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Prolog

Das Leben konnte manchmal voller Überraschungen stecken. Zumindest hatte Patrick das so
empfunden.
Vor vierzehn Jahren hatte er eine Seifenoper im Fernsehen verfolgt und wurde von einer
Serienfigur inspiriert. Patrick, damals sechszehn Jahre jung, hatte über ein Jahr zuvor
angefangen eine Geschichte zu schreiben und wurde durch diese Seifenoperndarstellerin zu
einer Figur inspiriert. Nicht eine sehr glückliche Figur zuerst, aber sie fing sich einige Jahre
später und ging dann einem angesehenem Beruf nach.
Vierzehn Jahre später, Patrick war gerade dabei seine alte Geschichte, die er nach knapp
dreitausend Seiten und sieben Jahren zur Seite gelegt hatte, neu zu bearbeiten und stieß er auf
das Kapitel, in dem eben diese Figur das erste Mal erwähnt wurde. Mit der Neugierde eines
Autors, was aus seiner Inspiration geworden war, begann er im Internet zu recherchieren. Es
dauerte nicht lange und er fand heraus, was die Schauspielerin trieb. Sie war nicht mehr aktive
Schauspielerin, zumindest konnte Patrick keine Rolle in den letzten sieben Jahren finden, aber
dafür war sie in einem anderen Bereich erfolgreich: Medizin.
Medizin. Genauer gesagt, in der Kardiologie. Amüsiert und fasziniert saß er kopfschüttelnd
auf seinem Bett. Eine Medizinerin. Und was war aus seiner Buchfigur geworden? Eine
Medizinerin. Zwar nicht in diesem Bereich, sie war eine Psychologin, aber der medizinische
Bereich war gleich.
Er grub ein wenig weiter nach Informationen über die Schauspielerin, viel konnte ihm das
Internet jedoch nicht helfen. Die Seifenoper war erfolglos gewesen, wurde nach einem Jahr
abgesetzt und niemand schien sich mehr dafür zu interessieren. Die Rollen, die von der
Schauspielerin vor dieser Seifenoper und danach angenommen wurde, hatten ebenfalls nicht
das allgemeine Interesse der Öffentlichkeit geweckt und so war sie ein kleiner Stern im weiten
Fernsehrstarhimmel.
Das Alter fand er heraus, sie war ein Jahr älter als er selber und das Thema eines ihrer
Forschungsarbeiten. Alleine der Titel war für ihn wie eine Fremdsprache. Er hatte keine
Ahnung, was genau die Arbeit behandelte, etwas mit dem Herzen, das sagte der Name
Kardiologie, aber sonst? All dies anderen Sachen waren böhmische Dörfer für ihn.
Beides Medizinerinnen. Er hatte seine Romanfigur gemocht, es war eine sehr liebsten Figuren
und ihr Serienname war zu einen der Standartnamen in seinen Geschichten geworden. Und
jedes Mal brachte er diese Schauspielerin damit in Verbindung. Wieso hatte er gerade zu dem
Zeitpunkt angefangen zu recherchieren, war aus ihr geworden war? All die Jahre, in denen er
noch aktiv an der Geschichte geschrieben hatte, war er nie auf die Idee gekommen, zu sehen,
ob die Schauspielerin andere Rollen angenommen hatte. Es war plötzlich in ihn gefahren, dass
er herausfinden wollte, was mit ihr los war.
Was hatte er also getan? Er dachte über diese Sache einige Wochen nach, er war Backpacken
und weit weg von München, wo die ehemalige Schauspielerin wohnte und arbeitete. Kanada,
inmitten von Wäldern, gefangen in diesem Naturparadies für sechs Monate, vier waren bereits
um. Dann würde er zurück nach Deutschland gehen, zurück in die Zivilisation.
Doch bis dahin hatte er das Internet, viel Zeit und eine Flasche Whiskey. Letzteres verließ ihn
an einem Abend, an dem er mit einigen alten Filmen alleine in seinem Zimmer saß, sich über
den freien nächsten Tag freute und – ja – die Flasche Whiskey trank. Angeheitert oder
unzurechnungsfähig, wie er nun sagen würde, hatte er sich beim dritten Film und den letzten
Resten der Flasche Whiskey an seinen Laptop gesetzt und hatte der Schauspielerin eine Email
geschrieben. Er war Autor, er wusste, wie man gut recherchierte und es war recht einfach
gewesen die Emailadresse heraus zu finden. Er hatte schon schwierigere Daten
herausgefunden.
Mit Hilfe seines Rechtschreibprogramms schaffte er einen fehlerfreien Text auf die Reihe zu
bringen. Zumindest war in seiner Email nichts rot unterstrichen.
Hallo Kim,
das, was ich Ihnen jetzt schreiben werde, wird Sie wahrscheinlich amüsieren. Zumindest hoffe
ich, dass Sie mehr amüsiert als schockiert sind. Aber zuerst möchte ich mich entschuldigen,
dass ich Ihnen schreibe obwohl wir uns nicht kennen.
Mein Name ist Patrick, ich bin neunundzwanzig und lebe derzeit in Kanada.
Der Grund, wieso ich Ihnen schreibe ist, wie bereits angedeutet, verrückt. Zumindest könnte
er so von vielen Menschen aufgefasst werden. Ich werde versuchen es Ihnen so „normal“ wie
möglich zu erklären, denn eigentlich bin ich nicht verrückt (ich wette, das erleichtert Sie
jetzt).
Ich bin Schriftsteller, oder nein, ich wäre gerne Schriftsteller, ich schreibe seitdem ich elf bin,
habe jedoch noch nie etwas veröffentlicht. Meine ersten Werke sind nicht der Rede wert, ich
habe das Schreiben ernsthafter genommen, seitdem ich vierzehn bin. Einige Tage bevor ich
fünfzehn wurde, habe ich eine Geschichte angefangen, die am Ende über dreitausend Seiten
umfasste und die ich über sieben Jahre geschrieben habe. Es geht um acht Jugendliche, ihr
Heranwachsen, ihre Träume, wie aus ihnen Erwachsene werden und was aus ihrem Leben
wird.
Eine dieser Figuren ist nach Ihnen entstanden. Also, nicht direkt nach Ihnen, sie ist einer
Fernsehfigur entsprungen, die Sie verkörpert haben. Diese Figur ist mir im Laufe der Jahre,
in denen ich an der Geschichte gearbeitet habe, ans Herz gewachsen, ich habe diesen Namen
weiterhin in anderen Geschichten benutzt. Vor einigen Tagen habe ich meine alte Geschichte
herausgekramt um sie zu überarbeiten und dabei bin ich auf das Kapitel gestoßen, in dem
„Ihre“ Figur vorgestellt wird.
Neugierig, was aus der Inspiration geworden ist, habe ich versucht zu recherchieren, in
welchen Filmen oder Serien Sie derzeit arbeiten und stellte mit Hilfe des Internet fest, Sie
sind nicht mehr aktiv in der Schauspielerin, Sie sind nun Medizinerin. Das hat mich zuerst
enttäuscht, bis ich etwas – für mich faszinierendes – entdeckte: Medizin. Das war genau der
Bereich, den meine Romanfigur angestrebt hatte. Sie, Kim, sind in der Kardiologie, meine
Romanfigur ist Psychologin. Nicht sehr ähnlich, auf der einen Seiten das Herz, auf der
anderen die Seele, aber Herz und Seele sind die wichtigsten Dinge des menschlichen Lebens.
Und beides ist Medizin.
Ich habe lange über diese zufällige Gemeinsamkeit nachgedacht, ob ich Ihnen einfach
schreiben soll, wie Ihre Rolle mein Leben und mein Schreiben beeinflusst hat. Heute Abend
habe ich mir dann ein Herz gefasst und diese Email geschrieben (okay, ich gebe zu der
Whiskey hat geholfen). Ihre Emailadresse war im Internet veröffentlicht.
Ich habe keine Ahnung was Sie mit dieser – zugegeben seltsamen – Geschichte anfangen, ob
Sie die Mail einfach löschen. Ich könnte es Ihnen nicht verübeln. Doch ich bin nun froh, dass
ich Sie geschrieben habe. Sie haben etwas Besonderes geschaffen und verdienen es, dies zu
wissen.
Alles Gute wünscht Ihnen,
Patrick

Ja, das hatte er wirklich abgeschickt. Nachdem er alles mehrmals gelesen und bearbeitet hatte,
hatte er auf SENDEN gedrückt und sich im gleichen Augenblick gefragt, ob er einen großen
Fehler und sich zum Affen gemacht hatte. Nun, es war zu spät gewesen, die Mail war
abgeschickt und was sollte schon passieren? Selbst wenn die Schauspielerin sich über ihn
amüsierte, alles, was sie von ihm wusste, war sein Name und der konnte erfunden sein. Die
Mailadresse verriet nichts über ihn, er hatte keinen Grund sich Sorgen machen.
Trotzdem hatte er die nächsten Tagen immer ein mulmige und gespanntes Gefühl in der
Magengegend gehabt, wenn er in sein Emailfach gesehen hatte. Jedes Mal wenn er keine
Antwort vorgefunden hatte, war er enttäuscht und erleichtert zugleich gewesen.
Etwa eine Woche später, er hatte bereits angefangen sich damit abzufinden, er würde keine
Antwort erhalten, war eine Email in seinem Postfach, die sein Herz mehrere Saltos schlagen
ließ. Sonja hatte ihm geschrieben. Nein, nicht Sonja, das war ihr Serienname, Kim war ihr
richtiger Name. Kim. Ob sie englische Eltern hatte? Er hatte sich diese Frage bereits
mehrmals gestellt, denn Kim war kein typischer deutscher Name. Andererseits hatte er sich an
keinen englischen Dialekt erinnern können.
Lächerlich nervös hatte er die Email geöffnet. Sie hatte ihm wirklich geschrieben. Nun war
die Frage, würde sie ihm sagen, er solle sich nie wieder melden? Würde sie sich über ihn
lächerlich machen? Würde sie ihm sagen, er spinne und sollte besser nie wieder Alkohol
trinken?
Patrick hatte bemerkt, dass er die Luft angehalten hatte und atmete tief aus als er die Antwort
las.

Hallo Patrick
Ja, diese Email ist verrückt, da gehe ich Ihnen recht. Aber in einer positiven Art.
Ich hätte niemals gedacht, diese Serie, die ja zugegeben nicht erfolgreich war, hätte einen
Menschen so weit beeinflussen können. Und dann noch meine Rolle, die nicht zu den
tragenden Rollen in der Serie gehörte. Besonders positiv war sie auch nicht.
Umso mehr freue ich mich, dass Sie etwas Dauerhaftes aus diesem einem Jahr Seifenoper
machen konnten. Ihre Sonja ist also eine Psychologin geworden. Nun ja, wie Sie sagten, die
Psychologie und die Kardiologie sind nicht gerade verwandte Bereiche, aber beides ist
zweifelsohne Medizin und sehr interessant.
Was genau ist im Leben der Romanfigur geschehen? Erzählen Sie mir von ihr, vielleicht gibt
es weitere Gemeinsamkeiten, von denen wir beide nichts wissen. In sieben Jahren und
dreitausend Seiten (was für Seiten? Taschenbuchseiten oder große DIN A 4 Seiten?) muss
einiges mit der Figur passiert sein.
Sie haben geschrieben, Sie würden seit Ihrem elften Lebensjahr schreiben, hätten an dieser
Geschichte alleine sieben Jahre gesessen. Wieso haben Sie denn nie etwas veröffentlich? Hat
es nie geklappt oder haben Sie es nie versucht?
Ich muss zugeben, Sie haben mich neugierig gemacht, ich würde gerne einmal Ihre
Geschichte lesen, in der „meine“ Figur vorkommt.
Viele Grüße aus München,
Kim

PS: Was machen Sie denn in Kanada? Sie schrieben, Sie sind derzeit in Kanada. Ist das
beruflich oder ein längerer Urlaub?

Er hatte diese Email mehrmals gelesen bis er sie beinahe auswendig aufsagen konnte. Sie
hatte ihn nicht für verrückt gehalten, sie war interessiert an seiner Geschichte. Sie wollte sie
lesen. Das war mehr, als er sich jemals zu erhoffen gewagt hatte.
Er hatte umgehend eine Antwort verfasst, diese jedoch nicht abgeschickt. Nein, er würde
nichts überstürzen, er würde über die Antwort schlafen und am nächsten Tag alles erneut
lesen, darüber nachdenken und wenn er seine Antwort dann noch mochte, konnte er sie immer
noch abschicken.
Es hatte ihn zwei weitere Tage gekostet bis er die Antwort abgeschickt hatte. Jeden Tag hatte
er etwas Neues gefunden, was ihn nicht gefiel, was er mit in die Email packen wollte um dann
später alles wieder zu löschen. Nicht zu lang sollte die Antwort sein, er wollte nicht wie ein
verrückter Teenagerfan klingen. Nicht zu kurz, nicht zu sehr auf ihn fokussiert, nicht zu sehr
aufdringlich was ihr Leben anging. Er musste die richtige Balance zwischen Interesse und
Zurückhaltung finden. Nicht auf zu viele Informationen drücken, nicht zu viel von sich
erzählen.
Himmel, sie hatte nach seiner Geschichte gefragt. Sollte er sie ihr wirklich schicken? Es war
eine Geschichte, die sehr wichtig für ihn war, aber sie war kein Meisterwerk. Er war fünfzehn
gewesen, als er angefangen diese zu schreiben, man konnte es deutlich an der Art und Weise
erkennen, mit der er geschrieben hatte. Er hatte nicht alles geändert, hatte versucht den
Charme des jugendlichen Schreiberlings beizubehalten, aber es war kein Meisterwerk. Von
den literarischen Kriterien ausgehend, waren seine späteren Werken bei Weiten besser.
Doch sie hatte ihn nach dieser Geschichte gefragt, sie war interessiert. Was konnte er
verlieren? Das war wie mit der ersten Email an sie, er konnte nichts verlieren. Das bisschen
Selbstachtung, das er aufgeben konnte wenn es ihr nicht gefiel, das würde er überleben. Er
schrieb in erster Linie für sich, weil es ihn gefiel, weil es ihn glücklich machte. Wenn da nun
jemand sagte, er mochte seine Werke nicht, das war okay. Selbst erfolgreiche Schriftsteller
hatten immer Personen, die ihre Werke nicht mochten. Allerdings hatten sie auch Fans, die
ihre Werke vergötterten, das fehlte Patrick. Doch, was sollte es? Wenn er nichts wagte konnte
er nichts gewinnen. Er hatte bereits einmal gewonnen, er hatte eine Antwort bekommen,
wieso sollte er sein Glück nicht ein zweites Mal versuchen?
Er beschloss seine Romanfigur näher zu beschreien und dann auf die Reaktion zu warten.

Hey Kim,
ich bin ein Backpacker in Kanada. Ich wollte einfach einmal raus aus Deutschland und die
Welt erkunden.
Wenn Ihre Romanfigur das erste Mal erwähnt wird, wird sie leider nicht sehr positiv erwähnt.
Sie liegt von dem Bahnhof auf einer Bank und ist stoned. Ja, da ist die nächste Verbindung zu
ihrer Fernsehrolle. Später wird sie von einer Freundin mit einer Überdosis gefunden, ins
Krankenhaus gebracht. Dort entdecken die Behörden, dass sie sich illegal im Land aufhält.
Die Geschichte spielt in Amerika, sie ist Französin. Ihre Eltern waren Jahre zuvor gestorben,
es gab keine lebenden Verwandten, sie wurde ins Heim gesteckt und ist von dort abgehauen
als sie zwölf war. Sie endete in den USA, illegal, auf der Straße, geriet an Drogen und sieben
Jahre später ist sie im besagten Krankenhaus. Eine ältere Freundin, eine Polizistin, schickt
sie in den Entzug und eine Therapie und versucht sie – erfolgreich – in den USA zu halten.
Sonja verschwindet für fast vier Jahre aus der Geschichte und kommt dann wieder. Clean und
bereit für einen Neuanfang als amerikanische Staatsbürgerin. Sie holt ihre Schulanschlüsse
nach und wird Psychologin.
Positive Enden sind meine große Schwäche, es fällt mir sehr schwer einen Charakter, der eine
Hauptrolle spielt, negative Erfahrungen zukommen zu lassen. Das ist wahrscheinlich eine
Schwäche in meinen Geschichten, aber lieben wir nicht alle das „happy end“?
Vielleicht ist das ein Grund wieso ich nie versucht habe etwas zu veröffentlichen, ich schreibe
hauptsächlich weil es mir Spaß macht und was mir Spaß macht. Zu viele negative Kritik von
Lektoren würde wahrscheinlich meine Freude am Schreiben beeinträchtigen.
Haben Sie sich nun komplett auf die Medizin beschränkt oder besteht die Chance Sie erneut
im Fernsehen zu sehen? Wenn Sie Ihren Doktortitel erhalten haben. Oder ist die
Schauspielerei entgültig vorbei? Das Medizinstudium ist sicherlich nicht leicht und man muss
in diesem Bereich am Ball bleiben um nicht den Anschluss zu verlieren. Ich muss sagen,
beides hört sich interessant an.
Herzliche Grüße,
Patrick

PS: Es sind DIN A 4 Seiten, was es zu einem sehr, sehr dicken Taschentuch werden lassen
würde.
Und diese drei Emaisl waren nur der Beginn einer langen Emailkette gewesen.
Patrick hatte ihr seine Geschichte geschrieben. Zuerst wollte er ihr nur das schicken, wo Sonja
drin vor kam, aber Kim hatte darauf bestanden alles zu lesen. Nur wenn sie alles las, dann
konnte sie die Geschichte wirklich verstehen. Er hatte sich mit all den Kapitel zuvor viel
Mühe gegeben, er konnte sie nicht einfach unter den Tisch fallen lassen.
Also hatte er Kim jede Woche ein Kapitel geschickt, sie hatte ihm innerhalb von drei, vier
Tagen geantwortet und ihm geschrieben, was sie von dem aktuellen Kapitel hielt. Dabei hatte
sie mit Kritik nicht zurück gehalten, aber konstruktive Kritik half. Manchmal hatte er mit ihr
überein gestimmt, manchmal sah er die Sache anders und änderte nichts. Doch es war gut
jemand zu haben, der einen überprüfte.
Und noch etwas Gutes hatte diese Emailbekanntschaft: Er hatte einen Grund weiter an seinen
Kapiteln zu arbeiten, sie weiter zu überarbeiten, sonst würde er Kim alle Kapitel geschickt
haben, die er auf dem Laptop hatte und musste dann aufhören, da er die anderen, weitaus
mehr Kapitel, nicht getippt und überarbeitet zur Verfügung hatte.
Sie war erneut sein Ansporn und seine Inspiration, wie sie es vor vierzehn Jahren bereits
gewesen war. Nun dieses Mal war sie echt.

Ja, so hatte alles angefangen, vor vier Monaten...


Kapitel 1

Wie gut kannte man jemand, den man noch nie in seinem Leben persönlich gegenüber
gestanden hatte? Mit dem man zwar seit Monaten Kontakt hatte, regelmäßigen Kontakt, aber
das nur über den Computer.
Man musste wie die andere Person aussah, so weit war man, hatte die Stimme gehört, aber all
das zählte nicht, wenn es darum ging, die andere Person wahrhaftig vor sich zu haben. Es war
leicht im Internet etwas vorzugeben, das man in Wahrheit nicht war. All das, was man
erfunden oder verbessert hatte, das würde nun gnadenlos gezeigt.
Patrick befand sich in dieser Situation. Nein, er hatte kein Date mit einer unbekannten Internet
Schönheit, er hatte, ja, was hatte er? Er würde Sonja treffen. Kim. Er musste sich
zusammenreißen damit ihm nicht der Serienname herausrutschte. Das war seine größte Sorge.
Das, und dass er sich zum Idioten machte. Nur die Sache mit dem Serienname belastete ihn
mehr. Er würde sich damit zum Idioten machen.
Nun war es zu spät
Er saß in München, in einem Lokal in der Innenstadt, war eine Viertelstunde zu früh und
nervös wie ein Teenager beim ersten Date oder ein Kind vor dem ersten Schultag. Gab es
einen Grund nervös zu sein? Er traf sich, wenn er es so sah, mit einer gescheiterten
Schauspielerin. Gescheiterte Seifenoperndarstellerin. Wenn er das arrogant und missachtend
sah, dann war er in keiner Situation, in der er nervös sein musste. Diese Person war
gescheitert an einem nicht sehr hohen Ziel.
Gescheitert. Wenn aus allen gescheiterten Personen Ärzte wurden, dann sollte das
Arztproblem in Deutschland der Vergangenheit angehören. Nein, Kim war nicht gescheitert,
sie hatte sich verbessert. Von der Seifenoper zur angehenden Ärztin, die in der Kardiologie
Menschenleben retten würde.
So gesehen konnte er sich nur blamieren. Er würde sich mit jemand treffen, der etwas großes
aus seinem Leben gemacht hatte. Und was hatte er geschafft? Was konnte er aufweisen? Wenn
er zu einem Vorstellungsgespräch gehen würde und seinem potentiellen Boss erzählen würde,
er sei glücklich, das sei das größte, was er in seinem Leben geschafft hätte, würde dieser wohl
kaum beeindruckt sein.
Oh nein, da war etwas anderes. Etwas, aus einem – wie es ihm schien – anderen Leben. Er
hatte ein Diplom. Bevor er sich für vier Jahre ins Ausland abgesetzt hatte, hatte er ein Diplom
errungen. Das war etwas Positives, das war Erfolg. Man ließ die Note, mit der er sein Diplom
bestanden hatte außer Acht, reihte all die Titel auf, die er damit errungen hatte, übersetzte sie
ins Englisches und er hörte sich wichtig an. Am Ende war es jedoch nicht viel mehr als heiße
Luft und nicht das, was für ihn zählte.
Er war glücklich. Er konnte behaupten, er war ein glücklicher Mensch. Leider half ihm das in
seinem beruflichen Leben nicht weiter. Als unglücklicher Vollblutinformatiker wären seine
Karrierechancen größer. Keine Berufserfahrungen außer diverse Praktikums. Nützliche
Interessen? Oh ja, er schrieb. Veröffentlicht? Nein, nicht wirklich. Wie das seinen Beruf
unterstützen konnte? Nun ja, er hatte Fantasie...okay, alles, was er bisher getan hatte, hatte
keine positiven Auswirkungen auf seine Karriere. Die Zeit im Ausland konnte er hinzu zählen,
er hatte eine wunderbare Zeit gehabt, sich aber nicht in seinem Beruf weiterentwickelt.
Mit den Augen der modernen, erfolgsorientierten Gesellschaft gesehen konnte man sein leben
kurz und knapp in vier Worte fassen: Er war ein Versager. Halt, das ging kürzer und besser:
Ein glücklicher Versager.
Das hatten seine Eltern ihn genannt. Sie hatten das glücklich weggelassen, da es nicht wichtig
war, dass er glücklich war. Ein Versager, der sein Leben verpfuscht hatte. Ja, vielleicht hatte er
sein Leben verpfuscht. Wenn dem so sei, dann hatte er sehr viel Spaß dabei gehabt und
bereute es nicht. Er war glücklich.
Und nach München gezogen.
Wieso?
Vielleicht weil er ein verrückter, glücklicher Versager war. Es gab hier eine Person, die ihn
nicht für verrückt erklärte, die ihn nicht als Versager ansah und die das, was er bisher gemacht
hatte, gut fand. Wenn er das gegen seine chronisch unzufriedenen Eltern stellte, dann ergab
sich die Schlussfolgerung wieso es München sein sollte, von alleine.
Außerdem zählte München zu den schönsten und interessantesten Städten Deutschlands.
Leider schlug sich das im Preis nieder. Für sein Minizimmer in einem Außenbezirk bezahlt er
mehr als für eine Wohnung in seiner alten Heimat. Wer bei den Reichen und Berühmten sein
wollte, der musste dafür zahlen.
Wenn alles gut ging, dann würde er bald einen Arbeitsplatz finden und dann konnte er sich
mit gutem Gewissen sagen, er hatte die richtige Entscheidung getroffen. Wenn er nichts fand,
was seiner Ausbildung entsprach, dann würde er eben etwas anderes machen. All diese Jahre,
die er nicht in Deutschland war, hatte er alle möglichen Arbeiten verrichtet. Er war für sich
nicht zu schade für harte Arbeit.
Es gab wichtigeres im Leben als die Arbeit. Sie war nur dazu da um den Spaß zu finanzieren.
Wenn man das Glück hatte einen Arbeitsplatz zu finden, der Spaß machte, dann würde man
auch mit weniger Geld zufrieden sein. Er hatte lange Zeit mit lächerlich wenig Geld gelebt
und war absolut zufrieden gewesen. Sein Umfeld hatte ihm das ermöglicht.
„Hallo Patrick.“
Oh. Mein. Gott. Da war sie! Sie stand vor ihm. Patrick war so in seiner kleinen Welt vertieft
gewesen, er hatte nicht gesehen, wie Kim das Cafe betreten hatte.
Sie war nicht so groß, wie er sie in Erinnerung hatte. Doch das war ewig her und wenn die
anderen Darsteller ebenfalls nicht sehr groß gewesen waren, dann fiel es nicht auf. Er schätzte
sie auf einssiebzig. Ihre blonden Haare waren hinten hochgesteckt und ihre grünen Augen
lagen auf ihm. Und dieses Lächeln. Das gleiche Lächeln wie vor vierzehn Jahren. Verschmitzt
als wenn sie etwas im Schilde führen würde.
„Uhm, ha-hallo!“ Oh super, er hatte sich gleich mit dem ersten Satz zum Idioten gemacht.
Wenigstens hatte er mit seinem Gestotter und dem unbeholfenen Aufspringen die Messlatte
für ihn für den Rest des Treffens niedrig gelegt. Er hofft inständig, er würde diesen Auftritt
nicht unterbieten. Man stelle sich vor, sie waren im Gespräch vertieft und er trank aus der
Blumenvase statt dem Glas.
„Wartest du schon lange?“ Sie hatten von dem formellen Sie zu einem persönlichen Du
gewechselt, nachdem sie einige Email geschrieben hatten. Es sah seltsam aus in einer Email
jemand zu Siezen und er war dabei ihr etwas von seinem Leben zu schicken, das er zuvor
kaum jemand gezeigt hatte.
Wieso war sie so entspannt? Sie lächelte, setzte sich ihm gegenüber und wirkte entspannt als
wenn sie sich mit einem Freund traf, den sie seit Jahren kannte. Und nicht mit einem
seltsamen Kerl, der ihr eine viel seltsamere Email geschickt hatte. Oder mehrere seltsame
Emails?
„Nein.“ Wenigstens war das Wort ohne Probleme aus seinem Mund gekommen.
„Gut.“ Himmel. Sie sah live noch besser aus als auf dem Bild im Internet. Und dieses
Lächeln. Das gleiche Lächeln, das ihn vor vierzehn Jahren bereits gefesselt hatte. Wenn er
nicht irgendwo die Notbremse fand, dann würde er beginnen seine Gegenüber hemmungslos
anzuhimmeln. Wie ein kleiner Schuljunge seinen älteren Schwarm.
Reiß dich zusammen und habe zumindest den Rest Selbstachtung um dich nicht komplett zum
Idioten zu machen.
Ob sie wusste was er durchmachte? Wahrscheinlich konnte das gesamte Cafe sehen wie er
sich zu einem Idioten machte. Patrick, das ist ein Treffen. Ein harmloses Treffen. Diese Frau
hat keinerlei Interesse an dir und du hast für Jahre vergessen, dass es sie gibt. Das ist kein
Date. Das ist...was immer es war, es war kein Date.
Kein Ring an den Ringfingern. Sie hatte nie einen Partner erwähnt, aber sie hatten sich
hauptsächlich über seine Geschichte unterhalten, sehr selten kamen private Dinge zur
Sprache. Sie hätte ohne weiteres verheiratet sein können. Konnte sie noch immer. Sie war
Ärztin, Schmuck war sicherlich nicht gestattet. Ihr Ehering konnte Zuhause in einer
Schmuckschatulle liegen.
Oh Mann Patrick, du machst dich schon wieder zum Ochsen. Nur vor dir alleine, aber das
ändert nichts daran, dass du dich zum Ochsen machst. Statt in deinen kranken Fantasien zu
leben könntest du versuchen eine intelligente Unterhaltung zu führen. Wenn du sie nur
anstarrst, dann ist sie in fünf Minuten weg und wird sich nie wieder melden.
„Wie gefällt dir München?“
„Ich weiß noch nicht, bin ja erst ein paar Tage hier und außer mich in meinem Zimmer
einzurichten und nach einem Job zu suchen, habe ich nicht wirklich etwas gemacht.“
„Warst du erfolgreich?“
„Nein.“ Patrick seufzte. Er hatte an die zwanzig Bewerbungen losgeschickt bevor er nach
München gekommen war, in der nächsten Woche würde er ein Vorstellungsgespräch haben,
der Rest waren Absagen oder unbeantwortet.
„Sozialarbeit?“
„Ja.“ Er musste lächeln. Er hatte Kim nicht viel von sich erzählt, seinen Beruf hatte er ganz
am Anfang einmal erwähnt, sie hatte es sich gemerkt.
„Es sind so viele Geschichten über vernachlässigte Kinder in der Zeitung gewesen, ich dachte,
sie würden etwas aufstocken bei den Jugendämtern.“
„Das Problem ist, ich habe keinerlei Erfahrungen mit Kindern. Von Beginn an habe ich mich
auf Erwachsene spezialisiert. Seniorenbildung und Erwachsenbildung. Gerontologie ist mein
Gebiet, Kinder und Jugendliche, das habe ich nur das Pflichtprogramm im Studium
mitgemacht. Keine Praktika oder Extrakurse.“
„Das macht die Sache schwerer.“
„Das und dann meine vier Jahre im Ausland. Keinerlei Berufserfahrung gesammelt. Die
Chancen etwas zu bekommen sind sehr gering.“
„Was ist Plan B?“
Er fuhr sich durch die kurzen, hellbraunen Haare. Der Notfallplan? „Plan B ist ein anderer
Job. Ich werde morgen die Stellenangebote durchsehen und ansonsten beginnen Klinken zu
putzen.“
„Was stellst du dir vor?“
„Alles, was legal ist und mit meinen moralischen Vorstellungen zu vereinbaren ist.“
Kim begann herzhaft zu lachen. „Du hast die besten Verdienstmöglichkeiten ausgeschlossen.
Illegal und unmoralisch bringt mehr Geld.“
„Geld ist nicht alles. Du als angehende Ärztin solltest das wissen.“
„Das Leben des Menschen steht über allen. In der idealistischen Welt. Die Wirklichkeit sieht
leicht anders aus. Da ist Geld das wonach alle streben. Einen Arbeitsplatz, in dem man viel
Geld verdienen kann.“
„Ich habe vier Jahre lang alle möglichen Arbeiten gemacht, es hat mich nie gestört auf einem
Feld zu stehen und Obst zu pflücken oder in einem Hotel zu putzen. So lange man nette
Kollegen hat und der Boss einen mit Respekt behandelt, ist die Arbeit okay. Das Geld war
meistens nur zweitrangig.“ Er hatte einen Job über ein halbes Jahr gemacht und wenn er
umrechnete, was er verdient hatte, dann würde jeder normale Arbeitnehmer in Deutschland
das in zwei Monaten verdienen. Vielleicht sogar in einem Monat.
„Eine gute Einstellung.“
„Andere würden sagen, ich habe meine Selbstachtung verloren und verkaufe mich unter
Wert.“
„Ich bin nicht andere.“ Nein, das war sie nicht. Sie war...Patrick war sich nicht sicher, aber
Kim erinnerte ihn an seine Sonja. Nicht die junge Sonja, die voller Probleme steckte, das war
die Serienfigur, die ältere Sonja, die Romanfigur, die Psychologin. Eine Frau, die wusste, wer
sie war, die mit ihrem Leben zufrieden war und mit sich und er Welt im Einklang lebte.
„Wenn du möchtest, dann kann ich mich umhören, ob sie im Krankenhaus jemand brauchen.
Es wird keine aufregende Sache werden, wir haben bereits zwei Sozialarbeiter, aber vielleicht
in der Küche.“
„Danke, ich nehme fast alles.“
„Küche ist vereinbar mit der Moral?“
„Ja, so lange da keine Schokolade liegt.“ Nun war es Patrick der herzhaft lachte. Er hatte nach
seiner Rückkehr in Deutschland zuviel Schokolade gegessen. Was hatte er seine Milka
vermisst in all den Jahren, er hatte sich am ersten Tag bereits mit einer großen Tafel
eingedeckt und diese komplett gegessen.
„Medizin für das Herz und die Seele.“
„Ja.“ Ein Kellner kam vorbei. Patrick hatte gar nicht gemerkt, dass sie bereits eine Weile hier
gesessen hatten ohne etwas zu bestellen. Es war einfach die Welt zu vergessen wenn Kim ihm
gegenüber saß.
Sie bestellten beide einen Kaffee.
„Erzähl mir, was hat dich von der Schauspielerei in die Medizin getrieben?“
„Es war nicht die Moral.“
„Das dachte ich mir.“
„Mangelnder Erfolg. Du weißt selber, meine Projekte waren nicht erfolgreich und die Medizin
war immer mein Interesse gewesen. Wieso also das Leben damit verschwenden etwas
nachzurennen, das mich nicht am Leben hält wenn da eine andere Sache ist, die mir genauso
viel Spaß macht? Viele Kinder und Jugendliche träumen davon Schauspieler zu werden, wenn
sie älter werden und herausfinden, es gelingt nur wenigen sich in diesem Bereich zu
etablieren, dann beginnt man sich nach etwas anderen Dingen umzusehen.“
„Ich fand dich gut.“
„Du hast eine Romanfigur nach mir erstellt, ich denke, das ist die höchste Auszeichnung, die
ich jemals für meine Schauspielerei bekommen habe und bekommen werde.“ Und das war
wohl das Netteste, was jemals jemand über seine Werke gesagt hatte.
„Du hast das verdient, du hast mich inspiriert.“
„Ich oder Sonja?“ Da war wieder dieses Blitzen in ihren Augen. Er war sich nicht sicher, ob
sie die Fragen ernst meinte, wenn sie ihn so ansah oder ob sie ihn auf den Arm nahm. Er
wurde noch nicht immer schlau aus ihr.
„Beide. Du hast Sonja verkörpert, wenn du sie nicht so gut dargestellt hättest, hätte ich
niemals Interesse an ihr gehabt und meine Sonja wäre niemals entstanden. Und wenn die
Rolle der Sonja nicht so interessant gewesen wäre, dann wäre mein Interesse auch geringer
gewesen.“
„Ohne Drogen hätte ich dich nicht begeistern können?“
„Drogen? Quatsch, es war das reiche Elternhaus.“ Zumindest meinte er sich erinnern zu
können, Kims Figur war aus reichem Hause. Die reichste Familie im Dorf oder lag er damit
ganz falsch?
„Deswegen war deine Sonja aus reichem Hause.“
„Natürlich. Die Drogenprobleme hat sie bekommen weil sie zur Jugend gehören.“
„Tun sie das.“ Kim legte den Kopf schief und betrachtete Patrick interessiert. „Jemand, der
bei der Arbeit Wert auf die Moral legt, dem nehme ich diese Aussage nicht ab.“
„Was willst du hören? Dass es Kim war, die mich zu meiner Sonja inspiriert hat? Wenn
jemand anderes die Sonja gespielt hätte, dann wäre meine Sonja nie entstanden?“
„Wäre es die Wahrheit?“
„Ich weiß nicht. Julia hatte auch Drogenprobleme und die hatte ich ihr angeschrieben bevor es
Sonja gab. Das Thema hatte mich damals interessiert, tut es noch immer. Aber ja, du hast
einen großen Beitrag an meinem Interesse geleistet.“
„Habe ich mal einen Autogrammwunsch vor dir bekommen?“
„Nein.“ Und selbst wenn dem so gewesen wäre, Patrick hätte das hier und jetzt niemals
zugegeben. Das wäre zu peinlich gewesen.
„Dachte ich mir. Ich konnte mich an keinen Patrick erinnern...bei den vier Wünschen.“
„Vier? Das ist armselig.“
„Danke.“
„Für die Fernsehgemeinde.“ Er zwinkerte ihr zu. „Ich hoffe, du bekommst mehr Dankbarkeit
als Ärztin später.“
„Mein Erfolg in dem Bereich war bereits größer als der in der Schauspielerei. Wieso hast du
nie Interesse an einem Autogramm gehabt?“
„Mal davon abgesehen, dass das immer etwas lächerlich wirkt hätte ich nicht gewusst, was
ich hätte schreiben sollen. Was schreibt man bei einem Autogrammwunsch? Ich meine, was
kann man schreiben ohne sich komplett lächerlich zu machen? Schickt man einfach nur einen
frankierten Rückumschlag? Um nichts lächerliches zu schreiben. Das wäre wiederum auch
dumm, da es unhöflich aussieht. Nein, zu viele Probleme.“
„Oh Patrick.“ Kim lachte erneut. Sie schien sich gut mit ihm zu amüsieren. Über ihn zu
amüsieren? „Du bist einzigartig. Sag mir ehrlich, wie lange hast du überlegt bis du mir die
erste Email geschrieben hast und wie oft hast du sie umgeändert?“
„Das ist eine Sache, die ich dir niemals sagen werde. Ich habe eine Antwort bekommen, wir
sitzen beide hier, also ist es egal, denn es war nicht zu schlecht.“
„Ich weiß, du hattest Whiskey getrunken. Man konnte es erkennen. Deine Email war voller
Rechtschreibfehler und wirren Sätzen.“
„Das kann nicht sein, mein Rechtschreibprogramm hat nichts angezeigt.“
„In welcher Sprache hattest du das eingestellt?“
„In...“ Oh je, war sein Rechtschreibprogramm auf Englisch eingestellt gewesen? Die
automatische Fehlersuche funktionierte dann nicht und wenn dem so gewesen war, dann...
„Wie schlimm war es?“
„Es war amüsant. Ich habe mich ernsthaft gefragt, wie du ein Buch schreiben kannst mit
diesem Deutsch. Dann habe ich den Whiskeyfaktor berechnet du mir gedacht, wenn du viel
getrunken hast, dann wäre das die logische Erklärung für deine Rechtschreibung. Bei der
zweiten Email musst du nüchtern gewesen sein, sie war fehlerfrei.“
„Ja.“ Super, er hatte sich mit seiner ersten Email zum Idioten gemacht. Voller Fehler und
sinnfreier Sätze. Wieso hatte er die Email auch betrunken geschrieben? Weil er sie sonst nie
geschrieben hätte, das wusste er.
„Es war eine ganze Flasche in fünf Stunden. Eine Erfahrung, die ich nicht erneut machen
möchte. Die doppelte Zeit wäre angemessen gewesen. Egal. Du hast geantwortet, das ist alles
was zählt. Mission erfolgreich beendet.“
„Eine Fanemail nach sieben Jahren aus dem Schauspielgeschäft kann man nicht einfach
ignorieren. Vor allem dann nicht, wenn man allem Anschein nach etwas geschaffen hatte, das
für einen Menschen etwas bedeutet.“
„Ich könnte dir versprechen nie wieder eine solche Email zu schreiben.“
„Das ist okay so lange ich weiterhin meine wöchentlichen Kapitel bekomme. Was muss ich
tun um das Quantum auf zwei Kapitel zu erhöhen?“
„Mir zweimal pro Woche eine Antwort schreiben. Sobald du mir mein Kommentar geschickt
hast, kannst du ein neues Kapitel haben.“
„Das ist Erpressung.“
„Das ist Verhandlungstaktik. Du willst mehr lesen, das bedeutet, ich muss mehr tippen, also
kannst du etwas dafür tun.“
„Wie viele Kapitel bist du mir voraus?“
„Kein Kommentar.“
„Komm schon.“
„Nein.“
„Du bist fertig!“
„Nein, das wäre schön.“ Er war weit davon entfernt fertig zu sein. Zwar würde die Arbeit
weniger werden, denn je weiter er fortschritt, desto größer waren die Chancen, er hatte das
eine oder andere Kapitel auf dem Computer geschrieben, doch die meisten waren weiterhin
handschriftlich vorhanden. Nur die letzten drei Jahren hatte er auf dem Laptop in Word
Dokumenten. Die würden ihm keine Arbeit mehr machen. Doch bis er dort angekommen war
würde noch viel Wasser die Isar runtergeflossen sein.
„Okay, wenn ich es schaffen würde dir dreimal pro Woche eine Antwort zu schicken...“
„Dann kann ich nur einen Halbtagsjob annehmen, da ich zuviel Zeit am Computer verbringen
würde“, lachte Patrick.
„Ich will nicht dein finanzieller Ruin sein.“
„Keine Sorge, das wirst du nicht. Du wirst nicht genug Zeit haben als Assistenzärztin.“
„Da hast du wahrscheinlich recht. Und Zeit ist ein gutes Stichwort, ich muss los, die
Spätschicht wartet. Ich wünsche dir viel Spaß und vor allem Erfolg bei der Suche nach einem
Job. Du solltest morgen deine Antwort bekommen und dann erwarte ich mein neues Kapitel
zum ins- Bett- gehen. Ich mache deine Geschichte zu meiner Bettlektüre. Wann werde ich
endlich meine Sonja zu sehen bekommen?“
Patrick dachte kurz nach. „Wenn du schnell liest, dann bald. Es sollten vier oder fünf Kapitel
sein.“
„Ich werde versuchen dir mindestens alle zwei Tage zu antworten. Täglich wäre besser, das
wäre ein wenig wie eine Seifenoper, aber ich will dich mit dem Tippen nicht zu sehr unter
Druck setzen.“
„Danke.“
Sie standen auf. Patrick fragte sich umgehend, was sollte er nun tun? Ihr einfach die Hand
geben? Sie umarmten? Was tat wenn man jemand getroffen hatte, mit dem man sich sehr gut
verstanden hatte, den man vorher aber nie getroffen hatte. Es war kein Date gewesen, es war
ein normales nettes Treffen gewesen.
„Gutes Gelingen bei der Arbeit und ich möchte demnächst mehr von deiner Arbeit wissen.
Diese Dissertation oder was immer das ist, was im Internet ist, davon verstehe ich nicht
einmal die Überschrift. Eine Erklärung im einfachen Deutsch wäre nett.“
„Das kostet dich ein Kapitel.“
„Das ist Erpressung. Ich werde dir das Kapitel, in dem Sonja vorkommt, ganz schicken und
nicht in zwei Teile, wie ich es zuerst wollte, da es so lang ist.“ Dreißig Seiten. Er hatte sich
selber erschrocken als er die Länge des Kapitels sah. Dass es lang war, das hatte er zuvor
gewusst. Doch diese Seitenzahl hatte ihn überrascht. Es lang sicherlich auch daran, dass er
eine Art Fortsetzung zu diesem Kapitel geschrieben hatte. Etwas, was er mit den anderen
Kapitel nicht gemacht hatte.
„Okay.“
Sie verließen das Cafe.
„In welche Richtung musst du?“, fragte Kim.
„Nach Norden.“
„Moosach?“
„Feldmoching – Hasenbergl. Ihr habt hier seltsame Namen für Stadtbezirke.“
„Du hast dir nicht gerade den besten Bezirk ausgesucht.“
„Er war günstig, hat eine gute S-Bahn Verbindung und, habe ich erwähnt, dass er günstig ist?“
„Okay, verstanden.“
„Das heißt, du wohnst da nicht, sonst würdest du anders sprechen.“
„Moosach. Sehr nette Gegend. Wenn du einen Job hast solltest du dringend umziehen.“
„Ich werde darüber nachdenken.“
„Gut. Ich muss wirklich los. Viel Glück und denk an mein Kapitel.“
„Denk an meine Antwort.“
„Steht oben auf meiner Prioritätenliste.“ Sie winkte ihm und ging eilig davon.
Patrick sah ihr seufzend nach.
Das war es gewesen. Das Treffen mit einer ehemaligen Schauspielerin und angehenden
Ärztin. Er fand, es war nett gewesen und gut verlaufen. Er hatte sich nicht komplett zum
Idioten gemacht, sie hatte amüsiert und entspannt gewirkt, sie hatten such nett unterhalten und
gelacht. Okay, es hatte keine Verabredung zu einem zweiten Treffen gegeben, aber er würde
vorsichtig optimistisch äußern, die Chancen waren recht gut.
Wenn sie ihm nicht vorgespielt hatte, dass sie sich amüsiert hatte, dann hatte sie eine nette
Stunde. Nun war sie eine ehemalige Schauspielerin, sie sollte wissen, wie man Menschen
etwas vorspielte. Konnte er sich so irren? Er würde niemals ihr Talent anzweifeln, aber...wieso
begann er erneut sich zum Ochsen zu machen? Wenn jemand seine Gedanken lesen würde,
dieser Person würde ihn für psychisch krank halten. Er sollte seine Gedanken zurück auf das
Wesendliche lenken: Arbeit! Er musste einen Job finden.

Kapitel 2
Klinkenputzen war das magische Wort. Sein Vorstellungsgespräch war ein Reinfall gewesen
und er stand nun ohne weiteres Vorstellungsgespräch da. Das hieße, Plan B musste in Angriff
genommen werden.
Patrick hatte sich in eine Bücherei zurückgezogen, in der man eine Stunde täglich umsonst ins
Internet gehen konnte. Seine erste Sparmaßnahme. So lange er keinen Job hatte würde er
keine Flat haben und so lange er keine Flat hatte, würde er nicht länger als fünf Minuten
täglich ins Internet gehen und das nur um Emails zu versenden, die zuvor vorgeschrieben
hatte und neue zu empfangen.
In der Bücherei würde er nun nach Adressen für potentielle Arbeitgebern suchen. Himmel, es
war November, die Leute würden in München vielleicht ihren Weihnachtsurlaub verbringen
oder auf dem Weg in den Skiurlaub hier stoppen und eine oder zwei Nächte bleiben.
Deswegen sah er sich in der Gastronomie- und Tourismusbranche um. Hotels, Pensionen, Bed
und Breakfast und Restaurants.
Davon gab es in München sehr viele. Er beschloss systematisch vorzugehen. Von der
Innenstadt in seine Richtung und dann würde er anhand der S-Bahnfahrplänen herausfinden,
in welche Gegenden er gute Verbindungen hatte.
Alleine in der Innenstadt gab es Seitenweise Gewerbe, bei denen er sich vorstellen konnte. Es
hieß noch geplanter vorzugehen. Mit zwanzig Seiten Informationen ausgedruckt und seinem
Block verzog er sich in eine ruhige Ecke, nahm eine Straßenkarte von München hinzu und
begann vom Norden gen Süden die Straßennamen und sich dort befindliche potentielle
Arbeitsplätze aufzuschreiben. Wenn er sich die Füße wund laufen würde, dann würde er das
mit System machen. Straße für Straße.
Er rechnete positiv, er konnte fünfzig Stellen pro Tag schaffen, das beinhaltete das Ausfüllen
von Bewerbungsunterlagen und kurzen Gesprächen mit den Besitzern/Managern. Innerhalb
einer Woche sollte er alle für ihn in Betracht kommenden Stellen abgelaufen haben. Bis dahin
hatte er Zeit über einen Plan C nachzudenken. Zurück nach Hause und winselt an die Tür
seiner Eltern klopfen? Das kam nicht in Frage!
Wen kannte er in München? Er war niemals zuvor in seinem Leben in München gewesen, er
war in Paderborn geboren, weit weg von München. Zu weit um Verbindungen zu knüpfen.
Also, wie viele der knapp einskommadrei Millionen Menschen kannte er? Er kannte Kim.
Okay, kennen war vielleicht übertrieben, er hatte mit ihr gesprochen, sie hatten Kontakt. Wer
sonst? Steve. Er hatte Steve in Australien getroffen. Sie waren zusammen in einem Zimmer
gewesen, hatten zusammen gearbeitet und standen noch immer im Kontakt. Steve war zu
Beginn des Jahren nach München gekommen um hier zu studieren. Ein Unterfangen, das
erfolglos geendet war. Er hatte inzwischen zu einer Ausbildung gewechselt. Vielleicht konnte
er ihm trotzdem weiterhelfen. Studentenjob sollten in der Uni aushängen. Universitäten und
Fachhochschulen wären eine weitere Idee, sein Plan C. Und mit Steve wollte er sich sowieso
treffen. Das könnte er heute Abend machen, wenn er die ersten zehn Bewerbungen hinter sich
hatte. Er würde alles zwischen der Bücherei und seiner Wohnung abarbeiten.
Schnell schrieb er Steve eine SMS, eine Beschreibung wie der Freund zu seiner Wohnung
kommen konnte, die hatte er ihm bereits vor Tagen geschickt. Mit seinen beiden Plänen, den
Ausdrucken, der Liste seiner Anlaufstellen für den morgigen Tag und einem Buch wie man
sich erfolgreich bewarb, verließ er die Bücherei.
Oh und seine Eltern. Die würden sicherlich in Kürze anrufen und wissen wollen, ob er bereits
einen Job gefunden hatte. Schließlich war er mit den Worten verschwunden, er habe zwanzig
Bewerbungen nach München abgeschickt, da machte es Sinn, sich dort aufzuhalten um
schnell auf eine Antwort zu reagieren. Wenn er ihnen sagen würde, all seine Bewerbungen
waren erfolglos gewesen, würden sie ihm ewig unter die Nase reiben, sie hätten ihm vor
Jahren schon gesagt, er solle sich um seine Zukunft in Deutschland kümmern statt in anderen
Ländern sein Leben zu verschwenden. Zeit-, Geld- und Perspektivenverschwendung hatten
sie seine vier Jahre genannt. Wenn er nur ein wenig Japanisch sprechen könnte, dann wäre er
für ein fünftes Jahr nach Japan gegangen.
Eine weitere Sache, mit der seine Eltern alles andere als glücklich gewesen waren, war seine
Entscheidung nach München zu gehen. Wieso denn gerade München? Er würde von dem
Geld leben müssen, das er mit aus Kanada gebracht hatte, denn das Arbeitslosengeld war nach
vier Jahren verloren. Wenn er Zuhause geblieben wäre, dann hätte er Zuhause wohnen
können, Miete sparen und sich von dem gesparten Geld eine Krankenversicherung anschaffen
können. Auf diese verzichtete er aus Kostengründen im Moment. Er kannte dort niemand
(was nicht stimmte, er kannte die genannten zwei Personen!), das Leben war teuer und er
würde ohne Verbindungen dastehen.
Das wiederum sah er als eine Herausforderung an. Er hatte vier Jahre in drei verschiedenen
Ländern gelebt. Jedes Mal, wenn er ein neues Land betreten hatte, dann hatte er ganz von
vorne anfangen müssen, ohne jemand zu kennen, ohne Kontakte. Er hatte alle Formalitäten
erledigen müssen, sich neu finden müssen und Pläne für sein weiteres Leben in diesem Land
machen müssen. Und das alles in einer Sprache, die nicht seine Muttersprache war. So
gesehen sollte München kein Problem werden. Er war in seinem Heimatland, die Menschen
sprachen mehr oder weniger seine Sprache und er musste sich keine Sorgen um eine
Arbeitserlaubnis machen.
Oh, er kannte Ulli. Wie konnte er Ulli vergessen? Gut, Ulli wohnte nicht in München, Ulli
wohnte in Salzburg, doch das waren nur einige Kilometer, wenn man bedachte, wie weit die
anderen Leute, die er kannte, weg waren. Sollte er ganz verzweifeln konnte er sich in
Österreich bewerben. Die Skigebiete sollten Personal suchen. Dann würde er eben ein paar
Monate abschieben von der Welt auf einem Berg wohnen. Das war nicht viel anders als seine
sechs Monate im kanadischen Wald.
Hatten seine Eltern nicht Bekannte in München? Ihm war so als wenn hier ein Ehepaar
wohnte, das, als er im Babyalter gewesen war, noch in Paderborn gelebt hatte. Nein, er würde
nicht zu Freunden seiner Eltern gehen. Zu Leuten, mit denen seine Eltern in Kontakt standen
wenn einer Geburtstag hatte oder wenn Weihnachten war. Das wäre lächerlich. Er würde das
aus eigener Kraft schaffen.
Sein Handy klingelte. Steve. Er würde gegen neunzehn Uhr bei Patrick sein. Es blieben ihm
vier Stunden bis er wieder Zuhause sein musste. Zeit, die erste Anlaufstelle in Angriff zu
nehmen. Mit den Fingern die Haare richten. Leider machten die mal wieder was sie wollten,
er musste mal wieder zum Frisör. Seine Kleidung war sauber, wahrscheinlich nicht das, was
man zu einem Vorstellungsgespräch anzog, aber es war kein offizielles Gespräch, es war mehr
eine Anfrage, ob er eventuell dort arbeiten konnte.

My home is my castle. Was für eine hochtrabende Aussage wenn man Patricks Zimmer sah.
Sein Schloss war auf unter dreißig Quadratmetern geschrumpft. Keine Türme, keine Kerker,
keine Ballsäle. Das Foyer war sein winziger Flur, der einen Quadratmeter groß war und außer
einer Garderobe mit vier Kleiderharken nichts enthielt. Man schloss die Wohnungstür und
dann konnte man direkt wählen. Rechts war eine Tür, die zum Badezimmer führte, ganze zwei
Quadratmeter groß. Eine Toilette, eine Dusche und ein kleiner Schrank. Nicht einmal für ein
Waschbecken war Platz gewesen. Das befand sich im Wohn-, Schlaf- und Esszimmer mit
integrierter Küche. Vier Zimmer kompakt zusammengepackt auf die restlichen knapp
dreiundzwanzig Quadratmeter. Links die Küche mit einem kleinen Herd bestehend aus zwei
Kochplatten, einem Kühlschrank, Spüle, Schrankwand und Arbeitsplatz. Und dem
Waschbecken, das ist im Badezimmer keinen Platz hatte. Vor dem Waschbecken stand sein
alter Kleiderschrank, dieser teilte das Zimmer etwas ab. Ihm gegenüber war das Küchenregal
mit all seinen Lebensmittel, die er besaß: Tomatensauce, Nudeln, Haferflocken, Teebeutel und
eine Orange. Die große Auswahl gab es weder im Leben noch beim Essen. Der Tisch mit
seinen klapprigen zwei Stühlen vollendete die linke des Zimmers und stellte das Esszimmer
da. Immerhin konnte er aus dem Fenster gucken wenn er aß. Das Fenster ersetzte außerdem
den Fernseher, den er nicht hatte.
Wohn- und Schlafzimmer waren auf der rechten Seite des Zimmers. Seine blaue Couch stand
rechts an der Wand zum Badezimmer. Er konnte sie zu einem französischen Bett ausziehen,
was sie im Moment war. Das war das erste, was er machen musste. Seine Couch wieder zu
einer Couch umfunktionieren. Zwischen Couch und Tür stand ein kleines Bücherregal, leer.
All seine Bücher befanden sich in Kartons bei seinen Eltern. Wenn er in eine größere
Wohnung gezogen war (gleich nachdem er den gutbezahlten Job gefunden hatte) würde er sie
abholen. In dem Auto, das er dann gekauft hatte. Man konnte ihm viel vorwerfen, ohne Pläne
war er nicht.
Links neben dem Bett stand eine Kommode, in der hatte er einige DVDs stehen. Seine CDs
waren alle Zuhause, er hatte vor seinem Umzug alle auf zwei externe Festplatten gezogen und
mitgenommen. Das sparte Platz. Ein weiteres Küchenregal stand schräg neben der Kommode.
Sein Drucker, Scanner und alle Computersachen, die er brauchte, waren darauf, sowie
Fotoalben und Andenken aus seinen vier Jahren im Ausland. Der Schreibtisch mit dem Laptop
und diversen Unterlagen schloss direkt an den Tisch an. Ja, Patricks Wohnung war klein und
sehr sparsam eingerichtet.
Die Wände hatte sein Vormieter weiß gestrichen und seltsame, dicke, blaue Kreise oder
andere Formen angemalt. Sehr ungewöhnlich, was sie passend zu Patricks Leben sein ließen.
Ungewöhnlich und nicht jedermanns Sache. Doch er fand es gut.
Mit einem wehmütigen Blick sah er auf die kanadische Flagge, die über seinem Bett hing.
Kanada. Er war ein Backpacker gewesen, er war nur ein geduldeter Gast auf Zeit in einem
fremden Land gewesen, doch er hatte mehr gehabt als in München. Gut, er hatte kein eigenes
Zimmer gehabt, das musste er sich mit einem anderen Backpacker teilen, aber sie waren elf
Personen in einem großen Haus gewesen. Sie hatten eine Küche, ein Musikzimmer, ein
Fernsehzimmer mit riesigem Flachbildschirm und über hundert DVDs gehabt. Einen großen
Garten mit Gemüse, einer Hängematte und einem kleinen Teich.
Zusammen hatten sie in der Wildnis gelebt. Sie waren Teil eines Programms zum Schutz und
Instandhaltung eines großen Nationalparks. Zusammen mit fünf Rangern waren sie täglich
durch den Park gezogen, hatten Müll der Touristen weggeräumt, den Tierbestand beobachtet,
Wanderwege überprüft und Leben gerettet. Das hörte sich nun hochtrabend an, er hatte Leben
gerettet, aber so war es gewesen. Sie waren viermal ausgerückt um verschollene Wanderer z
finden, drei von ihnen hatten sich nur verirrt, der vierte lag mit gebrochenen Bein im
Unterholz. Es hatte sie dreißig Stunden gekostet diesen Mann zu finden. Dreißig Stunden, in
denen sie nicht geschlafen hatten, sondern in Suchtrupps unterwegs waren. Patricks Truppe
hatte den Mann zwar nicht gefunden, aber alle elf Backpacker wurde ausgezeichnet für ihre
Bemühen.
Oh wie er das Backpacken vermisste. Seine Freunde konnten nicht verstehen wie er vier Jahre
mit anderen Leute, fremden Leuten, in einem Zimmer hatte leben können. Sie konnten nicht
verstehen, dass er sein Lebensunterhalt mit niedriger Arbeit, wie sie es nannten, bestritten
hatte. Doch was störte einem diese Sachen wenn man dafür die absolute Freiheit hatte? Er
hatte jeden Ort jederzeit verlassen können. Es gab keine Verträge, die er unterzeichnet hatte.
Er war frei gewesen, wenn er keine Lust mehr auf einen Job oder einen Ort gehabt hätte, dann
wäre er einfach gegangen. Doch er hatte mit Arbeit und Unterkunft immer sehr viel Glück
gehabt, er hatte keine Gründe gegeben überschnell abzureisen. Meistens war er wegen der
Arbeit länger geblieben und nicht wegen der Umgebung.
Er schloss den Bettkasten seiner Couch, setzte die Kissen ordentlich hin und beschloss zurück
in die Gegenwart zu kommen. München – Hasenbergl. Nicht die beste Wohngegend mit den
Sozialbauwohnungen, aber definitiv billiger als die Innenstadt oder die Vororte, in denen die
Leute, die etwas auf sich hielten, wohnten. Mit ihm im Haus wohnten vier andere Mieter,
zwei von ihnen waren Familien mit Kindern, zwei andere waren Alleinstehend. Das war das,
was ihm die Klingelschilder verraten hatten. Kontakt hatte er zu seinen Nachbarn bisher nicht
gehabt. Das Haus war ruhig und so lange das so bleiben würde wäre er zufrieden.
Es klingelte. Das musste Steve sein. Patricks Wohnung war im Dachgeschoss, er besaß keine
Sprechanlage, wenn er die Tür öffnete, dann hatte er keine Ahnung wer vor der Tür stand.
Laut der Uhr musste es sein Freund sein, es war neunzehn Uhr. Was konnte er Steve anbieten?
Mit Essen konnte er definitiv nicht dienen, wobei sein Magen seit längerer Zeit lautstark nach
etwas nahrhaften verlangte. Ein schneller Blick in den Kühlschrank verriet, er hatte Milch,
Wasser und einen Liter Saft.
„Patrick, Kerl, du bist tatsächlich in München.“ Steve umarmte seinen Freund. „Wie geht es
dir?“ Steve, das Gegenstück zu Patrick. Recht klein, sehr dürr und immer voller Energie. Es
war schwer gewesen Steve für einen gesamten Abend auf einen Stuhl zu halten, er war immer
in Bewegung, hatte immer etwas gefunden, das er als nächstes machen konnte. Sein Freund
wäre ideal für den Job in Kanada gewesen. Er hätte den ganzen Nationalpark in einer Woche
abgelaufen.
„Wie es einem geht wenn man in eine neue Stadt zieht. Ich arbeite daran, dass es stetig besser
wird. Komm rein.“ Er ließ Steve in sein Hauptzimmer.
„Übersichtlich“, meinte Steve trocken nachdem er sich umgesehen hatte. Er war fünf
Zentimeter kleiner als Patrick, der mit seinen über einsachtzig gut im Durchschnitt lag. Und
seine Haare, die schwarz waren, hatten einen Schnitt und riefen nicht verzweifelt nach einem
Frisör.
„Winzig“, verbesserte Patrick
„Ja, so könnte man es sagen. Gemütlich.“
„Beengt.“
„Hey, ich will etwas Nettes sagen.“
„Entschuldige. Versuche es noch einmal.“
„Ähm.“ Steve sah sich um. Was sollte er Nettes über dieses kleine Loch sagen? „Ich habe
Pizza mitgebracht.“ Er zog zwei Kartons aus einer Tüte.
„Das ist das Beste, das jemals jemand über meine Wohnung gesagt hat“, lachte Patrick. „Wein
und Bier kann ich leider nicht anbieten, dafür Saft oder Wasser.“
„Wasser. Du weißt, ich bin ein Wasserfanatiker.“ Ja, Steve hatte es geschafft sieben Liter
Wasser an einem Tag zu trinken. Wie er das machte, das war Patrick bis heute ein Rätsel.
„Du bringst Pizza und trinkst Wasser, du darfst gerne jeden Tag mein Gast sein.“
„Wenn ich das nächste Mal herkomme, dann wird das ein Wochenende sein und dann werden
wir beide uns etwas Gutes zu trinken gönnen, Fotos aus der Vergangenheit gucken und
jammern, wie schrecklich es ist in Deutschland zu sein.“
„Das hört sich gut an. Wobei du dich nicht beklagen kannst. Mit deinem Traumjob.“
„Ja, ich bin zufrieden. Endlich.“ Steve und seine Arbeit. Als sie zusammen im Ausland
gewesen waren, da hatte er Medizin studieren wollen wenn er zurück in Deutschland war. Das
hatte sich im Laufe des Jahres geändert und als er zurück in seiner Heimat war, dann hatte er
sich für Tourismus entschieden. Nach nur zwei Monaten Studium warf er alles hin um eine
Ausbildung anzustreben. Er hatte die Stelle bekommen, die hatte haben wollen und würde in
zwei Jahren als Lektorat bei einem Buchhandel anfangen. Sollte er seine Ausbildung
erfolgreich beenden, woran weder Steve noch Patrick zweifelten. Steves Noten waren auf
dem Gymnasium perfekt gewesen, er würde weiterhin lernen.
„Was machen die Geschichten? Wann kann ich dich als meinen ersten Kunden sehen?“ Steve
wusste dass Patrick schrieb. Sie hatten die letzten Monate immer spaßeshalber gesagt, eines
Tages würde Steve Patricks Lektorat werden.
„Wenn du deine Ausbildung erfolgreich beendet hast und mir einen Vertrag verschaffen
kannst.“ An den Geschichten sollte es nicht liegen, von denen waren mehr als genug
vorhanden.
„Oh je, das kann dauern nach nur sechs Monaten ist das Vertrauen meines Boss in meinen
Geschmack und Gespür nicht so groß. Na ja, das gibt dir mehr Zeit zu schreiben. Arbeitest du
an etwas Neuem?“
„Nein, ich habe meine zwei Bücher für dieses Jahr abgeschlossen, bin damit mehr als
zufrieden und tippe an meiner alten Geschichte weiter. Kim will zwei bis drei Kapitel pro
Wochen haben, ich muss dringend eine Nacht mit Tippen statt mit Schlafen verbringen.“
„Kim? Ihr habt euch getroffen?“
„Ja.“ Er hatte Steve von Kim erzählt. Nicht alles, aber Steve wusste, Kim hatte Patrick zu
einer Romanfigur inspiriert. Ebenso wusste er, Patrick hatte Kim eine Email geschrieben und
diese hatte darauf geantwortet und daraus war eine Art Emailfreundschaft entstanden. Als
Kim das Treffen vorgeschlagen hatte, hatte Patrick überglücklich Steve von diesem Treffen
erzählt. Er selber hätte nie gewagt ein Treffen vorzuschlagen.
„Und?“
„Sie ist nett.“
„Ist sie wie du sie dir vorgestellt hast?“ Steve wollte Details.
„Ich weiß gar nicht wie ich sie mir vorgestellt habe. Wie hätte ich sie mir vorstellen sollen?
Alles, was ich jemals von ihr gesehen hatte, waren diese Folgen der Seifenoper vierzehn Jahre
zuvor. Davon konnte ich schlecht auf sie schließen, vor allem nicht nach all den Jahren. Ihr
Beruf hat mich überrascht und amüsiert. Und dass sie auf meine Email geantwortet hat, das
hat mich beeindruckt. Weißt du was ich gemacht habe? Was sie mir erst bei unserem Treffen
in der letzten Woche gesagt hat.“
„Etwas sehr Dummes geschrieben.“
„Schlimmer. Ich meine, das wahrscheinlich auch, aber ich habe Unmengen an
Rechtschreibfehler und sinnfreie Sätze in die Email geschrieben. All der Whiskey, der mir den
nötigen Mut gegeben hatte um ihr zu schreiben, hat meine Augen und mein Hirn so benebelt,
dass ich meine Rechtschreibung auf Englisch gesetzt hatte, das Programm darauf keine Fehler
angezeigt hat und ich ihr den größten Müll der Menschheit geschickt habe.“ Patrick konnte
noch immer vor Scharm im Boden versinken. Wie hatte er nur so dumm sein können?
„Sie muss beeindruckt gewesen sein“, lachte Steve.
„Sie konnte sich nicht vorstellen wie jemand eine Geschichte über sieben Jahre und
dreitausend Seiten schreiben konnte, wenn er nicht einmal eine einfach Email schreiben
konnte. Dann las sie das mit dem Whiskey und dachte sich, das könnte der Grund sein. Das
wurde bestätigt als ich ihr meine zweite Email geschickt habe. Die war ohne Fehler und mit
Sätzen, die Sinn ergaben.“ Was für ein Glück dass Kim ihm geschrieben hatte. Sonst wäre er
in ihrem Kopf als verrückter Fan, der nicht schreiben konnte, eingegangen. So war er der
verrückte Fan, der schreiben konnte wenn er nüchtern war.
„Sie wird Ärztin, sie wird Schwachsinn gewohnt sein. Wer weiß was Patienten alles sagen,
wenn sie in die Narkose gehen oder wieder daraus erwachen. Oder wenn sie diese lustigen
Drogen bekommen, die sie von den Schmerzen ablenkt. Lachgas. Meinst du, sie kann uns
davon eine Ladung besorgen? Könnte lustig werden.“
„Lachgas? Das brauchst du nicht. Dich muss man nur kitzeln.“ Patrick pickste Steve in die
Seite, so dass dieser quietschend wegsprang. Beinahe verlor er dabei seine Pizza.
„Lass das!“
„Ich habe über zwei Jahre darauf verzichten müssen dich zu kitzeln.“ Er hatte Steve durch das
ganze Backpacker jagen können. Einfach den Zeigefinger drohend in Steve Seite bewegen
und er lief wie von der Tarantel gestochen.
„Du kannst zwei weitere Jahre anhängen.“
„Können ja, wollen? Nein. Es sei denn, du gehst mit mir zum Fußball.“
„Deinen Scheißverein werde ich sicherlich nicht unterstützen.“ Patrick war Fan des FC
Bayern München, aus sportlicher Sicht war sein Umzug eine gute Sache gewesen. Er konnte
endlich ein Heimspiel sehen.
„Hey, dein Verein sollte noch herkommen. Das ist wahrscheinlich das letzte Mal, dass sie in
der ersten Liga sind, wir sollten zu dem Spiel gesehen, dann kannst du sie aus der Liga
verabschieden.“
„Wir packen den Klassenerhalt.“
„Ja, sicher. Wie war das? Neun Punkte aus zwölf Spielen? Fortuna lässt grüßen, es geht
abwärts.“
„Halt den Mund!“
„Nie mehr erste Liga. Wieder eine Parallele zu Fortuna.“
„Wiederaufstieg. Es kann sich nicht jeder Verein alle gute Spieler der anderen Vereine kaufen.
Für all das Geld, dass dein Verein ausgegeben hat, ist der vierte Platz keine gute Position.“
„Zwei Punkte von der Spitze entfernt, alles ist drin.“
„Eines Tages werden sie absteigen und ich bete zu Gott, dass ich diesen Tag erlebe. Ich werde
ihn zum Feiertag erklären lassen.“
„Du wirst nicht so lange leben.“
„Das werden wir sehen. Fürs erste würde es mit reichen, wenn meine Jungs vor deinem
Verein stehen.“
„Das wird genauso wenig passieren.“
„Sollen wir wetten?“
„Ich gebe deinem Verein zwanzig Jahre um vor meinem zu kommen. Und damit meine ich am
Saisonende nicht am ersten oder zweiten Spieltag der Saison.“ Die Platzierungen der ersten
Tage sagte selten etwas über den Verlauf der Saison aus. Patrick konnte sich nicht erinnern,
wann der FC Bayern München an einem ersten Spieltag auf dem ersten Platz der Tabelle
gestanden hatte. Er konnte sich jedoch an einige Jahre erinnern, in denen sie am Ende der
Saison Meister geworden waren.
„Natürlich Saisonende. Wenn du verlierst schuldest du mit eine Kiste Bundaberg Rum.“
Steves Schwäche. Dieser Rum hatte ihn in Australien mehrmals umgehauen. Alkohol mein
Freund, du reißt mich nieder, aber ich steh auf und sauf dich wieder.
„Sollte ich gewinnen schuldest du mir eine Kiste Jack Daniels.“
„Abgemacht.“ Sie gaben sich die Hand. Patrick musste lächeln. Das war der erste Abend, an
dem er sich richtig wohl in seiner neuen Heimat fühlte. Er saß mit einem alten Freund in
seiner neuen Wohnung, aß Pizza und sie hatten bereits die erste Wette über ihr
Lieblingsstreitthema Sport abgeschlossen. Wenn das kein Grund war um gemeinsam zu dem
Fußballspiel zu gehen. Patrick würde die nächsten Jahre der Bundesliga besonders viel
Aufmerksamkeit schenken. Apropos Bundesliga. Sollte er den gutbezahlten Job finden, dann
würde er sich eine Jahreskarte des FC Bayern München gönnen. So lange würden die Spiele
unbezahlbare Träume sein.

Mit dem Wissen, er hatte endlich soziale Kontakte geknüpft und etwas für seine Karriere
getan machte Patrick sich am nächsten Morgen auf den Weg zur ersten Pension. Steve und er
hatten bis zweiundzwanzig Uhr dagesessen und hatte über die Vergangenheit geredet. Die
Zeit, die sie zusammen im Ausland verbracht hatten, was sie danach gemacht und was sie nun
machen wollten.
Steve hatte Patrick zu einem Treffen am Samstag eingeladen. Er war in einer Kneipe mit
einigen anderen Azubis seiner Verlagshauses verabredet und Patrick sollte mitkommen. Er
konnte nicht nur in der Wohnung sitzen. Patrick hatte seine Zu- oder Absage von dem Erfolg
nach einem Arbeitsplatz abhängig gemacht.
Ausgestattet mit einem Rucksack voller Bewerbungsmaterialen, neuen Bewerbungsfotos,
Zeugniskopien und jeder Menge Optimismus – Zweckoptimismus – ging er los. Seine erste
Adresse war nur ein paar Straßen weiter.
Er kam gerade an der S-Bahn Station an als die S-Bahn in Richtung Süden hielt.
Kurzentschlossen sprang er hinein. Dann würde er unten anfangen und sich langsam zurück
nach Hause arbeiten. Das würde bedeuten, anstatt sich etwas teuere in der Stadt zu kaufen,
konnte er Zuhause etwas kochen. Er hatte noch...ein halbes Pfund Nudeln und zwei Möhren.
Wahrscheinlich würde sein Magen bei der Auswahl lange keinen Appetit anmelden.
Motiviert verließ er die S-Bahn und sah sich um. Da war seine Straße, da würde er nun
anfangen. Lustig, er würde mit dem Ort anfangen, von dem er sich am wenigsten versprach,
da es nur eine kleine Pension war. Seine Chancen sollten in den großen Hotels besser sein.
Aber egal, er war nun hier und würde sein Glück versuchen.
Wenn er besser in der Zeit war, als er dachte, dann würde er vielleicht noch Zeit haben eine
von den Straßen abzulaufen, die er sich für morgen aufgeschrieben hatte. Morgen würden
wieder die Stellenangebote in der Zeitung sein, für die brauchte er einiges an Zeit. Er wollte
alle Stellen direkt am Morgen anlaufen um seine Chancen so hoch wie möglich zu halten.
Sein Blick fiel nach unten. Da blitzte etwas. Oh, eine Münze, ein Euro. Er bückte sich und
hob das glänzende Geldstück auf. Ein gutes Omen? Hoffentlich. Mit einem Lächeln steckte er
es tief in seine Hosentasche. Glück konnte er gebrauchen und wenn es ihm kein Glück
brachte, so hatte er einen Euro mehr in der Tasche.
Er betrat die Pension. Ein heller, offener Raum, links standen einige Sessel, rechts war die
Rezeption. Ein Mann mittleren Alters saß dahinter.
„Guten Morgen. Ich wollte nur einmal fragen, ob Sie vielleicht auf der Suche nach einer
neuen Arbeitskraft sind. Putzen Rezeption, Küche.“ Nicht auf nur einen Bereich beschränken,
er war flexibel, das konnte er sofort im ersten Satz beweisen.
„Ja, kann gut sein.“ Er kramte in einer Ablage herum. „Können Sie das bitte ausfüllen?“
„Sicher.“ Patrick nahm das Formular und setzte sich in einen der Sessel. Es war keine direkte
Absage, die er bekommen hatte. Das war ein Teilerfolg. Er schrieb seine Basisdaten und
Kontaktinformationen nieder. Dann der schlüpfrige Teil: Erfahrungen. Er war weder ein
professioneller Putzer noch gelernte Rezeptzionist. Aber er hatte Erfahrungen. Schließlich
hatte er in den letzten vier Jahren gearbeitet und praktischerweise sowohl als Putzer als auch
als Rezeptzionist.
Mit einem Lächeln gab er sein Formular ab.
„Haben Sie schon mal als Putzer gearbeitet?“
„Ja, in Australien und Neuseeland.“
„Australien und Neuseeland?“ Man konnte dem Mann deutlich ansehen, dass er mit so einer
Antwort nicht gerechnet hatte.
„Ja, ich habe die letzten vier Jahre in Übersee verbracht. Zwei Jahre Australien, ein Jahr
Neuseeland, ein Jahr Kanada. Dort habe ich sowohl in fünf Sterne Jugendherbergen als auch
im gehobenen Motel geputzt und an der Rezeption gearbeitet. Callista ist kein Problem für
mich, sollte Sie über ein anderes Programm verfügen, mit dem Sie Ihre Gästedateien
verwalten, ist dies auch kein Problem. Ich habe Computererfahrungen, habe ein Jahr lang
Internet- und Computerkurse gegeben.“ Hey, sein Lebenslauf hörte sich gar nicht so schlecht
an. Da war etwas aus dem Studium, das mit seinen Erfahrungen im Ausland zusammen
passte.
„Sie haben Sozialarbeit studiert. Wieso nun diese Branche?“
„Die Sozialarbeit bietet derzeit Arbeitsmöglichkeiten hauptsächlich im Bereich der Kinder-
und Jugendfürsorge, ich habe mich auf die Erwachsenenbildung spezialisiert. Meine vier
Jahre im Ausland habe ich dazu genutzt um meinen beruflichen Horizont zu erweitern und in
neue Arbeitsfelder einzusehen. Das, was ich in der Hotel- und Gastronomie gesehen habe, hat
mir sehr gut gefallen. Ich würde gerne sehen, wie ähnlich diese Branchen sind wenn man auf
der anderen Seite der Erde ist.“
„Interessant. Wann könnten Sie anfangen?“
„Wann immer Sie wollen.“
„Ich denke, wir werden uns bei Ihnen Anfang der nächsten Woche melden, Herr Schubert.“
„Danke sehr, Herr?“
„Niedermeyer. Anton Niedermeyer.“
Patrick streckte dem Mann erneut die Hand hin.. „Erfreut Sie kennen gelernt zu haben.“ Ein
weiteres Lächeln. „Auf Wiedersehen.“ Er verließ die Pension und strahlte. Selbst wenn das
eine Absage werden würde, er hatte sich gut verkauft und er hatte auf jeden Fall einen
Eindruck bei dem Mann hinterlassen. Vielleicht reagierten die Menschen nicht so negativ, wie
seine Eltern es ihn immer eingeredet hatten. Vielleicht waren sie beeindruckt, dass er sich vier
Jahre in fremden Ländern durchgeschlagen hatte. Es gab im Grunde keinen Grund negativ
diesem Unternehmen entgegen zu sehen. Er würde am Ende Erfolg haben. Wenn ihn die vier
Jahre etwas gelehrt hatten, dann dass am Ende alles gut wurde. Es wurde vielleicht absolut
anders, als er es geplant hatte, aber es war am Ende zufrieden und es fehlte ihm nichts.

Er hatte sich bei über vierzig potentiellen Arbeitgebern vorgestellt, hatte seine Erfahrungen
aus vier Jahren Ausland zum Besten gegeben, mit seinen Sprachkenntnissen geworben und
Bewerbungsunterlagen ausgefüllt. Was nun daraus werden würde, das würde er im Laufe der
nächsten Tage sehen. Sehr viele Stellen hatten nicht positiv geklungen, vor allem die großen
Hotelketten hatten kommerzielle Putzerfirmen und beschäftigten keine eigenen Putzer.
Zwanzig weitere Hotels und Pensionen standen auf dem Zettel, er würde sie vielleicht heute
noch ablaufen. Was sollte er sonst machen? Ihm war nicht nach in der Wohnung sitzen und
nichts tun, er wollte einen Arbeitsplatz.
Zuerst brauchte er jedoch dringend eine Pause. Er war im Stadtzentrum angekommen und saß
müde und mit schmerzenden Beinen auf der Lehne einer Bank. Fünf Minuten musste er seine
Beine entlasten, wenn er schon das permanente Knurren im Magen unterdrücken sollte, dann
musste er seinen Beinen eine Pause geben.
Sein Geld würde ihn bis zum Jahresende bringen, zusammen mit Hartz IV würde er
überleben, er konnte nur keine großen Sprünge machen. Und früher oder später würde er eine
Krankenversicherung abschließen müssen. Spätestens zu Beginn des neuen Jahres. Und seine
Eltern musste er anrufen, doch das konnte er um eine Woche verschieben, er wollte ungern
mit nur schlechten Nachrichten anrufen. Sie würden es wohl kaum als positiv auffassen, wenn
er ihnen erzählte, dass er im Moment ein Kapitel seiner alten Geschichte pro Tag abtippte und
zusätzlich an neuem Material arbeitete. Das brachte ihn kein Geld. Wobei...er konnte
versuchen die Kurzgeschichten, die er geschrieben hatte, an Zeitschriften zu verkaufen. Man
bekam nicht viel Geld, aber wie lautete dieses Sprichwort? Steter Tropfen hüllt den Stein?
Nein, das hörte sich seltsam an, aber so in etwa lautete das Sprichwort.
Ja, die Zeitschriften. Das würde ein neuer Punkt auf seiner Liste werden. Er würde all diese
Klatsch- und Tratschmagazine durchsehen, sich wahrscheinlich lächerlich machen wenn er all
diese Frauenmagazine durchsah um nach Adressen für seine Kurzgeschichten sehen. Nur auf
den Weg zum Erfolg und Geld konnte er auf solche Nebensächlichkeiten wie Ansehen keine
Rücksicht nehmen.
„Hi Patrick.“
Überrascht sah er auf. „Kim.“
„Was machst du denn hier? Das Wetter genießen kann es nicht sein.“ Es war kalt, kaum zehn
Grad und der Wind ließ die gefühlte Temperatur einige Grad kälter sein. Nein, das Wetter lud
nicht zum draußen sitzen ein.
„Eine Pause.“
„Wieso in der Kälte? Willst du dir eine Erkältung einfangen? Was hältst du davon wenn wir
einen Kaffee trinken gehen? Ich habe Pause und wollte mir einen Kaffee und etwas zu essen
holen. Da vorne ist ein nettes Bistro.“
Er hatte sich etwas verdient und er hatte sich auf etwas zu essen gefreut. Sparmaßnahme hin
oder her, wenn Kim ihn fragte, ob er mit in ein Bistro wollte, dann würde er sicherlich nicht
ablehnen.
„Hört sich gut an.“ Sie schlenderten in das Bistro auf der gegenüberliegenden Straßenseite.
Patrick hatte gar nicht realisiert, dass er sich in unmittelbarer Nähe zum Herzzentrum befand.
Es lag Zentral in der Münchener Innenstadt und er war nur ein paar hundert Meter von Kims
Arbeitsplatz weg.
„Wieso bist du nicht im Krankenhaus? Habt ihr keine Cafeteria?“
„Haben wir, nur manchmal möchte man etwas anderes essen. Sie haben einen sehr guten Salat
hier.“ Kim ging zum Tresen und bestellte einen Salat und einen Orangensaft. Patrick entschied
sich für einen Thunfischsalat und eine Cola. Er brauchte Koffein um seine Lebensgeister zu
wecken.
„Wie erfolgreich ist die Arbeitssuche?“, fragte Kim nachdem sie sich mit ihrem Essen an
einen kleinen Tisch gesetzt hatten.
„Erfolg und Arbeitssuche sollte man nicht im gleichen Satz gebrauchen. Ich habe bisher nur
Absagen und keine Zusage. Es gibt einige Stellen, bei denen ich noch hoffe, nur zugesagt hat
keiner. Ich werde gleich zwanzig weitere Stellen ablaufen und dann morgen weiter mein
Glück versuchen.“ Er ließ den Thunfisch auf der Zunge vergehen. Essen. Gutes Essen. Er
musste besser einkaufen. Auf Dauer würde seine einseitige Ernährung auf seine Gesundheit
schlagen. Mangelernährung durch zu viele Nudeln und zu wenig Vitamine.
„Liest du Magazine?“
„Magazine? Was für eine Art von Magazin? Generell oder bestimmte?“
„Ein Magazin, in dem Kurzgeschichten von Lesern veröffentlich werden.“
„Versuchst du nun als Schriftsteller Geld zu verdienen?“ Sie klang nicht amüsiert, wie das
viele seiner Freunde getan hatte, als er vor Jahren einmal erwähnte, er würde gerne eine
Kurzgeschichte an eine Zeitschrift verkaufen. Daraufhin hatte er nicht nur dieses Unterfangen
aus seinem Plan gestrichen, sondern auch aufgehört, Leute von seinem Hobby zu erzählen.
Das hatte er erst wieder im Ausland angefangen, wo er auf mehr Begeisterung gestoßen war
als in seiner Heimat. Konnte es sein, dass Leute mit einer offenen Weltanschauung eher im
Ausland zu finden waren? Wahrscheinlich, als eine engstirnige Person würde man sicherlich
kein Interesse daran haben fremde Länder zu erkunden.
„Ich klammere mich an jeden Strohhalm. Man bekommt nicht viel für diese Kurzgeschichten,
doch wenig ist mehr als nichts.“
„Wir haben sehr viele Zeitschriften in der Klinik liegen, wenn du willst, dann kannst du
mitkommen und dich da umsehen.“
„Könnte ich das morgen oder übermorgen machen? Ich will erst mein Tagespensum an den
anderen Bewerbungen zu enden bringen. Das ist die Sache, die mir Geld bringen würde.“ Er
hasste es das Angebot abzulehnen, seine Verstand zwang ihn jedoch dazu. Er hatte diesen
ignoriert als es um das Essen hier ging, er konnte ihn nicht zweimal ignorieren.
„Klar, kein Problem, wann immer du willst. Wie viele Adressen hast du?“
„München ist voller Möglichkeiten, ich habe noch für zwei Tage Adressen zwischen
Innenstadt und Hasenbergl, sowie die näheren Bezirke. Wenn das nichts bringt, dann werde
ich de Suche ausweiten und einen weiteren Anfahrtsweg in Kauf nehmen oder einen erneuten
Umzug.“
„Du hängst nicht an deiner Wohnung? Noch nicht eingelebt?“
„Nein.“ Er lachte. „Es sieht aus wie am ersten Tag des Einzugs. Ich habe kaum Sachen da und
meine Regale sind leer. Ich sage mir immer, wenn ich mal einen richtigen Job habe und
umgezogen bin in eine Wohnung, die man Wohnung nennen kann, dann werde ich mir Sachen
in meine Wohnung stellen.“ Sachen, die man in eine Wohnung stellen konnte, hatte er zu
Genüge bei seinen Eltern gebunkert. Es war der ausreichende Platz, der fehlte und nicht die
Dekorationen.
„Du solltest in einen schöneren Bezirk ziehen.“
„Ich überlege bereits mich mehr in den Süden zu verlegen, aus München raus, in Richtung
Alpen. Da sollte langsam das Wintergeschäft anfangen und das könnte mehr Chancen für
mich bedeuten.“
„Das wäre ein kurzes Gastspiel gewesen.“
„Ja.“ Er hasste den Gedanken erneut umzuziehen, nur was sollte er machen? Er konnte nicht
in München bleiben nur weil es München war und es ganz nett war. München war zu teuer
um einfach so dazubleiben.
„Du wirst etwas finden, da bin ich mir sicher. Hast du deine Geschichten mal an Verlage
geschickt?“
„Nein.“ Er unterdrückte ein Lachen.
„Sag das nicht als wenn ich dir etwas völlig unsinniges gesagt hätte. Du hast Talent, du kannst
es versuchen. Du willst Kurzgeschichten verkaufen, was spricht gegen ganze Bücher? Du
weißt nicht ob du erfolgreich bist bis du es versucht hast.“ Sie sah ihn ernst an.
„Du scheinst meine Geschichte wirklich zu mögen.“
„Sie ist süß.“
„Süß hört sich nicht gut und vielversprechend erfolgreich an.“ Eher nach einer lustigen
Abendbeschäftigung, eine runde Mikado.
„Süß bedeutet, ich wage zu bezweifeln, dass all das so passieren könnte, aber es ist eine
Geschichte, keine Faktensammlung oder ein historisches Buch. Leser von Romanen bringen
ein Mindestmaß an Fantasie und Toleranz mit, sonst würden sie keine Romane lesen. Die
meisten Romane sind, wenn man sie kritisch betrachtet, irreal.“
„Wie viel Toleranz und Fantasie brauchtest du für mein Kapitel?“ Er hatte ihr am gestrigen
Abend alle dreißig Seiten über Sonja geschickt. Das komplette Kapitel.
„Nicht viel, ich hatte bereits ein gutes Bild von Sonja. Nur dieses alte Industriegebiet, ich
denke, die Behörden würden es in den Griff bekommen. Andererseits, wenn kein Interesse der
Öffentlichkeit an dem Gelände und der Gegend besteht, wer weiß, vielleicht würde man es
wirklich so verkommen lassen. Sharby ist nicht gerade in einer Gegend, in der die Leute
unbedingt wohnen wollen.“
„Nein.“ Sein fiktiver Ort in Kalifornien, Sharby, lag zwischen den beiden großen
Nationalparks Yosemite und Kings Canyon und der Küste zum Pazifik. Eine Kleinstadt mit an
den zehntausend Einwohnern und Problemen mit Gangs und Drogen.
Das besagte alte Industriegebiet befand sich nördlich von der Stadt und war verlassen, da die
Firmen, die einst dort ansässig waren, entweder Bankrot gegangen waren oder an einen
anderen Ort gezogen waren. Es war der Ort für Jugendliche um an Drogen zu kommen,
illegale Feten zu feiern oder in leerstehenden Gebäuden zu übernachten.
„Wieso Geld für das Abreißen von Gebäuden ausgeben wenn man sie einfach verfallen lassen
kann? Wenn niemand Interesse an dem Land hat, dann wäre das Geldverschwendung.“
„Eben“, stimmte Kim ihm bei. Es gab in München auch Gegenden, in denen Gebäude
verlassen und heruntergekommen seit Jahren leer standen. So lange niemand das Gelände
aufkaufte und aufräumte würde es so bleiben.
„Du hast das Kapitel komplett gelesen?“
„Ja, sehr schnell überflogen, denn es war bereits spät. Die Neugierde hat mich jedoch nicht
schlafen lassen. Immerhin ist das das Kapitel, das für mich am interessanten sein sollte. Ich
werde es heute noch einmal in Ruhe lesen. Ich weiß, Sonja hat überlebt.“
„Das wusstest du vorher, sie wird Psychologin.“
„Deswegen musste ich mich nicht einmal aufregen als sie bewusstlos auf der Matratze lag. Ich
wusste, sie würde überleben.“
„So ging es mir mit dir, also als Sonja, damals auch. Ich hatte gesehen, du warst in der
nächsten Woche in der Vorschau zu finden. Also, egal was passierte, du würdest überleben.“
„Es war, glaube ich, nicht so tragisch.“
„Sonja war recht Codein abhängig, Frau Doktor.“ Er sah sie leicht tadelnd ab. Und er hatte
Codein in seiner Erkältungsmedizin in Australien gehabt. Sein Blick, als er dies auf dem
Beipackzettel gelesen hatte, war voller Entsetzen. Er musste mal nachforschen, wie gefährlich
Codein wirklich war.
„Ich bin mir sicher, sie hätte die Kurve bekommen. Zumindest bis Kim mit dem Studium
angefangen hatte. Dann hätte sie vielleicht einen Rückfall erlitten oder wäre abgehauen nach
München um besser an Drogen zu kommen.“
„Keine ewige Karriere im Seifenoperngeschäft?“
„Nein. Ich denke, selbst wenn die Serie erfolgreich gewesen wäre, ich hätte mein Studium
niemals deswegen abgesagt oder nach hinten verschoben. Vielleicht hätte ich die ersten
Semester versucht beides zu machen, Prioritäten hätten aber auf dem Studium gelegen.“
„Selbst wenn du Millionen von Fans gehabt hättest? Fans, die dir zu Füßen gelegen hätten
und dich auf Schritt und Tritt verfolgt hätten? Ein plötzliche Boom an Bewerbungen an deiner
Universität.“
„Das hört sich schrecklich an, mehr nach Stalking.“ Sie legte den Kopf schief. „Ich hätte dich
als Stalker abstempeln können. Die Serie war über ein Jahrzehnt von der Bildfläche
verschwunden und plötzlich bekomme ich deine Email.“
„Wenn du deine Adresse offen im Internet hast darfst du dich nicht wundern. Menschen
erinnern sich manchmal an andere Menschen, die sie beeinflusst haben. Oder inspiriert.
Hättest du nicht geantwortet hätte ich dir keine weitere Mail geschrieben. Bereust du deine
Antwort bereits?“
„Nein.“ Sie legte ihre Hand kurz auf seine. „Nein, ich muss sagen, ich habe sowohl unsere
Emails als auch deine Geschichte und nun hier deine Gesellschaft sehr genossen,
beziehungsweise, genieße sie. Ich fühle mich nicht bedrängt oder verfolgt.“
„Gut.“ Er schob den leeren Teller von sich. Nun fühlte er sich besser. In wenigen Minuten
würde all der Salat in seinem Magen angekommen sein und das Hungergefühl sollte vorüber
sein.
„Also, was stellst du schönes an wenn du nicht gerade deine Geschichte abtippst oder nach
einem Job suchst?“
„Ich habe mich mit einem Freund getroffen, den ich damals in Australien kennen gelernt habe
und mit dem ich reisen und arbeiten war. Er arbeitet – praktischerweise – bei einem
Buchverlag. Ist leider erst im ersten Ausbildungsjahr. Sobald er fertig ist, wird er mein
persönlicher Lektor und kann versuchen meine Werke in seinem Verlag unter zu bringen.“
„Du willst nicht ernsthaft warten bis er die Ausbildung beendet hat, oder?“
„Ich könnte es versuchen...“
„Versuche es!“
„Okay, ich werde ihm den ersten Teil meines Krimis schicken, er soll ihn korrigieren und
dann schicke ich ihn an Verlage.“
„Gut.“ Kim sah auf ihre Uhr. „Ich muss los, meine Pause ist gleich vorbei. Komm morgen
oder übermorgen vorbei und sieh dich in den Zeitschriften nach Adressen für Kurzgeschichten
um.“
„Bekomme ich keinen Ärger?“
„Du kannst ihnen sagen, ich habe es dir erlaubt.“
„Du hast so großen Einfluss, dass die Oberschwester mich gewähren lässt?“ Ein Starbonus?
„Probiere es aus.“ Sie zwinkerte ihm zu.
„Werde ich.“
„Nachfragen und probieren sind kostenlos.“ Sie klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter.
„Ich drücke dir die Daumen.“
„Danke.“ Er kramte seine Liste aus der Tasche. Dann würde er weiter ein paar Klinken putzen
und später, wenn er wieder Zuhause war, Steve eine Nachricht schicken und ihn bitten seinen
Krimi Korrektur zu lesen. Das bedeutete, morgen oder übermorgen musste er wieder in die
Bücherei, denn er musste nach Adressen von Verlagen recherchieren.
Irgendwas musste klappen, wenn es nicht in der Tourismus- und Gastronomiebranche war,
dann vielleicht als Schriftsteller. Ob er bei Zeitungen anfragen sollte und ihnen anbieten
sollte, sie könnten ihn als freien Mitarbeiten zum Thema Reisen, Arbeiten und Work & Travel
in Australien, Neuseeland und Kanada haben. Wenn er ein paar Artikel verkaufen konnte,
dann würde ihn das etwas weiterhelfen. Tageszeitungen, Reisemagazine...er würde einen
langen Nachmittag in der Bücherei verbringen. Doch zuerst würde er sich auf die Adressen
konzentrieren, die er bereits hatte. Wenn es regnete war genug Zeit um in der Bücherei zu
sitzen.

