruf: 07.06.2009.
FUCHS, W./UNGER, F. (2007): Management der Marketing-Kommunikation, 4. Auflage, Ber-
lin 2007.
GRÖPPEL, A. (1991): Erlebnisstrategien im Einzelhandel, Heidelberg 1991.
GRUHNER+JAHR (Hrsg.) (2008): Stern Markenprofile 12, Hamburg 2008.
HEINEMANN, G. (2008): Multi-Channel-Handel: Erfolgsfaktoren und Best Practices, Wiesba-
den 2008.
HUNSTIGER, G. (2001): POS-Marketing in Deutschland – Positionierung, Planung, Erfolgs-
kontrolle, in FREY, U. D. (Hrsg.), POS-Marketing – Integrierte Kommunikation für den
Point of Sales, Wiesbaden 2001.
KIM, A. J. (2000): Community Building on the web – Secret Strategies for Successful Online
Communities, Berkley 2000.
KOTLER, P. (1973): Atmospherics as a marketing tool, in: Journal of Retailing, 1973, S. 48–64.
PoS-Konzept für die junge Zielgruppe der Deutschen Telekom AG 87

KROEBER-RIEL, W./WEINBERG, P. (2003): Konsumentenverhalten, 8. Auflage, München 2003.


LIEBMANN, H-P./ZENTES J. (2001): Handelsmanagement, München 2001.
PORTER, M. E. (1999): Wettbewerbsvorteile – Spitzenleistungen erreichen und behaupten,
5. Auflage, Frankfurt 1999.
POWAZEK, D. M. (2001): Design for Community, Indianapolis 2001.
PUFAHL, M. (2006): Vertriebscontrolling – So steuern Sie Absatz, Umsatz und Gewinn, 2. Auf-
lage, Wiesbaden 2006.
REICHWALD, R./BASTIAN, C./LOHSE, C. (2000): Vertriebsmanagement im Wandel – Neue An-
forderungen an die Gestaltung der Kundenschnittstelle, in: REICHWALD, R./BULLINGER, H. J.
(Hrsg.), Vertriebsmanagement, Stuttgart 2000.
SCHRÖDER, H. (2005): Multichannel-Retailing: Marketing in Mehrkanalsystemen des Einzel-
handels, Berlin 2005.
Markenprofilierung durch werteorientierte
Retail-Marketing- und Service-Konzepte
am Beispiel der Loewe AG

THORSTEN BALD und HENRIK RUTENBECK

Loewe AG

1 Konsequente Markenorientierung als strategische Erfolgsvoraussetzung –


Positionierungsoptionen für Loewe und den Fachhandel ................................................ 91
1.1 Positionierungsoptionen für Industrie und Handel................................................. 93
1.2 Fazit Positionierungsoptionen................................................................................ 98
2 Schärfung des Markenprofils durch wertorientierte Retail-Marketing- und Service-
Konzepte........................................................................................................................ 100
2.1 Premium-Retail-Strategie..................................................................................... 100
2.2 Premium-Service.................................................................................................. 102
2.3 Premium-Kommunikationsmaßnahmen und -schulung ....................................... 103
2.3.1 Premium-Kommunikation ....................................................................... 105
2.3.2 Premium-Schulung .................................................................................. 106
3 Loewe 2015  Premium-Retail- und Premium-Service-Leistung als Werttreiber des
Unternehmenserfolgs ..................................................................................................... 107
3.1 Ausweitung der Flagshipstore-Strategie .............................................................. 107
3.2 Exklusive Kooperationen ..................................................................................... 108
3.3 Customized Services ............................................................................................ 109
4 Fazit ............................................................................................................................... 110
Quellenverzeichnis................................................................................................................ 111
Markenprofilierung durch wertorientierte Retail-Marketing- und Service-Konzepte 91

1 Konsequente Markenorientierung als strategische


Erfolgsvoraussetzung – Positionierungsoptionen
für Loewe und den Fachhandel

„Am Anfang war das Wort.“1 Dabei müsste es richtiger lauten: „Am Anfang war das Bild.“2
Denn Worte sind Vereinbarungen über Bilder. Damit stellen Bilder die Grundlage der Ver-
ständigung und Kommunikation dar. Diese Erkenntnis ist besonders für eine erfolgreiche Füh-
rung von Marken wichtig.3 Marken sind beim Konsumenten letztendlich Vorstellungen und
Bilder über Unternehmen, Produkte und Dienstleistungen. Demnach können (Wert-) Vorstel-
lungen innerhalb von Zielgruppen durch eine adäquate Ausgestaltung des Markenbilds4 maß-
geblich gesteuert und so für eine zielgerichtete Markenprofilierung genutzt werden. Dies setzt
voraus, dass alle Maßnahmen und Kontaktpunkte, die prägenden Einfluss auf das Markenbild
haben, zielgerichtet ausgestaltet und implementiert werden. Die Marken-Implementierung
wird zum Erfolgsschlüssel für ein profiliertes Markenbild und ist damit ein wesentlicher Fak-
tor, der bei der Erhöhung oder Erhaltung des Markenwerts berücksichtigt werden muss.

