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Vorlesung

Einführung in die Volkswirtschaftslehre


WS 2010

Vorlesung 267.872
2 Stunden
WS 2010

Ao.Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Blaas

Fachbereich Finanzwissenschaft und Infrastrukturpolitik (IFIP)


Department für Raumentwicklung, Infrastruktur- und Umweltplanung
Technische Universität Wien (TU)
Karlsgasse 13, A-1040 Wien
Tel.: +43-1-58801-26723
wolfgang.blaas@tuwien.ac.at
ifi t i t
www.ifip.tuwien.ac.at

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Volkswirtschaftslehre © Blaas

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Disposition der Vorlesung
1. Überblick über das Fach „Volkswirtschaftslehre“

2. Die institutionellen Rahmenbedingungen des Marktes

3. Mikroökonomische Akteure 1: Private Haushalte

4. Mikroökonomische Akteure 2: Unternehmen; Marktformen und


Preisbildung

5. Makrostatik: Aggregation der Mikroeinheiten in Buchungs-


systemen: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung und Input-
Output-Tabelle

6. Makrodynamik 1: Wachstum und technischer Fortschritt

7. Makrodynamik 2: Konjunktur und Inflation

8. Makrodynamik 3: Internationale Wirtschaft

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Teil 1:

Überblick über das Fach


Volkswirtschaftslehre

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1. Überblick und Grundbegriffe
Aufbau der Vorlesung
1. Die Volkswirtschaftslehre im Rahmen der Wirtschaftswissenschaften

2. Grundbegriffe
2.1. Von den Bedürfnissen (Wünschen) zum (Güter-) Konsum
2.2. Güter
2.3. Produktion und Güterangebot
2.4. Volkswirtschaftlicher Kreislauf

3. Die zentralen Fragen der Volkswirtschaftslehre; Aufbau der Vorlesung


3.1. Wirtschaftliche Entscheidungen/Handlungen einzelner Akteure
3.2. Institutionelle Rahmenbedingungen
3.3. Gesamtwirtschaftliche Ergebnisse
3.4. Aufbau der Vorlesung

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1. Die Volkswirtschaftslehre im Rahmen der


Wirtschaftswissenschaften

Die Wirtschaftswissenschaft oder Ökonomie (Ökonomik) gehört zu den


Sozialwissenschaften.
Sozialwissenschaften

Sie hat sich als eigenständige Wissenschaftsdisziplin erst vergleichsweise spät


aus der praktischen Philosophie (Ethik, Politik, Ökonomie) heraus entwickelt.

Vor rund 200 Jahren begründete Adam Smith mit seinem berühmten Buch
"The Wealth of Nations" (1776) die moderne Nationalökonomie.

Seit dieser Zeit hat sich die Ökonomie - wie auch die anderen Wissenschaften -
weiter ausdifferenziert und spezialisiert.

Heute kann man folgende Teildisziplinen unterscheiden:

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1. Volkswirtschaftslehre

Die Volkswirtschaftslehre befasst sich zunächst einmal mit der Beschreibung und
Systematisierung wirtschaftlicher Tatbestände und Vorgänge.
Darüber hinaus versucht sie, die wirtschaftlichen Prozesse vor dem Hintergrund
der jeweiligen Wirtschaftsordnung (rechtliche, institutionelle, gesellschaftliche
und kulturelle Gegebenheiten) zu erklären und wahrscheinliche Entwicklungen
vorherzusagen.

Die Volkswirtschaftslehre wird in die Mikroökonomie und die Makroökonomie


eingeteilt.

– Die Mikroökonomie untersucht das wirtschaftliche Verhalten der "Mikro-"


Einheiten eines Wirtschaftssystems, das sind die Unternehmen und die
(privaten) Haushalte. Hinsichtlich des ersteren Bereiches gibt es gewisse
Berührungen und Überschneidungen mit der Betriebswirtschaftslehre.

– Die Makroökonomie untersucht die gesamtwirtschaftlichen Phänomene,


also das Ergebnis des Zusammenwirkens der Millionen
Einzelentscheidungen und
-handlungen der Mikroeinheiten. Solche gesamtwirtschaftlichen
Phänomene sind z.B. Konjunktur, Wachstum, Inflation.

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2. Theorie der Wirtschaftspolitik

Von der "reinen" Volkswirtschaftslehre oder Volkswirtschaftstheorie unterscheidet


man die theoretische Wirtschaftspolitik oder Theorie der Wirtschaftspolitik.

Die Theorie der Wirtschaftspolitik befasst sich mit den Möglichkeiten der
Gestaltung und Beeinflussung der Wirtschaftsordnung einerseits und des
Wirtschaftsablaufes andererseits. Dabei orientiert sich das Suchen nach
wirtschaftspolitischen Handlungsanweisungen an individuellen und
gesellschaftlichen Wert- und Zielvorstellungen (wie z.B. Vollbeschäftigung,
Preisstabilität, regionale Gleichverteilung der Einkommen).

3. Finanzwissenschaft

Neben den Unternehmen und den privaten Haushalten, die Gegenstand der
Mikroökonomie sind, gibt es in jedem modernen Industriestaat noch weitere
wirtschaftliche Entscheidungsträger, und zwar die öffentlichen Haushalte.
Sie sind Gegenstand der Finanzwissenschaft.

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4. Betriebswirtschaftslehre

Die Betriebswirtschaftslehre thematisiert im wesentlichen die Frage, wie ein


Unternehmen zu führen ist (betriebliches Produktionswesen, Marketing,
betriebliche Steuerlehre, etc.).

Während also die Betriebswirtschaftslehre das Unternehmen quasi "von innen"


b t ht t ist
betrachtet, i t die
di PPerspektive
kti d der Mik
Mikroökonomie
ök i iim wesentlichen
tli h ""von außen":
ß "
die Mikroökonomie interessiert eher, wie die Unternehmen z.B. auf bestimmte
staatliche Vorgaben wie Steuersatz-Änderungen reagieren.

5. Ökonometrie

In den letzten 20 Jahren ist die Erforschung wirtschaftlicher Zusammenhänge


und Prozesse mithilfe statistischer Methoden immer weiter entwickelt worden.
Dazu hat einerseits die Verbesserung g der Leistungsfähigkeit
g g der Computer,
p ,
andererseits die zunehmend bessere Verfügbarkeit von statistischem
Datenmaterial über ökonomische Phänomene beigetragen.

Heute ist die Ökonometrie eine eigene Teildisziplin im Schnittpunkt zwischen


(mathematischer) Statistik und Ökonomie.

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6. Raumbezogene Wirtschaftstheorie

Raumbezogene Wirtschaftstheorien bezeichnen Wirtschaftstheorien, die sich an


der Schnittstelle zwischen Ökonomie und Geographie entwickelt und etabliert
haben, und deren Besonderheit in der Integration von Raum in ökonomische
Modelle liegt.

Sie sind in der ökonomischen Literatur auch unter Raumwirtschafstheorie,


Raumwirtschaftlichen Ansätzen, spatial economics, Wirtschaftsgeographie und
Regionalökonomie zu finden.

Diese Theorien machen es sich zur Aufgabe,

– die Verteilung ökonomischer Aktivitäten im Raum, also die räumliche


Struktur zu beschreiben und zu erklären,

– die räumlichen Bewegungen von Produktionsfaktoren, Gütern,


Dienstleistungen etc., also die Interaktionen im Raum zu beschreiben und
zu erklären und

– die Entwicklungsdynamik räumlicher Prozesse (z.B. Wachstums- oder


Verfallsprozesse) zu beschreiben und zu erklären.

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Zur Zusammenhang zwischen Wirtschaft und Raumplanung/Raumordnung:

1. Raumplanung hat die Aufgabe, die unterschiedlichen Nutzungsinteressen am


knappen Boden abzustimmen, und zwar in einer Weise, die volkswirtschaftlich
(regionalwirtschaftlich) optimal ist.
2. Wenn Nutzungsinteressen konfligieren, dann üblicherweise auf der lokalen Ebene,
nicht auf einer übergeordneten geamtgesellschaftlichen oder gesamtwirtschaftlichen
Ebene: jeder ist (z.B.) – ganz allgemein - für die Existenz einer (Sonder-)
Mülldeponie, aber niemand möchte sie gerne auf seinem Gemeindegebiet haben.
3. Darüberhinaus kollidieren die meist kurzfristigen Wirtschaftsinteressen mit den auf
langfristige Gestaltung ausgrichteten Raumplanungsvorstellungen.
4. Raumordnung und Raumplanung sind aber in aller Regel keine Gesamtgestaltungs-
kräfte. Die räumliche Entwicklung wird primär von gesellschaftlichen, politischen,
wirtschaftlichen und technologischen Trends und Veränderungen bestimmt,
zunehmend auch von ökologischen Knappheiten. Raumordnung und Raumplanung
können in diesem Umfeld nur Korrektivfunktionen übernehmen.

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7. Wirtschaftsgeschichte

Als Teil der historischen Wissenschaften wird die Wirtschaftsgeschichte auch


manchmal zu den Wirtschaftswissenschaften gezählt.

Sie befasst sich mit der historischen Beschreibung und Analyse wirtschaftlicher
Entwicklungen.

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2. Grundbegriffe

2.1. Von den Bedürfnissen (Wünschen) zum (Güter-) Konsum

Es wird oft davon ausgegangen, dass das letztendliche Ziel allen Wirtschaftens
das Befriedigen von Bedürfnissen ist.

Warum ist aber Wirtschaften oder wirtschaftliches Handeln notwendig?

Grundsätzlich geht man von der Annahme aus, dass die Bedürfnisse der
Menschen quasi "unendlich" sind, während die zur Befriedigung der Bedürfnisse
erforderlichen Ressourcen "endlich" sind: Im Schlaraffenland, wo alles im
Überfluss existiert, muss nicht wirtschaftlich gedacht und gehandelt werden.
(z.B. bei kleinen Eingeborenen-Stämmen in der Südsee, deren Klima und
Vegetation eine Vorratshaltung nicht erforderlich machen)

 Das wirtschaftliche Problem schlechthin entsteht also erst durch die


"Unersättlichkeit" des Menschen einerseits und durch die Knappheit an
Ressourcen andererseits.

Die Knappheit ist daher eine fundamentale Kategorie der wirtschaftlichen


Betrachtungsweise.

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Betrachten wir zunächst die eine Seite dieses Prozesses, und zwar die
„Nachfrageseite“:

Abbildung 1.1: Von den Bedürfnissen zum Güterkonsum

Bedürfnisse

Bedarf

Güterkonsum

Nachfrage
Quelle: Brandt et al.,
Grundzüge der
Mikroökonomie, S. 57

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1. Bedürfnisse - Wünsche

– Das Erstreben bestimmter Zustände (wir beschränken uns auf ökonomisch


relevante Bedürfnisse).
– Das Empfinden eines Mangels mit dem Bestreben, diesen zu beseitigen.

Der unendlichen Vielfalt menschlicher Bedürfnisse stehen knappe Mittel zu deren


Befriedigung gegenüber.

Grundsätzlich werden die Bedürfnisse immer individuell empfunden, gleichgültig,


ob sie individuell befriedigt werden können ("Individualbedürfnisse") wie Hunger,
Durst, Zuneigung, oder ob sie in der Gemeinschaft befriedigt werden
("Kollektivbedürfnisse"), wie Sicherheit.

 Bedürfnisse sind daher subjektive Wahrnehmungen


Wahrnehmungen.

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2. Bedarf

Das Bedürfnis hat sich auf ein bestimmtes Gut (Dienstleistung) gerichtet und tritt
somit in den ökonomischen Bereich ein.

Im Gegensatz zum Bedürfnis ist der Bedarf mit konkreten Mengen-, Qualitäts-
und Preisvorstellungen verbunden (und somit eine objektivierte Größe).

 Nicht jedes Bedürfnis führt zum Bedarf. Manche Bedürfnisse - wie jenes
nach Zuneigung - können auch außerökonomisch befriedigt werden. Der
Bedarf richtet das Bedürfnis auf ein Gut und führt damit in den
ökonomischen Bereich.

3. Nachfrage

Ist der Bedarf mit der notwendigen Kaufkraft ausgestattet, so wird er als
Nachfrage effektiv.

4. Güterkonsum

Trifft der kaufkräftige Bedarf, d.h. die Nachfrage, auf ein entsprechendes
Güterangebot, so wird das betreffende Gut zur Befriedigung des jeweiligen
Bedürfnisses konsumiert.

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2.2. Güter

Güter sind zentrale Objekte der wirtschaftswissenschaftlichen Untersuchung, sie


sind definiert als Mittel zur Befriedigung von Bedürfnissen.

Einteilung der Güter nach:

– der Verfügbarkeit

– den physischen Eigenschaften

– dem Verwendungszweck

– der Nutzungsdauer

– dem Verhältnis der individuellen zur kollektiven Nutzung

– ihrem gegenseitigen Verhältnis

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Verfügbarkeit

Die Ökonomie beschäftigt sich vor allem mit knappen Gütern.

Ist ein Gut dagegen im Überfluss vorhanden, so sprechen wir von einem
f i Gut.
freien G t

Grundsätzlich haben nur knappe Güter einen positiven Preis, freie Güter
haben einen Preis von Null.

Daneben gibt es wichtige Güter, die sich nicht so einfach in das


Knappheits-Schema pressen lassen. Das gilt insbesondere für das Gut
Information. Wenn ich eine Information besitze und sie weitergebe, so
bleibt sie dennoch auch in meinem Besitz; sie kann quasi unendlich
vervielfältigt werden und Knappheit besteht nur insoferne, als die
Informationsweitergabe
f Kosten verursacht.

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Physische Eigenschaften

Güter können weiters unterteilt werden in

– materielle Güter oder Sachgüter (Bleistift, Fernsehapparat, etc) und

– immaterielle Güter. Immaterielle Güter sind


• Dienstleistungen einerseits (Haarschnitt beim Frisör; Vorlesung;
Arztkonsultation) und
• Rechte andererseits (Benützungsrecht einer Erfindung; Recht, in
einem Wald zu jagen; etc),

 wobei die Grenzziehung zwischen diesen beiden Gütern


manchmal verschwimmend ist.

Wir werden bei Sachgütern auch von Gütern im engeren Sinn sprechen.

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Verwendungszweck

(Vertikale Gütereinteilung:)

– Konsumgüter
– Vorleistungen
g und
– Investitionsgüter (auch: Kapitalgüter)

Nutzungsdauer

– Gebrauchs- und
– Verbrauchsgüter
– (auch langlebige Konsumgüter; Güter des täglichen Bedarfs)

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Verhältnis der individuellen zur kollektiven Nutzung

– Private und
– öffentliche Güter

 Definiert durch das (1) Prinzip der Nichtausschliessbarkeit vom Konsum


(Ausschluss über den Preis) und (2) Prinzip der Nichtrivalität im Konsum
(kein Kapazitätsproblem der Nutzung)
aber: Kapazitätsprobleme bei Infrastrukturgütern

ihr gegenseitiges Verhältnis

– Substitutionsgüter
– Komplementärgüter
p g
– unverbundene Güter

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2.3. Produktion und Güterangebot

Ein Unternehmen erstellt ökonomische Güter (Output) und setzt dabei


Produktionsfaktoren (auch: Inputs oder Inputgüter) ein.

Den Prozess der Transformation von Produktionsfaktoren in Güter nennt man


Produktion.

Zu Produktion werden sehr unterschiedliche Vorgänge gerechnet, wie die


Erzeugung von Weizen, die Umformung von Stahl zu Blech, die Verpackung von
Waren, die Beratung eines Unternehmens, das Abhalten einer Vorlesung über
Volkswirtschaftslehre.