Kapitel 3
Regen kam im November in Deutschland öfters vor. Als Patrick am nächsten Morgen
aufbrach fand er sich im Regen wieder. Sehr starken Regen. Schimpfend, weil er keinen
Regenschirm besaß, zog er seine Kapuze tiefer ins Gesicht. Hoffentlich war sein Rucksack
regensicher, seine Unterlagen waren nicht in Plastik gepackt.
Er wollte die Straßenbahn nehmen, entschloss sich dann jedoch dagegen. Er musste Geld
sparen. Selbst wenn es regnete, er konnte diese zwanzig Minuten zur Bücherei laufen. Nass
würde er so oder so werden.
Er konnte versuchen sich bei Pizzarien und Pommesbuden zu bewerben, die Fast Food Ketten
waren eine weitere Aussicht auf Geld. Oder all die Stellen, bei denen er sich als Sozialarbeiter
beworben hatte, erneut mit seiner Bewerbung nerven. Dazu ein paar, die nicht in seinen
Bereich passten, aber vielleicht trotzdem Interesse haben konnten. Er musste...
Es machte KLATSCH seine Hose war nass. Der rote Mercedes war in die Pfütze eingetaucht
und hatte ihm eine kostenlose Dusche verpasst. Natürlich fuhr der Fahrer weiter. Patrick
versuchte sich das Kennzeichen zu merken, nur bis er so weit gedacht hatte, war das Auto
schon fast weg.
Er wollte gerade anfangen zu fluchen als sein Handy klingelte. Wie es gehörte kam alles auf
einmal. Mit spitzen Fingern griff er in die Tasche und zog es heraus.
„Hallo?“
„Patrick Schmidt?“
„Ja.“
„Hier ist Anton Niedermeyer vom Kleinen Stübchen.“ Oh ja, er erinnerte sich. Die erste
Stelle, auf die er sich beworben hatte. Diese kleine Pension am äußeren Ende der Innenstadt,
schon in Moosach gelegen.
„Wie geht es Ihnen?“
„Sehr gut, danke. Ich frage mich, ob Sie noch Interesse an einem Arbeitsplatz bei uns haben.“
Interesse? Das war eine nette Umschreibung für seine Verzweifelung.
„Natürlich!“
„Sind Sie gerade in der Nähe, könnten Sie vorbeikommen?“
„Ich bin in der Nähe, ja, müsste nur in die S-Bahn. Leider wurde mir gerade eine Dusche von
einem Auto spendiert.“
„Ein weiterer Grund wieso Sie nicht draußen sein sollten. Kommen Sie einfach her.“ Der
Mann hatte gut reden, er konnte nicht sehen wie Patrick aussah.
„Einverstanden. Ich bin unterwegs. Bis gleich.“
„Bis später.“
Patrick sah sich um. Da vorne war die nächste S-Bahn Haltestelle. Sollte er wirklich in diesem
Aufzug zu Herrn Niedermeyer gehen? Er hatte ihn vorgewarnt, dieser hatte ihm trotzdem
gesagt, er solle kommen...
Da war die S-Bahn in Richtung Stadt! Er rannte los um es noch zur Haltestelle zu schaffen.
Anstatt um die große Pfütze herum zu laufen sprang er mitten hinein. Nass waren seine Füße
sowieso, da machte das keinen Unterschied mehr. Wichtig war die Straßenbahn. Seine letzte
Fahrt, die er noch auf der Karte hatte. Aufgrund seiner nassen Sachen beschloss er stehen zu
bleiben. Es waren nur fünf Haltestellen.
Unter dem kritischem Blick einer älteren Dame verließ er die S-Bahn. Sie hielt ihn
wahrscheinlich für einen heruntergekommenen Kerl, der unfähig war sich ordentlich
anzuziehen. Verübeln konnte er ihr diesen Gedanken nicht, so wie es aussah. Nasse Jeans
waren ekelig.
Zwei Straßen weiter war das „Gemütliches Stübchen“. Mit einem letzten Seufzer und der
Befürchtung, er würde die einzige Chance auf einen Job, die er bisher gehabt hatte, wegen
seines Augzuges verlieren, betrat er die Pension.
Anton Niedermeyer stand hinter der Rezeption. Er war ein Mann von etwa einsachtzig, in den
Fünfzigern und seine grauen Haare waren rar auf dem Kopf gesät. Erstaunen und Entsetzen
machten sich in seinem Gesicht breit als er Patrick sah.
„Herr Schmidt, Sie sind wirklich nass geworden.“
„Das habe ich ja gesagt. Ein Auto ist in hoher Geschwindigkeit in eine tiefe Pfütze, ich war
auf dem Bürgersteig und habe eine Dusche bekommen.“
„Haben Sie sich das Kennzeichen gemerkt?“
„Dazu war das Auto zu schnell. Mercedes, Münchener Kennzeichen, mehr weiß ich nicht.“
„Kommen Sie, wir setzen uns neben den Kamin.“ Er führte Patrick in den Speiseraum, in
dessen Mitte ein Kamin stand, in dem das Feuer loderte.
Rund zwanzig Tische aus rustikalem hellen Holz standen im Speiseraum. Lampen mit
Glasverzierungen hingen von der Decke, an den Wänden waren die Holzstühle durch Bänke
ersetzt. Blau-weiße Tischdecken waren auf allen Tischen verteilt, ebenso Kerzen, Salz- und
Pfefferstreuer und Besteck lag bereit.
Steinfliesen waren auf dem Boden verlegt, die Wände waren aus Stein und mit groben Putz
waren Muster hinterlassen. Einige Bilder von der Pension und München hingen an der Wand.
Ein älteres Ehepaar saß an einem Tisch und unterhielt sich, während sie Kaffee und Kuchen
zu sich nahmen.
„Setzen Sie sich ans Feuer, Sie sollten bei diesem Wetter nicht mit nassen Sachen
herumlaufen.“
„Das war ungefähr fünf Sekunden vor Ihrem Anruf passiert. Weil Sie sagten, ich solle
herkommen, bin ich nicht zurück nach Hause um mich umzuziehen. Andernfalls würde ich
bei diesem Wetter nicht mit nassen Sachen durch die Gegend laufen. Wir haben keine dreißig
Grad.“
„Nein, davon sind wir weit weg. Bald werden wir den ersten Schnee haben.“
„Ja, ich muss mich erst wieder an weiße Weihnachten gewöhnen.“ Das war keine Sache, an
die er sich gerne wieder gewöhnen würde.
„Hatten Sie keine in Kanada?“
„Ich war ein Feigling, hatte über Weihnachten frei und bin runter nach Mexiko geflogen.
Ehrlich gesagt bin ich eher ein Wärmemensch und deswegen bin ich dem kalten Dezember
gerne entflogen.“
„Das heißt, Sie haben wie lange keine kalten Weihnachten mehr gehabt?“
„Fünf Jahre.“
„Ist es nicht seltsam wenn Weihnachten warm ist? Ich meine, keinen Schnee, das kennt man,
aber Hitze? Und dann vielleicht am Strand.“
„Es ist etwas anderes. In Australien hatte ich immer über dreißig Grad an Weihnachten, da
waren wir am Strand, konnten die ganze Nacht draußen sitzen und grillen. Eine sehr schöne
Zeit.“
„Wieso sind Sie wieder nach Deutschland gekommen?“
„Meine vier Jahre waren um. Verlängerungen bekommt man nicht, einige Zeit habe ich mit
den Gedanken eines Antrags für eine Dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung gespielt. Das habe
ich dann aufgegeben. Es war wunderschön, ich hätte gerne noch einmal vier Jahre
angehangen, doch für immer in einen dieser Länder bleiben, das wollte ich dann doch nicht.
Selbst wenn man es nicht merkt, man vermisst seine Familie.“
„Sie sind nicht aus Bayern.“
„Nein, ich bin aus NRW.“
„Sie sind somit wieder von Ihrer Familie weg.“
„Das stimmt. Zu nah an Zuhause wollte ich nicht sein, ich kenne alles im Umkreis von
Paderborn. Ich dachte mir, wenn ich in Deutschland bleibe, dann möchte ich etwas ganz
Neues entdecken. Ich war nie zuvor in München, alle haben von dieser Stadt geschwärmt also
habe ich beschlossen, sie kennen zu lernen.“ Er verschwieg seine Theorie, dass Bayern nicht
ein wahrer Teil von Deutschland war, er somit im Ausland war ohne ein Visum zu brauchen.
Die Leute aus seiner alten Heimat hätten das verstanden, bei den Leuten in München war er
sich nicht sicher.
„Was haben Sie gelernt?“
„Sozialarbeit und Sozialpädagogik.“
„Wieso arbeiten Sie nicht in dem Beruf? Ich glaube, das hatte ich Sie bereits einmal gefragt.“
Ja, das hatte er. Die Gretchenfrage. Sollte er ihm die Wahrheit erzählen? Er hatte es versucht
und war kläglich gescheitert, deswegen versuchte er nun in einem anderen Bereich etwas zu
bekommen. Und er war verzweifelt, dass er kaum eine Grenze machte, so lange es Geld
brachte und seinen Moralvorstellungen entsprach, die glücklicherweise meistens mit dem
Gesetz übereinstimmten.
„Es scheint nichts in meinem Bereich, der Erwachsenbildung, zu geben. Und ich hatte sehr
viel Freude in der Tourismus- und Gastronomiebranche in den vier Jahren, da dachte ich mir,
ich versuche mein Glück damit. Beides hat mit Menschen zu tun.“
„Stimmt, Sie sind in beiden Bereichen in der Dienstleistung tätig.“
„Ja.“ Patrick rutschte etwas vom Feuer weg. Seine Jeans wurde zwar trockener, aber wenn er
nicht aufpasste, dann würde er sich verbrennen. Die Wärme war zu verführerisch.
„Kommen wir zum Punkt wieso Sie hier sind. Sie haben derzeit noch Interesse an einem
Job?“
„Ja.“ Er war noch immer verzweifelt. Im Prinzip wuchs die Verzweifelung von Tag zu Tag, er
war heute demnach interessierter an dem Job als vor einer Woche.
„Wann können Sie arbeiten.“
„Wann immer Sie mich brauchen.“ Jetzt sofort oder nachdem er eine trockene Hose
bekommen hatte. Er hatte keine bestimmten Zeiten, an denen er nicht arbeiten konnte.
„Es geht auf Weihnachten zu, wir werden mehr zu tun haben. Unsere Rezeption öffnet um
sieben Uhr und ist bis zweiundzwanzig Uhr geöffnet. Die Frühschicht bedeutet, Sie müssen
um halb sieben hier sein, die Türen öffnen, Lichter anschalten, bei den Vorbereitungen für das
Frühstück helfen und dann ab sieben an der Rezeption zur Verfügung stehen. Nebenbei darauf
achten, dass keine Sachen beim Frühstück fehlen. Ab zehn Uhr würden Sie zu den
Reinigungskräften wechseln. Deren Arbeitszeit variiert natürlich je nachdem wie viele
Zimmer gereinigt werden müssen. Danach würde es zurück zur Rezeption gehen, Dienstende
ist fünfzehn Uhr. Die Spätschicht fängt um vierzehn Uhr dreißig mit Rezeption und Übergabe
an. Ab siebzehn oder achtzehn Uhr würden Sie möglicherweise in der Küche aushelfen, bis
um zwanzig Uhr, zurück an die Rezeption und ab zweiundzwanzig Uhr für eine halbe Stunde
alles schließen, Lichter ausschalten, abschließen, Abrechnungen machen.“
„Hört sich gut an.“
„Wann könnten Sie anfangen?“
„Morgen.“
„Ich werde Ihnen unsere Unterlagen mitgeben, Sie können sie ausfüllen, morgen
wiederbringen und dann denke ich, können Sie am Montag anfangen. Das gibt meiner Frau,
die sich um die Büroangelegenheiten kümmert, etwas Zeit alles zu regeln. Wäre das in
Ordnung für Sie?“
„Mehr als in Ordnung, das wäre perfekt.“ Patrick musste sich zurückhalten um nicht zu sehr
zu strahlen. Er hatte einen Job gefunden. Einen, der ihn acht Stunden am Tag beschäftigen
würde.
„Da wir eine Pension mit angeschlossenen Restaurant sind, ist Ihnen hoffentlich klar, dass wir
Ihnen kein geregeltes Wochenende anbieten können. Sie haben zwei Tage in der Woche frei,
es wird eher selten ein Wochenende sein.“
„Das ist kein Problem. Es gibt niemand, der auf mich am Wochenende wartet. Den einzigen
Menschen, den ich kenne, ist Auszubildender, mit ihm kann ich mich auch in der Woche
treffen.“ Da Patrick sowieso kein Typ für lange Diskonächte war, machte ihn es wenig aus
wenn er am Wochenende arbeiten musste. „Und eine Ärztin...angehende Ärztin...“ Wieso
erwähnte er nun Kim?
„Ihre Ärztin ist wahrscheinlich an den Wochenenden selber im Dienst.“
„Ja.“ Seine Ärztin? Kim war nicht seine Ärztin. Kim war...er konnte sie nicht einmal Freundin
nennen, denn sie waren nicht befreundet. Wenn, dann waren sie Email Freunde, denn über das
Internet hatten sie all die Monate Kontakt gehabt, darüber hatten sie noch immer mehr
Kontakt als alles andere. Diese beiden Male, die sie sich getroffen hatten, das letzte Mal war
ein glücklicher Zufall gewesen. Nein, er konnte Kim nicht eine Freundin nennen. Er hoffte, er
konnte es eines Tages, im Moment war sie eine Bekannte.
„Oh, da ist meine Frau. Miriam, das ist der junge Mann, von dem ich dir erzählt habe.“ Eine
Frau, die Patrick auf Ende vierzig schätzte, kam zu ihnen. Sie hatte schulterlanges, gelocktes,
dunkelbraunes Haar und lächelte ihn an.
„Der Weltenbummler.“
„So hat das meine Mutter auch gesagt, nur war ihr Unterton nicht so freundlich“, grinste
Patrick und reichte der Frau seine Hand. „Patrick Schmidt.“
„Miriam Niedermeyer. Eine Mutter sieht ungern wenn ihr Sohn für Jahre in einem anderem
Land verschwindet. Und laut meines Ehemannes waren Sie nicht in der Umgebung, es hat Sie
gleich ans andere Ende der Erde gezogen.“
„Man kann diese langen Touren nur machen wenn man jung ist, später, wenn ich alt bin, dann
kann ich mich in Europa und Deutschland umsehen. Dann, wenn ich aus gesundheitlichen
Gründen keine vierundzwanzig Stunden mehr im Flieger sitzen kann.“
„Da haben Sie recht. Ich würde es nicht anders machen. Und nun sind Sie in München.“
„Ja, ich bin in Deutschland geblieben, wie es sich meine Familie gewünscht hat, aber habe
beschlossen, ich werde eines Stück meines Heimatlandes erkunden. Da ich noch nie in
München gewesen bin, ist das wie Sydney, Auckland oder Vancouver. Nur dass ich hier nicht
Englisch sprechen muss.“
„Wir werden sicherlich den einen oder anderen englischen Gast haben, dann können Sie Ihre
Sprachkenntnisse anwenden.“
„Hoffentlich.“ Er hatte bereits befürchtet, er würde all seine Sprachkenntnisse, die er sich in
den vier Jahren angeeignet hatte, wieder verlieren, da er kein Englisch mehr sprechen würde.
Als Notlösung hatte er bereits die VHS im Auge. Er hatte nicht einmal ein Zertifikat über
seine Englischkenntnisse, er konnte den Kurs für den IELTS, das International English
Language Testing System, besuchen und ein IELTS Zertifikat erwerben oder das Cambridge
Zertifikat. Das sollte ihn in der Sprache halten. Hinzu kamen die Emails an all die Leute, die
er in den vier Jahren kennen gelernt hatte und mit denen er noch im Kontakt stand. Wenn er
erst seine DSL Flat hatte, dann konnte mit denen chatten und eventuell über das Internet mit
Kamera und Mirkofon reden.
„Normalerweise haben wir internationale Gäste. Wann können Sie anfangen?“
„Ihr Mann sagte, ich solle Montag anfangen.“
„Er wollte bereits morgen anfangen.“
„Dieses Wochenende sollten wir genug Leute haben, ab Montag wäre gut, ja. Dann können
wir Sie an der Rezeption anlernen. Und Bärbel kann Sie mit zu den Reinigungskräften
nehmen. Sie sind der einzigen Mann unter vier Frauen.“
„Ich finde, das hört sich gut an.“
„Sie werden Ihren Spaß haben. An der Rezeption werden Sie sich mit uns abwechseln...“
„Meine Frau freut sich bereits darauf endlich mal wieder einen freien Nachmittag mit mir zu
verbringen. Wir hatten seit März keinen gemeinsamen freien Nachmittag mehr.“
„Es wird mir eine Freude sein Sie in die Freizeit zu entlassen. Das gleiche habe ich in Kanada
gemacht. Ich habe in einem Motel gearbeitet und das Ehepaar, das das Motel besaß, war jeden
Tag anwesend, arbeitete und hatte keine gemeinsame Zeit. Ich habe ihnen zwei freie
Nachmittag in der Woche verschafft. Das hat den beiden sehr gut getan und meinem
Bankkonto auch.“
„Das ist ein sehr gutes Thema. Was haben Sie sich als Verdienst vorgestellt?“
Patrick war kurz davor zu fragen: In Euro? Er hatte ewig nicht mehr über Stundenlöhne in
Euro nachgedacht. Wenn er an seinen letzten Job zurück dachte, da hatte er umgerechnet zehn
Euro die Stunde bekommen. Er wusste, das war kein guter Stundenlohn, vielleicht sollte er
seine Vorstellung höher ansetzen. Zu hoch würde jedoch seine potentiellen Arbeitgeber
verschrecken.
„Wenn ich elf Euro netto verdienen würde, wäre ich zufrieden.“
„Ich kann Ihnen genauer sagen, was Sie netto bekommen, wenn Sie mir Ihre Unterlagen
gegeben haben“, sagte Miriam Niedermeyer.
„Ich bringe Ihnen die Unterlagen morgen wieder, das ist kein Problem.“
„Gut, dann will ich die Unterlagen mal holen und dann zurück an die Arbeit gehen. Anton,
kannst du später nach dem Licht im Treppenhaus sehen? Eine der Glühbirnen flackert.“
„Mache ich.“ Er sah Patrick an. „Wer weiß, vielleicht werden wir Sie auch als Hausmeister
einsetzen. Ich denke, Sie werden einen sehr abwechselungsreichen Arbeitsplatz haben.“
„Das ist gut. Ich bin lieber sehr beschäftigt als gelangweilt.“ Das war nicht gelogen. Er hatte
bei seinen Arbeitsplätzen immer lieber die Positionen eingenommen, an denen er viel laufen
musste, wo er ununterbrochen arbeiten konnte und nicht erst warten musste, bis neue Arbeit
da war oder jemand ihm etwas Neues auftrug. Wenn man in einem flotten Tempo arbeitete,
dann vergingen die acht Stunden wie im Fluge.

„Steve, was machst du morgen Abend?“ Patrick war nach dem Gespräch beschwingt nach
Hause gegangen, hatte heiß geduscht, seine nassen Sachen im Badezimmer aufgehangen und
war in warme, trockene Sachen geschlüpft. Er brauchte eine Waschmaschine, fiel ihm dabei
ein. Bis er sich die leisten konnte, würde er einen Waschsalon brauchen. Seine Sachen waren
alle dreckig oder nass und er musste dringend waschen. Die gelben Seiten hatte ihm einige
Waschsalons in der Umgebung aufgelistet.
Mit dem Telefon und einem Tee war er ins Bett geklettert, er musste jemand die gute
Botschaft überbringen. Einen Job. Er hatte endlich eine Arbeitsstelle gefunden. Nach all den
Suchen, Laufen und Enttäuschungen.
„Das kommt darauf was du mir anbieten kannst. Im Moment habe ich ein Date mit einem
Buch. Es stehen zwei Prüfungen vor Weihnachten an und ich versuche wenigstens ab und zu
einen Blick in die Bücher zu werfen.“
„Eine kleine Feier. Rate, wer einen Job hat.“
„Endlich! Herzlichen Glückwunsch! Wo wirst du denn anfangen? In welchem vornehmen
fünf Sterne Hotel? Meinst du, du kannst mir einen Rabatt rausschlagen? Unter Freunden,
wenn ich mal ein Mädchen beeindrucken will.“
„Kein Hotel, eine Pension. Und fünf Sterne wird sie auch nicht haben. Das war die Pension,
von der ich dachte, ich würde niemals einen Job bekommen, da sie zu klein ist. Wie das
Leben einen besseres lehren kann. Die Besitzer scheinen sehr nett zu sein, er rief mich heute
an, als so ein doofer Mercedes-Arsch mich auf dem Gehweg geduscht hatte. Ich bin
pitschnass hin und habe den Job bekommen.“
„Wann fängst du an?“
„Montag.“
„Du bist ein kleiner Putzer?“
„Ich bin Putzer, an der Rezeption und in der Küche. Meine Arbeitstage sollten sehr
abwechselungsreich werden. Genau das, was ich liebe.“
„Du hast ein Händchen für abwechselungsreiche Berufe. Ich kann mich daran erinnern als wir
zusammen die Zitronen gemacht haben, ich stand brav an der Kartonlinie und habe gestapelt
während du gestapelt, sortiert, gepackt, gestempelt und was es sonst zu tun gab, gemacht hast.
Die Chefs scheinen dich gerne vielseitig einzusetzen.“
„Ich kann nichts richtig, aber vieles halb“, lachte Patrick. Er hatte sich öfters gefragt, ob es
positiv oder negativ war, dass seine Chefs ihn laufend von der eigentlichen Arbeit abzogen
um ihn etwas anderes zu geben. Machte er seinen Job nicht gut genug oder war er talentiert,
dass er alles machen konnte, was anderem nicht zugetraut wurde. Manchmal hatte er
beschlossen es positiv zu sehen, manchmal war er nicht sicher, ob die anderen nicht einfach
besser waren und er deswegen etwas anderes machen musste.
„Ein Man mit vielen Talenten. Wir feiern also?“
„Eine Stunde oder zwei. Ich will dich nicht von deinem Bücherdate fernhalten. Immerhin
hängt von deinen Noten auch meine Zukunft ab. Nur als guter Lektor kannst du mich reich
und berühmt machen.“
„Ich werde mir Mühe geben. Deine Berühmtheit wird mein Einkommen sein.“
„Eben. Zwei Stunden, wir können uns einen Film ansehen, ich habe ein paar hier.“
„Ich war auf einer Netzwerkparty, meine DVD Spindel ist voller Schätze.“
„Umso besser. Bring sie mit, wir werden schon etwas finden.“ Auf diese Weise konnte Patrick
sich den einen oder anderen Film brennen und wenn er einen einsamen Abend hatte, ansehen.
„Was ist mit deiner Muse?“
„Meiner Muse?“ Patricks Muse war lange Zeit und öfters der Alkohol gewesen. Seiner
Meinung nach hatte er in seiner Jugend mit Whiskey einige sehr gute Sachen geschrieben.
Von dieser Art der Inspiration war er jedoch weg, die Vernunft hatte gesiegt.
„Deine Ärztin.“
„Ach Kim.“ Wieso nannte sie jeder seine Ärztin?
„Ja, kommt sie auch? Oder seid ihr euch nicht so nahe?“
„Spar dir diesen Unterton, wir sind uns nicht nahe, in keiner Weise.“
„Daran musst du arbeiten, Hase. Du hast deinen Job, nun schnapp dir eine Frau. Eine Ärztin
ist nicht schlecht für den Anfang.“
„Sagt mir jemand, der Single ist. Was ist mit dir? Single trotz Universität und nun Ausbildung
in München. Wo sind all deine Verehrerinnen?“
„Du weißt, ich habe Ansprüche. Hohe Ansprüche. So lange die niemand gerecht wird, werde
ich mich nicht jemand hingeben. Ich werde mich nicht unter Wert verkaufen, das habe ich
nicht nötig.“
„Da hast zweifelsfrei recht. Eines Tages werden wir schon die passende Frau für dich finden,
die all deine Macken akzeptiert.“
„Ja, bis dahin werde ich mich auf deine und meine Karriere konzentrieren. Also, wann soll ich
da sein?“
„Das kommt darauf an, willst du danach noch lernen oder soll das der Abschluss zum Lernen
sein?“ Patrick wusste, was er wählen würde. Er kannte sich und seine Standhaftigkeit was
lernen anging. Ein Wunder, dass er es durchs Studium geschafft hatte.
„Abschluss. Wenn ich dann nicht die Kurve bekomme, dann muss ich mir weniger Vorwürfe
machen.“
„Zwanzig Uhr?“
„Perfekt. Ich bringe Knabbersachen mit. Sonst gibt es nichts anderes als Schokolade.“
„Nicht einmal die habe ich im Hause. Ich muss morgen mal einkaufen gehen.“ Schokolade
war Luxus und Luxus hatte er sich nicht leisten können. Nur die nötigsten Lebensmittel hatten
ihren Weg in seinen Einkaufskorb gefunden.
„Ich hätte gerne Wasser Deluxe.“
„Mal sehen ob ich einen besonderen Wasserhahn für dich finde.“
„Vergoldet, bitte.“
„Ich werde sehen was ich machen kann. Bis morgen.“
„Hasta manana.“
Patrick legte auf. Eine kleine Feier hatte er sich verdient. Er öffnete den Laptop und ließ
diesen aus dem Ruhezustand erwachen.
Er wählte sich ins Internet und rief seine Emails ab. Zwei neue Nachrichten. Eine Freundin
aus Neuseeland hatte ihm geschrieben. Wie er die neue Stadt finden würde und wann er
endlich wieder nach Neuseeland kommen würde. Oder musste sie wirklich nach Deutschland
kommen um ihn zu sehen?
Mit einem Lächeln kopierte er die Email in ein Word Dokument. Er würde ihr ausführlich
morgen antworten. Und ja, sie musste nach Deutschland kommen. Er wollte die nächsten
Monate in München bleiben. Sobald er umgezogen war, konnte sie ihn besuchen kommen.
Die zweite Email war von Kim. Ihre Kommentare zu dem Kapitel über Sonja. Es war eine
relativ lange Email, er überflog sie, klickte auf Antworten und schrieb:
Habe einen Job in einer Pension. Riesenparty bei mir morgen Abend. Du bist herzlich
eingeladen einen der begehrten Plätze zu ergattern. Knapp zehn freie Quadratmeter warten
darauf besetzt zu werden  Zwanzig Uhr.
Er schrieb seine Adresse hin. Wahrscheinlich würde sie das gar nicht lesen und wenn, dann
würde sie sicherlich nicht kommen wollen, aber er hatte es ihr geschrieben. Wen sollte er
sonst fragen? Außer ihr und Steve kannte er niemand und er musste seinen ersten Erfolg
feiern.
Der nächste Schritt wäre seine Familie. Mit dem neuen Arbeitsplatz konnte er sie anrufen.
Oder sollte er lieber warten bis er den Vertrag in der Tasche hatte? Wenn es sich das Ehepaar
anders überlegte und er seinen Eltern von seinem neuem Arbeitsplatz erzählt hatte, dann
würde er nur wieder zu hören bekommen, er hätte Zuhause bleiben sollen.
Egal, er hatte eine mündliche Zusage und wenn man ihn nicht hätte haben wollen, dann hätte
man ihn nicht für morgen bestellt und ihm nicht gesagt, er könne Montag anfangen.
Außerdem musste er sich melden, er hatte sich seit seiner Ankunft nicht gemeldet.
Mit einer großen Portion Optimismus wählte er die Nummer seiner Eltern. Sie sollten
Zuhause sein, es war früher Abend.
„Schmidt.“
„Hallo Mama.“
„Patrick, endlich meldest du dich mal. Wir hatten schon angefangen uns Gedanken um dich
zu machen.“ Die Stimme seine Mutter klang erleichtert.
„Alles in Ordnung, ich habe nur viel zu tun gehabt und die Telefonleitung funktioniert erst seit
Beginn der Woche.“ Sie hätte ihm eine SMS schreiben können, doch seine Eltern gehörten zu
den Leuten, die ein Handy kategorisch ablehnten.
„Jetzt können wir dich wenigstens anrufen. Wie geht es dir, mein Junge?“
„Gut.“ Er würde selbst bei einer Grippe oder einem gebrochenen Bein behaupten, es ginge
ihm gut. Wenn er überlegte, was er seinen Eltern alles verschwiegen hatte als er im Ausland
gewesen war. Es waren einige Dinge vorgefallen, die er ihnen lieber vorenthalten hatte, da sie
sich sonst nur mehr Sorgen gemacht hätten, als sie es sowieso getan hatten.
„Ich habe heute ein Vorstellungsgespräch gehabt und kann Montag anfangen zu arbeiten.“
„Endlich arbeitest du wieder als Sozialarbeiter.“
Sozialarbeiter? Seine Mutter verstand da etwas falsch. Es war nie die Rede von Sozialarbeit
gewesen.
„Nein Mama, nicht Sozialarbeit, ich arbeite in einer Pension, unterstütze die Besitzer bei allen
Arbeiten, die anfallen, Die meiste Zeit werde ich an der Rezeption sein, so dass sie endlich
mal wieder einen freien Tag haben.“
„Wieder so einen Aushilfsjob?“ Die Enttäuschung in der Stimme seiner Mutter war deutlich
zu hören. „Wieso bist du zur Universität gegangen wenn du nicht in deinem Beruf arbeiten
willst?“
Von nicht wollen konnte keine Rede sein, er hatte es versucht, nichts gefunden und irgendwie
musste er die Rechnungen zahlen. Wenn er eine Stelle als Sozialarbeiter bekommen hätte,
hätte er diese angenommen.
„Keine Aushilfe, ich werde da richtig arbeiten. Außerdem ist es egal was es für eine Arbeit ist
so lange sie Spaß macht und man Geld verdient. Die Leute scheinen nett zu sein und ich kann
ja weiterhin nach einem Sozialarbeiterjob gucken, nur muss ich mich jetzt nicht unter Druck
setzen weil ich Geld brauche. Ich habe nun ein Einkommen und kann mich in Ruhe nach
etwas umsehen.“
„Wenn du hier geblieben wärst hättest du auch alle Zeit der Welt gehabt, hättest hier wohnen
können und hättest dich nicht beeilen müssen.“
„Ja Mama, ich weiß.“ Er hatte das mehrmals gehört. „Du weißt, ich will nicht in Paderborn
sein, ich habe da vierundzwanzig Jahre gelebt, es wird Zeit die Welt zu sehen. Wenn ich mich
schon meinen anderen Ländern trennen muss, dann will ich wenigstens eine andere Stadt
kennen lernen. Und München scheint interessant zu sein. Ich habe bisher nicht die Zeit gehabt
mir all die Sehenswürdigkeiten anzusehen.“ Er hatte gar nichts gesehen, was nicht zufällig
auf seinem Weg gelegen hatte. Und selbst wenn sie auf seinem Weg gelegen hatten, hatte er
sie nicht gesehen. Laut seinem Reiseführer war er an vielen wichtigen Gebäuden
vorbeigelaufen ohne ihnen einen zweiten Blick zu würdigen.
„Bist du Weihnachten wieder Zuhause?“ Oh, wie er diese Frage hasste. Er hatte genau
gewusst, früher oder später würde diese aufkommen. Nachdem er vier Jahre am Stück nicht
Zuhause war, erwartete die gesamte Familie ihn in diesem Jahr pünktlich zum Heilig Abend
in der elterlichen Wohnung.
„Ich weiß es nicht.“ Das war ehrlich. „Es ist eine Pension, sie werden über Weihnachten
geöffnet haben und es kann sein, dass ich arbeiten muss. Ich habe keine Wochenenden frei, da
wage ich zu bezweifeln...“
„Nun bist du endlich mal wieder in Deutschland und hast keine Zeit für uns.“
„Mama, ich kann es nicht ändern. Ich kann wegen Weihnachten nicht die nächsten sechs
Wochen herumsitzen und keiner Arbeit nachgehen.“
„Wenn du deinen Beruf...“
„Ich habe nichts in meinem Beruf gefunden!“ Langsam verlor er die Geduld. Er hatte
geguckt, er hatte es versucht, es hatte nicht geklappt, er hatte etwas anderes versucht und das
hatte geklappt.
„Wenn du nicht diese vier Jahre verschwendet hättest...“
„Das war keine Verschwendung. Das waren Erfahrungen, die ich mein Leben lang nicht
vergessen werden und die ich unter keinen Umständen missen möchte.“ Warum war es so
schwer für seine Eltern das zu verstehen?
„Sie haben dein Leben zerstört.“
„Nein, sie haben nur das, was du unter meinem Leben verstehst, kompliziert. Ich bin
glücklich, ich kann auch ohne Sozialarbeit glücklich sein. So lange man nette Kollegen und
einen netten Chef hat, ist mir egal, was ich mache. Rezeption ist schön, ich habe nichts gegen
putzen oder in der Küche helfen. Wenn ich die Nase voll habe, dann kann ich mir einen
anderen Job suchen. Wenn ich eine Stelle als Gerontologe finde, dann werde ich diese
annehmen.
Mein Leben ist nicht zerstört, mein Leben ist vielfältig und interessant. Es ist nicht so, wie das
Leben der meisten anderen Menschen, das ist gut, ich will kein Leben wie jeder andere haben.
Ich will ein eigenes Leben haben, das beinhaltet, eigene Entscheidungen und ein eigenes Bild,
was gut oder schlecht ist.
Viele sehen den Beruf als Reinigungskraft als einen niedrigen Beruf an, ich nicht. Ich denke,
er ist wichtig, wenn nicht so viele Leute putzen würden, dann könnten wir viele Dinge nicht
so genießen, wie wir es tun. Im Prinzip ist putzen nicht anderes als das, was ein Arzt macht.
Der überprüft deinen Körper, der Putzer dein Haus. Wenn dein Körper in Ordnung ist, dann
geht es dir gut. Ist dein Haus sauber, bist du glücklich. Ist dein Körper krank, muss der Arzt
ihn wieder gesund machen, ist das Haus dreckig, macht der Putzer es sauber und wieder so,
dass man sich wohl fühlt.“ Was für dämlicher Vergleich. Wie kam er nun auf Arzt? Einen Arzt
und einen Putzer gleich stellen, medizinische Fakultäten würden ihn lynchen, wenn sie das
gehört hätten.
„Du hast vier Jahre lang studiert um das, was du gelernt hast in dieser Zeit, nicht anzuwenden.
Das ist Verschwendung.“
„Woher soll man mit zwanzig wissen was man den Rest seines Lebens machen will?“
„Früher hat man mit vierzehn angefangen zu arbeiten.“
„Es mag ja sein, dass manche Leute mit vierzehn schon wissen was sie wollen. Mein Weltbild
ist nicht auf eine Sache eingefahren, ich liebe es viele Dinge zu tun. Mama, ich weiß nicht wo
das Problem ist. Ich habe einen Job, ich werde Geld verdienen, ich bin gesund, ich bin
glücklich. Was bitte soll falsch gelaufen sein?“
„Es wäre einfach schön wenn du hier wärst und hier als Sozialarbeiter arbeiten würdest.“ Da
lag wahrscheinlich das größte Problem. Er war nicht Zuhause, er war in einem anderen Teil
Deutschlands.
„Ach Mama.“ Manchmal hatte er das Gefühl die Abkapselungsphase hatte er ohne Probleme
hinter sich gebracht, seine Eltern wiederum hatten diese Phase verpasst. Wenn er sich ihnen
nicht örtlich entziehen würde, würden sie ihn noch immer wie einen zehnjährigen Jungen
Zuhause in seinem Kinderzimmer halten.
Natürlich war er froh, dass seine Eltern ihn liebten. Er hatte viele in seinem Alter kennen
gelernt, die kaum bis gar keine Verbindung zu ihren Eltern hatten. Die mit achtzehn das Haus
verlassen hatten und dann nie wieder zurück gekehrt waren. Bevor er ein solches Verhältnis
mit seinen Eltern hatte, zog er es vor mit ihnen darüber zu diskutieren, dass er nicht Zuhause
war und ein Leben lebte, wie er es sich vorstellte.
„Ich bin in München, ihr könnt jederzeit mit dem Auto, Zug oder Flugzeug herkommen. Es
gibt Billigflieger für zwanzig Euro, das lädt geradezu zu einem Wochenendtrip ein. Du
wolltest immer mal wieder nach München. Papa kann zum Fußball, du in die Innenstadt, wir
gehen abends schön essen. Sieh es positiv, du hast nun jemand in München.“
„Hast du dich mit deinem Freund getroffen?“
„Ja, Steve war hier. Er wird morgen wieder herkommen.“ Seine Mutter hatte das Thema
gewechselt, das bedeutete, ihr fielen keine weiteren Argumente gegen ihn ein.
„Es ist gut, dass du wenigstens eine Person dort kennst. Du weißt, wir haben Bekannte in
München, die...“
„Ich weiß, aber ich kenne sie nicht. Als ich diese Leute das letzte Mal gesehen habe, da war
ich ein Jahr alt oder zwei. Ich hätte keine Ahnung was ich mit denen bereden sollte.“
„Ist ja nur falls du mal etwas brauchst.“
„Dann werde ich mir das holen, ich bin groß, ich kann alleine auf mich aufpassen. Das hat in
vier Jahren Ausland geklappt, ich denke, München ist nicht so anspruchsvoll wie andere
Länder. Wobei ich sagen muss, ich kann Englisch besser verstehen als Bayrisch.“
Nun hatte er seine Mutter zum Lachen gebracht. „Ja, ich hatte letzte Woche so einen Urbayer
am Telefon und habe die ganze Zeit nur gerätselt, was er denn wollte und musste immer
nachfragen. Zwischen Deutsch und Bayrisch liegen Welten, ich denke, da verstehe selbst ich
Englisch besser.“ Seine Eltern hatten ihn besucht als er in Neuseeland gewesen war. Und
Patrick fand, seine Mutter hatte sich ganz gut geschlagen, wenn man bedachte, dass sie nur
zwei Jahre Englisch in der Schule gehabt hatte und das über dreißig Jahre zurückgelegen
hatte.
„Du warst gut, du hast immer das bekommen, was du haben wolltest.“ Das gleiche konnte er
über seine ersten Wochen in Australien sagen. Er hatte einige Probleme gehabt, am Ende
jedoch immer das bekommen, was er haben wollte. Und nach einigen Wochen war er im
Englischen wieder drin, hatte sich an das australische Englisch gewöhnt und hatte keine
Probleme mehr.
„Die Neuseeländer sprechen trotzdem ein seltsames Englisch.“
„Glaube mir, die Australier sind schlimmer.“
„Hast du noch Kontakt zu dieser netten Frau, bei der du damals gewohnt hast?“
„Ja, sie hat mir vor ein paar Tagen geschrieben.. Ich finde, es ist an der Zeit, dass sie nach
Deutschland kommt.“ Die war Tage waren zwei Wochen gewesen und er hatte es nicht
geschafft zu antworten, da er etwas positives schreiben wollte. Er konnte nun antworten, nun
hatte er einen Job.
„Sie war sehr nett, wenn sie herkommt, bring sie nach Paderborn.“
„Mache ich. Sie wollte sehen, wo ich aufgewachsen bin. Nur bis sie mal herkommt, da
müssen wir wohl noch einige Jahre warten. Der Gedanke, vierundzwanzig Stunden in einem
Flugzeug zu sitzen, schreckt sie ab.“
„Das kann ich nachvollziehen.“
„Ich auch.“ Er hatte kein Problem mit dem Fliegen, nur wenn er vierundzwanzig Stunden in
Flugzeug saß, das war nicht nur sehr langweilig, das war auch gegen seine Natur. Er musste
sich bewegen, er konnte nicht nur still sitzen, egal wie gut das Bordprogramm war.
„So Mama, ich muss Schluss machen, ich muss noch die Formulare für morgen ausfüllen.
Wünsch mir Glück dass alles klappt.“
„Sie haben dir gesagt, du kannst anfangen, dann kannst du anfangen. Ein Wort ist ein Wort.“
„Hoffentlich.“ Die Zeiten, in denen man Verträge mündlich und mit einem Händedruck
abschloss, waren vorbei. So lange man nichts schriftliches in der Hand hatte konnte man nie
wissen, ob man wirklich eine Zusage hatte.
Kapitel 4

Seine Unterlagen waren bei Miriam Niedermeyer. Von ihr hatte er wiederum den
Arbeitsvertrag bekommen, der von beiden Parteien unterschrieben war. Er hatte demnach
etwas Schriftliches in der Hand und konnte sich gleich mehr über seinen neuen Arbeitsplatz
freuen.
Zusammen seiner zukünftigen Chefin hatte er sich heute die Pension genauer angesehen. In
der Küche arbeiteten zwei Küchenhilfen und Miriam Niedermeyer, die gelernte Köchin war.
Seine Aufgabe würde es sein, die Küchenhilfen zu unterstützen, wenn in Stoßzeiten eine der
beiden als Kellnerin arbeiten würde und es in der Küche hektisch zugehen würde. Es war
ebenfalls nicht auszuschließen, dass er als Kellner einspringen musste. Das wäre eine ganz
neue Erfahrung für ihn, genau das, was er wollte. Neue Erfahrungen sammeln.
Die Pension verfügte über sechszehn Zimmer, alle mit Badezimmer. Laut seiner Chefin
brauchten zwei Personen ungefähr zwanzig Minuten um ein Zimmer komplett zu putzen. Er
würde die erste Zeit länger brauchen, da er sich erst einarbeiten musste, aber darüber solle er
sich keine Gedanken machen.
An der Rezeption würde er sich um die Buchungen der Zimmer, sowieso die Reservierungen
für Tische im Restaurant kümmern. Den Gästen bei Fragen zur Verfügung stehen und all das
machen, was seinen neuen Chefs sonst in den Kopf kommen würde. Eine geregelte
Arbeitswoche, in der er jeden Tag das gleiche machen würde, würde wohl eher selten
vorkommen. Genau das, was er immer gewollt hatte.
Nachdem er die Pension verlassen hatten, stoppte er in einem Supermarkt. Wenn er am Abend
feiern wollte, dann musste er etwas mehr als Nudeln und Milch Zuhause haben. Es war
sowieso mal Zeit für einen richtigen Einkauf. Auf Dauer konnte er sich nicht so ernähren, da
hatte er als Backpacker gesünder gelebt.
Mit Paprika, Mais, Bohnen, Salat, Hühnerfleisch, Zwiebeln, drei Packungen gefrorenen
Spinat, einigen Kartoffeln, Honig und einem Brot verließ er den Supermarkt. Nun musste er
nur im Getränkeladen um die Ecke etwas zu trinken holen, sonst würde er Steve wirklich
Wasser aus dem Wasserhahn anbieten müssen.
Den Staub der letzten Tage konnte er entfernen, ein Foto vom ersten Mal dass sein
Kühlschrank gefüllt war, machen. Und seine Wohnung langsam gemütlicher gestalten. Ihm
war eingefallen, selbst wenn er relativ bald wieder ausziehen wollte, er hatte zuerst eine
Probezeit in seinem neuen Job. Das hieß, bis zum Jahresende musste er hier bleiben und das
waren sechs Wochen. Er wollte es in den sechs Wochen so gemütlich wie möglich haben.
Aus einem Ordner zog er einige Fotos von seinen Reisen und klebte sie an die Wände. Nun
würde den Milford Sound, die Whitsunday Islands, Niagara Fälle, zwölf Apostel, den Abel
Tasman National Park, die Redwoods und die Gletscher der Neuseeländischen Alpen um sich
haben. Morgen musste er los eine schwarze Pappcollage holen, den Rand verzieren und dann
konnte er Fotos all der Personen darauf einkleben, die er in den vier Jahren getroffen hatte
und die ihm wichtig waren. Wozu war er all die Jahre unterwegs gewesen wenn nicht um tolle
Fotos aufzuhängen? All diese sonnigen Bilder würden den grauen Alltag verschönern.
Mit dem aufgepeppten Outfit seiner Wohnung, der neuen Sauberkeit und Musik machte er
sich daran einen Salat zu zaubern. Steve war nicht nur ein Wasserfanatiker, er liebte im
Prinzip auch gesundes Essen. Dass er Pizza mitgebracht hatte war wohl eher Patricks
Schwäche für ungesundes Essen zuzuschreiben.
Die drei verschiedenfarbenen Paprikas wurden gewaschen, kleingeschnitten und mit einer
Dose roter Bohnen und Mais vermischt. Eine Sauce aus Mayonnaise und Chiliketchup
komplettierte den Salat. Er briet die Hühnerbrüste an, würzte sie, ließ sie abkühlen um sie
dann erneut zu erhitzen und in kleine Stücke zu schneiden. Eine Knoblauchzehe war in seiner
Essenstasche, die er in etwas Butter presste und mit frischen Kräutern abschmeckte. Seine
Oma hatte ihm einen Minigarten geschenkt. Einen Blumentopf, der dreißig mal fünfzig
Zentimeter groß war. Er hatte Schnittlauch, Petersilie und Basilikum angepflanzt, die dank der
Wärme der Heizung sogar wuchsen. Wenn er Glück hatte, hatte er den ganzen Winter über
frische Gewürze.
Es klingelte. Steve war überpünktlich, eine Eigenschaft, die Patrick sehr an ihm schätzte. Er
drückte den Türöffner, öffnete seine Wohnungstür und ging zum Computer. Welche Musik
wollten sie hören? Er konnte eine Liste mit Liedern aus ihrer gemeinsamen Reisezeit
zusammenstellen.
„Hi, wow, neue Dekoration.“ Steve kam herein, warf einige Tüten Chips auf den Tisch und
sah sich die Fotos an. „Erinnerungen kommen auf.“
„Ja, die gute alte Zeit.“
„Ich habe die Fahnen über meinem Bett hängen, so wie du deine drei Fahnen hier verteilt
hast.“
„Leider ist die Wohnung zu klein für all die Sachen, die ich gerne aufhängen würde. Meine
Tür wird die Fotoecke für Personenfotos.“ Seine Tür zum Flur war wie eine alte Wohnungstür
in der Mitte mit milchigem Glas getrennt. „Über die Glasfläche werde ich eine schwarze
Pappcollage kleben , deren Rand ein wenig verzieren und dann Fotos von all den verrückten
Leuten, die ich unterwegs getroffen habe, aufkleben. Du bist der kreative Kopf, was könnte
ich als Verzierung nehmen?“
„Fahnen. Du kannst die Fahnen der drei Ländern an den Rand kleben und dazu die Fahnen der
Leute, die du auf die Collage kleben willst. Damit du mehr Abwechselung hast. Die
Australische und Neuseeländische Flagge sehen schließlich fast gleich aus.“
„Gute Idee. Japan, Südkorea, Hong Kong, Taiwan, Frankreich, England, Irland, Tschechien,
Holland, Spanien, Finnland, Schweden, Portugal, Brasilien, Belgien, Schweiz, Israel, Ukraine,
Dänemark und Deutschland. Das werden einige Fahnen, da habe ich einiges zu tun.“
„Da du sowieso ein Stubenhocker bist, wirst du die Zeit haben. Sobald du Feierabend hast.
Wie lange musst du arbeiten?“
„Eine ganz normale vierzig Stunden Woche, aber ich werde versuchen auf achtundvierzig zu
kommen. Ich will hier nicht ewig wohnen bleiben und wenn ich umziehe, dann werden ich in
der neuen Wohnung sicherlich Kaution bezahlen müssen.“
„Wohin geht es in der neuen Wohnung? City?“
„Wäre verführerisch, ist leider unbezahlbar. Deine Wohnung war in Schwabing-West, oder?
Wie ist es da?“
„Schön, ich mag es. Wir haben sehr viele Studenten und Arbeiter um uns herum leben, ist eine
Ecke für die Mittelschicht, sehr viele Einpersonenhaushalte.“
„Die Pension ist in Moosach, beinahe an der Grenze zur Innenstadt...wie nennt sich dieser
Stadtteil noch gleich?“
„Neuenhausen – Nymphenburg.“
„Ja...seltsamer Name, wie nicht einfach Innenstadt?“
„Nymphenburg ist nach dem Schloss Nymphenburg, der früheren Sommerresidenz der
bayerischen Kurfürsten und Könige, benannt. Heute ist das Schloss zusammen mit dem
Schlosspark Nymphenburg eine der beliebtesten Sehenswürdigkeiten Münchens. Du hättest
dir deinen Reiseführer ansehen sollen. Wenn Schnee liegt und die Sonne scheint, dann müssen
wir beide dringend da mal hin und Fotos machen. Das muss gigantisch aussehen, das Schloss,
der Schnee, blauer Himmel und Sonne. Damit können wir Familienmitglieder eifersüchtig
machen.“ Das hatten sie in Australien gemacht. Fotos geknipst, die unter die Kategorie
„Traumurlaub“ gefallen waren um damit Familienmitglieder eifersüchtig zu machen.
„Wo du das gerade erwähnst, meine Mutter war gestern alles andere als begeistert von
meinem neuen Job. Einen Aushilfsjob hätte ich auch in Paderborn machen können und mir
dabei die Miete sparen können. Mein Argument, sie hätte nun einen guten Grund nach
München zu kommen, fand sie nicht sehr überzeugend.“
„Du hast sie vier Jahre alleine gelassen, sie denkt wahrscheinlich, du wirst früher oder später
in die Schweiz abhauen und von da aus dann nach Italien oder Frankreich, Spanien. Schritt für
Schritt weiter weg von Zuhause“, lachte Steve.
„Das wäre eine Idee. Ich suche mir einen Job bei einer Firma, die Sitze im Ausland hat und
dann werde ich mich ins Ausland versetzen lassen. Auf Firmenkosten zurück nach Neuseeland
oder Kanada, dazwischen einen kleinen Urlaub in Australien. Das wäre ideal.“
„Das strebe ich an. Wozu ist es das größte deutsche Verlagshaus und Tochter- und
Schwesterfirma diverser internationaler Firmen? Ich mach dich reich und berühmt dann geht
es ab zurück die Welt zu erobern. Ich habe noch einige Länder, die ich besuchen will.“
„Das bedeutet, das wird so in drei Jahren sein. Ich werde mit dem Sparen anfangen und dich
in Südamerika begleiten. Wir sollten uns an der VHS für Spanischkurse anmelden.“
„Ja, da ich die Sprache sowieso lernen wollte. Hast du keinen Sprachkurs auf CD?“
„Ja, der liegt Zuhause.“
„Da liegt er gut. Wenn du das nächste Mal hinfährst, bringe ihn mit, dann können wir uns
schon mal vorbereiten. Im Moment hätte ich sowieso keine Zeit für diese Sachen. Die
Prüfungen sind wichtiger.“ Steves Augen streiften über die Arbeitsfläche. „Sag mal, der Salat
da, ist der zum Essen oder angucken?“
„Erst angucken, bewundern, dann essen.“
„Sieht klasse aus, wo ist der Teller?“
Lachend reichte Patrick Steve einen Teller. „Darf ich dir dein Deluxe Wasser ohne Spaß
reichen?“
„Ja, bitte.“ Steve schnappte die Flasche Wasser. „Volvic? Genau die richtige Sorte. Was hast
du ungesundes für dich?“
„Mineralwasser in einer Glasflasche, du weißt, ich mag Mineralwasser wenn man es mir nicht
in Plastikflaschen serviert. In Plastikflaschen schmecken die meisten Dinge nicht. Das ruiniert
den Geschmack, so wie...“ Es klingelte.
„Du hast eine große Party geplant?“, fragte Steve.
„Nicht dass ich wüsste. Vielleicht hat einer der Nachbarn seinen Schlüssel vergessen. Die
Zeugen Jehovas sollten um diese Uhrzeit nicht mehr klingeln.“
„Und wenn, dann machen wir die Wohnungstür nicht auf.“ Steve drückte auf den Türöffner.
„Dein Nachbar wird den Weg zu seiner Wohnung alleine finden und die Sekten können die
Leute in den unteren Etagen nerven.“
„Gute Idee. Wo waren wir? Genau, Getränke in Plastikflaschen sind schrecklich. Ich kann
mich daran erinnern, als ich studiert habe, im ersten Semester, da hatten Aldi und Lidl noch
ihre Getränke in Glasflaschen, was mich regelmäßig vor das Problem gestellt hat, dass ich das
Glas zum Container schleppen mussten, aber ihre Getränke waren bedeutend besser.“
„Für einen Backpacker bist du sehr verwöhnt.“
„Das ist nicht verwöhnt, das ist wissen, was man nicht will. Ich bin mir meistens nicht sicher
was ich will, aber was ich nicht will, das weiß ich.“
„Du willst nicht in einem Büro sitzen, du willst nicht in Paderborn versauern, du willst nicht
in Deutschland sein, aber auch nicht auswandern, ich kenne all diese Probleme, man könnte
sagen...“ Es klopfte an der Tür. „...sie spiegeln sich in meinem Leben wieder. Ob dein
Nachbar deine Hilfe braucht? Werkzeug um die Türklinke abzubauen oder so.“
„Keine Ahnung.“ Patrick hoffte sein kleiner Werkzeugkoffer würde die richtigen Werkzeuge
dafür haben. Es hatte gereicht um seine paar Möbel zusammen zu bauen, ob es genug war um
eine Türklinke abzumontieren, das bezweifelte er. Brauchte man dafür nicht Spezialwerkzeug
oder so? Wenn jeder eine Türklinke abbauen konnte, dann waren Wohnungen nicht sehr
sicher.
Er machte Licht in seinem Flur und öffnete die Tür.
Das war nicht sein Nachbar, der da vor ihm stand. „Kim!“
„Hey, du hättest mir ruhig zurufen können wo du wohnst, du schlechter Gastgeber.“
„Entschuldige, ich dachte, es sei ein Nachbar, der seinen Schlüssel vergessen hatte. Oder eine
Sekte, die am späten Abend auf Seelenfang ist.“
„Ich bin weder dein Nachbar noch will ich deine Seele jagen.“
Ich weiß, ich...“
„Du wolltest mich reinbitten?“
„Ja, sicher, klar. Entschuldige.“ Verwirrt trat er zur Seite. Er hätte nie gedacht, sie würde
vorbeikommen. Es war mehr ein höflicher Scherz gewesen.
„Willkommen in meiner riesigen Wohnung. Hänge deine Jacke einfach da auf.“
„Man muss sich der entledigen bevor man deine Wohnung betritt“, grinste Kim und zog ihre
Jacke noch vor der Tür stehend aus.
„Besser ist es.“ Er trat in den Hauptraum um ihr den nötigen Platz zu geben, die Jacke
aufzuhängen bevor sie ihm folgte.
„Steve, das st Kim. Kim, das ist Steve. Wir sind zusammen gereist und haben zusammen
gearbeitet.“
„Genau, die einzige Person, die du in München kanntest bevor du beschlossen hattest mir zu
schreiben. Hallo.“
„Hi Kim, ich habe auch einiges von dir gehört. Die Schauspielerin, die Patrick inspiriert hat.
Zu was genau weiß ich leider nicht, er weigert sich hartnäckig mir diese Geschichte zu
schicken.“
„Wieso?“ Kim sah Patrick fragend an.
„Er soll sich um das Zeug kümmern, das ich veröffentlichen kann.“
„Was ist es, dass man meine Geschichte nicht veröffentlichen kann?“
„Deine Geschichte?“ Patrick musste lachen. Er hatte nicht gewusst, dass er sie Kim
überlassen hatte.
„Ja, ich bin ein Teil der Geschichte, laut dir werde ich eine Hauptdarstellerin.“
„Wenn dann deine Serienfigur, nicht du, denn dich kannte ich damals persönlich nicht. Setzt
dich erst einmal. Möchtest du etwas trinken?“
„Wasser.“
„Eine Wasserparty“, kicherte Steve.
„Ihr Jungs trinkt Wasser?“
„Ich trinke immer Wasser wenn ich fahren muss und sonst meistens auch.“
„Und ich versuche all die ungesunden Softdrinks zu reduzieren. Mineralwasser oder stilles
Wasser?“
„Mineralwasser.“ Kim sah sich um. „Du hattest recht, deine Wohnung ist klein.“
„Klein, aber irgendwann gemütlich.“
„Ich dachte, du wolltest recht schnell ausziehen.“
„Sollte mir etwas gutes über den Weg laufen, gerne. Die nächsten sechs Wochen werde ich
jedoch in der Probezeit sein, so lange werde ich hier bleiben.“
„Wie sind deine zukünftigen Chefs?“
„Sie scheinen sehr nett zu sein. Und die Arbeit ist abwechselungsreich.“
„Wer wochenlang Karotten sortieren kann oder Zitronen packen, der ist mit fast jeder Arbeit
zufrieden zu stellen“, meinte Steve.
„Ich kann mich mit vielen Dingen anfreunden wenn das Umfeld stimmt.“
„Das heißt, deine Eltern begrüßen deine neue Stelle?“
„Nicht wirklich. Sie hätte es lieber wenn ich das machen würde, was ich studiert habe. Mein
Beruf ist nun mal keine Berufung für mich.“
„Deine Berufung liegt in den Büchern.“
„Vielleicht.“ Ob es Berufung war oder mehr ein Hobby, das ihn viel Spaß machte, da war er
sich nicht sicher. „Liegt deine Berufung in der Medizin?“
„Ich hoffe. Sie fasziniert mich. Es ist eine Herausforderung auf dem Gebiet der Medizin
besser zu werden, neue Hilfe zu erfinden, die das Leben der Menschen verlängern, Schmerzen
lindern und Krankheiten reduzieren. Die Kardiologie ist noch lange nicht am Ziel, ich denke,
eines Tages werden wir künstliche Herzen einsetzen und damit die Organspende überflüssig
machen. Dann können wir alle Menschen retten, egal ob sie ein Spenderorgan bekommen
oder nicht.“
„Das hört sich gut an. Pat, du könntest mit einer zukünftigen Nobelpreisträgerin befreundet
sein. Dann musst du ein neues Kapitel schreiben und deine Sonja eine ähnliche Ehre zuteil
kommen lassen. Gibt es einen Nobelpreis für Psychologie? Oder muss sie etwas anderes
machen? Eine psychische Krankheit entdecken und dann nach sich benennen? Oder ein
Fachbuch schreiben, das alle Rekorder bricht?“
„Ich weiß ja noch nicht viel über Sonja, was sie sonst so macht. Patrick verrät nichts.“
„Das kannst du dir alles erlesen. Ist wie in einer Seifenoper, man muss immer am Ball bleiben
um herauszufinden was passiert.“
„Es ist Patrick, was ich über seine Geschichten gelernt habe ist, er lässt seine Hauptdarsteller
nicht sterben und selten unglücklich sein. Du kannst davon ausgehen, alles wird im Guten
enden.“ Steve grinste. Er hatte bisher keines der Bücher seines Freunde gelesen, aber hatte
sich einiges erzählen lassen. Patrick weigerte sich noch ihm die Bücher zu geben, um seine
Entwicklung als Lektor nicht zu zerstören.
„Dann wird Sonja glücklich verheiratet sein, erfolgreich im Beruf und all die Probleme der
Vergangenheit werden begraben sein.“
„Das würde zu ihm passen.“
„Was soll das denn heißen?“ Patrick sah Steve leicht empört an. „Ich bin – sehr zum Ärger
meiner Familie – weit weg von diesem Familien- und Heiraten Zeug. Um mich vom
Gegenteil zu überzeugen muss erst ein Wunder passieren.“
„Solche Worte aus dem Munde eines Paderborners.“
„Was macht ihn anders als die anderen als Paderborner?“, fragte Kim interessiert.
„Paderborn, die schwärzeste Stadt, da hat man mit dreißig Kinder und ist verheiratet.“ Steve
sah Patrick spöttisch an.
„Schwärzeste Stadt?“
„Laut unserem Patrick ist das eine Bezeichnung für Paderborn, da dort die Leute immer CDU
wählen, egal was kommt. Ist wie Bayern, da wählt man CSU, egal was kommt.“
„Münchens Bürgermeister ist von der SPD.“
„Es gibt Leute, die sagen, München ist nicht Bayern. Ich muss sagen, ich war positiv
überrascht, wie viele Leute hier Deutsch sprechen und nicht diesen bayrischen Dialekt.“
„Der stirbt hier aus.“
„Sie hat einen leichten Akzent, der ist mir vor Jahren schon aufgefallen“, grinste Patrick.
„Ich bin aus Bayern, es ist schwer seinen Dialekt komplett zu verstecken. Für meine
Fernsehrollen musste ich ihn ablegen, dadurch habe ich mir Hochdeutsch angeeignet, doch
wenn ich mich nicht auf das konzentriere, was ich sage, dann kommt immer mal wieder ein
wenig Dialekt durch.“ Er hatte diesen Dialekt auch in den Fernsehrollen gehört. Ein Mädchen
aus dem Norden hätte sie nicht spielen können.
„Mal von dieser Seifenoper abgesehen, wo hast du mitgespielt?“
„Ich war in einer Folge einer Schulserie zu sehen und dann in zwei Folgen einer Arztserie, die
Ende der neunziger auf einem Privatsender lief.“
„Schulserie und Arztserie? Kenne ich alles nicht, muss weit vor meiner Zeit gewesen sein.“
„Von der Schulserie war ich damals ein großer Fan“, erinnerte sich Patrick. Nachdem ich
mich ein wenig schlau über deine Fernsehvergangenheit gemacht habe, meine ich sogar ein
Bild von dir in der Serie im Kopf zu haben, ich muss mal gucken was mein Laptop so sagt,
vielleicht kann der mir helfen. Oder noch besser: Hast du deine Auftritte nicht auf DVD? Wir
könnten einen DVD Abend mit deiner TV Präsenz machen.“
„Langsam entwickelt er sich zum Stalker.“
„Nein, fanatischer Fan. Ich habe versucht an deinen Auftritt von dieser Arztserie zu kommen,
das Internet war mir keine Hilfe. Aber ich habe schon länger nicht mehr nachgesehen. Und
überhaupt, du brauchst eine ordentliche Internetseite oder zumindest einen guten Eintrag bei
Wikipedia.“
„Patrick, ich war eine unbedeutende Schauspielerin.“
„Du bist eine Schauspielerin, die mich inspiriert hat. Somit kannst du nicht unbedeutend sein.
Leider habe ich den Hang zu Darstellern, für die sich außer mir nicht wirklich jemand
interessiert. Ich führe das auf das mangelnde Verständnis der Menschen für Qualität hin.
Wenn ich mir ansehen, was für ein Blödsinn in Deutschland im Fernsehen läuft, dann weiß
ich, wieso ich keinen Fernseher habe. Superstar, Popstar, Topmodel, was ist das? Was ist aus
der guten, alten Unterhaltung geworden?“
„Gab diese Sachen in den anderen Ländern nicht?“
„Doch, ich habe jedoch all die Jahren nicht ferngesehen. Das einzige, was ich regelmäßig
geguckt habe, war CSI auf dem Laptop. Alles andere hat mich nicht interessiert. Wozu gibt es
all diese tollen alten Serien auf DVD? Damals wurde Fernsehen noch produziert und nicht
einfach so hingeschmiert. Das Großstadtrevier, eine Erfolgsserie der besten Art. Das ist etwas
mit Herz und Verstand. Das hat Klasse für Generationen.“
„Er ist süß wenn er sich in Rage redet“, meinte Kim zu Steve.
„Ja, der letzte Verfechter der guten alten Fernsehserien. Ich kann ihn verstehen, ich kann mich
mit dem neumodischen Kram auch nicht anfreunden. Wir hatten damals sehr viel Spaß
zusammen beim CSI gucken. Das sollten wir mal machen. Wenn wir beide Urlaub haben,
dann werden wir uns die gesamten Staffeln von CSI ansehen, Las Vegas und New York.
Zumindest so lange bis Warrick und Grisham aussteigen, danach ist die Serie langweilig. Nick
und Catherine sind keine aufregenden Charakter.“
„Solltet ihr euch nicht lieber eure neue Heimat ansehen oder hast du all die schönen Sachen,
die rund um München sind, schon gesehen?“
„Ich habe die Touristenstrecken der Innenstadt abgelaufen, war am Starnberger See im
Sommer, der Wörthersee würde noch fehlen, aber damit kann man warten bis es wieder warm
ist. Patrick will mich zum Fußball zwingen, ich bin davon weniger begeistert.“
„Weil dein Team verlieren wird.“
„Deine Bayern mögen das meiste Geld für Spieler ausgeben, sie sind trotzdem nicht
unschlagbar.“
„Oh Gott, eine Fußballdiskussion. Bitte nicht.“
„Frauen und Fußball passt auch nicht“, sagte Steve.
„Da möchte ich dir widersprechen. Die Frauen spielen einen sehr guten Fußball, ich habe die
u17 WM in Neuseeland gesehen, das war sehr schöner Fußball, da könnten sich manche
Bundesligavereine eine Scheibe abschneiden, was Technik und Kampfeinsatz angeht.“
„Können Männer einen Abend ohne Fußball, Alkohol und Frauen als Themen überleben?“
„Sicher können wir das, nur wo wäre dann die Freude an den Gesprächen?“ Steve legte den
Kopf schief. „Wenn man über schöne Themen redet kommt man nicht auf dumme
Gedanken.“
„Kunst, Kultur, Geschichte?“
„Das deutsche Museum ist nicht weit weg, da hast du recht. Meisterwerke der
Naturwissenschaft und der Technik. Pat, hast du Interesse daran?“
„Ich? Museum? Steve, du weißt, ich war unzählige Male in Adelaide, wo man nichts machen
kann außer in Museen und Kunstgalerien gehen und ich war in keiner drin, obwohl die
meisten kostenlos war. Ich bin ein Kunst- und Kulturbanause. Das ist die Wahrheit und da
stehe ich zu.“
„Ich nehme dich mit herein, das wird deinen Horizont erweitern und das ist gut für deine
Romanfiguren.“ Kim klopfte ihn auf die Schulter. „Ein Schriftsteller sollte immer offen sein
für neue Erfahrungen und wichtige Daten der Vergangenheit. Das macht seine Bücher
interessanter und lebendiger. Ich bin mir sicher, deine Sonja ist ein vielseitig interessierter
Mensch.“
„Ähm.“ Patrick dachte nach. „Sie ist in ihrem Gebiet sehr interessiert, ja. Die Psychologie und
deren Themengebiete. Ist Spirituell angehaucht. Horoskope, Sterne, Aura. Also alles, was man
nicht wissenschaftlich direkt nachweisen kann, Parapsychologie. Obwohl du Medizin studiert
hast, gehe ich davon aus, dein Wissen über eine Wurzelbehandlung ist nicht so groß.“
„Sie ist schmerzhaft, das reicht für die meisten Menschen.“
„Zahnärzte sind gemeine Personen, aber sie machen, dass man ein wunderbares Lächeln hat.“
Steve hielt sich die Wange. Er hatte in der nächsten Woche einen Zahnarzttermin, einen
Kontrolltermin, doch Termin war Termin.
„Wenn du mir eines Tages mal erklärt hast, was genau dein Projekt war, das man im Internet
Auszugsweise finden konnte, dann verstehe ich es vielleicht. Wie gesagt, im Moment bin ich
verloren sobald ich mit der Überschrift anfange. Zu viele Fremdworte und medizinische
Begriffe, die der normale Mensch nicht verwendet.“
„Vielleicht, eines Tages. Wenn du Feierabend hast und mich zu einem Abendessen an deinem
neuen Arbeitsplatz einlädst, dann können wir darüber nachdenken. Rezeptzionist. Wo ist die
Pension?“
„Moosach, beinahe schon in der City...in, wie hieß es noch gleich? Neuenhausen –
Nymphenburg. Sie heißt „Gemütliches Stübchen“ und hat ein Restaurant und sechszehn
Zimmer.“
„Die kenne ich, das ist nur fünf Minuten von mir weg.“
„Pat, du hast deinen ersten Stammgast. Was für eine Schande, dass du nicht an der Theke
stehst und Bier ausschenkst, ich würde diese Pension zu meiner Stammkneipe machen. Na,
dann musst du Kim bedienen, wer weiß, vielleicht treffen wir uns alle mal auf ein leckere
Abendessen, das du uns servieren musst. Herr Ober, da ist ein Fleck auf der Servierte. Das
Essen ist leicht zu warm. Könnten Sie bitte die Musik leiser drehen, wir müssen so
unangemessen laut sprechen.“
„Der Traum eines jeden Kellner, ich sehe das schon. Dir werden wir Hausverbot erteilen
bevor du überhaupt einen Fuß in die Pension setzen konntest. Und Kim kann mich regelmäßig
besuchen, bei dieser geringen Entfernung hast du keine Argumente dagegen.“
„Wie wäre es mit Arbeit?“, lachte Kim. „Das war eine relativ ruhige Woche, die nächsten
werden wieder stressiger. Die Feiertage und Ferien kommen nahe, das bedeutet, viele werden
in den Urlaub fahren und als Assistenzärztin im ersten Jahr darf ich all das auffangen.
Weihnachtsurlaub ist bereits gestrichen, ich werde Heilig Abend und beide Weihnachtstage
arbeiten, für Silvester und Neujahr sieht es nicht besser aus.“
„Ich rechne mit dem selben Problem. Die Pension wird geöffnet sein, Leute werden an- und
abreisen, wenn meine Kollegen Familie haben, dann werden sie frei bekommen, nicht ich.
Doch das ist okay, ich habe die letzten beiden Jahre über die Feiertage gearbeitet, das macht
mir nichts.“
„Dann werde ich für euch mit entspannen. Am zweiundzwanzigsten geht es zurück nach
Düsseldorf, zwei Wochen Familienurlaub, verwöhnen lassen, schlafen, alte Freunde treffen
und dann kann ich wieder ins feindliche Ausland und mit der Ausbildung weitermachen.“
„Wieso bekommt ihr zwei Wochen frei?“
„Das ist eine Sache, die mir nur dieses Jahr passieren wird. Nächstes Jahr muss ich zwischen
den Feiertagen auch ran, deswegen werde ich diese Freiheit umso mehr genießen.“
„Azubi in einem Verlag müsste man sein.“
„Sozialarbeiter in einer staatlichen Einrichtung bekommen die Feiertage auch frei. Wenn du
ein Schulsozialarbeiter wärst, dann hättest du die Ferien wahrscheinlich auch frei“, meinte
Steve.
„Hör sofort auf dich wie meine Mutter anzuhören!“ Patrick hielt sich die Ohren zu. Solche
Dinge wollte er von seinem Freund nicht hören. Er rechnete fest damit dass seine Mutter ihm
einen ähnlichen Vortrag halten würde. Oder sein Vater, der ihm seit der Schulzeit gesagt hatte,
er solle einen ordentlichen Beruf erlernen. Wenn er in einer Bank arbeiten würde, dann wären
ihm seine Urlaube und sein Geld sicher. Eine Sache, die inzwischen nicht mehr stimmte.
Sichere Arbeitsplätze in Deutschland waren unwahrscheinlich. Und überhaupt, er wollte
keinen Arbeitsplatz, an dem er für den Rest seines Lebens bleiben würde. Er wollte
Abwechselungen haben.
Kapitel 5

Das war ein langer Tag gewesen. Patrick fiel müde in sein Bett, komplett angezogen, nur die
Schuhe hatte er abgestreift. Er hatte um halb sieben angefangen an der Rezeption zu arbeiten,
war dann um halb elf zu den Putzern gewechselt. Er war heute mit seiner Kollegin Helga
alleine, sie hatten zehn Zimmer geputzt. Es war drei Uhr als er damit fertig gewesen war,
eigentlich Zeit nach Hause zu gehen. Stattdessen hatte er schnell etwas zu essen aus der
Küche geholt und war zurück an die Rezeption, von wo aus er um sechs Uhr in die Küche
wechselte um bis um acht Uhr zu helfen. Um halb neun hatte er seine Wohnungstür
aufgeschlossen, eine halbe Minute später auf sein Bett gefallen. Dreizehneinhalb Stunden
Dienst. Das würde sein Bankkonto freuen, sein Körper war ausgelaugt.
Er hatte bereits die ganze Woche Muskelkater, da er das Putzen nicht mehr gewohnt war und
nun noch dieser Marathontag. Seine Chefin war nicht da gewesen, er hatte seinem Chef
geholfen alles zu organisieren. Zusätzlich standen kleine Renovierungsarbeiten auf dem Plan.
Sie hatten bei einem Bett das Lakenrost repariert, einige Glühbirnen ausgewechselt, Patrick
hatte versucht zu lernen, wie man Sicherungen austauschte und wie man einen tropfenden
Wasserhahn reparierte. Er hatte eine abwechselungsreiche Arbeitsstelle gewollt, er hatte sie
bekommen.
Sein Magen meldete das Bedürfnis nach etwas Essbaren an, seine Nase bat um eine Dusche
und seine Füße wollten nicht mehr bewegt werden. Sein Kopf erinnerte ihn an die Antwort für
die Telefongesellschaft. Er musste den Brief tippen um endlich sein W-Lan zu bekommen. Er
hatte einen Anbieter gefunden, der ihn eine DSL Flat anbot ohne Mindestlaufzeit. Das hieß,
wenn er umziehen wollte, dann konnte er einfach kündigen. Vier Wochen waren als
Kündigungsfrist eingeräumt. Die gleiche Zeit, die er für seine Wohnung hatte.
Mit einem lauten Seufzer erhob er sich, griff nach seiner Boxershort und dem alten T-Shirt,
das als Schlafshirt diente. Duschen. Und während er das tat konnte sich sein Abendessen
vorbereiten. Für Notfälle wie diesen hatte er seine Dose Ravioli im Schrank. Er schüttete sie
in einen kleinen Topf, stellte ihn auf den Herd, mittlere Hitze und verschwand unter der
Dusche. Wenn er fertig war sollte sein Essen fertig sein.
Keine fünf Minuten später saß er mit dem Topf auf seinem Bett, hatte seinen Laptop mit dem
Internet verbunden und aß. Eine neue Email. Oh, wieder aus Neuseeland. Alison. Er hatte die
letzten Tage wieder vergessen ihr zu schreiben. Er war ein schlechter Freund.

Hey Sweety!
I still miss you – guess I miss you right now even a little bit more than usual. Christmas is
coming and I remember the fun we had two years ago. Our favorite boss is still a bitch and I
think about to quit this shit. Should take a couple of weeks off. You got a bed for me if I make
the decision to come over?
How is life treating you? I hope you have your job and a nice flat. If not, you know, I’ll
always have a space for you. Really miss you, but I told you that already and don’t have to
make your ego even bigger.
Wait for your answer…my life sucks without you!
Your favourite Kiwi who made you happy

Patrick musste lächeln. Alison. Sie hatten eine sehr schöne Zeit gehabt, ohne sie wäre er
niemals so lange in Neuseeland gewesen. Sie hatte ihn aufgenommen, hatte ihm ein Dach
über den Kopf gegeben und einen Job.
Sie hatten sich kennen gelernt als sie zusammen in einer Bar gearbeitet hatten, hatten sich
angefreundet und Patrick war nach einigen Wochen zu ihr gezogen. Sie hatte ein Haus in der
Stadt und vermietete Zimmer privat. Patrick hatte acht Monate bei ihr gewohnt, bis er das
Land verlassen musste.
Sie hatten sich seitdem regelmäßig geschrieben, so wie in dieser Email hatte sie ihm jedoch
niemals nachgetrauert. Was hatte er gelitten als er Neuseeland verlassen hatte um einige
Wochen durch Australien zu ziehen bevor es ihn nach Kanada zog. Wie gerne wäre er
geblieben, leider gab es für deutsche Staatsbürger nicht mehr als zwölf Monate. Wenn er
Engländer wäre hatte er dreiundzwanzig bleiben können. Das Leben konnte manchmal
ungerecht sein.
Er würde die Antwort nicht aufschieben, er würde ihr genau jetzt antworten. Es war neun Uhr
am Morgen, vielleicht war sie im Internet und las seine Antwort umgehend.

My little joy of life,


I miss you more than you can imagine. I wish I’d still stay with you at your place. My new flat
is as big as your room. Pretty poor, eh?
The new job got me tired today. Worked for over thirteen hours but it’s all for the money. And
my boss seems to be very nice so I enjoy it. Cleaning, reception, handyman, I guess, you’d
like it too.
Coz my flat is that shitty small I can’t offer you a bed, but if you want, you can share my bed
with me whenever you want. I also pick you up from the airport whenever you want. Come
over and discover Germany. Right now it’s cold, will get colder, but as fas as I know, there are
some warmer places in Europe. Yo ucan come here, as a stoppover, go on to the warm place
and come back to me, to relax before your flight back home is.
So you know, I’ll be here, waiting for you.
Book your ticket and fly to me!
Still love you – I’m lost without you
Pat

Wenn Alison wirklich nach Deutschland kommen würde, dann würde Patrick alles dafür
geben um Zeit mit ihr zu verbringen. Alison. Seine Alison. Sie hatten so lange Gespräche
geführt, über Gott und die Welt. Sie hatten stundenlang schweigend nebeneinander im Garten
gelegen während sie gelesen und er geschrieben hatte. Unzählige Abende, die sie mit langen
Spaziergängen am Fluss verbracht hatten, Enten füttern und der Versuch diese zu fangen.
Oder ihre Abende in der Bar. Sie als Kellnerin, er hinter der Theke. Immer wieder hatte sie es
geschafft ihnen beide einen Drink zu organisieren ohne dass es die Chefin gemerkt hatte.
Oder wenn sie Freunden einen Preisnachlass gegeben hatten und das so geschickt auf der
Abrechnung versteckt hatte, dass es niemand aufgefallen war. Ja, sie hatten sehr viel Spaß
miteinander gehabt. .
Alison in München. Er würde sie aufnehmen, keine Frage, nur viel Platz konnte er ihr nicht
anbieten. Ihren Koffer würde er unterbringen, das war kein Problem. Seine Couch sollte groß
genug sein für zwei, wenn er Glück hatte würde er frei bekommen und dann konnten beide
die Sehenswürdigkeiten der Umgebung erkunden.
Ob er eines Tages genug Geld besitzen würde um für drei oder sechs Monate zurück nach
Neuseeland und Australien zu gehen? Ein Sabbatjahr. Er hatte einige getroffen, die das
gemacht hatten. Nur dafür musste er dann wohl einen „ordentlichen“ Beruf haben. Was
würden seine Eltern glücklich sein wenn er einen richtigen Beruf hätten, was würden sie
enttäuscht sein, wenn er wieder für ein Jahr verschwinden würde.
Da fiel ihm ein, er musste einen seiner Krimis ins Englische für Alison übersetzen. Die
Aufforderung Deutsch zu lernen, kam sie nicht nach. Wann sollte er das machen? Er musste
auch mal wieder etwas für Kim abtippen, sonst würde sie plötzlich schneller lesen als er
schrieb. Nur heute war er dafür nicht in der Lage.
Er fuhr den Laptop runter, legte ihn auf den Tisch, stellte seine halbaufgegessenen Ravioli in
den Kühlschrank und putzte sich die Zähne. Beinahe zweiundzwanzig Uhr, es war Zeit ins
Bett zu gehen. Sein Wecker würde ihn um kurz vor sechs wieder aus dem Bett holen. Der
Arbeitstag morgen sollte jedoch eine normale Länge haben, zumindest hoffte er das. Nicht
dass er sich über die Überstunden beschweren würde, er bekam sie bezahlt.
Wenn er jede Woche fünfzig Stunden arbeiten würde, würde er genug Geld ansparen um im
nächsten Jahr einen ausgiebigen Urlaub machen zu können. Dann konnte er zurück nach
Neuseeland und Alison auf seinem Rückflug einfach mit nach Deutschland nehmen. Das
Argument, der lange Flug sei alleine zu langweilig, würde dann nicht ziehen. Er würde sie
einfach aus dem neuseeländischem Winter in den hoffentlich warmen, deutschen Sommer
entführen.

„Du hast dich aus deiner Wohnung getraut, perfekt.“ Steve umarmte Patrick.
„Ja, ab in die freie Wildbahn.“ Patrick hatte sich von seinem Freund überreden lassen am
heutigen Abend auszugehen. Die Voraussetzungen waren ideal: Er hatte um drei Uhr
Feierabend gehabt, morgen musste er erst um halb drei anfangen, er konnte lange schlafen
und die Münchener Innenstadt kennen lernen.
Zusammen mit einigen von Steves Kollegen waren sie in eine Bar gegangen, in der eine live
Band spielte.
„Was möchtet ihr?“ Die Kellnerin kam zu ihnen.
„Sex on the beach“, seufzte Patrick. Was hatte er seinen Lieblingscocktail vermisst. Immer
wenn er ihn im Ausland bestellt hatte, war er nicht so gewesen, wie Patrick ihn in Erinnerung
hatte und mochte.
„Den hätten wir alle gerne, aber ich kann dir sagen, das ist nicht so angenehm, wie alle immer
denken.“ Sie grinste ihn an.
„Kommt auf die Größe der Decke an.“
„Die Größe ist immer wichtig. Eiswürfel oder gecrushtes Eis?“
„Crushed bitte.“
„Die hat dich angebaggert“, stellte Steve amüsiert fest. „Die Größe ist immer wichtig.“
„Was für langweilige Sprüche.“
„Sie sieht nett aus, du solltest einen weiteren Schritt versuchen.“
Patrick sah der Kellnerin nach. Sie musste Anfang zwanzig sein, hatte lange, schwarze Haare
und eine gute Figur. Wahrscheinlich bekam sie jeden Abend mehrere Angebote.
„Nicht mein Typ.“
„Nicht blond genug?“
„Sagen wir, die Art, wie sie das Gespräch sucht, spricht mir nicht zu.“
„Du hast dich in deine Ärztin verguckt. Ich habe es gewusst.“
„Das hat mit Kim nichts zu tun.“
„Meinst du? Ihr schreibt euch noch immer täglich?“
„Wir haben uns nie täglich geschrieben.“
„Sie ist die letzte Person, der du eine Email geschrieben hast?“
„Nein. Das war Alison.“
„Alison? Die Alison?“ Steve hatte Alison nie getroffen, aber er hatte mit ihr gesprochen. Dank
Patricks Laptop, der Webcam und dem Mikrophone hatte er Alison kennen gelernt. Sie hatten
einen Abend – für Steve Morgen – vor den Computern gesessen und zusammen gefeiert. Eine
Art interaktives Oktoberfest hatte Steve das genannt. Er hatte die Maßkrüge hochgehalten, sie
hatten das Bier aus einer Wasserkaraffe getrunken.
„Ja, sie vermisst mich.“
„Und?“
„Und ich vermisse sie. Es wäre so schön wenn sie hier wäre. Sie fragt, ob ich ein Bett hätte
wenn sie nach Deutschland kommen würde.“
„Ich bin mir sicher, du wirst ihr gerne dein Bett anbieten“, grinste Steve.
„Das habe ich. Ein Extrabett oder eine Matratze passen in meine geräumige Wohnung nicht.
Nur bis sie mal herkommen bin ich umgezogen, dann kann ich wahrscheinlich ein eigenes
Bett bieten.“
„Was für eine Verschwendung einer Gelegenheit.“
„Du bist unmöglich.“
„Ich spreche nur aus, was du denkst.“
„Alison und ich sind Freunde. Es war nie mehr.“
„Was für eine Verschwendung einer Gelegenheit“, wiederholte Steve grinsend.
Patrick verdrehte die Augen. Die Kellnerin brachte ihnen die Cocktails.
„Sex on the beach; ganz ohne Sand”, sagte sie lächelnd zu Patrick.
„Was für ein Glück, der knirscht schon im Sandkuchen immer so zwischen den Zähnen.“
„Dann musst du in etwas anderes beißen als in Sandkuchen. Es gibt bessere Dinge, an denen
man naschen kann.“ Sie zwinkerte ihm zu und ging.
Die Jungs am Tisch johlten kurz auf.
„Die baggert dich an.“
„Du stehst doch auf Schwarzhaarige, Steve.“
„Ja, ich sollte mein Glück versuchen. Mal sehen, ich bin sehr anspruchsvoll, wenn sie den drei
Fragen Test besteht, dann könnte ich etwas versuchen.“ Steves drei Fragen Test bestand aus
simplen Fragen: Bist du Sportfan? Hast du ein Problem damit wenn dein Freund mit den
Jungs etwas unternimmt? Wie stehst du zu Fast Food? Die wichtigsten Elemente in seinem
Leben. Sie musste Sport mögen, Fußball oder Eishockey im besten Fall, selber sportlich aktiv
sein. Sie sollte ihm seine Freiheiten lassen und ihm keine Vorwürfe machen, wenn er mit
Freunden etwas unternehmen wollte anstatt jedem Abend mit ihr zu verbringen. Und sie
wollte keine Probleme damit haben, ab und zu einen Fast Food Laden mit ihm aufzusuchen.
Nichts war schlimmer als eine Freundin, die jede Kalorie zählte und ihm Vorwürfe machen
würde, wenn er mit Freunden Burgerwettessen machte. Das kam einmal in zwei Monaten vor,
den Rest der Zeit ernährte er sich gesund. Deswegen wollte er weder Vorwürfe noch empörte
Blicke haben wenn er vier Burger orderte.
„Stehst du auf blond?“, fragte Markus, einer der Freunde von Steve. Er war bereits im zweiten
Jahr beim Verlang.
„Die Haarfarbe ist unwichtig.“
„Tatsache ist, du hast einen Hang zu blond“, grinste Steve. „Marion, die du in Australien
angeschmachtet hast, Kim. Die sind beide blond.“
„Mit beiden habe ich nichts.“
„Leider. Ich muss sagen, beide sind nett. Es war ein sehr netter Abend mit Kim gewesen und
wir hatten einige verrückte Gespräche mit Marion. Leider ist die absolut auf David Beckham
fixiert und du, mein lieber Freund, siehst leider nicht wie der Becks aus.“
„Das macht nichts, ich will auch keine Viktoria an meiner Seite haben.“ Was für eine
schreckliche Vorstellung, da blieb er lieber Single.
„Sie würde bei dem drei Fragen Test bei der letzten Frage auf jeden Fall durchfallen. Wie
schrecklich, wahrscheinlich zählt sie seine Kalorien. Kein Bier heute Abend, du hattest deine
Kalorienanzahl bereits. Ich habe das genau ausgerechnet, zusammen mit den
Trainingseinheiten, die du heute hattest, ist dein Limit ausgeschöpft. Du kannst eine
Selleriestange essen, Schatz. Nein, das ist keine Frau für uns. Ich werde mein Glück bei der
Kellnerin versuchen.“
„Viel Glück.“ Patrick sah sich um. Wieso war er hier? Er hatte nicht einmal Lust auf einen
Abend in der Kneipe. Sicher war es nett mit seinem Freund unterwegs zu sein, nur er wusste
nicht, was er in Kneipen sollte. Irgendwann hatte er verlernt, wie man Spaß in einer Kneipe
hatte.
War auf dem besten Wege zu einem Stubenhocker zu werden? Jemand, der nur für die Arbeit
die Wohnung verließ? Oder hatte er einfach den Spaß an einer großen Runde verloren, in der
man trank und Allerlei Blödsinn erzählte. Tatsache war, in den letzten Jahren hatte er sich in
kleinen Runden immer wohler gefühlt. Und in Runden, die in einem Wohnzimmer oder einem
Garten waren.

Es dauerte zehn Tage bis Patrick einen freien Nachmittag hatte, an dem er sich nicht nach
sofort nach Hause gehen und entspannen fühlte. Um fünfzehn Uhr verließ er die Pension und
nahm die S-Bahn in die Innenstadt. Zeit sich um andere Dinge als um die Arbeit zu kümmern.
Er stieg nahe des Herzzentrum aus und schlenderte durch die Straße zu dem Hauptgebäude.
Das deutsche Herzzentrum war eines der führenden Zentren für Herz- und
Kreislauferkrankungen in Deutschland und gehörte zur Technischen Universität München.
Dass das Krankenhaus in der Lazarettstraße lag brachte Patrick zum schmunzeln. Wie
passend. Er fragte sich, ob die Straße aufgrund des Krankenhauses so genannt wurde oder ob
die Wahl des Standortes etwas mit dem Straßennamen zu tun hatte.
Er betrat die Klinik, versuchte wissend auszusehen um sich unauffällig am Pförtner vorbei zu
mogeln und huschte zu dem Schild, auf dem die einzelnen Stationen beschrieben waren. Wo
sollte er anfangen? So unauffällig wie möglich sah er sich um. Es lagen einige Zeitschriften
hier herum, wo Angehörige warten konnten. Er beschloss so zu tun als wenn er warten würde
und begann in der erstbesten Zeitschrift zu lesen. Medizinische Ratschläge. Da konnte er wohl
kaum eine Kurzgeschichte unterbringen.
„Kann ich Ihnen helfen?“ Super. Sein Plan unauffällig auszusehen hatten keine zwei Minuten
angehalten. Eine Krankenschwester im mittleren Alter stand vor ihm.
„Ich suche...“ Frauenzeitschriften. Wenn er das sagen würde, würde er sofort in den
Psychiatrietrakt geschickt; wenn es den gab.
„Warten Sie auf jemand?“
„Ähm, nein.“
„Suchen Sie jemand?“
„Ähm...Kim.“
„Kim?“
„Kim...Doktor...“ Sie war Assistenzärztin, sie musste einen Doktortitel haben. „Doktor
Neumann .“ Wie gut dass er ihren Nachnamen kannte. Und sie hatte damals gesagt, er konnte
sich auf sie berufen. Wieso musste diese Krankenschwester so hilfsbereit sein? Konnte sie ihn
nicht einfach alleine lassen?
„Sie ist Assistenzärztin hier.“ Es gab sicherlich Hunderte von Ärzten, wieso sollte die
Krankenschwester gerade...
„Sie ist im nördlichen Flügel, gehen Sie einfach die Treppe herauf, in den zweiten Stock, links
und dann immer geradeaus. Wenn Sie nicht weiterwissen, fragen Sie einfach jemand. Ich kann
Ihnen leider nicht sagen, wann sie Feierabend hat. Oder ist es etwas Dringendes, dann lasse
ich sie ausrufen.“
„Nein, nein, es ist nicht dringend. Danke.“ Er sprang mehr auf als dass er aufstand und verließ
beinahe fluchtartig den Bereich. Immer zwei Stufen auf einmal nehmend ging es die Treppe
herauf. Sobald er einen Ausgang oder einen Hinweis auf einen Ausgang sehen würde, würde
er aus der Klinik verschwinden. Einmal erwischt reichte völlig aus.
Krankenhäuser. Wieso war er hergekommen? Er konnte Krankenhäuser nicht ausstehen.
Wieso war er nicht einfach in einen großen Supermarkt gegangen? Kein Mensch interessierte
sich in einem großen Supermarkt, wenn er eine halbe Stunde oder länger vor dem Regal mit
den Zeitschriften stand und las. Er hätte in aller Ruhe herumstehen können, blättern,
Informationen abschreiben.
Okay, es sah seltsam aus wenn ein Mann sämtliche Frauenzeitschriften durchsah, doch in
diesem Fall würde es vorziehen seltsam angesehen zu werden anstatt in einem Krankenhaus
gefangen zu sein, in dem es von Krankenschwestern nur so wimmelte, die ihm helfen wollten.
Er brauchte keine Hilfe. Er brauchte einen Ausgang.
Wenn er auf dem Weg in den Nordflügel war, dann hatte dieser sicherlich einen separaten
Eingang. Er würde einfach aus diesem entschwinden und niemand würde jemals wissen, dass
er hier gewesen war.
Was machte er wenn er plötzlich vor einer Station stand, in die er nicht durfte? Isolierstation
oder was auch immer hier auf ihn lauern konnte. Krankenhäuser waren voll mit Gemeinheiten
und Bakterien, die an jeder Ecke auf einen lauerten. Herz- und Kreislauferkrankungen.
Wenigstens sollte er sich hier nichts einfangen. Die Ansteckungsgefahr bei Herz- und
Kreislauferkrankungen war sehr gering, er hatte nie gehört, jemand hatte sich bei einem
anderen mit Herzinfarkt angesteckt.
Kardiologie. Hier war er richtig. Hier wäre er richtig wenn er wirklich nach Kim suchen
würde. Okay, wie konnte er nun schnell, elegant und unauffällig von hier verschwinden? Wo
waren die verdammten Ausgangsschilder? Waren die nicht Pflicht? Musste der Ausgang nicht
immer gekennzeichnet sein? Oder waren das nur Notausgänge? Bei dem Versuch diese zu
benutzen würde er wahrscheinlich sämtliche Alarmanlagen in Betrieb setzen und mehr
Schaden anrichten als wenn er noch einer weiteren Krankenschwester in die Hände geriet.
Was ihn am meisten ärgerte war, all diese Korridore, die er nun entlang gelaufen war, waren
frei von Zeitschriften gewesen. Wo bitte waren all diese Zeitschriften, von denen Kim ihm
erzählt hatte? Waren sie in bestimmten Räumen? War er in einer Etage, in der nicht gelesen
wurde? Was genau lief hier falsch?
„Kann ich Ihnen helfen?“ Nicht schon wieder. So langsam kam er sich vor wie damals in
Australien. Sobald er gewagt hatte den Stadtplan aus der Tasche zu ziehen und ihn für länger
als drei Sekunden anzusehen, hatte jemand neben ihm gestanden und gefragt, wo er denn hin
wolle und ob er Hilfe gebrauchen konnte. Patrick hatte niemals die Chance gehabt in Ruhe
einen Blick auf die Straßenkarten zu werfen.
Die Frau, die auf ihn zukam, sah ihn nicht sehr freundlich an. Sie trug ein Namenschild und
Patrick gab sich alle Mühe den Namen zu lesen. Eine Ärztin. Verdammt.
„Kann ich Ihnen helfen?“, wiederholte sie.
„Ich ähm...“ Suche den Ausgang? Warte auf jemand? Habe mich verlaufen? Was sollte er
sagen? Es sollte besser etwas intelligentes sein, diese Frau schien keine Engelsgeduld zu
haben, wie es die Krankenschwester hatte.
„Ich suche den Ausgang.“
„Wo kommen Sie her?“ Paderborn. Nein, das wäre keine gute Antwort. Sie sah nicht aus als
wenn sie seinen Humor teilen würde.
„Von...da hinten.“ Ehrlich gesagt hatte er keine Ahnung wie die Station hieß, in der er zuerst
gewesen war und wo er zwischendurch gewesen war. Er war zu sehr damit beschäftigt
gewesen einen Ausgang zu finden, er hatte sich nicht gemerkt, wo er gewesen war.
„Da hinten?“
„Ja, ich bin...“
„Wieso sind Sie hier? Wollen Sie jemand besuchen?“
„Ähm...“ Wenn er nein sagte, dann gab es keinen Grund für ihn wieso er im Krankenhaus war.
„Ja.“ Er konnte einfach einen Namen erfinden und wenn es diese Person nicht gab, dann hatte
er sich eben in der Station geirrt. Nur, was wenn es diese Person gab und die Ärztin würde ihn
direkt dorthin bringen? Sein ganzer Schwindel würde auffliegen.
„Wen?“
Oh, sie würde ihn eines Tages dafür umbringen, sie würde nie wieder mit ihm reden, würde
ihn als Stalker anzeigen und was ihr sonst noch als Strafe einfallen konnte.
„Kim.“
„Kim wer?“
„Doktor Kim Neumann.“
„Doktor Neumann.“ Sie musterte ihn von oben bis unten, drehte sich um und begann zu
gehen. „Folgen Sie mir!“
Was hatte er nur getan? Wieso hatte er nicht einen absurden Namen erfunden? Wieso hatte er
nicht gesagt, er würde nach dem Ausgang suchen? Nein, er musste Kim in diese Sachen
ziehen und würde ihr Probleme bereiten.
Er konnte bereits beginnen sich eine gute Entschuldigung zurecht zu legen und sie um
Verzeihung bitten für all die Probleme, die er ihr bereiten würde. Da war kein guter Grund
wieso er sie brauchte. Er wollte nach Zeitschriften gucken, das konnte er alleine. Oh Patrick,
was machst du nur? Kannst du nicht eine Woche ohne Probleme schaffen?
„Kim, du hast Besuch!“ Die Stimme der Ärztin war...Patrick war sich nicht sicher, nur sie war
nicht neutral.
Er trat näher, war nur zwei Schritte von der Tür entfernt, aus der Kim kommen musste. Er
hoffte, sie war nicht bei der Visite oder einer anderen wichtigen Sache.
Kim trat aus dem Raum, sah ihn, lächelte. „Hey Patrick.“ Sie umarmte ihn. Das brachte ihn
mehr aus der Fassung als es ein Vorwurf gemacht hätte. Wieso diese Freude? Hatte er eine
Verabredung vergessen?
„Schön dass du da bist. Lass uns gehen.“ Sie harkte sich bei ihm unter. „Tschüss.“
„Das nächste Mal sag deinem Kerl er soll nicht über die Station schleichen, sondern direkt zu
dir kommen. Und wenn er den Weg nicht kennt, dann wird es Zeit, dass du ihm mehr zeigst
als dein Schlafzimmer.“
Patrick legte die Stirn in Falten. Ihr Kerl? Das war ihm entgangen. Was hatte Kim dieser
Ärztin über ihn erzählt? Bis vor wenigen Sekunden wäre er sicher gewesen, sie hatte ihn
niemals bei der Arbeit erwähnt, wieso sollte sie? In welchem Kontext? Hey Leute, da ist ein
Typ, der schreibt über einen Seriencharakter, den ich vor Jahren mal darstellt habe. Er ist nach
München gezogen. Das machte keinen Sinn.
„Was war das?“, fragte er als sie außer Hörweite waren.
„Wir legen großen Wert auf Freundlichkeit.“ Sie war noch immer bei ihm untergeharkt.
„Kannst du einfach so gehen?“
„Ich hatte vor fünf Minuten Feierabend, ja, ich kann gehen. Du hast ein sehr gutes Timing.“
„Deine Kollegin schien das anders zu sehen.“
„Das ist reine Eifersucht.“ Kim wollte zuerst auf den Fahrstuhl zusteuern, entschied sich dann
jedoch anders. Es schien sie weder Patricks plötzliches Auftreten oder das seltsame Verhalten
ihrer Kollegin zu beeindrucken.
„Eifersucht?“ Wieso sollte sie eifersüchtig sein? Es gab keinen Grund. Er hatte ihr eine
Notlüge präsentiert, eine relativ neutrale Notlüge. War sie eifersüchtig auf Kims Feierabend?
Oder dass jemand sie besuchen kam?
„Ja, das alte Problem wenn man mit der Ex zusammenarbeitet.“
„Der Ex?“ Das hatte er nicht laut sagen wollen. Sollte das heißen Kim und diese Ärztin
waren ein Paar gewesen? Und diese dachte nun, Patrick und Kim wären ein Paar? Sehr
unwahrscheinlich, wenn sie zuvor mit ihr zusammen gewesen war. Patrick war keine Frau,
wenn Kim lesbisch war, dann hatte er keine Chance.
Wollte er eine Chance haben? Das war die nächste Frage. War er enttäuscht? Hatte er sich
insgeheim eine Chance ausgerechnet? War diese Chance gerade verflogen? War seine
Hoffnung, die er sich im Unterbewusstsein gemacht hatte, gestorben?
„Ja, wir waren mal zusammen. Wenn man neu in einer angesehenen Klinik ist, eine erfahrene
Ärztin einen Avancen macht, einem unbedeutenden Medizinstudenten im letzten Semester,
dann kann man schwach werden. Man ist geblendet, fühlt sich geehrt, man wacht auf und
stellt fest, es war nicht das richtige.“
„Ihrem Benehmen nach zu entnehmen war sie nicht der Überzeugung, es war Zeit eure
Beziehung zu beenden.“
„Nein, vor allem nicht weil es meine Entscheidung war. Ich war nicht mehr das praktische
kleine Ding, das machte, was man ihr sagte. Ich habe angefangen meine eigene Meinung zu
haben, das war nicht das, was sie wollte. Lange Rede, kurzer Sinn: Wir haben uns vor zwei
Monaten getrennt, sie zickt mich an, ich ignoriere das. Sie versucht mich zurück zu
bekommen, ich lehne ab.“
„Und nun denkt sie, der Grund wieso du ihr einen Korb gibst bin ich. Sollte ich jemals in
einer Situation sein, dass ich in eine Herz- Kreislaufklinik muss, dann werde ich nicht hierher
kommen. Der traue ich zu, sie würde mir extra das falsche Medikament geben um mich zu
quälen.“
„Ich würde aufpassen, dass sie nicht deine Nähe kommt.“ Kim schmunzelte. Sie verließen das
Krankenhaus.
„Danke. Ich ziehe eine andere Klinik trotzdem vor.“
„Das ist okay. Wobei ich nicht eine Sekunde von deiner Seite weichen würde, du hättest quasi
eine Privatärztin.“ Sie zwinkerte ihm zu. „Ich kann doch meinen Lover nicht alleine lassen.
Was würde das für ein Bild auf mich werfen? Mein Freund liegt auf der Intensivstation und
ich vergnüge mich Zuhause? Undenkbar.“
„Ich würde mich umgehend trennen“, grinste Patrick. Ihm gefiel der Gedanke. Nicht der Teil
mit der Intensivstation, aber der Teil mit Kim um sich herum haben den ganzen Tag. Sie wäre
definitiv jemand, den er den ganzen Tag um sich haben könnte.
„Also, was hast du wirklich in Krankenhaus gemacht?“
„Ich war auf der Suche nach den Zeitschriften. Kaum hatte ich angefangen mich nach denen
umzusehen, hat mich eine Krankenschwester gefragt, wen ich suchen würde. Es wäre seltsam
gewesen, wenn ich gesagt hätte: Niemand, ich will mir nur die Zeitschriften ansehen. Also
habe ich aus Dummheit oder weil mir nichts anderes eingefallen ist, deinen Namen erwähnt.
Sie hat mich zu deiner Station geschickt, ich habe versucht einen Ausgang zu finden um
einfach zu verschwinden, bevor mir das geglückt ist, bin ich in den Händen von dieser
weiblichen Doktor Mabuse gelandet.“
„Das heißt, du hast nicht eine Adresse gefunden?“
„Nein, nichts. Ich hatte die erste Zeitschrift offen und dieser ungewollte Engel war da. Sie war
nett, nur ich wollte keine Hilfe.“
Sie blieb kurz stehen, sah nachdenklich drei. „Okay, ich habe eine Idee.“ Sie schob ihn in
Richtung Fußgängerzone.
„Was?“
„Wir beide werden in die große Buchhandlung gehen, uns daran machen die erste Lage
Zeitschriften anzusehen, wenn die Verkäuferinnen zu oft zu ärgerlich zu uns sehen, dann
gehen wir einfach zu den nächsten großen Supermarkt oder Kaufhaus und machen da weiter.“
„Wir?“
„Mitgefangen – mitgehangen. Ich will eines Tages sagen können: Patrick, ja, den kenne ich.
Der ist damals zu mir ins Krankenhaus gekommen um nach Adressen von Zeitschriften zu
gucken, die seine Werke veröffentlichen wollen. Außerdem wirst du mich zum Dank zu einem
Kaffee einladen und ein anderes Mal zum Abendessen. Du hast gesagt, du seiest ein passabler
Koch, ich bin eine miserable Köchin, das heißt, wenn ich gescheites Essen haben will, dann
muss ich entweder ins Restaurant gehen oder mich woanders einladen.“
„Einverstanden.“ Patrick musste lachen. Das war ein guter Deal. Er würde Gesellschaft bei
der Adressensuche haben, würde alle Zeitschriften in der Hälfte der Zeit durchsehen.
Sie gingen in den Buchladen, steuerten direkt auf die Zeitschriften zu und begannen sie
durchzublättern. Patrick hatte den kleinen Block und den Kugelschreiber in der Jackentasche,
bereit jede Adresse aufzuschreiben.
„Habe eine, die Funk Uhr nimmt Leserkrimis.“ Er hatte keinen Krimi als Kurzgeschichte
geschrieben, es war mehr eine Fantasiegeschichte. Egal, er konnte sich an einem Krimi
versuchen. Er schrieb ganze Kriminalromane, er würde eine Kurzgeschichte auf die Reihe
bekommen.
„Hier.“ Er drückte ihr den Block und den Kugelschreiber in die Hand.
Sie arbeiteten sich durch exakt die erste Reihe, trafen sich in der Mitte, als Patrick leise
flüsterte: „Wir sollten gehen, der Verkäufer auf vier Uhr sieht uns schon die ganze Zeit nicht
sehr zufrieden an. Zeit den Ort zu wechseln und uns wo anders unbeliebt zu machen.“
„Okay.“ Sie harkte sich erneut bei ihm unter und betont zur anderen Seite sehend, verließen
sie den Buchladen. Fünf Adressen hatten es auf ihren Block geschafft.
Das nächste Ziel war Hertie. Weniger Verkäufer, die in sie interessiert waren, das Problem war
nun, sie mussten versuchen sich zu erinnern, welche Zeitschriften sie bereits durchgesehen
hatten. Die Chance, dass Kim eine Zeitschrift nachsah, die Patrick bereits überprüft hatte, war
groß, doch das Risiko mussten sie eingehen.
„Du weißt, ich denke, ich schulde dir mehr als ein Abendessen. Es sieht bei dir zwar nicht
ganz so lächerlich aus, wenn du durch Frauenzeitschriften blätterst, aber du riskierst ebenfalls
negativ aufzufallen und wenn wir vom Kaufhausdetektiv aufgegabelt werden, dann fällt das
auch auf dich.“
„Das erhöht den Spaß. Ich fühle mich ein wenig wie ein Teenanger, der etwas Verbotenes tut.“
Kim grinste breit. „Du kannst dir die Männermagazine ansehen, es würde seltsam aussehen
wenn ich das mache.“
„So weit ich weiß sind diese Magazine nicht darauf ausgelegt, dass sie gelesen werden. Ist da
überhaupt ein Text drin?“ Er meinte zusammenhängender Text, der sich mit etwas anderem
befasste außer Sex.
„Du bist der Mann.“
„Ja, ich bin der Mann. Leider haben mich diese Magazine nie interessiert. Ich kann nicht
verstehen, was meine Geschlechtsgenossen an Fotos von nackten Frauen finden. Es sind
Fotos, sie sind schrecklich gekünstelt und nicht erotisch, sondern eher plump. Wie langweilig
es ist, eine nackte Frau. Wo ist denn da die Spannung? Wenn man alles auf Anhieb sieht, dann
hat man gar nichts mehr zu entdecken.“
„Du bist ein seltenes Exemplar Mann.“
„Seltsam, ja das habe ich öfters gehört.“
„Positiv anders.“ Kim legte eine Zeitschrift weg. „Wenn es dich beruhigt, die meisten
Hochglanzmagazine für Frauen sind auch nicht darauf ausgelegt, der Betrachterin viel zu
lesen zu geben. Du hast zweihundert Seiten, hundertfünfzig sind voll mit Fotos von Mode,
Make-up oder Frisuren, dann ein paar Rezepte, Make-up Tipps, etwas Klatsch, ein wenig Sex
und das war es. Zum Blättern interessant, zum Lesen nicht geeignet.“
„Männer und Frauen sind gleich – nur anders.“ Er notierte eine Adresse.
„Wir können das irgendwann mal vergleichen, du kaufst den Playboy und ich die Playgirl.
Mal sehen wie viele Gemeinsamkeiten diese beiden Zeitschriften haben.“
„Wäre es nicht lustiger wenn du den Playboy kaufst und ich die Playgirl?“, fragte Patrick
amüsiert. Einfach um die Verkäufer zu verwirren.
„Könnte auch lustig sein. Mit Freundinnen habe ich vor einigen Jahren mal alle
Jugendzeitschriften gekauft, einfach um zu sehen, ob es die gleichen Texte sind wie in unserer
Jugend. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, die Qualität ist stetig gesunken.“
„Ja, das habe ich damals schon gemerkt. Ich musste mir diese Zeitschriften für einen gewissen
Zeitraum jede Woche genau ansehen, ich hätte ja sein können, eine von mir verehrte
Schauspielerin wäre in einem Artikel gewesen.“
„Lass mich raten, du hattest keinen Erfolg damit.“ Kim hatte niemals eine Artikel in einer
Jugendzeitschrift bekommen, dafür war sie zu unbedeutend gewesen. Niemand hatte sich für
sie interessiert – bis Patrick plötzlich in ihr Leben getreten war.
„Nein, nichts.“ Patrick legte die Zeitschrift zu Seite. Das war die letzte Zeitschrift, die sie in
diesem Laden durchzusehen hatten.
„Sollen wir einen der großen Supermärkte versuchen? Oder einen Kiosk am Bahnhof?“,
fragte Kim.
„Wir werden niemals genug Zeit haben um im Kiosk alle Zeitschriften nachzusehen, da
fliegen wir vorher raus.“
„Das macht die Sache interessanter. Wir können die Bereiche Sport und Männer sparen, aber
vielleicht springt uns auf einem Titelbild etwas ins Auge. Es könnte sein, dass auf einem
Titelblatt damit geworben wird, dass sie einen Autor suchen.“ Sie nahm seine Hand und zog
ihn aus dem Laden.
Patrick hatte das Gefühl, es machte Kim mindestens genauso viel Spaß mit ihm nach
Adressen zu suchen, wie es ihm Spaß machte. Er hätte niemals gedacht, dass sie so viel Zeit
mit ihm verbringen würde, ihn so unterstützen würde und all diese – mehr oder weniger
verrückten Dinge – mit ihm machen würde.