In diesem praxisinduzierten Beitrag soll am Beispiel der Loewe AG verdeutlicht werden, wie
aus einem konsistenten Markenbild wertorientierte Vertriebs- und Service-Konzepte abgelei-
tet und erfolgreich im Markt implementiert werden können und wie diese im Umkehrschluss
das gewünschte Markenbild weiter schärfen.

Marken5 sind die zentralen immateriellen Wertschöpfer im Unternehmen.6 Ziel einer Marke ist
es, die Leistung eines oder mehrerer Anbieter zu kennzeichnen und von Wettbewerbsangeboten
zu unterscheiden. Als Marken können „alle Zeichen, insbesondere Wörter einschliesslich
Personennamen, Abbildungen, Buchstaben, Zahlen, Hörzeichen, dreidimensionale Gestaltun-
gen einschließlich der Form einer Ware oder ihrer Verpackung sowie sonstiger Aufmachun-
gen einschließlich Farben und Farbzusammenstellungen geschützt werden, die geeignet sind,
Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens von denjenigen anderer Unternehmen zu
unterscheiden.“7

Aber Marke ist nicht gleich Logo. Marken sind weit mehr als die o. a. Definition von § 3 des
Markengesetzes erscheinen lässt. Marken sind Bilder in Köpfen.8 Unter der Marke subsumiert
der Konsument alle positiven und negativen Erfahrungen, die er mit ihr gemacht hat. Marken
sind also Gefäße, die

1
JOHANNES EVANGELIUM 1, Kapitel, Vers 1.
2
Vgl. HEINER (2002), S. 266 ff., und ESCH (2007), S. 1, zur Bedeutung von Zeichen und Symboliken als Grund-
form der Verständigung.
3
Vgl. BLÜMELHUBER (2004), S. 574, zur holistischen Decodierung und valideren Interpretation von Markenbildern.
4
ESCH (2007), S. 17: „Marken sind im Zeitablauf resistent gegen Einflüsse von außen. Vorstellungsbilder zu Mar-
ken bauen sich kaum ab.“ Vgl. ESCH (2007), S. 92, zum Transfer der Markenidentität in ein wahrnehmbares
Markenbild.
5
Vgl. BURMANN/MEFFERT/KOERS (2005), S. 6, BRUHN (2004), S. 19 ff., ESCH (2007), S. 18 f., und KEUPER/HANS
(2003), S. 167, zur Definition einer Marke.
6
Vgl. ESCH/TOMCZAK/KERNSTOCK/LANGNGER (2006), S. 5, WICHERT (2005), S. 17 f., und ESCH (2007) S. 5.
7
§ 3 Abs. 1 MarkenG (1998), S. 40.
8
Vgl. hierzu KEUPER (2009).

F. Keuper, B. Hogenschurz (Hrsg.), Professionelles Sales & Service Management,


DOI 10.1007/978-3-8349-8799-0_4,
© Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
92 BALD/RUTENBECK

¾ Werthaltungen,
¾ Einstellungen
¾ und Orientierungspunkte vermitteln.

Oder anders ausgedrückt: Marken sind kommunikative Erlebniswelten,9 die für Werte stehen,
mit denen sich der Konsument identifiziert. Jeder getätigte Kaufakt stellt einen Akt der Iden-
tifikation dar,10 wodurch der Konsument selbst zum Botschafter der Marke wird.11 Um das
Identifikationspotenzial einer Marke optimal zu nutzen, bedarf es einer Erlebniswelt, die dem
Wesen der Marke – ihren Markenwerten12 – entspricht. Bei der Vermittlung dieser Erlebnis-
welten13 wird das Markenbild als perzeptible Unternehmensidentität zum symbolischen Trä-
ger der Marke.

Um ein Markenbild dauerhaft zu etablieren bedarf es einer ausreichenden Differenzierung der


markenspezifischen Erlebnisdimensionen, die innerhalb einer durchgängig geschlossenen
Erlebniskette14 konsistent und nachhaltig vermittelt werden müssen.

