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II.

Ausſchweifungen in der Liebe — Verſchwendung der Zeugungskraft — Onanie, ſowohl


phyſiſche als moraliſche.

Von allen Lebensverkürzungsmitteln kenne ich keins, was ſo zerſtöhrend wirkte, und ſo
vollkommen alle Eigenſchaften der Lebensverkürzung in ſich vereinigte, als dieſes. Kein
andres begreift ſo vollkommen alle vier Requiſiten der Lebensverkürzung, die wir oben
feſtgeſezt haben, in ſich als dieſes, und man kann dieſe traurige Ausſchweifung, als den
concentrirteſten Prozeſs der Lebensverkürzung betrachten. — Ich willdieſs ſogleich beweiſen:

Die erſte Verkürzungsart war: Verminderung der Lebenskraft ſelbſt. Was kann aber wohl
mehr die Summe der Lebenskraft in uns vermindern, als die Verſchwendung desjenigen
Saftes, der dieſelbe in der concentrirteſten Geſtalt enthält, der den erſten Lebensfunken für ein
neues Geſchöpf, und den gröſsten Balſam für unſer eignes Blut in ſich faſst?

Die zweyte Art von Verkürzung beſteht in Verminderung der nöthigen Feſtigkeit und
Elaſticität der Faſern und Organe. Es iſt bekannt, daſs nichts ſoſehr ſie ſchlaff, mürbe und
vergänglich machen kann, als eben dieſe Ausſchweifung.

Das dritte, die ſchnellere Conſumtion des Lebens, kann wohl durch nichts ſo ſehr befördert
werden, als durch eine Handlung, welche, wie wir aus den Beyſpielen der ganzen Natur ſehen,
der höchſte Grad von Lebensactivität, von intenſivem Leben iſt, und welche, wie oben gezeigt
worden, bey manchen Geſchöpfen ſogleich der Beſchluſs ihres ganzen Lebens iſt.

Und endlich die gehörige Reſtauration wird eben dadurch auſſerordentlich gehindert, weil
theils dadurch die nöthige Ruhe, und das Gleichgewicht, das zur Wiedererſetzung des
Verlohrnen gehört, gehindert, und den Organen die dazu nöthige Kraft geraubt wird;
beſonders aber, weil dieſe Debauchen eine ganz eigenthümliche ſchwächende Wirkung auf
den Magen und die Lungen haben, und alſo eben die Hauptquellen unſrer Reſtauration
dadurch ganz ſpezifiſch austrocknen.

Hierzu kommt nun noch die Gefahr, eins der ſchrecklichſten Gifte, das veneriſche, bey dieſer
Gelegenheit einzuſaugen, wovor niemand ſicher iſt, der auſſer der Ehe Umgang mit dem
weiblichen Geſchlecht hat. — Eine Vergiftung, die uns nicht nur das Leben verkürzen,
ſondern es auch peinlich, unglücklich und verabſcheuungswerth machen kann, wovon ich
hernach bey den Giften mehr ſagen werde.

