Inhalt
178'Bibliographische Notiz
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Jedes echte Werden hält sich offen und jung. Jugend, die eine
ist, und Werden gehören eng zusammen. Sie haben in der
Unruhe, im Traum nach vorwärts eine gemeinsame Art. Diese
widerspricht der Kruste und befördert das Ungekommene
und Heraufkommende, das fällig ist. Sein Tag ist nun da, so
jung wie die Menschen, die sich ihm verschworen haben.
Am ersten Anfang dieses Tages stand der junge Marx. Ein
Blick auf den geistig wohl glühendsten aller Studenten ist im-
mer wieder stärkend und angemessen. Erhalten ist der be-
rühmte Brief des Neunzehnjährigen an seinen Vater, in die
Stadt, wo auch die Braut lebt. Aber der Brief ist nicht nur an
seinen Vater adressiert, er geht jede studierende Jugend an,
ist selber geniale Jugendlichkeit schlechthin. Man kennt diese
von großen Dichtern, vom Leipziger und Straßburger Goethe,
vom jungen Byron, von Georg Büchner. Aber in diesem Brief
brennt der künftige große Denker (obwohl, mit der Geliebten
im Sinn, auch Lyrik gestanden wird). Und als Bild der Ge-
witterlandschaft eines jungen Philosophen ist der Brief ohne
Beispiel.
Was immer der Jüngling erlebt, wird über die bisherige Weise
hinausgetrieben. »Die Felsen wären nicht schroffer als die
Empfindungen meiner Seele und endlich die Kunst nicht so
schön als Jenny.« Alles ist überfüllt, aber alles will für etwas,
das im Anzug ist, sich verwandeln und Platz machen. »Denn
jede Metamorphose«, schreibt der zukunftreiche Student, »ist
teils Schwanengesang, teils Ouvertüre eines großen neuen
Gedichts, das in noch verschwimmenden glanzreichen Farben
Haltung zu gewinnen strebt.« Gefühlt ist eine Welt im Wer-
den, ein Berufensein, eine Melodie, die sich erst bildet und
ebenso wieder vergeht. Aber ferne Gestaltung dämmt er
durchaus, ja nur sie verursacht, daß der Jüngling, welcher
Marx ist und ebenso noch nicht ist, sich so ungenügsam in abgestiegen, umzubetten, ihn auf die linke Seite zu legen, auf
allem und jedem Wissensstoff herumwirft. Da ist Faust, nicht die subjekthaft »kritische« Seite des »Selbstbewußtseins«. So-
der gedichtete, sondern der wirkliche dieser Zeit. Und es ist gar die Vorwehen der Revolution von 1848 schafften in dieser
der junge Bakkalaureus oder junge Doktor Faust, den uns die Gegend nicht aus dem Idealismus heraus, aus einem von der
Dichtung nicht sehen läßt, den sein Weg hier nicht in Skepsis Hegeischen Linken nur scheinbar scharf gemachten. So war
führt. Der Brief des Studenten Marx schäumt gerade voll die bekämpfte Misere des Vormärz durch die - auf idealisti-
Vernunft und Wissenschaft, und die Welt muß sich ihr er- schem Boden unbekämpfbare - Misere eines Epigonentums
geben. Denn eben die künftige Gestaltung, das Konkrete ist vermehrt, das sich dann ja auch, außerhalb des Marxismus,
in der Gärung durchaus angelegt, die Sache selbst muß aus durch die ganze Rezeptier-Philosophie des neunzehnten Jahr-
Subjektivität und Abstraktion hervor. Das Hindernis liegt hunderts fortgesetzt hat. Nichts aber bezeichnet das Einzig-
einzig im Dampf des falschen Bewußtseins und in der Ab- artige des jungen Marx deutlicher als die Fähigkeit zu einer
straktheit; so werden beide abgelehnt, mit Hegel und bereits gerade objektiv frühlinghaften Jugendlichkeit, mitten unter
gegen ihn. »Im konkreten Ausdruck lebendiger Gedanken- den umgebenden Herbstgedanken nach Hegel. Daher eben ist
welt, wie es das Recht, der Staat, die ganze Philosophie ist, dieser junge Philosoph nie auf sich selbst und auch nicht auf
hier muß das Objekt selbst in seiner Entwicklung belauscht, das unmittelbare Flachland ringsum gestellt; er ist vielmehr
willkürliche Einteilungen dürfen nicht hineingetragen werden, von einer Welt beschienen, die noch nicht da ist, und steht an
die Vernunft des Dinges selbst muß sich als in sich widerstrei- deren Horizont. So daß bereits der Brief von 1837, dann die
tendes fortrollen und in sich seine Einheit finden.« Täter ist hier Dissertation von 1841 gänzlich die idealistische Lethargie
noch der Geist, doch die Reife meldet sich vorbewußt, wo er als abgehalten haben, auch nicht erst die Kenntnis Feuerbachs
die Vernunft des Dinges materiell auf die Füße gestellt wird. nötig hatten, um ihre Zeit statt als Herbst als Wendepunkt
Deutlich ist der Schreiber des Briefs nie auf sich selbst ge- wahrzunehmen und zwar als materiellen, mit Marx als Ent-
stellt. Sein Suchen ist gewiß zerklüftet, es lief in Sackgassen, decker. Hier ist also der Grund für die völlig öffentliche
wußte oft nicht aus noch ein, kam aber immer wieder in Selbstgewißheit des jungen Marx, für die auf die Sache der
äußere Fahrt. Der Student berichtet von ungeheuerlich weit- Zukunft als die Zukunft der Sache gestellte. Das voraufwir-
läufigen Manuskripten, die alle in Qual endeten, von wilder kende Einheitsgefühl seiner Begabung mit ihrem revolutionä-
Lektüre, von Expeditionen kreuz und quer durch den globus ren Zeitauftrag, der subjektiven mit der objektiven Pointe
intellectualis, doch er berichtet von alldem als von Entdek- gibt den Grund. An diesem Faust bewährt sich, was gerade
kungsreisen und jungfräulichem Land. Dieser Optimismus ein damaliger Hegelianer, Rosenkranz, in seiner Psychologie
sticht erstaunlich ab von dem Epigonengefühl, das damals - von 1843 formuliert hat: »Das Genie ist nicht, wie das Talent,
bürgerlich nicht mit Unrecht - im nachhegelschen Berlin, durch formelle Vielseitigkeit, obwohl es dieselbe besitzen
neben dem anderen Druck, geistig vorwog. Ein Herbstgefühl kann, sondern dadurch groß, daß es das objektiv in einer
war da, als wäre nach Hegel nichts Großes mehr zu schaffen Sphäre Notwendige als sein individuelles Schicksal vollbringt.
und die Welt zu Ende gedacht. Als wäre der »Weltgeist« in Eben darum hat es nur in der geschichtlichen Entwicklung sein
Hegels Lehre philosophisch angekommen, dergestalt, daß der Maß, denn es muß über alles Gegebene unmittelbar hinaussein
Jugend nur übrigbliebe, ihn aus dem Berliner Schloß, wo er und das, was nach dem objektiven Gang der Sache gerade an
der Zeit ist, als private Befriedigung erarbeiten. Innerhalb gelaufene Zeit sich stellen, aber zugleich auf eine neue Rich-
dieser Aufgabe herrscht es mit dämonischer Gewalt, außer- tung mit Bestimmtheit hinweisen. In solch einem Übergangs-
halb derselben ist es machtlos und kann sich wohl mannig- punkt fühlen wir uns notgedrungen, mit dem Adlerauge des
faltig bilden, aber nicht das Neue schaffen.« Wobei freilich Gedankens das Vergangene und Gegenwärtige zu betrachten,
die »private Befriedigung« auch beim jungen Marx nicht zu- um so zum Bewußtsein unserer wirklichen Stellung zu ge-
traf, sondern jenseits dieses Spießer-Terminus ihn eben der langen. Ja die Weltgeschichte selbst liebt solches Rückschauen
objektive Optimismus hochriß, worin Person und Auftrag und besieht sich, was ihr dann oft den Schein des Rückgehens
sich anriefen und ununterscheidbar befeuerten. Der Brief des und Stillstandes aufdrückt, während sie doch nur in den
Studenten, dann die Dissertation bilden geradlinig den wenig Lehnstuhl sich wirft, ihre eigene, des Geistes Tat geistig zu
späteren Marx-Satz vor: »Wie die Philosophie im Proletariat durchdringen.« Von Tat also ist die Rede, auf sie läuft am
ihre materiellen, so findet das Proletariat in der Philosophie Ende noch der historische Sinn zu, der gleiche, der sie nicht
seine geistigen Waffen.« Hegel schüchterte den Erben nicht ersäuft, sondern tränkt, der ihr Schiff nicht in die Wasser der
mehr ein, dieser übernahm sein Bestes und sah sich ihm eben- Geschichte hinabzieht, sondern es auf ihnen trägt. Bei aller
bürtig, indem er das Erstgeburtsrecht des Proletariats zu Rückschau und noch im gesunden Behagen des Lehnstuhls (er
seiner Sache machte. steht hier in einer Kapitänskajüte) arbeitet Marx durchaus mit
Auf diese Art also hat der junge Marx sich seiner Jugend ver- dem Sextanten, um Länge und Breite jener Fahrt zu bestim-
sichert. Er zog sich am wenigsten, wie viele Jünglinge taten, men, auf der seine Zeit und er, er und seine Zeit sich gesell-
die man edel nennt, nach innen, in den einsamen Weltschmerz, schaftlich befinden. Und in Vorarbeit zur Dissertation taucht
um hier die Flamme zu hüten. Auch dem stoischen Abseits von nun, mit einem großartigen Gleichnis aus der griechischen Ge-
den Welthändeln ist dieser Studierende fremd und fertigt es schichte, das jetzt zu Tuende, das nach der Betrachtung, nach
ab: »So sucht der Nachtschmetterling, wenn die allgemeine dem Idealismus Fällige entschieden auf. Fällig ist nicht epigo-
Sonne untergegangen ist, das Lampenlicht des Privaten.« nales Flickwerk, nicht Verwirklichung der idealistischen Phi-
Und ebensowenig, noch weniger hält er es mit dem Betrach- losophie ohne deren Aufhebung. Sondern Marx sagt: »Die
ten, mit der historischen Schule, die uns damals bei leben- halben Gemüter haben in solchen Zeiten die umgekehrte An-
digem Leib aufs Kreuz der Geschichte nageln wollte. Aber sicht ganzer Feldherren. Sie glauben durch Verminderung der
freilich schloß gerade das scharf Lebendige im jungen Marx Streitkräfte den Schaden wiederherstellen zu können, durch
ein rechtes Sichzusammenziehen nicht aus, sondern ein, näm- Zersplitterung, durch einen Friedenstraktat mit den neuen
lich als eines vor dem Sprung. Und ebensowenig, ja am wenig- Bedürfnissen, während Themistokles, als Athen Verwüstung
sten fehlte dem beginnenden Dialektiker der geschichtliche drohte, die Athener bewog, es vollends zu verlassen und zur
Sinn, jedoch wieder als rechter, nämlich als einer des vermit- See, auf einem anderen Elemente, ein neues Athen zu grün-
telten Sprungs. Daher konnte sich schon der Student in einer den.« Und als was geht das neue Athen oder die »Philosophie
gesammelten Rückschau ergehen, die ebenso ein Vorgriff auf nach ihrer Vollendung« vor dieser schöpferischen Jugend auf?
die neue, die bisher unerhörte Tat war. Mit dieser explosiven Sie geht nicht mehr auf als der bloß konstatierte Widerspruch
Sammlung beginnt genau der Brief des Neunzehnjährigen: zwischen der deutschen Misere und der erhabenen Idee, wobei
»Es gibt Lebensmomente, die wie Grenzmarken vor eine ab- die Welt als eine desto hoffnungsloser zerrissene erschien, je
totaler die ganze Philosophie über oder auch neben ihr stand. Wir sagten, jedes echte Werden halte sich offen und jung.
Das neue Athen geht vielmehr auf als Praxis, eben als theo- Wieder ist eine Zeit, worin ein Heraufkommendes nicht nur
retische Tat, die weiß, was sie will, als revolutionäre, die will, subjektiv, sondern objektiv Jugend ist, hat, wird. Und dieses
was sie weiß. Wieder Marx: »Es ist ein psychologisches Gesetz, Neue befindet sich nicht mehr nur im Anzug, es steht im Fort-
das der in sich frei gewordene theoretische Geist zur prakti- gang seines Aufbaus. Trotz der Trägheit, Dummheit, Mörder-
schen Energie wird, als Wille aus dem Schattenreiche hervor- fratze einer niedergehenden Welt. So verhält sich schließlich
tretend, sich gegen die weltliche, ohne ihn vorhandene Wirk- auch gute Jugend zu dem jungen Marx nicht wahlverwandter
lichkeit k e h r t . . . Es ist die Kritik, die die einzelne Existenz als zu dem reifen, als zu dem Baum Marxismus-Leninismus,
am Wesen, die besondere Wirklichkeit an der Idee mißt. Allein der verdorren müßte, wenn er nicht immer gleichzeitig Blüten
diese unmittelbare Realisierung der Philosophie ist ihrem und Früchte trüge. Der reife Marx, dieser große Arbeiter, ist
innersten Wesen nach mit Widersprüchen behaftet, und dieses die Wahrheit des jungen, er setzte den Plan ins Werk, machte
ihr Wesen gestaltet sich in der Erscheinung und prägt ihr sein die Erkenntnis zur Anweisung aufs Handeln. »Wenigen ward
Siegel auf.« Es sollte nicht lange dauern, es gehörten nur noch es gegeben«, ruft der junge Goethe vorm Straßburger Münster,
die politischen Erfahrungen des Redakteurs der Rheinischen »einen Babelgedanken in der Seele zu zeugen, ganz, groß.«
Zeitung, es gehörte vorab die sich anbahnende Entdeckung der Aber allen ist es gegeben, einen solchen Gedanken, als den Men-
gesellschaftlichen Wirklichkeit als einer ökonomischen dazu, schenbau Marxismus, immer breiter auf der Erde zu gründen,
um die »Widersprüche« primär in der kapitalistischen Wirk- damit er sich zugleich immer höher in das Unentfremdete,
lichkeit zu sehen und dadurch erst, sekundär, in der Philo- Menschwerdende erstrecke. Die Jugend, diese in den Aufbau-
sophie. Auch die »Kritik« wurde erst als eine erkannt, die ländern des Sozialismus so besonders achtend zu beachtende,
die Wirklichkeit, mit dem unaufgelösten Widerspruch in ihr, ist präzis auf dieses Werk hinbezogen. Wo immer es ruft,
primär an sich selber übt. »Der Kritiker kann also«, wie packt, anzupacken ist, als das Werk der zweiten Mensch-
Marx 1843 an Rüge schreibt, »aus den eigenen Formen der werdung.
existierenden Wirklichkeit die wahre Wirklichkeit als ihr Sol-
len und ihren Endzweck entwickeln.« Und die »wahre Wirk- 19S1
lichkeit« wurde vom reifen Marx schließlich als die der jewei-
ligen Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse kenntlich
gemacht, genau so, wie das »Sollen« das der gesellschaftlichen
Tendenz darstellt. Aber das alte Athen, die idealistische Phi-
losophie des sich selber denkenden Denkens, war schon vom
Studenten Marx verlassen. Und das neue blieb erst recht
durchaus Athen, mit dem Erbe der klassischen Philosophie in
sich, doch eben »auf einem anderen Element« gegründet. Das
neue Athen sollte in der Folge das der herzustellenden wirk-
lichen Freiheit werden, ohne Sklavenwirtschaft und dadurch
erst der Humaniora mächtig.
nun wäre wieder dieser Typ kaum so ohne seinen entgegen-
Karl Marx und die Menschlichkeit;
gesetzten Bruder: den völlig betriebshaflen. Wie er sogar,
Stoff der Hoffnung wider die Sache, nicht nur als bürgerlicher, als so entseelter
und verdinglichter, noch vorkommen mag. Sein Selbersein
geht dann nicht so sehr in einen kleinen engen Wigwam spie-
»Es ist nicht wahr, daß die kürzeste Linie immer die geradeste ßig oder auch snobistisch hinein und privat unter, es löst sich
vielmehr in lauter äußeren Beziehungen auf. So kommt hier
ist.« Lessing
nun bloßer betrieblicher Schnellauf, wenn auch gegebenen-
falls in öffentlichem Nutzen. Und weil dahin wenig Eigenes,
»Es genügt nicht, das Bestehende darzustellen, notwendig ist
Menschliches, Ausdrückliches mehr eingeht, sondern mehr nur
es, an das Erwünschte und an das Mögliche zudenken.« Gorki
geborene oder gemachte Null, so entsteht oft auch wenig
wirklicher Nutzen. Denn eine Gruppe ist meist nicht mehr
»Die große Wahrheit unseres Zeitalters (mit deren Erkenntnis
wert als diejenigen, welche sie bilden, und Geschäftiges, worin
noch nicht gedient ist, ohne deren Erkenntnis aber keine an-
sich niemand bewegt, wird schließlich nur Wiederholtes, folg-
dere Wahrheit von Belang gefunden werden kann) ist es, daß
lich Stockung. Gemachte wie freiwillige Nullen addieren sich
unser Erdteil in Barbarei versinkt, weil die Eigentumsver-
nicht, und getretener Quark wird breit, nicht stark. Am
hältnisse an den Produktionsmitteln mit Gewalt festgehalten
schlimmsten, wenn eine Gruppe zwar halb rot geworden,
werden.« Brecht
aber in der anderen Hälfte ebenso kleinbürgerlich und diese
andere Hälfte all die edlen Eigenschaften des Spießers über-
liefert, anerzieht und fortentwickelt. Da ist nicht nur die
Der rechte Schmied
Liebe zum äußeren Kitsch, sondern noch bedenklicher würde
die Erzeugung von menschlichem Kitsch, ja von Entartung
Vom bloßen Wünschen ist noch keiner satt geworden. Es
menschlicher Beziehungen sein, mitten im Aufstieg zu den
hilft nichts, ja schwächt, wenn kein scharfes Wollen hinzu-
freisten und kühnsten Zielen. Die Bahn wird dadurch nicht
kommt. Und mit ihm ein scharfer, umsichtiger Blick, der dem
gesperrt, gewiß nicht, aber sie wird erschwert und ist künst-
Wollen zeigt, was getan werden kann. All das aber tritt nicht
lich daran verhindert, eine so frische zu bleiben, wie sie es
zuletzt dadurch ins Freie, daß der Einzelne, der bloß Jewei-
ist, und eine weithin anziehende. Daher werden geschulte
lige sein sogenannt Je-meiniges nicht so wichtig nimmt. Soll
Menschen, die rechten Schmiede unseres Glücks, sich umtun
heißen: nicht kleinbürgerlich wichtig nimmt, weder weiter-
müssen, ohne daß sie sich verlieren. Und ebenso wieder be-
sehend noch weitersehen wollend als bis zu seiner Nase. Der
treiben sie das Ihre mit so gemeinsamem Willen und Blick, daß
so bloß enge Mensch kann sich zwar an gemeinsamen Vorgän-
daran nicht nur das Ihre als Einzelnes, allzu Privates bleibt.
gen beteiligt fühlen, solange und soweit sie ihn selber zeit-
So überzeugend gehen dann Kampf wie Hilfe an, und es
weise angehen. Doch ist das erledigt, so zieht sich der allzu
findet sich weder bloß enges Befinden noch bloß leer Abge-
Private bis auf weiteres wieder in sein Befinden zurück. Er
richtetes. Wobei es zur befreienden Hilfe gehört, daß sie auch
legt die Karten des gemeinen Wohls, als eines ihm bloß äußer-
zu lächeln vermag.
lich erscheinenden, auf den Tisch und bietet Feierabend. Aber
»Alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein er- schwülen Gemütstau«, den Marx nicht nur bei den »deutschen
niedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Sozialisten« sondern auch in manchen human gemeinten Par-
Wesen ist* tien Ludwig Feuerbachs vorfand. Wie ja denn Feuerbach
selber der sozialistischen Bewegung, sogar der Revolution von
Was hat solche, die es sozusagen nicht nötig hatten, zur roten 1848 ferngestanden hat, wenn er sich auch im Alter zur Ar-
Fahne geführt? Vielleicht das Gemüt, das, indem es vorhan- beiterpartei bekannte. Es gehört also mindestens ein Zusam-
den ist, sich vor dem Elend so vieler zusammenkrampft. Viel- menwirken von Gemüt, Gewissen und vor allem Erkenntnis
leicht das Gewissen, das wegen dieses Elends in einigen stillen dazu, um sozialistisches Bewußtsein gegen das eigene bisherige
Angehörigen der herrschenden Klasse schlägt, während die gesellschaftliche Sein abzuheben. Mit dem bedeutenden und
tätigen Teilhaber des Geschäfts sich den Profit ganz ungestört kontrastierenden Effekt, das Bewußtsein einem so lange eige-
schmecken lassen. Vielleicht hat auch die Wissensgier dazu nen gesellschaftlichen Sein nicht mehr entsprechen zu lassen,
verholfen, daß mit dem Messer der wissenschaftlichen Analyse so daß dann streckenweise der Zustand eintritt, wie ihn das
der Ast abgeschnitten wird, auf dem ein Jüngling oder ein Manifest der Kommunistischen Partei beschreibt und nun ob-
Mädchen auskömmlicher Herkunft und Zukunft bis dahin jektiv, nicht nur psychologisch enthüllt: »In Zeiten endlich,
gesessen haben. Freilich gewinnt man solche Art von Erkennt- wo der Klassenkampf sich der Entscheidung nähert, nimmt
nis schwerlich ohne ein vorheriges sittliches Interesse daran, der Auflösungsprozeß innerhalb der herrschenden Klasse, in-
sie zu gewinnen. Erst recht zieht man aus dem Erkannten, nerhalb der ganzen alten Gesellschaft, einen so heftigen, so
wenn es lediglich kontemplativ gewonnen ward und weiter- grellen Charakter an, daß ein kleiner Teil der herrschenden
besteht, keine tätigen, revolutionären Schlüsse. Sombart bei- Klasse sich von ihr lossagt und sich der revolutionären Klasse
spielsweise sagte einmal, wenn man ihn frage, ob er Sozialist anschließt, der Klasse, welche die Zukunft in ihren Händen
sei, so gerate er in große Verlegenheit. Denn die Frage sei trägt.«1 Allerdings mehrt sich mit diesem drohenden Abfall
ganz doppelsinnig, je nachdem, ob sie das subjektiv Wünsch- der besten jungen Intelligenz von ihrer Klasse, mit dieser
bare oder aber das objektiv Unvermeidbare des Sozialismus besonderen Wirkung aus Ruinenblick, Zukunftsblick und
betreffe. Im zweiten Fall sei Sombart, auf Grund seiner wis- Menschlichkeit, auch die beauftragte Abwehrbewegung da-
senschaftlichen Einsicht, leider Sozialist, im ersten Fall dage- gegen. Die stärkste war der Faschismus, doch auch feinere
gen, wenn man nach seiner Haltung frage, sei er aus Bürger- Verneblungen fanden sich lange vor ihm, dann rund um ihn
lichkeit anti-rot durchaus - quod erat demonstrandum und herum und steigen wieder in seiner Nachblüte. Sie alle haben
von Sombart sehr bewiesen. Andererseits reicht aber auch das die Antriebe zum sozialistischen Bekenntnis reaktionär abzu-
oben erwähnte Gemüt, sogar samt Gewissen und Haltung, lenken, und ist Marx trotzdem nicht sekretierbar, so muß
nicht in allen Fällen zum Klassenverrat an den Wohlgebore- er sehr verkleinert, besonders auch, incredibile dictu, revolu-
nen aus. Marx selber wandte sich ja in einem Rundschreiben tionsfrei gemacht werden. Etwa als eine Art herabgekomme-
gegen einen gewissen Kriege, der vom bloßen Herzen her, ner Verwandter von Kierkegaard oder auch von Pascal; er
also schließlich doch gleich einem Wohltäter von oben herab, ist dann nicht eigentlich »Wirtschaftsrebell«, sondern mehr
dem Elend Kampf ansagte. Ebenso wandte er sich gegen als Stiller im Lande sehenswert. Wonach denn, selber ganz
Krieges Erreger in diesem Punkt, also gegen den »liebes-
1 Manifest der kommunistischen Partei, Berlin 1950, S. 19.
konsequent in der Abschirmung der roten Fahne, ein Existen- konkrete, einen durchaus auch erbitterten Zug, das heißt, sie
tialist namens Knittermeyer zu bekunden hat, daß man Marx enthält im gleichen Akt je nach der Seite, wohin sie sich kehrt,
nicht »gerecht« werde, »wenn man seine Leistung einfach mit durchaus so Zorn, wie sie Aufruf enthält und objektiv Ret-
dem belastet, was sich heute als kommunistische Ideologie in tendes sucht, findet, mitteilt. Auch im Elend sieht Marx derart
Szene setzt«. Und Heidegger selber, im lucus a non lucendo, nicht nur das Elend, nach Weise aller abstrakten Erbarmer
der Brief über den Humanismus heißt, konnte mindestens in und noch der abstrakten Utopisten, sondern das Empörende
der Entnazifizierungszeit einen entmannten oder enthaup- im Elend wird nun wirklich eines, nämlich aktive Kraft der
teten, doch trotzdem oder deshalb desto beschaulicheren Empörung gegen das Verursachende. Also wird das Elend,
Marx geradezu gönnerisch streicheln. Auch daraus aber geht sobald es sich über seine Ursachen klar ist, zum revolutio-
hervor, daß die Affinität aus Gemüt, Gewissen und objek- nären Hebel selber. Und die Menschlichkeit von Marx, die
tiver Einsicht zugleich, mittels derer die Intelligenz so oft den Geringsten von seinen Brüdern zugewandte, bewährt
links überholte, Marx unüberschlagbar macht. Indem nämlich sich darin, eben die Geringheit, die entstandene Nullität der
der unverfälschte Marx ein allzu sicheres Vorbild des roten meisten seiner Brüder aus dem Fundament zu begreifen, um
Intelligenzwegs darstellt: es ist die sich tätig begreifende sie so aus dem Fundament zu beheben. Der Nullpunkt äußer-
Menschlichkeit. ster Entfremdung, wie das Proletariat ihn darstellt, wird nun
Sie tritt bei ihm als eigenes, nirgends weiches Bemühen früh zur dialektischen Umschlagstelle letzthin; gerade im Nichts
und sichtbar vor. Sowohl weil dieser Erregte sich selber als dieses Nullpunkts lehrt Marx unser All zu finden. Entfrem-
Mensch fühlt, wie weil die anderen ebenfalls Menschen sind dung also, Entmenschlichung, Verdinglichung, dies Zur-Ware-
und doch überwiegend als Hunde behandelt werden. Die sie Werden aller Menschen und Dinge, wie es der Kapitalismus
so traktieren, werden deshalb in kein Erbarmen einbezogen, in steigendem Maß gebracht hat: das ist bei Marx der alte
im Gegenteil; sie zu dulden, das wäre geradezu unmenschlich Feind, der im Kapitalismus, als Kapitalismus schließlich
an den Erniedrigten und Beleidigten gehandelt. Die »gedich- siegte wie nie zuvor. Eben die Menschlichkeit selber ist der
tete Güte«, wie Münzer das an Luther nannte, der so zärtlich Entmenschlichung ihr geborener Feind, ja indem Marxismus
für die Herren alle Gewalt verurteilte, wenn sie nicht von überhaupt nichts anderes ist als Kampf gegen die kapita-
ihnen selber ausging, ist fern. Ebenso ist jene unechte Art listisch kulminierende Entmenschlichung bis zu ihrer völligen
Friedfertigkeit fern, wie sie nach Marx zur Gallerte eines Aufhebung, ergibt sich auch e contrario, daß echter Marxis-
wahllosen Pardon gehört hat und weiter gehört. Denn sie mus seinem Antrieb wie Klassenkampf, wie Zielinhalt nach
hat zum Zweck, daß keine Entscheidungen fallen, die einer nichts anderes ist, sein kann, sein wird als Beförderung der
1918 und dann erst recht 1945 partial besiegten Herren- Menschlichkeit. Vor allem können sämtliche Trübungen und
klasse vollends lästig werden könnten. Marx pflegt statt des- Abweichungen von unterwegs nur noch innerhalb des Marxis-
sen keine allgemeine und abstrakte, sondern eine adressierte mus reell kritisiert, gar behoben werden; denn nur er ist noch
Menschlichkeit, eine, die denen zugewandt ist, welche sie einzig der Erbe dessen, was im früheren, revolutionären Bürgertum
brauchen. Und gemeinsam mit Münzer nahm Marx auch die an Humanem intendiert war. Und nur er ist mit der Er-
Geißel auf, womit Jesus die Wechsler aus dem Tempel her- kenntnis, daß die Klassengesellschaft, zuhöchst die kapita-
ausgepeitscht hatte. Also zeigt seine Menschlichkeit, genau als listische, jede Selbstentfremdung verursache, zu deren elimi-
nierbarer Wurzel vorgedrungen. Dergestalt sogar, daß in Humanum gerichtete Sache. Das Humanum bleibt gerade in
dem Maße, wie die eliminierende Macht des Proletariats er- den späteren Analysen des proletarischen Arbeitstags und
starkt, die marxistische Menschlichkeit immer weitere Kreise all des übrigen »Ensembles der gesellschaftlichen Verhält-
ziehen kann; durchaus über die radikal Ausgebeuteten hinaus, nisse«, wie sie dem Proletariat geworden sind, als Richtmaß,
durchaus zu allen hin, die am Kapitalismus gemeinsam Not Gerichtsmaß. Statt der vielen vorhandenen Beispiele sei nur
leiden. Das Erzhumanistische sozialer Revolution hebt die ein besonders spätes und ebenso besonders schlagendes kennt-
Decke der Selbstentfremdung von der gesamten Menschheit lich gemacht: »Das Reich der Freiheit beginnt in der Tat erst
schließlich weg. Genau das aber nur mit: »Krieg den Palästen, da, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweck-
Friede den Hütten«, wie es der große Demokrat Georg Büch- mäßigkeit bestimmt ist, aufhört; es liegt also in der Natur
ner formulierte, und mit der scharfen Philanthropie dieses der Sache jenseits der Sphäre der eigentlichen materiellen
Marxsatzes: »Die Kritik der Religion endet mit der Lehre, Produktion.«3 Und die »Entfesselung des Reichtums der
daß der Mensch das höchste Wesen für den Menschen sei, also menschlichen Natur«, auf dem Boden der beherrschten Not-
mit dem kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzu- wendigkeit aufblühend: damit ist zweifellos »realer Huma-
werfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, nismus« nicht zurückgedrängt, sondern genau als realer und
ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.«2 Und zuletzt steht nicht formeller erst auf die Füße gestellt. Menschlichkeit er-
fest: Keinesfalls ist dieser materiale »kategorische Impera- langt Platz in wirklich ermöglichter Demokratie; so wie diese
tiv«, wie Marx-Halbierer behaupten, auf die Schriften des selber den ersten humanen Wohnort darstellt. Also ist das
jungen Marx beschränkt. Keinesfalls ist an diesem Imperativ Humanum, gerade auch als Fernziel in der gesellschaftlichen
etwas zurückgedrängt worden, wenn Marx dasjenige, was er Tendenz, hier schlechthin regierend. Marxismus, recht be-
früher »realen Humanismus« nannte, in die materialistische trieben, vom bösen Nachbarn tunlichst sich befreiend und
Geschichtsauffassung überführt. Schon 184J, in den Elf The- entlastend, ist seit Anfang humanity in action, Menschenge-
sen über Feuerbach, stellt These 6 bekanntlich fest: »Aber das sicht in Verwirklichung. Er sucht, schlägt und befolgt den
menschliche Wesen ist kein dem einzelnen Individuum inne- einzigen objektiv echten Weg dazu; so ist nur seine Zukunft
wohnendes Abstraktum. In seiner Wirklichkeit ist es das gleichzeitig unvermeidlich und heimatlich.
Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse.« Noch früher,
1844, wird in der Vorrede zur Heiligen Familie übers gleiche
Humanum recht materialistisch versichert: »Der reale Huma- Säkularisierung und die Kraft, auf die Füße zu stellen
nismus hat in Deutschland keinen gefährlicheren Feind als
den Spiritualismus oder den spekulativen Idealismus, der an
Menschliches muß an frische und starke Luft gebracht werden.
die Stelle des wirklichen individuellen Menschen das Selbst-
Damit es gehe und aus der bloß inneren, lang und vergebens
bewußtsein oder den >Geist< setzt.« Zwar tritt in späteren
genug gepredigten Weise endlich heraustrete. Aber nun wird
Schriften von Marx der Terminus Entfremdung, also die
zuweilen gemeint, obzwar an mehr als verdächtigen Orten,
negative Folie zum Humanum, etwas zurück, doch nur als
daß dergleichen nicht Heraustreten, sondern Herabsinken
Terminus tritt die Entfremdung zurück und nicht als die vom
sei. Was auf die Füße gestellt wird, ist dann sozusagen nur
2 Einleitung zur Kritik der Hegeischen Rechtsphilosophie.
3 Das Kapital, III, Berlin (Dietz), S. 873.
vom Gaul auf den Esel, dann auf den plebejischen Fußgänger gelten hatten, so asphalthaft gilt dann auch der säkulari-
gekommen. Gar es wurde von einem geweihten Raum re- sierende Marx. All das deshalb, weil der Mensch und
spektlos heruntergebracht und »verweltlicht«. Letzteres wird mehrerlei groß Verwandtes hier auf die Füße gestellt
nach seinem geschichtlichen Vorkommen auch Säkularisieren worden sind.
genannt, wiewohl dann in weniger abwertendem Sinn. So hat Dabei ist dies Herabsetzen der eigenen Zeit gewiß auch sonst
der Staat geistliche Länder, Güter und Rechte zu weltlichen bürgerlich weit verbreitet. Es ist insofern nicht nur auf Marx
umgewandelt; in Deutschland 1648, vollständiger 1803, in beschränkt, den freilich besonders gern verkleinerten Helden.