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Abbildung 1.2: Produktion

Faktoren Produkte

Arbeit
Konsumgüter

Kapitalgüter
Investitionsgüter
Produktion
Boden

Vorleistungen
Vorleistungen

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Produktionsfaktoren (Inputs) sind Sachgüter und Dienstleistungen, die im


Produktionsprozess eingesetzt werden.

Sie lassen sich untergliedern in:

1. menschliche Arbeitsleistung

2. Leistungen dauerhafter Produktionsmittel (Kapitalgüter: Maschinen,


Gebäude)

3. Boden (einschließlich Bodenschätze)

4. Vorleistungen von nicht dauerhaften Produktionsmittel und


Dienstleistungen (z.B. Energie, Treibstoffe, Düngemittel, Halbfertigwaren);
sie werden als Vorprodukte von anderen Unternehmen bezogen.

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2.4. Volkswirtschaftlicher Kreislauf

Aus dem Arbeitseinsatz erzielen die privaten Haushalte die Mittel (d.h. das
Einkommen), um ihre Bedürfnisse durch den Kauf von Konsumgütern (i.w.S.) zu
befriedigen. (Daneben erzielen manche Haushalte auch Einkommen aus Besitz
und Vermögen).

Fasst man alle privaten Haushalte zu einem Aggregat zusammen und stellt man
dieses Aggregat der Summe aller Unternehmen gegenüber, so kann man einen
geschlossenen Kreislauf zwischen Haushalten und Unternehmen betrachten.

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Abbildung 1.3: Volkswirtschaftlicher Kreislauf

Haushalte

Löhne Arbeitsleistung Güter Erlöse

Unternehmen

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Wichtig ist dabei, dass man sich bei der Verknüpfung mikro- und
makroökonomischer Betrachtungsweisen der Tatsache bewusst ist, dass man
leicht dem Trugschluss der Verallgemeinerung einzelwirtschaftlicher
Tatbestände erliegen kann.

Vom einzelnen Wirtschaftssubjekt auf die Allgemeinheit zu schließen ist zwar im


ökonomischen Bereich oft möglich, aber es gibt auch viele Gegenbeispiele.

– Wenn ein Arbeiter etwa mehr Lohn erhält, so wird er dies als Verbesserung
seiner materiellen Wohlfahrt empfinden.
Wenn aber alle Arbeitnehmer mehr Lohn erhalten, so kann daraus eine
allgemeine Preiserhöhung entstehen, die eine tatsächliche (= reale)
Besserstellung des einzelnen Arbeitnehmers verhindert.

– Umgekehrt: Löhne als Kosten der Unternehmen;


Lohnreduktion reduziert die Kosten eines Unternehmens, aber eine
allgemeine Lohnreduktion reduziert die Kaufkraft und damit die
gesamtwirtschaftliche Nachfrage.

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Ein anderes Beispiel bezieht sich auf das Sparen. Oft wird von den Medien in
angeblich oder tatsächlich gegebenen Konjunkturschwächen der Slogan
verbreitet, "wir müssten alle den Gürtel etwas enger schnallen", womit gemeint ist,
dass alle mehr sparen müssten.

Während es nun für den einzelnen durchaus sinnvoll und auch erforderlich sein
kann, zu sparen, um z.B. für spätere Ausgaben oder auch unsichere Zeiten
vorgesorgt zu haben, kann ein allgemeines Zurückhalten bei Kauf- und
Investitionsentscheidungen genau jene Krise herbeiführen, vor der man sich
durch "Gürtel enger schnallen" bewahren wollte.

Keynes: Paradox of Thrift

Begründung:
g g Spart
p ein Großteil der Bevölkerungg mehr,, so führt das zu
Umsatzeinbußen mit nachfolgendem Produktions-, Beschäftigungs- und
Einkommensrückgang.

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Weitere Beispiele für die Diskrepanz zwischen einzelwirtschaftlicher und
gesamtwirtschaftlicher Logik1):

• Durch den Verfall von Hauspreisen werden Hypothekarkredite „faul“. Um


zu retten, was zu retten ist, lassen die Banken die Schuldnerhäuser
versteigern und drücken damit die Hauspreise weiter nach unten.

• Wenn Banken Verluste machen


machen, versuchen sie zur partiellen
Kompensation der Verluste die Zinsspanne zu erhöhen (wenn das ihre
Marktposition zulässt). Das dämpft noch weiter die Kreditnachfrage für
Konsum und Investition.

 Was einzelwirtschaftlich richtig ist, muss nicht gesamtwirtschaftlich


richtig sein.

Dieser Satz lässt sich auch weltwirtschaftlich verallgemeinern: Um die


Probleme der eigenen Volkswirtschaft zu lindern, flüchten manche von
ihnen in eine protektionistische Politik
Politik. Je mehr Ländern diesem Rezept
folgen, umso stärker schrumpft die Weltwirtschaft:

 Was aus der Perspektive einer Volkswirtschaft richtig ist, muss nicht
weltwirtschaftlich richtig sein.

1) St. Schulmeister, Schulkrise und Budgetlogik. Der Standard, 21.4.2009


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Ergänzen wir diesen Kreislauf noch durch den öffentlichen Sektor (Summe der
öffentlichen Haushalte), so sind einerseits
– die Steuerleistungen der privaten Haushalte und Unternehmen
hinzuzufügen, denen

– die Leistungen des öffentlichen Sektors auf der anderen Seite


gegenüberstehen (Sachleistungen (Leistungen "in in kind"):
kind ): Schule,
Schule
Universitäten, Straßen, Rechtssystem, etc; Geldleistungen (Leistungen
"in cash"): Pensionen, Stipendien, Kindergeld, etc).

In der vorigen und der folgenden Abbildung kann man erkennen, dass zwischen
den Wirtschaftseinheiten und Sektoren einer Volkswirtschaft drei unterschiedliche
ökonomische Kategorien ausgetauscht werden, und zwar

((1)) Güter ((i.w.S.);


);
(2) Arbeit(sleistung) und
(3) Geld.

 Gesamtwirtschaftliche Modelle umfassen daher immer den Gütermarkt,


den Arbeitsmarkt und den Geldmarkt.

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Abbildung 1.4: Volkswirtschaftlicher Kreislauf mit öffentlichem Sektor

Steuern

öfftl. Leistungen

Arbeitsleistungen
g

Löhne

Haushalte

Löhne Arbeitsleistung Erlöse Öffentlicher Sektor


Güter

Unternehmen
Erlöse

Güter

Steuern

öffentliche Leistungen

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3. Die zentralen Fragen der Volkswirtschaftslehre

Die Frage erhebt sich nun, wie man das wirtschaftliche Handeln der einzelnen
Wirtschaftseinheiten sowie den Wirtschaftsprozess als Gesamterscheinung
beschreiben und erklären kann.

Die traditionelle Wirtschaftstheorie geht von der Vorstellung aus, dass der
Wirtschaftsprozess immer erklärbar ist aus den, und reduzierbar ist auf die
Entscheidungen einzelner Wirtschaftseinheiten (Reduktionismus).

Wir werden diesem Paradigma nicht folgen, sondern davon ausgehen, dass die
Mikroebene und die Makroebene eigenständige Untersuchungsgegenstände
sind, die zwar miteinander verbunden sind, aber nicht durch Reduktion auf die
jeweils andere Ebene erklärbar sind.

Die Verbindungen zwischen den beiden Ebenen werden durch die Institutionen in
einer Volkswirtschaft hergestellt.

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Einzelwirtschaftliche Ebene

Entscheidungen der privaten Haushalte


und der Unternehmen

Institutionelle
Rahmenbedingungen

Prozesse und Ergebnisse auf


gesamtwirtschaftlicher Ebene

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Fragen:

• Wie können einzelwirtschaftliche Entscheidungen/Handlungen


erklärt werden?

• Wie werden diese durch die Ziele und Präferenzen der


mikroökonomischen Einheiten selbst, aber auch durch den
institutionellen Rahmen und die gesamtwirtschaftliche Situation
determiniert?

• Wie können gesamtwirtschaftliche Phänomene erklärt werden?

• Wie spielen einzelwirtschaftliche Handlungen und der institutionelle


Rahmen zusammen,
zusammen um zu bestimmten gesamtwirtschaftlichen
Ergebnisse zu führen?

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Teil 2:

Die institutionellen
Rahmenbedingungen des Marktes

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2. Die institutionellen Rahmen-


bedingungen des Marktes
1. Der Markt als gesellschaftliche Institution
1 1 Definitionen und Funktionen des Marktes
1.1.
1.2. Allokationssysteme
1.3. Bedingungen für die Funktionsfähigkeit des Marktes
1.4. Marktversagen
1.5. Bedingungen für die Entstehung von Märkten
1.6. Beurteilung des Marktes aus gesamtgesellschaftlicher Sicht
1.7. Zusammenfassung und Fragen

2. Die Einbettung des Marktes in andere sozioökonomische Institutionen


2.1. Der institutionelle und kulturelle Kontext
2.2. Marktwirtschaftliche Basisinstitutionen
2.3. Business Systems

3. Eigentum und Verfügungsrechte


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1. Der Markt als gesellschaftliche Institution

In den Achtzigerjahren war eines der großen Schlagworte „Mehr Markt“, das sich
über die Vereinigten Staaten (Reaganomics) und Großbritannien (Thatcherismus)
auch nach Europa fortgepflanzt hat
hat.

In diesem Zusammenhang hatte man vor allem die sogenannte „Deregulierung“,


also die Liberalisierung der Märkte, die Reduktion einschränkender gesetzlicher
Vorschriften im Sinne. Aber auch die Macht von wirtschaftlichen
Zusammenschlüssen, insbesondere von Gewerkschaften, wurde zum Ziel derer,
die mit dem Slogan einer „freien Marktwirtschaft“ Politik betrieben.

Die Ereignisse in Osteuropa ab Ende der Achtzigerjahre haben dann einen davon
unabhängigen Prozess „zum Markt“ in Gang gesetzt, als das Ende des
Komm nism s und
Kommunismus nd der Plan
Planwirtschaft
irtschaft verkündet
erkündet wurde.
rde

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In beiden Fällen, sowohl bei der „Marktwirtschaftspolitik“ im Westen wie auch bei
der Transformation im Osten lagen den ordnungspolitischen Vorstellungen
äußerst mangelhafte Konzeptionen des Marktes zugrunde - wie aus heutiger Sicht
unschwer auch an den sich offenbarenden Problemen erkennbar ist.
Unabhängig von den dafür verantwortlichen politischen Interessen liegt das zum
Teil auch daran, dass die Wirtschaftswissenschaft sich über weite Strecken
überhaupt nicht mit dem Phänomen „Markt“ auseinandersetzt, sondern diesen als
quasi-mechanischen Automatismus voraussetzt.
Der Markt ist in dieser Vorstellung einfach jener (konkrete oder fiktive) Ort, an dem
Anbieter und Nachfrager zusammenkommen und ohne Beschränkungen seitens
staatlicher Instanzen und hinsichtlich der Preisbildung ihre Transaktionen
durchführen.

Es ist daher nur folgerichtig, dass die herrschende ökonomische Lehre zur
Transformation im Osten nicht viel mehr vorzuschlagen hatte, als die
Produktionsmittel zu privatisieren (Privateigentum herbeizuführen) und die Preise
zu liberalisieren.

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Die Frage bleibt allerdings, ob das schon genügt, um Märkte entstehen zu lassen,
um eine Marktwirtschaft entstehen zu lassen.
Die Frage bleibt auch, ob die Deregulierung und Entstaatlichung in den westlichen
Industriestaaten in jedem einzelnen Falle und in Summe zu einer
wettbewerbsstärkeren,
e be e bss ä e e , zu ue
einer
e versorgungssicheren
e so gu gss c e e u und
d zuueeiner
e Volkswirtschaft
o s sc a
mit größerem Wohlstand geführt hat bzw. führt.

Die Beantwortung dieser Fragen erfordert vergleichende ökonomische Analysen,


die nur im konkreten Einzelfall durchgeführt werden können.
Die folgenden Ausführungen dienen dazu, einige wesentliche Grundlagen für ein
derartiges Vorhaben zu vermitteln. Diese Grundlagen bestehen aus der
Behandlung der Bestimmung des Begriffes „Markt“ und dessen Funktionen, der
Diskussion alternativer Allokationssysteme, der Untersuchung der Bedingungen
der Funktionsfähigkeit des Marktes sowie der gesellschaftlichen Beurteilung des
Marktes als sozialer Institution.

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1.1. Definitionen und Funktionen des Marktes

Definitionen

Die traditionelle Lehrbuchökonomie zeichnet sich durch eine stark


mechanistische Sichtweise des Marktes aus: es ist der Ort, an dem die Kräfte
des Angebotes
gebotes u undd de
der Nachfrage
ac age auaufeinandertreffen,
e a de t e e , d die
e du
durch
c de
den Preis
e s in e
ein
Gleichgewicht gebracht werden.

Typisch für diese Sichtweise sind etwa folgende Begriffsbestimmungen:

A market is created whenever potential sellers of a good or service are


brought into contact with potential buyers and a means of exchange is
available. The medium of exchange may be MONEY or BARTER.
Exchange agreements are reached through the operation of the laws of
supply and demand.

The Penguin Dictionary of Economics, 5th edition, 1992 („Market“).

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Grundlage solcher Definitionen ist die Vorstellung eines Marktplatzes, von dem
aus dann die modernen Märkte als Abstraktionen gesehen werden können:

A market-place is „an authorized public concourse of buyers and sellers


off commodities,
diti meeting
ti att a place
l more or lless strictly
t i tl ddefined,
fi d att an
appointed time“.

British Royal Commission on Market Rights and Tolls (1891)

In the literal sense, a place in which things are bought and sold. In
modern industrial system it has expanded to include the whole
geographical area in which sellers compete with each other for the
consumers.

Marshall (Priciples of Economics, 1890)

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Die institutionelle Schule der Nationalökonomie hat immer schon betont, dass das
mechanistische Paradigma bei der Beschreibung und Erklärung des Marktes zu
kurz greift, weil der Markt einerseits selbst eine gesellschaftliche Institution ist und
andererseits weiterer sozialer Institutionen bedarf, um funktionsfähig zu sein.

Eine entsprechende Definition gibt Hodgson:

Der M
D Markt
kt iistt eine
i S Summe sozialer
i l IInstitutionen,
tit ti innerhalb
i h lb d
derer eine
i
große Zahl von Güter-Tauschaktionen regelmäßig stattfindet, die zu
einem gewissen Grad durch diese Institutionen ermöglicht und strukturiert
werden.

Hodgson (Economics and Institutions, S. 174)

Der Markt ist der Prozess, in welchem in einer dezentral geplanten,


arbeitsteiligen Wirtschaft Nachfrage und Angebot einander gegenüber
treten.

... Der Markt bedarf eines bestimmten Maßes an institutioneller


Organisation, vor allem einer rechtlichen Verfestigung.

Streissler (Grundzüge d. VWL, S. 28)

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Hier werden bereits die Rahmenbedingungen für die Funktionsfähigkeit des
Marktes angesprochen, die z.B. in der folgenden Definition noch weiter präzisiert
werden:

The prerequisites
Th i it off any market
k t are (1) private
i t contracts;
t t (2) commercial i l
laws; (3) monetary regime; (4) self inforcing mechanisms/external referee

Boyer (Markets: history, theory and policy; EAEPE conference 1992)

Auf die Vorbedingungen oder Rahmenbedingungen des Marktes wird später noch
genauer eingegangen, und auch in den juristischen Einführungsvorträgen wird
dieser Aspekt noch ausführlicher behandelt.

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Funktionen
Bezüglich der Funktionen des Marktes wird der Markt zunächst einmal als
Allokationssystem betrachtet.

Allokation heißt die Zuteilung oder Zuweisung von Ressourcen, von Mitteln oder
Leistungen, wobei auch die noch zu erbringenden Leistungen (Arbeitsplätze)
unter diesen Begriff zu subsumieren sind.

