Fachthemen

Alexander Jakubowski
Herbert Schmidt

Numerische Untersuchungen zur

Ermüdungsbeanspruchung vorgespannter
Ringflanschstöße mit Imperfektionen
Herrn Univ.-Prof. Dr.-Ing. Udo Peil zur Vollendung des 60. Lebensjahres gewidmet

Für die Bemessung vorgespannter geschraubter Ringflanschstöße in turmartigen Stahl- ten vorgespannten Flanschverbindung
bauten (z. B. Schornsteine oder Rohrtürme von Windenergieanlagen) ist der Nachweis ge- hochgradig nichtlinear [1] bis [6]. Sie
gen Ermüdung der Schrauben sehr wichtig. Klaffungen zwischen den Kontaktflächen vor sind deshalb sehr sensibel gegenüber
dem Vorspannen der Schrauben (sogenannte Flanschimperfektionen) können einen ne- „Flanschimperfektionen“ [7] bis [10].
gativen Einfluß auf die ermüdungsrelevanten Schraubenspannungen haben. Es wurde Damit sind Klaffungen zwischen den
ein FE-Modell für imperfekte Ringflansche aufgebaut und mit Hilfe der Ergebnisse groß- beiden Flanschen vor dem Vorspan-
maßstäblicher Rohrbiegeversuche an Ringflanschstößen validiert. Über diese Versuche nen gemeint. Sie sind bei großen Zy-
war ebenfalls in dieser Zeitschrift berichtet worden. Mit dem validierten FE-Modell linderdurchmessern herstelltechnisch
wurde eine Parameterstudie an imperfekt simulierten L-Ringflanschverbindungen mit fast unvermeidbar.
baupraktischen Abmessungen aus dem WEA-Bau durchgeführt. Die Ergebnisse ermögli-
Um den Einfluß solcher Flansch-
chen eine Differenzierung der verschiedenen Klaffungsformen hinsichtlich ihres negati-
imperfektionen auf die ermüdungsre-
ven Einflusses auf die Schraubenermüdung. Dieser Einfluß darf beim Ermüdungssicher-
levanten Schraubenspannungen zu
heitsnachweis der Schrauben keinesfalls vernachlässigt werden.
untersuchen, wurden an der Univer-
sität Essen im Institut für Stahlbau
Numerical investigations on the fatigue-relevant bolt stresses in preloaded ring flange
connections with imperfections. For the structural design of preloaded bolted ring flange zunächst großmaßstäbliche Rohrbie-
connections in tower-like steel structures (e. g. chimneys or wind turbine tubular towers), geversuche an kompletten L- und T-
the fatigue assessment of the bolts is very important. Gaps between the contact surfaces Ringflanschstößen durchgeführt. Sie
before preloading (so-called flange imperfections) may have a negative influence on the fa- sind in einem ausführlichen For-
tigue-relevant bolt stresses. A FE-model for imperfect ring flanges was built up and valida- schungsbericht dokumentiert [11];
ted by means of the results of large-scale tubular bending tests on flange connections. auszugsweise wurde darüber in dieser
With the validated FE-model, a parametric study on imperfectly simulated L-flange connec- Zeitschrift berichtet [12]. Die Ergeb-
tions having realistic dimensions of typical wind turbine towers was performed. The results nisse bestätigten den vermuteten si-
enable differentiating the various gaping forms with regard to their negative influence on gnifikanten Imperfektionseinfluß auf
the bolt fatigue. This influence may not be neglected when assessing the fatigue safety of die Beanspruchung und damit die Er-
the bolts. müdungssicherheit der Schrauben.
Sie lieferten auch erste quantitative
Hinweise.
1 Einleitung sondere in den Stößen von WEA-Tür- Um von den experimentellen Er-
men. gebnissen auf baupraktische Abmes-
Vorgespannte geschraubte Ring- Für diesen Ermüdungssicher- sungen schließen und vor allem kon-
flanschverbindungen werden bevor- heitsnachweis wird das Kollektiv der krete Hinweise für eine ermüdungs-
zugt als Montagestöße in turmartigen, Schraubenspannungsschwingbreiten sichere Bemessung erarbeiten zu
kreiszylindrischen oder konischen ∆σS benötigt. Es ist von den „Schrau- können, wurden ergänzend umfangrei-
Stahlbauten (z. B. Maste, Schorn- benbeanspruchungsfunktionen“ ab- che numerische Untersuchungen
steine, Türme von Windenergieanlagen hängig. Sie beschreiben, wie sich in durchgeführt [13], [14]. Über diese wird
(WEA)) eingesetzt. Die Flansche ha- der vorgespannten Flanschverbin- im folgenden auszugsweise berichtet,
ben meist L-Querschnitt, entweder in- dung bei zunehmendem äußeren wobei aber nur auf die L-Flanschstöße
nenliegend (z. B. bei WEA-Türmen) Turmbiegemoment (im weiteren eingegangen wird. Der vorliegende Auf-
oder außenliegend (z. B bei Schorn- Rohrbiegemoment MR genannt) auf satz ist demnach als Fortsetzung des
steinen). Im Fußbereich kommen oft der Biegezugseite die Schnittgrößen Aufsatzes [12] zu sehen.
auch Flansche mit T-Querschnitt zum der höchstbeanspruchten Schraube
Einsatz. Bemessungskritisches Ele- (Schraubenkraft FS und Schrauben- 2 FEM-Vergleichsberechnungen zu den
ment dieser Stöße sind in der Regel die biegemoment MS) und damit also die Versuchen
Schrauben. Dabei spielt neben dem größte Schraubenspannung σS än-
Tragsicherheitsnachweis vor allem der dern. Die Schraubenbeanspruchungs- Um die für die spätere Parameterstu-
Nachweis gegen Ermüdung der funktionen sind wegen des komplexen die verwendete FE-Modellierung der
Schrauben eine wichtige Rolle, insbe- inneren Kräftespiels einer zugbelaste- imperfekten vorgespannten Flansch-

© Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin · Stahlbau 73 (2004), Heft 7 517
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verbindung zu validieren, wurden zu-

nächst die Versuche „nachgerechnet“.