Frankreich 1789 und zuletzt 1906. Doch das Säkularisieren Die Müdigkeit einer untergehenden Klasse traut sich auch
ist abwertend durchaus geworden, wenn eine reaktionäre selber wenig mehr zu; das allgemeinste Stichwort gab hierfür
Mode es nun auf Marx bezieht, weil er mancherlei auf die einmal Spengler. Nun ist jetzt »Spätzeit« und sonst nichts,
Füße gestellt hat. Auch dergleichen soll trotz der gehenden sterile »Wachheit« statt der einst jung gewesenen »kulturträ-
Füße nichts als second hand sein, wie die Amerikaner sagen, gerischen Seele«. Das geht bei Toynbee ähnlich in Bausch und
die es ja wissen müssen. Der Mensch etwa oder gar sein seliges Bogen weiter, die eigene »Demokratie und Wissenschaft« sel-
Leben: kam das nicht vor Marx schon bedeutend erhöhter, ber als säkularisierte darstellend. Wonach auch diese nur »eine
erhabener vor, und hat Marx das nicht entspannt? Wurde aus fast bedeutungslose Repetition von Dingen ist, die die Grie-
dem seligen Leben nicht ein bloß glückliches und gar eines chen und Römer schon vor uns, und zwar außerordentlich
mit nur materiellen Gütern im Sinn? Verkauft also Marx, gut, gemacht haben «4. Jedoch alle Zurücknahme des eigenen,
so fragen Bankangestellte der Idee, nicht ehemals hohe Werte wenn auch historisch gewordenen bürgerlichen Werts käme
zu sehr herabgesetztem, den Viel-zu-Vielen erschwinglichem ja ihrem gesellschaftlichen Auftrag nicht nach, wenn sie nicht
Preis, und das Erlangte ist auch danach? Solch ein Verschleu- sowohl die liberale Vergangenheit abbaute als vor allem den
derer, wenn er Ausverkauf hält, muß dann erleichternder- Beruf unserer Zeit zur Zukunft. Wie tröstlich, wenn auch der
weise vom Warenkenner, gleichsam Friedenswaren-Kenner Marxismus, und gerade dieser, schon rein chronologisch, nach
gar nicht mehr eigens an Ort und Stelle beachtet werden. seinem Stellenwert im allgemeinen Herbst der Kultur, nichts
Sondern der wahre Liebhaber des Menschen und seines Heils Nennenswertes, gar Zukunftshaltiges sein kann. Und wie
geht zu den wirklichen Bezugsquellen zurück und findet sie entmutigend ist das gedacht für eine sozialistisch anfällige
dort, wo politisch Lied überhaupt noch nicht getönt, gar miß- oder inklinierende Jugend. Da ist Marx nicht nur »tiefstes
getönt zu haben scheint. So schafft man sich Marx vornehm neunzehntes Jahrhundert«, wie die Nazis sagten, sondern
vom Hals und doch mit Sinn für Morgenrot, für Neubeginn. auch wenn er das zwanzigste wäre und ausspräche, hätte er
Nur hat dieses Morgenrot dann in tunlichst weit Vergange- nur Vergangenheit in sich, keine Zukunft. Und eben, das Ge-
nem gebrannt, und der Neubeginn liegt hinter heiligem Rauch schäft der antiquarischen Marxtöterei ist damit noch nicht
statt in der sogenannten unfruchtbaren Spätzeit von heute. erschöpft; denn die Herabsetzung der eigenen Zeit wäre ja
Marx selber soll dann geradezu dekadent aussehen, minde- nicht komplett ohne die Idolatrie der mondbeglänzten Zau-
stens wird er zivilisatorisch im üblen Sinn. Wie einmal bernächte von einst. Der »Aufstand der Massen«, die »Herr-
mit reaktionärer Absicht Dichter von Schriftstellern unter- schaft der Minderwertigen«, der »Pöbellärm« am Ende aller
schieden wurden, indem letztere vergleichsweise trivial zu 4 Civiliztstion on Trial, 1948, S. 237.
Kulturkonzerte stünde nicht so armselig da, wenn nicht selbst auch nur so eine Art Jesajas des dreizehnten Jahrhunderts
seine Musik — in dem, worin sie klingen mag — als bloßes war, aber Marx, weil er der Ernstfall ist, wird angehalten
Derivat besserer Zeiten auszugeben wäre, geistiger, idealisti- und als soi disant - Kirchenräuber entlarvt. All das erst recht
scher, spekulativer. Ohne solchen Vergangenheitston wäre die im Decrescendo der Säkularisierung, dazu einer mit dem
Redressierung nicht vollkommen, das totale Säkularisierungs- Ludergeruch der Revolution behafteten. Menschlichkeit ist
Geschäft nicht in dem vernichtend, worauf es doch kapita- danach nichts als trivialisierter Menschensohn, proletarische
listisch ankommt. Marx hatte im Nachwort zur zweiten Solidarität lediglich die Kitschausgabe des urchristlichen Lie-
Auflage des Kapital mit bekannten Sätzen das Auf-die-Füße- beskommunismus, das Reich der Freiheit lediglich das Reich
Stellen eines Vergangenen zuerst kenntlich gemacht, und zwar der Kinder Gottes - auf dem Niveau des gottlosen Aufklä-
im Hinblick auf die Hegeische Dialektik, die auf dem Kopf richts. Das sind so die »Adventures of Ideas«, nach White-
stehe: »Man muß sie umstülpen, um den rationellen Kern in heads bezeichnendem Ausdruck, wobei die Ideen keinen Schuß
der mystischen Hülle zu entdecken.« Wurde das freilich, Pulver mehr taugen, ihn wohl aber verdienen sollen, wenn sie
mitsamt der ebenfalls bekannten marxistischen Ahnentafel in aufhören, spirituelle zu sein. Bezeichnend hierfür ist etwa
der deutschen klassischen Philosophie, nicht als »Herüber- Löwiths Sippenforschung nach der mythologischen Großmut-
retten«, sondern gleichsam als Zurücktreten verstanden, näm- ter; dies mindestens mit dem Nebenzweck, den Enkel als
lich in eine angeblich einzig klassische Herkunft, dann ent- einen darzustellen, der altes Tempelgut im doppelten Sinn
standen die ehemals üblichen »Verbesserungen« Marxens des Worts verwirtschaftet. Da ist Ausbeutung »Vorgeschichte«
durch einen Marburger Kant oder auch (bedeutend schwächer) oder, biblisch gesprochen, die »Erbsünde dieses Äon«. Da ist
durch einen neuhegelianischen Hegel. Immerhin wurde hier der historische Materialismus insgesamt »Heilsgeschichte in
noch nicht irrationalisiert, sondern eben idealisiert, das heißt, der Sprache der Nationalökonomie« und »der kommunisti-
der Marxismus wurde - ohne Ansehung seiner eigensten, pro- sche Glaube eine Pseudomorphose des jüdisch-christlichen
letarisch-revolutionären Quelle - auf wenigstens noch ratio- Messianismus«'. Ja der Skandal überrascht nicht, bei einem
nelle, obzwar entschieden nicht-materialistische Lehren zu- dermaßen tief eingetauchten, restlos als Plagiat entlarvten,
rückgeschraubt. Nun aber trat im Spätbürgertum, vor allem magisch aufgelösten Marxismus, daß gesagt werden kann:
im deutschen, wachsend die Irrationalisierung vor; dadurch »Mit Marx verglichen ist Hegels Philosophie realistisch.«6
konnte nun die Verkleinerung Marxens durch die Ausspielung Solches also kommt heraus, wenn die Kraft, auf die Füße zu
von geradezu mythischen Originalen gegen angebliche Nach- stellen, rationellen Kern zu retten, ausschließlich als Säku-
äffung vor sich gehen. Infolgedessen schob sich an die Stelle larisierung erscheint. Als eine, die die Anhänger und Nach-
der einstigen Kantianisierung oder auch Hegelianisierung weiser geistlicher Fürstentümer ohnehin nicht heiter stimmt.
Marxens ein radikaler Vernichtungsversuch durch eine Art Gar nachdem sich herausstellen wird, daß eine Gesellschaft
Plagiatanzeige. So blüht hier denn eine ganz unsägliche Art ohne Herr und Knecht dasjenige ist, was unter dem Namen
von Quellenfetischismus - zurück von Marx zu Joachim di Humanisierung so lange vergeblich gesucht worden ist. Und
Fiore oder Augustin oder schließlich zu den mythischen Heils- ebenso genau dasselbe, was so lange durch die Klassengesell-
erwartungen der Urzeit. Der große Ketzer und Zukunfts-
träumer Joachim di Fiore passiert zwar noch, obwohl er doch j Weltgeschichte und Heilsgeschehen, 1953, S. 47 ff.
6 I. c., S. 54.
schaft durchkreuzt oder verhindert war, samt dem Stoff der als auf die Füße gestellt, verwirklicht wird. Es erübrigt sich
Hoffnung, der sich erst bildet. hier, das vollkommen Neue zu betonen, das Marx - mit pro-
Ist doch gerade ein guter Gehalt nicht geschwächt, wenn er letarisch-revolutionärem Auftrag hinter sich - finden mußte,
berichtigt worden ist. Während die wirklichen Nachkäuer um gute Gedanken der Vergangenheit überhaupt erst zu
allerdings nur matt und matter vor sich haben, was einmal vollziehen. Das bahnbrechend Neue in der Erkenntnis des
bessere, mindestens neuere Speise war. Zu diesen Nachkäuern Mehrwerts, in der ökonomisch-dialektischen Geschichtsauf-
aber gehören gerade diejenigen Gestalten, die Riesen vorwer- fassung, in der Theorie-Praxis-Beziehung: — wenn die Säku-
fen, daß sie ja auch schon Eltern von Wuchs gehabt haben larisierer das nicht verstehen, aus bourgeoisem Interesse nicht
müßten. Merkwürdig nur, daß sie nicht auch Piloten vorwer- verstehen wollen, aus Unkenntnis nicht verstehen können, so
fen, epigonal zu sein, weil bereits Elias durch die Lüfte gefah- sagt das bloß über ihre eigene restaurative Gesinnung etwas
ren sei, sogar viel weiter. Dagegen sind die Säkularisierer aus, gar nichts aber über den Marxismus. Und am wenigsten
selber in der Tat epigonal und das sozusagen echt; denn sie besagt diese Zurückgebliebenheit etwas über die neue Mensch-
schreiben sich alle von der halb oder ganz reaktionären Ro- lichkeit, Aktivität, Weltveränderung, den berichtigten Traum
mantik her. Damals erschien Männern wie Creuzer, gar nach vorwärts im allemal offenen Marxismus. Da ist keiner-
Welcker die Mythologie insgesamt als erster Ursprung aller lei ci-devant-Mythos, der gesprungen und ausgekältet wäre,
Wissenschaft, gleichsam als Hellsehen vor dem bloßen Gehirn- wohl aber teilt sich ein Flor, kommt stets gemeintes Licht.
tag. Ja sie sollte das unerreicht Ganze eines unvordenklichen Blicke man dazu, um sogar noch außerhalb des marxistischen
Wissens gewesen sein, und alles Spätere, das etwas angibt (so Auf-die-Füße-Stellens zu bleiben, die Sittlichkeit an. Ist sie
etwa Piatons Ideenlehre), sei von daher ein Abklang, also geringer geworden, wenn sie nicht mehr um einer jenseitigen
gleichfalls säkularisiert. Marx aber schrieb einmal an Rüge Belohnung willen geschieht, oder wurde sie nicht umgekehrt
1843: »Es wird sich [. . .] zeigen, daß die Welt längst den reiner? Blicke man das Christentum selber an: Ist es von
Traum von einer Sache besitzt, von dem sie nur das Bewußt- Thomas Münzer entspannt worden, wenn es nicht mehr
sein besitzen muß, um sie wirklich zu besitzen. Es wird sich quietistisch genommen wurde, auch nicht mehr im läßlich-jen-
dann zeigen, daß es sich nicht um einen großen Gedanken- seitigen Sinn des »Zechens auf Christi Kreide«? Wurde es
strich zwischen Vergangenheit und Zukunft handelt, sondern nicht umgekehrt gerade echter und eine wirkliche Ausschüt-
um die Vollziehung der Gedanken der Vergangenheit.« Nach tung seiner durch das Hereintreiben in Aktivität, in dies-
Weise der Säkularisierer wäre dann solch ein Satz selber aus seitige Zeitgeschichte, Revolution und jene andere »Fleisch-
dem romantischen Original säkularisiert, wogegen er selbst- werdung Christi«, die den Täufern wie vorher den Hussiten
verständlich ein Originales in Person darstellt. Nämlich einen als mystische Demokratie erschien? Blicke man die Geschichte
völlig neuen Standort gerade im Blick auf die Vergangenheit, der Wissenschaft an, die ohnehin bei den Griechen im Bruch
oder genauer, wie Marx sagt: mit »Analysierung des mythi- mit dem Mythos entstandene, auch wenn dieser noch so oft,
schen, sich selbst unklaren Bewußtseins« in ihr, und freilich mit wechselndem Gewicht, in die Aufklärung des Begriffs
nicht mit abstraktem Abbruch von ihr. Also ist ein guter Ge- eingehängt war. Sind Philosophie und Wissenschaft ärmer ge-
halt in der Tat nicht geschwächt, wenn er berichtigt wird, und worden oder nicht umgekehrt um Nie-Gesehenes, Nie-Bedach-
noch selbstverständlicher ist er nicht säkularisiert, wenn er, tes vermehrt, wenn sie Sokrates vom Himmel auf die Erde
bringen wollte, wenn Demokrits »Ananke« die mythische Oben wegnimmt, in dem der Mensch nicht vorkommt. Es sei
»Moira« oder Schicksalsgöttin keineswegs säkularisiert hat? denn, man nehme Säkularisierung in einem selber neuen, erst
Oder wenn Aristoteles in dem ontologischen Begriffspaar marxistischen Sinn, wie er der Theorie-Praxis entspricht.
»Dynamis-Entelechie«, »Materie-Form« den mythischen Dann geschieht, in guter Ironie, sogar eine Rettung des so
Weib-Mann-Hypostasen, außer der entzaubernden Verwen- tückisch gemachten, abwertenden Worts, auf eine Art, woran
dung, ein durchaus Neues, Verantwortliches, »in Wahrheit« die Halbwisser unter seinen Verächtern freilich am wenigsten
Vertretbares hinzubrachte? Gewiß gibt;es ein wahres Intendie- gedacht haben. Nachdem sich nämlich alle großen Denker vor
ren in mythischer oder in mystischer Hülle, eines, das in Marx wesentlich nur mit einem Philosophischwerden der Welt
Menschlichkeit, in Dialektik (die es bereits im chinesischen My- im Buch begnügt haben, beginnt im Horizont der marxisti-
thos gibt) durchaus auf ein Lichtwesen in künftigem Aufgang schen Menschlichkeit nun wirklich, suo modo, eine Verwelt-
gerichtet sein will; so vor allem in messianischen Durchbruchs- lichung der Philosophie. Dergestalt, daß sie eben ganz auf die
blitzen des Mythos. Und gerade ein Freund echter Aufklä- Füße gestellt wird und sich so zum Umbau des Sterns Erde
rung wird solchen Ahnungen seine tiefe, auch dankbar ebenso berufen wie geschickt zeigt. Das aber gerade ohne
lernende Betroffenheit schwerlich versagen. Aber ein Berich- Abstrich an den wahrhaft großen Gedanken der Vergangen-
tigendes, Vermehrendes, die Welt aus ihr selber Erhellendes heit, vielmehr gedankenvoll und ebendeshalb nicht tatenarm.
geht allemal erst auf dem wissenschaftlich errungenen Stand- »Oder kommt, wie der Strahl aus dem Gewölke kommt, / Aus
ort des Bewußtseins auf, freilich als einem noch bewohnten. In Gedanken die Tat? Leben die Bücher bald?« - so lautet die
einer Gesellschaft kann es nicht mehr aufgehen und verstan- Marxsche Frage in Hölderlins Gedicht An die Deutschen.
den werden, worin, wie Eduard Spranger referierte, nur noch Was dermaßen rein und entschieden als Aufgabe hervortritt,
zwei Philosophien vorhanden sind: eine der Verzweiflung, läßt die begriffene Hoffnung am wenigsten zuschanden
die alles aufgibt, und eine des Spinnwebs, die aus längst werden.
hinter uns liegenden, mittelalterlich-scholastischen Auskünften
der Weisheit klerikalen Schluß machen will. Nur der schöpfe-
rische Marxismus ist unsere Zeit, in Gedanken gefaßt, als Traum nach vorwärts, Nüchternheit, Enthusiasmus und ihre
einer schaffenden, erbenden, verwirklichenden zugleich. Wo Einheit
auch die Menschlichkeit nicht mehr im Herzen oder in idealen
Ermunterungen bleibt (und kein Pfennig wurde dabei aus- Kein Träumen darf stehenbleiben, das tut nicht gut. Aber
gegeben). Wo wirklich die Erde im Begriff sein kann, die wird es eines nach vorwärts, dann sieht seine Sache ganz
Welt zu durchragen, ohne daß dergleichen ein mythisches anders zehrend aus. Auch das Matte, Schwächende, das der
Bild bleibt, woran die »gedichtete Güte« verbaler Mythos- bloßen Sehnsucht eignen kann, fällt dann weg; diese zeigt
Wiederkäuung von heutzutage sich anempfindet. Wie anders vielmehr, was sie wirklich kann. Seit je wird den Menschen
sieht die Verwirklichung des als recht Erkannten drein, seine zugemutet, sich nach der Decke zu strecken, sie lernten das,
Durchführung in marxistisch begriffener Tendenz, nach Maß- nur eben ihre Wünsche und Träume gehorchten nicht. Hierin
gabe realer Möglichkeit und ihrer Perspektive. Diese Praxis sind so gut wie alle Menschen zukünftig, übersteigen das
ist am wenigsten Säkularisierung der Höhe, wenn sie alles ihnen gewordene Leben. Sofern sie unzufrieden sind, halten
sie sich eines besseren Lebens für wert, sei dieses selbst platt wenden mag hinter der nächsten Wegbiegung, es läßt sich
und selbstsüchtig ausgemalt, nehmen Unangemessenes als diese dialektische Wendung aktiv befördern, und gerade die
Schranke wahr und nicht nur als Gewohnheit. Insofern ist Vernunft hat einen akustischen Bedeutungssinn, der macht,
sogar das privateste und unwissendste wishful thinking dem daß sie bereits im Wort vom Vernehmen herkommt. Aber die
bewußtlosen Gänsemarsch vorzuziehen; denn es kann infor- Traumlosigkeit als Schicksal hemmt noch weiter, indem die
miert werden. Es ist des revolutionären Bewußtseins fähig, es Ecke, vielmehr ihr unangenehm vorwirkendes unbürgerliches
kann in den Wagen der Geschichte einsteigen, ohne daß das Dahinter, geradezu als eschatologisch vorkommt und sich
Gute am Träumen dabei zurückgelassen werden muß. Ganz demgemäß die griechische Demut gegen den christlichen Vor-
im Gegenteil, der Wagen ist nicht so eng wie dürre, dürftige witz zur Wehr setzt. Oder vielmehr nicht gegen diesen als
oder unwissende Zeiten sich das vorstellen oder für sich die Stimme von Patmos, sondern nur gegen die Eschatologie,
passend finden. Der gesellschaftliche Fortschritt verlangt zwar als welche hier wieder der - Marxismus ausgegeben ist. Gleich
durchaus, gegebenenfalls auf derbe Weise, daß Vorurteile, als wäre er eine Überwelt voll törichter Verzückung und
falsches Bewußtsein, Aberglaube hinausgeworfen werden und nicht sehr eindringlich diese Welt selber, in bohrender Analyse
zurückbleiben, doch ebendeshalb verlangt er nie, daß Träume ihrer Antriebe, in beherrschender Antizipation ihrer mög-
nach vorwärts zurückbleiben. Das objektiv Mögliche, an das lichen guten Früchte. Doch es ist gerade dieses Eindringliche,
der Traum sich halten muß, wenn er etwas taugen soll, hält in in Ansehung seiner störenden Diagnose und Vorhersage, wel-
vorordnender Weise auch ihn. Der objektiv vermittelte und ches nicht nur als durchdringend, sondern geradezu als pene-
gerade deshalb nicht entsagende Wachtraum vom vollkom- trant erscheinen mag; dann eben, wenn Reichtum aus Unge-
menen Leben überwindet so seine Anfälligkeit zum Betrogen- nauigkeit und auch ein anderer aus offensichtlich makabrem
werden wie die Traumlosigkeit selber. Letztere, mit An-sich- Außenglanz die Leere des eigenen Abends, die - wie immer
Halten oder mit einem Realismus verbunden, der nur noch hart aufgehende - Fülle des anderen Morgens verdeckt. Da
als resignierter einer zu sein scheint, ist ja gerade der über- ist denn die Traumlosigkeit nach vorwärts ein gleichsam
wiegende Zustand viel denkender, doch wenig erkennender philosophisch erscheinender und doch so wenig wahrhaft phi-
Menschen in einer perspektivenlosen Gesellschaft (samt dem losophischer Schutz; der Dinge nicht gewärtig, die da kom-
Reichtum aus Ungenauigkeit). Sie alle haben eine Unlust men sollen. So steht in dieser freiwillig-unfreiwilligen Skepsis
gegen vorwärts und den Durchblick nach vorwärts, wenn statt Hoffnung Furcht, statt des Erfassens der Zukunft als der
auch in verschiedenen Maßen und verschieden strömender größeren Dimension der Gegenwart, wie Leibniz sagt, ein
Scheu. Halb griechische Demut, halb positivistische Vorsicht Anti-Finale; bis hin zum Scheiden, wo nicht Scheitern mit
werden strapaziert, um aus dem Fakt, daß man nicht um die abgewendetem Blick. Besonders die Furcht, sagt Sartre, ist ein
Ecke sehen könne, ein sozusagen antimarxistisches Gleichnis Zustand, der den Menschen aufhebt; sinngemäß gilt von der
zu machen - alles, um bei der interessierten Traumlosigkeit zu Hoffnung subjektiv wie erst recht objektiv das belebend Um-
bleiben. Wobei sogar die simple Wahrheit des Fakts, nicht um gekehrte. Und wenn es auch beim Bau bloßer Luftschlösser
die Ecke sehen zu können, noch schal wird, sobald ein Spiegel auf ein Mehr oder Weniger an Unkosten wenig ankommt,
verwendet wird, und vor allem: es läßt sich sehr wohl um die woraus dann eben die fehlgeleiteten, schließlich betrügerisch
Ecke - hören, es läßt sich der Tendenz abhören, wohin sie sich gebrauchten Wunschträume resultieren, so ist die Hoffnung
mit Plan und mit Anschluß ans Fällig-Mögliche doch das braucht und verlangt.« Das ist seit Marx, vielmehr in den-
Stärkste wie Beste, was es gibt. Und wenn auch Hoffnung jenigen Ländern, wo der Marxismus Macht wurde, gewiß
den Horizont nur übersteigt, während erst Erkenntnis des anders geworden - der Zukunft wird hier Quartier gemacht.
Realen mittels der Praxis ihn auf solide Weise verschiebt, so Und auch der Wachtraum vom regnum humanum steht hier
ist es doch sie wieder allein, welche das anfeuernde und trö- nicht mehr in der Luft oder am Himmel oder bloß so in
stende Weltverständnis, zu dem sie leitet, zugleich als das Kunstwerken, daß die Wege dahin nur als Fluchtwege ge-
solideste und tendenzhaft-konkreteste gewinnen läßt. Zwei- nommen werden und jene Resignation auf ihnen geht, der das
fellos, der Trost dieses Weltverständnisses muß angestrengt Schöne nur im Gesang blüht. An Stelle der Walpurgisnacht
mitgebildet werden. Noch leichter wäre Rom an einem Tag also, »wo man mit Erstaunen sieht, / Wie im Berg der Mam-
zu erbauen gewesen als Athen, und welch schwieriger, oft mon glüht«, ist gewiß nun einem anderen Gold Gelegenheit
Schritt für Schritt verlangender Weg dehnt sich bis zum gegeben, sich aus bisherigem Utopie-Ideologie-Gemenge nie-
Richtfest des regnum humanum. »Der sozialistische Realismus derzuschlagen. Doch das Antizipierende freilich hat zu blühen,
muß aber eine Perspektive haben«, wie auch Lukacs zur be- hat weiter sein Amt, gerade auch wenn es in Nüchternheit
förderten Wegtendenz sagt, »sonst kann er nicht sozialistisch geschieht statt in Schwärmerei und Wolken. Ebenso steht
sein.« Die Vernunft kann nicht blühen ohne Hoffnung, die Enthusiasmus der Nüchternheit bei, damit sie nicht die Per-
Hoffnung nicht sprechen ohne Vernunft, beides in marxisti- spektive abstrakt-unmittelbar verkürze, statt sie auf dem
scher Einheit - andere Wissenschaft hat keine Zukunft, andere Globus der konkreten Möglichkeit zu halten. Enthusiasmus
Zukunft keine Wissenschaft. ist Phantasie in Aktion, und die Säure Nüchternheit muß hier
Aufrechter Gang, er zeichnet vor den Tieren aus, und man eher das kostbarste als das allgemein-billigste Ingrediens wer-
hat ihn noch nicht. Er selber ist nur erst als Wunsch da, als den. Nichts ist der echten, eben marxistisch geübten Nüchtern-
der, ohne Ausbeutung und Herrn zu leben. Hier vor allem heit ferner als der common sense, als jenes gar nicht so Ge-
schwebte, so dauernd wie notwendig, Tagtraum über der bis- sunde, gar nicht so Menschliche des sogenannten gesunden
herigen Gewordenheit, der ungelungenen, zog ihr vor. Und Menschenverstands, welches vielmehr voll kleinbürgerlicher
jeweilige Sucher des aufrechten Gangs zogen ihr vor, des Vorurteile sein mag; aber nichts ist ihr wiederum näher als
mahnenden Sinns, den Ludwig Börne, in Fragmenten und jener vom common sense so verschiedene bon sens, wie er sich
Aphorismen, mit Recht so ausdrückte: »Ehe eine Zeit auf- genau auch im marxistisch geübten Enthusiasmus findet. Der
bricht und weiterzieht, schickt sie immer fähige und vertraute common sense, der typisch undialektische, statuiert, daß die
Menschen voraus, ihr das neue Lager abzustecken. Ließe man Menschen immer Menschen bleiben, er wird, wenn er in Zen-
diese Boten ihren Weg gehen, folgte man ihnen und beobach- tralafrika sein Leben verbringt, es für absurd halten, daß
tete sie, erführe man bald, wo die Zeit hinauswill. Aber das Wasser auch fest vorkomme, er hat es für ausgeschlossen er-
tut man nicht, man nennt jene Vorläufer Unruhstifter, Ver- klärt, daß China jemals Republik sein kann; der bon sens
führer und Schwärmer und hält sie mit Gewalt zurück. Aber dagegen, dies Gütezeichen, Füllezeichen wirklich gesunder
die Zeit rückt doch weiter mit ihrem ganzen Troß, und weil Nüchternheit, schließt keine Perspektive aus und ab, außer
sie nichts bestellt und angeordnet findet, wohnt sie sich ein, derjenigen, die zu Dingen führen könnte, an denen kein Segen
wo es ihr beliebt, und nimmt und zerstört mehr, als sie ge- ist. Und nun ist dieses gerade für den Marxismus, als den
angegebenen Quartiermacher der Zukunft, bezeichnend: er lebendiger, >schlauer<, als die besten Parteien, die klassen-
behebt die festgefrorene Antithese: Nüchternheit-Enthusias- bewußtesten Avantgarden der fortgeschrittensten Klassen es
mus, indem er beide auf ein Neues bringt und beide darin sich vorstellen. Das ist auch verständlich, denn die besten
miteinander arbeiten läßt - für exakte Antizipation, kon- Avantgarden bringen das Bewußtsein, den Willen, die Lei-
krete Utopie. Die Nüchternheit ist nicht dazu da, die Phan- denschaft, die Phantasie von Zehntausenden zum Ausdruck,
tasie schlechterdings zu scheren, als fiele die Aufklärung mit die Revolution aber wird, in Augenblicken des besonderen
Gottsched, gar mit Nicolai zusammen, und der Enthusiasmus, Aufschwungs und der besonderen Anspannung aller mensch-
gerade als Phantasie in Aktion, ist nicht dazu da, mit lauter lichen Fähigkeiten, durch das Bewußtsein, den Willen, die
Absolutem einzuheizen, als fiele die revolutionäre Romantik Leidenschaft, die Phantasie von Dutzenden Millionen ver-
mit Quichotterie zusammen. Item, um den Stundenzeiger zu wirklicht.«8 Und das Muster für den Kältestrom um dieses
stellen, muß man den Minutenzeiger drehen, und ebenso muß Wärmestroms willen, für den Wärmestrom, der den Kälte-
umgekehrt das Totum eines großen Schiffs auf weiter Fahrt strom der Analyse gerade zur Aufzeigung seiner abgeteilten
in jeder revolutionären Kleinarbeit aufleuchtbar sein. Also ist Stadien braucht, findet sich sinngemäß bei Marx selber. So in
es gleich unweise und dem Marxismus fremd, mit nichts als dieser empirischen Prophetie (gleichsam Antonio plus Tasso,
Nüchternheit unter die Wirklichkeit zu greifen, wie mit nichts berichtigt in Einem): »Das Recht kann nie höher sein als die
als Enthusiasmus über sie; getroffen wird das Reale, gerade ökonomische Gestaltung und dadurch bedingte Kulturent-
als das der Tendenz, nur durch die ständige Oszillation beider wicklung der Gesellschaft. In einer höheren Phase der kom-
Aspekte, geeint in geschulter Perspektive. So schrieb Lenin munistischen Gesellschaft, nachdem die knechtende Unterord-
zum vierten Jahrestag der Oktoberrevolution: »Nicht auf nung der Individuen unter die Teilung der Arbeit, damit
Grund des Enthusiasmus unmittelbar, sondern mit Unter- auch der Gegensatz körperlicher und geistiger Arbeit ver-
stützung des aus der großen Revolution geborenen Enthusias- schwunden ist, nachdem die Arbeit nicht nur Mittel zum
mus, auf Grund des persönlichen Interesses, der persönlichen Leben, sondern selbst das erste Lebensbedürfnis geworden;
Interessiertheit, des Rentabilitätsprinzips sollt ihr euch nachdem mit der allseitigen Entwicklung der Individuen auch
mühen, zuerst die festen Stege zu bauen, die in einem klein- die Produktionskräfte gewachsen sind und alle Springquellen
bürgerlichen Lande über den Staatskapitalismus zum Sozia- des genossenschaftlichen Reichtums voller fließen - erst dann
lismus führen, anders werdet ihr nicht zum Kommunismus kann der enge bürgerliche Rechtshorizont ganz überschritten
gelangen, anders werdet ihr die Dutzende und aber Dutzende werden und die Gesellschaft auf ihre Fahnen schreiben: Jeder
von Menschen nicht zum Kommunismus führen.«7 Mit diesem nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen.«9
kühlen Realismus aber eng verschränkt ist und bleibt der Erst mit solcher Analyse (gegebenenfalls sogar, dem schweren
sachlich-hingerissene, den Lenin in der Schrift über den Linken Fahrwasser entsprechend, einer ad pessimum), erst mit solcher
Radikalismus kenntlich macht, als angemessen zum Elan (und Perspektive zusammen gibt es das tröstende Weltverständnis,
nicht etwa zur Bremsung) im Wirklichen selber: »Die Ge- das Marxismus heißt und das ebendeshalb kein kontempla-
schichte im allgemeinen, die Geschichte der Revolutionen im tives, sondern eine Anweisung zum Handeln ist. Die Un-
besonderen ist stets inhaltsreicher, mannigfaltiger, vielseitiger,
7 Ausgewählte Werke, II, S. 890. 8 Ausgewählte Werke, II, S. 739
9 Kritik des Gothaer Programms, Berlin 1946, S. 21.
angemessenheit der längst gesellschaftlich gewordenen Pro- Gewißheit, unfertige Welt, Heimat
duktivkräfte zu ihrer privatkapitalistischen Aneignungsform:
dieser Grundwiderspruch in der entwickelten kapitalistischen »Da erstand vor ihm ein Bild vom ganzen Leben des Menschen
Gesellschaft kann durch hektische Konjunkturen zwischen den auf Erden und ihm schien das Menschenleben nichts zu sein,
Krisen und durch Quacksalber-Theorien zwar ephemer ver- nur ein winziges Entbrennen, ein kurzes Aufflackern in gren-
deckt werden, aber er bleibt, und nur der Marxismus ist, wie zenlos-schreckensvoller Finsternis; und alle Größe, alle tragi-
der Detektiv, so der Befreier, wie die theoretische, so die sche Würde des Menschen und sein heldischer Ruhm rührten
praktische Lösung dieses überständigsten aller Widersprüche. daher, daß dieses Aufflammen so kurz war. Er wußte: sein
Und nur Marxismus hat die Theorie-Praxis einer besseren Leben war gering und würde wieder verlöschen, und übrig-
Welt veranlaßt, nicht um die vorhandene zu vergessen, wie bleiben würde nur die unermeßliche, ewige Finsternis. Und er
das in den meisten abstrakten Sozialutopien üblich war, son- wußte: mit Hohn auf den Lippen würde er sterben, und mit
dern um sie ökonomisch-dialektisch zu verändern. Nirgends dem letzten Schlag seines Herzens würde seine trotzige Ab-
ohne Erbe, am wenigsten ohne das der Ur-Intention: des sage hineintönen in die alles verschlingende Nacht.«
Goldenen Zeitalters; der Marxismus, in allen seinen Analysen Thomas Wolfe, Es führt kein Weg zurück
der kälteste Detektiv, nimmt aber das Märchen ernst, den
Traum vom Goldenen Zeitalter praktisch; wirkliches Soll und »Der Wunsch baut auf und schafft Wirkliches, wir allein sind
Haben wirklicher Hoffnung geht an. Die Verhältnisse waren die Gärtner des geheimnisvollsten Baums, der wachsen soll.
