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# 01 www.die-tagespost.de | 28.

November 2019 URSA C HE N

Glaube
HINTERGRÜNDE

Lehre
PERSPEKTIVEN

Verkündigung
Warum der Synodale Warum es kein dogmen- Warum die eigentliche
Weg an der Oberfläche freies Christentum Aufgabe Evangelisierung
bleibt, Seite 2 gibt, Seite 4 heißt, Seite 9

M I T D E R T A G E S P O S T A U F D E M S Y N O D A L E N W E G

Woher
weiß die
Kirche,
was Gott
will? Foto: stock.adobe.com
2 M I T D E R T A G E S P O S T A U F D E M S Y N O D A L E N W E G

Die Wahrheit,
Editorial die Christus ist
VO N O L I V E R M A K S A N Der Synodale Weg
bleibt an der Oberflä-
Ob es einem gefällt oder nicht:
In den kommenden beiden che. Was die Kirche in
Jahren wird der organisierte
Dialog von Bischöfen und ZdK-
Deutschland so krank
Vertretern die innerkirchlichen erscheinen lässt, hat
Schlagzeilen beherrschen. The-
men und Diskussionen auf dem einen viel tiefer liegen-
Synodalen Weg werden Zustim- den Grund
mung und Ablehnung finden,
VO N K ARL -H EI NZ ME NKE
immer aber in aller Munde sein.

A
„Die Tagespost“ will sich dem ntonio Rosmini-Serbati,
Gespräch über die Zukunft der einer der größten italieni-
Kirche in Deutschland nicht schen Denker, am 18.11.
verweigern. Wir steuern mit 2007 von Papst Benedikt
dieser ersten Ausgabe von XVI. seliggesprochen, hat 1832 ein
„Welt&Kirche“ unseren Beitrag Buch verfasst, das den Titel trägt „Über
zum Synodalen Weg bei. Wäh- die fünf Wunden der Kirche“ („Delle
rend seiner Dauer werden wir cinque piaghe della Chiesa“). In der
alle zwei Monate Diskussionen Einleitung heißt es: „Die Wunden der
und Ergebnisse kritisch in den Kirche werden zumeist von den Sün-
Blick nehmen, loben, was zu den derer verursacht, die Christus dar- Kardinal Reinhard Marx (l.), Vorsitzender der Deutschen Bischofskon-
loben ist, tadeln, was zu tadeln stellen und in seinem Namen handeln ferenz, Karin Kortmann, Vize-Präsidentin des Zentralkomitees der
ist. Nicht die Zeitungsmeinung, deutschen Katholiken (ZdK), und ZdK-Präsident Thomas Sternberg
sollen. Indem sie die Kirche verwun-
stellen das Logo des Synodalen Weges vor. Foto: KNA
sondern der überlieferte Glaube den, kreuzigen sie Christus, der sich
ist dabei der Maßstab. Wir wer- mit seiner Kirche untrennbar verbun-
den Widerspruch einlegen, den hat. So ist mein Buch über die stellen soll. Dieser Hinweis mag vielen schöfe und Priester; (c) die Sexualmo-
wenn wir ihn für nötig halten, Wunden der Kirche zugleich eine Be- als Flucht erscheinen – zum Beispiel oral der Kirche; (d) der Ausschluss von
laden aber auch zur Diskussion trachtung des Gekreuzigten.“ Das im- aus den konkreten Fragen des „Syno- Frauen in Diensten und Ämtern.
ein. mer wieder aufgelegte Buch ist wie dalen Weges“ der deutschen Katholi- Mein Kommentar: Diese Diagnose
In dieser ersten Nummer wird folgt gegliedert: ken in die sichere Burg dogmatischer bleibt an der Oberfläche. Sie reagiert
es zunächst grundsätzlich: Wo- Erstes Kapitel: Die Wunde der linken Gewissheiten. Doch das Gegenteil ist auf bestimmte Proteste, Trends und
her weiß die Kirche, was Gott Hand Christi: Die Absonderung des zutreffend: Christus ist die Bewegung Krisensymptome; aber was die Kirche
will? Gibt es eine vorgegebene Klerus vom Volk; zweites Kapitel: Die Gottes von oben nach unten, vom Abs- in Deutschland so krank erscheinen
geoffenbarte Wahrheit, die die Wunde der rechten Hand: Die unzu- trakten ins Konkrete. Christus ist das lässt, hat einen viel tiefer liegenden
Kirche empfangen hat und die längliche Bildung der Geistlichen; drit- Fleisch gewordene Wort Gottes (Joh Grund. Die Ursache nämlich ist ein gi-
vom Lehramt verbindlich aus- tes Kapitel: Die Seitenwunde: Uneinig- 1,14). Er ist kein Begriff, keine Weltan- gantischer Glaubensverlust. Und der
gelegt wird – oder muss und keit der Bischöfe; viertes Kapitel: Die schauung, keine Moral, auch keine betrifft den Kern des christlichen Be-
kann alles je nach Zeit und Le- Wunde des linken Fußes: Der Einfluss „Anweisung zum seligen Leben“, son- kenntnisses. Hoffentlich irre ich mich,
benswirklichkeit neu ausgehan- der Politik auf die Kirche; fünftes Ka- dern ein Mensch, der „in allem uns wenn ich nicht nur unter den Getauf-
delt werden? Mit der Antwort pitel: Die Wunde des rechten Fußes: gleich war außer der Sünde“ (Hebr ten, die ihren Glauben kaum noch oder
auf diese Frage steht und fällt Die Korrumpierung der Kirche durch 4,15) und als solcher von sich sagen gar nicht mehr praktizieren, sondern
die Wahrheitssuche in der Kir- materielle Güter. durfte: „Wer mich sieht, sieht Gott.“ auch unter denen, die noch ihre Sonn-
che und auf dem Synodalen Weg.
(Joh 14,9). Konkreter kann der Logos tagspflicht erfüllen, einen fortschrei-
Ja, diese Zeitung verhehlt es
nicht: Wir sind in großer Sorge
Christus ist Gottes gar nicht sein als in dem Leben tenden Verlust der christologischen
und Sterben dieses einen Menschen Mitte beobachte: nämlich die Ablösung
angesichts der Richtung, die der das Wort Gottes mit dem Namen „Jesus“. Im Kolosser- der Wahrheit von der Geschichte. Man
Synodale Weg zu nehmen droht.
Natürlich ist die Lage der Kirche im brief lesen wir: „Er ist das Bild des un- trennt die Botschaft Jesu von ihm
Wir glauben seinen Befürwor-
gegenwärtigen Deutschland eine ande- sichtbaren Gottes […]. In ihm wurde selbst. Er ist dann letztlich nur noch
tern aber, dass sie das Beste für
re als die im Italien des 19. Jahrhun- alles erschaffen, im Himmel und auf austauschbarer Mittler einer zeitbe-
die Kirche wollen. Umgekehrt
derts. Aber eines kann man auch heute Erden.“ (Kol 1,15f). dingten Wahrheit, bloßer Wegweiser,
bitten wir für die folgenden Bei-
noch von Rosminis Analysen lernen. Auf die Frage, warum die Kirche in bloßes Vorbild. Oder anders gesagt:
träge um jenen Vorschuss an
Wenn die Kirche sich reformieren will, Deutschland so tief verwundet ist, Man versteht nicht mehr, was Jesus ge-
Sympathie, ohne den es be-
muss sie auf Christus blicken. Denn haben die zuständigen Bischöfe vier meint hat, als er sagte: „Wer mich sieht,
kanntlich kein Verstehen geben
Christus ist die Wahrheit, die die Kir- Gründe genannt: (a) der Missbrauch sieht Gott den Vater.“ (Joh 14,9).
kann.
che verkündigen und sakramental dar- von Macht; (b) die Lebensform der Bi- Fortsetzung auf Seite 3
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Fortsetzung von Seite 2

H
ans Urs von Balthasar war
sich der Provokation be-
wusst, die er unmittelbar
nach Beendigung des
Zweiten Vatikanischen Konzils mit
seiner Protestschrift „Cordula oder der
Ernstfall“ evoziert hat. Im Zentrum
steht ein fingierter Dialog zwischen
einem kommunistischen Kommissar
und einem „modern gewordenen“
Christen. Der Dialog ist mit der vielsa-
genden Überschrift versehen: „Wenn
das Salz dumm wird“. Hier eine stark
verkürzte, aber meines Erachtens doch
sinngemäße Kurzfassung: Der Kom-
missar zitiert den Christen vor sein
Tribunal und fragt ihn: „Dein Christen-
tum, was ist das eigentlich?“ Der Christ
antwortet beflissen: „Gleichheit, Frei- Die Deutschen Bischöfe begeben sich auf den Synodalen Weg. Foto: KNA
heit, Brüderlichkeit, das ist christlich.“
Der Kommissar: „Ach, endlich seid ihr
auch so weit? Und wie ist es mit Dar- zum Beispiel zu Gautama Buddha hat Judentum aber unterscheidet zwi- eine in ihren Konsequenzen kaum
win und der Evolution?“ Der Christ er den Menschen nicht nur einen Weg schen dem uneigentlichen (physi- überschätzbare Krise des sakramenta-
antwortet: „Auch ich bin überzeugt, gezeigt, sondern von sich gesagt: „Ich schen) Tod und dem eigentlichen Tod len Denkens.
dass der Mensch vom Affen ab- bin der Weg, die Wahrheit und das Le- der Trennung von Gott. Mit der nicht zufällig zur Jahrtau-
stammt.“ Der Kommissar: „Na prima. ben.“ (Joh 14,6a). sendwende veröffentlichten Erklärung
besser zu spät als gar nicht. Aber da ist Dass der historische Jesus vor zwei- Sakramentales Denken „Dominus Iesus“ hat Papst Johannes
doch noch dieser Jesus.“ Der Christ: tausend Jahren in Raum und Zeit et- Paul II. die Christenheit daran erin-
„Ja, aber wir glauben weniger an den was vollbracht hat, was die Situation wiedergewinnen nert, dass niemand Jesus Christus (das
historischen Jesus als an den Christus aller Menschen aller Zeiten grundle- Das Judentum zur Zeit Jesu war Ursakrament) empfangen kann, ohne
des Kerygmas.“ Der Kommissar ärger- gend verändert hat, glaubt – so fürchte überzeugt, dass die Sünde eine vom selbst Sakrament (Kirche) sein zu wol-
lich: „Was ist das denn? Chinesisch?“ ich – nur noch eine Minderheit der Menschen geschaffene Wirklichkeit len. Wer getauft wird, ist zugleich Mit-
Der Christ: „Nein. Griechisch. Ge- deutschen Katholiken. ist; und dass der Sünder sich nicht tel und Werkzeug Christi.
meint ist das Sprachereignis. Es Viele meinen, Ostern würde die Chris- selbst von seiner Sünde trennen kann; Kurzum: Die Kirche ist Leib Christi,
kommt darauf an, dass man davon be- tenheit feiern, dass der physische Tod und dass deshalb nicht nur die Sünde, weil sie sich in der Eucharistie täglich
troffen wird. Das war jedenfalls die Er- nicht das letzte Wort habe. Aber um sondern auch der Sünder „das von Gott neu von Christus her empfängt.
fahrung der Urgemeinde.“ Der Kom- diese Hoffnung zu vermitteln, bedarf Getrennte“ (die ,Sheol‘) ist. Nur weil Selbst unter denen, die sich als regel-
missar: „Das reicht. Dein Geschwätz ist es nicht des Dramas zwischen Bethle- der historische Jesus die Anwesenheit mäßige Kirchgänger bezeichnen,
ungefährlich. Idioten hat es immer ge- hem und Golgotha. Dass es nach dem Gottes selbst in Raum und Zeit war, ist schwindet das Bewusstsein, dass man
geben; die muss man nicht erschießen.“ physischen Tod weitergeht, glauben die mit ihm Gott selbst an den ,Ort‘ der ein Sakrament nicht nur für sich selbst
Angehörigen fast aller Religionen. Das Sünde und des Sünders (in die ,Sheol‘) empfängt, sondern primär für die soge-
Die Wahrheit, für die es gelangt. Ostern feiern Christen die nannten „anderen Brüder und Schwe-
Aufhebung der ,Sheol‘. Denn seit Os- stern“.
sich zu leben lohnt tern hat keine Sünde mehr die Macht, Kaum noch bewusst ist der Unter-
Kurzum: Die Wahrheit, für die es den Sünder von Gott zu trennen – schied zwischen der nichtsakramenta-
sich zu leben und zu sterben lohnt, ist jedenfalls dann nicht, wenn er die bis in len und der sakramentalen Kommuni-
keine Idee, keine Theorie, kein Ethos à die tiefste Tiefe reichende Hand des kation mit Christus.
la „Freiheit, Gleichheit, Brüderlich- Gekreuzigten und Auferstandenen er-
keit“; auch keine Moral oder ein Ke- greift. Ewiges Leben ist Gemeinschaft Worüber geredet
rygma, das betroffen macht; sondern mit dem zum Vater erhöhten Jesus.
der historische Jesus. Ein Jesus, der le- Hier müsste die Neuevangelisierung werden müsste
diglich Mittler einer Botschaft oder Deutschlands ansetzen. Im Kern geht Für Katholiken sollte klar sein: Wer
Moral ist, ist austauschbar. Mittler es um die Wiedergewinnung des sakra- sakramental kommuniziert, identifi-
einer Botschaft waren auch Gautama mentalen Denkens. Jesu Menschsein ziert sich mit der Bekenntnisgemein-
Buddha, Muhammad, Mahatma Gan- ist kein bloßes Symbol. Ein Symbol ist schaft, in der er kommuniziert. „Missa“
dhi oder Martin Luther King. Bot- von der Wirklichkeit, die es bezeichnet, bedeutet „Sendung“.
schaften sind miteinander vergleich- trennbar; aber ein Sakrament nicht. Die von Bischöfen kaum noch erwähn-
bar; unter Umständen ergänzen sie Das Menschsein Jesu ist untrennbar te oder erkärte Sonntagspflicht ist
sich oder bilden zusammen ein neues von der Gottheit des Sohnes. Jesus ist Ausdruck der Tatsache, dass es beim
Ganzes. So sehen das die Vertreter der personal (hypostatisch) identisch mit Empfang der Eucharistie nicht bloß
sogenannten „Pluralistischen Reli- dem göttlichen Logos. Deshalb ist sein um das Heil des Empfängers, sondern
gionstheologie“ oder die von Hans Professor Karl-Heinz Menke hat- Menschsein das Ursakrament. Und je- auch um die Mission der Kirche geht.
Küng inspirierten Protagonisten eines te bis zu seiner Emeritierung den de Wirklichkeit, die untrennbar ist Wie eine Ehe stirbt, wenn die Ehepart-
alle Religionen und Traditionen einen- Lehrstuhl für Dogmatik und vom Ursakrament, ist ihrerseits ein ner nicht regelmäßig miteinander
den „Weltethos“. Aber das Christen- Theologische Propädeutik an der Sakrament. kommunizieren, so stirbt die Kirche,
Katholisch-Theologischen Fakul-
tum verrät seine innerste Mitte, wenn Ausgerechnet nach dem Konzil, das wenn ihre Glieder nicht regelmäßig
tät der Universität Bonn inne.
Jesus zum bloßen Transporteur einer Menke ist Mitglied der Interna- die Kirche als von Christus untrennbar mit Christus und miteinander kommu-
Botschaft unter anderen Botschaften tionalen Theologenkommission und deshalb insgesamt als (Grund)sak- nizieren.
degradiert wird. Denn im Unterschied des Vatikan. Foto: privat rament bezeichnet hat, erleben wir Fortsetzung auf Seite 4
4 M I T D E R T A G E S P O S T A U F D E M S Y N O D A L E N W E G

