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Katja Crone:

Daniel C. Dennett

Daniel Dennett ist zweifellos einer der einflussreichsten, originellsten, aber auch umstrittensten
zeitgenössischen Denker in der Philosophie des Geistes. Als Vertreter einer konsequent naturalistischen
Auffassung über komplexe Themen wie Bewusstsein, Intentionalität und Willensfreiheit gehört er zu den
wenigen Philosophen, die auch jenseits der Disziplingrenzen, vor allem in den Kreisen der kognitiven
Neurowissenschaften, bekannt sind. Dennetts zentrales Anliegen ist es, unser Alltagsverständnis von
Bewusstsein und Personsein mit naturwissenschaftlichen Vorstellungen über mentale Prozesse in Einklang zu
bringen und es auf eine evolutionstheoretische Grundlage zu stellen.

Dennett ist Professor für Philosophie an der Tufts University in Massachusetts und leitet zugleich das dortige
Zentrum für Kognitionswissenschaften. Er wurde 1942 in Boston geboren. Seinen B.A. in Philosophie erwarb
Dennett als Student von Willard Van Orman Quine an der Harvard Universität, später promovierte er bei
Gilbert Ryle in Oxford. Beide Lehrer haben Dennetts Denken auf unterschiedliche Weise geprägt. Mit Ryle
teilt Dennett die behavioristische Auffassung, dass sich psychische Vorgänge, zumal wenn sie sich in
beobachtbarem Verhalten äußern, am präzisesten aus der Perspektive der dritten Person und nicht aus der
häufig verzerrenden subjektiven Erfahrungsperspektive beschreiben lassen. Mit Quine wiederum teilt Dennett
eine große Affinität zu Fragestellungen und Methoden der Naturwissenschaften. So nehmen in Dennetts
theoretischen Überlegungen beispielsweise kognitionswissenschaftliche Modelle und neurowissenschaftliche
Studien, biologische Theorien und Erkenntnisse über künstliche Intelligenz eine wichtige Stellung ein.

Dennett hat an vielen bedeutenden Universitäten der westlichen Welt unterrichtet und wurde zu
renommierten Vorlesungsreihen wie den Tanner Lectures (Michigan), den John Locke Lectures (Oxford) und
den Jean Nicod Lectures (Paris) eingeladen.

Dennetts Werk zeichnet sich durch große thematische Vielfalt aus: Er hat sich nicht nur intensiv und
einflussreich mit einigen Kernthemen der Philosophie des Geistes wie etwa Intentionalität, subjektivem
Erleben, Personsein befasst, sondern auch mit dem Problem der Willensfreiheit und aktuell mit der Religion.
Bei all diesen Themen steht die Frage im Vordergrund, wie sich das Alltagsverständnis von Personen, die
sich und andere als freie Akteure betrachten und die sich und anderen bestimmte mentale Eigenschaften und
Fähigkeiten zuschreiben, mit einer naturwissenschaftlichen Beschreibung solcher Eigenschaften vereinbaren
lässt. Dabei ist Dennett von der Überzeugung geleitet, dass unsere Begriffssysteme, mit denen wir auf
zahlreiche mentale Phänomene Bezug nehmen, häufig metaphysische Fallen enthalten und Rätsel vorgaukeln,
die nach Dennett gegenstandslos sind: Mentale Eigenschaften wie 'Bewusstsein' und 'Intentionalität' lassen
sich, so Dennetts Einschätzung, ebenso problemlos naturwissenschaftlich untersuchen und erklären wie
physikalische oder chemische Eigenschaften.