Kapitel 6
„Oh mein Gott.“ Patrick wäre beinahe rückwärts aus dem Zimmer gegangen. Was für ein
Gestank. Was für ein Chaos.
„Was ist?“ Bärbel trat hinter Patrick. „Eu.“
„Ja, eu.“ Er holte tief Luft und betrat das Zimmer. Sie mussten nur einen Service hier machen,
er wusste nur im Moment nicht, wie er das schaffen sollte, wenn er nicht atmen konnte. Es
war keiner dieser schnellen Services, bei denen er nichts machen musste, da alles so aussah,
als wenn niemand eingezogen wäre. Dieses Zimmer sah nach einem langen, ausgiebigen
Service aus.
„Etwas dagegen wenn ich die Fenster öffne?“, fragte er Bärbel. Die Gäste waren nicht da. Sie
konnten das Fenster schließen wenn sie gingen.
„Im Gegenteil. Gott, das ist schrecklich.“
Patrick riss das Fenster weit offen und atmete tief ein. Frische Luft.
„Manche Leute müssen eine Frischluftallergie haben.“ Bärbel nahm ihren Korb mit den
Putzutensilien und ging zum Bad.
„Meine Mathematiklehrerin pflegte zu sagen: Es sind schon viele Menschen erfroren, aber
noch niemand ist erstunken.“ Es war kalt gewesen in der letzten Nacht. Als Patrick um kurz
nach sechs seine Wohnung verlassen hatte, hatte das Thermometer minus acht Grad angezeigt.
Er hatte sich tiefer in seinen Schal gekuschelt und beschlossen, wenn er das nächste Mal zwei
Tage in Folge frei hatte, dann würde er zu seinen Eltern fahren und seine alte Winterkleidung
abholen. Wenn das so weiterging, dann konnte er seinen Skianzug gebrauchen.
„Da hat sie recht, aber es sind sehr viele Menschen bereits erstickt. Was für ein Chaos.“
Er sparte sich den Blick ins Bad, der Schlafbereich war nicht besser. Die Bettwäsche war
beinahe abgezogen, er musste das Laken wieder auf die Matratze ziehen, das Oberbett war
halb aus dem Bezug herausgerutscht und die vier Kissen hatten ihre Bezüge nur noch am
Ende an sich. Kaffeeflecken waren zu sehen.
Der Tisch war mit einer seltsamen milchigen Masse verschmiert, die Patrick als Stärke
ausmachte. Die Gäste hatten mit einem Wasserkocher Reis versucht aufzukochen und dabei
die Stärke auf der Tischplatte verteilt. Reiskörner lagen rund um den Tisch, ein angebissener
Apfel lag auf dem Tisch, gleich neben einer leeren Bananenschale. Die Krönung war ein
angebissenes Stück Brot, das halb unter dem Bett hervorlugte.
„Ich habe in vielen Backpackern gelebt, es war dort weiß Gott nicht immer sauber gewesen,
aber das hier, das übertrifft die Backpacker. Ich meine, wir haben dieses Zimmer gestern
morgen geputzt, es war sauber und nun sieht es aus als wenn jemand einen Monat hier gelebt
hätte ohne einen Gedanken ans Saubermachen zu verschwenden.“
„Wenn du so etwas siehst, dann fragst du dich, wie es bei diesen Leuten Zuhause aussieht um
umgehend festzustellen, du willst das gar nicht wissen, es ist zu ekelig.“
„Ja.“ Er hatte den Dreck von der Tischplatte entfernt und begann diese mit Holzpolitur zu
bearbeiten.
„Als du im Ausland gearbeitet hast, waren die Zimmer ähnlich schlimm?“
„Ja, wir hatten ähnliche Exemplare. Einmal in der YHA hat der Boss die vier Jungs, die ihr
Zimmer verwüstet hatten, zurück ins Zimmer geholt und sie mussten aufräumen. Wenn sie
sich geweigert hätten, hatte er sie die zwei Kilometer bergauf zur Bushaltestelle laufen lassen.
Es war faszinierend. Ich habe die Tür geöffnet und stand im Chaos. Papier, Coladosen,
Bierflaschen, alles war quer im Zimmer verteilt, die Matratzen waren nicht mehr auf den
Betten, Kissen und Decken waren überall, aber nicht im Bett, die Schränke voll mit Müll. Der
einzige saubere Platz im gesamten Zimmer war der Mülleimer. Das war das skurrilste an der
Sache. Der sauberste Platz in einem Zimmer der Mülleimer. Sie hatten ihn ignoriert oder
hielten es nicht für nötig ihn zu benutzen. Spart Müllbeutel, werft alles auf den Boden.“
„Der Ort, den man am wenigstens als sauber vermuten würde. Ist wie mit der Toilette, die ist
in den meisten Haushalten sauberer als der Kühlschrank.“
„Ich habe meinen Kühlschrank geputzt als ich eingezogen bin, die Toilette wurde einige Male
öfters geputzt. Vielleicht sollte ich den Kühlschrank mindestens einmal im Monat sauber
machen. Das Problem ist, er sieht sauber aus. Man sieht den Schmutz nicht. Ich meine, wenn
etwas ausläuft, dann wischt man es weg. Nur, richtig sauber machen, mit Reinigungsmittel,
das passiert selten.“
„Ich habe mir angewöhnt ihn alle zwei Wochen zu reinigen. Der Gedanke, mein Essen lebt
schmutziger als mein Allerwertester, war zu schrecklich.“
„Beide sollten in Sauberkeit leben.“
„Alles sollte sauber sein.“ Bärbel schloss die Badezimmertür. Sie war Anfang fünfzig, ihr
Haar war bereits grau und sie weigerte sich rigoros etwas dagegen zu tun. Der Herr hatte ihr
die Farbe gegeben, der Herr hatte sie genommen.
Patrick legte das letzte Kopfkissen auf das bett zurück. Was für ein Chaos. Wie konnte man
seine Kopfkissen fast abziehen? Er verstand wenn das Bettlaken verrutschte, nur die
Kopfkissen? Es sei denn, die Gäste hatten eine Kissenschlacht veranstaltet.
„Was ist als nächstes auf der Liste?“
„Service in zwölf, putzen in vierzehn. Was willst du machen?“
„Ich mache den Service in der Hoffnung, wir haben saubere Gäste und komme dann später zu
dir.“ Patrick war kein Fan von den Services, deswegen drückte er sich gerne darum, doch es
wäre unfair das jeden Tag zu tun. Er würde diesen Service machen und dann Bärbel helfen.
Zimmer vierzehn wäre das letzte Zimmer, das sie heute putzen mussten.
Er nahm seinen Korb, klopfte an der Tür, sagte lauter wer er war, wartete auf eine Antwort
und öffnete diese als keine Antwort kam. Die Tür war nicht einmal halb offen als er in der
Bewegung inne hielt.
„Oh, ähm, Entschuldigung.“ Er schloss die Tür schnell wieder und war sich sicher, sein
Gesicht hatte eine rötliche Farbe angenommen. Schnell verschwand er in Zimmer vierzehn.
„Das war schnell“, meinte Bärbel. „Das Zimmer muss klasse ausgesehen haben.“
„Das Zimmer war belegt.“
„Sollst du später wiederkommen?“
„Das haben sie mir nicht gesagt, ich habe sie aufgeweckt. Bärbel, ich werde definitiv nicht gut
genug bezahlt um nackte Leute zu sehen.“
Bärbel brachte in schallendes Gelächter aus. „Junge, andere Leute bezahlen um nackte
Menschen zu sehen, du wirst dafür bezahlt. Das passiert, dass man ein Ehepaar zusammen im
Bett liegen sieht, das bringt der Beruf mit sich.“
Wer hatte etwas von Ehepaar gesagt? Patrick hatte diesen Mann gestern eingebucht – nicht die
Frau. „Der Mann hat alleine eingecheckt, das ist nicht seine Ehefrau. Ich denke, diese Frau ist
genauso gemietet wie das Zimmer.“
„Wir sind kein Stundenmotel.“ Bärbels Gesicht verfinsterte sich. Die meisten Menschen in
Bayern waren katholisch, das hatten sie mit seiner Heimat gemein. Bärbel gehörte zu den
Katholen, die noch komplett von ihrem Glauben überzeugt waren. Patrick war sich nicht
sicher, wie stark der Glaube bei ihr war, eine Prostituierte schien jedoch nicht im
Toleranzbereich zu liegen.
„Es ist der zweite Advent, es ist beinahe Weihnachten, Menschen sollten zumindest in dieser
Zeit nicht sündigen.“
„Ich weiß, es ist nicht an uns Menschen für ihre Sünden zu bestrafen, in diesem Fall werde ich
das trotzdem machen. Er ist alleine eingebucht, ich werde ihm seine Begleiterin berechnen.“
Das war der Vorteil wenn man an der Rezeption und im Zimmerservice arbeitete, er konnte
Dinge, die ihm auffielen, direkt in Rechnung stellen.
„Hoffen wir, der Mann und seine Gefährtin haben das Zimmer nicht verwüstet.“
„Ich hatte nur einen sehr kurzen Blick ins Zimmer, es sah okay aus.“ Patrick zog das Bett ab.
Außer das Bett hatten der Mann und seine gekaufte Begleitung anscheinend nichts benutzt.
Ins Bad hatte er nicht sehen können, aber der Rest des Zimmers sah nicht zu schlimm aus.
„Das ist wie damals, als ich als Reinigungskraft gearbeitet habe. Unser Motel lag im Zentrum,
wir hatten des öfteren weibliche Besucher über Nacht, die niemals offiziell in den Büchern
standen. Mein Chef hat den Männern manchmal mehr berechnet, wenn diese versucht haben,
die Frauen zu verheimlichen. Im Prinzip waren die Zimmerpreise für zwei Personen, wer
jedoch versucht jemand einzuschleusen, der muss extra zahlen.“
„Ehrlichkeit bringt einen immer weiter als Lügen und Heimlichkeiten. Ich hoffe, dieser Mann
hat keine Ehefrau. Ehebruch in unserem Haus.“
Patrick sparte sich den Hinweis, dass es sicherlich nicht der erste Ehebruch gewesen wäre, der
in diesem Haus passiert war. Es war eine Pension, die Wahrscheinlichkeit, dass einer der
Gäste seinen Aufenthalt hier dafür genutzt hatte, sich ohne die Ehefrau zu vergnügen, war
hoch. Das war für einige Menschen ein Grund in Pensionen zu gehen.

Er hatte eine Notiz im Computer hinterlassen, dass der Mann eine Frau unangemeldet in sein
Zimmer mitgenommen hatte, wenn er morgen bei Patrick ausziehen würde, würde er ihm
diese Person berechnen. Für heute musste der Mann ohne einen Service leben. Weder Patrick
noch Bärbel hatten nachdem sie das letzte Zimmer geputzt hatten, zu dem Zimmer zurück
gewollt. Sie hatten beide zu zweifeln gewagt, zwanzig Minuten hatten gereicht um beide aus
dem Bett zu bekommen.
Er war vom Putzen direkt in die Mittagspause gewechselt, nach sechs Stunden Arbeit hatte er
sich diese verdient. Sein Mittagessen war ein kleiner Salatteller und ein Steak gewesen.
Trennkost war die neue Idee um die Ausmaße des Schokoladenkonsums in Grenzen zu halten.
Er verzichtete lieber auf Kartoffeln als auf Schokolade. Vor allem seitdem er endlich wieder
seine heißgeliebte Ritter Sport hatte. Was hatte er diese im Ausland vermisst. Cadbury war
nett, doch sie war kein Vergleich.
Zurück an der Rezeption überprüfte er ob Buchungen in den letzten Stunden im Internet
eingegangen waren. Es war seine Aufgabe sich um die Internetbuchungen zu kümmern, er
war der Computermann. Eine seine Aufgaben in den nächsten Tage war eine Internetseite zu
erstellen. Bisher gab es nur die Emailadresse bei einigen Tourismusseiten aus München.
Patrick würde eine Homepage erstellen und im Internet nach Seiten suchen, auf denen er diese
Seite verlinken oder die Adresse für Buchungen hinterlassen konnte. Wie man ihm gesagt
hatte, er hatte einen abwechselungsreichen Arbeitsplatz.
Sein Boss kam zu ihm. „Patrick, was hast du heute Abend vor?“ Sie hatten sich bereits in der
ersten Woche auf ein du geeinigt, da es das Zusammenarbeiten vereinfachte. Patrick, der nach
all den Jahren im Ausland es gewohnt war, dass er seinen direkten Vorgesetzten mit dem
Vornamen ansprach, hatte keinerlei Probleme damit gehabt. Apropos direkter Vorgesetzter, er
konnte seinem ehemaligen Chef mal wieder eine Email schreiben. Dieser musste in Kanada
bereits im tiefsten Schnee leben.
„Noch nichts, was sollte ich vorhaben?“
„Die Reservierungen für heute Abend im Restaurant sind recht hoch, wir könnten dich in der
Küche gebrauchen.“
„Kein Problem, ich habe keine Termine.“
„Du bist bereits bei deinen vierzig Stunden angekommen.“ Da hatte sein Chef zweifelsfrei
Recht. Patrick hatte jeden Tag zehn Stunden gearbeitet, er hatte seine vierzig Stunden bereits
voll, es sah im Moment nicht danach aus als wenn er zwei freie Tage in dieser Woche
bekommen würde.
Das Gehalt des letzten Monats war bereits auf seinem Konto und zur Hälfte wieder weg, da er
die Miete bezahlt hatte. Am Ende dieses Monats sollte etwas mehr Geld zur Verfügung stehen.
Das war auch nötig, denn er musste Weihnachtsgeschenke kaufen und konnte sein Konto
dafür nicht überziehen. Wenn er es bis zum letzten Ende auslastete, dann würde er mit dem,
was er noch hatte, leben müssen. Oder an seine Reserven gehen, die für Notfälle auf einem
separaten Sparbuch waren.
Monatliche Bezahlung. Wie hatte er sich an die wöchentliche Bezahlung in Australien und
Neuseeland gewohnt. Man hatte jede Woche, zwar weniger, aber ein Viertel seines
Monatsgehalts auf dem Konto. Und man wusste, wenn das Geld leer war, es waren nur
wenige Tage bis zum nächsten Gehalt, nicht zwei Wochen.
„Ich habe keine Probleme ein paar mehr Stunden zu machen.“
„Meine Frau wird dir demnächst einfach zehn Prozent der Pension überschreiben. Von fünf
bis um acht wäre gut.“
„Kein Problem.“ Alles, was heute machen wollte, war seine Kurzgeschichte zu einigen
Zeitschriften schicken, das konnte er in problemlos in den zwei Stunden machen, in denen er
frei hatte. Niemand wartete auf ihn, niemand würde ihn Zuhause vermissen. Und er konnte
jeden Euro gebrauchen. Und er konnte das W-Lan in der Pension kostenlos nutzen, was
bedeutete, er musste nicht einmal nach Hause, denn sein Laptop war mit ihm hier. Den hatte
er sich heute für die Mittagspause eingepackt.
„Hast du keine Freundin, die dich vermisst? Was ist mit dieser Ärztin, die du mal erwähnt
hast? Nicht dass du Probleme mit der bekommst.“
„Kim? Erstens ist sie nur eine Freundin und nicht meine Freundin und zweitens wird die
selber arbeiten; denke ich.“ Er hatte keine Ahnung was für eine Schicht Kim hatte, er hatte
nicht auf die Uhrzeit geguckt, als er gestern Abend ihre Email geöffnet hatte.
Wenn dann musste er mal wieder Zeit mit Steve verbringen, nur dieser war zur Zeit so sehr
mit dem Lernen für die Prüfungen beschäftigt, er wollte ihn ungern ablenken. Patrick konnte
sich sehr gut selber beschäftigen, wozu schrieb er schließlich? Er musste mindestens ein
weiteres Kapitel für Kim abtippen und dann versuchen einen kurzen Krimi zu schreiben. Und
eine Romanze. Die wenigsten Zeitschriften waren offen für das Genre ihrer Lesergeschichten
gewesen. Krimis oder Romanzen waren die verlangten Genre. Leider hatte er nur eine, sogar
mehrteilige, Fantasiegeschichte. Nun musste er sich irgendwie einen Krimi und eine
Liebesgeschichte aus den Fingern saugen. Er liebte Krimis, leider hatte er keine Ahnung, wie
er einen Mord auf nur zwei Seiten packen sollte. Wie sollte man auf zwei Seiten einen Plot
erstellen, Charaktere vorstellen und einen Mörder überführen ohne die Spannung außen vor
zu lassen? Und eine Liebesgeschichte? Er hatte nie Liebesgeschichten gelesen, er mochte sie
nicht lesen, er wollte nicht darüber schreiben, sie hatten nichts, was ihn faszinierte oder
fesselte.
„Gut“, unterbrach Anton Niedermeyer Patricks Gedanken. „Dann können wir entspannter
dem Abend entgegen sehen. Wir müssen noch überlegen wann du deine zwei freien Tage
haben kannst...“
„Die können wir auch weglassen.“
„Ich kann dich nicht sieben Tage am Stück arbeiten lassen. Vor allem nicht wenn du zehn
Stunden am Tag arbeitest. Siebzig Stunden in der Woche, das ist zuviel.“
Das sah Patrick anders. Siebzig Stunden waren siebenhundert Euro. Wenn er die Hälfte davon
sparen konnte, dann war er auf dem besten Wege zu einem schönen Urlaub im nächsten Jahr.
Mit viel Glück und noch mehr Überstunden konnte er sogar zurück nach Australien. Es gab
noch genug Plätze, die er in den zwei Jahren nicht gesehen hatte: Kangaroo Island zum
Beispiel. Hoffentlich war der australische Dollar noch immer so schwach wie damals, dann
würde er mehr für seinen Euro bekommen.
„Ihr arbeitet mehr als siebzig Stunden in der Woche und das seit Monaten.“
„Wir sind die Besitzer, bei uns guckt keine Gewerkschaft.“
„Die Gewerkschaft soll sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern, ich kann sehr gut für
mich alleine sprechen wenn ich nicht mehr arbeiten möchte.“
„Du nimmst dir den Samstag frei. Sonntag ist mehr Betrieb und morgen gehst du nach dem
Putzen nach Hause, so hast du wenigstens einen komplett freien Tag. Wir wollen dich nicht
verheizen, du wirst genug über die Weihnachtsfeiertage zu tun haben. Deine Kolleginnen
werden kaum da sein, du kannst all ihre Arbeit übernehmen wenn du willst. Oder möchtest du
einen Tag nach Hause?“ Da war seine Chance Weihnachten mit seiner Familie zu feiern. Sie
war direkt vor ihm, er musste nur zugreifen.
„Ich habe meiner Mutter bereits gesagt, ich sei nicht frei, sie müsse wenn dann hierher
kommen. Ihre Begeisterung hielt sich in Grenzen, ich sei die letzten Jahre weg gewesen und
nun bin ich im Lande und sie müssen wieder ohne mich feiern.“ Da war die Chance gegangen
und er konnte seine Ausrede, die er bereits angekündigt hatte, bestätigen. Dass er es selber so
gewollt hatte, das musste er keinem auf die Nase binden.
„Du solltest versuchen einen Tag bei ihnen zu sein...“
„Es ist nur ein Feiertag, sie sollen herkommen.“ Patrick hatte keine Probleme damit wenn er
Weihnachten alleine war oder arbeitete. Wenn seine Eltern ihn sehen wollten, sie hatten beide
über die Feiertage frei, sie konnten zu ihm kommen.
„Sollten sie sich dafür entscheiden, dann sag mir frühzeitig Bescheid, wir können einen
Discount für sie organisieren. Deine Wohnung ist etwas klein.“
„Ja, etwas.“ Er hatte seinem Boss die größer seiner Wohnung beschrieben. Die Zimmer der
Pension waren beinahe die gleiche Größe wie seine Wohnung.
Die Idee, seine Eltern konnten Weihnachten in München verbringen, gefiel ihm. Vielleicht
sollte er ihnen das als Geschenk geben. Wenn er ihnen drei Nächte in der Pension spendierte
hatten sie keinen Grund mehr Zuhause zu bleiben.
Natürlich würden sie mit Gründen auffahren. Oma und Opa konnten nicht alleine sein. Dann
mussten die beiden eben mitkommen. Sie würden alle zusammen Weihnachten in München
feiern, ein ganz neues Weihnachtsgefühl für alle. Er würde arbeiten und nach der Arbeit mit
seiner Familie Zeit verbringen.

„Du siehst müde aus.“ Kim blickte Patrick prüfend an. „Was ist los?“
„Ich beginne den Ärzten Konkurrenz zu machen was die Arbeitsstunden in der Woche angeht.
Wie viele hattest du?“ Sie hatten sich in einem Cafe getroffen. Nicht in der Innenstadt, in
Moosach. Patrick hatte in wenigen Minuten von der Pension zum Cafe gefunden. Diese kurze
Distanz war ihm sehr entgegen gekommen.
„Es war eine ruhige Woche, ich hatte fünfzig Stunden.“ Sie sah entspannt aus, doch wenn er
überlegte, dann hatte er sie niemals nervös oder unentspannt gesehen. Fünfzig Stunden waren
zehn Stunden mehr als der Durchschnittsarbeiter hatte. Sie sah es als ruhige Woche an, eine
sieben Tage Woche wahrscheinlich.
„Siehst du, ich hatte sechzig. Ein freier Tag, sechs Tage a zehn Stunden.“ Eine seiner
Kolleginnen in der Küche war erkrankt, er hatte jeden Tag bis um zwanzig Uhr ausgeholfen,
nachdem er zwei Stunden Pause zwischen Rezeption und Küche gehabt hatte.
„Wieso? Ist die Pension so voll?“
„Wir sind zu sechzig Prozent ausgelastet, das Restaurant läuft okay, das Problem ist, meine
Kollegin in der Küche ist krank und meine Chefin ist auf einigen Fortbildungen gewesen, sie
war kaum da um zu arbeiten. Da haben Anton und ich alles machen müssen.“
„Heute konntest du früh gehen.“
„Zur gewohnten Zeit, ja.“
„Das heißt, wenn du so viel in der Pension gearbeitet hast, dann hattest du keine Zeit mir
meine neuen Kapitel zu schicken? Ich warte seit zwei Tagen.“
„Oh, Mist.“ Er hatte ihr antworten wollen. Die letzte Antwort von ihr hatte er gelesen, hatte
darauf hin kleine Fehler verbessert, die ihr aufgefallen waren und dann, als es an der Zeit
gewesen war, ihr zu antworten, hatte sein Telefon geklingelt. Steve war dran gewesen, sie
hatten für zwei Stunden gesprochen, Patrick hatte darüber alles vergessen.
„Entschuldige.“
„Das ist okay. Du darfst sie mir gleich schicken, dann habe ich eine nette Beschäftigung für
den Abend. Ich werde mir das neue Kapitel ausdrucken und in der Badewanne lesen. Dazu ein
Glas Rotwein genießen.“
„Großer Wohlfühlabend?“ Eine Badewanne würde er auch gerne haben. Er vermisste die
langen Abende in der Wanne, mit einem guten Buch, einem Glas Wein, einigen Kräckern und
dann blieb man so lange im Wasser, bis die Haut schrumpelig war.
„So könnte man es nennen. Die nächste Woche wird lang und stressig. Kräfte für die Schlacht
sammeln.“
„Ich werde zurück zu meiner vierzig Stunden Woche kehren. Schade, wenn du so beschäftigt
bist, ich wollte etwas meiner Schulden einlösen.“
„Welche Schulden?“
„Ich schulde dir ein Abendessen, das wollte ich nächste Woche kochen.“
„Ich denke, dafür kann ich Zeit finden. Wenn dir eine Vorbereitungszeit von zwei Tagen
reicht. Im Moment ist unklar wann ich den nächsten freien Tag habe, aber sobald ich das
weiß, kann ich dir schreiben.“
„Zwei Tage reichen problemlos.“ Alles was er brauchte war einen Tag um die Einkäufe zu
erledigen. Kochen konnte er notfalls vor der Arbeit. Das war er vom Studium gewohnt. Vor
der ersten Vorlesung das kochen, was man in der Mittagspause essen wollte.
Der Kellner brachte ihnen ihre Getränke. Patrick hatte einen Cappuccino bestellt, Kim einen
Cafe Latte.
„Danke Marcel. Wie geht es Angela?“
„Gut, danke. Ich habe dich lange nicht mehr gesehen.“
„Stress und der übliche Kram, der dich davon abhält Dinge zu tun, die man gerne tut.“
„Das Leben einer Ärztin. Du bist Assistenzärztin?“
„Ja, seit vier Monaten.“
„Wie ist es?“
„Die Hölle, aber wenigstens werden wir besser bezahlt als unsere Vorgänger im Praktikum.“
Ein Gast rief nach Marcel.
„Ich bin sofort da.“
„Geh, du sollst deine Gäste nicht warten lassen. Grüße Angela von mir.“
„Mache ich. Ciao Bella.“
„Adios Bello.“ Sie sah ihm kurz nach und wandte sich dann wieder Patrick zu. „Marcel hat
mit mir zusammen im ersten Semester studiert. Er hätte Arzt werden sollen. Seine Freundin
war schwanger, bekam das Kind und ist bei der Geburt gestorben. Seitdem ist Marcel ein
alleinerziehender Vater, der anstatt in der Medizin in diesem Cafe Wunder vollbringt. Die
kleine Angela ist ein Sonnenschein.“
„Gehört ihm das Cafe?“
„Er ist der Mieter, er leitet das Cafe, es ist nicht sein Eigentum.“
„Es muss schwer sein wenn man all seine Ziele und Hoffnungen im Leben plötzlich aufgeben
muss. Wenn man dann noch die Person, die man liebt, verliebt, kann es einen ganz schön tief
stürzen lassen.“
„Er hat sehr viele Rückschläge einstecken müssen, viele Träume aufgeben müssen, doch er
hatte seine Tochter. Ich denke, ohne Angela hätte er das niemals geschafft. Er wäre an dem
Tod seiner Freundin zerbrochen und hätte seinen Traum vom Medizinstudium niemals
erfolgreich realisieren können. Angela hat ihn gezwungen sich auf das Leben zu konzentrieren
und nicht über den Tod das Leben zu vergessen.“
„Wenn man das hört, dann merkt man, wie gut das eigene Leben ist. Zumindest geht das mir
so.“
„Du bist glücklich?“
„Ja, ich bin glücklich. Seit drei Jahren.“
„Wieso seit drei Jahren?“
„Ich war nicht sehr glücklich als ich Deutschland verlassen habe, zuviel Stress im Beruf,
zuviel Ärger im Privatleben. Australien hat mir die Chance gegeben abzuschalten. Ich war
entspannt, habe mich von den alten Problemen gelöst und herausgefunden, wie man mit
kleineren Rückschlägen fertig wird ohne dass sie wie das Ende der Welt erscheinen.“
„Wie macht man das?“
„Anstatt sich auf all die Dinge zu konzentrieren, die schief laufen, schief laufen könnten oder
schief gelaufen sind zu konzentrieren, soll man seine Gedanken darauf lenken, was einem
Gutes wiederfahren ist, wiederfährt und noch wiederfahren kann. Ich habe mich selber einen
Nachmittag dabei ertappt wie ich frustriert dagesessen habe und Trübsal geblasen habe, da ich
keinen Job hatte. Dann ist mir aufgefallen wie dumm das war. Ich war in Neuseeland, ich saß
am Strand, die Sonne schien, meine Beine baumelten in der Brandung, ich saß auf einem
großen Stein mit einem guten Buch, hatte genug Geld um die nächsten Monate zu überstehen
wenn es sein musste, es gab keinen Grund depressiv zu sein. Es gab Millionen von Menschen,
denen es schlechter ging.“
„Ja, da hattest du recht. Frustriert sein wenn man am Strand sitzt. Du bist mir einer.“
„Ein kleiner Meckermann.“
„Das hast du hoffentlich abgelegt.“
„Zum größten Teil.“ Er grinste. Er versuchte sich dezent zu beschweren, ohne dass es zu
vielen Menschen auffiel. Wenn ihm etwas nicht passte, dann konnte er es aus seinem Leben
streichen anstatt sich darüber aufzuregen.
„Wie weit bist du mit den Kurzgeschichten?“
„Aufgrund der langen Arbeitszeit nicht sehr viel weiter. Ich habe die Zeitschriften, die nicht
ausdrücklich einen Krimi oder eine Kitschgeschichte wollten, angeschrieben und hoffe auf
Antwort. Für die anderen konnte ich leider nichts schreiben, ich hoffe, das klappt nächste
Woche. Nur, es ist schwierig Krimis so kurz zu fassen.“
„Du schaffst das schon.“ Kim lächelte zuversichtlich.
„Wieso, wenn ich mir diese Frage erlauben darf, versuchst du die ganze Zeit mich zum
Schreiben und Veröffentlichen meiner Sachen zu bringen?“ Er legte den Kopf schief und
betrachtete sie prüfend. Das war ihm einige Male aufgefallen. Kim schien ihn manchmal
regelrecht zu drängen. Als wenn sie wollte, dass er sich mehr auf das Schreiben konzentrierte
und andere Dinge vernachlässigte.
„Ich meine, ich bin sehr froh darüber, keiner unterstützt mich so wie du, keiner fordert mich
wie du. Nur wieso machst du das?“
„Du has Talent, du magst schreiben, es gibt keinen Grund wieso du nicht versuchen solltest
etwas zu veröffentlichen.“
„Danke, aber...“
„Kein aber. Da gibt es kein aber.“ Kim machte eine wegwerfenden Handbewegung. „Du hast
ein Talent, du kannst es entweder nutzen oder verkommen lassen. Du nutzt dein Talent, das ist
gut. Nun hast du die Wahl es für dich alleine zu nutzen oder es mit anderen zu teilen und dein
Talent für dich von Nutzen sein zu lassen.“
„Die Schreiberei wird immer mein Hobby sein, selbst wenn ich nicht Geld damit verdiene.“
„Du schreibst für dich, nicht für andere, ich weiß und das ist gut so. Ich möchte nur nicht,
dass du dich in ein paar Jahren fragst, ob du vielleicht hättest ein Schriftsteller werden
können, wenn du es nur versucht hättest.
Ich hatte den Traum der Schauspielerei, es hat nicht funktioniert, ich habe Medizin studiert.
Du weißt, ich mag meinen Beruf, doch ich frage mich immer mal wieder, ob ich eine richtige
Schauspielerin hätte werden können, wenn ich es mehr gewollt hätte. Wenn es jemand
gegeben hätte, der mich zu mehr Castings gezwungen hätte oder mir gesagt hätte, ich soll dies
und das machen um mehr Erfolg zu haben. Meine Eltern haben mir nie reingeredet. Meine
Freunde haben mir nie gesagt, ich solle mehr versuchen um Erfolg zu haben. Vielleicht war
München der falsche Ort für mich, vielleicht wäre eine andere Stadt der Schlüssel zum Erfolg
gewesen. Ich weiß es nicht, werde es nie erfahren und das macht mir manchmal zu schaffen.
Es ist kein schönes Gefühl wenn man sich fragt, ob man sein Talent verschwendet hat oder
nicht. Und es ist um einiges schlimmer, wenn man die Antwort darauf nie erfahren wird. Ich
werde niemals erfahren, ob ich eine gute Schauspielerin hätte werden können. Dieses Thema
ist beendet. Ich kann nur spekulieren.
Ehrlich gesagt hatte ich die ganze Sache beinahe verdrängt, hatte mich ganz auf das Studium
und dann auf den Beruf konzentriert. Es sind ja erst ein paar Monate, in denen ich als
Assistenzärztin arbeite. Dann kam deine Email. Ich stellte fest, ich kann nicht allzu schlecht
gewesen sein, wenn sich nach fast fünfzehn Jahren noch jemand an mich erinnert. Es musste
einen logischen Grund geben, wieso du nach mir diese Figur erschaffen hattest. War es, weil
du mich interessant fandest, war ich süß? Oder hatte ich Talent? War es meine Schauspielerei,
die einen Charakter so gut verkörperte, dass jemand anderes für Jahre dadurch inspiriert
wurde? Hatte ich mehr Talent, als ich jemals gedacht hatte, als man mir jemals gesagt hatte?
War es ein Fehler gewesen die Schauspielerin aufzugeben? Hätte ich mehr kämpfen müssen?
Mehr dafür tun müssen? All diese Fragen beschäftigten mich die ersten Wochen sehr und ich
konnte sie nicht beantworten.
Dann haben wir uns getroffen, du hast mir von all deinen Geschichten erzählt, sagtest, du
hättest nie etwas veröffentlicht obwohl du mit Leib und Seele bei deinen Geschichten bist und
ich dachte mir, das ist wie ich und die Schauspielerei. Also habe ich beschlossen, wenn ich
schon mein vielleicht vorhandenes Talent verschwendet habe, dann werde ich nicht tatenlos
zusehen wie du deines verschwendest oder nicht ausführlich nutzt. Egal ob im Supermarkt
stehen und Adressen herausschreiben oder dir hundertmal zu sagen, du sollst versuchen deine
Sachen zu veröffentlichen, ich werde dir so lange in den Hintern treten, bis du alles versucht
hast und dich niemals später fragen musst, ob du eine Chance vielleicht nicht genutzt hast.“
„Wow.“ Patrick wusste nicht was er sonst sagen sollte. Er hatte einige Stunden damit
verbracht nachzudenken, wieso Kim ihm so unterstützte, wieso sie all das machte, wie die
Stunden in den Kaufhäusern nach Adressen gucken, seine Geschichte kommentieren oder
ohne eine Silbe zu verlieren ihn im Krankenhaus einsammelte. Es war weil sie nicht wollte,
dass er seinen Traum verlor. Er sollte sich keine Vorwürfe später machen, er habe Chancen
ausgelassen.
„Es reicht ja wenn du dir deine Zukunft in der Sozialarbeit verbaut hast, dann muss du dir
deine Karriere als zweiter Stephen King nicht auch verbauen.“ Kim zwinkerte ihm zu. „Vier
Jahre im Ausland anstatt an der Karriere des Lebens bauen. Aus dem Alter hättest du raus sein
sollen, die Vernunft hätte siegen sollen.“
„Nun hörst du dich an wie meine Mutter.“
„Mit dem Unterschied, ich meine es nicht so. Australien, Neuseeland, Kanada. Alles Länder,
in die ich auch gerne gehen würde. Eines Tages vielleicht.“
„Du verdienst als Ärztin genug um dir einen Urlaub zu genehmigen. Wenn du einen
Tourguide brauchst, ich bin relativ erschwinglich. Wir könnten drei Wochen in Australien
machen, die Strecke Darwin nach Broome ist Neuland für mich.“
„Was ist da?“
„Outback, Regenwald und das große Nichts.“
„Mich würde das Great Barrier Reef reizen. Es wird von Jahr zu Jahr an Schönheit verlieren,
je eher ich dahin komme desto mehr kann ich sehen.“
„Da hast du recht. Das war mit die beste Sache, die ich in Australien gemacht habe. Tauchen
am GBR und ein Wochenende auf den Whitsundays.“
„Wenn du reich und berühmt bist kannst du jederzeit dorthin fliegen.“
„Ja, ich habe verstanden. Die Kurzgeschichten. Mal sehen was ich diese Woche auf die Beine
stellen kann. Ansonsten werde ich Adressen von Verlagen suchen, die meinen Krimi
veröffentlichen könnten. Spätestens im Januar sollte ich Geld für dieses Projekt haben. Mit
Weihnachten vor der Tür und nur zwei Wochen Arbeitslohn auf dem Konto werde ich mir das
sparen.“
„Gehst du nach Hause über Weihnachten?“
„Nein, ich werde arbeiten. Sowohl Heilig Abend als auch die beiden Feiertage. Zwischen
Weihnachten und Neujahr könnte ich einen freien Tag haben, auf den Tagen besteht keine
Chance. Du?“
„Das gleiche. Neuling, unverheiratet, keine Kinder. Alles Gründe für den Dienst. Meine Eltern
werden es überleben, sie wohnen in München. Ich werde vor oder nach der Arbeit
vorbeisehen und ein wenig feiern.“
„Ich will meine einladen die Feiertage in München zu verbringen, selbst wenn ich arbeiten
muss, wenn sie in der Pension sind, können sie mich trotzdem sehen.“
„Stimmt.“ Kim lehnte sich zurück und schloss die Augen. „Wir haben beide unterschiedliche
Berufe doch sind im Moment zu sehr mit denen beschäftigt um ein richtiges Privatleben zu
führen. Wann hast du dich das letzte Mal mit Steve getroffen?“
„Länger her, zwei Wochen. Er ist derzeit mit seinen Prüfungen beschäftigt, ich will ihn nicht
davon ablenken.“
„Andere Aktivitäten? Außer schreiben und arbeiten?“
„Nein.“ Nein, Patrick führte kein aufregendes Leben. Er arbeitete, er schrieb, er las, ein- oder
zweimal hatte er begonnen sich die Innenstadt anzusehen, weit hatte er es nie gebracht. Zu oft
war er in einem Buchgeschäft, einer Bücherei oder einem Musikladen hängen geblieben und
das Wetter lud nicht jeden Tag zu einem ausgiebigen Spaziergang ein.
„Du?“
„Man sollte meinen als gebbürtige Münchenerin würde ich viele Leute kennen, das Problem
ist nur, die Freunde, die ich vor der Schauspielerin hatte, habe ich vernachlässigt als ich mit
der Schauspielerei angefangen habe, die neuen Freunde und paar alten, die geblieben waren,
hatten die nächste Härteprobe mit dem Medizinstudium. Da sind nur noch zwei oder drei
Personen, mit denen ich Kontakt habe, von der Zeit vor dem Studium und die vom Studium
sind nun genauso beschäftigt wie ich. Wir sind vier aus meinem Semester, die im
Herzzentrum derzeit arbeiten, wir treffen uns ab und zu abends, doch da wir alle
unterschiedliche Schichten haben, passiert das nicht öfter als einmal im Monat.
Das größte Problem war meine Beziehung zu meiner Ex. Sie hatte keinerlei Interesse meine
Freunde zu treffen, sie war, ist, mit ihrer Arbeit verheiratet. Ich denke, das ist die einzige
Chance wie man eine erfolgreiche Ärztin werden kann. Die Arbeit steht über alles, alles
andere wird untergeordnet. Der Grund wieso unsere Beziehung nicht funktioniert hat; oder
einer der Gründe.“
„Du trauerst ihr nach?“ Patrick war sich nicht sicher, wie weit er private Fragen stellen durfte,
doch sie hatte mit dem Thema angefangen, er würde es nicht vertiefen, die Frage war ihm nur
in den Sinn gekommen. Er hatte all seinen Beziehungen nachgetrauert, selbst wenn er sie
beendet hatte. Es hatte einen Grund gegeben wieso man mit dieser Person zusammen gewesen
war, selbst wenn die Gefühle nachgelassen hatten oder verschwunden waren, man wusste, sie
waren einst da gewesen. Wenn man die Beziehung beendete, dann verlor man diese Person
normalerweise aus den Augen, verlor damit einen Teil seiner Vergangenheit.
„Nein, in keiner Weise. Ich würde nicht sagen, ich bereue diese Beziehung, ich kann noch
immer nachvollziehen, was ich anziehend an ihr fand, nur inzwischen sehe ich mir Dinge, die
mich an ihr stören. Was gut ist, denn wir sind kein Paar mehr.“
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass es einfach ist seine Ex jeden Tag zu sehen.“
„Es wäre nicht so tragisch, wenn sie es einen einfacher machen würde“, seufzte Kim leise und
schüttelte den Kopf. „Themenwechsel, bitte.“
„Sicher, entschuldige.“
„Das ist nicht deine Schuld, das ist ihre Schuld. Also, du lädst deine Eltern ein Weihnachten
hier zu verbringen? Was denkst du werden sie sagen?“
„Die Begeisterung wird sich in Grenzen halten.“
„Wann sagst du es ihnen? Ich meine, du kannst sie schlecht am Heilig Abend anrufen und
sagen: Frohe Weihnachten! Euer Geschenk liegt am Flughafen, die Maschine geht in zwei
Stunden, packt eure Sachen.“
„Nein.“ Patrick musste lachen. Eine lustige Vorstellung. „Ich werde sie anrufen, sie einladen
und hoffen, sie sagen zu. Es wäre schön Weihnachten mal wieder mit ihnen zu verbringen, nur
kann ich keinen Urlaub bekommen.“
„Das Problem der Leute, die im Dienstleistungsgewerbe arbeiten.“
„Das Problem wenn man keinen ordentlichen Beruf hat, würde meine Mutter sagen.“
„Ich könnte schwören, als ich studiert habe, da hat man uns gesagt, Ärztin ist ein ordentlicher
Beruf.“
„Alles Lüge.“ Er grinste breit. „Ordentlichen Berufe gehen von acht bis um fünf, du hast ein
Wochenende und geregelten Urlaub.“
„Hört sich gut an. Im nächsten Leben werde ich einen solchen Beruf anstreben.“
„Ich nicht, zu langweilig. Ich brauche Abwechselung.“ Sollte Patrick sich jemals entscheiden
von seinem gelernten Beruf abzuweichen, eine Zusatzausbildung zu machen, dann würde er
in die Tourismusbranche gehen. Irgendwas, wo er jeden Tag mit unterschiedlichen Menschen
zu tun hatte, die ihn jeden Tag neue Herausforderungen geben würden. Einen Arbeitstag, bei
dem man am Morgen nicht wusste, was im Laufe des Tages passieren würde, was einem
erwartete und wann man nach Hause gehen konnte.

Kapitel 7
Der Schnee fiel sanft vom Himmel und deckte die grauen Gebäude in eine weiße, sanfte
Masse. Die Straßenlampen leuchteten und gaben den Schneeflocken mehr Glanz. In einer
Stunde würde München vielleicht wie ein kleines Winterwunderland aussehen.
Patrick saß auf seiner Couch und betrachtete die Schneeflocken. Sein erster Schnee in
Deutschland seit fünf Jahren. Er hatte mehr als genug Schnee in Kanada gehabt, in all den
anderen Ländern hatte er es beinahe geschafft der weißen Massen aus dem Weg zu gehen.
Schnee sah nett aus, doch er war kalt und das bedeutete, man musste dicken Sachen
einpacken, was wiederum den Rucksack zu schnell füllte. Nein, Sommer war definitiv eine
bessere Jahreszeit zum Reisen.
Nun konnte ihm das Wetter egal sein, er hatte seine Wohnung, er konnte alle Wintersachen
hier lagern, wenn er umziehen würde, dann würde er eben ein paar Kartons mehr brauchen.
Das sollte ihn nicht daran hindern einkaufen zu gehen. Die Zeit, in der er jede Woche das
gleiche anzog, die sollte der Vergangenheit angehören. Er war kein Backpacker mehr, er war
ein normaler Arbeitnehmer.
Kurzentschlossen griff er zum Telefon.
„Schmidt.“
„Hallo Papa.“ Es waren zwei Wochen bis Weihnachten, es war höchste Zeit seinen
Weihnachtsplan umzusetzen. Er musste jetzt anrufen, wenn er erst ins Internet gehen würde,
würde darüber alles vergessen.
„Patrick, schön wieder von dir zu hören. Wie geht es dir?“
„Sehr gut, danke. Wie geht es euch?“
„Gut, von kleinen Wehwehchen abgesehen. Mama hat eine Erkältung, sonst ist alles in
Ordnung.“
„Das ist schön zu hören. Ich rufe vor allem wegen Weihnachten an.“ Er war kein Freund von
Small Talk, war es nie gewesen, es gab einen Grund wieso er anrief, wenn sie den besprochen
hatten, konnten sie über andere Dinge reden. Und er wusste, wenn er nicht direkt zum Thema
kam, dann würde sein Vater ausholen und ihm von der Arbeit, den Nachbarn und Verwandten
erzählen, an die er sich nicht erinnern konnte.
„Kannst du herkommen?“
„Nein, ich muss vom dreiundzwanzigsten bis zum achtundzwanzigsten arbeiten, jeden Tag.
Zehn Stunden, da ist keine Zeit um nach Paderborn zu kommen. Deswegen habe ich mir
überlegt, es wäre schön wenn ihr hierher kommen würdet. Mein Weihnachtsgeschenk von mir
an euch: drei Tage München. Ihr wohnt in der Pension, in der ich arbeite, das bedeutet, ihr
werdet mich immer sehen, wenn ich arbeite und nach der Arbeit können wir zusammen etwas
unternehmen.“
„Ich weiß nicht was Mama dazu sagen wird. Weihnachten ist ein Fest der Familie, Oma und
Opa werden...“
„Die können mitkommen.“ Er würde ein weiteres Zimmer bekommen, das war kein Problem.
Alles konnte organisiert werden.
„Du weißt, du wirst die in kein Flugzeug bekommen.“
„Der ICE fährt ab Kassel.“ Es gab mehrere Möglichkeiten nach München zu kommen. Das
Flugzeug war das schnellste, doch ICE und Auto waren nicht viel langsamer wenn man die
Zeit hinzu rechnete, die man an Flughäfen warten musste bevor es los ging und nachdem man
gelandet war-
„Ich kann dir nichts versprechen...“
„Frag Mama!“
„Warte einen Augenblick.“ Es überraschte ihn nicht, dass sein Vater keine Entscheidung
treffen wollte. Es war seine Mutter, der Weihnachten wichtig war. Nun, hier hatte sie die
Chance ihren Sohn Weihnachten zu sehen, sie konnte zugreifen oder es lassen. Sollte sie sich
für das Letztere entscheiden, dann würde er keine Beschwerden dulden.
„Patrick?“ Da war sie.
„Hi Mama.“
„Papa sagt, du musst dringend mit mir sprechen.“
Sein Vater hätte ihr sagen sollen, was er ihm vorgeschlagen hatte. Das hätte er tun sollen und
nicht einfach das Telefon weiterreichen.
„Mama, ich möchte euch Weihnachten in München haben. Ich muss die ganzen Tage arbeiten,
aber wenn ihr in der Pension wohnt, in der ich arbeite, dann könnt ihr mich am Morgen sehen,
bevor ihr euch die Stadt anseht und wenn ich dann Feierabend habe, dann können wir
zusammen etwas unternehmen. Du wolltest Weihnachten mit mir feiern, das wäre die
Chance.“
„Ich dachte an Zuhause.“
„Das weiß ich, nur das kann ich nicht machen. München ist schön zur Weihnachtszeit.“
„Was ist mit Oma und Opa? Wir können sie nicht alleine lassen.“ Wie sein Vater gesagt hatte,
Patricks Großeltern würden als Grund hinhalten müssen.
„Sie können mitkommen. Es wäre ein anderes Weihnachten für uns alle.“
„Ich denke nicht, dass sie das wollen. Du weißt, deine Cousins und Cousinen kommen am
ersten Weihnachtstag immer zu ihnen, sie freuen sich das ganze Jahr darauf, wenn die ganze
Familie zusammen ist.“ Sie betonte das Wort „ganze“ extra. Das schloss ihn ein. Wieso
machte sie es ihm so schwer?
„Ich muss bis zum achtundzwanzigsten arbeiten, ich kann nicht zu euch kommen.“
„Wie die letzten Jahre.“ Diese Enttäuschung in ihrer Stimme machte ihn dieses Mal wütend.
Es war nicht, dass er mutwillig versucht hätte von seiner Familie weg zu sein. Die letzten vier
Jahre war er in einem anderen Land gewesen, sicher, es war seine Entscheidung gewesen
dorthin zu gehen, nur er hatte diese Entscheidung nicht getroffen um seine Familie zu
verletzten. Er hatte sich dafür entschieden, weil er nicht mehr glücklich gewesen war, weil er
mehr aus seinem Leben machen wollte, als vierzig Jahre in einem Beruf zu sein. Er wollte
etwas erleben und mit dem leben nicht warten bis er Ende sechzig war.
„Mama, ich wäre gerne nach Hause gekommen, aber es geht nicht. Ich muss arbeiten, ich
habe keine Wahl. Wenn ich nicht arbeite, dann werde ich meinen Job verlieren und mein Boss
vertraut darauf, dass ich da bin weil es so abgesprochen ist. Ich habe euch immer gesagt, ich
kann nicht versprechen, ich bin zu Weihnachten zurück. Ihr wollt mich in Paderborn haben,
ich möchte in München leben. Es ist mein Leben, ich muss in erster Linie glücklich damit
sein. Ihr habt euch für euer Leben entschieden, ein Leben in Paderborn, in einem geregelten
Job, mit einem geregelten Einkommen und geregelten Aktivitäten. Das ist euer Leben. Es
würde mir nicht gefallen, aber ich kann es akzeptieren, denn ihr müsst damit glücklich sein.
Ich will nicht, dass ihr begeistert von meinem Leben seid, ihr müsst nicht Hurra rufen wenn
ich etwas mache, wenn ich mich für etwas entscheide. Alles, was ich möchte, ist dass ihr
akzeptiert, dass ich ein eigenes Leben habe, dass ich glücklich in diesem Leben bin und es so
leben möchte, wie ich es gerade tu. Das hat nichts mit euch zu tun, das mache ich nicht um
euch zu ärgern, das mache ich, weil ich so glücklich bin. Ich bin glücklich mit dem, was in
den letzten vier Jahren erlebt habe, ich bin glücklich mit dem, was ich gerade mache. Meine
Arbeit macht mir Freude.
Alles, worum ich euch bitte, ist, dass ihr akzeptiert, dass ich ein eigenes Leben habe und
hoffe, dass ihr euch ein wenig freuen könnt, wenn ich glücklich bin.“
Es gab eine lange Pause am anderen Ende der Leitung. Patrick begann sich zu wundern, ob
seine Mutter vielleicht einfach das Telefon zur Seite gelegt hatte. Würde sie das machen?
Würde sie ihn einfach weglegen?
„Wir werden Weihnachten Zuhause feiern. Es ist in Ordnung wenn du in München bleibst.
Wir werden an dich denken.“
Das hatte sich nicht direkt enthusiastisch angehört, aber das hatte er nicht erwartet. Die
Stimme seiner Muter war leicht resigniert, gleichzeitig war jedoch keine Enttäuschung oder
was er gesagt hatte, nachzudenken.
„Ich werde versuchen im Januar mal vier Tage am Stück frei zu bekommen, dann kann ich
nach Paderborn kommen.“
„Das wäre schön. Opas Geburtstag wäre ein guter Anlass.“ Sein Opa hatte Ende Januar
Geburtstag. Es waren keine Ferien, kein Feiertag.
„Ich werde meinen Chef fragen, ob das in Ordnung ist. Meine Kollegen sollten dann alle
wieder arbeiten, es gibt keinen Grund für sie da frei zu nehmen. Dann werde ich entweder
nach Hause fliegen oder den Zug nehmen.“
„Das wäre für uns alle ein schönes Geschenk“
„Ich sage euch Bescheid wenn ich näheres weiß.
„Es tu mir Leid, dass wir deine Idee mit Weihnachten nicht annehmen, aber es passt einfach
nicht. Weihnachten ist ein Fest, das wir in Paderborn feiern müssen.
„Ich schenke euch das verlängerte Wochenende einfach für späte. Vielleicht im Mai, wenn
alles voller Frühlingsblüten ist und wir zum Starnberger See oder Wörthersee fahren können.“
„Ja, das wäre schön.“
„Gut, dann werde ich dich jetzt wieder ins Bett schicken, du musst deine Erkältung
auskurieren.“
„Pass auf dich auf, mein Junge.“
„Keine Sorge, ich werde mich nicht unterkriegen lassen. Tschüss Mama.“
„Bis demnächst, Patrick.“
Er legte auf und atmete tief ein. Okay, sein Weihnachtsplan würde nicht aufgehen. Er konnte
seinen Chef morgen sagen, er brauchte das Zimmer nicht. War er nun froh darüber oder
trauerte er seine Familie nach? Seine Eltern hatten beschlossen, sie würden Weihnachten ohne
ihn feiern, er hatte ihnen angeboten herzukommen. Im Prinzip brauchte er sich nicht schuldig
fühlen, wieso war da trotzdem dieses Schuldgefühl, ganz weit hinten und doch spürbar da.
Egal. Die Entscheidung war gefallen. Er würde Weihnachten mit arbeiten verbringen, mit
seinen Chefs feiern, sie würden eine Art kleine Weihnachtsfeier am Heilig Abend machen. In
der Pension, nur die Leute, die zu der Zeit arbeiteten und das wäre es. Zusammen mit der
Weihnachtsfeier nächste Woche, an der alle Angestellten teilnehmen würden.
Sein Laptop spielte im Hintergrund bereits die ganze Zeit Musik, er nahm ihn auf den Schoss,
klickte sich in die Liste und wählte Weihnachtslieder. Die Roten Rosen waren jedes Jahr eine
gute Idee um sich auf Weihnachten einzustimmen. Später würde er auf Frank Sinatra
umschalten um sich zu entspannen.
Vier neue Email waren in seiner Mailbox und keine davon war Werbung. Das war ein guter
Tag.
Die erste Email war von seiner Chefin in Australien. Sie schrieb ihm wie warm es sei, dass sie
die letzten Tage damit verbracht hätten Eiswasser bei der Arbeit zu trinken und nach
Feierabend im Pool oder in der kalten Bar zu sitzen. Sie sandte ihm ihr Beileid für seinen
Aufenthalt in Deutschland, wusste sie doch, wie sehr er die Hitze liebte und die Kälte hasste.
Er hatte letztes Jahr zu einer Flucht angesetzt, sie fragte, ob er dieses Jahr wieder vor der
weihnachtlichen Kälte flüchten würde. Was denn das nächste warme Ziel von seiner neuen
Heimat sei.
Er beschloss ihr umgehend zu antworten. Um die Hitze würde er sie beneiden, doch er könne
dieses Jahr nicht in die Hitze flüchten. Stattdessen würde er ihr ein paar Fotos von München
im Schnee schicken, da es heute angefangen hätte zu schneien. Die konnte sie ausdrucken und
ihn jeden Tag bemitleiden bis es endlich Sommer in Deutschland war und es zumindest über
zwanzig Grad waren. Die vierzig Grad, in der sie sich derzeit befand, würde er niemals in
Deutschland bekommen. Einen weiteren Supersommer, wie es 2003 gewesen war, würde so
schnell nicht wieder geben.
Die zweite Email war von einem Freund in Dortmund, wann er mal wieder nach NRW
kommen würde. Spätestens wenn die Saison wieder angefangen hatte, würde er in der alten
Heimat erwartet. Sie konnten zusammen zu einem Spiel von Paderborn gehen bevor sie sich
dem erstklassigen Fußball widmen würden. Oder er würde nach München kommen und sie
konnten sich das Spiel Bayern gegen Dortmund da ansehen. Natürlich würden beide in
unterschiedlichen Fan Blöcken sitzen müssen.
Patrick beschloss dieser Email einen oder zwei Tage zu geben bevor er antworten würde.
Fußball stand auf seinem Plan für das nächste Jahr, nur wenn er Besuch einladen würde, dann
musste er zuerst umziehen um diesen irgendwo unterzubringen. Eine Zweizimmerwohnung
wäre ideal. Doch das waren Pläne, die er nicht vor Ende Januar des nächsten Jahres in Angriff
nehmen musste.
Die dritte Email war von einem japanischen Freund, den er in Australien kennen gelernt hatte.
Einfach eine kurze Anfrage, wie es ihm gehen würde, was er so machen würde, wie es sei
wieder in der Heimat zu sein und ob er mal nach Japan kommen wolle.
Das erinnerte Patrick daran, dass er seine Facebook Seite aktualisieren musste. Er hatte das
etwas vernachlässigt in den letzten Tagen. Er antwortete, dass Deutschland gewohnt kalt sei
und er Australien und die Hitze vermissen würde. Eine Reise nach Japan sei derzeit nicht
geplant, er würde auf Urlaub in Neuseeland und Australien sparen, könnte aber überlegen, ob
er einen Zwischenstopp in Tokio für einige Tage einplanen konnte. Jedoch würde das nicht
vor Ende des nächsten Jahrs passieren.
Email Nummer vier war die Email, auf die er sich gefreut hatte, seitdem er das Postfach
geöffnet hatte: Alison.

Honey,
of course you’re lost without me, everybody is. And no, I haven’t improve my German, what a
mistake was probably coz I…well, have a seat before you read this, you ain’t gonna believe
it…I GONNA COME TO EUROPE!
Yes, right. I’ll come to your place, you could say, I’m already on my way to you. So if you lied
about the bed you better hurry to get something. I ain’t gonna sleep on theblooddy cold dirty
floor!
Seriously, I applied for my work & travel visa months ago, my birthday is coming closer so I
had to make a decision what to do. Taking the chance and the visa and go over for a year or
staying in NZ, wondering the rest of my life if I made a mistake or not. Staying in the safe side
or risking a hellover a experience. You know me, you know my decision, you know why I
made it.
My flight to Frankfurt is on the 20 th of December, I’ll be there on the 21 st. Stay there for a day
or two, until I’ve my visa stuff together then go to Nuernberg to see this famous Christmas
market…how did you call it? Weihnachtenmarket? It has a special name, hasn’t it? Something
with Christ…can’t remember.
However, I’ll be in Munich on the 24th, so just in time for Christmas. Thought I might stay
with you for that night coz you told me, that’s the important evening and you’ll be away from
your family. So you can write a date for Christmas Eve in your diary. Gonna leave you the
next day, wanna spend a week in Vienna and Zurich, see some snow and if you like, I’d be
back for New Years Eve. My flight to the Canarian Islands is on the 4 th of January, we can
spend some time together if you like. If you’re too busy let me know I gonna organize
something else then. Are there any chocolate fabrics around?
Anyway I gonna spend a few months on the Island, wait until it’s warm again in Europe then
I’ll travel back. I got a job in a hotel, so I’ll save some money. Just have to sort out some of
the visa stuff.
When is the Oktoberfest? It was something funny with it. Does it start in September?
Yeah that are my news, now I hope to get a possitive answer from you. I try to pack my
suitcase with sensible things…what do I need? What do YOU need from New Zealand?
Anything you miss – apart from me of course!
Help! I need somebody! Help! Not just anybody! Heeeeeellllp!!!!
XXX

Patrick war sprachlos. Alison würde herkommen. Ihr Flieger landete am einundzwanzigsten in
Frankfurt, das waren zwei Wochen. Wow. Er hätte niemals gedacht, sie würde wirklich
herkommen. Nicht so schnell. Nicht für ein ganzes Jahr. Es gab keine Worte, die beschreiben
konnten, was im Moment in ihm vorging. Er hätte Bäume ausreißen können, die Welt
umarmen oder einfach nur so laut jubeln können, dass die Mieter aus der ersten Etage zu ihm
gekommen wären um sich zu beschweren. Alison. Seine Alison.

My love!
Wham! You got me! I seriously needed to sit. You’re really coming over? That’s great, that’s
more than great, that’s beyond everything! Of course you’re more than welcome to stay with
me, I told you about my bed, there’s always some space for you (I can push the twins, I’ve got
a hot affair with, aside!)
So you have basicly two weeks before you go to…which Island are you going to? Teneriffa?
Lanzarote? There’re a few Islands, so tell me more! You know it’s not that expensive to go
over from here? I might visit you, that would be the greatest joy. Watching you working
again…waitress, where the hell is my fucking Bloody Mary?
I have to work on Christmas. But I gonna try to get my boss to give me a few free hours so
that I can take you from the train station (I guess you gonna take the train?) and show you my
crappy flat. Maybe you can join me in the motel when I sit at the reception. And after eight
I’ll be free so we can celebrate you a great HEILIG ABEND together. And of course I want
you to be around for New Years Eve! What a silly question. I always want you around…wait I
can get this sentence better: I always want you (around)! Like that? 
And sure as hell we have a date for the Oktoberfest. It starts at the end of September, so you
should finish your journey through Europe by them. I aspect you to stay a few weeks with me,
by them I should have a bigger flat, there’ll be a place for you.
Gimme your travel details, I wanna know more!
And if you’re unhappy on your warm island:
Let me be the one you call if you jump I’ll break your fall!
You’re one and only

Alison in Deutschland. Eine bessere Nachricht hätte er nicht bekommen können. Seine Eltern
hatten abgesagt, er hatte dafür einen erstklassigen Ersatz bekommen. Nein, sie war kein
Ersatz, sie war mindestens gleichwertig. Alison. Er würde sich etwas Besonderes für sie
einfallen lassen wenn sie da war. Sie hatten einen den Heilig Abend und dann vier Tage über
Silvester, die sie miteinander verbringen konnten. Einfach nur die Stadt ansehen, das war
langweilig. Er musste etwas Besonderes arrangieren.
Vielleicht konnte er es arrangieren nach Frankfurt zu fahren wenn sie landete. Sie konnte
sicherlich Hilfe gebrauchen, bei all den Sachen, die auf sie zukommen würden. Wenn er
bedachte, dass er damals recht hilflos bei den Behörden gesessen hatte um sein Visum zu
bekommen. Und sein Englisch war besser gewesen als ihr Deutsch. Ja, er musste um einen
freien Tag bitten, der einundzwanzigste sollte kein Problem sein, er war weit genug weg von
Weihnachten.
Sobald Alison ihm geschrieben hatte wann sie in Frankfurt ankam würde er überlegen ob es
sinnvoll war mit dem Zug anzureisen und sie direkt abzuholen oder ob er sich eine Nacht
zuvor in Frankfurt einmieten sollte. Wenn sie...er hatte eine Idee!
Er öffnete eine neue Email, tippte ihre Adresse ein und schrieb:
Just a thought...why the hell do you fly to Frankfurt? Can’t you arrange to come straight to
Munich? We can go together to Nürnberg (the x-mas market is called Christkindl Markt) and
I can help you with the visa things.

Ja, wenn sie direkt nach München flog, dann konnte er ihr einfacher helfen. Oder bekam sie
ihr Visum nur in Frankfurt? Das konnte er sich nicht vorstellen. Jede Landeshauptstadt sollte
in der Lage sein diesen Aufkleber oder Stempel oder was auch immer andere als Zeichen für
ihre Arbeitserlaubnis bekamen, zu verteilen. London wäre wahrscheinlich der einfachste Ort
für Alison gewesen, aber sie hatte immer Herausforderungen gesucht.
Was für ein Gedanke, sie könnte am einundzwanzigsten in München landen, das würde ihnen
vier Tage geben bis sie weiter nach Wien und Zürich ging. Vier Tage, in denen sie all das
aufarbeiten konnten, was in den Monaten passiert war, in denen sie nicht zusammen gewesen
waren. Und Steve wäre noch da. Es wäre sein letzter Abend bevor er nach Hause gehen
würde. Sollte sie erst am Heilig Abend ankommen, würden die beiden sich nicht persönlich
kennen lernen bis sie im September wieder hier sein würde. Er fand, es sprach alles dafür,
dass sie direkt nach München fliegen sollte.

Selbstgemachte Spinat- und Käseravioli in Sahnesauce, Rinderfilet und Brokkoli waren auf
dem Speiseplan. Als Nachtisch wartete Creme Brulé im Kühlschrank. Patrick war sich sicher,
er hatte ein anständiges Abendessen geschaffen, das seine Schulden für einige Stunden vor
Zeitschriftregalen gerecht werden konnte.
Kim hatte ihm eine SMS geschrieben, sie sei gegen zwanzig Uhr da, würde eine kleine
Überraschung mitbringen. Somit war er doppelt gespannt.
Musik. Was konnte er spielen? Er hatte keine Ahnung was Kim mochte, doch er hatte eine
Idee, was er auflegen konnte. Seinen Mediaplayer öffnend und eine neue Liste erstellend, zog
er einige Lieder auf die neue Liste. Ja, das war eine gute Idee, das passte zu Kim, zu ihm, zu
ihrer Situation.
Er hatte die Liste gerade beendet als es an der Tür klingelte. Dieses Mal würde er sowohl
Licht für Kim anschalten als auch die Tür für sie öffnen. Nicht wie das letzte Mal, als er sie
entweder für die Zeugen Jehovas oder einen Nachbarn gehalten hatte.
„Hey, eine geöffnete Tür“, grinste Kim.
„Genau daran hatte ich auch gedacht. Komm rein.“ Er öffnete die Tür zum Hauptraum, so
dass Kim, nachdem sie ihre Jacke aufgehangen hatte, direkt durchgehen konnte.
„Es riecht gut. Was gibt es denn?“
„Selbstgemachte Spinat- und Käseravioli in Sahnesauce, Rinderfilet und Brokkoli. Ich hoffe,
du bist keine Vegetarierin.“
„Nein, bin ich nicht. Selbstgemacht, selbst gekauft oder selbst aus der Küche in der Pension
mitgenommen?“
„Selbstgemacht in den eigenen vier Wänden.“ Er zog einen Stuhl zurück und bot ihn ihr an.
„Der perfekte Gentleman.“
„Wenn ich will, ja. Was möchtest du trinken?“
„Nun, ich muss fahren, etwas ohne Alkohol. Wasser ist fein.“
„Mocktail?“
„Bitte?“
„Einen alkoholfreien Cocktail. Ich habe einige Rezepte für alkoholfreie Cocktails, wenn du
etwas aufregenderes haben möchtest als Wasser. Ansonsten: Leitungswasser, Mineralwasser
oder stilles Wasser? Zimmertemperatur? Kalt? Mit Eis? Gestaucht?“
„Alkoholfreier Cocktail“, lachte Kim.
„Geht doch.“ Er konnte kein Wasser zu seinem Essen servieren, wie sah das denn aus? Es
würde ein Glas stilles Wasser gereicht, das hatte er in seinen vier Jahren gelernt, dass dieses
zu einem guten Essen dazu gehörte. Mit geübten Handgriffen mixte er einige Säfte zusammen
und servierte zwei Cocktails.
Der nächste Schritt war das Essen. Er fertigte zwei Teller mit Ravioli, Filet und Brokkoli an
und stellte sie zusammen mit der Sauce auf den Tisch.
„Man merkt, du bist ein Aushilfskellner und Aushilfskoch.“
„Küchenjunge trifft es eher. Aber danke. Fang an bevor es kalt wird.“
„Danke, du kannst dir gar nicht vorstellen was für einen Hunger ich habe.“ Sie stach eine
Ravioli auf und biss herzhaft hinein. „Mhmmmmmm, das ist gut. Du hast die wirklich selber
gemacht?“
„Ja, ich liebe die italienische Küche, deswegen habe ich mir vor Jahren angeeignet Nudeln
selber zu machen. Es ist arbeitsreich, aber es ist es wert. Es schmeckt immer besser als die
Nudeln oder generell Pastagerichte, die man fertig im Supermarkt kaufen kann. Ravioli sind
relativ leicht zu machen, Lasagneplatten sind schwerer, sie zerbrechen mir zu häufig.“
„Wir sollten regelmäßige Kochtreffen haben. Ich weiß nicht genau was ich servieren soll
wenn du bei mir bist, wahrscheinlich werde ich den Gourmetchinesen liefern lassen, aber du
könntest mich mit eigenen Gerichten verwöhnen.“
„Das können wir gerne machen, essen und kochen sind Dinge, die ich sehr gerne tu.“ Er sah
sie prüfend an. „Es tut mir Leid das sagen zu müssen, aber du siehst nicht so gut aus, wie das
letzte Mal. Du siehst müde aus. Ist deine lange Woche so schlimm?“
„Charmant ausgedrückt, elegant umschrieben, dass ich beschissen aussehe. Mir wurde eine
vierundzwanzig Stunden Schicht aufs Auge gedrückt, die ich vor zwei Stunden beendet habe.
Alles, was ich gemacht habe, war mich duschen und umziehen.“
„Du hättest mir absagen können. Eine SMS heute Morgen und wir hätten das auf einen
anderen Zeitpunkt verschoben.“ Vierundzwanzig Stunden, das war Wahnsinn.
„Nein, das geht schon. So etwas mutet man uns jungen Ärzten gerne zu.“
„Das heißt, du bist wie lange wach?“
„Sechsunddreißig Stunden.“
„Himmel! Du gehörst ins Bett!“ Anderthalb Tage, sie hatte mindestens zwölf Stunden Schlaf
verpasst. Das war verrückt. Wie sollten Menschen noch geradeaus denken wenn sie über
zwanzig Stunden wach waren? Er konnte sich nicht vorstellen, dass ein Arzt noch zu einer
guten Leistung fähig war, wenn er so lange wach gewesen war.
„Wir essen und gucken einen Film. Ich habe uns „Australien“ mitgebracht. Du sagtest, du
hättest ihn nie gesehen, ich dachte mir, das würde gut passen. Um elf Uhr werde ich im Bett
sein und morgen muss ich erst zur Nachtschicht da sein, ich kann den ganzen Tag im Bett
verbringen.“
„Das solltest du dann.“ Patrick war nicht ganz beruhigt. Kim würde fast vierzig Stunden wach
gewesen sein wenn sie Zuhause war. Der Gedanke, sie in diesem Zustand fahren zu lassen,
gefiel ihm nicht. Nur was sollte er machen? Sie fahren?
„Interessante Musik, nebenbei. Wir hatten Pop, einen Oldie und nun Nu-Metal.“
„Das ist meine Geschichtsmusik. Du weißt die Band? Ich habe die Lieder selber geschrieben
und das sind Lieder, die mich zu den Liedern für die Band inspiriert haben. Ich dachte mir, ich
treffe mich mit einer Inspiration, ich lasse inspirierende Musik im Hintergrund spielen. Alles
ist auf die Geschichte ausgelegt.“
„Mit all diesen Inspirationen solltest du mindestens eine Kurzgeschichte schreiben. Schon
etwas gehört?“
„Nein, bisher nicht. Du bist die erste, der ich sage, ob ich Erfolg hatte oder nicht.“ Immerhin
hatte sie den größten Anteil wenn es klappen sollte.
„Das will ich hoffen. Gute Nachrichten sind immer willkommen.“
„Ich hatte eine sehr gute Nachricht diese Woche: Alison kommt hierher.“
„Alison?“
„Eine Freundin aus Neuseeland.“ Er begann ihr von Alison und ihrer gemeinsamen Zeit zu
erzählen. Und dass sie Heilig Abend in München sein würde während seine Eltern
vorgezogen hatten in Paderborn zu bleiben. Etwas, das ihn nun viel weniger störte.
„Dann kannst du wenigstens etwas Weihnachten feiern.“
„Ja, nur dieses Mal sollte ich nicht wieder betrunken sein am Ende. Als ich vor zwei Jahren
mit ihr gefeiert habe, war ich am Ende sehr betrunken. Im Nachhinein wundere ich mich, wie
ich es geschafft hatte am nächsten Morgen pünktlich zur Arbeit zu kommen.“
„Wo wird sie wohnen? In der Pension?“
„Nein, hier.“
„Hier?“ Kim sah sich um. Die Wohnung war weiterhin sehr klein, sie konnte keine
Möglichkeit sehen eine zweite Person unterzubringen.
„Ich habe ihr gesagt, ich werde die beiden Zwillinge, mit denen ich eine heiße Affäre habe,
aus dem Bett schieben und Platz für sie schaffen. Wir haben uns in Neuseeland eine Wohnung
geteilt, wir können das hier auch. Selbst wenn es eine Wohnung ist, die nicht größer ist als ihr
Zimmer in Neuseeland.“
„Ward ihr zusammen?“
„Nein, wir sind Freunde, sehr gute Freunde. Nicht mehr und nicht weniger. Es gab einige
Leute, die dachten, wir wären zusammen. Wer immer unsere Emails lesen mag wird davon
überzeugt sein, aber das ist alles Teil unserer Beziehung.
Wenn du Zeit hast, dann können wir uns alle treffen, sie ist für Silvester hier und bleibt vier
Tage bevor sie auf die Kanaren fliegt. Sie ist ein wunderbarer, positiver Mensch. Definitiv
eine der bewundernswertesten Persönlichkeiten, die ich in den vier Jahren kennen gelernt
habe. Wenn ich eine Top drei Liste erstellen würde, sie wäre drin.“
„Du schwärmst wie ein verliebter Teenager.“
„Ich weiß. Schrecklich. Ich höre auf.“
„Es ist süß dich schwärmen zu sehen. Deine Mutter würde eine Schwiegertochter sicherlich
begrüßen. Es sei denn, diese würde dich nach Neuseeland zurück bringen.“
„Ja, das wäre ihre größte Sorge. Junge, wirst du mit ihr nach Neuseeland gehen? Wirst du uns
wieder verlassen? Blödsinn. Ich würde Alison gerne in München halten, werde in der Zeit, in
der sie hier ist, alle Argumente – egal ob sinnvoll oder unlogisch – anbringen um sie davon zu
überzeugen, zu bleiben.“
„Sicher dass es nur Freundschaft ist?“ Für Kim hörte sich das mehr nach einer Liebe an. Einer
bisher unerwiderten wenn Alison wieder gehen wollte. Oder einer Liebe, die nicht stark genug
war um das Leben zu verändern.
„Es ist und es war. Ich würde nun nicht behaupten, ich war die ganze Zeit glücklich darüber.
Am Anfang hatte ich mich in sie verguckt, das hielt drei bis vier Wochen und dann wurde mir
klar, eine Beziehung hätte keinen Sinn und ich wollte keine Beziehung im Ausland und eine
Freundschaft ist etwas, das länger besteht als eine Beziehung. Meine Gefühle für sie änderten
sich von Verliebtheit zu Freundschaft und ich muss sagen, ich bin sehr froh damit.“
„Du wolltest keine Beziehung im Ausland?“
„Nein.“
„Wieso?“
„Du bist an einem Ort für ein paar Wochen, in Ausnahmefällen, Monaten, du triffst jemand.
Meistens will die andere Person in eine andere Richtung oder früher abreisen. Vielleicht einigt
man sich, man verzichtet auf Reiseziele, die man sich gesteckt hatte um es dann am Ende zu
bereuen, da die Beziehung zerbrochen ist. Und auf diese Beziehungen für einen Monat oder
so habe ich keine Lust. Ich bin in einem Alter, in dem ich eine Beziehung haben will, von der
ich überzeugt bin, dass sie für eine lange Zeit hält, ich will nicht sagen für die Ewigkeit, denn
man weiß nie, ob etwas für die Ewigkeit ist, aber man kann bei manchen Beziehungen
absehen, dass sie nicht lange halten.“
„Du bist bereit dich niederzulassen.“
„Das hört sich schrecklich altmodisch an. Ich bin nicht bereit mich in Beziehungen zu stürzen
und kann sehr gut als Single leben. Sollte sich etwas ergeben, von dem ich überzeugt bin, es
könnte etwas Langfristiges sein, dann werde ich gerne das Risiko eingehen.“
„Beziehungen sind kein Risiko; sollten keins sein.“
„Das Risiko verletzt zu werden ist immer da.“ Er nahm ihr den Teller ab. „Wie wäre es mit
einer zweiten Portion?“
„Nein danke.“
„Sicher? Deine Chance das Essen völlig auszunutzen. So gute Ravioli bekommst du nicht
einmal beim Italiener“, grinste er.
„Ich kann den Abwasch machen“, bot Kim an.
„Vergiss es, der bleibt bis morgen stehen. Du wirst dich auf die Couch setzen und ich lege die
DVD ein. Wir müssen ihn auf dem Laptop gucken, mein Fernseher ist weiterhin unsichtbar.“
Er würde keinen bekommen, hatte sich bewusst dagegen entschieden. Sein Chef hatte ihm
angeboten, wenn er ein Sportereignis sehen wollte, dann konnte er das in der Pension gucken
oder dort aufnehmen. Wozu also einen Fernseher anschaffen? Außer zu den Nachrichten, die
er im Internet sehen konnte wann immer er wollte, gab es nichts, was er sehen wollte.
Vielleicht die eine oder andere Folge CSI, doch selbst die konnte er bei Youtube sehen und da
war es die aktuelle Folge aus Amerika und nicht die letzte Staffel, die erst übersetzt worden
war.
„Ich bin mir sicher, wir werden Australien auf den Laptop quetschen können. Kann ich die
Couch ausziehen? Dann können wir die Beine hochlegen.“
„Fühl dich ganz wie Zuhause. Unter der Ottomane sind Kissen und Decken.“
„Wenn ich es zu gemütlich habe, dann musst du mich um elf wecken, ich werde tief
schlafen.“
Statt zu antworten reichte er ihr eine Schale mit Creme Brulé. „Nachtisch.“
„Oh, wow.“
„Man kann keinen Film gucken ohne Süßigkeiten.“ Er stellte die Musik aus, nahm die DVD,
die Kim auf den Schreibtisch gelegt hatte und legte sie ins Laufwerk. Sobald das Programm
erschien klickte er auf Start.
„Kinozeit beginnt.“ Er schaltete das Licht aus und setzte sich neben Kim. Australien. Er hatte
gemischte Kritiken über den Film gehört. Da er kein großer Fan von Nicole Kidman war und
sich den Namen des männlichen Hauptdarsteller nicht einmal merken konnte, hatte er niemals
versucht den Film zu sehen.
Wenn er sich richtig erinnerte war er in Australien gewesen als der Film gedreht wurde und er
hatte einige der Drehorte sogar gesehen. Oder verwechselte er das mit einem anderem Film
von Nicole Kidman? Er wusste, als er in Bowen, an der oberen Ostküste gewesen war, hatte
er gehört, Nicole Kidman sollte wenige Wochen später einen Film dort drehen. Wann war das
gewesen? Dezember 2006?
Als er sich nach einer Viertelstunde umdrehte um Kim zu fragen, ob diese einen weiteren
Cocktail wollte, sah er sie friedlich schlafend neben sich liegen. Die achtunddreißig Stunden
im wachen Zustand hatten ihren Tribut gefordert, ihr Körper hatte endlich – ja sich selber
nachgegeben – und war in den Schlafmodus gewechselt.
Er beschloss sie schlafen zu lassen, so wichtig war der Film nicht, sie konnte ihn jeder Zeit
später sehen. Und so aufregend war er nicht. Zumindest war es kein Film, der Patrick fesselte.
Interessant war er, fesselnd nicht. Im Nachhinein war er froh nicht ins Kino gegangen zu sein
und sein Geld verschwendet zu haben. Es reichte den Film nun auf DVD zu sehen.
Es war kurz nach dreiundzwanzig Uhr als er den Laptop runterfuhr. Kim hatte in den knapp
zwei Stunden keine Anstalten gemacht aufzuwachen und nun war sie auf den besten Wege in
die Tiefschlafphase. Er würde einen Teufel tun und sie daraus zu holen. Sie brauchte den
Schlaf und es wäre viel zu gefährlich sie nach Hause fahren zu lassen.
Patrick nahm seine Schlafsachen, putzte sich die Zähne, deckte Kim mit seiner Bettdecke zu,
nahm sich eins der kleinen Kissen und die Wolldecke, schaltete das Licht aus und legte sich
neben sie. Dafür hatte er eine große, bequeme Couch, damit zwei Personen ohne Probleme
darauf schlafen konnten.
Bevor er einschlief huschte ein Lächeln über sein Gesicht. Wenn ihm das einer vor einigen
Monaten erzählt hätte, er hätte diese Person ausgelacht. Er schlief mit Kim zusammen auf
seiner Couch. Das konnte unmöglich wahr sein, er musste in einem sehr lebendigen Traum
sein. Das war zu gut um wahr zu sein.

Es war acht Uhr am nächsten Morgen als er aufwachte. Kim rührte sich nicht, sie lag
weiterhin neben ihm und schlief. Patrick betrachtete sie durch das Licht, das durch die
Jalousien auf sie fiel. Sie sah friedlich aus. Entspannt. Und zufrieden. Ja, er hatte die richtige
Entscheidung getroffen sie nicht zu wecken.
Vorsichtig verließ er das Bett, suchte lautlos seine Anziehsachen aus dem Schrank, sprang
unter die Dusche, zog sich an und hinterließ einen Zettel auf der DVD Hülle, Kim solle nicht
weglaufen, er würde Frühstück holen. Sie hatte nun elf Stunden geschlafen, es war
wahrscheinlich, dass sie bald aufwachen würde.
Der nächste Bäcker war nur einige hundert Meter die Straße runter. Er holte frische Brötchen,
Croissants und Eier. Dem Abendessen würde ein Frühstück folgen. Zusammen mit dem
Schlaf sollte Kim sich bedeutend besser fühlen. Sie hatte es nach all den Stunden wahrlich
verdient.
Der Schnee lag auf dem Grünflächen, hatte sich auf dem Gehwegen zu einer matschigen
Masse gebildet und auf der Straße waren nur noch Pfützen zu sehen. Es war zu warm um ihn
den ganzen Tag zu sehen, spätestens in zwei Stunden wäre er komplett verschwunden.
Er hatte kaum die Tür zum Hauptraum leise geöffnet als sie ihn begrüßte.
„Du solltest mich wecken.“
„Guten Morgen.“ Er ließ die Jalousien etwas nach oben, legte seine Einkäufe auf den Tisch
und sah zu Kim. Ja, sie sah viel besser aus. Keine grauen Ränder unter den Augen, keine
Falten vor Müdigkeit.
„Morgen.“ Sie lag weiterhin auf der Couch und betrachtete ihn. „Wieso hast du mich nicht
geweckt?“ Sie klang nicht böse oder genervt.
„Als ich festgestellt hab dass du schläfst, da warst du bereits fünfzehn Minuten tief im
Traumland, ich dachte mir, wenn ich dich daraus reiße, dann wirst du im Halbschlaf nach
Hause fahren und das erschien mir zu gefährlich. Also habe ich dich zugedeckt und
beschlossen dich schlafen zu lassen. Du hast elf Stunden geschlafen, es sieht so aus, als wenn
du den Schlaf wirklich gebraucht hast. Und was könnte besser nach einem langen Schlaf sein
als ein Frühstück?“
„Ich wollte dich nicht von deiner Couch, deinem Bett, vertreiben.“
„Das hast du nicht.“
Überraschung machte sich auf ihrem Gesicht breit. „Wo hast du geschlafen?“
„Auf der anderen Seite. Mein Couchbett ist groß genug für zwei, ohne Probleme. Ich habe
den Film zu Ende gesehen - du hast nicht wirklich etwas verpasst kann ich dir sagen - und
habe mich dann zu dir gesellt. Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du wie ein Engel
aussiehst wenn du schläfst?“
„Die letzte Person, die das gesagt hat, wollte mich in ihrem Bett halten.“
„Ich werde nicht versuchen dich zu halten, du kannst jederzeit gehen. Allerdings verpasst du
dann frische Brötchen und Croissants.“ Er öffnete die Tüte.
„Das ist Erpressung.“
„Es ist ein Angebot.“
„Das ist gemein.“
„Die meisten Menschen würden ein Frühstück als freundlich ansehen.“ Hach, er hatte bereits
Freude am Frühstück bevor das Frühstück überhaupt angefangen hatte. Sie konnte gerne
öfters hier übernachten und ihm Gesellschaft beim Frühstück leisten.
„Ich bin bereits länger hier als ich sollte.“
Das Problem kannte Patrick selber. So war es ihm mit all den Orten ergangen, die er gemocht
hatte. Aus zwei Stunden wurden fünf, aus vier Wochen vier Monate. Das war das Risiko von
Plätzen, an denen man sich wohl fühlte.
„Du hast gesagt, du musst erst zur Nachtschicht im Krankenhaus sein. Was spricht also gegen
ein Frühstück?“
„Nichts.“ Sie setzte sich auf.
„Na also.“ Er zog die Jalousie ganz hoch.
„Ich muss schrecklich aussehen.“
„Du hast gestern schlimmer ausgesehen.“
„Danke.“
„Keine Ursache.“ Er stellte die Kaffeemaschine an. „Spiegelei? Rührei? Gekocht?“
„Das typische fünf Minuten Ei, bitte.“ Sie stand auf. „Meine Sachen sind verknittert. Was für
ein Glück, dass ich gestern geduscht habe bevor ich hierher gekommen bin.“
„Mi ducha est su ducha. Es liegen zwei frische Handtücher auf dem Schrank.“
„Nein danke, ich werde später Zuhause duschen. Machst du das öfters? Frauen in deine
Wohnung locken, mit einem guten Abendessen, sie auf der Couch einschlafen lassen und dann
die Nacht mit ihnen verbringen?“
„Was soll ich machen? Seitdem ich nicht mehr in Hostels wohne habe ich keine weiblichen
Zimmergenossen mehr. Es war nett mal wieder eine Frau im Zimmer zu haben. Ich muss
sagen, du warst eine sehr angenehme Zimmergenossin, hast weder das Licht in der Nacht
angeschaltet noch deine Sachen im Zimmer verteilt. Ich hatte einige Mädels, die bedeutend
schlimmer waren.“
„Ich bin eine von vielen, aber nicht die schlimmste. Wenigstens etwas. Du weißt wie man
Komplimente geschickt verpackt.“
„Ja, nicht?“ Er stellte Butter, Marmelade, Honig, Salami und Käse auf den Tisch. „Milch und
Zucker zum Kaffee? Oder lieber einen Tee?“
„Milch und Zucker, bitte.“ Kim nahm das Marmeladenglas in die Hand. „Frische Leberwurst
vom Land?“
„Das Glas ist uralt, da war mal Leberwurst drin. Jetzt ist es selbstgemachte Kirschmarmelade.
Diese Gläser im Supermarkt sind voller Dinge, die man nicht essen will, ich koche meine
eigene Marmelade ein. Schmeckt besser.“
„Wieso bist du kein Koch geworden?“ Gab es überhaupt etwas, das er fertig vom Supermarkt
kaufte oder kochte und backte er alles selber?
„Du weißt, ich mache keine Hobbys zum Beruf.“ Er reichte ihr eine Tasse Kaffee, Milch und
Zucker.
„Du steckst voller geheimer Talente.“
„Verrate sie keinem, sonst sind sie nicht mehr geheim. Kann ich dir sonst etwas zum
Frühstück anbieten?“
„Nein, danke, ich bin mehr als zufrieden. Zuhause gibt es eine Scheibe Brot und das, was
gerade im Kühlschrank ist, dazu. Nicht sehr viel, von Joghurt abgesehen, sind die meisten
Dinge in meinem Kühlschrank eher selten zu sehen. Solltest du auf meiner Couch einschlafen,
dann muss ich das Frühstück liefern lassen. Wenn es diesen Service gibt.“
„Eine Scheibe Brot mit Käse ist genug, seitdem ich wieder deutsches Brot habe, bin ich mit
jedem Frühstück zufrieden. Man lernt diese Kleinigkeiten zu schätzen wenn man vier Jahre
lang nur Toast isst.“
„Ein schrecklicher Gedanke. Lass mich raten: du hast dein eigenes Brot gebacken.“
„Natürlich“, grinste Patrick.
„Natürlich.“ Kim schüttelte den Kopf. Ja, er war ein Mann voller Talente und er hatte sich
allem Anschein nach in der letzten Nacht als perfekter Gentleman erwiesen. Zumindest
konnte sie sich an nichts erinnern, das er getan hätte, was sie nicht gewollt hatte. Mal davon
abgesehen, dass er sie hatte schlafen lassen, nur dafür konnte sie ihm nicht böse sein. Es war
die vernünftigste Entscheidung gewesen. Und er hatte recht gehabt, wenn er sie geweckt
hätte, wäre sie nach Hause gefahren.
Kapitel 8

„Du willst mir sagen, in vier Tagen ist Alison hier?“ Steve sah Patrick ungläubig an. Sie
hatten sich in einem Fast Food Restaurant getroffen. Steve hatte einen Salat, Patrick einen
Wrap bestellt. Der Vorteil ihres Aufenthaltsortes war, sie konnten sich so oft Getränke
nachholen wie sie wollten ohne etwas bezahlen zu müssen.
„Ja.“ Er hatte seinem Freund nichts von dem Besuch seiner Freundin erzählt, da er diesen
nicht von seinen Prüfungen ablenken wollte. Er kannte Steve. Dieser hätte umgehend
begonnen einen Plan mit Aktivitäten zu erstellen und kaum noch einen Gedanken an die
Prüfungen verschwendet.
Zu Patricks Freude hatte Alison ihren Flug umgelegt, so dass sie in München ankommen
würde. Zusammen würden sie versuchen alle Visumsangelegenheiten zu regeln und dann am
nächsten Tag nach Nürnberg fahren. Patrick hatte zwei freie Tage bekommen, quasi als
Vorbereitung auf all die vielen Stunden, die er über Weihnachten arbeiten würde. Zwei Tage,
die er komplett mit Alison verbringen konnte.
„Seit wann weißt du das?“
„Ein paar Tage.“ Beinahe zwei Wochen, wen interessierten schon diese kleinen Details?
Eigentlich wusste er von dem neuen Plan erst seit gestern. Nach dem alten Plan hätten Steve
und Alison sich verpasst, es wäre für seinen Freund demnach nicht so wichtig gewesen.
„Bist du nervös?“
„Ja.“
„Sie kommt wegen dir.“
„Das wage ich zu bezweifeln, sie kommt weil sie endlich einmal Europa sehen will.“ Sie
mochte wegen ihm nach München kommen, der Rest hatte weniger mit ihm zu tun. Sonst
würde sie nicht für ein paar Monate nach Teneriffa fliegen.
„Ich bin mir sicher, du spielst eine Rolle.“ Steve knuffte Patrick in die Seite.
„Eine sehr kleine. Sonst würde sie kaum nach zwei Wochen auf die Kanaren verschwinden.
Nicht dass ich das nicht nachvollziehen könnte.“ Er hätte nichts dagegen sie zu begleiten. Das
würde einen Schrei der Empörung in seiner Familie auslösen, wenn er sich wieder ins
Ausland absetzen würde. Doch er sah von dieser Idee ab, das wäre unfair seinem neunen Chef
gegenüber.
„Du würdest gerne das gleiche machen, oder?“
„Gegen zwanzig Grad habe ich nichts einzuwenden.“ Der erste Schnee war nach nur einem
halben Tag verschwunden gewesen, der zweite lag nun seit einigen Tagen, sollte aber passend
zu Weihnachten wieder verschwinden. Natürlich war ihnen keine weiße Weihnacht vergönnt,
Patrick hatte sich bereits gewundert. Weiße Weihnachten in Deutschland, selbst er wäre dann
melancholisch geworden.
„Alison kommt her, sie schläft bei dir?“
„So weit ich weiß hat sie keine Jugendherberge gebucht, also gehe ich davon aus, sie wird bei
mir schlafen, ja.“
„Huuuuh, im gleichen Bett. Die verpasste Chance kehrt zurück.“
„Es wird nichts passieren, wir sind Freunde.“
„Sie ist eine Frau, Männer und Frauen können nicht befreundet sein, der Sex kommt ihnen
immer dazwischen.“
„Ich denke, du hast zu oft „Harry und Sally“ geguckt. Männer und Frauen können sehr gut
befreundet sein. Kim hat letztens bei mir geschlafen, wir lagen im gleichen Bett und nichts ist
passiert.“
„Ja, eine weitere verpasste Chance. Langsam werde ich stutzig. Du hast eine tolle Frau nach
der anderem im Bett und nichts passiert. Bist du schwul?“
„Das wäre die perfekte Erklärung“, lachte Patrick laut. „Wir sollten das meinen Eltern
anbieten, das würde wunderbar in die Reihe der Beschwerden, die sie über mich haben,
passen. Keinen anständigen Job, vier Jahre nutzlos in der Welt herumgetrieben und nun
kommt heraus, es wird niemals Enkelkinder geben, denn der Sohn ist schwul.
Nein, ich muss dich enttäuschen, Steve, ich bin nicht schwul. In Fakt, ich war in Alison
verliebt, als ich sie frisch kennen gelernt habe, habe jedoch relativ schnell herausgefunden,
dass sie kein Interesse zu haben schien. Anstatt mein Glück zu versuchen habe ich recht
schnell gemerkt, eine Freundschaft ist genau das, was wir brauchen. Die ideale Beziehung für
uns.
Wenn sie also in meinem Bett liegt werde ich mich genau daran erinnern und es wird nichts
passieren. Wenn du möchtest kannst du gerne dein Glück bei ihr versuchen.“
„Ich habe nur einen Abend mit ihr, das wird anstrengend, ich werde all meinen Charme
spielen lassen und eventuell in Betracht ziehen für Silvester nach München zu kommen. Du
musst arbeiten, jemand sollte sich um sie kümmern. Kälte, Glühwein, Feuerwerk, Neujahr,
heiße Küsse...ist es für dich in Ordnung auf Kim zurück zu greifen? Wieso hat das mit ihr im
Bett nicht geklappt? Hättest du sie nicht sanft aus ihren Träumen küssen können?“
„Nein.“ Mal davon abgesehen, dass Patrick sehr froh gewesen war als Kim endlich schlief,
denn sie war sehr müde gewesen, war diese Methode nicht seine Methode. Kim vertraute ihm,
er würde ihr Vertrauen niemals missbrauchen. Und er bezweifelte, dass sie Interesse an
Männern hatte, nur das musste er Steve nicht auf die Nase binden.
„Wie sollen wir dich unter die Haube bringen wenn du alle Chancen von dir weißt?“
„Ich bin eine glückliche Single.“
„Das ist das Gerede von Singles, die sich nicht eingestehen wollen, dass sie einsam sind.“
„Du bist Single“, konterte Patrick.
„Leider. Ich würde es gerne ändern, aber ich kann niemand finden, die mich von meinen
Qualen erlösen kann. Es soll ja nicht irgendwer sein, es muss jemand besonderes sein. Du
weißt, der Anspruch.“
„Der wird dich zur ewigen Single machen.“
„Der wird mich zum glücklichsten Mann der Welt machen sobald ich die Richtige gefunden
habe.“ Steve stach das letzte Salatblatt auf.
„Denkst du noch daran nach deiner Ausbildung nach Neuseeland oder Kanada zu gehen?“
Patrick wusste, Steve war es schwer gefallen Australien zu verlassen und nach Deutschland
zurück zu kehren, aber die Vernunft hatte über das Fernweh gesiegt. Er hatte sich die ganze
Zeit gesagt, er konnte nach der Ausbildung wieder ins Ausland gehen.
„Ja. Entweder werde ich versuchen mich vom Verlag aus ins Ausland versetzen zu lassen oder
ich werde meine Work & Travel Visa in Anspruch nehmen, die ich noch habe. Drei Jahre sind
mein, Australien zum zweiten, Neuseeland und Kanada. Es kann sehr gut sein, dass ich alle
drei nehme.“
„Du weißt wo du in Australien unterkommen kannst, wo du arbeiten kannst, wenn du es dir
mit Alison nicht verspaßt wird sie dir sicherlich auch aushelfen und für Kanada kann ich dir
ein paar Adressen geben.“
„Ja, ich denke, ich sollte diese Chancen wahrnehmen. Du wirst natürlich regelmäßig mit
Postkarten versorgt werden.“
„Das will ich hoffen.“
„Wer weiß, wenn ich mich gut anstellen, dann behält Alison mich vielleicht“, kicherte Steve.
„Bevor sie dich behalten kann muss sie dich erst einmal nehmen. Sei nicht zu aufgeregt, ihr
werdet euch Mittwoch sehen. Wir werden den Vormittag mit den Behörden verbringen und
dann hoffentlich am späteren Nachmittag nach einer kleinen Stadttour zu mir gehen. Du bist
herzlich eingeladen uns Gesellschaft zu leisten. Wir können uns im Stübchen treffen. Dann
bekommt sie richtiges, deutsches Essen und ein ordentliches Bier.“
„Und wir packen unser bestes Englisch aus. Kommt Kim eigentlich auch?“
„Kim? Nein, wieso sollte sie? Sie kennt Alison nicht.“
„Ihr habt so viel in den letzten Wochen unternommen, da dachte ich, du hättest sie gefragt.“
„Mhm, nein.“ Patrick hatte nie darüber nachgedacht. „Ich meine, ich könnte sie fragen, aber
ich denke, sie ist arbeiten oder hat etwas besseres vor.“
„Sie verbringt sehr viel Zeit mit dir, wenn ich bedenke, dass ihr beide euch erst seit einigen
Monaten kennt, beziehungsweise die ersten Monate nur via Internet miteinander
kommuniziert habt.“
„Ja, ich weiß. Das liegt daran weil sie mich mit meinen Storys so treibt. Sie will immer
feststellen, dass ich an meiner Karriere arbeite. Ich soll mein Talent nicht verschwenden und
mir nicht später vorwerfen können, ich hätte nicht alles versucht um erfolgreich zu werden.
Ich soll nicht mit einem gescheiterten Traum dastehen, wie sie es tut und mich nicht fragen,
ob der Traum hätte Realität werden können, wenn ich nur mehr versucht hätte.“
„Sie mag deine Geschichte, sie mag dich, sie unterstützt dich, wenn sie so weitermacht, dann
werde ich überflüssig.“
„Nein, sie wird niemals mein Lektor werden können, wie du es bist.“
„Sie wird mich nicht ersetzen?“ Steve sah Patrick mit gespielter aufkeimender Hoffnung in
der falschen Trauer an.
„Nein, niemand kann dich ersetzen.“ Patrick umarmte Steve lachen. Wie sollte jemand Steve
ersetzen? Es gab niemand auf der Welt, der auch nur ansatzweise so wie Steve war.

