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J i r r/

Das Ich und die Dirige Cf'T *Z J Frankfurfidef ^vorsteht, erworben


hat »KongenW_^t diese Fotografie,
Kommentare zu einem philosophischen weil sie mit fotografischen Mitteln die
Text von Anna und Bemhard Blume Erfahrungen von Raum, Zeit, Gegenstand
in Form inszenierter Fotografien. und Malerei kontrolliert in die obsessive
Dimension psychokinetischer Irratio-
Anna und Bemhard Blume nalitât überführt«’
sind keine gewôhnlichen Künstler,
sondem Philosophen-Künstler. Ihr Werk
entspringt nicht allein der Anschauung,
sondem auch der Arbeit am Begriff.
Sie haben Zeichnung und Fotografie als
bevorzugte Medien der Darstellung
gewâhlt, weil beide ihrer Immaterialitât
wegen ideale Medien sind, um die Bewe-
gung des Denkens zu veranschaulichen,
und um die Dynamik der Begriffe in
Szene zu setzen. Durch die fotografische
Inszenierung wirkt real, was visualisiert
wird, das Abstrakte, und wird visuell,
was unsichtbar ist, die Ideen.
Was sagen uns Anna und Bemhard
Blume, indem sie uns Fotografien zeigen.
Sie sagen uns etwas, das offenbar nur
im Zeigen zum Sprechen gebracht
werden kann. Eine Rede, ihre Bilder,
steht für eine andere Rede, die Sprache.
Mir bleibt daher nichts anderes übrig,
als die eine Rede in die andere zu über-
t
setzen, die Bildersprache der Blumes
in die Sprache der Schrift
Ich versuche also zu beschreiben, was
mein Gehim, das ja nicht so verschieden
von anderen ist, denkt, wenn es die Bilder
der Blumes sieht Ich denke, dies wird
einerseits nicht allzu unâhnlich dem
sein, was die Blumes dachten, als sie
die Bilder erzeugten, andererseits weit
gefehlt sein. Denn wir stehen zwar aile
drei im gleichen kulturellen Kontext,
beladen von der gleichen Geschichtlich-
keit des Sozialen und der gleichen
Begriffsgeschichte, sind aber dennoch
als Individuen ursâchlich und per defini-
tionem zur Differenz verdammt
Ich ziehe es daher vor, als vorlâufige,
hinreichende, aber nicht ausreichende,
hinweisende und nicht ausweichende
Annâherung über eine Begriffs­
geschichte die Bedeutung dieser Bilder zu
begründen bzw. diesen Bildern (m)eine
Bedeutung zu geben. Bei der begriffs-
geschichtlichen Konstruktion der
Bedeutung dieser fotografischen
Bildnisse folge ich teilweise einer Spur,
die Jean-Christophe Ammann
selbst vorgelegt hat, der dieses vielteilige,
monumentale fotografische Werk
für das Muséum für Moderne Kunst in
* (o û ^ e . Vc - é z K - h t 5Cv - c/J-g’çyc^.
Die Débatte um die Dinge '

Am Anfang waren die Dinge. Nicht die


C S t
Einzahl, das Ding (ressens), sondem die
Mehrzahl, die Dinge. Nach dieser
Entdeckung kamen die Zahlen und
Zeichen, das Wort
A
Die Frage war nur, wer entdeckte
»das«, wer sah (die Dinge), wer sprach In der Tat zeigt das erste Foto der 28-teiligen Sequenz
(die Worte). Aile wichtigen Fragen Dinge. Die Foto-Serie beginnt mit Dingen, mit dem Bild
der Philosophie und der Kunst haben zweier Vasen, die im Raume zu schweben scheinen, jen-
sich daran entzündet. ■: 8
Was der Mensch sei, wie die Welt sei.
seits der Schwerkraft, gezeichnet von einer Ambivalenz:
Die Bestimmung des Menschen, der End- fliegen sie alleine oder werden sie geworfen, schweben sie ;......
zweck der Geschichte, der Sinn des Lebens. kraft ihrer selbst und verstofèen sie gegen das Gravita-
Was die Natur aus dem Menschen macht
tionsgesetz, d. h., sind sie »überirdische Dinge«, oder sind
Was der Mensch aus der Natur macht
Was Form ist, was Materie ist Wie sie geworfen von einer fremden, anderen Kraft, die im-BIld"
Freiheit und Knechtschaft Bewufitsein und nicht anwesend ist, d. h., sind sie in Form und Funktion
Denken, wie Wirklichkeit und Wunsch, wie Produkte des Menschen? Die anwesenden zwei Vasen be-
Erfahrung und Erkenntnis môglich sind.
krâftigen durch ihre Doppelstruktur die binàre Deutung
An den Dingen reibt sich der Mensch. Er
betrachtet sie, er reflektiert sie, er beobach- der Ambivalenz. Die Dinge sind - aber wie sind sie ins
tet sie, er produziert sie, er konsumiert sie, Sein gelangt, in den sozialen Raum, wer hat sie erzeugt?
er begehrt sie, er verflucht sie. Der Zusam-
menhangvon Ich und Gegenstandswelt,
B
von Subjekt und Objekt als Folie der
Erfahrung und der Erkenntnis, als Schnitt- Erst im zweiten Foto tritt ein Mensch auf, das Subjekt, das
stelle von Mensch und Welt ist in der Ich, dargestellt von Bem hard Blume selbst. Ist er der Er-
Philosophie so traditionsreich und funda- zeuger der Dinge? Derjenige, der sie wirft? Handelt es sich
mental wie in der Kunst
um Selbstdarstellung, und haben wir es gleichzeitig mit
Sie meinen zu wissen, wer Sie sind? Sie einem Statthalter anderer Selbst zu tun, mit Ichdarstellung
sind gewiÊ, zu wissen, was ein Ding ist? und Fremddarstellung? Ein leeres Ich, eine Variable, eine
Sie wissen zum Beispiel genau, was das
Substitution des Selbst? Schon gibt es eine zweite Ambiva­
hier ist? Eine Seite Papier, sagen Sie.
»Sie meinen dieses Stück Papier, worauf lenz, ein Schwanken, reprâsentiert durch das Bild selbst
ich dies schreibe oder vielmehr geschrie- Es wird allenfalls je n e Beziehung statuiert, die im Titel
ben habe; aber was sie meinen, sagen sie zum Ausdmck kommt, das Ich und seine Beziehung zu
nicht Wenn sie wirklich dieses Stück
den Dingen. Die Dinge umgeben und umkreisen offen-
Papier, das sie meinen, sagen wollten,
und sie wollten sagen, so ist dies unmôg- sichtlich dieses Ich, das etwas verângstigt dazustehen
lich, weil das sinnliche Diese, das gemeint scheint. Sie schliefêen das Ich ein, bedrohen es. Sie werfen
wird, der Sprache, die dem Bewufitsein, im folgenden Bild »falsche« Schatten. Die »Unmittelbar-
dem an sich Allgemeinen angehôrt, uner-
keit« und »sinnliche Gewifêheit« der Dinge wird durch die
reichbar ist. .. daher, was das Unaus-
sprechliche genanntwird, nichts anderes ist fotografische Unschârfe in Frage gestellt. Die Ruhe ist
als das Unwahre, Unvemünftige, bloS scheinbar, ailes ist in Bewegung, verândertsich, die Dinge
Gemeinte.« und das Ich. Nichts bleibt bestehen oder bleibt. Das ist die
Dies sagt Hegel 1807 in der «Phénomé­
nologie des Geistes«.2 Die Wahrheit wird
also aus dem Gegenstand vertrieben
und das Ich zurückgedrângl Weil die
Sprache der symbolischen Ordnung
angehôrt, »dem Allgemeinen, dem
BewuStsein«, kann das Ich als Subjekt
des BewuStseins, als Cogito, als sprechen-
des, denkendes Wesen, nur durch
Sprache konstituiert werden. 9
r
Nur in der S^^/te existiert das Wahre
und die VemtmfL Die sinnliche Erfahrung
ist aber für die Sprache unerreichbar.
Hier ist also die Spaltung des Subjekts als
Konstitution des Subjekts, die Spaltung
zwischen Ich und Ding durch die Sprache,
von der Lacan spàter ausgehen wird,
schon angeführt
Lehre des relativen Subjekts: Nichts ist an seinem Ort. Der »Die sinnliche Gewifiheit erfâhrt also,
Mensch ist nicht Herr in seinem Haus. Nichts war und daB ihr Wesen weder in dem Gegenstânde
nichts wird an seinem Ort sein. noch in dem Ich und die Unmittelbarkeit
weder eine Unmittelbarkeit des einen
noch des anderen ist; denn an beiden ist
C das, was Ich meine, vielmehr ein Unwe-
Das Hier und Jetzt, die allgemeinen Kategorien von Raum sentliches, und der Gegenstand und Ich
sind Allgemeine, in welchem dasjenige
und Zeit, werden durch eine W ohnung dargestellt, durch
Jetzt und Hier und Ich, das ich meine,
Zimmer. Die auf die ersten zwei folgenden fünf Fotogra- nicht bestehen bleibt oder ist«, sagt Hegel
fien der oberen Reihe zeigen uns ein kleinbürgerliches In­ weiter.3 Hegel verknüpft hier nicht nur
térieur, aber nichtsdestotrotz eine moderne Wohnung. in relativierender Weise Gegenstand und
Ich, sondem er beschreibt die Sphère
Denn die moderne Wohnung ist Ieer, kahl, unbeseelt. Die
der Gegenstânde auch mit Jetzt und Hier,
Gegenstânde der Wohnung, die Einrichtung, erscheinen also mit den Kategorien Zeit und Raum,
durch die kinetisch-fotografische Abstraktion dürftig. Die wo das Ich sich unweigerlich verândert.
ganze Wohnung erfriert in einem Kalkûl des Mangels, ei-
Es war Kant, der in der »Kritik der reinen
nes Mangels, den wir spàter als Geburtshelfer des Begeh- Vemunft« (1781) Zeit und Raum als
rens kennenlem en werden. Dieses Intérieur verkôrpert die zwei fundamentalen Bedingungen ail
ein kahles Ding an sich, ein Zimm er an sich. Die Leere des unserer Erfahrungen angegeben hat
Intérieurs, dieser Nullpunkt an Wohnung, ist aber in sei- Allerdings sind Raum und Zeit nicht
etwas, was für sich selbst bestünde, oder
ner Abstraktion notwendig, um die Einheitlichkeit der den Dingen als objektive Bestimmungen
Normen des sozialen Spiels zu verdeutlichen, dem das anhàngen würde, mithin von dem
Subjekt dieser Wohnung gehorcht. Im leeren Kubus als Subjekt subtrahierbar wâre.4
»Die Zeit ist die formale Bedingung a
Zimmer wird offenbar, daB die Kommunikation ver-
priori aller Erscheinungen überhaupt Der
schwindet, daB das bloB syntagmatische Kalkül die eigent- Raum, als die reine Form aller âuSeren
liche Gespràchsform des m odem en Bewohners geworden Anschauung ist als Bedingung a priori
ist. Hier braucht man keinen Fem seher (zu sehen), weil bloB auf âuBere Erscheinungen einge-
schrânkt. .. so ist die Zeit eine Bedingung
dieser Mensch hat sich schon entfemt.
a priori von aller Erscheinung überhaupt,
und zwar die unmittelbare Bedingung der
innem (unserer Seelen) und eben dadurch
mittelbar auch der âuBem Erscheinun­
gen. Wenn ich a priori sagen kann: aile
âufieren Erscheinungen sind im Raume,
und nach den Verhâltnissen des Raumes
a priori bestimmt so kann ich aus dem
Prinzip des innem Sinnes ganz allge-
mein sagen: aile Erscheinungen über­
haupt, d. i. aile Gegenstânde der Sinne,
sind in der Zeit und stehen notwendiger
Weise in Verhâltnissen der Zeit«5

10
"“ “ " O
Der Ding-Begriff entsteht formai aus der
synthetischen Tâtigkeit des Denkens, wel-
che den Erfahrungsinhalt formL Die Dinge
sind also transsubjektiv, eine Art Gegen-
Ich. Sie entziehen sich uns, indem wir sie
D nur auf die Art und Weise kennen, wie wir
Die Zeit bestimmt die Bedingungen der Seele und Dinge. sie wahmehmen und erkennen. Wie die
Aile Gegenstânde und Subjekte sind von der Zeit abhân- Gegenstânde an sich selbst sein môgen,
entzieht sich unserer Erkenntnis. Die
gig, durchflutet, verwaltet, verformt. Der psychokinetische
Geburt des berühmten Begriffs des »Ding
Ansatz in den Fotografien der Blumes, das In-beschleu- an sich« entsteht bei Kant als logische
nigte-Bewegung-Setzen, sowohl der Dinge als auch des Folge seiner Auffassung des Zusammen-
Subjekts, dieses Verschwinden der Dinge und des Ichs in spiels von erkennendem Subjekt und
Wirklichkeit.
der rasanten Kinetik der Kam era - es entstammt diesem
»Wir haben also sagen wollen: daE aile
Gesetz der Zeit, das für aile Gegenstânde der Sinne, für die unsere Anschauung nichts als die Vor-
inneren wie àuBeren Erscheinungen, für die Seelen wie stellungvon Erscheinung sei; dafi die
für die Leiber seine Geltung hat. Ailes leidet unter der Zeit, Dinge, die wir anschauen, nicht das an
sich selbst sind, wofür wir sie anschauen,
das Wirkliche, das Wahre, das Psychische, das Imaginàre.
noch ihre Verhâltnisse so an sich selbst
Insofem sind die Fotografien nur fotokinetische Verfor- beschaffen sind, als sie uns erscheinen,
mungen des Kantschen Idealismus. Das Irrationale, das und daE, wenn wir unser Subjekt oder auch
die Blumes selbst, wie auch einige ihrer Kommentatoren, nur die subjektive Beschaffenheit der
Sinne überhaupt aufheben, aile die
gelegentlich beanspruchen, sehe ich nicht, hôchstens als Beschaffenheit, aile Verhâltnisse der
Widerstand gegen einen naiven Rationalismus und Realis- Objekte im Raum und Zeit, ja selbst Raum
mus. und Zeit verschwinden würden, und als
Erscheinungen nicht an sich selbst, son­
dera nur in uns existieren kônnen. Was es
für eine Bewandtnis mit den Gegenstânden
an sich und abgesondert von aller dieser
Rezeptivitât unserer Sinnlichkeit
haben môge, bleibt uns gânzlich unbe-
kannt Wir kennen nichts, als unsere
Art sie wahrzunehmen, die uns
eigentümlich ist, die auch nicht notwendig
jedem Wesen, ob zwar jedem Menschen,
zukommen muÊ. . . was die Gegenstânde
an sich selbst sein môgen, würde uns durch
die aufgeklârteste Erkenntnis der Erschei­
nung derselben, die uns allein gegeben
ist, doch niemals bekannt werden.«5

12
(

13
i

14
Das Ding an sich existiert un; \igig vom
erkennenden Subjekt. Die Wmaichkeit ist
auÊerhalb des erkennenden BewuStseins,
nicht in die Form desselben gekleidet
Das Ding an sich ist nicht selbst Objekt der
Erkenntnis, sondem der postulierte trans-
subjektive, »transzendente« Grund allen
Seins, der aus dem reinen Bewufitsein E
nicht ableitbar ist Dieser transzendentale Grand des Seins, auf die Wohnung
Diese absolute Wirklichkeit ist nicht (als Index der Erde) projiziert, ist aber schwankend. Wie
nur metaphysisch denkbar, sondem muÊ
schon gesagt, nichts ist an seinem Ort. Auf dem fünften
von Kant in logischer-Konseçjuenz der
angewendeten Begriffsapparatur auch Foto der oberen Reihe ist der Teppich nicht am Boden,
gedacht werden, um den Schwierigkeiten sondem an der Wand. Die Wânde und Môbel scheinen
der eigenen Erkenntnistheorie abzuhel- überall zu kippen. Die Schrâge dominiert. Nicht nur die
fen, die zwischen reiner Anschauung
Objekte, auch die Wânde fliegen und fliehen. Aile Erschei-
a priori und empirischer Anschauung
unterscheidet Diese Schvrierigkeiten nungen entziehen sich dem Su bjek t Aile Dinge, ja selbst
gipfeln im berühmten »BeschluS der Raum und Zeit scheinen zu verschwinden. Das Ich findet
transzendentalen Âsthetik«: keinen Hait Das Ich kann sich genausowenig an die Dinge
»Hier haben wir nun eines von den
heften wie Raum und Z eit Im Chaos, im Sturz der Dinge,
erforderlichen Stücken zur Auflôsung der
allgemeinen Aufgabe der Transzendental- beginnt das Ich zu verstehen, date ihm das Absolute, das a
philosophie: wie sind synthetische Sâtze priori, die reinen Formen nicht gegeben sind.
a priori môglich? nâmlich reine Anschau- Dennoch schim mert Transzendenz durch diese Foto-
ungen a priori, Raum und Zeit, in welchen
wir, wenn wir im Urteile a priori über den
grafien, auch wenn es «Transzendenz in der Immanenz«
gegebenen Begriff hinausgehen wollen, (Husserl) is t Die transzendentale Sehnsucht, die sich in
dasjenige antreffen, was nicht im Begriffe, diesen Bildem ausdrûckt, geht eben gerade von dieser
wohl aber in der Anschauung, die ihm
Erfahrung der Grenze aus, von der Erfahrung der Beweg-
entspricht, a priori entdeckt werden
und mit jenem synthetisch verbunden lichkeit im Raum und der Verânderlichkeit in der Z e it Die
werden kann, welche Urteile aber aus Abstraktion in diesen Fotografien berîchtet von der
diesem Grunde nie weiter, als auf Gegen- schmerzhaften Erfahrung der Grenze empirischer An­
stânde der Sinne reichen, und nur fur
schauung des realen Ichs, aber gleichzeitig auch von dem
Objekte môglicher Erfahrung gelten
kônnen.«7 Begehren des Ich-Ideals, des imaginâren Ichs, die Gren-
zen der Sinne, der Wahmehmung, des Denkens, der Lust,
des Raums und der Zeit zu überschreiten. Gerade diese
transzendentale Sehnsucht nach einem Ich und einer Exi-
stenz jenseits der »Bedingungen der Sinnlichkeit«, die
durch Bilder der Dinge jenseits der Schwerkraft arükuliert
wird, gehôrt zum W esen des Subjekts. Zum Subjekt gehôrt
strakturell und konstitutiv je n e Transzendenz, jen er Im-
puls .der Transgression, der die Grenzen der menschlichen
Erkenntnis und Erfahrung nicht an (Form en der) Gegen-
stânde binden môchte. Insofem haben wir es hier mit ei­
ner transzendentalen Àsthetik zu tun. •
T ran szen d ef^ ") À s th e tik