Mit dieser Einstellung wendet sich Dennett dezidiert von Philosophen wie zum Beispiel David Chalmers,
Thomas Nagel und Joseph Levine ab, die behaupten, naturalistische Theorien und naturwissenschaftliche
Erklärungsversuche würden unweigerlich an dem entscheidenden Merkmal von Bewusstsein scheitern,
nämlich an dem für viele Bewusstseinsprozesse charakteristischen subjektiven Erleben. Bereits hieran lässt
sich erkennen, dass Dennett in den eigenen Reihen keineswegs unumstritten ist. Eines seiner Kennzeichen ist
die Provokation: Wortgewaltig werden zentrale Begriffe, mit denen sich Philosophen seit geraumer Zeit
beschäftigen, wie etwa die Begriffe von Willensfreiheit und Qualia, einer gründlichen Revision unterzogen;
das 'Selbst' wird zur Illusion erklärt; Vertretern des Dualismus wird die Auseinandersetzung mit
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Scheinproblemen attestiert. Hinzu kommt Dennetts eigenwilliger, bisweilen polemischer und humorvoller
Stil sowie seine analogie- und metaphernreiche Ausdrucksweise, die gerade bei sprachanalytisch
ausgerichteten Kollegen häufig auf Kritik stößt. Dessen ungeachtet ist unbestreitbar, dass Dennett das Projekt
der naturalistischen Betrachtung und Erklärung mentaler Prozesse in entscheidender und origineller Weise
vorangetrieben hat, was die einzelnen Stationen seines Denkens zu erkennen geben.

Intentionalität

Dennetts Vorschlag zum Thema "Intentionalität" bildet das systematische Zentrum seines Denkens.
Besonders deutlich zeigt sich hier das Bestreben, eine Brücke zwischen dem lebensweltlichen Verständnis
von bewusstseinsfähigen Wesen auf der einen Seite und einer naturwissenschaftlichen Auffassung auf der
anderen Seite zu schlagen. In unserem alltagspsychologischen Verständnis spielen Zustände, die in
unterschiedlicher Weise auf Objekte oder Sachverhalte gerichtet sind, eine wichtige Rolle bei der Erklärung
und Vorhersagbarkeit des Verhaltens von Personen. Wir unterstellen, dass Personen Gedanken,
Überzeugungen, Wünsche, Gefühle haben, die für sie eine Bedeutung haben und die für ihr Verhalten
bestimmend sind. Personen tun Dinge, weil sie zum Beispiel bestimmte Überzeugungen, Vorstellungen und
Wünsche haben, die Sachverhalte repräsentieren. Einer solchen alltagspsychologischen Erklärung scheint die
naturwissenschaftliche Erklärung entgegen zu stehen: Neurobiologisch gesehen wird unser Verhalten durch
die Aktivität von Neuronen bzw. Neuronenverbänden verursacht, die wiederum aufgrund von äußeren oder
inneren Stimuli entstehen. Von diesen neuronalen Zuständen lässt sich aber kaum behaupten, dass sie
Bedeutung haben oder dass sie wahr oder falsch sein können. Naturalistische Theorien müssen jedoch zeigen
können, inwiefern intentionale Gehalte mithilfe naturwissenschaftlicher Methoden und Modelle aufzuklären
sind. So besteht beispielsweise Jerry Fodors bekannter Vorschlag darin, Überzeugungen und Meinungen mit
bestimmten sprachähnlichen mentalen Repräsentationen (im Sinne einer "Sprache des Geistes") zu
identifizieren, die sich kausal auf Hirnprozesse auswirken.

Dennett macht hierzu einen eigenen und kontroversen Vorschlag. Dabei lautet das erklärte Ziel, den Begriff
der Intentionalität von seiner vermeintlichen Rätselhaftigkeit zu befreien und ihn ganz neu zu fassen.
"Intentionalität" ist nach Dennett keine Eigenschaft von bestimmten mentalen Zuständen, sondern ein
alltagstheoretischer Begriff im Rahmen einer pragmatisch motivierten Erklärungsstrategie: Diese Strategie,
von Dennett "intentionale Einstellung" (intentional stance) genannt, lässt sich bestimmten Systemen
gegenüber einnehmen, über deren Verhalten man etwas erfahren und aussagen will. Charakteristisch für die
intentionale Einstellung ist, dass man einem System beispielsweise Überzeugungen zuschreibt sowie
unterstellt, dass es bestimmte Ziele erreichen will. Die Pointe dabei ist allerdings, dass es sich bei diesen
Zuschreibungen in erster Linie um "Fiktionen" handelt: Die Systeme werden so betrachtet und behandelt, als
wären sie rationale Akteure, die intentionale Einstellungen wie gehaltvolle Überzeugungen, Interessen und
Emotionen haben und zweckmäßig handeln. Ob das System solche Zustände tatsächlich besitzt, ist irrelevant,
insofern man mithilfe solcher Zuschreibungen imstande ist, das Verhalten des Systems verlässlich
vorherzusagen und zu erklären.