Ewige Wahrheiten,
Fortsetzung von Seite 3
Geredet werden müsste über die Sonn-
tagspflicht, über die Bedingungen des
Eucharistieempfangs, über den Nexus

gibt es das noch?


von Buß- und Altarsakrament, über die
Bedeutung der Firmung, und nicht zu-
letzt über eine Ökumene, die die Ein-
heit nicht in der Wahrheit (in Chris-
tus), sondern in Anpassungen sucht.
Wo die Kirche nicht mehr als Sakra-
ment verstanden wird, schwindet Offenbarung und Überlieferung: Warum es kein dogmenfreies Christentum
zwangsläufig auch jedes Verständnis geben kann V O N H E L M U T H O P I N G
für den priesterlichen Charakter des

I
Christseins – ganz zu schweigen von m vorbereitenden Arbeitsdo- gegenüber seinem auserwählten den beiden Fließgewässern, die aus
dem Verstehen des besonderen Pries- kument der Amazonas-Syno- Volk Israel und seine Selbstmittei- der einen Quelle hervorgehen.
tertums derer, die das gründende, lei- de war zu lesen: „In Amazo- lung in Jesus Christus, seinem Eine göttliche Offenbarung im
tende und richtende „Voraus“ des nien ist das Leben ins Territo- fleischgewordenen Wort (Joh 1,14)? Sinne der unüberbietbaren Selbst-
Hauptes Christus gegenüber dem Leib rium eingepflanzt, daran gebunden Die dogmatische Konstitution mitteilung Gottes in Jesus Christus
der Kirche repräsentieren. Nur wer und gehört zu ihm. [...] Das Territo- „Dei verbum“ über die göttliche Of- kann es nicht ohne eine heilige
sakramental denkt, erkennt den Zu- rium ist ein theologischer Ort, von fenbarung (1965) kennt keinen Plu- Überlieferung geben, also nicht oh-
sammenhang zwischen Christusreprä- dem aus man den Glauben lebt; und ral von Quellen der Offenbarung. ne eine Tradition göttlichen Ur-
sentation und Zölibat. Nur wer sakra- zugleich ein besonderer Quellgrund Das Konzilsdokument unterschei- sprungs, die am Definitiven der er-
mental denkt, versteht die Untrenn- für die Offenbarung Gottes. Solche det die eine Quelle der göttlichen gangenen Offenbarung Anteil hat.
barkeit der Erlösungsordnung von der Räume sind Orte von ,Epiphanie‘, Offenbarung in Jesus Christus und Gäbe es nicht die Treue zur Glau-
Schöpfungsordnung – zum Beispiel die von Gotteserfahrung, an denen ein das überlieferte Wort Gottes in benshinterlassenschaft (depositum
Bedeutung der Geschlechterdifferenz Reservoir von Leben und Weisheit Schrift und Tradition. fidei) und ihre authentische Weiter-
von Mann und Frau für die sakramen- für den Planeten aufzufinden ist, gabe in der Tradition der Kirche, die
tale Darstellung des Verhältnisses von Leben und Weisheit, die von Prinzipielle Kirche könnte niemals sagen, was
Christi zu seiner Kirche. Eine Reform Gott sprechen“ (Nr. 19). – Im Vor- bleibende Glaubenswahrheit ist und
der Kirche, die diesen Namen verdient, feld des „synodalen Weges“ erschei- Vorbehalte was nicht.
ist immer praktische Christologie: Bin- nen vielen besonders Genderdiskurs Die heilige Überlieferung und die Der aus der griechischen Antike
dung der Christen an Christus und und moralischer Pluralismus wie Heilige Schrift entspringen „dem- entlehnte Begriff des Dogmas meint
deshalb Sakramentalisierung der Ge- eine Offenbarungsquelle, nachdem selben göttlichen Quell“ und „flie- genau dies: eine verbindliche, nor-
tauften. man beide mit immer mehr theolo- ßen beide gewissermaßen in eins zu- mative Glaubensaussage mit defini-
gischer Bedeutsamkeit aufgeladen sammen und streben demselben tivem Wahrheitsanspruch.
hat. Doch mit welchem Recht gelten Ziel zu“ (DV 9). In seinem Kom- Unter Theologen und Theologin-
K U R Z G E FA S S T das Amazonasgebiet mit seinen in- mentar zu dem ursprünglichen, von nen ist die Anerkenntnis einer heili-
digenen Kulturen und unsere säku- den Konzilsvätern abgelehnten Of- gen Überlieferung nicht mehr
Die Agenda des „Synodalen
lare Lebenswirklichkeit als Quellen fenbarungsschema (1962) spricht selbstverständlich. Die Glaubens-
Weges“ bleibt an der Oberflä-
der Offenbarung? Ist Offenbarung Joseph Ratzinger von der einen überlieferung, einschließlich der
che. Sie reagiert auf bestimmte
nach christlichem Verständnis nicht Quelle der göttlichen Offenbarung dogmatischen Lehrentwicklung,
Proteste, Trends und Krisen-
die Offenbarung des einen Gottes sowie von Schrift und Tradition als Fortsetzung auf Seite 5
symptome. Der viel tiefer lie-
gende Grund für die schwere
Krise der Kirche ist aber ein
gigantischer Glaubensverlust.
Auch unter Getauften ist ein
fortschreitender Verlust der
christologischen Mitte zu be-
obachten: Man trennt die Bot-
schaft Jesu von ihm selbst.
Aber das Christentum verrät
seine innerste Mitte, wenn
Jesus zum bloßen Transporteur
einer Botschaft unter anderen
Botschaften degradiert wird.
Die Wahrheit, für die es sich zu
leben und zu sterben lohnt, ist
keine Idee, keine Theorie, kein
Ethos, auch keine Moral oder
ein Kerygma, das betroffen
macht. Die Wahrheit ist Jesus
Christus selbst, der von sich ge-
sagt hat: „Ich bin der Weg, die
Wahrheit und das Leben“ (Joh
14,6a). Hier muss die dringend
nötige Neuevangelisierung an-
setzen. Wenn die Kirche sich
reformieren will, muss sie auf
Christus blicken.
Zwei Jahre lang soll auf dem Synodalen Weg über die Erneuerung der Kirche beraten werden. Foto: KNA
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Der Druck wächst: Katholische Laien drängen auf Reformen, die auch Glaubensinhalte berühren. Im Bild: Vollversammlung des Zentralkomi-
tees der deutschen Katholiken (ZdK). Foto: KNA

Fortsetzung von Seite 4 gerissen. Dabei ist eine göttliche Of- indem es das Wort Gottes nach ma eine „hermeneutische Punkt-
wird immer öfter unter prinzipiellen fenbarung ohne Glauben (Annahme) göttlichem Auftrag und mit dem setzung“. Zur Lehrentwicklung er-
Revisionsvorbehalt gestellt. „Ewige und Überlieferung (Weitergabe) gar Beistand des Heiligen Geistes ehr- klären die Konzilsväter: Die apos-
Wahrheiten waren gestern“ – so Mi- nicht denkbar. Der Ort aber der fürchtig hört, heilig bewahrt und tolische Überlieferung „entwickelt
chael Böhnke. Für den Wuppertaler Schriftinterpretation ist die Kirche. treu erklärt und all das, was es von sich in der Kirche unter dem Bei-
Theologen liegt das Verbindliche des Die Schrift – dies hat die Krise des Gott geoffenbart zu glauben vor- stand des Heiligen Geistes weiter“
christlichen Glaubens nicht in zeit- reformatorischen Schriftprinzips ge- legt, aus der einen Hinterlassen- (DV 8). „Es wächst nämlich das
übergreifenden Glaubensinhalten, zeigt – interpretiert sich nicht selbst. schaft des Glaubens schöpft“ (DV Verständnis der überlieferten Din-
sondern im Vertrauen auf Gottes Zudem muss sie „in dem Geist ge- 10). Keiner, und sei er der Papst, ge und Worte sowohl aufgrund des
Treue; alles andere am Inhaltlichen lesen und ausgelegt werden, in dem kann sich für seine Lehrverkündi- Nachsinnens und des Studiums der
des Glaubens wird zur Variablen. sie geschrieben wurde“ (DV 12). gung auf eine Inspiration oder Pri- Gläubigen, die sie in ihrem Herzen
Unter Rekurs auf das Wirken des vatoffenbarung berufen. Glaubens- erwägen (vgl. Lk 2, 19.51), als auch
Heiligen Geistes, der alles neu Alleinige Aufgabe des norm sind die Schrift und die au- durch innere Einsicht in die geist-
macht, wird die pneumatische Kraft thentische Glaubensüberlieferung. lichen Dinge, die sie erfahren,
der Gläubigen absolut gesetzt und Lehramts Die Überlieferung der von Gott sowie aufgrund der Verkündigung
eine dogmenfreie Kirche gefordert. Es ist richtig: Jeder, der die empfangenen Offenbarung ist ein derer, die mit der Nachfolge im Bi-
Bei der Frage der Frauenordination Schrift liest, kann zu ihrem Ver- dynamischer Vorgang (DV 7–8). schofsamt die sichere Gnade der
bedient man sich neuerdings der ab- ständnis beitragen. Doch es ist Das traditionalistische Missver- Wahrheit empfangen haben. Denn
soluten Macht Gottes, mit der er sich nicht Aufgabe zum Beispiel eines ständnis von Tradition besteht da- die Kirche strebt im Gang der Jahr-
auch in einer Frau hätte inkarnieren Bibelkreises oder eines exegeti- rin, sie zu petrifizieren. Die authen- hunderte ständig der Fülle der
können. Wenn allerdings Gott in schen Forschungsseminars, son- tische Glaubensüberlieferung darf göttlichen Wahrheit entgegen, bis
einem galiläischen Juden Mensch dern allein des lebendigen Lehr- aber andererseits nicht zur Disposi- sich an ihr die Worte Gottes erfül-
wurde und werden wollte, kann dies amts der Kirche, welches seine tion gestellt werden. Das Dogmati- len“ (DV 8).
nicht a priori als theologisch irrele- Vollmacht im Namen Jesu ausübt, sche gehört konstitutiv zur Offenba-
vant abgetan werden. „das geschriebene oder überlieferte rung Gottes und ihrer geschichtli- Zur Weitergabe
Das Dilemma der heutigen Theo- Wort Gottes authentisch“ (DV 10), chen Überlieferung dazu. Der zum
logie besteht darin, dass es keinen das heißt mit dem Anspruch auf Katholizismus konvertierte Theolo- anvertraut
Konsens mehr bezüglich der Prinzi- Verbindlichkeit, auszulegen. „Das ge Erik Peterson sprach vom „Punk- Da die apostolische Überlieferung
pien theologischer Erkenntnis gibt. Lehramt steht also nicht über dem tum des Glaubens“. nicht nur dem Lehramt der Bischö-
So werden Offenbarung, Glaube und Wort Gottes, sondern dient ihm, in- Der Philosoph und Kulturkriti- fe, sondern der ganzen Kirche zur
Überlieferung vielfach auseinander- dem es nur lehrt, was überliefert ist, ker George Steiner nennt das Dog- Fortsetzung auf Seite 6
6 M I T D E R T A G E S P O S T A U F D E M S Y N O D A L E N W E G

