Pörtner)
Frei Geschriebenes II
Sequentieller Zettelkasten (XVIII)
und existentialistischer Fürstenspiegel (I)
un milieu miellieux
Ideenmaterien II: Janus-Coda (2018/2019)
I
Ein Jahreswechsel bringt Minimitenprosa - auch paolanische Grotten-
prosa genannt - mit sich oder hervor.
Es ist nicht die Form, es ist der Rest von Leben. Unter dem Leder. Und
ein wenig Auge. Und Mund.
Wie soll Leben noch funktionieren in der geballten Alterität des All-
tags?
Der Begriff der Kontinuität, setzt er nicht voraus, dass er nicht altern
kann. Kontinuität ist die dynamisierte Fassung des Bleibens. Also pa-
radox. Es ist erstaunlich, dass der Begriff der Kontinuität es unter den
Menschen so viel leichter hat als viele andere, ähnlich paradoxe Vor-
stellungen.
Invisible - invincible. Die kluge Nähe dieser beiden Worte ersetzt jeden
Syllogismus. - Die Differenz der Schwingungen selbst ist der Syl-
logismus. Der Form nach dem Gedanken familienähnlich. So wie der
Sinn von Ebenbildlichkeit auch in der Differenz liegt. - Z: (leise) Wie
bei der Kopie und der Wiederholung... und beim Menschen.
Wie spät ist es? – Gar nicht spät. Nur sieben Sekunden später. Eine
kleine Einheit Ewigkeit zu früh. Sieben Sekunden zu früh. Die Ewigkeit
zählt ihre Siebensekundeneinheiten rückwärts. Kokett und ein wenig
heiser, aber auch heiter. So gelingt sie sich. Noch postum.
Je rostiger die Luft zu sein scheint, desto räumlicher ist der Raum. Und
widerstandslos. Durch nichts kannst du so leicht hindurchgreifen wie
durch Raum aus rostiger Luft. Just do it.
Der Versuch lohnt; sich.
Mit den normalen, faden Worten ist nichts mehr zu sagen, geschweige
denn zu bewirken oder anzufangen. Und die anderen sind der Zukunft
längst entlaufen. Kinder, was sprecht und schreibt ihr soviel?
II
Was ist zurzeit das schwierigste Ding der Welt? - Die Transmission.
Germanenlocke. Wirst nicht schwarz.
Der Raum der Vernichtung ist immer überfüllt. Auch wenn du nichts
darin findest.
Du brauchst Abwechslung. - Nein, danke. Ich brauche mich nicht.
W: Wenn sich ein Grün spiegelt. - Y: Das ist eine unsinnige Zeitangabe.
- W: Bei der ich aber bleibe. Ich habe Gründe.
Denken muss sein. Schon zur Täuschung. - Z: Vor allem zur Täuschung.
Die allgemeinste und zweideutige Aussage über die Welt: Sie ist be-
denklich.
Die ganze Welt vom Himmel fällt. (Unbekannter, aber liebenswert
naiver Mystiker)
Warum drängen sich Hoffnungen im Gegensatz zu Befürchtungen
nicht auf. - Sie fühlen sich nicht zuständig.
Es ist wie in der Musik. Nur absolute Töne sind Zwischentöne.
Bereitet die Wege, bereitet die Bahn. - Bis zum Ende sei alles vorläufig,
sagen sie.
Du schenktest mir Lampenöl. In dieser Zeit noch. Du wolltest, das be-
griff ich, das mögliche Maß äußerster Verlegenheit erkunden. Ich hät-
te gern, das gebe zu, in Celans Windschatten Antwort gegeben. – Z:
Warum hältst du das, wie du sagte, für zu gutmütig?
Sie wollte sein Leben nicht an sich verspielen.
III
Die Traufe ist eine der einsamen Varianten einer kommunizierenden
Röhre.
Nadeln, sagte er, solltest du nur im Heuhaufen suchen. – Z: Und wo ist
der Heuhaufen? - In ahnender Lust. (E. Roth)
Die Dinge verlaufen sich in der Zeit.
Klappern ist Schandwerk.
Nur seichtes Wasser ist einigermaßen durchsichtig. Und lohnt den
Blick.
Reue: Vergeblicher Schandfleckenreigingungsversuch. – Z: Reue ist
also für die Katz? – Eher der Versuch, ein Aas als Köder einzusetzen.
Wie denkst du? - Ich denke noch nicht. - Was tust du? - Ich versuche
zu denken. Im Stil einer dialektischen Weltenchronik.
Versuchen ist wie so tun als ob. Zum Beispiel: so tun, als komponiere
man. Indem man Kleckse verteilt. Oder wenn du entsprechend denkst.
Die Gegenwart ist eine Falle. Aber nicht jede Falle eine Gegenwart. - Z:
Ach!
Die Uhr nimmt uns die Zeit ab.
Wirkliche Teppiche interessieren mich nicht. Und fliegende Teppiche
fliegen immer an mir vorbei.
Originalität ist das, was zum Absturz in eine Art Himmelsferne führt.
Aber nur selten weiter oder wieder zurück.
IV
Vertrauen vertäut. Vertrauen bleibt die Grundlage der Akzeptanz. Ob
du jemandem eine Wahrheit abnimmst, darüber entscheidet nicht die
Wahrheit der Wahrheit, sondern dein Vertrauen, an das sich deine
Bereitschaft gleichsam anklammert, wie ein kleiner Affe.
Ich weiss, dass das Wissen um etwas sein Etwas überflügelt. - Sich mit
einem Aha! zufrieden zu geben, ist aber nur die triviale Variante
davon.
Was man nicht sein kann, das muss man sein lassen. Voller Respekt.
Das Unaussprechbare hat nichts als Relevanz. Es ist das Element, in
das wir geworfen wurden, und in dem wir in Gesten des vermiedenen
Ertrinkens überleben. Relevanz ist der Inbegriff der Spannung. Reiner
suspence.
Tragik. Fehler lernst du nur kennen, wenn du sie machst. Gelerntes zu
rehabilitieren scheint mir unmöglich. Das neu Gelernte saugt sich am
früher Gelernten wie ein Blutegel fest. Das ist eine schmerzliche
Erkenntnis, die über bestimmte sehr bedauerliche existentiellen und
epistemischen Unmöglichkeiten viel aussagt. Freilich auch Voraus-
setzungen dafür, dass wir sie als bedauerlich erkennen können.
Wenn ich überhaupt eine Methode benennen kann, ist es die: Die
piratenhafte Missdeutung, zu der die Sätze Wittgensteins und anderer
einladen.
Gedanken zu sich - d.h. ihnen selbst - hin missdeuten. Biegen. Heim-
biegen.
Wir sollen viel verrückter denken als die Philosophen, rät uns - aus
seinem Nachlass heraus - Wittgenstein. Gleichsam unbeirrt. Daher
sagt er, erzählt uns Z, dass wir Sätze schreiben sollen, in denen sich
das Mystische, von dem Wittgenstein – so überoft zitiert - schreibt,
zeigt. Damit wir es - endlich - auch selbst sehen können.
V
Es herrscht, sozusagen, vom Anfang bis zum Untergang, ein ins Un-
endliche gekleideter Sprachadvent. Er ist, als solcher, die Beobach-
tung der Selbstvergiftung der Weltgeschichte. - Z: Der aus dem sprich-
wörtlichen Gähnen des Chaos.
Eine Reihe von Festtagen verschiebt die profane Ordnung in eine gei-
stige. Wir könnten darin eine balsamische Wohltätigkeit der Götter
sehen. - Z: Hätten wir noch Augen zu sehen. Goetheaugen.
Ergänzung. Zeitgenössische Festlichkeiten sind gnadenlose Feiern
der Profanität. Daher so verzweifelt und das Begehren aushöhlend. -
Z: Bis zur Wiederholung.
X: Denn die Welt blickt so leer zurück, wie du sie anblickst. - Z: Du hast
schon klüger geklagt. - Y: Aber selten so wahr. - X: Weil aus Erfahrung.
- Z: I see. I see.
Was bedeutet es eigentlich, auf einem Möbiusband im Kreis zu laufen?
- X: Du machst einen Fehler, den dir niemand ankreiden wird. - Z: im
Kreis zu laufen, so denken wir wohl, macht nichts schlimmer. Wo auch
immer. Und das ist doch ein Fortschritt. Benjamins Sturm. - W: Vom
Hier ins Jetzt und vice versa.
Aura ist natürlich auch getrübter oder verblasster Hoffnungsglanz. An
der Aura kannst du das Alter einer Hoffnung ablesen. Oder einer Idee,
überhaupt. Ihre Blässe zeigt die Trauer über ihre Vergeblichkeit und
Noblesse an.
Auch Gedankenblitze blenden nur mit dem momenthaften Glanz ihrer
Selbstresignation.
Jeder Blitz ist das pomphafte Aufbegehren seines Rückzugs.
VI
Wittgensteins großer und unnachahmlicher Vorteil ist, dass er von
Philosophie viel versteht aber wenig weiß. (Ein Zeitgenosse)
Das, was ist, ist kein Ersatz für das Verlorene, auch wenn das Ver-
lorene nicht besser war. Dass es darum nicht geht, versteht vielleicht
keiner mehr. Qualitäten sind anders. Nicht besser oder schlechter.
Qualitäten sind Träume der Unterscheidung,
Eine Qualität wirst auf eine andere und sagt: So will ich nicht sein.
Ist Gegenwart denn wirklich mehr als gouillitonierte Vergangenheit?
Der tödliche aber glänzende Schnitt durch den Hals der Geschichte.
Denken ist Angeln; wenn du einigermaßen frei bist, im Freien. Wenn
nicht, dann in einem institutionellen Brunnen, oder einer institu-
tionellen Kloake.
Es gibt sehr verschiedene Fische. Aber, doch, es gibt sie. Es gibt sie her.
- Z: Aber wem?
Nur wenn du Idealist bist, hast du heute keine Chance mehr, inklu-
diert zu werden. Du hast das Privileg, wenigstens vorläufig, einfach
nur dabeistehen zu dürfen. Wie Josef neben der Krippe. Damals. - Z:
(in Stellvertretung) Wer ist Josef?
Die Leute laufen nach der Zeit. Die Zeit läuft hinterher. (Brechtiade)
Klimmzüge geben nicht zu erkennen, ob sie in die Freiheit oder ins
Vergehen zielen.
Er meinte, dabei zuzusehen, wie eine leere Champagnerflasche explo-
diert.
VII
Er atmete, wenn er andere traf, nicht. Weil er glaubte, die anderen
umzupusten, wenn er ausatmete. Deshalb stand er auch mit anderen
immer nur kurz zusammen. Um nicht in Atemnot zu geraten.
Oft wunderte ihn der Aufwand, den manche Werke um sehr Gering-
fügiges machen.
Was geschieht oder was der Fall ist, ist nur ein Kristallisationspunkt
unzähliger umzingelnder Erwartungen, von denen es sich in Freiheit
gesetzt wähnt; resp. täuscht.
Er sagte, er schriebe immer nur Er, weil er sich als ein Er zu fühlen
gelernt habe. Man könne getrost stattdessen zum Beispiel Sie lesen.
Es käme dasselbe heraus.
Die wesentliche Frage bleibt: Wie kann man sich denken zu existie-
ren?
Er hat ein Ich wie ein wucherndes Fraktal.
Sein Außersichsein hat es in sich.
Er ist ein Autist ohne Grenzen.
Ein Melancholiker lebt von sich selbst. Ein Melancholiker braucht
nicht viel. Er ist ein bescheidener Mitmensch.
Sind alle Melancholiker Autophagen? Oder sind alle Autophagen Me-
lancholiker? - Z: Mal so, mal so.
Ich habe kein Steckenpferd. - Was für ein seltsamer Satz. Man könnte
eine quasi phänomenologische Semiotik darauf aufbauen. - Z: Und zu
seinem Steckenpferd machen. – „Das, woran ich festhalte, ist nicht ein
Satz, sondern ein Netz von Sätzen.“ (Wittgenstein)
VIII
Ich konnte, sagte er, es nicht fassen, als ich im Traum die denkbar tri-
vialsten Sätze sagte: Ich bin gerührt. Ich kann es selbst noch nicht
glauben. Die Zeit ist wie im Fluge vergangen. Etc.
Nur graue Mäuse unterscheiden sich noch; und fallen auf. - Auch das
ein apokalyptisches Zeichen?
Das Infernalische an der globalen Massengesellschaft ist, dass alle
Einzelnen jeweils alles sein und von allen anderen als absoluter Un-
terschied wahrgenommen werden wollen. - Z: Das letale Paradox fällt
dabei nicht mit ins Gewicht.
Endlich flöge jeder potentielle Inhalt in einer nicht mehr qualifizier-
baren Form auf. Das wäre nun doch das Ende der Dialektik, sagt er, an
das er nicht hätte glauben wollen.
Manchmal fühlt er sich fünf Minuten später so leer, dass er nicht mehr
versteht, wie ihm fünf Minuten früher etwas hat einfallen können
Ich versuche, die Falten, die das Kreuz auf meiner Stirn ausmachen,
durch Auseinanderziehen meiner Stirnhaut zu glätten und ver-
schwinden zu machen. Auch das ist eine Herkulesarbeit, eine drei-
zehnte.
Wunder zu erkennen oder auch nur zu sehen ist definitiv schwieriger,
als Wunder zu wirken. – Z: Und erfordert mehr Intelligenz.
Mirakelbündel. - Die Welt: auf eine liebenswerte Formel gebracht:
verlogen.
Das Glück der Anpassung. Die Neurologen sagen, dass auch das Glück
letztlich Anpassung sei. Tief im Hirn.
Der Menschheit scheint es noch immer schwerzufallen, sich als ihre
eigene Bezugssippe anzuerkennen.
IX
Wer Angst vor Kontrollverlust hat, sollte eine Anleitung zum Lach-Yo-
ga schreiben. Oder einfach autogenes Humortraining betreiben.
Es heißt bei den Neurologen auch, wer sein Stirnhirn nicht ausschaltet,
kann nicht lachen. Lachen bezeugt also einen gelungenen Rückbau
der Evolution.
„Die Leute kannten und sahen ihn, wie er... umherschweifte und nach
Resonanzholz und Haselfichten für seine Geigen spähte. Wurden ge-
fällte Stämme, wie es so häufig geschieht, von ihren hohen Standorten
über jähe Berghänge ins Tal hinabgerollt, so saß er seitwärts auf ei-
nem Felsblock und lauschte den Tönen, die sie im Stürzen von sich
gaben.“ (J. Baader, Mittenwalder Chronist) – Z: Denker sollten sich ihr
Material, scheint mir, wie Geigenbauer auswählen.
Wie schon anfangs gesagt, ein Jahreswechsel bringt Minimitenprosa -
auch paolanische Grottenprosa genannt - mit sich oder hervor.
X
1. Jänner 2019
Eichkröten und Schildhörnchen (I)
Fortsetzung nie begonnener Stimmenimitate
oder
Wie sich alles verhält, ist Gott (Wittgenstein)
Hanc est herba argemon,
quam Minerva repperit subus remedium,
quae de illa gustaverint.
Plinius d. Ä. - u.a.
Ne pas avoir et ne pas être.
Il est dommage et triste de ne pas s'être disputé avec Beckett, de ne
pas avoir rencontré Gilgamesh, de ne pas avoir conduit Dante un peu
au diable, de ne pas avoir copié ou édité son Didaskalion avec Hugo
de Saint-Victor.
Nicht haben und nicht sein. – Dauerhafte Zustände sind das zwar alle-
mal, aber es bleibt schade und traurig, mit Beckett nicht ein wenig
gestritten zu haben, Gilgamesch nicht begegnet zu sein, Dante nicht
ein Stückchen in die Hölle begleitet, mit Hugo von Sankt Viktor nicht
sein Didaskalion kopiert oder redigiert zu haben, mit Hölderlin nicht
XI
von Apollos Pfeilen geschlagen worden zu sein, mit Offenbach nicht
über Bismarks schlechten Geschmack gelacht, mit Frau Portinari,
offensichtlich eine meiner Urahninnen, nicht durch Florenz geschlen-
dert, mit Trakl nicht den Kalvarienberg hinaufgestiefelt zu sein, mit
Thomas Bernhard nicht geflucht zu haben, mit Walter Benjamin nicht
auratisch sensibel gewesen zu sein, mit Wagner kein Revolutionär,
zusammen mit Shakespeare nicht greifbar gewesen zu sein, mit
Napoleon nicht die Revolution beendet und ersetzt, mit Marx in
Bayreuth kein Zimmer gefunden zu haben, mit Wittgenstein nicht
gepfiffen, mit Kant keinen Senf gegessen zu haben, kein Vertrauter
von Talleyrand oder meinetwegen auch Luther gewesen zu sein, mit
keinem Entdecker etwas entdeckt zu haben, mit Casanova weder Lust
noch Lues geteilt zu haben, mit Benn durch keine Krebsbaracke ge-
gangen zu sein, mit Breton kein Manifest geschrieben, mit Marie-An-
toinette, wohlgemerkt nicht mit Rousseau, in Ermenonville nicht auf
der steinernen Bank gesessen zu haben, bedauerlich, Mallarmé oder
Blanchot bei der Arbeit nicht über die Schulter, wie kalt sie gewesen
sein mag, geschaut zu haben;
bei der Beerdigung des Paracelsus nicht gesungen zu haben, auf der
Titanic nicht rechtzeitig über Bord gegangen zu sein, bei Goethe auf
seiner Fahrt über die Alpen nicht mit in der Kutsche gesessen zu ha-
ben, und einfach zu schade den Sammelhut nicht gehalten zu haben,
als Rossini und Paganini einen Abend lang als Straßensänger unter-
wegs waren, den Moment nicht bezeugen zu können, als Goethe, wohl
in der Nähe des Walchensees, den Harfner und Mignon traf, wohlge-
merkt, seine Mignon und seinen Harfner;
sich nicht zu erinnern, die Marseillaise niedergeschrieben zu haben,
als Rouget de Lisle sie mir vorsang, und als de Ligne mir im Vertrauen
zuflüsterte, dass der Kongress nur tanze, und es nicht ernst genom-
men zu haben, als Nostradamus mir einige prekäre Daten nannte, wie
schade erst, Hegel nicht vor der Cholera geschützt und Schiller nicht
medizinisch beraten zu haben;
XII
kein Vorbild für Augustus oder auch Caligula gewesen zu sein, den
Schattenriss der Schöpfung nicht hergestellt und das catering fürs
Letzte Gericht nicht übernommen zu haben, zu schade auch, aber ver-
ständlich, dem Clemens Brentano nichts Genaueres über die Alham-
bra erzählt zu haben;
unterm Kreuz nur ein Sacktuch zum Schnäuzen dabei gehabt zu haben,
beim Sterneerfinden nicht dabei gewesen zu sein, den Turmbau zu
Babel empfindlich gestört und die Formel zur Rettung der Welt nicht
rechtzeitig verraten gedurft zu haben;
überhaupt wohl alle Sternstunden verpasst oder nicht bemerkt zu
haben, keine Krippe ausgepolstert und kein Richtbeil geschliffen zu
haben, nie vorneweg, nicht hinterdrein, auch nicht mittendrin ge-
laufen zu sein, das ja nun Mal erst recht nicht, das Wort Schlagobers
schöner als das Wort Sahne und Liszts Warzen nicht nur ein wenig
eklig gefunden zu haben, jedes Gardemaß zu verlieren, nicht gewusst
zu haben, dass Schönheitsflecken nur Gefahr verbargen und offen-
barten, wie schade auch, dass du nur stellvertretend erzählen kannst,
so anders als ich, und dass du mich zu dir hin nicht überschreiten
könntest;
wie schade und unbedacht auch, dass du nur die Geste des Ausschla-
gens beherrschst, nie einer Engelstrompete den Vorzug gegeben hast,
immer pendelst wie ein Wattestäbchen zwischen einem vergangenen
und einem zukünftigen Ohr, Ohrenschmalz hat eine andere Konsi-
stenz als Vernunft, wie traurig und schade, Wittgenstein nicht ge-
nauer zugehört zu haben, und feige wie Popper seinem Schürhaken
ausgewichen zu sein;
die Schmerzempfindlichkeit der Heiligen nicht ausgetestet, zu früh
aber das Möbiusband für Schneewittchens Glassarg hieltest, selbst in
glücklichen Momenten, in denen, sagen wir, Perrudja ohne Rückhalt
sekundierte, o!, dieses Stolpern und die hämischen Blicke und An-
feuerungsrufe der beiläufigen Götter, oder waren es die drittrangigen
XIII
Generäle, die ihm einredeten, dass Lachen gut für die Gedärme sei und
selbst die Milz wieder mit sich verkeilen könnte, schade und auch
irgendwie dumm, dass er rief, so will ich nicht lachen, eingeredetes
Lachen1 ist mir zuwider, wie nichts anderes, es vergällt mir den ver-
bliebenen bleichen Rest, das plurale Knistern des Himmels in meinen
Gliedern, in meiner Hand und in meiner Füßen, denn Bleiben ist nur
in den Zehen, aber schade und unerwartet, dass Anerkennung das
Pensum, denkt an Gottlieb Fichte, von unheilbaren Dämonen gewor-
den ist, die mit Bällen aus Schlamm und Schnee werfen, ohne Rück-
sicht auf Schönheit und Verdienst, schliefen oder schlummerten oder
lungerten sie auch;
denn wenn die Kreativität schläft, erwachen die Gedanken, die Par-
tisanen, und greifen nach ihren Gewehren und erschließen alle Ihres-
gleichen, die in Vollzahl an den Wänden stehen und ungeduldig war-
ten, und so wurde es nicht lichter, obgleich es uns war, als würden wir
eine Klangspur entlang geführt, aber nicht wussten, mit welchen Or-
ganen wir sie wahrnahmen, und überhaupt, was nehmen wir an Spu-
ren denn wahr;
die Kalligraphie eines chinesischen Schriftzeichens ist eine kinetische
Spur, die aufhört, wenn wir es lesen, das Zeichen, eine jede Spur ver-
endet in ihrer Deutung, dem Rest der Spur, wie in Leni Riefenstahls
Blauem Licht die Bergkristalle verdämmern, erschütternd schön, es-
chatologisch, das ist, werden sie wieder sagen, unpolitisch gedacht
und gesagt, eskapistisch, ja schlimmer, intellektuell verbrämt, ein-
sichtig und unwiderlegbar, stimmeneinhellig, hinterhältig immun,
und dennoch vor keiner Ranküne sicher, denn noch die lebendigsten
1
…un rire répugnant, comme rien d'autre, ça me fait oublier le reste, le craquement pluriel du ciel dans mes membres,
celui de ma main et celui de mes pieds, car rester n'est que dans les orteils, mais dommage et inattendu Reconnaître la
charge de travail, pensez à Gottlieb Fichte, qui est né de démons incurables lançant des boules de boue et de neige,
sans égard à la beauté et au mérite, dormant ou endormi ou se prélassant, La créativité dort, les pensées, les partisans,
se réveillent et attrapent leurs combattants, et ouvrent tous ceux qui se tiennent debout en plénitude contre les murs et
attendent patiemment, de sorte qu'il n'a pas été clair, bien que ce fût c'était comme si nous marchions sur une piste
sonore, mais nous ne savions pas avec quels organes nous l'avions perçue, et en général, ce que nous percevons en
traces, la calligraphie d'un caractère chinois est un piste magnétique, qui cesse lorsque nous le lisons, le signe, chaque
piste meurt dans son message, le reste noirci de la piste…
XIV
Gedanken, los pensamientos mas vivos, sind, wie ja auch kein Friedhof,
vor den Bulldozern der Ranküne, er meint der des kurrenten Denkens,
nicht sicher, keine Mauer schützt sie, und selbst wenn es eine gäbe,
wäre sie zu schwach, und sie würde sich, bereitwillig, wie vor einem
ungesagten Sesam-öffne-dich!, öffnen und der Ranküne Einlass ge-
währen, wie damals das brennende Moskau dem Eroberer Napoleon,
und ihr, der Ranküne, eine leere und brennende kalte Hand entge-
genstrecken, freundlich und entgegenkommend, warum auch nicht,
denn was kann dir mehr und größere Anerkennung zollen und schen-
ken als die alltägliche Ranküne, die doch die einzige und ehrgeizigste
Form radikaler Anerkennung ist, die nicht merkt, dass sie es ist, sie
weiß ja auch nicht, was sie will, und, wie gesagt, sie merkt nicht, was
sie ist, die Opfer sollten aber merken, dass sie ihrer Seele schmeichelt,
wie ein Handschmeichler der Hand;
aber du willst ja die Dinge, die sich unter dem Gletscher, der Sahne-
haube der Evidenz, la cremosa capucha de la evidencia, tummeln, tun
und bewegen, nicht sehen;
aber welche andere Gründe gibt es, sich der Lüge der Haut oder der
anderen übergezogenen Folien anzubequemen, außer der Angst und
der Feigheit, solange ihr die nicht durchschlagt, bleibt euer Denken
tot, und euer Leben noch viel mehr, aber diese Folien, sagt ihr, zu
durchschlagen, ist schwer, vielleicht unmöglich, und schon haben
euch die spitzen vielfingerigen Eisenstangen eures seelischen und
mentalen Abgerichtetseins im Griff, fest, süß und erbarmungslos, und
ihr denkt, dass ihr der alltäglichen Ranküne, die euch wie ein Rudel
ausgehungerter Viren und Wölfe befällt und überfällt, dankbar sein,
allein, um zu fühlen, was es ist, dankbar zu sein und zu meinen, das
sei die einzige Möglichkeit, mit eurem tiefsten Herzen in Direktkon-
takt zu treten;
ja, es ist eben schade, mit Gilgamesch nicht gestritten zu haben und
Beckett nicht begegnet zu sein und nicht zusammen mit Talleyrand
und seiner schwarzen Freundin, bezeugter- und verbotenermaßen, in
XV
einem Neu-England promeniert zu haben, sonst hättet ihr mehr Cou-
rage, euch als Symptom des zerbissenen Vakuums zu erkennen, das
ihr hättet sein können, es ist immer schade und ein totaler Jammer,
eine hohle Nuss zu vergolden, schlimmer noch, es zur Regel zu ma-
chen, am schlimmsten aber, gar nichts anderes zu kennen und zu kön-
nen;
und wenn ihr sterbt, sterbt gar nicht ihr, und auch das ist schade, dass
euer Grab vom ersten Augenblick an leerbleiben muss und auch wird,
und Gottes Verlegenheit beim Jüngsten Gericht, wenn er vergeblich
wartet, wird herzzerreißend sein, aber wer, außer den Engeln, wird
das bemerken, und ihr werdet viel vom Guten und vom Richtigen ge-
redet, nur, um alles, selbstermächtigt, ungetan gelassen zu haben, wie
euch selbst, als hättet ihr das Gebirge eurer Möglichkeiten mit endlo-
sen Stollen durchzogen und ausgehöhlt, dass es ganz leicht geworden
ist und mit kaum einem Zischen verdunsten wird, ganz ohne Magie,
aber auch ganz ohne Zauber;
aber vielleicht wird das ja die größte Kunst gewesen sein, dem Nichts
das Nichts wiedergegeben, die Leere mit sich selbst gesättigt zu haben,
die Zeit wird sich euch verdankt haben und die Rache eures selbst-
verschuldeten Verlöschens gewesen sein, in der Sphäre beispiellosen
Alleingelassenseins;
nein, natürlich hatte er nicht zu viel erwartet, es ging ihm nicht um
sich, er war einfach nur rastlos ratlos, dass seine Ideale, lauter Selbst-
verständlichkeiten, wie Frühchen in ihren Brutkästen, ausgestorben
waren, es tat ihm nur um die Menschen leid, und um ihn selbst nur in
dem Maße, als er dazugehörte, also in einem kümmerlichen Maße
marginal war, er wäre gerne Koch geworden in einer Warum-nicht-
gar?-Küche;
aber er lachte auf, wie er gerne Beckett hätte auflachen sehen und
hören, und wie er selbst gelacht hat, als er einmal jemanden sagen
hören musste, er sei so allein wie kein anderer, weil das genau der
XVI
Augenblick war, in dem er die Welt und sich durchschaut hatte, und
als er jemanden hatte sagen hören, also ich, ich kenne das nicht, in
meiner Kultur, ich bin schön und schwarz, das Hohelied liegt um
meine Seele wie ein bemühter Vergleich, ich rede nur von Ähnlichkei-
ten, einem Patrizierkragen, einer elektronischen Fußfessel, von den
Engeln, schon wieder die, geflochtenen Gürtelrosen, hochkarätig;
wie schade, dass sie Rilkes Zugriff entgehen mussten, seine Zeitme-
taphern hatten sogar den Engeln missfallen, und beschwichtigen,
sagte Gott, das war nie meine Sache, und wenigstens dabei wird es
bleiben, sage ich euch, sagt Gott, und noch immer, und wie immer,
spürt man nur seinen Atemhauch, den pneumatischen Ersatz-Para-
klet, der zwar nichts beweist, aber so tut, als würde er hoffen lassen
wollen, durch sich hindurch, hinter sich her, bis zu sich hin, und das
alles zu sanft, auch wenn du doch selbst die Distel warst, die Jesus in
Zunge, Mund und Nasenspitze stach;
aus dem Off, scheint es, da ruft einer, ruft, wo bleibt die Dornenkrone?,
man solle seine Stirn nicht vergessen, denkt mich euch doch einfach,
dann ist alles gut, dann wird alles gut, wie das Leben eines jeden
Taugenichts, und überhaupt, im Vergleich ist ja immer alles gut;
einmal hatte ich, als Jugendlicher, wie ihr das ausdrückt, im Halbschlaf,
im Radio, in der Domstadt Limburg, der damals christlichsten baye-
rischen Enklave, den Schluss von Joseph von Eichendorffs eben genau
jenem Taugenichts gehört, da spielten sie, zu allem Überfluss, den
Schluss der vierten Symphonie von Brahms noch ein und darüber,
und um mich war‘s Elysium, so selig konnte ich danach nie wieder
sein, wenn man so etwas erlebt hat, sagt er, ist das Leben danach eine
Beleidigung;
aber wenigstens ehrlich, Schrot und Korn, nein, wendet ein anderer
ein, Schrott und Porn, authentischer kann ich es nicht sagen, na, dann
warten wir mal ab, aber for the time being genügt es selbst mir, was
das heißt, das könntest du dir denken, wenn du nur denken tätest,
XVII
aber das tust du ja nicht, du Inbegriff des Beneidenswerten, haltet
inne! sagte ein Dritter, bekennend modo barbarico, und tanzt einen
Tanz!, da ereignet sich wenigstens nichts, auch wenn Milliarden An-
dersdenkender anders denken;
ihr müsst ja nicht so billig sterben, wie ihr gelebt habt, auch wenn ihr,
wie’s scheint, nichts anderes wollt, ihr radikalen Anderslebender und
Anderserleber des doch Immerselben, mit oder ohne Netz, braucht
euch ja, wir sprachen schon davon, die Ohren nicht mehr zuzuhalten,
weil ihr keine mehr habt, nicht einmal mehr Löcher, die noch aus-
baubar sind oder wären, ihr Ohrlosesten unter den Blinden, ihr Zun-
genlosesten unter den Lahmen, einmal ohne Rücksicht auf politische
Korrektheit gesagt, denn wir meinen ja doch alle, wirklich alle, die Be-
völkerung aller Welten, wir inkludieren rücksichtslos, vorbildlich,
ideal, denn unter den gegebenen Umständen auszugrenzen, das wäre
ja göttlich, also unter unserem Niveau;
und dennoch, wenn ich Macht hätte, würde ich mich wie ein Tagträu-
mer verhalten und allen verzeihen und vergeben, ich wäre ein Un-
mensch, sozusagen, ich wäre nichts als gut, die richtigen Worte aber
werden euch auf die Zunge gelegt, wie schwere Münzen, ja, warum
nicht aus Gold, sicher sogar aus Gold, aber auch daran erstickt ihr, das
Richtige, was es auch sein mag, ist immer der Stoff, an dem ihr erstickt,
schreibt aber trotzdem so, als wäre jeder Satz universal, Genauigkeit,
die gleichsam auf der Hand liegt, entpuppt sich früher, oder auch ein-
mal später als ein Skandalon, für das ihr zur Verantwortung gezogen
werdet, tut euch das nicht an, bleibt beim Universalen, jeder Satz ein
Kuss, für die ganze Welt, darunter tut es nicht, ja nicht;
aber wenn das Dasein eine Lücke ist, wie eine Zahnlücke, was ist dann
das Gebiss, das die Lücke umschließt und erst zur Lücke macht und
als Lücke unmissverständlich verdeutlicht, denn Breschen schlagen
und Lücken büßen, alle Sätze ersetzen, darauf kommt es, heißt es, an,
nur wenn du nicht dabei gewesen bist, hast du alle Anrechte darauf,
der Erfinder zu sein, und nur dann wenn du es doch nicht warst, kön-
XVIII
nen es alle bezeugen, es gibt aber nichts, was wirklich gut schmeckt,
an den Tischen, an denen Menschen sitzen;
aber Vorwände dafür, Kommata zu setzen, gibt es überall, aber, gebt
diese Emotionalität der Beobachtung doch bitte auf, es bleibt ja einer,
der an ihr festhält, sich an ihr festhält, und auch euch, stellvertretend,
euch die Stelle vertretend, aber wie schade auch, sagte er, dass die
musische Wertung, im Besonderen und im Allgemeinen, in die Binsen
gegangen ist, jetzt gäbe es gar keine Wertung mehr, die von Interesse
sei, deswegen sei die Jagd nach Werten ein verschriebener Denk-
volkssport geworden, so lächerlich wie die auf einen Fuchsschwanz,
Werte seien autopoetische Blasenwürfe, oder sie sind nicht;
Firn auf Mulch, die Nasenflügel, innen, ausgekleidet mit Gegenwind,
um den sie sich nicht bemüht und den sie nicht verdient haben;
eine Kinderschaukel, die sie rechtzeitig mit einer Glaskugel umbaut
und mit einem immerwährenden Vakuum gefüllt hatten, jetzt schau-
kelt sie, die Schaukel, von den Lüften ungebändigt, frei, im Leeren, in
ewiger Bewegung erstickt, Sweet Heart, Vorbild, Lust, Zeit, zu ewigem
Hinken verdammt, und die Frage, que faire?, als Leuchtkäfer überm
Firmament des Infernos;
so überlebt wenigstens Dantes Handschrift, freilich, das ist nicht ori-
ginell, aber es ist spürbar, es ist, spürbar;
und das Denken ist doch immer passager, hingehauen und -gehaucht
wie Teig in eine gigantische Konzertmuschel, ein wenig so, wie wenn
Töchter in einem Café, auf schwarzen Stühlen sitzend, ihren ziemlich
unbeweglich gewordenen Vätern Lockerungsübungen vormachen,
als würden sie, ihr kennt die Szene, ein unsichtbares oder schlichtweg
abwesendes Orchester dirigieren, singendes Herbstlaub choreogra-
phieren;
XIX
ja, es gibt triviale Wahrheiten, gegen die du dennoch, unter noch so
vergeblicher Aufbietung deiner ganzen Existenz ankämpfen musst,
wie zum Beispiel:
du kannst nur in den jeweils vorgegebenen Formen leben, gehe es
noch einmal durch, verändere jedes Wort, und es könnte etwas wer-
den, freilich, alle unsere flottierenden Zustände sind bürgerlich, spät-
bürgerlich, kapitalistisch, spätkapitalistisch etc., weil sie unsere Welt
sind und nicht anders sein können, ob wir küssen, den Blick auf eine
Landschaft werfen, oder Äste brechen, aber wenn wir nur die End-
prägung der Zustände sehen, ihren gerade letzten Schliff, ihre akuten
Ränder, bleiben sie uns unverständlich, verborgen in der selbstge-
fälligen Lust ihrer Erscheinung, an der wir unterwürfig anklopfen, um
ein wenig teilhaben zu dürfen, wer beschreiben will, wie die Welt ist,
darf vor allem nicht dunkel sein, auch keine Angst machen, er darf
nicht an Details kleben, nichts auslassen, keine Rücksicht nehmen,
nicht parteiisch sein, aber absolut objektiv, er muss seiner Objekti-
vität freien Lauf lassen, auch wenn es ihm ein schlechtes Gewissen
verursacht, denn bedenkt, Objektivitäten lassen sich begründen, Sub-
jektivitäten auch nicht, von ihnen sprechen, wäre Verlegenheit;
verwickelt euch nicht ins Unbegründbare, sonst zerhacken sie euch
eure mühsam erworbenen gordischen Denkknoten, das hätte einen
unbeschreiblichen Aderlass zur Folge, und ihr wäret für den Rest die-
ser unflätigen Zeiten metaphysische Pflegefälle, auch die notorischen
Engel wären überfordert, das Leben, seinem Wesen nach doch eine
Aufforderung zur Übersteigerung,
verpufft im Dekor,
daher kam ihm damals einmal, nur einmal, in den Sinn, dass es gut
wäre, wenn die Welt hin und wieder, nicht unbedingt regelmäßig, um-
gepflügt würde, wie ein Acker im Frühling, zum Beispiel,
XX
dass man eine Zeitlang nur recht unförmige, große Schollen sehen
würde, wie die, die er in der Toskana einmal sah, über die er erschrak,
und sich fragte,
was hat denn dieses Land noch mit dem Land zur Zeit Palladios zu tun,
wenn es immer wieder so tief aufgerissen und gleichsam umgewirbelt
wurde, in sich zusammensackte, unter der heißen Luft zerbröselte
und zerfiel, wieder Früchte trug, um erneut zerpflügt zu werden, um
wie eine unüberschaubare Halde von Wunden dazuliegen, die sich
dann wieder selbst zusammenrafft, um neuer Zerstörung entgegen-
zuheilen, ja,
warum sollte es der Welt, nicht unbedingt regelmäßig, aber doch hin
und wieder, nicht auch so gehen, oder warum nicht vor allem ihr, aber
es wäre auch viel zu greifbar, unangemessen, ein kategorialer Miss-
griff, zu agrikulturell gedacht, utopischer Schmonzes, vielleicht sogar
noch mit ein paar erschlichenen pädagogischen Nebengedanken an-
gereichert, verbotenen Düngemitteln oder Pestiziden also;
und, jetzt, wieder ein 20. Jänner, der Weg durchs Gebirg nimmt kein
Ende;
er nimmt eine Stelle ein, die ihm, dem Weg, blieb, und ihm wiederum
blieb es, leider, sagte er, undeutlich, ob es, wobei dieses Wort gänzlich
unpassend sei, peinlicher wäre, sich in einem Spiegel oder unter einer
Lupe zu entdecken, schade war es aber auch, sagte er, dass ich, zu
meinem Schaden, Narziss war, der beim Trinken und durch das
Trinken unendlich durstig wurde, durstig wurde nach seiner un-
erreichbaren Seite;
er, der Erfinder der Liebe, die er erfand, indem er, nicht mehr und
vielmehr nicht weniger, das Unmögliche heiligte, da war die Liebe
plötzlich, das ergab sich aus nur einem Schluck oder einer Handvoll
Wasser, nicht mehr und nicht weniger, ein Heiligtum wie jedes andere
Heiligtum auch, unbetretbar, nächtlich, reine Verweigerung, die Stim-
XXI
menaura bestimmter Fado-Sängerinnen, Geschwister des Narziss, - Z:
wie ja alle Sirenen. Aber über deren Rezeptionsästhetik wollen wir
jetzt nicht auch noch reden. Es genügt der Verweis auf das Datum;
assim viveu deste então -
Aber kein Status Quo lässt sich aus seinem oder überhaupt einem Sta-
tus Quo erklären. Vor allem nicht der der Welt.
Schauderhaft, sagte er altertümelnd, in einer Welt zu leben, in der
man sich nicht unterbringen kann. Schauderhaft, weil man sie doch
liebt. – Z: - Ob das Paradies nach Seife riechen wird? - Wenn ja, nach
welcher? Und süß? Oder anders? Diese Frage macht die Sache richtig
interessant. -
Spielt das Leben eigentlich noch eine Rolle? – Z: Für die Lebenden
jedenfalls nicht mehr. (und augenzwinkernd:) Das Leben ist nichts,
was der Fall ist.
Jeder Morgenwind zernagt alles. So vor- und fürsorglich ist er doch
noch..
Ich, sagt er, habe mir tatsächlich noch niemals überlegt, wie es sein
könnte, wenn ich davon ausginge, dass die Welt nicht mehr ist als das,
was sie mir zu sein einredet.
XXII
Rettet das Spiel! (Buchtitel) - Unter den zwangsneurotischen Ideen
die brillanteste.
Aber wenn Gott endlich auftritt, wackeln die Backen der Schweizer
Garde. Und Ordnung kehrt zurück und ein. Und die Farben versöhnen
sich. Und selbst die Gläubigen können ihre Augen wieder öffnen.
Es gibt wohl wenig Schöneres, als wenn Augen wieder Hoffnung schö-
pfen. Denn Augen sind ihrem Wesen nach Schöpflöffel der Hoffnung.
Es ist sehr schmerzlich, ja, aber nur die Beschäftigung mit Dingen, die
dich nicht interessieren, klärt Dich auf.
Nur das Falsche kann, logisch betrachtet, in ungefälschter Form er-
scheinen. Es ist rein. Es ist reiner als das Richtige. Darin besteht seine
Schönheit. Und der Schwindel, den es erregt. - Z: Jetzt hört aber auf!
Das Sterben lernen bedeutet einfach nur: sich mit seinem Wegsein an-
zufreunden. - Z: Ja, wenn es nur das ist -
Wenn du sehr alt wirst, verlernst du aber das Sterben. Das lange
Warten entfremdet dich dem Tod. Die Ehe wird brüchig. - Z: Das kann
durchaus seine Reize haben.
Meditationsaufgabe: Stell dir vor, wie sich Zweie einander einge-
schrieben haben und sind. Dann lies sie sich ihnen vor.
„Die eigentliche Macht des Lichts aber ist seine Gegenwart. Es ent-
fremdet die Masse ihres gewohnten Fleisches, es wirft ihr ein Kostüm
über, das sie verwandelt.“ (Kracauer)
Jedes Denken ist, von seinem ersten Geburtsschrei an, posttraumati-
sches Denken. - Was die Denker vom ersten Gedanken an aber verges-
sen haben.
XXIII
Dinge mit Fetischcharakter unterscheiden sich von normalen Feti-
schen nur durch ihre Sterilität.
Du kannst die buddhistische Idee auch so wiedergeben: gelöscht = er-
löst. Das sagt über den Grund der Erlösung aber nichts aus. (Auch
Strafpunkte können gelöscht werden.)
Ironie = u.a. Verachtung des Vergänglichen - Bewusstsein = u.a. Blitz
mit Tränen in den Augen (Clemens Brentano)
Schade auch, dass die leichten Worte vorbeigreifen und die schweren
vorbeifallen.
Schöne Redeweise, in der Nähe zum Ausdruck zu kommen scheint:
Mir geht es bei dir darum, dass... - Z: Weil sie im Grunde so zauberhaft
unverständlich ist? Wittgenstein hat sich, soweit ich sehe, nicht get-
raut, sie zu analysieren. Solche Sätze gehörten nicht zu seinen Sätzen.
Er sagt, er sucht nach dem Das, das für ihn spricht; sinnvoller: für ihn
spräche.
Er sagt, was die Welt verschweigt, das ist die Unverschwiegenheit, die,
als sie begann, ihr Ideal gewesen war. Daher, sagt er, sei Trauer ihre
logische Gegebenheit (Situation), die aber in der Nährlösung keiner
der gegebenen Logiken aufblühen könne. Die kurrenten Weltsichten,
sagt er, ließen dies außer Acht. Daher seien sie im Sinne Kants leer
und blind. Er frage sich, warum sie dennoch so fröhlich seien. - Z: Sie
müssen’s halt sein.
Die Trauer ist die schönere Verwandte des Glücks. – Z: Aber hat das
Glück denn Verwandte und lässt es sie zu?
Es ist, wie wenn du beim Griff nach dem zweiten, dem besseren Satz,
den ersten verlierst. Und der zweite Satz dir dann doch nur wie ein
leeres Fell vorkommt.
XXIV
Warum gibt es das Wort Seinbar- oder Istbarkeit nicht? - Wir halten
es nicht für denkbar.
Übergänge gleiten immer, sie sind unverbindlich. Wenn sie zu gleiten
aufhören, sind sie tödlich. Sie haben etwas erreicht. Ein Target. Das
Ende des Gleitens ist die Kollision. Mit einer Idee seines Gegenteils.
Vielleicht ist das keine schlechte Definition des Tods: Kollision des
Leben mit seinem Gegenteil, je und je. - Z: Das sagt nicht viel. Und ist
zu harmlos. Aber nett. Tausendmal so gedacht. Aber noch nie, scheint
mir, so gesagt. Es sei denn, vielleicht einmal von einer Türkin, viel-
eicht einmal von einem Eskimo, oder einer Mongolin.
Dann und wann.
Ein merkwürdiges Gefühl, wenn du fühlst, dass in Hegels Denken die
Weltgeschichte wirklich zusammengezogen ist wie in einem Mund, in
den jemand, geschält, die sauerste Zitrone der Welt geschoben hat.
„...et in pulverem revertis“. - Einzelne Ausführungen, sagt er, mit Trä-
nen auf der Nasenspitze, sind so überflüssig, wie einzelne Menschen,
Rosen, Granatäpfel und Staubkörner. - Z: Hattest du nie den Eindruck,
dass Staubkorn ein von Grund auf falsches Wort ist? Ich glaube, es gibt
keine Staubkörner. Was soll denn das Kornhafte eines Staubs oder
Stäubleins sein? Das zu denken, reicht meine Phantasie mir tatsäch-
lich nicht aus. - Die Toten kehren nicht zu Körnern zurück.
Er kam, trug eine Narrenkappe und frug mich, wie sprichst du eine
Welt an, die nicht einmal mehr Ohrlöcher hat? - Die Welt hat einen
autistisch makellosen Kopf, wie die Schaufensterpuppen.
I am, sagt er, my personal no-go.
XXV
Was du heute nicht weißt, hast du morgen leichter vergessen. Du hast
es vergessen und es zieht dich ins Gestern wie ein Ballon, der mit
Zeithelium gefüllt ist, prall und unwiderstehlich.
Du hast dich gewehrt. Das war falsch. Jetzt wirst du die Anklage nicht
mehr los. - Z: Aber wenigstens Kafka lässt dich grüßen.
Tun, sagt er, ist unweigerlich Vertun. Aber denken, sagt er, kann nicht
verdenken.
Ja, es ist immer grade anders als die Leute denken. (Kasperle)
Sie, sagt er, gieren alle nach etwas anderem als ich. Das ist skurril. -
Leben wir, fragt er, denn nicht in derselben Welt?
Für viele liegt der Reiz der Evidenz gerade darin, dass sie zu deuten
nichts übrig lässt. Die Evidenz unterschlägt jeden hermeneutischen
Einsatz. – Evidenz ist der Totentanz des Hermes bei seiner eigenen
Beerdigung.
Wir sind verloren im Guckkasten der Invisibilität und der Indivisibi-
lität. – Z: Ihr beginnt, endlich, die wesentlichen Formen der Ununter-
scheidbarkeit zu durchschauen.
Gute Theorie stellt nur Fragen in Aussageform.
Es besteht nicht nur die Gefahr, dass du bei einem Ende anlangst,
wenn du einen Anfang suchst.
Auf Bewährung. – Kann Bewährung einen anderen Zweck haben als
sich selbst? Jedes Etwas, das sich bewährt, bewährt sich als Ursache
seiner selbst. Um etwas vor Augen zu haben, lassen wir uns gerne
täuschen. Denn wir müssen uns täuschen lassen. Das hat sich bewährt.
Ja, genau so ist es gemeint: Das Müssen hat sich bewährt. Nicht sein
Grund.
XXVI
„Wie hat man die Methode gelernt zu bestimmen, ob etwas existiere
oder nicht?“ (Wittgenstein)
Auch der Grund einer Anerkennung liegt nur darin, anerkennen zu
müssen, dass die Anerkennung der Zeit und des Raums, nur zum Bei-
spiel, aber nicht beiläufig, gesagt, notwendig ist.
Die Erkenntnis sagt: Ich hab mein Schema auf Nichts gestellt.
„Das Wissen wird eben nicht in Worte übersetzt, wenn es sich äußert.
Die Worte sind keine Übersetzung eines Andern, welches vor ihnen
da war.“ (Wittgenstein) – Z: Daher heißt es ja schon lange: Am Anfang
war das Wort. – Kennt ihr es? -
Und selbst wenn das wahr ist, - was bedeutet es eigentlich? (Wittgen-
stein) - Eine Frage, die nur die Leser/innen beantworten können. –
Sie müssen es aber nicht; zum Beispiel, wenn sie sich davor fürchten.
Verstehen ist nicht nur eine Art von Abgerichtetsein, sondern ein fun-
damentales Abgerichtetsein.
Wenn du auf die Frage Kannst du mir das erklären? antwortest: Das
ist doch evident!, erklärst du etwas, was nichts erklärt.
Die Engel aber hatten noch „einen ungeteilten Verstand, der die Wahr-
heit nicht so erkennt, dass er von Voraussetzungen zu Schlü ssen vo-
ranschreitet, sondern bereits unmittelbar in den Denkvoraussetzun-
gen die sich ergebenden Wahrheiten erblickt. Ebenso erkennt er nicht,
indem er wie unser Verstand einem Subjekt ein Prä dikat zuweist oder
nicht, sondern indem er in einfacher Betrachtung des Subjekts un-
mittelbar erfasst, was auf es zutrifft oder nicht.“ (Thomas von Aquin,
De Malo)2
2
Ad primum autem quod in contrarium obiicitur, dicendum, quod Angelus habet simplicem intellectum quantum ad
hoc quod sicut non intelligit veritatem discurrendo a principiis ad conclusiones, sed statim in principiis videt
XXVII
La langue comme ange gardien? - „`Ein guter Engel hat uns bisher be-
wahrt, diesen Weg zu gehen.´ Nun, was willst du mehr? Man könnte,
glaube ich, sagen: Ein guter Engel wird immer nötig sein, was immer
du tust.“ (Wittgenstein) – Z: Dann war die Sprache sein Engel. – W:
Mais il demanderait: Comment la langue peut-elle être un ange? – En-
suite, il doit y avoir des anges féminins.
Pleurer le désir. Es wäre eine wirkliche Leistung, wenn es der Mensch-
heit gelungen wäre, aus dem Instinkt der Angst ein Humanum zu
machen.
Die Tage fangen zu früh an. Die Nächte auch. Da sind wir hilflos.
Können wir uns in Ruhe unterhalten? – Wo, sagst du?
Um alles auszusprechen, darfst du nichts ansprechen. – Z: Das ist so
überzeugender als vice versa.
Feierabend der Bedeutung. - Du brauchst, sagst du, dieses oder jenes.
– Wie kommst du darauf, etwas zu brauchen, das es nicht gibt? Witt-
genstein hielte das für eine Beule. Oder einen Fliegen- oder Schmet-
terlingskadaver, tief in einem schon lange nicht mehr gereinigten Flie-
genglas. – Z: Einen verlassenen, wenn nicht gar totgesagten Zeichen-
garten, in dem die Sprache, samt ihrer Grammatik feiert.
Vielleich, sagt er, haben die Großen nie etwas anderes getan, als ihr
Begehren in die Welt hinaus zu weinen. Zuzutrauen wäre es ihnen. Es
conclusionum veritatem, ita etiam non intelligit superaddendo praedicatum subiecto per modum compositionis et
divisionis intellectus nostri, sed statim in simplici consideratione subiecti considerat ea quae subiecto conveniunt, vel
quae ab eo removentur: utriusque enim est eadem ratio, eo quod dispositio subiecti est principium cognoscendi
inhaerentiam praedicati ad ipsum. Unde Angelus per simplicem apprehensionem subiecti cognoscit esse vel non esse,
sicut et nos componendo et dividendo. Nihil enim prohibet per simplex intelligere compositum, sicut per immateriale
cognoscitur materiale. Ex hoc autem in intellectu nostro componente potest provenire falsitas, in quantum iudicat
aliquid esse vel non esse. Unde in intellectu Daemonis potest esse falsitas, praecipue quantum ad ea quae excedunt
naturalem cognitionem.
XXVIII
gab ja keinen unter ihnen, der sentimental war. Die lautstärksten Trä-
nen sind die staubtrockenen.
Tatsachen seien jedenfalls sekundär, wenn auch unverzichtbar für die
Meinungsbildung.
Sätze sind Denkwegweiser. Sie sagen nichts über den Weg, seine Ge-
fahren oder seine Aussichten. – Z: Du musst ihn, wie die Propheten
sagen, erst gehen!
Zustand bedeutet für die Seele Gravitation. - Z: Das Zustandslose wäre
also das Schwerelose.
Warum also Erzählungen, wenn sie ihren Sinn verbergen wie eine
Darstellung der Verkündigung die Eschatologie?
Aber vielleicht, denkt wieder an Platos Höhle, sehen wir ja wirklich
nur Opakes, selbst wenn es uns blendet. Alle Verhältnisse sind einfach.
Diese Tatsache schützt sie. Wären sie nicht einfach, wären sie auch zu
regeln.
Estinguendo. - Dein Problem ist, dass du die Welt so zu beschreiben
versuchst, als hätte sie kein Modell. Eher so, als wärest du ihre Ma-
rionette. Es gibt keinen lobenswerteren Versuch. Aber Marionetten
schreiben nur in die Luft, was die Fäden ihnen diktieren. Als würde
die Welt dahinter sich darin auslöschen wollen. Modellhaft.
Schnee über Marathon. - Schränke bleiben entsetzlich jung. Und Sätze
sind Boten, die sich für die Verspätung oder die Abwesenheit anderer
entschuldigen.
XXIX
Narren sind gezwungen, kräftig zu werden. - Damit ihre Körper, wenn
sie gerädert werden, den jeweiligen Schergen die Arbeit ordentlich
schwer machen: Die Rache der Narren. Mehr ist nicht drin.
Kleine, aber späte Hommage an Beckett. - Einem jeden Menschen soll-
te bei seiner Geburt unbürokratisch ein Mülleimer zugesprochen wer-
den. Er sollte ihn auch erhalten, um ihn sein Leben lang mit sich he-
rumzutragen und im letzten Augenblick, jedenfalls aber rechtzeitig, in
ihn hineinzuspringen. - Dann kommt eh die Müllabfuhr.3
Schminkstifte stellen etwas heraus. Mehr können sie nicht, als heraus-
stellen, was unterstellt schien. Obgleich es nicht sichtbar war. Und
auch späterhin nur die Indizien kennt, die der Schminkstift hinter-
lassen hat.
Wer nicht begreift, kann ja nicht verstehen. (Thomas Bernhard)
Diese endlosen Absterbensnächte.. (Thomas Bernhard)
3
Hommage petit mais tardif à Beckett. - Chaque homme devrait se voir attribuer une poubelle à la naissance sans
bureaucratie. Il devrait également le recevoir afin de pouvoir le transporter avec lui toute sa vie et au dernier moment,
au moins à temps, y entrer. - Ensuite vient la collecte des ordures quand même.
XXX
Eichkröten und Schildhörnchen (II)
II. Fortsetzung nie begonnener Stimmenimitate
Alle Kappen sind Narrenkappen. Alle Hüte sind Narrenhüte. Alle Mü-
tzen sind Narrenmützen. Mehr braucht es doch nicht. Wir beginnen
so, als hätten wir gar keinen Grund dazu. Wir sind noch klug.
Und nutzen es, dass bestimmte Nachrichten uns noch nicht erreicht
haben.
Es ist nichts Schlimmes an Geld und Macht, außer dass sie die Existenz
zu Kitsch degradieren.
„...erwirb es, um es zu besitzen!“ (bekannt, Goethe) - Jedes geistige Erbe,
dass wirklich erworben wurde, ist glasklar.
Vom Instinkt der Erkenntnis besessen. (Bulgakow). – Z: Das kommen-
tiere ich nicht.
Jemand hat mich, sagt er, gelobt, die Folge war frappant, ein fragiles
seelisches Wonnegefühl, unerklärlich. Unwillkürlich siehst du dich
verlegen um, ob -
Nichts wird so kalt gekocht, wie es gegessen wird.
Für Gedanken sind Auslassungen (omissions) die wichtigsten Präge-
stöcke.
XXXI
Gedanken sind letztlich nur an ihrem Profil erkennbar. Ungefähr wie
Reifen. Und anders als Flammen, Wolken und Schwärme; die nur in
unzulässig arretierter Form Profil und Format zeigen.
Immer, wenn du durchgehalten hast, fragst du dich, zurecht, warum
du nicht früher gegangen bist. Um dich deiner, rückwirkend, zu ver-
sichern.
Um das ganze Denken der Postmoderne zusammenzufassen: du
kommst immer um die Spur zu spät, der du dich verdankst.
Das Zimmern von Himmelsleitern verlangt ein überdurchschnittli-
ches fachliches Know-how.
Es gibt keine Rettung. Weil es keine Rettungsversuche mehr gibt.
Du solltest jeden Satz als das Bild eines Gedankens verstehen. - Dazu
brauchst du nicht erst Wittgenstein zu konsultieren. Du musst nur
verstehen, dass das, was du da tust, ein Verstehen ist. Lasst alle an-
deren Ideen vom Verstehen fahren.
Singen in einer Öffentlichkeit, die nicht zuhört.
Schneebar mit Graugänsen.
Argumente müssen das Heillose zerstückeln, um es zu sanieren.
Definiere das Wort gehen, und zwar sofort! - Z: Artikulation. Schaut
nur hin!
Ich war, sagte er beim Abschied, ein sehr offener und menschen-
freundlicher Mensch, hatte aber leider keine Chance, es zu zeigen.
XXXII
Es ist die Unentscheidbarkeit, die das Denken in Bewegung hält. -
Denkt an das pendelnde Ohrenstäbchen.
Ihr habt eine lustige Art euch zu retten. (Kafka)
Was einen Abschied dieser Art traurig macht, das ist das Prinzipielle.
Es ist wie ein Durchgriff in die Welt.
Jedes Fort, von dem du Kenntnis hast, ist ein Da. Dabei bleibt das Da
aber nur die Übersetzung eines Forts, das sich selbst, bleibend, in sein
Originalsein verhüllt und so in seinem Fortsein erhält. Freud sah da-
rin das Verfahren des Traums. - Z: So, wie du es dir denkst.
Gärten sind bisweilen ins Sichtbare gezogene, versetzte Phantasma-
gorien, die ihren Doppelsinn dabei aber nicht verlieren. Insofern
kannst du auch sagen, sie sind Phantasmen, die auf der Grenze stehen-
bleiben, also jedes ein Janus, Bewohner des hauchdünnen Raums
zwischen den zwei Welten des Hier und des Dort, die auf übermütige
Weise mit ihren Zeigefingern aufeinander zeigen und verweisen.
Ein Fangspiel der Zeichen im Raum- und Zeitlosen. Unendlich repro-
duktiv.
Ein Gartenbauer ist auch ein Analogon zu einem phantasierenden
Kind.
Sieh den Garten, auch, als ein Verweisspielplatz der probenden Phan-
tasie. Einen Spielplatz der Verweise. Hier verweist alles aufeinander,
teilt Verweise aus, und alles verweist sich auch vom Platz.
Wir bauen eine Welt des Denkens (aus dem Denken der Welt, soweit
wir es kennen).
Glücks-Fälle. - Wir gehen von dem sanften Irrtum aus, dass alles auf
seinen Platz gehört. Ein Platz wird aber immer zugewiesen, hat eine
XXXIII
Konsequenz für die Umgebung und war ja selbst eine Konsequenz der
Umgebung. Darin steckt das ganze Geheimnis des Gehörens. In der
Herausbildung von Nachbarschaften. Förderliche und andere.
Auch Fort und Da gehören einander wie Noch-nicht und Schon. Und so
weiter. – Z: „So oder ähnlich, der Teufel zu mir“4. -
Ich jause im Grünen. (Kafka)
Ja, in der Sprache, lieber Heidegger, versammelt sich die Welt, um zu
stammeln. - Z: Lallen ist Lust. Aber nur von unter dem Lichtbart5 her.
Warum, sagst du, ist Freud so unzeitgemäß? - Weil er die Einzelnen
noch ernst nimmt, und das können wir nicht mehr begreifen.
Alle Hermeneuten sollten, was sie leider aber gerne tun, nicht ver-
gessen, dass es praktisch nie zu entscheiden ist, in welchem Sinn ein
Dichter, ein Denker oder ein weniger normaler Mensch, ein Symbol,
das einen ganzen Schatz von Deutbarkeiten bereithält, meint oder
einsetzt.
Seekrankheit auf festem Lande. (Kafka)
5 Zur Erinnerung: Käme, / käme ein Mensch, / käme ein Mensch zur Welt, heute, mit / dem Lichtbart der / Patriarchen: er dürfte, / spräche
er von dieser / Zeit, er / dürfte / nur lallen und lallen, / immer-, immer- / zuzu. / / („Pallaksch. Pallaksch.“) - (Celan)
Venisse, / venisse un uomo, / venisse un uomo al mondo, oggi, con la barba di luce die /patriarchi: potrebbe, / se parlasse di questo / tempo,
potrebbe / solo / balbettare e balbettare, / continua-, continua- / mentemente. / / (“Pallaksch. Pallaksch.”)
Should, / should a man, / should a man come into the world, today, with / the shining / beard of the / patriarchs: he could / if he spoke of
this / time, he / could / only babble and babble / over, over / againagain. / / (“Pallaksh. Pallaksh.”)
Si v enait, / si v enait un ho mme, / si venait un ho mme au mo nde aujo ur d’hui, av ec / la bar be de lumièr e des / Patr iar-
c hes : il po urr ait, / s’il parlait de c e / temps, il / po urr ait /seulement br edo uiller et br edo uiller / to ujo ur s, r ebr edo u-
iller to u- / jo ur s, -jour s / / ( “Pallaksc h, Pallaksc h.”)
XXXIV
Zwischenspiel: Gespensterweisen
Demiurg, multi tasking. - In die Architektur des Gartens geht ein, was
der Architekt ererbt hat, sich ihm aber nur in seinem Garten zeigt. Es
ist seltsam, dass der Architekt zum Geburtshelfer dessen werden
muss, was er geerbt hat, damit es da ist und sicher sichtbar wird. Selt-
sam, dass der Architekt her- und darstellen muss, was in seinen Schoß
gefallen war, um sich dessen und seiner selbst, sicher zu sein, oder
wie man einmal sagte, wenigsten sicher dünken zu können. Vielleicht
kommt es daher, dass der Architekt glaubt, oder wie man früher ein-
mal sagte, wähnt, dass seine fertiggestellten Gebäude ausgewachsene
Pflanzen seien, deren Samen er nur in die Erde gelegt hat, um ihr den
Regeln gemäßes Wachstum beobachten zu können. Daher sieht sein,
zum Teil doch durchaus steinerner Garten wie ein in ein Gewächshaus
gepackter Dschungel aus. In dem alles Gerade geradezu verboten zu
sein scheint, oder nur dazu erlaubt und da, um die Regel zu bestätigen:
das Krumme, das Gebeugte, das Hypertrophe, das Verkrüppelte, das
Freie. Eben die noch nicht geschienten Glieder der Welt. Alles in allem,
ein seltsamer Maieut, unser Architekt. Ein paradoxer Demiurg. Ein
Demiurg ex nihilo. Ein deformierter Professioneller, der darstellen
muss, um sich seiner sicher zu sein. Wenigstens als eines Gespensts:
ich (Gespenst) bin, glasklar, ein Gespenst (ich). Ein Ding, noch sonder-
barer als die Zeit. Und nicht schwächer als Granit.
Geständnisse wären am klarsten, wenn man sie widerriefe. (Kafka)
Das Urbild des Gespensts ist der Azur. Das kannst du schon bei Mal-
larmé lesen.
Ein sehr epigonales Zaubermärchen nach Lacan. - Du bist nicht nur
besessen, das wäre nicht so schlimm, du bist von dir besessen, der zu
besitzen glaubt, was auch immer, darauf kommt es dir nicht an, aber
von dem, das du umarmst, dir an die Brust ziehst, das du herzt, be-
sessen von deinem von dir selbst erfüllten schweren Vakuum. Du bist
ein wunderlicher Magier, der sich, das Kaninchen, aus sich, dem Hut,
XXXV
zieht, aber ganz ohne Zauberstab. Weil Deine Hand zu schwach ist,
einen Zauberstab zu halten, zu führen oder gar zauberisch zu schwin-
gen. Später, wenn du ihn halten könntest, kannst du nicht mehr zau-
bern. Willst es auch gar nicht mehr, willst es nicht einmal mehr kön-
nen.
Warum ist alles so schlecht gebaut? (Kafka)
Sich selbst etwas anzumerken oder gar anzusehen, ist unmöglich. Und
wenn du dir doch einmal etwas ansiehst, bleibt es unentscheidbar,
was es ist.
Irgendetwas am Leben ist immer unüblich.
Triumph der Evolution. - Geißeltierchen: Es geht darum, den Magen zu
füllen. – Menschen: Es geht darum, den Magen zu füllen.
Du musst akzeptieren, dass die Dinge für dich verloren sind, dann hast
du vielleicht noch ein paar geschmäcklerische Tage und lernst den
Seelen der Golfer nachzutrauern. - Z: Und das soll ich verstehen? –
Verstehst du es etwas nicht? –
Nächstenliebe. - Mittäter-Exzess.
Z: Wenn sich überall, meine Lieben, ein Paradox verbirgt, dann arbei-
tet doch auch im Inneren des Eigentlichen das Uneigentliche - und vor
allem auch umgekehrt?!
Die deutlichsten Spuren sind immer die des Nichtgewesenen, sagte er
zu sich, beim Blick in den Spiegel.
Gespenster zeugen vom Geheimnis ihrer Entstehung. (V. Mazin)
La garde absente. - Das Fatalste an den Blicken, die uns überwachen,
ist ja nur, dass wir sie nicht sehen, deswegen kann man uns mit Über-
XXXVI
wachungsattrappen so spielend leicht täuschen. – Z: Wir können uns
nicht mehr denken, dass da kein Wächter ist.
Wir wissen nur, dass unsere Blicke uns vorausgehen, uns gleichsam
vorweg sind. - Als die uns unsichtbaren Gespenster unserer eigenen
zukünftigen Blicke. - Z: Lacan sei Dank! Der unermüdlichen Gedan-
ken-Hebamme!
Oft ist die Beziehung, die zwischen zwei Relata ja herrschen soll, nichts
als eine Kaskade von Kategorienfehlern.
Jede Logik versucht nur zu sortieren, auf ihrer Suche nach Kriterien.
Dabei wird sie ziemlich alleingelassen. Wird sie und ist sie und bleibt
sie. - Z: Warum sollte es ihr besser gehen als allen anderen Einbil-
dungskräften?!
Es ist zwar selbst neurotisch, aber auch erschütternd klarsichtig,
wenn Freud darauf hinweist, wie oft wir mit ‚neurotischer‘ Währung
zahlen, besser: heimzahlen. - Z: Vor allem Schuld kann gar nicht an-
ders heimgezahlt werden. - Also nicht. -
Keine Antwort kann eine Frage bezahlen. Dass sie etwas heimzahlt,
das ist allerdings denkbar.
Das so genannte Ausrufezeichen ist nur die gestreckte Form eines
Fragezeichens. Das will was heißen.
Jeder bewusste Lebensaugenblick ist eine Spektral-Synthese. Denkt
darüber nach, wie das geschehen kann, so in der Retorte ihrer selbst.
XXXVII
Das Aktuelle ist die Reserve des Unerwartbaren. - - - Z: Manche Sätze
dürfen einfach einfach sein.
Insofern jede Kommunikation auch eine Entscheidung beinhaltet, lädt
sie die Zukunft nicht ein, sondern lädt und sperrt sie aus. – Z: Der
Engel der Zukunft darf bis an den Hauseingang kommen, aber keinen
Schritt weiter -
Aktualitäten sind gespenstische Mauern, und ich kann euch nicht sa-
gen, wie es uns gelingt, immer wieder hindurchzugehen. - Z: Vielleicht,
weil wir sie als Gespenster nehmen, ohne es zu erkennen, d.h. ohne
sie als solche zu erkennen. – Es kann aber auch sein, dass wir selbst
Gespenster sind, die keine Probleme mit Mauern haben, welcher Art
auch immer. – Z: Einer der unveräußerlichen Vorteile, ein Gespenst
zu sein, ist es also, durch Gespenster-Mauern gehen zu können, ohne
es zu merken. Was freilich auch schade ist.
Abschiede sind die besten Gelegenheiten, zu sich selbst in Beziehung
zu treten und das zu ontologisieren, was du nicht zustande gebracht
hast. Das Ungetane hat mehr Gewicht als das Getane. Daher kann dich
das Getane nicht erdrücken. Es ist viel zu leicht; muss ich ergänzen:
für die Seele?
Nur was nie war, hat die Chance, zu einem Überrest zu werden, der
bleibt. Ihr seht, ich rede nicht über das, was zu machen ist, sondern
über das, was zu verstehen und zu ertragen ist. Das Herz der Finster-
nis, d.h. das Herz der Welt. Ich rede nur über das, was du sezieren
solltest, bevor du stirbst. Das Leben ist die Autopsie des Todes.
Eine Rechnung wird ausgestellt, eine Quittung verpasst. Von einem
Kellner ignoriert zu werden, das ist Glück.
Liebe ist die Achtung vor ihrer Unmöglichkeit. Gibt es eine größere,
d.h. abgründigere Neigung zum und Huldigung ans Abwesende? Und
XXXVIII
welches Abwesende könnte dem widerstehen? Und was könnte die
Achtung sich selbst Besseres antun!
Bedeutung hat nur, was über den Zustand des Jeweiligen hinausgeht.
- Z: Das glaubt keiner mehr, ist aber wahr.
Was definiert die Welt? - Die hilflose Trauer des So-Seins.
Z: Deutscher ohne Migrationshintergrund. Eine verlorene Existenz.
Wodurch wird das Leben endgültig definiert? - Es hätte sein können.
All die akuten Bilder sind Lügen. Auch wenn sie unzählbar sind.
Klar, wem der Tod egal ist, dem ist alles egal. Und ihr seid Kinder. Ihr
bildet euch etwas ein. Am Tod erfolgreich vorbei.
Denn wenn du bereit bist zu sterben, für nichts, ist alles gut. Die
Details gelten nichts.
Es ist. Alles in den Händen der anderen. Die Grenze der Philosophie.
Er sagte über sich, er sei doch nur ein Bagatellschaden der Schöpfung.
Wir brauchen jetzt nur noch ein nices framing für das Genderstern-
chen.
Er sagte, manchmal sei er sich selbst gespenstisch, vor allem dann,
wenn er sich beim Weinen ertappte.
Bedeutung ist der Schleier, den du den Dingen überwerfen musst, um
sie greifbar zu machen.
Es wäre gut, innig gefühllos zu sein.
XXXIX
A: Vielleicht ist das zu kurz gesagt, aber: im Sehen inkorporiert sich
der Unwille, nichts zu sehen. - Z: Ich sehe, du willst nicht nichts sehen,
und die Folge, gleichsam das Resultat der Leugnung, resp. der Ver-
leugung des Nichtsehens ist das Sehen. Aber das ist doch genau die
Art, wie eine gewisse Psychoanalyse die Genese eines Fetischs be-
schreibt. - A: Dann ist das Sehen halt ein Fetisch. - Z: Und stets will-
kommen im Klub der Gespenster!
O(?): Übrigens, wenn Freud auch hiermit recht hat, verrät mein Name,
Peter, dass ich ein Doppelgespenst meiner Großväter bin, die ich nie
gesehen habe. Ich hätte sie bei den Asphodelen besuchen müssen. Ich
wusste aber nicht, wo das ist und wie das geht. - Z: Wahrscheinlich
wolltest du nicht.
Jede Hantise ist auch eine Sottise – und umgekehrt..
Nachtrag: Der Azur verfolgt mit seiner Blankheit. Armer Mallarmé.
XL
αποστήματα
Zustände eines Spazier- und Papiergängers
im Flachsland (30. Jänner)
Erdschaukel im Schongang
Bewusstseinsschwemme
unter Vermäntelung schöner Worte
Kesselfang und beim Tauziehen
eingeholte Gedankenblasen
Hermes macht noch seine Runde
auf der Ideentitanic
die Überwächter geben sich Mühe
auffälliger nicht aufzufallen
und doch fallen aus allen Wolken
die Bälle der Betriebsamkeit
und der Erdball dreht sich mit
Ginster bepflanzt im Schongang
und bedeckt seine schwarzen
Wundenlöcher mit der Zunge
mit der Sintflut aus seiner
Sprachröhre mit der aufgeriebenen
Flut der Deserteure der in
der Sand- und Wasserprobe
verdursteten Wüstenflüchtlinge
Schwären
altes Wort das nicht aufgibt
uns zu begleiten
ein Tupfer aus Granitwatte
leichter werden schwerer sein
XLI
Die Sexte aber bleibt aus
es besteht kein Bedarf
an Trug- und Halbschlüssen
der Untergang geht
immer aufs Ganze
Er fühle sich neuerdings wie ein mit Trauer getränkter Schwamm. Das
verleihe ihm Halt.
W: Ich, sagt er, gehe lieber denselben Weg immer anders als immer
andere Wege auf die immer gleiche Weise. - Z: Ein erfreulich koketter
Denker!
Keine Wahrheit lässt sich auf sich selbst reduzieren. Versuch es, und
du hast ein Waisenkind vor Augen.
Mensonge épuisé. - Freilich ist auch nichts daran zu ändern, dass
Wahrheit stets eine Gestalt der Erschöpfung ist.
Alle diese Erkenntnisse müssen – schon aus Rücksicht - an Praktikern
und Amtsmächtigen vorbeigehen; oder vorbeigetragen werden.
Die „wegbahnende Arbeit der Spur, die ihren Weg nicht durchläuft,
sondern hervorbringt.“ (Derrida)
Mein automatischer Korrektor, ein Gespenst ganz eigener Art, ver-
wandelt ‚Derrida‘ zu ‚Dereinst‘.
Auch der Modus des Gespenstseins wandelt sich auf gespenstische
Weise.
Konkretes. - Es kann der Beste nicht in Strümpfen gehen, wenn es dem
bösen Nachbarn nicht gefällt. – Und es kann die Beste sich nicht ihrer
Einkäufe erfreuen, wenn der böse Nachbar sie ihr wegschnappt.
XLII
Er, sagte er, kam mir vor wie ein Quasimodo der Beseeltheit.
In manchen gotischen Kathedralen überkommt mich, sagt er, das gute
Gefühl, von Leichtigkeit übermannt zu werden. Vom doch so über-
triebenen Gewicht der Schmetterlinge.
Keramisches Leben, Schleifspur seiner selbst. Fast zu unbedenklich
im Schatten und in der Scham der eigenen Gegenwart. Als könnte es
sein Altertum, das von jetzt grade oder einigen Spurenelementen da-
nach, einfordern, als Indiz, dass es sich einrichten kann in einer ein-
ladenden Form, die endlos auf sich warten lässt, als sei sie ihrer Ge-
burt nicht sicher, aber auch ihr einziger Wetteinsatz ist, solang es ihr
um sich selbst geht. Perpetuum immobile. Geräuschlos und unüber-
hörbar, wie es seine Art bleiben wird. - Z: Vielleicht wäre ja auch hier
die Liebe die Lösung. Wie so oft auch vorher schon nicht. Übt euch
einfach in der Beschreibung von Notstromaggregaten, das hilft euch
zu Schnecken zu werden und euch an euch zu reiben, bis sich eure
Schneckenhäuser aneinander entzünden. Jedem Kommunikations-
versuch sei das gegönnt. Frühlingsfeste der Ambivalenz. Ganz sicher.
Die Zungen sprechen nicht mehr. Aber sie lecken. An den Backen der
anderen, - als könnte das noch besser werden. - Du willst die Welt
treffen? - Rede an ihr vorbei! Oder stich Ihr gelbe Tulpen ins Herz.
Unter Menschen beginnt das Inhumane, wenn Intuitionen zu Institu-
tionen werden.
In so ganz normalen Sätzen, wie sie gut redigierte Aufsätze auszeich-
nen, kann man sich heute eigentlich nicht mehr ausdrücken; aber wir
stehen unter Einfluss und Beobachtung. Und sind Verlockungen aus-
gesetzt. Und genießen das Klatschen des Fußvolks. Und im Augenblick
zu leben, das heißt nicht, in der Zeit zu leben.
XLIII
Und im Augenblick zu leben, das heißt, nicht in der Zeit zu leben.
Und Sätze setzen, nein, säen Aussatz aus. Aus vollen Händen.
X: Es ist ein Irrtum, Zeit zu haben.
XLIV
Eichkröten und Schildhörnchen (III)
...sie klassifizieren Wolken nach ihrer Gestalt
(Wittgenstein)
Y: Denkt besser ans Denken, denkt es aus. Dann folgt auch die Zeit.
Wie ein Putzdienst. - Nennt es service of time. – Z: Die Gärtner nannten
den Februar Schmelz- oder Taumond.
Das Leben ist ein Kompensationstraum. - Z: Aber für welches Wa-
chen? -
Diesen Traum, sagt er, hat er schon vor fünfzig Jahren geträumt: ich
stieg in einen Fluss, es gab nur ihn und seine Ufer, der genau in seiner
Mitte längs durch eine feine Naht zusammengenäht zu sein schien.
Merkwürdig aber war, dass gerade und nur diese Naht es dem Fluss
ermöglichte, zu gleicher Zeit in zwei Richtungen zu fließen. Das konn-
te ich an der Bewegung der Wellen erkennen. Sie bewegten sich
diesseits und jenseits der Naht jeweils in entgegengesetztem Sinn. Mit
XLV
jedem Schritt, tiefer in den Fluss, fühlte ich mich glücklicher. Die an-
deren Menschen, die an den beiden Ufern des Flusses standen, folgten
mir nach oder kamen mir in diesem seltsamen Gewässer entgegen.
Wir ließen uns treiben. Wir trieben in den langsamen Wirbeln und,
das sehe ich noch deutlich, lächelten einander an. Ich erinnere mich
seither daran, ich muss es so sagen, wie an den beseligendsten Augen-
blick meines Lebens. Weil er wirklich stattgefunden hat. In diesem
Fluss mit Ufern, irgendwo im Leeren. Zumindest war nichts anderes
zu sehen.
Bewusst, planmäßig und schön. - Merkwürdig, dass wir das Schöne,
was es auch sein mag, und bevor wir es benennen, mit dem Bewussten
und Planmäßigen zusammendenken können. Wir haben vergessen,
dass das nicht selbstverständlich ist, was uns, im Gegenzug, erleich-
tert, unbekümmerter zu gestalten, etwa einen Garten. - Z: Aber der
Blick für das Gestaltete muss gelernt sein. Er lernt sich nicht leicht.
Beim Gestalten schon gar nicht.
Gestalten zu können, das heißt - noch lange nicht - , Gestalten sehen
zu können.
Jemanden vergöttern, das heißt, zunächst einmal, etwas von ihm zu
erwarten. - Z: Auch das ein do ut des: Was gibst du mir, wenn ich dich
vergöttere?
Was folgt denn im Windschatten einer Gunst?
Es wird dabei geblieben sein: Das Herzstück einer Gabe ist das Offene.
- Z: Weil das aber meistens schon jetzt nicht mehr so ist, habt ihr die
Verpackung erfunden. Lasst sie also besser verschlossen oder, wenn
ihr ganz vorsichtig sein wollt, versiegelt. Das Offene kann nur unter
Verschluss entfristet werden.
Denken bedeutet auch, und nicht nur quasi, das Unmögliche auszu-
füllen.
XLVI
Das prothetische Denken gebührt nur den Menschen. Tiere und Göt-
ter benötigen es nicht, denn sie brauchen ja den Mangel an Allwissen-
heit oder Instinkt nicht zu ersetzen.
X: Also ist auch jedes Denken ein Kompensationsdenken. - Z: Aber für
was, überhaupt? Und wie könnten wir das, überhaupt, entscheiden?
Kann es, ontologisch gefragt, prothetische Entscheidungen denn ge-
ben? Prothetisches Wissen? Prothetische Erkenntnis? Prothetische
Wahrheit? Und, wenn ja, in welchem Sinn denn? - Y: Das ist doch leicht
zu beantworten: nur im Sinn des Gespenstischen, gleichsam dem
Nährgespinst unseres Urvertrauens. – Z: Sinn, sagt Husserl, ist „das
Gemeinsame der Richtung auf den Gegenstand.“6 – Kein Wunder, dass
er so selten zustande kommt. Er verlangt zu viel.
Unsere Erkenntnis kann letztlich nur eine ersetzende Ergänzung des
Unverfügbaren sein. - Z: Das ja leider auch nicht verführbar ist. - X:
Lernst du etwa immer noch dazu? - Z: Ja, ich bleibe alert. Denn nur
„Gespenster sind unsterblich“ (V. Mazin). Und jede Wiederholung
wiederholt auf eine einmalige Weise. Muss das noch einmal betont
werden? - Y: Lieber nicht. Das würde uns gewiss nicht genügen. Du
weißt, auch noch einmal ist immer noch keinmal.
Die Wiederholung will nur eines: das Original unmöglich machen,
auch im umgangssprachlichen Sinn, so wie eine Kopie ihr Original
frisst. - Z: Sind also Digestion und Impossibilisierung so ziemlich
dasselbe? Ich hoffe, mich nicht zu wiederholen.
Macht die Auflösung eines Falls, eines Problems, oder eines Lebens,
das Leben, das Problem, den Fall zunichte und ungeschehen? Oder
kann Auflösung auch Transformation sein, die andere Art der Erhal-
tung qua Verlöschen, der einige den Decknamen Transzendenz geben.
6
Vgl. Wahrnehmung und Aufmerksamkeit, HUA XXXVIII: 18
XLVII
Wohin, dachte Wittgenstein, verschwindet ein Problem? Jedenfalls
schrieb er, dass es nur verschwinden und nicht gelöst werden kann.
Schwebte ihm vielleicht ein Nirvana der Probleme vor? - Z: Das würde
zu ihm passen.
Nichts ist doch wichtiger, als die Bildung von fiktiven Begriffen, die
uns die unseren erst verstehen lehren. (Wittgenstein)
Wittgenstein erfuhr das ähnlich, sagte es aber erheblich anders: „Fast
möchte ich sagen: Man fühlt die Trauer so wenig im Körper, wie das
Sehen im Auge.“
Zur Verstellung gehört auch, daß man Verstellung beim andern für
möglich halte. (Wittgenstein)
Ich, sagt er wieder, halte es für sinnlos, über Philosophen so zu philo-
sophieren, wie Philosophen es tun.
Es ist ja gerade die Allverwandtschaft der Gedanken, die es dem Den-
ken so schwer und bitter macht.
Etwa: Er ging in den Wald und dachte bitterlich.
Dennoch denke ich, es ist nicht zu leugnen, dass jeder Gedanke ver-
ewigen, wenigstens aber versteinern möchte. Medusisch. - Z: Aber
nicht grundsätzlich oder der Reihe nach, eher zufällig oder schicksal-
und sprunghaft.
Gott hält, habe ich gehört, sagt er, den Satz „Ich möchte auch gern ein-
mal Schicksal spielen!“, von Menschen gesprochen, für den blasphe-
mischsten, den er sich denken könne.
