SS 2015
Michael Kaltenbäck
Inhaltsverzeichnis
11 Wegintegrale 93
11.1 Wege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93
11.2 Wegintegrale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98
11.3 Offene Mengen in Rn und Gebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
11.4 Gradientenfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106
11.5 Lokale Gradientenfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
11.6 Homotopie und einfacher Zusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . 115
11.7 Komplexe Wegintegrale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118
11.8 Holomorphe Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
11.9 Nochmals komplexe Differenzierbarkeit* . . . . . . . . . . . . . . . 130
11.10Harmonische Funktionen* . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132
11.11 Übungsbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134
i
ii INHALTSVERZEICHNIS
Literaturverzeichnis 199
Index 200
INHALTSVERZEICHNIS iii
Die mit * gekennzeichneten Abschnitte, Resultate bzw. Bemerkungen sind über die
Vorlesung hinausführendes Material, welches aber den Umfang der Vorlesung spren-
gen würde.
iv INHALTSVERZEICHNIS
Kapitel 8
f (x) = x2 f (x) = x2
1 1
n=4 n=8
0 1 0 1
In unserem Fall erhält man auf dieser Art und Weise die folgende Näherung für die
Gesamtfläche A:
X
n
1 1 1
An = min{ f (x) : (k − 1) ≤ x≤k }· =
k=1
n n n
1
2 KAPITEL 8. DAS RIEMANNSCHE INTEGRAL
X !2
1 X 2
n n−1
k−1 1 1 (n − 1)n(2n − 1)
= · = 3 k = 3 .
k=1
n n n k=0
n 6
Lässt man in dieser Formel n immer größer werden, so erhält man A = limn→∞ An = 31 .
Genauso könnte man natürlich die Fläche des Streifens durch das Rechteck mit
der Breite △x und der Höhe max f (x) approximieren. Unserer Vorstellung von Fläche
folgend sollte bei dieser zweiten Methode zur Flächenbestimmung das selbe heraus-
kommen.
f (x) = x2 f (x) = x2
1 1
n=4 n=8
0 1 0 1
1 X 2
n
1 n(n + 1)(2n + 1)
= k = 3 ,
n3 k=1 n 6
8.1.2 Definition. Sei [a, b] ein endliches Intervall in R mit a < b. Wir nennen eine
endliche Teilmenge Z von [a, b] eine Zerlegung des Intervalls [a, b], falls a, b ∈ Z.
Wir bezeichnen mit Z die Menge aller solcher Zerlegungen, versehen diese Menge
mit der Relation ⊆, und erhalten damit eine gerichtete Menge; vgl. Definition 5.3.1.
Wollen wir die Elemente einer Zerlegung Z aufzählen, so werden wir das immer
so tun, dass n(Z) + 1 die Mächtigkeit von Z bezeichnet, und dass
Z = {ξ j : j = 0, . . . , n(Z)}, wobei
X
n(Z)
U(Z) = (ξ j − ξ j−1 ) inf f (t) . (8.1)
t∈[ξ j−1 ,ξ j ]
j=1
8.1. OBER- UND UNTERSUMMEN 3
f (x)
Z: a = ξ0 ξ1 ξ2 ξ3 ξ4 ξ5 ξ6 ξ7 ξ8 ξ9 = b
f (x)
Z: a = ξ0 ξ1 ξ2 ξ3 ξ4 ξ5 ξ6 ξ7 ξ8 ξ9 = b
Wir sehen also, dass alle Ober- und Untersummen gleichmäßig nach oben und nach
unten beschränkt sind. Somit ist folgende Definition sinnvoll.
8.1.3 Definition. Wir setzen
b
Z− Zb
f dx := inf Z∈Z O(Z), f dx := supZ∈Z U(Z) ,
a −
a
und bezeichnen die erste Zahl als das obere- und die zweite als das untere Integral von
f über [a, b].
Die Funktion f heißt integrierbar auf [a, b], falls das obere mit dem unteren Integral
übereinstimmt. In diesem Fall bezeichnen ihren gemeinsamen Wert als das Integral1
1 Man spricht auch vom Darbouxschen Integral.
4 KAPITEL 8. DAS RIEMANNSCHE INTEGRAL
8.1.4 Bemerkung. Da die Menge Z aller Zerlegungen von [a, b] bezüglich ⊆ eine ge-
richtete Menge ist, können wir von den Netzen U(Z) Z∈Z und O(Z) Z∈Z sprechen.
Sei nun Z1 ⊆ Z2 , wobei Z1 = {ξ j : j = 0, . . . , n(Z1 )} sowie
Z2 = {ηk : k = 0, . . . , n(Z2 )}. Ist j ∈ {1, . . . , n(Z1 )}, so gibt es Indizes k( j − 1) < k( j),
sodass
ξ j−1 = ηk( j−1) < ηk( j−1)+1 < · · · < ηk( j)−1 < ηk( j) = ξ j .
| {z }
k( j)−k( j−1)−1 viele
Pk( j)
Wegen (ξ j − ξ j−1 ) = k=k( j−1)+1 (ηk − ηk−1 ) folgt
k( j)
X
(ξ j − ξ j−1 ) inf f (t) = (ηk − ηk−1 ) inf f (t) ≤
t∈[ξ j−1 ,ξ j ]
k=k( j−1)+1 t∈[ξ j−1 , ξ j ]
| {z }
⊇[ηk−1 ,ηk ]
k( j)
X
(ηk − ηk−1 ) inf f (t) .
t∈[ηk−1 ,ηk ]
k=k( j−1)+1
Summiert man über alle j ∈ {1, . . . , n(Z1 )} auf, so erhält man U(Z1 ) ≤ U(Z2 ). Wir
sehen also, dass U(Z) Z∈Z ein monoton wachsendes Netz ist. Nach (5.10) gilt daher
Zb
lim U(Z) = sup U(Z) = f dx .
Z∈Z Z∈Z
−
a
Entsprechend ist das Netz O(Z) Z∈Z der Obersummen monoton fallend, und
b
Z−
lim O(Z) = inf O(Z) = f dx .
Z∈Z Z∈Z
a
Klarerweise ist damit auch das Netz O(Z) − U(Z) Z∈Z monoton fallend, und besteht
aus nicht negativen reellen Zahlen. Also gilt auch (vgl. Nach (5.10))
und wegen der Rechenregeln für R-wertige Netze (siehe Anschnitt 5.3) gleicht dieser
Ausdruck
b
Z− Zb
lim O(Z) − lim U(Z) = f dx − f dx . (8.4)
Z∈Z Z∈Z
a −
a
Also ist die Integrierbarkeit einer Funktion f äquivalent dazu, dass der Ausdruck in
(8.3) verschwindet.
8.2. DAS RIEMANN-INTEGRAL 5
und nennen
|R| := max{(ξ j − ξ j−1 ) : j = 1, . . . , n(R)}
die Feinheit der Riemann-Zerlegung. Die Punkte ξ j heißen Stützstellen und die Punkte
α j Zwischenstellen. Weiters sei
R1 R2 :⇔ |R2 | ≤ |R1 | .
Ist R die Menge aller solcher Riemann-Zerlegungen, dann ist (R, ) eine gerichtete
Menge2 .
Ist f : [a, b] → R (C) eine beschränkte Funktion, so betrachtet man das Netz
S (R) R∈R , wobei die Riemannsumme zur Riemann-Zerlegung R durch
X
n(R)
S (R) = (ξ j − ξ j−1 ) f (α j ) .
j=1
definiert ist. Konvergiert dieses Netz, so nennen wir die Funktion f Riemann-
integrierbar und bezeichnen
Zb
f dx := lim S (R)
R∈R
a
Für limR∈R S (R) schreibt man auch lim|R|→0 S (R), um deutlich zu machen, dass R
durch die Feinheit der Riemann-Zerlegung gerichtet wird. Da es zu jedem δ > 0, δ ≤
b −a eine Riemann-Zerlegung R gibt mit |R| = δ, ist die Existenz von I = lim|R|→0 S (R)
äquivalent zu
∀ǫ > 0 ∃δ > 0 : |S (R) − I| < ǫ ∀R ∈ R, |R| ≤ δ .
8.2.2 Bemerkung. Ist f : [a, b] → C, so folgt aus Re S ( f, R) =
S (Re f, R), Im S ( f, R) = S (Im f, R) und der Tatsache, dass ein komplexwertiges
Netz genau dann konvergiert, wenn Real- und Imaginärteil es tun, dass die Riemann-
Integrierbarkeit von f zu der von Re f und Im f äquivalent ist.
2 ist sicher nicht antisymmetrisch und unterscheidet sich wesentlich von der Halbordnung ⊆ auf Z aus
Definition 8.1.2.
6 KAPITEL 8. DAS RIEMANNSCHE INTEGRAL
f (x)
a = ξ0 ξ1 ξ2 ξ3 ξ4 ξ5 ξ6 ξ7 ξ8 ξ9 =b
R: α1 α2 α3 α4 α5 α6 α7 α8 α9
8.2.3 Bemerkung. Für ein reell- oder komplexwertiges und beschränktes f definiert
auf [a, b] sei M eine feste, endliche Teilmenge von [a, b] mit m Elementen. Setzt man
für eine Riemann-Zerlegung R
X
n(R)
S M (R) = (ξ j − ξ j−1 ) f (α j ) ,
j=1
M∩[ξ j−1 ,ξ j ]=∅
so hat diese Summe höchstens 2m Summanden weniger als S (R), da jedes Element aus
M in höchstens zwei verschiedenen Intervallen [ξ j−1 , ξ j ] liegen kann. Somit folgt
X
n(R)
S M (R) − S (R) ≤ (ξ j − ξ j−1 )| f (α j )| ≤ |R| · 2m · k f k∞ , (8.5)
j=1
M∩[ξ j−1 ,ξ j ],∅
wobei k f k∞ = sup{| f (t)| : t ∈ [a, b]}, und wir sehen, dass S M (R) genau dann
R∈R
konvergiert, wenn S (R) R∈R es tut. In diesem Fall gilt
Z b
f dx = lim S (R) = lim S M (R) .
a |R|→0 |R|→0
Als Anwendung dieser Bemerkung sieht man, dass, wenn sich zwei Funktionen f und g
nur auf einer endlichen Menge M unterscheiden, aus der Riemann-Integrierbarkeit von
f auch die von g folgt. In der Tat ist dann S M ( f, R) = S M (g, R), wobei das Argument
f bzw. g andeutet, von welcher Funktion die entsprechende Riemann-Summe gebildet
wird.
Mit Hilfe dieser Bemerkung können wir einen ersten Zusammenhang zwischen
Riemann-Summen und Ober- bzw. Untersummen herstellen.
8.2.4 Lemma. Sei f : [a, b] → R eine beschränkte reellwertige Funktion, und sei
Z0 ∈ Z, ǫ > 0. Dann gibt es ein δ > 0, sodass
∀R ∈ R, |R| ≤ δ ⇒ U(Z0 ) − ǫ ≤ S (R) ≤ O(Z0 ) + ǫ .
Beweis. Wir zeigen zunächst für ein beschränktes f : [a, b] → R mit f (x) ≥ 0, x ∈
[a, b], dass es ein δ > 0 gibt mit
∀R ∈ R, |R| ≤ δ ⇒ S (R) ≤ O(Z0 ) + ǫ . (8.6)
8.2. DAS RIEMANN-INTEGRAL 7
X0 )
n(Z X X0 )
n(Z
(ξ j − ξ j−1 ) sup f (t) ≤ (ηk − ηk−1 ) sup f (t) = O(Z0 ) .
k=1 j∈J,k( j)=k t∈[ηk−1 ,ηk ] k=1 t∈[ηk−1 ,ηk ]
| {z }
≤ηk −ηk−1
Es folgt
S (R) ≤ S M (R) − S (R) + O(Z0 ) ≤ O(Z0 ) + |R| · 2(n(Z0 ) + 1) · k f k∞ .
ǫ
Die zu beweisende Ungleichung (8.6) gilt nun für |R| ≤ δ := 2(n(Z0 )+1)·k f k∞ .
X
n(R) X
n(R)
O(R) := (ξ j − ξ j−1 ) sup f (t), U(R) := (ξ j − ξ j−1 ) inf f (t) ,
t∈[ξ j−1 ,ξ j ] t∈[ξ j−1 ,ξ j ]
j=1 j=1
für jede beliebige Folge (Rn )n∈N von Riemann-Zerlegungen mit limn→∞ |Rn | = 0.
Beweis.
(iii) ⇒ (iv) : Setzen wir R := lim|R|→0 S (R), so wollen zeigen, dass R = lim|R|→0 O(R).
Zu jedem ǫ > 0 gibt es wegen der vorausgesetzten Konvergenz ein R0 , sodass
|R − S (R)| < ǫ für alle R R0 .
n(R)
Sei R = (ξ j )n(R) j=0 ; (α j ) j=1 R0 eine feste Riemann-Zerlegung. Wähle nun für
j = 1, . . . , n(R) und k ∈ N ein αkj ∈ [ξ j−1 , ξ j ], sodass
1
sup f (t) − < f (αkj ) ≤ sup f (t) .
t∈[ξ j−1 ,ξ j ] k t∈[ξ j−1 ,ξ j ]
k n(R)
Setzt man Rk = (ξ j )n(R)
j=0 ; (α j ) j=1 , so folgt
X n(R)
1 1
O(R) − S (Rk ) ≤ |ξ j − ξ j−1 | = (b − a) .
j=1
k k
Schließlich sei noch bemerkt, dass es offensichtlich eine Folge von Riemann-
Zerlegungen mit limn→∞ |Rn | = 0 gibt. Man nehme etwa die Folge (Rn )n∈N , wo
Rn genau n +1 viele äquidistante Stützstellen hat, und wobei die Zwischenstellen
genau in der Mitte zwischen den angrenzenden Stützstellen liegt.
8.2. DAS RIEMANN-INTEGRAL 9
(v) ⇒ (ii) : Das ist klar, wenn man beachtet, dass O(R) = O(Z), U(R) = U(Z), wenn
Z = {ξ j : j = 0, . . . , n(R)} ∈ Z die Menge der Stützstellen einer gegebenen
n(R)
Riemann-Zerlegung R = (ξ j )n(R)j=0 ; (α j ) j=1 ∈ R ist.
(i) ⇔ (ii) : Das haben wir schon in Bemerkung 8.1.4 gesehen (vgl. (8.3) und (8.4)).
b
R− Rb
(i) ⇒ (iii) : Nun gelte also I := f dx = f dx. Zu einem beliebigen ǫ > 0 wähle Z0
a −
a
so, dass
I − ǫ < U(Z0 ) ≤ O(Z0 ) < I + ǫ .
Nach Lemma 8.2.4 folgt die Existenz eines δ > 0, sodass
Dass limn→∞ O(Rn ) = lim|R|→0 O(R), limn→∞ U(Rn ) = lim|R|→0 U(R) und
limn→∞ S (Rn ) = lim|R|→0 S (R) für limn→∞ |Rn | = 0 gilt, sieht man genauso, wie im
zweiten Beweisschritt.
❑
8.2.6 Beispiel. Die Folgen An und Ân aus Beispiel 8.1.1 sind nicht anderes als U(Rn )
bzw. O(Rn ), wobei Rn = (( nj )nj=0 , ( nj )nj=1 )5 . Wegen Ân − An = O(Rn ) − U(Rn ) → 0 für
n → ∞ folgt aus Satz 8.2.5 die Riemann-Integrierbarkeit von f (x) = x2 auf [0, 1].
Wir können uns mit Satz 8.2.5 auch sicher sein, dass die Folgen An und Ân
tatsächlich gegen das Integral von f über [0, 1] konvergieren.
Wir werden später sehen, dass alle stetigen Funktionen integrierbar sind, und wie
man mit Hilfe der Differentialrechnung das Integral konkret ausrechnet. Dass bei wei-
tem nicht alle Funktionen integrierbar sind, sieht man am übernächsten Beispiel.
X
n(R) X
n(R)
S (R) = (ξ j − ξ j−1 ) f (α j ) = c (ξ j − ξ j−1 ) = c(b − a) ,
j=1 j=1
Rb
und damit a c dx = lim|R|→0 S (R) = c(b − a).
Wegen Bemerkung 8.2.3 sehen wir auch, dass jede Funktion, die konstant gleich c
bis auf eine endliche Menge M ist, integrierbar ist und dass das Integral gleich c(b − a)
ist.
Diese Tatsache lässt sich aber nicht auf den Fall eines abzählbaren M ausdehnen.
Ist nun Z = {ξ j : j = 0, . . . , n(Z)} eine Zerlegung von [0, 1], so enthält jedes Intervall
[ξ j−1 , ξ j ] sowohl rationale als auch irrationale Zahlen. Somit folgt
U(Z) = 0, O(Z) = 1 .
Im Folgenden wollen wir einige Eigenschaften von Integralen auflisten, die unmit-
telbar aus der Tatsache folgen, dass wir Integrale als Grenzwerte von Netzen auffassen.
8.2.9 Lemma.
(i) Seien f1 , f2 : [a, b] → R (C) Riemann-integrierbar über [a, b] und sei c ∈ R (C).
Dann sind auch f1 + f2 und c f1 Riemann-integrierbar, und es gilt
Zb Zb Zb Zb Zb
( f1 + f2 ) dx = f1 dx + f2 dx, (c f1 ) dx = c f1 dx .
a a a a a
Zb Zb
g1 dx ≤ g2 dx .
a a
Nun sei ǫ > 0 und Z0 eine Zerlegung von [a, b]. Weiters sei δ > 0, sodass |R| ≤
δ ⇒ S (| f |, R) ≤ O(| f |, Z0 ) + ǫ; vgl. Lemma 8.2.4.
Ist R eine Riemann-Zerlegung von [a, b] mit |R| ≤ δ, so folgt leicht aus der Defini-
tion der Riemannsummen und der Obersummen und der Dreiecksungleichung
(8.7) folgt durch die Grenzwertbildung, zuerst |R| → 0 und dann Z0 ∈ Z, sowie der
Tatsache, dass ǫ > 0 beliebig ist.
Schließlich folgt |S ( f, R)| ≤ (b − a) · k f k∞ für jede Riemann-Zerlegung R von [a, b]
unmittelbar aus der Dreiecksungleichung.
❑
8.3. INTEGRALE VON STETIGEN FUNKTIONEN 11
gilt. Aus Lemma 5.3.11 wissen wir, dass ein Netz in einem vollständigen metrischen
Raum genau dann konvergiert, wenn es ein Cauchy-Netz ist.
Für den folgenden Satz 8.3.4 benötigen wir den Begriff der Oszillation einer Funk-
tion f : D → Y, wobei hY, dY i ein metrischer Raum und D ⊆ X mit einem weiteren
metrischen Raum hX, dX i ist.
8.3.1 Definition. Die Oszillation ist die Abbildung ρ : (0, +∞) → [0, +∞] definiert
durch
ρ(γ) := sup{dY f (s), f (t) : s, t ∈ D, dX (s, t) ≤ γ}, γ ∈ (0, +∞) . (8.8)
8.3.2 Bemerkung. Gemäß (6.2) ist f : D → Y genau dann gleichmäßig stetig, wenn
Da ein Supremum die kleinste obere Schranke einer Teilmenge von R ist, ist wegen
(8.8) das äquivalent zu
∀ǫ > 0 ∃δ > 0 : ρ(δ) ≤ ǫ .
Wegen der Monotonie von ρ ist das wiederum dasselbe wie
8.3.3 Lemma. Für eine beschränkte Abbildung f : [a, b] → R (C) und zwei Riemann-
Zerlegungen R1 und R2 von [a, b] gilt
S (R1 ) − S (R2 ) ≤ 2(b − a) · ρ(max(|R1 |, |R2 |)) . (8.9)
Beweis. Um das einzusehen, sei R eine Riemann-Zerlegung, deren Stützstellen die von
R1 und R2 umfasst. Das bedeutet, dass mit
1) n(R1 ) n(R2 ) n(R2 )
R1 = (ξ j )n(R
j=0 ; (α j ) j=1 , R2 = (ζ j ) j=0 ; (γ j ) j=1 ,
n(R)
R = (η j )n(R)
j=0 ; (β j ) j=1 ,
die Beziehung
Lipschitz stetig. Man sieht leicht ein, dass das äquivalent zu dY ( f (s), f (t)) ≤ MdX (s, t) für alle s, t ∈ D ist.
12 KAPITEL 8. DAS RIEMANNSCHE INTEGRAL
gilt. Ist j ∈ {1, . . . , n(R1 )}, so gibt es Indizes k( j − 1) < k( j), sodass
ξ j−1 = ηk( j−1) < ηk( j−1)+1 < · · · < ηk( j)−1 < ηk( j) = ξ j .
| {z }
k( j)−k( j−1)−1 viele
Pk( j)
Wir erhalten wegen (ξ j − ξ j−1 ) f (α j ) = k=k( j−1)+1 (ηk − ηk−1 ) f (α j )
n(RX1 ) X
k( j)
S (R1 ) − S (R) = (ξ j − ξ j−1 ) f (α j ) − (ηk − ηk−1 ) f (βk ) =
j=1 k=k( j−1)+1
n(R
X1 ) X
k( j)
(ηk − ηk−1 ) f (α j ) − f (βk ) ≤
j=1 k=k( j−1)+1
X1 )
n(R X
k( j)
(ηk − ηk−1 ) · | f (α j ) − f (βk )| .
j=1 k=k( j−1)+1
X2 )
n(R
|S (R1 ) − S (R)| ≤ (ηk − ηk−1 ) · ρ(|R1 |) = (b − a) · ρ(|R1 |) .
k=1
Genauso zeigt man |S (R2 ) − S (R)| ≤ (b − a) · ρ(|R2 |). Aus der Dreiecksungleichung
und der Monotonie von ρ folgt dann (8.9).
❑
8.3.4 Satz. Ist f : [a, b] → R (C) stetig auf dem reellen Intervall [a, b], so ist f
Riemann-integrierbar.
Beweis. Wir bemerken zuerst, dass wegen Proposition 6.1.13 die Funktion f be-
schränkt und wegen Satz 6.3.3 sogar gleichmäßig stetig ist.
Gemäß Lemma 5.3.11 folgt die Konvergenz von S (R) R∈R , wenn wir zeigen
können, dass S (R) R∈R ein Cauchy-Netz ist.
ǫ
Dazu sei ǫ > 0, und sei δ > 0 so, dass ρ(δ) ≤ 3(b−a) ; vgl. Bemerkung 8.3.2. Sind
nun R1 und R2 Riemann-Zerlegungen von [a, b] mit |R1 |, |R2 | < δ, so folgt aus (8.9)
sofort
|S (R1 ) − S (R2 )| ≤ 2(b − a) · ρ(max(|R1 |, |R2 |)) < ǫ
und damit die Tatsache, dass S (R) R∈R ein Cauchy-Netz ist.
❑
8.4.1 Lemma. Sei f : [a, b] → R (C) ein Funktion auf dem reellen Intervall [a, b],
und sei c < d, [c, d] ⊆ [a, b]. Weiters bezeichne 1[c,d] die Indikatorfunktion (auch
charakteristische Funktion genannt), d.h.
(
1 , falls t ∈ [c, d]
1[c,d] (t) = .
0 , falls t < [c, d]
Dann ist f |[c,d] auf [c, d] genau dann Riemann-integrierbar, wenn es 1[c,d] · f auf [a, b]
ist, wobei Z Z
b d
1[c,d] · f dx = f |[c,d] dx .
a c
Das ist sicher der Fall, wenn f auf ganz [a, b] Riemann-integrierbar ist.
Beweis. Wir bezeichnen mit R ∈ R die Riemann-Zerlegungen von [a, b] und mit R′ ∈
R′ die Riemann-Zerlegungen von [c, d].
Sei zunächst f über [a, b] Riemann-integrierbar. Wir zeigen, dass dann
S ( f |[c,d] , R′ ) R′ ∈R′ ein Cauchy-Netz ist. Dazu sei ǫ > 0. Da S ( f, R) R∈R konvergent
und daher ein Cauchy-Netz ist, gibt es ein δ > 0, sodass |S ( f, R1 ) − S ( f, R2 )| < ǫ, wenn
nur |R1 |, |R2 | ≤ δ.
Sind nun R′1 , R′2 ∈ R′ mit |R′1 |, |R′2 | ≤ δ, so wähle eine beliebige Fortsetzung R1
und R2 von R′1 bzw. R′2 zu Riemann-Zerlegungen von [a, b] mit einer Feinheit kleiner
oder gleich δ und so, dass die Stütz- und Zwischenstellen von R1 und R2 außerhalb von
[c, d] übereinstimmen.
Die Summanden (ξ j −ξ j−1 ) f (α j ) zu Intervallen [ξ j−1 , ξ j ] mit [ξ j−1 , ξ j ] * [c, d] treten
dann bei S ( f, R1 ) und bei S ( f, R2 ) auf. Also folgt
S ( f, R ) − S ( f, R ) = S ( f | , R′ ) − S ( f | , R′ ) < ǫ .
1 2 [c,d] 1 [c,d] 2
′
Somit ist S ( f |[c,d] , R ) R′ ∈R′ auch ein Cauchy-Netz und f |[c,d] daher auf [c, d]
Riemann-integrierbar.
Wegen (1[c,d] · f )|[c,d] = f |[c,d] folgt aus dem eben bewiesenen auch aus der
Riemann-Integrierbarkeit von 1[c,d] · f die von f |[c,d] .
Wir setzen M = {c, d}, und wissen aus Bemerkung 8.2.3, dass der Beweis vollendet
ist, wenn wir
I = lim
′
S M ( f |[c,d] , R′ ) ⇒ I = lim S M (1[c,d] · f, R) ,
|R |→0 |R|→0
beweisen können. Dazu sei ǫ > 0 gegeben, und δ > 0, sodass aus |R′ | ≤ δ die Unglei-
chung |I − S M ( f |[c,d] , R′ )| < ǫ folgt.
n(R)
Ist nun R = (ξ j )n(R) j=0 ; (α j ) j=1 eine Riemann-Zerlegung von [a, b] mit |R| ≤ δ, so
′ ′
) ′ n(R )
sei R′ = (ξ′j )n(R
j=0 ; (α j ) j=1 die Riemann-Zerlegung von [c, d], für die
′
{ξ1′ , . . . , ξn(R ′ )−1 } = {ξ1 , . . . , ξn(R)−1 } ∩ (c, d) ,
sowie
′
{α′2 , . . . , α′n(R′ )−1 } = {α1 , . . . , αn(R) } ∩ [ξ1′ , ξn(R ′ )−1 ] .
Es folgt
X
n(R)
S M (1[c,d] · f, R) = (ξ j − ξ j−1 )1[c,d] (α j ) f (α j ) =
j=1
c,d<[ξ j−1 ,ξ j ]
14 KAPITEL 8. DAS RIEMANNSCHE INTEGRAL
′
X
n(R) X
n(R )−1
(ξ j − ξ j−1 ) f (α j ) = (ξ′j − ξ′j−1 ) f (α′j ) = S M ( f |[c,d] , R′ ) .
j=1 j=2
c<ξ j−1 ,ξ j <d
8.4.3 Definition. Eine Abbildung f : [a, b] → R (C) heißt stückweise stetige Funktion,
falls es eine Zerlegung a = t0 < t1 < · · · < tn = b von [a, b] gibt, sodass sich die
Funktionen f |(t j−1 ,t j ) stetig auf [t j−1 , t j ] fortsetzen lassen.
8.4.4 Bemerkung. Aus Lemma 8.4.1 folgt, dass jede stückweise stetige Funktion
Riemann-integrierbar ist.
Ist nämlich f : [a, b] → R (C) und sind a = t0 < t1 < · · · < tn = b, sodass sich
für alle j = 1, . . . , n, die Funktion f |(t j−1 ,t j ) stetig auf [t j−1 , t j ] fortsetzen lässt, so sind
alle Funktionen 1(t j−1 ,t j ) · f und daher auch ihre Summe Riemann-integrierbar. Diese
Summe unterscheidet sich aber von f nur an endlich vielen Punkten und ist daher
selbst Riemann-integrierbar.
Sei f auf [a, b] reell- bzw. komplexwertig und Riemann-integrierbar. Für das Fol-
gende macht es Sinn, für ein c ∈ [a, b] das Integral von f über [c, c] als
Z c
f (x) dx := 0
c
8.4.5 Satz (Hauptsatz der Diff.-Int.Rechnung). Sei f eine reell- oder komplexwertige
Funktion auf [a, b], die über [a, b] Riemann-integrierbar ist. Für x ∈ [a, b] definiere7
Zx
F(x) := f (t) dt .
a
7 Die Existenz dieses Integrals für alle x ∈ [a, b] folgt aus Lemma 8.4.1.
8.4. DIFFERENTIAL UND INTEGRALRECHNUNG 15
Dann ist die Funktion F : [a, b] → R (C) stetig auf [a, b].
Ist f in einem Punkt x0 stetig, so ist F bei x0 differenzierbar, und es gilt8
F ′ (x0 ) = f (x0 ) .
Beweis. Als erstes sei bemerkt, dass gemäß unser Definition 8.2.1 die Funktion f als
Riemann-integrierbare Funktion auch beschränkt ist. Für a ≤ x < y ≤ b folgt wegen
(8.10) y
Z
|F(y) − F(x)| = f (t) dt ≤ k f k∞ · (y − x) .
x
egal, ob x ≥ c oder x ≤ c.
Folgendes Korollar ist die Grundlage, Integrale mit Hilfe der Stammfunktion be-
rechnen zu können.
8.4.7 Korollar. Ist f : [a, b] → R (C) stetig, und ist H : [a, b] → R (C) eine Stamm-
funktion von f , d.h. H ist auf [a, b] differenzierbar mit H ′ (x) = f (x) für alle x ∈ [a, b],
so gilt
Z b
f (t) dt = H(b) − H(a) .
a
8 Ist
x0 gleich a oder b, so meinen wir die links- bzw. rechtsseitige Differenzierbarkeit bzw. Ableitung.
9 Wir sehen, dass diese Funktion sogar Lipschitz stetig ist, d.h. dass |F(y) − F(x)| ≤ M · |y − x| für alle
8.4.8 Beispiel. Wir wollen das Integral der Funktion ln x über das Intervall [1, 3] be-
rechnen. Eine Stammfunktion von ln x auf (0, +∞) ist x(ln(x) − 1). Also folgt mit der
Konvention, dass g(x)|ba = g(b) − g(a),
Z 3
ln t dt = x(ln(x) − 1)|31 = 3(ln 3 − 1) − (−1) = 3 ln 3 − 2 .
1
Rπ
8.4.9 Beispiel. Um das bestimmte Integral 0 te2it dt zu berechnen, nehmen wir die
1 2ix
Stammfunktion 2ix e2ix − (2i)2e von xe2ix und erhalten
Z π !π
2it x 2ix 1 2ix π
te dt = e − e = .
0 2i (2i) 2 0 2i
8.4.10 Bemerkung. Aus dem Hauptsatz sieht man insbesondere, dass für eine überall
Rx
auf [a, b] stetige Funktion f die Funktion F(x) = f (t) dt eine stetig differenzierbare
a
Funktion ist, die F ′ (x) = f (x) und F(a) = 0 erfüllt.
Ist umgekehrt F(x) = eine stetig differenzierbare Funktion auf [a, b] mit F(a) = 0,
so ist ihre Ableitung f stetig und wegen Satz 8.3.4 integrierbar. Die Funktion x 7→
Rx
f (t) dt hat nach dem Hauptsatz die selbe Ableitung wie F. Außerdem verschwinden
a
Rx
sie beide bei a, und daher F(x) = f (t) dt, x ∈ [a, b]; vgl. Korollar 8.4.7.
a
Also wird C[a, b] durch den Integraloperator bijektiv auf {F ∈ C 1 [a, b] : F(a) = 0}
abgebildet. Die Umkehrabbildung ist dabei das Differenzieren. Man sieht auch leicht,
dass diese beiden Mengen Vektorräume sind, und dass dieser Integraloperator linear
ist.
8.4.11 Korollar. Ist f : [a, b] → R stetig mit f (x) ≥ 0 für alle x ∈ [a, b], und gilt
Rb
a
f (x) dx = 0, so verschwindet f identisch auf [a, b].
Rx
Beweis. Die Funktion F(x) = f (t) dt, x ∈ [a, b] ist in C 1 [a, b], erfüllt
a
F(a) = F(b) = 0 und hat für x ∈ (a, b) die Ableitung F ′ (x) = f (x) ≥ 0. Also
ist F(x) monoton wachsend, und somit 0 = F(a) ≤ F(x) ≤ F(b) = 0. Mit F
verschwindet auch F ′ = f identisch.
❑
Die in Lemma 7.5.4 kennengelernten Regeln zur Auffindung von Stammfunktionen
führen auf entsprechende Regeln zur Berechnung von Integralen.
8.5. WEITERE EIGENSCHAFTEN DES INTEGRALS 17
8.4.12 Lemma (Substitutionsregel). Sei f reell- oder komplexwertig und stetig auf
[a, b], und g ∈ C 1 [α, β] reellwertig mit g([α, β]) ⊆ [a, b]. Dann gilt
Z g(β) Z β
f (x) dx = f (g(t))g′ (t) dt .
g(α) α
R
Beweis. Nach Lemma 7.5.4 ist ( f ) ◦ g eine Stammfunktion von f (g(t))g′ (t). Aus
Korollar 8.4.7 folgt daher die behauptete Gleichheit.
❑
Ähnlich beweist man folgendes Lemma.
8.4.13 Lemma (Partielle Integration). Seien f, g ∈ C 1 [a, b]. Dann gilt
Zb Zb
′
f g dx = f (b)g(b) − f (a)g(a) − f g′ dx .
a a
Beweis. Sei {ξ j : j = 0, . . . , n} eine Zerlegung von [a, b]. Dann existieren nach dem
Mittelwertsatz der Differentialrechnung Satz 7.2.6 Zwischenstellen αi , ξi−1 ≤ αi ≤ ξi ,
sodass
F(ξi ) − F(ξi−1 ) = (ξi − ξi−1 ) f (αi ) .
Somit ist R = (ξ j ) j=0 ; (α j )n(R)
n(R)
j=1 eine Riemann-Zerlegung von [a, b]. Es folgt
X
n
X
n
F(b) − F(a) = F(ξi ) − F(ξi−1 ) = (ξi − ξi−1 ) f (αi ) = S (R) .
i=1 i=1
Rb
Für |R| → 0 strebt die rechte Seite gegen f (x)dx.
a
❑
Man beachte, dass Satz 8.4.14 nur auf reellwertige Funktionen anwendbar ist, da
im Beweis der Mittelwertsatz der Differentialrechnung verwendet wird, der ja nur für
reellwertige Funktionen gilt.
8.5.1 Satz (*). Sind f, g reellwertig und über [a, b] Riemann-integrierbar, so sind es
auch | f |, f 2 , f g und
Z Z
b b
f dx ≤ | f |dx .
a a
Beweis. Sei ǫ > 0 gegeben. Nach Satz 8.2.5 existiert eine Zerlegung
Z = {ξi : i = 0, . . . , n(Z)} von [a, b], sodass
O( f, Z) − U( f, Z) < ǫ .
Für x, y ∈ [ξi−1 , ξi ] folgt | f (x)| − | f (y)| ≤ | f (x) − f (y)| ≤ Mi − mi , und mit Hilfe von
Lemma 2.9.11
Mi∗ − m∗i = sup | f (x)| + sup (−| f (x)|) = sup (| f (x)| − | f (y)|) ≤ Mi − mi .
x∈[ξi−1 ,ξi ] x∈[ξi−1 ,ξi ] x,y∈[ξi−1 ,ξi ]
Es folgt
X
n(Z)
O(| f |, Z) − U(| f |, Z) = (Mi∗ − m∗i )(ξi − ξi−1 ) ≤
i=1
X
n(Z)
≤ (Mi − mi )(ξi − ξi−1 ) = O( f, Z) − U( f, Z) < ǫ .
i=1
und nach (8.3) ist | f | integrierbar. Die behauptete Ungleichung folgt aus Lemma 8.2.9,
(ii).
Ist Z wie oben, so folgt aus der Tatsache, dass x 7→ x2 monoton wachsend auf
+
R ∪ {0} ist,
sup f (x)2 − inf f (x)2 = (Mi∗ )2 − (m∗i )2
x∈[ξi−1 ,ξi ] x∈[ξi−1 ,ξi ]
X
n(Z)
2 2 sup 2 2
O( f , Z) − U( f , Z) = f (x) − inf f (x) (ξi − ξi−1 ) ≤
x∈[ξi−1 ,ξi ] x∈[ξi−1 ,ξi ]
i=1
X
n(Z)
≤ 2k f k∞ (Mi∗ − m∗i )(ξi − ξi−1 ) = 2k f k∞ O(| f |, Z) − U(| f |, Z) < 2k f k∞ · ǫ
i=1
wie oben, dass auch f 2 integrierbar ist. Die Behauptung für f g folgt aus der Beziehung
1
fg = ( f + g)2 − f 2 − g2 .
2
❑
8.6. UNEIGENTLICHE INTEGRALE 19
8.5.2 Bemerkung (*). Sind die Funktionen in Satz 8.5.1 komplexwertig, so sind mit f, g
auch Re f, Im f, Re g, Im g Riemannintegrierbar. Da man | f |2 , Re f g, Im f g als Summe
von Produkten von Re f, Im f, Re g, Im g darstellen kann, sind auch | f |2 , f g Riemann-
integrierbar. p
Man zeigt auch ähnlich wie im Beweis von Satz 8.5.1, dass mit | f |2 auch | f |2 = | f |
Riemann-integrierbar ist.
Hat die Funktion f : [a, b) → R (C) nicht die Eigenschaft, dass sie sich auf [a, b]
zu einer Riemann-integrierbaren Funktion
R x fortsetzen lässt, so kann man immer noch
versuchen, für x ∈ [a, b) das Integral a f (t) dt zu berechnen, und dann x gegen b
streben zu lassen.
8.6.1 Definition. Sei f : [a, b) → R (C), wobei a < b ≤ +∞, und sei f |[a,x] für alle
x ∈ [a, b) Riemann-integrierbar. Dann heißt f uneigentlich integrierbar, falls
Z b Z β
f (t) dt := lim f (t)dt
a β→b− a
Rb
existiert. Dazu sagen wir auch, dass a f (t) dt konvergiert. Entsprechend definiert man
uneigentliche Integrale für Funktionen f : (a, b] → R (C), wenn −∞ ≤ a < b.
Ist f : (a, b) → R (C), so definiert man mit einem beliebigen c ∈ (a, b)
Z b Z β Z c
f (t) dt := lim f (t)dt + lim f (t)dt , (8.12)
a β→b− c α→a+ α
8.6.2 Beispiel.
(i) Für a ∈ R rechnet man
Z +∞ Z β
−t
e dt = lim e−t dt = lim −(e−β − e−a ) = e−a .
a β→+∞ a β→+∞
(ii) Mit der Regel von de l’Hospital erhält man für ein b > 0
Z b Z b
ln t dt = lim ln t dt = b(ln(b) − 1) − lim α(ln(α) − 1) = b(ln(b) − 1) .
0 α→0+ α α→0+
20 KAPITEL 8. DAS RIEMANNSCHE INTEGRAL
t dt = | sin πt| dt ·
1 n=1 n
n+1 0 n=1
n+1
für β → +∞ divergiert.
Das wohl am meisten verwendete und ähnlich wie bei den Folgen zu beweisende
Kriterium für die absolute Konvergenz ist das folgende Resultat.
8.6.3 Lemma. Seien f, g : [a, b) → R (C), wobei a < b ≤ +∞, und sei f |[a,x] und g|[a,x]
sowie der Betrag dieser Funktionen für alle x ∈ [a, b) Riemann-integrierbar.
Rb
Ist a g(x) dx absolut konvergent, so ist es auch konvergent. Gilt obendrein die
Rb
Ungleichung |g(x)| ≥ | f (x)| für alle x ∈ [c, b) mit einem c ∈ [a, b), so ist auch a f (x) dx
absolut konvergent und somit auch konvergent.
Entsprechende Aussagen gelten für Funktionen, die auf Intervallen der Bauart
(a, b] bzw. (a, b) definiert sind.
Beweis. Wegen den Ungleichungen
Z x Z x Z x2 Z x2
2 2
a
g(t) dt x≥a bzw. a | f (t)| dt x≥a . Die behauptete Konvergenz folgt dann aus Lemma
5.3.11.
❑
8.6.4 Bemerkung. Man kann Lemma 8.6.3 anwenden, um aus der Divergenz eines
Rb Rb
uneigentlichen Integrales a | f (x)| dx auf die Divergenz von a |g(x)| dx zu schließen,
wenn |g(x)| ≥ | f (x)| für alle x ∈ (a, b).
8.6. UNEIGENTLICHE INTEGRALE 21
Da die Funktion h(x) := x ln x nur für x ∈ (0, +∞) definiert ist, ist dieses Integral
uneigentlich an beiden Integrationsgrenzen. Die Funktion h(x) lässt sich aber stetig auf
[0, +∞) durch h(x) = 0 stetig fortsetzen. Somit bleibt nur die Uneigentlichkeit bei der
Stelle +∞; vgl. (8.11).
Für x ≥ 1 ist der Integrand nicht negativ. Somit ergeben dort die Abschätzungen
x ln x = x ln x ≤ x2
≤
x2 1
(x2 + 1)3 (x2 + 1)3 (x2 + 1)3 (x2 )3 = x4 .
Wegen Z
1∞
1 ∞ 1
dx = − =
1 x4 3x3 0 3
folgt aus Lemma 8.6.3 die absolute Konvergenz unseres Integrals.
Nun steht im Zähler die Ableitung des Nenners, d. h. eine Stammfunktion des Integran-
den ist ln(1 − e−x ). (Wegen x > 0 ist das Argument des Logarithmus positiv.) Daraus
ergibt sich
1 1/e 1 1 − e−1/e
Iǫ ≥ ln(1 − e−x ) = ln .
e ǫ e 1 − e−ǫ
Für ǫ → 0+ konvergiert die rechte Seite und damit auch die linke Seite gegen +∞.
Insbesondere divergiert das uneigentliche Integral
Z 1
ln x dx ,
2x x
0 e −e
also gilt
lim lim H(i, j) = lim lim H(i, j) .
j∈J i∈I i∈I j∈J
Beweis. Sei ǫ > 0 gegeben. Wegen der vorausgesetzten gleichmäßigen Konvergenz ist
H j j∈J in B(I, Y) ein Cauchy-Netz. Es existiert also ein j0 ∈ J, sodass für j, k j0 und
alle i ∈ I gilt
dY (H(i, j), H(i, k)) ≤ d∞ (H j , Hk ) ≤ ǫ .
Hält man j und k fest, so folgt dY (A j , Ak ) = limi∈I dY (H(i, j), H(i, k)) ≤ ǫ. Damit ist
(A j ) j∈J ein Cauchy-Netz, und wegen Lemma 5.3.11 konvergent. Setzen wir lim j∈J A j =:
A, so gilt
dY (h(i), A) ≤ dY (h(i), H(i, j)) + dY (H(i, j), A j) + dY (A j , A) .
Wähle j nach der vorausgesetzten gleichmäßigen Konvergenz so, dass für alle i ∈ I gilt
dY (h(i), H(i, j)) ≤ d∞ (h, H j) < ǫ und so, dass dY (A j , A) < ǫ. Für dieses j existiert ein
i0 ∈ I, sodass aus i i0 , die Ungleichung dY (H(i, j), A j) < ǫ folgt. Insgesamt erhalten
wir
dY (h(i), A) < 3ǫ für i ∈ I und i i0 .
❑
Aus diesem Lemma folgen nun eine Reihe wichtiger Ergebnisse.
8.7.2 Satz. Sei ( fn )n∈N eine Folge von Riemann-integrierbaren Funktionen auf [a, b]
mit Werten in R oder C. Gilt limn→∞ fn = f gleichmäßig auf [a, b], so ist auch f
Riemann-integrierbar, wobei
Zb Zb
lim fn dx = f dx .
n→∞
a a
Beweis. Um das letzte Lemma anwenden zu können, sei I = R die Menge aller
Riemann-Zerlegungen von [a, b] versehen mit der durch die Feinheit induzierte Ord-
nung und (J, J ) = (N, ≤). Weiters sei Y = R (C), versehen mit der Euklidischen
Metrik, je nachdem, wo die Funktionen hinein abbilden.
Wir setzen H(R, n) := S ( fn , R), h(R) = S ( f, R). Wegen Lemma 8.2.9, (ii), gilt
Zb
lim fn dx = lim lim S ( fn , R)
n→∞ n→∞ |R|→0
a
Zb
= lim lim S ( fn , R) = lim S ( f, R) = f dx ,
|R|→0 n→∞ |R|→0
a
Zb X ∞
X
∞ Z b X∞
n an n+1 b
an x dx = an xn dx = x | x=a .
n=0 n=0 a n=0
n +1
a
Somit haben wir eine weitere Möglichkeit, Stammfunktionen auszurechnen. So ist et-
2
wa die Stammfunktion von e−x nicht als Summe von Produkten von Funktionen wie
Polynome, e hoch Polynomen, oder dergleichen darstellbar. Aber zumindest lässt sich
eine Stammfunktion F(x) als
Z x Z xX
∞ X ∞
−t2 (−1) j 2 j (−1) j
F(x) = e dt = t dt = x2 j+1 ,
0 0 j=0
j! j=0
( j!)(2 j + 1)
anschreiben.
Mit Hilfe des Hauptsatzes können wir auch Differentiation und Limes vertauschen.
8.7.4 Korollar. Sei ( fn )n∈N eine Folge von reell- bzw. komplexwertigen und stetig dif-
ferenzierbaren Funktionen definiert auf [a, b].
Existiert ein Punkt x0 ∈ [a, b], sodass ( fn (x0 ))n∈N konvergiert, und ist die Folge
( fn′ )n∈N gleichmäßig konvergent auf [a, b], so ist auch die Folge ( fn )n∈N gleichmäßig
konvergent auf [a, b], und es gilt
d d
lim fn (x) = lim fn (x), x ∈ [a, b] .
dx n→∞ n→∞ dx
womit ( fn )n∈N zumindest punktweise gegen f (x) konvergiert. Nach Satz 8.4.5 ist die
linke Seite ableitbar, und daher gilt f ′ (x) = g(x) = limn→∞ fn′ (x), x ∈ [a, b].
Die Gleichmäßigkeit der Konvergenz folgt aus
Z x
k fn − f k∞ = sup | fn (x) − f (x)| = sup ( fn (t) − g(t)) dt + fn (x0 ) − A ≤
′
x∈[a,b] x∈[a,b] x0
n→∞
(b − a) · k fn′ − gk∞ + | fn (x0 ) − A| −→ 0 . (8.16)
Der Beweis für Netze verläuft fast identisch.
❑
Dass aus der gleichmäßigen Konvergenz einer Funktionenfolge im Allgemeinen
nicht die gleichmäßige Konvergenz der Folge der Ableitungen folgt, zeigt
sin√ nx
8.7.5 Beispiel. Sei fn (x) = n
für x ∈ R. Offensichtlich gilt
lim fn (x) = 0 ,
n→∞
Wenden wir Korollar 8.7.4 auf Potenzreihen an, so erhalten wir folgendes Resultat.
Dieses zeigt insbesondere auch, dass die Taylorreihe zur Grenzfunktion einer Potenz-
reihe mit der gegebenen Potenzreihe übereinstimmt; vgl. Fakta 7.4.4, 7.
P
8.7.6 Proposition. Sei ∞ a zn eine Potenzreihe mit Konvergenzradius R > 0. Dann
P∞ n=0 n
hat die Potenzreihe n=0 (n + 1)an+1 zn denselben Konvergenzradius R.
Die Funktion
X
∞
f : (−R, R) → C, f (t) = an t n
n=0
ist auf (−R, R) differenzierbar mit der Ableitung
X
∞
f ′ (x) = (n + 1) an+1 xn .
n=0
P
Beweis. Dass der Konvergenzradius von ∞ n
n=0 (n + 1)an+1 z auch R ist, prüft man ent-
P
weder mit Hilfe des Majorantenkriteriums durch einen Vergleich mit ∞ n
n=0 |an z | nach,
12
oder man zeigt, dass
1 1
√n = √ = R,
lim supn→∞ |(n + 1)an+1 | lim supn→∞ n+1 |an+1 |
vgl. Satz 6.7.7.
Für jedes feste r ∈ (0, R) konvergiert wegen Satz 6.7.7 die Funktionenfolge
PN
( n=0 an tn )N∈N auf [−r, r] gleichmäßig gegen f . Analog konvergiert die Funktionen-
PN−1
folge ( n=0 (n + 1)an+1 tn )N∈N auf [−r, r] gleichmäßig und zwar wegen Korollar 8.7.4
′
gegen f . Da r < R beliebig war, folgt die Behauptung.
Die Verallgemeinerung in (8.17) folgt nun leicht durch vollständige Induktion.
❑
8.7.7 Beispiel. Für x ∈ (−1, 1) ist die Funktion x 7→ ln(1 − x) beliebig oft differenzier-
P
bar. Da ln(1 − x)′ = − 1−x1
=− ∞ n
n=0 x nach Proposition 8.7.6 mit der Ableitung von
P∞ xn P xn
x 7→ − n=1 n , x ∈ (−1, 1) übereinstimmt, und da ln(1 − x) und − ∞ n=1 n für x = 0
beide den Wert Null annehmen, folgt aus Korollar 7.2.9, dass
X∞
xn
ln(1 − x) = − für alle x ∈ (−1, 1) .
n=1
n
Da diese Reihe auch für x = −1 (bedingt) konvergiert, folgt aus Satz 6.11.1, dass
P (−1)n
− ∞n=1 n = ln(2).