2.1 FE-Modellaufbau und Rand-

bedingungen

In Bild 1 ist das FE-Modell der Ver-

gleichsberechnungen dargestellt (ein-
gesetzt wurde das Programmsystem
ANSYS 5.7). Es entspricht dem Ver-
suchsaufbau (s. Bilder 4 und 5a in
[12]). Die Prüfrohre wurden mit 4kno-
tigen Schalenelementen, die Prüf- a)
flansche und Schrauben mit 8knotigen
Volumenelementen diskretisiert. Ver-
einfachend wurden die Flanschpaare,
die im Experiment die Verbindung zu
den Aufnahmerohren herstellten, als
starre Scheiben modelliert (Bild 1a).
Die Prüfschrauben selbst, im Schaftbe-
reich zur Applikation von Dehnungs-
messstreifen abgedreht (s. Bild 6 in
[12]), wurden ohne detaillierte Gewin-
b)
degeometrie modelliert (Bild 1c), dar-
über hinaus aber mit den gemessenen
c)
Schraubenabmessungen.
Die zentrale Kontaktproblematik
der Flanschverbindung wurde durch
flächenhafte Kontaktelemente zwi-
schen Schraubenkopf bzw. Mutter ei-
nerseits und Flanschaußenfläche an-
dererseits sowie zwischen den beiden
Flanschinnenflächen modelliert. Da-
durch wurde eine wirklichkeitsnahe
Simulation des im Versuch beobachte-
ten sukzessiven Aufklaffens der
Flanschverbindung unter Rohrbiege-
zugbelastung möglich. Da auch die
tatsächlichen Werkstoffkennlinien des
Flansch- und Schraubenmaterials aus
den begleitenden Zugversuchen über-
nommen wurden, handelte es sich in
zweifacher Hinsicht um eine nichtli- Bild 1. FE-Modellierung der Versuchskörper; a) komplettes und b) reduziertes
neare FEM-Simulation. symmetrisches Modell mit Randbedingungen (schematisch), c) Modellausschnitt
Bezüglich der Lasteinleitungs- Flanschbereich
ebene (vertikale Längsebene durch Fig. 1. FE-modelling of the test specimens; a) complete and b) reduced symmetri-
die Rohrachse) wurde Symmetrie an- cal model including boundary conditions (schematic), c) flange model in detail
gesetzt (Bild 1a). Das ist eine unbe-
deutende Vereinfachung gegenüber Bei den Versuchen waren die plan- richtung sinus- oder cosinusförmig ver-
den Versuchen. Sie bedeutet, daß von mäßig eingebauten Flanschklaffungen änderlicher Teilklaffungsformen appro-
den Rohren und Ringflanschen Halb- mit induktiven Wegaufnehmern ver- ximiert, aber bei genauer Wiedergabe
kreissegmente erfaßt wurden. Ferner messen worden [11]. Auf eine direkte der maximalen Klaffungsmaße kF und
wurden nach einer Pilotberechnung Übernahme dieser Meßwerte mit ihren kR (siehe Tabelle 1 in [12]).
mit dem kompletten Versuchsmodell geringfügigen Unregelmäßigkeiten in
gemäß Bild 1a in den weiteren Be- das FE-Modell wurde aber verzichtet, 2.2 Numerische Berechnung
rechnungen die Aufnahmerohre nicht um numerischen Problemen aus der
mehr dargestellt, sondern das Rohr- Kontaktmodellierung vorzubeugen. Die Berechnung wurde – ähnlich wie
biegemoment MR wurde an den Prüf- Stattdessen wurden die realen Flan- die Versuchsdurchführung – in zwei
körperenden über Knotenspannun- schimperfektionen mittels rotations- Phasen unterteilt: Vorspannen und
gen direkt eingeleitet (Bild 1b). symmetrischer und/oder in Umfangs- Rohrbiegebelastung.