Fortsetzung von Seite 5 Zeit zu forschen. Denn die Zeichen In der Pluralität der Zeichen der
authentischen Weitergabe anver- der Zeit sind Teil unserer menschli- Zeit gilt es „zu unterscheiden, was
traut ist, sind bei der Glaubensher- chen Lebenswirklichkeit. Und in der darin wahre Zeichen der Gegenwart
meneutik alle Bezeugungsinstanzen Tat soll, wie das Konzil sagt, „alles oder des Ratschlusses Gottes sind“
des Glaubens zu berücksichtigen, wahrhaft Menschliche“ im Herzen (GS 11) sind und was nicht.
darunter die Schrift, die Tradition, der Jünger Christi „seinen Wider- Die Stimme unserer Zeit darf
das Lehramt der Bischöfe, der römi- hall“ (GS 1) finden. nicht einfach mit der Stimme oder
sche Doch die Lebenswirklichkeit ist dem Willen Gottes gleichgesetzt
Bischof, die wissenschaftliche Theo- nicht das Fundament der Theologie. werden.
logie und der Glaubenssinn des Vol-
kes Gottes, zu dem auch die Ge-
meinschaft der Bischöfe gehört.
Beim Glaubenssinn ist zu beachten, H I N T E R G RU N D
dass er in synchroner wie diachro- Wenn man das unter der Leitung läufiges dekretieren können. Man
ner Katholizität von allen Ortskir- von Bischof Franz-Josef Bode spricht zwar vom Beistand des Hei-
chen getragen wird und nicht gegen Helmut Hoping ist Professor für (Osnabrück) und Professorin Doro- ligen Geistes.
den überlieferten authentischen Dogmatik und Liturgiewissen- thea Sattler (Münster) erstellte Aber man will das Wirken des Geis-
schaft an der Theologischen Fa-
Glauben der Kirche stehen kann. Papier zur Vorbereitung des Ge- tes klar abgehoben wissen von den
kultät der Albert-Ludwigs-Uni-
Hier besteht eine Analogie zur ein- versität Freiburg im Breisgau. sprächsforums „Frau in der Kirche“ Konsensbeschlüssen der Apostel-
mütigen Lehre der Bischöfe. Foto: Conny Ehm (https://www.dbk.de›themen›swe- nachfolger. Dogmen sind dann
Deshalb forderte Papst Franzis- synodale-weg) liest, ist die überwie- nichts anderes als zeitbedingte
kus in seinem Brief an die Gläubi- gende Mehrheit der Meinung, die Konstruktionen. Eine der Konse-
gen der Kirche in Deutschland, dass Zu den Orten theologischer Er- Kirche könne den ausdrücklich als quenzen ist die protestantisierende
beim „synodalen Weg“ der Glau- kenntnis zählen auch fremde, nicht „unfehlbar“ (DH 5041) erklärten Trennung des Glaubensvollzugs
benssinn der Gesamtkirche zu be- genuin theologische Orte wie die Ausschluss der Frau vom Sakra- (fides qua) vom Glaubensinhalt (fi-
achten ist. Philosophie und die Geschichte. ment des Ordo revidieren. des quae).
Doch kein Ort theologischer Er- Dabei ist den meisten Beteiligten „Glauben“, so erklärt die Kölner
kenntnis, seien es Schrift und Tradi- bewusst, dass die Revision einer als Systematikerin Saskia Wendel, „im-
tion oder Philosophie und Ge- „unfehlbar“ qualifizierten Lehre nur pliziert […] weder ,Glaubenswissen‘
K U R Z G E FA S S T schichte, sind Quellen der Offenba- für den Preis einer Neubestimmung in theoretischer noch ,Glaubensge-
rung. Dies gilt auch für die „Zeichen des Verhältnisses von Schrift, Tra- horsam‘ in praktischer Hinsicht. […]
Das Dilemma der heutigen
der Zeit“, die dem Erkenntnisort der dition und Lehramt zu haben ist. Hier ist eine entscheidende Diffe-
Theologie besteht darin, dass es
Geschichte zuzuordnen sind und die Ohne sich ausdrücklich auf Küngs renz zu heteronomen Glaubensleh-
keinen Konsens mehr bezüglich
im Licht des Evangeliums (GS 4) berühmt gewordene Anfrage „Un- ren markiert, die diesen stets noch
der Prinzipien theologischer Er-
sowie der heiligen Überlieferung, fehlbar?“ zu berufen, setzt die be- an eine ihm vorgeordnete Autorität
kenntnis gibt. Offenbarung,
sofern beide untrennbar sind (DV sagte Speerspitze des „Synodalen binden wollen, sowie zu primär
Glaube und Überlieferung wer-
9), gelesen werden müssen (DV 24). Weges“ voraus, dass sich die Kirche theoretischen Bestimmungen des
den vielfach auseinandergeris-
Die Freiheit des Glaubens ist daher auch in ihren verbindlichen (letzt- Glaubens, die ihn dann mit dem
sen. Dabei ist eine göttliche Of-
keine Autonomie gegenüber dem lich immer auf Christus bezogenen) Label ,wahr‘ versehen, wenn er in
fenbarung ohne Glaube (An-
überlieferten Wort der Offenbarung, Aussagen geirrt hat. theoretischer Hinsicht als ,wahr‘ be-
nahme) und Überlieferung
von dem man sich dispensieren Also gilt auch für die auf einem zeichnete Überzeugungen gehorsam
(Weitergabe) nicht denkbar.
könnte. Zur Traditionsvergessenheit Konzil versammelten Apostelnach- anerkennt und in praktischer Hin-
Der Ort der Schriftinterpreta-
der Kirche nach dem Konzil sagte folger und für den im Namen der sicht in Übereinstimmung mit die-
tion ist die Kirche. Das Zweite
der große Jesuitentheologe Henri Gesamtkirche sprechenden Petrus- sen Überzeugungen handelt, sie also
Vatikanum bekräftigt, es sei die
de Lubac: „Die Tradition der Kirche nachfolger, dass sie immer nur Vor- ihnen folgend getreu umsetzt.“ DT
alleinige Aufgabe des lebendi-
wird verkannt und nur noch als Last
gen Lehramts der Kirche, „das
empfunden [...]. Dieser Tradition,
geschriebene oder überlieferte
die glaubend empfangen und im
Wort Gottes Gottes authen-
Glauben weitergeführt wird, stellt
tisch“ (DV 10) auszulegen.
man vermessen die eigene persönli-
Die apostolische Überlieferung
che ,Reflexion‘ entgegen.“
ist nicht nur dem Lehramt der
Bischöfe, sondern der ganzen
Kirche zur authentischen Wei- Teil der Lebenswirk-
tergabe anvertraut. Daher sind lichkeit
bei der Glaubenshermeneutik
Das Zweite Vatikanische Konzil
alle Bezeugungsinstanzen des
weist den Theologen und Theolo-
Glaubens zu berücksichtigen,
ginnen die Aufgabe zu, die geoffen-
darunter Schrift, Tradition, das
barte Wahrheit Gottes in der Zeit, in
Lehramt der Bischöfe, der
die sie gestellt sind, tiefer zu erfas-
Papst, die wissenschaftliche
sen und für die Menschen zu er-
Theologie und der Glaubens-
schließen (GS 62). Sie können sich
sinn des Volkes Gottes, zu dem
nicht mit einer reinen Darstellung
auch die Gemeinschaft der Bi-
der kirchlichen Glaubenslehre be-
schöfe gehört. Beim Glaubens-
gnügen, müssen vielmehr auch neue
sinn ist zu beachten, dass er von
Wege des Glaubens sowie Formen
allen Ortskirchen getragen wird
eines zeitgemäßen Glaubensver-
und nicht gegen den überliefer- Professorin Dorothea Sattler, Theologin und Direktorin des Ökumeni-
ständnisses aufzeigen. Dazu ist es schen Instituts der Universität Münster, sowie Mitglied des Zentral-
ten authentischen Glauben der
nötig, zusammen mit allen Gliedern komitees der deutschen Katholiken (ZdK) und der Bischof von Osna-
Kirche stehen kann.
der Kirche nach den Zeichen der brück, Franz-Josef Bode. Foto: KNA
M I T D E R T A G E S P O S T A U F D E M S Y N O D A L E N W E G 7

Immer wieder Konflikte


Auf welcher Basis diskutiert der Synodale Weg? – Zum Verhältnis von Schrift, Tradition
und Lehramt V O N W O L F G A N G K L A U S N I T Z E R