bisher nicht so, um in die vollkommenere Perspektive auch le- Der Drang, sich gemäß zu werden, zieht Seele herein, er ist
bendig einzutreten, die Verhältnisse des Vollkommeneren sel- die Gedankenlösung für den völligen Kristall erneuter Wirk-
ber sind nicht so, indem es nämlich noch nicht da ist, indem es lichkeit und umwollend wegdenkender, schöpferisch dazu
in der bisherigen Entfremdung besonders ferngehalten wurde. denkender Geist, stark wie ein Magnet in unsere, in die Zu-
Der Bezug der Bedürftigkeit zum Erwärmenden, selbst En- kunft der Welt hinübergerichtet, wie sie beständig nach uns
thusiastischen der meisten in der bisherigen Gewordenheit ge- blickt und allein der schlaffen Wahl Böses wie Gutes gleich
stalteten Wunschbilder war daher, übers Kontemplative unentschieden vorbehält. Es geht um uns und weiß nicht,
hinaus, Resignation oder, was dieses Orts auf Verwandtes wohin es geht, nur wir selbst sind noch Hebel und Motor, es
herauskommt, Religion. Soll aber die wirkliche Essenz der stockt das äußere und offenbarte Leben: aber der neue Ge-
Hoffnungsgehalte zureichend in Existenz einschlagen, Boden, danke bricht endlich hinaus, in die vollen Abenteuer, in die
Hand und Fuß gewinnend, dann heißt die Eintrittsstelle, mit offene, unfertige, taumelnde Welt, um so, in dieser seiner
Prosa und Symbolwert zugleich versehen, klassenlose Gesell- Stärke, mit unserem Leid gegürtet, mit unserer trotzigen
schaft - usque ad finem. Ahnung, mit der ungeheuren Gewalt unserer Menschenstim-
me, Gott zu ernennen und nicht eher zu ruhen, als bis sich
unsere innersten Schatten unterworfen haben und die Erfül-
lung jener hohlen, gärenden Nacht gelungen ist, um die
herum noch alle Dinge, Menschen und Werke gebaut sind.«
Ernst Bloch, Geist der Utopie, 1918
»Drei Kategorien des dialektischen Prozesses sind folglich und gewiß, auch wenn das von ihr Bezeichnete, also die ob-
zentral: Front, Novum, Materie; alle drei setzen die ehr- jektive Hoffnung, als welche inhaltlich gehofft wird, besten-
lichste menschliche Eigenschaft zur Erfassung und Betätigung falls nur wahrscheinlich sein kann. Die subjektive ist spes,
voraus: Hoffnung. Front, das ist der vorderste Abschnitt der qua speratur, die objektive ist spes, quae speratur; die erste,
Zeit, wo die nächste entschieden wird. Novum, das ist die die hoffende Hoffnung, wird daher wirklich auch geglaubt
reale Möglichkeit des Noch-Nicht-Bewußten, Noch-Nicht- und hat so suo modo Zuversicht, die zweite, die gehoffte
Gewordenen, mit dem Akzent des guten Novum (des Reichs Hoffnung, wäre dagegen, wenn sie bereits volle Zuversicht
der Freiheit), wenn die Tendenz daraufhin aktiviert wird. für sich hätte, gerade keine Hoffnung. Das heißt, die in der
Materie, das ist nicht der mechanische Klotz, sondern - ge- noch so unbeugsamen, auch aktiv bis zum letzten anfeuern-
mäß dem implizierten Sinn der Aristotelischen Materie- den, hoffenden Hoffnung bezeichnete Sache, die objektive
Definition - sowohl das Nach-Möglichkeit-Seiende, also das, Hoffnungssache in der Welt selber, ist ihrer durchaus noch
was das jeweils historisch Erscheinenkönnende bedingungs- nicht garantiert sicher und gewiß; sonst wäre die Zuversicht
mäßig bestimmt, wie das In-Möglichkeit-Seiende, also das der hoffenden Hoffnung, statt mutig und, wie so oft, aufrecht-
reale Möglichkeitssubstrat des dialektischen Prozesses. Gerade paradox zu sein, lediglich trivial. Rechte Hoffnung steht als
als bewegtes Sein ist die Materie ein noch unausgetragenes solche, nämlich als geschichtlich-tendenzhaft vermittelte, zwar
Sein; sie ist der Boden und die Substanz, worin unsere Zu- am allerwenigsten im leeren Raum, aus dem ihr nichts ent-
kunft, als ihre ebenso eigene, ausgetragen wird. Probleme in gegenkäme, in dem deshalb irgendwo geabenteuert werden
Fülle liegen derart vor der gegenwärtigen Philosophie; dem könnte. Aber gerade weil rechte Hoffnung in der Welt, via
jetzigen Westen sind sie, obwohl überfällig, noch nicht im Welt geht und mit deren objektivem Prozeß vermittelt ar-
»Überstieg« parat. Ex Oriente lux, dieses alte Wort aus beitet, steht sie mitsamt diesem Prozeß in einem Wagnis, als
Geographie und Christentum zugleich, bekommt bei solchem dem der Front. Und nur, wenn das gesetzmäßig erwartbare,
Anblick eine frische, umfunktionierte Wahrheit; aus dem Ost- erreichbare Ziel: die sozialistische Humanisierung, nicht durch
punkt der gegenwärtigen Menschheit kommt das Licht. Die Unzulängliches verdunkelt, durch Abwege bitter entfernt
deutsche Philosophie, von Hegel zu Marx, artikulierte es wird, können auch die objektiv geltenden Gesetze der dialek-
zuerst, die deutsche Philosophie hat sich dieser Verpflichtung tischen Entwicklung und ihrer ferneren Möglichkeit wirksam
wert zu halten.« leiten, glücklich fruktifiziert werden. In sich selbst als hof-
Ernst Bloch, Über den gegenwärtigen Stand der Philosophie, fende Hoffnung durchaus entschieden, muß doch der Ausgang
195° selber erst noch entschieden werden, in offener Geschichte, als
dem Feld objektiv-realer Entscheidung. Das ist die Kategorie
Auch das vermittelte Wünschen gibt nicht nach, entsagt nicht. der Gefahr oder der objektiven Ungarantiertheit auch der
Es verliert sich nicht aus den Augen, wie auch immer es er- vermittelten, der docta spes; es gibt noch keine unschwan-
schwert und verteuert wird. Es klebt am Gegebenen nicht kende Situationslosigkeit eines fixen Resultats. Es gibt noch
fest, sondern findet es passend, indem es das vorhandene keine im finsteren Sinn, dergestalt, daß Entscheidbarkeit,
Sichtbare sieht, nicht ganz daran zu - glauben. Dagegen die Novum, objektive Möglichkeit erloschen wären und nicht
subjektive Hoffnung, mit der gehofft wird, ist ihrer sicher jede verlorene Schlacht noch einmal besser ausgefochten wer-
den könnte. Aber es gibt auch noch keine Situationslosigkeit real-verhüllten Hauptsache kann gelichtet werden. Doch
in jenem hellen, ja allerhellsten Sinn, der Dasein ohne Ent- nicht eben durch voreilige Hypostasen und durch fixe Wesens-
fremdung, eindeutig gereiften, naturalisierten Wert bezeich- bestimmungen, die den Weg blockieren. Das Eigentliche oder
net. Optimismus ist daher nur als militanter gerechtfertigt, Wesen ist nichts fertig Vorhandenes wie Wasser, wie Luft,
niemals als ausgemachter; in letzterer Form wirkt er, dem wie Feuer, gar wie unsichtbare All-Idee, oder wie immer diese
Elend der Welt gegenüber, nicht bloß ruchlos, sondern Real-Fixa verabsolutiert oder hypostasiert lauteten. Das
schwachsinnig. Und ebenso wenig steht reale allerbeste Ent- Eigentliche oder Wesen ist dasjenige, was noch nicht ist, was
schiedenheit irgendwie oder irgendwo in einem hypostasier- im Kern der Dinge nach sich selbst treibt, was in der Tendenz-
ten Jenseits; gar als wäre dessen Ens perfectissimum ein Latenz des Prozesses seine Genesis erwartet; es ist selber erst
überseiend thronendes Ens realissimum. Solch vollendete fundierte, objektiv-reale Hoffnung. Und sein Name berührt
»Tatsache« höherer Ordnung, wie nicht nur die theistischen sich letzthin mit dem »In-Möglichkeit-Seienden« des Aristo-
Religionen, sondern auch metaphysische Idealismen sie an- telischen und weit über Aristoteles hinausgehenden Sinns,
setzen, stellt vielmehr pure Hypostase dar. Desto schlimmer, also mit dem scheinbar Ausgemachtesten, was es gibt: der
desto falscher, wenn alle bisherigen Philosophen, soweit sie Materie. Wäre doch gerade all ihr Tragen, Bedingen und
solch ferne Himmelsgegenden bedacht haben, von ihrem Gott, Werden ein sinnleerer Begriff, wenn dasjenige, was heraus-
ihrer Substanz, ihrem Absolutum gehandelt haben, als wäre kommen möchte und kann, bereits vorhanden wäre. Dies
hier ein Fixum, ein Definitum, gar ein Realissimum ohne- Noch-Nicht ist selbstverständlich nicht so, als wäre etwa im
gleichen und aller Prozeß lediglich Pädagogik zu solchem Atom oder an den subatomaren »Differentialien« der Materie
Fixum hin oder von ihm her. Zuverlässig ist zwar alles und alles, was später herauskommt oder noch herauskommen
vor allem das menschliche Leben eine Art Transcendere, eine wird, bereits der »Anlage« nach verkleinert vorhanden, wie
Überschreitung des Gegebenen, aber dieses Transcendere in- eingekapselt. Solch zurückgebliebene Auffassung des Noch-
volviert als konkret-utopisches ebenso zuverlässig keine Nicht würde gerade den dialektischen Sprung ins Neue unter-
Transzendenz. Diese selber wäre wieder eine fertige, eine schlagen oder nicht verstehen. Ebenso selbstverständlich findet
Gespenst-Gegebenheit, und so sicher das Gewissen konkreter sich in der dialektischen, zum Novum offenen Tendenz-
Utopie nicht positivistisch am Faktum unmittelbarer Sicht- Latenz des materiellen Prozesses kein vorgeordneter, also
barkeit klebt, noch sicherer verdampft es nicht an bloßen gleichfalls fertig gesetzter Zweck nach der Art der alten
Faktum-Hypostasen rein mythologischer Unsichtbarkeit. Teleologie, gar einer von oben herab mythologisch geleiteten.
Philosophie bewährt sich statt dessen als Expedition mit und Doch freilich ist mit dieser alten, auch an »Vorsehung« er-
in dem weitverzweigten, unabgeschlossenen Prozeß, als Mut innernden Teleologie nicht das echte Teleologieproblem selber
zu jener Ungarantiertheit, die Hoffnung genau an die Front diskreditiert, nicht die echte Kategorie des Ziels, dann Zwecks,
setzt. Nicht mit Unabgeschlossenheit als Schicksal, nicht mit dann Sinns weiterhin auskreisbar oder dogmatisch aus der
bloßer unendlicher Annäherung ans Ziel, wie sinnlich bei Welt geschafft. Desto weniger, als gerade die Tendenz ständig
Tantalus und moralisch bei Kant. Die unfertige Welt kann Zielbezogenheit impliziert; als ein Fortschritt ohne solchen
vielmehr zum Ende gebracht, der in ihr anhängige Prozeß Zielbezug weder gemessen werden noch objektiv-real vor-
kann zum Resultat gebracht, das Inkognito der in sich selber handen sein könnte; als eine Welt ohne betreibbare Planung
an und mit ihr, ohne betreibbare Ziele, Zwecke, Sinnhaftig- den In-Möglichkeit-Sein. Das Erblicken dieser Genesis ist das
keiten in ihr keinesfalls eine marxistische wäre. Wobei die Organ der Philosophie; der dialektisch gezielte, systematisch
Wahrheit der Teleologie nirgends also aus fertig vorhandenen offene Durchblick in die tendenzgestaltige Materie ist ihre
Zwecken besteht, vielmehr aus solchen, die sich im aktiven neue Form.
Prozeß erst bilden, immer neu darin entspringen und sich Das Morgen im Heute lebt, es wird immer nach ihm gefragt.
anreichern. Der Nerv des rechten historischen Begriffs ist und Die Gesichter, die sich in die utopische Richtung wandten,
bleibt das Novum, des rechten philosophischen das bessere waren zwar zu jeder Zeit verschieden, genauso wie das, was
Novum. Und der utopische Tenor in so vielen, wenn nicht sie darin im Einzelnen, von Fall zu Fall, zu sehen meinten.
den meisten Wesenslehren ist eben nur deshalb verdeckt, weil Dagegen die Richtung ist hier überall verwandt, ja in ihrem
die Zweck-Wahrheit aller Dinge als eine absolut schon seiende noch verdeckten Ziel die gleiche; sie erscheint als das einzig
und so komplett aufgezeigte dargestellt wurde. Diese Wahr- Unveränderliche in der Geschichte. Glück, Freiheit, Nicht-Ent-
heit als Angemessenheit der Dinge an sich selbst, dieses ihr fremdung, Goldenes Zeitalter, Land, wo Milch und Honig
erschöpfendes Wesen, ihre Grund-Essenz gilt dann auch von fließt, das Ewig-Weibliche, Trompetensignal im Fidelio und
hier aus als an und für sich fertig, klar, herausgebracht und das Christförmige des Auferstehungstags danach: es sind so
nur für die schwache Fassungskraft der Menschen noch ver- viele und verschiedenwertige Zeugen und Bilder, doch alle
hüllt. Aus den Proben aufs Exempel, die die einzelnen meta- um das her aufgestellt, was für sich selber spricht, indem es
physischen Wesensnamen darstellen mögen, wird so das noch schweigt. Die Richtung auf dies materiell und nicht nur
Exemplum selbst, aus den Experimenten ums Eigentliche logisch Einleuchtende muß invariant sein; das ist an jedem
wird schier fixe Ontologie, dazu noch eine höchst kontempla- Ort erkennbar, wo Hoffnung ihr Uberhaupt aufschlägt und
tiver Art. Der Betrachtungscharakter der meisten vormarxi- darin zu lesen versucht. Kein Zweifel allemal, und es wurde
stischen Philosophen konsumiert so eine höchste Vorhanden- auch keiner daran gelassen: eine unerhellte, ungelenkte Hoff-
heit, obwohl sie doch, mit viel polyphonem Licht, einzig erst nung führt leicht nur abseits, denn der wahre Horizont reicht
antizipierbar ist. Die Methode wird bei solch ontischer Hypo- nicht über die Erkenntnis der Realitäten, aber gerade diese
stase zum bloßen konsumierenden Weg, das Resultat zum Erkenntnis, wenn anders sie marxistisch ist und nicht mecha-
ohnehin kompletten Palast am Ende des Wegs, die Metaphy- nistisch, zeigt die Realität selber als eine - des Horizonts und
sik des Hen kai Pan zur fertigen Palastaufschrift. Unbekannt die informierte Hoffnung als eine dieser Realität gemäße.
ist dann nicht nur die Materie, sondern auch dort, wo diese Das Ziel insgesamt ist und bleibt noch verdeckt, das Uber-
bekannt ist, ihre wichtigste Wahrheit: Materie nach vorwärts haupt des Willens und der Hoffnung noch ungefunden, im
zu sein. Aber nicht nur Kunst, sondern erst recht Philosophie Agens des Existierens ist das Licht seiner Washeit, seines We-
hat jetzt bewußt das aktive Amt des Vor-Scheins und eben sens, seines intendierten Grundinhalts selber noch nicht auf-
des Vor-Scheins eines objektiv-realen Vorscheins als der Pro- gegangen, und doch steht das Nunc stans des treibenden
zeßwelt, realen Hoffnungswelt selber. Und sie bleibt einzig Augenblicks, des mit seinem Inhalt erfüllten Strebens uto-
in der Materie fundiert, als einer gewiß vielförmig bewegten pisch-deutlich voran. »Terminus«, sagt der unruhige Scho-
und nicht stereotypen; als dem ebenso gesetzhaft bedingenden lastiker Abälard, »est illa civitas, ubi non praevenit rem
Nach-Möglichkeit-Seienden wie dem substanzhaft eröffnen- desiderium nec desiderio minus est praemium«, Ziel ist jene
Gemeinschaft, wo die Sehnsucht der Sache nicht zuvorkommt, L'homme und Citoyen bei Marx
noch die Erfüllung geringer ist als die Sehnsucht. Das ist Sein
wie Hoffnung, Quid pro Quo, das heißt ein solches Was und
Wesen, daß die Intention darin aufgehoben werden mag.
Gerade aber auch das menschliche Vermögen zu solch abso- Vor Tische las man's anders, wie oft ist das wahr. Als sich
lutem Zielbegriff ist das Ungeheure in einem Dasein, wo das die bürgerliche Klasse noch nicht zur Macht gesetzt hatte,
Beste noch Stückwerk bleibt, wo jeder Zweck immer wieder war oder schien sie menschlich wie keine zuvor. Vertrat den
Mittel wird, um dem noch gänzlich unsichtigen, ja an und für freien Mann, die Kinder des Vaterlands, das allgemein
sich selbst noch unvorhandenen Grundziel, Endziel zu dienen. Menschliche zugleich. An dem freien Mann war ein Haken,
Marx bezeichnet als sein letztes Anliegen »die Entwicklung der nationale Sinn konnte nationalistisch werden, das Mensch-
des Reichtums der menschlichen Natur«; dieser menschliche liche immer allgemeiner. Was aber so rein zu beginnen schien
Reichtum wie der von Natur insgesamt liegt einzig in der und erst nachher, in der Ausführung, nachläßt, gar sich ver-
Tendenz-Latenz, worin die Welt sich befindet - vis-ä-vis de kehrt, das pflegt besonders nachzuleuchten, öfter wird in
tout. Mit diesem Blick also gilt: Der Mensch lebt noch überall anderen Fällen versucht, genau dort, am Anfang, neu zu be-
in der Vorgeschichte, ja alles und jedes steht noch vor Erschaf- ginnen, gleich als wäre alles dort noch recht gewesen. Und
fung der Welt, als einer rechten. Die wirkliche Genesis als läge insgesamt nur Abfall vom alten Kurs vor. Wird alles
ist nicht am Anfang, sondern am Ende, und sie beginnt erst nur dem später gekommenen zur Last gelegt, so wird auch
anzufangen, wenn Gesellschaft und Dasein radikal werden, nur dieses geprüft.
das heißt sich an der Wurzel fassen. Die Wurzel der Ge- Aber man las ja vor Tische gar nicht alles anders, auch nicht
schichte aber ist der arbeitende, schaffende, die Gegebenheiten vorliegenden Falls. Das muß genau um des angestrebten Erbes
umbildende und überholende Mensch. Hat er sich erfaßt und willen immer wieder festgehalten werden, auch am Bild des
das Seine ohne Entäußerung und Entfremdung in realer De- Citoyen. Was sich seines illusionshaften und doch noch mehr
mokratie begründet, so entsteht in der Welt etwas, das allen antizipierenden Bilds bediente, war die gleiche ökonomisch-
in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat. soziale Tendenz, die nachher den befreiten Bourgeois hervor-
brachte. Dessen ebenfalls, doch unvergleichbar anders und
düster progressives Wesen, diese bloße Freiheit des Erwerbs
bildete notwendig auch am Citoyenbild mit, mindestens an
seinem wichtigen Rahmen. Ja bereits 1791, als die Menschen-
rechte noch gläubig deklariert wurden, war in den Maien-
träumen, die nicht reiften, bereits ein Stück jenes Bourgeois,
das dann so gewaltig gereift ist. Das klarerweise, weil damals
der Bourgeois, als egoistische Triebkraft der industriellen
Produktion, und noch nicht der Citoyen, mit wirklicher Frei-
heit, Gleichheit, Brüderlichkeit, auf der ökonomischen Tages-
ordnung stand. Privateigentum ist daher einer der wesent-
liehen Inhalte der vier bürgerlichen Menschenrechte von 1791 glieds der bürgerlichen Gesellschaft, d. h. des egoistischen
gewesen: »propriete« regiert die »sürete«, die »resistance«. Menschen, des vom Menschen und vom Gemeinwesen getrenn-
Das Privateigentum bestimmte vor allem den Inhalt der Frei- ten Menschen... Der Mensch wurde daher nicht von der Reli-
heit, gemäß der Verfassung von 1793, Art. 16: »Das Eigen- gion befreit, er erhielt Religionsfreiheit. Er wurde nicht vom
tumsrecht ist dasjenige jedes Bürgers, willkürlich (a son gre) Eigentum befreit, er erhielt die Freiheit des Eigentums. Er
sein Vermögen, sein Einkommen, die Früchte seiner Arbeit wurde nicht von dem Egoismus des Gewerbes befreit, er er-
und seines Fleißes zu genießen und über sie zu verfügen.« hielt die Gewerbefreiheit.«1 Und weiter, in der Heiligen Fa-
All dieser Untergang am Citoyen entsprach bereits vor dem milie, 1845: »Eben das Sklaventum der bürgerlichen Gesell-
Thermidor dem kapitalistischen Interesse, sofern das Volk schaft ist dem Schein nach die größte Freiheit, weil die schein-
noch nicht den Boden abgab, worin die Blumen der wirklichen bar vollendete Unabhängigkeit des Individuums, welches die
Freiheit wurzelten, sofern das Volk also, wie Marx sagt, in zügellose, nicht mehr von allgemeinen Banden und nicht mehr
der Idee des Interesses der Französischen Revolution nicht die vom Menschen gebundene Bewegung seiner entfremdeten
Idee seines wirklichen Interesses besaß. Marx trennt derart Lebenselemente, wie z. B. des Eigentums, der Industrie, der
den egoistischen Inhalt der damaligen droits de l'homme Religion etc. für seine eigne Freiheit nimmt, während sie viel-
scharf von dem damaligen politischen, noch abstrakt-idea- mehr seine vollendete Knechtschaft und Unmenschlichkeit
listischen Idealbild des Citoyen. Der besondere Anlaß zur be- i s t . . . Welche kolossale Täuschung, die moderne bürgerliche
sonderen Schärfe dieser Trennung war durch den hochmütigen Gesellschaft, die Gesellschaft der Industrie, der allgemeinen
Unsinn Bruno und Edgar Bauers geliefert worden, die erklärt Konkurrenz, der frei ihre Zwecke verfolgenden Privatinter-
hatten, daß die »reine Idee« der Französischen Revolution essen, der Anarchie, der sich selbst entfremdeten natürlichen
durch die »unkritische Masse« verdorben worden sei. Marx und geistigen Individualität - in den Menschenrechten aner-
und Engels wiesen statt dessen auf den vollen Erfolg dieser kennen und sanktionieren zu müssen und zugleich die Lebens-
Revolution hin, als der Emanzipation des Bourgeois und der äußerungen dieser Gesellschaft hinterher an einzelnen Indi-
damals ökonomisch notwendigen Profitwirtschaft — ein Hin- viduen annullieren und zugleich den politischen Kopf dieser
weis, der eben nicht ohne scharfe Kritik an der Ideologie der Gesellschaft in antiker Weise bilden zu wollen.«2 Es sind das
Menschenrechte selber möglich war. Und in der Tat muß, über die gleichen Selbsttäuschungen, welche Marx später, sogleich
den so gegebenen besonderen Anlaß hinaus, jedes sozialistisch zu Beginn des Achtzehnten Brumaire, 1852, »weltgeschicht-
anzutretende Erbe ein kritisches sein, keines mit belorbeerter liche Totenbeschwörungen« nannte. Allerdings - und nun
Gipsfigur. Indem die bürgerlichen Freiheiten zunächst immer kommt aus der Prüfung das bedeutende Positivum, nicht die
noch mehr bürgerliche als Freiheiten sind, ist die Prüfung der Menschenrechte schlechthin, wohl aber die »Rechte des Cito-
Menschenrechte auf ihren ideologischen Inhalt ganz selbst- yen« betreffend - , allerdings nannte Marx im Beginn der
verständlich; und zunächst ergaben sich daraus sogar Vorsicht, gleichen Schrift die Selbsttäuschungen der Robespierres und
partiale Negation, Einschränkung. Derart erklärt Marx in vorher auch der Cromwells solche, »deren sie bedurften, um
der Schrift Zur Judenfrage, 1844, »daß die sogenannten Men- den bürgerlich beschränkten Inhalt ihrer Kämpfe sich selbst
schenrechte, die droits de l'homme im Unterschied von den
1 M E G A I, 1, S. 593.
droits du citoyen, nichts anderes sind als die Rechte des Mit- 2 MEGA I, 3, S. 291 ff.
zu verbergen und ihre Leidenschaft auf der Höhe der großen eigentum als bürgerliche Schranke in den Menschenrechten
geschichtlichen Tragödie zu halten«. Es galt also, »die neuen anzeigt, Freiheit, Widerstand des Volkes gegen Unterdrückung,
Kämpfe zu verherrlichen, . . . die gegebene Aufgabe in der Sicherheit als die anderen Anmeldungen des Rechten ab?
Phantasie zu übertreiben, . . . den Geist der Revolution wie- Durchaus nicht, wie sich von selbst versteht, er trieb vielmehr
derzufinden«. Den Geist der Revolution also: diesen hielten auf ihre weiterlaufende, durch kein Privateigentum verhin-
die »Rechte des Citoyen« fest, und er wird, wie Marx nun derte und wachsend vernichtete Konsequenz. Die Freiheit ist
gerade nach aller Kritik in der Schrift Zur Judenfrage ab- bei ihm so wenig kritisiert, daß so umgekehrt dasjenige Men-
schließend sagt, er wird verwirklicht, »erst wenn der wirk- schenrecht ist, durch dessen Glanz und Menschlichkeit Marx
liche individuelle Mensch den abstrakten Staatsbürger in sich das Privateigentum selbst kritisiert. Von daher gerade die
zurücknimmt. . . , erst wenn der Mensch seine >forces propres< Marxschen Konsequenzsätze: nicht Freiheit des Eigentums,
als gesellschaftliche Kräfte erkannt und organisiert hat und sondern vom Eigentum, nicht Freiheit des Gewerbes, sondern
daher die gesellschaftliche Kraft nicht mehr in der Gestalt der vom Egoismus des Gewerbes; nicht Emanzipation des ego-
politischen Kraft von sich trennt. «3 Der abstrakte Staatsbür- istischen Individuums von der bloßen Feudalgesellschaft, son-
ger, der vom »profanen Menschen« losgerissene, obwohl in dern Emanzipation aller von jeder Klassengesellschaft. Mit
ihm enthaltene, der abgehobene »wahre Mensch«, das ist der solcher Gründlichkeit wird also liberte statt propriete unter
Citoyen, doch eben: er ist es auch als die »politische Kraft«, den Menschenrechten endlich regierend, macht sich gegen Fa-
als der Träger der vergesellschafteten Freiheit. Wonach der schismus, auch gegen Diktatur als Selbstzweck aktuell und
Nebenmensch nicht mehr, wie im Egoismus der droits de wirklich. Folglich gelten mehr denn je die Kampfrechte auf
l'homme, als Schranke der Freiheit, sondern als deren Ver- Versammlungsfreiheit, Koalitionsfreiheit, Pressefreiheit,
wirklichung lebt. Trotzdem hat das Citoyenbild, bereits im Sicherheit, gelten die Widerstandsrechte der Werktätigen ge-
bürgerlichen Mutterleib sozusagen, einen Schaden empfangen, gen Ausbeutung und Unterdrückung. Im Programm des
der in der Folge nachwirkte, indem man ihn nicht original Sozialismus aber, wo Ausbeutung und Unterdrückung der
erkannte. Aber trotzdem wiederum wirkte sich das heile Werktätigen verschwunden sind, erfließen die Kampfrechte
Citoyenbild, ungeachtet andersartiger Quellen, gar verderb- nicht weniger rezent, doch positiv: als Rechte rücksichtslos
licher Verwalter, selbst noch als Phrase kritisch gegen sein sachlicher, praktisch eingreifender Kritik zum Zweck des
gekommenes Gegenteil aus, ja hatte, wie Hölderlin zeigt, sozialistischen Aufbaus, im Zielrahmen der Solidarität. Wo-
stets wieder Selbstreinigung in sich. nach Solidarität des Sozialismus bedeutet, daß der Mensch
in den Menschenrechten nun nicht mehr das egoistische Indi-
Von hier ab läßt Marx auch auf die Menschenrechte viel viduum darstelle, sondern das sozialistische, welches nach der
wärmeres Licht fallen. Er hat den bürgerlichen Klasseninhalt Marxschen Prophezeiung seine »forces propres« in gesell-
in ihnen aufgezeigt, mit unübertrefflicher Schärfe, doch schaftlich-politische verwandelt habe. Dergestalt, daß der
ebenso einen künftigen, der damals noch keinen Boden hatte. Citoyen aus dem abstrakt-moralischen Jenseits, welches er in
Er entdeckte das Privateigentum als regierend unter den an- der Ideologie der Französischen Revolution bewohnte, ins
deren Menschenrechten, doch diese anderen treten dadurch Diesseits der vergesellschafteten Menschheit zurückgeholt ist.
desto abgebrochener hervor. Lehnt Marx, wenn er das Privat- Überall aber soll es das gleiche Banner der Menschenrechte
3 A. a. O., S. $99.
sein, welches die Werktätigen als Widerstandsrecht in kapi- durch Übertreibung und Phantasie wiederzufinden galt. Und
talistischen Ländern erheben, welches sie in sozialistischen so verschieden die bisherigen Revolutionen an sozialem Auf-
durch Aufbau des Sozialismus, Kritikrecht, ja Kritikpflicht in trag waren, so sehr gerade die proletarisch-sozialistische, als
diesem Aufbau vorantragen. Sonst würde ja - contradictio in Aufhebung der Klassengesellschaft überhaupt, von jeder
adjecto - autoritärer Sozialismus gelten, indes doch die Inter- früheren sich abhebt, so geht doch durch alle Revolutionen
nationale das Menschenrecht erkämpft: organisierte Mündig- jene einheitliche, typische, zusammenhaltende Tendenz, wel-
keit. che selbst noch ihre Rückerinnerungen auf die Tendenz des
Noch ein anderes leuchtet damit an der alten Fahne, bürger- Sprungs zum Reich der Freiheit bezieht. Genau das Jako-
lich eher verspottet. Ist nichts Geringeres als die Leidenschaft, binertum war mindestens mit Antizipationen dieses Sprungs
fortzuschreiten, und der kluge Glaube, dem zu dienen. Die so verbunden, daß die Französische Revolution an Ort und
Freiheit führt das Volk - dieser Titel des Bildes von Delacroix Stelle schon, weit über die fällige Unternehmerbefreiung
bezeichnet schlechthin einen Weg nach vorwärts. Es bezeichnet hinaus, sozialistisch-humanistischen Fortschrittsinhalt mit
die Freiheit, welche im gleichen progressiven Akt vom Über- Konsequenzzwang nahe brachte. Der gleiche Marx, der den
alterten losreißt, zu neuen Ufern hinreißt, vor sich den Tag, kapitalistischen Auftrag in den Menschenrechten so durch-
hinter sich die Nacht. Das Uberalterte sind primär die zu schauend geprüft hat, bekundet in der Heiligen Familie, was
Fesseln gewordenen Produktionsverhältnisse, also lagen die sonst noch bei Jakobinern und ihren Folgen impliziert war:
neuen Ufer 1791 zunächst im Gebiet des emanzipierten egoi- »Von dieser Prüfung unangefochten, hat die Französische
stischen Individuums, der freien Konkurrenz, des offenen Revolution Ideen hervorgetrieben, welche über die Ideen des
Markts, kurz der kapitalistisch aufsteigenden Produktions- ganzen alten Weltzustandes hinausführen. Die revolutionäre
und Austauschweise. Die Bourgeoisie, eine an sich so wenig Bewegung, welche 1789 im Cercle social begann, in der Mitte
heroische Klasse, bedurfte dazu in verstärkter Weise der heroi- ihrer Bahn Leclerc und Roux zu ihren Hauptrepräsentanten
schen Illusionen in antikischer Manier. Aber was die Illu- hatte und endlich mit Babeufs Verschwörung für einen Augen-
sionen im Glauben der Jakobiner angeht, alle Unterdrück- blick unterlag, hatte die kommunistische Idee hervorgetrie-
ten befreien zu können, so wirkte darin durchaus anderes als ben, welche Babeufs Freund Buonarotti nach der Revolution
antikisierende Anleihe. Es wirkte die Vorwegnahme, als von 1830 wieder in Frankreich einführte. Diese Idee, konse-
Progreß-Aura um eine ungemein bessere Art von »Polis«, und quent ausgearbeitet, ist die Idee des neuen Weltzustandes . . .
das gab der Sache erst den moralischen Glanz, den die Eman- Wie der cartesische Materialismus in die eigentliche Natur-
zipation des dritten Stands (und sonst nichts) nirgends gehabt wissenschaft verläuft, so mündet die andere Richtung des
hätte. Dies Menscherirecht ist es, was Beethoven eine Brutus- französischen Materialismus direkt in den Sozialismus und
büste in sein Zimmer stellen ließ, was die Musik des Fidelio, Kommunismus. «4 In der alten Trikolore leuchtete also bereits
die neunte Symphonie dermaßen zur Rettung, zur Ankunft ein erhebliches Stück Rot, vom vierten Stand angemeldet, das
der Freude macht; - im Novum des damaligen Freiheits- Rot eines nicht reduzierbaren Fortschritts. Gegen die Ent-
kampfes lebte das Ultimatum der totalen Befreiung. All das mannung der Zeit gerichtet, gegen das Bündnis mit den »ur-
ist bei Marx bedeutet, wenn er vom »Geist der Revolution« alten Mächten des Lebens«, gesehen durch Adel und Kirche,
sprach, den es gegen »den bürgerlich beschränkten Inhalt«
4 A. a. O., S. 294 ff.
gegen einen Ziel-Nihilismus, worin das (Ja ira der Französi- Weltveränderung
schen Revolution gänzlich verhallt. Dagegen Marx hat nodi
am <Ja ira der damaligen naturrechtlichen Parolen ihren teils
oder die elf Thesen von Marx über Feuerbach
stationären, teils abstrakt-unbewegten Grundzug nur kriti-
siert, um ihn gerade durch weiteren Prozeß, als sozialistischen,
aufzuheben. Stationär war l'homme als »egoistischer Mensch, Karl Marx:
als der vom Menschen und Gemeinwesen getrennte«; abstrakt Thesen über Feuerbach
unbewegt war le citoyen als bloßes abgehobenes Idealgebilde
in neuantiker Polis, als »allegorische, moralische Person« statt i.
als Träger der gesellschaftlichen Freiheit. Und der weiter- Der Hauptmangel alles bisherigen Materialismus (den Feuer-
lebende Fortschritt ist, daß genau das politisch-Citoyenhafte: bachschen mit eingerechnet) ist, daß der Gegenstand, die
Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit in die »forces propres« der Wirklichkeit, Sinnlichkeit nur unter der Form des Objekts
lebenden Menschen eintrete; dann erst, sagt Marx, »ist die oder der Anschauung gefaßt wird; nicht aber als sinnlich-
menschliche Emanzipation vollbracht«. Wonach eben der menschliche Tätigkeit, Praxis, nicht subjektiv. Daher die
Nebenmensch nicht mehr, wie im Egoismus der droits de tätige Seite abstrakt im Gegensatz zu dem Materialismus von
l'homme, als Schranke der Freiheit, sondern als deren Kom- dem Idealismus - der natürlich die wirkliche, sinnliche Tätig-
munität lebt. keit als solche nicht kennt - entwickelt. Feuerbach will sinn-
liche - von den Gedankenobjekten wirklich unterschiedene
Objekte: aber er faßt die menschliche Tätigkeit selbst nicht als
gegenständliche Tätigkeit. Er betrachtet daher im Wesen des
Christentums nur das theoretische Verhalten als das echt
menschliche, während die Praxis nur in ihrer schmutzig-jüdi-
schen Erscheinungsform gefaßt und fixiert wird. Er begreift
daher nicht die Bedeutung der »revolutionären«, der prak-
tisch-kritischen Tätigkeit.