518 Stahlbau 73 (2004), Heft 7

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Der Vorspannvorgang diskretisier-
ter Schrauben war in bisher veröffent-
lichten FE-Untersuchungen an perfek-
ten Flanschstößen entweder durch
eine aufgebrachte Temperaturdifferenz
[2] oder durch eine aufgebrachte Ver-
schiebung [6] an den entsprechenden
Schraubenelementen simuliert wor-
den. Die planmäßige Vorspannkraft
mußte dabei iterativ eingestellt werden.
Bei geometrisch imperfekten Flansch-
verbindungen haben sich diese „nume-
rischen Vorspanntechniken“ jedoch
aufgrund der Vorspannbiegemomente,
die beim Zusammenziehen eines klaf-
fenden Flanschpaares in den Schrau-
ben entstehen, als problematisch her-
ausgestellt. Nach umfangreichen Vor-
untersuchungen zeigte sich, daß es
eine deutlich bessere numerische Vor-
gehensweise ist, die Schrauben mittels
einzeln aufgebrachter Knotenkräfte im
Gewindebereich vorzuspannen. Die
Bild 2. FE-Modellierung des Gewindeeingriffsbereiches; a) beim Aufbringen der
Vorspannung, b) bei Rohrbiegebelastung
Fig. 2. FE-modelling of the thread grip zone; a) when applying the bolt preload,
b) under external tubular bending
a)
Bild 3. Experimentelle und numerisch simulierte Restklaffungen des imperfekten
Flanschstoßes VRF4 während des Vorspannvorganges; a) flanschseitige Klaffung
kF, b) rohrseitige Klaffung kR
Fig. 3. Experimental and numerically simulated remaining gaps of the imperfect
connection VRF4 during the preloading process; a) flange-sided gap, b) tube-sided gap
Vorspannung wurde demnach nicht
versuchsgetreu über ein Anzieh-
drehmoment, sondern in Form von
wechselseitig wirkenden Knotenkräf-
ten am Schraubengewinde und am
Muttergewinde simuliert (Bild 2a).
Da Schraubengewinde und Mut-
ter während des Vorspannens in Axial-
richtung relativ zueinander verscho-
ben werden, darf zunächst nur eine
Kopplung der betroffenen Knoten in
Radialrichtung formuliert werden
(Bild 2a). Nach dem Vorspannen er-
folgt die endgültige Verbindung von
Schraube und Mutter über die Kopp-
lungsbedingungen auch in Axial-
richtung (Bild 2b). Die Vorspannkno-
tenkräfte werden gelöscht, und die
Verbindung befindet sich im vorge-
spannten Zustand. Ab diesem Stadium
wird in der zweiten Berechnungsphase
die äußere Rohrbiegebelastung MR in
Form von cosinusförmig über den Um-
b)
fang verteilten axialen Schalenrand-
spannungen an den Prüfkörperenden
aufgebracht.
2.3 Vergleich der Ergebnisse
Die mit dem FE-Halbrohrmodell nach
Bild 1 berechneten Schraubendeh-
nungen, Flanschklaffungen und Rohr-
dehnungen werden in [14] für alle Ver-
suchskörper mit den experimentell er-
mittelten Werten verglichen. Hier
werden auszugsweise einige Verglei-
che für die Prüfkörper VRF1 (perfekte
Flanschgeometrie) und VRF4 („paral-
lel-imperfekte“ Flanschgeometrie,
d. h. Parallelklaffung über einen Teil
des Umfangs, vgl. [12]) wiedergegeben.
In der Vorspannphase ist das suk-
zessive Zusammenziehen der Klaffun-
gen von zentraler Bedeutung. Es defi-
niert die spätere Kontaktsituation zwi-
schen den Flanschen und damit die
Ausgangssituation für das innere Kräf-
tespiel unter der anschließend aufge-
brachten äußeren Rohrbiegezugbela-
stung. Bild 3 zeigt die mit wachsendem
Vorspanngrad FV/FV,max kleiner wer-
dende Maximalklaffung von VRF4.
Man erkennt eine sehr gute Überein-
stimmung zwischen Messung und nu-
merischer Simulation, insbesondere
auch für die am rohrseitigen Rand
nach abgeschlossenem Vorspannen
verbleibende Restklaffung von ca.
2 mm. Die beiden eingezeichneten Si-
mulationen 1 und 2 unterscheiden sich
in der Approximationsgüte für den
Klaffungsverlauf in Umfangsrichtung.
In Bild 4 sind die auf der höchst-
beanspruchten Meßschraube der Ver-
suchskörper VRF1 und VRF4 gemes-
senen und simulierten drei Ober-
flächendehnungen über dem äußeren
Rohrbiegemoment MR aufgetragen.
Man erkennt auch hier einen hohen
Übereinstimmungsgrad, insbesondere
im ermüdungsrelevanten Bereich bis
MR = ca. 1300 kNm. Man beachte,
daß in diesen Oberflächendehnun-
gen sowohl die Schraubenaxialkraft
als auch die Schraubenbiegemo-
mente in radialer und tangentialer
Richtung enthalten sind. Aufgrund
dieser realitätsnahen Simulationser-
gebnisse konnte die verwendete FE-
Modellierungstechnik als ausreichend
validiert angesehen und nun auch auf
baupraktische Abmessungen angewen-
det werden.

Stahlbau 73 (2004), Heft 7 519

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kraftfreie äußere Rohrbiegemoment

MR aufgebracht.
Drei Imperfektionsvarianten wur-
den für jeden Flanschstoß durchge-
rechnet, und zwar je eine Parallelklaf-
fung (kR = kF) auf der Rohrbiegezug-
seite über 60° Umfangsteilbereich mit
1 mm oder 2 mm maximaler Klaffung
und über 90° Umfangsteilbereich mit
1 mm maximaler Klaffung.

3.1.2 Beanspruchungshöhe

Im Rahmen des Ermüdungssicherheits-

nachweises (dieser wird in der Regel
mit γFf = 1,0 geführt) kann auf den
Flanschstoß kein größeres Rohrbiege-
moment einwirken als max
MR,fd = MR,Rd/1,5. Dabei steht der In-
dex „f“ für „fatigue“ (Ermüdung). MR,Rd
ist das für den Tragsicherheitsnachweis
des Flanschstoßes maßgebende Grenz-
Rohrbiegemoment (Bemessungswert)
gemäß den einschlägigen plasto-stati-
schen Versagenszuständen (siehe z. B.
[6]), und der Faktor 1,5 ist der Teilsi-
cherheitsbeiwert γF für den Tragsicher-
heitsnachweis. Die entsprechenden
Zahlenwerte der vier untersuchten
Flanschstöße sind in Tabelle 2 zusam-
Bild 4. Experimentelle und numerisch simulierte Oberflächendehnungen am Meß- mengestellt, ebenfalls die ihnen zugrun-
querschnitt der höchstbeanspruchten Schraube (ohne Vorspanndehnung) deliegenden Schrauben-Grenzzug-
Fig. 4. Experimental and numerically simulated surface strains at the measuring kräfte NRd nach DIN 18800-1.
section of the maximally stressed bolt (without preload strain) Weiterhin in Tabelle 2 eingetragen
sind die unter MR,Rd im Rohrmantel
3 Numerische Parameterstudie Als statisches Rohrsystem wurde ein vorhandenen größten Axialmem-
3.1 Eingangsdaten Kragarm zugrundegelegt (Bild 5a). Er branspannungen σR,m und die zu-
3.1.1 Flanschabmessungen, Imperfek- soll die Randbedingungssituation des gehörigen Ausnutzungsgrade hinsicht-
tionen untersten Flanschstoßes eines WEA- lich Zug- und Beulbeanspruchbarkeit.
Rohrturms annähern. Ansonsten gel- Letztere liegen – mit Ausnahme von
Um den Einfluß der Flanschimper- ten prinzipiell die gleichen Randbe- Variante RF2b – bewußt untypisch tief
fektionen auf die ermüdungsrelevan- dingungen und Diskretisierungsgrade bei 52 bis 64 %, um die hier erzielten
ten Schraubenbeanspruchungen in wie für das Versuchskörper-FE-Mo- Ergebnisse für die imperfekten
baupraktisch realen Stößen genauer dell in Bild 1. Am freien Ende, das in Flanschstöße wegen der etwas zu
analysieren zu können, wurden Be- der Realität den Übergang zur näch- großen Wandsteifigkeiten auf der siche-
rechnungsserien an vier innenliegen- sten Turmsektion darstellen soll, wird ren Seite zu halten. Zur Quantifizierung
den L-Ringflanschen mit typischen wie beim Modell nach Bild 1b eine dieses Einflusses dient Variante RF2b
Abmessungen aus dem WEA-Bau starre Scheibe implementiert und über mit ihrer zu 98 % ausgenutzten Beulbe-
durchgeführt (Bild 5b und Tabelle 1). axiale Randspannungen das quer- anspruchbarkeit (vgl. Tabelle 2).