Er hatte seine Mittagspause etwas verlängert, dafür würde er seinen Feierabend einmal mehr
nach hinten verschieben. Der letzte Tag bevor er Alison vom Flughafen abholen würde. Da
konnte er über kleine Verspätungen für sein Wochenende in der Woche hinweg sehen. Er hatte
so weit alles organisiert.
In der verlängerten Mittagspause hatte er sich auf den Weg ins Herzzentrum gemacht. Er und
Kim waren zu einem Kaffee in der Cafeteria verabredet. Sie hatte ihm gesagt, er konnte
entweder dort auf sie warten oder sie einfach abholen, sie hatte ihm in der SMS genau
aufgeschrieben, wo sie war.
Er hatte sich dafür entschieden sie abzuholen. Mit der Erklärung konnte er unmöglich falsch
laufen und in der Cafeteria sitzen und auf sie warten, das war nicht sein Ding. Er hasste es
irgendwo zu sitzen und auf Leute zu warten. Das machte er nur, wenn er keine andere Wahl
hatte. Sie hatte ihm eine Wahl gegeben, also würde er das Herzzentrum ein wenig besser
kennen lernen.
Es gab einen Grund für ihr treffen. Nicht dass sie prinzipiell einen Grund brauchten, wobei
ohne Grund würde Patrick niemals auf die Idee kommen Kim bei der Arbeit zu besuchen.
Nein, er hatte einen sehr guten Grund: Erfolg. Eine der Zeitschriften hatte seine
Kurzgeschichte abgedruckt. Er hatte vor zwei Tagen eine Email erhalten, dass seine
Geschichte am folgenden Tag in den Zeitschriften zu finden sei und sein Lohn auf sein Konto
überwiesen werden würde. Zwanzig Euro. Kaum die Summe wegen der man feierte, aber es
ging um das Prinzip. Er hatte etwas veröffentlicht.
Lächelnd bei dem Gedanken, dass in seinem Rucksack zwei Zeitschriften mit seiner
Geschichte waren, schritt er über den Flur in Richtung Schwesternzimmer. Hier wollte Kim
ihn treffen. Nicht der gleiche Flur wie damals, als er unfreiwilligerweise nach ihr gesucht
hatte, eine Etage höher.
Da war sie, sie kam bereits aus dem Schwesternzimmer.
„Patrick!“ Sie lief ihm entgegen, umarmte ihn. „Sorry für das, was jetzt kommt.“
Bevor er etwas sagen oder fragen konnte, hatte sie ihre Arme um seinen Hals geworfen und
küsste ihn sanft. Überwältigt, verwirrt und verständnislos kostete es all seine Aufmerksamkeit
nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
„Kinder, geht nach Hause oder nehmt euch ein Hotelzimmer.“ Diese Stimme kannte er. Das
war Kims unfreundliche Ex.
„Machen wir jetzt, danke für den Tipp.“ Kim nahm Patricks Hand und zog ihn von der giftig
dreisehenden Ärztin weg. Hoffentlich hatte sie kein Skalpell, mit dem sie eine geübte
Weitwerferin war.
Er war noch immer so perplex, dass er nichts sagen konnte. Er ließ sich einfach mitziehen,
versuchte seine Beine so zu bewegen, dass er nicht die Stufen hinterfiel.
„Wie geht es dir?“, fragte Kim als sie die nächste Etage erreicht hatten.
„Da muss ich jetzt erst drüber nachdenken. Wenn du mir erklärst was das eben war, dann kann
ich dir vielleicht eine Antwort geben.“
„Entschuldige, ich wollte dich nicht überrumpeln. Seitdem du mich damals besucht hast,
nennt sie dich meinen Toy Boy und Babylover. Sie denkt wohl, du bist einige Jahre jünger als
ich und wir sind ein Paar. Da ich keinerlei Interesse habe ihr die Wahrheit zu sagen oder mich
in irgendeiner Weise mit ihr über mein Privatleben zu unterhalten, habe ich diese
Fehlinterpretationen nicht aufgeklärt. Als ich mich eben für den Feierabend fertig machte und
eine Einladung ihrerseits ablehnte, fing sie damit an, dass mein Toy Boy wohl wieder aktuell
sei. Das ignorierend bin ich raus und da warst du. Ich dachte mir, ich gebe ihr was sie will,
dann sollte sie zufrieden sein und mich in Ruhe lassen. Tut mir Leid wenn du unter meinen
persönlichen Problemen leiden musstest.“
„Ich denke, das Wort Leid ist fehl am Platz. Ein Kuss ist keine Körperverletzung.“
„Es war ein Filmkuss, kein richtiger Kuss, es sollte also knapp an der Körperverletzung
vorbeigegangen sein. Vielleicht fällt der unter sexuelle Belästigung.“
„Beides strafbar.“
„Stimmt.“
„Du bist Ärztin, du solltest gut verdienen, ich könnte einiges an Geld mit der Anzeige
machen.“ Patrick sah Kim nachdenklich an. „Das würde meinen Urlaub für das nächste Jahr
sichern.“
„Und meine Karriere und mein Leben ruinieren. Danke. Kann ich dich ohne eine öffentliche
Gerichtsverhandlung bezahlen?“
„Wenn du mir ein gutes Angebot machst.“
„Oh je, ich weiß nicht, ob ich genug Geld habe um dich ein halbes Jahr an andere Ende der
Welt zu bringen. Eher nicht. Dank des langen Studiums sind da einige Rechungen, die ich
begleichen muss.“
„Dann bleibt mir nur die Klage.“ Er öffnete ihr die Tür zur Cafeteria.
„Danke...für die Tür.“ Sie wählte einen Tisch am Fenster für sie. „Ernsthaft, es tut mir Leid.
Ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen oder dir Unannehmlichkeiten bereiten. Es war
recht dumm und kindisch, diese Show auf dem Flur. Ich hätte sie einfach ignorieren sollen
und ganz normal mit dir weggehen sollen.“
„Hey, ich werde es überleben. Es mag dich schockieren, aber du bist nicht die erste Frau, die
mich geküsst hat.“
„Nicht?“ Nun musste Kim lachen.
„Nein, meine Mama war dreißig Jahre schneller als du. Sie wird meine ewige Nummer eins
bleiben.“
„Ich würde niemals versuchen mit deiner Mutter zu konkurrieren.“
„Nein, das solltest du nicht. Sie hätte keine Chance.“
„Spinner.“ Kim stand auf. „Was möchtest du? Ich lade dich ein. Die Entschädigung für die
Körperverletzung oder Belästigung.“
„Cappuccino.“
„Okay, ich bin sofort wieder da.“ Sie ging in Richtung Theke
Patrick sah ihr nach. Sie hatte ihn einfach geküsst. Ganz ohne Vorwarnung. Sie war ihm um
den Hals gefallen und hatte ihn geküsst. Gut, es war um ihre Ex eifersüchtig zu machen, aber
wie sollte das funktionieren? Er war ein Mann, wie konnte er Kims Ex eifersüchtig machen?
Oder war sie bi? War die Ex vielleicht ein Ausrutscher gewesen? War es ihr egal welches
Geschlecht ihre Lover hatten? So viele Fragen, die er nicht beantworten konnte und die er
noch weniger stellen wollte. Selbst wenn sie ihn in diesem Moment brennend interessierten.
Tatsache war, dieser Kuss hatte seine Aufregung über den Zeitungsartikel erst einmal
vergessen lassen.
„Cappuccino für den Herrn, bitte sehr.“ Sie stellte ihm die Tasse hin.
„Vielen Dank.“
„Und nun zeig mir endlich diese verdammte Zeitung! Welche ist? Welche Frauenzeitung hat
dich als neuen Leserliebling entdeckt?“
„Johanna ist ihr Name.“ Er holte die Zeitschrift aus dem Rucksack und legte sie zwischen ihn
und Kim.
„Yeah, wie sieht es aus? Was für ein Foto haben sie genommen? Haben sie etwas geändert?
Steht dein Name drunter?“
„All das kann ich dir nicht verraten, da müssen wir zusammen gucken.“
„Du hast nicht reingeguckt?“ Kim sah ihn entsetzt an. Wie hatte er all die Zeit diese
Zeitschrift mit sich herumtragen können, ohne hineinen zu gucken? Sie hätte bereits im
Supermarkt die Geschichte gelesen und alle Einzelheiten in ihrem Gehirn gespeichert. Keine
Chance, dass sie ewig mit den Zeitschriften herumgelaufen wäre ohne einen Blick zu
riskieren.
„Nein, ich dachte mir, du hast mich mehr oder weniger dazu gebracht meine Kurzgeschichten
einzuschicken, du hast die Adresse dieser Zeitschrift rausgeschrieben, ich sollte warten bis ich
bei dir bin. Wir können gemeinsam diesen Augenblick genießen – oder gemeinsam enttäuscht
gucken wenn die Lektoren ihre Meinung in letzter Sekunde geändert haben.“ Das war
Patricks geheime Angst. Was, wenn die Lektoren im letzten Augenblick ihre Meinung
geändert hatten und seine Geschichte es nicht in die Zeitschrift gemacht hatte? Wenn er all
diese Freude umsonst erlebt hatte?
„Quatsch. Sie haben sich spät entschieden deine Geschichte zu nehmen, dann ändern die das
nicht mehr.“
„Laut Steve hatten die sich schon früher für meinen Artikel entschieden, sie hatten nur
vergessen mir das zu sagen.“
„Siehst du, nun mach diese doofe Zeitschrift endlich auf. Ich will nicht weiter auf das Gesicht
dieser Königin schauen. Ich will deine Geschichte sehen.“
„Okay.“ Er musste lachen und öffnete die Zeitschrift. Vier Augen überflogen das
Inhaltsverzeichnis bis sie bei Leserroman hängen blieben.
„Vierundsiebzig“, kam von beiden gleichzeitig.
Patrick überließ Kim das Blättern. Auf Seite zweiundsiebzig stoppte sie und sah ihn an.
„Du weißt, wir verhalten uns gerade wie Eltern, die aufgeregt die ersten Erfolge ihres Kindes
betrachten?“
„Ja Mama, nun lass die Kleine schon laufen.“
„Papa, drängele nicht so, sonst fällt sie....wer hat beschlossen, dass es ein Mädchen ist?“
„Die Geschichte, es ist feminin.“
„Gut, das lass ich durchgehen...“
„Nun blättere um, ich will diese verdammte Geschichte endlich sehen.“
„Hey, wirst du etwa ungeduldig?“
„Ja-a, ich habe jahrelang auf diesen Augenblick gewartet.“
„Du hättest deine Geschichten bereits vor Jahren einschicken können.“
„Nein, da warst du nicht da. Das wäre nicht perfekt gewesen. Nun ist alles perfekt.“
„Ich mache den Augenblick perfekt?“ Kims Hand ruhte weiterhin auf der Zeitschrift, ihre
Augen lagen auf Patrick. Sie war hin- und hergerissen zwischen belustigt und gerührt sein.
„Ja. Ich sitze hier mit meiner Muse von fünfzehn Jahren. Wie könnte das nicht perfekt sein?“
„Danke.“ Sie lehnte sich schnell zu ihm und küsste ihn auf die Wange. „Und nun lass uns das
Baby ansehen.“ Sie blätterte um.
„Der Engel des Todes“, las Kim. „Jonah ist kein gewöhnlicher Mann, Jonah ist kein
gewöhnlicher Engel, er ist ein Todesengel. Er ist für die Menschen da, wenn sie ihn brauchen
und sonst keiner ihnen beistehen kann: auf der Schwelle des Todes.“
„Etwas schwülstig.“
„Ja, sie hätten dich eine Beschreibung schreiben lassen sollen.“ Sie begann zu lesen. Nicht
dass die Geschichte neu für sie gewesen wäre, sie hatte sie bereits gelesen als Patrick alle
Zeitschriften angeschrieben hatte. Sie wollte nur feststellen, ob etwas geändert wurde, ob sie
gekürzt wurde. Sie fühlte sich mit verantwortlich für die Geschichte.
„Ich mag Jonah.“ Sie blinzelte zweimal. Diese Geschichte schaffte es ihr Tränen in die Augen
zu bringen, die sie unterdrücken musste. Die Geschichte von dem kleinen Jungen, der ertrank
und seine Eltern beim Trauern zusah rührte sie jedes Mal aufs Neue.
„Eine schöne Vorstellung dass er oder jemand wie er auf einen wartet wenn man stirbt. Das
nimmt einen die Angst vor dem sterben. Er ist bei einem, begleitet einen und dann...ja, wer
weiß schon was dann ist.“ Sie hatte sich das mehrmals gefragt. Als Medizinerin wurde sie mit
dem Thema Tod regelmäßig konfrontiert. Gab es das Leben nach dem Tod? Konnte man mit
ansehen wie der Körper starb?
„Das werden wir nie wissen, denn wenn es so weit ist, dann kann man es nicht verraten und
danach kann man sich nicht mehr erinnern – wenn man dann wiedergeboren wird.“
„Es gibt Leute, die behaupten, sie erinnern sich an ihr letztes Leben.“
„Ich bin mir nicht sicher bei diesem Thema. Man kann vieles behaupten, vieles glauben. Was
immer folgen mag, ich möchte erst einmal dieses Leben genießen.“
„Gute Einstellung. Und mit der Veröffentlichung deiner ersten Geschichte sollte ein weiterer
Schritt zur besseren Lebensqualität geschaffen sein. Was steht als nächstes an?“
„Die Geschichte bei ein paar mehr Zeitschriften unterbringen, ein paar mehr Kurzgeschichten
schreiben, diese auch verkaufen und meine erste Geschichte weiter abtippen, so dass du etwas
zu lesen hast.“
„Der letzte Punkt ist wichtig. Wie wäre es mit einem Weihnachtsbonuspaket?“
„Was stellst du dir darunter vor?“
„Naja, es muss etwas Besonderes sein...wie wäre es mit dem Rest des Jahres? Die letzten vier
Kapitel zusammen in einer Mail.“
„Dann hast du das neunzehnte Lebensjahr fertig, die ersten vier Jahre sozusagen. Mhm, ich
muss mal gucken, nicht dass du zu nah kommst. Die nächsten Tage werden stressig, da kann
ich nicht so viel tippen, wie ich gerne würde.“
„Das Weihnachtspaket und dann bin ich fertig für den Rest des Jahres, wäre das ein Deal?“
„Das ist ein Deal.“
„Und du hast bald frei, du kannst schreiben. Zwei Tage bevor die Feiertage beginnen.“
„Diese Zeit ist fest verplant.“
„Wofür? Vorweihnachtlicher Besuch bei den Eltern?“
„Das hätte ich machen sollen.“ Patrick war leicht zerknirscht. Diese Idee hätte er selber haben
können. Er hätte seine Eltern vor Weihnachten besuchen können, wenn er es schon nicht
Weihnachten und nicht nach Weihnachten schaffte. Er hätte mit Alison zusammen hinfahren
können. Zu spät.
„Aber?“
„Aber ich bin ausgebucht, Besuch aus Neuseeland. Alison kommt her.“ Er erzählte Kim von
Alison und ihrem Vorhaben ein Jahr in Europa zu bleiben.
„Sie besucht dich.“
„Sie besucht Europa. Hör auf dich wie Steve anzuhören.“
„Wenn das alle sagen, dann muss da etwas Wahres dran sein.“
„Blödsinn. Das sind Fantasien.“
„Du bist Schriftsteller, du bestehst aus Fantasien.“
„Das stimmt.“ Er grinste. Sein Leben war eine Fantasie. Wenn er überlegte, wie oft seine
Gedanken irgendwelchen Fantasien nachhingen. Wie oft er bei einer seiner Geschichten war
und nicht in der Gegenwart. Es war so verführerisch während des Arbeitstages einfach
abzuschalten, die Gegenwart zu vergessen und sich in eine andere Welt zu träumen.
Eigentlich waren die meisten Geschichten so entstanden. Er hatte während der Arbeit an
etwas gedacht, hatte den Gedanken vertieft und begonnen ihn aufzuschreiben mit dem
Ergebnis, er vertiefte sich immer mehr in diesen Gedanken. Weiter und weiter spannten sich
die Gedanken und die Kreise, die sie zogen und bevor er sich versah war ein neue Geschichte
geschrieben. Zumindest manchmal.

Nervosität machte sich bei Patrick breit. Den ganzen Abend war er nervös von einer Ecke
seiner Wohnung zur anderen gelaufen, hatte geputzt, gewischt, gesaugt, wieder von vorne
angefangen, neue Stellen gefunden, die er putzen konnte, Dekorationen aufgestellt, entfernt,
umgestellt. Es war als wenn er einen Zwang hatte etwas zu machen.
Der letzte Abend bevor Alison ankommen würde. In zehn Stunden würde sie landen und
Patrick würde sie am Flughafen abholen. Er hatte vor drei Stunden eine SMS von ihr
bekommen. Sie hatte einen achtstündigen Aufenthalt in Hong Kong gehabt.

Hey Sweety only one half left until I’m with u. 12 more hours. R u excited? Bet u r! So am I.
Can’t wait 2 c u. Gonna kiss u b prepared!

Das war Alison. In ihrem Emails schrieb sie ausführlich, im richtigen Englisch, wenn sie eine
SMS schickte, dann nutzte sie sämtliche Abkürzungen, die es gab. Ob es war um möglichst
viele Informationen in einhundertsechzig Zeichen zu quetschen oder weil es unformell war
und schneller war so schreiben war ihm nicht klar. Doch er konnte auf die gleiche Weise
antworten.

Alarm is set, will b at the airport at 7am. I’m prepared, r u? We’ve got a saying here: I gonna
kiss u in ground and earth. Be aware of that!

Eine wahrscheinlich völlig falsche Übersetzung von “jemand in Grund und Boden küssen”,
doch er hatte keine Idee gehabt, wie er das sonst übersetzen sollte. Und es würde Alison etwas
zum Nachdenken geben.
Diese Nachricht würde das erste sein, was Alison in Deutschland empfangen würde. Sie hatte
ihm ihre Flugdaten geschickt, er wusste wann er wo sein musste, alles, was nun zu tun war,
war eine Nacht warten.
Seine Wohnung war auf Vordermann, Einkäufe erledigt, sogar seine Fotocollage hing an der
Tür. Auf ihr Patrick und Alison bei ihrem Ausflug zum Abel Tasman National Park. Sie hatte
ihn begleitet da er nicht alleine dorthin fahren wollte. Sie hatte den Nationalpark bereits
gesehen, aber es ging darum Zeit mit Patrick zu verbringen und sie hatten sehr viel Spaß
gehabt.
Patrick hatte nach dem Ausländeramt gesucht, wo Alison ihren Visumaufkleber erhalten
sollte. Eine Steuernummer würden sie beantragen, ein Bankkonto brauchte sie nicht, denn sie
würde auf den Kanaren arbeiten. Es war Teneriffa. In einem fünf Sterne Hotel würde sie für
die Betreuung der Gäste zuständig sein. Patrick hatte gescherzt, sie sei für diesen Job nicht
geeignet wenn sie kein Deutsch sprach. Immerhin erwarteten Deutsche in ihrem Urlaub, dass
man sie verstand wenn sie Deutsch sprachen und die Kanaren waren eines der beliebtesten
Ziele der Deutschen.
Er würde versuchen Alisons Deutsch in den nächsten Tagen aufzubessern, das konnte für
ihren Ausflug nach Wien und Zürich auch nicht schaden. Einige Basisworte, zu mehr würden
sie keine Zeit haben.
Das war das Problem in Europa: Sprachen. In Australien, Neuseeland oder Kanada war man
perfekt vorbereitet wenn man Englisch sprach, in Europa half einem das nur in Irland und
dem Vereinigten Königreich. Sobald man den Kontinent betrat wurde man mit Portugiesisch,
Spanisch, Französisch, Italienisch, Holländisch und Deutsch konfrontiert. Ging es in den
Norden warteten die skandinavischen Sprachen, ging es weiter in den Osten die
osteuropäischen Sprachen auf einen, ja mit Griechisch sogar eine ganz andere Schrift auf
einen. Nein, Patrick würde kein Backpacker in Europa sein wollen.
Alison würde das schaffen, da war er sich sicher. Sie bekam das, was sie wollte, denn sie
kämpfte für das.
Morgen Früh würde sie erst einmal ein richtiges deutsches Frühstück bekommen. Patrick
hatte bereits einen Berg an Brotbelägen gekauft und würde morgen noch Brot und Brötchen
kaufen. Dann würde sie endlich verstehen was er mit den Worten gemeint hatte, das Brot in
Neuseeland war nicht das, was er unter Brot verstand. Dann würde sie verstehen wie richtiges
Brot zu schmecken hatte und das, was man in Neuseeland nur Toast war.
Hah, das war eh einer der besten Witze überhaupt gewesen. Sein Ausflug zum Ayers Rock.
Der Tourguide hatte am Morgen laut in die Runde gefragt, ob noch jemand Toast oder Brot
haben wolle. Bei dem Wort Brot war ihm die Aufmerksamkeit aller Deutschen sicher gewesen
und einer fragte voller Vorfreude: „Brot?“ Was dann kam, war eine große Enttäuschung und
Belustigung gleichzeitig. Sein Tourguide hatte zwei Scheiben Toast in die Hand genommen
und meinte, das sei Brot. Er legte sie auf den Toaster und erklärte, nun sei es Toast. Die
Enttäuschung in den Gesichtern der Deutschen war groß gewesen. Die absurde Hoffnung auf
Brot war für einen kurzen Moment da gewesen.
Er würde sie so sehr mit Brot und all den Bäckerleckereien verwöhnen, sie würde alleine
deswegen regelmäßig nach Deutschland zurück kommen. Sie genoss gutes Essen genauso wie
Patrick es tat und sie mochte kochen. Das Brot und gute deutsche Lebensmittel, die man in
Neuseeland nicht bekam, würden seine Waffen werden. Quark. Er würde ihr einen
wunderbaren Fruchtquark zaubern. Es war unmöglich an Quark zu kommen, was würde sie
über seinen Käsekuchen mit Quark staunen.
Nicht zu vergessen ihr Ausflug zum Weihnachtsmarkt übermorgen. Glühwein und all die
Leckereien, die man auf einem Weihnachtsmarkt kaufen konnte. Sie würden sich in aller
Wahrscheinlichkeit quer über den Markt essen und am Abend mit Magenschmerzen nach
München zurück kehren. Mit einen Blutzucker, der an die Spitzen der Alpen reichen würde
und verklebten Gesichtern.
Es gab so viele Dinge, die er mit ihr machen wollte und ihre Zeit war so begrenzt. Diese paar
Tage. Wenn er frei gehabt hätte, hätte er sie nach Österreich und die Schweiz begleiten
können. Nicht als ihr persönlicher Fremdenführer, dazu kannte er sich nicht gut genug aus,
aber er hätte ihr Übersetzer sein können.
Wien war auf seiner Urlaubsliste. Eine der wenigen europäischen Städte, die ihn
interessierten. Er wollte die Parkanlagen sehen, die Spanische Hofreitschule. Das war etwas,
das er seit seiner Kindheit sehen wollte. Diese unglaublichen Kunststücke, die die Pferde dort
vorführten, alleine Fotos hatten gereicht um ihn ins Staunen zu versetzen. Ob er Videos im
Internet fand?
Natürlich würde er an die Schauplätze von Kommissar Rex wollen. Diese Serie hatte er als
Jugendlicher gerne gesehen und wenn er schon einer erfolglosen Soap nachtrauerte und über
die Drehorte versuchte etwas zu erfahren, dann konnte er das gleiche mit der wahrscheinlich
erfolgreichsten österreichischen Fernsehserie aller Zeiten auch machen. Sogar in Australien
hatte er Kommissar Rex gesehen. Die Australier schienen größere Fans von „Inspector Rex“
zu sein, als es die Deutschen waren.
Und die Schweiz würde ihn reizen, da er von diesem Land gar nichts wusste. Alles, was er
wusste war, er mochte Schweizer. Er hatte viele getroffen in den vier Jahren im Ausland, es
waren immer sehr nette Leute gewesen. Nun war die Frage, waren nur die so nett, die für
einige Wochen ans andere Ende der Welt geflogen waren oder alle? Die Alpen waren immer
eine Reise wert und wenn er an die leckere Schokolade dachte, die es dort gab, dann reichte
das alleine als Grund aus.
Ja, er hätte sehr gerne mit Alison zusammen diese beiden Länder erkundet. Vielleicht hatte er
die Chance das im September zu machen, wenn sei zurück in München war. Sollte es ihr
gefallen, dann konnten sie für ein verlängertes Wochenende in die Schweiz fahren. Oder nach
Österreich. Oder beides.
Kapitel 9

Flughäfen bescherten Patrick immer ein Kribbeln im Bauch. Reisefieber. Wenn er hier am
Gate stand, auf die Tafel mit den Flügen sah, dann bekam er große Lust seinen Rucksack zu
packen und wieder in irgendeinem Land zu verschwinden. Amerika. Eines Tages würde er für
einige Monate durch die USA reisen. Vom Osten zum Westen, vom Norden zum Süden. Er
würde sich ein Auto kaufen und sicher stellen, dass er in alle Staaten mindestens einmal sein
würde. Alaska und Hawaii würden eine Herausforderung werden, doch deswegen liebte er
diesen Plan, er liebte Herausforderungen.
Heute würde er jedoch nichts weiter machen als Alison abholen. Nichts weiter. Tz. Das war
besser als die meisten Dinge, die er machen konnte. Sie war gelandet, hatte ihm bereits eine
SMS geschickt.

U? Kissing me? U don’t dare that, ur 2 coward, little chicken.

Das würde sie dann sehen, wenn es ihn überkam, dann würde er genau das machen, Alison in
Grund und Boden küssen. Mal sehen ob sie ihn dann noch immer als Huhn bezeichnen würde.
Im Moment war sie mit dem deutschen Zoll beschäftigt. Patrick wusste, die Zollbeamten
waren in Deutschland nicht annähernd so freundlich, wie sie es in Neuseeland oder Australien
waren. Was hatte er mit den Zollbeamten dort gelacht, während die in Deutschland sehr
grimmig ausgesehen hatten.
Die Tür öffnete sich und die ersten Gäste verließen das Gate. Es war nur noch eine Frage von
Augenblicken bis Alison zu sehen war. Es sei denn, sie teilte Patricks Glück und ihr Koffer
war auch immer einer der letzten, die das Flugzeug verließen.
Wie es sich für einen wohlerzogenen Mann gehörte hatte er ihr natürlich Blumen mitgebracht.
Eine rote, eine gelbe und eine weiße Rose. Zuerst hatte er nach blauen und roten Rosen
geguckt, er wollte eine Art neuseeländische Flagge erstellen, das hatte er aus finanziellen
Gründen aufgegeben. Für die zwei Tage, die Alison hier war, wäre das ein zu großer Aufwand
gewesen. Sie konnte die Rosen nicht mitnehmen.
Da war sie! Das war Alison! Eindeutig! Kurze schwarze Haare, Neuseelandkappe und ein
dünner Pullover. Sie zog einen schwarzen Koffer hinter sich her und sah sich suchend nach
ihn um.
„Hey Alison!“ Er lief ihr entgegen.
„Pat!“ Sie ließ ihren Koffer stehen, kam ihm entgegen und sprang ihn förmlich in die Arme.
Patrick, nicht weil er das mit dem feigen Huhn auf sich sitzen lassen wollte, sondern auch
weil ihn danach war, fing sie auf, drückte sie fest an sich und küsste sie überschwänglich. Ja,
er traute sich. Er küsste sie mitten im Flughafen auf die Lippen und ließ sie für eine halbe
Minuten nicht aus den Armen.
Gott, was fühlten sich ihre Lippen gut an. Er konnte etwas Labello schmecken, sie musste ihre
Lippen wegen der trockenen Luft vor wenigen Minuten eingecremt haben. Doch das störte
das Kusserlebnis nicht. Seinetwegen konnten sie diesen Kuss gerne fortsetzen oder einige
Male wiederholen.
„I take it back, you’re not a coward“, keuchte sie als er sie los ließ.
„Told you. You look great.“
„Liar. I look like shit, I feel like shit. Bloody long flights.”
„You look always wonderful, baby.” Er drückte ihr die Rosen in die Hand. „Welcome to
Germany. Welcome in the cold.”
„Can’t be worse than England.”
„You had a stopp over in London?” Er hatte gedacht, sie sei direkt von Hong Kong nach
München geflogen. Diese Verbindung hatte ihn zwar erst etwas gewundert, doch das waren
die Daten, die sie ihm gesendet hatte und er hatte sich nie die Mühen gemacht, das zu
überprüfen. Es gab keinen Grund wieso ihn hätte anlügen sollen.
„Maybe I forgot to tell you a little bit.“ Sie harkte sich mit einer Hand bei ihm unter und wies
mit der anderen seinen versuch zurück ihren Koffer zu nehmen. Sie konnte ihre Sachen
alleine ziehen.
„Maybe?“
„Yes, maybe. Maybe I arrived in London yesterday, did all my stuff for the visa and flew over
from London this morning.“
„Did you?” Patrick sah sie überrascht an. Sie hatte nie mit einer Silbe etwas in diese Richtung
erwähnt.
„Yes I did. Wanted to have all the time I could get with you and I thought it might be easier to
get all these things done in England. People there understand me and I understand them. So I
took a day stopp in London, got organized and came to you. Means for us, we’ve got two
whole days with no offices to sit in.”
„I looked all this stuff up to get us out there fast.”
„I’m sorry but it was supposed to be a surprise.”
„I forgive you – only because it’s christmas in a few days and I’m so happy to see you again.
You still look wonderful and you haven’t changed a bit.”
„Thanks hon. I’ve to say you looked better in my house. Munich is not the right place for you
to be. You belong to New Zealand. Beside that you look great too.”
„I appreaciate your honesty. Let’s get out of here, breakfast is waiting for you.”
„Perfect I’m hungry.”
„No surprise.” Patrick lachte. Er und Alison hatten immer essen können. Sie brauchten nicht
einmal einen besonderen Grund um zu essen. Sie konnten das machen einfach nur weil sie
sonst nichts anderes zu tun hatten.
Patrick hatte die Verbindungen zum Flughafen überprüft. Die schnellste Variante war für sie
mit S-Bahn. Die S1 startete am Flughafen, fuhr durch Hasenbergl weiter in die Innenstadt.
Das erinnerte ihn kurzfristig an Edmund Stoiber und dessen unvergessliche Rede für den
Transrapid. Wenn man am Münchener Hauptbahnhof starten würde, dann war man praktisch
schon am Flughafen, man startete sozusagen am Flughafen. Was für ein Spaß. Das
Comedyleben in Deutschland war definitiv ärmer geworden nachdem der Stoiber Eddy das
Land verlassen musste. Durfte.
Sie stiegen in die S-Bahn, die alle zehn Minuten tagsüber fuhr. Sie hätten auch einen der
Busse nehmen, sowohl Lufthansebusse als auch die öffentlichen Busse fuhren in Richtung
Innenstadt, doch die Straßenbahn war die einfachste Alternative.

Eine halbe Stunde später waren sie in Patricks Wohnung und zusammen mit ihnen und
Alisons Gepäck war die Wohnung so gut wie voll.
„Okay, you were right, this is a small place.“ Alison sah sich um. Sie hatte ein großes Haus in
Neuseeland, sechs Zimmer, Küche, zwei Bäder und ein Wohnzimmer, Patricks Wohnung hätte
problemlos viermal in ihr Haus gepasst.
„I told you. It’s cozy.”
„It will be. Especially in bed.”
„If you don’t behaeve yourself you get kicked out of my bed, love.” Er nahm ihr den
Rucksack ab.
„You can’t scare me.“ Alison ließ sich auf die Couch fallen. „Thanks God I had only this short
fly. Jeez, I was absolutely fucked when I finished all these paperworks yesterday.”
„Language, please.” Er stellte die Kaffeemaschine an.
„Sorry, I forgot you don’t swear here…but how would say that?”
„You mean the direct translation of your sentence? Or the way it should be said.”
„Both.” Sie grinste. Wenn sie beides hörte konnte sie sich vielleicht eins merken.
Bevor Patrick antworten konnte klingelte sein Handy. Die Melodie der amerikanischen
Nationalhymne erklang. Das bedeutete, es war eine SMS.
„Ich war sehr müde nachdem ich gestern die Formalitäten erledigt hatte. That would be the
nice way to say it. You said: Ich war gestern total im Arsch nachdem ich den Papierkram
erledigt hatte.“
„Almost the same. I recognized Arsch. That’s ass. Why didn’t you pick up your phone?”
„It’s only a text.” Er zog das Handy aus der Tasche. Anhand der Melodie hatte er erkannt wer
ihm geschrieben hatten. Kim.

Hey, ich hoffe, du hast deinen Besuch eingesammelt und sie hat den Flug gut überstanden.
Hab am ersten Weihnachtstag den Abend frei, wenn du Zeit hast und mutig bist, dann kann
ich für uns kochen.

Er musste lächeln. Sollte das Abendessen nach zwanzig Uhr sein, dann konnte er annehmen,
Sein Boss wollte ihn bis neunzehnuhrdreißig in der Pension haben.
„A secret lover?“
„No secret, no lover. Kim. I told you about her.”
„Doctor Inspiration.” Alison nickte. Ja, Patrick hatte ihr von Kim erzählt. Sie hatten über
eigentlich alles geredet als sie zusammen in Neuseeland gewesen waren und das hatte auch
nicht aufgehört nachdem er weiter nach Kanada und dann nach München gegangen war.
„She inviteted me for dinner on Christmas Day.”
„I hope you’ll say yes.”
„If I can manage that with my job of course. That means I’m only on Boxing Day alone. Less
heartpain.”
„Poor baby. Is she working right now?”
„Don’t think so, she’s not texting when she’s at work.”
„Tell her to come over, we can all have breakfast together. I’d like to meet her.”
„Why?” Er sah sie argwöhnisch an. Wieso wollte Alison Kim treffen? Da mussten
Hintergedanken sein. Hintergedanken, die ihm sicherlich nicht gefallen würden.
„Oh Patty, don’t be that suspesious. No reason than finding out why she was your inspiration.
She seems to be nice, so why not? You’ve got something to hide?”
„Yes you.” Er reichte ihr eine Tasse Kaffee. Von ihrer gemeinsamen Zeit wusste er, Alison
genoss es zuerst eine Tasse Kaffee zu haben und dann zu frühstücken. Der Kaffee bereitete
den Magen auf das Essen vor, so sagte sie immer.
„Me? Love, there’s no danger for me. She won’t get me, I’m yours.” Patrick hatte Steve
nichts von Kims Ex erzählt, Alison wiederum wusste von der Beziehung. Sie wusste
wahrscheinlich mehr über Patrick als jemand sonst in der Welt.
„That’s what you say now, but than you’ll see her and maybe what was inspiration for me will
be attraction for you.“
„I’m attracted to many things, women are not one of these things. But I want to thank her for
kicking your ass. Probably without her you’d have never written to all these magazines. She’s
deserves a huge thank you for that.”
„Yeah yeah.” Patrick machte eine wegwerfenden Handbewegung musste aber gleichzeitig
grinsen. Alison hatte recht, ohne Kim hätte er das nie gemacht. Das musste man ihr jedoch
nicht immer auf die Nase binden.
„I text her and ask if she wants to have lunch or dinner with us, breakfast might be a little be
spontan. Oh and before I forget: Steve wants to meet you – very urgent.”
„Why?”
„He hopes you’ll be the one.”
„Please tell me you’re not talking about…shit you do!” Alison verdrehte die Augen.
„I do.”
„Why?”
„Well that’s obvious. You’re smart, you’re sucessful, you’re absolutely sexy and there’s no
reason why he shouldn’t be attracted to you. Every man with half a brain and a quarter of an
eye would try the same.”
What’s about you?”, lächelte Alison.
„Baby, I’m already yours, you forgot?” Er stand auf. „Want another coffee and a breaki?“
„One thing is certain: you’re a dream of a man. Yes, I do.”

Sie hatten den ganzen Tag damit verbracht sich München anzusehen. Endlich konnte Patrick
behaupten, er hatte alle Sehenswürdigkeiten besucht. Das Mittagessen hatten sie klein
gehalten, eine Bretzel und ein Radler in einer kleinen Kneipe, dann ging es weiter zur
Museumsinsel und dem Schloss Nymphenburg. Patrick, nicht der größte Fan der deutschen
Geschichte und deren Könige versuchte so gut es ging die Informationen für Alison ins
Englische zu übersetzen. Sie hatten einen englischen Flyer bekommen, doch viele Dinge
waren nur in Deutsch gekennzeichnet.
Zum Abendessen waren sie in einem Restaurant verabredet, das Steve vorgeschlagen hatte. Er
war hier als Student öfters hingegangen, denn die Preise waren relativ niedrig und die
Portionen groß. Alison würde Patricks Arbeitsplatz früh genug kennen lernen. Sie würde ihren
Silvesterabend dort verbringen. Bei ihm. Mit ihm.
„Wow, there she is. Live and alive.” Steve war bereits da und stand auf als er Patrick und
Alison sah. „And so beautiful. Wow, again. You look even better than on the computer.”
„Oh shut up!” Sie umarmte ihn. „Nice to see you. Really see you.”
„Yeah. Now I understand even better why Patrick didn’t want to leave your place. If I could
choose between traveling and staying in hostels with some jerks and staying with you in your
house, I’d stay with you. No question about that. I’d even share a shower with you to save
some water.”
„You can cut through the shit I know what you’re up to. Won’t work, baby.”
„You know what?”
„I know everything, Patty told me. Don’t you think I’m a few years too old for you?”
„Verräter!” Steve sah Patrick böse an. „Waschweib!“
„No German, please.“
„I called him a bloody gossip bitch.”
„I call him a friend. But thanks for trying.” Sie setzte sich zwischen die beiden Männer.
„Some guys tried it worse to get laid.“
„I don’t try to get you laid I’m interested in a true romance. Pat might have forgotten to tell
you I’m very romanticly. Roses in the morning, wine in the evening, whatever you want in the
night.”
„Sure you are. I’m not. I’m interested in being single. If you move one day to New Zealand
we can talk about this again but you’ll be still too young.”
„Discrimination whereever you see. What have you to say? Defend yourself, so called
friend.”
„I don’t have to defend myself. I told her what you’re up to, won’t let her end up in your
claws.”
„Bloody Bastard.”
„That’s the australian way to call somebody a friend”, grinste Patrick. Er hatte Unmengen an
Emails auf seinem Laptop über Australien und die Beschimpfungen, die im Grunde nichts
weiter bedeuteten als dass man den anderen mochte.
„Oh look who’s there.“ Seine Augen wanderten zum Eingang. Kim. Er war inzwischen nicht
mehr überrascht wenn sie sich meldete und damit meinte er, wenn sie sich meldete und es war
nicht eine Antwort auf seine Kapitel, die er ihr schickte. Sie hatten ihre Telefonnummern
bereits vor zwei Wochen getauscht und ab und zu schickten sie sich SMS, hatten so etwas wie
eine Freundschaft aufgebaut, doch es überraschte ihn, dass sie zu diesem Treffen gekommen
war. Sie kannte Alison nicht, hatte Steve nur einmal gesehen und sie musste nach dem Essen
zur Nachtschicht.
„Hi, sorry I’m late.“ Sie verschwendete erst gar keine Zeit damit Deutsch zu reden, da sie
wusste, dass Alison sie nicht verstehen würde. „I’m Kim.“
„Alison.“ Sie gaben sich die Hand.
„Two beautiful women“, sagte Steve und begrüßte Kim.
„You’re trying your luck again?”, fragte Alison amüsiert. Er hatte einen Korb bekommen,
vielleicht würde er bei Kim mehr Glück haben.
„You can’t win if you don’t try.“
„What are you trying?”
„Get laid”, antwortete Patrick für Steve und fing sich einen bösen Blick ein.
„Sorry, no chance.“
„Not my day, tomorrow doesn’t look better either. But I tried.” Er lehnte sich zurück. Der
Kellner kam zu ihnen.
„Was darf ich Ihnen bringen?“
„Hefeweizen“, sagte Steve.
„Mineralwasser“, seufzte Kim. „Oder nein, eine Cola. Ich muss wach bleiben.“
„Ein Hefeweizen und ein Kristallhefeweizen“, bestellte Patrick für Alison und sich. Sie hatten
bereits am Nachmittag beschlossen, sie würden die bayrischen Biere bestellen um Alison
diese nahe zu bringen.
„Do I get that in one of these huge glases?“
„No, it’s only half a liter.”
„That is enough for tonight, we try the big ones next time. What do you call them?”
„Maß. Ein Maß Bier.”
„I try to remember that. But for today, half a liter is enough for me. The jet lag is still there,
we had the other half a liter glas for lunch and we’ve to go to this market tomorrow.”
„Christkindle Markt or Weihnachtsmarkt.”
„Yeah, christmas market. Sounds like a lot of good food.”
„You gonna take the train?”, fragte Kim.
„Yeah, we both wanna drink this hot wine. Oh my godness I gonna end up having a food
holiday here. I have to eat healthy when I’m in Austria and Switzerland.”
„Good luck, they’re famous for their delicious sweets. It’s impossible to resist.”
„Oh dear.” Alison seufzte. Dann musste sie später eine Diät beginnen, wenn sie arbeitete.
Zwei Wochen voller Sünden und dann zwei Monate die Sünden beseitigen. Das sollte
klappen, sie aß wenig wenn sie arbeitete.
„How come you don’t have a German accent?“, fragte sie Kim. „The guys are defently
German, you seem to have a bit of…I’m not sure, is it American?” Das war Patrick auch
aufgefallen. Zumindest dass Kim keinen deutlichen deutschen Akzent hatte wenn sie Englisch
sprach. Einen starken amerikanischen Akzent konnte er jedoch auch nicht hören.
„Yes, it’s American. My father is American, that’s how I got my not very German name.”
„You never told me, Pat.”
„I didn’t know that. You never told me you’re father is American.”
„It’s not important, we never lived there but I was raised bilingual.”
„Seems like I’ve to find out a few more things about you.”
„Looks like. I thought you’re a star stalker.”
„Might be out of practise. Gonna try to find all the bits about your life the next time.”
„Asked her”, bot Steve an. „Might be easier.”
„Too easy. It’s about the hunt, you gonna trak them down, like prey, and catch them without
letting them know. When they realize you’ve got them it’s too late and they can’t flew.”
„Sometimes he’s scary”, grinste Kim.
„Nah, too cute to be scary. He’s so harmless.” Sie umarmte Patrick und küsste ihn auf die
Wange. „Much too cute.“
„Aw, he’s getting all the kisses, why not me?”
„Sometimes you don’t get things because you try too hard.”
„It’s like getting the attention of cats”, meinte Kim. „If you try to get their attention they’ll
ignore you. If you ignore them, they’ll come to you and try to get your attention.”
„Can I call you Mieze?”, fragte Steve Kim.
„If you wanna lose your balls.”
„Autsch.” Er nahm das Bier, das ihm gebracht wurde und warf einen schnellen Blick auf die
Speisekarte. Vor lauter Reden hatte er vergessen was er essen wollte.

„That was an enjoyable day.“ Alison hatte geduscht, ihre Haare trockengerubbelt, ihren
schwarzen Pyjama angezogen und war ins Bett geklettert. Sie war nun beinahe achtzehn
Stunden wach und mit dem restlichen Jet-lag in den Knochen war sie müde.
„Yes it was a great day.“ Patrick war in Shorts und T-Shirt, wie bei jedem Wetter und in jeder
Jahreszeit. Wozu hatte er eine Zentralheizung? Wenn es kalt war, dann drehte er sie etwas
höher, es gab keinen Grund lange Sachen anzuziehen.
„When will we leave tomorrow?“
„We’ve to be at the train station at ten o’clock. That means, we should stand up at eight.”
„Get up”, verbesserte sie ihn mit einem Lächeln. Das war en Fehler, den er vor Jahren bereits
immer gemacht hatte. Stur hatte er darauf bestanden, dass er ja aufstehen würde, deswegen
konnte stand up nicht so falsch sein. Sie hatte jedoch niemals mit sich handeln lassen wenn es
um die englische Sprache ging. Jeden Fehler hatte sie unbarmherzig verbessert. Im Prinzip
war Patrick ihr sehr dankbar dafür.
„Whatever.“ Er musste ebenfalls an die Zeit denken, wenn sie ihn immer verbessert hatte.
„Fact is, we’ve got breakfast at quarter past eight, leave here around nine ot a little bit later
and be on time.” Er schaltete das Licht aus und kam zu ihr ins Bett. Das zweite Mal in diesem
Monat dass er sein Bett teilen würde. Wenn ihm das jemand vor zwei Monaten gesagt hätte,
hätte er das niemals geglaubt.
„You’ve got your winterstuff? It will snow tomorrow.”
„Yeah I’ve got all these yucky stuff like scarf, gloves and a fluffy hat. If that’s not enough the
hot wine and you’ve to keep me warm.”
„That will be expensive.”
„Everything is expensive in Germany.” Alison war schockiert über die Preise gewesen. Das,
was sie in Neuseeland bezahlte, bezahlte sie hier teilweise dreifach. Nur der Alkohol in den
Geschäften war billiger.
„I told you.“
„Yes you did. But it was delicious.”
„A good first day in Germany.”
„A good day, good weather, good food, good company, can’t ask for more. Steve is a very
funny guy, a little bit crazy, but well, he’s so young, he’ll be fine in a few years. If he really
comes over to New Zealand he’s always welcome to stay at my house. He would fit perfect in
our community.”
„I think so too. He knows what no means, so there shouldn’t be a problem and maybe you’ll
have a young girl living with you that time, than he can try his luck with her.”
„Maybe he’ll fall in love with a kiwi that would give you two places to stay.”
„An Aussie would be better. I need a good place there.”
„Well, he’ll travel all three countries, Australia, New Zealand and Kanada, he’ll have three
chances.” Sie kuschelte sich an Patrick.
„Or he’ll find his future wife here and won’t leave at all.“
„That would be a shame.”
„Relationships destroy your life.”
„Depends on the relationship. If you find somebody with the same interests it should be
perfect. Our relationship is very nice.”
„It’s a friendship, honey.”
„It’s a kind of relationship.”
„That’s right. You know, Steve said, you can’t have a friendship with a woman when you’re a
man because there’ll always be the sex and that will destroy everything.”
„Sex is not destroying friendships, it can change a friendship to a relationship or it can just be
an act between friends, who want to be closer. Just because you’ve got sex with somebody
that doesn’t mean you’ve got a relationship. I guess, you can have sex with friends as long
both agree it’s nothing serious.”
„I don’t think that will work out.”
„Not on a regular base but if it’s only once or twice.”
„You ever tried that?”
„Yes.” Sie lachte leise. „And we’re still friends. Since ten years.”
„Wow.”
„It’s all up to the people. You never tried?”
„No, when I had sex with somebody we were in a relationship.”
„I told you, a friendship is a relationship.”
„Okay, we were a couple.”
„Mhm.” Alison legte ihren Kopf über Patricks Schulter, so dass ihre Lippen und Nase seinen
Hals berührten. Wenn sie ausatmete strich die Luft sanft über seinen Hals.
„Wanna try it? As friends not as lovers. We’ll never be lovers.“
„Alison I…” Was für ein Angebot. Sie hatte hm gerade angeboten mit ihm zu schlafen,
einfach nur so, weil sie Freunde waren. Das war das, was er sich damals erhofft hatte, als er in
sie verliebt gewesen war. Nun hatte er die Chance seinen alten Traum wahr werden zu lassen.
Was sollte er da sagen? Wie sollte er sich entscheiden? Sollte er zustimmen, ihr vertrauen,
dass alles so sein würde wie zuvor oder sollte er seinen Prinzipien treu bleiben und
Freundschaft und Sex getrennt halten, wie es – in seiner Welt – sein sollte?
Kapitel 10

Vierundzwanzig Arbeitsstunden in zwei Tagen, Patrick hatte seinen Feierabend mehr als
verdient. Am Heilig Abend hatte er morgens um halb sieben angefangen zu arbeiten, dreizehn
Stunden später hatte er Feierabend gehabt. Dazwischen nur eine Stunde Pause um etwas zu
essen. Alison, die noch bei ihm gewesen war, hatte den Tag alleine am Starnberger See
verbracht. Sie war am Morgen aufgebrochen und pünktlich zum Abendessen um zwanzig Uhr
zurück. Schließlich war es Heilig Abend, der wichtige Weihnachtstag für die meisten
Deutschen.
Sie und Patrick hatten gemeinsam gegessen, er hatte Braten, Kartoffeln und Gemüse aus der
Pension mitgebracht, die sie kurz erhitzen mussten und dann saßen sie bei zwei Flaschen
Wein, Weihnachtsmusik und Fotos aus alten Tagen in Neuseeland herum, besprachen Alisons
Reisepläne für die nächste Woche. Sie würde morgen in den Zug nach Salzburg steigen, dort
den Tag verbringen und am zweiten Weihnachtstag weiter nach Wien fahren.
Patrick hatte ihr nahe gelegt auf die Burg in Salzburg zu laufen anstatt de Schienenbahn zu
nehmen, da diese zu teuer war. Das gesparte Geld sollte sie entweder in Germknöddel oder
Salzburger Nockerln investieren. Kaiserschmarn wäre ebenfalls eine Delikatesse und perfekt
für ihren süßen Zahn. All diese Namen hatte er ihr auf einen Zettel geschrieben, die
Notfallliste für Lebensmittel hatte sie das genannt. Wie man es schrieb und wie Alison es
aussprechen musste, was einen großen Unterschied machte.
In Wien würde sie versuchen die Hofreitschule zu besuchen, die Chancen waren jedoch nicht
so gut. Sie waren sich beide nicht sicher, ob diese geschlossen war wegen des Feiertages.
Wenn dem so sei, dann würde Alison das machen, wenn sie im nächsten Jahr zurück in
München war. Es würde genug damit zu tun haben durch die Altstadt zu bummeln und das
Schloss Schönbrunn zu besichtigen, beides auf der Liste der Weltkulturerbe zu finden. Der
Stephansdom und das Riesenrad im Prater durften natürlich auch nicht fehlen. Sollte Schnee
liegen, dann würden sie ideale Fotomotive darstellen. Aufgrund der Vielzahl der Parks, die in
der Stadt verteilt waren, würde sie sich auf den Schlosspark des Schloss Belvedere und dem
botanischen Garten beschränken.
Der dritte Tag führte sie ins Zillertal, wo sie zwei Nächte bleiben würde. Skifahren war eines
ihrer Hobbys und wenn sie die Chance hatte in einen der schönsten Skifahrgebiete in Europa
einen Tag auf der Piste zu verbringen, dann würde sie diese Chance nutzen um dann in die
Schweiz zu fahren.
Erneut die Alpen, der Genfer See und Zürich waren ihre Ziele bevor sie passend am
Silvesterabend wieder in München sein würde. Patrick hatte bereits erfahren, dass er an
diesem Abend arbeiten musste, mindestens bis ein Uhr, aber es kein Problem sei, wenn Alison
in der Pension sein würde und mit ihm reden würde, während er an der Theke war. Er würde
Bier zapfen und andere Getränke handeln für den Kellner. Ein weiterer zwölf Stunden Tag.
Den Morgen würde er mit Putzen verbringen, dann mittags in der Küche helfen, für einige
Stunden nach Hause gehen, ab achtzehn Uhr wieder arbeiten. Das gleiche Programm am
Neujahrstag. Dann würde er einen Tag zum entspannen gebrauchen.
Am Morgen des ersten Weihnachtstags hatte er Alison also zum Zug gebracht bevor er sich
auf den Weg zur Pension gemacht hatte. Seine Familie bekam in der Nachmittagspause einen
weiteren Anruf, er hatte sie am Abend zuvor bereits angerufen, der zweite Anruf war für das
Gewissen. Alle waren bester Laune und entspannt.
Als er um fünf Minuten nach zwanzig Uhr an der Haustür zu Kims Zuhause stand und auf die
Klingel drückte, war er glücklich Feierabend zu haben und müde gleichzeitig. Die nächsten
sechzehn Stunden würde er nicht arbeiten müssen.
Das Haus, in dem Kim wohnte, war zweistöckig, ein Zweifamilienhaus, würde er schätzen.
Mit großen Garten und einer Garage neben dem Eingang. In der unteren Etage waren Lichter
zu sehen, Weihnachtsdekoration und Kerzen. Eine Kerzenpyramide aus elektrischem Licht
stand im Fenster neben der Haustür, einen leuchtenden Engel hatte er von der Straße aus
gesehen und im Garten stand eine Tanne mit bunten Lichtern.
Oh, wie erinnerte ihn das an seine Zeit im Ausland. All diese Weihnachtsbeleuchtungen. Man
kannte die Häuser, die in allen Farben leuchteten, von Lichterketten, Leuchtengeln,
Lichtpyramiden, leuchtenden Engeln und Weihnachtsmännern aus Werbungen und Filmen
über Amerika, er hatte diese Art von Häusern auch in Australien gesehen. Als er mit dem Bus
um die Weihnachtszeit quer an der Ostküste rauf und runter gefahren war, hatte er einige
dieser hellerleuchteten Häusern gesehen.
Dieses Haus war weit von diesem übertriebenen Kitsch entfernt, es war nett beleuchtet. Es
erinnerte ihn an Zuhause.
Einige Sekunden nachdem er geklingelt hatte wurde die Tür automatisch geöffnet und das
Licht im Treppenhaus ging an.
„Zweite Etage.“ Das war Kims Stimme. Er wurde bei seinem ersten Besuch nicht alleine und
ohne Orientierung gelassen.
Immer zwei Stufen auf einmal nehmend, nicht weil er es eilig hatte, sondern weil er es so
gewohnt war, ging er die Treppe hinauf. Im Treppenhaus stand ein Tannenstrauß mit einigen
Kugeln und einer kleinen Lichterkette, die genug Licht gab, so dass das große Licht gar nicht
nötig gewesen wäre.
Kim erwartete ihn an der Tür, sie trug einen weißen Seidenhausanzug. Nicht das, was seine
Familie an diesem Feiertag tragen würde, doch sie waren alleine, es gab keinen Grund wieso
sie sich etwas formelles anziehen sollte. Ihr nasses Haar verriet, sie war vor wenigen Minuten
aus der Dusche gekommen.
„Frohe Weihnachten.“ Er umarmte sie und küsste sie auf die Wange. Auch eine
Angewohnheit, die er aus den vier Jahren im Ausland mitgebracht hatte. Früher wäre eine
Begrüßung niemals über einen Händedruck hinaus gegangen. Eine Umarmung oder einen
Kuss auf die Wange waren unvorstellbar gewesen.
„Merry christmas.“ Sie küssten ihn ebenfalls auf die Wange. „Wie war dein Arbeitstag?“
„Lang. Und deiner?“ Sie zog ihn in die Wohnung. Die Wände waren in einem zarten gelb
gehalten, der Boden mit hellen Parkett verlegt. Kim hatte mit der Weihnachtsdekoration
gespart, sie waren direkt im Wohnzimmer und außer einem kleinem Weihnachtsbaum und
einigen Kerzen war nichts zu sehen, das auf Weihnachten hindeutete. Der Raum war in leicht
erleuchtet, kein normales Licht, es war gedämpft. Etwas, das Patrick als sehr angenehm
empfand nachdem er die letzten Stunden im grellen Licht verbracht hatte.
„Zu lang, ich bin vor einer halben Stunden nach Hause gekommen, nach sechzehn Stunden
Dienst. Deswegen dieser Aufzug und das nasse Haar.“
„Du siehst gut aus und es egal was du trägst, wir sind auf keiner offiziellen Feier. Trotzdem
hättest du mir schreiben können, dass du so lange arbeiten musst.“
„Das wusste ich zuvor. Morgen habe ich Spätschicht, ich kann also später schlafen.“
„Dann sind wir beide zusammen auf der Spätschicht, ich darf auch ausschlafen.“
„In dem Fall solltest du hier bleiben.“ Sie nahm ihm seine Jacke ab und hängte sie an den
Harken der Garderobe.
Patrick, mehr aus Reflex, ließ seine Schuhe an der Tür stehen. Der Boden war warm, er
brauchte keine Schuhe. Fußbodenheizung. Was für ein Luxus. Er hatte eine Tante, die eine
Fußbodenheizung hatte. Es war immer ein Genuss auf dem dicken Teppich zu sitzen, alles
war warm.
„Ach, ich kann nach Hause, die letzte S-Bahn...“
„Ist um halb zehn. Pat, ich habe ein Gästezimmer, das Bett ist bezogen, du kannst einfach
bleiben. Wir finden ein T-Shirt für dich, eine Zahnbürste und dann musst du dir keine
Gedanken um die S-Bahn oder einem Rückweg in der Kälte machen. Du bist bereits rot im
Gesicht.“ Es war kalt, minus zehn Grad und trotzdem lag kein Krümel Schnee. Nur der Wind,
der aus östlicher Richtung kam, war zu spüren und ließ die Temperatur um mindestens zehn
Grad kälter erscheinen.
„Okay, wieso nicht.“ Er konnte sich weiß Gott einen schlechteren Platz zum Übernachten
vorstellen. Ein eigenes Zimmer in einer großen, warmen Wohnung, er hatte seitdem er
Paderborn verlassen hatte, nicht mehr in so einer Umgebung geschlafen. Während seine
Wohnung definitiv auf Umzug ausgelegt war, war Kims Wohnung auf einen langen Aufenthalt
festgelegt. Er wagte zu bezweifeln, dass sie planten in den nächsten Jahren umzuziehen.
„Geht doch. Setz dich, ich das Essen ist gleich fertig, ich hole uns ein Glas Wein. Rot oder
weiß?“
„Welcher passt zum Essen?“
„Beide.“
„Weiß, halbtrocken, Chardoney.“
„Ob ich all diesen Ansprüchen gerecht werden kann muss ich erst gucken.“ Kim verschwand
lachend in der Küche.
Patrick ließ sich auf dem cremefarbenen Sofa nieder. Die Küche ging links ab, daneben
befand sich eine andere Tür. Eine weitere Tür war neben dem Fernseher, der genau gegenüber
der Wohnungstür stand, zwei andere auf der rechten Seite. Alle Zimmer waren von hier
erreichbar, sehr praktisch. Es sei denn, man wollte sich unbeobachtet in sein Zimmer
schleichen.
Die Dekoration war spärlich, aber liebevoll. Zwei große Poster hingen eingerahmt an den
Wänden, eines zeigte einen Strand und eines einen verschneiten Berg. Eine Glasvitrine und
zwei Kommoden standen an den Wänden, ein großer Esstisch war neben der Couch. Auf
einem kleinen Tisch stand eine Stereoanlage und viele CDs waren herum verteilt. Im Moment
erklang eine CD mit Weihnachtsliedern. Rock Christmas.
„Weiß, halbtrocken, Savanion Blanc.“ Kim kam mit zwei Gläsern zurück, reichte Patrick eins
und ließ sich neben ihn auf der Couch nieder. „Unser Essen ist in fünf Minuten fertig.“
„Ich hoffe, du hast dir nicht die Mühe gemacht etwas zu kochen, wenn du erst vor einer
halben Stunden nach Hause gekommen ist.“
„Ach, die Dose Ravioli waren schnell geöffnet, sie ist in der Mikrowelle“, sagte sie
zuckersüß.
„Na dann.“ Er grinste. Nach all den Jahren als Backpacker konnte eine Dose Ravioli ihn nicht
mehr schocken.
„Nein, ich würde dir niemals Dosenravioli anbieten. Wir haben Rotkohl, Knödel, Sauerbraten
und als Dessert Weinpudding.“
„In dem Fall passt Rotwein besser und wie hast du das in einer halben Stunde zubereitet? Hast
du etwa gestern deine freien Stunden in der Küche verbracht? Du hättest bei deiner Familie
sein sollen; wie heute.“
„Ich war gestern bei meiner Familie und die sind heute nach Regensburg gefahren, meine
Oma besuchen. Das war zu weit für mich, ich habe also eine gute Entschuldigung. Und das
Essen ist mit freundlicher Unterstützung meiner Vermieterin. Sie weiß dass du herkommen
würde, sie wusste, ich muss arbeiten und sie weiß, wie gut ich koche, da hat sie uns einfach
etwas mitgekocht heute Mittag. Sehr praktisch, als ich nach Hause kam, da war alles bereits
im Ofen, achtzig Grad, es sollte gleich die beste Esstemperatur haben.“
„Das nenne ich Service.“
„Sie ist ein Schatz, genauso wie ihr Ehemann. Ich bin sehr froh dass die beiden meine
Vermieter sind.“
„Bei dem Service wäre ich das auch.“ Patrick hatte den Besitzer seiner Wohnung nie zu
Gesicht bekommen. Er hatte den Mietvertrag in einem Büro unterschrieben, irgendeine
Sekretärin hatte diesen ihm ausgehändigt und das war es gewesen. Alles sehr anonym und
unpersönlich.
„Da sind viele Gründe wieso dieser Platz perfekt ist. Na ja, egal. War dein Tag stressig oder
einfach nur lang?“
„Es war okay, die meisten Leute bleiben noch eine Nacht, deswegen hatte ich nicht viel zu
putzen, das Restaurant war stressiger. Viele schenken sich und der Familie ein Essen, ich hätte
problemlos eine weitere Stunde bleiben können, aber dank unseres Essens hatte ich eine gute
Entschuldigung und mein Chef war mehr als zufrieden mit all den Stunden, die ich in den
letzten zwei Tagen gemacht habe. Morgen geht es dann weiter, acht Stunden.
Wie war es im Krankenhaus? Verbrennungen, Alkoholvergiftungen und solche Dinge sollten
an dir vorbei gehen.“
„Meine Hauptaufgabe war es neben der normalen ärztlichen Versorgung, die jeden Tag
praktiziert werden muss, die Leute zu trösten. Weihnachten im Krankenhaus, die meiste Zeit
ohne Familie dient nicht dem Heilungsprozess. Und viel schlimmer ist es bei den Leuten, die
keine Familie mehr haben oder dessen Familien sich nicht für sie interessieren.“
„Seelentrösterin und Ärztin. Eine Frau für alle Fälle.“ Hatte es da nicht mal eine Serie im
Fernsehen gegeben, die einen ähnlichen Titel getragen hatte und in der es um eine
Krankenschwester ging.
„Wenn es sein muss, ja.“ Sie trank das letzte bisschen aus ihrem Glas und stand auf. „Gib eine
Minute und ich serviere dir unser Essen.“
„Du weißt, wenn deine Vermieterin das gemacht hat, dann hast du gemogelt“, grinste Patrick.
„Ich dachte mir, dass du so etwas sagst. Ja, ich habe gemogelt; zu unserem Besten.“
Er wollte aufstehen um ihr helfen doch sie schüttelte den Kopf. Die beiden Teller und die
Schüsseln würde sie alleine tragen können. Er war Gast, er musste nichts machen.
Sie deckte den Tisch, steckte einige Kerzen an, stellte Weingläser und Wassergläser hin und
brachte das Essen. Es sah nicht aus wie die Überreste eines Mittagessen. Alles war liebevoll
auf Servierplatten gelegt, etwas Petersilie war als Zierde um das Fleisch verteilt, im Rotkohl
waren Apfelstückchen zu erkennen und kleingehackte Petersilie war über die Knödel verteilt.
„Es ist serviert.“
„Danke.“ Er schob ihren Stuhl nach hinten, so dass sie sich setzen konnte. Lächelnd nahm sie
dieses Angebot an. Patrick nahm die Weinflaschen und schüttete beiden ein.
„Ich muss sagen, deine Mutter hat dich gut erzogen.“
„Sie würde dir da nicht recht geben, ich war ein böser Junge die letzten Jahre.“
„All diese Jahre haben die gute Schule nicht ruiniert.“
„Steve nennt das Schleimer.“
„Nein, da ist ein Unterschied zwischen Schleimer und zuvorkommend. Du bist im richtigen
Maße zuvorkommend, es sind kleine Aufmerksamkeiten, die Frauen zu schätzen wissen. Das
komplette Bedienen, wie es früher modern war, das wird heutzutage nicht mehr gewollt,
kleine Aufmerksamkeiten wiederum sind sehr angenehm. Knödel?“
„Sehr gerne, danke.“
Sie gab ihm zwei Knödel, während er ihr Rotkohl auf den Teller füllte.
„Klischeegerecht musst du als Mann das Fleisch verteilen.“
„Ich bin kein Fan von Klischees. Du bist die Ärztin, die musst schneiden können.“
„Ich bin keine Chirurgin. Noch nicht.“
„Das beste Training.“
Sie genossen das Essen mit dem Wein und dem Weinpudding. Es war erneut ein anderes
Weihnachten für Patrick. Hatte er fünfundzwanzig Jahre lang mit seiner Familie gefeiert, das
hießt großes Familienessen am Heilig Abend, eine kleinere Runde an den beiden
Weihnachtstagen, war er im ersten Jahr Australien im Nordosten gewesen, wo er die ganze
Nacht draußen gesessen hatte und mit Freunden getrunken hatte. Im zweiten Jahr war er im
Süden gewesen, war mit zwei Freunden in ein Hotel zum Essen gegangen um am nächsten
Tag ein großes Fest im Hostel zu feiern. In Neuseeland hatte er gearbeitet und nach der Arbeit
an allen drei Tagen gefeiert. Sehr unterschiedliche Feiern. Ein mehr deutschangehauchtes Fest
am Heilig Abend, ein typisches neuseeländisches Fest am ersten Weihnachtstag mit einer
Familie und ein Treffen, das in ein fast zehnstündiges Trinken endete am zweiten
Weihnachtstag. In Kanada wiederum hatte er zwei Tage vor Weihnachten seine Sachen
gepackt um nach Mexiko zu fliegen, wo er am Strand liegend mit Cocktails alleine gefeiert
hatte.
Nun war er in München, feierte mit einer Frau, dessen Namen er zwar seit der Hälfte seines
Lebens kannte, mit der jedoch bis vor wenigen Wochen kein Wort gewechselt hatte und die
ihn erst einige Monate zuvor kennen gelernt hatte. Eine Frau, die ihn inspiriert hatte und ihm
definitiv geholfen hatte, sich in seiner neuen Heimat mehr zu Hause zu fühlen.
Als Kim nach dem Essen aufstehen wollte, drückte Patrick sie zurück auf den Stuhl.
„Du hast aufgetischt, ich räume ab.“
„Stell einfach alles in die Spüle und wage es nicht das Zeug abzuwaschen! Einweichen ja,
abwaschen nein. Verstanden?“
„Du wärst eine gute Oberschwester geworden“, grinste er. „Oberschwester Hildegard.“ Die
gute alte Schwarzwaldklinik, das hatte er zusammen mit seiner Mutter immer gesehen. Sollte
diese Serie mal wieder wiederholt werden, sollte er einen Blick hinein werfen, wenn er gerade
Zuhause war. Und wenn er bis dahin einen Fernseher hatte.
Mit geübten Griffen platzierte er Teller und Servierplatten auf seinen Armen. Das war sein
neues Talent, das er in der Pension gelernt hatte. Servieren und das Tragen von mehreren
Tellern. Seine Kolleginnen waren sehr geduldig gewesen und hatten ihn die Geheimnisse des
Kellnern eingeweiht.
Gehorsam ließ er Wasser in das Spülbecken ein und legte das Geschirr hinein. Vielleicht
konnte er sich später davonschleichen und schnell den Abwasch erledigen. Wenn Kim für
einen Moment im Badezimmer verschwunden war.
Kim hatte ihnen eine Flasche Mineralwasser und zwei weitere Gläser Weißwein auf den
Couchtisch gestellt. Dazu einen Teller mit selbstgebackenen Keksen.
„Ich muss sagen, deine Wohnung etwas gemütlicher als meine.“
„Sie ist leicht größer als deine, ich hatte mehr Platz um alles gemütlich einzurichten.“
„Ja, daran könnte es liegen.“ Er klopfte an der Tür. Überrascht sah Patrick Kim an. Erwartete
sie Besuch? Wieso war da eine Art kleine Enttäuschung, dass sie nicht alleine waren? Hatte er
einen Grund enttäuscht zu sein?
„Tür ist offen“, rief Kim. Sie schien in keiner Weise überrascht zu sein Besuch vor der Tür zu
haben.
Die Wohnungstür wurde geöffnet und ein älteres Ehepaar trat ein.
„Frohe Weihnachten, wir wollen nicht stören“, sagte die Frau. Patrick schätzte sie auf Anfang
sechzig und sie erinnerte ihn sofort an seine Großmutter. Sie war recht klein, vielleicht
einssechzig, hatte gelockte, schulterlange graue Haare und eine stämmige Figur.
Neben ihr stand ein Mann, der wahrscheinlich Mitte sechzig war, an die einssiebzig und kurze
graue Haare hatte. Und einen Bierbauch, der Patrick zum Schmunzeln brachte. Beide
schienen sehr darauf bedacht zu sein Patrick so unauffällig wie möglich zu begutachten, dass
es bereits wieder auffällig war.
„Frohe Weihnachten“, sagte dieser.
„Ihr stört doch nicht, kommt rein. Wir haben gerade das wunderbare Essen beendet, es war
zauberhaft. Eines Tages musst du mir zeigen, wie man so etwas kocht. Ich schulde diesem
Gentleman noch ein Abendessen, selbstgemacht wohlgemerkt.“ Aha, die Vermieter. Das hatte
er sich beinahe gedacht.
„Wir können das in Angriff nehmen wenn du mal wieder einen freien Tag hast, Kim.“
„Ja, danke. Entschuldigt, das ist Patrick, Patrick, das sind meine Vermieter. Gerhard und
Hedwig Sommer.“
„Hallo.“ Patrick stand auf und schüttelte die Hände des Ehepaares.
„Soso, das ist der junge Mann, den du inspiriert hast. Kim hat uns erzählt, Sie schreiben und
sie war eine Muse für Sie“, sagte Hedwig Sommer. Ihre Augen lachten fröhlich als sie Patrick
ansah.
„Ja, sie war meine Inspiration und nun ist sie meine Aushilfsagentin.“
„Das Mädchen kann sehr energisch sein, nicht wahr?“, lachte Gerhard Sommer und nahm
dankend das Glas Wein an, das Kim ihn reichte. Das Ehepaar setzte sich auf die beiden
Sessel, die vor der Couch standen.
Hedwig Sommer zauberte aus einer Tasche weitere Kekse und eine weitere Flasche Wein.
„Ja, das kann sie.“ Patrick biss sich auf die Lippen um ein breites Grinsen zu unterdrücken.
„Weißt du, Patrick, du scheinst vergessen zu haben, dass man so lange zuvorkommend und
höflich sein muss bis die Geschenke verteilt sind. Ansonsten reduziert sich die Masse rapide.“
Kim sah ihn leicht strafend an. Sie war nicht energisch, sie wusste nur was sie wollte.
„Ich bin nicht materialistisch.“
„Doch du willst wissen, was du bekommst.“
„Die Tatsache, dass ich etwas bekomme, ist neu.“ Sie hatten niemals erwähnt, dass sie sich
gegenseitig etwas schenken wollten. Was nicht bedeutete, dass er unvorbereitet war.
Weihnachten ging man nirgendwo zum Essen hin ohne ein Geschenk bereit zu haben.
„Es ist Weihnachten, denkst du, du wirst diese Wohnung ohne Geschenk verlassen?“ Kim
ging zur Kommode und holte ein verpacktes Paket heraus. Es war in dunkelrotes Papier
eingepackt, Schneemänner verzierten es und eine breite goldene Schleife war aufgeklebt.
„Merry christmas my sweetheart and I hope you enjoyed your christmas at least a little bit this
year.” Sie umarmte ihn und küsste ihn auf die Wange.
„Thanks love.“ Er griff in seinen Rucksack und holte ein kleines Paket heraus. Sein Geschenk
für sie. „Thanks for inviting me and spending all this time with me.” Er küsste sie auf die
Wange. „I really appreciate what you’ve done and what you are still doing. I’m absolutely
happy to be here with you.”
„Nun reden sie in Englisch miteinander“, schmunzelte Gerhard Sommer.
„Nur um ihm ein wenig Ausland zu geben.“ Kim nahm ihr Geschenk in die Hand.
„Ich liebe diesen leichten amerikanischen Akzent in ihrem Englisch.“ Patrick grinste. Er
vermisste es Englisch zu sprechen, die paar Tage mit Alison hatten ihm gut getan. Er freute
sich bereits darauf das mit ihr fortzusetzen wenn sie zurück war.
„Definitiv Ostküste.“ Es hatte eine Weile gedauert bis er festgestellt hatte woher Kims Akzent
kam, dann hatte es geklingelt. Das war die Ostküste der Vereinigten Staaten.
„Ja.“ Ihr Vater war gebbürtig nördlich von New York, er hatte ihr diesen breiten,
ostamerikanischen Akzent vererbt.
„Die Lady darf ihr Geschenk zuerst öffnen.“
„Wenn du darauf bestehst.“ Kim begann vorsichtig das Tesafilm vom Geschenkpapier zu
lösen. Blau mit goldenen Sternen, Eine Schleife hatte Patrick nicht auf dem Paket befestigt, er
hatte für solche Verzierungen kein Händchen und das Geschenk wurde so für ihn eingepackt,
worüber er mehr als glücklich gewesen war.
„Oh Patrick, du bist verrückt.“ Kim zog eine goldene Figur aus dem Karton.
„Was ist das?“, fragte Hedwig Sommer.
„Das ist ein Oscar, er hat mir meinen eigenen Oscar gegeben. Best Inspiration. Du bist
verrückt.“ Sie umarmte ihn. „Das ist die erste und einzige Auszeichnung, die ich jemals für
meine Schauspielerei bekommen habe, bekommen werde. Meinen eigenen Oscar, der kommt
in die Glasvitrine.“
„Du hättest einen echten verdient, leider konnte ich das Komitee nicht davon überzeugen die
alte Folge von der Schulserie zu bewerten. Ich habe sie extra aus dem Internet runtergeladen
und wollte sie einschicken, doch sie hatten kein Interesse.“
„Du hast nicht wirklich eine alte Folge davon im Internet ausfindig gemacht?“
„Du wolltest mir deine Werke nicht geben, da muss ich mich ja anderweitig umsehen. Wenn
du mir deine TV Auftritte zur Verfügung stellen würdest müsste ich mir diese Umstände nicht
machen.“
„Der junge Mann mag deine Serien, er erkennt dein Talent, du solltest das unterstützen, Kim“,
unterstützte Gerhard Sommer Patrick.
„Danke.“
„Ich selber habe hart darum kämpfen müssen einige Auftritte unserer Kim sehen zu dürfen.
Zum Glück wurde das eine oder andere wiederholt. Freiwillig ihre Aufnahmen herausgerückt
hat sie nie. Da kann ich verstehen wenn Sie sich anderweitig helfen.“
„Er hat manchmal Ansätze eines Stalkers.“
„Wenn du entgegenkommend wärst, dann müsste ich diese Ansätze nicht zeigen.“
„Okay, ich werde dir meine TV Auftritte geben so weit ich sie habe. Hast du einen
Videorekorder?“
„Nicht hier, in Paderborn.“
„Dann kannst du damit nichts anfangen, die meisten sind auf Video. Die gesamte Soap.“
„Och, ich werde einfach den Rekorder holen, das ist kein Problem.“ Und einen Fernseher,
denn ob er den Videorekorder an den Computer anschließen konnte...doch, das müsste
klappen. Auf diese Weise konnte er die Videos auf DVD kopieren. Er würde sich schlau
machen, wie das funktionieren würde und dann konnte er sich sparen einen Fernseher
mitzunehmen.
„Du bist verrückt.“
„Fanatisch.“
„Ja.“
„Das macht einen Fan aus, so bist du zu meiner Inspiration geworden, das hat dir den Oscar
eingebracht.“
„Ja.“ Sie drehte die kleine Figur in der Hand. Best Inspiration. Das war verrückt und süß.
Typisch Patrick eben.
„Sie haben Glück dass Kim Sie richtig versteht, man hätte dieses Geschenk als eine
Übertreibung ansehen können“, meinte Hedwig Sommer.
„Mittel zum Zweck, ich will dich beeinflussen und dir Honig um den Bart schmieren mit
diesem Oscar“, stimmte Patrick zu.
„Ja, so hätte ich das verstanden, wenn ich dieses Ding von jemand anderem bekommen hätte.
Da ich jedoch weiß, dass ich dich inspiriert habe, du hast es mir schließlich eindrucksvoll
bewiesen, fasse ich es als Kompliment auf.“
„So war es gemeint.“ Er war froh, dass Kim verstand wie dieses Geschenk gemeint war.
„Mach dein Geschenk auf.“
Patrick nahm das Paket. Es war schwer, er wunderte sich, was darin war. Lachen würde er ja,
wenn das alle Videokassetten von Kims Soap Zeit waren. Dann würde er direkt am nächsten
freien Tag nach Paderborn fahren und den Videorekorder holen. Das waren ihm die
Erinnerungen wert.
Vorsichtig öffnete er das Papier. Nein, keine Videokassetten. Bücher. Ihm sehr bekannte
Bücher. Patrick Schmidt: F&F – Ein Neuanfang. Das war das erste Jahr seiner Geschichte. So
hatte er das fünfzehnte Lebensjahr seiner Darsteller genannt. Noch vor wenigen Tagen hatten
er und Kim darüber gesprochen, wie er die einzelnen Bücher nennen würde. Sie hatte sich all
diese Titel gemerkt. F&F: Neue Freunde, F&F: Jugendabenteuer, F&F: Bye bye Highschool
und F&F: College. Fünf Bücher, die ersten fünf Jahre, die Kim bekommen hatte.
„Du bist verrückt.“ Er umarmte Kim und küsste sie aufs Ohrläppchen ohne sie einen
Zentimeter aus seinen Armen zu lassen. „Absolut verrückt. Deswegen wolltest du alle
restlichen Kapitel haben.“ Es war weniger die Neugierde, die sie zu ihrem Wunsch nach den
restlichen Kapitel getrieben hatte, es war der Wunsch sein Geschenk zu vervollständigen. Es
war für ihn gewesen, nicht für sie. Wobei sie sicherlich die fünf Kapitel auch genossen hatte.
„Ja, ich konnte dir schließlich kein unkomplettes Buch schenken. Das ist ein Ansporn, mein
Lieber. Ich will dein kleines Bücherregal am Jahresende mit deinen Büchern gefüllt sehen.
Egal ob privat gebunden wie diese oder von einem Verlag, es ist an der Zeit deine Werke aus
den Schubladen zu holen und ihnen den Platz zu geben, den sie verdient haben: auf einem
Bücherregal.“
„Das muss ein Vermögen gekostet haben.“ Patrick hatte so oft daran gedacht seine Bücher
binden zu lassen, aber wenn er die Preise gesehen hatte, dann hatte er sich gedacht, es reichte,
wenn er sie ausdruckte und in einem Hefter abheftete.
„Ich habe alle Bücher zweimal binden lassen, mein Regal wird mit deinen Werken gefüllt und
ich hoffe, du wirst sie mir signieren und eine Widmung reinschreiben. Natürlich in jedes Buch
eine andere.“ Sie freute sich besonders auf die Widmung im dritten Buch, wo ihre Figur das
erste Mal erwähnt wurde.
„Du bist verrückt.“
„Dann sind wir quitt, ich denke das gleiche über dich.“ Kim drückte seine Hand.
„Tz.“ Fasziniert drehte Patrick das erste Band in seinen Händen. Der Umschlag war in
schwarz gehalten, auf der Vorderseite war ein Foto von einem amerikanischen Nationalpark
abgebildet, auch so, wie er mit Kim besprochen hatte. Auf der Rückseite war eine
Zusammenfassung der Kapitel geschrieben. Sogar einen Klapptext hatte das Buch und auf
dem Klapptext am Ende des Buches war ein Foto von ihm, das definitiv in Australien
entstanden war. Somit wusste er wer ihr dieses Foto gegeben hatte.
Patrick Schmidt, geboren in Paderborn, studierte Sozialarbeit in Paderborn. Nach dem
Studium ging er für vier Jahre nach Australien, Neuseeland und Kanada bevor er nach
Deutschland zurück kehrte und jetzt in München lebt. Er begann bereits mit elf Jahren zu
schreiben. F&F entstand als er ein Teenager war und war der erste ernstzunehmende Versuch
von ihm als Schriftsteller zu arbeiten. Er hat bereits für eine Zeitung in Australien
geschrieben und verfasst auch Kurzgeschichten für deutsche Zeitschriften.
Alles wie in einem richtigem, professionell verlegten Buch. Nur die ISBN Nummer fehlte.
Genauso der Name des Verlages.
„Ich muss zugeben, ich hatte Hilfe von Steve. Er hat das Layout erstellt, so dass ich alles nur
noch in Druck geben lasse musste.“
„Das sieht so echt aus, so professionell.“
„Darf ich?“, fragte Hedwig Sommer und deutete auf eines der Bücher.
„Sicher.“
Sie nahm ein Buch in die Hand und betrachtete das Vorderbild. Musikinstrumente. Sie
blätterte durch das Buch.
„Wenn Sie nichts dagegen haben, dann würde ich die Bücher gerne lesen, wenn Kim mir ihre
leihen würde.“
„Natürlich.“
„Ich denke, ich kann meine Schätze mit dir teilen, ich kenne den Autor ganz gut, sitze quasi
an der Quelle für die neuen Bücher.“
„Wenn sie mir gefallen, dann würde ich sie auch gerne gebunden haben. Wer weiß, ich könnte
bei Freunden und Verwandten Werbung machen und dann könnten Sie das eine oder andere
Buch verkaufen.“
„Dann müsste ich BOD machen.“
„Was?“
„Books on demand, das heißt, man lässt so viele Bücher drucken, wie man haben will und
muss diese dann selber verkaufen und vermarkten. Der Verlag druckt nur, er hat sonst nichts
mit den Büchern zu tun.“
„Du kannst deine Krimis gleich mitschicken.“
„Krimis? Ich liebe Krimis.“ Hedwig Sommers Augen strahlten.
„Er hat auch Krimis geschrieben, aber die hat er mir bisher vorenthalten. Allerdings habe ich
mit dieser Geschichte auch genug zu tun. Wie viele Jahre liegen noch vor mir?“
„Ähm, das hört sich jetzt negativ an, als wenn du an einer unheilbaren Krankheit leiden
würdest. Es sind dreizehn.“
„Wir bekommen dein Buchregal voll, Sweety.“
„Ja, ich denke, das sollte inzwischen kein Problem mehr sein.“ Das Regal war klein, er hatte
genug geschrieben um über zwanzig Bücher zu füllen. Und er hatte mehr Material als nur
diese Bücher.
„Erst recht wenn wir deine Gedichte und Lieder auch drucken und binden lassen.“
„Ja, dann sollte das Regal ohne Probleme voll sein.“ Dann würde er wahrscheinlich ein
größeres Regal brauchen.
„Bücher, Kurzgeschichten, Lieder und Gedichte, Sie müssen ein vielbeschäftigter, junger
Mann sein, der über ein wunderbares Talent verfügt.“
„Das sage ich ihm immer, aber er weigert sich zuzuhören. Was war das ein Akt ihn dazu zu
bringen, Kurzgeschichten an Zeitschriften zu schicken. Stunden habe ich auf ihn eingeredet
und dann Stunden mit ihm in den Läden verbracht um Adressen von Zeitschriften
herauszufinden, die Lesergeschichten vertreiben. Wenigstens schreibt er jetzt mehr
Kurzgeschichten und schickt sie ein.“ Was leider nicht bedeutete, dass er sie alle zuerst Kim
schickte. Sie musste warten bis die Verlage sie annahmen, früher bekam sie die Geschichten
nicht zu sehen. Sie musste ihn dringend davon überzeugen, dass er ihr diese Geschichten auch
schickte.
„Ja, ein netter Nebenverdienst. Ich denke, ich werde das Geld davon sparen und es für das
Binden der Bücher benutzen. Das bedeutet, ich sollte dringend ein paar Dutzend Geschichten
verkaufen.“ Wenn ihm jede Zeitschrift nur zwanzig Euro überwies, dann konnte er lange
sparen um das Geld zusammen zu haben, das er für alle Bücher brauchte. Binden war nicht
der einzige Kostenpunkt, das Drucken kam hinzu. Dazu dann Farbkopien für die Titelseiten,
die Umschläge. Bei einer kleinen Bestellung würde er wahrscheinlich zwanzig Euro pro Buch
bezahlen.
„Haben Sie Autorenwettbewerbe versucht, wenn Sie Ihre Werke schon nicht an Verlage
schicken?“, fragte Gerhard Sommer.
„Nein.“
„Dazu werde ich ihn im nächsten Jahr bringen.“ Kim piekte Patrick in die Seite. Sie hatte
einige Pläne, von denen Patrick nichts wusste.
„Ich denke, zu ihrem Geburtstag bekommt sie einen neuen Oscar, für die nervigste und
gleichzeitig liebenswürdigste Agentin der Welt.“
„Einer muss dir in den Hintern treten wenn du von dir aus nichts unternimmst. Ich werde
Ärztin, ich bin gut im Treten.“
„Das macht mir nun Sorgen für meine zukünftigen Besuche im Krankenhaus“, grinste Patrick.
Er wusste, er sollte etwas aktiver sein wenn er Erfolg haben wollte, doch für ihn war die
Schreiberei ein Hobby und er war auch glücklich, wenn er diese nicht als Beruf ausübte und
einfach nur für sich schrieb.
„Ich habe dir versprochen, ich werde auf dich aufpassen. Und wenn ich dich trete, dann wirst
du kaum im Herzzentrum landen. Du darfst in ein ganz normales Krankenhaus.“
„Eigentlich würde ich es vorziehen in kein Krankenhaus zu kommen. Ohne dir zu nahe zu
treten, ich mag Krankenhäuser nicht.“
„Keiner mag Krankenhäuser, das ist ganz natürlich.“
„Ich bin mir sicher, Kim wird Ihnen keinen Schaden zufügen“, meinte Gerhard Sommer
amüsiert. „Ich kenne sie nun ein paar Jahre, sie ist ein viel zu friedfertiger Mensch um jemand
zu schaden.“
„Alle Serienmörder haben ein unauffälliges Leben geführt und ihre brutalen Taten im
Verborgenen durchgeführt. Im Tageslicht die nette Ärztin von Nebenan, in der Nacht die
Mörderin mit der Kettensäge.“
„Ich besitze keine Kettensäge. Alles, was ich habe, sind diverse Skalpelle. Mit denen könnte
ich ganz langsam seine Haut aufschneiden, so dass du sehr langsam verblutetst und lange
leidest. Pulsadern aufschneiden wäre zu einfach und zu schnell, aber wenn deine Venen über
den ganzen Körper verteilt aufritze, dann wirst du langsam und sehr schmerzvoll verbluten.“
Sie versuchte ihre Stimme ernst zu halten. „Das kannst du dir für deinen nächsten Krimi
merken, mein Lieber.“
„Ich hoffe, Sie haben gute Schlösser an Ihren Türen. Es wohnt ein Psycho in Ihrem Haus.“
Patrick zog die Stirn in Falten. „Ich werde die ganze Nacht mit einer Waffe, was immer ich
auch finden werde, hinter meiner Tür stehen. An Schlaf ist nach dieser Vorstellung nicht mehr
zu denken.“
„Besser ist das. Sobald du deine Augen schließt werde ich mich in dein Zimmer schleichen
und anfangen zu schneiden.“ Sie lehnte sich an seine Schulter. Was hatte sie da nur für Ideen?
So etwas spukte sonst nie in ihrem Kopf herum. Patricks Fantasie und Kreativität für Krimis
musste auf sie überspringen.
Teil 10

„I’ve got you back!” Alison sprang in Patricks Arme und umklammerte ihn.
„Hey Sweetheart, how are you? How was your travel?” Er hatte sie am Bahnsteig erwartet.
Alisons Zug kam um vier Uhr in München an, Patrick hatte sicher gestellt, dass er um diese
Uhrzeit eine Pause hatte um sie abzuholen. Er würde sie nicht zu sich nach Hause bringen
können, aber sie brauchte seinen Schlüssel um in die Wohnung zu kommen.
„Fabulous. I gonna tell you later, so great. I love Austria and the Switzerland. All these great
snow and the food. We’ve to make some Kaisassmarn.”
„Kaiserschmarrn.” Patrick grinste und nahm Alisons Tasche.
„Whatever, great stuff, like Pancake. Can you make it?”
„Can a shark swim?”
„Show off.”
„Master for you.”
„Yeah, sure. How was christmas? Did you enjoy it? Even without me?”
„I suffered the whole time.”
„Liar. You had dates.” Sie wusste dass er den Abend des ersten Weihnachtstages bei Kim
verbracht hatte.
„Appointments. No dates. I only have dates with you.”
„We meet, we don’t have dates. I’m not Kim.” Sie zwinkerte ihm zu.
„I don’t have dates with Kim.“
„You met her on Christmas Day.”
„Yes, I met her and her landlords, a very nice elderly couple, that cooked for us. We had a
lovely evening, talked a lot and around midnight we all went to bed. And yes, I slept at her
place, in a guest room.”
„Wasting chance.”
„Now you sound like Steve, who should be with us in a few hours.”
„We’re your friends, we’re trying to encourage you to do things you feel like to.” Oh, sie hatte
so etwas ähnliches vor zwei Jahren einmal gesagt. Dass sie jeden dazu ermutigen würde
Dinge zu tun, die er oder sie tun wollen würde. Patrick hatte daraufhin einen Hustenanfall
bekommen. Das war zu der Zeit gewesen, in der in Alison verliebt gewesen war, oder für sie
geschwärmt hatte, das passte besser, und er die ganze Zeit unterschwellig mit ihr geflirtet
hatte. Wenn er damals das getan hätte, wonach ihm in dem Moment der Kopf stand, dann
wären sie jetzt wahrscheinlich keine so guten Freunde.
„I feel like spending the evening with you on a hot island, but I have to leave you at the tram
number one and go back to the motel.”
„I’ll be with you in an hour or so.” Er rechnete mit später. Sie würde eine halbe Stunde
brauchen um bei der Haltesteller zu seiner Wohnung zu sein, dann ihre Sachen in die
Wohnung bringen, sich umziehen, etwas essen, frisch machen. Es würden eher zwei Stunden
werden, was in Ordnung war, denn er musste sowieso arbeiten.
„I’ll wait for you – heart broken.”
„Nutcase.” Die S-Bahn Nummer eins hielt vor ihnen. Patrick drückte Alison ihr Ticket in die
Hand.
„You know where to go out?“
„Get out, yes.” Sie nahm die Haustürschlüssel entgegen.
„Good, you know how to come to the motel?”
„Yes Sir.”
„You know…”
„Pat, I managed to survive a week in two countries, I gonna manage to come to your place, no
worries.” Sie küsste ihn auf die Wange. „So sweet but not necesseray. See you later.”
„See you later.” Er sah ihr seufzend nach.
Als die S-Bahn aus dem Bahnhof verschwunden war, verließ er das Bahnhofsgelände. Er
hätte mit der gleichen S-Bahn fahren können, aber er hatte eine weitere Stunde bevor er
zurück sein musste, er konnte einen kleinen Umweg durch die Innenstadt machen und gucken,
ob er etwas interessantes in den Geschäften finden würde. Selbst wenn diese geschlossen
waren, Schaufensterbummel und er geriet nicht in Gefahr Geld auszugeben. In der Pension
würde er lange genug sein.
Es war Silvester, die ersten Raketen hatte er bereits gehört. Es würde wohl nie ein Jahr geben,
in dem alle Raketen und Knaller erst um Mitternacht gestartet wurden. Genauso wie es nie ein
Jahr geben würde, an dem nicht Millionen von Euro für diese Krachmacher ausgegeben
wurden. Patrick selber hatte niemals Geld für Raketen ausgegeben. Wieso sollte er Geld in die
Luft schießen, das dort nach wenigen Sekunden explodierte? Sicher, es sah schön aus, aber er
verpulverte buchstäblich Geld.
Das erste Silvester in Deutschland seit fünf Jahren. Was war er von den Silvesterfeiern in
Australien enttäuscht gewesen. In Cairns war einige Raketen gezündet worden, um Viertel
nach zwölf war jedoch nicht nur das Feuerwerk, sondern auch das Fest vorbei. Alle Leute
gingen nach Hause, obwohl das Wetter traumhaft für eine Party gewesen war.
Adelaide im nächsten Jahr war nicht viel besser gewesen, nur dass es dort mit einer
Verspätung von zwölf Minuten ins neue Jahr gegangen war. Den Organisatoren der Open Air
Feier war die Musikanlage ausgefallen und das Feuerwerk hatte auch Probleme gemacht. Die
beiden, wie Patrick fand, sehr nervigen Moderatoren, hatten die ganze Zeit versucht den
Leuten vorzugaukeln, es sei noch nicht Mitternacht. Es war halb eins als alle Lichter
ausgeschalter wurden und jeder nach Hause ging.
Christchurch war anders gewesen. Es war eine Privatfeier gewesen, er hatte kaum Raketen
gesehen, die von der großen Party am Cathedral Square abgefeuert wurden, aber dafür ging
bei ihrer Feier niemand um halb eins nach Hause. Er ging gegen halb drei, die Party war bis
um fünf gegangen.
In Kanada hatte er sich für Silvester in Vancouver eingemietet und eine große Feier in der
Stadtmitte erlebt. Feuerwerk, Party und viele Leute, die mit großer Freude zuvor alle
möglichen Neujahrsfeiern in anderen Ländern mitgefeiert hatten. Sogar das neue Jahr in
Deutschland hatte er da Stunden zuvor gefeiert.
Heute würde er arbeiten, vielleicht nach Mitternacht kurz rausgehen und dann eine weitere
Stunde bleiben bis die meisten Leute sich auf den Weg in ihre Zimmer oder nach Hause
gemacht hatten. Keine Feier, er würde die Feier beobachten und mit dem Zapfen der
Getränken zur guten Stimmung beitragen. Dabei würde Alison ihm Gesellschaft leisten.
Ihr Platz an der Bar war reserviert. Damit es nicht allzu langweilig für sie würde, würde Steve
ihr Gesellschaft leisten. Er hatte seine Silvesterparty in Düsseldorf abgesagt um mit ihnen Zeit
zu verbringen, wenn Patrick es nicht besser wissen würde, würde er denken, Steve hatte ein
Auge auf Alison geworfen. Die Tatsache, dass Steve der festen Überzeugung war, Patrick und
Alison waren ein Paar, machte diese Vermutung unwahrscheinlich.
Es war einige Zeit vergangen als er aus seinen Gedanken erwachte und sich umsah wo er
eigentlich war. Ziellos war er vom Bahnhof durch die Straßen gelaufen und sein
Unterbewusstsein hatte ihn zu einem ihm inzwischen bekannten Ort gebracht: Das deutsche
Herzzentrum. Es war halb fünf. Kim würde bald mit ihrem Dienst anfangen, vielleicht konnte
er sie vor Dienstantritt ausfindig machen und ihr im Voraus einen guten Rutsch ins neue Jahr
wünschen.
Er ging in den nächstliegenden Eingang und fragte an der Rezeption nach ihr. Dieses Mal
ging er ohne ein mulmiges Gefühl in die richtige Richtung, suchte nicht krampfhaft nach
einem Notausgang. Nur ob er sich eines Tages an den seltsamen Geruch und die seltsame
Atmosphäre in einem Krankenhaus gewöhnen konnte, das wagte er zu bezweifeln.
Eine Krankenschwester bestätigte ihm, dass Kim bereits anwesend war und schickte ihn zu
einem kleinen Zimmer am Ende des Ganges. Nun bekam er doch ein leicht mulmiges Gefühl.
Okay, wenn die Tür geschlossen war, dann würde er einfach wieder gehen, Kim wäre dann in
einer Besprechung und die würde er nicht stören wollen. War die Tür offen und er konnte sie
sehen, war sie nicht in ein Gespräch vertieft, würde er mit ihr sprechen.
Es wäre einfacher wenn sie Verkäuferin in einem Supermarkt wäre, er könnte einen Einkauf
als Vorwand nehmen um sie zu sehen. Brauchte er einen Vorwand um sie zu sehen? Musste er
sich rechtfertigen? Eigentlich nicht, sie waren Freunde. Freunde konnte einen kurz bei der
Arbeit besuchen, wenn sie dem Arbeitsablauf nicht störten.
Er verlangsamte seine Schritte, da er dem Zimmer näher kam und versuchte angestrengt zu
hören, ob er Stimme aus dem Zimmer hören konnte und wenn ja, worüber diese Stimmen
sprachen.
Erschrocken fuhr er zusammen als ein Arzt aus dem Zimmer kam. Oder eher, eine Ärztin. Oh
je, die kannte er, das war Kims Ex. Hoffentlich bedeutete das keinen Ärger für sie. Wieso
musste er ihr jedes Mal in die Arme laufen? Konnte diese Person ihn wittern?
„Ach, wen haben wir denn hier? Den geheimnisvollen Jungen. Auf der Suche nach deiner
Freundin?“ Seit wann hatte er dieser Person das „du“ angeboten? Und mit welcher Arroganz
in der Stimme sprach sie überhaupt mit ihm? Nur weil sie einige Jahre älter war als er und
Ärztin hatte sie kein Recht ihn als Jungen zu bezeichnen.
„Nun hat es dem Kleinen die Stimme verschlagen. Kim, du hast Besuch – mal wieder. Denk
daran, dass dein Dienst gleich anfängt, ich will euch nicht in Wäschekammern verschwinden
sehen. Wobei, die fünf Minuten hast du.“ Sie drehte sich auf dem Absatz um und ging zurück
ins Zimmer. Patrick sah ihr nach. Die langen, braunen Locken wippten sanft auf ihrem
Rücken. Von hinten sah sie besser aus als von vorne, man sah ihre Augen nicht. Patrick
wusste nicht was mit den Augen war, aber er konnte keine Freundlichkeit und Güte in ihnen
finden, was er bei Ärzten erwartete. Sie waren da um Menschen zu helfen, wenn sie eiskalte
Augen hatten, wie sollten sie das Vertrauen ihrer Patienten erlangen?
Da war Kim. Sie sah ihn überrascht an. Aber nicht genervt. Nein, in ihren Augen lag
Freundlichkeit. Und ihre Augen waren hinter einer dünnen Brille versteckt. So hatte er sie
noch nie gesehen.
„Pat.“
„Sorry, ich will dich nicht stören, ich war nur in der Gegend und wollte dir eine gute Schicht
und einen guten Rutsch wünschen.“
„Danke.“ Sie nahm seinen Arm und zog ihn von der Tür weg.
„Du hast deinen größten Fan verschwiegen, dass du eine Brille hast.“
„Nur im Dienst, wenn ich diese schreckliche Schrift der Ärzte lesen muss“, lachte Kim.
„Hyroglyphen kann man mit Brillen entziffern?“, grinste er.
„Manchmal.“ Sie stoppten an einem Automaten, in dem es Getränke und Schokolade gab.
Sollte er sich einen Pausensnack gönnen?
„Hast du Alison abgeholt?“
„Sie sollte in der S-Bahn sitzen. Deine...Vorgesetzte hat mich als geheimnisvollen Jungen
bezeichnet.“
„Sie ist eifersüchtig, ich weigere mich standhaft etwas über dich zu erzählen, keiner weiß, wer
du bist und diese Unwissenheit macht sie rasend. Sie versucht noch immer über mein Leben
zu bestimmen und die Kontrolle darüber zu haben. Zu schlecht, dass ihr das mit meinem
Privatleben nicht gelingt.“
„Es ist nicht die beste Idee mit der Ex zusammenzuarbeiten.“
„Ja, daran hätte ich denken sollen bevor ich mich mit ihr eingelassen habe. Wegen ihr werde
ich jedoch nicht die Klinik verlassen. Man sollte den Leuten niemals das geben, was sie
wollen, wenn sie unfreundlich sind. Das bestärkt sie in ihren Taten.“
„Das heißt, sie denkt weiterhin, ich bin dein Liebhaber?“
„Junger Liebhaber. Davon gehe ich aus, Schatz.“
„Gut, ich möchte nur in Kenntnis gesetzt werden, wenn ich aus unserer Beziehung geworfen
werde.“
„Du bist derjenige, der das Bett mit jemand anderes teilt, nicht ich. Du gehst fremd.“
„Ich kann dir versprechen, Liebling, ich gehe dir nicht fremd.“ Er musste lachen.
„Besser ist das, ich bin eifersüchtig.“
„Freut mich zu hören. So, ich lasse dich jetzt alleine bevor du noch Ärger mit dem Drachen
bekommst und werde mich zu meiner Theke begeben. Das Bier und all die anderen
Leckereien warten auf mich.“
„Viel Spaß und einen guten Rutsch.“ Sie umarmte ihn und küsste ihn auf die Wange.
„Danke, dir auch.“ Er ging ein paar Schritte, stoppte, ein Grinsen machte sich auf seinem
Gesicht breit. „Ach Schatz?“, rief er Kim nach.
„Ja?“ Kim drehte sich nicht minder amüsiert um.
„Diese Brille, ich muss sagen, du siehst verdammt sexy damit aus. Trage sie doch mal
Zuhause, du weißt schon, wenn wir beide alleine sind. Du erinnerst mich an meine Lehrerin
im Abitur, in die war ich ganz schön verknallt. Du könntest einen kurzen, schwarzen Rock
anziehen und mir Nachhilfe geben. Biologie war immer eines meiner schwächsten Fächer
gewesen.“
„Ich werde darüber nachdenken, mein geheimnisvoller Junge.“ Kim biss sich auf die Lippen
um ernsthaft zu bleiben.