Gelingt dies, dann ist es nach Dennett korrekt, das betreffende System als "intentionales System" zu
bezeichnen. Diesen Voraussetzungen entspricht es, dass es nach Dennett eine ganze Reihe von Systemen
gibt, denen gegenüber man eine intentionale Einstellung erfolgreich einnehmen kann: zu nennen wären hier
zum einen organische, lebende Einzeldinge wie Mikroorganismen, Zellen, Pflanzen, Tiere und Personen, zum
anderen Artefakte wie Thermostate und Schachcomputer.

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Das Besondere von Dennetts Konzept der intentionalen Einstellung wird noch deutlicher, wenn man sie mit
zwei weiteren von Dennett eingeführten Vorhersagestrategien kontrastiert, für die jeweils ein eigenes
Verfahren kennzeichnend ist: der physikalischen und der funktionalen Einstellung. Die "physikalische
Einstellung" (physical stance) entspricht der Methode der Physik, die u.a. auf Kenntnissen über physikalische
Gesetze und die physikalischen Zustände eines Gegenstands basiert. Mithilfe dieser Kenntnisse kann zum
Beispiel ein Physiker oder Chemiker im Labor die Eigenschaften eines Gegenstandes oder Stoffs bestimmen
und Auswirkungen eines Inputs genau und verlässlich vorhersagen. Allerdings steht in vielen Fällen das
erforderliche physikalische Wissen nicht zur Verfügung, so dass man, wenn man das Verhalten von Dingen
erklären will, eine andere und weniger anspruchsvolle Strategie wählen muss. Dies wäre nach Dennett etwa
die "funktionale Einstellung" (design stance), die sich gegenüber organischen Dingen wie zum Beispiel
Pflanzen oder Organen und Artefakten wie Computern und Weckern einnehmen lässt. Die funktionale
Einstellung macht charakteristischerweise eine normative Annahme. Es wird unterstellt, dass ein in Frage
stehender Gegenstand in einer Weise konstruiert wurde, dass er unter gegebenen Bedingungen in spezifischer
Weise funktioniert, d. h. ein Verhalten zeigt. Im Hinblick zum Beispiel auf eine mechanische Uhr würde man
mithilfe der funktionalen Einstellung sagen: Wenn man die Uhr regelmäßig aufzieht, dann wird sie die
genaue Uhrzeit und das aktuelle Datum anzeigen. Gegenüber dem aufwändigen physikalischen Standpunkt,
der eine detaillierte Kenntnis der physikalischen Eigenschaften des Uhrwerks und seiner Teile erfordern
würde, ist der funktionale Standpunkt eine hilfreiche Vereinfachung.