I
n der Kunstformel „Synodaler ran, die Christen seien (wie die Ju- dert gleichsetzen und behauptete, schen Klassizismus“ eines Johann
Prozess“, die bewusst nicht den) Leute des „Buches“, ist deshalb dass sich die Kirche in dieser konsti- Josef Ignaz von Döllinger) erklärt,
eine Synode im kirchenrecht- irreführend. tutiven Zeit in freier geschichtlicher eine frühere oder auch die früheste
lichen Sinn beschreiben will, Eine herausragende Stellung unter Entscheidung, die aber vom Heiligen Gestalt des Glaubens oder der Kir-
leitet sich das Adjektiv trotzdem allen Schriften des Neuen Testa- Geist sanktioniert worden ist (vgl. che sei die heute einzig maßgebliche.
vom griechischen Wort „synodos“ ments nehmen die vier Evangelien Apostelgeschichte 15,28), eine ver-
(Gemeinsam-auf-dem-Weg-Sein, ein, da sie die Person, das Leben und bindliche Lehre (in der Gestalt des Unmittelbarer Zugang
Zusammenkunft, aber auch: Zusam- die Lehre Jesu Christi beschreiben. neutestamentlichen Kanons) und
menstoß) ab. Die Versammlung zur Die grundsätzliche Historizität der eine ebenso verbindliche Struktur zum Heiligen Geist?
Klärung strittiger Fragen, die auf Evangelienberichte über Jesus wird (in der Form einer monarchisch- Im Hintergrund steht ein Verfalls-
eine Übereinstimmung zielt, produ- nach den Übertreibungen der Aufklä- episkopalen Verfassung und eines schema, demzufolge das zeitlich
ziert – wie die Kirchengeschichte rung und der ersten Phase der Leben- bleibenden Petrusamtes) gegeben Frühere deswegen das sachlich Ur-
beweist – immer wieder auch Kon- Jesu-Forschung vom Zweiten Vati- habe. Die apostolische Tradition (im sprünglichere sei. Für Ratzinger
flikte und Verletzungen. Oft begin- kanum „ohne Bedenken bejaht“ („Dei Unterschied zu menschlichen Tradi- stellt der „Archäologismus“ den Ver-
nen die Auseinandersetzungen mit verbum“ 19,1). Es ist auch plausibel, tionen in der Kirche, die nicht allge- such dar, „die Tradition an irgendei-
Debatten über den Inhalt und die dass die Evangelisten tatsächlich der mein verpflichtend sind) ist die Wei- nem Punkt abschließen“ zu wollen,
Gewichtung von Aussagen der Heili- weil er die bleibende Gegenwart des
gen Schrift, von Festlegungen der Geistes Christi in der Kirche nicht
Überlieferungsgeschichte und von ernst nehme.
Entscheidungen des kirchlichen Die Auffassung des „Enthusias-
Lehramts. mus“, den Luther bei den von ihm so
In der ökumenischen Diskussion bezeichneten „Schwärmern“ kritisi-
gehören die Heilige Schrift, die Tra- Fortsetzung auf Seite 8
dition (als Überlieferung des Glau-
bensinhalts), das (kirchliche) Lehr-
amt, die Theologie und das Zeugnis
(der Glaubenssinn) des ganzen Vol- K U R Z G E FA S S T
kes Gottes diachron (durch die Jahr-
Die Heilige Schrift, die Tradi-
hunderte hindurch) und synchron
tion (als Überlieferung des
(gegenwärtig und weltweit) zu den
Glaubensinhalts), das (kirchli-
fünf Bezeugungsinstanzen der Offen-
che) Lehramt, die Theologie
barung „als Selbstmitteilung Gottes
und das Zeugnis (der Glaubens-
in der Geschichte, die ihren Höhe-
sinn) des ganzen Volkes Gottes
punkt und ihre Vollendung in Jesus
diachron (durch die Jahrhun-
Christus hat“ (Bilaterale Arbeits-
derte hindurch) und synchron
gruppe der Deutschen Bischofskon-
(gegenwärtig und weltweit) ge-
ferenz und der Kirchenleitung der
Eine herausragende Stellung unter den Schriften des Neuen Testa- hören zu den fünf Bezeugungs-
Vereinigten Evangelisch-Lutheri- ments nehmen die vier Evangelien ein. Die grundsätzliche Historizi- instanzen der Offenbarung als
schen Kirche Deutschlands, 2003). tät der Evangelienberichte über Jesus wird vom Zweiten Vatikanum Selbstmitteilung Gottes in der
klar bejaht. Foto: KNA
Geschichte. Diese verschiede-
Gottes Wort ist kein nen Bezeugungs- und Erkennt-
Buch, sondern Christus Überzeugung waren, dass sich Jesus tergabe der zuerst von den Aposteln
nisinstanzen stehen nicht
gleichrangig nebeneinander,
Allerdings stehen diese verschiede- Christus selbst seinen Jüngern we- bezeugten Botschaft über Jesus
sondern sind ihrerseits gestuft.
nen Bezeugungs- und Erkenntnisins- nigstens implizit als der Sohn Gottes Christus in der Kirche. In Johannes
Die grundlegende Instanz ist die
tanzen nicht gleichrangig nebenei- geoffenbart habe und dass dieser An- 16,13–15 erwähnt Jesus den „Geist
Bibel. Eine herausragende Stel-
nander, sondern sind ihrerseits ge- spruch durch die Auferstehung be- der Wahrheit“, der die Jünger „in die
lung unter allen Schriften des
stuft. Die grundlegende Instanz ist die kräftigt worden sei. Alle anderen ganze Wahrheit“ führen werde, in-
Neuen Testaments nehmen die
Bibel, die norma normans (die alles Hypothesen für die Übertragung des dem er von der Botschaft Jesu „neh-
vier Evangelien ein, da sie die
andere normierende Norm) des Sohn-Gottes-Titels auf Jesus schaf- men“ werde. Es geht also um eine
Person, das Leben und die Leh-
Glaubens, die jedoch nach christli- fen mehr Probleme als sie lösen. Vermittlung zwischen der bleiben-
re Jesu Christi beschreiben.
chem Verständnis nur in einem ana- Die Offenbarung ist nach kirchli- den Ursprungsoffenbarung in Jesus
Nach kirchlicher Lehre ist die
logen Sinn als Wort Gottes gelten cher Lehre abgeschlossen „mit dem Christus und dem Wirken des Geis-
Offenbarung „mit dem Tod des
kann, denn das eigentliche Wort Got- Tod des letzten Apostels“. Es ist tes in der Geschichte.
letzten Apostels“ abgeschlossen.
tes ist im Sinne des Prologs des Jo- auch keine weitere öffentliche Of- Joseph Ratzinger und Walter Kas-
Die apostolische Tradition ist
hannesevangeliums (Johannes 1,1-14) fenbarung mehr zu erwarten („Dei per haben deshalb von zwei „Fehl-
die Weitergabe der zuerst von
und der Offenbarungskonstitution verbum“ 4,2). Karl Rahner wollte wegen“ der Tradition in der Kir-
den Aposteln bezeugten Bot-
„Dei Verbum“ (= Wort Gottes) des diese Zeitbestimmung mit dem Ab- chengeschichte gesprochen. Die
schaft über Jesus Christus in
Zweiten Vatikanums der Gottmensch schluss der Kanonbildung des Neu- Position des „Archäologismus“ (bei-
der Kirche.
Jesus Christus. Die Aussage des Ko- en Testaments im vierten Jahrhun- spielhaft vertreten im „theologi-
8 M I T D E R T A G E S P O S T A U F D E M S Y N O D A L E N W E G

Fortsetzung von Seite 7 lich Minderheiten majorisiert wor- gie (verstanden als Glaubenswissen- tanz der Glaubensdarstellung, die
ert, besagt, die heutigen Christen den seien (wie in Ephesus, Konstan- schaft im Sinne der Wissenschafts- mittels der öffentlichen Meinung in
hätten in Verantwortung gegenüber tinopel II, auf dem Zweiten Vati- idee des Aristoteles), deren Motto der Kirche auch die Bischöfe unter
den gegenwärtigen Menschen einen kanum, hätten sich aus solchen Ent- Anselm von Canterbury in der Klos- ihre Autorität beuge. Zum anderen
unmittelbaren Zugang zu Gott oder scheidungen in der Regel Spaltun- terschule von Bec vorgibt: „fides haben römische Theologen und Kir-
zum Heiligen Geist, aufgrund des- gen ergeben. Die Rücksicht auf die quaerens intellectum“ („Glaube, der chenführer zumal im 20. Jahrhun-
sen sie das Christentum besser ver- „Schwachen“ (die für Paulus immer nach Einsicht sucht“). Thomas von dert das Modell entwickelt, dass es
stehen als frühere Generationen die anderen Mitchristen sind) um Aquin unterscheidet deshalb ein nur ein einziges kirchliches Lehramt
oder gar als Jesus und die Jünger. Er der Einheit willen, ist für den Rö- doppeltes Lehramt, das Lehramt der (der Bischöfe) gebe, dem die Theo-
bedient sich eines Evolutions- be- merbrief (Kap. 14) geradezu ein Er- Hirten beziehungsweise Bischöfe logie zuzuarbeiten habe. Für eine
ziehungsweise Entwicklungssche- kennungszeichen der Kirche. (magisterium cathedrae pastoralis) Unterscheidung verschiedener Äm-
mas, das die Glaubens- und Dog-
mengeschichte als organische Fort-
entwicklung aus einem anfänglichen
Keim und das jetzt kirchlich-dogma-
tisch Existierende als den augen-
blicklich erreichbaren Höchstzu-
stand des Christentums interpre-
tiert.

Reform: Maßnehmen
an Jesus Christus
Damit ignoriert er die bleibende
Ursprungsbezogenheit der Kirche,
die einerseits stets auch Traditions-
kritik fordert, andererseits aber zu-
gleich ein Reformpotenzial (als
nochmaliges Maßnehmen an der
Ursprungsform Jesus Christus in
der Bedeutung des lateinischen
Wortes „re-formare“) eröffnet.
Die notwendige Vermittlung bei-
der Extreme geschah in der Kir-
chengeschichte normalerweise auf
Synoden. Der Kirchenhistoriker
Klaus Schatz hat in seiner Geschich-
te des Ersten Vatikanums darauf
hingewiesen, dass Konzilien ge-
wöhnlich versucht haben, Entschei- Feierliche Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils am 11. Oktober 1962 im Petersdom, der als Kon-
dungen im Konsens zu erzielen (bis zilsaula diente. Foto: KNA
hin zum Preis des Verzichts auf Be-
schlussfassungen). Wo offensicht-
Als die christlichen Apologeten mit den Aufgaben der Leitung in der ter in der Kirche und für den gegen-
bei griechischen und römischen Phi- Glaubensverkündigung und des Auf- seitigen Respekt vor dieser Funk-
losophen (allerdings nicht in den an- baus (beziehungsweise der Bewah- tionsverteilung hat schon Paulus ge-
tiken Religionen) „Samenkörner“ rung der Einheit) der Kirche und worben (1. Korintherbrief 12,28f ):
des göttlichen Logos entdeckten und das Lehramt der Professoren (ma- „So hat Gott in der Kirche die einen
das Christentum als „wahre Philoso- gisterium cathedrae magistralis) mit als Apostel eingesetzt, die anderen
phie“ und Aufklärung über die Reli- den Aufgaben der Forschung und als Propheten, die dritten als Leh-
gionen darstellten, fanden sie bei der wissenschaftlichen Lehre. rer… Sind etwa alle Apostel, alle
Platon die Forderung an die Ver- Propheten, alle Lehrer?“
nunft, Maßstäbe und Regeln aufzu- Verschiedene Ämter, Im 19. Jahrhundert hat John
stellen, um das Gott-Künden der an- Henry Newman davor gewarnt, die
tiken Dichter und Geschichten- andere Aufgaben Aufgaben der Bischöfe (und des
erzähler kritisch zu läutern, und bei Die Jahrhunderte nach Thomas Papstes) und der Theologen mitei-
Aristoteles die Idee einer philoso- sahen dann immer wieder Versuche nander zu vermischen. Nur so könne
Professor Wolfgang Klausnitzer phischen Theologie im Sinne einer der beiden so unterschiedenen Äm- zum Beispiel die Theologie ihren
war bis zu seiner Emeritierung
Suche nach Gott mit der menschli- ter, jeweils die andere Aufgabe spezifischen Dienst in der Kirche –
2016 Lehrstuhlinhaber im Fach
Fundamentaltheologie und ver- chen Vernunft. gleich mitzuübernehmen. Zum in der freien Diskussion wissen-
gleichende Religionswissen- Im dritten Jahrhundert beginnt einen etablierte sich die theologi- schaftlicher Hypothesen, die wiede-
schaft an der katholisch-theolo- dann (vielleicht mit Origenes) ein sche Fakultät der Sorbonne im Mit- rum durch die Vielgestalt der ver-
gischen Fakultät der Universität intellektuelles Nachdenken über telalter als Gerichtsinstanz (in den schiedenen theologischen Schulen
Würzburg. Als Forschungsdekan den Glauben, das zunächst vor- Verurteilungen des Avignon-Papstes garantiert sei – auch angesichts ihrer
und Leiter des Instituts für Syste- nehmlich von Bischöfen (neben und Johannes XXII. 1331, des Templer- möglichen Gefährdungen – in der
matische Theologie lehrt er Fun- in ihrem Amt der Glaubensverkün- ordens oder von Jeanne d’Arc) und eventuellen Überschätzung der Fä-
damentaltheologie und Dogma- digung) betrieben wurde. Mit der konzipierte im 19. Jahrhundert Döl- higkeiten der menschlichen Ver-
tik an der Päpstlichen Philoso-
Gründung der Universitäten im linger die Theologie (analog zum nunft – gerade im Verhältnis etwa
phisch-Theologischen Hochschu-
le Benedikt XVI. Heiligenkreuz. Hochmittelalter entsteht der Ge- alttestamentlichen Prophetentum) zur Volksfrömmigkeit und zum bi-
Foto: privat danke einer akademischen Theolo- als die letztlich entscheidende Ins- schöflichen Amt ausüben.
M I T D E R T A G E S P O S T A U F D E M S Y N O D A L E N W E G 9

Die Kirche erlebt eine gigantische Implosion des Glaubens und eine nie dagewesene Erosion des Vertrauens. Was tun? Foto: KNA