Es gibt Gedanken, sagt er, die ihn aufbringen könnten.
Bestimmten Denkern dient das Denken als eine Art der Narkolepsie.
XLVIII
Alle Mythen beginnen mit einer Selbstimitation. Und bleiben dabei.
Unsere archaischen Erbschaften (Freud): Wir wollen sie und wollen
sie nicht, wir brauchen sie und wollen und können sie auch nicht
brauchen, wir nehmen sie an und wehren sie ab, wir eigenen sie uns
unter Protest an, wir überlassen uns ihnen, voller Abscheu. Es geht
uns auch da, wie es uns mit allen unserem Gespenstern geht. Wir tan-
zen mit ihnen auf der Schneide der Gegensinnigkeit. Auf der Naht von
Greifbarkeit und Ungreifbarkeit.
Störungen sind Übersetzungsfehler; Strickfehler, Webfehler, Schürz-
fehler beim Verknoten des allseitig spiegelnden Möbiusbandes.
Es ist das Reale, das die Störungen schafft, und die Störungen schaffen
das entgangene Reale, kokreszent: Serien von gordischen Knoten, die
sich zwar selbst lösen könnten, dies aber nicht als ihre Aufgabe an-
sehen.
Immer sind es das Reale und seine Verstörtheit, das Unbewusste und
die Welt, die den einzigen Unterschied noch machen, sich einander zu
ersetzen. In ihrer unbekümmerten Art, sich nichts anderes einfallen
zu lassen. –
Paranoischer Ordnungszwang des Zerfalls. Wenn die borromäischen
Ringe auseinandergleiten, beginnt die Zeit der Jongleure. –
XLIX
Bei den Wahnerkrankungen (der Paranoia) ist die Systembildung das
Sinnfälligste. (Freud)
Im Tod „schürzt“ sich „das Leben als eine Schleife“, am „Schürzungs-
punkt der Schleife“ ist ein „Spiegel“: „Wir treten aus ihm hervor und
gehen wieder in ihn ein.“ (Ernst Jünger(!))
Indem wir die Verstörungen zählen, beten wir die Welt vor uns hin.
Wir schürzen der Gottheit lebendige Schleifen. Wir schürzen und
schürzen. Als könnte etwas aufkommen. – Z: Du solltest nicht so
unbedingt annehmen, die Dinge seien. Sie sind ja.
Auch der Zerfall, vor allem der, ereignet sich im Kampf mit sich selbst.
Der Prozess der Heimtücke. Unhemmbar. Es ist ein Auf-sich-Zulaufen
in der Gestalt des Entkommens. Ein Entkommen in der Gestalt des
Umklammerns.
In der Zeitenfolge steigern die Bedingungen ihre Qualität, auf unglei-
che Weise. Sie verlieren ihre Egalität. Unumkehrbar. Wie Berge wach-
sen, oder einstürzen. Und dazwischen: Scheinstillstand.
(Hier: Voraussichtliches Ende der explizierten Gespensterweisen)
L
Zerbrich das Faß,
doch hab acht auf den Wein!
(Jüdisches Sprichwort)
Perseveration und Transport. – Wenn der Grübelzwang dich im Griff
hat, kannst du dich nur noch mittragen lassen. – Z: Was doch eine
durchaus komfortable Fortbewegungsart ist.
Z: (wieder ergänzend) Der Grübelzwang ist ohnehin der allerver-
dienstvollste Vollzugsgehilfe der Verdrängung.
Wenn wir das Leben psychoanalytisch deuten, tun wir dann nicht so,
als würden die Menschen sich im Dauerschlaf befinden?
Schlafstörung nennen wir ja auch das, was den Schlaf im Schlaf zu stö-
ren versucht, ihn zum Erwachen drängen möchte. In diesem Sinne
sollten wir jenen gewissen Zug zur Transzendenz Wachstörung nen-
nen.
Mit der Geburt [...] ist ein Schlaftrieb entstanden. (Freud)
Das Leben ein Traum(a). - A: Der Traum ist auch entstellte Wachheit.
– O: Das Wachleben ist auch ein entstelltes Träumen. – A: Ihr seht: wir
haben sehr einfache Überzeugungen. – O: Und wir lieben den Traum,
weil er so hinreißend spielerisch leicht setzt, verschiebt, d.h. genauso
unbehindert jongliert, wie er es außerhalb von Zeit und Raum eben
kann und soll. – A: Und so das Ich energisch webt, wie Freud – ähnlich
oder ungefähr - sagt. – O: Mit Sicherheit lässt sich also nur behaupten,
dass die Existenz, also das, was wir lieber das Dasein und das Gefühl
davon nennen sollten, ein Kompromiss ist.
Laienhafte Laienanalyse. - Ich, sagte er, verschreibe mich immer wie-
der, wider besseres Wissen. Mit Vorliebe schreibe ich Siegmund statt
LI
Sigmund. Das kann doch nur heißen: ich fühle, dass Freuds Mund,
seine Worte mich besiegt oder betört haben.
Intensive Allgemeinhemmung. (Freud) – Nicht doch ein Kofferbegriff
für die Existenz?
Das Denken verklebt die Wörter mit dem stummen Abyssos. Und der
Abgrund dankt ihm mit dem Geschenk seiner Unauslotbarkeit, die
nun an jedem Wort hängt, als eingeschlossene kalte Unendlichkeit.
Es geht nur, wenn du aufhörst. - Auch das eine seltsame Redeweise. –
Z: Nicht seltsamer als Tot-Sein.
Hic Archimedischer Punkt. - Hic salta!
X: Es kommt mir so vor, als ginge es dahin. – Y: Seltsamer kann es nicht
gehen. – Z: Und doch kommt es stets in Frage.
Als würde die Sprache mir ein paar alte Münzen in die Hand geben;
mit denen ich ein Spiel treibe, aber nicht meines.
Ich merke gerade, dass meine Erinnerung an meine Großmutter, eine
geborene Ziegenbein, vor allem anderen eine Art Borromäischer Kno-
ten, eine verknotete Trinität ist, aus drei Elementen sehr verschie-
dener Art: 1. dem Tipp, den Geschmack des Kaffees zu verbessern,
indem man, vor dem so genannten Überbrühen, auf das Kaffeepulver
eine Messerspitze Salz streut, 2. der befehlsartigen Aussage: „Ein
Deutscher friert nicht!“ und 3. der Erinnerung an ihren nur wahn-
sinnig zu nennenden Blick, mit dem sie auf der Holztreppe stand und
mich, als ich aus dem Krankenhaus kam, wo in der Nacht vorher
meine Mutter gestorben war, in ihrem Mainzer Dialekt fragte, Iss es
dood? – In meinem Dachzimmer wartete wirklich ein schwarzer, recht
großer Schmetterling auf meinem Schreibtisch. Er schien mir nur
darauf zu warten, dass ich ihn frei- oder losließe. Ich öffnete dienst-
ertig das ins Dach gebaute Klappfenster und der Schmetterling flog
LII
schnurstracks und grußlos ins Freie. – Das war am 1. November 1977,
gegen Mittag. - Z: Und was ist daran jetzt symbolisch, was imaginär
und was real?
Gedächtnis-Regime. - Niederschmetternd die Vorstellung, dass je-
mand oder dass etwas will oder gar bestimmt, dass wir uns erinnern.
Dann wären nämlich alle unsere Erinnerungen Marionetten einer
Korruption. Und wir selbst sowieso, als part and parcel.
Corruption et duvets. - Ein parcel, sagt mein Autokorrektor, ist ein
Parvenü. - Da hat er wohl recht. Ein Parvenü, der uns die Korruption
einschleppt, kredenzt auf einem Brokatkissen, einer almohada de
brocado, um ihr wenigstens klanglich näher zu kommen. Und wir
greifen so wacklig wie Marionetten es tun müssen – und mit hölzer-
nen Scheinaugen scheinbar blickend - mit unseren hölzernen zittern-
den Scheinarmen fast wie Dürstende danach. Wir wissen nicht, was
wir tun. Aber zum Gehorchen bedarf es keiner Überlegungen. Das
macht uns unser Nichtsein so leicht, daunenfederleicht. – Z: Das Nicht-
sein ist ja das Leichteste am Sein. Ganz ohne und oder oder.
Thrill. - Mir fiel dann noch ergänzend ein, dass ich meine Großmutter
manchmal bat, mir „Rotkäppchen“ vorzuspielen. Sie tat das gerne,
aber spielte dann nicht die Großmutter, die sie ja war, vor, sondern
den Wolf, der die Großmutter verzehrt hatte. Sie konnte mir das
Wolfsgesicht sozusagen unverwechselbar vor die Augen bringen. Im
Grunde war sie dann der Wolf, der die Existenz seines Maules - mit
den Worten des Märchens – plausibilisierte: dass er mich damit besser
fressen könne. Ihre ganze Erscheinung war dann nur wölfische Wild-
heit, in Blick, Stimme und Gebärde. Und wenn sie einmal so weit war,
wollte und konnte sie nicht mehr aufhören, sodass es mir unheimlich
wurde und meine Angst, gefressen zu werden, mir echt und vernünf-
tig vorkam. Ich weiß nicht mehr, wie ich den Wolf, meine Großmutter,
zu beruhigen versuchte. Ein letztes Vertrauen, die Szene zu überleben,
war mir wohl geblieben. Als sie sich dann endlich in die gefressene
Großmutter zurückverwandelte, war ich erschöpft und fühlte mich
LIII
meinerseits wie aufgezehrt. Aber ich habe sie trotzdem immer wieder
gebeten, mir „Rotkäppchen“ vorzuspielen.
Wir sind anscheinend lieber „da“ als „fort“, und scheuen weder Kosten
noch Mühen. – Z: Also auch das ein ökonomisches Syndrom.
Jetzt komme ich endlich dazu. Der Vater meiner Mutter war wohl
ziemlich begabt. Eine Vollwaise. Angeblich wuchs er in einer Familie
mit vierzehn Töchtern auf, die jünger waren als er. Was zur Folge
hatte, dass er erst mit fünfzehn oder sechzehn Jahren seine erste Hose
erhielt. Vorher musste er die Röcke der Mädchen auftragen. Vielleicht
hat ihn das zu einem Autodidakten gemacht. Eine seiner Begabungen
war die Mathematik. Eine andere die Musik. Ich konnte es nicht he-
rausfinden, wie er es geschafft hat, aber er brachte es zum Elektro-
meister, der überdurchschnittlich gut Geige und Trompete spielen
konnte. Er gründete eine Band, die man, wie es heißt, oft im lokalen
Radio hören konnte. Irgendwann wurde die Vollwaise verantwortlich
für das erfolgreiche Funktionieren der gesamten Elektrik der damals
sehr renommierten Mainzer Aktienbierbrauerei. In dem Gebäude, in
dem einmal Peter Cornelius geboren worden war, und mein Groß-
vater sterben sollte. - Unter so genanntem Kriegseinfluss war eine Ma-
schine unbrauchbar geworden und musste repariert werden. Eine
Aufgabe meines Großvaters war es, in Briefumschlägen, den Monats-
lohn an die ihm zugeordneten Arbeiter zu zahlen. An diesem ersten
Tag eines Monats war er, sagen wir, zu aufgeregt. Die reparierte Ma-
schine sollte wieder angefahren und in Betrieb genommen werden:
Ihr kriegt euer Geld gleich! – Als er den Maschinenraum betrat, riss
eine Eisenkette der wieder hergestellten Maschine und zertrümmerte
den Schädel meines Großvaters. Vergleichbares ist oft passiert. Aber,
erlauben Sie mir, das Außerordentliche meines Falles liegt, ich glaube,
es so sagen zu dürfen, weil heute wieder ein schneereicher Tag ist,
darin, dass die hilflosen Zeugen der Szene die Frau meines Großvaters,
Ziska, und seine fünfzehnjährige Tochter, Minni, wie sie genannt wur-
de, meine spätere Mutter, herbei- und hinzuriefen. Deswegen war
auch ich, in gewisser Weise, dabei gewesen. Ich habe es gelernt, die
LIV
Situation durch die Augen meiner Mutter zu sehen. Ich war mitten in
ihren Augen dabei. Sie hat es mir beigebracht: Ihr Vater lebte noch
und, wie sie es mir tausendfach erzählt hat, bei jedem Herzschlag
schoss eine Blutfontäne aus seinem zerbrochenen Kopf. – Auch das
kommt vor, ist vielleicht sogar normal. Aber dass meine Mutter mich
nicht als ihren Sohn, sondern als eine Wiedergeburt ihres so tragisch
zu Tode gekommenen Vaters, den sie sich als Liebhaber wünschte,
sah, das hat mein Leben geprägt. Und mir meinen Namen gegeben.
Einmal sagte er auch, die Zeit vergeht nicht gut.
Ein Hund, nicht einmal halb so hoch wie der Schnee, trippelt durch
den Park.
Ich erinnere mich auch, dass es ein, das einzige, Foto meines Groß-
vaters gab, das auf einer monströsen Kommode im Zimmer meiner
Großmutter stand, in einem schmalen Silberrahmen. Ich schaute es
mir oft an. Dieser Peter sah mir wirklich gespenstisch ähnlich. Ich er-
schrak immer wieder, wenn ich mir in seinem Gesicht in meine Augen
sah. So klein sie auch waren. – Die ursprünglichen elegant gebogenen
Glasscheiben an den Seiten des Aufsatzes der Kommode waren bei ei-
nem Bombenangriff auf Mainz zerbrochen und ungeschickt durch
schmale Glasscheiben ersetzt worden, die so breit waren, dass sie
locker und unbehaglich in die gekurvten Holzschienen eingesetzt
werden konnten. Gerade diese schmalen Glasscheiben ließen die
Kommode noch monströser erscheinen. Sie schienen mir die Welt um
sie völlig unmotiviert zu spiegeln. Sie schielten in die Welt.
Interesselos. Das Foto meines Großvaters stellten sie immer genau
vor diese schmalen, unglücklich eingepassten Fensterglasscheiben;
deren Ränder übrigens sehr grob und für die Finger, die sie hin und
wieder zurrechtrücken mussten, gefährlich.
Das Zimmer meiner Großmutter, das mit der monströsen Kommode,
war auch das einzige, wenig genutzte, Fernsehzimmer im Hause. Un-
zählige Male saß ich allein vor diesem damals noch sehr knausrigen
LV
Fenster zur Welt und reagierte nicht auf die Stimme meines Vaters im
Parterre, ich solle doch endlich zum Abendessen kommen. – Herun-
terkommen.
Dem Denken sagt er, einem jedweden Denken kann es ja nur um die
Analyse von Selbstwahrnehmungskomplexen des Seins gehen. – Z:
Welche anderen Objekte könnte es denn sonst auch noch haben?,
Illustrateurs sonores. - Die Trompeten von Jericho. Rameau hätte ih-
nen die Spiel-Anweisung doux gegeben.
Trotzdem ist es das Beste, sich im Unklaren zu bleiben. - Z: Besser
noch: zu lassen. Solange man angenehme Konsequenzen erwartet.
LVI
Du fühlst dich nur dann gelassen, wenn du aufgegeben hast. Aber
vielleicht ist das ja dasselbe. Was ist aufgeben anders als seinlassen.
Das Glück der Masse ist unumkehrbar zu dem geworden, was Adorno
einmal den Stumpfsinn der tolerierten Exzesse genannt hat.
Sehr persönlich: Heute endet mein Leben als Universitätsdozent, nach
fast exakt genau achtunddreißig Jahren. Ich begann damit ein halbes
Jahr vor Lacans Tod. Und es hat sich ergeben, dass ich in meinem letz-
ten Seminar über Mori Ôgai und die die deutsche Philosophie spre-
chen werde. – Z: Das müsstest du dir einmal vorstellen. Aber kannst
du dir denken, dass deine Phantasie dazu ausreicht; oder es auch nur
zulassen würde? – Denkbar ist das überhaupt nicht, aber vielleicht tun
ja die Wolken auch mir einmal einen Dienst. – Z: Das wäre legitim und
nett.
Vielleicht sagen mir die kalten und harten Sterne heut Nacht deshalb so
bestimmt und mahnend: Besinne dich auf den Exzess!
Der Gottesbegriff ist uns, sagt er, auch deshalb so unangenehm, weil wir
ihn uns so denken, dass er einen Beobachter höherer Ordnung ausschließt.
Das gefällt uns nicht. Gott ist auch wie eine Gräte im Menschenhals. Wir
haben ihn uns zu unbekümmert ausgedacht. Das mussten wir tun, weil wir
doch so sein wollen wie er.
Gebt zu, sagt er, dass ihr zwischen leerer und erfüllter Zeit noch längst
nicht zu unterscheiden wisst.
Wie dankbar das Gesetz dem Obszönen doch sein muss! Es ist sein Ret-
tungsring. Das ausgewachsene Rettende überhaupt. - und, im Vertrauen,
seine Rettung dem Obszönen zu verdanken, das ist sehr ehrenvoll. – Z:
Aber leider suchen sich die Meisten das aus, was grade im Angebot ist. -
Rettung als Schnäppchen,
LVII
Freu dich Darm, wirst Elend essen! (Jüdisches Sprichwort) - Jouissance:
der – vielleicht sogar aus guten Gründen - unterstellte Seins-Intensitäts-
Überschuss der Anderen, transfiguriert. - Z: Verklärter Neid. Geisteselend
mit Heiligenschein.
Hier hast du’s! - Im Unbehagen rächt sich das - zwar auch - von „in-
nen“ her hochdrängende Gefühl, es richtig gemacht zu haben. Es richtig
machen zu wollen, das ist ja das primäre Motiv für jede Untat. Das Unbe-
hagen schwärt die Selbstlüge an den Tag, lässt den kranken Geist aber im
Ungewissen. Was für ein raffinierter Mechanismus! Woher bezieht das Es,
besser gesagt das Ça!, seine übermenschliche Klugheit, die es aber diskret,
gleichsam „hinter dem Rücken“, exekutiert?
Jouissance, encore et... - Fleisch zu essen, vermittelt das Gefühl, ein Sie-
ger zu sein. Den Tod des anderen, hier des Tiers, zumindest in der Regel,
zu genießen. Jedes Mal ein kleiner Sieg über den Tod in der Geste des
genussvollen Zubeißens und Zermalmens. Auch mit falschen Zähnen. Da
kann die Jagd als genüsslerisches Vorspiel fungieren, wo der Jäger sich,
auf den Stelzen der Imagination, die Größe des Todes, re vera, anmaßt
und -misst. Strukturell gilt das freilich auch für den Biss in eine Karotte,
der ist aber weniger spektakulär. Da ist, der Konvention nach, weniger
Tod im Spiel. Karotten bieten Siegern zu wenig Genuss. - Es macht sie
zu Spöttern, die den anderen jede Genussfähigkeit absprechen und aber-
kennen. - Z: Das ist ein bedeutender Unterschied. ...pour toujours.
Nichts kann erfüllen, wenn es nicht wirklich nichts ist. Insofern, wenig-
stens, ist das Chillen der Erfüllung näher als die Spitze des Mount Everest.
Und Narzissmus ist die zweifellos virtuoseste Art des Verzichts, kurz vor
den Palisaden des Autismus. Mit andern Worten, resp. den Worten der
anderen: Diskrete Freundlichkeit und eine ziemlich herablassende Ver-
beugung vor dem Sozialen.
L'odeur d'écurie correcte aura. - Ihr, sagt er, habt mich nur los, weil ich
euch nicht will. Ich verzichte auf auch auf euch. Ihr gefallt mir nicht. Ob-
LVIII
gleich ich doch auch aus eurem Stall stamme. – Z: Und auch noch danach
riechst.
Wir wissen viel, auch das, dass wir nicht wissen können, was wir wis-
sen müssten. Aber das tut uns nicht gut. – Z: Wittgenstein würde
traurig nicken.
Bedeutung liegt um die Worte, sagen wir, wenn auch wenig originell:
wie eine Aura. Die Worte liegen in ihrer Bedeutung wie in einem at-
mosphärischen Kokon. Das ist gut so, sonst könnten wir sie, die Be-
deutung, nicht durch eine Art von Schnuppern (das ist allerdings
selbst ein Wort mit einer schrecklichen Aura) erfassen oder erschlie-
ßen. Wir erschnuppern die Bedeutung mit der einen Nase unserer
diversen Erkenntnisorgane. Die körperliche Nase bleibt dabei gleich-
sam außen vor. Manche Worte machen es uns einfach. Andere Worte
machen es uns schwer. Es gibt aber ein Wort, das ich für höchst ge
eignet halte, das Erschnuppern von Bedeutung erfolgreich zu üben.
Das ist das deutsche Wort
dumpf.
– Versuchen Sie es! Sie werden bei diesem Selbstversuch sofort ver-
stehen, was ich meine. - Spüren Sie es schon? – Eines der französi-
schen, alle ganz anders duftenden Äquivalente von „dumpf“ ist übri-
gens – erfreulicher- und akkordierenderweise - d’un air stupide.
Jaques Offenbach wusste, was er tat, als er sich von seinem Vater nach
Paris schicken ließ.
LIX
Quelle honte! Quelle hante! - Und er sagte, vielleicht hätte ich mich in
der deutschen Aura nicht so stilsicher einrichten dürfen. Mit stilsicher,
ergänzt er, meine ich nur: instinktiv passend und gehorsam. – Z: Also
letztlich eine peinliche Fähigkeit.
Das Gesicht ist ein Denunziant. (Jüdisches Sprichwort). - Das Übermaß
an hübschen Gesichtslosigkeiten, sagte er, beispielhaft, schließt un-
sere Alltagshorizonte; geradezu hermetisch.
Hypertrophe Einzeller, die sich jetzt auch noch klonen, selbstmitleids-
los.
Was einem, wieder zum Beispiel, den Abschied spürbar verständlich
machen könnte: der Blick auf einen Orangenschnitz in einem roten
Glühwein; spätwinterlich, das sowieso.
Y: Seit Freud schon wissen wir, dass Menschen die Tendenz haben
können, mit einer negativen therapeutischen Reaktion auf das Leben,
Befriedigung an dem zu finden, was ihnen fehlt, - um es kompakt und
formelhaft zu sagen. - Z: Es scheint sogar, dass dies zum allgemeinen
Verfahren der Lebensbewältigung geworden ist. - X: Freud hätte es
wohl nicht erwähnen dürfen.
Y: Seit es die Worte memory stick und joy stick gibt, könnten wir ei-
gentlich wissen, wie es sich mit unserer Erinnerung und unseren
Freuden verhält. - Z: Genau!
Wir wissen ja auch, dass die Erfahrung des Verlusts des nie Gehabten
(ex voto Lacan) der Moment ist, in dem, fast zu altmodisch gesagt, der
Mensch sich in sich von sich selbst befreit, sich also sich selbst erst-
mals assimiliert; wir wissen das zwar, sind aber nicht bereit, die Chan-
ce wahrzunehmen.
LX
Zu reden bedeutet, den Verdacht erregen zu wollen, sprechen zu kön-
nen. Denken bedeutet, den Verdacht erregen zu wollen, denken zu
können. Leben bedeutet, den Verdacht zu erregen, zu leben. Zu lieben
bedeutet, den Verdacht zu erregen, dass man sich verschwenden kön-
ne. Etc.
Ja, sagt er, die Schöpfung ist ein eruptives cogito!, eben, wie man sagt,
ein big bang, der Grübelzwang des Universums.
Hören und sehen, seht und hört auf den Volksmund!, können uns zwar
vergehen, aber sie sind auch je selbst ein Vergehen, am Schweigen
und am Dunkel, gleichsam an Gott.
Adam war nackt, Eva nur barfuß. (Jüdisches Sprichwort)
Modo theologico: La volonté et le royaume des cieux. – Wahrscheinlich
kommen wir alle wirklich nicht umhin, Fehler zu machen (im Denken,
im Leben), aber warum gelingt es uns nicht, sie anmutiger zu gestal-
ten? Oder auch nur ein wenig authentischer? – Immerhin ist es ein
veritables Gottesgeschenk, dass der Mensch sich mitten in seiner Un-
möglichkeit gleichsam reflektieren kann, was er freilich nur selten
will. - On n’en fait jamais qu’à sa guise. - Sich für möglich zu halten,
bleibt folglich der beliebteste, orgiastisch zelebrierte generische Irr-
tum und -glaube der Menschen. Im alltäglichen Exzess der Wiederho-
lung. – Z: Die Resultate sprechen für sich.
Versucht euch das vorzustellen: Jemand sagt: „...und das hier, das ist
der genetische Fingerabdruck des Nichts.“7 – Z: Meint er seinen eige-
nen? – Oder sein eigenes?
Heute weiß Hamlet: die wirkmächtigste Minimalität oder die mini-
malste Wirkmächtigkeit (an/in Aufwand, Abweichung, Aufprall, An-
7
...et cela, c'est l'empreinte génétique du néant -
LXI
lehnung, etc) entscheidet über Sein und Nichtsein - und den ganzen
Rest von Schweigen.
Du könntest es als akrobatischen Akt sehen: das Zusammenbiegen
der Weltenden.
Trauer ist der Exzess an Gewaltlosigkeit, der sich nach innen richtet
und das Innere zersetzt oder leise versengt.
Wenn Erinnerung auch als eine Art von Resonanz gedeutet werden
darf, gewinnt ihr Ausbleiben ein ganz eigenes Gewicht. Als würde ein
Senkblei das Trommelfell der Zeit durchschlagen und schwer und un-
gehindert ins Vergangene stürzen. Lautlos, wie gesagt.
Erinnerungslosigkeit ist also ein wenig wie Reimlosigkeit. - Freud sah
auch das zweifellos genauer. Mir scheint es aber in seiner Ungenau-
igkeit sehr deutlich.
Du hast mit deinem Rauschen mir ganz berauscht den Sinn. (Mül-
ler/Schubert, „Wohin?“) – In meinen Ohren rauscht auch die Lautlo-
sigkeit ein wenig. So ganz ruhig sind die Sinne nie. Deswegen lüge ich
immer, wenn auch nur beiläufig, wenn ich von Stille und Schweigen
rede. Ich höre sie immer, wie sie auf dem Sprung sind. Aber ohne zu
wissen, wohin.
Und könnte es nicht sein, dass die Schöpfung der Bruch einer Schwei-
gepflicht ist? Wie ein verbotener Blick?
LXII
Der Unterschied zwischen Selbstversessenheit und Selbstvergessen-
heit beträgt immerhin einen Buchstaben.
Jede Nähe, die ihn trifft, straft ihn lügen. (W. Benjamin)
Orgues de barbarie. - Die Vorstellung, dass zwei elektrische Orgeln, die
koordiniert aber unabhängig voneinander in vollkommenem Ein- und
Wohlklang zum Beispiel die Tristan-Ouvertüre spielen, ist gespen-
stisch.
Ich, sagt er, kann mir vorstellen, dass ein Baum ohne Mund redet, aber
nicht, dass er sich dabei nicht menschlich bewegt. Etwa vertraulich
seinen Wipfel neigt. Oder mir einen Ast auf die Schulter legt.
Nunc stans, stante pede. - Das Reale, das was die Philosophen gerne
Substanz nannten, nur das ist es, was als Engel der Vergangenheit und
als Engel der Zukunft anzieht und antreibt, uns ihm ohne Unterlass zu
assimilieren; als Antreibendes ist es uns verloren, als Anziehendes
verlockt es unsere gierige Verlorenheit. Wir folgen ihm stehenden
Fußes.
Das Zwischen ist der allgemeine Begriff für das Medium der Oszillation.
Vielleicht erzeugt - doch - nur Oszillation Sinn. Stellt euch eine auf
einem Möbiusband wirbelnde Doppelhelix vor.- Z: Immer wieder das
Möbiusband! Jetzt auch noch mehr- und großspurig. Und gegenstre-
big.
Wiederholung ist eben die Oszillation des Stillstands. Zufrieden, mein
lieber Z? - Z: (schweigt grimmig) –
Pastores te invenerunt, sine manibus collegerunt, sine foco coxerunt,
sine dentibus comederunt. (trad. „Zauberspruch“)
LXIII
Zwischen dem Reden von notwendigen Bedingungen und von der Be-
dingung schlechthin liegen Welten, welche die Bedeutung von Bedin-
gung und Bedingungen – auch in diesem Satz - geradezu unendlich
affizieren und auseinandertreiben; sozusagen bedingungs- und auch
gnadenlos.
Meine Tragödie, sagt er, ist, dass ich mich nicht für etwas entscheiden
kann. Ich will mich für alles entscheiden. Und das geht nicht. Wenig-
stens hat es mir einen schlechten Ruf eingetragen. Oder gar keinen.
Auch das wäre nicht wenig.
Solange der Mangel noch zu viel Fleisch hat, hat er noch zu viel Prä-
senz, ist er noch gar nicht. Wenn er sich aber entkarniert, schenken
die Parzen ihm Gelegenheiten. Dann springt er von lieu zu lieu. Und
die Kinder singen: Il ne veut pas être gonflé.
Dem goldenen Kalb geht es gut. Es lässt grüßen. Und der Kaiser hat
gemerkt, dass er ohne Kleider sogar besser auskommt. Wie alle. Sogar
besser als alle.
Denn Musik, die nur virtuose Umkleidung ist, hat nichts für sich.
Il tourne, mais passe devant moi.
Sah im Traume, sagte er, Engel, die, wie so oft auf christlichen Bildern,
ein Schriftband trugen, diesmal war es aber ein Möbiusband, das zwei
Münder zu bilden schien, jedenfalls sah es aus der Ferne so aus. Es sah
auch ein wenig wie das Unendlichkeitszeichen, die gestürzte Acht, aus.
Die Münder öffneten sich, der eine nach dem anderen, und riefen sich,
wie die beiden Cherubim in Monteverdis Marien-Vesper etwas zu, das
jetzt wie ALL PHALLOS AKE PHALOS klang. Das Band vibrierte dabei
in Alpha-Wellen. – Z: Das geschieht jedem recht, der vor dem Einschla-
fen noch Lacan liest, oder auch nur an ihn denkt.
LXIV
Ich würde mir gerne glauben, was ist. Es gelingt mir aber nicht, mich
dazu zu überreden.
Die Namens-Initialen, die ich meine Sprüche sagen lassen, dienen nur
dazu, anzuzeigen, wie fern sie mir sind. Oder, bisweilen, wie nah.
Manchmal sogar kommt es mir so vor, als würden sie von mir selbst
stammen. Dann glaube ich, sie für sich selbst stehen und sprechen
lassen zu müssen. Denn selbst, wenn sie aus meinem Mund kommen
oder aus meiner Hand, weiß ich nicht woher. Sie stürzen mich – in
Überraschung, die überzeugendste Erscheinungsform des Paraklet.
Meine Augen sind zwei unkoordonierte Kaleidoskope. Also sehe ich
Wirklichkeit so, wie sie ist, nicht wie sie scheint. Ich könnte auch sa-
gen: meine Augen sind Rekoordinierer, die die Welt auf eine Weise
zusammenpacken, verkleben und auf dem Möbiusfließband des
Traums herumschleudern, dass es Freud die reinste Freude machen
würde.
Der Traum ist gänzlich unbändig. Der Traum ist das selbständigste
Element des Lebens. Er macht nur, was er will, ohne zu wissen, wer
ist und was er will. Er tanzt auf dem nadelspitzen Gipfel seiner Iden-
tität. Der Beweis: er will es gar nicht wissen, so sehr ist er - sich. - Das
kann man leider nur so sagen. - Und wir Träumer haben das Problem,
uns nicht mitreißen lassen zu können. Es treibt uns, wie jene Holz-
planke in E. A. Poes Malstrom immer wieder heraus, ins eigene Nicht-
identische - Adorno meint damit etwas anderes! - , wo wir glauben,
uns benennen und uns unsrer sicher sein zu können. Da, wo wir keine
Angst hätten, fühlten wir uns nicht wohl. - Z: Lieben wir den Horror
der Selbstgewissheit, die wir meinen, wirklich so sehr? Warum bauen
und dienen wir seit Jahrtausenden, fragt er, Kommunikationsma-
schinen, vulgo Gesellschaften, die uns die unbändige Identität des
Traums vorenthalten?
Der Geburtsort ist der Mörder des Menschen. (Th. Bernhard)
LXV
A: Jeder Blütenfall, noch der schwereloseste, ist ein Kieselkonfetti-
regen. – O: Das kannst du doch einfacher sagen.
Dieser Denker erinnert mich an Menschen, die so schwere und
unförmige Schuhe tragen, dass sie sich damit nur auf Skiern fortbe-
wegen können,
Im Agon verausgaben sich die Subjekte. Indem Gesellschaft entago-
nalisiert eliminiert sie die Subjekte, endgültig.
Du musst dich bemühen, Narr oder Häretiker (selon Wittgenstein)
genannt zu werden, um nicht in die Falle dessen, was der Fall sein soll,
zu fallen. Vulgo: Stelle dich taub für das Nein und den Namen des Va-
ters. – Z: Taubstellen kannst du dich doch wenigstens?
Wenn es mit dem Als-ob doch nur leichter wäre! Einer, der sagt, ich tu
so, als ob, steht stets unter dem Verdacht, nicht beweisen zu können,
dass er nur so tut, als ob das Als-ob sein Prinzip wäre. Wenn er es
beweisen könnte, wäre allerdings nichts gewonnen. Nicht einmal Zeit.
Die Welt beginnt ihm zu dämmern.
Zuordnungen ordnen etwas zu, das heißt doch auch: sie schließen in
die Ordnung ein. Klappe zu. Sie werfen die Klappe ins Schloss.
Vielleicht ist ein Subjekt sich tatsächlich nur im Exzess der Selbst-
opferung gleich. - Z: Aber nur, wenn es kein Heldentod ist.
Denken/Träumen ist auch, in einem abgesprengten Cockpit steuerlos
durch die Dinge zu treiben.
Ordnung ist mechanisiertes Chaos. Ordnung ist ein von der Wieder-
holung kontaminiertes Chaos. Ordnung ist das installierte Etcetera.
LXVI
Ja, ich habe, sagt er, Ideen über mich selber, ich erkenne sie daran,
dass ich sie nicht ratifizieren kann. Sie sind wie ein kleiner verwun-
schener Garten in einem großen verwunschenen Garten. - Z: Nicht
eher doch ein verwünschter?
Der Traum, ein Archäolog, ja, da habt ihr recht, aber ein getriebener,
seiner selbst bewusstloser, mit geschlossenen Augen und mit den
Händen schürfend und grabend und räumend. Ein Maulwurf im Ima-
ginären. Er sieht nicht, was wir sehen. Deshalb will er es auch nicht
haben.
Warum benutzen wir den Traum überhaupt auch als Deutemaschine,
indem wir uns in ihn hineinsetzen wie in einen ausgehöhlten Sessel
mit Schlitzen für unsere gierigen Blicke? - Weil uns 1. die Wirklichkeit
weniger Bequemlichkeit bietet, 2. weil uns das Target in der Wirk-
lichkeit immer wie ein glitschiger Fisch entgleitet und 3. weil wir in
der Wirklichkeit weniger sehen. - Z: Das alles spricht nicht für den
Traum, aber gegen die Wirklichkeit, wie wir sie uns erträumen.
Wie Tristans Blick antworten? - O: Wir kommen uns durch indirekten
Austausch näher; obgleich sich nur das Ausgetauschte unter sich aus-
tauscht. Das zeigt, wie unbedeutend die Signifikantenraserei der
Weltgeschichte ist. Unbedeutend, aber letal. Für uns einzelne, Gott sei
Dank, aber nur beiläufig. - A: Wir treiben im Weltraum unter all dem
anderen Schrott und üben uns, um lange mittreiben zu dürfen, in
Schutz- und Abwehrgesten. Und manchmal bringen die Karambo-
lagen das Vakuum kurz zum Klingen.
Und vielleicht gibt es ja Paradoxe, die unmittelbar in der Realität lie-
gen. Zum Beispiel: leiser werden, lauter sein.
Wenn du bereit bist, Erkenntnis für ein mögliches Resultat des Den-
kens zu halten, dann löst Denken nicht primär Probleme, sondern
verfestigt die Widerstände des so genannten Realen.
LXVII
Erkenntnis kristallisiert. Diamanten brechen zwar das Licht, sind aber
transparent und sehr hart.
Wir können, aus Vernunftgründen, über die kritisch zu reden wäre,
nicht umhin, vorauseilend die Katastrophe eines Endes zu erwarten
und versuchen, uns zu stabilisieren und nehmen dabei das Ende
vorweg. Bereit zu sein, das meint erstarrt zu sein. Wie Tiere vor der
blenden Linse eines Zielfernrohrs; dem des unsichtbaren Jägers.
Warum verzaubert uns die Vorstellung vollkommener Präsenz so un-
widerstehlich? - Präsenz, vollkommene zumal, ist ein Sumpf, in den
wir instantan versinken.
Ich erinnere mich an die filmische, starre Präsenz des Moments, als
ich in das Krankenzimmer trat, in dem vor einen großen Glasfenster
meine tote Mutter auf dem Bett, in dem sie gestorben war, lag. Das
Krankenhaus stand auf einem Hügel, der noch immer den fast mytho-
logischen Namen Schafsberg trägt. Es war kurz nach Mittag und die
Sonne stand, ihrerseits, so blendend, dass ich meine Mutter nicht
erkennen konnte, genau in der Mitte dieses großen Glasfensters hin-
ter dem Sterbebett meiner Mutter. Seither stehe ich immer, wenn ich
mittags einer blendenden Sonne in einem wolkenlosen Süden stand-
zuhalten versuche, im Sterbezimmer meiner Mutter.
Y: Wie denkst du dir Gott? – X: Ganz konventionell: G steht wie ein
Feldherr auf einem ungeheuren Hügel, die Arme leicht in seine Flan-
ken gestützt, schaut sich langsam umherblickend sein Universum an
und, - ja -, er lächelt ein wenig. Schau es dir nur selber an! Dann sagt
er in seiner Sprache etwas, das er natürlich nur selbst verstehen kann.
Ich kann mir den Sinn nur ausmalen und mich fragen, was ich an sei-
ner Stelle sagen würde. - Ich würde wohl sagen: Ich bin der Sinnvoll-
ste. (Je suis le plus significatif)8
8
Zum Vergleich: Y: Que pensez-vous de Dieu? - X: Complètement conventionnel: D se tient comme un général sur
une énorme colline, les bras légèrement soutenus dans ses flancs, regardant lentement autour de son univers et, oui,
il sourit un peu. Regardez-le vous-même! Puis il dit quelque chose dans sa langue, bien sûr, qu'il ne comprend que
LXVIII
X: Der Mangel ist das ermöglichende Surplus nicht nur in den Dingen.
Dieses Surplus widerstrebt aber seiner eigenen Tendenz, sich abzu-
schaffen und belässt es gerne bei dem Mangel, der es ist; oder den es
darstellt. Es streckt seine leere Hand aus und sagt: Hier hast du sie,
ich geb sie dir! Ja, bedingungslos. Nimm sie hin, zu meinem Gedächtnis.
- Z: Du sagst immer wieder sehr Ähnliches, aber doch auch immer eine
kleine Dosis anders. Gleichsam bereichert um ein Schleifchen Neuheit.
- Y: Das sehe ich auch so. Es ist so, als würde er bei jeder Runde auf
dem Möbiusband andere und neue Blumen pflücken und neue und
andere Dornenkronen flechten. – Daher übrigens seine wunden und
manchmal blutigen Hände! - Z: Aber wem kann er die Blumen schen-
ken? Und wem will er die Dornenkronen aufsetzen? - Y: Tja, wer das
wüsste! -
Gespräche unter Vertrauten, Freunden, Liebenden sollten so ablau-
fen: XY: Was ist dein Wahnsinn schon gegen meinen! – YX: Und meiner
erst gegen deinen! - XY: Sieg! – YX: Revanche! –
Sich unerbittlich zu erweisen, das wäre die freundlichste, ehrfürch-
tigste Form der Kommunikation. – Z: Und ja auch die einzige Form,
dem Nichts Respekt zu erweisen. Der Tod muss warten. Und die Sie-
ben Siegel zu lösen, das erfordert Fingerspitzengefühl.
Wie könnte man Phänomene, in denen unsichtbare Ordnungen hilflos
versuchen, Gestalt anzunehmen, tatsächlich verstehen? – Sie sind ja
auch nicht auf Verständnis aus. Am liebsten bleiben sie, auch in ihrer
Erscheinung, incognito.
Raum gewinnt hinzu, wenn du ihn ausräumst. Aber das hast du ja
schon bemerkt. Raum kannst du nur mit Leere füllen und aufblähen.
Wortwörtlich.
lui-même. Je peux seulement imaginer le sens et me demander ce que je dirais à sa place. - Je dirais: Je suis le plus
significatif.
LXIX
Er nahm seine Stimme, brach und verteilte sie.
Maßregelvollzug. Schönes deutsches Wort. – Z: Heidegger nannte es
aber Geworfenheit resp., gleichsam sportlicher, fast olympischer „ge-
worfener Entwurf“. – Z: Ja, er meinte, das sei die Voraussetzung dafür,
dass wir überhaupt eine Chance haben, uns einmal zu verstehen.9
Traum10. – Eine ganz und gar japanische Szenerie, ein museales In-
terieur. Auch lebendige Mumien in kimono-ähnlichen Gewändern. Mit
hohlen, schwarzen, runden Augenlöchern, schwarzen halbmondähn-
lichen Mündern. Mit ungewöhnlichen, mich gerade noch an Turbane
erinnernden Kopfbedeckungen aus Brokatstoffen. Überall, gleichsam
ringsumher, unverwechselbar japanischer Dinge sehr verschiedener
Art. Kunstgegenstände. Masken, Schachteln, und sehr vieles irgend-
wie Japanisches, wie es mir vorkommt, dessen Funktion oder Zweck
nicht identifizierbar ist. Alles staubbedeckt, staubüberzogen. Ich ver-
suche mit einem Pinsel mit borstenharten Haaren eine anscheinend
goldene, große Theatermaske zu säubern. Es gelingt mir nicht recht.
Ich sehe, dass die Maske ein Art Kippbild geworden ist, eine Land-
schaft aus Staub und Gold, kleine goldene Rinnsale, die durch Staub
fließen, Rinnsale aus Staub, zwischen goldenen, glatten Narben, wie
es mir vorkommt. Weder der Staub noch die dunklen Mumiengesi-
chter verbreiten eine Aura; weder von Tod noch von Vergängnis.
Überhaupt fehlt ihnen jede Aura. Wenn die Mumien sprechen, kom-
men mir ihre Stimmen aber geradezu heiter vor. Obwohl sie doch aus
diesen schwarzen Mündern tönen. Verstehen kann ich freilich kein
Wort. Viele zierliche, eigenartige, ich möchte sagen, heuschrecken-
oder auch zikadenartige Kakerlaken huschen fast tänzelnd zwischen
den zahllosen Dingen umher. - Kakerlaken waren mir nie zuwider. -
Andere fliegen in großen Schwärmen und in Flug- und Tanzformation
sehr schnell links an mir vorbei, in eine Richtung, in der ich eine Tür
vermute. Ich sehe aber nichts außer Dunkelheit, wie man sie in der
Nacht durch geöffnete Fenster oder hinter offenen Fenstern sehen
9
Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 190-213
10
In der Nacht vom 18. auf den 19. Februar 2019
LXX
kann. Die fliegenden Kakerlaken ziehen oder zerren meine Erinner-
ung, auch die an den Traum, mit sich weg.
Die Kinder lernen nur dann gehen, wenn sie es wagen, zu früh, folglich
zur Unzeit, den ersten Schritt zu machen. Wenn sie sich nach dem
zweiten Schritt, vom ersten überrascht, umdrehen, können sie es. (In
Erinnerung an Lilis erste Schritte, im Jahr 2000, auf dem Pariser Flug-
hafen)
Symmetriebruch. - Y: Auf den richtigen Augenblick zu warten, heißt
also, ihn zu verpassen. – X: Nur die Wahl der falschen Augenblicks
schafft dem Gelingen erst eine Basis, eine schiefe Ebene. Einen ver-
spätetem Beginn. – Z: So begann, kann man lesen, ja auch der Kosmos.
- X: Die Schöpfung ist die schmerzlich spürbare Konsequenz eines un-
vermerkten Hauchs. – Y: Daher auch diese hartnäckige Faszination
des Bildes von einem ursprünglichen ruach? – Ja. Er weht überall.
Wenn er nur will.
Ideen erstarren in ihren Realisierungen, mit anderen Worten: in ihrer
so genannten Umsetzung. Sie versteinern, sachlich gesehen, in ihrer
Überdeterminiertheit (jede Realisierung überdeterminiert). – Ver-
wirklichte Ideen bedeuten schlichtweg zu viel. Jede Kante strotzt von
Bedeutung. Sie ersticken an sich selbst. Und warten auf Nachfolger,
die sie auslösen. – Z: Dann wären also Revolutionen ausgekochte
Pfänderspiele, die für Bewegung sorgen. Damit die Weltgeschichte
nicht stockt. Oder einfach aufhört. Oder sich aus Langeweile ihres
Endes überführt.
Meine Sprüche, sagt er, fliegen mir zu wie Würgemale. Oder hängen
um den überlangen Hals meiner Seele wie vergessene Krawatten.
Viele ängstigen sich vor dem Tod, weil er mit Erwachen droht; mit
Stranden. Der prophezeite Schiffbruch am Rand des Schlafs.
LXXI
Und der Körper? - Der verelendigt und verausländigt den Menschen
gerne. Den Menschen. Ich sage nicht die Seele.
Solange Zeit absehbar ist, versucht sie, in die Riege der Schmeichle-
rinnen einzudringen.
Das wenigstens sollten wir endlich gelernt haben, dass Bewusstsein
nur Ankündigung ist, noch längst keine Botschaft. Und das alltägliche
Erwachen, die Arbeit, das Gespräch, der Handschlag, jede Geste des
Hierseins etc. sind Versuche des Sichabwendens und des Zorns auf
das sich anbiedernde Jetzt. Wir wären doch so gerne gehorsam, kada-
vergehorsam, müssten dazu aber anspruchsvoller sein. Es fehlt uns
das Gesetz, das uns hilft, uns dazu durchzuringen. - Z: Fehlt und also
ernsthaft die Fürsorge eines väterlichen Signifikanten?
Wir können auch dann nicht in Sinn baden, wenn sich eine Über-
schwemmung oder eine Sintflut dazu anbietet. Unser Schicksal ist es,
auf Strandpromenaden zu flanieren und uns vom Sturm die Gedan-
kenschuppen wegreißen zu lassen. Das ist schmerzhaft und schützt
uns.
Das Unwetter, dem wir in jedem Augenblick entstammen, ist ein In-
effabile, was sage ich, es ist das Ineffabile an sich. Woher könnte es
denn selbst sonst stammen! – Z: Eine stürmische Fuge auf dem Möbi-
usband, wie alles. (Jetzt fällt auch mir nichts anderes mehr ein.)
Jedes Traumbild ist ein Gespenst. Es kann nichts anderes sein. Das
zwingt uns zur Dankbarkeit. Die Dinge sind nicht so schön und wahr
und gut, wie Kafka es uns vorgaukelt. Wir müssen so ehrlich sein, wie
es gar nicht geht. Mehr fordert Gott doch nicht.
Nur dann fällt uns etwas zu, wenn wir dafür unempfindlich sind. Wir
tragen unsere Haut zu selten umgekehrt. Oder einfach nur zu oft?
LXXII
Erinnerungspartikel sind die Scharniere der Wahrnehmung und auch
die der Sprache. Und die, die sie nicht haben, haben auch keine Spra-
che und keine Wahrnehmung. - Wie viele seid ihr? - Viele, denn wir
sind Legion. (Ihr kennt die Stelle: Markus 5.9, siehe auch weit unten)
Im Traum kannst du dich nicht einrichten. Immer hoffst du, ohne es
zu merken, darauf, dass er dich wieder ausspuckt. Und nicht erst nach
drei Tagen oder wie ein Wal. Wir, heutzutage, wir bleiben ja auch im
Traum Realisten.
Das Nächtliche, sagte er, kann mir leider nichts anhaben. Es geht in
mir unter. Und ich schaue ihm traurig nach, wie ein kleiner Junge, dem
ein Bonbon oder eine Spindel in den Abgrund gefallen ist. Und dieses
Gefallensein macht mir Spaß. Darf ich das so sagen? Zu sagen, dass ich
mein Gefallen daran finde, das würde euch sicher zu kokett erschei-
nen.
Der Spaß, den ich meine, der ist eine ziemlich endlose Maschine,
seicht und beispielhaft erhaben. Ein Tropfen ozeanischen Gefühls,
könnte ich mir denken.
Wenn man sich den Abgang einer Lawine nicht so recht erklären kann,
nennt man ihn Spontanabgang. – Wenn du einem Elefanten begegnest,
ruf ihn zu dir und frag ihn: Was willst du? (Aber erst, wenn du dich
versichert hast, dass kein anderer zuhört.)
Sub specie spontaneitatis. - Traumerzählungen musst du spontan
stoppen, sonst ufern sie aus, und werden zu unendlichen Analysen im
Sinne Freuds. – Der Ruf Es werde licht! ist aber leichter zu denken als
Es werde dunkel!
Die größte Süße des Lebens, das Verlangen. (Proust)
LXXIII
Verfall ist der ewige Eingang in eine Welt der Erosion, eine Teilnahme
an der Fügung des Zwischen. Erosion ist Artikulation (Zeigen ist Sa-
gen). (A. J. Mitchell)
Y: Erinnern wir uns: Für Heidegger schafft der Künstler das Unsicht-
bare erst, das die Welt ist. – Z: Er bringt nicht das Licht an den Tag, Er
bringt die Welt ins Licht. – X: Er macht das Ungesehene geschehen. –
Y: Sind wir den Künstler? – Z: Das wird sich noch zeigen müssen.
Jede Wahrnehmung ist die jeweilige Beziehung ihres Mediums auf
sich selbst. Das Bewusstsein ist die Selbstwahrnehmung eines Dufts.
- Der Huayen/Kegon-Buddhismus prägte dafür den Begriff des Durch-
duftens, hsün-hsi, kunju). - Immer versucht die Welt dabei zu stören,
aus Neid. Die Welt bringt sich selbst zum Stürzen; über das, was sie
nicht kann. – N: Was du da sagst, das ist - und klingt such so in meinen
feinen Ohren -, als würde Giacometti versuchen, aus Hegels Denken
einen Totenmaske aus Ton (oder Wachs?) zu formen.
Das Universum ist die Partitur, die wir zu exekutieren versuchen. Die
Harmonie unserer Welt ist aber, wenn es hoch kommt, die endlose
Synkope eines Missklangs. – Z: Immerhin ein Klang, wenn auch ein
ständig und unter großem Aufwand misslingender.
Phrenologia postmoderna. Wenn man, sagte er lachend, Lavatern Pho-
tographien von Trumps Gesicht zeigte, en face und im Profil und sagte:
Das ist das Gesicht der Gegenwart. Oder: Das ist das Gesicht der Welt. –
Was würde Lavater dazu sagen? – Ich, sagte er, noch immer lachend,
frage das gerade deswegen, weil uns schon lange Lavaters Wissen kei-
nen Pfifferling mehr wert ist.
Dennoch sind wir alle Anagramme einer unendlichen Buchstaben-
kette, die länger wird, von Augenblick zu Augenblick. – Z: Warum
sagst du nicht, dass die Buchstaben auf einem Möbiusband ständig
aus der Reihe tanzen? Selbst Turing würde sie nicht bändigen können.
LXXIV
Ich arbeite an nichts, aber alles arbeitet an mir. Es ist wie Holzfällen.
Oder Felsensprengen. Es macht müde und verlegen. Als suchte man
nach neuen Seinsgewohnheiten.
Traum, Fragmente. - Kälte empfand ich auch keine. Obgleich die Fen-
ster zum All doch lange schon offen standen. Womit hatte das All sich
denn aufgewärmt? Fernwärme aus Aderlass? Ich kümmerte mich
nicht um eine Antwort. - Als ich aufwachte, konnte ich gerade noch
den Wecker deaktivieren. Ich hasse alle Weckrufe, die menschlichen,
die mechanischen, die elektronischen.
Wirklich meinst du, dass ihr das schadet, dass sie noch mehr sterben
könnte? (Proust)
Reminiszenzen sind der Baustoff aller Dinge und aller Ereignisse, aber
eine Rolle spielen sie nicht. Denk nur an die Momente der Liebe oder,
wenn du sie kennst, an die Momente des Glücks.
Lüge: der Mund denkt. Wahrheit: der Mund träumt. Die Lüge ist reich.
Die Wahrheit ist arm. Der Wahrheit fehlt die Gabe zur Erfindung. Die
Lüge ist ein phantasmagorischer Sturm. Nur ihre Lust kommt der des
Schöpfers nah. Und versäumt es nicht, ihr den Mund zu küssen.
LXXV
Auf Auferstehung, sagt er, lassen nur die kleinen Engelsfinger hoffen,
die durch das Profunde und das Profane hindurch greifen und uns zu-
winken. - und ja, sagt er, glaubt mir, das geht auch mit Fingern.
Die großen Traumerzähler, selbst Proust ist einer davon, sind für ihre
Träume zu ordentlich. Sie tragen weiße Handschuhe. Als wollten sie
sich nicht kontaminieren. - Z: Weiße Handschuhe. Als Arbeitsklei-
dung für Traumerzähler und -deuter? - Was könnten die schon nü-
tzen?
Im Frühling ist herbstliche Klarheit im Kopf am besten.
X und Y: Wir waren Gott- und Wahrheitssucher. – Z: Und das hat euch
zu Däumlingen gemacht. Mit verkrüppelten Zeigefingern.
Es scheint ihm, sagt er, dass manche nicht mehr von ihrem Leben
haben als die Furcht, es zu verlieren. – Z: Das erklärt mir vieles.
Was an deinen Bildern verstört, sagt er, wirklich verstört, ist, dass
man sie sich nicht vorstellen kann. Nicht einmal denken. Wozu sollen
sie also gut sein? – Z: Gib einfach nicht auf!
Oxymorantien oder Le cristal de l‘évémement total (Benjamin) – Kris-
tallisierte Bewegung, bewegtes Kristall. Je näher die Bilder an die
Wirklichkeit reichen, desto undenkbarer sind sie. Darin unterschei-
den sie sich nicht von komplexen Formeln. Es handelt sich dabei im-
mer um genau die Undenkbarkeiten, die uns zu denken geben, um die
Verzweiflungspunkte, an denen das Denken anfangen sollte. - Proust
hat sie sinnlich und unmittelbar, wie Bruchstellen des Jugendstils, er-
fahren, wenn er in Venedig - in Venedigs Palästen, seinen Gassen, sei-
nen Kanälen, selbst in der Lagune - eine matière cristallisée erkannte;
oder im Gesicht von Albertine eine cristallisation dans la chair sah.
Sein Okular war präzise eingestellt; auf die akuten Oxymora, in denen
die Realität sich bewusst und lustvoll entblößt und verweigert. - Z:
Wieviel hat Lacan eigentlich bei ihm gelernt? –
LXXVI
Kristallene Waldung. (Jean Paul)
„[Albertine] s’etait endormie aussitôt couchée; ses draps, roulés com-
me un suaire autours des son corps, avaient pris, avec leurs beaux plis,
une rigidité de pierre.” (Proust, Recherche)
Créatures tordues. - X: Alle Kreaturen sind unweigerlich gekrümmt.
Vom Raum und mehr noch von der Zeit. Nicht weil Raum und Zeit ihre
Transzendentalien sind. Im Gegenteil! Die Kreaturen sind ja selbst das
Element ihrer Transzendentalien. Sie sind nichts anderes als das Ele-
ment dessen, das die krümmt, in ihre Existenz krümmt. - Dem können
sie nicht entgehen. Das ist der erste Satz ihrer Seinslogik. Wohl auch
der letzte, unausgesprochene. - Y: Es sei denn, es fragt einmal jemand
danach. Das ist aber sehr, ich möchte sagen: umfänglich unwahr-
scheinlich. – Denn manche Dinge sind in einem Maße und in einer
Masse unwahrscheinlich, dass du sie mit Armen nicht umfassen
kannst. Und wärest du ein Krake. – Z: Wollt ihr damit sagen, dass es
sich mit Raum und Zeit prinzipiell so verhält, wie Heidegger es - mal
so und mal so - beschreibt, nur viel schlimmer?
“[L]’une toujours manque à l‘autre.” (Deleuze) – Vielleicht nur im be-
griffenen Oxymoron nicht.
Was hybrid ist, das bedarf, zumindest im Grunde, keiner Hybridisie-
rungen mehr. Das schert die Hermeneuten aber meistens nicht.
Ein Hybrides hybrid zu nennen, das ist im entschuldbarsten Falle eine
Selbst-Ridikülisierung.
Und wer die Aussage, eine Aussage verhalte sich zum Aussagen wie
eine Gabe zum Geben, noch immer für trivial hält, befreit sich von der
Möglichkeit, weiterzudenken und braucht auch nicht weiterdenken.
Er ist an der Grenze seiner Welt angelangt. Und darf sich einrichten.
LXXVII
Andererseits: Wenn wir in der Welt einen Hund sehen, brauchen wir
nur ihrem Ruf Bei-Fuß! zu folgen und wir sind schon bei ihr, vielleicht
sogar in ihr. – Z: Oder vielleicht aber so gar nicht in ihr, das wir nicht
einmal mehr entlaufen können. - Parce que parfois les gens sont des
chiens qui ne peuvent pas s'échapper. ( - Wie der Volksmund doch end-
lich einmal sagen könnte!)
Erfundene Sprichwörter (1): Einer, dem der Hund wächst. – Gemeint
ist hier jemand, dem vor lauter Einsamkeit und gefühlter sozialer Käl-
te nichts anderes mehr einfällt, als sich – gleichsam als Antidot – einen
Hund wachsen zu lassen. Womit er freilich beweist, dass er den Herr-
schaftsbereich seines vertrauten und kurrenten Herrensignifikanten
nicht verlässt. Dazu hat die Einsamkeit offensichtlich nicht gereicht.
Erfundene Sprichwörter (2): In den Teppich beißen. Aristokratischere
Variante von Ins Gras beißen, dessen Bedeutung an dieser Stelle als
bekannt vorausgesetzt wird.
Erfundene Sprichwörter (3): Alles neu macht der Juni. – Trostwort für
eine/n, bei der/dem es der Mai nicht geschafft hat.
Ich, sagt er, praktiziere mein Leben schon und noch immer, als würde
ich jedem Tag auf einen Debütantenball gehen. – Z: Wunderlicher
Alter! Da wird ihm sein kleiner Teller aber leer bleiben.
Vorbildlich, wie Rilke es geschafft hat, Paris, das ihm erst so fremd und
verschlossen schein, schließlich als ein Interieur zu erleben.
Auto-décomposition universelle. - Für den frühen Walter Benjamin
schon, auch wenn er diese Tatsache noch kritisch beäugte, waren
Emanzipation und Perversion sozusagen assoziiert. Heute kannst du
sie – politisch, ontologisch, psychologisch – gar nicht mehr auseinan-
derdenken. Das Problem liegt darin, dass du diesem Dual praktisch
überall und auf Schritt und Tritt begegnest. Die Praxis hat ihr eigenes
LXXVIII
Verfahren zersetzt. Stell dir die Welt als Salzsäure und die Salzsäure
als eine Zunge vor, die an sich selber leckt.
Physionomie de la langue. – Und wie, fragte er sich, würde Lavater
Trumps Zunge beschreiben?
Im Französischen, sagte er, mit einem erschreckend ernsten Gesicht,
heißen Wandervögel „oiseaux migrateurs“. – Wenn wir Migranten
einfach als „Wanderer“ bezeichnen würden, könnten wir vielleicht
besser mit unseren Problemen umgehen.
Air respirable conditionné et respectable? - Sprache und Gesang. Je-
weils eigen konditionierte Atemluft.
Amortiguador de cristal. - So wie Stendhal sich dachte, dass die Liebe
ein (Salzburger) Kristallisat sei, müssten wir in der Melancholie
kristallisierte Langeweile sehen. Das soll kein gedämpft originelles
Bild sein, sondern nur auf eine probate psychische Verfahrensweise
hinweisen, die en detail beschrieben werden müsste. Das würde die
vielen anderen Ansätze endlich obsolet machen und ersetzen. – Z:
Und das wäre zu brutal.
Die Kreativität des Verfall(en)s. Wenn man einige Bemerkungen Hei-
deggers ernst nimmt, kann jeder Selbstausdruck, ja jeder Ausdruck
überhaupt nur eine Deformation (der Absicht oder all des anderen)
sein? Oder, wie H. vorsichtiger sagt, der „Deformation unterliegen“? -
Heißt das nicht zuletzt (und wieder), dass sich die so genannte Ei-
gentlichkeit doch nur als Uneigentlichkeit artikulieren kann? - Also als
Symptom, im Sinne und im Ton Lacans?
Wenn man den anfangs reformpädagogisch gemeinten Gruß Heil! mit
Cura! ins Lateinische übersetzen kann, dann hat doch selbst der Fa-
schismus eine phänomenologische Sorgen-Falte.
LXXIX
即, soku, würde ich heute mit zeit-und-ort-gleich übersetzen. Jetzt also
simpel und treffend. – Z: Daher kannst du ja auch im Jetzt eine vergan-
gene Spur der Zukunft erkennen.
Le Sisyphe le plus moderne. – Auch: Noch immer vorläufige Grundfor-
men des Existierens: artikulieren, spekulieren, kopulieren, insistieren,
kapitulieren, rekapitulieren, kapitulieren, insistieren, kopulieren,
spekulieren, artikulieren. Im Windschatten der Sonne, die du über die
Wolken rollst. - Ad infinitum.
Die Redeweise, dass man ein Einsehen haben kann, sagt er, hält er für
eine der reizvollsten und dümmsten Drolerien der deutschen Sprache.
Rempli d'espace vide. - Aber wer immer von Aura redet(e), hat(te) eine
andere Art Erotik oder sogar einen Ersatz dafür im Sinn: Fernenliebe,
hier und jetzt. Oder, vertrauter: eine Nähe, so fern sie auch sein mag.
– Z: Aura bringt Nähe und Ferne zusammen, ohne sie zum Kopulieren
zu zwingen. Dafür erweisen sie sich dankbar und spendabel.
Hast du schon bemerkt, dass deine Syllogismen oft wie Embleme auf-
gebaut sind, zu denen sich der Betrachter das Bild ergänzen muss.
Etwa: I[cône]: Hier ist sie, die res picta, die Hohlform, das leere Ange-
bot, die Welt, die gierige Disposition. - L[emme]: Ich liefere die in-
scriptio, die Schattenbilder vom Horizont der Unendlichkeit. - É[pi-
gramme]: Da darf meine subscriptio nicht ausbleiben. Denn ihr lasst
mich nicht, ich segnete euch denn, sozusagen.
I: Je mehr ihr die Welt mit euren Phantasmen anfüllt und zustopft,
desto unerträglicher wird sie. – L: Aber wenn ihr sie aus- und leer-
räumtet, - É: - wäre sie nicht mehr da. Das Problem haben aber alle
Innenarchitekten.
Manche Denker behandeln den Blick (the gaze, le regard) als wäre er
ein ausgelagertes Organ, in das die so genannte Subjektivität wie ein
Unbehagen eingekapselt ist.
LXXX
Und der Blick der Motte klebt an der Flamme mit dem verhaltenen
Wunsch, zu verglühen.11
In einem unbedachten Augenblick sagte er, über dem ist das Damo-
kles-Schwert schon viel zu lange hängen geblieben.
En aucun cas! - Ja, kennst denn du noch ein Signum, das kein Stigma
wäre? Dann verehre es mir, bitte! Ich werde es in Ehren halten. Als ein
Entflohenes, besser Entgangenes, besser ewig Vorenthaltenes. Denn
die Ewigkeit des Vorenthaltenen ist, das weiß ich, die einzige Fabel,
die uns etwas von der Eigenart des Ewigen erzählt und spürbar macht.
In dem, was wir nie erhalten werden, lächelt uns, wie soll ich sagen,
die Ewigkeit vertraut blinzend und überzeugend an, wie ein ehrlicher
Augenzeuge. Es gibt uns etwas zu verstehen, das anders nicht zu
haben ist. Es ist ein Kompliment des Unendlichen. Wir müssen nur
noch lernen, es zurückzugeben. Mehr nicht.
I: Der Lebensraum, sagen einige, ist ein flirrender Raum, eine box aus
emergenten chok-Momenten, der uns, trotz seiner Virtualität, her-
metisch umschließt und einschließt. – L: Haut und Habitat sind nicht
trennbar und nicht zu unterscheiden. Je mehr du dich bemühst, desto
vergeblicher ist es. - É: Versucht doch stattdessen, eure eigene Haut
um euch, freilich in einiger Entfernung, aufzuspannen – als Zelt oder
Jurte. So haltet ihr euch die Wunden, die eure Haut sammelt und kon-
serviert, ein wenig vom Leib.
(I) So wie das Blut im Körper ein Tastorgan sei und sein Pulsen ein
Klopfen, mit dem es sich abhöre, sei die Zeit, sagt er, das Blut der Welt,
(L) das aber schon lange vergebens nach einer Sprache suche, um sich
zu hören und mitzuteilen. (É) Noch ist die Welt daher eine stumme
Erzählung der Zeit. („...avec leurs beaux plis, une rigidité de pierre.”)
11
Et le regard du papillon de nuit s'attache à la flamme avec un désir étouffé de se consumer.
LXXXI
Biedermeierliches Emblem. (I): Das Leben geht blütenhaft auf und wel-
tenhaft unter: in einem einzigen Durch, wie wir es nennen dürfen,
einem absoluten Nur-durch-Einander. – (L): Es ist die Entzweiung
(Hölderlin würde sie innig nennen), das Zerreißen (lacération) dieses
jeweiligrn Schöpfungsaugenblicks ipso momento; oder sogar ein we-
nig früher. – (É): Es ist genau dieses Nichts, das auffliegt, wenn du so
tust, als würdest du aus dem Hohlraum, den deine Hände zufällig
bilden, einen Schmetterling freilassen.
Du kannst natürlich auch einfach und prägnant und – vor allem -
weniger sentimental sagen: Das Leben ist ein kosmisches, genauer:
kosmogonisches Hüsteln oder Räuspern. So, als hätte sich die Gottheit,
und das wäre ja völlig legitim, entschieden, nur Kostproben ihrer
schöpferischen Fähigkeiten darzubieten.
Glauben bedeutet, sich (einer Sache etc.) nicht länger versichern zu
wollen. Der Stil des Glaubens richtet sich aber nach seinem Gegen-
stand.
Eigentlich seltsam, dass es unmöglich zu sein scheint, mit der sym-
bolischen Ordnung geordnet umzugehen. Das scheint außerhalb des
Menschseins zu liegen.
LXXXII
Gedankenlose Maximen. Gedankliche Lockerungsübungen. Mehr oder
minder zum Beispiel:
Kann man unter den gegebenen Bedingungen tapfer sein? Und was
könnte das noch heißen?
Du kannst vertrauen, aber du solltest nicht. – Z: Das erklär ich nicht
weiter.
Wenn es so einfach wäre, über das, was man verstanden hat, oder
glaubt verstanden zu haben, hinwegzugehen.
Über etwas hinwegzugehen und über etwas hinwegzusehen, ist das
nur im Deutschen – ungefähr - dasselbe?
Vielleicht müsste man sich wirklich verweigern, und so tun, als würde
man nicht verstehen, was diesseits des Kragens anlangt. Kluger Als-
ob-Autismus. Gar nicht gezielt. Nur als diskreter Selbstschutz.
Zur Welt sagen: Komm, na komm schon!
Schlittschuhlaufen ist nicht die schlechteste Metapher für Verliebt-
sein. Und zwischendurch kannst du Gänse füttern. In der Sonne und
unbekümmert.
Es steht nicht immer ein laubgepolstertes Waldstück zu Verfügung.
Je mehr Sprüche zusammenkommen, desto verlorener stehen sie da.
Schweigen ist die hinterlistigste Aggression. Wenn einen Hunde be-
grüßen, lässt man sich leicht täuschen. Das liegt nicht nur am Licht.
Der tolle Titel des Buchs von Theodor Reik: Der überraschte Psycholo-
ge. Jedes Leben sollte den Titel haben: Der überraschte Mensch.
LXXXIII
Hier wollte ich eigentlich schreiben, dass kein Imaginat die Ordnun-
gen, die von uns abhängig sind und uns überwältigen, reparieren kann.
Aber ich schreib es nicht. Ich lass stattdessen das Glas, ohne etwas
dazuzutun, in meiner Hand zersplittern.
Le vrai n‘a pas de fenêtres; le vrai ne donne nulle part sur l‘univers.
(Benjamin) - Weil das Wahre ja eine Monade ist. Am Grunde eines
mächtig durchschwärmten Fischteichs.
Das Gewesene ist eine Wolke, die auf wundersame Weise trägt und
vorbildlich stabil ist. – Z: Der Ekel auch? Und der Hass?
Sinn ist die Konstellation medialer Zonen, folglich eine Art Granulat.
Ein Nebenprodukt der Reibungen, die sich beim Konstellieren nicht
vermeiden lassen. Alle Zonen sind also erogen.
Zonen ordnen sich zu Argumenten. Das Möbiusband bündelt, verdich-
tet und verknotet die Argumente, bis sie transparent sind. – Z: Auch
Schleifen binden bedeutet hier sie zu lösen.
Die Welt war W, sagt er, wie irgendeine Frucht, die er auspresste und
mit dem schwarzen Tuschesaft und den Spitzen seiner Gedanken-
finger Hieroglyphen zeichnete. Er verstand sich als créateur d’hiero-
glyphes und Harlekin.
Nur erdachte Wahrheiten sind narkotisch. Kalte Duschen sind es nicht.
Vom absoluten Trick der Verführung. - Das Gewesene ist die Ladung
Absenz, ohne die die Gegenwart keinen Reiz hätte. Wir verfallen im-
mer nur dem Abwesenden in der Präsenz. Die Masken wissen das.
Und sie sind nicht so feige wie, sagt er, ich.
Selbst Valéry schreibt einmal: „In all diesen Fällen [=Armee, Familie]
sind die anwesenden (präsenten) Werte abwesender Dinge und die
LXXXIV
realen Wirkungen imaginärer Gründe erforderlich.“ – Wir nehmen
das prinzipiell.
Der Teufel ist ein armer Teufel, den Erkenntnis hilflos macht.
Rappel. – Leibnizens Monaden sind zugleich unkörperliche und natür-
liche Automaten und Orte der Wahrnehmung, lieux de perception. – Z:
Schon vergessen?
Oft wache ich, sagt er, auf und habe noch den Titel eines Projekts oder
auch eines Auftrags in den Ohren, den ich in der Regel nicht recht ver-
stehen kann. Heute morgen lautete er: Pompejanische Nach- und
Nackt- und Nachtbilder. Ein lange schon verspieltes Pasticcio.
Der Begriff Rekapitulation, sagt er, habe ich gelesen, ist theologischer
Herkunft und Natur. Das merkt man jeder Rekapitulation an. Sie nickt
am Anfang ab, was sie am Ende nicht mehr halten kann. Sie ist der
Knabe Äon, der beschwörend aber hilflos seine Hände über sein baby-
lonisches Kartenhaus hält.
Man müsste die Worte so schweben lassen können wie die Weltkugel
schwebt auf Bramantes Gemälde mit dem lachenden Demokrit (Bra-
bante?) und dem weinenden Heraklit (Leonardo?).
Auch ein Echo kann nur treu sein, wie man sagt, wenn ein Medium
ihm hilft; oder es muss sich in das Medium seiner selbst verändern.
Rhythmus ist der Tanz der Wiederkehr. (Fr. G. Jünger)
...der Ursprung liegt immer irgendwo dazwischen, es gibt ihn nur als
Unterbrechung. Und die Unterbrechung ist ein Ausweg. (Agamben)
Die Parabase, der Ein-Schnitt, in der antiken Komödie findet sich im
japanischen Nô als naka-iri wieder. - Jede Epiphanie beginnt als Rück-
LXXXV
zug. Der Rückzug bereitet die Szene. Zeitlich gesehen ist er ein Kar-
freitag.
Dieser seltsame Seinsmodus der Gedanken!, sagte er mir. Geht es dir
nicht auch so, dass sich dir Gedanken manchmal aufdrängen. Beim
Aufwachen zum Beispiel. Oder ganz unerwartet im Wachzustand.
Dann sind sie so laut, dass sie alle Geräusche um dich übertönen, ob-
gleich man doch nicht sagen kann, dass sie hörbar sind. Sie übertönen
dann aber auf ihre Weise tonlos alles, was sonst in deinem Bewusst-
sein lungert. Sie packen dich beim Kragen deiner Seele. Und auch das
tun sie ohne Hände.
Ich hüte mich davor, mich dazu einzuladen, aber hin und wieder ver-
suche ich doch, mit mir mitzukommen. Wider alle Vernunft. – Z: Auf
den Flügeln des Verhängnisses! Ich kann es vor mir sehen.
Lockerungsübungen in einer Zwickmühle. – Z: Also: Des exercices de
relâchement dans un dilemme ? – Oder was ?
In der Tragödie handelt, modo barbarico gesagt, die Handlung selbst.
In der Komödie sind es, nach Aristoteles, die einzelnen Charaktere. –
Z: Das ist es wohl, warum das Weltgeschehen zurzeit eine infernali-
sche Komödie zu sein scheint.
Anders gesagt: die Systeme scheinen weltgeschichtlich gesehen er-
schöpft zu sein. Oder sie verweigern - zu guter Letzt – den Akteuren
ihre Mitarbeit. Und am Ende der Befreiung der Akteure aus ihren
Kontexten steht ja immer - das Ende.
Die Tragödie ist nur die Strafe, die einem unverschuldeten Fehltritt
unweigerlich auf dem Füße folgt. Schöner, freilich, Goethe: Ihr (himm-
lischen Mächte) lasst den Armen schuldig werden, dann überlasst ihr
ihn der Pein.
LXXXVI
Der komische Charakter entschließt sich zur Unentschlossenheit. Je-
des Sein-zu Irgendetwas (etwa das „zum Tode“) ist ihm suspekt, ja
zuwider. Und jedem Geworfensein zieht er einen fliegenden Teppich
vor. Aber der soll ihm zufliegen. Wie ein bunter Vogel.
Gesten tun so, als ob es etwas zu tun gäbe. Sie setzen es mutwillig
voraus. Aber das ist eine falsche Voraussetzung. Und eine notwendige.
X: Es gibt nur noch eine Praxis, nämlich den Exzess, sie, die Praxis, zu
unterlaufen. Anarchie, Terror, Cyber-Attacken etc. haben ausgedient,
wie wir es alltäglich beobachten können.
Ressortegoismus, sophisticated. - Niederschmetternd sind Verhältnis-
se nicht, weil sie so oder so sind. Was an Zuständen verstört, ist, dass
sie darauf bestehen, irreparabel zu sein. Und dass das ihnen das
Wichtigste ist.
Das absolute Phantombild der Erkenntnis. - Wittgensteins Bemer-
kung, dass Gott, wenn er in unsere Köpfe schaut, nicht weiß, wovon
und über wen wir sprechen, sagt alles, was zu sagen ist.
Es geht immer um etwas anderes – herum.
Und immer wirft sich ein Y dem X als Fraß vor, in der Hoffnung, dass
X das Y nicht verdauen kann. Das ist das vielleicht beliebteste Struk-
turmodell, gegen das ein Gras noch zum Wachsen überredet werden
müsste.
Ersetze in allen Sätzen der Welt die Nomina durch das eine Nomen
Monade. Näher kannst du der Wahrheit nicht mehr kommen, auch
wenn dir Leibniz unbekannt ist. Zumindest ist das ein Trick, mit dem
du erreichst, dass alle Sätze irgendwie stimmen. - Z: Endlich!
Das Herz ist zu einem Bunker geworden, bei dem Interieur und Ex-
terieur nicht mehr zu unterscheiden sind. Der allliebende Gott wendet
LXXXVII
sich ab. Und das Herz sagt: das freut mich, aber, was hab ich davon? -
Das fragt sich der allliebende Gott allerdings auch.
Aber wenigstens das ist klar: die Welt kann sich definitiv vor sich
selbst nicht mehr schützen. - Z: Dass man zu einem Kondom wird,
dessen einzige Aufgabe es ist, sich vor sich selbst zu schützen, ist eine
echt abgefahrene Vorstellung.
Echtzeit (28. Februar 2019, 18.43h), Echtraum (München, Rotkreuz-
platz, Jagdschlössl). Herrentoilette. Ein Mann hält einem anderen die
Tür auf und sagt: Wir sehen uns wieder.
Das Fascinosum der Hostie: - im gemeinsamen Konsum scheint die
Metamorphose kommunizierbar und teilbar. Wir verwandeln uns. Ein
Abendmahl genügt. – Plötzlich genügt ein Mahl.
Wie schön wäre es, wenn man von einer Verfeinerung der Unsitten
reden könnte; wenigstens prophylaktisch.
Der Satan verkörpert den Stillstand in tausendundeiner Gestalt. – Z:
Das heißt: wir haben es hier mit einem sehr genauen Bild zu tun.
Es ist, als würden wir die Spitze eines Eisbergs mit der Nasenspitze
Pinocchios identifizieren.
Monstren ziehen an, wie Geräusche im Dunkel.
Die Liebe zum Normalen ist eine Idolatrie des Stillstands. Wenn es ei-
ne paranoische Idee von/vom Stillstand gibt.
Wir könnten zum Beispiel lernen zu versuchen, die Wendetreppe als
ein dialektisches Bild zu verstehen.
[I] Der Turm zu Babel wäre, [L] wäre er gelungen, [É] die perverse
Erfüllung der Idee von der Himmelsleiter gewesen.
LXXXVIII
Das absolute Phantombild der Erkenntnis. - Wittgensteins Bemer-
kung, dass Gott, wenn er in unsere Köpfe schaut, nicht weiß, wovon
und von wem wir sprechen, sagt alles, was zu sagen ist. – Z: Gut, dass
Wittgenstein nicht glaubte, darüber schweigen zu müssen.
Der sehende Fleck in den geblendeten Augen eines Ödipus.
LXXXIX
Eichkröten und Schildhörnchen (IV)
Fortgesetzte Transmutationen
Quicquid transmutatur
illud non definit in nihil,
sed in aliquam sui partem.
Est enim
proprium omnis transformationis,
ut id
quod convertitur
non annihiletur,
sed definat in aliquid.
Manche sagen, dass alles schön ist, was an seinem Ort ist. - Z: Eine
bequeme Ästhetik. Aber wer entscheidet über den richtigen Ort? Und
wenn du den Ort als schön und richtig empfindest, täuschst du dich
nicht gerade dann? Und steckst blutend in der Falle, die man dir gelegt
hat, am richtigen Ort? - Sagen wir in Dux, wo du Casanova begegnen
könntest, in der Gestalt eines mumifizierten Froschs, der wochenlang
auf uns, links auf der Mauer am Eingangstor zum Schloss, gewartet
hatte. - Wir haben ihn, das ist eine wahre Geschichte, jahrelang, ohne
uns weiter um ihn zu kümmern, in einer Zigarettenschachtel, auf un-
seren Reisen bei uns gehabt. Und hin und wieder haben wir tat-
sächlich über ihn gesprochen. Und haben gesagt, wir haben ja
Casanovas Seele dabei. Als Talisman. Das hat uns Sicherheit gegeben.
Und irgendwann erzähle ich auch noch, wie es überhaupt dazu ge-
kommen war. Ich erinnere mich gerne an diese schwarze aber sehr
appetitliche Froschmumie. Und auch daran, wie genau sie in die
Zigarettenschachtel passte. Und über die Selbstverständlichkeit, mit
der wir annahmen, dass das Casanovas Seele ist, unbefragt. Was denn
sonst! - Ich bin mir heute noch sicher. Wenn man Casanovas Seele
dabeihat, kann einem nichts passieren. – Das hat sich ja auch bewahr-
heitet.
XC
Wäre es nicht, pflegt er auf seine rückgewandte Art zu sagen, an der
Zeit, hinter dem Ephemeren wieder ein wenig Welt zu sehen? Oder
zu erdichten? Wenigstens soviel Ehre sollten wir dem Ephemeren
doch antun.
Es gibt Verzichte, die den Mangel aufblasen. - Späte Stimme aus dem
verkohlten Dornbusch: Auf die solltet ihr endlich verzichten!
Es ist zwar, meinte er noch, zu spät, das anzumerken, aber Pascal hät-
te schreiben müssen: wir sind nur (=einzig) verloren in dem, was wir
finden. - Aber vielleicht war ihm das noch nicht selbstverständlich. -
Wie könnten wir, zum Beispiel, verloren sein in einer Unendlichkeit,
die wir nicht bemerken, in einer Leere, die uns entgeht. – Z: Vielleicht
fühlten wir uns dann wie Tiere. Was ich mir aber nicht vorstellen kann.
Wir wissen es schon lange, machen es uns aber nicht klar, dass wir
von den Dingen der Welt nur die Signaturen wahrnehmen, gleichsam
nur die Namensschildchen, hinter denen die Dinge sich verbergen,
wie Waren hinter den Preisschildchen. - Z: Wenn die doch wenigstens
polyglott wären!
Klio. - Dass die Muse der Geschichtsschreibung Rühmerin heißt, das
kommt doch wohl daher, dass ihr einziger Auftrag und Auftritt darin
besteht, schönzureden. Eigentlich müsste auch sie, wie Justitia, eine
Augenbinde tragen, dann brauchte sie nur zu erfinden und nicht zu
lügen. Das wäre wie von der Traufe in den Regen zu kommen, wäre
also wenigstens etwas.
Er sucht schon sein Leben lang nach seiner Lesart. – Z: Was sagst du?
Er kann lesen?
Seltsames Deutsch (Fortsetzung). – „So, wie es sich gehört.“ – Z: Wer
das wüsste!
XCI
Seine beste, wenn auch einzige, den Oikos in seiner ganzen Breite be-
treffende Kunstfertigkeit: die Handwäsche.
Etwas mit Gedanken aufladen, das scheint ihm noch immer eine hüb-
sche Vorstellung. Und zu einer solchen zu gehen, das ist unerhört reiz-
voll. Und verspricht eine Erfrischung; bis hin zu einer Unterkühlung.
Und Unterkühlungen sind stilbildend.
Gnadenakt, ein Brot von Gottes Gnaden.
Par la grâce de Dieu ? ...des clous ! - Alles, was der Fall sein soll, muss
sich zeitlos voran sein, um sich nachhinken zu können. Wie jede Melo-
die. – Denn eine jedwede Einheit erfüllt sich erst in ihrer verspäteten
Ankunft. Das ist logisch und ontologisch gemeint, dankbar und bedau-
ernd. Eine trockene Wahrheit von der irreparablen Art. – Z: Könnte
nicht doch Gottes Gnade dahinter stehen? –
Sinkt ja auch die Welt ihrem Untergang nur nach. Wie eine Titanic.
Stochastique du monde. - Die Weltelemente waren von Anfang an
funktional differenziert, austauschbar, fremdbestimmt und fremdbe-
stimmend. - id facit exiguum clinamen principiorum / nec regione loci
certa nec tempore certo – (Lukrez). Die emergente Logik des Gesche-
hens kann auch nachträglich nicht mehr erfasst werden. Sie zeigt sich
tatsächlich nur im Begehren und Wahrnehmen, in Behagen und Unbe-
hagen, heftig und passager. Dennoch darf man sich das Ganze getrost
so vorstellen, als wären Lukrezens Atome Leibnizens Monaden.