„Tell me about Vienna, how romantic was it?“ Steve lehnte sich auf die Theke und sah Alison
auffordernd an.
„Romantic? You mean Paris?“
„No, no, I’m talking about Vienna.”
„I liked the castle, Belvedere, very nice place. Actually it looked romantic in the snow. And I
liked the adventure park, it’s a kind of cute. Old-fashioned, fits perfect to Vienna. And I went
to the grave of Mozart. Thought I might do a cemetery tour, I wanna visit the grave of Jim
Morrison in Paris.”
„What’s wrong with people who are alive?”
„I couldn’t understand them. It was quite a hassel to order dinner. I tried…Pat, what was the
name of the cake again?”
„Sacher-Torte.” Patrick grinste. Er war nicht überrascht gewesen, dass die Sacher-Torte, die
man in Neuseeland kannte, anders war als das Original aus Österreich. Genauso wie der
Apfelstrudel, den Alison probiert hatte.
„Yeah, what a great place, full of sweets. I even managed to see the…” Aliso schloss die
Augen um sich zu konzentrieren. „Spanisse Hofrreitsule. No, that’s sound not like they’ve
said it.“
„Spanische Hofreitschule.”
„Yes, your German is a strange language. Doesn’t matter if you’re saying something or the
people in Austria, it sounds always strange.”
„Thanks honey. It sounds only strange because you say it strange. Would you like to have
another drink?”
„What’s about this big beer glases? You’ve got them here?”
„Even if we would, I wouldn’t give it to you. You can’t handle a liter of beer.”
„Don’t sound like my mum.”
„Radler?”
„Yes, please.”
„Good girl.” Patrick tätschelte Alisons Arm. Er würde sie nicht nach Hause tragen und er
würde sie aus seinem Bett verbannen wenn sie betrunken war.
„You know, my hometown has the longest bar in Germany?“, sagte Steve.
„How long?”
„It’s a whole street. On both sides are bars and you will need more than one evening to have a
drink in every bar. But we’ve got some nice drinks, a nice beer and if you want, I can’t show
you around when you’re back in Germany.”
„Are you still trying to hit on me, Steve?” Alison war mehr amüsiert als genervt.
„Yes, of course. I don’t give up after one round. You only lose if you give up. What do you
think, we’ve got a date in Düsseldorf? Don’t look at Patick, you don’t need his okay.”
„That’s right, I don’t. Maybe if you have a girlfriend by that time I’ll say yes.”
„Then you gonna miss the best thing.”
„I gonna risk that. Pat, how long is your kitchen open?”
„The only think you can get until midnight are chips. The rest is shut down. They wanna have
a free evening.” Seine Kollegen aus der Küche waren gegen zweiundzwanzig Uhr nach Hause
gegangen. Seine Chefin, Miriam, bereitete Pommes zu, wenn jemand hungrig war.
„That’s not very German.“ Pommes bekam sie überall auf der Welt. Gab es denn keine
deutschen Snacks, die man zu sich nehmen konnte, wenn man auf ein Ereignis wartete?
„I know but fast.”
„I’ve got a few more minutes in your old year left, I want some German food.”
„How did you celebrate your New Year? The New Zealand one?”, fragte Steve interessiert.
„I was in a train, there was not much celebration. I’ve got a few messages from friends and
that’s it. They told me, I can live twelve hours longer now and I should do something special
with this bonus. So I bought a chocolate in the train and celebrated my own Kiwi New Years
party.”
„Sounds very sad.”
„I had more exciting partys.”
„If I would have known that I’d have celebrated with you – in private.”
„You know Steve, if you would be serious for more than ten seconds you might get a
girlfriend. No, I don’t say you’ll get me, I’m not available, but you might find somebody.”
„I’m not satisfied with only somebody, I want somebody special.” Er fuhr sich durch die
Haare. Irgendwen, wer wollt schon irgendwen? Jeder wollte jemand besonderes. Und wieso
war sie nicht frei? Sie hatte ihm vor einer Stunde noch erzählt, sie sei Single. Das konnte sich
in der Zeit nicht geändert haben, er war nicht von ihrer Seite gewichen.
„That’s what everybody is looking for. You might be lucky next year.”
„We’ll see. What are your plans?”
„Pat has to work tomorrow, so I gonna enjoy a long morning in bed, before I have another
look around the city. And the day after tomorrow we’ll go to Pat’s parents.”
„Oho, meet the parents. It must be something serious between you guys. If he brings you to
his parents.”
„Steve, shut up!” Patrick verdrehte die Augen. Er brachte Alison mit zu seinen Eltern, da er
erstens zwei freie Tage hatte, zweitens seine Eltern seit zwei Monaten nicht gesehen hatte und
drittens sie sich aus Neuseeland kannten. Seine Mutter hatte schließlich nach Alison gefragt.
Er brachte eine Freundin aus Neuseeland nach Hause, nicht seine Freundin.
„I wonder if he’s jealous. The question is, jealous of whom? You or me, Pat?”, fragte Alsion
amüsiert.
„Probably both of us. He’s got a crush on you and me.” Patrick schmunzelte.
„Uhm, well, if I could choose, I’d take Alison, but if I can only get her with you, well I’m an
open-minded person, I’d do it. But I want you to wear a bra and a g-string.” Steve grinste breit
und klimperte mit den Augenbrauen.
„Pervert.”
„It was your chance, lover-boy.”
„I think I won’t mind missing it. You’re not my type.” Steve stellte zwei Gläser weg.
Hoffentlich verfolgte keiner ihre Unterhaltung. Das Niveau sank immer mehr in den Keller.
„What’s wrong with me?”
„You’re not shaved properly. I can’t stand itchi kisses.”
„I’d do it for you, love.”
„Shall I leave you guys alone?”, fragte Alison.
„Nah.” Steve legte seinen Arm um sie. „It’s all about you. I just try to get him so that I can
have you.”
„I told you you won’t get me.”
„Maybe I should get you another drink.”
„That is the first good idea I’ve heard of you since you’re here. An orangen juice, please. Or
no, one hot wine, I’ll take it out with me and it can keep me warm.” Sie warf einen Blick auf
Steve und fügte hinzu bevor dieser etwas sagen konnte: „No, I don’t want you to keep me
warm.“

Sie waren früh am Morgen in München gestartet, der ICE brachte sie bis nach Frankfurt, wo
sie umsteigen mussten in den ICE nach Kassel – Wilhelmshöhe. Von dort aus ging es den
letzten Weg mit dem Regional Express nach Paderborn.
Patrick war von den letzten Arbeitstagen und den kurzen Nächten sehr müde gewesen und
hatte beinahe die gesamte Zugfahrt schlafend an Alisons Schulter verbracht. Diese hatte
lächelnd ihre Fahrscheine vorgezeigt wenn ein Schaffner vorbei kam und sich Deutschland
angesehen. Immerhin war sie vom Süden bis in die Mitte gefahren, da gab es einiges zu
sehen. Leider war ihr die Fahrt im Sonnenschein auf Schnee nicht vergönnt, es hatte geregnet.
Durchgehend und an allen Orten. Mal mehr mal weniger stark.
„Hey Pat, I guess we’re there.“ Zumindest hatte Alison Paderborn gehört. Was der Rest genau
bedeutete war ihr unklar, aber sie nahm, es sollte heißen, der nächste Stopp war Paderborn. Es
war an der Zeit Patrick aufzuwecken.
„What? Oh shit. Sorry, I didn’t ment to sleep the whole time. Why didn’t you wake me up?”
Er sah aus dem Fenster. Ja, das war seine Heimat, das war Paderborn. Da war die Libori –
Galerie, sie waren nur noch wenige Sekunden vom Bahnhof entfernt.
„You look so cute when you’re sleeping.“
„I’m not cute.” Er stand auf. Seine Knochen, vor allem sein Rücken, taten von all den
Stunden, die er sitzend verbracht hatte, weh. Es knackte hörbar als er sich reckte.
„I’m getting old.“
„I know, I saw a grey hair.”
„That’s alright, men get interesting with grey hair, women get old.”
„Asshole.” Alison nahm ihren Rucksack. Sie hatte all ihre Sachen dabei, sie würde von
Paderborn aus nach Teneriffa fliegen, das ersparte ihr eine Zugfahrt nach Düsseldorf oder
Frankfurt und Patricks Eltern hatten sich bereit erklärt, sie zum Flughafen zu fahren.
„You should improve your language if you want to talk to my parents. They would appreciate
that.”
„I’m Kiwi.”
„You’re a Lady.”
„Shut up.” Als sie zusammen in der Bar gearbeitet hatten, waren dort zwei ältere Männer ihre
Stammgäste gewesen, die beide zu Alison immer sehr anzüglich Lady gesagt hatten und
jederzeit hemmungslos versuchten mit ihr zu flirten. Sie machte jedes Mal ein Kreuzzeichen
gemacht, wenn diese Männer betrunken aus der Kneipe gestolpert waren und hoffte inständig,
Zuhause würden wütende Ehefrauen warten, die ihnen mit der Bratpfanne oder dem
Nudelholz entgegen sahen.
Da sich Patricks Gepäck auf Unterwäsche zum Wechseln und seinen Kulturbeutel
beschränkte, war ein Koffer mehr als leicht. Er würde einiges seiner Sachen einpacken und
mit nach München nehmen. Seine Wohnung konnte ein paar mehr Sachen vertragen, selbst
wenn er weiterhin plante auszuziehen.
„Your place doesn’t look that big.“
„It isn’t, it’s cozy.”
„Like so many New Zealand towns.”
„Paderborn would be probably the fifth biggest city in New Zealand. Auckland, Wellington,
Christchurch, maybe Queenstown might be bigger.”
„How many people are living here?”
„Seventy-thousand.”
„Tauranga is bigger and Queenstown is not even close to your place. Only because it’s
popular it doesn’t mean it’s big.” Er hatte Queenstown groß in Erinnerung gehabt, aber er war
dort die meiste Zeit betrunken gewesen. Das war das Problem wenn man eine Tour mit einem
Partybus buchte. Danach hatte er seine Rundreise beendet und angefangen nach einem Job zu
gucken, der ihn dann nach Alison gebracht hatte. Oben in Christchurch.
„It’s an adventure place.”
„What’s your home town?”
„A cathlic place.” Er musste über Alisons entgleitende Gesichtszüge lachen.
Der Zug hielt und sie bahnten sich mit ihrem Gepäck einen Weg zur Tür und landete auf dem
Bahnsteig. Patrick reichte Alison seine Hand um ihr aus dem Zug zu helfen, was diese mit
einem Augendrehen annahm. Sie war durchaus in der Lage alleine aus einem Zug
auszusteigen, doch wenn er ihr unbedingt helfen wollte, dann würde sie sich helfen lassen.
Vielleicht erwarteten seine Eltern das von ihm und beobachteten sie.
„Oh dear, there they are!“ Patrick ließ seine Sachen fallen um seine Mutter umarmen zu
können. Sie war zusammen mit seinem Vater auf dem Bahnsteig und hatte ihren Sohn sofort
entdeckt als dieser aus dem Zug ausgestiegen war.
„Patrick, Junge, endlich bist du wieder Zuhause.“ Sie drückte ihn fest an sich.
„Ja Mama, ich bin wieder da.“ Er war nicht so lange weg gewesen, diese zwei Monate. Es gab
keinen logischen Grund Mitten auf dem Bahnsteig einen Aufstand zu fahren als wenn er Jahre
weg gewesen wäre. Das war bei seiner letzten Heimkehr der Fall gewesen und damals hatte er
keinem gesagt, dass er nach Hause kam. Seine Familie war im Glauben gewesen, er würde
den nächsten Tag eintreffen, er hatte sie überrascht als sie zusammen beim sonntäglichen
Mittagessen waren.
„Hallo Großer.“ Sein Vater schlug ihm auf die Schulter. Wie Patrick war er kein Freund der
überstürmischen Begrüßungen.
„Hello Alison.“ Patricks Mutter umarmte Alison. „Nice to see you.“
„Thank you, it’s nice to see you too.”
Fasziniert stellte Patrick fest, Alison sprach automatisch langsamer und deutlicher mit seiner
Mutter. Ihr sonst manchmal recht starker Kiwiakzent war fast komplett aus ihrer Stimme
verschwunden.
„How was your trip?“
„Nice, I saw a lot of this morning while Patrick was sleeping.”
„You gonna tell me that the rest of our time together, won’t you?”
„You can be sure I will.” Sie knuffte ihn in die Seite. Deswegen hatte sie ihn auch schlafen
lassen, es bedeutete mehr Spaß für sie.
„Let’s get your bags and go home.“ Patricks Vater nahm Alisons großen Koffer bevor diese
protestieren konnte und zu viert machten sie sich auf den Weg zum Auto.
„Dein Bruder ist Zuhause, er konnte nicht mitkommen, dann hätten wir nicht genug Platz
gehabt“, flüsterte Patricks Mutter ihrem Sohn ins Ohr.
„Das ist in Ordnung.“ Er war sich sicher, sein kleiner Bruder hatte gar kein Interesse daran
gehabt ihn am Bahnhof abzuholen. Im Gegensatz zu ihren Eltern war es seinem Bruder relativ
egal ob Patrick in München. Moskau oder Mexiko City war. Sie hatten kein schlechtes
Verhältnis, nur auch kein enges. Das hatten sie nie gehabt und das hatte sich nach den vier
Jahren erst recht nicht verändert.
„Did you like...oh Patrick, was sind die englischen Namen für Österreich und Schweiz?“ Er
würde die nächsten beiden Tage Übersetzer für beide Seiten spielen. Das war eine Sache, von
der er hoffte, er konnte auf seinen kleinen Bruder setzen. Er sprach Englisch, nach acht Jahren
in der Schule, sollte genug vorhanden sein um ihren Eltern und Alison auszuhelfen, wenn
diese Verständigungsprobleme hatten.
„Austria and Switzerland.“
„Yes, it was great. I especially loved Vienna, how do you call it? Wien. Such an amazing
place, full of history.”
„I want to go there too.” Patricks Mutter warf einen Blick zu ihrem Ehemann, der gekonnt
diese Anspielung ignorierte. Seine Frau wollte so viele Orte sehen, wahrscheinlich hatte
Patrick diese Reiselust von ihr, nur dass er gegangen war um all die Plätze zu sehen, während
seine Ehefrau Zuhause geblieben war.
„It’s nice in winter time but I guess all the parks must be even more amzing in spring, summer
or autumn. When you have got all these colours. I guess I try to get Patrick to there in autumn,
for all the autumn colours.”
„That should be possible, Vienna is also on my travel list.” Er hatte Salzburg schon sehr
genossen und das, wo er kein Kulturfan war.
„Perfect. We can have so many nice sweet things after we walked through all the parks.
Exercise so we won’t feel too guilty when we eat whatever we want.”
„You feel neveer guilty when you eat all these sweet things and there’s no reason for you to
feel guilty.” Er zwinkerte Alison zu.. „She still loves all sweet stuff”, erklärte Patrick seinen
Eltern.
„We have a lot.” Daran zweifelte er nicht. Die Schränke, Regale und der Kühlschrank seiner
Eltern waren immer gefüllt als wenn es die nächsten Wochen keine geöffneten Supermärkte
geben würde. Alison würde in einem Paradies aus selbstgemachten Kuchen und einem Meer
aus selbstgebackenen Weihnachtsplätzchen landen. Selbst wenn es nur regnen würde, sie
konnten die ganze Zeit mit dem Essen von Süßigkeiten verbringen.
„Patrick, zeigst du ihr die Stadt?“
„Ja, later we’ll have a look around the city.“ Wenn er seine Antworten in beide Sprachen
mischen würde, dann konnten ihn vielleicht seine Eltern und Alison verstehen und ersparte
sich einiges an Übersetzungen. Er musste die Antworten nur so erstellen, dass sie in der
gefragten Sprache beantwortet wurde und dann in der anderen Sprache erläutert wurde.
Die Stadtführung würde allerdings ausfallen wenn es weiterhin regnete. Dann würden sie den
Nachmittag im Haus verbringen, vielleicht ins Kino gehen. Oder auf die Weihnachtsplätzchen
zurück greifen.
„Und ihr wollt wirklich zwei Schlafzimmer?“, fragte seine Mutter vorsichtig. „Ich meine, ich
habe das Gästezimmer fertig gemacht, aber...“
„Kein aber, Mama. Ja, wir schlafen in getrennten Zimmern, wir sind kein Paar. Selbst als du
das damals gedacht hast, wir sind Freunde und werden niemals mehr sein. Alison, my mum
doesn’t want to believe we’re only friends. Eveybody believes we’re a couple. I thought we
would look like friends.“
Alison lachte. „We are. Yes. Only friends. Did they talk to Steve?”
„I don’t think so, they don’t know each other.” Er hatte seinen Eltern zwar von Steve erzählt,
getroffen hatten sie sich jedoch nie.
„You should change that one day.”
„Yeah one day. Fortunately today is Tuesday and not one day.” Es gab einige Dinge in seinem
Leben, die seine Eltern nichts angingen. Sie mussten nicht all seine Freunde kennen, es
musste Bereiche geben, die absolut Elternfrei waren.
„Relax, honey.” Alison legte ihren Arm um Patrick. „I like your parents, they seem to like me,
we’ll be big happy family.“
Patrick musste leise lachen. Alison hatte gespürt, dass er leicht angespannt war. Was Blödsinn
war, denn es gab überhaupt keinen Grund angespannt zu sein. Sie hatte recht, sie mochte seine
Eltern und seine Eltern mochten sie. Es würden zwei schöne Tage werden.
Und wenn sie Spaß hatten, Alison Paderborn mochte, dann würden sie im Herbst erneut
herkommen. Vielleicht konnten sie dann zur Herbstlibori gehen. Zwei Volksfeste für Alison.
Sie war ein Fan von Karussells, Süßigkeiten, es würde begeistert sein wenn sie einige Feste
besuchen würden. Sollte Patrick bis dahin ein Auto haben, dann konnten sie über die
Westseite Deutschlands zurück nach München fahren und im Phantasialand und im
Europapark einen Stopp einlegen. Nicht zu vergessen den Safari Park, der nur eine Stunde
von Paderborn entfernt war.
Kapitel 11

„Ich habe dir etwas mitgebracht.“ Kim drückte Patrick ein kleines Paket in die Hand. Sie war
zum Abendessen vorbei gekommen. Beide hatten Frühschicht gehabt und sich zum Essen
verabredet.
„Es ist nicht mein Geburtstag. Danke.“ Er nahm das Paket und trug es in sein Zimmer.
„Egal, ich habe es gesehen, an dich gedacht und mir gedacht: Nimm es mit!“ Sie hängte ihren
Mantel auf und folgte ihn. „Mach auf.“
Patrick öffnete das Paket. Es waren zwei Bücher.
„Recht für Autoren?“
„Ja, ich werde weiterhin daran arbeiten dich zum Veröffentlichen zu bringen. Wie ich es dir
versprochen habe, das ist mein Ziel für die Zukunft. Hiermit ist der erste Schritt getan, du
kannst lernen, was deine Rechte sind, wo du aufpassen musst und was du tun musst.“
„Arbeitslektüre. Danke.“ Er überflog die Rückseite des Buchs und nahm das zweite Buch in
die Hand. Der Titel brachte ihn zum Lachen.
„Ich glaube nicht, dass das im Laden lag. Da hast du gelogen, meine Liebe. Das Buch ist
bestellt.“
„Vielleicht bezog sich das mit im Laden gesehen auf das erste Buch und ja, vielleicht hatte ich
bei diesem Buch nachgefragt.“
Was er in den Händen hielt war das Buch „See Australia and die“, ein Buch über Unfälle,
Zwischenfälle und Todesfälle in Australien. Alles wahre Fälle, die meisten waren Touristen
passiert, ein paar auch Australiern. Spinnen, Schlangen, Haie, Quallen, Schnee, Sonne und
lose Felsbrocken. Er hatte das Buch gelesen als er in Australien war, war fasziniert gewesen
und hatte immer mal wieder ein Auge danach offen gehalten als er in Deutschland war. Leider
hatte er es nie gesehen und sich nie die Zeit genommen, in einer Buchhandlung danach zu
fragen. Vor zwei Wochen hatte er es erwähnt, am Rande, Kim musste es sich aufgeschrieben
haben.
„Womit habe ich diese beiden Geschenke verdient?“
„Ich schulde dir bereits drei Abendessen, ich dachte mir, ich kann mich freikaufen.“
„Das ist also eine Art Erpressung?“
„Erpressung hört sich so negativ an. Nenne es einen Ausgleich.“
„Dir ist klar, du schuldest mir keinen Ausgleich?“ Er kochte nicht für Kim weil er erwartete,
sie würde das gleiche für ihn tun, er machte das, weil er es gerne tat.
„Jetzt nicht mehr.“
„Generell. Ich koche gern, ich freue mich wenn ich mit dir Zeit verbringen kann, das
Vergnügen ist ganz auf meiner Seite.“
„Das freut mich zu hören. Ich verspreche dir, eine Tages koche ich für dich und es wird essbar
sein. Hedwig und ich haben das Kochtraining bereits gestartet.“
„Du solltest nichts tun, was du nicht magst.“
„Das Leben besteht aus Dingen, die man nicht mag.“
„Ich hoffe, das Abendessen gehört nicht zu diesen Dingen.“
„Kaum vorstellbar. Was hast du gekocht?“
„Westfälische Kartoffelsuppe. Es ist kalt, Suppe bietet sich an.“
„Ja, Suppe, Glühwein, auf der Couch sitzen, ein guter Film.“
„Bis auf den Glühwein kannst du alles haben. Wir können problemlos auf der Couch sitzen,
ich kann dir meinen Laptop geben, die Filmliste öffnen und du kannst wählen.“
„Hört sich gut an.“ Kim wechselte vom Stuhl auf die Couch, ein Ortwechsel, der zwei
Schritte bedeutete.
Patrick öffnete das Dokument mit all seinen Filmen und reichte ihr den Laptop. Sie konnte
einen Film aussuchen während er die letzten Gewürze in die Suppe werfen würde. Irgendwas
fehlte, er wusste nur nicht genau was. Vielleicht ein wenig Muskat. Oder ein Schuss
Sojasauce?
„Wo hast du all diese Filme? Ich kann viele DVDs sehen, aber das müssen an die dreihundert
Filme sein, die hast du nicht alle hier.“
„Die Titel, die blau sind, das sind VLC Filme, das heißt, sie sind nicht in DVD Qualität, da
ich sie von Youtube habe. Man kann außer auf dem Computer/Laptop nicht gucken. Ein
Fernseher würde uns nicht helfen.“
„Ist die Qualität gut?“
„Sie ist in Ordnung, bei manchen mehr, bei anderen weniger.“
„Du hast eine interessante Auswahl an Filmen – für einen Mann.“ Was sollte das heißen?
Hatte sie nur brutale Aktionfilme erwartet? Oder Horrorfilme?
„Ich weiß nicht, ob ich das als Kompliment auffassen soll.“ Ja, das war es. Muskat hatte
gefehlt. Nun schmeckte alles viel besser.
„Kannst du, ich bin positiv überrascht. If these walls could talk two.“ Sie nahm dankend die
Schüssel mit der Suppe an. Patrick stellte Brot auf den Schreibtischstuhl vor ihnen, der als
kleiner Tisch fungierte.
„Ein anspruchsvoller Film, der erste Abschnitt bringt mich immer zum weinen, der zweite ist
nett, der dritte sehr lustig.“
„Ich weiß ja dass Männer es, wie drücke ich es denn mal nett aus, interessant finden, wenn
Frauen sich küssen, aber meistens ist die Auswahl ihrer Filme über dieses Thema weniger
anspruchsvoll. Der Anspruch geht eher in Richtung Pornographie.“
„Wie wir beide bereits festgestellt haben, ich bin nicht wie die meisten Männer. Selbst wenn
ich Pornos hier hätte, ich würde sie dir bestimmt nicht unter die Nase halten. Die meisten
Frauen sind keine Fans von Pornos.“
„Vielleicht bin ich nicht wie die meisten Frauen“, grinste Kim.
„Du bist sicherlich nicht wie die meisten Frauen, das mag ich an dir. Jedoch wage ich zu
bezweifeln, dass du zu dieser Gruppe gehörst.“
„Das wirst du nun niemals erfahren“, lachte sie. „Nein, gehöre ich nicht. Beautiful thing?“
„Wenn das deine Wahl ist, dann wirst du mich weinen sehen. So traurig.“
„Ist es der Film mit den beiden Jungen?“
„Ja. Für eine Frau kennst du einige Filme, die nicht in deine Genre fallen sollten. Ein Film
über zwei Jungen, die entdecken, dass sie schwul sind. Das ist nicht der normale Film für
Frauen.“
„Ich bin vielseitig interessiert und du, Patrick, du bist spezial. Deine Filmauswahl hier ist
nicht das, was man in einem durchschnittlichen Haushalt finden würde. Boys don’t cry, das ist
kein Familienfilm. Ich denke, ich werde mich für etwas ganz ordinäres entscheiden, weit weg
von der schweren Kost...der König der Löwen.“
„Wir können singen und weinen.“ Patrick nahm eine DVD Spindel und begann nach der
richtigen DVD zu suchen. Er hatte alle seine Filme von Youtube auf diversen DVDs, die
ungeordnet in einer Spindel standen.
„Hast du eine stressige Woche?“, fragte Kim.
„Nein, ganz normale Arbeitsstunden, ein wenig putzen, Rezeption, die nächsten zwei Tage
habe ich frei, meine Ruhe vor dem Sturm.“
„Erneut Tage, an denen du zehn Stunden arbeiten darfst?“ Diese langen Tage schinen
regelmäßig in seinen Wochen aufzutauchen.
„Siebzehn. Von halb sieben am Morgen bis um halb elf am Abend. Miriam und Anton gehen
ab Sonntag für eine Woche in den Urlaub und ich darf die gesamte Verantwortung
übernehmen. Zusammen mit der kommt die Pflicht die ganze Zeit an der Rezeption zu sein,
das bedeutet siebzehn Stunden. Ich werde eine Woche lang sehr wenig schlafen, kein Leben
besitzen, in der Pension essen und wohl kaum in der Lage sein dir deine Kapitel zu schicken.
Vielleicht bekommst du einfach zwei am Samstag Abend zugeschickt, die müssen dir dann für
eine Woche reichen.“
„Siebzehn Stunden? Das sind Doppelschichten.“
„Ja, ich werde wissen wie sich ein Arzt fühlt nach dieser Woche.“ Da war die DVD.
Löwenkönig. So hatte er den Film immer genannt. Die direkte Übersetzung des englischen
Titels.
„Nicht einmal wir arbeiten sieben Tage am Stück siebzehn Stunden am Tag. Wenn man
berechnet, dass du einen Hin- und Rückweg zur Arbeit von jeweils einer halben Stunde hast,
dann wirst du eine Woche lang mit sechs Stunden Schlaf auskommen müssen. Und das nur,
wenn du sonst nichts machst.“
„Nur die Harten kommen in den Garten, pflegte mein Onkel immer zu sagen.“ Er war sich der
Tatsache, dass sein Arbeitsweg seinen Schlaf verkürzte, bewusst. Doch seine Chefs hatten ihn
gefragt, er hatte zugesagt und würde in dieser Woche sowohl viele bezahlte Überstunden für
sein Konto als auch viele unbezahlte Überstunden für sein Freizeitkonto sammeln.
„Leider sehen sich die Harten die Radieschen von unten an, wenn sie im Garten sind.“
„Positiv denken.“
„Das ist positiv ausgedrückt.“ Kim sah zu wie Patrick eine DVD in den Laptop legte, die
DVD öffnete und einen Ordner mit Lion King anklickte.
„Ich bin mir sicher, dich wird es nicht stören, wenn wir uns den Film in Englisch ansehen.“
„Nein, das ist kein Problem.“
„Eigentlich könnten wir Abende haben, an denen wir nur Englisch reden, sonst verlerne ich
alles wieder.“
„Solltest du nicht mindestens alle zwei Tage mit Alison telefonieren und so dein Training
bekommen?“
„Einmal die Woche trifft es besser.“
„Das ist nicht viel.“
„Hakuna Matata. So, noch einmal Suppe und dann kann es losgehen.“
„Ich glaube ich...“
„Keine Widerworte, du brauchst etwas auf die Rippen, Kind. Ich will gar nicht wissen wovon
du dich normalerweise ernährst. Damit meine ich, wenn nicht deine Vermieterin eine
Tupperschüssel mit Essen vor deine Tür stellt damit du etwas Gescheites in den Magen
bekommst.“
„Woher weißt du...? Oh, sie hat gepetzt.“
„Ich habe einige interessante Dinge erfahren bei unserem letzten Treffen.“ Das war ein wenig
übertrieben, doch das musste er Kim nicht sagen.
„Sie mögen dich, ich hätte nie gedacht, dass sie das gegen mich verwenden. Das nächste Mal
wenn du da bist, dann werde ich dafür sorgen, dass du sie nicht sehen wirst.“
„Angst?“
„Vorsicht.“
„Mhm.“ Er reichte ihr die neue Schüssel Suppe. Er hatte ein sehr langes und interessantes
Gespräch mit Hedwig Sommer geführt als er das letzte Mal auf Kim gewartet hatte. Sie waren
verabredet gewesen und sie hatte ihm eine SMS geschickt, dass sie nicht pünktlich sein
würde. Er war zu der Zeit bereits auf dem Weg nach Moosach gewesen, hatte keine Lust
umzukehren wegen einer Stunde und beschlossen einfach bei ihr vor der Tür zu warten, sollte
ihn keiner ins Haus lassen. Hedwig Sommer hatte ihn nicht nur ins Haus gelassen, sie hatte
ihn in ihre Wohnung geholt.
Und das war eine große Wohnung gewesen. Sechs Zimmer, Küche, zwei Bäder und eine
große Veranda. Das Ehepaar hatte all diesen Platz gebraucht als ihre Kinder klein gewesen
waren, sie hatten vier. Fünf Schlafzimmer, das größte Zimmer war das Wohnzimmer. Das
Elternschlafzimmer verfügte über ein eigenes Bad, darauf hatte Hedwig Sommer bestanden,
da sie vier Töchter hatten und dementsprechend das Bad immer belegt gewesen war.
Die Kinder waren ausgezogen, die älteste Tochter bereits vor fünfzehn Jahren, die jüngste
Tochter vor fünf Jahren. Seitdem waren die vier Schlafzimmer Gästezimmer und dienten als
Stauraum für alle Sachen, die sich im Laufe der Jahre angesammelt hatten.
„Weißt du, ich hätte eine Idee für deine arbeitsreiche Woche“, sagte Kim plötzlich Mitten im
Film als Patrick den nächsten Abschnitt einstellte. Alle zehn Minuten musste er den neuen
Abschnitt manuell starten, das war das einzige Problem bei den Filmen, aber es hielt einen
wach.
„Welche?“
„Du bleibst bei mir.“
„Quatsch.“
„Kein Quatsch. Da reduziert jeden Weg um zwanzig Minuten, du kannst einfach zur Pension
gehen.“
„Ich kann mich keine Woche bei dir einquartieren.“
„Was spricht dagegen?“
Ja, was sprach dagegen? „Weil...“ Einen wirklich logischen Grund konnte Patrick nicht
abliefern. „Was sollen deine Vermieter sagen?“
„Die, die dich mögen? Sie werden nichts dagegen haben.“ Es war nicht so, dass Patrick Kims
Untermieter werden würde, er war ein Freund, der bei ihr wohnen würde. Für eine Woche um
weniger Stress mit der Arbeit zu haben.
„Ich will nicht deinen Tagesrhythmus durcheinander bringen, du musst selber hart arbeiten
und...“
„Pat, du wirst im Gästezimmer schlafen, bei den siebzehn Stunden, die du jeden Tag in der
Pension bist, werde ich dich nicht zu Gesicht bekommen, werde nicht einmal merken, dass du
da bist. Es sei denn, wir laufen uns zufällig über den Weg. Du bringst meinen Rhythmus nicht
durcheinander. Versprochen.“
Was sollte er sagen? Einerseits war das ein sehr nettes Angebot, das er sehr gerne annehmen
würde, andererseits, ja war andererseits? Es gab keinen Grund nicht zuzusagen. Kim hatte
recht, er würde vierzig Minuten Arbeitsweg jeden Tag sparen und diese vierzig Minuten
konnte er gut in Schlaf investieren. Es wäre nur sinnvoll dieses Angebot anzunehmen.
„Okay.“
„Geht doch. Du schnappst dir deine Sache für die Woche, bringst alles am Samstag Abend
rüber und schläfst bei mir. Ich werde nicht da sein, habe Nachtschicht, das heißt, du wirst
mich nicht stören und ich werde dich nicht stören. Ich lasse dir den Zweitschlüssel von
Hedwig geben, dann kannst du kommen und gehen wann immer du willst.“
„Ich kann mich nicht einmal mit Abendessen revanchieren.“
„Nicht in der Woche, aber später. Ich werde dir pro Nacht ein Abendessen berechnen.“
„Hört sich fair an. Wenn es wirklich keine Umstände für dich bedeutet.“
„Hey, ich kann das wunderbar im Krankenhaus erwähnen, dass du bei mir wohnst. Ich lasse
die Zeitangabe und den Grund weg und schon mache ich jemand sehr wütend.“
„Kann es sein, das du und deine Ex sehr viel Zeit damit verbringt den anderen zu ärgern?“
„Ja, das ist unser Hobby.“
„Meistens ist das ein Zeichen, dass ihr noch Gefühle füreinander habt.“
„Nur in Soaps und wir leben in der Wirklichkeit. Keine Gefühle, zumindest keine, die in eine
Beziehung führen.“
„Na ja, so lange du Spaß hast bin ich dein jugendlicher Lover...das letzte Mal hat sie mich
dein Toy Boy genannt. Ich war kurz davor ihr zu sagen, dass ein Toy Boy mindestens zehn
Jahre jünger sein muss und selbst die besten Schätzungen werden mich nicht einundzwanzig
machen.“
„Das nennt man Eifersucht. Meine Kolleginnen sind alle sehr neugierig und keiner weiß
etwas von dir; vom Namen abgesehen. Das ist der Grund wieso du bisher keine meiner
Kollegen getroffen hast. Das würde dieses Spiel zerstören, sie würden herausfinden, du bist
nicht mein Lover. Eines Tages, wenn mir dieses Spiel langweilig wird, dann werde ich sie
aufklären, dann darfst du mit zum Ärztetreffen kommen.“
„Ich bin mir nicht sicher, ob ich das will. Ärztetreffen hört sich nach Spritzen an.
Wahrscheinlich versucht ihr neue Injektionen an Opfern aus, nein, da will ich nicht
mitmachen. Hast du keine normalen Freunde?“
„Ärzte sind nicht normal? Danke.“ Sie schlug ihn auf den Arm.
„Nein, sie sind Halbgötter in weiß.“ Und all die anderen unfreundlichen Dinge, die er sonst so
über Ärzte sagen konnte. Er hatte in seinen Pratika einige Probleme mit Ärzten gehabt, die
nicht im Sinne des Patienten gehandelt hatten. Es war die Minderheit, doch es gab sie.
„Komme ich dir wie eine Halbgöttin vor?“
„Nein.“
„Na also.“
„Wie eine Göttin. Keine halbe, eine richtige.“
„Spinner.“
„Man muss verrückt sein um in dieser Welt zu überleben.“ Patrick biss in sein Stück Brot.
Wenn man das Leben ernst nahm, dann würde es einen früher oder später verrückt machen.
Wenn man absichtlich, Schritt für Schritt, in den Wahn ging, dann konnte man kontrolliert
verrückt sein. Zumindest war das seine Ansicht.
„Außerdem muss ich irgendwie kompensieren, dass du mich benutzt. Ich bin dein Spielzeug,
werde benutzt um eine Kollegin eifersüchtig zu machen.“
„Teddybär oder Rennwagen?“
„Playstaion. Wenn, dann will ich die neue Generation Spielzeug sein.“
„Okay, meine PS3.“ Sie sah ihn nachdenklich an. „Ist es okay, ich meine, dass ich keinem
sage, dass du in Wirklichkeit ein Freund bist und nicht mein Lover? Mir ist es egal wenn sie
sich aufregt und Gedanken macht, aber ich will dich nicht verletzen.“
„Kein Problem, man hat mir bereits schlimmere Dinge nachgesagt. Ich hätte es schlimmer
treffen können als mit einer angehenden Chirurgin, die einmal ein TV Star war. Der Traum
eines jeden Fans, der offizielle Freund der Traumfrau sein. Hach, was wäre ich vor fünfzehn
Jahren froh gewesen, ich hätte einige dafür getan. Der Lover meines TV Stars.“
„Ein TV Star war ich nur für dich.“
„Eines Tages werde ich ein Forum gründen, über dich und dann werden wir sehen, ob ich der
einzige Fan bin.“
„Das werde ich umgehend löschen lassen. Es sei denn, du wirst das mit dem Forum über dich
verlinken.“
„Ich war nie im Fernsehen.“
„Du wirst ein erfolgreicher Schriftsteller, wir können im Internet beginnen eine Fangemeinde
aufzubauen.“
„Das kann dein Plan für in vier Jahren sein. Nimm dir nicht zuviel vor, du hast bereits ein Ziel
für dieses Jahr.“
„Ich werde es verwirklichen.“ Sie sah zu Patricks kleinen Buchregal. Die Bücher, die sie ihm
zu Weihnachten geschenkt hatte, standen auf dem obersten Fach. Am Jahresende würde dieses
Regal voll sein und wenn sie selber alle Bücher ausdrucken und binden lassen musste.

Stunden konnten sich brutal ziehen. Zumindest die, in denen man nicht das machen konnte,
was man wollte, wonach einem war.
Es war sechszehn Uhr, Patrick war seit über neun Stunden im Dienst. Er hatte die Pension um
Viertel vor sieben betreten, hatte alle Lichter angeschaltet, verschlossene Türen geöffnet, das
Frühstück vorbereitet und Kaffee gekocht. Er hatte Gäste auschecken lassen, Anrufe entgegen
genommen, die Liste für die Reinigungskräfte erstellt, Buchungen aus dem Internetüberprüft,
die Webseite aktualisiert, diverse Schrauben an Stühlen und Tischen, die sich gelockert hatten,
festgedreht, einen tropfenden Wasserhahn repariert und viel Zeit mit dem Herumsitzen
verbracht. Es war seine Aufgabe an der Rezeption zu sein, er musste hier sein wenn jemand
eintraf.
Das Radio lief im Hintergrund, er hatte eine Email an Alison geschrieben und etwas an seiner
Geschichte gearbeitet. Wenn er hier für über sechszehn Stunden gefangen war, dann konnte er
etwas für sein Hobby tun. Es machte keinen Unterschied ob er herum saß und Löcher in die
Luft starrte oder ob er etwas tat, das für ihn Sinn machte.
Glücklicherweise hatte er sehr gute Kollegen, er musste sich keine Gedanken um die
Reinigungskräfte und das Küchenpersonal machen. Bärbel hatte alles fest im Griff, für sie
machte es keinen Unterschied ob Miriam da war oder nicht. In der letzten Woche hatten sie
die Utensilien so weit aufgestockt, dass sie ohne Probleme zwei Wochen lang die gesamte
Pension putzen konnten.
In der Küche hatte Miriam dafür gesorgt, dass alle Zutaten für die Gerichte vorhanden waren
und eine der Küchenhilfen würde das Kochen übernehmen, während die andere eventuell
fehlende und frische Lebensmittel besorgte. Patrick hatte sich am Mittag Kartoffel schälend
an der Rezeption gefunden. Eine willkommene Abwechselung.
„Ich kann sehen, du bist völlig überarbeitet.“
„Kim!“ Überrascht sah er auf. Das war das erste Mal, dass er Kim hier sah. In all den
Wochen, die er hier arbeitete, war sie niemals zu Besuch gekommen.
„Hast du wen anders erwartet?“
„Die Zwillinge, die mich in eines der Doppelzimmer entführen wollten.“
„Mein Sternzeichen ist Zwilling, sieht so aus als wenn du deine Bestellung falsch abgesendet
hast.“
Das würde er niemals so sehen, er fand diese Lieferung besser als aller Zwillinge, die er
kannte. „Ich bestelle keine Frauen. Die kommen immer zerknittert an, sind schlecht zu
versenden und wenn man sie in Einzelteilen bestellt, macht man seinen ganzen Teppich kaputt
mit deren alten Blut.“
„Das Problem solltest du bei den aufblasbaren Exemplaren nicht haben.“
„Die widersprechen nicht, das ist keine Herausforderung und ich steh nicht so auf diesen
Stereotyp Frau.“
„Auf welchen Typ Frau stehst du? Außer dass sie Zwillinge oder tot sein müssen.“
„Hey, ich bin ein Mann. Blond, blaue Augen, Modelfigur, übergroße Oberweite, kein Hirn,
immer willig.“
„Beziehungen, in denen miteinander gesprochen wird, werden überschätzt, da hast du recht.“
„Männer sind zufrieden wenn man sie alleine lässt, wir wollen keine stundenlangen
Unterhaltungen am Abend, wir wollen Fußball, Chips, Bier und unsere Ruhe.“
„Wenn ich mal davon absehen, dass du lieber Schokolade als Chips isst, kann ich dich
wiedererkennen.“
„Stereotyp Mann.“
„Da bin ich mir nicht sicher. Eigentlich bist du einer Unterhaltung am Abend niemals
abgeneigt. Zumindest habe ich uns nie bei einem Treffen gefunden, bei dem du schweigend in
der Ecke gesessen hast während ich dich unterhalten musste. Oder dir eine Unterhaltung
aufgezwungen habe.“
„Ich bin der Prototyp mit dem Unterhaltungsgen. Eine Neuerfindung.“
„Muss so sein. Und nicht nur das. Du weißt eine Küche ohne Spuren zu hinterlassen verlässt.
Wenn ich es nicht besser wüsste, dann würde ich behaupten, du hast nicht seit vier Nächten
bei mir geschlafen.“
„Ich nutze deine Küche nicht, ich frühstücke hier, bekomme Mittagessen und Abendessen.
Sobald ich in deine Wohnung komme, will ich nur eine Dusche und dann ins Bett.“
„Dann hätte ich das Bad nach Spuren von dir untersuchen sollen. Hast du Kaffee?“
„Klar, einen Moment.“ Er ging in die Küche und stellte die Kaffeemaschine an. Als er zurück
kam, standen zwei Teller mit jeweils einem großen Stück Schokoladenkuchen auf der Ablage
der Rezeption.
„Wow, Kuchen.“
„Das ist mein erster Backversuch. Ich habe mich an deine Schwärmerei an den trippel
chocolate mudcake erinnert und mir ein Rezept aus dem Internet gesucht. Hedwig und ich
haben unser Glück versucht und du hast die große Ehre das Ergebnis zu testen. Ich hoffe, er
ist genießbar, alles was sie gemacht hat, war mir über die Schulter schauen. Dieser Kuchen ist
wirklich von mir gemacht.“
„Ich bin beeindruckt.“ Er betrachtete den Kuchen. „Tripple chocolate mudcake?“
„Australien lässt grüßen.“
„Weißt du, wenn das ein Erfolg ist, dann werden wir beide einen anderen trippel chocolate
cake versuchen. Ich habe die Vision von einem dreistöckigen Kuchen. Die unterste Lage ist
dunkle Schokolade mit Rotwein, die mittlere Lage ist Vollmilchschokolade mit Haselnuss und
die oberste Lage ist weiße Schokolade mit Mandeln. Die Glasur wird in Streifen von einer
Seite zur anderen gehen: Rotwein-, Schokoladen- und Mandelglasur.“
„Pat, ich bin eine Anfängerin nicht die Nachfolgerin von Biolek.“
„Zusammen schaffen wir das. Ich hole den Kaffee. Milch und Zucker?“
„Nein, es sind genug Zucker und Fett im Kuchen.“
„Okay.“ Er verschwand in der Küche und kam mit zwei Tassen Kaffee und zwei
Kuchengabeln wieder.
„Die Zeit der Wahrheit ist gekommen. Teste den Kuchen.“
„Spannung.“ Patrick hob die Gabel, trennte vorsichtig ein Stück Kuchen ab und sah es sich
genau an. Dunkel, sehr dunkele Farbe, sehr weich, matschig. Oder sollte er lieber saftig
sagen? Langsam führte er den Kuchen in seinem Mund, schloss die Augen und ließ die
Schokolade langsam auf seiner Zunge vergehen.
„Und?“, fragte Kim nervös.
Patrick öffnete die Augen, schluckte und seufzte: „Das wäre wirklich ein toller Kuchen.“
Kims Gesichtszüge entglitten. Sie sah enttäuscht auf ihr Stück. All diese Mühen und sie hatte
sich nicht ausgezahlt.
„So schlecht? Was habe ich vergessen?“
„Du hast nichts vergessen, es ist nur kein guter Kuchen.“
„Kann das am Rezept liegen?“
„Möglich, aber nicht wahrscheinlich.“
„Ich bin eine Niete in der Küche.“ Sie stach in den Kuchen, riss ein Stück heraus und steckte
es in ihren Mund. Patrick beobachtete ihre Reaktion. Kim verzog keine Miene.
„Vielleicht stimmt mit meinen Geschmacksnerven etwas nicht, ich finde ihn gar nicht so
schlecht. Eigentlich ist er lecker. Was ist falsch an meinem Kuchen?“
„Ich habe nie gesagt dass etwas falsch an ihm ist.“
„Du hast gesagt er ist nicht gut.“
„Ja, er ist nicht gut...“
„Das bedeutet, etwas ist falsch. Was ist es?“
„Dass er nicht gut ist bedeutet in diesem Fall, dass er perfekt ist. Er ist nicht gut, er ist
perfekt.“ Er grinste breit.
Kim sah ihn entgeistert an. „Du bist so gemein.“ Sie schlug mit beiden Fäusten auf ihn ein,
Patrick fing beide problemlos ab und hielt sie fest. „Ich hasse dich.“
„Nein, tust du nicht.“ Er nahm sie in den Arm. „Du liebst mich weil ich deinen Kuchen liebe.“
„Du hast mich denken lassen ich hätte einen schlechten Kuchen gemacht, du hast...“
„Ich war gemein, ich weiß. Aber eigentlich habe ich nie gesagt, du hast einen schlechten
Kuchen gebacken, es war deine negative Grundeinstellung.“
„Ich sollte dich aus der Wohnung werfen.“
„Das könntest du machen, ja. Nur willst du das gar nicht.“
„Nein, will ich nicht.“ Sie schob ihn weg und aß ein weiteres Stück Kuchen. „Er ist lecker,
ich sollte das noch einmal machen. Selbst wenn ich quasi spüren kann wie das Fett und der
Zucker sich an meinen Hüften festbeißen, ich genieße jeden Krümel.“
„Ich kann kein Fett und keinen Zucker an deinen Hüften sehen.“
„Du bist blind.“
„Realistisch.“
„Hast du keine Arbeit?“
„Das ist mein Problem, meine Arbeit ist es hier zu sitzen. So lange das Telefon nicht klingelt,
kein neuer Gast ankommt und kein anwesender Gast einen Wunsch äußert, habe ich nichts zu
tun.“
„Ein Traumberuf.“
„Er ermöglicht mir an der Geschichte zu arbeiten, ein paar Kapitel zu schreiben und – sollte
ich sie bekommen – deine Reaktionen zu bedenken.“
„Ich werde mich den Kapitel gleich zuwenden, wenn ich auf der Couch sitze, ein weiteres
Stück Kuchen genieße und dann mit einer sinnfreien Fernsehsendung den Abend verbringe.
Einen faulen Abend wollte ich schon lange haben.“
„Das heißt, ich werde dich schlafend auf der Couch finden.“
„Nein, wenn du nach Hause kommst werde ich lange in meinem Bett liegen. Wir werden uns
den Rest der Woche nicht sehen, es sei denn, am Morgen. Wir könnten zusammen
frühstücken.“
„Du frühstückst um fünf.“
„Ja.“
„Nein danke.“
„Tz, es gab eine Zeit, da wärst du um fünf Uhr für mich aufgestanden.“
„Darauf würde ich nicht wetten.“ Sie hatte absolut recht. Er wäre um fünf Uhr für sie
aufgestanden, würde das noch immer tun, wenn er nicht so lange arbeiten musste. In dieser
Woche sagte sein Verstand, er solle jede Minute, die er schlafend verbringen sollte, nutzen
und ehren.
„Wie weit bist du gekommen? Mit deinen Kapiteln.“
„Ich schaffe zwei Kapitel pro Tag, das heißt, diese Woche wird mir ein komplettes Jahr
verschaffen. Ich bin nur noch siebenundzwanzig Kapitel vom Ende entfernt. Oder eher von
dem Jahr entfernt, das als letztes handgeschrieben war. Da mögen vielleicht vier oder fünf
weitere Kapitel sein, die ich nicht im Word Dokument habe, doch die sind schnell
geschrieben. Ich hoffe, ich kann bis zum Frühlingsanfang diese Geschichte abschließen und
mich dann etwas Neuem zuwenden. Mein Ziel sind nämlich zwei neue Bücher in diesem Jahr.
Ein paar Lieder und Gedichte und dann bin ich zufrieden.“
„Sind zwei Bücher viel oder ist das ein realistisches Ziel?“
„Das ist realistisch. Ich zähle Bücher, die ich beende, da im Moment auf meinem Laptop zwei
angefangene Bücher liegen, sollte es machbar sein.“
„Was machst du mit deinen Liedern und Gedichten? Willst du die alle zusammen in einem
Buch veröffentlichen oder in verschiedenen?“
„Veröffentlichen will ich die überhaupt nicht, binden lassen, ja. Ich denke, ich werde sie in
verschiedenen Büchern binden lassen. Einmal die Lieder, die ich in der F&F Geschichte
brauche, dann die aus den vier Jahren im Ausland, ich habe einen Block, der ist voller Texte
aus einer Zeit, in der ich zuviel getrunken habe und noch mehr Jim Morrison Werke
verschlungen habe, sehr skurielle Werke und dann noch genug Material, von dem ich zum
größten Teil nicht so begeistert bin, das aber trotzdem gebunden werden kann. Das Regal
muss schließlich voll werden.“
„Du hast einmal gesagt, du hättest mit elf mit dem Schreiben angefangen, F&F ist ab
fünfzehn. Was ist mit dem Material dazwischen?“
„Nicht erwähnenswert.“
„Hast du es?“
„Eingescannt auf einer DVD, ja.“ Er schüttelte bestimmt den Kopf. „Nein, das wird nicht
abgetippt. Das ist...schlecht.“
„Du warst elf.“
„Es gibt viele Elfjährige, die bedeutend besser schreiben als das, was ich da geschrieben habe.
Jeder Schulaufsatz, der eine zwei bekommt, ist besser.“
„Blödsinn.“
„Sorry, aber das Zeug bleibt verschlossen. Das waren Versuche, Übungen. Das ist wie mit
einem Artisten im Zirkus, du siehst das Endergebnis, nicht die ersten Versuche. Es taucht ein
Band mit Übungsmaterial auf, wenn er beinahe am Ziel seiner Nummer ist, aber niemals das,
womit er angefangen hat.“
„Ich werde dich nicht so leicht davon kommen lassen.“
„Im Moment bist du gut mit einer Geschichte beschäftigt, das sollte dir reichen.“
„Ja, im Moment, wenn ich fertig bin...“
„Werde ich dir etwas anderes zu lesen geben.“ Er grinste. In all den Jahren hatte er genug
Material angesammelt um Kim für eine lange Zeit zu beschäftigen und wenn er dann in
einigen Wochen wieder neues Material schreiben würde, dann würde seine Sammlung
wachsen.
Kapitel 12

Erfolg definierte jeder anders. Manche Leute sahen in Erfolg in erster Linie Geld, sehr viel
Geld. Andere sahen Macht als Erfolg an. Die Macht zu bestimmen was man selber und was
andere machten. Ruhm war ebenfalls eng mit Erfolg verbunden. Berühmt sein, von Menschen
bewundert und verehrt werden.
Patrick definierte Erfolg mit glücklich sein. So gesehen waren seine ersten drei Monate in
München ein voller Erfolg. Er war glücklich. Er hatte einen Job, der ihn Spaß machte, der
abwechselungsreich war und einen Boss, der mehr als fair zu ihm war. Er hatte Freunde
gefunden, mit denen er viel Spaß hatte, egal ob es nun ein Abend in einer Bar oder einfach ein
fauler Abend Zuhause auf der Couch war. Seine Beziehung zu Steve, die bereits in Australien
gut gewesen war und die zwei Jahre, die sie sich nicht gesehen hatten, stand gehalten hatte,
war besser denn je. Er musste sagen, Steve war sein bester Freund geworden. Seine Freunde
von der Zeit bevor er ins Ausland gegangen waren, hatten sich zwar nicht von ihm abgewandt,
aber als er beschlossen hatte nach München zu ziehen, erneut von ihnen weg, waren sie
deutlich enttäuscht gewesen.
Der nächste Schritt auf seiner Liste war eine neue Wohnung. Er und Steve hatten sich
getroffen um nach der zukünftigen, perfekten Wohnung für Patrick zu sehen. Sie sollte nicht
zu teuer sein, zwei Zimmer wären ideal oder ein Zimmer mit großer Küche, nahe an der
Pension liegen oder an einer S-Bahn Linie, die bei der Pension stoppte. Mehr als zwanzig
Minuten sollte die Fahrt nicht dauern. Das schränkte die Bezirke, in denen sie sich umsehen
würden auf Moosach, Milbertshofen – Am Hart und Neuenhausen – Nympgenburg ein. In
Hasenbergl wollte er nicht wohnen bleiben.
Die meisten Wohnungen aus der Zeitung waren aus Preisgründen nichts für Patrick, dann
waren viele zu groß oder die Nebenkosten waren so groß, dass er die Kosten nicht tragen
wollte. Ganze sieben Wohnungen hatten es diese Woche auf ihren Zettel geschafft, sie würden
sich vier heute ansehen.
Die erste Wohnung war in Moosach, zehn Minuten zu Fuß von der Pension entfernt. Die
perfekte Lage für seinen Geschmack und sein Favorit.
„Ein Neubau, das ist ein Pluspunkt“, meinte Steve.
„Sieht ordentlich aus.“ Sie schlenderten auf das Haus zu. Drei Parteien wohnten in diesem
Haus. Der Vermieter würde sie an der Haustür empfangen, nur leider konnten sie niemanden
sehen.
„Wir sind pünktlich?“, fragte Patrick.
„Du bist immer pünktlich.“ Das war ein Punkt gewesen, in dem sie sich von Anfang an gleich
gewesen waren. Steve war wie Patrick lieber fünf Minuten zu früh als eine Minute zu spät.
Anders als Patrick wusste er, dass die meisten Leute es andersherum sahen. Wer pünktlich
war, der hatte einfach zuviel Zeit. Zumindest hatte das seine Exfreundin immer gesagt wenn
sie über eine halbe Stunde zu spät gewesen war.
„Vielleicht steckt er im Feierabendverkehr fest. Geben wir ihm ein paar Minuten.“ Beide
lehnten sich an das Geländer bei den Stufen zur Haustür.
„Die Bundesliga fängt am Wochenende wieder an, was hältst du von einem Spiel?“
„Von deinem Verein? Wer ist der Gegner?“
„Hamburg.“
„Hah, da werden deine Bayern verlieren. Der HSV wird sie gnadenlos auseinander nehmen.
Hast du Karten?“
„Nein, wenn dann würde ich es auf gut Glück versuchen.“
„Und im HSV Block landen.“
„Einer muss diese Fischköpfe zur Besinnung bringen.“
„Auf eine Prügelei habe ich weniger Lust. Wir sollten uns lieber Karten für das Spiel gegen
Gladbach sichern, das ist in zwei Monaten. Ab wann kann man die Karten bestellen?“
„Keine Ahnung, ich bin meistens mit dem Fanclub hin oder habe einfach einige Tage zuvor
angerufen.“
„Das Glück werden wir nicht bei diesem Spiel haben. Topspiel der Bundesliga.“
„Mhm, wir könnten in eine Sportkneipe gehen, ich würde das Spiel schon gerne sehen.“ Er
hatte ewig keine Bundesliga mehr gesehen.
„Ja, ich kenne einige Studentenkneipen, in denen die Bundesliga läuft. Allerdings als
Konferenzschaltung.“
„Es muss Bayernfanclub Kneipen geben, da könnten wir das ganze Spiel sehen.“ Und er
musste dem Fanclub beitreten. Dann würde er solche Sachen wissen und immer auf dem
Laufenden bleiben.
„Ich? In einem Raum voller Bayernfans? Nur über meine Leiche.“
„Also Konferenzschaltung. Okay, wir können...“ Ein lauter Knall und Klirren von Glas lenkte
sie von ihrem Gespräch ab. Auf dem Weg zur Haustür, vor der sie standen, lagen Scherben.
Lautes Geschrei ertönte.
„Ich glaube dir kein Wort! Du lügst!“
„Du spinnst, guck dir an was du angestellt hast! Blöde Tusse! Das ist das vierte Fenster in
einem Jahr, du bist völlig verrückt.“
„Arschloch! Alter notgeiler Sack. Ich habe dich und dieses Flittchen gesehen!“
„Ja und? Wenn du nie willst!“
„Überlege dir mal wieso!“ Etwas flog durch ein weiteres Fenster nach draußen oder hatte das
Glas getroffen, das in dem zerstörten Fenster war.
„Ich glaube, hier möchte ich nicht wohnen“, meinte Patrick. Er war einerseits fasziniert
Ohrenzeuge dieses Beziehungsstreits zu sein, andererseits war das nichts, was er regelmäßig
hören wollte.
„Wie? Du stehst nicht auf Ehestreit?“
„Nein. Ich habe mal zwei Jahre in einer Wohnung gewohnt, in der ich laufend Zeuge von den
lauten Streits und wahrscheinlichen Prügeleien des Ehepaares nebenan wurde. Meine
Freundin und ich hatten einige schlaflose Nächte dank ihnen. Das kann sehr nervig sein wenn
man am nächsten Morgen früh aufstehen muss.“
„Vielleicht ist das der letzte Streit.“
„Die hören sich routiniert an.“ Hatte der Mann nicht etwas vom vierten Fenster in einem Jahr
gesagt? Vier zerbrochene Fensterscheiben hörten sich nicht nach letzten Streit an. Er wollte
gar nicht wissen wie viele Streits es gab, in denen kein Fenster zerschlagen wurde.
„Ich denke, ich ziehe eine andere Wohnung vor und da der Kerl auch nicht hier ist, lass uns
gehen.“ Mit einem vorsichtigen Blick zur Seite verließen sie das Gelände. Nicht dass sie von
einem anderen Gegenstand, der in Griffweite war, getroffen wurden.
Im Vorgarten lag eine Blumenvase inmitten von Glasscherben. Daneben eine zerbrochene
Keramikfigur. In der Wohnung konnten sie zwei Personen erkennen. Er, Ende zwanzig, kurze
Haare, sie gleiches Alter, lange braune Haare. Es war deutlich zu sehen, dass sie sich
weiterhin anschrieen, die Worte konnten sie nicht mehr hören. Nein, das wollte Patrick nicht
regelmäßig haben.
Die nächste Wohnung sah vielversprechend aus, sie lag in Neuenhausen – Nymphenburg. Das
Problem war, viele Leute hatten ihr Interesse bekundet und der Vermieter konnte nun wählen.
Wenn er die Wahl zwischen einem jungen Mann, der in einer Pension arbeitete und einem
Bänker wählen konnte, dann würde er den Bänker nehmen. Wobei, was war mit der Krise der
Banken? War sein Job in der Pension nicht sicherer? Viele Menschen fuhren weiterhin in den
Urlaub, München war Ziel vieler internationaler Gäste.
Wohnung Nummer drei in Milbertshofen – Am Hart schreckte beide Männer ab sobald sie
zum dritten Mal überprüft hatten, ob sie an der richtigen Adresse waren. Das Haus sah
verwahrlost aus. Müll lag in dem kleinen Vorgarten, die Wände waren mit Grafiti beschmiert
und alles war in einem grau-braun gehalten, das einen bereits beim Hinsehen Depressionen
vermitteln konnte. Da zog Patrick seine Miniwohnung vor.
Wohnung vier waren weit in Ordnung, leider war sie bereits vergeben. Gute Lage, guter Preis
und sie hatten nichts am Haus oder der Wohnung gesehen, was sie beanstanden konnten. Der
erste Tag der Wohnungssuche und kein Erfolg.
„Mach dir nichts raus, als ich mein Zimmer gesucht habe, habe ich zwei Wochen lang
geguckt. Jeden Tag. Wir finden etwas das nächste Mal“, ermutigte Steve seinen Freund.
„Ja, die perfekte Wohnung. Wie gut dass ich meine Wohnung noch nicht gekündigt habe.“
„Wann machst du das?“
„Das wollte ich machen sobald ich etwas in Aussicht habe.“ Das schien nun erst einmal um
eine Woche nach hinten verschoben worden sein.
„Was bedeutet, du wartest etwas.“
„Ja, ich...“ Sein Handy klingelte. „Hey Kim.“
„Hallo Patrick, wo bist du?“
„Ich bin...irgendwo in Milbertshofen – Am Hart.“
„Das heißt, du hast Feierabend?“
„Ja.“
„Wann hältst du von Abendessen? Ich habe gekocht?“
„Unter zwei Bedingungen. Nummer eins, ich habe Steve bei mir, er müsste auch etwas
bekommen und Nummer zwei, ich will die Nummer des Pizzalieferanten in deiner Nähe zur
Hand haben.“
„Da ist eine Dönerbude eine Straße weiter.“ Kim hatte beschlossen auf diesen Wink nicht
einzugehen. Wenn sie solche Kommentare ignorierte würde Patrick sie vielleicht unterlassen
da er die Freude daran verlor.
„Wann sollen wir da sein?“
„Macht euch auf den Weg.“
„Gut, bis gleich.“ Er klappte sein Handy zu. „Wir haben eine Verabredung zum Abendessen.
Kim will für uns kochen.“
„Deswegen fragst du nach einem Pizzalieferanten?“
„Ja, ihr erster Abendessenkochversuch. Ich wollte sicher gehen, wir sitzen nicht hungrig
herum.“
„Das bedeutet, ich werde ihre Wohnung sehen. Wow.“ Steve grinste breit. „Der Ort, an dem
du mit ihr geschlafen hast.“
„Korrekt müsste das heißen: der Ort, an dem Kim und ich beide in verschiedenen Zimmern
geschlafen haben.“
„Es war einen Versuch wert. Also, gehen wir. Was kocht sie?“
„Keine Ahnung.“ Er hatte nicht nach Details gefragt, er würde sich überraschen lassen.
Sie beschlossen nicht die S-Bahn zu nehmen, denn diese würde sie in die Innenstadt bringen
und von da aus mussten sie dann nach Moosach fahren. Diese zwanzig Minuten konnten sie
laufen, das würde auf das gleiche heraus kommen.
Kims Vermieterin öffnete ihnen die Tür.
„Hallo Patrick, wie geht es dir?“
„Gut, danke.“ Sie hatten sich inzwischen auf ein du geeinigt, Patrick hatte das Ehepaar bereits
einige Male getroffen und sie verstanden sich blendend.
„Bist du auch bei Kim zum Abendessen eingeladen?“
„Ja, das sind wir. Das Kind wollte mir nicht verraten was sie kochen wollte. Hat etwas von
einer großen Überraschung gemurmelt.“ Patrick musste immer schmunzeln wenn Hedwig
Kim als „das Kind“ bezeichnete. Es war als wenn sie von ihrer zehnjährigen Enkeltochter
sprechen würde und nicht von einer erwachsenen Frau. Doch das Verhältnis zwischen Kim
und ihren Vermietern war sowieso mehr familiär als formell. Er war sich sicher, Hedwig und
Gerhard sahen eine Art Tochter in Kim und nachdem ihre eigenen Töchter alle das Haus
verlassen hatten, hatten sie die Chance eine neue „Tochter“ zu verwöhnen.
„Ich habe mich nach dem nächsten Dönerbude erkundet damit wir nicht hungrig ins Bett
müssen. Das ist Steve, ein Freund, den ich in Australien kennen gelernt habe.“ Patrick fiel auf,
er stellte Steve jeden als Steve vor, obwohl das nicht sein richtiger Name war. Steve war seine
englische Version von Stefan gewesen, die er in Australien genutzt hatte. Inzwischen hatte er
sich so an Steve gewöhnt, er nutzte Stefan so gut wie nie. Patrick fand, es hörte sich seltsam
an, wenn er seinen Freund Stefan rief. Er war Steve und würde Steve bleiben.
„Hallo.“ Steve, sonst nie um einen frechen Spruch verlegen, wurde jedes Mal, wenn er
jemand Neues kennen lernte, ruhig. Das würde sich beim zweiten Treffen legen.
„Guten Abend. Na, dann sind wir heute eine große Runde, das ist schön. Gerhard ist im
Keller, einen Wein suchen. Da sie uns nicht verraten hat was es gibt, weiß er nicht ob er weiß
oder rot mitnehmen soll.“
„Beide.“
„Darauf wird es hinaus laufen. Na, lasst uns hochgehen.“ Sie gingen die Treppen nach oben.
Die Weihnachtsbeleuchtung war lange verschwunden und durch neutrale Bilder ersetzt.
Hedwig klopfte an die Tür zu Kims Wohnung und trat ein. Der Esstisch war gedeckt, von Kim
war nichts zu sehen.
„Kim, Liebes, bist du da?“ Eine sehr unnötige Frage von Hedwig, Kim hatte sie eingeladen,
natürlich war sie da.
„In der Küche, ich will euch hier nicht sehen. Setze euch auf die Couch, fünf Minuten.“
„Bist du dir sicher?“
„Ja!“
Mit einem Grinsen ließen sie sich auf der Couch und den Sesseln nieder.
„Was machen Sie, Steve? Studieren?“
„Nein, das habe ich versucht, nach zwei Monaten aufgegeben. Es war nicht das richtige. Das
lange Reisen in Australien hatte mein Fernweh geweckt, deswegen hatte ich mich für einen
Studiengang in der Tourismusbranche entschieden. Zwischen Tourismus studieren und Tourist
sein liegen Welten, ich habe aufgegeben und mich für eine Ausbildung entschieden. Ich
arbeite in einem Verlagshaus. Buchverlag.“
„Wie praktisch für Ihren Freund. Ich habe ein Werk gesehen, das Sie bearbeitet haben. Die
fünf Bücher von Patrick. Kim sagte, Sie hatten ihr geholfen.“
„Ich habe das Cover erstellt, den Klapptext geschrieben, Patricks Resümee und das Foto
ausgegraben. Alles andere war Kim.“ Kim hatte die Geschichten zusammengefasst, das hatte
Steve nicht machen können, denn er hatte die Geschichten nicht gelesen, konnte nicht wissen,
worum es ging.
„Eines Tages können Sie vielleicht die Werke Ihres Freundes offiziell verlegen.“
„Im Moment sind wir dabei, dass ich sein Lektor werde. Einer muss all diese Komma und
andere Satzzeichen, die er zu gerne weglässt, setzen. Satzzeichen sind keine Verschwendung
von Tinte, wie Patrick mir immer weis machen will, sie sind notwendig. Sie machen einen
Satz verständlich, können ihm eine ganz andere Bedeutung geben wenn man sie falsch oder
gar nicht setzt.“
„Da haben Sie recht. Leider bin ich auch eher verwirrt als kundig mit der deutschen
Rechtschreibung. Der neuen. Oder der neuen alten. Runderneuerten.“
„Ja, das ist ein Problem von vielen im Moment.“
„Satzzeichen werden überbewertet.“ Patrick stand auf. „Kim, sicher dass ich dir nicht helfen
kann? Ich fasse auch nichts an, ich gucke dir nur zu.“
„Du bleibst im Wohnzimmer!“
„Okay.“ Er setzet sich wieder.
„Guten Abend.“ Gerhard Sommer kam in die Wohnung. Er hatte ein Flasche Weißwein und
eine Flasche Rotwein in der Hand. „Was gibt es zu essen?“ Er hielt beide Flaschen hoch.
„Das wissen wir noch nicht, wir haben Küchenverbot“, informierte seine Frau ihn.
„Oh.“
„Im Zweifelsfall trinken wir beide. Hallo Gerhard.“
„Hallo Patrick. Ja, das stimmt.“
„Das ist Steve, ein Freund.“
„Hallo junger Mann. Ich habe einige Geschichten über Sie gehört. Nur gute natürlich.“
„Dann haben Sie nicht Patrick gesprochen, nehme ich an.“
„Doch.“ Gerhard lachte schallend.
Kim kam mit einer Schüssel aus der Küche. Sie war gefüllt mit Salat. Blattsalat, Gurken,
Tomaten, Käse und Paprikastückchen.
„Das sieht gut aus“, meinte Patrick und umarmte Kim nachdem sie die Schüssel auf den Tisch
gestellt hatte.
„Danke, das war die einfache Arbeit. Hi Steve, wie geht es?“
„Noch gut.“
„Du solltest dich nicht von Patrick bange machen lassen. Ich koche essbare Sachen. Meine
Nudeln sind berühmt.“
„Ich weiß, Pasta kochen ist auch kochen.“
„Eben. Den perfekten Kuchen hat er wahrscheinlich verschwiegen, dabei hat er ihn fast
alleine gegessen. Ihr könnt euch schon mal setzen, ich bringe den Rest.“
„Welchen Wein, Liebes?“ Gerhard hielt erneut die Weinflaschen hoch.
„Rot.“
„Sehr gut.“ Er öffnete eine Schublade und holte einen Korkenzieher heraus während sich die
anderen an den Tisch setzten.
„Vorsichtig, heiß!“ Kim trug eine weitere Schüssel. Diese war oval und es dampfte stark. „Ich
präsentiere die erste selbstgemachte Lasagne!“
„Wow.“ Patrick sah anerkennend auf die Lasagne. Der Käse war leicht braun und warf noch
einige Blasen, was bedeutete, sie hatte ihn gerade erst aus dem Ofen geholt.
„Ich habe versucht sie nicht zu scharf zu machen und extra viel Käse zu benutzen, da ich
weiß, hier sitzen mindestens zwei Käseliebhaber.“ Sie sah Gerhard und Patrick grinsend an.
Oh ja, Käse. Man konnte gar nicht zuviel Käse in Gerichten haben und es gab kaum Gerichte,
die keinen Käse vertragen konnten.
„Mindestens einer von denen sollte keinen Käse im Überfluss essen“, sagte Hedwig streng.
„Es ist ein Feiertag, das Kind hat gekocht.“
„Das ist lasse ich diese Mal gelten, wenn sie das nächste Mal kocht, dann wird das nicht deine
Ausrede werden.“ Sie war sich sicher, er würde eine andere Ausrede finden. Ihr Ehemann war
nie um Ausreden verlegen gewesen.
„Nein, Ma’am. Jungs, ich sage euch, wenn ihr jemals heiratet...“ Er fing sich einen strengen
Blick von seiner Frau ein und fügte zerknirscht hinzu: „Dann heiratet eine so wunderbare
Frau, wie ich es getan habe, die sich um euch kümmert und sorgt.“
„Wir werden versuchen uns daran zu erinnern.“
Kim verteilte Lasagne auf den Tellern. „Esst bevor es kalt wird.“
„Danke fürs Kochen, Liebes.“
„Bedanke dich nicht zu früh, du weißt nicht wie es schmeckt“, warnte Kim Hedwig.
„Oh, Patrick hat bereits den Dönermann im Auge, wir werden nicht verhungern.“
„Patrick sollte seine Zunge hüten. Iss du alter Meckerkopf und wage es nicht so ein Spiel mit
mir zu spielen, wie du es mit dem Kuchen getan hast.“
„Würde ich nie wagen.“ Patrick pustete um die noch immer dampfenden Lasagne abzukühlen
und führte die Gabel mit dem Pastagericht zum Mund.
„Wunderbar.“
„Sicher?“
„Ganz sicher. Herzlichen Glückwunsch, du kannst kochen.“
„Gott sei Dank, ich kann Lasagne machen. Ich wusste, Rezepte für Idioten wäre ideal für
mich. Man kann gar nichts falsch machen, die haben wirklich jeden Schritt erklärt und so
viele Bilder, es bleiben keine Fragen offen. Wenn ich mir all diese Rezepte ausdrucke, dann
kann ich eines Tages richtig kochen. Jeden Tag ein anderes Gericht. Allerdings muss ich
sagen, so ganz begeistern kann ich mich nicht für das Kochen. Zuviel Aufwand, die meisten
Gerichte kann man fertig kaufen. Ich habe im Supermarkt mehrere Fertiglasagnen gesehen. In
den Ofen, eine halbe Stunde warten, fertig.“
„Glaube mir, die schmecken nicht wie die selbstgemachten“, sagte Hedwig. „Und wenn du
kochen nicht magst, dann suchst du dir jemand, der das für dich übernimmt. Unseren Patrick,
zum Beispiel.“
„Ich bin zu teuer, sie kann mich nicht jeden Tag bezahlen.“
„Es reicht wenn du für drei Tage kochst, dann muss ich dich nur alle drei Tage bestellen.“
„Die Lasagne beweist, du kannst kochen. Du hast meine Dienst nicht nötig.“
„Wenn du mich bezahlst, dann koche ich für dich“, schlug Steve vor.
„Nein, ich gehe keine Risiken mit meinem Essen ein. Wenn ich ein Abenteuer haben will,
dann koche ich selber.“
„Tz, so was.“ Steve konnte kochen. Er hatte ein Jahr lang für sich selber gekocht. Okay, das
war kein Argument, wenn er bedachte, die meisten Backpacker ernährten sich von Nudeln, die
fertig waren wenn man kochendes Wasser über sie kippte. Von diesen Fertiggerichten war er
niemals begeistert gewesen, das war Patrick.
„Was habt ihr Jungs heute gemacht? Ihr schient nicht allzu weit weg gewesen zu sein.“
„Wohnungssuche für Patrick. Er hat nach drei Monaten beschlossen aus seinem Kabuff
auszuziehen.“
„Endlich. Hast du etwas gefunden?“
„Nein, nicht wirklich.“ Er erzählte von dem streitenden Paar, dem heruntergekommenen
Haus, der Wohnung, die vergeben war und der, bei der er minimale Hoffnungen hatte.
„Kein erfolgreicher Tag, ich werde mein Glück am Wochenende versuchen, wenn die neuen
Anzeigen in der Zeitung stehen.“
„Suchst du Eigentum oder Miete?“, fragte Gerhard.
„Eigentum kann ich mir nicht leisten; denke ich. Keine Ahnung, ich habe nie über Eigentum
nachgedacht. Das müsste dann eine Wohnung sein, die ich wirklich mag.“
„Du mochtest unsere Wohnung“, sagte Hedwig lächelnd.
„Eure Wohnung ist göttlich, aber da sind zwei Probleme: Es ist eure und sie ist zu groß, was
automatisch zu teuer bedeutet.“
„Am Preis kann man immer arbeiten.“
„Denkt ihr daran eure Wohnung zu verkaufen? Wieso? Das Haus gehört euch.“ Er hatte
gedacht, das Ehepaar sei glücklich mit ihrem Haus und ihrer Wohnung. Sie hatten nie die
Absicht geäußert auszuziehen, hatten nie eine Andeutung darüber gemacht.
„Nun, wir sind zwei Personen, was sollen wir mit sechs Zimmern? Und da unser andere
Mieter ausgezogen ist, werde wir uns diese Wohnung fertig machen. Zwei Zimmer sind mehr
als genug für uns. Und dann können wir die untere Wohnung abgeben. Wir werden nicht
jünger, das Haus macht Arbeit. Wenn wir die Wohnungen verkaufen, dann haben wir weniger
Arbeit.“
„Heißt das, diese Wohnung steht zum Verlauf?“ Er sah zu Kim. Musste sie umziehen? Würde
er sie demnächst an einem anderen Ort besuchen müssen?
„Nein, diese Wohnung ist verkauft. Unsere Köchin ist die stolze Besitzerin.“
„Im Moment ist es die Bank. Eines Tages werde ich es sein“, sagte Kim mit einem Lächeln.
Damit hatte sie sich bewusst und entgültig für München entschieden. Vor allem ihr Vater hatte
ihr nahe gelegt ihr Leben nicht auf einen Ort zu beschränken und die Heimat seiner Familie
zu besuchen, vielleicht einige Jahre dort zu arbeiten. Mit dem Kauf der Wohnung würde
Amerika ein Urlaubsland bleiben.
„Wir wollen die Wohnung verkaufen, eigentlich das ganze Haus. Die obere Etage wäre
vergeben, die untere ist frei und der halben Garten. Die andere Hälfte werden wir für unser
Hobby behalten.“
„Und da sie sehr pingelig sind mit den Leuten, die sie in ihr Haus lassen, kann es eine
Ewigkeit dauern bis sie jemand gefunden haben, den sie die Wohnung verkaufen“,
vervollständigte Kim amüsiert. Wenn sie überlegte wie lange ihre Vermieter gezögert hatten
bis sie ihr die Wohnung damals vermietet hatten. Sie hatte einige Tests unterlaufen müssen,
wie sie immer wieder lachend erwähnte. Der Erwerb des Doktortitels sei ein Kinderspiel
dagegen gewesen. Wenn sie diese Wohnung nicht unbedingt gewollt hätte, hätte sie all dies
nicht auf sich genommen.
„Es ist unser Haus, wir wollen nicht irgendwen.“
„Sechs Zimmer, das ist zuviel für mich.“ Selbst wenn Patrick wollte, es war nicht zu
verwirklichen. Diese große Wohnung würde ein Vermögen kosten und das Geld würde er
niemals verdienen. Die Nebenkosten alleine würde einen großen Teil seines Gehalts
einfordern wenn er sechs Zimmer im Winter warm halten wollte.
„Du könntest dir Untermieter suchen, du musst nicht alleine wohnen. Junge Menschen
wohnen gerne zusammen. Dein Freund könnte einziehen.“ Hedwig sah zu Steve.
„Wenn Pat mir einen guten Preis macht, gerne. Das Haus liegt perfekt für meinen Weg zur
Arbeit.“
„Ich dachte, ihr wolltet nicht...“
„Es sind Untermieter, es sind keine Besitzer. Die Sache mit Untermietern ist, du kannst sie
rauswerfen wenn sie sich daneben benehmen. Das geht nicht wenn du eine Wohnung verkauft
hast.“
„Du kannst vier Zimmer vermieten, das Geld dafür nutzen den Kredit abzuzahlen“, schlug
Kim vor.
„Suchst du ein Zimmer?“, erwiderte er breit grinsend.
„Nein, ich habe genug Platz hier. Ich könnte mir eher selber einen Untermieter suchen.“ Das
würde ihr Bankkonto entlasten.
„Homestay“, schlug Patrick vor. „Dann hast du die Leute kurzfristig und kannst mehr Geld
verlangen. In Sydney bezahlt man hundertdreißig Dollar die Woche und aufwärts für ein
Zimmer mit einer Familie. Nimm hundert Euro die Woche, inklusive Essen, und du hast
vierhundert Euro im Monat. Wenn du keine Lust mehr auf Gesellschaft hast, dann setzt du
einfach ein paar Wochen aus.“
„Manchmal hast du gute Ideen, Steve. Ich werde mich in dem Bereich schlau machen.“
„Und Pat nimmt die untere Wohnung, du hast mit mir den ersten Untermieter. Ich gebe lieber
dir die zweihundertfünfzig Euro im Monat als der Mietgesellschaftsfirma.“
„Ähm.“ Die Welt begann sich in Patricks Kopf zu drehen. Er, eine Wohnung kaufen? Die
Wohnung von Hedwig und Gerhard. Wie war er in diese Situation gekommen? Er hatte nach
einer Mietwohnung gesucht, eine kleine Wohnung, nicht nach einer riesigen
Eigentumswohnung. Sechs Zimmer, zwei Badezimmer, Küche und ein Garten. Das war viel.
Das war zuviel. Er hatte kein Geld dafür.
„Ich denke, wir überfordern ihn gerade.“ Kim legte ihre Hand auf Patricks Hand. „Entspann
dich.“
„Du musst dich nicht jetzt entscheiden, wir werden die Wohnung nicht in die Zeitung setzen
bevor wir nicht nach hier oben gezogen sind“, sagte Gerhard.
„Das wird nicht vor dem nächsten Monat sein. Alleine die Entscheidungen, was wir
mitnehmen und wovon wir uns entgültig trennen werden, werden lange dauern. All diese
Sachen, wir müssen den Kindern sagen, wenn sie noch etwas von ihren alten Sachen wollen,
dann müssen sie das abholen“, seufzte Hedwig. „Du hast genug Zeit um über alles
nachzudenken, Patrick.“
„Gut, Zeit werde ich brauchen.“ Genauso wie Geld und einen sehr guten Bankberater wenn er
diesen Kauf verwirklichen wollte. Aber das wäre verrückt. Er konnte keine Wohnung kaufen.
In München, wo er erst drei Monate hier wohnte. Eine Wohnung mit sechs Zimmern. Das
war, das war größer als die Wohnung seiner Eltern.

„Honey, how are you?“


„Over the moon to hear your voice.“ Patrick hatte sich mit seinem Telefon ins Bett verzogen.
Er und Alison hatten sich für diesen Anruf verabredet und er hatte alles erledigt, was er für
diesen Abend noch erledigen wollte, um in Ruhe mit ihr telefonieren zu können. Danach
konnte er seinen Laptop nehmen, schreiben, vielleicht einen Film sehen und schlafen.
„That’s nice to hear even if I don’t believe you Probably you’ve forgotten me almost.“
„I could never ever forget you, Anna. Ashley, Alison, sorry. How are you?”
„Bastard. Busy. They gave me a new group today, I was busy the whole day.“
„You told them everything about the hotel?“
„Of course.“ Alison war für die englischsprachigen Reisegruppen zuständig. Sie kümmerte
sich um deren Anliegen rund um das Hotel und würde bald dafür ausgebildet werden,
Gruppen über die Insel zu führen.
„Good girl. When can I come over?“
„When you’re English, I don’t work für Germans.”
„Discrimination. Oh well, it doesn’t matter, I’ve no time for a holiday.“
„So much work?“
„We’re still busy and...you won’t believe that. I was at Kim’s place a few days ago…”
„I do believe that. I believe, you spend quite a few days at her place.”
„Shut up“, lachte Patrick. „Let me finish my sentence. She cooked dinner…”
„I don’t believe that, you told me, she can’t cook.“
„...Lasagne and it was good. Anyway. She and her landlords had this crazy idea. They wanna
sell their huge flat, six bedrooms, two bathrooms, huge kitchen, garden. And they offered it to
me.”
„I hope you said yes.“
„Alison, it’s a huge place.“ Hatte sie das nicht verstanden? Hatte er sich bei der Größe
undeutlich ausgedrückt?
„Get some flat mates, you know how that works.” Ja, das wusste er. Darum ging es nicht.
„I can’t buy a flat.“
„Because?“
„Because? Because it’s...a huge flat.”
„You were looking for a flat anyway.“
„Yes, I want to rent a flat with one or two rooms.“ Er konnte einen kleinen Unterschied
feststellen. Das war, als wenn man einen Kleinwagen kaufen wollte und dann plötzlich mit
einem Maybach vor der Tür stand.
„Renting a flat is wasting money. Buy it, offer rooms to rent and make money with your flat.
Let the money work for you instead of working for the money.”
„You told me that years ago.“
„I’m still right. It’s at Kim’s place, it’s perfect. Whatever the relationship is between you guys,
you like to spend time together, it would make things easier.”
„I can’t make a decision about a flat because of Kim.“ Das wäre lächerlich. Sein Verstand
sollte ihm riesige, rote Warnschilder aufstellen. Vor allem wenn er bedachte, dass sie aller
Wahrscheinlichkeit ein Grund gewesen war wieso er nach München gezogen war. Wenn er
ganz ehrlich zu sich selber war.
„You wouldn’t be the first guy who makes a decision for a woman.“
„I’m not that crazy.“
„You’re even crazier. You stayed in my place for month because of me. You could have
travelled the islands, could have seen much more of New Zealand than you did.”
„I saw everything what I wanted to see before I came to your place. And it was you, it was
something else.“
„I know, I’m important. Honey, you’ve always told me, a house will be the solid thing,
probably the only solid thing, in your life, there’s your chance, take it. As fas as I know it’s in
a nice place. If you don’t want it anymore, sell it.” Niemand war gezwungen eine Wohnung
für den Rest des Lebens zu behalten. Man konnte sie jederzeit verkaufen und an einen
anderen Ort ziehen.
„You know I was hoping you would tell me not even to think about crazy things like this.“
„You should know me better.”
„Yes.“ Ja, er hätte wissen sollen, Alison wäre von der Idee eine Wohnung zu laufen,
begeistert. Sie hatte bereits damals versucht ihn davon zu überzeugen, die beste Geldanlage
waren Immobilien. Anstatt sich in einem Beruf herumzuärgern, den er nicht mochte, sollte er
sich Immobilien anschaffen und mit denen Geld verdienen.
„Did you tell your parents?“
„It’s only a crazy idea, I won’t tell them anything before I haven’t made any decicion.”
Vielleicht sollte er mit ihnen telefonieren. Sie würde nicht wie alle von dieser Idee begeistert
sein. Wobei, sein Vater hatte die gleiche Ansicht wie Alison, Miete zahlen war reine
Geldverschwendung. Er würde die Idee genauso unterstützen, wie sie es tat. Wenn er jemand
um sich haben wollte, der ihn von dieser Idee abriet, dann sollte er zu seiner Bank gehen. Ein
Blick auf sein Konto und jeder verantwortungsvolle Bankangestellte würde ihm vom Kauf
einer Eigentumswohnung in der Größe abraten.
„How much time do you have?”
„Three to four weeks.”
„My advice is do it. Not because of Kim, I’d never send you in the arms of antoher woman.
Do it for you. Get your solid thing in life, enjoy it as long as you want and well, if you don’t
like it anymore, look for somebody who wanna rent it and come with the rent money to New
Zealand. You can stay at my place and the rent money will give you enough money to enjoy
the beautiful South Island and me.”
„I didn’t know I need money to enjoy you.”
„You never tried.”
„I can buy you?”
„You can buy me but you can’t buy my love.”
„I have your love already, don’t have to buy it.”
„Exactly. No, Pat, buy this flat, look for some flat mates and get some roots in Munich.
You’ve got the best weather there and I promise, I’ll be back as soon as I can. You can safe
one room for me or a couch.”
„I’ve got a nice couch for you. Maybe you can have it for yourself the next time.” Er hatte
nicht vor den Rest seines Lebens auf der Couch zu schlafen. Sobald er den Platz hatte, den er
mit dieser Wohnung haben würde, und das Geld, würde er sich ein schönes, großes Bett
anschaffen.
„Sounds good.”
„Sounds crazy.”
„Crazy things are the things that make your life interesting. If you were made for a boring
office job and a boring, ordenary life, you would have never spent four years abroad. Deep
inside you is an explorer and the hunger for adventures. Take this adventure in Munich, take
the challenge and win; like you always did.”
„Thanks honey.”
„You knew what I’d tell you.”
„Yes”, sagte er.
„You gonna listen to me, bloke?“ Sie hatte ihren Kiwiakzent für einen australischen
eingetauscht. Etwas, das ihn immer zum Lachen gebracht hatte.
„Yeah did most time, eh?”
„It’s always wise to listen to a woman.”
„There’re a few good sheilas in tha world.”
„Yous got tha best one.”
„I know. I hope I can pay her a visit sooner or later. Wanna see her working again and take her
after work to the beach, drinking cocktails, having some fun.”
„What kind of fun?”
„You’ll see.”
„Whoa, a little surprise. Can’t wait.”
„Neither can I.” Vor allem konnte er es kaum erwarten Alison endlich wiederzusehen. Er
vermisste sie bereits. Wenn er sich auf diese Eigentumswohnungssache nicht einlassen würde,
würde das nötige Geld haben um sie zu besuchen. Vielleicht konnte er sogar einen ganzen
Monat bleiben, wenn er ein Hostel finden würde, in dem er für seine Unterkunft arbeiten
konnte.
Kapitel 13

„Wow, das ist das zweite Mal, dass du mich hier besuchen kommst.“ Patrick sah Kim
überrascht an. „Was verschafft mir die Ehre? Hast du wieder Kuchen mitgebracht?“
„Kein Kuchen, ich komme direkt aus dem Krankenhaus.“
„Bei jedem anderen, der das sagen würde, wäre ich besorgt.“
„Wie gut dass du weißt, dass das mein Arbeitsplatz ist.“
„Ja, kein Grund zur Sorge. Hast du eine Minute Zeit?“
„Ich bin mir sicher, ich kann sogar zwei Minuten für dich erübrigen.“ Es gab keinen Grund
wieso er nicht mit Kim sprechen konnte. So lange er an der Rezeption war, das Telefon
beantwortete wenn es klingelte, konnte er beinahe tun und lassen, was er wollte.
„Wie groß ist die Chance, das du nächsten Samstag Frühschicht hast und Sonntag Spätschicht
oder später anfangen kannst?“
„Das kommt wohl ganz auf die Gründe an, die ich meinem Boss liefern kann. Was hast du mit
mir vor?“
„Mein Boss feiert seinen sechzigsten Geburtstag. Ich bin eingeladen in Begleitung zu
erscheinen.“
„Das bedeutet, du sollst deinen jungen Lover mitbringen, von dem keiner etwas weiß und den
sie dann ausfragen wollen.“
„Ja.“
„Ich denke, wir können das arrangieren. Was muss ich anziehen?“
„Ähm...einen Anzug?“ Kim sah ihn entschuldigend an. „Oder etwas in der Art.“ Es war eine
formelle Angelegenheit selbst wenn es sich um eine Geburtstagsfeier handelte.
„Auch das sollte machbar sein.“
„Du bist ein Schatz.“
„Was für ein Lover wäre ich, wenn ich dir diesen Gefallen nicht tun würde? Was würde das
über unsere Beziehung sagen?“
„Du könntest inmitten einer sehr wichtigen geschäftlichen Phase stecken, die es dir unmöglich
macht deine Freundin zu begleiten, da Millionen von Euro dadurch verloren gehen könnten.
Das Wohl der Firma liegt in deinen Händen.“
„Heißt das, ich muss ihnen vorspielen, ich sei ein erfolgreiche Geschäftsmann?“ Anders
konnte Patrick sich keinen Millionenverlust vorstellen. In der Pension würde er das nicht
haben. So viele Gäste konnte er gar nicht falsch einbuchen.
„Du kannst ihnen sagen, was immer du willst.“
„Wir sollten die gleiche Geschichte erzählen, sonst werden wir auffliegen. Ich arbeite in der
Tourismusbranche, in einer Pension. Leite die Pension wenn die Eigentümer nicht da sind.“
All das war nicht gelogen.
„Wenn sie da sind, dann putzt du Toiletten“, sagte Anton Niedermeyer.
„Ja.“ Patrick grinste. „Anton, das ist Kim, ich habe dir von ihr erzählt. Kim, mein Boss Anton
Niedermeyer.“
„Guten Tag, Frau Doktor.“
„Guten Tag, Herr Niedermeyer. Ist es in Ordnung wenn ich Patricks Aufmerksamkeit für
einige Sekunden etwas von der Arbeit ablenke?“
„Der Junge kann sehr gut das Telefon im Auge behalten und mit Ihnen sprechen. So lange
kein Gast warten muss, ist das kein Problem.“
„Kein Gast wird warten. Anton, kann ich am nächsten Wochenende Früh-Spät arbeiten? Es
steht ein sechzigster Geburtstag eines Arztes an. Frau Doktor braucht mich, ein normaler
Mensch unter Ärzten.“
„Das sollte kein Problem sein. Ich kann nicht verantworten, dass deine Freundin alleine zu
dieser Party geht.“
„Eben, wer weiß, ein Arzt könnte versuchen sie anzubaggern. Ich muss mein Hab und Gut
verteidigen.“
„Ich bin nicht dein Eigentum“, stellte Kim trocken klar. Und wenn ein Kollege versuchen
würde ihr näher zu kommen, dann konnte dieser das bei der Arbeit machen. Da war sie oft
genug mit den Kollegen alleine in einem Zimmer. Es gab keinen Grund auf eine
Geburtstagsfeier zu warten, wo man eine Abfuhr vor vielen Menschen bekam.
„Eines Tages klebe ich dir den „owned by Patrick“ Aufkleber auf die Stirn, dann bist du mein
Eigentum.“
„Patrick, ich will dir nicht in deine Beziehung reden, aber pass auf was du sagst. Deine
Freundin sieht nicht so aus als wenn sie sich alles gefallen lässt.“
„Ganz sicher nicht.“
Anton Niedermeyer verließ den Raum.
„Also, frei habe ich. Unserem Abend sollte nichts mehr im Weg stehen. Erzähl mir ein wenig
mehr über den Geburtstag, den Mann. Immerhin kann man erwarten, dass du mir von deinen
Kollegen erzählst wenn du nach der Arbeit nach Hause kommst. In einer guten Beziehung
redet man manchmal miteinander.“
„Wir haben keine Zeit zum reden, der Sex nimmt all unsere Freizeit in Anspruch“, sagte Kim
trocken.
„Oh, okay.“ Patrick schluckte einmal. „Das, ähm, das scheint eine sehr aktive Beziehung zu
sein, die wir da haben.“
„Süß, du wirst verlegen“, lachte Kim. „Doktor Med. Phil. Walter Staudner. Chefarzt der
Kardiologie und mein Mentor im Studium wird am nächsten Mittwoch sechzig Jahre. Die
Feier findet am Samstag in einer kleinen Halle statt. Es werden zweihundert Gäste erwartet,
alles, was Rang und Namen hat in der Klinik und viele Verwandte und Freunde.
Walter Staudner ist verheiratet, das vierte Mal, seine Frau, Annegret, ist Mitte vierzig,
erfolgreiche Chirurgin und ebenfalls im Herzzentrum tätig. Er hat zwei Kinder aus erster Ehe,
eins auf der zweiten, keine aus den letzten beiden Ehen. Es ist unwahrscheinlich, dass seine
Exfrauen bei der Party sein werden, aber seine Kinder werden erwartet. Zwei Söhne, eine
Tochter, alle im medizinischen Bereich tätig. Des weiteren hat er zwei Stiefkinder, die seine
Frau mit in die Ehe gebracht hat.
Er ist Verfasser von zwei medizinischen Fachbücher, gefragter Experte und in seinem
Fachgebiet ein Gott. Deine Freundin arbeitet sehr gerne mit ihm, ist ihm ewig für seine Hilfe
während ihres Studiums dankbar und hofft, dass sie noch viele Jahre mit ihm zusammen in
der Herzklinik arbeiten darf.“
„Schleimer.“
„Dafür sind diese Partys da.“
„Was muss ich tun? Außer lächeln, dich anhimmeln und dir in allen Belangen zustimmen?
Wird von mir Konversation erwartet?“
„Du bist kein gemieteter...“ Wie sollte sie es nennen?
„Begleiter?“
„Ja. Wenn ich das wollte, dann hätte ich bei einer Begleitservice Agentur angerufen.
Allerdings würde mir etwas wie das nie in den Sinn kommen, dann würde ich es vorziehen als
Single zu der Feier zu gehen. Da jedoch das ganze Krankenhaus denkt, wir beide sind ein
Paar, würde ich deine Begleitung sehr zu schätzen wissen – und sonst auch.“
„Toy Boy, junger Lover, Begleiter, ich bin was immer du willst.“
„Wie wäre es mit mein Freund?“
„Mit dem größten Vergnügen.“
„Ich schulde dir etwas für das.“
„Ich kann mir nicht vorstellen wie du das ausgleichen willst. Versuche es erst gar nicht.“
„Wir werden sehen.“ Kim trat zur Seite. Ein Mann war aus dem Restaurant gekommen, hatte
allem Anschein nach eine Frage an Patrick.
„Hast du dich wegen der Wohnung entschieden?“, fragte sie nachdem der Mann weg war.
„Ich habe mit meinen Eltern gesprochen. Mein Vater ist auf deiner Seite, er sagt, eine
Eigentumswohnung macht mehr Sinn als eine Mietwohnung. Die Größe hat ihn abgeschreckt,
denn es ist offensichtlich, dass ich alleine all diesen Platz nicht brauche. Er meint, wenn ich
ein paar Freunde finden kann, die mit mir da wohnen, dann wäre das Anfang und später, wenn
ich heirate und zwei, drei Kinder da sind, dann werde ich froh sein einen so großen Platz zu
haben.“
„Aha, er denkt bereits an seine Enkelkinder.“
„Muss er von Mama haben.“
„Du willst keine Kinder?“
„Ich weiß nicht, will ich? Wir haben da in unserer kurzen Beziehung noch nicht drüber
gesprochen. Wollen wir Kinder?“
„Ich rede von der Realität. Willst du Kinder?“
„Später vielleicht. Es ist unsinnig darüber nachzudenken so lange ich Single bin. Sollte ich
eine Frau finden, der mit ich mir vorstellen kann den Rest meines Lebens zu verbringen, dann
gibt es keine Gründe, die gegen Kinder sprechen. Und du?“
„Später, zuerst will ich in meinem Beruf arbeiten. Dafür habe ich mich schließlich all die
Jahre abgemüht.“
„Verständlich.“ Das Telefon klingelte. Zurück aus den Gedanken der Zukunft in die
Gegenwart. Hoffentlich war das eine Buchungsanfrage. Er hatte heute noch kein Zimmer
vergeben, das wollte er dringend ändern. Wozu saß er schließlich hier?

