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25
EDMUND HUSSERL
herausgegeben von
ROMANINGARDEN
herausgegeben von
ROMANINGARDEN
ROMAN INGARDEN
Meine Erinnerungen an Edmund Husserl S. 106
Erläuterungen zu den Briefen Husserls S. 136
I
EDMUND HUSSERL
11
III
I3. I I. I 7
Lieber Herr Ingarden!
Ich habe keine Zeit, Ihnen jetzt zu schreiben. Nachrichten
ev. durch Frl. Stein! Ihr Lob habe ich dick unterstrichen. Na,
Sie sind bescheiden, u. es wird Ihnen nicht zu Kopf steigen.
Arbeiten Sie nur brav weiter und schonen Sie Ihre Gesundheit.
Für Ihre Briefe vielen Dank. Empfehlen Sie mich bitte Ihrem
Herrn Vater.
Ihr E.H.
IV
so bitte ich Sie, mir das rechtzeitig mitzutheilen, damit ich ihn
über Ihre Persönlichkeit und über das, was ich Ihnen wissen-
schaftlich zutraue, orientieren kann 1.
Ihre schöne Bergsonarbeit machen Sie bitte fertig, ich habe
ja die Absicht, sie, wenn sie wohlgerundet ist, in mein Jahrbuch
aufzunehmen.
Ihren Herrn Vater, dessen freundlichen Gruß ich bestens
erwidere, bitte ich um Entschuldigung, wegen der Unruhe, die
ich mit meiner Empfehlung des Herrn Prof. Thiersch verursacht
habe (und dasselbe gilt auch für Sie). Wahrscheinlich hat Prof.
Th. sogleich von seiten seines Krakauer Fachkollegen und der
Galleriedirektion so große Förderung gefunden, daß er seiner
Absicht schnell genugthun und nach Kopenhagen abreisen
konnte, ohne der gütigen Beihilfe Ihres Herrn Vaters zu bedür-
fen. Nur schade, daß Sie beide ihn nicht kennen lernen konnten:
denn er ist ein Mann von besonderer Art, eine der edelsten Per-
sönlichkeiten, die ich kenne.
Mir geht es gut, und ich bin wieder in guter Arbeit, über die
ich Ihnen hoffentlich persönlich berichten kann.
Ich grüße Sie herzlich und freundschaftlich, und meine Frau
sendet auch einen fr. Gruss.
Ihr alter
E. Husserl
VI
dem Bilde von Matejko, weil er nun seit vielen Wochen in großer
Arbeit ist u. vor unserer Heimkehr zu Semesteranfang die Haupt-
sache gedanklich erledigen möchte. Bernau hat sich wieder sehr
bewährt, mein Mann sieht geradezu glänzend aus u. war die
ganze Zeit (wir sind seit 1. Febr. hier) in ganz ausgezeichneter
Disposition, so daß er täglich über 9 Stunden schöpferisch ar-
beiten konnte 2. Wir hatten auch besonderes Glück, eine so
ruhige bequeme Unterkunft in dieser herrlichen Landschaft zu
finden, so weit ab von der aufregenden Unrast der Gegenwart.
Auch das Wetter war uns hold, wunderbarer Schnee, viel Sonne
und kaum Regen. So werden wir schwer von hier scheiden. Aber
Ende April ruft die Pflicht nach Freiburg.
Mein Mann freut sich sehr über Ihre erneute Arbeitsfreudig-
keit, die sich in Plänen für die Fortführung Ihrer Dissertation
und in solchen zu neuen Arbeiten entfaltet, ebenso wie in den
wissenschaftlichen Discussionen, die Sie in Krakau organisieren.
Daß Frl. Stein Ihnen sprachlich zur Seite stehen wird, daran ist
ja nicht zu zweifeln. Wir wissen noch nicht, ob sie diesen Sommer
nach Freiburg kommt oder in Breslau bleibt, da sie sich z.D.
stellen ließ, um die Bewegungsarbeit von Reinach u. vielleicht
auch eine eigene herauszubringen. Sowie Ihre Dissertation fertig
ist, will mein Mann sich bemühen, daß sie gleich gedruckt wird
und Ihnen die nötigen Exemplare zur Verfügung stehen; womit
dann die letzte Station für den Doktortitel erreicht ist.
Die Hauptsache ist, lieber Herr Doctor, daß Sie gesund u.
leistungsfähig bleiben. Regen Sie sich über nichts auf und geben
Sie sich ganz Ihren Gedanken hin. Man muß in dieser schweren,
schicksalsvollen Zeit einen Eisenpanzer um sein Herz legen,
damit es nicht erliegt.
Ich habe hier in Bernau Zeit und Ruhe gehabt, und es war
mein erstes, das großartige Werk von Reymont, das Sie uns zu
Weihnachten schenkten, zu lesen. Ich muß sagen, daß mir dieses
Buch einen ungemein tiefen Eindruck gemacht hat. Die innige
Verflochtenheit des polnischen Dorfes mit der Natur, die Un-
ablösbarkeit des bäuerlichen Lebens vom Boden, Wetter, Jahres-
zeiten, von all dem Geschehen des Naturverlaufes ist mit gran-
dioser Kunst und poesievoller Eindringlichkeit dargestellt. Dabei
ist eine Spannung über das Ganze ausgegossen, die hinreißend
ist. Ich werde vielen einen seltenen Genuß bereiten, wenn ich sie
BRIEFE VON HUSSERL 9
veranlasse, dieses Werk zu lesen. Mein Mann wird, bis er zu einer
Arbeitspause gelangt, es sicher zur Hand nehmen.
Nun noch viele herzliche Grüße und gute Wünsche für die
Fortführung Ihrer Arbeiten.
Malvine Husserl
VII
VIII
es sei denn auf den Schwingen der Ideen, u. das fühlen eigentlich
alle, das ganze Volk. Hoffentlich entwickeln sich auch die Ver-
hältnisse in Ihrer Nation zu Ihrem wahren Segen u. im idealen
Sinne. Es wäre ein unseliger Anachronismus, wenn im neuen Po-
len machtpolitische und chauvinistische After-Ideale die bestim-
menden u. bei der Neugeburt des staatlich consolidierten natio-
nalen Lebens Gevatter stehen würden. Ich denke, daß das neue
Deutschland u. das neue Polen in guter Nachbarschaft u. hoffent-
lich bald in Freundschaft leben können u. leben werden.
Sehr erfreut es mich zu hören, daß Sie in so fruchtbarer Arbeit
sind. Ihre Doktorarbeit haben Sie wohl sachlich und sprachlich
sehr sorgfältig überarbeitet. Es liegt mir viel daran, daß Sie sich
im Jahrbuch u. in der phänomenol. interessierten Welt gut ein-
führen. Sehr zu begrüßen ist der Antrag Prof. Twardowski's. Nun
haben Sie die Möglichkeit, dem poln. philos. Publikum klar zu
machen, was die phänomenol. Bewegung eigenthümlich Neues
erstrebt u. daß dies das unum necessarium ist. Sehr dankbar
wäre ich Ihnen, wenn Sie dabei blieben, wie früher besprochen,
die VI. der Logischen Unter[suchungen] für mich durchzugehen u.
die nötigen terminologischen u. sachlichen Angleichungen an
die 5 Untersuchungen der 2. Auflage zu vollziehen. Sie würden
sich vielen Dank damit erwerben u. mir den Neudruck im J. 1919
ermöglichen. Sprachen Sie nicht auch davon, daß Sie Materialien
zu einem Index für die Ideen I gesammelt hätten? Frl. Walther
hat in den Sommerferien für einen Index gearbeitet, u. Herr
Clauss wollte auch mithelfen.
Fräulein Stein ist, um in diesen bewegten u. aufgeregten Zeiten
Ihrer alten Mutter näher zu sein, nach Breslau übersiedelt. Wie
sehr fehlen mir nun die Anregungen im Verkehr mit älteren
Schülern! Wie schade, daß wir uns über Ihre sicherlich schönen
philos. Themen nicht hier persönlich unterhalten können!
Nun lassen Sie es sich weiter wohlergeben. überspannen Sie
nicht Ihre Kräfte u. erhalten Sie sich die Freudigkeit in der
phänom[enologischen] Arbeit.
Herzlichst grüßt Sie Ihr alter Lehrer
IX
x
18. Juli 20. Freiburg
Lieber Herr Doktor!
Soeben erhalte ich Ihren Brief, das Msc. der Bergsonschrift ist
vor kurzem auch eingetroffen. Ich konnte nicht hineinsehen. Wie
wir es redaktionell behandeln werden, weiß ich noch nicht, ver-
mutlich wird es Dr. Heidegger übernehmen. Jetzt giebts geradezu
tolle Arbeit. Es ist hier ein Phänomenologenkreis beisammen, der
selbst die besten G[ötting]er Zeiten hinter sich zurückläßt. Und
welche hingebende Arbeit, welcher Eifer! Meine Adresse von An-
fang August an: St Märgen b/Freiburg LB., bei Fräulein Schlegel.
Erholen Sie sich nun gut u. schreiben Sie uns ausführlich über
Ihr Ergehen. Der herzlichen, unveränderten freundschaftl. An-
theilnahme können Sie sicher sein. Helfen Sie mit, eine geistige
Welt aufzubauen. Ihr alter und auf Sie stets rechnender
Prof. Dr. E. Husserl
Freiburg i.B., Lorettostr. 40
Grüssen Sie bitte Herrn Rosenblum. Wie geht es ihm? Das
Jahrbuch ist im Druck.
XI
XII
die Gratulation so lange hinaus, bis ich heute den ruhigen Sonn-
tagnachmittag festhalte, um das Versäumte für mich und vorläu-
fig auch für meinen Mann nachzuholen. Er ist mit Arbeit so
überlastet, daß er seine gesamte Correspondenz unerledigt lassen
oder in meine Hände legen muß. In diesem Semester liest er Logik
u. hält 2-erlei Übungen. Die Logik ist aber keine Spur des ehema-
ligen Collegs, sondern ist eine transzendentale Logik 8, eine Kritik
der Vernunft. Die Frucht der langjährigen Arbeit wird vorgetra-
gen, u. Sie können sich denken, welche unendliche Mühe es macht,
so auf den ersten Anhieb diese schwierigsten aller Gedanken zu
gestalten. Es gelingt sehr gut, und trotz aller Gedankenschwere
halten die Hörer mit Interesse aus.
Zu dieser intensiven Thätigkeit kommt noch der ganze Wust
der Amtsgeschäfte, eine Habilitation etc. Kurz, ich ersehne schon
die Weinachtsferien, damit mein Mann etwas Luft bekommt.
Zum Glück hat der lange (ro 1 /2 wöchentliche) Aufenthalt in St.
Märgen meinem Manne ordentliche Kräfte zugeführt 9, sonst
könnte er die Arbeitslast nicht aushalten.
Unsere Tochter ist dieses Semester wieder in München. Da-
gegen haben wir den Gerhart zu Hause. Er hat im Sommer sein
mündliches Doktorexamen gemacht u. ist jetzt für 1/ 2 Jahr dem
hiesigen Landgericht zugeteilt. Die schriftliche Doktorarbeit
wird demnächst fertig. Wie er seine Zukunft gestalten wird, ob er
sich habilitiert oder die Beamtenlaufbahn einschlägt, ist noch un-
entschieden.
Von Ihren alten Bekannten ist wol nur Fritz Kaufmann hier.
Frl. Stein ist in Breslau u. hält Vorlesungen an der Volkshoch-
schule. Eine große Arbeit erscheint im nächsten Jahrbuch. Der
Druck des gegenwärtigen Bandes ist bereits abgeschlossen. Er
enthält Geiger, Pfänder (Logik, ein sehr großes Ding) u. eine
kleine Arbeit von Hering (über Wesen und Wesenheit), der uns
übrigens im Sommer in St. Märgen besucht hat. Er ist sous-direc-
teur an einem College theologique in Paris u. sieht viel kräftiger
aus als früher. Ihre Arbeiten sollen auch ins nächste Jahrbuch,
sie befinden sich bei Prof. Pfänder, der dann wol auch mit die
Correktur lesen wird. Ich adressiere diesen Brief nach Krakau, er
wird Ihnen eventuell nachgeschickt werden.
Mit herzlichen Grüssen, auch an Ihre liebe Frau.
Ihre Malvine Husserl
BRIEFE VON HUSSERL 17
XIII
XIV
xv
Freiburg, 20. 6. 21
XVI
St Märgen, 6. VIII. 21
XVII
Freiburg, 25. XI. 21
Lieber Freund!
Es ist mir schon versagt, Ihnen einmal ausführlich schreiben zu
dürfen u. ich hätte so sehr das Bedürfniss, gerade mit Ihnen, den
ich zu meinen nächsten Freunden zähle, mich auszusprechen.
Ihre Briefe erfreuen mich und auch meine Frau ganz außerordent-
lich. Alles, was Sie von Ihren Arbeiten, Plänen (von Ihrem Leben
schreiben Sie leider zu wenig, nichts darüber, wie es mit dem
Schuldienst geht) schreiben, interessiert mich lebhaft. Gerne
22 BRIEFE VON HUSSERL
nehme ich für das Jahrb. VI jede Ihrer Arbeiten - Sie wissen
selbst, wie groß die Anforderungen sind, die wir an dieser Stelle
erfüllen müssen, u. thun gewiß Ihr Bestes. Msc. senden Sie bitte,
sobald fertig u. genau durchgearbeitet, an Prof. Pfänder, der jetzt
der eigen tl. geschäftsführende Redacteur ist.
Wir gratulieren Ihnen u. Ihrer Gemahlin herzlich zu Ihrem
z-ten Sohne. Möge er zu einem rechten, reinen Menschen erwach-
sen, daß die neue Welt, der er einmal angehört, eine schönere u.
bessere sei. Interessiert sich Ihre Gemahlin auch f. Philosophie?
Gerne würden wir sie kennenlernen. Aber wann können Sie ein-
mal herkommen?! Ich hätte viel zu erzählen: ich habe große
Fortschritte gemacht u. habe seit Ihrer Abreise gar viel gearbei-
tet. Ich arbeite jetzt seit einigen Monaten meine allzu großen
Msc. durch u. plane ein großes system. Werk, das von unten auf-
bauend als Grundwerk der Ph[änomenologie] dienen könnte 14.
In diesem Sem. lese ich ein bloß z-stünd. Colleg u. dazu Seminar:
So habe ich freiere Arme für die Arbeit. Im Seminar wieder viele
sehr fortgeschrittene, u. z. Theil fertige junge Philosophen. Sogar
3 japanische Dozenten (von je einer der 3 jap. Universitäten) sind
hier, für mindest I Jahr, um sich in Ph[änomenologie] auszubil-
den. Die Collegs muß ich in den großen Hörsälen (meist im größ-
ten) halten, trotzdem habe ich wieder die disput. Form einge-
führt. Was Sie von Frl. Stein schrieben, hat mich betrübt - mir
selbst schrieb sie nicht. Es ist leider eine große Übertrittsbewe-
gung - ein Zeichen des inneren Elends in den Seelen. Ein echter
Ph[ilosoph] kann nur frei sein: das Wesen der Ph [ilosophie] ist
radikalste Autonomie; ganz in Ihrem Sinne. Sie erhalten von
Niemeyer Jahrb. V, aus der Bellstiftung f. d. Ph[ilosophie] in mei-
nem Auftrage. Ich habe für Sie auch ein höheres Honorar erbeten,
vielleicht setze ich's durch. Soeben kommt Dr. Heidegger (der
eine schöne Wirksamkeit hat), einen Gruß von ihm!
Herzlichst
Ihr E. Husserl
Vorderseite der Briefkarte Husserls an Roman Ingarden vom 14. Dezember 1922
(Nr. XVIII).
BRIEFE VON HUSSERL 23
XVII
Lieber Freund!
Denken Sie sich, Ihr l[ieber] Brief kommt gerade 2 Stunden
vor der Weihnachtsbescherung, als schöne W-freude, am Abend
lese ich ihn meiner Frau vor, Sie wissen, wie sehr sie Sie ins Herz
geschlossen hat. Sie wird sich, wie ich, freuen. Vielen Dank f. Ihre
ausführl. Mittheilungen über Ihr leider recht erschwertes Le-
ben 15. Seien Sie aber mit Ihrer l[ieben] Frau nur guts Muts. Sie
haben es doch relativ gut in trüber Zeit u. haben den festesten
Ankergrund in Ihrer 3Loc&e;cHC;; auf die letzten idealen Werte u. im
Willen, reiner Humanitas zum Durchbruch zu verhelfen. Dem
gilt unsere Ph. * u. unser ganzes Streben. Mit Ihnen stimme ich in
allen Urtheilen zu meiner Freude ganz überein. Wie über Frl.
St[ein] so über die neue Schrift von Frau CConrad]-Mart[ius]. Ich
war genau so befremdet; aber sie war nie eigentlich meine Schüle-
rin und den Geist einer Ph[ilosophie] "als strenger Wiss[en-
schaft]" lehnt sie bewußt ab. Aufrichtig gesagt, wiederholt erwog
ich, ob ich nicht vom J ahrb. zurücktreten solle. Selbst Pfänders
Phän[omenologie] ist eigentlich etwas wesentlich Anderes als die
meine, u. da ihm die const[itutiven] Probleme nie voll aufgegan-
gen sind, gerät er, der übrigens Grundehrliche und Solide, in eine
dogm. Metaph[ysik]. Schon Geiger ist nur 1/4 Phänom[enologe].
Sie aber sind, meine ich, ein ganzer. Wie schade, daß Sie nicht 2
Jahre später hier waren u. die 4 intensiven Vorlesungssemester
mitgemacht haben. Sie hätten meinen Horiz. ganz durchschaut.
Ich bin ja so viel weiter gekommen, obwohl ich die Id[een] I nicht
verwerfe (nur in manchen Einzelausführungen, die hinter meinen
Msc. zurückbleiben), so habe ich doch das Systemat. sehr viel wei-
ter geführt u. in allem Prinzipiellen viel gereinigt. Ich bin ganz
sicher geworden. Gott wird schon weiter helfen. Heidegger hat
seine kraftvoll merkwürdige Eigenart auch weitergebildet u. wirkt
stark. Was auch immer in ihm wird, es wird ein Hochwertiges
* Es ist aus dem Zusammenhang nicht zu ersehen, ob hier Philosophie oder Phäno-
menologie gelesen werden muß. (Anm. d. Hrsg.)
24 BRIEFE VON HUSSERL
sein. Prächtig entwickelt hat sich Dr. Becker, der soeben hier
seine philos. math. Habil.schrift einreicht. Er ist reiner Phäno-
m[enologeJ geworden u. ist auch in der Aesth[etik] verwurzelt
(wie auch Fr. Kaufmann). Ich bin momentan müde, abgearbeitet,
aber lege mich bald wieder ganz ins Zeug. Denken Sie, die Lon-
doner Universität hat mich oficiell eingeladen, dort 4 Vorlesg. zu
halten. Ich habe angenommen, wohl Ende Apr. oder Ende Juni.
Ich werde bei Prof. Hicks in Cambridge logieren. Überarbeiten
Sie sich nur nicht, freuen Sie sich Ihrer schönen Probleme u.
schreiben Sie darüber. Das Jahrb. V ist aus einer Stiftung BeUs
angeschafft u. geschenkt. Neumann ist a.o. Prof. d. Germanistik
in Leipzig u. doch ein tiefgebildeter Phän[omenologe] geworden.
Lipps hat in G[öttingen] Urlaub u. schwimmt als Schiffsarzt a. d.
Meere. Wir haben hier 3 Japaner, einer scheint Ph[änomenologe]
zu werden. Nun noch alle Glücks- u. Segenswünsche von uns al-
len. Halten Sie treue Freundschaft
Ihrem alten Lehrer
E. Husserl
Für Sie ist ein Honorar von 100 M. pro Bog. bestimmt.
XVIII
Lieber Freund!
Ihre Briefe, die mich immer so sehr erfreuen, finden arg lang-
same u. kurze Beantwortung 16. Aber wenn Sie wüßten? .. Ich
war sehr enttäuscht, daß Sie das Pariser Stip[endium] nicht be-
kamen u. Sie daher nicht nach Fr[eiburg] kommen konnten u.
können. Im Sommer war Hering I Woche u. Koyre (Dozent a.d.
Sorbonne) 3 Wochen hier. Überhaupt habe ich einen auserlesenen
Kreis sehr Vorgeschr. hier, im Seminar ca. 30, u. nur fertige junge
Philos., die Hälfte Ausländer (auch Engländer, Japaner etc.). Das
giebt Anregung u. hochgehende Discussionen. Ich arbeite die
BRIEFE VON HUSSERL 25
Londoner Vorträge als radicale ganz princip[ielle] medit[ationes]
de pr[ima] Phil[osophia] aus, jetzt als neue "Einl. in die Ph[iloso-
phie]" , 4-stündig. Dazu noch andere Arbeiten. In England fand
ich wärmste Aufnahme, nachträglich hat mich die Arist. Society
z. Corresp. Mitglied gewählt. Hier in D[eutschland] übt die
Phän[omenologie] grosse Wirkung, wie Sie an der Anzeige, Deut-
sche Liter[atur]zeitung v. 4. XI. 1923, ersehen, in der sehr ein-
gehend u. anerkennend auch auf Ihren kleineren Artikel Bezieh-
ung genommen ist. Sie werden gelegentlich in W[arschau] die
beiden Artikel über d. Jahrbuch lesen können. Wenn ich nur
Luft habe, schreibe ich ausf. J ahrb. VI ist fertig u. erscheint in d.
Tagen, mit wertvollen Beiträgen, bes. auch 2 philos.-mathem. In
VII erscheint eine grundlegende gr. Arbeit über Aristot. von Hei-
degger. Wann schicken Sie wieder einen Beitrag? Wie geht es
Ihnen u. Ihrer Farn.? Meine Frau gedenkt Ihrer auch herzlich.
Schöne gr. Fortschritte!
Ihr getreuer
E. Husserl
XIX
Lieber Freund!
• Es ist aus dem Zusammenhang nicht zu ersehen, ob hier Philosophie oder Phäno-
menologie gelesen werden muß. (Anm. d. Hrsg.)
26 BRIEFE VON HUSSERL
xx
Freiburg i.B., 25. H. 24
Lieber Herr Ingarden,
Da mein Mann heute keine Zeit zum Schreiben hat, so teile
ich Ihnen in seinem Auftrage folgendes mit:
Ihre Schrift kann, sowie sie fertig ist, im Jahrbuch Aufnahme
finden 18. Jetzt wird eine Arbeit von Frl. Stein gedruckt, u. an-
schließend kommen Sie daran. Im selben Sinne wird gleich an
Niemeyer berichtet. Trachten Sie also, möglichst bald im April
Ihre Abhandlung einzuschicken (an meinen Mann). Vielleicht
könnten Sie vorher den Umfang abschätzen u. mitteilen.
Es ist sehr schön, daß die Sache so gut paßt. Der Beitrag von
Prof. Heidegger hat sich durch seine Berufung nach Marburg ver-
zögert, u. der meines Mannes kommt auch erst im Sommerse-
mester zum Druck.
Wir freuen uns sehr, daß Ihrer Habilitation nichts mehr im
Wege steht u. Sie endlich in ein einheitliches, wissenschaftliches
Arbeiten kommen werden.
Hoffentlich sehen wir Sie bald in Freiburg. Für diesen Sommer
hat auch Bell, den Sie doch kennen, seinen Besuch angekündigt.
Herzliche Grüße, auch an Ihre Frau
Malvine Husserl
XXI
XXII
Frbg. 27. 9· 24
Lieber Freund.
Ich mag einen so lieben Brief, wie Ihren letzten, nicht mit einer
Karte beantworten u. kann doch nicht in diesen nächsten Tagen
ausführlich schreiben. Ich muß eine Abhandlung für d[as] Jahr-
buch fertig machen, und da ist, im jetzigen Stadium, jede Stö-
rung gefährlich 20. Ich schreibe aber bald und grüße Sie inzwi-
schen recht herzlich als
Ihr altgetreuer
E. Husserl
BRIEFE VON HUSSERL 29
XXIII
9. 12. 24 [Poststempel]
XXIV
Lieber Freund.
Seit einer Woche sind wir zu Erholung in Breitnau, das Sie
wohl nicht kennen - I Stunde zu Fuß von Hinterzarten (Höllen-
thalbahn) , 1025 m hoch. Hier genoßen wir den herrlichsten Hö-
hensonnenschein, fast sommerwarm, wo unten in den Thälern
kalter Nebel lag. Heute ist Regenwetter eingetreten, und sogleich
schreibe ich Ihnen. Wie schlimm habe ich Sie, den altgetreuen
Freund, behandelt, da ich so manchen herzerfreuenden Brief
nicht beantwortete (allerdings, eine Zuschrift von mir im letzten
Sommer ist sicher verloren gegangen!). Aber es ist wirklich keine
Kleinigkeit, inmitten der großen Arbeiten, die ich nicht verlassen
darf, und der akademischen Geschäfte, die oft langehin recht
zeitraubend sind, meine allzugroße Correspondenz in Gang zu
halten. Bei meinem Alter die Erndte des Lebens nicht einge-
bracht zu haben, ist eine tragische Situation. Ich muß also jede
gute Stunde ausnützen. - Es ist für mich traurig, daß beste
Schüler und Freunde (u. wer stände mir wissenschaftlich u. per-
sönlich näher als Sie?) von mir durch solche Räume getrennt
sind. Ihr Wunsch, mir wieder nahe zu sein, ist gewiß auch der
meine. Zunächst war ich von Ihrem Schweizer Plan ganz fasci-
niert 23. Aber ausführbar dürfte er kaum sein .Von einem deut-
schen Nationalismus ist dort keine Rede, u. tüchtigen auswärti-
gen Dozenten, welcher Nation immer, werden dort bei einer Ha-
bilitation kaum Schwierigkeiten gemacht. Aber die Schweiz hat
ihren Schweizer Nationalismus, sie unterstützt durch Stipen-
dien nur eingeborene Schweizer. Bei offenen Stellen (Professuren)
wird ein allgemeiner Concours ausgeschrieben, jeder kann sich
bewerben. Aber die Aussicht, gewählt zu werden, ist unsicher, u.
zudem sind jetzt keine Stellen frei, soviel ich weiß. Und doch, wie
notwendig wäre es, daß Sie zu uns hier wieder Fühlung gewönnen.