Als Vorspiel zum nächsten Ergebnis wollen wir uns kurz mit dem Produkt zweier
metrischer Räume beschäftigen.
8.7.8 Fakta.
1. Seien hX, dX i und hY, dY i zwei metrische Räume. Ist X × Y die Menge aller ge-
ordneten Paare, und definiert man
d (a, b), (x, y) := max(dX (a, x), dY (b, y)) , (8.18)
so sieht man unmittelbar, dass (X × Y, d) ein metrischer Raum ist, und dass
(xn , yn ) → (x, y) genau dann, wenn xn → x und yn → y.
2. Sind K1 ⊆ X und K2 ⊆ Y jeweils kompakt, so ist es auch K1 × K2 , denn ist
(xn , yn ) n∈N eine Folge in K1 × K2 , so gibt es eine Teilfolge (xn(k) )k∈N , sodass
xn(k) → x ∈ K1 und weiter eine Teilfolge (yn(k( j)) ) j∈N mit yn(k( j)) → y ∈ K2 , also
(xn(k( j)) , yn(k( j)) ) → (x, y).
3. Die offene Kugel Uǫ (a, b) um ein (a, b) ∈ X × Y ist nichts anderes als Uǫ (a) ×
Uǫ (b), da
d (a, b), (x, y) = max(dX (a, x), dY (b, y)) < ǫ ⇔ dX (a, x) < ǫ ∧ dY (b, y) < ǫ .
5. Die Definition von d∞ auf R p passt genau in dieses Bild, denn haben wir p1 +
p2 = p, und sind sowohl R p1 als auch R p2 versehen mit d∞ , und versieht man
R p = R p1 × R p2 mit der Metrik aus (8.18), so erhält man genau wieder d∞ .
8.7.9 Korollar. Ist f : [a, b] × K → R (C) stetig, wobei K eine kompakte Teilmenge
eines metrischen Raumes (Y, dY ) ist, so ist auch die Funktion R : K → R (C) definiert
durch Z b
R(t) = f (s, t) ds
a
stetig. R(t) nennt man Parameterintegral.
Beweis. Es gilt limt→t0 R(t) = limt∈K\{t0 } R(t) = R(t0 ) für ein beliebiges t0 ∈ K zu zeigen.
Dabei ist K \ {t0 } geordnet durch
t1 t2 ⇔ dY (t0 , t1 ) ≥ dY (t0 , t2 ) .
Wegen der Kompaktheit von [a, b] × K ist die Funktion f sogar gleichmäßig stetig; vgl.
Satz 6.3.3. Zu gegebenem ǫ > 0 gibt es somit ein δ > 0, sodass
d (s, t), (s′ , t′ ) < δ ⇒ | f (s, t) − f (s′ , t′ )| < ǫ .
Insbesondere folgt aus dY (t, t0 ) < δ wegen d (s, t), (s, t0 ) = dY (t, t0 ) die Ungleichung
| f (s, t) − f (s, t0 )| < ǫ für alle s ∈ [a, b] und somit
Also konvergiert das Netz ( f (., t))t∈K\{t0 } gleichmäßig gegen die Funktion f (., t0 ) :
[a, b] → R (C). Wegen Satz 8.7.2 gilt dann
Z b Z b Z b
lim R(t) = lim f (s, t) ds = lim f (s, t) ds = f (s, t0 ) ds = R(t0 ) .
t→t0 t→t0 a a t→t0 a
❑
Mit unserem Grenzwertvertauschungssatz lässt sich auch die Vertauschbarkeit der
Integrationsreihenfolge zeigen.
8.7.10 Satz (Satz von Fubini). Ist f : [a, b] × [c, d] → R (C) stetig, so gilt
Z b Z d ! Z d Z b !
f (s, t) dt ds = f (s, t) ds dt . (8.19)
a c c a
Beweis. Die Existenz der inneren Integrale wird durch Satz 8.3.4 und der äußeren
Integrale durch Korollar 8.7.9 gewährleistet.
Sei I = R die Menge aller Riemann-Zerlegungen von [a, b] und sei J = P
die Menge aller Riemann-Zerlegungen von [c, d] beide gerichtet mit der durch die
n(R)
Feinheit induzierten Ordnung. Wir definieren für R = (ξ j )n(R)
j=0 ; (α j ) j=1 und P =
n(P)
(η j )n(P)
j=0 ; (β j ) j=1
X
n(R) X
n(P)
H(R, P) := (ξ j − ξ j−1 )(ηk − ηk−1 ) f (α j , βk ) , (8.20)
j=1 k=1
8.7. VERTAUSCHUNG VON INTEGRALEN MIT GRENZWERTEN 27
wobei f1 die Funktion f mit festgehaltener zweiter Variablen ist, und S ( f1 , R) als
Funktion eben dieser Variable aus [c, d] betrachtet wird. Entsprechend gilt H(R, P) =
S (S ( f2 , P), R).
Wegen (8.9) gilt
Da unsere Funktion f gleichmäßig stetig ist, gibt es zu gegebenen ǫ > 0 ein δ > 0,
sodass k f (., t) − f (., t′ )k∞ ≤ ǫ für alle t, t′ ∈ [c, d] mit |t − t′ | < δ. Aus (8.21) folgt dann
wenn nur |P1 |, |P2 | < δ. Somit ist H(., P) P∈J ein Cauchy-Netz in B(I, C)13 und kon-
vergiert daher wegen Lemma 5.3.11 in B(I, C) bzgl. d∞ – also gleichmäßig – gegen
eine Funktion h : I → C, wobei
Z d
S ( lim S ( f2 , P), R) = S ( f (., t) dt, R) .
|P|→0 c
Daraus folgt
Z d Z b Z d !
lim lim H(R, P) = lim S ( f (., t) dt, R) = f (s, t)dt ds .
|R|→0 |P|→0 |R|→0 c a c
Aus Symmetriegründen konvergiert auch H(R, .) R∈I in B(J, C) gegen eine Funktion
g : J → C, wobei
Z b
g(P) = lim H(R, P) = S ( f (s, .) ds, P) ,
|R|→0 a
womit
Z b Z d Z b !
lim lim H(R, P) = lim S ( f (s, .) ds, P) = f (s, t)ds dt .
|P|→0 |R|→0 |P|→0 a c a
13 Das ist der vollständig metrische Raum aller auf I beschränkten C-wertigen Funktionen versehen mit
Weil alle Voraussetzungen von Lemma 8.7.1 erfüllt sind, erhalten wir
lim lim H(R, P) = lim lim H(R, P) ,
|R|→0 |P|→0 |P|→0 |R|→0
8.7.11 Bemerkung. Ist eine stetige reell- oder komplexwertige Funktion auf einem
Qp
Quader j=1 [a j , b j ] = [a1 , b1 ] × · · · × [a p , b p ] ⊆ R p definiert, so ist wegen Korollar
p−1
R bp Q p−1
8.7.9 (t j ) j=1 7→ a f (t1 , . . . , t p−1 , s) ds stetig auf j=1 [a j , b j ] ⊆ R p−1 .
p
Nun kann man nach der vorletzten Variablen integrieren, dann nach der vorvorletz-
ten, usw. . Schließlich erhält man
Z b1 Z bp
... f (t1 , . . . , t p ) dt p . . . dt1 . (8.22)
a1 ap
Wendet man Satz 8.7.10 mehrere Male an, so sieht man, dass es hier nicht auf die
Integrationsreihenfolge ankommt.
Man kann das als Ausgangspunkt für die Integrationstheorie für Funktionen, die auf
Q
einem Rechteck oder allgemeiner über einem Quader Q = pj=1 [a j , b j ] ⊆ R p definiert
sind, nehmen, indem man Z
f (t) dt
Q
als (8.22) definiert. Dieser Ausdruck hängt zumindest für stetige f nicht von der Inte-
grationsreihenfolge ab, ist also in einem gewissen Sinne sinnvoll definiert.
Größere Probleme tauchen auf, wenn man etwa das Integral einer stetigen Funk-
tion über einen Kreis definieren will. Solche Integrale werden wir in der Analysis 3
Vorlesung behandeln.
Als Folgerung erhält man unmittelbar eine Aussage über die Differenzierbarkeit
von Parameterintegralen.
8.7.12 Korollar. Sei f : [a, b] × [c, d] → R(C) stetig und so, dass die Ableitung nach
der ersten Variablen für alle (s, t) ∈ [a, b] × [c, d] existiert, und dass
d
f1 (s, t) = f (s, t)14 ,
ds
Rd
ebenfalls auf [a, b] × [c, d] stetig ist. Dann ist die Funktion s 7→ c
f (s, t) dt für
s ∈ [a, b] stetig differenzierbar mit der Ableitung
Z d Z d
d
f (s, t) dt = f1 (s, t) dt . (8.23)
ds c c
Differenziert man diese Gleichung nach der Variablen x, so erhält man (8.23). Dass
(8.23) stetig von s ∈ [a, b] abhängt, folgt aus Korollar 8.7.9.
❑
14 Dafür ∂
werden wir später ∂s f (s, t) schreiben.
8.7. VERTAUSCHUNG VON INTEGRALEN MIT GRENZWERTEN 29
Außerdem gilt
Z 1
π
1 π
F(0) = 2+1
−dt = − arctan |10 = 0 .
0 t 4 4
R x 2 2 2
Rx 2
Ist andererseits G(x) = 0 e−t dt , so gilt G′ (x) = 2e−x 0 e−t dt, und aus der Sub-
stitutionsregel folgt F ′ (x) = G′ (x). Wegen G(0) = 0 = F(0) folgt F(x) = G(x) und
zwar für alle x ≥ 0, da ja C > 0 beliebig war.
−x2 (t 2 +1) 2
Wegen e t2 +1 ≤ e−x konvergiert der Integrand in (8.25) für x → +∞ gleichmäßig
gegen die Nullfunktion, und mit Satz 8.7.2 erhält man
π
lim G(x) = lim F(x) = .
x→+∞ x→+∞ 4
Aus der Stetigkeit der Wurzelfunktion folgt
Z x √
2 π
lim e−t dt = ,
x→+∞ 0 2
Diese ist wohldefiniert für t ∈ [0, +∞), da obiges uneigentliches Integral für alle t ≥ 0
konvergiert, wobei es aber nur für t > 0 absolut konvergiert.
Man beachte dabei auch, dass 0 nicht wirklich eine Uneigentlichkeitsstelle obigen
Integrales ist, da sich die Funktion g(x) := sinx x , x ∈ (0, +∞) stetig auf [0, +∞) durch
g(0) := 1 = lim x→0+ sinx x fortsetzen lässt. Also gilt nach dem Hauptsatz der Differential-
und Integralrechnung
Z 1 Z 1
sin x −xt
lim · e dx = g(x) · e−xt dx .
δ→0+ δ x 0
30 KAPITEL 8. DAS RIEMANNSCHE INTEGRAL
von Funktionen auf [0, +∞). Offenbar konvergiert es punktweise gegen F(t).
Weiters wollen wir bemerken, dass sinx x ≤ 1, x > 0, da die Funktion sin x − x
bei Null verschwindet, und auf [0, +∞) eine Ableitung kleiner gleich Null hat und
somit monoton fallend ist. Also gilt sin x − x ≤ 0, x ∈ [0, +∞) und daher sinx x ≤ 1
sicher für x ∈ (0, 1]. Für x > 1 ist diese Ungleichung
klarerweise auch richtig, da
| sin x| ≤ 1, x ∈ R, und für x < 0 gilt sinx x = sin(−x)
−x
.
Wir wollen nun limt→+∞ F(t) berechnen. Dazu betrachten wir F(t) für t ∈ [δ, +∞)
für ein festes δ > 0, und bemerken, dass für t ≥ δ
Z 1 Z β
α sin x
−xt sin x −xt
|F(t) − Fα (t)| = lim · e dx + lim · e dx ≤
γ→0+ γ x β→+∞ α x
Z 1 Z β
α
lim e−δx dx + lim e−δx dx =
γ→0+ γ β→+∞ α
Z 1 Z +∞ 1
α 1 − e− α + e−α
e−δx dx + e−δx dx = .
0 α δ
Der Ausdruck rechts konvergiert für α → +∞ gegen 0 und zwar unabhängig von t ∈
[δ, +∞). Also konvergiert Fα gegen F gleichmäßig auf [δ, +∞).
Andererseits gilt nach Satz 8.7.2 für ein festes α > 1
Z α
sin x −xt
lim Fα (t) = lim · e dx =
t→+∞ t→+∞ 1
α
x
Z α Z α
sin x −xt
lim · e dx = 0 dx = 0 ,
1 t→+∞ x 1
α α
da wegen sinx x · e−xt ≤ e−t α das Netz von Funktionen x 7→ sinx x · e−xt , x ∈ [ α1 , α] für
1
Nun wollen wir F ′ (t) für t > 0 berechnen. Dazu halten wir wieder δ > 0 fest und
betrachten t ∈ [δ, +∞). Wir wissen schon, dass Fα → F und zwar gleichmäßig auf
dieser Menge. Betrachten wir nun für ein festes α > 1 die das Integral
Z α
sin x −xt
Fα (t) = · e dx ,
1
α
x
so ist der Integrand stetig in (x, t) ∈ [ α1 , α] × [δ, +∞), und auch die Ableitung
∂ sin x −xt
· e = − sin x · e−xt
∂t x
8.7. VERTAUSCHUNG VON INTEGRALEN MIT GRENZWERTEN 31
des Integranden nach t (∈ [δ, +∞)) ist stetig in (x, t) ∈ [ α1 , α] × [δ, +∞). Also gilt nach
Korollar 8.7.12 Z α
Fα′ (t) = − sin x · e−xt dx .
1
α
8.8 Mittelwertsatz
Folgende Tatsache liegt unmittelbar auf der Hand.
8.8.1 Satz (Mittelwertsatz der Integralrechnung). Seien f und g reelle und Riemann-
integrierbare Funktion auf [a, b], wobei g(t) ≥ 0, t ∈ [a, b]. Dann existiert ein µ ∈
[inf t∈[a,b] f (t), supt∈[a,b] f (t)] mit
Zb Zb
f (t)g(t) dt = µ g(t) dt . (8.27)
a a
und integriere alle Funktionen nach s. Nach Lemma 8.2.9 erfüllen die Integrale die
selbe Ungleichungskette. Daraus folgt unmittelbar (8.27). Für ein stetiges f ist nach
dem Zwischenwertsatz f (x) = µ für ein x ∈ [a, b].
❑
Für g(t) = t erhalten wir aus Satz 8.8.1 unmittelbar, dass für ein Riemann-
integrierbares f : [a, b] → R
Zb
f (t) dt = µ(b − a) , (8.28)
a
wobei im Falle der Stetigkeit von f gilt, dass µ = f (x) für ein gewisses x ∈ [a, b].
Als Anwendung können wir mit Satz 8.8.1 die Darstellung des Restgliedes im Satz
von Taylor, Satz 7.4.2, unter etwas stärkeren Voraussetzungen nochmals ableiten. Dazu
benötigen wir zunächst eine Darstellung dieses Restgliedes in Integralform, die aber
auch für komplexwertige Funktion gültig ist.
8.8.2 Proposition. Sei I ⊆ R ein Intervall und n ∈ N ∪ {0}. Weiters sei f : I → R oder
f : I → C mit f ∈ C n+1 (I). Für x, y ∈ I, x , y gilt
Zx
′ (x − y)2
′′ (x − t)2
= f (y)(x − y) + f (y) + f ′′′ (t) dt =
2 2
y
X
n Zx
(x − y)k (x − t)n
= ··· = f (k) (y) + f (n+1) (t) dt .
k=1
k! n!
y
❑
8.8.3 Bemerkung. Ist f reellwertig, so folgt aus Satz 8.8.1, dass sich das Restglied in
n+1
der Form f (n+1) (ξ) (x−y)
(n+1)! für ein geeignetes ξ ∈ [min(x, y), max(x, y)] schreiben lässt;
vgl. Satz 7.4.2.
8.9 Übungsbeispiele
8.1 Man betrachte die Funktion f (x) = x3 + 1 : [0, 1] → [0, 1]. Wählen Sie n + 1 äquidistante
Stützstellen, und berechnen Sie zur entsprechenden Zerlegung Zn von [0, 1] die Ober- und
die Untersummen, sowie limn→∞ O(Zn ), limn→∞ U(Zn ).
P
Hinweis: 4 nk=1 k3 = n2 (n + 1)2 .
8.2 Berechnen Sie das Integral aus dem vorherigen Beispiel mit Hilfe von Riemannschen Zwi-
schensummen mit n + 1 äquidistanten Stützstellen, und Zwischenstellen an den Intervallmit-
telpunkten.
8.3 Seien a, b ∈ R, a < b und bezeichne R die Menge aller Riemannzerlegungen von [a, b]
gerichtet durch die Feinheit. Zeigen Sie, dass dass für ein Netz ( f (R))R∈R mit Werten in
einem metrischen Raum folgende Aussagen äquivalent sind:
8.4 Seien a, b ∈ R, a < b und f : [a, b] → C stetig. Weiters bezeichne R die Menge aller Rie-
mannzerlegungen von [a, b] gerichtet durch die Feinheit. Zu jedem R = ((ξ j )n(R) n(R)
j=0 , (α j ) j=1 ) ∈
R sei F(R) die Funktion auf [a, b] definiert durch
F(R)(x) = f (α j ) ,
1k + 2k + . . . + nk 1
lim = (k, n ∈ N) .
n→∞ nk+1 k+1
k+1 Rb
Hinweis: xk+1 ist eine Stammfunktion von xk und es gilt a
f (x) dx = F(b) − F(a), wenn F
eine Stammfunktion von f ist.
8.12 Für m, n ∈ Z berechnen Sie Z 2π
exp(int) · exp(imt) dt ,
0
sowie
Z 2π Z 2π Z 2π
sin(nt) · sin(mt) dt, cos(nt) · cos(mt) dt, sin(nt) · cos(mt) dt .
0 0 0
Rb
Hinweis: Es gilt a f (x) dx = F(b) − F(a), wenn F eine Stammfunktion von f ist. Unter-
scheiden Sie dabei den Fall m = n und m , n. Um Rechenarbeit zu sparen, kann man die
letzten drei Integrale auf das erste zurück führen.
8.13 Man zeige:
1 X 1 X ikt sin(n + 2 )t 1
n n 1
t
Dn (t) := + cos mt = e = t = (cos nt + cot · sin nt) ,
2 m=1 2 k=−n 2 sin 2 2 2
Rπ
sowie −π
Dn (t) dt = π.
8.14 Sei f (x) eine auf ganz R definierte Funktion. Wir nehmen an, dass f (x) stetig und 1-
periodisch ist, dh. f (x) = f (x + 1) für alle x ∈ R. Man zeige, dass f (x) auf R beschränkt ist.
Weiters beweise man, dass für beliebiges α ∈ R folgende Gleichheit gilt:
Z 1 Z α+1
f (x)dx = f (x)dx .
0 α
8.9. ÜBUNGSBEISPIELE 35
{(x, y) ∈ R2 : x2 + y2 ≤ 1, y ≥ x2 }.
8.18 Welche folgender Integrale sind eigentliche bzw. uneigentliche Riemann-Integrale? Weiters
berechne man diese (r > 0):
Z 1 Z r √ Z 3 √
1 2 2
x2 + 4x + 5
√ dx, r − x dx, √ dx .
0 9x − 4x2 −r 1 2+ x+ x2 + 4x + 5
Hinweis: Zum letzten Integral: Substituieren Sie zuerst so, dass x2 + 4x + 5 = (x + 2)2 + 1 =
t2 + 1.
8.19 Für welche α ∈ R \ {0} existieren die (unbestimmten) Integrale:
Z 1 Z +∞ Z +∞
xα dx, xα dx, xα dx .
0 1 0
Im Falle der Existenz berechne man diese! Weiters berechne man (falls existent)
Z +∞
ln t
dt .
1 t2
sowie Z ∞ Z ∞
ewt cos bt dt, ewt sin bt dt .
0 0
R +∞
8.23 Man berechne das uneigentliche Integral 0
(t2 + 2t) exp(wt) sin t dt mit w ∈ C, Re w < 0.
8.24 Man berechne Z Z
1 1
x
dx, xm (log x)n dx, n, m ∈ N .
−1 x6 + i 0
36 KAPITEL 8. DAS RIEMANNSCHE INTEGRAL
Man finde durch partielle Integration eine Relation zwischen Iα und Iα+2 . Man zeige mit
Hilfe dieser Rekursionsformel, dass für k ∈ N folgende zwei Formeln gelten:
2k − 1 2k − 3 3 1 π
I2k = · · ··· · · · ,
2k 2k − 2 4 2 2
2k 2k − 2 4 2
I2k+1 = · · ··· · · .
2k + 1 2k − 1 5 3
8.26 Für x ∈ [0, π2 ] und k ∈ N zeige man
Daraus und aus dem vorherigen Beispiel leite man folgende Ungleichungen her:
π 22 · 42 · · · · · (2k)2 1
= lim 2 2 · .
2 k→∞ 3 · 5 · · · · · (2k − 1)2 2k
Rn P R j
8.27 Sei f (x) auf [0, n] stetig differenzierbar. Man zeige durch eine Zerlegung von 0 in nj=1 j−1
P
Rund unter Verwendung der partiellen Integration, dass sich die Differenz von nk=1 f (k) und
n
0
f (x)dx berechnen lässt durch
X
n Z n Z n
f (k) − f (x)dx = (x − [x]) f ′ (x)dx .
k=1 0 0
X
n Z n Z n
f (0) + f (n) 1
f (k) = f (x)dx + + (x − [x] − ) f ′ (x)dx .
k=0 0 2 0 2
X
n Z n Z n
f (n) − f (0)
f (k) − f (x)dx = − φ(x) f ′′ (x)dx ,
k=1 0 2 0
(x−[x])2 −(x−[x])
wobei φ(x) = 2
.
8.9. ÜBUNGSBEISPIELE 37
8.30 Man wende voriges Beispiel auf f (x) = ln(x + 1) an, und zeige, dass das uneigentliche
Integral Z ∞
a := − φ(x) f ′′ (x)dx + 1
0
existiert. Man zeige weiters, dass
3 1
a = lim ln((n + 1)!) − (n + ) ln(n + 1) + n + 1 = lim ln(n!) − (n + ) ln n + n .
n→∞ 2 n→∞ 2
8.31 Man zeige, dass für den Grenzwert a aus dem vorherigen Beispiel
n!en
ea = lim √
n→∞ nn n
√
gilt. Man setze b := ea , und zeige weiters, dass b = 2π.
Hinweis: Man zeige mit Hilfe des Wallischen Produkts
b2n 1
lim = √ ,
n→∞ b2n 2π
n
n!e√
wobei bn = nn n
. Man verwende dabei auch die Tatsache, dass
2k
k 1 · 3 . . . (2k − 1)
= .
22k 2 · 4 . . . (2k)
für x ∈ R \ Z. Man zeige, dass S N (x) auf jedem kompakten Teilintervall [a, b] ⊆ R \ Z
gleichmäßig gegen eine Funktion h(x) konvergiert.
Man berechne h(k + 12 ) für k ∈ Z.
Schließlich zeige man h(x) = π cot(πx), x ∈ R \ Z, indem man ihre Ableitungen vergleicht.
Man verwende dazu Beispiel 6.28 und 6.29.
PN
Hinweis: Es gilt S N (x) = 1x + 2x k=1 1
x2 −k2
. Begründung für Vertauschen von Limes und
Differenzieren!
8.37 Durch Betrachtung der Ableitung leite man die Taylorreihe zur Funktion arctan mit An-
schlussstelle x0 = 0 her.
Anmerkung: Zusammen mit dem Ableschen Grenzwertsatz, Satz 6.11.1, folgt
X∞
(−1)k π
= .
k=0
2k + 1 4
8.38 Durch Betrachtung der Ableitung leite man die Taylorreihe zur Funktion areatanh mit An-
schlussstelle x0 = 0 her.
8.39 Man berechne Z Z Z ! !
1 2 2
x+y
z dx dy dz ,
0 1 1
und begründe alle vorgenommenen Vertauschungen.
8.40 Für x ∈ (0, +∞) zeige man, dass folgendes uneigentliche Integral absolut konvergiert:
Z ∞
Γ(x) := e−t t x−1 dt.
0
8.42 Für x ∈ (0, +∞) zeige man, dass folgendes uneigentliche Integral absolut konvergiert:
Z ∞
gk (x) := e−t (ln t)k t x−1 dt.
0
Ry
Weiters zeige man, dass die gk stetig sind, dass 1 gk (t)dt = gk−1 (y) − gk−1 (1), und dass daher
gk die k-te Ableitung der Gammafunktion ist.
Hinweis:
Rα Sei [a, b] ⊆ (0, +∞) beliebig. Man zeige, dass (α ∈ (1, +∞), x ∈ [a, b]) F(α, x) :=
−t k x−1
1 e (ln t) t dt gleichmäßig auf [a, b] konvergiert, wenn α → +∞. Dazu zeige man, dass
α
3
|e−t (ln t)k t x−1 | ≤ K1 t 4 a−1 , t ∈ (0, 1] und |e−t (ln t)k t x−1 | ≤ K2 t12 , t ∈ (1, +∞) mit irgendwelchen
Konstanten K1 , K2 .
8.9. ÜBUNGSBEISPIELE 39
8.43 Sei x nun nicht nur in (0, +∞), sondern allgemeiner in {z ∈ C : Re z > 0}. Man zeige, dass
dann Γ(x) ebenfalls konvergiert, und zwar in {z ∈ C : Re z > 0}, dass diese Funktion stetig
auf ganz {z ∈ C : Re z > 0} ist, und dass Γ(z + 1) = zΓ(z) gilt.
Schließlich stelle man Re Γ(z) und Im Γ(z) getrennt dar.
8.44 Man berechne Γ( 21 )!
40 KAPITEL 8. DAS RIEMANNSCHE INTEGRAL
Kapitel 9
41
42 KAPITEL 9. NORMEN UND BANACHRÄUME
9.1.5 Beispiel.
(i) Klarerweise ist (R, |.|) ein Banachraum über R. (C, |.|) ist auch ein Banachraum,
wobei man ihn als Vektorraum über C und als Vektorraum über R betrachten
kann.
p
qP Paradebeispiel eines normierten Raums über R ist (R , k.k2 ), wobei kxk2 :=
(ii) Das
p 2 1 T
j=1 |x j | . Dabei ist x = (x1 , . . . , x p ) . Die erzeugte Metrik ist die wohlbe-
kannte Euklidische Metrik:
v
u p
t X
d2 (x, y) = kx − yk2 = |x j − y j |2 .
j=1
bleiben dabei auch die Normen erhalten, und mit (R2p , k.k2 ) ist auch (C p , k.k2 ) ein
Banachraum.
(iv) Man kann R p auch mit den Normen
X
p
kxk1 := |x j |, kxk∞ := max |x j |
j=1,...,p
j=1
1 Ab hier wollen wir die Elemente von R p als stehende Vektoren betrachten.
9.1. NORMIERTE RÄUME 43
Ehe wir uns mehr Beispiele normierter bzw. Banachräume anschauen, brauchen
wir ein kleines Lemma.
9.1.6 Lemma. Ist hX, di ein vollständiger metrischer Raum und ist Y eine abgeschlos-
sene Teilmenge von X, so ist hY, d|Y×Y i auch ein vollständiger metrischer Raum.
Ist umgekehrt hY, d|Y×Y i vollständig, wobei Y Teilmenge eines metrischen Raumes
hX, di ist, so ist Y abgeschlossen in X.
Beweis. Klarerweise ist Y versehen mit der eingeschränkten Metrik selber ein metri-
scher Raum.
Ist (xn )n∈N eine Cauchy-Folge in Y, so konvergiert diese nach Voraussetzung gegen
ein x ∈ X. Ist nun Y abgeschlossen und enthält daher alle seine Häufungspunkte, so
folgt x ∈ Y.
Ist (xn )n∈N eine Folge in Y, die gegen ein x ∈ X konvergiert, so ist diese sicherlich
eine Cauchy-Folge bzgl. d und somit auch bzgl. d|Y×Y . Ist Y vollständig, so konvergiert
(xn )n∈N bzgl. d|Y×Y und somit auch bzgl. d gegen ein y ∈ Y. Da aber Grenzwerte
eindeutig sind, folgt x = y ∈ Y. Also ist Y abgeschlossen.
❑
Folgende Situation tritt bei der Betrachtung konkreter Räume auf. Ist (X, k · k) ein
normierter Raum und Y ein linearer Unterraum (Untervektorraum), so kann man k.k auf
Y einschränken und erhält offenbar wieder einen Normierten Raum. Ist dabei (X, k · k)
ein Banachraum und ist Y als Teilmenge von X abgeschlossen, so muss nach Lemma
9.1.6 auch (Y, k · k) ein Banachraum sein.
9.1.7 Lemma. Ist (X, k · k) ein normierter Raum und Y ein linearer Unterraum, so ist
der Abschluss c(Y) von Y in X ebenfalls ein linearer Unterraum und somit der kleinste
abgeschlossene Teilraum von X, der Y enthält.
Beweis. Sind x, y ∈ c(Y) und λ, µ ∈ R (C), so gibt es Folgen xn , yn ∈ Y mit
limn→∞ xn = x und limn→∞ yn = y. Wir wissen, dass dann die Folge λxn + µyn ∈ Y
gegen λx + µy konvergiert und somit diese Linearkombination auch in c(Y) liegt.
❑
9.1.8 Beispiel. Wir wollen uns nun weitere Beispiele von normierten Räumen ansehen.
(i) Ist E eine nichtleere Menge und (Y, k.kY ) ein normierter Raum. Wir betrachten den
Raum B(E, Y) aller beschränkten Abbildungen von E nach Y. Diesen Raum ha-
ben wir schon im ersten Semester betrachtet, wobei aber Y allgemeiner ein metri-
scher Raum war; vgl. Definition 6.6.3. In unserem Fall ist mit Y auch B(E, Y) ein
Vektorraum über dem selben Skalarkörper, wie Y, wobei die Operationen punkt-
weise definiert sind.
Setzen wir für f ∈ B(E, Y)
k f k∞ := sup{k f (x)kY : x ∈ E} ,
so prüft man leicht nach, dass k f k∞ eine Norm auf B(E, Y) ist. Die von dieser
Norm erzeugte Metrik ist genau die in Definition 6.6.3 eingeführte Metrik
k f − gk∞ = d∞ ( f, g) = sup k f (x) − g(x)kY .
x∈E
44 KAPITEL 9. NORMEN UND BANACHRÄUME
Im Falle, dass (Y, k.kY ) ein Banachraum ist, folgt aus Satz 6.6.15, dass
(B(E, Y), d∞) vollständig und damit (B(E, Y), k.k∞) auch ein Banachraum ist.
Für Y = R oder Y = C versehen mit |.| haben wir k.k∞ schon in Definition 6.7.1
kennen gelernt.
(ii) Ist E = N und Y = R oder Y = C, so ist B(E, Y) die Menge aller beschränkten
reellen bzw. komplexen Folgen, die man auch als l∞ bzw. l∞ (N) bezeichnet. Diese
sind Banachräume, da R und C vollständig sind.
(iii) Bezeichne c0 bzw. c0 (N) den Raum aller reellwertigen bzw. komplexwertigen
Nullfolgen. Offenbar ist c0 ein linearer Teilraum von l∞ . Mit Hilfe von Lemma
8.7.1 kann man sogar zeigen, dass c0 als Teilraum von l∞ abgeschlossen ist. Also
ist auch (c0 , k.k∞ ) ein Banachraum.
(iv) Mit der Notation aus (i) setzen wir noch zusätzlich voraus, dass E ⊆ X, wobei
hX, di ein metrischer Raum ist, und dass (Y, k.kY ) ein Banachraum ist.
Dann kann man die Menge Cb (E, Y) aller f ∈ B(E, Y) betrachten, die stetig
sind. Diese Menge stellt einen linearen Unterraum von B(E, Y) dar; siehe Ko-
rollar 9.1.3. Somit ist auch (Cb (E, Y), k.k∞ ) ein normierter Raum. Man beachte,
dass für kompaktes E alle stetigen Funktionen auf E automatisch beschränkt sind,
womit in diesem Fall Cb (E, Y) = C(E, Y).
Ist nun ( fn )n∈N eine Folge von Funktionen aus Cb (E, Y), die bzgl. d∞ gegen ein
f ∈ B(E, Y) konvergiert, so wissen wir aus Korollar 6.6.13, dass auch f stetig ist,
also f ∈ Cb (E, Y). Somit ist Cb (E, Y) sogar eine abgeschlossene Teilmenge von
B(E, Y).
Daher ist neben B(E, Y) auch Cb (E, Y) ein Banachraum, wenn nur (Y, k.kY ) ein
solcher ist.
(v) Ist Y = R oder Y = C, so schreiben wir für den Banachraum Cb (E, Y) auch Cb (E).
Ist E etwa [a, b] ⊆ R, so schreiben wir Cb [a, b] oder auch C[a, b] dafür, da [a, b]
ja kompakt ist.
Auf dem Raum C[a, b] können wir auch andere Normen betrachten wie beispiels-
weise
Z b
k f k1 := | f (t)| dt . (9.2)
a
Diese Norm unterscheidet sich von k.k∞ wesentlich, denn es gibt bzgl. k.k1
Cauchy-Folgen, die bzgl. k.k∞ keine sind. Daraus kann man herleiten, dass
bezüglich k.k1 der Raum C[a, b] kein Banachraum ist.
(vi) Sind (X, k.kX ) und (Y, k.kY ) zwei normierte Räume über dem selben Körper R oder
C, so auch (X × Y, k.kmax ), wobei
In der Tat ist X × Y ein Vektorraum, und die Axiome, die für eine Norm erfüllt
sein müssen, lassen sich auch leicht nachweisen. Die von k.kmax erzeugte Metrik
ist genau jene aus (8.18), wenn man dort dX (a, x) = kx−akX und dX (b, y) = ky−bkY
setzt.
9.2. LINEARE ABBILDUNGEN 45
Wie schon in Fakta 8.7.8 festgestellt ist eine Folge (xn , yn ) n∈N in X × Y konver-
gent gegen (x, y) genau dann, wenn (xn )n∈N gegen x und (yn )n∈N gegen y konver-
giert. Man sieht auch sofort, dass (xn , yn ) n∈N genau dann eine eine Cauchy-Folge
ist, wenn (xn )n∈N und (yn )n∈N beide Cauchy-Folgen sind.
Somit erhält man auch, dass (X × Y, k.kmax ) ein Banachraum ist, wenn X und Y
beide Banachräume sind.
(vii) Ist im vorherigen Beispiel X = Y, so folgt aus Lemma 9.1.2, dass die Abbildung
+ : X × X → X stetig ist.
9.2.2 Bemerkung. Man überzeugt sich auch sofort davon, dass die Relation, äquiva-
lent zu sein, auf der Menge aller Normen auf einem gegebenen Vektorraum X eine
Äquivalenzrelation ist.
Betrachtet man die jeweiligen Definitionen, so sieht man auch, dass äquivalente
Normen die gleichen konvergenten Folgen, die gleichen Cauchy-Folgen, die gleichen
abgeschlossenen bzw. offenen Mengen, etc. haben.
9.2.3 Beispiel.
(i) Sei X = R p . Die Normen k.k∞ , k.k2 und k.k1 sind äquivalent, denn für
(x1 , . . . , x p )T ∈ X = R p gilt
X
p
1
X
p
2
max |xi | ≤ ( |xi | ) ≤
2 |xi | ≤ p · max |xi | .
i=1,...,p i=1,...,p
i=1 i=1
Man kann zeigen, dass auf R p alle Normen äquivalent sind. Insbesondere ist R p
mit jeder Norm vollständig.
(ii) Betrachte auf X = C[0, 1] neben der Supremumsnorm k.k∞ noch die Norm aus
(9.2). Diese beiden Normen sind nicht äquivalent. Es gilt zwar k f k1 ≤ k f k∞ , aber
es gibt kein β > 0, sodass k f k∞ ≤ βk f k1 gleichzeitig für alle f ∈ C[0, 1]. Um das
einzusehen, betrachte
(
1 − n t , t ∈ [0, n1 ],
fn (t) = .
0 , t ∈ [ n1 , 1]
1
Dabei ist k fn k∞ = 1, aber k fn k1 ≤ 2n .
Thematisch verwandt mit der Äquivalenz von Normen ist der Begriff der Be-
schränktheit einer linearen Abbildung. Man beachte dabei, dass die Definition der Be-
schränktheit einer linearen Abbildung nicht mit der Definition der Beschränktheit einer
Funktion aus Definition 3.2.11 übereinstimmt.
46 KAPITEL 9. NORMEN UND BANACHRÄUME
9.2.4 Definition. Seien (X, k.kX ) und (Y, k.kY ) zwei normierte Räume über demselben
Skalarkörper R oder C. Für eine lineare Abbildung A : X → Y sei
( )
kAxkY
kAk := sup : x ∈ X \ {0} (9.3)
kxkX
in dem Sinne, dass kAk = +∞, falls obige Menge nach oben unbeschränkt ist; vgl.
Definition 2.2.4. Wir nennen A beschränkt , falls kAk < +∞, dh. falls es ein C ≥ 0 gibt,
sodass
kAxkY
C≥ , für alle x ∈ X \ {0} . (9.4)
kxkX
Ist A beschränkt, so bezeichnet man das dabei endliche kAk als die Abbildungsnorm
von A.
9.2.5 Bemerkung. (9.4) ist äquivalent zu
kAxkY ≤ CkxkX , für alle x ∈ X , (9.5)
da für x = 0 diese Ungleichung immer gilt. Also ist die Menge aller C ≥ 0, für die
(9.5) zutrifft, genau die Menge aller oberen Schranken von
( )
kAxkY
: x ∈ X \ {0} .
kxkX
Somit ist A genau dann beschränkt, wenn es es ein C ≥ 0 gibt, sodass (9.5) zutrifft, und
kAk ist dann eben das kleinste derartige C ≥ 0. Wegen
( ) ( ! )
kAxkY 1
: x ∈ X \ {0} = kA x kY : x ∈ X \ {0} =
kxkX kxkX
{kAxkY : x ∈ X, kxkX = 1} ⊆ {kAxkY : x ∈ X, kxkX ≤ 1}
und wegen kAxkY ≤ kA kxk1 X x kY für jedes x ∈ X mit 0 < kxk < 1 gilt auch
kAk = sup{kAxkY : x ∈ X, kxkX = 1} = sup{kAxkY : x ∈ X, kxkX ≤ 1} .
Aus obiger Definition erkennt man unmittelbar, dass zwei Normen k.k1 und k.k2 auf
einem Vektorraum genau dann äquivalent sind, wenn idX sowohl als Abbildung von
(X, k.k1 ) nach (X, k.k2 ) als auch als Abbildung von (X, k.k2 ) nach (X, k.k1 ) beschränkt ist.
9.2.6 Satz. Eine lineare Abbildung A : X → Y ist genau dann stetig, wenn sie be-
schränkt ist. Ist das der Fall, so ist sie sogar gleichmäßig stetig.
Beweis. Im Fall A = 0 ist A offenbar beschränkt und trivialerweise gleichmäßig stetig.
Gelte also A , 0.
ǫ
Sei A beschränkt. Ist ǫ > 0 und gilt kx − yk ≤ kAk , so folgt
kAx − Ayk = kA(x − y)k ≤ kAk · kx − yk ≤ ǫ .
Also ist A gleichmäßig stetig und daher insbesondere stetig.
Ist umgekehrt A stetig, so gibt es wegen der Stetigkeit insbesondere bei x = 0
ein δ > 0 zu ǫ =
1, sodass kxk ≤ δ die
Ungleichung kAxk ≤ 1 impliziert. Für jedes
δ
δ
x ∈ X \ {0} folgt
kxk x
≤ δ und somit
A( kxk x)
≤ 1 bzw. kAxk ≤ 1δ · kxk. Für x = 0
gilt diese Ungleichung trivialerweise auch.
❑
9.2. LINEARE ABBILDUNGEN 47
9.2.7 Satz. Sind (X, k.kX ) und (Y, k.kY ) zwei normierte Räume beide zugleich über R
oder C, so ist die Menge L(X, Y) aller beschränkten linearen Abbildungen von X nach
Y versehen mit der Abbildungsnorm k.k selber ein normierter Raum.
Ist (Y, k.kY ) ein Banachraum, so auch (L(X, Y), k.k).
Beweis. Für A, B ∈ L(X, Y) und für ein beliebiges x ∈ X gilt
k(A+ B)xkY = kAx + BxkY ≤ kAxkY + kBxkY ≤ kAk kxkX +kBk kxkX = (kAk+kBk)kxkX .
nach oben beschränkt, und ihr Supremum ist genau |λ| · k Ak. Somit ist das lineare λA
beschränkt mit kλAk = |λ| · k Ak.
Dass A , 0 die Ungleichung kAk > 0 nach sich zieht, folgt sofort aus (9.3). Wir
haben somit nachgewiesen, dass (L(X, Y), k.k) ein normierter Raum ist.
Um die Vollständigkeit zu zeigen, könnten wir direkt vorgehen. Wir werden uns
aber der schon bekannten Tatsache bedienen, dass Cb (E, Y) versehen mit k f k∞ =
supt∈E k f (t)kY ein Banachraum ist, wenn E Teilmenge eines metrischen Raumes ist;
vgl. Beispiel 9.1.8.
Dazu setze E = {x ∈ X : kxk ≤ 1}. Für A ∈ L(X, Y) ist A|E sicherlich eine stetige
und beschränkte Funktion, wobei
Also ist A 7→ A|E eine isometrische und daher injektive Abbildung von L(X, Y) in
Cb (E, Y). Diese Abbildung ist offenbar auch linear. Das Bild dieser Einbettung ist ge-
nau die Menge L aller f ∈ Cb (E, Y), sodass
und
x, y, x + y ∈ E ⇒ f (x + y) = f (x) + f (y) .
In der Tat sieht man mit einem solchen f leicht, dass die Abbildung A : X → Y
definiert durch A(0) = 0 und A(x) := kxkX f ( kxk1 X x) für x , 0 die eindeutige beschränkte
und lineare Abbildung ist, sodass A|E = f gilt.
Die Menge L ⊆ Cb (E, Y) ist abgeschlossen, denn aus fn → f mit fn ∈ L und
f ∈ Cb (E, Y) folgt f (x + y) = lim fn (x + y) = lim fn (x) + lim fn (y) = f (x) + f (y), falls
x, y, x + y ∈ E und genauso f (λx) = λ f (x), falls x, λx ∈ E und somit f ∈ L. Wegen
Lemma 9.1.6 ist (L, k.k∞ ), und daher auch (L(X, Y), k.k), ein Banachraum.
❑
Ähnlich wie im vorhergehenden Beweis erkennt man auch, dass für A ∈ L(X, Y)
und B ∈ L(Y, Z)
Für die Räume L(X, Y) gilt in Analogie zu Lemma 9.1.2 folgendes Resultat.
48 KAPITEL 9. NORMEN UND BANACHRÄUME
9.2.8 Lemma. Seien X, Y, Z normierte Räume, und seien (An )n∈N , (Bn )n∈N , (xn )n∈N Fol-
gen in L(X, Y), L(Y, Z) bzw. X. Weiters seien A ∈ L(X, Y), B ∈ L(Y, Z) und x ∈ X. Gilt
An → A, Bn → B und xn → x für n → ∞, so folgt
lim Bn An = BA und lim An xn = Ax ,
n→∞ n→∞
wobei die erste Folge in L(X, Z) bzgl. der Abbildungsnorm und die zweite in Y bzgl.
der Norm auf Y konvergiert. Entsprechende Aussagen gelten auch für Netze.
Beweis. Wir zeigen die erste Grenzwerteigenschaft. Zu ǫ > 0 mit oBdA. ǫ < 1 gibt es
ein N ∈ N, sodass kAn −Ak, kBn −Bk < ǫ für alle n ≥ N. Es folgt kAn k ≤ kAn −Ak+kAk <
1 + kAk und damit
9.2.10 Beispiel.
(i) Sei Y ein normierter Raum über R und y0 ∈ Y. Dann ist die Abbildung λ → λy0
von R nach Y linear und beschränkt durch ky0 k. Entsprechendes gilt für C.
(ii) Sei T : R p → Y linear, wobei Y ein normierter Raum ist. Ist R p mit k.k∞ oder
mit einer zu ihr äquivalenten Norm versehen, so ist T beschränkt und somit ste-
P
tig. Denn ist x = (x1 , . . . , x p )T = pj=1 x j e j ∈ R p , wobei e j der j-te kanonische
p
Basisvektor in R ist, so folgt
X
p X
p X
p
kT (x)k = k x j T (e j )k ≤ |x j | · kT (e j )k ≤ kxk∞ kT (e j )k .
j=1 j=1 j=1
(iii) Sei X = R p und Y = Rq , beide versehen mit k.k∞ . Wegen des vorherigen Beispiels
ist jede lineare Abbildung A : R p → Rq beschränkt. Also lässt sich L(R p , Rq ) als
Vektorraum mit Rq×p identifizieren.
(iv) Versieht man X = R p mit k.k∞ und auch Y = Rq mit k.k∞ , so hat man mit der
Abbildungsnorm k.k auf Rq×p R pq eine weitere Norm. Auch diese ist zu k.k∞
äquivalent. In der Tat ist für A = (ai j ) ∈ Rq×p und x ∈ R p
p
X
kAxk∞ = max | ai j x j | ≤
i=1,...,q
j=1
Also kAk ≤ pkAk∞ . Bezeichnet {e j } j=1,...,p die kanonische Basis von R p , so ist
sicherlich auch ( j = 1, . . . , p)
(v) Sei X = Y = R2 mit k.k2 versehen und A ∈ R2×2 von der speziellen Form
A = ab −b
a mit festen a, b ∈ R. Um die Abbildungsnorm von A zu berechnen,
bemerken wir, dass der erste und zweite Eintrag von
! ! !
a −b x xa − yb
=
b a y xb + ya
genau Real- bzw. Imaginärteil von (a + ib) · (x + iy) ist. Wegen k dc k2 = |c + id|
x
gilt kA y k2 = |(a + ib) · (x + iy)| = |a + ib| · |x + iy| = |a + ib| · k yx k2 . Daraus
folgt unmittelbar, dass kAk = |a + ib| = k ab k2 .
Man sieht sofort, dass A linear ist. Außerdem ist mit f ∈ C[0, 1]
Also kAk ≤ 1.
9.3.1 Definition. Ist (an )n∈N eine Folge in einem normierten Raum (X, k.k), so heißt die
P
Reihe ∞ n=1 an konvergent, falls die Folge (S N )N∈N der Partialsummen
X
N
S N := an
n=1
9.3.2 Fakta. Nicht nur die Definition lässt sich unmittelbar auf Reihen mit Werten
in normierten Räumen übertragen, sondern auch viele der im ersten Semester herge-
leiteten Ergebnisse. Im Folgenden seien (X, k.k) und (Y, k.k) normierte Räume. Für die
Beweise der Verallgemeinerungen muss man in allen Fällen nur an geeigneten Stellen
|.| durch k.k ersetzen:
1. Rechenregeln (siehe Korollar 3.9.3):
X
∞ X
∞ X
∞ X
∞ X
∞
λan = λ an , und (an + bn ) = an + bn ,
n=1 n=1 n=1 n=1 n=1
P
6. Ist eine Reihe ∞ n=1 an absolut konvergent, so folgt aus dem Cauchyschen Kon-
P
vergenzkriterium und der Dreiecksungleichung sofort, dass ∞ a
n=1 n auch kon-
vergiert, wobei wegen der Stetigkeit von k.k : X → R
X ∞
X
N
X∞
an
= lim
an
≤ kan k .
n=1
N→∞
n=1
n=1
Aus an , 0, kakan+1
nk
k
≤ q, n ≥ N, für ein q ∈ [0, 1) und ein N ∈ N – das ist zu
kan+1 k
lim supn→∞ kan k < 1 äquivalent – folgt kan k ≤ qn−N kaN k für n ≥ N und somit
√
lim supn→∞ n kan k < 1.
Ist dagegen an , 0, kakan+1 k
≥ 1, n ≥ N, für ein N ∈ N, so kann (an )n∈N wegen 0 <
nk P
kaN k ≤ kaN+1 k ≤ . . . keine Nullfolge sein, und somit ∞ n=1 an nicht konvergieren.
Genauso wie im R-wertige bzw. C-wertigen Fall definieren wir auch hier Sum-
men über beliebige Indexmengen; vgl. Definition 5.4.2. Für eine Menge M bezeichne
wieder E = E(M) die Menge aller endlichen Teilmengen. Versehen mit ⊆ wird diese
Menge zu einer gerichteten Menge.
9.3.3 Definition. Sei (X, k.k) ein normierter Raum, M , ∅ eine Menge und a j ∈ X für
P
jedes j ∈ M. Falls das Netz ( j∈A a j )A∈E in X bzgl. k.k konvergiert, so sagen wir, dass
P 4
j∈M a j unbedingt konvergiert und setzen
X X
a j = lim aj .
A∈E
j∈M j∈A
in dem Sinn, dass die linke Seite unbedingt konvergiert, wenn es die rechte tut.
9.3.4 Fakta. Für einen Banachraum (X, k.k) gelten folgende Aussagen, die wie Fakta
5.4.3, Korollar 5.4.5, Proposition 5.4.8 und Lemma 5.4.9 zu verifizieren sind.
4 Die Summe über die leere Indexmenge sei dabei per definitionem Null.
52 KAPITEL 9. NORMEN UND BANACHRÄUME
P
1. Die Summe j∈M ka j k konvergiert unbedingt genau dann, wenn
X
ka j k ≤ C für alle A ∈ E ,
j∈A
P
für ein C > 0. In dem Fall konvergiert auch j∈M a j unbedingt.
