Karl, den die Nachwelt den Großen genannt hat, wurde am 2. April,
wahrscheinlich 742 (747 ?), an unbekanntem Orte geboren. Seines Bruders
Karlmann Geburtsjahr steht auch nicht fest, man nimmt 751 an. Von der
Jugend der beiden Prinzen wird nichts berichtet, Pippin hat sie aber
früh an den Staatsgeschäften teilnehmen lassen. Das Hauptereignis in
ihrem Leben war sicher die Anwesenheit des Papstes Stephan II. im
Frankenlande und ihre Beteiligung an den ihm gemachten Versprechungen.
Auf den Thron erhoben und gesalbt wurden sie beide am 9. Oktober 768,
Karl in Noyon, Karlmann in Soissons, woraus man sieht, welche Bedeu-
tung die romanischen Landesteile für das fränkische Reich gewonnen
hatten 1 ). Neu war, daß die beiden Brüder in ihre Titel die in späterer
Zeit so berühmt gewordene Formel „von Gottes Gnaden" aufnahmen.
Damit beugten sie sich vor Gott, erhoben sich aber über ihre Mit-
menschen, vereinigten Demut und Stolz2).
Die erste wichtige Aufgabe, die sie zu erledigen hatten, war die Nieder-
werfung des Aufstandes, den Hunald, Vater des 768 ermordeten Herzogs
Waifar von Aquitanien, wahrscheinlich in der Hoffnung auf die Schwäche
der neuen Doppelregierung angezettelt hatte. Er verließ dazu sein Kloster
und täuschte sich insofern nicht ganz, als Karlmann sich weigerte, seinem
Bruder Hilfe zu leisten3). Der Grund ist nicht bekannt, aber wie hätte
es auch anders sein sollen ? Alle Reichsteilungen der Zeit hatten nur das
eine Ergebnis, daß sie niemand befriedigten. Da Karlmann später den
Langobarden freundlich gesinnt war, kann man vermuten, daß er an
die Stelle der erobernden Politik seines Vaters eine freundschaftliche
setzen wollte.
Karl, dessen Truppen nicht zahlreich waren, zog allein bis an die
Dordogne, an deren rechtem Ufer er die Burg Fronsac (bei Libourne)
erbaute. Er zeigte dabei einen ausgezeichneten strategischen Blick; denn
!) Regg. 115 b ff. 130 b ff. u. Nachtr. S. 939. Vgl. S. 51. — 2) Regg. L X X X I V .
Kern 304. — 3 ) Regg. 119 a. b. 133 b.
wollten sie ihn sogar töten. Aber das Volk folgte ihnen nicht, sie wurden
von der langobardischen Partei, an deren Spitze der päpstliche Kämmerer
Paul Afiarta stand, ergriffen und geblendet. Stephan selbst behauptete,
daß er daran unschuldig sei. Christoforus starb sehr bald an den Folgen
der rohen Mißhandlung 1 ).
Die römischen Nachrichten müssen im Frankenreiche wie der Blitz
eingeschlagen haben: das war also die Wirkung weiblicher Versöhnungs-
politik! Bertrada hatte mit ihren bestgemeinten Familienbündnissen
nur erreicht, daß in Rom statt des fränkischen Königs der langobardi-
sche schrankenlos gebot. Sollte das Papsttum jetzt wirklich zum lango-
bardischen Bistum werden? Diese Gefahr hat der abendländischen
Kirche niemals so ernstlich gedroht wie zu Anfang des Jahres 771.
Desiderius dachte auch gar nicht daran, seine Versprechungen zu erfüllen
und weitere Besitzungen zurückzugeben, sondern brüstete sich damit,
daß er den Christoforus und Sergius beseitigt habe und allein derjenige
sei, der den Papst schütze. Er rechnete damit, daß Karlmann mit Heeres-
macht herbeikommen, den Tod des Christoforus rächen und den Papst
als Bundesgenossen der Langobarden gefangennehmen würde 2 ).
Karl kam zu dem Schluß, daß die Pläne seiner Mutter ganz verfehlt
gewesen seien, und verstieß Desiderata nach einjähriger Ehe, also im
Sommer 771, ohne daß sie sich etwas hätte zuschulden kommen lassen.
Die Politik hatte den Ehebund geschlossen, die Politik löste ihn wieder.
Daß dann Karl einige Monate später die Enkelin eines Alamannen-
herzogs, Hildegard, heimführte, hatte mit der äußeren Politik nichts
mehr zu tun 3 ).
Den Zorn des Desiderius über den seiner Tochter angetanen Schimpf
kann man sich vorstellen. Dazu kam noch die Furcht vor den beiden frän-
kischen Brüdern, die ihm unbedingt überlegen waren. Aber gerade zu dem
Einvernehmen der Brüder kam es nicht, sondern sie entzweiten sich, und
ein kriegerischer Zusammenstoß schien nicht undenkbar 4 ). Die einfachste
Erklärung ist, daß jeder in seiner eigenen Weise in Italien eingreifen
wollte, und daß Karl es nicht tun konnte, ohne durch das Land seines
Bruders zu ziehen. Karlmann war gegen Desiderius gewesen, so lange
Karl für ihn war. Jetzt, da Karl sich gegen ihn stellte, näherte sich Karl-
mann dem Desiderius.