Leider waren Sie in ungünstiger Zeit in Fr[eiburgJ. Da es an
einem philos. Publikum fehlte, lebte ich eigenen Studien und
sprach mein Bestes und Letztgereiftes nicht in Vorlesungen aus.
Wie schade, daß Sie die Vorlesungen der letzten Reihe von Jah-
BRIEFE VON HUSSERL 3I
ren und die oft sehr hochgestimmten Seminare (meist mit stren-
ger Auswahl) nicht mitgemacht haben. Die Vorlesungen waren
neue systematische Entwürfe, u. freilich von allzu hohem Niveau,
für Männer wie Sie gerade recht. Ich hatte in den Jahren I8-23
ein ganz ungewöhnliches Hörermaterial. Nebenbei bemerkt, ist
Herr Schayer wenig competent, Ihnen zu berichten. Ich wies ihn
im Seminar nicht ab, da er vor der Zeit, wo ich anfing, strenge
Auslesen zu machen, schon semesterlang Übungen mitgemacht
hatte. Aber soweit war er nicht, um wirklich mitthun zu können.
Es gab gewiß auch sonst Manche von minderem Niveau, zeit-
weise auch eine frondierende Schelergruppe; aber es gab genug er-
freuliche Leute. Vielleicht bin ich im Eifer eigener Arbeit nicht so
leicht zugänglich gewesen. Vielleicht auch, daß ich zu tiefe, zu
schwierige Vorlesungen hielt, wie etwa die beiden einander ergän-
zenden Fundamentalvorl., die eine: "erste Philosophie", die eine
radicalste phänom[enologische] Begründung d. Sinnes u. der
Tragweite der phänomenologischen Reduction brachte, die ande-
re einen Entwurf einer Kritik der transcendental-phänomenolo-
gisehen Erkenntnis, als letztes Fundament einer jeden obj[ekti-
ven] Erkenntniskritik 24. Ich glaube darin u. in vielem sonst
große Fortschritte gemacht und die ph[änomenologische] Philo-
sophie auf eine neue Stufe erhoben zu haben. Sie werden hoffent-
lich bald darin Einblick gewinnen und, wie ich meine, Verständ-
nis dafür und Freude daran haben Auch die Gedanken der alten
Göttinger Vorlesung von I909/IO, welche die Einführung und die
Erweiterung der ph[änomenologischen] Reduction auf die Inter-
subjectivität brachte 25 (die Ph[änomenologie] ist nur scheinbar
solipsistisch, die volle trans[zendentale] Reduction ergiebt, über
das Ego hinaus, das mit ihm in Gemeinschaft stehende offene
Ich-All), wurden neu abgerundet vorgetragen. Jetzt arbeite ich
diese Entwürfe für d. Jahrb. aus - meait[ationes] a[e] pr[ima]
Phil[osophia] unter universalsten und radicalsten Gesichtspunk-
ten 26. Ich denke, jetzt wird es gelingen. Letzten Sommer haben
gesundheitliche, an sich unbedeutende, Störungen mich um Zeit
u. Kraft gebracht, so daß der erste Versuch nicht zu Rande kam.
Ich bin noch - allzusehr - productiv, ich sehe, da ich hoch hinauf-
geklettert bin u. nach 3-4 Jahrzehnten steter Arbeit zu den lich-
ten Höhen emporgedrungen, zu viel. Ich kann nicht glauben, daß
ich abberufen werden soll, so ich viel zu sagen habe, u. gerade das,
32 BRIEFE VON HUSSERL
was zu sagen meine Mission war. Doch wie Gott will. Ich will
weiter mit Ihm ringen, bis daß er mich segne, u. will rüstig u. nun
erst recht unermüdlich schaffen, daß ich meine Erndte sichte und
nutzbar mache. Allem voran rechne ich auf Sie - es kann nur we-
nige geben, die meine Schriften so intensiv studieren, wie es für
sie unbedingt notwendig ist. So lange erwogen, so tief unterbaut
haben nur wenige Autoren je ihre Arbeiten - freilich auch so
schwer gelitten unter der Last der Verantwortung. Es ist kein
Glück, sondern ein schweres Schicksal, glauben zu müssen, daß
man dazu berufen sei, der gesamten Philos. u. Wissenschaft für
alle Zukunft neue Wege zu bereiten; und zugleich so überzeugt zu
sein von der Disproportion zwischen der Kleinheit der eigenen
Begabung u. der Größe solcher Aufgabe 27.
Nun will ich noch sagen, daß wir uns freuen, daß das Paket
Ihrer Bücher, dessen Beförderung man hier schon genug Schwie-
rigkeiten entgegensetzte, nun doch in Ihre Hände gelangt ist.
Meine Frau u. ich grüßen Sie u. Ihre Familie herzlich. Hoffent-
lich auf ein baldiges Wiedersehen! Ihr altgetreuer
E. Husserl
Ihre Ess[entialen] Fragen habe ich nur in Bruchstücken bisher
lesen können. Vielen Dank für das dedic. Exemplar. Vielleicht
kann ich noch hier das Ganze als Ganzes studieren. Es ist ein
tüchtiges Stück Arbeit u. viel Scharfsinn! Des Näheren mich aus-
sprechen kann ich noch nicht.
Was Ihren Plan einer Einl. in d. Ph[änomenologie] anlangt,
möchte ich raten, noch meine Medit[ationen] abzuwarten.
Eigentlich giebt es keinen schwierigeren Vorwurf als den einer
Einleitung, u. doch bedarf es einer solchen sowol für die Phllos[0-
phie] selbst als Philos[ophie], wie für den lernenden Anfänger,
für den sie freilich anders zu gestalten ist.
XXV
XXVI
Lieber Freund!
Vor mir liegen Ihre 3 letzten, sehr lieben Briefe - ich nehme
auch den vom Juli dieses Jahres mit, da ich ihn seinerzeit nicht
ausreichend beantwortet habe. Vor allem meinen wärmsten Dank
für Ihr liebreiches Gedenken an dem Tage Ihrer Habilitation.
Daß Sie nach Ihrer Antrittsvorlesung das Bedürfnis empfanden,
im Geiste bei mir zu sein, und daß Sie mir zur gemeinsamen
Feier dieses bedeutungsvollen Tages zugleich schrieben - das hat
mich tief gerührt, und ich werde es nie vergessen. Ihrer Zukunft
bin ich sicher. Sie gehören zu den ganz wenigen meiner Schüler,
denen die Philosophie nicht ein bloß schöner Lebensberuf im ge-
wöhnlichen Wortsinne ist, sondern Beruf im höchsten Sinne, der
auf einen überpersönlichen, den Herzpunkt der Persönlichkeit tref-
fenden Ruf hindeutet. Halten Sie sich nur gut im Zügel und ver-
splittern Sie Ihre Kräfte nicht an kleine Aufgaben. Es hat sich
uns ein so ungeheures Feld großer und größter Aufgaben eröffnet,
daß es für die Berufenen der jetzigen Generation gilt, mit den
Kräften hauszuhalten, und das ganz besonders in den Jahren der
jugendlichen Kraftfülle. Von großem Segen wird für Sie die Lehr-
tätigkeit sein, da Sie das Glück haben, an einer Universität zu
wirken, an der in der Studentenschaft traditionelle Liebe zur
Philosophie herrscht, wohl dank der Wirksamkeit Twardows-
kis. Sie werden da bald Ihren Kreis haben, und in den Versuchen,
ihn in den Geist der phänomenologischen Philosophie einzufüh-
ren, werden Sie, als am Prinzipiellen so sehr interessiert, immer
mehr verstehen lernen, wie sich um das Problem einer "Einlei-
tung" - eines naturgemäßen Anfangs, eines Aufsteigens vom vor-
philosophischen Standpunkt des "Anfängers" zum Anfang der
Philosophie selbst und zu ihrer Methode des Fortgangs - die
größten Schwierigkeiten sammeln.
Ich weiß davon zu erzählen, und auf sie beziehen sich gerade
die Hauptarbeiten des letzten Jahrzehnts. Natürlich kann der
rechte Anfang in seiner inneren Notwendigkeit und seiner richti-
BRIEFE VON HUSSERL 35
gen Fortleitung nur entworfen werden, wenn man schon in der
Philosophie ein großes Stück weit ist und die gesamte Problema-
tik und ihre Auswirkungen auf den Anfang zurückprojiziert, als
von dorther systematisch zu Entwickelndes. Natürlich konnte
Ihnen Herr Blaustein nur Allgemeinheiten mitteilen, und zu-
meist wohl solche, die Ihnen aus den Jahren Ihres hiesigen Stu-
diums und ev. durch selbständiges Fortdenken bekannt waren.
Die sechs oder acht Reduktionen sind natürlich Systemisierungen
B[lausteinJs. Aber richtig ist, daß eine tiefere (selbst wieder als
phänomenologisch zu charakterisierende) Durchleuchtung des
Sinnes, der Funktion und der Möglichkeit der phänomenologi-
schen Reduktion und die Doppelheit der für den Psychologen
nötigen psychologischen Reduktion und der spezifisch transzen-
dentalphilosophischen mich lange beschäftigt und mir Fort-
schritte gebracht haben. Im übrigen: Herr B[lausteinJ hat mir
gut gefallen, ich halte ihn für sehr begabt, und er ist auch als
Persönlichkeit ernst gerichtet. Interessiert hat mich das Thema
Ihrer Habilitationsschrift 31; Sie schreiben nicht, wie Sie das
Verhältnis von Erkenntnistheorie und Phänomenologie charak-
terisiert haben. Natürlich gehört Erkenntnistheorie als Theorie
der Vernunft ganz und gar in die Transzendentalphilosophie hin-
ein. Aber so wie diese in den Ideen behandelt ist, verbleibt sie auf
einer Stufe der "höheren" N avität: die Evidenz des Ego cogito
und damit die Evidenz des Bodens egologischer reiner Möglich-
keiten ist eine naive Evidenz, die der Kritik bedarf. Daher meine
Scheidung zwischen phänomenologischer Reduktion schlechthin
und "apodiktischer" Reduktion, Reduktion auf das Apodikti-
sche. Das ist der Bereich der echten Erkenntnistheorie als radika-
ler Erkenntniskritik, die nur in phänomenologischer Reduktion
zu leisten ist, also nicht etwa denkbar wäre vor der Phänomenolo-
gie. Der erste systematische Versuch einer Ausführung bildet den
Gesamtinhalt meiner vierstündigen Wintervorlesungen 1922/23.
In Bezug auf Ihren letzten Brief antworte ich, daß Herr N[iemey-
er J ein Ehrenmann ist vom Scheitel bis zur Sohle, dem Sie absolut
vertrauen dürfen. Sie wissen nicht, wie vornehm er sich gegen die
Mitarbeiter des Jahrbuchs und gegen Sie selbst benommen hat;
zu einer Zeit, in der selbst namhafte Autoren Verleger nur fanden,
wenn sie den Druck ihrer Schriften selbst bezahlten, und wo
selbst berühmte Verleger Druck und Honorierung einstellten, hat
BRIEFE VON HUSSERL
XXVII
XXVIII
XXIX
Neuere Philos. von Desc[artes] bis Kant (als Einl. in die Tran-
sc[endental]philosophie). Prof. Heidegger ist in den Ferien immer
in Todtnauberg, 1/2 St. vom Ort entfernt hat er ein kleines Chalet
(circa lIOO m hoch). Der Ort von hier mit Postauto zu erreichen,
plus einer 1/ 2-stündigen Wanderung. Was an verfügbaren Ma-
schinen-Msc. da ist, stelle ich Ihnen gerne (hier) zu Benutzung.
Ich freue mich jederzeit, Sie endlich wiederzusehen.
Ihr alter Lehrer u. Freund
E. Husserl
Wärmste Grüße, M[alvine] Husserl.
xxx
Freiburg, den 19. XI. 1927
Lieber Freund.
Ich beantworte Ihren Brief sogleich, er hat mich gar sehr er-
freut und gerührt - auch ich danke dem nun endlich gütigen Ge-
schick, das Sie nach so vielen Jahren mir doch für einige schöne
Wochen zugeführt hat. Ich durfte mit Ihrer Entwicklung gar
sehr zufrieden sein, vor Allem für mich selbst und mein einsamer
gewordenes Philosophieren. Es ist doch kaum noch unter meinen
Schülern ein solches Verständnis für die großen Horizonte meiner
langjährigen Arbeit zu finden, als wie bei Ihnen. Alle Gespräche
mit Ihnen waren für mich anregend u. durchaus erfreulich. Sie
waren für mich auch innere Stärkungen. Ich war der Notwendig-
keit der von mir eingeschlagenen Wege, der von mir erfaßten
Probleme zwar stets völlig sicher; und doch lag es mir oft schwer
auf der Seele, daß man selbst im Phänomenologenkreise diese Not-
wendigkeit nicht sehen u. jeder eigene neue Wege gehen wollte.
Mein ganzes Leben war auf die Ermöglichung einer phil[osophia]
perennis gerichtet und eben darum auf die universale Einheit
der Strukturnotwendigkeiten, in denen das System aller echten
Probleme oder Problemdimensionen für alle wirkliche Forscher-
arbeit - als erledigende Arbeit - vorgezeichnet sein mußte. Im
Alter glaube ich diese allgemeine Problemgeographie errungen zu
haben, und nun habe ich das Gefühl, damit ziemlich allein zu
stehen. Sie müssen wiederkommen, u. für Weihnachten will ich
BRIEFE VON HUSSERL 41
doch noch hoffen. Ihr Brief brachte interessante Berichte - Hei-
degger ist mir zum nahen Freund geworden, u. ich gehöre zu sei-
nen Bewunderern, so sehr ich es gerade darum bedauern muß, daß
sein Werk (u. dann wohl auch seine Vorlesungen) methodisch und
sachlich wie etwas von meinen Werken u. Vorlesungen wesent-
lich Verschiedenes erscheinen u. wenigstens jetzt noch keine den
beiderseitigen Schülern zugängliche Brücke zwischen dem Einen
u. Anderen geschlagen ist. Es hängt für die weitere Philosophie
viel davon ab, wie und ob er sich zu einem Erfassen meiner uni-
versalen Intuitionen durcharbeitet. Ich hatte ja leider seine phi-
los. Ausbildung nicht bestimmt, offenbar war er schon in Eigen-
art, als er meine Schriften studierte. Nun, er ist eine Potenz, abso-
lut redlich und nicht ehrgeizig, rein auf die Sachen gestellt. Jede
große Einseitigkeit, die von echten Selbstdenkern, bricht Neuem
die Bahn. Hoffen wir also.
Sehr betrübt haben mich die bösen Enden Ihres Briefes. So ist
die hoffnungsvolle Aussicht auf die Anstellung Ihrer lieben Frau
nicht bestätigt worden! Dazu nun noch die Erkrankung Ihres
Kindes. Bitte schreiben Sie, wie es ihm geht. Wenn die Sorgen um
Frau u. Kind es nicht notwendig machen - um des dummen Gel-
des willen dürfen Sie Ihren Lehraufenthalt im Auslande nicht ab-
brechen! Sie brauchen unbedingt die neuen Anregungen u. Er-
quickungen, u. Ihre Kraft, auf die ich so wohlbegründete Hoff-
nungen setze, darf nicht geschwächt werden. Ein Freiburger
Freund stellt Ihnen 3-400 M. herzlich gerne zur Verfügung, zins-
frei, Rückzahlung im Himmel erbeten oder in der nächsten geo-
log. Periode.
Seien Sie herzliehst gegrüßt. Mit allen guten Wünschen
Ihr alter Freund u. Lehrer
E. Husserl
Meine Frau, die Ihnen eine so gute Freundin ist, grüßt Sie herz-
lich. Es wäre zu schön, wenn Sie den Weihnachtsabend mit uns
feierten. Sie müssen noch meinen alten lieben Freund Mahnke
kennen lernen, der jetzt seine Vorlesungen angefangen haben
muß. Von mir bitte tausend Grüße u. sagen Sie, daß Sie auf mei-
nen Wunsch ihn aufsuchen. Ein prachtvoller Mensch, ich schrei-
be ihm bald.
42 BRIEFE VON HUSSERL
XXXI
Lieber Herr Ingarden, ich möchte Sie noch von mir aus ein-
laden, auf Ihrer Rückreise über Freiburg für einige Tage zu kom-
men u. bei uns zu wohnen. Die Einladung ist herzliehst sehr
freuen. Es scheint mir für Sie kein nennenswerter Umweg zu
sein, vielleicht halten Sie auch in Straßburg u. treffen mit J ean
Hering zusammen Also lassen Sie bald von sich hören! Wärmste
Wünsche für ein glückliches neues Jahr! Herzlich
M[alvine] Husserl
• Es ist aus dem Zusammenhang nicht zu ersehen, ob hier philosophisch oder phä-
nomenologisch gelesen werden IIlUß. (Anm. d. Hrsg.)
BRIEFE VON HUSSERL 45
XXXII
XXXIII
Fr[eiburg], 9. Mai
Leider wußten wir in Scheweningen nicht Ihre Adresse auswen-
dig, so mußte ich den Brief hieher mitnehmen, wo wir gestern sehr
gut angekommen sind. Mein Mann hat heute Vorlesungen u. Se-
minar begonnen. Im letzteren sind IO Nationen vertreten!
BRIEFE VON HUSSERL 47
XXXIV
13. VII. 28
Lieber Freund.
Ihr Brief vom 28. V. ist mir sehr nahe gegangen. Wenn Sie an
Telepathie glauben, müssen Sie, als Probe dafür, es gespürt ha-
ben, wie oft meine Gedanken sorgend bei Ihnen weilten. Ihr 2-ter
Brief hat mich etwas beruhigt, mindest hinsichtlich Ihrer Stim-
mung und des so unberechtigt gesunkenen Selbstvertrauens 38.
Wiegt schließlich für Sie selbst mein großes und unerschütter-
liches Vertrauen auf Ihr Können und Sein nicht schwerer als
Thorheiten solcher krankhaften Depressionen?
Mir ist in langem Schwanken durch den Kopf gegangen, ob ich
es wagen kann, mich in Ihrer Sache an Prof. Twardowski zu
wenden. Nun habe ich es, erst heute, doch gethan - hoffentlich zu
Ihrem Guten.
Ich habe seit meiner Rückkunft aus Holland (8. V.) fieberhaft
gearbeitet. Ich fühle mich sehr erfrischt, meine Gesundheit hat
sich, vielleicht durch die vom Arzt energisch geforderte Ein-
schränkung des Rauchens auf ein Minimum und durch eine "Le-
berkur", gründlich gebessert, u. so habe ich wieder Hoffnung.
Mein 2-st. Colleg (als Prof. emeritus) ist so stark besucht u. hat so
eifrige Hörerschaft, daß ich dem doch Arbeit zuwenden mußte -
aber Vorspannarbeit für die Erweiterung u. Vertiefung meiner
holl[ändischen] Vorlesungen (4, eigentlich 6 - Inhalt: der expli-
eierte, auch gebesserte Gedankengang, der für die Enc[yclopae-
dia] Brit[annica] bestimmt war). In Amsterdam hatte ich einen
schönen Kreis wertvoller Menschen und viel eifrige Disputation.
Rührend war der alte Heymans in Groningen, wo ich nur über
ph[änomenologische] Psychologie 2 St. sprach. Er war ganz be-
troffen u. stimmte schließlich offen zu. Schließlich 5 schön erhol-
same Tage in Scheweningen. In Holland fanden wir es herrlich u.
wären gerne länger geblieben. Unter meinen dortigen Hörern war
der Russe Schestow (der Hering u. mich so geistreich angegrif-
fen hatte im philos. Anzeiger), der mir viel Vergnügen machte in
seiner impulsiven Art u. seinem disput. Eifer. Er beredete mich
zu vorläufiger Zusage für eventuelle Vorträge in Paris (er diente
BRIEFE VON HUSSERL
den Parisern als Fühler), und vor einigen Wochen kam in der
That von der Sorbonne eine in sehr freundl. und in echt französ.
Liebenswürdigkeit abgefaßte offic. Aufforderung. Des Näheren
ging die Einladung aus vom Institut germanique und d. Societe
philosophique. Ich kann deutsch vortragen, - 4 Vorträge u. I
Discussionsabend, ungefähr Anfang Februar. Vielleicht dann
auch, Herings Wunsch gemäß, I Vortrag in Straßburg. Hering
schickte mir einen hochbegabten litauischen Schüler 39.
Jahrbuchsband IX, 500 S., ist bald fertig. Er bringt meine Vor-
lesungen über inneres Zeitbewußtsein von 1905 mit den Beilagen,
unverändert, nur ein wenig stilistisch redigiert und herausge-
geben von Heidegger. Ich erhielt nicht einmal die Correcturen.
Wie befindet sich Ihre Frau? Es hat uns leid gethan zu hören,
daß sie leidend sei. Wurde der Plan mit dem Karpathenbad aus-
geführt? Doch ich muß schließen.
Herzliche Grüße und Wünsche von Ihrem
E. Husserl
XXXV
Freiburg, 18. X. 28
Lieber Freund!
Ihr Brief kommt, während gerade, als hocherfreulicher Besuch,
Herr Koyre aus Paris hier ist. Wir beide gedenken Ihrer freund-
schaftlich und senden beste Grüße!
E. Husserl A. Koyre
BRIEFE VON HUSSERL 49
XXXVI
XXXVII
Lieber Freund.
Ich eile, Ihnen mitzutheilen, daß Tward[owski] in seinem Brief
sich durchaus anerkennend u. achtungsvoll über Sie geäußert hat,
also nichts gesagt von all dem, was Sie aus meinem Brief in den
seinen projiciert hatten. Der Anlaß zu meinen herzl. gemeinten
Rathschlägen waren die Äußerungen Ihres Briefes über Ihr
Gespräch mit Tw[ardowski], u. ich konnte dabei nicht vorausset-
zen, daß es das einzige Mal war, wo Sie mit ihm über Carriere-
fragen gesprochen hätten. Auch klang die Mittheilung des früh-
eren Briefes so, als ob Sie ihm einen Vorwurf gemacht hätten
etc. Auch jetzt meine ich, es wäre besser gewesen, wenn Sie gar
nicht Ihre Frage gestellt hätten, aber jedenfalls freue ich mich,
daß das Gespräch harmloser war, als es schien.
Ich glaube schon, daß er ernstlich etwas von Ihnen hält, aber
auch, daß er innerlich Ressentiments gegen die ganze phän[o-
menologischeJ Richtung hat, und wie ich sagte, ich halte ihn -
eben darum - nicht für ganz aufrichtig. Vielleicht mit Unrecht.
Jedenfalls freut es mich, daß Sie sich auf sich selbst stellen. Ich
bin sicher, Sie werden bald vor [den] Augen der Welt, in Polen der
vor Allen ernstzunehmende Forscher sein. Wir rechnen Sie zu
den Besten. Möge auch Ihre l[iebe] Frau nur Mut u. Vertrauen
haben. Ihnen u. Ihrem Hause herzlichste N.J.-wünsche auch von
meiner Frau
Ihr E. Husserl
BRIEFE VON HUSSERL SI
XXXVIII
XXXIX
sehen Freunde und Schüler hier sein werden, auch aus Frankreich
Prof. Jean Hering und Koyre usw. Es dürfte für Sie wissenschaft-
lich viel bedeuten, wenn Sie auch da sein und an dem Austausch
der Gedanken theilnehmen könnten. Sie wären hier wie für mich
so für den ganzen phänomenologischen Kreis schwer zu vermis-
sen. Vielleicht könnten Sie von Ihrer vorgesetzten Behörde unter
diesen Umständen Urlaub erhalten, wie das die oben genannten
französischen Collegen ja auch erhalten. Herzliehst
Ihr alter Lehrer E. Husserl
Professor a.d. Universität
XL
XLI
XLII
Lieber Freund.
Ich fühle mich sehr in Ihrer Schuld. So behandle ich den
lie bsten und getreuesten meiner alten Schüler - neben dem mir
eigentlich nur J ean Hering gleich nahe steht. Aber Sie wissen
nicht, wie mir in der brennenden Arbeit die Zeit dahinschwindet,
Monate wie Tage! Zum Theil schrieb ich darum so lange nicht, da
ich Ihnen gerne über Ihren Gratulationsbeitrag Einiges sagen
wollte. Aber einzugehen und mich philos. über unsere Differen-
zen auszusprechen, ist nicht leicht, da ein paar Sätze wenig nutzen
können. Ihre Arbeit ist vielleicht die schönste und wichtigste
des Bandes, außerordentlich fein durchgearbeitet. Über diese ge-
diegene Solidität und die Präzision der Unterscheidungen habe
ich mich sehr gefreut. Warum ich Ihre Voranstellung des Onto-
BRIEFE VON HUSSERL
XLIII
XLIV
Lieber Freund!