Endlich müſſen wir noch viele Nebennachtheile bedenken, die mit dieſen Ausſchweifungen
verbunden ſind, und unter welche vorzüglich die Schwächung
der Denkkraft gehört. Es ſcheint, daſs dieſe beyden Organe, die Seelenorgane (Gehirn) und
Zeugungsorgane, ſo wie die beyden Verrichtungen, des Denkens und der Zeugung (das eine
iſt geiſtige, das andre phyſiſche Schöpfung) ſehr genau mit einander verbunden ſind, und
beyde den veredeltſten und ſublimirteſten Theil der Lebenskraft verbrauchen. Wir finden
daher, daſs beyde mit einander alterniren, und einander gegenſeitig ableiten. Je mehr wir die
Denkkraft anſtrengen, deſto weniger lebt unſre Zeugungskraft; je mehr wir die Zeugungskräfte
reizen und ihre Säfte verſchwenden, deſto mehr verliert die Seele an Denkkraft, Energie,
Scharfſinn, Gedächtniſs. Nichts in der Welt kann ſoſehr und ſo unwiderbringlich die ſchönſten
Geiſtesgaben abſtümpfen, als dieſe Ausſchweifung.
Man kann hier vielleicht fragen:was heiſst zu viel in dem Genuſs der phyſiſchen Liebe? Ich
antworte, wenn man ſie zu frühzeitig (ehe man noch ſelbſt völlig ausgebildet iſt, beym
weiblichen vor dem 18ten, beym männlichen vor dem 20ſten Jahre) genieſst, wenn man dieſen
Genuſs zu oft und zu ſtark wiederhohlet (welches man daraus erkennen kann, wenn nachher
Müdigkeit, Verdroſſenheit, ſchlechter Appetit, erfolgt), wenn man durch öftern Wechſel der
Gegenſtände, oder gar durch künſtliche Reize von Gewürzen, hitzigen Getränken u. d. gl.
immer neue Reizung erregt und die Kräfte überſpannt, wenn man nach ſtarken Ermüdungen
des Körpers, oder in der Verdauung dieſe Kraftanſtrengung macht, und um alles mit einem
Worte zu umfaſſen, wenn man die phyſiſche Liebe auſſer der Ehe genieſst, denn nur durch
eheliche Verbindung (die den Reiz des Wechſels ausſchlieſst und den phyſiſchen Trieb höhern
moraliſchen Zwecken unterwirft) kann dieſer Trieb auch phyſiſch geheiligt, d. h. unſchädlich
und heilſam gemacht werden.

