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Mit dem Begriff ›Moral‹ wird menschliches Verhalten reflektiert, sofern es als gut

oder schlecht qualifiziert wird. Der Begriff hat eine komplizierte Geschichte, die seit
der Antike zwischen einer beschreibenden (Gewohnheit, Sitte; Adjektiv: die Sitte
betreffend) und stärker bewertenden (das Sittliche, das Gebotene) Semantik
abwechselt und auch die Bedeutungsgleichheit von ›Moral‹ und ›Ethik‹ kennt (vgl.
Jüssen 1984, 149–151; vgl. Tugendhat 1995, 35). Aus diesen Hinweisen lassen sich
für die Annäherung an säkulare Moralkonzepte drei wichtige Aspekte gewinnen.

Erstens: Der enge Bezug zwischen deskriptiver und normativer/präskriptiver Ebene


legt für das Nachdenken über Moral eine maßgebliche Unterscheidung nahe, ob
Moral (1) ausschließlich auf der Basis empirisch beobachtbarer Kriterien reflektiert
wird, wie es für die Soziologie typisch ist, oder (2) ob diese faktisch geltenden
Kriterien als hinreichende Grundlage für eine philosophische Theorie der Moral
angesehen werden, oder (3) ob universelle, von faktischer Geltung unabhängige
Prinzipien zur Formulierung einer solchen Theorie vorausgesetzt werden. Ansätze
(2) und (3) gehen von der Wahrheitsfähigkeit moralischer Urteile aus und werden
daher als kognitivistisch bezeichnet; im Gegensatz dazu stehen nichtkognitivistische
Theorien, welche die Wahrheitsfähigkeit und damit einhergehend den Sinn
moralischer Aussagen grundsätzlich bezweifeln.

Zweitens: Mit der Unterscheidung zwischen deskriptiver und normativer


Beschreibungs-ebene lässt sich zugleich ein charakteristischer Unterschied zu
früheren Epochen herleiten: Schon in der Antike, stärker jedoch in der
abendländisch-mittelalterlichen Kultur konnte Moralität in Wechselwirkung mit dem
Sittlichen definiert werden, weil eine holistische Wirklichkeitsauffassung
vorherrschte, in der Religion, Politik, Recht etc. eine ›kognitiv eindeutige‹ und
moralisch bindende Ordnung bildeten (vgl. Honnefelder 2007, 114f.). Die Auflösung
dieser kognitiven Einheit in der Neuzeit erschwerte der Philosophie die
Gleichsetzung von Moral und Sitte: Das Sittliche gilt fortan als kontingent; das
moralisch Gebotene hingegen definiert sich über Notwendigkeit.

Drittens: ›Moral‹ mit ›Ethik‹ gleichzusetzen, entspricht der aktuellen


alltagssprachlichen Verwendung dieser Ausdrücke, die in der Philosophie nicht
immer gegeben ist. So kann mit ›Ethik‹ das Nachdenken über die Möglichkeit der
Begründung moralischer Urteile auf einer Metaebene gemeint sein, wohingegen
›Moral‹ entsprechend diese Urteile selbst bezeichnet: Die Menge der
handlungsleitenden und normativ bindenden Sätze. In diesem Sinn sind ›Ethik‹ und
›Moralphilosophie‹ synonym und werden neben der politischen Philosophie durch
die Bezeichnung ›praktische Philosophie‹ umfasst. Eine alternative, für den
Liberalismus grundlegende Terminologie schlägt Jürgen Habermas vor, wonach
jeweils ›Ethik‹ (die Frage nach dem guten Leben), ›Moral‹ (die Frage nach dem
gerechten Handeln im Rahmen des Konkurrenzverhältnisses zwi- schen individuell
begründeten Rechten) und ›Pragmatik‹ (Fragen der angemessenen Mittel) originäre
Bereiche der Moralphilosophie bilden (vgl. Habermas 1991).

Säkularisierte Philosophie der Moral

Die Verbindung von Moral und Säkularisierung wird auffällig einheitlich über die
abendländisch- aufklärerische Kategorie von ›Autonomie‹ bzw. »Selbstdenken«
(Höffe 1996, 16–18) interpretiert. Ansatzpunkt ist der Anspruch auf
»Selbstbestimmung des Handelns durch Vernunft« (Honnefel- der 2007, 137). Dabei
wird nicht übersehen, dass diese Denkkategorie in der hoch- bzw.
spätmittelalterlichen Theologie selbst Wurzeln hat, namentlich im
Naturrechtsdenken, das die Fähigkeiten des menschlichen Intellekts betont und für
die moralische Erkenntnis daher eine universale Geltung beansprucht, wie auch im
Voluntarismus, der die Kontingenz der geschöpflichen Welt hervorhebt und damit
eine wichtige Voraussetzung schafft für das Bewusstsein um Möglichkeit und
Notwendigkeit der Selbstgestaltung der fak- tischen Ordnung (vgl. Schneewind
1991, 148; Honnefelder 2007, 114, 116).