Ihr Brief vom Dez. v. J. kam mir etwas verspätet - ich war
(oder wir waren) in Kiel bzw. Berlin bei den Kindern; über 3
Wochen, über Weihnachts- und Neujahrszeit. Es war eine be-
wegte Zeit, auch in wissenschaftlicher Beziehung gab es regen phi-
los. Gedankenaustausch, in Kiel sprach ich auch halbäffentlieh
vor einem geladenen Kreis z Stunden über konstit[utive] Phäno-
m[enologieJ. Heimgekehrt stürzte ich mich in die Arbeit. Ihr
Brief war mir eine große Freude, es ist die einzige Reaction auf
meine F[ormale] u. tr[anscendentaleJ L[ogikJ die ich ernst neh-
men konnte und mir wirklich Wertvolles sagte 46. Ihren dringen-
den Wunsch, erst das z-te log [ische] Buch fertig zu machen, war
ich sehr bereit, mir zu Herzen zu nehmen. Ich war eigentlich
schon Monate lang dabei, war aber in Kiel schwankend geworden,
da es viel langsamer zu Form kommen wollte, als ich gehofft. Im
BRIEFE VON HUSSERL 59
Januar ging ich also nochmals daran. Aber nach etwa 3-4 Wochen
harter Arbeit ließ ich es wieder fahren. Es war mir aus den Msc.
(bzw. dem daraus einheitlich verknüpften Entwurf von Dr. Land-
grebe) plötzlich klar geworden, daß im Verborgenen ein sehr
wichtiger einheitlicher Gedanke in den losen Bruchstücken zu
Tage dränge, und daß nun eine völlig neue system. Ausarbei-
tung unter seiner principiellen Leitung notwendig sei, mit noch
einzuarbeitenden Ergänzungsstücken aus anderen alten Ent-
würfen (die log[ischen] Studien liegen weit zurück, seit Langem
habe ich mich nicht mehr mit log [ischen] Problemen beschäftigt
- daher geht es jetzt langsam, ich muß mich erst hineinfinden).
Ich sah, daß ich noch 4-6 Monate Arbeit brauchen würde, u. so-
lange durfte ich die deutsche Bearbeitung der Cartes[ianischenJ
Med[itationenJ nicht aufschieben 47. Denn das wird das Haupt-
werk meines Lebens sein, ein Grundriß der mir zugewachsenen
Philosophie, ein Fundamentalwerk der Methode u. der phil.
Problematik. Mindestens für mich Abschluß u. letzte Klarheit,
für die ich eintreten, mit der ich ruhig sterben kann. (Aber wich-
tiger ist, daß ich mich berufen fühle, dadurch entscheidend in die
kritische Situation einzugreifen, in der jetzt die d[eutscheJ Philo-
sophie steht.) Die kleine franz. Schrift, Ostern erscheinend (etwa
100 S.), wird nicht bloße übersetzung der deutschen sein, denn
für das deutsche Publicum - in der jetzigen Situation (modische
Schwenkung zu einer Philos. der "Existenz", Preisgabe der
"Ph[ilosophieJ als strenge Wisseenschaft]") bedarf es breiterer
Exposition und Weiterführung bis zur obersten "metaph[ysi-
schen]" Problematik. Ich arbeite mit guten Kräften und in
äußerster Concentration, vor dem Herbst werde ich mit dem
Buch nicht fertig werden.
In Ihrem Briefe vom Dez. erwähnten Sie nichts mehr von dem
"Liter[arischenJ Kunstwerk I" für das Jahrb. Ich freue mich, aus
Ihrem neuen Briefe zu ersehen, daß Sie fertig sind - mit 1. Aber
circa 12 Bogen - dafür ist im Jahrb. XI nicht Raum, höchstens
für 6 Bogen. Wie gewöhnlich waren die vorgelegten Arbeiten grö-
ßer als nach Anschlag. Ich meine nun so: das Schlußstück, das
doch nicht groß ist, könnten Sie doch sicher im Sommer, spätes-
tens in den großen Ferien, in die Druckerei liefern, so daß das
ganze Buch im Oct. erscheinen könnte. Ich will nun Niemeyer
nachdrücklich schreiben, er möge den 1. Th. sogleich zu
60 BRIEFE VON HUSSERL
XLV
19. XI. 30
XLVI
Liebster Freund!
Mit inniger Rührung und Freude habe ich Ihren lieben gütigen
Brief vom 15. XI. gelesen. Es ist undankbar, wenn ich mich oft
über die Vereinsamung im Alter, die wissenschaftliche und per-
sönliche, beklage, solange ich einen solchen Schüler und Freund
habe wie Sie. Ich rechne es Ihnen hoch an, daß Sie nicht ablassen,
mir zu schreiben, selbst wenn ich das Antworten versäume. Ihre
Briefe sind mir in meiner Abgeschiedenheit eine Freude und ein
Bedürfnis. Ich habe seit meiner Rückkunft von Chiavari, wo ich
62 BRIEFE VON HUSSERL
zwei Monate, die für die Arbeit gedacht waren, durch Krankheit
verlor, leidenschaftlich gearbeitet u. alle äußeren Störungen mir
fern halten müssen. Erst gestern ist s.z.s. das Uhrwerk abgelau-
fen, d.i. die Gedankenreihe, die sich in mir gestalten wollte u.
mußte, ist zur Abrundung u. Vollendung gekommen. Inzwischen
ist Ihr zweiter Brief u. Ihr schönes Werk eingetroffen 48. Ich be-
wundere Ihre Energie, in der Sie unter so schwierigen Verhältnis-
sen, in so beschränkter Arbeitszeit u. unter solchen weiteren
Hemmungen, ein so tief schürfendes Werk schreiben konnten.
Es freut mich, daß mein unbedingtes Vertrauen auf Ihren Lebens-
ernst u. auf Ihre Begabung für Sie etwas bedeutet hat. Aber Sie
haben ja seit Ihrer Studentenzeit mein Urtheil immer wieder u.
in schöner Steigerung bestätigt. Dieses neue Werk zeigt Sie, wie
ich schon bei der ersten Durchsicht freudig konstatieren konnte,
wieder um eine Stufe höher. Für mich eine besondere Genug-
thuung und, fast möchte ich sagen: ein Stolz. Denn wie oft habe
ich darüber geklagt, daß es mir an eigentlichen Mitarbeitern
fehle, an Schülern insbesondere, die mir Selbstgedachtes vorweg-
nehmen würden. Der ganze Stil des Buches, obschon nur nach der
ontol[ogischen] Seite, scheint eine Vorwegnahme zu sein - wie ich
das übrigens schon 1929, als Sie mir von dem ersten Entwurf er-
zählten, u. besonders am "Inhaltsverzeichnis" desselben sofort
sah. Doch auf die nähere Ausführung bin ich begierig. Ich will in
den Feiertagen Ihr Werk zur Festlecture machen - in der That,
es ist mir ein hocherfreuliches Weihnachtsgeschenk. Natürlich
interessiert mich das spez[iell] logische Cap[itel] I, 5, mit Rück-
sicht auf das in der F[ormalen] u. tr[anscendentalen] Logik an-
gekündigte 2-te logische Buch, welches eigentlich gedacht war in
unmittelbarer zeitlicher Folge nach jenem ersten (den Namen
"log[ische] Studien" werde ich nicht festhalten). Der von Dr.
Landgrebe vor I Jahr abgelieferte Entwurf - Verknüpfung mei-
ner alten log [ischen] Msc. aus der Göttinger Zeit und den Kriegs-
jahren (später habe ich nicht mehr über logische Probleme ge-
arbeitet) - mußte zurückgestellt werden, da ich sah, daß die Aus-
arbeitung f. den Druck unter notwendiger Rücksichtnahme auf
meine sonstigen Fortschritte viel Zeit kosten würde. Mir liegt
aber das systematische Grundwerk der Ph[änomenologie], das
ich eigentlich seit einem Jahrzehnt innerlich vorbereite u. jetzt
ausarbeite, natürlich u. bei meinem Alter zunächst am Her-
BRIEFE VON HUSSERL
zen 49. Eine frohe Überraschung war für mich Ihre Kritik meiner
urspr[ünglichen] Lehre von den Bedeutungen als "idealen Spe-
zies". Darüber handeln auch jene "log[ischen] Studien", u. ganz
in Ihrem Sinn. Ich habe die Position der Log[ischen] U[ntersu-
chungen] schon in der letzten Göttinger Zeit aufgegeben, in den
Bernauer Landaufenthalten ausführlicher behandelt. Ich war ja
überhaupt in den L[ogischen] U[ntersuchungen] ein philosophi-
sches Kind.
Sehr betrübt mich, daß dieMJd[itations] Cartes[iennes] noch im-
mer nicht erschienen sind, obschon im Sommer schon der Satz
(I40 S.) vollendet war, nur die letzte Correctur fehlte noch. Das
Msc. ging schon Mai I929 nach Frankreich. Überhaupt ist es ein
wahres Unglück, daß ich mit der Ausgestaltung meiner (so muß
ich leider sagen) transzendentalen Phänomenologie im systemati-
schen Entwurf so spät zu Rande gekommen bin u. nun eine Gene-
ration da ist, die in Vorurtheilen festgefahren u. durch die Zu-
sammenbruchspsychosen von wissenschaftl. Philosophie abge-
drängt, nicht hören und sehen will. Und doch bin ich voll froher
Zuversicht. Mag jetzt Niemand mitgehen u. meine bisherigen all-
zukurzen u. lückenhaften Vorzeichnungen verstehen, und mag
die philos. Umwelt, statt Einseitigkeiten u. einzelne Fehler zu
bessern, die großen neuen Einsichten bei Seite schieben - ich bin
der Zukunft absolut sicher. Leider scheinen auch Sie, l[ieber]
Freund, Ihrer eigenständigen Ontologie sicher geworden zu
sein 50. Was gäbe ich darum, wenn ich noch hoffen dürfte, daß
Ihr Geist noch für Neues empfänglich, noch beweglich selbst im
Principiellen, noch etwas skeptisch wäre, völlig bereit, das "Si-
chere" noch einzuklammern u. in der Epoche neu zu durchden-
ken. Versuchen Sie sich noch frei u. im Fluß zu halten! Und nicht
um meinetwillen, da es sich um eine wirkliche Wende der gan-
zen bisherigen Philosophie, um eine wirkliche (nicht die Kanti-
sehe) Copernik[anische] Umwendung handelt. Seit vorigem Som-
mer, seit Ausgabe des letzten Buches bin ich in leidenschaftlich
vertieftem Studium der Anhiebe, Entwürfe, der mannigfachen
Gedankenreihen, der universalen Problematik der tr[anscenden-
talen] Phänomenologie - als universaler Philosophie, die, voll
ausgebildet, alle Ontologien (alle aprior[ischen] Wissenschaften)
u. alle Wissenschaften überhaupt - in letzter Begründung - um-
spannen würde. Niemand kann in Bez. auf sich selbst u. eigene
BRIEFE VON HUSSERL
für Sie alle z. n. Jahr. Sie selbst dürfen jetzt ruhen, da Sie ein
wertvolles Werk zu Rande gebracht haben. Ihr alter Freund
E. Husserl
[P.S.:]
Lieber Herr Ingarden.
Ich füge noch herzliche Grüße u. wärmste Neujahrswünsche
für Sie u. Ihre liebe Frau bei. Bleiben Sie Alle nur gesund, ums
Andere ist mir nicht bange. Meine Gratulation zu dem schönen
Buch! Ihre getreue Freundin
M[alvine] Husserl
XLVII
Lieber Freund!
Vielen Dank für Ihren hocherfreulichen Brief. Meine "Mah-
nung" wollte ja nicht den Sinn eines "Vorwurfs" haben. Gerade
weil ich Sie so ernst nehme u. Sie für einen echten, ganzen Philo-
sophen halte (Sache der Gesinnung u. nicht der bloßen Begabung),
bin ich brennend dafür interessiert, daß Sie in der radicalen
phil. Freiheit verbleiben und nicht unvermerkt sich binden.
Prinzip: Was ich "selbst" sehe, "evident" erfasse, hat sein
Rech t, nur vielleicht ein begrenztes (Horizonterschließung).
Also furchtlos (keine "dunkeln Winkel") es gelten lassen u. dann
nachsehen. Herzlichste Freundesgrüße von uns am Sylvester,
Ihrer gedenkend, Glück u. Segenswünsche für Frau u. Kinder,
für Sie alle. Ihr altgetreuer
E. Husserl
Noch einen persönlichen Neujahrsgruß an Sie u. Ihre l[iebe]
Frau
M[alvine] H[usserl]
66 BRIEFE VON HUSSERL
XLVIII
Lieber Freund!
Ihre Karte hat uns sehr beglückt. Endlich kommt die ver-
diente Anerkennung 51. Unico loco - das will doch was sagen, es
zeigt, welche Hochschätzung Sie sich errungen haben, ja wirk-
lich errungen gegen die langjährigen Widerstände, durch Ihre
bewundernswerte ethische Energie, durch eine kaum glaubliche
Arbeitsleistung und die Tiefgründigkeit Ihrer Forschung. Sie
werden die vielen schweren Jahre nachträglich nicht beklagen,
Sie werden dankbar sein, daß Sie [eine] so harte Schule durch-
machen mußten. Nun kann es nicht mehr fehlen, u. hoffentlich
geht nun alles glatt. Vorläufig buchen wir als großes Positivum
den schönen Vorschlag. Niemand kann sich mehr über Ihren Er-
folg freuen als Ihr alter, stets in gleicher Hochschätzung zu Ihnen
stehender Lehrer
E. Husserl
Herzliehst grüßen u. beglückwünschen wir Ihre liebe Frau. Ich
freue mich sehr!
M[alvine] H[usserl]
XLIX
Lieber Freund!
Die 2 gar lieben guten Zuschriften kann ich jetzt nicht beant-
worten. Ich bin auch etwas par terre durch eine Grippe, soll aber
die drängende Arbeit durchhalten, sonst "komme ich ganz her-
aus". Ich soll in Berlin (10. 6.), in Halle u. Frankfurt über Phän[o-
menologie] u. Anthropologie sprechen (Kant-Ges[ellschaft]) u.
muß meine Antipoden Scheler u. Heidegger genau lesen 53. Sie
haben die Medeitations] Cart[esiennes]? In England cursiren sie
schon seit 3 Wochen, aber ich - der Autor - habe sie noch nicht
gesehen!! Ob ich Freiex. erhalten werde? Dieser Tage kommt
ein engl. Reverend, der meine F[ormale] u. tr[anscendentale] Logik
ins Englische übertragen will. Die engl. Ideen sind im Druck.
Viele Grüße, lieber Freund, von uns allen
Ihr
E. H.
Natürlich wäre ich hocherfreut, wenn Sie die Übersetzung über-
nehmen wollten. Die deutschen "Medit[ationen]" werden sehr
erweitert sein. Welchen Eindruck haben Sie von der fr[ anzösi-
sehen] Ausgabe 54?
68 BRIEFE VON HUSSERL
LI
Wie steht es mit Ihrer Ernennung? Wenn Sie nur endlich die
Schufterei am Gymnasium los wären!
Die herzlichsten Grüße Ihnen u. Ihrer lieben Frau.
In Freundschaft
Ihre Malvine Husserl
LII
LIII
Lieber Freund!
Ich sehne mich vergeblich danach, Ihnen ausführlich zu
schreiben u. Ihnen zu sagen, wie sehr mich Ihre Mitarbeit an den
Medit[ationen] erfreut, ja beglückt. Heute nur ein paar Worte. Es
ist mir unendlich wichtig zu erfahren, wie ein so klarer, ernster
Leser u. ein altgetreuer Schüler meine Schrift liest, und woran er
Anstoß nimmt. Das, obschon ich alles, auch alle Einwände un-
zählige Male selbst erwogen habe, durch all die Unklarheiten mich
selbst erst durchgearbeitet habe. Jetzt wo mein Abstand von den
70 BRIEFE VON HUSSERL
Lesern allzu groß geworden ist, ist es höchst wichtig für die Dar-
stellung, all die Schwierigkeiten u. mögliche Einwände vor
Augen zu haben. Sie sind der Einzige, der mir diesen großen
Dienst erweist, mir u. der Sache 57. Seit der Rückkehr von den
Vorträgen, die unverhofft größtes Aufsehen erregt u. starke Wir-
kung geübt haben (auch durch persönliche Discussionen), bin ich
in einem Erschöpfungszustand u. habe leider nicht weiter arbei-
ten können. Zudem hatte ich eine Unzahl von Briefen zu schrei-
ben, sehr wichtiger Art, und bin noch jetzt nicht fertig. Tief de-
primiert haben mich Ihre Mittheilungen, diese unglaubliche Dis-
crepanz zwischen Ihren Leistungen u. Ihrer Stellung. Empört bin
ich, daß Ihnen, auf dessen philos. Arbeit für Ihr Land u. Volk so
viel ankommt, nicht die Schulstunden abgenommen worden
sind 58. Eigentlich ist Ihre Arbeitskraft erstaunlich - Sie haben
eben viel geistige Energien schon aufgespeichert, die wie von
selbst Gestalt annehmen. Halten Sie nur aus, es ist auf Sie ge-
rechnet, als einen der Allzuwenigen, Berufenen. Und auch Ihre
Frau?! Das ist doppelt hart. Doch Sie wissen, daß das nicht
dauern kann, man weiß endlich in P[olen], was Sie bedeuten. In-
nigen Dank für Ihre Briefe, ich kann Ihnen nicht genug danken.
Wie sehne ich mich, Sie wiederzusehen, dsgl. meine Frau. Vom
Herzen
Ihr
E. Husserl
Nb.: die Medit[ationen] sind grobe Grundlinien - es waren ja nur
4 Stunden. Literarisch breiter ausführen konnte ich nur das
wirkl. Angedeutete. Ich habe soeben Ihre 2-te Sendg. u. Ihre
Karte erhalten 59.
Herzl. Grüße Ihnen u. Ihrer 1[ieben] Frau
M[alvine] Husserl
LIV
Liebster Freund.
Also doch nur eine Postkarte auf so liebe, so mir u. meiner
Frau herzlich willkommene Briefe!! Und dabei sprechen wir so
BRIEFE VON HUSSERL 71
oft von Ihnen u. haben so innigen Antheil an Ihren schweren Ent-
täuschungen! Aber in welcher Lage bin ich meinerseits! Ich kam
von meiner Votragsreise, einer über alle Erwartung für meine
phän[omenologischen] Bestrebungen u. nicht nur äußerlich er-
folgreichen, so übermüdet zurück, daß ich sehr langsam in or-
dentliche Arbeit hineinwuchs. Aber nach Monaten des Zeitver-
lusts 60 wurde die Neuausarbeitung der Med[itationen] brennend.
Alles bis aufs letzte concret durchdenken, die alten Untersuchun-
gen neu lebendig machen, in der letzten Zusammenordnung
systemat. bereichern - welche Arbeit bei so schwierigen Themen,
u. wo es ein System der universalen Methodik u. Problematik
der Philosophie gilt. Und das in meinem Alter; freilich unter be-
lebender Mithilfe eines Dr. Fink. Obwohl ich nicht eigentlich
principiell N eues zu sagen habe - aber in der totalen Zusammen-
schau erleuchtet sich so vieles u. ergeben sich erst die letzten Not-
wendigkeiten für den Gang der Darstellung, die Darstellungs-
methode, die hier nicht eine liter[arische] Sache ist, sondern we-
sensmäßig zu einer Philosophie selbst als ihre Methode der Be-
gründung gehört. Für das J ahrb. u. die deutsche Situation kann
ich nicht so kurz andeutend sein, u. das giebt wohl schließlich ein
neues Buch. - Leider haben Ihre Vermutungen sich bestätigt. Die
Übersetzer der Med[itationen] haben den Text oft nicht verstan-
den, kein Wunder, daß Sie stecken blieben. In der wichtigen
V-ten sind ganze Passagen durch einen vagen nichtssagenden
Satz ersetzt, u. dazu genug Fehler. Leider auch die englische
Übersetzg! Das Jahrb. wird nun ziemlich später erscheinen,
nicht vor [der] 2-ten Winterhälfte, voraussichtlich wird's allzu
umfangreich sein. Ich will alles daran setzen, Ihren kleineren
A ufsa tz hineinzubringen 61; denn daran liegt mir an sich sehr
viel, daß Sie vertreten sind. Wenn die neuen Medit[ationen]
(deutsch) Ihnen vorliegen, werden alle Ihre Bedenken verschwin-
den. Dafür wird sich Ihnen ein unendliches Feld höchst fruchtba-
rer, erleuchtender eigener Entdeckungen eröffnen, u. all Ihre bis-
herige Forschung wird Ihnen von Wert bleiben. - Machen Sie also
Ihre Arbeit fertig u. seien Sie guten Muts. Sie leben nicht um-
sonst. Wir brauchen Sie. Viele Grüße!
Herzlichst Ihr E. Husserl
72 BRIEFE VON HUSSERL
LV
Liebster Freund.
Ihr Brief hat mich sehr betrübt, vor allem, weil Sie selbst Ihre
Lage so schwer nehmen. Gewiß, sie ist arg genug! Aber in einer
Zeit u. Welt, wie sie jetzt sich allgemein gestaltet hat, ist sie im-
mer noch menschliches Dasein ermöglichend. Wenn Sie eine
Ahnung hätten, wie es hier in Deutschland u. (nach privaten Be-
richten) in Oesterreich aussieht! Lassen Sie keine Erbitterung in
sich aufkommen, auch nicht gegen den armseligen T. Behalten
Sie Ihre philos. Überlegenheit über allen Widerwärtigkeiten. Vor
allem: es ist nicht die rechte Reaktion, wenn Sie sich durch eine
tolle Überarbeitung ablenken. Sie haben eine Zukunft, u. dafür
müssen Sie Kräfte haben u. sich nicht in Ihrer jetzigen Art auf-
brauchen. Sie haben eine Höhe und Breite wiss. Leistungen zu
Stande gebracht - trotz Ihrer pädagog. Anstellung - daß Ihnen in
Polen Niemand gleichsteht. Es ist jetzt nicht mehr notwendig,
durch immer neue kleinere Arbeiten auf sich das Augenmerk zu
lenken. Das ist jetzt nur Kräftevergeudung, Sie brauchen m.E.
Samml ung, Zusammenschluß, neue Besinnung für den Zukunft-
horizont Ihres philos. Lebens u. Wollens. Leider muß ich Ihnen
bez. Ihrer Berk[eleyJarbeit sagen, daß der Druck des Jahrbuchs
frühestens im März 1932 beginnen kann, aus verschiedenen
Gründen (Erscheinen also im Sommer). Ich hoffe, wenn Sie
dann noch wünschen, Ihre Arbeit mitnehmen zu dürfen; aber
meine Beiträge sind nicht fertig u. ich weiß nicht, ob das Jahrb.
nicht so groß wird, daß Niemeyer es in der jetzigen Zeit, wo Bü-
cher eigentlich überhaupt nicht gekauft werden, nicht annehmen
kann.
Auf Ihre abenteuerlich-rührenden Schweizer Pläne gehe ich
nicht ein (Zürich u. Basel sind schon besetzt worden), der Carne-
gie-plan läßt sich, als Erholungspause gedacht, erwägen, aber ich
habe keine Ahnung, wo der Sitz der Stiftung ist, habe keine Be-
ziehung zu ihr. Wenn ich gefragt werde, werde ich schon gehörig
loslegen, da wird's an mir nicht fehlen.
BRIEFE VON HUSSERL 73
Durchaus widerraten möchte ich, eine neue Abh[andlung] für
Dessoir zu schreiben. Sie haben dabei gar keine Verpflichtung, u.
es ist nur eine Zerstreuung in Einzelprobleme, wo das Entschei-
dende in anderer Richtung liegt. Offen gesagt, Sie wissen nicht,
was even t. für Sie auf dem Spiel stehen mag, wenn sich Ihnen
das wirkliche Verständnis der const[itutivenJ Ph[änomenolo-
gie] eröffnen würde. Davon sind Sie noch himmelweit entfernt,
da Sie noch nicht verstehen, daß das nicht eine Differenz der Gat-
tung Idealism (im hist[orischenJ Begriff) ist, sondern vom histor.
Ideal- u. Realism gleich entfernt u. durch Abgründe getrennt ist.
Es handelt sich um eine Wende der gesamten Philosophie der
Jahrtausende, die Sinn u. Methode aller Probleme u. aller mög-
lichen Theorien total wandelt. Eine systemat. Vorbesinnung, die
einen Vorblick, eine erste Ahnung des Neuen giebt, der totalen
Revolution, die notwendig geworden ist, bieten Ihnen die Car-
t[esianischen] Med[itationenJ. Offenbar halten Sie es nicht für so
wichtig, sie zu Ende durchzuarbeiten, und meinen, nach I-IV
schon zu verstehen, was da gewollt ist 62. Aber erst nach V muß
das eigentliche Verstehen kommen u. dann die Nötigung, von I
nochmals anzufangen. Freilich, eine eigentliche system. Darstel-
lung u. der Entwurf der weiteren Problematik - das System
einer phän[omenologischen] Metaphysik ist damit nicht ausge-
führt. Aber Sie würden, einmal auf den neuen Boden erhoben,
schon verstehen, was da gewollt werden kann u. muß, Augen ha-
ben, selber zu sehen. Sie könnten dann nicht weiter in der alten
Weise Ontologie treiben. Ihre ganze Philosophie käme in neue
Bewegung, änderte Sinn u. Methode (was nicht sagt, daß die alten
Gedanken verloren wären).
Sie ahnen nicht den Umfang u. die Tiefe, in der die neue Phil.
schon gediehen ist, und die Unendlichkeit von Entdeckungen, die
sich für Jeden eröffnen, der da zugreift.