Ehe sich das alles geklärt hatte, starb Karlmann in Samoussy (nö.
von Laon) erst zwanzig Jahre alt, am 4. Dezember 771, zum großen
Glück des fränkischen Reiches 6 ). Die spärlichen Nachrichten über sein
Leben berechtigen zu keiner ungünstigen Beurteilung seines politischen
Wollens, aber durch sein bloßes Dasein hemmte er die Betätigung seines
großen Bruders wie der andere Karlmann, sein Oheim, einstmals die
Im Sommer vorher (772) hatte Karl seine erste große Heerfahrt gegen
den s ä c h s i s c h e n S t a m m der Engern angetreten, die Eresburg am
Oberlauf der Diemel an der Stelle des heutigen Stadtberge erobert und
ihr Stammesheiligtum im heiligen Hain, die Irminsäule, d. h. die
Säule des Weltalls, zerstört. Die dort aufgestapelten reichen Weih-
geschenke aus Gold und Silber wurden eine gute Beute der Franken.
Die Sachsen stellten Geiseln, und dann kehrte Karl heim, da er hoffen
konnte, eine Zeitlang die Grenze gesichert zu haben 1 ).
Half der fränkische König dem Papst, so bedeutete das Krieg mit
den L a n g o b a r d e n . Die Entscheidung wurde reiflich erwogen in
Diedenhofen. E s waren sowohl Gesandte des Desiderius als einige ihm
feindliche Langobarden anwesend. Karl schickte zunächst Gesandte
nach Rom. Um ihnen zuvorzukommen, machte sich Desiderius mit
seinem Sohn Adelchis, Karlmanns Witwe Gerberga und deren Söhnen
selbst dorthin auf. Er wollte die Salbung der Prinzen durch Hadrian
erzwingen.
Rom rüstete sich zur Abwehr. Hinter den Stadtmauern sammelten
sich die Milizen Tusziens, der Kampagna,, des Herzogtums Perugia und
auch einiger Städte der Pentapolis. Die Kostbarkeiten aus den Kirchen
der hl. Petrus und Paulus wurden in Sicherheit gebracht, die Kirchtüren
selbst kräftig verrammelt. Niemand wird dem Papst das Lob versagen, daß
er anscheinend mit größter Ruhe ganz zweckmäßige Vorkehrungen traf.
Desiderius war inzwischen bis Yiterbo (87 km von Rom) gelangt, als ihm
drei Bischöfe im Namen Hadrians mit dem Anathem drohten, wenn er
weiter vorrücke: betroffen kehrte er um. Damals war die furchtbare
geistliche Waffe noch nicht durch übermäßigen Gebrauch stumpf ge-
worden 2 ).
Die fränkische Gesandtschaft konnte in Rom und bei Desiderius
nur feststellen, daß er der Kirche nichts zurückgegeben habe und zurück-
geben wolle 3 ). Das Geld, das ihm Karl dann noch anbot, ähnlich wie
einst Pippin 4 ), lehnte er auch ab, und etwa Ende Mai 773 war es klar,
daß das Schwert zwischen den beiden, allein noch übrig gebliebenen
germanischen Reichen entscheiden mußte. Für beide war kein Platz auf
der Welt.
Es erging das Aufgebot an die Franken, und von Genf aus, wo eine
Reichsversammlung zusammentrat, überschritten sie die Alpen, wohl
im Juli 8 ). Karl selbst mit dem Hauptteil des Heeres nahm den Weg über
den Mont Cenis, der Rest den über den Großen St. Bernhard. Vor den
langobardischen Klausen im Tale von Susa angelangt, sah Karl, daß er
sie nicht im Sturme nehmen könne, da sie erheblich verstärkt worden
waren und Desiderius gewillt schien, sie mit aller Kraft zu verteidigen.
Regg. 149 a ff. u. Nachtr. S. 939. Hauck 2, 380. Halphen 146. — 2 ) Hart-
mann 2, 2, 261 f. — 3 ) Hartmann ebenda 262 f. — 4 ) Vgl. S. 163. — 5 ) Abel u.
Simson 1, 148.
Kreuze entgegen. Als Karl diese erblickte, stieg er vom Pferde und ging
zu Fuß zur Peterskirche. Er küßte jede Stufe der Treppe und fand oben
in der Vorhalle den Papst inmitten seiner Geistlichkeit. Sie umarmten
sich, der König faßte die rechte Hand Hadrians, und gemeinsam betraten
sie die Kirche, während Lobgesänge ertönten. Am Grabe des Apostel-
fürsten warfen sie sich mit ihrem Gefolge nieder und dankten ihm für den
Sieg, den Gott ihnen auf seine Fürsprache gegeben hatte.