Kirche hat ihre Sendung verloren


Pastoraltheologe der Kirche auseinanderzusetzen und lichen „Synodalen Weg“ beschlos- schoss. Dann musste die Feuerwehr
derartige Skandale aufzuarbeiten. sen. Zwei Jahre lange will man sich aus dem Nachbarort gerufen werden,
Andreas Wollbold Aber das bleibt an der Oberfläche mit den Themen Macht, Sexualmo- um den Brand zu löschen.
von teilweise haarsträubenden ral, priesterliche Lebensform und
hält Evangelisierung Symptomen. Das kann dazu verlei- der Rolle der Frau befassen. Damit Sie haben den Brief des Papstes an-
für die eigentliche ten, nicht tiefer zu blicken. Doch die soll Erneuerung möglich werden. gesprochen. In seinem Brief an die
viel grundsätzlichere schwere Glau- Ich glaube nicht, dass diese Themen Katholiken in Deutschland warnt
Antwort auf die benskrise darf nicht auf die Miss- des „Synodalen Weges“ angesichts Franziskus vor Sonderwegen,
mahnt zur Einheit mit der Weltkir-
schwere Krise der brauchskrise reduziert werden. der Glaubenskrise die wichtigsten
che und ruft mit großem Nach-
Die Glaubenskrise ist eine Gotteskri- sind. Man hat eher den Eindruck,
Kirche. Der Synodale se. Das Gottesbild der Menschen hat hier sollen strukturelle Fragen, kir- druck zur Evangelisierung auf. Of-
sich verändert. Für die meisten Men- chenpolitische Fragen, Fragen, die fensichtlich sieht der Heilige Vater
Weg drohe ins Schis- schen ist Gott kein persönliches Du, seit Jahren in den innerkirchlichen große Defizite, was die Bedeutung
ma zu führen, mahnt vor dem ich stehe, vor dem ich mich Zirkeln mit Lust und Liebe diskutiert des Themas Evangelisierung beim
verantworte, auf den ich vertraue, werden, nun in eine bestimmte Rich- „Synodalen Weg“ angeht. Trifft das
er. Wirksame Refor- sondern bestenfalls eine höhere tung durchgedrückt werden. Also Alt- zu?
Dem stimme ich vollkommen zu.
men müssten anders- Kraft, die mich wie ein warmer Wind lasten von Kirchenprofis statt Er-
neuerung der Glaubensgemeinschaft. Auch mit Blick auf manche Nachjus-
umfängt und mir das Leben etwas
wo beginnen leichter macht. Die Kirche hat aber Die eigentliche Aufgabe lautet doch: tierung, die es in Folge des Papstbrie-
Jesus Christus, die menschgeworde- Wie können wir die Herzen der Men- fes gegeben hat. Das wirkt eher wie
VON MARKUS REDER schen für das Evangelium wiederge- ein Feigenblatt. Die eigentlichen
ne Liebe Gottes, zu verkünden und
nicht warmen Wind zu machen. Der winnen? Wie können Menschen sich Themen, die den „Synodalen Weg“
Herr Professor Wollbold, über viele entscheidende Punkt ist also: Die bekehren? Und wie kann die Kirche beherrschen und am meisten me-
Jahrhunderte hat der christliche Kirche hat ihre Sendung verloren. Salz der Erde und Stadt auf dem Ber- dienwirksam sind, sind die Themen,
Glaube unsere Kultur geprägt. Papst Franziskus hat das in seinem ge werden? Diese Fragen scheinen die auch in innerkirchlichen Kreisen
Heute erlebt die Kirche eine gigan- Brief an die Katholiken in Deutsch- nicht zu interessieren. die Diskussion dominieren. Dabei
tische Implosion des Glaubens und land deutlich beschrieben. Wir haben Strategische Lippenbekenntnisse handelt es sich weithin um Struktur-
eine nie dagewesene Erosion des eine pastorale Bekehrung notwendig, und kleine Verbeugungen in Rich- fragen.
Vertrauens. Wo sehen Sie die Ursa- aber der weichen wir mit allen Mit- tung Rom bestätigen das eher. Der Evangelisierung, das große Anliegen
chen für diese schwere Krise? teln aus. „Synodale Weg“ erinnert mich an je- des Papstes, spielt keine relevante
Die Krise der Kirche ist zutiefst eine ne Feuerwehr in einem kleinen Ort. Rolle. Das werden auch die vielen
Krise des Glaubens. Es ist wichtig, Was heißt ausweichen? Die Kirche Man traf sich im Obergeschoss des aufrechten Synodalen nicht verhin-
sich mit dem sexuellen Missbrauch tut doch etwas. Die Deutsche Bi- Feuerwehrhauses zum Feiern. Wäh- dern können.
und dem Missbrauch von Macht in schofskonferenz hat einen verbind- renddessen brannte es im Unterge- Fortsetzung auf Seite 10
10 M I T D E R T A G E S P O S T A U F D E M S Y N O D A L E N W E G

Fortsetzung von Seite 9


Dabei wäre genau das entscheidend,
wenn man einen Weg aus der Krise
finden will.

Warum tut sich die Kirche in


Deutschland mit dem Thema Evan-
gelisierung so schwer?
Die katholische Kirche in Deutsch-
land ist zu schwergewichtig an Struk-
turen, an Einrichtungen, zum Teil
auch an großen Apparaten. All diese
Institutionen werden ab einem be-
stimmten Punkt zu Selbstläufern.
Das heißt, eine Intervention von
außen wird nur noch als „Störe meine
Kreise nicht“ empfunden. Der Kern
der pastoralen Bekehrung ist deshalb
auch ein anti-struktureller: Wir müs-
sen den Apparat abbauen, wir müssen
die Kirche wieder als Communio, als
Gemeinschaft aller wirklich Gläubi-
gen verstehen, als kleine Gemein-
schaft, die von Glaube, Hoffnung und
Liebe lebt und die nicht vom Kirchen-
steuerapparat und von großen Ordi-
nariaten gesteuert ist.
Die Themen des Synodalen Weges sind besonders medienwirksam. Evangelisierung spielt keine relevan-
Bereits Papst Paul VI. hat mit sei- te Rolle. „Manchmal hat man den Eindruck, die Kirche in Deutschland gleicht einer politischen Partei, die
ner Enzyklika „Evangelii nuntianti“ das eigene Programm dem vermuteten Wählerwillen, Stimmungen und Mehrheitsmeinungen anpasst.
das Augenmerk der Kirche auf die Für die Kirche ist das Selbstmord!“, betont Professor Wollbold. Foto: KNA
Herausforderung der Evangelisie-
rung gelegt. Das Pontifikat Johan-
betreffen auch Glaubensinhalte und Was hätte Paulus tun sollen, als er er- Das durchzuhalten braucht Mut,
nes Pauls II. war im Grunde wie ein
damit Belange der Weltkirche. For- fuhr: „Alle haben mich im Stich gelas- Glaubensmut: „Fürchte dich nicht, du
großer Ruf nach Evangelisierung.
derungen und Diskussionen um den sen“? Ein „anderes Evangelium“ ver- kleine Herde!“ (Lk 12,32) Dazu
Benedikt XVI. hat die Gottesfrage
„Synodalen Weg“ erwecken den künden (Gal 1,7)? Nein, er vertraute braucht es aber auch vertiefte Glau-
ins Zentrum seiner Verkündigung
Eindruck, man könne in Deutsch- noch mehr auf Gott allein, und damit benslehre, braucht es Katechese,
gestellt. Nun ruft Franziskus mit
land durch Mehrheitsvoten Verän- ist er auch Vorbild für heute: „Der braucht es Erklärung schwieriger
Nachdruck zur Evangelisierung
derungen herbeiführen. Steuert die Herr stand mir zur Seite und gab mir Punkte, braucht es ein geduldiges Be-
auf. Woran liegt es, dass die Päpste
Kirche auf einen deutschen Sonder- Kraft, damit durch mich die Verkün- mühen darum, dass die Menschen
mit ihrer Forderung, der Evangeli-
weg zu? digung vollendet wird.“ (2 Tim 4,16f.) wirklich begreifen, worum es geht.
sierung Priorität im Leben der Kir-
che zu geben, hierzulande so wenig Ich hoffe es nicht, aber die Sorge ist Die Kirche lebt also nicht davon, dass Der Glaube der Kirche will ja nichts
Gehör finden? berechtigt. Deshalb wird man mit ihre Lehren von der Mehrheit an- wegnehmen, er will zu einem Leben
Da kann man nur mutmaßen. Alle Wachsamkeit und einem Schuss erkannt werden. Sie lebt davon, dass in Fülle führen. Das Schwinden der
Päpste haben mit Nachdruck darauf Skepsis alle Etappen des „Synodalen sie treu das weitergibt, was Christus Akzeptanz kirchlicher Lehre – auch
hingewiesen, dass der Anfang aller Weges“ begleiten müssen. Ich per- sie gelehrt hat. „Weit ist das Tor und innerhalb der Kirche – ist daher auch
Evangelisierung die Selbstevangeli- sönlich glaube, dass dies besonders breit der Weg, der ins Verderben ein Symptom für die Krise der Kate-
sierung ist. Das heißt, die Aufforde- beim Thema Priestertum und allem, führt, und es sind viele, die auf ihm chese, die wir seit fünfzig Jahren
rung „Kehrt um und glaubt an das was damit zusammenhängt, geboten gehen.“ (Mt 7,13) haben.
Evangelium“ muss zunächst bei mir ist. Die Klarheit des Blickes auf die
selbst Fuß gefasst haben. Sie muss besondere Berufung und Sendung Nun schwindet aber die Akzeptanz Gerade in Krisenzeiten ist die Kir-
mich verändert haben, muss mein des Priesters ist durch Macht-, Struk- der kirchlichen Lehre in der Öffent- che gerufen, die „Zeichen der Zeit“
Leben neu ausgerichtet haben. Sie tur- und zum Teil auch Genderfragen lichkeit in atemberaubendem Tem- zu deuten. Welche Rolle spielt in
muss mich ein Leben lang herausfor- schwer getrübt. Priester sind Gesand- po. Wenn eine große Mehrheit der diesem Zusammenhang die Lebens-
dern, dass ich ein neuer Mensch wer- te an Christi Statt und keine bloßen Menschen, ja sogar eine Mehrheit wirklichkeit? Kann auch die Le-
de, ein Mensch, der Christus gleich- Falten im Gewand der Kirche, die der Katholiken, bestimmten Glau- benswirklichkeit eine Quelle der Of-
gestaltet ist, der Gott an die erste energisch glattgebügelt werden müs- bensinhalten oder etwa der Sexual- fenbarung sein?
Stelle setzt. Vor dieser existenziellen sen. moral nicht mehr folgt, ist es dann Der Begriff „Zeichen der Zeit“ wird