Alles oben geſagte gilt von der Onanie in einem ganz vorzüglichen Grade, Denn hier vermehrt
das Erzwungene, das Unnatürliche des Laſters, die Anſtrengung und die damit verbundene
Schwächung ganz auſſerordentlich, und es iſt dieſs ein neuer Beleg zu dem oben angeführten
Grundſatz, daſs die Natur nichts fürchterlicher rächt, als das, wo man ſich an ihr ſelbſt
verſündigt. —Wenn es Todſünden giebt, ſo ſind es zuverläſſig die Sünden gegen die Natur.—
Es iſt wirklich höchſt merkwürdig, daſs eine Ausſchweifung, die ſich an und für ſich ganz
gleich ſcheint, in ihren Folgen dennoch ſo verſchieden iſt, je nachdem ſie auf eine natürliche
oder unnatürliche Art verrichtet wird, und da ich ſelbſt vernünftige Menſchen kenne, die ſich
von dieſem Unterſchied nicht recht überzeugen können, ſo iſt es hier wohl ein ſchicklicher Ort,
den Unterſchied etwas auseinander zu ſetzen, warum Onanie, bey beyden Geſchlechtern, ſo
unendlich mehr ſchadet, als der naturgemäſse Beyſchlaf. Schrecklich iſt das Gepräge, was die
Natur einem ſolchen Sünder aufdrückt! Er iſt eine verwelkte Roſe, ein in der Blüthe verdorrter
Baum, eine wandelnde Leiche. Alles Feuer und Leben wird durch dieſes ſtumme Laſter
getödtet, und es bleibt nichts als Kraftloſigkeit, Unthätigkeit, Todtenbläſſe, Verwelken des
Körpers und Niedergeſchlagenheit der Seele zurück. Das Auge verliert ſeinen Glanz und ſeine
Stärke, der Augapfel fällt ein, die Geſichtszüge fallen in das Länglichte, das ſchöne
jugendliche Anſehen verſchwindet, eine blaſsgelbe bleyartige Farbe bedeckt das Geſicht. Der
ganze Körper wird krankhaft, empfindlich, die Muskelkräfte verlieren ſich, der Schlaf bringt
keine Erholung, jede Bewegung wird ſauer, die Füſse wollen den Körper nicht mehr tragen,
die Hände zittern, es entſtehen Schmerzen in allen Gliedern, die Sinnwerkzeuge verlieren ihre
Kraft, alle Munterkeit vergeht. Sie reden wenig, und gleichſam nur gezwungen; alle vorige
Lebhaftigkeit des Geiſtes iſt erſtickt. Knaben, die Genie und Witz hatten, werden
mittelmäſsige oder gar Dummköpfe; die Seele verliert den Geſchmack an allen guten und
erhabnen Gedanken; die Einbildungskraft iſt gänzlich verdorben. Jeder Anblick eines
weiblichen Gegenſtandes erregt in ihnen Begierden, Angſt, Reue, Beſchämung und
Verzweiflung an der Heilung des Uebels macht den peinlichen Zuſtand vollkommen. Das
ganze Leben eines ſolchen Menſchen iſt eine Reihe von geheimen Vorwürfen, peinigenden
Gefühlen innerer ſelbſtverſchuldeter Schwäche, Unentſchloſſenheit, Lebensüberdruſs, und es
iſt kein Wunder, wenn endlich Anwandlungen zum Selbſtmord entſtehen, zu denen kein
Menſch mehr aufgelegt iſt, als der Onaniſt. Das ſchreckliche Gefühl des lebendigen Todes
macht endlich den völligen Tod wünſchenswerth. Die Verſchwendung deſſen, was Leben
giebt, erregt am meiſten den Ekel und Ueberdruſs des Lebens, und die eigne Art von
Selbſtmord, par depît, die unſern Zeiten eigen iſt. Ueberdieſs iſt die Verdauungskraft dahin,
Flatulenz und Magenkrämpfe plagen unaufhörlich, das Blut wird verdorben, die Bruſt
verſchleimt, es entſtehen Ausſchläge und,Geſchwühre in der Haut, Vertrocknung und
Abzehrung des ganzen Körpers, Epilepſie, Lungenſucht, ſchleichend Fieber, Ohnmachten und
ein früher Tod.
Es giebt noch eine Art Onanie, die ich die moraliſche Onanie nennen möchte, welche ohne
alle körperliche Unkeuſchheit möglich iſt, aber dennoch entſezlich erſchöpft. Ich verſtehe dar-
unter die Anfüllung und Erhitzung der Phantaſie mit lauter ſchlüpfrigen und wollüſtigen
Bildern, und eine zur Gewohnheit gewordene fehlerhafte Richtung derſelben. Es kann dieſs
Uebel zulezt wahre Gemüthskrankheit werden, die Phantaſie wird völlig verdorben und
beherrſcht nun die ganze Seele, nichts intereſſirt einen ſolchen Menſchen, als was auf jene
Gegenſtände Bezug hat, der geringſte Eindruck aber, dieſer Art, ſezt ihn ſogleich in allgemeine
Spannung und Erhitzung, ſeine ganze Exiſtenz wird ein fortdauerndes Reizfieber, was um ſo
mehr ſchwächt, je mehr es immer Reizung ohne Befriedigung iſt. — Man findet dieſen
Zuſtand vorzüglich bey Wollüſtlingen, die ſich endlich zwar zur körperlichen
Keuſchheit bekehren, aber ſich durch dieſe geiſtige Wolluſt zu entſchädigen ſuchen, ohne zu
bedenken, daſs ſie in ihren Folgen nicht viel weniger ſchädlich iſt — ferner im religiöſen
Coelibat, wo dieſe Geiſtesonanie ſogar den Mantel der brünſtigen Andacht annehmen und ſich
hinter heilige Entzückungen verſtecken kann, und endlich auch bey ledigen Perſonen des
andern Geſchlechts, die durch Romanen und ähnliche Unterhaltungen ihrer Phantaſie jene
Richtung und Verderbniſs gegeben haben, die ſich bey ihnen oft unter den modiſchen Namen
Empfindſamkeit verſteckt, und bey aller äuſſern Strenge und Zucht, oft im Innern gewaltig
ausſchweifen.

Dieſs ſey genug von den traurigen Folgen dieſer Debauchen, die ſie nicht allein auf
Verkürzung, ſondern auch auf Verbitterung des Lebens haben.

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