Auf den dargelegten Grundgedanken basiert das Markenbild von Loewe, das unter einer
Dachmarken-Strategie15 subsumiert und geführt wird. Zur strategischen Ausrichtung der Marke
Loewe wurde folgende Vorgehensweise gewählt:16

¾ Die Marke Loewe muss sich auf markenrelevante Kerngeschäftsfelder fokussieren,


¾ das Produkt- und Dienstleistungsangebot sowie markenrelevante Kontaktpunkte homo-
genisieren
¾ und diese möglichst trennscharf bei den Zielgruppen penetrieren.

Diese Vorgehensweise trägt der Forderung nach einer möglichst hohen Eigenständigkeit17 bei
größtmöglicher Durchgängigkeit der Marke Rechnung und sorgt weiterhin dafür, dass alle
Elemente der Erlebniskette zielkonform ausgerichtet werden können. Die Erfahrungen der
letzten Jahre zeigen, dass die konsequente Positionierung des Loewe-Markenbilds eine der

9
Vgl. BLÜMELHUBER (2004), S. 576, zum markenprofilierenden Beitrag aller direkt erlebten Äußerungen der Marke.
10
BURMANN/SCHLEUSENER/WEERS (2005), S. 425: „Gemäß der „Image-Kongruenz“-Hypothese ist die Präferenz
und Kaufabsicht für eine Marke abhängig von deren Image und dem Bild, das der Nachfrager von sich selbst hat
und anderen vermitteln möchte.“
11
Der Konsument wird durch seine Markenentscheidung somit auch von anderen Konsumenten identifiziert; vgl.
LOEWE (2004), o. S.
12
Vgl. BURMANN/MEFFERT (2005b), S. 79, zur Definition des Markenwerts.
13
Vgl. BEKMEIER-FEUERHAHN (2004), S. 883 ff., und ESCH (2007), S. 112, zur zunehmenden Bedeutung erlebnis-
wertorientierter Markenstrategien.
14
Zur Erlebniskette gehören alle markenprägenden Kontaktpunkte und Maßnahmen einer Marke.
15
Vgl. hierzu auch den Gedanken der Dachmarkenstrategie ESCH (2001), S. 484 f.
16
Vgl. LOEWE (2004), o. S.; zur Optionsvielfalt in der markenstrategischen Vorgehensweise vgl. BECKER (2004),
S. 645.
17
Vgl. ESCH (2007), S. 150, und S. 467 ff., zur Differenzierung durch Alleinstellung.
Markenprofilierung durch wertorientierte Retail-Marketing- und Service-Konzepte 93

wesentlichen strategischen Erfolgsvoraussetzungen darstellt, um Produkte oder Dienstleis-


tungen dauerhaft in einem kompetitiven Umfeld erfolgreich zu positionieren.18

1.1 Positionierungsoptionen für Industrie und Handel


Die Loewe AG ist Anbieter für individuelle Home-Entertainment-Systeme im Bereich Home
Consumer Electronics. Damit platziert sich das Unternehmen in der Unterhaltungselektronik-
Branche, die sich wertmäßig im Wesentlichen aus den Bereichen TV, Video und Audio zu-
sammensetzt.

Die Kernmärkte der Loewe AG verteilen sich hauptsächlich paneuropäisch. Der Gesamtmarkt
der Consumer Electronics (CE) in Europa offeriert momentan hohe Wachstumspotenziale. So
steigerte sich der Umsatz von 2003 bis Ende 2006 um 23 % auf 36,7 Mrd. Euro. Die Wachs-
tumsimpulse im CE-Markt generiert hauptsächlich das CTV-Segment19, das 2007 mit
78 % Wertanteil durch LCD-TV-Technologien getrieben wird.20 Das LCD-Segment lässt sich
weiter in groß- und kleinformatige Geräte21 unterteilen, wobei der größte wertmäßige Zu-
wachs fast ausschließlich durch großformatige LCD-TV-Geräte bestimmt wird. In diesem
wesentlichsten Marktsegment hat Loewe nahezu sein gesamtes TV-Produkt-Portfolio positio-
niert.22 Erweitert wird das Produkt-Portfolio durch ergänzende Audio- und Video-Lösungen,
die zu vollintegrierten Home-Cinema-Systemen kombiniert werden können.