Herausforderung scheint man hier- Man hat manchmal den Eindruck, nicht höchste Zeit, kirchliche Posi- oft nebulös gebraucht. „Zeichen der
zulande zu fliehen. Vielleicht weil wir die Kirche in Deutschland gleicht tionen zu überdenken und sie zu re- Zeit“ bedeutet nicht einfach gesell-
einer politischen Partei, die nach formieren? schaftliche Situation, Lebenswirk-
keinen Mut und keine Zuversicht
mehr haben, dass Selbstevangelisie- Mehrheitsmeinungen schielt und Glaube setzt Bekehrung voraus. Wo lichkeit oder gar Mehrheitsmei-
rung möglich ist. Wir finden es leich- Wahlen gewinnen will. Deshalb passt diese Bekehrung fehlt, fehlt auch die nung. Dann wäre es bloß ein geist-
ter, sitzen zu bleiben, als den Weg man das eigene Parteiprogramm dem Voraussetzung dafür, dass ich als lich übertünchtes Wort für Anpas-
durch die Wüste der Selbstevangeli- vermuteten Wählerwillen, Stimmun- Kind Gottes mit Vertrauen auch sol- sung und Verweltlichung. Die „Zei-
sierung mit all ihren Herausforde- gen und Mehrheitsmeinungen an. che Lehren entgegennehmen kann, chen der Zeit“ zu deuten, meint die
rungen zu gehen. Für die Kirche ist das Selbstmord! die querstehen zu heutigen Überzeu- geistliche Wahrnehmung dessen,
Über das Glaubensgut kann man gungen. Außerdem: Der Glaube ist was der Heilige Geist in unserer
Die Themen, die auf dem „Synoda- nicht abstimmen, über Wahrheit immer in der Minderheit, immer an- Zeit wirkt.
len Weg“ behandelt werden sollen, kann nicht die Mehrheit entscheiden. stößig. Fortsetzung auf Seite 11
M I T D E R T A G E S P O S T A U F D E M S Y N O D A L E N W E G 11
Fortsetzung von Seite 10 ratungsprozesse. Synodalität bedeu- mung meiner Kirchensteuer? Ist
Die Frage wäre also: Wo finden sich tet nicht, sich über andere zu erhe- nicht die grundlegende Reform, die
heute Aufbrüche, die die großen ben, sich abzusondern und eigene jetzt ansteht, die Veränderung unse-
Werte des Evangeliums in vielleicht Wege zu gehen. Das würde eine Kir- res kirchensteuerfinanzierten Appa-
überraschender Weise zu verwirkli- che, die die große Communio der ratesystems? Ist nicht gerade der Ap-
chen suchen? Weltkirche bedeutet, nur schädigen parat das große Hemmnis wirklicher
Etwas anderes ist der Blick auf die und gefährden. Die Rede von der In- Veränderung im Sinne einer pastora-
Lebenswirklichkeit der Menschen. kulturierung wird schnell zu einem len Bekehrung? Müsste nicht etwa
Dieser ist unverzichtbar, wenn die Vehikel für Sonderwege. Da heißt es konkret beim Kirchensteuersystem
Kirche sich nicht in kleine Zirkel zu- aufpassen, dass die Einheit mit der überlegt werden, wie man diese irr-
rückziehen will. Denn jede Evangeli- Weltkirche nicht zerreißt. witzige Lenkung auf die Bistumsap-
sierung beginnt damit, den Menschen Inkulturieren bedeutet nicht, in die parate so dezentralisiert, dass die
wahrzunehmen, wie er ist. Evangeli- Substanz des Glaubens oder der Li- Gläubigen selbst entscheiden kön-
sierung heißt aber auch, ihn nicht da turgie einzugreifen, sondern Aus- nen, wohin sie ihre Kirchensteuer
stehenzulassen, sondern von dieser drucksformen zu finden, die die lenken?
Andreas Wollbold ist Professor
Lebenswirklichkeit auszugehen und Menschen auch wirklich verstehen, Zum Beispiel zugunsten einer wirk-
für Pastoraltheologie und Dekan
die Menschen zu einer Bekehrung, zu die sie vom Herzen her mitgehen lich lebendigen Pfarrei oder eines der Katholisch-Theologischen Fa-
einem Neu-werden und zu einem können. Das gilt am Amazonas wie Klosters, das ein geistliches Zentrum kultät der Ludwig-Maximilians-
neuen Leben zu befähigen. Der Glau- hier bei uns. für eine ganze Region darstellt. Das Universität München. Foto: R. Frey
be muss in die konkrete Lebenswirk- Es kommt aber noch etwas dazu. Bei wären mutige Veränderungen. Sie
lichkeit hinein verkündet werden, um allen kulturellen Unterschieden im stehen schon seit Jahrzehnten an,
sie positiv zu verändern. Er darf sich Detail haben wir heute keine abge- werden aber wie Tabus behandelt. liums. Dort heißt es: „Selig die Armen
jedoch nicht daran anpassen, sonst schlossenen kontinentalen Sonder- An dieser Stelle ist die Kirche hierzu- im Geiste, denn ihnen gehört das
verliert er seine verändernde Kraft, kulturen mehr. Was die Menschen in- lande strukturell verknöchert. Die Himmelreich.“ (Mt 5,3)
auch seine Anziehungskraft. zwischen am meisten bestimmt, ist Frage nach der Diversität ist leicht zu
Eine Quelle der Offenbarung kann die globale Kultur des Konsumismus. beantworten: Diversität ist da wun- Einerseits in Glaube und Praxis in
die Lebenswirklichkeit niemals sein. Darauf müssen wir Antworten fin- derbar, wo sie Ausdruck des einen der Einheit der Weltkirche bleiben,
den, wenn das Evangelium auf allen Glaubens ist. aber gleichzeitig jenen Kräften
fünf Kontinenten eine Zukunft haben Wo aber Glaubenswahrheiten, etwa nachgeben, die in Glaubensfragen
Im Zuge der Amazonas-Synode gab
was das Weihesakrament angeht, re- Alleingänge und Sonderwege for-
es Forderungen nach einer Kirche will.
lativiert oder gar geleugnet werden, dern: Wie soll das gut gehen? Ist der
mit indigenem Antlitz. Der „Syno-
da ist Diversität der beste Weg ins „Synodale Weg“ unter diesen Be-
dale Weg“ drängt in Richtung einer In einem Brief an den Vorsitzenden
Schisma. dingungen nicht von vornherein
Kirche mit deutschem Gesicht. Zer- der Deutschen Bischofskonferenz,
zum Scheitern verurteilt? Das wür-
fällt die Weltkirche in regionale Kardinal Marx, haben zehn deut-
Es fehlt nicht an Stimmen, die vor de am Ende nur zu noch größerer
Teilkirchen mit unterschiedlichem sche Generalvikare mit Blick auf
einer Spaltung der Kirche warnen. Frustration führen.
Aussehen? den „Synodalen Weg“ „grundlegen-
Genau eine solche riesige Katerstim-
Auch Kardinal Woelki zum Beispiel
mung muss man befürchten. Oder
hat mit Blick auf den „Synodalen
wird sie bewusst herbeigeführt, um
Weg“ entsprechende Befürchtungen
dann über Jahre Rom unter Druck
geäußert. Eine begründete Sorge?
setzen zu können? Eine Grundhal-
Ich teile diese Befürchtung absolut.
tung des Evangeliums ist die der Ein-
Das ist ja auch die ernste Mahnung,
fachheit. Keine Verstellung, keine
die Papst Franziskus in seinem Brief
Tricks, keine Doppelzüngigkeit, keine
ausgesprochen hat. Seitdem beob-
Versuche, hintenherum mit bewuss-
achte ich dagegen eine geradezu be-
ter Zweideutigkeit Dinge durchzuset-
schwörende Haltung der Protagonis-
zen. Das ist eine Strategie, die man in
ten des „Synodalen Weges“, man dür-
politischen Hinterzimmern findet,
fe nicht vor einem Schisma warnen.
die aber in der Kirche nichts zu su-
Die Gefahr einer Spaltung sei auf kei-
chen hat. Leider hat man den Ein-
nen Fall gegeben. Wenn man sich an-
druck, dass genau dieses Hintenhe-
sieht, in welche Bedrängnisse die
rum den „Synodalen Weg“ pflastert;
anglikanische Kirche geraten ist, als
deshalb hege ich nicht viele Erwar-
sie substanzielle Veränderungen
tungen auf einen guten Ausgang.
beim Weihesakrament vorgenom-
men hat, muss man sagen: Die Gefahr Woher nehmen Sie als Priester und
eines Schismas ist eine reale Gefahr Theologe dann die Hoffnung, dass
Anwachsende Unruhe, fragwürdige Forderungen, enorme Erwartun- für die Kirche in Deutschland. die Kirche vielleicht doch als erneu-
gen: Droht beim Synodalen Weg am Ende eine riesige Katerstim- erte Kirche aus dieser beispiellosen
mung? Foto: KNA Beruht die Tendenz zu nationalen Krise hervorgeht?
Sonderwegen auf der Überschät- „Besser, sich zu bergen beim Herrn,
zung des Gewichtes der eigenen als zu vertrauen auf Fürsten.“ (Ps
Synodalität ist da gut, wo sie aus de Reformen“ gefordert. Man wün- Kirche? 118,9) Das gilt auch für den Blick auf
einem Geist der Communio gelebt sche sich eine Kirche, „in der Plura- Ich fürchte, die Wahrheit ist noch die Kirche. Gott ist der Herr der Kir-
wird. Communio ist zunächst immer lität und Diversität erwünscht und sehr viel simpler. In unserer Welt gilt: che, er lenkt die Kirche mit macht-
die Communio mit Gott, also das Öff- erlaubt sind“, heißt es in dem Wer reich ist, hat recht. Deshalb be- vollem Arm. Er ist immer für eine
nen, das Hören, die Wachsamkeit auf Schreiben. Wie viel Pluralität und steht bei einer reichen Kirche wie der Überraschung gut, vielleicht auch
das, was Gott zu uns spricht. Deshalb Diversität sind in Glaubensfragen Kirche in Deutschland die Gefahr der durch Krisen und Zusammenbrüche
mahnt Papst Franziskus immer wie- möglich? Hybris. Man denkt, am deutschen hindurch. Mein Blick geht auf Gott.
der zu Fasten und Gebet als wesent- Nun, wie wäre es dann etwa mit mehr Wesen soll die Weltkirche genesen. Er ist treu, er wird seine Kirche auch
lichem Element aller synodalen Be- Pluralität und Diversität bei der Wid- Das ist das Gegenteil des Evange- jetzt nicht im Stich lassen.
12 M I T D E R T A G E S P O S T A U F D E M S Y N O D A L E N W E G