Weil im Raum, an sich selbst betrachtet,


nichts Bewegliches ist, sondem nur im
Raum durch Erfahrung gefunden wird, und
weil die Zeit selbst sich nicht verândert,
sondem nur etwas, das in der Zeit ist, kann
F eine transzendentale Àsthetik eigentlich
Den Bereich der Objekte m ôglicher Erfahrung auszudeh- nur Raum und Zeit selbst als Abstraktion
nen, ja sogar über die gegebenen Begriffe selbst hinausge- enthalten.
Die transzendentale Àsthetik strebt also
hen zu wollen, obwohl dies a priori unmôglich ist, war si-
nach etwas, »was den Dingen an sich selbst
cherlich ein fundamentaler Impuls für die abstrakte Kunst zum Grande liegt«8 Sie strebt nach der
der Jahrhundertwende, welche in der Ungegenstândlich- Idealitât von Raum und Zeit. Transzenden­
keit je n e Abstraktion von Raum und Zeit herstellen wollte, tale Àsthetik will die Beschaffenheitunserer
Sinnlichkeit übersteigen, die Dinge
die von der transzendentalen Àsthetik gefordert wird. Die
gleichsam nur durch die Vemunft an sich
Dinge gleichsam nur durch die Vem unft und a priori er- erwâgen.
scheinen zu lassen, indem sie »das Geistige in der Kunst« Die Gefahr dabei ist, daE Erfahrungs-
(Kandinsky) betonte, forderte eine naive Spiritualitât die inhalte nicht nur negiert werden, dafi
nach ihnen nicht einmal gefragt wird,
gegenstandslose Welt des »Suprematismus als reine Er-
ja daE die transzendentale Sehnsucht des
kenntnis« (Malewitsch). Die Ungegenstândlichkeit ver- Menschen die konkrete »Bedingung
kannte, dafè die Vem einung des Gegenstands auch Néga­ der Môglichkeit aller Erfahrung weg-
tion der Erfahrung bedeuten kann, daS reine Formen und lassen« will.9
Die Erscheinung der Dinge ist also
reine Farben noch nicht die reine Anschauung a priori kritisch zu betrachten, da sie stets anders
darstellen, sondem erst recht zu primitiven, empirischen, erscheinen kônnen. Um die Erscheinun-
wahmehmungsphysiologischen, sinnlich-oberflâchlichen gen zu erretten, bedarf es eines transzen­
Formen degenerieren kônnen. Die Frage nach dem Gei- dentalen Begriffs der Erscheinungen, der
eine »kritische Erinnerang« daran ist,
stigen in der Kunst ist daher ebenso paradox wie die »dafi überhaupt nichts, was im Raume
Frage: »Sind synthetische Sâtze a priori môglich?« Das angeschautwird, eine Sache an sich,
Reine, das Abstrakte, das Absolute, das Geistige ist nicht noch daE der Raum eine Form der Dinge
sei, die ihnen etwa an sich selbst eigen
eigentlich darstellbar. »Die Frage nach dem Undarstellba-
wâre, sondem daE uns die Gegenstânde an
ren«, sagt daher J. F. Lyotard zu Recht, » ... ist in m einen sich gar nicht bekannt sein, und, was wi'r
A ugen. . . die einzige, die im kommenden Jahrhundert âuSere Gegenstânde nennen, nichts
den Einsatz von Leben und Denken Iohnt.« Malewitsch anders als bloËe Vorstellungen unserer
Sinnlichkeit sein, deren Form der Raum
schreibt: » ... in der Natur gibt es nichts Idéales, es sei denn
ist, deren wahres Correlatum aber,
in der Gegenstandslosigkeit.« Denn der ideale Gegen- d. i. das Ding an sich selbst, dadurch
stand bleibt eine flüchtige Erscheinung: »ewig entgleitend, gar nicht erkannt wird, noch erkannt
niemals greifbar, niemals physisch beherrschbar. Trotz- werden kann, nach welchem aber auch in
der Erfahrung niemals gefragt wird.«10
dem versucht der Idealist immer wieder das Gegenstands­
lose gegenstàndlich zu machen.« (Malewitsch) Doch sagt Das absolute Ich, das Ding und
man sich los »von der Sklaverei der Dinge« (Sklovskij), das Unbedingte
nur weil man sie aussperrt? Der abstrakte Maler wird erst
Das Unerkennbare (das UnbewuEte), das
Unerreichbare, das Absolute, das Unend-
liche als das Unbedingte sind die verdeck-
ten Signifikate, die sozusagen als Topoi der
Zeit neu auftauchen, wenn vom absoluten
Ich und vom Ding an sich als Signifikanten
die Rede isl
F. W. J. Schelling schreibt in »Vom Ich als
Prinzip der Philosophie oder über das Un­
16 bedingte im menschlichen Wissen« (1795):
17
»Eben des-''' Nn, weil das Subjekt nur
im Bezug a u A ^ û b je k t das Objekt nur
in Bezug auf ein Subjekt denkbar ist kann
keiner von beiden das Unbedingte ent-
halten; denn beide sind wechselseitig
durcheinander bedingt beide einander
gleich gesetzt«n
Das Objekt setzt sich seine Realitât nie-
recht zum Sklaven der Formen und Farben. Er unterstellt mals selbst denn »es ist nur insofem Ob­
sich ihnen. Er gehorcht ihren Gesetzen, je m ehr er sie aus- jekt als ihm seine Realitât durch etwas
arbeitet. Er gibt ihnen die Einheit und Reinheit als Tâu- anderes bestimmt ist ja insofem es Objekt
ist setzt es nothwendig etwas voraus, in
schung, weil das Subjekt sie verloren h a t Erst im symboli- Bezug auf welches es Objekt ist d. h. ein
schen Tod stirbt der Vater real. Gegenstandslos heilât noch Subjekt«12 Hegels Knecht-Herr Dialektik
nicht, den Gegenstand wirklich los zu sein. »Der Künstier und Lacans Dialektik des Begehrens, die
wir noch genauer besprechen werden,
ist immer ein Anstifter zum Aufstand der Dinge«, sagt
nâmlich die Selbstbestimmung durch den
Sklovskij im Artikel »Die Parallelen bei Tolstoj«. Anna und Anderen, schimmern schon durch. Da
Bem hard Blume sind solche Idealisten, welche das Ge- Objekt und Subjekt derart einander
genstandslose, das Abstrakte, das Absolute, das Geistige bedingen und das Unbedingte eigentlich
auch durch das Ding bedingt wird, aber
gerade gegenstàndlich darstellen wollen. Ihre gegenstând-
theoretisch nicht darf, mufi ein Ich
liche transzendentale Àsthetik (statt der gegenstandslosen erfunden werden, das kein Objekt werden
abstrakten) weist einen neuen W eg im Problem der Dar- kann, das absolute Ich.
stellung der Undarstellbarkeit Die gegenstandslose Kunst »Das Unbedingte kann also weder im
Ding überhaupt noch auch in dem was
verwerfen sie, weil in der Verwerfung des Gegenstands
zum Ding werden kann, im Subjekt also
der Widerstand des Gegenstands, die konkreten Bedin- nur in dem was gar kein Ding werden
gungen der m enschlichen Erfahrung, das W esen der kann, d. h. wenn es ein absolûtes Ich gibt
m enschlichen Erfahrung geleugnet werden. Der Gegen­ nur im absoluten Ich liegen. Das absolute
Ich wâre also vorerst als dasjenige
stand wird in der malerischen Abstraktion bis dato nur bestimmt was schlechterdings niemals
scheinbar befreit, so wie der Herr den Gegenstand nur frei Objekt werden kann.«13
geniefêen kann, weil die Widerstandsseite des Gegenstan- Zwischen Ich und Ding, eben weil
sie einander bedingen, entsteht und
des vom Knecht abgearbeitet wurde. Erst der (gegen-
entschwindet das Unbedingte.
stândliche) Aufstand gegen den Gegenstand bricht den Aus dieser Logik der Setzung der Dinge
Widerstand des Gegenstands. D er Gegenstand im Exil durch das Ich entsteht die Dialektik
verliert seine symbolische Macht keineswegs. von Thesis und Antithesis (die Dialektik
des Widerspmchs zwischen Ich und
Der produktivistische Zweig der russischen Avantgarde
Nicht-Ich), wo Synthesis (des Seins
hat dem schiefen psychologischen Spiritualismus der ge­ und Nicht-Seins) die Môglichkeit heiÊt
genstandslosen Abstraktion mifètraut und daher eine das Nicht-Ich durch Aufnahme ins
Kunstzeitschrift mit dem Titel »Ding« (Vesc) herausgege- Ich als Objekt zu setzen.14 Die wechsel-
seitige Setzung von Ich und Ding, von
ben (Hrsg. Lissitzky und Ehrenburg). S. Tretjakov schrieb
Subjekt und Objekt taucht aber diesen
1929 eine »Biographie des Dings«, wo das Ding statt des Zusammenhang in die Sphâre der
Subjekts die zentrale Rolle im Roman einnimmt. Das Ding Abhângigkeit aus der allein das »absolute
wird in der Faktographie des LEF zum PRODUKT, zum Ich« den Menschen erlôsen kann.
Wir werden sehen, wie Hegel hier einhakt
Aus dieser Setzung von Ich und Objekt
entsteht auch der Begriff der Freiheit
als Transzendenz.
»Das empirische Ich existiert nur mit
und durch Objekte. Aber Objekte allein
wûrden niemals ein Ich hervorbringen...
Den Objekten aber verdankt es nichts
als seine Schranken und die Endlichkeit
18 seiner Causalitât... DaS sie Causalitât
19
durch FreiheF” \erdankt sie ihrer Identi-
tât mit der abs^ / en [Causalitât], dafi sie
transzendentale... Freiheit ist, nur ihrer
Endlichkeit«15
Wenn das Ich auf die Schranken stôÊt,
welche ihm die Dinge setzen, entsteht
die transzendentale Freiheit eines empiri-
schen Ichs. Endlichkeit und Négation
»Teilnehmer des Produktionsprozesses«, zum sozialen der Objekte sind also Geburtshelfer der
»Sieg über die Natur«. Duchamps Dinge, industrielle Freiheit
Produkte als künstlerische Fertigware bzw. industrielle
Massenware als künstlerische Fertigprodukte, waren
allerdings die eigentlichen Vorboten einer neuen draraa-
tischen Objektkultur des 20. Jahrhunderts jenseits aller
idealistischen Sentimentalitâten. Duchamp hat die Lek-
tion der industriellen Révolution, das Verdampfen des
Seinsgeprànges, als absolut schm ucklose unterkühlte Ob-
jektàsthetik, deren àsthetischer Tauschwert unterhalb ih-
res Gebrauchswertes liegt, ausform uliert Aktuelle Künst-
ler wie Katharina Fritsch, und Allan McCollum, welche die
Duchamp-Linie weiterführen, haben allerdings die mi-
nima aesthetica der Readymades gegen den perfekten
Glamour des Konsumgegenstands eingetauscht. W enn
wir »perfect vehicles« (1 986) oder die »Maquette für ein
Zeichen« (1983/84), eine Art Vase, von Allan McCollum
und die »Vase mit Schiff« (1987/88), ein Siebdruck auf
Kunststoff von Katharina Fritsch oder ihre »Schwarze
Vase« (1984), »StrâuÊe in Vasen« (1979), »Wandvase«
(1980) mit den »Vasen-Extasen« von Anna und Bem hard
Blume vergleichen, so erkennen wir einen Generations-
und Strategien-Unterschied. Die Aufladung des Gegen-
stands mit den Charakteristiken der Warenâsthetik, das
gleichsam Religiôs-Kultische des Warenfetischs ist Blu-
m es Kaugummi nicht. In den Arbeiten der jüngeren Géné­
ration objektiviert sich das Ding zu einem Produkt ohne
jed en persônlichen und subjektiven Gestus. Die altéré
Génération kann in die Akzeptanz der W aren- und Kon-
sumwelt nicht einstimmen. Ihre Gegenstânde zeigen kei-
nen latenten Warencharakter. Das subjektive Moment
auch des Dings, ohne den ja das Ding nicht existieren
kann, bleibt bestehen, ohne in einen naiven Idealismus zu
verfallen. Das Ding zirkuliert noch nicht als übersmnliche
Erscheinung, als fàsziniërendes »Geheimnis des Waren-
fetischs«, im ewigen Kreislauf der Lust.
Ist bei Duchamps Readymades noch das Residuum ei-
nes Râtsels, âhnlich wie dàs Lâcheln der Mona Eisa, zu
verspüren, ein Râtsel über ihre Identitât, so ist in der zwei-
ten Stufe der Transformation der Objektkultur im 20. Jahr-
hundert der soziale Charakter des Dings eindeutig defi-
niert: im Ding als Produkt gibt es keine Râtsel mehr. Das
Produkt ist eindeutig gesellschaftliches Artefakt. Die dritte
Stufe, das Objekt mit symbolischer Funktion der Surreali-
sten, verrâtselt das Ding wieder, damit es im Ding die
Sprache des UnbewuBten, das Verdrângte, das Andere des
Dings, hervorbringen kann. Die vierte Stufe der Transfor­
mation, das Ding als W are in der Pop Art, hat jen e kriti-
sche Differenz oder je n e dandyhafte schône Indifferenz
nicht mehr, wie es die Dada-Objekte noch hatten, sondem
ist eine Verteidigung des Konsumenten, èine Affirmation
der Ware, eine Verklârung der Banalitât. Pop ist die
Konterstrategie der Abstraktion. Im Grunde ist der Gegen-
stand in der Pop Art durch seine Isolation, durch seine
Anbetung als Fetisch, fast genauso abstrakt ungegen-
stândlich wie in der gegenstandslosen Abstraktion. Die
fünfte Transformationsstufe, »der befreite Gegenstand«,
die Objektskulptur der Gegenwart, definiert das Objekt als
Zeichen, als Logo, als Code. Dadurch wird der Gegenstand
von seiner Funktion befreit. Der W eg ist bekannt: Von der
Môbelskulptur (Artschwager) führt er zu den Skulptursok-
keln als Sockelskulpturen. Hat also zu Beginn des 20. Jahr-
hunderts die Kunst sich vom Gegenstand befreit (in der
gegenstandslosen Abstraktion, in der ungegenstândlichen
Malerei etc.), so hat die Kunst am Ende des 20. Jahrhun-
derts den Gegenstand selbst befreit und ihm eine neue

21
Würde und Souverânitât gegeben. Gegenstandslose Kunst
als Kunst konvertierte zum kunstlosen Gegenstand als
Kunst.
Die gegenstândliche Abstraktion von Anna und B em -
hard Blume, die eine dynamische Gleichgewichtung von
Ding und Ich bekundet, wo das Subjekt das Ding hait, wo
das Ich das Ding wegwirft, aber auch das Ding das Ich
schleudert, stellt das einzigartige Schauspiel einer Trans-
zendenz dar, die in der Immanenz des Gegenstands trium-
phiert, weil sie den sozialen Charakter der Produkte des
M enschen, der Dinge, nicht leugnet, noch idealistisch,
d. h. erhaben, oder kapitalistisch, nâmlich fetischhaft, er-
hôht. Deshalb wirkt der Schausteller des Ichs wie ein
Clown und die Vase wie der Bail auf seiner Nase.
D ie Fotografie w urde von d en B lum es z u je n e m idealen
künstlerischen M edium entwickelt, das diese gegen stâ n d ­
liche Abstraktion ermôglicht, eben durch die Anwendung
spezifisch fotografischer Verfahren, wie Unschàrfe, Per-
spektive, Rifèschwenk, bei der Konstruktion der Bilder.