Ich arbeite fieberhaft, aber in einer Freudigkeit, die meine
Kräfte stetig steigert. Erst durch die Arbeit der letzten Jahre,
durch das freie Zusammendenken, Ergänzen, Ausgleichen, An-
einandermessen, Miteinanderverknüpfen der concreten Unter-
s[uchungen] der letzten beiden Jahrzehnte, unter beständigen
principiellsten u. methodischen Reflexionen, ist - fast ganz
wider eigenes Erwarten - ein geschlossenes System im Werden
u. geworden, freilich ein System, das Unendlichkeit der Wissen-
74 BRIEFE VON HUSSERL
schaft ist, für alle künftigen Generationen nur der Umriß für
neue u. immer neue Entdeckungen.
Es giebt keine Art Evidenz (auch nicht die mathem[atische]),
die der Evidenz der phän[omenologischen] Philosophie gleich-
kommt (der constit[utiven], die keinem meiner alten Schüler
verständlich geworden ist). Von allen den lieben Schülern u. phi-
los. Freunden mußte ich mich trennen - Sie möchte ich nicht
preisgeben, Ihnen möchte ich das Glück gönnen, zu sehen, was
ein wie Großes u. Schönes uns da zu theil geworden u. anvertraut
ist, und wie große eigene Probleme Sie da in dem neuen Arbeits-
horizont gewinnen könnten.
Vorläufig habe ich nur an Dr. Fink einen allerdings glänzend
begabten Mithelfer. (Übrigens, in Wien hält jetzt Privatdoz. Felix
Kaufmann in der Urania 6 Vorträge über die Philos. E. Hus-
s[erl]s. Er scheint allmälig hineingewachsen zu sein). Es ist
schwer, das Schwerste der Philosophie überhaupt ist die phä-
n[ omenologische] Reduktion, sie mit Verständnis zu durchdringen
u. zu üben.
Noch eins. Wäre es nicht gut, eine Weile Ihre Vorlesungsthätig-
keit auf Seminar zu beschränken (um Kräfte zu sammeln). Ja
nicht alles aufgeben, nich t Fühlung mit philos. begabter Jugend
verlieren!
Also bei uns alles wolauf - Möge bei Ihnen bald alles sich zum
Guten wenden. Es kann nicht zu lange dauern, Sie werden sich
durch den Ernst Ihrer Leistungen durchsetzen, wie ich dereinst
nach den 14 Privatdoz.-jahren.
In Eile viele herzlichste Grüße u. Wünsche von uns, Ihren al-
ten, Sie hochschätzenden Freunden
E. Husserl
LVI
Lieber Freund.
Zwei Zeilen - stante pede - auf Ihren wundervollen Brief. Wie
dankbar bin ich für solche Freundschaft u. Nachsicht. Dieser
BRIEFE VON HUSSERL 75
letzteren habe ich allzusehr bedurft für das ungerechte klobige
Dreinfahren. Aber verstehen Sie wohl - Sie sind für mich ein
Anderer und mehr als andere "Schüler", auch die ich als Freun-
de menschlich hochhalte. Meine Freundschaft für Sie, dieses so
nahe persönl. Verhältnis, kann nie davon berührt werden, ob Sie
den tiefsten, umwälzenden Sinn d. const[itutiven] Phänomenolo-
gie nachverstehen u. sich zueignen oder nicht. Aber Ihre philos.
Zukunft - Ihr Intellect u. seine großen Möglichkeiten -
auch das liegt mir am Herzen, da ich Sie eben auch darin
vor Anderen hochschätze! ! Und Sie wissen nicht, wie glücklich
ich in diesen abschließenden Forschungsjahren bin, da im letzten
Zusammendenken alles so herrlich stimmt u. die syst. Linien in
unvergleichlicher Evidenz fortlaufen zu den höchsten u. letzten
Fragen. Und Sie sollten daran nicht vor allen theilhaben, an die-
ser Unendlichkeit noch offener Entdeckungen, wo so Großes u.
Größtes nur vorgedeutet, aber erst zu machen ist! Daher die
Angst, daß Ihnen, dem so nahen Freunde, mit Ihrem Können,
das entgehen könnte.
Ich bin in großer Arbeit - ich darf jetzt nicht mehr schreiben.
Vom Herzen
Ihr aItgetreuer E. Husserl
LVII
LVIII
Lieber Freund.
Seit Ihrem lieben Weihnachtsbrief sind etwa 7 Wochen dahin-
gegangen - wie ein Tag, in meiner unaufhörlich intensivsten Ar-
beit, durch manche Störungen u. Dispositionsschwankungen hin-
durch. Dabei habe ich Ihre Fragen noch gar nicht beantwortet! !
Ihr Msc. ist - das unzureichend schützende Couvert ganz zer-
fetzt - doch angekommen. Ich bin freilich in Verlegenheit hin-
sichtlich des Jahrbuches - wann überhaupt der Druck beginnen
kann, da ich an meiner großen Systemdarstellung fixiert geblie-
ben, die Bearbeitung der Med[itationen] zunächst ganz Dr. Fink
für seinen Vorentwurf überlassen habe, nur daß alles Nötige im
Allgemeinen durchgesprochen wurde. Wenn dieser fertig ist, muß
ich aber doch die persönliche Ausarbeitung erst ausführen, was
Monate kosten wird 64. Dazu scheint es, daß die neuen Med[ita-
tionen} sehr viel größer werden. Wie wird es dann mit dem Um-
fang des Jahrbuches ausgehen: I. die seit Jahren fertig liegende
Zeitunters[uchung]; 2. Finks 2. Theil (I2-I5 Bogen allein); 3. Fe-
lix Kaufmanns matheematisch]-ph[änomenologische] Arbeit?!
Ich bin ein schlechter Redacteur. Jedenfalls muß ich, ich bin be-
gierig, Ihre Arbeit lesen: ob Sie schon dem centralen Sinn meines
Transzendentalismus genugthun können 65. Sind Sie schon voll
gesundet? Viele herzl. Grüße u. Wünsche
E. Husserl
BRIEFE VON HUSSERL 77
LIX
7· 4· 1932 [Poststempel]
LX
Lieber Freund.
Wie oft wollte ich Ihnen schon schreiben, nicht um Ihre l[ie-
ben] Briefe zu beantworten: sondern mich auszusprechen - Ih-
nen, dem altgetreuen Freunde, gegenüber! Wenn ich nur ge-
konnt hätte. Ich will nicht mit Schilderungen der Umstände Zeit
u. Papier vertrödeln. Ich war immer in Notlage. Die arge De-
pression in Folge der Überarbeitung überwand ich durch 2 wö-
chentl. Aufenthalt im reizenden Badenweiler. Nun bin ich wieder
in leidenschaftlicher Arbeit, leider oft durch auswärtige Besuche,
Briefe (Fürsorgen für Collegen u. Schüler, Gutachten f. Fakultä-
ten u. Ministerium) etc. herausgerissen. Doch eh ich weiterschrei-
BRIEFE VON HUSSERL
LXI
Lieber Freund!
Vielen Dank für Ihren hocherfreulichen Brief. Semper idem!
der alte getreue Freund. Nun, wir halten nicht minder Treue. Ich
bin mit m. Frau seit 4. d. M. hier in dem reizenden Badeort Ba-
denweiler. Morgen fahren wir nach dem Iooom hohen Höchen-
schwand (i. Schwarzwald), hier ist uns zu heiß. Ich war durch die
unaufhörlichen wissensch. Besuche der letzten Monate ganz er-
schöpft. Hoffentlich bringt mich 1 Monat Ausspannung wieder
zurecht. Sehr erfreute mich Ihr Studium der F[ormalen] u. tr[an-
scendentalen] Logik. Leider fehlt noch gerade das der V. Medit[a-
tion] , durch die erst I-IV u. der Sinn der ganzen Med[i-
tationen] u. schließlich der total neuartige "Idealism" ver-
ständlich werden kann! Es giebt kein echtes Philosophieren,
es sei denn auf dem Boden der tr[anscendentalen] Reduction
u. ihres "Idealism", keine ph[ilosophischen] Erörterungen, die
für sich schon engilt[igen] Sinn haben können - so bin ich sicher.
Auch Sie werden es sein, wenn Sie einmal sich die Ruhe freier
(vor allem von Ihrer u. aller sonstigen Philos. freier) Besinnungen
gönnen, aber dann radicaler. Die tr[anscendentale] Red[uction]
ermöglicht erst wahren Radicalism, wahre Freiheit. Versuchen
Sie zu verstehen, warum ich immerfort sagen kann, daß Sie den
tieferen Sinn der const[itutiven] Ph[änomenologie] nicht verstan-
den haben u. warum das kein Vorwurf ist, wie denn Niemand
BRIEFE VON HUSSERL 81
meiner alten Schule verstand. Es liegt nicht an dem Fehlen der
concr[eten] Untersuchungen. Darin sind Sie selbst weiter als
die Meisten. Aber alle int[entionalen] Analysen sind (in der ersten
Stufe der Ph[änomenologieJ) doppeldeutig. - Ein Wiener "Schü-
ler" (Schütz) versprach mir, einige Copien des d[eutschen] U r-
textes der Medit[ationen] anzufertigen. Ich bat darum, theils
wegen der Straßburger u. Wiener Freunde, theils u. vor allem
Ihretwegen 68. Leider ist ja die franz. übers. voll Hemmnisse
des Verständnisses. Ich hoffe, Ihnen also I deutsches Ex. in etwa
4 Wochen senden zu können. - Ich habe wichtige "Tiefbohrun-
gen" fortgeführt, u. nun erst gehe ich an den Ersatz für die M e-
dit[ationen] , deren alte Form für das deutsche Publ. nicht ge-
nügt 69. Herzlichen Dank für das Bild. Pracht jungen, mägen es
ganze freie Menschen werden.
Ihre Arbeit nehme ich natürlich ins Jahrb., wenn Sie es wün-
schen, aber werden Sie es etwa in einem 1{2 Jahr, nach den wei-
teren Studien meiner Intentionen?
Herzliehst Ihr E. Husserl
Wir grüßen Ihre Frau!
LXII
Liebster Freund.
Ich bin schwer enttäuscht zu hören, daß die Besetzung des Or-
dinariats wieder I Jahr verschoben sei. Sie werden diese Probe
doch bestehen, mannhaft wie immer, u. daran wachsen. An Nie-
meyer habe ich geschrieben. - Ich darf Sie nicht von dem Jahr-
buch abhängig machen, das nun schon 3 Jahre stockt, da es auf
mein neues Werk wartet. - Ich bin in bestem Zug, der Erholungs-
monat im Schwarzw[ald] hat mir frische Kraft gegeben. Endlich
kann ich an Reinausarbeitung gehen: Jetzt erst. Gegen Ihren
Schweizer Plan kann ich nichts einwenden, aber dahin habe
ich gar keine näheren Verbindungen. Herrlich wäre Basel -
I St[unde] von Freiburg ! auch nahe von Straßburg. Es käme auf
den Versuch an, Begründung durch den lebhaften Wunsch näh-
82 BRIEFE VON HUSSERL
LXIII
* Die Zeichen zwischen der Klammer sind nicht ganz sicher zu identifizieren. Sehr
wahrscheinlich sind sie als "Mb" zu lesen und als Abkürzung für Marburg, d.h. für die
neukantianische Marburger Schule zu verstehen. (Anm. d. Hrsg.)
BRIEFE VON HUSSERL
LXIV
Freiburg, Ir. X. 1933
Lieber Freund!
Ich habe immer gehofft, daß die Sehnsucht einen Brief Ihnen
entlocken werde. Warum ich schwieg? Sie werden es verstehen?
Das Schicksal des Nichtariers im 3. Reich - seine innere u. äußere
Tragik - bedarf keiner Erörterung als Grund des Schweigens. Da-
bei bin ich noch relativ in günstigerer Lage. Meine, ,Beurlaubung"
ist nach einigen Monaten entgiltig aufgehoben worden. Nicht
ebenso die meines Sohnes, der seine schöne Stellung u. Wirksam-
keit in K[iel] verloren hat. Aber doch ist er für eine ev. andere
Anstellung "in Aussicht" genommen. Er ist nach Berlin (vorläu-
fig) gezogen u. wartet, ob u. was. Heid[egger] ist nat[ionalJ-so-
z[ialistischerJ Rector (nach dem Führerprincip) in Freiburg u. zu-
gleich Leiter der Reform der Universitäten im n[euen] Reich von
hier aus. Die alte deutsche Universität exist[iert] nicht mehr, ihr
Sinn ist hinfort "politische" Univ[ersität]. Eine merkwürdige
Zeit. Ob ich arbeiten kann, leben kann, als Nicht-A[rier] entna-
tionalisiert etc.? Es war schwer genug, endlich habe ich es er-
zwungen, schon den 3. Monat arbeite ich wieder, fast in alter
Energie, trotz des 75-ten Jahres. An meinem Nachlaß! Die Zu-
kunft wird ihn suchen, die Forschung sub sp[ecie] aet[ernitatis]
BRIEFE VON HUSSERL
LXV
LXVI
Lieber Freund.
Ich brauche nun dringend die Copie der MU[itations] Cart[e-
siennes] zu Lehrzwecken. Es sind mehrere Amerik. u. I Engländer
hier, die unter Dr. Finks Leitung die Med[itationen] studieren
wollen.
Was sagen Sie: Ich habe einen Ruf nach Los Angeles als
visiting Professor erhalten. Ich überlege die Möglichkeiten, ob ev.
für I Jahr oder 1/2 Jahr.
Herzl. Grüße! In Eile
Ihr alter E. H.
LXVII
LXVIII
LXIX
LXX
Lieber Freund.
Ich freue mich außerord. über Ihren Besuch. Wir sind hier
bis II. 9. ind. Sie werden in Prag ein paar Phänomenologen
88 BRIEFE VON HUSSERL
LXXI
LXXII
7. X. 1934
Lieber Freund.
Vielen Dank für Ihre köstliche Sendung. Sie haben den Wie-
ner Positivismus glänzend, geradezu in klassischer Prägnanz, ab-
gethan. Es freut mich, aus dem klugen Referat der Zür[cher]
Zeitung zu ersehen, daß es noch verständige Hörer giebt u. in Prag
gab. Hat schon Ihr Semester begonnen? Ich bin in eifrigster Ar-
beit. Wir grüßen Sie u. Ihre l[iebe] Frau herzliehst.
Ihr alter Freund
E. Husserl
Soll ich das Msc. zurücksenden?
LXXIII
Lieber Freund!
Ihr "Formaler Aufbau" macht auf mich den Eindruck einer
außerordentlich feinen, unübertrefflich sorgsamen Arbeit 74, aber
ich muß es nun erst gründlich studieren. Das war in meiner
Bedrängnis noch nicht möglich. Seitdem ich in Kappel die für den
Congress bestimmte (aber alsbald zurückgezogene) Abhandlung
schrieb, giebt mir der darin schnell (in 2 Wochen) hingeschriebene
Entwurf einer histor. Interpretation des Ursprungs unserer
Zweckidee Philosophie zu denken, u. das führte auf tiefe ge-
schichtsphilos. Probleme, die mich in der That bedrängen 75.
Zum Contrast las ich das überaus geistreiche neue Sokratesbuch
von Kuhn (Verlag der "Runde", Berlin). - Mein Prager "Brief"
hat in Deutschland inzwischen viel Staub aufgewirbelt. Dr. Fink
ist wieder in großer Form. Die Einleitung zum 1. Bande des Zeit-
werkes ist durch Rücksichtnahme auf die histor . aufgetretenen
Versuche einer Theorie der Z[eit] sehr umgestaltet worden u. ist
90 BRIEFE VON HUSSERL
schon fast ein ganzes Buch. Es wird aber ein schönes Werk wer-
den u. ein wirklich fundamentales. Unsere tägl. Discussionen
sind sehr anregend. - In der letzten Woche hatten wir einen sehr
interessanten phil. Besuch: Ortega y Gasset, der uns eine
große Überraschung brachte: Er ist ganz tief eingearbeitet in meine
Schriften. Es gab mit mir u. F[ink] täglich große u. ernste Ge-
spräche, seine Fragen in die schwierigsten Tiefen dringend. Er ist
wirklich nicht nur als Publizist Erzieher des neuen Spanien, son-
dern als Professor Leiter einer phän[omenologischen] Schule.
Jetzt wird von ihm eine Übersetzung der Medit[ationen] erfolgen
u. dann der übrigen Werke (die Log[ischen] Unters[uchungen] sind
dort in der sp[anischen] Ausgabe in aller Händen). Übrigens ein
wundervoller Mensch. Was macht Ihr Semester? Bei Ihnen alles
wol? Wir grüßen
Ihr alter Fr. E. Husserl
LXXIV
LXXV
LXXVI
LXXVII
Lieber Freund.
Soeben habe ich Ihren hoch erfreulichen Brief erhalten. Ich
schreibe am Besten sofort - denn wenn ich in meiner normalen
Anomalität befangen bin, id est in der Leidenschaft eines drän-
genden Problems u. der quälenden Sorge, wie ich in die Wolken
der Unklarheit Licht hineinbringe, da kann ich einfach nicht los-
kommen, u. selbst liebste Freundesbriefe müssen warten u. war-
ten. Seit einer Woche bin ich in Folge einer Erkältung arbeits-
unfähig - zum ersten Male seit einem Jahr bin ich aus einem
großen Gedankenzuge herausgerissen, der sich meiner mit einer
unglaublichen Intensität bemächtigt hatte - Vollendung der ge-
schichtsphilosophischen Ausgestaltung der tr[anscendentalen]
Phän[omenologie], mit der sie ihren Sinn als universale tr[ans-
cendentale] Geschichtsphilosophie u. Teleologie ausreift 76. Ältere
Ansätze dienten schon für die unfertige Prager Abh[andlung] vom
vor. Jahre u. wieder für die Wiener Vorträge. -
Doch erst zur Antwort auf Ihren Brief, den Ausdruck meiner
großen Freude über Ihre großen Erfolge, die übrigens nicht bloß
auf Polen beschränkt sind. Ich war dessen im Voraus sicher, daß,
wenn Ihre physischen und seelischen Widerstandskräfte in den
allzuvielen Jahren der Probe aushalten würden, Sie ganz gewiß
sich die Führerstelle in der Philosophie Ihres Vaterlandes erobern
würden. - Übrigens, bei der neuen polit. Freundschaft, die das
3. Reich u. Polen verbinden, wäre es vielleicht möglich, auch eine
Vortragseinladung für Berlin einmal zu erhalten - falls Ihnen die
Schule H[usserl]s nicht negativ angekreidet wird. Jedenfalls -
wenn Sie schon in Posen sind, wäre eine Reise nach Fr[eiburg]
und eine philosophische Pause daselbst vielleicht keine phanta-
stische Hypothese.
Ihre Vorlesungspläne sind durchaus rationell - für Polen, in
Deutschland sind alle diese Themen nicht mehr actuell 77. Philo-
sophie "als str[enge] Wiss[enschaft]" gehört zur erledigten Ver-
gangenheit, so gut wie die Scholastik des I3. Jahrh. Auch im
BRIEFE VON HUSSERL 93
übrigen Europa greift die irrationalistische Skepsis um sich, das
Bollwerk des mathematicistischen Positivism wird nicht lange
helfen, da man schließlich entdecken wird, daß es eine Attrappe
von Philosophie u. nicht eine wirk!. Philosophie ist. Ich bin sicher:
nur die tr[anscendentale] Phänom[enologie] schafftletzte Klarheit
u. den einzig möglichen Weg in notwendig verwandelter Gestalt, die
Idee einer Phil[osophie] als universale Wissenschaft zu verwirk-
lichen. Allmälig fühlt man ein radical Neues in meiner Lebens-
arbeit, und an verschiedenen Hauptstellen der europ[äischen]
Welt zeigt sich eine neue Wirksamkeit meiner Schriften. Nach
dem großen Erfolg (zunächst buchhändlerisch!) der 4-bändigen
spanischen Übersetzung der Log[ischen] Unt[ersuchungen] sollen
der Reihe nach alle meine Schriften (u. Dr. Finks Abhandlungen)
ins Spanische übersetzt werden. In England, in USA, in Süd-
amerika, in Frankreich sind Keimzellen. Eine Übersetzung der
F[ormalen] u. tr[anscendentalen] Logik von Dorion Caims (N[ew]
York) ist in Arbeit. Caims ist übrigens eine Kraft ersten Ranges.
Es könnte also etwas daraus werden - inzwischen verliere ich
(leider schon im 77-ten Jahre!) keine Stunde, u. ich fühle mich
noch immer als Werdender und in der Phänomenologie meiner
Hände sehe ich eine innere Consequenz der einstimmigen Aus-
gestaltung, die schließlich den evidenten Anspruch wird vertreten
können, daß hierin der künftigen Philosophie Methode und Sche-
ma für eine Unendlichkeit von Entdeckungen vorgezeichnet ist,
das gelobte Land der künftigen Philos[ophen]-Generationen. Das
aber steckt (ars longa, vita brevis!) in Meditationen, unlitera-
risch, in Msc.! So sehe ich's, wenn ich wolauf u. in guter Arbeit
bin - anders in den Depressionen, die uns allen nicht erspart sind.
Wie es mit Prag - Wien lief? Prag mußte verschoben werden,
nachdem beides in Connex schon geordnet war. Ich soll nun in
Prag im Nov. sprechen, fatal schon um der großen Anstrengungen
willen. Doch die dortige Opferbereitschaft für die Sicherung mei-
nes Nachlasses, bzw. die Wirksamkeit ermöglichende Behandlung
meiner Msc. verpflichtet mich zu großem Danke. Leider konnte
ich die Zusage für Wien, wo ich den Inhalt der Prager Vorträge
zusammengefaßt (im Kulturbund) wiederholen wollte, nicht
mehr zurückziehen, und nun muß ich für Prag Neues vorbereiten.
In Wien ging es merkwürdig. Ich kam eigentlich ohne ein fertiges
Msc. hin, in Folge der zu spät erfolgten Entscheidung, dort spre-
94 BRIEFE VON HUSSERL
LXXVIII
LXXIX
LXXX
Lieber Freund!
Herzlichste Grüße! Wir haben uns hier recht gut erholt, u. das
war sehr nötig. Ich war noch nie so erschöpft. 6 Wochen Arbeit
habe ich - mitten in der Ausarbeitung meiner halb schon an die
Redaction der Philosophia abgegangenen Schrift - daran geben
müssen. Nun fahren wir heim, u. ich denke, daß alles doch zu
einem guten Ende kommen wird. Wie that es mir leid, daß die
Hoffnung, Sie wiederzusehen, sich nicht erfüllt hat 83. Wenn Sie
nur ein andermal kämen - es ist nicht mehr viel Zeit. Wie geht
es Ihnen u. Ihren Lieben? Schreiben kann ich gar schwer. Sie
sind jung, schreiben Sie bald.
Alle guten Wünsche
E. Husserl
98 BRIEFE VON HUSSERL
LXXXI
Lieber Freund!
J[ean] Hering ist zu unserer großen Freude für einen kurzen Wo-
chenendbesuch bei uns. Natürlich gedenken wir Ihrer herzlich.
Wie geht es Ihnen? Viele Grüße
Ihr
E. Husserl
Herzlichste Grüße in treuem Gedenken an voriges Jahr, wo wir
alle hier zusammen waren.
M[alvine] Husserl
LXXXII
LXXXIII
Ein weiteres Jahr der Arbeit!! Sie werden allerlei finden, was Sie
befremdet: aber es ist wohl genug betont worden, daß der Leser
durch die Vordeutungen auf Denkrichtungen hingelenkt werden
soll, die erst, wenn er hinreichend vorbereitet ist, systematisch
explicirt werden können und einsichtig in ihrer neuen Eigenart, in
ihrer apodikt[ischen] Methode. Im übrigen rechne ich höchstens
auf ein Dutzend ernst mitdenkende Leser für eine so schwierige,
so langen Athem erfordernde Schrift.
Sie können sich denken, daß ich mich müde fühle bei all den
philos. und außerphilosophischen Spannungen. Die beiden Weih-
nachtswochen habe ich seit Jahren zum ersten Male nicht ge-
arbeitet, nur allerlei gelesen, darunter das schöne Buch von Karel
Capek "Masaryk erzählt sein Leben" (Bei Cassirers Verlag, Ber-
lin).
Nun gönnen auch Sie sich Ruhe (so mahnt nachdrücklich
auch meine Frau). Nochmals von uns herzlichste Wünsche für
Sie, Ihre l[iebe] Frau u. Ihre schönen Jungen. Kommen Sie bald
wieder zu uns, so lange wir noch da sind - sehr nahe gieng mir
der Tod meines alten Lehrers u. Freundes Stumpf - frelich im
89. Jahre.
Ihr alter Freund
E. Husserl
LXXXIV
LXXXV
L. Freund.
Ihre kleine, aber in Ihrer gewohnten prächtigen Präcision lehr-
reiche Abh. über die Wandlungen etc. habe ich sofort gelesen.
Der Redacteur hat Recht! Fahren Sie nach Paris? Dürfen wir Sie
dann erwarten? Sie fänden offene Arme. Meine Frau hat den
Umzug wundervoll dirigiert, während ich nach Breitnau bei Hin-
terzarten abgeschoben wurde 87. Sie würden staunen, wie groß-
artig wir wohnen über der Stadt (am Schloßberg). Hier erhoffe
ich Wiederherstellung meiner Gesundheit, die mir durch ständige
Störungen seit Anfang d. J. ein continuierliches Arbeiten unmög-
lich machte. Den 2-ten Artikel konnte ich daher nicht ablie-
fern I ! I Ich hatte in den letzten Jahren zu toll gearbeitet.
Ihr alter Freund
E. Husserl
BRIEFE VON HUSSERL I03
LXXXVI
LXXXVII
LXXXVIII
Z1. April 38
LXXXIX
Den 27. April 1938 ist eingegangen in den ewigen Frieden mein
teurer Gatte, unser ehrwürdiger geliebter Vater und Großvater
der Philosoph
EDMUND HUSSERL
Sein Leben und sein Sterben war stilles Heldentum.