„Wow.“ Patrick starrte Kim förmlich an. Sie trug ein langes, blaues Kleid, hatte ihre Haare
hochgesteckt und eine goldene Kette funkelte um ihren Hals.
„Selber wow.“ Patrick trug einen schwarzen Anzug mit Krawatte und einem dunkelroten,
weinroten Hemd. „Aus welchem Männermodemagazin bist du denn entsprungen?“
„Calvin Klein, Hugo Boss, such dir eins aus.“ Er setzte sich neben Kim ins Auto. Seine Augen
klebten weiterhin an ihr. Er hatte sie noch nie so gesehen, so elegant, so edel, so,
unbeschreiblich. Wäre ein bezahlter Begleiter, diesen Auftrag hätte er bei dem Anblick
umsonst gemacht.
„Armani. Wenn wir den Stereotypen gerecht werden wollen, dann müsstest du eigentlich
fahren.“
„Nein danke, ich bin gerne Beifahrer. Die sehen mehr von der Gegend. Wobei, München in
der Dunkelheit ist nicht das, was ich nun als aufregend empfinden würde. Ich kann dich nach
Hause fahren, wenn du betrunken bist.“
„Ich trinke nicht.“
„Stimmt.“ Er hat sie nur einmal Alkohol trinken sehen, das war als sie Weihnachten gefeiert
hatten. Sonst hatte sie immer Saft oder Mineralwasser gehabt. Selbst an dem Tag, an dem sie
die Lasagne gemacht hatte und Gerhard den Rotwein geöffnet hatte.
„Also, was ist der aktuelle Stand unserer Beziehung?“
„Wir sind weiterhin glücklich, du überlegst ob du zu mir ziehen sollst.“
„Ich bin glücklich, das mit dem Umzug, das lassen wir heute Abend, doch im Großen und
Ganzen kann man sagen, das stimmt so weit. Was muss ich aus dem Krankenhaus wissen?
Etwas Aufregendes passiert?“
„Nein, keine aufregenden Geschichten.“
„Gut.“ Somit war er auf dem Stand der Dinge, wie es sich für einen aufmerksamen Freund
gehörte. Er hoffte, diese Idee war kein Schuss nach hinten. Was, wenn sie sich in ihrer
Geschichte verzettelten? Wenn einer das Gegenteil von dem sagte, was der andere sagte?
Eigentlich hätte er zu alt sein müssen für diese Art von Spiele. Eine gespielte Beziehung. So
etwas machte man vielleicht in der Grundschule. Sie sollten beide dazu stehen, dass sie nur
Freunde waren und Kim sollte keinerlei Probleme mit ihren Kollegen haben. Ex hin oder her,
wenn die Beziehung beendet war und diese das nicht verstehen wollte, dann musste Kim
etwas anderes machen als eine Beziehung zu erfinden.
„Bereit?“ Kim hatte ihren Wagen gestoppt.
„Lets get ready for rock’n roll.“
„Ich denke, welcome to the jungle passt in diesen Fall besser.“ Sie stiegen aus dem Auto aus
und gingen zur Eingangstür. Direkt an der Tür wurden ihnen ihre Jacken abgenommen und
Kim musste eine Einladung vorzeigen. Patrick hatte nicht gewusst, dass sie nur mit Einladung
das Gebäude betreten durften. Das musste etwas sehr formelles sein oder es mussten sehr
viele wichtige Leute anwesend sein.
„Zwei, vielleicht drei Stunden, dann sind wir hier raus“, flüsterte Kim ihm ins Ohr.
„Ja, mach mir Mut.“ Wenn sie bereits anfing die Stunden abzuzählen bevor sie richtig in der
Halle waren, was sollte er dann sagen? Er kannte hier niemand.
Der Raum war gefüllt mit Männern in schwarzen Anzügen und Frauen in Abendkleidern. Wie
gut dass er sich für diesen Anlass einen schwarzen Anzug geliehen hatte. Der Sohn seines
Chefs hatte Patricks Statur und hatte ihm den Anzug gegeben. Das Leihen eines Anzugs oder
kaufen war unverschämt teuer. Nur wie es aussah war Geld in diesen Kreisen keine Sache,
über die man sich Sorgen machte.
„Willkommen in der Welt der Reichen und Mächtigen.“
„Das macht sie nicht schön. Guck dir die Frau da an, die ist geliftet. Und wie. Man, wenn sie
damit vor Gericht geht...“
„Das ist die Schwester von Doktor Stauder.“ Kim unterdrückte ein Lachen. Sie konnte Patrick
in seiner Beobachtung nur recht geben.
„Ups.“ Das erste Fettnäpfen war seins gewesen. Hoffentlich war es das letzte oder das nächste
war erneut so privat wie dieses.
„Das ist in Ordnung, Schatz. Sag es ihr einfach nicht.“
„Ich werde mich zu keinen der anwesenden Damen mehr äußern.“
„Braver Junge, mach mir keinen Ärger.“
„Wuff.“
„Leckerchen gibt es da drüben am Büffet. Dich zuerst der Pflichtteil, den Gastgeber
begrüßen.“
„Professor Doktor Med. Stauder. Meine Güte, wenn er einen Doppelnamen hätte und einen
doppelten Familienname, du müsstest ein breiten Umschlag nehmen für die Adresse.“
„Patrick!“ Kim biss die Zähne zusammen. Sie mussten für eine Minute ernst sein, wenn er so
etwas sagte, dann würde sie in schallendes Gelächter ausbrechen und damit nicht nur
unangepasst reagieren, sondern auch ein sehr negatives Licht auf sich werfen. Das war ein
Abend mit Arbeitskollegen und Vorgesetzten, sie mussten Haltung wahren.
„Professor Stauder, herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.“ Kim reichte einem Mann die
Hand. Im Gegensatz zu seiner Schwester war der Professor nicht geliftet oder er hatte diesen
Eingriff über sich ergehen lassen, ohne dass man Spuren sehen konnte. Er sah nicht aus wie
sechzig, eher wie Mitte fünfzig. Seine grauen Haare waren in einem akkuraten
Kurzhaarschnitt gehalten und er hatte wache, grüne Augen. Neben ihm stand eine Frau, die
ihren Arm um seine Seite gelegt hatte. Das musste die Ehefrau sein. Ehefrau Nummer vier.
Patrick fragte sich, ob all seine Ehefrauen mit dem Herzzentrum zu tun hatten oder ob er sie
an anderen Orten kennen gelernt hatte. Den Golfclub zum Beispiel. Männer in solchen
Positionen waren meistens Golfer.
„Kim, Sie sehen bezaubernd aus.“
„Danke. Das ist Patrick Schmidt.“ Sie trat zur Seite um ihrem ehemaligen Mentor die volle
Sicht auf Patrick zu geben.
„Guten Abend, Herr Professor. Alles Gute zum Geburtstag.“ Hoffentlich war es richtig
gewesen zwei Titel wegzulassen. Der Professor sollte wichtiger sein als der Doktor.
„Guten Abend, Herr Schmidt. Es sieht so aus als wenn ich Ihnen auch gratulieren muss. Eine
sehr nette Freundin haben Sie.“
„Danke. Ich weiß.“ Patrick lächelte. Das war eine Sache, die man ihm nicht sagen musste.
„Ich wünsche Ihnen beide einen netten Abend.“ Kim schob Patrick unauffällig zur Seite. Zum
Glück waren Leute hinter ihnen, die ebenfalls dem Professor gratulieren wollten.
„Geschafft. Puh, jetzt geht es mir besser.“
„Habe ich den Test bestanden?“
„Perfekt. Was hältst du von Büffet?“
„Ich sterbe vor Hunger.“ Sie gingen zum Büffet.
Patrick war sich nicht sicher, was all das Essen war, es sah teuer, edel, exquisit und - hatte er
teuer erwähnt – aus. Trüffeln, Kaviar, Hummer, Muscheln, Filet, Salate, Gemüse, Käsesorten
und Früchte. Alles Sachen, die derzeit nicht Saison hatten und ein Vermögen im Supermarkt
kosteten.
„Da ist Jessie.“
„Freund oder Feind?“, fragte Patrick.
„Freund. Wir können uns zu ihr setzen.“ Kim ging zu einer jungen Frau, die an einen der
Tische saß.
„Hey Jessie.“
„Oh Kim, da bist du ja. Ich hatte schon befürchtet, du würdest nicht auftauchen.“ Sie war
klein, hatte einige Kilo zuviel, mittellange, braune Haare und ihr Gesicht war voller
Sommersprossen.
„Als wenn ich das wagen würde. Wo ist Robert?“
„Am Büffet. Zum dritten Mal. Wenn er es wagen sollte erneut aufzustehen, dann werde ich
ihn k.o. schlagen müssen. Es wird peinlich.“ Ihr Blick traf auf Patrick. „Das muss der
geheimnisvolle Mann sein.“ Sie strahlte ihn an und streckte ihm die Hand entgegen. „Jessie.“
„Patrick und ich bin nicht geheimnisvoll.“
„Für mich schon, Kim hat nichts verraten. Da denkt man, man kennt jemand seit Jahren, ist
befreundet und sie rückt kein Wort heraus. Alles, was ich weiß, ist dass Sie Patrick heißen und
sie glücklich machen.“
„Da kann ich nicht widersprechen.“
„Erzählen Sie mir mehr von sich.“
„Jessie!“
„Was? Wenn du nichts sagst, dann muss ich versuchen ihn auszuquetschen. Wir lüstern alle
nach Informationen.“
„Jessie ist wie eine Klatschzeitung, sie muss alles wissen“, erklärte Kim grinsend. „Sie wird
verrückt wenn es ein Geheimnis gibt, das sie nicht kennt. Ich will gar nicht wissen wie viele
schlaflose Nächte du ihr beschert hast.“
„Ich bereite Frauen gerne schlaflose Nächte“, schmunzelte Patrick.
„Sagen Sie nicht, Sie dürfen nichts sagen. Hat Kim Sie zum Schweigen verdonnert? Komm
schon, Kimmi, du musst ihn ja nicht komplett teilen, nur ein wenig. Ein paar wiiinzige
Informationen. Wie habt ihr euch kennen gelernt?“
„Ich habe sie gesehen und wusste, sie ist etwas Besonderes. Also habe ich all meinen Mut
zusammen genommen und ihr einen Brief geschrieben, dass sie etwas Besonderes für mich
ist.“ Das war die Wahrheit ohne die genauen Details, die alles nicht so romantisch machten,
wie die Kurzversion ihrer Geschichte. Doch diese Version sollte in Kims Sinne liegen.
„Das ist romantisch.“ Jessie seufzte wohlig. „So romantisch. Rob hatte leider nicht diese Idee.
Seine Fantasie hört beim Essen aus.“ Sie schlug einen Mann, der sich neben sie setzte, in die
Seite. „Wage es ja nicht noch einmal zu gehen.“
„Schatz, es ist umsonst.“
„Es ist peinlich.“
„Das gute Essen kann man nicht verkommen lassen und wir kaufen niemals solche Sachen,
die sind unbezahlbar.“
„Es ist peinlich“, wiederholte Jessie.
Robert verdrehte die Augen. „Hallo Kim, lange nicht mehr gesehen.“
„Hallo Robert, ja, es ist eine Weile her.“
„Ich kann verstehen wenn du meine Frau nicht nach Feierabend ertragen willst. Sie muss
schrecklich nervig bei der Arbeit sein.“
„Sag hallo zu Patrick und dann halt den Mund, iss und rede nur wenn du gefragt wirst,
Mann.“
„Hallo.“ Robert grinste spöttisch über die Befehle seiner Ehefrau. Normalerweise würde er
jetzt erst recht eine Unterhaltung beginnen, doch das Essen war ihm wichtiger.
„Hi.“ Patrick war sich nicht sicher, was er zu dem Mann sagen sollte.
„Wir müssen dringend etwas über Patrick erfahren, das ist die Chance. Kim bringt ihn sonst
nie mit, er ist ein wandelndes Geheimnis. Patrick, erzählen Sie etwas über sich.“
„Ws gibt nichts über mich zu sagen.“ Er blickte zu Kim.
„Na, auch unterm Pantoffel?“, kommentierte Robert das lachend.
„Ja, absolut.“
„Vielleicht sollten wir beide uns zusammen tun und uns von unseren Frauen entfernen.“
„Wage es nicht mir diesen Mann wegzunehmen“, warnte Jessie.
„Das sollte mein Text sein“, bemerkte Kim spöttisch.
„Du kannst ihn jeden Tag und viel wichtiger, jede Nacht, haben, ich muss meine Chance jetzt
nutzen.“
„Ich werde nichts mehr sagen, alle weiteren Fragen über mich wird Kim beantworten. Da
Frauen mehr Worte pro Tag nutzen, wird das in ihrem Sinne sein. Ich denke, ich werde zum
Büffet gehen und mir noch etwas von diesem wunderbaren Leckereien holen. Kim, möchtest
du noch etwas?“
„Vielleicht ein paar Krabben, danke.“
„Wenn du es wagen solltest aufzustehen, Robert Michael Röffler...“
„Dann werde ich einen vierten Teller mit guten Essen bekommen und du kannst Kim in aller
Ruhe ausfragen.“ Robert stand auf und nahm seinen leeren Teller, den wütenden Blick seiner
Ehefrau ignorierend.
Jessie fluchte die ganze Zeit, die sie Robert sah, jedoch in einer Lautstärke, die es ihm
unmöglich machte ihre Worte nach zwei Schritten zu hören.
„Ich fasse es nicht, er ist so peinlich. Wie konnte ich ihn nur heiraten?“
„Er hat dir einen Antrag gemacht. In Paris auf dem Eifelturm“, erinnerte Kim sie. Sie und
Jessie kannten sich seit dem Studium und im letzten Studiumsjahr hatte Robert sie nach Paris
genommen. Er hatte seine Promovierung erfolgreich beendet und dieser Trip diente als eine
Art Belohnung. Zumindest hatte er das Jessie erzählt. Dass er sie mit einem Heiratsantrag
überraschen würde, das hätte sie nie gedacht.
„Ja.“ Jessie drehte verträumt den Ehering. „Ja, das war ein Tag. Hach. Was war das
romantisch. Und jetzt? Jetzt interessiert er sich nur noch für das Büffet.“
„Lass ihn, wenn er dieses Zeug hier isst, dann erwartet er nicht von dir, dass du es ihm
Zuhause kochst.“
„Da hast du recht.“ So hatte Jessie das nicht gesehen. Der Gedanke, all diese Meeressachen zu
kochen, ließ sich frösteln. „Ist das der Grund wieso du Patrick schickst?“
„Er kocht für mich, nicht ich für ihn. Wenn, dann ordere ich Krabben von ihm.“
„Ein toller Kerl.“
„Ich weiß.“
„Das heißt, es ist etwas ernstes mit euch?“
„Wir werden sicherlich nicht so schnell getrennte Wege gehen.“ Vor allem dann nicht, wenn
Patrick in die Wohnung unter ihr einziehen sollte.
„Er macht dich glücklich?“
„Ja.“
„Ja, das dachte ich mir. Du verbringst viel Zeit mit ihm und ich habe dich nicht einmal
ärgerlich oder wütend gesehen. Wobei, das ist relativ frisch mit euch, wenn man frisch
verliebt ist, dann streitet man nicht, dann hat man andere Dinge im Kopf, die einen die ganze
Nacht wach halten.“
„Du und Robert, ihr streitet auch nicht, er würde niemals wagen mit dir zu streiten.“
„Nein, das würde er nicht. Er ist ein vernünftiger Mann, er weiß, ich würde gewinnen und ich
habe immer recht.“
„Wie jede Frau.“
„Und sonst? Ich will mehr Details über Patrick. Er hat dir einen Brief mit seinen Gefühlen
geschrieben, er ist also romantisch und steht zu seinen Gefühlen. Wie ist er sonst?“
„Alles, was ich dir sonst zu ihm sage ist, ich bin sehr froh ihn kennen gelernt zu haben.“
„Spätestens wenn wir vier zusammen ausgehen, dann wirst du mir mehr über dein
Prachtexemplar erzählen müssen.“
Kim lachte. Es lag immer noch an ihr ob sie einem gemeinsamen Abend zustimmen würde.
Sie mochte Jessie, sie verstanden sich sehr gut, aber die Sache mit Patrick war noch etwas,
das sie von ihrem Leben im Krankenhaus fernhalten wollte. Wobei, log sie sich nicht selber
etwas vor? Sie hatte Patrick hierher gebracht, sie hatte in Mitten ins Krankenhausleben
geworfen.
„Krabben für die Dame. Die haben eine ausgezeichnete Mouse au chocolate und ich glaube,
es gibt sogar Tiramisu. Wir sollten einen weiteren Gang für den Dessert einlegen“, meinte
Patrick.
„Später. Ich denke, mit diesem Berg Krabben bin ich erst einmal bedient.“
„Du musst essen damit du groß und stark wirst.“
„Wenn du dich anhörst wie meine Großmutter dann lasse ich dich nach Hause laufen.“
„Würdest du niemals machen, dafür liebst du mich zu sehr.“
„Ja, leider.“
„Hach.“ Jessie seufzte erneut und sah erwartungsvoll in Roberts Richtung, der seinen Fokus
ganz auf sein Rumpfsteak gelegt hatte.

„Also, Jessie ist die sympathische Klatschbase mit dem ewig hungrigen Ehemann Robert. Sie
ist Assistenzärztin, er ist Narkosearzt. Evelyn ist die Oberschwester, streng, aber fair. Ihr
Ehemann hat sich scheiden lassen, sie ist nun mit Rudi, dem Krankenpfleger von einer
anderen Station liiert. Doktor Schneider ist ein Arschkriecher, der die Nachfolge von
Professor Stauder antreten will, der als seinen Nachfolger aber seinen Sohn sieht, Marius
Stauder, der im Moment Chirurg ist, daran arbeitet seinen Professorentitel zu bekommen.
Habe ich das so weit richtig verstanden?“, fasste Patrick den Abend nach zwei Stunden
zusammen.
„Ja, sehr gut.“ Kim war beeindruckt. Sie hatte die meisten dieser Informationen leise am
Rande erwähnt. „Bis auf den Arschkriecher.“
„Das war das, was du meintest.“
„Was ich niemals sagen würde.“ Sie stellte ihr leeres Glas weg. Patrick, der hätte trinken
können, hatte sie bei ihrem alkoholfreien Abend begleitet. Sie hatten sich an einen kleinen
Stehtisch begeben und betrachteten die Leute.
„Wann wirst du deinen Professor machen?“
„Lass mich erst einmal meinen Doktortitel genießen. Alles zu seiner Zeit.“
„Du wirst dich doch nicht etwa drücken wollen?“
„Drücken? Das sagt mir jemand, der vielleicht seit Jahrzehnten Bestseller in seinen Schränken
stehen hat, die er nicht veröffentlichen will. Du solltest ganz ruhig sein, mein Lieber. Du sitzt
in einem sehr dünnen Glashaus und deine Steine sind sehr groß.“
„Ich bin kein aggressiver Typ, ich werde nichts werfen.“
„Smart ass.“
„Ja. Ich liebe es übrings wenn du mich auf englisch beschimpfst. Mit diesem süßen Akzent,
das ist so knuffig, das ist...“
„Kim.“ Ein Mann im gehobenen Alter kam auf sie zu. Das war...Doktor Elias, ein Freund von
Kims Vater, der den größten Anteil daran hatte, dass sie im Herzzentrum arbeitete. Sie hatten
zuvor kurz mit ihm und seiner Frau gesprochen. Beide erschienen Patrick sehr nett.
„Ja?“
„Ich weiß, dein Freund wir das nicht gefallen, aber darf ich dich für einen Tanz entführen?“ Er
sah Patrick entschuldigend an.
„Natürlich. Ist es okay wenn ich kurz tanzen gehe?“, fragte Kim Patrick.
„Nur ein Lied.“
„Klar.“
„Danke.“ Sie küsste ihn auf die Wange.
Er sah den beiden nach wie sie auf der Tanzfläche verschwanden. Es hatte eine Band
angefangen zu spielen. Eine Frau sang zum größten Teil alte Klassiker und es fanden sich
immer mal wieder Paare auf der Tanzfläche. Ganz besonders begehrt war Professor Stauder.
Ob Kim mit ihm tanzen würde? Sie hatte sich nicht begeistert über diese Idee geäußert und
würde wahrscheinlich versuchen das zu umgehen.
„Der junge Lover ganz alleine am Tisch.“ Kims Ex. Die hatte er den ganzen Abend nicht
gesehen und wenn er ehrlich war, dann hatte er sie nicht vermisst.
„Die eifersüchtige Ex; ohne Begleitung.“ Das war eine Vermutung, die ihm nur über die
Lippen gerutscht war, weil ihm die Bezeichnung als junger Lover langsam nervte.
„Sind wir empfindlich weil die Freundin mit einem anderen tanzt?“
„Ich denke, ich werde es überleben.“ Er schluckte eine weitere bissige Bemerkung herunter.
Wenn er sich nicht zusammenriss, dann würde er vielleicht Dinge sagen, die Kim schaden
würden.
„Ich könnte mich frei machen.“
„Nein danke.“
„Auf welches Angebot war diese Antwort bezogen?“ Sie grinste ihn anzüglich an.
„Auf alle.“
„Weißt du, vielleicht könnten du, Kim und ich später zusammen die Feier verlassen. Wäre das
nicht interessant, Lover-Boy? Eine Nacht mit zwei Frauen. Ich könnte dir zeigen, was Kim
gerne hat.“
„Interessant ist der Discovery Channel.“
„Hast du Angst vor mir?“
„Ich habe diverse Nächte im australischen Outback verbracht, umgeben von giftigen Spinnen,
tödlichen Schlagen, gefährlichen Krokodilen und hungrigen Dingos, es gibt in diesem Land
nichts, vor dem ich Angst haben muss.“ Ganz sicher nicht vor einer eifersüchtigen Ärztin, die
versuchte ihn abwechselnd anzugraben oder zu beleidigen. Diese Schiene zog bei ihm nicht.
Er war nicht so jung, wie sie dachte.
„Meinst du?“
„Vielleicht meine Oma wenn ich dieses Jahr Weihnachten nicht Zuhause bin. Sonst fühle ich
mich sicher.“
„Ich bemerke eine leichte Arroganz. Hast du die auch im Bett? Steht Kim darauf wenn du ihr
sagst, was sie tun soll?“
„Kims und meine Beziehung ist nicht Ihre Sache.“
„Ich könnte dir ein paar Tipps geben.“
„Nein danke.“
„Weißt du, ich kenne jeden Zentimeter ihres Körpers. Wie ist es mit dir?“
„Ich kenne jeden Zentimeter ihrer Seele.“
„Ich bin beeindruckt.“ Sie gähnte demonstrativ. „Das hört sich für mich eher so an, als wenn
du sie nicht im Bett hattest. Ich meine, es war mir klar, dass unsere Kim eines Tages zu Kerlen
zurück gehen würde, sie war einer Frau nicht gewachsen, dass sie sich einen Jungen anlacht,
das hat mich leicht überrascht.“
„Wie ich Ihnen bereits gesagt habe, Kims und meine Beziehung geht Sie nichts an. Wenn es
Sie aber beruhigt, ich hatte sie in meinem Bett den ersten Abend, den wir zusammen bei mir
verbracht haben.“ Wenn man außer Acht ließ, dass Kim auf seiner Couch eingeschlafen war,
er die ganze Nacht mindestens dreißig Zentimeter Platz zwischen ihnen gelassen hatte und all
das nicht beabsichtig gewesen war, dann war die Geschichte so weit wahr. Und es war das
zweite Mal gewesen, dass Kim bei ihm gewesen war.
„Respekt, das war schnell.“
„Entschuldige dass es so lange gedauert hat.“ Kim kam von der Tanzfläche zurück und
umarmte Patrick. „Wie ich sehe, wurdest du unterhalten.“
„Wenn man das so nennen möchte.“
„Dein Kleiner ist nicht sehr gesprächig, ich dachte mir, ich könnte mit ihm über dich reden,
wo wir beide dich so genau kennen. Leider will er weder Erfahrungen hören noch
austauschen. Wir hätten so viel Spaß zu dritt haben können.“
„Lass uns einfach in Ruhe, Ina.“ Das war das erste Mal, dass Patrick den Namen der Frau
hörte. Kim hatte ihn nie erwähnt und er hatte mangels Interesse nie danach gefragt. Es war
ihm egal wie diese Frau hieß, er mochte sie nicht, wollte nicht mit ihr reden und nichts mit ihr
zu tun haben.
„Oh, nun wirst du empfindlich wie dein Lover – Boy:“
„Ich sage es noch einmal: lass uns in Ruhe.“
„Oder was? Gehst du dann zu Papis Freund? Wohl kaum, dann würde Papi ja erfahren, sein
Töchterchen war mit einer Frau im Bett. Du kannst mir nichts, Süße.“
„Ich...“
„Lass uns tanzen gehen.“ Patrick zog Kim von Ina weg auf die Tanzfläche. Es war an der Zeit
diese Unterhaltung zu beenden, sie hatten beide zuviel Zeit mit Ina verbracht.
„Danke, ich war kurz davor ihr einige Dinge an den Kopf zu werfen, die nicht hierher
gehören.“
„Sie ist es nicht wert.“
„Wenn sie nicht damit aufhört, dann werde ich eine offizielle Beschwerde einlegen.“
„Deine Eltern wissen nicht, dass ihr einmal zusammen ward?“
„Nein, es weiß keiner im Krankenhaus. Das war Teil der Aufregung. Eine Beziehung zu
haben, von der keiner weiß, kann erotisch sein. In diesem Fall war es eher idiotisch.“
„Du hast es mir erzählt.“
„Ich habe dir einiges erzählt, das ich bei der Arbeit nicht erwähne.“
„Ich fühle mich geehrt.“
„Solltest du.“ Kim legte ihren Kopf auf Patricks Schulter. „Du tanzt gut.“
„Danke, ich hatte ein Jahr Tanzschule und eine Freundin, die Turniertänzerin war. Ihr Freund
war kein Tänzer, ich habe ab und zu ausgeholfen, dadurch habe ich etwas gelernt.“
„Nun wissen meine Kollegen, dass du tanzen kannst. Eine weitere Information für sie.“
„Das sollte nicht zu den wichtigen Informationen zählen.“
„Wichtige Informationen gehen sie nichts an. Was sie wissen müssen ist, dass wir ein Paar
sind, das reicht.“
„Und dass wir uns abgöttisch lieben, Schatz.“
„Richtig.“ Sie schlang ihre Arme um seinen Hals und küsste ihn.
Direkt auf die Lippen, Patrick verlor beinahe den Takt. Der Kuss im Krankenhaus hatte ihn
beinahe umgeworfen, dieser übertraf ihn.
„Entschuldige“, murmelte sie als sich ihre Lippen getrennt hatten und ihr Kopf wieder auf
seiner Schulter ruhte.
„Wir können kein glückliches Paar sein wenn wir uns nicht küssen.“
„Ja.“
„Das wird meinen Stundenlohn nach oben schellen lassen. Das geht über den normalen und
moralischen Begleitservice hinaus.“
„Vielleicht muss ich eines der Zimmer bezahlen um aus dieser Sache raus zu kommen.“ Hatte
sie eines der Zimmer oder ein Zimmer gesagt?
„Nein, so leicht kommst du nicht aus der Sache raus.“ Er küsste ihren Hals.
„Mach einen Vorschlag.“
„Ich werde es dir sagen, wenn mir der richtige Gedanke in den Kopf gekommen ist. So etwas
sollte man nicht überstürzen.“ Die Musik stoppte.
„Eine zweite Ladung Dessert, Gespräche suchen oder nach Hause fahren?“ Ideal wäre mit
einer Ladung Dessert nach Hause fahren.
„Können wir abhauen ohne dass es negativ auffällt?“
„Ich denke ja, wir waren fast drei Stunden hier, das sollte reichen.“
„Dann nichts wie hier weg.“
Kim musste lachen. Sie konnte Patricks Reaktion verstehen.
Sie holten ihre Mäntel von der Garderobe ab und gingen zu Kims Wagen.
„Zu dir oder zu mir, Baby?“, fragte Kim.
„Du zu dir, ich zu mir?“
„Du kannst bei mir schlafen. Das Zimmer ist frei, deine Zahnbürste ist da.“
„Mir fehlen Sachen für die Nacht.“
„Du bekommst eine Boxershort und ein T-Shirt. Ich habe da noch ein altes HIM T-Shirt, das
Ville Vallo unterschrieben hat, das wird dir passen.“
„Das ist ein Fanstück.“ So etwas zog man nicht an, so etwas ließ man einrahmen und hing es
an die Wand oder verkaufte es meistbietend.
„Die Fanzeit ist lange vorbei. Ich könnte es eines Tages bei Ebay reinsetzen.“
„Du warst ein HIM Fan?“
„Traust du mir das nicht zu?“
„Ich weiß nicht, du wirkst auf mich nicht wie der Fan einer Gotikband.“
„Überraschungen, mein Lieber. Ich stecke voller Überraschungen. Also, links zu dir oder
rechts zu mir?“
„Zu mir. Ich muss bevor ich zur Arbeit gehe noch meine Eltern anrufen. Wenn ich bei dir bin,
dann werde ich die Zeit vergessen und somit den Anruf.“
„Ich lasse das nur durchgehen, da ich stark hoffe, dass du in sehr naher Zukunft bei mir
wohnen wirst, also unter mir.“
„Kein Kommentar.“
„Hast du deine Wohnung gekündigt?“
„Ja. In zwei Wochen muss ich raus sein.“ Diese Entscheidung war ihm nicht leicht gefallen.
Sollte er sich gegen die Eigentumswohnung entscheiden, dann musste er innerhalb der
nächsten zwei Wochen einen passenden Ersatz finden. Er hoffte mit diesem Druck schneller
zu einer Entscheidung zu kommen.
„Perfekt, du kommst zu uns.“
„Kein Kommentar.“
„Sogar deine Eltern sind dafür.“
„Kein gutes Argument, Kinder tendieren dazu immer das Gegenteil von dem zu tun, was ihre
Eltern wollen.“ Wobei er aus dem Alter raus sein sollte, in dem er das Gegenteil machte, was
seine Eltern wollten, selbst wenn er wusste, sie hatten recht.
„Alison sagt auch, du sollst die Wohnung kaufen.“
„Besseres Argument.“
„Ich würde mich sehr freuen wenn du mit uns zusammen wohnen würdest.“
„Ebenfalls ein sehr gutes Argument.“ Vielleicht das Beste, das er bisher gehört hatte. Selbst
wenn es nicht gut war so zu denken.
„Wenn du nicht bei uns einziehst, dann werde ich dich zwingen eine Taschen mit Sachen bei
mir zu lagern damit du nicht nach Hause musst. Wer weiß wo die neue Wohnung ist, du
könntest am anderen Ende der Stadt wohnen.“ Das wollte er nicht hoffen. Wenn er wirklich
auszog und nicht die Wohnung kaufte, dann würde er das nehmen, was er schnell bekommen
konnte. Wenn das eine Wohnung am anderen Ende der Stadt war, dann bliebe ihm nichts
anderes über.
„Einmal Lieferservice direkt vor die Haustür.“
„Danke.“
„Ich habe dir zu danken. Du hast deinen freien Abend geopfert.“
„So etwas macht man wenn man in einer Beziehung ist, man verbringt Abende zusammen,
selbst wenn es Geburtstagsfeiern vom Chef sind.“
„In guten und in schlechten Zeiten.“
„Genau.“ Patrick öffnete die Tür.
„Trotzdem danke.“ Kim schnallte sich los.
„Ich denke, den Weg zur Haustür schaffe ich alleine“, grinste Patrick.
„Hey, ich habe dich abgeholt, gefahren, dann muss ich dich auch zur Haustür bringen. Wir
haben unsere Rollen gewechselt, ich muss das nun bis zum Ende durchziehen.“
„Okay, dann werde ich an der Tür warten bis du sicher zurück im Auto bist und dir
nachwinken.“ Er wartete bis Kim um das Auto gegangen war. Sie hätte ihm eigentlich die Tür
öffnen müssen wenn sie es ganz genau genommen hätten.
„Wir sind schon ein seltsames Paar“, seufzte sie als sie an der Haustür angekommen waren.
„Seltsam? Nein, ich würde eher sagen innovativ.“
„Komisch.“
„Erfrischend anders.“
„Ich gebe auf. Guten Nacht.“ Sie umarmte ihn.
Patrick zog sie in seine Arme und küsste sie sanft. Wenn man eine Verabredung hatte, dann
beendete man diese mit einem Kuss. Das konnte man in jedem Film sehen, das gehörte zu
einer Verabredung mit dazu.
„Schlaf gut.“ Er lächelte. Endlich ein Kuss, auf den er vorbereitet gewesen war, der ihn nicht
überrascht hatte.
„Pat...“
„Nein, schlaf gut.“ Er küsste sie auf die Nasenspitze.
„Du kannst mich nicht küssen und dann nach Hause schicken. Das war kein Kuss für ein
Publikum, es ist keiner hier.“
„Die einzigen Leute, die hier sind, sind entweder im Bett oder vor dem Fernseher. Der Kuss
war für mich.“
„Soll er das bedeuten, wonach er sich anfühlte?“
„Sagen wir, du schuldest mir nichts für den Abend, ich habe ihn sehr genossen. Vor allem den
Teil auf der Tanzfläche.“
„Ich denke, wir sollten darüber noch einmal reden. Nicht jetzt, morgen. Hast du Zeit zwischen
dem Telefonat und der Arbeit?“
„Für dich habe ich immer Zeit.“
„Elf Uhr?“
„Perfekt.“
„Ich komme her...ja, ich komme her.“
„Okay. Schlaf gut.“
„Du auch.“
Er sah ihr lächelnd nach. Kim warf einen letzten Blick auf ihn bevor sie ins Auto stieg und los
fuhr.
Seufzend schloss Patrick die Haustür auf. Hatte er das richtige getan? Hatte er gerade eine
Freundschaft zerstört? Himmel, er hatte einfach das getan, wonach ihm gewesen war. Er hatte
Kim küssen wollen. Dieser Kuss auf der Tanzfläche, der hatte ein Wechselbad der Gefühle in
ihm ausgelöst und dieser Kuss eben war das Ergebnis davon gewesen. Er hatte sich von
Anfang an von Kim angezogen gefühlt, heute Abend war das sehr deutlich geworden.
Was hatte er getan? Hatte er den größten Fehler seines Lebens begangen oder die Tür zu einer
wunderbaren Zukunft geöffnet? Kims Reaktionen und Gesichtsausdruck schienen nicht sehr
zum letzteren hinzudeuten.
Kapitel 14

Die ganze Nacht hatte Patrick nicht richtig schlafen können. Er hatte sich von einer Seite auf
die andere gewälzt, hatte die Decke in der Dunkelheit angestarrt und jedes Geräusch als eine
Art Entschuldigung genutzt wieso er nicht schlafen konnte. Das Auto war zu laut, da war ein
seltsamen Knacken im Gehäuse, eine Toilettenspülung, Stimmen auf der Straße.
Die Wahrheit war er konnte nicht schlafen wegen Kim. Oder wegen sich selbst. Oder wegen
ihnen beiden. Diese beiden Küsse. Zuerst der auf der Tanzfläche, mehr oder weniger gestellt
für die Leute um sie herum. Doch es war ein Kuss. Ein richtiger Kuss.
Fünfzehn Jahre lang war er mehr oder weniger von Kim fasziniert gewesen. Ja, er hatte sehr
für sie geschwärmt als er sie das erste Mal in dieser Soap gesehen hatte, ansonsten hätte er sie
nie so groß in seine Geschichte eingebaut. Die wenigsten Charaktere waren Leute, die ihn
einfach nur beeinflusst hatten. Es waren entweder komplett erfundene Personen oder Abbilder
von Leute, die Patricks Gefühlsleben stark berührt hatten. Das hatte Kim damals geschafft.
Sie war der Grund gewesen wieso er diese Soap gesehen hatte. Er war kein Fan von Soaps,
nie gewesen, dieses eine Mal hatte er versucht eine zu sehen, da sie gerade gestartet war, und
wegen ihr hatte er jeden Abend eingeschaltet.
Dann hatte er Ende des vorletzten Jahres begonnen diese Geschichte zu überarbeiten und
wieder war er bei Kims Charakter hängen geblieben. Wieder hatte sie ihn gefesselt, hatte ihn
zurück in die Jugend geholt. Jedes Mal wenn er über Sonja schrieb, sah er Kim vor seinen
Augen. Er hatte begonnen zu recherchieren, hatte ein aktuelles Foto von ihr ausgegraben,
hatte herausgefunden, in welchen TV Produktionen sie sonst mitgespielt hatte und versucht
diese im Internet zu bekommen oder zumindest Ausschnitte von ihnen. Sie war Inspiration für
diverse Lieder gewesen.
Er hatte etwas getan, was er niemals zuvor getan hatte, von dem er nie gedacht hätte, er würde
jemals so etwas tun. Er hatte ihr geschrieben, hatte ihr gesagt, was sie mit seinem Leben
gemacht hatte, welchen großen Einfluss sie darauf genommen hatte. Er hatte niemals zuvor
jemand gesagt, dass er oder sie Teil seiner Geschichten war. Normalerweise hatte er diesen
Personen nicht einmal gesagt dass er schrieb. Sie hatte alles durcheinander geworfen. Vor
allem bei dieser Geschichte, seinen ersten, ernsthaften Versuch etwas auf die Beine zu stellen,
war er sehr, sehr sensibel gewesen. Sein Baby, wie er die Geschichte nannte. Sie war ein
wichtiger Teil dieses Babys.
Und nun der zweite Kuss gestern Abend. Vor seiner Haustür. War dies das Ende ihrer
Freundschaft, die sie in den letzten Monaten aufgebaut hatten? Hatte er ihr Vertrauen damit
missbraucht und würde sie sich komplett von ihm zurück ziehen? Würde sie ihm jemals
wieder vertrauen? Gab es eine realistische Chance, dass sie jemals wieder so befreundet sein
konnte wie noch vorgestern?
Ihre Reaktion auf den Kuss war nicht überwältigend gewesen. Eine glücklich Person reagierte
nicht, wie sie reagiert hatte. Sie wollte darüber reden, das bedeutete normalerweise nichts
gutes. Wenn sie über den Kuss glücklich gewesen wäre, hätte sie ihn zurück geküsst und
keine Fragen oder Erklärungen gehabt. Okay, sie hatte ihn nicht geschlagen, doch Kim
erschien ihm nicht wie die Art Person, die mit der Hand ausholte, wenn sie keine passenden
Worte fand.
Nein, er musste sich dringend etwas einfallen lassen wie er das wieder geradebiegen konnte.
Die Frage nur, wollte er das? War er nicht ein wenig froh gewesen, dass sie nun allem
Anschein nach verstand, was er für sie empfand. Dass ihm endlich klar war, was er für sie
empfand. All die Wochen war diese kleine Stimme im Hinterkopf gewesen, ob er sich selber
belog, wenn er sagte, sie waren Freunde. Hatte er nicht von vorneherein gewusst, er empfand
mehr? Oder dass die Wahrscheinlichkeit, dass er mehr empfand sehr hoch war.
Die Wahrheit würde ihn nun unweigerlich einholen. Er hatte keine andere Wahl als Kim heute
Rede und Antwort zu stehen. Er konnte schließlich nicht einfach die Tür öffnen wenn sie hier
war. Sie würde mit ihm reden wollen, sie würde ihn notfalls bei der Arbeit aufsuchen. Und
weglaufen oder dem Gespräch aus dem Wege gehen, war feige. Ganz davon zu schweigen,
dass es nicht klappen würde.
Er schuldete ihr eine Aussprache, er schuldete ihr die Wahrheit und er hoffte, sie war nicht zu
wütend über sein Verhalten.
Irgendwann zwischen fünf und sechs Uhr war er eingeschlafen. Kein erholsamer Schlaf, er
konnte spüren, wie er sich hin und her warf, als wenn er den Bildern, die vor seinen Augen
auftauchten, ausweichen wollte. Kim, die ihm eine schallende Ohrfeige verpasste und ihm
sagte, sie wolle ihn nie mehr wiedersehen. Kim, die ihm mit Tränen in den Augen sagte, er
habe sie enttäuscht. Was viel schlimmer als wenn sie ihn schlagen würde.
Der Wecker riss ihn gegen halb elf aus diesen Träumen. Wohlweislich hatte er ihn am
gestrigen Abend gestellt. Vier Stunden schlechter Schlaf und er fühlte sich mieser als nach
einem zwanzig Stunden Flug.
Eine ausgiebige Dusche und eine Tasse Kaffee waren alles, was er schaffte bevor Kim
klingelte. Sie war zehn Minuten zu früh, was Patrick vermuten ließ, sie hatte ähnlich schlecht
geschlafen wie er. Umgehend fühlte er sich zu all seinen Gefühlen auch noch schuldig.
Er drückte den Haustüröffner, öffnete seine Wohnungstür und fuhr sich durch die nassen
Haare. Was nun? Das Ende? Konnten sie das Ende noch einmal abwenden? Würde Kim das
wollen? Würde sie überhaupt noch etwas wollen, das mit ihm zu tun hatte? Oder war sie
hergekommen um ihn zu sagen, er solle für immer aus seinem Leben verschwinden?
Kim sah nicht gut aus. Übernächtigt. Sie hatte nicht viel geschlafen oder nicht gut oder
beides.
„Hey.“ Sollte er versuchen fröhlich zu wirken? Konnte er damit der Situation einem positiven
Start geben? „Kaffee? Ist frisch gekocht.“
„Ja, danke.“ Sie setzte sich auf die Couch und beobachtete ihn wie er ihr eine Tasse Kaffee
eingoss. Er konnte ihre Augen auf seinem Rücken spüren. Ein Stück Zucker, etwas Milch, so
mochte sie ihren Kaffee am Morgen. Verrückt was er alles über sie erfahren hatte.
Er gab ihr die Tasse und nahm seine wieder in die Hand.
„Danke.“
„Bitte.“
Da war sie. Die Stille. Das war das, worüber Patrick sich die meisten Sorgen gemacht hatte.
Stille war schlimmer als Schreie. Er erinnerte sich an ein Lied, in dem es hieß: „If you never
heard that silence it’s a goddamn awful sound“. So wahr. Nichts war schlimmer das Stille,
bedrückendes Schweigen, wenn man eigentlich Worte hören sollte.
„Kim, es tut mir Leid.“
„Wirklich?“ Was meinte sie mit wirklich? Dachte sie, er würde lügen um besser dazustehen?
Er würde das sagen, weil er dachte, sie wolle das hören?
„Bereust du mich geküsst zu haben?“
„Nein.“ Er würde nicht lügen. Selbst wenn es vielleicht besser wäre zu lügen, er würde ihr
wahrheitsgemäß antworten. „Nein, ich bereue nicht dich geküsst zu haben. Es tut mir nur Leid
wenn ich dich dadurch verletzt habe. Das war das Letzte, was ich wollte. Ich wollte und will
dir nicht weh tun, ich will dich nicht enttäuschen, etwas tun, was du nicht willst. Aber den
Kuss als Kuss an sich bereue ich nicht.“
„Bist du in mich verliebt?“
Wieso stellte sie ihm Frage, die er nicht beantworten konnte. Er wusste es nicht. Es wäre viel
einfacher wenn er sich sicher wäre, was er dachte, fühlte, wollte. War es Liebe? War es eine
Vorstufe? Waren es die Überreste seiner alten Schwärmerei? Patrick wusste es nicht, er
wünschte, er wusste es. Das würde ihm selber sehr helfen.
„Ich weiß es nicht. Ich weiß, ich mag dich. Sehr. Nur was genau meine Gefühle sind, das weiß
ich selber nicht.“
Kim nickte stumm. Sie schien es zu schätzen zu wissen, dass er ehrlich war. Die Situation
wäre einfach zu beheben wenn er diese Frage verneint hätte. Wenn er eine Ausrede für sein
Verhalten gestern erfunden hätte, die sie beide glauben konnten. Wie immer sich eine solche
Ausrede anhören sollte.
„Es wäre einfach dir die Schuld an allem zu geben. Ich könnte es mir so einfach machen. Aber
es wäre eine Lüge. Ich meine, ich habe dich in diese Situation gebracht, ich habe jedem
erzählt, du seiest mein Freund. Ich habe dich auf der Tanzfläche geküsst. Dir die Schuld zu
geben wäre ungerecht.“
Das war ein Anfang. Sie beschuldigte ihn nicht für das, was geschehen war. Sie gab sich
genauso die Schuld. Das hieß, sie hob sich nicht über ihn, stellte ihn nicht als Sündenbock dar.
„Es würde wahrscheinlich nicht helfen wenn ich dir versprechen würde, es wird nie wieder
vorkommen, oder?“
Sie lächelte schwach. „Du kannst so etwas nicht versprechen. Ich gehe davon aus, der Kuss
gestern war nicht geplant, es könnte erneut passieren. So lange Sympathien für den anderen
vorhanden sind, kann man einen Kuss nie ausschließen.“
„Das stimmt.“
„Pat, ich mag dich. Daran bestehen keine Zweifel. Ich weiß nur nicht, ob ich dich so sehr
mag, wie du mich zu mögen scheinst. Wenn dieser Kuss gestern so gemeint war, wie er sich
angefühlt hat.“
„Ich denke, in dem Augenblick war er so gemeint“, gab er zu. „Und ich befürchte, er hat alles
kaputt gemacht.“
„Nein. Nein wenn wir unsere Freundschaft deswegen beenden wäre das nicht gut. Ich meine,
man kann nie wissen, vielleicht entwickele ich diese Gefühle für dich, doch das ist eine
Sache, die ich weder versprechen kann noch einen Zeitraum dafür festlegen kann.“
„Gefühle kann man niemals steuern oder zeitlich festlegen.“
„Eben. Doch das bedeutet nicht, dass wir keine Freunde mehr sein können. Wenn du damit
leben kannst mich nur als Freundin zu sehen.“
„Ich denke, damit kann ich sehr gut leben. Vor allem nachdem ich die ganze Nacht befürchtet
habe, du würdest nichts mehr mit mir zu tun haben wollen.“
„Du solltest mich besser kennen, Pat.“
„Es war keine normale Situation. Ich habe einen Fehler gemacht.“
„Wir alle machen Fehler, das ist menschlich. Und ich habe selber genug Fehler gemacht. Ich
hätte dich niemals in dieses Spiel hineinziehen dürfen, es tut mir Leid. Ich werde das beenden,
keine weiteren Spiele für wen auch immer.“
Patrick wagte zu bezweifeln, dass es daran gelegen hatte. Doch es war vielleicht besser ihr
Schauspiel zu beenden. Wenn sie nicht vorgaben etwas zu sein, was sie nicht waren, dann
konnte sich keiner von ihnen in einer Geschichte verzetteln, die nicht wahr war.
„Kannst du mir einen Gefallen tun?“, fragt Kim ernst.
„Sicher.“ Er würde ihr jeden Gefallen tun, der in seiner Hand lag.
„Lasse das, was gestern Abend passiert ist, nicht auf deine Entscheidung über die Wohnung
Einfluss nehmen. Das ist kein Grund nicht Gerhards und Hedwigs Wohnung zu kaufen. Wir
wollen dich noch immer im Haus haben. Ich möchte dich im Haus haben“, setzte sie nach
einer kurzen Pause hinzu.
„Du denkst, das ist eine gute Idee?“
„Ich denke, alles andere wäre eine schlechte Idee. Pat, ich mag dich, ich denke, du passt
wunderbar in dieses Haus und wir können eine sehr schöne Zeit dort haben.“
Er dachte an den großen Garten. Er hatte immer einen Platz haben wollen, der einen großen
Garten beinhaltete. All diese Dinge, die man in Garten machen konnte. Man konnte feiern, er
konnte sich ein Tier anschaffen, faule freie Tage auf einer Liege in der Sonne.
„Grillabenden mit einem schönen Hefeweizen?“
„Ohne Hefeweizen?“
„Komm schon, es ist kein richtiger Grillabend ohne Hefeweizen. Wir sind in München, man
kann nicht Steaks und Würstchen auf den Grill legen und dann kein kalten Bier dazu
servieren. Weißwürste, süßer Senf und Weizen.“
„Ich kann dir ein paar alkoholfreie Cocktails anbieten. Sie sind erfrischend, einfach zu mixen
und gesünder als dein Hefeweizen.“
„Alkoholfreie Getränke zum Grillen. Zum Grillfleisch gehört ein Hefeweizen, das ist wie dein
Wein an Weihnachten, eine feierliche Ausnahme. Grillen ist ein Feiertag. Beweglicher
Feiertag, der öfters vorkommt wenn es gutes Jahr ist. Wir könnten dir Bananensaft in dein
Weizen mischen.“
„Jetzt wirst du widerlich. Entweder Saft oder Bier. Diese neumodischen Mixgetränke sind
nichts halbes und nichts ganzes.“
„Da gebe ich dir Recht. Radler, ja. Alles andere als Sprite kommt mir nicht in mein Bier.
Vielleicht ein kleiner Tequila, Desperados ist lecker.“
„Wasser.“
„Du wärst der erste Mensch, den ich kenne, der mit Mineralwasser grillt. Sogar Steve, der
Wasserfanatiker, greift für einen Grillabend lieber auf Bier zurück. Oder Rum. Doch davon
sollte man ihn abhalten, er trinkt sonst die ganze Flasche und landet sturzbetrunken im Bett, in
einem komatösen Schlaf, aus dem man ihn nicht erwecken kann.“ Das hatte Steve in
Australien geschafft. Sein Geburtstag, was gleichzeitig sein letzter Arbeitstag gewesen war. Er
hatte sich eine Flasche Rum gekauft und als Patrick einige Stunden später aus der Bücherei
gekommen war, hatte er Steve im Bett vorgefunden. Von dem, was er von der Tür aus gesehen
hatte, hatte er wie tot gewirkt.
„Nach einer Flasche Rum wundert mich das nicht.“ Kim wollte sich nicht vorstellen wie sie
sich fühlen würde wenn sie eine Flasche Rum trinken würde. Es musste fast so sein wie sie
sich im Augenblick fühlte.
„Hast du mit deinen Eltern gesprochen?“
„Nein, ich habe die ganze Nacht nicht wirklich geschlafen und als ich gegen fünf Uhr in einen
unruhigen Schlaf gefallen bin, habe ich bis zum Wecker um halb elf geschlafen.“
„In dem Fall sollte ich dich alleine lassen damit du sie anrufen kannst bevor du zur Arbeit
musst.“ Sie stand auf. „Danke für den Kaffee.“
„Danke dass du noch mit mir redest.“
„Du küsst nicht so miserabel. Ich befürchte du musst dir etwas anderes einfallen lassen wenn
du mich abschrecken willst.“
„Dich abschrecken gehört zu den Sachen, die ich nicht einmal im Traum machen will.“
„Gut.“ Sie umarmte ihn. „Keine Spielchen mehr, wir sind Freunde.“
„Hört sich gut an.“ Es war mehr als er am Morgen erwartet hatte. Die nächsten Tage würden
schwierig werden, sie würden beide viel über die letzten vierundzwanzig Stunden nachdenken
und unterschiedliche Schlüsse daraus ziehen. Kims erster Entschluss war ihre erfundene
Beziehung zu beenden. Patrick würde darüber nachdenken was er aus diesem Abend lernen
würde.

„What gets you to call me unexpected?“ Alison Stimme klang überrascht. Freudig, aber
überrascht. Sie hatten sich nicht für dieses Telefonat verabredet, Patrick hatte ihr eine SMS
geschickt, in der er sie gefragt hatte, ob sie Zeit hätte. Er müsse dringend mit ihr reden.
„I’ve done some stupid shit.” Er brauchte jemand, mit dem er reden konnte und er war sich
nicht sicher, ob Steve die richtige Person dafür war. Zumindest nicht genau jetzt. Er war zu
nah am Ort des Geschehen. Es ging um eine Frau, er brauchte den Rat einer Frau und Alison
war ideal.
„Not the first time.”
„I’m serious, Alison.”
„What is it?” Sie konnte an seiner Stimme hören, dass er es ernst meinte und ihm nicht nach
Scherzen zu mute war. Etwas musste ihn wirklich sehr getroffen haben.
„I kissed Kim.” Die Sache aussprechen ging recht einfach, er hatte damit gerechnet, er würde
um den heißen Brei für eine Weile herum reden. Stattdessen war es einfach aus ihm
rausgerutscht. Ungefähr so einfach und schnell, wie der Kuss gewesen war. Ohne
nachzudenken, einfach gehandelt. Wie oft hatten seine Eltern in seiner Kindheit gepredigt, er
solle zuerst denken und dann handeln und sprechen.
„Ough, what did she say?“
„She was not amused.”
„That’s shit.”
„I tell you.”
„When did that happen?”
„Yesterday evening.” Es kam wie eine Ewigkeit vor. Seine Gedanken waren heute Nachmittag
die ganze Zeit bei dem gestrigen Abend gewesen. Alles war gut gewesen, sie hatten sich
amüsiert, er hatte sich mit einigen ihrer Kollegen gut unterhalten, sie hätten den Abend als
Erfolg abschreiben können. Bis er es zerstört hatte. Es war als wenn sie ein Kartenhaus gebaut
hätten und er hatte es unüberlegt umgestoßen bevor sie die letzte Karte legen konnte.
„I blew it. Completely.”
„Why did you kiss her? I mean, not why, as why, I mean, what the reason was why you kissed
her yesterday?” Wieso er sie geküsst hatte konnte sie sich denken. Sie hatte die beiden
zusammen gesehen, sie war weder blind noch dumm, es war sichtbar, dass Patrick etwas für
sie empfunden hatte, nur wie viel und was genau, das war ihr nicht klar gewesen. Doch ihm
selber auch nicht.
„I don’t know. We were at a birthday party, her boss turned sixty last week. Of cause I was
there as her boyfriend. We talked to a few collegues of her, some of them are really nice.
There was one guy you’d like. He went to the buffet six times, his wife went crazy.”
„I don’t like the wife part”, lachte Alison. „The rest sounds good.”
„Anyway, beside her ex, who was trying to get some informations out of me, the evening was
great. But we dealted with her, went to the dance floor, played our part, kissed each other for
the others and went home.” Vielleicht hatte da der Fehler gelegen. Vielleicht hätten sie nicht
direkt nach diesem Kuss nach Hause gesollt. Wenn sie eine halbe Stunde oder Stunde
geblieben wären, hätte er diesen Kuss nach hinten schieben können und wäre eventuell in der
Lage gewesen, überlegt und nicht spontan zu handeln.
„We were joking about that we switched roles. She came to pick me up, drove me home, so
she had to bring me to the front door while I was suppposed to wave her good-bye.”
„Sounds like a highschool romance. You’re the girl, she’s the guy.”
„Yeah, I know. Unfortunately I forgot that the guy is supposed to kiss the girl and when we
were both at my front door, I took over my old part and kissed her. She knew immedeately
that that kiss wasn’t a game.”
„You kissed yourself in trouble.”
„Yes.”
„What did she say?”
„I told her not to say anything, she wanted us to meet this morning to talk about that. What
could I do? I couldn’t just leave the house and let her stand in front of the closed door. She
knows where I work and beside that it’s not fair and not my style.”
„So you guys talked.”
„Yes.”
„Well, she came to you to talk about it. She can’t be too furious. Did she scream at you?”
„Not once.”
„Blaming you?”
„She blamed us both. Said, it was her fault too. She started this game, pretending for her
collegues we’re a couple.”
„She’s quite fair.”
„I know.” Patrick war sich nicht sicher, ob er die Sache handeln konnte, wenn Kim ihn
einfach angeschrieen hätte. Wenn sie ihn mit Vorwürfen bombardiert hätte. Stattdessen hatte
sie eine Teilschuld übernommen.
„I mean, it’s defenitely your fault, honey. Playing and pretending is no excuse for you, you
knew better. And if you knew that you feel more for her than you should for a friend and you
realize, you can’t handle your feeling anymore, it was damn time to tell her the truth instead
of kissing her.”
„I know.”
„You really blew it.”
„You can stop telling me things that will make me feel worse. Thanks.” Er hatte sich selber
genug Vorwürfe gemacht und selbst oft genug gesagt, wie dumm sein Verhalten gewesen war.
Wenn er könnte, dann würde er den ganzen Abend rückgängig machen.
„Okay, sorry. How did you end your conversation?“
„We’ll be friends. At least that’s we’ll try.”
„Being friend with somebody you have a crush on.”
„The last time it worked out perfect.” Er musste lächeln und konnte sie leise lachen hören. Sie
hatten eine wunderbare Freundschaft entwickelt, die niemals von Patricks alten Gefühlen
beeinflusst gewesen war. Es gab keinen Grund wieso das mit Kim nicht auch klappen sollte.
Allerdings hatte er Alison nie geküsst. Er hatte seine Gefühle für sich behalten und ihr erst
viel später davon erzählt.
„I loved you too much to kick you away for having a crush on me. I suggested something like
that when we met but after you never really tried to hit on me, I was fine with that.”
„I love you too and I really miss you.” Was würde er dafür geben wenn sie hier wäre, wenn er
einfach neben ihr sitzen könnte und ihr Anwesenheit genießen könnte.
„If I get some time of, I mean longer than five days, I’ll fly over to Munich. Will you have
this nice big flat of your own?”
„Uhm.”
„Don’t tell me she asked you not to buy it after you’ve kissed her.” Alisons Stimme war
empört. Patrick wusste genau wie ihr Gesichtsausdruck aussehen musste.
„No, she told me to buy it. She said, she wants me to live there. She wants to have me around
her. No worries about that.”
„Will you do it? You said you’ve got two weeks left until you have to move out the sorry
excuse for a flat. Or did you find a hostel? Working for your accomodation.”
„Hell no!” Die Zeit, in der er wochenlang in einem Hostel wohnen würde, war entgültig
vorbei. Er hatte die letzten Nächte, die er in Mehrbettzimmern verbracht hatte, als sehr
störend empfunden. Sie hatten ihm zu Beginn seiner Reise nichts ausgemacht, am Ende waren
sie schrecklich gewesen.
„Good. Will you go for it?“
„I’m tempted.”
„Give in to it. Is Steve moving in with you?”
„He wants if I buy it.”
„See, your first flat mate. You’ll give all your payment to the bank and live on the money he’ll
pay you. As soon as you get two or three more people, you should be fine. I guess, it will be
easy to find flat mates. Isn’t the new term in university starting soon?”
„Next month, yes.”
„See, perfect. Get a cute student, give me a reason to stay in Germany when I’m there to visit
you. After I’ll never marry you, you have to find somebody else I can give my heart to. And
no, it won’t be Steve. I’d prefer somebody slightly older.”
„I can try.” Normalerweise hätte er ihr gesagt, sie solle nicht so kleinlich sein und ihn
heiraten, immerhin würde er sie heiraten und sie könne sich selber sagen, es sei nur für das
Visum. So lange sie ein glückliches Ehepaar spielten, konnten sie weiter Freunde sein.
Moment, spielen. Nein, Patrick sollte damit aufhören sich in Situationen zu bringen, in denen
er spielt, er sei in er Beziehung. Das brachte ihm nur Ärger, der letzte Abend sollte ihm Lehre
genug sein.
„Always remember, you can do and have everything you want, honey. Everything.” Das hatte
sie ihm bereits vor zwei Jahren immer gesagt. Wenn er wollte, dann konnte er alles machen
was er wollte. Die einzige Person, die ihn wirklich stoppen konnte, war er selber. Würde er
sich selber nicht im Wege stehen, dann würde es niemand tun.

Der DFB Pokal war eine wunderbare Erfindung. Zumindest für Patrick. Er hatte das Spiel des
FC Bayern München gegen den FCR Duisburg genutzt um sich nach langer Zeit wieder
Frauenfußball anzusehen. Beide Team waren im oberen Tabellenviertel zu finden. Als Freund
des guten Fußballs hatte er sich bereits in der Vergangenheit das eine oder andere Spiel der
Frauen nicht entgehen lassen. Die Nationalmannschaftsspiele waren immer auf seinem
Terminkalender gewesen wenn sie in der Nähe gewesen waren.
Heute würde er mindestens neunzig Minuten Fußball geboten bekommen, der seinen
Erwartungen entsprechen sollte und das würde ihn nur ein Bruchteil von dem kosten, was er
bei einem Spiel der Bayern Herren ausgeben müsste. Und der FC Bayern München hatten
sich, was die Herren anging, nicht mit Ruhm in den letzten Wochen bekleckert. Weder was die
Ergebnisse angingen noch die Art, wie sie spielten.
Steve hatte sich recht schnell überzeugen lassen ihn zu begleiten.
„Es gibt keinen Trikottausch?“
„Nein.“ Wie oft hatte er diese Frage von seinen männlichen Freunden und Bekannten zu
hören bekommen? Unzählige Male und jedes Mal wurde er mehr genervt. Es ging um
Fußball.
„Eigentlich schade, damit würden sie mehr Zuschauer anziehen. Hehe, Leute anziehen indem
man sich auszieht. Das klappt seit Jahrhunderten.“
„Es geht um Fußball nicht um Pornografie.“
„Was denkst du wieso die Frauen zu den Männerspielen gehen? Sie schauen sich die Kerle an,
nicht das Spiel.“
„Das solltest du nicht verallgemeinern. Das würde bedeuten, wir sind hier um uns Frauen
anzusehen und nicht Fußball.“
„Ich kann beides.“
„Mich interessiert das Fußballspiel. Bei Duisburg spielt eine Spielerin aus Paderborn. Der
beste Grund für mich sie zu unterstützen. Ein Stück erfolgreiche Heimat, nachdem sich der
SC nicht immer mit Ruhm bekleckert. Dieses Jahr in der zweiten Bundesliga, als sie so gut
waren, im oberen Tabellenviertel und dann der Absturz. Sie hätten Legenden werden können.
Für dich haben die Duisburgerinnen auch eine Düsseldorferin im Team.“
„Du musst mich nicht von Duisburg überzeugen, ich würde niemals den FC Bayern
unterstützen. Nicht einmal wenn es die Frauen sind. Es ist der gleiche Verein.“
„Mit solchen Äußerungen solltest du vorsichtig sein so lange du in München bist. Es könnten
einige Münchener hier sein, die keinen Spaß verstehen. Außerdem leben wir beide jetzt in
München.“
„Temporär. Zumindest was mich angeht.“ Sie gingen zu einer leeren Sitzreihe. Einige Reihen
vor ihnen waren rund ein Dutzend Duisburg Fans mit ihren Fahnen, Tröten und Rasseln.
Das hatte Patrick vermisst. Die Atmosphäre bei einen Fußballspiel. Dieses eine Spiel, das er
in Australien gesehen hatte, hatte nicht das gleiche bei ihm ausgelöst, da er weder die Spieler
noch jemand im Stadion kannte. Es waren nicht viele Leute hier, vielleicht vierhundert, aber
die Stimmung schien gut zu sein. Und das vor dem Anpfiff.
„Wie geht es Kim?“
„Gut.“
„Gut?“ Steve hob die Augenbrauen.
„Ja.“
„Was ist passiert?“
„Wieso?“ Patrick hatte ihm nichts erzählt, es hatte sich nicht der richtige Zeitpunkt ergeben.
Und er versuchte diesen Abend zu vergessen, was bisher völlig erfolglos gewesen war. Der
Kuss spielte sich stündlich vor seinen Augen, Kims Reaktion mehrmals pro Stunde. Es war
als wenn er in einer endlosen Wiederholung gefangen war. Seine ganz persönliche Version
von „Und täglich grüßt das Murmeltier“. Schrecklich.
„Gut. Eine so einsilbige Antwort habe ich nie bekommen wenn es um Kim ging.
Normalerweise kannst du eine Kurzgeschichte über jede Frage sie betreffend abliefern und
dann muss man dich stoppen damit du nicht in einem Roman abdriftest.“
„Es geht ihr gut.“
„Siehst du, normalerweise würdest du sagen, es geht ihr gut, sie hat dieses Wochenende eine
Doppelschicht und Nachtschicht, sie arbeitet zuviel. Sie hat wieder ein Kapitel von deiner
Geschichte gelesen und du musst ihr dringend ein neues schicken. Was ist passiert?“
Patrick seufzte. Es war an der Zeit seinem Freund die Wahrheit zu sagen.
Steve hörte sich geduldig alles an ohne Patrick zu unterbrechen. Fragen waren nicht
notwendig, Patrick ließ kein Details aus. Was sollte er die Situation auch schön reden oder
ausschmücken? Sie war passiert, er konnte es nicht mehr ändern.
„Mann, du hast es wirklich verbockt. Sie hat seitdem nicht mehr mit dir gesprochen?“
„Wir reden hier von vier Tagen.“
„Also nein.“
„Nein.“ Patrick senkte die Augen. Kim hatte weder mit ihm telefoniert noch eine SMS
geschickt. Sie hatte ihm eine Antwort auf sein letztes Kapitel geschickt, aber das war es. Es
ging in dieser Antwort ausschließlich um das Kapitel, keine anderen Sachen wurden
angesprochen.
„Hast du sie angerufen?“
„Ich denke, es ist besser wenn ich sie in Ruhe lasse.“
„Hat sie dich darum gebeten?“
„Nein.“ Nein, sie hatte gesagt, sie sollen Freunde bleiben, sie wolle ihn weiterhin in ihrem
Leben haben.
„Dann tu es nicht. Du hast Scheiße gebaut, keine Frage, das bedeutet aber nicht, dass du
aufgeben sollst. Wenn du vom Pferd fällst, dann fluchst du und steigst wieder auf. Du heulst
nicht und läufst nach Hause.“
„Ich kann nicht mehr laufen, ich krieche.“
„Also bitte! Ich meine, sie ist eine tolle Frau, aber sie ist eine Frau, keine Göttin. Sie ist auf
der gleichen Ebene wie du. Und sie will weiterhin dass du die Wohnung kaufst, sie kann nicht
sehr wütend sein; wenn sie es überhaupt ist. So wie ich das sehe, ist sie nicht dein Problem in
diesem Fall.
Du bist das Problem. Du versuchst dich gerade in Selbstmitleid zu ertränken. Du schwimmst
in einem See aus Selbstmitleid und hast einen Block Ärger an deinen Füßen, der dich
verdammt noch mal nach unten ziehen soll. Das macht er, was dich umso ärgerlicher macht
und das Selbstmitleid vertieft. Beende dieses armselige Schauspiel und handele endlich
wieder wie du das sonst machen würdest. Dass du dich wie ein Idiot benommen hast, das hast
du ihr bereits gesagt, nun hör auf das fortzusetzen benimm dich wieder ein Mann.
Mann oder Memme?“
„Memme!“
„Du weißt, nichts ist armseliger als ein Mann, der im Selbstmitleid ertrinkt und sich dabei
zusieht. Wenn du dich nicht selber in den Arsch trittst, dann werde ich das machen.“
„Wie stellst du dir das vor?“
„Ich werde mit Kim sprechen.“
„Das lässt du bleiben! Steve, das ist mein Ernst! Wage es nicht!“ Er wollte nicht, dass sie
wusste, das er mit ihm darüber gesprochen hatten. Was lächerlich war, denn es musste ihr klar,
sein, dass sie miteinander redeten.
„Dann rede mit ihr. Das sind deine beiden Möglichkeiten. Entweder du übernimmst das selber
oder ich mache das.“
„Ich rede mit ihr.“
„Wann?“
„Morgen. Spätestens am Wochenende.“
„Ich werde ihr spätestens Sonntag eine SMS schreiben. Wenn sie nichts von dir gehört hat,
dann werde ich mit ihr reden. Und glaube mir, Mann, du wirst nicht mögen, was ich ihr zu
sagen habe.“
„Manche Dinge brauchen etwas Zeit.“
„Vier Tage sind etwas Zeit.“
„Wieso ist das so wichtig für dich?“
„Erstens bist du mein Freund, ich muss dir in den Hintern treten wenn du so bist, wie du im
Moment bist. Zweitens ist Kim eine tolle Frau, die lässt man nicht einfach gehen. Okay, sie
will nichts von dir, das ist kein Grund nicht mit ihr befreundet zu sein. Sie habt so viele
Gemeinsamkeiten, die wegen dieser doofen Sache aufzugeben, wäre noch dümmer als das,
was du gerade machst.
Du hast dich entschuldigt, das zeigt, du bist kein Idiot, du weißt, du hast einen Fehler
gemacht. Sie war nicht besser, sie hat dieses dumme Spiel mit der erfundnen Beziehung
begonnen. Sie hat dich zuvor zweimal geküsst, du bist nicht ausgerastet, hast ihr deswegen
keine Szene gemacht. Dabei hättest du allen Grund gehabt. Nun höre auf dich diesem
kindischen Gehabe hinzugeben und benimm dich wie ein Erwachsener.“
Patrick wollte etwas erwidern, stoppte sich dann jedoch selber. Steve hatte Recht, er konnte
ihm in keinem Punkt widersprechen. Er benahm sich wie ein Kind, er wusste, er würde es
bereuen wenn er die Sache mit Kim verbocken würde. Er hatte die Karre in den Mist
gefahren, er musste sie nun herausziehen. Das war ganz alleine seine Aufgabe, die konnte
niemand anders für ihn übernehmen.
Kapitel 15

Entscheidungen mussten getroffen werden, früher oder später konnte man sie nicht mehr
aufschieben. Patricks Zeit der Entscheidung war gekommen. Er konnte entweder in eine
andere Mietwohnung ziehen oder Besitzer einer Eigentumswohnung werden. Zwei Zimmer,
Küche, Bad in Neuenhausen – Nymphenburg standen gegen die alte Wohnung von Gerhard
und Hedwig.
Er war zu dem Ehepaar gegangen, die ihren Umzug in die obere Wohnung beinahe beendet
hatten. Zusammen saßen sie im Wohnzimmer ihrer alten, Sechszimmerwohnung, bei einem
Glas Wein und besprachen die Einzelheiten des Kaufvertrages.
„Du hast dich entschieden?“, fragte Hedwig.
„Ich denke, ja. Diese Wohnung in Neuenhausen – Nymphenburg ist perfekt, sie ist genau das,
was ich mir vorgestellt habe, super Lage und guter Preis. Es wohnen drei andere Parteien im
Haus, sie ist am Ende einer Sackgasse, die S-Bahnlinie zur Pension ist fünf Minuten zu Fuß
entfernt.“
„Hört sich gut an.“
„Ja, das dachte ich auch. Das war genau das, wonach ich gesucht habe.“
„Du willst also die Wohnung nehmen?“
„Nein.“ Patrick überraschte nicht nur das Ehepaar mit dieser Aussage, er überraschte sich
selber. „Mein Bankberater wird mich hassen, er wird mir bestätigen, ich bin verrückt und bin
in Begriff mich für den Rest meines Lebens zu binden, aber ich denke, ich werde glücklich
hier.“
„Das denke ich auch“, sagte Gerhard. Sie waren Patrick mit dem Preis entgegen gekommen.
Sehr entgegen gekommen. Unter normalen Umständen hätten sie mehr Geld für ihre
Wohnung verlangt, aber sie waren sehr froh, dass er hier einziehen wollte.
„Ich habe nur noch ein paar Fragen.“
„Immer raus damit, mein Junge.“
„Mein ganzes Leben lang habe ich darüber nachgedacht mir einen oder zwei Hunde
anzuschaffen. Wäre das möglich oder wollt ihr keine Tiere im Haus haben?“
„Natürlich kannst du dir einen oder zwei Hunde anschaffen. Ich hoffe mal, du wirst sie gut
erziehen, so dass sie nicht ewig bellen oder die Enkelkinder als Abendessen ansehen.“
„Ich werde sicherlich keinen ewig bellenden Hund haben, das würde mich selber nerven. Ich
denke, einen netten, relaxten Mischlingshund. Einen Familienhund, der das ganze Haus
freudig begrüßt.“
„Das hört sich gut an, um werden wir uns gerne mal kümmern wenn du nicht da bist. Unseren
täglichen Spaziergang können wir gerne in Begleitung machen. Es ist Jahre her, dass wir den
letzten Hund hatten. Zehn Jahre? Einen Foxterrier, den unsere jüngste Tochter aus dem
Tierheim mitgebracht hatte. Du hättest zwei erfahrene Gassigeher.“
„Dieses Angebot werde ich sicherlich annehmen, meine Arbeitstage werden lang sein um
euch so schnell wie möglich zu bezahlen.“
„Ich denke, wir haben uns auf einen sehr guten Tarif geeinigt, der dich nicht komplett
einschränken wird. Du sollst schließlich die nächsten Jahre mehr machen als nur von morgens
bis abends zu arbeiten.“ Patrick würde jeden Monat eintausend Euro bezahlen, das ließ nicht
viel von seinem Gehalt über für andere Dinge.
„Ein anderer Punkt sind Untermieter. Ich kann mir die Wohnung nur leisten, wenn ich drei
oder vier Zimmer vermiete. Steve ist mehr als gerne bereit hier einzuziehen.“
„Wir sind uns sicher, du wirst nicht irgendwen ins Haus nehmen.“
„Nein, ich denke, ich werde genauso wählerisch sein wie ihr. Ich will niemand in der
Wohnung haben, der nur auf Partys geht, laute Musik spielt, sich betrinkt und nachts fremde
Leute ins Haus holt. Ruhige Leute, aus geordneten Verhältnissen, die wissen, was man sich
ruhig zu verhalten hat und was die üblichen Umgangsformen sind.“
„Du bist altmodisch.“
„Das hat mir Alison immer vorgehalten. Spießig. Ich bin gerne spießig.“
„Wenn du nette Leute findest, dann können sie jederzeit hier wohnen. Das ist ein großes Haus,
es braucht etwas Leben. So wie es aussieht wird Kim in nächster Zeit nicht dafür sorgen, dass
wir hier mehr Leben haben, dann musst du das übernehmen“, lächelte Hedwig.
Kim. Er hatte nicht mit ihr gesprochen, er musste das machen. Es war Sonntag, sollte Steve
seine Warnung ernst gemeint haben, dann würde er heute Abend eine SMS an sie schicken
und sie fragen, ob Patrick mit ihr gesprochen hatte. Er würde nach diesem Gespräch nach
oben gehen, wenn sie da war, konnten sie reden. Es wäre mehr als lächerlich, wenn er nicht zu
ihr gehen würde, wo er hier war. Das würde Hedwig und Gerhard auch stutzig machen.
„Ich denke, ich werde eine Zeitungsanzeige aufgeben. Suche Mitbewohner. Nichtraucher,
ruhig, mit geregelten Einkommen.“
„Wir vertrauen dir bei deiner Auswahl. Was sagen deine Eltern zu deiner Entscheidung?“
„Die sind begeistert. Mein Vater ist der Überzeugung Miete zahlen ist Geldverschwendung.
Wozu für etwas bezahlen, das einem nicht gehört. Er hat meiner Oma mehr als einmal
vorgerechnet was sie alles an Miete gezahlt hat und was sie hätte mit dem Geld machen
können. Dass sie für das Geld ein eigenes Haus hätte kaufen können.“
„Da hat er zweifelsfrei recht. Das gleiche haben wir uns damals gedacht und mit unserem
Wunsch nach vielen Kindern war es klar, eine Mietwohnung wäre Unfug. Wir hatten die
oberen Wohnungen vermietet, eine unserer Töchter hat kurzzeitig in der Wohnung gewohnt,
in die wir gezogen sind. Es war eine der besten Entscheidungen, die wir jemals getroffen
haben. Du bezahlst die Bank für Jahre, doch du bezahlst sie für dich.“ So etwas in der Art
hatte sein Vater auch gesagt. Er hatte Patrick sogar Geld angeboten um den Kredit so niedrig
wie möglich zu halten. Entschieden ob er dieses Angebot annehmen würde, hatte sich Patrick
bisher nicht. Es wäre sinnvoll.
„Alles deutet darauf hin als wenn ich nun in München sesshaft werden würde. Eine Sache, mit
der ich niemals gerechnet hätte. Vier Jahre ohne ein Zuhause und dann nach einigen Monaten
werde ich der Besitzer einer Eigentumswohnung. In München, einem Ort, an dem ich zuvor
niemals gewesen war.“
„Es gibt schlechtere Orte um sesshaft zu werden und es gibt schlechtere Ecken in München
um zu wohnen.“
„Das weiß ich, ich habe in so einer Ecke lange genug gelebt.“ Eine Woche würde er in seiner
alten Wohnung haben. Etwas mehr als eine Woche, doch er würde versuchen bis zum letzten
Tag alles bereits von dort nach hier geschafft zu haben. Hedwig hatte ihm zu Beginn gesagt,
sie wären so gut wie fertig mit dem Umzug, er könne gerne anfangen seine Sachen hierher zu
bringen und die Wohnung nutzen.
Sie hatten ihm sehr viele Möbel gelassen. Alle vier Zimmer der Töchter waren mit Betten,
Schränken und teilweise Schreibtisch oder Kommode ausgestattet. Da ihre Küche nicht in die
Wohnung passte, würde Patrick diese behalten können, das gleiche mit den Badezimmern. Sie
hatten nur ihren Badezimmerschrank mitgenommen. Die Wohnzimmercouch und der Esstisch
waren bereits eine Etage höher und ihr eigenes Schlafzimmer hatte auch seinen Weg in die
zweite Etage gefunden.
Dort würde Patrick einziehen. Er hatte beschlossen, wenn er seine Wohnung teilen würde,
dann würde er sich den Luxus gönnen, ein eigenes Badezimmer zu haben. Auf diese Weise
würde er etwas unabhängiger sein. Das bedeutete gleichzeitig, er würde auf seiner Couch
schlafen oder eines der Betten ins Zimmer tragen.
„Du wirst es hier mögen, wir haben sehr nette Nachbarn. Im Sommer kommen sie manchmal
zu uns oder wir gehen zu ihnen, sitzen zusammen im Garten, holen das Radio raus und hören
die Bundesligakonferenz während wir ein paar Biere trinken.
„Das hört sich gut an. Steve und ich werden euch gerne Gesellschaft leisten. Wir können nicht
zusammen ins Stadion gehen, er ist Gladbachfan und kann den FC Bayern nicht ausstehen.
Sollte sein Verein absteigen, dann wäre das einzige Spiel, das wir uns zusammen ansehen
könnten, verschwunden. Dann müssten wir zum Spiel der Löwen gehen.“
„Die Löwen werden eines Tages zurück in der ersten Bundesliga sein, da wo sie hingehören.
Zwei Münchener Vereine in der obersten Spielklasse“, sagte Gerhard. „Das waren Feste wenn
die beiden gegeneinander gespielt haben, die ganze Stadt stand Kopf.“
„Ich hoffe auf ein paar gute internationale Spiele, wobei die unbezahlbar sind. Die Spiele der
Bundesliga sind bereits teuer, ich habe mir letztens ein Spiel der Bayern Frauen angesehen.
Gegen Duisburg. Ein spannendes Spiel, das sich nicht vor einen der Männerspiele verstecken
musste.“
„Ich bin zu altmodisch für diese Sachen, Patrick. Als ich jung war, da war es verboten, dass
Frauen Fußball spielten. Der DFB wollte das nicht sehen.“
„Lächerlich.“
„Alle Verbote gegenüber Frauen sind lächerlich“, meinte Hedwig. „Leider denken Männer, sie
müssen noch immer Grenzen und Regeln für Frauen aufstellen – natürlich nur zu deren
Besten. Lächerlich.“
„Wir werden nicht mit dir darüber diskutieren, Liebes. Wir sind beide intelligente Männer, wir
werden dir zustimmen.“
„Das solltest du immer tun.“
„Es sind seltene Augenblicke, in denen ich dir widerspreche.“
„Leider sind diese Augenblicke noch zu oft.“
„Themenwechsel. Zurück zur Wohnung. Patrick, hast du noch Fragen?“
„Im Moment nicht, nein. Wenn noch welchen auftauchen, dann können wir das ja dann
besprechen.“
„Gut, du hast den Vertrag, les ihn in Ruhe heute Abend durch und bring ihn einfach morgen
mit wenn du die erste Ladung deiner Sachen herbringst. Brauchst du ein Auto? Wir können
dir helfen.“
„Wenn wir eine Autoladung herbringen, dann ist meine Wohnung leer. Ich habe nicht so viel,
das kann man ohne Probleme hertragen. Ich habe nächste Woche Frühschicht, Donnerstag und
Freitag frei, bis dahin sollte alles hier sein.“
„Solltest du Hilfe brauchen, du weißt wo wir sind.“
„Danke.“ Er stand auf. „Ich werde noch kurz bei Kim vorbei sehen und dann nach Hause
gehen.“
„Ich glaube, sie arbeitet, aber versuche es mal, vielleicht ist sie zurück“, sagte Hedwig.
„Okay.“ Patrick steckte den Vertrag in seinen Rucksack. „Danke. Für alles.“
„Keine Ursache, wir sind sehr froh, dass du dich so entschieden hast.“
Patrick verließ die Wohnung und ging nach oben. Was würde er tun wenn Kim nicht da war?
Sollte er ihr einen Zettel hinterlassen? Sollte er einfach so gehen? Wollte er überhaupt dass sie
da war? Wäre es nicht viel einfacher für ihn wenn sie arbeiten war?
Die ganze Woche hatten sie nicht miteinander gesprochen, hatten keine SMS oder Emails
geschrieben. Es hatte absolute Funkstille geherrscht. Das war in er ganzen Zeit, in der sie sich
gekannt hatten, niemals vorgekommen und es half nicht dabei, dass Patrick sich besser fühlte,
als er an die Tür klopfte.
Keine Reaktion. Er klopfte erneut. Hedwig musste recht haben, Kim war arbeiten. Da sie
nicht miteinander geredet hatten, hatte er keine Ahnung was für Schichten sie hatte, wann ihre
freie Tage waren.
Aus der Tiefe seines Rucksacks kramte er einen kleinen Block und einen Stift heraus.

Hey, ich wollte bei dir vorbei sehen, aber du warst nicht da. Ich hoffe, es geht dir gut.
Patrick.
Er kam sich dumm vor diesen Zettel an der Tür zu hinterlassen. Keinen Grund wieso er hier
gewesen war, keine Silbe darüber, dass er unter ihr einziehen wollte. Doch das wollte er ihr
selber sagen, er hatte Gerhard und Hedwig gebeten, Kim nichts zu sagen. Die Frage war nur,
wann würde er ihr das sagen? Sollte er ihr das per SMS schreiben, wenn sie ihn heute wegen
des Zettels anschreiben sollte? Oder sollte er warten bis sie sich das nächste Mal trafen? Die
Frage war nur, würden sie sich sehen bevor Patrick eingezogen war? Im Moment hegte er
leichte Zweifel daran.