22
Ich und SelbstbewuEtsein:/'
die Dialektik des Anderen1^

Hegel faEt aile diese Oberlegungen zusam-


men und verleiht ihnen ein neues Kleid.
HeiEt es bei Schelling (offensichtlich über
das absolute Ich, welches das Unbedingte
rettet): »Das Ich ist bloË durch sich selbst
Es setzt ailes als reine Identitât d. h.
ailes gleich mit sich selbst Seine Urform
ist die des reinen Seins.«is HeiÊt es bei
Fichte: »Ich bin Ich und setze mich
selbst Das Ich setzt schlechth’in sich
selbst« So heiEt bei Hegel SelbstbewuÊt-
sein »reines Fürsichsein«.
Hegel erkennt aber, dafi dieses Fürsich-
sein als Identitât des Subjekts nur durch
die Négation der Objekte gelingt wobei
Objekte auch die anderen »SelbstbewuEt-
seine« einschliefit »Das Verhâltnis beider
SelbstbewuEtseine ist also so bestimmt,
daS sie sich selbst und einander durch den
Kampf auf Leben und Tod bewâhren.«17
Erst im Widerstand des Objekts konstituiert
sich das SelbstbewuEtsein des Subjekts.
Die Darstellung des SelbstbewuBtseins
als reine Abstraktion heiÊt immer auch
reine Négation, somit auch des Anderen,
weil »jeder an sich selbst durch sein eigenes
Tun und wieder durch das Tun des ande­
ren diese reine Abstraktion des Fürsich-
seins vollbringt«18
Die GewiEheit für sich zu sein, kann
nur an Anderen als Wahrheit erprobtwer-
den. Die Wahrheit des Anerkanntseins als
ein selbstândiges SelbstbewuEtsein muÊ
daher »auf den Tod des Anderen gehen«
(Hegel). Hegel hat daher bereits vor Marx
den deutschen Idealismus vom Kopf auf
die FüEe gestellt, indem er die Dialektik
des Anderen in die Identitâtsproblematik,
in die Beziehung des Ichs und der Dinge
einbrachte. Aus dem Begriffsgefüge von
BewuEtsein und Sein, von Endlichkeit und
Freiheit von Selbst und Anderen, von
Ich und Ding, von Négation und Absolut-
heit hat Hegel das berühmte Beispiel von
Herr und Knecht entwickelt, an dem er
die Dialektik der Freiheit und der Macht
aufzeigte.
»Im unmittelbaren SelbstbewuEtsein ist
das einfache Ich der absolute Gegenstand,
welcher aber für uns oder an sich die
absolute Vermittlung ist und die beste-
hende Selbstândigkeit zum wesentlichen
Momente h at Die Auflôsungjener
einfachen Einheit ist das Résultat der
ersten Erfahrung; es ist durch sie ein reines
SelbstbewuEtsein und ein.BewuEtsein 23
gesetzt, welc'"^~x ’,icht rein für sich,
sondem reim_-éin anderes, d. h. als
seiendes BewuStsein oder BewuStsein
in der Gestalt der Dingheit ist Beide
Momente sind wesenüich; - da sie zu-
nâchst ungleich und entgegengesetzt
sind und ihre Reflexion in die Einheit
G sich noch nicht ergeben hat so sind sie
Nichts, was raum-zeitlich angeschaut wird und werden als zwei entgegengesetzte Gestalten des
kann, ist »Ding an sich«. Die Erscheinungsformen der BewuStseins; die eine das selbstândige,
Dinge werden vom Subjekt bestimmt, das anschaut, sagt welchem das Fürsichsein, die andere
das unselbstândige, dem das Leben
Bernhard Blume. Sogar »die Zeit hângt nicht an dem Ge- oder das Sein für ein Anderes das Wesen
genstand selbst, sondem blofè am Subjekte, welches Sie ist jenes ist der Herr, dies der Knecht
anschauet«, sagt Kant. W egen dieser ur-sâchlichen Ver- Der Herr ist das für sich seiende
BewuStsein, aber nicht mehr nur der
knüpfung von Ding und Subjekt kann Blume überzeu-
Begriff desselben, sondem für sich seien­
gend behaupten: »Ich sehe die Gegenstânde im m er vor des BewuStsein, welches durch ein
mir.« Was einerseits sagt, ich erreiche sie nie. Das Ich anderes BewuStsein mit sich vermittelt
kann sich die Gegenstânde nicht einverleiben, was es aber ist nâmlich durch ein solches, zu dessen
Wesen es gehôrt daS es mit selbstândi-
dialektisch anstrebt. Andererseits besagt dies, daS Blume
gem Sein oder der Dingheit überhaupt
die Gegenstânde als intendiertes Objekt immer vor Augen synthetisiert ist Der Herr bezieht sich
hat, im »Ichblick« Husserls. Sein notorischer Satz besagt auf diese beiden Momente, auf ein Ding
eben diese alte Einsicht in den konstruktiven Zusammen- als solches, den Gegenstand der Begierde,
und auf das BewuStsein, dem die
hang von Subjekt und Objekt.
Dingheit das Wesentliche ist und indem
Die scheinbar subjekt-unabhângige Gegenstandswelt er a) als Begriff des SelbstbewuStseins
ist also durch die »Dinge an sich« und durch das w ahm eh- unmittelbare Beziehung des Fürsich-
mende, denkende und tâtige Subjekt zugleich verursacht. seins ist aber b) nunmehr zugleich
als Vermittlung oder als ein Fürsichsein,
Damit sind aber in jed er Art von Gegenstândlichkeit die welches nur durch ein Anderes für sich
Motivationen, Affekte, Triebe als Momente der Psyché des ist so bezieht er sich a) unmittelbar auf
Subjekts ur-sâchlich. Die Gegen-stânde formen sich eben beide und b) mittelbar auf jedes durch
das andere. Der Herr bezieht sich auf
nach der Morphologie unseres Begehrens und Willens.
den Knecht mittelbar durch das selbstân­
Die (Gegenstands-)Welt als Wille und Vorstellung. Scho- dige Sein; denn eben hieran ist der
penhauers Wille als Ding an sich. Das Ding ist die Erschei- Knecht gehalten; es ist seine Kette, von der
nung des Willens. Der Wunsch, der Wille, der Trieb als er im Kampfe nicht abstrahieren konnte
und darum sich als unselbstândig, seine
Seite des Subjekts ist insofem nicht nur ursprüngliches
Selbstândigkeit in der Dingheit zu haben
Sein, sondem (im Zeugungsakt) Erzeuger des Seins, ja erwies. Der Herr aber ist die Macht über ,
eigentliche Ursache, Grund des Seins über die eigene dies Sein, denn er erwies im Kampfe, daS
Existenz hinaus. es ihm nur als ein Négatives gilt; indem er
die Macht darüber, dies Sein aber die
So wirken unsere subjektiven Bedürfnisse nach innen
Macht über den Anderen ist so hat er in
und auSen: alsAffekt- und Wîllensgrund und als Ding, Ge- dîesem Schlusse diesen Anderen unter
genstand. Das Subjekt als Sum m e der Bedürfnisse ist also sich. Ebenso bezieht sich der Herr mittel­
zugleich Gefangener der Gegenstandswelt wie auch deren bar durch den Knecht auf das Ding; der
Knecht bezieht sich als SelbstbewuStsein
überhaupt auf das Ding auch negativ und
hebt es auf; aber es ist zugleich selbstândig
für ihn, und er kann darum durch sein
Negieren nicht bis zur Vemichtung mit
ihm fertig werden, oder er bearbeitet es
nur. Dem Herm dagegen wird durch
diese Vermittlung die unmittelbare Bezie­
hung als die reine Négation desselben
24 oder der GenuS.«19
Hegel geht es also nicht m eK } die
Errettung der Erscheinungen, s^-u'em
des BewuStseins, um den Schutz des
BewuStseins vor der Verdinglichung.
Er beschreibt den ProzeB der
Verdinglichung des Subjekts im Mono-
polkapitalismus, dessen BewuStsein
ein BewuStsein für ein anderes ist, d. h.
ein BewuStsein in der Gestalt der Ding­
heit. Mit Hegel erhebt sich die Stimme
der Vemunft gegen den ProzeS der
Verdinglichung und die.Stimiçe des
Protestes gegen das gegenstândliche
Sein. Das unselbstândige BewuStsein
findet in dên Knechten des Kapitalismus,
die für den Herm arbeiten müssen,
und deren Wesen das Sein für einen
Anderen ist, seine Entsprechung. Im
Kapitalismus haben sich erstmals die
»zwei entgegengesetzten Gestalten des
BewuStseins« verâuSert, leibhaftige
Form angenommen. Die Technik als
Herr über das Subjekt ist auch die
Macht über das Sein.
Hegel unterscheidet auch zwischen den
psychischen, bewuStseinsmâSigen
Momenten des Gegenstands und
zwischen den dinghaften, ontologischen.
Er bringt auch Triebmomente ins Spiel:
das Ding als Gegenstand der Begierde.
Der Gegenstand als Affekt, Wille des
Herm - und das BewuStsein, der Affekt
des Knechts, als bloSes Ding. Âhnlich
wie Schopenhauer den Willen als Ding an
sich definierte, nennt Hegel das Begehren,
den Wunsch das Ding als solches.
Das Elend des Subjekts im Zeitalter
des Monopolkapitalismus und des totali-
târen Staates, ein »Fürsichsein« zu sein,
w elches nur durch ein Anderes« und
in bezug auf ein Anderes »für sich ist«,
das Elend des Subjekts als Knecht der
Dinge, als gegenstândliches Sein, als
ohnmâchtiges Ich unter der Macht der
Dinge, mit ausgelôschter oder gelenk-
ter, durch Andere bèdingte Begierde,
kann nur aufgehoben werden durch
die »Arbeit am Begriff«.
Aus dem Verhâltnis von Knechtschaft
und Herrschaft führen Arbeit und Denken.
Nur »das arbeitende BewuStsein« kommt
»zur Anschauung des selbstândigen
Seins als seiner selbst«.20 Im Begriff des
selbstândigen BewuStseins wurzelt die
Freiheit
»Indem... im Begriffe des selbstàn-
digen BewuStseins das Ansichsein das
BewuStsein ist, so ist die Seite des
Ansichseins oder der Dingheit, welche
die Forai iif j^rbeit erhielt keine
andere Subscanz als dasBewufëtsein,
und es ist uns eine neue Gestalt des
Selbstbewulâtseins geworden; ein
BewuÊtsein, welches sich als die Unend-
lichkeit oder reine Bewegungdes
BewuStseins das Wesen ist; welches
denkt oder freies SelbstbewuStsein ist.
Schôpfer und Befreier, deren Verursacher und Beweger. Im Denken bin Ich frei, weil ich nicht in
So transzendiert das Subjekt seine Vergegenstàndlichun- einem Anderen bin, sondem schlechthin
gen. Somit ist die Summe der Bedürfnisse nicht gleich der bei mir selbst bleibe und der Gegenstand,
der mir das Wesen ist in ungetrennter
Sum me der Gegenstànde. Es bleiben a priori Raum und Einheit mein Fürmichsein ist; und meine
Zeit für Fluchten, Phantasien, Vorstellungen, Ideen, Uto- Bewegung in Begriffen ist eine Bewe-
pien. Im Spiel zwischen Ich und Gegenstand hissen Anna gung in mir selbst«21
Wichtig für spâtere philosophische
und Bem hard Blume die Fahne der Subjektivitât. Die ge-
Transformationen des Objelctbegriffs ist
genstândliche visuelle Referenz ihrer Fotos wird nach in- jetzt schon bei Hegel zu sehen, daB durch
nen verschoben. Der âufêere Referenzrahmen wird nicht die Dialektik des Anderen, die Dialektik
wie in der abstrakten Malerei vollkommen durch einen in- von Herr und Knecht nicht nur die Freiheit
des SelbstbewuStseins herausgearbeitet
neren Referenzrahmen ausgetauscht, zwischen extern
wird, sondem auch eine Théorie der
und intem wird der Schirm ihrer Bilder gespannt. Von den Begierde und Arbeit der Furcht und des
Gegenstànden zu den Triebmomenten, und zurück. Im Genusses. Lacan wird davon spâter bei
Sinne Schopenhauers: »Die Motivation ist die Kausalitât, der Begründung seiner Psychoanalyse
Gebrauch machen.
von innen gesehen.« Indem die Blumes das Pigment und
den Pinsel durch Môbel und Kamera ersetzen und damit
die Ich- und Ding-Beziehungen fotografisch inszenieren,
gelingt ihnen eine Malerei von ontologisch anderer Art.
Anders als die Abstrakten, anders auch als bloS abbil-
dende Kunst, w elche das Bild unserer Erfahrung verengt,
beschwôren die Blumes mit ihrer wahrhaft gegenstândli-
chen Kunst transzendente Bedingungen der Môglichkeit
von Freiheit.
Das Begehren des Ichs: d a ^ u g
als Gegenstand der Begierde

Die Begierde im BewuÊtsein des Herrn


behâlt sich die »reine Negation« des
Gegenstandes vor. »Die Arbeit hingegen
ist gehemmte Begierde, aufgehaltenes
H
Verschwinden, oder sie bildet«22
Die Furcht ist notwendig als Folge der eige- Auf dem achten Foto der oberen Reihe taucht die perf ekte
nen Negativitàt, die anerkannt werden Allégorie dieser »entfremdeten Persônlichkeit« auf, im
muB, bevor der Knecht daran gehen kann, Gerangel mit dem Gegenstand, im Kampf mit der Vase,
das, was er im Herrn, jenem iyemden
Wesen, vor dem er erzittert, sieht, nâmlich
von Gegenstânden (dem Mobiliar) bedrângt, umstellL
das Fürsichsein, auf sich selbst zu beziehen. Nach den Bildem der Leere, der Nullzone, plôtzlich ein
»In den Bildern wird das Fürsichsein Bild der Fülle. Sessel, Tisch, Wandschrank, der Hausrat
als sein eigenes für es, und es kommt zum
per se, und das Subjekt in der Mitte. Dieses Subjekt befin-
BewuÊtsein, daÊ es selbst an und für
sich ist. .. Es wird also durch dies Wïeder- det sich aber offensichtlich in einemZustand des Schwan-
finden seiner durch sich selbst eigener kens inmitten der Welt der Gegenstànde, eine Vase empor-
Sinn, gerade in der Arbeit, worin es nur haltend und sich gleichzeitig an ihr festhaltend, eingeker-
fremder Sinn zu sein schien.«23
kert in eine Kette von Produkten, welche der Mensch
Die Rhetorik der Entfremdung schlâgt
hier ihr geschichtsmâchtiges Kapitel auf. selbst erzeugt hat. Die Dinge bemâchtigen sich dieses
Das entfremdete Subjekt, gekennzeich- Ichs, das selbst einmal die Macht hatte, die Dinge hervor-
net durch die »eigene EntâuÊerung und zubringen. Wir sehen keine Wirklichkeit à la Kant, unab-
Entwesung des SelbstbewuÊtseins«
hângig vom BewuÊtsein, sondem in die Form eben dieses
(Hegel), führt zur »Verwüstung«. Aber
Entfremdung ist die Substanz des Selbst BewuÊtseins gekleidet. Diese Môbel sind aus dem B e­
sagt Hegel. Diese Schizo-Struktur des Selbst wuÊtsein ableitbar, hélas: schiefe Môbel aus eiriem fal-
die Spaltung, wie Lacan sagen wird, denn schen BewuÊtsein. Als Grund allen Seins, als Boden des
»das unmittelbar, d. h. ohne Entfremdung
an und für sich geltende Selbst ist ohne Heims taugén sie nicht viel, aber so schauen eben jetzt die
Substanz... seine Substanz ist also seine synthetischen Sâtze a priori als synthetische Môbel im
EntâuÊerung selbst«24, ist es, wodurch Hier und Heute aus. Nur mit Schmierseife (ideologischen
die Welt des Geistes wirkliche Welt wird.
Fantasien) kann man über diesen Grund transzendental
Die wirkliche Welt kann nur eine entfrem­
dete sein. »Das Ganze ist daher wie jedes hinwegschlittem. W egen dieser transzendentalen Seife
einzelne Moment eine sich entfremdete scheint Blume die Vase aus den Hânden zu gleiten. Die
Realitât«25 Was Hegel uns lehrt, ist eine Bot- gesamte Sequenz »Vasen-Extasen« von Anna und Bem -
schaft des Schreckens, die niemand glauben
hard Blume zeigt uns nichts anderes als diese Welt des
mag, die Schizo-Struktur, die Doppel-
struktur der Welt nâmlich daÊ es keine entfremdeten Geistes. »Âber das Dasein dieser Welt sowie
andere Welt als die »des sich entfremdeten die Wirklichkeit des SelbstbewuÊtseins beruht auf der Be-
Geistes« geben kann: Denn »... das Selbstbe- wegung, daÊ dieses seiner Persônlichkeit sich entàuÊert,
wuStsein ist nur etwas, es hat nur Realitât
hierdurch seine W elt hervorbringt und sich gegen sie als
insofern es sich selbst entfremdeüc6 »Dïe
Welt dieses Geistes zerfâllt in die gedop- eine fremde so verhâlt, daÊ es sich ihrer nunmehr zu be­
pelte: die erste ist die Welt der Wirklichkeit mâchtigen hat. Aber die Entsagung seines Fürsichseins ist
oder seiner Entfremdung selbst; die selbst die Erzeugung der Wirklichkeit, und durch sie be-
andere aber die, welche er, über die erste
sich erhebend, im Âther des reinen BewuÊt-
seins sich erbaut«27 Diese (z. B. der
Glaube) ist aber »nur die andere Form
der Entfremdung«, genauso wie das âtheri-
sche BewuÊtsein des Sublimen, das Pathos
des Erhabenen, der Reinheit, wie wir es bei
vielen historisierenden Künstlem finden.
Eine weitere Form der Entfremdung, der
Flucht aus der wirklichen Welt wâre das 27
bewuEtlose die Narkose des ding-
haften, vergegc-nstândlichten Glücks im
Konsum, das im momentanen Vergessen
des Verhâltnisses von Herr und Knecht
zwischen den Subjekten und Dingen und
zwischen den Subjekten selbst besteht
Nicht Gluck, sondern »absolute Furcht« ist
notwendig. Denn ohne sie bleibt der eigene
mâchtigt es sich also unmittelbar derselben.« (Hegel) In- Sinn nur Eigensinn, der nicht über das
dem das Subjekt die Dinge hervorbringt, bem âchtigen Ganze und das Allgemeine mâchtig ist
Eigensinn ist demnach »eine Freiheit
sich die Dinge seiner. Indem das Ich sich selbst aufhebt,
welche noch innerhalb der Knechtschaft
gewinnt es wieder Macht über die Dinge. Diese dialekti- steht«28
sche Bewegung zwischen Ding und Ich, diese W elt der Noch eine weitere Gefahr besteht wenn
Entfremdung ins Lâcherliche verfremdet, wegen ihrer das Verhâltnis von Herr und Knecht im
BewuEtsein nicht aufgehoben wird. Die
Dramatik ins Komische verzerrt, zeigen uns die »Vasen-
spezifischen Formen des SelbstbewuEt-
Extasen«. Die Vase steht stellvertretend für Mobiliar, dies seins sind normalerweise an zwei Einzelne,
wiederum für Wohnung, und die Wohnung ist Index für an den Herrn und den Knecht gekoppelt
Welt. Die Gegenstânde vor unseren Augen, wenn wir Blu- bzw. verteilt Wenn aber diese Verdoppe-
lung in Eines einkehrt, die Verdoppelung
mes Satz »Ich sehe die Gegenstânde immer vor mir« para-
des SelbstbewuÊtseins in sich selbst statt-
phrasieren dürfen, nehm en eine allegorische Konfigura- findet statt sich auf zwei zu verteilen,
tion an, die man als Zuhause bezeichnet. Aber welches entsteht das »unglückliche BewuEtsein«.
Zuhause schaut uns da an? Ein entâuSerlichtes, das uns Dieses »unglückliche, in sich entzweite
BewuEtsein ist das BewuEtsein seiner als
fremd anmutet, in dem wir uns nicht heimisch fühlen. Das des gedoppelten, nur widersprechenden
Geheure wird ungeheuer: »Môbelungeheuer« nennt sich Wesen, das in dem einen BewuEtsein
diese vertraute Fremde. Auf den einfachsten Entwurf re- immer auch das andere haben muÊ.«29
Jeder Sieg (des einen) ist daher ein Unter-
duziertes Lebensgefüge. Die düstere Moral gebrauchter
liegen (des anderen widersprechenden
Serien-Môbel. Diese dürftige, abstrahierte Dingwelt bzw. BewuStseins). Das unglückliche BewuEt­
Wohnung ist Heimat und Frem de zugleich. Darin wieder- sein findet sich daher als solches, das nur
holt sie die dialektische Doppelstruktur der EntàuEerung, begehrt und arbeitet ohne zu genieÊen.
»Die Bewâhrung, welche es durch
der Entfremdung. Ein starrer GrundriS, eine moralische
Arbeit und GenuE erhalten würde, ist
und mobiliare Enge m achen âchzend die Gebundenheit darum eine ebensolche gebrochene.«30
des Subjekts an die Gegenstânde und an die Gesellschaft Es findet nur die Bewâhrung seiner
bewuEt. Die abgeschlossene Transzendenz dieser kahlen Entzweiung. Denn für dieses gedoppelte,
nur widersprechende Wesen ist GenuE
Râume mit sachlich-objektiver Einrichtung, wo die Ge­
gleichzeitig NichtgenuE. »Die Wirklich-
genstânde wie Hausgôtter, aber auch wie M ôbelmonster keit gegen welche sich die Begierde
leben, verkôrpert eben nicht nur erkenntnis- und erfah- und die Arbeit wendet«, Freuds spâte-
rungsmàSige Bindungen an die Gegenstânde, sondem res Lust- und Realitâtsprinzip, Lacans
Imaginâres und Symbolisches, ist diesem
auch affektive Bindungen an das moralische und geistige BewuEtsein eine »entzweigebrochene
Milieu, welches dieses Mobiliar reprâsentiert, bürgerlich- Wîrklichkeit«, einerseits »an sich nichtig,
kleinbürgerliche. In dieser abgeschlossenen Transzen­ aber auch eine geheiligte Welt«.
denz ist nur eine »profane Erleuchtung« (Benjam in) môg-
29
lich. Kein Abheben ins Pathos oder Sublime, aber auch
kein Baden in der Banalitât (der »Warenkunst«).
In den Fotos von Anna und Bem hard Blume sieht man
kein Tier, also keinen unmittelbaren Signifikanten der Na-
tur. Dennoch geht es auch um Naturphilosophie in diesen
Bildem . Aufgrund der gekennzeichneten Position des
Dings als Gegenstand des Ichs, wobei beide nicht vonein-
ander zu trennen sind, kann das Ding nur als soziales Pro-
dukt gezeigt werden. Die Dinge schweben in diesen Foto-
grafien, weil hier das Ding genausowenig als Ding wie das
Ich als Ich genommen wird, sondem beide nur als in der
Schwebe ihrer wechselseitigen Erzeugung und Befind-
lichkeit existieren. Ist das vielleicht auffallendste und
singulàrste Merkmal dieser Fotografien der Levitations-
charakter, der »heilige« Flugschein, der die abgebildeten
Phânom ene enthâlt, so ist diese universale Lévitation (gal­
les fliegt«) perfekter künstlerischer Ausdruckvon »Schwe-r
be« und »profaner Erleuchtung«. Die frohe Botschaft, die
Bem hard Blume, plôtzlich, statisch und scharf inmitten
des fotografischen Bildertaumels, im doppelten Sinne ver-
kôrpert, indem er der Vase entsteigt, nâmlich als Blume
wie auch als Botschaft, verkündet diese profane Erleuch-
tung und erzeugt die Ekstasen. Dadurch wird der Gegen­
stand bei den Blumes auch davor geschützt, zum W aren-
fetisch zu verkommen, oder als Animalum bzw. als Anima
archaisiert, oder als heilige Reliquie auratisiert zu werden.
Das Tier einzuführen in das System der Gegenstànde, in
dieser Débatte um das Subjekt,' ist sinnlos, weil das Tier
kein Ding ist, auf das sich das Subjekt in seiner Spaltung
beziehen kann, auÊer es sei denn, gerade um diese Spal­
tung (z. B. als knechtisches bzw. unglückliches Bewufët-
sein) zu exemplifizieren. Wenn andere Kùnstler das Tier
als Symbol der Natur (statt als Signifikat der Spaltung des
Subjekts) benutzen, bezeugt dies nur ihren oberflâchli-
chen Kunst- und Naturbegriff.

