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Schmerztherapie

Abstract
In der Schmerztherapie wird der akute vom chronischen Schmerz unterschieden. Das WHO-
Stufenschema wurde zur Behandlung von Tumorschmerzen entwickelt, wird heutzutage aber auch
grundsätzlich bei der Therapie chronischer Schmerzen berücksichtigt. Das Schema gibt einen definierten
Behandlungsalgorithmus vor, in dem Nicht-Opioid-Analgetika mit Opioiden kombiniert verabreicht werden.
Ziel ist die Schmerzfreiheit des Patienten, welche mit Hilfe einer standardisierten Schmerzanalyse evaluiert
wird. Reicht die Medikation aus Basistherapie und Bedarfsmedikation in einer Stufe nicht mehr aus, muss
ein step-up innerhalb des Schemas erfolgen. In allen drei Stufen können Koanalgetika verabreicht werden,
die über eine supportive Behandlung (z.B. Hemmung des Knochenabbaus bei osteolytischen
Metastasen oder Gabe von Antikonvulsiva bei neuropathischen Beschwerden) Schmerzen und den Bedarf
an Schmerzmitteln reduzieren.

Schmerz und Schmerzformen


Definition der IASP : Schmerz ist ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, das mit einer echten oder
potentiellen Gewebeschädigung einhergeht oder als solche empfunden wird. Schmerz ist immer subjektiv.
Schmerzformen
• Akuter vs. chronischer Schmerz
• Akuter Schmerz: Reaktion, die den Organismus vor Schaden schützt
• Chronischer Schmerz: Schutzfunktion des Schmerzes rückt in den Hintergrund
• Zeitliche Limitation nicht absehbar
• Besteht länger als drei bis zwölf Monate (je nach Definition)
• Stellt ein eigenständiges Krankheitsbild dar
• Zentraler vs. peripherer Schmerz
• Zentraler Schmerz: Schmerz, der seinen Ursprung in einer Störung der Integrität des ZNS hat, z.B.
nach Läsionen wie bei einem ischämischen Schlaganfall
• Therapie: Opioide sind Mittel der Wahl. Periphere Analgetika sind weitestgehend wirkungslos
• Peripherer Schmerz: Schmerz, der seinen Ursprung in einer Gewebeschädigung hat und über
periphere Nervenfasern (Aδ- und C-Fasern ) übertragen wird
• Therapie: Periphere Analgetika und Opioide sind wirksam
• Nozizeptiver vs. neuropathischer Schmerz
• Nozizeptiver Schmerz: Schmerz, der durch Reizung (chemisch, mechanisch, thermisch) von
somatischen (peripheren) oder viszeralen Nervenstrukturen (Nozizeptoren) ausgelöst wird
• Somatischer Schmerz: Schmerz, der vom Bewegungsapparat ausgeht und sich zunächst als kurz,
hell und gut lokalisierbar darstellt (Aδ-Fasern )
• Sobald dieser Schmerz abklingt, zeigt sich ein dumpfer und weniger eindeutig
lokalisierbarer Schmerz (C-Fasern )
• Viszeraler Schmerz: Schmerz, der von den inneren Organen ausgeht und meistens auf einer Reizung
des viszeralen Blatts des Peritoneums beruht
• Es handelt sich um einen dumpfen, schwer lokalisierbaren Schmerz (C-Fasern )
• Neuropathischer Schmerz: Schmerz, der durch eine Läsion oder eine Dysfunktion
des Nervensystems verursacht wird. Neuropathische Schmerzen können sich ganz unterschiedlich
darstellen, wobei der Schmerz häufig als brennend beschrieben wird
• Besondere Schmerzkonzepte in der Palliativmedizin
Gestörte Schmerzempfindung
• Hyperalgesie: Übermäßige Schmerzempfindung auf einen üblicherweise nicht in dem Maße
schmerzhaften Reiz
• Primäre Hyperalgesie: Meistens liegt eine Sensibilisierung der Nozizeptoren durch vermehrte
Mediatorenausschüttung vor (z.B. Prostaglandine)
• Sekundäre Hyperalgesie: Zentrale Sensibilisierung und gesteigerte Erregbarkeit auf Rückenmarks-
und Thalamusniveau
• Hypalgesie: Verminderte Schmerzempfindung auf einen üblicherweise schmerzhaften Reiz
• Ursache: Meistens aufgrund einer peripheren Polyneuropathie (z.B. bei Diabetes mellitus), aufgrund
derer die Reizweiterleitung nicht in einem adäquaten Maße stattfindet.