Und wie könnten Monaden auch die Fenster haben, die sie sind!
Pacta sunt disputanda. Gusta non sunt servanda.
In Echtheit und Einzigartigkeit liegt die größte Verletzbarkeit. Wir
stimmen – wieder einmal - Walter Benjamin zu. Nur sind Einzigartig-
keit und Echtheit ihrer Verletzbarkeit schon längst zum Opfer gefallen.
XCII
Wir können uns nur noch an die Wunden halten, die, wie Statthalter,
eine Gewesenheit, ein autrefois, wie sie es nennen, bezeugen: Genau
hier war etwas, das jetzt nur noch als Beklemmung im Angesicht sei-
ner Abwesenheit wahrgenommen werden kann. – Z: Und dabei
vielleicht einen gleichsam auratischeren Effekt bewirkt als eine wie
auch immer geartete Präsenz. Vor allem bei denen, die Wunden, in der
Fülle ihrer Formen, als Zeit-Zeugen zu sehen verstehen.
L'odeur des sirènes. - Die Sirenen haben, in der Zeit, in der Kafka lebte,
ihre Insel verlassen, singen nicht mehr und agieren heutzutage olfak-
torisch, sie sind zu nomadischen Aromen geworden. Dem Odysseus
steigen sie heute in die Nase. Den unermüdlich an seinen Mast Gefes-
selten können sie aber noch immer nicht – und sie werden es niemals
können - an seiner Nase herumführen: Er muss weiterhin verzichten.
– Der Unterschied zwischen Ablenkung (distraction) und Versenkung
(immersion) löst sich in Aromen auf. Die Fesseln werden zum allge-
meinen Element, das in sich selbst nomadisiert, zum ozeanischen
Aroma. – Z: „Ich glaube mich wiederzufinden, wenn ich in dieses uni-
verselle Gewässer zurückkehre.“ (Valéry) - Selbst ich könnte es nicht
besser sagen, würde es aber anders meinen.
Das konkrete Menschenleben, sagt er, scheint mir heute in einem Ein-
üben der Gebräuchlichkeit aufzugehen. Wenn die Gebräuchlichkeit in
Fleisch und Blut übergegangen ist, beginnt der existentielle Ruhe-
stand. Der vollendete Mensch unserer Zeit ist – genau besehen und
anders als Oberfläche und Propaganda es nahelegen - der Mensch au-
ßer Dienst. - Ein komplexes und komplettes organisches Räderwerk
im Leerlauf.
Selbstgesprächsnotiz. - Wenn unsere Denunziation der Evidenz, sagt
er sich, ein Aufstand gegen die Dominanz des Augenscheinlichen ge-
nannt werden kann, haben wir in Blaise Pascal einen frühen Partei-
gänger. Selbst unsere Motive und Argumente ähneln sich, sagt er, lies
nur nach!
XCIII
„Pascal ist der Typus eines Anarchisten und das finde ich am besten
an ihm.“ (Valéry)
X: Es ist seltsam und auffällig, dass gerade ein Denken, dem es um die
Perfektion der Eleganz des Denkens geht, zu Gedanken mit hohem
Wahrheitswert führt; zumindest aber zu einem eleganten abschlie-
ßenden Seufzer. – Y: Das ist bei einem Dichten, dem es um die Eleganz
der Dichtung geht, nicht so. – Z: Gibt es also vielleicht ganz verschie-
dene Elegantien?
X: Ich wäre, sagte er, gerne eine Kassandra, die euch etwas nachruft.
– Z: Heißt dass, das ein Echo ein Nachruf ist? –
Sie kommunizieren miteinander, als würden sie sich gegenseitig Pe-
stizide verabreichen. – Z: Sie gehören eben zu der harmloseren Spe-
zies.
Seltsames Deutsch (Fortsetzung). – Es kommt jemand wie getrieben,
fast atemlos, auf dich zugelaufen uns ruft aus einiger Entfernung:
„Denk‘ dir: ich habe...,“ oder gar: „Denk‘ dir, sie hat mir eben doch tat-
sächlich...“
Sagen wir: Das Allgemeine ist die Ordnung. Das Besondere ist das
Abenteuer. Das Allgemeine ist die Zeit. Die Jahreszeiten sind die Aben-
teuer. Der Tod ist das Allgemeine, das Leben eine Ordnungswidrigkeit
(der Zeit). Hier herrscht eine ganz eigene Chrono- und Geographie.
Das Universum (!) ist das Allgemeine, meine rechte Hand seine archi-
medische Fläche. Der Schluck Wasser, den du gerade trinkst, ist das
Allgemeine, das Meer aber das Besondere, das sich darin zu begegnen
und zu erkennen versucht. Darauf solltest du stolz sein. – Z: Aber
kannst du das denn?
Seltsames Deutsch (Fortsetzung). „...wo das Allgemeine ungetrübt
sich selbst gleich bleibt.“ (Hegel)
XCIV
Das Glänzen der Natur ist höheres Erscheinen. (Hölderlin, im Turm) –
Z: Müssen wir jetzt auch noch Hölderlin sein Vertrauen in die Evidenz
austreiben? –
Du kannst es auch ganz einfach sagen: Das Zerbrochene und das Zer-
stäubte prägt sich am schmerzlichsten und am tiefsten ein.
Er lebte vor sich selbst, als lebte er in einer Hundehütte vor seinem
Haus. Er wollte sich nicht ausliefern. Er hatte, wie Valéry kurz vor
seinem Tod, von seinem Lebenswerk geträumt, das ein Engel ihm
zeigte. Da war nichts. Immerhin, dachte er, das habe ich trotz allen
und gegen alle Widerstände, und davon gab es viele, geschafft und
geschaffen: nichts. - Valéry sagte nur, ich habe gemacht, was ich konn-
te.
Er ist sich sicher, verfolgt zu sein; von einer allgemeinen Ranküne. Es
macht aber überhaupt keinen Sinn, ihm zu sagen, dass es seine eigene
Ranküne ist, die ihn verfolgt, aber ein wenig, um das Maß einer klei-
nen entscheidenden Idee, delegiert.
Es ist nicht mehr korrekt, politisch oder anders, zu fragen: wer fürch-
tet sich vorm schwarzen Mann? – Dass es nicht mehr korrekt ist, das
steigert aber die Angst vor ihm, dem Schwarzen. Daher laufen wir
schon, bevor er kommt. Wir laufen, auch wenn er gar nicht kommt.
XCV
Eichkröten und Schildhörnchen (V)
Stockende Transmutationen
Ringsum von Wellen angehüpft, / Nichtinsel - . - Ideen, die dir, nachdem
du sie abgelegt hast, entgegenkommen oder dich von hinten, so ima-
ginär sie sein mögen, gleichsam a tergo, überfallen, sind tödlich. – Z:
Untote Ideen sind aber die erfahrensten und besten Kriegerinnen.
Penthesileen sind dagegen nur Schmetterlinge und Musterbeispiele
von Schlüsselkindern. – Z: Missbrauch in der Kirche, wenn wir schon
einmal von a tergo reden, ist das nicht die mitwillige Produktion von
Schlüsselkindern, deren Schlüssel, in keine Schlösser (mehr) passen.
– Welch erbärmliche Ironie, dass gerade Petrus das Schloss am Him-
melstor verwalten soll.
12
12
XCVI
Deine Sätze ähneln immer mehr den Schotterhalden, wie du dir sie zu
sein wünschst.
Auch Geworfenheit wird zum Schweben, wenn du sie lernst. - Den
Schmetterlingen aber muss das Gefühl der Geworfenheit wohl so
fremd bleiben wie der Begriff der Schwere überhaupt..
Wie steht es um die Selbstbestimmtheit eines Außenseitern? – Der
Außenseiter ist mehrfach registriert. Il povero!
Das Kind, das die schwebende Bewegung der Wiege selbst fühlt... (H.
v. Kleist)
Nur durch bewusstes Vorbeireden (aber was ist das, eigentlich?) kann
ein Gipfel erreicht werden.
Die Sprache kann nur wieder da anfangen, wo Becketts Fahrräder um-
gekippt und mittlerweile verrottet sind. Überhaupt sahen die Alchi-
misten ja nur in der Fäulnis, der putrefractio, die Chance eines Be-
ginns.
Dass das Verweste anheimelnd erscheint, daran können wir nichts
ändern. Wir können aber in all diese Nester der fristgemäß abgestan-
denen Verwesung Kuckuckseier zu legen versuchen. Die brauchen ja
nur ein wenig Wärme. Mehr Bezug ist nicht nötig. Der Zauber, der dem
Anfang innewohnen soll, ist ein hinterlegter Treppenwitz, nichts als
der Zauber einer jeden Fäulnis. – Z: Wenn du so tust, als würdest du
daran glauben, gibst selbst du der Welt eine Chance.
Ich habe, sagte er, in der letzten Nacht, endlich einmal. ein paradoxes
Instrument erfunden, die Ein-Ton-Ukulele. Und einer sagte mir, mir
völlig unverständlich, das sei eine Metapher für das Glück. - Meine
Träume beginnen, mich zu enterben. – Z: Tun sie es? Jung würde dich
fragen, wie das denn gehe, dass Archetypen einen enterben.
XCVII
Zwei oder auch drei Mal wiederholt Klaus Mann in seinem Bericht
über sein Gespräch mit Richard Strauß, ich möchte sagen: in betrof-
fener Vertrautheit: Fremd, fremd. fremd! – Er schickte seine Notizen
zuerst, in einem Brief, an seinen Vater Thomas.
Wie häufig Schlüsselkinder bei dir vorkommen! – Sie sind die gebore-
nen Nomaden. – Was sag‘ ich! Außer Schlüsselkindern gibt es gar kei-
ne Nomaden. – Zumindest solange Schlüsselkind bedeutet, aus struk-
turellen Gründen keinen Ort (zu sein) finden zu können.
Transzendentaler Prototyp. (Kant) - Ortlosigkeit ist somit das trans-
zendentale Schlüsselerlebnis.
Der Schlüssel, der hier gedacht wird, ist der dialektische Dietrich, der
kein Schloss zu öffnen vermag. Weil die Idee eines Dietrichs der Idee
des Schlüssels widersteht. Aus Natur. Er annihiliert die Schlösser, die
Scham, das Spiel, die Überraschung, den Betrug, das Unerwartete, die
Erwartung, kurz: Merleau-Pontys Fleisch, alles, was der Mensch,
kunstlos gesagt, sein kann. Seine ganze unmögliche Lust und seine
ganze lustvolle und auch lustige Unmöglichkeit.
Der Dietrich ist der allgemeine Schlüssel, die absolute Idee der Lange-
weile. Stell dir zum Beispiel vor, es gäbe einen Dietrich, der dir den
Zugang zu all deinen potentiellen Erinnerungen ermöglichen würde,
du verfügtest dich sofort in ein Märchen und würdest ihn in den näch-
sten halbwegs intakten Brunnen entsorgen und der Vergangenheit
überantworten und anheimgeben. Und pfeifend die Treppe hinun-
terspringen. Und sei es eine Wendeltreppe.
Arno Schmidt nannte sich einen Stein-Metz. Ich gäbe ihm einen Kuss
auf die Stirn.
Wenn Marmelsteine versuchen, auf Wasser ins Runde zu rollen. Das
sieht so schön aus, weil er so leicht zu sein scheint, der Stein, er fliegt
XCVIII
und beweist damit, dass Fliegen das Wunder einer minimalsten Ent-
fernung ist, nämlich zu dem, das einen trägt und zu fliegen ermöglicht.
Ein Kaugummi kann eben dem Mund und dem Halm, wenn diese Vor-
stellung erlaubt ist, nicht so entfliehen wie eine Seifenblase.
Es ist nicht anstrengend, zu scheinen, was man ist, aber zu sein, was
man zu sein scheint, sagt er, wer denn sonst, ist unmöglich. – Z: So
einfach ist das.
Du müsstest jeden Tag in eine Oper gehen, um auf der Welt zu sein. –
Aber nur unter der Bedingung, dass der Kosmos dich noch begeistert.
Er sagt, sein Traum habe ihm eröffnet, er sei der Zürich-See. Aber er
baue weiterhin darauf, dass ihn keiner erkennt. – Z: Die Wahrschein-
lichkeit ist hoch.
Messa di voce. - Praktisches Lebensmodell. Flexibel in der Anwen-
dung.
Sie glauben an nichts mehr, sie beschwören ihren Unglauben, versu-
chen aber hartnäckig, ein Ideal zu verwirklichen. Aber selbst das wer-
den sie nicht zugeben.
Wirkliches Denken und wirkliches Sprechen fangen an, wenn Sprache
und Denken den Rahmen sprengen, den sie sich setzen. Gegen jedes
andere Sprechen und Denken zeugt deren Überschaubarkeit, die lei-
der vielen Denkern und Dichtern ein Ideal zu sein scheint, an dem sie
sich gegenseitig erkennen. Sie nennen es natürlich anders. Stil oder
Stringenz oder Logik oder auch Wissenschaftlichkeit. - All das, was auf
einem Floß Platz findet.
Der Pfiff, der sich, wie Hegel sagt, leicht lernt. Ganz leicht.
XCIX
Irgendwie und irgendwo und irgendimmer fliegt das Leben vor sich
so! dahin.
Unerlöst zu sein, ist ein uneinholbarer unendlicher Vorteil.
Über die Einsamkeit ist immer noch nichts zu sagen, aber sie ist die
denkbar intensivste Form der Wahrnehmung. - Das kann sich natür-
lich noch ändern.
Die Welt ist bleibend unauffindbar. Das macht ihre Popularität aus.
Durabilité sous réserve. - Der Vorbehalt schont. Dazu ist er da. – Z: In
gewisser Weise ist er auch der Inbegriff von Nachhaltigkeit.
Kommunikation existiert doch nicht. Dafür gibt es Beweise. Wie etwa
die nächtlichen Schwärme schwarzer Vögel. Oder die Faltermonstren,
die dem Schlaf der Vernunft entschlüpfen. – Z: Das kann sich natürlich
nicht mehr ändern.
Glissement sémantique (Michel Delon, zu Voltaire) - Ist denn semanti-
sches Gleiten nicht die Grundbewegung des Denkens? - Wie könnte
man anders weiter oder auf etwas kommen? Z: Wir können über das
Eis und durch das Vakuum gleiten. Durch Stein ebenso gut wie durch
Wolken. Durch Stein vielleicht sogar am besten.
Faire un Corps. - Im Zusammenhang mit der Ordnung scheint mir, sagt
er, dass wir nicht ausreichend von der ordnenden Hand des Stils re-
den. Schon Buffon sah 1753 im Stil eine Art Verfügungsgewalt, die
ihren eigenen Wirkungsbereich im Denken hat. Er sei es, der dem Ge-
danken einen Körper gibt; somit Einheit. - Z: Tut er es nicht, und das
geschieht leider nicht selten, ist er kein Stil. Vergleichbar einer Hand,
die nicht gestaltet und ordnet, sondern über eine Oberfläche streicht,
um sie zu glätten. In gewisser Weise teilnahmslos.
C
Aber jede Verfügungsgewalt ist eitel. - Wie alle Formen von Amts-
macht.
X: Es gilt noch immer: Sätze dürfen nicht zu viel sagen. Sie sollten
schmale Türen – (Y: Warum nicht Schlupflöcher oder lacunes?) - sein,
durch die man in weite Bedeutungshöfe eintritt. – Z: In semantische
Universen kann man also nur durch das Schlupfloch der Ranküne13
gelangen? -
Kleine Methodenlehre. - Z: Du meinst, in Sinn und Bedeutung kann man
nur eindringen? Wie in eine Wohnung oder eine Privatsphäre? – X:
Ein Hermeneut ist immer ein Spion, ein Späher, ein Spitzel. – Y: Ist es
nicht treffender ihn mit einem Dieb zu vergleichen, der nur das raubt
und heimholt, was er vorher selbst am Ort seines cambriolage abge-
legt hatte? – Z: Dann ist ein Hermeneut ein Dieb, der keine Enttäu-
schungen erleben möchte? – X & Y: So kann man es sagen. Vielleicht
mag er aber auch nur keine Überraschungen. – Z: Ein Hermeneut fin-
det also genau das gerne wieder, was er absichtlich verlor.
Es ist ein großer Unterschied, ob ein Hermeneut unbedenklich agiert
– oder ob er keine Bedenken hat zu tun, was er tut. – Z: Dazwischen
liegt ein großes Kategorienintervall.
Er glaube mittlerweile, dass er seine Gedanken der Luft, dem Papier,
dem Monitor vermitteln könne. Den Menschen aber nicht. Die besä-
ßen keine Aufnahmeorgane, keine Antennen oder dergleichen. Nicht
einmal die Indifferenz, die das Fehlen von Rezeptoren ersetzen könn-
te.
Une relativité raffinée. Dichter und Denker (ab jetzt: D & D) leben,
nicht nur in gewisser Weise, davon, dass sie aufzeigen, warum das Le-
ben, das sie, wenn sie schon leben wollen, leben müssen, kein Leben
13
„von französisch: rancune < mittelfranzösisch rancure < mittellateinisch rancura < lateinisch rancor = das Ranzige“ (de.wiktionary.org)
CI
in seinem eigentlichen, wie sie oft meinen: gottgegebenen Sinne ist
oder sein kann. – Z: Die Strategie ist relativ raffiniert und vice versa.
Gedanken formen mit Pochen, Prallen, Pulsen und Hämmern. - Nicht
mit dem Hammer, wie Nietzsche dachte und sagte.
Die Existenz der Götter: Teilnehmen am eigen Verschleiß. Und das Le-
ben, überhaupt, ist vielleicht eine Konvulsionsverletzung.
Er hat, sagt X, oft erlebt, wie jemand nach langem Schweigen an einem
Tisch oder bei einem Spaziergang kräftig oder geradezu vital seufzt -
vielleicht auch, falls er an einem Tisch sitzt, die Arme bestätigend ver-
schränkt - und sagt: Ja, so ist das! - Der Gesprächs- und Schweige-
partner reagiert meistens nicht oder erst sehr viel später. - Und X fragt
mich, ob das alles nicht merkwürdig sei. - Ich antworte: Ja, es ist merk-
würdig.
Es besteht im Grunde zwischen Apriorischem und Transzendentem
kein Unterschied. - Sie können sich zwar darüber nicht einigen, ob es
so ist. Aber gerade das scheint mir der Beweis dafür zu sein, dass kein
Unterschied besteht.
Was du sagst, sagte er, kann nur abgelehnt werden. Du ziehst ihnen
den Boden unter den Füßen weg, du schwemmst ihnen die Felle weg,
du benimmst ihnen den Atem, du bist das Brett, das ihnen ihre Welt
vernagelt, du lässt ihnen keine Alternative, du verdenkst und verha-
gelst es ihnen. Und du wunderst dich, dass sie dich ablehnen? Freu
dich lieber, dass sie dich nicht vierteilen! Und auf dem Mond ver-
streuen. Du tust ihnen nichts Gutes und sie vergelten es dir nur damit,
dass du ihnen leid tust. Eine großzügigere Rache scheint mir nicht
denkbar. - Z: Dass man denen leid tut, ist das nicht die größte Tortur?
Ist die Liebe, fragt er, nicht die holdeste Rache? – Ich: Viele seiner
Worte verstehe ich nicht. – Er: Ich meine Lust um Lust. – Ich: Du
meinst also, das sei besser als Aug um Aug und dergleichen?
CII
Wie: wenn eine Serviette ungenutzt durch einen Park flattert.
Das tust du ja nur der Anerkennung wegen! - Ja, aber sei getrost, wir
wissen ja, sie bleibt aus.
Alle Theorien der Perzeption scheinen mir darauf hinauszulaufen, das
kleine Leben zu heiligen, vielleicht sogar zu retten. - Z: Sinnstiftung,
wie es sich gehört, nein, wie sie sich gehört.
Sedes entis. - Da sitze ich oft da, gedankenlos, und vermeine zu sein.
Wie Wachs, wie eine Farbe, wie ein Gott, wie ein gänzlich überhörter
Vogelruf. Gefasst wie ein Diamantsplitter. (Descartes, aus dem Nach-
lass)
Ich bin für mich die Veranschaulichung der Welt. Wenn ich Glück habe,
auf einem Liegestuhl in einem Wellness-Hotel, wenn ich Pech habe,
woanders. Aber wo, das tut eigentlich nichts zur Sache. Das Tragische
oder Komfortable ist, dass ich immer die Welt nur in mir und als mich
anschaue. Der Welt geht es nicht anders. Auch sie hängt von mir ab:
Der unvermeidbare milliardenhaft geteilte Autismus. - Z: Geteilter Au-
tismus! Glaubt ihr, damit das Problem der Intersubjektivität – gleich-
sam global und in praxi - gelöst zu haben? - Alle: Ja! -
Du könntest die Zeit ja auch bitten, dir ein wenig ihrer Unerbittlichkeit
zu überschreiben, zu schenken oder zu vermachen. - Z: Lässt das Erb-
recht das denn zu?
Es geht ja nur darum, das Umfassende in den Griff zu bekommen, es
zu umarmen, zu umhalsen und zu küssen. – Z: Ja, es geht nur darum!
CIII
Ich: Das, was wir fälschlich Mittätigkeit (des Anderen etc.) nennen, ist
die Tätigkeit überhaupt, an deren Rändern Täter und Mittäter abtro-
pfen. Wie Fladen, die Dalís weichen Uhren ähnlich sehen. – Er: Fladen,
das ist ein gutes Wort für diese hostienförmigen Schnittflächen von
Zeit und Nichtzeit.
CIV
Eichkröten und Schildhörnchen (V)
Fortgehetzte Transmutationen
Die Realität ist auch nicht wie das Tageslicht,
das den Dingen erst Farbe gibt,
wenn sie im Dunkeln schon,
gleichsam farblos,
vorhanden sind.
Wittgenstein
...nur weiche Dinge widerstanden.
Stifter
Er: Variationen über Zwangs
bescheidenheit. – Ich: Falsche Investitionen.
Er: Ich denke noch immer gerne nach, das ist so meine Unart. – Ich:
Wer hat dich denn so kokett gemacht? –
Er: Wer immer die Dinge entmischt, demêle, wie Diderot das wohl ge-
nannt hat, um sie zu durchschauen und dabei zu erkennen, sieht zu-
letzt nur einen diffusen champ libre: ein Freifeld, das die Dinge vorher
voneinander getrennt und sie dabei erst sichtbar gemacht hatte. .- Ich:
Eine solche, gleichsam entwirrende episteme vergießt die Dinge, löst
sie auf in die leeren Zwischenräume, die allein dazu da waren, sie zu
markieren und als Objekte zu sichern. Und dabei der Gefahr aussetz-
ten, vom Gedanken zersetzt zu werden. – Er: Zu dem und in das, was
sie einmal unterschied.
Ich (lästig): Ist es, wenn wir über den Unterschied nachdenken, wich-
tig, uns zu fragen, ob der jeweilige Grad des Unterschieds eine präg-
CV
nante Rolle spielt? – Er: Der Grad spielt eine Rolle, aber keine präg-
nante. Und dabei verhält es sich überdies so, dass ein kleiner Unter-
schied bedeutsamer ist als ein größer. – Ich: Wittgenstein sagt, dass
es schwer sei, nur ein wenig von einem „alten Gedankengeleise“ ab-
zuweichen. Das gilt, denke ich, für alle Fälle. – Er: Wenn sie zu all dem
gehören, das der Fall ist. – Ich: Du meinst: zur Welt? – Ja, vorsichtig
gesagt.
Wittgenstein: „Etwas tun zu können, erscheint wie ein Schatten des
wirklichen Tuns,“ – Er: Ist aber genau das Apriori, ohne das ein Tun
undenkbar bliebe. – W: „gerade wie der Sinn des Satzes als Schatten
einer Tatsache,“ – Er: Ohne ihren Sinn-Schatten oder ihren Schatten-
Sinn aber wäre die Tatsache nur ein winziges Körnchen kosmischen
Treibsands. Wenn nicht sogar, was ich annehme, weniger. – W: „oder
das Verstehen des Befehls als Schatten einer Ausführung.“ – Er: Der
Schatten des Verstehens aber entscheidet über die Tat. – W: „Dieser
Schatten aber, was immer er wäre, ist nicht das Ereignis.“ – Er: So we-
nig wie die Tat es ist. Das Ereignis negiert und löscht beide. Den Schat-
ten und die Tat. Weil, wie uns Zizek lehrt, das Ereignis nur ein Exzess
sein kann. Unabhängig von der Richtung, die er einschlägt.
Er (zitiert Jean Paul): Ihre Sehnerven waren durch ihr langes Malen
gleichsam weiche Fühlfäden geworden, die sich eng um schöne
Formen schlossen. – Ich: Aber auch die Schönheit ist eine Ablenkung.
Man sollte es einfach darauf ankommen lassen, dass alles plötzlich
nicht mehr ist. - Ich sage „man sollte“. Ich kann es nicht.
Er: Besonders Architekten müssen doch furchtbar darunter leiden,
dass ihre holz- oder stein- oder betongewordenen Ideen in der Regel
so jämmerlich dastehen, auch wenn sie fünfhundert Meter hoch sind
oder höher. Das muss doch zum Verzweifeln sein! – Ich: Ich finde es
verwunderlicher, dass sie sich nicht schämen. So genannte Verwirk-
lichungen sind Lackmustests, deren Ergebnisse sich nicht verschwei-
gen oder verheimlichen lassen, aber notorisch ignoriert werden.
CVI
Fahrlässige Erwartungen behindern die Erkenntnis, verunmöglichen
sie. Aber was sollte ohne sie werden? Und Fahrlässigkeit hat doch
auch eine existentielle Energie. Man könnte sie verführerisch nennen.
Wie einen verlockenden Naturlaut, von dem man nicht weiß, wo er
herkommt. Wie einen erfrorenen Vogel, der nicht von einem Baum fiel.
Und es offen lässt, von wo er her stürzte. So rasseln die Dinge unend-
lich durcheinander, wie Stifter es so treffend beschreibt.
Die Schatten von Zeitpunkten sind allerdings die winzigsten. Die
Kleinheit der Zeitpartikel hat wirklich etwas Reizvolles. Als würde
man als ein Gefangener in Platons Höhle an den Wänden einen rie-
selnden Cancan aus Zeitflöckchen wahrnehmen. – Z: Bei Hofmanns-
thal rieselt die Zeit aber in den Gesichtern.
Dort, zum Beispiele, wallt ein Strom in schönem Silberspiegel, es fällt
ein Knabe hinein, das Wasser kräuselt sich lieblich um seine Locken,
er versinkt – und wieder nach einem Weilchen wallt der Silberspiegel,
wie vorher. – – (A. Stifter)
Thomas Mann bewundert die sensationelle Qualität der Langeweile
bei Stifter.
„Alles gut!“ – Die Theodizee kräht heute, als Diminutiv, aus allen Häl-
sen. – Z: Und sie wissen nicht, was sie tun, die krähenden Hälse.
Eisbruch, anthropofugal. - Er braucht sich das Eis nicht vom Leib zu
kratzen, seht nur, wie es ihn flieht. Auch Eis kann sich ekeln und ekelt
sich auch. – Z: Wer sagt das?
...nur die zerquetschten Kräutlein suchten sich aufzurichten und der
Rasen zeigte seine zarte Verwundung. (A. Stifter)
Wenn es heißt: die Dinge standen in der vollkommensten Ordnung,
wie hat man sich das zu denken? - Klinisch? - Neurotisch? - Kosmisch?
– Und hat der Zauber, von dem es ja heißt, dass er innewohnen kann,
CVII
eine Ordnung, oder ist nur das Chaos zauberisch? – Z: Wäre das nicht
eine Frage vor allem für Filmtheoretiker?
Er: Dass dieses Bündel unglücklicher Bedeutungen jemals mit dem
Namen „Identität“ belegt werden konnte, kann doch nur eine karne-
valistische Pointe des Schöpfergottes sein. – Ich: Auch er konnte es
sich nicht anders denken. Und er konnte uns auch nicht mehr geben.
Ich: Allmacht ist die narzisstischste Form der Ohnmacht. – Er: Die All-
macht ist der explosive Autismus des Alls, wenn es richtig ist, dass
Bleuler, wie es heißt, den Begriff Auto-Erotismus zu Autismus ver-
kürzt hat.
Er: Ich baue ein Echo-Lot nach oben. – Ich: Die Richtung scheint mir
nicht so wichtig. Aber erwartest du ein Echo; von oben?
Das absolute Sozialisationsmodell, heute, ist der integrierte Ausstei-
ger. Rote Schuhe, Embonpoint, Zwergenmütze, iPhone 10. – Z: Ein
Phantombild for the time being, - call again!
Ich: was, denkst du, hast du von oder bei Bruyère gelernt? - Er: Das
Glück der Selbstverständlichkeit bei der Perücke zu nehmen, oder
beim Zipfel der Küchenschürze der Mutter. Das Glück, das weiß, dass
es außer Oberfläche nichts gibt. Mir scheint, vielleicht nur mir, das für
B die hauchdünne Folie der Sichtbarkeit alles war. Umgekehrt war für
ihn nur alles das der Fall, was er sah. Was er sah, war für ihn das, was
wahr war. Nichts davor und nichts dahinter. Das Verhalten und das
Fehlverhalten. Das Sprechen und das Versprechen. Alles gleich wahr
auf einer unsichtbaren Bühne. So wie nur das Spiel der Schauspieler
Rückschlüsse auf eine Bühne zulässt, dachte, denke ich, B, so lässt nur
das Spiel der Menschen Rückschlüsse auf Gott zu. Die zog er allerdings
lustvoll und exzessiv. - Ich: Eine interessante Theodizee. - Er: Doch
eher eine Epistemologie! - Ich: Man könnte daraus schließen, dass
Glück immer das Glück des moderaten Denkens ist, dem die hauch-
dünne Zeichenwelt genügt. - Er: Wer kam nur darauf, ehrgeiziger zu
CVIII
sein? - Ich: Jedenfalls war es ein gelehriger Schüler dessen, der uns
aus dem Paradies vertrieben hat. - Er: Aber das waren wir doch selbst.
-
Heilung kommt, falls sie kommt, immer aus heiterem Himmel. Und
der ist selten wirklich heiter. Wir wissen auch nicht, woran wir ihn
erkennen können. Und worin die Heiterkeit des Himmels besteht.
Vielleicht wollte uns Proust beweisen, dass nur Erinnerungen einen
gewissen Reiz und überhaupt einen Geschmack haben.
Es ist seltsam. Ich lese viele Geschichten, die mich gar nicht interes-
sieren, die so schlecht geschrieben wie erfolgreich sind und aus denen
man nichts lernen kann. Dennoch vertue ich meine Lebenszeit unter
einem mir unerklärlichen, unverzeihlichen Bann mit der Lektüre die-
ser Texte. Weil ich nicht verstehen kann, warum es sie gibt.
Postkolonialistische Skizze. - Komm und zieh mir deine Grenze. Ich
ziehe dir meine. Den Rest geben wir der Welt. Ich bin die Antwort, du
die Frage, die mir nachfolgt. So wie du mir immer voraus warst und
bist. Und bleibst. Das darf man von einer Frage immer erwarten, die
ich nie werden stellen können, nicht in der Zeit, nicht außer ihr. - Z:
Wie auch! Sie ist eine Diebin, die zu stellen es noch niemandem gelang.
Aber bedenke, was würde aus dir, wenn es dir gelänge? Du würdest
Dir selbst fraglich und vergingst. Nein, du würdest Dir nur deines Ver-
gangenseins inne. Du wärst sehr allein, so ganz ohne dich.
Auf der Suche nach dem vergorenen Kleid der Gottheit. - Z: Lasst es! -
Den seltsamen absurden Most möchte keiner Kosten.
Y: Und jetzt beneide ich sie, diese Menschen, die wunderbar und wie
toll immer um das Selbe gekreist sind. Den Tod. Die Liebe. Den Hass.
Das Geld. Die Macht. - Und du? – Z: Das war mir zu wenig. Jetzt
schwenkt mich Gott am Kragen über den Abgrund. Vielleicht will er
mich ihm schenken. Aber was hat er davon?
CIX
Er: „Dem unterm Tische ist’s getan.“ (Goethe) - Dem Betrunkenen
unterm Kneipentisch. Dem repräsentativen Toten unter den Tischen
der Götter. Der Unterschied ist marginal. - Ich: Wer sagt denn das ? –
Wenn ich, sagte er, es mir erlauben könnte, kaufte ich mir jeden Tag
eine bestimmte Erfahrung. – Nein, nicht die, die euch in den Sinn
kommt. Wie könnte ich so originell sein!
Unterlippenlastig wäre ich gern, wie mein Nachbar.
Traumfrisch, die Gestalt meines Feindes, frühlingshaft. - Der Lenz des
Universums. - Aber kann es den geben, hier und jetzt? - Andererseits,
wie komm ich auf ihn? - Den Lenz des Universums zu sehen, das bringt
doch keinen Vorteil, oder?
Schon vor dem Lapsus soll Eva zu Adam gesagt haben: Belaste dich
nicht mit Visionen, bevor du sie brauchst. - Es scheint, dass Eva schon
und noch in Eden ihrer Zeit voraus war. Vielleicht sogar jeder Zeit
voraus, so viele es auch geben mag.
Das älteste Spiel: Du! - Wer? Ich? (Hatte ursprünglich die Form: Gott:
Du! – Mensch: Wer? Ich?)
Trinke, Liebchen! - Aber ich will doch gar keine hellen Augen.
Könnte Maria dem Erzengel Gabriel entgegnet haben: Ich weiß, aber
das macht doch nichts! - Z: Das würde Maria entlasten. Meint ihr
nicht?
Die Welt sagt zu sich selbst: Es wär so schön, wenn ich mich be-
schreiben könnte.
CX
Keiner glaubt mehr an die Physiognomik. Und doch ist jedes Gesicht
ein Schicksal. Diesen Eindruck gewinnt man wenigstens in einer U-
Bahn.
Er: Ich habe bis eben (22. 3. 2019, 20.46h, München, U-Bahnhof Send-
linger Tor) über Schminke anders gedacht. Aber jetzt weiß ich, dass
sie nie gelingt. Sie macht nur aufmerksam. - Z: Auf das, was sie ver-
birgt. – Ich: Spielverderber! Lass die Leute doch selber draufkommen!
Er: Entweder sie haben Stimmen wie Maschinen oder wie Vögel. Oder
sie gehen krank. – Z: Ist denn krank ein Adverb? – Ich: Eines, wie kein
anderes!
Ich: Also noch einmal: Entweder sie haben Stimmen wie Maschinen
oder wie Vögel. Oder sie gehen krank. – Er: Die frühen Psychopa-
thologen waren viel aufmerksamer auf den Gang der Menschen; und
konnte ihn noch deuten. Ich habe viel bei ihnen gelernt, aus ihren ge-
nauen Beschreibung. Aber ich leide sehr darunter. Bei zu vielen, die
vor mir herlaufen, als wollten sie mir ihren Gang demonstrieren, ja
zur Deutung aufdrängen, zerreißt es mir das Herz. – Ich: Wendest du
deine Beobachtungs- und Deutungsgabe auch auf Gangarten des Den-
kens an? -
Freiheit, die ich meine. - Manchmal gibt es Tage, an denen man eine
kleine Freiheit fühlt, oder zu haben meint; aber dieses Gefühl ist im-
mer, zumindest bei mir, gekoppelt mit einem ängstlichen schlechten
Gewissen. - Z: Freunde, wie steht’s mit euch? -
Kommt es noch so weit, dass das Timbre einer Stimme nur noch das
Maß der Verzweiflung des Sprechers zu verstehen zu geben versucht?
Gauß‘sche Relativitätspraxis. Auch: Glocken, die Kurven ziehen. - Ja, es
gibt einige Glückliche mehr, weil es soviel mehr Unglückliche gibt. Das
Glück ist eine bissige Pointe der Normalverteilung.
CXI
Auch für Aristoteles war die „Theorie“, das „entfernteste“ Wissen, das
allgemeinste, und gerade deshalb wertvollste - „und am meisten zur
Herrschaft geeignet“. (Metaphysik, I, 2, 982a, 982b) - Wir glauben
aber, dass Theorie uns so nahe ist wie Benjamins Aura, „so fern sie
sein mag“. Theorie ist die nächste Ferne überhaupt, sie ist ihrem We-
sen nach die Konditorin des Unmittelbaren, der Nähe, der Praxis.
Theorie ist die Greifbarkeit der Praxis, und sei es als Überdruss oder
-dosis.
In der Theorie sagt uns, sagt er, die Praxis: Kommt mir bitte nicht zu
nah! Ich bin eine Karnevalist- und Kannibalin. Lasst es euch von mei-
ner sanfteren Doppelgängerin, der Theorie gesagt sein.
Freilich wusste der kluge Aristoteles noch nicht, dass Theorie hört.
Und dass das alles ist, was sie kann. Die Augen sind die lauschigsten
Ohren, die es gibt.
Ich: Für einen Kurzsichtigen liegen weiße oder auch bunte kleine Kie-
sel da wie gefallene Blüten; und wenn sie dunkelrot sind, sind sie blu-
tiger als Blut, Blutbrunnen der Wahrheit. – Er: Aus diesem Satz ließe
sich eine ganze Epistemologie entwickeln.
Confession d'une Madeleine. - Die Schwäche, der Mangel, die Dürre der
Erinnerung liegt darin, dass sie ausdehnungslos wie ein Gespenst ist.
Sie hat immer schon und für immer das Wunderbare, den Zauber der
Präsenz, den Körper, die Trägheit, das illusorisch Gemächliche eines
Mittagsschlafs auf Patmos, nur so zum Beispiel, verloren. Jede Erin-
nerung beweist und zeigt sich als verlorene, drängt sich als Verlorene
auf. Mag sich der Geschmack eines Teegebäcks im Mund auch ver-
breiten können, Erinnerungen können es nicht. Nicht im Mund und
auch nicht anderswo. - Z: Eigentlich schade. Aber selbst Proust musste
sich ja mit der Suche zufriedengeben. Das Wiedergewonnene hatte er
auf Vorrat angelegt. Und das bekommt niemandem.
CXII
Y: Viele versuchen sich in der Kunst, Erinnerungen aufzublasen, aber
wie kann man Punkte aufblasen? – X: Dazu müsste man ja ins Ausdeh-
nungslose stechen können. Und das könnte nicht einmal der All-
mächtige. - Z: Aber der käme auch nicht auf die Idee, es zu wollen.
Nicht einmal darauf. Was sollte denn aus den Punkten werden? Sie
müssten ihre Definition aufgeben. - Und das käme selbst einem Gott
in die Quere.
Punkte solltest du in ihrem Frieden ruhen lassen. Wenn du ein unver-
schämtes Glück hast, werden sie dir zum Dank aufgehen, ein wenig so
wie Blüten, wenn auch nur zum Schein. Das könnte immerhin ein
triumphaler Augenblick sein.
Wenn du Dinge hören kannst, sind sie gerade taktil genug. - Z: Soviel
zu Strawson.
Die Seele greift, so Aristoteles, nach den „erblickbaren Formen“, ohne
sie sehen zu können. Sie ist uns voraus. Im Zugriff und in Hinsicht. Die
Seele rennt. Wir hinken. Weil wir es dem Teufel gleichtun wollen.
Am Ende paschen wir uns selbst hinweg. Wenigstens insofern glau-
ben wir dem Teufel noch zuvorkommen zu können.
Jedes Erinnerte ist etwas, das seinen Raum verloren hat. Nicht einmal
ein Sarg umgibt es mehr. Es ist so frei wie ein (wieder per defini-
tionem) raumloser Punkt. Also nicht frei. – Oder kannst du mir die
Freiheit einer raumlosen Entität definieren?
Ich: Nur das, was einen Ort hat, kann frei sein. - Er: Oder gerade auch
nicht. - Ich: Bleiben kann nur, was ein olles Dilemma ist.
Ich: Leben ist und bleibt Ausgesetztsein. Nur die Modi des Ausgesetzt-
seins tun sich und dich ändern. – Er: Daher die stets willkommene
Abwechslung.
CXIII
Ich bin, sagt er, das Material womit der Kosmos spielt. Er hat mich
nicht gefragt. Ich weiß, er braucht es auch nicht. Aber darf man denn
nicht wenigstens vom Kosmos ein wenig Anstand oder gar Höflichkeit
erwarten?
Das Rauschen hat sich verwandelt. Es entlässt keine Informationen
mehr. Es lässt sie nicht mehr frei.
Kalauer. - Ein Körperlos zu ziehen ist nie ein Hauptgewinn. Wenn
überhaupt ein Gewinn.
Wenn es wahr ist, dass sich alles, was ist, in seiner Erscheinung ver-
birgt, und dafür spricht vieles, wenn nicht alles, dann muss man die
Welt einen Jahrmarkt der Uneigentlichkeit nennen. – Z: Das darfst du
ja auch, solange du keine Prämie erwartest.
Les femmes, im Selbst-Angebot. - So kommt man an. Ende März 2019. -
Viele Mädchen, mit oder ohne Kopftuch, sehen jetzt so aus wie genial
gemalte Mumien, und sie tauchen aus den Wüstensand auf wie erst-
klassige Epiphanien, mit Gütesiegel. Das sie freilich gar nicht nötig
hätten.
Ich: Alles ist doppeldeutig. Nur der Untergang nicht. – Er: Ist das nicht
schön gesagt! Ihre ganze Existenz lebt in meinen Worten auf. Und kei-
ner sagte es ihnen.
Ein Buch untern Arm geklemmt, ich sage nicht welches, so dumm bin
ich nicht, unter einem frühlingsblauen abendlichen Himmel, - ein Auf-
stand gegen die ganze Welt; wären nur alle so!
Mein Herzensmuttermund fließt über, des mein Hirn zu voll ist.
Wer mehr als die Hunde haben das Privileg, uns Menschen zu hassen?
CXIV
W, Aphoristiker: Sätze fließen nur schön, wenn ihnen Tücken wie Brü-
che eingebaut sind. – Z: Oder Brüche wie Tücken.
„Die Wunde! Die Wunde!“ – Parsifals Thema ist der Körper. Nur der
Körper, als Membran aller Erfahrung. Von Erzählung flattrig umbaut
und umlungert. Die freilich immer weniger bleiben muss als die Wun-
de. - Immer leidet die Erfahrung, jede Erfahrung ist eine Nah-Tod-
Erfahrung, an der Wunde, die sie zwar ist, aber nicht erfahren kann.
Das ist der Kern, der Wunden-Kern der Erfahrung. Daran ändern auch
astronomische Boni nichts: Auch ihr kommt dem Leben nicht nah! –
Z: Amen!
Verfahren Amazon. - Er: Ich habe vergessen zu sagen, dass jede Erfah-
rung - genauer - als vorausgenommene Nach-Tod-Erfahrung bezeich-
net werden müsste. - Z: Du hast es uns gesagt. Jetzt wissen wir es ja! –
Er: Wirklich? – Wisst ihr, dass die Erfahrung eine Vorauszahlung ist,
für welche die Lieferung ausbleibt? – Zugegeben, dazu brauchte es die
online-Bestellbarkeit nicht. Das begann schon sofort jenseits von Eden,
zeitlich und deutlich gesehen.
Er: Das Laub hat sein Hüttenfest gehabt. Die heurigen Herbste passen
in keine Landschaft mehr. – Ich: Und die Frühlinge üben und verdin-
gen sich als aufgefrischte Glücksverdunkelungen, von sich selbst in
Auftrag gegeben. – Er: Also nurmehr Wegbereiter des Herbsts. – Ich:
Und der Sommer ist der antipodische Wegbereiter des Winters.
Die Auswahlkriterien bei der Erschaffung der Welt, das müssen wir
endlich zugeben, sind nicht zu ermitteln.
Jedes eine Andere ist nur der Wegbereiter eines anderen Anderen. –
Wenn wir nur wüssten, was wir da sagen!
...; wer weder Blitz noch Donner ertragen kann, der fährt mit dem
Kopf in ein Bette, um beyde Sinne zugleich zu verwahren. (Johann
Jakob Engel, 1785)
CXV
Er: Die Realität ist das Moment des Unumgänglichen an allen lebens-
gebenden und wahrheitsstiftenden Paradoxen. Es aufzulösen wäre
das Ende des Lebens und der Tod der Wahrheit. – Ich: Wieder und
wieder flattert uns das Möbiusband voraus und ins Gesicht. – Er: Und
kratzt an unserer Würde. Es ist nicht weich. Es ist nicht aus Seide. Es
ist nicht einmal aus Wolle. – Ich: Aber es ist eine stattlicher Stoff, ein
Tuch, aus Turin.
Zu viele reden noch von Grundwidersprüchen. Es gibt nur den einen
Widerspruch, und der ist der Grund.
Ein in sich geschürzter Weg, ein Wegweiser, der ungerührt von sich
weg weist. Als könnte ein Weg zu sich selbst sagen: Du, geh mir aus
dem Weg. In der Sonne kannst du mir, wenn du willst, stehen bleiben.
„Die Erde nur als neunte bleibt unbeweglich, an immer gleicher Stelle
steht sie im Mittelpunkt der Welt. Jene acht Sphären aber - zwei ihrer,
Venus und Merkur, gleich an Geschwindigkeit - erzeugen - sieben
durch Intervalle abgestufte Töne: Das ist die heilige Sieben, der Wun-
der aller fast geheimnisvoll geschürztes Band.“14 (Cicero, Somnium
Scipionis)
Versuche nur, dich in die Sphärenharmonie einzumischen, -
Die Wunden und Beulen des Verstandes verändern sich bei jedem An-
rennen gegen die allgemeinen Rätsel; sie, die Beulen und Wunden,
werden größer, blutiger, schmerzhafter, die Beulen platzen, die Wun-
den schwären, - aber sind das Gründe abzulassen? – Z (zu sich, herab-
lassend): Nie und nimmer!
14 nam terra nona inmobilis manens una sede semper haeret complexa medium mundi locum. Illi autem octo cursus, in quibus eadem vis
est duorum, septem efficiunt distinctos intervallis sonos, qui numerus rerum omnium fere nodus est.
CXVI
Er: Wie hast du es geschafft, dich selbst zu tolerieren? - Ich: Das war
sehr einfach, ich habe mir die anderen zum Modell genommen. – Er:
Manchmal ist Mimesis also doch angeraten.
Ich: Wenn die Wirklichkeit eine Polizeibehörde wäre, würde sie nur
Seinsverbote aussprechen.- Er: Dann ist sie (die Wirklichkeit) ja doch
eine (Polizeibehörde). –
Ich: Kannst du mir einen Rat geben? – Er: Ich gebe gar nichts mehr her.
Ein Ereignis ist eine richtige Geste am falschen Ort oder eine falsche
Geste am richtigen Ort. Wenn sich Möglichkeit und Unmöglichkeit in
die Arme und in die Parade fallen. Wenn sich zwei, Horatio und Ham-
let zum Beispiel, mit ausgestreckten Armen, wie getrieben aufei-
nander zulaufend, verfehlen.
Mitte der Erkenntnis. Der äußerste Zipfel des Wirbels.
Wie nur ein Ei keinem andern gleicht.
Hat er (Z) wirklich gesagt: Ich habe es satt, satt zu sein.
Unumgänglich aber vorläufig. (Heidegger) - Er: Wie alles.
Ich: Können von der Not - also in gewisser Weise notwendig - zusam-
mengekehrte Menschen miteinander kommunizieren? - Er: Das
kommt auf die Art der Not an.
Krankheitsgewinn. - Ich: Was bringen Therapiegruppen? - Er: Du
lernst, nach den Sessions, beim gemeinsamen Essen, beim Inder in der
Regel, affektiert über das Leiden (Anderer) zu reden. Und erntest
Zustimmung von denen, die gerade kauen. (Erlebt am 27. März 2019
in einem Münchner Restaurant, Taj Mahal) – Z: Schon Rochefoucault
hat gesagt, dass wir die Schmerzen anderer leicht ertragen können.
CXVII
Klar, wir sind alle in Überlieferungen eingeschlossen. Verrückt wird es
aber, wenn wir in eine Überlieferung eingeschlossen sind, die von sich
glaubt, auf eine seltene und vorbildliche Weise, offen zu sein.
Er drehte sich plötzlich um, schaute mich mit einem wirklich überzeu-
gt horrifizierten Gesichtsausdruck an und sagte: Du hast recht, wir
haben ja gar nichts mehr, das wir verlieren könnten. - Ich habe mir
eben meine Hände angeschaut.
Trébuchement d'or. - Wir sind die Welt, mit der es zu Ende geht. Der
Unterschied liegt nur in der Einsicht. Wie sind dem Untergang der
Welt, die wir sind, um den Moment eines Stolperns voraus. Wie das
möglich war, das zu wissen wird uns vorenthalten bleiben. Es herr-
schen da eigenartige Gesetze. Wer zuerst stolpert, den lassen sie zu-
rück, weil es auf sie selbst zukommt.
Er: Was wir Bedingungen nennen, das sind Vorereignisse, denen folgt,
was danach passiert; es folgt, ontologisch gesehen, unausweichlich
das jeweilige Argument, dass die Bedingungen erledigt sind. – Ich: Das
gilt fürs Denken und fürs Leben. – Er: Und für die Physik. Da ist es
sogar am deutlichsten. – Ich: Vielleicht sagte Feynman in seinen spä-
teren Jahren, auf seine unnachahmlich genial-kokette Weise, dass er
sie, seine Quantenmechanik, nicht versteht; respektive so wenig ver-
steht, wie schon bei seiner Geburt.
Er: Alle Masken gleichen sich. Auf der Ebene der Eigentlichkeit. Ge-
sichter aber nicht. Daher sind Gesichter leichter zu durchschauen und
zu lesen als Masken. – Ich: Der Blick, der in die Augenlöcher der Maske
fällt, kehrt nicht mehr zurück. – Er: Aber ich komme gleich darauf zu-
rück.
Y: Muss es nicht lauten: Das Leben ist unverrechenbar, auch im Zu-
stand des Versickerns? – X: Freilich ist es das nicht an sich, aber es ist
dazu gekommen. Es ist dazu gemacht worden. – W: Die Gefühle, die
du hast oder entwickelst, wenn du das siehst, die sind legitim
CXVIII
Eichkröten und Schildhörnchen (VI)
Fortgehetzte Transmutationen (II)
Kurz wieder auf Heideggers Spur
Der Grad des Zeughaften15 der Dinge und der Gedanken bestimmt das
Maß des Sinnhaften, sozusagen seine Karat-Zahl. – Z: C’est fou!
Weltlicher Erfolg wird nur dem garantiert, der sich der Welt ausliefert.
Das ist die Bedeutung von „seine Seele verkaufen“. – „Teufel“ ist hier
oft nur ein Deckname für die Welt.
Alles Zeigen ist Verstellen. Das ist das Paradox des Seins überhaupt.
Deswegen auch das des Schauspielers.
Verstehen kannst du etwas nur als etwas, aber nicht unmittelbar,
denn zu sagen „mittels Unmittelbarkeit“ oder auch „als Unmittelba-
res“ ist unsinnig, und sagt ja auch keiner. – Jede Verstehens-Situation
ist unhaltbar. Aber wir haben uns zu arrangieren gelernt, epistemolo-
gisch. Außer dem Unhaltbaren gibt es kein Kriterium für Authentizität
mehr.
CXIX
Das „Als“ des Verstehens ist der unvermeidbare Spalt zwischen dem
als verstanden Verstandenen und dem Verstehen. – Das ist die trau-
rige Wahrheit. Immerhin. Wahr sind die Fetzen des Einen für die des
Anderen. Der unverzichtbare Verzicht.
Er (übermütig): Etwas zeigt sich nur als die Spur eines Gezeigten;
oder als der Film, den es über sich zieht. Als der Film, den das Etwas
auf sich legen muss, um sich als diesen Film zeigen zu können. Ich
(mitgerissen): Diese quasi primordiale Verstellung ist noch keine Lü-
ge, sie ist unumgehbar als Bedingung des Zeigens, das nichts anderes
als der Film auf der Bedingung sein kann.
Heidegger durch Luhmanns Spaßbrille. - Der eine Sinn ist nur Sinn
unter Ausschluss, Verbergung, aller anderen. Du entgehst der Kon-
tingenz nicht ungestraft: Jetzt musst du so sein! - Das Konkrete muss
folglich definiert werden als Zwangsjacke.
Sicher und fest ist nur das Latente. Der Rest ist „schwankende Er-
scheinung“ (bekannt, also Goethe).
Also doch: Volute, Endlosschleife à la Moebius, fraktale Vertigo. –
Heideggereien. – Je entschlossener, desto tiefer sackt der Sinn des
Seins ab. Du beginnst mit der Idee des Diamanten und hast zu guter
Letzt Kohlenstaub in der Hand. Aber der ist dann wirklich gegeben.
Wie ein Anlass.
CXX
Ich: Heidegger sagt (überzeugend): „Die Ansässigkeit im Gängigen ist
aber in sich das Nichtwaltenlassen der Verbergung des Verborge-
nen.“ – Er: Dann kommt deine notorische Kritik am Kurrenten also zu
spät, viel zu spät. Du hättest sie getrost, fast getröstet, sein lassen kön-
nen. – Ich: Zu werben ist, meines Erachtens, eine bleibende Aufgabe.
Ungestört und ungehört. Heidegger vertrat, unter anderem, das Seins-
geschick, ich die Operette, mindestens zwei, drei Generationen zu
spät. – Her die Hand, mit oder ohne Kohle und Staub, es muss ja sein!
Traum-Architektur. - Die absurd großen Häuser in deinen Träumen,
die nach oben Sprießenden, die in die Breite Wuchernden, die in die
Tiefe Getriebenen. Kristallisches Gelächter und perfider Gottesbeweis.
Wenn du das ab- und zurückweist, bringst du dich um alles. Du bringst
dich um - um alles. – Du weißt, das ist noch die weichste Option.
„Es folgten ungläubige Gesichter im Saal.“ (News, 31. März 2019)
Da lachen sie wieder, die Statthalter der Ranküne. Aber es kann keine
präzisere Beschreibung dessen geben, was hier gemeint ist.
X: Ein Anlass muss nicht gegeben sein. – Y: Kein Anlass muss gegeben
sein.
Appetit auf Pegasüßigkeiten. - Er: Das Monströse ist das Anspruchslo-
se. - Ich: Nach Bedeutung kannst du trotzdem nicht beliebig tauchen;
oder fliegen. Er: Und auch lustvoll etwas zu durchleben hat nichts mit
Bedeutung zu tun. – Ich: Lacans Theorie ist der treffendste und zy-
nischste Kommentar auf unsere Situation, die denkbar ist.
CXXI
Irgendwann einmal muss Kafka zu Max Brod gesagt haben: Ich gehe
jetzt und geh zu Bett.
Das Herz steht immer auf dem Kopf, obwohl es keinen hat. Es ist wie
wir alle.
Das „Man“ im Ohr. - So genannte Volksmusik erkenne ich daran, das
sie mich einsam macht. Dabei wäre es doch genug, wenn sie mich kalt
ließe. - Z: Besteht denn da ein Unterschied?
Gerade für die Dinge, für die es eine Erklärung gibt, gibt es keine Ent-
schuldigung. - Z: Sonst brauchten sie ja keine Erklärung.
Es kommt etwas
Hinzu das das Fehlen
Reicher macht
Du stehst am Rand
Aller springenden Punkte
Der Abend gießt sich
Dir geläufig ins Netz
Deiner Sinne und
Immer geläufiger tasten
Auch deine Blicke nach den Weg-
Und Drehkreuzen
Alle stehen unter Verdacht
Oder anderen leeren Himmeln:
Verzärtelt unsere Träume
Nicht so rücksichtslos
Auf der Suche nach endlich ungebräuchlichen Affekten. - Z: Mein
größter Stolz? - Dass es mir gelungen ist, so viele Spielregeln zu – W:
- brechen? – Z: - nein, zu vergessen.
CXXII
Eichkröten und Schildhörnchen (VII)
Fortgehetzte Transmutationen (III)
Ohne weitere Zusätze
Der Zenit wurde nur erfunden, um der Sonne Gelegenheit zur Ent-
spannung zu geben.
„Es ist keinem Ding der Welt gegeben, in sich umgeschaffen zu werden
und in neue Gestalt zu kommen, es komme denn vordem zum Nichts,
das ist zur ‚Gestalt des Dazwischen‘.“ (Martin Buber, in: Baal-schem)
Weiß jemand unter euch, auf wie viele Münder sich ein Glas bei seiner
Geburt vorbereitet oder gefasst macht; und freut?
Aber ich sage dir: ich nehme die Hölle mit, und ich weiß nicht, was dir
dann noch bleibt.
Ihr behauptet die Verfügungsgewalt über das Nichts, weil ihr sonst
nichts in der Hand habt.
Er fragte sich, wann seine Fingernägel ihm mehr gehören: wenn sie
sauber sind? - oder wenn sie schmutzig sind? Gehört nicht nur der
Schmutz zum Wesen? Was ist denn das Wesen der Sauberkeit? - Das
Reine, der Mangel. Der Mangel an Schmutz. Dann wäre das Reine das
Wesenlose. – Z: Das klingt plausibel.
Trotzdem ist es, bis heute, problematisch zu sagen: Leih mir das
Schwarze unter deinen Nägeln, denn ich möchte wesentlich werden.
Ich bekenne, wenn ich männliche Hunde, so genannte Rüden, sehe,
schäme ich mich, ein Mann zu sein, abgrundtief. Bei jungen Pferden,
so genannten Fohlen, geht es mir ähnlich. Erklären sich vielleicht da-
raus Gottes Lachfalten? Andere hat er jedenfalls keine.
CXXIII
Es gibt vor allem das Schweigen nur als Werden.
Motive schwelen, sonst können und sollen sie ja nichts.
Beim Essen ist es ähnlich wie beim Ausräumen. Irgendwann ist der
Teller leer; im Notfall übernimmt ihn ein anderer.
Kauf dir ein Seepferdchen und sag: es ist ein Butterbrot und - nein,
beiß nicht hinein, sondern setz es aus.
Ich: Nie wird es wieder so sein, wie es einmal war. – Er: Was würdest
du denn sonst erwarten?
Er: Ich möchte mein Dasein jedenfalls lieber nicht bei Licht besehen.
– Ich: Und woher kommt dieser giftige und hinreißende Duft, der uns
zur Lüge einlädt? – Er: Und wer ist es, der das fragt?
So ist es immer: Es gibt keinen Ort, an dem man zusammen sein könn-
te. Ich fürchte, unter Menschen kann es keinen Kontakt geben. (Mal-
larmé, in: Conflit16)
Hilflosigkeit definiert uns. Da dürfen wir nicht unzufrieden sein.
Du sagst mir nichts. Du gibst mir eine Chance.
Das Unerbittliche ist die verlorene, also die gegenwärtige Form des
Glücks. Auch Paganini, der so viel besser war als du, musste sich mit
seinen Grenzen abfinden. Das wollte er freilich nicht und erfand den
Teufel. Aber auch der arbeitet gerne, allzu gerne, mit Grenzziehungen.
Er: Willst du das? – Ich: Eigentlich nicht. – Er: Lös dich von den verlo-
renen Stunden. Lass sie vor sich hin marschieren. Geordnet, wie der
Tod es ihnen vorschreibt. – Ich: Und von Kadavergehorsam werden
wir erst wieder im Paradies reden. – Er: Spurenlust lohnt sich nicht. –
16
Toujours le cas: pas lieu de se trouver ensemble; un contact peut, je le crains, n’intervenir entre des hommes.
CXXIV
Ich: Aber wenn die Engel nichts anderes vorsehen? – Er: Was könnte
da denn helfen? –
Y: Flammen und Fackeln zittern. Das Licht der Glühbirnen aber nur,
wenn sie kaputt sind Oder ihnen eine Zitterfunktion eingebaut ist. –
Z: Ist das Archaische dem Gestell also doch überlegen? – X: Zumindest
konnte es das Leben noch imitieren.
Vielleicht gibt es also im Universum nur eine einzige suavitas. Die der
Versagung. Die zu genießen musst du dich üben. Wenn du es aber be-
herrschst, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass du an der Lust stirbst.
Psyhokardiologie ist ein etabliertes Fach. Kardiopsychologie gibt es
nicht. Wir müssen sie noch erfinden.
Manchmal ist er geschickt darin, die Bedeutungslosigkeit von Phäno-
menen auf den Punkt zu bringen. Unnachahmlich präzise. Er sollte
mich in seiner Kunst unterweisen.
Wir nennen das Zufall, aus dem wir nichts machen können. Keine Lei-
stung, nicht einmal eine Eitelkeit.
Was der „Unstern“ (guignon) mir „in die Stirn geschnitten“ hat, sind
keine „geheimnisvollen Lettern“ (Baudelaire) - es ist ein schlichtes,
ein wenig krummes, aber deutliches Kreuz.
Was in der Zeit abstürzt, darüber darfst du lachen. Wenn die Zeit
selbst aber abstürzt, lacht sie - herzhaft - über dich. - Z: Freilich kannst
du versuchen mitzulachen.
Suchbild (Def.) - Ein Bild, das alles Denkbare sucht.
Romanbeginn (I). - Ich hatte 17 Burnouts, mein angeborener Autismus,
obgleich von Anfang an aktenkundig, fiel nicht so ins Gewicht. Ich ha-
be den Kitsch der Welt durch den Filter meiner Existenz gereinigt. Alle
Gurus des Ostens habe ich gefällt. Meine, zugegeben, allzu genaue
CXXV
Seele hat sie zerkaut samt dem Salz ihrer Mantras. Ich war eine Nym-
phe, die das Lachen der Männer zersetzt hat. Es geht mir gut. Das muss
keiner glauben. Manchmal ist es 8 Uhr und die Sterne wollen nicht
mehr, wenigstens grade jetzt. Aber ich weiß, es wird weitergehen. Wie
tapfer die letzten Vögel noch zwitschern. Sie tun es unnachahmlich.
Die Welt begreifen nur die noch, die keine Hände mehr haben. Sie ist
nämlich ein realer Phantomschmerz, also von der harmloseren Art.
Aber ich kann mich nicht so recht daran gewöhnen, dass die Sonne
nicht mehr scheint. Ich kenne einen, der deutet das alles ganz anders
und sagt: Gott macht es wie der Urknall. Er ist ständig mit der Schö-
pfung beschäftigt, er knetet und knetet, er formt und verformt, wie
Giacometti, wenn er ein Gesicht erfand, nur eben ewig.
Konvulsionen sind liebenswürdig und widerwärtig. Wie fast alle Ge-
sprächspartner.
Das Elend des Glücks. - Keine Frage mehr, dass alles unwirklich ge-
worden ist. Aber immerhin ist auch das ist ein Glück im Unglück.
Widerspruch: wir sitzen bequem in der U-Bahn. Und wir glauben es
dem, der das sagt. - Was für ein Wort: ulkig.
Noch nie tat mir ein Ekel so leid. Ich werde menschlich. Das könnte
falsch sein.
Eine kleine Frau mit einem gewaltigen Cellokasten auf dem Rücken.
Das ist wie ein existentieller Überbiss.
Wenn du andere schon (dazu) aufforderst, solltest du sagen: denk mir
doch bitte einmal, [...]
Sartre, lese ich, schreibt, dass die Dichter zur Zeit des Dritten Napole-
ons „Echos des Schweigens“ waren. - Hier haben wir einmal einen
Kontext, in dem der Begriff des Schweigens seinen notorischen und
vorauseilenden Glanz verliert.
CXXVI
Il doit y avoir quelque chose d’occulte au fond du tous, je crois déci-
dément à quelque chose d’abscons, signifiant fermé et caché, qui habite
le commun. - Ich kann mich (warum wohl?) zwar nicht erinnern, die-
sen Satz von Mallarmé je einmal gelesen zu haben, aber der Gedanke,
den er enthält und zum Ausdruck bringt, verfolgt mich von meinem
Anfang an:
Hermeneutischer Goldrausch. - Das Geheime ist das verborgene Gold
des Gewöhnlichen. Das ist die Formel. Du kannst auch sagen: Das Ge-
wöhnliche ist die verborgene Gestalt des Geheimen. Das meint etwas
anderes als Goethes „offenbar Geheimnis“ - und ist auch schwerer zu
verstehen. Ja, du musst es tonnenschwer verstehen. Dann ist die in
Aussicht gestellte Beute (an Gold etc.) auch größer.
Das Narrativ ist nichtig. Und es vernichtet. Das beginnt schon mit der
Geschichte als Mythos (wie auch bei Wagner noch, Mallarmé hat es
heftig kritisiert). Oder könnt ihr euch, versucht bitte einmal ehrlich zu
sein, Ereignisse als Narrative vorstellen? - Schon die Idee spottet jeder
Epistemo-Logik.
Nichts, sagt er, treibt dich so in die Höhe wie der Versuch, dich zu un-
terlaufen. - Z: Gilt das nicht für alles? - Es sei denn, es übernimmt
sich.17
Ni but ni sens de l'orientation. – X sagt, er selbst sei ein Flüchtender
ohne Richtungssinn. – Z (zitiert aus M. Buber, Legende des Baal-
schem): Aber auch alle Reisen haben heimliche Bestimmung, die der
Reisende nicht ahnt. – Y: Und was nutzt es einem, sein Ziel zu kennen
und zu wissen, wo es ist? Grade so einer sollte sich doch betrinken, bis
er denkt, im Licht der Straßenlaterne gefangen zu sein. – Z: Und so,
gleichsam auf der Stelle, um die Laterne kreisend, unbesorgt flüchten
kann.
17
Überlieferte Variante: Es sei denn, es überhebt sich.
CXXVII
„Nur unser Zeitbegriff lässt uns das Jüngste Gericht so nennen, eigent-
lich ist es ein Standrecht.“ (Kafka)
Gott, im letzten Augenblick und hastig das Jüngste Gericht ankündi-
gend: Du musstest nicht über alles schreiben, du solltest aber über al-
les geschrieben haben.
Y: Wenn Mallarmé, statt französisch zu schreiben, das Deutsch seiner
Übersetzer benutzt hätte, kennte ihn niemand mehr. – X: Und, denkt
euch, wie es dem armen Lacan ergangen wäre!
Alles in allem war יהוהein kluger Sprachpolitiker.
...und die Mischungen und Entmischungen, die das Leben der Leben-
digen kochen, und der Geist des Menschen mit all seinem Versuchen
und Vergreifen an der weichen Fülle des Möglichen, sie alle können
nicht ein Gleiches schaffen und nicht wiederbringen eines der Dinge,
das da besiegelt ist, gewesen zu sein. (Martin Buber, Die Legende des
Baal-schem)
CXXVIII
Eichkröten und Schildhörnchen (VIII)
Fortgehetzte Transmutationen (IV)
Zusätze
O: Um was bittest du Gott, wenn du betest? – A: Ich versuche ihn zu
überzeugen, mir zu helfen, mich zu dem zu machen, den er in mir sieht
- oder mich, eben, so zu machen, wie er mich haben möchte.
Hegels Fassung des Pater Noster soll gelautet haben: In mir bist du,
mein Vater, dir anders geworden, jetzt vermittle mich bitte wieder mit
dir selbst.
Eine der sympathischen Beobachtungen Heideggers, sagte er, ist die,
dass im Gehörtwerdenkönnen und Gehörtwerdenmüssen der Spra-
che das Miteinander der Menschen gründet. Diese Beobachtung prä-
zisiert, denkt er, Hölderlins Aussage: Ein Gespräch sind wir. - Gespräch,
sagt er, sind wir, nur wenn wir auch Gehör sind. Das ist selbstver-
ständlich und wird vielleicht deshalb unterschlagen. - Z: Oder weil wir
es nicht mehr wahrhaben wollen.
... das Hören, weil es ein Vernehmen des Sprechens ..., weil es die Mög-
lichkeit des Miteinanderseins ist. ... Der Mensch ist nicht nur ein Spre-
chender und Hörender, sondern er ist für sich selbst ein solches Sei-
endes, das auf sich hört. (Heidegger, GA 18:104) –
Das Hören ermöglicht also erst das Miteinander mit sich selbst. Im
Hören muss der Einzelne sich selbst vertrauen und gehorchen, weil
wir – bleibend - ja nicht verstehen können und - nie - verstanden ha-
ben werden. Hier, am Anfang, haben wir keine Wahl. Das ist das ur-
sprüngliche Geschick: keine Wahl zu haben. Hier ist der absolute
Selbstbezug erzwungen; und er bleibt dunkel, einfach unobjektivier-
bar. Und hält die Denker in Schach.
CXXIX
Finiter Lapsus. - Wir können nicht aufhören, auf das zu hören, das uns
nicht sagt, was es ist. Wenn wir aber doch aufhören, dann sind wir
nicht mehr.
Vergessen - in seiner Verlaufsform - bedeutet ja nur, eine Präsenz
nicht zu bemerken. Manchmal hältst du dir sogar, mit ebenso unbe-
merkter Absicht, alle deine Gedankenohren und -augen mit den Ge-
dankenhänden zu. - Z: Oder malträtierst sie mit deinen Gedankenkral-
len.
O: Schweigen gehört zunächst zur Seinsweise des Hörenden. Er hört
auch dann noch, wenn der Andere schweigt. - A: Jedes Gespräch ist
schweigenartig. - O: So gesehen. - Z: Ich bitte euch, taucht wieder auf!
Y: Elementar strukturell gesagt: das Eine und das Andere existieren
nur und nur solange, solange sie füreinander von Belang sind. - X: Da-
für sorgt doch schon ihr Unterschied. - Y: Die Fülle der Varietäten die-
ses Belangs zu beschreiben ist freilich beglückend unendlich. - Z: Und
ermüdend.
X: Wenn Weg- und Auslassen ausgelassen sind, dann mausert sich der
Umweg vielleicht zum Weg. - Z: Und du kannst uns einladen mitzu-
kommen.
Aber jedes Scheitern, nicht nur der Schiffbruch, ist eine legitime Kon-
sequenz, weltgeschichtlich gesehen: das latente Motiv. -
Zeit und Welt: Autopoiesis des Verschwindens.
Romanbeginn (II). - Ich habe mir Tisch und Bett im Blauen gemietet.
Und versuche, den Ruf, gastfreundlich zu sein, zu hüten und mir zu
bewahren. Sonst kommen die Gedanken und die Buchstaben nicht
näher und lassen sich nicht einfangen. Sie lassen sich ja grundsätzlich
nur überlisten. Dennoch werde ich euch nicht raten, es so wie ich zu
CXXX
machen. Wollt ihr etwa noch wissen, warum? Ihr würdet es euch
damit zu leicht machen. – Aber sei’s drum! - Hier also der Hergang: -
Das, ohne das nichts (denkbar) wäre, wenn es nicht dazugehörte, aber
gerade dadurch nicht (denkbar) ist. - Selbstverdunkelung im Aufblen-
den, wie es Tag für Tag des Nachts unzählbar oft auf den Autobahnen
geschieht.
Etappentitel: Hörversuche. - Y: Hören bringt die Totalität näher als
Sehen. Du kannst beim Sehen nicht alles mit-sehen. Beim Hören
kannst du es. Du kannst es dir wenigstens einbilden, alles mitzuhören.
Das Hören scheint nicht begrenzt. Wenn du glaubst, dein Hörfeld sei
begrenzt, versuchst du dich nur zu beruhigen. Der Versuch, die Un-
endlichkeit zu hören hingegen, ist legitim und reiz- und verdienst-
voller als der Versuch, sie zu sehen. - Z: Ich gebe dir recht. Dennoch ist
bei mir der Versuch, ins Unendliche zu lauschen, mit der Vorstellung
verbunden, bei geschlossenen Augen, den Blick gleichsam immer
weiter zu werfen, wie ein Scheinwerfer sein Licht. Aber du weißt ja,
dass ich glaube, mit den Augen lauschen und mit den Ohren spähen
zu können. Als teilten diese beiden Sinne Ort, locus, und Fähigkeit,
facultas.
Clearcut. - Er: Gestern wurden die ersten Photos von einem Schwar-
zen Loch veröffentlich. - Es war eine lautstark gefeierte und sehr tri-
viale Sensation, die beiläufig die Grenzen der Photographie, wenn
man die hier verwendete Methode noch so nennen darf, aufzeigte.
Dieser langweilige bunte Ring kommt bei weitem nicht an das man-
nigfach schwarze Skandalon heran, dass mir die Einbildungskraft vor
– oder besser: in - meine geschlossenen Augen stellt. – Ich: Ich weiß,
es ist wohl falsch und keiner will es hören, aber ein „reales“ Bild zeigt
nur, was übrig bleibt, wenn der Sprache das ganze Surplus, das sie
mehr ist als besitzt, abgezogen wird. Sozusagen nach der Art eines
unkontrollierten Kahlschlags. – Z: Und mittendrin die Nomadin, die
Musik. – Ich kenne aber kaum jemanden, der das hören will.
CXXXI
Das Andere der Welt. - Im Nachdenken versuchen wir nichts anderes
als herauszufinden, wie unser Zugang zur Welt zu denken ist und sich
abspielt; und wie er möglich ist, und ob er überhaupt möglich ist. Da-
bei wir wissen seit langem, dass es ihn vielleicht gar nicht gibt. Und
dass wir uns genau mit dem, was wir Welt nennen, diesen Zugang -
glücklicherweise - versperren. – Z: Genau in diesem Glück liegt der
Grund dafür, dass wir es immer und immer wieder vergessen. – Hier
müssten jetzt die letzten Sätze aus „Rameaus Neffe“ folgen. -
Ich denke nicht, dass wir entsetzt wären, wenn wir die Wahrheit se-
hen könnten. Nicht, weil ich optimistisch bin, sondern weil das Nichts
keine Qualität hat, die wir zu spüren imstande sind. - Z: Aber woher
kommt er, der Zwang, darüber zu reden, worüber wir nicht reden
können?
Das Dilemma der Methode. Es ist immer wie eine Welt, die sich selbst
durchschreitet. Sich in sich stülpt oder faltet, als ob es ihr möglich
wäre. - Z: Früher hättest du gesagt: wie ein Möbiusband, das sich in
sich umzukrempeln versucht.
CXXXII
Eichkröten und Schildhörnchen (IX)
Fortgehetzte Transmutationen (V)
Fables faibles, sonst nichts
Vielleicht solltest du,
genauer,
von einem Tagebuch
der Weltgedankenlosigkeit
reden.
Das befreite dich (auch)
vom letzten Rest
Verantwortung.
(Ratschlag eines Freundes)
Nicht ist es aber
Die Zeit. Noch sind sie
Unangebunden. Göttliches trift untheilnehmende nicht.
Dann mögen sie rechnen
Mit Delphi. Indessen, gieb in Feierstunden
Und daß ich ruhen möge, der Todten
Zu denken. Viele sind gestorben
Feldherrn in alter Zeit
Und schöne Frauen und Dichter
Und in neuer
Der Männer viel
Ich aber bin allein.
und in den Ocean schiffend
Die duftenden Inseln fragen
Wohin sie sind.
Denn manches von ihnen ist
In treuen Schriften überblieben
Und manches in Sagen der Zeit.
Viel offenbaret der Gott.
Denn lang schon wirken
Die Wolken hinab
Und es wurzelt vielesbereitend heilige Wildniß.
Heiß ist der Reichtum. Denn es fehlet
An Gesang, der löset den Geist.
Verzehren würd’ er
Und wäre gegen sich selbst
Denn nimmer duldet
Die Gefangenschaft das himmlische Feuer.
Es erfreuet aber
Das Gastmahl oder wenn am Feste
Das Auge glänzet und von Perlen
Der Jungfrau Hals.
Auch Kriegesspiel
und durch die Gänge
Der Gärten schmettert
Das Gedächtniß der Schlacht und besänftiget
CXXXIII
An schlanker Brust
Die tönenden Wehre ruhn
Von Heldenvätern den Kindern.
Mich aber umsummet
Die Bien und wo der Akersmann
Die Furchen machet singen gegen
Dem Lichte die Vögel. Manche helfen
Dem Himmel. Diese siehet
Der Dichter. Gut ist es, an andern sich
Zu halten. Denn keiner trägt das Leben allein.
Wenn aber ist entzündet
Der geschäfftige Tag
Und an der Kette, die
Den Bliz ableitet
Von der Stunde des Aufgangs
Himmlischer Thau glänzt,
Muß unter Sterblichen auch
Das Hohe sich fühlen.
Drum bauen sie Häußer
Und die Werkstatt gehet
Und über Strömen das Schiff.
Und es bieten tauschend die Menschen
Die Händ’ einander, sinnig ist es
Auf Erden und es sind nicht umsonst
Die Augen an den Boden geheftet.
Ihr fühlet aber
Auch andere Art.
Denn unter dem Maaße
Des Rohen brauchet es auch
Damit das Reine sich kenne.
Wenn aber
Und in die Tiefe greifet
Daß es lebendig werde
Der Allerschütterer, meinen die
Es komme der Himmlische
Zu Todten herab und gewaltig dämmerts
Im ungebundenen Abgrund
Im allesmerkenden auf.
Nicht möcht ich aber sagen
Es werden die Himmlischen schwach
Wenn schon es aufgährt.
Wenn aber
und es gehet
An die Scheitel dem Vater, daß
und der Vogel des Himmels ihm
Es anzeigt. Wunderbar
Im Zorne kommet er drauf.
Hölderlin
CXXXIV
Heraklittereien. Du denkst etwas, du hörst etwas, du sagst etwas, und
jedesmal ist zum ersten Mal etwas da. Alle Sinne sind unvermerkte
Hebammen des Logos, des richtig verstandenen, versteht sich. Und
jedes Mal sind und waren Empfang und Empfängnis, quasi hebräisch,
vokal- und makellos und deutungsoffen: - Siehe, wir sind wie Mägde
des Herrensignifikanten.
Y: Für Merleau-Ponty ist die Beobachtung aber (nur) une vision locale,
die den Gegenstand aus la vie totale du spectable heraushebt und das
wahrnehmende Subjekt nach Belieben lenkt: gouverne à sa guise. - Z:
Das ist gewiss, no cabe duda, nicht schlimm, aber, scheint mir, doch
bedenklich. Zumindest überraschend diskret. Als würde das Fleisch
der Welt selbst ihn ein wenig einschüchtern.
(Bei der Lektüre von G. Günther) - Y: Kontextur ist für mich, sagt er,
mutig, nichts anderes als ein anderer Name für die Grenzen der Mög-
lichkeit. - X: D.h. für die Grenzen der Ermöglichung von Möglichkeit.
(Bei der Lektüre von P. Fuchs) - X: Wir dürfen Gott duzen, wie die Hof-
narren ihre Herren und Brotgeber oder die Organisationsberater die
Organisationen, die sie beraten. - Y: Aber wie diesen geht es auch uns
nur so lange gut, wie wir unseren Brotgeber und Herren zum Lachen
bringen. - Z: Auch Gott hat, wie alle Herren und Organisationen, einen
ausgeprägten Sinn für Angstlust. Womöglich hat diese Freude am
thrill ihn zum Schöpfer gemacht. Und er hat es vergessen, sie nicht auf
die Schöpfung zu übertragen.
CXXXV
„Dir danken wir die Freude, / Daß wir im Frühlingskleide / Die Erde wieder sehn. / Daß laue
Zephiretten / Aus süßern Blumenketten / Uns Duft entgegenwehn. / Dir danken wir, / Daß
alle Schätze spendet / Und jeden Reitz verschwendet / Die gütige Natur, / Daß jede Lust er-
wachet / Und alles hüpft und lachet /Auf segensvoller Flur.“ (Amadé Mozart, Dir, Seele des
Weltalls, „Freimaurerkantate“, KV 429, Fragment)
Das ist neu, sagte er plötzlich, und es überrascht mich, beobachten zu
müssen, dass das Denken stumm macht. Und das Misstrauen vor der
Zukunft sich mit der Vergangenheit dehnt und mit ihr wächst. Ver-
gangenheit und Zukunft kommen mir jetzt vor wie die beiden Enden
eines schwingenden Springseils, die den Ehrgeiz haben, den sprin-
genden Gegenwartspunkt zu Fall zu bringen. Als ahnten sie nicht ein-
mal, dass das nicht möglich ist. Früher oder später werden sie er-
schöpft sein. Aber es bleibt, scheint mir, dennoch offen, ob und in wel-
chem Sinne der Punkt denn siegen könnte. Es sieht mir ganz so aus,
sagte er, dass Niederlage und Verlust einst zu gleichen Teilen ausge-
händigt und vergeben sein werden. Wie Visen und Lizenzen, wie Vi-
ren und Lemuren. - Dann sagte er noch, schaut nicht auch mich so
misstrauisch an, ich bin die Zukunft nicht. Und wenn ich springe, dann
nur wie eine Sprungfeder oder ein Glas. Mit einem Wort: Ich rate euch,
meinen Optimismus nicht zu teilen! Bleibt ihr mir lieber vernünftig!
Zu zögern braucht nur der, der nichts zu verlieren hat.
Und zittern darf nur, wer etwas vom schönen Wesen des Espenlaubs
geerbt hat. Und ungestört über Verlorenes verfügt.
Der Geist weht wo er will und nur, wenn er will.
CXXXVI
Du darfst dir überlegen, was ein Kreuzgang mit einem Friedhofsorbit
zu tun hat.
Es ist vielleicht schwer zu denken, aber eine jede Möglichkeit hat die
energetische Form einer Durchkreuzung.
Stell dich her! - Der wäre genial, dem das mit einem Schlage gelänge!
Verschwendung ist, ein Schweißtuch wiederzuverwenden, bevor es
getrocknet ist.
Ich habe mir, sagt er, den so genannten Bewandtnis-Zusammenhang
immer als ein rahmendes Irgendwie vorgestellt, das schien mir pas-
sender. Ich werde dabei bleiben. Das Irgend18 ist der eleganteste und
überzeugendste Namen für jeden Herkunftsort. Präziser lässt sich das
Woher eines Gedankens, eines Motivs, eines Triebs, selbst eines In-
stinkts oder eines Gefühls nicht bestimmen.
Harmonia impossibilis. Du zerfällst in einen abertausendstimmigen
Kinderchor, den nichts mehr hemmt. - Das war zwar immer die Gefahr.
- Die Welt geht in dir durch. Du wolltest doch nur Archäologe sein und
Eden freilegen. Mehr nicht. Wirklich.
Höhere Fügung oder Irreführung durch ein Kinderlied. - Hänschen
klein ging in die Welt, um sich absorbieren zu lassen. Da war nichts
mehr mit „läuft nach Haus geschwind“. Die Vermittlung des sich An-
derswerdens mit ihm selbst erwies sich für ihn als mission impossible.
Und wer war schuld? Der Himmel über oder das Gesetz in ihm? - Z
(sehr leise, zu sich selbst): – Mama aber weinet sehr. Ihr Tränenge-
schäft verrichtet sich auf jeder Seite.
18
„irgend , pronominaladverb, welches örtliche, zeitliche, modale zahlbestimmungen verallgemeinert. 1) form. das wort erscheint ahd. bei
Otfrid als getrenntes io wergin neben bloszem wergin usquam, alicubi, im altniederfränkischen (gloss. Lips. 711) in der negation nie wergin
usquequaque; und wie von dieser negation bereits (ebenda 713) die zusammenziehung niergin sich findet, so kommt von der positiven formel
auch im späteren ahd. das contrahierte iergen auf: sâ het ir iergen mı̂ nen wine? Williram 22, 4; eine form die mhd. die gewöhnliche, wenn auch
nicht die alleinige bleibt (vgl. gramm. 3, 220). verkürzung zu irgen ist zunächst vorzugsweise mitteldeutsch: alicubi irgen Dief. 22b;“ (Grimm)
CXXXVII
Wenn man am Knie angekommen ist, ist der Weg nicht mehr weit. (Di-
derot, Jacques der Fatalist)
So wie Goethe, sagt er, den ersten Teil des „Faust“ nur geschrieben
haben soll, um einen zweiten nachfolgen lassen zu können. - Vom Wil-
helm Meister wolle er erst gar nicht reden.