Nun gibt es komplexe Dinge, die weitere Vereinfachungen erforderlich machen, will man ihr Verhalten
verstehen und vorhersagen. Für solche Zwecke nimmt man die bereits genannte intentionale Einstellung ein.
Sie basiert auf der stärkeren normativen Annahme, dass ein System optimal konstruiert ist, so dass es zu
maximal rationalem Verhalten in der Lage ist. Dennetts Lieblingsbeispiel für ein solches Ding ist der
Schachcomputer: Versucht man, die nächsten Schachzüge des Computers vorherzusagen, dann unterstellt
man erstens, dass der Computer ein Ziel verfolgt, nämlich zu gewinnen, und zweitens, dass er rational ist, er
also imstande ist, gute von schlechten Zügen zu unterscheiden und er diese Kompetenz gezielt einsetzt. Das
Verhalten des Schachcomputers erklären wir nach Dennett analog zum Verhalten von Personen, die wir als
rationale Akteure betrachten, die Zugang zu relevanten Informationen haben, und denen wir Überzeugungen,
Bedürfnisse und Ziele zuschreiben. Den Vorwurf, dass die Referenz auf intentionale Systeme beliebig und
allein Sache der Interpretation zu sein scheint, versucht Dennett mit dem Verweis auf reale Muster (real
patterns) abzuwehren: Die verlässliche Vorhersagbarkeit von Verhalten setze nämlich voraus, dass es
identifizierbare Muster gibt, die unabhängig von der Einnahme der intentionalen Einstellung existieren.

Die drei Erklärungsstrategien bilden eine wichtige methodische Grundlage für die naturwissenschaftliche
Erklärung von intelligentem Verhalten; alle drei Einstellungen müssen nach Dennett zu diesem Zweck
durchlaufen werden. Beginnend mit dem intentionalen Standpunkt gilt es, die intentionale Begrifflichkeit aus
den jeweiligen Beschreibungssystemen sukzessive zu tilgen: Eine Erklärung von intelligentem Verhalten darf
nicht auf Prozesse zurückgreifen, die selbst intelligent, sondern die zum Beispiel mechanisch oder
algorithmisch sind.

Insgesamt gesehen ist es für die methodische Einbettung der intentionalen Einstellung in ein
naturwissenschaftliches Programm entscheidend, dass man es dabei mit dem (externen) Standpunkt eines
Beobachters zu tun hat. Die Betonung der drittpersonalen Perspektive setzt sich in einem weiteren,
ergänzenden Theoriestück von Dennett fort, in welchem es näher um die genaue Erfassung des bewussten
subjektiven Erlebens geht.

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Heterophänomenologie und ein Modell des Bewusstseins

Dennetts Gegenspieler sind Vertreter der Phänomenologie, die bei der Subjektgebundenheit von phänomenal
bewussten mentalen Zuständen ansetzen. Phänomenologen gehen im Sinne Husserls von der Annahme aus,
dass sich die Strukturen von bestimmten Bewusstseinsprozessen im eigenen Erleben in einer Weise
manifestieren, die sie detailgenau beschreibbar macht, ohne sich auf Annahmen über die Beschaffenheit der
Außenwelt stützen zu müssen. Aus Dennetts Sicht ist dieses Vorgehen allerdings ungeeignet, um
Bewusstsein wissenschaftlich zu untersuchen, weil es für die aus erstpersonaler Perspektive geäußerten
Urteile über Bewusstseinsphänomene keine objektiven Maßstäbe oder Einschränkungen gibt. Dennett
entwickelt eine eigene Methode, die er – in Abgrenzung zur Phänomenologie – "Heterophänomenologie"
nennt. Bei diesem Verfahren wird das, was Subjekte über Bewusstseinsphänomene berichten, von einem
Beobachter, also aus der Perspektive der dritten Person beurteilt. Dabei gilt es, zum Beispiel Muster zu
identifizieren, die sich im kommunikativen Verhalten von Versuchspersonen manifestieren.