Tabelle 1. Abmessungen der Parameterstudienflansche 3.2 Einfluß der Imperfektionen auf die
Table 1. Dimensions of the parametric study flanges Beanspruchung der Schrauben
3.2.1 Darstellung der Ergebnisse
Flansch R s a b t M n
[mm] [mm] [mm] [mm] [mm] [mm] [–]
In Bild 6 sind auszugsweise Berech-
RF1 1500 12 180 50 150 30 160 nungsergebnisse des Flanschstoßes
RF2 2000 20 190 60 180 36 184 RF2 und seiner dünneren Variante
RF2b 2000 13 190 60 180 36 184 RF2b in Form von vier Diagrammen
dargestellt. Diagramm (a) zeigt die
RF3 2500 30 100 70 110 42 120
während des numerischen Vorspann-

520 Stahlbau 73 (2004), Heft 7

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a) b) vorgangs am Ort der maximalen Aus-

gangsklaffung jeweils noch vorhandene
Restklaffung. In den Diagrammen (b)
und (c) sind die Schraubenbeanspru-
chungsfunktionen FS,Q = f(MR) und
MS,Q = f(MR) der jeweils höchstbean-
spruchten Schraube aufgetragen. Da-
bei sind nur die zusätzlich zu den
Vorspannschnittgrößen unter der
äußeren Einwirkung „Q“ (im Sinne
der veränderlichen Einwirkungen Q
nach DIN 18800-1) entstehenden
Schraubenschnittgrößen aufgetragen.
Diagramm (d) zeigt den Verlauf der
Bild 5. Parameterstudie; a) statisches Rohrsystem, b) untersuchter L-Flanschquerschnitt Schraubenaxialkräfte über den Rohr-
Fig. 5. Parametric study; a) static tube system, b) investigated L-flange cross section
umfang bei einem ausgewählten Wert
MR = const. In allen vier Diagram-
Tabelle 2. Vorspannkräfte, Grenzzugkräfte der Schrauben, Grenzrohrbiegemo-
men ist als Referenzkurve der Flansch-
mente der Flanschstöße, Ausnutzungsgrade des Rohrmantels
Table 2. Preloading forces, design values of the bolt tension resistance, design va-
stoß RF2 mit perfekter Kontaktgeo-
lues of the tubular bending resistance of the flange connections, utilization factor metrie (mit demselben FE-Modell be-
of the tube wall rechnet) eingezeichnet.

Flansch Fv NRd MR,Rd maxMR,fd σR,m σR,m/σRd σR,m/σxS,Rd 3.2.2 Beanspruchungsfunktionen der
[kN] [kN] [kNm] [kNm] [N/mm2] [–] [–] Schrauben
RF1 350 408 11298 17532 133 0,41 0,64
Die Schraubenbeanspruchungen FS,Q
RF2 510 594 29947 19965 119 0,38 0,53 und MS,Q liegen für alle Imperfek-
RF2b 510 594 29947 19965 183 0,57 0,98 tionsvarianten – wie nach den experi-
RF3 710 815 71936 47957 122 0,39 0,52 mentellen Ergebnissen [11], [12] nicht
anders zu erwarten – deutlich ober-
halb der perfekten Referenzkurve, ver-
laufen im ermüdungsrelevanten MR-
Bereich also steiler als diese. Die Rei-
hung beträgt für RF2: Geometrie
perfekt, dann imperfekt mit 1 mm/60°,
2 mm/90° und 2 mm/60°. In dieser
Reihenfolge ist also ein wachsender
negativer Einfluß auf die Ermüdungs-
beanspruchung der Schrauben zu
erwarten (siehe 3.3). Die Beanspru-
chungsfunktionen der Ringflanschva-
riante RF2b mit dünnerem Rohrman-
tel verlaufen unterhalb derjenigen des
gleich imperfekten Flanschstoßes mit
dickerem Rohrmantel (Bilder 6b,c).
Das ist mechanisch plausibel, denn die
Membransteifigkeit, gegen deren Wi-
derstand die Parallelklaffung beim Vor-
spannen zusammengezogen wurde, ist
kleiner. Das wird bestätigt durch
Bild 6a, wonach sich die rohrseitige
Ausgangsklaffung 2 mm/90° bei RF2b
leichter zusammenziehen läßt als bei
RF2. Man liest aus Bild 6a ferner ab,
daß bei der Imperfektion 2 mm/60° die
Bild 6. Berechnungsergebnisse für den Flanschstoß RF2; a) Klaffungsreduktion,
Ausgangsklaffung erst bei voller Vor-
b) c) Beanspruchungsfunktionen der höchstbeanspruchten Schraube, d) Verlauf
der Schraubenkräfte über den Rohrumfang spannung geschlossen war. Daraus re-
Fig. 6. Numerical results for the flange connection RF2; a) reduction of gap, b) c) sultieren die besonders ungünstigen
stress resultant functions of the maximally stressed bolt, d) distribution of bolt Schraubenbeanspruchungsfunktionen
forces in circumferential direction dieser Imperfektionsvariante.