Jerome B. Schneewind unterteilt die moderne Philosophie der Moral in drei Phasen:
(1) die Phase der Autonomie, (2) der kritischen Reflexion und Rechtfertigung von
Autonomie als individueller Kategorie und (3) des Wechsels auf eine Per- spektive
von Moral als öffentliche Kategorie (vgl. Schneewind 1991). Diese
ideengeschichtliche Interpretation kann mit einer gängigen historischen Darstellung
der Säkularisierung verbunden werden: Phase (1) hat ihren Keim im Anliegen der
Neuzeit, sich von der Autorität der Kirche und der Scholastik zu emanzipieren. Dies
wurde u.a. von mathematischem und naturwissenschaftlichem Erfolg, insbesondere
aber durch den Vertrauens- und Plausibilitätsverlust religiöser Moralbegründungen
angetrieben. Dieser Verlust wurde u. a. durch die Konfessionalisierung Europas, das
Trauma des Dreißigjährigen Krieges und der resultierenden Emanzipation der Politik
von kirchlichem Einfluss veranlasst. Die Herausforderung für die Moralphilosophie
bestand fortan darin, für ein materiell noch weitgehend einheitliches Moralsystem
eine von religiöser oder sonstiger externen Autorität unabhängige und daher
universell einsehbare Begründungsform zu formulieren, die aber zugleich über
dieselbe Verpflichtungskraft verfügen sollte wie zuvor der Gehorsam gegenüber
Gott und seinem ewigen Gesetz.

Kants Werk antwortet auf diese Herausforde- rung durch sein Konzept der
unbedingten Pflicht, welches zugleich das Problem der Heteronomie, also der
Fremdbestimmung des Willens lösen sollte (vgl. Kant, AA IV, 441): Der Mensch wird
durch den Gebrauch der eigenen Vernunft, namentlich durch die Einsicht in das
apriorisch und daher als universell erkannte Sittengesetzt (kate- gorischer
Imperativ), in unbedingter Weise auf Moralität verpflichtet. Gerade dadurch
verwirklicht er seine ihm wesensgemäße Freiheit, die zugleich seine Würde
konstituiert. Dies kann als säkulare Übertragung der Autorität Gottes sowie des
Motivs von der Gottesebenbildlichkeit des Menschen angesehen werden. Die
Annahme, es bedürfe zum moralischen Handeln notwendig einer universale
Reichweite garantierenden Autorität, bleibt als solche indessen unberührt,
weswegen Kant

(2) nun darauf ankommt, das Paradigma der Au- tonomie in Richtung eines
wachsenden Bewusstseins für Macht und Recht des Individuums weiter
auszubuchstabieren und gegen Einwände zu verteidigen, die vor dem Hintergrund
eines sich stärker ausprägenden geschichtlichen Bewusstseins ins Feld geführt
werden. Solche Einwände betonen die Abhängigkeit von sozialer Prägung, daher
also Kontingenz und partikulare Geltung von Moral. Die soziokulturelle Folie, vor der
die Moralreflexion jetzt vollzogen wird, ist weniger durch Einheit als vielmehr durch
Pluralität von Geltungsansprüchen geprägt, wozu auch der Atheismus in
wachsendem Maße gehört. Soweit stellt die Säkularisierung sowohl ein Ergebnis der
Anwendung von Moral als auch die Ursache für eine veränderte Moral dar (vgl.
Honnefelder 2007, 116).

Die für Phase (3) charakteristische Konzentration auf die öffentliche Relevanz von
Moral firmiert unter dem Thema ›Gerechtigkeit‹ (zwischen Individuum und
Gesellschaft, zwischen Nationen, zwischen Mensch und Umwelt, zwischen den
Geschlechtern etc.). Sie wird vor dem Hintergrund einer zunehmenden
lebensweltlichen Pluralisierung (Max Weber, Peter L. Berger), Funktionalisierung
(Niklas Luhmann) und umgreifenden Kontingenzerfahrung verständlich. An die
Stelle einer verbindlichen Idee des Guten tritt ein Pluralismus von Werten (Hans
Joas), und das wachsende politische Selbstbewusstsein des Individuums verlangt im
ausdifferenzierten Gesellschaftsgefüge sein Recht. Die durch eine veränderte
Arbeitskultur gewonnene Freizeit eröffnet dem Menschen mehr Möglichkeiten zur
Selbstentfaltung und Wissensaneignung. Dies führt zur Schärfung des moralischen
Bewusstseins: Der Anteil moralisch uneindeutiger Situationen nimmt zu (vgl. Lübbe
1997).
Die dargestellte historische Dynamik entspricht der Entwicklung von einer
Verantwortung »vor den Normen« zu einer »Verantwortung für die Normen«
(Honnefelder 2007, 121), wovon die Entstehung kontraktualistischer Theorien im
17. Jahrhundert (Thomas Hobbes, John Locke, Jean-Jacques Rousseau) ein erstes
Zeugnis gibt. Die Idee des Menschen als Gestalter oder gar Verwalter der Moral und
der Grundsätze der politischen Ordnung war vor der Säkularisierung

undenkbar, sie drängt sich jedoch auf in einer Welt, in der das Individuum auf die
Welt des Fak- tischen zurückgeworfen ist, und in der seine Interessen nicht mehr auf
selbstverständliche Weise kollektiv geleitet und verbürgt sind (vgl. ebd., 115). Es
liegt hier also nahe, ›Säkularisierung‹ nicht primär historisch, sondern konzeptuell
im Lichte der aufklärerischen Idee der autonomen Vernunft und der daraus
abzuleitenden Aspekte von Individualisierung, Wertepluralismus und Kontingenz
(vgl. Horster 1999, 25) zu denken.