30
31
Diese entzwei; )chene Welt des un-
glücHichen BeVccStseins, welche ziemlich
genau die Welt von heute ist, sehnt sich
daher nach einer Macht, worin die Wîrk-
lichkeit sich auflôst Für ein BewuStsein,
welchem das Wesen ein ihm Anderes ist,
ein gespaltenes BewuStsein also, kann
I diese Macht nur das Jenseits seiner selbst
Hier ist nun der Moment gegeben, das W erk der Blumes sein. Die Kantsche Transzendenz ver-
auch kritisch zu betrachten, nâmlich das Versagen und kommt zu einer irrationalen Jenseits-
Sehnsucht, zur Anbetung einer heiligen
Entsagen der Ekstase selbst, als Endpunkt der medialen
Macht, zur Verklârung der Macht als Abso­
Seibstaufhebung. Das Subjekt in ihrem W erk strahlt ge- lûtes, weil nur eine »absolute Macht«
rade in seiner symbolischen Dimension je n e kleinbürger- die Wirklichkeit und die Widersprüche
lich puritanische Jenseits-Ideologie und asketische Ver- auflôsen kann.
Hierin liegt der Grund, warum Teile des
werfung des Diesseits aus, die immer noch Reste des
Bürgertums immer wieder anfâllig sind
knechtischen BewuStseins verrat. W enn man nun ein- für absolutistische Herrschaftssysteme,
wendet, die Subjekte in diesen Bildem vertreten eben die seien sie religiôser oder politischer Natur,
Idéologie dieser sozialen Klasse, die sie reprâsentieren, oder für obskure irrationale Heilslehren,
seien es künstlerische, philosophische
und das Werk der Blumes besteht darin, diese Idéologie
(westliche und ôstliche), oder für
sichtbar zu machen, so hait dieses Argument einer ge- GrôSenwahn und Allmachtsphantasien,
naueren Analyse nicht stand. Denn es sind gerade die oder aber auch für den kleinbürgerlichen
Vorteile der ihnen einvem ehmlich zugeschriebenen Mief des Puritanismus. Das sich Versa­
gen von etwas, die Askese, das Wesen des
transzendentalen Âsthetik, w elche sich logischerweise zu Tuns von sich ab und dem Jenseits
ideologischen Nachteilen verkehren müssen. Es ist eine zuwenden, das Sehnen nach dem Jen­
logisch werkimmanente Konsequenz der transzendenta­ seits seiner selbst, ist eine verdoppelte
Négation der eigenen Ohnmacht, eine
len Âsthetik, daS sie sich das G enieSen versagt. Die
Verkehrung des Verlustes in einen
Blumes ironisieren die lustfeindliche Moral der mittel- Triumph, typisch für die Logik des
stândischen Askese genausowenig wie die transzenden- Phantasma im »unglücklichen BewuSt­
tale Âsthetik selbst. Sie sind beide Trâger derselben. Sie sein». Wohingegen die Befriedigung
des BewuStseins der Selbstândigkeitzur
sind von beiden affiziert. Sie sind nicht nur Rollentrager,
Wirklichkeit der Freiheit gehôrt und zur
sondem auch Mitbeteiligte. Zu sehr ist ihr Subjekt Knecht Bewegungdes BewuStseins selbst;
der Dinge, Opter der Last des Lebens, zerrissen von der »denn es (dieses BewuStsein) istBegierde,
Macht der Dinge, in ihrem Strudel herumgewirbelt. Arbeit und GenuS; es hat als BewuStsein
gewollt, getan und genossen.«31 Wer die
Furcht, wenn auch in die Groteske gewendet, herrscht
Furcht fürchtet und ihr ausweicht bzw.
in diesen Bildem. Der Vater ist noch nicht symbolisch davonlâuft, wirft den Herm ebenso-
getôtet. wenig ab, wie der, welcher sich das Begeh-
Das Entsagen des GenieSens als Ausdruck obskurer ren und das GenieSen versagt, ebenfalls
aus Furcht (!), aus Schuldgefühlen, welche
Heilshoffnungen - und zahlreich sind die Belege, mit de- die môgliche Strafe des Herm antizipie-
nen Heilsgesten im Werk der Blumes auftreten - ist auch ren. Wer auf den GenuS als Frucht seiner
fur jenen pseudoreligiôsen, irrationalen Zug verantwort- Arbeit verzichtet, leistet im Grande Ver-
zicht auf seinen eigenen Willen und
lich, der in den Bildem der Blumes gesehen wird. Das Ver-
»seine in der Arbeit und im Genusse ent-
haltene Wirklichkeit«.32 Das Telos einer
Politik des Sich-Versagens ist im Grande
Unterwerfung. Im bloSen Jenseitstaumel
steckt Wirklichkeitsverzicht, der nicht
nur selbstzerstôrerisch ist, sondem auch
allgemein zerstôrerisch. Im Wirklich­
keitsverzicht wird auch »in Wahrheit und
vollstândig das BewuStsein der inneren
42 und âuSeren Freiheit« aufgegeben.33
Jede Verzichtepolitikgrenztf JJbst-
entâufierung. Wirklichkeitsvèrrrcht ist
Unterwerfungsideologie. »Durch diese
Momente des Aufgebens des eigenen Ent-
schlusses, dann des... Genusses. .. und
der Wirklichkéit als seines Fürsichseins«
hat das BewuStsein die GewiSheit, »in
Wahrheit seines Ich sich entâufiert und
sein unmittelbares SelbstbewuStsein zu weigem des Begehrens erzeugt, die latente jenseitige
einem Dinge, zu einem gegenstândlichen Stimmung und übersinnliche Religiositât im W erk der
Sein gemacht zu haben.«34
Blumes. Irgendwie glaubt m an zu spüren, daS in einer
Die Selbstândigkeit der Dinge leistet
dem Ich Widerstand, hindert es, sich im Ecke dieser Râume eine kleine Madonna aus Plastik steht
Genusse zu befriedigen. Deswegen Diese »Übersinnlichkeit«, welche ihre Fotografien gerade
schiebt der Herr den Knecht dazwischen, wegen der angewandten fotografischen Technik ausstrah-
der die Selbstândigkeit der Dinge bear-
len, betonen dieses Jenseits-Phantasm a kleinbürgerlich
beiteL Der Herr môchte durch diese
Zwischen-Schaltung (der Abarbeitung) irrationalen Zuschnitts. Eben weil die Gegenstânde in den
den Dingen als unselbstândige begegnen Fotografien so unglaublich herumfliegen, so unirdisch der
und als solche rein genieSen. A ber mit der Schwerkraft und der sinnlichen Anschauungtrotzen, zeu-
von einem Anderen erarbeiteten Unselb-
gen sie von unirdischen, übersinnlichen, jenseitigen Ei-
stândigkeit der Dinge versagt sich der
Herr selbst den absoluten GenuS, indem genschaften und Botschaften. Ihre Fotografie hat dadurch
er ohne Bewâhrung bleibt Er konsumiert etwas »Mediumistisches«. Die Gegenstânde erscheinen,
nur, das heiSt, genieSt nur oberflâchlich, aber nicht als Gespenster einer abgestorbenen bürgerli-
ohne die eigene Arbeit und Leistung,
bleibt also in der Abhângigkeitvon einem
chen Welt. Sie erscheinen âls Geister, als Botschaften von
bestimmten Dasein, nâmlich dem Knecht, noch lebenden Geistem aus einer anderen besseren Welt.
der die Dinge für ihn durch seine Arbeit in Kants »Erscheinungen« bekom men durch das Versagen
unselbstândige verwandelt Der Herr
des GenieSens eine spiritualistische Verzerrung.
bleibt also selbst unselbstândig, kann nicht
über das Sein Meister werden. Das Die Stellungnahme der Blumes gegen die Begierde und
Konsumverhalten des Spâtkapitalismus für das Versagen des Genusses in ihrem künstlerischen
bezeichnet genau jene Unselbstândig- W erk bedeutet natürlich eine Einschrânkung. Denn wie
keit des Subjekts, seines Begehrens und
Hegel ausführt, gehôren GenieSen und Begehren zur Ar­
GenieSens, das abhângig ist von der
Arbeit anderer. Konsumsucht ist also beit des BewuStseins. Verzicht auf die Lust der Begierde
nicht eigenüiches GenieSen, sondem und des GenieSens bedeutet daher Schwâchung und par­
falsches oberflâchliches GenieSen tielle Verweigerung der Befriedigung des BewuStseins.
eines knechtischen BewuStseins. Der
Konsument ist der Knecht, der glaubt,
Entsagen des GenieSens bedeutet, einen Teil der Erfah-
der Herr zu sein, bzw. er ist der Herr, der rungs- und Erkenntnismôglichkeiten zu negieren, eine
nicht weiS, daS er Knecht ist Konsum­ Verengung, wie ich es von Anfang an als Gefahr der trans-
sucht ist GenieSen als SelbstentâuSerung, zendentalen Âsthetik beschrieben habe. Das GenieSen
als Aufgabe seines.SelbstbewuStseins.
In der Konsumsucht wird das Selbstbe­ auszuschlieSen, bedeutet tendenziell Betrug am BewuSt­
wuStsein zu einem gegenstândlichen sein, Knebelung der Selbstândigkeit und Einschrânkung
Sein. Das Ich entâuSert sich in die der Freiheit aus Angst vor künftiger Strâfe, aus Angst vor
Dinge. Es wird selbst dinghaft. Konsum­
dem absoluten Wîllen des Herm, bedeutet heimliche Un-
sucht tilgt die Furcht und ist somit das
Glück eines unglücklichen, verdinglich-
ten BewuStseins. Der Glamour der
Warenkunst leistet dieser Illusion Vor-
schub, indem er sie bejaht Wenn
Schelling geschrieben hat: »Das empiri-
sche Ich existiert nur mit und durch
Objekte«, dann sagte er bereits im nâch-
sten Satz: »Aber Objekte allein würden
niemals ein Ich hervorbringen.«35 43
terwerfung unter die Totalitât des gegenstândlichen Seins,
bedeutet eine Verwerfung des Ichs als verdinglichtes
Subjekt. Die Entsagung des GenieSens bewirkt gerade das
Gegenteil des ursprünglichen Ziels. Deshalb wâre eine
Heiterkeit wünschenswert, die der Ausdruck eines furcht-
losen Glücks ist, die das Fürchten nicht fürchtet. Dieses
Versagen der Lust des Subjekts ist schon im Titel der Ar-
beit selbst abzulesen. So wie, gemàfè der transzendentalen
Philosophie, die Zeichen des Ichs und der Anwesenheit
des m enschlichen Kôrpers an die Objekte delegiert wur-
den, so auch das Wollen, Tun und Geniefèen des BewuÊt-
seins. Daher lautet der Titel nicht »Ich-Extasen«, sondem
»Vasen-Extasen«. In den »Vasen-Extasen« kommt also das
Versagen der Ekstasen selbst zum Ausdruck. Die Selb-
stândigkeit der Dinge, an der das Ich sich reibt, wird aufge-
wertet zu einer gleichsam religiôsen Ekstase, statt dem Ich
das Geniefêen zu gewâhren, durch welches der Wider-
stand der Dinge aufgearbeitet wird.
So ist das Bewufêtsein als Zeichen des Ichs zwar anwe-
send auf diesen Bildem, aber indem es nicht geniefèt, ar-
beitet es nicht. Die Ursache dafûr ist ein ambivalenter
Phallozentrismus, der vielleicht auch erklâren mag, wieso
mit wenigen Ausnahmen keine Frau, z. B. Anna Blume,
die Leerstelle des Ichs und die Rolle des Subjekts in den
Foto-Inszenierungen übemimmt. Dieser erstaunliche Man-
gel wird aber spâter noch behandelt.

44
bracht, um diesen Verfall der Zeit (»Fugit
irreparabile tempus«) ihr Fliehen, diese
Durch die Arbeit, das Begehren und das Abstraktion durch Verzeitlichung, Zeitmes-
GenieEen, durch Eigensinn und Eigentum, sung aller Lebensvorgânge aufzuhalten.
sind die Dinge in die Sphâre der Waren ein- »Sieht man nun vom Gebrauchswert der
getaucht Marx hat auf den Fundamenten Warenkôrper ab, so bleibt ihnen nur noch
Hegels die Kantsche Philosophie der Dinge eine Eigenschaft, die von Arbeitsprodükten.
einer Kritik unterzogen. Auf Kants »Kritik Jedoch ist uns auch das Arbèitsprodukt be-
der reinen Vemunft« (1781) und die »Kritik reits in der Hand verwandelt Abstrâhieren
der praktischen Vemunft« (1788) folgt wir von seinem Gebrauchswert, so abstra-
1859 »Zur Kritik der politischen Ûkono- hieren wir auch von den kôrperlichen
mie« von Marx, welche das eçste Kapitel Bestandteilen und Formen, die es zum
seines Werkes »Das Kapital« (1867) bildet, Gebrauchswert machen. Es ist nicht langer
mit dem berühmten Abschnitt und Ab- Tisch oder Haus oder Gam oder sonst ein
schluE »Der Fetischcharakter der Ware«. nützlich Ding. Aile seine sinnlichen
War der Gegenstand bisher eher ein Beschaffenheiten sind ausgelôscht
Abstraktum, an dem sich Perspektiven des Es ist auch nicht langer das Produkt der
BewuEtseins, der Freiheit, der Ich-Identitât, Tischlerarbeit oder der Bauarbeit oder der
des Absoluten, der Erfahrungs- und Spinnarbeit oder sonst einer bestimmten
Erkenntnismôglichkeit entwickelten, so hat produktiven Arbeit Mit dem nützlichen
Marx den Gegenstand seines metaphysi- Charakter der Arbeitsprodukte verschwin-
schen und idealistischen Kleides beraubt det der nützliche Charakter der in ihnen
und unmittelbar in die Wirklichkeit der rea- dargestellten Arbeiten, es verschwinden
len Bedingungen der Menschen gestellt also auch die verschiedenen konkreten
In dieser Welt, wo die Dinge als Waren zirku- Formen dieser Arbeiten, sie unterscheiden
lieren, stellt er aber weiterhin die gleichen sich nicht langer, sondem sind allzusamt
Fragen nach Freiheit, Bewufitsein, Arbeit reduziert auf gleiche menschliche Arbeit,
etc., nur unter etwas umgekehrten Vorzei- abstrakt menschliche Arbeit
chen. Daher hat das erste Kapitel von »Das Betrachten wir nun das Residuum der
Kapital« die Überschrift »Die Ware«. Die Arbeitsprodukte. Es ist nichts von ihnen
Ware wird zunâchst definiert als »ein âufie- übriggeblieben als dieselbe gespenstische
rer Gegenstand, ein Ding, das durch seine Gegenstândlichkeit, eine bloEe Gallerte
Eigenschaften menschliche Bedürfnisse unterschiedsloser menschlicher Arbeit,
irgendeinerArtbefriedigt«36 (Nochmals d. h. der Verausgabung menschlicher
das Befriedigen eines Begehrens.) Dann Arbeitskraft ohne Rücksicht auf die
unterscheidet er bekanntlich zwischen Form ihrer Verausgabung. Diese Dinge
Gebrauchswert und Tauschwert der Ware stellen nur noch dar, daS in ihrer Produk-
und wirft dadurch über die bürgerliche tion menschliche Arbeitskraft verausgabt,
Metaphysik der Dinge den Todeshauch. menschliche Arbeit aufgehâuft ist Als
Im »ProduktionsprozeE des Kapitals«, so Kristalle dieser ihnen gemeinschaftlichen
der Titel des ersten Bûches, erscheint die gesellschaftlichen Substanz sind sie
Welt der Dinge als gespenstisches Reich von Werte - Warenwerte.«37
Toten. 1m ProduktionsprozeE des Kapitals Die Gegenstânde segeln als Gespenster
als Wille und Vorstellung der Welt erlischt in der Welt des Kapitals herum, wo auch
nâmlich im Warenwert der eigentliche die menschliche Arbeit zu einem Àbstrak-
Dingcharakter. Die Dinge verlieren ihren tum wurde, nicht zu einer Arbeit des
sinnlichen oder menschlichen Charakter, SelbstbewuEtseins, sondern zur Selbstent-
so wie sie ihren Gebrauchswert verlieren, âuEerung. Daher heiÊt das bedeutendste
da ja in der betrachteten Gesellschaftsform ôkonomische Werk des 20. Jahrhunderts
nur der Tauschwert der Ware zâhlt Indem auch »Warenproduktion durch Waren«
aile Dinge zu Waren und Waren zu Geld von Piero Safra. Die Warenform der Dinge
werden, wird ein ungeheurer Abstraktions- stellt eine radikale Transformation der
prozeE eingeleitet, an dessen Ende eine Gegenstânde und der philosophischen
universale Verzeitlichung der sozialen Pro- Betrachtung der mit ihnen verbundenen
zesse steht (»Time is money.«) Die Dinge Begriffe wie Freiheit, BewuEtsein, Ich,
verschwinden gleichsam im ProzeS der Arbeit, Macht, GenieEen, Begehren etc. dar.
Abstraktion der Warenwerte. 1m Barock, der Das Ding als Ware gibt neue Geheimnisse
Morgendâmmerung des Monopolkapitalis- und Râtsel auf. Diese haben mit dem
mus, wurde daher die Allégorie hervorge- fundamentalen Grundgesetz der neuen
Dingwelt in \ ^form zu tun, nâmlich mit
der absoluter^nabhângigkeit des Tausch-
werts einer Ware von ihrem Gebrauchs-
wert Auf dem Markt verlieren die Dinge
ihre Unschuld und IdentitâL Sie spalten
sich in Gebrauchs- und TauschwerL
Als Waren überleben die Dinge nur
J
durch ihren Tauschwert. Ihre Ontologie,
Die Selbstàndigkeit der Waren, mit eigenem Leben be- ihre Metaphysik ist durch diese doppelte
gabte W esen zu sein, kein Iebloses Nicht-Ich, sondem Existenz, Ding (im Gebrauch) und
Nicht-Ding (im Tausch) zugleich zu sein,
selbst eine Art lebendiges Ich zu sein, was eben das Ge-
gebrochen. Galt bisher die Dialektik von
heimnis ihres Fetisch-Charakters ausmacht, widersetzt Ich und Ding (als Nicht-Ich), kann nun das
sich dem idealistischen Glauben an die Setzung der Dinge Ding selbst (wie das Ich) gespalten werden
durch das Ich. Der Fetisch-Charakter der Dinge als W are in Ding und Nicht-Ding. Die Entzweiung
des Subjekts (im unglücklichen BewuËt-
ist die erste Verletzung der idealistischen Ich-Philosophie,
sein) wird auf die Objekte selbst über-
die Entdeckung des Unbewufêten, ihr Waterloo. tragen. Diese »unglücklichen Dinge«
Die selbstàndige Entwicklung und Bewegung der W are heiBen Waren. Sie zâhlen nun nicht mehr
im Tausch macht sie den Lebewesen der Natur oder den wegen ihrer Nützlichkeit, ihr Wert wird
nicht mehr durch ihre Brauchbarkeit
Gôttem vergleichbar. Dadurch bleibt die W are einerseits
bestimmt, durch ihre Dinghaftigkeit,
als Gegenstand sinnlich, als W are selbst wird sie übersinn- sondem durch einen abstrakten Tausch­
lich. Dieser auratische sakrale Fetischcharakter der W are werL Daraus entsteht eine neue Qualitât
ist aber von ihr nicht zu trennen, wie Marx selbst sagt, da der Dinge: der Fetischcharakter der Ware.