P P
2. Konvergiert j∈M a j unbedingt, so auch j∈P a j für jede nichtleere Teilmenge
P ⊆ M.
6. Im Allgemeinen gilt das Banachraumwertige Analogon von Satz 5.4.4 nicht; ins-
P
besondere zieht die unbedingte Konvergenz von j∈N a j nicht notwendigerweise
P
die unbedingte Konvergenz von j∈N ka j k nach sich.
P
7. Falls die Reihe ∞ k=1 bk mit Summanden in X absolut konvergiert, so tut das auch
P∞
k=1 b σ(k) für jede Bijektion σ : N → N mit dem selben Grenzwert in X.
Ṡ
8. Zerlegt man M als M = i∈I Mi mit nichtleerer Indexmenge I und nichtleeren
P
Mengen Mi , i ∈ I, so folgt aus der unbedingten Konvergenz von j∈M a j auch
P P
die von i∈I j∈Mi a j , wobei
XX X
aj = aj . (9.9)
i∈I j∈Mi j∈M
9.3.5 Beispiel. Sei B ∈ R p×p (versehen z.B. mit der Abbildungsnorm) mit kBk < 1, und
definiere5 (B0 = I)
X∞
S := Bn .
n=0
P
Wegen (9.6) hat man kBn k ≤ kBkn , und daher ist ∞ n
n=0 kBk eine konvergente Majorante,
P∞ n
und somit konvergiert S = n=0 B absolut, wobei mit (9.8)
X
∞ X
∞
1
kS k ≤ kBn k ≤ kBkn = .
n=0 n=0
1 − kBk
Die Tatsache, dass C 7→ BC eine beschränkte lineare Abbildung von R p×p nach R p×p
ist, erlaubt die Anwendung von (9.7), dh.
X
N X
N X
N+1
BS = B lim Bn = lim Bn+1 = lim (−I + Bn ) = −I + S .
N→∞ N→∞ N→∞
n=0 n=0 n=0
Also I = (I − B)S . Genauso sieht man I = S (I − B). Also ist I − B invertierbar mit
S = (I − B)−1 .
9.3.6 Korollar. Ist T ∈ R p×p invertierbar, und ist S ∈ R p×p mit kT − S k < kT1−1 k , so ist
auch S invertierbar.
Insbesondere ist die Menge GL(p, R) aller invertierbaren p×p-Matrizen eine offene
Menge, und die Funktion S 7→ S −1 ist stetig auf GL(p, R) ⊆ R p×p .
Beweis. Nach Voraussetzung ist k(T − S )T −1 k < 1. Gemäß Beispiel 9.3.5 existiert
(I − (T − S )T −1 )−1 und
(I − (T − S )T −1 )(I − (T − S )T −1 )−1 = I .
Also hat S eine Rechtsinverse. Entsprechend ist (I − T −1 (T − S ))−1 T −1 eine Linksin-
verse. Aus der Linearen Algebra ist bekannt, dass diese dann übereinstimmen müssen.
Um die Stetigkeit von S 7→ S −1 einzusehen, sei S n → S , wobei alle Matrizen
invertierbar sind. Es folgt
kS −1 k
kS n−1 k ≤ .
1 + kS −1 k · kS − S n k
9.3.7 Bemerkung. Im vorangegangenen Beispiel 9.3.5 und Korollar 9.3.6 haben wir
zwar von quadratischen Matrizen gesprochen. Es gilt aber der selbe Sachverhalt, wenn
die auftretenden Objekte allgemeiner beschränkte lineare Abbildungen eines Banach-
raumes X in sich – also Elemente von L(X, X) sind. Die Beweise sind so gewählt, dass
sie auch in diesem allgemeineren Fall funktionieren.
Man kann auch Funktionen mit Werten in normierten Räumen betrachten. Dabei
heißt eine Folge ( fn )n∈N von beschränkten Funktionen fn : E → X gleichmäßig kon-
vergent gegen f , falls limn→∞ fn = f in dem normierten Raum B(E, X)6.
9.3.8 Fakta. Ist (X, k.k) sogar ein Banachraum, so gelten folgend Aussagen, die für
X = R (C) schon bekannt sind.
6 Dieses Konzept ist schon aus Definition 6.6.5 bekannt, wenn sogar X allgemeiner ein metrischer Raum
ist.
54 KAPITEL 9. NORMEN UND BANACHRÄUME
1. Mit (X, k.k) ist auch B(E, X) ein Banachraum. Somit ist ( fn )n∈N in B(E, X) genau
dann konvergent, wenn diese Folge bzgl. k.k∞ eine Cauchy-Folge ist.
2. Ist E Teilmenge eines metrischen Raumes, so wissen wir schon, dass Cb (E, X)
abgeschlossen in B(E, X) ist, was zur Folge hat, dass die Grenzfunktion f stetig
ist, wenn alle fn es sind; vgl. Korollar 6.6.13.
P
3. Weierstraßsches Konvergenzkriterium (siehe Korollar 6.7.4): Ist ∞ n=1 fn eine
Reihe von X-wertigen beschränkten Funktionen, so folgt aus der absoluten Kon-
P P∞
vergenz ∞ n=1 k fn k∞ < +∞ die gleichmäßige Konvergenz der Reihe n=1 fn .
4. Für Potenzreihen zeigt man fast genauso wie in Satz 6.7.7 folgenden Sachverhalt.
P
Für an ∈ X, n ∈ N ∪ {0}, sei R das Supremum aller |z|, sodass die Reihe ∞ n
n=0 z an
konvergiert. Dabei ist je nach Skalarkörper z ∈ R bzw. z ∈ C. Dann konvergiert
P
die Reihe ∞ n
n=0 z an in X absolut, wenn z ∈ R (C), |z| < R. Im Falle |z| > R
divergiert sie.
Für |z| ≤ r < R konvergiert sie gleichmäßig. Somit ist auf {z ∈ R (C) : |z| ≤ r} die
P
Funktion z 7→ ∞ n C
n=0 z an (∈ X) stetig und beschränkt, d.h. sie liegt in C(Kr (0), X).
Auf {z : |z| < R} ist sie stetig.
kan+1 k −1 kan+1 k −1
Für R gilt auch (lim supn→∞ kan k ) ≤ R ≤ (lim inf n→∞ kan k ) und
√
R = (lim supn→∞ n kan k)−1 .
Auch die Differentialrechnung lässt sich auf Funktionen mit Werten in normierten
Räumen ausdehnen.
d 1
f (x) = f ′ (x) := lim ( f (t) − f (x))
dx t→x t − x
in X existiert, wobei dieser Grenzwert einseitig zu verstehen ist, wenn x ein Randpunkt
von I ist. Ist f bei allen x ∈ I differenzierbar, so heißt f differenzierbar. Die Funktion
x 7→ f ′ (x) (Ableitung von f ) ist dann eine Abbildung von I nach X. Ist diese stetig, so
heißt f stetig differenzierbar. Mit C 1 I, X wird die Menge aller stetig differenzierbaren
X-wertigen Funktionen auf I bezeichnet.
Analog zum skalaren Fall definiert man auch die höheren Ableitungen.
9.3.10 Bemerkung. Im Falle X = R p kann man sich f (I) als Kurve vorstellen. Die
Ableitung f ′ (x) ist dann der Anschauung nach nichts anderes, als der Tangentialvektor
an diese Kurve im Punkt f (x).
Wir wollen uns auch ein Beispiel einer Funktion von einem Intervall in einen un-
endlich dimensionalen Banachraum anschauen.
9.3. BANACHRAUMWERTIGE REIHEN, FUNKTIONEN, ETC. 55
Für x, t ∈ R gilt
1 ( f (t) − f (x)) − f (x)
= sup 1 et s(1 − s) − e x s(1 − s) − e x s(1 − s) =
t − x
∞
s∈(0,1) t − x
1 et − e x − e x · sup |s(1 − s)| = 1 et − e x − e x · 1 .
t − x t − x 2
s∈(0,1)
1 1
Wegen limt→x t−x et − e x = e x konvergiert somit t−x ( f (t) − f (x)) in X für t → x
′
gegen f (x). Also gilt f (x) = f (x).
9.3.12 Fakta. Ähnlich wie im skalarwertigen Fall zeigt man folgende Regeln.
3. ( f + g)′ (x) = f ′ (x) + g′ (x), (λ f )′ (x) = λ f ′ (x), (α f )′ (x) = α′ (x) f (x) + α(x) f ′ (x),
wobei λ ∈ R (C), f, g : I → X und α : I → R (C). Siehe Satz 7.1.7. Die
Gleichheitszeichen sind dabei so zu interpretieren, dass die linke Seite existiert,
wenn die rechte Seite existiert und dann die Gleichheit gilt.
4. Ähnlich wie bei den Reihen sieht man, dass für jedes lineare und beschränkte
T : X → Y mit f auch T ◦ f bei einem x ∈ I differenzierbar ist, wobei dann
T ( f ′ (x)) = (T f )′ (x).
Insbesondere gilt für eine auf einem Intervall I definierte, R- bzw. C-wertige
und bei x differenzierbare Funktion α und einem a ∈ X, dass auch die Funktion
t 7→ α(t)a von I nach X bei x differenzierbar ist, wobei (α(.)a)′(x) = α′ (x)a.
5. Kettenregel (Satz 7.1.9): Sei f : (c, d) → X und α : (a, b) → R mit α (a, b) ⊆
(c, d). Dann gilt
( f ◦ α)′ (x) = α′ (x) f ′ (α(x)) , (9.11)
falls die Ableitungen rechts existieren.
Kann man Produkte von Funktionen bilden, so gelten jeweils auch Produktregeln.
6. Sei I ein reelles Intervall und f : I → L(X, Y), g : I → L(Y, Z). Für x ∈ I und
t ∈ I \ {x} gilt
1
k g(t) f (t) − g(x) f (x) − g′ (x) f (x) − g(x) f ′ (x)k =
t−x
56 KAPITEL 9. NORMEN UND BANACHRÄUME
1
kg(t) f (t) − f (x) − g(t) f ′ (x) + g(t) f ′ (x) − g(x) f ′ (x)+
t−x
1
g(t) − g(x) f (x) − g′ (x) f (x)k ≤
t−x
1
kg(t)k · k f (t) − f (x) − f ′ (x)k + kg(t) − g(x)k · k f ′ (x)k+
t−x
1
k g(t) − g(x) − g′ (x)k · k f (x)k .
t−x
Sind f und g bei x differenzierbar, so sind sie dort auch stetig und daher konver-
gieren für t → x alle Summanden gegen Null. Damit ist auch g f bei x differen-
zierbar, wobei
(g f )′ (x) = g′ (x) f (x) + g(x) f ′ (x) . (9.12)
7. Entsprechend zeigt man ( f h)′ (x) = f ′ (x)h(x) + f (x)h′ (x), wenn f : I → L(X, Y)
und h : I → X, oder auch wenn f : I → R (C) und h : I → X.
9.3.13 Beispiel. Sei X = Cb (0, 1) wieder der Banachraum aller reellwertigen, be-
schränkten und stetigen Funktionen auf dem Intervall (0, 1) versehen mit der Supre-
mumsnorm k.k∞ . √
Für t ∈ [0, 1] sei f (t) die Funktion s 7→ s+tt . Man überzeugt sich leicht, dass
f (t) ∈ X = Cb (0, 1). Also
(
[0, 1] → X √ .
f :
t 7→ s 7→ s+tt
Der Grenzwert dieses Ausdruckes für t → 0 ist aber sicherlich nicht 0. Also ist f bei
t = 0 nicht stetig und daher insbesondere nicht differenzierbar. √
Man beachte, dass für feste s ∈ (0, 1) die Funktion t 7→ s+tt bei t = 0 sehr wohl
stetig ist.
Viele Resultate, die sich aus dem Mittelwertsatz, Satz 7.2.6, herleiten haben lassen,
können nicht unmittelbar auf Funktionen mit Werten in normierten Räumen verallge-
meinert werden. Manches lässt sich jedoch mit Hilfe des folgenden Lemmas retten.
9.3.14 Lemma. Ist f : [a, b] → X stetig, f |(a,b) differenzierbar und gilt f ′ (x) = 0 für
alle x ∈ (a, b), so ist f konstant.
7 (., .) bezeichnet das Skalarprodukt in R p .
9.3. BANACHRAUMWERTIGE REIHEN, FUNKTIONEN, ETC. 57
Beweis. Subtrahieren wir von f (x) immer den Wert f (a), so können wir annehmen,
dass o.B.d.A. f (a) = 0.
Seien x, t ∈ (a, b), so folgt aus der Dreiecksungleichung k f (x)k ≤ k f (t) − f (x)k +
k f (t)k sowie k f (t)k ≤ k f (t) − f (x)k + k f (x)k. Also gilt
und daher
1
k f (t)k − k f (x)k
1
−
f (t) − f (x)
≤ ≤
f (t) − f (x)
.
t−x t−x t−x
Da k.k : X → R stetig ist, konvergieren für t → x die linke und die rechte Seite laut
Voraussetzung gegen 0 und nach dem Einschlusskriterium für Netze somit auch der
mittlere Ausdruck.
Also ist x 7→ k f (x)k auf (a, b) differenzierbar mit k f (x)k′ = 0 und klarerweise auf
[a, b] stetig. Wegen k f (a)k = 0 folgt aus dem Mittelwertsatz angewandt auf k f (x)k,
dass k f (x)k = 0, und somit f (x) = 0 für alle x ∈ [a, b].
❑
Als Folgerung erhält man z.B. dass zwei ableitbare X-wertige Funktionen überein-
stimmen, wenn sie es an einer Stelle tun, und wenn ihre Ableitungen gleich sind.
9.3.15 Definition. Sei f : [a, b] → X eine beschränkte Funktion. Konvergiert das Netz
(S ( f, R))R∈R in X, wobei8
X
n(R)
S ( f, R) = (ξ j − ξ j−1 ) f (α j ) ,
j=1
b
Zb
Z−
f dx
≤ k f (x)k dx ≤ k f k∞ (b − a) . (9.13)
a
a
wobei f, g : [a, b] → X Riemann-integrierbar sind, und λ, µ ∈ R (C) je nachdem,
was der Skalarkörper von X ist. Zur Erinnerung: k f k∞ = supx∈[a,b] k f (x)k.
8 Vgl. Definition 8.2.1.
58 KAPITEL 9. NORMEN UND BANACHRÄUME
Setzt man noch voraus, dass (X, k.k) ein Banachraum ist, so gelten auch folgende
Aussagen, die ganz ähnlich wie im skalaren Fall zu beweisen sind. Um zu zeigen,
wie wenig sich die Beweise vom skalaren Fall unterscheiden, ist der Beweis von 3
ausgeführt.
wobei
n(R)
R = (η j )n(R)
j=0 ; (β j ) j=1 ,
die Beziehung
gilt. Ist j ∈ {1, . . . , n(R1 )}, so gibt es Indizes k( j − 1) < k( j), sodass
ξ j−1 = ηk( j−1) < ηk( j−1)+1 < · · · < ηk( j)−1 < ηk( j) = ξ j .
| {z }
k( j)−k( j−1)−1 viele
Pk( j)
Wir erhalten wegen (ξ j − ξ j−1 ) f (α j ) = k=k( j−1)+1 (ηk − ηk−1 ) f (α j )
n(RX1 ) X
k( j)
S (R1 ) − S (R)
=
(ξ j − ξ j−1 ) f (α j ) − (η − η ) f (β )
=
k k−1 k
j=1 k=k( j−1)+1
n(R
X1 ) X
k( j)
(ηk − ηk−1 ) f (α j ) − f (βk )
≤
j=1 k=k( j−1)+1
X1 )
n(R X
k( j)
(ηk − ηk−1 ) · k f (α j ) − f (βk )k .
j=1 k=k( j−1)+1
9.3. BANACHRAUMWERTIGE REIHEN, FUNKTIONEN, ETC. 59
X2 )
n(R
kS (R1 ) − S (R)k ≤ (ηk − ηk−1 ) · ρ(|R1 |) = (b − a) · ρ(|R1 |) .
k=1
Genauso zeigt man kS (R2 ) − S (R)k ≤ (b − a) · ρ(|R2 |). Aus der Dreiecksunglei-
chung und der Monotonie von ρ folgt dann (9.15).
Ist nun f : [a, b] → X stetig, so ist f wegen Proposition 6.1.13 beschränkt und
wegen Satz 6.3.3 sogar gleichmäßig stetig.
Gemäß Lemma 5.3.11 folgt die Konvergenz von S (R) R∈R in X, wenn wir zei-
gen können, dass S (R) R∈R in X ein Cauchy-Netz ist.
ǫ
Dazu sei ǫ > 0, und sei δ > 0 so, dass ρ(δ) ≤ 3(b−a) ; vgl. Bemerkung 8.3.2. Sind
nun R1 und R2 Riemann-Zerlegungen von [a, b] mit |R1 |, |R2 | < δ, so folgt aus
(9.15) sofort
so ist F stetig auf [a, b]. Ist f in einem Punkt x0 stetig, so ist F bei x0 differen-
zierbar, und es gilt F ′ (x0 ) = f (x0 ).
6. Ist f : [a, b] → X stetig, und ist G : [a, b] → X stetig und stetig differenzier-
Rx
bar auf (a, b), sodass G′ (x) = f (x), x ∈ (a, b), so erfüllt G(x) − f (t) dt die
a
Voraussetzung von Lemma 9.3.14. Also ist diese Funktion konstant, woraus
Zb
f (t) dt = G(b) − G(a) (9.16)
a
folgt.
R x also wie im skalarwertigen Fall, dass der Integrationsoperator f 7→
Man erhält
(x 7→ a f (t) dt) den Vektorraum C([a, b], X) bijektiv auf die Hyperebene aller
bei a verschwindenden Funktionen in C 1 ([a, b], X) abbildet.
60 KAPITEL 9. NORMEN UND BANACHRÄUME
11. Genauso wie im skalaren Fall gilt für stetige Funktionen f : [a, b] × K → X –
dabei ist K kompakte Teilmenge eines metrischen Raumes –, dass R : K → X
definiert durch Z b
R(t) = f (s, t) ds (9.18)
a
9.3. BANACHRAUMWERTIGE REIHEN, FUNKTIONEN, ETC. 61
X
n Zx
1 (k) k (x − t)n (n+1)
f (x) = (x − y) f (y) + f (t) dt . (9.20)
k=0
k! n!
y
zu erhalten. Nur eine Abschätzung des Restgliedes mit Hilfe von f (n+1) ausge-
wertet an einer gewissen Stelle zwischen x und y wie im R-wertigen Fall hat man
nicht, da diese ja den Mittelwertsatz der Differentialrechnung bzw. Integralrech-
nung verwendet.
9.3.18 Bemerkung. Ist X = Rd , so wissen wir, dass die Konvergenz eines Netz zur kom-
ponentenweisen Konvergenz äquivalent ist, wobei die Komponenten des Grenzwertes
genau die Grenzwerte der Komponentennetze sind.
Somit erhalten wir
P∞ d
X∞ an,1 n=1 an,1 f1 dt f1 (t)
.. d .
. =
..
. , .. (t) = ... ,
P∞ dt
n=1 d
an,d n=1 an,d fd dt fd (t)
R b
Z f1 f1 (t) dt
b . a
.. (t) dt = .. ,
R .
a b
fd fd (t) dt
a
in dem Sinne, dass die linken Seiten genau dann existieren, wenn die rechten es tun.
Als Anwendung für obige eher abstrakt wirkende Konzepte wollen wir die Expo-
nentialfunktion, die einer p × p-Matrix wieder eine p × p-Matrix zuweist, betrachten.
62 KAPITEL 9. NORMEN UND BANACHRÄUME
9.3.19 Beispiel. Sei A ∈ R p×p . Man betrachte die R p×p -wertige Potenzreihe (t ∈ R)
X
∞
1 n
etA := tn A . (9.21)
n=0
n!
1 n (|t| kAk)n
ktn A k≤
n! n!
folgt nach dem Majorantenkriterium die absolute Konvergenz von etA für alle t ∈ R, da
ja
X∞
(|t| kAk)n
(= e|t| kAk )
n=0
n!
konvergiert. Somit ist der Konvergenzradius R von (9.21) gleich +∞. Als Grenzfunkti-
on einer Potenzreihe ist t 7→ etA eine stetige Funktion von R nach R p×p .
Wegen der Beschränktheit der Abbildungen B 7→ AB, B 7→ BA als Abbildungen
von R p×p nach R p×p gilt wegen (9.7)
∞
X n 1 n X ∞
1
tA
Ae = A t A = tn An+1 = etA A . (9.22)
n=0
n! n=0
n!
Sei x ∈ R. Da die Potenzreihe für auf [−|x|, |x|] gleichmäßig konvergiert, kann man
im Folgenden wegen (9.17) Integration und Grenzwert vertauschen.
Z x ∞ Z
X x X xn+1 ∞
tA 1 n n
e dt = t A dt = An .
0 n=0 0 n! n=0
(n + 1)!
Aus dem Hauptsatz der Differential und Integralrechnung folgt daher dtd etA = AetA =
etA A.
Übrigens konvergiert etA auch für alle t ∈ R, wenn man R p×p mit einer anderen
Norm versieht, da diese alle äquivalent sind. Wir haben oben aber die Tatsache kAn k ≤
kAkn verwendet, welche i.A. nur von der Abbildungsnorm erfüllt wird.
9.3.20 Beispiel. Sei nun R eine weitere beliebige p × p-Matrix. Dann sieht man mit
Hilfe der Produktregel wie in (9.12), dass die Funktion f (t) = etA R eine Lösung des
Randwertproblems
f ′ (t) = A f (t), f (0) = R (9.23)
ist. Ist umgekehrt f : R → R p×p eine weitere auf ganz R differenzierbare Lösung die-
ses Problems, so folgt aus der Produktregel für R p×p L(R p , R p )-wertige Funktionen
(9.12)
d −tA
(e f (t)) = −e−tA A f (t) + e−tA f ′ (t) = −e−tA A f (t) + e−tA A f (t) = 0 ,
dt
9.3. BANACHRAUMWERTIGE REIHEN, FUNKTIONEN, ETC. 63
und daher e−tA f (t) = e−0A f (0) = R. Da insbesondere etA eine Lösung von (9.23) mit
R = I ist, erhalten wir e−tA etA = I und somit e−tA = (etA )−1 .
Für unsere zunächst beliebige Lösung folgt daher auch f (t) = etA R. Also ist etA R
die einzige Lösung von (9.23).
Mit dieser Tatsache lässt sich nun auch die Frage behandeln, ob für die Exponenti-
alfunktion wie im skalaren Fall gilt, dass eA+B = eA eB . Im Allgemeinen ist das nämlich
nicht richtig. Sollten aber A und B kommutieren (AB = BA), so gilt wegen (9.7)
∞
X tn n X∞ n
t X∞ n
t
tA
e B = A B = (An B) = (BAn) = BetA ,
n=0
n! n=0
n! n=0
n!
und daher
d tA tB
(e e ) = AetA etB + etA BetB = (A + B)etAetB .
dt
Somit ist etA etB eine Lösung von (9.23) mit A ersetzt durch A + B und R ersetzt durch
I, und wegen der Eindeutigkeit der Lösung folgt et(A+B) = etA etB .
absolut im Banchraum R p×p versehen mit der Abbildungsnorm, wobei keA k ≤ ekAk und
zwar gleichmäßig auf jeder Menge der Form
Er = {A ∈ R p×p : kAk ≤ r}
für jedes beliebige 0 < r < +∞.
Die Abbildung A 7→ eA als Abbildung von R p×p nach R p×p ist stetig.
P kAkn
Beweis. Wegen (9.6) gilt kAn k ≤ kAkn für alle n ∈ N. Somit ist ∞ n=0 n! eine konver-
P∞ 1 n
gente Majorante und n=0 n! A konvergiert absolut, wobei keA k ≤ ekAk (siehe (9.8)).
Wegen der Beschränktheit der Abbildungen B 7→ AB, B 7→ BA als Abbildungen
von R p×p nach R p×p gilt wegen (9.7)
∞
X 1 n X ∞
1 n+1
A
Ae = A A = A = eA A .
n=0
n! n=0
n!
P
N 1 n
Konvergenzkriterium anwenden. Insbesondere konvergiert dann n=0 n! A N∈N für
N → ∞ gleichmäßig auf Er gegen die Funktion A 7→ eA .
Nach Korollar 9.2.9 ist A 7→ An stetig auf Er für alle n ∈ N, und nach Korollar 9.1.3
PN 1 n
ist auch A 7→ n=0 n! A stetig auf E r .
Da die Grenzfunktion von einer Folge stetiger Funktionen bei gleichmäßiger
Konvergenz wieder stetig ist, folgt die Stetigkeit von A 7→ eA auf Er . Weil die
Stetigkeit eine lokale Eigenschaft ist, folgt diese damit auf ganz R p×p .
❑
64 KAPITEL 9. NORMEN UND BANACHRÄUME
9.3.22 Bemerkung. Ganz ähnlich wie in Bemerkung 9.3.7 gelten auch Beispiel 9.3.19
und die Aussagen von Proposition 9.3.21 und Beispiel 9.3.20 für den Fall, dass A ∈
L(X, X) mit einem beliebigen Banachraum X. Die Beweise sind im wesentlichen die
selben.
9.4 Übungsbeispiele
9.1 Man beweise die Höldersche Ungleichung mit Hilfe von Beispiel 7.21:
p
Sei p ∈ R, p > 1 und sei q = p−1 . Weiters seien a j , b j ∈ [0, +∞), j = 1, . . . , n. Dann gilt
n 1 n 1
X
n X p X q
p
a j b j ≤ a j q
b j .
j=1 j=1 j=1
Hinweis: Man beweise Die Ungleichung zuerst unter der zusätzlichen Voraussetzung, dass
b j > 0, j = 1, . . . , n. Dazu wende man das erwähntes Beispiel auf die Funktion x p und
a
I = [0, +∞) an, und setze µ j = bqj sowie x j = q−1j .
bj
n
9.2 Für p ≥ 1 sei k.k p : R → R definiert durch
v
t n
X
k(x j )nj=1 k p := p
|x j | p .
j=1
Anmerkung: Wegen F , c(F) ist das ein Teilraum eines Banachraumes, der nicht abge-
schlossen ist.
9.5 Seien A1 : R2 → R2 , A2 : R3 → R und A3 : R → R3 in Matrixdarstellung gegeben durch
! 5
2 −1
A1 = , A2 = −2 0 2 , A3 = 0 ,
0 1
1
wobei die Ausgangsräume der Abbildungen mit k.k∞ und die Zielräume mit k.k1 versehen
sind. Berechnen Sie die Abbildungsnormen von A1 , A2 , A3
9.6 Sei D = diag(λ1 , . . . , λn ) eine Diagonalmatrix im Rn×n . Man bereche kDk2 , kDk∞ , wenn man
2
D als Element vom Rn Rn×n betrachtet.
Weiters berechne man die Abbildungsnorm von D als Element von L(Rn , Rn ), wenn man Rn
vorne und hinten mit der k.k2 -Norm versieht.
9.4. ÜBUNGSBEISPIELE 65
9.7 Mit der Notation aus dem vorherigen Beispiel berechne man die Abbildungsnorm von D als
Element von L(Rn , Rn ), wenn man Rn vorne und hinten mit der k.k∞ -Norm versieht.
9.8 Sei Rn versehen mit k.k1 . Man betrachte L(Rn , R) den Raum aller linearen Abbildungen von
Rn nach R, d.h. den Dualraum von Rn , versehen mit der Abbildungsnorm k.k. Bekanntlich
ist L(Rn , R) isomorph zu Rn , indem man ein A ∈ L(Rn , R) in Matrixform (a1 , . . . , an ) angibt.
Man zeige, dass dann k.k mit der k.k∞ -Norm übereinstimmt.
9.9 Sei Rn versehen mit k.k∞ . Man betrachte L(Rn , R) den Raum aller linearen Abbildungen von
Rn nach R, d.h. den Dualraum von Rn , versehen mit der Abbildungsnorm k.k. Bekanntlich
ist L(Rn , R) isomorph zu Rn , indem man ein A ∈ L(Rn , R) in Matrixform (a1 , . . . , an ) angibt.
Man zeige, dass dann k.k mit der k.k1 -Norm übereinstimmt.
9.10 Mit welcher Norm stimmt die Abbildungsnorm auf L(Rn , R) überein, wenn man Rn mit k.k2
versieht. Warum?
9.11 Man betrachte den Banachraum ℓ∞ (N, C) aller beschränkten, komplexwertigen Folgen ver-
sehen mit der Norm k.k∞ ; also k(zn )n∈N k∞ = supn∈N |zn |.
c0 (N, C) sei der Banachraum aller komplexwertigen Nullfolgen.
Weiters sei A : ℓ∞ (N, C) → c0 (N, C) definiert durch
1
A((zn )n∈N ) = ( zn )n∈N .
n
Man zeige, dass A tatsächlich nach c0 (N, C) hinein abbildet, und dass A linear, beschränkt,
injektiv, aber nicht surjektiv ist.
9.12 Seien (X, k.kX ) und (Y, k.kY ) ein normierte Räume und (L(X, Y), k.k) der Raum aller be-
schränkten linearen Abbildungen von X nach Y. Weiters sei x ∈ X fest. Zeigen, Sie, dass die
Abbildung A 7→ Ax als Abbildung von L(X, Y) nach Y beschränkt und linear ist.
Ist weiters E eine nichtleere Menge und t ∈ E, so zeige man auch, dass die Abbildung
B(E, Y) → Y, f 7→ f (t)
beschränkt und linear ist. Bestimmen Sie die Abbildungsnorm dieser Abbildung!
9.13 Sei M eine Menge und B(M, R) der Banachraum aller beschränkten, reellwertigen Funktio-
nen auf M versehen mit der Norm k.k∞ .
Seien t1 , . . . , tn ∈ I. Man zeige, dass die Abbildung T : B(M, R) → Rn definiert durch
f (t1 )
.
T ( f ) = ..
f (tn )
Zeigen Sie, dass h stetig ist, indem Sie kh(t1 ) − h(t2 )k∞ abschätzen. Berechnen Sie auch
Z 1
h(t) dt .
−1
Hinweis: Verwenden Sie (9.14) mit T s : Cb [0, 1] → C, T ( f ) = f (s) für jedes feste s ∈ [0, 1].
−1 AT
9.16 Seien T, A ∈ Rn×n , und sei T invertierbar. Man zeige, dass T −1 eA T = eT . Weiters be-
rechne man eA , wenn A eine Diagonalmatrix ist und wenn
!
0 1
A= .
0 0
so heißt dieser die partielle Ableitung von f nach der Variablen xi an der Stelle x.
∂f
Anstatt ∂x i
(x) schreibt man auch Di f (x) oder f xi (x).
67
68 KAPITEL 10. ABLEITUNGEN NACH MEHREREN VARIABLEN
e2 e2
v
x
x + te1 x
x + tv
e1 e1
Beweis. Sei t ∈ (−δ, δ), setze y = x + tv, und wähle ρ > 0 so klein, dass2 Uρ·kvk∞ (y) ⊆ D.
Betrachte die Vektoren
v0 := 0, vi := µ1 e1 + . . . + µi ei , i = 1, . . . , n .
X
n
g(t + s) − g(t) = f (y + sv) − f (y) = f (y + svi ) − f (y + svi−1 )
i=1
∂f
darstellen. Da τ 7→ ∂x i
(y + svi−1 + τei ) genau die Ableitung von τ 7→ f (y + svi−1 + τei )
ist, stimmt diese Teleskopsumme nach dem Hauptsatz der Differential- und Integral-
rechnung (vgl. (9.16)) überein mit
n Z
X sµi
∂f
(y + svi−1 + τei ) dτ .
i=1 0 ∂xi
Wir erhalten
g(t + s) − g(t) X ∂ f
n
− µi (y) = (10.2)
s i=1
∂xi
X
n Z sµi !
1 ∂f ∂f
(y + svi−1 + τei ) − (y) dτ .
i=1
s 0 ∂xi ∂xi
Wegen (9.13) ist die Norm dieses Ausdruckes kleiner oder gleich
X
n
|µi | sup
∂ f (y + sv + τe ) − ∂ f (y)
.
i−1 i
∂xi
i=1 τ∈[−|sµi |,|sµi |] ∂xi
∂f X ∂f n
(x) = µi (x) . (10.3)
∂v i=1
∂xi
∂f
Insbesondere ist auch x 7→ ∂v (x) eine stetige Funktion von D nach X.
10.1.7 Bemerkung. Wir haben im Beweis von Lemma 10.1.5 die Stetigkeit der parti-
ellen Ableitungen (in allen Variablen gleichzeitig) benützt, um zu zeigen, dass (10.2)
gegen Null strebt, wenn s → 0.
Beachte, dass z.B. die Funktion
! ξη T T
ξ
ξ2 +η2 , (ξ, η) , (0, 0)
f =
η 0 T
, (ξ, η) = (0, 0) T
∂f
Die Tatsache, dass für festes x die Richtungsableitung ∂v (x) in (10.3) linear von v
abhängt, legt folgende Begriffsbildung nahe.
10.1.8 Definition. Sei f : D ⊆ Rn → X stetig partiell differenzierbar, und x ∈ D. Dann
bezeichne d f (x) ∈ L(Rn , X) die lineare Abbildung
µ1 Xn
. ∂f
.. 7→ µi (x) .
i=1
∂xi
µn
Ist dabei m = 1, d.h. f ist R-wertig, so nennt man den Vektor d f (x)T auch den
Gradienten und schreibt auch grad f (x) dafür.
4. Ist f : D ⊆ Rn → X eine affine Abbildung, also von der Form x 7→ x0 + Ax mit
x0 ∈ X und einer linearen Abbildung A : Rn → X, so hat man
x0 + A(x + tei ) − x0 + A(x) A(tei )
d f (x)ei = lim = lim = A(ei ) ,
t→0 t t→0 t
10.1. PARTIELLE ABLEITUNGEN 71
und damit d f (x) = A für alle x ∈ D. Das ist eine Verallgemeinerung der Tatsache,
dass im eindimensionalen die Ableitung einer linearen Funktion kx + d konstant
gleich der Steigung k ist.
Also sind ∂T ∂T
∂r und ∂t stetig, und damit T stetig partiell differenzierbar. Die Ableitung
T
dT (r, t) ∈ L(R , R2 ) ist damit
2
! !
r cos t −r sin t
dT = , (10.4)
t sin t r cos t
und die Richtungsableitung von T im Punkt (r, t)T in Richtung v = (µ1 , µ2 )T ist nach
Korollar 10.1.6
! ! ! !
∂T r r µ1 µ cos t − µ2 r sin t
= dT = 1 .
∂v t t µ2 µ1 sin t + µ2 r cos t
Berechnen wir diese Richtungsableitung gemäß Bemerkung 10.1.2 direkt dadurch,
dass wir g′ (0) mit g(s) = T (r, t)T + s(µ1 , µ2 )T bestimmen, so erhalten wir auch
d !
′ (r + sµ1 ) cos(t + sµ2 ) | s=0
g (0) = d ds =
ds (r + sµ1 ) sin(t + sµ2 ) | s=0
! !
µ1 cos(t + sµ2 ) − (r + sµ1 )µ2 sin(t + sµ2 ) | s=0 µ cos t − µ2 r sin t
= 1 .
µ1 sin(t + sµ2 ) + (r + sµ1 )µ2 cos(t + sµ2 ) | s=0 µ1 sin t + µ2 r cos t
Beweis.
Für x, y ∈ D gilt
k d f (x) − d f (y) k = sup k d f (x)v − d f (y)v k =
kvk∞ ≤1
X n
X n
∂ f
∂f
sup µ j d f (x)e j − d f (y)e j
≤
(x) − (y)
.
|µ1 |,...,|µn |≤1
∂x j ∂x j
j=1 j=1
❑
10.1.12 Bemerkung. Wir sehen also, dass sich f lokal bei x durch die affine Abbildung
x + z 7→ f (x) + d f (x)z approximieren lässt, wobei der Fehler mit kzk∞ ǫ(z) verhält-
nismäßig klein ist.
Ist X = Rm und stellt man sich f (D) als n-dimensionale Fläche im Rm vor, so ist
deshalb der affine Teilraum
{ f (x) + d f (x)z : z ∈ Rn }
der Anschauung nach gerade die Tangentialebene an f (D) im Punkt f (x).
10.1.15 Fakta.
1. Wir haben oben gesehen, dass jede stetig partiell differenzierbare Funktion stetig
differenzierbar ist.
2. Ist f bei x differenzierbar, so existieren wegen (0 , v ∈ Rn , s ∈ R, sv ∈ Uρ (0))
f (x + sv) − f (x) s→0
= d f (x)v + sgn(s) kvk∞ ǫ(sv) −→ d f (x)v ,
s
auch alle Richtungsableitungen, insbesondere alle partiellen Ableitungen, wobei
∂f
∂v (x) = d f (x)v.
Man sieht damit auch, dass d f (x) eindeutig durch f bestimmt ist, es also kein
weiteres d̃ f (x) ∈ L(Rn , X) mit d̃ f (x) , d f (x) geben kann, das auch (10.5) erfüllt.
3. Ist f stetig differenzierbar, so sind auch die partiellen Ableitungen stetig, da ja
∂ f (x) − ∂ f (y)
= k d f (x)e − d f (y)e k ≤ k d f (x) − d f (y) k · ke k .
∂xi ∂xi
i i i ∞
Somit folgt aus stetig differenzierbar die Eigenschaft stetig partiell differenzier-
bar.
Wir haben somit folgenden Satz bewiesen.
10.1.16 Satz. Eine Funktion f : D ⊆ Rn → X ist genau dann stetig differenzierbar,
wenn sie stetig partiell differenzierbar ist.
10.1.17 Bemerkung. Wenn X mit einer zweiten, zu k.k äquivalenten Norm versehen ist,
bleiben die partiellen Ableitungen und die Ableitung unverändert, da für äquivalente
Normen Netze genau denn bezüglich der einen Norm konvergieren, wenn sie bezüglich
der anderen konvergieren, und in dem Fall auch die Grenzwerte übereinstimmen.
❑
Wie im Eindimensionalen lassen sich auch im Mehrdimensionalen viele Funktio-
nen als Zusammensetzung von einfacheren Funktionen schreiben. Zur Berechnung der
Ableitung dient dann folgender Satz, der die bekannte Kettenregel verallgemeinert.
74 KAPITEL 10. ABLEITUNGEN NACH MEHREREN VARIABLEN
wobei die rechte Seite die Hintereinanderausführung von zuerst dg(x) und dann
d f g(x) ist.
und falls x, x + z ∈ D, z , 0
Wegen limb→0 ǫ̃(b) = 0 und limz→0 ǫ(z) = 0 können wir durch ǫ(0) = 0 und ǫ̃(0) = 0
diese beiden Funktion so fortsetzen, dass sie bei z = 0 bzw. b = 0 stetig sind.
Ist nun a = g(x) und b so, dass a + b = g(x + z), so folgt aus der ersten Gleichung
und durch Einsetzen der zweiten
f g(x + z) =
f g(x) + d f g(x) g(x + z) − g(x) + k g(x + z) − g(x) k∞ ǫ̃ g(x + z) − g(x) =
f g(x) + d f g(x) dg(x)z + kzk∞ ǫ(z) +
dg(x)z + kzk∞ ǫ(z)
∞ ǫ̃ g(x + z) − g(x) =
f g(x) + d f g(x) dg(x) z + kzk∞ γ(z) ,
wobei
1
γ(z) = d f g(x) (ǫ(z)) + k dg(x)( z) + ǫ(z) k∞ ǫ̃ g(x + z) − g(x) .
kzk∞
Wir haben
kγ(z)k ≤ kd f (g(x))k · kǫ(z)k∞ + (kdg(x)k + kǫ(z)k∞ ) kǫ̃ g(x + z) − g(x) k .
Wegen ǫ̃(0) = 0 und der Stetigkeit von ǫ̃ bei 0 folgt aus limz→0 g(x+z)−g(x) = 0, dass
limz→0 ǫ̃ g(x + z) − g(x) = 0 (vgl. Proposition 6.1.4), und somit auch γ(z) → 0, z → 0.
Wir haben also d( f ◦ g)(x) = d f (g(x)) dg(x) gezeigt. Um mit Hilfe von Satz
10.1.16 sicher zu gehen, dass f ◦ g ∈ C 1 , brauchen wir noch die Stetigkeit von
x 7→ d f (g(x)) dg(x). Diese folgt aber aus Korollar 9.2.9.
❑
5 Man
beachte, dass wegen dg(x) ∈ L(Rn , Rm ) und d f g(x) ∈ L(Rm , X) diese Hintereinanderausführung
linearer Abbildungen Sinn macht.
10.1. PARTIELLE ABLEITUNGEN 75
10.1.22 Bemerkung (*). Wir nehmen im Fall n = 1 nun sogar an, dass g ∈ C 1 (I) für
irgendein, nicht notwendigerweise offenes Intervall I ⊆ R mit g(I) ⊆ D̃. Dann gilt
(10.6) sogar für in I enthaltene Randpunkte t von I.
Dazu setze man g auf ein etwas größeres Intervall J := I ∪ (t − ǫ, t + ǫ) durch
g(s) := (s − t)g′ (t) + g(t) für s ∈ J \ I fort. Man überprüft unmittelbar, dass g ∈ C 1 (J),
und dass für eine hinreichend kleine Wahl von ǫ > 0 auch g(J) ⊆ D̃. Die Kettenregel
angewandt auf g|(t−ǫ,t+ǫ) ergibt dann (10.6).
und
g : (a, b) ⊆ R → R3 , s 7→ (α(s), β(s), s)T
an. Die partiellen Ableitungen von f sind nach dem Hauptsatz und nach Korollar 8.7.12
stetig, und die Matrixdarstellung von d f (x) ist (x = (ξ, η, ζ)T )
∂f Z η
∂f ∂f ∂h
d f (x) = (x), (x), (x) = (−h(ζ, ξ), h(ζ, η), (ζ, t) dt) .
∂ξ ∂η ∂ζ ξ ∂ζ
76 KAPITEL 10. ABLEITUNGEN NACH MEHREREN VARIABLEN
Auch dg(s) = (α′ (s), β′ (s), 1)T ist stetig, und die Kettenregel ergibt
I ′ (s) = d( f ◦ g)(s) = d f (g(s))dg(s) =
R β(s) α′ (s)
∂h ′
−h(s, α(s)) h(s, β(s)) α(s) ∂s (s, t) dt β (s) =
1
Z β(s)
∂h
h(s, β(s))β′ (s) − h(s, α(s))α′ (s) + (s, t) dt .
α(s) ∂s
Beweis. Wegen der Stetigkeit von t 7→ tx + (1 − t)y ist das Bild der kompakten Men-
ge [0, 1] ebenfalls kompakt. Somit hat die stetige Funktion z 7→ kd f (z)k darauf ein
Maximum.
Die Funktion g(t) := f x + t(y − x) ist nach Lemma 10.1.5 stetig differenzierbar
mit g′ (t) = d f x + t(y − x) (y − x). Nach dem Hauptsatz (9.16) gilt
Z 1
k f (y) − f (x)k = kg(1) − g(0)k =
d f x + t(y − x) (y − x) dt
≤
0
sup k d f x + t(y − x) (y − x) k ≤ max k d f x + t(y − x) k · ky − xk∞ .
t∈[0,1] t∈[0,1]
❑
Aus Lemma 10.1.24 folgt unmittelbar
10.1.25 Korollar. Gilt mit der Notation aus Lemma 10.1.24 die Ungleichung
kd f (x)k ≤ C für alle x ∈ M, wobei M ⊆ D konvex ist, so gilt
10.2.1 Definition. Sei f : D ⊆ Rn → X definiert auf der offenen Menge D und sei
k ∈ N. Wir sagen, f ist k-mal stetig differenzierbar auf D, und schreiben f ∈ C k oder
f ∈ C k (D), falls alle partiellen Ableitungen k-ter Ordnung von f auf ganz D existieren
und stetig sind.
Falls f ∈ C k (D) für alle k ∈ N, so schreibt man f ∈ C ∞ oder f ∈ C ∞ (D) für diesen
Sachverhalt.
10.2.2 Bemerkung. Bezeichnet man mit C(D) die Menge aller stetigen Funktionen auf
D, dann gilt
C(D) ⊇ C 1 (D) ⊇ . . . ⊇ C k (D) ⊇ C k+1 (D) ⊇ . . . .
Die erste Inklusion gilt wegen Korollar 10.1.14. Zu den anderen Inklusionen:
Ist f ∈ C k+1 (D), dann existieren alle partiellen Ableitungen (k + 1)-ter Ordnung.
Nach der induktiven Definition der (k + 1)-ten partiellen Ableitungen müssen auch alle
k
partiellen Ableitungen k-ter Ordnung existieren. Sei g = ∂xi ∂···∂x
f
i
eine solche. Dann
k 1
existieren alle partiellen Ableitungen von g und sind stetig, d.h. g ∈ C 1 . Wegen C 1 (D) ⊆
C(D) folgt, dass g selbst stetig ist; vgl. Korollar 10.1.14. Also gilt f ∈ C k (D).
10.2.3 Satz (Satz von Schwarz). Sei f ∈ C 2 (D), D ⊆ Rn , und seien i, j ∈ {1, . . . , n},
2 2
sodass ∂x∂i ∂xf j und ∂x∂j ∂xf j auf ganz D existieren und stetig sind. Dann gilt
∂2 f ∂2 f
= .
∂xi ∂x j ∂x j ∂xi
Allgemeiner gilt für f ∈ C k (D), dass es bei der Bildung einer partiellen Ableitung
höchstens k-ter Ordnung nicht darauf ankommt, in welcher Reihenfolge differenziert
wird.
78 KAPITEL 10. ABLEITUNGEN NACH MEHREREN VARIABLEN
Beweis. Sei x ∈ D und δ > 0, so dass Uδ (x) ⊆ D, wobei wir Rn mit k.k∞ versehen. Nach
dem Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung (siehe (9.16)) gilt für |ξ|, |η| < δ
Z ξ
∂f
f (x + ξei + ηe j ) − f (x + ηe j ) = (x + ζei + ηe j ) dζ .
0 ∂xi
2
Die Ableitung des Integranden nach η ist gerade ∂x∂j ∂x f
i
(x + ζei + ηe j ), und daher stetig in
ζ und η. Somit können wir (9.19) – siehe auch Korollar 8.7.12 – anwenden und erhalten
bei der Ableitung obiger Gleichung nach η
Z ξ 2
∂f ∂f ∂ f
(x + ξei + ηe j ) − (x + ηe j ) = (x + ζei + ηe j ) dζ .
∂x j ∂x j 0 ∂x j ∂xi
∂2 f ∂2 f
(x + ξei + ηe j ) = (x + ξei + ηe j ) .
∂xi ∂x j ∂x j ∂xi
Die Behauptung für Funktionen f ∈ C k (D) folgt aus dem Bewiesenen leicht durch
vollständiger Induktion, wenn man sich vor Augen hält, dass sich jede Permutation als
Hintereinanderausführung von Transpositionen schreiben lässt.
❑
10.2.4 Bemerkung. Ist (i1 , i2 , . . . , ik ) ∈ {1, . . . , n}k ein k-Tupel, und bezeichnet α j (∈
N ∪ {0}) für j = 1, . . . , n die Anzahl der m ∈ {1, . . . , k} mit im = j, so gilt für ein
f ∈ C k (D) wegen Satz 10.2.3
∂k f ∂k f
(x) = α1 (x) , (10.7)
∂xik · · · ∂xi1 ∂x1 · · · ∂xαn n
α
wobei ∂x j j für α j mal nach x j abgeleitet steht. Offenbar gilt k = α1 + · · · + αn .
Man überzeugt sich z.B. durch eine Induktion nach n davon, dass es dabei genau
k!
α1 ! · · · · · αn !
viele k-Tupel (i1 , i2 , . . . , ik ) gibt, die im obigen Sinne dasselbe n-Tupel (α1 , . . . , αn ) ∈
(N ∪ {0})n erzeugen. Für den Ausdruck in (10.7) schreibt man auch
!
∂1+l r cos t + l π2
T = i exp(it)
l ,
∂r ∂tl t sin t + l π2
und !
∂k+l r
T = 0, k ≥ 2 .
∂rk ∂tl t
∂f X n
∂f
(x) = µ1,l (x) .
∂v1 l=1
∂xl
∂ ∂ Xn
∂ ∂f X n X n
∂2 f
f (x) = µ1,l (x) = µ1,l1 µ2,l2 (x) .
∂v2 ∂v1 l=1
∂v2 ∂xl l =1 l =1
∂xl1 ∂xl2
1 2
Macht man das nun insgesamt k-mal, so sieht man, dass die k-malige Hintereinander-
ausführung der Richtungsableitungen nach v1 bis vk existiert und mit
∂ ∂ X n
∂k f
... f (x) = µ1,l1 · · · · · µk,lk (x) (10.8)
∂vk ∂v1 l ,...,l =1
∂xl1 . . . ∂xlk
1 k
übereinstimmt.
10.2.7 Fakta.
5. Für einen späteren Gebrauch stellen wir noch heraus, dass wenn y, v ∈ Rn mit
y + tv ∈ D, t ∈ [0, 1], die k-te Ableitung der Funktion6
φ(t) = f (y + tv), t ∈ [0, 1] ,
∂ ∂
nichts anderes als ∂v . . . ∂v f (y + tv) = dk f (y + tv)(v, . . . , v) ist. Ordnen wir für
v = v1 = · · · = vk die Ableitungen ∂xl in (10.8) nach aufsteigendem l wie in
(10.7), so erhalten wir mit v = (µ1 , . . . , µn )T
10.2.8 Beispiel. Wir betrachten die Funktion T aus Beispiel 10.2.5. Die lineare Abbil-
dung dT (r, t)T haben wir in (10.4) berechnet.