Um eine Vorstellung von der Besonderheit des Marktes als Allokationsart zu


vermitteln, wird der Markt mit anderen Allokationssystemen verglichen (nächster
Abschnitt).

Weitere Funktionen sind:

– Der Markt als Informationsnetz (Streissler, S. 116):


Preise als Informationskonzentrate (Knappheitsindikatoren)
Märkte als Entdeckungsverfahren (um noch ungenützte ökonomische
Möglichkeiten
g aufzuspüren,
p , insbesondere,, welche neuen Güter und
Produktionsverfahren nachfragegerecht sind)

– Der Markt als Abstimmungsprozess


Marktpreise als effiziente gesellschaftliche Bewertungen (Konsumenten
stimmen mit ihrem Einkommen und Vermögen ab; unterschiedlich hohe
Stimmrechte)

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1.2. Allokationssysteme1)

Es soll unterschieden werden zwischen

– zentralen und
– dezentralen Allokationssystemen.

Erstere setzen eine zentrale Institution voraus, die die Allokation vornimmt, etwa
den Staat. Auch ein Unternehmen ist eine Institution, in der zentral entschieden
wird. Im zweiten Fall gibt es keine derartige Institution.

1) Dieser Abschnitt ist angelehnt an: P. Rosner, Grundzüge der Politischen Ökonomie Österreichs. WUV-Verlag,
Wien 1994, S. 1-5

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A. Zentrale Allokationssysteme:

a) per Anordnung oder Vereinbarung; z.B. gemäß Gleichheit oder einem


klaren Verteilungsziel: Lebensmittelmarken, Militärdienst,
Arbeitsleistungen in einer Kooperative;

b) durch eine Lotterie: Greencards (z.B. Einwanderungsvisa in die USA):

c) Schlange-Stehen und andere Formen der Seniorität/Ancienität (first-


come-first-served, Windhundsystem): kostenlose Parkplätze,
Vorrückungen ausschließlich nach dem Dienstalter;

d) Status: Bestimmte Positionen nur für bestimmte Gruppen - z.B.


Arbeitsplätze nur für Inländer, bestimmte Leitungsfunktionen nur für
Angehörige einer sozialen Schicht;

e) individuelle Wohlfahrt gemäß Bedarf: medizinische Versorgung;

f) Produktivität:
P d kti ität was kann
k jemand
j d zu den
d Zielen
Zi l der
d Gesellschaft
G ll h ft beitragen?
b it ?
Stipendien aufgrund von Leistung, Vorrückungen nach Leistungen (In
beiden Fällen dient die vergangene Leistung als Indikator für eine zu
erwartende Leistung.);

g) vergangener Beitrag (merit): Orden, Prämien.

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B. Dezentrale Allokationssysteme:

h) Zahlungsfähigkeit und -bereitschaft: Kauf von Gütern und Leistungen;


i) unmittelbare Aneignung: Erbschaft, Diebstahl.

Dezentrale Allokationsstrukturen zeichnen sich dadurch aus, dass es keine


koordinierende Instanz gibt.

Bei den unter c) genannten Warteschlangensystemen etwa muss oft darauf


geachtet werden, dass eine Warteschlange nicht in eine Allokation gemäß
Zahlungsbereitschaft umschlägt - z.B. man zahlt einen Studenten dafür, dass er
sich bei der Opernkasse anstellt.

47
Volkswirtschaftslehre © Blaas

Beispiel 1: Lebensmittel werden von den meisten Haushalten gekauft. Bewohner


von Anstalten (Spitäler, Heime, Gefängnisse) erhalten sie durch
direkte Zuteilung.
Da in Österreich kein Mangel an Lebensmitteln besteht und fast alle
ein hinreichend großes Einkommen haben, um die notwendigen
Lebensmittel zu kaufen, hat die Verteilung der Lebensmittel auf die
Haushalte gemäß Zahlungsbereitschaft nicht die Funktion,
vorhandene knappe Lebensmittel auf die Haushalte aufzuteilen,
sondern zu sichern, dass auch in Zukunft Lebensmittel vorhanden
sein werden.
Die Zahlung der Konsumenten wird zu Einkommen aller an der
Produktion, dem Transport und der Lagerung Beteiligten. Diese
erhalten so einen ökonomischen Anreiz, auch weiterhin die
Lebensmittel zu erzeugen.

48
Volkswirtschaftslehre © Blaas

24
Beispiel 2: "Alte Meister", bestehende Unternehmungen, Grundstücke werden
vererbt oder gekauft. Durch den Kauf werden die bereits existierenden
Werke umverteilt, sie können nicht mehr produziert werden.

Sie werden oft über Auktionen zugeteilt. Wer am meisten zahlt, erhält
das Werk, die Unternehmung, das Grundstück.

Steigt die Zahl der Interessenten, dann wird der Preis steigen.
Schon ein zusätzlicher Bieter kann den Preis verändern.

Beispiel 3: Arbeitsplätze für unqualifizierte Arbeiten werden meist, soferne die


Arbeitssuchenden eine Mindestqualifikation erfüllen, auf einer first-
come-first-served Basis vergeben.

Wer zuerst kommt und die entsprechenden Anforderungen erfüllt,


erhält den Arbeitsplatz. Es gibt im allgemeinen keinen kurzfristigen
Preiswettbewerb der Arbeitsuchenden.
Arbeitsuchenden

Beispiel 4: Bei Arbeitsplätzen für qualifizierte Arbeiten werden die Bewerber meist
genauer geprüft, um die/den Beste/n auszuwählen.

49
Volkswirtschaftslehre © Blaas

Beispiel 5: Wie werden in Österreich "gute Karrierechancen" zugeteilt? D.h. wie


(1. Teil) teilen sich die ca. 25jährigen auf, so dass manche von ihnen eine
Position haben, die ein hohes Einkommen und eine interessante
Tätigkeit mit einer großen Wahrscheinlichkeit erwarten lassen und die
anderen keine derartige Position haben?

M beachte:
Man b ht man kkann annehmen,
h d
dass solche
l h JJobs
b iimmer kknapp
sind, d.h. es gibt mehr Anwärter für solche Jobs als es derartige Jobs
gibt. Die Frage, wer diese Jobs bekommt, muss auf irgendeine Art
gelöst werden.

a) Bei einem Teil eines Jahrgangs geht dies im Wege der


unmittelbaren Aneignung - berufliche Positionen, die mit einer
Form der Erbschaft verbunden sind.

Bei anderen Jobs ist z.B. ein Universitätsabschluss erforderlich. Also


muss eine
i LLeistung
i t ((auch
h als
l IIndikator
dik t füfür zu erwartende
t d
Leistungsfähigkeit) erbracht werden, um eine Karrierechance zu
erhalten.

50
Volkswirtschaftslehre © Blaas

25
Beispiel 5: Es gibt aber mehr Universitätsabsolventen als Einstiegsjobs für
(2. Teil) Karrieren. Also muss es ergänzende Kriterien für die Zuteilung der
knappen Jobs geben. (Studienabschluss und andere Kriterien, die auf
hohe berufliche Qualifikation schließen lassen; Tests, unterschiedliche
Chancen für Männer und Frauen; Beziehungen; private Vereinigungen
- Parteien, Cartellverband etc.)

b) Wie bekommt man einen Studienplatz? In Österreich kann


jede/r studieren, die/der eine Matura oder eine
Berufsreifeprüfung gemacht hat. Das Studium ist für Inländer
kostenlos. Dennoch studiert nur ein Teil des Maturajahrganges.
Wieso? Kann man behaupten, dass es die Begabten jedes
Jahrganges sind, die studieren? Zutrittsbedingungen in anderen
Ländern? (Preis, Begabung)

c) Nur ein Teil jedes Jahrganges beginnt eine höhere Schule. Wie
erfolgt hier die Zuteilung? Sind das Begabungen? Entspricht
das den vergangenen Leistungen?

51
Volkswirtschaftslehre © Blaas

Beispiel 5: Die Zuteilung von "guten Karrierechancen" an die Mitglieder eines


(3. Teil) Jahrganges ist also ein sehr komplizierter Prozess.

Eine österreichische Besonderheit ist, dass es weder formale


Schranken für den Besuch höherer Schulen oder Universitäten gibt
(Aufnahmsprüfungen, numerus clausus etc.), noch auf einer der
St f G
Stufen Gebühren
büh zu zahlen
hl sind.
i d Di
Die Selektionsmechanismen
S l kti h i sind
i d
dadurch unklar.

Beispiel 6: Im Gesundheitsbereich erfolgt die Allokation in vielen Fällen nach


Bedarf. Wer Medikamente oder eine Operation benötigt, bekommt sie
zugeteilt. Der Bedarf wird vom Arzt festgestellt.

B i i l7
Beispiel 7: I den
In d U Unternehmen
t h erfolgt
f l t die
di ZZuteilung
t il d
der zu erbringenden
bi d
Leistungen durch die koordinierende Tätigkeit der
Unternehmensleitung.

52
Volkswirtschaftslehre © Blaas

26
1.3. Bedingungen für die Funktionsfähigkeit des Marktes

Ökonomische Bedingungen

Die ökonomische Theorie gibt folgende Bedingungen für die Funktionsfähigkeit


des Marktes an:

(1) Das am Markt gehandelte Gut ist homogen,


homogen d.h.
d h die Nachfrager haben
keine Präferenzen bezüglich der verschiedenen Anbieter, andererseits
haben die Anbieter/Produzenten keine Präferenzen bezüglich der
Nachfrager;
(2) Es gibt eine große Anzahl von Transaktoren und/oder von Transaktionen
am Markt;
(3) Der betreffende Markt ist Teil eines Systems vollständiger Märkte;
(4) der Konsum des Gutes (die Nutzung) zieht keine externen Effekte nach
sich,, sodass die Summe der einzelwirtschaftlichen Optima
p mit dem
gesamtwirtschaftlichen Optimum übereinstimmt;
(5) das gesamtwirtschaftliche Optimum ist identisch mit den
allokationseffizienten Ergebnis, Verteilungsfragen spielen keine Rolle.

 Im allgemeinen sind soziale Marktwirtschaften dadurch gekennzeichnet,


dass keine der genannten Bedingungen erfüllt ist.
53
Volkswirtschaftslehre © Blaas

1.4. Marktversagen
Q: J. E. Stiglitz; wikipedia Abfrage 1.9.2008

In der öffentlichen Diskussion wird häufig die Meinung vertreten, dass „der Markt“ die
beste oder einzige
g Lösung g für wirtschaftliche Probleme aller Art sei. Dass das nicht so ist,,
ist in den Wirtschaftswissenschaften eine lang bekannte Tatsache. Sie wird unter dem
Titel „Marktversagen“ behandelt.

Was ist „Marktversagen“?

Der Begriff Marktversagen bezeichnet eine Marktsituation, in der es dem Markt nicht
gelingt die Ressourcen effizient oder in der gewünschten Weise zuzuteilen
gelingt, zuzuteilen. Auch wenn
Märkte (ein Markt) nicht entstehen (nicht entsteht), liegt Marktversagen vor (s.o.:
Marktmacher).

Marktversagen wird in der ökonomischen Theorie vor allem auf Informationsmangel,


externe Effekte, die Existenz öffentlicher Güter und auf die Existenz von Marktmacht
zurückgeführt.

VWL © Blaas 54

27
Imperfekte Information

Wenn die potenziellen Vertragspartner in einem Markt nicht über annähernd gleiche
Informationen verfügen, z. B. in Hinblick auf die Eigenschaften angebotener Ware, so
kommt es zu einer ineffizienten Ressourcenallokation oder auch dazu, dass die schlechter
informierten Marktteilnehmer benachteiligt werden. Qualitätsunsicherheit ist ein Beispiel für
asymmetrische Information.

In Extremfällen kann es zu einem vollständigen Marktzusammenbruch kommen. Das


bekannteste Beispiel hierfür ist das des Markts für Gebrauchtwagen. (Weitere Beispiele?)

Aus der elementaren Notwendigkeit von Markttransparenz für das Funktionieren von
Märkten kann eine Begründung für bestimmte Regulierungen und Institutionen abgeleitet
werden. So übernimmt zum Beispiel der Verein für Konsumenteninformation (VKI)
die ökonomische Aufgabe, die Benachteiligung schwächerer Marktteilnehmer (hier:
Konsumenten) und Marktversagen aufgrund unzureichender Information zu verhindern.
Dem Verbraucherschutz dienen auch Teile der allgemeinen Gesetzgebung sowie des
Wirtschaftsrechts, welche die Desinformation von Konsumenten und anderen
Marktteilnehmern verbieten.

VWL © Blaas 55

Externe Effekte

Eine weitere Ursache, durch die es zu Marktversagen kommen kann, sind sogenannte
externe Effekte.

Das sind alle Fälle, in denen das Handeln der Marktteilnehmer (negative oder positive)
Auswirkungen auf andere hat (beispielsweise also die Abgase des Autofahrens (negativ)
oder die Verschönerung eines Gebäudes, die auch die umliegenden Gebäude aufwertet
(positiv). Die Interessen dieser Dritten werden von den am Markt handelnden Parteien
nicht berücksichtigt, so dass die Zuteilung der Ressourcen volkswirtschaftlich betrachtet
nicht mehr effizient ist. Da die Auswirkungen auf Dritte, die sich nicht wehren können, nicht
in das Preiskalkül von Anbieter und Nachfrager einbezogen werden, haben sie keinen
Einfluss auf den Preis, auch wenn die Dritten bereit wären, Geld für den Nichtabschluss
(negative externe Effekte) oder Abschluss (positive externe Effekte) zu bezahlen.

Ein Beispiel sind Anrainerprobleme im Falle von Betrieben in Ballungsgebieten, deren


normale Tätigkeit Emissionen (Schadstoffe, Lärm) oder Verkehrserzeugung (Zu- und
Ablieferverkehr; Kundenverkehr) impliziert.

VWL © Blaas 56

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Externe Effekte

Marktversagen aufgrund externer Effekte lässt sich theoretisch durch Internalisierung


beseitigen, also dadurch, dass die Marktteilnehmer die verursachten externen Kosten in ihr
Wirtschaftlichkeitskalkül mit einbeziehen müssen. Coase-Verhandlungen und die Pigou-
Steuer sind zwei Beispiele hierfür.

Durch das Coase-Theorem kann gezeigt werden, dass es unter den theoretisch idealen
Voraussetzungen (klare Zuordnung von Eigentums- bzw. Verfügungsrechten, vollständige
Rationalität, keine Transaktionskosten) zu Verhandlungen am Markt kommt, die zu einer
Internalisierung (= Mitberücksichtigung) der externen Effekte durch die Marktteilnehmer
führen. Nicht möglich sind diese Verhandlungen jedoch mit Marktteilnehmern, die es noch
gar nicht gibt, aber zu denen Kosten (z. B. den für Umgang mit Nuklearmüll) in die Zukunft
externalisiert wurden.

Bei der Pigou-Steuer löst der Staat das Marktversagen, indem er den Verursacher in Höhe
der externen Kosten besteuert. Allerdings muss der Staat dazu genau die externen Kosten
kennen und es dürfen ebenfalls keine Transaktionskosten entstehen.

VWL © Blaas 57

Öffentliche Güter

Märkte können bei der effizienten Bereitstellung öffentlicher Güter versagen. Öffentliche
Güter sind durch (weitgehende) Nichtrivalität im Konsum und (i. d. R.)
Nichtausschliessbarkeit vom Konsum gekennzeichnet.

So ist zum Beispiel die äußere Sicherheit eines Landes ein öffentliches Gut – es wird
gleichzeitig von allen in einem Land Ansässigen konsumiert, ohne dass der Konsumnutzen
jedes Einzelnen durch den Konsum anderer Individuen beeinträchtigt wird. Gleichzeitig
kann kein einzelnes Individuum davon ausgeschlossen werden.