2.
Die Frage, ob dem menschlichen Denken gegenständliche
Wahrheit zukomme, ist keine Frage der Theorie, sondern eine
praktische Frage. In der Praxis muß der Mensch die Wahr-
heit, i. e. Wirklichkeit und Macht, Diesseitigkeit seines Den-
kens beweisen. Der Streit über die Wirklichkeit oder Nicht-
wirklichkeit des Denkens - das von der Praxis isoliert ist - ist
eine rein scholastische Frage.
3-
Die materialistische Lehre von der Veränderung der Um-
stände und der Erziehung vergißt, daß die Umstände von stumme, die vielen Individuen natürlich verbindende Allge-
den Menschen verändert und der Erzieher selbst erzogen wer- meinheit gefaßt werden.
den muß. Sie muß daher die Gesellschaft in zwei Teile - von 7-
denen der eine über ihn erhaben ist - sondieren. Feuerbach sieht daher nicht, daß das »religiöse Gemüt« selbst
Das Zusammenfallen des Änderns der Umstände und der ein gesellschaftliches Produkt ist und daß das abstrakte Indi-
menschlichen Tätigkeit oder Selbstveränderung kann nur als viduum, das er analysiert, einer bestimmten Gesellschaftsform
revolutionäre Praxis gefaßt und rationell verstanden werden. angehört.
4- 8.
Feuerbach geht von dem Faktum der religiösen Selbstent- Alles gesellschaftliche Leben ist wesentlich praktisch. Alle My-
fremdung, der Verdoppelung der Welt in eine religiöse und sterien, welche die Theorie zum Mystizismus veranlassen, fin-
eine weltliche, aus. Seine Arbeit besteht darin, die religiöse den ihre rationelle Lösung in der menschlichen Praxis und in
Welt in ihre weltliche Grundlage aufzulösen. Aber daß die dem Begreifen dieser Praxis.
weltliche Grundlage sich von sich selbst abhebt und sich ein 9-
selbständiges Reich in den Wolken fixiert, ist nur aus der Das Höchste, wozu der anschauende Materialismus kommt,
Selbstzerrissenheit und Sichselbstwidersprechen dieser welt- d. h. der Materialismus, der die Sinnlichkeit nicht als prak-
lichen Grundlage zu erklären. Diese selbst muß also in sich tische Tätigkeit begreift, ist die Anschauung der einzelnen
selbst sowohl in ihrem Widerspruch verstanden als praktisch Individuen und der bürgerlichen Gesellschaft.
revolutioniert werden. Also nachdem z. B. die irdische Fami- 10.
lie als das Geheimnis der heiligen Familie entdeckt ist, muß Der Standpunkt des alten Materialismus ist die bürgerliche
nun erstere selbst theoretisch und praktisch vernichtet werden. Gesellschaft, der Standpunkt des neuen die menschliche Ge-
5- sellschaft oder die gesellschaftliche Menschheit,
Feuerbach mit dem abstrakten Denken nicht zufrieden, will ii.
die Anschauung; aber er faßt die Sinnlichkeit nicht als prak- Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert;
tische menschlich-sinnliche Tätigkeit. es kömmt darauf an, sie zu verändern.
6.
Feuerbach löst das religiöse Wesen in das menschliche Wesen
auf. Aber das menschliche Wesen ist kein dem einzelnen Indi-
viduum innewohnendes Abstraktum. In seiner Wirklichkeit Das Denken nach vornhin ist seit langem angesagt und zu
ist es das Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse. hören. Nur die Feigen reden sich aus allem heraus, und die
Feuerbach, der auf die Kritik dieses wirklichen Wesens nicht Lügner bleiben allgemein. Nur sie verstecken sich in weiten
eingeht, ist daher gezwungen: oder spinösen Gewändern, suchen immer woanders zu sein als
1. Von dem geschichtlichen Verlauf zu abstrahieren und das dort, wo man sie ertappt. Aber das Wahre kann überhaupt
religiöse Gemüt für sich zu fixieren und ein abstrakt-wo/zert- nicht genug bestimmt sein, auch dann und gerade dann, wenn
menschliches Individuum vorauszusetzen. die Sache vor dem Blick noch dämmert. Durch diesen frühen
2. Das Wesen kann daher nur als »Gattung«, als innere, Spürsinn fürs Wesentliche gelangen bereits dem neunzehn-
jährigen Marx, im erhaltenen Brief an seinen Vater, scharf Wie bekannt, hatte diese so »humanistische« wie »naturalisti-
gefaßte Hauptsätze schlechthin. Diese Art will von Anfang sche« Absage an Hegel (mit Mensch als Hauptgedanke, Natur
an in den Kern der Sache, verspielt sich nirgends ins Unnütze, statt Geist als Prius) auf den jungen Marx einen starken Ein-
wirft es, sobald es erkannt ist, sogleich ab. So ist sie fähig, bei fluß. Feuerbachs Das Wesen des Christentums, 1841, seine
allem breit Erblickten, lang Durchdachten, das hinzukommt, Vorläufigen Thesen zur Reform der Philosophie, 1842, auch
jederzeit wieder in Form zu sein, zuschlagend und pointie- noch seine Grundsätze der Philosophie der Zukunft, 1843,
rend. Das Erfaßte, das sich so zu fassen versteht, zeigt die wirkten desto befreiender, als auch die linke Hegelschule von
Pointen auf dem Weg. Mit und an ihnen schärft sich nun der Hegel nicht loskam, vielmehr über eine lediglich innerhegel-
Zug nach vorwärts, damit ihm selbst mögliche Umschweife sche Kritik am Meister des Idealismus nicht hinausging. »Die
noch dienen. Freilich auch ist dies Weisende, in seiner Folge, Begeisterung«, sagt Engels im Ludwig Feuerbach noch an die
nicht immer so rasch überblickbar, wie es, in seiner Kürze, fünfzig Jahre später, rückblickend, »war allgemein: wir wa-
zitierbar ist. Denn bedeutende Kürze ist zusammenhängend, ren alle momentan Feuerbachianer. Wie enthusiastisch Marx
darum ist ihr Wort am wenigsten schnell fertig. die neue Auffassung begrüßte, und wie sehr er - trotz aller
kritischen Vorbehalte - von ihr beeinflußt wurde, kann man
in der >Heiligen Familie< lesen.«1 Die deutsche Jugend von
damals glaubte statt Himmel endlich Land zu sehen, mensch-
Zeit der Abfassung
lich, diesseitig.
So muß sich der Verstand an solchen Sätzen immer wieder Indessen hat sich Marx von diesem allzu vagen diesseitigen
neu bewähren. Das nirgends frischer als an der gedrängten Menschsein recht bald gelöst. Die Tätigkeit an der Rheinischen
Sammlung gedrängtester Weisungen, die als die Elf Thesen Zeitung hatte ihn in weit engeren Kontakt mit politischen
über Feuerbach bekannt sind. Marx hat sie im April 184$ in und ökonomischen Fragen gebracht, als die Links-Hegelianer,
Brüssel niedergeschrieben, höchst wahrscheinlich im Zug der aber auch Feuerbachianer besaßen. Eben dieser Kontakt führte
Vorarbeit zur Deutschen Ideologie. Veröffentlicht wurden Marx von der Kritik der Religion, auf die Feuerbach sich be-
die Thesen erst 1888 durch Engels, als Anhang zu dessen schränkte, wachsend zur Kritik des Staats, ja bereits der
Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen gesellschaftlichen Organisation, die - wie die Kritik der
Philosophie. Hierbei hat Engels den zuweilen nur skizzierten Hegeischen Staatsphilosophie 1841-1843 erkennt - die Form
Text von Marx stilistisch leicht redigiert, selbstredend ohne des Staats bestimmt. In Hegels Unterscheidung zwischen bür-
die leiseste inhaltliche Veränderung. Engels schreibt in der gerlicher Gesellschaft und Staat, von Marx pointiert, steckte
Vorbemerkung zu seinem Ludwig Feuerbach über die Thesen: schon selber mehr ökonomisches Bewußtsein als bei seinen
»Es sind Notizen für spätere Ausarbeitung, rasch hingeschrie- Epigonen, auch bei Feuerbachianern. Die Ablösung von
ben, absolut nicht für den Druck bestimmt, aber unschätzbar Feuerbach geschah hochachtungsvoll und zunächst nur wie
als das erste Dokument, worin der geniale Keim der neuen eine Korrektur oder gar bloße Ergänzung, doch der gänzlich
Weltanschauung niedergelegt ist.« Feuerbach hatte vom rei- andere, der gesellschaftliche Blickpunkt ist von Anfang an
nen Gedanken auf die sinnliche Anschauung, vom Geist auf klar. Am 13. März 1843 schreibt derart Marx an Rüge:
den Menschen, samt der Natur als seiner Basis, zurückgerufen. 1 Ludwig Feuerbach, Berlin 1946, S. 14.
»Feuerbachs Aphorismen sind mir nur in dem Punkt nicht selber als den Quell dieser stärksten und letzten Entfremdung.
recht, daß er zu sehr auf die Natur und zu wenig auf die Statt des Feuerbachschen Gattungsmenschen, mit seiner gleich-
Politik hinweist. Das ist aber das einzige Bündnis, wodurch bleibenden abstrakten Natürlichkeit, erschien nun deutlich ein
die jetzige Philosophie eine Wahrheit werden kann.«2 Die historisch wechselndes Ensemble gesellschaftlicher Verhältnisse
ökonomisch-philosophischen Manuskripte, 1844, enthalten und vor allem: ein klassenmäßig antagonistisches. Die Ent-
noch eine bedeutende Feier Feuerbachs, freilich als Gegensatz fremdung freilich umfaßte beide: die Ausbeuterklasse wie
zur Hirnweberei Bruno Bauers; sie rühmen so unter Feuer- die der Ausgebeuteten, vor allem im Kapitalismus, als der
bachs Taten vor allem die »Gründung des wahren Materialis- stärksten Form dieser Selbstentäußerung, Verobjektivierung.
mus und der reellen Wissenschaft, indem Feuerbach das »Aber«, sagt die Heilige Familie, »die erste Klasse fühlt sich
Verhältnis >des Menschen zum Menschen< ebenso zum Grund- in dieser Selbstentfremdung wohl und bestätigt, weiß die
prinzip der Theorie macht.«' Doch sind die ökonomisch- Entfremdung als ihre eigene Macht und besitzt in ihr den
philosophischen Manuskripte bereits viel weiter, als sie Schein einer menschlichen Existenz; die zweite fühlt sich
aussprechen, über Feuerbach hinaus. Das Verhältnis »des in der Entfremdung vernichtet, erblickt in ihr ihre Ohnmacht
Menschen zum Menschen« bleibt in ihnen kein abstrakt- und die Wirklichkeit einer unmenschlichen Existenz.«' Was
anthropologisches überhaupt, wie bei Feuerbach, vielmehr eben die jeweils arbeitsteilige, klassenhafte Produktion und
dringt die Kritik der menschlichen Selbstentfremdung (von Austauschweise, zuhöchst die kapitalistische, als den endlich
der Religion auf den Staat übertragen) bereits zum ökonomi- entdeckten Quell der Entfremdung erwies. Spätestens von
schen Kern des Entfremdungsvorgangs. Das nicht zuletzt in 1843 ab war Marx Materialist; die Heilige Familie hat 1844
den großartigen Partien über die Hegeische Phänomenologie, die materialistische Geschichtsauffassung geboren, mit ihr den
in denen die geschichtsbildende Rolle der Arbeit kenntlich wissenschaftlichen Sozialismus. Und die Elf Thesen, zwischen
gemacht wird, in denen Hegels Werk daraufhin interpretiert der >Heiligen Familie< von 1844/45 und der >Deutschen
wird. Zugleich aber kritisieren die »ökonomisch-philosophi- Ideologie< von 1845/46 entstanden, stellen so den formulier-
schen Manuskripte« dieses Werk, weil es die menschliche Ar- ten Abschied von Feuerbach dar, zusammen mit höchst origi-
beitstätigkeit nur als geistige, nicht als materielle auffaßt. nalem Erbantritt. Politisch-empirische Erfahrung aus der
Der Durchbruch zur politischen Ökonomie, also weg von rheinischen Zeit plus Feuerbach haben Marx gegen den
Feuerbachs allgemeinem Menschen, vollzieht sich in dem »Geist« und wieder »Geist« der linken Hegelschule immun
ersten zusammen mit Engels unternommenen Werk, in der gemacht. Der bezogene Standpunkt des Proletariats hat Marx
Heiligen Familie, ebenfalls 1844. Die ökonomisch-philoso- ursächlich-konkret, also wahrhaft (aus dem Fundament) hu-
phischen Manuskripte enthielten bereits den Satz: »Arbeiter manistisch werden lassen.
selbst ein Kapital, eine Ware«*», wonach also vom Feuerbach- Wie sich von selbst versteht, ist der Abschied hier kein völliger
schen Menschsein hier nichts übrigbleibt als seine Negation im Bruch. Beziehungen zu Feuerbach gehen durch weite Teile des
Kapitalismus; die Heilige Familie notierte den Kapitalismus Marxschen Werks, auch nach dem Abschied der Elf Thesen.
Am nächsten steht dem verlassenen Land, schon aus zeitlichen
2 MEGA I, 1/2, S. 308.
3 MEGA I, 3, S. 152.
Gründen, die den Thesen unmittelbar nachfolgende Deutsche
4 A. a. O., S. 103. 5 MEGA I, 3, S. 206.
Ideologie. Manche kritische Fassung der Thesen kehrt in ihr schichte eben dauernd auseinandergefallen, trotz aller »An-
wieder, wobei freilich die Kritik an Feuerbach und die mörde- thropologie«. Hierbei bleibt aber Feuerbach für Marx stets
rische Erledigung schlechter Hegelepigonen sich hier sehr bedeutend, sowohl als Durchgang wie als der einzige zeit-
unterscheiden. Feuerbach gehörte noch zur bürgerlichen Ideo- genössische Philosoph, mit dem eine Auseinandersetzung
logie, also mußte die Auseinandersetzung mit ihren schein- überhaupt möglich, klärend und fruchtbar ist. Die Grund-
radikalen Zerfallserscheinungen, wie Bruno Bauer und Stir- gedanken, auf die Marx derart kritisch reagiert, über die er
ner, auch ihn in die Deutsche Ideologie verwickeln. Doch so, produktiv wegschreitet, stehen wesentlich in Feuerbachs
daß der Philosoph stellenweise noch selber den Griff der Hauptschrift Das Wesen des Christentums, von 1841. Weiter
konsequenten Waffe lieferte, mit der Marx auch gegen ihn, kommen in Betracht Feuerbachs Vorläufige Thesen zur Re-
vor allem aber gegen die Linkshegelianer dreinfuhr. Dem- form der Philosophie, von 1842, und die Grundsätze der
gemäß beginnt die Deutsche Ideologie grundlegend mit dem Philosophie der Zukunft, von 1843. Die früheren Schriften
Namen Feuerbach und kritisiert, von seiner Religionskritik des Philosophen dürften für Marx kaum Bedeutung gehabt
ausgehend, die lediglich inneridealistische »Überwindung« des haben, da Feuerbach mindestens bis 1839 zu unoriginell war,
Idealismus. »Keinem von diesen Philosophen ist es eingefal- zu sehr unter Hegels Einfluß stand. Erst von da ab hat Feuer-
len, nach dem Zusammenhange der deutschen Philosophie mit bach den Hegeischen Begriff der Selbstentfremdung auf die
der deutschen Wirklichkeit, nach dem Zusammenhange ihrer Religion angewandt. Erst von da ab sagte der frühere He-
Kritik mit ihrer eigenen materiellen Umgebung zu fragen.«6 gelianer, sein erster Gedanke sei Gott gewesen, sein zweiter
Marx betont auf der anderen Seite jedoch Feuerbachs »großen Vernunft, sein dritter und letzter sei der Mensch. Das heißt:
Vorzug vor den >reinen< Materialisten, daß er einsieht, wie so wie die Hegeische Vernunftphilosophie den Kirchenglauben
auch der Mensch sinnlicher Gegenstand< ist«. In der Tat ist überwunden habe, so setze nun die Philosophie den Menschen
mit der angegebenen Anerkennung genau so die Wichtigkeit (mit Einschluß der Natur als seiner Basis) an Hegels Statt.
Feuerbachs für die Heranbildung des Marxismus bezeichnet Bei alldem aber konnte Feuerbach den Weg nicht finden zur
wie mit der Kritik an seinem abstrakten, geschichtslosen Wirklichkeit; gerade das Wichtigste an Hegel: die historisch-
Menschwesen das Un-, ja Anti-Feuerbachsche des ausgebilde- dialektische Methode warf er fort. Erst die Elf Thesen wur-
ten Marxismus selbst. Die Anerkennung sagt: ohne den Men- den die Wegweiser aus bloßem Anti-Hegel in die veränder-
schen als ebenfalls »sinnlichen Gegenstand« wäre Mensch- bare Wirklichkeit, aus dem Materialismus der Etappe in den
liches als Wurzel aller gesellschaftlichen Dinge sehr viel der Front.
schwerer materialistisch herausgearbeitet worden. Feuerbachs
anthropologischer Materialismus bezeichnet so den erleichtert
möglichen Übergang vom bloß mechanischen Materialismus Frage der Gruppierung
zum historischen. Die Kritik sagt: ohne die Konkretisierung
des Menschlichen zu wirklich existierenden, vor allem ge- Eine alte und neue Frage ist, wie die Thesen geordnet werden
sellschaftlich tätigen Menschen, mit wirklichen Verhältnissen müssen. Denn so, wie sie dastehen, zur Selbstverständigung,
zueinander und zur Natur, wären Materialismus und Ge- nicht für den Druck bestimmt, überschneiden sie sich mehr-
6 MEGA I, j, S. io. fach. Bringen auch den gleichen Inhalt an anderer Stelle,
machen den Einteilungs- und Abfolgegrund nicht überall sich nicht nur die Geister endgültig scheiden, sondern mit
sichtbar. Bedürfnisse des Unterrichts haben daher mancherlei dessen Gebrauch sie aufhören, nichts als Geister zu sein
Versuche gezeitigt, die Thesen nach ihrer Zusammengehörig- (These 11). Sachgemäß wird die erkenntnistheoretische Grup-
keit umzuordnen und sie so in Gruppen zu gliedern. Dabei pe mit These 5 eröffnet, die anthropologisch-historische mit
wird zuweilen versucht, die Nummernabfolge bestehen zu These 4; denn diese Thesen bezeichnen die beiden Grundleh-
lassen, gleich als wären die Elf Thesen hintereinander, in Reih ren Feuerbachs, die Marx relativ anerkennt, und über die er
und Glied subsumierbar. Solch nummerntreue Gruppierung in den übrigen Thesen der jeweiligen Gruppen hinausgeht.
sieht etwa folgendermaßen aus: Thesen I, 2, 3 stehen unter: Die übernommene Grundlehre ist in These 5 die Abkehr vom
Einheit von Theorie und Praxis im Denken, Thesen 4 und 5 abstrakten Denken, in These 4 die Abkehr von der mensch-
unter: Verständnis der Wirklichkeit in Widersprüchen, The- lichen Selbstentfremdung. Und entsprechend dem ersten
sen 6, 7, 8, 9 unter: Die Wirklichkeit selber in Widersprüchen, Grundzug der materialistischen Dialektik, dessen Abbildung
Thesen 10, 11 unter: Ort und Aufgabe des dialektischen sich hier anmeldet, besteht zwischen den einzelnen Thesen
Materialismus in der Gesellschaft. Das ist die Ordnung nach innerhalb der jeweiligen Gruppe freie, sich ergänzende Be-
Ziffern; indem es noch mehrere solcher gibt und inhaltlich wegung der Stimmen; so wie zwischen den Gruppen selber
ganz verschiedene, ergibt sich, wie wenig der bloße Stellen- ständige Wechselbeziehung geschieht, ein zusammenhängendes
wert der Zahlen hier lehrt. Jede solcher Ordnungen behandelt einheitliches Ganzes.
die Reihenfolge einerseits zu hoch, indem sie sie ewig ein-
gegraben sein läßt, wie im Zwölftafelgesetz oder in den
Zehn Geboten, andererseits behandelt sie sie so niedrig und Erkenntnistheoretische Gruppe: Die Anschauung und Tätigkeit
formalistisch, als ob sie eine Briefmarkenserie wäre. Nume- Thesen j, 1, 3
rierung aber ist nicht Systematik, und am wenigsten hat Marx
diesen Ersatz nötig. Daher also muß philosophisch, nicht Anerkannt wird hier, daß auch denkend nur vom Sinnlichen
arithmetisch gruppiert werden, das heißt, die Reihenfolge der auszugehen ist. Die Anschauung, nicht der von ihr nur abge-
Thesen ist einzig die ihrer Themen und Inhalte. Es gibt, so- zogene Begriff ist und bleibt der Anfang, an dem jedes mate-
weit zu sehen ist, noch keinen Kommentar zu den Elf Thesen; rialistische Erkennen sich ausweist. Daran hatte Feuerbach in
erst mit ihm aber, als aus der gemeinsamen Sache selber ge- einer Zeit erinnert, wo noch jede akademische Straßenecke
schehend, geht auch der sich fortproduzierende Zusammen- von Geist, Begriff und wieder Begriff widerklang. These j
hang ihrer Kürze wie Tiefe auf. Dann erscheint: Erstens die betont dieses Verdienst: Feuerbach ist mit dem Kopfwesen
erkenntnistheoretische Gruppe, Anschauung und Tätigkeit »nicht zufrieden«, er will die Füße auf dem angeschauten
betreffend (Thesen 5, 1, 3); zweitens die anthropologisch- Boden. Aber These 5, sodann vor allem These 1 machen zu-
historische Gruppe, Selbstentfremdung, ihre wirkliche Ursache gleich kenntlich, daß bei betrachtender Sinnlichkeit, wie
und den wahren Materialismus betreffend (Thesen 4, 6, 7, Feuerbach sie einzig kennt, die Füße noch nicht gehen können
9, 10); drittens die zusammenfassende oder Theorie-Praxis- und der Boden selber ungangbar bleibt. Der so Anschauende
Gruppe, Beweis und Bewährung betreffend (Thesen 2, 8). Zu- versucht auch gar keine Bewegung, er bleibt im Stand des
letzt erfolgt die wichtigste These, als das Losungswort, woran bequemen Genießens. Daher lehrt These 5: bloßes Anschauen
»faßt die Sinnlichkeit nicht als praktische, als menschlich-
kenntlich macht und die Basis selber aktiviert. Das sowohl
sinnliche Tätigkeit«. Und These i wirft dem ganzen bisheri-
moralisch, in Gestalt eines sogenannten Arbeitsethos, wie er-
gen Materialismus vor, daß die Anschauung nur »unter der
kenntnistheoretisch, in Gestalt eines Begriffs der Tätigkeit,
Form des Objekts« gefaßt wird, »nicht aber als menschliche
eines Arbeitslogos in der Erkenntnis. Das Arbeitsethos, vor-
sinnliche Tätigkeit, Praxis, nicht subjektiv«. Daher geschah
züglich von den Calvinisten zwecks Kapitalsbildung gepre-
es, daß die tätige Seite, im Gegensatz zum Materialismus,
digt, diese kapitalistische vita activa setzte sich gegen die
»vom Idealismus entwickelt wurde - aber nur abstrakt, da
aristokratische Muße ab, auch gegen die vita contemplativa
der Idealismus natürlich die wirkliche sinnliche Tätigkeit als
der beschaulichen, mönchisch-gelehrten Existenz. Parallel
solche nicht kennt«. An Stelle der untätigen Betrachtung,
unterschied sich der Arbeitslogos in der Erkenntnis, dieser
worin aller bisherige Materialismus, einschließlich des Feuer-
vorzüglich im bürgerlichen Rationalismus übersteigerte Be-
bachschen, verharrt, tritt so der Faktor menschliche Tätigkeit.
griff des »Erzeugens«, von dem antiken wie noch scholasti-
Und das bereits innerhalb des sinnlichen, also unmittelbaren,
schen Erkenntnisbegriff des bloßen Empfangens: der Schau,
als grundlegend-anfangenden Wissens: Sinnlichkeit als Kennt-
der visio, der passiven Abbildung. Wie sie im Begriff der
nis, als wirkliche Basis der Erkenntnis ist so keineswegs das-
»Theoria« selber erhalten ist, gemäß dem ursprünglichen
selbe wie (kontemplative) Anschauung. Der von Marx nun
Schau-Sinn des Worts. Auch Piaton ist derart am Ende, cum
in These i derart betonte Begriff Tätigkeit stammt eben aus
grano salis, empfangender Sensualist; denn wie immer ideal
der idealistischen Erkenntnistheorie, und zwar nicht aus der
und wie immer rein auf Ideen bezogen sich seine Schau gibt,
idealistischen schlechthin, sondern erst aus der in bürgerlicher
so ist sie doch eben wesenhaft rezeptive Schau, und der Denk-
Neuzeit entwickelten. Denn dieser Begriff setzt eine Gesell-
vorgang wird durchgehends entsprechend der sinnlichen An-
schaft als Basis voraus, wo die herrschende Klasse sich selber
schauung gefaßt. Nun aber steht selbst Demokrit, also der
in Tätigkeit, also Arbeit sieht oder sehen möchte. Das aber ist
erste große, ja der bis Marx tonangebende Materialist, eben-
erst in der kapitalistischen Gesellschaft der Fall, sofern hier
falls in dieser arbeitsfremden, den Arbeitsvorgang nicht re-
die Arbeit, soll heißen: der Arbeitsschein um die herrschende
flektierenden Ideologie. Auch Demokrit faßt die Erkenntnis
Klasse, zum Unterschied von allen vorbürgerlichen Gesell-
nur als passive; das Denken, wodurch bei ihm das wahrhaft
schaften nicht mehr schändet, sondern geehrt wird. Das aus
Wirkliche erkannt wird, das Wirkliche der Atome samt ihrem
Notwendigkeit des Profits, der in dieser Profitgesellschaft sich
Mechanismus, wird hier einzig durch den Eindruck, entspre-
entfesselnden Produktivkräfte. Die in der antiken Sklaven-
chender Bilderchen (eidola) erklärt, die von der Oberfläche
halter-, auch in der feudalen Leibeigenengesellschaft verach-
der Dinge sich ablösen und in den Wahrnehmend-Erkennen-
tete Arbeit (sogar die Bildhauer zählten in Athen zu den
den einfließen. Im Punkt erkenntnistheoretische Nicht-Tätig-
Banausen) reflektiert sich selbstverständlich auch in den Ge-
keit ist zwischen Piaton und Demokrit mithin gar kein
danken der herrschenden Klasse nicht, gänzlich eben zum
Unterschied; beide Erkenntnistheorien eint die Sklavenhalter-
Unterschied von der Ideologie des Unternehmers, des Bour-
gesellschaft, das ist hier: die Abwesenheit der verachteten
geois, des sogenannten homo faber. Dessen in der Neuzeit
Arbeitstätigkeit im philosophischen Überbau. Und nun: das
freiwerdende, die bürgerliche Neuzeit bildende, noch lange
Paradox erscheint, daß der Rationalismus, der Idealismus der
fortschrittliche Profitdynamik sich auch im Überbau durchaus
Neuzeit, der sich von Piaton oft weit entfernt hat, viel stärker
den Arbeitsvorgang erkenntnistheoretisch reflektierte als der schauenden Materialismus, bis Feuerbach einschließlich: dem
Materialismus der Neuzeit, der sich von seinem antiken bisherigen Materialismus fehlt die dauernd oszillierende Sub-
Stammvater Demokrit ja nie so weit entfernt hat. Der ruhend jekt-Objekt-Beziehung, die Arbeit heißt. Daher eben faßt er
abbildende Spiegel, diese Auslassung des Arbeitsbegriffs, ist den Gegenstand, die Wirklichkeit, Sinnlichkeit nur »unter der
derart, bis Feuerbach einschließlich, materialistisch häufiger Form des Objekts«, mit Auslassung der »menschlich-sinnlichen
als das Pathos der »Erzeugung«, gar der dialektischen Wech- Tätigkeit«. Hegels Phänomenologie dagegen stand, wie Marx
selabbildung von Subjekt-Objekt, Objekt-Subjekt aufeinan- sagt, »auf dem Standpunkt der modernen Nationalökono-
der. Unter den neueren Materialisten lehrt einzig Hobbes mie«.8 Feuerbach aber stand erkenntnistheoretisch noch auf
rationale »Erzeugung«, mit dem Grundsatz, der bis zu Kant dem Standpunkt der Sklavenhaltergesellschaft oder auch der
gilt: Nur solche Gegenstände sind erkennbar, die mathema- Leibeigenschaft, wegen des Nicht-Tätigen, noch Betrachteri-
tisch konstruierbar sind. Doch so sehr Hobbes mittels dieses schen in seinem Materialismus.
Grundsatzes die Philosophie gerade als Lehre von der mathe- Dabei macht Marx selbstverständlich klar, daß die bürger-
matisch-mechanischen Bewegung der Körper, mithin als liche Tätigkeit noch keine ganze, rechte ist. Sie kann das nicht
Materialismus definieren konnte, so wenig kam er doch auch sein, weil sie eben nur Arbeitsschein ist, weil die Werterzeu-
seinerseits über die von Marx gerügte »Form des Objekts«, gung nie vom Unternehmer, sondern vom Bauern, Handwer-
nämlich über bloß kontemplativen Materialismus hinaus. Ein ker, zuletzt Lohnarbeiter ausgeht. Und weil der abstrakte,
anderes geschah innerhalb des Idealismus dort, wo die »Er- verdinglichte, unübersichtliche Warenumlauf auf freiem Markt
zeugung« aus der geometrischen Konstruktion in die wirkliche gar nichts anderes als ein letzthin passives, äußerliches, ab-
Arbeitsgestalt der historischen Genesis überging. Das gelang straktes Verhältnis zu ihm zuließ. Deshalb betont These 1:
entschieden erst bei Hegel; erst die »Phänomenologie des auch der erkenntnistheoretische Reflex der Tätigkeit konnte
Geistes« machte mit der Dynamik des erkenntnistheoretischen nur ein abstrakter sein, »da der Idealismus natürlich die wirk-
Arbeitsbegriffes immerhin historisch-idealistischen Ernst. Die- liche, sinnliche Tätigkeit als solche nicht kennt«. Jedoch auch
ser lag auch weit über dem bloß mathematisch-lAezlistisdatn der bürgerliche Materialist Feuerbach, der vom abstrakten
»Erzeugungs«-Pathos, wie es bei den großen Rationalisten Denken weg will, der statt verdinglichter Gedanken wirkliche
der Manufakturperiode, bei Descartes, Spinoza, Leibniz, in Gegenstände sucht, läßt die menschliche Tätigkeit aus diesem
ihren Halb- oder Ganz-Idealismus hineingewirkt hatte. Kein wirklichen Sein aus; er faßt sie »selbst nicht als gegenständ-
besserer Zeuge für diese Bedeutung der Hegeischen Phäno- liche Tätigkeit«. Das wird in der Einleitung zur Deutschen
menologie, der von Feuerbach überhaupt nicht verstandenen, Ideologie schlagend weiter ausgeführt: »Feuerbach spricht
als Marx in den ökonomisch-philosophischen Manuskripten: namentlich von der Anschauung der Naturwissenschaft, er
die Größe der Phänomenologie wird von Marx eben darin erwähnt Geheimnisse, die nur dem Auge des Physikers und
gesehen, daß sie »das Wesen der Arbeit faßt und den gegen- Chemikers offenbar werden; aber wo wäre ohne Industrie
ständlichen Menschen, wahren, weil wirklichen Menschen, als und Handel die Naturwissenschaft? Selbst diese >reine< Natur-
Resultat seiner eigenen Arbeit begreift«/ Dieser Satz also wissenschaft erhält ja ihren Zweck sowohl wie ihr Material
erläutert aufs beste das angegebene Manko des bloß an- erst durch Handel und Industrie, durch sinnliche Tätigkeit
7 A. a. O., S. 156. 8 A. a. O., S. 157.
der Menschen. So sehr ist die Tätigkeit, dieses fortwährende tungsgemäß ein Wechselbegriff ist, der nicht gälte, wenn es
sinnliche Arbeiten und Schaffen, diese Produktion die Grund- kein Subjekt gäbe, dem allein etwas gegeben wird oder
lage der ganzen sinnlichen Welt, daß, wenn sie auch nur für gegeben sein kann, ist in der Welt, die die Umgebung der
ein Jahr unterbrochen würde, Feuerbach eine ungeheure Ver- Menschen ausmacht, kaum ein Gegebenes, das nicht ebenso
änderung nicht nur in der natürlichen Welt vorfinden, sondern ein Bearbeitetes wäre. Marx spricht daher vom »Material«,
auch die ganze Menschenwelt und sein eigenes Anschauungs- wie es die Naturwissenschaft ja erst durch Handel und Indu-
vermögen, ja seine eigene Existenz sehr bald vermissen würde. strie erhält. In der Tat zeigt nur die Oberflächenbetrachtung
Allerdings bleibt dabei die Priorität der äußeren Natur be- Gegebenes; bei einigem Eindringen dagegen enthüllt sich jeder
stehen, und allerdings hat dies alles keine Anwendung auf Gegenstand unserer normalen Umgebung als ein keineswegs
die ursprünglichen, durch generatio aequivoca erzeugten schieres Datum. Er erweist sich vielmehr als Endresultat vor-
Menschen; aber diese Unterscheidung hat nur insofern Sinn, hergehender Arbeitsvorgänge, und noch der Rohstoff, außer
als man den Menschen als von der Natur unterschieden be- dem, daß er gänzlich verändert ist, wurde mit Arbeit aus dem
trachtet. Übrigens ist diese, der menschlichen Gesellschaft vor- Wald geholt oder aus Felsen gehauen oder aus der Erdtiefe
hergehende Natur ja nicht die Natur, in der Feuerbach lebt, gefördert. So viel über den ersten passiven Trumpf, der er-
nicht die Natur, die heutzutage, ausgenommen etwa auf sichtlich gar keiner ist, sondern nur am Standort der Ober-
einigen australischen Korallen-Inseln neueren Ursprungs, fläche gilt und sticht. Der zweite Trumpf angeblich tätigkeits-
nirgends mehr existiert, also auch für Feuerbach nicht exi- fremder Anschauung benutzt zunächst allerdings einen völlig
stiert.«» Wie entscheidend ist mit diesen Sätzen die mensch- legitimen, ja entschieden materialistischen Begriff, nämlich das
liche Arbeit, die gerade als Gegenstand bei Feuerbach ganz Prius des Seins vor dem Bewußtsein. Erkenntnistheoretisch
heimatlose, als wichtiger, wenn nicht wichtigster Gegenstand spricht sich dieses Prius aus als die unabhängig vom mensch-
in der die Menschen umgebenden Welt hervorgehoben. lichen Bewußtsein existierende Außenwelt, geschichtlich als
Wonach also das Sein, das alles bedingt, nun selber tätige Priorität der materiellen Basis vor dem Geist. Aber Feuer-
Menschen in sich hat. Das bringt ganz erstaunliche Folgen, sie bach wiederum hat diese Wahrheit einseitig verhärtet, er hat
machen vor allem These 3 besonders wichtig - nicht nur gegen sie mechanistisch übertrieben, indem er auch hier die Tätigkeit
Feuerbach, auch gegen Vulgärmarxisten. Zwei weitere Be- ausgelassen hat. Unabhängigkeit des Seins vom Bewußtsein
griffe der »sinnlichen Welt«, ein schlechter und ein oft miß- ist im Bereich der normalen menschlichen Umgebung keines-
verstandener, sind deshalb in diesem wahrhaft gegenständ- wegs das Gleiche wie Unabhängigkeit des Seins von mensch-
lichen Zusammenhang bemerkenswert, sie gehören engstens licher Arbeit. Durch die Arbeitsvermittlung mit der Außen-
zu ihm. Betreffen sie doch die empiristischen Lieblingskinder welt wird die Unabhängigkeit dieser Außenwelt vom
oder auch Trümpfe jener angeblich tätigkeitsfremden An- Bewußtsein, ihre Gegenständlichkeit vielmehr so wenig auf-
schauung, die die »Umstände« nur als das sieht, was um die gehoben, daß sie gerade dadurch endgültig formuliert wird.