er die Ware als Ware gleichsam konstituiert. Bei der Evo­ Der Glamour des Gegenstands:
lution der Maschinen wird diese Selbsttàtigkeit (Automa- die Ware - die Ware:
ten) und Selbstàndigkeit (intelligente M aschinen) noch die Geburt des Spektakels
zunehmen. Insofem ist eine Âsthetik notwendig, welche
Wir müssen uns endgültig bewuBtwerden,
diese Produkte des m enschlichen Geistes nicht über- die Dinge gibt es nicht mehr. Wir leben in
fetischisiert und mit übersinnlichen Attributen versieht, einer Welt der Waren. Auch das Land,
sondem im Gegenteil die religiôse Fetischisiem ng des die Natur sind Waren geworden. Was uns
umgibt, worauf wir unser Ich beziehen
Gegenstands unterkühlt. W enn die Gegenstânde bei den
kônnen, sind Waren. Was wir erzeugen,
Blumes wie UFOs, unidentifizierte fliegende Objekte, sind Waren. Was wir setzen, sind Waren.
schweben, dann nâhem sie sich dieser Gefahr, dem Gla- Das Geheimnis der Warenform verformt
mour des Gegenstands zu erliegen, nicht im Warenfetisch, auch unsere Ichformen, unsere Vorstel-
lungen von Souverânitât, Subjekt und
wie die Objekte der Warenkunst des Neo-Pop, sondem
SelbstbewuËtsein.
gerade durch die übersinnlich-überirdische Sakralisie- Marx schreibt in »Das Kapital«: »Eine
rung. Antithetisch kann dadurch der gleiche Pseudoge- Ware scheint auf den ersten Blick ein
brauch des Lebens, ein sich der Erfahrung verweigemdes selbstverstândliches, triviales Ding. Ihre
Analyse ergibt, daË sie ein sehr vertracktes
Pseudoleben entstehen wie beim Spektakel. Das m ônchi- Ding ist, voll metaphysischer Spitzfindig-
sche Leben wie das Konsumleben kônnen beide, wenn keitund theologischer Mucken. Soweit
auch antithetisch, ein Pseudoleben sein. Es verbindet Gebrauchswert, istnichts Mysteriôses an
sie die gleiche »Verbannung der menschlichen Krâfte ins ihr, ob ich sie nun unter dem Gesichtspunkt
betrachte, daB sie durch ihre Eigenschaften
Jenseits«. menschliche Bedürfnisse befriédigt oder
diese Eigenschaften erst als Produkt
menschlicher Arbeit erhâlL Es ist sonnen-
klar, daË der Mensch durcir seine Tâtigkeit
die Formen der Naturstoffe in einer ihm
nützlichen Weise verândert Die Form des
Holzes z. B. wird verândert, wenn man aus
ihm einen Tisch macht Nichtsdestoweni-
46 ■ger bleibt der Tisch Holz, ein ordinâres
sinnliches Ding. Aber sobald € |Ware
auftritt, verwandelt er sich in em-siimlich
übersinnliches Ding. Er steht nicht nur mit
seinen Füfien auf dem Boden, sondem er
stellt sich allen andren Waren gegenüber
auf den Kopf, und entwickelt aus seinem
Holzkopf Grillen, viel wunderlicher, als
wenn er aus freien Stücken zu tanzen
begânne. Der mystische Charakter der
Ware entspringt also nicht aus ihrem
Gebrauchswert«3S
»Woher entspringt also der, râtselhafte
Charakter des Arbeitsprodukts, sobald es
Warenform annimmt? Offenbar aus dieser
Form selbst.
Das Geheimnisvolle der Warenform
besteht also einfach darin, daS sie den
Menschen die gesellschaftlichen Charak-
tere ihrer Arbeitals gegenstândliche
Charaktere der Arbeitsprodukte selbst,
als gesellschaftliche Natureigenschaften
dieser Dinge zurückspiegelt^9
Wenn die Eigenschaften sozialer Pro-
dukte und Prozesse, die verânderbar sind,
eben weil sie sozial sind, als Eigenschaften
von Dingen oder gar der Natur ausgege-
ben werden, dann deswegen, um die
Idee der Verânderbarkeit unmôglich zu
machen, und um die endgültige Unter-
werfung des Ichs unter das Ding als
absolut und unabwendbar zu stabilisieren.
Das Ding wird zum Gott.
»Um daher eine Analogie zu finden,
müssen wir in die Nebelregion der
religiôsen Welt flüchten. Hier scheinen
die Produkte des menschlichen Kopfes
mit eignem Leben begabte, untereïnan-
der und mit den Menschen in Verhâltnis
stehende selbstàndige Gestalten. So in
der Warenwelt die Produkte der mensch­
lichen Hand. Dies nenne ich Fetischismus,
der den Arbeitsprodukten anklebt,
sobald sie als Waren produziert werden,
und der daher von der Warenproduktion
unzertrennlich ist.<d°
Marx verwehrt sich also gegen »den
gegenstândlichen Schein der gesellschaft­
lichen Charaktere der Arbeit«. Der
Universalismus des Warenfetischs, das
Vordringen der Warenform in aile Berei-
che des Lebens, heifSt Reifikation (Ver-
dinglichung). Dann, wenn eben aile
sozialen Beziehungen des Menschen wie
Dinge behandelt werden. Er wehrt sich
somit gegen ein Selbst und ein BewuSt-
sein als Ding, gegen ein gegenstând-
liches Sein, gegen den ProzelS der univer-
salen Verdinglichung.
Die Herrschaft der Ware nimmt das ge- 47
samte gesellf iliche Leben in Beschlag.
Sie verwanderwflcht nur.die menschliche
Arbeit zur Ware Arbeit, zur Lohnarbeit,
sondem sie verwandelt auch die künstleri-
schen Produkte in Ware. »Die Kultur, die
ganz und gar zur Ware geworden ist, muS
auch zur Star-Ware der spektakulâren
Gesellschaftwerden«, schreibt daher
Durch die Erzeugung der Dinge durch die Menschen 1967 Guy Debord, die Zentralfigur der
haben die Dinge auch Eigenschaften ihrer Erzeuger: intemationalen Situationisten, der viel-
leicht wichtigsten Kunstbewegung Ende
durch die beabsichtigte Delegierung menschlicher Trieb-
der 50er Jahre, in seinem einflufirei-
mom ente und Eigenschaften an die O bjekte selbst, beneh- chen Werk »Die Gesellschaft des Spek-
men sich die Dinge scheinbar wie Menschen. Man baut takels«.41 Jedes Erlebnis, jede Erfahrung
viele Maschinen, damit diese m enschliche Funktionen wird in der totalen Warenwelt zum
Spektakel. »Die zugleich anwesende
übem ehm en. Man konstruiert viele Dinge, um m enschli­
und abwesende Welt, die das Spektakel
che Bedürfnisse besser zu befriedigen. Jed es Ding ist zur Schau stellt, ist die jedes Erlebnis
grundsâtzlich anthropomorph. Die Dinge geben auch beherrschende Warenwelt«42 Im
Auskunft über ihren Produzenten. Die Dinge in »Vasen- Spektakel beschlagnahmt die Ware das
gesamte gesellschaftliche Leben.
Extasen« bewegen sich so, als glaubten sie an die Aufer-
Der gegenstândliche Schein fâllt auf
stehung. Die Verbannung der menschlichen Krâfte und die Gesamtheit der sozialen Prozesse, auf
Hoffnungen ins Jenseits, die im Entsagen der Lust artiku- die Verhâltnisse zwischen Personen und
liert wird, übertràgt sich auf die Dinge. W enn sie wie UFOs Dingen, wie auf die Verhâltnisse zwischen
Personen und Personen. Das Spektakel,
erscheinen, wie übersinnliche Dinge aus einer anderen das die Wirklichkeit verkehrt, »ist eine
Welt, aus dem Jenseits, dann eben deswegen. Die Erlô- Anschauung der Welt, die sich vergegen-
sungssehnsucht der Subjekte in den W erken der Blumes stândlichthat«43 Das Spektakel ist »die
wird sogar von den abgebildeten O bjekten geteilt. Dies ist Behauptung jedes. .. gesellschaftlichen
Lebens als eines bloEen Scheins«.44 »Das
ebenfalls eine Konsequenz der idealistischen Philosophie Spektakel ist nicht nur der Diener des
und Âsthetik. Die Fotos bilden gleichsam die ekstatischen Pseudogebrauchs, es ist bereits in sich
Zustënde eines Chors ab, der aus Dingen und Subjekten selbst der Pseudogebrauch des Lebens.«45
»Das Spektakel unterjocht sich die leben-
besteht, die aile an die Wiederauferstehung glauben.
digen Menschen. Es ist der getreue
Widerschein der Produktion der Dinge
und die ungetreue Vergegenstândlichung
der Produzenten.«46 »Das Spektakel ist
die technische Verwirklichung der Ver­
bannung der menschlichen Krâfte in ein
Jenseits; die vollendete Entzweiung im
Inneren des Menschen.«47
Wir sehen, wie die Denkfiguren von
Hegel bis Maixwiederkehren und weiter-
leben, zu Ende gelesen werden, aller-
dings als verdoppelte Kritik, als négative
Dialektik.
In der Warengesellschaft gibt es also
weniger Erkenntnis der Dinge, als verding-
lichte Erkenntnis, werden die Erscheinun-
gen nicht mehr gerettet, sondem jede
Rettung ist Schein. Die Gegenstânde der
Erfahmng werden zur Vergegenstândli­
chung der Erfahrung. Die Selbstreflexion
wird zum Spektakel von Waren, die sich
selbst anschauen. Auch Raum und Zeit
werden zu Warenformen. War bei Kant
48 die Zeit »die wirkliche Form der inneren
Anschauung«, so sagt D e b o rf^ ^ r den
Hochkapitalismus: »Die pseuc.wfklische
Zeit ist in Wirklichkeit nur die konsumier-
bare Verkleidung der Zeit der Produktion,
der Zeit als Ware. Die Zeit die ihre Basis in
der Produktion der Waren h at ist selbst
eine konsumierbare Ware.«48 Die zykli-
sche Zeit der Naturwird von derpseudozy-
klischen Zeit der Wirtschaft überlagert und
durchbohrt Die Warenzeit gekennzeich-
net von den Spiralen des Tauschwerts, die
neue begehrte Unendlichkeit, triumphiert
über die Zeit des Kôrpers und dessen
Endlichkeit Monopol auf (geschichtliche
und wirtschaftliche) Zeit bedeutet Herr-
schaft über das Sein, daher tendieren die
Meister des Seins danach, Zeit als Ware zu
verkaufen (z. B. Kredite) und erlebbare
Zeit im pseudozyklischen Warenkon-
sum sozial abzuschaffen. Erlebbare Zeit
wird zur Zeit der Produktion und zur Zeit
des Konsums entfremdet Daher: »Die
Wirklichkeit der Zeit ist durch die
Werbung fur die Zeit ersetzt worden.«49
Chronokratie als Warenzeit
Bei dieser gesellschaftlichen Herr-
schaft der Zeit als Ware ist »die Zeit ailes,
der Mensch nichts mehr; er ist hôchstens
noch die Verkôrperung der Zeit« (Das
Elend der Philosophie.) Es ist die entwer-
tete Zeit die vollstândige Umkehrung
der Zeit als »Raum der menschlichen
Entwiddung«.50

Das Ich und die Medien:


die Zeichen als Waren

Der Ort wo die Gesellschaft des Spektakels


sich stândig emeuert, sind die .Massen-
medien. Dort erhâlt der Konsument die
Produkte seiner Enteignung als ÜberfluÊ
der Enteignung zurück. Der Patient wird
in der Konsumgesellschaft an den Wunden
seines knechtischen BewuStseins operiert,
indem er noch für das bezahlt was ihm
ohnehin schon geràubtworden ist seine
Rendite ist die Narkose Konsumsucht das
GenieEen ohne Wissen.
»Die Entfremdung des Zuschauers
zugunsten des angeschauten Objekts
(welches das Ergebnis seiner eigenen
bewuStlosen Tâtigkeit ist) drückt sich so
aus: je mehr er zuschaut um so weniger
lebt er; je mehr er sich in den herrschen-
den Bildem des Bedürfnisses wiederzuer-
kennen akzeptiert um so weniger ver-
steht er seine eigene Existenz und seine
eigene Begierde. Die Âufierlichkeit des
Spektakels im Verhâltnis zum tâtigen
Menschen ei mt darin, daS seine eige-
nen Gesten nrci-fcmehr ihm gehôren, son-
dem einem anderen, dersie ihm vorführL«51
Dies ist eine Zustandsbeschreibung
der Funktion des Femsehens, der wenig
hinzuzufügen wâre. Die Massenmedien als
neue Kategorie der Warenform enteignen
und kolonisieren das Subjekt auf sanfte
Weise, fastim Schein derWunscherfüllung.
Der enteignete Mensch, solcherart
narkotisiert durch das Spektakel, fühlt
seine Enteignung nicht mehr. Was man
ihm gestohlen hat, verkauft man ihm
wieder. Wir sind im Reich der Hyperrealitât
gelandet, wo der Unterschied zwischen
Land und Landkarte, zwischen Wirklich-
keit und Medien verschwunden ist
»Die ganze Zeit und der ganze Raum sei-
ner Weltwerden ihm bei der Akkumulation
seiner entfremdeten Produkte fremd.
Das Spektakel ist die Landkarte dieser
neuen Welt, eine Landkarte, die genau ihr
Territorium deckt«52 Von hier aus startet
Baudrillard mit der Beschreibung der
Massenmedien als hyperreale Landkarte,
die das Land selbst zudeckt
D,en Begriff der Hyperrealitât als totale
Simulation, als totale »Agonie des Realen«
hat Jean Baudrillard eingeführt und ausge-
arbeitet, der übrigens eine Zeitlang Wegge-
fâhrte von Guy Debord war. 1968, ein Jahr
nach Debord, verôffentlichte Baudrillard
das Buch »Le système des objets« (Das
Dingund das Ich), eine Untersuchungüber
die Gegenstânde und den Verbrauch. Hat
Marx Kant umgedreht, so verôffentlichte
Baudrillard 1972 »Pour une critique de
l’économie politique du signe«, eine
Replik auf Marx’ »Zur Kritik der politi-
schen Ôkonomie« (1859).
In diesen wie in den spâteren Werken
»Le miroir de la production« (1973) und
»L’échange symbolique et la mort«, 1976
(Der symbolische Tausch und der Tod) hat
Baudrillard versucht, mit einer »politi-
schen Ôkonomie des Zeichens« eine Aus-
dehnung des Wertgesetzes der Ware auf
der Stufe des Zeichens nachzuweisen.
Diese strukturelle Révolution beruht im
Prinzip darauf, zu zeigen, wie die Marxsche
Spaltung der Ware in Gebrauchs- und
Tauschwert 50 Jahre spâter von der
Saussureschen Spaltung des Zeichens
in Signifikat und Signifikant wiederholt
wurde. Der Austausch der sprachlichen
Zeichen in der Zirkulation des Sinns folgt
dem Austausch der Waren im Kreislauf
des Geldkapitals. Saussure setzte bereits
50 die Natur des Zeichens mit dem Tausch,
dem allgemeinen W ertgeset2^'"N '|dem
Geld in Beziehung. »Auch auk_^àlb
der Sprache werden aile Werte. . . immer
gebildet: 1. durch etwas Unâhnliches, das
ausgewechselt werden kann gegen das-
jenige, dessen Wert zu bestimmen ist
2. durch âhnliche Dinge, die man verglei-
chen kann mit demjenigen, dessen Wert
in Rede steht So muS man zur Fest-
stellung des Wertes von einem Fünfmark-
stückwissen: 1. daÊ man es auswechseln
kann gegen eine bestimmte Menge
einer anderen Sache, z. B. Brôt, 2. daS
man es vergleichen kann mit einem
âhnlichen-Wert des gleichen Systems,
z. B. einem Einmarkstück, oder mit einer
Münze eines anderen Systems, z. B.
einem Franc. Ebenso kann ein Wort aus­
gewechselt werden gegen etwas Unâhn­
liches: eine Vorstellung, auSerdem kann
es verglichen werden mit einer Sache
gleicher Natur: einem anderen Wort«53
Diese bedeutsame Passage - aus ihr hat
sich in der Folge eine Affinitàt zum Marx-
schen Wertgesetz ergeben - hat zusam-
men mit Saussures Vergleich des Geldes
mit der Sprache den spâteren Denkem er-
môglicht, das Warengesetz auf die Zeichen
auszudehnen. Die doppelte Erscheinungs-
form des Zeichens als Signifikat und Signi-
fikant wird mit der doppelten Erschei-
nungsform der Ware als Gebrauchswert
und Tauschwert in Beziehung gesetzt
Auch die Zeichen gehorchen und stehen
unter dem Gesetz der Ware. Marx hat
beschrieben, wie das Produkt zur Ware
wird, zu einem bloÊen Moment des Austau-
sches. Das Produkt wird zur Ware und
die Ware zu einem Tauschwert verwan-
delt Nur im Austausch realisiert sich der
(Tausch-)Wert der Waren. Damit die Ware
ihrem Tauschwert gleicht, wird sie für ein
Symbol ausgetauscht, das ihren Tausch­
wert symbolisiert So funktioniert auch
das Zeichen als Symbol. Als symbolischer
Tauschwert kann sie für jede andere
Ware getauscht werden. Da das Produkt
eine Ware wird und die Ware ein Tausch­
wert, erhâlt das Produkt, zuerst nur im
Kopf, eine doppelte Existenz, die vor-
stellungsmâfiige (entspricht dem Signifi­
kat) und die materiale (entspricht dem
Signifikant). Diese Verdoppelung gelangt
aber zu dem Punkt, wo die Ware (und
das Zeichen) im realen Austausch doppelt
erscheint: als ein natürliches Produkt auf
der einen Seite und als unsinnlicher
Tauschwert auf der anderen. Deswegen
ist Ware Geld. »Das Râtsel des Geld-
fetischs ist dz "lur das sichtbar gewor-
dene, die Aug,__.jlendende Râtsel des
Warenfetischs.«54
Die Massische Gestalt des linguistischen
Zeichens ist eben durch Baudrillard
diesem Wertgesetz der Ware unterstellt
worden. Der Austauschbarkeit aller Waren
entspricht die Austauschbarkeit aller Zei-
chen. Unter funktionaler Dimension der
Sprache versteht man die Beziehung des
Ausdrucks auf das, was dieser Ausdruck
bezeichnet, die Beziehung des Signifikan-
ten auf sein Signifîkat so wie sich ein
Geldstück auf das bezieht was man im
Austausch dafùr erhalten kann. Doch
die Beziehung des Signifikanten auf sein
Signifîkat ist unterbrochen, gebrochen,
wie der Aufstand der Abstrakten seit 1910
bezeugt, die Kappung der Referenz auf
das Reale wurde als Folge der fortschreiten-
den Technologisierung unserer Lebens-
weltverursacht So wird die strukturelle
Dimension der Sprache mehr und mehr
zum Begriff des Wertes, womit die Bezieh-
barkeit aller Ausdrûcke aufeinander
gemeint ist, die dem Gesamtsystem inne-
wohnt und sich aus distinktiven Oppositio-
nen herleitet Das ist die strukturalistische
Sprachlehre von Roman Jakobson, auf
die sich auch Lacan bezieht Man kônnte
sagen: »Der Referenzwert wird abgeschafft
und übrig bleibt allein der strukturale
Wertzusammenhang.« (Baudrillard) In
dieser totalen Beziehbarkeit und allgemei-
nen Austauschbarkeit Kombinatorik und
Simulation korrespondieren die Signifi-
kanten mit den Tauschwerten, und das
Signifîkat erhâlt die Rolle des Gebrauchs-
wertes. Der abstrahierten totalen Aus­
tauschbarkeit der Waren im Kapitalismus
entsprechen derart die »frei flottierenden
Signifikanten«, welche die semiokratische
Katastrophe des Kapitalismus erzeugen, das
Nihile des Todes am Ende der Tauschkette
als letzter, nicht transzendierbarer Wert.
Der Ozean dieser frei flottierenden
Signifikanten ist die Logo-Kultur. Die
Zeichen als Waren erzeugen eine neue
spezielle Zeichenklasse, nâmlich die
Warenzeichen, die Logos. Diese ersetzen
die bisherigen Zeichen, Ikon, Index,
Symbol, wie die Waren selbst die Gegen-
stânde substituieren. Wir sagen ja auch
nicht Hebstoff, nennen also den Gegen-
stand nicht bei seinem Gebrauchsnamen,
sondem nennen die Ware bei ihrem Logo
(dem Warenzeichen, dem Tauschnamen).
Allerdings ist hier ein Mapping zwischen
52 Landkarte und Land, zwischen Zeichen
und Dingen, zwischen Logos^ ~"W¥aren
durch Anwendung linguistisc^>3esetze
wie distinktive Opposition môglich.
Die Logokultur, die Welt der Waren­
zeichen, ist eine weitere Station der von
der Ware ausgelôsten Abstraktion und
Verspektakulisierung sozialer Prozesse.
Aber flottieren die Signifikanten
wirklich so frei wie die Wâhrungen?
Was bedeutet die Dominanz des Tausch-
wertes und der Signifikanten über den
Gebrauchswert und die Signifikate
fürunsere Gesellschaft? Baudrillard antwor-
tet die totale Agonie des Realen, das
Ende derGeschichte, das Ende der
Referenz. Die Simulation der Hyper-
realitât ist nicht mehr von der Realitât zu
unterscheiden. Die universale Reifikation
ist so weit gediehen, dafi nur mehr aus
dem Horizont der Objekte selbst, in
ihren Duellen, die Gestalt des Menschen
gesichtet und gerettet werden kann.
Für die Problematik des entfremdeten
Menschen, den sozialen Klon, »dem seine
eigenen Gesten nicht mehr gehôren, son-
dem einem anderen, der sie ihm vorführt«,
wie Debord ihn beschrieben hat, erzâhlt
Baudrillard folgende Geschichte:
»Sie ereignete sich im 18. Jahrhundert
Ein Zauberer, sehr bewandert auf dem
Gebiet der Uhrmacherkunst hatte einen
Automaten konstruiert Die Maschine war
ihm so gut gelungen, ihre Bewegungen
waren so geschmeidig und natûrlich, dafi
die Zuschauer, als beide auf der Bühne
erschienen, sie nicht voneinander unter­
scheiden konnten. Um dem Schauspiel
einen Sinn zu geben, sah sich der Meister
veranlaBt, seine eigene Bewegung und
darüber hinaus seine ganze Erscheinung
zu >mechanisieren<, denn die Zuschauer
überkam immer stârker das beldem-
mende Gefühl, sich nicht für den >Echten<
entscheiden zu kônnen, und es war immer
noch besser, sie hielten den Menschen fur
den Automaten und vice versa.«55
Die Dinge werden durch die Technik
so perfektioniert, da£ sie den Menschen
in seinen Leistungen übertreffen und
der Mensch sie nur noch simulieren kann.
Die hohe Perfektion seiner eigenen Pro-
dukte zwingt den Menschen - eben weil
der gesellschaftliche Charakter seiner
Produkte im Warenhandel verlorengeht
und als Warenfetisch regiert- sich diesen
Pseudo-Eigenschaften einer Pseudo-
Welt anzupassen. Soziale Klons dieser
Warenwelt beherrschen besonders die
Welt des Samstag-Nacht-Fiebers.
Das Ich und^ Leib