Für m ∈ N, m ≥ 2 folgt aus Beispiel 10.2.5 mit x1 = r, x2 = t, µ j,1 = ρ j , µ j,2 = τ j
! ! !! X2 !
r ρ1 ρ ∂m T r
dm T ,..., m = µ1,l1 · · · · · µm,lm =
t τ1 τm ∂xl1 . . . ∂xlk t
l1 ,...,lm =1
! !
∂m r ∂m r
(ρ1 τ2 . . . τm + · · · + τ1 . . . τm−1 ρm ) T + τ1 · · · · · τm m T =
∂r ∂tm−1 t ∂t t
cos t + (m − 1) π2 r cos t + m π2
(ρ1 τ2 . . . τm + · · · + τ1 . . . τm−1 ρm ) + τ1 · · · · · τm .
sin t + (m − 1) 2π r sin t + m π2
Man erkennt unmittelbar aus (10.4), dass diese Beziehung auch für m = 1 richtig ist.
q
X Z1
φ(l) (0) (1 − t)q (q+1)
φ(1) = φ(0) + + φ (t) dt .
l=1
l! q!
0
Aus (10.9) wissen wir, dass φ(l) (t) = dl f (y + th)(h, . . . , h), woraus unmittelbar die
behauptete Entwicklung folgt.
❑
nennt man das q-te mehrdimensionale Taylorsche Polynom der Funktion f an der An-
schlussstelle y. Mit (10.9) folgt die Darstellung
X 1 ∂α1 +···+αn f
pq (x) = (x1 − y1 )α1 · · · · · (xn − yn )αn α1 (y) ,
(α1 ,...,αn )∈(N∪{0})n
α1 ! · · · · · αn ! ∂x1 · · · ∂xαn n
α1 +···+αn ≤q
und sind cα für |α| ≤ m Koeffizienten aus einem Banachraum X, so heißt die Funktion
f : Rn → X X
f (x) = xα cα
α∈(N∪{0})n
|α|≤m
Wenden wir für ein festes y ∈ Rn Satz 10.2.9 auf ein Polynom f vom Grad ≤ m und
q ≥ m an, so folgt
X 1 ∂|α| f
f (x) = (x − y)α (y) ,
α∈(N∪{0})n
α! ∂xα
|α|≤m
|α|
∂ f
da ∂xα = 0 für |α| > m und damit insbesondere wegen
X (q + 1)! ∂q+1 f
dq+1 f (1 −t)y+tx (x − y, . . . , x − y) = (x−y)α ((1 −t)y+tx) = 0
| {z } α! ∂xα
α∈(N∪{0})n
(q+1)−mal |α|=q+1
nq+1
kRq (x)k ≤ C kx − ykq+1
∞ .
(q + 1)!
(ii) Ist D konvex und f sogar in C ∞ (D) und gilt (10.12) für alle q und alle u ∈ D, so
konvergiert die Reihe
X∞
1 l
f (y) + d f (y)(x − y, . . . , x − y)
l! | {z }
l=1
l−mal
Z1
nq+1 q+1 nq+1
C khk∞ (1 − t)q dt = C khkq+1
∞ .
q! (q + 1)!
0
10.3. EXTREMWERTE 83
q+1
n
(ii) Bei fest gewähltem y konvergiert (q+1)! kx − ykq+1 und damit Rq (x) für jedes x
gegen 0. In der Tat geht diese Konvergenz für x in beschränkten Teilmengen von
D gleichmäßig von statten.
10.2.13 Beispiel. Sei T : D → R2 wie in Beispiel 10.2.5, wobei aber jetzt D : (0, α)×R
für irgend ein festes α ∈ R+ , α > 1. Wendet man Satz 10.2.9 für den Punkt y = (r, t)T =
(1, 0) an, so erhalten wir mit x − y = (ρ, τ)T aus Beispiel 10.2.8
Xq
1 l
T (x) = T (y) + d T (y)(x − y, . . . , x − y) + Rq (x) =
l! | {z }
l=1
l−mal
! ! !!
1 X1
q π π
l−1 cos(l − 1) 2 l cos l 2
= + lρτ +τ + Rq (x) . (10.13)
0 l! sin(l − 1) 2π sin l π2
l=1
In Beispiel 10.2.5 haben wir insbesondere gesehen, dass (10.12) für C = α und k.k =
k.k∞ erfüllt ist. Also konvergiert die entsprechende Reihe in (10.13) gegen T (x).
10.3 Extremwerte
Wir haben im ersten Semester in Definition 7.2.1 definiert, was es bedeutet, dass eine
reellwertige Funktion f : D → R – D ist Teilmenge eines metrischen Raumes – in
einem Punkt x ∈ D ein lokales Maximum (lokales Minimum) hat:
Ist D offene Teilmenge von R, und ist f differenzierbar in einem lokalen Maximum
(Minimum) x, so haben wir in Satz 7.2.2 gesehen, dass dann f ′ (x) = 0. Wir wollen
diese Tatsache nun für auf D ⊆ Rn definierte Funktionen herleiten.
10.3.1 Satz. Sei x ein lokales Extremum, d.h. Maximum oder Minimum, von
f : D ⊆ Rn → R. Falls für v ∈ Rn die Richtungsableitung
∂f f (x + tv) − f (x)
(x) = lim ,
∂v t→0 t
bei x existiert, so ist diese gleich Null. Für f ∈ C 1 folgt d f (x) = 0.
Beweis. Sei v ∈ Rn ein beliebiger Vektor. Betrachte die Funktion φ(t) = f (x + tv). Da
D offen ist, ist φ in einer Umgebung von 0 definiert, und wegen unserer Voraussetzung
ist auch φ bei 0 differenzierbar und hat die Ableitung φ′ (0) = ∂∂vf (x). Da x ein relatives
Extremum von f ist, hat auch φ ein relatives Extremum bei 0. Somit gilt φ′ (0) = 0.
Für f ∈ C 1 ist d f (x) derart definiert, dass d f (x)v = ∂∂vf (x) für alle v ∈ Rn . Es folgt
also d f (x) = 0.
❑
1
Für f ∈ C (D) ist also d f (x) = 0 eine notwendige Bedingung für ein Extremum.
Punkte mit d f (x) = 0 heißen stationäre Punkte. Wie im eindimensionalen ist d f (x) = 0
aber nicht hinreichend. Um dieses Problem genauer studieren zu können, wollen wir
folgende Sprechweise einführen.
84 KAPITEL 10. ABLEITUNGEN NACH MEHREREN VARIABLEN
10.3.2 Definition. Sei D ⊆ Rn offen und liege f : D → R in C k (D). Für gerades k heißt
die k-te Ableitung dk f (x) : Rk×n → R von f im Punkt x positiv definit bzw. positiv
semidefinit, wenn d k f (x)(h, . . . , h) > 0 bzw. d k f (x)(h, . . . , h) ≥ 0 für alle 0 , h ∈ Rn .
Entsprechend definiert man negativ definit bzw. negativ semidefinit.
10.3.4 Bemerkung. Der für die meisten Anwendungen relevante Fall ist k = 2. Hier
lassen sich die Definitheitseigenschaften von d2 f (x) mit Mitteln der Linearen Algebra
betrachten. In diesem Fall ist d2 f (x) : R2×n → R eine symmetrische Bilinearform:
X
n
∂2 f
d2 f (x)(u, v) = ul1 vl2 (x) =
l1 ,l2 =1
∂xl1 ∂xl2
∂2 f
(x) ... ∂2 f v1
∂x1 ∂xn (x)
∂x1 ∂x.1 ..
.
u1 ... un .. . .
. .
∂2 f ∂2 f
∂xn ∂x1 (x) ... ∂xn ∂xn (x) vn
2
Diese symmetrische n × n-Matrix H f (x) = ∂x∂i ∂xf j (x) heißt auch Hesse-Matrix.
Aus der Linearen Algebra ist bekannt, dass die Bilinearform positiv definit (se-
midefinit) ist, wenn alle Eigenwerte λ1 , . . . , λn – diese sind nicht notwendigerweise
paarweise verschieden – von H f (x) größer (größer gleich) Null sind. Entsprechendes
gilt für den negativen Fall.
Weiters ist diese Bilinearform positiv definit genau dann, wenn alle Hauptminoren9
von H f (x) größer Null sind. Entsprechend ist sie genau dann negativ definit, wenn die
Hauptminoren nicht verschwinden und abwechselndes Vorzeichen beginnend mit −
haben.
Für den Beweis des folgenden Satzes benötigen wir ein Lemma.
Beweis. Für k = 1 ist nichts zu beweisen. Für größere k’s zeigen wir die Aussage durch
vollständige Induktion nach k. Ist k = 2, so gilt für beliebige v, w ∈ Rn
Also gilt ω(v, w) = −ω(w, v) und wegen der Symmetrie auch ω(v, w) = ω(w, v) und
damit ω(v, w) = 0.
Ist k > 2, so seien wieder v, w ∈ Rn beliebig. Weiters sei λ ∈ R. Nun gilt wegen der
Symmetrie
ω(v + λw, . . . , v + λw) =
9 Hauptminoren einer quadratischen Matrix (µ )
i j i, j=1,...,n sind die Determinanten aller Untermatrizen
(µi j )i, j=1,...,k für k = 1, . . . , n.
10.3. EXTREMWERTE 85
X
k−1 !
k
ω(v, . . . , v) + λj ω(v, . . . , v, w, . . . , w) + λk ω(w, . . . , w) .
j | {z } | {z }
j=1 j−mal (k− j)−mal
Für feste v, w ∈ Rn und variablem λ steht links immer Null und rechts ein Polynom
in λ, dessen Koeffizienten somit alle verschwinden müssen. Für j = k − 1 gilt daher
insbesondere
ω(v, . . . , v , w) = 0 ,
| {z }
(k−1)−mal
und zwar für alle v, w ∈ R . Somit erfüllt für festes w ∈ Rn die offensichtlich symme-
n
10.3.6 Satz. Für ein offenes D ⊆ Rn sei f : D → R, f ∈ C r (D) mit r ∈ N, und sei
x ∈ D mit d f (x) = 0, . . . , d q−1 f (x) = 0, d q f (x) , 0, wobei q ≤ r. Dann gilt
(i) Hat f ein lokales Maximum bei x, so ist q gerade und dq f (x) ist negativ semide-
finit.
(ii) Ist q gerade und dq f (x) negativ definit, so hat f ein lokales Maximum bei x.
(iii) Hat f ein lokales Minimum bei x, so ist q gerade und dq f (x) ist positiv semidefinit.
(iv) Ist q gerade und dq f (x) positiv definit, so hat f ein lokales Minimum bei x.
Beweis.
(i) Sei x ein relatives Maximum von f . Dann existiert ein δ > 0, sodass
(ii) Sei q gerade und d q f (x) negativ definit. Nun gibt es ein δ > 0, sodass dq f (w)
ebenfalls negativ definit ist für alle w ∈ Uδ (x).
Um das einzusehen, nehme man das Gegenteil an. Dann gibt es zu jedem m ∈ N
ein xm , kxm − xk∞ < m1 , sodass dq f (xm ) nicht negativ definit ist. Es gibt daher ein
0 , hm ∈ Rn mit dq f (xm )(hm , . . . , hm ) ≥ 0. Wegen
hm hm 1
dq f (xm ) ,..., = q
q d f (xm )(hm , . . . , hm ) ≥ 0
khm k∞ khm k∞ khm k∞
können wir annehmen, dass die hm immer khm k∞ = 1 erfüllen – also in der
abgeschlossenen und beschränkten Teilmenge
liegen. Da diese Menge nach Korollar 5.2.9 kompakt ist, gilt hm( j) → h, j → ∞,
für eine Teilfolge und für ein h ∈ K1 (0) \ U1 (0).
Somit konvergieren die Komponenten von hm( j) gegen die entsprechenden
k
Komponenten von h und alle partiellen Ableitungen ∂xl ∂...∂x
f
l
(xm( j) ) gegen
1 k
∂k f
(x). Wegen (10.8) konvergiert dann auch d q f (xm( j) )(hm( j) , . . . , hm( j) ) ge-
∂xl1 ...∂xlk
gen d f (x)(h, . . . , h), und wir erhielten d q f (x)(h, . . . , h) ≥ 0 im Widerspruch zur
q
Voraussetzung.
Nach Satz 10.2.9 hat man für w ∈ Uδ (x)
X
q−1
1 l
f (w) = f (x) + d f (x)(w − x, . . . , w − x) + Rq−1 (w) = f (x) + Rq−1 (w) ,
l! | {z }
l=1 l−mal
Z1
1
Rq−1 (w) = d f q ((1 − t)x + tw)(w − x, . . . , w − x)(1 − t)q−1 dt .
(q − 1)! | {z }
0 q−mal
Wegen der Wahl von δ ist der Integrand aber < 0. Also gilt f (w) = f (x)+Rq (w) <
f (x) für w , x, und somit ist x ein lokales Maximum.
Die Aussagen (iii) und (iv) zeigt man genauso wie (i) und (ii).
❑
Sucht man ein lokales Extremum einer überall differenzierbaren Funktion, so
braucht man nur unter jenen Punkten x mit d f (x) = 0 zu suchen. In der Praxis wird
man die Gleichung d f (x) = 0 aber meistens nicht explizit nach x auflösen können.
Maximum (Minimum) von f |D und somit eine Lösung der Gleichung d f (x) = 0. Im
zweiten Fall ist y ein globales Maximum (Minimum) von f |c(D)\D .
Um also von einer gegebenen Funktion f : c(D) → R mit beschränktem und offe-
nem D die globalen Maxima (Minima) auf c(D) zu suchen, sind zunächst alle Lösungen
der Gleichung d f (x) = 0 auf D zu suchen. Dann sucht man alle Maxima (Minima) von
f |c(D)\D auf dem Rand c(D) \ D und vergleicht schließlich die Funktionswerte an allen
erhaltenen Punkten von c(D).
Der Graph dieser Funktion, daher alle Punkte (ξ1 , ξ2 , ξ3 )T ∈ R3 mit ξ3 = f (ξ1 , ξ2 )T , ist
ein Paraboloid.
ξ3
ξ2
ξ1
ξ
Abbildung 10.2: Graph der Funktion ξ3 = f 1
ξ2 für ξ12 + ξ22 ≤ 1
∂2 f ∂2 f ∂2 f ∂2 f
2
= −2, = = 0, = −2 .
∂x1 ∂x1 ∂x2 ∂x2 ∂x1 ∂x22
und sie ist offenbar stets < 0, also negativ definit. Insbesondere ist (0, 0)T ein
lokales Maximum. Ist 0 nun auch ein globales Maximum? Das Bild, das man
von der Fläche hat, legt das sicherlich nahe. Aber wie lässt sich das zeigen?
88 KAPITEL 10. ABLEITUNGEN NACH MEHREREN VARIABLEN
Eine Möglichkeit ist, festzustellen, dass für (ξ1 , ξ2 )T , (0, 0)T sicherlich
f (ξ1 , ξ2 )T = 1 − (ξ12 + ξ22 ) < 1 = f (0, 0)T .
Man kann auch nach einem (globalen, lokalen) Minimum von f fragen. Ein
globales Minimum gibt es offensichtlich nicht, da z.B. für festes ξ2 und für
|ξ1 | → +∞ der Ausdruck f (ξ1 , ξ2 )T nach −∞ strebt.
Man kann aber z.B. fragen, ob f |D mit D = {(ξ1 , ξ2 )T ∈ R2 : k(ξ1 , ξ2 )T k2 < 1}
ein lokales oder globales Minimum y = (η1 , η2 )T hat. Das ist aber auch nicht der
Fall, denn dann wäre dort d f (y) = 0, was aber nur für y = 0 der Fall ist.
Wollen wir die Extrema von f auf dem abgeschlossenen Dreieck ∆ mit den Eck-
punkten (0, 1)T , (2, 0)T , (2, 2)T finden, so gehen wir folgendermaßen vor.
Zunächst existieren zumindest ein Minimum und zumindest ein Maximum von
f auf ∆, da f stetig und ∆ abgeschlossen, beschränkt und somit kompakt ist.
Das Innere ∆o von ∆ ist eine offene Teilmenge von R2 , welche (0, 0)T nicht
enthält. Also kann ein Extremum von f nicht in ∆o liegen, da d f dort verschwin-
den müsste. Wir haben aber schon gesehen, dass (0, 0)T der einzige Punkt ist, wo
d f verschwindet.
Also müssen die Extrema am Rand ∂∆, dh. in der Vereinigung der drei Seiten
! ! !
2α 2α 2
a={ : α ∈ [0, 1] }, b = { : α ∈ [0, 1] }, c = { : α ∈ [0, 1] } ,
1−α 1+α 2α
suchen. Die Extrema von f auf a, b und c sind aber die Extrema von
!
2α
fa (α) = f = 1 − 4α2 − 1 + 2α − α2 = −5α2 + 2α,
1−α
!
2α
fb (α) = f = 1 − 4α2 − 1 − 2α − α2 = −5α2 − 2α, bzw.
1+α
!
2
fc (α) = f = 1 − 4 − 4α2 = −3 − 4α2 ,
2α
Die Funktion fc ist auf [0, 1] auch monoton fallend. Also ist α = 0 ein Maximum
mit fc (0) = −3 und α = 1 ein Minimum mit fc (1) = −7.
Somit hat f auf ∂∆ das Minimum bei (2, 2)T mit Wert f (2, 2)T = −7 und das
2
Maximum bei 1−5 2 mit Wert 15 .
5
10.4 Übungsbeispiele
10.1 Man betrachte die Funktion f : R2 → R2 , f (ξ, η)T = (ξ 2 η sin ξη, ξ2 +ηξ2 +1 )T . Berechne
alle partielle Ableitungen sowie d f (x), x = (ξ, η)T ∈ R2 . Schließlich berechne man die
Richtungsableitung ∂∂vf (x) für v = (1, 1)T und (1, −1)T .
10.2 Sei A ∈ Rn×n symmetrisch, dh. AT = A, und betrachte die Abbildung f (x) = xT Ax von
Rn nach R. Man zeige, dass d f (x) = 2(Ax)T , und berechne die Richtungsableitung entlang
von v = x.
10.3 Sei p ∈ N, p ≥ 2 und f : R p \ {0} → R definiert durch f (x) = ln kxk2 im Falle p = 2 und
1 T 1
f (x) = p−2 wenn p > 2. Man zeige, dass grad f (x) = (d f (x)) = kxk p x.
(2−p)kxk2 2
10.4 Man betrachte die Funktion f aus Beispiel 6.1.11 und zeige, dass in (0, 0)T alle partiellen
Ableitungen existieren, sie aber in (0, 0)T nicht differenzierbar ist. Berechnen Sie von f
auch alle höheren Ableitungen zweiter Ordnung an allen Punkten der Ebene , (0, 0)T .
10.5 Man betrachte die Funktion g : R2 \ {(x, 0) : x ≤ 0} → R+ × (−π, π),
p !
ξ 2 + η2
g(ξ, η)T = ,
arg(ξ + iη)
p
wobei das Argument arg(ξ + iη) ∈ (−π, π) so definiert ist, dass f ( ξ 2 + η2 , arg(ξ + iη))T =
(ξ, η)T , wobei f (r, φ)T = (r cos φ, r sin φ)T .
Berechne alle partiellen Ableitungen sowie dg(x) und det dg(x), x ∈ R2 .
Hinweis: Stellen Sie arg(x + iy) mit Hilfe des Arcustangens bzw. Arcuscotangens quadran-
tenweise dar!
R α2
10.6 Berechnen Sie I ′ (α), wobei I : R → R gegeben ist durch I(α) = − exp(α) cos(αt2 ) dt.
10.7 Sei h : (− π2 , π2 ) → R definiert durch h(t) = (cos t)sin t man berechne h′ auf 2 Arten. Zuerst
direkt und dann mittels Anwendung der Kettenregel auf f (t) = (cos t, sin t) und g(ξ, η)T =
ξ η . Man gebe auch geeignete offene Definitionsbereiche von f und g an!
10.8 Funktionen f : D → C R2 , D ⊆ C R2 , die stetig differenzierbar sind, und die
zusätzlich die sogenannten Cauchy-Riemannschen Differentialgleichungen
∂u ∂v ∂u ∂v
(x, y) = (x, y), (x, y) = − (x, y) ,
∂x ∂y ∂y ∂x
wobei u(x, y) = Re f (x + iy) und v(x, y) = Im f (x + iy), erfüllen, nennt man holomorph.
Man zeige, dass z 7→ exp(z), z 7→ z holomorph auf D = C und z 7→ 1z holomorph auf
D = C\{0} sind, indem man die Cauchy-Riemannschen Differentialgleichungen nachprüft!
10.9 Man betrachte die Funktion f (x, y)T = x3 − 2x2 y2 + 4xy3 + y4 + 10. Berechne alle partiellen
k+l
Ableitungen ∂x∂k ∂yl f (x, y) mit k, l = 1, 2, sowie dm f (x, y)T (v1 , . . . , vm ) für m = 1, 2. Schließ-
lich berechne man das Taylorsche Polynom (in x, y) ohne Restglied mit q = 2 gemäß Satz
10.2.9.
10.10 Man berechne alle partiellen Ableitungen 1., 2. und 3. Grades von f (x, y, z) = sin(3x +
yz), sowie dm f (x, y, z)(v1 , . . . , vm ) für m = 1, 2. Schließlich berechne man das Taylorsche
Polynom (in x, y, z) ohne Restglied mit q = 3 gemäß Satz 10.2.9.
90 KAPITEL 10. ABLEITUNGEN NACH MEHREREN VARIABLEN
10.11 Sei p ∈ N, p ≥ 2 und f : R p \ {0} → R definiert durch f (x) = ln kxk2 im Falle p = 2 und
1
f (x) = p−2 wenn p > 2.
(2−p)kxk2
Man zeige, dass f harmonisch ist! Weiters zeige man, dass für ein festes x0 ∈ R p auch
x 7→ f (x − x0 ), x ∈ R p \ {x0 } harmonisch ist.
Dabei heißt eine zweimal stetig differenzierbare Funktion h : B → X harmonisch, wenn
∂2 ∂2
∆h(x) := h(x) + · · · + h(x) = 0
∂x1 ∂x1 ∂xm ∂xm
für alle x ∈ B. Hier ist X ein Banachraum und B ⊆ Rm offen.
10.12 Bestimmen Sie für √
f (x, y)T = xe y
die Ableitung in Richtung des Vektors v = (cos ϕ, sin ϕ)T . Für welchen Winkel ϕ wird
∂ f (2,3)T
∂v
maximal? Bestimmen Sie ebenfalls die Ableitung entlang der Parabel p(t) :=
(x(t), y(t))T = (t, t2 )T , dh. die Richtungsableitung von f in Richtung p′ (t) im Punkt p(t).
10.13 Sei h : (− 2π , π2 ) → R definiert durch h(t) = (cos t)sin t man berechne h′ auf 2 Arten. Zuerst
direkt und dann mittels Anwendung der Kettenregel auf f (t) = (cos t, sin t)T und g(ξ, η)T =
ξ η . Man gebe auch geeignete offene Definitionsbereiche von f und g an!
10.14 Lineare Regression: Seien (xi , yi ) ∈ R2 , i = 1, . . . , n endlich viele, fest vorgegebene Mess-
daten, wobei zumindest zwei verschiedene xi auftreten. Man bestimme eine linear Funktion
f (x) = kx + d so, dass der quadratische Abstand
X
n
( f (xi ) − yi )2
i=1
P
minimal wird! Man betrachte also F(k, d) = ni=1 ( f (xi ) − yi )2 als Funktion von (k, d) und
finden Sie die Kandidaten für lokale Extrema!
Begründen Sie auch, warum der erhaltene Kandidat Tatsächlich ein Minimum ist, indem
Sie u.a. limk(k,d)T k→+∞ F(k, d) = +∞ zeigen.
√ p
Hinweis zum letzten Teil: Zunächst ist F(k, d) ≥ (kx1 + d + y1 )2 + (kx2 + d + y2 )2 .
Zeigen Sie nun, dass k((kx1 + d + y1 ), (kx2 + d + y2 ))T k2 ≥ k(kx1 + d, kx2 + d)T!k2 − k(y1 , y2 )T k2
x 1
und dann kA−1 k · k((kx1 + d), (kx2 + d))T k2 ≥ k(k, d)T k2 , wobei A = 1 .
x2 1
10.15 Sei D ⊆ Rn offen und beschränkt. c(D) sei der Abschluss von D in Rn . Weiters sei f :
c(D) → R stetig und so, dass f |D : D → R aus C 2 ist mit ∆ f (x) ≥ 0 für alle x ∈ D, wobei
∂2 ∂2
∆ f (x) := f (x) + · · · + f (x) .
∂x1 ∂x1 ∂xn ∂xn
Zeigen Sie, dass f : c(D) → R in c(D) und f |c(D)\D : c(D) \ D → R in c(D) \ D jeweils
mindestens eine Maximalstelle haben und dass maxt∈c(D) f (t) = maxt∈c(D)\D f (t).
Hinweis: Angenommen x0 ∈ D wäre Maximalstelle mit f (x0 ) > maxt∈c(D)\D f (t) =: η.
OBdA. sei f (x0 ) > 0 > η angenommen. Betrachte eine Maximalstelle von g(x) = f (x) +
c(kx − x0 k22 − d) für x ∈ c(D) mit geeignet gewählten c, d > 0, sodass kx − x0 k22 − d < 0 für
x ∈ c(D) \ D und sodass g(x0 ) > 0! Warum geht das? Wo können die Maximalstellen x1
von g nur liegen und was gilt für ∆g(x1 )?
10.16 Wo besitzt f : R2 → R ein globales bzw. lokales Extremum, wobei
f (x, y) = x3 ex−y .
f (z) = z(z − 2) − 2 Re z , z = x + iy ∈ C ,
alle lokalen Extrema der Funktion | f (z)| sowie deren Typ, dh. Maximum, Minimum.
10.20 Bestimmen Sie alle (lokalen) Extrema der Funktionen f, g : R2 → R. Sind diese (lokale)
Minima bzw. Maxima?
2 −y2
f (x, y) = (x2 + y2 )ex , g(x, y) = (y2 − x2 )(y2 − 2x2 ) .
10.21 Sei K = {(cos t, sin t)T ∈ R2 : t ∈ R} und A = {(ξ, η)T : 2ξ + 3η = 10}. Man zeige,
dass K kompakt und A abgeschlossen ist. Weiters bestimme man x ∈ K, y ∈ A so, dass
d(x, y) = d(A, K); vgl. Übungsbeispiel 5.19. Schließlich zeige man, dass x normal auf die
Gerade A steht.
92 KAPITEL 10. ABLEITUNGEN NACH MEHREREN VARIABLEN
Kapitel 11
Wegintegrale
11.1 Wege
Wege im Rn sind der Anschauung nach etwas eindimensionales.
11.1.1 Definition.
Ein Weg γ im Rn ist eine Abbildung von einem Intervall [a, b] nach Rn . Ist γ
stetig, so sprechen wir von einem stetigen Weg.
Dabei heißen zwei Wege γ : [a, b] → Rn und γ̃ : [ã, b̃] → Rn äquivalent, falls
sie Umparametrisierungen voneinander sind, d.h. falls es eine streng monoton
wachsende Bijektion α : [a, b] → [ã, b̃] gibt, sodass γ̃ ◦ α = γ.1 Wir schreiben
auch γ ∼ γ̃ dafür.
Ist γ ein Weg, so sei
γ− : [a, b] → Rn der Weg [a, b] → Rn , t 7→ γ(a + b − t), also der in der
Gegenrichtung durchlaufene Weg.
Sind γ1 : [a1 , b1 ] → Rn , γ2 : [a2 , b2 ] → Rn zwei (stetige) Wege mit b1 = a2 und
γ1 (b1 ) = γ2 (a2 ), so sei γ1 ⊕ γ2 : [a1 , b2 ] → Rn die (stetige) Funktion mit
xg ]xm = −
0 x1 ⊕ · · · ⊕ xm−1 x−0−→
x1 , −
x−1−→
x2 , . . . , −
x−m−1
−−−−x→
m.
1 Wegen Korollar 6.5.3 ist eine solche Bijektion α stetig. Umgekehrt ist eine stetige Bijektion α : [a, b] →
[ã, b̃] entweder streng monoton wachsend oder streng monoton fallend, vgl. Lemma 6.5.5.
93
94 KAPITEL 11. WEGINTEGRALE
11.1.3 Fakta.
1. Da mit α auch α−1 eine streng monoton wachsende Bijektion ist, ist ∼ eine Äqui-
valenzrelation. Man sieht auch unmittelbar, dass γ ∼ γ′ ⇔ γ− ∼ γ′ −.
2. Ist γ : [a, b] → Rn ein Weg und ist α(t) = a + t(b − a), so ist γ äquivalent zu
γ ◦ α : [0, 1] → Rn , also äquivalent zu einem Weg mit Parametermenge [0, 1].
3. Das Bild eines stetigen Weges ist als stetiges Bild einer kompakten und zusam-
menhängenden Menge wieder kompakt und zusammenhängend, siehe Proposi-
tion 6.1.13 und Proposition 6.2.4.
4. Man könnte glauben, dass das Bild eines stetigen Weges den Weg schon be-
stimmt. Das ist aber nicht der Fall, wenn man nur an ein Geradenstück denkt,
das man zuerst in die Hin- und dann in die Rückrichtung durchläuft.
5. Das Bild eines stetigen Weges kann auch ganz unerwartet aussehen. Man kann
z.B. einen Weg in R2 konstruieren, der [0, 1] × [0, 1] als Bild hat.
Um einem Weg eine Länge ℓ(γ) zuzuordnen, liegt es nahe, das zuerst bei den ein-
fachsten Arten von Wegen, nämlich den geraden Strecken γ = → −
xy mit x, y ∈ Rn zu
tun:
ℓ(γ) := kx − yk2 .
Die Länge eines beliebigen Weges γ : [a, b] → Rn approximiert man dadurch, dass
man eine beliebige Zerlegung Z = {ξ j : j = 0, . . . , n(Z)} von [a, b] wie in Definition
8.1.2 nimmt und die Länge des dazugehörigen Polygonzugs
−−−−−−−−→ −−−−−−−−−−−−−−−→
γ(ξ0 )γ(ξ1 ), . . . , γ(ξn(Z)−1 )γ(ξn(Z) ) (11.1)
nämlich
X
n(Z)
L(Z) := kγ(ξ j ) − γ(ξ j−1 )k2
j=1
berechnet. Die Länge ist dann das Supremum von L(Z) über die Menge Z aller
Zerlegungen Z von [a, b]:
ℓ(γ) := sup L(Z) . (11.2)
Z∈Z
Der Fall ℓ(γ) = +∞ kann dabei auftreten. Ist jedoch ℓ(γ) < +∞, so spricht man von
einem rektifizierbaren Weg.
11.1.4 Fakta.
1. Ist γ : [0, 1] → Rn , γ(t) = tx1 + (1 − t)x0 eine gerade Strecke, so gilt für eine
beliebige Zerlegung Z
X
n(Z)
L(Z) = k(ξ j − ξ j−1 )(x1 − x0 )k2 = kx − yk2 .
j=1
a = ξ0 ξ1 ξ2 ξ3 ξ4 ξ5 ξ6 ξ7 = b :Z
γ(ξ7 )
γ
γ(ξ1 ) γ(ξ0 )
γ(ξ6 )
γ(ξ2 )
γ(ξ5 ) γ([a, b])
γ(ξ3 ) γ(ξ4 )
5. Aus der Monotonie (vgl. 2) folgt für ein endliches A ⊆ [a, b] unmittelbar, dass
auch
ℓ(γ) = sup L(Z) .
Z∈Z, Z⊇A
womit (siehe 5)
in dem Sinn, dass die linke Seite genau dann endlich ist, wenn die rechte Seite
endlich ist, dh. wenn ℓ(γ1 ) < +∞ und ℓ(γ2 ) < +∞.
7. Sei Z eine Zerlegung von [a, b], und betrachte den in (11.1) erwähnten Polygon-
zug p : [0, n(Z)] → Rn ,
t − ξ j−1
p(t) = γ(ξ j−1 ) + γ(ξ j ) − γ(ξ j−1 ) , t ∈ [ξ j−1 , ξ j ] . (11.3)
ξ j − ξ j−1
Da dieser Weg eine Zusammensetzung von geraden Strecken – genauer eine Zu-
sammensetzung von zu geraden Strecken äquivalenten Wegen – ist, folgt aus
dem letzten Punkt, dass ℓ(p) = L(Z).
Obwohl sich ℓ(γ) für ein Funktion γ : [a, b] → R, also im Fall n = 1, nur schwer
als Weglänge interpretieren lässt, ist dieser Fall doch von Bedeutung. In der Tat sagt
man, dass γ : [a, b] → R von beschränkter Variation ist, wenn ℓ(γ) < +∞, und nennt
dann ℓ(γ) die Variation der Funktion γ.
11.1.5 Lemma. Ist γ : [a, b] → Rn ein rektifizierbarer Weg, so ist die Funktion ℓ(x) :=
ℓ(γ|[a,x] ), x ∈ [a, b] monoton wachsend. Ist γ bei x rechtsstetig (linksstetig, stetig), so
ist auch ℓ dort rechtsstetig (linksstetig, stetig)2 .
Beweis. x 7→ ℓ(γ|[a,x] ) ist offensichtlich monoton wachsend; vgl. Fakta 11.1.4, 6. Sei
γ in einem Punkt x ∈ [a, b) rechtsstetig. Somit gibt es zu gegebenem ǫ > 0 ein δ > 0,
sodass kγ(x) − γ(s)k2 < ǫ für alle s ∈ [x, x + δ].
Wegen ℓ(γ|[x,b] ) ≤ ℓ(γ) < +∞ gibt es zu gegebenem ǫ > 0 eine Zerlegung Z0 von
[x, b], sodass
ℓ(γ|[x,b] ) − ǫ < L(γ|[x,b] , Z0 ) ≤ ℓ(γ|[x,b] ) .
Da die L(Z) monoton von Z abhängen, können wir Z0 so wählen, dass die erste Stütz-
stelle ξ rechts von x einen Abstand kleiner oder gleich δ hat.
Offenbar ist Z0 ∩ [ξ, b] eine Zerlegung von [ξ, b], wobei L(γ|[ξ,b] , Z0 ∩ [ξ, b]) =
L(γ|[x,b] , Z0 ) − kγ(ξ) − γ(x)k2 . Also gilt
und daher
ℓ(γ|[x,ξ] ) ≤ ℓ(γ|[x,ξ] ) + ℓ(γ|[ξ,b] ) − (L(γ|[x,b] , Z0 ) − kγ(ξ) − γ(x)k2 ) =
kγ(ξ) − γ(x)k2 + ℓ(γ|[x,b] ) − L(γ|[x,b] , Z0 ) < 2ǫ .
2 Rechtsstetig bedeutet lim s→x+ ℓ(s) = ℓ(x) und linksstetig lim s→x− ℓ(s) = ℓ(x)
11.1. WEGE 97
Also ist ℓ(γ|[x,ξ] ) < 2ǫ. Wegen der Monotonie gilt auch ℓ(γ|[a,s] ) − ℓ(γ|[a,x] ) = ℓ(γ|[x,s] ) ≤
ℓ(γ|[x,ξ] ) < 2ǫ, wenn s ∈ [x, ξ].
Die Linksstetigkeit zeigt man analog.
❑
Konkret ausrechnen lässt sich die Weglänge für stetig differenzierbare Wege.
11.1.6 Satz. Falls γ ∈ C 1 [a, b], so ist γ rektifizierbar, und ℓ(x) ist differenzierbar mit
der Ableitung kγ′ (x)k2 . Dabei gilt
Z b
ℓ(γ) = kγ′ (x)k2 dx .
a
Beweis. Wegen dem Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung sowie (9.13) gilt
Z ξ
Z ξj
j ′
kγ(ξ j ) − γ(ξ j−1 )k2 =
γ (t) dt
≤ kγ′ (t)k2 dt .
ξ j−1
ξ
2 j−1
Rb
′
Also L(Z) ≤ a kγ (t)k2 dt für jede Zerlegung Z von [a, b], und damit ℓ(γ) ≤
Rb
a
kγ′ (t)k2 dt.
Für a ≤ x < y ≤ b gilt
Z y
kγ(y) − γ(x)k2 ≤ ℓ(γ|[x,y] ) ≤ kγ′ (t)k2 dt .
x
Die Funktion γ : [a, b] → Rn ist offenbar stetig und stückweise stetig differen-
zierbar (vgl. Definition 11.1.7), wenn es eine Zerlegung Z = {ξ j }n(Z) j=0 gibt, sodass
γ|[ξ j−1 ,ξ j ] ∈ C 1 [ξ j−1 , ξ j ] für j = 1, . . . , n(Z). Wendet man Satz 11.1.6 insgesamt n(Z)-
mal auf γ|[ξ j−1 ,ξ j ] , j = 1, . . . , n(Z) an, so erhalten wir
11.1.8 Korollar. Ist γ : [a, b] → Rn ein stetiger und stückweise stetig differenzierbarer
Rb
Weg, so ist dieser rektifizierbar mit ℓ(γ) = a kγ′ (x)k2 dx.
11.1.9 Beispiel. Man betrachte den Weg (siehe Definition 6.8.12, Beispiel 10.1.10)
!
cos s
γ(s) = ∈ R2 , s ∈ [0, 2π] .
sin s
Für ein t ∈ [0, 2π] gilt nach Satz 11.1.6
Z t
!
Z
− sin s
t p
ℓ(γ|[0,t] ) =
cos s
ds = sin2 s + cos2 s ds = t .
0 2 0
98 KAPITEL 11. WEGINTEGRALE
γ(t) ≃ exp(it)
sin t
t
Also ist t genau die Weglänge
des Bogens γ|[0,t] .
−1 0 cos t 1
11.1.10 Bemerkung. Ist γ : [a, b] → Rn ein rektifizierbarer und stetiger Weg, so wissen
wir nun, dass ℓ das Intervall [a, b] monoton wachsend und surjektiv auf [0, ℓ(γ)] abbil-
det. Ist ℓ sogar bijektiv, so ist β = γ ◦ ℓ−1 ein zu γ äquivalenter Weg, sodass die Länge
des Weges β|[0,t] genau t ist.
Ist ℓ nicht injektiv, so kann man für t ∈ [0, ℓ(γ)], β(t) := γ(x) setzen, wobei x eine
Zahl aus [a, b] ist, sodass ℓ(x) = t. Im Fall, dass ℓ(x1 ) = t = ℓ(x2 ), hat γ|[x1 ,x2 ] Weglänge
Null und ist somit konstant. Also ist γ(x1 ) = γ(x2 ) und β somit wohldefiniert. Offenbar
gilt γ = β ◦ ℓ. Aus der Kompaktheit von [0, ℓ(γ)] folgert man aus γ = β ◦ ℓ leicht die
Stetigkeit von β.
Also ist β auch in diesem Fall ein zu γ fast äquivalenter“ Weg, sodass die Länge
”
des Weges β|[0,t] genau t ist.
11.1.11 Bemerkung (*). Bisher haben wir bei der Behandlung von Wegen und
Weglängen nirgends verwendet, dass γ in den Rn mit der k.k2 -Norm hinein abbildet.
Wir haben die euklidische Norm nur verwendet, weil sie dem als natürlich empfunde-
nen Längenbegriff entspricht.
In der Tat kann man genauso ℓ(γ) definieren, wenn γ eine beliebige Funktion von
[a, b] in einen Banachraum (X, k.k) ist.
Es gelten dann dieselben Eigenschaften, die wir eben aufgezählt haben, und ist
ℓ(γ) < +∞, so spricht man von γ als einer Funktion von beschränkter Variation.
Äquivalente Normen k.k und |k.k|, d.h. αk.k ≤ |k.k| ≤ βk.k, induzieren zwar verschie-
dene Längenbegriffe, aber diese sind dennoch vergleichbar:
Versieht man etwa Rn mit der Norm k.k∞ oder k.k1 , so erhält man für ein und dieselbe
Funktion verschiedene Längenbegriffe.
11.2 Wegintegrale
11.2.1 Beispiel. Wir betrachten ein Objekt im Gravitationsfeld einer Punktmasse, und
wollen die Arbeit berechnen, die verrichtet wird wenn man das Objekt von einer Positi-
11.2. WEGINTEGRALE 99
on zu einer anderen verschiebt. Dabei denken wir uns diese Punktmasse im Nullvektor
des R3 .
Das Newtonsche Gravitationsgesetz besagt, dass sich die Gravitationskraft umge-
kehrt proportional zum Quadrat ihres Abstandes r zur Punktmasse verhält – also durch
C r12 mit einer Konstante C berechnet werden kann. Vernachlässigen wir diese Kon-
stante, und zerlegt man die Kraft, die auf einen Punkt x = (ξ, η, ζ)T ∈ R3 wirkt, in ihre
Komponenten, so erhält man den Kraftvektor
ξ
1
F(x) = − 3 η .
kxk2 ζ
Verschiebt man nun einen Punkt P von x zu einer sehr nahen Position x + h, so ist die
Arbeit, die verrichtet wird, wegen der Formel Arbeit = Kraft × Weg“ ungefähr gleich
”
− F(x), h = −F(x)T h .
Sei nun P ein Punkt in der Position x0 , und werde P längs einer Kurve γ in die Po-
sition x1 verschoben. Sei γ gegeben in Parameterdarstellung γ : [0, 1] → R3 , γ(0) =
x0 , γ(1) = x1 , und sei vorausgesetzt, dass γ hinreichend glatt ist – etwa stetig und
stückweise stetig differenzierbar. Wir zerlegen die Kurve in kleine Abschnitte. Sei also
0 = t0 < t1 < t2 < . . . < tn−1 < tn = 1. Wird γ durch den Polygonzug mit Ecken in γ(ti )
approximiert, dann berechnet sich die verrichtete Arbeit ungefähr durch
X
n
T
ω≈ −F(γ(ti ) γ(ti ) − γ(ti−1 ) .
i=1
Wir werden unten sehen, dass dieser Ausdruck konvergiert, wenn man die Approxima-
tion immer genauer macht. Für diesen Grenzwert werden wir
Z
−F(x)T dx ,
γ
schreiben, und ihn das Wegintegral des Vektorfeldes φ = −F T längs des Weges γ
nennen.
Mathematisch lässt sich die Situation aus Beispiel 11.2.1 dadurch fassen, dass man
ein sogenanntes Vektorfeld gegeben hat. Das ist eine Abbildung φ : D → L(Rn , X) von
einer Teilmenge D ⊆ Rn in die Menge aller linearen3 Abbildungen von Rn in einen
Banachraum X – meistens ist, so wie in Beispiel 11.2.1, X = R.
Ist nun γ : [a, b] → D ⊆ Rn ein Weg, so entspricht die oben erwähnte Approxi-
n(R)
mation der Arbeit bei gegebener Riemannscher Zerlegung R = (ξ j )n(R) j=0 ; (α j ) j=1 der
Summe
X
n(R)
W(R) := φ γ(α j ) γ(ξ j ) − γ(ξ j−1 ) . (11.4)
j=1
11.2.2 Definition. Konvergiert das Netz W(R) R∈R in X, so nennen wir seinen Grenz-
wert Z
φ(x) dx := lim W(R)
γ |R|→0
3 Wegen Beispiel 9.2.10 sind diese automatisch beschränkt, wenn wir Rn mit k.k2 versehen!
100 KAPITEL 11. WEGINTEGRALE
in dem Sinne, dass wenn eines dieser Integrale existiert, dann auch das andere
existiert und diese übereinstimmen.
Ist γ− der in die Gegenrichtung durchlaufene Weg, so entsprechen sich die
Riemann-Summen auch bijektiv, wobei die korrespondierenden
R R Summen W(R)
nur im Vorzeichen unterscheiden, und somit γ− φ(x) dx = − γ φ(x) dx gilt.
2. Ist unser Weg rektifizierbar und stetig, d.h. ℓ(γ) < +∞, und ist φ stetig, so exis-
tiert das Integral.
Rb
Das folgt aus der allgemeineren Tatsache, dass a f dg existiert, falls f stetig
auf [a, b] und g rektifizierbar ist. Der Beweis für diese Tatsache ist ähnlich, wie
der Beweis für die Riemann-Integrierbarkeit stetiger Funktionen mit Hilfe des
Cauchy-Kriteriums.
1) n(R1 ) n(R)
Beweis. Sind R1 = (ξ j )n(R j=0 ; (α j ) j=1 und R = (η j )n(R)
j=0 ; (β j ) j=1 zwei
Riemann-Zerlegungen von [a, b], sodass die Stützstellen von R die von R1 um-
fassen.
Ist j ∈ {1, . . . , n(R1 )}, so gibt es Indizes k( j − 1) < k( j), sodass
ξ j−1 = ηk( j−1) < ηk( j−1)+1 < · · · < ηk( j)−1 < ηk( j) = ξ j .
| {z }
k( j)−k( j−1)−1 viele
11.2. WEGINTEGRALE 101
Pk( j)
Mit g(ξ j ) − g(ξ j−1 ) = k=k( j−1)+1 g(ηk ) − g(ηk−1 ) folgt
kP(R) − P(R1 )k ≤
X1 )
n(R
X
k( j)
f (α j ) g(ξ j ) − g(ξ j−1 ) − f (βk ) g(ηk ) − g(ηk−1 )
j=1 k=k( j−1)+1
X1 )
n(R X
k( j)
≤ k f (α j ) − f (βk )k · kg(ηk ) − g(ηk−1 )k2 .
j=1 k=k( j−1)+1
Dabei ist k f (α j ) − f (βk )k die Abbildungsnorm auf L(Rn , X), wenn Rn mit der
euklidischen Norm versehen ist.
Wegen |α j − βk | ≤ (ξ j − ξ j−1 ) ≤ |R1 |, k ∈ {k( j − 1) + 1, . . . , k( j)} folgt
X
n(R)
kP(R) − P(R1 )k ≤ ρ(|R1 |) · kg(ηk ) − g(ηk−1 )k2 ≤ ρ(|R1 |) · ℓ(g) , (11.5)
k=1
Wegen der gleichmäßigen Stetigkeit von f gilt limδ→0 ρ(δ) = 0, woraus folgt,
dass P(R) R∈R ein Cauchy-Netz und daher konvergent ist.
❑
3. Als Grenzwert von Netzen mit Werten im Banachraum X erfüllen Wegintegrale
(µ, ν ∈ R):
Z Z Z
(µφ(x) + νψ(x)) dx = µ φ(x) dx + ν ψ(x) dx
γ γ γ
Allgemeiner folgt für ein stetiges f : [a, c] → L(Rn , X), ein rektifizierbares
g : [a, c] → Rn und ein b ∈ (a, c), dass
Z c Z b Z c
f dg = f dg + f dg .
a a b
X
n(R)
sup k f (t)k kg(ξ j ) − g(ξ j−1 )k2 ≤ sup k f (t)k · ℓ(g) .
t∈[a,b] j=1 t∈[a,b]
Daraus sieht man, dass für konstantes g das Riemann-Stieltjes Integral existiert
und verschwindet. Entsprechend verschwindet das Wegintegral über einen kon-
stanten Weg.
Existiert das Riemann-Stieltjes Integral, so ist seine Norm kleiner oder gleich
supt∈[a,b] k f (t)k · ℓ(g). Existiert das Wegintegral, so gilt entsprechend
Z
k φ(x) dxk ≤ sup kφ ◦ γ(t)k · ℓ(γ) . (11.7)
γ t∈[a,b]
6. Ist γ : [0, 1] → D ein gerade Strecke, also γ(t) = tx1 + (1 − t)x0 , und ist φ stetig,
P
so gilt W(R) = n(R)j=1 (ξ j − ξ j−1 )φ γ(α j ) (x1 − x0 ) und daher
Z Z 1 Z 1 !
φ(x) dx = φ tx1 +(1−t)x0 (x1 −x0 ) dt = φ tx1 + (1 − t)x0 dt (x1 −x0 ) .
γ 0 0
| {z }
∈L(Rn ,X)
X n
sup k φ(x) − φ(y) vkX ≤ kφ(x)e j − φ(y)e j k
v∈Rn ,kvk∞ =1 j=1
erkennt.
11.2. WEGINTEGRALE 103
1
Ist γ ∈ C [a, b] und φ stetig, so gilt
Z Z b
φ(x) dx = φ γ(t) γ′ (t) dt .
γ a
Dasselbe gilt für stetige und stückweise stetig differenzierbare Wege g bzw. γ.
Beweis. Nach dem Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung gilt (R ∈ R)
X Z Z
X
n(R) n(R) ξj b
P(R) = f (α j ) g(ξ j ) − g(ξ j−1 ) = f (α j ) g′ (t) dt = fR (t) g′ (t) dt ,
j=1 j=1 ξ j−1 a
wobei ρ(δ) := sups,t∈[a,b],|s−t|≤δ k f (s) − f (t)k. Somit gilt limR∈R fR (t) g′ (t) = f (t) g′ (t)
und zwar gleichmäßig in t ∈ [a, b]. Nach Satz 8.7.2 angewandt auf ein gleichmäßig
konvergentes Netz von Funktionen erhalten wir
Z b Z b Z b
lim P(R) = lim fR (t) g′ (t) dt = lim fR (t) g′ (t) dt = f (t) g′ (t) dt .
R∈R R∈R a a R∈R a
Für stetige und stückweise stetig differenzierbare Kurven folgt die Behauptung aus
dem gerade bewiesenen und Fakta 11.2.3, 4.
❑
11.2.7 Bemerkung (*). Wie im Abschnitt über Wege ist bisher auch nirgends eingegan-
gen, dass g bzw. γ in den (Rn , k.k2 ) hinein abbildet.