Freiburg i. Br.
[U n terschriften]
II
ROMAN INGARDEN
UND
Ich bin nach Göttingen zum ersten Mal Ende April 1912 ge-
kommen, um dort Philosophie, Psychologie, Mathematik und
Physik zu studieren. Mit Professor Husserl sprach ich zum ersten
Mal am 11. Mai d. J., als ich mich zu seinem Kolleg "Urteilstheo-
rie" anmeldete. Ich verbrachte in Göttingen fünf Semester bis
zum Ausbruch des ersten Weltkrieges und habe bei Husserl noch
folgende Vorlesungen gehört: Logik und Einleitung zur Wissen-
schaftslehre, WS 1912/13; Natur und Geist, SS 1913; Kant und
die Philosophie der Neuzeit, WS 1913/14; und Grundfragen der
Ethik, SS 1914. Außerdem habe ich vom WS 1912/13 bis zum
SS 1914 an seinem Seminar teilgenommen; und zwar: WS 1912/
13, Metaphysische und wissenschaftstheoretische Übungen über
Natur und Geist; SS 1913, Übungen über Naturwissenschaft und
Geisteswissenschaft; WS 1913/14, Phänomenologische Übungen
für Fortgeschrittene; SS 1914, Ausgewählte phänomenologische
Probleme. Das WS I9I4/I5 verbrachte ich an der Universität
Wien, wo ich vorwiegend Mathematik und Physik studierte. Für
das SS 1915 kehrte ich nach Göttingen zurück. Husserl las da
über "Ausgewählte phänomenologische Probleme" und hielt im
Seminar Übungen über Fichtes "Bestimmung des Menschen". Im
WS I9I5/I6 war ich krank und verbrachte diese Zeit in Polen. Ich
kam Ende Februar I9I6 nach Göttingen und erfuhr, daß Husserl
den Ruf nach Freiburg in Br. angenommen hatte und bald dort-
hin übersiedeln werde. Ich folgte ihm nach und hörte dort seine
Vorlesungen: Einleitung in die Philosophie, SS I9I6; und Ge-
schichte der Philosophie, WS I9I6/I7. Im Seminar behandelte
man Descartes "Meditationes de prima philosophia", D. Humes
"Traktat über die menschliche Natur" und Berkeleys "Über die
ERINNERUNGEN AN HUSSERL I07
Prinzipien der menschlichen Erkenntnis". Anfang Januar 1917
mußte ich nach Krakau fahren und kam erst Ende September
1917 nach Freiburg zurück, um nach der Übergabe meiner Dis-
sertation mich zum Doktorexamen vorzubereiten, das ich am 16.
Januar 1918 bei E. Husserl (in Philosophie, Mathematik und
Physik) bestand.
Meine sämtlichen Notizen der Vorlesungen, die ich in Göttin-
gen und Freiburg hörte, sind mir leider in folge des ersten Welt-
krieges verloren gegangen. Ich kann sie somit jetzt nicht zu Rate
ziehen, um über ihren Inhalt näher zu berichten. Ich habe aber in
November 1966 einige Zeit im Husserl-Archiv in Louvain ver-
bracht, um auf Grund der vorhandenen Manuskripte Husserls
einiges über diese Vorlesungen sagen zu können.
Das für das Sommerseimester 1912 angekündigte Kolleg "Ur-
teilstheorie" war meinen Erinnerungen gemäß keine logische
Vorlesung. Im Mai gab es eine längere Ausführung über das We-
sen und über die Philosophie als \Vesensforschung, was auf mich
damals einen großen Eindruck gemacht hat. Auf dem Titelblatt
des Manuskript-Konvoluts, das man im H. A. für die Vorlesung
des SS 1912 hält, steht von Husserls Hand: "Altes zur Reduktion,
1912". Dann aber steht noch: "Erster Teil, 1-34, Einleitung in
die Phänomenologie" (Signatur: F I 4); "Sommervorlesung,
1912, 2. Teil (gut), 35-59" (Signatur: B II 19 I). Alles in allem
scheint es also, daß Husserl in diesem Kolleg manche Teile der
damals vorbereiteten "Ideen I" vorgetragen hat. Dies stimmt
auch damit zusammen, daß Husserl am Anfange die Änderung
des Themas der Vorlesung ankündigt und begründet *.
Die Vorlesung über Logik im WS 1912/13 war nur eine Wieder-
holung des Kollegs über Logik aus dem WS I9Io/rr, wo sie den
Titel trug: "Logik als Theorie der Erkenntnis". Was die Manu-
skripte zu dieser Vorlesung betrifft, so sind sie, nach der Zusam-
menstellung, welche Dr. Rudolf Boehm gemacht hat, die fol-
genden:
Signat. F I 15: ,,3" bis ,,72" mit einigen Lücken und einigen
Einlagen, in einiger Unordnung. Husserls Angabe: ,,1. Logik als
Theorie der Erkenntnis, I9Io/rr, p. 1-73. Wieder gelesen 1912/13,
1914/15, Kriegswinter". - Dann: F 12: Einige Beiblätter, dann
* Leider sind die originalen Handschriften Husserls nicht transkribiert, so daß ich
sie nicht lesen konnte.
108 ERINNERUNGEN AN HUSSERL
* Im Husserl-Archiv liegt eine Schrüt von Dr. Rudolf Boehm u.d.T. "Systema-
tisch-chronologische Übersicht über die in der Archiv-Sektion F erhaltenen Vor-
lesungsmanuskripte und -Materialien Husserls" vor. Man hat mir diese Schrift in
einer Kopie zur Verfügung gestellt, wofür ich hier der Direktion des Archivs und auch
Dr. Boehm meinen besten Dank ausspreche. Auch bin ich Herrn Dr. Iso Kern, der so
freundlich war, mir in meinen Nachforschungen nach verschiedenen Handschriften
Husserls behilflich zu sein, wärmsten Dank schuldig.
ERINNERUNGEN AN HUSSERL I09
nicht ausgeführt, da der Krieg ausbrach und Husserl weder die
übliche Anzahl Studenten hatte, noch auch die zu einem solchen
verantwortlich vorbereiteten Kolleg nötige Arbeitsstimmung ha-
ben konnte.
Die Vorlesung im SS 1913 trug den Titel "Natur und Geist".
Im Husserl-Archiv hat man mir ein Manuskript-Konvolut ge-
zeigt, welches die Texte, die zu dieser Vorlesung als Unterlage
dienten, enthalten soll. Nun, auf dem Titelblatt steht: "Ideen 11,
S. 1-305"; darin soll auch die Umarbeitung aus dem Jahre 1915
enthalten sein, welche auch FrL Stein als Unterlage gedient hat
(Signatur F 111 I). Außerdem sollen noch andere Manuskripte
darin zusammengelegt worden sein, worunter auch Materialien
zu einer neuen Redaktion der VI. Logischen Untersuchung ent-
halten sein sollen *. Wichtig aber ist, daß diese Vorlesung die
Probleme der "Ideen 11" behandelte, und zwarin einem Geiste, wie
dies aus der späteren Ausarbeitung von Edith Stein hervorgeht,
der, kurz gesagt, einen starken realistischen Anstrich an sich hat-
te. Diese Tatsache klärt, wie es möglich war, daß manche Be-
trachtungen, die der im Jahre 1913 erschienene Text der "Ideen I"
enthielt, für die Schüler Husserls eine gewisse Überraschung bil-
deten. Ich komme darauf bei der Besprechung der Husserlschen
Seminarübungen im WS 1913/14 zurück.
Im Wintersemester 1913/14 sprach Husserl über die Kantische
Philosophie. Ich kann mich aber nicht erinnern, auf welche Weise
Husserl den Kritizismus Kants behandelt und welche Stellung er
ihm gegenüber eingenommen hat. Daß er aber eine Kritik des
Hauptgedankens der "Kritik der reinen Vernunft" durchgeführt
hat, scheint mir außer jedem Zweifel zu stehen. Denn es war je-
denfalls kein gewöhnliches schulmäßiges Kolleg, das den eigenen
Standpunkt des Vortragenden nicht zum Ausdruck gebracht
hätte. Ich weiß, welchen Eindruck Husserls Behandlungsweise
der Kantischen Philosophie im Unterschied zu den Übungen über
Kants "Kritik der reinen Vernunft" gemacht hat, die ich bei
Heinrich Maier gleich am Anfang meiner Göttinger Studien mit-
gemacht habe. Meine Erinnerungen reichen aber nicht dazu aus,
• Edith Stein schrieb mir im Sommer 1918, daß sie ein großes Konvolut von Hand-
schriften zur Ordnung erhalten hat, welches Stücke einer neuen Ausarbeitung der
VI. Untersuchung enthalten hat. Wahrscheinlich handelt es sich eben um diese Hand-
schriften, die da erwähnt werden. Ich werde darauf noch zurückkommen.
IIO ERINNERUNGEN AN HUSSERL
gen gehabt, da sich um ihn in den letzten Jahren vor dem ersten
Weltkriege die jungen Phänomenologen scharten. Er war ein
guter Lehrer und vor allem glänzender Leiter der philosophischen
Übungen. In den "Übungen für Vorgeschrittene" hat er stets
selbst ein Zentralproblem entworfen, an dem dann im Laufe des
Schuljahres gearbeitet wurde. Das interessanteste und lehrreich-
ste Seminar war in dem letzten Jahre seiner Tätigkeit den Proble-
men der Bewegung gewidmet. Klar und scharf waren die von ihm
gegebenen Problemformulierungen, klar, präzis und kurz gefaßt
waren die Antworten, die er den Teilnehmern der "Übungen"
gab, schlagend waren die Zurückweisungen, mit denen er seinen
Standpunkt verteidigte, lebendig und überzeugend die Beispiele,
die er anzuführen wußte. Und was besonders kostbar war, war der
Umstand, daß er die Fähigkeit hatte, unsere oft ungeschickt for-
mulierten Fragen oder Behauptungen sofort richtig zu verstehen
und in den richtigen Problemzusammenhang hineinzustellen. Der
Gang der Diskussionen war den Teilnehmern überlassen, Reinach
selbst fungierte anscheinend bloß als der Hüter, daß man nicht
auf Abwege geriet. Im Grunde aber war er das Herz der gemein-
samen Arbeit, der lebendige, gerade in schöpferischer Einstellung
neue Forschungswege und Aspekte eröffnende Geist, der seine
Aktivität, sein Zugreifen in schwierigen Situationen, seine Gei-
stesgegenwart nie verlor. So war man durch ihn in die Einstellung
schöpferischen Philosophierens gebracht und man konnte sich der
Teilnahme am Werden einer neuen Philosophie erfreuen, so sehr
man doch in Wirklichkeit ein philosophierendes Kind war *.
Ich kam nach Göttingen in meinem zweiten Studiensemester.
Zum Seminar bei Husserl habe ich mich erst im WS 1912/13 ge-
meldet. Ich sprach damals schlecht Deutsch und war auch ziem-
lich furchtsam. So dauerte es verhältnismäßig lange, bis ich im
Seminar Husserls zum Sprechen kam. Meine persönlichen Bezieh-
ungen zu Husserl entwickelten sich also nur langsam, obwohl es
* Ich sprach mit Reinach das letzte Mal Ende Juli 1914, als ich zu ihm ging, um
mich vor meiner Abreise nach Krakau zu verabschieden. "Was machen die Polen"?
war die erste Frage Reinachs. "Jetzt oder nie". - war meine Antwort. Dann sprachen
wir über den kommenden Krieg. Im letzten Moment beim Abschied fragte ich Rei-
nach: "Müssen Sie, Herr Doktor, auch mit"? - "Selbstverständlich - antwortete
Reinach - wir sehen uns wahrscheinlich das letzte Mal". Leider war dies wirklich der
Fall. Als ich im Sommer 1915 in Göttingen war, stand Reinach im Felde im Westen.
Im November 1917 erfuhren wir mit Fr!. Stein aus der Frankfurter Zeitung, daß er in
Belgien gefallen war.
ERINNERUNGEN AN HUSSERL II5
mir schon während des SS I9I2 klar geworden war, daß ich Philo-
sophie im Hauptfach, und zwar bei Husserl studieren würde.
Husserl sprach eines Tages im Mai I9I2 über das Wesen des Be-
wußtseins und überhaupt über die Wesensforschung als das
Hauptthema der Philosophie. Ich kam aus Lw6w, wo trotz Twar-
dowski eine ziemlich stark positivistisch gefärbte philosophische
Atmosphäre herrschte, da ein Teil der Schüler Twardowskis (vor
allem Lukasiewicz) unter den Einfluß von B. Russell und Ernst
Mach gekommen waren. Ein anderer Teil der Schüler Twardows-
kis betrieb nur eine desrkiptive Psychologie in Sinne Brentanos,
wobei Twardowski immer Brentano für einen "Psychologen"
ausgab. An Philosophie glaubte man in dieser Zeit schon wenig.
Die ersten Anfänge der späteren logistischen Schule waren bereits
Wirklichkeit geworden. Ich war also ganz begeistert, als ich von
Husserl hörte, daß man der Philosophie eine Wesensforschung zur
Aufgabe zu stellen hätte. Trotzdem dauerte es noch eine Weile,
bis ich mich in die neue philosophische und insbesondere phäno-
menologische Atmosphäre einlebte. Störend in dieser Hinsicht
waren die Vorlesungen von G. E. Müller, den ich hören mußte, da
ich doch ursprünglich nach den Ratschlägen Twardowskis auch
Psychologie studieren sollte. Seine Vorlesungen waren in ihrem Stil
gewiß sehr gut, aber in ihrer streng empiristisch naturwissen-
schaftlichen Einstellung waren sie von jeder Philosophie weit ent-
fernt. Auch in der Art, wie Müller die psychologischen Probleme
behandelte, waren seine Vorlesungen und überhaupt alles, was
unter seiner unmittelbaren Leitung im Psychologischen Institut
betrieben wurde, im Grunde sehr veraltet, so ernst auch Müller
seine Untersuchungen führte. Endlich war auch die Weise, wie
man damals unter Hilberts Einfluß die mathematischen Proble-
me behandelte, von der Philosophie, wie sie Husserl und auch
Reinach verstand, sehr weit entfernt und ihr auch nicht gerade
freundlich gestimmt. So hatten in meinen ersten Göttinger Se-
mestern verschiedene Einflüsse auf mich gewirkt, so daß meine
Annäherung an die Phänomenologie nur langsam voranging.
Immerhin aber stand ich schon im Herbst I9I3 Husserl und
der Phänomenologie so nahe, daß ich daran dachte, bei Husserl
zu promovieren. Ich habe mich auch zu Anfang des WS I9I3/I4
bei Professor Husserl angemeldet, um ihn um die Erlaubnis zu
bitten, bei ihm meine Doktorarbeit zu schreiben. Ich schlug als
II6 ERINNERUNGEN AN HUSSERL
Thema das Wesen der Person vor, was Husserl mit Begeisterung
aufnahm, doch meinte er, daß die Bearbeitung des Themas fünf
Jahre erfordern würde. Das konnte ich mir nicht leisten, und so
schlug ich als ein anderes Thema "Intuition und Intellekt bei H.
Bergson" vor, was von Husserl angenommen wurde. So begann
ich im Winter 1913/14, mich mit der Philosophie Bergsons zu be-
schäftigen, wobei ich mich vor allem in den "Essai sur les don-
nees immediates de la conscience" tiefer eingearbeitet habe. Ich
erwähne dies, weil es ein Gespräch mit Husserl zur Folge hatte.
Im Frühjahr I9I4 war die Bearbeitung der "Ideen I" im Seminar
Husserls so weit fortgeschritten, daß wir Probleme der Zeit be-
sprochen haben. Und da stellte ich Husserl eine Frage, die sich
auf das ursprüngliche zeitkonstituierende Bewußtsein bezog. Be-
kanntlich war diese ganze Problemsphäre in den "Ideen" nicht
berücksichtigt. Husserl war etwas überrascht und fragte mich,
woher ich etwas darüber wisse. Ich antwortete: "Ich weiß es von
Bergson", worauf mich Husserl aufgefordert hat, ihn am näch-
sten Tag zu besuchen. Husserl kannte damals augenscheinlich
Bergson nicht näher. Als ich zu ihn kam, fand ich auf seinem
Tisch die "Evolution creatrice" (in deutscher Übersetzung) lie-
gen. Husserl bestätigte, daß bei Bergson Beschreibungen der
"duree pure" vorliegen, die seinen eigenen Untersuchungen auf
diesem Gebiete sehr nahe standen. So begannen meine privaten
philosophischen Gespräche mit Husserl, die sich dann später im-
mer öfter fortsetzten. Sie setzten sich dann im Jahre 1915 und
später fort.
Das erste Kriegssemester verbrachte ich in Wien, wo ich aber
nur Mathematik und Physik studierte, da mir die dortige Philoso-
phie nicht interessant zu sein schien. So beschloß ich, nach Göt-
tingen zurückzukehren. Ich verbrachte dort das SS 1915 und hör-
te bei Husserl die Vorlesung "Ausgewählte phänomenologische
Probleme", an deren Inhalt ich mich nicht erinnere. Im Husserl-
Archiv befinden sich handschriftliche Notizen Husserls zu diesem
Kolleg, leider sind sie nicht abgeschrieben (Signatur: F I 31, zu-
sammen 86 Blätter + Umschläge, I. Teil 1-42, II. Teil 43--69), so
kann ich hier nichts näheres über ihren Inhalt angeben. Inte-
ressant sind aber einige Randbemerkungen von der Hand Hus-
serls. So lesen wir zuerst als Ergänzung des Titels der Vorlesung:
"Darin Argumente zum transzendentalen Idealismus" - sie fan-
ERINNERUNGEN AN HUSSERL II7
gen, wie es scheint, Seite 64 H. an, worauf noch eine Reihe beige-
fügter Blätter folgt. Darin findet sich u.a. die Unterscheidung
zwischen empirischem und transzendentalem Ich. Es müßte im
Text der Husserlschen Notizen selbst nachgeprüft werden, ob es
eine Verteidigung des transzendentalen Idealismus ist. - Eine an-
dere Randbemerkung Husserls lautet: "Zum verfehlten Kolleg
im Kriegsommer 1915" - und eine andere Notiz scheint zu klären,
warum Husserl dieses Kolleg für "verfehlt" hielt. Sie lautet näm-
lieh: "Hier habe ich aber die ganze Lehre von der Intersubjekti-
vität vergessen. In der ganzen Vorlesung. "Var das Kriegspsy-
chose?" (BI. 4, 2). Diese Notiz ist aus mehreren Gründen sehr in-
teressant. Und zwar folgt aus ihr, daß Husserl bereits früher über
die Probleme der "Intersubjektivität" und damit auch über die
Alteregos und auch über das Problem ihrer Erkenntnis und auch
ihrer Rolle bei der Konstituierung der intersubjektiv zugäng-
lichen realen Welt gearbeitet hat und zu manchen Ergebnissen
gelangt ist, während in den von Husserl selbst veröffentlichten
Werken diese Probleme erst in den "Cartesianischen Meditatio-
nen" - und zwar in der V. Meditation - behandelt werden. Zwei-
tens, daß Husserl diesen ganzen Problemkreis für sehr wichtig
hielt, wenn er ihrer Nichtberücksichtigung in den Vorlesungen
wegen diese für "verfehlt" hielt *. Drittens aber ist es wichtig,
daß auch in den übrigen mir bekannten Vorlesungen Husserl über
die Probleme der Inter-Subjektivität nicht gesprochen hat. In-
folgedessen war es für mich eine völlige Neuheit, als ich in den
"Cartesianischen Meditationen" über diese Probleme las. Ich
mußte also diese ganze Erwägung in der V. Meditation für einen
weiteren Schritt in der Entwicklung der Husserlschen Phänome-
nologie halten, und mußte in dieser Überzeugung durch die Wei-
se, wie Husserl die Wichtigkeit und die Neuheit der V. Meditation
in seinen Briefen an mich unterstrich, noch bestärkt werden. In
Wirklichkeit aber scheinen mindestens die ersten Entwürfe bzw.
Vorarbeiten zur Theorie der Intersubjektivität bis tief in die
Göttinger Jahre Husserls zurückzureichen **.
* Übrigens finden sich auch andere kritische Randbemerkungen zu den Notizen
dieser Vorlesung. Z.B. "Natürliche Psychologie ganz unzureichend, ja verkehrt"
(Blatt 25), "Tolle Verwechslung von Hintergrund und Horizont" (Blatt 39), "Es
fehlt: Horizont potentieller immanenter Gegebenheiten" (BI. 39). Das "Verfehlt sein"
der Vorlesungen konnte also verschiedene Gründe haben.
** Während meines zweiwöchigen Aufenthaltes im November 1966 in Louvain
konnte ich nur einige oberflächliche Einblicke in das Handschriftenmaterial Husserls
n8 ERINNERUNGEN AN HUSSERL
auf relativ kurze Zeit gefolgt. Im Frühjahr 1916 war außer mir in
Freiburg nur Rudolf Meyer (der später bald verschwand, so daß
ich überhaupt nicht weiß, ob er philosophisch tätig war). Im
Sommer, gegen das Ende des SS, kam Frl. Edith Stein, um ihr
Doktorexamen bei Husserl abzulegen, und ist dann ab Herbst
1q16 für knapp zwei Jahre als Assistentin Husserls geblieben.
Von anderen Göttinger Schülern Husserls sind nach dem Kriege
nur einige für einige Zeit nach Freiburg gekommen, wie Z.B. Hans
Lipps und Fritz Kaufmann; der nächste Mitarbeiter Husserls in
Göttingen, Adolf Reinach, ist im Herbst 1917 gefallen, ebenso wie
eine Reihe anderer naher und begabter Schüler Husserls (wie Ru-
dolf Clemens, Fankfurter u.a.). Endlich sind mehrere andere
Schüler und Freunde Husserls, wie Alexander Koyre, Jean He-
ring, Winthrop Bell u.a. im Ausland geblieben; Frau Conrad-
Martius und ihr Mann, Dr. Theodor Conrad, haben sich für viele
Jahre in Bergzabern versteckt - der Göttinger Phänomenologen-
kreis als eine kulturelle Ganzheit hat im Grunde aufgehört, zu
existieren, und Husserl sprach nur von Zeit zu Zeit über seine
"älteren Schüler", die aus seinem Gesichtskreis verschwunden
waren. Husserl ist wiederum allein geblieben und fing eine Auf-
bauarbeit von vorne an.
Zwischen Husserl und mir gestalteten sich aber die Beziehun-
gen jetzt viel näher, da wir uns beide S.Z.s. als alte Bekannte
fühlten, die einer neuen, unbekannten Welt gegenüberstanden.
So begann ich, Husserl nach jeder Vorlesung nach Hause zu be-
gleiten, bald aber bildete sich die Gewohnheit, daß ich Husserl
fast jeden Abend besuchte, um gemeinsam zu philosophieren. Es
ging oft spät in die Nacht, worauf Frau Malvine Husserl erschien
und mich nach Hause schickte. Im Herbst kam dann Frl. Stein,
und so bildeten wir drei eine kleine Göttinger Kolonie in Freiburg.
Besonders Frl. Stein lebte noch ganz in der Göttinger Atmosphä-
re, indem sie mit den alten Göttinger Freunden, vor allem mit
Reinachs, in engen brieflichen Beziehungen stand.
Schon in Februar 1916 brachte ich nach Göttingen einen an-
sehnlichen Teil meiner Dissertation mit. Ich schrieb dann in
Freiburg weiter an ihr. Im August 1916 habe ich Husserl den er-
sten Abschnitt meiner Arbeit zur Durchsicht übergeben. Wir ver-
brachten darauf einige Tage zusammen in Saig, wo wir neben
meiner Arbeit noch verschiedene andere Probleme besprachen.
ERINNERUNGEN AN HUSSERL 121
U.a. gab mir Husserl das Buch Geysers "Alte und neue Wege der
Philosophie" zu lesen. Das Buch gefiehl mir gar wenig, und ich
war sehr überrascht, als ich erfuhr, daß Geyser der Kandidat für
den Lehrstuhl der katholischen Philosophie an der Universität
Freiburg war. Denn im Frühjahr weilte Max Scheler einige Tage
in Freiburg, und ich dachte, daß er der Kandidat für diesen
Lehrstuhl sei. Ich sprach damals mehrere Stunden mit Scheler,
den ich noch aus Göttingen kannte, und war wiederum durch
seine geistreiche Lebendigkeit und die Breite seiner Problematik
sehr beeindruckt. Er war sicher - wie dies auch seine spätere
Entwicklung bewies - der nach Husserl bedeutendste Phäno-
menologe.
Ich habe natürlich nicht gewagt, Husserl über die Kandidatur
Geysers etwas zu sagen. Aber über das Buch Geysers habe ich
mich doch geäußert. Er ist dann wirklich nach Freiburg gekom-
men, wo er einige Jahre verbrachte. Nach seiner Antrittsvor-
lesung, am nächsten Tage, habe ich Husserl nach seiner Vorlesung
nach Hause begleitet. Ich fragte Husserl nach seinen Eindrücken
von der Antrittsvorlesung, aber Husserllobte nur die guten Wei-
ne, die Geyser nachher seinen Gästen angeboten hatte.