Weitergeleitete Schmerzen
• Anatomischer/Physiologischer Hintergrund: Viszerokutaner Reflexbogen
• An denselben Neuronen des Rückenmarks enden verschiedene Schmerznervenfasern
→ Nervenfasern für den viszeralen Schmerz von inneren Organen konvergieren auf Höhe des
Rückenmarkhinterhorns mit Nervenfasern für den somatischen Schmerz aus den
verschiedenen Dermatomen → Von dort gemeinsame Weiterleitung in Richtung zentrales Nervensystem →
Strikte Zuordnung von Schmerzentstehung und Schmerzwahrnehmung geht verloren
• Dieses Phänomen manifestiert sich als weitergeleiteter Schmerz („referred pain“ )
• Andererseits beruhen die Effekte von reflextherapeutischen Verfahren auf diesem Zusammenhang
• Klinische Manifestation: Head'sche Zone und Mackenzie-Zone
• Übertragung von Schmerzen aus einem Organ auf ein bestimmtes, fest definiertes Hautareal
(Dermatom) → Das zugehörige Areal wird als Head'sche Zonebezeichnet
• Analog: Schmerzübertragung in die vom entsprechenden Rückenmarkssegment
innervierte Muskulatur (Myotom) → Mackenzie-Zone (z.B. Schmerzen im linken Arm bei Herzinfarkt)
• Weitere Phänomene der Schmerzübertragung
• Gallenblase: Unter anderem sensibel vom rechten N. phrenicus (C4) versorgt → z.B.
bei Cholezystolithiasis Schmerzausstrahlung in die rechte Schulter und Hyperästhesie unter
dem rechten Schulterblatt/Rücken (= Boas-Zeichen)
• Milz: Unter anderem sensibel vom linken N. phrenicus (C4) versorgt →
Bei Milzruptur Schmerzausstrahlung in die linke Schulter (= Kehr-Zeichen) und Druckschmerz an der linken
Halsseite (= Saegesser-Zeichen)

Übersicht Head'sche Zonen
Organ Dermatom Projektion
Diaphragma C4 Schulter
Herz Th3–4 Linker Thorax
Ösophagus Th4–5 Retrosternal
Magen Th6–9 Epigastrium
Leber, Gallenblase Th10–L1 Rechter Oberbauch
Dünndarm Th10–L1 Paraumbilikal
Dickdarm Th11–L1 Unterbauch
Harnblase Th11–L1 Suprapubisch
Nieren, Hoden Th10–L1 Leiste

Phantomsensationen
• Ätiologie: Phantomsensationen sind eine wichtige und häufige Komplikation nach Amputation
• Mehr als 50% der Patienten haben Empfindungen in den Bereichen, die amputiert wurden
• Definition
• Phantomschmerz
• Schmerzqualität: Intermittierender Schmerz, der verschiedene Qualitäten haben kann, z.B.
brennend, kribbelnd, juckend, quetschend
• Phantomempfindung
• Telescoping
• Ursache: „Erlernen eines Schmerzes“ durch Sensibilisierung nozizeptiver Strukturen in peripheren,
spinalen und supraspinalen Strukturen → Übererregung an glutamatergen NMDA-Rezeptoren
• Prophylaxe bzw. spezielle Therapie
• Frühzeitige Regionalanästhesie: Eine perioperative Regionalanästhesie senkt die Wahrscheinlichkeit
für das Auftreten von Phantomschmerzen
• NMDA-Antagonisten
• Koanalgetika: Z.B. trizyklische Antidepressiva
• Spiegeltherapie
• Hintergrund: Zum Teil beruht der Phantomschmerz darauf, dass die Betroffenen das Gefühl haben,
die amputierte Extremität befinde sich in einer schmerzhaften Position, könne aber nicht bewegt werden.
• Durchführung
• Mit Hilfe von Spiegeln wird eine gesunde Gliedmaße des Patienten so gespiegelt, dass es für ihn so
aussieht, als wäre die amputierte wieder vorhanden.
• Der Patient wird nun aufgefordert, die nicht-amputierte Extremität zu bewegen, um bei der
gespiegelten die schmerzhafte Position zu verändern. Durch den visuellen Effekt kann es zu einer
Schmerzlinderung kommen.
• Ziel ist es, dass die Betroffenen lernen, imaginär eine schmerzhafte Position zu verändern.