Die private (d. h. über Märkte oder ähnliche auf Freiwilligkeit beruhende) Bereitstellung
derartiger Güter leidet unter Trittbrettfahrerverhalten, welches darin besteht, das Gut von
den anderen bereitstellen zu lassen, um dann in den kostenfreien Genuss des Gutes zu
kommen. Auch wenn insgesamt u. U. eine hinreichend große Zahlungsbereitschaft
vorhanden wäre, käme aufgrund der Nichtausschließbarkeit dennoch keine kaufwirksame
Marktnachfrage nach diesem Gut zustande.

VWL © Blaas 58

29
Öffentliche Güter

Aufgrund des Versagens dezentraler Allokationsmechanismen für öffentliche Güter wird oft
deren gesellschaftlich organisierte (i. d. R. also staatliche) Bereitstellung gefordert.

Zwar kann der Staat durch Rückgriff auf Steuern und ähnliche vorgeschriebene Abgaben
die Finanzierung öffentlicher Güter sicherstellen. Ungelöst bleibt aber die Festlegung einer
effizienten Bereitstellungsmenge für das öffentliche Gut.

Um diese bestimmen zu können, sind Informationen über die individuellen


Wertschätzungen (Zahlungsbereitschaften) unerlässlich. Die zuverlässige Erhebung
derartiger Informationen ist aber schwierig oder gar unmöglich, jedenfalls aber mit
Informationsbeschaffungskosten verbunden, welche das Erreichen einer effizienten
Allokation be- oder verhindern.

VWL © Blaas 59

Marktmacht (unvollständige Konkurrenz, Monopole)

Marktversagen kann auch dadurch bedingt sein, dass Marktteilnehmer in der Lage sind,
sich „Marktmacht“ zu verschaffen und sie in ihrem Interesse auszuüben.

Gelingt es,

(1) die Zahl der Marktteilnehmer klein zu halten,


(2) den Marktzutritt durch Zutrittsbarrieren für neue Konkurrenten zu erschweren,
(3) den direkten Vergleich von Marktleistungen zu verunmöglichen, oder allgemein
Transparenz und Homogenität zu vermindern,

so gewinnen einzelne Marktteilnehmer gegenüber den andern an Marktmacht. Sie können


dann z.B. den Preis beeinflussen.

VWL © Blaas 60

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(1) Einschränkung der Zahl der Konkurrenten

Je weniger Wettbewerb ein Marktteilnehmer erfährt, desto grösser ist sein


Spielraum beim Festsetzen der Preise.

Im Extremfall Monopol konzentriert sich das ganze Angebot und/oder die ganze
Nachfrage auf einen einzigen Marktteilnehmer und entsprechend gross ist seine
Marktmacht.
Bei monopolistischer Konkurrenz beherrscht ein Marktführer das
Marktgeschehen. Unternehmen mit kleinem Marktanteil sind in Symbiose mit
dem Marktführer und profitieren von seiner Hochpreispolitik. Für den Leader
sind sie Ansporn, seine eigene Leistungsfähigkeit zu erhalten. Sie verhüten,
dass der Marktführer träge wird. Sie sichern damit langfristig seine Marktmacht.

Bei einem Oligopol beherrschen wenige Marktteilnehmer mit grossem


Marktanteil den Markt. Kein Oligopolist kann agieren, ohne sich zu überlegen,
wie die andern auf seine Aktionen reagieren werden. Oligopolistischen
Marktsituationen begünstigen wettbewerbsbeschränkende Absprachen. Ueber
Kartellvereinbarungen sichern Oligopolisten ihre Marktmacht.

VWL © Blaas 61

(2) Marktzutrittsbarrieren

Als Marktzutrittsbarrieren wirken Umstände, die es neuen Unternehmen


schwer machen, in einer Branche Fuss zu fassen. Verbreitet sind Barrieren, die
vom Staat zum Schutz der einheimischen Produktion errichtet werden. Durch
Zölle, Einfuhrkontrollen, Zulassungsbeschränkungen, Bauvorschriften und
andern "legalen" Massnahmen wird die Konkurrenz eingedämmt. Neben
derartigen künstlichen Zutrittsbarrieren stehen natürliche Zutrittsschranken.
Zutrittsschranken
Hohe Transportkosten, Sprachgrenzen, stark ausgeprägte regionale
Unterschiede schützen lokale Anbieter.

Hohe Marktzutrittskosten verhindern das Aufkommen neuer Konkurrenten. Je


grösser und je kapitalintensiver die bestehenden Unternehmen sind, umso
schwieriger ist es für einen Newcomer. Gute Standorte sind schon besetzt.
Fähige Mitarbeiter sind über ein Konkurrenzverbot gebunden und können nicht
ohne weiteres abgeworben werden.
Das aquisitorische Potential der bestehenden Unternehmen verhindert, dass
ein neuer Konkurrent rasch Marktanteil gewinnen kann. Seine Durststrecke bis
zu den schwarzen Zahlen ist lang. Sein Risiko ist somit hoch, dass sein
Markteintritt misslingt und die hohen Anfangsinvestitionen abgeschrieben
werden müssen.

VWL © Blaas 62

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(3) Produkteindividualisierung und Preisverschleierung

Anbieter gewinnen Marktmacht, wenn es ihnen gelingt, den Preisvergleich


zu Konkurrenzprodukten zu erschweren oder sogar zu verunmöglichen.

Dies gelingt ihnen über die Produktgestaltung sowie über die Preis- und
Konditionenpolitik. Man kreiert Markenprodukte und ist für diese
Markenprodukte alleiniger Anbieter.

Unüblichen Verpackungsgrössen (923g statt 1 kg), von der Norm


abweichende Dosierungen (80% statt 100% Fruchtsaft), Multipacks (Wein
im 6er Karton), Zugaben (die Kinderüberraschung), Preisangaben am
Regal statt auf der Ware, ständig wechselnden Aktionspreise, komplizierte
zeitliche und p
personelle Preisdifferenzierungen
g und vieles mehr erschweren
dem Nachfrager den Vergleich zur Konkurrenz. Bei Kuppelprodukten
(Früchtekorb) kennt der Käufer oft den Preis des Einzelproduktes nicht.

VWL © Blaas 63

1.5. Bedingungen für die Entstehung von Märkten

Eine weitere wichtige Bedingung ist im Zusammenhang mit der Entstehung


neuer Märkte in den Reformländern sehr deutlich geworden, und zwar die
Existenz eines sogenannten „Marktmachers“.

Er ist der Mittelsmann, der die Verbindung zwischen dem Produzenten oder
Verkäufer und dem Zwischenhändler oder Letztverbraucher herstellt. Er ist
wesentlich für das Funktionieren eines Marktes, ohne ihn ist eine Marktwirtschaft
nicht denkbar.

In einer Marktwirtschaft wird diese Rolle von Zwischen- und Großhändlern im


Verein mit den Banken gespielt.

Worin bestehen die Aktivitäten des "Marktmachers", wenn er den Markt "macht"?
Er kann ein Vermittler sein oder auch eine aktivere Rolle spielen, indem er
Firmen Aufträge zur Produktion von Waren gibt, die er zum alleinigen Zweck
kauft, um sie später an anderen Orten an Kunden weiter zu verkaufen. Wenn er
einem Produzenten einen Auftrag erteilt, schafft er gleichzeitig jene Sicherheit,
die es dem Bankier erlaubt, dem Produzenten einen Kredit zu gewähren. Dieser
Kredit ermöglicht es dem Produzenten, den Arbeitern ihren Lohn zu bezahlen
und von seinen Lieferanten Rohmaterial, Energie usw. zu beziehen.

64
Volkswirtschaftslehre © Blaas

32
Die Funktion des "Zwischenhändlers" als "Marktmacher" ist unabdingbar; dennoch
erscheint er nicht wie ein "deus ex machina". Um seine Funktionen ausüben zu
können, braucht der Zwischenhändler einen gesetzlichen Rahmen, der ihm den
Abschluss verschiedenster Verträge ermöglicht, deren Erfüllung überwacht und
durchsetzt.

Der Gesetzgeber wird also für die Schaffung des Marktes, das Rechtssystem für
di D
die Durchsetzung
h d
der V
Verträge
ä b benötigt.
öi

Und schließlich braucht der "Marktmacher" in Fällen, wo er sich engagiert, indem


er kauft, bevor er verkauft, oder wo er als Zwischenhändler fungiert, der sein
eigenes Lager hält, eigenes Kapital oder er muss mit dem Bankensystem
zusammenarbeiten, um seine Aktivitäten zu finanzieren.

Vor der vollen Entwicklung des Bankensystems ist es der "Zwischenhändler", der
den Produzenten und Einzelhändlern Kredite gibt. In vielen Fällen wird er sowohl
als Großhändler als auch als Geldverleiher fungieren. In anderen Fällen,
besonders dann, wenn die Wirtschaftsentwicklung voranschreitet, bzw. in
Industriezweigen, die Investitionsgüter erzeugen, wird die Rolle des
"Zwischenhändlers" voll und ganz in den Aufgabenbereich der Vertriebs- und
Marketingabteilung des Unternehmens übergehen.

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Volkswirtschaftslehre © Blaas

1.6. Beurteilung des Marktes aus gesamtgesellschaftlicher Sicht

Traditionelle Begründung des Marktes - Ressourceneffizienz

Die Begründung der Lehrbuchökonomie für die Überlegenheit des Marktes


gegenüber anderen Allokationsweisen beruht auf der erwähnten Tatsache, dass
die frei sich bildenden Preise (und damit Einkommen) ein Anreizsystem
h
hervorbringen,
bi welches
l h zu einer
i effizienten
ffi i t V Verwendung
d gesellschaftlicher
ll h ftli h
Ressourcen führt.

Produzenten und Anbieter orientieren ihre Produktions- und


Anbotentscheidungen an den Preisen, steigende Preise ziehen mehr Anbieter
und Produzenten an.

Ebenso orientieren sich die Konsumenten an den Preisen bei ihren


Kaufentscheidungen, sie honorieren durch den Kauf preisgünstigerer Angebote
die effizienteren Anbieter.

Gesellschaftlich gefragte Produkte und Leistungen werden über hohe Nachfrage


mittels steigender Preise hoch bewertet, gering geschätzte Güter zeichnen sich
durch niedrige Preise aus.

 Das System relativer Preise spiegelt gesellschaftliche Wertungen und


Beurteilungen wider.
66
Volkswirtschaftslehre © Blaas

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Individuelle und gesellschaftliche Versorgungssicherheit

Die wichtigste Frage bei der gesellschaftlichen Beurteilung des Marktes ist aber
die Frage nach der relativen Bedeutung des betreffenden Gutes für das
individuelle Überleben und die kollektive Wohlfahrt.

Bei dieser Frage muss man sich nochmals vor Augen halten, dass der „freie
Markt dem einzelnen Nachfrager je nach dessen Kaufkraft einen Zugang
Markt“
gewährt oder nicht:

 er spiegelt somit nicht nur Präferenzen, sondern vor allem die


Einkommensverteilung einer Gesellschaft wider (Beispiel: Automarkt).

Wenn es sich also um lebenswichtige Güter handelt - Lebensmittel, Wohnungen,


etc. - dann stellt sich die gesellschaftspolitisch zentrale Frage, ob diese Güter
über den freien Markt angeboten werden sollen oder nicht.

Wesentlich bei der Beantwortung dieser Frage ist natürlich der Preis des
betreffenden Gutes im Verhältnis zur Kaufkraft der überwiegenden Mehrheit der
Haushalte (des Durchschnittseinkommens).

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Volkswirtschaftslehre © Blaas

Stehen Marktpreis des Gutes und Durchschnittseinkommen in einem sozial


akzeptablen Verhältnis, so kann man grundsätzlich eine Marktversorgung
akzeptieren. Ist das nicht der Fall, stellt sich die Frage nach Alternativen,
Ergänzungen des Marktes, etc.

Dieser Problemkreis ist indes keineswegs statisch: Einkommensniveaus und


Preisniveaus verändern sich,, aber auch neue Notwendigkeiten
g treten auf,, wie z.B.
Altenbetreuung.

Das heißt, dass eine abschließende Beantwortung der Frage nach den
gesellschaftlich akzeptablen Einsatzbereichen des Marktes niemals möglich ist
und nur jeweils für eine gegebene Periode in einer gegebenen Gesellschaft
Aussagen gemacht werden können.

68
Volkswirtschaftslehre © Blaas

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(Um-) Verteilung von Einkommen und Macht durch Marktregulierung

Aus den bisherigen Argumenten ist klar geworden, dass erstens der Markt selbst
eine soziale Institution ist, die unterschiedliche Formen und Ausprägungen
annehmen kann und daher unterschiedliche Gruppen in einer Gesellschaft
bevorzugt oder benachteiligt.

Z eitens hat sich ge


Zweitens gezeigt,
eigt dass es einfl
einflussreichen
ssreichen Gr
Gruppierungen
ppier ngen von
on
Wirtschaftssubjekten oft gelingt, den Markt dort zu implementieren oder
umgekehrt zu eliminieren, wo es ihnen nützt.

Beispiel a. Abschottung (bzw. teilweise Abschottung) des österreichischen


Zementmarktes gegenüber der Slowakei und Tschechien.

B i i lb
Beispiel b. B
Beschränkung
hä k d
der Z
Zahl
hl d
der T
Taxis
i iin Wi
Wien

69
Volkswirtschaftslehre © Blaas

Beispiel c. Ein wichtiges Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit der


Reformökonomien ist die sogenannte „Schocktherapie“, die im
wesentlichen aus der Privatisierung der Produktionsmittel und
Liberalisierung der Preise bestand.

Die zum Teil verheerenden Folgen (Produktionszusammenbruch,


V
Versorgungsmängel,
ä l A
Arbeitslosigkeit)
b it l i k it) di
dieser Th
Therapie
i zeugen nicht
i ht iin
erster Linie von Inkompetenz und Zynismus der Entscheidungsträger,
sondern davon, dass die sterilen Lehrbuchweisheiten amerikanischer
Nationalökonomen auf einen äußerst fruchtbaren Boden gefallen sind:

Die russische Nomenklatura (und auch jene in anderen


Reformländern) hat sofort erkannt, dass die Einführung des Marktes in
der von den arglos-gedankenlosen Ökonomen propagierten Weise
eine glänzende Voraussetzung für ihre Beutezüge durch die
Wirtschaftslandschaft ist.

Eine Privatisierung der ohnedies unter Druck stehenden Unternehmen


kommt jenen Kreisen zugute, die über die Kaufkraft verfügen, sich in
diese Unternehmen einzukaufen. Und das waren (und sind
wahrscheinlich nach wie vor) die Privilegierten des alten Systems.

70
Volkswirtschaftslehre © Blaas

35
Normative Fragen stellen sich auch im Zusammenhang mit alternativen
Allokationssystemen:

Entspricht es eher Gerechtigkeitsvorstellungen, wenn über Allokationen durch


Lotterien entschieden wird, durch Warteschlangen oder durch Kauf?

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Volkswirtschaftslehre © Blaas

Exkurs: Fragen zur Diskussion

Frage 1) Angenommen, die Universitäten sollen nur so viele Studierende


aufnehmen als Absolventen benötigt werden. Es gibt dann nur wenige
Studienabbrecher. In diesem Fall müsste der Zugang zu den
Universitäten beschränkt werden. Wie sollte diese Beschränkung
durchgeführt werden:

a) durch Studiengebühren ohne begleitende Maßnahmen?


b) durch Studiengebühren mit staatlich gesicherten Krediten für
die Studierenden?
c) durch Aufnahmsprüfungen?
d) aufgrund der Noten nur bei der Matura?
e) aufgrund der Noten der Matura und der letzten vier Jahre der
Schule?
f) durch eine Lotterie?