H I N T E R G RU N D
In einem historischen Akt hat
sich Papst Franziskus mit einem
Brief an alle Katholiken in Deut-
„Adam, wo bist Du?“
schland gewandt. Anlass der Der frühere Apostolische Nuntius in Deutschland, Erwin Josef Ender,
Schreibens, das am 29. Juni 2019 kritisiert den Synodalen Weg und das Niveau der Diskussion
veröffentlicht wurde, war der Sy-
VON ERZBISCHOF ERWIN JOSEF ENDER
nodale Weg der katholischen Kir-

I
che. Mit Blick auf die „Erosion"
n den Lesungen aus dem Alten nehmbar zu machen. Sie haben die fenbarungs- und Glaubensquellen –
und den „Verfall des Glaubens“
Testament begegnet uns häufig Aufgabe, den fliehenden Menschen soll sich die Kirche gleichsam neu er-
in Deutschland ruft Franziskus in
die Klage: „Wieder taten die Is- nachzulaufen, nicht um sie auf Irrwe- finden. Ich habe die Entwürfe für die
seinem Schreiben eindringlich zu
raeliten, was Gott missfiel“ (Ri gen zu bestätigen, sondern um sie zur vier Foren des „Synodalen Weges“ ge-
Bekehrung und Evangelisierung
13,1). Wir erfahren auch die Reaktion Umkehr und Rückkehr zu bewegen. lesen und bin erschrocken, auf wel-
auf und mahnt, in der Einheit mit
der Propheten darauf. Sie klagten an Ist es nicht verwunderlich, dass man chem Niveau sich die heutige Diskus-
der Weltkirche zu bleiben. Die
und ermahnten leidenschaftlich zur den Aufruf zur Bekehrung heute kaum sion bewegt. Schrift und Tradition
Verkündigung des Glaubens sei
Umkehr. Es gibt meines Wissens kei- oder gar nicht mehr hört? „Kehrt um scheinen von der sogenannten „moder-
der erste und eigentliche Auftrag
nen Propheten, der für die Kluft zwi- und glaubt an das Evangelium“ (vgl. nen“ Theologie und den Humanwis-
der Kirche. Dies müsse auch das
schen dem Anspruch Gottes und dem Mk 1,15): Jesus selbst hat so am An- senschaften weitgehend verdrängt und
Ziel eines Synodalen Weges sein,
Verhalten der Menschen Gott selbst fang seines öffentlichen Wirkens den durch diese ersetzt zu werden. Kein
betont der Heilige Vater.
verantwortlich gemacht hätte, als sei Auftrag seiner Sendung erklärt. Vergleich mit der Glaubensperspektive
Anstelle einer Fokussierung auf
Gott aus der Zeit gefallen und hinter der Konzilstexte. Es verhält sich wie
Strukturfragen fordert der Papst,
den Wünschen der Menschen zurück- mit der Betrachtung eines bunten Kir-
der Evangelisierung im Leben der
geblieben. Heute ist dies der vorherr- chenfensters: statt von innen betrachtet
Kirche oberste Priorität zu geben.
schende Trend, wenn man auf die of- man es nur noch von draußen. So ver-
Wie bereits Benedikt XVI. warnt
fensichtliche Unvereinbarkeit der Le- steht man das Dargestellte und seinen
auch Franziskus vor der Gefahr
bensweise, Wünsche und Forderun- Sinngehalt kaum noch. Der Entwurf
der Verweltlichung der Kirche.
gen des „modernen“ Menschen mit für das Forum zur Sexualität erinnert
„Ohne neues Leben und echten,
manchen Teilen der Glaubens- und mich an den Ausspruch eines hohen
vom Evangelium inspirierten
Sittenlehre der Kirche hinweist. Vertreters des Zentralkomitees der
Geist“, ohne „Treue der Kirche
Ich stelle mit Verwunderung fest, deutschen Katholiken (ZdK), der sinn-
gegenüber ihrer eigenen Beru-
dass in der angeregten Diskussion um gemäß meinte: Rom solle für einige
fung“ werde jede neue Struktur
den „Synodalen Weg“ kaum jemand Zeit mal schweigen; wir werden dann
in kurzer Zeit verderben, so der
auch mal eine andere, wahrscheinli- schon eine akzeptable Sexualmoral zu-
Pontifex.
chere Erklärung für die Entfremdung stande bringen…
Der Brief des Papstes hatte in der
zwischen dem heutigen Menschen
katholischen Kirche Deutsch-
lands für unterschiedliche Reak-
und der Kirche ins Gespräch bringt. Die Mahnungen des
Dass nämlich nicht Gott und die Kir-
tionen gesorgt. So gab es im Zuge
che sich vom Menschen entfernt Apostels und die 68er
des Schreibens Forderungen nach
haben, sondern umgekehrt – wie Der heilige Paulus mahnt in seinem
einem Neustart des „Synodalen
schon Alten Bund – sich die Men- Römerbrief: „Gleicht euch nicht die-
Weges“. Die Weichen seien falsch
schen von Gott und der Kirche ent- ser Welt an, sondern wandelt euch
gestellt, beklagte etwa der
fernt haben und sich weiter entfrem- und erneuert euer Denken, damit ihr
Regensburger Bischof Rudolf Erzbischof Erwin Josef Ender war
den. In Scharen kehren sie der Kirche von 2003 bis 2007 Apostolischer prüfen und erkennen könnt, was der
Voderholzer. Die Spitzen von Bi-
den Rücken und laufen davon. Immer Nuntius in der Bundesrepublik Wille Gottes ist: was ihm gefällt, was
schofskonferenz und ZdK sahen
mehr Menschen leben, als wenn es Deutschland. Foto: KNA gut und vollkommen ist“ (Röm 12,2).
sich durch den Brief des Papstes
Gott nicht gäbe. Darum ist der Ruf Das sollte, wenn uns das Wort Gottes
ermutigt, auf dem „Synodalen
Gottes nach dem in Sünde gefallenen noch etwas bedeutet, das Hauptanlie-
Weg“ weiter voranzuschreiten.
und flüchtenden Menschen im Para- Mit Freude lese ich zurzeit wieder die gen eines jeden Erneuerungspro-
Der Kölner Erzbischof, Kardinal
dies heute so aktuell wie am Anfang: wichtigsten Dokumente des letzten gramms sein: Sich nicht der Welt an-
Woelki, und der Regensburger
„Adam, wo bist du?“ (Gen 3,9). Konzils. In diesen Dokumenten ist dar- zugleichen, sondern zuerst sich selbst,
Bischof Voderholzer legten
gestellt und zusammengefasst, was die sein Denken und Tun im Geiste Jesu
schließlich einen alternativen
Entwurf zur Satzung des „Syno- Wer spricht heute noch Kirche in den zweitausend Jahren ihrer Christi zu erneuern. Es kann nicht nur
Geschichte in den Heiligen Schriften, darum gehen, zu hören, was die Men-
dalen Weges“ vor. von Bekehrung? ihren Heiligen, Lehrern und Konzilien schen von der Kirche erhoffen oder
Der Alternativ-Entwurf hob den
Christus hat am Ostermorgen seine verbindlich über sich und die Welt aus- gar fordern, sondern vor allem darum,
Primat der Neuevangelisierung,
Apostel – und so auch ihre Nachfolger gesagt hat und für unsere heutige Zeit zu prüfen und zu erkennen, was Gott
die Beachtung des „sensus eccle-
in allen künftigen Zeiten – mit den fruchtbar zu machen sucht. Es ist noch von uns, der Kirche und den Men-
siae“ und die Rücksicht auf die
Worten beauftragt: „Wie mich der Va- nicht einmal 60 Jahre her, dass diese au- schen erwartet. Nicht, was der „Welt“
Einheit mit der Weltkirche her-
ter gesandt hat, so sende ich euch!“ thentischen und verbindlichen Selbst- und den Menschen, angenehm und
vor, um den Forderungen des
(Joh 20,21). Und sein Vater sandte aussagen der Kirche über sich und ihre wünschenswert erscheint, ist der
Papstbriefes Rechnung zu tragen.
ihn, wie er selbst ausdrücklich beteu- Sendung in der Welt von heute erfolgt Maßstab der Erneuerung, sondern
Bei einer Sitzung des Ständigen
ert, „zu suchen und selig zu machen, sind. Doch die Aussagen dieses Konzils Gottes Wille. Das, was in den Augen
Rates im August stimmten die
was verloren ist“ (Lk 19,10). Darum ist werden kaum noch wahrgenommen. Gottes „gut und vollkommen“ ist!
Deutschen Bischöfe über den Al-
es die vorrangige Aufgabe der Hirten Wenn man manchen Meldungen in Ich habe hingegen den Eindruck, dass
ternativ-Entwurf ab. 21 stimmten
der Kirche, dieses Rufen und Suchen den Medien glauben soll, steht ein inzwischen auch in den Reihen der
dagegen, drei Bischöfe stimmten
Gottes nach den Flüchtenden und Ir- „Umbruch“ wie zur Zeit der Reforma- Kirche der „Geist von 68“ Eingang ge-
dafür, und drei weitere enthielten
renden auch in der Kirche und der tion bevor. Ohne Rücksicht auf Schrift funden hat und hier Heimatrecht bea-
sich der Stimme.
Welt von heute hörbar und wahr- und Tradition – den eigentlichen Of- Fortsetzung auf Seite 13
M I T D E R T A G E S P O S T A U F D E M S Y N O D A L E N W E G 13
Fortsetzung von Seite 12 schienenes Buch eines ihrer Priester Dies erinnert mich an Christus vor Darum muss das Hauptanliegen jeder
-nsprucht. Alles soll hinterfragt und empfehlend zur Kenntnis. Dabei ver- Pilatus. Auch ihm waren die Freunde wahren Erneuerung sein, die Anwe-
dann nach eigenem Gutdünken neu gaß sie auch nicht, gleich genau anzu- abhanden gekommen (auch manche senheit Christi und Gottes in der Kir-
formuliert und zurechtgerückt wer- geben, wo dieses gekauft werden kann „Verantwortliche“ unter ihnen). Unter che und durch sie mit neuer Glau-
den. In den Verlautbarungen und der und was es kostet. Je „drastischer“ je- den Geiselwunden und der Dornen- bensfreude zu entdecken und zu be-
Berichterstattung über das kirchliche mand die Kirche kritisiert, umso mehr krone erkennen sie den verborgenen zeugen. Bevor man sich über diejeni-
Geschehen in Deutschland muss man Echo und Raum findet er in den Me- König nicht mehr. Es fehlt der Mut, gen beklagt, die sich entschlossen
schon mit der Lupe suchen, um je- dien – auch in manchen kirchlichen. sich zu ihm auch als gedemütigtem haben, ihre Kirchensteuer nicht mehr
manden zu finden, der den Mut hat, Während über „Maria 2.0“ bei jeder und entstelltem Schmerzensmann zu zu zahlen, und so ihre Kirchenmit-
dem allgemein verbreiteten Trend sich bietenden Gelegenheit ausführ- bekennen und für ihn einzustehen. gliedschaft aufkündigen, sollte die
„drastischer Kirchenkritik“, die bei lich über Forderungen und Aktionen Selbst die verächtliche Pilatus-Frage ganze Aufmerksamkeit denen gelten,
vielen leider oft wohlwollenden Ap- berichtet wird, ist „Maria 1.0“ kaum hören wir heute aus vieler Munde: deren Glaube schon seit geraumer
plaus findet, mit einem besonnenen eine kurze Notiz wert. Selbst in Got- „Was ist Wahrheit?“ (Joh 18,38) Zeit erkaltet ist und die schon länger
und kritischen Wort offen entgegen- tesdiensten werden Predigten, die weder am Sonntagsgottesdienst (90
zutreten. Es bedurfte eines mir unbe- Spott und Häme über die sogenannte Strukturen entfachen Prozent) noch am sonstigen Leben
kannten Laien, der in einem KNA- kirchliche „Obrigkeit“ schütten, mit der Kirche teilnehmen, weil sie Gott
Beitrag einmal den guten Rat gab, Lob und Applaus bedacht; im Gegen- keine Glaubensfreude und der Kirche schon lange entfrem-
man solle doch von der Kirche nicht satz zu manch anderen, die eine solche Auch noch so gut gemeinte „Struk- det sind.
nur Negatives, sondern auch mal et- Ermutigung wirklich verdienten. turreformen“ werden diesen herabset- Wem Christus nichts mehr bedeutet
was Positives sagen. zenden und destruktiven Umgang mit und zu sagen hat, wird auch auf die
Das Gesicht der Kirche ist durch die Mut, sich zum Schmer- der Kirche nicht zu heilen vermögen, Kirche leicht verzichten und seine
zu Recht beklagten und zu verurtei- wenn Reformbemühungen nicht bei eigenen Wege gehen. Vorwiegend
lenden Missbrauchsfälle entstellt. zensmann zu bekennen den Fundamenten des Glaubens be- strukturelle Veränderungen im Leben
Aber ich bin überzeugt, dass viele von Durch solches Verhalten schaden ginnen. Darum halte ich den von den der Kirche werden kaum jemand mo-
denen, die in die heute weithin wohl- wir uns selbst und der Kirche am Oberhirten aus Köln und Regensburg tivieren und dazu bewegen können,
feile Kritik an der Kirche genüsslich meisten. So sollte es nicht verwun- vorgeschlagenen alternativen Entwurf seinen Glauben und seine Liebe zu
einstimmen und applaudieren, mit- dern, wenn immer mehr Menschen für den „Synodalen Weg“ für ehrlicher Gott in der Kirche wieder zu entde-
schuldig sind am schlechten Erschei- der Kirche den Rücken kehren. Die und erfolgversprechender. Bei diesem cken und neu zu leben. Der Glaube
nungsbild der Kirche in unseren Ta- Kirche ist seit ihrer Gründung unver- Vorschlag hatte es sich um ein neues kommt vom Hören und nicht vom De-
gen. Unter ihnen auch manche Theo- meidlich immer zugleich sündig und und damit „alternatives“ Arbeitspro- battieren, Kritisieren und Programme
logen, Priester und sogar Bischöfe. heilig („casta mereterix“). In ihr wach- gramm gehandelt, das jedoch leider schreiben. Darum ist die Verkündi-
Erst kürzlich brachte eine „Kir- sen Weizen und Unkraut bis zur Ernte von der Mehrheit der Bischöfe abge- gung der Frohbotschaft und ein geleb-
chenzeitung“ unter der vielsagenden gleichzeitig miteinander. Heute ent- lehnt wurde. tes Glaubenszeugnis, eine überzeu-
Überschrift „Drastische Kirchenkri- steht der Eindruck, als ob wir von Mit der Kirche leben, sie lieben und gende Evangelisierung in Wort und
tik“ in Großformat und mit Autoren- „unserer“ Kirche selbst wenig über- sie mitgestalten kann nur, wer in ihr Tat, der einzige angezeigte Weg in die
porträt ihren Lesern ein soeben er- zeugt sind und nicht voll zu ihr stehen. Christus findet und Gott begegnet. Herzen der Menschen.

Aufrichten oder abreißen? Gerade in Zeiten der Krise sind Bekenntnis und Glaubenszeugnis gefragt. Foto: dpa
14 M I T D E R T A G E S P O S T A U F D E M S Y N O D A L E N W E G

Was ist Wahrheit?


Kann man in Zeiten
postmoderner Vielfalt
überhaupt noch von
der Wahrheit spre-
chen? Das Leben ist
bunt wie ein Regen-
bogen. Ist da nicht
alles irgendwie gleich
gültig – ohne Wertung,
ohne Wahrheitsan-
spruch? Und was hat
diese Frage mit dem
Synodalen Weg zu
tun? Eine Antwort
VON HANNA-BARBARA
G E R L - FA L K OV I T Z