Menschen herumsteht. Da ist einmal die sogenannte Gegeben- Denn wie die menschliche Tätigkeit selber eine gegenständ-
heit, ein besonders objekthaft, also scheinbar materialistisch liche ist, also aus der Außenwelt nicht herausfällt, so ist auch
bezogener Begriff. Jedoch abgesehen davon, daß es bedeu- die Subjekt-Objekt-Vermittlung, indem sie geschieht, ebenso
9 A. a. O., S. 33 f. ein Stück Außenwelt. Auch diese Außenwelt existiert unab-
hängig vom Bewußtsein, indem sie ja selber nicht unter der sowohl gegen die mechanistische Milieutheorie, im Seins-
Form des Subjekts, aber freilich auch nicht nur »unter der Fatalismus endend, wie gegen die idealistische Subjekttheorie,
Form des Objekts« erscheint. Sondern eben die wechselwir- im Putschismus, mindestens in übersteigertem Tätigkeits-
kende Vermittlung von Subjekt und Objekt darstellt, der- Optimismus endend. Eine Stelle aus der Deutschen Ideologie
gestalt, daß zwar überall das Sein das Bewußtsein bestimmt, ergänzt derart These 3 durchaus, und zwar auf Grund der
aber gerade wieder das historisch entscheidende Sein, nämlich heilsamsten Wechselbewegung von Menschen und Umständen,
das ökonomische, außerordentlich viel objektives Bewußtsein von Subjekt-Objekt-Vermittlung dauernd wechselwirkender,
enthält. Alles Sein aber ist für Feuerbach autarkes Prius als dauernd dialektischer Art. Dergestalt, daß in der Geschichte
rein vormenschliche Basis, Naturbasis, mit dem Menschen als »auf jeder Stufe ein materielles Resultat, eine Summe von
Blüte, doch eben lediglich als Blüte, nicht als eigener Natur- Produktionskräften, ein historisch geschaffenes Verhältnis zur
kraft. Die menschliche Produktionsweise, der im Arbeits- Natur und der Individuen zueinander sich vorfindet, die
prozeß geschehende und regulierte Stoffwechsel mit der jeder Generation von ihrer Vorgängerin überliefert wird,
Natur, gar die Produktionsverhältnisse als Basis, all das hat eine Klasse von Produktivkräften, Kapitalien und Umstän-
aber einleuchtenderweise selber Bewußtsein in sich; ebenso den, die zwar einerseits von der neuen Generation modifiziert
wird die materielle Basis in jeder Gesellschaft vom Bewußt- wird, ihr aber auch andererseits ihre eigenen Lebensbedingun-
seins-Überbau wieder aktiviert. Was die Wechselwirkung in gen vorschreibt und ihr eine bestimmte Entwicklung, einen
dieser Seins-Bewußtseins-Relation angeht, bei aller Priorität speziellen Charakter gibt - daß also die Umstände ebenso-
des ökonomischen Seins, so gibt eben These 3 darüber vor- sehr die Menschen wie die Menschen die Umstände machen«.10
züglichen Aufschluß. Es ist ein Aufschluß, der allerdings dem Wie gesagt, die Wechselwirkung zwischen Subjekt und Ob-
Vulgärmaterialismus keine Freude bereitet; dafür aber gibt er jekt wird an dieser Stelle besonders betont, auch mit hörbarer
dem menschlichen Bewußtsein den reellsten Platz in den Voranstellung der £/mstaw*/-Mensch-Relation vor die umge-
»Umständen«, also gerade innerhalb der von ihm mitgebil- kehrte, so jedoch, daß der Mensch und seine Tätigkeit allemal
deten Außenwelt. Die mechanistische Milieutheorie behauptet, das Spezifische der materiellen Geschichtsbasis bleiben, ja
»daß die Menschen Produkte der Umstände und der Er- gleichsam deren Wurzel darstellen und ebenso deren Um-
ziehung, veränderte Menschen also Produkte anderer Um- wälzbarkeit. Selbst die Idee (in der Theorie) wird nach Marx
stände und geänderter Erziehung sind«. Über diese einseitige, eine materielle Gewalt, wenn sie die Massen ergreift; wie sehr
auch oft ganz naturalistische Abbildlehre (Milieu gleich Bo- erst ist die technisch-politische Veränderung der Umstände
den, Klima) setzt nun These 3 die dem bisher üblichen Mate- eine solche Gewalt, und wie deutlich bleibt auch der so ver-
rialismus so überlegene Wahrheit, »daß die Umstände eben standene Subjektfaktor innerhalb der materiellen Welt. Eine
von den Menschen verändert werden, und daß der Erzieher letzte Ausführung zu These 3 gibt das Kapital, den Menschen
selbst erzogen werden muß«. Das bedeutet selbstverständlich nun ganz entschieden zur Außenwelt schlagend, ja zur Natur:
nicht, daß diese Veränderung der Umstände nun ohne Bezug »Die seiner Leiblichkeit angehörigen Naturkräfte, Arme und
auf jene objektive Gesetzmäßigkeit geschehen könnte, welche Beine, Kopf und Hand, setzt er in Bewegung, um sich den
auch den Subjekt- und Aktivitätsfaktor bindet. Marx führt Naturstoff in einer für sein eigenes Leben brauchbaren Form
vielmehr einen Zweifrontenkrieg an diesem Punkt, er kämpft 10 A. a. O., S. 27 f.
anzueignen. Indem er durch diese Bewegung auf die Natur dem Schmutz in ihr selber); wieviel Aristokratie des Wissens
außer ihm wirkt und sie verändert, verändert er zugleich (ohne aristoi), verständnisinnig der schmutzigen Praxis ver-
seine eigene Natur . . . Die Erde selbst ist ein Arbeitsmittel, schworen, von der rechten abhaltend. Ahnungsvoll setzte
setzt jedoch zu ihrem Dienst als Arbeitsmittel in der Agrikul- Marx bereits gegen ein so reines Unverständnis wie dasjenige
tur wieder eine ganze Reihe anderer Arbeitsmittel und eine Feuerbachs das Pathos der »revolutionären, der praktisch-
schon relativ hohe Entwicklung der Arbeitskraft voraus.« 11 kritischen Tätigkeit«. Derart betont Marx gerade als Mate-
Damit also ist die menschliche Tätigkeit mit ihrem Bewußt- rialist, gerade innerhalb des Seins selber, den subjektiven
sein selber als Stück Natur erklärt, als wichtigstes dazu, eben Faktor der Produktionstätigkeit, als welcher, genau wie der
als umwälzende Praxis gerade an der Basis des materiellen objektive, ein gegenständlicher ist. Und das hat gewaltige,
Seins, das primär wieder das folgende Bewußtsein bedingt. gerade auch anti-vulgärmaterialistische Konsequenzen; sie
Jener Feuerbach, der keinerlei revolutionären Auftrag spürte, machen diesen Teil der Feuerbach-Thesen besonders kostbar.
der auch über den Menschen als naturhaftes Gattungswesen Ohne den begriffenen Arbeitsfaktor selber kann das Prius
nie hinauskam, hatte für dieses vermehrte, um die menschliche Sein, das ja keinerlei factum brutum oder Gegebenheit ist, in
Aktivität vermehrte Prius Natur keinerlei Sinn. Das ist aller- der Menschengeschichte nicht begriffen werden. Es kann erst
letzt der Grund, weshalb die Geschichte in seinem rein an- recht nicht mit dem Besten der tätigen Anschauung, womit
schauenden Materialismus nicht vorkommt und weshalb er These 1 schließt, vermittelt werden: mit »der revolutionären,
über das kontemplative Verhalten nicht hinausgelangt. So der praktisch-kritischen Tätigkeit«. Der arbeitende Mensch,
bleibt sein Verhältnis zum Objekt antik-aristokratisch, in diese in allen »Umständen« lebendige Subjekt-Objekt-Be-
inkonsequentem Gegensatz zum Pathos des Menschen, das ziehung, gehört bei Marx entscheidend mit zur materiellen
er - wieder nur rein theoretisch und eben als bloße Blüte der Basis; auch das Subjekt in der Welt ist Welt.
vorhandenen Natur - in den Mittelpunkt seiner Religions-
kritik (und keiner anderen) stellte. Hoch sieht er daher auf
die Praxis herab, die er nur als gemeines Geschäft kennt: Anthropologisch-historische Gruppe:
»Die praktische Anschauung ist eine schmutzige, vom Egois- Die Selbstentfremdung und der wahre Materialismus
mus befleckte Anschauung.«12 Es ist diese Stelle, auf die sich Thesen 4, 6, 7, 9, 10
Marx in der These I zuletzt bezieht, wenn er sagt, daß bei
Feuerbach »die Praxis nur in ihrer schmutzig-jüdischen Er- Anerkannt wird hier, daß menschlich stets von der Entfrem-
scheinungsform gefaßt und fixiert wird«. Und wieviel Hoch- dung auszugehen ist. These 4 gibt das Thema an: Feuerbach
mut dieser Art gab es erst später, als die immer mehr »vom entschleierte die Selbstentfremdung in ihrer religiösen Gestalt.
Egoismus befleckte Anschauung«, eine sogenannte reine An- Seine Arbeit bestand also darin, »die religiöse Welt in ihre
schauung, dann eine sogenannte Wahrheit um ihrer selbst weltliche Grundlage aufzulösen. Aber«, fährt Marx fort, »er
willen sich ideologisch beibog. Wieviel »equestrische Wissen- übersieht, daß nach Vollbringung dieser Arbeit die Haupt-
schaft« entstand da, hoch zu Roß, au dessus de la melee (außer sache noch zu tun bleibt.« Feuerbach hatte, wie These 6 ge-
i i Das Kapital, I, Berlin 1947, S. 185 und 187.
nauer bestimmt, das religiöse Wesen auf eine weltliche
1 1 L. Feuerbadi, Das Wesen des Christentums, 1841, S. 264. Grundlage insofern gebracht, als er es in das menschliche
Wesen auflöste. Das war an sich ein bedeutendes Unterneh- Abstrakt-Genus Mensch als einziges Universale über den ein-
men, zumal da es scharf auf den Anteil menschlicher zelnen Individuen geltend machen, als Ort der communis
Wünsche blickte. Feuerbachs »anthropologische Kritik der opinio, der recta ratio zu allen Zeiten, unter allen Völkern:
Religion« leitete die gesamte transzendente Sphäre aus das ist, als das allgemeine Menschenhaus, eingeordnet in das
Wunschphantasie ab: die Götter sind die in wirkliche Wesen ebenso allgemein-gute Welthaus. Dieses Menschenhaus war
verwandelten Herzenswünsche. Zugleich entsteht durch diese nur nicht die verschwundene Polis, sondern es war halb - mit
Wunsch-Hypostase eine Verdoppelung der Welt in eine dienstfertiger Ideologie — die Pax romana, das kosmopoli-
imaginäre und eine wirkliche; wobei der Mensch sein bestes tische Imperium Roms, halb - mit abstrakter Utopie - ein
Wesen aus dem Diesseits in ein überirdisches Jenseits schafft. Menschheits-Bruderbund weise gewordener Individuen. Nicht
Es gilt also, diese Selbstentfremdung aufzuheben, das heißt, grundlos ist derart der Begriff humanitas, als Gattungs- und
durch anthropologische Kritik und Ursprungsbezeichnung den Wertbegriff zugleich, am Hof des jüngeren Scipio entstanden,
Himmel zu den Menschen wieder zurückzuholen. Hier nun und der Stoiker Panaitios war sein Urheber. Feuerbach nun
aber setzt die Marxsche Konsequenz ein, die bei dem Ab- hat mit seinem Abstrakt-Genus Mensch vor allem den Neu-
strakt-Genus Mensch, dem klassenmäßig-geschichtlich ganz Stoizismus aufgenommen, wie er - wiederum mit hohlem
ungegliederten, nicht haltmachte. Feuerbach, der Hegel so Bogen zwischen Individuum und Allgemeinheit - in der bür-
sehr wegen seiner Begriffs-Verdinglichung getadelt hatte, gerlichen Neuzeit hervorgetreten war. Das zuletzt im ab-
lokalisiert zwar sein Abstrakt-Genus Mensch empirisch, doch strakt-erhabenen Citoyenbegriff und im Kantischen Pathos
nur dergestalt, daß er es dem einzelnen Individuum innewoh- einer Menschheit überhaupt, das den Citoyen deutsch-mora-
nen läßt, gesellschaftsfrei, ohne Sozialgeschichte. These 6 be- lisch reflektierte. Die Individuen der Neuzeit freilich sind
tont darum: »Aber das menschliche Wesen ist kein dem ein- Kapitalisten, keine stoischen Privat-Säulen, und ihr Univer-
zelnen Individuum innewohnendes Abstraktum. In seiner sale war nicht die antike Ökumene, die die Völker auslöschen
Wirklichkeit ist es das Ensemble der gesellschaftlichen Ver- sollte, sondern - mit Idealisierung gerade der antiken Polis -
hältnisse.« Ja, Feuerbach ist mit diesem seinem hohlen Bogen die Generalität der bürgerlichen Menschenrechte mit dem
zwischen einzelnem Individuum und abstraktem Humanum abstrakten Citoyen darüber, diesem moralisch-humanen Gat-
(unter Auslassung der Gesellschaft) wenig anderes als ein tungs-Ideal. Trotzdem sind hier wichtige ökonomisch be-
Epigone der Stoa und ihrer Nachwirkungen im Naturrecht, dingte Entsprechungen (es hätte ja sonst keinen Neu-Stoizis-
in den Toleranzideen der bürgerlichen Neuzeit. Auch die mus im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert gegeben):
stoische Moral hatte sich, nach dem Untergang der griechischen hier wie dort ist die Gesellschaft in Individuen atomisiert,
öffentlichen Polis, aufs private Individuum zurückgezogen: hier wie dort hebt sich über sie ein Abstrakt-Genus, Abstrakt-
das war, sagt Marx in seiner Doktor-Dissertation, »das Ideal von Menschheit, Menschlichkeit. Marx aber kritisiert
Glück ihrer Zeit; so sucht der Nachtschmetterling, wenn die genau dieses Abstraktum über bloßen Individuen, definiert
allgemeine Sonne untergegangen, das Lampenlicht des Priva- das menschliche Wesen eben als »Ensemble der gesellschaft-
ten«. 1 ' Andererseits aber sollte sich in der Stoa, unter Über- lichen Verhältnisse«. Deshalb wendet sich These 6 sowohl
springung aller nationalgesellschaftlichen Verhältnisse, das gegen Feuerbachs geschichtslose Betrachtung der Menschlich-
13 MEGA I, i/I, S. 133. keit an sich wie - damit zusammenhängend - gegen den rein
anthropologischen Gattungsbegriff dieser Menschheit, als einer bürgerlichen Gesellschaft.« Eine Klassenschranke ist damit
die vielen Individuen bloß natürlich verbindenden Allge- endgültig notiert, die gleiche Schranke, welche in der Er-
meinheit. Den Wertbegriff Menschheit behält Marx freilich kenntnistheorie Feuerbachs die revolutionäre Tätigkeit ver-
noch durchaus bei; so deutlich in These 10. Der Ausdruck sperrte, in seiner Anthropologie nun die Geschichte und Ge-
»realer Humanismus«, womit die Vorrede der Heiligen Fa- sellschaft. Marxens Fortführung der Feuerbachschen Anthro-
milie beginnt, wird zwar von der Deutschen Ideologie aufge- pologie, als einer Kritik der religiösen Selbstentfremdung, ist
geben, im Zusammenhang mit der Absage an jeden Rest daher nicht nur Konsequenz, sondern erneute Entzauberung,
bürgerlicher Demokratie, mit der Gewinnung des proleta- nämlich Feuerbachs selbst oder der letzten, der anthropologi-
risch-revolutionären Standpunkts, mit der Schöpfung des schen Fetischisierung. So führt Marx vom generell-idealen
dialektisch-historischen Materialismus. Aber These 10 sagt Menschen, über bloßen Individuen, auf den Boden der wirk-
trotzdem mit allem Wertakzent einer humanistischen Entge- lichen Menschheit und möglichen Menschlichkeit.
gensetzung, eines »realen Humanismus« also, der jedoch nur Dazu war der Blick auf die Vorgänge vonnöten, die der Ent-
als sozialistischer gilt und gelten gelassen wird: »Der Stand- fremdung wirklich zugrunde liegen. Die Menschen verdop-
punkt des alten Materialismus ist die bürgerliche Gesellschaft; peln ihre Welt nicht nur deshalb, weil sie ein zerrissenes,
der Standpunkt des neuen die menschliche Gesellschaft oder wünschendes Bewußtsein haben. Vielmehr entspringt dieses
die vergesellschaftete Menschheit.« Das Humanum steht also Bewußtsein, samt seinem religiösen Widerschein, einer viel
nicht überall in jeder Gesellschaft »als innere, stumme, die näheren Entzweiung, nämlich einer gesellschaftlichen. Die ge-
vielen Individuen bloß natürlich verbindende Allgemeinheit«, sellschaftlichen Verhältnisse selber sind zerrissen und geteilt,
es steht überhaupt nicht in irgendeiner vorhandenen Allge- zeigen ein Unten und Oben, Kämpfe zwischen diesen beiden
meinheit, es befindet sich vielmehr in schwierigem Prozeß und Klassen und dunstreiche Ideologien des Oben, von denen die
gewinnt sich einzig mit dem Kommunismus zusammen, als religiöse nur eine unter mehreren ist. Dieses Nähere der welt-
dieser. Eben deshalb hebt der neue, der proletarische Stand- lichen Grundlage zu finden, war für Marx eben die Arbeit,
punkt den Wertbegriff Humanismus so wenig auf, daß er ihn die der Hauptsache nach noch zu tun blieb, - selber ein Dies-
praktisch überhaupt erst nach Hause kommen läßt; und je seits gegenüber dem abstrakt-anthropologischen Diesseits von
wissenschaftlicher der Sozialismus, desto konkreter hat er ge- Feuerbach. Dafür hatte der geschichtsfremde, undialektische
rade die Sorge um den Menschen im Mittelpunkt, die reale Feuerbach keinen Blick, aber die These 4 gewinnt ihn: »Die
Aufhebung seiner Selbstentfremdung im Ziel. Indes gewiß Tatsache nämlich, daß die weltliche Grundlage sich von sich
nicht in Feuerbachs Manier, als eines Abstrakt-Genus, ver- selbst abhebt und sich, ein selbständiges Reich, in den Wolken
sehen mit allzu erhabenen Human-Sakramenten an sich. fixiert, ist eben nur aus der Selbstzerrissenheit und dem Sich-
Marx nimmt daher in These 9 genau das Motiv der er- selbst-Widersprechen dieser weltlichen Grundlage zu erklären.
kenntnistheoretischen Thesengruppe auf, dieses Falls contra Diese selbst muß also erstens in ihrem Widerspruch verstan-
Feuerbachs Anthropologie: »Das Höchste, wozu der an- den und sodann durch Beseitigung des Widerspruchs praktisch
schauende Materialismus es bringt, das heißt, der Materialis- revolutioniert werden. Also zum Beispiel, nachdem die irdi-
mus, der die Sinnlichkeit nicht als praktische Tätigkeit be- sche Familie als das Geheimnis der heiligen Familie entdeckt
greift, ist die Anschauung der einzelnen Individuen in der ist, muß nun erstere selbst kritisiert und praktisch umgewälzt
werden.« Die Kritik der Religion verlangt also, um wahr- und darf also über dem Produkt das Produzieren nicht ver-
haft radikal zu sein, das ist, nach Marxens Definition: um die gessen werden, wie Feuerbach, der unhistorische, undialek-
Dinge an der radix, der »Wurzel« zu fassen, die Kritik der tische, es tut. Gerade auf diese letzte Halbheit, also Unhalt-
dem Himmel zugrunde liegenden Verhältnisse, ihres Elends, barkeit des Feuerbachschen Auflösens ist folgende Stelle noch
ihrer Widersprüche und ihrer falschen, imaginären Lösung im Kapital bezogen: »Es ist in der Tat viel leichter, durch
der Widersprüche. Bereits in der Einleitung zur Kritik der Analyse den irdischen Kern der religiösen Nebelbildungen
Hegeischen Rechtsphilosophie, von 1844, hatte Marx das so zu finden, als umgekehrt aus den jedesmaligen wirklichen
packend wie unmißverständlich formuliert: »Die Kritik der Lebensverhältnissen ihre verhimmelten Formen zu entwickeln.
Religion endet. . . mit dem kategorischen Imperativ, alle Die letztere ist die einzig materialistische und daher wissen-
Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrig- schaftliche Methode. Die Mängel des abstrakt naturwissen-
tes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen schaftlichen Materialismus, der den geschichtlichen Prozeß
ist.«1*» Erst nach dieser auch praktisch revolutionär fortge- ausschließt, ersieht man schon aus den abstrakten und ideolo-
schrittenen Kritik wird ein Zustand erreicht, der keiner Illu- gischen Vorstellungen seiner Wortführer, sobald sie sich über
sionen mehr bedarf, weder als Täuschung noch aber auch als ihre Spezialität hinauswagen.«^ Weiter: »Bei Feuerbach fal-
Ersatz: »Die Kritik hat die imaginären Blumen an der Kette len Materialismus und Geschichte ganz auseinander«, sagt die
zerpflückt, nicht damit der Mensch die phantasielose, trost- Deutsche Ideologie, hiermit den Grundunterschied des dialek-
lose Kette trage, sondern damit er die Kette abwerfe und die tisch-historischen Materialismus vom alten mechanischen sta-
lebendige Blume breche.«1' Dazu eben muß erst die irdische tuierend: »Soweit Feuerbach Materialist ist, kommt die Ge-
Familie als das Geheimnis der himmlischen entdeckt werden, schichte bei ihm nicht vor, und soweit er die Geschichte in
bis hin zu jener gereiften ökonomisch-materialistischen »Ge- Betracht zieht, ist er kein Materialist.«18 Feuerbach selber
heimwissenschaft«, die Marx im Kapital dann sagen läßt: »Es hatte das so ausgedrückt, daß er nach rückwärts (also in An-
gehört übrigens wenig Bekanntschaft zum Beispiel mit der sehung der Naturbasis) Materialist, nach vorwärts aber (also
Geschichte der römischen Republik dazu, um zu wissen, daß in Ansehung der Ethik und selbst Religionsphilosophie) Idea-
die Geschichte des Grundeigentums ihre Geheimgeschichte list sei. Gerade die Auslassung von Gesellschaft, Geschichte
bildet.«16 Folglich geht die Analyse der religiösen Selbstent- und ihrer Dialektik in Feuerbachs Materialismus, gerade die
fremdung, damit sie eine wahrhaft wurzelhafte sei, grund- dadurch bewirkte Lebensvermissung am alten mechanischen
sätzlich über die Ideologien zur näheren Rolle des Staats, zur Materialismus, den Feuerbach einzig kannte, bedingt zwangs-
allernächsten politischen Ökonomie und erlangt hier erst die läufig bei diesem Philosophen, am Ende seiner Philosophie,
reale »Anthropologie«. Erlangt sie als gesellschaftswissen- einen Idealismus von verlegener Art. Er machte sich in seiner
schaftliche Grundeinsicht in die »Beziehung der Menschen zu Lebensethik kenntlich, er zeigt sich in den Anmutungen einer
Menschen und zur Natur«. Indem, wie These 7 pointiert, »das gewissen Sonntags-Bruder-Empfindsamkeit. Wieder regiert
religiöse Gemüt selbst ein gesellschaftliches Produkt ist«, kann hier nur, wie These 9 sagt, »die Anschauung der einzelnen
Individuen in der bürgerlichen Gesellschaft«, wieder macht
14 MEGA I, 1/1, S. 614 f.
I J A. a. O., S. 608. 17 A. a. O., S. 389.
16 A. a. O., S. 88. 18 A. a. O., S. 34.
sich aber auch die scheinbar erledigte Religion bei Feuerbadi Materialismus heißt, setzt auch die Verwandlung der Welt
bemerkbar, als eine von ihm nur anthropologisch abgeleitete, aus sich selbst. In ein Jenseits der Beschwerde, das weder mit
nicht gesellschaftlich kritisierte. Das in der Weise, daß Feuer- dem Jenseits der Mythologie, noch gar mit ihren Herrn- oder
bach nicht eigentlich die religiösen Inhalte kritisiert, sondern Vater-Inhalten das Mindeste gemein hat.
wesentlich nur deren Verlegung in ein Jenseits und damit die
Schwächung des Menschen und seines Diesseits. Sofern er da-
durch die »menschliche Natur« an ihren verschleuderten Theorie-Praxis-Gruppe: Beweis und Bewährung
Reichtum wieder erinnern wollte, stecken zwar in dieser Re-
Thesen 2, 8
duktion zweifellos Probleme. Wer wollte gerade die Tiefe der
Humanität, die Humanität der Tiefe in religionsgeladener
Nicht anerkannt wird hier, daß der Gedanke blaß und kraft-
Kunst verkennen, bei Giotto, bei Grünewald, bei Bach und
los sei. These 2 setzt ihn über die sinnliche Anschauung, mit
zuletzt vielleicht noch bei Bruckner? Aber Feuerbach, mit
und an der er bloß anhebt. Feuerbach hatte den Gedanken
Herz, Bruderherz und Seelenschmerz ohnegleichen, macht
schlecht gemacht, weil er vom Einzelnen ins Allgemeine weg-
aus alldem fast eine Art freireligiöse Pektoral-Theologie.
führe; das war nominalistisch gewertet. Bei Marx aber zielt
Überdies läßt er, in der unvermeidlichen Leere seines »Idea-
der Gedanke durchaus nicht ins schlecht Allgemeine, Ab-
lismus nach vorwärts«, fast sämtliche Attribute des Vater-
strakte, sondern umgekehrt: er erschließt genau den vermit-
gottes übrig, sozusagen als Tugenden an sich, und nur der
telten, den Wesenszusammenhang der Erscheinung, als einen,
Himmelsgott ist von ihnen gestrichen. Statt: Gott ist barm-
der der bloßen Sinnlichkeit an der Erscheinung noch ver-
herzig, ist die Liebe, ist allmächtig, tut Wunder, erhört Ge-
schlossen ist. So ist gerade der Gedanke, den Feuerbach nur
bete - muß es dann einzig heißen: die Barmherzigkeit, die
als abstrakten zuläßt, als vermittelter ein konkreter, während
Liebe, die Allmacht, das Wundertun, das Gebeterhören sind
umgekehrt das gedankenlose Sinnliche ein abstraktes ist. Der
göttlich. Wonach also der ganze theologische Apparat erhal-
Gedanke muß zwar wieder auf Anschauung führen, um sich
ten bleibt, er ist nur aus dem himmlischen Ort in eine ge-
an ihr, als durchdrungener, zu beweisen, aber diese Anschau-
wisse Abstrakt-Gegend umgezogen, mit verdinglichten Tu-
ung ist auch an diesem Ende keineswegs die passive, unmittel-
genden der »Naturbasis«. Auf diese Art aber entstand nicht
bare Feuerbachs. Der Beweis kann vielmehr nur in der Ver-
ein Problem: humanes Erbe der Religion, wie Feuerbach es
mitteltheit der Anschauung liegen, also einzig in jener
wohl im Sinn hatte, sondern es kam Religion zu herabge-
Sinnlichkeit, die theoretisch bearbeitet und so Ding für uns
setztem Preis, einem schlecht entzauberten Gewohnheits-
geworden ist. Das aber ist am Ende die Sinnlichkeit der theo-
Philisterium zuliebe, das Engels mit Recht an Feuerbachs ab-
retisch vermittelten, theoretisch gewonnenen Praxis. Die
gestandenen Religionsresten kenntlich macht. Der Marxismus
Denkfunktion also ist mehr noch als die sinnliche Anschauung
dagegen ist auch in Ansehung der Religion kein »Idealismus
eine Tätigkeit, eine kritische, eindringliche, aufschließende;
nach vorwärts«, sondern Materialismus nach vorwärts, Fülle
und der beste Beweis ist deshalb die praktische Probe auf diese
des Materialismus ohne einen schlecht entzauberten Himmel,
Entschlüsselung. Wie alle Wahrheit eine Wahrheit wozu ist
der auf die Erde geführt werden müßte. Die wahrhaft totale
und es keine um ihrer selbst willen gibt, außer als Selbst-
Erklärung der Welt aus sich selbst, die dialektisch-historischer
täuschung oder als Spintisiererei, so gibt es keinen vollen
Beweis einer Wahrheit aus ihr selbst als einer bloß theoretisch des Schlüssels zum Hebel, der wahren Abbildung zum seins-
bleibenden; mit anderen Worten: es gibt keinen theoretisch- mächtigen Eingriff.
immanent möglichen vollen Beweis. Nur ein partialer ist rein So wird der rechte Gedanke mit der Tat des Rechten endlich
theoretisch vollziehbar, so am meisten noch in der Mathe- eines und dasselbe. Tätigkeit, dazu parteiische Haltung ist
matik; aber auch hier erweist er sich nur als ein partialer spe- von vornherein in ihm darin, tritt mithin als wahrer Schluß
zifischer Art, indem er nämlich über bloße innere »Stimmig- am Ende wieder hervor. Die Farbe der Entschließung ist in
keit«, logisch-konseqente »Richtigkeit« nicht hinauskommt. diesem Schluß seine eigene, keine nachträgliche, von woan-
Richtigkeit aber ist noch nicht Wahrheit, das heißt: Abbildung ders her. Jede philosophiegeschichtliche Konfrontierung be-
der Wirklichkeit sowie Macht, in die Wirklichkeit nach Maß- stätigt diesesfalls das Novum des Theorie-Praxis-Verhält-
gabe ihrer erkannten Agentien und Gesetzmäßigkeiten einzu- nisses gegenüber bloßer »Anwendung« der Theorie. Das selbst
greifen. Mit anderen Worten: Wahrheit ist kein Theorie- dann, wenn ein Teil der Theorie schon auf Praxis abgezielt
Verhältnis allein, sondern ein Theorie-Praxis-Verhältnis war: so bei Sokrates, so bei Piaton, als er in Sizilien seine
durchaus. Derart bekundet These 2: »Die Frage, ob dem Staatsutopie durchführen wollte, so in der Stoa, mit der Lo-
menschlichen Denken gegenständliche Wahrheit zukomme, ist gik als bloßer Mauer, der Physik als bloßem Baum, der
keine Frage der Theorie, sondern eine praktische Frage. In Ethik aber als der Frucht. So bei Augustin, dem Ortsgründer
der Praxis muß der Mensch die Wahrheit, das heißt, die der mittelalterlichen Papstkirche, so am Ende des Mittelal-
Wirklichkeit und Macht, die Diesseitigkeit seines Denkens ters bei Wilhelm von Occam, dem nominalistischen Destruk-
beweisen. Der Streit über die Wirklichkeit oder Nichtwirk- tor der Papstkirche zugunsten der heraufkommenden Natio-
lichkeit eines Denkens, das sich von der Praxis isoliert, ist eine nalstaaten. Ein gesellschaftlich-praktischer Auftrag war bei
rein scholastische Frage.« Soll heißen, eine schulmäßige im diesen allen zweifellos dahinter, doch die Theorie führte
Sinn geschlossener Gedanken-Immanenz (einschließlich trotzdem ihr abstraktes, praktisch unvermitteltes Eigenleben.