Einseitigkeit verletzt. (Hegel) - Das Einseitige geht, es geht in seiner
Totalität unter. Das gilt auch für das Substantielle und Gediegene,
wenn es in Einseitigkeit verharrt. - Genauer: Es geht unter, indem es
wesenlos bleibt. - Wesenlos. Aber es bleibt. Und wir haben es auszuba-
den.
Der Genuss des Geizes ist kahl. - Freie Heiterkeit, hingegen, erhebt.
(Hegel)
Er gibt mir gern Ratschläge. Vor allen anderen liebt er diesen: „Es gibt
eine hervorragende Möglichkeit, deine Kreativität anzustacheln. Du
brauchst deine Triebe oder Bedürfnisse und dergleichen nicht zu su-
blimieren, nein, das wäre dumm und nahe der Onanie. Du solltest sie
einfach ein wenig verschieben, wie auf einem Rangierbahnhof. Es
bieten sich da, überzeuge dich nur, hilfsbereite beschriftete Weichen
an. Wenn du nicht essen kannst, was du gerade essen möchtest, nicht
trinken kannst, was du gerade gerne trinken würdest, nicht lieben
kannst, was gerade nicht verfügbar ist, denke und schreibe! Sättige
dich gleichsam autophag an deinem Begehren. Das gelingt immer.
Weil du dabei ja im Grunde nur ein wenig am Weltschöpfungsver-
fahren schmarotzt. Nur, dass du nicht ex nihilo, sondern aus ex grillo
kreierst. - Das ist ein menschlicher Fortschritt. Ich sag‘s dir!“
A: Und du behauptest ernsthaft, dass du nur Kommentare zur All-
tagspolitik schreibst? – O: Nichts anderes! Das habe ich immer schon
getan, und überall, und tu es auch jetzt. Ich kann nichts anderes und
ich habe auch keineswegs vor, mich zu ändern oder zu verändern.
Frage mich, bitte, in tausend Jahren noch einmal. – A: Und du glaubst
CXXXVIII
nicht, dass es dir vorher vielleicht doch noch langweilig wird? – O:
Hast du dich nicht auch an die Welt gewöhnt? – Erklimme die scala
santa, wenn es eine Wirkung haben soll, auf den Knien. – Schon weil
der Himmel zu tief und dir im Weg hängt. Und die Ränder des Him-
mels schärfer sind als Rasierklingen. – Das ist dir, denke ich, neu. –
Er glaubt unter dem Zwang zu stehen, nur zu leben, um eine Geheim-
botschaft zu hinterlassen. Er weiß aber nicht, was eine Geheimbot-
schaft ist, und wo und wie er sie hinterlassen könnte. Am wenigstens
aber, wem? - Das beunruhigt ihn. Er glaubt, sich nicht entziehen zu
dürfen. Außerdem hat er keine andere Aufgabe.
Er sagte zu seinem Sohn: Du lebst heute, hier, mein Sohn, und sagst,
du hast eine Identität? – Ja, dann lass sie doch stehn, mein Sohn, lass
sie einfach stehen! Denn dann hast du ja etwas, das du einfach stehen
lassen kannst.
Solange die Identität ein Standbein ist, ist das Übel zu überschauen.
Wenn sie zum Spielbein wird, tritt der Bock den Gärtner. Heftig und
desaströs. – Z: Auch so kann ein Eden veröden.
Er sagt sich, sagt er, morgens gerne: Ich möchte, dass du bei mir
bleibst, was kann ich dafür und für dich tun? - Bisher, sagt er, habe ich
noch keine Antwort bekommen, und ich frage mich, ob er mich ver-
steht.
Vergesst nicht, ergänzt er noch, dass jede Identitätsbildung mit Unter-
werfung begonnen hat. Und Identität immer nur die Form ist, in der
du deine Unterwerfung ratifizierst; unter den Phallos, den Vater,
unter Gott, Europa, unter einen Meister oder eine Maitresse.
Die Menschen hatten begonnen, Verheißungen zu lieben, die ihnen
schon jetzt das Nichts gaben, das sie ihnen versprachen. – Z: Alle Last
will Gegenwart.
CXXXIX
Stable Marriage. – Y: Es ist, wie wenn du einen Kuchen backst oder
bäckst, nur um Verteilungsprobleme zu provozieren. – X: Im Fall der
Schöpfung ist die Schöpfung (obendrein?) selbst der Kuchen. – Z: Das
gefällt mir! – Das Universum, ein aus spiegelndem Kuchenteig. End-
lich hat es Sinn, vom Möbiusband als dem conditor mundi zu sprechen.
– Und ist dann nicht das Nichts der Sumpf, aus dem sich das universale
Möbiusband am eigenen Zopf, als Beiprodukt die Zeit generierend, he-
rauszieht? – Y: Was heißt hier heraus? – Z: Genau das bleibt das punc-
tum saliens in der Rätselkiste.
Nomadisierung ist Normalisierung. Die universal(istisch)e Pointe der
Entropie. So endet auch die Politik. Und stirbt, aller Erwartung nach,
einen ziemlich kalten Wärmetod.
Die Entwicklung setzt sich fort, wenn die springenden Punkte erstar-
ren. Sich gleichsam einmummen im Sprung.
Der Philosoph fragt sich, wie lange die Bilder wohl noch zu einfach
bleiben werden?
Metaphern. Die Brosamen vom Tisch des Herrn der Signifikanten. –
Phallos-Brösel.
Posthistoire: Die Welt gibt sich den letzten Schliff.
Mantra, zum Verschenken, espirando: Tod ist, wenn der Hauch ver-
dorrt. – Einmal lag im Weltenkasten die vertrocknete Mumie einer
Souffleuse. Keiner wollte es glauben.
Die Sprache Europas ist die Übersetzung. (Balibar) – Und ein idealer
Übersetzer, mehr noch ein Dolmetscher, ist die Luft dazwischen, die
für die Kommunikation sorgt; und sie trägt.
Die (einzige) Zukunft der Kreativität: Zeit verwischen. Entgrenzung
der Erwartbarkeit. - Das Gegenteil stehender Musik (Satie). – Und sich,
CXL
selbstverständlich, keiner Idee überantworten. – Sich überhaupt nie
einem Saugnapf überantworten. - ... wenn am Feste / Das Auge glänzet
und von Perlen / Der Jungfrau Hals (Hölderlin, s.o.) -
Die konsequenteste Anarchie ist der Kniefall auf der Schwelle eines
Schwarzen Lochs.
Er empfand, berichtete er, den Tag noch nie so, wie übers Brücken-
geländer gelehnt.
Idéaux fatals. - Jeder mundane Fortschritt ist das fortschreitende Selt-
samwerden eines Natürlichen. Das Organische ist seltsam geworde-
nes Anorganisches. Das Tier ist die sehr seltsam gewordene Pflanze.
Der Mensch die seltsame Variante des Tiers. Und seit Menschen sich
Götter zu denken versuchen, denken sie sich sie - wider jede zeitliche
Logik - als ins höchst Seltsame mutierte Menschen. Wie nachdrücklich
aber erst, seit sie sich den einen Gott zu denken versuchen. - Mich
dünkt, sagt Z, dass all diese Entwicklungen auf das regulative Ideal
schließen lassen, das auch das Denken selbst vor Augen hat, und dem
es unerbittlich folgt. Das wäre freilich keine Ausnahme. Alle Ideale
sind fatal.
Als hätte Notre Dame sich selbst entzündet, um gesehen zu werden,
Nur das Ohr kann erwarten. Das Auge kann sich nur erinnern, wenn
auch im Voraus (Husserl). – Z: Das spricht für Wort und Melodie.
Denke, sagt er, meinetwegen anders, aber die Zeit bleibt dabei, sich
nur hören zu lassen. Ein elegantes Hörrohr kann dabei von Nutzen
sein. – Z: Das klingt wie eine Eloge auf den Godmiché.
Erwartungskunst. Gibt es das schon? Im Internet kann er das Wort
nicht finden. - Z: Da hatte er zu viel erwartet.
CXLI
Nüchternheit ist eine intellektuelle und frivole Plage. Nüchternheit
mischt die Worte anders. Von den anderen Lebenselementen einmal
ganz zu schweigen. Beim Jüngsten Gericht werden deine traurigen
Augen davon zeugen. Dann liegen Wahl und Entscheidung schon nicht
mehr bei dir. Aber auch der Zeigefinger des Absoluten wird dann nur
noch ein Entweder/Oder kennen. Das wird ein sehr überschaubarer
Vorteil sein. – Z: Zugleich jedoch auch ein absoluter Unterschied, wie
es bis dahin keinen gegeben haben wird.
“Is Heaven a Place — a Sky — a Tree? / Location's narrow way is for
Ourselve — / Unto the Dead / There's no Geography — / But State —
Endowal — Focus — / Where — Omnipresence — fly?” (E. Dickinson)
Gut das, drollig, kurios. (Th. Mann, Dr. Faustus)
Bedeutet nicht jedes Handeln, sich am Osterparadox ein Beispiel zu
nehmen? – Was nicht sein darf, das muss sein.
Ungestraft in Quintparallelen singen zu dürfen. – Ein Privileg der En-
gel.
Die Absenz aller Blüten. - Die Türme sind stumm. Unbewegt darüber
die Sonne. Die weiß wohin die Gedanken geflohen sind. Aus den Tür-
men und aus den Köpfen. Aus allen Körpern. Das ist ihre Art zu trium-
phieren. Die Sonne verrät nichts. Die Gedanken schließen sich ihr an.
Und tropfen in die Wolken. Goutte à goutte -
Y: Hören ist, wenn ich es richtig verstehe, Selbstreflexion der Sprache;
also beginnendes Denken.19 – X: Kann man denn vom Selbstbezug ei-
nes Möbiusbandes reden? – Z: Nur im Sinne einer verdrehten Selbst-
reflexion. – X: Vielleicht ist verdrehte Selbstreflexion ja die Grundform
einer jeden Bewandtnis. – Y: Das würde sie mir endlich vorstellbar
machen.
19
Vgl. David Espinet: „Phänomenologie des Hörens“, passim.
CXLII
Messias-Allüren. Früher, meint er immer noch, hatten sie einmal Mo-
tive. Manchmal wussten sie sogar noch welche? und warum? sie sie
hatten.
Mater desertorum. - Die Zeit, schon wieder die, eine Lawine, avalanche,
die keine Spuren hinterlässt.20 Die Zeit ist also, genaugenommen, die
Mutter der Ödnis. – Z: Auf Dauer betrachtet unbedingt.
Was immer – und immer auch - bleiben wird, ist das Gewesensein. Das
ist zumindest auf logische Weise nicht zu leugnen. Vielleicht ist es
tatsächlich nur der Gedanke des Gewesenseins, der uns eine Spur von
Ewigkeit zumutet. Nur die Gedanken an Momente des eigenen Gewe-
senseins füttern uns – gleichsam - mit échantillons gratuits, Probier-
häppchen der Ewigkeit, aus der Hand der Mutter der Ödnis.
Aber das Skelett der Worte, ihr Konsonantengerüst, füllt sich mit dem
Sinn der Laute, dauernd neu und dauernd anders, mit vokalischer Un-
endlichkeit. Daher nur ist das Gebet an der Klagemauer und allen an-
deren Orten unendlich. Wer betet, setzt sich dem Eingriff des Unend-
lichen aus. Und er greift mit den ungeübten Fühlhörnern und den
noch leeren Füllhörnern, den Konsonanten seines Seins, ins Offene,
das manche noch Transzendenz, vom ganzen Praß die Quintessenz,
nennen würden. Den, der zu beten aufhört, lässt das Unendliche wie-
der fallen, spart seine vokalische (grenzenlose) Fülle für ihn und fürs
nächste Mal aber auf. Jedes Gebet ist exemplarisch; exemplarisch für
das Ganze. Aus den genannten Gründen. Das gilt selbstverständlich
schon und zuletzt für den Gottesnamen.
Es ist nicht verboten, den Gottesnamen zu nennen. Im Gegenteil, du
sollst ihn nennen; unaufhörlich vergeblich. – Z: Hurry up!
20
“… blend of aval (“downhill”) and standard lavençhe, from Vulgar Latin *labanka (compare Occitan lavanca, Italian valanga), of uncertain
origin, perhaps an alteration of Late Latin lābīna (“landslide”) (compare Franco-Provençal (Dauphiné) lavino, Romansch lavina), from La-
tin lābēs, from lābor (“to slip, slide”).” (en.wikitionary.org)
CXLIII
Lieu vide de transbordement. - Die Leere kann nur ein Unendlichkeits-
gewimmel sein. Das Gewimmel der Sinnunedlichkeit. Der Umschlag
unendlicher Fraktale. – Le chant des Fractales de flamme auto-léchant.
Das Reelle der Wahrnehmung ist das, was nicht zum Gegenstand ge-
hört, ihn aber als dessen Element allererst zeigt, selbst aber in seinem
Zeigen verschwindet. Nicht anders verhält es sich mit Lacans Realem,
dem match maker als „Verlorene Form“.
Das Gelingen und das Glück sind Diebe, die sich einschmuggeln. Man-
che sprechen auch von eingeschleusten Fremdköpern.
Das existentielle Meldewesen der Welt. Die Welt ist zur Stelle, wenn sie
dir meldet: Da fehlt etwas. Oder sich dir anbietet, mitzusuchen oder
mitzuforschen: Da war doch was! - könnte da nicht etwas sein? Sie
zeigt dir Abwesenheiten, um sich interessant zu machen. Ein selt-
sames Vorgehen, wie das einer Frau, sit venia exemplo, die sagt: Schau,
wie schön ich sein könnte! Überlege dir, was mir alles fehlt!
X: Das Meldewesen der Welt versucht, dich dazu zu bestimmen, frei-
und eigenwillig Schimären-Maler zu werden, und dein Weltinterieur
raumfüllend mit deinen Schimären auszustatten. - Z: Warum denn mit
Schimären? - Y: Die sind, was sie zeigen.
Zuwachs. Brüche vermehren die Bruchlinien und -flächen. Brüche se-
tzen Fraktale frei. Wenn der Glanz von Bruchstellen singen könnte,
würde er singen: Viva la libertá! - Z: Ganz sicher!
Entweder findet das Innerweltliche in der Welt keinen Platz mehr,
oder es wird an der Grenze abgewiesen.
Der Charakter von Megacities wird nicht nur durch ihre Slams, son-
dern auch durch ihre Pfützen geprägt. Einem sensiblen Beobachter
und Nachtspaziergänger genügen die Pfützen, um große Städte zu
taxieren.
CXLIV
De mélanger les cartes. - Ich habe, sagte er, vergessen, was ich mit
Worte mischen meinte: - Ich meinte: denken. – Der Trunkene denkt
anders als der Nüchterne. – Es ist unmöglich zu sagen, von wem dieser
triviale Satz, diese schroffe Wahrheit, stammt. – Z: Vielleicht von dem
Kartenmischer, der die Karten mischt, bevor er sie an Nüchterne und
Trunkene verteilt.
L’unique. - Vielleicht treffen sich Nüchterne und Trunkene im Traum.
Der Traum mischt die Worte so und so. Nicht so und mal so. Nein, so
und so, in einem. Er stellt gerne Beine, das ist seine Lieblingsver-
richtung, vor allem und mit Inbrunst aber den Nüchternen und den
Trunkenen.
Par la suite. - Ein Unikum zu sein des jeweils Anderen, das ist apart.
Der Einschlag der Kugel, auf der Münchhausen vormals ritt.
Denn es ekelt den Herrn das Überständige. (Th. Mann, Joseph), auch:
Karsamstagszauber 2019. - Mitunter lebhafter Wind. Impfpflicht ge-
fordert, über die Masern hinaus. Der Vorschlag sollte für Entsetzen
sorgen. Der rauchige Klang der Traversflöte. Suchinterpretationen.
Führerscheine nicht mehr unbegrenzt gültig. Ende der lilafarbenen
Banknote. Polnischer General droht Russland mit Atomwaffen.,
Denn, was uns unvorteilhaft ist, erscheint meistens dem Intellekt ab-
surd. (Schopenhauer)
X: Wie, fragt er, soll man Weltereignisse deuten, die beim Beobachter
keine Unruhe mehr auslösen? Sollen diese Ereignisse den Beobachter
denn nur noch lähmen? - Y: Es wäre jedenfalls kein Gottesbeweis,
wenn die Weltgeschichte in sich selbst versumpfte. - Z: Mir scheint, es
ist ein wenig so, als würde der Schiffbruch seine Beobachter mitneh-
men. Y: In einen Sumpf versinkt man aber nur - relativ - langsam. - X:
Darin liegt eure Chance, ihr spectatores!
CXLV
A: Wir verwandeln die Dinge nicht in Symbole. Es ist tatsächlich um-
gekehrt. – O: Alle Dinge treten in unser Bewusstsein als Symbole und
nur wenn sie Glück haben, treten sie als Dinge wieder heraus.
Du solltest dir überlegen, wie viele Gedichte Mallarmés es nicht gäbe,
wenn ein Kaminsims für ihn (primär) keine Ausstellungsfläche gewe-
sen wäre. Er machte das Interieur zur Fassade; als hätte er Benjamin
verstanden.
Sage also: Armer Mallarmé! Er musste sich durch eine Unendlichkeit
von Dekors zum Nichts hindurchwühlen. Ja, mir kommen seine Ge-
dichte wie Schürfwunden vor, die er sich dabei geholt hat. - Z: Und
kann man einen Schiffbruch nicht auch, mit zusammengekniffenen
Augen, als Schürfwunde sehen?
Er sprach gerne abstrakt. Kunst, sagte er, ist die Abwärme der Welt. -
Das gebe ich zu, aber nur, weil ich Abwärme für das Wichtigste halte.
Sie ist das, was übrig bleibt und sich dem Kosmos als Wiedergutma-
chung heimzahlt.
A: Man müsste aus allen Richtungen leben können, aus denen man
kommt. – O: Dann könnten wir auch in all diese Richtungen denken. -
A: Dann würde es interessant.
Z: So manche Schwärze verkümmert in Buntheit, das ist das größte
denkbare Elend für Seelen. – Seele: Kunterbuntheit ist auch nicht bes-
ser.
„Auf Augenhöhe“ – Ich ziehe es vor, einfach nur au niveau zu sagen,
dann tut man wenigstens nicht so, als wäre das Niveau ziemlich hoch.
– Z: Vielleicht meinen sie damit ja „auf Hühneraugenhöhe“.
Mantra (2): Wer einundfünfzig Prozent versteht, liegt weit über dem
Durchschnitt. Immer und überall.
CXLVI
Du tust gut daran, dich zu verweigern. Das Glück hat einen schlechten
Leumund. Manche behaupten sogar. – nein, das passt nicht hierher.
Warum benutzt du, wenn man Begriffe denn benutzen kann, so viele
Begriffe, die man aus guten Gründen archaisch nennen könnte? - Gott,
Blut, Wunde, Stein, Hauch, und all die anderen? - Weil ich weiß, dass
wir nur so noch an Seele und Welt, die Archaischsten von allen, heran-
kommen können. Anders geht es nicht mehr. Das beweisen mir all die
anderen Versuche. Greife doch einmal nach einem Körper, der ganz
aus Phantomschmerz besteht! Das fordert von deinen Greif- und re-
trograden Vollzugsorganen der Schöpfung ein Übermaß an Phantasie.
Mein Kopf ist eine Höhle oder eine Grotte, in die sich, so kommt es mir
vor, die letzten Worte wie erschöpfte Fledermäuse zurückgezogen ha-
ben und zu träumen versuchen. - Aber wie könnte das ihnen, in An-
betracht ihrer selbst, gelingen! Merkwürdig genug, dass sie meinen,
einmal geträumt zu haben. Sie verwechseln die Träume, offensichtlich,
mit der Erinnerung an sie. Aber hinter den Rändern ihrer Erinnerung
ist nichts. Eine der Fledermäuse glaubt, sich an eine bunte Jacke zu
erinnern.
Es lohnt sich nicht, sagt er, allzu wörtlich zu denken. Und was du vo-
raushast, wird dir doppelt abgezogen.
Wenn jemand sagt, ich habe die Übersicht verloren, dann sag du: Wo?
- Zeig mir den Ort! – und lache ihn aus.
Apropos bunte Jacke! – Fülle ist die Schamesröte des Mangels.
La dignité absolue du refus. - Die Gedankenfabrik ermattet nicht an
ihrer Tätigkeit. Sie ermattet am Mangel, am Ausbleiben der Zuliefe-
rungen, oder an deren Mängeln, an deren Qualität, wenn denn die
Weigerung, sich bearbeiten zu lassen, die Qualität eines Materials ist.
Dann sind Götter und Engel die vollkommensten Materialien. Und
Transzendenz ist der euphemistische Namen ihrer Qualität, die im
CXLVII
Mangel jeglicher Verarbeitbarkeit liegt. Was sich der Formung ver-
weigert, ist das dem Geformtwerden Würdigste.
Die Seele ist (Hölderlin) ein Horchendes (Aristoteles) auf Erden (Höl-
derlin). Sie horcht auf das Offene ihrer Grenze, aus dem sie auf sich
zukommt (Heidegger). - Z: D‘accord! Und Seinsvergessenheit stellte
sich kürzlich heraus als Taubheit fürs eigene Echo. Das taube Selbst-
seinsgefühl des Trommelfells.
Darf man denn überhaupt sagen, fragt er, dass ein böser Geist uns das
Trommelfell über die Ohren gezogen hat?
Ein Hörsturz infolge eines Trommelfellrisses quälte Celan in den Tod.
Die Gegend Ist so finster, dass es verzeihlich scheint, Heideggers mat-
ten Fackeln zu folgen, auch gegen den Wind der Ranküne.
Die Zeit ist das imaginäre Konglomerat aller Ersatzmomente ihrer
selbst, so würde ich Merleau-Ponty übersetzen, der sagt, die Zeit sei
une fuite génetale hors du Soi.
Die Zeit stockt nur unter Vorbehalt des Vorenthalts nicht. Unter der
Bedingung des Schon im Nochnicht, konventionell gesagt.
Heideggers Konzept der Sorge ist das Anarchichste, das wir zurzeit
(um Ostern 2019) noch haben. Aber mit dem Trommelfell über den
Ohren (s.o.) wird uns auch die Sorge, die letzte Diva assoluta, abhan-
den kommen. - Fragt in einem Jahr noch einmal nach.
Nunc instans . - Immer und überall in einem südlichen Garten sein und
einen Regenwurm aus einem Brunnen retten. Sich fragen, wo das
Plätschern eines Wassers denn genau statthat und zuhören, wie seine
Ränder verbrennen. - Ein Wie gibt es, ein Gleichwie nicht. Obgleich es
sicherer ist, das Gegenteil zu behaupten.
CXLVIII
Y: Wie hältst du all diese Bilder aus? - X: Ich seh sie ja gar nicht, ich
denk sie nur. - Z: Das erklärt freilich alles.
Nichts muss stimmen, um etwas zu sein. Daran denken wir, wenn wir
denken, leider nicht. Darum fällt unser Blick auf das Sein mit Vorliebe
und blinder Absicht daneben.
Eines darf man getrost und sicher sagen: Endzeiten verstehen sich
nicht auf Tarnfarben.
Ein vernünftiger Satz kann nur erkenntniskritisch sein, d.h. zerset-
zend.
Er sagte gerne, er freue sich der wunderbaren Masse von Erzählungen,
die sich täglich ereignen und von denen er nichts erfährt.
Ich kenn eine 95jährige Dame, die sehr klar denkt und beurteilt. Ihre
Sprechweise ist sehr distinguiert, ein wenig manieriert. Sie bevorzugt,
zum Beispiel „frug“ zu sagen statt „fragte“. Man hört ihr gerne zu. Das
Wort aber, das sie benutzt, um ihre Abscheu – quasi unmissverständ-
lich zum Ausdruck zu bringen, lautet „ätzend!“ – Im Ohr des Hörers,
in meinem etwa, klingt das wie ein Donnerschlag. Für die alte Dame
ist es ein nicht weiter auffälliges, völlig gleichberechtigtes Mitglied
ihres Wörterparlaments. Mit geregelten Auftritten. Und durchschnitt-
licher Redezeit.
Träume müssten sehr tief fliegen, um sie aus der Kavaliersperspek-
tive betrachten zu können. Leider fliegen sie gerne so hoch, dass du
nicht umhin kannst, ihnen unter den Rock zu schauen.
Wenn Reflexivität einen bestimmten, d.h. zu bestimmenden Grad
überschreitet, ist sie nicht mehr zu kommunizieren. Das führt zu ir-
reduziblen Einsamkeiten. Zum Schrei. Zur Verzweiflung. Zum Tod. -
Also hüte dich, rechtzeitig.
CXLIX
Wir Erben Edens. (Vergesst nicht, wir vergaßen, das Erbe auszuschla-
gen.) - Die universale Mischlokalität. (Das Wort sei hier benutzt, auch
wenn es sich, wenn ich es richtig sehe, bei Freud, wie auch die Vari-
ante Mischräumlichkeit, nur ein einziges Mal findet.) - Die Auffor-
derung Denke unordentlich! kam immer schon um Äonen zu spät. Es
ging immer nur um die Frage, welche Unordnung sich als Ordnungs-
schema durchsetzen konnte, und welche Macht sich welcher Unord-
nung bediente. Denken wir an die Geschichte des allgemeinen post-
lapsarischen Existentialtheaters: die scholastischen Wellness-Pro-
gramme, die Clownerien der Aufklärung, die sürrealistischen Bilder-
pürees, der neoscholastische Karneval der Psychoanalyse, die Knall-
und Lallbonbons der künstlichen Intelligenzija etc., nur so zum Bei-
spiel und voller Verehrung und unverbrüchlicher Abhängigkeit von
einer Salzsäule von einem Abendländers gesagt. - Warum der Globus
trotzdem noch nicht zerbröselt ist, das bleibt unerfindlich. Und in
gewisser Weise auch unerfreulich und unverzeihlich. Unser Denken
hängt uns von den Hüften wie ein zerlumptes Feigenblatt. Und wir
stehen auf dem verkohlten Floß, das aus Bosheit nicht sinken mag,
den zerknickten Mast fest im Griff, den Blick fixiert auf seinen blin-
desten Fleck.
Wenn ein Ninja wirklich die Kunst beherrscht, sich unsichtbar zu
machen, dann ist es ein Vorteil, ein Ninja zu sein. - Dann werde zum
Ninja!
In der Regel beweist du dein Gutsein dadurch, dass du gewisse Dinge
nicht tust. Wenn nun das Böse, wie, was heute jeder weiß, Augustinus
sagt, der Mangel an Gutem ist, dann ist es damit nichts anderes als der
Mangel an Nichttun (gewisser Dinge). - Z: Logisch! -
Schneebruch ist ein rätselhaftes Wort. Manchmal im Jahr taucht es in
den Nachrichten auf. Dann bilden sich die Hörer etwas darauf ein. Als
könnten sie es verstehen.
In der Praxis bezeichnet Verstehen den Punkt äußerster Ratlosigkeit.
CL
Deswegen gab sich Wittgenstein ja nie mit einer Definition zufrieden.
It‘s just a riot.
Ein Buch, aus dem ich nichts lerne und in dem ich mich immer wieder
nicht zurechtfinde, seit vierzig Jahren, seit mein Doktorvater es mir
geschenkt hat. Schopenhauers Eristische Dialektik.
No intermission will be. - Innen sind wir größer, sagt er, zumindest ich
bin eine Praline, eine unendlich quellende Quelle aus Nirgendwo. Ich
sollte Songtexte für Amanda Palmer schreiben, sagt er, rät er mir.
Oder für andere, die sie - mehr oder minder - auch nicht brauchen.
Ein Produzent leerer Zentrifugalkraft, ein durchgedrehtes Karussell.
Veitstanzend, auf der Stelle wirbelnd, des Kusaners Kreisel, auf seiner
einen kleinen punktuellen Zehenspitze. Mit all den anderen Schnei-
dern und Engeln, von denen immer wieder, scholastisch oder auch
nicht, die Rede ist. We can talk for – (h)ours.
Etwas für sich selbst zu behalten. - Unüberbietbarer Inbegriff der Ver-
schwendung, der nur übertroffen werden kann durch - ihr wisst
schon. - Aber behaltet es für euch! -
Ich habe, sagt er, mein Studiolo im Kopf. So gut eingerichtet, funkti-
onal und verträumt könnte keines außerhalb meines Kopfes sein.
Auch nicht so unbescheiden.
Von rhodischen Springmäusen, elfenhaften Orakeln und patmischen
Ontokalypsen. - Einen Roman mit diesem Titel würde ich gerne lesen.
Und wäre also die Vernunft nur der Schlaf der Monster?
Standby. Der Zufall ist der Kuppler, der einspringt, wenn kein anderer
zu Diensten steht.
CLI
Das Hinhören ist der Leim, auf den ihm Sinn und Bedeutung gehen
sollen; vom denen aber noch niemand etwas weiß, wenn die Leim-
ruten des Gehörs sich auslegen. - Macht das Bild klar, was Heidegger
sagt, wenn er sagt: Das Hinhören „gibt es dort erst rein, wo gar kein
Vernommenes uns anfällt, wo gar nichts verlautet“?
Misfits. - Zu sagen, nicht gestimmt zu sein, bedeutet nur, nicht zu ver-
hehlen, dass man nicht resonieren kann. Dass man gleichsam ver-
messen ist, überspannt, ohne zerreißen zu können. Und immer wenn
und solange das so ist, ist Verstehen, von der Wurzel her, wenn ihr
mich das so sagen lasst, ausgeschlossen. Nicht gesellschaftsfähig.
Was verbindet unverbrüchlich? - Die stählerne und mustergültige
Härte der Sterilität.
Aber auch und zugleich ist Verstehen, das sich nicht absetzt, kein
Verstehen. Du kannst auch sagen, indifferentes Verstehen ist ein kom-
fortabler und wohltuender Selbstwiderspruch der sterilen Art. - Z:
Und hat daher globalen Kultstatus.
Auch das Noli-me-tangere! kann auf den Hund kommen.
Du hast die Falten-Metapher erst restlos verstanden, wenn du begrif-
fen hast, dass sie keine Metapher ist.
Echten, aggressiven, knallgelben Neid empfinde ich nur, wenn ich
kluge Menschen treffe, kluge Gedanken oder Aphorismen oder Ge-
dichte lese, auf die ich nicht gekommen bin, kurz: im Grunde immer,
wenn ich erkenne, dass man klüger wahrnehmen kann, als ich es tue:
klüger hören, klüger sehen, klüger tasten, klüger schmecken, und
auch klüger riechen. Und das alles sowieso. - Ein unendlich kluges Be-
wusstsein, das wärs! Leuchtende Sinne.
Klugheit ist, genetisch gesehen, zunächst einmal die Klugheit der Sin-
ne. Und wie klug ist der Buddhismus, für den das Bewusstsein ein
CLII
intelligibles Wahrnehmungsorgan ist. Und wie dumm war das Abend-
land, so klug es ist, als es das Denken aus der Familie der Sinne riss.
Wer, wenn ich schriee, ... - vielleicht, lieber R.M., solltest du Engel an-
ders einladen. Aber, sagt er, ich habe es auch noch nicht heraus. Des-
halb mache ich mir auch für dich nichts daraus. - Die Engel: À la bonne
heure!
Quos ego! – Z sagt: Alles Vergängliche ist nur eine Kippfigur. - Das
Pathos übersetzt: Alles Vergängliche ist das Schwären der Transzen-
denz. - Der Filmemacher übersetzt: Erste Szene: Überstürmtes graues
Meeresufer, windgepeitschte Dünendisteln, leerer Horizont, Atemlos
Strandende nach einem Schiffbruch. Großaufnahme eines Philoso-
phenkopfs und seiner patschnassen Strähnen, Kameraschwenk auf
seine rechte Faust, die dem Himmel droht und flucht.
Der Film ist das deutlichste Medium, weil es das archaischste ist. Jeder
kleinste Effekt schmarotzt an der Schaffung des ersten Atoms.
Ein Lichtfunke ist der Zeuge des Einschlags, in dem er verlischt. - Es
wird nur letzte Zeugen gegeben haben.
Nur die Gedanken geben dem Gewesenen ein Format. - Aus pragma-
tischen Gründen sollten wir an einen Gott glauben. Seiner Gedanken,
nicht seiner Schöpfung wegen.- Das Gedachte und das Gewesene ent-
stammen demselben Stamm. Fortlaufend.
Recht besehen, arbeiten die Denker seit Jahrtausenden ausschließlich
an der Entmächtigung des Denkens. - Die Engel (wieder): Bravo!
Als ob Kämmen nur eine Ausdünnungsprozedur wäre. Bei der sich die
Schwächen der Verwurzelung herausstellen. - Ein Engel: Herrje!
CLIII
Shivering news, subkutan. - Das Unheimliche sei eine flächendeckende
Schicht unter der Haut; manchmal mache die Haut einige seiner Bot-
schaften fast sichtbar. Man müsse den Blick dafür üben.
Ruling proportions. - W: Man muss die Dinge ins Verhältnis bringen! -
H: Lasst sie doch einmal selbst entscheiden, oder unbehindert zögern.
- W: Und wenn sie nicht aufhören zu zögern? - H: Auch dann (noch). –
W: Und warum nicht erst recht? -
Gott, nach dem Ende, wenn die Arbeit getan sein wird (ein wenig nach-
denklich): Technisch ist alles in Ordnung.
Was noch keiner gesagt hat: Die Sphärenharmonie ist ein in Men-
schenohren wohlklingendes Weinen. - Die Engel (bis auf einen): Seht
ihr! -. At least.
Mary goes around. The universe is much to young. Nobody cares. The
universe included. Even in itself.
Z (wie schlaftrunken): Wenn Freud betont, dass es keine harmlosen
Träume gibt, dann gilt das erst recht für die seltenen Wachzustände.
Die wiederholen doch nur (gähnt) die nicht-harmlosen Momente der
Träume.
Ein schweizerischer Romanbeginn (3). Sie sind alle so unförmig, im
Ganzen, gleichsam am Stück, wie an mir nur der Buckel, unter dem ich
aber leide und an dem ich arbeiten möchte, getrieben von einer
Menschenfreundlichkeit, die ich an den Anderen nicht wahrzuneh-
men vermag. Die Idee eines Monopols auf Menschenfreundlichkeit
erscheint Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, vielleicht gwundrig und
merkwürdig, gar widersinnig. Aber sie drängte sich mir, ich möchte
sagen: realiter, auf. Sie kam und ging nicht mehr. Sie wollte nicht mehr
gehen und blieb. Sie schmiegte sich auf eine Weise an mich, die Katzen
zueigen sein soll. Und sie präsentierte mir ihren Buckel - den man
freilich nur einen Buckel nennt, der aber keiner ist - als das elastische
CLIV
Ideal, dem ich mich verschreiben müsse. Sie war die Überzeugungs-
kraft in Katzenperson und Katzengestalt. Ich konnte ihr nicht wider-
stehen. Geschweige denn widersprechen. So begann, aus Mangel an
Widerspruch und Widerstand, diese Geschichte, deren Beginn mir
heute, rückblickend, über die Maßen köstlich dünkt. -
Aber manchmal nähme sein Leben noch die Intensität von Gedanken-
losigkeit an. Vielleicht, sagt er, im Weggehen, den geschulten Blick
über seine Schulter werfend, schaffe er es ja noch bis zur Intensität
der Gedankenleere. – Z (keinen Kalauer scheuend): Bist du dann Bud-
dhist?
Es gehörte zum „unvermeidlich guten Ton, die Töchter nicht in der
Sprache des Landes, sondern in der wie alles Fremdländische für et-
was Besseres gehaltenen französischen Sprache zu erziehen, mit der
sich die Gedankenleere bekanntlich am glänzendsten übertünchen
läßt.“21 (Dr. Eduard Engel, Königin Luise, 1876, Seite 86)
Le plan d'épargne logement (divin) oder Bestelle dein Haus! – : Sofort
und permanent! – Es ist dich die einzige Lebensaufgabe, die du hast:
Bereite dich stets und ständig auf das vor, was nicht feststeht und
nicht feststellbar ist. Bestelle ohne Unterlass das Haus, das du nie ha-
ben oder besitzen wirst, um seiner würdig zu werden. – Z: Da sage
noch einer, der Weltgeist sei kein Humorist. – Sein bester practical
joke ist der Bausparvertrag.
Z (beim Kochen, zu sich selbst): Es gibt ja keine Anerkennung. Selbst
mit der Ehre eines Eremiten ist es nicht weit her. Es sei denn, du hältst
die Stigmatisierung für eine Anerkennung.
Conditio luctus. - Um zu trauern, braucht es viel Kraft. Nur Seelen mit
einer seltenen Kondition können trauern.
21
Vgl. vorher, S. 81: „Zur Genüge ist bekannt, wie Friedrich der Große durch eine unglückliche in der Jugend begründete Richtung für das
Franzosenthum so gar wenig zur Entwickelung der idealeren Elemente seines Volkes beigetragen.“
CLV
Spontanität demonstriert den Mangel an Disziplinierungsschwellen.
Kommunikation und Nächstenliebe. Explosionen des Sinnvakuums.
Echte Spontaneität. - Du kommst mit mehr Sinn nach Hause, als du ge-
plant hattest.
Odysseusfaktor. – Leben, damit du nichts davon hast. Vgl. auch: Die
Weisheit des Silen.
Eine Narrenkappe für den Aschermittwoch. Ode besser: zwei.
Harre der Stunde der Tat (Hesiod) – oder tu immer das Falsche.
Kairos. – Alter Name für die Wahrscheinlichkeitsrechnung. Heute
Schutzgottheit der Stochastik.
Duende22. – Der endzeitliche Verführer, der Zwerg. Gnadenbrot-Kai-
ros.
22
Die erste Definition von duende im Wörterbuch der echten Akademie der spanischen Sprache ist ein phantastischer Geist, der angeblich
in einigen Häusern lebt und reist und Unordnung und Rumpeln verursacht. Erscheint mit der Figur eines alten Mannes oder eines Kindes
in traditionellen Erzählungen. Eine andere Bedeutung von duende im Wörterbuch ist restaru. Duende ist auch trocken und dornige Disteln,
die in den Kopfsteinpflaster der Wände gelegt werden, um den escalo zu behindern. (educalingo.com)
CLVI
Süßer Schlaf, reprise simultanée :
Der politische Gefangene Florestan reflektiert; über den süßen Trost
in seinem Herzen, seine staatsbürgerliche Pflicht getan zu haben. -
Plötzlich aber betört ihn die milde, sanft säuselnde Luft der Oboe:
CLVII
Und dann, bis er – jeweils - zum letzten Mal singen wird: „Zur Freiheit,
zur Freiheit, in‘s hi(a)-himm(g)-lische Reich(f)!“ sagt W, kommt es mir
immer vor, als würden die Oboentöne wie kleine goldpuderumsprüh-
te Disney-Engel und -Feen (in rosigem Duft)
CLVIII
um Florestan (in seinem dekorativen Lumpenkostüm) herumtanzen
und -flattern, um ihn schließlich im Sog eines ganz knappen aber
scharf und beiläufig klingenden Triolen-Windschattens, f‘-h‘-d‘‘ - f‘‘-
h‘‘d‘‘‘ (y además: mit einem aufsteigenden Tritonus in der ersten und
einem in der zweiten Triole! – quasi per pedes diaboli) unerbittlich
nach oben zu ziehen, wenigstens bis zum dreigestrichen f (fast der
höchste Ton, über den eine Oboe oder eine Königin der Nacht ver-
fügen), dem f fast der Freiheit, das nur achtelkurz am Himmelstor an-
klopft; um mit Florestan im Klanggepäck, c‘‘‘-a‘‘-b‘‘-g‘‘, wieder aufs
zweigestrichene f retour zu sinken und auf einem spröden Klangdau-
nendiwan23, sempre dim. bis zum ppp, familienähnlich dem „gefälligen
Wahnsinn“ Egmonts24, des Schicksalsgenossen in carcere - sehr dis-
kret und fast überhörbar wieder aufzusetzen.
- Visionen nehmen, das lehrt, sagt er, die Erfahrung, einen mit - und
wieder mit sich zurück. Und sei es, wie hier, auch nur bis zum zweige-
23
... urspünglich (beauemer) Sitz des Beamten, ein Bettsofa ohne Lehne ... (wikipedia)
24
... und eingehüllt in gefälligen Wahnsinn, versinken wir und hören auf zu sein ...
CLIX
strichenen f - der fatigue, auf halbem Wege. – Aber wohl nur bis auf
weiteres, wie es steht. Das Rettende, heißt es, sagt er, wächst ja. Und
wenn es wächst, dann auch in und unter Camouflagen, in Schüben und
mit Schaufeln. – Die Oboen warten auf immer neuen Einsatz.
CLX
Eichkröten und Schildhörnchen (X. Camouflage25)
Einübungen ins Amtsdeutsche (I)
L'acier, la dureté exemplaire de la stérilité
Ich habe eben zum ersten Mal (bei Franz Borkenau) – zumindest zum
ersten Mal bewusst – das Wort Sachrichtung gelesen. - Was kann das
sein?
Y: Was heißt dann, nach allem, also existieren? – X: Hervorgehen, wenn
sich das Nichts und das Sein gegenseitig camouflieren. – Y: Das be-
kannte Hexeneinmaleins. – X: 2mal Verbergen = 1mal Entbergen. – Z:
Also nur wenn das Verbergen zwei Mal reziprok ist.
Glaube nicht, dass das Glück etwas mit dem Leben zu tun hat. Das
Glück ist eine fremde Insel. Und Glücksgefühle sind ihre Botschafter.
Warum wunderst du dich noch immer, dass in einer Welt, in der quan-
tifizierend produziert, quantifizierend gedacht, quantifizierend kon-
25
Camouflage Irreführung, Täuschung, Tarnung ♦ mit französisierender Endung aus frz. Camoufler „verschleiern,
tarnen“, unter Einfluss von frz. camouflet „ins Gesicht geblasene Rauchwolke“ aus ital. camuffare „verkleiden, ver-
mummen, unkenntlich machen“, vielleicht zu mlat. muffola, muffula „Halstuch, Schal“, mlat. muffolae, muffulae
„Pulswärmer“ (wissen.de)
CLXI
sumiert wird, auch quantifizierend qualifiziert wird? Du pochst, mein
Freund, zu spät auf dein Menschsein. Und hättest es auch früher nicht
gekonnt.
Heute löst sich die Anerkennungsproblematik end-gültig in likes auf.
Die Anerkennung hängt an Haken.
Man könnte meinen, ich sei mit dem Ausbau von Nischen beschäftigt.
Non est ita! Ich teste nur mein Atemgerät aus.
Und die echten Eskapisten sind amtlich geprüfte Vollzugsgehilfen des
Universums (geworden).
Y: Jetzt aber mal ernst! - Du sagst, dass selbst das Universum in seinem
Tun und Denken von einem unbegrenzten Resort-Egoismus gelenkt
und geleitet wird. - Ist das denn nicht ein rundum gewichtiger Gottes-
beweis? – Denn einem Urknall, denke ich, wäre das nicht eingefallen.
Wenigstens traut man das einem Urknall nicht zu. - X: Ja, ich habe auch
immer gedacht, dass die Würde des Urknalls ausschließlich in seinem
Altruismus beschlossen sei.
Zum Zimzum. - Y: Die zerborstenen Gefäße mit ihren funkelnden
Bruchstellen, das war doch noch ein geschlossenes Weltbild! - X:
Gleichsam ein erwartungsfrohes geschlossenes Sammelgebiet, das
sich den Briefmarken der ehemaligen DDR zugesellt.. - Z: Ein echter
Engel der Zukunft. Ein kosmisches Kleeblatt.
Damals hieß es in den Klappentexten noch: Der Philosoph XY hat wie-
der einmal einen Sack voll kosmischer Splitter zusammengesammelt
und schüttet ihn vor Ihnen aus. Ein Auflesevergnügen unvergleich-
licher Art erwartet Sie!
Als einer, der den Blick auf sich mit seinem Leben verstellte, ist Mo-
lière zugleich der Repräsentant seines eigenen Typs. Dazu passt, dass
er das – absolute – „Genie der scène“ genannt wird. – Z: Dass er aus
CLXII
den Augen Corneilles blickt, und Corneille aus seinen, ist eine hübsche
Volte dieses Teils der Weltgeschichte, sozusagen.
Neologismen (I) - „Stigmifikant“. - G: Ich habe hören müssen, du befin-
dest dich in einer existentilellen Umbruchsphase. Ohne diesen techni-
schen Terminus wirklich zu verstehen, oder vielleicht gerade nur, um
ihn zu verstehe, erlaube ich mir, dich zu fragen, wie es dir dabei geht,
und was du dabei lernst? – H: Ich fühle mich, so will es mir scheinen,
dabei überraschend und unverdient gut. Und, auch das will mir so
scheinen, ich lerne dabei tatsächlich etwas. Ich lerne zu fühlen. Ich
lerne, mich wie einen frei flottierenden Signifikanten zu fühlen. Ich
lerne zu fühlen, wie ein frei flottierender Signifikant fühlt. Ich lerne zu
fühlen, wie ich glaube, dass ein frei flottierender Signifikant fühlt. Ich
kann auch sagen, ich nehme etwas in Besitz, genauer: ich bin dabei,
etwas in Besitz zu nehmen, ich habe es aber noch nicht ganz. Nein,
ganz und gar habe ich es noch nicht, dieses Stirb und werde! –
Er sagte tatsächlich, dass er Einlass begehre. – Z: Soweit denke ich nie
vor einer verschlossenen Tür.
Ob wohl auch Hemden Phantomscherzen verspüren, wenn man ihnen
die Ärmel abschneidet? Zumindest wäre das ein dienlicher Persön-
lichkeitstest.
Im dem deutschen Ich habe dich verstanden! klingt meines Erachtens
und unmissverständlich mit, dass es dennoch zu spät ist. – Z: Die Art
der Mitteilung ist dabei, das muss man doch zugeben, sehr rücksichts-
voll.
„Amtsschimmel mit den Allüren eines Pegasus.“ – Z: Ich kenne keinen
Kaltblüter, der sich des Hermes geflügelte Sandalen nicht gerne an-
ziehen würde.
Loge infernale. - Die zurzeit trostloseste aller trostlosen Aussichten:
dass die Herrschaft der blogger kein Ende nehmen könnte.
CLXIII
Dass man ungestraft sagen kann: vorläufig geht es nicht weiter.
Aber er leidet ja gar nicht darunter, dass er in seiner einen kleinen
stickigen Welt eingeschlossen ist. Er leidet darunter, dass sie so
schrankenlos austauschbar ist. Er leidet an seinem strukturell vergeb-
lichen Lechzen nach einer Alternative.
Geschichten hinter den Wahrheiten (I). - Nehmen wir doch einmal an,
die so genannte Kanonade von Valmy (am 20. September 1792) war
ein abgekartetes (engl. „prearranged“) Spiel (coup monté), was ja viele
Historiker glauben, und der Raub des Staatsschatzes aus dem Garde-
Meuble (am 16. September 1792) eine Inszenierung, dann könnte
doch die vorweggenommene Installation der Guillotine (schon am 11.
September 1792) vor dem späteren Tatort das eigentliche Ziel des
Komplotts gewesen sein. - Und was würde das bedeuten? –
Robespierre hatte früh erkannt, dass er seinen Kopf nicht mehr retten
kann, war aber, hamletähnlich, zu feige zum Selbstmord, ließ seine
strategische Phantasie spielen und nahm das Unvermeidliche lang-
fristig in die eigene Hand. Die Details ersparen wir uns hier. - Die Guil-
lotine musste immerhin noch bis zum Juli 1794 auf ihn warten, acht
Monate länger als auf Marie-Antoinette und anderthalb Jahre länger
als auf Ludwig den Sechzehnten.
“No neutral ground between the two.” (J. K. Jerome)
Jedes Nachdenken, oder auch das Nachforschen, ist ein Im-Trüben-
Stochern. Die Stöcke und Stäbe, mit denen du stocherst, das sind deine
Methoden, die sich aber erst im Stochern erweisen: ante festum über
ihre Geeignetheit zu spekulieren, das wäre nur unsinnig, wenn es
nicht auch tautologisch wäre. Denn es ist ein In-sich-selbst-Stochern
der Stäbe und Stöcke als dem Trüben. Aber, wer weiß, vielleicht er-
weist sich jede Methode überhaupt nur in solcherart In-sich-Selbst-
Stochern des Trüben. – Z: Was könnte Erkenntnistheorie denn ande-
res sein! - Und was Erkenntnispraxis!
CLXIV
Ablenkungsmanöver ist ein übergewichtiges Wort, weil das Manöver
die Ablenkung ist und die Ablenkung das Manöver.
Y: Napoleons liberté begann mit der Einführung der Gewerbefreiheit.
– X: Das hat die Zünfte und die anderen (taxonomisch gesehen: gemei-
nen und allverbreiteten) Resort-Autisten sicher nicht gefreut, ja nicht
einmal amüsiert. – Z: Und heute würden sie ihn als einen Gefährder
sehen. Jeglicher Freiheit. Grade die Neoliberalen, die vor allem.
Ein Leben, das geleistet werden müsste, würde nicht existieren. Und
existiert ja auch nicht. Das Leben, das existiert, leistet sich - sich. Und
wir leisten es uns. Als faulen Kredit.
Sophismus aus der loge infernale (1). Ehrlich, wenn es nur eine Wahr-
heit gäbe, dann müsste sie das Ganze sein, weil das ja keine andere
Wahrheit enthalten dürfte und darf. Und das klänge wie eine Rehabi-
litation Hegels. Was ja keiner will. – Da haben wir den Widerspruch. –
Man kann die Wahrheit (den Pudding) nicht haben ohne sie (ihn) zu
essen.
Als hätte die Gottheit, anfangs, gesagt: Der Mensch sei eine Verdunk-
lungsgefahr seiner selbst. – Oder etwas Strukturanaloges.
Lachen ist der Ton, wenn Schiefer an Schiefer kratzt. Das Lächeln ist
ein Angebot, an seinem Selbstgenuss teilzunehmen.
Das Schweigen ist - auch - eine Trunkenheit, der die Worte fehlen.
Seltsam, dass ihr vom Vogel-Ruf sprecht. - Ich bewundere euch für
euer verständiges Ohr. Ich verstehe die Vögel nicht. Ich merke nicht
einmal, dass sie mich rufen. Wenn sie mich rufen, wie ihr sagt.
Douceur lisse. - X: Es ist an der Zeit, dass einsichtige synthetische Vio-
linen die Gedankenarbeit übernehmen. - Y: Wenn sie ihre Herkunft
geklärt und uns verständlich gemacht haben, kann die Flucht, jetzt
CLXV
unter besseren Sternen, weitergehen. – Z (als zitierte er eine Princesse
obscure): Da haben wir’s, endlich! Das betörend triste und gleichgül-
tige Glück, mit dem die Computerspiele uns vertraut gemacht haben.
Ein für alle Mal. Wir dürfen - wohlgemerkt, und auch wohlgemut - für
die Ewigkeit hoffen. (Das darf nur Z so sagen, wenn er zitiert.)
Das, was uns das Leben gekostet haben wird, wird die Moral gewesen
sein. Auch wenn wir es gar nicht für Moral hielten.
Romanbeginn (4). – „Shelter from the storm“. - Stellt euch das vor: Es
gibt eine Kirche, eine gigantische Organisation, mit unzähligen Pfar-
rern, eine Organisation, deren Kathedralen die Treppenhäuser in den
Pfarreien ihrer ungezählten Pfarrer sind. Ihr fragt, welches ihre Sa-
kramente sind und wie sie sie feiern? – Zunächst müsst ihr wissen,
dass sie sagen, dass ihre Treppenhäuser symbolische Architekturen
seien. Sie sagen aber nicht, was sie symbolisieren sollen. Da ihre Trep-
penhäuser immer dunkel, stockdunkel sind, Man betritt sie durch
schlauchartige Flure, die man zu den Treppenhäusern hin nur öffnen
kann, wenn sie, wie die Treppenhäuser selbst, finster sind. Vielleicht
darf man daraus schließen, dass die Treppenhäuser eine Schwerkraft
symbolisieren. Denen die Treppen, jemand nannte sie irreführend
Eselstreppen, wohl ein wenig Nachdruck verleihen sollen. Und der
dunkle Raum, dürfen wir mutmaßen, soll als Wahrnehmungsverstär-
ker dienen. Beispielsweise zur Verstärkung des Gefühls einer Abwe-
senheit, um sie anschaulicher zu machen. Oder zu einer Anschau-
lichkeit zu verhelfen, die anders nicht zu bewirken oder herzustellen
wäre. Das Gefühl der Anwesenheit ist, wie wir wissen, das Überhang-
mandat einer Abwesenheit. Es ist anders als bei Kafka, auch wenn du
Ähnlichkeiten vermutest. Es ist auch vergleichsweise bequem, hinein-
zukommen. Und einmal drinnen, willst du partout nicht wieder he-
raus, auch wenn du es könnest. Versuche, in Gedanken, eine der Trep-
pen in diesen Treppenhäusern hinaufzusteigen. Und beschreibe, was
geschieht und was mit dir geschieht. Ich weiß, es ist schwer, fast un-
möglich, weil es dir so vertraut scheint. –
CLXVI
Wenn du etwas erfolgreich beschrieben hast, beweist das nur, dass du
etwas erfolgreich beschreiben kannst. Und dass das Leben an seiner
Beharrlichkeit schmarotzen muss, um enden zu können.
Nur die Beharrlichkeit, die du gelernt hast für eigen zu erachten, ver-
spürst du als eine angenehme Schwere deiner Seele. Das Beharrliche
eines äußerlichen Reizes dagegen, und sei es nur das „tintement re-
bondissant, ferrugineux, intarrisable criard et frais“ der „petite son-
nette“ am Hoftor in Combray, wird zum Schrecken, wenn es sich para-
sitisch, als dislozierter Tinnitus, ins Innere einnistet: „je fus effrayé de
penser que c’était bien cette sonnette qui tintait encore en moi, sans
que je pusse rien changer aux criaillements de son grelot.“ – Wenn das
eigene Innere zu einem akuten Resonanzraum des Äußeren wird, in
dem sich der Lärm der Lärmprojektile, die hier eingeschlossen sind,
von der Decke, dem Boden und den Wänden dieses überwirklichen
Raums, wie die Kugeln von den Banden eines Billardtischs, endlos hin
und her gestoßen werden, stetig und ins Unermessliche zu verstärken
scheint. Als wollte er zu einer einzigen und unendlichen tönenden
Massiv werden, einer absoluten Substanz aus Getöse und Gedröhne,
„moi, juché à son sommet vertigineux.“ (alles Proust) - Z: Du bist nicht
Proust, mein Lieber! Weißt du das noch? – Und du brauchst einen um-
fassenden Aderlass, so nach barocker Manier. – So wie der Dr. Ei-
senbart nach seiner eignen Art dir einen verpasst hätte.
In Anbetracht unserer schwachen Phantasie können wir, was uns die
Philosophen auch erzählen mögen, nur Wiederholungen erwarten.
Ich glaube, sagt er, darin liegt auch der Witz Nietzsches. – Z: Anderer-
seits liegt darin auch der Grund dafür, das uns die Zukunft nicht be-
stätigen wird. Wenigstens darauf – und auch darüber – sollten wir uns
freuen.
Valéry hielt sich für eine Kuh am Pflock seiner Gedanken.
CLXVII
Herr schicke, was du willst. - Wir haben das Gebet erfunden, um doch
über die Zukunft sprechen zu können. - Dein Reich komme. - Das Gebet
fingiert Souveränität, indem es delegiert.
Wir sind wie Piraten, die das Schiff aussetzen, das sie entern wollen.
Die Gier (auch der Haie) ist gespieltes Seins-Gefühl. - Gott (wieder aus
dem Off): Was habt ihr denn mehr!
Aber das Gebet ist nicht das einzige Medium, das hinterlistig zu kas-
sieren versucht, was nicht zu sagen ist. - Wir unterschätzen Gott; nur
zum Beispiel.
Das Medium fabriziert das Euter, wenn es melkt. Und Projektionen
beweisen nur die Existenz der Projektionsflächen.
Warum sagen wir: eine Haltung oder dergleichen an den Tag legen? -
Richtig wäre doch zu sagen: wir legen sie an die Nacht. Und sehen zu.
Gäbe es einen Gott, ich lebte nur für ihn. (Valéry)
Unser Thema bleibt das Unwahrscheinliche. Wir präferieren Expedi-
tionen in Bereiche, in denen es wahrscheinlich nichts zu entdecken
gibt. Wir bekennen uns zu unserer Anmaßung. Wir wissen, wenn wir
erfolgreich sind, ändert sich alles, was der Fall ist.
Auch wir sind Narcisses curieux.26
26
Nicht nur Paul Valéry, wie Gide meinte!
CLXVIII
Frage an Valéry: Wohin soll das führen, wenn du auch noch mit dem
Überdenken beginnst? – Valéry: Habt Vertrauen. Das Meer ist treu.
Die Zeiten konkordieren nur in ihrer Zeitlichkeit.
Ein jedes Interesse orientiert sich an den Esssitten der Geißeltierchen,
vor einer Gemeinschaftsbildung.
Babylon ist die Woge, die wir zu zügeln versuchen. Nicht, weil wir uns
überschätzen, sondern weil wir den Auftrag haben. Zu haben glauben.
Gegen moderate Nüchternheit, soll jemand gesagt haben, sei nichts
einzuwenden: - There is nothing wrong with...
Wer eine einzige Linie verfolgt, endet als Kollateralschaden.
A Streetcar Named Desire. Ohne Endstation. - X: Da gibt es, denke ich,
sagt er, schon eine Ähnlichkeit. Das kritische Haften an der Welt, der
Leidensmasse, ist bei Hegel das auf Genuss zielende, (aber notwen-
dig) vergebliche, verzweifelte, leidvolle Festhalten an Welt und Leib
und Leben, an der Unmittelbarkeit, die in ihrer unerbittlichen abso-
luten Vergänglichkeit den Schmerz erschließt und sich dabei, listig
CLXIX
wie die Vernunft, als rettende Wirklichkeit des Geistes durchsetzt. - Y:
Und die verzweifelte Hingabe an das Gewisse und Unmittelbare ist in
einem Zuge zugleich auch das Negative, das das Unmittelbare, aus
dem es hervorgeht, aufhebt... - X: ...aber als dialektisch (notwendig)
Bestimmtes, also Einseitiges, auf den Weg ins Nirvana erst einmal,
gleichsam auf halbem Wege, im Übergang, hängenbleibt. - Z: Es ver-
schwindet im Punkt des Umschlags (selbst), einen ganzen Karsamstag
lang.
Y : Die Not stellt sich der „Seinsvergessenheit“ in den Weg, wie eine
schwache Sperre, gleichsam nur der Form halber,... X: ...um wegge-
räumt zu werden, als wäre sie eine Frage,... Y: ...aber sie überrennen
sie, als hätten sie sie nicht gesehen. – Z: Vielleicht sind sie ja nur um
eine Antwort verlegen. – X: Das sind sie immer. – Y: Darin liegt ihre
tödliche Gefahr. – X: Und ihre Stärke.
Coquille doublée. - Wenn sich das Echo die Hand ans Ohr hält, um noch
besser zu hören. Oder sich unbeirrt der Autorität des Schweigens zu
unterwerfen.
Volonté perverse de pouvoir. – Schreiben, sagt er, ich weiß es, bedeutet
heutzutage, das Risiko zu riskieren, obskur zu bleiben. – Z: Früher,
CLXX
heißt es, fing man es heimlich an, wenn man ein Herz zu verschenken
hatte, und jetzt tust du es, wenn du sprichst.
Sensibilität. – Eine Todsünde.
Teilnahme. – Die (hypertrophe, wenn nicht gar astrale) Gestalt der
Heimlichkeit.
Er findet es merkwürdig, sagt er, dass das Maß, die Quantität des
Lallens über seinen Präsenz enzschiedet.
Travail de la respiration. - X: Eine Wahrheit aussprechen heißt, sie in
ihre ursprüngliche Virtualität zurückzuversetzen. – Y: Das geschieht
makellos konkret. Immer dann, wenn du sprichst. Wie auch wenn du
lügst. Weil deine Stimme nicht umhin kann zu verzittern. – X: Der Rest,
das verlegene und ironische Schweigen, das bekanntermaßen bleibt,
ist die tendenziell verewigte Form der Stimme; vielleicht himmlisch,
vielleicht höllisch. Das ist sekundär. Unwesentlich. – Z: Gerade darin,
unwesentlich zu sein, liegt ja der Triumph der Ewigkeit. (- wörtlich
hieß es: Être insignifiant, c'est le triomphe de l'éternité.)
H: Wohin treibt der Todestrieb denn überhaupt? – Gott: Weg, nur weg
aus der Gegenwart! – H: Warum? – Gott: Das fragst du mich?
X (versonnen): Die Philosophen unserer Endzeit folgen anscheinend
einem Vorbild: Marie-Antoinette. - Wie die unglückliche Königin
schreiben sie ihre Sendbriefe in Geheimschrift und verstecken und
verschicken sie in Schokoladendosen. – Z: Dass Marie-A. ihren
schönen Schweden Axel von Fersen „bis zum Tod“ liebte, das wissen
wir zwar, das sei zugegeben, nur aus einer ihrer verschlüsselten
späten Botschaften.
Les damnés états de l'ame. - C'est à dire, dit-il, je trouve cela tellement
bizarre, d'une manière douloureuse, que les choses sont si claires
dans ma conscience que je pourrais les saisir. - En même temps, cela
CLXXI
ressemble à des mots, à des états articulés, vous savez, mais il n’y a
aucun moyen de les faire sortir, à l’extérieur, où ils pourraient aider,
où ils pourraient aider le monde à se montrer.
Les états sonnent juste comme moi. Mais, les états ne sont pas moi.
Die Religionen sind nichts anderes als archaische dating platforms. –
Hermeneutischer Zirkel. - Auch jede Aura bezeugt, dass Bedeutung die
Überzeugungskraft der Nähe braucht. Und die Bedeutung, wie einen
Gegengabe, der Nähe Aura verleiht. Und die Aura wiederum der Nähe
Bedeutung.
H: Einem Vorgängigen, das du nicht irgendwie, frag mich nicht wie?,
bereits überholt hast, kannst du nicht mehr nachlaufen. Solang das
der Politik nicht klar ist, ist sie für die Katz, wenn das ein Name für
den übertrieben vorzeitigen, aber programmierten Weltuntergang ist.
- W: Oder für den Kastagnetten-Klang, der ihn begleitet. Einmal mehr
rhythmische Prosa, ein andermal mehr nur prosaischer Rhythmus.
CLXXII
Eichkröten und Schildhörnchen (XI)
Prelude als Legitimation: Des images qui ne suffisent pas
oder auch
Témpus ést iucundíssime éxecutándum27
構築 Construction
Le préconscient, das sollten wir doch endlich zugeben, das ist der
eigentliche und daher ärgerlichste Taktgeber unseres Lebens. Jedes
Wort ist ein Ungeheuer. Deshalb erscheint dieses Leben uns schick-
salhaft, verspätet und dunkel. Alles Dezisionistische ist uns im Grunde,
auch wenn wir es in bestimmten Situationen vehement leugnen, zu–
tiefst zuwider: Weil uns die Entscheidungen, die uns setzen und uns
aufs Spiel setzen, unzugänglich sind. Sie kränken uns vor allen –, dass
sie uns auch mitgegeben haben, das wissen zu wollen, von dem sie uns
sicher zu wissen zwingen, dass wir es nicht wissen können. - Selbst
wenn Descartes zu wissen glaubte, er sei, wenn er nur dächte,
praktizierte er nur post festum das Ergo, das Symptom, den ent-
scheidenden clash zweier Unentschiedenheiten. - Ich frage mich
immer, was ein Dirigent hört - hört er etwas? – man sieht es jedenfalls
- wenn er, wie es der Sache nach auch muss, dem Orchester stets um
den kritischen Moment voraus ist, der über die Musik entscheidet.
Wie alles andere ist auch Musik nur, wenn sie zu spät kommt. Sie ist
der Zeit auf vielfache Weise verschworen. Es braucht viele Verträge,
i.e. Verträglichkeiten, bis es sich die Zeit erlaubt, singend und klingend
zugrunde zu gehen. Sich exemplarisch musikalisch zu opfern. Die Zeit
ist das mysterium eines jeden martyrii. Was entsteht, das will - das ist,
ich weiß, keine weltmorgentaufrische Erkenntnis - dass es zugrunde
geht, c‘est-à-dire que seulement cela veut, cela veut, qu‘il veut. - Ein
27
Begonnen am 1. Mai 2019.
CLXXIII
Faktum, das, wie ihr seht und lest, nicht einmal mit Anstand zu arti-
kulieren ist. Auch der Zeit, die das Opfer der Musik bringt und verlangt,
ist der eigene Ursprung unzugänglich. - Auch sie muss ihn, bleibt ihr
doch nichts anderes übrig, verspielen. - Grundsätzlich gesehen un-
terscheidet sich das Leben also nicht von der Musik. Auch darin nicht,
dass le bénéfice des formes enorm sein kann; Bachblüten.
Der eschatologische Formenausbeutekoeffizient wird beim Jüngsten
Gericht als exigium fungieren, hört man. (Nicht alle altertümelnden
Sätze stammen von mir.) Und dennoch folgt die Weltgeschichte dem
so genannten Schwinde-Schema der Zaubersprüche, - was das Jüngste
Gericht zum Teil entlasten wird. - Z: Lasst mich raten: Mit dem Lauf der
Welt und ihrer Dinge schwindet das kommende Gericht. – So müssen
wir uns das denken. Das ist an sich nicht sehr originell, aber wenn es
wirklich in den Genen der Genesis beschlossen liegt, wäre das der
kreativste Witz der Schöpfung. Die Entropie (das Wort und die Sache)
nur die letzte Station einer Stillen Post: Etwas platziert mich, sagst du,
und gewährt mir den Ort, der ich bin. Aber erst, wenn ich ihn wahr-
nehme, mich auf das mir Gewährte einlasse, das mir Gewährte,
pardon!, gewahre. Jetzt erst kann das ominöse Etwas sich bei mir ein-
richten, Mitbewohner des Raums werden, den es mir eingeflüstert hat.
– Z: Wie hat es denn das gemacht? – Wie soll ich es anders sagen? Es
war, als würde mir etwas eingeflüstert. Aber nicht in die Ohren, son-
dern in die Augen. Oder ins Bewusstsein. Nein, es war überhaupt kein
Flüstern. Es war ein Packen und packte mich von innen bei den Armen
und riss mit ihnen, meinen Armen, einen imaginären Vorhang, ähnlich
einem Theatervorhang, auf und auseinander, der in diesem Moment
plötzlich vor meinen Augen sichtbar geworden war. Nur, um mir den
Blick auf mich selbst freizugeben. Ich dachte, in einen Spiegel zu
schauen - und dachte: Wie langweilig! Wozu diese umständliche Pro-
zedur! Für einen Blick in den Spiegel? Dann kam aber der, den ich sah,
plötzlich auf mich zu und klopfte mir auf die Stirn. Das klang, wie
wenn Knöchel auf Glas klopfen, auf eine unangenehme Weise vertraut.
CLXXIV
Das machte mir klar, dass ich der im Spiegel war. Genauer, viel ge-
nauer: dass ich der Spiegel war. Denn ich hatte bemerkt, dass ich flach
war und eine Flunder gegen mich ein aufgeblasener Ballon gewesen
wäre. Ich lachte auf, wie man sagt. Mein Lachen war aber das Lachen
meines plastischeren Selbst außerhalb des Spiegels, mit dem es mich
auslachte. Es ärgerte mich, dass er, so werde ich es ab jetzt nennen,
dabei hinter mich griff und mit seiner Fingerspitze meine Nase aus
dem Spiegel heraustrieb und -stülpte, so dass ich, soweit ich es sah,
nun praktisch gar nicht mehr von ihm zu unterschieden war. Er
schien geradezu nur dazu da zu sein, mich ihm zuzumuten. Und um-
gekehrt. Das würde ich gerne so sagen, aber das geht ja gar nicht, weil
es so einfach nicht ist. Denn wir sind nicht einfach die Umkehrungen
voneinander. Wir sind nicht derselbe Strumpf, einmal so ein andermal
so herum. Eher ist es noch einmal umgekehrt, oder auch en medio de
las medias. Aber das glaubt mir ja keiner. Weil es keiner versteht. Sie
sind ja alle selbst auch so verstrickt und verwickelt. Vielleicht sogar
noch verwickelter. Aber das zuzugeben, das liegt ihnen nicht. Keinem
liegt das. Wir müssen vorsichtig sein. Wir müssen, hörst du!, wir
müssen vorsichtig sein. Vergiss nicht, noch sitz ich, wie soll ich es
sagen?, wie willst du es hören?, jedenfalls sitz ich noch im Glas, wie in
einer Retorte. Wir müssen verhindern, dass das Licht vor der Zeit
ausgeht. Das muss auch deine Sorge sein. Überhaupt ist da nur von
außen etwas zu machen. Mir sind die Hände gebunden. Ich sitze hier
wie in Bernstein. Nichts zwar könnte meine jetzige Identität besser
konservieren. - Er sagte zwar, ich müsse dankbar sein. - Aber darin
besteht ja gerade die Gefahr. Mich können nur wenige retten. Sie
dürfen es aber nicht wissen. Denn nur so lange können sie es. Die
Wahrheit ist im Ursprung nur durch Sätze voneinander getrennt. Das
Ich auch. Und manchmal bleibt das so. Ganze Geschichten lang. Ganze
Weltgeschichten lang. Unter gegenseitiger Kontrolle. Wie in einer
großen Stadt mit zwei Polizeipräsidenten. Es war auch falsch, mich
vor meiner Existenz zu denken. Mein Gott, mein Gott, was hast du da
getan. Es ist immer ein großer Fehler, den Transmissionsriemen
nichts mitzuteilen. Bleib stehen. Komm zurück. Du bist noch zu
schnell. Diene Lider sind noch nicht beschnitten. Deine Füße sind
CLXXV
noch nicht gebunden. Du hast deine Schwimmhäute noch nicht ab-
geworfen. Dein Pelz ist noch zu nichts geeignet, zu nichts zu ge-
brauchen. Du stecktest zu lange im Bernstein. Deine Stimme hat den
Schlunddeckel noch nicht gehoben. Die Vokale stecken noch fest. Dei-
ne Konsonanten stehen noch allein. Es pfeift deinen Worten noch
nicht durch die Kiemen. Deine Augen drehen ihre Blicke noch wie die
Zeiger an den Turmuhren. Siehst du etwa noch immer alles? Und
siehst als Zubrot und Überbiss obendrein auch noch die Zeit? Dann
nimm sie dir doch und reiß dich zusammen, als wolltest du wieder
eins sein, ein wieder intakter Vorhang. Und pflücke Dornen. Du
brauchst gleichsam unbedingt einen großen Vorrat an Grammophon-
nadeln. Das hat man mir gesagt, dir zu sagen. Und es ist gut, wenn du
es dir gesagt sein lässt. Bereite dich vor. Steck dir einen Dorn in jede
Einzelne deiner Poren und höre hin. Die Laute spiegeln sich gerne im
Grau der Blutstropfen, der magnetischen Blasen, der kleinen uner-
sättlichen Speichermedien deiner Selbstsorge. Du hast in den Staub
einen Brunnen gestochen. Das war sehr bedacht. Und wird dir Lob
einbringen. Aber, du siehst, der Brunnen führt kein Wasser. Woher
sollte er es denn auch führen? Er quillt zwar über, aber über nur von
unzähligen Papptäfelchen, die aus einem Märchen stammen, in denen
eine Tyrannin herrscht, die die Dame Dürre heißt. Jedes einzelne Tä-
felchen ruft dir zu: Beschrifte mich! Federn wirst du finden, bei den
vielen toten Vögeln hier. Wenn du keine Tusche hast, dann nimm,
nach alteuropäischer Art, dein Blut. Warum sagt er das, an dieser
Stelle: Ich weiß nicht, ob das richtig ist? Du gehst in deiner Selbstfin-
dung unaufhaltsam unter. Das sollte nicht so sein. Und entspricht
doch weder deinem Auftrag noch meiner Botschaft. Warum machst
du das aus mir? Wo ist die Liebe zu deinem Schattenbruder, der du
mir bist? Warum hilfst du mir nicht, wenn ich dir zur Seite stehe?
Warum stehst du nicht an meiner Seite, wenn ich dir selbstlos helfe?
Und immer vertust du die ersten Stunden nach Mitternacht. Warum
gerade die? Die geduldigsten Stunden in der Entourage der Sterne,
wie es einmal jemand zu sagen versuchte. Es sagt sich leicht, wie
beiläufig sagt es sich, dass die Dinge sich nicht sagen lassen. Sie lassen
sich nicht gehen. Sie lassen sich nicht los in unsere Worte. Sie stoßen
CLXXVI
stattdessen uns, den Vielen, vor den Kopf. – Unser Wissens-Pool läuft
und tropft ständig aus. Unseren Seins-Pool erkennt ihr an den Stock-
flecken. Dem Ornat seiner Milchhaut. Und wir sind nur die Nutznießer
der unterschlagenen Depesche. Wir suchen, raum- und zeitgleich, in-
einander nur das, was vor uns lag und dem wir entstammen, und das
erst sein kann, wenn wir es, der eine im anderen, finden, und uns
vorenthalten, bis wir es vergessen haben werden. Dann aber wird es
uns mit sich ziehen. In Himmelsrichtung. Freilich, wir sind auch das
Material. Aber das, was wir auf charakteristische Weise sind, das ist
das, was wir verlieren und dazutun. Folglich bin ich dein Schatten und
du bist meine Gestalt. Unser Material ist unsere unwesentliche Un-
unterscheidbarkeit, die erste Abstraktion unseres Zwillingswesens,
unserer nur substantiellen Zweiheit, mirror horror.
内容 Content (I)
Moses wirft mit Steinen und erfindet die unsichtbare Hand.
Blumenkohlblüten, die schrägen Quellprodukte einer noch unbedach-
ten Selbstsetzung. Vom ästhetischen Reiz halbentfalteter Bäckertü-
ten: Gott hatte gedacht: ich schaffe die Welt, damit ich etwas zu be-
arbeiten habe. Anders als die Menschen habe ich sie, die Welt, nie für
das Beste von allem gehalten. Ich hatte sie auch nie so konzipiert. Da
sie, die Menschen, nun aber denken, ich hätte es so geplant, tun sie es
bei ihrer Selbstkonstitution ihren falschen Vorstellungen von mir
nach. Darin liegt ihre unveräußerliche Freiheit und, in meiner Sicht,
auch ihre Tragik. Aber da sie sich nun einmal ihre Freiheiten nicht
nehmen lassen, kann ich ihnen ihre Tragik nicht vorenthalten. Dass
ihr Schicksal ihnen aus ihren falschen Gewissheiten erwächst, dafür
sei ihnen mein göttliches Bedauern sicher. Auch das war in meinen
Plänen nicht enthalten. Die Fähigkeit zu Reflektieren habe ich ihnen
nämlich tatsächlich erst als Ersatz für den irgendwie mutwilligen Ver-
lust ihrer Instinkte nachgeliefert. Das war unüberlegt. Mir ist klar,
dass ich die Verantwortung dafür übernehmen muss. Das ist eine to-
pologische Delle in der Eschatologie. Ein nachträglicher, faktisch
CLXXVII
postlapsarischer défaut structurel des Universums. Das macht mich,
den Gott, hilflos. Und ich kann nichts dagegen unternehmen, dass sie,
die Menschen, mich ziemlich unverschämt fordern. Aber ich kenne,
wenigstens, noch meine Grenzen. Trotzdem war es ein horrender
Fehler, dass ich Rimbaud zugeflüstert habe, dass das Ich das Andere
sei. Wollte ich einfach nur wissen, wie Musik geht? Sie hätten dieses
Je est un autre doch gar nicht gebraucht. Ich hatte anfangs übrigens
gedacht, sie würden den Betrug durchschauen, dieses Selbst, das ich
ihnen verpasst hatte. Ich hatte den Spaß, den sie daran hatten, nicht
für möglich gehalten. Das Verfahren hatte bis dahin aber, wenn auch
nicht unbedingt in meinem Sinne, einigermaßen funktioniert. Und
wenn es ein Glück gab, dann war es das, dass die Menschen nichts
davon wussten. Ich kann nicht sagen, was mich zu und bei meinem
Selbstverrat getrieben hat. Und warum meine Wahl gerade auf ihn,
Rimbaud, fiel. Ja, die Wahl, sie fiel. Im Grunde von selbst. Ich habe sie
nicht einmal fallen gelassen. Sie fiel, in eigener Regie. Wie ein anderer
schon einmal vor ihr. Es tut mir gut, dass mir das endlich klar ist. Wie
ist es, wenn einem Gott ein Stein vom Herzen fällt? Fällt denn der Stein
auch so, wie eine Wahl fällt? Jedenfalls waren die Steintafeln die Form,
in der Moses Gottes Gesetze erhielt. Er ließ sie mit Nachdruck fallen,
um sie zu zerschmettern: cumque adpropinquasset ad castra vidit
vitulum et choros iratusque valde proiecit de manu tabulas et confregit
eas ad radices montis. Die Herrschaft der Gesetze begann, seh ich das
richtig?, als die Steine, auf denen sie geschrieben standen, brachen.
Als sie ihre Form verloren.
Content (II)
Jouissance und Identitätswaage
Das Gesetz herrscht seither als das Andere seiner Form: la loi est une
autre. Und das Je, das andere autre, das zu suchen wir im Sinne Rim-
bauds vorgeben, ist nur die Aura, die wir in unserem Eigennamen
wahrzunehmen glauben. Es ist das Licht, das um deinen Namen, um
„Maria“ oder auch um „Josef“ spielt, wie das um das kugelrunde
CLXXVIII
Schwarz bei einer Sonnenfinsternis, und von dem du, in all deiner
Seinsbescheidenheit, begehrst, das du es bist, nur du. Denn wenn du
es bist, bist du dir das Surplus, das über das Allerwelthafte hinausgeht.
Deses wirkmächtige Surplus, das keinesfalls aber, nie und nimmer, es
würde dich enterben, unfragliche Gestalt annehmen darf. Allein das
Auratische ist, alles andere ausschließend, seine Seinsform. - Es ist
freilich eigenartig, dass das Auratische, das ja weder Form ist noch hat,
das leisten kann! – Aber wenn es (das Surplus) aus der (auratischen
Unform) heraustritt, ist es nicht mehr. Du kannst ja auch nur auf das
an und in dir stolz sein, was dir dein Leben lang fremd und unerfahr-
bar ist. Alles andere wäre und ist enttäuschte Täuschung. - Das Toupet,
von dem alle, der Evidenz genügend, gesagt hatten, dass du nur daran
erkennbar seist, flog dir vom Kopf. Wie der Hut vom Kopfe des Mül-
lers. - Solange jemand sagt Das bin ich! kann er nur solch ein Toupet
meinen. Lacan nannte es noch Symptom. Und ‚sein Toupet wie sich
selbst zu lieben‘, das bedeutete, eine gesunde, praktikable und gesell-
schaftsfähige Vorstellung von sich selbst zu haben. Eben existenziell
schlagfertig und schlagbereit zu sein. Sieh es so: Wir sind uns ein
Klang, der Klang unseres Eigennamens, der niemals von uns selbst
ausgeht. Nur im Erschrecken darüber haben wir uns. Auch du hast oft
heimlich deinen Namen vor dich hingesprochen und versucht, dich in
seinem Klang zu genießen. Das waren ratlose, schreckliche, selige Mo-
mente, in denen du dir verräterisch nahe kamst. Und hat nicht auch
der Schrecken über die krachende Zertrümmerung der steinernen
Tafeln vom Sinai, die wir die Form der Gesetze nannten, die Tänzer
vom ablenkenden Tanz um das Goldene Kalb abgelenkt und wieder
zu sich, in die Nähe ihres Gottes, gebracht? Um so dauerhaft und über-
zeugter wieder das zu sein, was sie zwar nie waren. Und plötzlich
kamen sie sich wieder ins Spiel und ins Gehege, die Menschen. Sie be-
griffen, dass es nicht gut ist, von einem Toupet abzufallen, wenn man
ihm seine Identität verdankt. Gegen solch ein Toupet hat ein Kalb aus
Gold nichts auf jene Waage zu bringen, die Identitäten wiegt. Wie
schwörst du einer Sache ab, die du nicht hast, aber vorausgesetzt wer-
den muss, damit du auf die Idee kommst, sie loswerden zu müssen?
CLXXIX
Doch nicht nur Ausgangslagen sind verwirrend. Und sie sind auch
nicht nur Ausganglagen.
Content (III)
Tout tourne, tourne, tourne, retrospektiv und prinzipiell. Das hat Of-
fenbach nur aufgenommen; und weitergedreht.
Nichts kommt gegen die Macht des Geringfügigen an. Das Ganze schon
gar nicht. Das Ganze kann das Geringfügige nur parodieren. Und der
Einsturz eines Berges geschieht oft aus Neid. Etwa auf die zwei Fin-
gerspitzen, die an einer Wimper zupfen. Ich glaube, Kleist hat ähnlich
gedacht. Aber das tut nichts zu unserer Sache. Noch schauen wir Gott
auf die Finger. Weil wir noch immer glauben, etwas lernen zu können.
Münchhausen ist uns langweilig geworden. Aber von den Augenbli-
cken kurz vor der Schöpfung erwarten wir noch etwas. Weil wir die
Situation gut kennen. Im Grunde kennen wir gar keine andere. Unsere
Sehnsucht ist einfallslos, sentimental und monogam. Alle Augenblicke
auf allen Nadelspitzen arrangieren sich gleich. Sie unterscheiden sich
nicht von der Welt. Sie halten noch die winzigsten Zeitelemente für
Nüsse, die es zu knacken gilt. Es ist das Knacken der Zeitatome, die
den Takt diktieren. Und wenn du das nicht hörst, brauchst du gar
nichts mehr anzuhören, brauchst du nirgendwo mehr hinzuhören.