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Volkswirtschaftslehre © Blaas

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Frage 2) Angenommen Sie müssen entscheiden, wer von mehreren Patienten
eine Transplantationsniere erhält. Bei allen in Frage kommenden
Empfängern ist die Wahrscheinlichkeit der Akzeptanz des fremden
Organs durch den Körper gleich groß. Wem würden Sie die Niere
geben?

a) Herrn A, der 70 ist und die Niere sehr dringend benötigt?


b) Frau B, die 25 ist und die mit Dialyse noch einige Zeit leben
kann?
c) Herrn C, der zu den führenden Wissenschaftern auf dem
Gebiet der AIDS Forschung gehört?
d) Frau F, die am meisten dafür zahlen kann?
e) Herrn Dr. K., der ein pensionierter, sehr verdienter und sehr
angesehener Staatsmann ist?

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Volkswirtschaftslehre © Blaas

1.7. Zusammenfassung und Fragen

a) Entgegen der weitverbreiteten mechanistischen Ansicht über das


Funktionieren des Marktes ist dieser selbst eine Summe sozialer Institutionen.

Ein Markt kann durch drei Elemente beschrieben werden:

(1) das Gut (oder die Güter), das (die) auf diesem Markt gehandelt werden;
(2) die Summe der Institutionen, Organisationen, gesetzlichen Normen, die
das Funktionieren des Marktes bewerkstelligen und organisieren,
zusammen mit ihren Zielen, Verantwortlichkeiten, Anreizen und
Instrumenten;
(3) die Form der Konkurrenz, die auf diesem Markt vorherrscht.

b) Marktinstitutionen dienen dazu


dazu, einen Konsens über Preise herzustellen und
Informationen über Produkte, Preise, Mengen, potentielle Käufer und
Verkäufer zu vermitteln. Ein Markt ist, kurz gesagt, ein institutionalisierter
Tausch.

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Volkswirtschaftslehre © Blaas

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c) Ein Markt ist daher kein natürlich gegebenes Datum, sondern eine soziale
Institution, die durch eine Reihe von Regeln gestaltet wird, die ihrerseits sowohl
Restriktionen als auch Legitimierungen darstellen können.

Regulierungen von und Interventionen auf Märkten bevorzugen bestimmte


Gruppen und benachteiligen andere Gruppen in der Gesellschaft, bewirken
also eine Umverteilung von Einkommens- und Lebenschancen,
Lebenschancen Einfluss und
Macht.

d) Der Markt entsteht nicht von selbst. Einerseits sind dafür gesellschaftliche und
kulturelle Voraussetzungen notwendig. Andererseits ist die Funktion der
Marktmacher erforderlich, um zwischen den beiden Seiten des Marktes zu
vermitteln.

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Volkswirtschaftslehre © Blaas

Fragen

– Was wären die Folgen der Einführung eines „freien Marktes“ (= vollständige
Deregulierung) in einem Bereich, beispielhaft gezeigt auf dem

(1) Wohnungsmarkt oder dem


((2)) Lebensmittelmarkt oder dem
(3) Flugmarkt?

– Was wären die Folgen der Ausschaltung des Marktes in einem Bereich?
(Fallbeispiele)?

– In welche(n) Bereiche(n) des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens


soll der Markt installiert werden/bleiben und mit welcher Begründung?
(z B im Umweltbereich: handelbare Verschmutzungsrechte; im
(z.B.
Gesundheitsbereich, im Bildungsbereich, im Justizbereich)

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Volkswirtschaftslehre © Blaas

38
2. Die Einbettung des Marktes in andere sozioökonomische
Institutionen

Ausgehend vom institutionellen und kulturellen Kontext einer Marktwirtschaft


(Kap. 2.1) werden die „Basisinstitutionen“ (Kap. 2.2) behandelt.

Diese sind zwar allen marktwirtschaftlichen Ländern gemeinsam, sie können aber
ganz unterschiedliche Formen und Ausprägungen, also unterschiedliche
„Business Systems“ aufweisen (Kap. 2.3), weil ihre Einbettung in die jeweilige
nationale Gesellschaft und Kultur durch die Geschichte des Landes geprägt ist.

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Volkswirtschaftslehre © Blaas

2.1. Der institutionelle und kulturelle Kontext

Karl Polanyi hat in seinem berühmten Werk „The Great Transformation“ (1944)
ausführlich die These vertreten und begründet, dass der Markt
notwendigerweise in andere soziale und kulturelle Institutionen sowie in das
Staats- und Rechtswesen eingebettet sein muss, wenn er funktionsfähig sein
und dem Wohle der Allgemeinheit dienen soll.

Die neuere wirtschaftswissenschaftliche Literatur zum Phänomen „Markt“ bringt


theoretische Erklärungen und empirische Belege für die Tatsache, dass die
Entwicklung und Festigung von Vertrauen und vertrauensvollen Geschäfts- und
Handelsbeziehungen zwischen Wirtschaftssubjekten wesentlich für das (im
wahrsten Sinne des Wortes) klaglose Funktionieren des Marktes ist und damit
auch dessen Effizienz verbessert.

Schon Keynes hatte festgestellt, dass dauerhafte (= vertrauensvolle)


Beziehungen zwischen Schuldnern und Gläubigern die eigentliche Grundlage
des Kapitalismus bilden
bilden.

Wesentlich dabei ist, dass die Verhaltensweisen der Wirtschaftspartner


vorhersehbar sind, dass also gewisse Verhaltensnormen oder
Verhaltenskonstanten entwickelt werden, die die Abwicklung von Transaktionen
erleichtern oder überhaupt erst ermöglichen.

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Volkswirtschaftslehre © Blaas

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Dass das kein triviales Argument ist, zeigt eine - wahrscheinlich nicht ganz
untypische - Begebenheit, die sich in Russland zugetragen hat:

Recently a Russian plant manager signed a multi-million-dollar contract with a


Western company to supply equipment for his plant. Several days later the
company officials found out to their astonishment that an identical contract
had been signed with their competitor. When asked how he could do such a
thing the Russian executive answered absolutely seriously: „These
thing, These days we
have a market economy and competition. So I let them compete: whoever
supplies the best equipment will get paid.“ (Greif, Avner and Kandel, Eugene,
Contract Enforcement Institutions: Historical Perspective and Current Status
in Russia. Stanford Law School. Working Paper No. 108, 1993, p. 1).

Abgesehen davon, dass sich in diesem Zusammenhang natürlich die Frage der
Durchsetzung eines Vertrages stellt, die selbstverständlich auch in
„alteingesessenen“ Marktwirtschaften immer wieder virulent ist, kann man sich ein
ähnliches Verhalten im Westen schwer vorstellen. Eine derartige Vorgangsweise
und ein derartiges Verständnis von Konkurrenz ist schlicht und einfach nicht
üblich, es wird nicht erwartet.

Die herrschende „Geschäftskultur“ restringiert gewissermaßen den Spielraum


dahingehend, dass derartiges nicht zu befürchten ist.

79
Volkswirtschaftslehre © Blaas

An dieser Stelle erscheint es sinnvoll, den schon mehrfach gebrauchten Begriff


der Institution näher zu beleuchten.
Es gibt verschiedene Definitionen dieses Begriffes, und wir verwenden hier die
Definition eines führenden Ökonomen der institutionalistisch-evolutionären
Schule:
Eine Institution ist eine soziale Organisation, die durch das Wirken von
Tradition, Gewohnheit oder rechtlichen Beschränkungen zu stabilen und sich
wiederholenden Verhaltensweisen führt.

(Hodgson, Economics and Institutions, 1988, S. 10. Meine Übersetzung).

Im wirtschaftlichen Leben ist es eben sehr wichtig, Entscheidungen, Handlungen


und Verhalten der anderen Wirtschaftsteilnehmer in einem gewissen Maße
vorhersehen zu können.

Dass erwartet werden kann ((d.h. p


prognostiziert
g werden kann),) dass Liefer-,
Arbeits- und anderen Verträgen eingehalten werden, ist genauso wesentlich für
den flüssigen Ablauf von wirtschaftlichen Aktivitäten wie die Erwartung des
Einhaltens von ortsüblichen, von kulturell üblichen oder global
selbstverständlichen Geschäftsusancen.

80
Volkswirtschaftslehre © Blaas

40
Ein typisches Beispiel einer - in Österreich noch immer sehr wichtigen - Institution
ist die Österreichische Sozialpartnerschaft.

Arbeitnehmer sowie Arbeitgeber erwarten bestimmte Verhaltensweisen vom


jjeweiligen
g Interessen-Gegner,
g , und zwar,, dass insbesondere die
Auseinandersetzung um die Lohnfestsetzung zunächst nicht mit Kampfmitteln
(Streik oder Aussperrung), sondern am Verhandlungstisch versucht wird zu lösen.

Darüberhinaus gibt es für diese Verhandlungen einen klaren Fahrplan, der jedes
Jahr mehr oder weniger genau eingehalten wird.

Was sind die Vor- und Nachteile davon?

81
Volkswirtschaftslehre © Blaas

2.2. Marktwirtschaftliche Basisinstitutionen

Die für die hier relevanten entwickelten Marktwirtschaften typischen


Charakteristika werden in Anlehnung an VOGT (1973), MÜLLER et al. (1978)
und MATZNER (1982) hier marktwirtschaftliche Basisinstitutionen genannt.

Sie können wie folgt zusammengefasst werden (E


(E. MATZNER 1982
1982, S
S. 74 f.):
f ):

1. Die Institution des privaten Eigentums an (realen und finanziellen)


Produktionsmitteln (Real- und Finanzkapital) und das durch dieses
Eigentum begründete Recht auf freie privat-dezentrale Verfügbarkeit über
die Produktionsmittel.
Dies schließt auch das Recht der Verfügbarkeit über den unter Einsatz der
Produktionsmittel erzielten Gewinn bzw. die Pflicht der Haftung bei Verlust
ein.

2. Die Institution des freien Arbeitsvertrages, der konstituierendes Element


eines Arbeitsmarktes ist, auf dem Arbeitskraft als "Ware" gehandelt wird.

82
Volkswirtschaftslehre © Blaas

41
3. Die Institution von Märkten als Ort der Koordination der nach privat-
dezentralen Kalkülen zustande gekommenen Angebots- und
Nachfrageentscheidungen.

Für die hier untersuchten entwickelten Marktwirtschaften ist dabei


wesentlich, dass die Markttransaktionen nicht durch Gütertausch, sondern
üb monetäre
über tä Kontrakte
K t kt zustande
t d kkommen, d dass also
l Güt
Güter gegen G
Geld
ld
getauscht werden.
Die Existenz des Transaktionsmediums Geld wird also vorausgesetzt,
dessen Eigenschaft als Wertaufbewahrungsmittel in einer unsicheren Welt
von Relevanz ist.

4. Die Institution des Staates (als Gesamtheit aller Gebietskörperschaften,


oder noch weiter gefasst, als Gesamtheit aller öffentlich-rechtlichen
Institutionen), der unter anderem die Sicherung der anderen
Basisinstitutionen (z
(z.B.
B Eigentum an Produktionsmittel) aufgrund seines
Monopols über physische Gewalt zu übernehmen hat sowie andere
Regelungs-, Steuerungs- und Produktionsfunktionen, die der Markt nicht
oder nicht in befriedigender Weise zu erfüllen in der Lage ist.

83
Volkswirtschaftslehre © Blaas

Die Basisinstitution des Eigentums an Kapital steht im vorangegangenen Katalog


nicht zufällig an erster Stelle.
Das Streben nach Gewinn aus dem Einsatz von realem und finanziellem Kapital
ist das dominierende Bewegungsmotiv marktwirtschaftlich organisierter
Gesellschaftssysteme.

Allerdings bedingen sich die Basisinstitutionen gegenseitig; es bedarf z.B. der


Institution des Staates, Arbeitsverträge und andere Kontrakte oder das Eigentum
an Produktionsmitteln etc. zu sichern, wie es ebenso der Erträge des Marktes
bedarf, des Staat materiell und ideell reproduzieren zu können.

84
Volkswirtschaftslehre © Blaas

42
2.3. Business Systems

Definition

Business Systems kann als (jeweils für eine Volkswirtschaft charakteristisches)


Muster wirtschaftlicher Organisationsform verstanden werden, welches von Land
zu Land bezüglich Ausmaß und Art der Koordination wirtschaftlicher Aktivitäten
variiert. Dieses Muster besteht insbesondere aus den Strukturen und
Organisationsformen der Beziehungen zwischen Eigentümern, Managern,
Experten und anderen Arbeitnehmern.

(R. Whitley, Divergent Capitalism. The Social Structuring and Change of


Business Systems. Oxford University Press, 2000, S. 33; Übersetzung W.B.)

85
Volkswirtschaftslehre © Blaas

Tabelle 3.1: Schlüsselelemente von business systems


Der Staat
Dominanz des Staates; seine Bereitschaft, Risiken
privater Eigentümer mitzutragen
Staatlicher Widerstand gegen Kollektivvertretungen
Ausmaß der Marktregulierung („Regulierungsdichte“)
Finanzsystem
Kreditsystem oder Kapitalmarktsystem
Ausbildungs- und (Lohn-) Verhandlungssysteme
Umfang öffentlicher Ausbildungssysteme, Staat-
Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Zusammenarbeit
Stärke unabhängiger Gewerkschaften
Macht der auf Berufsgruppen aufgebauten Versus Sektor/Branchen-Gewerkschaften und
Arbeitnehmervertretungen Unternehmensgewerkschaften
Ausmaß der Zentralisierung der Lohnverhandlungen
Vertrauen und Autoritätsverhältnisse
Vertrauenswürdigkeit und Verlässlichkeit formaler
Geschäftsregelungen
Vorherrschen paternalistischer Autoritätsverhältnisse Versus formaler Autoritätsverhältnisse
Bedeutung gemeinschaftlicher Normen und Werte in Versus vertragliche Autoritätsverhältnisse
Autoritätsverhältnissen
Quelle: Whitley, S. 48, Übersetzung W.B.
86
Volkswirtschaftslehre © Blaas

43
3. Eigentum und Verfügungsrechte

Definition

"Eigentum kann als ein exklusives Recht, ein ökonomisches Gut zu kontrollieren,
definiert werden: es ist der Name für ein Konzept, das auf Rechte und
Verpflichtungen, Privilegien und Restriktionen verweist, welche die Beziehungen
zwischen Menschen bezüglich wertvoller Dinge regeln"
(Yiannopoulos, A.N.: Art. Property, Law of Encyclopaedia Britannica, Bd. 15,
S. 46).

Diese Definition von "Eigentum" durch einen Juristen enthält einige auch für den
Ökonomen interessante Hinweise.
S
So ist
i vor allem
ll b
bemerkenswert,
k d
dass Ei
Eigentum als
l eine
i B Beziehung
i h
zwischen Menschen bezüglich knapper Güter angesehen wird und nicht
als eine Beziehung zwischen Menschen und Gütern.

87
Volkswirtschaftslehre © Blaas

Für Robinson Crusoe gibt daher das Konzept des Eigentums keinen Sinn, solange
er allein auf seiner Insel lebt.
Erst mit dem Auftreten von Freitag entsteht die Notwendigkeit, die gegenseitigen
Beziehungen (Rechte und Pflichten) bezüglich der Kontrolle (man kann auch
sagen: Verfügung) über die knappen Güter zu regeln.

 Dabei ist das Verfügungsrecht des Einen die Verfügungsbeschränkung des


Anderen.

Welche Formen des Eigentums kann man unterscheiden?

Je nach dem, wie die Verfügungsrechte definiert und zugeordnet sind, wollen wir
folgende Eigentumsformen unterscheiden:

– privates Eigentum
– kollektives Eigentum
– öffentliches Eigentum

88
Volkswirtschaftslehre © Blaas

44
Privates Eigentum

Eine private Person hat Verfügungsrechte an bestimmten Gütern.

