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Radical Women1
Radical Women1
Sammelausstellungen lateinameri
Giunta schreibt im Ausstellungs
katalog, dass die Identifikation mit
Art, 1960–1985
Künstlerinnen. Erst nach 2000 finden Bestrebungen gegen die politischen
sich vereinzelte Positionen auch in Systeme geprägt war. In diesem
den großen internationalen feministi Zusammenhang ist auch die Befra
Text: Ana Hoffner schen Ausstellungen. Die Kuratorin gung des Körpers und seiner
13. April bis 22. Juli 2018
Brooklyn Museum,
New York. Ein dreidimensionales, nen fragen in Anbetracht dieser Repräsentation zu verstehen. Die
New York höchst komplexes Koordinatensystem offensichtlichen repräsentationspoli Künstlerinnen agieren immer im
spannt die letzte Gruppenausstellung tischen Problematik, warum es so Widerstand zu den regionalen Dikta
des Brooklyn Museum New York auf lange gedauert hat, dass bestimmte turen und deren Eingriffen in Sub
– Radical Women: Latin American Art, Positionen in der öffentlichen Wahr jektivitäten. Viele der gezeigten
1960–1985. Kunst aus Lateinamerika nehmung auftauchen bzw. nur wenige Künstlerinnen wurden inhaftiert bzw.
ist bereits im Titel zentral gesetzt und (wie Ana Mendieta, Lygia Clark oder gefoltert. Die Methoden der körperli
wird einerseits durch den Verweis auf Lygia Pape) internationale Annerken chen und psychischen Gewalt, die
die geschlechtsspezifische Perspek nung finden konnten. Der zeitliche weibliche Körper in ganz spezifischer
tive („Radical Women“) und anderer Rahmen der Ausstellung will die große Weise betreffen (Vergewaltigung,
seits durch die historische Zeitspanne Bandbreite an konzeptuellen und Geburten in Gefängnissen, Kindes
(1960–1985) ergänzt. Die mehrfache experimentellen Formen betonen und raub etc.), wurden daher von vielen
Verschiebung hin zu einer feministi auf die konstruierte Abwesenheit der der gezeigten Positionen behandelt.
schen, dekolonialen Kunstgeschichts Künstlerinnen hinweisen. Radical In Mexiko ist dafür Polvo de Gallina
schreibung mag zunächst über- Women ist somit nicht eine biologis Negra (Schwarze Henne Pulver),
motiviert anmuten, ist jedoch keines tische Setzung der Kuratorinnen, gegründet 1983 von Maris Bustaman
wegs zu viel versprochen. Denn die sondern problematisiert notwendi te, Herminia Dosal und Monica Mayer,
Fülle an künstlerischen Praktiken, die gerweise eine sozial hergestellte beispielgebend. Das Kollektiv bringt
einem/r hier begegnen, sind nicht Differenz, die dem bisherigen Aus durch seine interventionistischen
nur in einem positiven Sinne überfor schluss gedient hat und unabhängig Performances, Medienauftritte und
dernd, sie tragen auch das Potenzial, von der individuellen Identifikation der Manifeste etwas dadaistische
den bisherigen kunsthistorischen beteiligten Künstlerinnen stattfand. Schwerelosigkeit in die Politiken der
Kanon in Bezug auf die Neoavantgar Radical Women fasst sehr unter Gewalt. Receta contra el mal de ojo
den der 1960er-, 1970er- und 1980er- schiedliche nationale Geschichten (Rezept gegen den bösen Blick,
Jahre grundlegend zu verändern. zusammen. Die Timeline der histori 1984–85) oder Receta para causarle
In einer mehrjährigen Recherche schen Ereignisse in der Ausstellung el mal de ojo a los violadores o el
haben die beiden Kuratorinnen Cecilia gibt zwar Anhaltspunkte, kann jedoch respeto al derecho del cuerpo ajeno
Fajardo-Hill und Andrea Giunta eine aufgrund der Fülle an politischer es la paz (Rezept, um den bösen Blick
Schau von mehr als 120 Künstle Komplexität nur redundant bleiben. an Vergewaltiger zu richten, oder
rinnen aus 15 Ländern zusammenge Es handelt sich oft um Militärdikta Friede ist das Respektieren der
stellt, die zuerst in Los Angeles im turen, die mit den US-Interventionen Körperrechte der anderen, 1983–84)
Hammer Museum gezeigt wurde und in Lateinamerika seit den 1950er-Jah sind die bekanntesten ihrer Perfor
nach der Station in New York weiter ren Hand in Hand gehen bzw. durch mances. Das Pulver der Schwarzen
nach Brasilien wandern wird. In den diese eingesetzt wurden. Andrea Henne soll gegen den bösen patriar
chalen Blick beschützen, der Frauen
Radical Women: Latin zum Verschwinden bringt. Die Anspie
American Art, 1960–1985,
lung bezieht sich auf die Frauenmor
Ausstellungsansicht,
Brooklyn Museum, 2018, de und Vergewaltigungen in Mexiko.