Meine wissenschaftlichen Gespräche mit Husserl kreisten um
einige Hauptthemen, die mir aus verschiedenen Gründen wichtig
waren. Einerseits waren es Fragen, die mit meiner Bergson-Ar-
beit in Zusammenhang standen, andererseits aber Probleme, die
den Idealismus Husserls betrafen. Zu der ersten Gruppe von Fra-
gen gehörte vor allem das Problem der Zeit, und zwar der erfüll-
ten, konstituierten Zeit, und ihrer Konstitution in dem ursprüng-
lichen "inneren" Bewußtsein. Dies stand mit der Bergsonschen
Unterscheidung zwischen la duree pure und le temps und
damit auch mit der Gegenüberstellung der Intuition und des
Intellektes im Zusammenhang. Husserl gab bereits in meinem
ersten Gespräch mit ihm im Jahre 1914 zu, daß la duree pure
mit der usprünglichen erlebten Dauer verwandt sei *. Ich arbei-
tete damals an einer tiefergehenden Kritik der Bergsonschen Auf-
.. Als ich später, im Herbst I9I7, Husserl den fertigen Text meiner Dissertation
vorlas, hörte er der Beschreibung der reinen Dauer bei Bergson aufmerksam zu und
rief in einem gewissen Augenblich aus: "Das ist ganz so, als ob ich Bergson wäre".
Aber erst zehn Jahre später habe ich die "Vorlesungen zur Phänomenologie des inne-
ren Zeitbewußtseins" in einer Maschinenabschrift kennengelernt. Doch darüber
später.
122 ERINNERUNGEN AN HUSSERL
fassung der Zeit und der reinen Dauer. So war für mich vor allem
die Frage interessant, ob die durt~e pure bzw. die sich in ihr
vollziehenden ursprünglichen Ergebnisse wirklich - wie Bergson
behauptet - von jeder "Form", und insbesondere von jeder kate-
gorialen Form frei sind und ob sie dabei im ursprünglichen Sinne
zeitlich oder, wenn man so sagen darf, dauernd sind. Anderer-
seits war für mich zweifelhaft, ob le temps, also - in Husserls
Sprache - die konstituierte Zeit * - wirklich schon eine Raum-
struktur aufweist (Bergson sagt ja oft direkt "le temps homo-
gene ou l'espace"), eine Struktur, die nach Bergson für die in-
tellektuelle Auffassung charakteristisch und eben damit auf die
Handlung relativ sein soll. Mit anderen Worten: Indem ich an die
Richtigkeit der Gegenüberstellung der duree pure und des
temps glaubte und in dieser Gegenüberstellung ein Analogon zu
der von Husserl durchgeführten Unterscheidung zwischen der
konstituierten erfüllten Zeit und dem ursprünglichen Zeitfluß,
wie er sich dem ursprünglichen zeitkonstituierenden Bewußtsein
darstellt, zu sehen geneigt war, hielt ich mehrere Bergsonsche Be-
hauptungen über die duree pure und über den temps nicht
für richtig. Im Zusammenhang damit stand aber auch die Rich-
tigkeit der Bergsonschen Gegenüberstellung zwischen Intuition
und Intellekt in Frage. So war es für mich vor allem wichtig zu
klären, wie es mit der Zeitlichkeit der ursprünglichen, fließenden,
erst die Zeit konstituierenden Erlebnissen steht. Und zweitens,
ob auch diese noch nicht zu Zeiteinheiten konstituierten Erleb-
nisse eine kategoriale Form aufweisen **. So suchte ich in meinen
Gesprächen mit Husserl zu erfahren, wie er sich zu diesen Fragen
stellte. Und eines Tagen sagte er mir wörtlich: "Ja, wissen Sie,
es ist eine tolle Geschichte. Es gibt da einen teuflischen Zirkel: die
ursprünglichen zeitkonstituierenden Erlebnisse sind selbst wieder-
um in der Zeit". Ich notiere dies, weil diese Feststellung wahr-
scheinlich den Ausgangspunkt für die späteren Untersuchungen
Husserls in Bernau im Jahre 1917/18 bildete und ihn zu einer Lö-
* Genauer gesagt, würde dem Bergsonschen le temps bei Husserl noch zweierlei
entsprechen: die konstituierte, aber immer noch qualitative Zeit und die physika-
lische Zeit. Diesen Unterschied sieht aber Bergson Überhaupt nicht.
** Wie aus den kritischen Kapiteln meiner Dissertation hervorgeht, habe ich zu
zeigen gesucht, daß es unmöglich ist, den ursprünglichen zeit konstituierenden Erleb·
nissen die kategoriale Form abzusprechen, wie auch ihre ursprüngliche Zeitstruktur
zu leugnen. (Vgl. R. Ingarden, Intuition und Intellekt bei Henri Bergson, II T., 1.
Kap., Die Kategorien und das Wesen, Jahrb. f. Philos., Bd. V., S. 398-423. 1921).
ERINNERUNGEN AN HUSSERL 123
"Akten" als "Intentionen" (oder als dem, das durch die in ihm
enthaltene "Intention" erst zum "Akt" wird), und den "Empfin-
dungen" scharf unterschieden, die "Inhalte" sind, welche keine
Intention in sich enthalten (jeder Intention "ermangeln"). Ande-
rerseits aber sollen Intentionen "in Einheit mit der aufgefaßten
Empfindung den vollen konkreten Akt der Wahrnehmung" aus-
machen. Der "volle konkrete Akt der Wahrnehmung" enthält
irgendwie die "aufgefaßte Empfindung", sie gehört ihm - wie
später gesagt wird - irgendwie zu, so radikal auch der Unterschied
zwischen Akt (Intention) und dem bloß "erlebten" Inhalt (Emp-
findung) sein mag. Aber auch Akte werden "erlebt". Sie bestehen
also nicht bloß "in Einheit" mit der Empfindung, sondern werden
auch mit derselben hinsichtlich des "Erlebtseins" auf gleiche
Stufe gestellt. Dabei bilden die Empfindungen - wie es später
heißt - mit den Akten selbst (den vollen oder den nicht vollen?)
"reelle Inhalte" (oder auch "reelle Teile") der Akte. Wodurch
wird da die Einheit zwischen den Empfindungen und den Akten
statuiert, und zwar eine sehr innige Einheit, trotz der radikalen
Verschiedenheit zwischen "Intentionen" und "Empfindungen"?
- In den "Ideen I" scheint diese Schwierigkeit zunächst zu ver-
schwinden, da hier die neue Scheidung zwischen der "Noesis" und
dem "Noema" durchgeführt wird, wobei zuerst der Begriff des
reinen Bewußtseins eingeführt wird, der sich von dem Begriff des
"intentionalen Erlebnisses" bzw. dem "Akte" radikal unterschei-
det. Es gibt aber mehrere Stellen in den "Ideen", wo der alte Be-
griff aus dem "Logischen Untersuchungen" gewissermaßen
durchsickert. Sozusagen innerhalb des reinen intentionalen Er-
lebnisses (im Sinne der "Ideen") wird die Scheidung in Noesis und
Noema durchgeführt, so daß der ganze Bestand dieses Erlebnisses
s.z.s. in die Noesis und das Noema zerfällt. Wo soll man da aber
die "Empfindungsdaten" suchen? - und zwar diejenigen Emp-
findungsdaten, die nicht für sich selbst in ihrer Reinheit erfaßt
werden, sondern diejenigen, die als als reine Hyle bloß erlebt wer-
den und der Auffassung durch den Wahrnehmungsakt unterliegen
und als solche in ihrer Reinheit eigentlich aus der Sicht verschwin-
* Diejenigen, die an dem Seminar Husserls im Jahre I9I3/I4 über die "Ideen" teil-
genommen haben, werden sich wohl noch erinnern, daß damals das Vorhandensein
der Empfingungsdaten in der sinnlichen Wahrnehmung strittig wurde. Noch im
Jahre 1956 in Krefeld sagte mir Wilhelm Schapp: "Sie glauben an die Empfindungs-
daten? Es ist eine reine Konstruktion". Nun, schon damals, wie auch später im
Jahre I9I6, glaubte ich, daß es so etwas wie die reinen Empfindungsdaten, und ins-
besondere die ursprünglichen fließenden Empfindungsdaten, sicher gibt.
** Vgl. die oben angegebenen Zitate. "Akt" einfach als "Intention", dann aber der
"volle konkrete Akt", bei dem die "Empfindungen" als "Bausteine von Akten fun-
gieren".
*u Der Begriff der Noese wird bei Husserl so eingeführt, daß nicht gesagt wird, was
alles zu der Noese gehört, bzw. gehören kann. Es ist dabei der auf S. 185 stehende Satz
nicht zu vergessen: "dementsprechend besteht die noetische Seite des intentionalen
Erlebnisses nicht bloß aus dem Moment der eigentlichen 'Sinngebung', dem speziell
der 'Sinn' als Korrelat zugehört".
126 ERINNERUNGEN AN HUSSERL
ten umfaßt *. Wichtig ist dabei, daß zwischen dem Bestande der
Empfindungsdaten und der zugehörigen Gesamtheit der spezi-
fisch noetischen Komponenten eine Einheit besonderer Art be-
stehen soll. Sie alle sind dabei "reelle Bestandstücke" des Gan-
zen. Diese Einheit wird von Husserl zwei anderen Einheiten, die
u.a. bei den phänomenologisch reduzierten Erlebnissen in Frage
kommen, gegenübergestellt, und zwar der Einheit der "Bestand-
stücke" eines bestimmten Noemas einerseits und andererseits der
Einheit, welche zwischen der Noese und dem zugehörigen Noema
besteht. Genauer gesagt, in Husserlscher Ausdrucksweise: "die
Einheit, die all jene reellen Erlebnisbestandstücke mit dem ver-
einigt, was als Noema durch sie und in ihnen zum Bewußtsein
kommt" **. Die Unterscheidung dieser drei verschiedenen "Ein-
heiten" bei jedem Bewußtseinerlebnis ist aber insofern unbefrie-
digend, als nicht gesagt wird, worin sie sich voneinander unter-
scheiden. Es scheint aber, daß die Einheit zwischen den Empfin-
dungsdaten und den spezifisch (eigentlich) noetischen Kompo-
nenten des Erlebnisses besonders innig und unzerreißbar ist und
zugleich das Ganze des "konkreten noetischen Erlebnisses" ab-
grenzt, wogegen diesem das Noema bloß zugehört, zwar ebenfalls
von der entsprechenden N oese unzertrennlich, aber doch von ihr
durch eine Differenz in der Seinsweise geschieden. Das Noema ist
kein reelles Bestandstück des Erlebnisses, während die Empfin-
dungsdaten eben solche reellen Bestandstücke des Erlebnisses
sind ***. Die besondere Einheit zwischen den Empfindungsdaten
und den spezifisch noetischen Komponenten des noetischen Er-
lebnisses wird von Husserl besonders hervorgehoben, obwohl er
zugleich die Verschiedenheit zwischen den hyletischen Daten und
den spezifisch noetischen Komponenten - der zwei Schichten des
phänomenologischen Seins - betont.
* Das Wort "Erlebnis" wird von Husserl iu den "Ideen I" ebenfalls in zwei ver·
schiedenen Bedeutungen verwendet. Einmal bezeichnet es das Ganze, das aus der
Noese und dem Noema besteht, das andere Mal dagegen nur das "konkrete noetische
Erlebnis", wovon dann die Noese nur ein Abstraktum ist .
• * Vgl. "Ideen I", S. 204. Und Husserl fügt noch hinzu: " ... das 'transzendental
Konstituierte' . .. gehört eben in einem völlig anderen Sinn dem Erlebnis an, als die
reellen und somit eigentlichen Konstituentien desselben". Hier wird also das Wort
"Erlebuis" so verwendet, daß es das Noema nicht umfasst.
*** Husserl sagt in den "Ideen" ausdrücklich: Abschattungen "rechnen zu den
Empfindungsdaten". "Abschattung ist Erlebnis. Erlebnis aber ist nur als Erlebnis
möglich und uicht als Räumliches. Das Abgeschattete ist aber prinzipiell nur möglich
als Räumliches (es ist eben im Wesen räumlich), aber nicht möglich als Erlebuis".
Aber das Abgeschattete ist ja doch ein Spezialfall des Noemas.
ERINNERUNGEN AN HUSSERL 127
• Ich habe einmal Husserl durch die Glastür seines Arbeitszimmer gesehen, wie er
ganz einsam arbeitete. Ich sah, wie unruhig er im Zimmer wandelte, wie lebhaft Cl' ge-
stikulierte, sich von Zeit zu Zeit an den Schreibtisch setzte, um einige Worte zu no-
tieren, und dann wieder aufsprang und im Zimmer wandelte, als ob er gewisse \Vider-
stände zu überwinden suchte. Er machte den Eindruck, als ob ihm das Denken bzw.
das Erschauen viel kostete. Im Gespräch war dies durchaus nicht der Fall. Er vergaß
gewissermassen denjenigen, zu dem er sprach, dessen Gegenwart ihn nicht störte,
sondern im Gegenteil zur Folge hatte, daß er mit einer gewissen Leichtigkeit Worte
und Formulierungen fand, die oft in schwierigen Problemsituationen nicht so leicht zu
finden waren.
134 ERINNERUNGEN AN HUSSERL
wie ich schon früher bemerkt habe - in dieser Vorlesung nicht die Rede.
Es scheinen also eher gewisse früher geschriebene Handschriften zu sein,
welche in der Vorlesung 1912/13 eben nicht verwendet wurden. Es wäre
wichtig, im Archiv-Husserl nach diesem Konvolut Nachforschungen
durchzuführen und sie einem genauen Studium zu unterziehen, weil man
auf diesem Wege die ersten Anfänge der erst in der "Formalen und tran-
zendentalen Logik" dargestellten Auffassung der logischen Gebilde finden
und das Datum ihrer Entstehung bestimmen könnte *.
4. Freilich sind die in diesem Briefe gegebenen Informationen über diese
Änderung des Standpunktes sowie über die neue Auffassung nicht klar ge-
nug. In den "Prolegomena" werden die Sätze, "Urteile", für ideale Gegen-
ständlichkeiten gehalten. Dies scheint jetzt preisgegeben zu sein. Wie aber
die Seinsweise der Sätze positiv zu bestimmen ist, ist diesem Brief nicht zu
entnehmen. Es ist da von der "Unabhängigkeit des Sinnes eines Satzes
von dem zufälligen Urteil (von dem Urteilen? R.I.) und dem Urteilenden"
die Rede. Was soll es aber bedeuten, wenn sogleich gesagt wird, daß diese
"Unabhängigkeit" noch nicht besagt, "daß das Ideal-Identische ein Spe-
zifisches ist"? Dabei wird dieses Problem mit der Unterscheidung zwi-
schen "Tatsachen- und Wesenswahrheiten" irgendwie in Zusammenhang
gebracht, während die Seinsweise des Satzes bzw. des Satzsinnes in allen
Fällen dieselbe zu sein scheint, ganz unabhängig davon, ob der Satz sich
auf ein Tatsächliches oder auf ein Ideales, "Spezifisches" bezieht.
Zu erwähnen ist noch, daß ich im Frühjahr 1918 in Krakau mit einigen
Freunden das Problem der Wahrheit besprochen habe und Husserl dar-
über schrieb. Die darauf erhaltene Antwort Husserls war für uns außer-
ordentlich interessant.
be. All das habe ich Husserl geschickt, weil damals der Anschein bestand,
daß er sich an eine neue Redaktion der VI. Untersuchung setzen wollte *,
und ich dachte, daß meine Bemerkungen für ihn interessant sein könnten.
Was den Idealismus betrifft, so haben wir mit Frl. Stein noch in der Frei-
burger Zeit mehrmals darüber gesprochen, und im Laufe der Zeit ver-
größerten sich die Zweifelsfragen in mir; so war es nicht verwunderlich,
daß es eines Tages zu einer offenen Darstellung meiner Bedenken kommen
mußte. Die kritischen Gedanken zu der VI. Untersuchung gaben noch
einen Anstoß dazu. So entstand jener Brief, im Grunde eine kleine Ab-
handlung, die ich in vier Umschlägen an Husserl abgeschickt habe. Ich
kann mich jetzt nicht mehr erinnern, was Husserl mir darauf antwortete.
Es war damals eine schwere Zeit für ihn. So faßte er sich nur kurz. Dann
kam der politische Zusammenbruch des Deutschen Reiches, eine neue
Verwundung des ältesten Sohnes Husserls und endlich eine schwere
Grippe von Husserl selbst. So bekam ich als nächsten Brief erst den Brief
vom 16. XI. 1918. Aus dem Texte dieses Briefes geht hervor, daß ich Ende
Septembers einen Brief von Husserl erhalten haben mußte, da ich aus ihm
über die Krankheit Husserls und die Verwundung Gerharls erfahren habe,
worauf ich meinen Brief an Husserl schrieb, den er am 16. XI. beantworte-
te. Der Satz im Briefe Husserls: "sehr dankbar wäre ich Ihnen, wenn Sie
dabei blieben, wie früher besprochen, die VI. der Logischen Unters. für
mich durchzugehen und die nötigen terminologischen und sachlichen An-
gleichungen an die 5. Untersuchung der 2. Auflage zu vollziehen. Sie wür-
den sich vielen Dank damit erwerben und mir den Neudruck im Jahre
1919 ermöglichen". - beweist, daß Husserl meine Bemerkungen in dem
langen Briefe durchaus positiv aufgenommen hat und mir den Vorschlag
zu einer Mitarbeit gemacht hat. Der Gedanke an eine Zusammenarbeit,
der am Schlusse dieses Briefes zum Ausdruck kommt und der dann mehr-
mals beiderseits in unseren Briefen auftaucht, war aber nicht so leicht zu
realisieren. Die große Entfernung, sowie die vielen Beschäftigungen, die
ich als Gymnasiallehrer vom 1. September 1918 an, zunächst im Lublin
und dann seit dem 1. IX. 1919 in Warschau, zu erfüllen hatte, haben mir
rung ging so weit, daß man "formale" und "formalisierte" Systeme bil-
dete, die mit der Logik und den logischen Gebilden schon nichts mehr ge-
mein hatten. Nur dort, wo man die symbolische Technik der Mathematik
anwendete, glaubte man mit einer "strengen", "exakten" Begriffsbildung
zu tun zu haben. Jede andere Sprache, und insbesondere die sogenannte
"Umgangssprache", galt für unexakt und sollte zu den sogenannten Para-
doxien führen. So bildete man zur Gestaltung der formalen Systeme nur
künstliche Sprachen. Und hier, bei der Bildung einer künstlichen Sprache,
versagte die deduktive Methode, weil man da an dem Ausgangspunkt aller
Deduktion stand. Man ist also einem radikalen Konventionalismus zum
Opfer gefallen, der einerseits mit einer physikalistischen Theorie der
Sprachgebilde, andererseits mit einer gleichfalls radikalen Skepsis allem
unmittelbaren Erkennen und insbesondere allem intuitiven Erfassen
gegenüber zusammenging. Damit war nicht bloß Bergsons Intuitionismus,
sondern auch die Phänomenologie mit ihrer ganz anders verstandenen
intuitiven Arbeitsweise gerichtet. Twardowski selbst begriff bald, wie weit
die "Warschauer Schule" von seiner deskriptiven Psychologie im Sinne
Brentanos abgegangen war. Er protestierte auch, in einem bemerkens-
werten Artikel unter dem Titel "Symbolomanie und Pragmatophobie".*
Aber Twardowski war in dieser Zeit selbst der Philosophie gegenüber
skeptisch eingestellt. So war die allgemeine philosophische Atmosphäre in
Polen in jener Zeit für die Publikation der "Logischen Untersuchungen"
nicht günstig, und die schwierige ökonomische Situation Polens er-
schwerte noch die Versuche, einen Verleger für ein so umfangreiches Buch
zu finden.
* Vgl. Ruch Filozoficzny, Bd. VI. S. I-IO, 1921. (Philosophische Bewegung, eine
philosophische, bibliographische Zeitschrift, die Twardowski vom Jahre I9II bis zu
seinem Tode 1938 herausgegeben hat.)
ERLÄUTERUNGEN ZU DEN BRIEFEN I45
außerdem eine Reihe mit der Anfangssignatur D, und zwar D 4, D 13 I,
D 13 IV, D 13 IX-XIII, D 13 XIV, D 13 XVII, D 19 - wobei aber nicht
sicher ist, ob alle diese Manuskripte aus St. Märgen stammen. Diese An-
gaben sollen nur dazu dienen, um auf diese Gruppe von Manuskripten, in
welcher die anfänglichen Studien Husserls zu dem geplanten "systema-
tischen" \Verk sich befinden könnten, hinzuweisen und zu einer genaueren
Erforschung dieser Manuskripte anzuregen.
(1927) behalten habe, scheint es mir, daß jedenfalls die "Erste Philoso-
phie" sehr weit über die Londoner Vorträge hinausgeht, da in ihnen, wie
mir scheint, noch von den ziemlich komplizierten Betrachtungen über die
Wege zu der phänomenologischen Reduktion wenig vorhanden war.
R. Boehm, der ja doch die Londoner Vorträge im Original im Husserl-
Archiv hat, muß natürlich Recht haben. Das, was ich hier sagen will, ist
nur, daß Husserl nach meinem Eindruck in den Vorlesungen, die der
"Ersten Philosophie" zugrundeliegen, außerordentlich schöpferisch war
und im Vergleich zu den Londoner Vorträgen (die ja doch nur eine relativ
kleine Schrift sind) große Fortschritte gemacht hat. Husserl selbst hält
auch diese Betrachtungen für eine neue Errungenschaft, wie dies aus den
weiteren Teilen dieses Briefes hervorgeht.
wissen wir, daß Husserl vollkommen vergessen hat, über diese "Erweite-
rung" zu sprechen. Aber auch in den "Ideen I", sowie auch in den "Ideen
U" und "lU" wird sie nicht erwähnt. In diesem Briefe wird aber noch an-
gedeutet, daß diese Probleme aufs neue und in einer "abgerundeten" Ge-
stalt vorgetragen wurden, freilich aber ohne eine genauere Angabe der
Zeit, wahrscheinlich aber schon in den zwanziger Jahren. Erst aber in
den Kartesianischen Meditationen wird die Intersubjektivität publice
eingeführt und ausführlich behandelt. So kreuzen sich miteinander die
Linie der konkreten Arbeit Husserls mit der Linie der Entwicklung seiner
mündlichen Wirkung in den Vorlesungen und Seminaren und endlich die
Linie der Entfaltung der Husserlschen Phänomenologie in den von ihm
gedruckten Werken. All das zu Husserls Lebzeiten selbst. Und eine neue
Geschichte des Lebens der Phänomenologie entfaltet sich erst - in einer
bei weitem geänderten philosophischen und überhaupt kulturellen At-
mosphäre - nach dem zweiten Weltkriege infolge des Erscheinens der
"Husserliana". Dieses komplizierte Spiel der verschiedenen Aspekte der
Husserlschen Philosophie erschwert sehr das richtige Verständnis der
rein sachlichen, systematischen Zusammenhänge zwischen den Gliedern
der komplizierten Struktur des Ganzen dieser Philosophie, die trotz ihrer
Unabgeschlossenheit, oder besser gesagt, Offenheit doch wenigstens in
ihrer theoretischen Fundamenten ein aus den letzten und wieder er-
neuerten Intuitionen Husserls sich aufbauendes theoretisches Ganze ist.
Gewisse Motive, gewisse Tendenzen - sowohl rein sachlicher als auch me-
thodologischer Natur - ziehen sich durch das ganze wissenschaftliche Le-
ben Husserls und ihre immer tiefere und konkretere Realisierung in den
einzelnen Phasen Husserlscher Arbeit ermöglicht eine langsame Heraus-
kristallisierung der letzten Gestalt der Husserlschen Philosophie, die die
beständige Sehnsucht seines unermüdlichen Lebens bildete.
26. So taucht immer wieder und immer konkreter und intensiver der
Gedanke der "Meditationes de prima philosophia" auf, viele Jahre, bevor
es zur Gestaltung der "Cartesianischen Meditationen" gekommen ist, und
auch später, nachdem ihre zum Druck ausgereifte Gestalt Wirklichkeit ge-
worden ist. Denn sobald die "Meditations Cartesiennes" erschienen sind,
findet Husserl diese Realisierung eines seiner Grundgedanken unbefriedi-
gend und beginnt eine weitere, verbesserte "Ausarbeitung" dessen, was
doch nur eine Annäherung an die Idee eines solchen theoretischen Ideals
war. Auch in diesem Briefe, einige Jahre vor der Reise nach Paris, taucht
der Titel der "Meditationen" auf. Es ist also nicht allein sicher, daß der
Titel "Meditations Cartesiennes" keine bloße Höflichkeit den Franzosen
gegenüber war, sondern auch, daß die nach der Publikation der "Ersten
Philosophie" von verschiedenen Seiten ausgesprochene Auffassung, daß
sich in diesem Werke ein Bruch Husserls mit dem "Cartesianismus" voll-
zogen hat, nicht überzeugend ist. Die Bemühungen Husserls in jenem
Jahre, wo die Erste Philosophie tatsächlich in Entstehung begriffen war,
gingen nur dahin, eben den letzten, wie Husserl bis zum Schluß glaubte,
wesentlichen und für die Philosophie durchaus unentbehrlichen richtigen
Kern der Cartesianischen "Meditationes de prima philosophia" auf eine
völlig einwandfreie Weise zu realisieren. Und eben in diesen unermüd-
lichen Bemühungen hat sich Husserl zum Bewußtsein gebracht, wie
schwierig diese Aufgabe zu lösen ist, aber diese Schwierigkeit hat ihn vom
Versuch ihrer Lösung keineswegs abgebracht.