Privateigentum hat es in jeder Gesellschaft zu jeder Zeit gegeben, wenn auch


Umfang und Reichweite der privaten Verfügungsrechte in den verschiedenen
K lt
Kulturen variierten.
ii t

Die traditionelle Mikroökonomik geht von einer "Idealgesellschaft" aus, in der


alle knappen Güter mit privaten Verfügungsrechten belegt sind und von den
Individuen gemäß ihren Präferenzen genutzt werden.

Doch auch in Gesellschaften mit überwiegend privaten Verfügungsrechten an


knappen Gütern sind diese Rechte häufig abgeschwächt; bestimmte Güter
lassen sich auch nicht mit privaten Verfügungsrechten belegen, die Kosten
der Durchsetzung und Kontrolle der Verfügungsrechte sind zu hoch. Wir
k
kommen später
ä noch hd
darauff zurück.
ü k

89
Volkswirtschaftslehre © Blaas

Kollektives Eigentum

Ein Kollektiv hat Verfügungsrechte an bestimmten Gütern.


Kollektiveigentum kann innerhalb eines Stammes, einer Familie, einer
Wohngemeinschaft oder einer sonstigen Gruppe (z. B. Genossenschaft)
bestehen
bestehen.
Bei nicht abgeschwächtem Kollektiveigentum sind Individuen außerhalb des
Kollektivs von der Nutzung der "Kollektivgüter" ausgeschlossen.

öffentliches Eigentum (bzw. Staats- oder Gesellschaftseigentum)

Der Staat oder die Gesellschaft hat Verfügungsrechte an bestimmten Gütern.


Der Begriff öffentliches Eigentum sagt noch nichts darüber aus, wer
tatsächlich über die knappen Güter verfügt.
Wir sollten immer unser Augenmerk auf folgende Fragen richten:
– Wie sind die Verfügungsrechte zugeordnet?
– Wer wird von der Verfügung ausgeschlossen?

90
Volkswirtschaftslehre © Blaas

45
Wir wollen folgendes festhalten:

Nicht "Eigentum" im undifferenzierten Sinne ist für den Ökonomen


interessant, sondern vielmehr die konkrete Ausgestaltung der
Verfügungsrechte bezüglich knapper Güter und Ressourcen
Ressourcen.
Denn bei jeder Transaktion von Gütern werden auch Verfügungsrechte
transferiert!

91
Volkswirtschaftslehre © Blaas

Beispiel

Das zunehmende Verkehrschaos und die zunehmende Unwirtlichkeit der Zentren


in Städten und Gemeinden haben diese dazu bewogen, öffentliche Parkplätze zu
bewirtschaften. Was heißt bewirtschaften in diesem Zusammenhang?

Bewirtschaften heißt in diesem Zusammenhang, dass das Recht zur Nutzung


einer im öffentlichen Eigentum stehenden Ressource - nämlich jenes Bodens
Bodens, der
Teil des öffentlichen Straßennetzes ist, auf dem geparkt werden kann - verändert
wird. Vorher konnte jeder unentgeltlich parken, nach der Rechtsänderung nur
gegen Bezahlung (Parkschein, „Pickerl“). Damit vollzieht sich ein
marktwirtschaftlich völlig normaler Prozess: ein Gut, das knapp wird, bekommt
einen Preis. Wir sprechen dabei von einer Änderung der Verfügungsrechte.

Was kann man über das Ergebnis dieser Änderung der Verfügungsrechte in den
Wiener Bezirken 6 bis 9 sagen (Stand 1997)? Die Parkraumbewirtschaftung hat
Platz auf den Straßen geschaffen: von einer Überauslastung in Höhe von 109%
sank die Auslastung des vorhandenen Parkraumes auf 71%. Darüberhinaus hat
sich das Verkehrsverhalten verändert: 25% der autofahrenden Pendler und
Besucher sind auf öffentliche Verkehrsmittel umgestiegen.
(Quelle: Verkehrsclub Österreich, Verkehr aktuell 7/1997).

92
Volkswirtschaftslehre © Blaas

46
Definition

Verfügungsrechte sind rechtlich oder institutionell sanktionierte


Handlungsmöglichkeiten und Verhaltensbeziehungen zwischen
Wirtschaftssubjekten. (LEIPOLD 1978, S. 518)

Man kann den Begriff der (Eigentumsrechte oder) Verfügungsrechte auch


dadurch veranschaulichen, dass man sich die verschiedenen Arten von
Verfügungsrechten ansieht. Wir wollen folgende Arten von Verfügungsrechten
unterscheiden:

– Das Recht, ein Gut zu gebrauchen.


– Das Recht, Erträge aus diesem Gut zu ziehen.
– Das Recht, Form und Substanz des Gutes zu verändern.
– Das Recht, das Gut an ein anderes Wirtschaftssubjekt zu übertragen (z.B.
zu einem wechselseitig vereinbarten Preis oder per Schenkung).

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Volkswirtschaftslehre © Blaas

Verdeutlichen wir uns die verschiedenen Verfügungsrechte an einem einfachen


Beispiel:
Sie erwerben einen PKW und haben damit zugleich das Recht erworben, mit ihm
zu fahren (d.h. ihn zu gebrauchen). Dieses Recht gilt jedoch nicht
uneingeschränkt. So benötigen Sie etwa einen Führerschein, Sie müssen sich an
die Verkehrsregeln halten
halten, Sie müssen ggf
ggf. ein Sonntagsfahrverbot beachten etc
etc.

Darüber hinaus haben Sie auch das Recht, Erträge aus Ihrem PKW zu ziehen,
indem Sie etwa ein Taxiunternehmen gründen. Voraussetzung hierfür ist eine
entsprechende Zulassung sowie eine Lizenz als Taxifahrer (falls Sie Ihr Taxi selbst
fahren wollen).

Sie könnten auch durch Anbringung von Sportfelgen und eines Spoilers oder
durch Einbau eines stärkeren Motors und einer Abarthanlage Form und Substanz
Ihres PKW verändern. In der Bundesrepublik müssen Sie dabei jedoch die
vergleichsweise strengen Vorschriften des TÜV beachten
beachten, während Sie sich etwa
in den USA ohne größere Schwierigkeiten aus einem Volkswagen, einem Cadillac
und einer Planierraupe ein Phantasiemobil schaffen können.

Schließlich können Sie einen Teil dieser Rechte oder alle Rechte (= Verkauf oder
Schenkung) an eine andere Person übertragen.

94
Volkswirtschaftslehre © Blaas

47
Für den Raumplaner wichtiges Beispiel:

Flächenwidmung und Bebauungsplan. Einschränkung der Verfügungsrechte des


Eigentümers einer Liegenschaft.

Flächenwidmungsplan: 3 Kategorien:

– Verkehrsflächen
– Grünland
– Bauland (Wohnnutzung, gewerbliche Nutzung)

Bebauungsplan (bezieht sich auf Bauland)

– maximale Gebäudehöhe
– Dichte (Geschoßflächenzahl)
– Anteil der Verbauung am Grundstück.

95
Volkswirtschaftslehre © Blaas

Ihre besondere Bedeutung erlangen die Verfügungsrechte (z.B. im Umweltbereich)


auch dort, wo sie nicht auf Güter (goods), sondern auf "Un-Güter" (bads), z.B. auf
Risiken oder Gefahren, gerichtet sind.
Beispiel: Beschränkung von CO2-Ausstoß von LKW. In diesem Bereich ist es aber
oft schwierig festzustellen, wer überhaupt für eine bestimmte Gefahr oder eine
Beeinträchtigung verantwortlich ist, wer der Verursacher ist und damit auch für
eine allfällige Kostentragung zuständig ist
ist.

Die traditionelle Mikroökonomik geht nun implizit davon aus, dass bezüglich jedes
Gutes alle Verfügungsrechte vollständig einem bestimmten Wirtschaftssubjekt
zugeordnet sind.

Wir werden jedoch feststellen, dass in der Realität Verfügungsrechte mehr oder
weniger stark abgeschwächt sind (d.h., dass die Durchsetzung einzelner oder aller
Verfügungsrechte mit positiven Alternativkosten verbunden ist) und dass sich
daraus bedeutsame Konsequenzen für das ökonomische Verhalten von Individuen
ergeben.

Wir werden feststellen, dass der persönliche Wert, den ein Individuum einem
knappen Gut beimisst, von dem Bündel an Verfügungsrechten bezüglich dieses
Gutes abhängt.
96
Volkswirtschaftslehre © Blaas

48
Teil 3:

Mikroökonomische Akteure 1:
Private Haushalte

97
Volkswirtschaftslehre © Blaas

3. Mikroökonomische Akteure 1:
Private Haushalte 1)

3.1. Die Standard-Mikroökonomie des Konsumverhaltens


3.2. Verhalten der Konsumenten: näher an die Realität
3.3. Schlussfolgerungen
3.4. Weiterentwicklungen: Neue Haushalteinkommen und institutionelle
Ansätze
3.5. Elastizität

1) Dieses Kapitel beruht teilweise auf Hill/Myatt 2010 sowie Bofinger 2007, Pindyck/Rubinfeld
2005, Schumann 1980
98
Volkswirtschaftslehre © Blaas

49
Welche Fragen soll eine ökonomische Theorie des privaten Haushaltes
beantworten?

– Wie groß ist Arbeitsangebot bzw. Arbeitsleistung am Markt (und damit


das Arbeitseinkommen) ?
– W
Welche
l h N
Nachfrage
hf nach
h Güt
Gütern (K
(Konsum; Verbraucherverhalten)
V b h h lt ) zeigt
i t
der Haushalt?
– Wie hoch ist das Angebot von Kapital (und damit das Kapital-
Einkommen) ?
– Was ist die Arbeitsleistung im Nicht-Markt-Bereich (Haushaltsarbeit,
Eigenleistungen in der Wohnung, beim Hausbau, etc.) ?
– Wie sieht der Konsum von Nicht-Markt-Leistungen (öffentlichen Gütern)
aus?

 Wir beschränken uns hierauf das Konsum- bzw. Verbraucherverhalten.

99
Volkswirtschaftslehre © Blaas

Im Folgenden verwenden wir zunächst die neoklassische Theorie des


Konsums, um das Verbraucherverhalten zu erklären.

Das neoklassische Modell beruht jedoch auf sehr spezifischen Annahmen über
den Haushalt. Daher werden wir in einem zweiten Schritt die wichtigsten
Kritikpunkte am Lehrbuchmodell behandeln (Hill, Myatt 2010) und
anschließend Ergänzungen und Erweiterungen durch neuere Entwicklungen
in der Ökonomie darstellen.

100
Volkswirtschaftslehre © Blaas

50
3.1. Die Standard-Mikroökonomie des Konsumverhaltens

Ausgangspunkt ist die Annahme, dass Menschen Güter nachfragen, um durch


den Konsum (Gebrauch) dieser Güter eine größtmögliche Befriedigung ihrer
Bedürfnisse zu erfahren, oder – wie die Neoklassik sagt – ihren „Nutzen“ zu
maximieren, also einen größtmöglichen Nutzen zu haben.

Betrachten wir den Konsum eines einzelnen Gutes innerhalb einer


vorgegebenen Zeitspanne:
Je mehr von diesem Gut konsumiert wird, umso größer ist die Befriedigung, der
Nutzen durch dieses Gut
Gut. Allerdings nur der Gesamtnutzen.
Gesamtnutzen Denn die
Befriedigung (Nutzen) durch eine zusätzliche Einheit, der Grenznutzen oder
marginale Nutzen, nimmt mit jeder konsumierten Einheit ab.

101
Volkswirtschaftslehre © Blaas

Nehmen wir an, es geht um den Pizza-Konsum innerhalb einer Woche, eine
Pizza soll z.B. € 6.- kosten.

Weiters nehmen wir an


an, wir könnten einen Studierenden XY fragen
fragen, wieviel er
maximal bereit wäre, für verschiedene Konsummengen von Pizzas (in einer
Woche) zu bezahlen, und er hätte die in der ersten Spalte der folgenden
Tabelle dargestellten Preise genannt, die seinem Gesamtnutzen (der
Befriedigung), ausgedrückt in Euro, entsprechen würden.

Tabelle: Xys Befriedigung durch Pizza-Konsum

102
Volkswirtschaftslehre © Blaas

51
Nutzen von Pizzakonsum für Person XY

(alle Nutzenangaben in Euro)

103
Volkswirtschaftslehre © Blaas

Nach diesen Angaben des Studierenden würde ihm der Konsum der ersten
Pizza einen Nutzen von 20€ stiften, oder anders ausgedrückt, bei einem
Preis von 20€ (für eine Pizza) würde er gerade eine Pizza im gegebenen
Zeitraum kaufen.

Eine weitere Pizza würde nur mehr einen zusätzlichen Nutzen von 15€ stiften,
bei einem Pizza-Preis von 15€ würde er also im gegebenen Zeitraum
gerade zwei Stück kaufen, usw.

Wir sehen also:

Die Grenznutzenkurve (marginaler Nutzen) ist die Nachfragekurve des


Konsumenten.

104
Volkswirtschaftslehre © Blaas

52
Nachfrage nach Pizza (Person XY)

€ /Pizza

20

15

11

1 2 3 4
Pizzas pro Woche

Konsumentenrente: blaue Flächen


105
Volkswirtschaftslehre © Blaas

Die Abbildung zeigt, dass bei einem Pizza-preis von 6€ der Konsument XY
einen „Vorteil“ daraus zieht, dass er – je nach Kaufmenge – ja bereit wäre,
mehr als diesen Preis zu bezahlen.

Diesen Vorteil nennt man die Konsumentenrente (blaue Flächen).

Die Nachfrage eines Konsumenten nach einem bestimmten Gut hängt natürlich
auch von anderen Dingen ab, z.B. vom Einkommen (oder den Preisen
anderer Güter). Steigt das Einkommen etwa, so steigt damit normalerweise
auch die Nachfrage nach einem bestimmten Gut (siehe Abbildung).

106
Volkswirtschaftslehre © Blaas

53
Nachfrageveränderung bei Einkommensteigerung

€ /Pizza

20

15

11

1 2 3 4
Pizzas pro Woche

107
Volkswirtschaftslehre © Blaas

Die Nachfrage aller Konsumenten (z.B. in einer geografisch definierten Region,


in einer Stadt, etc.) nach Pizza (in einem gegebenen Zeitraum) nennt man
dann die Marktnachfrage (nach Pizza).

Die Marktnachfrage ist die Summe der individuellen Nachfragekurven


(horizontale Summierung) und gibt für jeden Preis (der Pizza) die
Gesamtnachfrage am Markt an, das ist die Summe der individuellen
Nachfragemengen, die die einzelnen Konsumenten zu dem jeweiligen Preis
nachfragen.

108
Volkswirtschaftslehre © Blaas

54
Marktnachfrage nach Pizza

€ /Pizza

Konsumentenrente

6€

30.000
Pizzas pro Woche

109
Volkswirtschaftslehre © Blaas

Das Beispiel zeigt dreierlei:

1. Die Grenznutzenkurve ist gleich der Nachfragekurve des einzelnen


Konsumenten.
2 Di
2. Die Fläche
Flä h unter
t der
d Nachfragekurve
N hf k repräsentiert
ä ti t den
d Gesamtnutzen
G t t für

den Konsumenten, der durch den Konsum des Gutes entsteht.
3. Das Dreieck zwischen der Nachfragekurve und der Preisgeraden zeigt den
Nettonutzen oder die Konsumentenrente des Konsumenten.

110
Volkswirtschaftslehre © Blaas

55
3.2. Verhalten der Konsumenten: näher an die Realität

Die neoklassische Theorie, so wie sie anhand des Modells des


Verbraucherverhaltens dargestellt wurde
wurde, hat eine Reihe von Defiziten
Defiziten, wenn
man das wirtschaftliche Verhalten von privaten Haushalten realitätsnäher
darstellen und analysieren will.