Als Karl den Papst bat, Rom betreten und dort in verschiedenen
Kirchen seine Andacht verrichten zu dürfen, forderte der Papst ihn auf,
mit ihm zum Leibe des hl. Petrus hinabzusteigen, und nachdem sie an
dieser heiligsten Stelle Eide ausgetauscht hatten, gewährte der Papst
die Erlaubnis 1 ) und wurde damit als Herr von Rom anerkannt. Um alle
seine Besorgnisse zu zerstreuen, gab ihm Karl die feierliche Erklärung,
die an eine ähnliche Pippins erinnert 2 ), daß er nicht um Gold, Silber
und Edelsteine oder Land und Leute zu gewinnen einen so beschwer-
lichen Kriegszug nach Italien unternommen habe, sondern um die Ge-
rechtsame des hl. Petrus zu verlangen, die Erhöhung der Kirche zu be-
treiben und die Sicherheit des Papstes zu vermehren 3 ).
An den nächsten Tagen boten kirchliche Feierlichkeiten dem König
und dem Papst genügend Gelegenheit, sich auszusprechen. Der Mitt-
woch 6. April 774 brachte den öffentlichen Abschluß. In St. Peter bat
Hadrian Karl inständig, das Schenkungsversprechen, das Pippin, Karl
selbst und Karlmann 754 in Quierzy Stephan II. gegeben hatten, ganz
zu erfüllen. Die Urkunde darüber wurde vorgelesen und von Karl wie von
seinen Großen gutgeheißen. Der König ließ eine neue nach dem Muster der
älteren durch seinen Notar aufsetzen und versprach die darin genannten
Städte und Gebiete auch seinerseits. Er schwor dann noch mit
seinen Großen einen furchtbaren Eid, den Inhalt der Urkunde zu be-
obachten, und legte sie erst am Altar und dann am Grabe des hl. Petrus
nieder. Eine zweite Ausfertigung wurde auf dem Leib des hl. Petrus
verwahrt 4 ). Alle diese eindrucksvollen Vorsichtsmaßregeln zeigten deut-
lich, welch hohen Wert die Kurie dem Versprechen beimaß.
Wenn Karl es erneuerte, so dachte er über die Ausführung nicht anders
als Pippin, wie sich bald zeigen sollte. Auch er nahm Rücksicht auf die
Weltlage und namentlich auf Ostrom, dessen Kaiser, es war noch Kon-
stantin V., in den beiden vorhergehenden Jahren schöne Erfolge über die
Bulgaren davongetragen hatte. Namentlich ist sein Sieg bei Lithosoria in
Thrazien im Oktober 772 hervorzuheben, wenn er auch nicht endgültig war 5 ).
Von Rom ging der König wieder ins Lager vor Pavia. Da in der Stadt
Seuchen ausbrachen, mußte sich Desiderius um den 1. Juni 774 ergeben 6 ).
Regg 160 a. ff. Hartmann a. a. O. 269 ff. Hauck 2, 84 f. — 2 ) Vgl. S. 166.
— 3 ) Cod. Car. Nr. 56. Vgl. S. 163. — 4 ) Vita Hadriani 41—43. Regg. 162 c. Hart-
mann 2, 2, 270. — 5 ) Bury 2, 474. Lombard 55, dem ich in der Zeitangabe folge.
— •) Regg. 163 a. b.
RÜCKBLICK.
Die germanischen Reichsgründungen hatten nach der Mitte des 6. Jahr-
hunderts ihren vorläufigen Abschluß erreicht, und es war von vornherein
anzunehmen, daß die noch vorhandenen Staaten bald in den Wettbewerb
um den Vorrang eintreten würden. Erstarkte Ostrom, so konnte es kaum
anders als an die Wiedereroberung Italiens und Herstellung des alten
Imperiums denken. Die Handelsfreiheit des Kaisers wurde aber immer
durch den Druck beschränkt, den die Perser auf ihn übten, und so ergaben
sich auch ungewollte Einwirkungen von Osten nach Westen und von
Westen nach Osten. Das oströmische Reich nahm eine Mittlerstelle ein
und diente gleichzeitig dem christlichen Abendland als Bollwerk gegen
Vorstöße aus Asien. Es hat damit die ungestörte Entfaltung der germa-
nischen Reiche wesentlich erleichtert.
Am Anfang des siebenten Jahrhunderts schaltete sich das Franken-
reich durch dynastische Kriege selbst aus. In zwei Frauen, Fredegunde und
Brunichilde, verkörpern sich uns die Gegensätze der Zeit, die so blutig
ausgetragen wurden. Königsmacht und Adelsmacht rangen miteinander,
und ihr Kampf gab dem Reichsgrundgesetz von 614 seine besondere
Bedeutung. Im Osten zeichnete sich die große Gestalt des Kaisers Hera-
klius hell ab. Ihm gelang, was seinen Vorgängern versagt blieb, der ent-
scheidende Sieg über die Perser, aber ehe Ostrom ihn ausnutzen konnte,
Regg. 165. — 2 ) Cod. Car. Nr. 6. 7 ff. Buchner 17 ff. — 3 ) Pauli Gesta epp.
Mettensium, SS. 2, 265. — 4 ) Abel u. Simson 1, 194 f. — 6 ) Abel u. Simson 1, 363.
Bury 2, 505. 514.