Denn dir entgeht der Takt überhaupt. Das Entgangene lässt sich nicht
mehr hegen. Und das Hegen des ursprünglichen Takts - so sagt er das
tatsächlich! - täte doch not. – Mein Gott! Où sommes-nous arrivés là? –
Vielleicht in der Welt? Dem unsozialsten aller Netzwerke. - Gut, dann
treffen wir uns also im Ohr. Im Ohr musst du dich gewaltig an-
strengen, wenn du dich entziehen willst. Das Ohr zwingt dich, dein
heikles Halbsein, erst einmal anzuerkennen. Dass dir gerade dieser
Umweg nicht gefällt, ist konstitutionstheoretisch sehr interessant. Du
fährst dir selbst in die Parade, die du noch gar nicht beherrschst. Als
könntest du deinem Gegner beim Duell in den Rücken schießen. Sag
mir, wie man eine Zunge umstülpt. Und was man dann kann. Kannst
du davon erzählen? Die Bühne ist ein Mund. Sie hat eine seltsame
CLXXX
Zunge. Nicht eher ein Lid? Eine nur vorgeschobene und statthaltende
Zunge. Gleichsam einen Strohmann von einer Zunge. Der Mund öffnet
sich, indem die Zunge sich wie ein Vorhang hebt oder aber fällt und
hastig zur Seite und weggeschleift wird. Schreien denn manche Mün-
der nicht nur, weil es dazu keiner Zunge und keiner Übung bedarf? Es
bedarf nicht einmal eines Zeugen. Es gibt Ethnien, behauptet ein
Freund, deren Körper der Körperlichkeit der der Embryonen nahe-
geblieben ist. Es ist die Kleidung, mit der sie es verbergen wollen, die
das Embryonenhafte ihrer Körper verrät. Sie und ihre Körper sind
nicht dankbar dafür. Das ist sonderbar. Es ist doch ein Glück, wenn
sich wider Erwarten mal etwas verrät. An den Tag kommt. Zum Vor-
schein. Wodurch auch immer. Sich bezeugt. Wenigstens für anderes.
Für uns. Mehr ging ja doch noch nie. Realitäten, die offensichtlich, was
alle bestätigen, Gestalten des Wahnsinns sind, faszinieren nicht durch
das, was sie als Wahnsinn auszeichnet, das bleibt ein zwar unverzicht-
bares, aber beiläufiges Element, nein, sie faszinieren schlichtweg
durch ihre Realität. Durch das, was sich (der Realität) eigentlich nicht
gehört. Wirkungsästhetisch taxiert, ist der Wahnsinn die schlechthin
schönere Realität, eine Plage- und Vexier-Realität. Die beklemmende
systolische Schönheit des Diastolischen, des Herzzereißenden. Oder,
wenn dir dieses Bild gebildeter erscheint: Die Realität ist das, was als
eine Varianz ihrer Grundierung in Erscheinung tritt. Nach dem
Vorbild des Todes. Varianz einer transparenten Textur. Und niemals
anders oder anderes. Als leicht verschobene Auto-Epiphanie. Von der
verhalten-spektakulären Art des Zitternd-Abgehobenen einer Fata
Morgana. Wie - ihr erinnert euch doch? – wie das Je als Surrogat,
Double und Advokat des Autre. Als sein Seins-Prokurist. Als sein
sachwaltendes Mädchen für alles, als seine resolute und radikal un-
genierte bonne à tout faire. - Und Je spricht zu Autre: Wir sind Fisch
und Fleisch aus der Wurzel Jesse. Jetzt weißt du, wo du hergekommen
sein könntest, wenn du es nur wärest. Und das ist, Freunde, doch nicht
wenig.
CLXXXI
志向 Intent (I)
Doppelspalt, any signal, misused
Auch Karl der Fünfte war sehr gefräßig. Einmal sei er während eines
langen und heftigen Gelages vom Stuhl gestürzt und so unglücklich
aufs Gesicht gefallen, dass er dabei fast alle Zähne verloren hat. Von
da an soll der das Fleisch in großen Stücken ungekaut verzehrt haben.
– Die Pragmatik der Römischen Kaiser deutscher Nation. - Aber auch
der christliche Kaiser Karl soll an der Ichkonstitutionsproblematik
ausreichend gelitten haben. Vor allem aber darunter, dass er Martin
Luther nicht schon beim Treffen in Worms den Garaus gemacht hatte.
Das verschlimmerte die Gicht, die Krankheit der Könige, an der er
schon seit Jahrzehnte gelitten hatte, in den Jahren nach seiner Ab-
dankung spürbar und erheblich. Er soll dann aber doch an Malaria
gestorben sein. Damals. In der Extremadura. Die Sprache müsste auf
ihren Protuberanzen tanzen und hüpfen wie ein Papierboot, ein
CLXXXII
papierenes Hausboot ihrer selbst. Gleichwie der Gravitation entklei-
det. - Wie? Wusstet ihr das nicht, dass Gravitation ein schwerer Man-
tel ist? Ich darf auch sagen: nur ein schwerer Mantel. Schwer von
Nässe oder Blei oder Lust; ganz wie ihr es nehmt. Ihr solltet das be-
greifen. Das wird euren Umgang damit erleichtern, erfederleichtern.
Intent (II)
28
Wir empfehlen, für die gebildeten Laien unter den Leser/inne/n: Philip Ball, Beyond Weird, London 2018
CLXXXIV
Intent (III)
Intermezzo, matter, out of place
Eigentlich unerträglich, das Fleddern am Unsäglichen, für alle. Am
meisten für die Unbeteiligten. Es ist wie eine Umkehrung des Tanzes
um das viel zu oft zitierte Kalb. Aber nur, sofern sich das, ich meine
diese Vorstellung, der Denkbarkeit entzieht. Und dadurch wie hand-
greiflich vor den Augen steht. Die Innenseite seiner goldenen Haut he-
rausgekehrt. Die Innenseiten kommen einem jeden grundsätzlich
gern entgegen. Sie freuen sich, höllisch, ihrer Unerwünschtheit. Wenn
sie Einfluss gehabt hätten, wäre das Gellen zu einer aristokratischen
Essenz erklärt worden. Dann wären sie so recht in ihrem Element ge-
wesen! Und den Schostakovich hätten sie zum Hauskomponisten be-
stellt. Und an jeder Ecke der Welt hätte eine gellende Innenseite ge-
standen und dich oder irgendjemanden erwartet. Was für eine Welt
hätte das sein können! Es ist ihnen aber nicht gelungen. Sie müssen,
daran hat sich nichts geändert, entgegenkommen, um eine Chance auf
Anerkennung zu haben oder eine solche wenigstens einfordern zu
können: Nabelschau ist etwas beispiellos Unsinniges, weil das Außen
eines Nabels nichts hergibt, und allein schon die Frage, wo genau ei-
gentlich das Innere eines Nabels ist, oder auch nur, wo es anfängt und
wie viele Schnitte (Präparate) es zulässt, bringt uns schnell an un-
überschreitbare Grenzen, an denen Cusanus, der andere Charon und
Schattenführer, wartet und uns als Fährgeld die Definition des Unend-
lich Kleinen abfordert. Er sagt: „Ihr redet so viel von meinem Besitz,
dem Schweigen, der anderen Sprache, wie ihr es auch nennt, aber
nicht einmal Blanchôt, als er kam, schien mir zu wissen, wovon er
sprach. Ich war sehr enttäuscht. Und verstehe selbst nicht, wie man
bei euch, in eurer unechten Schattenwelt und Welt der unechten
Schatten, soviel Schindluder treiben kann mit meinem als miserabel
eingestuften Besitz. Und dass ihr nie, nie begriffen habt, dass ich eure
universelle Metapher bin; für alles, wirklich alles, was ihr denken und
sagen könnt. Ich wäre euer Bild für alles gewesen. Ich werde es wohl
ungenutzt bleiben müssen. Noch wenn ich euch alle übergesetzt habe,
CLXXXV
genauer: übergesetzt haben werde. Warum habt ihr denn nie diese
einladende Stille in den Mündern der Toten hören und schmecken
gelernt? Ihre jeweils ersten Botschaften, die nur euch gelten. Und
denen keine anderen folgen. Tränen wurden einmal erfunden, um da-
mit echte Trauer zu verraten. Daher weine ich nicht.“ – So oder so
ähnlich, berichtet er, soll dieser Charon gesprochen haben.
規約 Convention (I)
Matter matters
Im Getriebe der allgemeinen Walpurgistage
Das alltägliche Hexenbrennen29
Call this the convention of intention.
In general,
what is not allowed
Is forbidden.
(Spencer-Brown)
„Du glaubtest zu schieben
und du wurdest geschoben.“
(Faust, im Imperfekt,
noch in der Nacht)
29
Verzeiht die barocken Allüren des Titulators und lasst sie durchgehen. Er behauptet, dass er Gründe hat.
CLXXXVI
Nous récapitulons. (Die Rede eines jeden von uns.) - Wir haben uns zu
Anfängern entwickelt. Wir sahen im Weltenbeginn nur die Phase da-
nach. Und genossen unser Trauma und pressten es bis zum letzten
Blutstropfen aus. Ohne zu wissen, was für ein Blut das war. Über-
haupt lag unser ganzer Beginn im Vergessen. Dann die lange, lange
Phase der Pflege des Vergessens, der Feier des Vergessens und seiner
aufwendigen und kunstvollen Mumifizierung. Das hat uns überfor-
dert. Jetzt ahnen & suchen wir. Uns & die Welt. Und wissen doch, nicht
wahr, dass unsere ganze Existenz nur im Genuss der Unversöhnbar-
keit bestehen kann. Im sorgenden Eintauchen ins Klaffen der Welt-
wunden. In die blassblaue Grotte des Universums, das wir haben ste-
hen und bleiben lassen. Mit eingezogenem Kopf. Wie wir in ein Auto
einsteigen. Und wir können dabei nicht einmal sagen, ob das alles
unsere angestrengten Worte wert ist. Der Sache und der Anlage nach
ist es, heißt es, aber doch sicher. Da hat Gott wohlweislich vorgesorgt
und steht auch davor und dafür. Aber uns geht es, sozusagen, nicht ein.
Als wären wir nicht geeignet für das Einzige, das uns noch zusteht. Als
fehlte uns nicht nur die Ader, sondern jeder Sinn dafür. Man muss sich
das vorstellen. Uns fehlt das Wahrnehmungsorgan für das vielleicht
Einzige, das uns noch zusteht. Und sind uns auch noch klar darüber.
Und dieser ganze in sich verwuselte, in gewisser Weise missratene
Komplex soll unser Dasein sein, dessen Gebrauch und Einsatz uns
aber rundum rätselhaft ist. Wir könnten die Anweisungen auf den
Schalttafeln nicht einmal lesen, wenn es sie gäbe. Dazu kommt noch
die Tatsache, dass uns nichts weiterhelfen kann. Und selbst auf dem
Mars oder in anderen Galaxien sitzen wir noch im selben Komplex.
Mittendrin. Nur entschieden einsamer und verwirrter, ich möchte fast
sagen: noch herrenloser, aller Signifikanten entkleidet und beraubt,
auch wenn das in euren Ohren vielleicht sogar vielversprechend
kleingen mag. Ihr wollt ja noch autonom und frei sein. Ich werde
versuchen, auf eure Kindereien Rücksicht zu nehmen. Ihr seid mir ja
noch immer lieb. Trotz allem. Trotz aller zur Schau getragenen Signi-
fikantennacktheit. Wenn ich die Botschaft der Philosophen zusam-
menfassen soll: eure Lebens- und Sterbensaufgabe ist es, euch mit
CLXXXVII
dem allgemeinen Unvertrauten vertraut zu machen. Was das bedeu-
tet, darin liegt der verflixte Witz des Auftrags, das müsst ihr selbst
herausfinden. Versuch als Irrtum, Irrtum als Versuch. Das kennt ihr
wenigstens schon. Aber ihr müsst es anders machen. Hilfestellungen
bleiben ausgeschlossen. Bis zum Ende der Zeiten. Macht euch darauf
gefasst! Für Handreichungen aus fremder Hand solltet ihr euch aber
auch zu gut sein. Zu fein, anyway. Es ist nämlich euer größter Fehler,
noch immer Narrative zu erwarten. Hofnarrative, as it were. Seht ihr
den Haken? Seht ihr ihn nicht? Ich kann stellvertretend für uns alle
nur fragen: Wie soll man es lernen, mit euch umzugehen, wenn ihr es
selbst nicht könnt! Ihr verleiht der Geschichte mit dem zerknitterten
Möbiusband, quasi aus Unaufmerksamkeit, ein neue, wie ich finde,
aparte Pointe. Das ist fast mehr als wir hätten erwarten können. – Eso
es más de lo que esperaba.
Convention (II)
Arten- und Artistensterben als proaktives Überbevölkern
Das Ende der Biodiversität. Sie zeigen uns Modelle. Und wir finden
nichts mit uns Vergleichbares. Oder wir erkennen uns nicht. Etwas
treffend erklären, das bedeutet, alles zuzuschütten. Und dafür zu sor-
gen, dass es dabei bleibt. Dass das Zugeschüttete auch versiegelt
bleibt. Wenn man mit den Füßen gegen Disteln stößt, ich erinnere
mich an die Nähe von Epidauros, weckt das Hoffnungen. Wenn man
sich Jahrzehnte später an Erinnerungen erinnert, weckt es nichts
mehr. Nein, wir lassen die Welt nie, nicht früher und auch nicht später
mehr, zur Sprache kommen. Wir wollen sie nicht einmal reden lassen.
Das wäre ja auch noch schöner. Sie redet uns einfach zu einfach, sie
redet ohne Rücksicht auf uns. Und auch an uns vorbei. Deswegen
klingt es aber in unseren Ohren so sirenenhaft irreführend wahr.
Selbst ich werde von Zeile zu Zeile neugieriger. Die Fenster habe ich
geschlossen. Nicht, dass ein Regen käme. Nur aus Vorsicht. Solo por
precaución.
CLXXXVIII
Convention (III)
Wer mit seinem Maul herausfährt,
über den kommt Verderben.
Aber das Licht der Gerechten
brennt fröhlich.
Das Böse meiden
ist den Toren ein Greuel.
Salomo
... Und wir lassen das die Weltgeschichte, soweit sie uns machbar er-
scheint, auch unnachgiebig spüren. Sie soll ächzen! Wie wir. Und
Staub schlucken. - Aber ihr leidet nicht. Euer Ächzen lässt nur die Oh-
ren der Anderen leiden. Euer Fehler ist, fragt nach bei Hegel, dass ihr
nicht leidet. Euer Fehler ist, das ihr eure Fehler nicht anerkennt. Des-
wegen verweigert sich das Leiden euch. Und weil euch das Leiden
fehlt, fehlt euch alles. Und das ganze Maß, die ganze Masse des Fehlens
zeigt euch euer zündelnder Genuss. Kein besserer Zunder als das Feh-
len. Nur das Leere kann vergüten. Nur das Leere brennt so schön. Es
kann über sich ganz beruhigt sein. Das Leere hat keine Greifarme. Es
bringt nichts in den Griff oder zustande, kann aber auch kein Ende
nehmen oder finden, kann aber auch nicht an sich halten. Noch an sei-
nem winzigsten Mangel, so muss man das sagen, zerschellt die Unend-
lichkeit und gibt dem Rest, der verlassenen Endlichkeit, dem Begeh-
ren, den Weg frei. Jede Unendlichkeit zerschellt nur an Winzigstem,
an und für sich. – Und auch du musst einmal etwas erzählen müssen.
Du wirst es müssen. Am fehlenden Leiden vorbei. Wir werden immer
von der Sprache geleitet. Das wissen wir jetzt endlich schon lange,
lange schon: Die nachgestotterte Welt, bei der ich zu Gast gewesen sein
werde30. Bei der wirst auch du zu Gast gewesen sein müssen. Auch du
wirst aus dem Schiffbruch auftauchen müssen, wenn das schräge Bild
erlaubt ist. Mehr hab ich nicht übrig, selbst für dich. Ich finde in den
Werkzeugkästen nur noch Katachresen. – Differenzierungen fahren
und fallen einzig noch als choks aus den verfärbten Himmeln. Unvor-
30
Celan
CLXXXIX
hersehbar. - Und du wirst die zurückgelassenen Planken vom toten
Schiff zusammensuchen und daraus ein Floß zu bauen versuchen, wie
so oft schon aus anderem Stoff. Du wirst, auch das ist signifikant ge-
nug, nur die flüchtig aus deinem Blut gedrehten Seile zur Verfügung
haben, um die toten Planken zusammenzubinden. Aber wenn es dir
gelingt, dann wird dein Floß stabil sein.
知られること Knowledge
Das Parterre. Die Etage des Zyklopen. Die Unfähigkeit zu schielen, zu
lächeln. Noch D-Dur. Scheinhelle. Das sich formierende Wissen.
Selbstgespräch mit vielen verteilten Rollen. Die Monaden. Der Tanz
der Ordnung als nur erscheinendes Chaos. – Welt aus Welten. Die
Welt tauscht ihre Welten aus und kombiniert sie ständig neu. Es gibt
nicht ein Spiel, es ereignet sich das Spiel der – strukturellen? symbo-
lisch prägnanten? – Differenzen. Maskentausch als Verfahren der
Transformation und -figuration. Das Muster (das Exemplarische) der
Eigenschaft, die das System charakterisiert. – Die in den Monaden im-
mer schon eingezogenen und verdichteten Perspektiven; mit ihrer
eigenen unentfalteten Geschichtlichkeit. Granatäpfel, jeweils gefüllt
mit einer Unendlichkeit von Punkten. Aber die Singularitäten (inte-
resseloses Wohlgefallen etc.) werden auf der Ebene der 1. Ordnung
schon gesprengt, zwar noch unsichtbar. – Das Verhältnis Ursprung-
Beginn im Parterre. Der Ursprung ermöglicht den Beginn. Und ver-
liert sich darin. Die Dialektik von Flucht- und Blickpunkt auf der 1.
Ebene. Die Kokreszenz. Die Medien gebären sich. Die Möglichkeit des
Vergessens wird geboren. Noch liegt sie da wie nutzlos. Bei und
zwischen den anderen träumenden Utensilien. Sie bleibt unbemerkt.
Sie verweilt unbemerkt. Sie wird einmal vergessen, dass sie noch
immer und ewig da liegt, und diesem Status ihr Verlorenes Paradies
nennen.
CXC
形式 Form
Die jungfräuliche Ebene der Stereometrie. Das Kinderspiel des Schie-
lens. Von geängsteten Eltern beäugt: Wenn du damit nicht aufhörst,
bleiben deine Augen stehen! Hüte dich vorm Des-Dur! - Das dyna-
misch-formierte Wissen. Das eine Stimmengewirr. Das Konglomerat
mit seiner animiertem Ordnung, der dynamisch-formativen weich-
gerittenen Grammatik des Wirrwars. Zweigleisige, nein, entgleiste
Autopoesis. - Einerseits: Leben und Erfahrung. Andererseits: Betrach-
tender Blick, Beschreibung und Erkenntnis. Die Erkenntnis tauscht
ihre Elemente aus und kombiniert sie ständig neu. Es gibt kein Spiel.
Es ereignet sich das Spiel der – semantischen – Differenzen. Wirklich
alle haben das schon beschrieben. Maskentausch als iterativ-additives
Überblenden bis zur (vielfach gefalteten Mischform der) Familien-
ähnlichkeiten. Das Muster der Eigenschaft der Familienähnlichkeit.
Ein neuer Apparat entsteht: das kaleidoskopische Perspektiv, das die
Singularitäten auf der Ebene der 2. Ordnung endlich sprengt. Das
Verhältnis Ursprung-Beginn auf der 2. Ebene: Der Ursprung hat den
Beginn strukturiert. Und geht darin unter. Hegel, der Schrittmacher,
wird bestätigt und installiert. Die Dialektik von Flucht- und Blick-
punkt auf der 2. Ebene. Die Reflexion. Medien-Kompetenz will sich
unverstellt zeigen. Die Erinnerung bemächtigt sich des Vergessens.
Nein. Vergessen und Erinnerung bemächtigen sich einander. Du
kannst jetzt lange Romane schreiben. Proust legt sich zu Bett und
arbeitet. In einer Tasse Tee stockt das Rinnsal der Zeit. Die Kinder
trinken daraus wie die Hunde. Ohne noch zu wissen, dass dies die
beste Art ist, ihre Zunge zu stärken. Sie verkleckern dabei aber viel zu
viel Zeit und Erinnerung. Und man sieht und hört auch nicht gerne hin.
– Oder geht es dir etwa anders? Pfui! – Irgendwo kristallisiert (sich)
ein Wattebausch. Und übt das Privileg des Danebenstehens. - Die
Knochenfingerspitze Karls des Fünften, die Reliquie, die untersucht
werden durfte, entpuppte sich als eine kleine, spitzige Kathedrale aus
Harnsäurekristallen. Die Wissenschaftler begannen, entsetzt, den ein-
samen Karl zu bewundern. Die Schmerzen des an der Krankheit der
CXCI
Kaiser erkrankten Kaisers, sagen sie, sind uns schlichtweg zu un-
vorstellbar.
名前 Name
Let the name indicate the state. – Das Seyn? - Immer der erste Stock.
Die Identität von Kokreszenz und Reflexion, als absoluter steady state.
Die Diva unter allen Zuständen. Identität als absolute Be- und
Anzüglichkeit. Denn Identität ist das auf Dauer gestellte feierliche Re-
quiem für das Selbst. Das gefällig-mühseliges Ruhen in endloser Un-
ruhe. Allergetriebenste Behaglichkeit. Euphemistischste Infamie. Und
wir gehen Hand in Hand, immer wieder, über die Schwelle, über die
Schwelle Edens. Das ist der einzige ewige Wiederkehraus, den wir uns
eingehandelt haben, und auf den wir uns verstehen, wie niemand
sonst. Wer sollte das auch sein! Wir sind die einzigen Bewohner der
Rotation. - Man könnte spekulieren, das dieses eschatologische Rin-
gelspiel selbst die Ewigkeit ist: Die Ewigkeit ist nicht etwa der andere
Zustand, auf den vielleicht etwas hinführt. Die Ewigkeit ist dieser
Zustand, aus dem nichts herausführt, sondern (eben) ewig nur hinein,
immer und immer wieder hinein, über die Schwelle, über die Schwelle
Edens. Das ist ja der Witz des Möbiusbandes (Z (mischt sich ein): Er-
staunlich, dass wir uns das ausdenken durften!): Wir brauchen nicht
erst zurück, wir haben die Schwelle, die wir grade überschritten ha-
ben, immer vor uns, immer wieder vor uns, Zeit und Ewigkeit in einem
Aufwasch und Durchlauf.31 – Das Meer, das sich ins Meer ergoss. Wir
sind die Lust der Ewigkeit. Auch wenn sie uns nicht wollte. Wir
spielen ihr Spiel. Wir verlieren ihr Spiel. Wir baden und büßen sie aus,
wir holen für sie die Kastanien aus dem Feuer, die Brote aus dem Ofen.
Und löffeln für sie noch das Blut aus, das wir für sie bluten. Wir sind
ihr zu verbindlichstem Dank verpflichtet. Damit werden wir nicht
fertig. Schon aus strukturellen Gründen. Alle Maßnahmen flankieren,
prinzipiell und mehr nolens als volens. Das spürt ihr ja ständig am
31
Ungefähr: Nous n'avons pas besoin de revenir en arrière, car le seuil que nous avons franchi est toujours
devant nous, encore et encore, le temps et l'éternité en un seul lavage.
CXCII
eigenen Leibe und seiner ängstlichen Gesundheit. Ihr wisst ja, das ihr
(nur) ein Sein-zum (nur zu was?) seid.
配置 Arrangement
... with regard to one another (that is to say, considered in the same
form) …. – Comme les cris silencieux du paysage. - Wir könnten es uns
einfach machen und behaupten, wir beschrieben zu Übungszwecken
fraktale Landschaften. Aber wir tun hier weder das eine noch das an-
dere. Wir wollen nicht lügen. Wir komponieren lediglich eine Sym-
phonie für Glasklangkugeln, in denen die Schreie der Landschaft ein-
gekapselt sind. So denken wir uns das wenigstens. Wir hören die
Schreie, weil die Kugeln leer sind. Sie gäben sonst keine Klänge her.
Es sei denn, die Schreie wären in ihnen verstummt, das heißt in sie
eingesickert. Wie der Regen in den Boden, selbst, der Landschaft der
Schreie eingesickert ist. Und sie genährt und gesäuert hat. Das ge-
säuerte Brot der Schreie, Sie brauchten diese Transsubstantiation
und Verklärung. Sonst hätte unser Trommelfell sie zwangsläufig ver-
leugnet. Sie hätten die Tore vor ihnen verschlossen und gerufen: Kei-
ner da! Versucht es nur! - Und: In uns fahrt ihr nicht wie in die Schwei-
ne, nicht so, introierunt in porcos, wie die Legion, Legio nomen mihi
est quia multi sumus, in Markus 5 (Verse 6 bis 13). Und kämet ihr wie
Blitze, die in den Acker fahren wollen. Denn wir sind kalt und nicht
empfangsbereit. Das hat sehr verschiedene und zudem ein Übermaß
an Gründen. Aber fragt nicht danach. Wir sind hartnäckig nach unsrer
Art. Das schlüssige Arrangement, das wir getroffen haben, das ist die
Abwehr. Aversion, ins Hypertrophe degeneriert. Die Schildwache vor
unserer Wahllosigkeit. Der Nimbus unserer Promiskuität, in den so
schönen Farben der Schweizergarde. Oder wie die Reflexe auf deinem
Monitor, wenn die Abendsonne schräg hinter deinem Rücken steht.
Und mit ihren goldenen Pfeilen an ihm vorbei zielt. - Am Eingang zur
Elendgasse. Die Sommerfrische der Weltgeschichte. Ferien von Be-
schäftigungsduldung und Qualzucht.
CXCIII
表現 Expression
Call any arrangement intended as an indicator. – Urgetöse. Eher fahl
als Phallos. Das versprochene Wissen um das Ausbleibende. Der Trost,
der einspringt. Das einzig wahre Pendeln. Die Schaukel zwischen den
Fernen, die sie ermisst, die nur in ihrem Ermessen liegen. Und der
Trost schwingt sich immer dahin, wo die Schaukel gerade fehlt, und
sie fehlt immer auf der Seite, wo der Trost gefragt ist. Er könnte selbst
darüber verzweifeln. Wahrscheinlich ist er es ja bereits. Wüsste er
denn sonst, was man von einem Paraklet erwartet? Die wütende Ver-
lockung zur Täuschung. Der Kitzel zur Allzersprengung. Mit seiner
starken Zunge leckt er an der allgemeinen Grottenwand. Er weiß nicht,
warum er das wiederholt, wer es ihm einredet, das zu tun. Für kein
Wort gibt es ein angemessenes Tun. Das erlaubt dir, sagt der Trost zu
sich selbst, dich tragen zu lassen, auch wenn du weißt, dass es kein
Getragenwerden geben kann. Und auch die Entscheidung, dich tragen
zu lassen, ist nicht zu treffen. Das Namenlose zu benennen, schließlich,
erledigt das, was sein sollte. Trösten heißt zu besiegeln, dass nicht
einmal ein Wunsch gewesen sein kann. Der Trost macht die Trauer
transparent; transparenter noch als sein Verschwinden. Auch Para-
klet hat seine Pfeile dem Apoll entwendet. Schon vor langem. Nicht
erst in letzter Zeit, als er ihn in einem Dartcafé wiedertraf. Das klingt
unheimlich absurd, ist aber wahr. Ich sage euch, ein Paraklet, als Geist
heißt er ja heilig, lügt nicht. Er vertraut ja nicht einmal seiner eigenen
Existenz. Lügen käme ihm vor wie Zeter schreien. So lächerlich wollte
er nicht auch noch werden. Obwohl auch die Wahrheit sich in einem
ewigen Schluchzen noch hören und sehen lassen kann, also in Lum-
pen. –
値 Value
Apokalyptischer Goldstandard. Klaffender Rachen. So schallentfernt,
dass von einer Resonanz (des Ursprungs) keine Rede mehr sein kann.
Alles, was sein will, muss ein Aggregatszustand von namenloser Angst
und primordialem Konflikt sein. Sonst ist es nicht. Aber wenn es ist,
CXCIV
ist es Steinatem. Muschelpsalm. Der Gesang des Sediments. Das Orga-
nische, das uns so mitnimmt, schon das ist es nicht mehr. Das Tie-
rische noch viel weniger. Das Menschliche ist schließlich der Verlust
der Erinnerung an jeden Atem, der einmal war. Fleisch atmet nicht.
Irgendwie wohl aus eigener Schuld. Und wir verrennen uns in die Sub-
stanz, um die Kogitanz, manche reden hier noch von res cogitans, wie
ihr wisst, zu retten, mindestens in jedem halben Säkulum neu, weil
der Brennpunkt im Innern, der immer schon vermisste Sohn, vom
unendlichen Außen glüht und nicht aufgeben will. Cusanus versetzte
den panoptischen Gottespunkt nicht umsonst ins Überall und füllte
die Welt mit mehr Zentren als sie fassen kann. Jede Stelle auf der Haut
der Dinge ist, wenn ihr nur, ihr dürft dabei zögern, genau hinseht, um-
fassender als das All. Das ist so unsere Art, die Einsamkeit der Krea-
turen sicherzustellen oder erst einmal dingfest zu machen.. Das
schwöre ich, aufs Kruzifix. Denn auch wir sind Legion. Jedes Je ein fun-
damentum inconcussum, der Cartesius verfolgt uns wirklich, seiner
Zerbrechlichkeit. Vor allem anderen gebührt der Hinfälligkeit Immu-
nität. Sie liefert uns aus, daher muss sie geschützt werden. Die Hin-
fälligkeit ist das Offene unserer Sinne. Der Staub der Welt sammelt
uns ein, und die Gewohnheit gibt uns nicht auf. Sie ist ja die Transzen-
denz, die Hand, die nur sichtbar wird am Staub, wenn sie ihn formt,
dass wir ihn wieder zerfließen sehen. Die Möglichkeit verstreut die
Chancen des Irrtums. Die – ihrer Spezies entsprechend - irreparable
Welt holt sie ein und nimmt sie wieder zurück. Spontan und antriebs-
los.
同値 Equivalence(s), vraies boules de cristal
Wem wendest du dich zu, wenn du von dir umgeben bist. Vor allem
aber, wen lügst du an und mit welcher Lüge?
Die Angst vor der Wahrheit war eine Verlustangst. Und ist es geblie-
ben.
CXCV
Nehmen auch wir an, Johanna von Kastilien, die Mutter Karls des
Fünften, sein Vater, der Schöne, starb, wird überliefert, an Eiswasser,
verfiel gar nicht dem Wahnsinn. - Dann hätten wir endlich ein kriti-
sches Denkmodel, das zwar keine Gewissheit, aber ein gutes Gewissen
verschafft. Und wir erfüllten uns so den Auftrag, den Gott dem Denken
erteilt hat.
Auf Phantasmen kann man nur vertrauen, wenn sie in großen Haufen
auftreten; zumindest als ganze Wälder. - Aufruhr ist tot, bis Birnams
Waldung rückt / Bergan.
Form entsteht durch die Formierung ihrer Auflösung. Wenn wir das
Morphogenese nennen (und deren in sich gegenläufige Struktur dabei
in Acht nehmen), gibt es Form nur als formauflösende Morphogenese,
ob es sich um Kunst, Zeit oder Geschichte handelt. - Dass wir jeweils,
in jedem erfahrenen Augenblick etwas sinnfällig vor den Sinnen zu ha-
ben glauben, also in der Wahrnehmung, das ist zwar kein Wunder,
aber ich nenne es trotzdem so. Und spreche auch von Funken zwi-
schen dem imaginären Rädern und dem gleichermaßen imaginären
Möbiusband, das sie antreiben und von dem sie angetrieben wer-
den.32
32
Vgl.: La forme naît de la formation de leur dissolution. Si nous l'appelons morphogenèse (et prenons soin de sa structure contradictoire),
alors la forme n'existe que comme morphogenèse-résolvant-la-forme, que ce soit l'art, le temps ou l'histoire. Que dans chaque moment
d'expérience, nous croyons que nous avons quelque chose de sensible devant nos sens, c'est-à-dire, dans la perception, ce n'est pas une
mircacle, mais je l'appelle encore comme ça. Et aussi parler d'étincelles entre les roues imaginaires et la bande-tout-aussi-imaginaire de
Moebius qui les propulse et qui les anime eux-mêmes.
.
CXCVI
Strukturanalogien.
1 Der Blick hängt an den Fluchtpunkten. - Der Mensch an den Seilen
des Fallschirms.
2 La vue est suspendue aux points de fuite. - L'homme est suspendu
aux cordes du parachute.
Gibt es das?: Implodierender Vulkanismus. – Das Bild jedenfalls ist
plausibel.
Der Dichter arbeitet. Man müsste noch so wohlgemut sein können wie
die Surrealisten.
Das automatische Schreiben tut so, als wäre die Welt seriell organi-
siert. Deswegen geht es auch zu zweit. Soupault, Breton: sie haben es
gewusst: 1 Prisonniers des gouttes d’eau, / nous ne sommes que des ani-
meaux perpétuels. / Nous courons dans les villes sans bruits…
Modèles de la série. –
(1) Es war vertan worden. Es ist vertan worden. Es wurde ver-
tan. Es wird vertan. Es wird vertan werden. Es wird vertan
worden sein.
(2) Il avait été gaspillé. Il a été gaspillé. C'était perdu. Il se perd.
Ce sera gaspillé. Il aura été dilapidé.
(3) Es war verschwendet worden. Es ist verschwendet worden.
Es war verloren. Er ist verloren. Es wird verschwendet
werden. Es wird verschwendet worden sein.
(4) Er hatte mich geschafft. Er hat es geschafft. Er tut es. Er
wird es tun. Er wird es getan haben.
(5) Il l'avait fait. Il l'a fait. Il le fait. Il le fera. Il l'aura fait.
CXCVII
(6) Ich hatte es vertan. Ich habe es vertan. Ich vertue mich. Ich
werde es vertun. Ich werde mich vertan haben.
(7) Ça m'avait manqué. Ça m'a manqué. Je me trompe. Je vais
le gâcher. Je m'aurai perdu.
Es hätte, weltgeschichtlich gesehen, nicht zu den Übungen mit gestei-
gertem Einfachheitsgrad kommen dürfen.
Wenn sich der Vorhang vor seinen Augen, von dem eben schon die
Rede war, auf eine vertraute Weise, von der Mitte aus nach beiden
Seiten hin, öffnet, dann kann man glauben, dass dahinter Menschen
sind. Auch weil sich an den immer gleichen Stellen im Stoff Hände
abzuzeichnen scheinen. In diesen Momenten entsteht gerne der Ein-
druck, dass sich etwas zu geschehen vorbereitet. Als wäre etwas zu
tun. Als stünde, wie man sagt, etwas an. Und dränge sich etwa wie eine
Aufgabe ins Bild. Oder als ereigne sich eine Handlungsanweisung. Auf
eine eigentümliche Weise vermittelt dieser Augenblick damit den Ein-
druck, es handele sich um das Erwachen, das einen Erwachenden
überfällt oder packt. Und er sieht gerade noch, dass sich ein Einhorn
wie auf Zehenspitzen entfernt oder aus dem Staub macht. - Auf Ze-
henspitzen! Ein Einhorn! Das kann er sich ja nur dazu gedacht haben!
Daran merkt er, dass er endgültig wach ist. Und muss lächeln.
Aber wenn die Welt wirklich ein unendlicher, fraktaler Komplex aus
Selbstabbildungen ist, dann erhebt sich die Frage, ob das Verfahren
klug gewählt wurde, dieses Verfahren unendlichen Selbstportraitie-
rens. - Rät man doch in der Regel jemanden, der nicht malen kann,
möglichst nicht zu einem Maler zu werden.
Schmelzklang: Form gelungener Kommunikation, aus der nur der
Spaltklang retten kann.
CXCVIII
Mit meinen Schaffenskrisen, sagt Gott, gönne ich der Schöpfung Atem-
pausen oder Auszeiten. Ganz wie sie will. Selbst wenn es ihr nicht
passt.
Schmetterlingspuppen hängen, wie halbverrottete Papyrusröllchen,
kopfüber an toten und hohlen Stengeln, um zu reifen. Das Schlüpfen
geschieht auch mit dem Kopf erdwärts gerichtet.
Es sind vor allem Klugheit und Güte, die keinen Schutz vor Fressfein-
den bieten. - Man findet sie aber kaum noch. Sie erzielen jetzt schon
Höchstpreise. Bald werden sie unerschwinglich sein. Und dann wer-
den uns diese letzten Exemplare vorkommen wie etwas Hergewehtes,
Aufzuhaltendes und Pflegebedürftiges, das uns aber nicht mehr hab-
haft ist. – Z: So stell ich mir die Jungfernhaut der Apokalypse vor.
Einige predigen: Ein Stadt ist verdichtete Natur. Warum halten sie das
für nötig? - Bleibt wachsam!
Ich bin ein Mensch, nichts Tierisches ist mir fremd; nur das Tier.
Es ist die Gesamtheit der Tatsachen, die meinen Fall bestimmt, du
kannst auch sagen: ausmacht.
Das Ende ist der Fall all dessen, was der Fall ist. - Lest auch das, bitte,
nicht als Kalauer. – Auch der Teufel begann, das ist allzu bekannt, als
Fall. Als transfigurierender Sturz. Wie auch ihr Sturz aus den Augen
das Ra die Tränen in Bienen verwandelt haben soll.
Die Sache hat uns in der Hand. (Musil)
Mit dem Gewöhnlichen, das zu erreichen eine große Anstrengung
bedeutet hatte, haben wir es verdorben. Das ist bedauerlich, denn wir
hatten das Gewöhnliche so einrichten wollen, dass es in seinem all-
täglichen Verlauf uns quasi stetig Einblick gewährte in die Verkettung
der Motive, die die Phänomene der Oberfläche zwar auch hervorbrin-
CXCIX
gen und sie mit der Politur einer gewissen Singularität versehen und
überziehen, zugleich und in eins damit, wie man sagt, sie auch un-
kenntlich macht oder gänzlich invisibilisiert.
1 und 1 zusammengezählt, ist auch das Staubkorn eine Wolke.
Doku Eschatologie (Stimme, wie – bei Göttern – üblich, aus dem Off):
„Auf dem Gipfel der Menschheitsgeschichte eröffnet sich der ganze
Horizont: Das Leben hat in der Mumie seine regulative Idee.“
Das Unsichtbare ist das stets wachsende Reserveland unseres Den-
kens; und daher dafür verantwortlich, dass das Sichtbare stetig be-
klemmender wird. Unser Fortschritt ist von einer sehr eigentüm-
lichen Art. Er gleicht einer schleichenden und selbstverschuldeten
Einkapselung unseres Denkens. Ein wirklich makelloses Paradox. Un-
sere Erkenntnis steigert sich, je enger sie sich um sich und uns
schließt. Und uns und sich Atem und Bewegung nimmt, gleichsam
vakuumverpackt. - Es soll wenig einladende Sexualpraktiken geben,
die das zu imitieren versuchen. ‚immerhin hat Sex dann doch etwas
mit dem Erkennen zu tun, wenigstens der Form nach.
Die Angst kommt eigentlich nur wortgeschichtlich von der Enge her,
der Sache nach führt sie zu ihr hin. Obgleich sie uns davor vielleicht
bewahren wollte. Wir scheiterten Hand in Hand.
Wir laufen auf einem Eichenwald. (Lucius Burckhardt, Promenadologe,
über Venedig) Hier bringt eine kleine Verschiebung des Blickwinkels
zutage, dass uns das Unsichtbare, im unmittelbaren Sinn des Wortes,
trägt. - Wir würden zwar, ihr kennt uns, gerne viel weiter gehen und
sehen und sagen: das Unsichtbare ist das allgemeine Trägerelement.
Pharmakon. - Sein Ischias, höre ich, hat Walter Benjamin vor dem
Kriegsdienst bewahrt. Scholem wurde wegen Schwachsinns nicht zu-
gelassen.
CC
Nur die Wolken über den Landschaften sind sich gleichgeblieben, sag-
te ein Wiedergänger, sagt er, den ich zufällig belauscht habe; ich konn-
te ihn nur hören. Er hatte, bevor ich es sehen konnte, sein Gesicht
schon weggewendet. Seine Stimme klang, ich weiß es nicht anders zu
sagen, als wäre sie durch ihn hindurch gekommen, als hätte sie mit
allen Stellen seiner Existenz eine Erfahrung gemacht.
Von wahnwitzigster Sinnlosigkeit. - Ja, es gibt in der Tat ganz verschie-
dene Arten der Sinnlosigkeit. Und wer sie erfand, war damit auch der
Erfinder des Kaleidoskops.
Immer wieder verwechsle ich, das ist das ganze Geheimnis meines
Strategems, das Prinzipielle, nenn es das Grundsätzliche, mit einem
Startloch; es ist aber eine Leimrute oder ein Fangeisen. Es kommt mir
jetzt fast vor wie eine unfaire Jagdmethode Gottes. Und die Rache da-
für, dass ich sie von ihm übernommen habe.
Apropos: Jetzt! - Das wolkenhafte Trümmerfeld der gerade letzten Se-
kunden.
Bei den ersten Autorennen sprach man von einem „Auf-Galopp“ der
Rennwagen. - Kommt die Sprache immer um ein solches, fast zu ge-
rütteltes, Maß zu spät? Dann gibt sie uns keine Chance, und zu ver-
stehen, keine Chance irgendeine Gegenwart zu verstehen. Und viel-
leicht kommen mir deswegen meine Sätze so antiquiert vor. - Dann
wäre es wenigstens nicht meine Schuld.
„Dich gefährdet das Verlangen nach Gemeinschaft.“ (Scholem an Ben-
jamin)
Adornos Frau Gretel war Erbin einer Handschuhfabrik, höre ich. – Z:
Ich möchte jetzt gerne noch einmal all das lesen, was ich über Hand-
schuhe schon geschrieben habe.
CCI
Gott an Adam : Es wäre an der Zeit, mein Sohn aus Staub und Hauch,
dass wir uns wiedersehen. - Und bring auch Eva mit! – Z: Soll das etwa
heißen: „Mein liebes System, und seist du tausendmal aus Hauch und
Staub, vergiss mir deine Umwelt nicht!“ - ?
Flanieren wie ein rundum echter Flaneur bedeutet: alles wahrzuneh-
men, außer der Gegenwart. - Z: dann bin ich ja ein Flaneur, aber bis
eben einer wider Wissen und Gewissen.
Er brachte es, wie gezwungenermaßen, auf die Formel, die ich hier,
wenn auch mit einigen Vorbehalt, wiedergebe: Ich möchte keiner Zeit
angehören, ich will existieren. Vielleicht sogar ganz ohne Zeit. Das mit
dem Tod zu verwechseln, das wäre aber ein Missverständnis. Wenn
auch ein wohlmeinendes.
Predigtskizze I. - Wenn
ich es recht sehe, war für Walter Benjamin, einen Vornamen hatte er
ja auch, die Weltgeschichte die Transfiguration und, soweit möglich,
auch die Transsubstantiation des Bucklicht Männlein, will ein bißlein
beten, zum Messias. - Worin konnte er also seine eigene Arbeit sehen?
Sah er sich als einen utopischen Maskenschnitzer oder einen Schön-
heitschirurgen, der der Eschatologie ein wenig ins Handwerk pfu-
schen wollte, wenn pfuschen33 hier das richtige Verb ist. - Z: Es gibt
kein besseres. Er wusste, was er tat: absichtsvoll pfuschen. Er em-
33
Es scheint hier das Gemeinte zu treffen, vgl.: „pfuschen hat aber zunächst die bedeutung des unberechtigten, gegen die zunftordnung
verstoszenden geschäftlichen arbeitens (vgl. stören, störer), woraus sich die weiteren bedeutungsabstufungen erst entwickelt ha–
ben..“ (Grimm)
CCII
pfand das als seinen metaphysischen Auftrag. Den wunderbarsten
und gottgewolltesten Pfuscher sah er im destruktiven Charakter, im
Erlöser, dem, der nur Platz schafft, und dem nur die Natur dabei das
Tempo vorschreibt, sonst aber nichts. Nur so gibt man dem Paradies
eine Chance. - Die Anarchisten, die von je das Paradies mit dem Schla-
raffenland verwechseln, kleben zu sehr und zu störrig und zu hungrig
an der Substanz, oder auch nur an der Welt. - Und überhaupt, wer das
Paradies will, verhindert es nur. Das haben wir, häufig genug, schon
erlebt.
Die Weltgeschichte, eine multilateral gebrochene Verabredung.
Die Menschen haben das größte, unverbrüchliche Recht zu allen an-
deren zu sagen: gebt mir mich zurück. So war es nicht gemeint.
C: Wie rechtfertigst du dein Schreiben? – B: Gar nicht. Ich kann es
nicht. - Ich kann es mir selbst nur so erklären: Ich unterliege dem
Zwang zu zügellosem Selbstausdruck, wie es alle tun, die es nicht ab-
warten können. – C: Was denn? – B: Das, was die Leute meinen, die
einem sagen: Du kannst es aber auch nicht abwarten, oder! – C: Ach,
das! – B: Ja, genau das! Dass es jemandem gelingt, einem Blinden zu
erklären, was ein schwarzes Loch ist. Und einen Tauben zugleich die
Obertöne mithören zu lassen.
指図 Instruction
Wie eine Lampe, die gelöscht wird, das Dunkel einschaltet.
Verstehen vollzieht sich mitunter sehr schnell. Im Wortumdrehen.
Will mein Weinlein zapfen. - Meine Gedanken? - Lumpen, denen das
Gesindel fehlt.
Chiffonier. - Gedanken sammeln. Mit Gedanken spielen: die Lumpen
und den Abfall konfektionieren.
CCIII
Ungeschickt lässt grüßen. Wenigstens das, wenigstens kommt’s nicht.
Und uns vergnügt das Nachsehen. Wir sind Voyeure des Versagens
(geworden).
Eintrieb des Verlorenen. Die repräsentative Geste des Letzten Gerichts.
Das Leben ist Sich-angesprochen-Fühlen ohne Ansprache - und das
durchhalten. – Z: Das Leben ist also wirklich nicht wenig, nicht wahr?
„Die Wilden sind faul.“ - Der Mensch wird durch die Arbeit aus sich
herausgerissen. (Hegel)
Wer in Kreisläufen Gegenseitigkeiten wittert, denkt falsch.
Y: Wer glaubt, etwas zu wollen, muss vorsichtig sein. Wenn er glaubt,
sich befreien zu wollen, sollte er sich fragen, ob er seine gewohnte
Selbstkontrolle nicht nur delegieren möchte. Seine Unfreiheit also
stabilisieren. – X: Vielleicht denken wir uns den Mechanismus aber
zu einfach.
Wir beobachten die Transformationen von Formen, können daraus
aber nicht auf die Motive der Transformationen schließen. Und schon
die Transformation auf der Ebene der Motive bleiben uns unbekannt,
etc. – Das ist der Grund dafür, dass wir aus erkenntnistheoretischer
Bequemlichkeit von Gegebensein, Evidenz oder gar Sachzwang reden.
– Z: Die stets kurrente Ausrede der Macht, die immer auch über die
Macht zu schweigen verfügt. Aber auch all die, die keine Macht haben,
müssen improvisieren. Sie vollziehen dabei ihren Habitus, der ihren
Improvisationen die Regeln diktiert. Aber auch die sind fluid. Ein flu-
ides Set von passageren Handlungsanweisungen, die ständige Rück-
versicherung verlangen. Zumindest von denen, die ohne Macht han-
deln müssen.
“Breathing is habit. Life is habit.” (Beckett)
CCIV
Was der Habitus aus der Wiederholung zieht, das ist der Unterschied.
(Derrida)
Wenn die Menschen vom Leben nichts mehr erwarten, fangen sie an,
es auszutesten. Mit einem theatralischen Abfall von ihren Gewohn-
heiten. Das gilt für Einzelne, Gruppen, Gesellschaften.
Pausen und Synkopen sind die Bunker der Zeit. Oder wie könnte man
das anders sagen? Fällt die was Passenderes ein?
Wenn man sagte, dass jede Erinnerung eine irgendwie in die Gegen-
wart verschleppte Vergangenheit ist, die gefunden, wie ein archäolo-
gischer Fund gereinigt, entschlüsselt und kosmetisch bearbeitet wer-
den muss, um momentum zu gewinnen, begänne für sie eine ganz
neue Karriere. Ihr wäret überrascht, welche Geheimfalten sich da
noch öffnen würden. Solche, die nur übersehen worden waren, und
solche, die es davor gar nicht gab. Erinnerung stiehlt nicht, aber sie
versteckt gerne etwas.
Komfort ist die verletzte (und verletzende) Gestalt erfüllten Wohlbe-
findens.
Was wäre also wünschenswert? - Wenn Gott auf die Frage: Was sind
die Menschen denn für dich, großer Gott? antworten würde: Ich sehe in
ihnen meine Teilhaber. – Z: Dann sollten wir im Universum doch eine
Gesellschaft mit beschränkter Haftung gründen.
Die Unendlichkeit liegt zwischen zwei kaum unterscheidbaren Schat-
tierungen. Es ist also ganz leicht an der Unendlichkeit teilzunehmen,
du musst nur diesen scheuen Unterschied sehen. – Z: Oder das Sehen
des Unterschieds scheuen? – Allerdings gehörtest du dann zu allen,
die behaupten, im Vollbesitz der Unendlichkeit zu sein.
CCV
An Denken ist nicht zu denken. Das Paradies ist ein Problem, weil man
es sich nicht vorstellen kann. Wie das Goldene Kalb als Ganzes. Die
Hölle liegt dagegen nur um die nächste Ecke. Und die Erkenntnis ver-
steckt sich gerne in einem Café. Jeder Zweifel besitzt einen guten
Goldgrund, auch wenn wir uns ein falsches Bild vom Zweifel machen
(Wittgenstein). Und er besitzt, wie mittelalterliche Bilder, auch eine
Bedeutungsperspektive. Er spricht gerne davon. Er besteht dabei auf
der Kategorie des Fastgelungenen. In seinem Traum ein Kuckuck saß.
Er sah in ihm den entgegenkommenden Sinn, den, der die Wunden
einfärbt. Wenn einer sich ungefüg benimmt, versucht er nur die Welt-
formel zu imitieren. Irgendwann wird die Luft dicht sein vom Ge-
schnatter der ausgestorbenen Arten. Aus all dem schließt er: Zeit liegt
in der Luft. Lasst ihr Zeit dazu. – Z: Wusstest du, dass Proust Trau-
zeuge von Bergson war?
Zeit schreibt die Zukunft. - Sie, die Zeit, ist die Schutzheilige der Ge-
burtshelferinnen. Die reden aber nicht darüber. – Z: Zeit ist also das
Schweigen der Hebammen? -
„An allen Bäumen sitzt erstarrtes Laub.“ (van Hoddis)
You have just to twist language, um sie zurück zu bringen.
X: Monaden, die sich in der, genauer: in die Lebenswelt nachahmen,
machen sich lächerlich. – Z: Beweise?! – Y: Schau dir doch nur diese
Welt an! – Z: Dann habt ihr also auch nur selbstimitierende Monaden
vor Augen? – X & Y: Leider müssen selbst wir die Welt als eine unum-
stößliche Epiphanie des Immerhin! anerkennen. – Z: Voi poveri stolti!
- Après tout. -
„SILENCE, (Critique sacrée) ce mot, outre sa signification ordinaire, se
prend au figuré dans l'Ecriture ; 1°. pour la patience, le repos, la tran-
quillité : nous les conjurons de manger leur pain, en travaillant pai-
siblement, in silentio, , II. Thess. iij. 12. Ce terme 2°. désigne la retraite,
la séparation du grand monde : Esther ne portait pas ses beaux habits
CCVI
dans le temps de sa retraite ; in diebus silentii. 3°. Il marque la ruine,
Dominus silere nos fecit, Jérem. viij. 14. c'est-à-dire, le seigneur nous
a ruiné.“ (Encyclopédie, Louis de Jaucourt)
Faire silence... – Das gibt es im Deutschen nicht. Es sei denn, wir spre-
chen von einem Stumm-Schalten. Alles muss den Weg nach außen
finden. Ohne die Enttäuschung des Seins würde es nicht gewesen sein.
Und es würde ihm auch keine Verantwortung zukommen. Es wäre ein
Inneres geblieben, dem der Schmerz noch fremd ist. Aber was kennt
es denn, wenn es keinen Schmerz kennt, die einzige matière de silence
und das einzige Echo des Daseins, deren Vertrauenswürdigkeit ver-
brieft ist. – Z: Man hat also Glück, schon weil das so selten geschieht,
wenn die Schweigerose eine Narrenkappe trägt.
“Ces divers silences sont donc, le bâton de quatre mesures, qui vaut
une longue ; le bâton de deux mesures, qui vaut une breve, ou carrée ;
la pause, qui vaut une semi - breve, ou ronde ; la demi - pause, qui vaut
une minime, ou blanche ; le soupir, qui vaut une noire ; le demi - soupir,
qui vaut une croche ; le quart de soupir, qui vaut une double croche ;
le demi-quart de soupir, qui vaut une triple croche ; et enfin, le sei-
CCVII
zième de soupir, qui vaut une quadruple croche. Voyez dans les Pl. de
Musique les figures de tous ces silences.“ (Encyclopédie, Stichwort Si-
lence, J. J. Rousseau)
Gespräche, die keine Bedeutung haben, sich aber nicht sehr darum
kümmern. Weil sie an der Welt arbeiten. Ihrem Auftrag bleiben sie,
das haben sie mir versichert, treu. Warum sie glauben, mich beru-
higen zu müssen, das behielten sie aber für sich. Manchmal denke ich,
sie gehören zu meinen Tagträumen. Aber in meinen anderen Tagträu-
men finde ich oft Spuren von Erinnerungen. Oder auch Bilder, die mir
seltsam vertraut scheinen, obgleich ich nicht weiß, ob ich sie schon
jemals gesehen habe. Es kommt mir jedenfalls nicht so vor, dass ich
sie wiedererkennen würde. Ich erkenne sie nur als irgendwie zugehö-
rig; als gehörten sie zu dem, was ich nie vermisst habe, obwohl sie
doch noch nie da gewesen waren. Die Gespräche hingegen erscheinen
mir in meinen Tagträumen wie zugelaufene Tiere, die unerklärlich
zutraulich sind, wie die Hundertdollarnote, die mir, vor ziemlich ge-
nau achtunddreißig Jahren am Piccadilly Circus in London in die
rechte Hand geflattert kam. Noriko war dabei. Es fällt mir sehr schwer,
diese Gespräche nicht merken zu lassen, dass ich nie weiß, wovon sie
sprechen, wenn sie von unserer Kindheit erzählen. Oder von gemein-
samen Erfahrungen, die uns fast auseinandergerissen hätten. Auf
Nimmerwiedersehen. Und wieviel sie meiner so versöhnlichen Art ver-
danken. Ja, im Grunde, sagen sie, verdankten sie es ausschließlich mir,
dass sie noch da seien. Freilich kann ich sie nicht fragen, ob sie wissen,
dass sie Bestandteile meiner Tagträume sind. Sie haben nicht meinen
Reflexionsstand. Außerdem teilen sie mir irgendwie mit, dass sie
gerade danach nicht gefragt werden wollen. Und ich habe das Gefühl,
das unbedingt respektieren zu müssen. Damit machen sie mich ja
auch stolz. Weil ich es doch offensichtlich verdiene, dass sie gerade in
meinen Tagträumen auftauchen. Sich in sie einnisten. Und, wie es mir
scheint, bleiben wollen. Die Hundertdollarnote hatte ich schnell wie-
der ausgegeben.
CCVIII
Du brauchst dem Leben nicht den Auftrag zu geben: Verwische die
Spuren! - Du kannst ihm aber auch keinen anderen Auftrag geben.
Nicht einmal den, auch die Spuren seines Verschwindens zu verwi-
schen. – Kein Schwamm wischt sich selber ab. – Z: In gewisser Weise
aber doch oder auch nur.
Schwellenzauber I. - Kann man Dialektik nicht auch so sehen, dass der
Weltgeist seine Innereien nach außen kehrt und zerrt, gleichsam
stülpt, zur Schau stellt, und dann wieder, erfahrungsgesättigt und
transfiguriert, einzieht, um sich seines Schatzes zu erfreuen. – Dann
würde er nämlich darstellbar, auch außerhalb seiner selbst.
Schwellenzauber II. - Erst wenn du erwachst, der Traum hantiert
anders, wirst du erinnerungsfähig. Das könnte auch heißen, dass dir
das Leben erst im Tod erinnerbar wird, Wenn der Tod ein rich-
tungsverkehrtes Erwachen ist. Wenn der Tod ein Falsch- und Geister-
fahrer ist.
Schwellenzauber III. - Wenn du das deutsche Wort Gemütlichkeit ins
Englische übersetzt, kommst du in die Verlegenheit, es zu comfort
verfälschen zu müssen, was es aller deutschen Qualitäten beraubt.
Schwellenzauber IV. - Vielleicht umschwirren die Motten das Licht,
weil sie vermeinen, dass nur in der Flamme keine Nacht sei. - Wie der
Spaziergänger um Mitternacht, der, es kann noch heute passieren und
tut es auch, regelmäßig, glaubt, dass im hellen Fenster das Glück lun-
gere, utopisch gerahmt.
Automatische Präzision. - An jeder Stelle des Möbiusbandes betrittst
du unmerklich die andere Seite. Jeder Schritt ist hier unweigerlich ein
Schwellenzauber.
Der alltägliche danteske Effekt einer kollektiv geprägten Erfahrung
schlechten Wetters. - Er sagte, leicht versonnen: Du bist unterwegs. Es
regnet. Es ist kalt. Du frierst. Du erinnerst dich deiner Vermeidungs-
CCIX
tendenzen. Du betrittst ein Café. - (Hier: Schwellenzauber (V)) - Du
legst den Schirm ab. Vielleicht bestellst du dir einen Kaffee. Du greifst
nach dem smart phone – und: Incipit vita nova.
Er sagte auch: Mir wird zu viel vom kollektiven Gedächtnis geredet.
Es gibt sogar Preise fürs Schreiben darüber. Ich sehe das kollektive
Gedächtnis in dem, was man einmal die Tränen der Dinge genannt hat.
Die laufen die Fassaden der Häuser herunter, die höhlen die Steine,
die schwächen die Gebirge, die verschwenden die Wolken, die ver-
treten die Zeit bei Haupt- und Staatsaktionen, kurz: die zerren an den
Lidern aller Dinge.
Tränen, ergänzte er noch, tropfen außerdem immer halbwach. Dieses
Halbhafte ist ihr Anteil an der Erinnerung.
Er sagte auch, es gibt Denker, die das primordiale Weltverfahren aus
dem Einzelnen und Jeweiligen abzuleiten glauben. Das ist aber falsch.
Sie erkennen es darin nur wieder, weil sie es darauf anwenden. – Sie
könnten es freilich auch daraus ableiten. Es steckt ja in allem. Aber sie
können es nicht. Sie sehen es zwar richtig, aber auch falsch.
Wir sollten die alten Ordnungskriterien, nach denen man Wunder-
kammern einrichtete, auf die heute immer noch – der Katalog scheint
noch vollständig - unbeirrt verfolgten Denkinteressen anwenden:
Den einen geht es um die naturalia, den anderen um die mirabilia, und
wieder anderen um die exotica. – Z.: Und worum geht es dir? –
CCX
- Das sag ich dir, mein lieber Z, nicht. Aber sollten nicht alle Denker so
– schreckenserregend – mit der Welt verfahren wie Grandville in den
Augen Baudelaires es getan hat? - : Grandville habe „passé sa vie à
refaire la création. Il la prenait dans ses mains, la tordait, la réarran-
geait, l’expliquait, la commentait; et la nature se transformait en apo-
calypse.” – Mit anderen Worten, so als würde Gott seine Schöpfung
noch einmal durchprobieren, um sich auf die Schliche zu kommen und
sie dabei zu erkennen. – Ich erinnere mich, dass ich die Komponier-
methode von Rameau schon einmal so, zumindest sehr ähnlich, be-
schrieben habe. – Denn das einzig Immergleiche in den Dingen ist, wie
sie entstehen:
Wenn die Schöpfung ein Wunder ist, dann das der Morphogenese.
Und Erkennen ist dann nicht mehr als: das Bewegungsprotokoll der
Hände Gottes zu erstellen, - einigermaßen verständlich gesagt. Wesen,
die Hände haben, können dann auch versuchen, das zu imitieren... –
Z: ...und sich dabei zu übernehmen. Oder kein Ende zu finden, das ist
dann die Form der Kunst. –
CCXI
Manche sagen: Das versteht sich von selbst. Aber was soll das heißen?
Selbst wenn es so wäre, hätte es keine Bedeutung. Und was, auch das
wäre gut zu wissen, steht denn dahinter? Warum sollte es sich denn
von selbst verstehen? Woher bezieht es den Bedarf? Und es könnte
das, was sich daraus ergibt, wenn sich überhaupt etwas daraus ergibt,
was sehr zweifelhaft ist, nicht weitergeben. Das ist das Entscheidende.
Es ist, als wollte das Erkennen, die Einsicht in die Vorsicht, sich für
sich selbst behalten. Mir scheint, dass alles, was sich von selbst zu ver-
stehen vorgibt, sich nur für sich selbst zu verstehen trachtet. Als ginge
der Sog der Erkenntnis immer nach innen. Das wäre aber gar nicht
wünschenswert, geschweige denn erforderlich. Es treibt mich fast zu
sagen, das versteht sich von selbst. – Z: ? –
Er hatte gerade Celan gelesen. Er legte das Buch beiseite und sagte:
Wäre es in Anbetracht des Weltzustandes nicht passender zu sagen:
Es sind noch Gedanken zu denken jenseits der Menschen - ? – Z: Du
hast wahrscheinlich recht. Aber sei vorsichtig! Sie werden sagen:
Deine Gedanken sind politisch nicht korrekt. – Du weißt, was das be-
deutet.
W: Wenn ich will, dass meine Sätze ein wenig überdreht klingen, im
Grunde aber – nach ihrer Art - sehr einfach bleiben (was sie so unver-
ständlich erscheinen lässt), brauche ich nur die Wahrheit zu sagen. -
Z: Aber ist das denn noch korrekt? – W: Spotte nicht, es geht nicht um
den Blickwinkel. Die Wahrheit ist eine runde Sache, kein Hut. Und
selbst der bleibt ja derselbe, ob man ihn nun von unten oder von oben
betrachtet, wie uns schon Schönberg gesagt hat.
CCXII
Warum sagt man, gleichsam im Vorbeigehen gefragt, wenn die Stunde
der Wahrheit naht? – Glaubt man, dass sie so schnell abgearbeitet und
abgetan werden kann? Oder will man ihr einfach nicht mehr Zeit ge-
währen? – Z: Aus Übermut oder Feigheit?
Nur wenn der Beobachter überzeugt ist, nicht gesehen zu werden, ist
er bereit, aufmerksam zu sein. Das ist eine bittere Bedingung der Er-
kenntnis. – Z: Wer erkennt, feiert damit sein Ausgeschlossensein. Ein
Voyeur, der ins Leere schaut, hätte da vielleicht die größeren Chancen
und die besten Ideen. Und allein wäre er auch nicht. Vielleicht aber
ein wenig zu eingeschlossen. Aber bleiben wir lieber hungrig und ver-
träumt.
Predigtskizze II. - Die Leere ist ein absoluter Aktionsraum. Für das Le-
ben und für das Denken. Darin liegt eine Chance für Parallelaktionen
ziemlich ausgedehnter Art. Anders als in anderen Situationen drän-
gen sie sich hier geradezu auf. Die Leere ist der Ort, an dem sich Leben
und Denken ohne Gewaltanwendung die Hand reichen können. Und
nur in der Leere bleibt das Eigentum unangetastet.
„Ich bin zurückgeblieben, darum brauch ich noch Dressur.“ (Aus einer
Operette)
Die Menschen denken nur in den Phasen der Weltgeschichte, in denen
sie in Quarantäne sind.
Es scheint, dass alles letztlich einer Etappenlogik folgt. – Z: Ich würde
sagen frönt, denn notwendig ist das nicht.
CCXIII
Musil: „Die Menschen haben keine Ahnung, wie man schon denken
kann.“ - O: Der Zielpunkt aller irdischen Befreiungsversuche liegt ge-
nau dort, wo die Menschen sich zu Sklaven ihrer selbst gemacht haben
werden.
Von menschlichen Ebenen: Sünde und Reue sind die beiden Schein-
seiten des Möbiusbandes.
Predigtskizze III. - Auch das Universum hat keine Eigenschaften. Aber
unsere einzige menschliche Aufgabe ist es, sie zu beschreiben. Daran
kann niemand zweifeln. Es sei denn, er verzichtet. Dann bleibt er aber
nicht einmal sich selbst übrig. Er löst sich auf in der Verweigerung, die
Welt zu beschreiben. – Z: Möglicherweise löst er sich aber nicht
gänzlich auf. Das würde wenigstens die Miasmen über den marécages
puants in den Galaxien erklären.
Exégèse généalogique. - Die Nähe zwischen den Worten Eingeweihte
und Eingeweide, sagte er ein wenig süffisant, harrt noch der Exegese.
Wahrscheinlich würde aber auch ein bisschen Ahnenforschung ge-
nügen. - Jedenfalls dürfen wir gespannt und neugierig sein.
Die Menschen, mein lieber Musil, haben eben keine Ahnung, wie sie
denken. Daher bleibt es auch dabei. Und alles, wie es ist.
Die von Satelliten gesteuerten Uhren, sagt er, verdeutlichen augen-
fällig und erfreulich unumstritten, dass die Zeit etwas von außen Ge-
steuertes ist. Vor allen in den Momenten so genannter Zeitumstellun-
gen.
Wir sitzen mitten im gestauchten Anundfürsich und versuchen, uns
rückzuerinnern. Hegel hatte es besser. Er hockte noch auf der Basis,
in freier Luft, und streute Denkvoluten aus. Wie Bonbons. Eben ohne
jegliche Rücksicht. Und mit nur mangelhafter Vorsicht. Und wir sitzen
CCXIV
jetzt da im gottverlassenen Anundfürsich und versuchen, uns rückzu-
erinnern, hin bis vor die Basis.
CCXV
schon lange, wer das so genau ausgerechnet hat. Und wer dafür sorgt,
dass die Ratio so genau eingehalten wird.
Warum lassen die Sieger den Beobachtern keine Ruhe? - Z: Es plagen
sie Ansätze von Erkenntnis.
Ist es gut, die Welt so zu sehen, als wäre sie kurz vorm Schmelzen? Die
Wolken, die Bäume, selbst das Wasser, samt seiner Wellen? Selbst
noch die nachgeborensten Tränen der Dinge? - Einmal faszinierte das
Panplastische der Welt, als solches. Es war ihr ganzer Charme. Jetzt
liegt der Genuss im teilnehmenden Blick auf das Dahingehen ihrer
Plastizität selbst. - Z: Lieber Gott! Nein, das ist nicht fein von Dir und
auch nicht zu verzeihen. Dass du den Vollzug des Weltuntergangs de-
legiert hast. - Und ist dir eigentlich klar, an wen? Du siehst, selbst ich,
dein Dir ergebener Z, kommt da nicht mehr mit. Du bist aus dir nicht
mehr zu verstehen. Oder sag mir, welchem Gesetz folgt ein Weltgeist,
der an sich selbst irre geworden ist? Wann ist es uns entgangen, dass
du den Kontakt aufgekündigt hast? – Du hast gar nicht delegiert. – Du
hast dementiert. -
Im Prinzip ist alles furchtbar. Solange du nicht auf einen intelligenten
metaphysischen Kontrolleur zählen kannst. Und es sieht ganz danach
aus. Dass du es nicht kannst.
Gott hätte, sagt mein letzter Bundesgenosse, nicht zulassen dürfen,
dass man an ihn glaubt. In mir, sagt er, hat er sich endgültig verloren.
Warum hat er das getan? Das war dumm. Von ihm. Definitiv.
Gerade eben ist mir ein wichtiger Spruch verloren gegangen. Ich war
unaufmerksam. Ich traure ihm nach. – Ich kann euch nichts mehr da-
von geben. Einige Baumwipfel, an denen ich vorbeigegangen bin, grü-
ßten mich verständig mit einer Verneigung und einem „Sei‘s drum!“ –
Aber das kam zu spät. Es war schon darum gewesen.
Man könnte Graphiker sein und etwas erfinden müssen. Man könnte
eine Schrift erfinden und sie Heilige Schrift nennen.
CCXVI
Man könnte nur Fragesätze mit wo bilden können. Man könnte dann,
zum Beispiel, nur fragen: Wo ist die Welt? - Wo ist die Zeit? - Wo geht
es dir? - Wo denkst du? - Wo sagst du? - Wo willst du tun?
Wenn du bedenkst, dass doch jede Sekunde deines Lebens ein Expe-
riment ist, ist es erstaunlich, wie viele davon misslingen. - Selbst darin
sind wir maßlos.
Er sagte, der furchtbarste Satz, den er kenne, sei Liebe ist eine Lüge
aus Mitleid. - Warum so furchtbar? - Weil man den Menschen diese
Lüge zutrauen müsse, um sie für menschlich halten zu können.
Er hatte einen Alptraum. Ihm träumte, er hätte keine Abgründe mehr.
Die Dienstzeiten gleiten nach eigener Regie. Jetzt schreibt er plötzlich
direkt nach dem Aufwachen. Früher war es meistens kurz vor dem
Einschlafen.
Die Fehler meines Korrekturautomaten erinnern mich an Freud‘sche
Fehlleistungen. Das ist tröstlich.
Kann Musik falsch sein? Was kann es bedeuten, wenn du sagst: Das ist
aber ganz falsch komponiert! - Nenne mir deine Kriterien! - Du wirst
mir deine Wunden zeigen müssen.
Der Abgrund ist die Ausnahme. Der Rest ist Ödnis.
Monstren, nicht nur in diesem Kontext, sind autopoetisch hergestellte
Irritationen, die nur das Ziel haben, das System über sich selbst auf-
zuklären. Und in einem Zuge auch das Problem des blinden Flecks
vollends zu immunisieren. - Z: Weiter kommt man, das hab ich schon
oft gesagt, nur auf der Stelle, stante pede. - Schaut mich an!
Dass wir uns die Vorstellung des Raums mit der Hilfe der Tastorgane
(wie Diderot, zum Beispiel, dachte) erschließen sollen, kann ich nicht
CCXVII
glauben. Wer oder was sagt uns, dass das, was uns diese Organe er-
schließen, Raum ist? Erfahre ich Raum, wenn ich meinen Arm aus-
strecke? Dass wir es unterstellen, das ist unbestritten und es ist das
eigentliche Rätsel. - Z: Und kann wohl nur Merleau-Ponty-listisch ge-
löst werden.
Der blinde Klecks. Das Basiselement jeder Darstellung. Ob er ein Pixel
sei. Oder ein punktueller Graphitabrieb. Oder ein Sand- oder Staub-
partikel.
(Nachtrag zur Raumerfahrung.) Dass die Raumerfahrung bei ge-
schlossenen Augen so überwältigend ist, war einer der größten Schre-
cken meiner Kindheit. Erinnert ihr euch auch? Wie schwer es war ein-
zuschlafen, so mitten in dieser dunklen aber auf eine eigene Weise
ungeheuer sichtbaren Unendlichkeit, die reine Wahrnehmung war.
Ich habe sie leider nur noch in meiner Erinnerung. Die Grenze der
Wahrnehmung kommt mir im Laufe meines Lebens immer näher.
Lange aber im Bild sich unüberschaubar hinbreitender Kohlehalden.
– Wenigstens nimmt mit dieser so präzise grenzenlosen Wahr-
nehmung auch der Schrecken ab. Aber dieser Verlust ist nur ein küm-
merlicher Ersatz. - Mir scheint, dass ich die Wahrnehmung der Aus-
dehnung wohl ganz anders gelernt haben muss - als der Enzyklo-
pädist es beschreibt (vgl. ENC VI: 43, „Étendue“). Meine Kindheits-
erfahrung könnte ich, scheint mir, bei Condillac unterbringen. Oder
eher noch bei Berkeley?
Ja, es geht genau um diese kleine Verschiebung. Sätze sollten sein wie
verwackelte Kopien der Wirklichkeit. Das verwackelte Moment in der
Wirklichkeit ist die Wahrheit; das was unser Anteil an der Wahrheit
sein kann. – Z: Das ist sehr schön beschrieben. Und erklärt auch,
weshalb die Wahrheit Hauptweh, wie Adrian Leverkühn es nennt, be-
reitet. - Es ist, wie wenn du konzentriert auf eine verwackelte Kopie
schaust, bis sie dir, zumindest deinen Augen, weh tut.
CCXVIII
Macht und Qualität der Musik beruhen nach Diderot gerade darin,
dass sie nicht so mimetisch wie die Malerei und selbst die Sprache sei.
Lernen wir daraus, dass die Sprache davon profitieren kann, wenn sie
immer weniger mimetisch verfährt. Das Ziel ist, dass sie sich entwe-
der von den Dingen nicht mehr unterscheidet oder so weit von Ihnen
entfernt ist, dass sie an ihrer Dinglichkeit keinen Anteil mehr nehmen
kann. In beiden Fällen, wie ich sie meine, ist Mimesis ausgeschlossen.
Und die Sprache fast so wie Musik, beide aber unverändert nur noch
um eine Welt voneinander geschieden. – Diderot: „Et cela est vrai, car
les violons me le dirent.“
Trostinstallationen, auf dem Weg zu einem neuen Polytheismus.. -
Wenn wir, du und ich, Glück haben, wird es auch in der Zukunft noch
einige verlorene aber gastfreundliche Orte des Unverlorenen geben.
Oder auch umgekehrt.- Unter den Maßgeblichen im Universum muss
es doch noch ein paar verständige Leute geben.
Das Ideal ist, ganz durchlässig zu werden. Aber es geht immer ein
Strich durch die Rechnung. Wie ein Storch durch den Salat. Aber der
Salat ist vielleicht einer idealen Durchlässigkeit näher. - Das ist ohne
Ironie gesagt, glaubt mir das bitte. - Gedanken sind kaum mehr als
Häkeldecken des Elends. Wenigstens seit man häkelt. Man kann sich
nicht mehr vorstellen, wie die Welt davor war.
Etwas von der Art eines Wattestäbchen, in den (elektrischen) Strom
der Einsamkeit eingefutteralisiert. - Versteht das einer? -
Wenn es sich herausstellt, dass es das, worum es einem immer ge-
gangen ist, doch nicht war, ist das ziemlich unangenehm, wenn nicht
gar peinlich. - Z: Also normal. Ganz normal. -
Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder etc. - Gemeint ist: Wenn ihr nicht
auf einem Waldboden springt, um zu prüfen, ob er hält. - Wenn ihr
nicht auf der Schaukel die Augen schließt, um zu prüfen, ob der
Schwung nicht aufhört. - Wenn ihr nicht ganz fest mit eurem Bleistift
CCXIX
auf das Papier drückt, um zu prüfen, ob die Mine nicht doch bricht. -
Wenn ihr, nur Kinder können das, das Elend nicht willkommen heißt,
um zu prüfen, ob es nicht doch eines schlechten Gewissens fähig ist.
Wir schaffen Dinge, die versagen, um zu bezeugen. - Oder bezeugen
sie nur unser Versagen? – Z: Echt schwierige Frage.
And what if all of animated nature
Be but organic Harps diversely framed,
That tremble into thought, as o’er them sweeps
Plastic and vast, one intellectual breeze, -
(Coleridge)
CCXX
等式 equation oder Übers Gewicht
Here let me pause.—These transient facts,
These fugitive impressions,
Must be transformed by mental acts,
To permanent possessions.
Then summon up your grasp of mind,
Your fancy scientific,
Till sights and sounds with thought combined,
Become of truth prolific.
James Clerk Maxwell
“Hier ist wieder ein Schritt nötig ähnlich dem der Relativitätstheo-
rie.“ (Wittgenstein)
Mosaïques d'air. Le côté audible de la pensée: Mosaike aus Luft. Die
hörbare Seite der Gedanken. Eingeborene Bedeutung, stückweise he-
rausgebrochen. Und in einen Raum (chambre oder espace? – Das wür-
de auch ich gerne wissen) versetzt.
L'amour et l'abysse (trad.), übers Liebhaben. Predigtskizze IV - Wenn
dich jemand anspricht, vertraut er wahrscheinlich auf deine Existenz.
Anders könnte er dir nicht unterstellen, dass du möglicherweise hö-
ren und angesprochen werden kannst, also ein Mensch in einem
engeren, fast heiderggerischen, Sinne bist. Solange er dich nur an-
schaut, ist es ganz anders. Daher ist die so genannte Liebe auf den er-
sten Blick offensichtlich so unausweichlich, weil sie sich auf ver-
heerend wenige Informationen stützt. Und sich mit Lust und Vehe-
menz in den Abgrund des Unwissens stürzt. Verlieben kannst du dich,
um genau zu sein, umso leichter, je weniger du weißt oder auch wis-
sen willst. (Z: Ist denn das Nichtwissenwollen hier nicht sogar die
wichtigste, im Grunde notwendige Voraussetzung und Bedingung?)
CCXXI
Vor allem, wenn es sich um Ideen und Überzeugungen handelt. An-
scheinend kann man Überzeugungen und Ideen nur lieben und haben,
wenn man (darüber) wirklich nichts weiß. - Z: Darin liegt ja eben ge-
nau das Verheerende. Das sich freilich nicht sofort zeigt. 34
Y: Das führt ja doch zu nichts. - X: Sag das mal nicht! Wir kommen
schon noch an. - Z: Bei unseren Führungskräften! -–
Dass sich das Sein, hat er heute schon wieder gesagt, sich uns so un-
willig, ja widerwillig hingebe, das könne er nicht verstehen. Über-
haupt wäre das ja ein Verstehen, dem er sich bis zuletzt und darüber
hinaus widersetze. Es sei wie es wolle. Und noch hartnäckiger als ein
Motiv bei Philip Glass.
Vor der Schöpfung in die Knie zu gehen, das wäre ja, wie vor sich
selbst zu versagen.
Das Halbwache ist der Schlaf, der sich zur Flucht rüstet.
Grenzwertigkeit, ein vielversprechender Begriff. Die Seele breitet sich
aus auf einem gewaltigen Rollrasen und fühlt sich wohl. Das Dasein
atmet sowas von anerkannt auf, dass sich niemand, auch in Notwehr,
traut, noch mehr zu verlangen. – Z: Was ist ein Augenblick erpresster
Ewigkeit schon dagegen –
Wie viele es sich zutrauen, Verfall datieren zu können.
Gedankenhimmelsleiter. Eine Neuaufnahme. Predigtskizze V. - Aus
einem Programmheft. - Geschichte einer Spaßkarriere. Auch Stufen-
leiter einer Formvollendung. Abschluss und Abschuss auf einem Halb-
schluss. Eine Semisynkope, falls es so etwas gibt. Mit Weltpatent. Zu-
fällig, auffällig, hinfällig, fällig.35
34
Z: C'est exactement là que réside le problème dévastateur. Cela ne se montre pas tout de suite. -
35
- aléatoire, visible, caduc, dû -
CCXXII
Cauchemar (oder Selbstverteidigung und Resümee eines Pensioni-
sten): Ich habe die Landschaft ja lange genug verunsichert. Und den-
noch keine Schutzweste in Anspruch genommen. Um ihn nicht zu
wecken, habe ich nach keinem Hahn gekräht. Die verunsicherte Land-
schaft blieb im Nebel liegen. Eine begabte Hand zieht da aus den Wol-
ken Bartspitzen und lässt auch sie auf halbem Wege vollendet zurück.
Tote nackte Riesen treiben auf einem großen milchigen Strom. Hyper-
trophe Stiere aus Anime-Filmen traben dazwischen und hindurch und
vorbei. Mit Paukenschlägen in ihre Flanken. Die Zerlumpten unter
den immerhin noch lebendigen Riesen treffen sich auf einer kahlen
Lichtung im Dschungel (seltsames Wort) und springen, zum Kreis for-
miert, auf der Stelle. Aber was sie brüllen, verstehen wir nicht. Sie
warten auf etwas, wovor sie sich fürchten, und rufen es herzhaft her-
bei, sagt ein Neuer, der grade seinen Mantel aufhängt. Ich sollte es
nicht sagen, weil es allzu blödsinnig ist, aber der Anstand gebietet es
mir: Jetzt reißt doch tatsächlich der Nebel über der verunsicherten
Landschaft auf, und eine Gruppe von Alphornbläsern wird mit Getose
sichtbar. - Z: Es fehlt nur noch das Wort Apotheose, nicht wahr! - (Der
Pensionist wacht gar nicht schweißgebadet auf.)
A: Psychogeographie, endloses mäanderndes mind wandering auf der
Suche nach dem Entstehungsgeheimnis seiner selbst. – O: Du scheinst
zu wissen, wie weit du nach dir ausholen musst. Du scheinst zugleich
aber nicht zu wissen, dass du nicht so weit reichst und reichen kannst.
„Man ersetzt jedenfalls oft die erste Form durch die zweite und gibt
dieser dann oft eine besondere Intonation.“ (Wittgenstein)
Jede Stelle einer Seite kann der Ort sein, wo die Zeit verlorengegangen
ist. – Z: Zeit kann nur in einem löchrigen Medium verlorengehen.
„Wir glauben, sozusagen, dass dieses große Gebäude da ist, und nun
sehen wir einmal da ein Eckchen, einmal dort ein Eckchen.“ (Wittgen-
stein) – Das kommt daher, dass wir uns der Unendlichkeit rückversi-
chern wollen; eher noch in die Unendlichkeit rückversickern wollen.
CCXXIII
Wenn er leidet, sagt er, tröstet ihn die Erinnerung; jeweils an die Zeit
danach. Und diese Erinnerung gäbe ihm die Kraft zu schweigen. Und
das steigere seine Geduld. Ja, mache ihn überhaupt erst dazu fähig zu
warten. Leider stellte sich nach einiger Zeit auch eine gewisse gefähr-
liche Lust am Warten ein. Sogar eine gewisse verführerische Furcht
davor, dass sich etwas plötzlich ein- und tatsächlich als etwas Erwar-
tetes vor- und herausstelle.
Die Kunst sei, sagt er, wenn du sie auf die so genannte Schöpfung rück-
beziehst, ein abgekupfertes Datum. Selbst noch in der Form einer To-
talinstallation (Kabakov). Wir sollten uns also moderat verhalten und
uns nicht so viel einbilden, sagt er, selbstkritisch. Selbst wenn wir die
ganze Welt und das, was wir dahinter vermuten, nachbildeten. Selbst
zur Freude, dem schönen Götterfunken, sei das zu wenig.
Quel truc très mauvais et inévitable ! - Er: Wie sprechen gern über Pa-
radoxe, weil wir glauben erkannt zu haben, das sie am Ende eines je-
den Gedankengangs stehen müssen. Sie bedeuten für uns, sehr ein-
fach gesagt, die absolute Grenze der Erkenntnis. Wir können, das ist
eine Art überlegter wittgensteinscher Akt, unsere blutenden Gedan-
ken von ihrer messerscharfen Grenze zurückziehen. Aber das wollen
wir nicht – hierin liegt übrigens die ganze spröde oder fragile Fülle
unserer Ethik: mehr Ethik, denken wir, kann gar nicht sein – und wir
setzten uns wie Sonntagsmaler mit einer Staffelei vor die Grenze, ein
sehr entschiedenes und diffuses Ding, das vor allem die Grenze unse-
rer Gedankenwelt ist, und malen. Wir gestalten die Uneindeutigkeit
der Grenze, die wir sind, rastlos blutend neu. Mit genaueren Worten:
wir zeigen und beweisen damit die angeborene Unsichtbarkeit des
allgemeinen und des besonderen Sichtbaren. – Ich: Leider müssen wir,
solange das noch nicht begriffen wird, weiter von Paradoxen reden.