Die obigen Resultate samt Beweise bleiben gültig, wenn g bzw. γ das Intervall
[a, b] in eine Menge D ⊆ Y (Y ist Banachraum) abbilden, und f : [a, b] → L(Y, X) bzw.
φ : D → L(Y, X), also jedem t ∈ [a, b] bzw. y ∈ D eine beschränkte lineare Abbildung
von Y nach X zuordnet.
104 KAPITEL 11. WEGINTEGRALE
Also ist D die Vereinigung der nach Proposition 6.2.4 zusammenhängenden Mengen
γy ([ay , by ]), y ∈ D. Nach unserer Wahl von γy haben diese Mengen zumindest den
Punkt x gemein. Nach Lemma 11.3.1 ist D zusammenhängend; also gilt (i).
4 Diese Voraussetzung ist sicher dann erfüllt, wenn Ei0 mit allen Ei einen nichtleeren Schnitt hat.
5 Das bedeutet, dass es einen stetigen Weg γ : [a, b] → D mit γ(a) = x und γ(b) = y gibt.
6 Das ist ein Polygonzug − x−0−→
x1 , −
x−1−→
x2 , . . . , −
x−m−1
−−−−x→
m , wo x j − x j−1 ein skalares Vielfaches eines gewissen
kanonischen Basisvektors ei( j) für j = 1, . . . , m ist.
11.3. OFFENE MENGEN IN RN UND GEBIETE 105
Sei nun D zusammenhängend und x ∈ D wieder fest. Wir bezeichnen mit A die
Menge aller Punkte y ∈ D, die mit x durch einen achsenparallelen Polygonzug in D
verbindbar sind. Da − →
xx auch ein solcher ist, folgt x ∈ A, also A , ∅. Klarerweise
ist B := D \ A die Menge aller y ∈ D, die mit x nicht durch einen achsenparallelen
Polygonzug in D verbindbar sind.
Sei y ∈ A und δ > 0 so klein, dass Uδ (y) – definiert bezüglich der k.k∞ -Norm auf Rn
– ganz in D enthalten ist. Ist nun − x−0−→
x1 , . . . , −
x−m−1
−−−−x→
m ein achsenparalleler Polygonzug von
x nach y in D, daher x0 = x und xm = y, und z ∈ Uδ (y), so gilt z = y + λ1 e1 + · · · + λn en
mit |λ1 |, . . . , |λn | < δ und daher ist
− −−−−−−−−−−→ −−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−→
x−0−→
x1 , . . . , −
x−m−1
−−−−x→
m , y (y + λ1 e1 ), . . . , (y + λ1 e1 + . . . λn−1 en−1 ) (y + λ1 e1 + . . . λn en )
| {z }
verläuft in Uδ (y)
ein achsenparalleler Polygonzug von x nach z in D. Also ist z ∈ A und daher Uδ (y) ⊆ A.
Somit ist A offen, und kein Punkt y aus A kann Häufungspunkt von B sein, da ja Uδ (y)
keine Punkte aus B enthält. Also gilt A ∩ c(B) = ∅.
Sei nun y ∈ B und δ > 0 so klein, dass Uδ (y) ⊆ D. Ist z = y+λ1 e1 +· · ·+λn en ∈ Uδ (y)
und wäre z ∈ A mit einem achsenparalleler Polygonzug − x−0−→
x1 , . . . , −
x−m−1
−−−−x→
m von x0 = x
nach xm = z in D, so wäre
− −−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−→ −−−−−−−−−−→
x−0−→
x1 , . . . , −
x−m−1
−−−−x→
m , z (y + λ1 e1 + . . . λn−1 en−1 ), . . . , (y + λ1 e1 ) y
| {z }
verläuft in Uδ (y)
x ∼ y ⇔ ∃ Z ⊆ E : x, y ∈ Z, Z ist zusammenhängend ,
so ist ∼ eine Äquivalenzrelation auf E. Für ein x ∈ E ist die Äquivalenzklasse [x]∼ die
größte zusammenhängende Teilmenge von E, die x enthält.
Beweis. Da die einpunktige Menge {x} zusammenhängend ist, ist ∼ reflexiv. Die Sym-
metrie ist klar. Ist x ∼ y, y ∼ z, und sind Z1 und Z2 zusammenhängende Mengen, sodass
106 KAPITEL 11. WEGINTEGRALE
wegen Lemma 11.3.1 zusammenhängend. Klarerweise ist diese Menge dann auch die
größte zusammenhängende Teilmenge von E, die x enthält.
❑
Beweis. Für y ∈ [x]∼ ⊆ G sei ǫ > 0, sodass Uǫ (y) ⊆ G. Wegen Lemma 11.3.1
zusammen mit Beispiel 11.3.4 ist [x]∼ ∪ Uǫ (y) zusammenhängend. Da [x]∼ die größte
zusammenhängende Teilmenge von D ist, welche x enthält, folgt [x]∼ ∪ Uǫ (y) = [x]∼ ,
also Uǫ (y) ⊆ [x]∼ .
Wir haben somit gezeigt, dass [x]∼ offen und daher ein Gebiet ist.
❑
11.4 Gradientenfelder
Rb
Wir wollen eingangs ein mehrdimensionales Analogon der Tatsache a f ′ (t) dt =
f (b) − f (a) für Wegintegrale herleiten. Dafür sei bemerkt, dass für ein stetig diffe-
renzierbares f : D → X mit offenem D ⊆ Rn und einem Banachraum X die Ableitung
d f : D → L(Rn , X) ein Vektorfeld ist.
11.4.1 Satz. Sei D ⊆ Rn offen, X ein Banachraum und f : D → X eine stetig diffe-
renzierbare Funktion. Für einen stetigen und stückweise stetig differenzierbaren Weg
γ : [a, b] → D gilt Z
d f (x) dx = f γ(b) − f γ(a) .
γ
Beweis. Sind a = t0 < t1 < · · · < tl = b so, dass γ|[t j−1 ,t j ] ∈ C 1 [t j−1 , t j ], so folgt aus der
Kettenregel und dem Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung Satz 8.4.5
Z Z b Z b
′
d f (x) dx = d f γ(t) γ (t) dt = ( f ◦ γ)′ (t) dt =
γ a a
X
l
f γ(t j ) − f γ(t j−1 ) = f γ(b) − f γ(a) .
j=1
❑
11.4.2 Beispiel. Wir betrachten nochmals Beispiel 11.2.1. Dort war das Vektorfeld
φ : R3 \ {0} → L(R3 , R) durch φ(x) = kxk1 3 (ξ, η, ζ) gegeben. Nun ist aber, φ(x) =
2
d f (x), wobei f (x) = − kxk1 2 . Insbesondere berechnet sich die Arbeit, die man verrichten
11.4. GRADIENTENFELDER 107
muss, um einen Punkt P von x0 nach x1 entlang eines stetigen und stückweise stetig
differenzierbaren Weges γ zu bewegen, durch
Z
1 1
φ(x) dx = − .
γ kx k
0 2 kx 1 k2
11.4.4 Korollar. Ist D ein Gebiet und φ : D → L(Rn , X) ein Gradientenfeld, so ist die
Stammfunktion f ∈ C 1 (D) von φ, dh. d f = φ, bis auf eine additive Konstante aus X
eindeutig.
Beweis. Falls d f1 = φ = d f2 für zwei C 1 (D)-Funktionen f1 , f2 , so folgt für beliebige
x, y ∈ D aus Satz 11.4.1 angewandt auf 0 = d f1 − d f2 und irgendeinen geeigne-
ten Weg γ : [a, b] → D mit γ(a) = x und γ(b) = y (vgl. Lemma 11.3.3), dass
( f1 − f2 )(x) = ( f1 − f2 )(y). Somit ist f1 − f2 auf D konstant.
❑
11.4.5 Bemerkung. Die Tatsache, dass φ ein Gradientenfeld ist, hängt entscheidend
von seinem Definitionsbereich ab D.
y x
In der Tat gilt für das Vektorfeld φ : R2 \{0} → L(R2 , R), φ (x, y)T = − x2 +y 2 , x2 +y2
Wegen γ(0) = γ(2π) erkennen wir aus Satz 11.4.1, dass φ : R2 \ {0} → L(R2 , R) kein
Gradientenfeld ist.
Macht man den Definitionsbereich R2 \ {0} von φ kleiner, z.B. D = R2 \ {(x, y)T :
x ≤ 0}, so ist φ sehr wohl ein Gradientenfeld; vgl. Beispiel 11.5.8.
wobei
X
k
yk := c + (xσ( j) − cσ( j) )eσ( j) , k = 0, . . . , n ,
j=1
σ σ σ −−−−−−−−→
γc,x+te | x j −c j ∼ γc,x und γc,x+te | x j −c j ∼ x (x + te j )
x j −c j +t ,n]
j [0,n−1+
x j −c j +t ]
j [n−1+
und damit Z Z Z
φ(v) dv = φ(v) dv + −−−−−−−→
φ(v) dv .
σ σ
γc,x+te j
γc,x x (x+te j )
σ σ σ −−−−−−−−→
γc,x |[0,n−1+ x j −c j +t ] ∼ γc,x+te j
und γc,x |[n−1+ x j −c j +t ,n] ∼ (x + te j ) x
x j −c j x j −c j
und damit Z Z Z
φ(v) dv = φ(v) dv + −−−−−−−→
φ(v) dv .
σ σ
γc,x γc,x+te j
(x+te j ) x
Wegen der Stetigkeit der Funktion φ konvergiert der Integrand für t → 0 gleichmäßig
∂f
in s ∈ [0, 1] gegen die Konstante φ(x)e j (∈ X). Also folgt ∂x j
(x) = φ(x)e j ; vgl. Satz
8.7.2 bzw. (9.17). Da dieser Ausdruck für jedes j stetig in x ist, gilt f ∈ C 1 (D) mit
d f = φ; siehe Korollar 8.7.9 bzw. (9.18).
❑
11.4.7 Satz. Sei D ⊆ Rn eine offene Menge und sei φ : D → L(Rn , X) ein Vektorfeld.
φ ist genau dann ein Gradientenfeld, wenn φ stetig und derart ist, dass Wegintegrale
von φ über achsenparallele Polygonzüge nur von Anfangs- und Endpunkt des Weges
abhängen.
Beweis. Die Beweisrichtung ⇒ folgt sofort aus Satz 11.4.1.
Nun kommen wir zu ⇐. Gemäß Proposition 11.3.6 können wir D als disjunkte
Vereinigung von gewissen Gebieten θ schreiben. Nun greife man aus jedem solchen
Gebiet θ ein festes xθ ∈ θ heraus, und definiere für x ∈ θ
Z
f (x) = φ(v) dv ,
ρθx
wobei ρθx : [a, b] → θ irgendein achsenparalleler Polygonzug mit ρθx (b) = x und ρθx (a) =
xθ ist; vgl. Lemma 11.3.3. Wegen der Wegunabhängigkeit und weil jedes x ∈ D in
irgendeinem solchen Gebiet liegt, ist auf diese Art und Weise eine Funktion f : D → X
wohldefiniert.
11.5. LOKALE GRADIENTENFELDER 109
Sei nun c ∈ D, θ das Gebiet mit c ∈ θ und δ > 0 so, dass Uδk.k∞ (c) ⊆ θ. Für
x ∈ Uδk.k∞ (c) gilt wegen der Wegunabhängigkeit
Z Z
f (x) = φ(v) dv + φ(v) dv .
ρθc σ
γc,x
Gemäß Lemma 11.4.6 ist f auf Uδk.k∞ (c) stetig differenzierbar mit d f |Uk.k∞ (c) = φ|Uk.k∞ (c) .
δ δ
Da stetig differenzierbar zu sein eine lokale Eigenschaft ist, folgt f ∈ C 1 (D) mit
d f = φ.
❑
R R
11.4.8 Bemerkung. Die Voraussetzung in Satz 11.4.7, dass γ φ(x) dx = γ φ(x) dx für
1 2
je zwei achsenparallele Polygonzüge
R γ1 und γ2 mit gleichen Anfangs- und Endpunkten,
ist äquivalent dazu, dass γ φ(x) dx = 0 für alle achsenparallele Polygonzüge γ, deren
Endpunkt gleich dem Anfangspunkt ist. Das sieht man leicht dadurch, indem man γ =
γ̃1 ⊕ (γ̃2 −) betrachtet, wobei γ̃ j derart äquivalent zu γ j ist, sodass sich γ̃1 ⊕ (γ̃2 −) bilden
lässt.
11.5.1 Definition. Sei D ⊆ Rn eine offene Menge und sei φ : D → L(Rn , X) ein stetiges
Vektorfeld. Dann heißt φ lokales Gradientenfeld, wenn es zu jedem x ∈ D ein offenes
D(x) ⊆ D7 mit x ∈ D(x) gibt, sodass φ|D(x) : D(x) → L(Rn , X) ein Gradientenfeld ist.
Dass die Begriffe lokales Gradientenfeld und Gradientenfeld nicht äquivalent sind,
werden wir in Beispiel 11.5.8 sehen.
11.5.2 Bemerkung. Seien 0 < ρ1 < ρ2 < +∞ zwei Radien, sodass φ|Uρ j (x) : Uρ j (x) →
L(Rn , X) für j = 1, 2 ein Gradientenfeld ist – also φ|Uρ j (x) = d f j für f j ∈ C 1 (Uρ j (x)).
Da die Addition einer Konstanten zu f j daran nichts ändert, können wir zusätzlich
f1 (x) = 0 = f2 (x) annehmen.
Da innerhalb einer Kugel ein Punkt durch eine gerade Strecke mit dem Mittelpunkt
verbunden werden kann, folgt aus Korollar 11.4.4, dass sich f1 und f2 auf der kleineren
Kugel Uρ1 (x) nur um eine additive Konstante aus X unterscheiden. Wegen f1 (x) = 0 =
f2 (x), folgt f1 = f2 |Uρ1 (x) .
Ist nun R ⊆ (0, +∞) die Menge aller positiver Zahlen ρ, sodass φ|Uρ (x) immer ein
Gradientenfeld ist, so gibt es also fρ ∈ C 1 (Uρ (x)) mit d fρ = φ|Uρ (x) , welche Fortset-
S
zungen voneinander sind. Auf ρ∈R Uρ (x) = Usup R (x) ist somit durch f (y) = fρ (y) mit
y ∈ Uρ (x) eine C 1 Funktion wohldefiniert, welche offenbar d f = φ|Usup R (x) erfüllt.
Insgesamt erkennen wir, dass es für ein lokales Gradientenfeld φ : D → L(Rn , X)
zu jedem x ∈ D ein maximales 0 < ρ ≤ +∞ gibt, sodass Uρ (x) ⊆ D und φ|Uρ (x) ein
Gradientenfeld ist.
Bei stetig differenzierbaren Vektorfeldern gibt es eine greifbarere Bedingung dafür,
dass ein Vektorfeld ein lokales Gradientenfeld ist.
7 Klarerweise kann man D(x) kleiner machen und daher immer als ǫ-Kugel bezüglich der k.k - oder der
2
k.k∞ -Norm annehmen.
110 KAPITEL 11. WEGINTEGRALE
∂
(φ(.)e j)(x) ∈ X
∂xi
existiert und mit ( ∂x∂ i φ(x))e j übereinstimmt; vgl. Fakta 9.3.12, 4. Da letztere Funktion
stetig von x abhängt, sind somit für j = 1, . . . , n die Funktionen x 7→ φ(x)e j von D
nach X stetig differenzierbar.
Seien umgekehrt alle diese Funktionen D ∋ x 7→ φ(x)e j ∈ X stetig differenzierbar,
und sei i ∈ {1, . . . , n}. Für jedes feste x ∈ D wird durch
µ1 Xn
∂
B(x) : v = ... 7→ µj (φ(.)e j)(x)
j=1
∂xi
µn
eine lineare Abbildung von Rn nach X definiert, die gemäß Beispiel 9.2.10, (ii), be-
schränkt ist. Wegen
X ∂ n
∂
kB(x) − B(y)k = sup k B(x) − B(y) vkX ≤ k (φ(.)e j)(x) − (φ(.)e j)(y)k
kvk∞ =1 j=1
∂x i ∂x i
X
n !
1 ∂
sup k µj (φ(x + tei )e j − φ(x)e j ) − (φ(.)e j)(x) kX ≤
kvk∞ =1 j=1
t ∂xi
X
n !
1 ∂ t→0
k (φ(x + tei )e j − φ(x)e j ) − (φ(.)e j )(x) kX −→ 0 ,
j=1
t ∂xi
∂
B(x) nichts anderes als ∂xi φ(x).
❑
∂ ∂2 f ∂2 f ∂
φ(y)e j = (y) = (y) = φ(y)ei . (11.8)
∂xi ∂xi ∂x j ∂x j ∂xi ∂x j
eine notwendige Bedingung dafür ist, dass φ ein lokales Gradientenfeld ist.
Wir wollen als nächstes zeigen, dass (11.9) auch hinreichend dafür ist, dass ein
Vektorfeld ein lokales Gradientenfeld ist. In der Tat werden wir für ein Vektorfeld
Q
φ : D → L(Rn , X), wobei D ein offener Quaders D = ni=1 (ai , bi ) ist, aus der Gültigkeit
von (11.9) herleiten, dass φ ein Gradientenfeld auf D ist. Es sei daran erinnert, dass
diese offenen Quader tatsächlich offen sind; vgl. Fakta 8.7.8.
P
wobei yk = c + kj=1 (x j − c j )e j . Nun leiten wir diese Gleichung nach xk ab, und werten
bei x aus. Da für j < k der Ausdruck y j−1 von xk unabhängig ist, und somit im j-ten
Summanden von (11.10) die Variable xk nicht vorkommt, ist seine Ableitung gleich
Null.
Für j = k ist y j−1 auch von xk unabhängig. Somit tritt beim k-ten Summanden xk
nur in der oberen Integralgrenze auf, weswegen seine Ableitung nach xk übereinstimmt
mit
φ yk−1 + (xk − ck )ek ek = φ yk ek .
112 KAPITEL 11. WEGINTEGRALE
Für j > k tritt xk nur im Integranden auf, da dann y j−1 sehr wohl von xk abhängt. Wegen
Korollar 8.7.12 (siehe auch (9.19)) kann man Integral und ∂x∂ k vertauschen. Also ist die
Ableitung des j-ten Summanden von (11.10) gleich
Z x j −c j
∂
φ(y j−1 + se j ) e j ds
0 ∂xk
und wegen (11.9) weiter gleich
Z x j −c j
∂
φ(y j−1 + se j ) ek ds =
0 ∂x j
φ y j−1 + (x j − c j )e j ek − φ(y j−1 )ek = φ(y j ) ek − φ(y j−1 ) ek .
∂f Xn
(x) = φ(yk ) ek + φ(y j ) ek − φ(y j−1 ) ek = φ(yn ) ek = φ(x) ek .
∂xk j=k+1
Ist D ⊆ Rn offen und ist x ∈ D, so gilt für hinreichend kleines ρ > 0, dass Uρk.k∞ (x) ⊆ D.
Q
Da Uρk.k∞ (x) = ni=1 (xi − ρ, xi + ρ) ein offener Quader ist, folgt aus (11.9), dass φ|Uρk.k∞ (x)
ein Gradientenfeld ist. Also ist φ ein lokales Gradientenfeld.
❑
11.5.7 Beispiel. Sei D = {(x, y)T ∈ R2 : x , 0, y < π2 + πZ}, und
φ : D → L(R2 , R) R1×2 definiert durch
! !
x tan y 2 1 2 2
φ = − 2 + 2xy + x , +x +y .
y x x cos2 y
mit einer C 2 Funktion c(y), die nur von y abhängt. Nun leiten wir das nach y ab, ver-
wenden die zweite Gleichung von oben und erhalten
!
1 2 ′ ∂f x 1
+ x + c (y) = = + x2 + y2 .
x cos2 y ∂y y x cos2 y
11.5. LOKALE GRADIENTENFELDER 113
3
Also muss c(y) von der Gestalt c(y) = y3 + c sein. Wir sehen, dass
!
x tan y x3 + y3
f = + x2 y + .
y x 3
tatsächlich φ = d f erfüllt und somit eine Stammfunktion von φ ist. Insbesondere ist φ
auf ganz D ein Gradientenfeld.
11.5.8 Beispiel. Für D = R2 \ {0} sei das Vektorfeld φ : R2 \ {0} → L(R2 , R) definiert
durch !
x −y x
φ =( 2 , 2 ).
y x + y x + y2
2
Man rechnet elementar nach, dass ∂y ∂
φ yx e1 = ∂x ∂
φ yx e2 , und somit φ ein lokales
Gradientenfeld ist.
Wir haben in Bemerkung 11.4.5 angedeutet, wie man zeigen kann, dass φ : D →
L(R2 , R) kein Gradientenfeld ist. Wir wollen diese Tatsache hier auf eine andere Art
und Weise nachweisen. Dazu nehmen wir an, dass es doch ein g : D → R gibt, so-
dass dg = φ, und leiten daraus einen Widerspruch her. Addieren wir eine geeignete
Konstante, so können wir oBdA. g((1, 0)T ) = 0 annehmen.
Auf die obere Halbebene (−∞, +∞)×(0, +∞) eingeschränkt ist φ gemäß Satz 11.5.6
ein Gradientenfeld mit Stammfunktion f darauf. Der Ansatz
!
∂f x −y
= 2
∂x y x + y2
ergibt durch unbestimmte Integration f ((x, y)T ) = − arctan yx + c(y). Nun leiten wir
das nach y ab, und erhalten die Gleichung
x x
+ c′ (y) = 2 ,
x2 + y2 x + y2
also c′ (y) = 0, womit c(y) konstant ist. Da gemäß Korollar 11.4.4 die Stammfunktion
eines Vektorfeldes eindeutig ist, und da g|(−∞,+∞)×(0,+∞) auch eine solche Stammfunkti-
on von φ|(−∞,+∞)×(0,+∞) ist, folgt
x
g|(−∞,+∞)×(0,+∞) = − arctan +c.
y
Lassen wir in dieser Gleichung (x, y)T ∈ (−∞, +∞) × (0, +∞) gegen (1, 0)T streben, so
folgt 0 = − π2 + c. Lassen wir in obiger Gleichung dann (x, y)T ∈ (−∞, +∞) × (0, +∞)
gegen (−1, 0)T streben, so schließen wir auf g((−1, 0)T ) = π2 + c = π.
Auf der unteren Halbebene (−∞, +∞) × (−∞, 0) erhalten wir ganz ähnlich
− arctan yx + d als Stammfunktion, und somit
x
g|(−∞,+∞)×(−∞,0) = − arctan +d.
y
Lassen wir hier nun (x, y)T ∈ (−∞, +∞) × (−∞, 0) gegen (−1, 0)T streben, so kon-
vergiert yx gegen −∞, womit wir π = g((−1, 0)T ) = − π2 + d, also d = 3π 2 erhalten.
T T
Lassen wir schließlich (x, y) ∈ (−∞, +∞) × (−∞, 0) gegen (1, 0) streben, so folgt der
Widerspruch 0 = g((1, 0)T ) = π2 + d = 2π.
114 KAPITEL 11. WEGINTEGRALE
11.5.9 Bemerkung (*). Sei I ein reelles Intervall und x : I → Rn eine C 1 -Funktion mit
x(I) ⊆ D für eine gewisse offene Teilmenge D von Rn . Nun genüge x der Differential-
gleichung
Xn
f j x(t) · x′j (t) = 0, t ∈ I , (11.11)
j=1
wobei f1 , . . . , fn : D → R alle in C(D) sind. Ziel ist es, mehr über die Funktion x in
Erfahrung zu bringen.
Das geht sicher dann, wenn ( f1 , . . . , fn ) : D → L(Rn , R) ein Gradientenfeld ist,
dh. wenn ( f1 , . . . , fn ) = dF für ein F ∈ C 1 (D). Man nennt (11.11) dann eine exakte
Differentialgleichung. In der Tat liest sich in diesem Fall (11.11) wegen der Kettenregel
(siehe auch Bemerkung 10.1.21) als
(F ◦ x)′ (t) = 0, t ∈ I ,
X X
n n
m x(t) · f j x(t) · x′j (t) = (m · f j ) x(t) · x′j (t) = 0, t ∈ I ,
j=1 j=1
eine solche ist. Dann folgt nämlich auch G ◦ x ≡ c für eine gewisse reelle Konstante c,
wobei G eine Stammfunktion des Gradientenfeldes (m · f1 , . . . , m · fn ) ist. Eine solche
Funktion m nennt man Integrierenden Faktor.
11.5.10 Beispiel (*). Sei b > 0 und y : (0, b) → R eine C 1 -Funktion, die der Differen-
tialgleichung
4x + 3y(x)2 + 2xy(x)y′ = 0 (11.12)
genügt. Um diese Gleichung mit der in Bemerkung 11.5.9 vorgestellten Methode be-
handeln zu können, betrachten wir
! !
x(t) t
=
y(t) y(t)
als Abbildung von (0, b) nach (0, b) × R. Dann schreibt sich unsere Gleichung als
! !
x(t) x(t)
f · x′ (t) + g · y′ (t) = 0 , (11.13)
y(t) y(t)
wobei f (x, y)T = 4x + 3y2 und g (x, y)T = 2xy. Wegen
! !
∂ x ∂ x
f = 6y , 2y = g
∂y y ∂x y
11.6. HOMOTOPIE UND EINFACHER ZUSAMMENHANG 115
ist (11.13) nicht exakt. Durch Multiplizieren mit m (x, y)T = x2 folgt aus (11.13) aber
! ! ! !
x(t) x(t) x(t) x(t)
m ·f · x′ (t) + m ·g · y′ (t) = 0 . (11.14)
y(t) y(t) y(t) y(t)
Wegen ! !
∂ x 2 2 ∂ x
(m · f ) = 6yx = 6x y = (m · g)
∂y y ∂x y
zusammen mit Satz 11.5.6 ist (11.14) exakt.
Man sieht leicht, dass G (x, y)T = x4 +x3 y2 eine Stammfunktion von (m· f, m·g) ist.
Also muss G (x(t), y(t))T = c, t ∈ (0, b) für eine Konstante c ∈ R sein. Das bedeutet
t4 + t3 y2 (t) = c bzw.
c
y2 (t) = 3 − t .
t
Da dieser Ausdruck für alle t ∈ (0, b) nichtnegativ ist, muss c ≥ b4 . Also muss
r
c
y(x) = ε · − x, x ∈ (0, b) ,
x3
für gewisse ε ∈ {+1, −1}, c ∈ [b, +∞). Man überprüft sofort, dass auch jede derartige
Funktion tatsächlich eine Lösung von (11.12) ist.
11.6.1 Definition. Sei D ⊆ Rn offen, und seien γ0 , γ1 : [a, b] → D zwei stetige Wege.
Eine stetige Abbildung Γ : [a, b] × [c, d] → D (c, d ∈ R, c < d) mit
Ein Gebiet D ⊆ Rn heißt einfach zusammenhängend, wenn je zwei stetige Wege mit
gleichen Anfangs- und gleichen Endpunkten homotop sind.
Also kann man für Homotopien immer oBdA. annehmen, dass [c, d] = [0, 1].
116 KAPITEL 11. WEGINTEGRALE
11.6.3 Beispiel. Ist D ⊆ Rn offen, und sind γ0 , γ1 : [a, b] → D zwei stetige Wege mit
gleichem Anfangs- und gleichem Endpunkt, sodass die Konvexkombinationen
für alle α ∈ [0, 1] und alle t ∈ [a, b] in D liegen, so ist Γ(t, α) := γα (t) stetig auf
[a, b] × [0, 1]. Also sind γ0 und γ1 homotop.
Insbesondere sind konvexe und offene D einfach zusammenhängende Gebiete; vgl.
Beispiel 11.3.4.
11.6.4 Satz. Sei D ⊆ Rn offen und sei φ : D → L(Rn , X) ein lokales Gradientenfeld.
Sind γ0 , γ1 : [a, b] → D zwei stetige und stückweise stetig differenzierbare Wege mit
gleichen Anfangs- und gleichen Endpunkten, die homotop sind, so gilt
Z Z
φ(x) dx = φ(x) dx .
γ0 γ1
Ist D ein einfach zusammenhängendes Gebiet, so ist φ : D → L(Rn , X) genau dann ein
lokales Gradientenfeld wenn es ein Gradientenfeld ist.
Beweis. Sei Γ : [a, b] × [0, 1] → D eine Homotopie zwischen γ0 und γ1 wie in De-
finition 11.6.1. Voraussetzungsgemäß gibt es zu jedem x ∈ K := Γ([a, b] × [0, 1]) ein
0 < ρ x ≤ +∞ mit Uρx (x) ⊆ D8 , sodass φ|Uρx (x) ein Gradientenfeld ist. Gemäß Bemer-
kung 11.5.2 können wir die ρ x maximal wählen, sodass Uρx (x) ⊆ D und φ|Uρx (x) ein
Gradientenfeld ist.
Wäre nun ρ := inf{ρ x : x ∈ K} gleich Null, so gäbe es eine Folge (xn )n∈N aus
K mit limn→∞ ρ xn = 0. Da K als stetiges Bild einer kompakten Menge kompakt ist,
hat diese Folge eine gegen ein x ∈ K konvergente Teilfolge (xn( j) ) j∈N . Für alle hinrei-
chend großen j ∈ N gilt daher xn( j) ∈ U ρ2x (x) und in Folge der Dreiecksungleichung
somit auch U ρ2x (xn( j) ) ⊆ Uρx (x). Also ist für alle hinreichend großen j das Vektorfeld
φ|U ρx (xn( j) ) ein Gradientenfeld und somit ρ2x ≤ ρ xn( j) , was aber lim j→∞ ρ xn( j) = 0 wider-
2
spricht.
Damit haben wir die Existenz eines ρ > 0 gezeigt, sodass für alle x ∈ D immer
Uρ (x) ⊆ D und φ|Uρ (x) ein Gradientenfeld ist. Gemäß Satz 6.3.3 gibt es ein η > 0,
sodass
max(|t1 − t2 |, |s1 − s2 |) = d∞ (t1 , s1 ), (t2 , s2 ) < η ⇒
kΓ(t1 , s1 ) − Γ(t2 , s2 )k∞ < ρ . (11.15)
und
−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−→ −−−−−−−−−−−−−−−−→
β jk := Γ(t j−1 , sk−1 ) Γ(t j , sk−1 ), Γ(t j , sk−1 ) Γ(t j , sk )
8 Bezüglich k.k∞ .
11.6. HOMOTOPIE UND EINFACHER ZUSAMMENHANG 117
Z Z
−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−→
φ(x) dx + −−−−−−−−−−−−−−−−→
φ(x) dx
Γ(t j−1 ,sk−1 ) Γ(t j−1 ,sk ) Γ(t j−1 ,sk ) Γ(t j ,sk )
Z Z
− −−−−−−−−−−−−−−−−−−−−→
φ(x) dx − −−−−−−−−−−−−−−−−→
φ(x) dx .
Γ(t j−1 ,sk−1 ) Γ(t j ,sk−1 ) Γ(t j ,sk−1 ) Γ(t j ,sk )
Man beachte, dass Γ(t0 , s) = Γ(a, s) = γ0 (a) und Γ(t p , s) = Γ(b, s) = γ0 (b) für alle
−−−−−−−−−−−−−−−−→ −−−−−−−−−−−−−−−−→
s ∈ [0, 1]. Also sind die gerade Strecken Γ(t0 , sk−1 ) Γ(t0 , sk ) und Γ(t p , sk−1 ) Γ(t p , sk )
konstant, und somit verschwinden alle Wegintegrale in der ersten und in der dritten
Summe. Also erhalten wir
Xp Z Xp Z
−−−−−−−−−−−−−−−−→
φ(x) dx = −−−−−−−−−−−−−−−−→
φ(x) dx . (11.16)
j=1 Γ(t j−1 ,s p ) Γ(t j ,s p ) j=1 Γ(t j−1 ,s0 ) Γ(t j ,s0 )
−−−−−−−−−−−−−−−−→
Für jedes j = 1, . . . , p sind aber γ0 |[t j−1 ,t j ] und Γ(t j−1 , s0 ) Γ(t j , s0 ) zwei stetige und
stückweise stetig differenzierbare Wege, welche den selben Anfangspunkt γ0 (t j−1 ) =
Γ(t j−1 , s0 ) und den selben Endpunkt γ0 (t j ) = Γ(t j , s0 ) haben. Aus (11.15) folgt zudem,
dass beide Wege innerhalb von Uρ (γ0 (t j )) ⊆ D verlaufen, worauf φ ein Gradienten-
feld ist. Wegen Satz 11.4.1 erhalten wir somit, dass die Wegintegrale von φ über diese
beiden Wege übereinstimmen, dh.
Z Z
−−−−−−−−−−−−−−−−→
φ(x) dx = φ(x) dx.,
Γ(t j−1 ,s0 ) Γ(t j ,s0 ) γ0 |[t j−1 ,t j ]
Wir
R erhalten nach dem Aufsummieren über die j, dass die rechte Seite in (11.16) mit
φ(x) dx übereinstimmt. Entsprechend zeigt man, dass die linke Seite in (11.16) mit
Rγ0
γ
φ(x) dx übereinstimmt. Also folgt die behauptete Gleichheit.
1
118 KAPITEL 11. WEGINTEGRALE
Wenn D ein einfach zusammenhängendes Gebiet ist, dann sind zwei Wege
mit gleichem Anfangs- und Endpunkten immer homotop. Gemäß Satz 11.4.7 und
dem ersten Teil des aktuellen Satzes ist dann jedes lokale Gradientenfeld sogar ein
Gradientenfeld.
❑
anschreiben, wobei (γ(ξ j ) − γ(ξ j−1 )) jetzt als Element von C R2 zu interpretieren ist,
das auf φ f γ(α j ) ∈ L(R2 , Y) angewandt wird.
Die Stetigkeit von φ f ist wegen z 7→ φ f (z)e1 = f (z) und z 7→ φ f (z)e2 = i f (z) gemäß
Bemerkung 11.2.4 äquivalent zur Stetigkeit von f . Also existiert für stetiges f sowie
stetiges und rektifizierbares γ gemäß Fakta 11.2.3, 2, das Integral in (11.22). Ist γ sogar
stetig und stückweise stetig differenzierbar, so folgt aus Satz 11.2.5
Z Z Z b Z b
f (z) dz = φ f (x) dx = φ f (γ(t)) γ′ (t) dt = γ′ (t) · f (γ(t)) dt . (11.23)
γ γ a a
Wegen (11.7) lässt sich die Norm eines komplexen Wegintegrals folgendermaßen
abschätzen:
Z
f (z) dz
≤ max k f ◦ γ(t)k · ℓ(γ) . (11.24)
γ t∈[a,b]
∂f ∂f
(z) = i (z) , (11.25)
∂y ∂x
denn es gilt ja 1 (1, 0)T , i (0, 1)T , wenn man komplexe Zahlen als Elemente von
R2 betrachtet. In dem Fall gilt dann wegen (11.19) für v = (v1 , v2 )T ∈ R2
!
1 ∂f
d f (z)v = (v1 + iv2 ) · d f (z) = (v1 + iv2 ) · (z) . (11.26)
0 ∂x
∂u ∂v ∂v ∂u
(z) = − (z), (z) = (z)
∂y ∂x ∂y ∂x
f ist bei z im Sinne von Definition 10.1.13 differenzierbar, sodass d f (z) eine
C-lineare Abbildung ist bzw. äquivalent dazu, dass (11.25) gilt.
df f (z + h) − f (z)
(z) = f ′ (z) := lim
dz h→0 h
existiert in C.
Treffen diese Aussagen zu, so heißt f bei z komplex differenzierbar und es gilt
∂f ∂f
f ′ (z) = (z) = −i · (z) . (11.27)
∂x ∂y
Beweis. Gemäß Definition 10.1.13 und wegen der Äquivalenz der Normen k.k2 = |.|
und k.k∞ auf C R2 ist f bei z genau dann differenzierbar, wenn
für irgendeine Funktion ε : (D−z) \ {0} → Y mit limh→0 ε(h) = 0. Der Ausdruck
d f (z)h
ist dabei die Anwendung von h = h1 + ih2 , interpretiert als Element hh12 von R2 , auf
lineare Abbildung d f (z) ∈ L(R2 , Y)
11.8. HOLOMORPHE FUNKTIONEN 121
Ist dabei (11.25) erfüllt, so folgt aus (11.26), dass d f (z)h = h · g(z) mit g(z) =
∂f
∂x (z)= −i · ∂∂yf (z) ∈ Y. Daraus erhält man
f (z + h) − f (z) |h|
lim = g(z) + lim · ε(h) = g(z) ,
h→0 h h→0 h
da k |h|
h · ε(h)k = kε(h)k → 0 für h → 0.
f (z+h)− f (z)
Falls umgekehrt der komplexe Grenzwert g(z) := limh→0 existiert, so
h
folgt mit ε(h) := |h|h f (z+h)−
h
f (z)
− g(z) für h , 0 unmittelbar
wobei ε(h) → 0 für h → 0. Da die Ableitung d f (z) eindeutig ist, folgt hieraus d f (z)h =
h · g(z) und damit die C-Linearität von d f (z). Wegen Korollar 10.1.14 ist f bei z stetig.
Die letzte Aussage folgt unmittelbar aus (11.27).
❑
11.8.3 Definition. Sei D ⊆ C offen und Y ein Banachraum über dem Skalarkörper C.
Eine Funktion f : D → Y heißt holomorph auf D, falls sie bei allen Punkten z ∈ D
komplex differenzierbar ist und die Funktion z 7→ f ′ (z) stetig ist.
Mit einiger Mühe lässt sich zeigen, dass die Forderung, dass z 7→ f ′ (z) stetig ist, in
dieser Definition weggelassen werden kann; vgl. Satz 11.9.2.
11.8.4 Beispiel.
(i) Ist y ∈ Y fest, und gilt f (z) = y, z ∈ C, so ist f an allen Punkten z ∈ C komplex
differenzierbar mit
f (z + h) − f (z)
f ′ (z) = lim = 0 (∈ Y) .
h→0 h
Da z 7→ 0 als Abbildung von C nach Y stetig ist, ist f holomorph.
(ii) Für die Funktion f : z 7→ z von C nach C, dh. f = idC , gilt an jedem Punkt z ∈ C
f (z + h) − f (z) (z + h) − z
f ′ (z) = lim = lim =1.
h→0 h h→0 h
Da die konstante 1-Funktion stetig ist, folgt die Holomorphie von f .
1
(iii) Für die Funktion f : z 7→ z als Abbildung von C \ {0} nach C gilt an jedem Punkt
z ∈ C \ {0}
1 1
z+h − z z − (z + h) 1
f ′ (z) = lim = lim =− 2.
h→0 h h→0 hz(z + h) z
Da z 7→ − z12 als Abbildung von C \ {0} nach C stetig ist, folgt die Holomorphie
von f .
Sind φ und g holomorph, so gilt für alle z ∈ φ−1 (G), dass (g ◦ φ)′ (z) = φ′ (z) · g′ (φ(z)),
wobei die rechte Seite als Produkt stetiger Funktionen stetig ist. Also ist auch (g ◦ φ)′
stetig.
❑
11.8.6 Beispiel.
(i) Durch vollständige Induktion nach n ∈ N ∪ {0} folgt aus (z 7→ z)′ = 1 zusammen
mit der Produktregel, dass auch z 7→ zn auf C holomorph ist, wobei (z 7→ zn )′ (w) =
nwn−1 .
9 Man beachte, dass der Definitionsbereich dieser Funktion als Urbild einer offenen Menge unter der
(ii) Durch wiederholte Anwendung von Proposition 11.8.5 folgt, dass alle Polynome
f (z) = a0 + a1 z + · · · + an zn mit festen a0 , . . . , an ∈ Y auf C holomorph sind. Dabei
gilt f ′ (z) = a1 + 2za2 + · · · + nzn−1 an .
(iii) Mit der Quotientenregel zeigt man allgemeiner, dass f : C \ {w} mit (N ∈ N,
w ∈ C und a−N , . . . , aN ∈ Y fest)
X
N
f (z) = (z − w)n an
n=−N
(iv) Die Funktion exp : C → C ist auch holomorph, wobei exp′ (z) = exp(z). Das folgt
zum Beispiel aus der Tatsache, dass für f : R → C, t 7→ exp(wt) wegen der
Rechnung in Beispiel 7.1.4 f ′ (t) = w exp(wt) gilt. Daraus folgt dann
∂ ∂
exp(x + iy) = exp(iy) exp(x) = exp(x + iy) und
∂x ∂x
∂ ∂
exp(x + iy) = exp(x) exp(iy) = i exp(x + iy) .
∂y ∂x
Da diese Funktionen auf C stetig sind, erhalten wir exp ∈ C 1 (C), wobei offen-
sichtlich auch (11.25) erfüllt ist. Also ist exp holomorph, wobei wegen (11.27)
exp′ (z) = exp(z).
Die Tatsache, dass f : D → Y holomorph ist, lässt sich auch von einer anderen
Seite beleuchten. Dazu betrachte
man das stetig differenzierbare Vektorfeld φ f : D →
L(R2 , Y) durch φ f (z) = ( ηξ 7→ (ξ + iη) f (z)). Aus (11.25) folgt dann (z = x + iy)
∂ ∂ ∂f ∂
φ f (z)e1 = f (z) = i (z) = φ f (z)e2 .
∂y ∂y ∂x ∂x
Gemäß Satz 11.5.6 ist φ f ein lokales Gradientenfeld, und wir können Satz 11.6.4 an-
wenden, um folgendes Korollar herzuleiten.
11.8.7 Korollar. Sei f : D → Y holomorph auf der offenen Menge D ⊆ C. Sind
γ0 , γ1 : [a, b] → D zwei stetige und stückweise stetig differenzierbare Wege mit glei-
chen Anfangs- und gleichen Endpunkten, die homotop in D sind, so gilt
Z Z
f (z) dz = f (z) dz .
γ0 γ1
Ist D einfach zusammenhängend, dann gibt es eine, bis auf eine additive Konstante aus
Y eindeutige, holomorphe Funktion F mit F ′ (z) = f (z) für alle z ∈ D. Dabei gilt
Z
F(z) − F(w) = f (ζ) dζ
γ
für alle z, w ∈ D. Hier ist die rechte Seite ein komplexes Wegintegral und γ irgendein
stetiger, stückweise stetig differenzierbarer und in D verlaufender Weg mit Anfangs-
punkt w und Endpunkt z.
124 KAPITEL 11. WEGINTEGRALE
R R R R
Beweis. Wegen (11.22) gilt γ f (z) dz = γ φ f (x) dx und γ f (z) dz = γ φ f (x) dx.
0 0 1 1
Also folgt die erste Aussage sofort aus Satz 11.6.4.
Ist D einfach zusammenhängend, so folgt aus demselben Satz, dass φ f ein Gradi-
entenfeld ist, dh. φ f = dF für ein stetig differenzierbares F : D → Y. Dieses F ist
gemäß Korollar 11.4.4 eindeutig bis auf eine additive Konstante aus Y. Da e1 , e2 eine
Basis von R2 ist, bedeutet aber φ f = dF nichts anderes, als
∂F ∂F
i· (z) = i · φ f (z) e1 = i · f (z) = φ f (z) e2 = (z) .
∂x ∂y
Also folgt die Holomorphie
R von F, wobei wegen (11.27) F ′ = f . Schließlich erhält
man F(z) − F(w) = γ f (ζ) dζ unmittelbar aus (11.22) und Satz 11.4.1.
❑
11.8.8 Bemerkung. Angenommen D ⊆ C ist offen und w, z ∈ D sowie 0 < r1 < r2 <
+∞ derart, dass Kr1 (z) ⊆ Kr2 (w) und Kr2 (w) \ Ur1 (z) ⊆ D, wobei wir hier die Kugeln
bzgl. k.k2 = |.| meinen. Wir schließen dabei den Fall z = w nicht aus. Weiters seien
γ1 , γ2 : [0, 2π] → D die Wege γ1 (t) = z + r1 exp(it) bzw. γ2 (t) = w + r2 exp(it), für die
γ1 ([0, 2π]) = Kr1 (z) \ Ur1 (z) ⊆ Kr2 (w) und γ2 ([0, 2π]) = Kr2 (w) \ Ur2 (w) gilt.
Wir behaupten, dass für jedes holomorphe f : D → Y
Z Z
f (z) dz = f (z) dz . (11.29)
γ1 γ2
Da Kr2 (w) konvex ist, verlaufen die Wege β1 und β2 ganz in Kr2 (w). Außerdem gilt
für alle ζ ∈ Kr2 (w)
Re ζ = Re w + Re(ζ − w) ≤ Re w + |ζ − w| ≤ Re w + r2 ,
11.8. HOLOMORPHE FUNKTIONEN 125
und somit
Re z + r1 = Re γ1 (0) ≤ Re w + r2 = Re γ2 (0) .
−−−−−−−−−→
Da die Bilder von β j |[−1,0] und β j |[2π,2π+1] ganz im Bild von γ1 (0)γ2 (0) enthalten sind,
sind diese auch ganz in der konvexen Teilmenge {ζ ∈ C : Re ζ ≥ Re z + r1 } von C
enthalten. Wegen Re ζ − Re z ≤ |ζ − z| gilt {ζ ∈ C : Re ζ ≥ Re z + r1 } ⊆ C \ Ur1 (z),
womit die Wege β1 und β2 ganz in Kr2 (w) \ Ur1 (z) ⊆ D verlaufen.
Definieren wir Γ : [−1, 2π + 1] × [0, 1] → C durch
Γ(t, s) := sβ1 (t) + (1 − s)β2 (t) , (11.30)
so folgt aus Konvexitätsgründen auch, dass das Bild von Γ ganz in Kr2 (w) liegt.
Andererseits gilt für t ∈ [0, 2π] und s ∈ [0, 1] wegen der zu Kr1 (z) ⊆ Kr2 (w) äquiva-
lenten Tatsache, dass |z−w|+r1 ≤ r2 , und wegen der umgekehrten Dreiecksungleichung
r1 = (1 − s)r1 + sr1 ≤ (1 − s)r2 + sr1 − (1 − s)|z − w| ≤
((1 − s)r2 + sr1 ) · exp(it) − (1 − s)(z − w) = |sγ1 (t) + (1 − s)γ2 (t) − z| .
Somit liegt Γ(t, s) immer außerhalb von Ur1 (z).
Zudem liegt für t ∈ [−1, 0] ∪ [2π, 2π + 1] und s ∈ [0, 1] der Punkt Γ(t, s) wieder aus
Konvexitätsgründen ganz in {ζ ∈ C : Re ζ ≥ Re z + r1 }.
Insgesamt liegt das Bild von Γ in Kr2 (w) \ Ur1 (z) ⊆ D. Also sind die Wege β1 und
β2 homotop in D. Gemäß Korollar 11.8.7 gilt für die auf D holomorphe Funktion f
Z Z
f (z) dz = f (z) dz .
β1 β2
Da β j |[−1,0] äquivalent zu β j |[2π,2π+1] − ist, heben sich die Wegintegrale über die linearen
Teile von β j für j = 1, 2 auf (vgl. Fakta 11.2.3, 1), und es folgt (11.29).
für alle ǫ ∈ (0, r], wobei µǫ (t) = z + ǫ · exp(it). Andererseits kann man den Betrag der
rechten Seite mit Hilfe von (11.24) nach oben abschätzen durch
Z 2π
max kG ◦ µǫ (t)k · ℓ(µǫ ) ≤ sup kG(η)k · |µ′ǫ (t)| dt = sup kG(η)k · 2πǫ .
t∈[0,2π] η∈Kρ (w) 0 η∈Kρ (w)
126 KAPITEL 11. WEGINTEGRALE
Da G auf das kompakte Kρ (w) stetig fortgesetzt wurde, sind obige Suprema endlich.
Damit geht der Ausdruck rechts für ǫ ց 0 gegen Null. Weil komplexe Wegintegrale
linear im Integranden sind, folgt
Z Z Z
f (ζ) 1
0= G(ζ) dζ = dζ − f (z) · dζ .
γρ γρ ζ − z γρ ζ − z
Wieder mit Bemerkung 11.8.8 und mit Hilfe von (11.23) berechnet man
Z Z
1 1
dζ = dζ = 2πi .
γρ ζ − z µr ζ − z
Somit folgt (11.31) für γ = γρ . Ist γ in D \ {z} homotop zu γρ , so folgt (11.31) aus
Korollar 11.8.7.
❑
Schreiben wir (11.31) mit Hilfe von (11.23) als Riemann Integral, so erhalten wir
für alle z ∈ Uρ (w)
Z Z 2π
1 f (ζ) 1 f (w + ρ exp(it))
f (z) = dζ = ρ exp(it) · dt . (11.32)
2πi γρ ζ − z 2π 0 w + ρ exp(it) − z
Diese Funktion ist wieder stetig als Funktion von (z, t) ∈ Uρ (w) × [0, 2π] nach Y. Nach
Korollar 8.7.12 (siehe auch (9.19)) folgt für z ∈ Uρ (w)
Z 2π Z 2π
∂f′ 1 ∂ ′ 1 ∂ ′ ∂f′
(z) = ht (z) dt = −i · ht (z) dt = −i · (z) .
∂x 2π 0 ∂x 2π 0 ∂y ∂y
wobei diese Funktion gemäß Korollar 8.7.9 (siehe auch (9.18)) stetig von z ∈ Uρ (w)
abhängt. Es folgt f ′ ∈ C 1 (D), und nach Lemma 11.8.2 ist f ′ auf Uρ (w) holomorph mit
Z 2π Z
′ ′ ∂f′ 1 2 f (ζ)
( f ) (z) = (z) = h′′t (z) dt = dζ .
∂x 2π 0 2πi γρ (ζ − z)3
11.8.11 Korollar (Satz von Liouville). Jedes auf ganz C holomorphe und beschränkte
f : C → Y ist eine konstante Funktion.