Stahlbau 73 (2004), Heft 7 521

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Die genormte Grenztragfähigkeit
der M36-Schrauben von NRd =
594 kN (bzw. die oberhalb der Regel-
vorspannkraft FV = 510 kN noch ver-
bleibende aufnehmbare Axialkraft
FS,Q = 84 kN) wird beim geometrisch
perfekten Stoß RF2 bei einem Rohr-
biegemoment von MR ≈ 28500 kNm
erreicht (aus Bild 6c abzulesen). Das
entspricht relativ genau dem nähe-
rungsweise berechneten statischen
Grenzwert MR,Rd = 29950 kNm in Ta-
belle 2, obwohl dort reines Kantentra-
gen angesetzt und der Interaktions-
einfluß des Schraubenbiegemomentes
vernachlässigt wurde – ein Indiz für
die Zulässigkeit dieser üblichen Nähe-
rungen beim Tragsicherheitsnachweis.
In den imperfekten Flansch-
stößen erreichen dagegen die Schrau-
ben ihre Grenzzugkräfte rein rechne-
risch bereits bei deutlich niedrigeren
Rohrbiegemomenten (Bild 6c). Um
Mißverständnissen vorzubeugen: Das
hat keinen Einfluß auf den Trag-
sicherheitsnachweis. Dieser darf be-
kanntlich gemäß DIN 18800-1 unter
Vernachlässigung der Vorspannung
(und damit der Imperfektionen) ge-
führt werden.
3.2.3 Verteilung der Schraubenkräfte
Bild 6d zeigt, daß sich bei perfekter
Geometrie der für einen voll vorge-
spannten Stoß theoretisch zu erwar-
tende, etwa cosinusförmige Verlauf
der Schraubenaxialkräfte über den
Rohrumfang zwischen ϕR = 0° und
90° einstellt. Bei imperfekter Aus-
gangsgeometrie befindet sich die ma-
ximal beanspruchte Schraube zwar
auch bei ϕR = 0°; sie wird aber erheb-
lich stärker beansprucht.
3.2.4 Biegebeanspruchung der
Schrauben
Betrachtet man in den Bildern 6b und
6c die Kurvenscharen der Schrauben-
schnittgrößen FS,Q und MS,Q, so fällt
der ausgeprägt affine Verlauf auf. Das
bedeutet, daß der Einfluß der hier un-
tersuchten Imperfektionsformen auf
die Schraubenbiegemomente und auf
die Schraubenaxialkräfte qualitativ ähn-
lich ist. Bild 7 quantifiziert diese Aus-
sage anhand der bezogenen Schrau-
benbiegespannungen, aufgetragen über
MR, für alle berechneten Flanschva-
522 Stahlbau 73 (2004), Heft 7
σb,Q/(σm,Q + σb,Q)
Bild 7. Biegeanteil an der Schrauben-
randspannung σS der FE-Modelle RF1
bis RF3
Fig. 7. Bending component of the bolt
surface stress σS of the FE-models RF1
to RF3
rianten.
Man erkennt aus Bild 7, daß der
Biegeanteil an der Schraubenrand-
spannung tatsächlich nur eine ver-
gleichsweise geringe Imperfektionsab-
hängigkeit aufweist. Mit zunehmen-
dem MR nehmen bei allen Varianten
die Biegeanteile ab; der Größtwert
mit ca. 60 % tritt im perfekten
Flanschstoß RF1 bei kleinem MR auf.
Innerhalb des für den Ermüdungs-
sicherheitsnachweis relevanten Last-
bereiches MR < max MR,fd (vgl. Ta-
belle 2) beträgt der Biegeanteil an der
Schraubenrandspannung im Mittel
ca. 50 %. Man kann also für den Fall,
daß explizit nur Schraubenaxialkräfte
FS,Q berechnet werden, die größte
Randspannung näherungsweise zu
σS,Q = 2σSm,Q annehmen.
3.3 Einfluß der Imperfektionen auf
die Ermüdungsschädigung der
Schrauben
3.3.1 Vorgehensweise
Auf die Bedeutung der Nichtlinearität
der Beanspruchungsfunktionen für
die Ermittlung des Schraubenspan-
nungskollektivs ∆σS = f(N) wurde be-
reits in der Einleitung hingewiesen.
Für die im vorliegenden Abschnitt be-
trachtete Zielsetzung, die unterschied-
lichen Klaffungen der numerisch un-
tersuchten Flanschstöße hinsichtlich
ihrer Auswirkung auf die Ermüdungs-
schädigung der Schrauben zu analy-
sieren, war es demnach erforderlich,
realistische Rainflow-Matrizen für
die Rohrbiegemomente einzuführen.
Die Simulation solcher Rainflow-
Matrizen ist heute Standard bei der
Ermüdungsbemessung großer Wind-
energieanlagen. Bild 8 zeigt das prin-
zipielle Vorgehen bei der Ermittlung
der Schraubenspannungsschwingbrei-
ten ∆σS auf Basis einer MR-Rainflow-
Matrix. Als wesentliche Eingangsin-
formationen werden einerseits die
auftretenden Schwingbreiten ∆MR
mit ihrer Größe, ihren Randwerten
(„From-To-Werten“) und ihrer Häu-
figkeit sowie andererseits die nicht-
linearen Beanspruchungsfunktionen
der Schrauben benötigt. Für jede Mo-
mentenschwingbreite ∆MR mit be-
kannter Lage auf der MR-Achse kann
dann die zugehörige Spannungs-
schwingbreite ∆σS der Schraube „ab-
gegriffen“ werden (Bild 8b); je steiler
die Beanspruchungsfunktionen an
dieser Stelle, desto größer die Span-
nungsschwingbreite ∆σS.
In [14] wurden für grundsätzliche
Untersuchungen zur Ermüdungsbean-
spruchung von WEA-Türmen typische
Rainflow-Matrizen zweier ausgeführ-
ter Anlagen an einem Binnenland-
und einem Küstenstandort mit 20 Jah-
ren Entwurfslebensdauer verwendet.
Diese Matrizen wurden in [13], um die
Berechnung für die Flanschstöße der
Parameterstudie realitätsnah zu hal-
ten, so normiert, daß ihr jeweils maxi-
males Rohrbiegemoment (Größtwert
auf den horizontalen Achsen in
Bild 8a) dem entsprechenden rechne-
rischen Wert maxMR,fd nach Tabelle 2
entspricht. Diese Vorgehensweise birgt
zwei weitere Elemente in sich, welche
die nachfolgend diskutierten Ergeb-
nisse auf der „sicheren Seite“ halten.
Erstens setzt sie einen beim Tragsi-
cherheitsnachweis zu 100 % ausge-
nutzten Flanschstoß voraus. Und
zweitens vernachlässigt sie die Tatsa-
che, daß die für den Ermüdungssicher-
heitsnachweis zu berücksichtigenden
Einwirkungskombinationen in der Re-
gel kleinere Größtwerte der Turmbie-
gemomente liefern als die für den
Tragsicherheitsnachweis maßgeben-
den. Für den vergleichenden Charak-
ter der nachfolgenden Parameterstu-
die ist das aber belanglos.
3.3.2 Ermüdungsschädigungssummen
In Tabelle 3 sind auszugsweise Ermü-
dungsschädigungssummen S wieder-