mechanisch-materialistischer Gedanken); dieses kontempla- Sie ließ sich zur »Anwendung« auf die Praxis nur herab, wie
tive Internat war der Raum aller bisherigen Wahrheitsbe- ein Fürst zum Volk, bestenfalls wie eine Idee zu ihrer Ver-
griffe. Mit dem Theorie-Praxis-Verhältnis ist These 2 also wertung. Und selbst Bacon, im scharfen bürgerlich-prak-
völlig schöpferisch und neu; die bisherige Philosophie er- tischen Utilitarismus der Neuzeit: er lehrte zwar, Wissen sei
scheint demgegenüber wirklich als »scholastisch«. Denn ent- Macht, er wollte die gesamte Wissenschaft neu gründen und
weder hatte, wie bemerkt, die antike und die mittelalterliche abzielen als ars inveniendi, doch bei aller Gegnerschaft zum
Erkenntnistheorie die Tätigkeit nicht reflektiert, oder aber rein theoretischen Wissen und der kontemplativen Erkenntnis
die Tätigkeit war als bürgerlich-abstrakte keine mit ihrem bleibt die Wissenschaft autark, und nur ihre Methode soll ge-
Objekt wahrhaft vermittelte. In beiden Fällen, zur Zeit der ändert werden. Geändert im Sinne des induktiven Schluß-
antiken und feudalen Arbeitsverachtung wie zur Zeit des verfahrens, des methodisch gezielten Experiments; der Beweis
bürgerlichen Arbeitsethos (ohne Arbeitskonkretheit) galt die jedoch liegt nicht in der Praxis, diese gilt vielmehr auch hier
Praxis, die technische wie politische, bestenfalls als »Anwen- nur als Frucht und Lohn der Wahrheit, nicht als deren letztes
dung« der Theorie. Nicht als Bezeugung der Theorie, daß sie Kriterium und als Demonstration. Noch weniger haben die
eine konkrete sei, wie bei Marx, nicht als Umfunktionierung mehreren »Philosophien der Tat«, wie sie aus Fichte und aus
Hegel, dann wieder, zurückgehend auf Fichte, in der linken führten Systems, die Welt (den Gegenstand, das Objekt, die
Hegelschule entsprungen waren, mit dem Marxschen Praxis- Substanz) doch fast so ins Subjekt zurück wie Fichte; wonach
Kriterium eine Ähnlichkeit. Fichtes »Tathandlung« selber, sie am Ende doch nicht die Praxis, sondern »Er-innerung« die
zeigte zwar an wichtigen nationalpolitischen Punkten Kraft Wahrheit krönt, »Wissenschaft des erscheinenden Wissens«
und Linie, doch zuletzt wurde sie allemal Äther. Sie diente und sonst nichts. Auch kommt nach Hegels berühmtem Satz,
am Ende nur dazu, die Welt des Nicht-Ich durch Bearbeitung am Schluß der Vorrede zu seiner Rechtsphilosophie, »ohnehin
weniger zu bessern als gänzlich aufzuheben. Sozusagen be- die Philosophie immer zu spät. Als der Gedanke der Welt
wiesen wurde durch diese au fond weltfeindliche »Praxis« erscheint sie erst in der Zeit, nachdem die Wirklichkeit ihren
nur der ohnehin ausgemachte subjektive Ausgangspunkt des Bildungsprozeß vollendet und sich fertiggemacht hat.« Der
Fichteschen Ich-Idealismus, nicht aber eine objektive Wahr- geschlossene Kreislauf-Denker Hegel, das Antiquarium des
heit, die sich mit und an der Welt erst herausbildet. Am unverrückbar Vorhandenen, sie haben so den dialektischen
nächsten kommt noch Hegel der Ahnung eines Praxiskri- Prozeßdenker mit seiner Krypto-Praxis letzthin besiegt.
teriums, und zwar bezeichnenderweise auf Grund der Ar- Bleibt noch - um den Abstand der Marxschen Praxislehre auch
beitsbeziehung in seiner Phänomenologie. Weiter geschieht unmittelbar in der Umgebung seiner Jugend zu ermessen - die
in Hegels Psychologie ein Übergang vom »theoretischen Praxis, bald auch Praktik der Hegeischen Linken und was
Geist« (Anschauung, Vorstellung, Denken) zur Antithese damit zusammenhängt. Das war die »Waffe der Kritik«, die
»praktischer Geist« (Gefühl, Triebwille, Glückseligkeit), wor- sogenannte »Philosophie der Tat«, zur Zeit des jungen Marx.
aus dann, synthetisch, der »freie Geist« resultieren sollte. Also Doch hier eben wirkte wesentlich nur ein Rückgang vom ob-
proklamierte sich diese Synthese als der sich wissende Wille, jektiven Idealismus Hegels zum subjektiven Fichtes; Feuer-
als Wille, der sich denkt und weiß, der schließlich, im »ver- bach selber hat das an Bruno Bauer festgestellt. Begonnen
nünftigen Staat«, will, was er weiß, und weiß, was er will. wurde die Reihe der sogenannten Philosophien der Tat
Ebenso findet sich schon in der Hegeischen Logik eine Über- durch die sonst nicht uninteressante Schrift Cieszkowskis:
ordnung der »praktischen Idee« über die »Idee des betrach- Prolegomena zur Historiosophie, 1838, eine Schrift, die es
teten Erkennens«, sofern dem praktisch Guten »nicht nur ausdrücklich als notwendig darstellt, die Philosophie für eine
die Würde des Allgemeinen, sondern auch des schlechthin Veränderung der Welt zu benützen. So finden sich in diesen
Wirklichen« zukomme.1» »Alles das«, notiert Lenin, »im Prolegomena sogar Aufrufe zu einer rationalen Tendenzfor-
Kapitel >Die Idee des Erkennens<.. ., was unzweifelhaft be- schung der Geschichte: damit richtig gehandelt werden könne;
deutet, daß bei Hegel die Praxis als Kettenglied in der Ana- damit nicht instinkthafte, sondern bewußte Taten die Welt-
lyse des Prozesses der Erkenntnis steht. . . Marx knüpft geschichte bilden; damit der Wille auf dieselbe Höhe gebracht
folglich unmittelbar an Hegel an, wenn er das Kriterium der werde, auf die die Vernunft durch Hegel gebracht worden
Praxis in die Erkenntnistheorie einführt; siehe die Thesen sei; damit dergestalt eine nicht nur vor-, sondern nachtheo-
über Feuerbach.«20 Indes Hegel führt am Ende seiner Logik, retische Praxis Raum gewinne. Das alles klingt bedeutend und
genauso wie am Ende seiner Phänomenologie und des ausge- blieb doch nur deklarativ, auch in den weiteren Schriften
Cieszkowskis völlig folgenlos, ja das »Interesse der Zukunft«
19 Werke, V, S. 320 f.
20 Lenin, Aus dem philosophischen Nachlaß, Berlin 1949, S. 133. wurde bei ihm immer mehr irrational, obskur. Die Absage
Cieszkowskis an die Spekulation wurde zu einer an die Ver- Lehre der Einheit zwischen Theorie und Praxis. Und statt
nunft, die Tätigkeit wurde eine der »tätigen Intuition«, und der Theorie nur angeklebt zu sein, dergestalt also, daß der
der ganze Zukunftswille endete zuletzt in einer Theosophie Gedanke seine »Anwendung« rein wissenschaftlich gar nicht
des - Amen in der orthodoxen Kirche, herausgegeben zur Zeit braucht, daß die Theorie ihr Selbstleben wie ihre immanente
des Kommunistischen Manifests. Im Marx-Kreis selber lebte Selbstgenügsamkeit auch im Beweis weiterführt, oszillieren
schließlich noch Bruno Bauer, ebenfalls eine »Philosophie der eben, nach Marx wie Lenin, Theorie und Praxis beständig.
Tat«, sogar eine des Weltgerichts, doch in facto die subjek- Indem beide wechselnd und wechselseitig ineinander schwin-
tivste von allen. Als die Reaktion unter Friedrich Wilhelm gen, setzt die Praxis ebenso Theorie voraus, wie sie selber
IV. diese »Waffe der Kritik« auf die Probe stellte, zog sie sich wieder neue Theorie zum Fortgang einer neuen Praxis ent-
bei Bruno Bauer sogleich in Individualismus, ja in massen- bindet und nötig hat. Höher ist der konkrete Gedanke nie
verachtende Egozentrik zurück. Bauers »kritische Kritik« war gewertet worden als hier, wo er das Licht zur Tat wurde, und
lediglich ein Gefecht in und zwischen Gedanken, eine Art höher nie die Tat als hier, wo sie zur Krönung der Wahrheit
l'art pour l'art-Praxis des Hochmutsgeistes mit sich selbst, wurde.
schließlich wurde Stirners Einziger und sein Eigentum daraus. Hierbei will auch dem Denken, indem es ein helfendes ist,
Marx selber hat das Entscheidende darüber in der Heiligen durchaus Wärme innewohnen. Die Wärme des Helfenwollens
Familie gesagt, in eigener Sache, wie ersichtlich, zum Zweck selber, der Liebe zu den Opfern, des Hasses gegen die Ausbeu-
der echten Praxis und ihrer Unverwechselbarkeit. Zum Zweck ter. Ja diese Gefühle bringen die Parteilichkeit in Gang, ohne
der revolutionären Praxis: mit dem Proletariat beginnend, die überhaupt kein wahres Wissen mit guter Tat sozialistisch
versehen mit dem Fruchtbaren an der Hegeischen Dialektik möglich ist. Aber Liebesgefühl, das selber nicht von Erkennt-
und nicht mit Abstraktionen aus der »verwelkten und ver- nis erleuchtet ist, versperrt gerade die helfende Tat, zu der
witweten Hegeischen Philosophie«21, gar des Fichteschen Sub- es sich doch aufmachen möchte. Es sättigt sich allzu leicht an
jektivismus. Fichte, der tugendhaft Zornige, hatte immerhin seiner eigenen Vortrefflichkeit, wird zum Dunst eines neuen
noch energische Weisungen jeweils im Blick, vom Geschlosse- scheinaktiven Selbstbewußtseins. Dieses Falls eines nicht l'art
nen Handelsstaat bis zu den Reden an die Deutsche Nation, pour Part-kritischen, wie bei Bruno Bauer, sondern eines sen-
er hat die Franzosen aus Deutschland hinausphilosophiert; timental-kritiklosen, einer Schwüle und Vagheit. So bei Feu-
die »kritische Kritik« dagegen ritt einzig im Tattersall des erbach selbst: er hat statt Praxis, allemal wieder seine Äqui-
Selbstbewußtseins. Und, näher zu Marx, so hatte selbst bei vokation »Empfindung« gesetzt. Er entspannt die Liebe zur
dem grundehrlichen Sozialisten Moses Heß das Handeln eine allgemeinen Gefühlsbeziehung zwischen Ich und Du, er offen-
Tendenz, sich von der gesellschaftlichen Tätigkeit abzulösen, bart den Ausfall jeder gesellschaftlichen Erkenntnis auch hier
sich auf Reform des moralischen Bewußtseins zu reduzieren - durch einen Rückzug auf lauter bloße Individuen und ihre
eine »Philosophie der Tat« ohne ausgebildete ökonomische ewig schmelzende Beziehung. Er effiminiert so die Humani-
Theorie hinter sich, ohne Fahrplan dialektisch begriffener tät: »Die neue Philosophie ist in Beziehung auf ihre Basis (!)
Tendenz in sich. Die Praxishegriffe bis Marx sind also völlig selbst nichts anderes als das zum Bewußtsein erhobene Wesen
verschieden von dessen Theorie-Praxis-Konzeption, von der der Empfindung - sie bejaht nur in und mit der Vernunft,
2i MEGA I, 3, S. 189. was jeder Mensch - der wirkliche Mensch - im Herzen be-
kennt.«22 Dieser Satz ist aus den Grundsätzen der Philosophie Welt glüht.«23 Seitdem hat sich das, was Thomas Münzer
der Zukunft, in Wahrheit ist er der Tat-Ersatz aus der Ver- nicht nur »gedichteten Glauben«, sondern »gedichtete Liebe«
gangenheit, aus einer spießbürgerlichen, pfäffisdien, ja, wie genannt hätte, noch ganz anders als zu Feuerbachs relativ
oft, tartüffehaft-sabotierenden. Aus einer Vergangenheit, die harmlosen Zeiten ausgebreitet, unter Renegaten und Pseudo-
eben wegen ihrer abstrakt-deklamierenden Menschenliebe sozialisten. Deren erheuchelte Menschenliebe ist allerdings nur
die Welt heute erst recht nicht zum Guten verändern will, die Kriegswaffe eines noch viel totaleren Hasses: nämlich ge-
sondern im Schlechten verewigen. Feuerbachs Bergpredigt- gen den Kommunismus; und nur um des Kriegs willen ist die
Karikatur schließt jede Härte in der Verfolgung des Unrechts neugedichtete Liebe da. Mitsamt dem Mystizismus, der schon
aus, jede Laxheit im Klassenkampf ein; genau deshalb em- bei Feuerbach nicht fehlt, hier immerhin noch »Idealismus
pfiehlt sich genereller Liebes-»Sozialismus« allen Krokodils- nach vorwärts«, also ein progressiver sein möchte, und der im
tränen einer kapitalistisch interessierten Philanthropie. Daher gestaltlosen Sausen seiner Herzenserfüllung, seiner anthropo-
Marx und Engels: »Man predigte eben der schlechten Wirk- logisch gemachten Gottväterlichkeit noch kein schlimmeres
lichkeit, dem Hasse gegenüber das Reich der Liebe. . . Wenn Manko hatte als das angegebene schlecht entzauberte, frei-
aber die Erfahrung lehrt, daß diese Liebe in 1800 Jahren nicht religiöse Philistertum. Aber die Mysterien des heutigen, des
werktätig geworden ist, daß sie die sozialen Verhältnisse nicht nicht einmal mehr idealistischen Tiefsinngeschwätzes - vom
umzugestalten, ihr Reich nicht zu gründen vermochte, so geht Mystizismus Feuerbachs fast so verschieden wie dieser von der
daraus doch deutlich hervor, daß diese Liebe, die den Haß Mystik Meister Eckeharts - machen aus dem Herzen eine
nicht besiegen konnte, nicht die zu sozialen Reformen nötige Mördergrube, und statt des leeren Rosennebels steht heute ein
energische Tatkraft verleiht. Diese Liebe verliert sich in senti- von der Bourgeoisie gebrauchtes Nichts. These 8 sagt: »Alle
mentalen Phrasen, durch welche keine wirklichen, faktischen Mysterien, welche die Theorie zum Mystizismus verleiten, fin-
Zustände beseitigt werden; sie erschlafft den Menschen durch den ihre rationelle Lösung in der menschlichen Praxis und in
den enormen Gefühlsbrei, mit dem sie ihn füttert. Also die der rationellen Lösung dieser Praxis.« Das freilich unterschei-
Not gibt dem Menschen Kraft; wer sich selbst helfen muß, det zwei Arten von Mysterien: nämlich diejenigen, welche
der hilft sich auch. Und darum sind die wirklichen Zustände Ungeklärtes, Aporien, Dickicht unbegriffener Widersprüche
dieser Welt, der schroffe Gegensatz in der heutigen Gesell- in der Wirklichkeit noch unbegriffen darstellen, und die-
schaft von Kapital und Arbeit, von Bourgeoisie und Prole- jenigen, eigentliche Mystizismen genannt, welche Idolatrie
tariat, wie sie in dem industriellen Verkehr am entwickeltsten des Dunkels um seiner selbst willen sind. Aber auch bloße
hervortreten, die andere, mächtiger sprudelnde Quelle der Undurchschautheiten, gar die Nebel-Linie in ihnen können
sozialistischen Weltanschauung, des Verlangens nach sozialen zum Mystizismus verleiten; eben deshalb ist hier einzig ratio-
Reformen . . . Diese eiserne Notwendigkeit schafft den sozia- nelle Praxis die menschliche Lösung, und die rationelle Lö-
listischen Bestrebungen Verbreitung und tatkräftige Anhän- sung einzig die menschliche Praxis, die bei der Menschheit
ger, und sie wird den sozialistischen Reformen durch Umge- (statt dem Dickicht) sich haltende. Und auch das Wort Mysti-
staltung der gegenwärtigen Verkehrsverhältnisse eher Bahn zismus wird nicht ohne Grund von Marx bei Gelegenheit
brechen als alle Liebe, die in allen gefühlvollen Herzen der
22 Werke, II, 1846, S. 324. 23 Rundschreiben gegen H.Kriege, einen Anhänger Feuerbachs, 1 1 . Mai
1846.
Feuerbachs gebraucht, eben gegen das Nicht-Schwert abstrak- nicht auf die Schiffe geht. Die sich von Anfang bis Ende mit
ter Liebe wird es gebraucht, das den gordischen Knoten be- der Betrachtung begnügt, welche die Dinge läßt, wie sie sind.
läßt. Wir wiederholen: Feuerbachs Mysterien, die Liebes- Oder noch schlimmer: die nicht umhin zu können glaubt, die
mysterien ohne Klarheit, haben mit dem, was später als Dinge umzustellen, jedoch nur im Buch, und die Welt selber
Fäulnis und Nacht-Irratio hervortrat, gewiß nichts gemein; merkt nichts davon. Sie merkt schon deshalb nichts davon,
Feuerbach steht vielmehr auf jener deutschen Heilslinie, die weil die Welt gerade in falschen Darstellungen so leicht um-
von Hegel zu Marx führt, so wie die deutsche Unheilslinie gestellt werden kann, daß Wirkliches im Buch gar nicht vor-
von Schopenhauer zu Nietzsche und den Folgen führt. Und kommt. Jeder Schritt nach außen wäre hier dem zusammen-
die Menschenliebe, sofern sie sich klar als eine zu den Ausge- gereimten, in seinem eigenen Schutzpark wohnenden Buch
beuteten faßt, sofern sie zu wirklicher Erkenntnis fortgeht, schädlich und störte das Selberleben erfundener Gedanken.
ist zweifellos ein unerläßliches Agens im Sozialismus. Doch Doch auch tunlichst sachgetreue Bücher, Lehren zeigen oft die
wenn schon das Salz dumm werden kann, wie sehr erst der typisch betrachterische Lust, sich in ihrem gerahmten Zusam-
Zucker, und wenn schon Gefühlschristen im Defaitismus blei- menhang, als einem nun einmal »werkhaft« gelungenen, Ge-
ben, wie sehr erst Gefühlssozialisten, im pharisäischen Verrat. nüge zu tun. Wonach sie eine aus ihnen möglicherweise ent-
Daher schlägt Marx auch an Feuerbach eine gefährliche Ver- springende Veränderung der dargestellten Welt sogar fürch-
blasenheit, eine, die es sich bei sich wohl sein läßt, eine letzt- ten, indem das Werk - und stelle es selbst, wie das Feuerbach-
linige Pektoral-Praxis, die das Gegenteil von dem bewirkt, sche, Grundsätze der Zukunft auf - dann nicht mehr so aut-
was ihr angepredigter Altruismus und ihre unsäglich univer- ark durch die Zeiten schweben könnte. Kam gar, wie wieder
selle Liebe bezwecken. Ohne Parteiung in der Liebe, mit bei Feuerbach, eine erstrebte oder naive politische Gleichgül-
ebenso konkretem Haßpol, gibt es keine echte Liebe; ohne tigkeit hinzu, so wurde das Publikum gänzlich auf den gleich-
Parteilichkeit des revolutionären Klassenstandpunkts gibt es falls betrachteten Leser begrenzt; seine Arme, sein Handeln
nur noch Idealismus nach rückwärts statt Praxis nach vor- wurden nicht angesprochen. Der Standpunkt mochte ein
wärts. Ohne den Primat des Kopfes bis zuletzt gibt es nur neuer sein, doch er blieb ein bloßer Aussichtspunkt; der Begriff
noch Mysterien der Auflösung statt der Auflösung der My- ergab so keine Anweisung zum Eingriff. Daher setzt Marx
sterien. Am ethischen Schluß von Feuerbachs Philosophie der kurz und antithetisch die berühmte These 1 1 : »Die Philoso-
Zukunft fehlen so Philosophie wie Zukunft; Marxens Theo- phen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt
rie um der Praxis willen hat beide in Funktion gesetzt, und aber darauf an, sie zu verändern.« Ein Unterschied zu jedem
die Ethik wird endlich Fleisch. bisherigen Denkantrieb ist damit packend bezeichnet.
Kurze Sätze scheinen, wie eingangs bemerkt, zuweilen rascher
überblickbar, als sie es sind. Und berühmte Sätze haben es
zuweilen an sich, sehr wider ihren Willen, daß sie kein Nach-
Das Losungswort und sein Sinn
denken mehr erregen, oder daß man sie zu roh herunter-
These n
schlingt. Sie verursachen dann mitunter Beschwerden, dieses-
falls intelligenzfeindliche, mindestens intelligenzfremde, wie
Anerkannt wird hier, daß das Zukünftige am nächsten und
sie dem Sinn des Satzes nicht ferner sein könnten. Was ist also
wichtigsten sei. Doch eben nicht in der Weise Feuerbachs, die
mit der These n genau gedacht, wie muß sie im allemal kommt es nun überhaupt nicht mehr an, auch nicht im Sinn,
philosophischen Präzisionssinn von Marx verstanden werden? als wäre sie ein immerhin zu pflegendes »Instrument«; und
Sie darf nicht verstanden oder besser: mißbraucht werden in die Rosapackung des »Humanerfolgs« ging völlig zum Teu-
irgendeiner Vermischung mit dem Pragmatismus. Letzterer fel, der von Anfang an darin war. Nun schwankten und
stammt aus einer dem Marxismus völlig fremden Gegend, änderten sich die Ideen wie Börsenpapiere, je nach der Kriegs-
aus einer ihm feindlichen, geistig inferioren, zuletzt schlecht- lage, Geschäftslage; bis endlich der volle Schandpragmatismus
hin ruchlosen. Trotzdem hängen sich immer wieder busy der Nazis erschien. Recht war, was dem deutschen Volk, soll
bodies, wie man gerade in Amerika sagt, Betriebsamkeiten heißen: dem deutschen Finanzkapital nützte; Wahrheit war,
also, am Marxsatz an, gleich als wäre er - amerikanische was das Leben, soll heißen: den Maximalprofit förderte, ihm
Kulturbarbarei. Dem amerikanischen Pragmatismus liegt die zweckdienlich erschien. Das also wurden, nachdem die Zeit
Meinung zugrunde, Wahrheit sei überhaupt nichts anderes erfüllt war, die Konsequenzen des Pragmatismus; und wie
als geschäftliche Brauchbarkeit der Vorstellungen. Es gibt harmlos, ja wie täuschend mochte er doch ebenfalls nach
danach ein sogenanntes Aha-Erlebnis der Wahrheit, sobald »Theorie-Praxis« aussehen. Wie scheinhaft wurde auch hier
und sofern diese auf einen praktischen Erfolg abgezielt ist eine Wahrheit um ihrer selbst willen abgelehnt und nicht ge-
und sich auch tatsächlich geeignet zeigt, ihn herbeizuführen. sagt, daß es wegen einer Lüge um des Geschäfts willen ge-
Bei William James (Pragmatism, 1907) sieht der Geschäfts- schieht. Wie schein-konkret wurde auch hier von der Wahr-
mann, als »american way of life«, noch gewissermaßen allge- heit die Bewährung in der Praxis verlangt, sogar in der
meinmenschlich aus, ist sozusagen human, auch geradezu le- »Veränderung« der Welt. Wie groß also ist die Verfälsch-
bensfördernd-optimistisch garniert. Das sowohl wegen der barkeit der These 1 1 im Kopf von Intelligenzverächtern und
damals noch möglichen Rosapackung des amerikanischen Ka- Praktizisten. Gewiß, was die Praktizisten in der sozialisti-
pitalismus, wie vor allem wegen der Tendenz jeder Klassen- schen Bewegung angeht, so haben sie moralisch, wie sich von
gesellschaft, ihr Spezialinteresse als das der ganzen Menschheit selbst versteht, mit den Pragmatisten nicht das Mindeste ge-
auszugeben. Deshalb gab sich der Pragmatismus anfangs auch mein; ihr Wille ist sauber, ihre Absicht revolutionär, ihr Ziel
als Gönner jener verschiedenen, auswechselbaren logischen human. Doch indem sie den Kopf dabei auslassen, folglich
»Instrumente«, mittels deren der Geschäftsmann höherer nichts Geringeres als den ganzen Reichtum der marxistischen
Ordnung geradezu »Humanerfolg« erzielt. Aber es gibt so Theorie mitsamt der kritischen Aneignung des Kulturerbes in
wenig und noch weniger einen humanen Geschäftsmann, wie ihr, entsteht doch, am Ort der »trying-and-error-method«,
es einen marxistischen Lebemann gibt; so hat sich der Prag- der Handwerkelei, des Praktizismus, jene grausame Verfäl-
matismus in Amerika, in der gesamten Weltbourgeoisie rasch schung der These 1 1 , die an Pragmatismus methodisch er-
nach James als das kenntlich gemacht, was er ist: als letzten innert. Praktizismus, der an Pragmatismus angrenzt, ist
Agnostizismus einer von jedem Wahrheitswillen entblößten eine Konsequenz dieser Verfälschung, eine wie immer unbe-
Gesellschaft. Zwei imperialistische Kriege, der erste generell- griffene; doch Unkenntnis einer Konsequenz schützt nicht
imperialistische von 1914 bis 1918, der zweite partial-im- vor Verdummung. Die Praktizisten, mit dem bestenfalls
perialistische der Nazi-Aggressoren, haben den Pragmatismus kurzfristigen Kredit für Theorie, gar für komplizierte,
gar zur Roßtäuscher-Ideologie reif gemacht. Auf Wahrheit machen mitten im marxistischen Lichtwesen die Finsternis
ihrer eigenen privaten Ignoranz und des Ressentiments, das matismus herauszuhören glaubt. Genau jenem Zukünftigen ist
mit Ignoranz sich so leicht verbindet. Zuweilen sogar ist nicht damit schlecht gedient, das nicht weiter unbegriffen auf uns
einmal Praktizismus, also doch immerhin eine Tätigkeit nötig, zukommt, sondern dem umgekehrt unsere tätige Erkenntnis
um solche Theoriefremdheit zu erklären; denn Schematismus hinzukommt; - Ratio wacht auf dieser Strecke der Praxis.
der Gedankenlosigkeit lebt auch aus eigener, aus untätiger So wie sie auf jeder Strecke humaner Heimkehr wacht: gegen
Antiphilosophie. Kann aber so noch weniger auf die kost- das Irrationale, das sich letzthin auch in der begrifflosen
barste These über Feuerbach sich berufen; aus Mißverständ- Praxis zeigt. Denn wenn die Zerstörung der Vernunft ins
nis wird dann Blasphemie. Immer wieder muß darum betont barbarische Irrationale zurücksinkt, so die Unkenntnis der
werden: bei Marx ist nicht deshalb ein Gedanke wahr, weil Vernunft ins Dumme; wobei letzteres zwar nicht Blut ver-
er nützlich ist, sondern weil er wahr ist, ist er nützlich. gießt, aber den Marxismus ruiniert. Auch die Banalität ist so
Lenin formuliert das Gleiche in dem schlagenden Diktum: Gegenrevolution gegen den Marxismus selber; denn er ist der
»Die Lehre von Marx ist allmächtig, weil sie wahr ist.« Und Vollzug (nicht die Amerikanisierung) der fortschrittlichsten
fährt fort: »Sie ist die rechtmäßige Erbin des Besten, was die Gedanken der Menschheit.
Menschheit im neunzehnten Jahrhundert in Gestalt der deut- Soviel über falsches Verstehen, ganz zuletzt, wo es auftaucht.
schen Philosophie, der englischen politischen Ökonomie und Das Falsche bedarf ebenfalls der Beleuchtung, gerade weil
des französischen Sozialismus geschaffen hat.« Und bekundet These 11 die wichtigste ist - corruptio optimi pessima. Zu-
wenige Zeilen vorher: »Die ganze Genialität Marxens besteht gleich ist diese These die am prägnantesten gefaßte; so muß
gerade darin, daß er auf die Fragen Antwort gegeben hat, die ein Kommentar hier viel mehr als bei den anderen aufs
das fortgeschrittene Denken der Menschheit bereits gestellt Wörtliche gehen. Was also ist in These 11 der Wortlaut, was
hatte.«2* Mit anderen Worten: Wirkliche Praxis kann keinen ist ihr scheinbarer Gegensatz zwischen Erkennen und Verän-
Schritt tun, ohne sich ökonomisch und philosophisch bei der dern? Der Gegensatz ist keiner; selbst das hier nicht konträre,
Theorie erkundigt zu haben, der fortschreitenden. Sowie es sondern erweiternde Partikel »aber« fehlt im Marxschen Ori-
daher an sozialistischen Theoretikern gefehlt hat, bestand ginal 2 '; ebensowenig findet sich ein Entweder-Oder. Und
allemal die Gefahr, daß gerade der Kontakt mit der Wirklich- den bisherigen Philosophen wird zum Vorwurf gemacht, oder
keit Einbuße erlitt, dieser nie schematisch und simplizistisch besser: es wird an ihnen als Klassenschranke kenntlich ge-
zu interpretierenden, wann anders Praxis sozialistisch gelin- macht, daß sie die Welt nur verschieden interpretiert haben,
gen soll. Sind das offene Türen, die der Antipragmatismus der nicht etwa, daß sie - philosophiert haben. Interpretation aber
größten Praxis-Denker, weil treuesten Wahrheits-Zeugen ist der Kontemplation verwandt und folgt aus ihr; nicht-kon-
offenhält, so können sie doch durch eine interessierte Fehl- templative Erkenntnis also wird nun als neue, als wahrhaft
interpretation der These 11 immer wieder geschlossen werden. zum Sieg tragende Fahne ausgezeichnet. Doch als Fahne der
Durch eine, welche groteskerweise aus dem - in These i x ge- Erkenntnis, als die gleiche Fahne, die Marx - freilich mit
schehenden - höchsten Triumph der Philosophie eine Ab- Aktion, nicht mit betrachtender Ruhe - seinem Hauptwerk
dankung der Philosophie, eben eine Art unbürgerlichen Prag- gelehrter Forschung aufgesetzt hat. Dies Hauptwerk ist lau-
tere Anweisung zum Handeln, doch es heißt Das Kapital,
24 Lenin, Drei Quellen und drei Bestandteile des Marxismus, in: Ausge- 2$ Vgl. MEGA I, j , S. 535.
wählte "Werke, I, S. 63 f.
nicht »Führer zum Erfolg« oder auch »Propaganda der Tat«; genheit gerichtet, so kontemplativ diese auch gehalten war;
es ist keinerlei Rezept zur raschen Heldentat ante rem, son- Marx war der letzte, der am konkreten Hegel, am kenntnis-
dern steht mitten in re, in sorgfältiger Untersuchung, phi- reichsten Enzyklopädisten seit Aristoteles, ein »Studium der
losophierender Zusammenhangs-Erforschung schwierigster wirklichen Welt« vermißt hätte. Dergleichen haben grund-
Wirklichkeit. Mit dem Kurs auf begriffene Notwendigkeit, sätzlich andere Köpfe als Marx und Engels Hegel vorgewor-
auf Erkenntnis der dialektischen Entwicklungsgesetze in fen, es waren die Köpfe der preußischen Reaktion, später des
Natur und Gesellschaft insgesamt. Von den Philosophen also, Revisionismus und ähnliche »Realpolitiker«, wie bekannt.
die »die Welt nur verschieden interpretiert haben«, und von Von der wirklichen bisherigen Philosophie dagegen spricht
sonst nichts stößt die Kenntlichmachung des ersten Satzteils Marx auch in der Deutschen Ideologie ganz anders, nämlich
ab; sie geht auf die Schiffe, doch eben auf höchst durchdachte im Sinn eines schöpferischen reellen Erbantritts. Vorher hatte
Fahrt, wie sie der zweite Satzteil kenntlich macht: auf die das die Einleitung zur Kritik der Hegeischen Rechtsphiloso-
einer neuen, einer aktiven Philosophie, einer zur Veränderung phie, von 1844, bereits dahin klargestellt, daß die Philo-
so unumgänglichen wie tauglichen. Zweifellos hat Marx sophie nicht aufgehoben werden könne, ohne sie zu verwirk-
scharfe Worte durchaus gegen Philosophie gerichtet, doch lichen, nicht verwirklicht werden könne, ohne sie aufzuheben.