Da wir ρ > 0 beliebig groß wählen können, folgt f ′ (w) = 0. Da auch 0′ = 0, folgt aus
der Eindeutigkeitsaussage in Korollar 11.8.7, dass f konstant ist.
❑
Ein stetiger Weg γ : [a, b] → D heißt geschlossen, wenn γ(a) = γ(b).
11.8.12 Satz (Satz von Morera). Für ein offenes D ⊆ C und eine Funktion f : D → Y
sind folgende Aussagen äquivalent:
f ist holomorph.
f ist stetig und zu jedem w ∈ D gibt es ein offenes D(w) mit w ∈ D(w) ⊆ D,
sodass Z
f (ζ) dζ = 0 (11.34)
γ
In dem Fall gilt (11.34) für alle einfach zusammenhängenden Gebiete D(w) mit w ∈
D(w) ⊆ D, etwa für alle offene, in D enthaltenen Kugeln um w.
128 KAPITEL 11. WEGINTEGRALE
für das Vektorfeld φ f |D(w) : D(w) → L(R2 , Y). Nach Bemerkung 11.4.8 sind daher die
Voraussetzungen für Satz 11.4.7 für φ f : D(w) → L(R2 , Y) erfüllt. Somit gilt φ f = dF
für ein Y-wertiges F ∈ C 1 (D(w)). Definitionsgemäß ist daher φ f : D → L(R2 , Y) ein
lokales Gradientenfeld.
Sei schließlich φ f : D → L(R2 , Y) ein lokales Gradientenfeld. Da e1 , e2 eine Basis
von R2 ist, bedeutet aber φ f = dF auf einer offenen, w enthaltenden Menge D(w) ⊆ D
nichts anderes, als
∂F ∂F
i· (z) = i · φ f (z) e1 = i · f (z) = φ f (z) e2 = (z) .
∂x ∂y
Damit folgt die Holomorphie von F auf D(w), wobei wegen (11.27) F ′ = f . Gemäß
Korollar 11.8.10 ist auch F ′ = f auf D(w) holomorph. Da w beliebig war, und da
Holomorphie eine lokale Eigenschaft ist, folgt die Behauptung.
❑
11.8.13 Lemma. Sei D ⊆ C offen, und fn : D → Y, n ∈ N, eine Folge holomorpher
Funktionen, die lokal gleichmäßig auf D gegen eine Funktion f : D → Y konvergiert,
dh. für jede kompakte Teilmenge K ⊆ D konvergiert ( fn |K )n∈N gleichmäßig auf K gegen
f |K . Dann ist auch f holomorph.
Beweis. Wähle zu w ∈ D die offene Menge D(w) wie Satz 11.8.12. Gemäß dieses
Satzes können wir sie sogar unabhängig von n so wählen, dass für alle n ∈ N
Z
fn (ζ) dζ = 0 ,
γ
Wegen kγ (t) · fn (γ(t)) − γ (t) · f (γ(t))k ≤ k fn − f k∞,K · kγ′ k∞,[0,m] , t ∈ [0, m], und da γ ein
′ ′
Polygonzug ist und daher kγ′ k∞,[0,m] < +∞, konvergiert die Funktionenfolge γ′ · fn ◦ γ
gleichmäßig gegen γ′ · f ◦ γ auf [0, m]. Aus Satz 8.7.2 (siehe auch (9.17)) folgt
Z Z m Z m
f (ζ) dζ = γ′ (t) · f (γ(t)) dt = lim γ′ (t) · fn (γ(t)) dt = 0 .
γ 0 n→∞ 0
P
11.8.14 Korollar. Seien an ∈ Y, n ∈ N ∪ {0} derart, dass die Potenzreihe ∞ zn an
10 Pn=0
∞
einen Konvergenzradius R > 0 hat . Ist w ∈ C, so ist die Grenzfunktion f (z) = n=0 (z−
w)n an auf UR (w) holomorph. Dabei ist UR (w) die offene Kugel bzgl. |.|, dh. UR (w) =
{z ∈ C : |z − w| < R}.
11.8.15 Satz. Sei D ⊆ C offen. Eine Funktion f : D → Y ist genau dann holomorph,
wenn f analytisch ist, dh. wenn es zu jedem w ∈ D eine offene Kreisscheibe Uρw (w) ⊆ D
P
bzgl. |.| gibt, sodass sich f darauf als Grenzfunktion einer Potenzreihe ∞ n
n=0 (z − w) an
mit Konvergenzradius ≥ ρw darstellen lässt; vgl. Bemerkung 6.7.11.
Dabei sind die Koeffizienten an ∈ Y eindeutig durch f auf folgende Weise bestimmt:
f (n) (w)
a0 = f (w), und an := , n ∈ N.
n!
Das größtmögliche ρw , sodass sich ein holomorphes f als Potenzreihe auf Uρw (w) dar-
stellen lässt, ist ρw = sup{r > 0 : Ur (w) ⊆ D}, wobei ρw = +∞, wenn D = C.
Beweis. Lässt sich f um jedes w auf einem Uρw (w) ⊆ D lokal als Grenzfunktion einer
Potenzreihe darstellen, so ist f dort gemäß Korollar 11.8.14 holomorph. Da Holomor-
phie eine lokale Eigenschaft ist, muss f auf ganz D holomorph sein.
Sei nun f : D → Y holomorph, und setze ρw = sup{r > 0 : Ur (w) ⊆ D}. Offen-
sichtlich ist das das größte ρw mit Uρw (w) ⊆ D. Für ρ ∈ (0, ρw ), ζ ∈ C mit |ζ − w| = ρ
und für z ∈ Uρ (w) gilt
X
∞ !n
1 z−w 1 1 1
· = · z−w = .
ζ − w n=0 ζ − w ζ − w 1 − ζ−w ζ−z
Z X ∞ !n
1 z−w f (ζ)
f (z) = · dζ =
2πi γρ n=0 ζ − w ζ −w
Z 2π X
∞ !n
1 z−w
· f (w + ρ exp(it)) dt .
2π 0 n=0 ρ exp(it)
Wegen
∞
X
!n
!n
X |z − w|
∞
z−w
sup · f (w + ρ exp(it))
≤ · k f k∞,Kρ (w) < +∞
t∈[0,2π] n=0 ρ exp(it)
ρ
n=0
konvergiert die Reihe im obigen Riemann Integral absolut und daher gleichmäßig; vgl.
Korollar 6.7.4. Aus Satz 8.7.2 (siehe auch (9.17)) folgt daher11
X∞ Z 2π !n
1 z−w
f (z) = · f (w + ρ exp(it)) dt =
n=0
2π 0 ρ exp(it)
X∞ Z
n
1 f (ζ)
(z − w) · n+1
dζ .
n=0
2πi γρ (ζ − w)
| {z }
=:an
P∞
Die letzte Gleichheit folgt aus (11.23). Also konvergiert n=0 (z − w)n an und stimmt mit
(n)
f (z) überein, wobei wegen (11.31) bzw. (11.33) a0 = f (w) und an := f n!(w) , n ∈ N.
Aus (6.7) folgt schließlich, dass diese Potenzreihe einen Konvergenzradius
R ≥ |z − w| hat, und da z ∈ Uρ (w) beliebig war, gilt R ≥ ρ. Da auch ρ ∈ (0, ρw ) beliebig
war, folgt R ≥ ρw .
❑
11.8.16 Bemerkung (*). Wir haben gezeigt, dass jedes holomorphe f : D → Y unend-
lich oft differenzierbar ist. Somit existieren neben allen höheren partiellen Ableitungen
auch alle Ausdrücke der Form (10.8), dh. auch die alle Ausdrücke dk f (z)(v1 , . . . , vk )
aus Definition 10.2.6 für alle k ∈ N, alle z ∈ D und alle Richtungsvektoren v1 , . . . , vk ∈
R2 C. Gemäß (11.26) gilt für k = 1
∂f
(z) = d1 f (z)v1 = v1 · f ′ (z) .
∂v1
Ersetzen wir f durch die holomorphe Funktion z 7→ v1 · f ′ (z) und v1 durch v2 , so folgt
∂ ∂
f (z) = d2 f (z)(v1 , v2 ) = v2 · v1 · f ′ (z) .
∂v2 ∂v1
Fährt man so fort, so erhält man allgemein dk f (z)(v1 , . . . , vk ) = vk · . . . · v1 · f (k) (z).
Insbesondere stimmt die Reihe aus Proposition 10.2.12, (ii), für y = w ∈ D mit der
Potenzreihe aus Satz 11.8.15 überein.
−−−
−−→ −−−
α1 β1
−−→
β1 β1
−−−
−−→ −−−
α1 α1
−−→
α1 β1
wobei γ1 = α2 α2 , α2 β2 und γ2 = α2 β2 , β2 β2 .
11 Insbesondere konvergiert diese Reihe!
11.9. NOCHMALS KOMPLEXE DIFFERENZIERBARKEIT* 131
Beweis. Aus der Differenzierbarkeit von f folgt seine Stetigkeit bei allen z ∈ R; vgl.
Korollar 10.1.14. Somit existieren die obigen komplexen Wegintegrale. Außerdem ist
(11.35) dazu äquivalent, dass
Z
I(Q) := f (z) dz
∂Q
so folgt
Z 1 Z
X
I(Q) = f (z) dz = f (z) dz ,
∂Q k,l=0 ∂Q1k,l
| {z }
:=I(Q1k,l )
da sich die Wegintegrale über die inneren Polygonzüge wegheben und die über die
äußeren Polygonzüge aufaddieren.
Wäre nun I(Q) , 0, so hätten wir auch I(Q1k,l ) , 0 für zumindest ein Paar k, l ∈
{0, 1}. Seien nun k1 , l1 ∈ {0, 1}, sodass kI(Q1k1 ,l1 )k ≥ kI(Q1k,l )k für alle k, l ∈ {0, 1}.
Offenbar gilt dann
X1
kI(Q)k ≤ kI(Q1k,l )k ≤ 4kI(Q1k1 ,l1 )k .
k,l=0
Nun unterteilen wir jedes der Rechtecke Q1k,l in vier gleich großen Rechtecke und er-
halten insgesamt die 16 Rechtecke Q2k,l , k, l = 0, . . . , 3. Unter den in Q1k1 ,l1 enthaltenen
Rechtecken aus {Q2k,l : k, l = 0, . . . , 3} wählen wir eines – Q2k2 ,l2 , k2 , l2 ∈ {0, . . . , 3} –
aus, sodass kI(Q2k2 ,l2 )k maximal ist, womit kI(Q1k1 ,l1 )k ≤ 4kI(Q2k2 ,l2 )k.
Setzen wir diese Prozedur fort, so haben wir im n-ten Schritt Q in 4n Rechtecke
! 1!
1 α1 k · β12−α
n
Qnk,l := n ([0, β1 − α1 ] × [0, β2 − α2 ]) + + , k, l = 0, . . . , 2n − 1 ,
2 α2 l · β22−α
n
2
P2n −1
unterteilt, auf dass k,l=0 I(Qk,l ) = I(Q). Zudem seien kn , ln ∈ {0, . . . , 2n − 1} so,
n
Da z 7→ f (w) + (z − w) f ′ (w) holomorph ist, folgt aus (11.24) und Korollar 11.8.7
Z
n
kI(Qkn ,ln )k = k |z − w|ε(z) dzk ≤ ℓ(∂Qnkn ,ln ) d(Qnkn ,ln ) sup kε(z)k .
∂Qnkn ,ln z∈Qnkn ,ln
1 1
Wegen ℓ(∂Qnkn ,ln ) = 2n ℓ(∂Q) und d(Qnkn ,ln ) = 2n d(Q) folgt
1 n→∞
kI(Q)k ≤ 41 kI(Q1k1 ,l1 )k ≤ · · · ≤ 4n kI(Qnkn ,ln )k ≤ 4n ℓ(∂Q)d(Q) sup kε(z)k −→ 0 .
4n z∈Qnkn ,ln
angeschrieben. Insbesondere sind die Voraussetzungen von Lemma 11.4.6 erfüllt, wo-
mit sich φ f auf D(w) als Gradientenfeld und infolge auf D als lokales Gradientenfeld
herausstellt. Nach Satz 11.8.12 ist f holomorph auf D.
❑
∂u ∂v ∂v ∂u
(z) = (z), (z) = − (z) , (11.36)
∂x ∂y ∂x ∂y
∂f ∂f
(z) = −i · (z) . (11.37)
∂x ∂y
Da holomorphe Funktionen beliebig oft differenzierbar sind, folgt aus dieser Gleichung
abgeleitet nach x
∂2 f ∂2 f
(z) = −i · (z) .
∂x2 ∂x∂y
Wegen dem Satz von Schwarz und wegen (11.37) abgeleitet nach y ist dieser Ausdruck
gleich
∂2 f ∂2 f
−i · (z) = (−i)2 · 2 (z) .
∂y∂x ∂y
Daraus folgt sofort ∆ f = 0, womit offensichtlich auch u = Re f und v = Im f harmo-
nisch sind.
Ist umgekehrt u : G → R harmonisch und G ⊆ C einfach zusammenhängendes
∂u
Gebiet, so setzen wir α(z) := ∂x (z), β(z) := − ∂u
∂y (z) und F := α + iβ. Dann sind α :
1
G → R, β : G → R und F : G → C alle drei C -Funktionen, wobei wegen ∆u = 0 und
wegen dem Satz von Schwarz
∂F ∂α ∂β ∂2 u ∂2 u
(z) = (z) + i (z) = 2 (z) − i (z) =
∂x ∂x ∂x ∂x ∂x∂y
∂2 u ∂2 u ∂β ∂α ∂F
− 2
(z) − i (z) = (z) − i (z) = −i · (z) .
∂y ∂y∂x ∂y ∂y ∂y
Also ist F holomorph. Da G einfach zusammenhängend ist, gibt es eine Holomorphe
Stammfunktion f , dh. f : G → C mit f ′ = F; vgl. Korollar 11.8.7. Wegen f ′ = ∂∂xf =
−i ∂∂yf gilt
∂ Im f ∂ Re f ∂u
= = Re F = α =
∂y ∂x ∂x
und
∂ Re f ∂ Im f ∂u
− = = Im F = β = − .
∂y ∂x ∂y
Insbesondere ist d(Re f )(z) = du(z) (∈ L(R2 , R)) für alle z ∈ G. Wegen Satz 11.4.1 und
da in G je zwei Punkte durch einen Polygonzug verbindbar sind, folgt daraus Re f =
u + c für ein c ∈ R. Nun ist f − c die gesuchte holomorphe Funktion.
Falls g : G → C eine weitere holomorphe Funktion mit Re g = u ist, so ist
f − c − g : G → C auch holomorph mit einem verschwindenden Realteil. Aus den
Cauchy-Riemannschen Differentialgleichungen folgt d( f − c − g)(z) = 0 und daraus,
dass f − c − g eine Konstante sein muss; vgl. Satz 11.4.1.
❑
134 KAPITEL 11. WEGINTEGRALE
11.11 Übungsbeispiele
X
m+1
P(g, f ; R2 ) = g(β j )( f (η j ) − f (η j−1 )),
j=1
Rb Rb
und leite daraus her, dass a f dg genau dann existiert, wenn a gd f existiert, und in diesem
Fall gilt:
Z b Z b
f dg = f (b)g(b) − f (a)g(a) − gd f.
a a
Hinweis: Man leite aus Lemma 3.10.5 zunächst folgendes her:
X
m X
m−1
an (bn − bn−1 ) = am bm − a1 b0 − (an+1 − an )bn .
n=1 n=1
11.12 Sei γ : [a, b] → Rn rektifizierbar und man denke sich den Weg γ mit Masse belegt, sodass
an der Stelle t ∈ [a, b] die Dichte (Masse pro Längeneinheit) ρ(t) ist.
Die Gesamtmasse des Weges berechnet sich durch das Riemann-Stieltjes Integral
Z b
M= ρdℓ,
a
wobei ℓ(x) = ℓ(γ|[ a, x]) (Weglänge des auf [a, x] eingeschränkten Weges), und der Schwer-
punkt durch
Z b
1
f dℓ,
M a
wobei f : [a, b] → L(R, R2 ) R2×1 , f (t) = ρ(t)γ(t).
Man berechne für den Weg γ : [0, 1] → R2 , γ(t) = (t, t2 )T , der mit konstanten Dichte ρ = 1
die Gesamtmasse und den Schwerpunkt.
11.13 Ist das Vektorfeld R3 → L(R3 , R) R1×3 , φ((ξ, η, ζ)T ) = (ξ + ζ, ξ + η + ζ, ξ + ζ) ein
Gradientenfeld? Falls ja, berechne man die Stammfunktion, also ein f , sodass d f = φ!
11.14 Man betrachte D = R2 \{0} und φ : D → L(R2 , R) definiert durch φ((x, y)T ) = ( x2−y , x ).
+y2 x2 +y2
Man berechne zunächst das Wegintegral dieser Funktion über den in positiver Richtung
durchlaufenen Einheitskreis (γ(t) = (cos t, sin t)T , 0 ≤ t ≤ 2π)!
Nun zeige man, dass auf D die Bedingung (11.8) aus dem Skriptum erfüllt ist und zeige,
dass es auf der rechten offenen Halbebene R2 \ {(x, y)T : x ≤ 0} eine reellwertige Funktion
f ∈ C 1 gibt, sodass dort d f = φ.
Kann es so eine Funktion f auf ganz D geben?
136 KAPITEL 11. WEGINTEGRALE
11.18 RMan berechne wieder ohne Cauchyscher Integralformel das komplexe Wegintegral
1
γ z−w
dz, wobei γ(t) = exp(it), t ∈ [0, 2π], und |w| , 1.
P zn 1 P∞ wn
1
Hinweis: Ist |w| > 1, so gilt z−w = − w1 ∞ 1
n=0 wn , und ist |w| < 1, so gilt z−w = z n=0 zn .
Begründen Sie allfällige Vertauschungen von Limes und Integral!
11.19 Ist f : D → C im Punkt z ∈ D komplex differenzierbar, so zeige man, dass det d f (z) =
| f ′ (z)|2 .
11.20 Sei h : C \ [−∞, 0] → C definiert durchph(z) = ln |z| + i arg(z), wobei das Argument arg(ξ +
iη) ∈ (−π, π) so definiert ist, dass f ( ξ 2 + η2 , arg(ξ + iη))T = (ξ, η)T , wobei f (r, φ)T =
(r cos φ, r sin φ)T . Zeigen Sie, dass h holomorph ist, und berechnen Sie die h′ (z)!
Anmerkung: h wird als komplexer Logarithmus bezeichnet. In der Tat erfüllt h die Bezie-
hung exp(h(z)) = z, z ∈ C \ [−∞, 0], und h(exp(z)) = z für z ∈ R × (−π, π).
11.21 Sei D ⊆ C ein Gebiet und f : D → C holomorph. Zeigen Sie, dass f konstant ist, wenn f
nur Werte aus R (⊆ C) oder nur Werte aus iR (⊆ C) annimmt.
Hinweis: Was gilt für d f (z)?
11.22 Für w ∈ C und einen geschlossenen, stetigen und stückweise stetig differenzierbaren Weg
γ : [a, b] → C mit w < γ([a, b]) ist die Umlaufzahl von γ um w definiert durch
Z
1 1
n(γ, w) := dz .
2iπ γ z − w
11.25 Nun sei H ⊆ C ein einfach zusammenhängendes Gebiet und w ∈ C \ H. Zeigen Sie, dass
für jeden geschlossenen, stetigen und stetig differenzierbaren Weg γ : [a, b] → H (also
jeden Weg der in H verläuft) immer n(γ, w) = 0 gilt.
11.26 Überprüfen Sie die Kettenregel für holomorphe Funktionen auf 2 verschiedene Arten. Ein-
mal ähnlich wie die eindimensionale Kettenregel aus dem Kapitel 7, und ein zweites mal
mit Hilfe der mehrdimensionalen Kettenregel.
11.27 Sei D ⊆ C offen, w ∈ D mit Kr (w) ⊆ D, c ∈ R, f : D → C stetig und γ j : [0, 2π] → D
( j = 1, 2) definiert durch γ1 (t) = w + r exp(it) bzw. γ2 (t) = w + r exp(i(t + c)). Skizzieren
Sie die Situation und zeigen Sie, dass
Z Z
f (z) dz = f (z) dz .
γ1 γ2
11.28 Weisen Sie die Holomorphie der Funktionen exp : C → C, cos : C → C und sin : C → C
nach, indem sie die Cauchy-Riemannschen Differentialgleichungen und die stetige Diffe-
renzierbarkeit zeigen! Weiters gebe man in dem Fall jeweils eine Stammfunktion dieser
Funktionen f an (also das F mit F ′ = f )! Schließlich gebe man auch eine Stammfunktion
von z2 (cos z)2 an!
11.29 Sei D ⊆ C offen und f : D → C holomorph. Man zeige, dass ∆ Re f = ∆ Im f = 0 und
dass ∆(| f |2 ) ≥ 0; vgl. Übungsbeispiel 10.15.
11.30 Verwenden Sie das vorherige Beispiel und Übungsbeispiel 10.15, um zu zeigen, dass wenn
G ⊆ C offen und f : G → C holomorph ist, dann für jedes w ∈ G und ρ > 0 mit Kρ (w) ⊆ G
für alle ζ ∈ Uρ (w)
| f (ζ)| ≤ max | f (z)|,
z∈Kρ (w)\Uρ (w)
gilt.
11.31 Sei G ⊆ C ein Gebiet und seien f, g : G → C zwei holomorphe Funktionen. Man zeige,
dass f ≡ g, falls f (zn ) = g(zn ) für eine Folge (zn ) aus G mit Häufungspunkt z in G, wobei
zn , z für unendlich viele n ∈ N.
Hinweis: Zeigen Sie, dass A = {z ∈ G : ∃ǫ > 0, f |Uǫ (z) ≡ g|Uǫ (z) } offen und nicht-leer ist;
werfen Sie dafür einen Blick auf Korollar 6.7.9. Zeigen Sie auch, dass c(A) ∩ G = A. Nun
betrachte man B := G \ c(A)....
11.32 Man leite die Potenzreihenentwicklung von z2 (cos z)2 um den Punkt 0 her! Wie groß ist
der Konvergenzradius dieser Potenzreihe?
11.33 Sei D ⊆ C offen und f : D → C holomorph. Zeigen Sie, dass dann auch f ∗ : D̄ → C
holomorph ist, wobei D̄ = {z̄ : z ∈ D} und f ∗ (z) = f (z̄).
11.34 Zeigen Sie, dass die Funktion f (x) aus 6.28 auch für x ∈ C \ Z eine wohldefinierte kom-
plexwertige Funktion ist. Zeigen Sie, dass diese Funktion auch holomorph ist.
11.35 Zeigen Sie, dass die Funktion f (z) aus dem vorherigen Beispiel für alle z ∈ C \ Z mit
2
z 7→ sinπ2 (πz) übereinstimmt.
1 1
11.36 Berechnen Sie für die Funktion f (z) = z+1 + z−1
Z Z Z
f (z) dz + f (z) dz und f (z) dz ,
γ1 γ2 γ3
1
wobei γ j : [0, 2π] → C ( j = 1, 2, 3) mit γ j (t) = (−1) j + 2
exp(it) für j = 1, 2 und
γ3 (t) = 4 exp(it).
138 KAPITEL 11. WEGINTEGRALE
Kapitel 12
Topologische Grundlagen
Sei O die Menge aller offenen Teilmengen von Y gemäß Definition 5.1.4. Dabei haben
wir eine Teilmenge O von Y offen genannt, wenn sie die Eigenschaft hat, dass es zu
jedem x ∈ O ein ǫ > 0 gibt, sodass die ǫ-Kugel Uǫ (x) (= {y ∈ Y : d(y, x) < ǫ}) ganz in
O enthalten ist.
Wir haben in Proposition 5.1.7 gesehen, dass O folgende Eigenschaften hat.
∅ ∈ O, X ∈ O.
Wir nehmen nun diese aufgezählten Eigenschaften als Ausgangspunkt unserer an-
gestrebten Verallgemeinerung.
12.1.2 Definition. Sei X eine nichtleere Menge und T ⊆ P(X) ein System von Teil-
mengen von X. Erfüllt T die Eigenschaften
(01) ∅ ∈ T , X ∈ T .
139
140 KAPITEL 12. TOPOLOGISCHE GRUNDLAGEN
so heißt T eine Topologie auf X. Die Elemente von T heißen offene Mengen, und man
spricht von (X, T ) als topologischem Raum.
12.1.3 Bemerkung. Mittels Vollständiger Induktion sieht man sofort, dass (O2) äqui-
valent ist zu
T
(02’) Ist n ∈ N und O1 , . . . , On ∈ T , so folgt ni=1 Oi ∈ T .
12.1.4 Beispiel.
Wir haben oben gesehen, dass die Menge O aller offenen Mengen eines metri-
schen Raumes (Y, d) (01)-(03) erfüllt. Damit ist (Y, O) ein topologischer Raum.
Man sagt, O ist die von der Metrik d induzierte Topologie und schreiben auch
T (d) für O.
Ist Y = R p versehen mit der Metrik d2 , so heißt die von d2 induzierte Topologie
T (d2 ) Euklidische Topologie. Die Metriken d1 und d∞ induzieren ebenfalls die
Euklidische Topologie.
Sei T := P(X). Klarerweise sind (01)-(03) erfüllt, also ist (X, P(X)) ein topolo-
gischer Raum. Man spricht von der diskreten Topologie. Die diskrete Topologie
wird übrigens von der diskreten Metrik induziert (siehe Beispiel 3.1.5).
Sei T := {∅, X}. Wieder sind (01)-(03) trivialerweise erfüllt. Man spricht von der
Klumpentopologie.
Eines unserer Ziele wird es sein, Konvergenz gegen einen Punkt oder Stetigkeit bei
einem Punkt für unsere Räume zu verallgemeinern. Dazu benötigen wir ein Analogon
zum Begriff der ’ǫ-Kugel’.
12.1.5 Definition. Sei (X, T ) ein topologischer Raum und x ∈ X. Eine Menge U ⊆
X heißt Umgebung von x, wenn es eine offene Menge O ∈ T gibt mit x ∈ O ⊆
U. Wir bezeichnen mit U(x) die Menge aller Umgebungen von x, den sogenannten
Umgebungsfilter von x.
12.1.6 Definition. Sei M eine nichtleere Menge. Dann heißt ein Mengensystem F ⊆
P(M) ein Filter, wenn
(F2) F1 , F2 ∈ F ⇒ F1 ∩ F2 ∈ F,
(F3) F1 ∈ F, F1 ⊆ F2 ⊆ M ⇒ F2 ∈ F.
Ist (X, T ) ein topologischer Raum, so ist der Umgebungsfilter U(x) tatsächlich ein
Filter, da
offensichtlich X ∈ U(x) und jede Menge U ∈ U(x) den Punkt x enthält und damit
nicht leer ist,
12.1.11 Lemma. Sei (X, T ) ein topologischer Raum und sei für jeden Punkt x ∈ X
das System W(x) eine Filterbasis von U(x)1 . Dann ist eine Menge O ⊆ X genau dann
offen, d.h. O ∈ T , wenn
∀x ∈ O ⇒ O ∈ U(x) , (12.2)
bzw. genau dann, wenn
∀x ∈ O ∃W ∈ W(x) : W ⊆ O . (12.3)
Beweis. Für ein festes x ∈ X bedeutet die Tatsache ∃W ∈ W(x) : W ⊆ O gemäß der
Definition einer Filterbasis nicht anderes als O ∈ U(x). Also sind (12.2) und (12.3)
äquivalent.
Ist O ∈ T und x ∈ O, so folgt daraus O ∈ U(x), vgl. Beispiel 12.1.10, (ii). Gilt
umgekehrt O ∈ U(x), ∀x ∈ O, so gibt es wegen der Definition von U(x) zu jedem
x ∈ O eine Menge O x ⊆ O, O x ∈ T , und daher
[ [
O= {x} ⊆ Ox ⊆ O .
x∈O x∈O
Als Vereinigung der offenen Mengen O x muss O nach (O3) selber offen sein.
❑
Nun können wir den Grenzwert eines Netzes auch für topologische Räume definie-
ren.
12.1.12 Definition. Sei (I, ) eine gerichtete Menge und (xi )i∈I ein Netz in X, wobei
(X, T ) ein topologischer Raum ist. Man sagt, dass dieses Netz gegen einen Punkt x ∈ X
i∈I
konvergiert, in Zeichen xi −→ x, falls
∀U ∈ U(x) ∃i0 ∈ I : ∀i i0 ⇒ xi ∈ U ,
d.h. falls in jeder beliebigen Umgebung ab einem Index alle Glieder xi des Netzes
enthalten sind.
12.1.13 Fakta.
Ist W(x) eine Filterbasis von U(x), so ist die Konvergenzbedingung aus Definition
12.1.12 äquivalent zu
∀W ∈ W(x) ∃i0 ∈ I : ∀i i0 ⇒ xi ∈ W ,
∀i ∈ I∃ j0 ∈ J : ∀ j J j0 ⇒ i( j) I i ,
und konvergiert (xi )i∈I gegen x, so auch (xi( j) ) j∈J . Um das zu sehen, sei U ∈ U(x)
und i0 ∈ I, sodass i I i0 ⇒ xi ∈ U. Ist nun j0 ∈ J so, dass j J j0 ⇒ i( j) I i0 ,
so folgt auch xi( j) ∈ U für alle j J j0 .
1 Es ist nicht ausgeschlossen, dass W(x) = U(x).
12.1. TOPOLOGISCHE GRUNDBEGRIFFE 143
12.1.14 Bemerkung. Wir sehen nun aus Fakta 12.1.13, dass diese Definition der Kon-
vergenz mit der in metrischen Räumen konform geht. In der Tat haben wir x = limi∈I xi
in einem metrischen Raum (Y, d) genau dann, wenn
Da {Uǫ (x) : ǫ > 0} eine Filterbasis von U(x) ist, stimmt diese Bedingung mit der aus
Fakta 12.1.13 überein.
Wir sehen insbesondere, dass die Konvergenz nicht von der konkreten Metrik, son-
dern nur von der von ihr erzeugten Topologie abhängt (vgl. Beispiel 12.3.10).
Wir haben in der Definition der Konvergenz absichtlich nicht die Schreibweise x =
limi∈I xi verwendet, denn es kann sein, dass x nicht der einzige Grenzwert ist.
12.1.15 Beispiel. Man betrachte eine Menge X mit mindestens zwei Elementen verse-
hen mit der Klumpentopologie. Dann ist U(x) = {X} für alle x ∈ X. Damit konvergiert
aber jedes Netz gegen jeden Punkt x ∈ X.
Man muss eine zusätzliche Eigenschaft vom gegebenen topologischen Raum for-
dern, damit Grenzwerte eindeutig sind.
12.1.16 Definition. Ein topologischer Raum (X, T ) heißt T 2 -Raum (oder Hausdorff-
Raum), wenn gilt:
(T 2 ) Zu je zwei Punkten x, y ∈ X, x , y, gibt es disjunkte offene Mengen O x und Oy ,
sodass x ∈ O x , y ∈ Oy .
Oy
y
Ox
x
Man sieht unmittelbar, dass diese Eigenschaft zu der Tatsache äquivalent ist, dass
es zu zwei verschiedenen Punkten x, y zwei Umgebungen U ∈ U(x), V ∈ U(y) gibt mit
U ∩ V = ∅.
12.1.17 Beispiel. Die von einer Metrik d auf einer Menge Y induzierte Topologie ist
Hausdorff. Sind nämlich x, y ∈ Y, x , y, so gilt d(x, y) > 0. Setze ǫ := 31 d(x, y) und
betrachte die Umgebungen
U := Uǫ (x), V := Uǫ (y) .
12.1.18 Lemma. Sei (xi )i∈I ein konvergentes Netz in einem topologischen (T 2 )-Raum.
Dann ist der Grenzwert von (xi )i∈I eindeutig.
12.2.2 Lemma. Sei X eine Menge. Ist T eine Topologie auf X und bezeichnet A die
Menge aller abgeschlossenen Mengen in (X, T ), so gilt:
(A1) ∅, X ∈ A.
(A2) A1 , . . . , An ∈ A, n ∈ N, so folgt A1 ∪ . . . ∪ An ∈ A.
T
(A3) Ai ∈ A, i ∈ I, so folgt i∈I Ai ∈ A.
Beweis. Die Axiome (A1) - (A3) gehen bei Komplementbildung genau in die Axiome
(O1) - (O3) über.
❑
12.2.3 Definition. Sei (X, T ) ein topologischer Raum, und sei B ⊆ X. Die Menge
\n o
B := A ⊆ X : A abgeschlossen, A ⊇ B (12.4)
heißt der Abschluss von B. Wenn man explizit klarstellen will, bezüglich welcher To-
T
pologie der Abschluss zu bilden ist, dann schreibt man für B oft auch B .
Ist C ⊆ B ⊆ X und gilt B ⊆ C, so heißt C dicht in B. Ist C dicht in X, so sagt man,
C ist dicht.
Hat B ⊆ X eine in B dichte und abzählbare Teilmenge, so heißt B separabel.
12.2.4 Lemma. Sei (X, T ) topologischer Raum, B ⊆ X. Dann ist B die kleinste abge-
schlossene Menge, die B umfasst.
Beweis. Wegen (A1) ist die Menge, über die in (12.4) der Durchschnitt gebildet wird,
nicht leer. Wegen (A3) ist B abgeschlossen. Ist A abgeschlossen und A ⊇ B, so kommt
A auf der rechten Seite von (12.4) vor, also gilt A ⊇ B.
❑
Beweis.
(ii) Wegen B ⊇ B ⊇ C ist B eine abgeschlossene Menge, die C umfasst, und da C die
kleinste derartige Menge ist, folgt B ⊇ C.
(iii) Die Menge C ∪ B ist eine abgeschlossene Menge, die C ∪ B umfasst. Also folgt
C ∪ B ⊆ C ∪ B.
Andererseits folgt aus C ⊆ C ∪ B, dass C ⊆ C ∪ B, und genauso B ⊆ C ∪ B.
Damit gilt auch C ∪ B ⊆ C ∪ B.
(iv) B = B gilt genau dann, wenn B die kleinste abgeschlossene Menge ist, die B
enthält. Somit ist das genau dann der Fall, wenn B abgeschlossen ist.
❑
Wenn man sich an die Definition von Abschluss und abgeschlossener Menge in
metrischen Räumen zurück erinnert, so haben wir dort einen Zugang über Häufungs-
punkte gewählt. Im nächsten Lemma werden wir sehen, dass auch in allgemeinen to-
pologischen Räumen der Abschluss bzw. der Begriff der abgeschlossenen Menge so
charakterisiert werden kann. Um das einzusehen wollen wir zunächst ein kanonisches
Netz konstruieren, das gegen einen gegebenen Punkt konvergiert.
I = {(y, U) : U ∈ U(x), y ∈ U ∩ B} ,
Beweis. Die Relation ist offensichtlich reflexiv und transitiv. Sind (z, V), (y, U) ∈ I,
so folgt U ∩ V ∈ U(x). Voraussetzungsgemäß gibt es ein b ∈ U ∩ V ∩ B, und daher
(z, V), (y, U) (b, U ∩ V). Daraus folgt, dass (I, ) gerichtet ist.
Definitionsgemäß ist immer xi ∈ B. Da zu U ∈ U(x) und beliebigen y ∈ U ∩ B
aus i = (z, V) (y, U) folgt, dass xi = z ∈ V ⊆ U, sehen wir, dass (xi )i∈I gegen x
konvergiert.
❑
(i) x ∈ B.
(ii) ∀U ∈ U(x) : B ∩ U , ∅.
(iii) ∀W ∈ W(x) : B ∩ W , ∅.
(iv) Es gibt ein Netz (xi )i∈I mit xi ∈ B, sodass x ein Grenzwert davon ist.
146 KAPITEL 12. TOPOLOGISCHE GRUNDLAGEN
Beweis. Laut Definition ist x < B zur Existenz einer abgeschlossenen Menge A
mit x < A, A ⊇ B äquivalent. Da die offenen Mengen genau die Komplemente
der abgeschlossenen sind, ist das äquivalent zur Existenz einer Menge O ∈ T mit
x ∈ O, O ∩ B = ∅. Geht man zu den Negationen über, so erhalten wir, dass
x ∈ B ⇔ ∀O ∈ T : x ∈ O, B ∩ O , ∅ .
Man erkennt sofort, dass die rechte Seite zu (ii) äquivalent ist. (ii) ⇔ (iii) folgt unmit-
telbar aus der Tatsache, dass W(x) eine Filterbasis von U(x) ist.
Gilt schließlich (iv) und ist U ∈ U(x), so folgt xi ∈ U ∩ B für alle i i0 mit einem
gewissen i0 . Also ist sicher U ∩ B , ∅.
❑
In Analogie zum Begriff des Häufungspunktes / isolierten Punktes einer Menge in
metrischen Räumen in Definition 5.1.8 definieren wir:
12.2.8 Definition (*). Sei (X, T ) topologischer Raum und B ⊆ X. Ein x ∈ X heißt
Häufungspunkt von B, wenn
∀U ∈ U(x) : (B \ {x}) ∩ U , ∅ .
∃U ∈ U(x) : U ∩ B = {x} .
12.2.9 Bemerkung (*). Aus Proposition 12.2.7 erkennt man sofort, dass x genau dann
Häufungspunkt von B ist, wenn x ∈ B \ {x}, bzw. wenn (xi )i∈I → x für ein Netz aus
B \ {x}; vgl. Lemma 5.1.13.
Man erkennt auch leicht aus Proposition 12.2.7, dass B mit der Vereinigung von B
und der Menge aller Häufungspunkte von B übereinstimmt.
12.2.10 Bemerkung. Ist (X, d) ein metrischer Raum, B ⊆ X und nimmt man als W(x)
die Menge aller offenen ǫ-Kugeln um x, so sieht man durch einen Vergleich von Pro-
position 12.2.7 und (5.1), dass x ∈ B genau dann, wenn x ∈ c(B). Also stimmt der
Abschluss in metrischen Räumen mit dem topologischen Abschluss überein.
Der Grund, warum man in metrischen Räumen das Auslangen mit Folgen findet,
daher x ∈ B genau dann, wenn xn → x für eine Folge aus B, ist die Gültigkeit des
ersten Abzählbarkeitsaxioms. In der Tat, kann man unter der Voraussetzung (ABI) die
Konstruktion in Lemma 12.2.6 folgendermaßen abändern:
Sei W(x) = {Wn : n ∈ N} eine abzählbare Filterbasis von U(x), und wähle xn ∈
B ∩ W1 ∩ · · · ∩ Wn (∈ U(x)). Man erhält somit eine Folge (xn )n∈N in B, sodass zu
vorgegebenem U ∈ U(x) ein N ∈ N mit WN ⊆ U existiert, und daher
xn ∈ W1 ∩ · · · ∩ WN ∩ · · · ∩ Wn ⊆ U für alle n ≥ N .
12.2.12 Fakta.
1. Man sieht unmittelbar, dass x ∈ B◦ ⇔ B ∈ U(x). Ähnlich wie beim Abschluss
sieht man, dass B◦ die größte in B enthaltene offene Menge ist. Damit ist B genau
dann offen, wenn B = B◦ .
2. Da die Komplemente von den offenen Mengen genau die abgeschlossenen Men-
gen sind, besteht der folgende Zusammenhang zum Abschluss von Mengen.
c \ n oc
Bc = A ⊆ X : A abgeschlossen, A ⊇ Bc =
\ n oc
Oc ⊆ X : O offen, O ⊆ B = B◦ .
Die Begriffsbildung, die der des Häufungspunktes einer Folge entspricht, ist die des
Häufungspunktes eines Netzes.
12.2.13 Definition (*). Sei (X, T ) ein topologischer Raum und (xi )i∈I ein Netz in X.
Dann heißt x ∈ X Häufungspunkt von (xi )i∈I , falls
∀U ∈ U(x)∀i ∈ I ∃ j ∈ I : i j ∧ x j ∈ U .
Man beachte, dass im Allgemeinen die Menge der Häufungspunkte eines Netzes
(xi )i∈I nicht mit der Menge der Häufungspunkte der Bildmenge {xi : i ∈ I} überein-
stimmt; vgl. Definition 12.2.8. Als Beispiel betrachte man dazu einfach konstante Net-
ze.
12.2.14 Bemerkung (*). Vergleicht man das mit Proposition 12.2.7, so ist x Häufungs-
punkt von (xi )i∈I genau dann, wenn er im Schnitt aller Mengen der Form
{x j : j ∈ I, i j} ,
also in \
{x j : j ∈ I, i j} (12.5)
i∈I
enthalten ist.
Offenbar ist ein Limes eines Netzes auch Häufungspunkt. Die Umkehrung gilt im
Allgemeinen nicht, wie man z. B. bei Folgen in R schon unschwer erkennen kann.
Ist nun x Limes von (xi(k) )k∈K , so ist er insbesondere Häufungspunkt dieses Teilnetzes,
und wegen (12.6) ein Häufungspunkt von (xi )i∈I .
148 KAPITEL 12. TOPOLOGISCHE GRUNDLAGEN
K = {(i, U) : i ∈ I, U ∈ U(x), xi ∈ U}
∀i ∈ I∃ j ∈ I, i j : x j < U .
Betrachte die gerichtete Menge (K, |K×K ) mit K = {i ∈ I : xi < U}. Dann hat das
Teilnetz (xi )i∈K den Punkt x sicherlich nicht als Häufungspunkt.
❑
Zieht man in Betracht, dass in einem metrischen Raum die ǫ-Kugeln eine Umge-
bungsbasis um einen Punkt bilden, so ist das im folgenden Lemma auftretende Kriteri-
um (ii) für die Stetigkeit eine unmittelbare Verallgemeinerung des wohlbekannten ’ǫ’ -
’δ’ Kriteriums.
Bei Funktionen auf metrischen Räumen haben wir auch gesehen, dass die Stetigkeit
in einem Punkt x auch durch
charakterisiert werden kann. Man hat in allgemeinen topologischen Räumen eine ähnli-
che Charakterisierung, wobei man jedoch nicht mehr mit Folgen das Auslangen findet,
siehe (iii) im folgenden Lemma.
12.3.3 Lemma. Seien (X, T ), (Y, O) topologische Räume, f : X → Y, x ∈ X, und seien
W(x) bzw. W( f (x)) beliebige Umgebungsbasen von x in (X, T ) bzw. von f (x) in (Y, O).
Dann sind folgende Aussagen äquivalent.
(i) f ist im Punkt x stetig.
(ii) Für jedes V ∈ W( f (x)) existiert ein U ∈ W(x) mit f (U) ⊆ V.
(iii) Für jedes gegen x konvergente Netz (xi )i∈I in X folgt, dass das Netz ( f (xi ))i∈I
gegen f (x) konvergiert.
Beweis.
(i) ⇒ (ii) : Sei V ∈ W( f (x)). Dann ist auch V ∈ U( f (x)) und daher gibt es Ũ ∈ U(x)
mit f (Ũ) ⊆ V (vgl. (C x )). Nun ist W(x) Umgebungsbasis von x. Also gibt es ein
U ∈ W(x) mit U ⊆ Ũ und daher f (U) ⊆ V.
(ii) ⇒ (i) : Sei V ∈ U( f (x)), und wähle W ∈ W( f (x)) mit W ⊆ V. Dann gibt es
U ∈ W(x) ⊆ U(x) mit f (U) ⊆ W ⊆ V, also gilt (C x ).
(i) ⇒ (iii) : Konvergiert (xi )i∈I gegen x, und ist V ∈ U( f (x)), so existiert wegen der
Stetigkeit ein U ∈ U(x) mit f (U) ⊆ V. Wegen der Konvergenz findet man ein
ein i0 ∈ I, sodass i i0 ⇒ xi ∈ U und damit auch f (xi ) ∈ V. Also konvergiert
( f (xi ))i∈I gegen f (x).
(iii) ⇒ (i) : Wäre f nicht bei x stetig, so gäbe es eine Umgebung V von f (x), sodass
f (U) ∩ V c , ∅, oder äquivalent U ∩ f −1 (V c ) , ∅, für alle U ∈ U(x). Nach
Lemma 12.2.6 gibt es ein Netz (xi )i∈I in f −1 (V c ), welches gegen x konvergiert.
Andererseits ist aber f (xi ) ∈ V c für alle i ∈ I, womit f (xi ) i∈I sicherlich nicht
gegen f (x) konvergieren kann.
❑
12.3.4 Bemerkung. Mit einer Konstruktion ähnlich wie in Bemerkung 12.2.10 sieht
man, dass, wenn X das erste Abzählbarkeitsaxiom erfüllt – daher insbesondere in me-
trischen Räumen, die Stetigkeit bei x mit Hilfe von Folgen dadurch charakterisiert wer-
den, dass xn → x ⇒ limn→∞ f (xn ) = f (x).
12.3.5 Satz. Seien (X, T ), (Y, O) topologische Räume, und sei f : X → Y. Dann sind
folgende Aussagen äquivalent:
150 KAPITEL 12. TOPOLOGISCHE GRUNDLAGEN
❑
−1
Bedingung (ii) in Satz 12.3.5 lässt sich kurz durch f (O) ⊆ T beschreiben, wobei
wir für eine Abbildung f : X → Y die Schreibweise
n o
f −1 (C) := f −1 (C) : C ∈ C ⊆ P(X) ,
∅ , f (U1 ∩ U2 ∩ D) = g(U1 ∩ U2 ∩ D) ⊆ O1 ∩ O2 = ∅ .
12.3. STETIGE ABBILDUNGEN 151
❑
Alternativ kann man sich so argumentieren, dass es zu x ∈ X \ D wegen Propo-
sition 12.2.7 ein gegen x konvergentes Netz (xi )i∈I in D gibt. Die Netze f (xi ) i∈I und
g(xi ) i∈I konvergieren wegen Lemma 12.3.3 gegen f (x) bzw. g(x). Andererseits sind
diese Netze f (xi ) i∈I und g(xi ) i∈I identisch und haben wegen Lemma 12.1.18 den
selben Grenzwert; also f (x) = g(x).
12.3.7 Lemma. Seien (X, T ), (Y, O), (Z, R) drei topologische Räume und seinen f :
X → Y, g : Y → Z Funktionen. Weiters sei x ∈ X. Ist f stetig im Punkt x und ist g stetig
im Punkt f (x), so ist g ◦ f stetig im Punkt x. Insbesondere ist g ◦ f stetig, wenn f, g es
sind.
Beweis. Sei W ∈ U((g ◦ f )(x)). Da g stetig im Punkt f (x) ist, gibt es V ∈ U( f (x))
mit g(V) ⊆ W. Da f stetig im Punkt x ist, gibt es U ∈ U(x) mit f (U) ⊆ V. Insgesamt
erhalten wir
(g ◦ f )(U) = g( f (U)) ⊆ g(V) ⊆ W .
12.3.8 Definition. Seien (X, T ) und (Y, O) topologische Räume, und sei f : X → Y.
Dann heißt f ein Homöomorphismus von (X, T ) nach (Y, O), wenn f bijektiv ist und
wenn gilt f (T ) = O. Zwei topologische Räume (X, T ) und (Y, O) heißen homöomorph,
wenn es einen Homöomorphismus von (X, T ) nach (Y, O) gibt.
12.3.9 Lemma.
(i) Sei f : (X, T ) → (Y, O) eine bijektive Abbildung. Dann ist f genau dann
Homöomorphismus, wenn sowohl f als auch f −1 stetig sind.
(ii) Sind f : (X, T ) → (Y, O), g : (Y, O) → (Z, R) Homöomorphismen, so ist auch
g ◦ f : (X, T ) → (Z, R) ein Homöomorphismus.
(iii) Die Abbildung idX : (X, T1 ) → (X, T2 ) ist ein Homöomorphismus genau dann
wenn T1 = T2 .
Beweis.
❑
12.3.10 Beispiel.
Ist eine gegebene Menge Y mit zwei verschiedenen Metriken d1 und d2 versehen,
die aber äquivalent sind, dh. es gibt α, β > 0, sodass für alle x, y ∈ Y
so zeigt man leicht mit Hilfe der Charakterisierung der Stetigkeit in metrischen
Räumen durch Folgen (siehe Proposition 6.1.4), dass dann idY : (Y, d1 ) → (Y, d2)
und idY : (Y, d2) → (Y, d1 ) beide stetig sind. Also induzieren diese Metriken die
selbe Topologie, dh. T (d1 ) = T (d2 ). Siehe dazu auch Übungsbeispiel 5.1.
Sei X ein Vektorraum versehen mit zwei Normen k.k1 und k.k2 . Sind diese äqui-
valent (vgl. Definition 9.2.1), so sieht man sofort, dass die jeweils induzierten
Metriken ebenfalls äquivalent sind. Somit stimmen die Topologien, die von den
zu k.k1 und k.k2 gehörigen Metriken erzeugt werden, überein.
Man betrachte C versehen mit der euklidischen Metrik d2 und mit der chordalen
Metrik χ. Es ist wohlbekannt, dass zn → z in C bezüglich d2 genau dann, wenn
zn → z bezüglich χ. Also ist die Abbildung idC als Abbildung von (C, d2 ) nach
(C, χ) und auch als Abbildung von (C, χ) nach (C, d2 ) stetig. Somit gilt T (d2 ) =
T (χ), obwohl die beiden Metriken nicht äquivalent im Sinne von (12.7) sind.
Man betrachte einerseits C ∪ {∞} versehen mit der chordalen Metrik χ. Ande-
rerseits sei S die Oberfläche der Kugel mit Durchmesser 1 im R3 , die so auf
die Ebene R2 zum liegen kommt, dass Ihr Südpol den Nullpunkt berührt. Wir
versehen S mit d2 , dh.
q
d2 ((α, β, γ)T , (ξ, η, ζ)T ) = (α − ξ)2 + (β − η)2 + (γ − ζ)2 .