Um die pessimistischen Folgen der Hegel-


Linie zu venneiden, kam es immer wieder
zu Versuchen der Umkehr und der
Umwertung. Die einfluSreichste Gegen-
bewegungist die »phânomenoIogische
Reduktion« geworden, die »Wesenser-
kenntnisse« feststellen will und durchaus
keine »Tatsachen«. Diese neue Méthode,
1907 von Husserl formuliert56, will als
»Wesenswissenschaft« vom psychologi-
schen Phânomen zum reinen »Wesen«
bzw. im urteilenden Denken von der
tatsâchlichen (empirischen) Allgemein-
heit, zur »Wesens«-Allgemeinheit über-
führen. »Nicht eine Wesenslehre realer,
sondem transzendental reduzierter
Phénomène soll unsere Phénoménologie
sein.«57
Anfénglich folgt auch die Phénoméno­
logie in der Beziehung Ich und Ding
noch der idealistischen Spur. »Was finde
ich vor als Ich und was als Ichgegensatz,
als Nichtich, als ichfremd? Die Dinge sind
mir gegenüber, Nichtich, ichfremd.«5S
Doch sogleich wird eine Wesenheit
eingeführt, der Leib, welche die uns schon
bekannte Doppelstruktur, denn sie léSt
sich nicht vermeiden, weiterführt
Der Leib wird zum Ausdruck der Dinge
wie der Subjekte.
»Auch mein Leib ist mir gegenüber als
Kôrper, aber nicht als Leib; der Stofi, der
meine Hand, meinen Leib trifft, trifft
>mich<. Mein Leib ist einmal ichfremdes
Objekt, mir gegenüber so gut wie andere
Dinge, wenn er eben als Leibkôrper, als
das Ding da, das in der Tat Ding ist wie ein
anderes, genommen wird. Der Leib ist
aber auch Tréger von Empfindungsfeldem
etc Der Leibkôrper als Tréger von Empfin-
dungsdaten, die in ihm >lokalisiert< sind,
als Substrat von Empfindungsfeldem
ist in übertragenem Sinne subjektiv«;59
Indem das Ichfremde, das Ding, und
meine subjektiven Empfindungen ein
gemeinsames Medium haben, den Leib,
kann der Leib für die Konstmktion des
Ichs nicht ausreichend sein, obwohl er
Teil davon sein muÊ. Das Subjekt
begleitet zwar den Leib bei seinen Tétig-
keiten, Ichakten (»Ich als Subjekt des
willkürlichen oder unwillkürlichen
>ich tue< «)60, muB aber mehr sein als bloB
ein Subjekt der »Akte« (»Ich merke auf,
ich glaube, ich zweifle...«). Es wird also
die Unterscheidung zwischen einem
54 reinen Ich und einem persônlichen Ich
notwendig. Da das Ich in seir^ 'kten lebt
und vermôge derer seine Bezitndng
zur Umwelt schafft, heifit das: das reine
Ich ist das Subjekt eines jeden Cogito in
der Einheit des Erkenntnisstromes, ist
aber ohne Realitât Da aber jedes Cogito
(ich denke) ein gegenstândliches Korrelat
hat, das im Cogito als sein Cogitatum
bewuSt ist, haben wir auch zum Wesen
des reinen Ichs gehôrige Beziehungen
auf Gegenstândlichkeit, der wir das
persônliche Ich entnehmen.,
»Für das persônliche Ich, das sich als
komprehensive Einheit konstituierende,
besagt das, daS Ich und Umwelt zusam-
men gehôren und voneinander untrenn-
bar sind. Das Ich hat die Umwelt sich
gegenüber, und zwar als naturhafte
Sachenwelt und als persônliche Welt,
deren personales Glied es ist«6!
Hier sehen wir deutlich, wie die Marx-
sche Analyse umgangen wird. Da nicht zu
leugnen ist, dalS die Umwelt, die Dinge
auch Produkte des Menschen sind, spricht
Husserl von einer persônlichen Welt, da-
mit bezeichnet er den Beitrag der Kon-
struktion und Konstitution der Welt durch
den Menschen, deren Glied er ist Dieser
in Ansâtzen vorhandene Konstruktivismus
wird aber sogleich geschwâcht, indem der
soziale Charakter auch der allgemeinen
Dinge wieder als «naturhafte Sachenwelt«
ausgegeben wird. Die Welt der Dinge
wird also teilweise durch die Subjekte
konstruiert als «Wirkungssphârè der
Personen«. Dieser Welt steht aber fein
sâuberlich getrennt die Welt der Natur
gegenüber. Das Ich als Person und als Mit-
glied der sozialen Welt driftet schlieÊlich
durch den «doppelten Leib« doch ab zum
Ichsubjekt als Natur, weil «die tragende
Grundschicht aller Realitât die Kôrper-
lichkeit ist«62
Die Verführung der Phénoménologie
besteht darin, durch eine «Transzendenz
in der Immanenz« 'die metaphÿsischen
Fallen der Kantschen Philosophie als
einer kaum einlôsbaren Ich-Idealitât zu
vermeiden, aber gleichzeitig den Verfall
des Subjekts, die Relativierung des Ichs
und seiner absoluten Souverânitât, die
der Hegel-ünie entspringt, aufzuschie-
ben. Im «phânomenologschen Residuum«
kann das BewuEtsein nochmals als
absolûtes Sein gesetzt werden. Über
den Leib schlàgt das Ich seine Brücke
zum Leben.
Dies anders zu sehen wâre natürlich
dumm. Doch die Phénoménologie
verkehrt im Tripel Sein, Leben, Leib physisches und nur so konkretes
(»Ich bin, dieses mein Leben ist, Ich lebe: Ganzes.«56 Dies ist nur môglich vermôge
cogito«)63 heimlich auch das Cogito, ihrer WesensgemeinschafL da »Einheit
und damit das Ich, das Subjekt, in ein eines Ganzen« nicht »anders sein kann als
Naturfaktum. Die von Marx beklagte einig durch das eigene Wesen seiner
und in seiner erwâhnten Geschichte Teile, die somit irgendwelche Wesens-
bezeichnete Umkehrung der Verhélt- gemeinschaft statt prinzipieller Heteroge-
nisse von Natur und Geschichte, nitéthaben müssen.«67 Die Unterdrük-
von Natur und Gesellschaft, von natür- kung der Heterogenitét, die Beschwôrung
licher und sozialer Konstruktion der Welt, der Wesensgemeinschaft hat ja dann im
nâmlich den Widerschein der mensch- Nationalsozialismus seine fatalen sozialen
lichen Produkte in der Umwelt als natür- Auswirkungen gehabt
liche Eigenschaften der Dinge auszu-
geben, also Geschichte in Natur rückzu-
verwandeln, gilt letztlich auch für die Phé­
noménologie, eben durch ihre problemati-
sche Setzungvon Ich und Leib.
»Was das meint, Ménsch und mensch-
liche Seele als Natur (das Menschliche
môge uns als Représentant des Animali-
schen überhaupt genügen), das halten wir
fest fixierl Wir finden dann keine Schwie-
rigkeiten darin, daB die menschliche Seele
unter anderen seelischen Zusténden sozu-
sagen ichliche Zusténde hat, Vorkomm-
nisse des Typus cogito. Sie werden,
wie Seelisches überhaupt, in der natura-
listischen Erfahrung dem physisch
erscheinenden Leibe bei- bzw. >einge-
legt<, mit ihm in der bekannten Weise
lokalisiert und temporalisieit Sie
gehôren in den Verband der realen
(substantialkausalen) Natur. Das betrifft
mit das in diesen Zusténden lebende
empirische Ich. Dieser Mensch dort
sieht und hôrt, vollzieht auf Grund
seiner Wahrnehmungen die und die
Urteile, die und die Wertungen und
Wollungen in vielgestaltigem Wechsel.
DaB >in< ihm, diesem Menschen dort, ein
>Ich denke< auftaucht, das ist ein Naturfak­
tum, fundiert in dem Leibe und leiblichen
Vorkommnissen, bestimmt durch den
substantialkausalen Zusammenhang der
Natur, die eben nicht bloBe physische
Natur ist, wêhrend doch die physische
die aile sonstige Natur begründende und
mitbestimmende ist«64
Das Ich, »bloB als BewuStsein betrach-
tet und abgesehen vom Leibe und den
Leibesorganen«, dieses Ich ohne Leib
und Natur (die Gesellschaft erscheint
nicht als Faktor der Konstruktion),
erscheint »wie etwas in sich Wesenloses,
ein leeres Hinsehen eines leeren >Ich<«.65
Das Wesen des Ichs ist also der Leib.
Ohne den Leib ist das Ich leer. Damit
werden »Bewu8tsein und Dinglichkeit«
wieder eins, wieder »ein verbundenes
O

57
Das Ich u n c ^ J) Sein

Eine âhnliche, aus der gleichen Quelle


stammende Suche nach dem Authenti-
schen, nach den Ursprùngen, nach dem
Wesen des Wirklichen »unter der Herr-
schaft der Technik« und in einer »Welt
K als die Verwahrlosung der Dinge«68, hat
Es war, so hoffe ich, zu erkennen, dafë die Bildphilosophie ja bekanntlich auch zu fatalen Verwechs-
der Blumes dem idealistischen Ursprung der Ich-Philoso- lungen geführt, nâmlich Heideggers Ver-
such der ontologischen Umkehr.
phie gem e gefolgt ist, aber daS ihr die vom »linken« Hegel
Nach Heidegger bedeutetTechnik
eingeführte, eiskalte Entwicklungslinie über Marx, De- Aufhebung der Natur und des Leibes.
bord und Baudrillard etwas fremd blieb. Die phânomeno- Daher zerbricht die Technik die Struktur
logische Leib-Philosophie kom mt ihr da viel eher entge- des Subjekts. Durch die technische Um-
formung des Kôrpers (Funk, Film, Fem-
gen. Denn hier scheint der alte Dualismus zwischen Ding
sehen, Telefon, Telegrafie, Auto etc.) wird
und Ich, der nur durch aile môglichen Verabsolutierungen der Kôrper tendenziell ersetzt vergessen.
wie »Ding an sich«, »abstraktes Ich« etc. zu kitten war, So wie die Technik insgesamt Seinsver-
durch den Leib, der sowohl Ding als auch Ich ist, aufgeho- gessenheit betreibt Die Technik verstellt
uns den Zugang zu den Dingen, zur Natur,
ben. Die Denunzierung des Ichs, als bloSes BewuBtsein,
zur WelL Aber sie verstellt auch noch
als leeres Ich, und die gleichzeitige Deklarierung des Den- dieses Verstellen. Die Natur und das
kens als Naturvorgang wûrden die Blumes aber kaum mit- Sein werden vergessen. Der Prozefi des
tragen, zu sehr wâre dies Verrat am transzendentalen Vergessens lâSt auch dieses vergessen.
Mit dem Vergessen der Natur gérât auch
Erbe. Eine Verbindung von Hegel und Phénoménologie der natürliche Kôrper in Vergessenheit
via Freud ergibt daher noch am ehesten einen Referenz- Das Ich, das den Leib, den natürlichen Kôr­
Rahmen, der paSt. Wir landen also bei Lacan. per braucht, verliert so seinen Hait Seine
technische Deterritorialisation durch die
Das Subjekt in »Vasen-Extasen«, diese leere Form des
Teletechnologie hat das Ich in eine neue
Ichs (subjektiv, irrational, dysfunktional) in einem leeren Kategorie der res extensa aufsteigen lassen,
Zimmer ist dergestalt ein Klon und Zauberer, wie ihn He­ nâmlich in das Infinité, wo es sich technisch
gel, Debord und Baudrillard beschrieben haben: ein ent- immaterialisiert verflüchtigt
In der technischen Welt, wo der Kôrper
fremdetes, entàuSertes, verdinglichtes Pseudo-Subjekt,
technotronisch immaterialisiert wird, ver­
das sich an das Nicht-Ich, die Dingwelt, angepaÊt hat, wie liert das Ich seinen Grund. Mit der Natur
die Fotos zeigen, sogar so weit, dafè die Vase als »Ding an und dem Kôrper wird auch das Ich ausge-
sich« dieses Subjekt schliefèlich verschluckt, einverleibt, trieben und ersetzt Die Grundlosigkeit
ist das Wesen der Technik, die eben nicht
konsumiert. Nicht das Subjekt verleibt sich also das Nicht-
in der Natur vorgezeichnet ist Sie setzt
Ich, Objekt, durch Anpassung und Synthèse im Sinne die Môglichkeiten der Natur nicht frei,
Schellings als Ich ein, sondem der Gegenstand verleibt sie entbirgt die Wahrheit nicht sondem
sich das Ich ein, wie das letzte Foto der Sérié zeigt. Was ge- stellt die Natur blog ins Gestell. Dadurch
entstellt sie die Natur.
schieht aber, wenn sich herausstellen sollte, da£ die Ent- Worauf wâre dann das Ich, das Subjekt
àuSerung als Nicht-Ich (als O bjekt) zur Struktur und Kon- zu gründen, wenn ailes Sein technisches
stituierung des Ichs selbst gehôrt und von ihm untrennbar Sein, grandiose Seinsvergessenheit
ist? geworden ist wo Natur und Leib kaum
mehrvorkommen, und wenn die Einheit
von Natur und Mensch, von Sein und
Subjekt zerfallen ist?
Die Technik ist also die totale Bedro-
hungund Gefahr. Da das Wesen der Tech­
nik, das ist die Kehre, aber das Wesen
des Seins selbst ist - das gehôrt zu den
Geheimnissen des Seins, die gleiche
Kategorie wie einst das Geheimnis der
58 Ware und des Geldes - erscheint dort
auch das Rettende. H eid eggr'^ bst hat
aber diesen Weg nur angedeVbw/und ist
vielmehr den anderen gegangen, den
Weg der Archaisierung. Er stellt die
Frage nach dem Ding in bezug auf das
Sein und nicht auf das Ich. Das Ding, um es
zu retten, wird also noch weniger soziales
Produkt als es bisher war, sondem das
Dinghafte des Dinges wird noch mehr Kann das SchluÊbild, das Versinken des Ichs im Ding
zumckgeschraubt und im Sein verankert nicht auch als narziStische Vereinigung mit dem Objekt
Die idealistische Philosophie hat das Ich gesehen werden? Die Vase selbst ist symbolisch ambiva­
mit dem Sein in Beziehung gesetzt »Rei-
nes Seyn nâmlich ist ursprünglich nur im lent. Klarerweise ist sie zuerst einmal ein GefâE, ein Uté­
Ich«, sagt Schelling69, die »Urform des Ichs rus. Man sagt sogar von manchen W esen, sie seien eine
ist die des reinen Seyns«.'° Heidegger »Vase der Innerlichkeit«. Die Vase ist deswegen eine
bezieht hingegen das Ding auf das Sein,
künstlerisch hervorragende Wahl, weil im Grunde aile
was letztlich zur Exklusion des Ichs führt
Das Ding als Trâger von Merkmalen, als Môbel neben ihrer praktischen Aufgabe die Funktion ha-
Einheit von Empfindungen, als geformte ben, in der Vorstellung als GefâS zu dienen.
Materie - diese traditionellen Defmitionen Die Form, welche Innen und Aufêen abgrenzt, zwischen
der Dinge lehnt Heidegger als Vorgriffe ab,
Ich und Gegenstand, haut also Behâlter, die jeweils ein In­
weil sie »die Besinnung auf das Sein des
jeweilig Seienden« unterbinden. Er situiert nen und Aufèen haben. Dadurch entstehen zwischen den
das Ding zwischen Zeug und Werk. Das diversen Behâltem (Dingen) transzendentale Entspre-
Zeug ist das Seiende, das »dem Vorstellen chungen. Das Haus (mit seinem Intérieur und seiner Um-
der Menschen in einer besonderen Weise
nahe ist weil es durch unser eigenes Er-
welt) wird zum symbolischen Àquivalent des mensch-
zeugen ins Sein gelangt«71 Das Ding wird lichen Kôrpers, aber auch die Vase selbst kann mit dem
bestimmt als soziales Produkt des Men­ m enschlichen Leib korrespondieren. W enn das Subjekt in
schen, aber es gelangt nicht in die Gesell- der Vase verschwindet, wird es nicht allein durch das Ob­
schaft sondem ins Sein. Dort dient es,
hat Funktion, nâmlich VerlâSlichkeit, jekt ausgelôscht, sondem verschmilzt auch mit seinem
Vertrauen und Geborgenheit zu erzeugen. symbolischen (transzendenten) Ich. Es ereignet sich eine
»Das Zeugsein des Zeuges besteht zwar in Transsubstantiation der Natur. Da jed er Gegenstand so-
seiner Dienlichkeit aber diese selbst ruht
wohl als Produkt des Menschen als auch der transzenden-
in der Fülle eines wesentlichen Seins
des Zeuges. Wir nennen es die VerlâSlich­ talen Korrespondenzen wegen grundlegend anthropo-
keit Kraft ihrer ist die Bâuerin durch dieses m oiph ist, was natürlich ebenfalls für die Ware gilt, ist der
Zeug eingelassen in den schweigenden Mensch mit den ihn umgebenden Dingen fast auf die glei-
Zuruf der Erde, Kraft der VerlâSlichkeit
che W eise verbunden wie m it den Organen seines eige-
des Zeuges ist sie ihrer Welt gewiS...
die VerlâSlichkeit des Zeuges gibt erst der nen Kôrpers, der ja auch Ich und ichfremd zugleich sein
einfachen Welt ihre Geborgenheit... Das kann (wiê Husserl sagt). Das Verschwinden im Gegen­
Zeugsein des Zeuges, die VerlâSlichkeit stand hat also auch ein Verschwinden im sich entâuÊerten
hâlt aile Dinge je nach ihrer Weise und
Weite in sich gesammelt«72 Wird das Zeug
Ich zu bedeuten, das seine Wirklichkeit hergestellt hat, ein
im Tausch zur Ware, »abgenutzt und ver- ' verqueres Inbesitznehmen des Gegenstandes durch orale
braucht«, »so kommt das Zeugsein in die Einverleibung. Das Ziel ist offensichtlich die orale Form
Verôdung, sinkt zu bloSem Zeug herab.«73
der Vase, die Ôffnung, der Utérus, der Behâlter, das psy-
Hegels Verwüstung kommt zur Sprache.
Das Ding aïs Ware ist also verôdetes
Zeug für das leere Ich, ohne Aura und Ar-
chaik, von blanker Dienlichkeit Nicht die
»Gebrauchsdinge« mit ihrer »langweiligen
aufdringlichen Gewôhnlichkeit« zeigen
uns das Wesen des Zeugseins. Nicht die
Herstellung, die Produktion von Schuh-
zeug, auch nicht der Gebrauch, die Ver-
wendung.von Schuhzeug, auch nicht 59
Ichakte und Ç tindungen des BewuSt-
seinsstroms gc®en uns zu wissen, was das
Zeug in Wahrheit ist »Vielmehr kommt
erst durch das Werk und nur im Werk das
Zeugsein des Zeuges eigens zum Vor-
schein. Im Werk ist, wenn hier eine Erôff-
nung des Seienden geschieht in das, was
und wie es ist, ein Geschehen der Wahr­
chische Intérieur. Es ist der Gegenstand, der sich durch heit am Werk.«74 Es handelt sich also bei
den Mund das Subjekt oral einverleibt. Ist es also in einem der Wahrheit nicht um eine Eigenschaft
schizoiden NarziSmus das Ich selbst, das sich verzehrt? von Sàtzen, sondem um eine Eigenschaft
des Seins. Es handelt sich im Werk »um
Diese narziStische Verschmelzung mit dem (Ich-)O b- die Wiedergabe des allgemeinen Wesens
jekt, wobei das Subjekt zum Opter wird, das Ich ver- der Dinge«.75 Die alten Kategorien und
schwindet, und wobei das O bjekt als entâuSertes Ich fast Begriffe wie Wahrheit Wesen, Allgemein-
heittauchen wieder auf, nur umgestellt.
identisch mit dem Subjekt ist, rührt von der erwâhnten
Was geschieht aber bei dieser Begrün-
funktionellen Ambivalenz der Vase her, nâmlich auch von dung der Dinge auf das Sein statt auf den
ihrer phallischen Funktion. Leib, die Erfahrung, die Erkenntnis, die
Es handelt sich um eine phallozentrische narzifètische Ichakte, die Wahmehmung (ail das, was
Heidegger gleichsam verachtet), die
Projektion. Die narzifètische Komplizitât in Verbindung
soziale Produktion? Was wird aus dem
mit einem Gegenstand exkludiert aber offensichtlich in Ich, wenn der Ichgegensatz nicht mehr der
diesen Bildem eine Übertragung auf das Paar-Verhàltnis, Gegenstand ist weil dieser nicht mehr
auf das Andere, auf das andere Geschlecht. das Bewufitsein affiziert sondem als Agent
des Seins auftritt? Was geschieht, wenn
In ihrer phallischen Funktion verstârkt die Vase den oh-
das Sein sagt, was ich sei? Wenn nicht die
nehin schon latenten Phallozentrismus, der auch noch Dinge sagen, was ich sei, und ich den
durch die fliegenden O bjekte - denn jed e Geschwindig- Dingen, was sie sind. Das Ding gebiert
keit (siehe Auto) hat phallische Funktion - unterstûtzt nicht mehr das Ich, sowenig wie das Ich
die Welt setzt Sondem »das Werk rückt
wird. Die fliegenden Vasen sind also Phallo-Vasen, die und hâlt die Erde selbst in das Offene einer
»Vasen-Extasen« sind phallische Ekstasen. Die Vase ist Welt«.76 Bei der Begründung des Ichs
also nicht nur Utérus, vaginales Objekt, sondem auch durch das Sein verschwindet das Ich im
Sein. Im Herstellen des Werkes wird das
phallisches Objekt. Sie ist nicht nur oral (natürlich), son­
Ich zürückgestellt Das Werk stellt die Erde
dem auch anal. Im syntagmatischen Kalkül, in der Kühle her und eine Welt auf. »In-sich-aufragend
und Leere der Wohnung, in ihrer Reduziemng, ihrer Funk- erôffnet das Werk eine Welt.. .«’7, die
tionalitàt, ihrer Strenge, ihrer Sauberkeit - wobei die Ka- »das immer Ungegenstândliche ist dem
wir unterstehen, Solange die Bahnen von
m era die Funktion eines Lappens hat, der einfach über die
Geburt und Tod, Segen und Fluch uns in
Dinge hinwegwischt, um die peinliche Ordnung der Dinge das Sein entrückt halten.«78 Das Sein ent-
durcheinander zu werfen, so datë die W ohnung wie ein rückt und verstellt das Ich. Im Gegensatz
Auto erscheint, das durch die Kurven fliegt (Symbol phal- zur verheiSenden Erlôsung, den Weg aus
dem allgemeinen Verderben zu weisen
lischer Geschwindigkeit), und ailes wirkt, als wâre es nicht und den Absturz des Ichs zu verhindem,
an seinem Ort, aber in Wahrheit bleibt ailes an seinem Ort wird das Subjekt nicht gerettet sondem
- kann auch eine phallische Ordnung erblickt werden, ja verschwindet in der «Iichtung des Seins«.
sogar eine anale, wie in den m eisten kleinbürgerlichen Die ontologische Struktur des Dings,
des Zeugs, des Werkes eliminiert das
Subjekt den Produzenten. Das Werk stellt
zwar eine Welt her, sie bleibt aber para-
doxerweise ungegenstândlich, d. i. absolut
überbelichtetvom Sein. Das Sein ist gleich­
sam der Tod des Ichs wie der Dinge.
Das hat ja die politische Ontologie Hei-
deggers so anfâllig für die schrankenlos
unmenschlichen Interessen des Nazire-
60 gimes gemacht Das Ich verschwindet
ontologisch in der Welt Die J '•-eiSun-
gen des Seins treiben das IdL_Jvertloses,
weil seinsverlorenes Ding erst recht in
die Welt der Dinge. Die Lichtung des Seins
programmiert den Absturz des Ichs
in das Reich der Dinge, die schlieElich
auch verlôschen im reinen Sein.