Dennetts Grundannahme lautet, dass Behauptungen, die Personen über ihre inneren Erfahrungen und
Erlebnisse aufstellen, nicht notwendigerweise wahr sind, d.h. ihnen nichts Reales entsprechen muss;
Personen sind nach Dennett in keiner epistemisch privilegierten Situation hinsichtlich dessen, was in ihnen
vorgeht. In einer heterophänomenologischen Untersuchung werden – mithilfe der intentionalen Einstellung –
Äußerungen von Personen über ihr eigenes Erleben aufgezeichnet, ausgewertet und intersubjektiv verfügbar
gemacht. Ähnlich wie bei der Rezeption eines fiktionalen Textes werden die Berichte dabei zunächst so
betrachtet, als handelte es sich um wahre Urteile über die Welt oder die Beschaffenheit des eigenen
Innenlebens. Allerdings ist Dennett der Auffassung, dass vieles von dem, was Erfahrungssubjekte für wahr
halten, letztlich Illusionen sind. Nur weil Personen glauben, dass ihr Innenleben eine bestimmte Struktur hat,
bedeutet das noch lange nicht, dass dies auch wirklich so ist. Ein Beispiel hierfür ist die Annahme, dass man
als Person über ein einheitliches 'Selbst' im Sinne einer zentralen Steuerungs- und Entscheidungsinstanz
verfügt, die andere kognitive Vorgänge und das Verhalten insgesamt kontrolliert. Diese Annahme ist
neurowissenschaftlich nicht haltbar: Das Nervensystem weist kein zentrales Areal auf, das für die genannten
Funktionen zuständig wäre; vielmehr besteht das System aus computationalen Modulen, die gleichzeitig oder
parallel aktiv sind und sensorische Inputs verarbeiten. Dennoch muss Dennetts Theorie
heterophänomenologische Daten grundsätzlich erklären können, auch wenn sich dabei, wie in den meisten
Fällen, herausstellen sollte, dass sie tatsächlich auf Illusionen beruhen. Es gilt also zu erklären, warum einige
Inhalte bewusst werden, andere dagegen kaum oder gar nicht.

Dennett hat hierzu ein Modell entwickelt, dem er – in seiner aktuellen Version – den metaphorischen Namen
"Ruhm im Gehirn" (fame in the brain) oder "zerebraler Ruhm" (cerebral celebrity) gegeben hat. Die
Grundidee ist, dass Informationen unter bestimmten Bedingungen bewusst werden, nämlich dann, wenn sich
die neuronale Aktivität spezifischer Hirnmodule im "Wettbewerb" gegenüber anderen durchsetzt oder wie
Dennett es weiter ausdrückt: "Ruhm erlangt" – aber auch wieder "in Vergessenheit geraten kann". Eine
solche Intensivierung hängt zum einen von äußeren Stimuli ab, welche die Aktivität und Aufmerksamkeit
erregen, zum anderen von einem strukturell vorhandenen Potenzial auf Seiten der beteiligten Hirnmodule:
Nicht jede beliebige verstärkte Aktivität im Gehirn führt dazu, dass Personen sich beispielsweise als
einheitliches Subjekt und Kontrollinstanz erleben. Wenn die Aktivität von hierzu disponierten
computationalen Hirnmodulen stimuliert wird, hat dies einen – längerfristigen – Einfluss auf das Verhalten
und die Strukturen des gesamten kognitiven Systems. Das am besten geeignete Stimulus-Medium, um einen
entsprechend nachhaltigen "Ruhm" zu erzeugen, ist nach Dennett die Sprache. Vor allem Selbstgespräche
und 'innere' Monologe sind dafür verantwortlich, dass neuronale Aktivität auf verschiedenen Ebenen des
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Gehirns getriggert wird, einen neuronalen "Nachhall" erzeugt, was einen für die Person erlebbaren
Bewusstseinsstrom entstehen lässt. Dennetts Modell des "zerebralen Ruhms" steht nicht nur in Einklang mit
dem in den Kognitionswissenschaften vorherrschenden Paradigma des Konnektionismus und ist damit
empirisch anschlussfähig; es erklärt außerdem, warum man aufgrund der Alltagserfahrung dazu tendiert, das
kognitive System als eine Art (cartesianische) Theaterbühne aufzufassen, dessen Geschehen von einem
Regisseur kontrolliert wird.

