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09.07.

2010 / Schwerpunkt / Seite 3Inhalt

Kollektive Kampagne
Gewaltlose Strafmaßnahmen gegen die Besatzer: Vor fünf
Jahren haben palästinensische Gruppen eine Initiative
zum Boykott israelischer Waren gestartet
Von Karin Leukefeld

Was in den Gazastreifen kommt und was nicht, entscheidet


weiter die israelische Regierung – Kerem-Schalom-
Terminal im Süden Israels (5. Juli 2010)
Foto: AP

Als Israel kürzlich die Blockade des Gazastreifens lockerte, ging ein Aufatmen durch die
israelische Unternehmerwelt. 1,5 Millionen eingesperrte Palästinenser brauchen Kühlschränke
und Waschmaschinen, Spülmittel und Kleidung, Schuhe und Nahrungsmittel; und Israel
liefert es ihnen, endlich wieder, nach vier Jahren Blockade. Die Regale in palästinensischen
Geschäften in Gaza und der Westbank sind voll mit israelischen Produkten. Sogar der Fisch
kommt aus Israel zu den Einwohnern von Gaza, obwohl der Küstenstreifen direkt am
Mittelmeer liegt, die Palästinenser gute Fischer sind und mit eigenem Fang nicht nur die
eigenen Familien ernähren, sondern auch ihren Lebensunterhalt verdienen und damit die
palästinensische Wirtschaft wieder in Fahrt bringen könnten. Doch genau das will Israel nicht,
denn es geht ja darum, den attraktiven palästinensischen Markt exklusiv für die eigenen
Unternehmer zu nutzen. Darum bleibt nicht nur die Einfuhr von Rohstoffen für die
palästinensische Produktion verboten, auch die Seeblockade wird nicht aufgehoben und den
palästinensischen Fischern wird lediglich in einem schmalen, völlig überfischten Streifen das
Arbeiten erlaubt. »Das ist doch pervers«, sagt ein Palästinenser in die Kamera eines
Filmteams und hält ein Spülmittel made in Israel in den Händen. »Wir sollen die Produkte
unserer Unterdrücker kaufen und ihnen auch noch Profit bescheren?«

Damit das aufhört, drängen Organisationen der palästinensischen Zivilgesellschaft auf einen
Boykott Israels. Vor fünf Jahren, am 9. Juli 2005, veröffentlichten 171 Gruppen einen
entsprechenden Aufruf (www.bdsmovement.net). Vom Rat der nationalen und islamischen
Kräfte in Palästina über Frauenorganisationen bis hin zur Zahnärztevereinigung und
palästinensischen Flüchtlingsorganisationen in aller Welt fordern die Unterzeichner, einen
»breiten Boykott, Entzug von Investitionen (Desinvestment) und Sanktionen gegen Israel zu
verhängen, wie es das früher gegen den Apartheidstaat Südafrika« gegeben hat. Der
Einladung an Israelis, sich dem Aufruf anzuschließen, sind mittlerweile etliche israelische
Organisationen gefolgt. »Diese gewaltlosen Strafmaßnahmen sollten aufrechterhalten bleiben,
bis Israel seiner Verpflichtung nachkommt, das unveräußerliche Recht des palästinensischen
Volkes auf Selbstbestimmung anzuerkennen und das Völkerrecht einzuhalten«, heißt es in
dem Aufruf der sogenannten BDS-Kampagne. Nie gab es unter palästinensischen
Organisationen aller Couleur eine größere Übereinstimmung als bei dieser Erklärung.

In Anlehnung an den erfolgreichen Boykott gegen den Apartheidstaat Südafrika soll die
palästinensische BDS-Kampagne Israel auf allen Ebenen unter Druck setzen. Waren aus
Israel sollen nicht gekauft und gehandelt, in Israel nicht investiert, Kultur- und
Sportereignisse, Bildungsprogramme und Tourismus sollen abgesagt werden. Unter dem
Eindruck des dreiwöchigen israelischen Krieges (2008/09) gegen die Palästinenser im
Gazastreifen unterstützten die Teilnehmer des neunten Weltsozialforums im brasilianischen
Belém Anfang 2009 die BDS-Kampagne. Weltweit entstanden Aktionsgruppen und
Netzwerke, die mit gründlichen Recherchen dazu beitrugen, daß israelische Produkte
international ans Licht der Öffentlichkeit gezogen wurden.

Auf der Landkarte dieser schnell wachsenden internationalen Solidaritätsbewegung bleibt


Deutschland ein »weißer Fleck«. Als im Februar vergangenen Jahres der Duisburger
Bürgermeisterkandidat der Linken, Hermann Dierkes, öffentlich den BDS-Aufruf der
palästinensischen Zivilgesellschaft unterstützte, begann gegen den »Linken auf Israel-
feindlichen Abwegen« (taz, 25.2.2009) ein Kesseltreiben. Er betreibe »Nazipropaganda«,
meinte der Generalsekretär der CDU/NRW, Hendrik Wüst. Dieter Graumann vom Zentralrat
der Juden in Deutschland sprach von »Antisemitismus pur«. Dierkes’ Parteigenosse Wolfgang
Zimmermann verteidigte ihn zwar gegen den Vorwurf des »Antisemitismus«, mahnte aber, in
Deutschland »besonders sensibel« in Sachen Israel zu sein, der Landesverband stelle solche
Forderung nicht auf.

Trotz massivem Gegenwind werden inzwischen Diskussionsverbote in Sachen BDS-


Kampagne gegen Israel überwunden. Dazu haben nicht zuletzt jüdischstämmige
Friedensaktivisten beigetragen, von denen Hunderte aus aller Welt ihre Solidarität mit
Hermann Dierkes bekundeten. In einem offenen Brief (siehe jW vom 3. April 2009) erklärten
sie, zwar unterschiedlicher Ansicht zu sein, »ob ein Aufruf zum Boykott israelischer Produkte
angeraten und wirksam« sein könne, doch »alle von uns stimmen (…) darin überein, daß der
Aufruf zum Boykott Israels nichts gemein hat mit dem Aufruf der Nazis ›Kauft nicht bei
Juden‹«. Israel zu boykottieren, um ein Ende der Besatzung zu erreichen, sei genau so wenig
antisemitisch, wie es »anti-weiß« war, Südafrika zu boykottieren, um ein Ende der Apartheid
zu erreichen. »Sinnvoll oder nicht – solche Aufrufe sind in keiner Weise diskriminierend.«

Im basis-kirchlichen Spektrum wird mittlerweile dafür geworben, »keine Waren aus


israelischen Siedlungen in den Einkaufskorb« zu tun, wie die katholische Friedensbewegung
Pax Christi es empfiehlt. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte im Februar 2010
entschieden, daß Produkte, die in Siedlungen in den besetzten palästinensischen Gebieten
hergestellt werden, keinen Anspruch auf die Zollvergünstigungen haben, die für Waren aus
Israel gelten. Wie in Großbritannien fordert Pax Christi auch für die BRD eine
Kennzeichnungspflicht für Waren aus den illegalen israelischen Siedlungen.

Quelle:

http://www.jungewelt.de/2010/07-09/019.php

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