Foto: Jonathan Dorado, Die Aktionen der Polvo de Gallina
Brooklyn Museum
Negra lösen sehr viele Gegenangriffe
aus, unter anderem auch weil das
Kollektiv mit der Kommunistischen
Partei zusammenarbeitet und Femi
nismus nur im Zusammenhang mit
linker Politik versteht. Sexuelle
Gewalt, staatliche Gewalt und die
Regulierung und Normalisierung von
Sexualität stehen für die Künstlerin
nen in einem engen Zusammenhang
und werden auch in dieser Verbin
dung bloßgestellt. Monica Mayers Lo
normal (Quiero hacer el amor) (Das
Normale (Ich will Liebe machen),
1978) zeigt Selbstporträts der
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Martha Araújo
Para um corpo nas suas Viele der Künstlerinnen, die in
impossibilidades (For a body Radical Women gezeigt werden,
in its impossibilities),
Performance, 3 Schwarz-Weiß- haben im Exil gelebt und eine inten
Fotografien, 1985, sive Beziehung zu Lateinamerika
Sammlung Martha Araújo,
Courtesy: Galeria Jaqueline
aufrechterhalten. Auch Sylvia Palacios
Martins © Martha Araújo Whitman, deren Performances von
Babette Mangolt fotografiert wurden
und in der Ausstellung zu sehen sind,
lebte zuerst in Chile und dann in
New York. Sie schuf überdimensionale
Objekte, die von ihr selbst und ande
ren Performerinnen, meistens Laien,
in Bewegung gesetzt wurden.
Whitman lässt ein gigantisches Brief
kuvert durch die Gegend tragen oder
benutzt in der Performance Passing
through (1977) Papiertreppen als
Körpererweiterungen. Ihre Arbeit ist
die offensichtlichste Verbindung zwi
schen der New Yorker Performance
szene und Lateinamerika. Aber auch
Marta Araujo löst in ihren Kostümen
Körper, Objekt und Umgebung auf –
Habito/Habitante (1985) spiegelt sich
auch im Wortspiel zwischen Gewohn
heit und Wohnen wieder.
Herausragend ist Radical Women
in der Behandlung von Kolonialismus
unter geschlechterkritischen Aspek
ten. Was die in der Ausstellung vertre
tenen Länder gemeinsam haben, ist
eine koloniale Geschichte, insofern ist
der umstrittene Begriff „Latin America“
auch bewusst eingesetzt, um darauf
hinzuweisen, dass es nicht nur
Künstlerin in lachenden, ratlosen, Regina Silveras A arte de desenhar ein „Amerika“ gibt, das mit den USA
manchmal staunenden Mimiken. (Die Kunst des Zeichnens, 1980) zeigt gleichgesetzt wird, sondern eine
Diagrammatisch ist der wiederkeh eine Verbindung zwischen den Gesten Geschichte der politischen und sozia
rende Satz immer in einer neuen des Zeichnens und der Handhabung len Hierarchie. Marisols Self Portrait
Version zu Ende geführt: „I want einer Pistole, beides erscheint als (1961–62) bewegt sich in diesem
to make love with my father / with verkörperte Technik, die erst sozial Spannungsfeld. Die Holzskulptur
a woman / with an animal“ usw. erlernt werden muss. Gleichzeitig ist kombiniert flache Holzelemente mit
Zusammen mit Paz Errázuriz‘ Porträts die Zeichensetzung hier nur im geschnitzten Beinen und Köpfen, die
von Transleuten in Chile La manzana buchstäblichen Schatten einer Waffe nebeneinander aufgereiht sind und
de Adan (Adams Apfel, 1982–90), möglich. Inwiefern gelingt also die teilweise bemalt wurden. Marisol, eine
Patsi Valdez‘ Selbstinszenierungen (künstlerische) Artikulation in einem Künstlerin, die in den 1960er-Jahren
Portrait of Patssi (1975) oder Yolanda politischen Gewaltregime, der Dikta so bekannt war wie Andy Warhol,
Andrades Dokumentationen des tur in Brasilien, die von 1964–85 geriet in Vergessenheit, möglicher
Gay Pride March Marcha gay (1984) gedauert hat? Die gleiche Fragestel weise gerade, weil ihre Skulpturen
in Mexiko zeigen die Arbeiten das lung taucht auch in Catalina Parras Anleihen aus vorkolonialer Plastik aus
weite Spektrum an sexualpolitischen Diario de vida (Tagebuch des Lebens, Venezuela verarbeiten, jedoch nicht
Bewegungen. 1977) auf. Als eine systematische um der modernistischen Verding
Viele Installationen in der Aus Verletzung von Menschenrechten mit lichung willen, sondern als subjektive,
stellung stellen Bezüge zwischen illegalen Inhaftierungen und einer involvierte Träger von Botschaften.
Gewalt, Objekten und Körpern her, Einschränkung der freien Meinungs Mehrere Selbstbilder bestimmen
so wie Feliza Bursztyns La histerica äußerung in Chile beginnt, verschweißt die Ästhetik der hier versammelten
(Die Hysterische, 1968), eine zitternde Parra einen Stapel der Zeitung El Künstlerinnen, nicht die objektifizierte
Stahlskulptur, oder Carmela Gross‘ Mercurio in Plexiglas. Das fragile Sicht auf ein koloniales Außen. Dass
überdimensionaler liegender Stoff Zeitungspapier ist mit grober Schnur seit den späten 1970er-Jahren
sack Presunto (1968) – „Schinken“ verknebelt und das Plexiglas mit vier die Kolonisierung Lateinamerikas
steht umgangssprachlich für „Leiche“. schweren Flügelmuttern angebracht. ein großes Thema in der künstleri
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