Willensfreiheit

Dem Problem der Willensfreiheit begegnet Dennett mit einer kompatibilistischen Position, wonach Freiheit
und Determination sich nicht ausschließen, sondern miteinander vereinbar sind. Wie in den anderen
beschriebenen Fällen ist auch hier wieder das alltägliche Selbstverständnis Dennetts Ausgangspunkt:
Personen verstehen sich als freie Akteure, deren Handlungen nicht von vornherein feststehen, sondern die sie
bis zu einem gewissen Grade selbst bestimmen können. Relevant ist hier vor allem die Annahme, dass die
eigene Zukunft offen ist. Diese Sichtweise widerspricht nach Dennett aber keineswegs der Tatsache, dass
alles, was in der Welt geschieht, und damit auch menschliches Verhalten, durch komplexe Ursachen
entstanden und in diesem Sinn determiniert ist. Dass Personen ihre Zukunft als offen betrachten, ist Dennett
zufolge auf ihre epistemische Situation zurückzuführen: Sie sind aufgrund ihrer begrenzten intellektuellen
Kapazitäten nicht in der Lage, das Geflecht an Ursachen zu überblicken, wodurch sie Handlungen und
Verhalten vorhersehen könnten. Praktische Möglichkeiten im Sinne von Handlungsoptionen nennt Dennett
daher "subjektive" oder "epistemische" Möglichkeiten: Für einen Handelnden sind praktische Möglichkeiten
nur insofern relevant, als sie sich im Rahmen dessen bewegen, was er über seine eigenen Zustände und deren
zukünftige Konsequenzen weiß. Diese Auffassung von "Handlungsmöglichkeit" enthält alltagstaugliche
Vorstellungen von Vermeidbarkeit und Verursachung – im Gegensatz zu inkompatibilistischen Positionen,
die entweder die Sichtweise, dass alles in der Welt kausal verursacht ist, aufgeben (zum Beispiel der
Indeterminismus und der Libertarianismus) oder menschliche Freiheit zur Illusion erklären müssen (zum
Beispiel der harte Determinismus).

Um zukünftiges Handeln zu gestalten, können Personen Fähigkeiten einsetzen, die sich evolutionär
herausgebildet haben: Sie können qua Erinnerung auf frühere Erfahrungen zurückgreifen, aus ihnen hilfreiche
Informationen extrahieren und das so gewonnene Erfahrungswissen einsetzen, etwa um „epistemische“
Möglichkeiten zu erschließen, um einige von ihnen zu vermeiden und andere dagegen zu realisieren. Mit der
damit verbundenen Fähigkeit, gezielt Verhaltensdispositionen auszubilden, verfügen Personen über eine
Entscheidungs- und Verhaltenskontrolle, die nach Dennett evolutionär gesehen vorteilhafte
Überlebensstrategien darstellen. Kurz: Freiheit besteht in der Fähigkeit, sich selbst anders zu gestalten.
Allerdings drängen sich Zweifel auf, ob der moralisch zentrale Begriff der Verantwortung mit Dennetts
evolutionärer Freiheitskonzeption überhaupt verträglich ist. Wenn die eigene Zukunft nur vermeintlich offen
ist, scheint eine Person für ihre Handlungen grundsätzlich nicht zur Verantwortung gezogen werden können.
Hierzu macht Dennett wiederum einen revisionistischen Vorschlag: Moralische Verantwortung ist nach
Dennett vom Begriff der Freiheit abzukoppeln; die Übernahme von Verantwortung ist vielmehr eine soziale
Verhaltensweise, die sich in der Evolutionsgeschichte bewährt hat und dem Überleben zweckdienlich ist –
ebenso wie kooperierendes, kultivierendes und kommunikatives Verhalten.