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a)
Bild 8. Bestimmung der Schraubenspannungsschwingbreiten ∆σS bei a) vorgege-
bener Rainflow-Matrix der Turmbiegemomente MR und b) vorgegebener Schrau-
benspannungsfunktion
Fig. 8. Determination of stress ranges ∆σS with (a) given rainflow matrix of the
tubular bending moments and (b) given bolt stress function
gegeben, die allein auf der Schrauben-
axialkraftspannung σSm beruhen. Dies
ist eines der beiden in [16] erlaubten
Nachweisformate (vgl. auch [10]). Es
wurde die Rainflow-Matrix der Bin-
nenland-WEA zugrundegelegt, und
die Schädigungssummen wurden mit
Hilfe der linearen Schadensakkumu-
lationshypothese („Palmgren/Miner-
Regel“) und des Kerbfalles KF36*
nach Eurocode ermittelt. Ein Schädi-
gungswert S = 1,0 bedeutet, daß rech-
nerisch die Entwurfslebensdauer ge-
nau erreicht wird. Ist die Schädigung
S > 1,0, wird bereits früher ein Ermü-
dungsbruch der Schraube prognosti-
ziert (Beispiel: S = 2 → Lebensdauer
10 Jahre). Die Arbeit [14] enthält ana-
loge Ergebnisse auf der Grundlage
der Schraubenrandspannung σSm +
σSb, ausgewertet mit dem günstigeren
Kerbfall KF50* nach Eurocode; die
Erkenntnisse sind qualitativ ähnlich.
Zum Vergleich enthält Tabelle 3
auch Schädigungssummen, die mit den
Schraubenkraftfunktionen vereinfach-
ter elastostatischer Berechnungsmo-
delle [1], [2], [3], [6] anstelle der FE-ba-
sierten Schraubenkraftfunktionen be-
rechnet wurden.
Folgende Erkenntnisse lassen sich
aus den berechneten Schädigungssum-
men (einschließlich der hier nicht wie-
dergegebenen in [13] und [14]) für L-
Flanschstöße mit rohrseitigen Klaffun-
gen über Umfangsteilbereiche ablesen:
(a) Am perfekten FE-Modell berech-
nete Schraubenbeanspruchungsfunk-
tionen liefern zahlenmäßig sehr geringe
Schädigungssummen (Tabelle
Zeile 1). Würde also ein Tragwerkspla-
ner mit einem solchen Modell den Er-
b)
müdungssicherheitsnachweis führen,
so gewänne er den völlig falschen Ein-
druck, sein Ringflanschstoß habe kein-
erlei Schraubenermüdungsprobleme.
(b) Am imperfekten FE-Modell be-
rechnete Schraubenbeanspruchungs-
funktionen liefern wegen ihrer grö-
ßeren Anfangssteilheit bereits bei
kleinen Klaffungen Schädigungssum-
men, die zum Teil weit über S = 1 lie-
gen, so daß sich der Ermüdungs-
sicherheitsnachweis formal – wenn
man die genannten konservativen
Elemente der hier gewählten Vorge-
hensweise einmal außer acht läßt –
nicht führen ließe (Tabelle 3, Zeilen 2
bis 4). Das gilt selbst für die Variante
RF2b mit der voll ausgenutzten Beul-
beanspruchbarkeit der Rohrwandung
(vgl. RF2 und RF2b in Tabelle 3).
(c) Das absolute Klaffungsmaß kR ist
einer der beiden Haupteinflußpara-
meter. Sein Einfluß auf die Ermü-
dungsschädigung der Schrauben ist
Tabelle 3. Berechnete Schädigungssummen S der Schraubenaxialkraftspannungen
σSm für die Schrauben der L-Flanschstöße RF1 bis RF3
Table 3. Calculated cumulative damage values S based on the axial bolt stresses
σSm for the bolts of the L-flange connections RF1 to RF3
Schraubenbean- RF1
spruchungsfunktion
FE-0 mm 0,03
FE-1 mm/60° 8,17
FE-2 mm/60° 69,50
FE-2 mm/90° 14,96
Petersen [1] 3,98
Schmidt/Neuper [2] 0,92
3,
VDI-Ri2230 [3] 0,17
Seidel [4] 0,94
Fachthemen
hochgradig überproportional (vgl.
1 mm/60° und 2 mm/60° in Tabelle 3).
(d) Die Erstreckungslänge der Klaf-
fung in Umfangsrichtung, d. h. die
Länge des klaffenden Umfangsteil-
bereiches, ist der zweite Hauptein-
flußparameter (vgl. 2 mm/60° und
2 mm/90° in Tabelle 3). Je kurzwelli-
ger die rohrseitige Klaffung, desto
höher die Ermüdungsbeanspruchung
der Schrauben. Langwellige Klaffun-
gen werden bereits bei vergleichsweise
niedrigen Vorspanngraden kompen-
siert (geschlossen) und erhöhen des-
halb die Ermüdungsbeanspruchung
der Schrauben nur mäßig.
(e) Von den vier betrachteten verein-
fachten Berechnungsmodellen deckt