27. In diesem zunächst etwas pessimistisch klingenden Briefe kommt es
ERLÄUTERUNGEN ZU DEN BRIEFEN I49
zur Kristallisierung des Bewußtseins Husserls, wie groß und bedeutend die
Fortschritte waren, welche er in der Realisierung seiner innersten Haupt-
gedanken in den zwanziger Jahren gemacht hat. Und es war nicht bloß ein
subjektiver Eindruck, sondern die wirkliche Gang einer realen Entwick-
lung, freilich einer Entwicklung, die eine Gefahr in sich barg, welche Hus-
serl selbst sich nicht zum Bewußtsein gebracht hat. Im Zusammenhang
damit erlaube ich mir hier einen Ausschnitt aus einem Briefe von Edith
Stein von 9. X. 1926 an mich zu zitieren, der zwar zwei Jahre später ge-
schrieben wurde, aber im Grunde dieselbe Sachlage beschreibt, die schon
im Jahre 1924 sich zu realisieren begann; Edith Stein schreibt mir:
Diese letzten Sätze von Fr!. Stein können zum Teil erklären, warum die
von Husserl vorbereiteten Artikel für das Jahrbuch doch nicht erschienen
sind. Ich weiß aber nicht, ob der Husserl gegebene Rat wirklich gut war.
In Husserllebte immer eine gewisse Scheu vor der Publikation, die sich
dann mit der Vergrößerung der Zeit, die seit den "Ideen I" verlaufen ist,
immer verstärkte. Außerdem stellte Husserl hohe Forderungen an seine
eigenen Arbeiten, andererseits aber hegte er, sobald das Fieber der Arbeit
ISO ERLÄUTERUNGEN ZU DEN BRIEFEN
und die Welle der Intuition vorbei war, ein gewisses Mißtrauen seinen
Schriften gegenüber, und die Stimmung seiner Frau half ihm dabei gar
wenig.
als diejenigen, welche Husserl in seinem Briefe andeutet. Aber ich ver-
stehe natürlich auch die Problematik, welche Husserl hier umschreibt.
32. Nicht zu umgehen sind hier die Bemerkungen Husserls über seine
eigene Arbeitsweise (vgl. den Abschnitt: Ich war in den Ferien ... ). Wenn
man nur ganz vorübergehend die Gelegenheit hatte, im Husserl-Archiv
in einige Handschriften-Konvolute hineinzusehen, so sieht man, wie wahr
diese Bemerkungen Husserls sind. Es sind vorwiegend große Sammlungen
von relativ kurzen Niederschriften, die jeweils einem eng begrenzten
Problem gewidmet sind. Bei der sehr großen intuitiven Konzentration auf
ein solches Problem verschwanden vor Husserls geistigem Auge große
Problemzusammenhänge, und es bedurfte erst einer besonderen Betrach-
tung, um diese Zusammenhänge herzustellen. Das war, wie es scheint, eine
spätere Phase der Bearbeitung des Problemgebietes, wenn Husserl ein
größeres Werk plante. Diese spätere Phase bot - wie es scheint - Husserl
viel größere Schwierigkeiten als die erste. Er war ein großer Analytiker
aber ein nicht so großer Synthetiker und Systematiker. Bei der Grund-
problematik, die Husser! besonders in den Freiburger Jahren beunruhigte,
als Husserl das Ganze des Problemgebietes der Phänomenologie zu er-
fassen suchte, war das ein ungünstiger Umstand. Und dies hatte eine um so
größere Bedeutung, als Husserls physische Kräfte im Laufe der Jahre im-
mer mehr beschränkt wurden und Phasen der Ermüdung nach sich zogen.
Darin lag einer der Gründe, welche Edith Stein dazu bewogen, daran zu
zweifeln, ob es Husserl gelingen werde, das großartige Ganze seiner Philo-
sophie - wie sie sagte - zu Papier zu bringen.
gangen sind. Es scheint nicht einfach, diese beiden Vorlesungen mit dem im Husserl-
Archiv vorliegenden Material zu identifizieren. Ganz sicher bin ich aber, daß es sich
beidemale um "Einleitungen" handelte und beide aus den ersten zwanziger Jahren
stammten; es war ebenso sicher weder eine Vorlesung über "Phänomenologische Psy-
chologie" noch eine über "transzendentale Logik" dabei.
• Die Maschinenabschrift umfaßte ungefähr 500 Seiten. Ich war sehr überrascht,
als ich die "Ideen III", die als Bd V der Husserliana erschienen sind, erhielt. Ohne die
Beilagen umfassen sie zusammen 105 Seiten. Ist das bloß ein Teil dessen, was ich im
Jahre 1927 gelesen habe, oder ist es überhaupt etwas anderes? Was ist mit der von
mir gelesenen Abschrift geschehen?
I54 ERLÄUTERUNGEN ZU DEN BRIEFEN
müsse. Ich fürchtete auch, daß über die Kürzung und auch über die For-
mulierung in der englischen Sprache ein Redakteur entscheiden werde,
welcher der Sache gar nicht gewachsen sein würde und daß er zum Teil
auch machtlos sein würde, weil die englische Sprache den subtilen Be-
griffsbildungen Russerls gar nicht angepaßt ist (und bis heute im Grunde
unangepaßt geblieben ist).
Ein besonderes Erlebnis für mich war die Lektüre der "Vorlesungen
zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins" . Sie hat vor allem bei
mir alle Erinnerungen an meine Gespräche mit Husserl im Jahre 1916 neu
erweckt. Im Text der "Vorlesungen" waren aber verschiedene Fragen viel
konkreter und genauer behandelt, als dies im lebendigen Gespräch mög-
lich war. Es gab auch Verschiedenes, wovon mir einst Husserl nichts ge-
sagt hatte. Endlich hatte ich jetzt ein Ganzes vor mir, das - so sehr es
auch ergänzungs bedürftig war - doch eine gewisse Beherrschung des
Problemgebietes darstellte, von dem aus sich weite theoretische Perspek-
tiven eröffneten. So kam ich sofort nach der Beendigung der Lektüre zu
Husser! und forderte ihn auf, die Vorlesungen möglichst bald zu publizie-
ren. Zu meiner großen Überraschung sprach sich Husser! ziemlich ab-
schätzig über die "Vorlesungen" aus und war der Meinung, daß es sich
nicht lohne, einen so unreifen Text zu veröffentlichen. Zum Schluß sagte
er mir: "Ich habe etwas anderes, viel Wichtigeres. Kommen Sie morgen zu
mir". Ich tat es auch, und da hat mir Husserl ein großes Konvolut von
Manuskripten in Kurzschrift gezeigt - etwa 500 bis 600 Blätter - auf die
hinweisend Husserl mir sagte: "Das ist mein Hauptwerk. Sie werden es
mir zum Druck vorbereiten". Ich war sehr gerührt, desto mehr, weil mir
sofort klar wurde, daß ich diese Aufgabe nicht auf mich nehmen konnte.
Ich habe es auch Husserl sofort gesagt. Vor allem glaubte ich nicht, daß
dies ein anderer als Russerl selbst machen könnte. Nach Husserls Erklä-
rung waren es die in Bemau im Jahre 1917/18 niedergeschriebenen Notizen
über das zeitkonstituierende Bewußtsein und über die Konstitution der
erfüllten Zeit und im Zusammenhang damit über das Problem der Indivi-
duation. Das waren also die schwierigsten Probleme der Phänomenologie
- die schwierigsten einerseits in der intuitiven Erfassung auf einem Ge-
biet, wo die reflektive Einstellung immer mit Fälschungen und Verschie-
bungen dessen, was sich im schlichten Erleben vollzieht, droht, und ande-
rerseits im Hinblick auf die Möglichkeit einer sprachlichen Wiedergabe
dessen, was in dem ursprünglichen Erleben zum Bewußtsein gebracht
wird, da die Sprache als solche in ihrer formalen Struktur und in den kate-
gorialen Formungen, die sie mit sich führt, an die konstituierte Welt an-
gepaßt ist und irgendwie wesentlich umgebaut sein müßte, damit sie zur
Wiedergabe des ursprünglich Erlebten und der ursprünglichen, erst Zeit
konstituierenden Erlebnisse ohne jede Verfälschung fähig wäre. Meine
Beschäftigung mit der Bergsonsehen Philosophie und dann die Jahre, die
ich nach der Beendigung meiner Dissertation mit der Analyse der konsti-
tutiven Probleme (in Warschau und in Thorn) verbracht habe, haben mich
belehrt, welch unüberwindliche Schwierigkeiten da drohen. Russerl hat
mir selbst gesagt, daß die Manuskripte nicht genügend ausgereift waren,
um einfach rein äußerlich zum Druck vorbereitet werden zu können. Sie
mußten aktiv weiter gedacht - und das heißt in der phänomenologischen
Arbeit - weiter intuitiv durchforscht und nachgeprüft werden. In dieser
Sachlage war mir klar, daß niemand von uns die Husserlsche intuitive
Forschung ersetzen konnte. Ich - und wahrscheinlich auch andere, mehr
ERLÄUTERUNGEN ZU DEN BRIEFEN 155
als ich vorbereitete und begabte Kollegen - würden da bald auf Sach-
lagen stoßen, welche zu Differenzen mit Husserl führen müßten und in-
folgedessen auch andere Problemperspektiven - als diejenigen, die Hus-
serl im Sinne hatte - eröffnen würden. Kurz: nur Husserl selbst konnte es
machen. Und wenn ich Husserl nur irgendwie behilflich sein wollte, dann
müßte ich tagtäglich jeden neuen Absatz, jeden neuen Paragraphen mit
Husserl besprechen, d.h. ein oder zwei Jahre in Freiburg bleiben, falls
Husserl überhaupt dafür zu haben wäre. Ich wußte ja, welche Erfahrun-
gen Edith Stein gemacht hatte, als Husserl nicht dazu zu bringen war, mit
ihr die "Ideen II" in ihrer Redaktion durchzusprechen. Zwei Jahre in Frei-
burg zu bleiben - das war ja in meinen Verhältnissen ganz ausgeschlossen.
Ich hatte ja doch meine Frau und drei Söhne und mußte sie unterhalten,
und keine Schulbehörde konnte mir für ein oder zwei Jahre einen bezahl-
ten Urlaub geben. Konnte ich aber die Manuskripte nicht nach Lemberg
mitnehmen, um zu Hause wenigstens Vorbereitungsarbeiten an ihnen vor-
zunehmen? Husserl wollte aber die Manuskripte nicht nach dem "un-
sicheren Osten" herausgeben, wollte sie aber auch wiederum nicht in ihrem
damaligen Zustand abschreiben lassen. Es war also nichts zu machen. Ich
mußte verzichten, und ich tat es auch, mit großem Bedauern. Aber Hus-
serl sah ein, daß es doch unmöglich war. Wenn ich gewußt hätte, daß diese
Manuskripte bis heute, im Jahre 1967, noch nicht publiziert werden wür-
den, und daß sich überhaupt nicht voraussehen läßt, ob und wann sie je
publiziert werden - so würde ich vielleicht doch irgend einen Modus
procedendi gesucht haben, um bei der Vorbereitung der Veröffentli-
chung irgendwie behilflich zu sein.
Die "Londoner Vorträge" fand ich gut, und sie waren nützlich für mich,
s.z.s. das Gesamtbild der Phänomenologie wieder vor meine Augen zu
stellen. Ich empfand aber damals nicht, daß in ihnen eine wirkliche Neue-
rung enthalten sein sollte. Sie bildeten (meiner damaligen Auffassung
nach, die vielleicht nicht richtig war) eine der vielen für fremdes Publi-
kum von Husserl geschriebenen Einleitungen in die Phänomenologie, wel-
che - abgesehen von ihrem momentanen Erfolg - für die Mitarbeiter Hus-
serls zwar insofern interessant waren, als sie Spuren der sich im Laufe der
Jahre vollziehenden Wandlungen in der Auffassung der Phänomenologie
an sich trugen, die aber doch immer natürlicherweise nur synthetische
Abkürzungen, oft nur Ausblicke und Programme künftiger Betrachtun-
gen waren und als solche in den Einzelanalysen hinter anderen Schriften
Husserls zurückblieben. Sie sollten der Phänomenologie neue Freunde und
neue Mitarbeiter gewinnen. Bei den gewöhnlich weitgehenden Differenzen
sowohl zwischen den Auffassungen der Philosophie als auch zwischen den
eingebürgerten Gewohnheiten in der Weise des Philosophierens selbst, die
in verschiedenen Zentren philosophischer Forschung herrschten, konnten
derartige Einleitungen nie mehr als eine gewisse geistige Anregung oder
Erfrischung bei den Zuhörern bewirken, sie konnten aber die weitere Ent-
wicklung der philosophischen Bewegung in dem betreffenden Zentrum
nicht beeinflussen. Wenn man dabei weiß, wie ungern die Engländer oder
Franzosen etwas in fremden Sprachen lesen und wieviel Zeit Husserl für
die Vorbereitung solcher Vorträge verwendet hat, so ist fraglich, wieweit
sich solche Vortragsreisen lohnten. Husserl fühlte auch selbst, daß solche
Vorträge für das deutsche philosophische Publikum, und insbesondere
für die Phänomenologen selbst, nicht hinreichend sind, und trachtete je-
desmal danach eine "Ausarbeitung" solcher Vorträge vorzubereiten.
ERLÄUTERUNGEN ZU DEN BRIEFEN
Kunstwerk, an dem ich dort eifrig schrieb, war mein Aufenthalt in Mar-
burg eigentlich nicht sehr ergiebig. Ich wollte mit Jaensch über seine
Theorie der eidetischen Bilder sprechen, was mit meiner Arbeit über die
äußere Wahrnehmung im Zusammenhang stand. Ich hatte auch mit
J aensch mehrmals gesprochen, und er war so freundlich, mir in seinem In-
stitut verschiedene Experimente zu zeigen, ich konnte mich aber von
der Existenz der eidetischen Bilder nicht recht überzeugen. Auch einige
Gespräche mit Heidegger über "Sein und Zeit" waren wenig ergiebig. Auf
alle meine Anfragen und Einwände antwortete Heidegger mit der Wieder-
holung der Wendungen, die bereits in seinem Buche standen, ganz im Ge-
gensatz zu Husserl, der immer über Probleme sprach, welche er nie publi-
ziert hatte. Interessant dagegen und gut waren die Vorlesungen Heideg-
gers über Kant, welche er später in dem Buche "Kant und die Metaphy-
sik" veröffentlicht hat. Im Seminar las Heidegger mit seinen Schülern
Schelling, aber das war für mich wenig interessant, und auch die Weise,
wie er dieses übrigens wirklich schwere Seminar leitete, hat mir nicht be-
sonders gefallen.
Im Zusammenhang mit meinem sich verlängernden Aufenthalt in Mar-
burg erhielt ich von Husserl den Brief Nr. XXX, (19. XI. 1927) in welchem
er mir freundliehst eine Anleihe anbot. Dies stand im Zusammenhang da-
mit, daß das Stipendiengeld, das ich Anfang Dezember bekommen sollte,
nicht angekommen war, und es bestand die Gefahr, daß ich sogleich würde
nach Hause zurückkehren müssen. Indessen ist das Geld gerade an dem
Tag angekommen, als ich den Brief von Husserl erhielt. So dankte ich ihm
nur aufs herzlichste und fuhr sogleich nach Paris ab.
serls hatte zur Folge, daß ich einige Monate später einen Vertrag mit dem
Max Niemeyer Verlag abschloß. Die ungünstigen Arbeitsbedingungen
nach meiner Rückkehr nach Lemberg haben bewirkt, daß "Das litera-
rische Kunstwerk" erst im Dezember 1930 erschienen ist.
Mein Aufenthalt in Freiburg wurde plötzlich unterbrochen, weil alle
meine Kinder erkrankt waren. So fuhr ich nach dreitägigem Aufenthalt
nach Hause ab.
phie als Beruf, als Mission - ja, das war die Grundeinstellung Husserls
immer. Aber Philosophie als Rettung? - In dieser Welt? Das klang düster
und drückte wohl eine negative Stellung Husserls zu der Welt aus, zu der
schlechten Welt, in welcher es Kriege, Ungerechtigkeiten, Übel gibt. So
klang das. Unmittelbar nach dem Kriege, in dessen Verlauf ich während
einer langen Zeit Husserl fast jeden Tag in seiner Stimmung sehen und
auch sprechen konnte, wäre diese recht verständlich gewesen. Aber fast
zehn Jahre später, in welchen Husserl zu großer Arbeitsform zurückge-
funden hatte und große wissenschaftliche Erfolge erzielte und als der gro-
ße Philosoph der Zeit gefeiert war? Handelte es sich also in dieser -
scheinbar zufälligen - Wendung nicht doch um etwas anderes und um et-
was Wichtigeres? Um die s.z.s. ursprüngliche, wesenhafte Schlechtigkeit
der Welt überhaupt? Von welcher erst die Philosophie eine Rettung oder
Befreiung bilden sollte? Sollte nicht etwa der transzendentale Idealismus
eine Rettung von dieser ·Welt sein? War das der letzte Sinn alles Philoso-
phierens bei Husserl? War es nicht die Suche nach etwas, was über dieser
Welt steht, nach Gott? Einmal sagte mir Husserl: "Jeder Philosoph muß
religiös zentriert sein". Stand dies mit dem Abschluss seiner Rede nicht im
Zusammenhang? -
Ich wage es nicht zu behaupten. Mehr als einmal sind mir aber diese
Gedanken in den Sinn gekommen. Über die Mission der Philosophie, die
zu erfüllen man "berufen" ist, sprach und schrieb Husserl früher und spä-
ter mehr als einmal. Darüber aber, daß die Philosophie dem philosophie-
renden Menschen einen bedeutsamen Die n sterweisen kann, das war
vielleicht nur dieses Mal so deutlich gesagt worden. Und ganz unbeab-
sichtigt.
Unmittelbar nach dem offiziellen Teil der Feier sind fast alle Gäste fort-
gegangen. Nur einige alte Schüler Husserls wurden zu einem S.Z.S. privaten
Mittagessen eingeladen. Anwesend war bloß die Familie Husserls, dann
Edith Stein, J ean Hering, Koyre, Pos und ich, fast ausschliesslich die alten
Göttinger. Nach dem Mittagessen gab es einen Mißklang. Husserl bat, daß
man ihm etwas von dem Stoß der Briefe, die auf seinem Schreibtisch la-
gen, vorlese. Das tat Fr!. Stein. In einem gewissen Augenblick las sie den
Brief von Moritz Geiger, der sich und andere "Münchner" dafür entschul-
digte, daß sie nicht kommen konnten. Unmöglich habe ihm dies aber
Heidegger gemacht. Husserl war unangenehm überrascht und verstand
gar nichts. Man war aber der Meinung, dies hinge mit der Weise zusam-
men, wie die Festschrift vorbereitet wurde. Die gute Stimmung war hin,
und bald gingen wir fort.
Am Abend fand bei Husserl noch ein großer Empfang statt, zu dem
viele Gäste erschienen waren. Ich blieb noch zwei oder drei Tage in Frei-
burg. Und dann sollten wiederum 5 Jahre verfließen, bis es mir gelang,
Husserl wieder zu besuchen. An eine Zusammenarbeit mit ihm war in die-
ser Lage nicht zu denken. Es blieben nur Briefe, in denen sich nicht viel
sachlich sagen ließ.
schon aus dem nächsten Briefe, der freilich fast 6 Monate später geschrie-
ben wurde, sieht man, daß diese Absicht nicht realisiert wurde. Was war
der Grund? Die für das Jahrbuch bestimmte Redaktion war ja doch fer-
tig, sie sollte ja mit der zur übersetzung geschickten identisch sein. Also
nicht etwa eine Ermüdung oder sonstige Störungen haben die Beendigung
dieser Redaktion verzögert, was dann auf eine Änderung des Planes hätte
einwirken können. Es mußte - wie es scheint - irgend ein äußeren Faktor
darüber entschieden haben. Was aber?
tationen" sollten als Gegengewicht zu "Sein und Zeit" in die Schale ge-
worfen werden. Das ist wahrscheinlich jener "äußere Faktor", der über
die Nichtveröffentlichung des bestehenden deutschen Textes der "Medi-
tationen" und über die Absicht, eine neue Redaktion derselben zu schaf-
fen, entschieden hat. Er eröffnet sich damit eine neue Periode in der phi-
losophischen Tätigkeit Husserls, welche die folgenden drei bis vier Jahre
umfaßt.
* Auf Vorschlag der Redaktion der Kantstudien habe ich dann einen kurzen Re-
zensionsartikel veröffentlicht (vgl. Kantstudien, Bd. 38, 1933, S. 206-209). Ich hatte
aber nur drei Seiten zur Verfügung, so mußte ich mich auf eine bloße Information be-
schränken. Den vollen Text, der meine kritischen Bemerkungen enthielt, habe ich in
polnischer Übersetzung erst im Jahre 1963 in meinem Buche "Z badan nad filozofiq
wsp6lczesnq" (Untersuchungen zur Philosophie der Gegenwart) veröffentlicht. Ich
weiß natürlich nicht mehr, ob die kritischen Bemerkungen, die in meinem Briefe an
Husserl enthalten waren, sich mit den Einwänden in dem genannten Artikel decken.
Die leitende Idee mußte aber in beiden Fällen dieselbe sein.
ERLÄUTERUNGEN ZU DEN BRIEFEN
der "Meditationen" - wie er sie sich damals vorstellte - über die Rolle,
welche die "Logischen Studien" spielen konnten, höher stellte. Besonders
in der damaligen Situation im Jahre I930 wären die neuen Meditationen,
wenn es geglückt wäre, sie zu vollenden, von sehr großer Bedeutung ge-
wesen, wie Husserl in diesem Briefe richtig urteilte. Aber vielleicht war es
auch damals schon zu spät; die - wie Husserl sagt - "modische Schwen-
kung zu einer Philosophie der Existenz" war bereits vollzogen, und es ist
die Frage, wie lange diese Welle sich noch weiter fortpflanzen wird.
nisse für definitiv betrachte, also, wie Husserl es formulierte, "des Onto-
logismus so sicher geworden" bin. Die Intention des Vorwurfs ging aber
sicherlich noch weiter, daß ich nämlich meine ontologische gerichteten
Arbeiten als eine Vorstufe in der Diskussion gegen den transzendentalen
Idealismus betrachtete. Wie stand es damit?
Es ist wahr, daß ich nach einer Reihe von Jahren, in denen ich mich
nach meinem Doktorat mit der äußeren Wahrnehmung und den damit
verbundenen konstitutiven Problemen beschäftigt hatte, mich den onto-
logischen Problemen zuwandte, was vor allem in meinen "Essentialen
Fragen" zum Ausdruck kam. Bei der Bearbeitung der mit der äußeren
Wahrnehmung verbundenen konstitutiven Probleme * sickerte bei mir
der Gedanke durch, daß sich die konstitutive Betrachtung nicht ohne
eine vorherige Klärung des wesensmäßigen Sinnes des Konstituierten mit
Erfolg durchführen lasse. Man muß - um die Kantische Wendung zu be-
nutzen - einen" transzendentalen Leitfaden" haben, der es gestattet, das
Sich-konstituieren einer konstituierten Gegenständlichkeit in en t-
sprechenden Bewußtseinsverläufen zu verfolgen. Man muß eben genau
wissen, was eine bestimmtes konstituiertes X sein soll, um den Ausgangs-
punkt zur weiteren Betrachtung zu gewinnen. Und zwar muß dieses X -
als Konstituiertes - nach drei verschiedenen Richtungen hin untersucht
werden: seiner Form nach, seinem materialen Beschaffensein und seiner
Seinsweise nach. Erst dann kann man die Bewußtseinsmannigfaltigkeiten,
in denen sich ein solches X konstituiert, aus allen möglichen Bewußtseins-
mannigfaltigkeiten heraus ins Auge fassen und an dem gewählten Material
die Konstituierung ihrem bloßen Verlaufe, sodann aber auch ihrer Recht-
mäßigkeit nach verfolgen. Die ontologische Betrachtung des Gegenstan-
des, dessen Konstitution untersucht werden soll, muß der eigentlichen,
noetisch gerichteten konstitutiven Betrachtung vorangehen. In meinen
"Bermerkungen zum Problem Idealismus-Realismus" wurde aber deut-
lich darauf hingewiesen, daß die Ontologie keinesfalles die letzte Betrach-
tungsweise der Probleme sein sollte, sondern daß - nach einer metaphy-
sischen Betrachtung - noch eine "erkenntistheoretische Untersuchung"
als letzte Kontrolle aller Betrachtungen folgen sollte. In dieser "erkennt-
nistheoretischen Kontrolle" war natürlich u.a. die konstitutive Betrach-
tung im Husserlschen Sinne enthalten. Husserls Postulat mußte also
eigentlich damit Genüge getan sein.
Wenn man aber der konstitutiven phänomenologischen Betrachtung
das letzte Entscheidungswort über die Ergebnisse der Ontologie zuerkennt
und zugleich dieser Ontologie den Charakter einer apriorischen Erkennt-
nis zuschreibt, also sie für eine Wesensbetrachtung im Sinne Husserls
hält, so eröffnet sich sofort das Problem, inwiefern diese Wesensbetrach-
tung eine erkenntnistheoretische Kontrolle und eventuell auch eine Be-
richtigung zuläßt. Im Zusammenhang damit steht ohne Zweifel die von
• Ein kleines Fragment dieser Arbeiten ist in meinem Vortrag an dem ersten Kon-
gress der polnischen Philosophie in Lemberg (im Frühjahr 1923) u.d.T. "Ob und wie
läßt sich die Objektivität der äußeren Wahrnehmung erweisen"? (in polnischer
Sprache in den Akten dieses Kongresse publiziert) enthalten. Die Betrachtungen über
die äußere Wahrnehmung habe ich aber nicht ganz fallen gelassen. Im SS 1926 habe
ich an der Lemberger Universität eine Vorlesung über die äußere Wahrnehmung ge-
halten, und als ich im Jahre 1927 ins Ausland fuhr, habe ich u.a. umfassende Notizen
dieser Vorlesung mitgenommen, um daran während meiner Studienreise zu arbeiten.
Dann widmete ich mich aber der Arbeit an dem Buch "Das literarische Kunstwerk".