Diese Gedanken sind Teil von Dennetts umfassendem darwinistischen Programm: Freiheit und intelligentes
Verhalten, die sich mit den Mitteln der Heterophänomenologie, der intentionalen Einstellung und
computationalen Bewusstseinsmodellen beschreiben und erklären lassen, verdanken sich ganz und gar dem
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evolutionstheoretischen Prozess der natürlichen Selektion; sie sind das Resultat eines langwierigen
Anpassungsprozesses an die Umwelt. Auch und gerade vor dem Thema "Religion" macht Dennetts
Darwinismus nicht halt. In seinem neuesten Buch "Breaking the Spell" untersucht er die Religion als
kulturelle Errungenschaft und fragt, welcher Nutzen letztlich zu ihrer erfolgreichen Verbreitung geführt hat.
Religion ist demnach ein "natürliches Phänomen", dessen Bedeutung sich mithilfe evolutionstheoretischer
Prinzipien erhellen lässt. Dennetts Thesen sind auch als ein politisches Statement gegen aktuelle Bewegungen
insbesondere in den USA zu verstehen, welche die Geltung naturwissenschaftlicher Erklärungen leugnen, um
an ihre Stelle eine religiös begründete "Schöpfungswissenschaft" zu setzen.

Dass Dennett in philosophischen und kognitionswissenschaftlichen Kreisen so einflussreich wie umstritten


ist, hängt nicht zuletzt mit seiner Entschlossenheit zusammen, menschliche Intelligenz und deren Produkte
auf natürlichem Wege zu erklären. Bereits die Bekanntheit von Dennetts provokanten Thesen macht es
unumgänglich, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Ob man sich ihnen am Ende anschließt oder nicht –
ignorieren kann man sie jedenfalls nicht.

Bücher von Daniel C. Dennett (Auswahl)

The Mind's I. Fantasies and Reflections on Self and Soul (1981; with D.R. Hofstadter) Basic Books.
Deutsche Ausgabe unter dem Titel “Einsicht ins Ich” (485 S., kt., € 30.—, Klett-Cotta).

Elbow Room: The Varieties of Free Will Worth Wanting (1984) Oxford University Press. Deutsche Ausgabe
unter dem Titel “Ellbogenfreiheit. Die erstrebenswerte Form freien Willens” (241 S., kt., € 16.90, 2008,
EVA, Hamburg).

The Intentional Stance (1987) Bradford Books.

Consciousness Explained (1991) Penguin.

Darwin's Dangerous Idea: Evolution and the Meanings of Life (1995) Penguin.

Kinds of Minds (1996) Basic Books.

Brainchildren – Essays on Designing Minds (1998) Penguin.

Freedom Evolves (2003) Penguin.

Sweet Dreams: Philosophical Obstacles to a Science of Consciousness (2005) MIT Press. Deutsche Ausgabe
unter dem Titel “Süße Träume. Die Erforschung des Bewusstseins und der Schlaf der Philosophie” (215 S.,
Ln., € 24.80, Suhrkamp, Frankfurt).

Breaking the Spell. Religion as a Natural Phenomenon (2006) Viking Press. Deutsche Ausgabe unter dem
Titel “Den Bann brechen: Religion als natürliches Phänomen” (531 S., Ln., 2008, € 28.80, Suhrkamp,
Frankfurt).

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Unsere Autorin:

Katja Crone hat über „Fichtes Theorie konkreter Subjektivität“ (Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen,
2005) promoviert und ist gegenwärtig wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Philosophie der
Humboldt-Universität zu Berlin sowie an der Berlin School of Mind and Brain.
Zum Thema ist von ihr erschienen: „Bewusstsein als funktionales Element der natürlichen Welt“ (zusammen
mit J. Heilinger), in: D. Ganten / V. Gerhardt / J. Nida-Rümelin (Hg.) Funktionen des Bewusstseins, Berlin /
New York: de Gruyter, 2008, 3-20; „Konzeptionen personaler Identität und die Bedeutung des
autobiographischen Gedächtnisses“, in: M. Fürs t/ W. Gombocz / Chr. Hiebaum (Hg.) Gehirne und Personen,
Frankfurt / Main [u. a.]: Ontos, 2009, 151-166.

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