Schmerzbeurteilung
• Schmerzskala: Objektivierung der Schmerzintensität anhand einer subjektiven Einstufung
des Schmerzes, z.B. mit Hilfe einer numerischen Rangskala (Numeric Rating Scale, NRS), visuellen
Analogskala (bei Kindern: Smiley-Skala) (Visual Analogue Scale, VAS) oder einer verbalen deskriptiven Skala
• Schmerztagebuch: Dokumentation des zeitlichen Verlaufs der Schmerzintensität, um
Schmerzspitzen und Schmerzauslöser zu erkennen und ggf. Therapieanpassungen vorzunehmen
• Beurteilung der Schmerzchronifizierung: Mainzer Stadiensystem der
Schmerzchronifizierung (MPSS)
• Achse I: Zeitliche Aspekte des Schmerzes
• Achse II: Räumliche Aspekte des Schmerzes
• Achse III: Medikamenteneinnahmeverhalten
• Achse IV: Inanspruchnahme des Gesundheitswesens
• Die Punkte aus den einzelnen Achsen werden zu einem Score addiert und in drei Stadien eingeteilt

Medikamentöse Schmerztherapie
Prinzip Erläuterung
• Orale Applikation bevorzugen
„By the mouth“
• Langwirksame (retardierte) Analgetika
„By the clock“ • Regelmäßiges und festgelegtes Einnahme-Zeitschema
• Entsprechend des WHO-Stufenschemas symptomorientierte
„By the ladder“ Schmerzmedikation

Merkwort für die Prinzipien der Schmerztherapie: „DNA“ – „Durch den Mund“ - „Nach der Uhr“ – „Auf der
Leiter“!

Auch hier werden zur Beurteilung des Verlaufs und des Therapieerfolgs regelmäßig Schmerzskalen wie
die NRS oder VAS angewendet. Gleichzeitig sollte der Patient immer über seine Zufriedenheit mit der
Schmerztherapie befragt werden.
Jeder Schmerztherapie geht eine gründliche Anamnese zu Schmerzintensität und -qualität voraus!

WHO-Stufenschema
Stufe I Nicht-Opioid-Analgetikum (± Koanalgetikum ± Adjuvans)
Stufe II Nicht-Opioid-Analgetikum + niedrig-potente Opioide (± Koanalgetikum ± Adjuvans)
Stufe III Nicht-Opioid-Analgetikum + hoch-potente Opioide (± Koanalgetikum ± Adjuvans)
Die Therapie chronischer Schmerzen sollte sich am WHO-Stufenschema orientieren. Die Medikation besteht
aus einer Basistherapie (retardierte Präparate, die nach festem Schema und Dosierung eingenommen
werden) und einer adäquaten Bedarfsmedikation (unretardierte Analgetika, die Schmerzspitzen
therapieren). Weiterhin kann eine Begleitmedikation mit Koanalgetika und Adjuvanzien erfolgen, um
spezielle Schmerzformen wirkungsvoller zu behandeln bzw. um Nebenwirkungen der Therapie
entgegenzuwirken. Ist der Patient nicht schmerzfrei, muss in die nächst höhere Stufe übergegangen werden.