W
as ist Wahrheit? Nicht
nur Pilatus fragt so,
300 Jahre vor ihm
auch Sokrates. Und
das Misstrauen des Römers zieht sich
Der Synodale Weg beginnt. Wohin die Reise geht, ist ungewiss. Foto: KNA
durch die Jahrhunderte, ebenso wie
die sokratische Antwort fruchtbar
bleibt. Freilich läuft auch dabei schon ton: Wahrheit ist ein Offensein der schen auf das, was sich zeigt. Dem Fremde einzuheimsen, wenn nicht zu
die sophistische Behauptung wie ein Dinge, denn sie offenbaren sich durch Sich-Auftun der Dinge antwortet das vergewaltigen.
Zwilling mit, alle Wahrheit sei relativ. ihre „Idee“, also ihre „Sichtgestalt“, Sich-Auftun des Menschen, und er Die Einzahl der Wahrheit wird als
Wie sieht die Balance heute aus? weil sie der schaffende Gott ins Da- antwortet auch bereitwillig – und solche verdächtig. Entsprechend
Natürlich kann man den Satz: „Es sein „ersehen“ hat und ihnen die Er- vielgestaltig. Fortsetzung auf Seite 15
gibt keine absolute Wahrheit“ kon- kennbarkeit durch Form aufprägt.
tern: „Also das ist absolut wahr?“
Aber ein so formales Argument trägt
Und sie öffnen sich für wen? Natür- Jede „Leitkultur“ steht
lich für den Menschen. Ihn befähigt
noch nicht wirklich. Und so findet derselbe Gott, die Sichtgestalt zu er- unter Verdacht K U R Z G E FA S S T
man, auch im theologischen Umfeld kennen, trotz aller Unterschiede im Aber gerade hier liegt der Haken,
synodaler Wegbereiter, erstaunliche Man kann sich ein Loch ins
einzelnen. Auch viele verschiedene denn: Ob dieses Gerichtet-sein alles
Sätze: Es gebe keine objektive Wahr- Knie bohren und heiße Milch
Äpfel erkennen wir als Äpfel. Der greift und begreift? Tut sich nicht je-
heit, denn diese sei „heteronom“, reingießen. Das ist möglich. Ist
Mensch ist wahrheitsfähig: Er kann der auf seine eben beschränkte Weise
fremdbestimmt, vielmehr sei Wahr- es aber auch sinnvoll? Wahrheit
nämlich sehen, was ist. auf ? Beschränkt meint nicht dumm,
heit „autonom“, einzig dem Ich über- ist der sinnvolle Bezug auf
Daher: Das Sich-Offen-Legen der sondern: Ein Kind sieht anders als
antwortet. Das zeigt eine beklagens- Wirklichkeit. Das anstößige
Dinge fordert zwingend das Offen- ein gereifter Mensch, und jede Kultur
werte Unkenntnis des Sachverhalts. Wort Jesu „Ich bin die Wahr-
sein des Menschen heraus – seinen lehrt schon durch ihre Sprache ein
Denn fremdbestimmt und selbstbe- heit“ behauptet, die alles um-
Willen, überhaupt sehen zu wollen Wahrnehmen und Bewerten der Welt
stimmt ergibt bei Wahrheit keinen fassende Wahrheit zwischen
und dem, was sich zeigt, Raum zu ge- in je eigener Eigenart. Daher hat die
Sinn (genauso wenig wie im Verhält- Wirklichkeit und Mensch zu
ben. So lässt sich weiter klassisch for- Postmoderne ernste Einwände gegen
nis von Gott und Mensch). Warum? sein. Aber: „Es gibt keine abso-
mulieren: Wahrheit ist die Anglei- eine „einzige“ Wahrheit erhoben,
Wahrheit ist kein Gegenstand, son- lute Wahrheit!“ Gegenfrage: Das
chung des Intellekts an die Sache, weil sie Wahrheit nur aus dem Einen,
dern ein Verhältnis. Wozwischen? ist also absolut wahr?
adaequatio intellectus ad rem. Gegen Gemeinsamen denke. Das habe letzt-
Wahrheit zeigt sich, je tiefer
diese Aussage ist eingewendet wor- lich zum Sündenfall der roten und
man sich in die Schöpfung hi-
Der Mensch ist den, sie berücksichtige nicht die mit- braunen Ideologien im 20. Jahrhun-
neinziehen lässt und dort auf
gegebenen Schranken des Intellekts, dert geführt, die nur eine einzige
wahrheitsfähig seine vorgefasste „Rahmung“ der Klasse oder eine einzige Rasse gelten
den Logos, die Handschrift des
Schöpfers, trifft. Und sie zeigt
Antike und Mittelalter sprachen Dinge. Aber Angleichung ist nicht ließen – der Einheitszwang wurde für
sich, je sinnvoller man auf die-
von einer „Wahrheit der Dinge“, veri- formal zu verstehen, sondern meint Millionen tödlich. Jede „Leitkultur“
sen Logos antwortet.
tas rerum, was heißen will nach Pla- das innere Gerichtet-sein des Men- steht seither unter dem Verdacht, das
M I T D E R T A G E S P O S T A U F D E M S Y N O D A L E N W E G 15
Fortsetzung von Seite 14
fehlt nicht nur das Eine, Verbindliche
im postmodernen Lebensstil; es fehlt
auch der Eine: Gott. Es bleibt unent-
schieden, ob und wie es „ihn“ gibt
oder ob er nur eine „Spur“ hinterließ,
ein Gegenbild zu Traum und Sehn-
sucht des Menschen. Umso weniger
lasse sich Wahrheit durch Veranke-
rung in Gott sichern.
So kommt es zum postmodernen
Aufstand gegen die „großen Erzäh-
lungen“: Entwürfe wie Fortschritt,
„Techno-Wissenschaft“, unaufhalt-
samer Aufstieg der Vernunft führten
zu einer gewaltsamen Einheitlich-
keit. All das lässt sich lesen als Mono-
polismus einer Wahrheit über die
Götter, die Menschen, die Dinge; die-
sem Wahrheits-Monopol diene auch
– verblüffend – die aufklärerische,
alles betreffende Vernunft. Das Den-
ken aus dem scheinbar einen Ur-
sprung grenze „die Anderen“ immer
aus. Auch die Vorstellung des mündi-
gen, selbstverantwortlichen Subjekts
sei Selbstdurchsetzung: Das Ich
schließe herrisch von seiner Über-
zeugung auf ein Du. Die Moderne
habe damit nur zum Koma geführt.
Deswegen gilt nur noch ein Zulassen
aller beliebigen Lebenswelten, ohne
Wertung, ohne Überhebung, ohne
Wahrheitsanspruch. Die Einzahl ist
tot, es lebe die Vielzahl! „Wer bin ich?
Und wenn ja, wieviele?“, fragt ein
Bestseller. Das Leben ist bunt wie der
Regenbogen. Geltenlassen ist das
neue Ethos: Die Freiheit wird euch
wahrmachen! Aber spielt sich das
alles wirklich außerhalb des An-
spruchs auf Wahrheit ab?

Das Denken versackt in


Beliebigkeit
Philosophie unterscheidet zwi-
schen notwendigen Vernunftwahr-
heiten, die widerspruchsfrei und zeit-
los gelten (so die Gesetze der Mathe-
matik), Tatsachenwahrheiten (ein-
maligen und „zufälligen“ Ereignissen
der Geschichte), objektiven Wahrhei-
ten (Naturwissenschaften) und sub-
jektiven Wahrheiten (Perspektive des
Ich), und weiteren Unterteilungen. Wegweisung? Orientierung war schon mal einfacher. Foto: KNA
All diese Wahrheiten im Plural haben
etwas Entscheidendes gemeinsam:
Sie kennzeichnen jeweils einen konstruktion nennt) bleibt doch die chen, dass Wirklichkeit nach ihren störanfälliger, aber deswegen auch
Gegenstandsbereich, den der Mensch gemeinsame Wirklichkeit. eigenen Regeln behandelt werden lohnender, weil der Mensch nicht nur
sieht, abwägt, beurteilt. In dieses Kündigt man Wirklichkeit als will. Und es gibt nicht nur den kör- bios hat, körperliches Leben, sondern
Urteil fließen Bedingungen ein, die Maßstab des Erkennens, dann aller- perlichen Schmerz, viel tiefer noch zoe, Leben des Geistes – das fordert
tatsächlich veränderlich sind: die dings versackt das Denken in die Be- den existenziellen der zerbrochenen seine eigene Mühe ein. „Richtiges
Weltanschauung der Zeit (die man liebigkeit. Wie es in der Subkultur oder halbierten Beziehungen. Die Leben“ kann immer wieder anders
heute Konstruktion nennt), persönli- von Jugendlichen heißt: Man kann Resonanz zwischen Welt und gesucht werden, bisherige Lösungen
che Erfahrungen, Verdrängungen, sich auch ein Loch ins Knie bohren Mensch ist nicht einfach stimmig, sie lassen sich dekonstruieren – aber das
Wertungen. Daher sind solche Bedin- und heiße Milch reingießen. Aber ist sogar vielfach gestört. Umso mehr Ziel bleibt: die Sehnsucht nach der
gungen grundsätzlich immer neu zu kann man das wirklich? Gerade da greift die Frage: Gibt es nur eine Bio- Wahrheit dieses Daseins, durchaus
überprüfen. Aber Bezugspunkt der schlägt ja der Schmerz zurück – kultur für Pflanzen und Tiere? Oder „meiner“ Wahrheit“. Aber „meine“
Überprüfung (die man heute De- Schmerz als vielleicht letztes Zei- auch für Menschen? Sie ist ungleich Fortsetzung auf Seite 16
16 M I T D E R T A G E S P O S T A U F D E M S Y N O D A L E N W E G

Fortsetzung von Seite 15 rende Ordnungen. Naturwissen- rückgebunden. „Vergisst“ man die-
und „deine“ Wahrheit sind nicht schaftliche Erkenntnisse führen heu- sen Ursprung, glaubt man nur mit
grundverschieden; sie treffen sich im te ins unvorstellbar genau aufeinan- konstruierten, technisch rekonstru-
sachgemäßen Zugriff, in richtigen der Bezogene, wenn man nur an die ierbaren, dekonstruierbaren Fakten
oder zerstörerischen Antworten auf Astrophysik oder Nanophysik denkt. zu tun zu haben, die subjektiv auszu-
Wirklichkeit. Es ist eine sonderbare Zumutung an legen sind. Aber Wahrheit ist die ab-
die Vernunft, in solchen hochkomple- solute Gabe: Sie ist das Band „zwi-
Eine Zumutung an die xen Systemen nur ein anonymes schen“ einem unergründlichen Sich-
Würfelspiel zu sehen. Vielmehr gilt Zeigen der Welt und dem un-
menschliche Vernunft Professorin Gerl-Falkovitz war
bis zu ihrer Emeritierung Inhabe- im Logos-Charakter des Ganzen ein ergründlichen Begreifen des Men-
Wie hängen Wirklichkeit und rin des Lehrstuhls für Religions- unmittelbares Sich-Zeigen: das Sich- schen. „Es gibt“ nicht nur die Wahr-
Wahrheit zusammen? Wahrheit zeigt philosophie und vergleichende selbst-Bezeugen des Urlebens in al- heit: Wahrheit gibt sich selbst, je tie-
sich „zwischen“ der Wirklichkeit und Religionswissenschaft an der TU lem, was ist. Das anstößige Wort Jesu fer man sich in die Schöpfungen des
dem Menschen. Wirklichkeit ist das, Dresden. Heute leitet sie das „Ich bin die Wahrheit“ (Joh 14,6) be- Logos hineinziehen lässt.
was aufprallt, widersteht, antwortet, „Europäische Institut für Philoso- hauptet, die alles umfassende Wahr-
in allen Spielräumen des Körperli- phie und Religion“ an der Philo- heit im Resonanzraum zwischen
sophisch-Theologischen Hoch-
chen, Seelischen und Geistigen, kurz: Welt und Mensch zu sein.
schule Benedikt XVI. in Heiligen-
Wirklichkeit ist das Gegebene. Wahr- kreuz bei Wien. Was immer Menschen erkennen,
heit wirkt als das Licht, das die Bezie- Foto: Björn Hänssler erkennen sie in der Teilhabe an die- Welt & Kirche erscheint alle zwei
hung zwischen dem Gegebenen und ser Ur-Wahrheit. Das führt freilich Monate als Beilage
dem menschlichen Sehen, Entschei- über das philosophisch Gedachte hi- zur katholischen Wochenzeitung
den, Tun in Gang bringt. Umgekehrt: Klassische Einsichten, naus, aber es fordert nicht einen abs- Die Tagespost.
Wahrheit meint die wahre Bezie- von der Antike bis zur heutigen Phä- trakten Glaubensakt ein, sondern Berner Straße 2, D-97084 Würzburg
hung zwischen Welt und mir. Und nomenologie, begründen den Zusam- den Entschluss, sehen zu wollen, www.die-tagespost.de
nicht nur für mich als Einzelkämpfer, menhang von Wirklichkeit und was ist – und darin den ursprünglich Exemplare gratis bestellbar unter:
sondern: Sprache, Kultur, Nach-Den- menschlicher Antwort so, dass diese Mensch und Welt verbindenden, info@die-tagespost.de
ken lassen sich ein auf das, was ande- Welt von Logos geprägt ist. Logos wahren Logos. Niemand schöpft das, Redaktion: Markus Reder
re schon gesehen haben, und womög- meint Klarheit des Aufbaus, Verläss- was ist, im Sehen ganz aus. Aber V.i.S.d.P.: Oliver Maksan
lich tiefer als ich. Denn es gibt tiefe, lichkeit der Abfolge, Schönheit des auch abgestufte Wahrheiten ent- Theologischer Beirat:
aber auch flache Einsichten; eine Regelmäßigen. Vorfindliche Struktu- springen der Selbstoffenbarung der Prof. Dr. Hanna-Barbara
sehr flache Behauptung bleibt, dass ren, Gesetzmäßigkeiten, naturhafte Ursprungs-Wahrheit in allem, was Gerl-Falkovitz, Prof. Dr. Karl-
das Gegebene jeder Willkür des Ma- Entwicklungen binden selbst chaoti- sich dem Erkennen auftut, und sie Heinz Menke, Prof. Dr. Christoph
chens und Deutens ausgeliefert sei. sche Elemente ein in neu sich formie- bleiben an die Ursprungs-Wahrheit Binninger, Prof. Dr. Christoph Ohly

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