Was ein sehr schlechter und unumgänglicher Trick ist; weil er sich
endlos fortzeugt. – Er: Die Maus kreißt und gebiert Berg um Berg. –
Ich: Immerhin wissen wir zu tricksen. – Z: Après tout, nous savons
comment tromper. – Ich: So enden alle Aufträge, auch die göttlichen.
CCXXIV
Ihr seht, was den Alltag so unerreichbar macht, ist, dass er nur um
eine Unendlichkeit entfernt ist. Aber solange ihr das ignoriert, wird er
euch unerreichbar bleiben. Langfinger seid ihr, wie mir scheint, nur
in unergiebigen Räumen.
Er: Zwischen den Sinnen gibt es Leerräume, die (wieder) urbar ge-
macht werden müssen, sagte Rilke. Das ist richtig beobachtet. Aber
man sollte sie nicht esoterisch auf- oder nachfüllen, wie Rilke es vor-
schlug. Das geht auch auf dem Boden der Tatsachen.
Sich so wenig, sagte er, ins eigene Leben hineinfinden zu können, das
ist zweifellos eine Kunst, aber eben keine Lebenskunst. Dann lachte
er. – Z: Wie originell! –
Er sagte auch, er litte darunter, dass niemand seiner sicher sein könne.
– Im doppelten Sinne.
Er sagte auch, er sei sich ein Zauberspruch, für den ihm die Anwen-
dung fehle; oder die Gelegenheit ausbliebe.
CCXXV
Er sagte auch, das Leben ist der hochwertigste Rohstoff, mit dem wir
nichts anfangen können. Aber wir arbeiten das auf. Am edelsten als
Trauer. – Ich muss ergänzen, dass er nicht Gott dafür verantwortlich
machte. Ja, er nannte nie die Verantwortlichen.
Chr. M. Wieland hoffte, unbereut sterben zu können.
Y: Klar, die Transzendenz ist anfechtbar, antastbar ist sie aber nicht.
Die Konsequenzen (daraus) sind ersichtlich. - X: Du siehst das also so:
Das Zirkuspferd spannt seine Zelte immer weiter und weiter aus.
Auch, vor allem, da und dahin, wo Ort und Gelegenheit fehlen. – Z: Das
Zirkuspferd sagt auch, dass es weit mehr als einhundertsiebzehn Jah-
re alt werden wird. Aber du musst zu seiner Beerdigung kommen,
denn damit ersparst du ihn sehr viel, über das es nicht reden möchte.
– W: Das hat, sehe ich, viele Bedeutungen. Es wäre aber sinnlos, sie
alle und einzeln aufzuzählen. Denn du müsstest dich ja auch dann
immer noch entscheiden, welche davon richtig sein könnten. – Z: Aber
das schließt du ja, wohlweislich, wie man sagt, aus. – W: Sätze müssen
von der Präzision und der Disfunktion einer kafkaschen Spindel sein.
CCXXVI
Digestion silencieuse. - Er sagte, wenn Gott auch die Erinnerung ge-
schaffen hat, dann hatte er sie sich gewiss als Strafe gedacht. Als eine
Art automatischer Strafe, die immer auf dem Fuße folgt, oder als ein
Schatten der Tat, ob sie nun gut oder böse ist. Dann hat es, ersichtlich,
in der Absicht Prousts gelegen, diese Strafe auf- und abzuarbeiten, im
Sinne einer Réparation der verlorenen Zeit. - Z: Wenn nicht gar im
Sinne einer Heilung. Oder Elimination: Man trinkt den Tee bis zur
letzten Lindenblüte aus, man verzehrt, bis zum letzten Aromapartikel,
das Gebäck. Der Rest geschieht ohne bewusste Beteiligung und ver-
schwiegen. – Dem bei einigen freilich ein veritabler Wortausbruch
folgt, eine flatternde Blutfontäne aus Worten.
Nur Schuhe, die du nicht mehr magst oder ablegen möchtest, machen
es dir einfach, zu gehen. – (Z: Peter, ich weiß, du bist in einem Schuh-
laden aufgewachsen. Das macht, du Egoist, einen erheblichen Teil
deiner Unrettbarkeit aus. - Wer hält sich denn heute noch für unrett-
bar? Warum maßt du dir an, dazuzugehören? Vielleicht war das ein-
mal der Gipfel der Verzweiflung (à la Cioran) – jetzt ist es aber der
Gipfel der Arroganz.)
Es bleibt sehr witzig, wenn ein Atheist sagt: Hol mich der Teufel! - Im
Angesicht der Weltsituation (hier: am 29. Mai 2019) sowieso, auch
wenn sich eh nichts ändert. – Wir werden ja nicht mehr dabei sein,
wenn es bestätigt wird. Die Ratifizierung geschieht post festum. Ich
gebe zu, es fällt mir sehr schwer, das zu denken.
In der Tat, sagte er, ist es doch seltsam, dass mir, wenn ich von etwas
Vollkommenen reden oder schwärmen möchte, nur Bilder von An-
organischem, Kristallinem in den Sinn kommen. Organisches nur sei-
ner Nähe zum Anorganischen wegen. Bilder von Menschlichem stel-
len sich gar nicht ein. Vielleicht scheuen sie meinen Blick. – Z: Viel-
leicht aber auch nur, weil sie dir nicht fremd sind.
CCXXVII
Zwischen Nofretete und Gesualdo. Eine Oszillation. – (I) Der Erkennt-
niswert der Bilder liegt allein in ihrer Kraft, Bilder aufzulösen; wahre
Bilder sind Säuren, Meisterinnen ihrer Selbstauflösung. Ihr Gegenteil
ist all das, was als kosmetisch gelten kann, oder kosmetisch zu sein
versucht. – Schminke zerstört die Gesichter, denen sie aufgetragen
wird, bis zur Unkenntlichkeit.
(II) Andererseits gibt es Authentizität, das wurde endlich festgestellt,
nur als ihren Schein. Authentizität hat keine Aura vera, sie hat aber
ein Aroma, das nach Aura schmeckt, den schönsten Reiz, den etwas
besitzen kann, das es nicht gibt. – Z: Vide: das leere Auge der Nofretete,
zum Beispiel. Aber auch ihr zerbrochenes Ohr.
(III) Ihr Name passt da gut, nfrtjtj, ein Ereignis, das geschieht oder ge-
schehen ist: die Schöne kommt, die Schöne ist (aber woher?36) gekom-
men. Man wird nie mehr über sie wissen.
(IV) Aber wenn etwas kommt, kann es nur ein bisher Ausgebliebenes
sein. Es klemmt gleichsam mit einem Fuß oder einem Hemdszipfel
bleibend in der Transzendenz fest. Oder umklammert sie, die Trans-
36
Die Wissenschaft mutmaßt heute: „aus dem Ausland“. Das sei der Sinn ihres Namens. Sollte man Nofretete dann
nicht mit die schöne Fremde/Migrantin übersetzen? Und fasziniert ihre Fremdheit denn nicht mehr als ihre Schönheit?
CCXXVIII
zendenz, mit Verlaub, parenthetisch; herkommensanhänglich. - Zwi-
schen enharmonischem Aufstieg und Absturz. Sucht nach den Stellen!
(V) Das Leben als enharmonische Vibration. Also in einer prekären
Lage (tonal gesehen) und Situation (existenziell gesehen). Deren Auf-
lösung wäre der Tod. Die einzige Alternative, das lebendigste Leben,
ist, davon zu singen.
CCXXIX
Die Übersetzung ist das Modell einer jeden Disziplinierungsmaßnahme;
aber nur, insofern sie alles betrifft. Anders gesagt: Übersetzung hebt aus
den Angeln, alles hebt sie aus den Angeln. Wohlgemerkt: als Modell. Die
Übersetzung aus einer Sprache in eine andere ist hier nur mitgemeint. Aber
doch auch ein repräsentativer Sonderfall.
Die Leute täuschen sich sehr. Sie brauchten Zeiten der An- und Verspan-
nung. – Z: Wenn sie glücklich und kreativ sein wollen?
Predigtskizze VI - Worte wie Balsam oder Was uns an die Welt kettet. -
Psychische Grunderkrankung: Wunderbares Wort. Geradewegs aus der
Praxis. Überaktivität des Angstzentrums, wie gut auch das klingt! Und
Korrektur der Grundbefürchtungen als Therapieziel (vor allem bei Agora-
phobie) ist eine von Grund auf schöne philosophische Idee, etc.
Wenn sich (etwa in einer denkenden Seele37) Gedanken begegnen, ist es,
aus der Nähe gesehen, wie wenn Kontinentalplatten miteinander kollidie-
ren. – Z: Darf ich, oder muss mir das also als eine horizontale Konfron-
tation vorstellen? Das würde die Aussichten verringern. -
37
Oder gar einer durch Denken obendrein noch schönen Seele.
CCXXX
Hölzernes Glachter. „Das Sakrale kondensiert gewissermaßen an der
Grenze.“ (Luhmann) – Man sollte doch einfach sagen, dass der kritische
Diskurs um alle denkbaren Formen von Mimesis und ihrer Möglichkeiten
von einer Auto-Poetik der Erlösung abgelöst zu werden trachtet und wartet.
Diese ist ja auch schon lange auf dem Weg, aber viel zu nobel, ver-
halten und respektvoll. Lauter Zeichen einer fernen und hohen Her-
kunft.
Exécution comme interprétation. - Aber die Welt, wie es scheint, duldet
nur dass in die Welt gehört, was von dieser Welt ist. Auch im Bild ihres
Anderen muss sie sich nur selbst erkennen. – Z: Sie hält es für Freiheit,
all das zu leugnen, dem sie sich verdankt. Und hat das Leugnen als die
bequemste Methode erkannt und etabliert. Als bedeute Atmen nur,
den Lebenshauch weit von sich weg zu pusten. Als wäre es Zigaret-
tenrauch und -qualm.
Du bist kindisch sagt er, du kämpfst wie ein Krieger außer Dienst um
Gedanken, die dir von einem Felsenrand, wenn nicht gar in so ge-
nannte reißende Bergbäche aus der Hand geglitten sind. Und du
greifst endlos nach der Stelle, von wo sie wegtrieben und verschwan-
den. – Was, frage ich, was kann ein Kind gegen sich?
Bei Melancholikern verwandelt sich der Selbstbezug zur Selbstver-
stopfung durch Fremdbezug. Warum ist das so? Es muss so sein,
könnte aber auch anders so sein. - Lacan sagt (diesmal wieder aus
dem Off): Er könnte doch dem Herrensignifikanten anders unter-
liegen oder ihn anders parieren. Zum Beispiel rückwärts über die
Barre springen. Und im Sprung sich wie auf einer Aussichtsplattform
fühlen. Oder wie vor der Glastheke einer traditionellen Gemischtwa-
renhandlung. Aber am besten ist es, er tut so als hätte er (im Sprung
in nicht weniger als die Leere) ein Los gezogen und glaubt, er hätte
die freie Auswahl. Aber ist das nicht das Modell einer jeden Therapie?
– Z: Eigentlich doch das Modell einer jeden jeweils künftigen Hand-
lung.
CCXXXI
Befreiungsschlag I: Orgie (sauvage) limitée de gratitude. - Schicke dei-
nen Feinden und Peinigern, auch denen, die du nur dafür hältst, Blu-
mensträuße oder -gestecke mit dem Vermerk: Danke für all das Gute,
das ihr mir angetan habt! – Aber lass sie bitte nicht auch noch all das
Gute wissen, das sie dir angetan haben. – Z: Das ergibt ein Gefühl wie
ein Strandurlaub, mit all seiner Ambiguität.
Île d'observation I. - Er sah einen schönen schwarzen Vogel, der sich
an der Rinde des Baums vor seinem Fenster den Rücken rieb. Das
strengte den Vogel sehr an, wie es schien. Und verlangte von ihm ein
äußerst methodisches Flattern; mit seinen schwarzem Flügeln. Er
hatte, wie er sagt, so etwas noch nie gesehen. Er hatte auch nie da-
rüber nachgedacht, ob es möglich sei. Aber er fühlte sich dem Vogel
nah, fast wie verwandt, und war ihm dankbar.
Etwas Grundsätzliches. - Dinge, die schön wären, finden nicht statt.
Das ist seltsam. Weil die Menschen doch vorgeben, hohe Ansprüche
zu haben.
Das Seltsame ist das Unverständliche. - Z: Und du erwartest von mir
einen Kommentar?
Nie, scheint es, kommt es auf den Körper an, der darunter ist; oder auf
die Sonne, gerade jetzt hinter den grauen Wolken.
Endloses und lineares Aufsummieren ohne Summe. Nur mit der Ab-
sicht, der Unterbrechung das Gefühl zu geben, missbraucht zu werden
oder überflüssig zu sein.
Ni marteau ni high tech ! - X: Warum ist man lieber dabei, als dass man
nicht dabei ist? - Y: Du hast recht. Das ist eine Frage, die gestellt wer-
den muss. Irgendwann einmal. Aber ihre Virulenz und Chancen-
losigkeit beginnt erst, wenn sie gestellt wird. - Z: Und genau diese
Chance muss ihr ja doch - einmal, wie du sagst - gegeben werden. - Y:
Dann liegt also die einzige Chance einer Frage... - X: ...in ihrer Unbe-
CCXXXII
antwortbarkeit. - Z: Wenn sie schön sein möchte. - Ich liebe eitle Frau-
gen. Um die Wahrheit zu sagen, was ich ja immer tu, ich liebe nur eitle
Fragen. Worin liegt denn der Reiz anderer? - Auch Nofretetes Reiz
liegt, wir sollten ihr ja gerecht werden, in der obersten skulpturalen
Schicht ihres Gesichts, unter der man, die durchleuchtende Wissen-
schaft, die Züge einer älteren Frau detektiert hat. - Y: Ach, Z! - Musst
du denn immer das letzte verunklärende Wort haben! - X: Er hat eben
noch immer eine sentimentale Beziehung zur Wahrheit. - Z: Was ich
nicht gerne zugebe, aber aus offensichtlich absichtlichem Versehen
zeige. - Mich zu durchschauen braucht es keiner Geräte.
Eben gerade, im Biergarten, fragt ein blonder Typ, kein Rapper, aber
jemand mit Brille, seine Freundin: Willst du Sonne? - Und platziert sie
unter einem Sonnenschirm. Jetzt schaut er hilflos an ihrem Gesicht
vorbei. In jede andere denkbare Richtung. Hebt ein Bier. Und krault
sich ein wenig. Am eigenen Bart. Erfolgreich.
Das Leben gewinnt seinen letzten Sinn, wenn du begreifst, dass du dir
ausfällst.
Das Leben ist immer schon aus dem Rahmen der Bedeutung gefallen.
Du arbeitest, von Verzweiflung motiviert, daran es wieder einzupas-
sen, in seinen verlorenen Rahmen.
Am Maßstab des universalen Konsums gemessen. - Symptom einer End-
zeit. Lust wird immer teurer. Und einfallsloser.
Es ist immer die äußere Luft, die dich mütterlich ablenkt vom Innen38,
das ich hier nicht qualifizieren möchte. Ihr kennt ja seine Qualitäten,
sagte er - als wäre er sich seiner Sache sicher.
Une feuille de menthe fraîche et le milieu. - Alles Geschmäcklerische, an
dem sich heute alle orientieren, reißt dich weg von der Welt, der Ge-
38
C'est toujours l'air extérieur qui vous distrait maternellement de l'intérieur.
CCXXXIII
schmack, ein Minzblatt, oder irgendeine andere Synkope auf deiner
Zunge, reißt dich mitten hinein.
Das Leben ist, wie alles, immer zu verschoben. Rettungslos vom er-
sten Augenblick an. An einem Ort, an dem es keine Rettung erreichen
kann. Die Wartezeiten sind aber verschieden lang.
CCXXXIV
表現 expression
Je dis toujours la vérité:
pas toute,
parce que toute la dire,
on n’y arrive pas.
La dire toute,
c’est impossible.
matériellement:
les mots y manquent.
Lacan,
als wollte er
Wittgenstein parodieren
Poubellications. - Wenigstens das ist klar: Lacan und die Welt faszi-
nieren durch semantische Überdeterminiertheit. Und unsere Schwä-
che ist, dass wir (wo haben wir das her?) immer alles wollen. Alles
und das orthopädische Ganze. Und bleiben doch Säuglinge, die sich
endlos in einen erdachten Spiegel malen, mit kleinen spitzen Fingern,
aber ohne Farbe und Ausbildung. Wenn man bedenkt, dass der Sinn
des Symbolischen erst dahinter zu haben ist, könnte es einen fast
traurig machen. Aber nur die nicht Hereingefallenen dürfen hoffen,
wie Lacan andeutet, sich hinters Licht führen zu lassen. – Wir horchen
immer wieder auf.
Auch ich, sagt er, will Lacan eigentlich nicht glauben. Aber jeder Blick
auf die Welt führt mich zu ihm zurück. Und die, die mir meinen Glau-
ben zu nehmen versuchen, scheinen mir äußerst niederträchtige
Gründe zu haben. Jedes Mal wieder erneut.
Club Maintenant, - Der Erfolg der Existentialisten beruht tatsächlich,
sagt er, auf einem (existentell) schlimmen Missverständnis. Nämlich
dem, dass die verführerischen Exempel, die sie vorführten, die Sache
selbst seien. Aber das genau war ja nicht gemeint. Bonbons und Sex
waren auch für die Existentialisten nur attraktive Schlupflöcher ins
CCXXXV
Sein. Aber vielleicht ist es für die Nachgeborenen, Meister/innen der
Ranküne, wirklich zu attraktiv, darin hängen zu bleiben. – Z: Eines hat
sich nicht geändert: zu wählen bedeutet zu erfinden. Die Freiheit,
mein lieber Sartre, kann in alle Ewigkeit nur erfunden werden.
Jeder Beginn beginnt als Störung. Auch das ist klar. Aber ist, fragt er,
dieser Satz auch wirklich umkehrbar? Und beginnt mit jeder Störung
ein neuer Anfang? Ich, sagt er, bezweifle das.
Er sagte mir: Es sei dir unbenommen. Aber was er mir damit sagen
wollte, das sagte er nicht. Auch nicht, wie er es erreichen wollte. Das
ist bedauerlich. Ich hätte es gerne von ihm gelernt.
Y: Das Fühlen ist unter den Unterarten des Denkens die Fragwürdig-
ste. – Z: Tu as raison. Le sentiment est la plus discutable parmi les sous-
espèces de la pensée.
Im Grunde ist vor allem die Frage, wie etwas möglich wird oder was
das Mögliche ermöglicht, sagt er noch, schlichtweg unbeantwortet,
vielleicht nicht einmal angedacht.
Gegen das Leben kannst du nichts ins Feld führen. Sein Ehrgeiz ist,
sich selbst zu widerlegen.
Phantasie, schreibt Husserl, sei auf ihre Weise entrückt. Weil sie auf
eine eigene Weise vergegenwärtigt. Gleichsam als Vollzug eines
Nichtgegenwärtigen. Ein Bildbewusstsein als Inaktualitätsbewusst-
sein.
Das Bild ist die Hülle des Nichtgegenwärtigen; und Schutzhülle des
Unsichtbaren.
Der Gegenbegriff von Darstellung sollte immer Vollzug sein.
CCXXXVI
Habe mir heute von meinem Computer einen Text über Husserl vor-
lesen lassen. Die künstliche kluge Stimme las, ich liebe sie dafür, im-
mer Absenke statt des französischen absence.
Vielleicht war die einzige wirklich treibende Idee unseres Messias: Ich
möchte nicht zu spät kommen. - Es scheint, leider, dass ihm diese Idee
nicht rechtzeitig kam. Oder erreicht hat. Aber das konnte er wirklich
nicht wissen. Sein Vater hätte es ihm sagen müssen. Zur rechten Zeit.
Aber das war vielleicht sogar ihm nicht möglich. Was kümmert ihn die
Zeit!
Volltönendes Schweigen, das Ideal. Die Leere, das Unentwegte, das
sich Raum schafft.
Das Elend des Glücks ist seine Nacktheit. Umgekehrt gilt das zwar
auch. Das erkläre ich hier nicht weiter.
Den Göttern bleibt, beim jetzigen Stand der Dinge, nichts übrig als zu
helfen. Aber sie tun es nicht.
Alle Löcher werden immer größer. Trotzdem wird der Himmel das
größte (Loch) bleiben.
Das, sagt er, das dich überlebt, ist nicht das Bessere. Es überlebt dich
nur, weil es die Sperrstunde ignoriert.
Es gibt, sagt er, Momente wirklich tiefer Erkenntnis. Das sind die Mo-
mente, in denen du so einsam bist, dass dir das Überleben keine Op-
tion ist. - Z: Eigentlich ein Jammer. Aber auch eine Rechtfertigung.
Das Absolute bleibt. Ob es dir ein Trost ist. Oder sein Gegenteil. Du
liegst unter der Brücke. Und jubilierst. Wie ein Embryo. (Wenn stram–
peln auch jubilieren bedeutet.)
CCXXXVII
Du könntest auch sagen: Was für ein Glück, aus seinem Zustand nicht
herausfinden zu können! So bleiben wir den Göttern nahe. Zu ihrem
Pech. Und jetzt haben wir alles an sie delegiert.
Die Zukunft der Hermeneutik. Das Traurige ist nicht aufzuhalten. Das
Universum endet zahnlos.
Man sollte überall seine Seele ablegen können. - Aber wer erträgt das?
Das Bequeme ist das Maßgebliche aller Orte.
Das Herz, was ist das? - Jedenfalls immer das, was nicht weiter weiß;
seit Proust. - Z: Mindestens. -
Man muss und kann die Sprachlosigkeit nur für sich selber sprechen
lassen. Immerhin, sagt Z, ist das so.
Keine Glocke klingt ding-dong. Aber wir hören es so. Und schreiben es
so auf.
Leben ist Befangenheit. Ein merkwürdiges Zusammenspiel der Rich-
tungen. Der Versuch zu begreifen misslingt. Aber du fühlst dich um-
griffen. - Warum habe ich diesen Gedanke: Wo kommst du her? - Er
ist eine fremde Ladung. Er ist unumgänglich. Eindringlich. Antastbare
Fremdheit. Dein eigener Kern. Ein Staubmeteor. Du bist sein unent-
wegter Einschlag. Die eine Haut zweier Unbestimmtheiten. Irdisches
Walzwerk; für Himmelsfolien. Eingetütete Transsubstanz. – Z: Da
haben wir’s! Seine tollsten Worte äußert er so, als würde er Drops in
eine Papiertüte zählen. Wie er es in seiner Kindheit noch an den Kios-
ken erlebt hat. Aber häufiger mit Gummibärchen.
Ein Randstein ist ein Januskopf ohne Augen. Ein Kopfstein eigener Art.
Wirklich disponibel ist wohl nur die und der, für die und den nichts
mehr zur Disposition steht.
CCXXXVIII
Der Stachel des Tods, nach dem der 15. Korintherbrief fahndet, heißt
in der Vulgata: stimulus: ubi est mors stimulus tuus. Das gefällt mir.
Vielleicht ist es ja tatsächlich ein Vorteil, versagt zu haben. Und nicht
gerade noch dabei zu sein, zu versagen.
Rechtfertigung, auch so ein seltsames Wort. Es spielt offensichtlich
darauf an, dass Rechtfertigung nur funktioniert, wenn schon alles vor-
bei ist.
Es sind die Dinge, die klappern. Sie hängen vom ersten Augenblick an
zu locker, viel zu locker, im Gefüge der Welt.
Es müsste genügen zu sagen, dass es keine Lösung gibt. Aber sie er-
warten, dass du es überzeugend darstellst.
Eines Tages hätte Wittgenstein gesagt, auch Fragen wie Gibt es das Lä-
cheln? und Gibt es das Unendliche? unterscheiden sich nur so vonei-
nander, wie alle Fragen sich voneinander unterscheiden. Und nicht
anders.
Die hermeneutische Distanz zwischen beständig und zuständig lässt
sich kaum Ermessen. Ähnlich verhält es sich mit Zuzug und Bezug.
Auch mit Distanz und Brisanz.
Der Sinn des Unglück-Seligen. - Wittgenstein hätte auch auf die Idee
kommen können, dass das Denken all das überwinden müsste, was es
voraussetzt. Doch das ist, gottgegeben, nicht möglich. Das Denken ist
die Welt und es ist Atlas. Es trägt sich als das absolut Unerträgliche. -
Die Seligkeit der Unglücklichen.
Das Denken scheint es nur zu geben, um uns, sagt er, den Kelch des
Unerkennbaren bis zur Neige auszutrinken zu zwingen. Das einzige
Gefühl, das dieses Zwangs würdig ist, ist der Schauder. Ein seltsamer
CCXXXIX
Kreislauf. Das Denken. Das könnte der Sinn von Bachs Kunst der Fuge
sein. – Vorübergehend.
Gerade Vorläufer agieren immer draußen, in einem speziellen Außer-
halb.
Alles, was du zum Überleben tun musst, gehört nicht zum Leben. Das
eigentliche Leben ist das Surplus, das aus dem Denken stammt. Ein
Geschenk an das Leben. Das Urbild eines Geschenks. Das Leben ist
und erweist aber nicht immer dankbar.
Der Augenblick, sagt er, in dem du dir sagst: Ich habe die Versprechen,
die ich mir gegeben habe, nicht gehalten! beweist, immerhin, dass es
Erkenntnis gibt.
Was Kinder, noch immer, lernen, wenn sie an einem Brunnen spielen,
das ist, wie schwer das Wasser doch ist. Und wie es klatscht, wenn du
den mit dem schweren Wasser gefüllten Beutel auf das Pflaster
schleuderst. Und dass die Mütter das nicht gerne sehen.
Es geht nicht darum, zu wissen, wer man ist. Es ist wichtiger zu wissen,
in welchem Maße man es nicht ist. Bist du doch genau das Maß, in dem
zu Dich von Dir unterscheidest. - Z: Das ist nun wirklich nicht neu,
aber liebenswert gefällig und verdaulich formuliert.
Ich sehe die Welt ja gar nicht so verächtlich, wie sie ist, sagt er, aber
wenn ich lese, dass bei einer Müllaktion auf dem Mount Everest vier
Leichen gefunden wurden, scheint mir die Schöpfung doch grenz-
wertig zu sein, ja, grenzwertig, wie ihr so gerne sagt.
Eine Synkope zieht und lässt stehen. Sie zieht uns ins Himmelreich
und lässt und im Regen stehen. Ein kleines Wunderbares muss eine
Synkope ja haben. Darauf bestehen wir. Auf unserem Rest von Stolz.
Und unserem Anspruch an eine Synkope. Wir sind da eigen.
CCXL
Ohr- und Seelenraub. - Musiker? – Wir müssen ihnen dafür dankbar
sein, dass wir ihnen alles rauben dürfen. Für den Zwang, dem sie uns
ausliefern, können wir aber nichts. Aber vielleicht ist es ein bisschen
traurig, dass wir mehr haben von dem, was sie tun, als sie selbst.
Lacan für Dummies. - Wir sind Formen unseres Beschädigtseins.
Es gibt nichts Formgebenderes als das Sinnlose. Wir erfahren das fort-
während.
Den Zustand zu verbessern, indem man ihn misskennt, ist nicht ziel-
führend, aber ermunternd üblich.
Wo verbirgt sich das absolute Pferd, auf das man noch setzen könnte,
auf das man auch noch setzen möchte? - Z: Auf das man sich noch se-
tzen wollte?
Du erreichst das Ziel nie. Du kannst nur üben, es nicht zu verfehlen.
Und dich über Etappenziele nicht zu täuschen.
Jede echte Fata Morgana ist nur eine gesteigerte Attrappe.
Mein Rat an mich selbst: Mach aus deiner Ratlosigkeit einen Fetisch.
Deinen einzigen.
Beweis äußerster Alienation: seine psychische Unkontrolliertheit de-
monstrativ und marktschreierisch als Kontrolliertheit zu verkaufen.
Beschwer dich nicht, sonst wirst du dir noch zu schwer.
Wer auf den Lauf der Dinge baut, vertraut sich einer mittlerweile zu
gezähmten Dialektik an.
Diogenes von Sinope, heißt es, sagt er, liebte alle, die es dann doch
nicht machten.
CCXLI
Quintakkorde, sagt er, empfinde ich als Verliese; und verstehe deshalb
auch nicht so recht, weshalb sie im Jazz auch power chords genannt
werden. Sind sie doch, musikalisch gesehen, durch einen Mangel cha-
rakterisiert, der auch Geschlechtslosigkeit genannt wird: den Mangel
an einer kleinen oder einer großen Terz, die sie einem Geschlecht zu-
ordnen würden.
Y: Hast du schon einmal jemanden gesehen, der seine Aussage Das ist
bedenklich! ernst nahm? – X: Oder auch nur ernst zu nehmen versu-
chte? – Z: Mir scheint, die Leute können auch das, was sie selbst sagen,
nicht mehr wörtlich nehmen. Und das ist immer ein dead end.
Magie & Placebo. - Y: Es ist bekannt, dass die Magie unmotivierte Ef-
fekte und Reaktionen bewirken und hervorrufen kann. - X: Das muss
man sich genau überlegen: nicht in ihren Effekten, sondern in ihrer
Unmotiviertheit liegt ihr Zauber. Der Zauber imitiert die Motivation
nicht, er ersetzt sie. - Y: Die eigentliche Tragik eines Liebestranks, zum
Beispiel, liegt in seiner Absurdität. In der Wirkung ohne Ursache. - X:
Er ist und schmeckt fad; wie ein unverdientes Glück. Glück kann nicht
zufliegen. Tristan und Isolde sterben an der Fadheit von Brangänes
Trick. –
Z: Sagen wir, im Deutschen etwa, deshalb: das ist doch geschenkt! - Y:
Die traditionelle Kritik an der Rhetorik hat hier ihren Ursprung. Das
Lügen hat man ihr verziehen, ihre ursachenlose Wirkkraft aber nicht.
- X: Lügen haben eine Art Substanz, Effekten aber, die ohne Anstren-
gung oder auch nur ohne Arbeit erreicht werden, versagen wir unsere
Anerkennung. - Z: Auch wenn wir davon träumen, dieses Verfahren -
spielend - zu beherrschen.
X: Bei Gorgias ist es, anscheinend, einfach der Rhythmus, der ja so
einfach, wie wir wissen, nun auch wieder nicht ist, dem die Sprache
ihre Magie verdankt. - Y: Aber dann wäre Magie, letztendlich, nur der
Effekt eines auf eine bestimmte Weise geordneten Klopfens oder
Stampfens. - Z: Also des Takts?
CCXLII
Einmal soll Sokrates zu seinem Dämon gesagt haben: Nimm wenig-
stens die Hand aus der Tasche! - Z: - Und: Sonst geh ich dir nicht aus
der Sonne. -
Fehlleistungen sind gut, wenn sie genial sind.
Alles, sagt er, geht in diesen Augenblicken auf, denen keiner angehört,
in denen es regnet, auch mal blitzt, oder auch nichts geschieht; das
heißt, sagt er, ich will ja genau sein, vordergründig schon, ein wenig
Welt scheint immer zu geschehen und danach zu schreien, genossen
zu werden. Und immer sind Freiwillige da. Scheiß egal! sagt einer von
den Freiwilligen. Und das bleibt dann doch in der Luft stehen. Aber
alle sind zu erfolgreich von dem Moment absorbiert, der sie zu sein
glauben, von dem sie besessen zu sein glauben. Du kannst dein smart
phone zücken und den Lärm dokumentieren. Ein liebenswerter Akt,
der dir aber weder Freude noch Freunde macht. Wie auch? - Der Kork-
Maniac Proust wusste das.
Man könnte sich verweigern. Zum eigenen Schaden. Das wäre wenig-
stens ein Gewinn. Ohne die Hilfeleistung einer mehrtausendjährigen
Geschichte.
Warum, sagt er, wird es das Jüngste Gericht doch geben? Wollt ihr das
wissen? - Damit dem kleinen alltäglichen Gekröse, das sich so unend-
lich aufbläht, endlich einmal die Nase abgeschnitten wird. - Das ist,
sagt er, schon alles. – Z: Lustige Vorstellung, dass beim Letzten Gericht
die ganze Masse aller wiederauferstandenen Menschen in der Gestalt
Pinocchios, jeder mit einer hochverdienten überlangen spitzen Nase,
in Reih und Glied vor dem Weltenrichter aufgestellt dastehen und, aus
Platzmangel, nicht wissen, wohin mit ihren bouts pointus du nez – und
sich gegenseitig, noch vor dem Urteilsspruch, ordentlich malträtieren.
Was sich über die Wirklichkeit sagen lässt, ist, dass sie immer zu wenig
ist. – Daher fällt die Aussage des Thomas von Aquin, dass selbst Gott
Geschehenes nicht ungeschehen machen könne, nicht bedeutend ins
CCXLIII
Gewicht. – Z: Aber auch Benjamins Überzeugung, dass nichts Gesche-
henes verloren gehen könne, fehlt jetzt, scheint mir, Charme und
Tröstlichkeit.
Z: Seltsam, dass das Bild des Netzes bei den Menschen so positiv kon-
notiert zu sein scheint. In einem Netz ist man in der Regel doch ge-
fangen, oder hängt darin fest; mehr oder weniger verloren.
Ich habe, sagte er, das Wort schönreden nie gemocht. Vielleicht weil
ich es nicht verstanden habe. Aber vielleicht bedeutet es ja so etwas
wie verklären. In dem Sinne, in dem Augustinus über den eucharisti-
schen Leib am Kreuz sagt: pendebat in cruce deformis, sed deformitas
illius pulchritudo nostra erat.
Die Leute glauben, dass Egozentrizität etwas mit der Qualität des Ich
zu tun habe. (Dosenlachen)
Gott hatte gesagt: Macht euch die Welt untertan! – Aber sie haben sich
Gott untertan gemacht. Das wird er ihnen nicht verzeihen.
Einsamkeit ist ein universale und hat nichts mit einer besonderen
Befindlichkeit zu tun.
Zweifellos funktionieren wir unter unserem Niveau. Aber was ist zu
wollen noch sinnvoll?
Es hat den Anschein, dass über deinem Denken das Motto Das muss
erst noch gehegelt werden! steht.
Das Schlimmste an der Gegenwart ist, dass sie das Vergangene nicht
bereinigt. Und das Verfehlte nicht wirklich ratifiziert.
CCXLIV
Seitdem die Metaphysik ausgefallen ist, ist das menschliche Leben -
und Denken - zwar noch zwingend, aber eigentlich nicht mehr inte-
ressant. Was bringt es uns, die Feinmechanik der Natur bis ins Aller-
kleinste zu verstehen. Das Verständnis des Allerkleinsten hilft nicht
einmal der dümmsten Seele.
Noch immer duftet es, auch in großen Städten, hier und da, nach Lin-
denblüten, und Frauen radeln vorbei, die bereit sind, Männerphan-
tasien ins Unendliche zu zerren. - Alles scheint noch zu beruhen. - Auf
was, das weiß aber keiner mehr.
Und noch einmal: Es geht immer nur um das Verzehren von Begehren,
um einem Neuen Platz zu machen. Schon bevor der Kapitalismus er-
funden wurde; und bevor er unterging.
Was jetzt ist, ist die Fetzenwirtschaft des Untergangs. Wovon der Ka-
pitalismus besonders schwärmt, wenn er wieder aufgewärmt. Der
Weltuntergang hat die Wärme des Urschleims. High tech, solange der
Strom mitmacht und sich aus der Luft greift. Weltgeschichte als prac-
tical joke.
CCXLV
操作 operation
Any token may be taken,
therefore,
to be an instruction
for the operation
for an intention
and may itself be given
a name
cross
to indicate
what the intention is.
Spencer-Brown
CCXLVI
Wenn Amöben sich solidarisieren, hält kein Universum stand.
Auto-Eugenik. Die Welt ist eine Zwergenwelt geworden, weil auch die,
die keine Zwerge sind, sich wie Zwerge zu optimieren versuchen.
Leben: der Versuch, Existenzmomente anzusammeln, solange die Ge-
sellschaft nicht dazwischenfährt, oder wenn sie gerade einmal nicht
dazwischenfährt.
Die Erkenntnis, dass du nicht mitmachen wolltest, ist um Dimensio-
nen grauenhafter als die, dass du nicht mitmachen konntest.
Das Bild unserer Weltzeit. Die Jagd. Auf das tote Kaninchen.
Er trägt es mit Würde. – Ein Satz, der so unsinnig ist wie: Er trägt seine
Ohren mit Würde. Oder gar: Ich trage mich mit Würde. – Z: Manche
behaupten ja, sich mit Gedanken zu tragen. -
Es ist tatsächlich ein bedeutender Grund zu Sorge, wenn plötzlich kei-
ne Wunder mehr geschehen.
Ich bewundere Menschen, die mit 80, 85, 90 Jahren mit einem ge-
wissen Humor, wenn nicht gar lachend, davon erzählen können, wie
sie als Kinder vor ihrer Familie ihre Seele, oder wenigstens die Haut
ihrer Seele gerettet und die anderen bleibenden Schäden integriert
haben.
Alles andere wäre gelogen. - Kannst du dir einen verlogeneren und
dümmerem Satz vorstellen?
Vielleicht genügt es, möglichst viele Gesten 1. kennengelernt, 2. aus-
geübt und 3. verworfen zu haben, um von einem gelungenen Leben
sprechen zu können.
Hand vor’s Herz!
CCXLVII
Ich hinge gerne mit mir zusammen oder würde mir gerne auflauern;
oder auch gerne beim Selbstgespräch zuhören.
Gibt es eine geschlechtsneutrale Variante zum markanten Kein Hahn
kräht mehr danach?
Er sagt: Gerade die, die sich dem Leben nicht stellen, nennt man Le-
benskünstler. Man erkennt sie an ihrem Outfit und ihren Körperspra-
chstörungen.
Umwerfende Vorstellung: Auch all die vielen Cyborgs beim letzten Ge-
richt. - Was werden sie mit denen anfangen? –
Die Welt ist eine Installation, die ihre Absicht nicht verbirgt. Daher ist
sie so undurchschaubar.
„Ich hasse nicht, ich bin nur kritisch.“ (München, 27. Juni 2019, 17h,
gehört am Rotkreuzplatz)
Wie simuliert man Autopoiesis? Frage an die Transhumanisten.
Ich denke geschwinder als das Licht. Meine Gedanken bleiben auf der
Stelle, die ihre Strecke ist.
Der Tag ist nur dazu da, das Wandern der Sonne zu beobachten. Aber
der Mond ist nicht die Sonne der Nacht.
Ein Gespräch erreicht seinen Höhepunkt wenn einer zur anderen
oder umgekehrt sagt: Jetzt bleib doch mal bei der Wahrheit! oder: Wa-
rum kann man das nicht einmal thematisieren?! -
Sagt der eine Gott (Monotheist) zum anderen (auch Monotheist): Ich
beschneide aber anders. - (Hier endet das erste Halbjahr 2019)
CCXLVIII
(Hier begann das zweite Halbjahr 2019) –
Wollte Ludwig II ein ewig Rätsel bleiben, weil er sich selbst nicht
verstand, und es den anderen nicht gönnte, ihn zu verstehen?
Er wollte sich selbst in Versuchung führen. Es gelang ihm aber nicht.
Die Menschheit hat den Tod Gottes akzeptiert, ohne Beweise dafür zu
haben. - Z: Eigentlich ist das untypisch für Leute, die behaupten, Ra-
tionalisten zu sein.
Sie verzichten ja auch darauf, sich ein Bild von der Zukunft zu machen,
auf die sie „mit aller Gewalt“ hinarbeiten. - Z: In gewisser Weise sind
sie wie Schachspieler, die hoffen, dass ihre Züge falsch sind. Sie ahnen,
dass die Züge, die sie für zielführend halten, nicht richtig sein dürfen,
um an ein Ziel zu führen.
Hoffnung ist ja nichts anderes als das Vertrauen darauf, dass das ei-
gene Verhalten irgendwie trotzdem zu dem hinführt, was man inten-
diert. Sie wird freilich meistens enttäuscht.
Vielleicht bleiben weltrettende Ideen zurzeit in einem so hohen Maße
aus, weil die, die sie haben könnten, vom erreichten status quo so an-
geekelt sind. - Einer, der die Biotechnologien und ihre Optimierungs-
utopien durchaus noch für eine Chance hält, sagte mir: Um da noch
helfen zu wollen, musst du krank und meschugge sein!
CCXLIX
Erdbeeren mit Chili. - Die Frage ist, wie viele der vielen Millionen ei-
nes, jüngsten Tages, in das endzeitliche Bio-Technotop eingelassen
werden. Das Heulen und Zähneknirschen draußen, wenigstens das
wissen wir, wird die Lustschreie drinnen um ein Neunfaches über-
tönen.
Das Leben ist effektiv nichts als die Zeit, die uns gegeben ist, um ar-
beitend, versagend, nichts tuend, bemüht oder mit rotem Kopf über
den Tod nachzudenken.
Wie wenn einem ein Schirm nachgetragen wird, der einem nicht ge-
hört. - Das rührt dich und du bedankst dich mit einer asiatischen Geste,
die gar nicht passt oder stimmt.
Die Grundfrage: Ist es so, dann wann und wo?
CCL
Gelenkter Automatismus. - Die Hände dessen, den manche Schöpfer
nennen, die Hände des Künstlers.
Medizinstudentin am Nachbartisch: Herzinfarkt find ich arschinteres-
sant, total cool, kein Scheiß, echt! - - Z: Der Herr behüte uns!
Ich denke dauernd und denke mich immer weiter weg von der Mög-
lichkeit des Gesprächs, der Kommunikation überhaupt. - Z: Das liegt
in der Natur der Sache.
Die größte Angst ist die vor der Unauflösbarkeit der Auflösung.
Wenn du Gespenster umarmst, musst du auf Distanz achten, damit du
sie nicht zerdrückst.
Wir sind, sagt er, noch immer, limitierte Auflagen des Göttlichen.
Le râleur parle: Nur Jacques Offenbach ist es gelungen, Weltsituatio-
nen auf ihre jeweiligen definitiven Formeln zu bringen. Denkende
Töne. Tönende Gedanken. Und der Witz ist nur Zutat. - Z: La subtilité
absolute en marche. Offenbach hat alle denkbaren Gedanken in Musik
verpackt. Obendrein ohne es zu wollen. Juste comme ca. - Wenn Hegel
ihn gekannt hätte, hätte er ihn beneidet. Schlecht unendlich. – Le
râleur: Seltsam, dass die Leute ihn so anders hören.
Wenn es da Fetzen Unendlichkeit im Angebot gibt, stelle ich mich
gerne an.
CCLI
Ja, ich weiß, dass meine Art zu denken in dieser Welt nicht funktio-
niert. Aber sag Du mir bitte, warum? Ich bin doch auch von dieser
Welt.
Er sah die Lösung vor sich, in der Entfernung eines Knopfes. – Oder
war es ein Kopf?
Grâce ! - Réciprocité sacrale. - Auch die Heilswirksamkeit eines Kult-
objekts beruht auf Gegenseitigkeit. Sie muss verdient sein. Wer ver-
suchswiese nach Gnade ruft, wird nicht bedient. Hier geht alles nur
biliteral zu. Compassio wird vergütet mit Gnade und umgekehrt und
dann wieder umgekehrt: videt ut sibi visum fuerat – ad infitum.
Ist die Peep Show nicht der Standard einer phänomenologischen Situ-
ation? Oder der Andacht überhaupt? - Der mehr oder minder leiden-
schaftliche Anspruch auf etwas, das zu erlangen die Chance eher ge-
ring ist. - Z: Im Falle der Peep Show ist das ein Glück. Im Falle der Me-
ditation eher schade.
CCLII
Fresko. Das auf eine Wand gemalte Buch, vielleicht in der Hand eines
Heiligen. Die Risse in der Wand, die auch Risse im Buch sind. Je un-
lesbarer sie in ihrem Stolz sind, und sie sind unendlich unlesbar, desto
mehr schreien sie; nach Lesbarkeit. Ertragen kann man das nicht. Die
Beobachter können es am wenigstens. Das, was sie wollen, das kön-
nen sie am wenigstens. Und sie wünschen sich, sie könnten stattdes-
sen auch einen mittelgroßen teuren Rassehund durch die Landschaft
führen. Das vermittelt wenigstens autoaffirmative Gefühle.
CCLIII
Die höchste Form der Fitness ist die Subtilität. - Wenn du wissen möch-
test, wie ungefähr Ideale aussehen, versuche dir das Fleisch und die
Muskeln der Engel vorzustellen.
Was uns das Consulting verrät. - Die Macht der Berater gerade beweist,
dass wir endgültig auf der Seite der Uneigentlichkeit angekommen
sind. – Versteht ihr?
Das Elend der zufälligen Form. - Z: Aber meine Fingernägel sehen ge-
rade doch einmal recht adrett - wie ich das Wort hasse! - aus.
Schwellenzauber (V). - Die Idee einer Schwelle ist oft verbunden mit
der Vorstellung, dass sie stabil sei, eine Stufe aus Granit. Aber sie muss
es nicht sein. Sie ist es auch eher nicht. Eine Schwelle, so sagte mir
eine, die mir vertraut war, zieht es vor, labil zu sein. Labilität ist, sagte
sie, mein Wunschformat. Darin bin ich unerbittlich und rigoros.
Per cellam ad coelum.
„...nicht aber tritt (der Gehalt des Schönen) zutage in der Enthüllung,
vielmehr erweist er sich in einem Vorgang, den man gleichnisweise
bezeichnen dürfte als das Aufflammen der in den Kreis der Ideen ein-
tretenden Hülle, als eine Verbrennung des Werkes, in welcher seine
Form zum Höhepunkt ihrer Leuchtkraft kommt.“ (Walter Benjamin)
CCLIV
関係 Relation 深度 Depth
Die Hostienmühle
Having decided
that the form
of every token
called cross
is to be perfectly continent,
we have allowed only one kind
of relation
between
crosses:
continence.
Spencer-Brown
CCLV
.A: Wir sollten uns den Schweifreim zum Vorbild nehmen. – O: Weil er
eine Abart des Schweifsterns ist? - :
Es wird der bleiche tod mit seiner kalten hand
Dir endlich mit der zeit umb deine brüste streichen /
Der liebliche corall der lippen wird verbleichen;
Der schultern warmer schnee wird werden kalter sand /
Der augen süsser blitz / die kräffte deiner hand /
Für welchen solches fällt / die werden zeitlich weichen /
Das haar / das itzund kan des goldes glantz erreichen /
Tilgt endlich tag und jahr als ein gemeines band.
Der wohlgesetzte fuß / die lieblichen gebärden /
Die werden theils zu staub / theils nichts und nichtig werden /
Denn opfert keiner mehr der gottheit deiner pracht.
Diß und noch mehr als diß muß endlich untergehen /
Dein hertze kan allein zu aller zeit bestehen /
Dieweil es die natur aus diamant gemacht.
Hofmann von Hofmannswaldau
Schönheit ist, wenn sich ein Teil der für übertrieben erachteten Mög-
lichkeiten realisiert. Deshalb ist Schönheit so übertrieben selten.
Sieh es doch so: Du kannst alles goutieren, was nicht dir gilt, und so-
lange es nicht dir gilt. Lass die Krustentiere hämisch murmeln. Die
größte menschliche Freiheit ist, nicht betroffen zu sein. Nicht ein Kno-
ten des Netzes zu sein, das dich trägt. Dann lieber doch ein alter Fi-
scher mit einer unpassenden Kopfbedeckung, etwa einem Tirolerhut,
am Meer, der seine Netze flickt und den Blick in die Falle des fernen
Horizonts schickt.
CCLVI
書かれざる囲い Unwritten cross
Worte und Gedanken sind, auf je eigene Weise, die Hindernisse, die
sie zu überspringen ansetzen.
Vollkommenheit gibt es nur als das gebrochene Versprechen des Un-
vollkommenen.
Y: Was dahinter liegt, das siehst du nur vor der Mauer. – X: So muss
dein Blick vom Diesseits gebrochen sein, um dir ein Jenseits zu zeigen.
– Z: Ich sehe eine unendliche Schwingtür vor Augen, die mit unend-
licher Geschwindigkeit schwingt, gleichsam in sich pulsiert, so unend-
lich sie ist. Wie unsichtbares Blut. Wobei Diesseits und Jenseits abtro-
pfen als Zeit und Raum.. – Y: Wenn du das wirklich so sehen kannst,
(X stimmt ein:) – gilt dir unser ganzer Neid. –
Beautiful paradox. Failure is progress. (Žižek)
Dialectics. - Endless Distortion of endless distortions.
Die wichtigste Funktion des Denkens: Abstand schaffen. - Z: Was be-
deutet reflektieren denn auch anderes als zurück- und wegschicken?!
Jeder Augenblick verändert alles Kommende. Ein Augenblick vorher
war das Kommende noch etwas Anderes. Darin zeigt sich das Behut-
same der Zeit. - Z: So kann man es sehen.
Das Wort, der musikalisierte Gedanke.
Seit ihrem Austritt aus Eden geht sich die Welt verloren. Es ist schwer,
ich denke sogar unmöglich, den Zeitpunkt zu bestimmen, seit dem es
systematisch geschieht. Und wie lange der Rest ausreicht, um verlo-
ren zu werden.
CCLVII
Der Zauber findet nicht statt. Das macht ihn zum Zauber. Und uns ab-
hängig.
Übersetzen muss wieder adaptieren werden. Wie zuzeiten Diderots,
in etwa.
Drehleier, Kaffeemühle, Geschick. – Z: In dieser Reihenfolge?
Wenn wir ein wenig weitergehen, ein Archipel von Labyrinthen.
Sich immer weniger an den Verlauf anpassen.
Die Lust des kurrenten Fortschritts besteht darin, die Würde des Men-
schen in Frage zu stellen, mit dem Ziel, sie ihm zu nehmen. Unwi-
derrufbar.
Und doch ist auch jede Musik eine Musik der Zustimmung, so sehr sie
sich anstrengt, es nicht zu sein. Sie stimmt zu wie ein störrischer Fels.
Es kam vor, dass er mit seiner rechten Hand das alte Meditationskreuz
liebkoste und dabei in seiner linken ein Bier hielt.
Zu wenig erprobtes Kurzgebet: Herr, nimm mich zusammen!
Du darfst aus Prinzip abwinken, wenn dir der Himmel mitteilt, dass
er dich zu verstehen versucht.
Himmel? - Das ist nur ein anderes Wort für eine Badewanne aus Berg-
kristall.
CCLVIII
Die Menschen sagen heutzutage dann genau! wenn sie spüren, dass es
anders ist.
Einer anderen Welt anzugehören, das ist im Alltag nicht nur ein
Vorteil.
Bitterer und bitterer: Grammatisch unmöglich. Aber sachlich beherr-
schend.
Leben heißt turnen in einem ungeeigneten Gelände. Es stärkt nicht
einmal die Muskeln. Oder nur die.
Vor dem Himmelstor wirst du anfangen zu schwitzen, ohne dass du
es für nötig hältst.
Wir können zustimmen, solange wir keine Ansprüche mehr haben,
also immer.
Das Sein ist ein augenzwinkerndes Angebot. Ohne jede Garantie.
Nur sehr wenige können sich ein körperenges Gewand leisten. Des-
wegen hat sich auch Christus für relative Nacktheit entschieden.
Viele Dinge sind sich gleichgeblieben. Aber das wusste ich damals
nicht.
Der Mangel an Tiefe wäre gut, wenn er nicht auch ein Übermaß an
Oberfläche bedeutete.
Schade, dass das Leben nicht ansteckend ist.
Respekt ist gut; aber nie kreativ. Entweder besitzt der Respekt gar
keine Zeugungsorgane oder er ist steril.
CCLIX
Wenn du von Etwas etwas erwartest, bedeutet das, dass du glaubst,
dass dieses Etwas mehr werden kann. Das ist einerseits mutig, an-
dererseits eine Zumutung.
Daher solltest du niemandem mit Erwartungen begegnen.
Auch Lawinen sind nur Symptome.
Ich möchte auf keinen anderen T-Shirt vorkommen. Definitiv.
Kannst du dir bitte, nur kurz, ein Spiegelkabinett aus Träumen vor-
stellen!
Der Weg ist die Zeitachse eines Gartens.
Mit einem Kunstwerk, zum Beispiel, hat die Deutung das Zeug, da-
rüber hinauszugehen. Daher deuten viele lieber; als dass sie erfinden.
In seiner Epoche, sagte er, hätte man der Masse des zu Bedeutungs-
losen zu viel Bedeutung zugemessen und für Bedeutung kleinen Platz
mehr gelassen. So ganz verständlich, sagte er, schiene ihm das nicht. -
Z: Das ist, als würde man nur das zu Zufällige anerkennen und in allem
anderen keine Seinswürde sehen.
Du solltest auch niemandem mit Erwartungen zuvorkommen.
Tut doch, sagte er, einmal so, als gäbe es tatsächlich Selbstverständ-
lichkeiten! Ihr würdet eure Welt nicht wiedererkennen.
Igle, sagt er, dich ein,schon jetzt, in dein künftiges Vergessensein, von
dem du nicht weißt, wann es begonnen hat. - Z: Jedenfalls schon vor
deiner Zeit.
Unschuld befähigt. – Z: Ist das so?
CCLX
Was verstellt den Blick am erfolgreichsten? - Die eigenen Selbstver-
ständlichkeiten.
Auch wenn einer sagt, es war noch nie so fest gegründet, beschreibt
er nur einen Übergang, einen Übergang im statu nascendi. Nichts er-
scheint beständiger.
Was wir Dinge nennen, sind Reste, die sich der Beurteilung entziehen.
(Freud)
Gibt es, fragt er, mittlerweile eine treffendere Definition der Mensch-
heit als Milliardengeschäft Hinfälligkeit? - Z: Nicht, dass ich wüsste.
Man muss, sagte er im Gehen noch, endlich zugeben, dass das Ver-
schwinden die einzige Seinsform ist.
Er konnte nicht genießen, nicht einmal die Welt, bei ihm war alles zu
solide und unverspielt . Das wusste er selbst und bedauerte es.
Er versuchte sich so zu sehen, wie Menschen sich nur sehen können.
Das war unter seinen vielen Fehlern der Fatalste. Manche sagen sogar,
es war sein letaler Fehler.
Gegensätze müssen sich leiden lernen. Dann können sie weitersehen.
Das Rätsel ist die einzig denkbare Erscheinungsform des Geheimnis-
ses. Was nicht zum Rätsel werden kann, muss in seinem Geheim-
nisstand veröden. Das, denke ich, kann kein Geheimnis wollen.
Rätsel sind definiert durch ihre Promiskuität. Nichts bietet sich so zur
Lösung an wie das Rätsel.
Was Geheimnisse und Florentiner Gürtel gemein zu haben vorgeben. -
Das Rätsel ist die Geste, mit der es dir einen Schlüssel reicht, um seine
ceinture de chasteté zu lösen. - Z: (sehr leise, quasi hauchend) Enjoy!
CCLXI
Bruder Novalis. - Unsere Tagseite trägt nicht weit. Aber sie verführt
uns, die Nacht zu beneiden. Selbst um ihre Schrecken.
„...das nicht Bestimmbare bedroht das Umhortete als ein Gespinst, das
unserem Zugriff entweicht und das, weil es nicht begreifbar ist, im
unmöglichen Begriff des bloß Ersponnenen, d.h. als Produkt irrer und
verwirrter Phantasie entmächtigt werden soll.“ (Siegbert Hummel)
Das Zerstörerische erscheint uns nur solange als feindlich, solange
wir es nicht als förderlich erkennen und erfahren. - Z: Spielst du etwa
auf deine Klugheit an?
Wie das Leben so spielt. Wittgenstein würde fragen: Spielt das Leben
denn? - Z: Ja, vielleicht. Vielleicht ist das Leben das verspielteste
Sprachspiel überhaupt. Das würde seine unbekümmerte Brutalität -
zum Teil wenigstens - erklären.
Versuche das Liminale mit Brücken zu überraschen.
Denke dir, jemand, den du nicht zu kennen glaubst, kommt zu dir,
spricht dich an und sagt: Ich habe dich durchschaut und erkannt. Du
bist ein Ding, eine Futterdose. - Wirst du dich erinnern können? Oder
wirst du widersprechen? Einem längeren Gespräch auf einer Park-
bank wirst du dich jedenfalls nicht verweigern können. Sucht aber
einen Ort, wo euch die Pizza-Kuriere nicht stören. Es gibt nur wenige
Menschen, die vor einem ernsten Gespräch noch Respekt haben und
still daran vorbei- oder gleich aus dem Wege gehen.
Ich glaube, sagte er, das ich schon mindestens einmal etwas Ähnliches
geschrieben habe, aber ich muss es hier wieder sagen: Der Moment,
in dem wir uns am festesten im Griff haben, ist der Schmerz. -
Vielleicht kann man aber auch noch die Angst nennen. Und den Traum,
aus dem wir keinen Ausweg finden, bis er uns einfach fallen lässt.
CCLXII
Widersprüche müssen an den Punkt gebracht werden, wo sie die
Seiten und die Rollen tauschen können.
Endzeit ist, wenn sich der Verfall zu einem stabilen Wackeln verfestigt
hat, wenn es in der Küche wie nach einem Erdbeben aussieht, und alle
versichern, dass sich in der Nacht nichts gerührt hat, wenn wir uns
aus Bequemlichkeit auf die Ergebnisse der Forschungen von For-
schungsinstituten berufen, wenn wir mit keinem Schrei auf den Lip-
pen aufwachen. Endzeit ist, ganz natürlich, immer gerade jetzt. Es ist
immer der Augenblick, der uns nicht bekümmert. Bekümmert er uns,
ist er vorbei. Und wir warten erneut. Auf eine andere Tranche.
Wenn es dir besser geht, dann nur aufgrund; aufgrund von Unbe-
schreiblichem. Vielleicht aufgrund einer Steinlaterne, die schon vor
langem von einer Flut, in Japan zum Beispiel, weggespült wurde.
Höchst erbärmlich. Man weiß, sagt er, und erinnert sich an viel mehr,
an Details zum Beispiel, unterliegt aber trotzdem immer. - Z: Du dach-
test also, das Styling sei nicht so wichtig und überließest dich deinem
Genie. – (noch immer Z:) Klug war das nicht.
Es hat keinen Sinn. - Was für eine Ausdrucksweise! Wie viele Unter-
stellungen darin liegen!
Das Es gibt es nicht, das Haben gibt es auch nicht. Und liegen kann
nicht, was nicht lügen kann. - Z: Das verstehe ich nicht.
Und manchmal klingt es tatsächlich ( - schon wieder eine Hommage
an Wittgenstein! - ) so, als wäre jemand da.
Du musst selbst deine eigene Welt in ihrer Unordnung belassen, sonst
verlierst du auch sie. Sie wird dich verlassen. Sie wird Dir abhanden
kommen, nicht umgekehrt. – Und eine Unordnung, die keine Ordnung
wäre, gibt es ja mindestens seit Hegel nicht mehr.
CCLXIII
Adorno hielt die Sprache seiner Zeit für ‚verschlammt‘. Wie würde er
die Sprache meiner Zeit, also auch meine, qualifizieren?
Solange die Haut noch die Knochen überlagert und ihnen, zumindest
in ihren Konturen, noch folgt, besteht eine Art Hoffnung. Unter der
Bedingung, dass Hoffnung überhaupt bestehen kann.
Y; Wollt ihr miteinander schlafen? – A und O: Nein! Nein! Um Gottes
Willen! – X: Aber was bleibt euch denn dann noch?
Was für ein Privileg, sich nicht einmischen zu müssen!
Wie schön es ist, so einfach zu sein!
X: Gott ist mein Zeuge. – Y: Wer denn sonst? - Z: Du meinst, wer könnte
es sonst denn noch sein? Deine Frage überzeugt mich.
Aber ein irdischer Punkt wäre wichtiger als ein archimedischer. – Z:
Du meinst wieder einmal deus sive natura?
Aber Hallo! - Die Differenz zwischen Das ist wahr! und Das ist falsch!
ist beiläufig. Allerhöchstens. – Z: Den Hegel wirst du nicht mehr los.
So sehr du dich auch nicht anstrengst.
Alles Störende solltest du ‚mit einem mäßigen Trinkgelde beseiti-
gen‘ (Goethe, in einem anderen Zusammenhang).
Kollege Atlas, revisited. - Klugheit, sagt er, ist ein Fluch. Er benimmt
dich jeder Ähnlichkeit. Er ist verantwortlich für das unendliche Ge-
wicht des Seins.
Y: Rameau versuchte, sich die Welt von der Seele zu schreiben; und er
schnitzte sie sich, mit einem furchtbaren Schnitzmesser, in seine Seele
ein. Wir dürfen ihn dabei beobachten, wenn wir seine Musik hören. –
CCLXIV
Z: Und Offenbach? – X: Das ist noch viel, viel trauriger. – Y: Das geht
auf keine Kuhhaut.
Z: Was wollt ihr denn der Welt noch klarmachen? – Y und Z: Ihre Fin-
sternis. Ins Dunkle verloren zu sein, das ist doch schöner als von Satel-
liten gelenkt zu werden. Sollen wir uns denn den letzten Genuss noch
nehmen lassen?
Ein Pleonasmus an-und-für-sich: Ausnahmezustand.
Wenn du mich nicht auf den Punkt bringst, brauchst du erst gar nicht
mit mir anzufangen. - Z: Sehr gut. Das entlastet mich.
Gespräch in der Ebene. - Der Dichter sagte, wenn deine Texte gelesen
werden, ist das nicht, als würdest du dich ausdehnen, als würdest du
an Fleisch dazugewinnen? - Der Denker stimmte zu und sagte, das sei
die andere Art der Fleischwerdung des Wortes.
Du weißt nie, wem du gehörst, aber hast Glück, wenn du die Frage
stellen kannst.
Das Denken, da hat Heidegger durchaus recht, ist ein Wandern oder
ein Flanieren, mit einem eleganten Stock in der Hand, aber in einem
Tunnel ohne Ausgang. Wir wissen auch nicht, wie wir da hinein-
geraten konnten. – Z: Und der Stock, wo haben wir den denn her?
Un geste presque absolu, essayant de ressentir la vision. - Stell dir vor,
du schließt deine Augen und legst die Zeigefingerspitzen auf die ge-
schlossenen Lider. – Und jetzt tu es! -
Pseudo-Laozi. - Das Herz beginnt zu begreifen, wenn es erbleicht.
Gedanken sind nur frei, wenn kein anderer im Weg steht. - Z: Ich sollte
es wissen, aber meinst du einen anderen Menschen oder einen an-
deren Gedanken? -
CCLXV
Wittgenstein, sagt er, wusste, dass er nur in einer Atmosphäre klir-
render Einsamkeit denken konnte. Er musste sich eine Hütte bauen
oder hin und wieder, auch wenn es nur einmal bezeugt ist, einen
Schürhaken zur Hilfe nehmen, um sich Denkfreiheit zu schaffen.
Deshalb, sagt er, wisse er partout nicht, warum er es sich gut gehen
lassen sollte.
Außerdem sei er, anders als man es den Tieren nachsagt, auch ante
und ohne coitum traurig. Und er habe längst keine Lust mehr, die Din-
ge so zu deuten, wie man es ihm nahelegt. Früher war ihm das unge-
schickt verborgene Interesse zuwider, heute die zur Schau getragene
schamlose Dummheit.
Das Beste zahlt sich nicht aus, das Gute schon gar nicht.
Die einzige Erzählung, die noch geschrieben werden sollte, ist die
über das Innere Leben eines Bachhaft39. Der Erzähler könnte bei die-
ser Gelegenheit auch versuchen, den Begriff des Eizahns zu populari-
sieren.
39
Hafte haben vier dünne, meist durchsichtige Flügel.
CCLXVI
Redukte l
Nur der Entschluß, den man auch für eine Willkühr ansehen kann,
(Hegel)
Was machen die nur alle, Tag für Tag, mit ihren Waden? Worauf sind
sie aus?
Er habe, sagt er, sich ein Leben lang überfordert, aber versäumt, da-
rauf zu reagieren.
Du müsstest in die Welt hängen, wie deine eigene Kapuze, wie dein
eigenes Glockenspiel, wie dein eigener Botox-Mund, wie ein Silberling,
den jemand, aus Versehen, für dich eingesetzt hat. Wenn du unfraglich
authentisch sein möchtest. Sie werden dich dann für den Messias
halten, echt.
Da ich, sagt er, mich aus Vernunftgründen bemitleiden muss, bleibt
für die anderen kein Mitleid mehr übrig. Das ist, ich weiß, bedauerlich.
Eine sanfte Kritik würde, wie eine sanfte Brise, die Welt erledigen und
erübrigen.
Man muss sich, nachträglich, das Leben zusammendenken, weil es
nicht anders geht.
Wenn im Kopf die Dinge durcheinander wirbeln, dann wissen sie we-
nigstens, was sie sich schuldig sind.
Wenn es Trost gäbe, wäre er eine Absprache; zwischen Anfang und
Ende.
Das Leben, sagt er, nach langer Zeit, ist eine bedingungslose Lüge. Al-
les andere ist verwaschener Kompromiss.
CCLXVII
Wäre ich so stark, wenn ich nicht ein Abgrund aus Schwäche wäre?! -
Das Abgründige setzt sich über das Lebendige hinweg.
Man sollte manchmal von Generalkonsonanten sprechen.
Manchmal spüre ich das Gewicht eines Satzes wie eine gefüllte Tasse,
deren Henkel auf meinem abgewinkelten Mittelfinger lastet, während
es Daumen und Zeigefinger zu sich zu ziehen versucht.
Man muss das Leben anders nehmen als es ist.
Und wenn man es sich nimmt, im Sinne Hegels, muss das Leben sich
anders geben als es ist.
Der Wirt der Welt hat auf die Rechnung keinen Einfluss. Die Milch-
mädchen freilich auch nicht.
Jeder neue Gedanke ist ungewöhnlich. Er kann gar nicht anders. Die
Welt erkennt ihn daran. Und lässt ihn fallen.
Und tief im Brunnen erlebt er seine Wiedergeburt. Teilnahmslos.
Könnte es nicht sein, dass es vielmehr Gott ist, der im Detail steckt?
Die schönste Grabschrift, die es nicht gibt: Ein bisschen gebetet, ein
bisschen nachgedacht, ein bisschen geschrieben.
Wie schön es sein muss, am Rande eines Golfturniers zu stehen und
etwas zu bestätigen.
Und daraus erklärt sich die binäre Grundstruktur des Gartens. Der
Garten ist voll von Unterscheidungen. Er ist die Pracht der Unterschei-
dungen. - Z: Also Schönheit?
CCLXVIII
Der Garten ist Einheit und Entfaltung. Auch das Denken ist Entfaltung
und Einheit. Das Eine nicht mehr als das Andere.
Denke so, als wolltest du die Obertöne aus ihrem Versteck locken.
Nein, denke so, als müsstest du es.
Dann sagte er noch: In der eigenen Genialität stecken zu bleiben, das
ist nicht gut. Das ist sogar ein großes Elend. Aber es bietet Genüsse.
Darin liegt ja das Elend.
Den gelassenen Faltungen des Universums zuzusehen, das ist recht
schön.
Er sagte aber auch noch: Ein ganzes Leben lang versuchst du, vergeb-
lich, die Welt in deinen Kopf zu holen.
Warum malträtiert dieser mangelnde Kurzschluss mit der Welt einen
so? - Der sollte einen doch in Stimmung halten oder wenigstens brin-
gen!
Das ist wie im Bad. Wenn du das Wasser rechtzeitig ablaufen lässt und
die akute Passage bis zum Ende liest, brauchst du kein Handtuch.
Das Regengeräusch in der Nacht kommt gegen die Künstlichkeit des
Untergangs nicht mehr an.
Alles, was schließlich doch nicht versinkt, stärkt deine Nostalgien. -
Versäume daher nicht, dich kritisch zu beäugen. In Cafés. In Kirchen.
In Grotten. Im Bett.
Sei herzlich zu dir, damit du nicht verlernst, was das war.
Jede wahrgenommene Landschaft, ja jedes wahrgenommene Ding ist
aus dem Unendlichen gleichsam ausgeschnitten oder herausgehoben.
CCLXIX
Der Blick führt das Unsichtbare im die Sichtbarkeit, wie die Hand ei-
nes Künstlers aus dem Material eine Form entstehen lässt. Auch das
Verstehen ist eine formgebende Kunst dieser Art.
Die Natur ist immer draußen. Und die Landschaft ist nur im Inneren
des Betrachters.
Keine Erfahrung macht Sinn, selbst wenn daraus nichts wird.
Seit kurzem habe ich eine Atlaszeder im Gepäck und einen Kirsch-
lorbeer.
Er sagt, wichtige Entscheidungen überlässt er sich selbst.
Ein kleiner Wind von Schmetterlingsflügeln rastet auf den Augen-
lidern; und sagt, es ist unhöflich von dir, dass du keinen Sinn hast,
mich zu verstehen. Dabei rede ich gar nicht in Rätseln. Meine Klarheit
ist es, die dir unverständlich ist. Die Transzendenz hat keine Krallen.
Sie hat aber vielleicht Pfoten. Phantompfoten. Wie du die zu spüren
lernst, das überlasse ich dir. Versuch es einmal mit Phantomsinnen.
Esemplastische Chirurgie. - Ein Erbe Nietzsches, nach dem Ende der
Endzeit: Das Vorzüglichste herausfinden, herauslösen und einverlei-
ben. Das Restfleisch der Apokalypse.
Die Selbstaufgabe ist ein verspätetes Symptom, zur rechten Zeit.
Ein Messias, zweite Garnitur: Wenn sie doch wenigstens meinen Witz
verstehen würden!
Das Leben wartet auf die Bestätigung durch sein Gegenteil. Kluge Ver-
geblichkeit.
Jetzt hat er sich endlich durchgerungen zu sagen: Gott schuf den Tod,
dass dem Leben doch noch eine Erfüllung würde. - Z: Aber jede Erfül-
CCLXX
lung, das wissen wir spätestens von Faust, ist nur ein Verweis auf das
nächste Versprechen.
Einmal, sagt man, war der Süden gut. Die Sonne. Der attische Himmel.
Die Sehnsucht hat ihr ihre geographischen Markierungen verloren. -
Z: Ihre irdischen.
Du willst unbekümmert leben? - Vertreibe die Gedanken, systema-
tisch!
Anti-Lesch. Wahrheiten verlieren sich in der verwässerten Form ihrer
Darstellung. Unwiderruflich.
Du fragst mich? - Ja, man kann sagen: Kinderstimmen schwimmen
skandierend durch die Luft. Weil auch Wellen nicht mehr sind, als
skandiertes Wasser.
Das Tun ist die erfolgreichste und unauffälligste Form, etwas zum
Verschwinden zu bringen.
Szene l. - Ein kleines Mädchen schiebt einen Puppenkinderwagen ver-
gnügt, immer vergnügter um einen Pool, scheint Anlauf zu nehmen
und schleudert den Puppenkinderwagen schließlich, mit Lustschrei-
en, ins Wasser.
Alles Vergangene ist als Vergangenes gleich vergangen.
Er sagte, er habe Ausdrücke gefunden, die gleichzeitig ein Ideal und
dessen Unmöglichkeit benennen, zum Beispiel: „ein sympathischer
Radfahrer“.
Die Lemminge stürzen sich im Gleichschritt in den Untergang. - Z: In-
telligenz ist eben immer speziell. Der Hass auf den Gleichschritt ist
ihre Grazie.
CCLXXI
Wirklich ist nur die Stille, die dich in Gedanken überkommt.
Die Masse versaut nicht das Leben der Einzelnen, die können sich hel-
fen. Die Masse versaut das Leben der Masse.
Die Menschen sind das klügste, das subtilste und hässlichste Produkt
der Natur.
Wie unwiderrufbar alles ist! - Das könnte wehtun. - Z: Aber wir tun so,
als wären wir darüber hinweg.
Das Elend der Stewardessen ist so unbeschreiblich wie kein anderes.
Man könnte, sagt er, ergänzen: Dass sie - die Stewardessen natürlich -
es nicht merken, das ist ihr einziges Glück. Aber wer könnte noch da-
ran Interesse haben, das zu lesen oder gar zu verstehen? - Chor der
Kinder: Keiner!
Die Welt ist über ihr Ende hinweg. Sie glaubt, es verkraftet zu haben.
Aber wer kann sich schon verkraften? - Chor der Kinder: Niemand!
Man sitzt dazwischen als gehörte man nicht dazu und sorgt für Stabi-
lität.
Zwei dunkel gekleidete Engel durchquerten seinen Traum und frag-
ten ihn: Dürfen Seelen denn sein?
Das schnell Vergängliche reibt sich am langsam Vergänglichen auf.
Das Verschwinden ist der Pudelskern des Relativen.
Nur das kann es geben, was sich aus der Hand gibt.
Engelskonzert. - Klangmöbel unter sich. - Z: Klangmöbel mit Spinnen-
händen. (Isenheimer Variante.)
CCLXXII
Das Leben ist zu kurz, weil jeder Aufenthalt zu kurz ist. - Z: Warum
eigentlich?
Womit du das Dasein auch immer vergleichst, es macht keinen Unter-
schied.
Ob ein Buddhist schon einmal auf denGedanken gekommen ist, den
so genannten Liebesakt ein kleines Nirvana zu nennen?
Wie der kleine japanische Junge auf dem Fahrrad, der durch die Tau-
ben hindurchklingelt.
Wenn du dir die Ewigkeit als einen unendlichen Teller voller Suppe
vorstellen kannst, sorge dafür, dass dein Geist wie ein Wurm an der
Angel immer in der Unendlichkeit dieser Suppe treibt. - Z: Petri Heil!
Das Denken scheitert an seinem Überfluss, ohne den es sich nicht in
Gang gekommen wäre.
Jeder Anfang verdankt sich einem Überfluss, der zurückgenommen
oder abgeschöpft werden muss.
Finem lauda, nichts anderes: die Krone der Abschöpfung.
Selbstliebe ist die größte Respektlosigkeit neben dem Narzissmus.
Szenographie der Gegenwart. Vertraut und heimatlich erscheint nur
das, was Fake ist.
Wenn sich das Übel, das sich auf den Innenhäuten deines Körpers und
deiner Seele gesammelt hat, löst, fächelt es, ähnlich sah es auch Celan,
der Zunge Licht zu. Aber die Zunge wendet sich ab. Aus Scham, Rüh-
rung und Zorn.
CCLXXIII
Er schüttelt, sagt er, das Glück ab wie Staub oder andere Verfolger.
Gott, sagt er, fordert mich schon lange zum Lachen auf. Bislang ohne
Erfolg.
Präzisierter Heidegger: Dasein ist Verschleppt-Seyn. Faktisch ein Sich-
Hinschleppen-zum-Zum.
Alles, sagt er, was ich hinterlassen werde, ist...
Man sitzt da und denkt. Und plötzlich sind die Flaschen leer.
Wenn du denkst, gerät die Zeit ins Gleiten, selbst wenn du denkst, es
sei nicht so. Oder du denkst nicht.
Manchmal gehört nur der Geschmack der Vergangenheit an. Du bist
fast zuhause.
ES ist nicht zu begreifen. - Z: Was für ein Satz! Und woher weißt du
das?
Unter deinem Schutz und Schirm. - Die Heilige Mutter Gottes wusste,
warum sie immer einen Schirm bei sich hatte.
Ihr geht so schlecht mit mir um, sagte er, weil es mir nie gelungen ist,
so egozentrisch zu sein wie ihr. - Das ist nicht sehr freundlich.
Es verhält sich eigentlich sehr einfach. Die Dinge müssten noch wer-
den.
Das absolute Zeichen für mangelnde Einsicht ist die Selbstverständ-
lichkeit.
Cioran hat Celan einen unmöglichen Menschen, sagt er, genannt.
CCLXXIV
Aber ich sage euch nicht, sagt er, was im Leben daneben geht.
Aber es brauchte auch nicht so sein. - Das ist der Name der Schuld.
Mit der Körperlust hat es ein Ende, wenn du denkst wie die anderen.
Die Weltgeschichte wird dir klar, wenn du die Chance hast, über Mo-
nate hin, zu beobachten, wie dir ein Zahn ausfällt. Langsam und be-
stimmt.
Das Ungeheuerliche ist nie angenehm, aber immer ganz nah. Wie ein
kleines Mädchen, das Eis isst. Rote Kälte, zum Beispiel. - Z: Vielleicht
solltest du doch Geschichten schreiben. Warum hasst du sie so?
Was der Weltgeschichte hätte gelingen sollen: das Milde auszubilden.
Sie hat es verfehlt.
Viele freuen sich dennoch, bäuchlings.
Was definiert Präsenz?
Man könnte unter bestimmten Bedingungen sein ganzes Leben zu-
rückrufen. Aber es würde keinen Sinn machen. - Z: Seltsame Rede-
weise.
Wenn du gar nichts von der Welt erwartest, kommt sie dir zwar nicht
entgegen; sie stört aber nicht mehr.
Modifizierter Fafner: Ich lieg. Und besitz nichts. Lasst mich schlafen.
Er kicherte und sagte: Ich bin mein Meditationsraum und gehöre mir
ganz.
Es ist sehr einfach, eine Lebensgeschichte, eine Weltgeschichte in kür-
zester Zeit nachzuvollziehen. Man muss es nur tun. - Z: Es ist dann, als
CCLXXV
wärest du zärtlich mit jemandem zusammen, den du nie kanntest.
Aber plötzlich weißt du, du weißt alles über ihn.
Ist es ein schlechtes Zeichen, wenn du - als Mann - an herausgeputzten
Stewardessen nicht mehr interessiert bist? - Z: Kein schlechtes Zei-
chen. Dann bist du alt.
Und jemand hat eine gelbe Brille ohne Gläser und ohne Bügel auf ei-
nem Flugzeugflügel vergessen.
Er spränge, sagt er, gerne einmal in Wolkentaschenteiche.
Dass Deutschland, über den Wolken, wo man es nicht sieht, so schön
ist!
Man braucht immer nur einen Tag mehr, um sich zu präparieren. Und
sich hinter leeren Fensterrahmen sich zu verstecken, ist immer eine
Option. Aber der letzte Beweis für die eigene Existenz fehlt immer.
Es gibt keine Form, die, ihrem Wesen nach, nicht dialektisch ist. Ohne
Form, würde Thomas von Aquin heute sagen, gibt es kein Sein. Sein
ist das, was eine Form hat. Sein gibt es nur in der Form seiner Ver-
hüllung oder Verhülltheit. Das Sein ist die Form seiner Verborgenheit.
CCLXXVI
Ein Teil der Existenz muss immer herausfliegen, wenn etwas möglich
werden soll. Nur so findet das Träge und Etablierte, also das Undia-
lektische, ein Ende. Lügen sollen ja, heißt es, auffliegen.
Auf die Gefahr hin, philosophisch verlacht zu werden, behaupte ich
nämlich, dass das Träge und das Undialektische keine Formen sind.
Ihre absolute Metapher ist die Amöbe. – Aber auch die gibt es – in
diesem Fall – nicht.
Metaphernlos zu sein, das bedeutet, rettungslos zu sein. Man ist dann
von Kopf bis Fuß auf gar nichts eingestellt.
Er sagte, er würde alle Anschauungsformen (den Raum, die Zeit, etc.)
gerne Register nennen, wenn diese Redeweise nicht zu viel verraten
würde.
Nur das vernagelte Denken ist geschützt. Auch vor sich selbst.
Vom Blenden des Satans. – Y: Die prächtigsten Feste sind die der Nutz-
losigkeit. – Z: Und vollkommenes Denken hat nur sich selbst zum
Gefährten und teilt mit ihm die Gefahr. – Z: Und verpasst mit ihm die
Rettung.
Ich weiß, sagt er, es muss heißen: Du segnest mich nur, wenn ich dich
lasse.
Ich habe Beethovens letzte Streichquartette immer als Gedankenkon-
versationen verstanden. Die Gedanken habe ich aber nicht verstanden.
– Z: Das war klug von dir.
A: Ich habe. das Gefühl, dir ausgeliefert zu sein. – O: Halte dich bitte
zurück! –
Solange die Dinge nur zweideutig sind, gibt es keine Lösung.
CCLXXVII
Glück ist ein Entourage-Effekt, Erkenntnis aber auch.
Es gibt, in seinem übertragenen Sinn, nichts, das nicht ein Vielstoffge-
misch wäre. Daher ja die Unberechenbarkeit der Welt. - Z: Und daraus
erklärt sich auch der Reiz des Fundamentalismus. - Der Reiz des mi-
nimsten Blicks auf die Welt.
Forcierte Flinkheit des Denkens: der Nervenwachstums-Faktor der
Erkenntnis.
Universelle Apoptose. - Denkverzicht ist wie programmierter umfas-
sender Zelltod.
Die Idee der Sphärenharmonie. Modell jeder Zwangsbeschallung.
Der Klang von Glocke und Gong. Modell aller Raumeroberung.
Die Stimme des Echos gibt den Ruf ungehört zurück, wird aber als
fremde gehört. - Z: Offensichtlich weiß sie um ihre Faszination.
Amandi deum modus est sine modo. (Augustinus)
Jede Erkenntnis ist auch eine gedankliche Selbstblendung; im modus
sine modo.
Gerade der, der ins Blaue zielt, glaubt ein Ziel haben.
Der Entzug, sagte er, ist das mächtigste Regulativ, das mir denkbar
scheint.
Der Entzug weist auf künftige Möglich- und Notwendigkeiten. In der
Form drohender Versäumnisse und Verluste.
Der Entzug ist anklingende Zukunft im Ton potentieller Verfehlung. –
Z: Das Denken ist die Szene, auch als Verfehlung oder Entzug.
CCLXXVIII
Entzugs-Erscheinungen. - Ein zutiefst philosophisches Wort.
Die plausibelste Existenzform des Entzugs ist die Drohung. Der Ent-
zug droht immer - mit sich selbst.
Es versteht sich. Vielleicht nur an der Sache vorbei.
Wenn es das „intentional Unfassliche“ nicht gäbe, hätten wir keine
Chance, Erfahrungen zu machen.
Zu einem Krachen, einem Dröhnen, einem Klirren „Bleib mir vom
Leib!“ zu sagen, das ist immer zu spät, sagt er, ich finde es aber sehr
anrührend.
Hören und Denken vergehen nur Hand in Hand und Aug in Aug.
Gelassensein ist immer räumlich. Du kannst dir kein Gelassensein
vorstellen, das nicht auch ein Eingelassensein wäre. In gute oder
schlechte Verhältnisse.
Mysterium Emergentiae. - Und jedes Zusammenspiel, auf welcher
Ebene auch immer, kann nur als ein notwendiges und verzweifeltes
Zusammenspiel von Schmarotzern, etwa im Sinne Serres, verstanden
werden. - Z: Ich könnte leicht verzichten!
Im Organischen wirkt die Zeit, auch wenn sie es aufbraucht oder
verzehrt. Im Anorganischen wirkt sie nicht, sie wirkt nur auf das An-
organische.
Die Schlüssigkeit eines Arguments sagt nichts über seine Belastbar-
keit aus.
CCLXXIX
Das Hören ist das intimste Begreifen des Raums. Das Sehen begreift
ihn gar nicht. Gott hat uns das räumliche Sehen gegeben, um uns über
den Raum zu täuschen.
Die Wende ist stets das entscheidende Ereignis und Enteignis. Wie es
eine Atemwende gibt, gibt es auch eine Blickwende, eine Hörwende,
eine Schmeckwende... Tastwende... Die Welt ist das universale Sich-
Wenden, was Merleau-Ponty chair nennt, das universelle Fleisch du
monde.