Nun enthält der Schnitt T (C) von Mengensystemen, die alle C enthalten, ebenfalls
C. Ist andererseits T ⊇ C, so gehört T zur Menge auf der linken Seite von (12.8) und
daher T ⊇ T (C). Also ist T (C) die gröbste Topologie, die C enthält.
❑
12.4.2 Definition. Sei (X, T ) ein topologischer Raum. Ein Mengensystem B ⊆ P(X)
heißt Basis von T , wenn B ⊆ T und wenn es für alle O ∈ T und x ∈ O ein B ∈ B mit
x ∈ B ⊆ O gibt.
Man sagt ein topologischer Raum (X, T ) erfüllt das zweite Abzählbarkeitsaxiom
(ABII), wenn T eine abzählbare Basis besitzt.
Ein Mengensystem C ⊆ P(X) heißt Subbasis von T , wenn C ⊆ T und wenn es für
alle O ∈ T , O , X, und x ∈ O endlich viele C1 , . . . , Cn ∈ C mit x ∈ C1 ∩ · · · ∩ Cn ⊆ O
gibt.
schreiben.
12.4.4 Bemerkung. Offensichtlich ist C ⊆ P(X) genau dann eine Subbasis von T , wenn
das Mengensystem E aller endlichen Schnitte von C samt X, also
n\
n
E := {X} ∪ Ci : n ∈ N, C1 , . . . , Cn ∈ C}
i=1
eine Basis von T abgibt. Klarerweise enthält E das Mengensystem C. Der Grund,
warum man X extra in E hineingeben muss ist der, dass wir in Definition 12.4.2 für
Subbasis nur verlangen, dass es zu jedem offenen O ungleich X und x ∈ O Mengen
C1 , . . . , Cn ∈ C gibt mit x ∈ C1 ∩ · · · ∩ Cn ⊆ O.
12.4.5 Beispiel.
Ist (Y, d) ein metrischer Raum, so folgt aus der Definition der von d induzierten
Topologie T (d) sofort, dass
Die Euklidische Topologie T (d2 ) auf R hat die Menge aller offenen Intervalle
{(a, b) ⊆ R : a, b ∈ R, a < b}
154 KAPITEL 12. TOPOLOGISCHE GRUNDLAGEN
als Basis. Da man zu a < x < b aus R wegen der Dichteeigenschaft von Q (siehe
Satz 2.8.3) sicherlich s, t ∈ Q findet, sodass a < s < x < t < b, ist auch
{(s, t) ⊆ R : s, t ∈ Q, s < t}
Uǫ (x) = (ξ1 − ǫ, ξ1 + ǫ) × · · · × (ξ p − ǫ, ξ p + ǫ)
gilt, wobei x = (ξ j ) pj=1 , folgt, dass die Menge aller p-dimensionalen Quader
{(a1 , b1 ) × · · · × (a p , b p ) : a j , b j ∈ R, a j < b j , j = 1, . . . , p}
eine Basis von T (d∞ ) abgibt. Wegen T (d∞ ) = T (d2 ) (siehe Beispiel 12.3.10)
sind diese trivialerweise auch Basis von T (d2 ).
Ähnlich wie für R sieht man, dass auch
{(s1 , t1 ) × · · · × (s p , t p ) : s j , t j ∈ Q, s j < t j , j = 1, . . . , p}
Wegen B ⊆ T (B) und wegen (O3) ist jede dieser Mengen auch in T (B), dh. T ⊆ T (B).
Aus (12.9) angewandt auf O = X sieht man unmittelbar, dass (B2) erfüllt ist.
S
Für B1 , B2 ∈ B ⊆ T gilt B1 ∩ B2 ∈ T . Aus B1 ∩ B2 = {B ∈ B : B ⊆ B1 ∩ B2 } folgt
für jedes x ∈ B1 ∩ B2 die Existenz eines B3 ∈ B mit x ∈ B3 ⊆ B1 ∩ B2 . Also gilt auch
(B1).
Ist schließlich C ⊆ P(X) eine Subbasis von T , so folgt aus Bemerkung 12.4.4, dass
E eine Basis von T ist, und daher T = T (E). Wegen C ⊆ E gilt T (C) ⊆ T (E).
Ist andererseits E ∈ E, so gilt E = X oder E = C1 ∩ · · · ∩ Cn für
C1 , . . . , Cn ∈ C ⊆ T (C). Aus (O1) bzw. (O2) folgt dann E ∈ T (C), und daher
E ⊆ T (C). Somit gilt auch T (E) ⊆ T (C), und insgesamt T = T (E) = T (C).
❑
12.4. BASIS, SUBBASIS 155
12.4.7 Lemma. Seien (X, T ) und (Y, O) topologische Räume und f : X → Y eine
Abbildung. Ist C eine Subbasis von O, so ist f genau dann stetig, wenn f −1 (C) ⊆ T .
Beweis. Aus der Stetigkeit folgt unmittelbar f −1 (C) ⊆ f −1 (O) ⊆ T .
Ist umgekehrt f −1 (C) ⊆ T , so prüft man leicht nach, dass
O′ := {O′ ⊆ Y : f −1 (O′ ) ∈ T }
die Axiome (O1) - (O3) erfüllt, dh. eine Topologie ist. Da laut Voraussetzung C ⊆ O′ ,
muss auch O = T (C) ⊆ O′ , und daher f −1 (O) ∈ T für alle O ∈ O.
❑
Wir wollen nun den umgekehrten Weg wie in Satz 12.4.6 gehen.
12.4.8 Satz. Erfüllt B ⊆ P(X) die Axiome (B1) und (B2), so ist B eine Basis von T (B).
Außerdem stimmt T (B) mit dem System T aller Mengen O ⊆ X der Bauart
[
O= B
B∈V
Ist C ⊆ P(X), so ist C eine Subbasis von T (C). Außerdem stimmt T (C) mit dem
System [
{O ⊆ X : ∃V ⊆ E, O = B} (12.11)
B∈V
überein, wobei
n\
n
E := {X} ∪ Ci : n ∈ N, C1 , . . . , Cn ∈ C} .
i=1
die Axiome (B1) und (B2) erfüllt.
Beweis.
Wir zeigen zunächst, dass T definiert in (12.10) eine Topologie auf X ist.
Zunächst ist [
∅= B∈T,
B∈∅
und wegen (B2) [
X= B∈T .
B∈B
Also gilt (O1). Die Bedingung (O3) folgt aus
[ [ [
B = B.
S
i∈I B∈Vi B∈ i∈I Vi
S S
Es bleibt (O2) zu zeigen. Seien also O1 = B∈V1 B, O2 = B∈V2 B gegeben.
Jedes x ∈ O1 ∩ O2 liegt somit in einem B1 ∈ V1 und einem B2 ∈ V2 . Nach (B1)
gibt es ein B ∈ B mit x ∈ B ⊆ B1 ∩ B2 ⊆ O1 ∩ O2 . Wir erhalten (vgl. Bemerkung
12.4.3) [
O1 ∩ O2 = B,
B∈V
wobei V := {B ∈ B : B ⊆ O1 ∩ O2 }. Also O1 ∩ O2 ∈ T .
156 KAPITEL 12. TOPOLOGISCHE GRUNDLAGEN
Ist C ⊆ P(X), so sieht man unmittelbar, dass X ∈ E und dass mit E1 , E2 ∈ E auch
E1 ∩ E2 ∈ E. Insbesondere erfüllt E (B1) und (B2). Nach dem oben gezeigten
ist E Basis von T (E), wobei T (E) mit der Topologie in (12.11) übereinstimmt.
Wegen Bemerkung 12.4.4 bedeutet das, dass C eine Subbasis von T (E) ist, und
aus Satz 12.4.6 folgt damit schließlich T (C) = T (E).
(Yi , Ti )
fi
fj
X (Y j , T j )
fk
(Yk , Tk )
(IN1 ) T ist die gröbste Topologie auf X, sodass alle Abbildungen fi : (X, T ) →
(Yi , Ti ), i ∈ I, stetig sind.
Diese Topologie heißt initiale Topologie bezüglich der fi . Für sie gilt
S
(IN2 ) i∈I fi−1 (Ti ) ist eine Subbasis von T ,
und
(IN3 ) Ist (Y, O) ein beliebiger topologischer Raum und f : Y → X, so ist f : (Y, O) →
(X, T ) genau dann stetig, wenn alle Abbildungen
fi ◦ f : (Y, O) → (Yi , Ti ), i ∈ I ,
stetig sind.
Beweis.
12.5. INITIALE TOPOLOGIE 157
Ist T ′ eine beliebige Topologie auf X, so ist fi : (X, T ′ ) → (Xi , Ti ) genau dann
stetig, wenn fi−1 (Ti ) ⊆ T ′ . Also sind alle fi genau dann stetig, wenn
[
fi−1 (Ti ) ⊆ T ′ . (12.12)
i∈I
S
Nach Lemma 12.4.1 gibt es eine gröbste Topologie T = T ( i∈I fi−1 (Ti )), die
(12.12) erfüllt. Damit ist aber auch T die gröbste Topologie, sodass alle fi stetig
sind. Also gilt (IN1 ).
S
Wegen Satz 12.4.8 ist i∈I fi−1 (Ti ) Subbasis von T , und es gilt auch (IN2 ).
Sei f : (Y, O) → (X, T ), wobei T die initiale Topologie der fi , i ∈ I, ist. Im Falle
der Stetigkeit von f sind auch alle fi ◦ f : (Y, O) → (Yi , Ti ) als Zusammensetzung
stetiger Abbildungen stetig.
Seien umgekehrt alle fi ◦ f stetig, d.h. es gelte ( fi ◦ f )−1 (Ti ) ⊆ O. Dann folgt
f −1 ( fi−1 (Ti )) ⊆ O und damit
[
f −1 ( fi−1 (Ti )) ⊆ O .
i∈I
S
Da i∈I fi−1 (Ti ) eine Subbasis von T ist, folgt aus Lemma 12.4.7, dass f stetig
ist. Die initiale Topologie T hat also die Eigenschaft (IN3 ).
12.5.2 Bemerkung. Die initiale Topologie T ist in der Tat die einzige Topologie T ′ mit
der Eigenschaft (IN3 ). Um das einzusehen, sei T ′ eine weitere Topologie auf X mit der
Eigenschaft (IN3 ).
Da die Abbildung idX : (X, T ′ ) → (X, T ′ ) trivialerweise stetig ist, folgt aus (IN3 )
angewandt auf T ′ , dass alle fi ◦ idX : (X, T ′ ) → (Yi , Ti ) stetig sind. Aus (IN1 ) folgt
T ⊆ T ′.
Für idX : (X, T ) → (X, T ′ ) sind andererseits alle Abbildungen fi ◦ idX = fi :
(X, T ) → (Yi , Ti ) stetig. Mit (IN3 ) angewandt auf T ′ folgt die Stetigkeit von idX :
(X, T ) → (X, T ′ ), und daher T ′ ⊆ T . Insgesamt ist T ′ = T .
12.5.3 Lemma. Mit der Notation aus Satz 12.5.1 sei (x j ) j∈J ein Netz in X. Dieses
konvergiert bzgl. T gegen ein x ∈ X genau dann, wenn fi (x j ) j∈J für alle i ∈ I gegen
fi (x) konvergiert.
Beweis. Konvergiert (x j ) j∈J gegen x bzgl. T , so folgt aus der Stetigkeit der fi mit
Lemma 12.3.3, dass fi (x j ) j∈J gegen fi (x) konvergiert.
Gelte umgekehrt, dass fi (x j ) j∈J gegen fi (x) für alle i ∈ I konvergiert. Für ein
U ∈ U(x) mit oBdA. U , X und O ∈ T mit x ∈ O ⊆ U folgt aus der Tatsache,
S
dass i∈I fi−1 (Ti ) eine Subbasis von T ist (vgl. (IN2 ) aus Satz 12.5.1), und Definition
12.4.2, dass
x ∈ fi−1
1
(O1 ) ∩ · · · ∩ fi−1
m
(Om ) ⊆ O ,
wobei i1 , . . . , im ∈ I, O1 ∈ Ti1 , . . . , Om ∈ Tim . Also folgt fik (x) ∈ Ok , k = 1, . . . , m, und
laut Voraussetzung gibt es Indizes j1 , . . . , jm , ∈ J, sodass j jk ⇒ fik (x j ) ∈ Ok , k =
158 KAPITEL 12. TOPOLOGISCHE GRUNDLAGEN
x j ∈ fi−1
1
(O1 ) ∩ · · · ∩ fi−1
m
(Om ) ⊆ O ⊆ U .
❑
Die Konstruktion der Initialen Topologie ist assoziativ.
fi
g ik ◦ g i,k (Zi,k , Ti,k )
Yi
gi,l
fi
(Zi,l , Ti,l )
gil ◦ fi
X
g jk ◦ f j
(Z j,k , T j,k )
fj
g j,k
Yj
g j,l
g jl ◦ (Z j,l , T j,l )
fj
Abbildung ι heißt die Spurtopologie von T auf X und wird bezeichnet als T |X . Man
spricht von (X, T |X ) als einem Teilraum von (Y, T ).
12.6.2 Fakta.
1. Wegen Satz 12.5.1 ist
ι−1 (T ) = {O ∩ X : O ∈ T } ⊆ P(X)
eine Subbasis für T |X . Nun erfüllt diese Menge selbst schon (O1) − (O3), d.h. es
gilt
T |X = {O ∩ X : O ∈ T } . (12.13)
Damit erhält man leicht auch, dass der Umgebungsfilter U|X (x) eines Elementes
x ∈ X bezüglich T |X genau
U|X (x) = {U ∩ X : U ∈ U(x)}
ist.
2. Aus (12.13) erhält man auch, dass das System A|X der in (X, T |X ) abgeschlosse-
nen Mengen gegeben ist durch
A|X = {A ∩ X : A ∈ A} .
Daraus folgt auch unmittelbar, dass für B ⊆ X
T |X T
B = B ∩X, (12.14)
3. Erfüllt (Y, T ) das Axiom (T 2 ), so folgt aus (12.13) auch, dass in Folge (X, T |X )
dieses Axiom erfüllt.
4. Aus (IN3 ) folgt, dass eine Funktion f : (Z, O) → (X, T |X ) genau dann stetig ist,
wenn f : (Z, O) → (Y, T ) stetig ist.
5. Ist (x j ) j∈J ein Netz in X und x ∈ X, so folgt aus Lemma 12.5.3, dass (x j ) j∈J genau
dann gegen x bzgl. T konvergiert, wenn (x j ) j∈J bzgl. T |X gegen x konvergiert.
6. Ist schließlich X ⊆ Z ⊆ Y, so gilt wegen Korollar 12.5.4
T |X = (T |Z )|X . (12.15)
12.6.3 Beispiel. Sei (Y, d) ein metrischer Raum, und sei X ⊆ Y versehen mit der Ein-
schränkung von d|X×X . Klarerweise ist (X, d|X×X ) ein metrischer Raum.
Die von d|X×X auf X erzeugte Topologie ist genau die Spurtopologie, die von T (d)
auf X induziert wird:
Ist O ∈ T (d) und x ∈ O ∩ X, so gibt es ein ǫ > 0 mit UǫY (x) ⊆ O. Daraus folgt, dass
die ǫ-Kugel UǫX (x) = UǫY (x) ∩ X um x bezüglich d|X×X in O ∩ X enthalten ist. Also ist
jede Menge aus T (d)|X offen bezüglich d|X×X .
Ist umgekehrt P ∈ T (d|X×X ), so wähle man für jedes x ∈ P ein ǫ x > 0, sodass die
ǫ x -Kugel UǫXx (x) = X ∩ UǫYx (x) in X in P enthalten ist. Es folgt
[ [
P= X ∩ UǫYx (x) = X ∩ UǫYx (x) .
x∈P x∈P
Somit ist P der Schnitt einer in Y offenen Menge und X, also P ∈ T (d)|X .
160 KAPITEL 12. TOPOLOGISCHE GRUNDLAGEN
12.6.6 Fakta.
1. Für ein O ⊆ Xi gilt Y
π−1
i (O) = Ok
k∈I
wobei Ok = Xk , k , i, und Oi = O ist. Wieder mit (IN2 ) und Bemerkung 12.4.4
erhält man daraus, dass die Mengen der Gestalt
Y
Ok , (12.16)
k∈I
wobei Ok ∈ Tk , k ∈ I, und für alle k ∈ I bis auf endlich viele Ok = Xk gilt, eine
Q
Basis für i∈I Ti bilden.
Q
2. Die kanonischen Projektionen πi : X → Xi bilden offene Mengen aus k∈I Tk
auf offene Mengen aus Ti ab, also sind sie offene Abbildungen.
Um das einzusehen, sei zunächst i ∈ I fest. Dann gilt für Basismengen der Ge-
Q
stallt (12.16) offenbar πi ( k∈I Ok ) = Oi . Also ist das Bild unter πi einer jeden
Q
Menge aus dieser Basis offen in (Xi , Ti ). Da jede offene Menge in k∈I Tk Ver-
einigung von Basismengen ist, folgt die Behauptung.
2 Das ist die (wohldefinierte) Funktion, die für k = 1, . . . , m auf Ak mit fk übereinstimmt.
12.6. SPUR- UND PRODUKTTOPOLOGIE 161
3. Weiters sieht man leicht mit Hilfe der Basis bestehend aus Mengen der Form
(12.16), dass für einen Punkt (xi )i∈I ∈ X die Mengen
Y
Ui ,
i∈I
wobei Ui ∈ U(xi ), i ∈ I, und Ui = Xi für alle bis auf endlich viele i, eine Umge-
Q
bungsbasis bezüglich i∈I Ti bilden.
Q
4. Aus Lemma 12.5.3 folgt, dass für ein Netz (x j ) j∈J und einem Punkt x aus i∈I Xi ,
d.h. x j = (ξ j,i )i∈I und x = (ξi )i∈I mit ξ j,i , ξi ∈ Xi ,
j∈J j∈J
x j −→ x ⇔ ∀i ∈ I : ξ j,i −→ ξi . (12.17)
Q
5. Aus (12.17) folgt, dass für abgeschlossene Ai ⊆ Xi , i ∈ I, das Produkt i∈I Ai ⊆
Q
i∈I Xi ebenfalls abgeschlossen ist. Alternativ kann man das auch daraus folgern,
dass Y \
Ai = π−1
i (Ai )
i∈I i∈I
12.6.7 Bemerkung. Wendet man diese Konstruktion der Produkttopologie etwa auf
zwei Räume (X1 , T1 ) und (X2 , T2 ) an, d.h. I = {1, 2}, so bilden insbesondere alle Men-
gen der Bauart O1 × O2 mit O1 ⊆ X1 , O2 ⊆ X2 eine Basis der Produkttopologie T1 × T2 .
Außerdem sind alle Mengen A1 × A2 für abgeschlossene A1 ⊆ X1 , A2 ⊆ X2 , ebenfalls
abgeschlossen.
12.6.8 Beispiel. Seien (Y1 , d1 ) und (Y2 , d2 ) zwei metrische Räume, und sei d : Y1 ×Y2 →
R definiert als d (x1 , x2 ), (y1 , y2 ) = max(d1 (x1 , y1 ), d2 (x2 , y2 )), vgl. Fakta 8.7.8.
Wir wissen schon, dass d eine Metrik auf Y1 × Y2 ist, und dass Uǫ (x1 , x2 ) =
Uǫ (x1 ) × Uǫ (x2 ).
Die von dieser Metrik erzeugte Topologie T (d) stimmt mit der Produkttopologie
von T (d1 ) und T (d2 ) überein. Um das einzusehen, sei O ⊆ Y1 × Y2 . Diese Menge ist in
T (d) genau dann, wenn
∀(x1 , x2 ) ∈ O ⇒ ∃ǫ > 0 : Uǫ (x1 , x2 ) = Uǫ (x1 ) × Uǫ (x2 ) ⊆ O ,
ist. Da die Mengen der Form O1 × O2 eine Basis von T (d1 ) × T (d2 ) darstellen, bedeutet
das genau O ∈ T (d1 ) × T (d2 ).
Folgendes Korollar samt Beweis funktioniert übrigens auch für Funktionen mit
Werten in einem normierten Raum.
12.6.9 Korollar. Sei (X, T ) ein topologischer Raum, und f, g : X → R (C), sowie
λ, µ ∈ R (C). Sind f und g stetig, so auch λ f +µg und f g. Ist zusätzlich f (x) , 0, x ∈ X,
so ist auch 1f stetig.
162 KAPITEL 12. TOPOLOGISCHE GRUNDLAGEN
(Yi , Ti )
fi
fj
(Y j , T j ) X
fk
(Yk , Tk )
(FI1 ) T ist die feinste Topologie auf X, sodass alle Abbildungen fi : (Yi , Ti ) → (X, T ),
i ∈ I, stetig sind.
Diese Topologie heißt finale Topologie bezüglich der fi . Sie ist gegeben durch
(FI3 ) Ist (Y, O) ein topologischer Raum und f : X → Y, so ist f : (X, T ) → (Y, O)
stetig genau dann, wenn alle Abbildungen
stetig sind.
Beweis.
Wir betrachten die durch (FI2 ) definierte Menge T ⊆ P(X). Es gilt
und [ [
fi−1 Oj = fi−1 (O j ) .
j∈J j∈J
Sei T die finale Topologie bezüglich der fi , und sei f : X → Y. Ist f stetig,
so ist auch f ◦ fi : (Yi , Ti ) → (X, T ) → (Y, O) als Zusammensetzung stetiger
Abbildungen stetig. Sei umgekehrt f ◦ fi stetig für alle i. Dann gilt
❑
12.7.2 Bemerkung. Die Finale Topologie ist die einzige Topologie auf X, die (FI3 )
erfüllt. Um das einzusehen, sei T ′ eine weitere Topologie auf X mit der Eigenschaft
(FI3 ).
Da die Abbildung idX : (X, T ′ ) → (X, T ′ ) trivialerweise stetig ist, folgt aus (FI3 )
angewandt auf T ′ , dass alle idX ◦ fi : (Yi , Ti ) → (X, T ′ ) stetig sind. Aus (FI1 ) folgt
T′ ⊆ T.
Für idX : (X, T ′ ) → (X, T ) sind andererseits alle Abbildungen idX ◦ fi = fi :
(Yi , Ti ) → (X, T ) stetig. Mit (FI3 ) angewandt auf T ′ folgt die Stetigkeit von idX :
(X, T ′ ) → (X, T ), und daher T ⊆ T ′ . Insgesamt ist T ′ = T .
12.7.3 Bemerkung. Das Finale Topologie Bilden ist assoziativ; dh. es gilt ein Korollar
12.5.4 entsprechendes Resultat.
12.7.4 Beispiel. Sei (Y, T ) ein topologischer Raum und ∼ eine Äquivalenzrelation auf
Y. Weiters sei π : Y → Y/∼ die kanonische Projektion, π(x) = [x]∼ . Die finale Topolo-
gie auf Y/∼ bezüglich π heißt Quotiententopologie und wird bezeichnet als T /∼ .
Ist A ⊆ Y, so heißt A gesättigt bezüglich ∼, wenn x ∈ A die Inklusion [x]∼ ⊆ A nach
sich zieht. Offenbar sind alle Mengen der Bauart π−1 (B) mit B ⊆ Y/∼ gesättigt, und A
ist genau dann gesättigt, wenn π−1 (π(A)) = A. Somit stellt A 7→ π(A) eine bijektive
Abbildung von allen gesättigten Teilmengen von Y auf alle Teilmengen von Y/∼ dar,
wobei B 7→ π−1 (B) ihre Umkehrung ist.
Eine Menge P ⊆ Y/∼ ist per definitionem genau dann offen in (Y/∼ , T /∼ ), wenn
π−1 (P) offen in (Y, T ) ist. Insbesondere ist O 7→ π(O) eine Bijektion von allen gesättig-
ten offenen Teilmengen von Y auf T /∼ . Entsprechendes gilt für abgeschlossene Men-
gen.
12.7.5 Proposition. Sei f : (X, T ) → (Y, V) eine stetige Abbildung. Bezeichne mit ∼
die Äquivalenzrelation x ∼ y : ⇐⇒ f (x) = f (y), und seien π : X → X/∼ , ι : f (X) → Y,
die kanonische Projektion bzw. Einbettung. Weiters sei g : X/∼ → f (X) die Bijektion
mit ι ◦ g ◦ π = f .
Dann ist g : (X/∼ , T /∼ ) → ( f (X), V| f (X) ) stetig. Außerdem sind folgende Aussagen
äquivalent
(ii) Für jede bezüglich ∼ gesättigte offene Menge O ⊆ X ist f (O) offen in
( f (X), V| f (X) ).
(iii) Für jede bezüglich ∼ gesättigte abgeschlossene Menge A ⊆ X ist f (A) abge-
schlossen in ( f (X), V| f (X) ).
Beweis. Nach Satz 12.5.1,(IN3), bzw. Fakta 12.6.2 ist auch f : (X, T ) → ( f (X), V| f (X) )
stetig. Somit können wir oBdA. Y = f (X) und damit auch ι = idY annehmen.
Jede Abbildung g : X/∼ → Y mit g ◦ π = f muss g([x]∼ ) = f (x) für x ∈ X erfüllen.
Betrachten wir das als Definition, so ist die Wohldefiniertheit davon zu zeigen. Diese
folgt aber unmittelbar aus der Definition von von ∼, da [x]∼ = [y]∼ immer x ∼ y und
damit f (x) = f (y) nach sich zieht. Also gibt es ein solches g und dieses ist eindeutig.
Außerdem ist g injektiv, da aus f (x) = g([x]∼ ) = g([y]∼) = f (y) per definitionem x ∼ y
bzw. [x]∼ = [y]∼ folgt. Wegen g(X/∼ ) = f (X) = Y ist g sogar bijektiv.
Die Stetigkeit von g folgt unmittelbar aus Satz 12.7.1, (FI3 ), da X/∼ die finale
Topologie T /∼ bzgl. π trägt und da g ◦ π = f stetig ist.
Die Funktion g ist nun genau dann Homöomorphismus, wenn noch g−1 stetig ist,
d.h. wenn g(P) ∈ V für alle P ∈ T /∼ . Nach Beispiel 12.7.4 durchläuft π−1 (P) aber alle
offenen und gesättigten Teilmengen von X. Zudem gilt
woraus man sofort die Äquivalenz von (i) und (ii) erkennt. Die Äquivalenz von (i) und
(iii) zeigt man genauso.
❑
Insbesondere sind disjunkte Mengen A und B genau dann getrennt, wenn A und
B beide in A ∪ B bzgl. der Spurtopologie abgeschlossen sind. Durch Komple-
mentbildung in A ∪ B erkennt man dann auch, dass disjunkte Mengen A und B
genau dann getrennt sind, wenn A und B beide in A ∪ B bzgl. der Spurtopologie
offen sind.
Somit sehen wir auch, dass A und B in C = A ∪ B (versehen mit T |C ) genau dann
getrennt sind, wenn sie dort durch offene Mengen getrennt sind.
4. Aus dem letzten Punkt erkennen wir auch, dass die Eigenschaft getrennt zu sein,
nur von der Spurtopologie auf A∪ B abhängt. Insbesondere gilt für A, B ⊆ Y ⊆ X,
dass A und B genau in (Y, T |Y ) getrennt sind, wenn sie es in (X, T ) sind.
Die Eigenschaft getrennt durch offene Mengen zu sein, hängt dagegen ganz we-
sentlich von dem betrachteten topologischen Raum ab.
Für eine weitere Charakterisierung der Eigenschaft durch offene Mengen zu sein,
siehe Bemerkung 12.9.2.
12.8.3 Definition. Ein topologischer Raum (X, T ) erfüllt das erste Trennungsaxiom
(T 1 ), wenn gilt:
(T 1 ) Je zwei verschiedene einpunktige Mengen lassen sich trennen.
Das schon bekannte Trennungsaxiom (T 2) bedeutet im Gegensatz dazu, dass sich
je zwei verschiedene einpunktige Mengen durch offene Mengen trennen lassen. (T 2)
ist somit stärker als (T 1).
12.8.4 Lemma. Ein topologischer Raum (X, T ) erfüllt genau dann (T 1 ), wenn ein-
punktige Mengen abgeschlossen sind.
Beweis. Sei x ∈ X. Nach Fakta 12.8.2, 2, gibt es zu y ∈ {x}c eine offene Umgebung
von y, die x nicht enthält, bzw. ganz in {x}c enthalten ist. Wegen Lemma 12.1.11 ist {x}c
offen.
Sind umgekehrt einpunktige Mengen abgeschlossen, so gilt für verschiedene
x, y ∈ X, dass auch {x} und {y} in {x, y} abgeschlossen sind. Gemäß Fakta 12.8.2, 3,
sind diese Mengen dann getrennt.
❑
Eins zu eins kann man den Begriff einer zusammenhängenden Menge auf topolo-
gische Räume verallgemeinern; vgl. Definition 6.2.2.
12.8.5 Definition. Eine Teilmenge E eines topologischen Raumes (X, T ) heißt zusam-
menhängend, wenn man E nicht als Vereinigung zweier nichtleerer getrennter Mengen
schreiben kann.
Aus Fakta 12.8.2, 4, erhalten wir
12.8.6 Lemma. Sei (X, T ) ein topologischer Raume und E ⊆ X. Die Eigenschaft,
zusammenhängend zu sein, hängt nur von der Spurtopologie auf E ab. Insbesondere
gilt für E ⊆ Y ⊆ X, dass E genau dann in (Y, T |Y ) zusammenhängend ist, wenn E es in
(X, T ) ist.
Das wichtige Resultat Proposition 6.2.4 lässt sich unmittelbar auf topologische
Räume übertragen, wobei man fast den selben Beweis nehmen kann. Man muss nur
Folgen durch Netze ersetzen. Wir wollen diesen Beweis aber etwas anders führen.
166 KAPITEL 12. TOPOLOGISCHE GRUNDLAGEN
12.8.7 Proposition. Seien (X, T ) und (Y, O) topologische Räume, und sei f : X → Y
eine stetige Funktion. Ist E ⊆ X zusammenhängend, so auch f (E).
Beweis. Mit f : X → Y ist auch f |E : E → f (E) stetig, wobei E und f (E) jeweils mit
der Spurtopologie versehen sind. Wäre f (E) nicht zusammenhängend, so hätten wir
f (E) = A ∪ B mit in f (E) abgeschlossenen und disjunkten A, B , ∅. Daraus ergibt sich
aber im Widerspruch zur Voraussetzung
E = f |−1 −1
E (A) ∪ f |E (B) ,
wobei f |−1 −1
E (A), f |E (B) , ∅ in E abgeschlossenen und disjunkt sind.
❑
Folgender recht trivialer Sachverhalt ist jedoch sehr nützlich.
12.8.8 Lemma. Sei E eine zusammenhängende Teilmenge eines topologischen Raumes
(X, T ). Weiters seien A, B ⊆ X getrennt und so, dass E ⊆ A ∪ B. Dann folgt entweder
E ⊆ A oder E ⊆ B.
Beweis. Offensichtlich sind A ∩ E und B ∩ E als Teilmengen zweier getrennter
Mengen getrennt. Wegen E = (A ∩ E) ∪ (B ∩ E) und da E zusammenhängend ist, folgt
A ∩ E = ∅ oder B ∩ E = ∅ bzw. E ⊆ B oder E ⊆ A. Beides kann nicht der Fall sein, da
getrennte Mengen immer disjunkt sind.
❑
Damit können wir auch das im letzten Kapitel bewiesene Resultat Lemma 11.3.1
über die Vereinigung von zusammenhängenden Mengen in allgemeinen topologischen
Räumen mit einem etwas kürzeren Beweis versehen.
12.8.9 Korollar. Ist (Ei )i∈I eine Familie bestehend aus zusammenhängenden Teilmen-
gen eines topologischen Raumes, sodass für ein gewisses i0 ∈ I und allen i ∈ I die
S
Mengen Ei0 und Ei nicht getrennt sind3 , so ist auch E := i∈I Ei zusammenhängend.
Beweis. Sei E = A ∪ B mit getrennten A und B. Nach Lemma 12.8.8 folgt für jedes
i ∈ I immer entweder Ei ⊆ A oder Ei ⊆ B. Sei oBdA. Ei0 ⊆ A. Wäre Ei ⊆ B für nur ein
i ∈ I, so wären Ei0 und Ei im Widerspruch zur Voraussetzung getrennt. Somit muss E
ganz in A enthalten sein; dh. B = ∅.
❑
12.8.10 Korollar. Mit E ist auch jede Teilmenge C eines topologischen Raumes mit
E ⊆ C ⊆ E zusammenhängend.
Beweis. Sei C = A ∪ B mit getrennten A und B. Nach Lemma 12.8.8 folgt E ⊆ A oder
E ⊆ B. Im ersten Fall folgt aus C ∩ B ⊆ E ∩ B ⊆ A ∩ B = ∅, dass E ⊆ A und daher
B = ∅. Im zweiten Fall schließt man entsprechend auf A = ∅.
❑
Das folgende Korollar 12.8.11 ist eine unmittelbare Verallgemeinerung von Lemma
11.3.5 auf allgemeine topologische Räume.
12.8.11 Korollar. Sei (X, T ) ein topologischer Raum. Ist ∼⊆ X × X die Relation auf X
definiert durch
x ∼ y ⇔ ∃E ⊆ X : x, y ∈ E, E ist zusammenhängend ,
3 Diese Voraussetzung ist sicher dann erfüllt wenn Ei0 mit allen Ei einen nichtleeren Schnitt hat.
12.9. TRENNUNGSEIGENSCHAFTEN (T 3) UND (T 4) 167
so ist ∼ eine Äquivalenzrelation. Für ein x ∈ X ist die Äquivalenzklasse [x]∼ die größte
zusammenhängende Menge, die x enthält. Schließlich ist [x]∼ abgeschlossen.
Beweis. Da die einpunktige Menge {x} zusammenhängend ist, ist ∼ reflexiv. Die Sym-
metrie ist klar. Ist x ∼ y, y ∼ z, und sind E und F zusammenhängende Mengen, sodass
x, y ∈ E und y, z ∈ F, so ist nach Korollar 12.8.9 E ∪ F zusammenhängend, wobei
x, z ∈ E ∪ F. Also ist ∼ ein Äquivalenzrelation. Schließlich ist für x ∈ X die Menge
[
[x]∼ = E,
x∈E
E ist zusammenhängend
wegen Korollar 12.8.9 zusammenhängend. Klarerweise ist diese Menge dann auch die
größte Zusammenhängende Menge, die x enthält. Wegen Korollar 12.8.10 ist sie auch
abgeschlossen.
❑
12.9.1 Definition. Man sagt, dass sich zwei disjunkte Mengen A und B in einem Topo-
logischen Raum getrennt durch offenen Mengen sind, wenn es disjunkte offene Mengen
OA , OB gibt, sodass A ⊆ OA , B ⊆ OB . Dazu sagen wir auch, dass sich A und B durch
offene Mengen trennen lassen.
Ein topologischer Raum (X, T ) heißt regulär, falls er neben dem Axiom (T 2 ) noch
das Trennungsaxiom (T 3 ) erfüllt:
(T 3 ) Abgeschlossene Mengen A und einpunktige Mengen {x} mit x < A lassen sich
durch offene Mengen trennen, d.h. ∃O x , OA ∈ T : x ∈ O x , A ⊆ OA , O x ∩ OA = ∅.
OA
A
Ox
x
Ein topologischer Raum (X, T ) heißt normal, falls er neben dem Axiom (T 2 ) noch
das Trennungsaxiom (T 4 ) erfüllt:
OB
B
OA
A
Offenbar ist das Axiom (T 2) äquivalent dazu, dass sich je zwei verschiedene ein-
punktige Mengen durch offene Mengen trennen lassen.
Da einpunktige Mengen in (T 2)-Räumen abgeschlossen sind, folgt aus normal auch
regulär. Im Allgemeinen gilt aber nicht die Umkehrung.
12.9.2 Bemerkung. Zwei disjunkte Mengen A und B – die Disjunktheit ist äquivalent
zu A ⊆ Bc – lassen sich genau dann durch offene Mengen trennen, wenn es ein offenes
O gibt, sodass
A ⊆ O ⊆ O ⊆ Bc . (12.18)
12.9.3 Korollar. Das Axiom (T 3 ) ist äquivalent zur Tatsache, dass man zu dem Punkt
x und jedem offenen O ∋ x ein offenes P mit x ∈ P ⊆ P ⊆ O finden kann, bzw.
äquivalent zur Tatsache, dass man zu einer beliebigen Umgebung U ∈ U(x) eines
beliebigen Punktes x eine Umgebung V ∈ U(x) mit V ⊆ U finden kann.
12.9.5 Bemerkung. Ähnlich zeigt man, dass sich die Axiome (T 2 ) und (T 3 ) von topo-
Q Q
logischen Räumen (Xi , Ti ) auf den Produktraum ( i∈I Xi , i∈I Ti ) vererben.
12.10. DAS LEMMA VON URYSOHN* 169
12.9.6 Beispiel. Metrische Räume sind normal. Dazu seien A und B zwei disjunkte,
abgeschlossene Mengen.
Zu a ∈ A gibt es ein ǫa > 0 mit U2ǫa (a) ⊆ Bc . Entsprechend wählt man ǫb für b ∈ B.
Nun setze [ [
OA := Uǫa (a), OB := Uǫb (b) .
a∈A b∈B
12.9.7 Bemerkung. Der Vollständigkeit halber sei hier noch das erste Trennungsaxiom
(T 1 ) erwähnt. Ein topologischer Raum erfüllt eben dieses erste Trennungsaxiom, wenn
es zu allen x , y immer zwei (nicht notwendigerweise disjunkte) offene Mengen O x
und Oy mit x ∈ O x und y ∈ Oy gibt, wobei x < Oy und y < O x . Man sieht unschwer,
dass (T 1 ) dazu äquivalent ist, dass alle einpunktigen Teilmengen abgeschlossen sind.
Offenbar folgt (T 1 ) aus dem (T 2 ), aber nicht umgekehrt.
f (x) = inf{r ∈ M : x ∈ Or },
T S
so ist f stetig, wobei f auf r∈M,r>0 Or den Wert Null und auf X \ r∈M,r<1 Or den Wert
Eins annimmt.
Beweis. Wegen O1 = X ist {r ∈ M : x ∈ Or } für jedes x ∈ X eine nichtleere Teilmenge
c
von [0, 1], wodurch f (x) ein Element von [0, 1] ist. Wegen O0 = ∅ ist {r ∈ M : x ∈ Or }
für jedes x ∈ X ebenfalls eine nichtleere Teilmenge von [0, 1], womit
c
g(x) := sup{r ∈ M : x ∈ Or }
Außerdem gilt
c c
[ c
f (x) = g(x) = sup{r ∈ M : x ∈ Or } > t ⇔ ∃r ∈ M, r < t, x ∈ Or ⇔ x ∈ Or .
r∈M,r>t
T S
Schließlich folgt f ( r∈M,r>0 Or ) ⊆ {0} und f (X \ r∈M,r<1 Or ) ⊆ {1} unmittelbar aus
der Definition von f .
❑
Als Folgerung erhält man das in der Literatur als Lemma von Urysohn bezeichnete
Ergebnis.
Mengen Or , Ocs disjunkt sind, und wie oben wegen dem (T 4) die Existenz einer offenen
Menge Ot , sodass Or ⊆ Ot ⊆ Ot ⊆ O s .
S
Also haben wir induktiv für alle r ∈ M = k∈N Mk offene Mengen definiert, sodass
Or ⊆ O s für alle r < s, r, s ∈ M. Definieren wir nun noch O0 und O1 um, indem
wir O0 := ∅ sowie O1 := X setzen, so sind alle Voraussetzungen von Lemma 12.10.1
erfüllt.
T
Wegen A ⊆ r∈M,r>0 Or erfüllt die stetige Funktion aus diesem Lemma f (A) ⊆ {0}
S
und wegen Or ⊆ Bc , r < 1, r ∈ M bzw. B ⊆ X \ r∈M,r<1 Or , auch f (B) ⊆ {1}.
❑
Als Folgerung des Lemmas von Urysohn erhalten wir den Fortsetzungssatz von
Tietze.
12.10.3 Satz (Fortsetzungssatz von Tietze). Ein topologischer Raum (X, T ) erfülle
(T 4 ). Ist A ⊆ X abgeschlossen und f : A → R stetig, so existiert eine steti-
ge Fortsetzung g von f auf X, also ein stetiges g : X → R mit g|A = f , wobei
supt∈A | f (t)| = supt∈X |g(t)| (∈ R ∪ {+∞}).
12.10.4 Lemma. Erfülle (X, T ) das Axiom T 4 und sei u : A → [−1, 1] stetig. Dann
existiert eine stetige Funktion v : X → [− 31 , 13 ], sodass |u(x) − v(x)| ≤ 32 , x ∈ A.
12.10. DAS LEMMA VON URYSOHN* 171
Xn 2
f (x) − hn (x) ≤ ( )n+1 , x ∈ A ,
j=0
3
P
so wende man Lemma 12.10.4 auf u(x) := 32 n+1 f (x) − nj=0 hn (x) an. Die
resultierende Funktion wird mit 23 n+1 multipliziert, und wir erhalten eine Funk-
tion hn+1 : X → [− 31 ( 23 )n+1 , 13 ( 23 )n+1 ], sodass
X
n+1 Xn 2 2
f (x) − hn (x) = f (x) − hn (x) − hn+1 (x) ≤ · n+1
, x ∈ A.
j=0 j=0
3 3
Wir werden in Lemma 12.14.9 sehen, dass der Raum Cb (X, R) aller reellwerti-
gen, beschränkten und stetigen Funktionen auf X versehen mit k.k∞ ein Banach-
raum ist. Wegen
X ∞ X∞
1 2 j
kh j k∞ ≤ ( ) =1 (12.19)
j=0 j=0
3 3
P
konvergiert die Reihe ∞j=0 h j dort absolut; vgl. Definition 9.3.1. Gemäß Fakta
P
9.3.2 konvergiert somit ∞j=0 h j in Cb (X, R) bzgl. k.k∞ , dh. gleichmäßig, gegen
eine g ∈ Cb (X, R), wobei aus (12.19) die Abschätzung kgk∞ ≤ 1 folgt.
Schließlich ist g eine Fortsetzung von f , denn für x ∈ A gilt
Xn 2 n+1 n→∞
f (x) − hn (x) ≤ −→ 0 .
j=0
3
❑
12.10.5 Bemerkung. Aus der Gültigkeit des Fortsetzungssatz von Tietze auf einem
topologischen Raum (X, T ) folgt sofort das Lemma von Urysohn, Korollar 12.10.2,
da für disjunkte und abgeschlossene Mengen A, B die Funktion f : A ∪ B → [−1, 1]
definiert durch f = 1B − 1A wegen Lemma 12.6.4 stetig ist, und daher eine stetige
Fortsetzung g : X → [−1, 1] hat. Die Funktion 21 (g + 1) hat dann die in Korollar
12.10.2 verlangten Eigenschaften.
Andererseits folgt aus der Gültigkeit des Lemma von Urysohn, Korollar 12.10.2,
auf einem topologischen Raum (X, T ), dass dieser das Axiom (T 4) erfüllt. Sind
nämlich A, B ⊆ X abgeschlossen und disjunkt und f : X → [0, 1] wie in Korollar
12.10.2, so folgt A ⊆ f −1 (−∞, 21 ), B ⊆ f −1 ( 21 , +∞), f −1 (−∞, 12 ) ∩ f −1 ( 21 , +∞) = ∅ und
f −1 (−∞, 12 ), f −1 ( 21 , +∞) ∈ T .
12.11 Kompaktheit
Bei metrischen Räumen haben wir den Begriff der Kompaktheit mit Hilfe von Folgen
eingeführt. Für allgemeine topologische Räume wollen wir anders starten. Wir werden
weiter unten sehen, dass dieser Zugang zur Kompaktheit bei metrischen Räumen mit
dem schon bekannten äquivalent ist.
12.11.1 Definition. Eine Teilmenge K eines topologischer Raum (X, T ) heißt kompakt,
wenn jede offene Überdeckung eine endliche Teilüberdeckung besitzt. D.h., ist V ⊆ T
eine Familie offener Mengen mit
[
V⊇K,
V∈V
V1 ∪ . . . ∪ Vn ⊇ K .
Eine Teilmenge A ⊆ X heißt relativ kompakt, wenn A ⊆ X kompakt ist. Der Raum
(X, T ) heißt lokalkompakt, wenn jeder Punkt x eine kompakte Umgebung besitzt.
Sei C eine Familie von Teilmengen einer Mengen X, dh. C ⊆ P(X). Wir sagen, dass
C die endliche Durchschnittseigenschaft hat, wenn für je endlich viele C1 , . . . , Cn ∈ C
stets C1 ∩ . . . ∩ Cn , ∅ gilt.
12.11.2 Proposition. Sei (X, T ) ein topologischer Raum und K ⊆ X. Dann sind äqui-
valent:
(K1 ) K ist kompakt.
(K2 ) K betrachtet als Teilmenge von (K, T |K ) ist kompakt.
(K3 ) Jede Familie bzgl. T |K abgeschlossener Teilmengen von K mit der endlichen
Durchschnittseigenschaft hat nichtleeren Durchschnitt.
12.11. KOMPAKTHEIT 173
(K4 ) Jedes Netz (xi )i∈I in K hat ein gegen ein x ∈ K konvergentes Teilnetz.
Beweis.
(K1 ) ⇒ (K2 ): Sei V ⊆ T |K eine offene Überdeckung von K in (K, T |K ). Zu V ∈ V
existiert ein UV ∈ T mit UV ∩ K = V. Also ist U := {UV : V ∈ V} eine
Familie offener Mengen in X, die K überdeckt. Es gibt also UV1 , . . . , UVn mit
UV1 ∪ . . . ∪ UVn ⊇ K. Damit ist auch
V1 ∪ . . . ∪ Vn = (UV1 ∩ K) ∪ . . . ∪ (UVn ∩ K) = (UV1 ∪ . . . ∪ UVn ) ∩ K = K .
(K2 ) ⇒ (K1 ): Ist K als Teilmenge von (K, T |K ) kompakt, und ist U ⊆ T eine Überde-
ckung aus offenen Mengen in (X, T ), so ist
V := {U ∩ K : U ∈ U}
eine offene Überdeckung von (K, T |K ). Daher existiert eine endliche Teilüberde-
ckung {U1 ∩ K, . . . , Un ∩ K}, und daher U1 ∪ . . . ∪ Un ⊇ K.
(K2 ) ⇒ (K3 ): Sei C eine Familie in (K, T |K ) abgeschlossener Teilmengen von K mit
T
der endlichen Durchschnittseigenschaft. Angenommen C∈C C = ∅. Dann folgt
[
K \C = K ,
C∈C
wobei die K \ C in (K, T |K ) offen sind. Also gibt es eine endliche Teilüberde-
ckung, (K \ C1 ) ∪ . . . ∪ (K \ Cn ) = K, und wir erhalten C1 ∩ . . . ∩ Cn = ∅, was
aber der endlichen Durchschnittseigenschaft widerspricht.
(K3 ) ⇒ (K2 ): Sei V ⊆ T |K eine offene Überdeckung von K. Würde V keine endli-
che Teilüberdeckung besitzen, so wäre (K \ V1 ) ∩ . . . ∩ (K \ Vn ) , ∅ für jede
endliche Auswahl V1 , . . . , Vn ∈ V. Also hätte C = {K \ V : V ∈ V} die end-
liche Durchschnittseigenschaft, und nach Voraussetzung wäre der Schnitt aller
Mengen K \ V, V ∈ V nichtleer. Damit wäre V aber keine Überdeckung.
(K3 ) ⇒ (K4 ): Sei (xi )i∈I ein Netz in K. Für i ∈ I ist Ci = {xk : k i} ∩ K abgeschlossen
in (K, T |K ). Das System Ci , i ∈ I, hat die endliche Durchschnittseigenschaft,
denn sind i1 , . . . , in ∈ I und ist i ∈ I, i i1 , . . . , in , so gilt
∅ , {xk : k i} ⊆ {xk : k i1 } ∩ · · · ∩ {xk : k in } .
Nach Voraussetzung gibt es ein x ∈ ∩i∈I Ci .
Jetzt sei J = {( j, U) : j ∈ I, U ∈ U(x), x j ∈ U} versehen mit der offensichtlich
reflexiven und transitiven Relation
( j, U) (k, V) :⇔ j k ∧ U ⊇ V .
Für ( j1 , U1 ), ( j2 , U2 ) ∈ J sei k ∈ I mit k j1 , j2 . Wegen x ∈ {x j : j k} gibt es
ein x j ∈ U1 ∩ U2 mit j k, und somit ( j, U1 ∩ U2 ) ( j1 , U1 ), ( j2 , U2 ). Also ist
J gerichtet.
Mit xi( j,U) := x j erhalten wir ein Teilnetz (xi( j,U) )( j,U)∈J von (xi )i∈I , da für jedes
i0 ∈ I die Beziehung (i0 , X) ∈ J gilt und da ( j, U) (i0 , X) immer i( j, U) = j
i0 = (i0 , U) nach sich zieht.
Zu V ∈ U(x) gibt es ein k ∈ I mit xk ∈ V. Für ( j, U) (k, V) folgt dann
xi( j,U) = x j ∈ U ⊆ V, und somit konvergiert dieses Teilnetz gegen x.
174 KAPITEL 12. TOPOLOGISCHE GRUNDLAGEN
12.11.3 Bemerkung (*). Wegen Lemma 12.2.15 ist die Bedingung (K4) zu der Tatsache
äquivalent, dass jedes Netz einen Häufungspunkt in K hat.