nur das einfachste nach Petersen [1]
moderate Imperfektionen implizit ab.
Das hängt mit der Anfangssteigung der
bilinear approximierten Schrauben-
kraftfunktion zusammen. Die trili-
neare Funktion nach Schmidt/Neuper
[2] deckt wegen ihrer geringeren An-
fangssteigung nur geringe Imperfektio-
nen implizit ab, die beiden Modelle
nach VDI-Ri2230 [3] und nach Seidel
[6] dagegen gar keine. Letzteres liegt
daran, daß diese Modelle sehr genau
das Tragverhalten der perfekten
Flanschverbindung approximieren.
Abschließend sei darauf hingewiesen,
daß rotationssymmetrische Winkel-
imperfektionen von L-Flanschstößen
in dieser Parameterstudie bewußt nicht
untersucht wurden. Die Ergebnisse in
[11], [13] haben gezeigt, daß deren er-
müdungsrelevanter Einfluß im Gegen-
satz zu den hier untersuchten Teilbe-
reichsklaffungen deutlich geringer ist
(bei rohrseitiger Winkelklaffung) bzw.
RF2 RF3
(RF2b)
0,01 0,02
4,12 1,81
39,31 31,29
7,62 (1,40) 3,31
2,80 2,72
0,67 0,65
0,04 0,02
0,03 0,05
Stahlbau 73 (2004), Heft 7 523
Fachthemen
A. Jakubowski/H. Schmidt · Numerische Untersuchungen zur Ermüdungsbeanspruchung vorgespannter Ringflanschstöße mit Imperfektionen
näherungsweise gar nicht vorhanden
ist (bei flanschseitiger Winkelklaffung).
4 Zusammenfassung und Ausblick
In den in [11] beschriebenen experi-
mentellen Untersuchungen und den
im vorliegenden Beitrag beschriebe-
nen ergänzenden numerischen Unter-
suchungen – beide an kompletten
Ringflanschstößen (statt der üblichen
Flanschsegmente) – konnte gezeigt
werden, daß Imperfektionen in Form
von Flanschklaffungen einen erhebli-
chen Einfluß auf die ermüdungsrele-
vanten Schraubenspannungen in der
vorgespannten Verbindung haben. Die
von Schaumann/Seidel [10] vertre-
tene Auffassung, daß die Imperfektio-
nen bei Bemessung und Konstruktion
von Ringflanschstößen beachtet wer-
den müssen, wird deshalb von den
Verfassern mit Nachdruck unterstützt.
Für WEA-Rohrtürme wurden als Kon-
sequenz in der neuesten Fassung der
DIBt-Richtlinie für WEA [16] entspre-
chende Regelungen eingeführt.
Aus den Ergebnissen lassen sich
die unterschiedlichen Klaffungsfor-
men nach ihrem Einfluß auf die
Schraubenermüdung wie folgt quali-
tativ differenzieren: Flanschseitige
Klaffungen haben keinen negativen
Einfluß. Klaffungen im Bereich der
Turmwand (rohrseitige Klaffungen)
haben dagegen einen deutlichen ne-
gativen Einfluß, insbesondere dann,
wenn sie sich nur über einen Teil des
Umfangs erstrecken. Bei gleichem
Klaffungsmaß wird dieser negative
Einfluß umso größer, je kürzer die
Klaffung in Umfangsrichtung ist. Die
strukturmechanische Ursache dafür
liegt in der Membransteifigkeit der
Rohrschale, gegen deren Widerstand
die Klaffung beim Vorspannen der
Schrauben zusammengezogen wird.
Mit diesen Essener Ergebnissen,
zusammen mit den jüngsten For-
schungsergebnissen aus Hannover [6],
[9], ist nunmehr ein befriedigender
Kenntnisstand über die Ermüdungsbe-
anspruchung der Schrauben in vorge-
spannten Ringflanschverbindungen er-
reicht. Er schließt in gewisser Weise
eine Entwicklung ab, welche Anfang
der 90er Jahre mit den grundlegenden
Überlegungen von Petersen [7] begon-
nen hat. Leider hat es sich als unmög-
lich herausgestellt, allgemeingültige to-
524 Stahlbau 73 (2004), Heft 7
lerierbare Flanschklaffungen zahlen-
mäßig so festzulegen, daß bei deren
Einhaltung die Ermüdungssicherheit
der Schrauben grundsätzlich wie für
eine perfekte Verbindung nachgewie-
sen werden dürfte. Dazu ist die beim
Vorspannen sich einstellende Kontakt-
situation in zu komplexer Weise abhän-
gig vom Verformungsverhalten der aus
Rohrschale und angeschweißten Ring-
flanschen bestehenden Struktur und
von den Ausgangsklaffungen zwischen
den beiden Flanschen. Es ist daher die
Aufgabe der Turm- oder Schornstein-
hersteller, für ihre konkrete Konstruk-
tion ein in sich schlüssiges System aus