Die erste Ladung mit seinen Sachen hatte sich Patrick am nächsten Nachmittag nach der
Arbeit auf den Weg gemacht. Seinen großen Rucksack, mit dem er auf Welttour gewesen war,
hatte er mit einigen Kleidungsstücke, Bücher und Putzsachen gestopft. Sollte er das bis
Freitag durchziehen, dann würde er am letzten Tag nur noch seine großen Sachen
transportieren müssen. Einfach. Selbst wenn seine Wohnung nicht groß war, er hatte einige
Sachen, die er nicht einfach so durch die Gegend tragen konnte.
Steve würde ihm helfen. Zusammen würden sie Patricks Möbel abbauen, Patrick würde einen
Sprinter mieten, in den sie alles packen würden und dann zu Steves Wohngemeinschaft fahren
und seine Sachen einpacken. Er hatte noch weniger Sachen als Patrick, denn sein Zimmer war
möbliert gewesen. Die Couch würde den größten Arbeitsaufwand machen. Sie musste in drei
Teile getrennt werden, von dem jedes mittelschwer war und sehr sperrig. Der Schreibtisch,
Küchentisch und die Kommoden konnten genauso wie das Bücherregal und die Küchenregale
in wenigen Augenblicken abgebaut werden, ohne Probleme transportiert und aufgebaut
werden.
Seine Eltern hatten sich für das Wochenende angesagt, sie wollten ebenfalls helfen. Was hieß,
seine Mutter würde überprüfen, ob die Wohnung sauber war und sein Vater würde nach
Sachen suchen, die man reparieren konnte. Beides Dinge, die unnötig waren. Hedwig und
Gerhard hatten die Wohnung sauber und im besten Zustand verlassen. Doch seine Eltern
waren selbstverständlich neugierig auf die Eigentumswohnung ihres Sohnes.
Eigentumswohnung. Er besaß Eigentum in München. Einen Ort, an den er sich nun immer
zurückziehen konnte, sein persönlicher Zufluchtsort. Ein geteiltes Paradies, doch das machte
ihm wenig aus. Es hatte einige Momente gegeben, in denen er sich einsam in seiner Wohnung
gefühlt hatte. Nach all den Jahren, in denen ständig um ihn herum war, waren die Stunden des
Alleine sein in der Wohnung manchmal einsam gewesen. Nun konnte er wählen, wenn er
alleine sein wollte, ging er in sein Zimmer, wollte er Gesellschaft konnte er ins Wohnzimmer
gehen.
Mit seinem neuen Schlüssel schloss er die Haustür auf. Home sweet home. Er war Zuhause
wenn er dieses Haus betrat. Sein neues Zuhause. Ein seltsamer Gedanke, an den er sich
jedoch gerne gewöhnen wollte. Eigentlich hätte er diesen Augenblick auf Video festhalten
sollen. Das erste Mal, das er sein neues Zuhause betrat. In wenigen Sekunden würde er das
erste Mal seine Wohnung aufschließen. Seine Wohnung, die er gekauft hatte. Oder die Bank
und er würde sie die nächsten Jahre bezahlen müssen. Sehr viele Jahre.
Auf in ein neues Abenteuer. Patrick öffnete die Tür, bemerkte wie er lächelte und trat ein.
Alles wirkte anders auf ihn, obwohl es genauso aussah wie gestern. Doch heute sah er das
Haus mit den Augen eines Mannes, der einziehen würde, der seine Sachen auf dem Rücken
trug und bereit war sich hier niederzulassen.
Schritte auf der Treppe lenkten ihn von seinen Pionier- und Siedlergedanken ab. Er war nicht
dabei ein unbekanntes Land zu beziehen, er zog in ein Haus, in dem bis auf ihm alle Parteien
bereits wohnten. Ende der Entdeckergedanken und zurück in die Realität.
„Hi Patrick.“
Kim. Sie musste Frühdienst gehabt haben. Auf seinen Zettel hatte er keine Antwort
bekommen, was er nicht als gutes Zeichen deutete. Er hatte bereits mehrere Stunden darüber
nachgedacht während er selber gearbeitet hatte.
„Hallo.“
„Entschuldige, ich hatte gestern Spätschicht und musste auf Frühschicht wechseln, ich wollte
dir gleich antworten...was machst du mit dem großen Rucksack?“ Sie starrte auf seinen
Reiserucksack. Nicht das, was man erwarten konnte, wenn man von der Arbeit kam.
Normalerweise hatte er einen kleinen Rucksack dabei.
„Warte, soll das heißen...?“
„Du hast einen neuen Mitbewohner“, vervollständigte er den Satz und hoffte, sie würde sich
wirklich freuen, dass er hier einzog. Jetzt war es zu spät sich anders zu entscheiden, der
Kaufvertrag war unterschrieben und alle Formalitäten waren abgeschlossen.
„Klasse.“ Sie umarmte ihn und drückte ihn an sich. Das fühlte sich nach Freude an, nicht nach
Ablehnung. Einige sehr schwere Steine fielen von Patricks Herzen. Es mochte vielleicht einen
anderen Grund geben wieso sie ihm nicht geantwortet hatte.
„Du trägst aber nicht all deine Sachen jetzt Rucksackweise von deiner alten Wohnung hierher,
oder?“
„Nein“, lachte er. „Wobei, doch. Teilweise. Ich nehme jeden Tag einen Rucksack voll mit zur
Arbeit und liefere das dann hier ab. Auf diese Weise habe ich Freitag weniger zu tragen wenn
Steve und ich den Sprinter haben.“
„Du hast mir nichts gesagt. Das mit der Wohnung muss doch länger feststehen.“ Vorwurfsvoll
piekte sie ihn in die Seite.
„Es steht seit gestern fest, ich hätte es dir gestern gesagt wenn du nicht arbeiten gewesen
wärst. Einfach auf einen Zettel schreiben wollte ich es nicht, dann wäre es keine
Überraschung mehr gewesen.“
„Stattdessen stehst du einfach mit einem riesigen Rucksack vor mir. Die Überraschung ist dir
gelungen.“
„Gut, hier bin ich. Der Typ, der nun unter dir wohnt. Wenn du Krach machst, laute Partys
feierst, dann werde ich mit dem Besen raufkommen und dir zeigen, wo man die Musik leiser
stellt.“
„Du hast die WG mit jungen Leuten, wenn einer Krach machen wird, dann bist du das. Ich
werde dir Narkosemittel in das Essen mischen. Sollte ich einen ruhigen Abend haben wollen,
dann backe ich euch einen Kuchen mit Extra und schon wird alles ruhig sein.“
„Schätzchen, du musst keine Medizin in deinen Kuchen schütten, es reicht wenn du ihn
backst. Wir werden alle mit Magenkrämpfen im Bett liegen. Außer leises Stöhnen und
schmerzerfülltes Wimmern wirst du nichts hören.“
„Boah.“ Sie zog einen Schmollmund. „Mein Kuchen war perfekt, das waren deine Worte.
Wage es nicht etwas anderes zu behaupten. Sag mir lieber was du nun mit deinem neuen
Eigentum anstellen willst. Was wird das erste sein, das du in deiner eigenen Wohnung machen
willst, ändern willst?“
„Ähm.“ Wenn er das so genau wüsste. Er hatte so viele Pläne gehabt, die halbe Nacht hatte er
mit planen verbracht, die Pläne über den Haufen geworfen und wieder neue aufgestellt.
„Wir werden sehen. Komm rein, du kannst mir Ideen geben oder warst du auf den Weg
woanders hin?“ Sie war sicherlich nicht auf der Treppe gewesen um darauf zu warten, dass er
vielleicht auftauchen würde.
„Ich habe mein Handy im Auto vergessen, das wollte ich holen, doch das kann warten. Ich
muss dir jetzt nicht mehr schreiben, du bist hier.“ Deswegen hatte er keine Antwort
bekommen. Am Morgen war es zu früh gewesen, bei der Arbeit schrieb sie keine Nachrichten
und nun war sie auf dem Weg gewesen um ihm zu schreiben.
„Du kannst mir demnächst Briefchen unter der Tür herschieben oder...ist dein Schlafzimmer
über meinem?“
„Hedwigs und Gerhards alten Zimmer?“
„Ja.“
„Ja, die Wasseranschlüsse für die Badezimmer. Beide Badezimmer sind übereinander. Das
war von der Baukonstruktion sinnvoll.“
„Nun lerne ich etwas über das Haus, in dem ich von nun an leben werde.“
„Ja, Basiswissen über das neue Zuhause. Schließ deine neue Wohnung auf, das erste Mal mit
den eigenen Schlüsseln. Soll ich die Kamera holen?“
Patrick begann zu lachen. „Darüber hatte ich bereits nachgedacht.“
„Warte.“ Kim wollte nach oben laufen.
„Halt, das wird nicht nötig sein.“ Er fischte sein Handy aus der Tasche. „Du kannst es damit
machen. Einen der wichtigsten Momente meines Lebens festhalten.“
„So etwas sagt man eigentlich über die ersten Bilder des neugeborenen Babys. Nicht über das
Öffnen von Türen.“
„Eine Eigentumswohnung ist wie ein Baby. Man muss es füttern, es pflegen und dann hoffen,
es ernährt einen wenn man alt ist.“ Er steckte den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn um.
Das war es gewesen. Die Tür zu seinem neuen Zuhause war offen.
„Das war es, ich bin in meiner neuen Wohnung. Wow. Alles mein.“
„Der erste Schritt in der neuen Wohnung. Wie fühlt es sich an?“
„Wie hat es sich für dich angefühlt? Du bist selber erst seit ein paar Wochen Besitzerin einer
Eigentumswohnung.“
„Seltsam. Ich meine, alle meine Sachen waren in der Wohnung gewesen, sie sah aus wie jeden
Tag und doch erschien alles anders. All das, was ich sah, es war alles mein. Meine Wände,
meine Fußböden, meine Fenster. Alles unterliegt nun meiner Verantwortung. Alles kann nun
so gemacht werden, wie ich es möchte.“
„Du hast nichts geändert, oder?“ Er konnte sich nicht daran erinnern, dass Kims Wohnung
beim letzten Besuch anders ausgesehen hatte als bei dem ersten Besuch.
„Nein, doch alles schien anders zu sein. Man kann das nicht erklären, das ist ein seltsames
Gefühl. Wie fühlst du dich?“
„Wie ein Pionier, der ein neues Land entdeckt.“
„Ein Siedler, du kannst dir das schönste Fleckchen aussuchen um dich niederzulassen.“
„Ja, das nenne ich Luxus. Ich denke, der Berg dort drüben ist nett, er hat eine tolle Übersicht
über das Tal im hinteren Bereich und seine eigene Quelle, ein Vorteil, der nicht zu verachten
ist.“
„Sehr gute Entscheidung“, grinste Kim. Sie gingen um Hauptschlafzimmer. Es war leer,
nichts als Paketfußboden und weiße Tapete erwartete sie.
„Wirst du weiterhin auf deiner Couch schlafen oder nimmst du dir eins der Betten aus den
anderen Zimmern?“
„Ich denke, ich nehme die Couch. Sie ist bequem.“
„Ja, das ist sie. Ich habe mehr als sehr gut geschlafen.“
„Ich würde dich einladen erneut darauf zu schlafen, doch solltest du das nächste Mal auf ihr
einschlafen, dann trage ich dich einfach nach oben in dein Bett. Diese paar Meter sollten kein
Problem sein, ein gutes Work – Out – Training.“
„Du solltest ins Training einsteigen bevor du mich trägst sonst wirst du die eine oder andere
Bandscheibe verlieren.“
„Das wage ich zu bezweifeln.“ Er stellte seinen Rucksack auf den Boden. Vielleicht sollte er
seine Sachen in einen der Zimmer liegen lassen, hier hatte er buchstäblich nichts. Das konnte
er später machen, alles auf ein Bett schütten und dann mit dem leeren Rucksack nach Hause
gehen.
„Erzähl mir, wie willst du dein Zimmer gestalten? Du wirst es sicherlich nicht so lassen, wie
es jetzt aussieht. Was soll außer deiner Couch rein? Was willst du verändern?“
„Nun, eine weiße Wand finde ich recht langweilig. Vanillegelb für die Wände, einen Läufer
auf den Boden, blaue Vorhänge. Und schwarze Rollos. Ich hasse es, wenn ich morgens wach
werde weil es hell ist.
Meine Couch kommt unter das Fenster, dann kann ich auf der Couch sitzen, schreiben und
wenn ich nicht weiter weiß aus dem Fenster sehen und nachdenken.“ Vor dem Fenster stand
eine alte Eiche, die weit genug weg stand um das Sonnenlicht nicht zu behindern und
gleichzeitig die Aussicht auf das nächste Haus vermied. Würde er aus dem Fenster springen,
dann würde er in Hedwigs Kartoffelgarten landen. Sie hatte ihren Teil des Garten auf dieser
Seite und würden ihn für Gemüse, Kräuter und Kartoffeln nutzen. Vielleicht würde Patrick ein
kleines Stück auch für so etwas nutzen. Er hatte keinen grünen Daumen, konnte Blumen nicht
voneinander unterscheiden, aber Kartoffeln gießen, im Herbst aus dem Boden holen und ein
paar Möhren, Salat und Kräuter anpflanzen, das sollte er hinbekommen. Ansonsten hatte er
sicherlich eine gute Lehrerin im Haus wohnen.
„In die Ecke kommt das Bett, daneben eine Kommode und zwischen Bett und Tür ein Regal.
Hinter die Tür runter zur Couch ein Kleiderschrank, von der Couch zur Badezimmertür der
Schreibtisch, dann hat er genug Licht und eventuell ein weiteres kleines Regal dahin.
Bleibt ein riesiger freier Platz in der Mitte des Zimmers. Sollte ich das Meditieren oder Yoga
eines Tages anfangen, dann habe ich jede Menge Platz dafür. Ansonsten, ich weiß nicht, ein
Schlagzeug?“
„Schlagzeug? Das sollte als Verbot im Kaufvertrag stehen. Ein ruhiges Haus, falls du es
vergessen hast. Wir wollen hier nichts haben, das Krach macht. Du kannst dir ein großes
Schachbrett aufstellen.“
„Schach? Langweilig, das Schlagzeug bringt Freude. Ich kann dich morgens wach trommeln,
du brauchst keinen Wecker mehr.“ Kims Blick verriet, ihre Begeisterung hielt sich in
Grenzen. „Mal sehen was ich mit der Fläche mache, das muss ja nicht jetzt geplant werden.“
„Nein, du hast den Rest deines Lebens Zeit das zu planen.“
„Das hört sich schrecklich lange an.“
„In welches Zimmer will Steve?“
„Der wird das Freitag entscheiden. Sein Favorit ist das neben mir, selbst wenn es zur Straße
hin ist. Es ist das größte und hat zwei Fenster.“
„Die Straße ist nicht sehr laut, er sollte ohne Probleme seinen Schönheitsschlaf bekommen.“
„Das habe ich ihm auch gesagt. Mal sehen, meine Eltern werden am Wochenende herkommen
um sich die Wohnung anzusehen. Wenn du willst, dann kannst du mit uns Essen, meine
Mutter wird die Küche einweihen und für alle kochen.“
„Ich will die Familienzusammenkunft nicht stören.“
„Das macht Steve schon, keine Sorge, du störst nicht. Ich wollte Gerhard und Hedwig auch
fragen. Dann können sie gleich sehen mit wem ich hier wohne. Das Wohnzimmer ist derzeit
zwar recht leer, aber wir werden schon irgendwie einen Tisch und Stühle auftreiben.“
„Du kannst Stühle von mir runter holen. Wenn du von deiner Mutter kochen gelernt hast,
dann sollte sie besser sein als du und das bedeutet, es muss perfekt sein, ich nehme das
Angebot an. Willst du noch etwas an der Wohnung machen?“
„Im Moment kann ich nichts machen, deswegen kommen meine Eltern auch. Wir wollen
etwas renovieren, werden die Wände streichen und keine Ahnung, Papa fällt immer etwas ein,
was man machen könnte. Wieso?“
„Wir könnten zu deiner alten Wohnung fahren und noch ein paar Sachen rüberholen. Dann
musst du nicht alles am Freitag machen. Hast du frei?“
„Ja.“
„Steve muss sicherlich arbeiten, das heißt, ihr könnt nicht anfangen bevor er zurück ist. Wenn
wir etwas einsammeln, dann seid ihr Freitag schneller fertig. Ich habe Zeit, wir schnappen uns
dein Bücherregal, bauen ein Regal auseinander und was du sonst nicht mehr brauchst.“
„Du musst nicht meine Sachen durch die Gegend schleppen.“
„That’s what friends are for.“ Sie nahm Patricks Hand. „Ich habe dich vermisst.“ Sie sah ihn
an. „Tut mir Leid, dass ich so reagiert habe. Das war dumm.“
„Du hattest jedes Recht, ich hätte dich fragen sollen.“
„Jemand zu fragen, ob du sie küssen darfst, das ist lächerlich. Entweder man denkt, der
Moment ist richtig und tut es oder man lässt es sein.“
„Fragen könnte Ärger ersparen.“
„Das nimmt die Romantik und wenn du jemand mit etwas Hirn küsst, dann sollte es kein zu
großes Theater geben. Du hast bis auf die Wahl der Person alles richtig gemacht und dafür,
dass die Person so dumm reagiert hat, kannst du nichts. Genau genommen habe ich dich
zuerst geküsst. Damals im Krankenhaus und du hast nicht so ein Theater gemacht wie ich
letztes Wochenende.“
„Hör auf dir die Schuld zu geben. Wenn, dann sind wir beide schuldig.“
„Einverstanden.“ Sie umarmte ihn. „Es ist schön dass du hier bist.“
„Ich war gestern schon hier.“
„So war das nicht gemeint, ich meine richtig hier. Hier...ich weiß nicht wie ich es sagen soll.
Nicht nur dein Körper hier, sondern du hier, wir beide hier, ich habe unsere Zeit zusammen
vermisst. In den letzten Monaten haben wir viel Zeit miteinander verbracht, diese Distanz war
ungewohnt und ich muss offen sagen, ich habe sie nicht gemocht.“
„Ich auch nicht. Der Gedanke, dass es vielleicht so zwischen uns bleiben würde, der hat mich
rasend gemacht.“ Er hielt sie fest. Ja, das hatte er vermisst. Sehr. Kim hatte ihn – abgesehen
was immer seine Gefühle für sie waren – sehr gefehlt. Als Person. Als Freundin.
„Trotzdem haben wir beide eine Woche gewartet.“
„Kleine Sturköpfe.“
„Ja, so kann man es nett ausdrücken.“ Sie ließ ihn los. „Komm, wir holen etwas von deinem
Zeug. Je mehr von deinen Sachen hier sind, desto sicherer kann ich sein, du wirst es dir nicht
anderes überlegen und in deinem komischen Wohnloch bleiben.“
„Meine liebliche kleine Wohnung wird ab Samstag einen neuen Besitzer haben.“
„Wer es glaubt wird selig.“
„So schlimm war es nicht, nur sehr beengt.“
„Winzig.“ Sie zog ihn aus der Wohnung. „Wirst du eine Einweihungsparty machen?“
„Das Essen am Wochenende kann als das hinhalten. Wobei, das ist Samstag, wir könnten eine
kleine Feier am Freitag machen. Das würde Steve und mir einen guten Grund geben mit der
Einräumerei aufzuhören.“
„Ich habe die ganze Woche Frühschicht, ich biete meine Hilfe an.“
„Das kostet mich dann ein Kapitel?“
„Genau.“
„Erpressung.“
„Verhandlung.“
„Politikerin.“
„Kein Grund beleidigend zu werden.“
Patrick grinste. Es war schön Kim wieder bei sich zu haben. Und es war sogar schöner, dass
allem Anschein nach alles wieder in Ordnung war zwischen ihnen. Diese Woche Funkstille
war vielleicht genau das gewesen, was sie beide gebraucht hatten. Abstand um festzustellen,
dass sie zu sehr aneinander hingen um das wegen dieser Sache aufzugeben.
Man lernte die Sachen meistens erst schätzen wenn man sie verloren hatte. Er hatte keine
Ahnung wie nah er daran gewesen war Kim zu verlieren, er wusste nur, er war froh, dass er
sie wiederhatte. Dass sie wieder da war. Wie Kim gesagt hatte, es war schön, dass sie beide
wieder hier waren.
„Ich habe zwei Plastikboxen im Kofferraum, die ich nutze wenn ich einkaufen gehe. Wir
können ein paar Sachen dort hinein legen.“
„Gute Idee.“ Er hatte seinen Rucksack noch geholt bevor sie ihn entgültig aus der Wohnung
gezogen hatte.
„Du hast dich von der Unterkunft und der Umgebung erheblich verbessert.“
„Ganz zu schweigen von den Mitbewohnern. Zwei umsorgenden Rentner und eine angehende
Starärztin. Dazu mein zukünftiger Lektor und wer weiß. Einen Elektriker könnten wir
gebrauchen, der kann die Wohnung im Schuss halten. Ich sollte nach nützlichen
Mitbewohnern suchen.“
„So lange sie die Miete pünktlich zahlen ist alles andere sekundär.“
„Nun hörst du dich an wie mein Bankberater.“
„Ich werde immer auf der geschäftlichen Seite sein. Also, was sollen wir einpacken? Das
Bücherregal. Es sollte die Ehre bekommen das erste Möbelstück in deinem neuen Zimmer zu
sein. Zusammen mit deinen Büchern.“
„Okay, das sollte sogar auf deine Rückbank passen ohne dass wir es auseinander bauen
müssen.“ Kim fuhr einen Polo, ihr Stauraum war begrenzt, aber einige Sachen konnten sie
unterbringen.
„Gut, was sonst?“
„Tisch und Stühle.“
„Wo willst du essen?“
„Wie in neunzig Prozent der Fälle auf der Couch sitzend.“ Patrick zog den kleinen
Werkzeugkoffer aus dem untersten Regal hervor. „Stühle könnte problematisch werden.“
„Wir setzen sie umgekehrt auf die Rückbank, das Regal darauf, dann können wir die
Einzelzeile des Tisches daneben legen. Sogar das Küchenregal wenn wir die langen Bretter
längst ins Auto legen.“
„Wir versuchen es. Tisch oder Regal, woran möchtest du dich versuchen?“
„Regal, ich brauche diesen lustigen Ikeaschlüssel.“
„Der ist hier im Koffer.“ Patrick stellte den Laptop an und ließ Musik spielen. Sie konnten mit
Hintergrundmusik arbeiten. Die Filmmusik zum Mamma Mia Film versprach gute Laune.
„Wo soll ich all deine Sachen hinpacken, die auf dem Regal stehen?“
„Ähm.“ Patrick sah überlegend zu seinem Regal. „Die Bücher und Ordner können in eine der
Boxen, die Lebensmittel auf die Arbeitsfläche. Wobei, da ich Frühschicht habe, werde ich so
gut wie nichts mehr hier essen. Die Frühstückssachen können bleiben, als Abendessen mache
ich mir etwas, was offen hier ist. Die angefangene Packung Nudeln und was sonst offen da
steht. Ein paar Gewürze.“
„Wenn wir all das im Auto haben können wir entscheiden was noch passt.“
„Einige Klamotten können immer passen.“ Er montierte das erste Beine vom Tisch ab. Ja, den
sollten sie ohne Probleme mitnehmen können. Die Tischplatte war nicht so groß, der ganze
Tisch war groß genug um zwei Personen Platz zu bieten wenn man Töpfe auf den Tisch
stellte. Zu mehr war er nie gedacht, immerhin hatte Patrick nur zwei Stühle.
Was machte er mit diesem Tisch? Stellte er ihn erst einmal in die Küche? Einen anderen Tisch
hatte er derzeit nicht in seiner neuen Wohnung. So lange er und Steve dort wohnen würden,
würde es reichen, wenn sie die nächsten zwei Mitbewohner gefunden hatten, musste Patrick
sich um einen neuen Tisch und mehr Stühle kümmern. All diese kleinen Dinge, für die er nun
verantwortlich war, da er der Eigentümer war.
„Ich bringe die Stühle und das Buchregal schon mal runter“, sagte er. Der Tisch war kein
Problem gewesen, Kim hatte mehr zu schrauben und hatte später angefangen, da sie zuerst
alles vom Regal geräumt hatte.
„Okay.“ Sie gab ihm ihre Autoschlüssel. Mit den beiden Stühlen in der Hand ging Patrick
nach unten. Was er nun froh, dass Kims Polo ein Fünftürer war. Er konnte die Stühle einfach
umgekehrt auf die Rückbank legen ohne Sitze umzuklappen und Verrenkungen anzustellen.
Das Buchregal folgte im zweiten Lauf, ebenso die Tischplatte.
Als er wieder nach oben kam hatte Kim das Regal auseinander gebaut und kam ihm mit den
Böden entgegen.
„Die passen mit vor die Rückbank. Ich hole die langen Bretter und fange mit dem anderen
Regal an.“
„Willst du deine Computersachen mit rüber nehmen?“
„Das kommt darauf an wie wir Platz haben. Etwas sollte in die zweite Box passen, der Rest
muss hier bleiben.“
„Der Kofferraum ist größer als er scheint.“
„Hoffentlich.“ Vielleicht konnten sie Teile der Kommode einpacken oder den Schreibtisch.
Seinen Laptop hatte er meistens auf den Beinen wenn er schrieb, der Tisch war nicht wichtig.
Er konnte sehr gut bereits in die neue Wohnung gebracht werden.
Patrick legte den Drucker und den Scanner in die Box, packte all seine computerrelevanten
CDs ein und legte die Fotoalben der vier Jahre im Ausland oben drauf.
„Das soll runter?“ Kim war zurück und zeigte auf die Box.
„Ja, ich baue das Regal auseinander. Wenn wir Platz haben, dann würde ich mich sogar am
Schreibtisch versuchen.“ Er saß vor seinem Schreibtisch auf dem Boden. Das unterste Fach
war leer, auf dem zweiten Fach lagen Zeitschriften. Auf dem Tisch waren Stifte, Papiere und
anderer Kleinkram verteilt. Einige CDs waren in den beiden CD Ständern, die am Ende der
Tischplatte befestigt waren und auf dem Brett, das beide verband, standen vier eingerahmte
Fotos. Patrick am Great Barrier Reef, inmitten seiner Arbeitskollegen in South Australia, am
Milford Sound mit Alison und an den Niagara Fällen.
„Wie klein bekommst du ihn?“
„Das größte Stück ist die Tischplatte und ich würde ungern das CD Fach auseinander bauen.
Das könnte vielleicht auf das Buchregal.“
„Und die Platte kommt wie die Tischplatte lang vor die Rücksitze. Passt bestimmt, bau du mal
schön auseinander, Bob.“
„Bob baut Häuser und zerlegt keine Möbel.“
„Was du so weißt. Nun weiß ich was du so im TV geguckt hast als du noch eins hattest.“
„Ich habe unzählige Kinder mit Bob der Baumeister Sachen gesehen während ich gereist bin.
Es war fast unmöglich einen Flughafen zu betreten und nicht über ein Bild von Bob zu
stolpern. Und ich hatte über zwanzig Flüge in den vier Jahren. Was ist deine Entschuldigung
für dieses Wissen? Du arbeitest nicht auf der Kinderstation und Krankenhäuser haben keine
bunte Bettwäsche, ihr packt die Leute in dieses schreckliche weiß, so dass sie einen
Vorgeschmack auf das Leichentuch bekommen. Sehr ermutigend.“
„Schweig, an so etwas denken wir nicht, wir gehen davon aus, all unsere Patienten verlassen
das Krankenhaus gesund und glücklich.“
„Unfug.“
„Ich habe ein Patenkind, vier Jahre alt. Er versorgt mich all den Neuigkeiten zu Bob.“
„Du hast nie Geschwister erwähnt.“
„Du hast nie gefragt. Ich habe eine Schwester und einen Bruder. Mein großer Bruder, der
Vater meines Patenkindes, lebt in den USA, er ist dem Wunsch unseres Vaters nachgekommen
und hat sein Leben nach dort verlegt. Er und seine Frau arbeiten in einer großen Bank. Meine
kleine Schwester lebt derzeit in London. Sie studiert Jura und will eines Tages Richterin
werden.“
„Das Sandwichkind.“
„Ja, vom Bruder verwöhnt, von der Schwester gefürchtet.“
„Ein Banker, Ärztin und eine zukünftige Richterin. Ich würde sagen, deine Eltern haben etwas
aus ihren Kindern gemacht. Was sind deren Berufe?“
„Papa war bei der Armee, so ist er nach Deutschland gekommen und er ist noch immer in
Rammstein stationiert. Mama ist gelernte Kindergärtnerin, hat nachdem meine Schwester in
den selbigen kam, umgeschult auf Altenpflegerin. Möchte man ihren Aussagen Glauben
schenken, dann waren wir drei Grund genug für sie sich von Kindern abzuwenden. Ich
persönlich denke das ist gelogen.“
„Du hast keinerlei Verbindungen zum Fernsehen und trotzdem wolltest du TV Star werden.“
„Mein Onkel ist beim Theater, er hat mich ab und zu in seinen Stücken auftreten lassen, das
hat mein Interesse geweckt. Leider habe ich sein Talent nicht geerbt, er ist weiterhin im
Geschäft, ich bin im Krankenhaus.“
„Du wirst auf einem anderen Gebiet Erfolg haben. Ich denke, man hat nicht versagt, wenn
man etwas anderes versucht und gut darin ist. Man hat versagt, wenn man nicht aufhört etwas
zu versuchen, für das man nicht gemacht ist. Wobei ich denke, du bist eine gute
Schauspielerin. Nur eben eine viel bessere Ärztin.“
„Da spricht der Fan und nicht der objektive Kritiker.“
„Ohne Fans wären achtzig Prozent der Soapdarsteller nicht im Fernsehen, denn wenn ich
mich an manche Soap erinnere. Ein Haufen talentfreier und sehr unattraktiver Menschen, die
stupide Texte aufsagten. Wenn es nicht unzählige kleine Mädchen geben würde, die auf dieses
Zeug stehen würden, dann würden im deutschen Fernsehen nicht mehr als zwei Soaps
existieren.“
„Sieht so aus als wenn wir nicht die richtigen Jungs gehabt hätten um genug kleine Mädchen
auf unsere Seite zu ziehen.“
„Einer war doch recht erfolgreich, die anderen waren zu alt oder nicht das, was Mädchen
wollen. Man sollte mindestens vier knuffige Jungs in die Soap packen, dazu das nette
Mädchen von nebenan, die gute Freundin und das unglückliche Mädchen, bei dem alles
immer schief ging und die einen zeigte, man selber hatte es nicht so schlecht.“ Patrick streckte
ihr eine Packung mit Schokoladenpralinen hin.
Kim seufzte. Sie sollte nicht, doch sie nahm die Schokolade an. Wie sollte sie bei Schokolade
auch ablehnen?
„Hast du die acht Hauptdarsteller für deine Geschichte nach diesem Muster ausgesucht?“
„Nein.“
„Charakterisiere sie für mich. Es ist interessant, ob ich sie so sehe, wie du sie gesehen hast, als
du sie erschaffen hast.“
„Alanis ist die große Tierfreundin, Vegetarierin, die einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn
hat. Billy ist der Sunnyboy, Sportler und Mädchenschwarm, der seiner Freundin völlig
ergeben ist. Celine das geheimnisvolle Mädchen. Carl der Witzbold, Musikfan, der seine
Freundin gerne auf den Arm nimmt. Veronica träumt den Traum eine Schauspielerin und
Modell zu sein, hebt leicht ab, hat aber das Herz am rechten Fleck. Norah die Streberin und
Feministin. Nick der schüchterne Junge, das Sensibelchen. Robbie ist der Macho und
Aufreißer, der Mädchen nicht widerstehen kann und deswegen nicht in der Lage ist eine
richtige Beziehung zu führen. Er wird später durch Will quasi ersetzt, der wenig Streber, ein
wenig schüchtern ist und beides manchmal ungeschickt versucht zu überspielen.“
„Ja, so habe ich sie auch gesehen. Ich muss sagen, ich finde Billy, Norah und Will nicht
sonderlich aufregend, du hast einige Nebencharaktere, die interessanter sind. Sonja, zum
Beispiel.“
„Sie avanciert zu einem Hauptcharakter später. Die Sache ist, nicht alle Leute sind aufregend,
manche sind interessant und angenehm, da sie ein normales Leben führen, oder das, was man
sich unter einem normalen Leben vorstellt.“
„Unsere Leben waren bisher nicht das, was man unter normalen Leben versteht.“
„Nein, wir sind aufregende Charaktere.“
„Ich wünsche nur positiv erwähnt zu werden wenn du eines Tages ein Buch über dein Leben
schreibst. In dem winzigen Kapitel, in dem ich erwähnt werde, will ich nichts finden, das auf
gescheiterte Soap Darstellerin hinweist. Finde gefälligst eine positive Umschreibung für
dieses Desaster.“
„Sie konnte keine Erfüllung in dem Aufsagen von stupiden Texten finden und wandte sich der
Herzchirurgie zu, in der sie zu einer erfolgreichen und geachteten Ärztin und Expertin
avancierte.“
„Perfekt. Das ist alles, was du über mich erwähnen musst.“
Patrick grinste. Er konnte einige Sachen mehr über Kim erwähnen. Alle positiv und alles, was
ihn zu einem Lächeln bringen würde. Sollte er jemals eine Geschichte über sein Leben
schreiben, sie würde ein größeres Kapitel bekommen. Schließlich war sie seine Muse für
unzählige Jahre gewesen.
Kapitel 16

Alles was Patrick und Steve am Freitag in den Sprinter hatten packen müssen waren die
Couch und den Kleiderschrank. Alles andere hatten Patrick und Kim in den letzten Tagen
bereits in die neue Wohnung geschafft.
Patrick hatte den gestrigen Tag und den heutigen Morgen damit verbracht seine Möbel
aufzubauen. Einräumen musste er sie nicht, wenn sein Vater und er morgen die Wände
streichen würden, müssten sie alle von den Wänden abrücken. Also fanden sich die meisten
Sachen in einen der leeren Schlafzimmer.
Der erste Stopp zwischen Patricks alter Wohnung und Steves Wohnung war ein Geschäft für
Matratzen. Patrick hatte einen Scheck aus Kanada erhalten, sein Geld, das er dort in die
Rentenkasse gezahlt hatte. Das hatte er eingetauscht und würde nun ein Matratze kaufen. Eine
große für sein großes Bett, das er eines Tages hinzu kaufen würde. Oder er würde das Gestell
selber bauen.
Die Wahl fiel auf eine einssechzig mal zwei Meter große Matratze, die im Angebot war. Die
Größe war recht ungewöhnlich, die meisten Betten waren einsvierzig oder einsachtzig breit.
Er würde also ein einssechzig Bett bauen. Die passenden Spannbettlaken waren im Angebot,
also packte er zwei Packungen ein.
Steve hatte ebenfalls Vorarbeit für den Umzug geleistet. Seine Sachen waren in Kisten
verpackt, das Regal und die große Truhe, die ihm gehörten, waren leer. Diese Truhe hatte er
aus Düsseldorf mit nach München gebracht. Sie sah aus wie eine alte Schatztruhe aus einem
Piratenfilm und er hatte seine Australiensachen darin aufgewahrt und all die anderen Sachen,
die ihn an Dinge erinnerten, die er erlebt hatte. Die Schätze seiner Kindheit und Jugend, wie
er sie nannte.
„Ich werde von zwölf Quadratmetern auf zwanzig ziehen, was für eine Verbesserung. Du hast
nicht zufällig ein Foto von der Tochter, die vor mir in dem Zimmer gewohnt hat? Damit ich
weiß in wessen Bett ich lande.“
„Sie ist verheiratet, du kannst deine Fantasien beenden.“
„Was für eine Schande, dann wird sie sich sicherlich nicht in ihr altes Bett verirren. Du bist
übrings ein schlechter Vermieter, du stellst keine Bettwäsche.“
„Ich hätte dir meine alte Bettwäsche mitbringen lassen können, meine Eltern kommen morgen
an. Da sollte irgendwo Bettwäsche des FC Bayern München sein.“
„Nein danke, ich habe mir eine gekauft. Meine Eltern dürfen mir die zweite schenken, als
Geschenk zur neuen Wohnung. Sie wollen diese natürlich auch sehen, ich denke, sie werden
nächsten Monat herkommen.“
„Wir werden Elternabende haben, wie aufregend. Sollte wir bis dahin nicht drei Mitbewohner
gefunden haben, dann können sie hier wohnen.“
„Sie können sich nützlich machen. Mama kann putzen, Papa ist Schreiner, wenn wir ihm Holz
besorgen, kann er uns den großen Küchentisch bauen. Dann werden wir deinen Tisch als
Grilltisch nach draußen stellen.“
„Gute Idee.“ Dafür war sein kleiner Tisch ideal. Patrick hatte bereits überlegt die Beine in der
Mitte abzusägen und ihn als Couchtisch zu nutzen. Er würde eines Tages einen Couchtisch
vor seiner Couch gebrauchen. Oder musste er seine Couch zuerst ins Wohnzimmer stellen?
Um seinen Untermietern eine Couch zu bieten. Ein Gedanke, der ihm nicht gefiel.
Steve hatte ganze zehn Kisten mit seinem Eigentum, er war damit nur etwas besser als Patrick
und er wohnte seit einem Jahr in München. Das würde ein schneller Umzug werden, was
beiden sehr entgegen kam, denn sie hatten den Sprinter nur für fünf Stunden gemietet. Alle
Sachen würden vor ihrem neuen Zuhause abgeladen und dann würde Patrick umgehend zur
Autofirma fahren und ihn abgeben.
„Wenn wir den Sprinter länger behalten könnten, hätten wir einen Großeinkauf machen
können.“ Steve sah sich bereits Einkäufe tragen, da beide kein Auto hatten. Vor allem für die
Getränke hätte ein Auto eine erhebliche Erleichterung dargestellt.
„Mein Geld ist leer. Die Matratze hat alles aufgebraucht, was ich hatte. Die nächsten zwei
Wochen muss ich mit dem leben, was ich habe oder meine Eltern morgen mitbringen. Sie
kommen mit dem Auto, Papa sagte etwas davon, dass sie im Kofferraum alles Notwendige
packen werden, das ich brauche. Unter anderem meinen Fernseher, den Videorekorder, die
Stereoanlage und den DVD Player. Sogar meinen alten Computer und was sonst passt. Wir
werden einen Fernseher im Wohnzimmer haben.“ Wenn es schon keine Couch gab, konnte er
seinen Fernseher zur Verfügung stellen.
„Du willst ihn nicht in deinem Zimmer haben?“
„Was wäre ich für ein Vermieter wenn ich keinen Fernseher bieten würde? Und ich werde ihn
kaum nutzen, vielleicht mal für die Nachrichten oder wenn ein Fußballspiel übertragen wird.
Sonst sind Fernseher nicht mein Ding.“
„Du kannst dir meinen jederzeit ausleihen. Netterweise hat mein Zimmer einen Anschluss. Ich
werde meinen Fernseher nutzen.“
„Nun, die nächsten Abende wird meiner wohl auch genutzt, ich habe Kims Videos von der
Soap, die werde ich mir komplett ansehen. Und dann werde ich an der Solution arbeiten, wie
ich diese ollen Kassetten auf meinen Rechner bekomme und auf DVD sichere. Dafür muss es
Programme geben und ich werde sie finden.“
„Der Fanatiker ist erwacht. Ich bin froh, dass ihr beide euch wieder versteht.“
„Ich erst. Alles ist aus dem Wege geräumt, keine bösen Gefühle, keine Vorbehalte. Sie hat
jeden Abend mit mir Sachen geschleppt und dann haben wir das mit einem Essen gefeiert.
Meistens hat das Essen mehr Zeit gebraucht als das Transportieren der Sachen.“
„Hat sie gekocht?“
„Ja, sie hat Paella gemacht. Sie ist gut.“
„Wie sagte Alison zu dir: So lange du mit Liebe kochst wird es gut schmecken.“
„Hoffentlich hat sie einen Topf Liebe in der Küche, ich kann meinen nie finden.“
„Dein Herz sollte voller Liebe sein, nun wo wir beide zusammen wohnen. Wie damals in
Australien, als wir uns diesen Wohnwagen geteilt haben.“
„Und du mich teilweise verrückt gemacht hast, da du kein Fenster öffnen wolltest und
morgens in aller Herrgottsfrühe durch die Gegend gelaufen bist.“
„Nicht jeder kann den halben Tag im Bett liegen.“
„Das nennt man Wochenende und ich war sehr beschäftigt mit dem Schreiben.“
„Ja, ja, ich werde weiterhin früher aufstehen als du sollten wir mal die gleichen Tage frei
haben und eventuell Frühstück machen.“
„Das hört sich gut an.“
„So bin ich, einfach gut.“ Patrick verkniff sich eine Antwort und stoppte den Sprinter vor dem
Haus.
„Mein neues Zuhause, wie schön. Wo ist mein Schlüssel?“
„Beim Schlüsseldienst.“ Patrick musste auf dem Rückweg zum Autovermieter die fünf
Schlüssel abholen, die er in Auftrag gegeben hatte. Dann hätte er sieben Schlüssel zu seiner
Wohnung und für die Wohnungstür. Jeweils einen würden Kim und Gerhard und Hedwig
bekommen, die anderen würden bei ihm, Steve und wer immer bei ihnen einziehen würde,
sein.
„Nimm meinen.“ Sie stiegen aus.
„Fünf Minuten, meinst du wir schaffen es dieses Teil in der Zeit auszuladen?“, fragte Steve.
„Ist eine Herausforderung, ich liebe Herausforderungen. Auf geht es, du reichst runter, ich
werfe alles auf einen Haufen – ohne etwas zu zerbrechen.“
„Das will ich hoffen.“ Steve öffnete die Türen und kletterte in den Laderaum. Stück für Stück
reichte er Patrick runter, zuerst die Couch, dann die Matratze, auf diese legten sie den
Kleiderschrank, das Regal und stellten die Kisten drauf. Als letztes kam die Schatztruhe an
die Reihe und die Ernüchterung, sie hatten zehn Minuten gebraucht. Ihre Möbel waren
schwerer als sie gedacht hatten.
„Herausforderung nicht gewachsen, das wird nächstes Mal besser. Viel Spaß und bis später.“
Patrick stieg wieder ein.
„Super, du fährst durch die Gegend und ich muss tragen.“
„Ich kann Hilfe im Seitenspiegel erkennen. Zumindest die kleinen Dinge solltet ihr ins Haus
bekommen, bei der Couch kann ich gleich helfen.“
„Dir wird nichts anderes über bleiben.“ Steve hatte nicht vor Kim, Hedwig oder Gerhard die
schwere Couch zuzumuten. Wenn sie nett genug waren zu helfen, dann konnten sie mit Steves
Sachen helfen, diese waren erheblich leichter.

„Umzug beendet, jetzt können wir das Leben anfangen.“ Steve ließ sich auf den Küchenboden
fallen, die beiden Stühle ignorierend. Ihre Küche war besser ausgestattet als das Wohnzimmer,
das komplett leer war. Hier hatten sie den Tisch, die Stühle, die alten Küchenmöbel von
Gerhard und Hedwig und ihre Sachen. Patrick hatte Töpfe, Besteck, einen Toaster und
Wasserkocher, dazu ihre restlichen Lebensmittel.
„Was essen wir jetzt? Wer kocht? Wir müssen feiern.“
„Wir können Pasta mit Ketchup machen“, sagte Patrick mit einen Blick aufs Regal. Die
Auswahl war nicht groß. Steve hatte all seine Lebensmittel verbraucht, er würde morgen
einkaufen gehen. Patrick würde warten was seine Eltern morgen mitbrachten. Seine Mutter
hatte von hausgemachten Leckereien gesprochen. Das würden die Sachen werden, die ihn bis
zum nächsten Gehalt am Leben erhalten würden.
„Aufregend, erinnert mich ans Backpacken.“
„Ich lade euch auf eine Pizza ein“, beschloss Kim. „Da ist eine gute Pizzeria ein paar Straßen
entfernt, die auch liefert. Was wollt ihr haben?“
„Was gibt es?“, fragte Steve erfreut.
„Was immer du willst. Jede Pizza ist Tomatensauce, Käse und Basilikum. Den Belag kann
jeder selber auswählen, man zahl fünfzig Cent für jede Sorte, die man haben will. Das heißt,
die billigste Pizza, Magarita, ist sechs Euro.“
„Salami und Pilze mit extra Käse“, entschied Steve.
„Salami, Pilze und Zwiebeln.“
„Ihr beide seid sehr unterschiedlich. Ich nehme Spinat und Knoblauch.“
„Auch gut“, meinte Patrick. Die letzte Pizza, die er selber gemacht hatte, war eine Spinat
Knoblauch Pizza gewesen. Dazu hatte es Pizzabrötchen gegeben.
„Ich rufe sie an.“ Kim verließ die Küche.
„Diese Pizzerias, in denen man die Pizza umsonst bekommt wenn sie nicht heiß ist, finde ich
klasse. Du gibst eine ungenaue Wegbeschreibung und schon hast du ein Abendessen umsonst.
Leider hat GPS das Spiel erschwert. Die meisten finden dich doch noch in der Zeit.“
„Steve, ich bin entsetzt, hast du etwa kriminelle Adern? Diese Sache mit dem Korb damals
war keine Ausnahme?“
„Hör bloß damit auf.“ Steve hatte in Australien einen Einkaufskorb gestohlen. Sie waren
einkaufen gewesen, ein Freund hatte mit dem Wagen auf sie gewartet und als Steve vor dem
Kofferraum stand, hatte er bemerkt, seine Einkäufe waren im Korb und nicht in Plastiktüten.
Der Freund hatte daraufhin gesagt, er solle einfach den Korb in den Kofferraum werfen. Steve
hatte zuerst gezögert, der Freund hatte nachgeholfen und sie waren mit dem Einkaufskorb von
Woolworth zum Hostel gefahren. Patrick hatte Steve ewig damit aufgezogen. Eine Vorstufe
zum Ladendiebstahl sei dies gewesen.
„Pizza bestellt, ist in zwanzig Minuten hier.“
„Das gibt mir Zeit meine Eltern anzurufen, sie müssen mich dann nach zwanzig Minuten
ziehen lassen.“ Steve stand auf. „Was ist unsere Telefonnummer?“
„Ähm, keine Ahnung.“ Eine weitere Frage, die er Gerhard morgen stellen würde. Gleich
nachdem er ihn gefragt hatte, wo welche Sicherung war.
„Ihr habt nicht Hedwigs Nummer, sie haben ihre Nummer mit nach oben genommen, ihr habt
die der Mieter von oben, keine Ahnung wie die war. Du musst hochgehen und Gerhard fragen,
der wird das wissen.“
„Ist nicht das wichtig, ich sage es ihnen ein anderes Mal.“ Steve ging ins Wohnzimmer. Das
Telefon war die einzige Sache, die sie dort hatten.
„Wann kommen deine Eltern morgen an?“ Kim setzte sich auf einen der Küchenstühle.
„Gegen Mittag. Sie fahren um sechs Uhr los, dann sollte sie um zwölf, ein Uhr hier sein.
Wenn ich arbeite, will Hedwig sie reinlassen. Wer weiß wie die Wohnung aussieht wenn ich
wiederkomme.“
„Verstecke alles, was sie nicht finden sollen.“
„Was da wäre?“
„Ich weiß nicht, hast du Geheimnisse, die deine Eltern nicht wissen sollen? Alte Liebesbriefe?
Alte Nacktfotos von dir und Freundinnen? Beweismittel für Streiche, die du in deiner Jugend
begangen hast?“
„Nein, all so etwas besitze ich nicht, in der Beziehung bin ich sehr langweilig. Aber ich habe
etwas anderes, das nicht für sie ist, sondern für dich. Warte hier.“ Er stand auf und
verschwand.
Eine Überraschung für sie? Kim sah ihm nach. Was konnte das sein? Hatte er das sechste
Buch seiner Geschichte ausdrucken und binden lassen? Das würde sie freuen, sie hatte zwar
dieses Buch und auch das nächste auf ihrem Rechner, aber halt auf dem Rechner und nicht
ausgedruckt. Sie hatte inzwischen fünf verschiedene Widmungen in ihren Büchern und in der
Woche, in der sie nicht miteinander gesprochen hatten, hatte sie diese Widmungen jeden Tag
gelesen. Als wenn sie die Antwort auf ihre Fragen in sich trugen. Vor allem das im dritten
Buch, als Sonja das erste Mal auftauchte, war etwas, das sie auswendig aufsagen konnte:
Für Kim, meine persönliche Sonja, meine Inspiration über vierzehn Jahre. Danke für all diese
Inspirationen, die du mir gegeben hast. Ohne dich wären viele meiner Geschichten nicht
möglich gewesen.
Wieso hatte sie so reagiert als er sie geküsst hatte? Sie mochte ihn, sie hatte ihn selber
weniger als eine Stunde zuvor auf der Tanzfläche geküsst. Doch das war für ihre Tarnung
gewesen. Nur weswegen hatte sie Patrick überhaupt als ihren Freund ausgegeben? Eine solch
dumme Idee hatte sie früher nicht gehabt. Er war nicht der erste Mann, der sie bei der Arbeit
besucht hatte. Wieso gerade er? War es weil sie sich so gut verstanden? Weil sie sich nahe
waren? Es gab keine logische Erklärung für sie wieso sie so gehandelt hatte. Es gab keine
logische Erklärung wieso...da war er wieder.
„Das ist für dich.“ Er reichte ihr einen zusammengefalteten Zettel.
„Was ist das?“
„Sieh es dir an.“
Sie faltete es auseinander. Theater der lustigen Abende. Neues Stück im Frühjahr. Darsteller
jetzt gesucht. Kim schloss die Augen.
„Pat, die Schauspielerei ist Vergangenheit. Sie hatte ihre Chance, es hat nicht geklappt, jetzt
habe ich andere Dinge in meinem Leben. Mit der Medizin habe ich keine Zeit für all die
Proben und Vorstellungen. Ich habe einen Job, der mich meistens mehr als vierzig Stunden in
der Woche beschäftigt.“
„Das ist das Theater deines Onkels...“
„Das weiß ich.“ Sie hatte das Logo ihres Onkels gesehen. Das machte die Sache umso
schwerer. „Wo hast du das her?“
„Nun, du hast mir von deinem Onkel beim Theater erzählt, in welchen Theater er ist, ich bin
gestern hin, hatte eine längere, interessante Unterhaltung mit ihm und wir sind beide der
Meinung, du verschwendest Talent wenn du die Schauspielerin komplett aufgibst. Selbst
Ärzte dürfen Hobbys haben.“
„Ja, dürfen wir. Lesen, Golf, Oper, etwas, das nicht regelmäßig ausgeübt werden muss, das
man zwischen den Beruf schieben kann. Schauspielerin kann man nicht einfach zwischen
etwas schieben.“
„Er hat gesagt, du bist auf keinen Fall eine Kandidatin für die Hauptrolle, eben weil du nicht
jede Probe mitmachen kannst, du bist keine Kandidatin für eine Erstbesetzung, du kannst
nicht all die Vorstellungen mitmachen, aber du kannst eine Zweitbesetzung in einer
Nebenrolle sein. Er würde gerne mit dir arbeiten.“
Kim seufzte. Ihr Onkel hatte niemals verstanden, dass sie der Schauspielerin den Rücken
gekehrt hatte und nur die Medizin in ihrem Leben haben wollte. Er hatte immer versucht sie
zur Schauspielerin zurück zu locken. Hatte ihr Einladungen für Vorführungen in den
Semesterferien geschickt, einmal hatte sie nachgegeben und eine kleine Rolle in einem Stück
übernommen, das nur den Sommer über lief.
„Wieso musstest du gerade mit meinem Onkel reden? Neben dir ist er der einzige große Fan,
den ich jemals hatte. Meinen damaligen Freund vielleicht, aber ich denke, der war nur so
enthusiastisch weil er sagen konnte, seine Freundin ist im Fernsehen und um mich ins Bett zu
bekommen. Sage ihr was sie hören will und sie gibt dir, was du haben willst.“
„Ich hatte dich bereits im Bett, das muss ich nicht mehr versuchen“, grinste Patrick.
„Ja, du warst mit einer tiefschlafenden Kim zufrieden, er nicht. Um auf diesen Unsinn zurück
zu kommen...“
„Es ist kein Unsinn. Dein Onkel sagte, du kannst zwei Proben pro Woche mitmachen, die
Woche, in der du Spätschicht hast, bleibst du einfach weg oder er probt mit dir am Morgen.
Kim, es ist die Chance dein Hobby aufleben zu lassen. Wenn du die Schauspielerei damals
wirklich genossen hast, dann solltest du sie dir als Hobby halten. Was spricht dagegen? Es ist
kein professionelles Arrangement, es ist zur Freude.“
„Ich habe nicht die Zeit.“
„Das ist Blödsinn. Du kannst sie dir nehmen. Ich kann das Schreiben in meinen Tagesablauf
packen, das beansprucht auch mehrere Stunden in der Woche, wenn man etwas wirklich mag,
dann nimmt man sich die Zeit.“
„Die Zeit, die ich in die Schauspielerin investieren würde, würde von deiner Zeit abgehen.“
„Ich werde dich ab und zu bei den Proben besuchen und die Vorstellung, ich werde dich auf
der Bühne sehen, die entschädigt mich für vieles.“ Sollte sie gehofft haben, er würde ihr eine
Entschuldigung liefern, dann hatte sie sich geirrt. Er würde auf einen Abend mit ihr verzichten
wenn er am Ende eine Theateraufführung mit ihr sehen konnte.
„Gib es zu, du willst nur Hunderte von Fotos von meinem Auftritt machen.“
„Nein, vier oder fünf. Ich will das Stück mit einer Digitalen Videokamera filmen, dann kann
ich dich sehen wann immer ich will. Das ist wie mit deinen Videos.“ Von den Videos konnte
er Videofotos machen, das ersparte ihm viele Fotos mit der Kamera zu machen und er konnte
sich exakt die Bewegung aussuchen, die er haben wollte. Das war eine Sache, die er ihr lieber
verschwieg.
„Was immer du damit willst ohne Videorekorder und Fernseher.“
„Beides wird morgen geliefert, ich habe mich gestern ein wenig schlau gemacht und werde
mir die passenden Programme holen, die mir helfen, Videos auf den Rechner zu überspielen
und dann in DVD Format umzuwandeln.“
„All dieser Aufwand.“
„Ja, ich will neben meinen Büchern einen CD Ständer mit DVDs deiner Auftritte im
Fernsehen und auf der Bühne haben. Wunderbar, mit schönen Cover und Klapptext, wie bei
einer richtigen DVD, die man im Laden kaufen kann. Mein persönliches Ziel für dieses Jahr.
Es liegt an dir ob ich mein Ziel erreiche oder nicht.“
„Das ist Erpressung.“
„Nein, das ist mein Schicksal, meinen Seelenfrieden in deine Hände legen, dir Vertrauen
entgegen bringen.“
„Emotionale Erpressung.“ Sie seufzte abgrundtief. „Okay, ich werde mit meinem Onkel
sprechen. Wenn mir gefällt was er plant, wenn wir es mit meinem Dienstplan vereinbaren
können, dann werde ich über diese Sache nachdenken. Ich hoffe, das bedeutet, du arbeitest
auch weiterhin an der Erfüllung deines Traumberufes. Oder daran dein Hobby mehr in dein
Leben zu integrieren.“
„Es ist bereits ein sehr großer Teil meines Lebens, aber ja, ich arbeite daran, dass mit mein
Hobby etwas zählbares zurück gibt.“ Er konnte Geld nun mehr denn je gebrauchen. Sein
Vorsatz, für das Ausdrucken und Binden der Bücher nur Geld zu verwenden, das er mit dem
Schreiben verdient hatte, stand.
„Gut.“ Sie sah ihn nachdenklich an. „Ich habe keine Ahnung wieso ich all das mache. Bevor
du in mein Leben getreten bist habe ich keinerlei Gedanken daran verschwendet der
Schauspielerei eine zweite Chance zu geben oder ihr feste Stunden in meinem Leben zu
geben. Sie war Vergangenheit für mich. Etwas, an das ich mich gerne zurück erinnere, das
jedoch definitiv zur Vergangenheit gehörte.“
„Ich wollte niemals meine Sachen ausgedruckt haben oder Geld mit meinen Geschichten
verdienen, du hast mich dazu gebracht meine Kurzgeschichten zu verkaufen. Ich denke, wir
bringen uns gegenseitig dazu Dinge zu tun, die wir von uns aus nicht tun würden. Nicht weil
wir diese Dinge nicht mögen oder sie gegen unsere Überzeugung sind, sondern weil wir uns
niemals den nötigen Tritt in den Hintern dafür geben würden.“
„Damit hast du wahrscheinlich recht.“ Kim sah aus dem Fenster. Ein Auto hatte vor dem
Gelände gehalten, das musste ihre Pizza sein. Es war Zeit für ein Abendessen und Zeit Steve
vom Telefon weg zu holen. Seine zwanzig Minuten waren um. Er wollte sicherlich nicht die
Pizza kalt werden lassen.

Es war noch immer etwas Besonderes für Patrick in sein neues Zuhause zu kommen. Sein
Zuhause, das nun nur noch seine Eigentumswohnung war, er hatte sich selbst dabei erwischt,
wie er zuerst zur S-Bahn Haltestelle gehen wollte. Zu sich selbst lachend drehte er sich um
und machte sich auf seinen neuen Heimweg.
Es war fünfzehn Uhr und einige Minuten als er vor seinem Zuhause stand. Ein VW Kombi
mit Paderborner Kennzeichen stand vor dem Haus. Seine Eltern waren demnach angekommen
und da er ihnen unterstellte, sie waren nicht mit leerem Kofferraum angekommen, mussten sie
alles bereits ins Haus getragen haben. Was für ein wunderbarer Service.
Steve begrüßte ihn im Flur. Er trug einen großen, lächerlichen Papierhut, der Patrick sehr an
ein Schiff erinnerte.
„Ahoi, wir haben mit dem Streichen angefangen. Mein Zimmer wird bunt.“
„Bunt?“ In Sinne von, alle Farben nacheinander an die Wand gestrichen? In Sinne von, weißer
Grund und dann bunte Punkte? Oder bunte Streifen? Was genau bedeutete bunt? Hatte er
einen Fehler gemacht als er Steve erlaubte, sein Zimmer so zu gestalten, wie er es gerne
haben wollte.
„Ja, ich werde die Fahnen meiner vier Lieblingsländer an die Wand malen. Australien,
Spanien, Neuseeland und Italien. Das heißt, an jeder dieser Wände müssen Fotos von mir in
den betreffenden Ländern, was wiederum bedeutet, ich muss in den Urlaub nach Spanien und
Italien. Das wird mein persönlicher Ansporn. Lust mich zu begleiten?“
„Nach Spanien ja, Italien nein. Alison ist in Spanien, wir sollten sie besuchen.“
„Ich bin dabei.“
„Patrick, da bist ja.“ Seine Mutter kam aus der Küche und umarmte ihn. „Steve war so nett
und hat uns geholfen die Sachen ins Haus zu bringen.“
„Das war kein Problem, ich werde deinem Vater mal mit dem Streichen helfen. Er ist in
meinem Zimmer. Diese Sache mit den Fahnen fand er sehr interessant.“
„Deine Sachen stehen in dem Wohnzimmer hier vorne, wir dachten, es macht keinen Sinn sie
in dein Zimmer zu stellen wenn du da streichen willst. Da steht ein Eimer mit Farbe bereit
und eine Überraschung wartet auf dich. Ich werde in der Küche weitermachen, das Essen
vorbereiten, kann ich sonst noch etwas machen?“
„Ich denke, ich lasse die anderen Zimmer wie sie sind, wer immer dort einziehen wird, kann
sie ändern. Das Wohnzimmer, ich suche nach einer Tapete, die eine große Weltkarte darstellt.
Zumindest für eine Wand, die anderen können weiß oder so was sein.“
„Das sind Sachen, die du mit Papa machen kannst.“ Seine Mutter verschwand wieder in der
Küche. Patrick war sich sicher, sie würde alles zuerst putzen und dann mit dem Abendessen
anfangen. Er begrüßte seinen Vater und ging in sein Zimmer. Dieser schickte ihn in sein
Zimmer, wo die Farbe bereits auf ihn wartete. Und eine Überraschung. Was hatten sich seine
Eltern einfallen lassen?
Patrick öffnete die Tür und seine Kinnlade fiel nach unten. Das war eine Überraschung! Ohne
Zweifel.
„Sascha, was machst du denn hier?“ Sein kleiner Bruder. Da stand er, auf einer Trittleiter,
breit grinsend. Er trug ein altes, weißes T-Shirt, das einige Farbspritzer aufwies und seine
zerrissene Jeans war voller weißer Punkte.
„Ich dachte mir, ich gucke mir an, was für eine Bruchbude du dir angelegt hast. Nicht
schlecht, muss ich sagen.“ Damit hätte Patrick niemals gerechnet, sein kleiner Bruder war in
München. Er hatte sein heißgeliebtes Wochenende aufgegeben. Keine zwei Abende mit Partys
und Alkohol, stattdessen war er um fünf Uhr aufgestanden und mit den Eltern nach München
gefahren.
„Cool. Die Überraschung ist dir gelungen.“
„Einer muss dir zeigen wie man ein Zimmer streicht. Was hast du dir für eine schwule Farbe
ausgesucht? Gelb.“ Alles, was seinen Bruder nicht passte, was er nicht mochte, war schwul.
Ob Farbe, Schuhe, Möbelstücke.
„Vanille. Weiß ist langweilig, dunkle Farben machen das Zimmer klein. Diese Farbe passt
wunderbar zu meinen Fahnen. Kanada kommt an die Wand, über die Couch, Australien über
das Bett, Neuseeland an die zum Badezimmer. Ich werde Fotos drum herum packen, oder soll
ich die lieber in einen großen Rahmen an eine Wand zusammen packen?“
„Die Fahnen kannst du in den Flur packen, dann sehen die Leute sofort worauf sie sich
einlassen und dann deine Fotos hier aufhängen. Man muss dein Gesicht nicht in jedem
Zimmer in der Wohnung sehen.“ Das war sein Bruder. Immer nett, immer charmant.
„Es ist meine Wohnung, ich kann mein Gesicht an jede Wand malen lassen wenn ich will.“
„Nur dann wird keiner hier einziehen und außer Stevie Wonder, Ray Charles und einigen
Freunden von denen wird dich keiner besuchen kommen.“
„Wie schön dass du noch immer deinen Humor und Charme hast. Bist du hier um meine
Nerven zu belasten?“
„Nein, ich bin hier um mit dir zu streichen. Guck dir die Farbe an, die ich gemischt habe, ob
sie in Ordnung ist oder ob sie heller oder dunkler sein soll.“
Patrick lenkte seine Aufmerksamkeit zu dem Eimer Farbe. Es war einmal gelb gewesen,
Sascha hatte weiß hinzugegeben, der Eimer mit der weißen Farbe stand daneben. Ein wenig
zu gelb für Patricks Geschmack. Er schüttete etwas weiß nach, verrührte alles gut und war
zufrieden.
„So soll es sein.“
„Da ist eine Rolle.“ Sie hatten zwei Streichrollen und eine Trittleiter. Einer der Küchenstühle
war als Aushilfstrittleiter auserwählt worden.
Patrick startete rechts von der Tür, Sascha links. Sie mussten sich an der Badezimmertür
treffen. Patrick hatte die größere Fläche zu streichen, Sascha die anspruchsvollere mit dem
Fenster.
„Wie kommt es dass du dieses Wochenende keine Partys hast? Oder schaffen die Partys der
Stadt es ein Wochenende ohne dich zu überleben?“
„Ich dachte mir, ich werde nach dem Abendessen in einen der Clubs hier gehen. Eine von
meiner Abiturklasse studiert in München, wir treffen uns und versuchen ins P1 zu kommen.
Du kannst mitkommen wenn du willst.“
„Dir sollte meine Begeisterung für Partys noch bekannst sein.“
„Früher bist du immer gegangen.“ Früher hatte er seinen kleinen Bruder mitgenommen wenn
er jemand brauchte, der als Aufsichtsperson da sein musste, da er unter achtzehn war. Kaum
war diese Hürde überwunden hatte Patrick aufgehört auf Partys zu gehen. Bei der lauten
Musik konnte man keine Gespräche führen, welchen Sinn machte es also sich mit jemand zu
treffen, den man wochenlang nicht gesehen hatte, wenn man sich nicht unterhalten konnte?
Eine Unterhaltung, bei der man sich die ganze Zeit ins Ohr schrie, war nicht das, was Patrick
unter einem schönen Abend verstand.
„Ich bin zu alt für dieses Zeug, ich habe mich mit zwanzig ausgetobt, dann noch einmal in
meinem ersten Jahr Australien, jetzt ist gut, ich kann nun ruhige Abende haben.“
„Langweilig.“
„Erholsam. Außerdem wird mein Geld in diese Wohnung fließen, ich habe kein Geld um für
ein Bier vier Euro zu zahlen.“
„Man muss sich etwas gönnen.“
„Das habe ich, du stehst in meiner Belohnung für mich selber.“
„Wenigstens kannst du jetzt nicht mehr jahrelang durch die Gegend ziehen und musst
ordentlich arbeiten. Wobei, putzen, dafür hast du studiert?“
„Das Putzen ist ein kleiner Teil, meistens bin ich an der Rezeption und die eine Woche hatte
ich die Verantwortung für die ganze Pension. Es ist etwas anderes als mein Studium und das
ist gut. Wer weiß was ich in fünf Jahren mache.“
„Deine Schulden abzahlen.“
„Das ist sicher.“ Er würde mehr als fünf Jahre für die Abzahlung seiner Schulden brauchen.
Mindestens zwanzig Jahre und das war seine Rechnung, eher mehr. Er hatte
zweihundertfünfzig Tausend Euro bezahlt. Für das Geld hätte er ein Haus bauen können.
Nicht in München, aber in einem Dorf irgendwo auf dem Land. Die ersten fünftausend Euro
waren bezahlt, der Rest würde in den nächsten Jahren, Jahrzehnten folgen.
„Hey Patrick, ich...oh, hallo.“ Kim blieb angewurzelt stehen als sie Sascha sah. Er drehte sich
um und grinste.
„Hi.“
„Kim, du hast die seltene Ehre meinen kleinen Bruder zu begrüßen. Das ist Sascha.
Brüderchen, das ist Kim.“
„Die Ärztin aus Leidenschaft.“
„Doktor Quinn bin ich nicht, aber mir macht mein Beruf Spaß.“
„Ich gehe und zische mir ein Bierchen. Wollt ihr auch eins? Papa und ich habe eine Kiste
geholt nachdem du nichts hier hattest.“
„Nein danke, ich bleibe beim Mineralwasser.“
„Ich trinke keinen Alkohol“, lehnte Kim dankend an.
„Selber Schuld.“ Sascha verließ das Zimmer.
„Kim sah ihm nach. „Das ist dein kleiner Bruder? Der ist süß.“ Das war nicht etwas, das
Patrick hören wollte. Vor allem nicht von Kim.
„Du hast all deine Chancen verspielt als du erwähntest, du würdest keine Alkohol trinken. Der
Alkohol gehört zu seinen Wochenendbeschäftigungen, wenn seine Freundin das nicht
unterstützt, dann ist sie nicht die richtige Freundin für ihn.“
„Vielleicht sollte ich ihm sagen, dass es mir nichts ausmacht wenn mein Freund trinkt, so
lange er nicht jeden Abend betrunken nach Hause kommt. Andererseits ist dein kleiner Bruder
viel zu jung für mich.“
„Eben, er könnte fast dein Sohn sein.“
„Dann wäre ich eine sehr, sehr junge Mutter gewesen, ich würde fast behaupten, biologisch
unmöglich. Er ist wie alt? Zweiundzwanzig? Dreiundzwanzig? Ich hätte neun sein müssen.
Ich könnte die große Schwester sein, wie bei Steve.“
„Dann schmachte ihn unauffällig an und lass ihn heute Abend mit einer Freundin ins P1
gehen, falls sie rein kommen. Du kannst dich uns anschließen und den Abend hier genießen,
in aller Ruhe, mit einen Saft und etwas zu knabbern.“
„Spätestens um zehn werde ich mich verabschieden, die Frühschicht fängt um sechs an.“
„Ich werde auch nicht länger als elf wach sein und da meine Eltern seit fünf Uhr wach sind,
eine längere Autofahrt hinter sich haben, werden sie wohl auch dann ins Bett wollen. Nur der
kleine Wilde muss sich austoben, das heißt, er wird aufstehen, wenn wir von der Arbeit
kommen.“
„Das nennt man Jugend.“
„Kann ich eigentlich etwas für dich tun oder bist du nur hier weil du mich vermisst hast und
meine Familie kennen lernen wolltest?“
„Das habe ich nebenbei gemacht, zuerst deine Mutter, dann dein Vater. Er und Steve haben
eine sehr schöne italienische Fahne an die Wand gemalt und deine Mutter war auch kreativ.
Deine Küche hatte eine Blumenwiese an der Wand.“
„Bitte?“ Was sollte das bedeuten? Seine Küche hatte eine Blumenwiese an der Wand.
„Sie hat rund um die Arbeitsfläche diverse Blumen an die Wand gemalt, sehr talentiert, muss
ich sagen. Sieht klasse aus, wenn sie Langeweile hat, dann darf sie das bei mir gerne auch
machen. Kann ich sie für ein Wochenende oder so mieten? Ist sie Malerin?“
„Nein, das ist ihr Hobby. Unsere Wohnung ist voller kleiner Wandgemälde und
selbstgebastelten Kram, der überall herum steht.“
„Du hast ihr Talent nicht geerbt?“
„Nein, meine kreative Ader ist in eine andere Richtung gegangen.“
„Was auch sehr gut ist, was ist mit deinem Vater und deinem Bruder?“
„Mein Vater ist sehr kreativ was praktische Dinge angeht, wenn du ein Regal haben willst,
dann wird er dir eins bauen, das es sicherlich nicht im Supermarkt gibt. Seine Konstruktionen
können sehr eigenartig sein. Doch wenn man sie unter moderne Kunst packt, dann haben sie
ihren eignen Charme. Mein Bruder ist mehr am Computer kreativ, er hat eine Sporthomepage
und schreibt dafür Artikel. Jeder von uns hat irgendwo tief seine kreative Seite.“
„Was ich sehr gut finde. Doch war deine kreative Familie nicht der Grund wieso ich hierher
gekommen bin. Ich habe mit dem kreativen Teil meiner Familie gesprochen.“
„Dein Onkel?“ Patrick war sehr froh, dass Kim ihr Versprechen eingehalten hatte und ihren
Onkel aufgesucht hatte.
„Ja. Ich werde in seinem Theaterstück mitspielen. Eine alleinerziehende Mutter. Es ist eine
Zweitbesetzung und Nebenrolle. Wir fangen nächste Woche mit der Probe an und neben mir
ist eine andere Person da, die nur jede zweite Woche an den Proben am Abend teilnehmen
kann. Wir werden mit meinem Onkel zweimal die Woche am Morgen für zwei Stunden
zusammen kommen und proben. Ich werde eine oder zwei Aufführungen machen, das Stück
an sich wird fünfzehnmal aufgeführt.“
„Ich werde beide Mal anwesend sein.“
„Das habe ich mir gedacht. Zufrieden?“
„Sehr zufrieden.“ Patrick grinste. Er würde Kim in Aktion sehen, würde sie nach all den
Jahren wieder schauspielern sehen. Wie sollte er da unzufrieden sein?
„Ich hoffe, nach diesem einen Stück gibst du Ruhe.“ Sie sah sein grinsendes Gesicht. „Du
wirst nie Ruhe geben, richtig?“
„Setze nicht darauf. Du bist meine Lieblingsschauspielerin, ich werde sicherlich nicht mit nur
einem Theaterstück zufrieden sein. So lange es die Chance gibt, du entscheidest dich für ein
weiteres Theaterstück, werde ich versuchen dich dazu zu bewegen.“
„Kannst du nicht meinen Beruf ein wenig mehr unterstützen?“
„Den unterstützt du bereits genug. Es ist dein Hobby, das gerne unter den Tisch gekehrt wird
und das ich retten muss. Sonst wird dieses wunderbare Talent verschwendet.“
„Weiß eigentlich einer aus deiner Familie von meiner Vergangenheit?“
„Nein.“
„Gut, ich hoffe, wir können das dabei belassen.“
„Sicher. Sonst erfahren sie, ihr bin ein Fan und verlieren ihren Glauben an mich. Und sie
werden dir die Schuld daran geben wieso ich nach München gegangen bin. Du wirst die böse
Person sein, wegen der ihr Sohn Paderborn verlassen hat.“
„Ihr Sohn hat Paderborn verlassen weil er verrückt ist.“
„Deswegen habe ich diese Wohnung gekauft. Ein normaldenkender Mensch hätte die Finger
davon gelassen.“
„Wenn du nicht hier wärst würde ich dich ziemlich vermissen. Du gehörst zu meinem Leben
und ich kann mir nicht vorstellen, wir hätten jemand besseres finden können um hier
einzuziehen.“
„Oh, komm her.“ Patrick umarmte Kim. Er war auch sehr froh über seine Entscheidung
hierher zu ziehen. Mehr als er es in Worte fassen konnte.
Kapitel 17

Gute Gründe um an einem freien Morgen früh aus dem Bett zu kommen sind rar. Wieso sollte
man die gemütlichen Federn verlassen wenn man spät am Abend zuvor in diese gekrochen
war? Patrick hatte am Tag zuvor Spätschicht gehabt, war um halb elf nach Hause gekommen
und hatte sich dann im Wohnzimmer lange mit Maria unterhalten.
Maria war seine und Steves erste Mitbewohnerin. Sie hatte sich auf die Anzeige gemeldet, die
er an der Universität ausgehangen hatte. Im Herbst hatte sie begonnen Philosophie und
griechische Mythologie zu studieren und würde nun im Frühjahr ins zweite Semester
kommen. Bisher hatte sie bei einer Tante am östlichen Stadtrand von München gewohnt,
nachdem sie sich sicher war, diese Studiengänge waren das, was sie machen wollte, hatte sie
sich nach einer längerfristigen Bleibe umgesehen.
Sie wohnte in der WG seit zwei Wochen und Patrick hatte keinen Grund gehabt sich zu
beschweren. Wenn Maria jemand von der Universität mit nach Hause brachte, dann waren sie
meistens in Marias Zimmer und lernten. Sie war kein Partyfan. Ihr Zimmer, das andere, das
an Patricks Zimmer anschloss, bestand aus einer Regalwand an der rechten Wand, einem Bett
und einem Schreibtisch vor dem Fenster. Eine alte Figur der griechischen Mythologie in der
linken Ecke und unzählige Poster über Philosophie und Mythologie an den freien Stellen der
restlichen Wände.
Ihr Gesprächthema war Philosophie gewesen. Patrick hatte einen Philosophie und
Anthropologiekurs im Studium gehabt, allerdings hatte er zwei andere Gründe als Maria
gehabt. Der erste war, da er sich für Philosophie entschieden hatte, musste er kein Theologie
machen und der zweite war, man hatte ihm gesagt, in diesem Kurs würden die meisten
durchfallen, was für ihn eine Herausforderung gewesen war. Er hatte bestanden, er hatte in der
Prüfung dem Philosophen widersprochen, der behauptet hatte, Tiere haben keine Seele und
sein Dozent war zufrieden gewesen, da es gezeigt hatte, er habe sich mit dem Thema
auseinander gesetzt und verstanden, worum es ging.
Nun am Morgen hatte er gegen halb zehn sein Bett verlassen, Maria und Steve waren beide
bereits außer Haus und nach einem kurzen Frühstück war er los zu seinem Termin am
Morgen. Kein richtiger Termin, eher ein netter Zeitvertreib. Die meisten freien Morgen
vertrödelte er, schrieb an seiner Geschichte, sah sich alte Fotos an. Letzte Woche hatte er seine
erste Stunde in Gartenarbeit von Hedwig bekommen. Er würde ein Beet anlegen, Kartoffeln,
Möhren, Salat, Erbsen, Kräuter anlegen. Sie hatten Unkraut gejätet und Patrick hatte überlegt,
wo er was hinpflanzen wollte. Nun hatte er etwas Zeit bis er die Sachen anpflanzen konnte. Es
war Ende Februar, auf ihr Beet würde erneut Schnee fallen, es würde zufrieren, aber er hatte
etwas getan. Niemand außer ihnen hatte im Garten gestanden, es war zu früh.
Mit S-Bahn und Bus war er zwanzig Minuten später am Ziel. Eine unscheinbare Tür zu einem
schwarz-lilafarbenen Gebäude. Die Tür war offen und ihm schlug eine absolute Stille
entgegen. Ohne Licht anzuschalten, das in der Dämmerung des Gebäudes angebracht gewesen
wäre, ging er zu einer weiteren Tür, die er leise öffnete. Unbemerkt schlüpfte er in den Raum,
der vielleicht fünfhundert Quadratmeter groß war und mit Stühlen gefüllt war. Das Theater
von Kims Onkel.
Patrick wusste von früheren Besuchen, an den Wänden hingen Lampen, die von roten
Lampenschirmen umgeben waren und den Raum in ein angenehmes, gedämpftes Licht
tauchten wenn sie eingeschaltet waren. Man konnte sie dimmen, bei einer Vorstellung würden
sie angeschaltet bleiben, so das man den Weg nach draußen fand, sollte man während der
Vorstellung den Saal verlassen müssen. Der Teppich war schwarz-grau und schwer.
Die Stühle mussten aus einem alten Kino stammen, die erinnerten Patrick an die Kinos, die er
in den Filmen der fünfziger und sechziger gesehen hatte. Gesäubert, liebevolle restauriert und
neu bezogen hatten sie ein neues Zuhause gefunden. Poster von alten Film- und
Theaterdarstellern hingen neben alten Plakaten von Vorstellungen an den Wänden. Ein
wunderbarer Ort, an dem Patrick gerne einmal einen Nachmittag alleine sein würde um zu
schreiben. Es gab Orte, die kreative Kräfte unterstützten und förderten, dies war einer. Das
letzte Mal, dass er so etwas an einem Ort empfunden hatte, war zwei Jahre her. Ein ganz
anderes Ambiente, doch Patrick hatte gespürt, wie dieser Ort ihn fasziniert und inspiriert
hatte. Ein Casino in Neuseeland.
Kim, ihr Onkel und eine andere Frau standen auf der Bühne, im einzigen Licht, das
angeschaltet war und übten das Theaterstück. Patrick ließ sich auf einen Stuhl in der
hintersten Reihe fallen und beobachtete sie unbemerkt. Er würde die Probe nicht stören
wollen indem er sich bemerkbar machte. Er wollte einfach hier sitzen, zuhören, beobachten
und genießen. Bisher hatte er es nur zweimal geschafft Kim bei der Probe zuzusehen, beide
Male war am Abend gewesen, wenn sie mit allen geprobt hatte.
Eine Stunde blieb er beinahe bewegungslos und still sitzen bis Kims Onkel verkündete, die
Probe sei für heute beendet. Seine eigene, private Vorstellung war für heute beendet, er hatte
sie genossen.
Klatschend und lächelnd ging er den Gang herunter zur Bühne. Die beiden Darsteller und ihr
Regisseur sahen überrascht auf.
„Ein Fan“, lächelte Kims Onkel.
„Ein großer Fan, Maurice“, verbesserte Patrick. Er blieb vor Kim stehen, die ihn etwa einen
Meter überragte auf der Bühne stehend.
„Was machst du hier?“
„Dir zusehen, mich von der wunderbaren Welt des Theaters faszinieren lassen und Ideen
sammeln. Ich muss mal wieder ein paar Lieder schreiben, vielleicht springt eure Kreativität
auf mich über und inspiriert mich zu einem Nummer eins Hit.“ Er wandte sich der zweiten
Frau zu, die auf der Bühne stand. „Hallo Lena, du warst gut.“
„Keine kommerziellen Gedanken im Hause des Kreativität“, wies Maurice Patrick zurecht.
„Danke.“ Sie sprang von der Bühne. „Ich muss los, das Mittagessen muss gekocht sein wenn
das Monster aus der Schule kommt.“ Lena hatte eine Tochter, die jeden Tag um halb eins aus
der Schule zurück war und bevor sie ihre Tochter der Obhut ihres Ehemannes überlassen
konnte, der um kurz nach zwei von der Arbeit kam, musste sie kochen und alles vorbereiten.
Sie war acht Stunden arbeiten, ihr Mann und ihre Tochter würden verhungern wenn sie beiden
nicht alles hinstellen würde.
Patrick reichte Kim seine Hand um ihr von der Bühne zu helfen.
„Junge, so hilft man keiner Dame aus dieser Höhe.“
„Entschuldige, ich habe die alte Schule um einige Jahrzehnte verpasst. Darf ich?“ Er umfasste
Kims Taile, hob sie von der Bühne und ließ sie vorsichtig auf den Boden neben sich.
„Das nenne ich einen Kavalier.“
„Ich bin zwar nicht so alt, dass man mich von der Bühne heben muss, aber danke.“ Kim
umarmte Patrick. „Schön dass du hier bist. Wie lange hast du da oben gesessen?“
„Beinahe die ganze Probe.“
„Das nächste Mal sagst du mir Bescheid, dann nehme ich dich mit. Es ist unnötig, dass du mit
den öffentlichen Verkehrsmitteln herkommst wenn ich fahre.“
„Ich war mir nicht sicher ob du mich bei der Probe haben wolltest, deswegen dachte ich mir,
ich riskiere nichts.“ Er hätte verstehen können wenn Kim von Zuschauern nicht begeistert
gewesen wäre. Er hatte jahrelang nicht schreiben können wenn jemand im gleichen Raum war
wie er. Selbst wenn diese Person nicht wusste, dass Patrick an einem Buch arbeitete und ihn
ignorierte, die Anwesenheit hatte ihn blockiert.
„Deinen Fanatismus haben ich inzwischen akzeptiert.“
„Fans machen dich nicht zu einem guten Schauspieler, aber ihre Anerkennung ist wertvoller
als Geld. Dieser junge Mann ist dein Fan, er erweist somit besten Geschmack und die
Tatsache dass er dich dazu gebracht hat Theater zu spielen, sichert ihm meinen ewigen Dank.
Wenn du wüsstest wie viele Stücke ich hatte, in denen Rollen dir quasi auf den Leib
geschrieben waren und du sie abgelehnt hast ohne sie dir anzusehen...es ist gut dich wieder im
Geschäft zu sehen.“
„Ein Stück“, warnte Kim ihren Onkel. Oder war es mehr eine Erinnerung an sie selber? Sie
hatte bemerkt wie sehr sie die Schauspielerei vermisst hatte. Es war schön gewesen wieder
auf der Bühne zu stehen, wieder in einen andere Person zu schlüpfen, Text lernen und etwas
von einem selber in seinen Charakter zu bringen. Ihr Onkel war immer dankbar wenn man
sich mit seinem Charakter auseinander setzte.
Wo hatte Patrick sie nur reingeritten? Wenn ihre alte Leidenschaft aufbrechen würde, würde
sie die Kraft haben sich auf die Medizin zu konzentrieren? Würde sie das, was sie sich in all
den Jahren mühevoll aufgebaut hatte, riskieren um ihrer alten Leidenschaft eine zweite
Chance zu geben? Sie hatte einmal die Schule beinahe wegen der Schauspielerein
vernachlässigt und sich somit ihren Weg in die Medizin in Gefahr gebracht, würde sie diesen
Fehler wiederholen?
„Ich werde sicherlich ein weiteres Stück finden, in dem eine Rolle für dich vorhanden ist,
Liebes. Das Traurigste im Leben ist verschwendetes Talent.“
„Das ist aus „In den Straßen der Bronx“, richtig?“, sagte Patrick grinsend. „Ein großartiger
Film mit Robert De Niro.“
„Dein junger Freund kennt sich aus, sehr lobenswert. Ich hoffe, er wird sein Talent eines
Tages nutzen und mir ein Drehbuch schreiben.“
„Ein Drehbuch? Ich weiß nicht, ob ich das kann. An so etwas habe ich mich nie versucht, aber
wieso nicht? Es gibt sicherlich Lektüren darüber wie man es schreibt. Ich muss zumindest die
Grundsätze und wichtigsten Punkte lernen.“
„Dann kannst du deiner Lieblingsschauspielerin eine Rolle auf den Leibe schreiben.“ Maurice
zwinkerte Kim zu, die ihren Arm um Patrick gelegt hatte.
„Ermutige ihn nicht, er wird darauf bestehen, dass ich diese Rolle spiele. Dein Bruder und
deine Schwester waren sehr froh als ich die Schauspielerei aufgegeben habe und mich den
ersten Dingen des Lebens gewidmet habe.“
„Deine Mutter und dein Onkel Doktor haben leider keine Ahnung von Kunst. Bei allen
Respekt vor der Medizin, das was die Schauspielerei dir geben kann, was du mit ihr bewegen
kannst, das ist wie eine Herztransplantation. Du bist mit Talent für beides gesegnet, ich würde
dir niemals sagen, du sollst die Chirurgie aufgeben, ich sage dir, lebe beides. Du kannst beides
haben, du kannst zwei Träume leben, wieso solltest du dich für einen entscheiden? Auf einen
verzichten?“
„Das eine ist das, worauf ich jahrelang hingearbeitet habe, das andere hat mich gelehrt was
scheitern bedeutet.“ Es war eine harte Lehre gewesen als sie hatte einsehen müssen, sie war
nicht gut genug um ihren Lebensunterhalt mit der Schauspielerei zu bestreiten. Wenn die
Medizin sie nicht aufgefangen hätte, hätte sie daran zerbrechen können.
„Wie kannst du sagen, du bist gescheitert? Sieh mal kurz nach links, da steht jemand, der an
dich glaubt, der seit Beginn deiner Karriere deine Arbeit liebt, den du zu unzähligen
Geschichten inspiriert hast. Ich würde sagen, du bist nicht gescheitert, du hast nur etwas
gefunden, das dich genauso erfüllt und in dem du das zurück bekommst, was du verdienst.
Anerkennung.
Was mich nebenbei daran erinnert, dass ich sehr froh bin, dass du diese Ärztin losgeworden
bist. Die war nichts für dich. Ich habe dir das nie gesagt, aber ihr Charakter passte nicht zu dir,
sie ist zu sehr auf materielle Dinge und Ruhm fixiert, sie hat ihr Herz nicht da, wo ein Mensch
es haben sollte. Unser kleiner James Patterson hier ist eine bedeutend bessere Wahl, den
solltest du behalten.“
„Ähm.“ Kim sah zuerst zu Patrick, dann zu ihrem Onkel. „Wir sind nur Freunde. Das ist nicht
das gleiche mit uns wie mit Ina und mir.“ Ihr Onkel Maurice war der einzige aus ihrer
Familie, der von ihr und Ina gewusst hatte.
„Nein, es kann nie das gleiche sein, denn er behandelt dich gut, er kümmert sich um dich, er
interessiert sich dafür, was du möchtest. Selbst wenn du ihm unterstellst, er überredet dich zu
Dingen, die du nicht willst. Wie in einem Theaterstück mitspielen. Wenn du es wirklich nicht
wollen würdest, würde er dich nicht dazu überreden können.“
Da hatte ihr Onkel recht. Wenn sie nicht in ihrem tiefsten Inneren gewusst hätte, sie würde es
genießen und Freude daran haben, dann hätte sie sich nicht überzeugen lassen. Und alles, was
er über Patrick gesagt hatte, war wahr. Patrick und Ina waren absolut gegensätzlich, Yin and
Yang. Sie war in erster Linie daran interessiert Karriere zu machen, dass die Leute taten, was
sie ihnen sagte und viel Geld zu verdienen, während Patrick Geld als eine Art Hilfsmittel zum
Ziel, Glück, ansah. Man brauchte es nicht um glücklich im Leben zu sein, es machte manche
Dinge einfacher, aber wenn man von Leuten umgeben war, die man mochte, das war
wichtiger als alles andere.
„Wir nerven uns gegenseitig mit unseren Hobbys. Auf diese Weise stellen wir sicher, der
andere vergisst vor lauter Realität nicht seine Traumwelt“, meinte Patrick. „Das heißt, seitdem
ich sie getroffen habe, ist es als wenn ein Stück meiner Traumwelt wahr geworden ist. Sonja
ist hier.“
„Soll ich dich Jake nennen?“ Das war der Freund von Patricks Sonja.
„Du kannst mich nennen wie immer du willst, Sonja.“
„Tu das nicht zu oft.“ Sie mochte es nicht wenn man sie mit einem Seriennamen ansprach. Sie
war nicht die Serienfigur, sie war Kim.
„Eines Tages, wenn du deine Geschichten zu Büchern hast binden lassen, wäre ich sehr daran
interessiert eins zu kaufen“, sagte Maurice. „Unentdeckte Talente sind immer sehr interessant.
Avantgarde. Independent. Untergrund. Talente lauern überall.“
„Ich habe inzwischen eine Internetseite erstellt. Nichts professionelles, nur eine kleine Seite,
die man quasi vorgesetzt bekommt mit Bausteinen, aber Steve will sie verbessern und eine
richtige erstellen. Er nimmt seinen Job als Lektor und Verleger sehr ernst. Meint, ich könnte
so etwas wie sein Praxisbeispiel werden. Sobald er die neue Seite erstellt hat, werden wir die
alte löschen und dann kann er endlos lange basteln, verbessern, schreiben und was weiß ich,
was er sonst machen kann.“ Steve hatte ihm alles erzählt, was er mit der Seite machen konnte,
wie Patrick sie nutzen konnte für seine Karriere und welche Dinge er beachten musste. Patrick
hatte geduldig zugehört und alles wieder vergessen.
„Du hast eine Internetseite? Das erfahre ich jetzt? Nebenbei?“ Kim sah Patrick empört an.
„Ich will sofort die Adresse. Sofort!“
„Kannst du haben: www.pasch-geschichten.de.vu ist die Seite. Und ich wollte dich damit
überraschen.“
„Überraschung gelungen.“
„Du darfst den ersten Gästebucheintrag schreiben, wenn du willst“, grinste Patrick und fuhr
dann mit mehr Freude in der Stimme fort: „Wenn wir eine Art Spendenseite für das Binden
der Bücher erstellen, dann darfst du auch gerne die erste Spenderin sein.“
„Diese Seite werde ich von meinem Computer sperren lassen.“
„Fehlt nur eine Seite für Kim.“ Maurice schmunzelte. Er war kein Fan des Internets, aber sein
Neffe hatte eine Seite für das Theater erstellt. Wenn man ein Gewerbe hatte, musste man eine
Internetseite haben, hatte er ihm erklärt.
„Die ist unnötig.“
„Keine Sorge, Maurice, das kann ich machen. Wird zwar nur so eine Behelfsseite, wie ich sie
habe, doch immerhin etwas.“
„Darf ich euch beide darauf hinweisen, dass ich Ärztin bin? Chirurgin. Ich brauche keine
Internetseite. Das untergräbt meine Glaubwürdigkeit. Sollte ich es eines Tages zu etwas
bringen, dann werde ich auf der Seite des Herzzentrums erwähnt, das reicht an
Internetpräsenz. Alles andere ist unnötig.
Solltest du es wagen, diese Folgen ins Internet zu stellen, wirst du dein blaues Wunder
erleben.“ Ihr Zeigefinger bohrte sich schmerzhaft in seine Brust. „Wage es nicht, nur weil du
dieses neue Spielzeug hast, die alte Soap ins Internet zu stellen. Und solltest du nur daran
denken, etwas aus dem Theater ins Internet zu stellen, dann werde ich mein Skalpell an dir
ausprobieren und du glaubst gar nicht wie tief ich damit schneiden kann.“
„Meine Vorstellungskraft ist recht groß, ich kann es mir vorstellen.“ Patrick schluckte.
„Gut. Denke da immer dran.“
„Kinder, ich beide seid göttlich.“ Maurice rieb sich die Hände. „Und ihr seid einfach perfekt
füreinander, egal in welcher Beziehung. Ich muss los, deine Tante, die dich nebenbei erwähnt
mal wieder sehen möchte, wartet garantiert schon mit dem Mittagessen. Ihr beide könnt gerne
bleiben, schließt nur die Tür hinter euch und schaltet das Licht aus.“
„Wir werden auch gehen“, entschied Kim. „Komm, ich werde dich nach Hause bringen, das
spart dir den Bus.“ Sie schob Patrick den Gang hoch. Sie mussten beide ebenfalls zu Mittag
essen, sonst würden sie hungrig bei der Arbeit landen.

Das Problem in einem Haushalt mit mehreren Personen war, jeder dachte, der andere würde
ans Telefon gehen, wenn dieses klingelte. Patrick, der sein Leben lang nicht besonders
begeistert von Telefonen und telefonieren war, ignorierte es meistens, es sei denn, er wusste,
jemand würde für ihn anrufen. Maria war meistens zu sehr in ihren Büchern vertieft, so dass
es hauptsächlich Steves Aufgabe war ans Telefon zu gehen.
„Pat, Telefon.“ Steve hatte kurz angeklopft, den Kopf zur Tür gesteckt und Patricks
Aufmerksamkeit von seinem Buch abgelenkt. Seine Lektüre für die Nacht, es war elf Uhr
durch, wer rief ihn so spät am Abend an?
Schimpfend stand er auf. Da ihr Telefon aus einer Generation war, in der es keine schnurlosen
Telefone gegeben hatte, musste er zum Telefon gehen anstatt zu sich gebracht zu bekommen.
Der einzige Vorteil dieser Sache war, sie konnten den Hörer nicht verlegen.
„Ja?“
„If you ever dare not to answer the fucking phone for five times I’ll come over and kick your
sorry ass!“
„Good evening, Sweety, I also enjoy to hear your voice.“ Alison. Für sie war es erst zehn Uhr,
sie musste frisch vom Feierabend kommen.
„Yes, it’s me. Who else did you aspect?”
„Nobody else would dare to call me this late. They know I’d kill them. Only you are allowed
to do that.”
„You work in the morning, you work until ten pm, so If I want to talk to you I have no other
choice than calling late.”
„I’m glad you called.” Er freute sich immer wenn er von Alison hörte und ihre Stimme hörte.
„ How is Teneriffa treating you?”
„Wonderful, twenty-five degrees, sunshine, I spent the day on the beach, had a swim, a
private lesson on water ski and well, what can I say? Life could be worse.”
„Sounds like paradise.“
„It’s paradise. How was your day? What did you do the last days?”
„Beside being very busy working? I’ve almost finished my story, started a new crime book
and hope, I can finish this one until, let’s say June. That would give me six months for the
second book.” Er musste einen ungefähren Zeitplan erstellen wenn er sein Ziel von zwei
Büchern vervollständigen wollte.
„You gonna write in English?“
„Still German.“
„Wasting talent. I wanna read some of your stuff. When will you start to write an English
book?” Mit dieser Frage nervte sie ihn seitdem sie sich kannten.
„Between the first and the second crime book. I gonna finish my story, then I’ve got time to
write something in English when I can’t go on with the crime. You know, if I write something
in English, you have to proof-read it. And I don’t want stupid comments about my English, I
want the right version of it and no comments or smileys or whatever is in your mind.” Das
war kein Unterricht, er war kein Schüler, der einen Aufsatz abgab und dann mit lauter roter
Tinte wiederbekommen wollte. Sie konnte ihm gerne erklären wo er Fehler gemacht hatte,
wie es richtig heißen sollte, aber separat. Nicht in dem korrigierten Dokument.
„Okay. No problem, you’ll get it.“
„And when will you come over?“
„You still have a bed available?“
„Two.“
„What happened to the third and why are there two beds free? Why can’t you find somebody
to stay with you?”
„Bed number three is taken by Maria, a twenty year young student. She’s at the university,
studies philosophy and greek myth. Nice girl, she’s reading most of the times, so she fits
perfect in our quiet place. It’s amazing what she can tell you about Greece, their history and
the myth. And talking with her about philosophy reminds me of my time in uni.
The two other beds are freee because we didn’t think, the people who were interested in them
would fit in our flat. We make no compromise with our flat mates. But there’s a new one in
two days. A twenty-eight years old guy, Andrew. We’ll see how he is. So if you want a room,
you’ve to come over fast.”
„I still have a few more weeks here in paradise before I’ll come back to the continent. Maybe
early July. I’m trying to get a job in Munich, it’s not that easy if you don’t speak German.
Probably I gonna end up in England, Ireland or somewhere there. They understand me.”
„Yeah, your English is alright.“
„Thanks.“
„As a Kiwi you don’t rape the English language as Aussie do.”
„If one of your Aussie mates would hear you, they wouldn’t be pleased with your comment.
They might not let you in the country again.”
„Nah, they can handle it. I told them a few times, their English is a desaster. That they speak
Aussie and not English. Unfortunately most of them stick to their Slang even if you tell them
you can’t understand what they’re saying.”
„Not nice people.”
„Great people but not very good in English. I really prefer the American English.”
„They also butcher the language.”
„Yeah they like to butcher the gramma, that’s alright, that’s what I do with the German
gramma. If you ever start to learn German, you will see that.”
„Might give it a try when I’m on holidays there.”
„You gonna make a little break here in between the jobs? Like, let’s say a month or two or
five.”
„Sounds like you miss me”, lachte Alison. Fünf Monate, dann wäre ihr Jahr, das sie sich als
Auszeit hatte gönnen wollen, vorbei.
„I do. Seriously I really miss you. It’s such a shit, you’re not anymore sixteenthousand
kilometres away, but I can’t see you. You exchanged them for, I don’t know, threethousand k’s
in the other direction. If I wouldn’t have bought this flat I could come over, spend some time
with you.” Manchmal bereute er, dass er nun nicht mehr flexibel war. Er war gebunden, sein
Geld war gebunden. Sein Konto hatte in Deutschland niemals so leer ausgesehen. Alles, was
er im Moment hatte, waren zweihundert Euro. Mit Maria, die ihre erste Miete in zehn Tagen
zahlen würde, würde es besser aussehen, aber er hoffte inständig, Andre, wie sein richtiger
Name war, würde in ihre WG passen. Weitere zweihundertfünfzig Euro jeden Monat, die er
gebrauchen konnte.
„You made the right decision, honey. I hope I can have a few days off after the Easter Rush.
As soon as I can, I’ll be with you. How is Steve?”
„Perfect. He still enjoys his job, his bosses like him, he gets good marks in the tests and he
makes a web page for me. Says, if I wanna sell books, I need one. Now when I send
something to a newspaper or a magazine, I can give them my web adress, what means, if one
day somebody really loves my stuff and wants to know more, they can give him or her my
web adress.”
„Sounds perfect. You’ll see, one day you’ll be famous and I can say: I worked with him. He’s
me mate, a great bloke.”
„I broke his heart, now he’s famous and I could kick myself in the ass for being that stupid”,
vervollständigte Patrick lachend.
„I didn’t break your heart, stupid. That little crush, don’t be ridiculous. This other Sheila
broke your heart. How’s she doing? How are you guys doing?”
„She’s fine, I talked her into acting. Finally she’s back on stage, where she belongs. I gonna
show you the play when they go on stage. She’ll have two shows, I gonna record both.”
„She’ll alright with that?“
„DILLIGAF?“
„She’ll make you.“ Alison war eine der wenigen Personen, die verstanden wenn Patrick
DILLIGAF sagte. In seiner Zeit in Australien hatte er begonnen die Musik eines australischen
Comedian zu hören, Kevin Bloody Wilson und er hatte ein Lied, das DILLIGAF hieß. Die
Buchstaben standen für: Do I look like I give a fuck. Und ja, Kim würde ihm zeigen, dass er
sich für ihre Meinung interessierte. Er hatte die Drohung mit dem Skalpell noch im
Hinterkopf.
„So no news?I mean about you guys together?”
„Nothing new and I’m happy we’re friends. Maybe I’m not made to have a girl friend, only
girl-friends.”
„The right one will appear one day. Nothing wrong with testing the wrong ones while you’re
waiting.”
„Not my style.“
„I love that you’re so lovely old-fashioned. Gonna send you to bed now, let you dream of
me.”
„You’re always a part of my dreams, darling. Got a pic of you on my wall. And two other of
the two of us one at Milford Sound, one in the Abel Tasman. That’s a little poster on my
door.”
„That’s why you can’t find anybody to live in your flat, you scare them all away“, lachte
Alison.
„Bullshit. That should make them all come to here and pay a thousand a month only to have
the chance to see your pictures.“
„I gonna hang up, you’re talking bullshit. Take care, Pat, love you.”
„I love you too, my lovely ray of joy.“ Er legte auf. Konnte man einen Abend besser beenden
als mit einem Telefonat mit Alison? Er konnte sich im Moment nichts besseres vorstellen.