Inzwischen steht die praktische Philosophie v. a. vor der Herausforderung, den


normativen Anspruch von Moral mit den eben genannten Aspekten in Einklang zu
bringen: »Fast alle von uns urteilen weiterhin moralisch absolut, aber auf die
Gültigkeit dieser Urteile befragt, neigen viele dazu, sie für relativ zu halten«
(Tugendhat 1995, 18). Unsere Kultur erzieht zum Pluralismus, was häufig mit der
Intuition einhergeht, jeder habe ein Recht auf seine private Moral; universelle
Moralbegründungen werden als übergriffig empfunden. Dies kann die Philosophie
nach weit verbreiteter Ansicht formal nicht berücksichtigen, da sie ihre Urteile qua
moralische, d. h. insofern sie normativ bindend sein sollen, nicht anders als
universal formulieren kann (vgl. ebd., 11–31).

Die Reaktion auf diese Herausforderung hängt zum Teil davon ab, wie die Effekte
der Säkularisierung als solche bewertet werden. Es gibt eine Tendenz, insbesondere
in utilitaristischen und liberalen Theorien, die Partikularisierung der moralischen
Lebenswelt als Faktum und den Pluralismus daher als selbstverständlichen
Ausgangspunkt für moralische Reflexion zu begreifen; dadurch wird das Individuum
in den Mittelpunkt gerückt. Dieses Faktum kann aber selbst problematisiert werden,
wie es durch Ansätze des Marxismus oder des Kommunitarismus geschieht. Ihre
Arbeiten beleuchten die kulturkritische Aufgabe der Philosophie und zeichnen sich
durch einen Anti-Individualismus aus. Unter dem expliziten Begriff
›Postsäkularismus‹ (Jürgen Habermas, José Casanova) nehmen Philosophen
inzwischen Korrekturen an den Überzeugungen der säkularen Kultur vor,
soziologische Autoren an der historischen Doktrin vom Verschwinden der Religionen.
Man kann sagen:

Die Säkularisierungsideale, insbesondere das Konzept von ›Vernunft‹ und


›Autonomie‹ werden inzwischen selbst säkularisiert. In dieser Hinsicht kann für die
Reflexion auf Moral eine Entwicklung attestiert werden, die derjenigen der
postmodernen Metaphysikkritik analog ist.

Die Ansätze des Neopragmatisten Richard Rorty (1931–2007), des Kommunitaristen


Alasdair MacIntyre (geb. 1929) und des Marxisten Terry Eagleton (geb. 1943)
repräsentieren zeitgenössische Wege in der Philosophie der Moral. Sie können unter
der Perspektive der genannten postsäkularen Tendenz gelesen werden, d.h. wie sie
die Effekte der Säkularisierung bewerten. Dadurch lässt sich eine, wenn auch
ambivalente Reihung herausarbeiten, die nicht historisch verstanden werden will.