Das Subjekt und die Spaltung: sauberen Wohnungen. In der inszenierten Abstraktion
Ich ist ein Anderer der Fotografie kann also auch eine anale Aggressivitât,
Die Furcht des Herm eine Ordnung der Fëkalitât zum Àusdruck kommen.
ist der Anfang der Weisheit » In dieser oralen Einverleibung des Ichs durch die Vase
G.W.F. Hegel79
ist nicht nur ein RegreE in den Utérus, in den Mutterleib zu
Der Ausweg ist schrecklich, aber zumindest sehen, sondem ihrer gleichzeitigen phallischen Funktion
nicht eine derart schreckliche Tâuschung
wegen auch eine Angst, nâmlich die Angst vor dem Frem-
wie die hermeneutische Phénoménologie,
nicht so trostlos wie die politische Onto­ den. In dieser Angst des Ichs, von Objekten aufgesaugt zu
logie. Eine komplizierte Kreuzungvon werden, drûckt sich die Angst aus, das Eigene werde im
Hegel und Kant, gelesen durch de Sade, Fremden aufgehen, verschwinden. Die freiwillige Selbst-
Saussure und Jakobson und auf Freud
aufhebung ist vorauseilende Abwehr der Emiedrigung
angewandt, allerdings mit Phénoménolo­
gie abgesichert, weist auf eine môgli- durch das Fremde. In dieser Angst artikuliert sich die Ab­
che Richtung des Auswegs des Ichs aus wehr des Anderen. Die Rolle des Anderen, des UnbewuE-
dem Reich der Dinge. Der Fluchtpreis ist ten, des Verdrângten fehlt in diesen Werken. Darum fehlt
allerdings paradox. Der Absturz des
Subjekts wird ausgerechnet durch die
auch die Frau. Oder bedeutet die Abwesenheit der Frau,
Abdankung des Ichs gemildert, und der des Anderen, gerade den Hinweis auf das Verdrângte, das
Zwang der Dinge wird ausgerechnet UnbewuSte, also die Aufarbeitung der Verdrângung? Die
durch ein neues Objekt gelockert Der
Verwerfung des Anderen kommt durch den phantasmati-
Name dieses Dings ist»Objektklein a«, und
die Rede ist von Jacques Lacan. schen RegreE in den Mutterleib, die orale Einverleibung
Von Anfang an ist das Subjekt auf der durch die Vase, zum Ausdruck. Aus der Erfahrung des
Suche nach jeweils spezifischen Objekten, Mangels, die verdrângt wird, entsteht der Wunsch nach ei-
die sein Begehren befriedigen. Primér liegt
ner organischen, anthropomorphen Totalitàt zwischen Ich
also ein Verlust, ein Mangel vor, den der
Wunsch des Subjekts füllen môchte. Die und Ding, die aber nur imaginierbar ist. In so .einem
Wunscherfüllung konstituiert das Reale, (W unsch-)Denken muE der Andere verworfen bleiben,
dort, wo Phantasie und Realitét zusam- auch der Andere in sich selbst. Da der Andere (im Namen-
menfallen. Das Reale ist also nicht zu
verwechseln mit Realitét Der Wunsch
des-Vaters) aber trotzdem bleibt, kommt es zu »ôdipalen
will deshalb immer mehr als die reale Komplikationen«, wie eine Arbeit von Bem hard Blume
Befriedigung des Jetzt weil die Phantasie heiEt - (allerdings von ihm selbst mit einem Fragezeichen
jenen Aspekt des Subjekts darstellt der versehen).
»das ins Unendliche fast nicht Objektive«
(Schelling) verkôrpfërt »Alle Lust Die verdrângte Kastrationsangst, die aus dem Schrek-
will Ewigkeit« - mit dieser Formel hat ken der Einverleibung durch das Andere spricht, verur-
Nietzsche der Endlichkeit der Hegelschen sacht auch das Versagen des GenieEens. Das Verdrângen
Freiheit die Unendlichkeit desWunsches
wird verdrângt und das GenieEen wird versagt. Das Ver-
gegenübergestellt Lacans Mehrlust Der
Mangel wird also für das Ich nie gelôscht
sondem ist im Gegenteil für die Konstruk-
tion des Ichs notwendig, natürlich auch das
Ertragen des Mangels. Durch die Ewigkeit
der Mehrlust die das Weiterleben des
Ichs garantiert wird aber auch der Mangel
verewigt Daher ist das Geniefien als
Abarbeiten dieser Unendlichkeit für das
Subjekt absolut notwendig. 61
Der M ens^~^B. die Mutter, ist das
erste Objekt ___ Begehrens des Subjekts.
Das Ich setzt also nicht sich selbst, es setzt
auch nicht das Nicht-Ding, das Objekt,
wie die klassische Philosophie idealisti-
schen oder phânomenologischen Zu-
schnitts, sondern im Begehren des Subjekts
wird das andere Ich zum Objekt, d. h. ent-
dràngen ist beim Subjekt dieser Fotografien nicht anwe- wickelt sich wieder die Hegelsche Dialektik
send, ist aber ein Ergebnis der Verdrângung. Verdrângung von Knecht und Herr, die Macht Das
Ich setzt also das Andere, den Anderen.
und Verwerfung des Anderen stehen deshalb in ursâchli-
»Das Ich (je) ist nicht das Ich (moi)«, sagt
chem Zusammenhang, weil im Entsagen des GenieSens Lacan. »Ich bin Ich und setze mich selbst«,
auch das Eingestàndnis des Mangels versagt wird. In der sagte noch Fichte. Das Ich setzt sich
Abwehr des Fremden wird die Angst ausgedrückt, die ver- aber nicht selbst als Ich, sondern konstru-
iert sich durch den Anderen. »Ich ist ein
dràngte Angst, das Fehlen des Anderen als Ursache des
Anderer« - diesen Topos der Moderne
Begehrens einzugestehen. hat Rimbaud erôffnet Das fundamental
Der Andere wird als Ursache des Begehrens verdràngt Schizoide im Homo sapiens durch seine
und verworfen und mit ihm das Begehren selbst. Ich be- Subjekt-Objekt-Beziehung ist ein RiÊ, der
nur aufdem Feld des Realen, der imaginâ-
gehre, daher bin ich, und ich bin, daher begehre ich -
ren totalen Wunscherfüllung, also in der
diese Dialektik existiert im Subjekt dieser Bilder nicht, Psychose, verhüllbar ist. Das Subjekt
sondern nur das Cogito. Es wird verdràngt, da£ wir nicht konstituiert sich also aus diesem RiS.
nur Gefangene der Gegenstânde, sondern auch des B e­ Eine aufmerksame Lektüre von Kant
hâtte das aber schon angedeutet »Ich bin
gehrens sind, gefesselt an den Mangel. Im Fehlen der Be- mir meiner selbst bewufêt, ist ein Gedanke,
gierde wird der Mangel verewigt statt der Mehrlust. Genie- der schon ein zweifaches Ich enthâlt, das
Êen wird versagt, statt dessen gibt es Mehrverlust. (Man Ich als Subjekt und das Ich als Objekt« Dàs
kônnte daher auch von »Vasen-Verlusten« sprechen.) Ich als Cogito ist das Subjekt, die Person.
Das Ich als Cogitatum, als intentionales
Dadurch wird die Spaltung des Subjekts auf eine Spal- Objekt des BewuStseinsaktes, ist Objekt
tung zwischen Ich und Ding reduziert. Denn im Verdrân- der Anschauung. Das Denken, das »Ich
gen des Mangels als Ursache des Begehrens, aus dem die denke«, erzeugt schon die Spaltung im
Subjekt selbst. Das Ich ist also nicht nur
Spaltung des M enschen als Subjekt und Objekt des B e­
das Denken. Die Spaltung gehôrt zum
gehrens erwàchst, wird auch die Spaltung des Subjekts Wesen des denkenden, sprechenden Ichs.
verdràngt, das sich als Mangel erfahrt, als W esen, welches Das Begehren spaltet das Ich ebenso.
das Sein aufhebt. Die Spaltung des Subjekts, das sich im In der Reflexion macht sich das Subjekt
zum Objekt seiner Selbst Im Begehren,
Begehren des Anderen erfüllt, zumindest symbolisch,
im »Ich wünsche«, macht sich das Subjekt
wird ausgesetzt, weil nicht akzeptiert wird, daE seit der zum Objekt des Anderen, in dessen Macht
Entdeckung des UnbewuSten das Ich sich selbst nicht die Befrîedigung des Begehrens liegt In
mehr setzen kann. Daher wird der Andere ausgelôscht, der Wunscherfüllung bin ich abhângigvom
Anderen, denn nicht ich selbst kann
fehlt die Frau. Daher regressiv, daher Vase, daher Mutter- meinen Wunsch erfüllen. Das Wesen des
leib, daher Verschwinden in den Dingen statt in Personen. Wunsches besteht ja darin, über das Feld
Die phallische Ordnung wird deshalb so anal aggressiv, meines Ichs hinauszugehen. Ich wünsche
weil das Subjekt die Bedrohung der Spaltung nicht ertra- ja, weil ich selbst mir nicht genügend
bin, ich wünsche mir nur etwas, das
auEerhalb meines Ichs liegt. Im Wissen wie
im Begehren erzeuge ich also den Anderen,
die Macht des Anderen.
Aus der Macht des Anderen über das
Ich konstituiert sich also das Subjekt. »Am
Nebenmenschen lernt darum der Mensch
erkennen«, schreibt Freud. Er ist »das
erste Befriedigungsobjekt, im femen
62 das erste feindliche Objekt«, wenn er die
Befriedigung nicht gewâhrer<~"\
oder versagt aher auch dritlL^_>die
einzige helfende Macht«.80 Durch das
Begehren wird das Subjekt abhângig vom
anderen. Die Objekte des Begehrens
haben die Macht die Befriedigung
zu gewâhren oder zu versagen. Die
Dialektik des Begehrens wiederholt
also die Dialektik des Herm und Knechts. gen kann. Seit aber das Unbewufète Sein geworden ist, ist
Der Wunsch, der das Subjekt konstituiert, das Ich nicht m ehr Herr im eigenen Haus. Man mufè also
ist immer eingebettet in diese Dialektik
Hegels Worte: »Im Denken bin Ich frei, weil ich nicht in ei-
von Herrschaft und Knechtschaft, von Ich
und dem Anderen. Auch wenn man sich nem Anderen bin« umdrehen und sagên: »Im Denken bin
selbst die Befriedigung versagt, um der ich nur frei, wenn ein Anderer in mir ist.« Nur wenn ich
Macht des Anderen die Wunscherfüllung nicht »schlechthin bei mir selbst bleibe«, und der Gegen-
zu versagen, vorzubeugen, also das Genie-
/ stand, der mein W esen ist, getrennt »mein Für-mich-sein
fien ausschlâgt, steht man daher noch im­
mer in der Macht des Anderen. ist«, dann erst kommt das Ich zu sich.
Daher greift die klassische, humanisti- Die Wohnung als allegorîsche Inszenierung der Korres-
sche, rational idealistische Idee des pondenz von Welt und Ich, Leib und Subjekt, wird des-
Subjekts nicht mehr, die bei Descartes
halb so durcheinandergewirbelt - zumindest inszenato-
begonnen hat Auf das Cartesianische
»Cogito, ergo sum«, auf das sich selbst risch, d. h. in der Psychose, denn der Psychotiker ist der-
Husserl noch bezieht, obwohl er Descartes’ jenige, welcher das Reale nur inszeniert - , um diesen
universellen Zweifelsversuch anzweifelt, Zustand des Ichverlusts, d. h. des Kontrollverlusts des Ichs
repliziert Lacan: »Ich denke, wo ich
nicht bin, also bin ich, wo ich nicht denke.«
anzuzeigen, wodurch aber auch offenbar wird, daÊ sich
Zwar gibt es für Husserl auch das Cogito dieses Ich eben nur durch Kontrolle über das Andere
im Sinne »Ich vollziehe einen BewuStseins- (Subjekte und Dinge) definiert. Weil aber das Ich Herr im
akt«, »ich vollziehe cogitationen«. Aber eigenen Haus sein môchte, gibt es von der abgebildeten
diese Cogitatio, »Ich nehme wahr, ich habe
BewuStsein von etwas, ich urteile, ich Wohnung auch Bilder einer fëkalischen Ordnung der Sau-
begehre«, ist nicht von ihrem Cogitatum, berkeit und Strenge, welche die phallische Aggressivitât,
Wahrgenommenen, zu trennen. die angetreten ist, die allseitige Herrschaft des Ichs zu ver-
Im Erlebnis des Cogito richtet sich das
teidigen, karikieren. Seit der Entdeckung des UnbewuE-
Ich auf das intentionale Objekt »Zum
cogito selbst gehôrt ein ihm immanenter ten ist es im Heim des Ichs unheimlich geworden. Jedes
>Blick-auf< das Objekt, der andererseits aus Heim ist für das Subjekt gleichzeitig unheimlich gewor­
dem >Ich< hervorquillt, das also nie fehlen den, seitdem Ich ein Anderer is t Daher ist nur ein ver-
kann.«81 Dieses Objekt hat Lacan zum
stümmeltes Ich zu sehen. Hier herrscht noch immer das
berühmten »Objekt klein a« weiterent-
wickelL aïs »kleines Elwas vom Subjekt, Cogito, das UnbewuSte spricht nicht. Fichtes Unterschei-
das sich ablôst, aber trotzdem ihm zuge- dung zwischen Ich und Nicht-Ich hat das Unbewufète als
hôrig ist, von ihm bewahrt wird.« Dieses Nicht-Ich nicht wissen kônnen. Aber ohne diese Einsicht
Objekt erfüllt für das Subjekt das Phan-
tasma des GenieSèns, d. h. die unmôglich
daS das Ich spricht, wo Es ist und dort wo Es ist, Ich
erreichbare Funktion, seinen Mangel zu werden soll, ist diese Unterscheidung nur eine weitere
decken. Das Begehren ist das Phânomen Kontroll- und Kolonisations-Instanz, die das Fremde, das
einer Spaltung, in Ablôsung und Zugehô-
Andere ausschlieSt.
rigkeit, in Anwesenheit und Abwesenheit
(des geliebten Objekts z. B.), in Erfüllung
und Versagung (die Macht des geliebten
Objekts). Die Erfahrungdes ui'sprünglichen
Mangels (z. B. ein Mann zu sein und keine
Frau), der im Subjekt selbst geboren wird,
macht aus dem Wunsch das Begehren
des Anderen, macht die Subjekte zu
»Statthaltern für die Ursache des Begeh­
rens* (Lacan). Die unendliche Bewe- 63
gung von M a'^ 'yin d Erfüllung treibt das
Begehren zuL__Jitthalter-Sem des
Begehrens selbst zum Begehren des
Begehrens.
Das »Ich denke« begründet also nicht
die Einheit des Subjekts, da die Dialektik
des Begehrens, wie auch der Reflexion das
Subjekt auf den Anderen verweist, sondem
Es geht also darum, die Spaltungzuzulassen, auf sich zu bezeugt im Gegenteil seine Spaltung im
nehm en und zu ertragen. Denn die Spaltung des Subjekts Sinne »das Ich ist ein Anderer«. Das
»Objekt klein a« - das bloS imaginierte
durch das Denken und Begehren bewirkt nicht das Ver-
Objekt das reale Folgen h a t- ist das eigent-
schwinden des Ichs in den Dingen. Im Gegenteil, das Ich liche Objekt, welches die Fallhôhe des
entsteht dort. Deswegen m uS das Begehren zugelassen Subjektes bestimmt. Die Identitât des Ichs
werden, denn im Begehren steckt auch das Aufbegehren wird nâmlich auf der Spaltung aufgebaut,
welche das »Objekt klein a« als Objekt des
des Subjekts, der Widerstand gegen den Gegenstand. Die
Begehrens bewirkt, auf dem «anderen
Meuterei der Môbel, die in den Fotos inszeniert wird, wâre Schauplatz« des UnbewuSten. Dort spricht
Ausdruck dieses Triebmoments, dieser Motivation, dieser das Ich als ein Anderer. Das UnbewuSte
Bewegung des Begehrens, das Unbewegte (Im mobilien) ist der tôdliche Schlag gegen die idealisti-
sche Philosophie des Ichs als Selbsterzeu-
in Bewegung (Mobiliar) zu versetzen.
ger des Ichs. Die Geschlechterdifferenz
Die Fotos zeigen daher keinen Aufstand der Abstrak- weist z. B. stets darauf hin, daS dem jewei-
ten, sondem einen (gegen-stàndlichen) Auf-stand des ligen Ich selbst etwas fehlt, das im Anderen
Subjekts gegen den Gegenstand. Da.es sich um unser aller existiert Dieser Ort des Anderen ist das
UnbewuSte, wo der Mangel, das Ver-
bürgerliches Subjekt handelt, schrumpft die Gegenstands- drângte, das Andere sich artikuliert
welt zum bürgerlichen und kleinbürgerlichen Wohnzim- Dieser Mangel ist aber, wie wir gesehen
mer. Ontologie und Metaphysik des abendlândischen haben, untrennbar mit dem Subjekt
GroS- und Kleinbürgers werden folgerichtig im W ohn- verbunden, gehôrt zum Erzeugerprinzip
des Ichs. Also ist das UnbewuSte, wo das
zimmer abgehandelt: Môbel-Moral, Môbel-Metaphysik. Nicht-Ich schlieSlich gelandet ist notwen-
Der leere Sessel als das >Selbst<, der Tisch als Opfergabe, diger Teil des Subjekts. Angeblich ist
die Tapete als Welt-Anschauung. Ersehnte Übereinstim- Freud durch die Bemerkung Schellings:
«Unheimlich nennt man Ailes, was im
mung mit der Natur wird zur Karikatur durch Überein-
Geheimnis, im Verborgenen bleiben sollte
stimmung mit den Môbeln: der Urlaubstraum zu Hause. und hervorgetreten ist«, angeregt worden,
Der Kanapeebezug ersetzt den Sinnbezug. Die kleinka- sich dem Verdrângten, dem UnbewuSten
rierte Môbelwelt wird schicksalhaft, und die Kredenz wird zuzuwenden. Das UnbewuSte als das
neue, eigentliche Nicht-Ich zertrümmert
zum Altar, auf dem Existenz und unbegrenzte Erfahrung
die Einheit die Identitât des Ichs. Wenrt
dem Anpassungszwang und der Normalitât geopfert wer­ Denken mit BewuStsein identifiziert
den. In diesem Wahnzimmer der Metaphysik werden die wird, wie es in der idealistischen Philo­
Môbel zu Draperien eines Psycho- und Sozialdramas. Das sophie der Fall war, das »Ich bin«, dann ist
das UnbewuSte das »Ich denke nicht«, die
bürgerliche Leben ist eine embryonale Reise vom
Négation des Cogito. Das Ich ist mehr als
Schwangerschrank der Mutter, über den W ohnzimmer- das Cogito, weil zum Ich das UnbewuSte
schrank, zum Sargschrank der Vase. gehôrt Daher sagt Lacan:
Im Begehren steckt auch das Aufbegehren gegen das »... also bin ich, wo ich nicht denke«,
weil der Ort des Ichs das Andere, das Un­
bewuSte auch ist. Wo das Ich denkt verliert
es sich, unterdrückt verdrângt es sich, ist
es nicht wirklich. Daher: »Ich denke, wo
ich nicht bin,...«
Das Ich kann sich seit der Entdeckung
des UnbewuSten nicht mehr selbst setzen
und denken. Im UnbewuSten, strukturiert
wie eine Sprache, findet der Diskurs
64 des Anderen statt, auf dem das Subjekt
aufgebaut ist Nur dort spricK~^d denkt
das Subjekt wo es sich in deW^/ache
des Anderen erfâhrt Die Idee des Sub­
jekts wird zur Farce, weil das Ich selbst
dezentriert und gespalten ist Das neue
Subjekt gewinnt seine SelbstgewiSheit
nur im UnbewuSten (nicht im Sein, nicht
im Cogito), damit in der Tâuschung.
Nicht eine Heideggersche Oberdosis Subjekt des Begehrens, aber auch gegen das Objekt des
an Sein, sondem ein »Entzug an Sein« Begehrens. Das Aufbegehren ist der Beginn des Auf-
rettet also das Subjekt Das Sein ist nicht
stands. Das immanent fortschrittliche Moment im Waren-
dort, wo die Wahrheit ist wo^ch denke -
und wo ich denke, daS die Wahrheit ist fetisch kônnte daher gerade diese Umformung des Ge-
ist sie auch nicht Das ist die Hegelsche genstands zum Tauschwert sein, nâmlich in einen von
Bewegung des Denkens, angereichert seiner Funktion tfefreiten Gegenstand. Hat Heidegger als
um das UnbewuSte (als das Nicht-Ich).
Funktion des Gegenstands seine Verlàfâlichkeit, sein Die-
Auch das Ich ist nicht dort wo das Sein
ist und wo die Wahrheit ist Das ist die nen angegeben, verweist Baudrillard darauf, dafë der mo­
eigentliche Botschaft der Lehre von der derne Gegenstand von seiner Funktion befreit ist, also
Macht des UnbewuSten, von der Rede nicht dient. Das Verhâltnis zwischen Ich und Ding ist also
des Anderen im UnbewuSten. Es gibt also
nicht mehr ein einfaches Verhâltnis zwischen Herr und
einen Ausweg, aber nur ohne aile Aus-
flüchte. Knecht. Denn ein derart befreiter Gegenstand kônnte mit
Das neue Subjekt ist aus der Débatte um einem Ich, das von seiner Funktion als Leib, als Ding etc.
die Dinge mehrfach dezentriert und abge- befreit ist, korrespondieren. Ein Aufbegehren gegen Ein-
stürzt hervorgegangen. Die Setzung des
Ichs als Ich ist gescheitert, da Ich ein Ande-
richtungsgegenstânde kônnte dann ein Votum für das
rer ist Die Struktur des SelbstbewuStseins GenieÊen von Mehrrichtungsgegenstânden, von pluri-
entlarvt sich als imaginâr. Am Ort des funktionalen Operationen sein. Dann würden wir auch
Anderen, in der symbolischen Ordnung,
lem en, nicht m ehr nur (wie der Psychotiker) in verworfe-
wirft sich das Sub-jekt unter, findet sich als
sprechendes Wesen wieder, dort wo das nen Signifikanten (dem Namen des Vaters, des Gesetzes,
Ich nicht weiS, weil das UnbewuSte als und in seinem Widerstand dagegen) im Realen zu sein.
Diskurs des Anderen spricht Das wahre Dann erst, in dieser Entblôlkmg eines (erzwungenen)
Subjekt ist das »Es spricht«. Im Ursprung
Sinns, würden wir lem en, »ôdipale Komplikationen« auf-
des Begehrens als Begehren des Anderen
ist das Subjekt für immer an einen Mangel zuheben.
gefesselt den es nur als Tâuschung stillen Die Entzweiung von Ich und Ding, von Ich und Nicht-
kann, oder symbolisch, d. h. in der Spra- Ich und schlieSlich die Entzweiung des Subjekts selbst
che. Allerdings muS dieses neue schwan-
sind ein fortlaufendes Begehren der Differenz. Diese
kende Subjekt das sich zwischen Entfrem-
dung und Einheit zwischen Subjekt und unendliche, sich spiegelbildlich vervielfachende Bewe­
Objekt, zwischen Herr und Knecht, gung der Spaltung, deren Opfer und Meister wir sind, hat
zwischen Ich und Anderem, zwischen Fichtes Wissenschaftslehre von 1804 bereits als Schweben
Eigen und Fremd, zwischen BewuSt und
UnbewuSt sprachlîch konstituiert, also die begriffen. Zwischen Subjekt und Objekt und danach zwi­
Spaltung auf sich nimmt sich von der schen Objekt und Subjekt hin- und hergerissen wie zerris-
Identifikation mit den Dingen (der sen, »vervierfacht« sich das Ich: »schwebend wiederum
realen Befriedigung des Begehrens) und
zwischen dem zwiefachen Schweben« (Fichte). Eben
von der Identifikation mit dem Begehren
selbst der imaginàren Verhaftung am
Anderen, lôsen und in das Symbolische
eintreten. Das Subjekt muS seine All-
machtsphantasien aufgeben, das Ein-
tauchen in die Totalitât des Seins und des
Wunsches vergessen und eine neue Distanz,
einen neuen Abstand zum Sein und Ich,
zum Realen und Imaginàren einnehmen,
weil nur im Symbolischen das Ich unter 65
Vermittlung c( ^ideren zur Sprache
kommt Durclhernen Mord am Sein und
am Dingkann das relativierte Subjekt
seine symbolische Souverânitât erlangen,
diesseits des Realen und jenseits des
Imaginâren. Durch den Tod des Dings
kann das Symbolische entstehen, auf
welchem Feld das Ich zu retten ist, wenn
darum schwebt ailes in den Fotografien von Anna und auch als Symbol des Mangels, aus dem das
Bem hard Blume. Infinité des Begehrens erwâchst. Jacques
Lacan schreibt: »Das Symbol stellt
Die Tiefe des Kunst-Werkes von Anna und Bem hard
sich so zunâchst als Mord der Sache
Blume kann an dieser formalen und philosophischen Prâ- dar, und dieser Tod konstituiert im Subjekt
zision erm essen werden, d. h. an der Hôhe der Problema- die Verewigung seines Begehrens.«82
tik, auf der es angesiedelt ist. Diese Hôhe ist die Falltiefe
Die Beschreibung der Beziehungen zwi-
des Subjekts in der Neuzeit. Die Qualitàt dieses W erkes
schen dem Ich und den Dingen endet
wird daher auch von den Fragen bestimmt, die es erh eb t also mit einem Mord an den Dingen, denn
Wird das Subjekt weiterhin durch Schweben in seinem der Mensch ist »das négative Wesen,
Fall aufgehalten werden kônnen, oder durch Arbeit und welches nur ist, insofem es Sein aufhebt«
Nicht das Ich soll im Sein verschwinden,
Geniefëen im Fallen gehemmt? Wird der Fall zum Halten
sondem das Sein im Ich. Seinsentzug.
gebracht durch Festhalten an den Dingen, durch narzifè-
tische Vereinigungen mit Dingen, durch Verschwinden in
den Dingen, oder durch symbolische Morde an Dingen
und Entzug von Sein?
Wenn der Mensch das W esen ist, welches nur ist, wenn
es das Sein aufhebt, bedeutet das, nicht das Ich soll im Sein
verschwinden, sondem das Sein im Ich. Seinsentzug.