Toleranzvorgaben für die Fertigung ei-
nerseits und in die Ermüdungsbemes-
sung eingebauten Ersatzimperfektio-
nen andererseits zu schaffen.
Dazu ist es erforderlich, die imper-
fekte Flanschverbindung zu berechnen.
Eine exakte FE-Modellierung des kom-
pletten imperfekten Stoßes mit der er-
forderlichen Diskretisierungsschärfe,
wie hier durchgeführt, wird für bau-
praktische Berechnungen wohl die
Ausnahme bleiben. Daher besteht in
der Praxis ein erhöhter Bedarf für ver-
einfachte Berechnungsverfahren, die
den negativen Einfluß der Flanschim-
perfektionen auf die Ermüdungsbean-
spruchung der Schrauben näherungs-
weise erfassen. Zwei vom Erstverfasser
in [14] entwickelte Verfahren sollen in
einem weiteren Beitrag in dieser Zeit-
schrift vorgestellt werden, zusammen
mit Überlegungen, wie die neuen Rege-
lungen der DIBt-Richtlinie [16] prak-
tisch umgesetzt werden können.
Literatur
[1] Petersen, C.: Stahlbau. Braunschweig:
Vieweg-Verlag 1997.
[2] Schmidt, H., Neuper, M.: Zum elasto-
statischen Tragverhalten exzentrisch
gezogener L-Stöße mit vorgespannten
Schrauben. Stahlbau 66 (1997), H. 3,
S. 163–168.
[3] Richtlinie VDI 2230 Blatt 1, Entwurf
1998: Systematische Berechnung hoch-
beanspruchter Schraubenverbindun-
gen – Zylindrische Einschraubenver-
bindungen. Verein Deutscher Ingeni-
eure, Düsseldorf 1998.
[4] Petersen, C.: Nachweis der Betriebs-
festigkeit exzentrisch beanspruchter
Ringflanschverbindungen. Stahlbau 67
(1998), H. 3, S. 191–203.
[5] Lehmann, D.: Systematisierung der
Flanschberechnung mit Hilfe von Stab-
systemen. Stahlbau 70 (2001), H. 2,
S. 85–99.
[6] Seidel, M.: Zur Bemessung geschraub-
ter Ringflanschverbindungen von Win-
denergieanlagen. Dissertation Univer-
sität Hannover, 2001.
[7] Petersen, C.: Tragfähigkeit imperfek-
tionsbehafteter geschraubter Ring-
flanschverbindungen. Stahlbau 59
(1990), H. 4, S. 97–104.
[8] Schmidt, H., Winterstetter, T. A., Kra-
mer, M.: Nonlinear elastic behaviour of
imperfect, eccentrically tensioned L-
flange ring joints with prestressed bolts
as basis for the fatigue design. Proceed-
ings of the european conference on com-
putational mechanics, München, 1999.
[9] Schaumann, P., Seidel, M.: Ermü-
dung von Ringflanschverbindungen.
Abschlussbericht, Forschungskurato-
rium Maschinenbau, H. 268 (2002).
[10] Schaumann, P., Seidel, M.: Er-
müdungsbeanspruchung geschraubter
Ringflanschverbindungen bei Winden-
ergieanlagen. Stahlbau 71 (2002), H. 3,
S. 204–211.
[11] Jakubowski, A., Schmidt, H.: Experi-
mentelle Untersuchungen an imperfek-
ten vorgespannten geschraubten Ring-
flanschstößen unter Rohrbiegebelastung.
Forschungsbericht Fachbereich Bauwe-
sen, Universität Essen, H. 95, 2002.
[12] Jakubowski, A., Schmidt, H.: Expe-
rimentelle Untersuchungen an vorge-
spannten Ringflanschstößen mit Im-
perfektionen. Stahlbau 72 (2003), H. 3.
S. 188–196.
[13] Schmidt, H., Jakubowski, A.: Ermü-
dungssicherheit imperfekter vorge-
spannter Ringflanschstöße in windbe-
anspruchten turmartigen Stahlbauten.
Abschlussbericht, DIBt-Gesch.Z. IV
12-5-16.104-912/99, Universität Essen,
Dezember 2001.
[14] Jakubowski, A.: Ermüdungssichere
Bemessung geschraubter Ringflansch-
stöße in turmartigen Stahlbauten unter
besonderer Berücksichtigung von
Flanschimperfektionen. Dissertation
Universität Essen, 2003.
[15] Lange, H.: Ermüdungsbeanspruchung
stählerner Rohrtürme von Wind-
energieanlagen an Binnenlandstandor-
ten. Dissertation Universität Essen, 2001.
[16] Richtlinie für Windenergieanlagen –
Einwirkungen und Standsicherheits-
nachweise für Turm und Gründung,
Fassung März 2004. Deutsches Institut
für Bautechnik (DIBt), Schriftenreihe
B, Heft 8, Berlin 2004.
Autoren dieses Beitrages:
Dr.-Ing. Alexander Jakubowski, Nordex Energy
GmbH, Bornbarch 2, 22848 Norderstedt, Prof.
Dr.-Ing. Herbert Schmidt, Prof. Schmidt und Part-
ner (PSP), Kruppstraße 82–100, 45145 Essen