Liberaler Ethnozentrismus

Rortys Philosophie ist antiessentialistisch: Begriffe wie ›Wahrheit‹ oder ›das Gute‹
werden nicht als Dinge interpretiert, mit denen Aussagen korrespondieren
(Antirepräsentationalismus); sie können vielmehr ausschließlich über ihren Wert für
menschliche Praxen erschlossen werden, der sprachlogischen Praxis eingeschlossen
(Pragmatismus). Indem man etwas ›wahr‹ oder ›gut‹ nennt, bekräftigt man die
Überzeugung vom Bestehen dieses Wertes. Die Wertigkeit ist danach zu
unterscheiden, ob die zu inferierenden Folgen ausschließlich die private Praxis oder
den intersubjektiven bzw. sozialen Bereich betreffen. Bei letzterem entsteht im
Konfliktfall die Notwendigkeit zur rationalen Rechtfertigung der Überzeugung. Die
rationale Behauptbarkeit hängt von der Plausibilität der Argumentation in den
Augen des Gesprächspartners ab. Diese ist dort gegeben, wo man den ›logischen
Raum der Gründe‹ (Wilfried Sellars) teilt. Dieser Raum ist nicht universal, sondern
beschränkt sich zunächst auf die Sprachgemeinschaft bzw. die Gruppe mit dem
selben ›Vokabular‹. Rorty bezeichnet diese Position daher als ›ethnozentristisch‹
(vgl. Rorty 1988, 11–37). Sprache erklärt Rorty als evolutiv entstandenes Werkzeug,
mit dem die eigenen Interessen kommuniziert und ausgehandelt werden. Mit ihr
lernt der Mensch die Spielregeln, die für seinen ethnos in logischer und moralischer
Hinsicht bindend sind und dadurch den Rahmen des rational Behauptbaren
festlegen. Das Individuum kann von diesen Regeln abweichen und solches
Abweichen selbst als moralisch bindend erleben. Es riskiert jedoch dabei, als nicht
rational zu gelten. Indem Rorty Semantik, Normativität und Rationalität zirkulär
aufeinander bezieht, verwischt er die Dichotomie zwischen Wert und Tatsache. Da
kein externer, nicht-soziologisch beschreibbarer Standpunkt existiert, von dem aus
sie sich hierarchisieren ließen, können unterschiedliche Überzeugungssysteme
philosophisch nicht endgültig gegeneinander ausgespielt werden. Die
Argumentation bleibt immer zirkulär: Ausgangspunkt wie Endpunkt einer Diskussion
ist das sogenannte »abschließende Vokabular« (Rorty 1992, 127), kontingente
Überzeugungen, die aber aufs Engste mit der Identität verknüpft sind. Die
Philosophie kann lediglich die Folgen der Anwendung eines bestimmten Vokabulars
transparent machen und gegebenenfalls ein besseres Vokabular vorschlagen, wobei
das Bewertungskriterium wiederum in Relation zu einer bereits bestehenden
Überzeugung und daraus zu extrapolierenden Absicht gewonnen wird. Dies gilt für
philosophische, moralische und religiöse Überzeugungengleichermaßen.

Rortys eigenes abschließendes Vokabular ist demokratisch im Sinne John Deweys.


Demnach ist moralisch wertvoll, was zu einer reichhaltigeren Erfahrung und einer
freiheitlichen Kultur beiträgt, in der jeder die Möglichkeit zur Entfaltung seines
abschließenden Vokabulars hat.

Der moralische »Polytheismus« (Rorty 2008, 56–81) ist für Rorty Ausdruck der
menschlichen Kreativität und ein Erfolg des aufklärerisch-humanistischen Ideals,
daher so begrüßenswert wie unvermeidbar. Für die Politik, wo Konflikte gelöst
werden müssen, folgt für Rorty aus Anti-essentialismus und Ethnozentrismus daher
das liberale Prinzip des Vorrangs des Rechten vor dem Guten (John Rawls): Keine
private Moralvorstellung darf bei der Gestaltung der Gesetzgebung
ausschlaggebend sein, sofern ihre Akzeptanz die Anerkennung einer fremden
Autorität voraussetzt, d.h. nicht konsensfähig ist. Denn es gäbe keine Art, sie zu
legitimieren, ohne dass von anderen verlangt würde, ihr eigenes abschließendes
Vokabular aufzugeben (vgl. Rorty 1988, 82–125).

Der Kritik, seine Moralauffassung habe keine normative Kraft in Auseinandersetzung


mit demokratiefeindlichen Weltbildern, begegnet Rorty mit der Beobachtung, dass
der faktische Bewäh- rungsrahmen einer Überzeugung der Diskurs ist, in der ›gute‹
Argumente die Form einer attrakti- ven Antwort annehmen müssen auf die folgende
utilitaristisch-pragmatistische Frage: ›Zu welcher Realität führt diese Überzeugung
und wäre sie mit meiner bzw. unserer Selbstauffassung vereinbar?‹ Es kann nicht
ausgeschlossen werden, dass es bei einer Inkommensurabilität widerstreitender
Überzeugungen bleibt.

Trotzdem ist moralischer Fortschritt im Sinne einer globalen Gerechtigkeit denkbar,


die nicht vertikal als Annäherung bzw. Erfüllung eines moralischen Prinzips Form
annimmt, sondern horizontal als sukzessive Ausweitung des Kreises von Personen,
mit denen man sich solidarisch fühlt. Dabei wird Solidarität verstanden als die
Fähigkeit, sich in den Schmerz anderer hineinzuversetzen (vgl. Rorty 1992, 320). Mit
dieser Auffassung macht Rorty Anleihen bei verschiedenen anderen Autoren.