nicht einmal gegen kontemplative schlechthin, wann immer Das erstere, mit dem Akzent auf der Verwirklichung, ist für
sie eine bedeutende aus großer Zeit war. Sondern genau die »Praktiker« gesagt: »Mit Recht fordert daher die prak-
gegen eine bestimmte Art kontemplativer Philosophie, näm- tische politische Partei in Deutschland die Negation der
lich die der Hegel-Epigonen seiner Zeit, welche vielmehr Philosophie. Ihr Unrecht besteht nicht in der Forderung,
eine Nicht-Philosophie war. Am härtesten polemisiert daher, sondern in dem Stehenbleiben bei der Forderung, die sie
bezeichnenderweise, die gegen diese Epigonen gezielte Deut- ernsthaft weder vollzieht noch vollbringen kann. Sie glaubt,
sche Ideologie: »Man muß die Philosophie beiseite liegen- jene Negation dadurch zu vollbringen, daß sie der Philoso-
lassen, man muß aus ihr herausspringen und sich als ein ge- phie den Rücken kehrt und abgewandten Hauptes einige
wöhnlicher Mensch an das Studium der Wirklichkeit begeben, ärgerliche und banale Phrasen über sie hermurmelt. Die Be-
wozu auch literarisch ein ungeheures, den Philosophen na- schränktheit ihres Gesichtskreises zählt die Philosophie nicht
türlich unbekanntes Material vorliegt; und wenn man dann ebenfalls in den Bereich der deutschen Wirklichkeit oder wähnt
wieder einmal Leute wie Kuhlmann oder Stirner vor sich sie gar unter der deutschen Praxis und den ihr dienenden
bekommt, so findet man, daß man sie längst >hinter< und Theorien. Ihr verlangt, daß man an wirkliche Lebenskeime
unter sich hat. Philosophie und Studium der wirklichen Welt anknüpfen soll, aber ihr vergeßt, daß der wirkliche Lebens-
verhalten sich zueinander wie Onanie und Geschlechtsliebe.«26 keim des deutschen Volkes bisher nur unter seinem Hirn-
Die Namen Kuhlmann (ein damaliger pietistischer Theologe) schädel gewuchert hat. Mit einem Worte: Ihr könnt die
und gar Stirner zeigen überdeutlich, an welche Adresse oder Philosophie nicht aufheben, ohne sie zu verwirklichen.« Das
Art Philosophie diese mächtige Invektive gerichtet war; sie zweite, mit dem Akzent auf der Aufhebung, ist für die
war an philosophische Windbeutelei gerichtet. Nicht war sie »Theoretiker« gesagt: »Dasselbe Unrecht, nur mit umgekehr-
an die Hegeische Philosophie und andere große der Vergan- ten Faktoren, beging die theoretische, von der Philosophie her
26 A. a. O., S. 116. datierende politische Partei. Sie erblickte in dem jetzigen
Kampf nur den kritischen Kampf der Philosophie mit der und drei Bestandteilen des Marxismus« figuriert. Das schlecht-
deutschen Welt, sie bedachte nicht, daß die seitherige Philo- hin Neue in der marxistischen Philosophie besteht in der
sophie selbst zu dieser Welt gehört und ihre, wenn auch ideelle radikalen Veränderung ihrer Grundlage, in ihrem proleta-
Ergänzung ist. Kritisch gegen ihren Widerpart verhielt sie risch-revolutionären Auftrag; aber das schlechthin Neue be-
sich unkritisch zu sich selbst, indem sie von den Voraussetzun- steht nicht darin, daß die einzige zur konkreten Weltverände-
gen der Philosophie ausging und bei ihren gegebenen Resul- rung fähige und bestimmte Philosophie keine - Philosophie
taten entweder stehenblieb oder anderweitig hergeholte For- mehr wäre. Weil sie das ist wie nie, daher gerade der Triumph
derungen und Resultate der Philosophie ausgab, obgleich der Erkenntnis im zweiten Satzteil der These 1 1 , die Ver-
dieselben - ihre Berechtigung vorausgesetzt - im Gegenteil änderung der Welt betreffend; Marxismus wäre gar keine
nur durch die Negation der seitherigen (!) Philosophie, der Veränderung im wahren Sinn, wenn er vor und in ihr kein
Philosophie als Philosophie, zu erhalten sind. Eine näher theoretisch-praktisches Prius der wahren Philosophie wäre.
eingehende Schilderung dieser Partei behalten wir uns vor« Der Philosophie, die, mit langem Atem, mit vollem Kultur-
(sie geschah in der Heiligen Familie und der Deutschen Ideo- erbe, nicht zuletzt auf Ultraviolett sich versteht, soll heißen:
logie, mit schwerster Kritik der verkommenen Kontemplation, auf die zukunfttragenden Eigenschaften der Wirklichkeit.
der kritischen »Ruhe des Erkennens«). »Ihr Grundmangel Verändern im unwahren Sinn läßt sich freilich vielfach, auch
läßt sich dahin reduzieren: Sie glaubte, die Philosophie ver- ohne Begriff; die Hunnen haben gleichfalls verändert, es gibt
wirklichen zu können, ohne sie aufzuheben.«17 Marx gibt auch eine Veränderung durch Cäsarenwahnsinn, durch An-
also beiden damaligen Parteien ein Antidoton zu ihrem Ver- archismus, ja durch die Geisteskrankheit der Faselei, die Hegel
halten, eine jeweils umgekehrte Medicina mentis: er legt den ein »vollkommenes Abbild des Chaos« nennt. Aber gediegene
Praktikern von damals ein Mehr-Verwirklichen von Philo- Veränderung, gar die zum Reich der Freiheit, kommt einzig
sophie auf, den Theoretikern von damals ein Mehr-Aufheben durch gediegene Erkenntnis zustande, mit immer genauer
von Philosophie. Jedoch auch die »Negation« der Philosophie beherrschter Notwendigkeit. Durchaus Philosophen haben
(ein selber so höchst philosophisch geladener, aus Hegel stam- seitdem dergestalt die Welt verändert: Marx, Engels, Lenin.
mender Begriff) bezieht sich hier ausgesprochenerweise auf Praktizisten aus der hohlen Hand, Schematiker mit Zitaten-
die »seitherige Philosophie«, nicht auf jede mögliche und schatz haben sie nicht verändert und auch nicht jene Empi-
künftige überhaupt. Die »Negation« bezieht sich auf Philo- risten, die Engels »Induktionsesel« genannt hat. Philosophi-
sophie mit Wahrheit um ihrer selbst willen, also auf autark- sche Veränderung ist eine mit unaufhörlicher Kenntnis des
kontemplative, auf eine die Welt lediglich antiquarisch Zusammenhangs; denn wenn Philosophie auch keine eigene
interpretierende, sie bezieht sich nicht auf eine die Welt Wissenschaft über den anderen Wissenschaften darstellt, so ist
revolutionär verändernde. Ja auch innerhalb der »seitherigen sie doch das eigene Wissen und Gewissen des Totum in allen
Philosophie«, der von den Hegel-Epigonen freilich so grund- Wissenschaften. Sie ist das fortschreitende Bewußtsein des
verschiedenen, gibt es, bei aller Kontemplation, so viel »Stu- fortschreitenden Totum, da dieses Totum selber nicht als Fak-
dium der wirklichen Welt«, daß eben die deutsche klassische tum steht, sondern einzig im riesigen Zusammenhang des
Philosophie nicht ganz unpraktisch unter den »drei Quellen Werdens mit dem noch Ungewordenen umgeht. Philosophi-
27 MEGA I, 1/1, S. 613. sche Veränderung ist derart eine nach Maßgabe der analysier-
ten Lage, der dialektischen Tendenz, der objektiven Gesetze, Der archimedische Punkt; Wissen nicht nur auf Vergangenes,
der realen Möglichkeit. Darum also geschieht philosophische sondern wesentlich auf Heraufkommendes bezogen
Veränderung letzthin wesentlich im Horizont der überhaupt
kontemplationsunfähigen, interpretierungs-unfähigen, wohl Erstmals wurde der Geist so mächtig, endlich versteht er sich
aber marxistisch erkennbaren Zukunft. Und unter diesem darauf. Und genau deshalb, weil er sich seines früheren, oft
Aspekt erhob sich Marx auch über die oben angegebene, nur falsch erhabenen Wesens begeben hat. Weil er ein wahrhaft
antithetisch gesetzten Wechselakzente: Verwirklichung oder politisches Lied geworden ist, sich endlich selber aus dem Be-
Aufhebung der Philosophie betreffend (Verwirklichung ak- trachteten und Vergangenen zur Gegenwart herausmachte.
zentuiert gegen die »Praktiker«, Aufhebung akzentuiert Zu einer damaligen Gegenwart überdies, die den Geist nicht
gegen die »Theoretiker«). Die dialektische Einheit der recht als Äther zuließ, sondern als materielle Gewalt brauchte.
verstandenen Akzente lautet, am Ende der zitierten Einlei- Hierfür ist erneut der Zeitpunkt wichtig, wo mit den anderen
tung-!8, wie bekannt: »Die Philosophie kann sich nicht ver- Frühschriften auch die Elf Thesen an dieses kräftige Licht
wirklichen ohne die Aufhebung des Proletariats, das Prole- traten. Marx schrieb darüber im Kommunistischen Manifest,
tariat kann sich nicht aufheben ohne die Verwirklichung der 1848, also wenig später: »Auf Deutschland richten die Kom-
Philosophie.« Und die Aufhebung des Proletariats, sobald es munisten ihre Hauptaufmerksamkeit, weil Deutschland am
nicht nur als Klasse, sondern ebenso, wie Marx lehrt, als Vorabend einer bürgerlichen Revolution steht, und weil es
schärfstes Symptom der menschlichen Selbstentfremdung ge- diese Umwälzung unter fortgeschritteneren Bedingungen der
faßt wird, ist ohne Zweifel ein langer Akt: die völlige Auf- europäischen Zivilisation überhaupt und mit einem viel wei-
hebung dieser Art fällt mit dem letzten Akt des Kommunismus ter entwickelten Proletariat vollbringt als England im sieb-
zusammen. Des Sinns, den Marx in den Ökonomisch-philo- zehnten und Frankreich im achtzehnten Jahrhundert, die
sophischen Manuskripten ausdrückt, mit einer Perspektive, deutsche Revolution also nur das unmittelbare Vorspiel einer
die sich gerade aufs philosophisch äußerste »Eschaton« ver- proletarischen Revolution sein kann.« Von daher also der
steht: »Erst hier ist ihm (dem Menschen) sein natürliches Da- besondere Anstoß, ein von Feuerbach nicht empfundener, der
sein sein menschliches Dasein und die Natur für ihn zum die neue Philosophie sogleich, in statu nascendi, auf die Barri-
Menschen geworden. Also die Gesellschaft ist die vollendete kaden brachte. Bereits in der Thes^ 4 war der archimedische
Wesenseinheit des Menschen mit der Natur, die wahre Resur- Punkt entdeckt, von dem dergestalt die alte Welt aus den
rektion der Natur, der durchgeführte Naturalismus des Angeln, die neue in die Angeln zu heben ist, der archimedische
Menschen und der durchgeführte Humanismus der Natur.«2? Punkt in der »weltlichen Grundlage« von heute: »Diese
Hier leuchtet die von Marx zu formulieren gesuchte letzte selbst muß also erstens in ihrem Widerspruch verstanden und
Perspektive des Veränderns der Welt. Ihr Gedanke (das sodann durch Beseitigung des Widerspruchs praktisch revo-
Wissen-Gewissen jeder Praxis, worin das noch ferne Totum lutioniert werden.« Und nun, was ist es endgültig, was den
sich spiegelt) verlangt zweifellos ebensoviel Neuheit der Ansatzpunkt der Elf Thesen, also die beginnende Philosophie
Philosophie, wie er Resurrektion der Natur schafft. der Revolution entdeckt hat? Es ist doch nicht der neue, der
proletarische Auftrag allein, so entscheidend er von der Be-
28 A. a. O., S. 611.
ig A. a. O., S. 116.
trachtung losriß, die Dinge nicht hinnehmen, gar verewigen
ließ, wie sie sind. Auch ist es nicht nur das kritisch-schöpferisch nicht reflektiert war, so daß das Wissen nicht nur, wie oben
angetretene Erbe der deutschen Philosophie, der englischen gezeigt, schlechthin Schau, sondern der Gegenstand des Wis-
politischen Ökonomie, des französischen Sozialismus, so not- sens schlechthin Ausgestaltetes, die Wesenheit schlechthin
wendig diese drei Fermente, vorab Hegels Dialektik und Ge-wesenheit sein mußte. Hier hat die Platonische Anamnesis
Feuerbachs erneuerter Materialismus, für die Herausbildung ihren Ort: »Denn wahrlich«, sagt Sokrates im Dialog Menon
des Marxismus waren. Sondern dasjenige, was endgültig zum (81 B - 82 A) und weist auf Schau gerade in der Urvergan-
archimedischen Punkt führte und mit ihm zur Theorie-Praxis, genheit der Seele, »Suchen und Lernen sind ganz und gar
kam in gar keiner Philosophie bisher vor, ja ist in und an nur - Erinnerung.« Es ist der Bann dieses kontemplativen
Marx selber noch kaum völlig reflektiert worden. »In der Antiquariums, der - aller gesellschaftlichen Veränderungen
bürgerlichen Gesellschaft«, sagt das Kommunistische Manifest, des Erkenntnisbegriffs ungeachtet - die Philosophie bis Marx
»herrscht die Vergangenheit über die Gegenwart, in der kom- nicht nur in der Betrachtung, sondern eben auch in der bloßen,
munistischen die Gegenwart über die Vergangenheit.« Und es jeder Betrachtung eingeschriebenen, Relation zur Geworden-
herrscht die Gegenwart zusammen mit dem Horizont in ihr, heit gehalten hat. Selbst dem Entwicklungsdenker Aristoteles
der der Horizont der Zukunft ist, und der dem Fluß der ist das Wesen das TÖ XL fjv elvai, das »Was-war-Sein«, im
Gegenwart den spezifischen Raum gibt, den Raum neuer, Sinn der abgeschlossenen Bestimmbarkeit, statuarischen Aus-
betreibbar besserer Gegenwart. Also wurde die beginnende geprägtheit. Selbst dem großen dialektischen Prozeßdenker
Philosophie der Revolution, das ist, der Veränderbarkeit Hegel ist das Geschehen völlig unter seine fertige Geschichte
zum Guten, allerletzt am und im Horizont der Zukunft er- gebeugt, und das Wesen ist die gewordene Wirklichkeit, worin
öffnet; mit Wissenschaft des Neuen und Kraft zu seiner es »mit seiner Erscheinung eins ist«. Nicht zuletzt bei Feuer-
Leitung. bach notiert Marx selber diese Sperre: »Feuerbachs ganze
Deduktion in Beziehung auf das Verhältnis der Menschen zu-
Alles Wissen aber war bisher wesentlich auf Vergangenes
einander geht nur dahin, zu beweisen, daß die Menschen
bezogen, indem nur dieses betrachtbar ist. Das Neue blieb so
einander nötig haben und immer gehabt haben. Er will das
außer seinem Begriff, die Gegenwart, in der das Werden des
Bewußtsein über diese Tatsache etablieren, er will also, wie
Neuen seine Front hat, blieb eine Verlegenheit. Das Denken
die übrigen Theoretiker, nur ein richtiges Bewußtsein über
in Warenform hat diese alt überkommene Ohnmacht beson-
ein bestehendes Faktum hervorbringen, während es dem
ders gesteigert; denn das kapitalistische Zur-Ware-Werden
wirklichen Kommunisten darauf ankommt, das Bestehende
aller Menschen und Dinge gibt ihnen nicht nur Entfremdung,
umzustürzen.«3° Der Effekt von alldem war nun der, daß der
sondern es erhellt: die Denkform Ware ist selber die gestei-
Geist der Anamnesis seine Erkenntniskraft gerade dort ge-
gerte Denkform Gewordenheit, Faktum. Über diesem Fak-
sucht hat, wo am wenigsten Gegenwart, gar Zukunft zur
tum wird das Fieri besonders leicht vergessen und so über dem
Entscheidung steht. Während also die bloße Relation: Wissen-
verdinglichten Produkt das Produzierende, über dem schein-
Vergangenheit zu Fragen der Gegenwart gar zu Entschei-
baren Fixum im Rücken der Menschen das Offene vor ihnen.
dungsproblemen der Zukunft in einem fast nur kannegießern-
Aber die falsche Wechselbeziehung zwischen Wissen und Ver-
den Verhältnis steht oder im Verhältnis des kurzsichtigsten
gangenheit ist sehr viel älter, ja ihren Ursprung hat sie eben
30 Deutsche Ideologie, a. a. O., S. 3 1 .
dort, wo der Arbeitsvorgang in der Erkenntnis überhaupt
bürgerlichen Klassenstandpunkts, wird ihr (freilich ohne daß tionären Klasse allemal mit Illusionen oder unkonkret über-
der verewigte Klassenstandpunkt aufhörte) erst in der Ab- schießenden Idealen gegenüber; das also nicht nur wegen
geschiedenheit des Präteritum gleichsam heimatlich zumute. der jeweiligen Klassenschranke, sondern ebenso wegen der
Und zwar desto heimatlicher, je ferner die Objekte zeitlich Schranke vor der Zukunft, die bis Marx mit der Klassen-
zurückliegen, je adäquater also ihre Abgeschlossenheit zu der schranke durchgehends gesetzt war. Dies alles eint sich, je
Ruhe der Kontemplation erscheint. Daher erlauben in der länger, je mehr, eben mit der Anamnesis oder der kontem-
Relation: Wissen-Vergangenheit die Kreuzzüge sozusagen plativ-statischen Wissensperre gegen das wirklich Anrückende,
mehr »Wissenschaftlichkeit« als die beiden letzten Weltkriege, Heraufkommende. Und ebenso, nun völlig entschieden: wo
Ägypten wiederum, das noch fernere, mehr als das Mittel- das Wissen-Vergangenheits-Verhältnis in der Gegenwart nur
alter. Gar das scheinbare totale Vorbei der physischen Natur Verlegenheit sieht und in der Zukunft Spreu, Wind, Gestalt-
steht oder stand da als eine Art Uber-Ägypten oder Potenz losigkeit, dort erfaßt das Wissen-Tendenz-Verhältnis das Wo-
von Ägypten, ganz weit zurück, mit der granitnen Gewor- zu seines Wissens überhaupt: als den vermittelten Neubau der
denheit einer Materie, die, nicht ohne methodischen Jubel, tot Welt. Die dialektisch-historische Tendenzwissenschaft Marxis-
genannt wurde. Wie anders aber das alles im Marxismus, wie mus ist derart die vermittelte Zukunftswissenschaft der Wirk-
groß ist dessen Macht gerade an der Gegenwart geraten. Wie lichkeit plus der objektiv-realen Möglichkeit in ihr; all das
bewährt sich seine neue, seine durchgängige Geschehens- und zum Zweck der Handlung. Der Unterschied zur Anamnesis
Veränderungs-Wissenschaft gerade an der Front des Ge- des Gewordenen, samt ihren sämtlichen Abwandlungen,
schehens, in der Aktualität der jeweiligen Entscheidung, 'in der könnte nicht einleuchtender sein; er gilt sowohl für die er-
Tendenz-Beherrschung zur Zukunft hin. Marxistisch ist auch leuchtende marxistische Methode wie für die in ihr erleuchtete
die Vergangenheit nicht wachsend antiquarisch gestaffelt, unabgeschlossene Materie. Erst der Horizont der Zukunft,
denn die Geschichte als urkommunistische wie als eine von wie ihn der Marxismus bezieht, mit dem der Vergangenheit
Klassenkämpfen macht auch ihre weitest zurückliegende als Vorraum, gibt der Wirklichkeit ihre reelle Dimension.
Epoche zu keinem Museum; noch weniger aber macht sie die Unvergeßlich ist hier auch der neue Ort des archimedischen
näherliegende, wie in der bürgerlichen Kontemplation, zum Punktes selber, von dem her in die Angeln gehoben wird. Er
wissenschaftsfreien Moratorium. Wonach so große Teile der liegt gleichfalls nicht weit hinten, im Vergangenen, Abgeta-
bürgerlichen Gelehrsamkeit, ohne alles konkrete Wissensver- nen, zu dem der frühere, bloß betrachtende Materialismus die
hältnis zur Gegenwart, dieser, als sie Entscheidung verlangte, Welt herunteranalysiert hatte. Das wirkte in der Folge, ge-
entweder hilflos gegenüberstanden oder, in letzter Zeit, sich rade als seine entzaubernde Rolle längst dahin war, hem-
dem Anti-Bolschewismus noch über alles Klasseninteresse mungslos retrograd; er löste die historischen Erscheinungen in
hinaus mit skandalöser Unwissenheit, Unweisheit verkauften. biologische, diese in chemisch-physikalische auf, bis herab auf
Sogar noch die damit unvergleichlichen wissenschaftlichen die atomare »Basis«! von allem und jedem. Dergestalt, daß
Bahnbrecher der bürgerlichen Gesellschaft, die gewiß zur Ge- auch von historisch höchst geladenen Erscheinungen, etwa der
genwarts- und Zukunfts-Relation gehaltenen großen und Schlacht bei Marathon, nur noch Muskelbewegungen übrig-
reinen Ideologen des siebzehnten und achtzehnten Jahrhun- blieben, also die Griechen und Perser samt dem gesellschaft-
derts standen dem Heraufkommenden ihrer eigenen revolu- lichen Inhalt dieser Schlacht in gänzlich unterhistorische
Muskelbewegungen verschwanden. Diese lösten sich dann Licht, worin zugleich der archimedische Punkt lag, der heißt:
wieder aus der Physiologie in organisch-chemische Vorgänge Beziehung der Menschen zu Menschen und zur Natur. Und
auf, und die organische Chemie wiederum, die ohnehin allen eben weil der historische Materialismus, zum Unterschied vom
Lebewesen gemeinsame, landete schließlich beim Tanz der einseitig naturwissenschaftlichen, kein betrachtender war, ent-
Atome, eben als der generellsten »Basis« von allem und deckte er am spezifischen Ort seines archimedischen Punkts
jedem. Damit war freilich nicht nur die Schlacht bei Mara- nicht nur den Schlüssel der Theorie, sondern den Hebel der
thon, die doch erklärt werden sollte, völlig verschwunden, Praxis. Marxismus also zerstört am wenigsten diesen Hebel
sondern die ganze gebaute Welt zeigte sich im Allgemeinen und, dem entsprechend, nicht die höhere, die neue Organi-
einer totalen Mechanik untergegangen - mit Verlust sämt- sation lebendiger Materie, zu der der Hebel hebt. So noch-
licher Erscheinungen und ihrer Unterschiede. Der mechanische mals These 10: »Der Standpunkt des alten Materialismus ist
Materialismus erblickte in dieser Zerlegung auf Atomistik die >biirgerliche< Gesellschaft, der Standpunkt des neuen die
und sonst nichts des Pudels Kern; in Wahrheit war hier wirk- menschliche Gesellschaft oder die vergesellschaftete Mensch-
lich erst jene Nacht, von der einmal Hegel sprach, die Nacht, heit.« Und Weltveränderung dieser Art geschieht sinngemäß
wo alle Kühe schwarz sind. Dasjenige fehlte, was gerade De- einzig in einer Welt der qualitativen Umschlagbarkeit, Ver-
mokrit, der erste große Materialist, Sttxoc&Ceiv ~a cpaivö|xeva, änderlichkeit selber, nicht in der des mechanischen Immer-
Retten der Erscheinungen genannt und methodisch gefordert Wieder, der puren Quantität, des historischen Umsonst. Es
hatte. Hier leistete Feuerbach mit seinem nicht physikalischen, gibt ebenso keine veränderbare Welt ohne den erfaßten Hori-
sondern »anthropologischen« Materialismus dem jungen Marx zont der objektiv-realen Möglichkeit in ihr; sonst wäre selbst
allerdings einen großen Dienst, einen im ganzen Tenor der ihre Dialektik eine des Auf-der-Stelle-Tretens. Ja noch viel
Elf Thesen anerkannten. Atome und dann die ganze Biologie mehr Gewalt der Schöpfung hat sich in der weltumfassenden
liegen zwar entwicklungsgeschichtlich jedem weiteren Bau Dialektik des Marxismus erkennbar gemacht und kommt zur
zugrunde, doch der »starting point«, wie später Engels in der Wissenschaft. Die Hoffnung, die Herder im »Genius der Zu-
Dialektik der Natur das nannte, dann der archimedische kunft« hymnisch anzurufen suchte: » . . . denn was ist Lebens-
Punkt (für die Geschichte) ist dem Marxismus der arbeitende wissen! und du, / Der Götter Geschenk, Prophetengesicht! und
Mensch. Seine gesellschaftlichen Weisen der Bedürfnisbefriedi- der Ahndung / Vorsingende Zauberstimme!«, - gerade die
gung, das »Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse«, wie Hoffnung des Lebenswissens wurde, damit es wirklich eines
es an Stelle des Feuerbachschen Mensch-Abstraktums trat, der sei, bei Marx Ereignis. Das Ereignis ist nicht abgeschlossen,
gesellschaftliche Austauschprozeß mit der Natur selber: all denn es ist selber ein einziges Vorwärts in der veränderbaren
das wurde nun als die einzig relevante und wirkliche Basis Glück implizierenden Welt. So bekundet die Gesamtheit der
erkannt, was das Reich der Geschichte und Kultur angeht. Es Elf Thesen: Die vergesellschaftete Menschheit im Bund mit
war das gleichfalls eine materielle Basis, ja eine viel ausge- einer ihr vermittelten Natur ist der Umbau der Welt zur
prägter materielle als die der unsichtigen Atomvorgänge, doch Heimat.
gerade als ausgeprägtere, als historisch-charakteristische mach-
te sie die geschichtlichen Erscheinungen und Charaktere nicht
zur Nacht. Sie brachte vielmehr erstmals Licht, ein genuines
Marx und die idealistische Dialektik auch in der Idee nur reflektieren, was sich in konkreten Da-
seinsverhältnissen zutrug. Diese durchgängige dialektische
Gesetzmäßigkeit haben Marx und Engels, wie letzterer im
Vorwort zum Anti-Dühring sagt, »in die materialistische Ge-
Als der Student Marx 1836 nach Berlin kam, war Hegel seit schichtsauffassung der Natur und Geschichte hinübergerettet«.
fünf Jahren tot. Aber sein Geist beherrschte noch alle, als Konkret gewordene Dialektik leitet bei Marx seine sämtlichen
stünde er hinter ihnen im Rücken, selbst den Feinden diktierte Analysen, sie belegt, als Durchbruch des Neuen durch die
er den Weg. Der junge Marx schreibt an seinen Vater, er habe Rinde, als bewahrendes Aufheben dessen, wovon noch Auf-
sich immer fester an Hegel gekettet, trotz dessen »grotesker hebens zu machen ist, seine sämtlichen Hoffnungen. Sie be-
Felsenmelodie«. Unter dem Einfluß der linken Hegelschule, fähigt ihn, zum Unterschied von den abstrakten Utopisten,
dann vor allem Feuerbachs kam Marx vom Geist zum Men- im Elend nicht nur das Elend zu sehen, sondern ebenso den
schen. Er kam weiter von der Idee zum Bedürfnis und seinen Wendepunkt. Sie überzeugt ihn, im Proletariat nicht nur die
gesellschaftlichen Umtrieben, von den Bewegungen des Kopfes Negation des Menschen zu sehen, sondern eben deshalb, we-
zu den wirklichen, die aus dem wirtschaftlichen Interesse ent- gen dieser an die Spitze getriebenen Entmenschung, die Be-
springen. Aber hat Marx Hegel derart auf die Füße gestellt, dingung zu einer »Negation der Negation«. Was bei Marx
so zeigt auch Hegel, daß ihm mindestens der Pferdefuß nicht aufhört, ist Hegels Dialektik als bloße Hin- und Widerrede
fremd war; ein unbewachterSatz des großen Idealisten gehört eines Weltgesprächs, gar eines Weltbildners mit sich selbst;
hierher, und nicht nur der junge, auch der entschieden materia- das ist das falsche Geistsubjekt bei Hegel, das von Marx
listische Marx hätte ihm wohl zugestimmt. Denn 1807 schrieb völlig aufgegebene. Aber Dialektik als reeller Prozeß wird
Hegel aus Bamberg, wo er als Redakteur sich durchschlug, an nach Wegfall des idealistischen Scheins erst recht sichtbar; sie
seinen Jenenser Freund, den Major Knebel: »Ich habe mich ist das Bewegungsgesetz der Materie. Und was bei Marx
durch Erfahrung von der Wahrheit des Spruches in der Bibel weiter aufhört, ist das Hegeische Antiquarium, das heißt:
überzeugt und ihn zu meinem Leitstern gemacht: trachtet am jener als Erinnerung doppelt vergeistigte Geist, der am dialek-
ersten nach Nahrung und Kleidung, so wird euch das Reich tischen Geisterzug zwar leider nicht die Geister, wohl aber
Gottes von selbst zufallen.«1 Der Spruch lautet in der Bibel den Zug, den Prozeß oder, wie Marx sagt, den Produktions-
(Matth. 6, 33) bekanntlich genau umgekehrt; ein weiterer, raum Zeit zuletzt aufgehoben hatte. Jedoch das wirkliche
auch schon am jungen Marx bewahrheiteter Beitrag zu der Totum und sein wirklich durchgängiges Substrat wird nun
fruchtbaren Einsicht, daß die Hegelidee zuweilen nicht einmal gleichfalls erst recht sichtbar: als dialektische, als prozessuale,
so sehr viel umgeschlagen werden mußte, um rotes Futter zu offen gehaltene Materie. Diese reduziert das fundierende
zeigen. Wesen nicht auf Ge-wesenheit, auch nicht auf eine von An-
fang an und sozusagen rundherum fertig vorliegende Sub-
Und eben das Umschlagen, eine Hegeische Hauptsache, war stanz. Dialektische Materie ist darum auch keineswegs die
am allerbesten an seinem Lehrer selbst fällig und vornehmbar. unveränderliche des mechanischen Materialismus, sie bildet
Der Dialektiker Hegel ließ durch die Idee geschehen, was keinen Klotz mit dialektisch schmückendem Beiwort, das dem
einzig durch Körper und Menschen geschah, doch oft ließ er Klotz kaum die Haut ritzt, geschweige daß es ihn veränderte.
1 X V I I , S. 629 f.
Dialektische Materie hat ihr Totum nicht im Horizont der Rechtsphilosophie die grundlegende Unterscheidung »bürger-
Vergangenheit liegen, wie der Erinnerungs-Geist Hegels, aber liche Gesellschaft - Staat« übernommen und so vieles Inhalt-
auch wie die mechanische Materie seit Demokrit, sondern im liche, nicht nur »Methodische« mehr. Hegels Ästhetik ist
Horizont der Zukunft. Zu ihr hin, auf die die Vergangenheit überwiegend auf gesellschaftliche Verhältnisse gebaut und
selber bezogen ist, sieht nun der dialektische Materialismus ihnen auf ebenso konkret gemeinte wie das »Ideal« bedeu-
die Materie tätig, dieses nicht nur Bedingende aller Erschei- tende Weise zugeordnet; Marx nimmt überall dort, wo das
nungen, sondern selbst noch nicht in volle Erscheinung getre- Ideologische in Kultur reicht, auf Hegels Kunstbegriffe Bezug.
tene Wesen, dieses nicht nur nach Möglichkeit Seinlassende, Lenin hat alle diese Bezüge im Auge, wenn er die Lehre von
sondern auch in Möglichkeit Seiende. Marx macht Hegel zum Marx »als direkte und unmittelbare Fortsetzung der Lehre
Vorwurf: »In Hegels Geschichtsphilosophie wie in seiner der größten Vertreter der Philosophie, der politischen Öko-
Naturphilosophie gebiert der Sohn die Mutter, der Geist die nomie und des Sozialismus« bezeichnet.2 Sehr weite Partien
Natur, die christliche Religion das Heidentum, das Resultat Hegels - die Religionsphilosophie (Hegeische Linke, Feuer-
den Anfang«; aber im mechanischen Materialismus gebiert bach) am wenigsten zu vergessen - gehören darum zur Ver-
der Anfang nicht einmal ein Resultat. Seine Materie bleibt mittlungsgeschichte des Marxismus, des bekanntlich unab-
unfruchtbar, wogegen die dialektische Materie das gesamte geschlossenen. Marxismus ist und bleibt dabei, auch als
Leben des von Hegel angezeigten Prozesses für sich hat. »Fortsetzung«, ein Novum - nicht nur gegenüber Hegel,
Dialektisch-materialistische Erkenntnis also hat den Hegel- sondern der gesamten Philosophie bis dahin; ein Novum,
schen Logos, mit all seiner gebannten Unruhe, seiner un- weil hier nicht, wie bisher, die Philosophie einer Klassen-
ruhigen Starre, vom Thron gestoßen, doch sein historisches gesellschaft, sondern einer Aufhebung der Klassengesellschaft
Reich hat sie an sich genommen. So entsteht bewußte Herstel- erscheint. Doch genau dieses Novum ist nicht durch ein abrup-
lung der Geschichte, aktive Bezogenheit auf ein wirklich tes Wunder entstanden, konträr: ohne die klassische deutsche
ganzes und als solches noch ausstehendes Totum. Das ist der Philosophie, ohne diese Vermittlung wäre es nicht da.