ERLÄUTERUNGEN ZU DEN BRIEFEN
* Daß das Thema meines Buches Husserl gefallen hat, zeigt sich u.a. daran, daß er
bald nach meiner Anwesenheit in Freiburg Fink als Thema seiner Doktordissertation
die Analyse des "Bildes" gegeben hat. Überhaupt haben meine damalige Anwesenheit
in Freiburg und meine dort geführten Gespräche s.z.s. am Rande meines Buches das
Interesse für ästhetische Probleme in den phänomenologischen Kreisen wachgerufen.
In der Festschrift für Husserl vom Jahre 1929 sind drei ästhetischen Problemen ge-
widmete Abhandlungen enthalten.
r68 ERLÄUTERUNGEN ZU DEN BRIEFEN
die Gestalt eines größeren Werkes haben würde? Man wußte aber von dem
Vorhandensein eines solchen Manuskripts nichts *. Jedoch zeigte man mir
ein sehr interessantes kleines Dossier: zwei Schreibmaschinenblätter, de-
ren erstes die Überschrift trägt: "Disposition zu 'System der phänome-
nologischen Philosophie' von Edmund Husserl", dazu am Rande die Notiz
* Ich sprach mit Dr. Iso Kern. Professor Van Breda war in jenem Augenblick
nicht in Louvain, bei seiner Rückkehr vergaß ich, ihn danach zu fragen. Später stellte
ich meine Frage schriftlich auch an Professor Boehm, der mir in einern Briefe das
Folgende antwortete:
"Ihre nachträgliche Frage bezüglich des 'neuen Werkes' (Brief vom 16. XI. 1931)
bzw. des 'systematischen Grundwerkes der Phänomenologie' (Z1. XII. 1930) hat
mich, offen gestanden, ordentlich verdutzt. Ich hatte die beiden Briefstellen nie im
Zusammenhang gelesen! Dabei waren sie mir wohl bekannt. Die Hoffnung, welcher
der erstgenannte Brief Ausdruck gibt, eine 'erste Hälfte im nächsten Jahrb.
(Herbst 1931) publizieren zu können', nahm ich für eine der üblichen Hoffnungen
auf solche Arbeitsergebnisse ; und nach dem anderen Brief glaubte ich noch immer,
es müsse sich bei dem 'neuen Werk' eben doch um die 'Meditationen' handeln,
Husserl schriebe nur hastig und unklar; und schließlich ist ja auch keines der da
genannten zwei - oder drei - Werke in irgendeinem Jahrbuchband erschienen! Da-
bei war mir selbstverständlich auch der (sicher Fink'sche) Dispositionsentwurf be-
kannt, den Dr. Kern Ihnen zeigte ... Jetzt will ich zugeben, daß man wohl doch,
nach sorgfältigem nochmaligem Lesen der beiden Briefstellen, die Sache nicht so
einfach abtun kann, wie ich es bisher für mich immer getan habe. Zunächst hier zur
Ergänzung zwei weitere Briefstellen, die erste aus einem Briefe Husser!s an Gustav
Albrecht vom 39.XII. 1930:
'Ich habe ein arbeitsreiches Jahr hinter mir, und doch ist nicht geworden, was
ich gewollt und erhofft. Hoffen wir, daß das neue Werk im 31er Jahr wird, und so
wird, wie es mir vor dem inneren Auge steht. Die Aufgabe war für die Zeit zu
groß, obschon es sich um ein Zusammendenken, Ausgleichen, Ergänzen der alten
Gedanken und Entwürfe handelt - zugrunde liegen Manuskripte, die sich auf
zwei Jahrzehnte und länger zurück erstrecken. Aber sie haben nicht den Charak-
ter fertiger Entwürfe, sie stammen aus verschiedenen Entwicklungsstufen ... '
usw. usw.; und dann: 'In dem letzten Jahr hat sich im minutiösen Überdenken, in
sorgsamster Endgestaltung und Ergänzung alles glänzend bestätigt, aber noch
bin ich mit den Vorbereitungen nicht ganz fertig, habe noch einiges Schwierige
vor mir und vor allem das jetzt Schwierigste: die systematische Darstellung.
Denn nirgends kann ich an Bekanntes anknüpfen ... '
Und an denselben am 2Z. XII. 1931:
'Die Frage ist für mich nur, wie ich die ungeheure Arbeit des Zusammenschlusses
(von Husserl unterstrichen) meiner unzähligen unveröffentlichten ... Unter-
suchungen zur Grundlegung der Phänomenologie zu Rande bringe und die wieder-
um dazu nötigen sehr differenzierten Untersuchungen, welche die noch fehlenden
Zusammenhangsstrukturen betreffen. Es ist eigentlich ein ganzes philosophisches
System erwachsen, aber eines völlig neuen Sinnes und Stiles ... '
Aus diesen Briefstellen wie auch aus den Stellen der an Sie gerichteten Briefe darf
man wohl entnehmen:
1. Nichts zeigt an, daß etwa ein auch nur begonnenes Manuskript einer zusam-
menhängenden Darstellung vorgelegen hätte, welches Husser!s Veröffentli-
chungsankündigungen einen konkreten Rückhalt gegeben hätte. Er hat wohl
halb und halb nur sich Hoffnung gemacht, um sich Mut zu machen - vielleicht
auch vertrauend auf eine Wiederholung der raschen Erfolge beim Niederschrei-
ben der 'Ideen l' und der 'Formalen und transzendentalen Logik' - einiges in
seinen Briefen weist darauf hin.
z. Gleichwohl muß es ernst genommen werden, daß Husser! damals tatsächlich
arbeitete und insbesondere schrieb mit jenem Plan einer literarischen System-
darstellung oder 'Grundlegung der Phänomenologie', nichl identisch mit den
ERLÄUTERUNGEN ZU DEN BRIEFEN r69
von Husserls Hand: "Eingegangen 1-6 * 13/8 1930"; das zweite Blatt ist
ohne Überschrift, am Rande steht hier von Husserls Hand die Jahreszahl
,,1929", mit einem Fragezeichen. Angeblich stammen diese Blätter von
Fink, und es scheint, daß diese "Disposition" bzw. diese zwei Dispositio-
nen auf Aufforderung Husserls und vielleicht auch auf seine Anweisung
hergestellt wurden. Und da Fink seit mehreren Jahren ein sehr naher Mit-
arbeiter Husserls war, so ist zu vermuten, daß sich da Fink auf Informa-
tionen über Husserl Arbeiten und Absichten stützt. Ob Husserl diese
"Disposition" akzeptiert hat, ob sie auf irgendwelchen bereits vorhande-
nen Schriften Husserls fußte oder s.z.s. ein selbständiger Konzept Finks
war, vermag ich nicht zu sagen. Aus dem Vorhandensein dieser "Disposi-
tion" im Zusammenhang mit den hier bereits angegebenen Stellen aus den
Briefen Husserls folgt - wie mir scheint - ganz unzweideutig, daß Husserl
tatsächlich ein solches großes 'Werk geplant hat und mindestens vorberei-
tende Skizzen, Vorarbeiten zu ihm zumindest seit Sommer 1930 schrieb.
Ich erlaube mir also, den Text dieser zwei Blätter hier wiederzugeben.
Erstes Blatt:
»Disposition zu
"System der phänomenologischen Philosophie"
von
EDMUND HUSSERL
Grundgliederung.
Einleitung (Die phänomenologische Idee des philosophischen "Systems".
Das System der "offenen Arbeitshorizonte" ; System als Vor-
zeichnung und Problematikaufriß. - Kritische Auseinander-
setzungen).
Zweites Blatt:
»1. Band: Grundlegung zur egologischen Bewußtseinslehre (Allgemeine
Theorie der Intentionalität in ihren wesensallgemeinen Ge-
stalten, in allen Modifikationen).
H. Band: Konstitution der egologischen Weltlichkeit; noematische und
noetische Theorie der Konstitution der RaumzeitIichkeit und
raumzeitlichen Gegenständlichkeit der Empirie. Empirische
Welt in allen Stufen. Leib, Dinge, Ich als solus. Zunächst
statisch.
III. Band: Die Autogenesis des Ego als solipsistische Abstraktion. Die
Theorie der passiven Genesis. Association. Die Vorkonstitu-
tion. Konstitution von vorgegebenen Gegenständen. Die Kon-
stitution von Gegenständen in kategorialer Richtung. Gemüts-
und Willenskonstitution. Person, Kultur, solipsistisch.
IV. Band: Die Konstitution der Intersubjektivität und der gemeinschaft-
lichen Welt. Einfühlung. Konstitution des Menschen. Konsti-
tution der historischen Welt. Die intersubjektive Zeiträum-
lichkeit. Die Unendlichkeit. Die Idealisierung der exakten Na-
tur (Wie viel davon kann unter IH. gehören?) Statisch:
Mensch und Umwelt.
V. Band: Transzendentale Genesis der objektiven Welt. Transzenden-
tale Genesis des Menschen und der Menschheiten. Die Gene-
rationsprobleme. Die Probleme der Selbsterhaltung, der
Mensch in der Echtheit. Menschheit und Schicksal. Die teleo-
logischen und Gottesprobleme.«
Vielleicht bildet diese "Disposition" doch ein Ganzes ,d.h. daß es zu-
sammen sechs Bände sein sollten, der erste Band bestünde dann aus der
Einleitung und den zunächst genannten zwei Büchern. Es ist aber auch
möglich, daß es zwei verschiene "Dispositionen" sind oder auch eine Dis-
position für zwei verschiedene Werke, wobei das erste aus der Einleitung
und den zwei Büchern bestehen würde, das zweite aber die fünf Bände
umfassen würde. Es lohnt sich hier nicht, besondere Nachforschungen
darüber anzustellen. Interessant ist nur, daß Husserl sich im Jahre 1930
(und früher?) mit dem Plane eines solchen (oder eines bloß analogen)
Werkes getragen hat und daß er diese konkrete "Disposition" .. vor seinen
Augen im Sommer 1930 in Chiavari hatte, wo er dann durch schwere Er-
krankung an seiner Arbeit gestört wurde. Die Größe dieses Planes hatte
vielleicht zur Folge, daß Husserl den Plan der Erweiterung der Medita-
.. Die überwiegende Mehrzahl der Titel der einzelnen Themen scheint tatsächli-
chen Husserlschen Problemen zu entsprechen. Einige freilich tragen für mich den As-
pekt der Heideggerschen Problematik, was insofern nicht ausgeschlossen ist, als es be-
kannt ist, daß Fink in nahen Beziehungen zu Heidegger stand.
ERLÄUTERUNGEN ZU DEN BRIEFEN I7 I
tionen fallen ließ oder ihn mindestens zeitweilig für die weitere Zukunft
verschoben hat.
Höchst interessant in diesem Brief ist endlich die Information Husserls
über die Bernauer Zeituntersuchungen, die "Fink allein schon zur Einheit
eines Textes gebracht hat (ziemlich umfangreich)". Diese "Zeituntersu-
chungen" bilden dasselbe Konvolut von Manuskripten, die mir Husserl
einst im Jahre 1927 vorgezeigt hat. Es wird hier nicht bloß unzweideutig
festgestellt, daß Fink sie zur Redaktion erhielt, sondern auch, daß er sie,
nach Husserls Überzeugung auch ergiebig bearbeitete, so daß dieses Zeit-
buch in das Jahrbuch XI kommen sollte. Worauf stützt Husserl diese In-
formation? Das Zeitbuch ist bis heute, im Jahre 1967, noch nicht erschie-
nen. Und es gibt auch - wie man mir mehr als einmal gesagt hat, weder
die entsprechenden Bernauer Handschriften Husserls, noch ihre Ab-
schriften, noch endlich eine Ausarbeitung Finks im Husserl-Archiv in
Louvain. Sie sollen immer noch bei Fink liegen und - angeblich - sein Pri-
vateigentum bilden. Hat also Husserl von dieser einheitlichen Ausarbei-
tung der Bernauer Handschriften etwas gesehen? Oder hat ihm darüber
Fink nur erzählt, oder ihm endlich doch etwas vorgezeigt? Nun, im No-
vember 1966 hat man mir eine Photokopie eines "Dispositionsentwurfs zu
Husserls Untersuchungen zur Phänomenologie der transzendentalen Zeit"
gegeben:
,)Dispositionsentwurf zu
Edmund Husserls Untersuchungen
zur Phänomenologie
der
transcendentalen Zeit
Einleitung:
(Das Problem der transcendentalen Zeit: in diesen Abhandlungen
grundsätzlich innerhalb der egologischen Reduktion. Anknüpfung an
die "Ideen": die dort vollzogene Reduktion als Reduktion 1. Stufe;
Charakterisierung der Exposition des transcendentalen Zeitproblems
in den "Ideen" und in den "Vorlesungen". - Neue Darstellung der
phänomenologischen Reduktion und Gliederung der phänomenolo-
gischen Konstitutionsproblematik. - Aufriss der Abhandlung.)
1. Abschnitt: Analyse der immanenten Zeit (Intentionale Analysen der
Wahrnehmung, der Erinnerung, eine ausführliche Analyse
der Wiedererinnerung. - Die immanente Zeit als eine Mehr-
dimensionalität von Zeiten, Aufweisung der deskriptiven
Unterschiede von Aktzeitlichkeit und Zeit hyletischer Da-
ten, der Zeit immanenter Aprioritäten (Wesensverhalte),
Analyse des Successionsbewusstseins.)
2. Abschnitt: Die Konstitution der immanenten Zeit (Die Akte als Einhei-
ten in den Phasenmannigfaltigkeiten des inneren Zeit be-
wusstseins; Zeit und Zeitmodalität, Objektivität der Zeit-
modalitäten, Auffassung und Auffassungsinhalt, Problem
der immanenten Wahrnehmung; Analyse der Zeitintentio-
nalität Retention und Protention, Bestimmung des phäno-
menologischen Charakters des "Abklangs", Diskussion
scheinbar möglicher Interpretationen. - Der ganze Abschnitt
I7 2 ERLÄUTERUNGEN ZU DEN BRIEFEN
Auf der Photokopie hat man in Archiv das Datum der Abgabe dieses
Dispositionsentwurfs an Husserl notiert. Es lautet: 26. I. 1929. Das ist
also ungefähr zwei Jahre früher als der Brief geschrieben wurde, in wel-
chem Russerl die hier kommentierte Notiz über seine Zeituntersuchungen
gemacht hat. Ratte Fink inzwischen seine Redaktionsarbeit weiter fort-
geführt und Russerl die Ergebnisse vorgezeigt? Rat Russerl den Disposi-
tionsentwurf akzeptiert? Diesem Entwurf ist noch ein Blatt beigefügt mit
dem Titel: "U ngefähre Anordnung der Manuskripte". Diese "Anordnung"
gebe ich hier an, damit die Öffentlichkeit wenigstens einige Titel der dies-
bezüglichen Manuskripte Husserls kennenlernt. Sie lautet:
Wie aus einigen Einzelheiten dieser Zusammenstellung folgt, ist das nur
eine vorbereitende Liste der Titel der Handschriften, die noch nicht zur
Einheit eines Textes zusammengefügt worden sind. Der Dispositionsent-
ERLÄUTERUNGEN ZU DEN BRIEFEN 173
wurf Finks, den ich hier abdrucke auf Grund des Erlaubnisses von
Professor E. Fink, enthält verschiedene andere Titel, die unter den
Titeln der Husserlschen Manuskripte nicht auftreten. Offenbar ist
dieser Dispositionsentwurf schon ein Versuch, die Husserlschen Texte
zu vereinheitlichen, eventuell auch zu bearbeiten und ergänzen *.
Was ist aber dann geschehen, daß innerhalb der sieben Jahre, in
welchen Husserl noch lebte, die Bernauer Zeituntersuchungen nicht
publiziert wurden? Hat Husserl vor seinem Tode gar keine Weisungen
gegeben, was mit diesen Manuskripten geschehen sollte? Und was
geschah in diesen fast 30 Jahren nach dem Tode Husserls, daß die
philosophische Öffentlichkeit bis jetzt über dieses nachgelassene Werk
Husserls überhaupt gar nichts erfahren hat? Wäre es nicht am besten, die
Husserlschen Manuskripte ohne jede redaktionelle Änderung einfach als
nachgelassene Materialien zu den Zeituntersuchungen Husserls zu publi-
zieren? Aus den oben angegebenen Titeln der einzelnen Manuskripte ersieht
man, daß sie tatsächlich höchst wichtige Probleme behandeln und daß wir
alle viel von ihnen lernen könnten.
jeder Hinsicht" und zwar möglichst bald zu schicken. Ich hatte bloß den
französischen Text. Ich habe mich natürlich gleich an die Arbeit gesetzt
und begann meine "Bemerkungen" niederzuschreiben. In den drei näch-
sten Briefen: LII (21. V. 1931) von Frau Russerl, sowie LIII (8. VII.
1931) und LIV (31. VIII. 1931) von Husserl selbst weiderholen sich die
Aufforderungen, daß ich meine Bemerkungen zu den Meditationen
schicken solle. Aus diesen Briefen geht aber nicht klar hervor, ob Russerl
den Text meiner "Bemerkungen" bereits in der Hand hatte. Ich habe lei-
der nicht notiert, wann ich sie Husserls geschickt habe"'.
... Ich tat es wahrscheinlich spätestens im Juli 1931. Ich schickte nämlich meine
Bermerkungen bloß zu den ersten vier Meditationen. In der fünften bin ich stecken-
geblieben, und zwar aus verschiedenen Gründen. Der französische Text ist - bekannt-
lich-in der V. Meditation mit empfindlichen Mängeln behaftet. Ich konnte aber nicht
recht erraten, was im Originaltext steht. Außerdem gab es für mich verschiedene
sachliche Schwierigkeiten, die ich nicht zu überwinden wußte. Und die Bedenken,
welche der Text der V. Meditation in mir hervorrief, waren viel prinzipiellerer Natur
als diejenigen, die sich auf die ersten vier Meditationen bezogen. Meine etwaigen Be-
merkungen mußten in diesem Falle in einer sehr erweiterten Gestalt redigiert werden.
Und ohne eine nähere Begründung würden sie von. Husser! kaum in Erwägung ge-
zogen werden.. So schickte ich Husser! bloß einen Teil meiner Bemerkungen und
schrieb ihm, daß dies vorläufig alles sei, was ich schicken könne.
ERLÄUTERUNGEN ZU DEN BRIEFEN I75
nomenologischen Philosophie" nur nebensächlichen Beschäftigungen be-
sonders gefährlich.
6I. "Ihren kleineren Aufsatz" - das bezieht sich auf meine Abhandlung
"Einige Voraussetzungen des Idealismus bei G. Berkeley", die ich im
Jahre 1929 in polnischer Sprache schrieb und die im Sommer 1931 in
einer Sammlung von Artikeln zum 2sjährigen Jubiläum der Polnischen
Philosophischen Gesellschaft in Lemberg erschienen ist. Ich hatte die Ab-
sicht, sie deutsch zu schreiben, und hatte Husserl gefragt, ob sie im Jahr-
buch gedruckt werden könnte.
* So viel ich weiß, druckt man in Frankreich bis jetzt diese Übersetzung in immer
neuen Auflagen, ohne daß die in ihr enthaltenen Fehler beseitigt werden. Weiß man
denn nicht, wie es damit bestellt ist?
ERLÄUTERUNGEN ZU DEN BRIEFEN I79
ad LXIII. (2I. X. I932) und LXIV. (n. X. I933)
70. Die Nachricht von Frau Husserl über die Korrespondenz Husserls
mit Niemeyer bezieht sich auf die Arbeit über Berkeley. Ich habe mich
aber dann nicht an Niemeyer gewendet.
Es ist unmöglich, daß in unserer Korrespondenz eine ein ganzes Jahr
dauernde Unterbrechung eingetreten sein sollte. Es müssen beiderseits
Briefe verloren gegangen sein. Die politische Lage hat sich in Deutschland
im Jahre 1933 so geändert, daß dies erklärlich ist.
* Vgl. auch den Satz in der Beilage XXVIII zur "Krisis", S. 508: "Philosophie als
Wissenschaft, als ernstliche, strenge, ja apodiktisch strenge Wissenschaft - der
Traum ist ausgeträumt". Auch er gibt sicher nicht der eigenen Meinung Husserls
Ausdruck.
** Freilich fügt Husserl am Schluß dieses Abschnittes einen einschränkenden Satz
hinzu: "So sehe ich's, wenn ich wohlauf und in guter Arbeit bin, anders in den De-
pressionen, die uns allen nicht erspart sind".
I8z ERLÄUTERUNGEN ZU DEN BRIEFEN
Ich habe nicht protestiert, obwohl mir bange ums Herz war. Als ich einige
Stunden später im Hotel erschien (ich dachte ja sowieso am nächsten Tag
fortzufahren), hat man mir unaufgefordert die Rechnung gegeben. Man
hatte offenbar inzwischen erfahren, daß ich zu Besuch bei Husserl war,
und wollte einen solchen Gast bei sich nicht behalten. Ich kündigte meine
Abreise an.
Philosophisch haben wir dieses Mal wenig gesprochen. Nur Landgrebe
hat mir viel über die Bearbeitung der Husserlschen Manuskripte in Prag
erzählt. Ich fragte dabei, wie es mit den "Ideen lI" und "IlI" stehe.
Landgrebe meinte, daß Husserl die entsprechenden Manuskripte irgend-
wie auf verschiedene Gruppen verteilt habe. "Eigentlich - sagte mir da-
mals Landgrebe - existieren die 'Ideen' nicht mehr". Bezog sich dies auf
die "Ideen III"?
Am Abend besuchte mich ]ean Hering im Hotel. Wir sprachen über
Husserl. Hering hat ihn in jener Zeit mehrmals besucht und bewunderte
ihn in seiner guten Form und in seiner Standhaftigkeit und unermüdlichen
Hingebung an die wissenschaftliche Arbeit. Husserl ist in diesen letzten
Jahren als Mensch und als Philosoph noch größer geworden. Er glaubte
fest, daß seine Philosophie eines Tages die Menschheit retten werde. Hat
er geahnt, was noch kommen sollte?
Am nächsten Tag habe ich mich von Husserl und Frau Malvine herz-
liehst verabschiedet und fuhr dann fort. Das war mein letztes Zusammen-
treffen mit dem "Meister". Trotz allem dachte ich damals nicht, daß es so
kommen werde.
Adjukiewicz, K., 33, 179 Hartmann, N., 39, 44, 97, 157, 159
Albrecht, G., 168 Hegel,53
Andler, Ch., 53 Heidegger, M., 14, 17ff., 22f., 25 ff., 37,
Anselmus von Canterbury, 21 39ff., 48, 56f., 67, 83, 133, 149, 151,
Aristoteles, 25, 172 157f., 161ff., 170, 173
Augustin, 17 Hering, J., 13, 15f ., 18f., 21, 24, 26, 44,
47f., 5 If., 55, 79, 96, 98, II3, 120,
Bäumler, A., 97 160ff., 182f.
Becker, 0., 24, 26, 28, 37, 39, 52, 149, Heymans, G., 46f., 51
157 Hicks, G., 24, 84ff., 179
Beenken,33 Hilbert, D., 45, II5
Bell, W., 2xf., 24, 26f., 120 von Hildebrand, D., 13
Berger, G., 176 Hoffmann, P., 97, 157
Bergson, H., 6, 13f., 19, 21, u6, I2d., Honecker, M., 157
I29f., 143f., 154 Hume, 106, 111
Berkeley, 72, 78, 84ff., 106, UI, 175, Husserl, G., 16, 33, 137, 141
177ff. Husserl, M., 9, 15f., 19, 27, 29, 38, 40,
Biemel, W., 150, 173, 183 44ff., 51, 53, 58, 61, 65f., 69f., 83,
Blaustein, L., 33, 35, 39, 150 86, 88, 91, 95,98, 102ff., 120, 134ff.,
Boehm, R., 107f., 141, 145ff., 168f. 139, 142, 164, 183
Brentano, F., 28, 90, 96, IIO, Il5, 144,
172 Jaensch, E., 158
Brouwer, L., 46 Joel, K., 82
Caims, D., 93 Kant, 28, 40, 63, 67, 100, 106, 109f.,
Capek, K., 101 130, 146, 158, 173
Carnap, R., 96 Kaufmann, F., 16, 24, 28, 33, 38f., 74,
Cassirer, E., 101 76, 88, 94, 120, 149, 152, 157
Clauss, 12, 17 Keijo, 0., 94
Clemens, R., 113, 120 Kern, 1., 108, 110, 168
Conrad, Th., 120, 157 Köhler, W., 97
Conrad-Martius, H., 23, II3, 120, 131, Koyre, A., 18,21,24,26,44,48,52,54,
157 61, 8~ 9~ 113, 12~ 161f.
Kotarbinski, T., 143
Daubert, 143 Kuhn, H., 89, 97
Descaxtes, 21, 40, 106, 111
Dessoir, M., 73 Landgrebe, L., 37f., 57, 59f., 62, 88, 91,
Dilthey, W., 38 94, 97, 99, 157, 182f.
Leibniz, 33, 82
Fichte, 86, 106, 111, 130 Leon, Ph., 86
Fink, E., 60, 64, 67ff., 71, 74, 76, 84f., Leon, X., 53
87, 89f., 93f., 99, 167ff., 176f., 18of. Usniewski, S., 143
Frankfurter, F., 120 Levinas, E., 160
Uvy-Bruhl, L., 53
Geiger, M., 13, 15f., 18, 23, 26, 162 Lichtenberger, 53
Geyser, J., 121 Liebert, A., 99, 182
Gibson, B., 60, 68 Lipps, H., 18, 21, 24, II3, 120
Gurvitch, G., 44 Lukasiewicz, J., II5, 143, 179
r86 INDEX