Unter anderem greift er auf Wilfrid Sellars Konzept der ›Wir-Intentionen‹ zurück (vgl.
Rorty 1989, 108; 306 f.). Diesem zufolge sind Handlungen durch subjektive
Intentionen motiviert. Moralisches Handeln sei entsprechend nicht durch
Imperative, sondern durch eine spezifische, durch Vergemeinschaftung
vorgegebene Form von Intentionen motiviert: durch solche, die der Einzelne
aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einem ›Wir‹ ausbildet und mit der Gemeinschaft
teilt in der Absicht, ihr Wohl und zugleich das ihrer einzelnen Subjekte zu erhalten.
Moralisches Verhalten erscheine daher materiell in der Form von Wohlwollen und
Empathie. Rorty rekurriert außerdem auf Annette Baiers an Hume orientierten
Arbeiten zur Moral, in denen Emotionen und Intuitionen eine ausschlaggebende
Rolle spielen. Ein wichtiger Baustein ihres Moralkonzepts bildet den durch
Reziprozität definierten Begriff des ›angemessenen Vertrauens‹ (appropriate trust).
Vertrauen umfasst in diesem Sinne sowohl Vertrauensfähigkeit als auch
Vertrauenswürdigkeit und bildet als Folge des daraus abgeleiteten angemessenen
Verhaltens die Grundlage für Moralität. Solches Vertrauen herrsche zunächst in
familiären Sphären vor, könne aber auf einen weiteren Personenkreis ausgeweitet
werden. Diese Idee verknüpft Rorty schließlich mit einem Vorschlag Michael
Walzers, gemäß dem zwischen einer ›dünnen‹ und einer ›dicken‹ Moralsprache
unterschieden werden sollte. Letztere sei eng mit dem vertrauten Umfeld und der
jeweiligen Kultur verbunden, wohingegen die dünne Moralsprache die abstraktere
Form von universalen Prinzipien annehme und in der Begegnung zwischen fremden
Kulturen zur Anwendung komme.

Mithilfe dieser Unterscheidung argumentiert Rorty: In Bezug auf Moral geht es


darum, ein dickes, selbstverständliches Gefühl der Loyalität auch für solche
Personen zu kultivieren, denen man normalerweise im Konfliktfall Desinteresse oder
gar Ablehnung entgegen bringen würde. Dazu sind moderne Massenmedien ein
wichtiges Mittel. Diese Strategie stellt eine Umkehrung des traditionellen
rationalistischen Ansatzes dar, dessen Strategie auf die Stärkung dünner
Moralsprache abzielt; sie eröffnet für Rorty zugleich Möglichkeiten, die Reichweite
des demokratischen Vokabulars zu vergrößern. Diesen evolutiv gedachten
moralischen Fortschrittsglauben deutet Rorty als die säkularisierte Form religiösen
Erlösungsglaubens.

Rorty besteht darauf, die Rolle des Konzepts einer universellen Vernunft in der Moral
zu begrenzen: So wie die aufklärerische Philosophie um der Autonomie willen dem
Priester den Rang als letzte moralische Instanz absprach, so zwingt jetzt der
Antiessentialismus dazu, der Philosophie diese Rolle abzuerkennen. In dieser
Hinsicht verbindet sich bei Rorty eine postmetaphysische mit einer postsäkularen
Tendenz. Intellektuelle Reflexion kann höchstens transparent machen, wo es die
Menschen an Solidarität vermissen lassen. Dazu eignen sich aus Rortys Sicht
Romane besser als philosophische Texte (vgl. Rorty 1992, 229– 304). Insofern er die
Säkularisierung der Moral als das wichtigste Resultat der Säkularisierung insgesamt
betrachtet (Rorty 2008, 256, Fußnote), ist seine Position aber auch deutlich
konservativ.

Rückkehr zur Tugend

»Die Probleme der modernen Moraltheorie sind eindeutig das Ergebnis des
Scheiterns des Vorhabens der Aufklärung« (MacIntyre 1995, 89). Im Gegensatz zu
Rorty betrachtet MacIntyre die Sä- kularisierung als Teil einer Verfallsgeschichte, die
kulturell im Verlust moralischer Kriterien und philosophisch in den sogenannten
Emotivismus mündet. Dies ist eine metaethische Theorie zur Bedeutung und
Funktion moralischer Ausdrücke, der zufolge moralische Sprache ein emotional
wirksames Mittel darstellt, subjektive Wünsche zum Ausdruck zu bringen und
anderen nachhaltig anzuempfehlen. Dies impliziert, dass konkurrierende Werte
willkürlichen Kriterien unterliegen und somit als prinzipiell gleichberechtigt gelten.
Sie sind daher auch inkommensurabel, was die Beobachtung endloser
Wertedebatten erklärt.

MacIntyre bemüht den Emotivismus als Platzhalter für die moralische Verfasstheit
der gegenwärtigen Kultur, die er in einer Unordnung sieht (vgl. ebd., 13–56). Diese
tritt einerseits durch die irritierende Beobachtung inkommensurabler aber jeweils
kohärenter Moraltheorien zutage, andererseits in Form einer widersprüchlichen und
pseudorationalen Praxis: Aus Sicht der emotivistischen Theorie kann es so etwas
wie die rationale Aufwertung einer moralischen Argumentation nicht geben,
dennoch erhoffen sich die Menschen offenbar genau diese Wirkung, wenn sie
moralisches Vokabular einsetzen (vgl. ebd., 22–25). Der Relativismus der
moralischen Anschauungen wird durch die Kultur im Namen individueller Autonomie
gutgeheißen, zugleich verdeckt er jedoch den effektiv manipulativen, willkürlichen
Aspekt dieser Praxen (vgl. ebd., 97).