Ein häufiger „Fehler“ in der Schmerztherapie ist die Durchführung einer analgetischen Therapie mittels
alleiniger Gabe eines Opioids. Um eine effektive und ausbalancierte Analgesie zu erreichen, sollte in jeder
Behandlungsstufe die (zusätzliche) Gabe eines Nicht-Opioid-Analgetikums sowie ggf. eines Koanalgetikums
erfolgen!

Tumorschmerzen sollen konsequent nach dem WHO-Stufenschema behandelt werden. Hierzu gehören
Schmerzanamnese, individuell titrierte Dauertherapie, Bedarfsmedikation sowie die Behandlung Morphin-
induzierter Nebenwirkungen. (DGIM - Klug entscheiden in der Hämatologie und medizinischen Onkologie)

Kurzübersicht Analgetika (Beispielsubstanzen)


Nicht-Opioid-Analgetika Niedrig-potente Opioide Hoch-potente Opioide
• Morphin
• Diclofenac
• Oxycodon
• Ibuprofen
• Tramadol • Levomethadon
• Acetylsalicylsäure
• Tilidin • Fentanyl
• Celecoxib
• Dihydrocodein • Pethidin
• Paracetamol
• Buprenorphin
• Metamizol
• Piritramid
Genaue Informationen zu den Substanzen befinden sich in den jeweiligen Kapiteln

Bedarfsmedikation
Um Schmerzspitzen und Durchbruchschmerzen adäquat zu behandeln, sollte jedem Schmerzpatienten
eine Bedarfsmedikation bereitgestellt werden. Für diese gilt:
• Unretardiertes, schnellwirksames Analgetikum bevorzugen
• Bei bereits bestehender Opioidtherapie der WHO-Stufe III: Bedarfsdosis 1/6 der Opioid-
Gesamttagesdosis
• Bei Einsatz der Bedarfsmedikation ≥3×/d oder unzureichender Analgesie durch diese sollte die
Basismedikation überprüft und ggf. eine höhere Stufe nach demWHO-Stufenschema oder eine
Dosiserhöhung der Basistherapie erwogen werden.
Koanalgetika
Koanalgetika können in jeder Stufe des WHO-Stufenschemas als Begleitmedikation gegeben werden.
• Neuropathische Schmerzen (Bspw. diabetische Neuropathie, Post-Zoster-Neuralgie)
• Trizyklische Antidepressiva: Amitriptylin, Doxepin, Clomipramin, Imipramin
• Antikonvulsiva: Carbamazepin, Gabapentin, Pregabalin
• Hirndruck und Nervenkompression
• Glucocorticoide
• Knochenmetastasen und -schmerzen
• Bisphosphonate (z.B. Pamidronat)
Adjuvanzien
Mit Adjuvanzien wird den Nebenwirkungen der Therapie mit Analgetika sowohl prophylaktisch als auch
therapeutisch entgegengewirkt.
• Laxantien
• Antiemetika
• Protonenpumpeninhibitoren

Weitere Verfahren der Schmerztherapie


Supportiv können zahlreiche Verfahren eine Schmerzreduktion erzielen. Die Erfolge können dabei
interindividuell sehr unterschiedlich sein.
• Regionalanästhesie-Verfahren: Lokalanästhetika
• Z.B. bei myofaszialem Schmerzsyndrom: Lokal begrenzte, schmerzhafte Funktionsstörungen
der Muskulatur, die als Schmerz-/Triggerpunkte fungieren.
• Therapie: Wärme, Benzodiazepine und Lokalanästhetika
• Physikalische Maßnahmen: Massagen, Thermotherapie, Physiotherapie, Desensibilisierung etc.
• Psychotherapie
• Entspannungsverfahren
• Progressive Muskelrelaxation nach Jacobson
• Autogenes Training
• Biofeedback
• Kognitive Verhaltenstherapie
• Patientenedukation
• Hypnose
• Akupunktur

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