Wir befassen uns im Folgenden mit drei Aspekten:

1. Annahme g
gegebener
g Präferenzen
2. Annahme vollständiger Information
3. Fehlender sozialer Kontext

111
Volkswirtschaftslehre © Blaas

Präferenzen

Die neoklassische Mikroökonomie muß gegebene, unveränderliche und von


anderen Menschen und Aktivitäten unabhängige Präferenzen annehmen.

Das ist für viele Konsumgüter einfach nicht zutreffend: warum sollte das
Nachfrageverhalten einer Person nicht beeinflusst werden von dem seiner
Freunde und Bekannten, oder von den Werbeeinschaltungen der
Unternehmen?

Werbung ist der naheliegendste Aspekt, den man bei der Formierung der
Präferenzen zu bedenken hat
hat.

112
Volkswirtschaftslehre © Blaas

56
Werbung und das Problem sich verändernder Präferenzen

Betrachten wir folgendes Beispiel:

Angenommen Handys wären zunächst nur Geräte zum Telefonieren. Nun käme
eine neue Generation von Handys auf den Markt, mit denen man auch
fernsehen kann.
Die Person XY hat kein Interesse daran, mit dem Handy fernzusehen, aber die
neue Handygeneration ist ein absoluter Hit und alle Freunde und Bekannte von
XY kaufen nach und nach so ein Handy. Nachdem XY schon belächelt wird mit
seinem „alten
„alten“ Handy, kauft er schließlich auch ein neues, fernsehtaugliches.

Wie ist dieses Nachfrageverhalten nun zu beurteilen?

113
Volkswirtschaftslehre © Blaas

Das fundamentale Problem ist hier, dass nicht klar ist, ob die Präferenzen vor
oder nach der Präferenzänderung zur Einschätzung der Situation des
Konsumenten (bzgl. des Nutzens, der Befriedigung) herangezogen werden
sollen.

Denn aus der Sicht der ursprünglichen Präferenzen hat XY Geld für etwas
ausgegeben, das er gar nicht haben will, er ist also schlechter dran als vor dem
Kauf.
Aus der Sicht der neuen Präferenzen müssen wir folgern, dass XY irgendeinen
Vorteil bekommen hat für das Geld, das er ausgegeben hat.

Welche Präferenzen sind also die „vorherrschenden“ oder „wichtigeren“?

Die Problematik der Annahme gegebener Präferenzen wird noch komplexer,


wenn sich die Präferenzen aufgrund von Erfahrungen oder eines sich
ändernder sozialen Umfeldes laufend verändern.
114
Volkswirtschaftslehre © Blaas

57
Unvollständige und asymmetrische Information

Der „Lehrbuch-Konsument“ verfügt über vollständige Information, d.h. er kennt


nicht nur die Preise aller für ihn relevanten Güter, sondern auch deren Qualität
und sonstige Eigenschaften.
Leider stehen wir im wirklichen Leben häufig vor Situationen, in denen wir nicht
die volle Information über Güter haben. Der Normalfall ist daher nicht der der
vollständigen Information.

Ein wichtiger (weil häufig auftretender) Spezialfall ist der der sogenannten
„asymmetrischen Information“.
Beispiele:
• Gebauchtwagenmarkt
• Arbeitgeber – Arbeitnehmer
• Gläubiger – Schuldner
• Wohnungskauf/miete 115
Volkswirtschaftslehre © Blaas

Stiglitz (Nobelpreis 2001)

hat sich in seinen Forschungsarbeiten ausführlich mit Situationen der


Asymmetrischen Information befasst und gezeigt, dass eine derartige
Informationssituation ein Marktgleichgewicht auch bei vollkommen
flexiblen Preisen verhindern kann (Marktversagen).

Stiglitz vertritt daher die Auffassung, dass eine Weiterentwicklung der


ökonomischen Theorie von der neoklassichen Ökonomie zur
Informationsökonomie notwendig sei (Paradigmenewchsel) (AER 2002,
Nobel lecture).

Weiteres Beispiel zur Informationsproblematik:


genuine Unsicherheit über die Konsumoptionen

116
Volkswirtschaftslehre © Blaas

58
Der soziale Kontext, Kultur, Tradition(en)

Nicht nur die Werbung beeinflusst unsere Präferenzen. Wir sind soziale Wesen
und unsere Wünsche werden selbstverständlich auch geformt von dem, was
andere kaufen oder haben. Wir erleben daher auch eine gewisse Befriedigung
dadurch, dass wir ähnliche Dinge konsumieren wir andere, wie unsere Freunde
und Bekannten.

Das widerspricht diametral der neoklassischen Annahme, dass der Nutzen des
Konsums eines Gutes vollkommen unabhängig ist davon, was andere
konsumieren.

Tatsächlich bestehen aber Interdependenzen der Konsumentscheidungen der


verschiedenen Haushalte.

117
Volkswirtschaftslehre © Blaas

Man kann folgende Nachfrageinterdependenzen unterscheiden *) :

1) Der Mitläufer-Effekt (band wagon effect; Mode-Effekt)


2) Der Snob-Effekt
3) Der Veblen-Effekt (Prestige Effekt)

Der Mitläufer-Effekt (band wagon effect; Mode-Effekt):

der Haushalt schätzt ein Gut höher ein und fragt mehr davon
nach, wenn auch andere Haushalte das Gut konsumieren. Seine
Indifferenzkurven verschieben sich also mit der Folge einer
Bevorzugung des betrachteten Gutes, wenn die
Gesamtnachfrage-menge oder die Nachfragemenge einzelner
anderer Haushalte oder die Zahl der Konsumenten zunimmt. In
diesem Effekt kommt der Wunsch zum Ausdruck, mit dem Kauf
des Gutes es jener Gruppe von Leuten gleichzutun, zu der man
gezählt
ählt werden
d will.
ill Damit
D it lassen
l sich
i h auch
h wesentliche
tli h Aspekte
A kt
des Modeverhaltens erklären.

*) H. LEIBENSTEIN, Band-wagon, snob and Veblen effects in the theory of consumer's


demand. Qarterly Jornal of Economics, 64, 1950, S. 183 - 207. Wiederabgedruckt in :
E. und M. Streissler (Hrsg.), Konsum und Nachfrage. Köln - Berlin 1966; S. 231-255)

118
Volkswirtschaftslehre © Blaas

59
Der Snob-Effekt:

Ein Haushalt schätzt ein Gut weniger hoch ein und senkt seine
Nachfrage, wenn andere Haushalte das Gut konsumieren bzw.
verstärkt konsumieren. In diesem Effekt drückt sich das Streben
nach Exklusivität, nach Abhebung von der Masse aus.

Der Veblen-Effekt (Prestige Effekt):

Ein Haushalt misst einem Gut umso höheren Nutzen bei, je


höher der Preis des Gutes, den Nicht-Käufer vermuten.

Dieser Effekt wurde von VEBLEN herausgearbeitet, der


postulierte, dass in einer Gesellschaft, in der der soziale Rang
nach dem Reichtum bemessen wird, der Reiche im
demonstrativen Müßiggang
gg g leben muss und auffälligeng Konsum
(conspicuous consumption) betreiben muss.

119
Volkswirtschaftslehre © Blaas

3.3. Schlussfolgerungen

Die Anwendung des neoklassischen Lehrbuchmodells zur Erklärung des


Konsumverhaltens erfordert die Gültigkeit der Annahmen

• Gegebener, unveränderlicher Präferenzen, die individuell und unabhängig von


den Präferenzen anderer Personen sind

• Vollständiger Information

• Unabhängigkeit vom sozialen Kontext.

Eines der zentralen Probleme, das entstehen kann, wenn man z.B. die Annahme
der Unabhängigkeit der Präferenzen aufhebt, ist, dass es dann kein
Marktgleichgewicht (zwischen Angebot und Nachfrage) gibt (Marktversagen).

120
Volkswirtschaftslehre © Blaas

60
Ein allgemeineres (realistisches) Modell des privaten Haushaltes muss also
berücksichtigen:

• D
Dass d
das Individuum
I di id in
i eine
i soziale
i l und
d historische
hi t i h (kulturelle)
(k lt ll ) U
Umgebung
b
eingebettet ist

• "Rationalität" durch Unsicherheit und Informationsmangel reduziert sein kann

• Rationalität auch Gewohnheits- oder Routinehandlungen miteinschließt

121
Volkswirtschaftslehre © Blaas

3.4. Weiterentwicklungen:
Neue Haushaltsökonomie und institutionelle Ansätze

Die Kritik am traditionellen Modell der Theorie des Haushaltes hat zu


verschiedenen Theorieentwicklungen geführt, von denen hier zunächst die Neue
Haushaltsökonomie behandelt werden soll.

Der wesentliche Fortschritt gegenüber der traditionellen neoklassischen Theorie


des Haushalts ist, dass Nicht-Markt-Aktivitäten sowie der private, häusliche
Bereich in die ökonomische Analyse miteinbezogen werden (G. Becker).

Die Haushalts- und Familienaktivitäten werden drei sich partiell überlappenden


Bereichen
B i h zugeordnet
d t (Abbild
(Abbildung 33.12).
12)

122
Volkswirtschaftslehre © Blaas

61
Abbildung 3.20:

Reproduktive Arbeit Produktive Arbeit


Kinder Auf/Erziehen Hausarbeit,
Sozialisation etc. Einkaufen, Pflege

Freizeit/Unterhaltung

123
Volkswirtschaftslehre © Blaas

Die drei genannten Bereiche können zwar analytisch, nicht aber in der sozialen
Realität separiert werden. Ein Konzert- oder Theaterbesuch mit Sohn oder Tochter
kann zugleich Unterhaltung und auch Sozialisation und Wissensvermittlung sein,
also reproduktive Arbeit.

Das Modell von Becker erhebt nun den Anspruch, menschliche Aktivitäten oder
etwa auch die Arbeitsteilung im Haushalt zu erklären. Nehmen wir als Beispiel die
Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau. Die Argumentation in Beckers Modell
verläuft folgendermaßen:

In einem „effizienten“ Haushalt wird versucht, das gemeinsame


Haushaltseinkommen zu maximieren, und zwar dadurch, dass jeder entsprechend
seinen relativen Vorzügen und speziellen Fähigkeiten und Kenntnissen diese bei
der Einkommenserzielung einsetzt.

Ein rationaler Einsatz des Humankapitals führt daher (im Durchschnitt) dazu, dass
sich Frauen auf die (unbezahlte) Hausarbeit spezialisieren (oder einen höheren
Anteil an der Hausarbeit übernehmen) und die Männer auf die bezahlte markt-
entlohnte Arbeit. Und zwar deshalb, weil Männer im Durchschnitt bessere
Einkommenschancen haben als Frauen. Nach Becker ist diese Arbeitsteilung das
Ergebnis einer rationalen Einkommensmaximierungs-Strategie.

124
Volkswirtschaftslehre © Blaas

62
Wie ist nun dieses Modell, wie ist die Neue Haushaltsökonomie zu beurteilen?
Zunächst ist einmal positiv festzustellen, dass die Black Box des privaten
Haushaltes geöffnet wird und versucht wird, die Entscheidungsstrukturen innerhalb
des Haushaltes zu thematisieren und auch die vielen nicht-markt-vermittelten
Tätigkeiten, die jedoch auch von wirtschaftlicher Relevanz sind, zu analysieren.
Darin kann ein Fortschritt gesehen werden.
Andererseits muss festgehalten
g werden,, dass die für die konventionelle
neoklassische Theorie des Haushaltes gültige Kritik auch hier relevant bleibt:
– es muss weiterhin angenommen werden, dass die Familienmitglieder stabile
Präferenzen besitzen, die sich nicht gegenseitig beeinflussen (separate
Individuen).
– Weiters muss angenommen werden, dass die Familienmitglieder auch
insoferne separate Individuen sind, als es keine Synergien der
Zusammenarbeit gibt, oder umgekehrt, keine gegenseitigen Behinderungen
bei Lern- oder anderen wirtschaftlich relevanten Tätigkeiten.
– Schließlich bleibt auch der grundsätzliche Kritikpunkt bestehen, dass
Unsicherheit und mangelhaftes Wissen gar nicht oder unzureichend
berücksichtigt wird, und
– weiters, dass im Haushaltsverband (wie auch in anderen Zusammenhängen)
nicht nur monetäre Remunerationen eine Rolle spielen.

125
Volkswirtschaftslehre © Blaas

Zu diesen beiden letzteren Kritikpunkten folgende Beispiele:

1. Betrachten wir zunächst das oben angesprochene Problem der Arbeitsteilung


der Geschlechter.

Wichtig ist hier zu sehen, dass solche Entscheidungen


((a)) nicht nur nach Überlegungen
g g eines g gemeinsamen
Einkommensmaximierungskalküls erfolgen, sondern auch von
Machtverteilung, kulturellen Bedingungen etc. geprägt sein können;
(b) dass neben monetären Remunerationen auch andere Arten von
„Belohnungen“ eine Rolle spielen.

So wird das Aufziehen der Kinder, das Leben mit Kindern durch vielfache
freudvolle Momente belohnt, die viele Männer nicht (in dem Maße) erleben.
Andererseits sind damit zahlreiche repetitive und uninteressante Tätigkeiten
verbunden.

Weiters stellt sich die Frage, wie die Gesellschaft eine Person betrachtet, die
„nur“ Hausfrau oder Hausmann ist, und ob es dafür z.B. eine imagemäßige
Bestrafung gibt, für den oder die im Berufsleben befindliche(n) aber eine
soziale Achtung.

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Volkswirtschaftslehre © Blaas

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2. Nehmen wird als weiteres Beispiel das Vorhaben einer Familie, ein Haus zu
bauen (z.B. in Hinterholz Nr. 8).
– Können zum Zeitpunkt eines solchen Entschlusses alle möglichen und
denkbaren Kosten, die im Laufe des Grundstücksankaufes, der
Erschließung, des Hausbaus etc. auftreten, wirklich verlässlich
abgeschätzt werden?
– Können Änderungen der Finanzierungskosten (z
(z.B.
B Zinssatzanhebungen)
vorhergesehen werden?
Man sieht, dass solche Entscheidungen oft – nicht nur im Falle von Hinterholz
8 – ohne ausreichende Informationsgrundlagen getroffen werden, sozusagen
„aus dem Bauch heraus“.
Weiters zeigt das Beispiel, dass Entscheidungen einander bedingen und für
gewöhnlich irreversibel sind. So stellt sich z.B. erst beim Aushub des Kellers
heraus, dass Drainage-Arbeiten notwendig sind und dass die ursprünglich
geplante Bauweise wegen hoher Bodenfeuchtigkeit geändert werden muss.
Oder: das Haus ist endlich fertig, mit zwei Kinderzimmern, da kommt es zu
einer familiären Krise und Trennung.
Oder es treten externe unvorhergesehene Ereignisse ein, wie etwa der Bau
eine Straße in der Nähe, womit die Wohnqualität vielleicht entscheidend
reduziert wird.

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Volkswirtschaftslehre © Blaas

Wie kommt es dann aber, dass trotz all dieser Unwägbarkeiten Menschen sich
trotzdem in ein solches Abenteuer stürzen?

Im konventionellen Modell ist ein klares und eindeutiges Kalkül möglich, das eine
Gegenüberstellung von Kosten und Nutzen erlaubt und eine „rationale“
Entscheidungsfindung ermöglicht.
Es vernachlässigt aber die Tatsache, dass mit einer wirtschaftlichen Entscheidung
oder Aktivität eine direkte Befriedigung oder auch Belastung (dis-satisfaction)
einher gehen kann.
Es gibt z.B. Männer, die gerne basteln, und für die das Hausbauen daher per se
eine befriedigende und nutzenstiftende Tätigkeit ist.