Diese Inkohärenzen rühren für MacIntyre daher, dass die zugrundeliegenden


moralischen Intuitionen Bruchstücke einer Ordnung sind, die vormals durch die Idee
des telos gewährleistet war, in der Moderne jedoch zunehmend aufgelöst wurde.
Das christliche Mittelalter war mit der Antike durch diese Idee verbunden, aus der
sich ein dreigliedriges ethisches Modell konzipieren ließ: Es wurde unterschieden
zwischen dem defizitären Naturzustand des Menschen, seinem potentiellen
Idealzustand (ein guter Bürger der Polis zu sein bzw. ein Leben gemäß der
Gottebenbildlichkeit zu führen) und den vernunftmäßig erkennbaren Mitteln
(Gebote), durch welche die Teleologie zwischen den beiden Zuständen erfüllt
werden konnte. Die Theologie selbst hat MacIntyre zufolge zu Beginn der Moderne,
namentlich durch die Leugnung des dritten Aspekts, zu einer ersten Auflösung des
Schemas beigetragen. Die aufklärerischen Autoren fühlten sich indessen
verpflichtet, die essentialistischen Anteile des Schemas auszugliedern, d. h. die
Teleologie und den theologisch definierten Wesensbegriff (vgl. ebd., 77–79). Weil sie
sich inhaltlich an der Tradition orientierten, diese jedoch nur im Zusammenhang des
vollständigen Schemas Sinn macht, waren die resultierenden Moraltheorien von
Anbeginn zum Scheitern verurteilt. Der Emotivismus hat diese de facto defizitäre
Entwicklung schließlich in Richtung eines Subjektivismus fehlinterpretiert.

Für MacIntyre hingegen gilt: Es ist möglich, objektive Kriterien zur Bestimmung des
moralisch Richtigen zu formulieren (vgl. ebd., 86). MacIntyres Werk hat das erklärte
Ziel, diese verlorengegangene Kriteriologie als kulturelle Ressource wieder
verfügbar zu machen, indem er moralisches Handeln über das teleologische
Konzept der Tugend definiert und damit an die aristotelische Lehre und deren
christliche Interpretation anknüpft. Die darin geforderte Anthropologie besorgt er
durch eine Definition des Menschen als »abhängiges rationales Tier« (vgl. MacIntyre
2001). Rational zeigt er sich in der Fähigkeit, seine Wünsche kritisch zu reflektieren.
Diese Fähigkeit erwirbt er sich in der Nachahmung der Fürsorger, z.B. Eltern und
Lehrer. Er wird in eine Gemeinschaft hinein sozialisiert, die für die soziale Rolle ein
Ideal formuliert und dem Einzelnen verhaltensleitende Regeln bereitstellt. Das Gute
wird definiert über die Exzellenz in der Erfüllung dieses Ideals, die er durch den
Erwerb der Tugenden erreicht. Das Ideal spiegelt das Wohl der gesamten
Gemeinschaft wieder, aber die Erziehung zur Tugend zielt auf das glückliche Leben
und die Selbständigkeit des Einzelnen hin. Insofern die Gemeinschaft nicht nur die
Ressourcen besorgt, sondern zugleich als Raum zur Ausübung der Tugenden
fungiert, besteht MacIntyre in Entgegensetzung zum Liberalismus darauf,
Unabhängigkeit und »anerkannte Abhängigkeit« gleich zu gewichten (vgl. ebd.,
142). Der tugend- hafte, d.h. moralische Mensch begreift das für ihn Gute immer in
Abhängigkeit zum Wohl seiner konkreten Gemeinschaft (vgl. ebd., 129): Damit
gleicht dieser Ansatz einer Form von Ethnozentrismus, die allerdings einen
moralischen Realismus begründen will.
MacIntyre wirbt für eine Rückkehr zur Tradition aus der Überzeugung heraus, dass
die moralische (abendländische) Kultur nur so ihre Authentizität wiedererlangen
kann. Darin wirkt sein Ansatz zunächst presäkular. Hinsichtlich der Form seiner
Argumentation kann seine Position jedoch auch als postsäkular betrachtet werden:
Seine Kritik an der Säkularisierung als Ursprung der beklagten moralischen
Unordnung beruht auf der Feststellung des Scheiterns und der Inkohärenz der Ideale
von autonomer Vernunft und Selbst. MacIntyres Agenda versteht sich so- mit als
Reaktion auf ein philosophisches Problem, das sich die säkularen Moralansätze
selbst aufgeben, und nicht ausschließlich als Ausdruck einer kulturellen Nostalgie.