„Bin ich zu spät?“ Steve riss die Tür auf und stürzte in die Wohnung.
„Zum Glück nicht, sonst hättest du jetzt garantiert unseren zukünftigen Mitbewohner
verschreckt.“ Patrick sah amüsiert zu seinem Freund.
„Maria, die neben Patrick am Küchentisch saß, sah auf und meinte: „Ich weiß nicht in welcher
Welt du lebst, Steve, aber versuche es einmal mit einer Uhr, die unsere Uhrzeit anzeigt. Dann
weißt du ob du pünktlich oder spät bist und musst nicht über das Rosenbeet springen.“
„Hängst du etwa hinter dem Fenster und starrst die ganze Zeit raus auf die Straße?“
„Ja, in erwartungsvoller Hoffnung dich zu sehen, dass du nach Hause kommst“
„Oh, in dem Fall, ich bin da, Liebes. Wie sehr hast du mich vermisst?“
„Nicht genug um das Loch zu stopfen, das du dir in die Jeans gerissen hast weil du nicht hoch
genug gesprungen bist.“
„Was?“ Steve sah an sich herunter. Er hatte die Dornen bemerkt, hatte geflucht, aber hatte
keine Zeit gehabt sich genauer darum zu kümmern. Da klaffte ein Loch vor seinem Knie. In
seiner neunen Jeans, die er vor erst einen Monat gekauft hatte.
„Mist.“
„Warte ein paar Jahre und es ist modern, Flickenjeans.“ Patrick konnte sich an die Zeit
erinnern als die Jeans mit Löchern modern gewesen waren und man mehr Geld für diese
„kaputten“ Jeans ausgegeben hatte als für eine heile. Was für eine verrückte Zeit, doch sie
würde wiederkommen, da war er sich sicher.
„Spaßvogel.“ Steve ging in sein Zimmer und zog sich um. „Wenn wir einen Kamin hätten
könnte ich die Hose vor dem Feuer nähen, ein Glas Wein neben mir und einige Kräcker. Wann
bekommen wir einen Kamin, Vermieter?“
„Nie. Der Erbauer hat keinen vorgesehen.“
„Dann müssen das...“ Es klingelte. „Da ist er. Verschreck ihn nicht.“ Steve sah Maria warnend
an, die außer einem müden Lächeln darauf nichts erwiderte.
Patrick stand auf und öffnete die Tür. Vor ihm stand ein großer, junger Mann. Andre war
mindestens einsneunzig, kräftig und hatte lange, schwarze Haare. Unter seiner Lederjacke
blitzte ein ACDC T-Shirt hervor.
„Hi, ich bin Andre.“ Er streckte Patrick die Hand grinsend hin. „Ich wette, damit hast du nicht
gewettet.“
„Ähm, nein“, gab er zu. Nein, damit hatte er nicht gerechnet. Andre hatte in seiner SMS
erwähnt, er habe die Information, dass Patrick einen Mitbewohner suche von schwarzen Brett
der TU. Wie ein typischer Student der Technischen Universität sah er nicht aus. Eher wie ein
Mitglied der Hells Angels. Wie viele Tatoos wohl unter seinem T-Shirt und der Lederjacke
versteckt waren?
„Keine Sorge, bei den Hells Angels bin ich nur im Nebenberuf, wir haben schon länger keine
Häuser mehr in die Luft gejagt, ich kann mich jetzt anderen Dingen widmen.“ Er schien
Patricks Gedanken gelesen zu haben oder er war es gewohnt, dass Leute dies von ihm
dachten, wenn sie ihn sahen.
„Ähm...“ Patricks Gesichtsausdruck musste nicht sehr intelligent ausgesehen haben, denn
Andre begann schallend zu lachen. Er amüsierte sich während Patrick überlegte, wie er ihm
schonend beibringen konnte, dass er wohl kaum in ihre Wohnung passte. Schonend im Sinne
von, dass Andre ihm nicht alle Knochen brach.
„Keine Sorge, ich mache Witze. Ich bin weder bei den Hells Angels noch jage ich Häuser in
die Luft. Im Gegenteil, ich sorge für Sicherheit indem ich sichere Leitungen verlege. Ich bin
Elektriker.“
Elektriker? Das war ein Anfang. Das war etwas, auf das man bauen konnte. Das war ein guter
Beruf, ein nützlicher Beruf. Hatte er nicht einen Elektriker gewollt? Da war seine Chance.
Manchmal gingen die Wünsche, die man äußerte, in Erfüllung. Deswegen sollte man mit
seinen Wünschen vorsichtig sein. „Komm rein.“ Mal sehen ob Andre seine beiden anderen
Mitbewohner genauso schockte. Oder Patrick einfach alt geworden war.
„Maria, das ist Andre.“ Marias Kopf ging nach oben, sie sah Andre kurz an. „Hi, Maria.“ Ihr
Interesse war definitiv mehr bei ihrem Buch und sie schien nicht im Mindestens über den
Rocker entsetzt zu sein.
„Studentin der Philosophie und griechischen Mythologie“, erklärte Patrick.
„Interessant. Dann kannst du mir sicherlich sagen, welches Tier am Morgen vier Beine,
Mittags zwei und am Abend drei Beine hat.“ Wenn das eine Frage war, dann war Patrick sich
nicht sicher, ob Maria die Antwort wusste oder ob das die Art Witz war, die sie mochte. Ein
seltsamer Tierwitz.
„Ein Mann. Am Morgen ist er in der Kindheit, krabbelt auf allen Vieren, in der Mitte ist er
Erwachsen, geht aufrecht auf beiden Beinen, am Abend ist er alt und braucht einen Stock.
Ödipus hat mit dieser Antwort die Herrschaft über Theben nachdem sich die Sphinx in den
Tod stürzte, da er die Antwort wusste. Er heiratet seine Mutter, die Königin der Stadt ist und
da er zuvor seinen Vater umgebracht hat, hatten sich die Voraussagen des Orakels erfüllt.“
„Sie ist gut“, meinte Andre zu Patrick, der mit offenen Mund zwischen Maria und Andre hin
und her starrte. Hatte dieser Rocker seiner lehrbegierigen Mitbewohnerin gerade eine Frage
über griechische Mythologie gestellt? Vielleicht war er doch kein Mitglied der Hells Angels,
sondern des Bücherclubs und versuchte das mit seinem Outfit zu vertuschen.
„Das ist eine der bekanntesten Mythen.“
„Wenn Patrick mich einziehen lässt würde ich gerne ein paar weniger bekannte hören.“
„Partygänger?“
„Rockkonzert, Diskotheken spielen nicht das, was ich unter Musik bezeichne. Was wiederum
bedeutet, mehr als vier oder fünf Konzerte pro Jahr gibt es selten. Die meisten neunen
Rockbands beschmutzen die Rockmusik mehr als dass sie die Tradition mit Ehre aufrecht
erhalten.“
„Bringst du einen Haufen betrunkener und schreiender Kerle nach Hause?“
„Ich bin Mitglied der AA, trocken seit fünf Jahre.“
„Herzlichen Glückwunsch – fürs Trocken sein.“
„Danke, jeder Tag zählt. Dies scheint kein Partyhaus zu sein, das war der Grund wieso ich
mich gemeldet habe. Ich will keine leeren Bier- und Schnapsflaschen am Morgen vorfinden.
Es reicht wenn man bei Konzerten damit konfrontiert wird, doch Alkohol gehört in unserer
Gesellschaft nun einmal dazu. Seitdem ich nicht mehr trinke, ist der Freundeskreis kleiner
geworden und die, mit denen ich befreundet bin, haben sich seit letzter Woche erneut
verringert. Um fast fünfzig Prozent.“
„Wieso denn das?“, fragte Patrick. Wie konnte man einfach so die Hälfte seiner Freunde
verlieren?
„Ich habe meine Freundin, jetzt Ex, im Bett mit meinem besten Freund erwischt. Das
reduziert den Freundeskreis.“
„Autsch.“ Konnte man sich eine schlechtere Konstellation vorstellen? Die Freundin im Bett
mit einem anderen zu erwischen war schlecht, wenn dieser andere der beste Freund war, dann
war man gleich zweimal betrogen worden. Wem sollte man vertrauen wenn nicht dem besten
Freund?
„Definitiv nicht einer schönsten Momente im Leben. Zeit für ein neues Leben.“ Und komplett
neue Freunde, die alten schienen nicht das zu sein, was man unter wirklichen Freunden
verstand.
Apropos Freund. „Wo ist Steve?“ Patrick fiel auf sein Freund war nicht da. Er sollte Andre
sehen, es war auch seine Entscheidung, ob er das Zimmer bekommen würde. Sie mussten alle
zumindest zufrieden mit dem neuen Mitbewohner sein.
„Hier, ich habe nach Nähzeug gesucht.“ Er musterte Andre. „Kannst du nähen?“ Patrick wäre
lachend zusammengebrochen. Das wäre wohl die letzte Frage, die er Andre gefragt hätte.
„Nein.“
„Schade. Raucher?“
„Aufgegeben mit dem Trinken.“
„Job?“
„Elektromeister in einer Firma. Festangestellt, ohne Zeitvertrag.“
„Nimm ihn, Pat. Selbst wenn er nicht nähen.“
„Das war nicht auf der Liste zu sehen“, grinste Andre.
„Ist gerade frisch hinzu gekommen. Unsere Professorin kann nicht nähen, Patricks Ergebnisse
sehen aus wie von Frankenstein, meine wie die eines Blinden, wir brauchen jemand, der die
Arbeiten der Mutter übernehmen kann. Wir brauchen eine Mutter.“
„Ich versuche es auf die Liste zu setzen.“ Und er würde Andre nehmen. Nachdem der Schock
am Anfang überwunden war, hatte Patrick keinen Grund finden können, wieso Andre nicht in
ihre Wohnung kommen sollte. Ihr nächster Mitbewohner, war nur noch ein Zimmer frei. Eine
weitere Erleichterung für sein Bankkonto. Jeder Mitbewohner brachte dreitausend Euro im
Jahr ein.
„Willkommen in unserem entspannten Haus. Du kannst dir ein Zimmer aussuchen, ich führe
dich rum. Das ist unverkennbar die Küche. Wir arbeiten an einem größeren Tisch, Steves
Eltern kommen vorbei, sein Vater ist Schreiner und wird uns einen neuen, großen Küchetisch
bauen. Dann haben wir auch alle Platz daran.“ Das war zum Glück am Wochenende. Patricks
alter Tisch war alles andere als geeignet um vier Personen zu bewirten. Er hatte sich zwei
Stühle von Kim geliehen, da er keine Stühle kaufen wollte bis er nicht sah, wie der neue Tisch
aussah.
„Das ist das Wohnzimmer, noch armseliger als die Küche.“ Zwei große Sitzsäcke mit Bohnen
standen vor der Wand. Auf der anderen Seite waren Patricks alter Fernseher, Videorekorder
und DVD Player auf einem Regal aufgestellt. Irgendwann würde eine Couch die Sitzsäcke
verdrängen.
Die Wände waren in orange gehalten, wo die beiden Sitzsäcke standen, war ein zwei mal zwei
Meter großes Poster der Weltkarte aufgehangen. Patrick und Steve hatten ein Foto von sich
unter Australien geklebt, mit einem Pfeil, wo sie sich kennen gelernt hatten und dann zwei
weitere von ihnen, von ihrer Reise und einem anderem Arbeitsplatz. Jeder Mitbewohner war
nun aufgefordert Urlaubsfotos von sich neben dem land aufzuhängen, in dem er oder sie war.
Maria hatte eins von sich in Griechenland, Steve hatte eins an Frankreich und eins an
Neuseeland geklebt. Patrick hatte zwei weitere um Australien verteilt, zwei um Neuseeland,
zwei um Kanada und eins um die Westküste der USA, Hawaii und Mexiko. Eines Tages war
hoffentlich jedes Land mit einer Postkarte bestückt.
„Fühle dich frei Fotos von deinen Urlauben aufzuhängen.“
„Sie sind nicht so exotisch wie die, die ich sehen kann. Kanaren und Mallorca. Eines Tages
soll die alte Route 66 hinzukommen, doch das wird nun erst einmal überdacht. Es war unsere
geplante Flitterwochenreise.“ Autsch. Wobei man niemals einen Traum aufgeben sollte, nur
weil ein Mensch sich oder seine Meinung geändert hatte.
„Wenn das dein Traum ist, dann vergiss die Frau und genieße ihn alleine. Ich bin mir sicher,
es gibt unzählige nette Leute auf der Route 66. Ich bin immer ohne Begleitung losgezogen
und habe in jedem Land sehr nette Leute getroffen.“
„Mal sehen. Wir haben einen Garten?“
„Ja, einfach durch die Glastüren raus und wir sind im zukünftigen Sommerparadies.“ Wenn
dieser Aushilfsrocker nun auch Interesse an Rosen und anderen Blumen hatte, dann verlor
Patrick den Glauben an die Vorurteile über Rocker und Motorradfahrer. „Lange Grillabende
sind bereits geplant und Steve sprach davon, er will ein riesiges Planschbecken in den Garten
stellen, um uns alle zu kühlen.“
„Hört sich gut an.“ Sie gingen weiter.
„Das Bad, das teilst du dir mit Steve und Maria im Moment. Sie haben sich geeinigt, dass es
jeder eine Woche putzt. Ich halte mich da raus, so lange ihr alle glücklich seid mit dem Bad,
ist das nicht meine Sache.“ Eine Dusche, Waschbecken, Schrank und Toilette. Auf einem
kleinen Regal lagen Handtücher.
„Du hast dein eigenes Bad?“
„Ja, ich habe die Luxusversion.“
„Das Recht des Vermieters.“
„Mein Luxus, den ich vier Jahre lang vermisst habe.“ Patrick schloss die Badezimmertür.
„Kommen wir zu deinem privaten Reich. Du hast die Wahl zwischen diesem Zimmer.“ Er
öffnete die schräg gegenüberliegende Tür. „Blick auf den Garten, knapp dreizehn
Quadratmeter, Bett, Schrank, Schreibtisch, Anschluss für den Fernseher.“
„Sieht gut aus.“
„Ist das Gartenzimmer. Das andere, hier vorne.“ Er öffnete die Tür zum Zimmer neben Steve.
„Ist etwas größer, hat aber dafür einen Ausblick auf den kleinen Vorgarten und hauptsächlich
auf die Straße. Die zwar nicht so laut ist, man kann sehr gut schlafen, doch die Aussicht ist
natürlich getrübt.“
„Wie viel ist es größer? Ein oder zwei Quadratmeter? Da habe ich lieber Garten vor dem
Fenster.“
„Deine Wahl.“
„Garten.“
„Na, dann herzlichen willkommen, du hast so eben eine neue Bleibe gefunden.“
„Danke. Die letzten Nächte habe ich in einer Jugendherberge verbracht. Nicht der ideale Ort
wenn man am Morgen arbeiten muss.“
„Das kann ich bestätigen.“ Das Problem hatte er einige Male gehabt. Sein Wecker war auf
fünf Uhr gestellt, die Leute im Zimmer nebenan hatten bis weit nach Mitternacht Party
gemacht und ihn um seinen Schlaf gebracht.
„Du kannst umgehend einziehen wenn du willst. Brauchst du Hilfe beim Umzug?“
„Willst du dich mit einer Ex streiten?“
„So lange es nicht meine Ex ist habe ich da kein Problem mit. Sie ist in der Wohnung und du
musst deine Sache erkämpfen?“
„Ja. Eigentlich sollte es umgekehrt sein. Ich sollte in der Wohnung sein und ihre Sachen aus
dem Fenster werfen oder verbrennen. Frauen sind definitiv emotionaler in ihren Handlungen.
Ich frage mich manchmal was sie machen würden, wenn wir genauso reagieren würden.
Wenn wir ihnen einen Spiegel vorhalten.“
„Sie würden uns die Augen auskratzen“, seufzte Patrick.
„Das könnte der Sache nahe kommen.“
„Mit einem Auto kann ich dienen, ich gehören zu den Autolosen, mein Arbeitsplatz ist nur
fünf bis zehn Minuten zu Fuß weg, es gab keinen Grund für mich ein Auto zu kaufen. Der
Supermarkt ist zehn Minuten zu Fuß, Steve und ich gehen meistens einmal die Woche und
schieben dann den Einkaufswagen hierher. Für die beiden Kisten mit Mineralwasser ist das
die beste Lösung.“
„Ich habe ein Auto.“
„Dann kann ich dir packen helfen oder den Rück frei halten wenn du deiner Ex nicht mehr
traust.“
„Nachdem ich sie inflagranti erwischt habe traue ich ihr keinen Zentimeter. Angebot
angenommen.“
„Gut. Ähm, wir haben DSL hier, wlan. Die Daten schreibe ich dir auf. Das Telefon ist recht
alt, mit Schnurr, aber auf diese Weise verlieren wir es nicht. Maria hat eine Liste neben das
Telefon gelegt, auf der schreibt man die Nummer, die man angerufen hat und dann kann jeder
am Ende sehen, wie viel er zur Telefonrechnung beitragen muss.
Was könnte ich dir sonst erzählen? Putzsachen für dein Zimmer sind in dem Kabuff neben
dem Wohnzimmer. Da ist eine kleine, altertümliche Tür, die zu einem kleinem Raum unter der
Treppe führt. Staubsauger, Lappen, Mopp und all dieser Kram sind dort verstaut. In der
Küche ist das große Regal, in das du seine Sachen packen kannst, in den Küchenschränken ist
unsere stetig wachsende Zahl an Küchengeräten, Töpfen, Tellern, Besteck, Schüsseln. Maria
hat einen Korb Tupperdosen mitgebracht, Steves Eltern bringen sein Zeug aus seiner alten
Wohnung mit, die er hatte, als er sich als Student versucht hatte. All dieser Kram passt zwar
nicht zusammen, aber das stört uns weniger.“
„Wir können das Silberservice meiner Ex mitnehmen, eine Art Rache.“
„In dem Fall solltest du sicherstellen, die weiß nicht wo du wohnst.“
„Meine Ambitionen ihr das zu sagen sind gering. Wann hast du Zeit?“
„Jetzt. Für den Rest des Tages habe ich frei. Mein Job in einer Pension gibt mir
Wechselschichten, wobei ich meistens Frühschicht habe. Meine Chefs genießen es dass sie so
ausschlafen können. Die Spätschicht mache ich meistens nur, wenn sie am Abend etwas vor
haben oder ich den Morgen frei haben will.“
„Hört sich gut an.“
„Es ist nicht der Job, den meine Eltern sich für mich gewünscht haben, aber ich muss sagen,
ich bin zufrieden. Das Geld ist okay, meine Chefs sind klasse und wie gesagt, ich kann sehr
flexibel arbeiten.“
„Sie weiß nicht dass ich komme, das könnte interessant werden.“
„Wir könnten Steve mitnehmen, nach dem Motto: Ich habe die Armee dabei, wenn du
Probleme machst, dann werden dich sich um dich kümmern während ich meine Sachen
nehme.“
„Nimm es mir nicht übel, aber weder du noch Steve seht gefährlich aus. Meine Freundin
würde eher amüsiert als schockiert sein.“
„Warte bis du unseren bösen Blicken gesehen hast, die sind weltweit gefürchtet.“ Oder war es
belacht? Meistens fingen die Leute an zu lachen wenn er böse guckte. Und wenn Andres
Freundin ebenfalls aus dem Bikerbereich kam, dann würde sie ihren Spaß mit Steve und
Patrick haben und eher die beiden jungen Männer verscheuchen.
Kapitel 18

„Sieht so aus als wenn wir alleine wären.“ Andre öffnete die Wohnungstür weit um dann in
der Wohnung zu verschwinden. Patrick und Steve folgten ihm, unsicher, was sie erwartete.
Unangemeldet in eine Wohnung gehen, in der keiner von ihnen wirklich mehr wohnte war
nicht das, was ihnen gefiel.
Andre sah schnell in alle Zimmer und kam dann grinsend zurück.
„Die Luft ist rein. Sie sollte bis um sieben Uhr weg sein. Zuerst Arbeit und dann im Anschluss
Fitnessstudio. Wir haben also etwas Zeit meine Sachen wegzuschaffen.“
„Etwa zwei Stunden. Was willst du haben?“ Was konnte man in dieser Zeit tragen? Was
durften sie tragen ohne dass es hinterher Ärger mit der Polizei gab? War das eine Art
Diebstahl, den sie begangen?
„Mir wäre nach alles mit einer Kettensäge halbieren, aber das lassen wir, Patrick bekommt
sonst eine Herzattacke.“
„Sehr witzig.“ Er war Schriftsteller, er konnte sich vorstellen wie Andre mit einer
Fuchsschweif die Möbel halbierte und mit solchen Sachen wollte er nichts zu tun haben.
„Wo fangen wir an?“
„Mit den wichtigen Sachen: Musik.“ Sie gingen in ein Wohnzimmer, das etwas kleiner war als
das von Patricks Wohnung. Eine große Couch und ein Sessel standen dort zusammen mit
einer Schrankwand, die Patrick den Atem raubte. Großer Flachbildschirm, Stereoanlage, DVD
Player und unzählige CDs. Andre schien nicht nur Elektriker zu sein, er schien Elektronik zu
mögen.
„Wow.“
„Du magst es?“, fragte Andre amüsiert.
„Das sieht absolut geil aus.“
„Dann nehmen wir es mit, wenn du Platz im Wohnzimmer hast.“ Andre wusste genau wie leer
das Wohnzimmer war.
„Du machst Witze...“
„Sehe ich aus als wenn ich scherze?“ Nein, das sah Andre nicht. Leider konnte Patrick bisher
nicht feststellen ob sein neuer Mieter scherzte oder nicht. Das musste er dringend lernen.
„Wie...?“
„Ihr beide fangt an die CDs, DVDs und Schallplatten in den Kartons zu verpacken.“ Sie
hatten Steves Umzugskartons mitgenommen. „Ich fange an alles auszustöpseln, in wenigen
Minuten sollte.“ Es klingelte. „Perfekt. Da ist Hilfe. Überpünktlich. So mag ich das.“ Andre
verließ das Zimmer.
„Das nenne ich eine Anlage“, meinte Patrick weiterhin fasziniert.
„Das nenne ich eine Ausstattung für ein Wohnzimmer. Hast du die Boxen gesehen? Damit
hast du das Gefühl du bist im Stadion. Wenn du die aufdrehst und hast ein Musikkonzert dran,
dann bist du live dabei. Wir brauchen Premiere, dann können wir jeden Samstag die
Bundesliga gucken.“
„Faszination pur.“
„Luxus pur.“
„Und was für eine Musikauswahl.“
„Ja, das ist nicht schlecht. Schallplatten. Ich dachte, nur mein alter Herr würde solche Dinger
noch haben. Nostalgie. Ich kann mich daran erinnern, wir haben damals als ich ein Kind war,
an Sonntagen vor dem Plattenspieler gesessen und alte Platten gehört.“
„Jungs, das sind Mario und Steffen, sie helfen uns mit dem Umzug.“ Mario und Steffen sahen
aus als wenn sie mit Andre verwandt waren. Groß, kräftig, Lederkluft.
„Wir haben den Lieferwagen gebracht, dann räumen wir der Braut die Wohnung mal aus.“ Sie
begannen die Elektrogeräte aus dem Wohnzimmer zu tragen. Patrick hoffte inständig dass
diese alle Andre gehörten und keine gemeinsame Anschaffung gewesen waren.
In der Zeit in der Patrick und Steve die Schallplatten, CDs und DVDs eingepackt hatten,
hatten die drei Männer alle Elektrogeräte aus dem Zimmer geräumt und waren dazu über
gegangen Mikrowelle, diverse Kochutensilien und Lebensmittel zu verstauen.
„Mario, kannst du mir mit der Waschmaschine helfen? Die und der Trockner, dann haben wir
alle Sachen, die ich gekauft habe.“ Diese beiden Männer mussten professionelle
Möbelschlepper sein, in dem Tempo, in dem sie die Sachen aus der Wohnung geschafft
hatten.
„Was ist mit dem anderen Zeug?“
„Ich bin mir sicher, wenn sie nach Hause kommt und die Wohnung so sieht, dann wird sie mit
mir in Kontakt treten und dann könne wir bereden, was wir mit dem Rest machen. Die
wichtigen Sachen werden dann längst weg sein. Sie wird spätestens morgen die Schlösser
austauschen und dann kann ich nicht mehr rein.“
„Miststück.“
„Leider zu spät rausgefunden.“
„Besser jetzt als nach der Hochzeit.“
„Auch wieder wahr. Lass uns die Sachen rausbringen, ich will hier fertig sein wenn sie zurück
kommt.“
„Erinnere mich daran niemals zu heiraten“, meinte Steve zu Patrick.
„Sag niemals nie.“
„Bedeutet das, du denkst, du und Kim, ihr habt eine Chance?“
„Vielleicht, wenn es eine plötzliche Eiszeit gibt und bis auf sie und mich alle Menschen
gestorben sind. Dann, vielleicht, könnte es etwas geben.“
„Sei nicht so hart zu dir selber“, lachte Steve.
„Der Pessimist ist ein Optimist mit Erfahrung. Haben wir alles?“
„Alles was Musik oder Film ist, ist eingepackt.“ Sie nahmen jeder einen Karton und trugen
ihn nach unten. Vor der Tür stand der Lieferwagen, von dem Mario oder Steffen gesprochen
hatte. Sie trugen ihre Karton an den Rand der Ladefläche. Diese war nicht groß und mit all
den Elektrogeräten und dem Wissen, die Waschmaschine und der Trockner würden folgen,
versuchten sie so wenig Platz wie möglich zu beanspruchen. Andre hatte sein Auto bereits
mit Kleinkram vollgepackt, dass nur noch die Sitzplätze für Patrick und Steve frei waren.
Patrick war sich nicht sicher, ob er das Gesicht von Andres Exfreundin sehen wollte wenn sie
nach Hause kam oder lieber ganz weit weg sein wollte. Er konnte sich vorstellen, sie würde
einige unschöne Worte sagen und wenn sie einen der Männer sah. Würde er sich nicht
wundern, wenn sie handgreiflich werden würde.

Patrick hatte sich den freien Tag morgen redlich verdient. Zumindest sah er das so. Er hatte
heute zuerst seine normale Schicht bis zum frühen Nachmittag gemacht, dann war er nach
einer Pause zurück in die Pension und hatte bis um halb acht in der Küche geholfen. Das
Übereinkommen mit seinem Chef sah so aus, dass er die Hälfte der Überstunden frei nehmen
würde und die andere bezahlt bekam. Auf diese Weise würde er nicht Unmengen an
Überstunden ansammeln und etwas Geld extra bekommen.
Morgen wäre so ein Tag, den er sich mit Überstunden verdient hatte. Offiziell war er als
arbeitend eingetragen, er würde also bezahlt werden, inoffiziell würde er im Bett bleiben oder
an der Wohnung arbeiten.
Seine Wohnung. Seitdem Andre hier wohnte war sie wie runderneuert. Das einst leere
Wohnzimmer war mit seiner Schrankwand der elektronischen Raffinessen gefüllt, er hatte die
Couch aus seiner alten Wohnung geholt und im Treppenhaus neue Lichter verlegt. Wenn Kim,
Gerhard und Hedwig nun nach oben gingen, dann gingen kleine Leuchten vor ihnen an.
Schaltete man das Licht unten an, dann sprangen nacheinander die Lampen an den Seiten der
Treppenstufen an und beleuchteten einen den Weg. Das war nicht der ganze Clou, sie
schalteten sich selber nach fünf Sekunden wieder an. Das hieß, wenn man die Hälfte des
Weges hinter sich hatte, dann schaltete sich die erste Glühbirne aus.
Patrick hatte über der Badewanne in seinem Badezimmer eine Lichterkette hängen, die ihm
das Gefühl von Baden unter einem Sternenhimmel gab. Und die Küche hatte nun eine
Mikrowelle und einem zweiten Kühlschrank. Einen Kühlschrank, der einem Eiswürfel in den
Becher ließ wenn man wollte. Es schien Andre eine diebische Freude gewesen zu sein all
diese Dinge aus der alten Wohnung zu holen, denn seine Freundin hatte bei jedem Stück
geschimpft wie ein Rohrspatz. Sein Kommentar war nur gewesen, sie habe sich das alles
selber zuzuschreiben und da er die Kassenbelege über diese Dinge hatte, konnte sie nichts
dagegen tun.
Das Klopfen an der Tür ließ ihn von seinem Laptop aufsehen. Bis vor wenigen Minuten hatte
er vier Seiten von seinem neuen Krimi geschrieben, nun hatte er zu einer Kurzgeschichte
gewechselt, über die er bei der Arbeit nachgedacht hatte. Wenn er sich selber mit diversen
Sachen bei Laune hielt, dann war er kreativer. Seine Endlosgeschichte war abgetippt, da
konnte er einen Harken hinter machen. Eine Sache, die er seit zehn Jahren machen wollte.
Wie oft hatte er sich das vorgenommen, endlich war es vollbracht.
„Immer rein in die gute Stube.“
„Hallo Schreiberling.“ Kim trat ein und schloss die Tür hinter sich.
„Hey Jodie Foster, Probe beendet?“ Kim hatte Probe gehabt, sie näherten sich der Aufführung
des Theaterstücks. Zumindest wenn man Kim Glauben schenkte, für sie war jeder Tag näher
an am Aufführungstermin wie ein Woche.
„Ja. Störe ich dich?“
„Quatsch.“ Er klopfte auf das Bett damit sie sich setzte.
„Arbeitest du an dem Krimi?“
„Nein, den haben ich schon hinter mir, zumindest meine vier Seiten. Wenn ich die jeden Tag
schaffe, dann ist er in zwei Monaten geschrieben. Ich habe mich an einer Kurzgeschichte
versucht.“
„Ja, du solltest mal wieder eine veröffentlichen. Eine Kurzgeschichte, damit kommst du nicht
weit. Wie viel kann man davon binden? Ein Buch? Zwei?“
„Vielleicht, ich habe keine Ahnung, du hast die letzten fünf binden lassen. Aber ich habe da
etwas für dich.“ Er griff unter sein Bett. Das war seit einer Woche möglich, da Steves Vater
ihm ein Bettgestell gebaut hatte. Nun hatte Patrick ein Bett, das einen halben Meter hoch war
und unter das zwei Fächer mit Rollen waren, in denen er allen Kram reinwerfen konnte. Die
Art von Aufräumen, die er mochte.
„Tah-dah!“ Er überreichte ihr einen Umschlag.
„Was ist das?“
„Aufmachen und nachgucken anstatt fragen, Liebes.“
„Okay.“ Sie öffnete den Umschlag und zog zwei Zeitschriften hervor. „Und? Die neuste Diät
für die vielbeschäftigte Frau. Willst du mir damit etwas sagen?“ Sie sah ihn böse an.
„Schatzi, ich kritisiere immer deine Rippen, die ich fühlen kann, die neunundneunzig
Schokoladenrezepte sind für dich und eine andere Seite in den Magazinen.“
„Die Rezepte hören sich gut an. Welche Seiten?“
„Du hast einen blonden Tag heute, oder?“
„Leserroman? Du hast etwas veröffentlicht?“ Sie riss die Titelseite förmlich zur Seite und sah
auf das Inhaltsverzeichnis. Leserroman auf Seite siebzig. Schnell blätterte sie zu der
angegebenen Seite und fand seinen Namen unter dem Text.
„Geil.“ Glücklich umarmte sie ihn. Ein weiterer Erfolg. „Die zweite Geschichte. Worum geht
es?“
„Um einen armen Mann, der sich verliebt hat, aber seine Liebe wird nicht erwidert und er tut
alles um das Herz seiner Angebeteten zu erobern. Leider hat die sich entschieden einen
reichen Schnösel zu heiraten.“
„Das Leben ist gemein.“
„Ja, definitiv.“
„Und diese Zeitung?“ Kim hielt die zweite Zeitschrift hoch. „Was ist da drin? Interessanter
Klatsch?“
„Eine Muffindiät.“
„Spinner.“
„So was ähnliches. Eine tragische Geschichte von einem Mädchen, das sich in einen Popstar
verliebt hat, sie trifft diesen Kerl und er stellt sich als Arschloch raus. Desillusioniert versinkt
sich beinahe in Depressionen bis ein junger, unbedeutender Mann sie aus ihrer Trauer rettet
und ihr zeigt, was Liebe ist.“
„Soll das eine Art Anspielung sein?“ Sie sah ihn prüfend an. Sollte sie dieser Postar sein und
er war das Mädchen und sie hatte ihn enttäuscht? Wenn dem so sei, dann würde sie ein ernstes
Wörtchen mit ihm reden müssen. Sie hatte sich niemals wie ein Arschloch verhalten. Sie hatte
nicht gut reagiert, aber sie als Arschloch zu bezeichnen, das würde sie doch etwas hart
ansehen.
„Nein, das ist Alltag für viele Fans von Boygroups.“
„Sag bloß, dass ist eine weitere Geschichte von dir?“
„Eventuell.“
„Zwei? Zwei in einer Woche? Das ist perfekt. Du wirst noch ein hauptberuflicher
Kurzgeschichtenschreiber.“
„Dann darf ich nicht viel essen. Drei Geschichten in drei Monaten, das wird eine harte Zeit,
Reis und Nudeln ohne etwas dabei. Nein, ich denke, ich bleibe bei der Pension, dann kann ich
mir Ketchup für meine Nudeln kaufen. Jeder weitere Euro landet direkt bei der Bank um die
Zinsen so niedrig wie möglich zu halten.“
„Das kenne ich. Alle Urlaube sind gestrichen. Es wird vielleicht mal einen Wochenendausflug
zu den Verwandten geben, als Urlaubsersatz.“
„Wir könnten ein Picknick im Englischen Garten machen. Als Ersatz für die Kanaren.“
Patrick hatte Fotos vom Englischen Garten gesehen. Im Sommer sah er gut aus, noch war es
zu kalt für Picknick irgendwo.
„Solltest du nicht auf die Kanaren fliegen um deine Freundin zu sehen?“
„Alison kann hierher kommen. Sie will Ende Juni reisen gehen und ich habe ihr bereits
gesagt, sie wird nicht um einen Besuch hier herum kommen.“
„Ist doof, da ist sie nicht mehr in Neuseeland, ist in Europa und dann gleich am äußersten
Ende, so dass ihr euch nicht sehen könnt.“
„Ja, ich hoffe, sie wird danach nach England gehen, denn Deutschland wird unwahrscheinlich
da sie der Sprache nicht mächtig ist. Na ja, wenn sie nun viel arbeitet, dann kann sie als
Tourist drei Monate hier bleiben. Sie darf gerne meine Couch haben wenn die Zimmer alle
besetzt sein sollen.“
„Oder dein Bett? Wie sieht es mit einem vierten Mitbewohner aus?“
„Mitbewohnerin. Eine Freundin von Maria. Oder Bekannte. Studentin aus – wie praktisch für
mich – den USA. Sie haben sich in Griechenland kennen gelernt, beide haben eine Tour
gemacht, bei der sie Schauplätze der Philosophie besucht haben. Endlich jemand zum
Englisch reden, anwesende Halbamerikaner weigern sich ja.“
„Sorry honey but I prefer to speak German that’s why I made my decision for Germany and
not for America. And you like my cute Bavarian accent.”
„I do really love that one and you don’t have it in English. Trotzdem würde ich ab und zu
gerne Englisch sprechen sonst verlerne ich alles wieder. Die Telefonate alle zwei Wochen mit
Alison reichen nicht.“
„VHS Kurs?“
„Ich werde im Sommer einen besuchen, mein Cambridge Certifcate machen. Die Hobbys
müssen erweitert werden, nur Schreiben ist nicht abwechselungsreich genug. Wobei das
immer mehr Zeit in Anspruch nehmen wird.“
„Du hast meine Geschichte fertig, oder?“
„Ja, die ist fertig, du kannst nun Kapitel für Kapitel abrufen. Aber die Kurzgeschichten. Mit
der Geschichte in der zweiten Zeitschrift ist noch eine andere Geschichte verknüpft.“
„Wie meinst du das?“
„Das ist die Zeitschrift, die Jonah veröffentlicht haben. Sie haben mir einen Vertrag
angeboten, ich kann eine Kurzgeschichte pro Monat für sie schreiben. Sollte es eine große,
positive Reaktion darauf geben, dann werden sie mich auf zwei Geschichten hochschrauben.
Pro Geschichte verdiene ich fünfzig Euro, das heißt, für zumindest ein Jahr, sind mir
sechshundert Euro extra sicher. Das sollte genug Geld für das Ausdrucken all meiner
bisherigen Bücher sein.“
„Das Regal wird Wirklichkeit. Dein erster Vertrag als Schriftsteller, herzlichen
Glückwunsch.“ Sie umarmte ihn und drückte ihn an sich. „Ich freue mich für dich, du hast dir
das verdient. Das heißt, ich werde mir diese Zeitschrift nun einmal im Monat kaufen, zwei
Exemplare. Eine wird ungeöffnet in eine Klarsichtfolie gepackt, die andere wird bis auf deine
Geschichte im Müll landen und deine Geschichte kommt in Klarsichtfolie. Ich werde mir
einen Ordner mit deinen Kurzgeschichten anlegen. Was natürlich nicht bedeutet, dass ich
diese nicht als Worddokument zugeschickt haben will. Wenn ich genug Seiten zusammen
habe, dann werde ich sie ausdrucken und binden lassen. Das Buch heißt dann Patricks
Kurzgeschichten in 2010 oder so.“
„Du wirst einen Fanordner anlegen?“, fragte Patrick amüsiert. Es sah so aus als wenn sie die
Positionen gewechselt hatten.
„Hey, was du kannst, das kann ich schon lange. Die Zeitschrift wird jedes Mal, wenn sie eine
Kurzgeschichte von dir veröffentlicht hat, einen Brief von mir erhalten, wie begeistert ich bin.
Das sollte sie zu ihrer Entscheidung, dir zwei Geschichten pro Monat zu geben, helfen. Ich
will offiziell als Fan Nummer eins notiert werden.“
„Okay, ist somit notiert. Deine Nachricht hast du im Gästebuch ja schon hinterlassen. Ich
hoffe, die Leute schreiben brav an die Zeitschrift und erkunden sich nach mir. Das wäre gut
Werbung und Argumente für einen Verlag mich zu nehmen.“
„Du wirst deinen Job in der Pension an den Nagel hängen.“
„Wohl kaum. Nur weil man das Buch verlegt bekommt heißt das nicht, es wird gekauft.
Außerdem muss man ein Leben haben, das außerhalb der Schreiberei besteht, sonst hat man
nichts zum Schreiben. Ideen wachsen nicht auf leeren Regalen.“ Er sah zu seinen noch immer
recht leeren Möbeln.
„Die Regale werden mit deinen Büchern gefüllt und ich bin mir sicher, wir finden das eine
oder andere Buch eines anderen Autoren, das dir gefallen wird. Und für das Leber wird deine
WG schon sorgen. Du hast drei Personen um dich herum, bald vier, die dir genug Material
liefern sollten.“
„Ich könnte über eine Ärztin schreiben, die einmal eine Schauspielerin war.“
„Nein, das will keiner lesen.“
„Wer weiß, es könnte eine Kurzgeschichte werden und mir fünfzig Euro einbringen bevor ich
ein Buch daraus mache, das später Millionen bringt.“
„Du schreibst das Buch, veröffentlichst es nicht, ich signiere es dir und dann verschwindet es
auf deinem Regal. Einverstanden?“
„Eine persönliche Widmung der Romanheldin im Buch, das ist ein gutes Angebot.“
„Ich könnte mal wieder eine Widmung in einem Buch gebrauchen. Oder in zwei. Da sind
zwei komplette Bücher auf meinem Rechner. Hast du nicht Lust, jetzt wo dein großer Vertrag
vorhanden ist, dein Geschichte drucken zu lassen?“
„Nein, damit warte ich bis du alles gelesen hast, dann habe ich die Korrekturen und somit die
Endversionen. Deine fünfzehn Punkte in deutsch sind sehr praktisch, du bist wie ein
Korrekturprogramm.“
„Was du als Schriftsteller in spe nicht nötig haben solltest.“
„Man muss nicht gut in etwas sein um Spaß daran zu haben. Ich kann Schreiben genießen
ohne eine Ahnung von Grammatik zu haben. Es geht um die Geschichten in meinem Kopf
und nicht um die Art, wie ich Sätze zusammensetze.“ Wenn er über die Szenen nachdachte,
dann dachte er an das, was die Charaktere machen würden, was sie dachten und nicht wo man
das nächste Komma setzen musste, ob ein Semikolon oder ein Punkt sinnvoller wäre.
„Kein Kommentar. Wirst du dich den ganzen Abend im Bett verkriechen? Solltest du nicht die
Gesellschaft deiner Mitbewohner suchen? Sie sitzen alle vor dem großen Fernseher im
Wohnzimmer und schauen Herr der Ringe.“
„Das habe ich in Neuseeland gesehen. Zuerst die Filme gucken, dann die Drehorte besuchen,
dann wieder die Filme gucken um festzustellen, wie ähnlich Film und Wirklichkeit sind. Kein
Herr der Ringe für mich, vielleicht den Hobbit wenn es ihn auf DVD gibt.“
„Hast du all die Filme über Australien gesehen und warst an den Drehorten?“
„Nein. Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung wo welche Filme gedreht wurden. Ich weiß,
Nicole Kidman hat mal einen in Bowen gedreht, da war ich für vier Tage, dann konnte ich
fliehen und im Westen wurde auch etwas mit ihr gedreht. Sonst muss ich sagen, die Filme aus
Australien, die ich gesehen habe, waren nicht meine Wellenlänge und ich habe mich nicht mit
ihnen auseinander gesetzt. Man denke an den letzten Film, Australia, der so aufregend war,
dass du eingeschlafen bist und ich angefangen habe Sudoku zu spielen.“
„Willst du die Drehorte der Soap sehen? Oder ist auch nicht von Interesse für dich?“, grinste
Kim.
„Das ist von höchstem Interesse.“ Was für eine dumme Frage. Als wenn etwas, das mit Kim
zu tun hatte, nicht von Interesse für ihn sein konnte. Alles war von Interesse.
„Wir können nach Grünwald fahren wenn es ein schöner Tag ist. Es ist nicht weit weg, unten
im Süden. In wie fern die Drehplätze noch existieren kann ich dir nicht sagen, aber sollten wir
den Gasthof finden, dann würde ich mich zu einem Foto überreden lassen. So lange du es
nicht ins Internet stellst.“
„Du erfüllst gerade Träume, die ich nicht einmal zu träumen gewagt habe. Wie komme ich zu
der Ehre?“ Sah er krank aus? Hatte er seinen Geburtstag vergessen? Hatte Kim ein schlechtes
Gewissen? Wollte sie einen großen Gefallen von ihm erbitten? Normalerweise war es immer
ein Kampf etwas von ihrer Fernsehvergangenheit zu bekommen.
„Keine Ahnung, ich muss einen schwachen Moment gehabt haben.“ Kim setzte sich von der
Bettseite neben Patrick, legte ihre Beine aufs Bett und ließ ihren Oberkörper an seinen lehnen.
Sie war müde, es war ein langer Tag gewesen, sie hatte bei einer Operation geholfen und dazu
noch die üblichen acht Stunden gemacht.
„Deine Chance das auszunutzen.“ Er war sich nicht sicher ob sie das mit dem Fernsehen
meinte oder die Tatsache, dass sie neben ihm im Bett lag.
„Ich nutze keine schwachen Momente aus, das ist unter meiner Würde.“ Und gab am Ende
nur Ärger. „Was hältst du von einem alten Film auf dem Laptop?“
„Ich werde einschlafen.“
„Dann trage ich dich entweder ins Bett oder lasse dich hier schlafen. Je nachdem wie müde
ich selber bin.“
„Netter Versuch mich ins Bett zu bekommen.“
„Schatzi, du bist bereits im Bett, das muss kein Ziel mehr sein. Und ich hatte dich bereits im
Bett, über diese Sache bin ich also hinweg. Wann hast du das letzte Mal die glorreichen sieben
gesehen?“
„Nie?“ Zumindest konnte sie sich an keinen Film mit diesem Titel erinnern. Was war das? Ein
Sportfilm?
„Gut, dann werde ich dir ein wenig Westernkultur näher bringen.“ Sogar schlimmer als ein
Sportfilm.
„Das hört sich nach einem guten Schlaf an.“
„Banause.“ Er stand auf und holte die DVD und ein weiteres Kissen. Sollte Kim einschlafen,
dann sollte sie bequem liegen.

Kim war eingeschlafen. Sie konnte sich an nicht viel von dem Film erinnern, der Schlaf
musste sie recht früh erwischt haben. Als sie die Augen öffnete war alles dunkel. Sie brauchte
einige Sekunden um zu realisieren, sie war nicht in ihrem Bett. Sie war in Patricks Bett
eingeschlafen bei dem Versuch diesen Western zu gucken. Genau wie sie es vorausgesagt
hatte. Dabei war einer ihrer alten Lieblingsschauspieler in diesem Film gewesen. Yul Bryner.
Sie hatte damals die Serie mit ihm als König geliebt. Anna und der König.
Mit der rechten Hand fühlte sie vorsichtig nach hinten. Von Patrick keine Spur. Wo war er?
Wie spät war es? Es musste Mitternacht oder später sein. Ob er ins Wohnzimmer gegangen
war um mit den anderen zu fernsehen? Morgen war sein freier Tag, er konnte die ganze Nacht
wach bleiben wenn er wollte.
Sie griff nach dem Lichtschalter. Das Zimmer war leer. Neben dem kleinen Licht auf dem
Nachttisch lag ein Zettel.

Habe dir den Wecker auf fünf Uhr gestellt. Bleib einfach liegen, ich schlafe nebenan. Du hast
den Film verpasst.

Er war in das noch leere Zimmer gegangen. Kim musste lächeln. Das war Patrick. Erneut
hatte er eine vermeintliche Chance nicht genutzt. Andere Männer hätten versucht ihr an die
Wäsche zu gehen, hätten versucht sie im Halbschlaf zu Dinge zu bringen, die sie nicht wollte,
gegen die sich dann aber nicht wehren konnte.
Patrick wiederum verließ sein Bett, stellte ihr den Wecker, da er wusste, sie musste früh
aufstehen und verließ das Zimmer um in einem anderen Bett zu schlafen. Was sollte sie dazu
sagen? War sie nicht eine Idiotin gewesen ihn nicht zu küssen? Ihm das Gefühl zu geben, er
habe einen großen Fehler begangen. War es nicht eher sie, die den Fehler begangen hatte?
Und ihn weiterhin begann.
Darüber würde sie jetzt nicht nachdenken. Ihr aktuelles Problem war: aufstehen oder liegen
bleiben? Sollte sie zu sich gehen? Dann wäre sie absolut wach und würde ewig brauchen um
erneut einzuschlafen. Oder sollte sie hier schlafen? Im Prinzip gab es keinen Grund
aufzustehen. Patrick würde längst im anderen Zimmer schlafen, ihn zu wecken um ihn sein
Bett zu überlassen wäre Unsinn.
Liegen bleiben und schlafen. Sie warf einen Blick auf die Digitaluhr am Radiowacker. Kurz
nach zwei. Ja, sie sollte die letzten drei Stunden Schlaf genießen und dann am Morgen nach
oben gehen. Das Bett war bequem, sie wollte nicht über den kalten Flur nachdenken und sie
hatte bereits fünf Stunden hier geschlafen. Aufstehen wäre Blödsinn und sie sollte aufhören
laufend Blödsinn zu machen. Es war an der Zeit sinnvolle Entscheidungen zu treffen. Das
Liegebleiben wäre ihre erste.

„Danke.“
„Wofür?“ Salt, er brauchte Salz. Patrick war inmitten einer Herausforderung. Er versuchte
sich an Paderborner Landbrot. Irgendwie hatte er am Morgen Hunger auf das Brot seiner
Heimat gehabt und beschlossen sich als Bäcker zu versuchen.
Mit Kims Dank konnte er nichts anfangen, er hatte nichts getan und ihr nicht sein Brot
versprochen. Was er niemals tun würde. Das war sein Stück Heimat, sie würde probieren
dürfen, mehr nicht. Sein Paderborner Landbrot.
„Für dein Bett.“
„Mi cama es su cama. Das habe ich bereits einmal gesagt. Du bist süß wenn du schläfst. Weißt
du, dass du dich zusammenrollst wie eine Katze?“
„Ich kann auch kratzen wie ein Tiger.“
„Süßer Minitiger. Ich hatte dir gesagt, wenn du einschläfst, dann lasse ich dich liegen. Hat
doch gut geklappt mit dem Wecker, oder nicht?“
„Bestens.“
„Wenn du willst, dann kannst du mein Zimmer haben und ich nehme deine Wohnung.“
„Ich denke, ich ziehe das Alleinleben vor. Wenn ich Mitbewohner haben wollen würde, würde
ich mein Zimmer vermieten. Allerdings gefällt mir der Gedanke, jemand kann an all meine
Sachen gehen, nicht.“
„Dieses Problem habe ich nicht, alle Wertgegenstände gehören Andre.“ Patrick schob den
Brotteig in den Ofen. Nun musste der gehen.
„Was backst du?“
„Paderborner Landbrot.“
„Jemand hat Heimweh.“
„Nein, jemand möchte ein ordentliches Brot essen. Wenn du nicht lieb bist darfst du nicht
probieren.“
„Das ist okay, ich werde mir etwas kochen lassen. Hedwig kocht heute für mich, was immer
es geben wird, es wird wunderbar schmecken und ich werde es sehr genießen bevor ich zur
Probe muss.“
„Ich überlege noch ob ich euch zusehen möchte oder faul im Bett liegen will.“
„Du bleibst im Bett, dann kannst du mich nicht nervös machen.“
„Ich mache dich nervös?“ Patrick sah Kim amüsiert an. Das hatte er gar nicht gewusst. Er war
davon ausgegangen, sie mochte es einfach nicht wenn man sie beim Proben beobachtete. In
welcher Form machte er sie nervös? Das war eine weitere, sehr interessante Frage, die er ihr
stellen konnte.
„Bilde dir nur nichts darauf ein.“
„Zu spät. Ich schwebe bereits mindestens vier Etagen höher.“
„Stoß dir nicht den Kopf.“
„Da ist eine Ärztin im Haus, die hatte Allgemeinmedizin im Studium, die kann mir helfen.“
„Psychiatrie war auch eines ihrer Fächer, sie kann eine Diagnose stellen. Obsession.“
„Ja, absolut. Ich habe eine Obsession für eine tolle ehemalige Schauspielerin. Wie kam es
eigentlich, dass du laufend junge Frauen dargestellt hast, die Drogenprobleme hatten? Oder
Pillen genommen haben, die nicht gut für sie waren. In der Soap und in zwei Serien hast du
mit Pillen und Injektionen experimentiert.“
„War perfekt für mein Medizinstudium, kein Grund zur Sorge.“
„Entdecke ich jemals Nadeln in deiner Wohnung, ich werde dich an mein Bett fesseln.
Zweiundsiebzig Stunden und der physische Entzug ist geschafft.“
„Fesselspiele in deinem Bett? Patrick, tu mir einen Gefallen und verrate mir nicht deine
sexuellen Phantasien, ich könnte sonst aufhören dich zu mögen. Es gibt viele Dinge, die man
in einer Freundschaft nicht teilen muss. Das wäre eine davon.“
„Wie süß, du bist verklemmt.“
„Pass auf, Kleiner“, drohte Kim.
„Meine Angst vor dir hält sich in Grenzen.“ Patrick ging zu Kim. „Sie ist ehrlich gesagt mehr
als begrenzt.“
„Das könnte eines Tages ein Problem werden.“
„Willst du mir den Hintern versohlen?“
„Um dir eine weitere Fantasie zu erfüllen? Vergiss es. Ich gehe jetzt.“
„Nimmst du mich mit zur Probe? Ich schnappe mir einen Block und einen Stift, wer weiß,
vielleicht kann ich etwas von eurer Kreativität auffangen und für eine neue Kurzgeschichte
verwenden. Sobald ich zwölf habe, von denen ich denke, sie haben das Zeug für die
Zeitschrift werde ich ruhiger. Dieser indirekte emotionale Druck, den ich mir aufbaue, der
wirkt sich negativ auf mein Schreiben aus.“ Er hatte vier Geschichten, war somit für vier
Monate sicher, doch richtig sicher war er sich erst wenn er für jeden Monat eine Geschichte
geschrieben hatte.
„Klar, sei um fünf Uhr fertig, ich komme runter und nehme dich mit.“ Kim sah auf ihre Uhr.
„Ein Kapitel schaffe ich noch bis zum Essen. Du kannst dich schon mal auf eine Antwort
gefasst machen und ein neues Kapitel bereit stellen.“
„Du willst die Kapitel unbedingt gelesen bekommen, oder?“
„Ja. Unter meinem Bett liegt ein Paket mit einem Regal, das soll das Bücherregal für deine
Bücher werden. Sobald ich deine Geschichte komplett habe und zum Binden gebe, wird
dieses Regal aufgebaut. Das wird in mein Zimmer gestellt, damit ich deine Schätze immer bei
mir habe.“
„Liebling, ein Wort und du kannst mich auch immer bei dir haben.“
„Deine Bücher sind genug. Sie sind nicht frech, machen weniger Stress und ich kann sie
einfach weglegen, wenn ich sie nicht sehen will. Sie sind einfacher zu handhaben als du.“
„Meine Worte sind gewollt, ich bin ungewollt. Das schwere Schicksal eine Schriftstellers.“
„Die großen Schriftsteller hatten alle ihre sozialen Probleme.“ Sie zwinkerte ihm zu und ging.

„Gib zu, du hast nicht geglaubt, ich würde mit dir hierher fahren.“ Kim schlug die Autotür zu
und sah über das Dach zu Patrick.
„Ich gebe zu, ich hatte meine Zweifel.“ Es war ein sonniger Mittwoch Nachmittag, beide
hatten den Tag frei gehabt und Kim hatte nach dem Frühstück vorgeschlagen, sie könne heute
ihr Versprechen einlösen. Also waren beide nach Grünwald gefahren, den Ort, in dem sie vor
fünfzehn Jahren ihre recht kurze und erfolglose Karriere beim Fernsehen begonnen hatte. Sie
selber war in den letzten Jahren eher selten an diesem Ort vorbei gekommen, hatte nur einmal
mehr Zeit hier verbracht. Das war als sie einen Gastauftritt in einer anderen Serie hatte. Das
war allerdings auch zehn Jahre her.
„Ich halte meine Versprechen. Sieh, da vorne ist der Gasthof, der Hauptdrehort. Zumindest
sollte man das Gefühl vermittelt bekommen wenn man die Serie sah. Tatsächlich haben wir
nie im Gasthof gedreht. Alles, was nach den Innenräumen aussah, war im Studio entstanden.“
„Ist das nicht immer so?“
„Meistens. Man braucht zuviel Platz für die Kameras und die Lichter, die meisten Räume
bieten diesen Platz nicht. Du brauchst Platz um die Kameras so platzieren zu können, dass sie
bei verschiedenen Winkeln nicht sich gegenseitig filmen.“ Sie schlenderten auf den Gasthof
zu. Natürlich hieß er nicht so wie in der Soap und es gab auch keinen Hinweis, dass er einst
Schauplatz einer Soap gewesen war. Diese Soap war erfolglos gewesen, kein Grund damit zu
werben.
„Wo hast deine Drogenkarriere noch einmal begonnen?“
„Drogen, das ist das Thema, das dich am meisten interessiert, oder?“
„Es war das große Thema deiner Rolle. Ich kann dich nicht fragen, wo dein Serienfreund dich
verführt hat, denn du hattest keinen. All deine Gedanken waren bei den Drogen, wie du mehr
Codein bekommen kannst. Dein Dealer war männlich, aber du kamst aus reichen Haus, ich
gehe davon aus, du konntest ihm immer Geld geben und musstest nicht anders bezahlen.
Selbst als deine Drogenprobleme größer wurden.“
„Ich hatte kein Drogenproblem, mein Seriencharakter hatte den. Wenn man dich so hört
könnte man meinen, ich sei die Abhängige gewesen. Würdest du das bitte so ausdrücken, dass
da keine Missverständnisse auftreten? Man stelle sich vor jemand hört dich und ist ein paar
Tage später Patient im Krankenhaus. Was das für ein Theater geben würde.“
Patrick grinste. Sehr unwahrscheinlich „Codein. Wieso ist das in meiner Erkältungsmedizin
wenn das eine Droge ist, Frau Doktor?“
„Du sollst keine Tabletten schlucken wenn du eine Erkältung hast. Ein paar Kräuter und alte,
gutbewährte Hausmittel von Mutter Natur tun es auch. Eine Erkältung braucht mit Medizin
eine Woche und ohne acht Tage.“ Das hatte Patrick irgendwo bereits einmal gehört. Was ihm
jedoch nicht half wenn er arbeiten musste und deswegen versuchen musste, seinen Kopf so
schnell wie möglich frei zu bekommen.
„Das sind nicht die Worte, die man von einer Ärztin erwarten würde.“
„Meine Großmutter ist sehr bewandelt auf dem gebiet der Naturheilkunde. Ihre Worte sind:
Wenn es die Natur gebracht hat, dann kann es die Natur auch heilen.“
„Eine Arztfamilie, so langsam sehe ich wieso du das Fernsehen verlassen hast.“
„Eigentlich ist mein Onkel der einzige richtige Mediziner, an den ich mich erinnern kann.
Eine Familientradition mit Berufen gibt es nicht, dafür war unsere Familie immer zu sehr an
vielen Dingen interessiert und die Seite meines Vaters hat völlig andere Interessen als die
meiner Mutter. Das muss die unterschiedliche Herkunft sein. Was ist mit deiner Familie? Habt
ihr eine Tradition mit Berufen?“
„Amen.“ Patrick ließ sich auf die Bank vor dem Gasthof fallen. Da saß er, an einem
ehemaligen Drehort. Nichts sah mehr aus wie damals in der Soap. Hätte Kim ihm nicht
gesagt, dies war der Gasthof. Er hätte ihn nicht erkannt. In der Zeit hatten die Besitzer zu
viele Veränderungen vorgenommen.
„Was ist die Familientradition?“
„Bänker.“
„Bänker?“ Kim begann zu lachen. Patrick war nicht einmal in der Nähe des traditionellen
Berufs. Weder mit dem Beruf, den er studiert hatte noch mit dem, dem er nun nachging. Er
hatte sich treffsicher immer etwas anderes ausgesucht. Finanzen und Geld waren nie sein
Gebiet gewesen.
„Was haben deine Eltern gesagt als du ihnen gesagt hast, was du studieren willst?“
„Sie waren wenig beeindruckt.“ Es hatte eine lange Diskussion gegeben. Sein Vater hatte
bereits einen Ausbildungsplatz für ihn in der gleichen Bank in Aussicht, in der er arbeitete und
wollte seinen Sohn dort sehen.
„Das glaube ich. Und dann beschließt du vier Jahre ins Ausland zu gehen, wo du deine
Fähigkeiten nicht anwenden willst. Immerhin bist du ja im Ausland um etwas anderes zu
machen. Dann kommst du nach Deutschland zurück, beschließt erneut nicht in der Heimat zu
bleiben, gehst nach München, was für dich wie Ausland ist und arbeitest in einem Beruf, der
erneut weder etwas mit Banken noch mit deinem Studium zu tun hat.
Deine armen Eltern, sie müssen denken, sie haben alles falsch mit dir gemacht. Was macht
dein Bruder? Kindergärtner?“
„Der folgt brav der Familientradition und arbeitet in der gleichen Bank wie mein Vater. Ich
bin das schwarze Schaf.“
„Es sieht so aus. Ich denke, du musst eine Bänkerin oder die Tochter eines Bankbesitzers
heiraten um aus dieser Miesere heraus zu kommen. Sonst wirst du erbarmungslos aus dem
Testament gestrichen.“
„Ja, erfolgreiche Frauen fühlen sich magisch angezogen von Putzern...Küchenhilfen oder so
was. All diese Telefonnummern, die mir Geschäftsfrauen und Karrierefrauen zustecken wenn
ich ihr Zimmer sauge. Ich weiß gar nicht wen ich zuerst anrufen soll. Bänker – Bettina,
Karriere – Karla oder Geschäftsleiterin – Gerda. Dieser Stress, ich weiß gar nicht wo mir der
Kopf steht.“
„Was bin ich froh dass du Zeit für mich hast. Für Assistenzärztin – Kim.“
„Das war weil Erfolgs – Evelyn mir abgesagt hat. Sie muss mal eben ein paar Millionen heute
verdienen, sie sieht mich morgen.“
„Mein erfolgreicher Casanova.“ Kim zog ihn auf die Beine. „Es ist kalt, lass uns an einen
anderen Ort gehen. Ich kann dir zwei weitere Außendrehorte zeigen, dann haben wir alles
gesehen, was man hier sehen kann.“
„Moment, zuerst brauche ich ein Foto von meiner Lieblingsdarstellerin vor dem Gasthof,
selbst wenn er nicht mehr so aussieht, wie es aussehen sollte. Ich werde einfach das passende
Schild per Fotomontage einbauen.“
„Dann kannst du auch ein Foto von mir einbauen.“
„Zick nicht rum, du kannst nicht kamerascheu sein.“ Er schob sie vor den Gasthof, stellte
seine Kamera auf einen Zaunpfahl, drehte die Linse so, dass Kim und der Gasthof gut zu
sehen waren, stellte den Selbstauslöser ein und lief zu ihr.
„Lächeln, der Star und der Fan vor dem Drehort.“
„Mein Stalker und ich.“ Sie schlag ihre Arme um Patrick und küsste ihn auf die Wange als das
Foto gemacht wurde.
„Das nenne ich eine Luxusausgabe eines Fanfotos, mein Lieber. Das musst du in Ehren halten
und nicht ins Internet stellen. Das würde es entehren.“
„Man könnte meinen, du hast eine Internetphobie.“ Sobald er ein Foto von ihr machte sagte
sie ihm, er solle es nicht ins Internet stellen.
„Ich traue dir alle Verrücktheiten zu.“
„Dein Vertrauen ist berechtigt.“ Er umarmte sie. „Ich werde es nicht online stellen,
versprochen. Das ist mein persönlicher Schatz. Dieses Foto wird eingerahmt nachdem
mindestens ein Dutzend Sicherheitskopien an verschiedenen Orten hinterlegt wurden.“
„Manchmal machst du mir Angst und dann sehe ich dich und denke mir: Er ist verrückt, aber
total harmlos und ich mag ihn zu sehr um ihn nicht mehr zu beachten. Bist du bereit für ein
weiteres Stück von Sonja? Wir könnten zum Schulhof fahren, da wo meine Drogenkarriere
begann.“
„Mit dir gehe ich überall hin, sogar zum Schulhof.“
„Hör auf zu flirten, das klappt bei mir nicht. Ich bin resident gegen deinen Charme.“
„Manche würden depressiv aufgeben, ich denke, das ist eine Herausforderung.“
„Du bist unmöglich.“
„Ja, das bin ich. Das schlimme für dich daran ist, das ist eine der Eigenschaften von mir, die
du magst.“
„Halt den Mund.“ Sie zog ihm zum Auto zurück. Dieses Thema würde sie nicht weiter
ausführen, sie würde nur verlieren. Und sie stoppte sobald sie feststellte, sie würde verlieren.
Es machte keinen Sinn Energie in etwa zu stecken, das nicht funktionierte. Patrick hatte Recht
mit seiner Aussage, das würde sie ihm zwar nicht sagen, sich selber konnte sie das jedoch
zugestehen.
Kapitel 19

Wochen konnten sehr schnell vergehen, sie konnten regelrecht verfliegen. Zumindest kam es
Kim so vor. Erst vorgestern hatte sie sich zu dem Theaterstück überreden lassen, gestern war
die Hälfte aller Proben rum und heute war urplötzlich ihr erster Auftritt. Es war unmöglich,
dass drei Monate vergangen waren und das Theaterstück bereits viermal aufgeführt worden
war. Das musste alles ein Traum sein.
„Kind, beruhige dich.“ Maurice legte seine Hand auf Kims Schulter. „Du kannst deinen Text,
du kennst sogar die Texte der anderen, du musst dir keine Sorgen machen.“ Seine Nichte war
bei den Fernsehserien weniger nervös gewesen. Er hatte sie damals begleitet. Kim war die
Ruhe selbst gewesen.
„Was, wenn ich etwas vergessen, was wenn ich...“
„Kim, entspanne dich! Sieh wer da ist.“ Erleichtert sah Maurice Patrick an, der durch die Tür
in den Raum hinter der Bühne kam. Er hatte es pünktlich geschafft, alle Vorbereitungen waren
getroffen, wegen ihm konnte es umgehend losgehen. Kim auf der Bühne, er freute sich wie
ein Kind auf Weihnachten.
„Patrick, kannst du sie heilen? Frau Doktor hat Fieber. Lampenfieber.“
„Ich kann es versuchen.“ Patrick legte seine Arme um Kim, die ihr Gesicht an seinen Hals
presste.
„Ich will da nicht raus.“
„Keiner kann dich zwingen, doch die Leute warten af dich.“
„Ich werde das Stück ruinieren.“
„Unsinn. Ich habe dir bei der Generalprobe zugesehen, ich habe unzählige andere Proben
gesehen, du warst wunderbar. Es gibt keinen rationalen Grund Sorgen zu haben. Du wirst sie
begeistern.“
„Ich werde meinen Text vergessen.“
„Kim, keiner hier hat deine Ausbildung und Erfahrung. Du hast für das Fernsehen gearbeitet.
Mehrmals.“
„Das ist etwas anderes. Fernsehen ist einfach. Wenn du deinen Text vergisst oder nicht gut
genug bist, dann drehst du die Szene einfach erneut. Das hier ist wie eine Live-Übertragung.
Das, was ich sage, das ist gesagt, das kann nicht rausgeschnitten werden, kann nicht bearbeitet
werden. Da ist nur eine Chance, wenn die nicht genutzt wird, dann ist sie vorbei und alles ist
aus. Das Stück ist ruiniert und man geht in die Köpfe der Leute als die ein, die das Stück
geschmissen hat.“
„Du wirst weder das Stück schmeißen noch deinen Text vergessen oder sonst etwas machen,
das du nicht willst. Du wirst da raus gehen, deine Rolle spielen und gut sein. Wie all die Male,
die ich dir zugesehen habe. Es wird genauso sein wie in der Probe. Du wirst spielen, ich sehe
dir zu.“
„Bist du in der ersten Reihe?“
„Ja. Genauso wie Hedwig, Gerhard, Maria und Jodie.“
„Was ist mit Steve und Andre?“
„Die sind hinten beim Techniker, sie werden das Stück auf dem digitalen Camcorder von
Andre mitschneiden. Es wird am Ende wie eine TV Produktion aussehen.“ Alle Bewohner des
Hauses waren da. Keiner wollte Kims Auftritt verpassen. Beide Vorstellungen, in denen Kim
auf der Bühne stehen würde, würde ihnen besucht werden.
„Sie filmen meinen Untergang.“
„Unsinn. Sie werden dir eine wunderbare Erinnerung schaffen.“
„Wo genau wirst du sein?“
„Erste Reihe, ganz links. Dein Stalker muss einen guten Winkel haben für die Fotos. Du weißt
schon, ich werde diverse Fotos in Rahmen an meine Wand hängen und dann ein großes als
Poster ausdrucken lassen, das an meine Tür kommt. Dann habe ich dich in Lebensgröße von
da aus ist es nur ein kleiner Schritt bis ich das auf meine Bettwäsche drucken lasse und dann
habe ich jede Nacht bei mir. Der Fanwelt sind keine Grenzen gesetzt. Tassen, Teller, Spiegel,
Schal, Mütze. Du wirst überall in meinem Leben sein.“
„Du spinnst, wehe du machst das.“
„Gegen die Fotos kannst du dich nicht wehren, den Rest werde ich überdenken. Alles wird
gut, Kim.“ Er sah ihr in die Augen und lächelte. „Du wirst das schaffen. Was soll passieren
wenn dein größter Fan da ist?“
„Er stürmt auf die Bühne?“
„Ja, ich hatte daran gedacht auf einem Pferd ins Theater geritten zu kommen, dich von der
Bühne zu zerren und dann zu entführen. Leider sind Pferde nicht erlaubt, deswegen musste
ich diesen Plan auf Eis legen.“
„Spinner.“ Sie kroch wieder in seine Arme. Sie fühlte sich sicher und geborgen in Patricks
Armen. Vielleicht konnte sie sich hier vor dem Auftritt verstecken.
„Hast du jemand von meinen Kollegen gesehen?“ Sie hatte mit keiner Silbe erwähnt dass sie
heute auf der Bühne stehen würde. Es wussten sowieso nur zwei Kollegen von diesem
Theaterstück und ihr Onkel, doch der war in einer Operation und konnte nicht hier sein. Sie
wollte niemand vom Krakenhaus hier haben. Wenn sie sich blamieren würde, dann wollte sie
das so privat wie möglich machen. Nicht auszudenken wenn man die nächsten Wochen nur
über ihre Blamage sprechen würde bei der Arbeit.
„Nein.“ Selbst wenn er jemand gesehen hätte, in diesem Fall hätte er Kim angelogen. Alles
andere würde sie nervös machen und das war sie bereits genug. Er musste sie beruhigen,
notfalls mit einer Lüge.
„Gut.“
„Hast du deine Eltern...?“
„Zum zweiten Stück. Ich wollte sie hier nicht haben, wenn...“
„Kim, jetzt hör mir mal zu.“ Er schob sie ärgerlich von sich weg um ihr in die Augen sehen zu
können. „Du wirst nicht versagen und es wird keine Blamage geben. Verstanden? Alles wird
genauso, wie es sein soll. Hast du das kapiert?“
„Ich...“
„Hast du das verstanden?“, fragte er ungeduldig, nicht ihre Einwände hören wollend.
„Ja.“
„Gut. Ich suche mir die Leute, von denen ich ein Fan bin, aus. Sie müssen etwas Besonderes
sein. Du bist etwas sehr besonderes.“
„Das sagst du nur weil du mich aufmuntern und rumkriegen willst“, versuchte Kim halbherzig
zu protestieren.
„Aufmuntern ja, rumkriegen nein. Du bist die Zweitbesetzung, wenn dann schleppe ich die
Erstbesetzung ab. Hauptrolle versteht sich. Etwas Würde muss sein.“
„Arschloch.“ Sie schlug ihn liebevoll auf die Schulter.
„Ich liebe dich auch und wenn ich dich jetzt alleine lasse, dann wirst du nicht keine Panik
bekommen, du wirst ruhig sein und an dich glauben.“
„Wieso willst du gehen?“
„Weil in fünf Minuten die Aufführung anfängt und ich aus dem Backstage Bereich
verschwinden muss. Selbst wenn du es nicht glauben magst und ich sicherlich die meisten
Texte mitsprechen kann, ich bin kein Darsteller. Ich habe hier nichts mehr zu suchen und
muss meinen Platz vor der Bühne einnehmen.“ Es hatte bereits geläutet, das bedeutete, die
Vorstellung würde in wenigen Augenblicken beginnen. Die Zuschauer waren aufgefordert
sich zu ihren Plätzen zu begeben, fünf Minuten und dann würde der Vorhang zur Seite
geschoben werden.
„Kannst du nicht noch eine Minute bleiben? Bitte.“ Sie klammerte sich an ihn.
„Kim, ich wiederhole mich jetzt, du bist absolut süß und ich kann mir gerade nicht vorstellen,
wie du Fernsehproduktionen auf die Reihe bekommen hast. Musste dein damaliger Freund
immer bei dir sein?“
„Nein, da gab es die Klappe, die auch zweimal geschlagen werden konnte.“
„Nicht dass du die gebraucht hättest.“
„Manchmal.“ Kim musste lächeln. „Patrick?“
„Ja, meine Theaterheldin?“
„Ich bin froh dass du hier bist. Danke dass du da bist und mich erträgst, mich tröstest,
aushältst, beruhigst, aufbaust und überhaupt, all das, was du immer für mich tust.“
„Mache ich doch gerne, sehr gerne.“
„Kinder, ihr müsst euch trennen“, rief Maurice. „Nach der Vorstellung dürft ihr weiter
Händchen halten oder was immer ihr da macht. Jetzt muss Kim her.“ Er hat den beiden bereits
mehr Zeit gegeben, als er normalerweise zuließ.
„Okay“, antwortete Patrick. „Du schaffst, ich glaube an dich.“ Er griff mit seinen Händen
hinter den Hals, öffnete seine Kette und legte Kim um. „Jetzt bist du doppelt geschützt. Mit
deinem Talent und meinem Glück. Er hat mich vier Jahre durch die Welt gebracht, er wird
dich durch das Stück bringen.“
„Das ist dein Talisman, den hast du seit Jahren nicht mehr abgelegt.“ Sie sah ihn entsetzt an.
Er hatte ihr erzählt wie wichtig diese Kette für ihn war. Sie war Glücksbringer und viel mehr
Erinnerung. Nun würde sie sich nicht nur Sorgen darum machen, dass sie das Theaterstück
ruinierte, was wenn sie die Kette verlor? Wenn sie die Kette zerbrach?
„Du wirst darauf aufpassen, ich lasse dich eh nicht aus den Augen.“ Er warf einen letzten
Blick zu Maurice, der ihn augendrehend ansah. „Dein Onkel wetzt bereits die Messer. Ich
muss weg. Alles Gute, du schaffst das.“ Er umarmte sie.
„Danke.“ Kim zog ihn ein letztes Mal zu sich und küsste ihn sanft auf die Lippen bevor sie zu
ihrem Onkel ging. Auf ging es, die Stunde der Wahrheit war da, sie musste zeigen, dass sich
weder Patrick noch ihr Onkel in sie geirrt hatten.

Wieder ein Kuss. Patrick hatte sich stark zusammennehmen müssen um normal aus dem
Backstage Bereich zu gehen. Das war nur ein freundschaftlicher Kuss gewesen, er sollte nicht
anfangen etwas hinein zu interpretieren, das es nicht gab und das ihm nur wieder schlaflose
Nächte bescheren würde. Kim war nervös und hatte sich bedankt weil er sie beruhigt hatte, für
sie da gewesen war.
Er holte seine Kamera aus der Tasche. Zeit für seine Fotos. Steve hatte ihm das Okay Zeichen
gegeben, das hieß, mit dem Video war alles in Ordnung. Andre hatte sicherlich etwas mit der
Elektronik angestellt, das ihm eine sehr gute Tonqualität bringen würde. Nun lag es an Patrick
die passenden Fotos zu machen.
„Wie geht es ihr?“, fragte Hedwig als er an ihr vorbei ging.
„Sie ist nervös, aber sie wird das schaffen. In zwei Stunden wird sich breit lächelnd auf der
Bühne stehen und sich bedanken.“
„Ja, das denke ich auch. Ihre Nervosität der letzten Tage war absolut unnötig. Wehe sie isst
heute nichts, ich habe seit zwei Tagen nichts in sie hineinbekommen.“
„Wundert mich nicht, sie ist ein Nervenbündel. Nächste Woche solltest du nicht das Problem
haben, die zweite Aufführung sollte weniger Stress bedeuten.“
„Hoffentlich.“ Sie drückte Patricks Hand und er begab sich auf seinen Platz. Von hier konnte
er die Bühne überblicken. Dank all den Proben, die er sich angesehen hatte, wusste er genau
wann Kim wo stehen würde und von dieser Seite hatte er den besten Blickwinkel auf sie und
die besten Fotos waren ihm sicher.
Kim hatte eine Nebenrolle, sie würde erst nach zwanzig Minuten auf der Bühne zu sehen sein.
Hoffentlich machte sie sich nicht unnötig verrückt während sie wartete. Hätte er bleiben
sollen? Nein, Maurice wollte niemand hinter der Bühne haben, der nicht zur Besetzung
gehörte sobald das Läuten erklungen war.
Die Eröffnungsszene. Er konnte die Texte beinahe mitsprechen. Es mussten ein Dutzend
Proben gewesen sein, die er verfolgt hatte. Er hatte einzelne Szenen gesehen, hatte das Stück
gesehen, hatte die Generalprobe miterlebt und die Erstaufführung des Stücks vor fünf Tagen.
Nun war Kims Auftritt an der Reihe. Das, worauf er all die Wochen gewartet hatte.
Was für ein Glück dass sie sich hatte überreden lassen. Insgeheim hatte er die Hoffnung sie
jemals wieder schauspielern zu sehen, aufgegeben. Sie hatte sich dieses Leben im
Krankenhaus geschaffen, hatte lange und hart studiert, das wegzuwerfen wäre dumm
gewesen. Das konnte die ideale Lösung sein ihre beiden Leidenschaften miteinander zu
verbinden. Die Medizin litt nicht, denn sie war nur im Theater wenn sie frei hatte und die
Schauspielerei blieb ihr erhalten, auf, wie er fand, höherem Niveau.
Eigentlich hatte sich in seinem Leben alles zum Besten gewendet. Wenn er überlegte wie
unzufrieden er vor fünf Jahren gewesen war. Dann kam das erste Jahr im Ausland und seine
Laune und sein Gemüt hatten sich erheblich verbessert. Im zweiten Jahr war er glücklich, was
die nächsten Jahre anhielt. Aufgeladen mit positiven Energien war er aus Kanada gekommen
und hatte beschlossen sein Leben nicht zurück ins alte Muster fahren zu lassen, sondern
erneut eine Abwechselung zu suchen. München.
München, eine Stadt, in der er nie gewesen war und in der er außer Steve niemand gekannt
hatte. Kim. Doch zu dem Zeitpunkt war das nicht mehr als eine Emailbekanntschaft. Alles
hatte sich in den letzten sechs Monaten geändert. Er hatte einen Job, der nicht das war, was er
studiert hatte, der ihm jedoch Spaß machte. Er hatte eine eigene Wohnung, vier sehr nette
Mitbewohner und mit Kim verband ihm eine enge Freundschaft. Er hatte viele Gründe
zufrieden zu sein und kaum welche unzufrieden zu sein.
Patrick hob die Kamera. Es war Zeit für Kims erstes Erscheinen. Da war sie. Frau Lektur, die
strenge Lehrerin. Mit ihren streng nach hinten gebundenen Haaren und dem Kostüm sah sie
wirklich wie eine Lehrerin aus, die einem schlaflose Nächte bereiten konnte. Nun, bei Patrick
hatte sie das auch ohne die Lehrerrolle geschafft.
Klick! Klick! Zwei gute Fotos. Er hatte zuvor etwas von vier oder fünf gesagt. Es würde eher
auf vier bis fünf Dutzend hinauslaufen. Wer wusste schon wann er wieder die Chance
bekommen würde Fotos von Kim machen zu können. Vielleicht im Sommer, wenn sie eine
Grillfeier hatten. Er musste sich etwas einfallen lassen, das Fotos rechtfertigen würde.
Die ersten Sätze, alles lief perfekt. Weder die Nervosität noch die Selbstzweifel waren Kim
anzusehen, sie bewegte sich geschmeidig auf der Bühne, als wenn sie ihr Leben lang nichts
anderes getan hätte.
Patrick sah ihr verträumt zu. Das war Kim wie er sie kannte. Das war die Kim, die er vor
fünfzehn Jahren im Fernsehen angehimmelt hatte. Seine Kim, mit dem unverwechselbaren
Lächeln und dem kleinen Akzent, den sie nicht weg bekam, egal wie sehr sie sich anstrengte.
Er konnte ihr ewig zusehen und zuhören.
Wie schön wäre es sie in einer Hauptrolle zu sehen. Er musste versuchen sie in eine größere
Rolle zu reden. Dann würde er umso mehr Zeit damit verbringen ihr zuzusehen, würde sie
öfter auf der Bühne sehen, mehr Text von ihr hören. Er fühlte sich wie ein Junge, der in seine
Lehrerin verliebt war. Sie spielte eine Lehrerin, er war kein Junge, aber er war verliebt. Das
hatte ihm der Kuss mal wieder gezeigt. Wenn er nicht verliebt wäre, hätte ihn dieser Kuss
nicht so durcheinander gemacht.
Ob er mit der Schauspielerei anfangen sollte? Er könnte zusammen mit ihr spielen, könnte
eines Tages ein Paar mit ihr spielen. Das wäre etwas. Er könnte Kim die ganze Zeit küssen
und würde dafür bezahlt werden. Das musste der beste Beruf der Welt sein.
Hatte sie jemals einen Serienfreund gehabt? In der Soap nicht, da ging ihr Leben alleine um
Drogen, so weit er sich erinnern konnte, hatte sie nichts mit ihrem Dealer gehabt. Was war mit
den anderen Serien? Eine hatte er auf DVD, da war sie Single, von den anderen Auftritten
hatte er nichts gesehen, meinte jedoch gelesen zu haben, sie war Sportlerin. An eine Rolle, die
eine Beziehung hatte, konnte er sich nicht erinnern.
Kim konnte zu den Personen gehören, die keine anderen vor der Kamera küssten. Er war sich
sicher, solche Schauspieler gab es, genauso wie es Schauspieler gab, die keine Nacktszenen
drehten. Wenn er sie nur dazu bewegen könnte ihm ihre alten Fernsehsachen zu geben. Doch
sie hatte bisher kategorisch abgelehnt ihm mehr als die Soap zu geben.

Natürlich hatte er recht gehabt. Kim hatte nicht einen Fehler gemacht. Sie hatte sich nicht
versprochen, hatte nicht mit den falschen Darstellern gesprochen und war überzeugend als
Lehrerin und alleinerziehende Mutter gewesen. All das, was sie sich zuvor eingeredet hatte,
war nicht eingetroffen.
Das Publikum applaudierte nachdem der Vorhang zugezogen wurde. Alles war, wie es sein
sollte. Der Vorhang wurde ein wenig in der Mitte geöffnet und jeder Darsteller kam kurz
heraus, verbeugte sich, applaudierte dem Publikum und verschwand wieder. Er knipste zwei
Fotos von Kim als sie raus kam und ein weiteres als der Vorhang ganz zur Seite gezogen
wurde und alle Darsteller erneut zu sehen waren.
Was für ein schöner Abend. Was für ein gelungener Abend. Er schaltete seine Kamera aus,
steckte sie in seine Tasche und ging zu den anderen, die am Bühnenrand standen und Kim
gratulierten. Gerhard hatte ihr eine Rose gegeben. Blumen und Teddybären für die Stars.
Patrick sah ihnen einige Sekunden aus einigen Metern Entfernung zu bevor er sich zu ihnen
gesellte. Ein schönes Bild, wie eine große, glückliche Familie. Er konnte sich an solche Bilder
gewöhnen, hoffte sie öfter demnächst zu sehen. Nicht nut im Theater, sondern auch Zuhause.
Wenn sie alle zusammen im Garten sitzen würden.
„Ich habe dir gesagt, du wirst das ohne Probleme meistern.“ Er sah lächelnd zu Kim und
bedeutete ihr, er würde ihr von der Bühne helfen. Kaum waren seine Hände um ihre Taile,
umschlang sie mit ihren Beinen seinen Oberkörper und ihre Arme umschlingen seinen Hals,
so dass er sie trug. Bevor er etwas sagen oder machen konnte waren ihre Lippen auf seinen
und sie küsste ihn tief und innig. Das war kein freundschaftlicher Kuss, da war er sich sicher.
Das war auch kein Dank. So küsste man niemand zum Dank. Und so erwiderte er keinen
Kuss, den er zum Dank bekam.
Er küsste Kim und sie küsste ihn. Kein Unfall, kein Schauspiel, das war gewollt. Von beiden,
da war er sich sicher. Und das sollte nie wieder aufhören, zumindest nicht, wenn er das
entscheiden konnte. Konnte das Leben besser sein? Konnte irgendetwas besser sein?
„Ich könnte mich daran gewöhnen das öfter zu machen“, flüsterte sie ihm ins Ohr als sich ihre
Lippen getrennt hatten.
„Wirklich? Ich weiß ja nicht, eigentlich habe ich mich in eine Ärztin verguckt, du weißt
schon, ich wollte etwas Solides und Ansehnliches in meinem Leben haben.“
„Kein Platz für eine Theaterschauspielerin?“
„Liegt ein wenig unter meinem Niveau.“
„Mach dir nichts raus, ich wollte mich auch nicht mit einem Fan einlassen. In meinem Haus
wohnt ein Mann mit einem Diplom, ich brauche jemand, der eine gewisse Intelligenz
vorweisen kann.“
„In diesem Fall kann das mit uns nichts geben“, seufzte Patrick. „War trotzdem ein netter
Kuss. Vielleicht wiederholen wir den eines Tages mal wieder.“
„Wann würde es dir passen?“
„Wie wäre es mit jetzt?“
„So ein Zufall, genau jetzt hätte ich Zeit.“ Sie küsste ihn erneut.
Das musste ein Traum sein, das war alles zu gut um wahr zu sein. Patrick wagte gar nicht die
Augen zu öffnen. Was, wenn er aufwachte und in seinem Bett lag? Wenn das alles nur ein
Produkt seiner Fantasie gewesen war? Welch eine Enttäuschung würde er erleben. Aus dem
geträumten Paradies in die wahre Welt.
„Wenn du es wagen solltest dieses Poster in Lebensgröße drucken zu lassen, dann wirst du
überlebensgroßen Ärger mit mir bekommen, ist dir das klar?“ Kim strich ihm durch die Haare
und sah ihn belustigt an.
„Dir ist klar, wenn ich dein Poster nicht in Lebensgröße haben kann, dann will ich dich live
haben. Du bist ein ganz guter Ersatz für ein Poster.“
„Wirklich? Danke.“
„Würde es euch beiden sehr stören wenn ihr aufhört euch gegenseitig aufzufressen und
stattdessen euch wie erwachsene Menschen benehmt?“, fragte Steve amüsiert. „Wir können
nicht ein Video machen, bei dem die Nebendarstellerin von einem Fan gefressen wird.“
„Ach Steve.“ Kim rutschte aus Patricks Armen und umarmte Steve. „Ich bin auch sehr froh
dich zu sehen. Danke für das Video.“ Sie küsste ihn.
„Die. Hat. Mich. Geküsst.“ Er sah perplex zu Patrick. „Du bist mein Zeuge. Sie hat mich
geküsst. Ich habe nichts gemacht.“
„Sei froh, ich musste sehr viel tun damit sie mich geküsst hat.“ Patrick nahm schmunzelnd
Kims Hand.
„Ich küsse nicht die Freundin meines Freundes. Wieso ist dir das nicht gestern eingefallen,
Kim? Als du Patrick noch nicht geküsst hast. Nun muss ich ein schlechtes Gewissen haben.
Das ist als wenn ich ihn betrogen hätte.“
„Ich vergebe dir, diesen einen Kuss darfst du haben“, meinte Patrick.
„Ja, diesen einen. Sie ist zu alt für mich. Ich brauche die jüngere Ausgabe.“
„Meine Schwester ist in London, du kannst es bei ihr versuchen.“
„London? Wäre immerhin nicht allzu weit weg. Wenn sie dich das nächste Mal besuchen
kommt, dann stell uns bitte vor.“
„Ich bin sehr froh dass du und Patrick, dass ihr euch gefunden habt“, sagte Hedwig zu Kim.
„Er ist ein guter Mann, genau das, was du dir verdient hast.“
„Ja, ich kann jetzt aufhören kochen zu lernen, ich habe meinen eigenen Koch.“ Kim küsste
Patrick auf die Wange. „Ich gehe ins Krankenhaus, mache Karriere und er kann sich um die
Wohnung kümmern. Verkehrte Rollen.“
„Ich bin ein flexibeler und offener Mann, das bedeutet für mich kein Problem. Gehe du und
rette Menschenleben, kümmere dich um die, die deine Hilfe brauchen. Wenn du von der
Arbeit kommst werde ich mich um dich kümmern. Kochen, dir Badewasser einlassen, dir den
Rücken waschen und eine heiße Schokolade ans Bett bringen.“
„Hört sich gut an. Fang einfach mal damit an, dass du mich hinter die Bühne trägst, ich muss
mein Make-up und mein Kostüm los werden.“
„Beim Ausziehen hätte ich dir auch noch geholfen“, grinste Steve.
„Bedauere, das mache ich alleine. Wenn ich Hilfe annehmen, dann von meinem größten Fan.
Eine Beziehung mit einem Fan, auf was habe ich mich da nur eingelassen?“ Sie grinste.
Wieso hatte sie sich nicht viel früher darauf eingelassen?

„Ich kann es noch immer nicht fassen, du und Kim, es hat endlich geklappt.“ Steve umarmte
Patrick spontan als dieser in die Küche kam.
„Ja.“ Er konnte Steve gut verstehen, es war für ihn manchmal selber wie in einem Traum.
Irgendwie hatte irgendwer die Energiefelder so gesetzt, dass es zwischen ihnen gefunkt hatte.
Beidseitig.
„Als sie dir um den Hals gefallen ist und dich geküsst hat, da dachte ich, ich würde eine
Halluzination haben. Ich meine, als du sie geküsst hast, was ja nicht sooo lange her ist, da hat
sie einen Aufstand gemacht und dann fällt sie dir plötzlich um den Hals und küsst dich. Ich
frage mich, was ihre Meinung geändert hat? Die große Wohnung?“
„Oder der Vertrag mit der Zeitschrift? Die Tatsache, dass ich die Pension alleine führe wenn
meine Chefs weg sind? Wer weiß, irgendwas muss es sein, ich kann es nicht sein, mich hatte
es beim ersten Kuss schon gegeben“, grinste Patrick.
„Nein, du kannst kein Grund sein. Es muss eine logische Erklärung geben.“
„Wir haben ihn nur noch nicht entdeckt.“
„Sie ist blond, vielleicht war das nur ein blonder Moment auf der Bühne. Und den restlichen
Abend. Und der nächste Tag. Und der übernächste. Und gestern.“
„Vergiss heute nicht.“ Kim kam in die Küche. Umarmte Patrick und küsste ihn. „Heute habe
ich ihn auch geküsst. Zwar nur ganz kurz am Morgen als wir uns über den Weg gelaufen sind,
jeder auf dem Weg zu seiner Arbeit, aber ich habe ihn geküsst. Hey Schatz, ärgert dich der
kleine Junge wieder?“
„Nein, er fragt mich, wieso du dich für mich entschieden hast wo du zuvor nicht von mir
überzeugt gewesen warst. Ich persönlich finde, man sollte positive Dinge nicht hinterfragen,
man solle sie einfach genießen.“
„Genau, ich erkläre dir das später mal, das geht den Kleinen gar nichts an.“
„Sie ist nicht nett zu mir, Pat. Schick sie in die Wüste.“
„In die Wüste schicken? Ich habe fünfzehn Jahre auf sie gewartet!“
„Eine ganz schöne traurige Vorstellung wenn man denken würde, das wäre wahr“, meinte
Steve. „Wie gut dass du dich zwischendurch getröstet hast.“
„Ja mit Australien, Neuseeland und Kanada.“
„Und diversen Mädchen. Lassen wir das, Kim ist da. Wobei, jetzt wo du unter ihren Fittichen
bist, habe ich noch Chancen dich mit ins Ausland zu schleppen?“
„Wir verpassen dir eine Freundin und dann fahren wir zu viert weg.“
„Wo nehmen wir das Geld her, mein neureicher Freund?“ Kim grinste breit. Hatte Patrick sich
nicht vor Kurzem noch über seine finanzielle Lage beschwert?
„Sparen. Wir können einen Sparclub gründen. Jede Woche fünf Euro und wenn wir genug
haben für einen Urlaub, dann geht es in den Urlaub.“
„Da sparen wir lange für eine Weltreise“, seufzte Steve. „Und langweilig. Was haltet ihr von
Romme? Wir spielen einmal die Woche Romme, zählen die Punkte, jeder Punkt ist ein Cent
und sammeln das Geld. Auf diese Weise sollten wir auf ähnlich viel Geld kommen, wir
machen zehn Spiele pro Woche. Nebenbei verbringen wir Zeit miteinander, ihr wisst schon,
dieser soziale Aspekt. Es sei denn, der erfolgreiche Schriftsteller und die schauspielernde
Medizinerin haben keine Zeit.“
„Einen Abend pro Woche sollten wir hinbekommen.“
„Wenn ich Spätschicht habe, müsstet ihr mich entschuldigen, ich zahle dann fünf Euro Strafe.
Sollte sich einer oder zwei der anderen von dieser Spielabendidee begeistern können, dann
müsstet ihr nicht alleine spielen. Und der soziale Kreis wird sogar erweitert.“
„Gute Idee, Frau Doktor. Ich werde die anderen drei mal fragen ob sie sich dafür begeistern
könnten.“
„Ich stehe dir gerne mit Ratschlägen zur Seite.“
„Manchmal wirkt deine Freundin leicht überheblich, Pat. Du solltest sie etwas besser
erziehen. Frauen brauchen eine starke Hand.“
„Ich habe ein scharfes Skalpell, das ersetzt einiges an Kraft. Wenn du nicht aufpasst, dann
werde ich meine Schneidekunst an dir verbessern.“
„Gefahrenstufe drei, ich bin in Sicherheit.“ Steve verschwand aus der Küche.
„Nun hast du ihn verschreckt.“
„Seltsamerweise werden Männer gerne schnell man Skalpell und schneiden erwähnt. Man
scheint einen sehr sensiblen Nerv bei euch damit zu treffen.“
„Mir machen Spritzen viel mehr Angst als Skalpelle. So ein Ding könnte ich in meinen Krimi
einbauen, den Verdacht auf einen Arzt lenken und dann war es wer ganz anderes. Ein
Taxifahrer, der ein Skalpell in seinem Taxi gefunden hat. Ärzte als Massenmörder sind zu
alltäglich.“
„Alltäglich? Ich hoffe mal nicht, das würde meinen Berufszweig sehr ins negative ziehen.“
Kim legte die Stirn in Falten. Sie hatte während des Studiums einige negative Geschichten
über Ärzte gelesen, doch so weit sie wusste, war am Herzzentrum eine derartige Geschichte
niemals aufgetreten. Sie konnte sich auch keinen ihrer Kollegen als Massenmörder vorstellen.
Doch Patricks Fantasie war die blühende. Es war nur eine Frage der Zeit bis er einen Krimi
schreiben würde, der im Herzzentrum spielen würde. Sie hoffte, sie würde weder als Opfer
noch als Täter ausgesucht. Es reicht ihr völlig, dass er sie in eine seiner Kurzgeschichten
gepackt hatte. Als erfolgreiche Schauspielerin, die plötzlich feststellte, dass sie schwanger war
und den Vater ihres Kindes sucht. Natürlich mit einem Happy End, wie es sich für eine
Frauenzeitschrift gehörte.
Epilog

Die Morgensonne schien durch den kleinen Spalt zwischen den beiden Vorhängen und fiel
aufs Bett. Es war spät gewesen als Patrick die Vorhänge zugezogen hatte und er hatte
vergessen mit einer Wäscheklammer beide Vorhänge miteinander zu verknüpfen, so dass es
dunkel blieb im Zimmer.
Jetzt nutzte er das Licht um auf Kim zu blicken. Sie lag in seinen Armen und schlief. Was für
ein Anblick. Die ganze Nacht war sie in seinen Arme gewesen, genauso wie die Nacht zuvor.
Sie hatten beide Spätschicht diese Woche, das bedeutete, sie konnten gemeinsam am Morgen
aufwachen.
Konnte es ein besseres Gefühl geben als mit Kim im Arm aufzuwachen? Unvorstellbar für
Patrick im Moment. Er genoss jede Sekunde, genoss es ihre Haut auf seiner Haut zu spüren,
genoss es sanft ihren Nacken zu küssen oder den Hals, beobachtete wie sie atmete. All das,
wovon er die letzten Wochen geträumt hatte, war eingetroffen.
Noch vor vier Monaten hatte er gedacht, er hätte sie verloren. Als sie eine Woche nicht
miteinander gesprochen hatten da er sie geküsst hatte und sie das nicht gewollt hatte. Er hatte
gedacht, er hätte sie komplett verloren. Zum Glück hatten sie ihre Freundschaft retten können
und dann war da plötzlich dieser Kuss von ihr gewesen. Nach dem Theaterstück. Was für ein
Abend. Ein Abend, der sein Leben komplett verändert hatte.
Das war nun fast ein Monat her. Seitdem war jeder Tag wie ein Geschenk des Himmels
gewesen. Was hatte er damals von einem Leben, wie er es jetzt hatte, geträumt. Bereits mit
fünfzehn, sechszehn hätte er Kim gerne an seiner Seite gesehen. Wenn er ehrlich war, war
seine Schwärmerei sehr groß gewesen, deswegen hatte er ihr diese Figur in seinem Buch
gegeben. Sie war so sehr in seinen Gedanken gewesen, er hatte das irgendwie kompensieren
müssen. Das Buch hatte ihm die Chance gegeben, Kim in sein Leben zu integrieren.
Dann war sie aus seinen Augen und aus dem Vordergrund seiner Gedanken verschwunden. All
die Jahre, in denen er vielleicht mal kurz an sie gedacht hatte und diese Gedanken dann
wieder verworfen hatte. Seine Schwärmerei war nicht mehr so wichtig gewesen, er lebte in
der Wirklichkeit und in der war keine Kim.
Nun war sie in der Wirklichkeit. Und in der Wirklichkeit war sie in seinen Armen.
„Starrst du mich wieder an?“, knurrte Kim leise.
„Nur ein wenig“, gab er freimütig zu.
„Ich kann es spüren, deine Blicke sind spürbar.“
„Wo habe ich meine Augen gerade?“
„Soll ich dich jetzt treten oder später?“
„Weil ich dein Ohrläppchen beobachte?“
Sie drehte sich um und lächelte. „Das ist eine sehr erogene Stelle.“
„Ich weiß.“ Er grinste breit. Das hatte er bereits festgestellt. Wenn er sie hinterm Ohrläppchen
küsste, dann schmalz sie wie Butter in der Sonne in seinen Armen. Nicht er das ausnützen
würde. Okay, vielleicht einmal oder zweimal, allerhöchstens dreimal oder so.
„Wieso hast du dich umentschieden?“
„Bitte?“
„Wieso hast du dich für mich entschieden? Was war anders bei dem Kuss nach dem Stück als
bei dem Kuss vor der Haustür?“ Die Frage, die ihm seitdem sie zusammen waren, immer
wieder im Kopf herumschwirrte.
„Ich war damals überfordert. Sicher, mir war klar gewesen, wenn man sich so gut versteht,
wie wir es getan haben, dann ist es wahrscheinlich, dass da Gefühle sind, die mehr als
Freundschaft sind. Der Gedanke hat mir nicht gefallen. Meine letzte Beziehung war stressig
gewesen, ich wollte keine neue Beziehung, die eventuell nur neuen Stress bedeuten würde.
Ich war froh dich als Freund zu haben, der Gedanken, wir lassen uns auf etwas ein, das diese
Freundschaft zerstören würde, hat mir nicht gefallen. Hat mir regelrecht Angst eingejagt.
Du hast mich geküsst, ich sah unserer Freundschaft schwinden. Das wollte ich nicht. Genauso
wenig wie ich eine Beziehung wollte. Es war alles so schön gewesen, ich konnte nicht
verstehen wieso es nicht so weitergehen sollte. Dass du anders empfinden könntest, das war
mir zuvor nie ernsthaft in den Sinn gekommen. Damit sah ich mich plötzlich konfrontiert. Zu
plötzlich um angemessen zu reagieren.
Die Woche, in der wir keinen Kontakt hatten, hatte ich viel Zeit zum Nachdenken. Was genau
empfand ich für dich? Was genau konnte ich dir geben? Was genau wollte ich dir geben?
Wieso hatte ich so reagiert, wie ich reagiert hatte? Es gab keinen logischen Grund wieso ich
abweisend reagiert hatte. Ich meine, es gab nichts, was ich nicht an dir gemocht habe. Und
dieser alte Gedanke an die letzte Beziehung, der war lächerlich.
Ina und du, ihr habt überhaupt nichts gemeinsam. Von der offensichtlichen Mann – Frau
Sache abgesehen, sind eure Persönlichkeiten ganz anders. Es hat ein wenig gedauert bis mir
klar wurde, all das, was mich an ihr gestört hat, hattest du als Gegenteil. Sie war nicht an mir
interessiert, nicht an mir als Person. Du wiederum warst an meiner Person interessiert. Sie
versuchte mich zu ihrem Vorteil zu nutzen, versuchte mir Befehle zu geben. Du hast versucht
alles zu machen um mich glücklich zu machen, hast mir nie Vorschriften gemacht und dir war
meine Meinung wichtig.
Lange Rede kurzer Sinn: Mir wurde von Tag zu Tag klarer, du hattest alles, was ich wollte.
Alles, was ich jemals von einer Beziehung wollte, war direkt vor mir, ich musste nur
zugreifen. Also habe ich mir gesagt, wenn diese Gefühle anhalten, dann würde ich einen
Vortritt wagen. Sollte ich zu lange warten, dann würde ich dich vielleicht ein jemand
verlieren. Alison ist zwar auf Teneriffa, aber sie ist nicht aus der Welt und sie wird
wiederkommen. Ich musste handeln. Nach dem Theaterstück war ich so erleichtert dass alles
geklappt hatte, genau wie du es gesagt hattest, meine Freunde und mein Dank mussten
irgendwie raus und so ist es zu diesem Kuss gekommen.“
„Alison ist keine Gefahr für dich, aber es freut mich, dass sie dich dazu gebracht hat mich zu
küssen.“
„Willst du mir sagen, es war nie etwas zwischen euch?“
„Das kommt darauf an wie man das sieht. Ich hatte mich damals in sie verliebt, aber mir
wurde nach recht kurzer Zeit klar, wir sind als Freunde besser geeignet und ich war sehr froh,
dass ich niemals etwas versucht hatte, das auf Beziehung hingedeutet hätte.“
„Du hattest also nie etwas mit ihr? Sie hat wie ich damals nur auf deiner Couch geschlafen?“,
fragte Kim überrascht.
„Ähm.“ Patrick verzog hilflos das Gesicht.
„Ähm was?“ Nun saß er in der Falle. Kims Interesse war geweckt, sie hatte ihn am Harken
und würde ihn nicht einfach wieder frei lassen.
„Muss ich darauf etwas sagen?“
„Oh ja mein Freund. Je mehr du dich zu drücken versuchst desto mehr will ich wissen.“
„Das Problem ist, wenn ich nichts sage, dann fühle ich mich wie ein Lügner. Sage ich die
Wahrheit, denn eine Lüge kommt nicht in Frage, dann werde ich Ärger haben. Schweige ich,
passiert das gleiche. Das ist eine ganz schlechte Situation.“
„Ich unterstelle dir, das, was da mal war, das ist vorbei und all deine Gefühle für sie sind nur
rein freundschaftlich.“
„Das sind sie seit über zwei Jahren.“
„Aber?“ Dieser Satz hatte nicht wie abschließende Erklärung geklungen. Eher wie der Beginn
einer Erklärung.
„Wir hatten Sex. Einmal. Weihnachten. Als Freunde. Es war nie mehr angedacht.“ Ihm selber
war klar wie dumm sich das anhörte. Sex als Freunde. Wieso genau hatte er das damals
gemacht?
„Du hast mit ihr geschlafen obwohl du sie nicht geliebt hast?“ Kims Stimme schwank
zwischen Überraschung und leichte Empörung.
„Was soll ich sagen? Ich könnte mich dahinter verstecken, dass ich nur ein Mann bin und bei
einem Angebot einer tollen Frau nicht ablehnen kann, doch das wäre billig und falsch. Es ist
schwer zu erklären, ich verstehe es ja selber nicht. Wir lagen im Bett, irgendwie kamen wir
auf das Thema Sex und sie meinte, man könne auch mit jemand Sex haben, den man nicht
liebt und die Freundschaft nicht zerstören. Wenn beide nur Freundschaft empfinden würden
und beide nicht mehr wollen würden als dieses eine Mal, dann sei das machbar. Sie selber
hätte das mit einem Freund vor Jahren gemacht und ihre Freundschaft ist noch genauso gut
wie zuvor.“
„Und da hast du dankend angenommen.“
„Das klingt so negativ und vorwurfsvoll wenn du das so sagst. Ich habe mich zu etwas
hinreißen lassen, das nicht falsch aber auch nicht richtig war. Es war die falsche Handlung,
die falsche Situation, die falschen Voraussetzungen und trotzdem habe es das nicht bereut,
denn die Freundschaft ist nicht zerbrochen.“
„Bist du dir sicher Alison empfindet das genauso?“
„Ja. Sie vergnügt sich auf Teneriffa, ich wage sehr start zu bezweifeln, dass sie dort wie eine
Nonne lebt. Und sie wusste damals, meine Gedanken sind mehr bei dir als bei irgendjemand
sonst. Sie wusste von dem Moment an, an dem sie uns das erste Mal zusammen gesehen hatte,
was ich für dich empfinde. Das war zu dem Zeitpunkt an dem ich gedacht hatte, Ina sei keine
Ausnahme und versucht habe dich als extrem unerreichbar abzuschreiben.“
„Solltest du es wagen so etwas noch einmal auch nur anzudenken, dann wirst du nicht nur
mich verlieren, du wirst zuvor sehr, sehr großen Ärger bekommen.“
„Schatz, ich habe keinerlei Interesse daran irgendwen außer dir in meinem Bett zu haben.
Hätte ich dich Weihnachten schon in meinen Armen gehabt, ich hätte Alison in der Pension
untergebracht und dich in meinem Bett.“
„Der Gedanke, ich sei eine Lesbe rettet dich. Ich habe es nicht deutlich gemacht, dass Ina nur
eine Art Ausrutscher gewesen ist. Hatte nie einen Gedanken daran verschwendet. Du warst ein
Freund, ich sah keine Notwendigkeit darin, dich genausten über mein Sexleben aufzuklären.“
Sie kuschelte sich in seine Arme.
„Ich liebe dich.“ Er küsste sie sanft. „Nur dich.“
„Dito. Das war mein leichter Eifersuchtsanfall am Morgen, ein Vorgeschmack was dich
erwartet wenn ich richtig eifersüchtig werde.“
„Dazu werde ich dir keinen Grund geben. Im Gegenteil. Es wird mir ein Vergnügen sein dich
meinen Eltern als Freundin vorzustellen. Nachdem ich etwas Solides in meinem Leben
gefunden habe, eine Eigentumswohnung, kann ich nun sogar mit etwas Anspruchsvollen
auffahren. Eine angehende Chirurgin als Freundin. Das könnte eventuell darüber hinweg
trösten, dass ich nur ein Rezeptzionist bin.“
„Ich werde auf meinen Beruf reduziert.“
„Für mich bist du noch immer die Schauspielerin, nicht die Ärztin. Die Schauspielerin, die so
süß gelächelt hat, deren Lächeln mein Herz im Sturm erobert hatte. Die Schauspielerin, die in
zwei Wochen mit einem neuen Theaterstück beginnt.“
„Das habe ich nie gesagt.“ Ihr Onkel hatte ein neues Theaterstück und sie war Teil seiner
Planungen für die Besetzung. Ihren Hinweis, sie sei eine Ärztin, die sich um Patienten
kümmern müsse und daran arbeiten würde, Chirurgin zu werden, hatte er mit einem wortlosen
Lächeln bedacht. Beide wussten, Kim hatte das letzte Theaterstück genossen und hatte Blut
geleckt. Die Medizin mochte ihr im Blut liegen, doch die Schauspielerei tat es mindestens
genauso.
„Wenn du dir nicht fast einhundertprozentig sicher wärst, dann hättest du ihm längst abgesagt.
Er muss seine Darsteller langsam zusammen haben sonst wird der Zeitplan zu eng.“
„Wirst du wieder die Proben verfolgen?“
„Ja.“ Was für eine Frage, er freute sich bereits auf die Proben. Er liebt es ihr zuzusehen, wie
sie in einer Rolle aufging. Er liebt das Flair, das das Theater umgab. All diese Kreativität, die
beinahe greifbar in der Luft hing. Oh ja, er würde sie bei der Probe so oft wie möglich
besuchen. Still in einer Ecke sitzen, ihr zusehen, an seinem Buch arbeiten.
„Maurice würde ein Drehbuch von dir auf die Bühne bringen wenn du ihm ein gutes
schreibst.“
„Ich weiß, er wird nicht müde mir das zu sagen. Das Problem ist, ich habe große Probleme
etwas zu kreieren, das an nur ein oder zwei Schauplätzen spielt. Das schränkt zu sehr ein. Die
Schreiberei übt diese Faszination auf mich aus weil sie mir die Chance gibt, grenzenlos alles
zu nutzen, was ich mir vorstelle. Sollte ich jedoch eines Tages mal für deinen Onkel etwas
schreiben, dann werde ich mir eine Nebenrolle versprechen lassen. Dein geheimer Liebhaber,
der dich in jeder Szene küsst.“
„Diese Rolle werde ich nicht annehmen. Geheime Liebhaber habe ich nicht. Lass dir etwas
anspruchsvolles einfallen.“
„Du bist die Chefärztin und ich bin einer deiner Patienten.“
„Mit Patienten verbindet mich alles nur rein professionell. Da kannst du deine Küsse gleich
vergessen.“
„Ich weiß, aber du musst mich dann behandeln, untersuchen. Das wiederum finde ich sehr
erotisch.“
„Super, ich habe mir einen kleinen Perversen angelacht. Wäre ich Polizistin würdest du
wahrscheinlich von Handschellen träumen.“
„Nur wenn sie aus Plüsch sind und ich dich damit fesseln darf. Das könnte sehr interessant
werden.“
„Vielleicht sollte ich mir das mit dir noch einmal überlegen“, zweifelte Kim.
„Mhm.“ Patrick küsste sie sanft am Hals hinterm Ohr.
„Lass das, ich weiß genau was du vor hast.“
„Mhm, du kannst mich ja hindern.“ Er legte seinen Arm um ihre Hüfte damit sie nicht einfach
wegrücken konnte und setzte seine Küsse am Hals fort, knabberte am Ohrläppchen und küsste
ihre Schulterblätter.
„Lass das, ich will das nicht“, protestierte sie halbherzig. „Das ist...mach weiter!“
Patrick schmunzelte kurz. Gut, vielleicht hatte er das Wissen über die erogene Zone gerade
erneut ausgenutzt. Er würde auf verminderte Schuldfähigkeit plädieren sollte man ihn
deswegen anklagen wollen.

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