Das Wettbewerbsumfeld der Loewe AG ist durch eine hochgradig preisaggressive Vermark-
tung gekennzeichnet. Konkurrenten wie Samsung, Panasonic, LG, Sony oder Sharp erzielen
am Markt sehr viel höhere Absatzvolumina und verfügen durch Größen- und Verbundvorteile
über, im Vergleich zu Loewe, überlegene Kostenstrukturen. Der bestehende Preisverfall ist
auch im großformatigen LCD-TV-Markt als rasant einzustufen. So ging im Zeitraum von einem
Jahr der Marktdurchschnittspreis im LCD-TV-Segment  26“ um mehr als 30 % zurück.23

Die Gefahr durch neue Marktteilnehmer oder durch Substitutionsprodukte ist theoretisch
gegeben, allerdings scheint der CE-Markt relativ hohe Markteintrittsbarrieren aufzubauen.
Dies ist zum einen durch hohe Technologie-Anforderungen und dem damit einhergehenden
Produktions-Know-How begründet. Zum anderen besteht für einen neuen Marktteilnehmer
die Notwendigkeit, entsprechende Vermarktungskanäle im Zugriff zu haben.24

18
Vgl. TROMMSDORF/ASAN/BECKER (2004), S. 544 ff., zur herausragenden Bedeutung der Marken- und Produktpo-
sitionierung; vgl. ESCH (2007), S. 171 f., zur Durchsetzung von Eigenständigkeit auf Basis des Positionierungs-
konzepts.
19
CTV = Color Television
20
GFK (2007a), o. S.
21
Kleinformatig entspricht einer Einteilung  26 Zoll; großformatig entspricht einer Einteilung von > 26 Zoll. Ein
Zoll (in gekürzter Schreibweise 1“) entspricht 2,54 cm.
22
LOEWE (2007a), o. S.
23
GFK (2007a), o. S.
24
In der Vergangenheit sind temporär neue Markteilnehmer mit Abschöpfungsstrategien im CTV-Markt erschienen,
die sich nach maximal zwei bis drei Jahren wieder aus dem Markt verabschiedeten.
94 BALD/RUTENBECK

Die Marke Loewe muss sich also in einem preisaggressiven Wettbewerbsumfeld behaupten,
mit dem klar definierten Ziel25, möglichst lange eine möglichst hohe Preisprämie26 gegenüber
ihren Mitbewerbern im jeweiligen Markt-Segment durchzusetzen. Um dies zu erreichen ist es
notwendig, die Attraktivität der Marke Loewe in den definierten Zielgruppen-Segmenten zu
forcieren, um eine höhere Preisbereitschaft sicherzustellen.

Demnach ist als Ober-Ziel – durch sukzessive Steigerung des Markenwerts27 – die Sicherstel-
lung der langfristigen Überlebensfähigkeit des Unternehmens zu identifizieren. Aus dieser
Zielsetzung lassen sich weitere Unter-Ziele dekomponieren. Loewe verfolgt weiterhin das
Ziel, durch Höher-Positionierung der Marke die Marktführerschaft im Premium-Flat-TV-
Segment kontinuierlich auszubauen, woraus sich folgende, wirtschaftlich sinnvolle Positio-
nierungsoption ergibt: die Premium-Marke28 Loewe muss sich durch eine differenzierende29
Positionierung30 vom Massenmarkt weiter abkoppeln31, um sich vor Imitations- und Preisan-
griffen von Wettbewerbern besser schützen zu können. Dies bedeutet, sich einerseits eindeu-
tig von starken Volumen-Marken wie Philips, Sony, LG oder Sharp abzuheben, und anderer-
seits, den bestehenden Abstand zur Luxusmarke Bang & Olufsen32 sukzessive zu verklei-
nern.33

Zur Zielerreichung muss das Markenbild von Loewe eindeutige, für den Konsumenten wert-
volle Werte vermitteln, die für Loewe-Zielgruppen Identifikations- und Orientierungspunkte
darstellen.34

¾ Minimalistische Formensprache – die Marke Loewe ist zeitlos zurückhaltend und nicht
modisch oder extrovertiert. Dies spiegelt sich besonders im kubistischen, skulpturalen De-
sign der Produkte, aber beispielsweise auch in der Ausgestaltung von Kommunikations-
maßnahmen wider.
¾ Sinnvoller Fortschritt35 – Loewe zeichnet sich durch Innovationen aus, die den Umgang
mit dem Produkt einfacher oder komfortabler machen. Das bedeutet, keine Innovationen
zum Selbstzweck, sondern erst, wenn für den Anwender eine Technologie nach den o. a.