Hütet euch vorm Schweben. Schweben ist leicht. Aber das Landen ist
schwer und gefährlich. - Z: Außerdem ist es dann um das Schweben
geschehen. Wenn du wieder sicher auf den Beinen stehst, ist das
Schweben tot. Du musstest es ja opfern.
Curare-Kuriere. Die Sekunden sind die Nadelspitzen der Zeit. - Z: Nein,
sie sind die Pfeilspitzen der Zeit, die vergifteten.
„... in der Ankleide der Erinnerung sich der uniformen Verkleidung
der Neuheit entledigen.“ (Proust) - Z: Vielleicht ist jede Wende ja eine
Art Kleiderwechsel.
Das vollkommene Wissen des Geistes, das Wissen seiner eigenen Sub-
stanz, ist, sagt Hegel, „sein Insichgehen, in welchem er sein Daseyn
verläßt und seine Gestalt der Erinnerung übergibt.“
Die Welt ist immer weniger als das, was wir von ihr erwarten. Wir
überfordern sie, weil wir zu ihr gehören. Von einer Welt, der wir an-
gehören, erwarten wir das, was uns angemessen zu sein scheint, was
unserem Stolz entspricht. Da kann sie uns nur enttäuschen.
Das Hören ist die Klangfarbe des Raums.
CCLXXX
Polyglotterie. - Es ist nicht gut, wenn jemand zwischen zu vielen Spra-
chen hängt. Das schadet dem Produkt. Dem Gedicht, dem Liebes-
schwur, dem Trost; und vor allem dem Gebet. Gott ist nämlich schlicht.
Und Paraklet könnte seine Sprache nur selbst verstehen. – Z: Aber er
versucht es nicht.
Es gibt keine doppelzüngige Glossolalie.
Aber wir, sagt er, wir haben uns auf zu viele Lügen geeinigt. Aus Angst
und Begehren, sagt er.
Die ganze Welt und mehr, sagt er, muss einem durch den Kopf gehen.
Mit den Details befassen sie sich, quasi alle, zum Schaden der Welt,
schon genug. Und zu lange schon.
Andererseits ist, sagt er, ja alles egal. Wir müssen lernen und akzep-
tieren, dass die Dinge einfach Dinge, sozusagen faktisch sind. Sie küm-
mern sich nicht um unsere Wünsche und Befindlichkeiten und auch
nicht um unsere Erkenntnisse. - Z: Wenn ich mich richtig erinnere,
war das (hab ich den Mut es zu sagen: von Gott) nicht so gemeint. - W:
Aus welcher Zeit stammt dieser Z eigentlich? Er macht mir Angst. Er
scheint mir jedenfalls älter zu sein als die ältesten Golf-Hotels. - Z:
Dann bin ich ich ja noch wunderbar jung. - Zugegeben, das hilft uns
nichts. Aber, vielleicht hast du es ja gemerkt, ich bin ein Sprachrohr. -
W: Ein Rohr?
Gibt es einen Satz, den man unwidersprochen und ungestraft allen
„Mitlebenserscheinungen“ (Robert Walser) sagen darf? - Z: Aber klar!
Der Satz lautet: Ihr seid so trivial!
Die Wahrheit ist so trivial wie das Lachen des Mannes, der mir gerade
gegenüber sitzt. O, wäre ich doch so überzeugt von seinem Reiz wie
die Frau, die anscheinend noch etwas mit ihm vorhat.
CCLXXXI
Das Elend beginnt, etwas Wunderbares zu werden. De Liebhaber des
Messias fragt den Messias: Hast du das schon bemerkt?
Meine Sätze beginnen hinauszugehen über das, was meine Zeitge-
nossen noch verstehen wollen. Ich unterscheide mich von Ihnen nur
noch durch meine Impertinenz.
Traurigkeit ist immer hilflos. Traurigkeit ist das Hilfloseste überhaupt.
Schau dir die Liebenden an, sagt Rilke, wie schnell sie lügen! - Das
stimmt nicht. Iar zumindest untertrieben. Sie lügen immer.
Wollte jemand eine Gastrische Dialektik („Über die Kunst, immer rich-
tig zu hungern“) schreiben, auf wie viele Kunstgriffe würde er kom-
men? Und würde ihm Kafkas Hungerkünstler dabei helfen können?
Gäbe es keinen Zufall, gäbe es keinen lieben Gott. (Horváth)
CCLXXXII
Redukta II
Wenn du eine Eisfläche aus Tränen aufgebaut hast, bricht sie dienst-
fertig ein.
„Eine durch Schritte nicht tief ausgehöhlte Treppenstufe ist, von sich
selbst aus gesehn, nur etwas öde zusammengefügtes Hölzer-
nes.“ (Kafka)
Sinn und Bedeutung sind also nur als Abrieb der Zeit, als gedachte
Formen des Zerstäubens.
Vielleicht ist das Charakteristische tatsächlich nichts anderes als die
Spur eines Gebrauchs. Das Charakteristische ist das Übriggebliebene,
oder vielmehr: die Kontur des Übriggebliebenen.
Nur was aus einem Abgrund hervorgeholt wurde, hat vielleicht das
Format und den Anspruch, ein Satz zu sein.
Ich bin fassungslos. Versuche es aber ordentlich zu machen.
Fortschritt ist das, sagt er, was in der Zukunft einmal die Gegenwart
verspotten wird.
- Hier fehlen etwa dreßig, zum Teil recht umfangreiche Einträge40, die
ich aus Versehen unwiderruflich gelöscht habe. Ein Verlust, der mich
sehr schmerzt. So sehr, dass es mir schwerfällt darüber traurig zu sein.
Ich möchte - nämlich - das Gefühl der Hilflosigkeit nicht zulassen. Die
Texte enthielten, auf ihre Weise, gleichsam eine Bilanz der letzten
sechs Wochen, eine Bilanz, die als Referenz für alles Folgende, als Hin-
führung und Rahmung, hätte dienen sollen. Jetzt hat, was folgt, keinen
Rahmen und steht unvermittelt und plötzlich da, mit der ganzen
Wucht des Entzogenen, das es hätte herbeibringen sollen. –
40
vom 23. Und 24 September 2019
CCLXXXIII
Aber nichts, das nicht vermittelt ist, hat Zugriff auf sein Selbst. Es kann
nicht einmal davon wissen. Mit anderen Worten: Nur um die Spanne,
in der es für anderes ist, ist es auch für sich selbst.
Der universale Tinnitus. - Das Selbst, freilich immer ein Konstrukt, hat
zwei Ohren, mit denen es nur hören kann, wenn sie ihm nicht gehören.
Es ist sein Fehler, dass es sich seine beiden auf immer geliehenen Oh-
ren gerne zuhält. Dass es nur noch sein inneres Rauschen hört.
Wenn doch Narziss seinen Ohren mehr getraut hätte als seinen Au-
gen!
Tragik ist auch, wenn die Membran zum einzigen Halt geworden ist.
Hier gerät die Erlösung an ihre Grenze. Hier zerschellt sie vielleicht
sogar. – Z: Es geht ihr gewiss besser, wenn sie zerschellt.
Sie heißt – die Sehnsucht! Kennt ihr sie? (J. G. Seidl/Schubert). - X: Aber
es ist ja auch nicht einfach, in der Membran den Tonträger des Alls zu
erkennen. – Z: Dazu bedarf es vielleicht einer durch einige buddhi-
stische Versatzstücke bereicherten Dialektik. – Y: Nur ein durchge-
hendes Durch im Sinne Fichtes hält den Zusammenhalt zusammen,
wenn ich das noch so sagen darf. – Z: Es sei dir erlaubt, aber bedenke
auch: nichts garantiert den Absprung aus dem „Grundschaden des
Dualismus“, den Hegel bei Fichte detektiert, und um den es uns doch
gehen muss, wenn es sich, also an sich und für uns, einmal - meta-
physisch - gelohnt haben soll. – X: Kennst denn du eine Sehnsucht, die
sich ihrer sicher sein könnte?
Es stellte sich derselbe Widerspruch dar. Der dem unendlichen Pro-
gresse zu Grunde liegt; nemlich ein Zurückgekehrtseyn in sich, das un-
mittelbar zugleich Außersichseyn, Beziehung auf sein Anderes als auf
sein Nichtseyn, ist; welche Beziehung eine Sehnsucht bleibt... (Hegel,
Logik)
CCLXXXIV
Auch aus einer buddhistischen Versenkung, sagte er, müsse man,
allein schon zu ihrem Vorteil, wieder auftauchen können.
Schon die Erkenntnis selbst, dass es „nur eine geistige Welt“ gibt,
„nimmt uns die Hoffnung und gibt uns die Gewissheit,“ wie Kafka sagt.
Dreißig seitlich stark abgeflachte Schwarmfische. - Jene verlorenen Sä-
tze und Sinnsprüche schwimmen in meiner Erinnerung wie (mir) un-
sichtbare, scharfzahnige, zoophage Fische. Ich versuche sie mit den
Händen zu fangen. Entweder entgleiten sie mir sofort wieder oder sie
beißen sich so schmerzhaft an meinen Fingern fest, dass ich sie selbst
wieder losreißen muss. Es bleiben mir als sichtbare Zeugen nur die
blutenden Wunden in meinen Schreiberhänden. – Y: Ist doch nicht so
schlimm! Und wird schon wieder gut! - Es sind ja nur die Greifwerk-
zeuge deiner Gedanken. Denen solltest du nicht soviel Pathos widmen.
Vor allem aber nicht so viel Aufhebens davon machen.
„Das Endliche ist diß, sich selbst aufzuheben.“ (Hegel) - Z: Immer
wenn Hegel, heißt es, etwas aufhob, war es schon nicht mehr dasselbe.
Und damit auch er selbst.
Worauf zielt der Wahnsinn? – Stets auf Offenbarungswahrheit.
Als er anfangen wollte, die Welt im Maßstab 1 zu 1 nachzuzeichnen,
fand er den Bleistift viel zu schwer.
Die Gedichte, die er gerne architektonisch nennen möchte, verdünnen,
was nur paradox klingt, die Erfahrung, die ihnen vorausging und die
sie enthalten. Ihre Worte sind (wie) Ziegelsteine, die gleichsam in der
Luft verstreut sind, einzig, um Raum zwischen sich, zwischen einan-
der zu schaffen. – Für ihn, sagt er, sei Mallarmés Würfelwurf noch im-
mer das maßgebliche Modell. Sozusagen das zwischenraummaßgeb-
liche Modell.
CCLXXXV
Meine Idee von der Zweidimensionalität. - Wenn die Welt zweidi-
mensional wäre, käme nichts aneinander vorbei und alles bliebe, frü-
her oder später, stecken. Deshalb hat Gott uns eine dritte Dimension
geschenkt, sagt er, davon profitieren auch die Gedichte. – Y: Sie gäben
es aber nur selten zu.
In unserem durchmedialisierten Alltag ist Gottes dritter Vektor, sagt
er, zur Simulation verelendet. – Z: Aber das ist er doch schon seit
Brunelleschi.
„Der Verstand verharrt in dieser Trauer der Endlichkeit.“ (Hegel, Wis-
senschaft der Logik)
Szene II. - Meistens stehen drei Menschen zusammen da. Und der, der
spricht, scheint abwesend.
Y: Was denken die Instrumente, die ein Streichtrio spielen, wohl
voneinander? – X: Warum fragst du das? – Y: Ich will es wissen. Es
wird ja meistens nicht deutlich.
CCLXXXVI
Gibt es überhaupt ein Maß der Entfremdung? Und spielt es eine Rolle?
Jeder Riss im Asphalt beruft sich auf den Ursprung der Welt.
Von der Art der Mutmaßungen, dass Adam und Eva in Eden schon
Wienerlieder gesungen haben. – Was ich wirklich für denkbar halte.
Im Leben und beim Schreiben sollte das höchste Ziel sein: einen Stil
zu haben, aber nicht daran erkannt werden zu können.
Szene III. – Oktober 2020. Martin L. und Peter P. laufen resp. schreiten
in einem – bis ins Detail – überperfekten Wiesen-Outfit über die
Oktoberfestwiese, aufrecht (Peter muss sich da ein bisschen anstren-
gen!), gelassen-herrscherlich, ohne nach der Seite zu blicken oder sich
umzudrehen. In Schwarz-Weiß, versteht sich. Aufgenommen von ei-
nem Drittem, mit jener wunderbaren alten, schweren Kamera aus M’s
Besitz. - Ob nur von hinten oder auch von der Seite und/oder en face,
das muss noch diskutiert werden. Insgesamt sollte es aber auf das
wirklich Wesentliche beschränkt bleiben. Der Himmel ist leicht
nachzudunkeln. - Ein wenig Zeit bleibt noch, bleibt ja immer.
Wenn das Intellektuelle sich anheischig macht, ein wenig queer zu
sein, hat es keine Chance anzukommen. – Z: Was doch eigentlich
merkwürdig ist; aber du kommst nur an, wenn du passend abweichst.
Unpassend zu sein ist 1. ein Todesurteil und 2. eine Wiedergeburts-
garantie.
Kafkas Vogel hat so viele Käfige gefunden, dass er sich gar nicht ent-
scheiden kann.
Wenn man so alt ist wie ich, sagt er, erscheinen einem all diese Neu-
auflagen des Immergleichen ziemlich komisch. – Z: Aber die Kids, die
CCLXXXVII
müssen doch ihre Art und Weise, utopisch zu erinnern, lernen, irgend-
wie.
Siehst du, man muss über sich erhaben sein, um bescheiden sein zu
können. Sie schaffen es nicht bis zur Erhabenheit. Und suchen in der
Prätention oder einer gestiefelten Attitüde des Sollens ihre Zuflucht.
Déteste-toi lentement.
Warum hast du heute nichts geschrieben? – Es gibt nur einen Grund:
weil ich damit nicht angefangen habe.
Das Wesen ist das im Gewesen erinnerte Sein, sagt Hegel, ungefähr. –
Das Sein braucht also das Vergangensein, um sich – sich erinnernd –
ins Wesen zu retten. – Z: Als Hegel das gedacht hat, muss er grade vom
Paraklet besessen gewesen sein. – - Vielleicht haben des Paraklets
Feuerzungen aber auch nur ein wenig an Hegels Gedanken geleckt;
oder ein wenig davon genascht.
Jedenfalls haben Hegel, Wittgenstein, Lacan (und Konsorten) gute
Gründe und jedes Recht, sich nicht so auszudrücken wie ihre Inter-
preten (oder Übersetzer).
Y: Merkst du es, fragte er mich, denn nicht auch sofort, wenn du dir
dein Unterhemd, aus Versehen, falsch herum übergestreift hast? – X:
Das Vorne als Hinten und das Außen als Innen zu sehen ist eben noch
längst keine Dialektik. – Z: Und das spürt der Körper. Und will aus dem
verkehrten Kostüm wieder heraus.
Dialektik soll, kompakt gesagt, nur das denken, was nicht gedacht
werden kann. Und sie versucht ja auch nichts anderes. Sie darf nicht
anders als rein denken, wie Hegel es verfügt.
Gedanken sind Trapezkünstler, die über dem Abgrund schaukeln und
springen. In einer Atmosphäre aus Zithermusik. Sie sind mutiger als
CCLXXXVIII
die, denen du in einem Zirkuszelt applaudieren kannst. Ich finde sie
auch interessanter und wirksamer. – Z: Zumal sie sich ihre Trapeze
selbst erdenken, zusammendenken müssen.
„Les pensées sont des trapézistes qui basculent et sautent par-dessus l'abîme. Dans une atmosphère de musique de
cithare. Ils sont plus courageux que ceux que vous pouvez applaudir dans un cirque. Je les trouve aussi plus intéressant
et efficace.“
41
41
Oder auch: „Ein Trapezkünstler – bekanntlich ist diese hoch in den Kuppeln der großen Varietébühnen ausgeübte Kunst eine der
schwierigsten unter allen, Menschen erreichbaren – hatte, zuerst nur aus dem Streben nach Vervollkommnung, später auch aus tyrannisch
gewordener Gewohnheit sein Leben derart eingerichtet, daß er, so lange er im gleichen Unternehmen arbeitete, Tag und Nacht auf dem
Trapeze blieb. Allen seinen, übrigens sehr geringen Bedürfnissen wurde durch einander ablösende Diener entsprochen, welche unten
wachten und alles, was oben benötigt wurde, in eigens konstruierten Gefäßen hinauf- und hinabgezogen. Besondere Schwierigkeiten für
die Umwelt ergaben sich aus dieser Lebensweise nicht; nur während der sonstigen Programmnummern war es ein wenig störend, daß er,
wie sich nicht verbergen ließ, oben geblieben war und daß, trotzdem er sich in solchen Zeiten meist ruhig verhielt, hie und da ein Blick aus
dem Publikum zu ihm abirrte. Doch verziehen ihm dies die Direktionen, weil er ein außerordentlicher, unersetzlicher Künstler war. Auch
sah man natürlich ein, daß er nicht aus Mutwillen so lebte, und eigentlich nur so sich in dauernder Übung erhalten, nur so seine Kunst in
ihrer Vollkommenheit bewahren konnte.“ (Kafka)
CCLXXXIX
„Ich in dieser Einsamkeit mit sich selbst ist zwar das erreichte Jen-
seits.“ (Hegel)
Szene IV. - Kontrolliertes Delirium. Das Universum in seiner reinsten
Form. Das Geheimnis der Kontrolle in seiner schärften Artikulation.
Du siehst nur, was sich vor dir versteckt.
Aus weiter Entfernung betrachtet, sagt er, sind Gedanken von Atomen
oder strings, überhaupt von Melodien, kaum mehr zu unterscheiden.
– Z: Aus der Nähe aber erst recht nicht.
Szene V. – Sic enim dilexit Deus mundum. - So sehr liebt das Licht die
Motten. –
Das Unendliche nagt am Endlichen wie schon jeder Nager an einem
Leckerbissen genagt hat. – Z: Das Endliche wird nur wahr, wenn das
Unendliche es verdaut.
Daher ist auch nur die (sich) erinnernde Gegenwart nicht gegenwarts-
los; mit oder ohne Lindenblütentee.
Das Leben reicht quantitativ wie qualitativ, wenn es denn gut geht,
höchstens dafür, sich der Aufgabe bewusst zu werden, die zu bewäl-
tigen gewesen wäre.
Szene VI. - Wenn Es einem durch den Kopf geht, dann vielleicht nur,
um seine Spuren zu verwischen.
Gepflogenheiten sind so widerwärtig wie das Wort selbst. Darin hän-
genzubleiben ist unbeschreiblich und eine verdiente Todesstrafe.
Szene V. Eine philosophische Studie könnte lauten: Über das Ent-
gegenkommen der Falschfahrer; ehemals Geisterfahrer genannt..
CCXC
Vielleicht, sagt er, wäre ja der Begriff der Selbst-Analogie vorüberge-
hend denk-tauglich. Mir scheint, dass in diesem Begriff Unterschei-
dung und Identität auf eine denkproduktive Weise kurzgeschlossen
sind; sozusagen an jeder Stelle, wie bei einem Möbius-Band.
CCXCI
Relicta vana
Vana relicta modo est
magnarum fabula rerum
Parvaque fortuna
congesta fama laborum
Von den Schimmer-Ähren der Korn- und Weizenfelder, als sie noch
wogen konnten, sind uns immerhin noch lockende Schimären geblie-
ben.
Die seltsame Existenz der Erwartung. Sie entsteht wie aus dem Nichts,
sie nährt sich von fast nichts, sie wächst ohne zu wachsen, und sie
verschwindet immer, ob sie sich nun erfüllt oder ob sie verpufft.
Eingeschlossen. – O: In concreto ist die Musik viel zu sehr Zeit, als dass
sie keine Probleme mit der Transzendenz haben könnte. – A: Aber
gerade im Haben dieser Probleme liegt ja ihre Transzendenz.
Du musst versuchen, dir das Möbius-Band als Raum, als veritablen
Möbius-Raum, vorzustellen, nicht nur als eine Kleinsche Flasche (im
Raum).
Der Selbstbezug wahrer Unendlichkeit, den Hegel so vermisste, fragte
er plötzlich, könnte er sich denn nicht dennoch, gleichsam im Gegen-
zug, in einer prosaisch-lyrischen Dramato-Epik verwirklichen? – Ge-
rade heute? - Zum Beispiel in der Form kommunizierender Sprach-
und Elektronenröhren (mit ihren Schrot- und Funkeleffekten)?
Z erwischte mich bei einer Schelling-Lektüre und sagte: Brau dir dei-
nen Hegel doch lieber selber!
CCXCII
Dialektischer Bänkelsang
auch
Nie gesagt, nie getan
Ich grüße dich, einzige Form, du mein Wesen!
Ich bin dein Grund, und du bist der Meine.
An mir nur hast du, was du gewesen,
bist Pflanze, gelockert, gelöst zum Steine.
Wir sind das Unversöhnliche in der Melodie,
wir sind die Zeit, die sich erinnert hat,
die pfeilgerade Krümmung und das Wie,
das jetzt, ewig ungesehen, in Erscheinung trat.
Nur so, gesetzt, sind wir auch aufgehoben.
Einander sind wir uns stetiger Übergang
und endlich ins Unendliche verschoben,
bin ich dir Membran, und du mein Klang.
CCXCIII
Fermate über einer Synkope. Das kurzfristig als ewig gedachte nunc
stans, wenn sich Endlichkeit und Unendlichkeit, als gegengerichtete
Ermüdungserscheinungen in einem Jetzt gefunden hatten.
Vielleicht sind ja Leberwürste denkbar, die nicht beleidigt sind, aber
sie sollten es sein. Oder täuschen sich nur.
Wenn du den Punkt erreicht hast, wo du sagen kannst: Das Denken
unterläuft mir einfach so, bist du immerhin schon ein Halbgott. Und
alle menschlichen Chancen sind dir abhanden gekommen.
Halbgott sein, das bedeutet nämlich, dass dir die Tür zur Welt ge-
schlossen und die zum Olymp, wie er hier genannt sei, noch nicht
geöffnet wurden.
Es geht immer nur um den Zwirn, der die Himmelsärsche in Form hält.
Knistern ist abgeschafft. Die Welt sollte auch ohne Widerstände un-
tergehen dürfen.
CCXCIV
Es wird und wird. Und wird nicht. So simpel das klingt. Es ist wahr.
Klingt wie ein Kalauer, aber...: Wenn du nicht passt, musst du pas-
sieren.
...das Schlirren der Rolle und das lang nachzitternde Zischen des Zufüh-
rungsdrahtes... (August Endell) - Am Ende der Weltgeschichte werden
wir uns fragen müssen, warum das dann Aktuelle im Potentiellen so
viel besser aufgehoben wäre. Und die Aufgabe des Weltenrichters wä-
re dann viel einfacher. - Z: Würde es etwas bringen, wenn wir jetzt
schon darüber nachdenken würden? - Alle und Eine: Nee! -
Es fällt mir, sagt er, ein wenig schwer zu glauben, dass mich gerade
niemand denkt. - Z: Ziemlich abgefahren! -
Y: Das Leben ist wie Eisessen: Wenn du nicht leckst, schmilzt und
tropft das Eis dir weg. Also leck! – X: Wie doof ist denn das?! - Z: Gar
nicht doof. Die anderen sind dir da fast alle voraus und alle überlegen.
Höre ich da, oder dort, etwa die Stimme des Zeitgeists?
Hochmut. - Die Form, in die sich alle Varianten des Ärmlichsten gerne,
also zuerst einmal und prophylaktisch, kleiden.
Der Schmerz ist eine Selbstumklammerung, habe ich einmal geschrie-
ben, der Tod aber auch. - Vielleicht ist der Tod aber doch mehr eine
elektronische Fußfessel.
Wenn’s mir einmal, hoffentlich nicht schon demnächst, ganz schlecht
geht, karrt mich nach Berlin, setzt mich auf Hegels Grab und lasst
mich da Zeit und Tod liebkosen. Ihr wisst ja, wie sentimental ich bin.
- Z: Ja, das bist du. Ein starkes Stück! - Als wäre Hegel nur für dich
gestorben. - Ego: Mich dem Empedokles nachfolgen zu lassen, wäre
CCXCV
für die Hinterbliebenen viel, viel aufwendiger. Also die billigere und
machbarere Variante.
Es gäbe, sagt man, kein Ding ohne Kontext. Aber die Dinge haben an-
scheinend ihre Kontexte verloren. Sehe ich deshalb keine Dinge
mehr?
Das Sich-Äußern ist ein höllisches Unternehmen. Man sollte es lassen.
Gesundheitliche Überlegungen stehen dagegen.
Alle scheitern, auf dem Weg zum Ideal, das sie sich ausdenken. Aber
der Weg ist schön. Vielleicht genießen sie ihn sogar. Den Weg.
Ich bin fünf Meter siebzehn groß. Versteht ihr, warum ihr mir zu klein
seid?
Alle sind ins Absurdistan verwickelt. Du bist es umso mehr, je mehr
du dich davon distanzierst.
Leben. Ein gedanklich sehr bescheidener Zusammenhang. Auch wenn
du es dir anders wünschst. Es bleibt unklar, warum es so ist. (Vgl.
Heidegger, zum Beispiel)
Die Aufgabe, die nicht gelingen kann, ist, sich an den Alltag zu gewöh-
nen, an sich selbst. Quer durch die Zeit und schräg durch die Kulturen.
Auch wenn du alle Denkansätze kennst und Dich ihrer entledigt hast.
Bleibt nur noch die Frage nach der elegantesten Art, das zu ertragen.
Die mittlerweile entstandene Über-Masse, gibt dir das Recht, so zu
fragen.
Ich will nicht. Aber ich muss. - Wer sagt dir, dass du nicht willst? -
Glaubst du wirklich, dass du selbst nicht willst? - Vielleicht bist du ja
nur das, das nicht will. Dann solltest du unbedingt das wollen, dass
CCXCVI
und das du nicht willst! - Sonst bist du weg. Und das wäre schade. Für
uns. Wenigstens.
Und das hat noch nicht einmal etwas mit Hegel oder mit Dialektik zu
tun. - Das ergibt sich einfach so. Aus der Situation.
Dass das Ego der letzte Kriegsschauplatz geworden ist, ist gar nicht so
schlimm. Schlimm ist es, dass das allgemeine Ego verknöchert, ein
Knochen geworden ist. Manche nennen das Singularisierung. – Z: Hin-
terhältige Rattenfänger! -
Die Sonne liebt es, mir entgegen zu kommen. Am Abend, aus den vie-
len Fenstern, die ihr so fern sind wie ich.
Könnt ich doch dauernd formulieren! Dann könnte ich auch demon-
strieren, was Erotik ist. - Z: Könntest du nicht.
Die Grenze und was darauf stehen mag, hat an allem den größten An-
teil. – Z: Aber die Schranke von beiden Seiten zu sehen, das bleibt
unmöglich.
Unser Denken ist ein Januskopf, der mit seinen beiden Gesichtern mit
nur je einem Auge blickt. Und das je andere zukneift. – Z: Vielleicht ein
kontrafaktischer Versuch, sich in die Trinität hineinzudenken. Oder
hineinzukneifen.
Es wäre lustig, zu sein. Aber der Humor, sagt das Sein, liegt mir fern.
Und lässt uns links liegen.
CCXCVII
Warum wechselst du nicht das Genre? Das würde uns vernehmlicher
machen. - Und das willst du doch. - Z: Oder? - Sprich! -
Wie Kinderengel, die durch den Himmel laufen, um herauszukriegen,
wo er aufhört. - Z: Mir wäre wichtiger, zu wissen, wo ich denn aufhöre.
Es gibt Systeme und es gibt Ausnahmen, das sind die Schlupflöcher
des Heiligen Geists, könnte man meinen.
Ich habe gedacht. - Z: Was für ein Fehler! So spät.
Nichts kann flattern und schweben, das keine granitene Basis hat.
Oder doch wenigstens Beine aus Stein.
Natürlich gehörst du nicht der Welt an, der du gehörst. – Du gehörst
nicht einmal dir selbst an, soviel Welt ist in dir.
Über Adornos famose Gänsehaut kommen wir nicht hinaus.
A: Ich hätte vollziehen sollen! - O: Was denn? – A: Meine Existenz. –
O: Dann ist es besser, wenn du dir nicht nachtrauerst. Breite lieber die
Arme aus und hoffe, dass dir niemand in die Falle geht. Hegel hat we-
nigstens noch versucht, dem Unglücklichen Bewusstsein einen Weg
zu weisen. – A: Ich weiß. Das schlechte Unendliche ist das Sprungbrett
aus Beton, in das unsere Geistesfüße auf ewig ausbleibenden Wider-
ruf eingegossen sind. -
Philosophische Sprache, ist das, was aus den Startlöchern grummelt.
„Souveräne Undankbarkeit.“ (Hegel) – Z: Damit meint Hegel, sehr
kurz gesagt, die dialektisch notwendige Haltung des Geistes zur Natur.
Für mich erklärt sich daraus auch die unumkehrbare Zerstörung der
Welt durch die Menschheit.
CCXCVIII
Wie kann, fragt einer, aus einer Welt noch etwas werden, die sich
selbst in die Parade fährt?
Jede besondere Situationen ist sinnlos. Sie weiß nicht weiter.
Hilfe ist verbraucht, bevor sie ankommen kann. Ihr Ankommen rati-
fiziert ihr Verbrauchtsein. – Z: Da mag sie unterwegs auch noch soviel
Lärm machen.
Jedes Missverständnis muss, das ist es sich schuldig, zärtlich sein. Und
ganz still.
Die Basis ist immer übertriebene Bedeutung. Wir wissen nicht, wer
oder was sie dahin übertreibt.
So kommen Dinge zustande. – Z (con convulsione): Sie kommen zustan-
de.
Das Handgreifliche bleibt der brauchbarste Index, sagt man mir, wenn
auch mit anderen Worten.
Warum schreibst du diese Sprüche? – Es sind die Knoten in meinen
Wolkentaschentüchern. Damit zähl ich die Gedanken, die eigentlich
mehr verdient hätten; mehr Zuneigung, mehr Trost, mehr Arbeit. Ei-
nen schöneren Rahmen. Einen besseren Marktschreier. Überhaupt –
eine Sprache.
Furioso ma non troppo. - Gerade Autopoiesis kann nur als Entfrem-
dungsakt gedacht werden. Das ist ihr sympathischster Zug. - Und
Rücknahme der Entfremdung kann nur als Ekstasis gedacht werden.
Wie es dann weitergeht, freilich, können wir nicht wissen. Es kann
wohl, nach allem was geschehen ist, nach all der Zeit, keine Rückkehr
in die Autopoiesis oder „davor“ sein. Die Qualität der (ekstatischen)
Entfremdung der Entfremdung können wir uns nicht denken. Und
ohne gedanklich ausgerüstet und gebrieft zu sein, können wir sie
CCXCIX
wohl auch nicht erfahren, geschweige denn in Angriff nehmen. – Z: Ist
das eine gute Aussicht oder eine schlechte Nachricht? -
Der Schlüsselträger Petrus ist der Heilige des Zynismus.
Janus-Wörter, Pendel- oder Wendewörter, sagt er, scheinen mir unbe-
stimmbar. – Man nennt sie Contronyme, Antagonyme, Auto-antonyme
– kann man daraus einen Begriff bilden?
Y: Wenn Demonstranten keine Masken tragen dürfen, woran kann
man sie dann erkennen? – Z: An ihren Gesichtern. Die dürfen sie ja
noch zeigen.
CCC
Relicta vana II, (反象以徵).
Wem tut es weh, den der Steppenwind streift,
daß meine Hand in die Windstille greift?
Celan
Ein Denker, sagt er, der sein Denken ernst nimmt, das heißt, ich rede
nicht von mir, sollte keine Gedanken haben. Er muss sie rastlos su-
chen. Denken ist die ultimative Form der Unruhe. Kein Handeln kann
mit ihm mitkommen. Das Denken kennt keine Widerstände außer de-
nen, mit denen es sich selbst malträtiert. Deswegen nennt Freud das
Denken ja auch Probehandeln. – Z: Warum glaubt er, das sagen zu
müssen? –
Nie-so-gewesen, nie-so-gewesen. – Ein schöner Refrain, sagte er, ei-
gentlich schöner und tiefer als Poe’s Nevermore.
Scheißen, sagte er, gar nicht leise, ist eine Vorform der Erlösung. – Das
zitiere ich einfach einmal so.
Ungeheure Objekte. (Hegel) - Auch der liebe Gott kann nicht mehr ganz
gerecht sein. Er ist in seine Schöpfung verwickelt wie seine Schöpfung
in ihn. Nichts kann mehr mit (ge)rechten Dingen zugehen. – Aber ging
es denn je?
Einer, der noch nicht wirklich aufgegeben hat, auch wenn er es sagt,
findet halt immer noch etwas.
In seinem Kopf sei, wenn die Seele da sitzt, die ganze Musikgeschichte
in wirrer Gleichzeitigkeit präsent. Ununterscheidbar. Durcheinander
und verklumpt zugleich. - Z: Du bist ein Glückskind, du Pechvogel.
CCCI
Man kann nur mitmachen, wenn man sich zugehörig glaubt. – Z: Eine
Frage der Selbstermächtigung? -
O (im Modus der Berichterstattung): Seine Gedanken, sagt er, gingen
über ihn hinweg; sein Eigenstes sei sein Fremdestes. – A (wie O): Frei-
lich müsste das, nicht erst seit Hegel, so sein, Aber es sei auch der
schmerzlichste Zug der Existenz.
Aus der Perspektive Gottes gesehen, ist die Schöpfung vor allem eine
Selbstverschwendung in die Zeit. - Wahrnehmbar als Lärm (Mandel-
stam).
Worte: Gedanken in Sprachgebärden verbracht.
Lebendig ist, was über sein Sein verfügt. (Schelling) - Z: Was kann
denn dann heute noch – und wo? - lebendig genannt werden?
CCCII
Menschen. - Schattenwerfer vor der Sonne. Wie alle Dinge. Pokerspie-
ler, die anstelle der Karten Dunkelheiten austeilen. - Sie machen aus
der Welt kein erfreuliches Bild. – Z: Es ist ihre Unverschämtheit und
ihr Versagen, die uns zwingen, weiterhin Theologie zu betreiben.
Ich habe es grade noch gefunden. - Das müsste eine gängige Redewiese
sein.
Präzision ist der Rand des Rauschs. - Nüchternheit ist die Rache trü-
ber Augen.
Das Halbgenie verrät sich durch manisches Festhalten, wodurch es
sich mit der anderen – wohl größeren - Hälfte verdirbt. – Z: Es ist ein
Verfallensein; ans Wachen. An den Lärm des Augenblicks, an den
Mangel an Stille. – Kierkegaard: Hört man doch nur die Stille des Au-
genblicks. -
„Das Unterscheiden der Individualität als für sich seiender gegen sich
als nur seiender, als unmittelbares Urteil, ist das Erwachen der Seele,
welches ihrem in sich verschlossenen Naturleben zunächst als Na-
turbestimmtheit und Zustand einem [anderen] Zustande, dem Schlafe,
gegenübertritt. – Das Erwachen ist nicht nur für uns oder äußerlich
vom Schlafe unterschieden; es selbst ist das Urteil der individuellen
Seele, deren Fürsichsein für sie die Beziehung dieser ihrer Bestim-
mung auf ihr Sein, das Unterscheiden ihrer selbst von ihrer noch un-
unterschiedenen Allgemeinheit ist. In das Wachsein fällt überhaupt
alle selbstbewußte und vernünftige Tätigkeit des für sich seienden
Unterscheidens des Geistes. – Der Schlaf ist Bekräftigung dieser Tä-
tigkeit nicht als bloß negative Ruhe von derselben, sondern als Rück-
kehr aus der Welt der Bestimmtheiten, aus der Zerstreuung und dem
Festwerden in den Einzelheiten in das allgemeine Wesen der Sub-
jektivität, welches die Substanz jener Bestimmtheiten und deren ab-
solute Macht ist. Der Unterschied von Schlaf und Wachen pflegt zu
einer der Vexierfragen, wie man sie nennen könnte, an die Philosophie
CCCIII
gemacht zu werden (auch Napoleon richtete bei einem Besuch der
Universität zu Pavia diese Frage an die Klasse der Ideologie).“ (Hegel)
Finis est ineffabile. – Und das Unverfügbare müsste doch eigentlich das
Unbezweckliche genannt werden.
Z: Ich denke auch, dass es eine kluge Ironie des Schöpfers ist, wenn
die Menschen ein Leben lang das Leben erst lernen müssen. – Im
Grunde ist das ein Gottesbeweis. Die Natur wäre nicht darauf gekom-
men. Sie hat keinen Grund zur Ironie. Allerdings braucht auch sie kei-
ne Menschen, die das Leben beherrschen.
Spion der Zeit: Jedes einzelne Sandkorn in einer Sanduhr, das die Ab-
surditäten der Welt sammelt, wie in einem schwarzen Loch. Dafür
musst du dankbar sein. Im einundzwanzigsten Jahrhundert sowieso.
Und vor allem.
Wenn es hoch kommt, sehr hoch, gibt es doch noch kleine Augenblicke
der Teilnahme.
Auch das nur einfach so hingedacht. Erfolgreich an der Welt vorbei.
Wenn es erfolgreich ist. Das erweist sich aber. Nur durch das groß-
artige Gefühl der Unzugehörigkeit. – Z: Wir sind also an dem Punkt,
wo ein Mensch nur ein Mensch ist, wenn er/sie nicht weiß, wo sie/er
ist. – Kierkegaard wäre – echt – ratlos. Und beneidenswert. Das ist der
CCCIV
Punkt, wo die Dialektik dir auf die Füße fällt und dir die Zehen zer-
trümmert, wenn sie nicht eh schon erledigt sind, seit Kleists Zeiten.
Du hast sie ja schon nicht gesund aus Chili zurückgebracht. – Alles gut.
Auch Beckett hätte sich, alles in allem, nicht so anstrengen brauchen.
Ökonomisch gesehen. Die wenigen anderen, so schmackhaft sie sind,
auch nicht. – Und ist es nicht schön, dass wir so weit sind? So weit weg
sind? - Dass das Gurgeln die Schreie ersetzt und erfolgreich zermalmt
hat? - Wie gut das doch klingt. Das Erhabene, nach zweihundertfünf-
zig Jahren Diskussion, jetzt eine Tüte Rauschgold; oder etwas ähnlich
Geiles. - - Das sollte ich alles löschen. – Nenn es: „Über das Löschen
eines Rauschgoldengels“. – Das ließe sich doch gut verkaufen.
Ich bin jetzt schon über meine Erwartung hinweg, die morgen ent-
täuscht (sein) wird. Ich bin schon fast ein Philosoph. – Z: Es ist also
Zeit, dass du schlafen gehst. Und dir eben nichts mehr erwartest. Der
Schlaf ist ja, sagt Hegel (siehe gar nicht so weit oben!) , eine Bekräfti-
gung.
Heute ist ein erschreckend entscheidender Tag. – Z: Das lässt sich wahr-
scheinlich oft sagen. – Aber das Gewicht dieses Satzes ändert sich,
sozusagen von heute auf morgen. Immer wieder. Mal ein Gramm, mal
eine Tonne.
Meine Welt wird morgen, irgendwann gegen Mittag oder kurz danach,
tatsächlich eine andere sein. Und es tut nicht gut, das zu wissen.
Ich verfolge mich und mein Denken, dauernd, als ob sich das lohnte. –
Z: Du verfolgst es auch bedauernd. Mehr als anders.- Ich weiß es. –
Ego: Dass könnte man explizieren, aber es lohnt die Zeit nicht.
Babel, sozusagen. - Du glaubst vielleicht, wenn sich die Sinnlosigkeit
türmt, wird sie sinnvoll. Oder wenigstens intensiv. – Schöner Traum!
– Und wie!
CCCV
Ja. - Intensität ist die äußerste Spitze der Eisbergsnase, die einem
Hampelmann noch denkbar ist. Und ansteht, – Le sublime en soi.
Es wird anders sein, als ich will. Aber es wird sein. Die Dialektik gerät
an ihren Rand. – Z: Den Gipfel der Fülle. Sei nicht kleinlich! –
Man sagte gestern einem, der versucht hatte, ein bisschen Sinn in das
Ganze zu bringen: Du machst aber auch alles kaputt!
Kinder, ihr habe mich überzeugt! – Ich erwarte nichts mehr.
Dieser Tag. Ich kann nur so tun, als wär er nicht so.
Werde Architekt, Nischen-Baumeister. Architekt für Wahrheits-Ni-
schen.
„Meine Seufzer, meine Tränen können nicht zu zählen sein.“ (BWV 13)
– Z: Seltsame Redeweise. –
Können Enttäuschungen bodenlos sein? - Z: Ja.
Ich lasse mich, sagt er, von meinem Leben führen, als könnten einem
Fetzen bei- und zur Seite stehen.
Er ließ sich seine Pechsträhnen durchaus dekorativ ins Gesicht hän-
gen.
Er rief dann tatsächlich noch: Mein Dasein ist ein Protest; gegen die
Schöpfung. Auch wenn ich grade nur eine Suppe esse.
Er hatte auch noch den Mut zu sagen: Ich beneide die Frauen. Die
Männer werden nie, also never ever, das Lust-Potential der Hingabe
ermessen können. - Z: Ist das nicht seit Bataille schon erledigt?
Sein Leben verwirken. – Wie tut man das?
CCCVI
Was macht die „Substanz“ einer metaphorischen Verknüpfung aus?
Und hat solcherart Verknüpfung etwas Gewalttätiges, Zurichtendes?
– Müssen wir also auch dem metaphorischen Verfahren misstrauen?
Die Augentäuschung hilft uns über die Realität hinweg. Sie ist über-
raschend gutmütig. Sie lässt sich bei ihrem Wohltun nicht von ihrer
Informiertheit stören. Und uns mutet sie sie erst gar nicht zu. Sie ist
so unparteiisch wie nur wahre Souveräne es sein können. - Die Au-
gentäuschung setzt sich auch souverän über ihre Kompetenzen hin-
weg. Und Kategorien sind ihr Sprungbretter. Nichts Menschliches ist
ihr fremd; der gar nicht fremd.
Zeugen und hecken waren einmal die Lieblingsbeschäftigungen der
Klugheit. – Verlorene Welt.
Offensichtlich wurde es der Welt irgendwann einmal zu langweilig,
das Glück zu wiederholen. Oder sie kippte einfach in die Reflexion um.
– Z: Was freilich nicht heißen soll, was es heißt.
Saaten sollen aufgehen. – Noch so ein seltsames Wort. - Gar nicht zu
reden von dem Sturm, den man ernten können soll. Wenn man den
Wind als Samen in die Erde streut. – Z: Das, wiederum, möchte ich
sagen, ist eine reizvolle Vorstellung. Vor allem, wenn man bedenkt,
dass man die Erde vorher pflügen muss, damit sie den Wind auf-
nehmen kann.
Die Bilder sind nie verbraucht, nur ihr Bild-Sein.
Die Ironie ist die verzeihlichste und eleganteste Art der Landflucht. -
Es könnte einem auch scheinen, sie ist ihre einzige gerade noch ver-
zeihliche Form. Aber vielleicht auch nicht einmal das.
Das zu sagen, sagt er, ist schon lange nicht mehr originell, aber man
muss es immer wieder wiederholen: Die Schöpfung wäre eine wun-
derbare Idee, ohne den Zusatz der Menschen.
CCCVII
Die richtige Rede wäre: Es dauert zu viele Räume.
Heute Nacht fliegt den Japanern wieder einmal die Welt um die Ohren.
Das Rätsel gibt es gar nicht. (Wittgenstein) - Im Sinne Wittgensteins,
sagt er, möchte ich gegen Wittgenstein behaupten: Wenn ich eine
Frage formulieren kann, dass lässt sie sich auch beantworten. Auch
wenn wir lange darauf warten müssen.
Alles sich Gegenüberstehende (Natur – Kunst, die Gesellschaft – der
Einzelne, auch Komplementärfarben, fis – ges, selbst Vergangenheit –
Gegenwart, Musik – Architektur; etc.) nur enharmonisch vermitteln.
– Z: Auch das, scheint mir, ist eine Pointe der Dialektik.
Denken auf dem Möbius-Band. Unendliche Änigmatisierung. – Z: Wir
bleiben Marathon also immer näher.
„Die französische Revolution verstand sich als ein wiedergekehrtes
Rom. Sie zitierte das alte Rom genau so wie die Mode eine vergangene
Tracht zitiert. Die Mode hat die Witterung für das Aktuelle, wi immr
es sich im Dickicht des Einst bewegt. Sie ist der Tigersprung ins Ver-
gangene.“ (Benjamin)
Gibt es den Begriff Wehmutsverwandtschaft? – Er ist mir bisher in
keinem, noch so sentimentalen Text begegnet. Vielleicht habe ich ihn
auch nur überlesen.
„sollen auf drey jahre lang christen und jueden vom pferd- pflaster- und
leib-zolle sich der befreyung zu gaudiren haben“ (Corpus constitutio-
num Brandenburgico-Culmbacensium, um 1746) - Wenn man auf den
Weg zur Hölle Pflasterzoll oder -maut erheben würde, sähe die Welt
– in summa - vielleicht besser aus.
CCCVIII
Er sagte: Onanie lenkt ab. - Und auf die Frage Wovon denn? antwortete
er: Von dem Wunsch, einen Gesprächspartner im Kosmos zu haben.
Wahrheit heißt: lügen aus Interesse. Man weiß aber nicht immer Be-
scheid. Das ist die Tragik der Lüge.
...und mein einer Schatten sah wie zweie aus, dass die sich lieb nicht
hatten, sah man gleich daraus...
Mit den Zähnen schmeckt man nicht. - Und mit der Zunge kannst du
nicht beißen.
Sein hebt sich auf, es ist die vollkommenste Art der Hilflosigkeit. Du
kannst ihm trauen. – Z: Der Name dieser Selbstaufhebung ist Werden,
nicht Vergehen.
Trost der Welt. - X: Es darf doch nicht sein, und es geht doch nicht an,
dass man nur auf einen Paraklet, auch wenn es der größte Tröster
wäre, wartet. Die Dinge müssen sich doch ändern! – Y: Ach, du Armer,
du letzter Idealist unter der Sonne, unter der es doch, wie im Westen,
nichts Neues geben können soll. – Z: Versuche dich damit zu ermun-
tern, dass du dir sagst: Vielleicht geht es nicht an, aber manchmal geht
es auf, so oder so. Denn der Trost, ich meine, ein Trost des erwarteten
Ausmaßes, wäre doch die Veränderung, die radikale, die wir eh nur
einem Messias zumuten. – X: (opernhaft) Io fremo!
Denken statt tun, das ist, wie mit Strümpfen ins Bad zu steigen.
„Bleibt ihr Engel, bleibt bei mir!“ – Meinte er, da geht es euch besser?
Es ist so schwierig zu kommunizieren, weil man sich immer auf die
relative Winzigkeit der jeweiligen Situation oder Fragestellung ein-
stellen muss. Man möchte den Teppich zeigen, den man geknüpft hat,
und muss sich damit begnügen zu erzählen, wie die Fäden aussehen,
die man benutzt hat.
CCCIX
Man kann nicht sagen, dass die heutige Situation (Kulturindustrie,
Kunstmarkt, etc.) der Kunst ihren Sinn nimmt oder raubt. - Sie vor-
enthält ihn nur. Auch das wieder in zweifachem Sinn.
Irgendwann kennst du das Glück - und kennst es nicht wieder.
Verführerische Musik zu erfinden, ist nicht schwer. - Z: Ja, leider.
CCCX
充している空間 Pervasive space
Ein ungefärbt Gemüte...
(BWV 24)
...im um sich greifenden Raum
La Bruyère verlangte von der Tragédie ein égal enchantement aller
Sinne, inklusive der esprits, gleichsam eine synästhetische Verzaube-
rung auf höchstem Niveau. - Z: Da kann man nur zustimmen. Aber
sollte das nicht für das Leben überhaupt gelten?
X: Das Zusammenwirken von Elementen sollte immer darauf hin-
wirken, dass sie sich gegen- und allseitig potenzieren. - Z: Könnte
einem Ratgeber aus einem der klassischen Zeitalter entstammen. - Y:
Ist aber selten ernstgenommen worden. - Z: Wie kommst du darauf? -
Nie! Nie hat das jemand ernstgenommen.
Er strebt nach dem Umfassenden und stolpert über jedes Staubkorn.
- Z: Wer nicht!
Wenn ein Knödel das Sprechen lernt. - Wenn ich eigene, ältere Notate
lese, lese ich mich oft daran fest. Und komme auf neue Gedanken, die
ich gerne.... – Welt (heiser): Verschone mich, bitte! - Z: Für dich
herrscht, was die Welt betrifft, ja schon immer und für immer Schon-
zeit. Du darfst die Welt, mich, nicht totschießen, auch nicht mit Schrot.
- Das kümmert dich aber nicht, ich weiß. Aber die Konsequenzen ha-
ben dich ja schon im Moment deiner Geburt heimgeholt. Du hast das
alles verdient, im Schweiße deines Angesichts. – Du hättest einem
Klub beitreten und hättest Jäger werden sollen. Dann hättest du vieles
dürfen. Bis du aufgeflogen wärest. – Wie einer von Goethes mut-
willigen Sommervögeln. – Die kommen einem oft in den Kopf.
Manchmal gibt es zwischen Fluch und Gnade keinen Unterschied. -
Wer hat das gesagt? - Hat das überhaupt jemand gesagt?
CCCXI
Was, würdest du sagen, ist das Besondere deines Denkens und Schrei-
bens? – Ego: Es ist nicht analytisch, nicht exegetisch, kaum herme-
neutisch, aber sehr, sehr angewandt. – Z: Ärmster Teufel.
Das Gewicht meiner Sätze erdrückt mich. – Weil keiner sie auch nur
zu stemmen versuchen möchte. Geschweige denn könnte. Hilfe bleibt
aus. Und das hat, ich verstehe, gute Gründe, gute Abgründe.
Es ist, als ob der Himmel tatsächlich eingestürzt wäre. – Die alten Chi-
nesen haben das ja nur befürchtet. Und sich darauf eingestellt. – Es
gibt Ängste, die zweitausend Jahre zu früh kommen. So klug sind sie.
Er sagt, er fühlt sich zum Schreien einsam. – Z: Ist er also doch ein
eingefleischter und verkappter Romantiker. – Er: Peinlich. Ich höre
ein altes Grammophon. Beethoven kratzt. – Z: Es sind immer letzte
Streichquartette, auch wenn sie keiner schreibt.
Wie kann denen ihre Bedeutungslosigkeit klarmachen, die sich für
den Gipfel halten? – Z: Es geht nicht, weil sie nicht wissen, was das ist,
ein Gipfel.
Manchmal gibt es zwischen Fluch und Gnade keinen Unterschied. -
Wer hat das gesagt? - Hat das überhaupt jemand gesagt?
Was, würdest du sagen, ist das Besondere deines Denkens und Schrei-
bens? – Er: Es ist nicht analytisch, nicht exegetisch, kaum herme-
neutisch, aber sehr, sehr angewandt. Angewandte Seelenspionage.
Bis hierhin! - Und dann weiter.
Er hat Biss. Das beweisen die Schmerzen, die er sich zufügt. Und die
Narben in seinem geschundenen Bewusstsein.
Das Vergessen ist, weltgeschichtlich gesehen, die größte Investition
überhaupt. Wohl auch die erfolgreichste. - Z: Die komplexen Details
CCCXII
zu kennen, wäre amüsant. Aber auch die solltest du vergessen. Bevor
du dich in ihnen verlierst.
Sich im allgemeinen Vergehen zu bewahren, das ist der Traum. Wa-
rum sollte sich daran etwas ändern?
Es ist peinlich, wenn man von jemanden sagen muss: er ist auf seiner
Existenz stehengeblieben.
Angst, die sich nicht selbst anspannt und auflöst, existiert nicht.
Alles Sichtbare zeigt (nur) die Grenzen einer Verwirklichung.
Im Raum materialisiert sich der Widerstand des Unendlichen oder
auch des Nichts. Das lässt sich fast physikalisch verstehen. Und man
kann das dann auch auf die Frage nach der Transzendenz übertragen
und anwenden. Die Welt entsteht aus dem Widerstand der Trans-
zendenz. Diesem Widerstand fügt sich die Welt gerne; schon aus
Selbstsucht, oder auch nur aus Eigenliebe. Quasi als re-entry dieser ei-
nen Grundverfasstheit ergeben sich die mannigfachen Trivialitäten
des Alltags, die traurigen Mienen der Dinge und die angewiderten
Mienen der Nachbarn.
Leuchtende Bocksprünge. - Wirklich schade, dass Hegel, wie er selbst,
gegen Jean Paul gerichtet, schreibt, den „Witz barocker Verknüpfun-
gen“ verabscheute. - Z: Ja. Mit welchem Glanz hätte er seine dialek-
tischen Springprozessionen übergießen können! –
„Das Hirn ist ein Buch, das sich selbst liest.“ – Gefundenes Fressen für
Hardcore-Materialisten. Diderot wollte damit aber sagen: Das Hirn ist
ein Auto-Poet. Und mit dem kann ich (Z) vergnügt sein. Und herum-
tollen.
Hegels Wahrheit ist – nichts anderes als - die Qualität des Umgangs
des Beobachters mit dem Beobachteten und, freilich, umgekehrt. -
CCCXIII
Oder die Qualität des Umgangs des Wissens mit dem Gewussten und,
freilich, umgekehrt. - Wenn sie Glück haben, reiben und necken sie
sich gegenseitig nach oben. Aber die Wahrheit misst sich immer nur
an ihrem (beiden eigenen) Umgang. Sie tritt nicht von irgendwoher
hinzu:
Deswegen konnte Hegel Sätze schreiben wie: „Was vernünftig ist, das
ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig.“ - Weil Wirk-
lichkeit und Vernunft in diesem Sinne von ihrer gegenseitigen Aner-
kennung abhängig sind. Tertium non datur bedeutet hier, es bedarf
keiner Messlatte. Nicht einmal einer adaequatio.
Craie délicieuse. - Es ist auffällig und schade, dass man Hegel eigentlich
nur die Aussagen ankreidet, die man, mit vor Freude bebendem Her-
zen, missversteht. Die Interpreten, möchte ich, sagt er, sagen, stehen
bei Hegel vor allem mit ihren Missverständnissen in der Kreide. – Z:
Und ihre größte Vorliebe ist, sie auch noch zu fressen.
Es gibt keine Grundeinstellung. Es gibt nur eine Grundverstellung.
Je erfolgreicher du dich täuschst, desto erfolgreicher täuschst du dich.
–
Er fühlt sich, sagt er, zwangsläufig und hält Liebevöllerei für eine ver-
lässliche Sünde.
Jede Auto-Kritik beinhaltet ein Absehen von sich selbst. – Z: Zweifellos
der schwierigste Kunstgriff der Ethik, den du dir denken kannst.
Jeder Zuschnitt führt zu einem Zu- und Stillstand. Und leider und not-
wendig auch zu einer Bestands-Abnahme; und ist deshalb epistemo-
logisch gesehen erkenntnisstörend.
Wir sind Legion. Denn wir sind viele. – X: Du musst jede Methode
meiden, die das Denken gleichsam einschläfert. – Y: Die meisten der
CCCXIV
Methoden, die sich dir freudig anbieten, sind aber leider von dieser
Art. Überdies verfügen sie, jede einzelne von ihnen, über mehr als tau-
send Methoden d’euthanasier l‘ésprit. - Z: Und sie reden hier nur von
einem Typus, eben dem einschläfernden!
Creatio ex nihilo. - Das Allentscheidende ist das ex. Vielleicht mehr
noch als Fichtes Durch. – Z: Das Nichts exekutiert also die Schöpfung.
Und die Schöpfung ist also die Exekution, nicht ihr Produkt? – Selbst-
exekution des Nichts. Wofür wir die Metapher des Werdens ausspie-
len.
Y: Alles, lieber X, was wir wahrzunehmen glauben, ist sozusagen ex-
xtra-originär. - X: Aber, lieber Y, nur solange es auch intra-originär ist.
Wenn Aphorismen, auch ganz kurze, Essays genannt werden dürfen,
könnte man hier auch von einer Essayklopädie reden.
Ein Universum (nicht unbedingt miteinander, aber doch) verketteter
Fragmente.
„Tout deviant suspens, disposition fragmentaire avec alternance et
vis-à-vis, concourant au rhythm total, lequel serait le poème tu, aux
blancs; seulement traduit, en une matière, par chaque pendentif.”
(Mallarmé)
CCCXV
kleiner gemacht werden, als sie sind. Vollkommene Formen der In-
stabilität sind unantastbar. Und bleiben es.
Was jeweils der Fall ist, schließt jeweils alle anderen Fälle aus. Das ist
nicht nur gefühlt ein alter Hut. Aber man sieht ihm an, wie selten wir
ihn tragen.
Manche scheinen zu glauben, dass man Gedanken kaufen könne; oder
erpressen oder rauben. Aber Gedanken sind keine Sabinerinnen.
Wie weit musst du dich vom Sichtbaren entfernen, um es zu sehen? -
so weit, dass dir seine Details nicht mehr erkennbar sind, du sie aber
alle siehst. – Dem würde Wittgenstein widersprechen und – zustim-
men, nach zwei, drei Sätzen.
Traumnotat, Versuch. - Es ist aber unmöglich, die Verstricktheit dieser
Traumerinnerungen nachzuzeichnen. Dieser Traumklumpen, dieses
eine kleine Universum der Sinneswahrnehmungen ist nicht zu entwir-
ren. Dass es Eines ist, das ist seine Prägnanz. Die vernehmliche Fla-
schenpost, die ohne Mund zu mir sprach und sagte, ich solle sie
freundlich und liebevoll ins Wasser legen, ins Wasser, das ich nicht
sah, sondern nur annahm, es sei. Die Flasche war verschlossen mit
einem goldgelben, matten Lack. Die Uferböschung war die eines
Bachs, das erkannte ich an seinem unverkennbaren Gehölz und an
den Pflanzen, aber ich sah nicht nur kein Wasser, es war auch kein
anderes Ufer zu erkennen, wie du es bei einem Bach oder einem klei-
nen Fluss hättest erwarten können. Überhaupt benahm sich alles so,
als wäre es Sprache. Die Menschen, wenn es denn welche waren,
schienen zwar auch zu sprechen, aber ihre Haltungen und ihre Bewe-
gungen, ihr Zucken, waren deutlichere Worte als die, die sie, ohne
dass sie ihre Lippen bewegten, zu äußern schienen. Freilich sprachen
sie auch, aber nur gleichsam, wie gewöhnlich, auf der üblichen Suche
nach Ohren. Aber ihre Worte, die den andern Sinnen galten, waren
atmosphärisch deutlicher. Irgendeine Gewalt schien das alles an-
zutreiben und zu tragen, aber alles und alle schienen diese Gewalt als
CCCXVI
einen erbetenen, warmen und geradezu familiären Impetus anzuer-
kennen. Alle schienen diese fremde Kraft für einen beseelenden Char-
me zu halten, der seinen Ursprung tief in einem gänzlich eigenen Ir-
gendwo hatte. - (Bitte ganz genau lesen.) - Und dann war da noch die
Kleinfamilie, die, wie mir schien, das Flussufer entlangging. - Familie?
– Ich weiß nicht. - Die drei anscheinend geschlechtslosen Personen,
ich darf sie eigentlich nicht so nennen, zwei große, rechts und links,
und eine kleine, in ihrer Mitte, waren wie eingepackt in enge Raum-
anzüge, vielleicht aus Leder, die auch über ihre Köpfe gezogen waren,
dass die fast wie drei schwarze Streichholzköpfe verschiedener Größe
aussahen. Die Drei gingen Hand in Hand, munter, als wär es ein Früh-
lingsspaziergang, immer den kleinen Fluss (mit dem nur einen Ufer)
entlang, Und auch sie waren nur ein Sprechen ohne Worte, obgleich
ich auch aus ihren versiegelten Mündern Worte zu vernehmen glaub-
te. Ich glaube, sie lachten auch. Aber ich wiederhole: Es ist unmöglich,
die Verstricktheit dieser Traumerinnerungen nachzuzeichnen. – Z: Es
kann nicht anders sein. Ihre Verstricktheit ist ihr Sinn.
Szenenentwurf. - Er sagte, er fühle sich von seinen eigenen Gedanken
umwuchert. Er sei ein ganz spezielles Dornröschen. Wer da der Prinz
sein könnte, der ihn erweckte oder befreite, wisse er nicht. Und über-
haupt, wer weiß, vielleicht verschwände er ja auch, wenn der Prinz
käme.
Der liebe Gott schaut zwar immer zu, aber nie genau genug. Er ist eben
nur ein System-Praktiker. Und das ist, auch für einen Gott, ein Manko.
Szenenentwurf. - Kracauer (seine Stimme klingt ziemlich jenseitig):
Muss das denn immer wieder klargestellt werden? - Die Masse hat
kein Ornament. Sie ist das Ornament! - Z: Aber wovon?
Das einzig Absolute, das geblieben ist, glaubt er, ist die Seltsamkeit.
Er sagte auch, er sei nur noch Wille zum Leben, könne es aber schon
lange nicht mehr begründen.
CCCXVII
Y: Schau sie dir alle an, die Gabelhochstapler ihrer selbst zu sein ver-
suchten und umgekippt sind. – Z: Ihre Seele war ihnen zu schwer. – X:
Nicht nur die! – Y: Sie haben ihr Jahrhundert unterschätzt und über-
zogen. – Z: Im Grunde waren sie eigentlich nur zu leicht. Und Maschi-
nen merken das.
Was weißt denn du von mir? – Wenigstens alles das, was du mir ver-
schwiegen hast.
Verschweigen ist ja nicht Schweigen. Nur wer die Ohren wirklich
spitzt, kann die bleibendsten Graffiti schaffen. – Bleistifte sind die sel-
tensten Ohren, aber auch die unweigerlichsten, echtesten. – Z: Zünf-
tigsten?
Es gibt Sinn. (Merleau-Ponty) - Authentisch zu sein kann nur bedeuten,
Unzugehörigkeiten zu verknüpfen. Eine Knochenhand greift nach ei-
ner Hand aus nichts als Fleisch.
Variante. B: Eine Knochenhand greift ins Nichts und wird zu Fleisch.
Denkt nur weiter so - rücksichtslos! – Johann Sebastian schreit laut
auf. Zur höheren Ehre Gottes. - Der eigene Schirm ist nur dazu da, dass
man sich davon verliert, solange es einem um Fortschritt geht.
X: Das Schöne ist nur des Schrecklichen Anhang. Zu dem dich die En-
gel verschleifen. – Z: Das kannst du nur sagen, solange du nicht bei
ihnen angefragt hast. – Y: Der lange Umgang hat uns so vertraut ge-
macht, dass wir es dabei belassen müssen.
Musik riecht. Und wir verfallen ihr, weil wir es nicht wahrhaben wol–
len. Was uns im Griff hat, was es auch sein mag, lenkt uns von dem ab,
was es ist. Da wären wir schon wieder bei der Transzendenz. – Z: Ich
fange an, mich zu ekeln. Musik, die riecht, ist mir zuwider.
CCCXVIII
Aber wer Musik nicht riechen will, muss auch auf die Welt verzichten.
Und wer sich nicht ekeln will, darf gar nichts mehr wahrnehmen. – Z:
Wo doch synästhetischer Ekel eigentlich grandios ist. Ich versuche zu
lernen.
Auf alles, was du ertragen möchtest, musst du eingestimmt sein, um
es ertragen zu können. - Ich meine das ganz ohne Bollnow oder Gernot
Böhme.
Glück wäre, meint er, in Unwahrscheinlichkeiten zu versinken; also
am Horizont zu ersticken.
Es werden schon immer Lieder gesungen jenseits der Menschen. -
Wer sie hört, der kann froh sein. (Vgl. Schönbergs Serenade, Op. 24,
vor allem: II. Menuett)
Sich vergehen, im allgemeinen, ist ein Liebesakt der verklärenden Art.
– Der Sprache ist es ein Gebot.
Szenenentwurf. (Eine Art Ergänzung zu „Duft und Zeit“ (Han)) - „Auch
die Zeit vergeht sich.“ – Dabei löschte er ein Streichholz mit der (typi-
schen) Schüttelgeste seiner rechten Hand. – Er hatte damit aber eine
Duftkerze, keine Zigarette angezündet.
Rorate praecox. - Z: Ich werde daher dieses Jahr sehr früh damit an-
fangen, den Advent zu erwarten. Ich werde Tauet Himmel! heuer min-
destens einen Monat zu früh singen. Ich werde den Einsatz meiner Er-
wartung verdoppeln. – Topp!
Ruh?
CCCXIX
Nichts geht méhr. – Só muss das betont werden.
Es ist der Tod der Aura, wenn jemand (in der Regel ein Künstler) An-
spruch darauf erhebt oder gar anmeldet.
Auch wenn du es denkst, ich versteige mich nicht, wenn ich dir sage,
meine Träume besuchen mich im Traum und meine Erinnerungen in
meiner Erinnerung. Denn das geschieht auch beim Warten an Ampeln,
oder auf Autobahnraststätten, und auch wenn ich Radfahrern und
Elektrorollern – mit Vorbedacht – aus dem Weg springe, um ihnen
wenigstens mich als Target zu ersparen und ihnen so die ungestörte
Fortführung ihres Tagewerks zu ermöglichen. – Z: Sie daran gehindert
zu haben, würde dir der Weltenrichter, demnächst, freilich lohnen.
Aber für das Letzte Gericht bist du offensichtlich zu gut. Ein Surplus
von Güte wird nämlich nicht angerechnet, demnächst. –
Ni dieu, ni maitre? Echt? - Kein Denken ist radikal, dass nicht vor allem
anderen radikal mit sich selbst verfährt und umgeht. Es darf nicht ein-
mal auf dem Boden stehen wollen, den es den anderen unter den Fü-
ßen wegzieht.
„Das ‚Sehen der Figur als...‘ hat etwas Okkultes. Man möchte sagen: ‚es
hat sich etwas geändert und es hat sich nichts geändert.‘ – Aber ver-
suche es nicht zu erklären! Betrachte lieber das übrige Sehen auch als
okkult.“ (Wittgenstein)
Gott hatte sich, sagte er, das hat mir vor kurzem jemand gesteckt, die
Menschen ursprünglich doch nicht als Störfaktoren der Schöpfung
ausgedacht. Wider alles Vermuten. - Z: Der hat sich was getraut!
Zeichenhüte und Sinnkaninchen. - Man glaubt, dass Schrift und Stimme
etwas ausdrücken, indem sie es zeigen. Aber faktisch verbergen sie es
doch. Was kann eine materielle Linie, mit einem Kugelschreiber
gezogen, was kann eine heisere Stimme, auch eine elektronisch er-
zeugte, denn zeigen? Selbst wenn sie nichts verbergen, zeigen sie nur
CCCXX
sich selbst; und das auch nur als eine Form der Unterscheidung. Die
blaue Linie auf dem weißen Papier, das heisere Räuspern, gegen das
allgemeine Rauschen etc. – Der Wahrnehmung bleibt nichts übrig, als
das, was der Linie, der Stimme etc. notwendig transzendent bleibt, zu
ergänzen. Oder sollte man sagen: hinzuzudichten. Jedenfalls kann sie
es. Das ist enorm. Aber woher kommt diese Fähigkeit? Die Wahrneh-
mung schon ist eine Sinn-Zauberin. Sie zieht den Sinn aus den leeren
Hüten, die die Zeichen sind. – Siehst und merkst du, was du gerade
tust (wenn du dies liest), ist es dir klar, - oder tust du es nur? – Egal,
du zeigst und beweist dich (dadurch) als großer Zauberer.
Wiedererinnerter Traum. – Ich sitze in einer Art Biergarten in einer
weiten, dem Anschein nach leeren Landschaft. Der Biergarten hat die
Form eine großen Gevierts, dessen Grenzen von Baumreihen mar-
kiert sind. Die Zwischenräume zwischen den Stämmen der Bäume
sind sehr verschieden. In einer Himmelsrichtung, die ich nicht bestim-
men kann, erscheint die Horizontlinie halb gewellt, halb gezackt, was
ich mir nicht erklären kann. Ferne Berge? Oder hat die Weltscheibe
hier nur einen unsauberen Rand? Hat da jemand etwas abgerissen?
Ich denke nicht weiter darüber nach, die Frage langweilt mich. Ich
höre nicht einmal ein Rauschen. Ich fühle mich gelassen. Ganz in der
Hut dieser kalten und einsamen Landschaft, über der nur der Mond
steht, der plötzlich gänzlich lautlos platzt und in Lichtpunkte zer-
stäubt, die alle schnell verlöschen. Etwas ruft: Der Mond ist tot. Da
begriff ich, was es heißt, zu erschauern. Seither steht mir der zer-
stiebende Mond wie eine erstarrte Explosion vor Augen.
Just do it. Zu späte Hommage an Michael Jackson. - Wenn du am Tag
nicht ein, zwei solcher Gedanken denkst resp. gedacht hast, war es
kein Tag. Und wenn solche Tage sich ansammeln, kann auch ein Be-
ckett dir nicht mehr helfen. Dann wird es sich insgesamt um einen
eschatologischen Filmriss handeln. Und deine leeren Hände werden
ziemlich dumm aussehen. – Z: Dass sie dumm dastehen, das kann man
ja von Händen nicht sagen. – Es sei denn, man tut es einfach. Und
spaziert einfach über den Mond. Aber so, dass es so aussieht, als
CCCXXI
würde man gleiten. – Und doch wird es ein verlorenes Bild bleiben.
Eine ans Universum verlorene Freundlichkeit. – P: Um 1995 hatte ich
die Gelegenheit, einen Nachmittag mit Oskar Pastior zu verbringen. Er
signierte mir damals einige seiner Bücher mit „Für P.P. - Freundlich,
Oskar Pastior“. – Sicher war das eine Art, seine Bücher verlorenzu-
geben.
Es gibt keine Gaben für leere Hände. Durch leere Hände greifen die
Gaben hindurch.
Ach, dieses Auge, ewig nun offen. - Nur Widerständiges kann Gaben em-
pfangen. Das gilt auch für Augen. Wenn sie ihr nicht widerstehen,
haben sie keinen Platz für die Welt.
Dancing clock. - Man wird immer wieder von leeren Blicken sprechen
müssen. Um dem Denken die Ehre zu geben.
Brose du vide. – „Wenn es die gäbe, würde ich jetzt gerne in die Musik
einer übersteigerten Ägyptischen Helena eintauchen. Oder einfach nur
reinspringen. Wie in einen Pool. Der dürfte auch leer sein.“ – Er fühlt
sich, sagt er, zurzeit nämlich so sentimental, dass nur die gigantisch-
ste Leere ihm genügen und etwas abgeben könnte.
Der Aufmerksame, das ist der Taucher. (Valéry)
Flughafennotiz. - Wenn ich morgens einmal, wie beiläufig, in den
Spiegel schaue, habe ich erst einmal das Gefühl, mich schon oft gese-
hen zu haben. - Das verliert sich dann aber, nach und nach. Über den
Tag.
Umstände sind nur für Krämer. - Halte du sie dir vom Leib! Beide.
Manchmal, heute wieder, denkt er, das Leben müsste sein wie Padre
Antonio Solers Un Ángel y el Demonio.42 – Z: Er meint: eine idealische
42
https://www.youtube.com/watch?v=URyUN0pSdCw
CCCXXII
Mixtur aus Ernst und Heiterkeit, von der selbst Nietzsche nur ge-
träumt hat, nur träumen konnte. Vielleicht gibt es die ja wirklich nur
spanisch.
Sine grano soni. – (Immer wieder, nicht aus Zwang, sondern weil es
notwendig ist, Leute!): Wer nicht am jeweils faktischen Klang vorbei-
hört, hört nichts. Klänge lieben es, zu necken, zu entschlüpfen und zu
entgehen. Wie die Rheintöchter dem Alberich. Wenn man dann nicht
niesen möchte, muss man sich anderweitig umsehen und umtun. Und
das bringt nur Ungemach und füllt den Seckel (auch des Ohrs) mit
nichts als Tand und Not. Aber mit keinem Gran Klang. –
Arbeit, Arbeit, Horatio! – Mit dem Denken musst du immer weiter-
gehen. Sonst lässt es dich am Wegrand liegen, von wo die Nager dich,
in kleinen Stücken, in ihre winterlichen Proviantlager bringen. Zu all
dem anderen Aas.
Die Welt verliert sich immer mehr. In der Masse dessen, was du nicht
kennst. Um es nicht anerkennen zu brauchen. Oder gar zu müssen. –
Z: „Wirtschaft, Wirtschaft, Horatio!“ (hier: Zitat)
Eine unstreitig vernünftige Aufforderung ist: Bemühe dich, in meinen
Augen immer neu zu erscheinen! - Das wird dir Vorteile bringen. -Z:
Deshalb ist diese Aufforderung so vernünftig.
Jede andere Reihenfolge wäre eine Lüge. – Z: Warum versuchst du es
also nicht?
Wie lügt man mit Metaphern? – Ich wäre für Ratschläge dankbar. Ein
neues Leben begänne. Endlich.
CCCXXIII
Du musst das Leben leiden lernen, um es leiden zu können. – Z: Wir
müssen der deutschen Sprache sehr dankbar sein, dass wir das so
sagen können.
Öffentliche Räume (Kirchen, Parlamente, Kneipen, Schulen, Märkte,
Gerichte, Bahnhöfe, Theater, auch Paläste, etc.) sind die lethargisch-
sten unter den Räumen, die im Grunde alle lethargisch sind. - Sie inte-
ressieren sich für niemanden, der da einmal saß oder stand oder hin-
durchging. Es scheint mir, sagt er, dass alle Räume Räume des Ver-
gessens und des Vertuschens sind. Eigentlich Besen, Besen der Zeit.
Sie kehren und kehren, obwohl sie gar nicht wie Besen aussehen.
Wittgenstein hätte ihre Familienähnlichkeit erkennen können, wenn
er es gewollt hätte. – Räume, als Werkzeuge gesehen, sind Besen.
Genauer: Sie sind ungeduldige Särge. Hexenbesen. Orte des ständigen
Räumungsverkaufs. – Nein, kein Verkauf. Schlichtes Räumungsge-
schehen: Alles muss (wieder) raus! – Subito!
Modell Eden. Aber war Eden denn ein Raum? - Der Raum ist die Urform
der Vertreibung. Wohnen ist gestundete Vertreibung. Raum ist, das
liegt zu denken nahe, damit Vertreibung sein kann. - Es ist sehr trotzig,
dass wir uns den Raum gerne geschlossen, als Hütte, Hut und Hege,
vorstellen. Was er aber gar nicht sein kann. – Die Vorstellung des
Welt-Raums kommt seinem Begriff noch am nächsten, konterkariert
ihn freilich aber auch durch genuine Unvorstellbarkeit. – Z: Wahre
Vorstellungen zerrinnen, bevor sie gewonnen sind.
Raum entsteht durch Zugehörigkeit und löst sich damit auf. Das gilt
auch für den notorischen Begriff der Heimat. – Z: Vielleicht gilt das
aber für alle Begriffe, die, früher oder später, vom Ekel erfasst werden
können. – Obwohl, Raum-Ekel ist mir noch kein vertrautes Wort. –
Steht aber vielleicht, ich mutmaße ja nur, immer irgendwie im Raum.
–
CCCXXIV
O: Warum sind wir – bis dato - denn nur Seins-Möglichkeiten? – A:
Weil Gott und die so genannte Natur uns die Transmissionsriemen
vorenthalten haben. – Z: Es wäre viel besser gewesen, sie uns vor-
zubehalten. Denkt euch nur, was wir damit angestellt hätten! – O: Gott
hätte seine Schöpfung noch mehr nicht wiedererkannt. – A: Darum
wäre es ihm vielleicht aber auch gegangen.
A: Wenn der big bang ein Art Vulkanausbruch des Nichts war, ver-
stehe ich, warum ich immer meine, Lava zu kauen. – O: Wenn die Welt
aber die Schöpfung eines Schöpfers ist, kann ich es nicht verstehen. –
Z: Dann würde auch ich mir, in der Tat, einen anderen Geschmack
erwartet haben.
Wir brauchen die Welt, um mit uns allein zu sein. Wie sähe das denn
aus, wenn wir sie nicht hätten! - (Wer spricht da? Und spricht es
außerdem auch noch aus?)
Wie schmeckt Lava eigentlich? Hängt das vom Jahrgang ab? – Z: Der
Jahrgang ist immer eine Ausrede, wie auch beim Wein.
Ob es gut ist, dass das Denken seriell monogam ist? – Meine Zweifel
sind da von eigener Natur. Und werden es bleiben.
Die Evolutionstheorie liefert uns wenigstens die Gründe dafür, wa-
rum wir uns gegenseitig gerne Häschen, Täubchen, Äffchen oder dergl.
nennen. Es ist eigentlich überhaupt nicht originell, dass wir die Gren-
zen der Spezies so ungern überspringen. Das spricht nicht für die Evo-
lution; einmal objektiv betrachtet.
Man kann sich nie sicher sein, dass die falschen Hoffnungen nicht ent-
täuscht werden.
Ihr lügt, o nackte Blüten / meiner Lippen. (Mallarmé)
CCCXXV
Habe mich gekonnt und schön verlesen. Statt wahrhaft habe ich wahn-
haft gelesen. Oder war es nur ein Druckfehler. Und ich habe richtig
gelesen.
„Der Ferdi war ganz auf die Pferde gerichtet.“ - Ältere Dame (aus Sie-
benbürgen). Beim Essen. Heute.
Das Ende des Oktobers. Seine Klinge zu entschärfen, das ist unmöglich.
Es sei denn, du versuchst es mit deiner Zunge.
Wenn man bedenkt, dass Schiller schon wusste, dass kein Mensch
Mensch genannt werden kann, solange er nur „Abdruck seines Ge-
schäfts“ ist, muss man doch schreien?
Z berichtet. - In Portugal ist, sagte er, wie man lesen kann, ein Kind
„ohne Gesicht“ geboren worden. Der zuständige Arzt wurde sofort
„suspendiert“. - Ein Kind ohne Gesicht. Ich weiß nicht, wie man sich
das vorstellen kann. Vor Entsetzen und Mitleid waren meine Augen
wie blind. Jedenfalls ist die Vorstellung grauenvoll. Grauenvoller als
das Faktum. Das erklären sie sich ja auch leicht und ohne Anstrengung.
Als ein prinzipiell vermeidbarer Fehler im System, oder sie nennen es
Menschliches Versagen. Aber was sollte ein wirklicher Philosoph dazu
sagen? – Vielleicht würde er sagen: Hier verweigert sich die Natur den
Einschreibungen und Prägungen durch das Schicksal. Allerdings mit
einer Radikalität, die dem Leben selbst keine Chance mehr lässt. Das
Schicksal stellt sich an den Anfang und verhindert jeden Beginn. Aber
was bedeutet es, wenn die Natur und das Leben selbst sich ihre
Chancen verstellen? - Es ist, wie wenn sich der sich selbst durchsichtig
gewordene Weltgeist, wie soll ich sagen?, nicht mehr will, nicht mehr
weiter will. Weil ein absolut Inkommensurables, gleichsam wie eine
selbstindizierte Pestbeule, in ihm aufgebrochen ist; und ein Gift
freisetzt, das ihn selbst zersetzt. Es ist, man muss es ja nicht über-
treiben, sagen sie, und der Arzt wurde ja suspendiert, nur ein apo-
kalyptisches Sodbrennen. - Aber man muss trotzdem zugeben, dass
das Ende der Welt qua Vernichtung des Schicksals sich vielleicht als
CCCXXVI
apokalyptisches Sodbrennen ereignet, durchaus überraschend ist.
Mich überrascht es. - Den schuldigen Arzt als jämmerliches Voll-
zugsorgan trifft nur eine Teilschuld. Aber sie lenken und leiten auch
den Rest auf ihn ab. - Was ich da sage, sagte er noch, das sollte, ceterum
censeo,, missverstanden werden.
Jimmy, warum läufst du denn fort? (Brecht) – Z: Wenn ich Jimmy wäre,
würde ich antworten, ich suche nach Form. Nichts weiter. Aber immer
zu.
Der Mensch ist ein contour naissant, immer in Gefahr, sich zu verzei-
chnen. Zu verzetteln. Jeder einzelne.
Verschwommenen Rändern einen Hauch von Kontur geben. - Ja, eine
Kontur aus Hauch, fester kannst du nichts umreißen.
Symbolon à la carte. - Wenn man einen halben Silberling aus dem Beu-
tel des Judas besäße, hätte man eine schöne und lohnende Aufgabe.
Man müsste nur die andere Hälfte des Blutsilberlings suchen.
Gedankenlandschaften müssen zerrissen sein. Und Gedanken müssen
springen. - Am besten über alle Wege (samt Feldwegen), die sich
schlängeln und anbieten, hinweg.
Es macht sich kleiner als es ist. – Genauer: Es macht sich kleiner als
dass es ist.
Alles, was bis jetzt war, war zu wenig, weil es in sich selbst – häkchen-
haft - gekrümmt war.
Wir sind, gleichsam, das einzige Fraktal unserer selbst. – Z: Was für
ein präzises Bild! -
Aber: Wenn du so kurz vor Schluss noch ein wenig nach Anerkennung
gierst, solltest du so nicht schreiben.
CCCXXVII
Und lest das alles einmal und allemal nach, wenn die Welt endlich
warm genug und ausreichend überschwemmt ist. Und das ganze Jahr
über Weihnachten sein wird. Ich sage nicht, die Welt geht unter. Ich
sage nur, habt doch Geduld!
Ein sonderbares Gefühl, sich im eigenen Begehren rettungslos, wie
man sagt, zu verlieren. Das allgemeine Versprechen lautet doch, darin
nicht um, sondern zu sich zu kommen. - Wer lügt denn da, Heiliger
Sankt Lacan?
Götter, wenn ihr bei mir ankommt, bin ich weg. Befürchte ich.
CCCXXVIII
43
Lieu, banlieue, endroit perdu, sur place, contre-lieu, non-lieu, etc. - L'en-
droit où vous ne serez jamais allé sera le seul à vous défendre. - Es klingt
so abgedroschen, so wohlbekannt, aber: der Ort, wo du nie warst, der
Ort, wo du immer gefehlt hast, wird der einzige sein, der für dich
einstehen wird. Aber nur, wenn er sich an dich erinnert. – Weißt du
denn, wie du das machst? – Z: Die Frage scheint mir deplatziert.
43
Qui de soy cuide entendre & bien ouir
La voix de Dieu, n’a rien que fol penser:
Tous sommes sourds, dont ne savons jouir
Du doux accord qu’en nous veut compasser,
S’il ne luy plaist de son sainct doigt perser
Jusques au fond l’oreille interieure,
Lors l’entendrons & l’orrons sans cesser.
Qui n’a ce don, tousjours sourd il demeure.
CCCXXIX
Ce n’est vraiment pas un endroit
oder
Nur die Dinge, die (für) dich zeugen, ermöglichen deine Existenz. Aber
wie du das in die Wege leiten kannst, das ist mir rätselhaft.
Es ist, wie einen Zahn loszuwerden, der einem ein Leben lang nicht
geholfen hat; nicht beim Beißen, nicht beim Sein. – Du dachtest nur,
er gehört zu dir. Du dachtest das, ohne dir dabei etwas zu denken.