66
Aitmerkungen 13 op. dt| 1
14 op. dt,V~<i3:
»Reines Seyn ist nâmlich nur im Ich
1 J.-Ch. Ammann, in: 2. Informationsheft denkbar. Das Ich ist schlechthin
zur Architektur und Sammlung. gesetzt Das Nicht-Ich aber ist ent-
Muséum für Moderne Kunst, Frankfurt gegengesetzt dem Ich, mithin ist es sei-
am Main 1989, S. 62 ner Urform nach reine Unmôglichkeit
2 G. W. F. Hegel, Phânomenologie des d. h. schlechterdings nicht im Ich setz-
Geistes. Suhrkamp TB, bar. Nun soll es aber doch im Ich ge­
Frankfurt am Main 1986, S. 91-92 setzt werden, und dieses Setzen des
3 op.cit, S. 87 Nicht-Ichs im Ich vermittelt nun die
4 Immanuel Kant, Kritik der reinen Ver- Synthesis dadurch, daS sie die Form
nunft, Band 1. Suhrkamp TB, Frankfurt des Nicht-Ichs selbst mit der Form des
am Main 1974, S. 75: Ichs zu identifidren, d. h. das Nicht-
»a) Der Raum stellet gar keine Seyn des Nicht-Ichs durdi das Seyn des
Eigenschaft irgend einiger Dinge an Ichs zu bestimmen strebt
sich, oder sie in ihrem Verhâltnis auf- Da nun reines Seyn Urform aller Setz-
einander vor, d. i. keine Bestimmung barkeit im Ich ist die Setzbarkeit des
derselben, die an Gegenstânden selbst Nicht-Ichs im Ich aber nur durch Syn­
haftete, und welche bliebe, wenn man thesis vermittelt wird, so ist die Form
auch von allen subjektiven Bedingun- des reinen Seyns, insofem sie dem
gen der Anschauung abstrahierte. Nicht-Ich zukommen soll, nur als An-
Denn weder absolute, noch relative gemessenheit zur Synthesis überhaupt
Bestimmungen kônnen vor dem Da- denkbar (nach Kantischer Sprache: ob­
sein der Dinge, welchen sie zukommen, jektive Môglichkeit d. i. Môglichkeit
mithin nicht a priori angeschaut [Setzbarkeit im Ich], die einem Objekt
werden. als solchem, zukommt ist nur in der
b) Der Raum ist nichts anderes, als nur Angemessenheitzur Synthesis ent-
die Form aller Erscheinungen âuSerer halten).«
Sinne, d. i. die subjektive Bedingung 15 op. cit, S. 127
der Sinnlichkeit unter der allein uns 16 op.cit, S. 106,111
âuEere Anschauung môglich ist« 17 G. W. F. Hegel, Phânomenologie des
op. dt., S. 80: Geistes, S. 148-149
»a) Die Zeit ist nicht etwas, was für sich 18 op.cit, S. 148
selbst bestünde, oder den Dingen als 19 op. cit, S. 150-151
objektive Bestimmung anhinge, mithin 20 op.cit, S. 154
übrig bliebe, wenn man von allen sub­ 21 op. d t, S. 156
jektiven Bedingungen der Anschauung 22 o p .d t, S. 153
derselben abstrahiert 23 op .d t, S. 154
b) Die Zeit ist nichts anderes, als die 24 op. d t, S. 360
Form des inneren Sinnes, d. i. des An- 25 op .d t, S. 361
schauens unserer selbst und unsers 26 op. d t, S. 363
innem Zustandes. Denn die Zeit kann 27 op .d t, S. 362-363
keine Bestimmung âuSerer Erschei­ 28 op. d t, S. 155
nungen sein; sie gehôret weder zu 29 op .d t, S. 163
einer Gestalt, oder Lage etc, dagegen 30 op. d t, S. 170
bestimmt sie das Verhâltnis der 31 op .d t, S. 172 '
Vorstellungen in unserm innem 32 op. d t, S. 175
Zustande.« 33 ibid.
5 o p .c it,S .81 34 op .d t, S. 175-176
6 o p .d t, S. 87 35 F. W. J. Schelling, Ausgewâhlte Schrif-
7 o p .d t,S .96 ten, Band 1, S. 126
8 op. d t, S. 76 36 Karl Marx, DasKapital. Kritik derPoliti-
9 ibid. schen Ôkonomie. Dietz Verlag, Berlin-
10 o p .d t,S .78 Ost 1962, S. 49
11 F. W. J. Schelling, Ausgewâhlte Schrif- 37 op. d t, S. 52
ten, Band 1,1794-1800. Suhrkamp TB, 38 op. d t, S. 58
Frankfurt am Main 1985, S. 165 39 op. cit, S. 86
12 o p .d t, S .55 40 op. d t, S. 85-87
41 Guy Debord, Die Gesells;'~~~\des Spek- 54 Karl Marx, Das Kapital, S. 108
takels. Ed. Nautilus, H a rL _ .g 19.78, 55 Jean Baudrillard, Das Dïng und dasJch
S. 108 (Le système des objets) Europaverlag,
42 op. d t, S. 18. Debord beschreibt in sei- Wien 1974, S. 74
nem Werk, das im Untertitel »Zu einer 56 Edmund Husserl, Die Idee der Phâno­
ôkonomischen Kritik der Kultur« hei- menologie. Fünf Vorlesungen, gehalten
Ben kônnte, den religiôsen Charakter 1907 alsEinleitungzu»Hauptstücke
der Ware und die religiôse Ekstase aus der Phânomenologie und Kritik
beim Kauf von Waren sehr treffend: der Vemunft«. Husserliana, Band II.
»Die Befriedigung, die die Ware im Martinus Nijhoff, Den Haag 1950
ÜberfluB durch den Gebrauch nicht 57 Edmund Husserl, Ideen zu einer reinen
mehr schaffen kann, wird in der Aner- Phânomenologie und phânomenologi-
kennung ihres Wertes als Ware ge- schenPhilosophie, l.Buch. Martinus
sucht: dies ist der Gebrauch der Ware, Nijhoff, Den Haag 1950, S. 6
der sich selbst genügt; und dies ist für 58 Edmund Husserl, Ideen..., 2, Buch.
den Konsumenten der religiôse ErguE 1952, S. 316-317
vor der souverânen Freiheit der Ware. 59 o p .c it,S .317
So breiten sich mit groBer Geschwin- 60 ibid.
digkeit Begeisterungswellen für ein mit 61 op .d t, S. 326
allen Informationsmitteln gestütztes 62 Edmund Husserl, Ideen..., 1. Buch,
und angekurbeltes bestimmtes Pro- S. 88
dukt aus. Ein Kleidungsstil entsteht aus 63 o p .d t,S . 106
einem Film, eine Zeitschrift landert 64 Edmund Husserl, Ideen..., 2. Buch,
Klubs, die ihrerseits verschiedenen S. 180-181
Ausrüstungen landeren. 65 Edmund Husserl, Ideen..., 1. Buch,
An den Werbeschlüsselringen z. B., die S. 89
nicht mehr gekauft werden, sondem 66 o p .d t,S .88
als Zugabe bel dem Kauf von Prestige- 67 ibid.
gegenstânden geschenkt werden, oder 68 Martin Heidegger, Die Technik und die
die durch Austausch aus ihrer eigenen Kehre. Neske, Pfullingen 1962, S. 46
Sphâre herkommen, lâfit sich die 69 F. W. J. Schelling, Ausgewâhlte Schrif-
ÂuSerung einer mystischen Selbsthin- ten, Band 1, S. 112
gabe an die Transzendenz der Ware 70 o p .cit,S . 111
erkennen. 71 Martin Heidegger, Der Urspmng des
Der verdinglichte Mensch trâgt den Be- Kunstwerks. Redam, Stuttgart 1962,
weis seiner Intimitât mit der Ware zur S. 27
Schau. Wie bei dem krampfhaftenTau- 72 op.dt, S .30-31
meln oder den Wunderheilungen der 73 o p .d t,S .31
Schwârmer des alten religiôsen Feti- 74 op. d t, S. 32-33
schismus, gelangt auch der Waren- 75 o p .d t,S .34
fetischismus zu Momenten schwâr- 76 o p .d t,S .47
merischer Erregung. Der einzige 77 op. d t, S. 44.
Gebrauch, der sich hier noch âuBert, ist 78 op. d t, S. 45
der grundlegende Brauch der Unter- 79 G. W. F. Hegel, Phânomenologie des
werfung.« Op. d t, S. 32 Geistes, S. 153
43 op. cit, S. 7 80 Sigmund Freud, Entwurf einer Psycho­
44 o p .d t.,S .8 logie (1895). In: Aus den Anfângen der
45 o p .d t,S .23 Ps)’choanalyse. Fischer, Frankfurt am
46 op. d t, S. 9 Main 1962, S. 337
47 op. d t, S. 11 81 Edmund Husserl, Ideen..., 1. Buch,
48 op.cit, S. 86-87 S. 81
49 op. cit, S. 89 82 Jacques Lacan, Funktion und Feld des
50 op. cit, S. 86 Sprechens und der Sprache in der Psy­
51 op .d t, S. 15 choanalyse. In: Schriften I. Walter
52 ibid. Verlag, Olten/Freiburg 1973, S. 166
53 Ferdinand de Saussure, Grundfragen
der allgemeinen Sprachwissenschaft.
(Lausanne/Paris 1916) De Gruyter..
Berlin 1967, S. 137

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