Umschlag von Hegel zu Marx, eine Berichtigung des Geister- Der Mensch, sagt Marx, unterscheidet sich vom Biber dadurch,
zuges zum irdischen Prozeß, des fixen Erinnerungsinhalts zum daß er seinen Bau plant. Um erfolgreich tätig sein zu können,
unerschöpften Fundus dialektischer Materie. Die Logik der muß er seine Sache allerdings erst im Kopf, in Gedanken er-
Sache ist derart der Grund, weshalb auch so vieles aus der wogen haben. Aber so, daß er nicht, wie oft bei Hegel, einen
damaligen Philosophensprache (wie »Entfremdung«, »Ent- Begriff oder eine schematische Bewegung von Begriffen von
äußerung«, »Umschlag der Quantität in die Qualität« und außen an die Dinge heranträgt. Erkenntnis geschieht nicht
so fort) im Marxismus auf der Tagesordnung fortbesteht. Am aus den Tiefen des eigenen Gemüts oder als Zuschauer ihrer
lebendigsten, wegen der Dialektik, sind im Marxismus die selbst, sie geschieht einzig als Abbildung wirklicher Vorgänge
Hegeische Phänomenologie und Logik geblieben. Damit je- und ihrer relativ dauernden Daseins weise (Kategorien). So
doch ist ihm das Erbe nicht erschöpft; gerade die realphiloso- wenig aber wie Hegel anerkennt Marx Tatsachen als solche,
phisch-systematischen Werke enthalten Dialektik in immer sie sind ihm nur Momente von Prozessen. Und dies Prozeß-
neuer, inhaltlich variierter Fülle. Engels hat eine Natur-
2 Lenin, Drei Quellen und drei Bestandteile des Marxismus, in: Werke,
dialektik auf Hegels Spuren geschrieben, Marx hat aus Hegels
X V I , S. 349.
hafte macht, daß jede Erkenntnis ihre Zeit hat, daß Philo- bei Feuerbach, sondern der Mensch als Ensemble gesellschaft-
sophie, wie Hegel sagt, wirklich »ihre Zeit ist« (und die darin licher Verhältnisse, sich geschichtlich ändernd, ein letzthin
umgehende nächstfolgende), »in Gedanken gefaßt«. Hier noch ungefundenes, unemanzipiertes Wesen. So geschieht die
nimmt Marx völlig Hegel auf, charakteristisch verschärft, aus dialektische Beziehung zwischen Subjekt und Objekt, worin
der bloßen Betrachtung entfernt: »Es genügt nicht, daß der immer eines das andere berichtigt und verändert, primär im
Gedanke zur Wirklichkeit drängt, die Wirklichkeit muß sich und am ökonomisch-sozialen Unterbau der Geschichte, der
auch zum Gedanken drängen.« Das begreifende Subjekt ist, bislang dasselbe wie der Hauptbau ist, sie geschieht im
in dialektischer Wechselwirkung, auf die geschichtliche Fällig- Sozialreich der Interessen, nicht im Himmelreich der Ideen.
keit oder Reife des zu begreifenden Objekts angewiesen. Marx deutete gerade die Hegeische Phänomenologie dahin
Hierbei werden das Subjekt als Träger bloßer denkender aus, als hätte Hegel, wider seinen eigenen Idealismus, solche
Betrachtung und das Subjekt realer Geschichte völlig unter- materielle Dialektik bezeugt. Das Große an der Phänomeno-
schieden. Bei Hegel fielen beide ebenso völlig zusammen, logie ist danach einmal, »daß Hegel die Selbsterzeugung des
das gedankenerzeugende Subjekt war auch das geschichts- Menschen als einen Prozeß faßt«, sodann aber, vor allem,
erzeugende, es sei denn, das betrachtende Subjekt, das der »daß er das Wesen der Arbeit faßt und den gegenständlichen
Philosophie, kommt zu spät. Aber auch dies nachträgliche Menschen, wahren, weil wirklichen Menschen, als Resultat
Bewußtsein des Philosophen, auf das Hegel das Subjekt des seiner eigenen Arbeit begreift«. Aus der Selbsterzeugung des
Begreifens reduziert, ist doch au fond das geschichtserzeugende absoluten Wissens wird derart Selbsterzeugung des Menschen
Subjekt, nur post festum, nur auf seinen Lorbeeren ruhend. durch Arbeit; aus dem Fürsich werden des Geistes (einem auch
Denken und Sein, Kopf und Adler fallen auf Hegels Welt- bei Hegel sauren Geschäft, man weiß nicht, warum) wird
münze zusammen, auch wenn der Kopf im Pensionszustand reale Geschichte. Sie ist einzig als materiell-dialektische vor-
den Weltgang, der er angeblich ist, nur registriert. Marx handen, als eine von Klassenkämpfen durchtobte, mit der
dagegen erblickt im denkerzeugenden Subjekt entweder gar »Emanzipation des Menschen« erst am ungekommenen Ende.
nichts, außer dem Träger von Sparren, von falschem Be- Hegel hatte seine Geschichte der Philosophie mit einem leicht
wußtsein, von Betrachtung außerhalb des wirklichen, des umgewandelten Vergil-Zitat aus der Äneis geschlossen: »Tan-
Produktionsprozesses. Oder aber, er wertet den Gedanken, tae molis erat, se ipsam cognoscere mentem«, solche Mühe
sofern er ein mit der geschehenden Wirklichkeit vermittelter kostete es, bis der Geist sich selbst erkennt. Marx hatte diese
ist, selber als Faktor der Umwälzungsprozesse: nur dann, Mühe allemal als eine nicht nur geistige begriffen, und nahm
dann aber unbedingt, wird er geschichtserzeugend. Wird als er mit Hegel die alte Inschrift auf dem Tempel in Delphi:
Klassenbewußtsein, als revolutionäre Wissenschaft eine beson- »Erkenne dich selbst« als Thema der menschlichen Geschichte
ders mächtige, auf Produktion und Basis zurückwirkende an, so war er entscheidend davon entfernt, Selbsterkenntnis
Kraft, gehört zum Subjekt der Geschichtserzeugung, der mit mit der linken Hegelschule als bloße »Philosophie des Selbst-
Bewußtsein gemachten Geschichte. Das grundlegende Subjekt bewußtseins« zu definieren. Selbsterkenntnis wurde zu einer
ist bei Marx aber niemals der Geist, sondern der wirtschaf- nichtbetrachtenden, und sie wurde zu der des arbeitenden
tende gesellschaftliche Mensch. Und es ist nicht derselbe ab- Menschen, der sich darin sowohl als Ware begreift, zu der er
strakte Mensch, der Mensch als bloßes Gattungswesen, wie entäußert ist, wie als werterzeugendes Subjekt, das seinen
aufgezwungenen Warencharakter revolutionär aufhebt. Das licht. Es wird durch eine materielle Beschaffenheit ermöglicht,
ist die Praxis der delphischen Inschrift bei Marx, ist wirk- in der ohnehin kein Stein auf dem anderen bleibt, in der frei-
liche, zur Praxis gelangende Aufhebung der Entäußerung. lich nur durch den erkennend-tätigen Menschen, als letzter
Eine, die den Produktionsprozeß und das Wissen um die von Gestalt der Materie, aus den bewegbaren Steinen ein Haus
ihm gesetzten menschlichen Beziehungen so weit wie möglich und eine Heimat gebaut werden kann, dieses also, was die
in die scheinbare Schickung, in das verdinglicht undurch- alten Utopisten regnum hominis, Welt für Menschen genannt
schaute Schicksal hineintreibt. hatten. Um die Welt, mit dem Menschen als Stück der Welt
Die Dialektik also muß es sich gefallen lassen, kein an die und in der Welt, dermaßen zu bewegen, muß sie für Marx
Dinge herangetragenes Verfahren mehr zu bleiben. Sie war sein, was sie ist: materieller Prozeß. Alle Kategorien, auch
das der Absicht nach ja auch bei Hegel nicht, auch dieser liebte »Sphären« (Recht, Kunst, Wissenschaft) funktionieren einzig
keine vom Stoff abgetrennte Methodologie, auch nicht, wie zu in der sich geschichtlich umwälzenden Wirklichkeit; als Da-
sehen war, die außen herumgehende Erkenntnistheorie. seinsweisen, die sich überdies - weit davon entfernt, ein
Hegel hat seine Dialektik trotzdem als rein idealistische ent- gleichbleibend-abgeschlossenes System zu bilden - von einer
wickelt, die, soviel sie auch von Land und Leuten mitteilt, zur anderen Gesellschaft variieren. Und nirgends besitzen die
dies doch stets nach Maßgabe eines logischen Apriori mitteilt. »Sphären« (Recht, Kunst, Wissenschaft) ein - bei Hegel vor-
Für Marx dagegen ist die Dialektik nirgends eine Methode, handenes - Sonderleben, gar Autarkie. Auch nach Seiten der
nach der er die Geschichte bearbeitet, sondern sie ist dasselbe Natur behauptet Marx ein einheitliches historisches Medium
wie die Geschichte selbst. Das Bürgertum innerhalb der feu- (Vermittlungswesen): »Wir kennen nur eine einzige Wissen-
dalen Gesellschaft, das Proletariat innerhalb der bürgerlichen, schaft, die Wissenschaft der Geschichte. Die Geschichte kann,
die Krisen, welche aus dem Mißverhältnis zwischen einer von zwei Seiten aus betrachtet, in die Geschichte der Natur
großindustriellen, also bereits kollektiven Produktionsweise und die Geschichte der Menschen abgeteilt werden. Beide Sei-
und den privatkapitalistischen Produktionsverhältnissen ent- ten sind indes nicht zu trennen; solange Menschen existieren,
stehen: alle diese im Schoß der jeweiligen Gesellschaft er- bedingen sich Geschichte der Natur und Geschichte der Men-
zeugten Widersprüche sind keine an die Sache methoden- schen gegenseitig. «3 Hierbei ist die Hauptsache, immer wieder,
theoretisch herangetragenen, auch keine bloßen Oberflächen- bei all dieser auf die Füße gestellten Hegel-Dialektik: sie
erscheinungen, die flickbar sind, sondern sie gehören, wie soll nicht kontemplativ bleiben. Das Subjekt in der Subjekt-
Marx lehrt, zur Daseinsweise der Sache selbst, zur Dialektik Objekt-Beziehung des allhistorischen Materialismus wird als
ihres Wesens. Der auf die Spitze getriebene Widerspruch einer tätiges, als real erzeugendes bestimmt. Und überall richtet sich
Gesellschaft treibt in der Wirklichkeit seiner Auflösung ent- dieses Anti-Kontemplative bei Marx nicht weniger gegen den
gegen, nicht in einem Buch über die Wirklichkeit, wonach dem Materialismus der alten Art, als es sich gegen Hegel richtet.
Geiste Genüge geschehen und im bereisten Lande alles beim Schon in seiner Doktordissertation hatte Marx an Demokrit,
alten bleibt. Daß es nirgends beim alten bleibt, daß es statt dem ersten großen Materialisten, das »energetische Prinzip«
dessen durch die Produktivkraft revolutionär dialektischer vermißt; folgerichtig machte er also Feuerbach zum Vorwurf,
Erkenntnis zum besseren Neuen kommen kann, dies eben daß auch sein Materialismus nur ein betrachtender, allzu
wird durch die Real-Dialektik der Materie selbst ermög- 3 Deutsche Ideologie.
objektivistischer sei. So daß hier die Wirklichkeit, viel mehr Hinweis
als bei Hegel, »nur unter der Form des Objekts oder der An-
schauung gefaßt wird; nicht aber als menschliche sinnliche »Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpre-
Tätigkeit, Praxis, nicht subjektiv«-». Wogegen es immerhin tiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern.«
geschah, bei Hegel geschah, »daß die tätige Seite, im Gegen- Thesen über Feuerbach, 1845.
satz zum Materialismus, vom Idealismus entwickelt wurde, -
aber nur abstrakt, da der Idealismus natürlich die wirkliche, »Die Althegelianer hatten alles begriffen, sobald es auf eine
sinnliche Tätigkeit als solche nicht kennt«. Marx sieht also Hegeische logische Kategorie zurückgeführt war. Die Jung-
letzthin das »Subjektive« oder »Intensive« bei Hegel nicht hegelianer kritisierten alles, indem sie religiöse Vorstellungen
einmal so ganz ausgelassen, wie dies den Anti-Hegelianern unterschoben oder es für theologische erklärten. Die Jung-
Kierkegaard und Schelling erschienen war, von ihrem »posi- hegelianer stimmen mit den Althegelianern überein in dem
tiven« Idealismus her. Er akzentuiert, am Arbeitsvorgang, Glauben an die Herrschaft der Religion, der Begriffe, des All-
die vorhandene Subjekt-Objekt-Beziehung in Hegels Dialek- gemeinen in der bestehenden Welt. Nur bekämpfen die einen
tik, und er lehrt das Subjekt, das bei Hegel so abstrakt war, die Herrschaft als Usurpation, welche die anderen als legitim
jedoch nicht fehlte, als materielle Macht. Er lehrt das mensch- feiern.«
liche Leben als einzig existent im Ensemble der bedingenden »Nachdem einmal die herrschenden Gedanken von den herr-
gesellschaftlichen Verhältnisse, aber er lehrt ebenso den Men- schenden Individuen und vor allem von den Verhältnissen,
schen mit seiner Arbeit als Hersteller und Veränderer dieser die aus einer gegebenen Stufe der Produktionsverhältnisse
Verhältnisse. Und statt des mechanischen Weltgewühls, worin hervorgehen, getrennt sind und dadurch das Resultat zustande
außer äußerer Notwendigkeit überhaupt kein Sinn steckt, gekommen ist, daß in der Geschichte stets Gedanken herrschen,
lebt bei Marx der von Leibniz herkommende, von Hegel ist es sehr leicht, aus diesen verschiedenen Gedanken sich den
ihm überlieferte entwicklungsgeschichtliche Humanismus. Die Gedanken, die Idee etc. als das in der Geschichte Herrschende
ganze Welt ist hier ein offenes System dialektisch sich durch- zu abstrahieren und damit alle diese einzelnen Gedanken und
arbeitender Aufklärung. Ihre Pointe ist Humanität, sich Begriffe als >Selbstbestimmungen< des sich in der Geschichte
gegenständlich unentfremdete, unter nicht mehr entfremde- entwickelnden Begriffs zu fassen. Dies hat die spekulative
ten Gegenständen. Das ist das Leben Hegels bei Marx; eine Philosophie getan.«
andere Art Gesellschaft als die nach Hegel geistig nieder- Deutsche Ideologie, 1845/46, M E G A I 5, S. 9, 37 f.
gehende beansprucht das Erbe der deutschen klassischen Philo-
sophie. »Glaubt die kritische Kritik in der Erkenntnis der geschicht-
lichen Wirklichkeit auch nur zum Anfang gekommen zu sein,
solange sie das theoretische und praktische Verhalten des
Menschen zur Natur, die Naturwissenschaft und die Industrie,
aus der geschichtlichen Bewegung ausschließt? Oder meint sie,
irgendeine Periode in der Tat schon erkannt zu haben, ohne
4 Thesen über Feuerbach. zum Beispiel die Industrie dieser Periode, die unmittelbare
ii 6
Produktionsweise des Lebens selbst, erkannt zu haben? Aller- »Ich bekannte mich offen als Schüler jenes großen Denkers
dings die spiritualistische, die theologische, kritische Kritik und kokettierte sogar hier und da im Kapital über die Wert-
kennt nur - kennt wenigstens in ihrer Einbildung - die politi- theorie mit der ihm eigentümlichen Ausdrucksweise. Die My-
schen, literarischen und theologischen Haupt- und Staats- stifikation, welche die Dialektik in Hegels Händen erleidet,
aktionen der Geschichte. Wie sie das Denken von den Sinnen, verhindert in keiner Weise, daß er ihre allgemeinen Bewe-
die Seele vom Leibe, sich selbst von der Welt trennt, so trennt gungsformen zuerst in umfassender und bewußter Weise dar-
sie die Geschichte von der Naturwissenschaft und Industrie, gestellt hat. Sie steht bei ihm auf dem Kopf. Man muß sie
so sieht sie nicht in der grob-materiellen Produktion auf der umstülpen, um den rationellen Kern in der mystischen Hülle
Erde, sondern in der dunstigen Wolkenbildung am Himmel zu entdecken. - In ihrer mystifizierten Form ward die Dia-
die Geburtsstätte der Geschichte.« lektik deutsche Methode, weil sie das Bestehende zu verklären
Die heilige Familie, 1844/45, M E G A I 3, S. 327. schien. In ihrer rationellen Gestalt ist sie dem Bürgertum und
seinen doktrinären Wortführern ein Ärgernis und ein Greuel,
»Hegel macht sich einer doppelten Halbheit schuldig, einmal, weil sie dem positiven Verständnis des Bestehenden zugleich
indem er die Philosophie für das Dasein des absoluten Geistes auch das Verständnis seiner Negation, seines notwendigen
erklärt und sich zugleich dagegen verwehrt, das wirkliche Untergangs einschließt, jede gewordene Form im Flusse der
philosophische Individuum für den absoluten Geist zu er- Bewegung, also auch nach ihrer vergänglichen Seite auffaßt,
klären; dann aber, indem er den absoluten Geist als absoluten sich durch nichts imponieren läßt, ihrem Wesen nach kritisch
Geist nur zum Schein die Geschichte machen läßt. Da der ab- und revolutionär ist.«
solute Geist nämlich erst post festum im Philosophen als Das Kapital, Nachwort zur 2. Aufl., 1873.
schöpferischer Weltgeist zum Bewußtsein kommt, so existiert
seine Fabrikation der Geschichte nur im Bewußtsein, in der »Derselbe Geist baut die philosophischen Systeme in dem
Meinung und Vorstellung des Philosophen, nur in der speku- Hirn der Philosophen, der die Eisenbahnen mit den Händen
lativen Einbildung.« Ebenda, M E G A I 3, S. 258. der Gewerke baut. Die Philosophie steht nicht außer der
Welt, sowenig das Gehirn außer dem Menschen steht, weil es
»Das Große an der Hegeischen Phänomenologie und ihrem nicht im Magen liegt; aber freilich die Philosophie steht früher
Endresultat — der Dialektik, der Negativität als dem bewe- mit dem Hirn in der Welt, ehe sie mit den Füßen sich auf den
genden und erzeugenden Prinzip - ist einmal, daß Hegel die Boden stellt, während manche andere menschliche Sphären
Selbsterzeugung des Menschen als einen Prozeß faßt, die Ver- längst mit den Füßen in der Erde wurzeln und mit den Hän-
gegenständlichung als Entgegenständlichung, als Entäußerung den die Früchte der Welt abpflücken, ehe sie ahnen, daß auch
und als Aufhebung dieser Entäußerung; daß er also das We- der Kopf von dieser Welt oder diese Welt die Welt des Kop-
sen der Arbeit faßt und den gegenständlichen Menschen, fes sei.« Rheinische Zeitung, 14. Juli 1842.
wahren, weil wirklichen Menschen, als Resultat seiner eigenen
Arbeit begreift.« »Wie die Philosophie im Proletariat ihre materiellen, so fin-
Ökonomisch-philosophische Manuskripte, 1844, M E G A I 3, det das Proletariat in der Philosophie seine geistigen Waffen,
S. 156. und sobald der Blitz des Gedankens gründlich in diesen nai-
venVolksboden eingeschlagen hat, wird sich die Emanzipation Universität, Marxismus, Philosophie
der Deutschen zu Menschen vollziehen. Die Philosophie kann
sich nicht verwirklichen ohne die Aufhebung des Proletariats,
das Proletariat kann sich nicht aufheben ohne die Verwirk-
lichung der Philosophie.« Ich freue mich zurückgekehrt zu sein. Und besonders ist es
Einleitung zur Kritik der Hegeischen Rechtsphilosophie, 1844. mir wichtig, in Ihrem Kreis sich zu befinden. Mit Erwartung
eines gegenseitigen Vertrauens und in einer der gehaltvoll-
sten Gemeinschaften, die es gibt: in derjenigen gemeinsamer
Arbeit. Diese Arbeit ist in unserem Fall eine gelehrte, eine
Aneignung und Vermehrung des Wissens. Sie ist die Mühe des
Hellwerdens, die Vermittlung zum Sehen und Begreifen,
damit man richtig gehe und handle.
Einzelausgaben:
Universität, Marxismus, Philosophie
Spuren (Bibliothek Suhrkamp 54)
Antrittsvorlesung in Leipzig im Mai 1949
Thomas Münzer als Theologe der Revolution (Bibliothek
Suhrkamp 77)
Der Wissenschaftsbegriff des Marxismus
Verfremdungen I und II (Bibliothek Suhrkamp 8} und 120)
Vortrag in Tübingen, 1966
Tübinger Einleitung in die Philosophie 1 und 2 (edition suhr-
in: Wissenschaft in kommunistischen Ländern,
kamp 11 und }8)
hg. v. Dietrich Geyer, Tübingen 1967
Avicenna und die Aristotelische Linke (edition suhrkamp 22)
Durch die Wüste (edition suhrkamp 74)
Epikur und Karl Marx
Christian Thomasius, ein deutscher Gelehrter ohne Misere
oder ein subjektiver Faktor im Fall der Atome
(edition suhrkamp 251)
in: Natur und Geschichte, Karl Löwith zum 70. Geburtstag,
Ernst Bloch zu ehren. Beiträge zu seinem Werk
Stuttgart 1967
Über Ernst Bloch (edition suhrkamp 2ji)
Widerstand und Friede. Aufsätze zur Politik (edition suhr-
Marx, aufrechter Gang, konkrete Utopie
kamp 2)7)
Vortrag zum 150. Geburtstag von Karl Marx in Trier, 1968
edition suhrkamp Alphabetisches Verzeichnis der edition suhrkamp
273 Heinar Kipphardt, Die Soldaten. Bearbeitung nach J . M. R. Lenz Abendroth, Sozialgeschichte 106 Bloch, Widerstand und Friede 257
274 Christian Grote, Alles ist schön zu seiner Zeit. Erzählungen Adorno, Drei Studien zu Hegel 38 Über Ernst Bloch 251
27J Robert Minder, >Hölderlin unter den Deutschem und andere Auf- Adorno, Eingriffe 10 Block, Ausgewählte Aufsätze 71
sätze zur deutschen Literatur Adorno, Impromptus 267 Blumenberg, Wende 138
276 Peter Weiss, Rapporte Adorno, Jargon der Eigentliche 91 Böhme, Soz.- u. Wirtschaftsgesch. 2 j 3
277 Paul A. Baran, Zur politischen Ökonomie der geplanten Wirtschaft Adorno, Moments musicaux 54 Brandys, Granada 167
278 Karel Teige, Liquidierung der >Kunst<. Analysen, Manifeste Adorno, Ohne Leitbild 201 Brecht, Antigone / Materialien 134
279 Thomas Bernhard, Ungenach. Erzählung Uber Theodor W. Adorno 249 Brecht, Arturo Ui 144
280 Ulrich Sonnemann, Institutionalismus und studentische Opposition. Aggression und Anpassung 282 Brecht, Ausgewählte Gedichte 86
Thesen zur Ausbreitung des Ungehorsams in Deutschland Andersch, Die Blindheit 133 Brecht, Baal 170
281 Edward Halle« Carr, Die neue Gesellschaft. Aspekte der Massen- Antworten auf H. Marcuse 263 Brecht, Baal der asoziale 248
demokratie. Architektur als Ideologie 243 Brecht, Der gute Mensch 73
Augstein, Meinungen 214 Materialien zu >Der gute Mensch< 247
282 H. Marcuse, A. Rapaport, K . Horn, A. Mitscherlich, D. Senghaas,
Baran, Unterdrückung 179 Brecht, Die Dreigroschenoper 229
M. Markovic, Aggression und Anpassung in der Industriegesellschaft
Baran, Zur politisch. Ökonomie 277 Brecht, Die heilige Johanna 1 1 3
283 Daniel v. Recklinghausen, James Joyce - Chronik von Leben und
Barthes, Mythen des Alltags 92 Brecht, Die Tage der Commune 169
Werk
Barthes, Kritik und Wahrheit 218 Brecht, Gedichte aus Stücken 9
284 Edoardo Sanguineti, Capriccio italiano
Baudelaire, Tableaux Parisiens 34 Brecht, Herr Puntila 105
28j Mihailo Markovic, Dialektik der Praxis
Baumgart, Literatur f. Zeitgen. 186 Brecht, Im Dickicht 246
286 Materialien zu Becketts >Endspiel<
Becker, Felder 61 Brecht, Jasager - Neinsager 171
287 Jürgen Habermas, Technik und Wissenschaft als Ideologie.
Beckett, Aus einem Werk 145 Brecht, Kaukasischer Kreidekreis 31
288 Günter Eich, Abgelegene Gehöfte. Gedichte
Beckett, Fin de partie • Endspiel 96 Materialien zum >Kreidekreis< 15 j
289 Bora Cosic, Wie unsere Klaviere repariert wurden. Satiren
Materialien zum >Endspiel< 28S Brecht, Leben des Galilei 1
290 Karel Kosik, Jean-Paul Sartre, Cesare Luporini, Roger Garaudy,
Beckett, Warten auf Godot 3 Materialien zu Brechts >Galilei< 44
Galvano della Volpe, Mihailo Markovic und Adam Schaff, Moral
Benjamin, Das Kunstwerk 28 Brecht, Leben Eduards II. 24$
und Gesellschaft
Benjamin, Kritik der Gewalt 103 Brecht, Mahagonny 21
291 Ernst Bloch, Über Karl Marx Brecht, Mann ist Mann 259
Benjamin, Städtebilder 17
292 Stephen Toulmin, Voraussicht und Verstehen. Ein Versuch über die Brecht, Mutter Courage 49
Benjamin, Versuche über Brecht 172
Ziele der Wissenschaft Materialien zu Brechts >Courage< 50
Über Walter Benjamin 250
293 Joan Robinson, Kleine Schriften zur Ökonomie Brecht, Schweyk 132
Bergman, Wilde Erdbeeren 79
294 im Dialog: Tankred Dorst, Toller Bernhard, Amras 142 Brecht, Über Lyrik 70
29 j Joäo Cabral de Melo Neto, Ausgewählte Gedichte Bernhard, Prosa 213 Brooks, Paradoxie im Gedicht 124
296 Dieter Schneider / Rudolf Kuda, Arbeiterräte in der November- Bernhard, Ungenach 279 Brudzinski, Katzenjammer 161
revolution. Ideen, Wirkungen, Dokumente Bloch, Avicenna 22 Burke, Dichtung 1 J 3
321 Kritik der Notstandsgesetze. Kommentierungen und Text der Not- Bloch, Christian Thomasius 193 Burke, Rhetorik 231
standsgesetze. Herausgegeben von Dieter Sterzel Bloch, Durch die Wüste 74 Cabral de Melo Neto, Gedichte 295
322 Peter Handke, Kaspar Bloch, Tübinger Einleitung I 1 1 Carr, Neue Gesellschaft 281
326 Reden zum IV. Kongreß des Tschechoslowakischen Schriftstellerver- Bloch, Tübinger Einleitung II $8 Celan, Ausgewählte Gedichte 262
bandes. Prag, Juni 1967 Bloch, Über Karl Marx 291 Cosii, Wie unsere Klaviere 289
Creeley, Gedichte 227 Gäng / Reiche, Revolution 228 Johnson, Karsdi $9 Michiels, Das Buch Alpha 121
Crnievic, Staatsexamen 192 Germanistik 204 Joyce, Dubliner Tagebuch 216 Minder, >Hölderlin< 275
Crnjanski, Ithaka 208 Grass, Hochwasser 40 Juhasz, Gedichte 168 Mitscherlich, Krankheit I 164
Dalmas, schreiben 104 Grote, Alles ist sdiön 274 Kasack, Das unbekannte Ziel 35 Mitscherlich, Krankheit II 237
Davico, Gedichte 136 Gründgens, Theater 46 Kaschnitz, Beschreibung 188 Mitscherlich, Unwirtlichkeit 123
Deutsche und Juden 196 Guerin, Anarchismus 240 Kipphardt, Hund des Generals 14 Moore, Geschichte der Gewalt 187
Di Benedetto, Stille 242 Guggenheimer, Alles Theater 150 Kipphardt, Joel Brand 139 Moral und Gesellschaft 290
Dobb, Organis. Kapitalismus 166 Haavikko, Jahre 1 1 5 Kipphardt, Oppenheimer 64 Müller, Philoktet / Herakles 5 163
Dorst, Toller 294 Habermas, Techniku. Wissensdi. 287 Kipphardt, Die Soldaten 273 Münchner Räterepublik 178
Dunn, Battersea 2J4 Hacks, Stücke nach Stücken 122 Kirchheimer, Polit. Herrschaft 220 Mukarovsky, Poetik 230
Duras, Ganze Tage in Bäumen 80 Hacks, Zwei Bearbeitungen 47 Kirchheimer, Politik u. Verfass. 95 Napoleoni, Ökonom. Theorien 244
Duras, Hiroshima mon amour 16 Hamelink, Horror vacui 221 Kolko, Besitz und Macht 239 Nezval, Gedichte 235
Eich, Abgelegene Gehöfte 288 Handke, Kaspar 322 Kova2, Schwester Elida 238 Nossack, Das Mal u. a. Erzähl. 97
Eich, Botschaften des Regens 48 Handke, Publikumsbeschimpf. 177 Nossack, Das Testament 1 1 7
Kracauer, Straßen in Berlin 72
Eich, Mädchen aus Viterbo 60 Hannover, Rosa Luxemburg 233
Kritik der Notstandsgesetze 321 Nossack, Der Neugierige 45
Eich, Setubal / Lazertis 5 Haug, Antifaschismus 236
Kritik der reinen Toleranz 181 Nossack, Der Untergang 19
Eich, Unter Wasser 89 Heller, Nietzsche 67
Kritik der Strafrechtsreform 264 Nossack, Literatur 15 6
Eichenbaum, Aufsätze 1 1 9 Heller, Studien zur Literatur 42
Krolow, Ausgewählte Gedichte 24 Nowakowski, Kopf 225
Eliot, Die Cocktail Party 98 Herbert, Ein Barbar im Garten 1 1 1
Krolow, Landschaften für mich 146 Obaldia, Wind in den Zweigen 159
Eliot, Der Familientag 152 Herbert, Gedichte 88
Krolow, Schattengefecht 78 Olson, Gedichte 1 1 2
Eliot, Mord im Dom 8 Hesse, Geheimnisse 52
Lagercrantz, Nelly Sachs 212 Ostaijen, Grotesken 202
Eliot, Staatsmann 69 Hesse, Späte Prosa 2
Lange, Hundsprozeß / Herakles 260 Pavlovic, Gedichte 268
Eliot, Was ist ein Klassiker? 33 Hesse, Tractat vom Steppenwolf 84
Lange, Marski 107 Penzoldt, Zugänge 6
Enzensberger, Blindenschrift 217 Hildesheimer,Das OpferHelena 118
Lef^bvre, Marxismus 99 Pinget, Monsieur Mortin 185
Enzensberger, Deutschland 203 Hildesheimer, Die Verspätung 13
Hildesheimer, Mozart / Becke« 190 Leföbvre, Materialismus 160 Plädoyer f. d. Abschaff. d. § 17$ 175
Enzensberger, Einzelheiten I 63
Enzensberger, Einzelheiten II 87 Hildesheimer, Nachtstück 23 Leibfried, Angepaßte Universität265 Ponge, Texte zur Kunst 223
Enzensberger, Gedichte 20 Hildesheimer, Walsers Raben 77 Levi-Strauss, Totemismus 128 Price, Ein langes Leben 120
Eschenburg, Ober Autorität 129 Hofmann, Stalinismus 222 Linbartovä, Diskurs 200 Proust, Tage des Lesens 37
Existentialismus und Marxismus 116 Hofmann,Universität, Ideologie 261 Linhartovä, Geschichten 141 Queneau, Mein Freund Pierrot 76
Filho, Corpo vivo 158 Horlemann/Gäng, Vietnam 173 Loewenstein, Antisemitismus 241 Queneau, Zazie in der Metro 29
Folgen einer Theorie 226 Höllerer, Gedichte 83 Majakovskij, Verse 62 Recklinghausen, James Joyce 283
Formalismus 191 Horlemann, Konterrevolution 255 Mändy, Erzählungen 176 Riesman, Freud 1 1 0
Foucault, Psychologie 272 Horn, Dressur oder Erziehung 199 Marcuse, Kultur u. Gesellsdi. I 101 Ritter, Hegel 114
Franzen, Aufklärung 66 Hrabal, Die Bafler 180 Marcuse, Kultur u. Gesellsch. II 13 j Robinson, Ökonomie 293
Frisch, Ausgewählte Prosa 36 Hrabal, Tanzstunden 126 Markovic, Dialektik der Praxis 285 Roehler, Ein angeschw. Mann 165
Frisch, Biedermann 41 Hrabal, Zuglauf überwacht 256 Mayer, Anmerkungen zu Brecht 143 Romanowiczowa, Der Zug 93
Frisch, Chinesische Mauer 65 Huppert, Majakovskij 182 Mayer, Anmerkungen zu Wagner 189 Rozewicz, Schild a.Spinngeweb 194
Frisdi, Don Juan 4 Hyry, Erzählungen 137 Mayoux, Ober Beckett 157 Runge, Bottroper Protokolle 271
Frisdi, Frühe Stücke 154 Institutionen i. primit. Gesellsch. 195 Merleau-Ponty, Humanismus I 147 Russell, Probleme d. Philosophie 207
Frisdi, Graf öderland 32 Janker, Aufenthalte 198 Merleau-Ponty,Humanismus II 148 Sachs, Ausgewählte Gedichte 18
Frisdi, Öffentlichkeit 209 Jensen, Epp 206 Michel, Sprachlose Intelligenz 270 Sachs, Das Leiden Israels s 1
Frisch, Zürich - Transit 1 6t Johnson, Das dritte Buch 100 Michelsen, Drei Akte / Helm 140 Sanguineti, Capriccio italiano 284
Michelsen, Stienz / Lappschiess 39 Sarduy, Bewegungen 266
Schklowskij,SchriftenzumFilm 174 Walser, Der schwarze Schwan 90
Schklowskij, Zoo 130 Walser, Eiche und Angora 16
Schneider/Kuda, Arbeiterräte 296 Walser, Ein Flugzeug 30
Schnurre,Kassiber/NeueGedichte 94 Walser, Leseerfahrung 109
Schräm, Die perm. Revolution 151 Walser, Lügengeschichten 81
Shaw, Cäsar und Cleopatra 102 Walser, Überlebensgroß Krott $5
Shaw, Die heilige Johanna 127 Weiss, Abschied von den Eltern 85
Shaw, Der Katechismus 7 J Weiss, Fluchtpunkt 1 2 J
Sonnemann, Institutionalismus 280 Weiss, Gespräch 7
Sternberger, Bürger 224 Weiss, Jean Paul Marat 68
Strindberg, Ein Traumspiel 25 Materialien zu >Marat/Sade< 232
Szondi.Theoriedesmod.Dramas 27 Weiss, Rapporte 276
Teige, Liquidierung 278 Weiss, Schatten des Körpers 53
Tardieu, Museum 131 Wekwerth, Notate 219
Theologie der Revolution 258 Wellek, Konfrontationen 82
Toulmin, Voraussicht 292 Wesker, Trilogie 215
Tschech. Schriftstellerkongreß 326 Wispelaere, So hat es begonnen 149
Tumler, Abschied 57 Wittgenstein, Tractatus 12
Turnier, Volterra 108 Über Ludwig Wittgenstein 252
Tynjanov, Literar. Kunstmittel 197 Wolf, Pilzer und Pelzer 234
Vossler, Revolution von 1848 210 Wosnessenskij, Dreieckige Birne 43
Vyskocil, Knochen 2 1 1 Wünsche, Der Unbelehrbare 56
Waldmann, Atlantis i j Wünsche, Jerusalem 183
Walser, Abstecher / Zimmerschi. 205 Zahn, Amerikan. Zeitgenossen 184
Walser, Heimatkunde 269