25
Vgl. ESCH (2007), S. 57 ff., BURMANN/MEFFERT (2005a), S. 61, und LINXWEILER (2001), S. 249 f., zur Ausge-
staltung von Markenzielen.
26
Vgl. BURMANN/MEFFERT (2005b), S. 91., zur intendierten Preis-Prämie einer Marke. Vgl. LASLOPP (2005), S. 474,
zur Wahrnehmung des Preis-Premiums.
27
Vgl. BRANDMAYER (2002), S. 132 ff., und ESCH (2001), S. 1061 ff.
28
Definition „Premium-Marke“ innerhalb dieses Beitrags: Eine Premium-Marke verfügt über immaterielle und sub-
stanzielle Werte, die es ermöglichen, ggü. vergleichbaren Produkten am Markt überlegene Preise durchzusetzen. Zur
Unterscheidung von Premium- und Luxusmarke vgl. ESCH (2001), S. 347 ff., MEFFERT/LASSLOP (2004) S. 932 f.,
und HELLMANN (2003), S. 291; zur Definition von Premium-Standards vgl. KEUPER (2004) S. 194.
29
Vgl. LINXWEILER (2001), S. 150, zur Notwendigkeit der Marken-Differenzierung.
30
Vgl. ESCH (2001), S. 245, zur Durchsetzung von Marken-Positionierungsstrategien.
31
Vgl. LASSLOP (2005), S. 47, zur Vorteilsargumentation einer Positionierung durch eine Premium-Marken-Strategie.
32
B&O besetzte nahezu alleine die höchstpreisigen Marktsegmente im CTV-Markt und stellt in der Markenpositi-
onierung für Loewe einen Benchmark dar.
33
Vgl. ESCH (2001), S. 484 f., hierzu auch den Gedanken der Dachmarkenstrategie.
34
Vgl. LINXWEILER (2001), S. 63 und 146 f., zur Bedeutung des Markenkerns und der Markenkernwerte.
35
Vgl. ESCH (2007), S. 190 f.: „(...) Loewe muss die Flachbildschirmtechnologie zweifelsfrei anders interpretieren
als LG, (...)“.
Markenprofilierung durch wertorientierte Retail-Marketing- und Service-Konzepte 95

Parametern einen substanziellen Anwendungsnutzen bietet, hält diese Technologie Ein-


zug in ein Loewe-Produkt.
¾ Exklusive Individualität – Loewe überzeugt durch Individualisierung, in dem sich die
Produkte den Wünschen der Zielgruppen anpassen. Dabei ist die Individualisierungs-
möglichkeit multidimensional ausgerichtet. Loewe-Produkte können in Material und
Aufstelllösungen der Wohnraumsituation angeglichen werden. Sie können aber auch, je
nach technischen Bedürfnissen, konfiguriert oder zu vollintegrierten Systemlösungen kom-
biniert werden.

Minimalistische Sinnvolle Exklusive


Form Innovation Individualität

Abbildung 1: Die Loewe-Markenwerte

Die drei beschriebenen Markenwerte fokussieren augenscheinlich in erster Linie die Produkt-
ausgestaltung. Um die oben genannten Ziele und Werte zu vermitteln, sind aber alle Maß-
nahmen, die mit der Marke Loewe identifiziert werden, an diesen Werten auszurichten.36
Neben inhaltlichen Aspekten spielt dabei das formale Marken-Erscheinungsbild eine zentrale
Rolle. Erst wenn an allen Kontaktpunkten, von der Messe, über das Produkt, dem PoS37-
Auftritt bis hin zum After-Sales-Service, die Loewe-Markenwerte „Beeindruckender Minima-
lismus“, „Sinnvoller Fortschritt“ und „Exklusive Individualität“ auch wahrgenommen wer-
den, kann eine konsistente und attraktive Loewe-Markenwelt38 entstehen.39

36
Vgl. LINXWEILER (2001), S. 258 f., zur Wichtigkeit einer Markenstrategie.
37
PoS = Point of Sale
38
In Analogie hierzu vgl. die Ausführungen zu Marken-Erlebniswelten ESCH (2001) S. 21 f. und S. 185 ff.
39
LOEWE (2007d), S. 10.
96 BALD/RUTENBECK

Die Marke Loewe sendet über ihre Kontaktpunkte zum Konsumenten Versprechen aus, die zu
Erwartungshaltungen führen. Die abgegebenen Versprechen müssen zur Vermeidung von
kognitiven und emotionalen Dissonanzen40 und z