Trotzdem hängst du mehr an ihm als er an dir. – Auch das eine Form
von Tragik, aber eine billige. – Völlig verrückt, aber doch ein Teil der
Frage nach deiner Identität. - Entrückt vom ersten Tag an, an dem du
es schon nicht bemerkt hattest. – Legitimität ist offensichtlich ein Fra-
ge der Unaufmerksamkeit. – Z: Schön, dass dir überhaupt und wenig-
stens diese Gedanken erlaubt sind. Es ist dein Glück, dass die Sprach-
polizei nichts von Sprache versteht.
Denkt euch einen Denker, der unter dem Gewicht seiner immergrü-
nen Wertvorstellungen zusammenbricht. (Imaginez un penseur qui
s'effondre sous le poids de ses valeurs persistantes.)
P: So wie es denkbar ist, dass das Fühlen sich einer Fahrlässigkeit ver-
dankt. Einer Fahrlässigkeit, einem kurzen Wegschauen des Denkens.
– Z: W sagt aber, es sei umgekehrt gewesen. Es gibt aber auch die The-
se, dass das Denken aus der Langeweile beim Jahrtausende langen
CCCXXX
Warten auf den Messias entstand. – W: Auch das ist sehr plausibel;
mehr von Tag zu Tag. – P: Und in der Nacht schlichtweg überzeugend.
Notierte Erfahrungstatsache. Auf Rationalität pocht nur der, der vor-
hat, Anspruch auf sie zu erheben. – Lasset ihn also pochen und ver-
schließt eure Ohren.
Alle wahrhaft Suchenden werden enttäuscht. (Brecht) – Du solltest
einfach nur - auch - die Augen schließen; und die Hände, ihre Flächen
nach oben gewendet, ausstrecken. Wenn dann lange nichts geschieht,
und ihr noch immer sonst nichts zu tun habt, esset euren Hut auf. – Z:
Sehr guter Rat und nicht teuer. Und naheliegend, wenn du den Hut
nicht trägst. –
Y: Das Sein ist rastlos. Es folgt auch nicht der gastfreundlichsten Ein-
ladung seiner selbst. - X: Es besteht freilich noch die Chance, dass es
sich in sich verrennt. - Z: In gewisser Weise volutenhaft. - Aus einem
Off: Es besteht aber auch darauf, es nicht bei sich zu belassen.
Ratifizieren bedeutet eben nicht: mit Getöse stempeln. Eher so etwas
wie: mit Möglichkeit betupfen, nachdem du den Staub weggewischt
hast.
Ich gebe meinen Subjektkrümeln männliche Namen, weil ich zumin-
dest scheinbar aus vorwiegend männlichen Teilen zusammengefügt
bin. Vielleicht sehe ich das falsch. Aber was tut das bei Krümeln zur
Sache?
Der mögliche Ausdruck „vom Bilderstapel lassen“ besäße eine schöne
Zweideutigkeit.
Jedes Wort hakt sich anders in die Welt (ein). - Blut, Spott; Gott, Glut.
CCCXXXI
Es wäre anmaßend, vom Universum Dankbarkeit zu erwarten, nur
weil wir mit ihm sprechen, quasi als Antwort darauf, dass es uns in
Existenz gesetzt hat.
Wenn jemand plötzlich und eruptiv ausruft: So habe ich das ja noch
nie gesehen! – dann weißt du, dass er es gerade zum ersten Mal sieht.
Und brauchst nicht erst noch einmal nachzufragen.
Wenn Wittgenstein schreibt, dass sein Blick „vacant“ war, dürfen wir
uns dann nicht fragen, ob er seine Augen, dann und wann, auch als
Gefäße wahrnahm, Gefäße reiner Rezeptivität, die die Welt, mit allem,
was der Fall ist, gefälligst zu füllen habe? Er erwartete von der Welt
zärtliche Hingabe, und wollte sie mit zärtlicher Aufnahme belohnen.
So hatte er sich das gedacht. Er war ein irgendwie verdrehter Narziss.
Er wollte der Wirt der Welt sein. Aber die Welt macht ihre Rechnun-
gen ohne ihn.
Für subalterne Leistungen, sagt er, möchte man irgendwann einfach
nicht mehr eintreten. Spätestens wenn sie sich grundlos durchgesetzt
haben.
Y: Notensysteme zu beherrschen, das ist, zweifellos, geil. Und führt
uns in andere Gefilde. – Z: Was abzuwarten wäre.
Z: Mir fällt es schwer, schrittzuhalten mit dem Weltuntergang.
Wittgenstein meint mit Familienähnlichkeit ein Ideal, die Einheit von
Kristall und Wolke.
P: Du plumpst, gleichsam, in Gedankenkomplexe. Und da sind Münch-
hausensche Fähigkeiten gefordert. - Z: Wehe dem, der sie nicht hat! -
Denn er sinkt unweigerlich ein.
Und das Ergebnis müsste ein Gedankengobelin sein, den man dem
Goldenen Kalb umlegen könnte; als Königsmantel.
CCCXXXII
P: Die Aufgabe ist also, gleichsam, das Schicksal der Wahrheit zu be-
siegeln.
Distrait. - Streusand kannst du nur drüber streuen.
Es freute ihn, als einer ihm – simpliciter - sagte: Deine vielen Wieder-
holungen beweisen nur, dass es keine Wiederholungen gibt. - Hatte er
doch immer schon gewusst, dass es nur die Zeit gibt, die zwischen
ihnen vergeht. Wiederholungen, sagt er sich immer wieder, sind die
rara, die den zeitlichen Raum stiften.
Du kannst auch sagen, Wiederholungen sind die Zimelien der Zeit.
Weil sie, im Vergleich so selten sind.
P: Ein Abrutschen oder Abgleiten in Gedankenbündel wiederum, ver-
langt eher napoleonische und rein dezisionistische Strategien.
P: Manchmal muss das Denken eben Befehlscharakter haben. Gedan-
ken wollen aber auch zur Ordnung gerufen werden. Wenn auch in
einem anderen Sinne.
Die Zwangscharaktermasken sind freilich die Widerwärtigsten.
Das Denken muss übertreiben, sonst kommt es nicht in Schwung.
Aber was soll das heißen, wenn jemand sagt: Ich bin von dem Gedan-
ken besessen, dass...
Auch du hast nur Bedeutung, wenn du alle Krokodile der Welt, die
Bachhafte in allen Höhleneingängen, kein spielendes Baby, kein ver-
staubtes Weinglas, keinen verlorenen Groschen, keine vergeblichen
Ambitionen etc. vergisst. Beim Letzten Gericht wirst du nicht nach
deiner Moral gefragt werden. Es wird alles darauf ankommen, wie
viele Erinnerungen du aufzählen kannst. Das Paradies wird eine Be-
lohnung für eine geniale Mnemotechnik sein. – Z: Was denn sonst! –
CCCXXXIII
Der Engel der Zukunft singt nicht. Er brüllt: Überfordere dich und
mach ja keine Fehler! Sonst werde selbst ich dich nicht einlassen. Die
Eschatologie ist der Inbegriff von allem, das nicht fair ist. Lös dich,
endlich, von diesem jämmerlichen Begriff. –
Z: Warum ist das Denken unsere Basis? – P: All reflecting is reaction.
Was nicht alles vorausgesetzt ist, dass du fragen kannst: Warum bist
du so blass? - !
Er sagte, dass seine Karriere mit einem Schreibfehler begann: Statt
fundamental shift hatte er geschrieben fundamental shit. – Und das
gefiel den Leuten. So sind sie.
W: Die Dinge sind ja einfach nur so heruntergefallen in die Tatsäch-
lich- und Zuständlichkeit. – P: Und du willst sie retten? - Du glaubst,
sie retten zu können? – W: Natürlich nicht, dass geht ja nicht. - Aber
es braucht doch den zeigenden Finger des Johannes auf dem Isen-
heimer Altar. Und diesen wirklich unsäglichen Abgrund.
Es ist unmöglich, mit der Unvermeidlichkeit zurechtzukommen. Aber
darin, es falsch zu machen, liegt eine Chance.
Das Altern ist, und bleibt, ein Teil des Wachstums ins Nichts.
Das Denken ist ein Symptom der Freiheit. Daher die Ranküne der un-
zähligen Unfreien.
Sans, soin. - Sorgfalt, ein Wort, auf das jemand eine Philosophie auf-
bauen könnte. - Z: Wer könnte es denn sonst auch?
Ex oriente. – Endlich haben die geisterkundigen Chinesen (Kassner)
herausgefunden, dass entzündungshemmende Mittel den Beruf des
Psychotherapeuten in absehbarer Zeit überflüssig machen werden.
CCCXXXIV
November-Winde(n)
Doch bald vernahm er unten Dinge,
worüber er der Furcht vergaß
und immer sachter weiteraß.
Lessing
In spatio usura. - Wenn er über die Zeit nachdachte, ging es ihm gar
nicht so schlecht. Wenn er aber, unachtsam, damit aufhörte, über die
Zeit nachzudenken, fühlte er sich wie in einen hohlen steinernen Wür-
fel gesperrt, der ständig enger wurde; als wollte die Zeit ihn ersticken.
La fin (das Ende) et l’étroitesse (die Enge). - P: Der finstere Witz der
Relativitätstheorie ist, dass die Zeit nur für den Beobachter zu Ende
gehen kann. – Z: Und, wie ihr seht, auch der Raum kann nur für den
Beobachter eng werden.
Un arbre en novembre. - Er erzählte, der Baum vor dem Fenster habe
fast noch alle seine Blätter; als wollte er etwas schützen. Oder ver-
bergen. Oder nicht zulassen.
Du bist immer auf eine ganz eigene, unwiederholbare, unwidersteh-
liche Weise in die Welt verkeilt. Jeder einzelnen, jedem einzelnen un-
ter uns Milliarden ist das unangenehm. Aber wenn wir das nicht hin-
nehmen, hat keine einzige unserer (Zig-Milliarden, versucht sie euch
vorzustellen!) Zehen in dieser Welt einen Stand. – Z: Überlegenes
Bescheidwissen ist der Inbegriff der Verkommenheit. Zehen faulen
gerne. Um sich den Nachbarn gegenüber zu überhöhen. Das gelingt
nicht immer. Aber manchmal bringt es eine Vize-Präsidentschaft ein.
– Z: Es verstehe, wer kann.
CCCXXXV
Der Begriff des Nutzens war von Anfang an falsch. – Gibt es das, eine
prägnante Abwesenheit? – Z: Wohl nicht, sonst müsstest du sie nicht
kursivieren.
Er verliert, sagt er, immer auf halbem Wege die Lust. Er ist erschre-
ckend klug. – Aber kein Vorbild. (- das sagt nicht Z!)
Die Welt hängt nur noch in der Form von Fäden in sich. Man könnte
meinen, die seien schon längst abgeschnitten oder längst irgend-
jemandem (vielleicht einer Frau) aus der Hand genommen worden. –
Aber selbst das Toteste vermag, sich elegant zu bezeugen.
Wahrscheinlich ist sogar der Himmel gespalten. Fahrt uns ins Tal. Das
Verderben verschönert eh nur noch unser Genick. Aber das sicher
massiv. – Das wunderbare Aufhalten von Existenzmomenten, ja, das
wäre schon etwas.
Ich könnte dauernd weiterscheiben. Aber das wäre idiotisch. Ich höre
auf. Wenn Tränen kiloschwer werden, sind sie nur noch albern. -
Stoppt mich. Es ist zu schön zu trauern. Um die Welt. Um die sowieso.
Die Gedanken retten sich; an der Welt vorbei.
Einsamkeit ist nicht beschreibbar, Aber alles andere, was die Ein-
samkeit betrifft, ist denkbar.
Konversionstherapie. Eine Meister- und Vorzeigetautologie.
X: Ich kann Kants Unterscheidung zweier Einbildungskräfte nicht für
richtig halten. Weil ich mir keine Produktion, die nicht auch Repro-
duktion wäre, denken kann, und auch keine Reproduktion, die nicht
wesentlich, wie das Wort ja auch zu sagen versucht, Produktion wäre.
- Y: Das gilt auf eine sehr subtile Weise auch für die Idee der Auto-
Poiesis. Sie ist produktive Reproduktion und reproduktive Produk-
tion. In einem Zug und Schlag. Zauberstab und Kaninchen; wie gesagt.
CCCXXXVI
X: Es gibt aber eine doppelte Ranküne, die alle Dualismen im Würge-
griff hat. Sie will töten, sie will das holde Bescheiden, das in Gestalt
einer grässlichen Anmaßung in der schöpferischen Mitten liegt, elimi-
nieren. - Y: Keiner, der das beobachtet, kann es verstehen, weil es die
rasende Vertigo seines eigenen blinden Flecks ist.
Z: Wenn ich euch höre, verstehe ich, warum das Denken, das ar-
beitsvolle Wachen in der Dunkelheit der Zelle, so schwierig und
schwermütig ist. Immer schwermütiger, da Raum und Dunkelheit
ihrem Ende zueilen.
Es gibt eine Verbeugungslogik mit ganz bizarren Syllogismen. Diese
sind nichts anderes als Maskeraden der Macht. Kreide im Getriebe, die
für süßes Knirschen sorgt.
Er sagte: „Im Vertrauen, mir kommen meine Gedanken manchmal wie
die eines Toten vor, der das Leben denkt. Und ich wundere mich sehr
darüber, dass und wie das möglich ist.“ –
Wenn die Kommata in seinen Gedanken-Notaten, wie er selbst zugibt,
nur Aufforderungen zum Stocken oder zum Atemholen sind ( - sie
haben eine hyper-grammatische Bedeutung, wie er sagt -), geben sie
das Atemholen und Stocken eines Toten beim Denken wieder. Er sag-
te auch: Dieser Gebrauch sei das Einzige, was er vom Alten Fritz ge-
lernt habe. – Z: Bei dem stockt und atmet aber der Stein.
Denker haben die Tendenz, die Gedanken anderer nur zu deuten, es
kommt aber darauf an, sie zu ergänzen und zu erweitern, im besten
Fall, sie zu steigern. – Z: Also Apotheose statt Exegese? – Wenn das
mal gut geht. – Wieder Z: (aber jetzt nur zu sich selbst): Dabei bleibt
CCCXXXVII
es aber grundsätzlich, der Gesundheit wegen, doch wohl bei einer
Bestimmung von Differenzdynamiken? - Sonst wenden sich die Götter
definitiv von euch ab. – Die Denker: Was sagt er da? –
Das Wiederum führt nicht weiter. Es ist ein Sperrelement.
Denken ist nie eine Medizin, aber es ist wie eine Medizin. Mit heftigen
Nebenwirkungen.
Was du entbehren musst, das ist immer nur das Unentbehrliche. – Gab
es diesen Satz schon? Ich glaube nicht. Aber warum nicht?
Mesotes. – Mit-Leid soll (bei Aristoteles) doch ein mittleres Gefühl sein,
eines mit dem man umgehen kann, nicht eines, das mit uns umgeht.
Leben und Denken sind im Grunde Dispositionen. Was du daraus
machst, wenn du lebst und denkst, ist etwas anderes.
Alles, von dem man an-nimmt, dass es ist, schaut einem gewisserma-
ßen aus einem Fenster an. Mit einer zweideutigen Physiognomie.
Les actes témoignent du vide des intentions.
Auch Nach-Empfindung ist eine Projektion, selbst wenn sie sich (fast)
gleichzeitig vollzieht.
dô sach man slac und widerslac. (Stricker) – Menschen-Schlag-Ab-
tausch. - Der Schlag ins Wasser. Der Schlag in die Magengrube. Der
Schlag ins Kontor. Der Schlag über die Stränge. Der Schlag der Nach-
tigall. Systole. Verschlagene Sprache. – Weise, Melodie:
„SCHLAG, m. ictus, handlung des schlagens. eine gemeingermanische
bildung, zu schlagen gehörig, s. daselbst. goth. slahs, gen. slahis, mit
grammatischem wechsel, vgl. schlagen und Grimm gramm. 12, 1071. -
altn. Slagr schlag, niederlage, gewöhnlich in der bedeutung 'weise, me-
CCCXXXVIII
lodie' Cleasby-Vigfusson 566a, daneben das neutr. slag, plur. Slog
schlag, schlacht, augenblick.“ (Grimm)
Vielleicht ist das Schweigen faktisch das Einzige, darüber man nicht
sprechen kann.
Peut-être que le silence est la seule chose dont vous ne pouvez pas parler.
Es ist aber riskant zu verzichten. Das solltest du nicht vergessen.
Die Zukunft, allein, garantiert die Unsterblichkeit der Vergangenheit (à
la Whitehead).
Wie man ein Gespräch anfangen sollte: Sag mir doch bitte, welche Fra-
gen hast du aus deinen pränatalen Zuständen mitgebracht?
Besteht denn überhaupt ein Unterschied zwischen sich aufraffen und
weggerafft werden? – Sehen kann ich keinen.
Man kann Zeit brauchen. Die Zeit darf kommen. Du kannst sie vertun.
Guter Rat kann sie begleiten. Man darf sie haben oder nicht haben. Um
sie totzuschlagen, musst du sie aber erst finden. Bisweilen spielt sie
uns in die Hände. Und bleibet doch immer; ein sonderbar Ding.
Er sei in die Welt eingeschlossen wie in sich selbst. - Bis zum Ersticken.
- Z: Man sollte auch gute Bilder nicht zu oft wiederholen.
Gestatten, Kosmos, Universal-Autist und Generalbevollmächtigter! – So
stellte er (ihn) sich vor.
Trunkenheit am Steuer: ungut. Trunkenheit, weit weg vom Steuer:
sehr gut.
File d'attente des intellectuels. - Aufstand der Intellektuellen? - Es wäre
der erste überhaupt, hätte aber lange schon angestanden.
CCCXXXIX
„O Gott, ihr seid ja alle schon da!“ (Weibliche Stimme von links, 7. No-
vember 2019, 17.03 Uhr, München, Neuhausen)
Ein Mädchen, vier oder fünf Jahre alt. - Den – sui generis – barba-
rischen Akt des Essens bewältigte sie entzückend. Als sie zu sprechen
anfing, nahm ihr Mund eine blöde Form an, und der Zauber war weg.
Er blieb auch verloren, als sie weiter aß.
Medium mysteriorum. - Es ist ein großzügiger Zug des Universums,
dass es einiges zulässt. Gegen Ende der Verhandlungen. – Mehr kann
man dazu aber nicht sagen.
S'il vous plaît, oignez avec prudence! - Jedes Wort ist - sagte er mir,
zwar ein wenig predigerhaft - ein Ratschlag an die Welt, die es aber
nur hört, um es dann nicht gehört zu haben. Du siehst, die Welt hat so
ihre Art zu hören. – Er nimmt einen Schluck. - : Das hat schon jener
Rufer in der Wüste zu spüren bekommen. Freilich hatte der seinem
Ruf – an diesem Ort – auch sehr viel zugemutet. Aber die Schuld lag
nicht bei ihm. Er nahm sie auf und nahm sie zu sich und auf sich und
übertrug sie. Auf seinen Ruf. –
Z: Heißt das, dass es gerade seine Ankündigung, gerne Verheißung
genannt, es ist, die einen Messias in Verruf bringt? Es sieht zumindest
ganz danach aus. Wenn wir auf das Ende sehen. – Er: - Ja, ein schlim-
mes Ding... Z: (spricht dazwischen): ...seinen Ruf wegzuhaben.
Manchmal sage ich mir: Du solltest dich deine Gedanken wissen las-
sen. Nur so könntest du herausfinden, ob die Form, die du suchst, we-
nigstens denkbar ist.
Sich selbst auch nur beim Kragen zu haben, das wäre ein großes Pri-
vileg. Und ein nicht minder großes Sakrileg, obendrein.
CCCXL
Trichterwinden, November. - Um wirklich, also prinzipiell, ein wenig
hören zu können, müssten alle unsere Poren feine Ohren sein.
Ach, seufzte er, wie Hegels Geist geschuftet haben muss, um zu sich zu
kommen! – Z: Es wäre klüger gewesen, zu mir zu kommen. –
Ereignis, kurz gelüftet. - Wie wenn ein Fisch aus dem Wasser springt,
weil er meint, nach etwas schnappen müssen, was ihm nicht bekommt.
- Für ihn ist es ein Sprung in die Transzendenz. So zwanghaft, wie es
uns mitunter geschieht.
Temporal dislocation. - Reflexion ist Perzeption in zeitlicher Verrü-
ckung. Sie ist Erinnerung als dialektischer Segen. Es ist nur dieser dia-
lektische Segen, der die fassungslose Gegenwart in die Erinnerung
hebt. Oder zieht. Oder auch zerrt. – Z: Ein Akt der Apotheose, würde
ich allzu gerne sagen. Auch wenn es ein Hinein-Zwängen ist.
Einen Weg gehen heißt, so dachte wohl auch Merleau-Ponty, ihn als
Spur zu hinterlassen. Gehen ist, auf die eine und die andere Weise,
hinterlassen.
Eine Latenz, die wirkt, garantiert durch ihr Wirken ihre Unauffindbar-
keit. Schiebst du die Wirkung beiseite, verpufft die Latenz. Der Genuss
der Wirkung ist ein Dankgebet an die Latenz. Deshalb ist ja auch der
Kniefall vor der Welt eine Ratifikation der Transzendenz, so ver-
schämt er auch sein mag.
Existenz, Zahl und Schönheit. - Zwei sind einander Eindringlinge und
schaffen sich. Sie sterben sich einender auch; in Schönheit. - Zu früh
abgelegt, ohne es je durchdacht zu haben.
Monade - „Kehrwert des Unendlichen.“ (Deleuze)
CCCXLI
Y und X:: Wir haben doch nur einen Impetus: der Tyrannei des Par-
tikulären (Proust) zu entgehen. – Z: Ich werde euch lernbegierig dabei
zusehen.
Lesefrüchte. - Langweile glättet die Zeit, die Haut und das Begehren.
Und keine körperlose Seele könnte sich erinnern. Ein seelenloser
Körper, freilich, noch viel weniger.
Chère chair. - Er wusste nicht mehr, was er gerufen hatte, als ein Echo
ihm antwortete: Jede Erinnerung ist ein Modell der Auferstehung; im
Fleische. - Chaque mémoire est un modèle de résurrection; en chair.
Du solltest also sagen: Im Fleisch, das unter uns wohnt, erinnert sich
das Wort (seiner selbst).
Vous devriez donc dire: dans la chair qui habite parmi nous, la parole se
souvient d'elle-même.
Z: Erinnerungen können regungslos, aber nicht benommen sein. Sie
sind angespannt wie Räuber, vor und während der Tat.
Das Fleisch, la chair, ist das autopoetische Element an sich, also jedes
Wort, jeder Gedanke, jede Erinnerung. – Es ist die Trinität aus Wort
und Gedanke und Erinnerung. Die beiden Seiten und der Knick der
Falte, genauer: les deux côtés et le pli (la pliure ?) du pli.
Prendre un pli: das Wort wird Fleisch. – Die Wahrheit ist, an und für
sich, retrograde Bewegung („in futuro“, Merleau-Ponty), das heißt an-
terograder Stillstand. – In diesem Sinne sind die Wahrheit und das
Leben der Stillstand des Perpetuierens, des Entsterblichens.
Der Puls des Alls. - Die Musik, auch das sagt Merleau-Ponty, gibt uns
nicht die Haut (daher sind sie nicht identifizierbar), sondern la chair
der Dinge.
CCCXLII
Die Geburt war das träumerischste Erwachen; also vielleicht das ein-
zige.
Das Schicksal hat eine gewisse Elastizität. Nur darauf kannst du ver-
suchen, Einfluss zu nehmen. Auch mit der Sprache verhält es sich so.
In jedem Satz geht die Sprache erneut unter und sorgt für Sinn. Ihr
Schicksal ist dieser iterative Untergang. Er zieht sich lange hin, als
wollte er die Falte, die die Welt ist, glätten.
Ich trete dazwischen. Ich trete zwischen Gott und mich.
Der Bau hält nur aus Furcht vor seinem Zusammensturz. - Z: Es gibt
also doch kluge Ängste.
Leben ist ein nur relatives Zappeln.
Und lieben heißt vielleicht, aufzuhören den Reißverschluss des Tau-
cheranzugs zu schließen, bevor man erstickt.
Meistens sind die Dinge doch so simpel, wie sie nicht klingen wollen.
Alles existiert im linden Ton des Elends. - Die endlosen Medienvari-
anten, Gott behalte sie selig, haben nur die Aufgabe zu verschnörkeln.
Eigentlichkeitsschwund. - Gelebtes Dasein sammelt sich nicht an. Hier
hätte Heidegger vorsorgen müssen.
Das Verstummen zieht mit. Das Verstummen ist ein auslösendes Er-
eignis. Ein Magnet, der ins Wasser fällt.
Wenn du die letzte Eitelkeit aufgegeben hast, nimmt sich eine nächste
deiner an.
Denken heißt, heldenhaft einen Besitz zu verteidigen, den keiner ha-
ben möchte.
CCCXLIII
Warum nennt man das Dasein nicht eine Spiegelneurose? - Z: Weil da-
mit zu viel gesagt wäre. Und zu wenig erklärt.
Ein abstraktes Alphabet. Mit Schattenvokalen. Die Konsonanten sind
ihre Kontur. Waren ihre Kontur. Jetzt sind sie die Wunden in der
Schattenhaut, aus der sie sich gerissen haben.
Es liegt nicht daran, sagte er, dass wir uns vieles falsch vorstellen, viel-
leicht können wir ja gar nicht anders, es liegt vielmehr daran, dass wir
es uns zu falsch vorstellen. Das könnten wir vermeiden; es liegt aber
nicht in unserem Interesse, es zu tun.
Die Grenzen, die die Worte sich selbst setzen. Statt in der Transzen-
denz zu stochern.
Ich habe, sagt er, die Sprache ja nicht erfunden. Sie ist mir, sozusagen,
aus der Zeit zugeflogen und geliefert worden. Ich habe sie, durchaus
dankbar, angenommen. Ich musste aber auch ihre Zurückhaltung
übernehmen, ihre Bescheidenheit, ihre unverständliche Selbstbe-
grenzung, ihre Selbstzensur. Ihre Tendenz sich kleiner zu machen als
sie ist. Und nicht so groß, wie sie sein könnte. Schmerzlich, dass sie
dem nicht zu sich, also zur Sprache verhilft, was jenseits ihrer ist, aber
in ihr Platz finden könnte, wenn sie es nur zuließe. - Sie brauchte es
gar nicht zu wollen. - Es steht in ihrer Macht. - Und da lässt sie es leider
stehen; wie im Regen.
Le vide et la paralysie. - In der Langeweile schlägt die aufdringliche
Leere der Zeit in eine Lähmung der Wahrnehmung um. Das Fleisch
der Perzeption erstarrt. Wer das einmal erlebt hat, versteht diese Me-
tapher und erschrickt.
Vor allem das ist mir fremd, was mir durch den Kopf geht. Ich denke
keine privaten Gedanken. Meine Gedanken, sagt er, gehen alle an, aber
nur mir durch den Kopf.
CCCXLIV
Wenn du jeden Tag eine Zeile schreibst, die du zwar nicht verstehst,
die dich aber überzeugt, hast du dein Soll erfüllt. – Z: Wenn du mir
noch sagtest, warum das so ist, tröstete es mich noch mehr. Aber
darum geht es ja nicht, wenn ich es richtig sehe.
Kritik steht heutzutage auf Unbekümmertheit. Das macht sie – wenn
auch ungewollt - zur Affirmation.
Die Dimensionen, die du den Façetten der Welt nicht zuteilst, die ha-
ben sie auch nicht.
Wie scheint doch alles Werdende so krank. (Trakl)
Ideen sind noch immer Platonisate. – Und werden es bleiben müssen.
Das spannendste Schweigen, sagte er, scheint mir, ist eines mit einem
open end.
Welt-Geschichten: Durchtränkte Kalender.
Karma. Zyklische Phasen-Verschiebungen. - Eine (buddhistische) Art,
die Zeit ontologisch und das Sein temporal zu verstehen. – Z: Heben
die Buddhisten also doch schon lange, wonach Heidegger vergeblich
suchte? -
Jeder Kompromiss ist in Wirklichkeit einseitig. – Z: Das hoffen beide
Seite; das haben sie gemein.
Selektion ist wohl - aber nur ihrer Attitüde oder Selbstdarstellung
nach - die höflichste oder aristokratischste Form der Verdrängung. -
Selektion kann nicht entlarvt werden, weil sie ins Latente, ins Intrans-
parente, ins Nichtbewusstseinsfähige verdrängt und verweist. Der
Weltenrichter wird nicht zur Verantwortung gerufen werden können.
CCCXLV
Die Bewohner der letzten Hölle werden... Z: ...kein SOS mehr aussen-
den können.
Z: „Vorwärts! Und vergesst nicht, wohin eure Reize geh‘n!“ –
Ja, sagt er, das stimmt schon, das Leben ist ein Kalender aus flüssigen
Blättern, die sich beliebig durchdringen und durchfließen, gleichsam
durcheinander tanzen und abwandern.
Ich fand es zunächst merkwürdig, dass einer sagte, das Leben ver-
suchte durch Anonymisierung seines Adressaten alle anzusprechen.
Was aber aus strukturellen Gründen misslänge. Jetzt scheint es mir
einsichtig, ohne dass ich es aber erklären könnte.
W: Meinen Gedanken übrigens, sagte er noch, entziehen sich auch die
Adressaten, die gar nicht gemeint sind.
Wenn du schweigst, glauben sie, begnügst du dich damit, etwas nicht
zu verstehen. Sich selbst deuten sie anders, egal, was sie tun – oder
auch nicht tun. Über ihren Rat, die Augenblicke zu genießen, in denen
kein Sinn an dir zerrt und dich verzehrt, lohnte es sich vielleicht aber
nachzudenken.
Ich frage mich, ob es überhaupt Gewohnheiten geben kann, die nicht
dumm sind? Wenn man bedenkt wofür sie gut sein sollen.
Kleines Gestein, Kieselabrieb, komme mir nicht in die Quere. Das ist
einfach nur so eine Idee, von Celan initiiert.
Ab heute, sagte er, bin ich alt. Ein wesentlicher Schritt weiter.
Die Qual hört auf. Die Qual geht weiter. Woher sollte man sich kennen.
Keine Pflanze ist verwurzelt. Wurzeln hängen an ihren Pflanzen nur
dran. Und umgekehrt.
CCCXLVI
Als würde mein Körper mit mir sprechen: – Sag mir, tust du es?
Ich weiß, die Frage klingt zu sentimental. - Aber gibt es einen Schmerz,
der an den Schmerz der Empfindung des schieren Augenblicks heran-
reicht?
Paul Valéry – Le rumeur (I.)
Schräg gegen den großen Fluss gestemmt, reißen die Ruder wider
Willen mich von den heiteren Gestaden;
Die Hände vom Gewicht des Steuers voll und geladen.
Selbst der Himmel neigt vor dem matten Geläut der Ruder sich nieder.
Die Weltgeschichte hatte sich den Anspruch auf skandalgerechte Ab-
wicklung doch redlich verdient.
Es müsste, sagt er, heißen: Gesang ist die quicklebendigste Weise des
Tot-Seins.
... und die Düfte ihrer Möglichkeiten / lagen wieder in der Luft. (Rilke)
Procédé de retrait. - Übersetzen ist, was es nicht sein sollte, notwendig
ein forcierter Schrumpfungsvorgang, semantisch und existentiell.
Denken und Leben sind die vergeblichsten Versuche einer Kontakt-
aufnahme.
Valenzen. - Wie man von der Wertigkeit der Verben spricht, sollte man
auch, ohne einen Kalauer im Sinn, von der Wertigkeit des Werbens
sprechen. Etwa beim Leben. Etwa beim Tanz. Etwa beim Schreiben.
Bei dem sowieso.
Turm und Taxus; um Weg und Blick in die Zeit zu verstellen, genügen
auch die. - Eigentlich ist das Bild, dass wir auf dem Wasser treiben, ein
CCCXLVII
wenig falsch, ein wenig irreführend, um das so zu sagen, wir treiben
nämlich mit dem Wasser, auf dem unser Boot stillsteht. Und das Was-
ser klebt an unserem Boot, mit dem wir es mitnehmen, das Wasser.
Auf die Reise durchs Flussbett, das mehr oder meistens weniger na-
turbelassene.
Seltsame Erden. - Ein Terrain erkundest du. Eine Terrine musst du
füllen. (Man könnte das weiterführen.)
Valéry – Le rumeur (II.)
Hart das Herz, das Auge vom Schönen, das ich spalte, wie unterhalten:
Es reifen rings um mich die Wellenringe,
Die grelle Welt, das Laub, das Feuer, das ich niedersinge,
Werde ich mit starken Schlägen noch zerspalten.
Behandle die Sprache als ein eigenwilliges Haustier, ein überseltsa-
mes. – Z: Trotzdem oder auch dann wird es dir nicht gelingen, sie zu
domptieren.
Wenn er Fado hört, sagt er, habe er manchmal das Gefühl, als ver-
wandle er sich in glühende Watte.
Boa constructiva. – Die edelste Schlangenart im Garten Eden.
Valéry – Le rumeur (III.)
Ich gleit entlang den üppig schlichten Astgeweben,
Über Wasserranken, die der volle Frieden malte, -
Zerreiß mir das, mein Boot, zieh eine scharfe Falte,
Und eile hin, das große Schweigen der Erinnrung aufzuheben.
Und ja, rief er aus, als gefiele ihm sein Übermut, neben mir schwimmt
noch ein bucklicht Schwänlein; in all seiner verbogenen Pracht.
CCCXLVIII
Und nur wer außer sich ist, kann ernsthaft spazieren gehen.
Aus einen Brief von Alban Bergs Frau weiß ich, dass man Schlafwan-
deln auch Nachtspringen nennen kann.
Valéry – Le rumeur (IV.)
Nie, ihr Zauber des Tages, noch nie war eure Anmut so verschwendet
Von dem Rebellen, der nur vom eigenen Schutz bewogen.
Doch, da nun die Sonnen schon ganz mich aus der Kindheit sogen,
Kehr ich zur Quelle heim, wo jeder Name endet.
Warum sollte Übersetzen nicht eine Art des Transterritorialisierens
sein? – Z: Ja, warum?
Jeden Tag, sagt der Alte, musst du etwas dazulernen; um es einzuord-
nen.
Das Potenzierte ist das Typische. - Die Langweile der Ereignishäufung.
(J. Roth)
Wenn Immanenz und Transzendenz Geschwister sind, verbindet sie
die Geste der Heimsuchung. – Z: Als wären sie einander Magneto-
pathen.
Wir haben das Schweben des Sonntags durch das Pathos des Werk-
tags ersetzt; aber das Schweben wäre solider. –
Freie Rede ist nur auf dem Papier möglich. - Z: Du hast ja so recht.
Valéry – Le rumeur (V.)
Umsonst aber gebietet die unermessliche Nymphe mir Halt,
Mit reinen Armen, mir, dem missbrauchten Knechte;
Ich zerbreche verhalten ihre tausend eiskalten Rechte,
CCCXLIX
Das gezackte Silber ihrer nackten Gewalt.
Wenn Immanenz und Transzendenz Geschwister sind, verbindet sie
die Geste der Heimsuchung. - Z: Als wären sie einander Magnetopa-
then.
Wir haben das Schweben des Sonntags durch das Pathos des Werk-
tags ersetzt; aber das Schweben wäre solider.
Freie Rede ist nur auf dem Papier noch möglich. - Z: Du hast ja so recht.
Das Instantane. - Schaffen ist wie schmelzen. Eine fast glühende Hand
fährt durch den Schnee. Wo Schnee, wagte er zu sagen, knisternd
vergeht, geschah Schöpfung. Die Schöpfung kam nicht aus dem Nichts.
Sie fraß sich ins Nichts. Deshalb sitzt sie auch darinnen so fest. Und
kann sich nicht rühren. Die Welt, wenn darunter Zeit und Raum ver-
standen werden, agiert diese Immobilität aus. Es ist, jetzt sagte er ein-
mal: wie ein primordiales Augenreiben. Die eine Schwalbe, die An-
kunft des Winters. Kristall des Zerbrechlichsten. Auch das wagte er
sich in dieser späten Nacht noch zu sagen. - Nichts ist so, wie wir es
uns denken können.
Wir sind schon nicht. Wir brauchen es nicht noch zu werden.
Manchmal sind wir auch mobile Sinnentstellungen, die nach ihren
Geschwistern suchen.
Wenn wir in den Nächten einmal zur Ruhe kommen, stören wir sie
nur.
Ein geträumtes Herzklopfen von einem unerhörten Gelb.
ῥαγάδα. - Ausladende Baumwipfel aus erdachten Fehlfarben. Sie wer-
den den Wolken gefährlich. Sie lösen sie auf wie Knoten. Wolken-
fleisch kann schmelzen. Wer hätte das vermutet! Es ist löslicher als
CCCL
die flatternden Schals der Hooligans. Gott wird sich beruhigen. Und
neue Zeichen setzen. Und die alten Wunder und Rhagaden (Schrun-
den) zurückpfeifen. In ihre Laub- und Hundehütten. Und das Zähne-
knirschen wird über dem Wasser liegen als ein ernstzunehmender
Rivale.
Zu Gott sprichst du, das fällt sogar mir auf, immer zu leise.
(Wenn Gott unter anderem das Wort war uns es auch immer noch ist,
dann ist das Gebet, vor allem das stille, ein Lauschangriff.)
R: Wusstest du, das das Wort Rivale über rivalis vom Wort rivus
kommt und ursprünglich „zur Nutzung eines Wasserlaufs mitberech-
tigter Anrainer“ bedeutete? – Z: Dann bedeutet rivalisieren also ei-
gentlich „zur Nutzung eines Wasserlaufs mitberechtigt anrainen“.
Valéry – Le rumeur (VI.)
Der Fluss platziert mit seiner Wasser geheimer Wucht
Meine goldenen Tage unter ein wunderliches Seidenband;
Denn nichts verschleißt die alten Freuden mit so blinder Hand
Wie ein stetiger Lärm, wie das Einerlei seiner Flucht.
Es gibt sehr verschiedene Formen des Überlebens. Jacques Offenbach,
scheint mir, hat uns schon immer überlebt. Überleben ist die funda-
mentale Form seines Daseins. – Z: Seine Musik ist das Leben als De-
stillat.
CCCLI
Jahresendkaskaden
Mit eingesprengten und -gemengten und ein- und
unter(ge)stellten Hoheliedern. Im planen Ton.
Ihr lacht wohl über den Träumer,
der Blumen im Winter sah. –
Z: Niemandsrosen?
Bedeutungstheater meint das Geschehen selbst, ist keine Metapher
für einen Ort, zu dem wir uns hinbegeben könnten, um Bedeutungen
zu finden und abzuernten. Es verhält sich hier so wie mit dem Myste-
rium. Das Mysterium ist die Offenheit, die Nacktheit des Ereignisses
selbst. Es setzt das Göttliche aus, sich selbst und uns. Aber wir er-
kennen solcherart Geschenke nicht einmal mehr. Auf Anhieb schon
mal gar nicht.
Er sagte, ich schrieb einmal: Ihre Hingabe ähnelte einem Vorwurf.
Valéry – Le rumeur (Schluss, VII.- VIII.)
Das tiefe Wasser trägt mich den gewellten Brücken zu,
Den Bögen voller Wind, voll Nacht und voll von Zischeln, Sprechen,
Sie rollen über meine Stirn und wollen sie mit Ödnis brechen,
Doch der stolze Knochen setzt den Portalen ungleich härter zu.
Ihre Nacht gleitet langsam dahin. Die Seele versenkt
Ihre zärtlichen Sonnen, ihre flinken Lider,
Bis die Bewegung mich in Stein wieder
Hüllt und an den Spott des durchschwärmten Azurs verschenkt.
CCCLII
Mit anderen Worten. Was wahr ist, muss verlogen bleiben.
Was passiert, wenn Gedanken in eine andere Sprache übersetzt wer-
den? – Sie verlieren ihre ursprünglichen, spracheigentümlichen Fran-
sen, gleichsam ihre Protuberanzen. Und ist eine Sonne, die ihre Pro-
tuberanzen verloren hat, noch die Sonne, die sie vorher war? - Das
kann ich mir nicht denken; das ist aber auch eine Frage an Physiker.
Oder Sonnenanbeter. –
B: Ich denke, der Geist ist eine Nische, die darauf wartet, dass das Uni-
versum zu Besuch kommt. – M: Je pense que l'esprit est une niche qui
attend l'univers à visiter.
Osculetur me. - Der immer wiederkehrende Advent, sagt er, davon sei
er überzeugt, sei nur dazu da, den Messias daran zu erinnern, dass er
uns nicht enttäuschen darf.
Veni in hortum meum. - Denn ein Gott sollte, sagte er, seine Erlösungs-
bedürftigten nicht mit einem Vorgeschmack schlagen, der ihnen nur
ihre Bedürftigkeit klangvoll vors Auge bringt. Oder damit die Ver-
strickten lernen, sich der roten Spuren ihrer Fesseln zu freuen. Und
sie beginnen sich einzubilden, die Weltgeschichte als ein erotisches
Kabinett der abweichenden Art zu sehen. Dann würde die Schöpfung
sich noch vor sich selber schämen.
Tota pulchra es. - Hat man denn nicht manchmal den Eindruck, sagt er,
wir haben dich übererkannt? In deinen Intentionen. Du bist uns zu
vertraut. Mit Fleisch und Blut und Haar und Haut. Wir reimen uns
geradezu und geradewegs aufeinander. Wir jucken uns gegenseitig im
Ohr. Und gehen uns doch, erlaube mir, sagt er, das so zu sagen, durch
die Ohrläppchen. Denn das klingt so zart und lächerlich, wie es ist.
Und immer wieder, sagt er, sehe ich das Bild in mir, wie wir uns ge-
genseitig als Wunden aufreißen.
CCCLIII
Vulnerasti cor meum. - Wir hätten uns besser, sagte er, gegenseitig zu
höherer Verschwiegenheit verpflichten sollen. Seit einiger Zeit ist es
zu spät dazu. Jetzt gehen die schrillen Fackeln durch die Wälder und
suchen die Dunkelheit in allen Höhlen und Ecken. Dass die nichts fin-
den können, das ist nicht verwunderlich. Aber prägt unseren Rhyth-
mus.
Surge propera amica. - Wir bilden uns ein, wir könnten, sagt er, die
Wunden, von denen ich eben sprach, glatt- und zustreichen, wie wir
es von den Pixelbildern auf unseren Monitoren gewöhnt sind. Und
von der Butter, die wir mit Messern aufs Brot streichen. Das Engels-
brot wird das nicht mit sich machen lassen, sag ich, sagt er, euch.
Quam pulchra es. - Traurigkeiten sind, sagte er, die Schürfwunden, die
ihr euch (er lacht verlegen) bei der Rauschgoldsuche holt. Denn die
Dinge der Welt sind ja durchaus genau gemeint.
Veni dilecte me. - Einen Vorteil, sagt er, hat es: Man entgeht, zuletzt,
dem Strafverfahren, das man ist. Dennoch bleibt jedes Hohelied eine
unverzeihliche Indiskretion. Und es gibt so viele Verfahrensfehler zu
beschreiben, dass es zu spät wäre, damit zu beginnen. Zumal das
Schicksal der Engel im Grunde ungeklärt ist. Außerdem musst du
immer wieder Pausen einlegen, dass es anders und in einem anderen
Ton weitergehen kann. Oder auch ohne Ton.
Audi dulcis amica. - Nur gelöste Töne schweben nicht. Sie haben Ge-
wicht. Sie wissen sich geworfen, wie Bälle. Sie sind sich sicher. Ihr
Gewicht ist ja das, was sie von der Hand, die sie wirft, sagte er, mit-
nehmen. Das ist wohl die göttlichste Art von Schmarotzertum.
Magnificat super. - Über allen Wipfeln. Über allen Gipfeln. Über allem
in der Welt. Über allen Maßen. Von allen Erwartungen übertroffen.
Von Anfang an. Vom ersten Wort an.
CCCLIV
Alles was in der Liebe nicht der Fortpflanzung dient, ist pure geistige
Anstrengung, die zur gewollten Erschöpfung führt. - Z: Und die Lust
an der Nase herum.
Bin ich denn der Einzige hier, der die Zeit nicht versteht und nicht mit
ihr umgehen kann? Und das Privileg hat, mit ihr ihre Angst zu teilen?
- Z: Mit ihr zu teilen und ihre Angst zu teilen, meinst du? -
Ich kannte einen, sagte er, dessen Sätze waren überdrehte air con-
ditioners. Man fror, erstarrte, bildete Eis aus in den Hirnwindungen.
Firn rieselte glitzernd von der Stirn und der Nasenspitze und man
wusste nicht warum? - Und man hatte dabei das Gefühl, ja die un-
verbrüchliche Überzeugung, man bereite sich auf ein arkadisches
ewiges Leben vor. Ein klirrend lebendiges Leben.
Alle Viren dekorativ eingeeist. Im Bernstein der künftigen Ewigkeiten.
- Z: Echt seltsames Wort, so oft vernommen es auch daherkommen
mag. -
Ohren sind Reusen oder Köcher. Versteht ihr? Sie können nicht wirk-
lich etwas halten. Jeder Klang zerrieselt in und zwischen ihren Bam-
busknöchelchen; wie ich mir das, sagte er, vorstelle. (Ich gebe es nur
wieder.)
X: Was krächzt da so fürchterlich? - Z: Das ist die Stimme ihres Gewis-
sens. - Y: Wie kannst du das wissen? - Z: Jemand muss es ihnen sagen.
- Y: Das entspricht aber nicht dem verbreiteten Diskurs. - X: Lagert
aber nahe der Wahrheit.
Die Lüge stimmt dich, du bist ihr Instrument. Du fühlst dich eingeelen-
det.
Da steht ein Gedanke und hinter ihm fährt ein Zug vorbei, als wischte
er sich durch die Landschaft - oder auch weg.
CCCLV
Aleithea. (Heidegger-Extension). - Wenn jede Wahrheit ein des Ver-
gessens Enthobenes ist, dann ist es auch der Schmerz. – Z: Das hat Fol-
gen, die gedacht werden müssen.
Der Hai, ein Realo, redet. - Vielleicht sollte man im Denken wirklich ein
Spekulations-Objekt sehen, in das zu investieren sich lohnt.
Auf einem Pferd darfst du schlafen und brauchst keine Angst vor dem
Risiko zu haben.
Nachtrag. - Einer von denen, die immer zu früh kommen: Ist es richtig,
die Welt in Fabeln und Narrationen zu erfassen? - Nein, du musst dem
Geschehen selbst zur Sprache verhelfen. Das bleibt zwar auch
sekundär, aber ist der Welt so viel näher als ihre Geschichten. - Aber
wie macht man das? - Ja, wie macht man das? –
Die Dinge geschehen. Das ist klar. Aber sie geschehen daneben. Das
Denken versucht, sie einzuholen, nicht wie ein Netz, sondern wie Eis-
schollen, die wegdriften, mit einem spitzen Eisenhaken an einem Tau.
Es fällt dir zu leicht, dich zu hassen. Darum ziehst du es anderem, das
dir schwerer fiele, vor. – Z: Klug ist das aber nicht.
Das Hemd, der Hut, der Lidstrich, vielleicht die Brille; die letzten Spu-
ren der Persönlichkeit. Den eigenen Zügen hatten wir immer zu viel
zugemutet. Um uns zu beruhigen.
„Sei Solo“. - Bachs Sonaten, vor allem diese Solo-Sonaten, zeigen ihr
ganzes Gewicht, wenn sie leicht, als wären sie nichts, gespielt werden.
Ohne Gesichtsausdruck. Dann sammelt sich in ihnen Heideggers Ge-
viert und erweist sich obendrein als ein six pack, als doppelter Raum.
Oder als explosiver Nullpunkt. Volutenwirbel, der sich keine Richtung
vorschreiben lässt. Ein Lächeln, so sehr an sich, dass es keinen Mund
braucht. Es ist ja insgesamt, überhaupt und restlos Unbedürftigkeit.
Und die liefert dich, du verlegenes, bedürftiges Ohr, ihm aus.
CCCLVI
Nichts leistet dem Anfang so viel Widerstand wie das Ende.
„...was der Gedanke nur spielend ersinnt.“ (Tieck)
Regen (und sich regen) bringt Segen. - Segen ist nur die Form eines
Wirklichwerdens, dem wir konzedieren, willkommen zu sein.
Das in einem herkömmlichen Sinne Reale, unabhängig vom Grad sei-
ner Erwünschtheit, ist sachlich ein Differentialzauber, der überra-
schende Abwesenheiten bezeugt. - An deren Härte wir zerschellen.
Es sind immer die Trägerelemente, die vom Ganzen nichts haben. Es
sei denn, sie können sich auf ihr Karyatidisches besinnen und etwas
einbilden.
Zu dem, auf das du aufbaust, verlierst du den Kontakt. Ich führe hier
die innere Notwendigkeit dieser traurigen natürlichen Tragik, wie
man sie nennen könnte, nicht weiter aus.
Z: Zwangsläufigkeit auszuführen, so oder so, das ist absurd und macht
niemandem Spaß. Und bietet obendrein keinen brauchbaren Er-
kenntnisgewinn.
Das Geschehen versteht sich als Maske des Ungeschehenen. Oder, er-
heblich plastischer gesagt, das Geschehen sitzt auf dem Ungesche-
henen wie ein Hut auf einem Kopf.
Das Sein ist das Nichts, ins Justiziable gekippt. – Z: Als könnte man mit
einem Necker-Würfel würfeln.
„...grabt nur danach!” - “An welchem Platz?” / schrie alles laut den
Vater an. / “Grabt nur!” O weh! da starb der Mann.“ (G. A. Bürger)
Gewiss, sagt er zu Z, hat Zwangslaufen etwas. Aber nichts für sich.
CCCLVII
Vielleicht sollte man das Reale aber, genauer, einen Destillations-
zauber nennen. Weil das eine präzisere und vollständigere Beschrei-
bung seines Herstellungsverfahrens ist. Und seiner mageren und
gleichsam ausgedünsteten und ausgedünnten – und immer ausge-
dünnteren - Erscheinungsweise angemessener ist.
Der Advent wurde erfunden, um der Aufforderung Mach dir keine Hof-
fnungen! zu widerstehen. Denn der Sünde sollen wir doch widerste-
hen. (Vgl. BWV 54. Eine Kantate, von der zwar nicht alle behaupten,
dass Bach sie zu einem 1. Advent geschrieben hat.)
Mir sagte einmal einer (Werner K.), der tatsächlich mehrere Dutzend
Sprachen (die meisten davon freilich nur als Leser) kannte und ver-
stand: Sprachen kommen immer in Scharen. – Z: Bisher aber nicht zu
mir. –
CCCLVIII
Du siehst: Programm und Erkenntnis sind sich unendlich und unrett-
bar fremd.
Ich bin, sagte er, umzingelt von vielen, die alles wissen, Jede/r etwas
anderes.
Alltag. Unauffindbare Normalität. Ein Anflug davon.
Die Konkurrenz geht immer darum, wer die schönere Trivialität prä-
sentiert. – Es kommt nie zu einer Entscheidung. Natürlich.
Um die ganze Weite des Daseins zu ermessen, musst du seine Kriech-
gänge kennen. –
Völlig losgelöst. - Wenn einzelne Verfahrenselemente ins Blickfeld ge-
raten und es ganz einnehmen, ist aller Erkenntnis, also dem Denken
der Akademie, wofür sie sich Punkte verteilt, Hopfen und Malz ver-
loren. Denken ist dann nur noch ein Schlierenklumpen, der im Glas-
haus des Auges das Vakuum ablöst; abgelöst hat.
Tauet! Himmel! (Ach, tauet doch!) - Die Sprache, der Drache, klar,
immer wieder die Sprache, auch ganz unklar, zum Aufbrechen, zum
Erbrechen, zum Erblassen, sie muss sich endlich überrollen, nach dem
Muster der hier auch immer wieder herzitierten Gerölllawinen der
Voluten; schöne Vorstellung, wie die sich in allen Richtungen und von
überall her zeitimmun durchrollen und aneinander trocken und
blutig wetzen. Was ein automatisches Klavier nur sehr unterdimen-
sional imitieren kann. So sehr es auch glaubt, in seiner Nähe zu sein.
Sätze, die nicht als wahr oder falsch, nicht als sinnvoll oder unsinnig
qualifiziert werden können. – Z: Die wären der raffinierteste Gottes-
beweis, der sich denken lässt.
Alle Morallehren handeln nur von der Grazie, mit der man in den
Nesseln sitzen sollte.
CCCLIX
Überhaupt, ist nicht nur das Unauffindbare normal?
Staubkalk in der Seelenluftröhre. Und heiserer Transzendentalhusten. –
P: Wenn ich Kriterien Luhmanns auf meinen eigenen Text anwenden
würde, müsste ich verzweifeln; ich müsste ihn zumindest als sozu-
sagen nachbarschaftlich kommunikationsresistent erkennen, in viel-
facher Hinsicht. Er geizt mit Anschluss-Angeboten, Er invisibilisiert
seine Idiosynkrasien (Unterscheidungsvorlieben und -tendenzen),
von Komplexitätsreduktion will er schon gar nichts wissen. Und feiert
die Kontingenz wie Weihnachten, Ostern und vor allem Pfingsten
zusammen. – Z: Und du hoffst kontrafaktisch trotzdem darauf, dass
das einmal gelesen und verstanden und genossen wird? Das ist irr-
witzig, ein Paradox, das nicht solubel ist, weil es, da liegen Hase und
Igel im Kalk, nicht sequentialisiert werden kann. Dein Verfahren ist
nämlich ein Sedimentierungsprozess. Du nutzt die Zeit ausschließlich
zur Petrifizierung deiner Paradoxe. Deine Idee von der Wahrheit ist
viel zu konventionell. Sie kassiert alle deine Intensionen, eine mit der
anderen. -
Erkenntnis ist nie nötig. Aber störend. - Für alle, die ehrgeizig sind.
Unter den gegebenen Umständen.
Emergenzen sind verschleppte Kontingenzen; und auch umgekehrt.
Anschlüsse sind also so lange gewährleistet, wie es sie gibt. Solange
braucht sich auch niemand, der schreibt, Sorgen zu machen. Syste-
misch gesehen ist alles unter Dach und Fach. - Und Habermas, lese ich,
hat gestern mit neunzig Jahren angefangen, wie er sagt, seine Bücher
zu signieren.
Er stellt sich den Himmel immer noch als ein Feld vor, um ein paar
Blumen unterbringen zu können: Die einzigen Feldblumen, die beim
Untergang noch ein wenig miteinander tuscheln können.
CCCLX
Und es wird ein letztes Lagerfeuer geben, bei dem die letzten Glas-
und Goldreifen werden verbrannt werden können. - Ihr habt euch
dabei keinen Logenplatz verdient. Kälte ist kein ausreichender Ersatz.
Für Vorenthaltung. - Z: Wisst ihr es eigentlich selbst, was ihr euch bei
all dem erwartet habt? Und merkt ihr wirklich nicht, dass alles gegen
euch spricht? Die Schöpfung sogar mit Überzeugung.
Und du wirst trotzdem, sagt er, bis zum letzten Augenblick, dem lie-
ben Gott die Finger warmgehalten haben. - Z: Respekt! -
Stimulus mortis, einmal primordial betrachtet. - Stimulation beginnt
stets als Selbst-Simulation. Sie ist der Stachel des Todes im eigenen
Fleisch, in seinem eigenen Fleisch. Von seinem eigenen Fleische ge-
spitzt. Stift und Linie, versammelt im bekannt immens raumlosen
Punkt. In dem, einzig, wir das „All zu finden hoffen“ können. Er setzt
uns in Stand.
Versuch immer so zu hören, als würden deine Ohren unmittelbare
Auswüchse und -buchtungen deiner sogenannten Seele sein. - Z: Das
ist aber gar nicht so einfach. Sei nicht überrascht! -
Das Leben, das Denken, Adagio apassionato. Im Sinne des Erasmus.
Jede Wahrnehmung ist für den Wahrnehmenden ein Totalerlebnis
(Musil), selbst wenn es weit davon entfernt ist, total zu sein. Und
wenn es wirklich einmal total wäre, bliebe er darin eingeschlossen.
Das ist das Wesentliche, das einzig Bedenkliche.
Wir sind auch in der Luft von anderen Planeten noch eingeschlossen.
Befreit ist, wer nicht spürt und nicht zu atmen braucht. - Z: Und dem
egal ist, was die „Falten des Lebens flüstern“.
Du kannst, wenigstens als Mensch, von den Menschen nicht mehr for-
dern als: „Steigert eure Wahrnehmungskompetenz!“ - Z: Ohne Unter-
und Aderlass! Dann gelingt euch der Messias vielleicht doch einmal.
CCCLXI
„Ichhafte Erlebnisse“. (Musil) - Ums Ichhafte geht es gar nicht mehr.
Wenigstens dafür könnten wir Gott danken. Wenn es einer merkte.
Aber alle Aufschwünge enden in kümmerlicher Erschöpfung, wie bei
Chausson. So schön der sich auch manchmal aufzuschwingen ver-
sucht (Vgl. Op. 21). Plötzlich stehst du in der Küche und weißt nicht,
wonach du fragen wolltest.
Vertrackte Alternative. - Entweder du bist bed ridden, dann fällt dir
wohl nichts Rechtes mehr ein, oder jargon ridden, dann lohnt es nicht
mehr, dir zuzuhören.
Inside sweetness. - Zeig mir bitte, was du machst, wenn du etwas für
möglich hältst!
Du Tout. - Einfacher Titel eines Buchs von Huysmans. – Z: Gibt es auch
eines mit dem Titel Pas du tout? – Und würde das etwas anderes be-
deuten?
Hilflos aus Überfluss. Aber den Witz darin konnte er nicht sehen.
Wir sind, sagte er, eben, so flach, wie wir es verdient haben. Unser Pa-
thos dröhnt und zwingt alle Nasen sich abzuwenden, weil es so kon-
ventionell ist.
Aussäen und Würfelwerfen sind an der gleichen Geste erkennbar. – Z:
Hat es denn schon jemand versucht, Würfel auszusäen? –
Ist denn, fragt er, nicht der ganze Kosmos ein „hypothetischer Grenz-
fall“, wie Musil es nennen würde? – Z: Recht bedacht, kann es nicht
anders sein. Es bleibt aber schwer, herauszufinden, wer diese grenz-
wertige Hypothese aufgestellt hat. Oder wisst ihr es? Oder kennt ihr
sie?
CCCLXII
Philosophische Fragen müssen so doppeldeutig sein, dass man be-
stenfalls nur eine Seite beantworten kann. Bestenfalls.
Er sagte, seine Präsenz könne und brauche man nicht zu unterdrü-
cken, weil sie nicht spürbar sei. So wie nur die die Diskretion für pe-
netrant halten, die sie selber nicht beherrschen. – Z: Um diese Mecha-
nismen zu beschreiben, müsse man so subtile Sozialantennen wie de
Rochefoucault haben. Haben, nicht: über sie verfügen.
(Diese ontologischen Kreisläufe sind umwerfend. Ja. Sie werfen alles
um.)
Er schien ein bisschen angetrunken und sagte, er müsse sich immer
tiefer in sich hineindenken, um sich zu verstehen. Und ergänzte, wört-
lich: „In wen denn sonst? In dieser Welt.“
Man sollte von Gedankenschicksalen reden. – Z: Kein Gedanke, näm-
lich, kann Schmied seines Glücks sein.
Er sagt, die Welt wird immer deutbarer, sie nennt sich komplex und
spielt sich auf ihre Regeln ein. Sie versichert sich ihres Musters.
Rameaus Großneffe. - Wer an keine Transzendenz glaubt, kennt keine
Stoppregeln. Er ist autonom und monoton und doch außer Rand und
Band. Ein Selbstdarsteller ohne Skript. Jener einsame Punkt in einem
einsamen Kreis. Unendlich ausgesetzt. Vor allem sich selbst.
Warum demolieren wir mit ingrimmiger Lust diese „Brücke, die vom
festen Boden sich so wegwölbt, als besäß sie im Imaginären ein Wi-
derlager“ (Musil)? - Weil sie die einzige denkbare Brücke ist, die uns
tragen würde?
Das autistische Chaos ist das eigentlich Zeichenlose, das Nullgespräch.
Autophage Sprache. Eben nicht Rätsel, eben kein „rein Entsprunge-
nes“.
CCCLXIII
Man kann befehlen „Komm heraus!“. Schon hier ist der Ausgang un-
sicher. Fast aussichtslos ist aber der Befehl „Geh hervor!“ - Das hat
vorwiegend logische Gründe.
Gelegentlichkeit macht Diebe.
Der angekündigte Schnee blieb aus. - Unfasslich, was uns die Sprache
zu sagen erlaubt.
Konglomerat ungezählter sensibler Stellen. Und neuralgischer Punkte.
Wenn du sehr geliebt wirst, darfst du, musst du abstrahieren von der
Frage: von wem?
Wenn ich so vorbeistreife, sagt er, hält mich nichts.
U: Schade, dass der Luftozean nicht in Klangflocken zersplittern kann,
die sich wie schwerelose Schneeschnuppen unsicher durchs Vakuum
tasten, auf der Suche nach etwas, von dem sie, ach, nicht wissen kön-
nen, dass es das nicht gibt. Aber die Vorstellung ist schön.
Das Mögliche reicht nicht dazu aus, sich hinzureichen. Es bedarf min-
destens einer Hebamme.
„Der Mensch formt sich ... in den Formen der Gesellschaft. Er wird ver-
gewaltigt u. erhält dadurch Oberfläche.“ (Musil). - Z: Das ist so zu le-
sen: Ulrich oder jede Person ohne Eigenschaften ist der einsame
Punkt. Und die Gesellschaft, in ihrer Fülle, ist der einsame Kreis.
Wenigstens ist es der Sorgen nicht wert, dass die Zeit einmal nicht
vergehen könnte. Und sollte sie doch einmal stocken, wird es wie eine
Verwunderung sein über den eigenen Lauf. - Freilich sollte die Ver-
wunderung nicht zu groß werden.
CCCLXIV
Du darfst nie zu weit von dem abschweifen, was andere schon ver-
schwiegen haben.
Aus den Hausregeln des Heiligen Petrus. - Es geht nicht um die Hand-
habung eines Schlüssels, zum Beispiel, es geht um seine Verwaltung.
Was uns am meisten von den Engeln unterscheidet, ist, dass unser
Schicksal nicht so offen ist wie ihres. Und ihre Sprache daher weiter
greift.
Sei nicht traurig oder gar ungehalten. Was dich unterschlägt, rettet
Dich.
Er beklagte sich. Er sagte, es ginge ihm schlecht. Er wolle seine Gedan-
ken loswerden. Sie hüllten ihn geradezu ein wie ein klebriges Spin-
nennetz. Aber wie könne man denn seine Kontur, seine Oberfläche
auch nur loswerden wollen? Selbst eine Schlange, wenn sie sich häu-
tet, würfe ihre Haut nicht wirklich ab.
Menschen, sagt er, die unverzichtbar sein wollen, dürfen sich nicht
beklagen, wenn sie gebraucht werden. – Z: Es ist zwar nicht immer
erfreulich, aber doch konsequent, wenn man wird, was man sein
möchte. Man kann es eben nicht bedingungslos werden. (Das zeigt
uns Musil ja sehr schön.)
Über die Qualität eines Resultats, jedenfalls, entscheidet die Größe
der Bedingungen, unter denen es, wie man sagt, hervorgeht. – Z: Heißt
das, dass man Bedingungen nicht übertreffen kann? –
Unverzagt. – Ein Wort, das mir immer gefallen hat. Ich kann aber nicht
sagen, dass ich es verstehe. – Z: Du hast es aber verfolgt? –
Es ist, wie wenn man sich, zugegeben vergeblich, fragt, wie es dem
Sein, samt Alltag, gelingt, sich zu kredenzen.
CCCLXV
Ich glaube, sagt er, wir erschrecken über die Flucht der Zeit nur, weil
wir ein Leben lang nichts anderes tun, als ihr beim Zerrinnen zu hel-
fen und gut zuzureden.
Denn alle Philosophie ist auch das Nachdenken über eine ungewisse
Vergangenheit.
Es ist beim Denken wirklich so wie beim sehnenden Fühlen: je näher
es seinem Ziel kommt, desto verzweifelter scheint es verloren. – Ver-
zeiht, sagte er, diese altmodisch modische Redeweise.
Je näher ein Ziel oder ein Ding kommt, desto weniger kannst du seine
Form bezeichnen. Wir klatschen auf ihm wie auf dem Asphalt auf, wie
eine Qualle, die von einem hohen Turm oder Mast fällt. Nicht einmal
mehr geworfen wird. Aber trotzdem aufklatscht.
(Neuer Anlauf). - Das Auge muss sich gleichsam aus seinem so ge-
nannten blinden Fleck verlieren, um sich im Blick (wieder?) einholen
zu können. – Z: ‚Wieder‘ ist richtig, wenn es außerhalb der Zeit ge-
schieht.
(Ein anderer neuer Anlauf). - Man könnte, auch das sagte er, ein wenig
parodistisch sagen: das Mögliche ist nur das aufgelöste Wirkliche.
Und das Wirkliche ist nur das geronnene Mögliche. Aber das unter-
schiede sich zu wenig von vielen anderen Bildern, mit denen man dies
Verhältnis schon darzustellen versucht hat.
Ein von Vorstellung verstellter Blick, auch das das Normale.
Insofern bedeutet „sich der Unwirklichkeit zu bemächtigen“ (Musil)
unmittelbar auch ‚Wirklichkeit schaffen‘. Vielleicht gibt es gar kein
anderes Prozedere. – Anders gesagt, es ist das einzige Prozedere, das
sich anbietet, ein anderes Prozedere zu schaffen. – Selbst die Destruk-
tion schafft, nach Walter Benjamin, ja etwas; sie schafft Platz.
CCCLXVI
Aber gerade weil die Menschheit schon so viel gelernt hat, kommt sie
auf keine Ideen mehr, die wirklich diesen Namen verdienen. (Und
natürlich ist das Leben nicht erinnerbar.)
Fiat! - Die Weltgeschichte ist ein göttliches Laboratorium, das so lange
bestehen wird, bis alle Optimierungsversuche gescheitert sein wer-
den. Wenn der unendliche Raum mit den Auren und Aromen geschei-
terter Experimente gefüllt und gesättigt sein wird und sich wirklich
keine einzige neue Versuchsanordnung mehr wird finden oder aus-
denken lassen können, wird es endlich heißen: Cut! – Und die Stimme
des Weltenrichters wird entspannt, geradezu erlöst klingen.
Denn die Weltgeschichte ist die Selbsterlösungsgeschichte Gottes. – Z:
So muss Hegel umgedeutet werden.
Und noch nie hatte Subjektzerstörung so viele Namen wie heute. In-
dividualisierung. Ressortegoismus. Singularität. Identität. Etc. – Und
noch nie musste man ihr so viele Namen geben. – Jeder einzelne von
ihnen ist ein Tabuwort, eine Beschwörungsformel, ein umgekehrter
Exorzismus, keine Aus- sondern eine Eintreibung. Nur Versuch einer
Eintreibung. Ein vergeblicher Gerichtsvollzug. Manischer Griff in die
leere Kasse. – Z: Und alles spielt sich als Alltag ab. Inner- und au-
ßerhalb der Medien, der neuen und alten.
Und ich sah einen Stern, der vom Himmel auf die Erde gefallen war;
und es wurde ihm der Schlüssel zum Schlund des Abgrundes gege-
ben. Und er öffnete den Schlund des Abgrundes. (Offenbarung 9.1-2;
et vidi stellam de caelo cecidisse in terram et data est illi clavis putei
abyssi et aperuit puteum abyssi)
Wir sind wie Schlüsselkinder mit prächtigen Schlüsseln für Schlösser,
die nicht einmal mehr im Monde liegen. – Z: Oder einmal mehr auch
nicht im Monde liegen.
CCCLXVII
Herkunft ist das, wo etwas sich nicht mehr sehen lassen möchte. – Z:
Ein Geschwister der Heimat.
Sie hatten über sich einen König, den Engel des Abgrunds; sein Name
heißt auf Hebräisch Abaddon, und auf Griechisch hat er den Namen
Apollyon. (Offenbarung 9.11; et habebant super se regem angelum
abyssi cui nomen hebraice Abaddon graece autem Apollyon et latine
habet nomen Exterminans)
Beiläufige Zerstörung ist immer legitim. Man weiß immer eh schon
und die Dinge laufen spindeldürr zusammen. Die Welt ist auf eine
Weise durchgedreht, dass sie nicht mehr beschreibbar ist. – Z: We-
nigstens das ist wahr. –
Die Dinge schreien vor sich hin. Wir versuchen sie in ungeeigneten
Schalen aufzufangen. Immerhin.
Warum sich nichts bewegt? - Weil er auf dem längeren Hebel sitzt.
W: Um Texte zu strecken, sind Bilder höchst geeignet. – Z: Wirtschaft,
Horatio, Wirtschaft. Nichts bleibt wahrer. – Trost kommt nicht selten
aus wunderlichen Gegenden.
Die einzige Bescheidenheit, die uns noch auszeichnet, ist die des
Nicht-wirklich-Durchdenkens.
Wir öffnen die Tür, die Komplexität nimmt unsere Einladung an (sie
versteht uns ja nicht), wir geben ihr einen Tritt, einen Tritt also geben
wir in den Arsch der Komplexität, wir retten sie ins nicht überbietbar
Triviale. Mehr konnten wir nicht für sie tun. – Aber sie reißt uns leider
mit. – Und doch, auch der Matsch ist eine Existenzform. Vielleicht
sogar, neben der Bretzn, auch eine Denkform, wie Benjamin sagt. – Z:
Selbst wir Kümmerlinge sind der Welt zuweilen immer eine Über-
raschung wert.
CCCLXVIII
Der Welt abhanden zu kommen, das ist die überzeugendste Form der
Erfüllung. - Du könntest ein Buch über den Gesunden Menschenver-
stand schreiben um ihm den Titel geben Die Intelligenz der Bordelle.
Es sind die Orte, wo du nichts im Spiegel zu sehen brauchst. Denn die
Spiegel spucken dich nur aus. Das könnte man noch drastischer sagen.
Sie werfen dich dir vor. Aas als Köder. –
Wie schön etwas sein könnte, das weiß man nie zu sagen. Sollte es sich
auch nicht ausdenken. Man würde sich damit jedenfalls überfordern.
Überforderung ist zwar eschatologisch legitimiert, hilft aber nichts. –
Aber es kann schön sein, unwahrscheinlich, aber trotz allem.
Sei vorsichtig, sagt er, wenn du anfängst, dich irgendwie für aristokra-
tisch zu halten, dann hast du nur begriffen, dass du zu nichts mehr
taugst. Also rundum nicht mehr zu gebrauchen und auch nicht mehr
runderneuerbar bist; das war nur einmal das Privileg von Reifen. -
Oder gibt es das etwa noch?
Man isst Kuchen nur, weil man glaubt, frühere Erfolge imitieren zu
können.
Eigentlich gibt es keine fake news, es gibt nur fake oldies.
Er sagte: Ich bin sehr bescheiden geworden. - Das steht mir doch zu?
Wie wenn ich sagte: Mein Ehrgeiz war, um meinen Buckel zu schrum-
pfen. - Z: Aber du hast ihn noch, obgleich du merklich geschrumpft
bist.
Der einzige Wundertypus, der mir völlig überzeugend erscheint, ist
das Tränenwunder.
CCCLXIX
Auch eine Normalverteilung. - Es verteilt sich meistens so, dass mein
Entsetzen die anderen vergnügt. Und mein Vergnügen die anderen
entsetzt.
Schreiben kann nur, wer in seine eigene Geschichte eingeschlossen ist
wie in ein Fass oder in eine abgedunkelte Unendlichkeit.
Die Weltgeschichte ist eine stetige Trivialisierung des erlebten Raums.
Von Generation zu Generation, von Tag zu Tag verliert der Raum an
Bedeutung. Der Raum stirbt sehr allmählich an Überfüllung mit Ab-
raum.
Er gibt, sagt er, gerne und überlegt zu, bei sich nicht willkommen zu
sein.
Und fragt sich, kann einer sich für sich selbst starkmachen, wenn er
es schon für andere nicht kann?
Ich weiß schon lange, sagt er, dass sie mich für einen Scharlatan ge-
halten haben, aber für einen verschmerzlichen. - Z: Vielleicht war das
ihr Fehler.
Irgendwie beginnen die Sätze zu rasen. Das ist mir unangenehm; die-
ses accelerando furioso. – Z: Der Advent dauert nicht mehr lange. Im-
mer wieder erreicht er diesen Punkt.
Du weißt es doch: Die Advente sind ein System.
Mir fällt, sagte er, immer etwas ein, aber soll ich es noch durchlassen?
Ich komme mir vor, sagte er, wie ein Gärtner, der im Park von Ver-
sailles Primeln pflanzt. Derweil ein Sturm, der vom Paradiese her, die
Bäume, alle Bäume fällt. – Ja. Ich weiß. Ihr erwartet jetzt wieder mal
einen Kalauer. Von der Art: Was fällt denn denen ein! –
CCCLXX
Eine Aureole soll immer verdeutlichen, dass eine Figur selbst leuchtet
oder das Licht zumindest im Rücken hat.
Gott Vater zum Sohn: Erlöse mir die Welt, zur Nachbereitung.
Z: Mit der Bitte Nimm Dich meiner an!, stellst du dem Herrn eine fun-
damentaltheologische Falle: Denn wessen soll er sich da annehmen
und wie? -
Was wäre geschehen, wenn der Engel der Magd des Herrn nicht ver-
kündet hätte, was ihr geschehen wird. – Z: Dann hätte sie unser aller
Schicksal teilen müssen. – M: Dass mir das erspart blieb, das ist -
Die Praxis löst bildtheoretische Probleme mit einem und auf diesen
ersten Blick: „Darunter trägt sie keinen BH, was deutlich erkennbar
ist.“ (News, 17. 12. 2019)
Damit wir es nicht vergessen: Der Fluchtpunkt der zentralperspekti-
vischen Konstruktion ist der einzige Punkt, den der Blick an seiner
wirklichen Stelle sieht, wenn auch nicht wirklich sieht:
Der einfältige Einfalls-Punkt des Unendlichen. (Panofsky?) - Z: Das
Unendliche blendet uns also aus seinem blinden Fleck. (Das erklärt in
gewisser Weise, wenn auch nicht vollständig, unsere Endlichkeit.)
Heiligung ist Möblierung des Seins. Auch die Seele wird erst heilig
durch ihre Möbel.
Zutiefst aufgewühlt berichtete er davon, dass ein junger Mensch ihn
als ‚megamoderat‘ bezeichnet hat. – Er: „Das muss doch auf inadä-
quaten Beinen stehen.“
Welchen Sinn das wohl hat, dass Adam an einem Freitag geschaffen
worden ist (wenn das auch noch einleuchtet), und auch das Jüngste
CCCLXXI
Gericht an einem Freitag stattfinden soll (da kann er sich zwar auch
Gründe danken, die leuchten ihm aber nicht ein).
„In einer Hose ist man erst, wenn man wieder draußen ist.“ – Wer hat
das gesagt? - Und gilt das nicht viel mehr noch für einen Gedanken-
gang?
Lapsus ex coelis. – The trick of the trade.
Um alles in der ersten Szene schon zu verraten, ohne es zu wollen,
musst du ein sehr guter oder ein sehr schlechter Schauspieler sein,
ohne es zu wissen. – Z: Es genügt aber auch schon, auf großartige
Weise gewissenlos zu sein.
Das große Pathos, von dem wir täglich leben, - Z: Wir auch. Die andern
aber mehr. - Denkst du nicht
Geschichten kann nur ein Fetischist erzählen. - Z: Ungefähr so, wie nur
ein Metronom die Zeit für möglich hält. Wenn du erzählen möchtest,
musst du sehr träge sein. Oder einen ulkigen Namen tragen. (Ich gebe
bewusst keine Beispiele.)
Dichtung ist instantane Metaphysik. (Bachelard)
Mehr als 200 Jahre nach Novalis: – Die Nacht ist warm (trotz Dezem-
ber) und tut keinem weh. – Z: Und die Stachel der Wollust sollten
unter die (den?) Armen verteilt werden. Aber in welcher Kapsel kann
man das verschicken, dass das Elend Zeit gewinnt?
Anni Mahlisch. Ein Roman, den Fontane doch nicht geschrieben hat.
Wenn die Welt selbst entscheiden dürfte, würde sie den Denkern und
Schreibern sagen: Bringt mich auf die Formeln, die ich verdiene. Ich
will nicht zu etwas gemacht werden. Ich möchte mich nur wieder-
kennen. Ich will mich aber nicht in euren Kadenzen suchen müssen.
CCCLXXII
Gebt mir einfach mich. Ihr filtert mich gerne durch eure Eitelkeiten.
Ich weiß. Aber ich brauch das nicht.
Ad te suspiramus. - Vielleicht geht es nur mir so, sagt er, und nicht den
anderen, aber ich muss mich aus der Welt locken, um (sie) sein zu
können.
„Mein Schlachtopfer ist ein zerbrochener Geist.“ (Psalm 51) – „Gewal-
tig endet so das Jahr.“ (Trakl) –
„Eine spaßige Art von Humor haben.“ (Aufgefangen am 23. 12. 2019)
Galleria mellonella. - Die Philosophen sollten die Wachsmotten des
Universums sein. Nicht die Imker.
Zum Jahresende, sagt er, würde er gerne eine zusammenfassende lite-
rarische Liste aller denkbaren Abwesenheiten erstellen. In Sätzen,
wie Störche. Mit gläsernen Beinen. Im Kristallsalat.
Wen kann man noch ansprechen? – Z: Vielleicht die letzten zwei
selbstkritischen Neoliberalen, wenn es die gibt. - Aber auch das ist
sehr schwierig. Wenig erfolgversprechend. Und nicht unterhaltsam.
Aus den besten Erzählern die besten Denker machen können. Das wär
sehr schön. – Z: Aber Erzähler lernen nie denken.
Wie wäre es, einen Klub zu gründen? – Den Klub der klugen Chan-
cenlosen: ohne Altersbegrenzung, nach unten und nach oben. Damit
würden wir der Idee des Universums (inklusive Zeit und Leben) eine
Chance geben.
Jeder Moment der Zukunft scheint Jetzt! Lächerlich weit entfernt. Un-
erreichbar. - Warum? – Weil nur die Zukunft das absolute Recht hat,
arrogant zu sein. Wer kann denn sonst sagen: Die Zukunft bin ich!
CCCLXXIII
Alles Denken und Schreiben ist ein Nachformen ohne anzutasten. Ein
Antasten ohne zu tasten.
Alles Denken und Schreiben muss von der energetischen Dezenz
eines Schwarzen Loches sein. Wir können es (als Repräsentanten der
Welt) nicht zurücknehmen und nicht zurückhalten. -Z: Es kann sich
also weder zurücknehmen noch zurückhalten. -
Vielleicht sollte man im christlichen Kontext den Papst (oder andere
Kultfunktionäre etc.) Filialleiter der Transzendenz nennen.
Filius dei. - Da kommt man nicht herum, das eben ungeboren Verlo-
rene für das Beste, das hätte sein können, zu halten.
Ein Einfall kann sich nicht wiederholen. Er geht in sich verloren. Man
hört, wie er schreit. Ein Einhorn, von einem Wirbelsturm unrettbar
weggetragen. - Z: Das Beste freilich, das ihm passieren konnte.
Ich bin mein Kloster, mit allen Konsequenzen. Wie es sich immer wie-
der herausstellt.
Ähnlich wie Musils Ulrich, sagte er, fühle ich eine Abneigung gegen
mich selbst, die deshalb so schmerzlich ist, weil ich mir keine Alter-
native denken kann, die mich mir geneigt machen könnte.
Z: Ambivalenz und Indifferenz sind Siamesische Zwillinge. Überall, wo
sie in Erscheinung treten.
Gerade wenn einer den gegenwärtigen Zustand als einen absoluten
beschreibt, beschwört er seine Geschichtlichkeit. Keiner kann der
Identität der Unterscheidung entgehen.
Ein Augenblick, an welchem seelischen Ort er sich auch ereignet, ist
immer eine Schnittmenge unzähliger Bilanzen. Und es ist, schon we-
gen seiner inneren Unzählbarkeit, nie zu sagen, wie er dahin gelangt
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ist, und wohin er gehen mag. Das, wiederum, sagt aber viel über die
Lenkbarkeit der Welt überhaupt aus.
Manchmal, sagt er, frage ich mich, ob die Dinge noch etwas anderes
haben als nur Gewicht, und wohin meine Freude daran gegangen ist,
dass sie einmal auch Gewicht waren.
Ich fürchte, sagt er, in bin in meinem Fach untergegangen. – Z: Schö-
nes Bild.
Das Jahr. „Es taucht ins dunkle Wasser wie ein Stein.“ – Z: Sucht da-
nach!
Vor allem sollten die Bestenlisten, die das Jahresende gewöhnlich mit
sich bringt, endlich durch kurrente Bestienlisten ersetzt werden.
Ich weiß, dass wir unendlich viel mehr wissen können als wir bis jetzt
wissen. Sekunde um Sekunde wäschst uns diese Wissensmasse ja ent-
gegen und über uns hinweg. - Aber werde ich noch je mehr wissen
können von dem, was ich wissen möchte? – Das ist ein empfindlicher
und peinlicher Unterschied. – Z: Am vorletzten Tag eines Jahres sei es
einem alten Mann erlaubt, dergestalt zu sinnieren...
Wie können wir damit umgehen, dass die Dinge definitiv nur noch
Statthalter dessen sind, was sie einmal waren. Das ist nur eine Frage,
keine Klage, Ich möchte es wissen, weil die Tatsache unumkehrbar ist.
Wir sollten das akademische Besserwissen aufgeben und begreifen,
dass wir an einem Diskurs teilnehmen, der noch das Jüngste Gericht
überleben muss.
Wie schafft man das, so lange etwas ganz anderes zu wollen, ohne es
in Angriff zu nehmen? - Z: Das ist moralisch sehr legitim. Der Robin-
sonaden sind genug geschrieben. Und die Welt ist so winzig geworden,
dass Reiseerinnerungen nur noch peinlich sind. Es sei denn, es gelingt
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ihnen, die ganze Eschatologie in den Weg bis zur nächsten Kreuzung
zu packen.
Wenn du singst, sagten sie, gibst du Gott den Atem zurück, den er Dir
gab.
Du schreibst deine Gedanken nur nieder (nieder!), um ihnen jedwede
Erfüllung zu verweigern.
Wie man sich kleidet, so lügt man.
Eine Kritik (Merleau-Pontys) der oder eine Mahnung an die Gegen-
wart (Jahreswechsel 2019/2020) müsste lauten: Es gibt keine Kunst
mehr. Es absichtsvoll besser machen zu wollen als Cezanne, das kann
nicht gelingen. Sagen wir: das Ordnungssystem der Beobachtungen
ist kollabiert.
Die Dummheit hat eine eigene verführerische Eleganz. Die trägt uns.
Über die Jahre. - Z: Das ist nicht falsch. Aber auch nicht dein klügster
Satz.
Warum wurde dem Teufel die Hölle zugeordnet? - Z: Weil der Teufel
immer weiß, wie es endet. Gott weiß es nicht.
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