Christlich gefärbter Marxismus

Terry Eagleton betrachtet die Rückkehr zu einer entschlossenen Moralbegründung


ebenfalls als Ausweg aus der als »ambivalent« (Eagleton 1997, 27–59) und
»paradox« (ebd., 118) beschriebenen Situation der zeitgenössischen Moral. Sein
kritischer Blick richtet sich zugleich gegen den Kapitalismus und die philosophische
Postmoderne als sich verstärkende Schwächungseffekte der Säkularisierung.
Eagleton will zwischen zwei gleichberechtigten Anliegen vermitteln: dem
liberalhumanistischen, deontologischen Anliegen, das individuelle Recht auf Glück
durch weltanschauliche Neutralität zu schützen; und der kommunitaristischen Kritik,
gemäß der das Prinzip »des Rechten vor dem Guten« die Idee der negativen Freiheit
zur Selbstentfaltung einseitig verabsolutiert (vgl. ebd., 92–123). Nach Eagleton wird
jeweils grundsätzlich erkannt, dass sich der Mensch nur aufgrund und innerhalb der
Grenzen seiner Natur als materiell-körperliches Lebewesen entfalten kann: im
Umgang mit seinen materiellen Bedürfnissen und mit anderen Subjekten. Freiheit
kann also nur in einer sozialdynamischen Prägung verständlich werden, die sich
allerdings nicht auf den Bereich des privaten Handelns beschränkt. Deshalb darf
politisches Engagement jedoch nicht ausschließlich als Instrument zur Sicherung
des Glücks begriffen werden, sondern ebenso als dessen mögliche Gestalt. Die
durch das liberale Prinzip legitimierte Ablehnung kommunitaristischer Modelle für
die Politik muss daher als Behinderung der Entfaltung einer bestimmten Idee des
guten Lebens gelten. Eagleton führt die Kurzsichtigkeit des Liberalismus u. a. auf die
in seiner Sicht unbegründete Angst zurück, eine kollektiv geprägte politische Kultur
müsse zwangsläufig zu einem moralischen Uniformismus führen (vgl. ebd., 111 f.).

So wie er eine Anthropologie voraussetzt, die im Gegensatz zum postmodernen


Dogma der kulturellen Determination zusätzlich biologische Faktoren berücksichtigt,
wendet sich Eagleton auch gegen die postmoderne Tendenz, die
»Selbstdezentrierung« des Subjekts (vgl. ebd., 121 f.) überzubewerten. Dazu zieht
er eine Parallele: Die Aufklärung beförderte die Entwicklung des Kapitalismus, der
zunächst humanitären Fortschritt ermöglichte, um in einem zweiten Schritt die
eigenen Erfolge durch eine zügellose Instrumentalisierung der Vernunft zu
untergraben; Dezentrierung indes lässt sich logisch ableiten aus einem berechtigten
Kontingenzbewusstsein, das auf das Pluralitäts- und Toleranzprinzip zurückgeht;
unter den Vorzeichen einer universalen Konsumorientierung ist für Eagleton das
inzwischen bis zur Unkenntlichkeit dezentrierte Subjekt allerdings moralisch und
infolgedessen politisch nahezu ausgeschaltet. Die »sozialistische Demokratie«
(ebd., 122) ist imstande, die Dynamik von Selbstdezentrierung und Autonomie zu
stabilisieren, indem sie auf der Basis einer kollektiv herbeigeführten Solidarität die
notwendigen ökonomischen Ressourcen sicherstellt, die zur Entfaltung individueller
Lebensentwürfe notwendig sind. In dieser doppelten Zielsetzung, Autonomie und/in
Solidarität, ähnelt der Ansatz Rortys Anliegen, obgleich wichtige Unterschiede in der
Art der Plausibilisierung bestehen. Im Gegensatz zu Rortys Aufklärungsoptimismus
hält Eagleton das säkularisierte Freiheitskonzept für eine Modifikation des
theologischen Modells, durch die es seiner besten Einsicht beraubt wurde: der Idee
von Freiheit als Autotelie. Der Mensch kann sein Dasein als autotelische Freiheit, als
Zweck in sich selbst begreifen, weil sich die Schöpfung keinem Zweck, sondern dem
reinen Willen Gottes verdankt. Der Mensch wirkt für sich selbst als Fundament, das
gerade durch Umsetzung der Freiheit, durch Selbstdetermination greift (vgl.
Eagleton 2001, 26–29). Der säkularisierte Entwurf von Freiheit hingegen führt
faktisch immer zu ihrer Instrumentalisierung, weil er die Möglichkeit der
ontologischen Fundierung kategorisch zurückweist.

Eagletons Ansatz läuft auf einen christlich begründeten Marxismus hinaus, den er
als kollektive Form von Selbstdeterminierung und als Mittelweg zwischen
Liberalismus und Kommunitarismus definiert (vgl. ebd., 29). Existenz und Wert der
menschlichen Freiheit erwächst aus der Gotteskindschaft, die sich spätestens mit
der solidarischen Tat Christi als Liebe erweist (vgl. Eagleton 2010, 23–31). Diese
Deutung ermöglicht eine Analogie, die zur Korrektur der Fehldeutung der
sozialistischen Theorie beiträgt: Der Marxismus stellt die politischen
Rahmenbedingung bereit, in der freie Selbstbestimmung in idealer Weise, nämlich
autotelisch, und ohne Instrumentalisierung des Anderen nachhaltig möglich ist.