12.11.4 Satz (*). Ein Netz (xi )i∈I in einer kompakten Menge K ⊆ X konvergiert genau
dann gegen ein x ∈ X, wenn x der einzige Häufungspunkt von (xi )i∈I ist.
Beweis. Wenden wir nun Lemma 12.2.16 an, und beachten, dass Häufungspunkte von
Teilnetzen von (xi )i∈I auch Häufungspunkte von (xi )i∈I sind (vgl. Lemma 12.2.15), so
erhalten wir aus Bemerkung 12.11.3 das behauptete Ergebnis.
❑
12.11.5 Definition (*). Eine Teilmenge A eines topologischen Raumes (X, T ) heißt
abzählbar kompakt, wenn jede unendliche Teilmenge von A einen Häufungspunkt in A
hat.
Eine Teilmenge A eines topologischer Raum (X, T ) heißt folgenkompakt, wenn jede
Folge in A eine gegen ein x ∈ A konvergente Teilfolge hat.
12.11.6 Bemerkung (*). Ist M ⊆ A unendlich, so gibt es sicher eine injektive Funktion
x : N → M. Das ist aber nichts anderes als eine Folge, daher x(n) = xn .
Ist A folgenkompakt, so folgt x = limk→∞ xn(k) für eine Teilfolge (xn(k) )k∈N und ein
x ∈ A. Für jede Umgebung U von x gibt es somit einen Index k0 ∈ N, sodass xn(k) ∈ U
für alle k ≥ k0 . Da die Folgenglieder alle verschieden sind, enthält U sicherlich einen
Punkt y := xn(k) ∈ M, der ungleich x ist. Also hat M einen Häufungspunkt in A; vgl.
Definition 12.2.8. Somit folgt für eine Teilmenge eines topologischen Raumes aus der
Eigenschaft folgenkompakt die Eigenschaft abzählbar kompakt. Die Umkehrung gilt
im Allgemeinen nicht.
Ist A kompakt, so folgt wegen Proposition 12.11.2 x = limi∈I xn(i) für ein Teilnetz
(xn(i) )i∈I und ein x ∈ A. Für jede Umgebung U von x gibt es somit einen Index i0 ∈ I,
sodass xn(i) ∈ U für alle i i0 .
Da die Folgenglieder alle verschieden sind, gibt es höchstens ein n0 ∈ N, sodass
xn0 = x. Die Teilnetzeigenschaft bedingt die Existenz eines i1 ∈ I, sodass i i1 ⇒
n(i) ≥ n0 + 1 ∧ xn(i) ∈ U. Für solche i liegt der Punkt y := xn(i) ∈ M in U und ist
ungleich x. Also hat M einen Häufungspunkt in A; vgl. Definition 12.2.8. Somit folgt
12.11. KOMPAKTHEIT 175
auch aus kompakt abzählbar kompakt. Die Umkehrung gilt im Allgemeinen auch hier
nicht.
Überraschenderweise gilt im Allgemeinen weder, dass kompakt folgenkompakt im-
pliziert, noch, dass folgenkompakt kompakt impliziert. In metrischen Räumen sind alle
drei Begriffe äquivalent, siehe Satz 12.14.3.
U1 ∪ · · · ∪ Un = U1 ∪ . . . ∪ Un ∪ (O ∩ B) ⊇
| {z }
=∅
U1i ∪ . . . ∪ Uni i ⊇ Ai ,
und es folgt [
Uki ⊇ A1 ∪ . . . ∪ Am .
k,i
(iii) Sei A kompakt, und sei x < A. Da (X, T ) Hausdorff ist, gibt es zu jedem Punkt
y ∈ A offene Umgebungen Uy ∈ U(y), Vy ∈ U(x), mit Uy ∩ Vy = ∅. Klarerweise
ist {Uy : y ∈ A} eine offene Überdeckung von A. Daher gibt es y1 , . . . , yn ∈ A,
sodass bereits Uy1 ∪ . . . ∪ Uyn ⊇ A gilt. Die Menge Vy1 ∩ . . . ∩ Vyn ist als endlicher
Durchschnitt von Umgebungen von x ebenfalls eine Umgebung von x, und es gilt
Uy1 ∪ . . . ∪ Uyn ∩ Vy1 ∩ . . . ∩ Vyn = ∅.
Also ist x ein innerer Punkt von Ac . Nach Lemma 12.1.11 ist Ac offen und daher
A abgeschlossen.
❑
12.11.8 Lemma. Sei f : (X, T ) → (Y, O) stetig. Ist A ⊆ X kompakt, so ist auch
f (A) ⊆ Y kompakt.
176 KAPITEL 12. TOPOLOGISCHE GRUNDLAGEN
Beweis. Ist U ⊆ O eine Überdeckung von f (A), so ist f −1 (U) eine Überdeckung von A,
die wegen der Stetigkeit von f aus offenen Mengen besteht. Es gibt also U1 , . . . , Un ∈
U, sodass
f −1 (U1 ) ∪ . . . ∪ f −1 (Un ) ⊇ A .
Wendet man darauf f an, so folgt U1 ∪ . . . ∪ Un ⊇ f (A).
❑
Nimmt man die Charakterisierung (K4) aus Proposition 12.11.2 her, so kann man
Lemma 12.11.8 auch ganz ähnlich wie in Proposition 6.1.13 beweisen. Ist nämlich
(yi )i∈I ein Netz in f (A), und wählt man zu jedem i ∈ I ein xi ∈ A, sodass f (xi ) = yi , so
hat nach (K4) das Netz (xi )i∈I ein gegen ein x ∈ A konvergentes Teilnetz (xi( j) ) j∈J . Aus
Lemma 12.3.3 schließen wir, dass (yi( j) ) j∈J = f (xi( j) ) j∈J gegen f (x) =: y konvergiert.
Also hat jedes Netz aus f (A) ein gegen ein y ∈ f (A) konvergentes Teilnetz. Nach (K4)
aus Proposition 12.11.2 ist f (A) somit kompakt.
(i) Sei (X, T ) kompakt und (Y, O) Hausdorff. Weiters sei f : (X, T ) → (Y, O) bijektiv
und stetig. Dann ist f ein Homöomorphismus.
(ii) Sei X eine Menge und T , O Topologien auf X, sodass T kompakt und O Hausdorff
ist, und sodass O ⊆ T . Dann gilt sogar O = T .
Beweis.
(i) Wir müssen nachweisen, dass f −1 stetig ist. Dazu zeigen wir, dass das Urbild
unter f −1 einer in (X, T ) abgeschlossenen Menge in (Y, O) abgeschlossen ist, siehe
Satz 12.3.5. Sei A ⊆ X abgeschlossen, dann ist A kompakt, und daher ist nach
Lemma 12.11.8 auch
( f −1 )−1 (A) = f (A) ⊆ Y
kompakt. Nach Lemma 12.11.7, (iii), ist ( f −1 )−1 (A) auch abgeschlossen.
(ii) Wegen O ⊆ T ist idX : (X, T ) → (X, O) stetig, und (i) zeigt, dass idX sogar ein
Homöomorphismus ist, d.h. T = O.
(i) Ist X Hausdorffsch, und ist A ⊆ X kompakt und x ∈ X \ A, so lassen sich x und
A durch offene Mengen trennen, d.h. es gibt disjunkte offene Mengen O x ∋ x und
OA ⊇ A.
(iii) Ist (X, T ) kompakt und Hausdorffsch, so ist (X, T ) sogar normal.
Beweis.
12.12. FILTER UND NETZE* 177
(iii) Da jede abgeschlossene Teilmenge von X nach Lemma 12.11.7 kompakt ist, folgt
aus (i), dass X regulär ist, dh. es gilt (T 2 ) und (T 3 ). Nach (ii) ist X dann sogar
normal.
Beweis. Aus ∅ < B , ∅ folgt sofort ∅ < f (B) , ∅. Zu f (B1 ), f (B2) ∈ f (B) mit
B1 , B2 ∈ B gibt es gemäß (FB2) ein B3 ∈ B, sodass B3 ⊆ B1 ∩ B2 , woraus sofort
f (B3 ) ⊆ f (B1 ∩ B2 ) ⊆ f (B1 ) ∩ f (B2 ) folgt. Also ist f (B) eine Filterbasis auf Y.
Offenbar gilt f (B) ⊆ f ([B]) und daher auch [ f (B)] ⊆ [ f ([B])]. E ∈ [ f ([B])]
bedeutet f (F) ⊆ E für ein F ∈ [B]. Also folgt B ⊆ F und somit f (B) ⊆ E bzw.
B ⊆ f −1 (E) für ein B ∈ B. Somit gilt f −1 (E) ∈ [B].
Schließlich folgt aus f −1 (E) ∈ [B], dass B ⊆ f −1 (E) und infolge
f (B) ⊆ f ( f −1 (E)) ⊆ E für ein B ∈ B. Also gilt E ∈ [ f (B)].
❑
Für Urbilder gilt folgende Aussage, die leicht zu verifizieren ist.
178 KAPITEL 12. TOPOLOGISCHE GRUNDLAGEN
12.12.2 Lemma. Seien X und Y nichtleere Mengen und f : X → Y eine Abbildung. Ist
C eine Filterbasis auf Y. Falls f −1 (C) , ∅ (bzw. äquivalent dazu C ∩ f (X) , ∅) für alle
C ∈ C, so ist f −1 (C) eine Filterbasis auf X. Dabei gilt
[ f −1 (C)] = [ f −1 ([C])]
Sei X eine Menge. Betrachte die Menge aller Filter auf X. Dies ist eine gewisse
Teilmenge von P(P(X)), und da die Potenzmenge jeder Menge mit der mengentheo-
retischen Inklusion geordnet ist, ist auch die Menge aller Filter auf X in dieser Weise
eine geordnete Menge. Ist F1 ⊆ F2 , so sagt man, dass F2 feiner als F1 ist oder, dass F1
gröber als F2 ist.
12.12.3 Definition. Sei (X, T ) ein topologischer Raum und x ∈ X. Ein Filter F auf X
heißt konvergent gegen x, wenn F feiner ist als der Umgebungsfilter U(x) von x, dh.
F ⊇ U(x). Wir schreiben F → x dafür.
Eine Filterbasis B auf einem topologischen Raum (X, T ) heißt konvergent gegen
ein x ∈ X, in Zeichen B → x, wenn der von dieser Basis erzeugte Filter [B] gegen x
konvergiert.
F1 → x, F1 ⊆ F2 ⇒ F2 → x .
∀U ∈ U(x)∃F ∈ F : F ⊆ U . (12.20)
∀U ∈ U(x) ∃B ∈ B : B ⊆ U . (12.21)
∀U ∈ U(x) ∃i0 ∈ I : ∀i i0 : xi ∈ U
bedeutet. Die Ähnlichkeit zur Konvergenz einer Filterbasis lässt sich formalisieren.
BI := {{i : i k} : k ∈ I} .
Ein Netz (xi )i∈I in einem topologischen Raum (X, T ) über der gerichteten Menge I
ist eine Abbildung x : I → X. Das Bild von BI unter x ist dann gerade die Filterbasis
(vgl. Lemma 12.12.1)
x(BI ) = {{xi : i k} : k ∈ I} .
[x(BI )] bezeichnet man auch als den Endfilter des Netzes (xi )i∈I .
Die Konvergenz von (xi )i∈I gegen ein x ∈ X besagt gerade
∀U ∈ U(x) : ∃k ∈ I : {xi : i k} ⊆ U ,
Implizit ist die Konstruktion des nun folgenden Lemma schon in Lemma 12.2.6
aufgetreten.
12.12.6 Lemma. Sei X ein nichtleere Menge und B eine Filterbasis auf X. Dann ist
I = {(y, B) ∈ X × B : y ∈ B}
mit der Relation (y1 , B1) (y2 , B2 ) :⇔ B1 ⊇ B2 eine gerichtete Menge. Für das Netz
(xi )i∈I definiert durch xi = y, wenn i = (y, B) gilt
x(BI ) = B .
Beweis. Die Richtungseigenschaft folgt aus der Filterbasiseigenschaft (FB2), denn für
(y1 , B1 ), (y2 , B2) ∈ I gilt (y3 , B3 ) (y1 , B1), (y2 , B2 ), wenn B ∋ B3 ⊆ B1 ∩ B2 und
y3 ∈ B3 . Reflexivität und Transitivität von sind klar. Schließlich gilt für k = (z, B) ∈ I
12.12.8 Bemerkung. Wir wollen dieses Resultat verwenden um für einen topologischen
Raum (X, T ), x ∈ X, und D ⊆ X die Tatsache x ∈ D neu zu beleuchten. Bekannterweise
gilt
x ∈ D ⇔ ∀U ∈ U(x) : U ∩ D , ∅ .
Wegen Lemma 12.12.7 angewandt auf C = {D} ∪ U(x) ist das äquivalent dazu, dass
{U ∩ D : U ∈ U(x)} eine Filterbasis bestehend aus Teilmengen von D abgibt. Diese
konvergiert offenbar gegen x.
Ist andererseits B eine Filterbasis bestehend aus Teilmengen von D mit B → U(x),
so gibt es zu jedem U ∈ U(x) ein B ∈ B mit ∅ , B ⊆ U ∩ D. Somit gibt {U ∩ D : U ∈
U(x)} eine Filterbasis ab, was wieder x ∈ B bedeutet.
Also gilt x ∈ D genau dann, wenn B → x für eine gewisse Filterbasis bestehend
aus Teilmengen von D. Mit Hilfe von (12.22) und Lemma 12.12.6 kann man wieder
leicht die schon bekannte Tatsache herleiten, dass das auch zur Existenz eines Netzes
aus D mit Grenzwert x äquivalent ist.
12.12.9 Korollar. Ist B j , j ∈ J, eine Familie von Filtern auf X, sodass endlich viele
S
Mengen aus C := j∈J B j immer einen nichtleeren Schnitt haben, so gibt es einen
gröbsten Filter [C], der alle B j , j ∈ J, umfasst. Dabei gilt
h[ i
[C] = [B j ] . (12.23)
j∈J
W
Man schreibt auch j∈J [B j ] für diesen Filter.
Beweis. Die erste Aussage folgt sofort aus Lemma 12.12.7. Außerdem gilt [C] ⊇ [B j ]
S S
für jedes j ∈ J, und damit ⊇ in (12.23). ⊆ folgt sofort aus j∈J B j ⊆ j∈J [B j ].
❑
12.12.10 Lemma. Seien X eine Menge, (Yi , Ti ), i ∈ I, topologische Räume und fi :
X → Yi , i ∈ I, Abbildungen, und sei X versehen mit der entsprechenden initialen To-
pologie T . Eine Filterbasis B auf X konvergiert genau dann gegen ein x ∈ X, wenn
fi (B) → fi (x) für alle i ∈ I.
S
−1
Beweis. Für x ∈ X betrachte C := i∈I fi U fi (x) . Man beachte dabei, dass
[ fi−1 U fi (x) ] = [ fi−1 W fi (x) ], wenn W fi (x) eine Filterbasis von U fi (x) ist; vgl.
Lemma 12.12.2. Nach Korollar 12.12.9 gilt
h[ i
[C] = fi−1 W fi (x) .
j∈J
Sei W fi (x) die Filterbasis aller fi (x) enthaltenden offenen Teilmengen von Yi .
T
Die Mengen der Bauart i∈J fi−1 (Oi ), wobei J ⊆ I endlich ist und Oi ∈ Ti , i ∈ J,
bilden eine Basis der Topologie T . Für x ∈ X ist die Menge aller solchen Mengen,
die x enthalten, ein Basis des Umgebungsfilter von x bzgl. T . Nun ist dasaber
genau
S
die die Menge aller endlichen Schnitte von Mengen aus j∈J fi−1 W fi (x) . Also gilt
[C] = U(x).
fi (B) → fi (x) bedeutet [ fi (B)] ⊇ U( fi (x)) für alle i ∈ I. Nach Lemma 12.12.1 ist
das zu fi−1 (U( fi (x))) ⊆ [B], i ∈ I, äquivalent. Da die rechte Seite ein Filter ist, erkennt
man, dass das zu [C] ⊆ [B], dh. zu B → x, äquivalent ist.
❑
In Analogie zum Häufungspunkt eines Netzes definieren wir
12.12. FILTER UND NETZE* 181
12.12.11 Definition. Sei (X, T ) ein topologischer Raum und B eine Filterbasis in X.
Dann heißt x ∈ X Häufungspunkt von B, falls
\
x∈ B =: HP(B) .
B∈B
12.12.12 Fakta.
1. Offenbar gilt HP(B) = HP([B]) und B1 ⊆ B2 ⇒ HP(B1 ) ⊇ HP(B2 ).
2. Aus Bemerkung 12.12.8 erkennen wir, dass x ∈ HP(B) äquivalent ist zu U ∩ B ,
∅ für alle U ∈ U(x) und B ∈ B.
3. Daraus leitet man unmittelbar her, dass aus B → x, dh. B ⊇ U(x), immer x ∈
HP(B) folgt.
4. Gemäß 2 und Lemma 12.12.7 bedeutet x ∈ HP(B), dass der Filter [U(x) ∪ B]
existiert, wobei [U(x) ∪ B] ⊇ U(x). Also gibt es einen feineren Filter als [B], der
gegen x strebt.
Diese Tatsache ist sogar äquivalent zu x ∈ HP(B), denn ist umgekehrt F ein
Filter mit F → x und F ⊇ [B], so folgt x ∈ HP(F) ⊆ HP(B).
12.12.13 Lemma. Eine Filterbasis auf einem topologischen Raum (X, T ) konvergiert
genau dann gegen x ∈ X, wenn x ∈ HP(C) für jede Filterbasis C mit [C] ⊇ [B].
Beweis. Aus [B] → x, dh. [B] ⊇ U(x), und [C] ⊇ [B] folgt sofort [B] → x und daher
x ∈ HP(C).
[B] 6→ x bedeutet andererseits [B] + U(x), dh. U < [B] für ein U ∈ U(x). Es
folgt B \ U , ∅ für alle B ∈ B, da ja aus B ⊆ U immer U ∈ [B] folgt. Somit ist
C := {B \ U : B ∈ B} eine Filterbasis mit [C] ⊇ [B]. x kann aber wegen Fakta 12.12.12,
2, kein Häufungspunkt von C sein.
❑
Vergleichen wir Fakta 12.12.12, 4, mit Lemma 12.2.15, so stellt sich die Frage, was
Teilnetze mit feineren Filtern zu tun haben.
12.12.14 Bemerkung. Sei (xi )i∈I ein Netz in einem topologischen Raum (X, T ). Aus
(12.5) erkennt man sofort, dass x genau dann Häufungspunkt von (xi )i∈I ist, wenn x
Häufungspunkt der Filterbasis x(BI ) ist.
Sei nun (xi( j) ) j∈J ein Teilnetz von (xi )i∈I , dh. für jedes i0 ∈ I gibt es ein j0 ∈ J
mit {i( j) : j j0 } ⊆ {i : i i0 }. Wir sehen, dass die Teilnetzeigenschaft zu [BI ] ⊆
[i(B J )] = i[[B J ]] äquivalent ist. Man beachte, dass damit die Eigenschaft Teilnetz zu
sein, nicht von den Netzen, sondern nur von den betrachteten gerichteten Mengen und
der Abbildung i : J → I abhängt.
Aus [BI ] ⊆ [i(B J )] folgt (vgl. Lemma 12.12.1)
[x(BI )] = x[BI ] ⊆ x[i(B J )] = [x(i(B J ))] = [x ◦ i(B J )]
Insbesondere erkennt man, dass aus (xi )i∈I → x auch (xi( j) ) j∈J → x folgt.
Ist nun C eine Filterbasis auf X mit [C] ⊇ [x(BI )], so kann man andererseits ein
Teilnetz (xi( j) ) j∈J von (xi )i∈I konstruieren, sodass [C] = [x ◦ i(B J )]4 . Dazu setzen wir
J := {(k, C) : k ∈ I, C ∈ C, xk ∈ C} ,
4 Diese Konstruktion tritt implizit schon im Beweis von Proposition 12.11.2 auf.
182 KAPITEL 12. TOPOLOGISCHE GRUNDLAGEN
und definieren
(k1 , C1 ) (k2 , C2 ) :⇔ k1 k2 ∧ C1 ⊇ C2 .
ist offenbar reflexiv und transitiv. Für (k1 , C1 ), (k2 , C2 ) ∈ J gibt es C3 ∈ C mit C3 ⊆
C1 ∩ C2 und k ∈ I mit k k1 , k2 . Aus [C] ⊇ [x(BI )] folgt C3 ∩ {xi : i k} ∈ [C]. Also
ist dieser Schnitt nicht leer, und wir finden k3 k mit xk3 ∈ C3 , dh. (k1 , C1 ), (k2 , C2 )
(k3 , C3 ) ∈ J. Also ist J eine gerichtete Menge.
Setzen wir noch i (k, C) = k, so ist (xi( j) ) j∈J nach der Definition von auf J ein
Teilnetz. Für den entsprechenden Endfilter gilt ( j0 = (k0 , C0 ))
{B : B ∈ B}
und bezeichnen mit πi : X → Xi die Projektion auf die i-te Komponente. Bekannter-
weise sind die πi : (X, T ) → (Xi , Ti ) stetig.
Setzt man voraus, dass (X, T ) kompakt ist, so ist jeder Raum (Xi , Ti ) als stetiges
Bild eines kompakten Raumes ebenfalls kompakt, vgl. Lemma 12.11.8.
Sei nun vorausgesetzt, dass (Xi , Ti ) für jedes i ∈ I kompakt ist, und sei F ein
Ultrafilter auf X. Für jedes i ∈ I folgt aus Lemma 12.13.4, dass [πi (F)] ein Ultrafilter
auf Xi ist. Nach Korollar 12.13.5 konvergiert [πi (F)] gegen einen Punkt xi ∈ Xi . Setzen
wir x := (xi )i∈I (∈ X), so folgt aus Lemma 12.12.10, dass F gegen x konvergiert. Nach
Korollar 12.13.5 ist X damit kompakt.
❑
Die folgende Aussage ist oft praktisch wenn man mit Ultrafiltern arbeitet.
12.13.7 Lemma. Ein Filter F in X ist genau dann Ultrafilter, wenn für alle A ⊆ X
entweder A ∈ F oder Ac ∈ F gilt.
184 KAPITEL 12. TOPOLOGISCHE GRUNDLAGEN
Beweis. Habe F die angegebene Eigenschaft, und sei G ⊇ F. Für F ∈ G gilt also
entweder F ∈ F oder F c ∈ F. Im zweiten Fall wäre dann aber F c ∈ G, womit wir den
Widerspruch ∅ = F ∩ F c ∈ G erhielten. Also muss stets der erste Fall eintreten, womit
G ⊆ F. Also ist F ein Ultrafilter.
Sei F ein Ultrafilter, A ⊆ X, und sei Ac < F. Dann gilt A ∩ B , ∅ für jedes
B ∈ F, denn wäre A ∩ B = ∅, also B ⊆ Ac , so müssten wir Ac ∈ F haben. Also ist die
Menge B := {A ∩ B : B ∈ F} eine Filterbasis. Offenbar gilt [B] ⊇ F, und wegen der
Maximalität von F sogar [B] = F. Wegen A ∈ B erkennen wir, dass F die angegebene
Bedingung erfüllt.
❑
M = M1 ∪ · · · ∪ Mn .
12.14.2 Fakta.
1. Man sieht sofort, dass Teilmengen von total beschränkten Mengen wieder total
beschränkt sind.
2. Da einerseits Kugeln mit Radius ǫ einen Durchmesser kleiner oder gleich 2ǫ
haben und da andererseits jede Teilmenge M j ⊆ M mit d(M j ) < ǫ für ein be-
liebiges η j ∈ M j in Uǫ (η j ) enthalten ist, lässt sich totale Beschränktheit auch
folgendermaßen charakterisieren:
Zu jedem ǫ > 0 gibt es y1 , . . . , yn ∈ M, sodass M ⊆ Uǫ (y1 ) ∪ · · · ∪ Uǫ (yn ).
3. Ist M j ⊆ X und sind x, y ∈ M j , so gibt es wegen Lemma 5.1.13 gegen x
bzw. y konvergente Folgen (xn )n∈N und (yn )n∈N aus M j . Somit folgt d(x, y) =
limn→∞ d(xn , yn ) ≤ d(M j ), und daher d(M j ) = d(M j ).
Ist M total beschränkt und ǫ > 0, so gilt M = M1 ∪ · · · ∪ Mn mit d(M j ) < ǫ, j =
1, . . . , n. Es folgt nunmehr M = M1 ∪ · · · ∪ Mn mit d(M j ) < ǫ, j = 1, . . . , n,
womit auch M total beschränkt ist.
Ist M schon selbst abgeschlossen, so erkennt man daraus, dass man die Mengen
M j auch abgeschlossen wählen kann.
12.14.3 Satz. Sei K eine Teilmenge eines metrischen Raumes (X, d). Dann sind äqui-
valent:
12.14. KOMPAKTHEIT IN METRISCHEN RÄUMEN 185
Diese induktiv definierte Folge (xk )k∈N hat offensichtlich die Eigenschaft, dass
für k ∈ N der Punkt xk nicht in U 3ǫ (x1 )∪· · ·∪U 3ǫ (xk−1 ) liegt, und somit d(xk , xl ) ≥
ǫ
3 für l < k.
Damit kann keine Teilfolge von (xk )k∈N eine Cauchy-Folge sein und schon gar
nicht konvergieren. Das widerspricht aber der Voraussetzung (iii).
Es bleibt die Vollständigkeit von (K, d|K×K ) zu zeigen. Dazu sei (xk )k∈N eine
Cauchy-Folge in K. Diese hat voraussetzungsgemäß eine konvergente Teilfol-
ge. Gemäß Lemma 3.5.7 ist (xk )k∈N konvergent.
186 KAPITEL 12. TOPOLOGISCHE GRUNDLAGEN
(iv) ⇒ (i): Zunächst folgt wegen Lemma 9.1.6 aus der Vollständigkeit, dass K abge-
schlossen ist. Sei nun U eine offene Überdeckung von K, und sei angenommen,
dass U keine endliche Teilüberdeckung enthält.
Die Menge K ist gleich der Vereinigung von endlich vielen abgeschlossenen
Mengen mit Durchmesser kleiner als 1. Mindestens eine von diesen Mengen
kann nicht durch endlich viele Mengen aus U überdeckt werden. Diese sei K1 .
Die Menge K1 ist gleich der Vereinigung von endlich vielen abgeschlossenen
Mengen mit Durchmesser kleiner als 12 . Mindestens eine von diesen kann nicht
durch endlich viele Mengen aus U überdeckt werden. Diese sei K2 . Verfährt man
induktiv weiter, so erhält man eine Folge
K ⊇ K1 ⊇ K2 ⊇ K3 ⊇ . . .
1
von abgeschlossenen Mengen, sodass Kn einen Durchmesser kleiner als n hat,
und kein Kn durch endlich viele Mengen aus U überdeckt werden kann.
Wähle xn ∈ Kn . Dann ist (xn )n∈N eine Cauchy-Folge. Sei x ∈ K, sodass xn → x.
Also existiert V ∈ U mit x ∈ V. Da V offen ist, gibt es eine Kugel Uǫ (x) ⊆ V.
Sei n ∈ N, sodass 1n < 2ǫ und d(xn , x) < 2ǫ . Da der Durchmesser von Kn kleiner
als n1 ist, folgt für y ∈ Kn :
Also ist Kn ⊆ V, im Widerspruch zur Tatsache, dass Kn nicht durch endlich viele
Mengen aus U überdeckt werden kann.
❑
12.14.4 Bemerkung. Eine Situation, wo obiger Satz Anwendung findet, ist die, dass
(X, d) ein vollständig metrischer Raum ist, und dass G eine total beschränkte Teilmenge
von X ist. Der Abschluss K von G ist dann auch total beschränkt und vollständig, also
kompakt.
12.14.5 Bemerkung (*). Satz 12.14.3 besagt insbesondere, dass in metrischen Räumen
die Begriffe kompakt, abzählbar kompakt und folgenkompakt zusammenfallen, vgl.
Definition 12.11.5.
12.14.6 Korollar (*). Sei (X, d) ein metrischer Raum. Ist K ⊆ X kompakt, dann ist K
separabel, hat also eine dichte abzählbare Teilmenge.
Beweis. Nach Satz 12.14.3 gibt es zu n ∈ N endlich viele Punkte xn1 , . . . , xnm(n) ∈ K,
sodass
U 1 (xn1 ) ∪ · · · ∪ U 1 (xnm(n) ) ⊇ K . (12.24)
n n
S n n
Setzen wir D := n∈N {x1 , . . . , xm(n) }, so ist D sicher eine abzählbare Teilmenge von
K. Ist y ∈ K und ǫ > 0, so sei n ∈ N so groß, dass ǫ ≤ n1 . Wegen (12.24) gibt es ein
j ∈ {1, . . . , m(n)} mit d(y, xnj ) < 1n ≤ ǫ und daher xnj ∈ Uǫ (y). Also ist y ∈ D.
❑
12.14.7 Proposition (*). Ein metrischer Raum (X, d) ist genau dann separabel, wenn
er das zweite Abzählbarkeitsaxiom erfüllt, also eine abzählbare Basis hat.
12.14. KOMPAKTHEIT IN METRISCHEN RÄUMEN 187
Beweis. Ist B eine abzählbare Basis von T (d), so sei xB irgendein Punkt aus B für jede
nichtleere Teilmenge B ∈ B. Klarerweise ist D := {xB : ∅ , B ∈ B} abzählbar. Ist y ∈ X
und O ∋ y offen, so gilt sicher y ∈ B ⊆ O für ein B ∈ B. Somit gilt O ∩ D ∋ xB und
daher y ∈ D. Also ist X separabel.
Ist umgekehrt (X, d) separabel mit einer abzählbaren und dichten Teilmenge D ⊆ X,
so besteht B := {U 1 (x) : n ∈ N, x ∈ D} sicherlich aus abzählbar vielen Mengen. Ist
n
2 (y) ⊆ O.
nun O ⊆ X offen, so sei für jedes y ∈ O die Zahl n(y) ∈ N so groß, dass U n(y)
Wir zeigen nun, dass [
O= U 1n (x) , (12.25)
x∈D∪O
n∈N:U 1 (x)⊆O
n
und somit dass B eine Basis von T (d) ist. Klarerweise ist die rechte Seite in O enthal-
ten. Ist y ∈ O, so gibt es wegen der Dichtheit ein x ∈ D ∩ U n(y)
1 (y) ⊆ D ∩ O. Somit folgt
1 1 2
d(t, y) ≤ d(t, x) + d(x, y) < + = ,
n(y) n(y) n(y)
also t ∈ U 2 (y) und somit U 1 (x) ⊆ U 2 (y) ⊆ O. Also liegt jedes y ∈ O in der
n(y) n(y) n(y)
Vereinigung auf der rechten Seite von (12.25).
❑
12.14.8 Bemerkung (*). Da wir im ersten Beweisteil nicht verwendet haben, dass T (d)
eine metrische Topologie ist, gilt allgemein in topologischen Räumen, dass aus (ABII)
die Separabilität folgt.
12.14.9 Lemma. Die Räume Cb (X, R) und Cb (X, C) sind abgeschlossene Teilräume der
Banachräume B(X, R) und B(X, C) versehen mit k.k∞ und daher selbst Banachräume.
Beweis. Wir wissen aus Beispiel 9.1.8, dass B(X, R) und B(X, C) Banachräume sind.
Laut Definition sind Cb (X, R) und Cb (X, C) Teilmengen von B(X, R) bzw. B(X, C).
Wegen Korollar 12.6.9 sind sie sogar lineare Teilräume.
Sei nun fn ∈ Cb (X, R) (Cb (X, C)) mit fn → f in B(X, R) (B(X, C)) bezüglich k.k∞ ,
also gleichmäßig. Ist x ∈ X und (x j ) j∈J ein gegen x konvergentes Netz, so wissen wir
aus Lemma 8.7.1, dass lim j∈J limn→∞ fn (x j ) = lim j∈J f (x j ) existiert und mit
übereinstimmt. Da das Netz beliebig war, ist f stetig, dh. f ∈ Cb (X, R) (Cb (X, C)).
❑
188 KAPITEL 12. TOPOLOGISCHE GRUNDLAGEN
12.14.10 Satz (Ascoli). Sei (X, T ) ein kompakter topologischer Raum und sei Φ eine
punktweise beschränkte und gleichgradig stetige Teilmenge von Cb (X, C), d.h. Φ ⊆
Cb (X, C) mit:
(i) Für jedes x ∈ X ist sup{| f (x)| : f ∈ Φ} beschränkt.
(ii) Für jedes x ∈ X und ǫ > 0 gibt es eine Umgebung V ∈ U(x) mit | f (y) − f (x)| < ǫ
für alle y ∈ V, f ∈ Φ.
Dann ist Φ total beschränkt. Ist umgekehrt Φ total beschränkt, so gelten (i) und (ii).
Eine entsprechende Aussage gilt für Cb (X, R).
Beweis. Erfülle Φ die Bedingungen (i) und (ii). Wir zeigen, dass Φ total beschränkt ist.
Dazu sei ǫ > 0 gegeben. Zu jedem x ∈ X können wir eine Umgebung V x von x
wählen, sodass (ii) für V = V x erfüllt ist. Da jede Umgebung von x eine x enthaltende
offene Menge enthält, können wir die V x offen wählen. Offensichtlich ist V x , x ∈ X,
eine offene Überdeckung von X.
S
Da X kompakt ist, existieren x1 , . . . , xn ∈ X, sodass schon X = ni=1 V xi und
Sei nun f ∈ Φ und k ∈ {1, . . . , m}, sodass | f (xi ) − fk (xi )| < ǫ, i = 1, . . . , n. Jedes x ∈ X
liegt in einer Menge V xi , und für dieses i gilt
Es folgt
für alle x ∈ X und somit k f − fk k∞ ≤ 3ǫ. Die abgeschlossenen Kugeln mit Radius 3ǫ
und Mittelpunkt fk überdecken also ganz Φ, und somit ist Φ total beschränkt.
Zur Umkehrung sei zunächst bemerkt, dass total beschränkte Mengen sicherlich
beschränkt in (Cb (X, C), k.k∞ ) und somit auch punktweise beschränkt sind; also gilt (i).
Wegen der totalen Beschränktheit gibt es zu ǫ > 0 endlich viele f1 , . . . , fm ∈ Φ,
sodass es zu jedem f ∈ Φ ein fk mit k f − fk k∞ < ǫ gibt.
12.15. ÜBUNGSBEISPIELE 189
| f (y) − f (x)| < | f (y) − fk (y)| + | fk (y) − fk (x)| + | f (x) − fk (x)| < 3ǫ ,
12.15 Übungsbeispiele
12.18 Mit der Notation aus dem Übungsbeispiel 12.4 zeige man: Jede Basis B der Topologie T
muss schon mit T oder mit {{1}, {1, 2}, X} übereinstimmen. Weiters zeige man: V ist eine
Subbasis von T genau dann wenn V ⊇ {{1}, {1, 2}}.
12.19 Sei (X, T ) ein kompakter topologischer Raum und f : X → R stetig. Dann zeigen Sie, dass
f ein Maximum und ein Minimum auf X hat.
12.20 Seien (Xn , dn ), n ∈ N, metrische Räume. Weiters seien (cn )n∈N und (c̃n )n∈N Folgen positiver
P Q 2
reeller Zahlen mit cn → 0 bzw. ∞ n=1 c̃n < ∞. Definiere Abbildungen d, d̃ : n∈N Xn →
R durch
dn ( fn , gn ) X
∞
dn ( fn , gn )
d( f, g) := max cn , d̃( f, g) := c̃n ,
n∈N 1 + dn ( fn , gn ) n=0
1 + dn ( fn , gn )
Q
wobei f = ( fn )n∈N , g = (gn )n∈N ∈ n∈N Xn . Zeige, dass d und d̃ Metriken sind, und dass
Q
sowohl T (d) als auch T (d̃) mit n∈N T (dn ) übereinstimmt.
12.21 Sei (Y, T ) ein Topologischer Raum und sei X ⊆ Y versehen mit der Spurtopologie T |X .
Man weise nach:
12.22 Gibt es in R nichttriviale Teilmengen, dh. , ∅ und , R, die bzgl. E := T (d2 ) gleichzeitig
offen und abgeschlossen sind?
Hinweis: Der Begriff Zusammenhang aus dem ersten Semester!
12.23 Seien hXi , Ti i, i ∈ I, topologische Räume, sei Y eine Menge, und seien fi : Y → Xi ,
i ∈ I, Abbildungen. Bezeichne mit T die initiale Topologie auf Y bezüglich der Familie
{ fi : i ∈ I} von Abbildungen.
Sei vorausgesetzt, dass die Familie { fi : i ∈ I} punktetrennend operiert, d.h. dass es zu je
zwei verschiedenen Punkten a, b ∈ Y eine Funktion fi0 gibt mit fi0 (a) , fi0 (b). Zeigen Sie:
Sind alle Räume hXi , Ti i Hausdorff, so hat auch hY, T i diese Eigenschaft. Zeigen Sie auch:
Q Q
Sind alle Räume (Xi , Ti ) Hausdorff, so auch ( Xi , Ti ).
Q
12.24 Sei X = R[0,1] = x∈[0,1] R die Menge aller reellwertigen Funktionen mit Definitionsbereich
D = [0, 1] versehen mit der Produkttopologie.
Man zeige, dass für f ∈ X das Mengensystem
{V x1 ,...,xn ;ǫ ( f ) : n ∈ N; x1 , . . . , xn ∈ D; ǫ > 0} ,
wobei
V x1 ,...,xn ;ǫ ( f ) := {g ∈ X : |g(x j ) − f (x j )| < ǫ, j = 1, . . . , n} ,
eine Filterbasis des Umgebungsfilters U( f ) von f abgibt. Sind die Mengen V x1 ,...,xn ;ǫ ( f )
offen bzgl. der Produkttopologie? Zeigen Sie auch, dass der Umgebungsfilter von f keine
Filterbasis bestehend aus abzählbar vielen Mengen besitzt. Gibt es dann eine Metrik d,
sodass T (d) = T ?
Hinweis: Falls es eine abzählbare Filterbasis (Uk )k∈N von U( f ) gibt, so konstruiere man
induktiv x11 , . . . x1n1 , x21 , . . . x2n2 , · · · ∈ [0, 1] und eine Nullfolge ǫ1 ≥ ǫ2 ≥ · · · > 0, sodass
V x1 ,...x1n ,...,xk ,...xkn ;ǫk ( f ) ⊆ Uk und daher auch (V x1 ,...x1n ,...,xk ,...xkn ;ǫk ( f ))k∈N eine Filterbasis abgibt.
1 1 1 k T 1 1 1 k
Nun zeige man g ∈ k∈N V x1 ,...x1n ,...,xk ,...xkn ;ǫk ( f ) ⇔ g(xkj ) = f (xkj ), ∀k ∈ N, j ∈ {1, . . . , nk }.....
1 1 1 k
192 KAPITEL 12. TOPOLOGISCHE GRUNDLAGEN
12.25 Mit der Notation aus dem vorherigen Beispiel sei B(D) die Teilmenge aller beschränkten
Funktion von X. Also B(D) = { f ∈ X : supt∈D | f (t)| < +∞}.
Sei nun T1 die von der Supremumsmetrik (d∞ ( f, g) := supt∈D | f (t) − g(t)|) erzeugte Topolo-
gie auf B(D), und sei T2 die Spurtopologie T |B(D) , wobei T die Produkttopologie aus dem
vorherigen Beispiel ist.
Man zeige: Wenn f j → f für ein Netz aus B(D) bzgl. T1 dann gilt auch f j → f bzgl.
T2 . Die Umkehrung gilt aber nicht. Man zeige auch, dass T1 echt feiner als T2 ist, bzw.
äquivalent dazu dass id : (B(D), T1 ) → (B(D), T2 ) stetig ist, aber id : (B(D), T2 ) →
(B(D), T1 ) nicht stetig ist.
12.26 Indem man eine offene Überdeckung angibt, die keine endliche Teilüberdeckung hat, zeige
man, dass (0, 1] als Teilmenge von R versehen mit E = T (d2 ) nicht kompakt ist und dass
eine unendliche Menge X versehen mit der diskreten Topologie nicht kompakt ist.
12.27 Sei M eine dichte Teilmenge von R. Man zeige, dass {(−∞, q) : q ∈ M} ∪ {(q, ∞) : q ∈ M}
eine Subbasis der von der Euklidischen Metrik erzeugten Topologie (Euklidischen Topo-
logie) ist.
12.28 Zeigen Sie, dass jeder metrische, kompakte Raum auch separabel ist, also eine abzählbare
dicht Menge enthält!
12.29 Seien (X1 , T1 ) und (X2 , T2 ) kompakte topologische Räume. Man zeige ohne den Satz von
Tychonoff, dass X1 × X2 versehen mit der Produkttopologie kompakt ist!
Hinweis: Siehe Fakta 8.7.8 für den metrischen Fall!
12.30 Sei [−∞, +∞) versehen mit T := {[−∞, a) : a ∈ [−∞, +∞]}. Zeigen Sie, dass T eine
Topologie ist, die nicht Hausdorffsch ist! Bestimmen Sie U(x) für x ∈ [−∞, +∞)! Zeigen
Sie, dass für ein Netz (xi )i∈I aus [−∞, +∞), (xi )i∈I → x bzgl. T genau dann wenn x ∈
[lim supi∈I xi , +∞), wobei man allgemein für ein Netz aus [−∞, +∞) definiert
lim sup xi = inf sup xi (∈ [−∞, +∞]) .
i∈I k∈I I∋ik
12.31 Für die Topologie aus dem vorherigen Beispiel zeige man, dass eine Teilmenge von
[−∞, +∞) genau dann kompakt ist, wenn sie nach oben beschränkt ist und ihr Supremum
enthält! Gibt es in [−∞, +∞) kompakte, nicht abgeschlossene Teilmengen?
12.32 Sei I eine gerichtete Menge und ∞ ein nicht in I enthaltenes Element. Man versehe I ∪ {∞}
derart mit einer Topologie, sodass für jeden topologischen Raum X und jedes Netz (xi )i∈I
in X mit betrefflicher Menge I als Indexmenge und jedes x ∈ X folgende beiden Aussagen
äquivalent sind:
xi → x, i ∈ I.
f : I ∪ {∞} → X ist stetig, wobei f (i) = xi und f (∞) = x.
12.33 Sei (G, T ) eine topologische Gruppe, also eine Gruppe versehen mit einer Topologie, so-
dass (g, h) 7→ gh als Abbildung von G × G (versehen mit der Produkttopologie) nach G und
g 7→ g−1 als Abbildung von G nach G stetig sind. Weiters seien M1 , M2 Teilmengen von G.
Weisen Sie nach, dass wenn (I, ) eine gerichtete Menge und (xi )i∈I , (yi )i∈I zwei Netze in
G über dieser gerichteten Menge mit xi → x und yi → y für x, y ∈ G sind, dann auch
xi yi → xy.
Weiters zeige man, dass wenn M1 und M2 kompakt sind, dann auch M1 · M2 eine kompakte
Teilmenge von G ist.
12.34 Mit der Notation aus vorherigen Beispiel zeige man, dass M1 · M2 abgeschlossen ist, wenn
eine der beiden Mengen abgeschlossen und die andere kompakt ist.
Hinweis: Nehmen Sie an, dass z im Abschluss von M1 · M2 ist, und betrachten Sie ein Netz,
dass aus M1 · M2 heraus gegen z konvergiert!
Anmerkung: M1 · M2 ist am Allgemeinen nicht abgeschlossen, wenn man nur fordert, dass
M1 und M2 abgeschlossen
√ sind. Beispielsweise sind in der
√ topologischen Gruppe (R, +)
die Mengen Z und 2Z abgeschlossen. Die Menge Z + 2Z ( R ist aber dicht in R und
damit nicht abgeschlossen.
12.15. ÜBUNGSBEISPIELE 193
12.35 Zeigen Sie, dass Φ = { f ∈ C 1 [0, 1] : f (0) = 0, k f ′ k∞ ≤ 1} als Teilmenge von C([0, 1], R)
relativ kompakt ist, dh. dass Φ kompakt ist.
12.36 Man gebe an, ob Φ ⊆ C(K, R) total beschränkt ist, wobei
(a) K = [0, 1] und Φ = {(t 7→ tn ) : n ∈ N}
(b) K = [0, 1] und Φ = { f ∈ C(K, R) : k f k∞ ≤ 1}
tn
(c) K = [0, 1] und Φ = {(t 7→ n
) : n ∈ N}
tn
(d) K = [0, 2] und Φ = {(t 7→ n
) : n ∈ N}
12.37 Ist Φ = {(t 7→ tn ) : n ∈ N} ⊆ C([0, 1), R) gleichgradig stetig? Begründung!
12.38 Zeigen Sie, dass für einen kompakten metrischen Raum K ein Φ ⊆ C(K, R) genau dann to-
tal beschränkt ist, wenn Φ als Teilmenge des normierten Raumes (C(K, R), k.k∞ ) beschränkt
ist und wenn Φ gleichmäßig und gleichgradig stetig ist.
Letzteres bedeutet, dass es zu jeden ǫ > 0 ein δ > 0 gibt, sodass | f (x) − f (y)| < ǫ für alle
f ∈ Φ und alle x, y ∈ X mit d(x, y) < δ.
194 KAPITEL 12. TOPOLOGISCHE GRUNDLAGEN
Kapitel 13
In diesem Anhang wollen wir insbesondere einen Beweis des Lemmas von Zorn brin-
gen, das im Beweis des Satzes von Tychonoff, Satz 12.13.6, verwendet wurde.
Ordnungen
13.0.1 Definition. Sei M eine Menge, und eine Relation auf M, d.h. ist eine Teil-
menge von M × M. Dann heißt Halbordnung auf M, oder kurz (M, ) Halbordnung,
falls folgende drei Axiome gelten:
Reflexiv: x ∈ M ⇒ x x.
Antisymmetrisch: x y ∧ y x ⇒ x = y.
Transitiv: x y ∧ y z ⇒ x z.
13.0.3 Definition. Sei eine Halbordnung auf der Menge M. Dann heißt (M, ) Ver-
band, wenn jede zweielementige Teilmenge von M ein Supremum und ein Infimum
hat.
Ein Verband (M, ) heißt vollständig, falls jede Teilmenge von M ein Supremum
und ein Infimum hat.
195
196 KAPITEL 13. LEMMA VON ZORN*
Ist M eine Menge, so ist P(M) versehen mit der Mengeninklusion ein vollständiger
Verband. Ein weiters Beispiel ist die Menge aller Topologien auf einer Menge.
Das nun folgende Lemma von Zorn ist ein fundamentales Hilfsmittel aus der Men-
genlehre. Es ist äquivalent zum Auswahlaxiom und zum Wohlordnungssatz und war
von daher vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts umstritten. Mittlerweile
sind die Mathematiker entspannter, auch wenn ein möglicher Verzicht auf das Aus-
wahlaxiom immer noch in manchen Situationen explizit hervorgehoben wird.
13.0.4 Definition (Auswahlaxiom). Gegeben sei eine Indexmenge I und eine Familie
von nichtleeren Mengen Ai , i ∈ I, so existiert eine Funktion (Auswahlfunktion) f :
S
I → i∈I Ai , sodass f (i) ∈ Ai .
Q
Man beachte, dass das Auswahlaxiom nichts anderes besagt als, dass i∈I Ai , ∅.
13.0.5 Definition. Sei (M, ≤) eine halbgeordnete Menge. Wenn für jede total geord-
nete Teilmenge von M eine obere Schranke existiert, dann heißt M induktiv geordnet.
Wenn sogar jeweils eine kleinste obere Schranke existiert, dann heißt M strikt induktiv
geordnet.
Folgendes Lemma ist der zentrale Hilfsatz zum Beweis des Lemma von Zorn.
13.0.6 Lemma. Es sei (M, ≤) eine nichtleere halbgeordnete Menge mit einem kleinsten
Element o, sodass M strikt induktiv ist. Schließlich sei F : M → M eine Abbildung mit
der Eigenschaft (Monotonie)
m ≤ F(m), m ∈ M.
und damit die gewünschte Gleichheit. Noch zu zeigen ist also die Behauptung, dass S 0
total geordnet ist.
Für den Beweis nennen wir e ∈ S 0 ein extremales Element, wenn für alle s ∈ S 0
mit s ≤ e, s , e (s < e) gilt, dass F(s) ≤ e. Zum Beispiel ist o extremal. Für ein
extremales e setzen wir
S e := {s ∈ S 0 : s ≤ e ∨ F(e) ≤ s}.
• Für jedes Element s ∈ S e folgt aus s < e schon F(s) ≤ e, aus s = e folgt F(s) =
F(e), und aus s e folgt F(e) ≤ s ≤ F(s). Also gilt insgesamt F(S e ) ⊆ S e .
• Es sei T eine total geordnete Teilmenge von S e . Wenn dann für alle t ≤ sup T
die Ungleichung t ≤ e gilt, dann gilt auch sup T ≤ e. Wenn es aber mindestens
ein t gibt, sodass t e gilt, dann ist F(e) ≤ t ≤ sup T . Wir sehen also in beiden
Fällen, dass sup T ∈ S e .
Da aber S 0 die kleinste zulässige Teilmenge von M ist, muss also für alle extrema-
len e gelten:
S e = S 0.
Nun müssen wir noch zeigen, dass jedes e ∈ S 0 extremal ist. Dann folgt nämlich für
s ∈ S 0 , dass s ∈ S e bzw.
s ≤ e ∨ e ≤ F(e) ≤ s,
also die Tatsache, dass S 0 total geordnet ist.
Um zu beweisen,