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Teil 3: Interessenausgleich im Rahmen der

Vorratsdatenspeicherung

Bei einer Vorratsspeicherung der Telekommunikationsverkehrsdaten handelt es sich


um eine neue Dimension der Überwachung der Bevölkerung. Es wird eine gesamtge-
sellschaftliche Überwachungsinfrastruktur geschaffen, indem flächendeckend und an-
lasslos eine für die Informationsgesellschaft zentrale Infrastruktur auf den Ausnahme-
fall ausgerichtet wird. Ein solches Instrument darf nur in engen Grenzen eingeführt
werden.1454 Eine Vorratsdatenspeicherung kann mit der Verfassung in Einklang ge-
bracht werden, ihr muss aber als flächendeckende, verdachtsunabhängiges Überwa-
chungsinfrastruktur Ausnahmecharakter zu kommen. Die Sicherheitsgesetzgebung
darf sich insgesamt nicht an diesem Vorbild ausrichten und für den Ausnahmefall vor-
sorgen.1455
Die Einführung der Vorratsdatenspeicherung ist vielfach diskutiert und hoch umstrit-
ten.1456 Nunmehr soll der Frage nachgegangen werden, ob und wie eine Vorratsdaten-
speicherung nicht nur innerhalb der Grenzen zur Verfassung, in diesem Sinne gerade
noch verhältnismäßig gestaltet werden kann, sondern ob und wie verfassungsverträg-
lich ein Ausgleich zwischen Freiheits- und Sicherheitsinteressen im Rahmen einer
Vorratsdatenspeicherung erzielt werden kann. Dabei liegt im Fokus der Untersuchung
nicht eine Befassung mit der Frage, ob die Richtlinie überhaupt mit den Garantien der
Europäischen Grundrechtecharta vereinbar ist − der Frage, welche derzeit den Europä-
ischen Gerichtshof beschäftigt. Denn die hier vorzunehmende Untersuchung, wie eine
Speicherung sämtlicher Telekommunikationsverkehrsdaten auf Vorrat so ausgestaltet
werden kann, dass die durch das Grundgesetz garantierten Werten Freiheit und Sicher-
heit möglichst schonend in Ausgleich gebracht werden, ist selbst dann von Relevanz,
sollte die Richtlinie für unionsrechtswidrig erklärt werden. Es sei denn, der Gerichts-
hof käme zu der Feststellung, dass eine Speicherung von Telekommunikationsver-
kehrsdaten für einen bestimmten Zeitraum zur Verhinderung und Verfolgung von
Straftaten, generell gegen die Europäischen Grundrechtsgarantien verstößt.
Von großem Interesse ist die Untersuchung darüber hinaus, da die Frage wie ein opti-
mierter Ausgleich erzielt werden kann, sich nicht nur in Bezug auf eine Vorratsspei-
cherung der Telekommunikationsverkehrsdaten stellt, sondern auch bei Einführung
anderer sicherheitspolitischer Instrumente. Sie gilt es nicht nur im Sinne einer mög-
lichst großen Akzeptanz zu ermitteln, sondern auch weil der aktuell verbleibende

1454
Vgl. ausführlich oben Kap. 6.3, S. 227 ff.
1455
BVerfGE 125, 260 (323 f.); Roßnagel 2003, 17 ff.; das dem so ist wird ausführlich in Kap. 7.2.1
dargelegt und begründet.
1456
Die Entwicklungsgeschichte und das im Urteil des BVerfG zur Vorratsdatenspeicherung zentrale
Judikat in welchem das Gericht die Verfassungswidrigkeit einer umfassenden gesamtgesellschaft-
lichen Überwachung formuliert hat, wurde im vorangegangenen Abschnitt aufgezeigt, Kap. 4.
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Spielraum, auf Grund der in den letzten Jahren konstant zu verzeichnenden Tendenz
hin zu einem immer mehr an Sicherheit,1457 zunehmend kleiner wird.
Anhand der Vorratsdatenspeicherung, zu deren Einführung der Gesetzgeber europa-
rechtlich verpflichtet ist, soll der Frage nachgegangen werden, wie hier ein optimierter
Interessenausgleich erzielt werden könnte. Dafür muss zunächst untersucht werden,
wie methodisch ein optimierter Interessenausgleich entwickelt werden kann (Kap. 8).
Der zu entwickelnde methodische Ansatz, soll dann auf die Vorratsdatenspeicherung
angewendet werden, um zu untersuchen, ob und wie im Rahmen einer Vorratsdaten-
speicherung ein optimierter Interessenausgleich erzielt werden kann (Kap. 9). Hier sol-
len dann konkrete Gestaltungsvorschläge, die in Anbetracht der aktuell gebotenen
Umsetzungspflicht und der ausstehenden Überarbeitung der Richtlinie geboten sind,
entwickelt werden (Kap. 10). Abschließend soll dann unter Bezugnahme auf die ge-
wonnen Erkenntnisse dazu Stellung genommen, wie ein praktisch konkordanter Inte-
ressenausgleich im Angesicht von Informatisierung, Digitalisierung und dem gestei-
gerten Gefühl der Verwundbarkeit erreicht werden kann (Kap. 11).

1457
Vgl. oben Kap. 1.4, S. 50 f.

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