Wie MacIntyre argumentiert Eagleton für die Orientierung an dem


Verlorengegangenen in der Tradition. Während aber u.a. der Aspekt der
Entfremdung der Kritik unterliegt, gelten die liberalen Elemente der Säkularisierung
als humanistisch wertvoll, worin er Rortys Auffassung nahe ist. Dennoch kann
Eagleton deutlicher als dieser als postsäkularer Autor gelesen werden: Er setzt eine
essentialistische Wirklichkeitsauffassung voraus, die er im expliziten Rückgriff auf
den Wert religiösen Denkens gerade gegen die säkularisierte Kultur und analog zu
MacIntyre im Sinne einer korrigierten philosophischen Position einfordert (vgl.
Eagleton 1997, 124).

Weitere Entwicklungen

Die erläuterten Ansätze sind mit der Frage beschäftigt, wie eine zeitgemäße Ethik
aussehen könnte bzw. auf welcher philosophischen Grundlage über die öffentliche
Ordnung reflektiert werden sollte. Die Philosophie der Moral ist jedoch nicht
ausschließlich durch Konkurrenz zwischen widerstreitenden Richtungen ihrer
eigenen Disziplin herausgefordert, sondern inzwischen mehr und mehr durch die
Forschungsergebnisse fachfremder Disziplinen, insbesondere durch die
Naturwissenschaften.

Naturalistische Moraltheorien befassen sich mit Moral als naturwissenschaftlich


beschreibbarem Phänomen. Prominente Ansätze sind die sogenannte evolutionäre
Ethik (Thomas Huxley) und die Neuroethik (Thomas Metzinger, António Damásio).
Diese meist interdisziplinär ausgerichteten Theorien entziehen den Begriffen der
philosophischen Tradition sukzessive die Immunität, so auch dem Autonomie-bzw.
dem Freiheitsbegriff, der in der aktuellen Forschung zusehends an Erklärungskraft
einbüßt. Manche dieser Ansätze verstehen sich gar reduktionistisch: Nach ihnen
geht der philosophische Begriff von Moral restlos in naturwissenschaftlichem
Vokabular auf (u. a. Richard Dawkins, Daniel C. Dennett). In der Philosophie wird
aktuell eine heftige Debatte darüber geführt, wo die Grenzen
naturwissenschaftlicher Erklärung verlaufen, und ob der Reduktionismus
unvermeidbar ist. Neben den postsäkularen Stimmen bilden diese Ansätze so die
jüngste Entfaltung des Paradigmas des ›Selbstdenkens‹.

Aus der Perspektive der Religion gibt sich die Säkularisierung der Moral als
»komplementärer Lernprozess« (Habermas/Ratzinger 2005, 31–33) zu erkennen.
Der Religion erwächst einerseits die Aufgabe, ihre moralischen Überzeugungen so
zu formulieren, dass sie durch die säkularisierte Kultur aufgenommen und gesichert
werden können (Höhn 2007, 20f.). Dass dies schon erfolgt ist, legen die
Erkenntnisse der Soziologie nahe. Dort wird eine Funktion von Religion in der
Spätmoderne gerade in der Artikulation von Moral gesehen. Manche Soziologen
begreifen die Säkularisierung der Moral gar als Moralisierung der Religion (vgl.
Nassehi 2001, 21–38). Bedeutete die Säkularisierung vormals für das Christentum
den Verlust der Deutungshoheit über die moralische Ordnung, so sieht es sein
Selbstverständnis aktuell davon bedroht, auf die Rolle des Hüters der Moral
reduziert zu werden.

Auf der anderen Seite wird sich die postsäkulare Kultur der Mangelerscheinungen
ihrer metaphysischen ›Enthaltsamkeit‹ bewusst und entwickelt erneutes Interesse
an den Einsichten genuin religiösen Denkens (vgl. Habermas/Rat- zinger 2005).
Kirchen und Theologen werden dazu aufgefordert, als Repräsentanten einer
Glaubenstradition zu sprechen, die quer zum öffentlichen Common Sense wichtige
moralische Einsichten tradiert.

Beide Entwicklungen eröffnen den Kirchen und Theologien vielfältige


Wirkungsmöglichkeiten, die allerdings um die Schwierigkeit erkauft sind, zwei
zunächst konträre Momente zu verwirklichen: eine echte Offenheit für die
Erwartungen, die eine säkularisierte Kultur an sie stellt sowie die gleichzeitige Pflege
derjenigen Elemente, die dieser Kultur fremd sind oder gar entgegenstehen. Ob
hierin eine dezentrierte Rationalität im Sinne postmoderner Autoren eine Lösung
darstellt, wie es Rorty optiert, oder ob eine entschiedene Konzentration auf
traditions-immanente Motive wie es auf je unterschiedliche Weise MacIntyre und
Eagleton aber auch die Atoren des sogenannten ›New Traditionalism‹ vorschlagen,
wird die zeitgenössische Religionsphilosophie zu beantworten haben.

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