D.h. wir müssen, wenn wir Haushalts-Aktivitäten und Entscheidungen wirklich


erklären wollen, den Netto
Netto-Vorteil
Vorteil (Netto
(Netto-Nutzen)
Nutzen) einer Aktivität betrachten
(A. Smith). Dieser äußerst sich nicht nur in monetären und monetarisierbaren
Werten, sondern auch in psychischen und sozialen „Einkommen“ (Arbeitsfreude,
Prestige, Anerkennung).

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Institutionelle Ansätze

Die institutionellen Ansätze gehen weit über das enge neoklassische Modell der
Nutzenmaximierung hinaus.1) Zwei Aspekte sollen hier kurz besprochen werden:

1.Zum einen werden die Präferenzen (aber auch alle anderen


Ausstattungskategorien) des Haushalts als endogen betrachtet, also beeinflusst
und geformt durch das, was wir im Kapitel 2 „Institutionelle
Rahmenbedingungen“ genannt haben.

Die Präferenzen und damit die Konsumentscheidungen sind also keine


ausschließlich auf das Individuum zurückführbare, nicht weiter erklärbare
subjektive Gegebenheiten, sondern von Kultur, Gesellschaft, Recht etc. ko-
determinierte Voraussetzungen des Konsumverhaltens.

1) Die Ausführungen dieses Abschnittes basieren auf S. Himmelweit et al., Microeconomics. The Open University,
reprinted 2006. Die instituionelle Schule umfasst ein breites Spektrum unterschiedlicher Konzepte, die hier nicht in
ihrer Gesamtheit dargestellt werden können. Einen Überblick gibt z.B. M. Rutherford, Institutions in Economics: The
Old and the New Institutionalism. Cambridge Univ Press, Reprint Juli 1996. Im Vordergrund steht hier der auf Th.
Veblen zurückgehende („old“) Institutionalismus, der in den USA tradiert wurde, vor allem aber in Europa neu
aufgegriffen und weiterentwickelt wurde (insbesondere durch die European Association for Evolutionary Political
Economy; EAEPE).

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Das hat weitreichende Konsequenzen, z.B. in der Weise, dass es die (oben
schon behandelten)

Nachfrageinterdependenzen

geben kann. Wenn das der Fall ist, ist aber die Bedingung der Unabhängigkeit
individueller Präferenzen verletzt und damit eine Voraussetzung für die
Existenz eines Marktgleichgewichtes (im neoklassischen Modell)
Modell).

Ganz allgemein ergibt sich damit die Möglichkeit, aber auch die Notwendigkeit,
Unterschiede im Konsumverhalten aus kulturellen, ethnischen,
gesellschaftlichen Bedingungen in gegebenen historischen Phasen zu erklären.

Anders ausgedrückt: die Erklärung von Konsumentscheidungen (oder anderen


wirtschaftlich relevanten Entscheidungen des Haushalts) erfordert eine
interdisziplinären Kooperation von Ökonomie, Soziologie,
Wirtschaftsgeschichte, etc.

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2. Zum zweiten gehen institutionelle Theorien davon aus, dass das
Rationalitätskonzept der Neoklassik nur einen (mehr oder wenig kleinen) Teil
der Konsumentscheidungen erfassen kann und dass daher ein umfassenderes
Rationalitätskonzept notwendig ist.

Nach Max Weber kann man unterscheiden zwischen

formaler Rationalität und substantieller Rationalität.

Formale Rationalität kann weitestgehend in Zahlen und berechenbaren


Größen dargestellt werden (wie das neoklassische Modell der
Nutzenmaximierung).

Substantielle Rationalität bezeichnet dagegen (in diesem Kontext) die


Tatsache, dass Konsumentscheidungen letztlich durch gesellschaftliche Werte
und Normen beeinflusst werden. Es geht also nicht um eine kalkulierbare
maximale Zielerreichung, sondern es kommen ethische, politische, feudale,
egalitäre, etc. Wertvorstellungen zu Tragen.

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Resümee

Im Gegensatz zur Neoklassik gibt es (bisher) keine geschlossenen


analytischen Modelle der institutionellen Schule zur Erklärung wirtschaftlicher
Aktivitäten des privaten Haushalts.

Einerseits ist dies darauf zurückzuführen, dass es sich hier um ein stark in
Entwicklung begriffenes Forschungsgebiet der Ökonomie (Stichwort:
Experimentelle Ökonomie) handelt und daher abgeschlossene Modelle noch
nicht zur Verfügung stehen

Andererseits liegt es nahe zu vermuten, dass aufgrund der wesentlich höheren


Komplexität institutioneller Theorieansätze es sein kann, dass analytisch
geschlossene Modelle nicht existieren und dass man deshalb auf andere
Forschungsstrategien (z.B. Simulationsmodell-Techniken) zurückgreifen muß.

Für die Praxis mikroökonomischer Analysen von Haushaltsentscheidungen


bedeutet dies, dass man nach wie vor mit dem Instrumentarium neoklassischer
Modelle, erweitert und ergänzt durch institutionell Konzepte, wird arbeiten
müssen.

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3.5. Elastizitäten

Das traditionelle mikroökonomische Modell des privaten Haushalts bietet zwar eine
geschlossene Theorie des Konsumverhaltens, hat aber einen gravierenden Nachteil:

Es ist nicht möglich, den Nutzen empirisch zu messen bzw. zu quantifizieren. Der
N t
Nutzen iistt grundsätzlich
d ät li h eine
i subjektive
bj kti EiEinschätzung
hät d A
des Ausmaßes
ß der
d
Befriedigung eines Bedürfnisses durch den Konsum eines Gutes. Daher ist es auch
nicht möglich, den Konsum zweier Personen zu addieren (oder zu subtrahieren).

In der ökonomischen Theorie hat man auf verschiedene Weise versucht, diesem
Problem zu entkommen, z.B. durch die Annahme eines „repräsentativen
Konsumenten“, dem dann eine ganz bestimmte Nutzenfunktion unterstellt wurde.
Aber alle diese Versuche haben nicht zu wirklich brauchbaren und befriedigenden
Modellen geführt.

In der Praxis der ökonomischen Analyse sind andere Wege gegangen worden. Für
die Nachfrageanalyse z.B. kann man das Konzept der Elastizität heranziehen.
Beispiel: Bahntarife für Schnellzugverbindungen.

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Der Elastizitätsbegriff, den Alfred Marshall (Principle of Economics. London


1898. 8. Aufl. New York 1920; 3. Buch, 4. Kapitel) in die Wirtschaftswissenschaft
einführte, ist wichtiges Instrument der theoretischen und praktischen
ökonomischen Analyse.

Elastizitäten als Grundinstrument quantitativer Analyse

Den Ökonomen interessieren die Größenverhältnisse von Ursachen und


Wirkungen.
Wie drückt man in einem ökonomischen Zusammenhang Ausmaß und Richtung
der Auswirkung(en) einer Ursachengröße aus?

Die Antwort auf diese Frage kann unter zwei verschiedenen Bedingungen
gegeben werden:
1) wenn die
di Auswirkung
A ik lediglich
l di li h auff di
die unmittelbar
itt lb beeinflusste
b i fl t GGröße
öß
interessiert (z.B. Mengenwirkung einer Preisveränderung auf einen Markt);
2) wenn darüberhinaus auch alle anderen Auswirkungen in Summe
interessieren, sodass auch die mittelbaren Wirkungen der Ursache erfasst
werden.

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Das übliche analytische Instrument zur Behandlung der ersten Frage ist die
Elastizität.

Zur Untersuchung der zweiten Frage (die überwiegend makroökonomische


Zusammenhänge betrifft) bedient man sich des Konzeptes des Multiplikators.

Definition: Eine Elastizität drückt die relative (prozentuelle) Änderung einer


ökonomischen Größe aus, die durch die relative (prozentuelle)
Veränderung einer anderen ökonomischen Größe verursacht wird.
Mathematisch ausgedrückt bedeutet die Elastizität das Verhältnis der
prozentuellen Veränderung der Wirkungsgröße zur prozentuellen
Veränderung der Ursachengröße:

dw du ......Elastizität
 = : w.....Wirkungsgröße
w u
u......Ursachengröße
Die Variable w steht dabei für die Wirkungsgröße, die Variable u für die
Ursachengröße. (Eine andere Schreibweise wäre = d log(w)/d log(u)).

 Elastizitäten sind somit dimensionslose, maßstabunabhängige Größen


(Vorteil bei Vergleichen etc.).

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Arten von Elastizitäten

Die Preiselastizität der Nachfrage ist die relative Veränderung der


Nachfragemenge q eines Gutes im Verhältnis zur relativen Preisänderung
desselben Gutes (Preis des Gutes: p).

Dabei werden die anderen Preise und das Einkommen als konstant angenommen
(Ceteris Paribus-Klausel):

dq dp ......Elastizität
 = : q..... (Nachfrage-) Menge
q p
p......Preis

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 Im Regelfall ist diese Preiselastizität (auch direkte Preiselastizität oder
Eigenpreiselastizität genannt) negativ:
Die Nachfrage nach einem Gut sinkt bei steigendem Preis desselben.

Man spricht von einer elastischen Nachfrage,


g wenn eine Preisänderung
g von 1 %
eine Änderung der Nachfragemenge um mehr als 1 % bewirkt:
|| > 1

Im Grenzfall könnte die Nachfrage vollkommen oder unendlich elastisch werden:


|| = unendlich.

Eine Preisänderung von 1 % bewirkt eine unendlich große Mengenveränderung.

Praktisch würde das bedeuten


bedeuten, dass ein Gut typischerweise einen einzigen Preis
hat: fällt der Preis, steigt die Nachfrage ins Unermessliche; steigt er, sinkt sie auf
Null. Im Modell der reinen Konkurrenz wird die Annahme getroffen, dass sich der
einzelne Konkurrenzunternehmer einer solchen Nachfragekurve gegenübersieht.

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Von unelastischer Nachfrage wird dann gesprochen, wenn eine Preisänderung von
1 % eine Änderung der Nachfragemenge von weiniger als 1% bewirkt:
|| < 1

Im Grenzfall könnte die Nachfrage vollkommen unelastisch oder starr werden:


|| = 0
Eine Preisveränderung bewirkt dann keine Änderung der Nachfragemenge.

Beispiel: wissenschaftliche Publikation


amtliche Publikationen.

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Beispiel:

Die Nachfrage nach Gut 1 (= q1 ) sei abhängig vom Preis des Gutes 1 (p1) und vom
Preis des Gutes 2 (p2):

Nachfragefunktion q1 = f(p1, p2) = 10 – p1 + p22

Weiters sei p1 = 20 und p2 =10

Dann ist q1 = 10 – 20 + 100 = 90

Eigenpreiselastizität 1 :

p1 q1
1  . => 1 
p1
.((1)
q1 p1 q1

Somit ist die Eigenpreiselastizität 1 = -20/90 = - 0,22

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Die Kreuzpreiselastizität (auch: indirekte Preiselastizität) bezieht die Veränderung


in der nachgefragten Menge q1 eines Gutes 1 auf die Preisänderung eines
anderen Gutes 2 (p2):
dq1 dp2
 = :
q1 p2
Beispiel:

(Angaben wie oben): Nachfragefunktion q1 = f(p1, p2) = 10 – p1 + p22

p1 = 20 und p2 =10, daher q1 = 10 – 20 + 100 = 90

Kreuzpreiselastizität 2 :

p2 q1 p2 p2
2  . => 2  .2 p 2  2 2
q1 p2 q1 q1

Somit ist die Kreuzpreiselastizität 2 = 2.100/90 = 2,22

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Im Bezug auf die Kreuzpreiselastizitäten können drei Gruppen von Güter
unterschieden werden:

1) komplementäre Güter:
das betrachte Gut ist in seinem Verbrauch an den eines anderen
gekoppelt
g pp ((Auto - Benzin); ) die Kreuzpreiselastizität
p für ein
komplementäres Gut ist negativ (wenn der Benzinpreis steigt, wird der
Autogebrauch eingeschränkt).

2) substitutive Güter:
das betrachtete Gut kann als Ersatz für ein anderes konsumiert werden
(Butter - Margarine); die Kreuzpreiselastizität ist in diesem Falle positiv,
denn die Preis- und Mengenänderungen bewegen sich hier in dieselbe
Richtung (wenn der Butterpreis steigt, steigt die Nachfrage nach
Margarine).

3) unverbundene Güter:
sind solche, deren Verbrauch voneinander unabhängig ist (Käse – Tabak).
Die Kreuzpreiselastizitäten sind für solche Güter null.

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Die Einkommenselastizität der Nachfrage gibt die relative Veränderung der


Nachfragemenge bei relativer Veränderung des Einkommens y des Haushaltes an:

dqi dy ......Elastizität
 = : qi.....(Nachfrage-) Menge nach Gut i
qi y
y......Einkommen

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Auch in Bezug auf die Einkommenselastizitäten kann man drei Gruppen von Güter
unterscheiden.

1) Im allgemeinen ist die Einkommenselastizität positiv, d.h. dass bei einem


Ansteigen des Einkommens von einem Gut mehr nachgefragt wird (und
umgekehrt).
g ) "Normale" oder "superiore"
p Güter.

2) In Ausnahmefällen ist die Einkommenselastizität der Nachfrage negativ,


d.h. dass gewisse Güter mit steigendem Einkommen weniger nachgefragt
werden. Diese Güter werden inferiore Güter genannt. Das trifft z.B. auf
einzelne Grundnahrungsmittel oder auch auf schlecht ausgestattete
Wohnungen zu.

3) Eine dritte, sehr kleine Gruppe von Güter sind die einkommens-
unabhängigen Güter (Einkommenselastizität null). Sie "müssen"
gewissermaßen in einem bestimmten Umfang
g g konsumiert werden ((Salz,,
Zündhölzer).

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Ebenso wie bei den Preiselastizitäten sprechen wir hier von


einkommenselastischer Nachfrage, wenn eine Einkommenssteigerung von 1 %
eine Veränderung der Nachfragemenge von mehr als 1 % bewirkt und von einer
einkommensunelastischen Nachfrage, wenn die bewirkte Veränderung kleiner als 1
% ist.

Beispiel:
Einkommenselastizität der Nachfrage nach verschiedenen Gütergruppen.

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Empirische Beispiele:

Einkommenselastizitäten 1974 und 1984


Q: WIFO Monatsberichte 2/89
1974 1984
Ernährung 0,36 0,43
Tabakwaren 0,68 0,72
Wohnung 1,29 1,34
Beheizung Beleuchtung 0,86 1,01
Einrichtung, Hausrat 2,45 1,49
Bekleidung 1,35 1,16
Körper- u. Gesundheitspflege 0,95 1,04
Bildung, Erholung 1,47 1,33
Verkehr 1,69 1,50

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Preiselastizitäten 2000

2000
Nahrungsmittel u. Getränke -0,03
Tabakwaren -0,07
Kleidung -2,24
Wohnen -1,09
Körper- u. Gesundheitspflege -0,43
Verkehr u. Nachrichten -0,63
Bildung, Erholung -1,61
Q: Blaas/Sieber, Schätzung von direkten Preis-, Kreuzpreis-
und Einkommenelastizitäten.
Endbericht eines Forschungsprojektes im Auftrag des Verbandes
der Getränkehersteller. Wien 2000

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Literatur
Bofinger, P. Grundzüge der Volkswirtschaftslehre. 2. Auflage, Pearson Studium, München 2007
Hill, R., Myatt, T. (2010), The economics anti-textbook. A critical thinker‘s guide to microeconomics. Zed
Books, London
Himmelweit, S., Simonetti, R., Trigg, A., Microeconomics. Neoclassical and Institutionalist Perspectives
on Economic Behaviour. Thomson, The Open University. Reprinted 2006
Schumann, J., Grundzüge der mikroökonomischen Theorie. Springer- Verlag, Berlin Heidelberg New
York 1980

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